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Full text of "Aus dem Leben der Sprache; Versprechen, Kindersprache, Nachahmungstrieb. Festschrift der K.K. Kar-Franzens- Universität in Graz aus Anlass der Jahresfeier am 15. November 1906"

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M  56Z5  a 


Aus  dem 
Leben  der  Sprache 


Versprechen.  Kindersprache.  Machahmungstrieb. 


Festschrift  der  k.  k,  Karl-Franzens-Universität  in  Graz  aus  Anlass  der 
Jahresfeier  am   15.  November  1906 


Von 


Dr.  Rudolf  Meringer 

o.   ö.   Professor 


Berlin  1908. 

B.   Behr's  Verlag. 


W.  Meyer-Lübke 


gewidmet 


Vorrede. 

Der  Freude  am  Beobachten  verdankt  diese  Schrift  ihre 
Entstehung-.  Mich  will  bedünken,  dass  noch  immer  nicht 
genug  beobachtet  und  gesammelt  wird.  Der  kranke  Mensch 
wird  vom  Arzte  genugsam  studiert,  aber  wer  studiert  den 
gesunden?  Ich  weiss  sehr  wohl,  dass  es  eine  Experimental- 
psychologie  gibt,  und  gerade  an  unserer  Universität  haben 
diese  Studien  eine  Heimatsstätte  gefunden.  Aber  ich  glaube 
nicht,  dass  das  Experiment  jede  Beobachtung  des  gewöhn- 
lichen Lebens  überflüssig  macht.  Beobachtung  und  Experiment 
mögen  sich  in  die  Arbeit  teilen.  Keines  von  beiden  kann 
das  andere  völlig  ersetzen, 

W.  Wundt  schrieb  im  Indogerm.  Anzeiger  Bd.  XII  (1901) 
S.  19:  „Darum  sind  die  Beobachtungen  von  Meringer  und 
Mayer  über  das  , Versprechen'  so  lehrreich,  weil  hier  die 
Bedingungen  der  individuellen  Erscheinungen  mit  den  ge- 
nerellen der  Sprache,  wie  wir  annehmen  dürfen,  sehr  nahe 
übereinstimmen.  Diese  Übereinstimmung  würde  aber  natürlich 
nicht  mehr  vorhanden  sein,  wenn  M.  und  M.,  statt  die  un- 
willkürlich begangenen  Versprechungen  zu  sammeln,  etwa 
Experimente  angestellt  hätten,  in  denen  sie  ihren  Beobachtern 
Wörter  vorsprachen,  mit  der  Aufforderung,  sie  falsch  aus- 
zusprechen." 

Ich  kann  auf  einen  Fall  hinweisen,  in  dem  das  Experiment 
zu  ganz  ähnlichen  Resultaten  gekommen  ist,  wie  die  Beob- 
achtung. A.  Thumbs  und  K.  Marbes  Experimentelle  Unter- 
suchungen über  die  psychologischen  Grundlagen  der  sprach- 
lichen Analogiebildung    (Leipzig   1901)    zeigen    ungefähr  das- 


VI 

selbe,  was  sich  auch  aus  dem  Versprechen  erg"ibt');  freilich 
ist  die  Auskunft  des  Sprech fehlers,  wenn  die  Beobachtung^en 
lange  genug  fortgesetzt  werden,  eine  genauere  und  bessere. 
Was  ich  seit  1895,  dem  Jahre  des  Erscheinens  von 
„Versprechen  und  Verlesen"  beobachtet  habe,  findet  sich 
hier  im  Auszuge  wiedergegeben.  Das  meiste  stammt  aus 
den  Jahren   1895 — 99,  die  ich  noch  in  Wien  zubrachte. 

Dass  ich  noch  einmal  mit  einer  Sammlung  von  Sprech- 
fehlern hervortrete,  das  hat  seinen  Grund  darin,  dass  V.  und  V. 
nicht  imstande  war,  die  Gedanken,  die  man  sich  über  das 
Versprechen  gemacht  hatte,  allgemein  richtig  zu  stellen.  Nach 
wie  vor  höre  und  lese  ich,  dass  das  Versprechen  der  Fehler 
der  Gebildeten  sei  und  was  dergleichen  unwahrer  Redensarten 
mehr  sind.  Kann  man  aber  auch  etwas,  was  jeder,  ab- 
solut jeder,  tut,  individuell  nennen?  Sind  Erscheinungen 
individuell,  die  im  Kindcsalter,  mit  dem  Beginne  des  Sprechens, 
anfangen  und  ins  hohe  Greiscnaltcr  ohne  wesentliche  Ver- 
schiedenheit dauern?  Und  wenn  sich  schon  das  Kind,  wie 
ich  unten  zeige,  so  verspricht  wie  der  Erwachsene,  wer  kann 
dann  noch  denken,  dass  ganze  Stände  vom  Versprechen  aus- 
genommen sind! 

Meine  Sammlung  von  Sprechfehlern  der  Kinder  ist  nicht 
umfangreich,  was  aber  seinen  Grund  nicht  darin  hat,  dass  es 
selten  ist,  sondern  darin,  dass  mir  nicht  mehr  Raum  zur  Ver- 
fügung stand.  Aus  demselben  Grunde  sind  die  Anhänge  zum 
I.  Hauptstück  kurz.  Sie  sollen  nur  im  allgemeinen  die  Zu- 
sammenhänge mit  dem  Versprechen  darlegen,  ohne  aber  das 
Wesen  von  Verlesen,  Verschreiben,  Verhören,  Verhandeln 
erschöpfend  zu  schildern.  Deshalb  habe  ich  auch  auf  die 
Anordnung  dieser  Fehler  in  Gruppen  weniger  Sorgfalt  ver- 
wendet. 

Die  fehlerhaften  Momentanbildungen  sind  überall  mit  dem 
Namen  des  Urhebers  versehen.  Junge  Personen  und  alte 
sind  speziell  charakterisiert.  Die  meisten  Fehler  stammen 
von    Erwachsenen    der    mittleren    Lebensjahre.      Wo   mir   ein 


')  ^^?l-  weiter  Thumb  Indogerm.  Forschungen  XXII  S.   i  ff. 


vir 

Fehler  auffiel,  habe  ich  noch  über  Tageszeit^)  und  besondere 
Umstände  berichtet.  Auch  die  Lebensstellung  habe  ich  öfter 
angegeben,  so  dass  sich  der  Leser,  wenn  er  will,  ein  Bild 
der  Sprecher  machen  kann.  Ich  will  aber  hier  schon  be- 
merken, dass  ich  nicht  imstande  bin,  irgend  eine  Fehler- 
kategorie besonders  einem  bestimmten  Lebensalter  zuzu- 
schreiben. Ausgesprochen  senile  Personen  zu  beobachten 
hatte  ich  keine  Gelegenheit,  kann  also  nicht  sagen,  ob  — 
wie  ich  früher  vermutete  —  für  sie  die  Nachklänge  charak- 
teristisch sind.  Übriofens  hätte  ich  dabei  die  Grenze  dieser 
Studien  überschreiten  müssen,  denn  ich  habe  es  mit  dem 
normalen,  körperlich  gesunden  Menschen  zu  tun. 

Bei  den  Sprechfehlern  wird  man  häufig  die  Interjektion 
ah!  antreffen.  Sie  wird  bei  uns  sehr  häufig,  namentlich  dann, 
wenn  man  sich  auf  einem  Irrtum  ertappt,  verwendet.  Sie  be- 
steht aus  einem  kurzen  ä,  dem  Kehlkopfverschluss  vorausgeht. 

Meine  Ausführungen  über  die  „Kindersprache"  sind  kurz 
gehalten,  denn  ich  konnte  den  Umfang  dieser  Schrift  nicht 
beliebig-  ausdehnen.  Was  ich  zurückhielt,  soll  in  einer  anderen 
Weise  verwertet  werden.  Auch  über  den  Nachahmungstrieb 
habe  ich  noch  manches  zu  sagen. 

Ich  kann  nur  mit  dem  Wunsche  schHessen,  dass  diese 
Schrift  dieselbe  freundliche  Aufmerksamkeit  finden  möge,  wie 
sie  seinerzeit  „Versprechen  und  Verlesen"  '^)  bei  den  Berufenen 
gefunden  hat. 

Besten  Dank  den  Herren,  welche  mir  Material  beigesteuert 
haben  3). 

Graz.  R.  Meringer.      • 


*)  Findet  man  Morgen-  oder  Tagesstunden  angegeben,  so  bedeutet  das, 
dass  eben  keine  Ermüdung  oder  dergl.  vorhanden  war. 

*)  Versprechen  und  Verlesen.  Eine  psychologisch-hnguistische  Studie 
von  R.  Meringer  und  K.  Mayer   1895.     ^i^^  zitiert  V.  u.  V. 

')  Mein  Freund  Dr.  W.  Cartellieri.  Professor  an  der  Universität  Inns- 
bruck, ist  während  der  Korrektur  gestorben. 


Angaben  über  die  Personen 

von  denen  Sprechfehler  verzeichnet  sind  '). 

Dr.  K.  Adler,  gew.  Redakteur;  vgl.  V.  und  V.  S.  ii.  Ist  über 
achtzig  Jahr  alt  verstorben. 

Fr.  Albrecht,  General-Konsul.  Altersgenosse  und  Mitschüler  von 
mir. 

Dr.  Ferd.  Freiherr  v.  Andrian-Werburg,  Ehrenpräsident  der  Wiener 
Anthropologischen  Gesellschaft.     Geboren  1835. 

Dr.  Karl  Graf  Attems,  Zoologe.     War  ein  Dreissiger. 

Leopold  Au  spitz.     Als  Gymnasiast  gestorben. 

Dr.  R.  Berl.     War  damals  ein  Zwanziger. 

Dr.  Eug.  Bormann,  Hofrat,  Prof.  a.  d.  Universität  Wien.  Ge- 
boren 1842. 

Dr.  Rieh.  Bratusch,  Oberlandesgerichtsrat.  Graz  jetzt  Wien.  War 
damals  ein  Dreissiger. 

Dr.  Olaf  Broch,  Prof.  a.  d.  Univ.  Kristiania.     Geb.   1867. 

Dr.  K.  Brockhausen,  Reg.-R.,  Prof.  a.  d.  Univers.  Wien,  Kanzlei- 
direktor.    Geboren  1859. 

Frau  E.  Brockhausen. 

E.  Bunzl.     Damals  ein  Dreissiger.     Hat  gelehrte  Bildung. 

Dr.  K.  iurdach,  Prof.  Univ.  Berlin.     Geb.   1859. 

Dr.' J.  Cornu,  Prof.  Univ.  Graz.     Geboren   1849. 

J.  J.  David,  Schriftsteller.     Geboren   1859.     Gestorben. 

Dr.  Ferd.  Detter,   Prof.  Univ.   Prag.     Geboren    1864.     Gestorben. 

Dr.  A.  Dopsch,  Prof.  Univ.  Wien.     Geboren   1868. 


*)  Personen  der  niederen  Stände  sind  im  Texte  angeführt  und  nach 
Lebensstellung  und  Alter  charakterisiert.  —  Wo  mir  das  genaue  Alter  der 
obigen  Personen  zu  ermitteln  unmöglich  war,  habe  ich  es  abgeschätzt  oder 
sonst  orientierende  Bemerkungen  gemacht. 


X 

Dr.  Hermann  Freiherr  v.  Kgloffstein,  Kabinettssekretär  und 
Kamnierherr  des  Grossherzogs  von  Sachsen -Weimar.  Ge- 
boren  1861. 

Dr.  (i.  R.  V.  Escherich,  Hofrat,  Prot.  a.  d.  Univers.  Wien.  Ge- 
boren  1849. 

Dr.  Franz  Exner,  Prof.  Univ.  Wien.     Geb.   1849. 

Dr.  Sigmund  E.xner,  Hofrat,  Prof.  a.  d.  Univ.  Wien.    Geboren  1846. 

Dr.  Bruno  Frankl  R.  v.  Hoch  wart,  Nordbahnbeamter.  Geb.  1860. 

Dr.  Lothar  Frankl  R.  v.  Hochwart,  Prof.  a.  d.  Univ.  Wien. 
Geb.   1862. 

Dr.  Theodor  Friedmann,  Kais.  Rat,  prakt.  Arzt.     Geb.   1861. 

Frau  Flora  Friedmann. 

Dr.  H.  Friedjung,  Schriftsteller.     Geboren   1851. 

Dr.  L.  G raff  V,  Pancsova,  Hofrat,  Prof  a.  d.  Univ.  Graz.  Ge- 
boren 1851. 

Dr.  Th.  V.  Grienberger,  Bibliothekar  und  Prof  a.  d.  Univers. 
Czernowitz.     Geboren   1855. 

Dr.  K.  Grobben,  Prof.  a.  d.  Univers.  Wien.     Geboren   1854. 
Dr.  H.  Gross,  Prof  a.  d.  Univers.  Graz.     Geboren   1847. 
Dr.  K   Grünberg,  Prof  a.  d.  Univers.  Wien.     Geboren  1861. 
Dr.  E.  Guglia,   Reg.-R.,   Chefredakteur  der  amtl.  Wiener  Zeitimg. 

Geboren  1857. 
Fräulein  Anna  Haasz. 

Fraulein  R.  H.  jetzt  meine  Frau.     S.  s.  v.  Rida. 
Dr    G.  Haberlandt,  Prof.  Univ.  Graz.     Geboren   1854. 
Hahn  reich,  Beamter.     War  ein  Fünfziger. 
Dr.  W-  v.  Hartel,  Hofrat,  Professor,  dann  Minister.    Geboren  1839. 

Gestorben. 

Dr.  R.  Heberdey,  Prof.  Univ.  Wien.     Damals  ein  Dreissiger. 

Fr.  Heger,  Reg.-R.,  Direktor  am  kk.  Naturhistorischen  Museum  in 
Wien.     Geboren  1853. 

Dr.  W.  Hein,    Privatdozent   Univ.    Wien.     Geb.   1861.     Gestorben. 

Dr.  K.  Hiecke.     In  den  Zwanzigern  gestorben. 

Dr.  C.  Hiller,  Reg.-R.,  Prof.  Univ.  Graz.  Geboren  1846.  Ge- 
storben. 

Dr.  R.  Hoernes,  Prof.  Univers.  Graz.     Geboren   1850. 

Freiherr  von  Hohenbruck,  Hofrat:  war  damals  etwa  ein  Fünf- 
ziger. 

Dr.  O.  Holder-Egger.G.  Reg.-R.,  Prof.  Univ.  Berlin.    Geboren  1851. 

Dr.  A.  Ho  mann,  Advokat.     Damals  ein  Dreissiger. 


XI 

Dr.  F.  Hoppe,  Gymnas -Prof.     Damals  ein  Vierziger. 

Dr.   Hülsenbeck,    Landesschulinspektor.      War    damals    etwa   ein 

Fünfziger. 
Dr.  V.  Jagic,  Hofrat,  Prof.  Univers.  Wien.     Geboren   1838. 
Dr.  V.  Jekel.     War  ein  Dreissiger. 

Dr.  M.  H.  Jellinek,  Prof.  Univ.  Wien.     Geboren   1868. 
Jettel,  Lehrer.     War  ein  Dreissiger. 
Kain.     Damals  stud.  phil. 

Dr.  J.  R.  V.  Karabacek,  Hofrat,  Prof.  Univ.  Wien  usw.    Geboren  1845. 
Fr.  Kick,  Reg.-R.,  Prof.  Technik  Wien.     Geboren   1840. 
Dr.  R.  Klemensiewicz,  Prof.  Univ.  Graz.     Geboren   1848. 
V.   Kljucharich,  Reg.-R.     War    em   Fünfziger.     Vgl.    V.    und    V. 

S.   12. 

Dr.  J.  Krall,  Prof.  Univ.  Wien.     Geboren  1857.     Gestorben. 

Dr.   K.   Kramaf,   Reichsratsabgeordneter.      Damals   ein    Dreissiger. 

Dr.  J.  Kratter,  Prof.  Univ.  Graz.     Geboren   1848. 

R.  Krebs,  Kaufmann.     Damals  ein  Sechziger. 

J.  Kryspin,  Reg.-R.,  i.  R.     Geboren   1837. 

Krön,  Kaufmann.     War  ein  Sechziger.     Gestorben. 

K    Lacher,  Museal-Direktor  Graz.     Geboren  1850.     Gestorben. 

J.  Lewinsky,  Hofburgschauspieler.     Starb  als  Siebziger. 

Dr.  E.  V.  Lieben.     War  ein  Zwanziger. 

von  Lieder,  Konsul.     War  ein  Dreissiger. 

Dr.  E.  Lippmann,  Prof.  Univ.  Wien.     Geboren   1857. 

R.  Lischka,  akad.  Maler.     War  ein  Zwanziger. 

Dr.  H.  Lorenz,  Prof.  Univ.  Graz.     Geboren  1859. 

Dr.  J.  Loserth,  Hofrat,  Prof  Univ.  Graz.     Geboren   1846. 

Dr.  K.  Luick,  Prof.  Univ.  Graz.     Geboren  1865. 

Dr.  Fr.  Marek,  Oberfinanzrat.     War  ein  Vierziger. 

Dr.  Fr.  Marx,  G.  Reg.-R.,  Prof.  Univ.  Bonn.     Geboren  1859. 

Frau  Rosa  May  reder,  Schriftstellerin. 

K.  Meringer,  Minist.-Beamter.     Geboren   1857.     Gestorben. 

Frau  Marie  Meringer. 

Dr.  W.  Meyer-Lübke,  Prof  Univ.  Wien.     Geboren   1861. 

Michel,  Kommerzialrat.     Ein  Sechziger. 

Dr.  J.  Minor,  Hofrat,  Prof.  Univ.  Wien.     Geboren  1855. 

Dr.    E.    Mühlbacher,    Prof.    Univ.    Wien.      Geboren    1843.      Ge- 

•     stürben. 
Dr.  R.  Much,  Prof.  Univ.  Wien.     Geboren   1862. 
Dr.  M.  Murko,  Prof.  Univ.  Graz.     Geboren   1861. 


XII 

Dr.  Mor.  Necker,  Schriftsteller.     Geboren   1857. 

Dr.  H.  Notnagel,  Hofrat,  Prof.  Univ.  Wien.  Geboren  1841.  Ge- 
storben. 

Uhnesorge,  Kaufmann.     War  ein  Fünfziger. 

Dr.  Fr.  Pastrnek,  Prof  an  der  tschechischen  Univers.  Prag. 

Dr.  A.  Penck,  G.  Reg.-R.,  Prof  Univ.  Berlin.     Geboren   1S58. 

Dr.  J.  Pernter,  Hofrat,  Prof.  Univ.  Wien.     Geboren   1848. 

Dr.  Th.  Pintner,  Prof.  Univ.  Wien.     Geboren   1857. 

Fräulein  Dr.  Annette  Pölzl,  klin.  Assistent,  Wien. 

].  C.  Poestion,  Reg.-R.,  Schriftsteller.     Geboren   1853. 

Dr.  A.  F.  Pribram,  Prof.  Univ.  Wien.     Geboren   1859. 

Dr.  Franz  Raab,  Gymnasial-Professor  Wien.     Geboren   1836. 

Dr.  V.  Radimsky,  Bezirksvorsteher  in  Bosnien.    War  ein  Dreissiger. 

Dr.  O.  Redlich,  Prof.  Univ.  Wien.     Geboren  1858. 

Reg.-R.,  R.  R.  Sief  Kljucharich. 

Dr.  W.  Reiche!.     Ist  als  Dreissiger  gestorben. 

Reimers,  Hofburgschauspieler. 

Dr.  E.  Reisch,  Prof.  Univ.  Wien.     Geboren   1863. 

Dr.  M.  V.  Resetar,  Prof.  Univ.  Wien.     Geboren   1860. 

Ri,  Rida  meine  Frau  (Fräulein  R.  H. 

Dr.  A.  Riegel,  Hofrat,  Prof.  Univ.  Wien.  War  in  den  Dreissigern. 
Gestorben. 

Dr.  W.  Roellig.     War  ein  Zwanziger. 

Dr.  G.  Roethe,  Prof.  Univ.  Berlin.     Geboren   1859. 

Dr.  A.  V.  Rosthorn,  a.  o.  Gesandter  und  bevollmächtigter  Minister 

Persien.     Heute  im  Anfang  der  Vierziger. 
Dr.  F.  de  Saussure,  Prof.  Univ.  Genf.     Ein  Vierziger. 
Schau,  Fechtmeister.     War  ein  Vierziger. 
Dr.  K.  Schenkl,  Hofrat,  Prof.  Univ.  Wien.     Geboren   1827. 
Dr.  K.  Schima,  Hofrat.     Geb.   1862. 
Frau  Johanna  Schima. 

Dr.  J.  Schipper,  Hofrat,  Prof.  Univ.  Wien.     Geboren   1842. 
M.  v.  Schivizhoffen,  Fabrikant.     Geb.  1856. 
R.  V.  Schivizhoffen,  Fabrikant.     Geb.  1859. 
Dr.  K.  Cam.  Schneider,  Prof.  Univ.  Wien.     Geboren  1867. 
Dr.  Jos.  Schneider,  Schriftsteller.     Geb.  1878. 
Rud.  Schneider,  Kaufmann.     Geb.   1873. 
Dr.  H.  Schuchardt,  Hofrat,  Prof.     Geboren  1842. 
A.  F.  Seligmann,  Akad.  Maler  und  Schriftsteller.     Geboren  1862. 
Dr.  H.  Sittenb erger,  Schriftsteller.     Geboren   1863. 


XIII 

Dr.  S.  Singer,  Prof.  Univ.  Bern.     Geboren   1860. 

Dr.  H.  Zdenko  Skraup,  Hofrat,  Prof  Univ.  Wien.     Geboren  1850. 

Frau  Helene  Stökl,  Schriftstellerin. 

Dr.  K.  Strekelj,  Prof.  Univ.  Graz.     Geboren  1859. 

Dr.  K.  v.  Stremayr,  Minister.     Gestorben. 

W.  Stukki,  Kaufmann.     Damals  ein  Fünfziger. 

O.  Svoboda,   Ober\'erpflegsvenvalter  Sarajevo.     War  ein  Fünfziger. 

Dr.  E.  Szanto,  Prof.  Univ.  Wien.     Geboren  1857.     Gestorben. 

A.  Freiherr  v.  Teuffenbach,  Feldzeugmeister  a.  D.    Geboren  1835. 

Dr.  H.  J.  Tomas eth,  Musealbeamter,  Schriftsteller.     Geboren  1871. 

Vita,  Akad.  Maler.     Damals  ein  Fünfziger. 

Dr.  W.  Vondräk,  Prof.  Univ.  Wien.     Geboren  1859. 

Frau  Mizi  Vondräk.     Gestorben. 

Dr.  Jul.  Wagner  R.  v.  Jauregg,  Hofrat,  Prof.  Univ.  Wien.  Ge- 
boren 1857. 

Dr.  O.  Walzel,  Prof.  Technische  Hochschule  Dresden.   Geboren  1864. 

Frau  Hedwig  Walzel. 

Dr.  A.  Wassmuth,  Prof.  Univ.  Graz.     Geboren  1844. 

Dr.  R.  Wegscheider,  Prof.  Univ.  Wien.     Geboren  1859. 

Dr.  A.  V.  Weilen,  Prof  Univ.  Wien.     Geboren  1863. 

Dr.  K.  v.  Weilen.     Etwas  jünger. 

Frau  Marie  v.  Weilen,  Hofratswitwe. 

Dr.  R.  M.  Werner,  Hofrat,   Prof.  Univ.  Lemberg.     Geboren   1854. 

Dr.  Fr.  Wickhoff,  Hofrat,  Prof.  Univ.  Wien.     Geboren  1853. 

Dr.  E.  Witlaczil,  Prof.     Geboren  1858. 

J.  Wrzesinski,  Oberbergkommissär  in  Dolnja  Tuzla.    Ein  Vierziger. 

Dr.  O.  V.  Zallinger,  Prof.  Univ.  Wien.     Geboren  1856. 

Dr.  R.  Zimmermann,  Hofrat,  Prof.  Univ.  Wien.  Geboren  1824. 
Als  Siebziger  gestorben. 

Dr.  K.  Zwierzina,  Prof.  Univ.  Innsbruck.     Geboren   1864. 


Inhalt. 

Seite 

Vorrede V 

Angaben    über    die    Personen,    von    denen    Sprechfehler    ver- 
verzeichnet sind IX 

I.  Hauptstück.    Das  Versprechen. 

Ä.  Das  Versprechen  der  Erwachsenen. 

Vorbemerkungen i 

1.  Vertauschungen ii 

a.  Vertauschungen  von  Wörtern 15 

b.  Vertauschungen  von  Silben 18 

c.  Vertauschungen  von  Lauten 19 

2.  Vorklänge,  Antizipationen        21 

a.  Vorklänge,  Antizipationen  von  Wörtern  und  Silben    .  22 

b.  Vorklänge,  Antizipationen  von  Lauten 26 

c.  Antizipation  des  Geschlechts 37 

d.  Antizipation  der  Person 38 

e.  Antizipation  der  Quantität 38 

f.  Antizipation  des  Kasus 39 

g.  Antizipation  des  Numerus •.  39 

h.  Antizipation  des  Modus 39 

3.  Mitklänge,  Konzipationen         39 

a.  Mitklänge  durch  Gesichtsbilder  erregt 42 

b.  Beispiele  von  ,, Substitutionen" 45 

c.  Substitutionen  infolge  lautlicher  Ähnlichkeit       ...  50 

d.  Substitutionen  infolge  begrifflicher  Assoziation  ...  52 

4.  Nachklänge  Postpositionen 54 

a.  Schwebende  Wortbilder 56 

b.  Nachklänge,   Postpositionen   von  Wörtern  und  Silben  59 

a.  Aus  der  Rede  des  anderen 59 

ß.  Aus  der  eignen  Rede 61 


XVI 

c.  Nachklange,  Postpositionen  von  Lauten  62 
a.  Aus  der  Rede  des  anderen  ...  .  .  62 
ß.  Aus  der  eignen  Rede 63 

d.  Nachklang  von  früher  miterregten  VV^ortbildern  69 

e.  Nachklang  des  Genus 70 

f.  Nachklang  des  Casus     .          70 

g.  Nachklang  des  Numerus 70 

h.  Nachklang  des  Umlauts 71 

i.    Nachklang  der  Komparation  ....           ....  71 

k.  Nachklang  des  Tempus 71 

1.    Nachklang  der  Person 71 

m.  Nachklang  der  Negation 71 

n.  Nachklang  der  Quantität    .     .          72 

o.  Nachklang  des  Hiatus 72 

5.  Kontaminationen 72 

a.  Kontamination  von  Sätzen  und  Redensarten      ...  73 

b    Kontamination  von  Wörtern 77 

6.  Sprechschwierigkeiten 83 

a.  Zögerndes  Sprechen       83 

b.  Stottern 84 

c.  Stottern  aus  Vorwirkung 86 

d.  Stottern  aus  Nachwirkung 89 

7.  Dissimilationen 91 

a.  Leichte  Dissimilation      .     .          93 

b.  Schwere  Dissimilation 94 

a.  Aus  Vonvirkung 94 

ß.  Aus  Nachwirkung 96 

c.  Silbendissimilationen 98 

a.  Aus  Vorwirkung 98 

ß.  Aus  Nachwirkung 98 

8.  Silbenunterdrücknng   (Entgleisungen)        99 

9.  Individuelle  Wortverkürzungen  10 1 
XO.  Füllwörter  10 1 

11.  Bahnverlegting 105 

a.  Aulsuclien  vergessener  Wörter 107 

12.  Formausgleichnngen,  Neubildungen 108 

a.  Ausgleichung  des  Umlauts 109 

b.  Ausgleichung  des  Ablauts iio 


XVII 

c.  Ausgleichung  unregelmässiger  Formen      ....  1 1 1 

d.  Ausgleichung  des  Genus 112 

e*  Ausgleichung  von  Suffixen 112 

f.    Ausgleichung  des  Sandhis 112 

B.  Das  Versprechen  der  Kinder  .    .    .  113 

1.  Vertauschnngen       113 

2.  Vorklänge,  Antizipationen.                      114 

3.  Nachklänge,   Postpositionen 115 

4.  Mitklänge  (und  Kontaminationen) 116 

a.  Mitklang  durch  Gesichtsbild  erregt 117 

5.  Schwebende  Wortbilder 117 

6.  Substitutionen 118 

7.  Formausgleichungen,  Neubildungen 118 

C.  Rückblick  auf  das  Versprechen    .    .  121 

D.  Anhänge  zum  ersten  Hauptstück     .  129 

1.  Andere  Arbeiten  zum  Versprechen 129 

2.  Das  Verlesen 131 

a    Vertauschungen 132 

b.  Antizipationen 133 

c   Postpositionen 133 

d.  Kontaminationen 134 

e.  Substitutionen " 134 

f.  Dissimilationen 135 

a.  Silbenunterdrückung 135 

g.  Schwierigkeiten  beim  Lesen 135 

h.  Stottern  und  Stolpern 135 

3.  Das  Verschreiben         136 

a.  Vertauschungen 137 

b.  Antizipationen        137 

c    Konzipationen        139 

d    Postpositionen        139 

e.  Kontaminationen 140 

f    Substitutionen 140 

g.  Entgleisungen 141 

h.  Schwierigkeiten 141 

i.    Dissimilationen 141 

k.  Umstellungen 141 


XVIII 

I.    Doppelschreibiingen 142 

m.  Unterdrückungen 142 

4.  Das  Verhören                 142 

5.  Das  Verhandeln 143 

II.  Hauptstück.     Zur  Kindersprache. 
A.  Kinderbiographien. 

1.  Gretl  M 145 

2.  Johannes  M. 164 

3.  Martha  M 181 

4.  Vika  Cartellieri         196 

5.  Erich  Reinitzer 205 

B.  Allgemeines  zur  Kindersprache    .    .  206 

III.  Hauptstück.  Zum  Nachahmungstrieb  231 


I.  Hauptstück. 

Ä.  Das  Versprechen  der  Erwachsenen. 

Vorbemerkungen. 

„Über  Kunst  und  Altertum"  brachte  1820  im  2.  Hefte 
des  II.  Bandes  auf  S.  177 — 185  einen  kurzen  Aufsatz  Goethes 
„Hör-,  Schreib-  und  Druckfehler"  1),  der  bis  jetzt  wenig-  Auf- 
merksamkeit g-efunden  zu  haben  scheint.  Und  doch  ist  diese 
Abhandlung-  für  Goethes  Forscherlust  und  wissenschaftliche 
Beg-abung  sehr  bezeichnend.  Verschiedene  Erfahrungen  hatten 
Goethes  Aufmerksamkeit  erregt,  und  die  Lust,  sie  mitzuteilen, 
fand  sich,  als  Goethe  auch  allgemeine  Gesichtspunkte  und 
Regeln  zu  ihrer  Erklärung  beibringen  zu  können  glaubte. 
So  war  der  erste  Schritt  zu  einer  wissenschaftlichen  Tat  ee- 
schehen. 

Goethe  hat  vieles,  namentlich  von  seinen  wissenschaft- 
lichen Arbeiten,  nicht  selbst  aufgezeichnet,  sondern  diktiert, 
ohne  gleich  die  Zeit  zu  finden,  das  Niedergeschriebene  durch- 
zusehen und  zu  bessern.  Als  er  nach  einiger  Zeit  solche 
Blätter  und  Hefte  zur  Hand  nahm,  fand  er  die  merkwürdior- 
sten  Fehler,  welche  oft  die  Sätze  bis  zur  völligen  Sinnlosig- 
keit entstellten. 

Goethe  forschte  nun  den  Quellen  dieser  Irrtümer  nach. 
Er  fand  sie:  die  undeutliche  Aussprache  des  Sprechenden, 
das  Ohr  des  Schreibenden  und  —  was  das  eigentlich  Wich- 
tige und  Wertvolle  ist  —  die  eigenen  Gedanken  des  Schreibenden, 
seine    innere   Sprache,    die    durch    das    Gehörte    erregt    wird. 


M  Vgl.  Goethes  Werke  Hempel  XXIX.  Teil  S.  255 ff. 

Meringer,    Aus  dem  Leben  der  Sprache.  1 


2 

Neben  kleinlichen  Bcmerkunsren  gibt  hier  Goethe  wieder  Züg-e 
tiefsten  und  feinsten  Erkenncns. 

Es  ist  auftallend,  dass  Goethe  nur  den  Anfang  eines 
langen  Weges  gefunden,  dass  er  neben  den  Hör-,  Schreib- 
und Druckfehlern  nicht  auch  die  wichtigsten  und  lehrreichsten 
F"ehler,  die  Sprechfehler,  das  ,, Versprechen"'),  bemerkt  hat. 
Aber  es  ist  wohl  ebensogut  möglich,  dass  Goethe,  der  schon 
so  weit  war,  auch  dieses  bemerkt  hat,  dass  aber  zum  Nieder- 
schreiben in  einem  so  tatenreichen,  von  vielen  Interessen 
erfüllten  Leben  sich  die  Gelegenheit  nicht  mehr  einstellte. 

Nur  wenige  Bemerkungen  im  Anschluss  an  Goethes 
Worte. 

Wenn  Goethe  sagt:  ., Niemand  hört,  als  was  er  weiss: 
niemand  vernimmt,  als  was  er  empfinden,  imaginieren  und 
denken  kann,"  so  ist  das  eine  richtig  erkannte  Tatsache 
und  lässt  sich  in  bezug  auf  unser  Thema  in  die  Formel  zu- 
sammenfassen, dass  wir  alles,  was  wir  sehen,  hören,  sprechen, 
durch  das  Medium  des  früher  Gesehenen,  Gehörten,  Ge- 
sprochenen sehen,  hören,  sprechen.  Wenn  dann  Goethe  fort- 
fährt: ,,Wer  keine  Schulstudien  hat,  kommt  in  den  Fall,  alle 
lateinische  und  griechische  Ausdrücke  in  bekannte  deutsche 
umzusetzen,"  so  streift  hier  Goethe  das  der  Philologie  wohl- 
bekannte Thema  der  Volksetymologie  (V.  u.  V.  S.  76).  Zu 
den  Worten  Goethes:  „Ferner  kommt  aucii  wohl  beim 
Diktieren  der  Fall  vor,  dass  der  Hörer  seine  inwohnende 
Neigung.  Leidenschaft  und  Bedürfnis  an  die  Stelle  des 
Gehörten  setzt"  vergleiche  man  unten  die  Zusammenstellungen 
unter  dem  Titel:  ,. Mitklänge  eines  miterregten  Wortbildes." 
Goethes  Beispiele  von  Hörfehlern  fallen  unter  die  Gesichts- 
punkte, die  in  V.  und  V.  S  157  dargelegt  wurden.  Bei  seiner 
Liste  von  ,, Druck-  und  Schreibfehlern  aus  Unachtsamkeit" 
habe  ich  den  Eindruck,  dass  sie  klare  Lese-  und  Abschreib- 
Ichler    sind,    also    auf    optischem    Gebiete    zu    erklären    sind. 


')  So  sage  ich  statt  ..Das  Sichversprechen''.  Naturforscher  und  Ärzte 
gestatten  sich  oft  genug  solche  Neubildungen.  Meine  Abkürzung  hat  auch 
keinen  Widerspruch  gefunden. 


Kaum  ein  Fehler  ist  darunter,  der  beim  Schreiben  aus  dem 
eig-enen  Kopfe  heraus  entstanden  sein  könnte,  d.  h.  durch 
Versprechen  der  inneren  Sprache  (V.  und  V.  S.  99).  Ich 
verweise  nur  auf  Furchtbarkeit  statt  F'ruchtbarkeit,  was 
als  Lesefehler  häufig  g"enug  ist,  als  Sprechfehler  aber  nach 
meiner  Erfahrung  nicht  vorkommt. 

Als  ,, Versprechen  und  Verlesen"  im  Jahre  1895  erschien, 
konnte  ich  darauf  verweisen,  dass  sich  die  Ergebnisse  auf 
sechsjährige  Beobachtungen  meinerseits  imd  zweijährige  Mit- 
hilfe C.  Mayers  stützen.  Ich  habe  aber  auch  nach  dem  Er- 
scheinen der  Arbeit  nicht  aufgehört,  weiter  zu  beobachten. 

Und  auch  die  folgenden  langen  Jahre  haben  mir  meine 
damals  niedergelegten  Regeln  nur  bestätigt.  Der  Zufall  ist 
beim  Versprechen  vollkommen  ausgeschlossen,  das  \"er- 
sprechen  ist  geregelt. 

Diese  Tatsache  ist  keine  folgenlose.  Wenn  das  Ver- 
sprechen gewissen  Regeln  folgt,  dann  ist  es  der  Ausfluss 
konstanter,  immer  vorhandener  Ursachen,  und  wir  können  in 
einen  Sprechmechanismus  hineinblicken,  der  uns  ohne  das 
Versprechen  vollkommen  geheimnisvoll  geblieben  wäre.  Geht 
das  Versprechen  weiter  aus  konstanten  psychischen  Kräften 
hervor,  dann  können  Erscheinungen  desselben  sich  auch 
dauernd  in  eine  Sprache  einnisten,  d.  h.  zu  neuen  Sprach- 
gepflogenheiten führen. 

Ein  missgünstiger  Beurteiler  von  V.  und  V.  machte  die 
Bemerkung,  dass  ein  Teil  des  Materials  von  Männern  herrühre, 
deren  Muttersprache  nicht  deutsch  sei.  Das  ändert  an  der 
Sache  gar  nichts,  denn  die  betreffenden  Herren  sprechen  alle 
sehr  gut  deutsch.  Der  Prozentsatz  dieser  Beispiele  kommt 
aber  gar  nicht   in  Betracht. 

Ich  habe  die  Regelung  des  Versprechens  an  der  deutschen 

Verkehrssprache  erwiesen.     Aus  diesem  Nachweise  folgt  ohne 

weiteres,    dass    das    Versprechen    in    jeder  Sprache    geregelt 

sein  müsse,    allerdings  nach  Regeln,     die   nicht  durchaus  den 

an    der    deutschen   Verkehrssprache  gewonnenen  entsprechen 

müssen.     Sprachen  mit  ähnlichem  Charakter  werden  ähnliche 

Regeln  zeigen. 

1* 


Meine  Hoffnung,  dass  auch  in  anderen  Sprachen  Samm- 
lungen von  Sprech  fehlem  gemacht  werden,  hat  sich  nur  in 
geringem  Masse  erfüllt.  Man  kann  nur  in  seiner  Mutter- 
sprache solche  Beobachtungen  mit  der  nötigen  Gewissen- 
haftigkeit und  mit  Aussicht  auf  Erfolg  machen,  und  deshalb 
ist  niemand  in  der  Lage,  diese  Arbeit  für  andere  Sprachen 
zu  leisten. 

Die  Schwierigkeiten  solcher  Beobachtungen  sind  auch 
in  der  Muttersprache  sehr  gross,  und  es  scheint,  dass  nur 
wenig  Menschen  dazu  die  Veranlagung  haben.  Aber  die 
Klage  über  die  mangelnde  Fähigkeit  zu  sehen  und  zu  hören  — 
im  höheren  Sinne  —  ist  ja  eine  allgemeine,  und  man  macht 
dafür  die  Schule  verantwortlich.  Es  mag  etwas  Wahres  an 
diesem  grossen  Vorwurf  sein.  Jedenfalls  muss  diese  natür- 
liche Fähigkeit  des  Menschen  wieder  zurückerobert  werden. 
Bis  jetzt  gilt  der  Satz:  qitod  non  est  in  actis,  non  est  in  mundo 
leider  auch  vielfach  vom  Gelehrten.  Was  nicht  in  den 
Büchern  steht,  das  wird  wenig  berücksichtigt.  Aber  wie 
wenig  von  der  Welt  der  Tatsachen  steht  bis  jetzt  in  den 
Büchern! 

Kaum  war  V.  und  V.  ausgegeben,  als  das  Werk  des 
französischen  Gelehrten  M.  Grammont:  La  dissimilation  con- 
sonantique  dans  les  langues  Indo-europeennes  et  datis  les  lan- 
yues  Bo)nanes  Dijon  1895  erschien.  Auch  er  kam  durch 
die  merkwürdige  Erscheinung  der  Dissimilation  zur  Beob- 
achtung des  Versprechens:  Ce  phenomhie  est  beaucoup  plus 
frequent  qu!on  ne  pense.  Voici  les  exemples  que  fai  entendus 
en  irois  jours:  „Je  vais  taire  du  /e"  pour  „je  vais  faire  du 
the"'  —  „iZ  ny  a  rien  qui  vous  soüle  comme  de  Vahsinthe 
apres  une  biere^  pour  „il  n'y  a  rien  qui  vous  soule  comme 
une  absinthe  apres  de  la  biere^  —  „Je  ne  sais  pas  la  teile 
cest  qui  est  combee"^  pour  „Je  ne  sais  pas  laquelle  cest  qui  est 
tombee  usw.  La  question  detnande  des  recherches  plus  appro- 
fotulies  schliesst  M.  Grammont  S.   iSs- 

Dieser  sein   Wunsch   war   schon   erfüllt,    ehe  Grammonts 
Buch  erschienen  war,  allerdings  nur  für  das  Deutsche. 

Die  mangelnde  Freude  am  Beobachten  mag  noch  einen 


anderen  Grund  haben,  und  ich  denke,  B.  Delbrück  hat  ihn 
läng-st  richtig-  erkannt:  ,,Dem  g-egenüber  hat  dasjenige,  was 
wir  tägHch  an  uns  selbst  und  anderen  beobachten  können, 
zwar  den  Nachteil  der  Trivialität  gegen  sich,  hat  aber  für 
sich  den  Vorteil  von  jedem  kontrolliert  werden  zu  können" 
sagt  er  S.  B.  der  Jenaischen  Ges.  f.  Med.  u.  Nat.  1887  S.  92. 
Das  wird's  wohl  sein:  Die  Beschäftigung  mit  solchen  Dingen 
erscheint  trivial  gegenüber  dem,  was  der  ,, heilige  Bronnen" 
des  Pergaments  spendet. 

Aber  die  Schwierigkeit  der  Beobachtung  wird  doch  wohl 
der  Hauptgrund  sein,  warum  meine  Anregung  so  wenig  Nach- 
folgerschaft gefunden  hat.  Wer  wirklich  Erfolg  haben  will, 
der  muss  die  Fähigkeit  besitzen,  sich  in  jeder  Lage  so  weit 
zu  objektivieren,  dass  er  trotz  der  Anteilnahme  doch  nie 
ganz  in  der  Situation  aufgeht.  Und  das  ist  allerdings  sehr 
schwer,  denn  ein  lebhaftes  Gespräch,  eine  leidenschaftliche 
Situation  —  gerade  die  günstigsten  Bedingungen,  um  die 
Sprache  in  ihrer  Blüte  zu  beobachten  —  ziehen  uns  leicht 
zu  sehr  hinein,  so  dass  das  gesprochene  Wort  überhaupt  nicht 
mehr  genau  vernommen  wird,  sondern  nur  mehr  der  Satz, 
der  Sinn  der  Rede,  der  Gegenstand,  um  den  es  sich  handelt. 
Da  kommt  es  nun  sehr  häufig  vor,  dass  einer  sich  verspricht, 
und  dass  weder  er  noch  einer  der  Zuhörer  etwas  merkt. 

Dass  ich  und  C.  Mayer  die  Regeln  haben  erfassen 
können,  das  danken  wir  unserer  damaligen  Junggesellen- 
Tafelrunde.  Diese  war  so  tolerant  gegen  uns,  dass  sie  uns 
ieden  Gefallen  erwies.  Nie  durfte  mehr  als  einer  reden,  und 
hatte  sich  jemand  versprochen,  dann  durften  wir  sofort  das 
ganze  Gespräch  zum  Stillstand  bringen,  und  das  so  lange, 
bis  der  Fall  genau  konstatiert  und  rubriziert  war.  Wenige 
Menschen  lassen  sich  solchen  Zwang  gefallen. 

Die  Redensarten,  die  der  Mann,  der  einen  neuen  Weg 
geht,  über  sich  ergehen  lassen  muss,  sind  auch  mir  nicht 
erspart  geblieben.  Ich  möchte  daraus  nur  den  Einwand  her- 
vorheben, dass  das  Versprechen  mehr  ein  Fehler  der  Ge- 
bildeten, weit  voraus  denkenden  Menschen  zu  sein  scheint. 
Ich  habe  in  V.  und  V.  S.   164  es  für  möglich  erachtet,    dass 


6 

graduelle  Unterschiede  zwischen  dem  \'ersprechen  der  Ge- 
bildeten und  der  Bauern  beständen.  Nach  meinen  Beob- 
achtungen der  folgenden  Jahre  kann  aber  auch  davon  keine 
Rede  sein:  Das  Versprechen  ist  eine  gewöhnliche  Erscheinug 
vom  Kindesaltcr  bis  zum  Greisenalter,  niemand  ist  dagegen 
gefeit,  am  wenigsten  ein  ganzer  Stand.  In  dieser  neuen 
Sammlung  sind  alle  menschlichen  Alter  und  ebenso  Stände 
vertreten,  Kinder,  Erwachsene,  Greise  —  Gelehrte,  Künstler, 
Diplomaten,  Politiker,  Handwerker,  Mägde,  Kellner,  Schul- 
diener, Bauern  usw. 

Einige  Bauernfehler,  die  C.  Mayer  noch  1895  im  Sommer 
gesammelt,  zitiere  ich  gleich  hier. 

,,.  .  bei  einem  Blauern  .  .  Bauern  bleibt  .  ."  (erleichterter 
Vorklang;   alter  Jäger). 

.,  .  .  ist  hunter  .  .  hinter  der  Kugel  .  ."  (Anticip.; 
Gebirgsjäger,  ungebildet). 

„Ich  war'  im  zweiten  Stock  oben  und  bin  fast  über  fünf 
Stock  gerutscht  .  ."  für  ,,.  .  fünf  Stufen  .  ."  (Erleichterter 
Nachklang;   Amme,  Bäuerin  aus  Iglau). 

In  V.  und  V.  S.  167  habe  ich  das  Versprechen  zitiert 
„Sohne  .  .  Söhne"  (Prof.  G.  Anton),  also  eine  klare  Beein- 
flussung des  Plurals  durch  den  Singular^).  Der  umgekehrte 
Fall  liegt  vor  in  „KWder  .  .  Kloster'',  wo  der  Plural  den 
Singular  beeinflusst  hat.  Im  wesentlichen  kommt  es  auf  das- 
selbe hinaus.  Man  sieht  also,  dass  hier  sich  der  Professor 
der  Psychiatrie  und  ein  Landstreicher,  der  mir  in  der  Nähe 
von  Sterzing  unerbetenes  Geleite  gab,  prinzipiell  identisch 
versprechen.  Den  Fehler  „.  .  in  den  Klostern  .  .  Klöstern  .  ." 
hörte  ich  noch  1895  in  Friedberg  von  einer  wenig  gebildeten 
Beamtenfrau.  (Unten  sind  weitere  Belege  für  dasselbe  Ver- 
sprechen). Ebenda  fragte  ich  einen  alten  Lederermeister,  ob 
er  Familie  ha^e.  „Ja,  aber  eine  kleine,  ah\  grössere,"  ant- 
wortete er. 

Den    Ausgleichungen    durch    Analogie    habe    ich    schon 


')  Bei  ,.Sohne  .  .  Söhne"   ist  das  zweite  Wort   die  Korrektur.     Ebenso 
bei  dem  folgendea  Beispiel. 


V.  und  V.  S.  i66  eine  kleine  Zusammenstellung-  g-ewidmet. 
Es  leuchtet  ja  ein,  dass  jede  Analog-iebildung-  lange  Zeit  nur 
Versprechen  war,  bevor  sie  Regel  wurde.  Ich  habe  als  eine 
solche  subjektive  Momentan- Analogiebildung  zitiert:  y^Hier 
esst  man^'  statt  ,,.  .  isst  .  ."  nach  „ich  esse'^  usw.  Da  konnte 
nun  V.  Grienberger  nicht  umhin,  mich  zu  belehren,  dass  das 
von  mir  gesprochene  ,,esst'^  die  mir  bekannte  judendeutsche 
Form  sei.  Von  Grienbergers  Erklärung  hätte  einen  Sinn, 
wenn  ich  selbst  Jude  wäre  und  noch  dazu  in  einer  mau- 
schelnden Umgebung  aufgewachsen  wäre.  Da  ich  aber  spät 
erst,  als  vollkommen  Erwachsener,  das  Judendeutsch,  und 
zwar  nicht  das  echte,  sondern  das,  wie  es  in  Wien  von  den 
gebildeten  Juden  scherzhaft  nachgeahmt  wird,  kennen  lernte, 
so  ist  eine  solche  Erklärung  ausgeschlossen.  Ich  erwähne 
den  Fall  bloss  als  Muster  einer  Art  rascher  Hypothesen,  die 
uns  nicht  fördern  können. 

Unten  findet  man  denselben  Fehler  ,,esst"'  für  ,^isst"'  mit 
der  Marke  meiner  Frau,  die  ihn  mehrere  Jahre  nach  mir 
beging. 

Schon  G.  V.  d.  Gabelentz,  Die  Sprachwissenschaft  1891, 
S.  45  hat  Wert  und  Bedeutung  der  Momentanbildungen 
richtig-  erkannt.  Eine  längere  Stelle  lässt  darüber  gar  keinen 
Zweifel  aufkommen.     Ich    erlaube    mir   sie   zu    reproduzieren: 

,,.  .  jene  grammatischen  Veränderungen,  die  keiner  Sprache 
erspart  bleiben,  was  waren  sie  ursprünglich  anderes  als  gram- 
matische Fehler?  .  .  Heute  sagt  und  schreibt  man  unbedenk- 
lich: „er  frug^'',  statt  ,,er  fragte'\  Der  aber  zuerst  so  gesagt 
hat,  der  hat  falsch  gesprochen,  gerade  so  falsch,  wie  ein 
Kind,  das  etwa  sagt:  Ich  habe  die  Tasse  ausgetrinkt.  Man 
versteht,  wie  das  Kind  dazu  kommt,  die  leicht  bildbare  Form 
der  schwachen  Verba  über  Gebühr  auszudehnen ;  und  wiederum 
versteht  man  es,  warum  etwa  ein  ungebildeter  Norddeutscher 
sagt  „gewunken^'  statt  „geivinJct"'.  In  beiden  Fällen  hat  die 
Analogie  gewirkt.  Schwerer  begreift  man,  warum  ein  Teil 
der  Fehler  nachträglich  durch  den  allgemeinen  Gebrauch 
geheiligt  wird,  der  andere  nicht.'' 

Auch  die  Bedeutung  des  Versprechens  für  die  Lautlehre 


8 

hat  V.  d.  Gabclentz  richtig-  erkannt  und  erklärt  (S.  37),  dass 
die  Fehler,  die  wir  beim  raschen  Sprechen  schwierig-er  Sätze 
machen  (z.  B.  bei  „Fischers  Fritz  frisst  frische  Fische''^)  vor- 
bildhch  für  manche  Erscheinung-en  des  gcschiclitlichen  Laut- 
wandels sind. 

Ich  verweise  mit  Gcnu^tuung^  auf  diese  vier  Jahre  vor 
V.  und  V.  tredruckten  Worte  v.  d.  Gabclentz.  Sie  decken 
sich  mit  den  von  mir  vertretenen  Meinungen. 

In  allem  Wesenthchen  haben  sich  meine  Regeln  über 
das  Versprechen  bewährt.  Nur  ein  einzig-es  Mal  haben  sie 
mich  im  Stiche  g-elassen.  Ich  war  Juli  1895  in  Deutsch- 
Altenburg;  (Carnuntum)  in  einem  Wirtshausg-arten,  wo  ein 
fahrender  Zauberer  und  ,,Prestidigitateur'*  seine  Wunder  mit 
einem  grossen  Wortschwalle  beg-leitete.  Seine  Fehler  spotteten 
aller  Reg-eln.  Es  waren  aber  auch  bedeutende  Komplikationen 
im  Spiele.  Er  hatte  hochdeutsche  Redensarten  auswendig 
gelernt,  ohne  der  Grammatik  auch  nur  entfernt  Herr  zu  sein. 
Dazu  kam  seine  Befangenheit  und  die  Ablenkung,  weil  er 
während  des  Redens  doch  den  besten  Teil  seines  Könnens 
vorbringen  musste.  Eine  Unzahl  ,, schwebender  Wortbilder" 
flog  also  gewiss  dem  aufgeregten  und  eine  ihm  unnatürliche 
Sprache  sprechenden  Manne  durch  den  Kopf,  so  dass  ein 
Kauderwelsch  von  verhaspelten  und  verstotterten  Sätzen  zum 
Vorschein  kam,  das  sich  auch  durch  das  rasende  Sprechtempo 
der  Fixierung  entzog. 

Nicht  dieselben  aber  ähnliche  Erfahrungen  machte  ich 
im  September  1895  an  einem  Fremdenführer  auf  dem  Hrad- 
schin  in  Prag.  Er  leierte  seine  Erklärung  so  geistesabwesend 
her,  dass  es  unmöglich  war,  seine  Fehler  aufzuzeichnen  und 
seine  Nebengedanken  zu  kontrollieren. 

Sehr  viel  an  Versprechen  leistete  auch  W.  Ostwald  auf 
einer  Festkneipe  in  Salzburg  1905.  Leider  sass  ich  zu  weit 
weg,  um  verlässliche  Aufzeichnungen  machen  zu  können. 
Ostwald  war  aber  an  jenem  Abend  gewiss  körperlich  nicht 
ganz  wohl:  er  verliess  auch    den  Kommers  nach  seiner  Rede. 

Als  Resultat  meiner  Beobachtungen  habe  ich  in  V.  und  V. 
S.   164  folgende  Sätze  aufgestellt: 


9 


,,Die  Laute  der  inneren  Sprache  sind  ung^l  eich  wertig-. 
Bei  einem  Laute,  der  eben  gesprochen  wird,  khngen  alle 
bereits  zu  sprechen  beabsichtigten,  gleichwertigen  vor,  die 
zuletzt  gesprochenen  gleichwertigen  (allerdings  etwas  schwächer) 
nach,  so  dass  diese  Laute  fehlerhaft  jederzeit  für  den  beab- 
sichtigten eintreten  können." 

Ich  habe  dieses  Resultat  dann  in  einem  Schema  ver- 
deutlicht, das  ich  hier  wiederhole.  Ich  bemerke,  dass  von 
den  unter  einem  Laute  stehenden  anderen  die  linken  die  Vor- 
klänge, die  rechten  die  Nachklänge  bedeuten. 


Etwas  ist 


f 

au 

1 

im 

St 

aa 

te 

D 

ä 

ne 

m 

ar 

st,- 

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ä,  au 

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—  ,st 

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m, — 

ar,— 

ks,— 

—  f 

—  ,au 

ks 

-.  nc 
-,  te 


1 

Zum  ersten  Male  war  die  Tatsache  konstatiert,  dass  alle 
Laute  eines  Satzes  in  Beziehungen  zueinander  stehen,  und 
waren  die  Regeln  dafür  gegeben.  Ein  Sprechmechanismus 
war  damit  enthüllt,  von  dem  niemand  etwas  geahnt  hatte. 
Wir  wussten  aus  der  Geschichte  der  Sprachen,  dass  neben- 
einander stehende  Laute  sich  beeinflussen,  ja  dass  sogar  nicht 
nebeneinander  stehende  Laute  desselben  Wortes  auf  einander 
wirken  können  („Fernassimilation"  und  ,, Ferndissimilation"). 
Aber  dass  Laute  verschiedener  Wörter  so  heftig  aufeinander 
einwirken  können,  dass  sie  ihre  Plätze  tauschen,  oder  dass 
einer  ganz  verdrängt  wird,  das  lernten  wir  erst  aus  dem  Ver- 
sprechen. 

Man  spricht  öfter  von  allmählichem  und  momentanem 
Lautwandel. 

Den  letzteren  findet  man  z.  B.  in  BptjcpaxTo?  für  *SpucppaxToc 
usw.  Aber  auch  dieser  Übergang  ist  kein  plötzlicher  ge- 
wesen. Erst  allmählich  hat  das  erste  p  das  zweite  verdrängt, 
zuerst  erschien  die  versprochene  Form  Bpyoax-o?  vereinzelt, 
dann  immer  häufiger. 

Und  hier,  in  bezug  auf  die  Ferndissimilation,  hat  schon 
V.  und  V.  ein  Resultat  gebracht,  das  ich  zu  zaghaft,  S.  190, 
angedeutet  habe.  Ich  wundere  mich,  wenn  ich  heute  noch 
lese,    die    Dissimilation    sei    nicht    erklärt.      Eher    als    irgend 


10 

eine  sprachliche  Erscheinung  ist  gerade  sie  erklärt,  im  Leben 
beobachtet  und  bestimmt  worden.  Gerade  das  Rätsel  von 
Bp'j^axTo?  für  *Bpu(ppaxTO(;  ist  gelöst  Ich  wiederhole  die  in 
Betracht  kommenden  Beobachtungen. 

1.  Salomon  Stricker  bemerkte  beim  stillen  Sprechen, 
dass  er  nicht  ,. Roland  der  Riese''  denke,  sondern  ,^Roland 
der  lese'',  ohne  R  im  Anlaute  also, 

2.  Ich  habe  beobachtet,  dass  in  Wörtern  der  Form 
^.Friedrich"''  häufig  bei  einem  der  r  gestottert  wird;  es  macht 
Schwierigkeiten  und  erscheint  als  ein  rr. 

3.  Ich  habe  weiter  beobachtet,  dass  statt  der  Sprech- 
schwierigkeiten oder  des  Stotterns  einfach  Ausfall  eines  der 
beiden  r  erscheint;  es  treten  die  Formen  „Fiedrich"  oder 
„Friedich''  auf. 

Wie  kann  man  also  noch  sagen,  dass  das  Rätsel  von 
BprpaxTO?  nicht  gelöst  sei!  Ich  denke,  wir  könnten  es  als 
eine  Art  Ideal  empfinden,  wenn  wir  überall  so  weit  gekommen 
wären  •). 

Wenn  mich  etwas  über  die  Richtigkeit  meiner  Beob- 
achtungen beruhigen  kann,  so  ist  es  die  Tatsache,  dass  ich 
im  Laufe  der  Jahre  viele  Versprechen  zu  wiederholten  Malen 
gehört  habe.  Namentlich  die  Analogiebildungen,  die  ich  V. 
und  V.  S,  166  ff.  charakterisiert  habe,  wiederholen  sich,  und 
ich  glaube,  dass  die  weitere  Entwicklung  des  Deutschen  den 
Ablaut,  Umlaut  und  dergleichen  Erscheinungen  immer  mehr 
befehden  wird.  Die  Überführung  der  starken  Zeitwörter 
in  die  schwache  Konjugation  dürfte  sich  in  ähnlicher  Weise, 
wie  im  Englischen  ausbreiten. 

Ich  will  hier  eine  klare  Äusserung  über  das,  was  uns 
das  Versprechen  für  die  Erklärung  der  historischen  lautlichen 
Veränderungen  nützen  kann,  abgeben. 


')  Die  Arbeiten  von  Hoffmann-Krayer,  Festschrift  zur  49.  Ver- 
sammlung deutscher  Schulmänner  und  Philologen  S.  491  II.,  und  Edward 
Schröder,  Blachfeld,  Nachrichten  der  k.  Gesellschaft  der  Wissenschaften, 
Göttingen,  Phil  Hist.  Kl.  190S  S.  15  ff.,  habe  ich  erst  nach  Abschluss  des 
Manuskripts  zu  Gesicht  bekommen. 


11 

Für  die  Fernwirkung-  der  Laute  aufeinander  bietet  uns 
das  Versprechen  g-ute  Analogien.  Für  die  grosse  Masse  der 
Lautübergäng-e  z.  B.  für  die  Frage,  warum  ist  indogermanisch 
b  zu  germanisch  p  geworden,  kann  uns  das  Versprechen 
nichts  lehren.  Diese  zeitlich  begrenzten  Lautvvandlungen 
haben  ihre  wandelnden  Ursachen.  Die  Bedingungen  für  das 
Versprechen  sind  konstant,  nicht  wechselnd.  Über  die  Ur- 
sachen des  zeitlich  begrenzten  Lautwandels  wollen  wir  beim 
Nachahmungstrieb  in  der  Sprache  sprechen. 

Ich  behalte  im  folgenden  meine  alten  Rubriken  der 
Sprechfehler  im  wesentlichen  bei.  Es  sind  zwar  verschiedene 
Vorschläge  zu  anderen  Einteilungen  gemacht  worden,  aber 
ich  sehe  nicht,  dass  diese  besser  wären.  Meine  Einteilung 
wird  gewiss  einem  tieferen  Eindringen  nicht  im  Wege  stehen, 
und  deshalb  sehe  ich  keinen  Grund,  davon  abzuweichen. 

1.  Vertauschungen. 

Ich  wiederhole  das  Schema  für  die  lautlichen  Ver- 
tauschungen vgl.  V.  und  V.  S.  28  ij. 

Elroas  ist   faul   im    Staate    D  cinctnarhs. 

^^ »-  +6-  -i-6  ie  +6x0+67 


Die  normalen  Vertauschungen  sind  dadurch  charakterisiert, 
dass  Teile  des  Satzes,  ein  oder  mehrere  Laute  oder  ganze 
Wörter  miteinander  den  Platz  tauschen.  Es  geschieht  aber 
öfter,    dass    der  Sprechende    den   Fehler    insoweit  rechtzeitig 


')  -\-  bedeutet  den  Anlaut  hochbetonter  Silben  d.  h.  solcher,  die  den 
Hauptakzent  oder  einen  starken  Nebenakzent  tragen. 

X  bedeutet  den  Anlaut  aller  anderen  Silben. 

6  bedeutet  den  Vokal  oder  Diphthong  der  -hochbetonten  Silben. 

—  bedeutet  den  Silbenauslaut  der  betonten  Silben. 

0  bedeutet  den  Auslaut  unbetonter  Silben. 

Dort,  wo  Wörter  oder  Silben  vertauscht  werden,  ist  ebenso  Gleich- 
wertigkeit Bedingung;  d.  h.  es  werden  bloss  betonte  mit  betonten,  unbetonte 
mit  unbetonten  vertauscht. 


12 

bemerkt,  dass  das  sich  von  vorne  nach  rückwärts  bewegende 
Wort  oder  der  Laut  nicht  mehr  an  den  neuen  Platz  gelangt. 
Eine  solche  teilweise  korrigierte  Vertauschung  sieht  genau 
wie  eine  Antizipation  aus. 

Nur  gleichwertige  Laute  (oder  Wörter)  können  mitein- 
ander vertauscht  werden.  Anlaut  und  Auslaut  sind  aber 
keineswegs  gleichwertig,  und  deshalb  ist  der  nicht  seltene 
Sprechfehler  „ScJiiff"'  für  „Flsch"^  und  umgekehrt  durchaus 
nicht  eine  Vertauschuug,  sondern  eine  echte  „Substitution" 
(vgl.  V.  und  V.  I,  S.  24,  76),  veranlasst  durch  den  Mitklang 
des  dem  Klange  und  der  Bedeutung  nach  so  nahe  stehenden 
Wortes. 

Merkwürdig  erschien  mir,  dass  ich  mehrfach  ^Ijefestigen'''^ 
für  „bcschäftäjen^  hörte.  Vgl.  unter  Substitutionen.  Wir 
haben  es  aber  gewiss  nicht  mit  einer  V^ertauschung  von 
„schaff''  zu  ,,fäsch^'^  und  Entgleisung  in  die  ausgefahrene  Bahn 
von  „befestigen"'  zu  tun.  Die  Sache  liegt  vielmehr  so:  he- 
scliäftigen'^  zieht  ,.sich  befassen  mit"'  über  die  Schwelle  des 
Bewusstseins  und  das  Kontaminationsprodukt  beider  ist  „6^^- 
festigen'*,  und  das  erscheint,  so  wenig  es  auch  in  den  Sinn 
des  Satzes  passt^). 

Dagegen  habe  ich  wieder  beobachtet,  dass  0  und  g,  mit- 
einander vertauscht  werden  können,  auch  wenn  sie  nicht 
gleichwertig  sind.  Ich  habe  V.  und  V.  S.  25  y,Gebabung'* 
für  y^Begabung'"''  mir  aus  der  Gleichwertigkeit  des  Wortanlauts 
mit  dem  Anlaut  der  Wurzelsilbe  erklärt  Das  ist  aber  un- 
möglich richtig,  denn  einen  Fehler  y^liegören"-  für  „gehören^, 
der  dann  auch  erscheinen  müsste,  gibt  es  absolut  nicht.  Die 
einzelnen  beobachteten  Fälle  sind  (vgl.  dazu  V.  und  V.  S.  21): 

„geba  .  .  begann"'  (Kain) 


')  Einen  Fall  habe  ich  beobachtet,  der  wie  eine  (korrigierte)  Ver- 
tauschung von  An-  und  Auslaut  aussieht.  Detter  sagte  einmal:  ,,Was  soll  da 
schäcksisch  (schächsisch)  sein.-''  für:  „.  .  säcksisch  (sächsisch)  .  ."  Aber  die 
verschiedentlichen  s  und  seh  haben  hier  ein  Stottern  verursacht,  das  Wort 
wurde  nicht  im  gewöhnlichen  Redefluss  gesprochen  und  damit  war  die  Wertig- 
keit der  Laute  verändert. 


13 

„D/e  GeschicJde  der  Schrift  bei  den  Germanen  gehinnP'- 
für  „.  .  •  heginnf^  (Dr.  Bein) 

„geh  .  .  .  begreiflich'^  (Me) 

„Begäck''  für  „Gebäck''  (Maler  Vita) 

y,Begrauch  ..."  für   „.  .  .  Gebmuch  ..." 

,,  .  .  Beg  .  .  Beg  .  .  Gebiet  .  ."     (Frau  Rosa  Mayreder). 

„  .  .  der  Bru  .  .  der  Gruber  .  ."  (Me).  Ich  weiss  nicht 
bestimmt,   ob  ich  „Brug-er"  sagen  wollte. 

„.  .  Vabagund  .  ."  für  „.  .  Vagabund  .  ."  (Prof.  Wag-ner 
V.  Jauregg^).  Der  Fall  beweist  nichts,  weil  in  einem  solchen 
Fremdwort  auch  andere  Konsonanten  in  diesen  Stellungen 
die  Plätze  tauschen  könnten. 

Der  merkwürdigste  Fall  ist  „vergoben'"'-  für  „verbogen''- , 
den  ein  3y2Jährig-er  Knabe  leistete.  S.  unten  „Das  Ver- 
sprechen der  Kinder'^ 

Meine  Gretl  sagte  9 jährig-:  „gebossen''  für  „begossen''. 
Meine  Frau  verlas  einmal  „Gebehr"  für  „Begehr'*. 

Wieso  gerade  b  und  g  die  Reg"eln  durchbrechen  können, 
ist  mir  heute  ebenso  unklar  wie  vor  Jahren.  Ich  dachte 
eine  Zeitlang-  daran,  dass  der  Grund  dieser  Vertauschungen 
in  dem  Nebeneinandervorkommen  der  häufigen  Vorsilben  fec- 
und ge-  liegt,   aber  „vergoben"  spricht  gegen  diese  Erklärung 

Ich  habe  in  V.  und  V.  S.  82  auf  die  merkwürdige,  aber 
vereinzelte  Konsonantenvertauschung  „Skenien"  für  ,,Xenien" 
hingewiesen.  Und  so  findet  sich  auch  ein  meinen  Regeln 
widersprechendes  „Nesf  für  „Netz",  das  ich  doch  in  den 
vielen  Jahren  meiner  Beobachtung  immerhin  einige  wenige 
Male  gehört  habe.  Vielleicht  ist  es  auch  hier  die  grosse  Ähn- 
lichkeit der  Wörter,  die  den  Anstoss  zur  Vertauschung  gab, 
wie  bei  „Schifft'  und  „Fisch". 

Sehr  sonderbar  ist,  dass  Vertauschungen  manchmal  gar 
nicht  als  Fehler  empfunden  werden.  Wunderlich,  Umgangs- 
sprache S.  218  zitiert:  „schieb  mer  mol  helfe"  für  ,,hilf  mir 
mal  schieben",  „siverd  anfange  Icalt"  für  ,,es  fängt  an  kalt 
zu  werden"  (V.  und  V.  S.   26). 

Den  folgenden  höchst  merkwürdigen  Fall  verdanke  ich 
der  Güte  meines  Kollegen  K.  Strekelj. 


14 

Stari  pisci  hrvatski  XVI II.  Pjcsni  raziike  Dinka  Raiiine, 
pg.  XVII  der  Einleitung-  schreibt  der  Herausgeber  M.  Valjavec: 

,,Das  übrige  unbeachtet  lassend,  will  ich  nur  eine  Eigen- 
tümlichkeit in  Raninas  Sprache  hervorheben,  da  ich  mich 
nicht  erinnere,  sie  irgendwo  sonst  gelesen  zu  haben,  und 
welche  auch  Petraciö  (im  Programm  des  Zengger  Gymnasiums 
1862)  berührt  hat,  nämlich  die,  dass  Ranina  bisweilen  das 
Verbum  fmitum  mit  dem  Infmitiv  vertauscht  z.  B.  it  dize 
statt  ide  dici  (er  hebt  gehen  statt  er  geht  heben)  125,1;  it 
prosu  statt  idem  prositi  (ich  bitte  gehen  statt  ich  gehe  bitten) 
137,1;  it  stuju  statt  idu  stovati  sie  achten  zu  gehen  (=  sich 
anzuschicken)  statt  sie  schicken  sich  an  zu  achten)  143,3; 
se  it  nc  mori  statt  ne  ide  se  moriti  (er  sich  nicht  quält  zu 
gehen  statt  er  geht  sich  nicht  quälen)  145,5;  it  mece  statt 
ide  metati  (sie  wirft  gehen  statt  sie  geht  werfen)  296,4; 
cinit  zive  statt  eine  ziviti  (sie  lebten  machen  statt  sie  machten 
leben)  145,67;  cin't  vene  statt  cini  venuti  (die  Stimme 
schwindet  machen  statt  macht  schwinden)  312,2;  cin't  pati 
statt  cini  patiti  (sie  erduldet  machen  statt  sie  macht  erdulden) 
221,7;  ^•'^'^  stvori  statt  cini  stvoriti  ^sie  verwandelt  machen 
statt  sie  macht  verwandeln)  312,7;  govor  stat  pravi  statt  stane 
praviti  (sie  hält  die  Rede  zu  beginnen  statt  sie  beginnt  die 
Rede  zu  halten)  322,5;  cuti  rjeh  statt  cuh  riti  (ich  sagte  hören 
statt  ich  hörte  sagen)  99,1  und  400,105;  silit  se  dobude  statt 
sili  se  dobiti  (er  gewinne  sich  zu  trachten  statt  er  trachte  sich 
zu  gewinnen);  doc  umori  statt  dode  umoriti  (sie  tötet  zu 
kommen  statt  sie  kommt  zu  töten)  354,34;  viditi  odiru  statt 
vide  odirati  (sie  plünderten  zu  sehen  statt  sie  sahen  plündern) 
368,13s;  cin't'  sgine  statt  cini  sginuti  (sie  verschwindet  machen 
statt  sie  macht  verschwinden)  400,57;  ako  bi  viditi  gdigod  se 
sgodilo  statt  ako  bi  se  vidjelo  gdigod  se  sgoditi  (statt  ,,wenn 
es  dir  scheinen  sollte,  dass  es  sich  zuweilen  trifft",  ist  gesagt, 
,,wenn  es  sich  dir  zuweilen  treftcn  sollte  zu  scheinen'')  (Lied 
an  Miho  Mencetic;.  Das  ist  eine  ungewöhnliche  merkwürdige 
Konstruktion.  Wie  ist  sie  entstanden?  Ich  möchte  sagen, 
auf  folgende  Weise:  Der  Mensch  verspricht  sich  bisweilen 
unwillkürlich,  wie  sich  jener  versprochen  hat,   der  den  i.  Vers 


15 

der  ersten  Eclog-e  Verg-ils  so  rezitierte:  Tityre,  tu  patulae 
recubans  sub  fagmine  tcgl  statt  tegmine  fagi,  oder  jener,  der 
sagte  po  cijedi  mu  se  pobradilo  statt  po  bradi  mu  se  pocije- 
dilo.  So  konnte  sich  auch  Ranina  versprechen,  und  er  hat 
unwillkürlich  aufgeschrieben:  l'ubav  bogove  u  zviri  cin't  stvori, 
statt  cini  stvoriti  (die  Liebe  verwandelt  Götter  sich  in  Tiere 
zu  machen  statt  macht  Götter  sich  in  Tiere  verwandeln  (312). 
Ein  solche  Konstruktion  hat  ihm,  als  er  sie  bemerkte,  vielleicht 
gefallen,  und  er  hat  sie  später  öfters  absichtlich  angewendet." 

Ein  ähnlicher  Fall  bei  Schiller  VVallensteins  Tod  3.  Aufz. 
12.  Auft.  Hempel  4  S.   181: 

Gräfin: früher,  später  muss 

Sie's  doch  vernehmen  lernen  und  ertragen,  eine  klare  Ver- 
tauschung für  „.  .  .  vernehmen  und  ertragen  Jemen .^^ 

a.   Vertauschungen  von  Wörtern. 
Vgl.  V.  und  V.  S.   I3ft'.    ' 

„.  .  nicht  ein  Hufpferdschlag  .  ."  (Reg.  R.  zweimal  ge- 
sagt, ohne  Korrektur). 

„.  .  im  Anfang  der  Jahrsechs' ger  .  ."  für  „.  .  sechziger 
Jahre  .  ." 

„.  .    Vorstandklinik  .  ."  für  „.  .  Klinikvorstand  .  ."  (Mej. 

„.   .  dreizehnhunderta  .  .  achtzehnhundertdrei  .  ."  (Mu). 

^.Das  ist  in  hohem  Fall  der  Mass."'  Dann  Korrektur.  (Me). 

„.  .  mit  dem  Faust  in  der  Schliert  .  ."  sagt  v.  Lie., 
korrigierte  aber  dann  lachend. 

„.  .  mit  tvas  ich  von  dem  Manne  sprechen  solV'  (Minor). 
Nicht  korr. 

„.  .  so  zu  getraun  behandelt  .  ."  für  „.  .  so  zu  be- 
handeln getraut  .  ."  (Me).  Das  falsche  Wort  enthält  aber 
die  Kennzeichen  der  grammatischen  Funktion,  die  der  Stelle 
entspricht.     Die  Regel  darüber  in  V.  und  V.   S.    14. 

Ebenso  zu  erklären  sind  die  folgenden  Fälle. 

„.  .  ein  dumm  genuger  3fensch  .  ."  für  „.  .  ein  genug 
dummer  Mensch  .  ."  (Me). 

„/S'^e  dumm  und  frech  zugleicher  JungeV'  poltert  ein 
Lehrer  für  ^ßie  dtmim  und  zugleich  frecher  Junge !'^ 


n 


IH 

,Sie  zechen  Prelle  .  .  sie  prellen  Zecht"'  (K.  Grünberg). 
bis  ers  hd  Dir  abholt  .  .  .  bis  Dus  bei  ihm  ab- 
holst.'' (Me). 

„.  .  ich  vermisse  eine  Kette  in  dem  Gliede  der  Schluss- 
foUfertinyen.'^  (Wassmut;  mittags).  Nicht  korr.  Beachte  die 
richtigen  Artikel. 

„.  .  am  Hinge  Finger  .  ."  für  „.  .  Hinge  an  den 
Fingern  .  ."  (F.  Marx). 

y,Wennich  die  Herren  dürften  bitte.  .",für  „.  .  bitten 
dürfte  .  .^  (Heberdey  ref.). 

„Man  hat  nicht  umsonst  einen  Vater  zum  Seltionschef . ." 
(v.   Grienberger  ref.). 

„.  .  und  sich  auch  jetzt  zu  weigern  tue  (kopfschüttelnd) 
SU  tun  weigere"'  (xMu). 

„Antiquar  Reiter  in  der  Pfeifschulgasse  .  ."  für  „A 
Pfeifer  in  der' Reit schulgasse  .  ."  (Prof.  H.  Gross  ref.). 

Prof.  H.  Gross  hat  in  seiner  früheren  richterlichen  Tätig- 
keit beobachtet,  dass  das  Wort  ViehjJassjuxtahefte  in 
folgenden  Veränderungen  erscheint  „Fixtenpasserhcftenvieher'', 
y,Juckrnvieheri)asshefte'^,  „  Viehjuxtapasshcfte^^ .  Bei  den  ersten 
zwei  Varianten  scheinen  aber  die  unbetonten  Silben  —  die 
Wörter  wurden  ja  dialektisch  ausgesprochen  —  nicht  richtig 
wiedergegeben  zu  sein. 

„.  .  Brief geld  und  bare  Marken  .  ."  für  ^.  .  Briefmarken 
und  Bargeld  .  ."  oder  für  „.  .  Bargeld  und  Briefmarken  .  ." 
(H.  Gross  ref.). 

y. Hören  Sie,  das  ist  zu  brav,  dass  Sie  Hiren  argen 
Vater  verdächtigen!^  für  „.  .  .  arg,  .  .  .  braven  .  ./"  (H. 
Gross  ref.). 

,.^Saaldiencr,  knoten  Sie  mir  diesen  Löser  auf!^  für 
„.  .  lösen  .  .  .  Knoten  .  .'"  (H.  Gross  ref.). 

„.  .  auf  die  einfachste  Welt  von  der  Weise  .  ."  (Schau- 
spieler Reimers).  Vertauschung  durch  gleichen  Anlaut  er- 
leichtert. 

,.,Da  hast  Du  jemand  vor  der  Tür  die  Nase  zugemacht'^ 
(Me). 


17 

Ein  andermal  sagt  meine  Frau:  „2)/(^  haut  jedem  die  Nase 
vor  der  Tür  zul'* 

„.  .  beliehen    den   Bang   ihrer  Gehalts  Masse  .  ,"    (Me). 

„.  .  der  Lohnt  Len  .  ."  für  ,..  .  der  Leni  Lohn  .  ."  (Ri). 

„.  .  mir  hahens  die  Stimmbänder  auf  dem  Polypen 
operiert'"''  für  „.  .  .  den  Polyp  auf  den  Stimmbändern'-'-  (Mu). 

,,Äsche  ihrer  Friede!  .  .  Friede  ilirer  Aschel'-^  sagte 
ein  Schuldirektor. 

y,Ich  nehme  mir  ein  Hotel  im   Zimmer"-    (Herr  Krön). 

„.  .  funktionärlicher  Staatsanwalt  .  ."  für  „.  .  staats- 
anwaltlicher  Funktionär  .  ."  (Landgerichtsrat  P.) 

y,Das  ist  ein  Panzenschupp  .  .  Schuppenpanzer  .  ."  (Me). 

„.  .  7nan  sagt,  er  soll  .  ."  für  „.  .er  sagt,  man  soll.  ." 
(Ri).  Nicht  bemerkt,  aber  zugegeben,  als  ich  die  Sprecherin 
aufmerksam  machte. 

„Steck  den  Mund  nicht  in  den  Finger !"^  befahl  eine  Frau 
ihrem  Söhnchen.  Ein  andermal  sagte  dieselbe:  ,.Half  den 
31  und  vor  .   ."     Hier  unterbrach  sie  sich  und  sa^te  lachend 

O  7 

sie  habe  jetzt  sagen  wollen:   „Halt  den  Mund  vor  die  Hand!'-' 

„.  .  ivie  die  Dir  kleine  .  ."  für  „.  .  ivie  Dir  die  kleine  .  ." 
(Me). 

„.  .  Mann  an  {Mangel)  .  ."  wollte  Detter  sagen  für 
,,  .  .  Mangel  an  Mann  .  ." 

„.  .  Packhölzl  .  .  Sireifhölzlpackl  .  ."  (Me).  Ich 
habe  „ Packhölzistreif l"  sagen  wollen. 

„Das  tut  sie  nie,  duss  sie  trinkt,  nachdem  sie  schreit'-' 
für  „.  .  schreit,  .  .  trinkf*  (d.  h.  getrunken  hat),  sagte  meine 
Frau  von  unserem  Kinde  Gr.,  ohne  den  Fehler  zu  bemerken. 

„.  .  weil  ich  schon  iceiss,  ivas  mich  auf  morgen  wartef-' 
für  „.  .  morgen  auf  mich'*  (Cornu).     Nicht  korr. 

„.  .  ist  die  Frau  meiner  Schwester  .  ."  Erst  aufmerk- 
sam gemacht  korrigierte  ich  ganz  mechanisch  ,,.  .  Schwester 
meiner  Frau  .  ." 

,,Es  war  ein  Jahrwespen,  ein  Jahrivespen  .  ."  sagt 
Cornu.  Ich  korrigiere  leise:  „ein  Wespenjahr".  Cornu 
wiederholt  es  richtig,  anscheinend  ohne  zu  merken,  dass  er 
früher  anders  gesagt. 

Meringer,   Aus  dem  Leben  der  Spracbe.  2 


18 

,,Es  Icommcn  von  allen  Leuten  Seite  .  .  von  allen  Seiten 
Leute''''  (Me)   ^l^io  Uhr  morgens. 

,,/c/t  glaubte,  Sie  kriegen  das  Jliriidl  mit  Niern  so  hold  .  ." 
sagt  Dr.  H.  Reichelt  zu  mir  V2'^  Uhr  vorm.  ,,Nierndln  mit 
Hirn"  ist  bei  uns  eine  beliebte  Speise. 

,,.  .  die  lodernde  Wahr  .  ."  für  ,,.  .  nähernde  Lohe  .  ." 
(Cornu). 

b.  Vertauschungen  von  Silben. 
Vgl.  V.  und  V.  S.    i8. 

Dr.  Tomaseth  sagte  zweimal  richtig:  y^Bringen  Sie  mir 
ein  Achtel  Weiss wein!^  Als  der  Kellner  noch  immer  nicht 
reagiert,  sagt  er:   „.  .  ein  weissei  Acht  wein.'"' 

„.  .  ivenn  es  anzuwerden  schön  fängt  .  .''  für  „.  .  schön 
zu  werden  anfängt  .  ."  (Me).  Man  beachte,  dass  die  ver- 
tauschten Silben  hochtonig  sind. 

„.  .  hlanolt  und  stanivunzi  .  ."  sagte  ich  dial.  für 
„.  .  steinalt  und  kleinwinzig  .  ."  (in  Jlidze  bei  heissem 
Wetter). 

,,.  .  Versitzung  und  Erjährung  .  ."  Nicht  korr.  (Hofr. 
Schima  ref.). 

,,.  .  in  geheimer  Ahschliessung  bestimmen  .  ."  für 
„.  .  in  geheimer  Abstimmung  heschliessen  .  .'  (M.  H. 
Jellinek). 

,,.  .  das  fahrradende  Publikum  .  ."  für  „.  .  rad- 
fahrende  .  /'  (Mu).  Die  Vertauschung  ist  hier  wie  oft  da- 
durch erleichtert,  dass  das  neue  falsche  Wort  an  etwas 
Bestehendes  anklingt;  vgl.  Fahrrad. 

,,.  .  insofall  gihfs  einen  Zufern  .  .*'  für  ,,.  .  inso- 
fern .  .  .  Zufall  .  ."  (Me.  Müde  im  Eisenbahnwaggon). 
Vertauschung  erleichtert  durch   die  beiderseitigen  /". 

„Ich  tvar  daraus  auf  Käfer  zu  suchen^'  (Mu  ref.). 

„Waga  Berthula  .  ."  für  ,,.  .  Bertha  Wagula  .  ." 
(H.  Gross  ref.). 

Das  Wort  ,,unzurechnungsfähig'''  erscheint  nach  H.  Gross 
als  ,.rechnungsunzufähig'^,  ,,unrechnungszufdhig",  „zurechnungs- 
unfähig^'. 


19 

G.  Habcrlandt  schloss  als  Dekan  eine  Fakultätssitzuiiy 
mit  den  Worten:  ^,Icli  sitze  die  Schliessung.^'  (7^2  1902: 
lange  Sitzung,  ermüdet). 

„Sie  Zeuge  Kraxner,  liaben  Sie  die  Hase  noch?''  für 
„.  .  Zeuge  Hasner,  .  .  .  die  Kraxe  noch?^'     (H.  Gross  ref.). 

c.  Vertauschungen  von  Lauten. 
Vgl.  V.  und  V.  S.   18. 

„.  .  But  und  Glut  .  ."  für  „.  .  Gut  und  Blut'''  (Frau 
E.  Brockhausen). 

„.  .  schmäl  und  langer  .  ."  für  „.  .  schmal  und  länger  ■'^ 
(Ri).     Nicht  bemerkt. 

„.  .  .  die  Klaul  .  .  .  Maul-  und  Klauenseuche  ..."  Ich 
wollte  Klaul-  und  Mauenseuche  sagen,  habe  aber  korrigiert, 
so  dass  nur  eine  Antizipation  entstanden  ist.  In  V.  und  V. 
S.  19  ist  schon  bemerkt  worden,  dass  die  Lautvertauschungen 
deshalb  seltener  sind,  weil  sie  oft  bemerkt  und  dann  kor- 
rigiert werden.  Trotzdem  ist  mein  jetziges  Material  ein  ge- 
nügend grosses. 

„.  .  .  justisifierte  ..."  für  „.  .  .  justifimerte  ..."  (Mayer 
ref.). 

„.  .  .  J acht  pagden  .  .  ."  für  „.  .  .  Jagd  pachten  .  .  ." 
(R.  Berl  ref.     Richtig  beobachtet?). 

„.  .  Prular  .  ."  für  „.  .  Plural  .  ."  (Dr.  K.  Weiss  ref.). 

„.  .  tectum  tedustinatum  .  ."  für  „.  .  testudinatum  .  .'' 
(Me). 

„.  .  und  damin  hit  ich  dnig  .  ."  für  ,,.  .  damit  bin  .  ." 
berichtet  O.  Broch,  den  ich  als  feinen  Beobachter  kenne. 

,,.  .  einen  gedimpften  Schänken  .  ."  für  ,,.  .  gedämpften 
Schinken  .  ."  (Me). 

„.  .  ein  vergummelter  Bermanist  .  ."  für  ,,.  .  verbummelter 
Germanist  .  .''  (Rud.  Much). 

„Die  Callaverie  .  ."  für  „Die  Cavallerie  (Mu). 

,,.  .  Das  grote  rosse  Haus  .  .''  für  ,,.  .  grosse  rote  .  ." 
(Mu  nachts). 

,,.  .  verleichten  leit  .  ."  für  „.  .  verleiten  leicht  .  ."  (Dr. 
Hans  Sittenberger  ref.). 

2* 


20 

„.   .  Frauhiehir  .  .   Freimaunr  .   ."  (Rida). 

„.  .  zukünftig  .   .  zukünftig  .  ."  (Mu). 

,,.  .  Fldsserwa  .  .   Wasserflasche  .  ."  (Rida). 

,,.  .  wie  Du  (jlauch  (jleihst  .  ."  für  ,,.  .  gleich  glaubst .  ." 
(Rida). 

„.  .  ein  nuchtsnitzigcs  Weih  .  .*'  für  „.  .  nichtsnutziges  .  ." 
(Dr.  Adler  rcf.). 

„.  .  Tufstiefe  .  .  Tief  stufe  .  ."  habe  ich  öfter  im  Colleg- 
gesagt. 

„  .  .  Poltar  .  ."  für  „.  .  Portal  .  ."  hörte  Mu  in  Prag. 
Ich  glaube,  dass  der  Fehler  bei  einem  Deutschen  nicht  leicht 
vorkommen  wird.  Vgl.  oben  „Pfi/Zar"  und  V.  und  V.  S.  93 
und  94  Anm. 

„.  .  Tuschfischer  .  ."  für  Tischtücher  .  ."  (Dr.  Adler). 
Ein  komplizierter  Fall,  Vertauschung,  Nachklang  des  seh  und 
Einwirkung  des  Singulars   Tuch.     Seniler  Sprcchfehler. 

„.  .  bleib  grehn  Stete  .  .  stehn  Grete!^^  (Rida). 

^Er  siefzte  teuf  .  ."  für  ,,.  .  Er  seufzte  tief  .  ." 
(Mu.  ref.). 

„.  .  süchtern  und  schug  .  .  schüchtern  und  saghaft  .  ." 
(Me;   V28  morgens). 

„. .  möchte  Deine  Schwester  Du  sir  .  .  zu  Dir  sagen  .  ."  (Me). 

„  Wennst  langsam  geht,  is  dd  kalst""  für  „  Weymst  langsam 
gehst,  is  d'f  (ist  Dir)  kalt^  (Me).  Ein  schöner  Fall  für  Ver- 
tauschung der  Auslaute.     Mittags. 

„.  .  mit  dem  IVopf  durch  die  Kand  .  ."  (Frau  E.  Brock- 
hausen ref.). 

„Dem  hachsen  die  W  .  .  dem  wachsen  die  Haar"-  (Rida). 

,,Da   h'dht  kein  Krahn  mehr  darnach"-    (R.   M.  Werner). 

y,Ich  blauchs  bross  .  ."  für  „.  .  Ich  brauchs  bloss  .  ." 
(Rida). 

„.  .  Zuckerrübe  .  ."  für  ,,.  .  Zuckerrübe  .  ."  (Dr.  Th. 
Friedmann). 

„.  .  Hamboss  oder  Ammer  sein  .  ."  statt  „Hammer  oder 
Amboss  sein  .  ."    sagt  Kain,  bemerkt  es  und  lacht  stark. 

„  Wenn  er  nach  Haus  kommt,  schliegt  er  Krag'"'  sagte  ein 
Notar  nach  Mitternacht.     (Mu  ref.). 


21 

„.  .  früher  war  der  Kleis  kr  einer''''  für  „.  .  Kreis  kleiner^. 
(Frau   Fl.  Friedmann). 

„Der  Detttr  stählt  die  Zerne'"'^  für  „.  .  sählt  die  Sterne''^ 
sagt  Mu  nachts   1 1  V2  Uhr. 

„.  .  Sond  und  Monne  .  ."   (Advokat;  L.  Frankl  ref). 

„,  .  dass  ich  diese  Gesellschaft,  von  der  Sie  spreche,  sehr 
genau  kennen  .  .*'  (Dr.  Adler)  für  „.  .  sprechen,  .  .  kenne  .  ." 

,,.  .  eine  DrucJckreste  .  ."  sage  ich.  Ich  merke,  dass 
etwas  nicht  in  Ordnung-  ist,  komme  aber  sehr  schwer  auf 
das  beabsichtigte  „.  .  DrecMruste  .   ." 

„J)a.s'  läuft  daraus  hinauf .  ."  für  „.  .  darauf  hinaus  .  ." 
(M.  H.  Jellinek). 

H.  Gross  erzählt  folgende  Geschichte.  Der  Dichter 
Holtei  bemerkte  einst,  er  habe  y,Schnusten  und  Hupfen''^ 
Gross,  damals  ein  Knabe,  brüllte  vor  Lachen.  Holtei  hatte 
sein  Versprechen  nicht  bemerkt  und  meinte,  ,.der  Junge  ist 
vom  Bösen  besessen''''. 

y,Auf Seher!    lichten  Sie  die  Zünder  an!"'    (H.  Gross  ref.). 

„Der  Schtinken  schinktl'*  für  ^^Ber  Schinken  stinkt!'-''  (Me). 

„.  .  bei  Etten  und  Lesthen  .  ."'  für  „  .  .  Letten  und 
Esthen  .  .'*  (Dr.  Decsey). 

„.  .  muss  man  aufn  Dropf  knacken  .  ."  für  „.  .  Knopf 
drucken  .  ."  (Rida). 

2.  Vorklänge,  Antizipationen. 

Vgl.  V.  und  V.  S.  28  ff. 

Ich  gebrauche  „Vorklänge"  und  „Antizipationen",  „Nach- 
klänge" und  „Postpositionen"  im  gleichen  Sinne,  obwohl  man 
die  Ausdrücke  auf  verschiedene  Arten  verteilen  könnte. 

Ich  bemerke  dazu  ausdrücklich,  dass  meine  Einteilung  in 
Vorklänge,  Antizipationen  und  Nachklänge,  Postpositionen 
rein  äusserlich  ist,  d.  h.  vom  Standpunkte  des  Resultats  ge- 
nommen ist.  Inwiefern  ein  vor  und  nach  bei  den  psychischen 
Vorgängen  selbst  anzunehmen  ist,  ist  eine  Frage  für  sich, 
denn  es  ist  keineswegs  ohne  weiteres  klar  und  sicher,  dass  die 
Teile  des  Satzes  in  der  Reihenfolge   gedacht  werden,   in  der 


22 

sie  im  gesprochenen,  grammatisch  richtig  angeordneten  Satze 
zum  Vorschein  kommen. 

Man  könnte  zwischen  Antizipationen  und  Vorklängen, 
zwischen  Postpositionen  und  Nachklängen  etwa  in  folgender 
Weise  scheiden: 

Reine  Antizipationen  sind  jene  Verstellungen  von 
Sprachelementen,  bei  denen  Späteres  früher  erscheint,  aber  an 
seinem  berechtisftcn  Platze  schwindet. 

Reine  Vorklänge  sind  jene  Verstellungen  von  Sprach- 
elcmentcn,  bei  denen  Späteres  früher  erscheint,  aber  auch  an 
seinem  berechtigten  Platze  bleibt. 

Reine  Postpositionen  sind  jene  Verstellungen  von  Sprach- 
elementen, bei  denen  etwas  früher  zu  Sagendes  später  erscheint. 

Reine  Nachklänge  sind  jene  Verstellungen  von  Sprach- 
elementcn,  bei  denen  Gesagtes  später  wieder  erscheint. 

Ich  sehe  aber  von  diesen  Unterschieden  ab. 

Das  Schema  für  die  Vorklänge  ist  folgendes  (vgl.  V.  und 
V.  S.   53  unter  i): 

Etivas  ist    Faul   im    Staate    D  änc  marhs. 

-^ ^+  0-  4-    6  ie  -^  6  xe  +    6   - 


Es  herrscht  also  auch  hier  das  Prinzip  der  Gleichwertig- 
keit, und  zw.  ebenso  bei  den  Lauten  wie  bei  Wörtern  und 
Silben. 

a.  Vorklänge,  Antizipationen  von  Wörtern 

und  Silben. 

Vgl.  V.  und  \.  S.  28  f. 

„.  .  dritte  Fahrt  .  .  dritte  Klasse  und  fahren  ziveite  (Me). 

„.  .  ivenn  man  die  Menschen  unter  den  Handlungen  .  ." 
unter  dem  Eindrucke  geicisser  Handlungen. ."  (K.  Grünberg). 

Bas  Pet  .  .  brennende  Petroleum'*  (Homann). 

,,.  .  aber  wenn  ich  mit  ihm  sag',  geh  mit  mir  ins  Theater . ." 
für  „.  .  SU  ihm  .   ."  Frl.  R.  H.     Nicht  bemerkt. 


23 

„.  .  über  .  .  hütt'  ühersiedeln  sollen.^'  (Karabacck). 

Eine  Dame:  yNeiäicli  Jiahe  ich  hei  Jügerhemden  gesehen''^ 
für  „.  •  .  hei  Jäyermeyer  Hemden  gesehn.  (Mu.  ref.)  Der 
Fall  ist  ganz  charakteristisch.  Weil  es  ein  Wort  ^.^Jägerliemden'^ 
gibt,  schliesst  sich  das  bereits  intendierte  „Hemden''^  zu  früh  an. 

„.  .  mein  Verstrehen  .  .  Bestrehen  diesen  verfluchten 
Gegenstand  .  ."  (Me). 

y,Wenn  man  eine  sitzende  Beicegung  hat,  mtiss  man  .  ." 
Hier  wurde  die  Rednerin  unterbrochen.  Sie  erklärte,  sie  habe 
sagen  wollen:  „Wenn  man  eine  sitzende  Lehensiveise  hat, 
miiss  man  Bewegung  machen.'^  Frl.  R.  H.  hatte  gar  nicht 
gemerkt,  dass  sie  sich  versprochen  hat. 

„.  .  Nelkenstube  .  ."  für  „.  .  Weinstube  in  der  Nell'en- 
gasse  (Frl.  A.  H.). 

„.  .  Das  instruierte . .  konstruierte  Instrument .  ."  (May  ref.). 

„.  .  Die  eine  Kohle  ist  eine  breite  Kohlenplatte  .  ."  für 
„.  .  der  eine  Pol  .  ."  (May.  ref.). 

„.  .  die  Windische  .  .  die  Irische  Grammatik  von 
Windisch  .  ."  (W.  Meyer-Lübke)  i). 

„.  .  mit  Vollerheit  .  ,  mit  voller  Sicherheit  .  ."  (R.  Much). 

„Wie  lange  geht  es?''^  für  ^Wie  geht  es?  Wie  lange  bleiben 
Sie  in   Wien?^  (May  ref.). 

„Der  Unterschied  umsehen  Typhus  und  diagnostischem 
Scharfsinn  erfordert  .  .  .  zv;ischen  Tijphus  und  Tuberhtdose  er- 
fordert diagnostischen  Scharfsinn."-  (Hofr.  Nothnagel). 

„.  .  die  gölte  .  .  die  edle  Göttin  .  ."  (Me.). 

„.  .  lernen  .  .  lesen  in  der  Ferne  .  ."  (Frl.  R.  H.) 

„.  .  Pflusst  .  .  Pflichtbewusstsein  .  ."  (Me.). 

,.Ich  werde  in  den  nächsten  Jahrhunderten  .  .  nächsten 
Jahren  Hunderte  von  Gidden  für  die  Bibliothelc  auswerfen 
müssen."'  (Mu).  Der  Fall  ist  so  wie  der  obige  mit  den 
„Jägerhemden". 

„.  .  Das  habe  ich  ihr  zu  hegreiflich  .  .  hegreiflich  zu 
machen  gesucht  .  ."  (Detter). 


*)  Denselben  Fehler  machte  einer  meiner  Hörer.  Er  ist  dadurch  er- 
leichtert, dass  ein  Wort  icindisch  besteht  und  namentlich  in  Graz  oft  für 
„slovenisch."  gebraucht  wird. 


24 

„.  .  ich  überlasse  Dir  .  .  ich  überlasse  Dich  einer  .  . 
ich  überlasse  Dich  nur  eine  Weile  Dir  seiher.''  (Dr.  Pintncr  ref,). 

„Der  Dichter  beschreibt  dm  Kiuteryann  in  die  Unweit  .  .** 
für   „.    .  .  Ein(jan<j   in   die    Unterwelt  .  ."   (J.  Sclincider  ref.). 

„.  .  was  die  naive  Menge  zu  einer  solchen  Gattung  Kunst- 
gesagt .  .  Kunstgesang  sagt.''  Antizip.,  durch  das  s  er- 
leichtert (Me). 

„Wie  viel  Flibehi  gibts  denn  nicht!"  für  „.  .  Fibeln  .  " 
(Szanto).  Unklarer  Fall,  es  scheint  ein  „Wortvag-ant,"  etwa 
lat.  fibula,  das  allerdings  in  flibula  versprochen  werden  kann, 
mitzuwirken. 

„.  .  dass  er  sich  ein  schönes  Güld  .  .  Stück  Geld  crr- 
dient  .  ."  (Me.). 

„.  .  was  wir  mit  unseren  Sinnes  wahr  zeugen  .  .  Sinnes- 
werh zeugen  wahrnehmen  .  ." 

„.  .  be  .  .  entsprechen  Bezeichnungen  .  ."  (Penck). 

„.  .  wenn  mich  .  .  wenn  man  mich  damals  gefragt  hätte  .  .'' 
(Me).     Antizip.  erleichtert  durch  das  m. 

„.  .  er  soll  hinauffragen  .  ."  für  „er  soll  hinaufgehn 
und  fragen  .  ."  (Mu). 

Ein  schöner  Fall:  ^Weisst  Du,  dass  Du  .  .  weiss  sie 
dass  sie  .  .  weiss  sie,  dass  Du  für  mich  kaufst?-"  sagte  ich 
rasch  zu  Mu ,  fehlte  also  zweimal  (Vorklang  und  Nachklang) 
bis  ich  ins  rechte  Gleise  kam. 

„Da  hast  Du  Dein  Meugel  .  .  Mohnbeugel!  (Me). 

„.  .  nicht  ang' fangt,  was  ich  anfangen  soll  (kopf- 
schüttelnd) nicht  gewusst,  was  ich  a^ifangen  soll.'*  (Ri). 

„Ich  marschiere  marsch!"  für  „Ich  kommandiere 
marsch!"  (v.  Lie). 

„.  .  Ist  durch  den  blossen  Umblick  .  .  Anblick  umge- 
fallen." (Me). 

„.  .  die  Waschein  mit  dem  Wascht  .  .  ah!  die  Löffeln 
mit  dem   Wascht  .  ."  (Ri). 

„.  .  und  deshalb  brav'  ich  .  .  verdien'  ich  einen  braven 
Mann  .  ."  Beachte  die  verbale  Form  „brav'  ich'"]  (Ri). 

„Ich  will  Deine  pflegmatischen  Nrrcheln  .  .  Nerven  auf- 
stacheln." (Frau  Vo). 


25 

„Kindern  schliesst  .  .  bringt  nian's  schliesslich  Ja  auch 
hei  .  ."  (Ri). 

„.  .  der  Schritt  .  .  der  Kurs  für  Fortijeschrittne  .  .  (Me). 

„.  .  und  der  Meine  Vondrdk  sagt  .  .  hat,  wie  Du  selbst 
sagst,  sich  jetzt  an  die  Milch  ge wohnt. '•'■  (Me;  mittags). 

y^ln  zwei  Stunden  habe  ich  nur  acht  Stunden  geschlafen"" 
für  „.  .   Tagen  .  .  ."  (Kellner,  Dr.  Adler  ref.). 

„JPwr  toen  sollen  die  Fremden  die  Türen  schleisse  .  .  leise 
schliessen?^''  (Dr.  E.  v.  Lieben).  Der  Fall  kann  auch  als 
Lautantizipation  von  sch  und  SS  aufgefasst  werden. 

„.  .  so  dass  die  Leuf  net  wollen  .  .  wissen,  was  ich 
wilV"  (Me).  Das  versprochene  Wort  nimmt  die  funktionelle 
Form  des  verdrängten  an.     (V.  u.  V.  S.  28). 

„  TFe/w  sie  deutsch  geschrieben  ivird  .  .  ist,  werde  ich 
sie  mir  häufen.""  (Dr.  K.  Adler). 

„.  .  miteinunter  .  .  miteinander  hinunter.^''  (Me). 

„.  .  das  Untiere  .  .  untere,  das  dunklere  .  ."  (Me). 

„.  .  der  Lehrerin  .  .  Lehrer  der  Kaiserin  .  ."  (Me). 

„.  .  und  so  f orten  .  .  fortwährenden  dumpfen  Groll  .  ." 
(Me). 

„.  .  es  habt  .  .  es  heisst  die  Abtei  .  ."  (Me). 

„.  .  geschweig nis  Erkenntnis  des  andern  .  ."  für  „.  .  ge- 
schweige .  ."  (Me). 

Am  25.  3.  96  sagt  meine  Frau:  „Er  hat  gesagt,  er  hätf 
noch  einen  Vorhang  .  .  Vortrag  angehängt."'"  Am  i.  4.  ist 
von  derselben  Materie  wieder  die  Rede  und  sie  macht  den- 
selben Fehler! 

„Zti  einem  ehelosen  ah!  kinderlosen  Ehepaar  gehört  ein 
Hund!''  (Rida). 

„.  .  verständisch  und  kritisch''  (Me).  Statt  -  ig  ist  -isch 
eingetreten. 

„Da  ist  ein  langer  Mann  mit  einer  Stange,  ein  Mann 
mit  einer  langen  Stange'^  (K.  Brockhausen). 

„Mein  Schwagerer  .  .  Schivager  Lederer  .  ."  (L.  v. 
Frankl  ref.). 

„Sie  hat  das  Recht,  das  Doktorat  zu  erleihn  .  .  ver- 
leihn  und  ausserdem  zum  Mitglied  zu  ernennen."'  (R.  Berl). 


2b 

„.  .  verscheint  .   .  erscJicint   er  ihr  rcrächtlicli  .  ."  (Me). 

„.  .  der  Ziegelhcrgcr  .  .  dir  Wienerhergvr  Zicyel- 
fahriJ:  .  ."   (Me). 

„Jetzt  ist  sie  so  mit  dem  Gitter  .  .  mit  dem  Gesicht  im 
Gitter  gelcffcn  und  hat  (jeschlafen."'  (Rida  von  einem  Kinde 
sprechend). 

„.  .  meine  verpflichte  .  .  verdammte  Pflicht  und  Schul- 
difikeit  .  ."  (Me). 

i^Der  Gugelhupf  .  .  der  Guglia  ist  ja  kein  Widehopf  .  ." 
(Rida).  Guglia  dz.  Chefredakteur  der  amtHchen  Wiener 
Zeitung;  Gugelhupf  ist  der  österreichische  Name  des  Napi- 
Uuchens. 

„.  .  Hofzuschramtamt  .  ."  sagt  Ohnesoro-e  für  „.  .  Hof- 
zuschrotamt  .  ."  ohne  zu  korrigieren. 

„.  .  mit  Schläfen  einschläfern  .  .  ah!  mit  Lesen  ein- 
schläfei-n.""   (Rida:  krank). 

„.  .  Ich  habe  Heinzel  .  .  heute  H<  in zel  gesprochen."-  (Me). 

y,Sic  trorit  .  .  sie  transit  gloria  mundi.""  (Luick). 

y^Jcne  Versammlungen,  die  sich  auf  beschränkte  .  .  auf 
geladene  Gäste  beschränken  .  ."  (Dr.  v.  Jekel). 

„.  .  sagt  die  Frau  .  .,  die  Erblinger,  die  Neblinger  san 
die  rechten  Erbschleicher^''  (Alte  Frau). 

y^So  verkehrt  er  .  .  so  verfügt  er  über  keine  Verkehrs- 
mittel"' (Oberverpflegsverwalter  Svoboda). 

„.  .  der  Friederin  .  .  der  Kaiserin  Friedrich  .  ." 
(Me;  abends  7^7  Uhr). 

b.  Vorklänge,  Antizipationen  von  Lauten. 
Vgl.  V.  u.  V.  S.  34 

„.  .  bulliger^   billiger  durchkommen .^^   (Prof.  v.  Zallinger). 

,,J»  /■  in  Gesellschaff  von  seinen  Freunden.'"''  (Jagic  nach 
Broch). 

,..  .  einen  Schp  .  .  Schuttenspender  .  ."   (Mu). 

y^.  .  es  hat  sogar  Bo''  (mit  dunklem  0)  Bo^djanskij  (mit 
hellem  0)  boshaft  {0  dunkel)  bemerkt  .  ."    (Jagic  nach  Broch). 

„.  .  Keil  .  .  Kerl  iveit  .  ."  (Me). 

„.  .  Lud  .  .  Jud  laut  .  ."  (Me). 


27 

„D/e  ältere  Far  .  .  Form  dieser  Namen''''  (Dr.  v.  Grien- 
bcrg-er). 

„.  .  fer  .  .  förderlich  war  .  ."  (v.  Eschcrich). 

„.  .  Bis  wir  einmal  wuch^  ivissen,  ivann  der  Mnch  .  ." 
(Frl.  R.  H.) 

„.  .  verfluche  verfluchte  SacherJcost  h'iegt  .  ."  (Me). 

„.  .  ich  hob'  herte  .  .  heute  meine  erste  Lektion  .  ."  (May). 

„.  .  Krankenheis  .  .  haus  Hof  No.  drei  .  ."  (Me). 

„.  .  zvonn  ich  komme  .  ."  (Me). 

„.  .  es  sind  Druckdehler  .  .  fehler  drin  .  ."  (Broch). 

„Most  .  .  Mastochsrosthraten"-  (Me). 

„.  ,  dass  der  Wurmhlant  .  .  hr eint  sich  blamiert  hat .  .'■'■  (Mu). 

„.  .  kauft  .  .  lauft  kopfi^her  .  ."  (Me). 

„.  .  dafar  .  .  dafür  hast  Du  aber  auch  ein  paar  sehr 
gute  Schüsse  gemacht.''^  (Me). 

„.  .  die  Luden  .  .  yuden  leben  .  ."  (Me). 

„Bündinger'-''  für  „Büdinger''''  (Stud.  Tkac).  Ohne  Korr. 
Ein  seltener  Fall,  ob  nicht  „bündig"  oder  derartiges  mitge- 
wirkt hat? 

„.  .  tvie  leicht  h-rtüfer  .  .  Irrtümer  unterlaufen  .  ." 
(Schipper). 

„.  .  in  der  Stradt  drin'"''  für  „.  .  Stadt  .  ."  (RöUig  ref.). 

„.  .  mit  dem  Heufzer  .  .  Seufzerhauche  Uhl  rezitierte  ich. 

„.  .  man  kann  die  Sahl  .  .  die  Zahl  der  Selbstmorde  .  ." 
(Me). 

„.  .  einen  andern  Schiceg  .  .  Weg  einzuschlagen  .-  ."  (Me 
still  versprochen). 

„.  .  in  einem  Schupftüchel  .  .  Schnupftüchel  nach  Feters- 
burg  schicken  .  ."  (Me). 

„.  .  grut  .  .  gutmütig  tritt  kein    Volk  .  ."  (R.  R.). 

y^Möntre  .  .  Montenegro"'  (Me). 

„.  .  der  ist  nicht  mehr  dratn  gekommen  .  ."  (Me). 

,,Als  ivild  die  Tuber  .  .  Tiber  an  ihr  Ufer  tobte  .  ." 
sagte  Lewinsky  als  Cassius,  Jul.  Caesar  I.  2  (Dr.  Frank- 
furter ref.). 

„.  .  sine  debio  .  .  sine  dubio  deficit  .  ."  (Cornu). 

„Das  aufgelaufene  Quartcd''  für  „abgelaufene  .  ."    (Mu; 


28 

V.  Lied  rcf.).  Beabsichtigt  scheint  „aitb-"^  gewesen  zu  sein, 
aber  Entgleisung  in  „auf*,  wozu  das  folgende  Wort  mit  be- 
hilflich gewesen  sein  mag, 

„.  .  in  der  Mirte  .  .  Mitte  der  Vierziger  .  ."  (Prof. 
Fr.  Raab). 

„.  .  päga  .  .  pädagogisthe  .  .**  (Prof.  Fr.  Raab). 

„Madrillen  . .  Marillen  sind  schwer  verdanlich^  (Frl.  R.  H). 

„Ein  hübscher  Spiii  .  .  Stil  liegt  in  ihrer  Sprache."*  (Frl. 
R.  H.  ref.). 

„.  .  Beriefung  nach  Berlin  .  ."  (Frl.  R.  H.). 

y Schau  nur,  dass  Du  rechtzeitig  die  5.  Auflage  von  Km  .  . 
Kluge  aus  der  Bibliothek  kriegst\'^  (Me).  Liegt  hier  etwa 
Dissimilation  vor? 

.^Ich  ivollte  mir  die  Knopfleich  .  .  Knopflochscheer  ein- 
steclcen  (Ri). 

„Fest  .  .  Feist  .  .  Festlichkeiten^^  (Alte  Bedienerin). 

„.  .  so  süht  .  .  sieht  das  Glück  der  Ehe  aus!"  (Me). 

„.  .  wenn  ich  nur  dazu  eine  schöne,  g'mönte  .  .  g* malte 
Madonna  hätte'^   i^^^)-     Die  Länge  des  verdrängten  a  blieb. 

„.  .  ich  bin  eine  Na  .  .  Wassernympfe'*   (4Jähr.  Knabe). 

„.  .  in  dem  einen  Fatz  .  .  Satz  sind  eine  Menge  von 
Füllwörtern''  (Ri). 

„Reiss'  .  .  beiss'  nichts  rausl''    (Ri  zum  Hunde). 

„.  .  die  Exen,  die  Elfen''  für  „die  Hexen,  die  Elfen'* 
(Detter). 

„.  .  auf  dieschem  .  .  diesem  ^Schiff''  (Ri).  Die  Zisch- 
laute beeinflussen  sich  auch  in  verschiedener  Stellung. 

„Ich  lebe  .  .  liebe  solche  Reden'  (Me). 

,,.  .  die  ostdreutsche  .  .  ostdeutsche  Rundschau  .  ." 
(Frl.  A.  H.). 

,.Es  drau  .  .  schaut  da  drunten  bös  aus."  (Me). 

„Es  war  ö  .  .  höchst  ekelhaft"  (Me).     Interessanter  Fall. 

„Ich  habe  keine  scheidene  .  .  seidene  Schnur"  (Ri). 

„.  .  der  Iglitz  ..  .  der  Stieglitz  ist  kein  Esel".  (Me). 
Interessanter  Fall. 

-Ich  habe  geglaubt,  ich  habe  meine  Kerze  drinnen  blen- 
nen  .  .  brennen  gelassen"  (Me). 


29 

„.  ,  lenke  .  .  lehne  ich  dankend  ab  .  ."  (bei  lebhaftem 
Denken  beobachtet).  Me. 

,^Das  Hemd  ist  breit  .  .  ist  so  steif  wie  ein  Brett"'  (Ri). 
Interessanter  Fall,  zu  erwarten  ,^breif^\  aber  Entg-leisung-  in 
das  gewöhnliche  JjreiV''   wobei  „Brett'-'-  mitspielt. 

y,Bringen  Sie  die  Leimpe  .  .  Lampe  hereinV''  (Me). 

„.  .  Provat  .  .  Frivatdozentimi  .  "  sagte  ich  und  machte 
also  den  V.  und  V.  S.  40  zitierten  Fehler  auch.  Ich  habe 
ihn  übrigens  auch   sonst  noch  vernommen. 

„.  .  in  der  Schrüh'  .  .  in  der  Früh'  eine  Schtund' 
(Stunde)  .  ."  (Rida). 

„.  .  Nachbittag  .  .  Nachmittag  bin  ich  .  ."  (Me), 

,^3Iach  das  Fenster  dof  aufl'-'-    für  „.  .  dort  auf\^^   (Me). 

„.  .  Schlöpsenschögl  .  .  Schöpsenschlöyl  (Dr.  C.  Schneider). 

„.  .  mit  eingelßtikter  Lanze  .  ."  für  „.  eingelegter  Lanze . ." 
(M.  H.  Jellinek). 

„.  .  manchen  Tat  .  .  Tag  tut  er  .  ."  (Rida;  abends,  nicht 
müde). 

„Die  heutige  Neue  freie  Fresst  .  .  Press  gibst  Du  niirl" 
(Me;   II  Uhr  nachts,  müde).     Beachte  auch  den  /-Nachklang. 

„.  .  aushänd  .  .  ausländischen  Buchhändler  .  ."  (Bormann). 

„.  .  von  Dächern  hör  .  .  herrühren  .  ."  (Dr.  Reichel) 
ö  ist  assimiliert  aus  e  an  ü. 

„.  .  ist  ein  Dragoner  mitsamt  seinem  Pferz  .  .  Pferd 
g'stürsf'  (Me). 

„.  .  für  j auter  lauter  yubiläen  .  ."  (Me). 

„.  .  splekulieren  .  ."  für  „.  .  spekulieren  .  ."  (Rida). 
Das  Wort  hat  einen  starken  Nebenakzent  auf  der  ersten 
Silbe,  sonst  wäre  dieses  Versprechen  unmöglich. 

„.  .  ivenn  Euch  nicht  greist  .  .  graust  vor  dem  Weiber- 
volk .  ."  (Rida). 

„So  ra  .  .  lass  mich  redenV'-  (Rida;  erregt). 

„.  .  besalders  .  .  besonders  kalte  Hände**  (Me). 

„.  .  und  schtrin  .  .  drin  schteht  (steht)  .  ."  (Detter). 

„.  .  wie  oft  habe  ich  meiner  Muttn,  Mutter  eine  Suppm 
gemachtl"  (Me).  Der  labiale  Nasal  wird  nach  dem  Dental  zum 
dentalen. 


30 

yyDa,  schau  den  ApiietiVs,  den  Jiatl'*  für  „.  .  Appetit, 
den's  (sie)  hat''  (Mej. 

„Heust  .  .  Itcut  ivillst  noch  was  arbeiten?'^   (Rida). 
„.  .  denn  die  IVlucie   iinrde  erst    mit    sechs  Wochen  ye- 
taufV^   für  „.  .  Lucie  .  ."   (Rida,    2  h  Nm.).     Nicht  korrigiert. 

„Der-  Beschnch  .  .  Besuch  scheint  .  ."  (Detter). 

r,Soll  ich  dra  .  .  d'Ädress  schreiben?'*  Der  Satz:  y,Soll 
ich  die  Adresse  schreiben?"'  heisst  bei  uns  dialektisch:  „Soll 
ich  d'Adress^  {dadress)  schreiben?"'  Aus  "d'adress  wäre  also 
*dra{drcss)  entstanden,  wenn  der  Fehler  nicht  korrigiert 
worden  wäre  (Alte  Frau). 

„.  .  Brutzru  .  .  Blutzulauf  vergrössert  .  ."  (Dr.  Foltanek 
in   einem  Vortrag"). 

„.  .  Feunde  und  Freunde  .  ."  für  „.  .  Feinde  und 
Freunde  .  ."'  (Cornu   1/^9  abends,  nicht  müd). 

„.  .  miwassende  .  .  unpassende  Worte  .  .''  (Me). 

„.  .  ivas  ich  mir  eingewirkt  .  .  eingebildet  habe,  dass 
ieh  als  Richter  wirhen  werde  .  ."  (K.  Grünberg). 

„.  .  abgesehn  von  seinem  wissenscJiaftlichtn  Stund  .  . 
StandpunMe  .  .•'  (Dr.  Kulisch). 

„.  .  eivrige  Nachrichten  .  ."  Hier  winkt  vielleicht  ein 
Vagant,  etwa  „gestrig'"''  mit. 

„.  .  Bedeutungs  dieses  Nachahmungstriebs  .  ."  (Me). 

„.  .  Er  braucht  so  a  reckige  .  .  dreckige  Rauch stube^i""  (Me). 

„.  .  geschlassene  Sprachgebiete  .  ."    (K.  Grünberg). 

„.  .  vauJer  Bauch  .  ."   für  „.  .  voller  Bauch  .    "  (Me). 

„.  .   Waltkaltwasserheilanstalt  .  ."    (Dr.  K.  Adler). 

„.  .  die  Bürste  des  Fürsten  (Bismarcks  nämlich)  .  ." 
für  „.  .  die  Büste  des  Fürsten  .  ."  soll  der  Bürgermeister 
einer  deutschen  Stadt  gesagt  haben.     Einleuchtender  Fall. 

„Ich  habe  nie  behauptet,  dass  das  das  grossartigste  Prodikt 
der  Kunststickerei  ist"^  (Rida). 

„.  .  klaum  liegt  er  .  ."   (Junge  Frau). 

,,.  .  Du  schtnudierst  nicht \"  für  ,,.  .  studierst  .  ."  (Rida). 
Merkwürdiger  Fall,  aber  vollkommen  sicher  von  mir  gehört 
und  von  der  Sprecherin  selbst  beobachtet. 


31 

Haben  Sie  Brück  auf  der  Brust  .  .  Druck  auf  der  Brust?'"'' 
(Lothar  v.  Frankl). 

„.  .  anyestelste  Ärzte  .  ."  für  „.  .  angestellte  Ärzte  .  ." 
(Dr.  C.  Schneider). 

„.  .  dass  man  die  Fenster  oben  .  .  offen  haben  kann^^  (Me). 

„Dm  hast  ja  auch  schtcutsch  .  .  deutsche  Schtilistik  (Sti- 
listik .  ."  (Rida). 

„.  .  Pfändvertrag  .  ."  sagte  Prof.  E.  Hiller.  Gleich 
darauf  gebrauchte  er  das  Wort  .^verpfändet^^ ,  das  er  offenbar 
schon  länger  im  Kopfe  hatte. 

„Sie  haben  ja  gestern  schmir,  mir  geschrieben'"''  (E.  Guglia), 

„.  .  und  ivenn  er  keck  mis  is  {ist)  mit  mir  .  ."  (Me). 

„Die  Firme  .  Firma  hiess  früher  Miethke  und  Wawra'"'' 
(Me). 

„.  .  in  so  und  so  viel  Exemplaten  vertreten  sein  soll  .  . 
Exemplaren  .  ."  (Me). 

„.  .  wenn  Du  vom  Einkaufst  .  .  Einkaufen  kommst  .  ." 
(Me).  Ich  kann  bestimmt  versichern,  dass  ich  nicht  an  „ivenn 
Du  einkaufst'^  gedacht  habe.  Dieses  wäre  auch  wegen  des 
Zeitverhältnisses  ganz  unmöglich  gewesen. 

„.  .  deswegen,  iveil's  {iveil  sie)  Latern  .  Latein  lernen^'' 
(Rida). 

„.  .  hast  mir  verschrieben  .  versprochen  aufzuschreiben^^ 
(Me;  9  b  abends).  Der  vorausgenommene  Sprechteil  {schreibot) 
erhält  die  dem  Platze  angemessene  funktionelle  Form  {ver- 
schrieben). 

„.  .  Nordpalfahrer  .  ."   (L.  v.  Frankl). 

„.  .  Wenn  ich  ins  kalte  Weiss  .  .   Wasser  greif'-''  (Rida). 

„.  .  zerknochte  Nockerln  .  ."  (Frau  Fl.  Friedmann).  Vgl. 
oben  den  Fall:    ^yScldnudierst  nicht". 

„.  .  Penta  .  .  Penka  doch  ein  Dilettant  .  ."  (S.  Singer). 

„.  .  und  da  die  Seite  .  .  die  Sache  nicht  gescheit  gewesen 
lüäre  .  ."  (Me). 

,,.  .  eine  IVenge  Menge  Wein  .  ."  (Me). 

„.  .  verstöhnen  .  .  verstehen  sich  nicht:,  eine  Versöhnung 
ist  nicht  möglich"'   (Siegm.  Exner). 

„.  .  eine  Seh  malm  .  .  Schmiersalm  .  ."   (Frau,  vier  Tage 


32 

nach  Operation  mit  Narkose).  Dialektisch  für  „Schmicrsalbc". 
Kein  häufi«jcr  F'all. 

„Sie  brauchen  nicht  einen  Zzüeistrich  .  .  Beistrich  in- 
zwi sehen  setzen  .  ."  (Mu), 

„.  .  TahraU  .  Tabak- Regie  .  ."  (Ohnesortre).  Der  Fall 
spricht  dafür,  dass  der  Wortanlaut  (JReffie)  gleichwertig  ist 
mit  dem  Anlaut  der  betonten  Silbe  {Tab(ik). 

„  .  ich  kennige  .  .  kenne  wenige  Männer  .  ."  (Me; 
mittags). 

„.  .  65  ist  etwas,  was  mir  momentan  durch  den  Kopf 
gcf alten  .  gefahren  und  tvas  ich  für  richtig  halte.""     (K.  Schima). 

„.  .  ein  halbes  Brut  .  .  Brathuhn\''  befahl  ein  Wirts- 
hausgast. 

„J/n  galzen  .  .  ganzen  Salzkammergut  .  ."  (Me). 

„.  .  ein  Schtünkl  .  .  Schtückl  {Stückl  =  Stückchen)  stinkende 
Leber  .  ."  (iMe). 

„.  .  mag's  schon  aug  .  .  auch  arg  getrieben  haben"*  (Me). 

„.  .  dass  ich  meinen  Bauch  dort  lein  .  .  rein  lass, 
Rida!"  (Me). 

„Icli  will  diese  Lu  .  .  diese  Nummer  noch  lesen.""  Ich 
weiss,  dass  ich  „Lunimer'"^  habe  sagen  wollen. 

„.  .  Dir  ganze  Praul-Baune- Schule  .  ."  für  „.  .  Paul- 
Braune-Schule  .  ."  (Me). 

„.  .  Fleiden  .  .  Weidengeflecht  .  ."  (Me). 

„.  .  das  haV  ich  säum  kaum  s' sammbracht"'  (Me). 

„.  .  ivenn  Gscheit,  Zeit  iväre,  wo  er  mit  mir  was  Gscheits 
{Gescheites)  reden  könnte'"'  (Me). 

^.  .  er  er  feit  .  .  erfährt,  es  sei  .  ."  (Me). 

„.  .  mir  ist  auch  laud  .  .  leid,  wenn's  naus  [hinaus) 
kommt''  (Rida;   12I/2  ^  Nrn.). 

„.  .  Sprnngbrunnen  .  ."  für  „.  .  Springbrunnen  .  ."  (Flora 
Friedmann). 

„Ich  bil  viel  .   ."   für  „7c/t  bin  viel  .  ."   (Rida). 

..Nicht  so  das  Gopferl  Topferl  geben  l"-  sagt  Rida  zum 
Kindsmädchen. 

r,Sie  bemei,   beneidet  mich  schrecklich^  (Rida). 

y,Du  musst  jetzt  zu  U.^en  auf  hörnen  —  ich  lern  ■  ."  (Me). 


33 

„.  .  Bries  yebacl'sen  .  .  gebacken,  mit  Erhsen  .  ."  (Detter). 

„.  .  die  Schlüsse  rasche  Entschlussfähiqkeit  .  ." 
(K.  Zwieriina). 

„.  .  Grand  .  .  Grund  zur  Angst  .  ."  (Me). 

r,Er  ist  grü  .  .  glücklich  und  sagt:  Lass  mich  in  Friedend' 
(Me). 

„Der  manlfaue  Bauer  .  .  maulfaule  Bauer  .  ."  Wohl 
nicht  /-Dissimilation,  sondern  Vorklang  von  Bauer  (Me). 
Verg-leiche  die  folg"enden  zwei  Fälle  von  Ardisipation  des 
Hiatus. 

„,  .  auer  Fetter  .  .  ausser  Feuer  .  ."  (Me). 

„JcA  habe  leier  leider  Steuer  .  ."  (A.  F.  Pribram,  müd). 
Aber  dieselbe  Erscheinung-  auch  bei  völliger  Frische.  Früher 
habe  ich  schon  angemerkt:  „.  .  Freue  des  Coitiis  .  ."  für 
„.  .  Freude  .  ." 

„3Ian  kann  auch  seine  Et  .  .  Meinungen  ändern"'  (Me). 
Unkorrigiert  hiesse  das  versprochene  Wort  „Einungen''\  Es 
ist  eine  Tatsache  von  sprachwissenschaftlichem  Interesse,  dass 
durch  Assimilation  an  den  Anlaut  von  ^^ändern'^  aus  „3Iei- 
nungen'"''   „Einungen^^  werden  kann. 

„.  .  hab'  ich  mit  ihm  in  drei  verschiedenen  Wachten  .  . 
Waffen  gefochten  (Dr.  Adler).  Der  Sprecher  wurde  auf  den 
Fehler  aufmerksam. 

„.  .  jetzt  muss  die  kleine  R.  Leni  aber  abräumen  .  ." 
(Me).     Unkorrigiert  wäre  ,,Reni''''  erschienen. 

„.  .  in  der  fröhlichsten  Zweise  Weise  zwingt'"''  (Me). 

y,lch  habe  geglaubt,  die  Li  .  .  die  Rida  bleibt  noch'"''  (Me). 

„.  .  glo  .  .  glücklich  los  .  ."   (Me). 

„Meine  Schwel ch  .  .  Schwester  hat  ihre  Milch  .  ." 
(Rida). 

„.  .  sondern  boss  .  .  bloss  beim  angestrichenen  .  ."  (Me). 
Merkwürdiger  Fall.  Wahrscheinlich  hat  J)eim'^  aus  „bloss'^ 
„boss"'  gemacht. 

„.  .  das  drifte  .  .  dritte  Heft  .  ."  (Kain). 

„.  .  vliel  Fieder .  ."  für  „.  .  viel  Flieder  .  ."   (H.  Gross  ref.). 

„Zum  Schluss  bleiben  bross  die  zwei  Dimensionen  übrig"', 
bross^  für  „bloss"''  (Me). 

Meringer,  Aus  dem  Leben  der  Sprache.  O 


34 

„Na  scJiaustl^*  Du  sollst  das  nie  so  hcrletjotl'^  Ich  wollte 
gewiss  „schau'^  sagen,  denn  die  hier  gebrauchte  Wendung, 
die  noch  dazu  einen  anderen  Sinn  hat,  ist  mir  fremd.  Der 
Wiener  sagt  zwar  in  der  Überraschung  „Da  schaust  her\* 
aber  im  Vorwurf  nur  „schaul"' 

„Haben  die  Junden  .  .  Juden  keine  Hundc?'-'^  (Rida), 

„.  .  (jeschweibe  denn  ein   Weiberl  .  ."   für  „.  .  (jescliweige."^ 

„.  .  dass's  Ileisen  .  .  eiss  ah\  Eisen  heisser  ist^  für 
,..  .  Dass  das  Eisen  heisser  ist  .  ."  (Dienstbote). 

„.  .   Tre  .  .  Begcnfropfrn  .  ."  (AI.  Kicgl). 

„.  .  für  eine  gewitte  gewisse  Gattung  Witze  .  ."   (Rida). 

„Ich  loerde  mich  einlassen  .  .  eitdaden  lassen'*  (Me). 

„.  .  sie  sau  .  .  sie  sei  die  Schauspielerin  Jö."  (Me). 

„.  .  lithograwierte  .  .  graphierte  Visitenkarte  .  ."    (Rida). 

„.  .  u)ige'2i(nde  .  .  ungesunde  Zustände  .  ."  (Me). 

„Die  Klüche  ist  licht"-  (Mizi  M.). 

„.  .  dass  er  an  Vortrag  hätten  hält'  solln"'  sagt  ein 
Diener.  Ich  mache  ihn  aufmerksam,  worauf  er  korrigiert: 
„haltn  hätt'  solln."^ 

„.  .  bei  der  Selcher  in  kommen  auch  die  Kschivinder  .  . 
Kinder  g'schtvitid    (Lautwert  kschivind)   nacheinander^^    (Rida). 

„.  .  kann  ich  erst  ivarschen  warten,  bis  Du  Dich  ge- 
waschen hast"  (Rida). 

„Ich  leg  auf  das  Nachtwicht  .  .  Nachtlicht  kein  Gewicht'''' 
(Me). 

„.  .  cerlengt  .  verlangt   Senf  .  ."  (Me). 

„.  .  wenn  ich's  haben  .  .  hätte  haben  uollen'*   (Me). 

„Du,  dann  lass  die  zweite  Stale  (spr.  Schtale)  Schale 
stehnl"-    (Me). 

„Den  Mut  .  .  den  Hut  muss  ich  nehmen"  (Me). 

„.  .  wieb  .  wie  so  ein    TFe/Ä!"  (Me). 

„.  .  lernten  kennen  lernen  .  ."  (Me). 

„We)m  er  über  die  maskische  bergamaskische  Mundart  .  .'* 
(Cornu).  Hier  ist  die  Antizipation  schuld  an  der  Silbenunter- 
drückung). 

„Der  Türkenschmerz  .  .  Türkensterz  wird  ihnen  (von 
zwei  Kaninchen  ist  die  Rede)  scJion  schmecken''^   (Rida). 


35 

„Jc/i  schleiss  .  .  ich  zeichne  Dir  den  Schlossturm  a«*/*!" 
(Me). 

Die  Antizipationen  werden  durch  partielle  Gleichheit  der 
Wörter  erleichtert 

Bereits  besprochen  sind  Fälle  wie  .  .  .  „aufg^ehaben  .  . 
g^ehoben  haben". 

So  wird  namentlich  durch  gleichen  Anlaut  die  Antizi- 
pation von  Wörtern  und  Silben  wesentlich  erleichtert. 

Ähnlich  steht  es  mit  den  Lauten.  Ein  Laut  wird  am 
leichtesten  dann  antizipiert,  wenn  er  neben  einem  Laute 
steht,  der  gleich  und  gleichwertig  ist  mit  dem  eben  zu 
sprechenden  >). 

Z.  B.  „.  .  unterdressen  .  .  dessen  dräussen  ,  ."  (Me). 
Im  Bilde: 

Sprechbahn:  —  unterd  e  ss  e  n  —  dr  aü  ss  e  n  -* 
Vorklang:  dräussen 

Resultat:         —  unterdressen  -» 

,,Ätis  .  .  Aufgaben  ausführen'-''  (v.  Andrian).  Hier  ist  die 
Antizipation  durch  das  au  erleichtert. 

„besch  .  .  berührend  beschäftigt"  (Jagic.  Broch  ref.). 

„tvenu  der  Drumpf  .  .  Rumpf  drinnen  ivär'-'-  (Me). 

r,Bro  .  .  bloss  neben  ihm  zu  sitzen  braucht'"''  (Me). 

„.  .  hast  einfach  Brich  .  .  Dich  drauf  verlassen''^    (Me). 

„Das  Bad  schlecht  .  .  schlägt  mir  schlecht  an'-'-  (Mu), 

„.  .  ivenn  einmann  .  .  einmal  ein  Mann^''  (Me). 

„.  .  die  europolitäische  .  .  die  europäische  Politik'-'' 
(Me).     Hier  hat  das  p  die  Entgleisung  verursacht. 

„.  .  droch  .  .  doch  drum  Mlmmern'-'-  (Me). 

„Eisenbeamte  .  .   Eisenbahnbeamte''''    (Dr.  Czelechowsky). 

„Schottenfahrer  .  .  Schottenfelder  Badfahrer'-'-  (Dr.  A. 
Homann). 

„.  .  deswill  .  .  deswegen  will  ich'-''  (Me). 

„.  .  ich  komme  vor  gen  .  .  morgen  vormittag'^  (Me). 


*)  Das  hat  J.  Wackernagel  Zts.  XXXllI  S.  9  schon  gesehn  und  sehr 
schön  dargelegt,  einer  jener  vielen  Fälle,  wo  durch  eine  glückliche  Eingebung 
ein  Erklärunpsprinzip  gefunden  wurde.     Vgl.  V.  u.  V.  S.   175. 

3* 


36 

,..  .  und  in  der  Schtaht  .  .  in  der  Tat  sterben"'  (Stud. 
liertoni). 

„.  .  ich  ward  .  .  ich  werde  zwar  .  ."■  (Me). 

„Neue  Fresse'*  für  „Neue  freie  Fresse"'  berichtet  mir  Dr. 
A.  V.  Rosthorn.  Ich  habe  den  Fehler  schon  V.  u.  V.  S-  34 
angeführt. 

„.  .  wenn  eine  ordentliche  Hausmannahocht  .  .  Jcost  'kocht 
(dial.  für  gekocht)  wird'"''  sagt  Bedienerin  M. 

Dr.  C.  Hiecke  spricht  von  X  +  i^  und  nennt  diese  Ver- 
bindung „Lamtna  Diffamma^  für  „Lambda  Di(jamiita^ . 

„.  .  hei  all  Dingen  .  ."'  für  „hei  all  den  Dingen  .  ." 
(Szanto  ref.).     Bemerkt  aber  nicht  korrigiert. 

„Du  kannst  sie  aben  .  .  haben,  das  Abendblatt  und  das 
Morgenblatt''  (Mc). 

„  Vizeweld  .   .  feldwebcV  (Prof.  Bormann). 

„.  .  für  meine  Brau  Fr  an  bringen  Sie  .  ."  (Me). 

„Ich  nehme  Sie  jetzt  ins  Mitshaus  .  .  Wirtshaus  mit"' 
(Me). 

„.  .  mit  wagischer  magischer  Gewalt  .  ."  (Me). 

...  .  auf  .  .  auskommen,  wenn  man  drauf  eingeht""  (Ri). 

„Jetzt  haben  die  Schliegen  .  .  ah\  die  Fliegen  etwas  zu 
schlecken"'  (Ri). 

„Ich  schrei  .  .  ich  scheide  da  streng  (gespr.  schtrengY 
(Me). 

„.  .  in IV and  ein  Lei mv and  .  .  inwendig  ein  Leimvand- 
kouvert  .  ."  (Me). 

„.  .  damit  sie  einmann  .  .  einmal  ihren  Mann  .  ."  (Me). 

„.  .  die  Bio  .  .  Flöte  geblasen  .  ."  (Me). 

„.  .  Kurch   .  .  Kirchturm   .  ."   (Me). 

„.  .  mit  Schweinen  he  .  .  Steinen  (gesp.  Schteinen)  be- 
schwert .  ."  (Frau  Meltzer). 

„Das    Wirtsheis  .  .  haus  heisst  .  ."  (Mu  ref.). 

„.  .  der  Brautfahrer  und  der  Pfarrer  .  ."  für  „.  .  Braut- 
führer und  der  Pfarrer  .  ."  (Loth  v.  F.  H,). 

„.  .  viellaucht  .  .  leicht  auch  .  ."  (Me). 

„.  .  endlich  trenne  mich  .  .  trenne  ich  mich  von  ihr." 
(Me). 


37 

„.  .  da  überbieten  sie  sich  gegenseitigheiten  .  .  gegenseitig 
an  Liebenstvürdigheiten^''  (Me). 

„.  .  eine  üniversitätsprau  .  .  frau  .  .  professorsfrau  .  ." 
(Me). 

„.  .  er  hätte  gesagt,  Du  wirst  jetzt  mein  bleib  ,  .  Weib 
und  bleibst  bravV^  (Me). 

^Kinder  weiben  .  .  haben  ivill  jedes  Weib.'*  (Me). 

„Äugustinerstrei  .  .  Strasse  heisst  sie.'"''  (Ri). 

„Die  hättst  jetzt  fortgehen  sollen'"'  für  „.  .  fortgehn  sehen 
sollen''  (Me). 

„.  .  Mode  geioar  .  .  geivorden  war  .  ."  (Dr.  Hein). 

„.  .  hat  soch  .  .  sich  doch  .  ."  (Me). 

c.  Antizipation  des  Geschlechts. 
Vgl.  V.  u.  V.  S.  42. 

„.  .  schliessen  sich  an  den  Form  .  .  an  die  Form  des 
Fiisses  an"*  (Me). 

,,Sehn  'S  den  .  .  das  Gesicht  von  dem  Hund  an'*  (Me). 

„.  .  auf  den  seiner  RangsMasse  .  .  auf  die  seiner  Rangs- 
Masse  entsprechende  Höhe  .  ."  (Karabacek).  „Den"'  wegen  des 
männl.  Geschlechts  von  „Rang^'. 

„Da  haben  Sie  das  .  .  den  ganzen  Tag  nicht  ins  Haus 
können"'  (Me). 

„.  .  Das  Mutter  mit  ihrem  Sohne  .  ."  sagte  ich.  Ich 
weiss,  ich  habe  an  „das  Kind""  gedacht.  (Eigentlich  Anti- 
zipation eines  Mitklangs). 

„.  .  das  Jammer  .  .  der  Jammer  und  das  Flend  .  ."  (Me). 

„.  .  Denn  die  wird  eine  Schwiegermutter  haben  .  ."  für 
„.  .  denn  der  loird  .  .  ."  Mu.  merkte  den  Fehler,  korrigierte 
aber  nicht. 

„.  .  die  Mond  ist  das  Wei¥'  (Kain).  Das  Feminimuin 
wurde  antizipiert,  entweder  weil  gleich  darauf  gesagt  wurde, 
dass  die  Sonne  als  Mann  aufgefasst  wird  oder  durch  Vor- 
wegnahme des  natürlichen  Geschlechts  von   Weib. 

„Er  hätte  zahlen  sollen  den  Vier  zehnfachen  des  Werts" 
(Dr.  Adler). 

„Jetzt  lebe  ich  vom  Hand  .  .  von  der  Hand  zum  Mund"' 


88 

(Rob.  V.  Schneider).  Die  Phrase  heisst  bekanntlich  etwas 
anders. 

f,.  .  ivie's  {das)  Faust  aufs  Aurj  .  ."  (Me).  Man  sieht, 
dass  dieser  und  ähnhche  Falle  als  reine  Lautantizipationen 
aufgefasst  werden  können. 

„.  .  zwischen  einem  Schwiegermutter  und  einem  Tiger  .  ." 
(Grünb.)     Nicht  korr. 

d.  Antizipation  der  Person. 
Vgl.  V.  u.  V.  S.  42. 

„ .  .  er  sagte.  Du  fände  .  .  er  fände,  Du  hättest  ein  herr- 
liches Organ'"''  (Me). 

„  Wenn  ich  nach  Haus  gelommen  ist,  da  ist  mein  Bello 
mir  entgegengcsjyrimgen.''''  (Frl.  R.  H.) 

,,Die,  die  ich  gerne  gehabt  hat,  existiei't  heute  nicht  mehr"^ 
(Me). 

,,.  .  erst,  ivie  Du  gekommen  ist,  hat  sie  ivieder  gehellt  .  ." 
(Frl.  R.  H.) 

y,Wenn  jemand  dabei  bist  und  Du  hast  .  ."  (Me). 

„Wemi  irgend  etwas  bist  .  .  ist  .  .  Du  kannst  es  nicht 
abiveisen!^^  (Me). 

„.  .  dass  Sie  mit  grösseren  Humpen  zu  Tische  gegangen 
bin  (für  sind)  als  ich "  (Dr.  Adler).  Der  Fall  sieht  arg  aus, 
kommt  aber  oft  vor.  Möglich,  dass  er  sich  bei  älteren  Leuten 
öfter  fmdet  als  bei  Jungen.  Adler  hat  seinen  Irrtum  nicht 
korrigiert 

„TFi'e  Du  dort  gesessen  ist  (für  bist),  hat  sie  (das  Kind) 
gesehen  .  ."  (Rida).  Eine  ganz  junge  gesunde  Frau  verspricht 
sich  also  ebenso  wie  der  Greis. 

,,Wenn  die  Mama  viel  Geld  hast  (für  hat)  und  Du  viel 
Geld  hast  .  ."  sagt  mein  fünfjähriges  Mädchen.  Alle  drei 
der  Greis,  die  Frau,  das  Kind  haben  ihren  Fehler  nicht 
bemerkt. 

e.  Antizipation  der  Quantität. 
Vgl.  V.  u.  V.  S.  41- 
Ich    habe    nur    weniges    gesammelt,    die  Erscheinung    ist 
aber  häufig. 


39 

„Du  hrauchst  mich  niecht  .  .  nicht  su  fragen  .  ."    (Me). 
„.  .    Verlesen  und   Versprechen  .  ."  (Me). 

f.  Antizipation  des  Kasus. 
„.  .  für  tvir,  die  ivir  noch  Junggesellen  sind^*"  (Mu). 

g.  Antizipation  des  Numerus. 
V.  u.  V.  S.  42. 
„.  .  iveil   sie  (Plur.)  immer  geglaubt    hat  .  .  haben,    sie 
lüird  ihnen  .  ."  (Rida). 

„  Wir  haben  gestern  mit  dem  X  das  ausgeführt.^  Ich 
wollte  aber  sagen:  „Ich  habe  gestern  .  ."  Der  Fall  lässt  ver- 
schiedene Deutungen  zu.  Dieselbe  Konstruktionsart  ist  in 
mehreren  Sprachen  allgemein  gebräuchlich. 

h.  Antizipation  des  Modus. 
V.  und  V.  S.  42. 
„Es  ist  so   schade^  dass  wir  da  nicht  ein  Bett  hätten  .  . 
haben,  da  könnte  ich  gleich  Siesta  halten.^''  (Me). 

3.  Mitklänge,  Konzipationen. 

Ein  Mitklang  ist  das  Auftreten  eines  Nebenwortbildes. 

Ein  Mitklang  entsteht  z.  B.,  wenn  dem  Sprechenden  für 
einen  Begriff  Sjmonyma  einfallen,  oder  wenn  das  Wort  ein 
sehr  ähnliches  oder  ein  anderes  auf  irgendeine  Art  mit  ihm 
assoziiertes  heranzieht. 

Als  Mitklänge  treten  oft  „schwebende  Wortbilder",  „Wort- 
vaganten"  auf,  die  ich  V.  und  V.  S.  69  gekennzeichnet  habe. 

Man  kann  sagen,  dass  jeder  Ort  seine  „schwebenden 
Wortbilder"  hat,  die  Wohnung,  das  Professorenzimmer,  das 
Parlament,  die  Kaserne,  die  Studentenkneipe.  Im  Empfangs- 
zimmer des  Ministers  stellen  sich  andere  schwebende  Wort- 
bilder ein  als  im  Hörsäle  und  wieder  andere  im  Wirtshause. 
Bekannt  ist  auch,  dass  die  Verkehrssprache  nach  allen  diesen 
Örtlichkeiten  gewisse  Besonderheiten  zeigt,  so  dass  der  Mann, 
der  über  diese  Verschiedenheiten  nicht  verfügt,  gewiss  nicht 
an  allen  Orten  gleich  willkommen  ist.  Im  Zusammenhange 
mit  dieser  Erscheinung  steht  es,  dass  auch  das  ganze  Gehaben, 


40 

der  Ton,  sogar  die  Bewegungen  und  Gesten  nach  den  Ört- 
liclikeitcn  grösseren  oder  kleineren  Schwankungen  unterliegen 
Ein  Mann,  der  nur  eine  Art  sich  zu  geben  hat,  macht  sich 
irgendwo  lächerlich  oder  verhasst.  Es  ist  langweilig,  jemand 
im  Wirtshause  dozieren  zu  hören,  es  ist  beleidigend,  an  einem 
ernsten  Orte  Wirtshausgepflogenheiten  zu  begegnen.  Allerdings 
ist  diese  von  der  Örtliclikeit  bedingte  Verschiedenheit  des 
ganzen  Auftretens  und  der  Sprache  bei  den  einzelnen  Völkern 
nicht  gleich  gross. 

Aus  der  Fülle  von  „schwebenden  Wortbildern",  die 
jeder  Ort  mit  sich  bringt,  kann  leicht  ein  Vagant  die  beab- 
sichtigte Rede  in  manchmal  unangenehmer  Weise  durch- 
brechen und  entstellen. 

Auf  die  Mitklänge  eines  durch  ein  Gesichtsbild  erregten 
Wortbildcs  war  ich  schon  frühzeitig  aufmerksam  geworden. 
Aber  erst  nach  dem  Erscheinen  von  V.  und  V.  wurde  mir 
die  Häufigkeit  dieser  Kategorie  bewusst.  Es  kommt  sehr  oft 
vor,  dass  das  Wort  für  einen  Gegenstand  oder  Vorgang, 
den  wir  während  des  Sprechens  sehen,  in  unsere  Rede  in 
irgendeiner  Weise  Eingang  findet.  Die  Sache  ist  für  mich 
wenigstens  sehr  merkwürdig.  Dass  durch  ein  Gesichtsbild  ein 
Wortbild  hervorgerufen  wird,  ist  normal.  Aber  dass  dieses 
Wortbild,  das  mich  nicht  interessiert,  von  dem  und  mit  dem 
ich  gar  nichts  will,  in  meine  beabsichtigte  Rede  eindringen 
kann,  auch  wenn  es  mit  dem  von  mir  gewollten  Inhalt  gar 
nichts  zu  tun  hat,  auch  wenn  es  geradezu  stört  und  Unsinn 
schafft,  das  ist  doch  gewiss  eine  bemerkenswerte  Tatsache. 
Ich  betone  nochmals,  dass  die  Gesichtsbilder,  von  denen  hier 
die  Rede  ist,  zumeist  ohne  besondere  Aufmerksamkeit,  ohne 
Interesse,  gleichsam  mechanisch,  photographisch  entstehen, 
und  dass  die  sie  bezeichnenden  Wortbilder  trotzdem  so  leb- 
haft wirken  können. 

Man  wendet  mir  ein,  die  Sache  sei  doch  nicht  so  merk- 
würdig, ein  eigendicher  Willensakt  werde  hier  nicht  zerstört, 
man  wolle  ja  beim  Sprechen  nichts,  man  spreche  eben.  Ich 
halte  das  für  unrichtig.  Ich  denke,  man  spricht  für  gewöhnlich, 
um  etwas  mitzuteilen,  oder  zu  erfahren,  kurz  mit  einer  Absicht, 


41 

einem  Willen.  Ein  blosses  Plappern  ist  ja  krankhaft.  Es 
gibt  sinnlose  Füllwörter,  Redensarteu  u.  a.,  aber  die  normale 
Rede  ist  doch  keineswegs  so  zu  bezeichnen.  Wie  dem  auch 
immer  sei  —  ich  komme  in  einem  späteren  Kapitel  auf  die 
Frage  zurück  —  die  Beispiele,  die  ich  unten  eigens  zusammen- 
stelle, zeigen  alle,  dass  eine  Rede,  in  der  etwas  gewollt 
wurde,  die  etwas  Bestimmtes  ausgedrückt  haben  wollte,  von 
einem  durch  ein  Gesichtsbild  hervorgerufenen  Vaganten  gestört 
wurde. 

Man  wird  aber  auch  aus  den  gleich  zu  bringenden  Bei- 
spielen  ersehen,  wie  Neben-Wortbilder  einen  beabsichtigten  und 
gewollten  Redeinhalt  gewaltsam  stören  können. 

,,Die  Jackerln  siml  zu  weib  .  .  zu  weit''-.  Das  b  war 
mir  unerklärlich,  und  ich  mache  die  Sprecherin,  meine  Frau, 
aufmerksam.  Sie  sagt,  sie  habe  an  y^Leiberln'''  (Leibchen)  ge- 
dacht. Das  mit  .^JacMn'^  synonyme  Wort  wurde  also  durch 
die  blosse  Ähnlichkeit  des  Vokals  {weit  .  .  Leiherhi)  heran- 
gelockt. 

„.  .  Frestessen  .  ."  sagte  Eng.  Mühlbacher  in  einer 
Fakultätssitzung,  etwas  ärgerlich.  Er  dachte  natürlich  an 
„Fressen'^,  wollte  das  Wort  aber  vermeiden.  Die  Ähnlich- 
keit von  .^Fressen'''  und  y,Fest''^  genügt  aber,  dass  der  Vagant 
einzudringen  und  den  Willen  des  Sprechers  zu  durchbrechen 
vermag. 

„.  .  hat  die  Schivester  meines  Mannes  zur  Frau.'*  Ich 
wollte  sagen  „.  .  meines  Weihes  .  ."  denn  ich  gebrauche 
das  Wort  Weih  im  alten  Sinne,  ohne  geringschätzige  Be- 
deutung. Weih  ist  mit  Mann  assoziert  und  wurde  durch 
dieses  verdrängt. 

Vgl.  den  Fall,  den  ich  V.  u.  V.  S.  77  zitiert  habe. 
Detter  sagte:  „Die  Mistel  ist  nach  der  Sage  vom  Himmel 
auf  die  Erde  .  .  ah,  Bäume  gefallen.'*  „Himmel'''  und  „Erde'* 
sind  zwei  so  häufig  verbundene  Wörter,  dass  mit  dem  einen 
das  andere  mitklingt. 

„Der  Kopf  liegt  zwischen  den  Schädln  .  .  Schenheln  .  ." 
(Stukki).     Wir  gebrauchen  Kopf  und  Schädel  ziemlich  iden- 


42 

tisch.  Wieder  genügt  das  gemeinsame  sc/i,  dass  Schädel  das 
richtige  Schenkel  beseitigt. 

„.  .  Mozarts  grösster  Sohn  .  ."  für  Salzlnirgs  grösster 
Sohn  .  ."'   nämHch  Mozart  (Dr.  Thommen). 

„.  .  Aussichtsharte  .  ."  für  „.  .  Ansichtskarte  .  ."  sagte 
Dr.  Adler  .   .  von  einer  Karte,  die' eine  „Atissichf^  bot. 

„/c/i  hin  einmal  in  Berlin  gcgassen  .  .  gegangen  .  .•' 
Mein  Nebengedanke  war  „m  der  Friedrich gasse^.  VV^ieder  hat 
die  Ähnlichkeit  das  Eindringen  erleichtert.  Dem  sprachlichen 
Resultat  nach  ergeben  sich  also  durch  die  Einwirkung  von 
Mitklängen  ,.Kontaminationen",  die  unten  noch  speziell  be- 
handelt werden  sollen. 

,^Er  (so  klagt  ein  Student  über  einen  Professor)  verlangts 
aber,  dass  er  die  LeuV  in  der  Vorlesung  sitzt^'^  (ohne  etwas 
zu  merken).  Ich  korrigiere  „.  .  siehi"",  was  mechanisch  wieder- 
holt wird.  Der  Nebengedanke  war:  „.  .  dass  man  in  der  Vor- 
lesung sitzt.'-''     Beachte   die  Ähnlichkeit  von  sieht  und  sitzt- 

,.Der  Manch,  der  Bauch  tut  ihr  weh'^  (Alte  Frau).  Ge- 
fragt erklärt  sie,  dass  sie  an  y,Magen''^  gedacht  habe.  Man 
sieht,  dass  Ähnlichkeit  der  Wörter  nicht  unbedingt  not- 
wendig ist. 

,.Soll  ich  Ihnen  eine  Semmel  schulen?'-^  sagte  Frau  Fl. 
Friedmann,  y  Semmel  geben'*  und  ^Apfel  schälen'"''  sind  hier 
durcheinandergeraten. 

Bei  den  Nachklängen  werden  wir  eine  Reihe  von  Fällen 
kennen    lernen,    die    man    auch  als  Mitklänge  auffassen  kann. 

a.  Mitklänge  eines  durch  ein  Gesichtsbild  erregten 

Wortbildes. 
Ich    komme    ins  Speisezimmer   und   will  mein  Söhnchen 
zum   Schlafen    abholen.     Er  sitzt  aber  und  isst  noch  immer. 
Ich  sage:  „Btdn,  kommst  Du  schon  essen  .  .  schlafen?'' 

Kain  begegnet  einem  Dr.  Binder,  der  sich  am  Mehl- 
platz eingemietet  hat.  K.  fragt  nun:  ^^Sie  haben  sich  am 
Binderplatze  niedergelassen?"'  Der  Fall  ist  typisch  für  eine 
häufige  Erscheinung:    Wenn    mir  jemand  gegenübersteht,    so 


43 

ist  sein  Name  für  mich  „schwebendes  Wortbild",  und  dieses 
kann  sehr  leicht  in  meine  Rede  eindring^en. 

Meine  Frau  sagt  zu  mir:  „Dw  Fanny l  .  ."  (das  Dienst- 
mädchen gleichen  Namens  steht  neben  uns).  Ich  lache  und 
lasse  meine  Frau  nicht  weiter  reden,  indem  ich  sie  auf  ihren 
Irrtum  aufmerksam  mache.  Sie  leugnet  aber  energisch,  sich 
versprochen  zu  haben.  Das  Dienstmädchen  bestätigt  aber 
heiter  die  Richtigkeit  meiner  Beobachtung. 

Ich  sage  zu  Richard  von  Schivizhoffen :  „.  .  dass  da 
der  Richard  .  .  ah,  die  Rida  .  ."  Erleichterter  Mitklang 
wegen  Ähnlichkeit  des  schwebenden  Wortbilds. 

Ein  Student  sagt  zu  mir:  „Der  Professor  Meringer  .  . 
der  Professor  SchenJcl  liest  auch  am  (Datum)  nochl'^ 

Beim  Speisen.  Meine  Tochter  Gretl  und  meine  Frau 
sitzen  bei  mir.  Ich  will:  ,,.  .  die  Lini  .  ."  sagen,  sage  aber 
„.  .  die  Gre  .  .  die  Bi  .  .  die  Lini  .  ." 

Ein  Student  will  zu  mir  sagen:  „.  .  heim  LeMor  Morieh  .  ." 
sagt  aber  ,^3Ierich^,  weil  mein  Name  ihm  vorschwebt. 

Meine  Frau  sagt  zu  mir  auf  der  Strasse:  „Jetzt  werde 
ich  den  Böhm  (dieser  Herr  geht  soeben  an  uns  vorbei)  .  . 
den   Wagner  fragen,''^ 

Es  regnet  sehr  stark.  Ich  stehe  am  Fenster  und  sehe 
hinaus.  Dann  sage  ich:  ,,Wenn  es  hier  regnet  ..  ah,  brennt, 
dann  .  ." 

Meine  Frau  legt  „Socken'"''  in  den  Wäschekasten.  Da 
bemerkt  sie  einen  auf  dem  Boden  stehenden  Teller,  von  dem 
der  Hund  „LiserP''  gefressen  hat.  Sie  nimmt  den  Teller  und 
gibt  ihn  der  Magd  mit  den  Worten:  „J)a  ist  noch  ein  Socken 
vom  Liserl."^ 

Detter  sagt  zu  einem  Kellner:  „Sie,  bringen  Sie  mir  einen 
Speiszell  .  .  Speisezettel  .  ." 

„Das  Buch  gehört  gewiss  Ihnen,^^  sagte  ich,  wollte  aber 
sagen  „das  Taschentuch  .  ."  Ich  hielt  dabei  ein  Buch  in  der 
Hand,  das  ich  längere  Zeit  gesucht  hatte. 

„.  .  wenn  man  es  (näml.  ein  Ei)  trinkt  .  .  isst  .  ."  Das 
„trinkt""  erklärt  sich  daraus,  dass  ich  in  dem  Augenblicke  eine 
Flasche  in  der  Hand  hatte. 


44 

Ich  will  ein  andermal  sagen:  „Jlaii  weiss  ja  nicht,  was 
man  da  für  einen  Schund  zusammenkauft.'''  Unterdessen  fällt 
mein  Blick  auf  eine  orrosse  F"  läse  he  und  ich  sage:  „.  .  zu- 
sammentrinkt.^ 

Ich  rede  von  g^elbcn  Rüben  und  giessc  dabei  ein  Glas 
voll:  „Wenn  ich  ein  Glaser l  davon  .  .  ah,  ein  wenig  davon 
esse  .  ." 

„Ich  werde  wirldich  einen  Zessel  Zettel  mir  schreiben,'* 
sagt  meine  Frau  und  fragt  darauf:  „  Warum  Jiabe  ich  jetzt 
„Zessel  gesa(jt?^  Ich  antworte:  .^  Weil  Du  beim  Sessel  stehst, 
von  dem  wir  gerade  gesprochen."' 

„Ich  hab  nur  eine  Angst,  wenn  der  auf  Deiner  (in  diesem 
Augenblicke  lese  ich  auf  einem  Plakat:  .  .  Strasse)  Strasse 
geht,  ah,  Seite  geht." 

L.  V.  Frankl  hebt  sein  Bierkrügel  und  sasft  zum  Kellner: 
„Kein  Bier  mehr,  ein  Krngl  Weinl''  für  „.  .  Viertel  Wein."^ 

K.  Grünberg  liest  auf  der  Karte:  „Ziviebelschnitzel'* .  In 
dem  Moment  sagt  er  zu  mir:   „ZweringerV"'' 

„  Wie  man  Vanilleeis  essen  kann,  ist  mir  (in  diesem  Augen- 
blicke lese  ich  auf  einem  Anschlage:  A  b  c  n  d  -  Konzert)  Abend 
.  .  ist  mir  unbegreiflich.''^ 

Dr.  Adler  macht  eine  Handbewegung  und  wirft  fast  ein 
Glas  um;  darauf  sagt  er  zum  Kellner:  „Geben  Sie  mir  einen 
kleinen  Glas  .  .   Gras  .  .  Griesschmarrenl'"'' 

Me.  sagt:  „Wenn  man  heiraten  will  .  .  (im  selben  Augen- 
blick rückt  ein  in  der  Nähe  sitzender  Herr  in  auffälliger 
Weise  von  der  Dame  neben  ihm  fort;  Me.  setzt  fort:)  .  .  und 
rückt  .  .  und  tritt  dann  an  die  Frage  der  Heredität  heran  .  ." 

Hierher  gehört  auch  folgender  Fall.  Mayer  hält  eine 
Vorlesung,  es  kommt  ein  verspäteter  Hörer  mit  Verbeugung 
herein:  Mayer  sagt:  „Guten  Abend'''  im  Texte  und  im  dozierenden 
Tone  des  Vortrages. 

„Hast  Du  Schneuztüchin  .  .  ahl  Strei f höhin? ''  fragte  ich. 
Ich  war  gebückt  im  Augenblick  des  Fragens  und  hatte  ein 
im  Wege  liegendes  Taschentuch  beseitigt. 

„Ich  werde  der  Leni  das  Essen  .  .  ahl  das  Geld  geben** 


45 

sagte  Rida  und  fügte  richtig  hinzu:   „Weil  ich  beim  Essen  hin, 
sage  ich  ,, Essen"'  statt  „Geld.'''' 

y^Bei  Frudentius  hahc  ich  seihst  porgere  getrunken  .  .  ge- 
funden''''  sagte  Cornu,  sich  zum  Trinken  anschickend. 

Ich  sage  zu  Much:  y^Geh  nur  herein,  sie  (mein  kleines 
Kind)  muclt  .  .  mnss  ja  ohnehin  sofort  aufwachsen  [auf- 
wachen^.'-^ Das  s  des  letzten  Worts  ist  wohl  ein  Nachklang 
der  Korrektur  von  „much'   zu  „w«ss". 

Bein  will  sagen:  „Wart  ein  hissel  auf  niich.^''  Da  aber 
ein  Wagen  vorbeifährt,    sagt  er   „fahr  ein  hissel  auf  michl''^ 

Die  Verkäuferin  sagte  zu  Dr.  Bein:  „Wolln's  ein  Bein, 
eine  Marke?" 

Wir  sitzen  zusammen:  Dr.  Sueti,  Redakteur;  Dr.  Decsey, 
dessen  Kollege;  Dr.  Zingerle,  ich.  Sueti  sagt  zu  mir:  ,,Herr 
Koll  .  .  Doht  .  .  Professor  \  .  .",  spricht  also  gewissermassen 
im  Geiste  irrtümlich  mit  den  bei  uns  sitzenden  Decsey  und 
Zingerle  (der  damals  noch  nicht  den  Titel  Professor  hatte), 
bis  er  sich  auf  mich  besinnt. 

Meine  Frau  kommt  in  mein  Studierzimmer  und  berichtet 
mir,  sie  hätte  gesagt:  ,,Wir  gehen  auf  die  Kiese  .  .  IViesel'' 
das  K  sei  ihr  unbegreiflich.  Ich  frage:  ,,Zu  wem  hast  Du 
denn  gesprochen?''  Zu  den  Kindern''  sagt  sie.  Ich:  ,,Und 
von  diesem   Worte,  das  Dir  vorschivehte,  stammt  auch  das  Ä"!" 

Johannes  zur  Gretl:  „Die  Mama  sagt  Dir,  Du  sollst  Dir 
die  Grete,  die  Socken   hinauf  ziehend' 

Die  hier  erwähnten  und  auch  bei  den  Nachklängen  zu 
beschreibenden  ,, seh  webenden  Wortbilder"  werden  der  Grund 
sein,  wenn,  was  aber  sehr  selten  vorkommt,  ein  Versprechen 
ganz  unerklärlich  ist.  Es  scheint,  dass  man  die  Vaganten 
nicht  immer,  auch  wenn  man  den  Sprechfehler  sofort  bemerkt, 
über  die  Schwelle  des  Bewusstseins  heraufziehen  kann. 

Zu  den  Mitklängen  gehören  die  meisten  der  von  mir 
früher 

b.  Substitutionen 
genannten  Erscheinungen. 

Vgl.  V.  und  V.  S.  71  ff. 

W^ie  die  Mitklänge,  so  können  aber  auch  Vor-  und  Nach- 


46 

klänge    und    schwebende    Wortbilder    Grund    sein,    dass    ein 
Wort  durch   ein  anderes  „substituiert"  wird. 

Um  einen  Überblick  über  die  Fälle,  wo  ein  anderes 
Wort  als  das  ursprünglich  beabsichtigte  erscheint,  zu  geben, 
mache  ich  die   folgenden  Zusammenstellungen. 

Die  eigentlichen  Substitutionen  sind  im  wesentlichen 
diese: 

1.  Ein  Wort  wird  wegen  lautlicher  Ähnlichkeit 
assoziiert. 

2.  Ein  Wort  wird  begrifflich  assoziiert, 

a)  wenn  die  Bedeutungen  ähnlich  sind, 

b)  wenn  die  Bedeutungen  konstrastieren. 

3.  Ein  Wort  wird  assoziiert,  weil  es  mit  dem  Beabsich- 
tigten oft  verbunden  erscheint. 

Warum  das  substituierende  Wort  assoziiert  wurde,  wird 
nicht  immer  von   allen  Psychologen  gleich   beurteilt  werden. 

Ich  gebe  zunächst  eine  Reihe  von  Beispielen  ohne  den 
Versuch  der  Einordnung  zu  machen. 

„Er  hat  den  Wunsch  zum  Kinde  des  Gedankens  gemacht''^ 
für  „.  .  zum   Vater  .  ."   (Reg.-R.  Albrecht  ref.). 

„Ist  das  Petroleum  in  Bratul  tjeraten?'*  fragt  Frau  H. 
„Leider  nichtl  ah,  glücklicher  weise  nichtl^  antwortet  Rida. 

„.  .  vielleicht  in  der  Stadt  schöner  als  hierl  (R.  v.  Schiv) 
für  „auf  dem  Lande  .  .^  , 

„.  .  bin  ich  täglich,  hin  ich  Jährlich  nach  Fünfkirchen 
gekommen.'^  (Reg.-R.). 

,..  .  das  nächste  Mal  .  .  .,  das  letzte  Mal  .  ."  (Me). 

„.  .  im  Caf  .  .  Gasthause  .  ."  (Mu). 

„Ich  ivar  nur  fünf  Minuten,  ah\  fünf  Wochen  dort"' 
(Frl.  Anna  H.). 

„.  .  da  sieht  er  entschieden  jünger^  ah\  älter  aus.''' 
(Dr.  Homann). 

Abgeordneter  Dr.  Kramaf  spricht  Bunzl  mit  „Dr.  Bloch'* 
an.  B.  bemerkt  sofort,  dass  er  ihn  mit  dem  Abgeordneten 
dieses  Namens  verwechselt  habe. 

In  der  V.   und  V.  S.   1 1    genannten  Gesellschaft  wurden 


47 

sehr  oft  die  Namen  „Uroch'''  und  „Dopsch'''  verwechselt.  Olaf 
Broch  und  A.  Dopsch  gehörten  unserem  Kreise  an. 

„Obst'\  für  „Äpfel'^  (Kramai'). 

„Die  Chine  .  .  Japanti  .  .  Chinesen  haben  wieder  eine 
Schlacht  verloren'"''  (Mu). 

„.  .  ivenn  er  einmal  iveniger  ohne  Sorgen  sein  wird,''' 
sagte  Mu,  meinte  aber  „mehr  ohne  Sorgen'^  wenn  es  überhaupt 
so  zu  sagen  erlaubt  ist. 

„  Wir  haben  in  Norddeutschland  sehr  gute  Pferdebahnen  .  .  . 
Pferdezuchf^  (Prof.  Holderegger). 

„.  .  heute  früh,  als  ich  ins  Bett  gegangen  bin,  ah\  ins 
BadV'  (Muj. 

„ZiviU'apellen''''  für  ,,3Iilitärkapellen^''  sagt  Grünberg. 

„.  .  eiserne  .  .  eisige  Platten  .  ."  (Albrecht). 

„Fortbildungsverein  für  „VolJisbildungsverein"-  (Reg -R.), 

„Er  ist  nicht  so  alt  .  .  jung''''  (Loth.  v.  Frankl). 

„Kinder mär chen  .  .  Kindermädchen''''  (Loth.  v.  Frankl). 

„.  .  ein  Jahr  .  .  ein   Tag  .   ."  (Dr.  S,  Singer). 

„Exerziert^   für  „Jüomniandiert^'  (Dr.  Homann). 

„.  .  damals  hab'  ich  auf  ihn  so  hinab  .  .  hinauf geblicJctl" 
(Mu). 

„.  .  nicht  schwer  .  .  nicht  leicht  zu  definieren'^  (Mu). 

„.  .  unter  fünf  Kilo  .  .  ahl    über  fünf  Kilo  .  ."  (Rida). 

„Ich  bin  bös',  dass  Du  erst  um  9  U gehst.''''  (Rida).  Auf- 
merksam gemacht,  erklärt  sie,  sie  habe  natürlich  „schon'''' 
sagen  wollen. 

„.  .  Piedaktion  der  „Zukunft'''',   ahl   der  „Zeit''''  .  ."  (Mu). 

„.  .  Mayer  .  .  ahl   Weiss  ist  dagewesen  .  ."  (Broch). 

,,.  .  als  den  tveissen  Monat  .  .  als  die  tveisse  Jahres- 
zeit .  ."  (Rud.  MuchJ. 

„.  .  ich  habe  in  meinem  Zimmer  minus  9^  .  .  ahl  9^^ 
(Vondräk). 

„.  .  aus  den  dreissiger  Jahren  dieses  Jahres  .  ."  für 
„.  .  Jahrhunderts  .  ."  (Dir.  Poestion).     Nicht  korrigiert. 

„.  .  Suezkanal  .  .  Strasse  von  Gibraltar  ,  ."  (May). 

„.  .  Journalisten  .  ."  für  „.  .  Juristen  .  ."  (Adl). 

„.  .  sehr  früh  .  .  ahl  sehr  spät  hingekommen  .  ."   (Me). 


48 

„.  .  Leipzig  .  ."  für  „.  .   Laibacli  .  ."  (Prof.   Reisch) 

„.  .  ob  das  der  Braut  .  .  Bräutigam  mcitifr  Tochter  ist  .  ." 
(v.  Lieder). 

„.  .  vier  Motuite  .  .  vie)-  Wochen  .  ."  (Me). 

„.   .  kürzere  Zeit  .  .  längere  Zeit  .  ."  (Frl.  R.  ll.j. 

,,  Speistisch"'  für  ,, Schreibtisch"'  (Me). 

„Was  haben  s  denn  erst  .  .  schon  um  achte  fortzugehen?'' 
(Max  V.  Schiv). 

Prof.  Erich  Schmidt  wurde  von  einer  Dame  als  y^Pro- 
fessor  Erich  Meyer''  vorg-estellt.  (W.  ref.). 

Ich  frage  H.  Hptm.  Weiss;  ^Was  gibt  es  weis  .  ,  ah\ 
neu^s?"^ 

r,Laibachcr  Bergwerk^'  für  ^Laibacher  Erdbeben'*  sagte 
Rud.  Much.  Da  er  meine  Bestrebungen  kennt,  quält  ihn  der 
Fehler,  weil  er  ihn  sich  nicht  erklären  kann.  Endlich  kommt 
er  darauf.  In  den  letzten  Monaten  war  so  viel  von  Ung-lücks- 
fällen  in  Bergwerken  die  Rede,  dass  das  Wortbild  leicht  bei 
einem  neuen  Unglücksfalle  mit  erregt  werden  konnte.  Die 
äussere  Ähnlichkeit  von  y, Erdbeben'^ ,  „Bergiverk'^  (Komposita, 
zwei  betonte  e)  erheben  diese  Vermutung  zu  annähernder 
Sicherheit. 

,.Der  beste  Ochs  ist  doch  der  polit  .  .  polniscJie  Ochs'' 
sagte  Ed.  Strauss,  Ökonom  in  Pottendorf.  Er  unterbrach 
sich  selbst  und  sagte:  ,.So.  jetzt  hätV  ich  bald  gesagt:  der 
politische  OcJisl"  Er  erklärte  weiter,  dass  er  an  „galizisch''^ 
gedacht  habe.  Dann  also  wollte  er  eigentlich  mit  Konta- 
mination y^polizisch"  sagen,  aber  bei  „polit  .  ."  wäre  der  Zug 
über  das  geläufige  ^politisch"  abgerollt,  das  er  merkte,  aber 
noch  verhinderte.     Ein  sicherer  und  lehrreicher  Fall. 

„.  .  sie  (von  meiner  Hündin  ist  die  Rede)  ist  immer  so 
weit  .  .  so  nah  .   ."  (Me). 

„.  .  die  Tische  .  .  die  Sessel  umstülpen  .  ."  (Me). 

^Pfeffel"  für  ,, Scheffel''  (M.  v.  Schiv). 

„.  .  da^  geht  heute  doch  nicht  mehr  .  .  noch  nicht  anders'* 
(M.  v.  Schiv). 

„.  .  TFare,  die  um  20  gr.  schwerer  ist."'  Aufmerksam 
gemacht,  korrigiert  Sprecher   „.   .  leichter  ist''   (M.  v.  Schivj. 


49 

„.  .  das  lässt  sich  im  Vorhinein  nicht  mehr  'bestimmen'''' 
für  y^noch  nicht  .  ."    (Gf.  Attems). 

Den  Fehler  „hefest  .  .  beschäftigt^  habe  ich  neuerding-s 
wieder   mehrfach  gehört.     Jos.  Schneid,    berichtet    mir   dazu : 

„  Wenn  Sie  sich  viel  mit  den  Klassikern  befestigt  haben  .  . " 
Vg-1.  V.  und  V.  S.  78.  Ich  habe  in  der  Einleitung  dargelegt, 
dass  „befestigt^^  eine  Kontamination  aus  „befasst''''  und  „be- 
schäftigt^'' sei.  —  nfest  .  .  beschäftigen''^  (v.  Lieder).  —  ^Wenn 

V 

man  sich  nicht  befestigt  .  .  beschäftigt  damit  hat  .  ."  (Streckeij). 

y,Hoffmann^''  für  ^^Svoboda''''  (Me). 

„Am  4.  iverden  es  vier  Tag  .  .  vier  Monate  .  ."  (Me). 
Klingt  das  bei    „am  vierten''^    etwa  mit   erregte  „Tag^^    nach? 

Ich  erzähle  Herrn  Bertling,  Kaufmann,  26  Jahr  alt,  von 
den  Sprechfehlern.  Er  sagt:  „Mich  iverden  Sie  nicht  er- 
wischen.'"''  Am  Abend  sagte  er  aber  mehrere  Male  ^Agrarier 
oder  Indogermanen^^  für  „Arier  0.  J."  und  leistet  auch  sonst 
bedeutendes,   ohne  etwas  zu  merken. 

„C^echisch"'  für  „magyarisch''''  sagt  Prof.  Hermes  aus 
Mors.  Gleich  darauf  „Budapest''  für  „Wien''''  (Eug.  Bormann 
Zeuge). 

„.  .  ausser,  ivenn  er  sich  nicht  unanständig  benimmt  .  ." 
sagte  Dr.  Homann,  wollte  aber  sagen  „.  .  nicht  anständig  .  ." 

A.  V.  Weilen  erzählt  mir,  er  habe  in  einer  Vorlesung 
öfter  „Miss  Sarah  Bernhardt''''  gesagt  für  „Miss  Sarah 
Sampson''''  und  sei  erst  durch  das  Lächeln  seiner  Hörer  auf- 
merksam geworden. 

„Willst  Du  ein  Glas  Wasser,  ah\    Wein?'"''  (Me). 

„.  .  nicht  ganz  die  Hälfte,  das  heisst  ein  bissei  mehr  .  ." 
(Fr.  H.  Walzel). 

„Diese  „RaffinerieV^  rief  Mu  aus  statt:  „Dieses  „Baf- 
finementl''^ 

„Die  Kellner  glauben,  ivir  sind  für  sie  da  und  nicht,  sie 
sind  für  die  Kellner  da  .  .  ah  für  die  Gäste.'"''  (Adler). 

„Nächsten  Monat''''  für  „.  .  Montag^''  (Me);  dürfte  eine 
häutige  Substitution  sein. 

„Komm'  gestern  .  .  komm'  morgen".  Mu  bemerkte  den 
Fehler  selbst. 

Meringer,  Aus  dem  Leben  der  Sprache.  4 


50 

r,Bei  dem  toten  Wtin  macht  es  nichts,  wiun  er  etwrnt 
kühler,  <ihl  wärmer  ist""  (Me). 

y,Eiwas  weniger  geruchlos  sollte  es  hier  sein^  sagt  stud. 
phil.  Köll,  meint  aber  natürlich   „Etwas  mehr  ,  ." 

„.  .  Nachtmahl  .  .  ah\  zu  Mittag  essen  .  ."  (Mu).  Ein 
etwas  starker  Fall.     Miltag^s. 

y,Ich  habe  so  wenig  geschlafen  heuer"-  für  „.  .  heute"' 
(Ri),  Ich  habe  den  Fehler  schon  in  V.  und  V.  S.  76  ver- 
zeichnet. 

„Zwei  Polster  und  ein  liosshaarpolster  sind  mir  zu  niedrig, 
ah\  m  hoch""  (Ri). 

Y,Mir  ist  noch  nicht  .  .  ah\  nicht  mehr  heiss'*  (Ri\ 

„Wie  oft  habe  ich  schon  Eierschalen  ins  Wasser  ge- 
worfen, und  sie  sind  verbrannt'.''  sagte  Ri.  „/ws  Wasser?"- 
frage  ich.     „Ähl  ins  Feticrl""  verbesserte  sie  lachend. 

y,Das  ist  nur  ein  Monat  .  .  eine   Woche  gewesen"-    (Ri). 

„.  .  nicht  für  zu  wenig  .  .  für  zu  viel  .  ."    (Ri). 

„Machen  Sie  dort  die  Tliür  .  .  das  Fenster  zul^''    (Me). 

„3Iir  ivars  in  der  WinterjacJce  zu  kalt  .  .  zu  ivarm.'* 
(Frl.   Mül.   22  Jahre  alt). 

Bei  anderer  Gelegenheit  fragte  Rida  Frl.  Mül.:  „Jetzt 
iverden  Sie  wohl  auch  schon  einheizen?"-  Sie  antwortet:  ,,J.cÄ 
freilich\  Jetzt  wäre  es  doch  zu  lieiss.^^  Nach  einer  Weile 
korrigiert  sie  selbst:    „Zu  kaltl"- 

„Du  siehst  heute  nicht  schlecht  .  .  nicht  gut  aus\"^  (Me). 

„Gestern  .  .  ah\  morgen  müssen  ivir  .  ."  (Me). 

„Benefikanten"-  für  „Blaleficanten"-  Shakespeare  Mass  für 
Mass  11   I   (Elbogen:  Reimer  X  S.   181). 

„Monument'-'-  für  „Moment'"'-  II  1  ebd.  Ist  auch  in  unserer 
volkstümlichen  Dichtung  oft  anzutreffen. 

So  viel,  um  einen  Überblick  über  die  Erscheinungen  zu 
ermöglichen.  Es  folgt  nun  weiteres  unter  Kategorien,  die 
man  aufstellen  kann,  angeordnetes  neues  Material.  In  dieselben 
Abteilungen  sind  auch  die  schon  vorgebrachten  Beispiele 
leicht  einzuordnen. 

c.   Substitutionen  infolge  lautlicher  Ähnlichkeit. 
\\ickhoff  sagt:   ,, .  .  König  von  Persien  .  ."    Ich  korrigiere: 


51 

„.  .  von  Serbienl^^  —  Wickhofif  wiederholt  bestätig-end :  ,,von 
Serhien^\  Ein  sehr  häufiger  Fehler,  den  viele  Menschen  schon 
gemacht  haben  dürften. 

,,Er  ivar  ein  strammer  Wind  .  .  Wirf  (Wrzesinski). 
Ein  sonderbarer  Fall,  der  nicht  ganz  normal  zu  sein  scheint. 
Aber  es  ist  allerdings  auffällig,  wie  wenig  Ähnlichkeit  genügt, 
um  einen  Wortvaganten  herbeizuziehen.  Diese  Kombinationen 
finden  sich  oft  bei  geistig  nicht  bedeutenden  Menschen,  und 
K.  Mayer  hat  oft  im  Gespräch  darauf  verwiesen,  dass  die 
Wortwitzmacher,  bei  denen  ähnlich  klingende  Wörter  sich 
leicht  assoziieren,  zumeist  beschränkte  Individuen  sind.  Bei 
den  anderen  Menschen  scheinen  die  Bedeutungsdifferenzen 
als  Hemmungen  der  Kombination  zu  wirken.  Sie  finden  sich 
aber  auch  bei  besser  Begabten,  jedoch  nur  in  schwachen 
Stunden,  bei  Müdigkeit,  Krankheit  usw. 

„Fisch""  statt  „Schiff''  habe  ich  mir  speziell  von  v.  Grien- 
berger  notiert;  ,,Fische"  statt  ^ßchiffe"^  von  einem  meiner 
Schüler  in  der  ehemaligen  Orientalischen  Akademie.  Vgl. 
oben  unter  Vertauschungen  und  V.  und  V.  S.  76.  Vgl.  auch 
unten  beim  Versprechen  der  Kinder. 

,,Wenn  tnan  sich  auch  damit  noch  beschaffen  .  .  befassen 
müsste  .  .''  sagte  ein  junger  Doktor.  Die  Ähnlichkeit  ist 
hier  nicht  gross. 

Abends  7  Uhr  nach  einem  erfrischenden  Spaziergange, 
sagte  ich:  „Das  ist  heute  .  .  heuer  ein  cnt^ücJcender  Winter  .  . 
ah\  Sommer \''  versprach  mich  also  in  einem  Satze  zweimal. 
Die  Substitution  von  „heute''  und  „heuer"  habe  ich  schon 
V.  und  V.  S.  "^6  angemerkt;  sieh  auch  oben  S.    SO. 

L.  V.  Frankl  will  „Am  eisen  forscher"  sagen,  beginnt 
aber  „Eisenbahn  .  ." 

„1500  Gidden  ins  Büffet  .  .  ins  Budget  (französ.  aus- 
gesprochen !)  eingestellt  .  ."   (L.  v.  Frankl  ref.). 

„Notnagel""  für  ,, Lobmayer"  (Frau  Fl.  Friedmann). 

Ich  verwechsle  im  Kolleg  öfter  „Locativ"  und  „Optativ", 
,, Deklination"  und  „Konjugation".  Auch  „Nominativ"  und 
„erste  Person",  letzteres  in  die  folgende  Kategorie  gehörig 
(erster  Fall  —  erste  Person). 

4* 


f)2 

„/-/j  Itub'  im  Leinayer  nachgesehen'*  statt  „Lehmann'*. 
(L.  V.   Frankl  ref.). 

d,  Substitutionen     infolge    begrifflicher    Assoziation. 

„.  .  hat  einen  ffanz  schönen  roten  .  .  ah\  schwarzen 
Hut-'   (Mo).     Nicht  häufig. 

„.  .  das  gefüllt  mir  nicht  gut  .  .  nicht  schlecht^  (Fräulein). 

Ich  wollte  „fr(ühestens)^  sagen,  meinte  aber  „spätestens'*. 

r,.  .  kann  man  nicht  früh  genug  kommen,''  sagte  Brock- 
hauscn.    Aufmerksam  gemacht  korrigiert  er:  „Ah,  spät  genug.'' 

„Beim  Papier  zahlt  man  soviel  drauf  im  Grossen  .  .  im 
Klrinen'*  (Rida).  Gemeint  ist  „ivcnn  man  es  in  kleinen,  in 
geringen  Mrngen  kauft''. 

„Ja,  Gott  sei's  gekla  .  .  gedankt\'*  (Rida). 

„.  .  weniger''  für  „mehr'*  notierte  ich  mir  von  Weg- 
scheider. 

„.  .  weniger  leidenschaftslos  .  ."  sagte  Pintner.  Ich  frage: 
„Sie  meinen  weniger  leidenschaftlich?'-^     ««^<*)"  sagt  er. 

„.  .  ich  schneid'  ihrs  eh'  immer  weg,  wenns  hart  ist,  ah\ 
wen  HS  wt'ich  ist.'*  (Me). 

„.  .  im  S  .  .  im  Winter  .  ."  Meine  Frau  bestätigte, 
dass  sie  „Sommer'*  sagen  wollte. 

„.  .  im   Winter,  ahl  im  Sommer  .  ."  (Detter). 

Ich:  „Weisst  Du,  wie  viel  Grad  es  hat?'''  Meine  Frau: 
„Es  wird  nicht  icenig  haben]'*  Ich  vermute,  dass  sie  sich 
versprochen  hat  und  mache  sie  darauf  aufmerksam.  „Ah, 
nicht  viel  liahenl"*  sagt  sie. 

„.  .  gestern,  ahl  morgen"  (Me). 

„Ich  hin  weit  entfernt,  ihn  zu  schätzen'*  sagte  Cornu  ohne 
Korrektur,  meinte  aber  das  Gegenteil. 

Dr.  Friedjung  beschreibt  uns  eine  stürmische  Parlaments- 
sitzung und  sagt:  „Schönerer  ergreift  ein  Portefeuille  .  ." 
statt  „Fauteuil'',  einen  Ministerstuhl. 

„Auf  dem  rechten  Auge  sehe  ich  fast  gar  nichts,  auf  dem 
anderen  viel  weniger  .  .  ah,  etwas  besser"  (Dr.  Dieterich). 

„Kindern  dürfte  man  ihn  nicht  so  schwach  geben"  sagt 
meine  Frau.  Auf  meine  erstaunte  Wiederholung  antwortet 
sie:   ^Ahl  so  starkl"^ 


53 

„Wann  niuss  sie  jetzt  abends  immer  Uopfen?"'  fragt  meine 
F'rau.  „Abends?"'  wiederhole  ich,  „Morgensl"''  verbessert  sie 
kopfschüttelnd. 

„Gestern    ivars  ja    nicht  so  kalt  .  .  so  heiss"'  (Ganser). 

Meine  Frau  beklagt  sich  über  Zugluft.  Ich  sage:  „7c/i 
riech  gar  nichts.''^  Von  einem  Riechen  war  gar  keine  Rede. 
Auffallend. 

„  Was  war  die  Folge  .  .  was  war  die  Ursache?''''  (Rida), 

„.  .  Tcostet  nach  Bussland  5  Gulden,  ahl  5  Kreuzer^'' 
(Mu). 

„Er  ist  der  Vater  seines  Sohnes^  sagt  Dr.  Adler,  wie 
immer  pathetisch.  Dann  fügt  er  zu  mir  gewendet,  hinzu: 
„Sie,  ich  habe  das  icirMich  nicht  unabsichtlich  .  .  ah,  ab- 
sichtlich gesagt'"''  verspricht  sich  also  neuerdings.  Dr.  A. 
wollte  statt  „Vater'^  wahrscheinlich  „Freund^''  oder  Ähnliches 
sag-en. 

„Und  die  Alte  ist  die  Tochter  von  der  Jungen,  ah,  die 
Mutterl"'  (Me). 

„Du  isst  mir  .  .  Du  trinkst  mir  zu  viel  Wasser,  Gretll^^ 
(Me). 

„Du  trinkst  ja  nicht  .  .  Du  isst  ja  nicht  davonl"'  (Rida). 

„Bier"-  für  „Wein^^  sagt  meine  Frau,  ohne  dass  von  Bier 
früher  irgendwie  die  Rede  gewesen  wäre. 

„Ich  habe  dieselben  Möbel,  die  meine  Kinder  schon  .  . 
meine  Eltern  schon  gehabt  haben''''  (L.  v.  Frankl). 

„.  .  denn  die  kriegt  gewiss  nur  einen  bösen  Kerl  zur 
Frau'-'-  sage  ich.  Meine  Frau  korrigiert:  „Zum  Manne\^ 
Ich:  „Zum  3Iannel  Habe  ich  zur  Frau  gesagt?'-''  Meine 
Frau:  „Jal"  Also  nicht  einmal  ich  werde  mich  jedes  Ver- 
sprechens bewusst. 

„.  .  vorgestern,  ahl  vor  zioei  Jahren''^  sagte  M.  v. 
Resetar.  Ein  Fall,  den  ich  für  ganz  unwahrscheinlich  er- 
klärt hätte. 

„.  .  in  24  Tagen  .  ."  statt  „.  .  Stunden  .  .•'  sagt  A. 
F.  Seligmann,  ohne  etwas  zu  merken, 

„Ich  kenne  viele  ehelose  Paare,  die  so  herumradeln,"-  sagte 
Mu,  meinte  aber:  „.  ,  kinderlose  .  ." 


54 

„Die  Sonne  ist  untt'njeyanytn  wie  Wasser  .  .  wie  Feuer  .  ." 
(junge  Dame). 

„Der  Verteidiger,  der  (jlauht,  sein  Fat  .  .  sein  Klient  .  ." 
(L.  V.  Frankl).  Der  Sprecher  wollte  —  beim  Arzte  sehr  be- 
grcitlich  — :  y^  Patient^  sagen. 

„Am  Stephans  platz  ist  ein  solches  Geschäft,  hinter  der 
Votivkirche'*  sagte  meine  Frau  statt  „.  .  hinter  der  Stephans- 
kirche^,  ohne  etwas  zu  merken.  Warum  ihr  die  Votivkirche 
in  den  Sinn  gekommen,  war  nicht  zu  konstatieren.  Die  Ver- 
drängung ist  um  so  auffallender,  als  schon  der  Nachklang  von 
y,Stephansplatz^''  auf  das  Richtige  geführt  hätte. 

Herr  Ohnesorge  erhebt  sich  und  sagt  zu  dem  Herin, 
der  nun  Platz  hat  am  Tische:  „Sie  nehmen  meinen  warmen 
Sessel  bei  dieser  IV armen,  ah\  kalten  Witterung  ein l"  Nach- 
klang allein,  oder  auch  warm  durch  kalt  assoziert.  Vielleicht 
beides. 

H.  Gross  hat  zwei  Herren  zu  besuchen,  die  in  derselben 
Strasse  gegenüber  wohnen,  und  zu  deren  einem  er  jetzt  die 
Treppe  hinaufgeht.  Nun  ist  ihm  aber  entfallen,  ob  er  zur 
Wohnung  von  Prof.  Heine  oder  zu  der  von  Prof,  Winter 
gelangt.  Längere  Überlegung  ergibt,  dass  er  bloss  bei  der 
Wohnung  Winters  sein  könne.  Er  läutet,  Prof.  Winter 
öfifnet  ihm  selbst,  und  Gross  stellt  sich  vor:  „Ich  bin  Pro- 
fessor  Winter.''     Gesichtsbild  wirkt  mit! 

In  ähnlicher  Weise  stellte  sich  einmal  Brockhausen  als 
Pfeifer  vor. 

4.  Nachklänge,  Postpositionen. 

Vgl.  V.  u.  V.  S.  44. 

E  In»  as  ist    faul   im    Staate    D  ä  nc  mark  s 
^»^ 


Bei  den  Vorklängen,  Antizipationen,  ist  Vorbedingung, 
dass  ich  mehr  als  das  eben  zu  sprechende  Wort  im  Kopfe 
habe,  einen  Teil  des  Satzes,  vielleicht,  unter  Umständen 
wenigstens  (z.  B.  bei  kurzen  Sätzen),  den  ganzen  Satz.     Hier 


55 

handelt  es  sich  also  bloss  um  Beeinflussung-  von  Teilen  meiner 
, .inneren  Sprache'^  (V.  u.  V.  S.    i   ff.). 

Anders  liegen  die  Dinge  bei  den  Nachklängen,  Post- 
positionen. 

Wenn  ich  irgend  etwas  wiederhole,  was  ich  schon  gesagt 
habe,  einen  Laut,  eine  Silbe,  ein  Wort,  so  wirkt  das  Erinne- 
rungsbild des  soeben  gesprochenen  Lautes,  der  Silbe,  des 
Worts,  und  ebenso  das  Gehörsbild  davon  mit,  oder  das  Ge- 
hörsbild allein,  wenn  ich  etwas  aus  der  soeben  gehörten  Rede 
eines  anderen  wiederhole,  Faktoren  also,  die  ausserhalb  meiner 
inneren  Sprache  liegen.  Nur  für  den  Fall,  dass  ich  nichts 
wiederhole,  sondern  nur  irgendeinen  Teil  meines  Satzes  später 
setze,  als  wohin  er  nach  gewöhnlichem  Sprachgebrauch  ge- 
hört, wirkt  die  innere  Sprache  allein.  Diese  letzteren  Fälle 
kann  man  reine  Postpositionen,  Postpositionen  im  eigentlichen 
Sinne,  nennen. 

Dass  wir  so  leicht  ein  von  dem  andern  gehörtes  Sprach- 
element in  unseren  eigenen  Satz  aufnehmen,  ist  in  der  Ge- 
schichte der  Sprache  gewiss  nicht  ohne  Bedeutung.  Wie 
könnte  anders  eine  bestimmte  Zeit  eine  bestimmte  Gemein- 
sprache haben,  wenn  nicht  die  Rede  des  einzelnen  so  leicht 
von  der  des  anderen  beeinflussbar  wäre! 

Wer  die  Entstehung  von  Analogiebildungen  im  Leben 
beobachten  will,  braucht  bloss  auf  ein  Zwiegespräch  zu  achten. 

Nehmen  wir  an,  zwei  Männer  sprechen  über  einen  Wagen, 
z.  B.  ein  Bauer  und  der  Wagner.  In  der  Wechselrede  wird 
das  ganze  Flexionsparadigma  des  Wortes  nach  und  nach  zum 
Vorschein  kommen,  und  die  einzelnen  Formen  der  Flexion 
beeinflussen  sich  auf  dem  Wege  des  Nachklangs  sehr  heftig. 
Vgl.  unten  die  Beispiele.  Und  dasselbe  gilt  vom  Verbum. 
Wenn  jemand  ,,darf"  gebraucht,  so  wird  der  Zweite  leicht 
statt  ,,dürfen"  —  „darfen"'  sagen.  Der  Sprechfehler  „weissen'"'' 
für  ^^wissen""  findet  sich  unter  derselben  Bedingung.  Ja,  sogar 
schon  allein,  d.  h.  ohne  dass  „^(;^/^s"  vorausgegangen  ist.  Es 
scheint  mir  möglich,  dass  „weissen^^,  ^^darfen''''  u.  ä.  sich  all- 
mählich zur  Regel  durchsetzen  werden. 

Meine  Kinder  sprachen,  solange  sie  zu  Hause  waren,  ein 


56 

ziemlich  gutes,  deutliches  Verkehrsdeutsch.  Wenige  Zeit 
Schulbesuchs  genügte,  um  ihre  Sprache  ganz  umzumodeln, 
und  heute  sprechen  die  zwei  älteren,  1 1  und  8  Jahre  alt,  das 
hässliche,  undeutliche  Schulmädel-  und  Schulbubendeutsch 
wie  die  anderen  Kinder.  Und  etwas  Ahnliches  gilt  auch  von 
den  Erwachsenen.  Die  Residua  alles  dessen,  was  wir  gehört 
haben,  aufgespeichert  im  akustischen  Zentrum,  die  Sprach- 
vorstellungen, wirken  auf  die  Sprechvorstellungen  im  moto- 
rischen Zentrum  und  bewirken  eine  Veränderung  des  Sprechens. 
Die  Nachklänge  sind  eine,  wahrscheinlich  die  bedeutendste, 
Quelle  von 

a.   „schwebenden  Wortbildern". 

Die  Bedeutung  der  „schwebenden  Wortbilder"  ist  eine 
weit  grössere,  als  ich  1895  wusste.  Alles,  was  uns  lebhaft 
beschäftigt,  namentlich  häufige  oder  lebhafte  Eindrücke,  hinter- 
lässt  in  uns  „schwebende  Wortbilder",  sprachliche  Vaganten. 
Und  diese  können  durch  eine  Ähnlichkeit  mit  zu  sprechenden 
Wörtern  leicht  herbeigelockt  werden,  erscheinen  aber  auch, 
ohne  dass  man  einen  Grund  für  ihr  Auftreten  angeben  könnte. 
Warum  sie  einwirken,  ist  aber  in  gar  keinem  Falle  zu  sagen, 
und  auch  in  dem  Falle,  wo  eine  Ähnlichkeit  ihr  Auftreten 
erleichtert,  nicht  anzugeben  (vgl.  V.  u.  V.  S,  73  Anm.). 

Ich  gebe  als  erstes  Beispiel  für  Wort^aganten  die  Be- 
obachtungen, die  ich  in  einer  Fakultätssitzung  am  14.  Dezember 
1895  in  Wien  gemacht  habe.  Der  Dekan  bringt  die  Einlaufe 
vor  und  gebraucht  dabei  natürlich  Wörter  wie  ^^  zu  stimmend 
erledigen^,  „beantragen^  usw.  sehr  oft.  Sie  sind  nun  für 
ihn  wie  für  die  ganze  Gesellschaft  der  Sitzung  „vagierende 
Wortbilder'',  sie  klingen  jedermann  im  Ohre.  Wie  V.  und  V. 
aao.  auseinandergesetzt,  können  sie  sehr  leicht  durch  ein  ähn- 
liches zu  sprechendes  Wort  herbeigelockt  werden  und  ver- 
drängen das  Wort  oder  wollen  es  wenigstens  verdrängen. 
So  sagt  der  Dekan:  „.  .  ich  hoffe  sie  zustimmend  .  .  zustellen 
zu  können''.  Die  Ähnlichkeit  von  y,sustellen"-  mit  dem 
vagierenden  ..zustimmend  .  ."  genügte  schon,  in  eine  falsche 
Bahn  zu  kommen.     Oder  „.  .  von  dem  allgemeinen  Standpunkte 


57 

aus  heant  .  .  betrachten  su  hönnen"'.     Das  Wort  ,,1) e trachten"- 
lockte  den  Vag-anten   ,^  he  antragen"   herbei. 

In  einer  Familie  sind  die  Namen  der  Mitglieder,  der 
Dienstboten,  auch  der  Name  des  Hundes,  „schwebende  Wort- 
bilder", wenigstens  solange  man  in  seiner  Wohnung,  in  seiner 
gewohnten  Umgebung  ist.  Als  ich  jung  verheiratet  war,  be- 
herbergte mein  enges  Heim  meine  Frau  {„Rida'\  „BiderV' 
genannt),  eine  iMagd  {„Leni'-')  und  eine  Hündin  {,,LiserV'). 
Diese  Wörter  beeinflussten  sich  oft  oder  wurden  miteinander 
vertauscht.  Ich  sagte  z.  B.  zum  Hunde:  „BiderP'  oder  „BiserV. 
Meine  Frau  nannte  ihn  „Lenerl'''',  einmal  auch  ,,LeserP^,  weil 
sie  vorher  ,^Leni'''  gesagt  hatte.  Ich  sagte  zur  Leni  „Lesi^, 
zu  meiner  Frau:  ,,Liderl^\  die  Magd  rief  ich  „Reni^^.  Meine 
Frau  sagte  zur  Magd:  ^^Gehn's,  Lisi,  abräumend  Mich  rief 
sie  einmal:  „Lenil^\  ein  andermal  die  Leni  y,BiidolfV'-  Auch 
den  Hund  rief  sie  einmal   „Btidolfl^'' 

Seitdem  ich  Kinder  habe,  sind  die  Verwechsluneen  noch 
mannigfaltiger.  „Wenn  Du  nur  alle  auffressen  tätest,  Greterll'"' 
sagte  meine  Frau  zum  Hunde.  Ich  sagte  zur  Gretel:  ^^Bidal'' 
meine  Frau  sagte  zu  mir:  „Du  Mariannel'-'-  (Name  der  Magd). 
Auch  die  Kinder  irren  sich  zahllos  oft  und  sagen  zu  mir 
^Mama^%  zur  Mutter  „PajM"  und  ganz  geläufig  ist  das  korri- 
gierte „Pdpmama'-'  und  ,^Mdmpapa'' .  Ich  nenne  oft  alle 
Namen  durch,  bis  ich  auf  den  richtigen  komme  usw. 

Johannes  sagte  4  Jahr  8  Mon.  alt  zu  mir:  „Ja,  Gret  .  . 
Pa})  .  .  Mama  .  .  Papa  .  .!",  war  also  schon  beim  Richtigen 
angelangt  und  verliess  es  doch  wieder. 

Beispiele  für  andere  schwebende  Wortbilder. 

„.  .  vierte  Vorles  .  .  Vorstellung  .  ."  (A.  F.  Pribram). 
DemProfessoristnatürlich ,,  Vorlesung''''  einschwebendesWortbild. 

„.  .  interpoliert  .  ."  sagte  Heinzel  für  „.  .  interpelliert  .  ." 
Dem  Philologen  ist  das  erste  Wort  sehr  geläufig. 

Es  ist  von  Enten  die  Rede.  Da  sagt  Stukki:  „.  .  die 
sind  nicht  gut  zu  enten  .  .  su  essend'' 

„.  .  bloss  bei  den  Meinungern  .  .  Meiningern  .  ."  sagte 
ich.  Warum  das  Wort  „Meinungen''^  als  Vagant  hier  auftrat, 
wurde  mir  nicht  bewusst. 


58 

Es  ist  von  „verlorenen  Minoritäten'*  die  Rede.  Daraut 
sagt  Grünberg,  der  selber  das  Wort  gebraucht  hatte:  „(re- 
richtshczirke^  wo  die  Leute  mit  Dolmetsehen  verloren  .  .  ver- 
nommen werden.'' 

Ich  sagte  mir  beim  Schreiben  vor:  „Das  Elbinger 
Yokabitular  .  ."  Ich  wollte  sagen  ,,.  .  Vokabidar',  hatte  aber 
in  der  vorausgegangenen  Zeit  so  viel  mit  dem  Capitulare 
de  villis  Karls  d.  Grossen  zu  tun,  dass  ich  entgleiste. 

Es  ist  von  der  Slowakei  (wir  sprechen:  Schlowakei)  die 
Rede,  Darauf  sagt  R.  Much:  ,,7n  den  anschlo  .  .  anschliess<  n- 
den  Teilen  .  ."  Much  gibt  auch  den  Grund  seines  Ver- 
sprechens richtig  an. 

Jak.  Krall  arbeitete  über  den  Auszug  der  Juden.  Als  er 
sich  verspricht  ,,.  .  im  Auszikj  .  .  im  Anzüge  .  .'*  frage  ich 
ihn,  an  was  er  gedacht  habe.  Da  erhalte  ich  die  obige 
Auskunft. 

Zeit  des  Burenkriegs.  Man  hört  und  spricht  so  viel  über 
De IV et,  dass  dieses  Wortbild  schwebend  wird.  Von  einer 
Theatervorstellung  sprechend,  sagt  Wassmuth:  ,,Die  Dewei 
soll  gestern  recht  gut  gespielt  haben.'  Ich  verbessere:  ,,Z)/e 
Dewal"  (eine  Schauspielerin).     ,,A  ja\'  bestätigt  W.  lachend. 

Ein  andermal  sagt  Wassmuth:  ,,.  .  er  fährt  nach  Budapest 
und  dort  erwartet  ihn  ein  Separatabzug  .  .  SeparatzugV 
..Bürstenabzug''  und  ,,  Separat  abdruck",  die  beide  hier 
mitwirken,  sind  bei  jedem  Gelehrten  schwebende  Wortbilder. 

M.  Murko  ist  bekanntlich  seit  Jahren  Professor  der 
slavischen  Philologie  an  unserer  Universität.  Der  Lektor  der 
englischen  Sprache  hiess  Morich.  Der  Diener,  der  das 
Zimmer  des  Indogermanischen  Apparats  reinzuhalten  hat,  ar- 
beitete einmal  längere  Zeit  neben  mir.  Ich  habe  ihm  Ver- 
schiedenes zu  sagen,  und  er  will  von  Prof.  Murko,  dessen 
Zimmer  angrenzt,  etwas  sagen,  verändert  aber  den  Namen 
in  Murich.  Für  den  Diener  war  also  wenigstens  in  den 
Räumen  der  Universität  der  Name  des  Lektors  Morich  ein 
schwebendes  Wortbild.  Der  Name  war  früher  nicht  genannt 
worden,  auch  nichts  gesagt  worden,  wodurch  das  Wortbild 
hätte    gelockt    werden    können.      Es    war    eben    schwebend, 


59 

der  Fall  kann  also  auch  bei  den  Mitklängen  untergebracht 
werden. 

Es  ist  von  Hühnermayen  die  Rede.  Da  sagt  meine  Frau 
,,.  .  wie  viele  Häute  der  Mäijn  hat  .  ."  Mäyn  ist  der  dialek- 
tische Plural  von  3Iagen,  der  also  hier  als  Nachklang  den 
Singular  verdrängt  hat. 

Ich  korrigiere  mit  Herrn  Dr.  Samsalovic  einen  i\ufsatz, 
in  dem  der  Name  des  Hausforschers  Bancalari  häufig  vor- 
kommt. Da  sage  ich  zu  meinen  freundlichen  Helfer:  ,,Sie, 
BancalariV'' 

Es  ist  vom  Honig,  von  den  Wachswaben,  dem  Wachs- 
deckel der  Zellen  die  Rede,  so  dass  Wachs  schwebendes 
Wortbild  wird.  Darauf  sagt  Cornu:  ,,Das  machst  man  ja 
nicht  .  .  das  merkt  man  ja  nichtl"'  JfacÄJS^st  kontaminiert 
aus  ,,merkV'  und  ,, Wachs'  (gesprochen    WacJcs). 

Ich  rede  mit  Martinak^  und  wir  zitieren  öfter  G.  Anton. 
Dann  sage  ich  zu  Martinak:  ,, Kollege  Äntonl" 

Es  folgt  eine  Sammlung  von  Beispielen  gewöhnlicher 
Nachklänge. 

b.  Nachklänge,  Postpositionen  von  Wörtern  und 

Silben. 

a-  Aus  des  Rede  des  andern. 

Jemand  sagt:  „Schopenhauer  nennt  ein  Mädchen  einen 
Knalleffekt.'^  Darauf  Murko  zum  Kellner:  ,.Leopold,  bringen 
Sie  mir  einen  Knall  .  .  englischen  Pudding.^^  Ich  be- 
merke ausdrücklich,  dass  sofort  festgestellt  wurde,  dass  ein 
Spass  dem  Sprecher  vollkommen  fernlag,  dass  er  sich  wirk- 
lich versprach. 

Ich  sage:  ,,lst  das  ein  schöner  WegV'  Dr.  Bein:  ,,em 
wunderschöner  WegV  Ich:  „Ich  hin  das  Wegen  .  .  das 
Gehen  nicht  gewohnt/^ 

Brockhausen  gebraucht  das  Wort  ,,.  .  eine  Treibhaus- 
pflanze .  ."  Gleich  darauf  sagt  seine  Frau  „.  .  die  Fried- 
haus .  .^'  für  „die  Friedmanns  .  ." 

Ich  sage:  „.  .  das  Stipendium  von  der  alten  Baronin  .  .'" 
Meine  Frau  fragt  dazu:  „Wie  alt  ist  das  .  .  ivte  gross  ist  das?''' 


60 

Eine  Dame  sagt:  ,,Ich  hiu  eine  L/lauerin.''  Darauf  Dr. 
Adler  sehr  erfreut  und  pathetisch:  ,,Ich  bin  auch  eine  LilauerinV 
im  vollen  Ernste  und  wird  erst  durch  das  entstehende  Ge- 
lächter aufmerksam.  Man  hätte  Lust  den  F'all  für  einen 
senilen  zu  erklären,  aber  g^anz  ähnliche  Fehler  kann  man  auch 
bei  jung^en  Leuten  beobachten. 

Ich  sage:  ,, Akademie  .  ."  Meine  Frau:  „So  ist  es  nur 
mehr  möglich,  dass  wir  morgen  oder  Samstag  in  die  Akademie 
gehend'  Ich  frage  erstaunt:  „J»  die  Akademie?"'  Darauf 
meine  Frau:  „Hm\  In  den  Tiergarten  l"  Sie  hatte  gar 
nichts  gehört. 

Ich  sage:  „Eine  Reihe  von  Völkern  hat  ja  daran  ge- 
glaubt/' Ein  Fräulein:  „An  die  Völkerivanderung  .  .  ah\  an 
die  Seelemvanderung/' 

Ich:  ,,.  .  Haben  Sie's  gelesen?''  Maler  Vita:  „Und  die 
Künstler genossenschaft  hat's  abgelesen  .  .  abgelehnt/' 

Meine  Frau  sagt:  „Es  handelt  sich  nur  um  Dich,  ich 
kauf e  keinen  Schinken /'  Ich:  „Du  han  .  .  Du  kauf  st  keinen 
Schinken  ..." 

Meine  F'rau:  ,.Nu,  dann  schreib'  ich^s  halt  dort  .  ."  Ich: 
„Sie  schreiben  .  .  bleiben  ganz  alleine^\ 

Meine  Frau:  ^Es  ist  Zeitl"  Ich:  „Ohne  Zeit  .  .  ohne 
ZiveifeU"' 

Brockhausen  spricht  von  der  Dienstboten -Ordnung.''' 
Darauf  Detter:  „Wie  sind  denn  diese  Dienstboten  .  .  ah, 
Rubriken  .  ." 

Ri  sagt:  ,,.  .  am  Netinundzwanzigsteii."  Darauf  ein 
Fräulein:  „Am  NeununddreissigstenV  Aufmerksam  gemacht 
sagt  sie:  „Ah\  Am  EinimddreissigstenV'  Auch  dieser  Fall 
zeigt,  wie  die  vagierenden  Wortbilder  am  leichtesten  durch 
Klangähnlichkeit  des  zu  sprechenden  Wortes  herangelockt 
werden  (Neun   —  ein). 

Ich  gebrauchte  im  Gespräche  mit  einem  Bauern  das  Wort 
,,ghert"  (gehört).  Darauf  er:  „An  offnen  Herd  haV  i  scho 
ghert  .  .  ah\  gsegn"  (gesehen).  Der  Nachklang  ist  durch 
das  von  ihm  gebrauchte  Wort  j.Herd''  erleichtert. 


61 

,,Du  hast  da  einen  Fleck,  Du  schlechts  MädlV  Antwort: 
„So?     Einen  Schle  .  .  Fleck?'' 

Ri  gebrauchte  das  Wort  „Niemand''.  Ich  antwortete: 
„Darauf  kommt  es  mir  gar  Niemand  .  .  gar  nicht  an." 

Es  war  vom  „Polenta''  (Mehl  vom  türkischen  Weizen, 
Kukurutz)  die  Rede.  Darauf  sagt  v.  Graff  ,.Spolento"  für 
„Spoleto". 

Es  ist  vom  Hemdanziehen  die  Rede.  Darauf  Bein:  ,,Das 
habe  ich  oft  erst  im  Hemd  getan"  für  „.  .  .   Coupe  .  ." 

Es  ist  von  Sesseln  die  Rede,  Darauf  sagt  eine  alte 
Frau:  „Die  zivei  Kasten  sind  ganz  schöne  Sessel"  für 
„Kasten". 

Bunzl  hatte  das  Wort  „Harnsekretionen"  gebraucht. 
Darauf  Kramaf:  „Wenn  ich  Harn  .  .  ah\  Weintrauben  be- 
kommen hätte".  Kr.  versicherte,  dass  er  „Harntrauben"  sagen 
wollte. 

ß.  Aus  der  eignen  Rede. 

„Dieser  Zappert  hat  einen  Bub,  der  auch  Zappert  .  . 
ah,  Alfred  heisst"  (Dr.  Adler). 

„.  .  wennst  keinen  bessern  Kosenamen  findst,  als  mich 
Hansl  nemen  .  .  nennen  .  ."  (Alte  Frau). 

,,.  .  haben  vom  Fiissball spiel  g'spielt  .  .  gesprochen  .  ." 
(Hofrätin  v.  Weilen). 

„  Von  73  Kilo  ist  er  auf  78  heruntergekommen,  ah,  auf 
58"   (Rida). 

„Personalkommen ein  Steuer"  sagte  Krebs  an  verschiedenen 
Tagen.     Reine  Postposition,  anscheinend  fest  geworden. 

v.  Grienberger  hatte  vom  Bett  gesprochen.  Dann  sagte 
er:  „eine  Bette  .  ."  für  „.  .  eine  Decke  .  ." 

„.  .  zwei  Monate  in  den  Sitzungsmonaten  (für  Sitzungs- 
berichten) zusammengefasst"  (Heger,  ohne  irgendetwas  zu 
merken). 

Ich  erzähle  meiner  Frau,  dass  ich  mit  meinen  älteren 
Kindern  eine  Druckerei  besucht  habe,  und  sage  dann:  ,,Es 
stellt  zwar  dort:  Frßmden  ist  der  Eindruck  .  .  Eintritt  ver- 
boten .  ." 

,,.  .  hundertachtundsiebzig  Mezig  Meter  .  ."  sagte  Prof. 


ß2 

Grobben  vor  lo  Jahren,  ein  ruhis^er  Mann  auf  der  Höhe  des 
Lebens. 

,,So  wie  der  Schuster  Schuster  macht"  für  .,.  .  Schuhe  .  ." 
(R  R.  V.  Kljucaric).  Nachklang  erleichtert  durch  g-Jeichen 
Anlaut.      Wurde  nicht  korrigiert. 

,,Ich  hohe  dir  ZeicJinumfen  gezeigt  .  .  gesehen,  ahcr  .  ." 
(v.   Hohenbr.)   Nachklang  und  Entgleisung. 

„Der  Laternziinderanroch  für  „der  Laternattzimderrock^^ 
(Röllig  ref.). 

,,.  .  in  der  Dorotheergassc  wohnt  er  gewiss,  ich  iveiss 
nur  nicht  die  Gctssc"  für  ,,.  .  ,  Nummer"  (Me;  abends 
10^/4  Uhr).     Nicht  gemerkt  und   nicht  korrigiert. 

,,.  .  zehn  Gulden  oder  48  Gulden.  ."  für  „zehn  Gulden 
oder  48  Stunden  Arrest  .  ."  (Karabacek). 

„.  .  dasz  ihnen  an  der  Auslage  nix  draus  .  .  dranliegt" 
(v.  Lie). 

,,.  .  dass  das  die  Fidibusse  zcar,  worannen  man  die 
Pfeife  angezündet  hat  .  ."    für  ,..  .  waren,    tvoran  .  ."  (iMe). 

„.  .  ein  vorzuziehender   Vorstand  .  .  .  Zustand  (Me) 

„.  .  Leute,  welche  die  Seekrankheit  während  der  ganzen 
Krankheit  .  .  ah\  Seereise  haben"  (Bunzl). 

..Man  würde  täuschen,  icenn  man  sich  glaubte  .  ."  (Prof. 
Heinr.  Schenkl  in  einem   Vortrage).     Postposition. 

„.  .  dass  man  das  Nächstliegetide  liegt  .  .  nimmt"  (Dr. 
Bein  im   32.  Jahre). 

,,ln  Ungarn  genügt  es,  sich  zu  genügen  .  .  sich  adop- 
tieren zu  lassen''  (Helene  Stökl,  Schriftstellerin). 

c.  Nachklänge,   Postpositionen   von  Lauten. 

OL.  Aus  der  Rede  des  andern. 
Meine  Schwägerin  R.  erzählt,  dass  ihr  Hahn  unlängst 
den  Hof  verlassen  habe  (in  Dolnja  Tuzla)  und  auf  über- 
schwemmtes Gebiet  gekommen,  wo  er  zugrunde  gegangen 
sei.  Da  sagt  meine  zweite  Schwägerin:  „Er  'Wird  halt  auf 
Brautschwau  ausgegangen  sein."  Ich  frage  sie.  warum  sie  sich 
versprochen  habe.  Sie  antwortet,  sie  habe  an  ,,  Uberschwem- 
nnmg''  gedacht.     Ein  sehr  lehrreicher  Fall. 


63 

Meine  Frau  sagt:  ,,So  hannst  Du  eben  redenV^  Ich: 
,,Abt'r  auf  eine  Schweinerei  kann  ich  mich  nicht  einladen !" 
Ich  breche  sofort  ab  und  denke  über  das  d  von  ,,einladen^^ 
nach,  denn  ich  wollte  ,,einlassen^'  sa.gen.  Es  kann  nur  Xach- 
klanor  von  ..reden''^  sein. 

Zufällig  lesen  meine  Frau  und  ich  laut.  Meine  Frau: 
,,.  .  ÄbdrücJce  .  ."     Ich:  ,,.  .  nötrig  .  .''  für  .,,  .  n'6ti(i  .   ." 

Der  Kellner  empfiehlt  einem  Herrn  der  Tafelrunde: 
„OPoUo".     Darauf  sage  ich:    ,,Sipon\"   für  ,,SiphonV' 

Ich:  ,,.  .  verspätet  .  /'  Darauf  L  v.  Frankl:  ,,Ist  Seh;/- 
mann  verspändigt  .  .  verständigt?'' 

Ich  frage  Ri:  ,^Ak\  Du  siehst  nicht?''  ,,Ich  seh''  ant- 
wortet Ri.     Darauf  ich:    ,,So,  Du  sehst  .  .  siehstl" 

Ich  frage:  „Was  bläst  {blasest)  Du  so?''  Ri  antwortet: 
„Ich  blas  nichtl"  I\Ian  sieht  aus  solchen  Beispielen,  wie  auch 
die  Nachklänge  die  Vokaldifferenzen  zusammengehöriger 
Wörter  befehden  Man  kann  sich  leicht  vorstellen,  wie  oft 
solche  Gegenreden  vorkommen,  z.  B.  „Ich  gebe  .  ."  —  „Du 
gibst  .  ."  oder  „Du  gibst  .  ."  —  „IcJt  gebe  .  ."  Im  ersten 
Falle  führt  der  Nachklang  zu  ,,Du  gebst  .  .",  im  zweiten  zu: 
„Ich  gibe".  Um  der  einen  oder  anderen  Form  zum  Siege 
zu  verhelfen,  bedarf  es  dann  natürlich  noch  anderer  Faktoren. 

Ri  gebraucht  das  Wort  ,,.  .  verpflichtet  .  ."  Ich  will 
darauf  „GeivichV  antworten  für  „Gewissl"  Das  i  erleichtert 
den   Nachklang. 

p.   Aus  der  eigenen  Rede. 

„Dw  kamist  noch  nicht  mit  dem  Löffel  essel"  sagte  meine 
F'rau  zum  Kinde. 

„Der  Wachs  geht  wag  .  ."  sagte  Dr.  Adler  und  unter- 
brach sich:  „Warum  habe  ich  wag  gesagt?''  fragte  er  mich. 
„Wegen  Wachs",  sagte  ich.  Unklar  blieb,  warum  der  Sprecher 
das  Geschlecht  von    Wachs  änderte. 

„.  .  durch  fünf  Semester  fünfständig  .  ."  für  „.  .  fünf- 
stündig .  ."  sagt  Wickhofif  mit  Nachdruck  und  wiederholt  es 
sogar,   ohne  etwas  zu  merken. 

„.  .  an  Bettschwere  geritten  .  .  gelitten'-'-    sagt  Dr.  Adler 


64 

abends  '/^Q.  Vielleicht  nicht  Nachklang-,  denn  die  beiden  r 
sind  keineswegs  g-leichwertig-,  sondern  Einwirkung  eines  Wort- 
vaganten. Ich  habe  den  Fall  nicht  sofort  genau  untersucht. 
Oder  senil? 

y^Wie  geht  Ihnen  s,  ah,  wie  geht's  Ihnen?"  fragt  mich 
Prof.  Feod.  Hoppe.     Reine  Postposition. 

,, Durch  den  Wald  führt  ein  schöner  Wag  .  .  Weg  dorV^ 
Reg.-Rat  Krispin. 

,,Wenn  die  Hähne  hrähnen,  so  wird  sich  das  Wetter 
ändern^^  sagt  Streckelj  mittags,  ohne  etwas  zu  merken. 

,,.  .  bei  dieser  photolithographischen  Lieder  .  .  IVieder- 
gabe  .  ."  Detter  8  Uhr  abends. 

,,£ei  anderen  Sprachen  ist  wieder  die  Aussprache  schprr  .  . 
schzoer"^  (Rida). 

,,  Diese  Hestcl  Wölbt  verwende  ich  immer  auf  ..."  für 
(Dial.)  „Diese  Restin   WolV  .  .  ."  (Ridaj. 

„.  .  die  Zwei  können  spielen  Verspecken  mit  einander^'^ 
für  ,,.  .  .    Verstecken  .  ."  (Rida,  abends,  müde). 

,,.  .  kräht  kein  Kahn  .  .  ."  für  „.  .  Hahn  .  .  ."  (Brock- 
hausen). 

„Die  einen  Arzte  sagen:  aufwärken  .  .  aufwecken  .  .*'  (Rida). 

„Du  musst  doch  hie  und  da  ein  Buch  einbunden  .  .  ein- 
binden lassen"  (Rida). 

im  Zeichen  des  Wacher  .  .  Wasserynanns  .  .'*  (Rida). 
Dunkelkummer  .  .  Dunkelkammer  .  ."  (Maler  Liscbka 
mittags). 

„.  .  verschleppt  durch  die  Schippe  .  .  Schiffe  .  ."  (Dr. 
Pintner). 

„Das  kann  sich  in  der  Jahreszeit  furchtbar  schnell  el  .  . 
ändern"'  (Me   1 1   Uhr  abends). 

,,.  .  weil  sie  vom  Wetter  überwascht  .  .  überrascht  .  ."• 
(Ganser,  alter  Herr,  an  einem  Julimittag,  sehr  heiss).  Bei 
der  Entstehung  dieses  Versprechens  wirken  besondere  Um- 
stände mit,  Alter  des  Sprechenden,  erschlaffende  Hitze,  aber 
der  Fehler  ist  trotzdem  nichts  anderes,  als  was  sich  bei 
gesunden  jungen  Personen  in  frischen  Stunden  ebenfalls 
findet. 


65 

,,.  .  Kain  und  Aibel  .  .  Abel  .  ."  (Rida). 
,,.  .  er  hat  zu  hagen  .  .  zu  sagen  .  ."  (Rida). 
„.  .  die  Miss   Hiden    (spr.  Haiden)    hat  mir  g' schreiben, 
geschrieben  .  ."  (Rida). 

Ich:  ,,.  .  hat  das  Fleisch  auch  mit  gefressen"  Meine 
Frau:  „Jal  hat  Freiss,  ah\  —  Fleisch  auch  mit  gefressen." 
Nachklang-  ist  mir  hier  wahrscheinlicher  als  Vorklang  aus  der 
eignen  Rede,  obwohl  auch  dies  möglich  ist,  denn  die  Sprecherin 
gebraucht  ebenfalls  das  Wort  „gefressen". 

,,.  .  ein  Schickt  Schtinken  .  ."  für  ,,.  .  ein  Stückl  Schin- 
ken .  ."  (Kain). 

,,.  .  das  Wetter  müsste  etwas  fetter  .  .  fester  sein" 
(Loserth).  Der  Sprecher  hat  weder  von  seinem  Versprechen 
noch  von  seiner  Korrektur  etwas  grewusst.  Mich  dünkt,  dass 
diese  unbewussten  Korrekturen  für  den  Seelenforscher  von 
Interesse  sein  müssten, 

„.  .  zivölf  Sttinden  in  der  Wuch  .  .  Woche  .  ."  (Dr. 
Witlazil  9  Uhr  abends). 

„.  .  iuit  einem  Lappen,  da  geht  der  oberlächli  .  .  ober- 
flächliche Schmutz  iveg  .  ."  (Alte  Frau). 

,,.  .  merkwürdiger  Meise  .  .   Weise  .  ."  (Me). 

,,.  .  hat  man  ihnen  Sträflingskreider  .  .  kleider  angelegt  .  ." 
(Me  9  Uhr  abends). 

„.  .  im  Nevaldholf  getroffen  .  .  im  Nevaldhof  getroffen  .  ."■ 
(Rida,  mittags). 

,, Glauben  Sie,  loird  das  Fleisch  iveiss  genug  sein?"  für 
,,.  .  .  iveich  .  .  ."  (Rida).  iveiss  dürfte  aus  „iveisch'-'  durch 
Entgleisung,  d.  h.  Einlaufen  in  die  ausgefahrene  Bahn,  ent- 
standen sein. 

„.  .  englische  Faschon  .  .*'   (Frl.  M.  Müller). 

„.  .  und  trifft  auf  der  Striege  .  .  Stiege  den  Schipper. ''^ 
(Bruno  v.  Frankl  V2I0  Uhr  abends). 

,,.  .  Älea:ander  Ksa  .  .  ZappeH  .  ."  (Dr.  Adler). 

„Meine  Schwester  ist  viel  zu  g'schwei  .  .  g'scheidt  dazu" 
(Rida). 

,,.  .  und  mit  reichem   vollem  Schwalle    zu  dem  Balle  .  . 

Meringer,    Aus  dem  Leben  der  Sprache.  & 


66 

Bade.."  (ein  Fräulein;  ,.Bali'  lag  weder  ihr  noch  der  ganzen 
Sachlage  nach  nahe). 

,,.  .  ivii'sö  isi  demi  das  eine  liimö  .  .  liumänin  .  ." 
(Rida,  gesund,  im  26.  Jahre,  p'/g  Uhr  abends). 

„SeppV.     Geh,  gib  mir  .  ."  (Me). 

,,Äuf  neue,  seure  säur  .  .  saure  Pflaumen  (Broch). 

„.  .  entarterirr  Nachkomme'^  sa^te  mit  Emphase  Reg.-R. 
Das  wiederkehrende  t  zog  wohl  auch  das  r  wieder  hervor. 
Bei  emphatischem  Reden  dürfte  sich  Nachklang  des  r  über- 
haupt leicht  einstellen. 

,,cffcktiv  ijcschhftiii'^  für  ,,.  .  geschhchtlf/.^'  Dr.  Homann. 
Unwohl. 

„.  .  eklcktantesten  lall  .  ."  (Mu)  für  „eklatantesten  Fall''. 

,,.  .  ob  er  mit  ihm  Du  ist  oder  Sti  .  .  Sie  ist"'  (Prof. 
R.  M.  Werner). 

,,Das  ist  ein  furchtbar  glattes  Glas''  für  ,,.  .  .  Gras" 
(May,  ref.). 

,,.  .  mit  Staunen  rersto  .  .  vernommen  .  ."  (Vondrak). 

,,.  .  den  hat  er  angenagelt  den  Uittlcr  .  .  Bittner  .  ." 
(Me).  Der  Fall  ist  nicht  ganz  klar.  Vgl,  dazu  ,,.  .  Grieslu  .  . 
nudeln  in  der  Milch  .  .",  wo  eine  Antizipation  vorliegt.  In 
beiden  Fällen  ist  das  wirksame  l  Silbensonant  (gesprochen: 
genaglt,  Nudln). 

„.  .  hat  sich  eitlen  berühmten  Ramcn  .  .  Namen  gemacht  .  ," 
(Dir.  H.). 

„Er  ist  ein  kritischer  Kropf  .  .  Kopf"  (Fr.  Joh.  Schima) 
k  erleichtert  den  Nachklang. 

„.  .  eine  üppige  Wiise  .  ,  Wiese  .  .*'  (Lschinsp.  Hülsenb.). 

„.  .  zitiere  einmal  eine  Stiele  .  .  Stelle  .  ."  (Vondr.). 

,,Humanoria"  für  „Hiimaniora"  (v.  Lieder), 

„Der  Homann  wird  wahrscheinlich  morgen  bei  seiner 
Bar  .  .  Braut  seinV'  (Mu).  Der  Sprecher  erklärt  sich  ab- 
solut keines  Nebeno-edankens  bewusst  zu  sein.  Dann  also 
Nachklang  von  „ahr"  und  Vorklang  von  B. 

Ich  sage:  „Hausivcscn" .  Darauf  Dctter:  „Kost  .  .  Kocht 
sie  gut?''     Merkwürdiger  Fall. 

,,.  .  ein  Fürst  Stscherbar  .  .  Stschcrbazkoi?"  (Me). 


67 

,,  Wenn  ich  nach  Hause  schreibe,  so  schraube  ich  .  ." 
(Vondr.).     Hier  wurde  Redner  unterbrochen. 

,,.  .  in  Staub  und  Moder  verivatidern  .  .  venvandeln 
Icönnen".  (Me). 

„.  .  Antrag  des  geehrten  Herrn  Vorrad  .  .  Vorredners  .  ." 
(Penck). 

,. Bring  ein  Kriigl  in  einem  geschlossenen  Gras  .  .  GlasV 
(v.  Lieder). 

„Ich  habe  in  meinem  Leben  noch  nie  Nod  .  .  Sodbrennen 
gehabt"  (RR). 

„Jetst  sitsst  Du  da  wie  ein  Meines  3Ieisner  .  .  Meissner 
Porzellan- Figiirchcn'' '  ( Me) . 

.,Und  in  dem  Moment,  wo  der  M  .  .  Wagen  kommt  .  ." 
(Vo).' 

„.  .  lateinisch  heischt  es  .  ."  für  „.  .  heisst  es  .  ."  (Me). 

,,.  .  Tdassische  Schachen  .  .  Sachen  .  ."  (Lehrer  Jettel). 
Gegen  die  Reg^el,  weil  Zischlaute. 

„Von  wom?^'  für  „Von  ivem?''  (Pribram).  Bei  jungem 
Manne  seltener  Fall. 

„Diese  schabige  Eleganz  ivünst  man  nichf"  für  „. .  ivünscht . ." 
(Me). 

„Ich  nehni'  wegen  weiner  .  .  meiner  .  ."  (Me). 

„Wenn  der  Lehrer  flagt  .  .  fragt  .  J^  (Kind;  Murko  ref.) 

„Milchspeis   ist  auch  mahrhaftV'  für  ,,.  .  nahrhaftV'  (Ri). 

„Was  ist  ein  Bauerngollasch?'^  fragt  O.  Broch.  Ich  sage: 
„Das  können  bloss  Gau  .  .  Bauern  essen !" 

„Grosshornrinde^'  für  „Grosshirnrinde^'  (K.  M.). 

„Er  sah,  ivie  eine  Frau  ihr  Kind  mndigte  .  .  züchtigte.'''' 
(Rud.  Schneider). 

„.  .  er  hat  eine  Vollblutstute  gerutten.^^  (Ein  Schauspieler; 
Bunzl  ref.). 

„Professor  Bro  .  .  Bormann  .  ."  sagte  ein  Schuldiener. 
„Bro  .  ."  ist  gewiss  nicht  Metathese  von  „Bor{mannY,  denn 
nachvokalisch  vor  Konsonant  sprechen  wir  gar  kein  r. 

„Klosterneuburg  ist  glo  .  .  gross"'  (P>au  Friedmann). 

Vor-  und  Nachklang. 

„Der   Goldmops    kommt   mir    sehr   solt  .  .  seltsam   vor^^ 

ö* 


68 

(Detter).  Die  Wahrscheinlichkeit  eines  Nachklangs  ist  mir 
grösser.  Ich  denke  „solt-^^  klingt  nach  „Gold-^^  nach.  Als 
Ibsens  Klein  Eyoif  in  Wien  aufgeführt  wurde,  war  viel  vom 
„Goldmops'^  die  Rede. 

„Wir  sind  drei  Trem  .  .   Temperenzler''  (Mu). 

„.  .  eine    volUjefro  .  .  gefressene  Boa  constrictor/'  (Me). 

,,.  .  aus  leicht  heglnfliihen  Gründen  .  ."  (Mu).  —  Ich 
habe  den  F"all  scht)n  bei  verschiedenen  Personen  beobachtet. 

,,.  .  Einhciligkeit  .  ."  für  „Einhelliglett  .  ."  sagte  ich^ 
ohne  etwas  zu  merken. 

Auch  die  Nachklänge  werden  erleichtert  durch  partielle 
Ähnlichkeit  der  Wörter,  obwohl  diese  keineswegs  nötig  ist. 
Zu  den  schon  angeführten  Beispielen  noch  folgende: 

„Was  er  für  Studien  (spr.  Schfudien)  gemacht  hat  in 
Schtönhrunn  .  .  Schünhrumi  .  ."  (Röllig  ref.). 

Meine  Bedienerin  gebraucht  das  Wort  „Kaffee".  „Das 
tue  ich  nur  vor  dem  Kaffee  .  .  Kolleg,^'  antworte  ich. 

,,.  .  65  Zentimeter  Durchmeter  .  .  Durchmesser  .  ."  (Me). 

Es  ist  von  einer  „Katastrophe' '  die  Rede.  Darauf  sagt 
Dr.  H.  Sittenberger  zum  Kellner:  „Bringen  Sie  mir  eine  kleine 
Katastrophe  .  .  einen  Meinen  Kaffee,  aber  sehr  weissV^ 

„Unser  Fall  ist  ja  nicht  ein  fall  .  .  nicht  einfach"  (Me), 

„.  .  wie  ich  ihn  inner  .  .  immer  habe  .  ."  (Me). 

,,.  .  züo  der  IVogscheider  .  .  Wegscheider  .  ."  (L.  v.  Frankl). 

„Die  Deutsch- Bussen  sagen  das  j  ganz  deutschlich  .  . 
deutlich"  (L.  v.  Frankl). 

„Die  anderen  Sprachen  sind  noch  nicht  genug  untersicht" 
(Mu)  für  ,..  ,  untersucht". 

„Dreimal  im  Trag  .  .  Tag  ,  ."  (Frl.  A.  Haasz). 

„.  .  die  Westgoten  und  die  Ostgoten,  mit  de  liaV  i  net 
g'schproten  .  .  gesprochen"  (Alte  Frau). 

„.  .  mit  Filzstoff  hestannt  .  .  bespannt  .  ."  (Rida). 

,,Du  bist  ein  schrecMiches  Ding  .  .  zudinglich  .  .  zudring- 
lich wie  eine  Wespe"  (Me). 

,,.  .  mit  Nahrungssar  .  .  sorgen  .  ."  (Hahnreich). 

,,.  .  leidet,  wie  der  technische  Ausdruck  leitet  .  .  lautet  .  ."' 
(Siegm.  Exner). 


69 

Ich:  „Du  setzt  Dich  schon  ivieder  auf  meinen  Stuhll" 
Meine  Frau:  ,Jch  mache  nur  ein  Paar  Sttt  .  .  Stichel"' 

,,.  .  und  hat  er  ein  solches  Glas  getrunken,  so  fänf/t  er 
sofort  an  zu  trinken  .  .  zu  singen'^  (Detter). 

„.  ,  die  eine  ausgestrichen,  die  andere  eingestrichen.'^ 
Meine  Frau  wird  erst  von  mir  aufmerksam  g-emacht  und 
korrig-iert  dann:  ,,einges ehr i eben''. 

d.  Nachklang  von  früher  miterreg-ten  Wortbildern. 

Vgl.  V.  u.  V.  S.   51. 

Rud.  Much  erzählt  mir  einen  sehr  interessanten  Fall,  eine 
Anekdote.  Ein  Schauspieler  hat  zu  sagen:  „Der  Connetable 
schickt  sein  Schwert  zurück"  (Schiller,  Die  Jungfrau  von 
Orleans  I  2).  Ein  anderer  hänselt  ihn  und  bittet  ihn,  sich 
doch  nicht  zu  versprechen  und  etwa  zu  sagen:  „Der  Con- 
fortahel  schickt  sein  Schivert  zurück^''  Das  tut  nun  aller- 
dings der  Erste  auch  nicht,  aber  er  sagt  als  König  Karl: 
„Der  Connetable  schickt  sein  Pferd  zurück."  Was  war  ge- 
schehn?  Bei  „Connetable"  vfurde  „Confortabel''  mit  assoziiert, 
und  mit  diesem  fuhr  sein  „Pferd",  welcher  Mitklang  durch 
die  Ähnlichkeit  mit  ,, Schwert"  so  stark  wurde,  dass  es  das 
letztere  Wort  verdrängte. 

„Das  ist  leichter  gesagt  als  behau  .  .  bewiesenl"  Bei 
„gesagt"  klingt  ,,behauptet"  mit,  und  das  kommt  dann  zum 
Vorschein  (Me). 

„.  .  durch  die  Gnade  seiner  Majestät  ist  er  zum  Minister 
des  Kai  .  .  des  Äussern  gemacht  worden."  (R.  R.).  Bei 
,, Majestät"  klingt  natürlich  „Kaiser"  mit. 

Ich  singe:  „A  so  a  Frauderl  is  a  Weib"  für  „A  so  a 
Weiberl  is  a  Freud".  Bei  „Frauderl"  kam  mir  das  richtige 
„Weiberl"  in  den  Sinn  und  das  verdrängte  dann  als  Nach- 
klang das  Wort  „Freud". 

Meine  Frau  erzählt  von  unserer  Hündin  „.  .  und  quietscht 
hat  sie,  dass  alle  Leute  g'schrien  ah\  g'schaut  haben."  Bei 
quietschen  klang  schreien  mit. 

Meine  Frau:  „Heiss  ist  mir."  Ich  höre  das  und  will 
sagen:  „Rida  spritz'  nichtl"  sage  aber  ,,.  .  schwitz'  nicht V' 


70 

Durch  heiss  war  schwitzen  herangezogen  worden,  und  die 
ÄhnHchkcit  mit  spritzen  erleichtert  sein  Einwirken. 

Ich  ärgere  mich  über  mein  stumpfes  Messer  und  sage: 
„Ich  werde  es  nie  mehr  einem  solchen  Kerl  yebenV'  Gemeint 
war  ein  hausierender  Schleifer,  aber  dieses  Wort  wurde 
nicht  ausgesprochen.  Darauf  meine  Frau:  „Die  Messer  schlei  .  . 
schneiden  jetzt  nicht  besser." 

Schima  sitzt  und  notiert.  Man  fragt  ihn,  er  antwortet: 
„Wenn  ich  noch  lang  dasitz\  brauch  ich  noch  einen  zweiten 
Sessel  .  .  Zettel." 

,,.  .  für  Kleinifjkeiten  habe  ich  in  meinem  Kopfe  keinen 
Gehirn  .  .  Raum."  (Me). 

e.  Nachklanof  des  Genus. 

Vgl.  V.  u.  V.  S.   51. 

„.  .  dort  gibt  es  in  der  Glyptothek  einen  Saal,  die  .  .  der 
grossartig  ist."  (Dr.  Kramai). 

,,.  .  das  ist  durchaus  keine  Sache,  die  im  Konnex  ist 
mit  der  Quantum  des  Wissens  .  ."  Bei  R.  R.  sind  solche 
Fehler  sehr  häufig,  er  sagt  z.  B.  ,,die  Interesse"  u.  drgl.  ohne 
zu  korrigieren,  während  er  solche  Irrtümer  bei  anderen  gewiss 
bemerken  würde. 

„Der  Phonograph  ist  noch  nicht  auf  der  Höhe,  den  .  . 
die  man  braucht  für  ivissenschaftliche  Zwecke."  (Me). 

„.  .  nun  hat  sie  sich  den  Magen  an  ihr  (statt  „an  ihm"; 
vom  Käse  war  die  Rede)  verdorben."  (Lothar  v.  Frankl). 

„Handkuss  an  Deine  Mama,  meine  Alte V^  statt:  „.  ,  mein 
Älter]"   1/2 12  Uhr  nachts  (Me). 

„Die  Esche  ist  ein  Baum,  die  vorkommt  .  ."  (Dr.  Adler). 

f.  Nachklang  des  Kasus. 

„Es  wird  alles  den  Menschen,  denen  es  angeht,  die  es 
angeht,  vieJ  ärger  mitgeteilt  .  ."  (Me;  mittags). 

g.  Nachklang  des  Numerus. 

„.  .  und  dann  gibts  noch  einige  andere  Orte,  wie  Fried- 
berg sind  .  ."  für  ,,.  .  ist  .  ." 


71 

h.  Nachklang  des  Umlauts. 
,,.  .  einen    röteren  Bart  .  .  Bart   als  der  aticlcre.^^    (Me). 

i.  Nachklang  der  Komparation 
ettvas  weniger  länger  .  ."  für  „.  .  lang  .  ."  (Kellner). 
schwerst  zu  hehandelnsten  .  ."  (Guglia), 


k.  Nachklang  des  Tempus. 
„.  .  so  hübsch  wie  meine  Kleine  vom  vorigen  Jahr  tvird 
sie  auch  geivesen  sein^'  für  „.  .  wird  sie  auch  sein  .  ."  (Me) 

1.  Postposition  der  Person. 

„.  .  und  ich  bin  der,  der  am  weitesten  gekommen  bin" 
(Broch).     Nicht  korr. 

„Ich  denke  immer  nach,  spriche  .  .  s^wich  .  .  spricht  er  .  ." 
(Jagic  nach  Broch). 

„Gestern  ivareti  zivei  BacJcfischeln  dort,  und  das  Unglück 
hat  es  gewollt,  dass  ich  zu  ihnen  zu  sitzen  gekommen  sind  .  . 
bin''  (Me). 

Ich  erzählte  einen  Witz  aus  den  ,,F1.  Bl",  wornach  ein 
Student  sagt:  „Bas  Luder  von  einem  Hund  schaut  mich,  seit- 
dem ich  durchgefallen  ist,  immer  so  merkwürdig  an!"  für 
„.  .  bin  .  ." 

„Und  ich  sag'  Bir  ruhig  alles,  was  der  Mann  gesagt 
hast  .  .  hat  .  ."  (Me). 

,,Jch  weiss  nicht,  wie  der  Vorschlag  ausgefallen  ist,  weil 
ich  erst  seit  heute  da  isf"'  für  „.  .  da  bin.''  (Heberdey). 

Frau  Schima  erzählt:  „Ich  kam  später  nach  Haus,  mein 
Mann  war  schon  ganz  ausser  mirV  für  „.  .  ausser  sich\" 

Ich  sage  von  der  Grete:  „Sie  macht  einen  Heidenspektakel 
wenns  net  kommt  .  .  ivenn  Du  nicht  kommst." 

,,Er  hat  eine  solche  Schrift,  dass  ich  nicht  imstande  ist .  . 
bin,  es  zu  lesen'"'  (Cornu). 

„Weis st  Bu  noch,  wie  der  Bubi  ausgeschaut  hast?" 
fragte  mich  meine  Frau. 

m.  Nachklang  der  Negation. 
„.  .  zu  verhindern,  dass  das  Leben  nicht  aufhöre"  heisst 


72 

es    in    der    Übersetzung    von    Turgenjew    Gedicht    in    Prosa, 
Reclam. 

n.  Nachklang  der  Quantität. 
„.  .  Stich  und  Hib''  für  „.  .  .  Hieb  .  .''  (Dr.  Adler). 

o.  Nachklang  des  Hiatus. 
Oben  schon  Beispiele. 
Jemand  sagt  ,,.  .  leihen''.     Ich:    ,,Der  Herr  Hofrat  wird 
es  brauen  .  .  brauchen.'' 


Mit  den  Vertauschungen,  den  Vor-,  Mit-  und  Nachklängen 
sind  die  Fälle  des  Versprechens,  soweit  das  Einteilungs- 
prinzip aus  den  Ursachen  genommen  wird,    erschöpft. 

5.  Kontaminationen. 

Vgl.    V.    und    V.    S.    53  fif. 

Kontaminationen  sind  Folgen  von  Vorklängen,  von  Mit- 
und  von  Nachklängen.  Hier  werden  noch  besondere  Beispiele 
für  diese  Produkte  verschiedener  gedachter  Sprechfehler  ge- 
geben, um  die  Formen  der  auf  diesen  Wegen  entstandenen 
Mischbildungen  zu  charakterisieren.  Dies  geschieht  vornehm- 
lich aus  sprachwissenschaftlichem  Interesse,  damit  man  für 
die  in  den  allgemeinen  Sprachgebrauch  eingedrungenen 
Kontaminationen  ein  Vergleichsmaterial,  das  den  Momcntan- 
bildungen  des  Augenblicks  entnommen  ist,  hat.  Als  Ver- 
suche graphischer  Darstellung  der  bei  den  Kontaminationen 
vor  sich  gehenden  seelischen  Prozesse  bitte  ich,  die  Figuren 
in  V.  und  V.  S.  65  —  69  zu  betrachten. 

Ich  habe  schon  V.  und  V.  S.  54  aufmerksam  gemacht, 
dass  sich  oft  dem  Redenden  Synonyma  darbieten,  und  dass 
er  sie  verschmilzt.  Es  kommt  aber  auch  vor,  dass  sie  bloss 
adhärierende  Bestandteile  tauschen. 

Z.  B.  Eine  Dame  sagt:  „.  .  für  eine  junges  Mädchen  .  ." 
nach  „eine  junge  Dame'''  (Dr.  H.  Sittenberger  ref.). 

,,.  .  damit  der  Bein  für  den  Hund  übrig  bleibt  .  .'* 
sagte  Bunzl.  Ich  dachte  zuerst,  dass  das  Geschlecht  von 
„Hund''  antizipiert  sei,  aber  Bunzl  erklärt,  er  habe  an  ..Knochen" 
gedacht. 


73 

„Man  kennt  dort  kein''  andern  Wort  .  ."  Lorenz.  Kontam. 
aus  „das   Wort'^  und  „der  Ausdruck". 

Ähnlich  bei  dem  Numerus  des  Verbums.  Ich  ärgere 
Bu.,  und  er  sagt  mir  sehr  heftig:  „Leute,  die  nicJit  über  Möd- 
ling  hinausgekommen  ist  .  ."  Nebengedanke  ,,Ein  Mann, 
der  tvie  Du,  nicht  über  Mödling  hinausgekommen  isf". 

Ähnlich  sind  jene  Fälle,  wo  die  Kasustektion  des  Syno- 
nyms eines  Zeitwortes  eintritt.  „Es  hat  mich  riesig  gefallen", 
kontam.  aus  etwa  ,,mich  riesig  gefreut"  und  ,^mir  riesig  ge- 
fallen". 

Ähnlich  beim  Genus,  z.  B.  „.  .  .  meiner  Weih  .  ."  (Me), 
kontam.  aus  ,,.  .  meinem  Weib  .  ."  und  „.  .  meiner  Frau  .  ." 

a.    Kontaminationen    von    Sätzen    und    Redensarten. 

„Das  ist  des  langen  Pudels  kurzer  Kern",  kontam.  aus 
„Das  ist  des  Pudels  Kern"  und  „Das  ist  der  langen  Rede 
kurzer  Sinn"  (Frl.  Pölzl  ref.). 

,,.  .  dass  wir  es  um  eine  assoziative  Störung  handelt  .  ." 
(May  ref.).  Kont.  aus  ,,.  .  dass  wir  es  mit  .  .  zu  tun  haben  .  ." 
und  „.  .  dass  es  sich  um  .  .  handelt  .  ." 

„.  .  Knies  hat  zuzückzu führen  ivollen  .  ."  (May  ref.). 
Kont.  aus  ,,.  .  hat  zurückzuführen  versucht  .  ."  und  „.  .  hat 
zurückführen  tv ollen  .  ." 

„.  .  tveil  ich  mit  ihm  zu  reden  möchte  .  ."  Kont.  aus 
,,.  .  zu  reden  hätte  .  ."  und  ,,.  .  redeti  möchte  .  ." 

„.  .  ich  habe  durch  viele  Jahre  lang  .  ."  kont.  aus  „durch 
viele  Jahre"  und  „viele  Jahre  lang".  (Adl.). 

„.  .  das  sind  die  Angenehm  .  .  die  Annehmlichkeiten  .  ." 
Kontam.  aus  ,,das  ist  das  Angenehme  daran"  und  ,,das  sind 
die  Annehmlichkeiten  davon''  (Me). 

„In  Sibirien  ivird  Champagner  in  Strömen  getrunken" 
(Mu);  kontam.  aus  „.  .  fiiesst  in  Strömen"  und  ,,.  .  wird  in 
Menge  getrunken". 

„.  .  wie  ich  heute  in  der  Tramway  eine  Frau  gesessen 
ist  .  ."  (Frl.  R.  H.).  Die  Sprecherin  wollte  sagen  ,,.  .  ge- 
sehen habe",  dabei  scheint  sich  aber  ein  Nebengedanke  „eine 
Frau  ist  dagesessen"  geltend  gemacht  zu  haben. 


74 

„Jch  weiss  nicht,  wovon  das  liegt'''  kontam.  aus  ,,.  .woran 
das  liegt"  und  ,..  .   ivovon  das  abhängt'^  (v.  Andr.). 

„Du  fängst  an  zu  erzählen  und  sttz'st  nicht  fertig" 
kont.  aus  „.  .  setz' st  nicht  fort"  und  „erzählst  nicht  fertig"  (Ri). 

„Was  soll  ich  mich  entschieden?"  kontam.  aus  „Wozu 
soll  ich  mich  entschli essen?"  und  „Wie  soll  ich  mich  tnt- 
scheiden?" und  „Was  soll  ich  tun?"  (Ri). 

..Jetzt  ist  mir  rotl"  kontam.  aus  „.  .  ist  mir  heiss"  und 
,,.  .  bin  ich  rot"  (Rida). 

„IcJi  habe  ganz  vergessen  aufzuschrieben"  kontam.  aus 
„Ich  habe  nicht  aufgeschrieben"  und  „Ich  habe  g.  vergessen 
aufzuschreiben"   (Rida). 

,,.  .  mich,  ich  wurde  von  niemand  gefragt".  Es  spielt 
herein  „Mich  hat  n.  g."   (Pribram). 

,,.  .  ein  Ausweg  ist  getroffen  worden".  (Skraup)  aus 
„gefunden  ivorden"  und  „ein  Übereinhommen  ist  getroffen 
worden". 

„Solange  wie  ich  midi  ex  .  .  erinnere  .  ."  (Fechtmeister 
Schau).     Es  spielt  „Solange  ich  existiere  .  ."  herein. 

,,.  .  die  es  überhaupt  existieren",  sagte  Detter,  kontam.  aus 
,,.  .  die  es  gibt  .  ."  und  ,,.  .  die  existieren". 

„Ich  bin  mit  einer  Gruppe  Hörer  übereinandgekommen  .  ." 
(Loth.  V.  Frankl).  Kontam.  aus  „übereingekommen"  und 
„  Wir  haben  mit  einand  ausgemacht".  Der  Fehler  kommt 
öfter  vor. 

„Mir  tut  alles  müd",  sagte  meine  Frau  im  25.  Lebens- 
jahre.    Kontam.  aus  ,,.  .  alles  weh"  und  „Ich  bin  müd." 

„.  .  wo  es  Dir  schiver  anfällt  .  ."  (Me).  Kontam.  aus 
„schwer  fällt"  und  „schwer  ankommt". 

„.  .  sie  war  damals  junger  jünger  als  heute"  (Me).  Kont. 
aus  „noch  jung"  und  „jünger  als  heute". 

„Sie  sind  dann  gar  nicht  mehr  auf  dem  Land  .  .  ah,  in 
der  Stadt".  Kont.  aus  „.  .  nicht  mehr  in  der  Stadt  .  ."  und 
,,.  .  schon  auf  dem  Lande  .  ." 

„Sei  doch  nicht  gescheidtl"  (Me).  Kontam.  aus  „.  .  ge- 
scheidtl"  und  „.  .  nicht  dumml" 


75 

,,Z)a  hast  Du  ganz  ivahrl  (Vondräk;  kommt  öfter  vor). 
Kontam.  aus  „.  .  ganz  rechtV'  und  ,,Das  ist  wahrV" 

,,.  .  belianntlicher  Weise  .  ."  (v.  Grienberg-er).  Kontam. 
aus  „heJcanntlick^  und   „bekannter   Weise''.     Kommt  öfter  vor. 

Ich  bitte  meine  Frau  eine  Schnur  wegzunehmen.  Sie 
sagt:  „Ich  nehni's  g'rad  vorhin  ivegV'  ohne  zu  korrigieren. 
Aufmerksam  gemacht,  erklärt  sie,  dass  sie  gedacht  habe 
„Ich  ivollte  sie  gerade  vorhin  wegnehmen'''  und  „leh  nehme  sie 
gleich  iveg." 

„Ich  habe  kein  Organ,  das  nicht  intakt  ist",  sagte  Marek, 
meinte  aber  das  Gegenteil.  Kontam.  aus  „.  .  nicht  ange- 
griffen tväre"'  und  ,,,  .  intakt  ist." 

,,  Wir  schreiten  zur  Tagesordnung  über''  sagte  A.  Penck 
als  Dekan.  Kontam.  aus:  „Wir  gehen  über"  und  ,,TFir 
schreiten"'. 

„Ich  haV  ja  wollen  auswechen"  (Me).  Kontam.  aus 
„ausweichen"  und  „aus  dem  Weg'  (ich  spreche  Wech)  gehen." 

„Mir  friertl"  sagt  meine  Frau  spät  abends.  Kontam. 
„mich  friert"  und  „mir  ist  kalt." 

„Die  Bombe  ist  ins  Rollen  gekommen"  (Fräulein  von 
22  Jahren).  Kontam.  aus:  „Bombe  ist  geplatzt"  und  ,,Der 
Stein  ist  usw." 

„.  .  ivenn  der  Papa  ivo  {=  irgendwo)  Staub  gewesen 
hat  .  .  gesehen  hat  .  ."  (Frau  Mizi  Vondräk).  Kontam.  aus 
,,.  .  irgendwo  Staub  gesehen  hat  .  ."  und  ,,.  .  ivenn  irgendwo 
Staub  gewesen  ist  und  der  Papa  hat  ihn  gesehen." 

„Wenn  ich  eine  mutterlose  Frau  wäre  .  ."  (Rida).  Kontam. 
aus:  ,,.  .  kinderlose  Frau  .  ."  und  ,,.  .  tvenn  ich  nicht 
Mutter  iväre  .  ." 

,,.  .  is  ein  Fass  mit  einem  leeren  Boden  .  ."  (Schima). 
Kontam.  aus  ,,.  .  leeres  Fass  .  ."  und  ,,.  .  Fass  ohne  Boden  .  ." 

„Ich  weiss  nicht,  ivoran  es  hängt  .  ."  (Bormann).  Kontam. 
aus  „.  .  wovon  es  abhängt  .  ."  und  „.  .  ivoran  es  liegt  .  ." 

„.  .  da  haV  ich  mich  zunächst  nicht  zurechtgekannt  .  ." 
(M.  Necker).  Kontam.  aus  „.  .  nicht  ausgekannt  ,  ."  und 
„.  .  nicht  zurecht  gefunden  .  ." 


76 

,,Das  ist  nicht  nach  ihrem  /'"a//"  (Rida).  Kontam.  aus 
„ihr  FalV'  und  „nach  ihrem    Wiuische'''' . 

„Das  hab'  ich  ihm  gleich  angemacht^'^  sagt  meine  Frau 
und  lacht.  Sie  erklärt  die  Kontam.  richtig  aus  „.  .  anye- 
tnerkt^^  und  „das  haV  ich  mir  gleich  gedacht''^. 

„Von  vier  Desserttellern  fehlen  mir  zwei"  sagt  meine 
Frau.  Auf  meine  zweifelnde  Frage  sagt  sie:  „Na,  von  sechsl" 
Kontam.  von  „Ich  habe  nur  vier  .  ."  und  ,,To>/  sechs  .  ." 

„Am  letzten  Sonntag  hab'  ich  ihn  beisammen  gesehen"' 
(Mu).  Kontam.  aus  „ihn  gesehen^''  und  „.  .  ivar  ich  mit  ihm 
beisammcn^^. 

,,.  .  setzt  Kraft  in  Anspruch  .  ."  (F.  de  Saussure). 
„.  .  setzt  Kraft  voraus^''  und  ,,.  .  nimmt  usw." 

,,.  .  frage  ich  Sic  an  .  ."  (Dr.  Adler).  Kontam.  aus 
„.  .  frage  ich  Sie  .  ."   und  „frage  ich  mich  bei  Ihnen  an  .  .'" 

„.  .  sticht  sich  nicht  gut  ab  .  ."  (Frau  Flora  Friedmann). 
Kontam.  aus  ,,.  .  hebt  sich  .  .  ab'^  und  ,,.  .  sticht  nicht  .  .  ab  .  ." 

„.  .  bi)i  ich  iveit  in  der  Welt  nmhergetvesett/^  Kontam. 
aus  „umher gereist"^  und  „gewesen".  Peter  Nansen,  Gottesfriede 
Berlin   1892  S.  92.     Ähnlich  auch  S.  223. 

.,.  .  sicher  war  sie  ziemlich  zu  Jahren"  ebenda  S.  127. 
Kontam.  aus  „bei  Jahren"  und  „zu  Jahren  gelommen^^. 

„.  .  hat  sich  einer  damit  beschafft  .  .  bcfasst"  (Me).  „Sich 
SU  schaffen  machen"  und  „sich  befassen". 

,,.  .  stellen  sich  nach  dem  Leben  .  ."  Kontam.  aus  „stellen 
ich  nach"  und  „trachten  sich  nach  dem  Leben".  Mogk  Paul 
Grundriss  1  -  S.  381. 

Eine  merkwürdige  Kontamination  bei  Lessing.  In  der 
Emilia  Galotti  heisst  es,  der  Prinz  habe  Emilien  „nicht  ohne 
3Iissfallen"  betrachtet.  Kontam.  aus  „nicht  ohne  Gefallen" 
und  „ohne  Missfallen" .  Behaghel,  Die  deutsche  Sprache  in 
Das  Wissen  der  Gegenwart,  LIV.  Bd.  Leipzig  1886  S.  40 
hat  meines  Wissens  diese  Stelle  zuerst  richtig  gedeutet. 

Ganz  ähnlich  sagte  Marek  ,,.  .  die  einfach  nicht  undurch- 
führbar sind".  Kontam.  aus  „undurchführbar"  und  „nicht 
durchführbar'^ 

,,Ich  habe  die  angenehme  Überraschung  gemacht,  dass  ich 


77 

genug  Material  (zum  Sticken)  habe'^  (Ri).  Kontaminiert  aus: 
,,Ich  war  angenehm  überrascht .  ."  und  „Ich  habe  die  angenehme 
Entdeckung  gemacM^\ 

„.  ,  wurde  abschlägig  bewilligt  (R.  Hoernes),  kontam. 
aus  „.  .  abschlägig  beschieden'^  und  „nicht  beivilligt." 

b.  Kontaminationen  von  Wörtern, 

„Schert  .  .  g''hert  sich  das?"  ,, Schert^  ist  Kontam.  aus 
„schickt"  und  „gliert"  (dial.  =  gehört). 

„bast'^  kontam.  aus  „beinalie"'  und  „fasf\  Kommt 
öfter  vor. 

„Da  übereilte  sie  der  Tod"'  Grillparzer,  König  Ottokar 
am  Sarge  Margaretas.  Kontam.  aus  „ereilte"  und  „über- 
holte''. 

R.  Much  sagte  einmal  „Figari^'  (für  „Figaro",  ein  Witz- 
blatt) nach  Kikeriki,  wie  ein  anderes  heisst. 

„  .  .  Dass  in  Wien  die  Monumente  so  dütter  schütter 
gesät  waren"  (Feldzeugmeister  v.  Teuffenbach).  „Dütter''  ist 
kontaminiert  aus  „dünn"  und  „schütter". 

„Klau"  Kontam.  aus  ,,klug"  und  „schlau''  (Kain).  Ich 
glaube  den  Fall  schon  mehrfach  gehört  zu  haben,  ohne  es 
aber  bestimmt  behaupten  zu  können. 

Richard  Heinzel  hat  mich  am  18.  6.  1895  aufmerksam 
gemacht,  dass  in  W.  Wilmanns  Walther  von  der  Vogelweide, 
hrsg.  V.  W.  Wilm  2.  Aufl.  205  „zugetan"  steht;  contam.  aus 
„angetan"  und  „zugefügt".  (Die  Stelle  ist  Walth.  4026 
,,frowe  Minne,  daz  si  iu  getan,  was  W.  im  Com.  mit  „Sehet 
das  als  euch  zugetan  an"  übersetzt,) 

„entsehen"  aus  „entnehmen"  und  „ersehn"  (Pastrnek). 

Es  ist  von  einem  Braten  die  Rede.  Dr.  Homan:  ,,Ich 
habe  ihn  noch  nicht  gesessen".  Kontam.  aus  „gesehn''  und 
gegessen'''. 

„entnüchtert"  aus  „enttäuscht"  und  „ernüchtert".  (Rud. 
Schneider  ref.). 

„Mansch"  aus  „Mann"  und  „Mensch".  Zuerst  bei 
Kljucharich  gehört,  kommt  aber  häufig  vor,  auch  bei  Kindern. 
S.  unten. 


78 

,,(So  ein  Manschl''  sagte  Ri.  Sic  wusstc  nur,  dass  sie  an 
^^Mnisch"  gedacht  hatte  und  fragte  mich,  woher  das  a  stamme. 
Ich  erklärte  ihr,  dass  ,,Marw"  mitspiele.  Einige  Monate  da- 
rauf sagte  Detter:  „Dieser  Mansch^',  machte  also  denselben 
p-ehler. 

„Ich  habe  Bücher  ausgelchnV'  kontam.  aus  „  .  .  ausge- 
liehn^'  und  „  .  .  cntlehfit"  (Mu). 

„  .  .  Gedanken splänc,  kontam.  aus  „Gedankensplitter^^ 
und  „Gedankenspänc'^  (Me). 

„Seifenschazert'  sagte  ein  4  jähriges  Büblein.  Der  Fall 
befremdete  mich.  Durch  vorsichtiges  Fragen  kam  „Seifen- 
tazerV'  und  „SeifcnschalerV  heraus. 

,,  .  .  Durch  die  das  Licht  durchbrinrff  .  .  dringt"  kontam. 
aus  „durchbricht''  und  durchdrintjt  (Me). 

,^Die  Gefangenen  freisetzen  .  .  (schreibt  A.  v.  Rosthorn) 
kontam.  aus  ,,.  .  freigeben^'  und  „in  Freiheit  setzen"'. 

„  .  .  ich  konnte  ihnen  das  nicht  erklärlich  machen'' 
kontam.  aus  ,,.  .  erklären"    und  „begreiflich  machen'''.     (Ri). 

,,  .  .  Ilundsjirachc  .  .  "  kontam.  aus  „Mtmdati"  und 
„Volkssprache''  (Gu  Meltzer   16 jährig). 

„Meidi^'  kontam.  aus  „Mädi"  und    Weibi'^  (Me). 

,,  .  .  sitzen  möchf  das  Meidi  schon"  (Rida).  Ebenso  zu 
erklären. 

„3Iund weise''.  Kontam.  aus  „Mundart"'  und  „Redeiveise" 
(älterer  Landwirt). 

„  .  .  mit  seiner  leder  durch-spohrt"  (R.  Mayer  ref.). 
Kontam.   aus  „durchstochen"  und  durchbohrt 

„überstaunt"  aus  „überrascht"  und  „erstaunt"  (Meyer  ref.). 

„vei'lei  .  .  „beleidigt"  (Szanto).  Sprecher  wollte  oftenbar 
sagen  „verleidigt",  kontam.  aus  „verletzt"  und  „beleidigt". 

„  .  .  Tele  .  .  Depeschen"  (Me).  Ich  wollte  sagen  „Te?e- 
peschen",  kontam.  aus  „Telegramm"  und  „Dep)eschen" . 

„  .  .  einen  Kamen,  den  Du  noch  nit  geg^hört  hast"; 
Lorenz,     „geg'hört"  ist  klare  Kontamination  aus  „gehört"  u. 
Dial.    gliört.     (Derselbe    Fehler   unten    wieder  nachgewiesen). 

„anbetrifft"  kann  man  bei  uns  öfter  hören  und  wohl  auch 
lesen.  Kontam.  aus  ..betrifft"  und  anbelangt". 


79 

,,  .  .  ein  Bittschreiben  eingerichtet"  (Dr.  Reichel  abends 
lo  Uhr),  ,, ein  gerichtet''''  ist  kontam.  aus  ,,aw  ihn  gerichtet^'' 
und  eingereicht. 

„.  .  im  abgeflossenen  .  .  verflossenen  Jahre  .  ."  (v.  Stre- 
mayer;  v.  Grienberg-er  ref.).     Es  spielt   ,, ab  gelaufen'^  hierein. 

„vcrquicJcste  Geschichte^'  sag-te  Detter.  Kontam.  aus  „ver- 
quickt"' und  „verflixP'.  Detter  bestätigte  die  Richtigkeit 
dieser  Erklärung. 

,,Man  würde  sie  für  eine  Gutsbesitzersfraii  anhalten"' 
(Junges  Fräulein).  Kontam.  aus  „halten  für^'  und  ,,an sehen 
als''. 

„Er  erzählt,  dass  sie  (die  Albanesen)  Menschen  hin- 
schiessen  ivie  Hasen"  (Mu).  Kontam.  aus  „hinmorden"'  und 
„nieder  schiessen". 

„Dienstbotmädchen"  (Mu).  Kont.  aus  ,, Dienstbote"  und 
„Dienstmädchen". 

„.  .  ob  dort  Anzug  .  .  ist  .  ."  (Mu).  Gemeint  war 
,,.  .  ob  der  „Zug"  dort  „Anschluss"  findet". 

,,.  .  wenn  ich  den  Anzug  versäumt  hätte  .  .  den  An- 
schluss (auf  der  Eisenbahn);  kontam.  aus  „Anschluss  und 
„Zug".     (Mu). 

„.  .  forscht  .  ."  Kont.  aus  „fordert"  und  „heischt"  (Me). 

„Foltzmann"  (J.  J.  David).  Kont.  aus  „Boltzmann"  und 
„Physiker". 

,,thumm"  kontam.  aus  „dumm"  und  „thöricht"  (Me). 

„zeitaufraubend"  (Mu).  Kont.  aus  „zeitraubend"  und 
aufregend". 

„auszüglich"  kont.  aus  „ausgezeichnet"  und  „vorzüglich" 
(Penck). 

„slavatisch"  kont.  aus  „slavonisch"  und  „kroatisch"  (Penck). 

,,.  .  eine  ganze  Messe  .  .  Mange  .  .  Menge  von  Be- 
ziehungen .  ."  „Masse"  und  „Menge"  schneiden  sich  hier 
zweimal  (Jos.  Schneid,  ref.). 

Einen  Fall  will  ich  besonders  hervorheben.  Mu.  sagte: 
„alle  heiligen  Augenblicke"  kont.  aus  „alle  heiligen  Zeiten" 
und  „alle  Augenblicke".  Die  Redensarten  haben  entgegen- 
setzten Sinn! 


80 

„öj6  mir  ein  ZechserV,  kontam.  aus  „ZthnerV^  und 
,,SechserV'  (Ri). 

,,jB»"  hat  doch  eine  Frei  .  ."  Hier  unterbrach  sich  die 
Redncrin  (Ri)  und  crkliirte,  sie  habe  an  „i'VaM"  und  ,,gehei- 
rateV  gedacht. 

In  einer  Abendgesellschaft  verlangte  v.  Eglofifstein  vom 
Kellner  ,,dM  Kriigel  Layner"  für  „.  .  Lager'^.  Spottend 
forderte  man  mich  auf,  den  Fehler  zu  erklären;  ich  konnte 
das  nicht.  Da  kam  einer  von  den  Herren  auf  die  richtige 
Erklärung.     „Lagner ^'  sei  nach  ,,Pllsner"  gebildet. 

,,.  .  Abgestie  .  ,  gestorbenen  .  ."  (Ri)  kontam.  aus  „Ge- 
schiedenen .  ."  und  ,,.  .  Abgestorbenen  .  ." 

„Ich  Juib  ihr  ein  Zwar  .  .  ein  Paar  gegeben'^  (Ri). 
„Zwar''^  kontam.  aus  „ein  Paar^'  und  „zivei^'. 

„.  .  werden  vielleicht  nicht  wehr  .  .  mehr  haben*'.  (Ri). 
Kontam.  aus  Nebengedanken:  „.  .  .  weniger  .  ." 

„.  .  GastJianf  .  .  Gasthaus  .  ."  (Bormann).  Es  spielt 
Gasthof  herein. 

„Jetzt  war's  mir  hast  so  gegangen  wie  Dir  .  ."  (Me) 
„basf'  kontam.  aus  „bald'"'  und  „fast"  (Sieb  oben  2.  Beispiel). 

Meine  Frau  sagt  zu  mir :  „Leivös"^  I  Kontaminiert  aus 
„Leb  wohV^l  und  „Servus^'  Sprecherin  erklärte  den  Fall  aus 
ihrem  Bewusstsein  sofort  richtig. 

Es  ist  von  „Trautmansdorf''  die  Rede.  Darauf  sage  ich: 
„Trautmayr  .  .  Lobmagr^'. 

„aufgebläst"  für  „aufgeblasen"  nach  „aufgebläht".  (Alte 
Frau). 

„Am  Montag  schtebütiert  der  Kainz  zum  erstenmale^' . 
(Rida)  Kontamin.  aus  „debütiert"  und  schpidt  (spielt)." 

„Ich  hatte  den  festen  Absatz"  (Me).  Kontam.  aus  „Absicht" 
und  „Vorsatz".     Schon  öfter  beobachtet. 

„.  .  eine  fabelhafte  Zimmer  .  ."  (Me)  Kontam,  aus  „Ziffer*' 
und  „Snmme". 

„Aber  ich  bitf  Dich  Rind  ,  .  Kiml,  Ridal"   (Me). 

„.  .  aus  den  Gleinern  .  ."  (Me).  Kontam.  aus  „Gliedern" 
und  Gebeinen" 


81 

,,Was  ein  guter  Wein  ist,  das  scJunerkt  man  .  ."  (Dr. 
C.  Schneider).     Kontam.  aas  „schmecM^''  und  ,.merJcV'. 

„Drinwendig"  (Me)  aus  „drinnen'''  und  ,,inwendi</\ 

,,  .  .  heute  ist  erst  Dinnerstag.  Dienstag  und  Donnerstag 
geht  die  L.  fort''.     (Rida.) 

„Lieblings g es peise"^  (Junges  Fräulein).  „Gericht"'  spielt 
herein. 

„Der  Bendrian,  .  .  „der  Benndorf  .  ."  (Me).  Es  war 
vorher  von  v.  Ändrian  die  Rede. 

„Phantasie  hat  dabei  iveites  Spielraum''''  (v.  Grienberger). 
„FeW  wirkt  mit. 

„Bcneinuiu/'  sagte  Detter.  Kontam.  aus  „Bejahung'''  und 
„Verneinung^^. 

„.  .  die  Burentachnih  .  ."   (Me).     Mitklang   von   TaUih". 

„Da  haben  Sie  gar  lieinen  IdeeV'  (Anna  Haass).  „Jceineti 
Begriff''  sagen  wir  oft  im  selben  Sinne. 

,,.  .  in  der  ersten  Aufgabe"'  Detter).  „Ausgabe''  und 
„Auflage''  sind  hier  kontaminiert. 

„Heute  ist  ihr  alles  geglungenV''  (Rida).     Nach  „geglückt''. 

„Jetst  kriegfs  (unsere  Hündin)  eine  Zutl"  (Rida).  Kontam. 
aus  „Zorn"  und  „Wut". 

„Sekaniert"  (Strekelj).  Kontam.  aus  „chikaniert"  und 
„sekiert". 

.,.  .  unter  aller  Kredik''  (Wassmuth).  „Kredit"  ist  hier 
mit  ,, Kritik"  verschmolzen. 

,,Herr  Schurich  hatte  einen  Hund  namens  „Bussel". 
Meine  Frau  versprach  sich  öfter  und  nannte  ihn  „Schussel". 

„Er  kann  Um  nicht  ausleiden'''  (Oskar  Walzel),  „leiden" 
und  „ausstehen^'. 

Eine  schöne  Bildung  ist  „geghört"  (Rida)  entstanden 
aus  dem  dialektischen  „gliert"  und  dem  schriftdeutschen 
,,gehört" ').     (Derselbe  Fehler  oben  von  H.  Lorenz). 

„Der  Semmering  hat  den  Vortul  .  ."  (Kommerzialrat 
Michel).     „Vorzug"  und  „Vorteil". 


')  Vgl.  Süd-  unil  ostfränlcisch  gekört  Paul  Prinzipien''  S.   148. 
Meringer,  Aus  dem  Leben  der  Sprache.  O 


82 

,.  Wir  liahcii  Veineu  l{c(fcntu(f  miiychuht'^^  y(/diabt'^  und 
„mit()nna(hV'  (Rida). 

.,Lbcrdi)i(fs"  aus  „überdies''  und  „allenlinffs''  (Rida). 

.,.  .  grille  Stimme  .  ."  (Mc).     Aus  „grell"  und  „achrilV'. 

.,.  .  einen  feine))  Ge)uchsrer)nögcn'^  (Rida).  Das  männl. 
Geschlecht  von  dem  mit  assoziierten  „Geruchssinn^^. 

„Umgangsvr)dliseh  .  .  englisch  kann  ich  doch  noch'''  sagte 
meine  Frau.  Sie  wollte  noch  „endlich^'  sagen,  das  aber  nach 
der  Antizipation  ganz  wegfiel. 

,,.  .  lett  .  .  lieb  .  .''     Natürlich   spielt  „nett"  mit. 

„Wir  fozzeln  ihn  ja  nur  (Me).  Kontam.  aus  „frozzeln^' 
und  „foppen''. 

Ich  will  sagen:  „Es  ist  nichts  {los)\"  Dr.  Witlazil  sagt 
dazwischen:  .,.  .  kein  Stoff.  ."  Ich  sage  also:  „Es  ist  nichts 
loff-' 

Im  Kolleg  habe  ich  einmal  ^attisch  gesagt,  aus  Attisch 
nach  yonisch. 

„Diese  Anf sorgen  .  ."  (Loth.  v.  Frankl).  Kontam.  aus 
„Sorgen"  und  „A)(fregungen''' . 

Mir  gehen  Sie  V^  Ty)-oten"  .  .  TgrolcrV  (Karl  v.  Weilen). 
Nebengedanke  ,,.  .  Bote))  .   ." 

„Bid(t^  der  wiezwölfte  ist  heute?''  (Me).  Kontam.  von 
„ivievielte?"  und  „zwölfte?" 

,,Se])r  bald  iibersiegt  auch  hier''  (Minor;  Mu  ref.),  Kontam. 
aus  ..siegt"  und  „Hbertciegt". 

„Die  Stiefel  sind  morb".  (Brockhausen).  Kontam.  von 
„mnrb"  und  „morsch". 

...  .  mit  Omivay  .  ."  (Frau  Fl.  F"ricdmann).  Aus  „0))inihus" 
und  „T)amivay'\ 

„.  .  aus  anderen  Bciccgnngen  .  ."  sagt  Burdach.  Kontam. 
aus  „Beweggründe))"  und  ..Er)vägiingen'''.  Mein  Tagebuch 
bemerkt,  dass  Burdach  behauptet,  sich  nicht  versprochen 
zu  haben. 

,.So  ein  schleichts  .  .  leichtes  Kraut  .  .  (Direktor  Schlumpf; 
von  Zigarren  war  die  Rede).     „Schlecht'  und  „leicht". 

..Kon))))t  GrcndlV  sagt  meine  Frau  zur  Gretl.  Es  spielt 
„Kindl"  mit. 


83 

„Hcrfiehildef'  aus  ,,aiisgchildet"'  und  „herf/estellt^''  (Sigrn. 
Exner). 

„.  .  mit  Kot  und  Fall  seine  Prüfungen  hestehf"  (Hahn- 
reich). Der  Kasus  gehört  wohl  hinauf  als  Verschränkung 
von  ..Kncdl  und  Fall  fällt''  und  „mit  Not  .  .  besteht'. 

,,.  .  mit  meiner  Einstimmung^',  aus  „Eimvilligung"  und 
^,Zustinitnung^'. 

...  .  allerheil  .  .  allerlei  Leute  .  ."  aus  ,Mllerlei"  und 
,,allerhand'''  (Sieg.  Exner). 

Zur  Zeit  des  Boxeraufstands.  Meine  Frau  sagt:  ,,Wem7. 
ich  nur  wüsste,  tvas  mit  den  Kesandten  ist?''  Ich  verspotte 
sie  wegen  des  k;  sie  sagt,  sie  hätte  an  Kinesen  {Chinesen) 
gedacht, 

,,,  .  hureauJcratischc  Anschicht  .  ."  (Mu).  Kontam.  aus 
„Ansiclif  und  ,, Anschauung^' . 

„Nachlassenschaft'''  (Rida).  Aus  „Nachlass''  und  „  Ver- 
lassenschaft''. 

„Der  ist  ein  rechter  Tausendnöter^'  (Junges  Fräulein).  Aus 
„Tausendsassa"  und  „Schwerenöter^^. 

„Ausgesogen"    für   „ungezogen"'    und   „ausgelassen^''    (Me). 

In  der  Deutschen  Literaturzeitung  1901  Sp.  397  steht 
^jWortspalterei'^ .     Aus  „Wortldauberei"    und    „Haarspalterei". 

„Fragelhaft"'  aus  „fraglich"  und  „zweifelhaft"  (Me). 

„Spiegel  mit  .  .  Symhlemen  .  ."  (Karl  Meringer).  Aus 
„Siimboleri''   und  .,Eniblemen" . 

,,.  .  in  einem  Konvenkel  .  ."■  (A.  F.  Pribram)  „Konven- 
tihV  und  „WinM". 

„.  .  am  leisten  .  ."  (Me).     Aus  „besten"'    und  „liebsten". 

6.  Sprechschwierigkeiten. 

a.  Zögerndes  Sprechen. 
Vgl.  V.  und  V.  S.  84,  S.  126. 
Zögerndes  Sprechen  infolge  von  Sprechschwierigkeit 
stellt  sich  dann  ein,  wenn  ein  Laut  in  gleicher  Wertigkeit 
oder  schwierige  Laute  überhaupt  —  in  welcher  Stellung  auch 
immer  —  mehrfach  hintereinander  gesprochen  werden  sollen. 
Unter   denselben   Verhältnissen   tritt   auch  Stottern   beim    nor- 

6* 


84 

malen,  g-ewöhnlich  nicht  stotternden  .Menschen  ein,  so  dass 
man  sagen  kann,  das  Stottern  ist  bh)ss  ein  höherer  Grad 
jener  Störungen,  die  sich  beim  zögernden  Sprechen,  bei  den 
Sprcchschwierigkcitcn,  offenbaren. 

Da  es  mir  nicht  immer  möghch  ist,  die  Art,  wie  die 
Sprechschwicrigkcit  sich  sprachhch  ausdrückt,  in  der  Schrift 
anzudeuten,  bleiben  einige  der  folgenden  Wörter  und  Sätze, 
bei  denen  ich  zögerndes  Sprechen  konstatierte,  ohne  nähere 
Angabc.  Sonst  ist  der  Laut  oder  die  Silbe,  bei  denen  die 
Schwierigkeiten  sich  einstellten,  gesperrt  gedruckt.  Doppel- 
setzung eines  Konsonanten  bedeutet,  dass  dieser  gelängt 
wurde. 

Die  Hauptquelle  der  Erkenntnis  der  Sprechschwierig- 
keiten bietet  die  Selbstbeobachtung.  Bei  anderen  kann  man 
sie  an  gewissen  Pausen,  Längung  von  Konsonanten  und 
Vokalen  und  anderen  Abnormitäten,  die  man  leichter  merken 
als  beschreiben  kann,  erkennen. 

„.  .  G'rad  drauf  (/rechnet  .  ."  (Rida). 

„.  ,  Zwischen  zwei  Geschwistern  .  .''  (Me). 

„Das  ist  dazu  der  Dativ  .  ."  (Me). 

„Der  Dillettantismus  .  ."  (v.  Holderegger).  Ich  hätte  in 
dem  Falle  Stottern  bei  den  Dentalen  erwartet.  Wenn  ich 
aber  recht  beobachtet  habe,  wurde  das  /  gelängt.  Vielleicht 
um  Zeit  zu  gewinnen  für  die  Vorbereitung  der  folgenden 
Dentale  : 

,..  .  ein  eilelirischer  Schhuj  .  ."  (Me). 

„OherhibUothel'ar*. 

„Semesstralsei(<jnis''' . 

„.  .  zum  Beispiel  hei  mir  .  .''  (Me). 

,,.  .  sie  befestigt  sich  ihm  immer  mehr  .  ."  (Me).  Das 
Wort  „ihm^'  machte  mir  Schwierigkeiten. 

.,.  .  ein  energischerer  Mann  .  .'' 

,,Am€lioratio)i'\ 

„Strichstich-  SticJccrei''  * . 

b.  Das   S  totte  rn. 
Ohne  merkliche  Grenze  geht  die   Sprechschwierigkeit  in 


85 

Stottern  über;  der  Laut  oder  die  Silbe,  welche  gestottert 
wird,  erscheint  geläng-t,  die  Schwierig-keit  des  Hervorbringens 
wird  sehr  deutlich;  es  kommt  auch  zu  wirklicher  Wieder- 
holung- eines  Lautes,  eventuell  mit  Wiederholung-  des  nächsten 
Vokals  (z.  B.  Ba  .  .  baclqnäver). 

Wie  beim  krankhaften  Stottern  ist  es  auch  beim  normalen 
Stottern  der  Anlaut  des  Wortes,  der  besonders  oft  gestottert 
wird.  Die  Erscheinung  kann  nicht  wundernehmen,  da  aus 
anderen  Beobachtungen  klar  ist,  dass  der  Anlaut  zu  den 
hochwertig^en  Lauten  zählt.  Nichts  hat  aber  unser  Stottern 
mit  dem  hysterischen,  bei  dem  eine  krankhafte  Abneig-ung- 
geg-en  irg^endeinen  bestimmten  Laut  besteht,  zu  tun. 

Das  Anlautstottcrn  tritt  nun  nach  meinen  Beobachtung-en 
vorzüglich  dann  ein,  wenn  zwei  oder  mehrere  W'^örter  mit 
demselben  Laute  beg^innen.  Das  ist  sozusagen  das  normale 
Anlautstottern,  das  man  bei  allen  Menschen  beobachten  kann. 

Ich  will  z.  B.  sag-en:  ^,lcli  tveiss  nicht,  warum  der  Wind 
ivieder  halt  wird^\  stottere  aber  Wivivind",  d.  h.  ich  verlängere 
das  a»  über  alle  Gebühr.  Der  Grund  ist  hier  ein  g"anz  klarer. 
In  dem  Augenblicke,  wo  ich  Wind  sagen  will,  klingen  die 
bereits  gesprochenen  w  (von  ,,Züeiss"  und  ,,wariün^')  nach, 
die  von  ,,7C'ieder^'  und  ,,wird^'  klingen  bereits  vor.  Das 
Resultat  ist  ein  gcstottertes  tvwiv^). 

Bei  Menschen  mit  geringerer  Sprechdisziplin,  bei  denen 
jeder  Nebengedanke  bei  leicht  erregbarer  Sprechtätigkeit  sich 
auch  sofort  sprachlich  äussert,  zeigt  sich  Stottern  auch  ohne 
das  Vorhandensein  der  erwähnten  Bedingung.  Wenn  z.  B. 
Mu  sagt  „losla  .  .  leye^',  yScluir  .  .  Schuften'-'',  so  zeigt  sich 
hier  plötzliches  Verlassen  der  eingeschlagenen  Sprechbahn 
(,./o5?o.s\sY'",    ,. SchurJcen'"')   und  Einlenken  auf  eine  andere,   und 


')  Über  das  krankhafte  Anlautstottern  vgl.  z.  B.  Giitzmann,  Des 
Kindes  Sprache  und  Sprachfehler  S  174.  —  A.  Lieb  mann,  Vorlesungen 
über  Sprachstörungen  i.  2.  Heft  S.  7.  19  Auf  S.  27  berichtet  L.  von  einer 
Patientin,  die  besondere  Schwierigkeiten  hatte,  -xenn  die  beiden  ersten  Wörter 
mit  demselben  Anlaut  anfingen,  z  B.  ,.Meine  Mama''.  Das  sind  eben  die- 
selben Fälle,  bei  denen  sich  Sprechschwierigkeiten  und  sogar  auch  Stottern 
oft  beim  ganz  normalen  Menschen  einstellen. 


86 

ich  hätte    diese  beiden   Falle  V.    und  V.  S.  6i)    besser  nicht 
unter  Kontamination,  sondern  unter  Stottern  gestellt. 

Solche  Erscheinungen  kommen  aber  bei  imruliigem 
Sprechen,  wenn  man  während  des  Redens  neue  Mittel  des 
Ausdrucks  wählt,  auch  sonst  vor. 

Es  ist  aber  auch  noch  ein  anderes  Anlautstottern  möglich. 
Man  weiss,  dass  man  von  entfallenen  Worten  oft  nur  den 
Anlaut  weiss  und  durch  Wiederholen  die  richtige  Bahn  zu 
finden  sucht.  Es  scheint  mir  möglich,  dass  das  Anlautstottcrn 
bei  manchen  Personen  wirklich  den  Grund  hat,  dass  ihnen 
momentan  von  dem  zu  sprechenden  Worte  wirklich  nur  der 
Anlaut  zur  Verfügung  steht,  und  dass  ihr  Stottern  einen  Ver- 
such bedeutet,  ins  rechte  Gleis  zu  kommen. 

c.  Stottern    aus    Vorwirkung    von    Sprachelementen. 

„P  .  popkr-'  (Me). 

,,///  .   nicutchiiial^''  (M). 

„B  .  bibliothrks-BwJi"'  (stud.  Tkac). 

,yHat  der  V  .  Vlrchou:  wirklich  .  .?''  (P.  Ausp.). 

,,.  .  und  so  mä  muss  man  saijen  .  ."  (Jagic  nach  Broch). 

„.  .  die  P  .  Pdf  Professoren  .  ."  (Me). 

,,.  .  man  muss  v  .  vollkommen  das  Gefühl  haben  .  ."  (Me). 

,,.  .  tr  .  rotzdem  zusammen  geh  rächt  .  ."  (Me). 

,, Diese  K.ki:rW'  (Me).  Ich  dachte  nebenbei  ..Kainpl^^ 
dessen  K  offenbar  in  dem  gestotterten  Anlaut  des  anderen 
Wortes  vorklingt. 

„/  .  /  denk',  er  ivird  in  irgendeiner  Kanzlei  .  /'  (Dr. 
Pfeifer). 

„.  .  w  .  Tcill,  Wenn  .  ." 

,,.  .  da  braucht  man  hl  .  loss  aufgelegt  zu  sein'*  (Me). 

„.  .  dass  ein  besserer  Journalist  Schaff .  .  Sss.  Sreznewsky 
sei''.  (Jagic  nach  Broch).  Nebengedanke  ,,ScJiaffari¥'.  Das 
Seh  veranlasst  Stottern  bei  dem  ,S'. 

,,.  .  e»  .  rorlaufig  für  Dich  .  ."  (Me). 

.,.  .  ein  gro  .  gro  .  grosser  Teil  der  Kroaten  .  ." 
(Murko).      Der    Fall    zeigt   Silbenstolpern,    d.    h.    mehrfaches 


87 

Anschlagen  einer  ganzen  Silbe  wegen  grosser  Ähnlichkeit 
einer  folgenden. 

„Eti/mo  .  Etymoll  .  Etymologie^'  (M.  H.  Jellinek),  Warum 
hier  gestottert?'^  Ist  das  o  schuld?  Wahrscheinlich  irgend- 
ein  Wortvagant. 

,^Daran  gl  .  glaub  ich  gar  nicJif^  (^^c)-  ^st  hier  das  y 
schuld? 

,,Sau  .  saure  Pflaumen''  (Brock).     Isi  au  schuld? 

,,.  .  ^u  ar/al  .  amalgumieren  .  .''  (E.  Reisch).  Vorklang 
und  Stottern.  Letzteres  war  nicht  näher  zu  fixieren.  Wegen 
der  a?'' 

,,.  .  die  He  .  He  .  Herren,  hei  denen  Sulcali  hört  .  ." 
(V.  Hartel). 

,,War  der  Murlco  heute  Mitte  .  .  Mittag  da?'"  (Me). 
Vielleicht  nachklingendes  Stottern. 

,,/»  Istrien  ka  .  ka  .  kann  man  im  Freien  kampieren''^ 
(Mu). 

„Eine  en  .  enorme  Energie^'  (Me). 

,,.  .  da  mu  .  .  muss  man  halt  .  ."  (Me). 

„.  .  wei  .  .  Tüeisst,  was  ich  erwarte?''  (Me). 

,,.  .  einen  grä  .  .  yrä  .  .  griisslichen  Rachenkatarrh  .  ." 
(Me). 

„.  .  wa  .  .  wann  ich  keine  Verantwortung  habe,  so  ist 
mir  das  ganz  IVurst"'  (Me). 

,,.  .  er  ersch  .  .  scheint  schliesslich''  (Me). 

„.  .  uml  h  .  .  heut  ist  auch  die  Marie  nicht  zu  Haus  .  ." 
(Me). 

,,.  .  Be  .  Berufung  nach  Berlin  .  .''  (Me). 

„.  .  en  .  en  .  energisch  entschieden  erzogen  werden  .  ." 
(R.-R.  V.  KL). 

„.  .  Fr  .  rofessor  Raab  .  ."  (Me). 

„.  .  M  .  menschen  von  einem  mittleren  Schlag  .  .*'  (Me). 

„Die  T  .  todesco  .  ."  (Szanto). 

,,Der  Gr  .  rundriss  von  Brugmann  .  .'*  (Me). 

,,.  .  w  .  wie  wenn  politisiert  wird.''  (Me). 

,,.  .  ha  .  haben  Sie  meine  Bücher  schon  an  die  Hof- 
hibliotheh  .  ."  (Me). 


88 

.,.  .  V  .  7'crfbtchte  .  ."  (Mc). 

,,.  ,  seil  .  streng  (g^espr.  schtrciiy)  zu  In  schreibenden  phij- 
sischcn  Grund  .  ."  (O.  Walzel). 

„.  .  in  einem  gro  .  (jron-sen  Restaurant  .  .''  (Me). 

„JV  .   Wo  .  wollen  Sie  dann  übernachten?''  (Mc). 

„Ich  habe  g  .  gestern  vergessen  .  ."  (Me). 

,..  .  1:1  lä glich  .  ."  (Me). 

,..  .  es  seh  .  schrint  zerstreut  (gespr.  zcrschtreuty^  (Me). 

,,.  .  bl  .   laue  Bluse  .  .'•  (Me). 

„.  .  a'  .  mie  wir  Männer  .  .^'  (Me). 

„.  .  nia  .  nuDi  müsste  .  ."  (Me). 
* .,  .  sie  sei  .  seins  in  ihnerer  Landessitte  so  gewohnt''  sagte 
ein  Bauer. 

„  .  /  .  leicht  erldürlich  .  ."  (Me). 

„Ich  habi    rdindieh  g  .  geglaubt  .  /'  (Ri). 

.,.  .  ff  .  roUh>mme)i  falsch  .  ."  (Mc).  Den  Fall  habe 
ich  wieder  orcnau  beobachten  können.  Ich  stotterte  erst 
,,vz>  .  ."  und  konnte  dann  erst  mit  neuem  Einsätze  sagen 
^,rollkommen  falsch' '. 

...  .  all  .  lein  herumlaufen  .  .''  (Me). 

„Wenn  jemand  ko  .  kommt,  kann  sie  .  ."  (Me). 

,,.  .  w  .  wenigstens  haben  wirs  so  gespielt'^  (Me). 

,,.  .  bei  ärgstem  Schnee  .  seh  .  gestöber  fgespr.  geschtö- 
her'^).     Die  Stellung  des  seh  ist  interessant  (Ri). 

.,.  .  die  die  das  schafft  .  ."  für  „die  das  .  ."  (Me). 

„.  .  k  .  k  .  kurz  g  halten  (spr.  „kJtaltn"')  (Me). 

,,.  .  einen  Mo  .  Moment  .  ."  (Me). 

„  V  .    Verfasser"  (M.  H.  Jellinek). 

„Ba  .  baclcpulvcr"  (Rida).  Die  Laute  p  und  b  haben 
die  Lippenartikulalion   gemein. 

,..  .  ssollten  die  unbesoldeten  Frofessoren  .  ."  (Lippmann). 
Brachte    die   Ähnlichkeit    der  ganzen  Silben  sollt  und  soldl 

,,. .  seh  .  seh  .  schon  dem  Scharlachalter  entrücli  ist.'''  (Szanto). 

,,.  .  scJi  .  schreibt,  so  seid  reich  (streich)  ich  es  ihm 
diirch  (Me). 

„zur  Erld  .  lärung  der  sprachlichen   Tatsachen  .  ."  (Me). 

„Mu.  3IundniusJ,-ulatur''  (Me). 


89 

,,Das  Jiat  er  für  eine  (jotiije fällige  Hu  .  Handlung  ge- 
halten" (Me). 

„ein  .  .  ka  .  ha  .  Krakauer  Kalender  .  .''  (Rida).  Die 
„Jca  .  ha  /'  sind  klare  Vorklänge  von  ..Kcdender''. 

„.  .  IV  .  waren  wirhlich''^  .  ."  (Me). 

,,.  .  fünfzig  Ki  Kilo   ivi'trden  da  kosten  .  ."  (Me). 

„Wann  r  .  reist  die  Roethe  ah?'^   (Me). 

,,Pr  .  raJderei''  (Me). 

„Icli  IV  .  will  zoarten''   (Me). 

Ich  bin   V  .    Vormittag  von  ilir  fortgegangen^'' 
(M.  H.  Jellinek). 

„  .  .  Jiat  die  Seh  .  Schrift  schpiessndenlaufen  lassen'^ 
(Minor). 

,,  .  .  einfl  .  hissreichsten  Leuten  .   ."  (Me). 

,,  .  .  in  .  n  die  Indogermanische  {Gesellschafty^  Me. 

„Er  hat  nach  den  He  .  Heften  von  Heinzel  .  ."  (Me). 

„H  .  Höhst  .  .  ohstündler'-^  für  ,,  Uofohsthändler'- 
(R.  Berl)      Das    Wort    zeigt    noch    sonst  Vorklang    von  bst. 
Das    im  Anlaut   o-estotterte   //   ist    an    der  zweiten  Stelle    ge- 
schwunden,   also  noch  schwere  Dissimilation.     S.  u. 

„Sie  sind  heute  verwd  .  iv^  .  ivaisf"  sagte  Marek.  Ich 
begriff  den  Grund  des  gestotterten  ivd  nicht  u.  frage  ihn, 
woran  er  nebenbei  gedacht  hat.  Er  sagt:  ,.Än  WeihV'  Er 
meinte,  ,,ohne   WeiV'. 

,,Br  .  Br  .  Brunnenröhren''^  (Cornu). 

Strekelj  will  sagen:  „sHs  g'schperrt  [es  ist  gesperrtY\  sagt 
aber:  „s'is  .  seh  .  seit  .  seit  .  g'sjJerrt^'.  Blosses  5c//-Stottern 
oder  sind  die  vorausgehenden  s  schuld?  Im  letzten  Falle 
hätten  wir  ein  Stottern  infolge  von  Nachklang. 

„Statu  .  Statistische  Tabellen.'^  (Dr.  Bratusch).  Nicht 
klarer  Fall. 

,,.  .  Dass  die  .  die  .  Dir  gefälW'  (Rida). 

Das  Stottern  wird  auch  durch  Nachklänge  erzeugt.  Es 
folgen  die  Beispiele. 

d.  Stottern    aus   Nachwirkung   von  Sprachelementcn. 
„Diese  sind  s  .  so  mangelhaft.     (Jagic!  Broch  ref.). 


90 

^^Oherlämli.r  tU  .  lustricrn  .  .''  (Me). 

„.  .  eine  falsche  V  .  Zforaussetzuntf/'    (Jagic  nach  Broch). 

„ihr  u  .  urspri'dnjliches^'^  (Mc). 

„Prarsidial  .  list^^  (Me). 

„.  .  aafijeschichtet  standen  (gcspr.  ,,sc/itaiiden")  scho  . 
acho  .  schon  da''  (Prof.  Holdereg'g'er-Berlin). 

„.  .  eine  en  .  ncrtjische  .  ."  (Ale).  Die  Ursache  des 
Stotterns  lic«-t  dariu,  dass  „ein-'^  und  „en-^'  gleichwertig  sind. 

„.  .  Stück  (gespr.  Schtäeh)  st  .  stellt  (gespr.  sc/tteJd)'' 
(Me). 

„Ein  Fuhlikum  ko  .  kommt  dal"  (Me). 

„.  .  Dramen  auftr  .  treten  .  .'•  (Me). 

,,.  .  bosnische  Nationalität  und  Sprache  (gespr.  „Schp räche'') 
seh  .  seh  .  schaffen  .  .  (Mu).  Das  seh  wurde  dreimal  her- 
vorgebracht. 

,,.  .  schtürzt  seh  .  schon  herein'''  (Me). 

„JVeiss  zo  .  wein  (Bu). 

,,iüenn  er  einem  nicht  einmal  das  Recht  ein  .  .  einräumt 
(Me). 

,,5a'  hein  so  en  .  etienjisches  .  .  (Mc). 

,,.  .  (jlänzcnde  L  .  leistung  .  ."  (De). 

„Protestant  .  antismus  .  ."  (Ri);  sehr  auliallend  bei  einer 
24-jährigen  Person. 

,,.  .  in  einem,  Auflauf  .  .  lauf  hetriliyt  hat  .  .*'  Auf- 
fallend bei  Pe.,  Mann  von  35  Jahren. 

,,.  .  des  Schriftstellers  seh  schliesst  .  .''  (v.  Hartel). 

„.  .  Eisenfeilspän  .  pe  polsterl  .  ."  f.  „.  .  Eisenfeilspän' 
polsterl  .  ."  (Ri). 

„Bischofbro  .  brot''  (Rida). 

„.  .  mein  Ma  .  MayenJcatarrh  .  .''  (Me). 

,^Blumenb  .  bouqet^'  (Me). 

,,Jw  drei  Wochen  muss  man  dreimal  soviel  Wasch'  wä  . 
waschen'"'-  (Rida).  In  dem  gestotterten  „lüä  ."  klingt  deutlich 
„Wasch''  nach. 

„.  .  in  einem  ein  .  einsamen  Bauernhause  .  ."  (Cudiö, 
junger  Mann). 

„.  .  der  alte  Neryler  hat  all  .  lein  .  ."  (Me), 


91 

„.  .  die  D  .  Betalls  .  ."  (Rida). 
„.  .  man  .  ma  .  macht  .  .  (iMe). 
„.  .  und  ein  Schtäclcel  .  seh  .  Äp feiseht nidel  (Rida). 
Ein   sehr  interessanter  Fall.      Das    seh    klingt    nach    und 
erscheint  als  selbständiges  Gebilde  vor  dem  nächsten  Worte  '). 

7.  Dissimilationen. 

In  V.  u.  V.  S.  95  habe  ich  zwischen  leichter  und 
schwerer  Dissimilation  unterschieden.  Von  einer  leichten 
Dissimilation  rede  ich  dort,  wo  ein  Laut  durch  die  Wirk- 
samkeit eines  in  der  Nähe  stehenden  gleichen  und  gleich- 
wertigen Lautes  zu  einem  andern,  aber  ähnlichen  gemacht 
wird,  Fälle,  von  denen  die  Sprachgeschichte  viel  zu  berichten 
weiss.  Eine  leichte  Dissimilation  liegt  also  z.  B.  vor,  wenn 
aus  r  .  .  .  r  ein  l  .   .  .  r  oder  r  .  .   .  l  entsteht. 

Solche  Fälle  der  leichten  Dissimilation  habe  ich  (mit 
Ausnahme  gewisser  Erscheinungen  bei  5 c/i- Lauten  niemals 
mit  Sicherheit  konstatieren  können-). 

Schwere  Dissimilation  ist  mir  das  durch  die  Wirksamkeit 
des  in  der  Nähe  stehenden  gleichen  und  gleichwertigen 
Lautes  bedingte  Schwinden  des  Lautes  z.  B.  r  .  .  .  r  wird 
zu  Null  .  .  .  r  oder  r  .  .  .  Null. 

Diese  schwere  Dissimilation,  der  Schwund,  ist  nach 
meinen  Beobachtungen  die  Folge  des  höchsten  Grades  der 
Gründe,  die  zu  Sprechschwierigkeiten  und  Stottern  führen. 
Der  Schwund  des  Lautes  ist  die  letzte  Stufe  dieser  Hemmungen 
des  Redeflusses. 

Um    gleich    ein    Beispiel    zu    geben.       Währendem    ich 


')  Einer  meiner  Hörer  hat  mich  aufmerksam  gemacht,  dass  das  sch 
vielleicht  von  „ScJltrudcl  (Strudel)"  herührt,  indem  die  Sprecherin  zuerst 
nur  Strudel  allein  sagen  wollte,  dann  aber  sich  verbesserte  Das  war  nicht 
undenkbar,  ist  aber  deswegen  unwahrscheinlich,  weil  ich  den  Fall  gleich 
notierte  u.  meiner  Frau  vorlas,  wie  ich  es  in  allen  Fällen  tat,  so  dass  sie  mich 
wohl  darauf  aufmerksam  hätte  machen  können,  wenn  sie  zuerst  etwas  anderes 
hätte  sagen  wollen. 

^)  Das  eine  Beispiel  V.  u.  V.  S.  gb  ,Jm  hellen  leuchtenden  Sonnengrame 
.  .  glänze''^  ist  verdächtigt,  durch  den  Wortvaganten  ..Kram-''  beeinflusst  zu 
sein.     Meine  neuen  Beispiele  sieh  unten. 


92 

schreibe  und  mir  den  Text  halblaut  vorsage,  bemerke  ich, 
dass  ich  statt:  ^.Schpreclischwieriy'kelten^''  ,,Schi)reclnvierigJceiten^' 
saee.  Der  Nachklang  des  ersten  seh  hat  also  das  zweite 
p^anz  erdrückt. 

Zusammenfassend  kann  man  über  Sprechschwicrigkeiten, 
Stottern  und  Dissimilation  folgendes  sagen.  Es  führt  ein  und  der- 
selbe Weg  von  den  leichten  bis  zu  den  schwersten  Erscheinungen, 
wenn  derselbe  oder  sehr  ähnliche  Laute  sich  in  wichtigen 
Stellen  rasch  hintereinander  wiederholen. 

1.  Stadium.  Man  spricht  langsam,  zögernd,  mit 
Schwierigkeit,  z.  B.  d  .  ie  .  .  D  .  i  .  d  .  o  "  oder  man  sagt 
mit  Längung  eines  Dentals  etwa  ,.dle  Ddido''. 

2.  Stadium.  Es  tritt  Stottern  ein,  es  wird  ein  Laut 
doppelt  gesprochen,  Lautstottern,  oder  eine  Silbe  doppelt  ge- 
sprochen, Silbenstottern.  Man  sagt  z.  B.  „d  .  die  Dido"  (vor- 
klingendes Stottern)  oder  ,,die  d  .  Dido'',  (nachklingendes 
Stottern),  oder  „die  die  Dido'^  oder  „die  Di-dido"  (Silben- 
stottern). 

3.  Stadium.  Der  früher  gestotterte  Laut  oder  eine  ge- 
stotterte Silbe  wird  ganz  unterdrückt,  „schwer  dissimiliert". 
Man  sagt:  „Dido'^  statt  „Die  Bido'-. 

Nach  meiner  bisherigen  Erkenntnis  stellt  sich  die  Er- 
klärung folgendermassen. 

1.  Stadium.  Der  Vor-  oder  Nachklang  längt  den  Laut 
oder  die  Silbe. 

2.  Stadium.  Der  Vor-  oder  Nachklang  drängt  sich  neben 
den  Laut  oder  die  Silbe  (Stottern). 

3.  Stadium.  Der  Vor-  oder  Nachklang  verdrängt  die 
Laute  oder  Silben,  bei  denen  er  zum  Wirken  kommt. 

Diese  heftigen  Wirkungen  der  Vor-  und  Nachklänge 
hängen  davon  ab,  dass  ein  Laut,  eine  Silbe,  ein  Wort  um 
so  stärker  vor-  oder  nachklingen,  je  ähnlicher  sie  dem 
zu  Sprechenden,  dem  Laut,  der  Silbe,  dem  Wort,  sind,  wie 
ich   oben  mehrfach  hervorgehoben  habe. 

Gleiche  Laute,  Silben,  Wörter  werden  also  in  erster 
Linie  fähig  sein,  die  besprochenen  Erscheinungen  wachzu- 
rufen. 


9a 

a.  Leichte  Dissimilation. 

,,.  .  ciu  grosser  Gleit  .  Greuel  .  .''  (Me). 

„Der  Kerl  ivar  ganz  verdattelt  .  .  v  er  datiert  .  /'  (Me). 
Der  Fall  gehört  gewiss  nicht  hierher,  denn  die  r  sind  nicht 
gleichwertig"  und  dann  spielt  augenscheinlich  der  Wortvagant 
,, vertrottelt''  mit. 

,,.  .  gibt's  mir  son  .  .  schon  einen  Schtich  (Stich)"  (Me). 

,,.  .  dann  hat  er  einen  Blechschn  .  Schlitten"'  .  ."  sagt 
Mu.  xA-uf  sofortiges  Befragen  gibt  er  an,  er  habe  „Bhch- 
schnitten^''  sagen  wollen.  Auf  weiteres  Befragen  antwortet  er, 
er  habe  sonst  an  nichts  gedacht.  Da  Mu  als  Gelehrter  alles 
Vertrauen  verdient,  ist  auch  hier  Dissimilation  l :  n  immerhin 
möglich. 

Es  ist  von  der  ,, Maria  Theresia^''  die  Rede,  Auf  eine 
Anfrage  sage  ich :  ,,lJie  Zumhusch  ise''  für  ,,Zumbuscltisclie". 

..Bla  .  .  Bravo  Gretll'^  Leichte  Dissimilation  von  r  .  .  r 
zu  l  .  .  .  r  oder  Einfluss  des  l  von  ,,Gretl"'  oder  ein  un- 
bewusster  Wortvagant? 

,..  .  durcJi  Scliidiictrli  liassieren^'  für  ,,.  .  eachieren  .  ." 
(Roethe). 

Ich  sage:  :,Wir  hüttn's  uns  ja  net  rauf  schleppen  lassen 
brauchen  müssen"  und  lache  selbst  über  das  Satzungeheuer. 
Meine  Frau  will  ihn  wiederholen  und  sagt:  ,,raufschre2)pe)i  .  ." 
Das  r  ist  entweder  Dissimilation  oder  wahrscheinlicher  Nach- 
klang von    ,rauf". 

,,.   .    Ubergebri  .  .   gebliebenes    FleiscJi   .   .''    (Alte    Fraui. 

„Habe  ich  den   Wegscheider  son  schon  .  ."  (Me). 

„.  .  Icosten  beim  Delihatessenhändler  dleissig  dreissig 
Kreuzer'^.  Aber  r  .  .  .  r  ist  hier  nicht  zu  l  .  .  .  r  dissimiliert, 
sondern  die  im  Drucke  hervorgehobenen   l  klingen  nach. 

,,Das  ist  doch  ungrau  .  .  unglaublich,  ivie  verschieden 
die  Kinder  sindl"  sagte  ich  zu  meiner  Frau.  Möglich  ist 
hier  abei,  dass  der  mir  vorschwebende  Name  .,Rida'^  an  dem 
versprochenen  r  schuld  ist. 

Man  sieht,  dass  das  Material  sehr  dürftig  ist,  und  dadurch 
schon  die  leichte  Dissimilation  (mit  Ausnahme  der  Fälle  von 
seh  :  s)   zweifelhaft   gemacht  wird.     Dass    sie    sich,    wenn    sie 


94 

wirklich  vorkommt,  wohl  nur  bei  solchen  Personen  findet, 
die  ein  Zungcn-r  sprechen,  bedarf  keiner  besonderen  Er- 
wähnung. 

b.  Schwere  Dissimilation. 

a.  Aus  Vorwirkung"   von  Sprachelemcnten. 

„.  .  hat  mir  gestern  (/eträmut,  oder  hat  Bus  gesagt  .  ." 
,.hat^'  für  „hcfst'^,  wohl  sicherer  Fall  von  s-Dissimilation. 

Szanto    beginnt   -rtTcc  .   .  will   aber    sagen   rsToadqayjwv. 

,,.  .  und  ivir  erparrn  statt  5f!  Kreuzer  nur  28  Kreuzer  .  ." 
(Me)  für  ,..  .  ersparen  .   .'' 

„Ich  laim  mir  das,  tcas  I  .  .  Rida  selireiht  .  hrstätigen" 
(Me).  Ohne  Korr.  hätte  ich  wohl  ..]da''  gesagt.  Hier  wird 
sogar  das  anlautende  M  unterdrückt.  Vgl.  S.  Strickers : 
j.Rotand  der  —  iese''. 

,..  .  tvie  Graf  Attem  eins  gegessen  hat'''  für  ,..  .  Attems 
eins  .  .''  (Me).  Auch  der  Fall  ist  so  gut  wie  sicher  Dissi- 
milation, 

„Die  resdner  .  die  Dresdner  .  ."  (Me).  Nicht  etwa 
ermüdet. 

,,.  .  der  Senec  häft's  herausgeh-iegtV'  (Me)  für  ...  .  der 
Senex  .  ." 

,,.  .  der  ganse  Instantenstig  .  ."  für  .,.  .  Instansenzug  .  ." 
(Mu). 

„Ich  geh'  auf  den  Gang  heraus  —  purpurne  Finternisl" 
für  „Finsternis''  (Me). 

,,Ich  bin  boss  bloss  verpflieldet  .  .'"  (Me). 

„Ja,  das  ist  das  Otel  .  .  Hotel.  Erzherzog  Johann  .  ."  (Me). 

„Diesen  ScJiuss  .  diesen  Schluss  hätf  er  lassen  soUen'' 
(Mu;. 

,,.  .  Schei  .  .  Sehreihebrief  .  ."  (Me). 

Ich  wollte  sagen  „der  Tratra-GrilV  als  Bezeichnung 
eines  Feuerwehr-Kommandanten  dieses  Namens,  sagte  aber: 
„d(r  Ta  .  ta  .    Tratra  Grill". 

„.  .  Sehüttelfost  .  .  Schüttelfrost  l'riegt  man  .  ."  Frau, 
57  Jahr  alt). 

,,.  .  einen  Klecl:  .  .  findst  .  ."  für  „.  .  Klecls  findsf 
Ri  machte  eine  Pause  nach  „KlecJ:'^  aber  ohne  zu  korrig. 


95 

„  Wenn  er  ivird  auf  dem  To  .  .  SchtocJcerl  (Stockerl) 
schtelin  [stelm)  .  ."  (Ri).  Zweifellos  war  „.  .  Tockerl  .  ."  in- 
tendiert. 

Einen  F'all  habe  ich  besonders  deutlich  an  mir  beob- 
achtet. Ich  wollte  sagen:  ,,.  .  tvo  tvir  ivenigstens  rnJiig  reden 
Jcömien^^  kam  aber  nur  bis  ,,iceni(/stens'\  wo  ich  pausieren 
musste,  weil  das  r  mir  nicht  zur  Verfügung-  stand.  Hätte  ich 
weitergesprochen,  so  hätte  ich  nur  ,,  —  tdüg  reden''  sagen 
können.     Dissimil.  wegen  Vorklangs. 

„Das  Eegierungsräte  .  .  gerate  hat's  gemerkt"  (Me).  Diss. 
aus  Vorklang.  Vgl.  den  Fall  ,,  ,  .  Jiat  gavs  raue  Haare 
ghaht'"''  (Mu).  V.  und  V.  S.  88.  (Regierungsrat  v.  Kljucharich 
hiess  bei  uns   ,,das  Hegierungsgeräte''^). 

„Sie  hat  abolut  .  .  absolut  das  Sah  vergessen"'  (Me). 

„Bezüglich  des  Aufsettens  .  .  Aufsetsens  lasse  icJi  mit  mir 
handeln  .  ."  (Rida).     5-Dissimilation. 

,,.  .  eine  go  .  .  grosse  Reldamnotis  .  ."  (Me). 

„Gahiel  Ugron"  für  „Gabriel  .  ."  (Me). 

,.Da  sind  wir  ings  rings  um  ihn  herumgesessen^''  (Me). 

,,.  .  die  beteffenden  Professoren  .  ."  für  ,,.  .  betreffenden  .  ." 
(Mej.     Ein  ander  Mal:    „Der  bete  .  .  betreffende  Professor  .  ." 

„.  .  einer  Zeit  .  ."  für  ,,seiner  Zeit  {TseitY^  (Me). 

„.  .  denn  sonst  hätt  mirs  doch  gesagt'-'-  (hätte  sie  mir  es 
doch  gesagt,  also)  für  ,,denn  sonst  hätfs  mir's  ..."  (Me). 

Vor  einer  Annonze  der  Berliner  Gewerbe-Ausstellung 
sage  ich:  ,,Da  kommt  der  am m er  .  .  Hammer  aus  dem  Meer 
hervor  .  ."' 

„.  .  aber  Du  behaiiiHei  es  .  .  behauptest  es  .  ."  (Me). 

„.   .  unbegr  .  .  begrenzter  Kredit     .  ."    (Ein  Beamter). 

„Bei  Fiume  ist  doch  kein  Fusslauf  .  .  kein  Flusslauf .  ." 
(auf  der  Reise,  müd,  abends).  Der  Fall  trug  sich  unter  be- 
sonderen Umständen  zu,  ist  aber  nichts  anderes,  als  was  sich 
in  sehr  frischen   Momenten  ebenfalls  ereignet. 

„.  .  und  dieses  Komitee  heit  .  .  heisst  auf  deutsch  Aus- 
schuss  .  ."  (Me). 

„Drts  ivas  uns  das  Entsetlichste  ist  .  ."  für  ,,Entsetslichste^ 
(Me). 


96 

„.   .  so  iviirilc  ick  ir  Dir  (ins  ruhig  sniftii'^  (Mc). 

„.  .  kein  schüft  .  .  g'schäft  mclir  g'habt  Jiat'^  (Me). 

,,.  .  com  Ernt  .  .  Ernst  ijsa<)t  .  .''  (Mei. 

„.  .  unser  (jestiyes  .  i/cstriges  Gespräch  .  ."  (Me). 

„.  .  fün  keins  kleins  Glasl  .  ."  (Me). 

„Jeder  Russe,  der  jetzt  nach  Laihach  kommt,  wird  jetzt 
2ur  Folitei  sitiert^^  (Strekelj).     Unbemerkt, 

„.  .  im  Lüwenhäu  ijrauft  .  ."  für  „.  .  Löwenbräu  .  ." 
(Me). 

„  Trapifvtikloster^   habe   ich  zweimal   nacheinander  gesagt. 

„.  .  die  Hödrichsmi'ihle  ,  ."  für  „.  .  Höldrichf^miihle  .  ."* 
(Me). 

.  .  hat  statt  dohtriR  geduckt  .  .  gedruckt  dohtrik'*  l>fe). 
Vor-  und  Nachklang". 

„.  .  unsere  Faschen  .  Flaschen  sind  zu  klein  .  ."    (Me). 

„Post,  Frau  Rida!"  für  „Prost!''  (Mc). 

„.   .  bist  boss  bloss  blödl""   (Me). 

Ich  sag-te  im  Kolleg^:  „Denken  Sie  an  das  Paradiga  .  . 
Paradigma  merga.''- 

„Politik  ist  doch  ein  rechtes  komplitiertes  .  .  komplisiertes 
Zeug''  (Rida). 

„.  .  unsere  Kiint  Kunstindnstrie  .  ."  (Me). 

„Verschu  .  .   rerschwunden  gewesen  .  ."  (Me). 

„Ich  bin  foh  .  .  froh,  dass  der  Streber  endlich  etwas  er- 
reicht hat^  (Me;. 

ß.  Aus  Nachwirkung-   von  Sprachelementen. 

„Zur  relativen   Cho  .   .  Chronologie^  (Me). 

„.  .  dass  man  einen  Bruchstieh  .  .  Bruchstrich  draus 
machen  kann'^  (Me). 

„Stilliveigen ! ''■  (gespr.  Sc/itillweigen)  für  „Stillschweigen'^ 
sagte  Adl.  klar  und  deutlich.  Ich  halte  den  Fall  für  einen 
besonders  beweisenden,  denn  es  schien  im  g-egebenen  Mo- 
mente jede  Komplikation  ausgeschlossen. 

Ich  wollte  sagen :  „Abriss  der  indogermanischen  Laut- 
[lehreY,  kam  aber  nur  bis  „Laut-"^'^  ich  habe  genau  beob- 
achtet,   dass  ich  eine  Zeitlang-  das  zweite  l  nicht  denken  und 


97 

nicht  sprechen  konnte.     Ich  gebrauche  das  Wort  .^Lautlehre^ 
natürHch  sehr  häufig,   bis  jetzt  geschah  es   ohne  Anstand. 

„.  .  ahyesehen  von  der  Natur-rew;  .  .  Xaturtreue  .  ." 
(Adl.);   der  Sprecher  bemerkte  den  Fehler  selbst, 

„.  .  du:  reissiy  .  ."  für  ,,.  .  die  dreissiy  .  ."  (Me). 

„.  .  h-HikJos  im  räum  .  .   im  Traum  .  ."   (Me). 

„.  .  Dienstag  8 — 9  im  Sal  <:chzelin'^  für  „sechzehn'^. 
Denkbar,  dass  Ang-leichung-  an   ,.achtgehn^''  vorliegt  (Me). 

„Er  hat  einen  erzfehler  .  .  Herzfehler"-  (Me). 

„.  .  Krakauer  alender  .  .  Kalender  .  ."  (Me).  Ein  sehr 
interessanter  Fall  nachwirkender  Dissimilation. 

„.  .  Disserta  .  .  tion  .  ."  sagte  ich,  ohne  das  zweite  t 
(d.  h.  also  ts)  sogleich  hervorbringen  zu  können, 

„Die  Frau  farjt  .  .  fragt,  für  weti  .  ."  (Me). 

„Chinesischer  Reichsbeamter  ist  der  Osthorn  .  ,  Rosthor n^^ 
sagte  ich. 

„Der  Mann  leidet  a)t  Herzhopf  .  .  klopfen'^  (Me). 

,.In  der  Früh'  fürt  .  .  friert  mich  immer''  (Me).  Nach- 
wirkende r-Dissimilation  und   Nachklansf  des  ü. 

„,  .  der  Klavier  .  .  Klavierlehrer  der  Paula  .  ,"  Ich 
konnte  das  /  von  „.  .  lehrer^  nicht  gleich  sprechen  und 
wiederholte  das  Wort,     Dann  grelang  es. 

„,  .  im  Wissenschaftlichen  Klub  gau  .  .  glauV  ich  .  ." 
(Me). 

„.  .  er  is  einmal  ein  Sansl^ritit  gewesen  .  ."  (Me), 

„Schweinmalz  .   ,  SchiveinscJimalz''''  (Rida). 

„.  .  wegen  Agram  ida  .  Rida!'''  (Me).  Der  Name  „Ida"' 
ist  mir  ungeläufig. 

„.  .  Vortrag  über  Sophon  .  .  Sophron  .  ."  (Hofrat 
Schenkl), 

y,.  .  Rosenhanz  .  .  RosenJcranz  .  ."  (Me). 

„Von  den  Schtudenten  (Studenten)  merzlich  .  .  schmerzlich 
empfunden^'  (Me). 

„.  .  von  drei  Stolchen  Strolchen  angegriffen"-  (Me).  Vor- 
und  Nachklang. 

„  Wie    ich    in    die    Schul'    gegangen   bin,    hat    man   lieine 

Meringer,    Aus  dem  Leben  der  Sprache.  • 


98 

Feiss  .  .  F kisszetieln  hehommen^  (Rida).  Die  einwirkenden  / 
sind  nicht  gleichwertig'. 

„.  ,  (/er  wird  als  Kapital  ist  ausgeschieden  ai(s  dem  reise  . 
Kreise  der  Privatdosenten"'  (Mc). 

„  Wenn  Du  ihr  ein  aufgelöstes  Zuchernasser  gibt .  .  gibst .  ." 
(Me). 

„Wenn  Du  so  eine  Angst  hat  .  .  hast,  suche  ich  sie  selber"' 
(Me). 

„,  .  neil  Du  schon  tehst,  Du  Schwein!"-  für  ,,.  .  schtehst 
(stehst)'^.     Vor-  und  Nachklang. 

„.  .  und  da  droben  dürfte  das  eiserne  ohr  liegen  .  .  das 
eiserne  Tor''''  (Mc).  Die  d  und  /  sind  bei  uns  im  Dialekte 
wenig  verschieden.  Von  einem  „Ohr^''  war  absolut  keine  Rede. 
Ich  war  nicht  müde. 

r,Der  arme  Hascher,  der  Tschänis  (James)  raucht  Vir- 
tinia  .   .    VirtscJiinia  [Virginia)  (Me). 

yFriedich"-  für  „Friedrich"  (Muchs  Nichte). 

„Das  ist  ivirlxlich  unglaub  .  .  unglaublich  \"  Ich  konnte 
eine  Weile   das  dritte  /  nicht  sprechen. 

,.Den  letzten  öffel  .  Löffel  issfs^'  (nämlich  die  kleine  Grete) 
(Rida). 

y.Sehr  viele  Buben  haben  sofort  die  Emmel  .  .  Semmel 
zuri'tcTigezogcn  "  ( Me) . 

c.  Silbendissimilationen. 
a)    Aus  Vorwirkung. 
y^Eine  freuliche  .  .  erfreuliche  Erscheinung  .  ."  (Me). 
„.  .  einladen  .  .  eingeladen  gewesen  .  ."  (Mu). 
„.  .  hat  sich  heute  seinen  dritten  halt  .  .  Gehalt  geholt  .  ." 
(Me). 

„3Ian  muss  doch  fragen,  was  drückt  die  Kunststellung 
aus,  die  Kunstausstellung  aus?"  (Ein  Redakteur). 

y,Der  Friede  wird  durch  die  rechti gleit  .  .  Gerechtigkeit 
gefordert''   (Me). 

ß.  Aus  Nachwirkung. 
,,Singularis   oder    Pluris  .  .  Fluralis"    (v.    Grienberger). 
Der  Nachklang  von  -la-  hat  hier  -al-  verdrängt.     Interessant. 
„Investionsscheine"'    für   „Investitioyisscheine"    (VVassmuth). 


99 

8.  Silbenunterdrückung   und   Silbenüberspringung. 

(Entg'leisungen.) 
Vgl  V.  und  V.  I,  S.  83,  S.   183. 
Vgl.     auch     oben    unter    Antizipation,     Dissimilation,     Konta- 
mination. 
Eine    Silbenüberspringung-     infolge     von    Antizipation 
bieten   Fälle  wie    „i^/a?e''    für   ^/Filiale''.     Hier   ist   von  i  aus 
sofort  auf  das  nächste  gesprungen,  d.  h.  besser  ausgedrückt, 
das  hinter  dem  ersten  7  stehende  und  schon  wirksame  zweite  i 
hat    das    erste,    und    was  ihm    folgte,    unterdrückt.     Das  Bild 
V.  und  V.  S.    186  kann  aufrecht  gehalten  werden. 

Ebenso   erklärt    sich    „InditelV''    für    „Individudl''    durch 
Überspringung  von  d  aus,  was  man  auch  so  darstellen  könnte. 


Resultat:   ,,Induel¥^. 


Nach  diesem  Bilde  könnte  man  auch  wohl  von  einer 
Entgleisung  reden.  Der  Fall  ist  genau  wie  oben,  s.  Antizi- 
pationen: ,,.  .  hei  JägerJicmden  gesehen  .  ."  für  „.  .  hei  Jäger- 
meyer Hemden  gesellen 


ii 


Resultat :  .,Jügerhemden'^. 


Ebenso  „Superintvnf''  für  ^, Superintendent^^  mit  Entgleisung 
vom  Dental  aus,  „Millijahren^'  für  „3IiUionen  Jahren",  ■  wo 
Entgleisung  von  j  aus  erfolgt. 

7* 


100 

Darnach  wird  man  eine  Anzahl  von  Fällen,  die  Ent- 
g-lcisungen  darstellen,  nunmehr  zu  bestimmen  in  der  Lage  sein. 

„Dercktor  .  .  der  Direläor"  (Me). 

Das  Versprechen  von  „Fiale^^  für  ,, Filiale'^  hat  auch 
Frau  Muhr,  Wirtin  in  den  Vierzigrer  Jahren,  gemacht.  Vgl. 
oben  und  V.  und  V.  S.    i86). 

„DuniaU  .  .*'  für  ,,Du  damals  .  ."  (Me). 

„Commentoren^^  für  „Cotumt'ntatoren^^   (Detter). 

„Dann  hat  er  auch  Tier  .  .  Papier  zu  hernnjeu''  (Me). 

„Staatsivohltiyhit  .  .  wohltätiij'kdtsloUerie^''  (Schima). 

„.  .  seigiä  .  ."  für  „.  .  sei  so  gut  .  ." 

„SaiibascJic  .  .  Saubagaschc'''  (R.  Schneider).  Das  a  ist 
schuld  an  der  Entgleisung. 

^Bhddürsterich^''  für  ^^blutdürstiger  Wüterich'^  Entgleisung 
von  t  aus. 

„.  .ob  ich  sugrundtii  sollte"'  für  ,,.  .  zugrunde  gehn  .  ."  (Jos. 
Schneid,  ref.). 

„.  .  wo  Dti  .  .  wozu  Du  .  ."  Antizip.  durch  u  erleichtert. 
(Me). 

,,.  .  zwischen  den  Zwcibündeln  .  .  zwei  Heubünddn  .  ."^ 
(Mu). 

,,.  .  hab  alles  stehn  und  liegen  müssen  .  .  liegen  lassen 
müssen".  Hier  bieten  sich  „liegen""  und  „lassen''  zugleich  dar. 
Die  Bahn  fährt  über  „liegen^^  ohne  .^lassen"  mehr  zu  berühren. 
Erst  Korrektur  stellt  dieses  wieder  her. 

Anderer  Art  ist  der  folgende  Fall:  „Das  werden  wir  nicht 
herumlassen  .  .  herumliegen  lassen.''  (Me). 

„.  .  kolossachen  .  .  Jcolossale  Sachen  .  ."     (iMe). 

,,.  .  sehr  interessache  .  .  interessante  Sachen  .  .''  (Bezirks- 
vorsteher V.  Radimski). 

Oben  ist  bei  der  ,, Silbendissimilation"  der  Schwund 
von  Silben,  die  sich  im  Satze  wiederholen,  durch  Beispiele 
erörtert  worden.      Ich   führe  hier  noch   einiges  an. 

„Meine  Vorlesung  sinken  .  ."  für  ,,.  .  Vorlesungen 
sinken  .  ."  Es  dürfte  zwar  Dissimilation  die  Hauptursache 
sein,  aber  es  wäre  denkbar,  dass  der  Singular  als  schwebendes 
Wortbild   mitwirkt. 


101 

Schuchardt  teilt  mir  einen  anderen  Fall  mit.  Er  sagte  im 
Gespräch  uniloco  für  unico  loco.  Er  bemerkt  dazu  selbst, 
dass  Dissimilation  möglich  sei,  dass  aber  nach  seinem  subjek- 
Gefühl  univoco,  unisono  mitgewirkt  hätten.  Ich  habe  nichts 
dagegen  einzuwenden. 

Ein  kleiner  Rest  von  Fällen  bleibt  imerklärt. 

„Saz  .  ."  für  ,,Situasion'^. 

„Katorie^''  für  ^.Kateyorie''^ . 

„.  .  Staub  abhelfen.  .  abivisclien  helfen  .  ."  (Me;  lo  Uhr 
abends,  normal).     Ganz  seltener  Fall. 

9.  Individuelle  Wortverkürzungen. 

Diese  sind  besonders  bei  lebhaften  Personen,  wenn  sie 
formelhafte  Wendungen  gebrauchen  oder  wenn  die  Ergänzung 
naheliegt,  so  dass  das  Verständnis  nicht  leidet,  zu  bemerken. 
Hier  nur  wenige  Beispiele,  die  ich  an  die  Silbenunterdrückung 
deshalb  anschliesse,  damit  man  die  Verschiedenheit  von  den 
bis  jetzt  besprochenen  Fällen  erkenne. 

„IcJt  liabe  lebhaft  bedau  .  .  ." 

„Es  ist  (jar  Jcein  Zwei  ..." 

y,Die  österreichische  Belecjation  und  die  im  ..." 

Solche  Abkürzungen  habe  ich  namentlich  bei  v.  Klju- 
charich  beobachtet,  bei  dem  sie  besonders  zahlreich  waren. 
Aber  ich  bin  nicht  in  den  Verkehrskreis  hineingfekommen, 
in  dem  das  Mode  ist,  denn  dass  dieser  Mann  das  selbst  er- 
funden hätte,  ist  ausgeschlossen.  Sporadisch  kommen  die- 
selben Erscheinungen  auch  bei  einzelnen  Individuen  jener 
Kreise  vor,  in  denen  ich  verkehrte. 

Ganz  anderer  Art  sind  jene  Fälle,  in  denen  ein  Individuum 
gewissermassen  laut  denkt,  sich  dessen  plötzlich  bewusst  wird 
und  abbricht.  Gretchen  im  Faust:  „Die  Midter  ivürde  mich — ". 
Unsere  Schulbücher  nennen  diese  ,, Figur"  bekanntlich  ,,Apo- 
siopese''.     Damit  habe  ich  es  hier  nicht  zu  tun. 

10.  Besondere  Verkürzungen  bei  Füllwörtern. 

Ich  habe  V.  u.  V.  S.  73  f.  über  die  Füllwörter  einige 
Bemerkungen  gemacht,   die  ich  hier  ergänzen  möchte. 


102 

Eines  der  häufigsten  Füllwörter  ist  „  \Viss«u  Sie'^*  manch- 
mal mehr  als  Ruf  denn  als  Frage  betont.  Bei  v.  Kljucharich 
hörte  man  aber  ausser  der  vollen  Form  noch  .,  Wissen's?*  und 
r,Witn?^'  ja  auch  „Win?'',  tlas  letzte  namentlich  bei  lebhafter 
Unterhaltung-,   aber   bei    ihm   immer   wirklich   fragend  betont. 

Man  sieht  daraus  —  keine  Neuigkeit  — ,  wie  ein  häufig 
und  noch  dazu  sinnlos  gebrauchtes  Wort  bedeutenden  Ände- 
rungen unterworfen  ist.  Mein  Eindruck  war,  dass  bei  jenem 
Sprecher  ein  Individuallautgesetz  ssn:  tu:  n  zu  konstatieren  sei. 

Das  war  ein  Irrtum,  denn  win  habe  ich  auch,  allerdings 
mehr  als  wnn  gesprochen,  bei  einem  Schriftsteller  gefunden, 
der  in  den  Dreissigern  stand,  also  wesentlich  jünger  war  als 
der  R-R. 

Wie  sinnlos  das  „Wissen  Sie"'  gebraucht  wird,  darüber  ge- 
nügen folgende  Notierungen.  Bei  v.  Kljucharich  sowie  bei 
Bunzl  fand  ich,  dass  sie  „Wissen  Sic"'  auch  zu  Männern 
sagen,  mit  denen  sie  sich  dutzen.  Bunzl  sagte  auch  „wtisst?'^ 
zu  Leuten,  zu  denen  er  Sie  sagt.  Auch  K.  Mayer  sagte  zu  mir: 
„.  .  .so  also,  ivisscn  Sie  ..."  als  wir  schon  längst  auf  Du 
waren,  ebenso  Pribram.  Im  Jahre  1902  notierte  ich  mir:  ,,K. 
Hillebrand  ist  mit  mir  seit  8  Tagen  ,,J)it".  Er  sagt  nie  „Sic'' 
zu  mir,  aber  er  sagt  meistens  „ivissens?"  und  korrigiert  auch 
nicht  immer. 

Es  kommt  auch  in  ganzen  Dialekten  vor,  dass  Füllwörter 
entgegen  ihrer  Form  und  ihrem  ursprünglichen  Sinn  gebraucht 
werden,  z.  ß.  kommt  es  im  Bairischen  vor,  dass  ein  „iveisst'' 
in  Anreden  an  eine  Person  eingeschaltet  wird,  die  mit  Sie  an- 
gesprochen wird.  Vgl.  Wunderlich  Unsere  Umgangssprache 
S.   56  und  Reis   in   Paul    Braune   Beiträge    18.     Band  S.  477. 

Das  ,,Witn?''  „Win?"  legt  nun  nahe,  auch  bei  anderen 
verschliffenen  Füllwörtern  nach  ihrer  alten  Quelle  zu  fragen. 
Ich  denke,  die  .,ahn",  y,pnah''.  y^mettem" ,  die  ich  V.  u.  V.  S.  731". 
anführte,  sind  Reste  von  sehr  häufig  gebrauchten  Wörtern. 

Für  das  y,mettem^,  das  ich  in  V.  u.  V.  erwähnte,  scheint 
sich  eine  Erklärung  zu  bieten.  E.  Szanto  erzählte  mir  von 
einem  älteren  Herrn,  der  füll  weise  „mit  dem  Dinge''  oder 
schlechtweg  „mittem"*  sagte.     Derselbe  soll  auch  statt  „Bill- 


103 

roth''^  y,RothhilV'  u.  ä.  geleistet  haben.  Szantos  Mutter  fügte 
hinzu,  es  sei  einmal  eine  Frau  klagend  zu  ihm  gekommen, 
und  er  habe  seine  Worte  an  Sie  mit  dem  Satze  geschlossen: 
„Und  jetst  honimen  Sie  und  schreien:  mit  dem  Dih(j,  mit  dem 
Dimj!'^  Trotz  ihres  Jammers  hätte  die  Frau  Mühe  gehabt, 
ihm  nicht  ins  Gesicht  zu  lachen. 

Ich  erzähle  die  Geschichte  bloss,  um  ein  drastisches  Bei- 
spiel von  sinnlosen  Füllwörtern  zu  geben.  Wie  aber  bei 
verschiedenen  Personen  ,,mit  dem  Din(j''^  ein  Füllwort  werden 
kann,   das  ist  allerdings  nicht  zu  sagen. 

„Ahn''''  sagte  einer  unserer  Lehrer,  Professor  der  dar- 
stellenden Geometrie.  Primarius  Dr.  Bamberger  äusserte  den 
Gedanken,  dass  das  sonderbare  Wort  von  „Haben  Sies?''' 
komme  (nämlich  das  Vorgezeichnete),  oder  „j[>a  haben  Sie'sl'^. 
Ich  stimmte  zuerst  freudig  bei,  aber  wurde  doch  wieder  be- 
denklich. „Haben  Sie's?'^  kann  es  schwerlich  sein,  weil  sonst 
wohl  der  fragende  Ton  geblieben  wäre,  wie  bei  R.-R.  „TF/«.^" 
immer  ganz  klar  eine  F'rage  war.  Und  „Da  haben  Sie'sV"^ 
scheint  mir  deshalb  nicht  plausibel,  weil  dann  der  Gestus  er- 
halten worden  wäre,  „abn'"''  wäre  eine  Demonstrativpartikel 
geworden  1).  Anderseits  würde  wieder  für  Dr.  v.  Bam- 
bergers Erklärung  sprechen,  dass  auch  der  Lehrer  der  dar- 
stellenden Geometrie  meines  Bruders  sich  nach  jeder  Linie, 
die  er  angekündigt  und  dann  auf  der  Tafel  gezeichnet  hatte, 
umdrehte  und  sagte:  Hab's  schonV'' 

Ich  will  hier  nur  anregen,  auf  diese  Frage  zu  achten;  ich 
denke,  es  wird  sich  bei  manchem  Menschen  in  späteren  Jahren 
eine  andere  Formel  nachweisen  lassen,  als  die  war,  die  er 
früher  gebrauchte.  So  fand  ich  bei  R.  R.  schon  weit  mehr 
„TF^YJ^"  und  „TFm"  als  „Wissen  Sie''''. 

Natürlich  müssen  nicht  alle  Füllwörter  so  enstanden 
sein.  Das  beliebte  „ä/i!"  wird  wohl  eine  ganz  andere  Er- 
klärung brauchen. 

In  den  Sommerferien  95  hatte  ich  in  Friedberg  in  Steier- 
mark Gelegenheit,  an  einem  Manne  die  Füllwörter  gut  zu  stu- 


*)  Allerdings   wird    im  Englischen    das  •znm  Grusse    gewordene  HolV  do 
you  do  nicht  mehr  fragend  betont. 


104 

diercn.  Es  war  der  Gastwirt  Muhr.  Er  war  ein  Sechzij^cr, 
hatte  eine  Gymnasialklasse  gemacht,  natürlich  etwas  Alko- 
holiker.    Er  hatte  folorende  Fiillwörter: 

„/)/  der  Hinsicht''',  ^<iahz  natürlich'',  ,.ilcrartiy'*,  „in  der 
Beziehung'',  y,und  dergJricheti'' ,  y,verstanden?"\  „mit  der  Beitier- 
kunn",  „ja!",  „ivas  mau  sagt",  „wii-  man  sugt^,  „i  man 
(meine)  mir'',  im  grossen  ganzen'^,  „und  so  iveiter'*,  „gunz 
richtig",  „toid  dann  ist  zu  hemerhcn",  „diesbezüglich". 

Er  gebrauchte  diese  Füllwörter  vollkommen  sinnlos.  Um 
Missverständnissen  vorzubeugen  will  ich  einige  genau  beob- 
achtete Beispiele  geben. 

,..  .  tind  haben  in  der  Hinsicht  eine  Kisten  gehabt,  ver- 
standen'i  .  ."' 

„.  .  is  täglich  hinuntergegangen  und  dergleichen" . 

,..  .  haben  sich  derartig  übers  Kreuz  gestellt  .  ." 

„.  .  ein  Par  Eheleute,  wie  man  sagt,  .  ."  (es  war  kein 
Euphemismus  beabsichtigt!) 

„.  .  Das  Icann  ich  mir  nie  derartig  enträtseln,  warum  .  ." 

„.  .  Dass  man  dem  Ehepaar,  in  der  Hinsicht,  wie  man 
sagt,  ein  Geschenk  darbringt,  ja!" 

„Im  grossen  ganzen  tcar  heute  ein  heisser  Tag'"'  (Es 
war  aber  den  ganzen  Tag  über  abnorm  hciss). 

Merkwürdig  ist,  dass  sich  bei  Muhr  diese  Füllwörter  noch 
durchaus  nicht  weiter  verschliffen  hatten.  Das  mag  seinen 
Grund  darin  haben,  dass  Muhr  eben  eine  grosse  Anzahl  hatte, 
und  dass  er  sehr  langsam  und  überlegend  sprach,  um  seine 
Spässe  vorzubereiten,  denn  er  hatte  wirklich  Humor.  Die 
P'üUwörter  halfen  ihm  Zeit  gewinnen.  Hätte  Muhr  das  Tem- 
perament von  R.-R.  gehabt,  so  wäre  er  schon  längst  mit 
seinen  Füllwörtern  fertig  gewesen  und  hätte  mindestens  eine 
Anzahl  von  ihnen  auf  ein  Minimum  von  Lauten  reduziert. 
Ich  hoft'te  ihn  nach  Jahren  wiedersehn  zu  können  und  wollte 
dann  berichten,  ob  seine  Füllwörter  sich  etwa  abgeschlift'en 
haben,  was  allerdings  schon  kaum  mehr  zu  erwarten  stand. 
Muhr  ist  aber  seither  verstorben. 

Auch    die   Art    wie   Muhr    die    Fremdwörter    herrichtete, 


105 

war  interessant      So  z.  B.  sagte  er  ,^3IanipoV  für  ^^Monoi)ol'^ , 
wahrscheinlich  nach  „3IamiJi(lation'\ 

Ein  Wiener  Freund  hatte  folg-ende  Füllwörter :  „  Und  so^'' 
und  „m  dieser  Weise^\  Nach  Jahren  hatte  er  die  Zahl  ver- 
mehrt um  folg-ende:  „unter  Umständen^''  y,und  dies  und  jenes''' 
„und  derlei''^  „im  Grunde  (/enommen'\  ,,schau  nur'"''  „ohne 
weiteres''^  „an  und  für  sich.'"''  Dazu  bemerke  ich,  dass  ,.m 
dera  Weis'''  beim  niederösterreichischen  Landvolke  sich  eben- 
falls als  Füllwort  findet. 

Sonst  hört  man  häufig:  „Ic]i  muss  (aufrichtig)  gestehen''' , 
„Ich  muss  lüirhlich  sagen'',   „EhrlicJi  gestanden^. 

Ein  alter  Herr,  Sachse,  sagte  als  Füllwort  „stim  Beipin'"'' 
(=  zum  Beispiel)  und   „näbhi"'   (nämlich)  i). 

Meine  Frau  sagt  einmal  ganz  ruhig  zu  mir:  „Aber  ick 
litt  Sie,  das  sieht  man  ja  ..." 

Bei  Kommis  und  Kellnern  kann  man  es  erleben,  beim 
Fortgehen  eine  „gide  Kachtl"'  bei  hellem  Tage  und  einen 
,,gutc)i   Togl''  am  Abend  oder  gar  bei  Nacht  zu  erhalten. 

Zu  der  gewaltsamen  Veränderung  der  Worte  eines 
Grusses  vergleiche  die  Verstümmelungen  von  „Kilss'  die  HandV' 
,Jcsthand'%  „l'siant"',  „ste  Hand'',  „de  Hand",  „Hand''. 

11.  Die  Bahnverlegung. 

Vgl.  V.  u.  V.  S.  i6o  Anm. 
Sprechhindernisse  entstehen,  wenn  ein  Wort  sich  vor  ein 
anderes  stellt  und  dieses  für  eine  Zeit  nicht  über  die  Schwelle 
des  Bewusstseines  gelangen  lässt.  Die  Bedingungen  sind  also 
im  Allgemeinen  dieselben,  wie  die  bei  der  Entgleisung,  nur 
wird  in  unserem  Falle  das  Nebengleise  als  falsch  erkannt 
und  gemieden.  Ein  ganz  starker  Fall  ist  mir  begegnet.  Herr 
Dr.  S.  Frankfurter  erzählte  mir,  dass  ihn  die  Leute  oft  Dr. 
Hamburger  nennen.  In  diesem  Augenblicke  war  mir  sein 
geläufiger  Name  entfallen,  und  ich  konnte  erst,  nachdem  ich 
etwa  50  Schritt  mit  ihm  gegangen  war  und  das  bahnver- 
legende „Hamburger'--  entschwunden  war,  mit  Anstrengung 
auf  seinen    Namen    kommen.      Ein   andermal   suche    ich    den 


')  Wegen  ..Beippi''  vgl.  V.  u    V.  S.  Sq  und  hier  pass. 


106 

Namen  „Rrinhohl"^,  komme  auf  ^Rtnanl'^  (beides  Namen  von 
Künstlerinnen),  ohne  dann  mehr  das  Richtige  finden  zu  können. 

Dr.  Adler  beginnt:  Äntise  .  .  Aiitise  .  .  im,  wie  heisst 
denn  das  Wort^^  Ich  sage:  „Antisemitisch.'*  Detter  findet 
sofort  den  Grund,  nämlich  dass  f,antisei)tisc}i'*  sich  dem  Sprecher 
aufgedrängt  hatte,  was  dieser  aber  als  falsch  abwies.  Die 
Erklärung  wird  doch  wohl  richtig  sein,  denn  in  unserer  Ge- 
sellschaft, in  der  so  viele  Mediziner  verkehrten,  war  y^antisep- 
tisch^  eines  der  schwebenden  Wortbildcr. 

R.  Much  sagt:  ,,.  .  was  es  für  eine  Bcivandtnis  hat  mit 
dem  Drnhmal  ton  Karakilissar!^  Ich  erkenne  den  Irrtum, 
finde  aber  ebensowenig  wie  Much  das  richtige  Wort.  Erst 
beim  Aufzeichnen  des  Falls    fiel  es    mir   ein:    ..Adaniklissi''. 

Maler  Vita  sagt:  „eine  Maroniette''^  (Kontam.  auch  „Mario- 
nette'^ und  „]\Iaroni'*).  Ich  will  ihm  helfen,  kann  aber  im 
Augenblicke  selbst  „Marionette''  nicht  finden. 

Ich  lese  in  den  Hochschulnachrichten  den  Namen  „Seeliy- 
müller'^.  Sofort  denke  ich  an  einen  wohlbekannten  und  ge- 
schätzten  entfernten  Kollegen.  Ich  sehe  ihn  klar  vor  mir,  ich 
erinnere  mich  verschiedener  gemeinsamer  Stunden,  aber  erst 
nach  langem  energischen  Suchen  fällt  mir  der  Name  ein : 
„Seemidier''. 

L.  Hartmann  zitiert  den  schönen  Vers  der  Friederike 
Kempner,  aber  nicht  ganz  richtig  :  „Oh  Otto  etwa  Kleingeld 
hat."^  Es  dauert  lange,  bis  mir  das  Richtige  einfällt :  „ob 
Robert  ....?« 

.,Nessel^  heisst  doch  der  Erfinder  der  Schiffsschraube  '^* 
fragt  Detter.  Nach  vielem  Bemühen  finde  ich  das  Wort: 
„Ressel."" 

Ich  sage  „GUiel'smann**,  weiss  aber,  dass  das  nicht  der 
Name  ist,  den  ich  suche.  Endlich  stellt  sich  „SchUessmann'^  ein. 

Ich  lese  den  Namen  „Habarf'^  und  finde  ihn  seltsam. 
Dann  denke  ich:  „Wie  heisst  denn  der  bel'annte  Thilosoph?'' 
Ich  bringe  es  nicht  heraus.  Ich  probiere:  ..Hehart'^.  Wieder 
geht  es  nicht.     Endlich  kommt's:  „Herhart.'* 

Einige  hier  aufgeführte  Fälle  füliren  mich  zur  nächsten 
Kategorie  von  Sprechschwierigkeiten. 


107 

a.  Aufsuchen  vergessener  Wörter  (Namen). 
Vgl.  Y.  u.  V.  S.   i66. 

Wir  finden  oft  ein  Wort,  einen  Namen  nicht,  ohne  dass 
wir  einer  bestimmten  Hemmung"  uns  bewusst  werden  können. 
Wir  probieren  nun  ähnHche  Klänge,  die  aber,  wie  gezeigt, 
dann,  wenn  sie  einmal  ausgesprochen  sind,  oft  gerade  be- 
wirken, dass  wir  das  Richtige  um  so  schwerer  fmden.  Ich 
stelle  hier  verschiedene  P'älle  zusammen,  die  zeigen  sollen, 
welche  Elemente  des  vergessenen  Worts  beim  Suchen  zuerst 
über  die  Schwelle  des  Bewusstseins  kommen. 

Ich  suche  einen  Namen  und  denke,  er  fängt  mit  K  an 
und  ist  dreisilbig. 

Ich  versuche  also  „Krist'^.  .  „Kristeck'^.  Also  teilweiser 
Irrtum,  denn  der  gesuchte  Name  war  zweisilbig. 

Architekt  Tischler  sucht  den  Namen  ^.Hirschl'''  u. "probiert: 
y^Fleisclil",  ..Fröschl'-'.  —  „Hirschl"'  sage  ich.  ^Hirscld"-  be- 
stätigt er. 

Vondräk  gebraucht  das  Wort  .^Induction^'^  falsch  für 
„Suggestion''^.  Zwei  anwesende  Herren  begreifen  ganz  wohl, 
was  er  meint,  fmden  aber  trotz  Suchens  das  ihnen  so  ge- 
läufige Wort  nicht. 

Ich  suche  den  Namen  „Reimers'''  u.  beginne:  .^Bai  .  . 
Bai  .  .  Bainer,  Beinecke  ..."  Erst  nach  einiger  Zeit  komme 
ich  auf  das  Richtige. 

Ich  suche  den  Namen  „Grasherger''''  u.  sage:  y,Grass  .... 
Grassauer  .  .  Grasherger'''. 

„Wie  heisst  er?  Bauer  .  .  Brauer  .  .  ?"  sage  ich. 
„Braun^^   antwortete  E.  Szanto. 

Von   den   Namen  „Komzack^''   fiel   mir  bloss   das    K  ein. 

„Professor  ,Bahr  oder  ,Pahr'?'^  sagte  Archit.  Tischler. 
Er  meinte  Professor  „Baab'\ 

„Ledewol  .  .  Leheivol  .  ,  Edelhofgassel  (Me), 

Deinhartstein  .  .  Ditscheiner  .  .  Deininger!'''  (Me). 

„Wie  heisst  doch  die  Frau?  Sie  hat  einen  griechischen 
Namen'?"'     Nach  einigem  Nachdenken:   „Eudoxia!'''     (Me). 

„Schraufer  .  .  Stauffer  .  .  Bauschen'^  (Me). 

Ich  war  mit   Dr.   Bein    in   Deutschlandsberg.       Ich    suche 


108 

mich  des  Namens  des  Wirts,  bei  dem  wir  eingekehrt  waren, 
zu  erinnern.  Bein  sagt:  „Frlt.:her(fer'^.  Nein,  sa^e  ich,  der 
Name  hat  nur  zwei  Silben.  Ich  probiere:  y.Stalzer''^  — 
y.Stiher!'*  meldet  sich  endlich. 

Ich  suche  den  Namen  eines  Sängers.  Ich  sage,  er  ist 
kurz  und  französisch  und  klinge  so  wie  de  Grach.  Nach 
einiger  Zeit  fällt  mir  ein.  dass  er  holländisch  ist  und  mit  van 
beginnt.  Auch  jetzt  hatte  ich  noch  die  grössten  Schwierig- 
keiten, um  auf  ,.  Van  Difcl:"^  zu  kommen. 

yJch  sah  Laroche  im  Egmont  als  Vans  .  .  Vans  .  . 
]«wsrn/"     (Me). 

,,  Kleist,  der  Dichter  des  (hiis,  Guis  ..."  Ich  konnte 
nicht  weiter.     Endlich  fiel's  mir  ein:   ,,   .  .  des  Guiscard! 

Man  sieht  aus  diesen  ja  völlig  bekannten  Tatsachen,  dass 
man  nicht  nur  ein  Wortbild  hat,  sondern  auch  Bilder  von 
diesem  Wortbild,  und  dass  man  mit  Hilfe  dieser  Eindrücke 
vom   Wort,  dem  Wort  beizukommen  sucht. 

12.  Formausgleichungen,  Neubildungen. 

Dass  die  associativen  Neubildungen  der  Sprache  häufig 
durch  Nachklänge  aus  der  Rede  des  anderen  im  Zwiege- 
spräch, oder  durch  Nachklänge  und  Vorklänge  aus  der  eigenen 
Rede  hervorgerufen  werden,  das  war  mir  schon  1893  wohl 
bewusst  vgl.  V.  u.  V.  S.   166,  67.  68,  4_|. 

Etwas  Neues  erlernen  wir  aus  diesen  Bildungen  —  die 
alle  unter  die  Rubriken  Vorklänge,  Mitklänge,  Nachklänge 
fallen  —  somit  nicht.  Wenn  sie  nun  mit  neuen  Belegen  für 
sich  behandelt  werden,  so  hat  das  den  Zweck,  den  Vergleich 
mit  der  grammatischen  Kategorie  der  „falschen  Analogie"  zu 
ermöglichen. 

Hier  erhebt  sich  noch  die  Frage,  ob  zu  dieser  Art  der 
momentanen  Neubildungen  Vor-  und  Nachklänge  notwendig 
sind  oder  nicht? 

Es  muss  zugegeben  werden,  dass  sie  zumeist  im  Gespräch 
erblühen,  aber  sie  sind  auch  ohne  Gespräch  möglich  und 
können  im  stillen  Versprechen,  im  „Verdenken"  (V.  u.  V. 
S.  99),  sowie  im  Ausruf  beobachtet  werden. 


109 

Ein  Beispiel.  Mein  Söhnchen  sitzt  (in  seinem  5.  Jahr 
war  es)  neben  mir,  ich  lese,  er  blättert  in  einem  Buch  mit 
Abbildungen.  Plötzlich  ruft  er  aus:  ^Bic  Häser.'''  Ich 
sehe  hin,  es  sind  Hasen  dargestellt.  Er  hatte  also  nach 
einem  schwebenden  Wortbilde,  etwa  nach  „Kälber^\  seine 
neue  Mehrzahlbildung  gemacht. 

a.  Ausgleichung   normal    lautender  und   umlautender 

Form  en. 

„lassen  sich'^  nach  „lässt  sich''^  (Me). 

„lassen  nämlich."'  Ausgleichung  nach  dem  schwebenden 
Wortbild  ,,lässt''  oder  Antizipation  von  „nämlich?''^  Vielleicht 
beides. 

„Gründe  lassen  sich  immer  finden'-''  (Mu  ref.) 

^straft'-'  (Me). 

Ich  :  ..Behältst  Du  das?"-  Meine  Frau:  „Ja,  ich  hehältdasl"' 

Ein  Jahr  vorher.  Ich:  „Du  hältst  nichtl"'  Meine  Frau: 
y,Ich  hält  schü7i\"' 

„Diese  Gewänder  müssen  alle  in  Klöstern  .  Klöstern  ge- 
macht loorden  sein^^  i^^^)- 

„Soweit  die  Aufzeichnungen  in  den  Klostern  reichen  ..." 
(ein  Student).  Denselben  Fehler  habe  ich  (oben  S.  6)  von 
Prof.  Anton  und  einem  Landstreicher,  also  von  vier  ver- 
schiedenen Personen  gehört. 

„Das  ist  auch  ein  (jlanz  .  .  glänzender  Einfalll'^  Anti- 
zipation oder  Ausgleichung  nach   „Glanz'^. 

„  .  .  die  ich  selbst  für  eine  Jud  .  .    Jüdin  halte'*    (Me). 

„   Gotter  .  .  Götterdämmerung^^  (Detter). 

„  ,  .  sie  haben  längere  Ohren  .  .   Ohren'-'-   (Hahnreich). 

„  .  .  wurden  Steina  .  .  äxte  gefunden.'^  Prof.  Kick. 
Der  Redner  wollte  gewiss  ,, Steinäxte''  sagen. 

„  .  .  haben  sich  Krot  .  .  Kröten  aufgehalten''.  (Cornii, 
unwohl.)  Der  Sprecher  kennt  den  dialektischen  Plural  schwer- 
lich.    Erklärung  unsicher. 

„  .  .  in  den  andern   Vortragen  .  .    Vorträgen  .  ."  (Rida). 

„  .  .  kann  num  um  so  langer  .  .  länger  laufen  .  /'  (Ri). 
Nachklan of  von  a  nicht  wahrscheinlich. 


110 

b.  Ausgleichung-  des    Ablauts. 

,,Vie1  ZK  nenitj  tiird  das  geuiesstl^^  sagt  Direktor  Lacher. 
Ich  mach  ihn  aufmerksam,  er  leug-net  aber  rundweg  und  er- 
klärt, er  habe  gesagt  ,,.  .  genicsst  viav  fs."  Das  war  wahr- 
scheinlich der  Nebengedanke. 

Ich:  ,,Icli  nehme  etwas  anderes'.''  Meine  F'rau:  ,,Was 
nehmst  Du  denn?''  Sehr  unwahrscheinlich,  dass  das  juden- 
deutsche „nemmst^'   aus  irgendeinem  Witz  hier  mitspielte. 

Heger  sagt:  .,Es  ist  schhcht  geschrieben''.  Ich:  ,,Es 
ist  scheussUch  geschrieben"'.  Heger:  Ich  möchte  schrieben  .  . 
."schreiben  .  ." 

Ich  frage  Detter:  ,.\Vann  liest  Du?''  „Ich  lies  am  Sams- 
tag'' antwortet  er.  Detter  gebrauchte  nie  diese  auch  dialek- 
tisch vorkommende  Form. 

y,riiclschreitlich''  (Prof.  Kick). 

„von  da  an  hafs  gehissen  .  ."  sagte  Frau  Brockhausen 
ohne  Korr, 

„.  .  wenn  es  heisste  .  .  "  (Heger). 

,.heisste^-  für  „hiess''  habe  ich  auch  im  Colleg  gesagt;  ein 
andermal  ,.gehissen"^   für  ,.geheissen''. 

„Wann  wird  denn  das  entscheidet  iverden?"  (Rida).  Nicht 
korr.     Übergang  in  die  schwache  Beugung. 

„.  .  soll  erzieht  haben''  (Cornu).     Ohne  Korr. 

„das  ist  nur  mehr  hineingeziehen  .  .  gezogen  .  ."     (Me). 

„is  erlugenl"  sagte  Dr.  Adler.     „Lug"  spielt  mit. 

„.  .  muss  gemeidet  71-erden'''  sagte  ich  in  einem  Vortrag. 
Niemand  merkte  etwas.  Als  ich  aber  selbst  aufmerksam 
machte,  entstand  ein  allgemeines  Gelächter. 

Nach  einem  sprachwissenschaftlichen  Abend  sagt  Prof. 
Svoboda:  „Niemand  spriclit  ö  und  «''.  Darauf  Luick:  „Ver- 
zeihen Sie.  ich  sprich  .  .  ich  Sprech  esl'' 

,..  .  dass  einer  da  gesifs  .  .  gesessen  ist"  (Witlazil). 

„.  .  Jiat  sich  bedingt  gehabt.''     (Heger). 

„gedenli"  für  „gedacht''  (Guglia,  Rida  u.  ö.) 

„.  .  haben  den  Anreiz  gebietet  .  ."  (S.  Exner).  „Anreiz'^ 
auch  „Beiz''  und  „Anstoss.  Anregung'^. 

„.  ,  getrieft,  getroffen  .  ."  (Mu). 


111 

„Er  hat  sich  versprechen  .  .  versprochen'^  (Student). 

„Er  hat  davon  besprachen  .  .  gesprochen.^'    (Prof.  Redlich). 

„Ben  Carfiol  (Blumenkohl)  esst  man  .  ."  für  ...  .  .  isst 
man"-  (Ri).     Schon  V.  u.  V".  S.    i66  konstatiert. 

„.  .  «7s  sie  aiissiehn  oder  aiissiehn  möchte  für  „.  •  • 
aussieht  oder  aussehn  möchte''''  (Ri). 

„.  .  hat  sich  eineweiV  besinnt"  für  „.  .  .  besonnen'^. 
(Frl.  30  jährig-). 

„Bulgarien  ist  l'ein  anerlcennter  Staat^'  sagt  Mu  und 
wiederholt  noch  „anerl'ennt''  ohne  des  Fehlers  gewahr  zu 
werden. 

,,Nie  in  der  Schid  g sitzen  .  .  "  für  ,,  .  .  gesessen  .  ." 
(Rida;  nicht  korrigiert,  aber  selbst  bemerkt). 

c.  Ausgleichung  unregelmässiger  Formen. 

„Bie  Leute  Joannen  .  .  Jcönnen  nicht  .  ."  (Ive). 

,.jetzt  Jcannen  Sie  esl"     (Krispin). 

„ivemi's  einmal  (von  Kindern  ist  die  Rede)  .so  iveit  sind, 
dass  sie  eins  so  verstellen  ivie  der  Hund,  dann  l'annens  .  . 
l'önnens  auch  schon  reden''  (Me). 

,,Ba  tceissen  Sie  es!''  sagt  ohne  Korr.  Cornu.  Niemand, 
auch  er  selbst  nicht,  hat  „7reiss"  gebraucht.  (Schon  beobachtet 
V.  u.  V.  S.   166). 

„Wetsst  Ihrs  .  .  u-isst  Ihr's?''  (Mu). 

Ein  Herr  sagt:  ,,Sie  u'issen  keinen  .  ."  Ich:  ..Ich  tvtss  .  . 
ueiss  l'cine7il'' 

,,.  .  von  mir  kannst  Bus  schon  weissen'''  (Me). 

y,In  philosophischer  Rücksicht  magen  Sie  recht  hahen^'. 
(Pernter). 

Ich  gebrauche  ^,7nag'\  Im  nächsten  Satz  sage  ich 
,,magen"  für  „mögen". 

Ich:  „Haben  Sie  sich  schon  Pansch  genommen?''  —  Die 
Magd:  ,,Kein.  ich  mag  nichtV  —  Ich:  ,,Ahl  Sie  magen  nicht'' . 

Eine  Dame  sagt:  Sie  dürfen  ivirklich  nichtl"  Ich:  ,,Ich 
dilrf  .  ich  darf  ivirklich  nicht?'' 

„Bas  kanntich  nicht  behaupten"  (Me).  Kontam.  aus  „kann" 
und  „könnt". 


112 

Meine  Frau:  „Grdcrl,  wo  bist  denn?  Das  Kind:  .^Beim 
Papa  bist  ichV     Ein  Spass  war  nicht  beabsichtigt. 

R.  Schneider  zu  mir:  ,,  .  .  .  Du  hrtiuchst  Dich  gar  nicht 
SU  ijeniert'n."     Ich:  .,Wie  ich  Junggesdl  gewesen  bist  ,  ." 

Schima:  „Weil  ich  der  jüngste  Minister ial-Si.hxtär  bist, 
während  er  .  .  .  ist/' 

Meine  Frau:  ,,Wie  tcir  schon  ausgezogen  ist,  isfs  (das 
Wasser,  die  Leitung)  in  die  StoclaverJce  gtJcomnwn.'' 

Ich:  ,,Ich  tveiss  e.s  j/Vt!*'     Cornu :    ,,Sie  weissen  es  jaV' 

Die  Fälle  sehen  auf  dem  Papiere  krass  aus.  In  Wirk- 
lichkeit werden  sie  meist  nicht  einmal  wahrgenommen!  Man 
kann  sie  sehr  häufig  beobachten. 

„getti  .  .  getan''  (Rida).  .,getHt"  war  beabsichtigt.  Jahre 
vorher  hatte  sie  einmal  gesagt:  ,,.  .  sie  haben  das  wahrschein- 
lich getttn  .  .  getan". 

d.  Ausgleichung  des  Genus. 

Die  Fälle  sind  oft  nicht  mit  Sicherheit  zu  erklären. 

„Da  tut  einem  der   Wahl  wehl'^  (Kratter). 

„Den  Vaterhaus  von  Jagic  ist  ein  Pfahlbau''  (Me)  (viel- 
leicht spielt  dialektisches  „Den  Jagic  sein  Vaterhaus"  . . .  mit). 

„Er  hätte  zahlen  sollen  den  14  fachen  des  Werts."  {den 
vierzehnfachen  Wert")  (Dr.  Adler). 

e.  Ausgleichung  von  Suffixen. 

„Der  Gärtner  hat  von  einer  Wärtnerin  erzählt  .  ."  (L. 
v.   Frankl). 

Meine  Frau  sagt:  .,Gib  mir  eine  Zeitung,  die  gestrige 
oder  eine  andere  .  ."  Ich:  „Nein,  jetzt  kannst  Du  schon  die 
heutrige  lesen". 

,,.  .  Äntisemist  .  ."  sagte  Hof,  Bahnbeamter.  Bildung 
nach  Turist,  Jurist  u.  a. 

f.  Ausgleichung  des  Sandhis. 

Ein  Lied  der  Ivette  Gilbert  hiess :  Les  quatres  etudiants, 

also  nach  trois,  deux  mit  einem  s  versehen.     Solchen   durch 

Analogie   verschleppten    falschen   Sandhi   haben   auch   wir  im 

Dialekt  öfter:   ,,wiar  <"  (=  wie  ich),  y,haur  r'    {hau  ich)  iisiv. 


113 

Von  einem  Volkssänger  hörte  ich  „voner  an  Freund",  also 
nach  „tmter  an,  über  an^  gebildet.  Man  hört  auch:  „mitter 
an'"''  =  mit  einem"'. 

Bei  Brockhausen  ist  ein  solcher  Fehler  fest  geworden, 
nämlich  „heuten  ahencV.  Es  ist  nach  „morgen,  diesen,  guten 
ÄbencV^  gebildet. 

Andere  Fälle. 

„So  erlaubt  er  sir  .  .  sich  sie  (die  Rosen)  Dir  anzubieten!'^ 
(Me).  Hier  ist  also  auf  die  Dauer  eines  Moments  ein  „sir" 
entstanden,  das  sehr  gut  zu  „mir,  Dir'^  pass. 

„Hechts  und  lenks^^  Cornu. 

„.  .  am  ein  .  .  am  ersten  .  ."  Dr.  Adler  gibt  zu,  dass  er 
am   „einten''''   hat  sagen  wollen. 

„Jetzt  bist  Du  kleiner  als  mich"-  sagte  Rida.  Befragt 
erklärt  sie,  den  Fehler  selbst  nicht  bemerkt  und  auch  an 
keine  andere  Konstruktion  gedacht  zu  haben.  Sehr  in- 
teressanter Fall. 

B.  Das  Versprechen  der  Kinder. 

Ich  denke,  dass  nichts  so  sehr  die  Allgemeingültigkeit 
der  Regeln  des  Versprechens  darlegen  kann  als  der  Nach- 
weis, dass  Kinder,  sobald  sie  die  Sprache  zu  beherrschen  an- 
fangen, sich  ebenso  versprechen  wie  die  Erwachsenen.  Des- 
halb sind  hier  diese  Fälle  besonders  zusammengestellt,  wobei 
ich  aber  von  einer  genaueren  Einteilung  absehe. 

1.  Vertauschungen. 

„Saufhanden'"''  für  „Sandhaufen'''  (Gretl).  Wurde  zweimal 
gesagt,  Korrektur  erst  auf  Mahnung. 

„Kamee fühle''''   für  „Kaffeemühle''^  (Gretl  2Y2  Jahr). 

Mit  3  Jahr  8  Monat  sagte  mein  Sohn  „vergoben^''  für  „ver- 
bogen'"'', also  schon  so  früh  die  rätselhaften  Beziehungen  von 
b  und  g,  die  sich  gegen  alle  Regeln  beeinflussen. 

„gebossen^''  für  „begossen'^  (Gretl  9  jährig). 

„  Wenn  wir  schien  .  .  schnell  gehn  .  . "  sagte  Gretl  mit  5 1/2 
Jahren.     Unklar.     Entgleisung  von  e  aus? 

..Zwadenßrn''''   für  „ Zwirnfad en^''   (4  jähriges  Mädchen), 

Meringer,  Aus  dem  Leben  der  Sprache.  o 


114 

yNolporfahrer"'  für  y^Nordpolfahrcr'^  (Johannes  4 jährig). 
Derselbe  ,,Walinc'"  für  y^Lawine''^ . 

,,PischtaV''  für  „Schpital  {Spitaiy^  Johannes  4  jährig.  Den- 
selben Fehler  macht  nach  vier  Jahren  die  6jährige  Martha: 
,.Hcrr  Pischtalcr^^  für  „.  .  .   Spitäler'^. 

„Die  Piir   thtzoi    .  ."   für   ,.Die  Tür  putzen  .  ."     (Gretl 

3  jährig). 

^Kinimerzinder^''  für  y, Kinderzimmer"'  (Gretl  6 jährig). 

,.]\IoJ:ode''  für  „Kommode'-''  (R.  M.  Meyers  Sohn,  fast 
6  jährig). 

,,Doc1cenptq)per"'    für    y,PHppendo1Uor'-'-    (Gretl    2 1/4  jährig). 

„Schiffhein''  für  ,^Fischhein"  (Gretl  6jährige).  Ich  erzählte 
vom  Walfisch  fang,  wobei  das  Wort  y,  Schiff''  oft  vorkam.  Also 
eigentlich  Nachklang  und  Substitution  (Siehe  unten  bei  den 
Biographien  der  Kinder). 

y^Ist  das  ein  Rettwenn  .  .  Wettrennspiel?'*  (Gretl  7  jährig). 

„Das  Lüsten  ist  so  hustip"  für  ,^Das  Husten  ist  so  lustig''' 
(Gretl  7  jährig). 

y  Auf  der  Mann  ist  a  B  an  Je  gesessen  l"*  (Johannes  8  jährig). 

yGih  mir  das  Bild  mit  de  Bücher!''^  sagt  Gretl  3  jährig 
dreimal  nacheinander,  ohne  etwas  zu  merken. 

,,.  .  vierklättriger  Bee  .  ."  für  „.  .  vierblättriger  Klee  .  ." 
(4  jähriges  Mädchen).  Der     Fall  zeigt  auch  Z-Dissimilation. 

,..  .  Phifson  .  ."  für  „.  .  Syphon  .  ."  (6  jähriges  Mädchen), 

,,.  .  Kachenofel  .  ."    für    „.  .  Kachelofen  .  ."  (Johannes 

4  Jahr  9  Mon.). 

y,Du  das  Schleif  .  .  das  fleisch  hrauchst  Du  nicht  zu 
schneiden"'  (Gretl  4 jährig).  Vgl.  oben  den  Fall  „schien"''  für 
„schnell".  Wenn  hier  wirklich  Anlaut  und  Auslaut  vertauscht 
worden  sind,  dann  ist  in  diesem  Falle  wenigstens  ein  Unter- 
schied zwischen  Kinderversprechen  und  Versprechen  Er- 
wachsener zu  konstatieren.  Die  Fälle  sind  zu  selten,  als  dass 
man  viel   daraus  schliessen  könnte. 

2.  Vorklänge,  Antizipationen. 

,,.  .  und  der  Ideine  (näml.  Zeiger)  schlauft  noch  viel 
schnelhr  .  ."  (Johannes  3  jährig).    Nicht  korrigiert. 


115 

„Botübuch''  für  „Notu'bucli''''  (Johannes  3  jährig), 

„  Warum  hluu  .  brauchst  Du  so  eine  Glocke?'"'-  (Johannes 

3  jährig-)- 

„So  stoll  er  stehenl^  (Johannes  3  jährig-)  für  „.  .  soll  .  ." 
Nicht  bemerkt. 

„Pratonen''^  für  ^^Fatronen"'  sagte  Johannes  8  jährig  längere 
Zeit:  fest  gewordenes  Versprechen 

y,Ich  Schmerle' s  heim  Schlucl-en.^     Nicht  bemerkt. 

„In  der  Schul'  ist  man  nie  sucher  .  sicher,  oh  nicht  eine 
andere  Stund  hommt.^''  (Gretl  1 1  jährig).  MögHch,  dass  auch 
yiSchuV'-'-   mitgewirkt  hat. 

„Ein  jeder  Munsch  Mensch  inuss  .  ."  (Johannes  8  jährig). 

,.J)fl  tu  ich  lauter  Bratiln  B  lattin  runter  schneiden  .  ." 
(Marta  6  jährig). 

,,.  .  Xormalschuss  .  schulgasse  .  ."  (Gretl  7  Jahr  4  Monate). 

,,.  .  imamgenehm  .  ."  (Joh.  4  Jahr  8  Monat).  Der  Fall 
wird  aber  nicht  Antizipation  sein,  wobei  er  den  Regeln  wider- 
spräche, sondern  daraus  zu  erklären  sein,  dass  Johannes  früher 
yiUnamheciuem''''  sagte,  wobei  ;//  aus  n  wegen  des  folgenden  b 
entstanden  ist.     Also  Contamination. 

„.  .  hunderln  Busserln  .  ."  für  „.  .  hundert  Busserln  .  ." 
(Johannes  4  Jahr  9  Monate). 

„Das  sind  Kro  .  .  Klosterfrauen''''  (Gretl  3  jährig). 

3.  Nachklänge,  Postpositionen. 

Ich  sage  fortgehend  zu  Johannes  (4 jährig):  y,Sei  bravl^'' 
Er  ruft  mir  nach:  „Bleih  hrav  .  .  hleih  hei  mir\^ 

„Du  sagst  ,nach  Haus',  ,nach  Haus  sagst  ja  auch  ich  V^ 
(Gretl  7  jährig). 

Kindertheater  bei  uns.  Meine  Frau  sagt  von  Rudi  H. 
(3'/.,  jährig)  zu  dessen  Mutter:  „Er versteht  die  Worte  nichtl" 
Da  fällt  eine  Figur  auf  der  Bühne  um.  Rudi  ruft:  „Die 
Worte  sind  umgefallen.^'' 

Johannes  (5  jährig)  hat  soeben  laut  „Schöchel'^  (Berg  in 
der  Nähe  von  Graz)  geschrien.  Dann  sagt  er:  „Diese  Rinde 
schecld  .  .  schniecJd  mir  so  gut''^. 

Johannes    erzählt    8  jährig,    dass    man   ihm  in  der  Schule 

8* 


116 

keinen  Haken  für  seine  Kleider  angewiesen  hat,  was  mich  und 
meine  Frau  veranlasst,  diese  Ilakenan^elei^enhcit  gleich  zu  er- 
forschen. Plötzlich  sieht  Johannes,  dass  die  beiden  anderen 
Kinder  Äpfel  haben.  „Du  Mama^,  schreit  er:  j,ich  will  auch 
einen  Haken  .  .  einen  Apfel l" 

Diese  Art  Nachklänge  spielen  bei  den  Kindern,  woraut 
mich  auch  E.  Sievcrs  in  einem  freundlichen  Briefe  aufmerksam 
machte,  eine  grosse  Rolle  und  sind  für  das  Sprechenlernen 
wohl  von  entscheidender  Bedeutung.  Ich  habe  diese  Erfahrung 
an  einem  kleinen,  lebhaften,  sehr  gesunden,  4  jährigen  Knaben 
gemacht,  den  ich  liurch  mehrere  W^ochen  jeden  Mittag  und 
Abend  bei  Tisch  beobachten  konnte.  Er  hörte  aus  den  Ge- 
sprächen der  Erwachsenen  viele  ihm  neue  und  unbekannte 
Wörter  heraus,  auch  wenn  er  gar  nicht  zu  achten  schien,  und 
wiederholte  sie  dann  lachend  oft  bis  ins  Unendliche.  Das 
Finden  und  Wiederholen  machte  ihm  offenbar  grosse  Freude 
und  alle  Strafandrohungen  waren  vergeblich.  Er  musste 
die  Wörter  nachsagen.  Ich  denke,  der  Fall  wird  wohl  ein 
typischer  sein. 

Auch  die  Lust  zu  reimen  war  bei  dem  kleinen  Mit- 
menschen gross.  Einmal  kam  er  durch  Kontamination  von 
„Seifenschalerl''^  und  ,.Seifentazerl^^  auf  ein  ,.ßeifenschazerl'*. 
Das  Wort  gefiel  ihm  dann  so,  dass  er  eine  Reihe  von  neuen 
Wörtern  auf  ^•aserV''  bildete. 

„Seitdem  Du  mir  gesagt  hast,  wie  die  Mama  fortwarst  .  ." 
(Martha  6  jährig). 

„Ich  glaube,  sie  fressen  auch  Glas  .  .  Gras  dazu.'*  (Gretl 
1 1  jährig). 

4.  Mitklänge  (und  Kontaminationen). 

Johannes  hat  in  seinem  5.  Jahre  das  Wort  ^unamhequem"' 
gebildet,  eine  Kontamination  aus  „unangenehm''^  und  „un- 
hequem^^.  Das  Wort  hielt  sich  jahrelang  und  jetzt  sagt  es 
die  kleine  Marta  (6  jährig)  schon  seit  Jahren,  obwohl  er  es 
nicht  mehr  gebraucht. 

Die  Kontamination  ,,  Mansch"  aus  „Mann"  und 
„Mensch"  machte  Johannes  in  seinem  dritten  Jahre,  also  die- 


117 

selbe  Bildung,  die  oben  (S.  //f.)  unter  Kontaminationen  bei 
einem  alten  Regierung"srate  nachgewiesen  ist. 

Wir  gehen  oft  zum  Hilmteich  und  in  den  Hilmwald, 
^,Wie  tvir  durch  den  Hihnwei  .  .  Hihmvald  gegangen  sind  .  ." 
(Gretl  5  jährig). 

,,l)u  nnisst  mir's  einfiissen  .  .  einfülle)/  .  .''  (Gretl  5jähr.). 
Das  Kind  meinte,  die  Mutter  möge  ihm  Kugeln  in  ein  Gefäss 
^,einf(issen"  oder  .^einfüllen''. 

.,lch  IV  ei  SS  es  nicht,  vielleicht  wird  es  die  Mama  von  den 
Mäddn  ivei  .  ivissen".  Der  3jährige  Johannes  macht  also 
mit  seinem  ,,  ?t'e^(ssew)"  den  Fehler,  der  bei  Erwachsenen 
und  auch  bei  alten  Leuten  nachgewiesen  ist. 

^Wenn  man  Dich  nicht  ficht  .  .  sieht  .  ."  sagt  Gretl 
(5  jährig)  und  lacht.  Sie  weiss,  dass  sie  an  ,.findet^^  ge- 
dacht hat. 

„Einmal,  tvie  die  Gretl  mit  mir  in  die  Schide  gegangen 
hin,  da  hat  ..."  (Marta  6  jährig).  Nebengedanke:  „.  .  ivie 
ich  mit  der  Gretl  gegangen  bitjt  .  ."     Nicht  korrigiert. 

,.Garten^''  aus  ,.Gattungen"  und  ,,Arten'^  (Johannes  5jährig). 

„F^adr^  iür  ,,NadJ''  sagt  Gretl  6  jährig.  Es  spiel  ,,^«(?ew" 
herein. 

.,Ich  hin  heinuhe  erschwitzt^^  (Johannes  57,  Jahr). 
Kontam.  aus  „erhitzt^'  und  „ich  schwitze''. 

Unsere  Kinder  nannten  den  Lebertran  ,,  Lebertran  Je' \  was 
die  Kleinste  (]\Iarta  6 jährig)  erfunden  haben  dürfte.  Ein  schönes 
Beispiel  von  ,, Volksetymologie". 

a.  Durch  Gesichtsbild  erregter  Mitklang. 
Meine  Frau  liest  Zeitung.  Johannes  (8  jährig)  kommt 
herbeigelaufen  und  ruft:  „Du.  Mama,  die  Elster  kann  jetzt 
nicht  in  ihr  Erdbeben  (sein  Blick  war  auf  die  Zeitung  ge- 
fallen, wo  das  Wort  gross  gedruckt  stand)  —  na,  ivas  sa^ 
ich  denn  dal  Weil  hier  (er  zeigt  auf  die  Stelle)  Erdbeben 
steht'.  —  Die  Elster  kann  jetzt  nicht  in  ihr  VogelhäusV.'^ 

5.  Schwebende  Wortbilder. 

Wie  oft  meine  Kinder  Mama  und  Papa  (so  betonen  sie) 
verwechseln,   lässt  sich  nicht  abzählen.     Namentlich  Johannes 


118 

hatte  eine  Zeit,  wo  er  fast  regelmässige  .,Maiii-P(ipa^  oder 
„Pap-Muma''  sagte,  sich  also  vergriff,  aber  noch  rechtzeitig 
die  Korrektur  anbrachte.  Im  dritten  Jahre  sagt  er  einmal 
„Mam  .  Pap  .  Mizi'%  nennt  also  falsch  Mutter  und  Vater, 
bevor  er  den  gewünschten  Namen,  den  des  Kindermädchens, 
findet. 

,,Schucksenf/el^'  für  „ Schuf zengel''  sagte  einmal  Johannes 
(4  jährig).  Es  war  nicht  zu  ermitteln,  welchem  Wortvaganten 
das  ck  entstammte. 

6.  Substitutionen. 

„Wie  der  Mcum  ditj  Tür  zuschUiytl  dass  tnans  kaum 
hörtV  (Gretl  5  jährig).     Gemeint  war  das  Gegenteil. 

„Gestern''  für  „morgen''  und  umgekehrt  hörte  ich  jahre- 
lang.    Es  wird  wohl  noch  oft  zu  bemerken  sein. 

,^Heiss"  für  ,,/ia/<'*  (Johannes  3  jährig).     Auch  sonst  öfter. 

„Langsam"  für  „schnell"  (Gretl  öjährig).     Kommt  oft  vor. 

„Ich  hin  half  schon  zu  hlein"  für  ,,.  .  zu  gross  (Marta 
öjährig). 

VV.  Sterns  Söhnchen  sagte  i  Jahr  2^2  Monate  alt: 
„siehst?  [siesty  statt  „hörst?  (herste)"^).  Seine  Tochter  sagt 
2  jährig  „zu"  für  „auf"'  ~). 

Eine  schöne  Entgleisung.  Johannes  (4  jährig)  will  sagen: 
„Du  bitterböser  Papal",  ein  Witz,  den  er  nach  „bitterböser 
Baum"  gemacht  hat,  sagt  aber   ,.Du  Bitterpapal'' 

7.  Formausgleichungen,  Neubildungen. 

„Ich  bin  deschiüimmf  .  .  deschwommen  .  ."  (Johannes 
4  jährig). 

„Ich  habe  mir  icas  eimledenlcf,  ich  will  in  Dein  Zimmer 
dehn".  „Eindedenli''  (=  *eingedacht)  ist  nebstbei  als  Konta- 
mination von  „//er/ac/i^''  und  „{mir  ist)  eingefallen"  interessant 
(Johannes  3  jährig).     Noch   im    5.  Jahre  sagte   er    ,,mir   denkt 


')  Cl.  und  W.  Stern,   Die  Kindersprache,  S.  88. 

-)  Ebd.  S.  55.  Stern  bemerkt,  das  Kind  habe  ..zu  oft  in  seinem 
Gegensinn  auf  gebraucht".  Wann  ,,2M''  den  Gegensinn  „auf"  habe,  dürfte 
wohl  allen  Linguisten  unbekannt  sein. 


119 

das  ein^^,  was  man  allerdings  nicht  mehr  als  Versprechen 
fassen  kann,  weil  er  es  gewohnheitsmässig  sagte.  Mit  4  Jahr 
7  Monaten  sagte  er  einmal:    „Was  Gutes  denk   ich   mir   ein''. 

„Gereitef--  (Joh.  3  jährig). 

„D?e  Pferde  haben  von  meinem  Käse  gefross  .  .  (jefressen^' . 
Wie  Joh.  3  jährig  zu  dieser  Bildung  kam: 

„Äbdewischen,  dehiwjt,  deivoUen^  (Joh.  3  jährig). 

y,Sie  war  noch  Idein  und  hat's  nicht  verstehtl''^  (Joh. 
3  jährig). 

„Da  ist  ein  Hund  degehn  .  .  degangen'^.    (Joh.  3  jährig). 

„Ich  hahs  selber  aufdebrungen  (Joh.  3  jährig). 

„Schau,  die  Marta  hat  das  detragt  (Joh.   3  jährig). 

„Der  Hans  haVs  nicht  deweisstl"'  (Joh.  3  jährig). 

„Sie  willen  nichP''  (Joh.  4  jährig). 

„Wir  binnen  schon  zu  Haus"^  (5  jähriges  Mädchen);  vgl, 
das  V.  und  V.  S.   168  zitierte  kindliche  y^iuir  bind'''. 

„.  .  die   Hasen  .  ."    für    „.  .  die  Hasen'"''    (Joh.   3  jährig). 

„Läufen"'  für  Jaufen'\  ,^ich  war'  beinahe  hinunter- 
deplumpsen'''  für  „.  .  geplumpst'^,  „der  Mama  seine  (für  „ihre'^) 
Uhr^,  „Hände",  ^,geessen"'  für  „gegessen"^  „Mäusen^'  für 
3Iäuse^',  „haltet"  für  „hält"  (Johannes  3  jährig). 

„Sie  stehen  .  .",  „.  .  ivenn's  der  Gärtner  g' sieht  hat" 
(Johannes  5  jährig). 

„Die  toerden  ivir  erbrennenl"  für  „.  .  verbrennen''  (Joh. 
5  jährig). 

Mit  3  Jahren  sagte  Johannes  gewöhnlich  „silbere,  gollere'' 
für  „silberne,  goldene'',  ja  sogar  einmal  „gebacJceres  Fleisch". 
Um  so  auffallender,  als  er  für  „andere"'  immer  „ande"  sagte. 
Auch  „verschieder e^'  für  „verschiedene^'. 

Ich  zeigte  Johannes  Bauernhausglocken.  Er  sagt 
(3Y4Jährig):  ,,  Wenn  der  Bauer  kommen  soll,  dann  gl .  .  glocken 
die  Leute"',  „glocken"  =  „läuten".  Beachte  auch  das  vorwirkende 
Stottern. 

Sehr  erstaunt  war  ich  über  das  neue  Wort  „die  Rauche", 
das  Johannes  in  seinem  vierten  Jahre  im  Sinne  von  Tabaks- 
pfeife erfand  und  dann  beibehielt.     Im  4.  und   5.  Jahre  hatte 


120 

er  mehrere  solcher  Bildungen  im  Gebrauch,  die  aber  meist 
nur  momentane  Geltung  hatten.  „Hauche'^  ist  ganz  verständig 
gebildet.  Er  spielte  aber  auch,  indem  er  ganz  neue  Laut- 
komplexe  zusammenstellte.  Dann  frug  er  öfter,  was  seine 
neuen  Worte  heissen.  So  wollte  er  einmal  wissen,  was 
^,Änspri^^  bedeute.  Aus  dieser  Zeit  stammen  auch  die  fol- 
genden Bildungen. 

„Vergremimgen^'^   im  Sinne   von   ,,Gre)izen,    Beyreuzung^. 

„Es  fängt  schon  zu  grausein  an^\  sagte  er  eines  Abends; 
er  meinte  .^grauslich,  hässlich  zu  werden". 

„In  meinen  Sack  ist  so  ein  Kalt  hineingekommen":  „der 
Kalt"  für  „die  Kälte". 

,,.  .  (r  wird  anfangen  zu  laushuhen"  d.  h.  „Laushuhl  zu 
sage)}". 

Meine  beiden  Mädchen  waren  lange  nicht  so  erfinderisch 
wie  der  Knabe,  von  dessen  Neubildungen  dies  nur  ganz  kleine 
Proben  sind.  Marta  sagt  einmal  6 jährig  zu  Johannes:  „Du 
bist  nicht  der  Befehler",  d.  h.  „Du  hast  {mir)  nichts  zu  be- 
fehlen".    Weiteres  unter  ,, Kindersprache". 

„Gedenkt^''  für  „gedacht",  „geflechtet"-  für  „geflochteri" 
(Marta  6  jährig).     Zur  selben  Zeit  „geessen",  ,,geisst". 

„Es  war  ein  solcher  G'stttnk  dort  .  ."  für  „.  .  Gestank  .  ." 
nach  „hat  .  .  gesttniken^''  (Marta). 

y,.  .  die  vornere  Seite  .  .  (Gretl  y  Jahr  4  Monatej.  Eine 
Neubildung  nach  ,, hintere". 

Gretl  sagte  noch  7  Jahr  5  Monate  alt  „unJängstens"  für 
„unlängst"  nach  „meistens". 

„Du  hast  uarme  Hände  .  .  und  die  Mama  hat  die  aller- 
warmsten"  (Johannes  3  Jahr  8  Monate).  Ausgleichung  infolge 
von  Nachklang. 

Ich  sage  zu  Johannes:  „Natürlich  iceisst  Du^s  nichtl" 
Er  antwortet:  „Weissen  tu  ich^s  schonl" 

„Sie  magen  mich  nicht"  (Gretl  3  jährig). 

„Es  hat   mir   weh   getut"    (etwa   4 — 5  jähriges   Mädchen). 

„Der  Wind  windet  da  herein"  (Gretl  3 jährig). 

„Der  Mann  hat  zwei  Äffe"  für  „.  .  Äffen"  (Gretl  3 jährig). 


121 

C.  Rückblick  auf  das  Versprechen. 

Im  allgemeinen  bestätigt  also  mein  hier  vorgelegtes 
Material  das,  was  ich  im  Jahre  1895  dargelegt  habe.  Auch 
all  das,  was  ich  gehört,  aber  nicht  aufgezeichnet  habe,  war 
im  Einklang  mit  meinen  Regeln. 

Es  bleibt  ein  minimaler  Rest  unerklärter  Fälle  übrig 
(Vgl.  schon  oben  S.  8). 

So  habe  ich  z.  B.  einmal  gesagt:  ,,7c/<  liahe  .  .  meinen 
Spaziergock  (für  „SpanerstocJ:")  an  einem  Sessel  verschlagen^'. 
Woher  das  g?     Gewiss  nicht  von  „.   .  zerschlagen'^. 

Oder:  .,N(lhladl  .  .  NähnadV\  Das  l  des  Auslauts  ist 
es  wohl  nicht,  das  hier  antizipiert  wurde. 

„3Ioll'te''  für  ,Mol.the''  (Br.  v.  Frankl. 

,,.  .  ivenns  auf  den  Holzhoden  fahren  .  .  fallen^'   (Rida). 

„s'  ivird  aher  Weizengrüste  .  .  griitse  sein'^.  (Me).  Meta- 
these von  ts  zu  st  ist  sehr  unwahrscheinlich. 

Ich  denke,  dass  bei  solchen  Bildungen,  die  gegen  die 
sonst  erkennbaren  Regeln  sind,  vagierende  Wortbilder  mit- 
wirken. Bei  dem  „A7/A/af7/"  dürfte  ..,MehlhuW  mitspielen, 
weil  ich  oft  den  Kindern  das  dialektische  Sprechkunststück 
,,Ä  3Iölladl.  an  Oarladl  und  a  Makaroninudlladl  er'  vorsagte. 
Bei  „MolJite"  kann  sich  ein  „folgte^'  etwa  gemeldet  haben 
u.  dergl.   m. 

Diese  Vaganten  weiss  oft  der  Sprechende  noch  anzugeben, 
aber  er  vergisst  sie,  wenn  man  nicht  sofort  fragt.  Der  Hörer 
erkennt  sie  oft  nicht,  wenn  sie  auch  naheliegend  genug  sind. 

Z.  B.  Klemensiewicz  erzählt  von  einer  Jagd.  „Der 
Stel  .  .  der  Schweiss  ist  uns  heruntergeronnen  .  ."  Ich  bin 
über  das  Stei  .  .  sehr  erstaunt  und  frage  in  einer  Pause  den 
Sprecher,  warum  er  sich  versprochen  habe.  Er  sagte  ohne 
viel  Zögerung:  ,,  Weil  ich  an  Stirne  gedacht  habe".  Ich 
ärgerte  mich,  dass  mir  diese  gewiss  richtige  Erklärung  trotz 
vieljähriger  Erfahrung  nicht  sofort  eingefallen  war.  In  dem 
vorliegenden  Falle  wäre  ich  wohl  später  auch  noch  auf  die 
richtige  Erklärung  gekommen,  aber  es  gibt  Fälle,  wo  auch 
die  sofort  vorgenommene  Prüfung  des  Bewusstseinsinhalts  des 
Vaganten  nicht    mehr    habhaft    wird.     So  gelang    es    mir    im 


122 

Falle  von  ,,Sp((zi€rgork''    absolut  nicht,    den  flüchtigen  Wort- 
vag^anten,  der  hier  ein^^ewirkt  hat,  zu  eruieren. 

Ich  habe  schon  hervorgehoben,  dass  jedermann,  auch 
Kintl  und  Greis,  sich  verspricht.  Man  kann  nicht  sagen,  dass 
eine  Art  des  V'ersprcchens  in  einem  bestimmten  Alter  über- 
wiege. Aber  über  die  perzentuelle  Häufigkeit  ist  schwer  zu 
einem  Urteil  zu  gelangen,  denn  man  ist  ausserstande,  alle 
Sprechfchler,  die  man  hört,  oder  auch  nur  die,  die  man  von 
ein  und  derselben  Person  im  Laufe  der  Jahre  hört,  zu  notieren. 
Ich  habe  früher  die  Nachklänge  für  Ermüdungserscheinungen 
oder  sogar  für  senil  gehalten.  Meine  neuen  Beispiele  wider- 
legen das  klar:  ich  habe  so  arge  Fälle  bei  gesunden,  nicht 
ermüdeten,  jungen  Individuen  gehört,  dass  ich  meine  Vermutung 
nicht  aufrecht  halte.  Übrigens  habe  ich  V.  und  V.  S.  52 
vorsichtigerweise  nur  gesagt,  dass  die  Menge  der  Nach- 
klänge erst  senil  ist  und  daran  mag  etwas  Wahres  sein. 

Richtig  bleibt,  dass  einzelne  Individuen  sich  mehr  ver- 
sprechen als  andere.  Aber  auch  diejenigen,  die  sich  häufiger 
versprechen,  bevorzugen  nicht  bestimmte  Gattungen.  Dann 
achtete  ich  darauf,  ob  etwa  schneller  sprechende  Menschen 
sich  mehr  versprechen  als  langsame.  Auch  dabei  kam  ich 
zu  keinem  Resultat.  Ich  kenne  Menschen,  die  in  einem 
gedankenfluchtartigen  Tempo  reden  und  sich  trotzdem  weniger 
versprechen  als  andere,  die  langsam  sprechen. 

Es  gibt  Menschen,  in  deren  Sprachvorstellungen  die 
akustischen  Bilder  vorwiegen  (Hörer),  solche  bei  denen 
die  motorischen  vorherrschen  (Sprecher),  endlich  solche, 
bei  denen  das  geschriebene  Wort  (,, Leser"  müsste  man  sie 
nennen)  oder  die  Schreibebilder,  (..  S  ch  r  ei  b  e  r '•)  beim 
Sprechen  mitwirken.  Bei  allen  diesen  könnte  man  verschiedene 
Typen  des  Versprechens  anzutreffen  hoffen  —  es  ist  nicht 
der  Fall. 

Dass  das  Versprechen  nicht  auf  eine  Sprache  beschränkt 
sein  kann,  sondern  dass  höchstens  einzelne  Regeln  anders 
sind,  das  bedarf  keines  Beweises. 

Und  so  wird  man  nun   schon  vorbereitet  sein,   wenn  ich 


123 

sage:  Alle  Menschen  versprechen  sich,  im  wesent- 
lichen in  derselben  Weise. 

Die  zunächst  sich  ergrebende  Fragfe  wäre  nur:  Wann 
tritt  das  Versprechen  auf?  Welcher  Grund  ist  für 
sein  Erscheinen  anzugeben?  Diese  Frage  ist  nicht  zu 
beantworten. 

Freilich,  wenn  man  z.  B.  einen  Tischredner  in  seiner  Not 
Fehler  über  Fehler  machen  hört,  wenn  man  einen  schlecht 
vorbereiteten  Prüfling  beobachtet,  dann  wird  man  sagen:  Der 
Grund  ist  die  Aufregung,  das  Herumschwirren  innerer  Wort- 
bilder, die  aufgescheuchten  Schwärme  von  schwebenden  W'ort- 
bildern  u.  dgl. 

Mag  sein.  Aber  was  ist  denn  der  Grund,  dass  ich  mich 
in  der  allerruhigsten  Stimmung,  in  meiner  gewohnten  und 
mir  erwünschten  Umgebung  verspreche?  Freilich,  wer  alles 
erklären  will,  wird  wieder  einen  Grund  angeben :  Weil  ich 
mich  in  einer  solchen  Lage  gehen  lasse,  weil  ich  nicht  acht- 
gebe. 

Man  kann  dagegen  einwenden,  dass  man  auch  in  Augen- 
blicken,  in  denen  man  sehr  auf  die  Worte  achtet,  nicht  vor 
dem  Versprechen  sicher  ist. 

Mögen  hier  andere  das  Wort  nehmen.  Ich  habe  keinen 
Mut,  einen  bestimmten  Grund  für  das  Auftreten  des  Ver- 
sprechens anzugeben,  d.  h.  ich  habe  den  Grund,  der  zur  Er- 
klärung aller  Erscheinungen  ausreichen  könnte,  nicht  gefunden 
und  eine  Redensart  zu  machen  habe  ich  keine  Lust. 


In  der  Sprachwissenschaft  ist  es  eine  anerkannte  Tatsache, 
dass  das  Wort  nur  in  einem  beschränkten  Masse  ein  Eigen- 
leben  lebt,  denn  es  tritt  fast  nur  als  Teil  des  Satzes  auf.  Und 
noch  viel  mehr  ist  der  Laut  etwas  Unselbständiges,  der  wieder 
nur  als  Teil  des  Wortes  erscheint  und  niemals  allein,  während 
das  Wort  doch  in  den  Fällen,  wo  es  einen  ganzen  Satz  aus- 
macht, z.  B.  in  der  einwortigen  Beantwortung  einer  Frage  oder 
im  Ausrufe,  allein  erscheint.  Und  trotzdem  verzeichnet  jede 
historische  Grammatik  die  Geschichte  des  Einzellautes  und 
vermag  siegreich  die  Berechtigung  dieses  Standpunktes  dar- 
zulegen. 


124 

Und  das  Versprechen  demonstriert  die  Berechtigfung 
dieses  V'orcj'an^s  so  klar  als  nur  möt^lich  ad  oculos.  Wir 
sehen  den  einzelnen  Laut,  aus  seiner  Umgebung^  herausgerissen, 
nach  vorwärts  oder  rückwärts  springen,  sehen  ihn  einen  gleich- 
wertigen anderen  Laut  verdrängen  und  seine  Stelle  einnehmen. 
In  viel  höhcrem  Masse,  als  man  glauben  sollte,  ist  der  Laut  ein 
selbständiges  Element  der  Sprache;  er  ist  durchaus  nicht  bloss 
eine  grammatische  Abstraktion,  er  lebt  sein  eigenes  Leben, 
hat  Beziehungen  zu  gleichartigen,  schlicsst  sich  aber  gegen 
andere  ab. 

Diese  Tatsache  ist  nun  um  so  merkwürdiger,  als  wir 
nicht  lautierend  sprechen  lernen  (vgl.  V.  u.  V.  S.  7),  sondern 
in  den  ersten  Lebensjahren  Wörter,  Lautkomplexc,  hören  und 
diese  nachsagen. 

Aber  trotzdem  ist  auch  der  einzelne  Laut  in  uns  früh- 
zeitig vorhanden,  was  ich  1895  noch  nicht  wusstc.  Die  Lall- 
periode der  Kinder,  die  noch  ganz  unabhängig  ist  von  der 
gehörten  Sprache  der  Erwachsenen,  zeigt,  dass  das  Kind  früh- 
zeitig im  Besitze  aller  Laute  der  Sprache  seiner  Umgebung 
und  noch  anderer  Laute  ist.  Ich  kenne  nichts,  was  uns  die 
Vererbung  von  geistigen  Dingen  so  klar  vor  Augen  treten 
Hesse,  als  das  Lallen  der  Kinder. 

Die  Beziehungen  der  Laute,  die  wir  im  V^ersprechen  kon- 
statieren konnten,  sind  Verdrängungen  und  Assimilationen. 
Wegen  der  letzteren  Fälle  verweise  ich  auf  die  Längungen 
von  kurzen  X'okalcn  durch  vor-  oder  nachklingende  lange 
(sieh  V.  u.  V.  S.  41,   51). 

Warum  finden  wir  aber  im  Versprechen  keine  klaren  Be- 
ziehungen zwischen  aneinanderstehenden  Konsonanten?  z.  B. 
■warum  erscheint  ,.gehackt^  im  Versprechen  nicht  als  y.gehatt'^ 
mit  verdrängtem /.-?  Und  ebenso  in  y^geleht^,  „gesagt^:  Aller- 
dings sind  die  Konsonanten  verschieden,  der  erste  ein  blosser 
Implosivlaut,  der  zweite  ein  blosser  Explosivlaut,  und  vielleicht 
ist  das  der  Grund,  dass  sie  sich  nicht  assimilieren. 

Aber  wie  im  Italienischen  aus  octo  otto  wurde,  so  machte 
meine  Martha  aus  „möchte"'  ein  ^mötte^,  assimilierte  also  diese 
Laute.     Und  die  Verkehrssprache  sagt  y^Sfappark'"^  für  y,Stadt- 


125 

park^,  ^mibhringen'^  für  „mitbringen''.  Ich  habe  bei  mir 
ud^iygf'tan"'  für  ,,(jutgdan'\  ,,gu(j gegangen"'  für  „gufgcgangen'' 
konstatiert,  Formen,  die  sich  wohl  auch  bei  anderen  finden. 
„Zum  Ueippiel"  ist  ja   eine   ziemlich   verbreitete   Assimilation. 

Wann  also  erfolgt  die  Assimilation  und  wann  nicht? 

Es  ist  längst  klar,  dass  unser  Sprechen  kein  rein  gedächt- 
nismässiges  ist,  d.  h.  dass  wir  nicht  alle  und  jede  Form  fertig 
aus  dem  Gedächtnis  reproduzieren,  wenn  wir  sie  brauchen. 
Sprechen  wäre  unmöglich,  wenn  nicht  in  unserer  Seele  etwas 
wäre,  was  den  Regeln  der  Grammatik  (wenigstens  den  rich- 
tigen) entspräche;  es  sind  die  Sprachgruppen,  die  in  Gruppen 
zusammengeschlossenen  Sprachvorstellungen.  „Sie  sind  ein 
Frodukt  aus  alledem,  was  früher  einmal  durch  Höreji  anderer, 
durch  eigenes  Sprechen  und  durch  Denken  in  den  Formen,  der 
Sprache  in  das  Bewusstsein  getreten  ist  *).  Einzeln  treten  die 
Vorstellungen  ins  Bewusstsein ,  werden  aber  hier  nach  den 
Assoziationsgesetzen  in  Gruppen  vereinigt.  Aber  die  Einzel- 
vorstellung z.  B.  eines  Genitivs  eines  Worts  ist  wieder  eine 
komplexe,  denn  sie  ist  ein  Erinnerungsbild  von  akustischen 
sowie  motorischen  Erlebnissen.  In  der  Seele  assoziiert  sich 
dieser  Genitiv  mit  anderen  gleichgebildeten  zu  einer  Genitiv- 
gruppe, die  mitwirkt,  wenn  ich  im  Sprechen  einen  Genitiv 
benötige,  ebenso  wie  eine  Regel  der  Grammatik. 

Wenn  man  nun  vielleicht  denkt,  dass  wohl  der  Kultur- 
mensch nach  diesen  Sprachgruppen  spreche,  der  Bauer  aber 
ihrer  entraten  könne,  weil  das  Gedächtnis  hinreicht,  um  die 
Formen  seines  Wortschatzes  zu  umfassen,  oder  dass  er  — 
da  doch  auch  bei  ihm  das  sprachliche  Material  nach  den 
Assoziationssfesetzen  sich  anordnen  muss  —  wenigstens  im 
höheren  Grade  gedächtnismässig  spricht  als  der  gebildete 
Städter,  so  halte  ich  das  für  falsch.  Wir  verfügen  leider  über 
kein  Vergleichsmaterial  darüber,  wie  viel  Wörter  der  Bauer 
versteht  und  gebraucht  und  wie  viel  der  Städter.  Aber  mir 
scheint  sicher  zu  sein,  dass  der  Bauer  sehr  viel  Worte  kennt 
und   zu   gebrauchen   in   der  Lage  ist.     Man   muss    bedenken. 


')  Paul  Prinzipien''  S.   23. 


126 

dass  die  Tätigkeit  des  Bauern  eine  sehr  extensive  ist,  dass  er 
im  Hause  eine  Menge  Dinge  und  Teile  dieser  Dinge  zu  be- 
nennen hat,  und  dass  es  ausser  dem  Hause  bei  der  Feldarbeit 
wiederum  sehr  vielerlei  gibt.  Der  Bauernhof  hat  bis  vor 
kurzer  Zeit  fast  alles  selbst  erzeugt  und  erzeugt  auch  heut  noch 
den  Hauptteil  der  Bedürfnisse.  Es  ist  möglich,  dass  der  Bauer 
nicht  alle  Ausdrücke  der  Arbeiten  der  Weiberleut  kennt, 
aber  die  allermeisten  wird  er  wohl  aus  seinen  Knabenzeiten 
wissen,  in  denen  er  viel  bei  den  Weibern  war,  im  Sommer 
auf  dem  Felde  beim  Mähen  und  Garbenbinden,  im  Winter 
beim  Spinnen,  wobei  er  die  Aufgabe  hatte  auf  den  brennen- 
den Kienspan  zu  sehen. 

Ich  möchte,  wenn  ich  einen  Vergleich  mache,  eher  glau- 
ben, dass  der  Bauer  einen  grösseren  Wortschatz  hat  als  der 
Städter  der  unteren  Schichten. 

Die  Sprachvorstellungen  sind  die  in  Gruppen  angeord- 
neten Erinnerungsbilder  von  allem  gehörten  und  allem  selbst 
gesprochenen  Sprechen.  Sie  kommen  auf  demselben  Wege 
zustande  wie  die  „schwebenden  Wortbilder",  die  wir  oben 
beobachten  konnten,  sie  sind  derselben  Art. 

Solche  ,.schwebende  Wortbilder"  müssen  zur  Erklärung 
mancher  kindlichen  Neubildungen  herangezogen  werden.  Ich 
habe  oben  erzählt,  dass  mein  Söhnchen  4  jährig  auf  der 
Strasse  einen  Mann  seine  Tabakspfeife  anzünden  sah.  Sofort 
machte  er  ein  Wort  für  den  ihm  neuen  Apparat  und  nannte 
ihn  „eine  Bauche'*.  Er  behielt  dann  das  Wort  eine  Zeitlang 
bei.  Nur  ganz  wenige  Beispiele  konnten  als  „schwebende 
Wortbilder"'  zur  Entstehung  dieses  Wortes  geführt  haben. 
Bekannt  waren  ihm  gewiss  y^HacJie^'  zu  „haclen",  vielleicht 
„Sä(je'^  zu  „sägen'^  und  darnach  machte  er  zu  „rauchen''  den 
Namen  des  Instruments  ,.die  Rauche"'  —  im  Augenblick,  ohne 
das  geringste  Nachsinnen. 

Der  Knabe  hatte  vielleicht  schon  ,,die  Pfeife^''  gehört, 
fand  aber  das  Wort  nicht  mehr,  was  auch  begreiflich  ist,  denn 
es  ist  eine  Ausnahme:  Mit  dieser  Pfeife  pfeift  man  nicht, 
sondern  raucht  man;  also  ist  es  eine  ,, Rauche^'. 

Eine   Ausnahme   ist  nun  auch    —    für  jung   und    alt    — 


127 

^,ivir  2vissen'\  Wir  haben  gesehen,  dass  es  infolge  eines  Nach- 
klangs in  „ivcissen"  verwandelt  werden  kann.  Ich  habe  aber 
auch  beobachtet,  dass  es  ohne  einen  derartigen  Nachklang, 
ganz  spontan,  auftreten  kann.  Hier  wirkt  also  die  normale 
Gruppe:  ,,IcJi  reisse  (dial.  reiss)'',  ,.tvir  reissen^^  ablautbefeh- 
dend mit. 

Das  Wort,  welches  ich  brauche,  oftenbart  sich  mir  nicht 
immer  in  seiner  gewünschten  fertigen  Form,  sondern  oft  nur 
in  seiner  primitivsten  Gestalt,  sagen  wir  in  einer  Art  von 
Wurzel.  Diese  primitiven  Wortbilder  werden  von  grossen 
Schwärmen  von  Wortvorstellungen  umkreist,  welche  erst  die 
Formgebung  v^erursachen. 

Wenn  ich  den  Plural  von  „Schacht'^  brauche,  schwirren 
zwei  Schwärme  heran,  der  Schwärm  der  umgelauteten  und  der 
der  nicht  umgelauteten  Plurale  von  Substantiven  männHchen 
Geschlechts.  Irgendein  Moment  wirkt  nun  ein,  dass  die  neue 
Form  sich  dem  richtigen  Schwärm  anschliesst;  schliesst  sie 
sich  dem  Schwärm  an,  zu  dem  sie  bis  jetzt  nicht  gehörte,  dann 
entsteht  eine  Analogiebildung. 

Wenn  ich  aber  sagen  will:  „Es  ist  heiss^',  dann  naht 
sich  ein  einzelner  Wortvagant,  das  durch  den  Kontrast  herbei- 
gelenkte Wortbild  „Jcalf'',  und  im  Versprechen  erscheint  dies 
oft  genug  für  jenes. 

Das  mag  genügen,  um  die  Verwandtschaft  der  Sprach- 
vorstellungen, der  sprachlichen  Gruppen  mit  meinen  ,, schwe- 
benden Wortbildern"  zu  erklären. 

Je  nach  dem  momentanen  Stärkeverhältnis  der  das  zu 
bildende  Wort  umkreisenden  Schwärme  schwebender  Wort- 
bilder  oder  einzelner  schwebender  Wortbilder,  einzelner 
Wortvaganten,  die  oft  ganz  unbewusst  sind,  kommt  dann  in 
dem  gesprochenen  etwas  Altes  oder  etwas  Neues  zustande. 
Das  Abnormale,  die  Neubildung,  entsteht  dann,  wenn  eine 
unregelmässige,  also  bloss  gedächtnismässig  zu  reproduzierende 
Form  von  einem  Schwärm  oder  einem  Einzelvaganten  attra- 
hiert  wird,  und  wenn  eine  regelmässige  Form  von  einem  an- 
deren Schwärm  als  der  ist.  zu  dem  sie  bis  ietzt  gehört  hat, 
erfasst  wird. 


12S 

Beim  {gewöhnlichen  Sprechen  werden  wir  uns  der  Muster, 
jener  Schwärme  von  VV'ortbildern,  nicht  bewusst.  ^Alle 
Äusserungen  der  Sprachtätitjheit  fUessen  aus  diesem  dunkeln 
Räume  des  Unbeuussten  in  der  ^Seelc"  (Paul,  Prinzipien-*  S.  23J. 
Nicht  alle,  nur  die  normalen.  Beim  V'ersprechen  ist  man  oft 
in  der  Lag"e,  die  Ursache  des  Versprechens  anzugeben,  der 
störende  Wortvag-ant  iibertritt  die  Schwelle  des  Bewusstseins 
oder  ist  ihr  so  nahe,  dass  er  mühelos  heraufgezogen  werden 
kann. 

Die  Möglichkeit  dieses  Heraufziehens  wird  wohl  niemand 
leugnen.  Es  stimmen  dazu  andere  Erfahrungen.  Man  sucht 
ein  Wort  und  sagt:  ,,Es  liegt  mir  auf  der  Zunge".  Man  fühlt, 
dass  das  Wort  sich  regt,  ohne  es  über  die  Schwelle  des  Be- 
wusstseins bringen  zu  können.  Findet  sich  irgendeine  ,, Hilfe*', 
so  gelingt  das. 

Es  ist  lehrreich,  Kinder  in  bezug  auf  solche  in  der  Nähe 
der  Bewusstseinsschwelle  sich  bewegende  sprachliche  Bilder 
zu  beobachten.  Auch  der  Erwachsene  hat  ein  Unlustgefühl, 
wenn  er  ein  Wort,  das  ihm  ..auf  der  Zunge  liegt",  nicht  aus- 
sprechen kann.  Noch  stärker  ist  dieses  bei  den  Kindern. 
„Mama,  ich  hah  ivas  sagen  wollen,  und  jetzt  (wenn  man  nicht 
gleich  zuhört)  hah  ichs  vergessend  sagen  die  Kinder  und 
weinen  und  schreien.  Der  Trost,  dass  es  ihnen  schon  wieder 
einfallen  wird,  wirkt  nicht;  sie  wissen  bald  aus  Erfahrung,  dass 
das  meistens  nicht  mehr  geschieht. 

Dass  gewisse  Erscheinungen  der  Sprachgeschichte  mit  dem, 
was  das  Versprechen  zeigt,  innigst  zusammenhängen,  ist  an- 
erkannt. Vgl.  Paul  Prinzipien 3  S.  60.  Aber  den  Versuch  des 
Nachweises  für  alle  Einzelheiten  dieses  Zusammenhangs  muss 
man  verschieben,  bis  auch  aus  anderen  Sprachen  genaue 
Sammlungen  von  Sprechfehlern  vorliegen.  Verschiedene  Laut- 
erscheinungen lassen  schliessen,  dass  die  Regeln  in  verschie- 
denen Sprachen  teilweise  verschieden  sind. 

Hier  will  ich  nur  ganz  wenige  Bemerkungen  machen. 
Wenn  Graramont  La  dissimilation  S.  147  sagt:  ,,/.s}>ai(vo)- 
Vi'-pr,:  na  jamais  existe'%   so  ist   das  falsch.     Es  kommt  doch 


129 

auch  vor,  dass  wir  sagen:  ,,eine  noch  heiterere  Sache^^,  und  dass 
das  schwierige  Wort  ohne  weiteres  gehngt. 

Mich  freut  es,  J.  F.  XXI.  S.  367  f.  zu  lesen,  dass  Brug- 
mann  Mzlx^b-ioc,  nicht  mehr  aus  MsXa/vav/ö-io?  erklärt  d.  h. 
nicht  mehr  als  causa  movens  den  gleichen  An-  und  Auslaut 
der  Silbe  betrachtet,  sondern  aus  Ms7.av/av/8'io;.  Ich  verweise 
auf  das,  was  ich  V.  und  V.  S.  183  f.  über  lat.  selimjniodius, 
consuc[ti]tudo  usw.  gesagt  habe,  wozu  auch  bald  F.  Stolz 
seine  Zustimmung  gab. 

D.  Anhänge  zum  I.  Hauptstück. 

1.  Ändere  Arbeiten  zum  Versprechen. 

Ich  muss  hier  eine  Arbeit  nennen,  nicht  so  sehr,  weil 
sie  uns  wirklich  gefördert  hätte,  sondern  weil  der  Verfasser 
dieser  Meinung  in  so  hohem  Grade  ist,  dass  er  das,  was  ich 
mit  Mayers  Hilfe  erkundet  und  niedergeschrieben  habe,  nur 
als  „Vorarbeit"  seiner  erschütternden  Leistung  gelten  lassen 
kann. 

Herr  Siegmund  Freud  hat  in  seiner  Schrift  Zur  Psycho- 
pathologie des  Alltagslebens  ^)  den  Versuch  gemacht,  viel 
tiefer  in  das  Wesen  des  Versprechens  einzudringen,  als  das 
mir  geglückt  war.  Von  einigen  bei  mir  gelesenen  Fällen, 
in  denen  Nebengedanken  sich  offenbaren  (z.  B.  „dann  aber 
sind  Tatsachen  zum  Vorschwein  gekommen"  wegen  „Schweine- 
reien" V.  u.  V.  S.  62),  ausgehend,  hat  er  die  Meinung  ge- 
fasst,  dass  in  allen  F'ällen  des  Versprechens,  auch  in  den 
reinlautiichen  und  formellen  überhaupt,  solche  Nebengedan- 
ken die  Ursache  des  Versprechens  sind.  Dies  suchte  er 
durch  psychische  Analysen  einiger  Fälle,  die  er  gesammelt 
hat,  darzulegen.  Diese  Analysen  sind  öfters  jenseits  von  gut  und 
böse. 

Die  Auseinandersetzung  mit  Freuds  Erklärungen  ist  un- 
nötig, denn  seine  Deutungen  haben  schwerlich  einen  Eindruck 
gemacht,  ausser  etwa  bei  den  Herren,    welche  den  publizisti- 


*)  Monatsschrift  für  Psychiatrie  und  Neurologie.     X.  Bd.   i.  Heft;  dann 
auch   separat  erschienen  Berlin  S.  Karger   1904. 

Meringer,  Aus  dem  Leben  der  Sprache.  " 


130 

scheu    Weitervcrschlciss    dieser    Phantasien    in    den    Blättern 
unter  dem  Titel:   „Unfreiwillige  Geständnisse"  besorgten  •). 

Unnötig  ist  eine  Polemik  gegen  diese  Schrift,  weil  sie 
schon  durch  das  Material,  das  in  V.  u.  V.  niedergelegt  ist, 
widerlegt  war.  Wäre  Herr  Freud  imstande,  seinen  Ein- 
fällen einige  Kritik  angedeihen  zu  lassen  und  sein  Luftschiff 
zu  lenken,  so  hätte  er  das  selbst  sehen  müssen.  Das  neue 
Material,  das  ich  hiermit  vorlege,  wird  wohl  genügen,  etwaige 
weitere  Versuche  in  der  Freudschen  Richtung  unmöglich  zu 
machen.  P'reud  hat  —  es  ist  die  einzige  Spur  von  Selbst- 
kritik in  seiner  ganzen  Arbeit  —  das  Motto  aus  Goethes 
Faust  gewählt: 

,.Nun  ist  die  Luft  von  solchem  Spuk  so  voll, 
Dass  niemand  weiss,  wie  er  ihn  meiden  soll." 
Ich    hoffe,    dass    diese   Art   Spuk  jedermann    zu    meiden 
verstehen  wird  -). 

Es  wäre  mir  nicht  eingefallen,  mich  mit  Herrn  Freuds 
Ausführungen  überhaupt  zu  beschäftigen,  wenn  ich  nicht 
fürchtete,  dass  sie  unter  Umständen  geradezu  Unheil  anrich- 
ten könnten.  Nicht  in  der  Wissenschaft  —  aber  im  Leben. 
Ein  Versprechen  ist  nur  dann  zu  erklären,  wenn  ich  die 
Seele  des  Mannes,  der  sich  versprochen  hat,  kenne.  Es  ist 
aber  unmöglich,  aus  einem  Versprechen  die  Seele  des  Mannes 
kennen  zu  lernen,  denn  hier  werden  einzelnen  Treffern  sehr 
viele  Fehlschüsse  gegenüberstehen.     Ich  kann  mir  wohl  vor- 


')  oder  unter  dem  Titel  der  Freud'schen  Schrift.  Vgl.  Frankfurter 
Zeitung.   23.  Oktober   1902. 

*)  Für  die  Art  der  wissenschaltlichen  Erklärungen  dieses  Herrn  nur  ein 
Beispiel  von  „Vergreifen"  (ich  sage  „Verhandeln").  Herr  Freud  berichtet  S. 
4S.  dass  er  in  einem  Hause  einmal  in  den  dritten  Stock  statt  in  den  zweiten 
gegangen  sei,  sich  also  „verstiegen"  habe  Er  fährt  fort:  „Das  andere  Mal 
ging  ich  wiederum  „in  Gedanken  versunken"  zu  weit;  als  ich  es  bemerkte, 
umkehrte  und  die  mich  beherrschende  Phantasie  zu  erhaschen  suchte,  fand  ich, 
dass  ich  mich  über  eine  (phantasierte)  Kritik  meiner  Schriften  ärgerte,  in  wel- 
cher mir  der  Vorwurf  gemacht  wurde,  dass  ich  „immer  zu  weit  ginge",  und 
in  die  ich  nun  den  wenig  respektvollen  Ausdruck  „verstiegen"  einzusetzen 
hatte".  —  Vor  dieser  Gattung  Wissenschaft  möge  uns  ein  gütiges  Geschick 
bewahren  I 


131 

stellen,  und  ich  habe  es  oft  erlebt,  dass  ein  Mann  im  Ver- 
sprechen etwas  sagt,  was  durchaus  nicht  seine  Meinung  ist, 
so  dass  er  selber  darüber  erschrickt. 

Gegen  diese  Verwertung  meiner  Gedanken,  wie  sie  Herr 
Freud  beliebt  hat,  gegen  diese  Nacharbeit  zu  meiner  „Vorar- 
beit", protestiere  ich  auf  das  energischeste. 

In  einer  kleinen  Arbeit  (Casi  di  „Lapsus  linguae")^)  hat 
Attilio  Levi  einige  Sprechfehler  aus  dem  Italienischen  ge- 
sammelt. Leider  viel  zu  wenig,  als  dass  man  sich  ein  genaueres 
Urteil  machen  könnte.  Für  ihn  liegt  dem  Versprechen  Be- 
fangensein, Zerstreuung  u.  a.  zugrunde.  Flüchtige  Verände- 
rungen pathologischer  Natur  seien  die  Ursache. 

2.  Das  Verlesen. 

Vgl.  V.  u.  V.  S.   100. 

Ich  gebe  hier  nur  einen  kleinen  Materialnachtrag:  die 
Beispiele  stammen  meistenteils  noch  aus  den  Deutsch-Stun- 
den an  der  Orientalischen  Akademie  (jetzt  Konsular-Akademie) 
in  Wien. 

Unterdessen  hat  die  Frage  eine  eingehende  Behandlung 
erfahren  von  Dr.  O.  Messmer  Zur  Psychologie  des  Lesens 
bei  Kindern  und  Erwachsenen  Leipzig  1904.  (Meumann, 
Archiv  für  die  gesamte  Psychologie  I.  Band   i.  Heft). 

Ich  habe  V.  u.  V.  S.  129  gesagt:  ^Beim  Sprechen  ent- 
scheidet hei  der  Substitution  Sinn-  und  Klant/ähnlichJceit,  heim 
Lesen  kommt  dazu  die  Ähnlichkeit  des  gedruckten  Wortes^. 
Wenn  Messmer  dazu  sagt:  ,. Diese  heiläufige  Bemerkung  gibt 
für  eine  psychologische  Betrachtung  gerade  die  Hauptgesichts- 
punktc  an'"',  so  ist  damit  jedenfalls  anerkannt,  dass  mir  die 
letzteren  eben  nicht  entg^ang-en  sind.  ' 

I.  Stunde.      Paul  Heyse,    Zwei  Gefangene.      Reclam. 

S.  49.   ,,macJien  zti  wusste^^  für  ,.zu  machen  ?<;." 

S.  50,  ,,em  iveihliches  Lehen^''  für  „  Wesen"'. 

S.   52.   .^verrauscht''''  für  ,.,verraucht'^ ,     Ohne  Korr. 


')  Accademia  Reale  delle  scienze  di  Torino  iqoö/oy   15  Seiten.    Torino 
Carlo   Clausen   1906. 

9* 


132 

2.  Stunde. 

S.  55.  ^lustig  dahinschanendcn'^  für  „luftiy  dahinschweben' 
den  Fräulein  .  ." 

S.   55.  „verdrrhlichcH''^   für  „verblichen". 

S.   57.   .^dessen"  für  ^desselbcn"^ ,     Ohne  Korr. 

S.  60.  y,Jconnte"'  für  „mocJde''^.     Ohne  Korr. 

S.  60.  „ine  jre«n  sie  einen  Nebel  vor  den  Augen  hättey 
ah\  von  den  Augen  wegwischen  wollte.'*     (Mannheimer). 

3.  Stunde. 

S.  67.  riDie  Damen  trugen  sämtliche  HUte"^. 

S.   70.   „ein  starker  Ambradru  .  dtift^. 

S.   72,  „schöne  Sachen  s.  schenkt''*. 

S.   75.   .^ausgcstarrt^   für  „angestarrt'^.     Nicht  korr. 

S.  76.  ^Hände  zu  begleiten'^  für  „Hände  begleitend^. 
Nicht  korr. 

S.  79.  „auch  nur  seinen  Schirm  .  .  .  Schritt  zu  be- 
schleunigen oder  einen  Schirm  aufzuspannen.^'' 

Mehrere  andere  Stunden.  Ibsen,  Die  Kronpräten- 
denten, Reclam. 

S.  30,  „was^  für  „wenn  es". 

S.  45.   „de)i  Ueiligenschrein  mitreissen"   langsam  gelesen. 

S.   59.  „verbirgt"''  für  „ i: erber gt"'-. 

S.  61.   r,da  der''  für  „der  da''. 

S.  62.  „zuletzt"  für  „zuerst".     Nicht  korrigiert. 

S.   73.   „in  die  Hände"  für  „in  die  Hand".    Nicht  korrigiert. 

S.   72.  „eine  Trone  fragen"  für  „.  .  Krone  .  ."'     Nicht  korr. 

S.  87.  „zum  fremden  Stande  .  .  Strande". 

S.  88.  „?c/t  hörte  die   Stadt  .  .  Stadtleute  so  rätselhaft". 

So  viel  nur  zur  Übersicht,  damit  man  sich  aus  der  leicht 
zugänglichen  Reclam-Ausgabe  eventuell  ein  genaues  Situations- 
bild des  fehlerhaft  gelesenen  Wortes  maclien  kann.  Diese 
und   andere   Fälle   hierauf  unter   den   betreffenden    Rubriken. 

a.  Vertauschungen. 

Vgl.  V.  u.  V.  S.   118. 

Von  Wörtern.  Es  kommt  wohl  nur  bei  nebeneinander- 
stehenden Wörtern  vor. 


I 


133 

yinachen  su  ivusste'"''  für  y^su  machen  irusste^'-. 

„da  der""  für  y^der  da". 

Von  Lauten.  „Gebehr^^  für  „Begehr'"'  (Frl.  R.  H.  2 mal 
•gelesen).     Sieh  oben  „Vertauschung-en"  S.    12. 

yTonre  .  .  erde".  Also  eine  Metathese  aus  optischen 
■Gründen. 

b.  Antizipationen. 

Vgl.  V.  u.  V.  S.    119. 

Von  Wörtern. 

„.  .  auch  nur  seinen  Schirm  .  .  Schritt  sn  beschleuni- 
gen oder  einen  Schirm  aufsiispannen'^.  Antiz.  erleichtert 
durch  gleichen  Anlaut. 

„.  .  Stadtbeamte  .  ."  für  ,,.  .  Stadtbauamte  .  ."  liest 
meine  Frau.  Sie  erklärt,  sie  habe  das  folgende  Wort:  „ Haus- 
besitzer" schon  vorausgelesen  gehabt. 

„Die  Schpö  .  .  Störungen  der  Sc /iß  räche  [Sprache)  .  ."  (Ri). 

von  Lauten. 

„.  .  Gesiuchtsurnen  .  .''  für  „Gesichtsurnen  .  ."  liest  Dr. 
Arneiz.     iu  klang  wie  ü. 

„Die  Damen  trugen  sämtliche  Hüte'".     Nicht  korr. 

„eine  Trone  tragen  "  für  ,..  .  Krone  .  ."     Nicht  korr. 

„ich  hörte  die  Stadt  .  .  Stadtleute  so  rätselhaft'^. 

„.  .  Frone  .   .  Frosemiitar  .   ."     (Hfr.  v.  Hartel). 

„.  .  zurücJczngeivünnen  ivünscht  .  ."  (Hofr.  R.  Zimmer- 
mann).    Vielleicht  auch  Nachklang. 

c.  Postpositionen. 
Vgl.  V.  und  V.  S.   121. 

Von  Wörtern  oder  Silben. 
„Lassen  sie  von   Un  gelehrten, 

die  von   ün  .  .  Inhalt  gar  nichts  ahnen  .  ."     (Frl.  R.  H. 
nach  Wolfif:  Tannhäuser). 
Von  Lauten. 
„Ein  starJier  Ambradru  .  duft.'^ 

Antizipation  oder  Postposition. 
„. .  .  mittelst  geschätzter  Schi .  Zuschrift .  .  ."  (Karabacek). 


134 

d.  Kontaminationen. 
Vgl.  V.  und  V.  S.    123. 

Man  kann  doch  auch  beim  Lesen  von  diesen  reden, 
wenn  nämlich  der  Text  gewisse  Nebengedanken  weckt  und 
deren  Worte  dann  mit  den  Worten  des  Textes  zusammen- 
fliessen,  z.  B. 

Ibsen,  Kronpractendenten,  Reclam  S.  30.  „er  sagt,  dass 
die  Bäume  zweimal  im  Jahre  Früchte  tragen,  dass  die  Vögel 
siveimal  im  Jahre  b ritten,  seitdem  Hakan  König  ist."'  Statt 
„brüten'*  wurde  „bluten^  gelesen.  Da  Dissimilation  in  diesem 
Falle  sehr  unwahrscheinlich  ist,  kann  man  wohl  nur  denken, 
dass  der  Leser  erwartete,  es  komme  ein  Passus,  dass  alle 
Pflanzen  zweimal  blühten;  dieser  Klang  wird  durch  das  so 
ähnlich  klingende  Wort  ^.brüten"'  herbeigelockt  und  verdrängt 
das  andere.     Vgl.  oben  über  „vagierende  Wortbilder". 

e.  Substitutionen. 
Vgl.  V.  und  V.  S.   123. 

y^ausgestarrt'^  für  „angestarrt^\     Nicht  korr. 

y^wie  ivenn  sie  einen  Nebel  vor  den  Augen  hätte,  ah  .  . 
von  den  Augen  wegwischen  wollte'''  (Subst.  der  Konstr.). 

„Hände  zu  begleiten"-  für  ^., Hände  begleitend^.  (Subst. 
der  Konstr.). 

yjionnte"   für  ,, mochte'* .     Ohne  Korr. 

„dessen^'  für  „desselben^.     Ohne  Korr. 

„verderblichen"  für  „verblichen'*. 

„lustig  dahinschauenden^''  für  „luftig  daliinsch webenden 
Fräulein^'. 

„verrauscht^   für  „verraucht^.     Nicht  korr. 

„ein  weibliches  Leben  .  .  .   Wesen'^. 

„zuletzt''  für  „zuerst^'.     Nicht  korrigiert. 

„in  die  Hände"   für  „in  die  Hand''.     Nicht  korrigiert. 

„tveiss'*  für  ,,muss'*.     Korr. 

Die  nächsten  Beispiele  aus  Turgenjew,  Gedichte  in  Prosa 
Reclam.     Wo  es  nötig  erscheint,  gebe  ich  die  Seitenzahl  an. 

„Bauernhofe"  für  „Bauernhause''.     Nicht  korr. 

„dort  oben"  für  „dort,  aber".     Nicht  korr. 


135 

„Worte"'  für  „Wochen''  (S.  34).     Nicht  korr. 
nAnhIick'''  für  „Augenhlick'-'.     Nicht  korr. 
„(jing"  für  „lief"'.     (S.   38).     Nicht  korr, 
„nicht'*  hinzug-efügt  (S.   51).     Nicht  korr. 
„einer'''  für  .Jener'-'   (S.   70).     Nicht  korr. 

f.  Dissimilationen. 
Vgl.  V.  und  V.  S.   126. 

„sum  fremden  Stande  .  .  Strande".  Der  Fall  scheint 
mir  sicher  Dissimilation  zu  sein,  denn  Substitution  von  ^^Stande" 
ist  nach  dem  g'anzen  Zusammenhang'e  der  Stelle  in  Ibsen, 
Kronprätendenten,  Reclam,  Seite  87  wohl  ausg"eschlossen. 

„  .  .  die  Wissenschaft  zu  plegen  .  .  pflegen,  bevor  .  ." 
las  ich  vor. 

„.  .  Forschungstrieb  treit  .  .  treibt  .  .'•'     (Ale). 

„Fachlandes  .  .  Flachlandes  .  ."     (Me). 

g.  Silbenunterdrückung-. 
„Behellimg  .  .  .  Behelligungen"  (Karabacek). 

g-.  Schwierigkeiten  beim  Lesen, 
Zög-erndes  Lesen. 
Vgl.  V.  und  V.  S.   126. 
,,den  Inttressen  des   Institutes."     Häufung-   der   Dentalen 
ist  hier  die  Ursache  des  langen  t.     (v.  Escherich). 

„anher gelang,  en  lassen  zu  wollen."  Nach  der  Silbe 
lang  gezögert,  weil  „lassen"  schon  gesehen  und  innerviert 
war  (Karabacek). 

„den  Heiligenschrein  mitreissen." 

h.  Stottern  und  Stolpern. 
Vgl.  V.  und  V.  S.   126. 
„Wer  lehrte  Dich  die  Dichtkunst?"  Stark  gestolpert. 
„.  .  auf  dem  Krö  .  .  Kö  .  .  Königsthron  sitzen  mit  dem 
Kronreif  .  ." 

Metathese. 
„Sterben"  iür  „Streben"  (Ein  Zögling).  Häufiger  Lesefehler. 
Als  Sprechfehler  unerhört. 


136 

Wie  leicht  man  einen  Druckfehler  Übersicht,  dafür  hat 
mir  Dr.  W.  Frankl  ein  gutes  Beispiel  erzälilt.  In  einer  Grazer 
Zeitung"  stand 

Guter 
Obstmobst 
billig  zu  verkaufen. 
Die  meisten  Leser  merken  hier  nichts  von  einem  Fehler. 

5.  Das  Verschreiben. 

Vgl.  V.  und  V.  S.    151  ff. 

Richard  M.  Mayer  hat  mir  eine  Anzahl  eigener 
Schreibfehler  zur  Verfügung  gestellt,  die  ich  mit  Dank  unter 
der  Marke  RMM  bringe.     Er  schreibt  lateinische  Schrift. 

Zur  Mechanik  des  Schreibens  möchte  ich  nur  nachtragen, 
dass  mir  der  schriftgewandte  Mann  doch  auch  nicht  buch- 
stabierend zu  schreiben  scheint.  Ich  denke,  die  Selbstbe- 
obachtung wird  jeden  lehren,  dass  man  nach  Wortgesichts- 
bildern schreibt,  nur  seltene  Wörter  buchstabiert  man  wirklich. 
Das  Buchstabieren  (d.  h.  die  Schwierigkeit  des  Schreibens)  tritt 
oft  in  denselben  Fällen  ein,  in  denen  das  Sprechen  Schwierig- 
keiten macht  und  Stottern  zum  Vorschein  kommt. 

Ich  stehe  neben  dem  Univers. -Diener  Bl.,  als  er  schreibt. 
Plötzlich  spricht  er  halblaut.  Mir  fällt  die  Sache  auf,  und  ich 
frage  ihn.  „Ahl  sagt  er,  das , Wort  „philologisches"-  ist  so 
schwer  zu  schreiben."  Ich  habe  mich  dann  öfter  selbst  dabei 
ertappt,  dass  ich  das  Wort  nur  mit  Aufmerksamkeit  richtig 
schreiben  konnte,  ebenso  dass  bei  diesem  Worte  sich  leicht 
zögerndes  Sprechen  und  Stottern  einstellt. 

Die  Schreibfehler  sind  vielfach  bloss  geschriebene  Sprech- 
fehler und  zeigen  dann  auch  dieselben  Regeln.  Die  optischen 
und  motorischen  Bilder  vom  zu  Schreibenden  (und  Geschrie- 
benen) stellen  aber  neue  Fehlerquellen  dar.  Um  nur  ein 
Beispiel  eines  spezifischen  Schreibfehlers  zu  geben.  Ich  soll 
„iJiode"  schreiben.  Weil  aber  0  und  d  in  ihrem  unterem 
Teil  ganz  gleich  sind,  gerate  ich  von  0  sofort  in  das  d  und 
schreibe  Mde. 

Eine    vorzügliche    Untersuchung     y,Zur    Psychologie    der 


137 

Schreibfehler"  hat  Julius  Seifert  Prag  1904  (28.  Jahres- 
bericht der  deutschen  Staatsrealschule  in  Karolinental)  uns 
gegeben. 

Schreibfehler  aus  dem  Französischen  hat  g-esammelt  M. 
Niedermann  „Das  Verschreiben"  (Estratto  dal  II  vol.  degli 
Studi  glottologici  italiani  diretti  da  Giacomo  de  Gregorio). 

Ich  habe  schon  in  V.  und  V.  S.  7  darauf  aufmerksam 
gemacht,  dass  wir  oft  gebrauchte,  d.  h.  geschriebene  Wörter 
mit  andern  Buchstaben,  flüchtiger,  schreiben  als  die  andern. 
Das  ist  also  eine  Parallele  zu  der  grösseren  Lautverschleifung 
in  häufig  gebrauchten  Wörtern  z.  B.  in  Grüssen  [„guten  TagV^ 
wird  zu  ,^n  T«//!"  und  „Tagl'-^)  und  dgl.  Ich  will  nun  darauf 
hinweisen,  dass  ich  „Sjirache^''  mit  einer  Ligatur  von  Sp 
schreibe,  die  ich  sonst  nirgendwo  verwende.  Natürlich  schreibe 
ich  das  Wort  sehr  häufig. 

Ich  brauche  nicht  zu  allen  Fehlern  Erklärungen  zu 
geben.  Der  Leser  wird  wohl  den  Grund  bei  jedem  einzelnen 
anzugeben  in  der  Lage  sein.  Das  dürfte  bloss  bei  den 
„Substitutionen''  Schwierigkeiten  machen. 

a.   Vertauschungen. 

„495"  statt  „459"  (RMM). 

„X7  124''  statt  „,,XIV  126''  (RMM). 

„i6"  statt  „6i"  (RMM).     Dieses  wohl  gewiss  optisch. 

F.  Detter  schreibt:  „wie  solche  Diehsaugen  in  unsere  Ma 
(wurde  gestrichen)  Familie  Jüommen'''.  Es  scheint  „Mafilie"' 
intendiert  gewesen  zu  sein". 

ygnasen'-'-  für  „ganzen"'  (RMM). 

Ein  Beamter  der  Universitäts-Bibliothek  in  Wien  schrieb 
an  seine  Tür:  „Bitte  der  Beinigung  halber  den  Zimmerschlüssel 
auszuflogen"'  für  „.  .  .  auszufolgen"  (Dr.  v.  Gri  ref). 

b.  Antizipationen. 

„7e"  korrigiert  „Ve"  für  „V^^"  (RMM). 
„ivierder"  für  „nieder"  (RMM). 
„handelta  dann"  für  „handelte  dann"  (RMMk 
„imlatf'  statt  „platf-'  (RMM). 


138 

„ssfws"   für  „sass"  (RMM. 

^seian  alle'''  für  ^seicn  alle''  (RMM). 

R.   M,  M.  schreibt   ein   e   vor   l  fast  immer  so  gross  wie 
das  folaende  /.     Assimilation. 

„Aexandric))^'.      Beachte    die    Ähnlichkeit    von    e   und    l. 
(RMM). 

„Doch'''  für  „Dir  doch'*.  Erleichterte  Antizipation.  (RMM). 

,,Or,.orr'  statt  „91.20''  (RMM). 

„75. 5-'  statt  „76.9''  (RMM). 

„(/er  Pewu.sstr.  Paris'"'  (RMM). 

„war?"  statt  „nach  fZ"  (RMM). 

„In  andern  Gedichtet  reimt  .  ."    statt  „.  .  GedicJiten  .  ." 
(RMM). 

r^traf  niemandem  auf  dem   Wege"  (RMM). 

y./nennt    mit    mit    dem    Namen"   statt   „.  .  mich    mit  .  ." 
(RMM). 

„Mab  hei''  für  „Mal  bei"  (RMM). 
„vllstündig"  für  „voUstäudi;/".     Beachte  die  Ähnlichkeit 
von  0  und  v  bei  raschem  Schreiben  (RMM). 

^jetzb  bei  .  bau  Haupt''    statt    ^ jetzt  bei  Haupt"    (RMM). 

„sieht  nicht"  statt  „sich  nicht''  (RMM).  Erleichterte  Anti- 
zipation. 

„aus  Haupt"  statt  „,,a/5  Haupt"  (RMM). 

„Pret  .  ."  statt  „Petroleum"  (RMM). 

„.  .  der  Knittel  verschwindet  .  ."    für  „.  .  Knittelvers  ver- 
schwindet .  ."  (Wickhoff). 

„Ober- Österreich''  statt  „Oberösterreich"  (Me). 

„Wie  tvier"  statt  „Wie  wir  hier''  (RMM). 

„Pier"  statt  „Die  hier"  (RMM).  Erleichterte  Antizipation. 

„erhlältet"  statt   „erJcältet"  (RMM). 

„vorn  vornherein"  (RMM).  Erleichterte  Antizipation. 

„den  correldon  Ton"  (RMM). 

„eingeiteilt"  (RM.M). 

,.Mart"  begann  Sz.  statt  „Material" .    Vgl.  das  russische 
marterjahj  V.  und  V.  S.  92. 

„.  .  ganz  (statt  „kann")  zu  Tanz  und  Freude  gehen  .  ." 
(Me). 


1 


139 


5V 


nach  ivelcheln  .  ReyehX  .  .*'  (Ale). 
Lanteran- Konzil  .  ."  (Me). 
Henenc  .  ."  für  .^Helene'''  (Me). 
löscjelöst''''  für  y^losgelösP''  (Me). 


a.  Antizipation  der  Quantität. 
„Hohenemsehy  hier'"''  statt  ,^Hohenemser  .  ."  (RMM), 

|3.  Antizipation  der  Gemination. 
„oogyeline'-^  statt  ^^vogelltne"'  (RMM). 

c.  Konzipationen. 

Dr.  Pintner  soll  den  Namen  „De  3Ian''  schreiben,  schreibt 
aber  3  mal  „dem  .  ."  hat  also  deutsches  „dem  Mann"  im  Sinne. 

Ich  will  „imterbricht''^  schreiben,  höre  aber,  wie  Dr.  Adler 
„Klangt''  sagt.     Ich  schreibe  also:   „unterhringt"- . 

Ich  will  schreiben:  „.  .  Leo  M{eyer)  .  ."  Im  Augeriblicke 
höre  ich  meine  Frau  sagen  „.  .  Mörtel  .  ."  Ich  schreibe  also: 
{Leo  M)örtel 

d.  Postpositionen. 

„Das  brennende  Pret  .  .*'  für  „.  .  Petroleum"^;  oder  Anti- 
zipation? 

„vollständige  Grammatik  der  Sanshritgrammati¥''  für 
„.  .  .  Sanskrit  spräche'^  (RMM). 

„XXIV  124''  statt  „XXIV  427''  (RMM). 

„umgegelirt^'  statt  „umgekehrt"'  (RMM). 

„in  dieser  Weiser"  statt  „in  dieser  Weise''  (RMM). 

Ich  schrieb  an  De:  „Ich  sehe  ich  ja  wohl  noch  früher" 
für  „.  .  .  Dich  ..."  Erleichtert  durch  Ähnlichkeit. 

„.  .  gnosno  .  ."  für  ,,.  .  gnoseo  .  ."  (Me). 

„Die  Betonung  des  griechischen  Verhums  betont  .  .  erklärt 
sich."  (Me). 

„In  diesen  Fehler  verfeh  .  .  verfallt  .  ."  (Me). 

„Bei  den  Ariern  findcrn  ivir  .  ."  für  „.  .  finden  .  ."  (Me). 

„.  .  kleinere  sprachlichere  .  ."'  (Me). 

„.  .  an  einer  Steller  .  ." 

Postposition  der  Gemination. 
„schafett"  statt  „schaffet"  (RMM). 


140 


Nachklang'  eines  miterrepften  Wortbildcs. 


yWoJiniüigcit''''  statt  „Wartiutigeyi"'  schreibt  RMM,  weil  von 
Stuben  die  Rede  war. 

e.   Kontaminationen. 

r,Dc)iu  hätte  das  ichf.  itur  .  .  (fcJialt  liiitte'^  (RMM); 
kontam.  aus  Jiättc  das  .  .  (jduiht"-  und  ,.?re»«  das  .  .  yehaht 
Inittr'  (RMM). 

,.Man  muss  imtürlich  um  .  .  zu  hegreifen.  imiss  man  na- 
türlich .  ."  (RMM). 

f.   Substitutionen. 

„besucht"  statt  JjesonjV  (RMM). 

,.  Vollsdichter  sincft''  für  „söu/"  (RMM).  Nachklang  eines 
miterresrten  Wortbildes. 

„Nur  überschätze  (für   .,unt  er  schätze'^)   man  vicht'-^  (Me). 

Einer  meiner  Schüler  schrieb:  ,.dem  beschränlicu  (wurde 
g-estricheu)  bedrängten  Spa))ien^'.  Hier  liegt  ein  innerer 
Sprech  fehler  vor,  Antizipation  des  Seh  von  „Sjmnien'^.  In- 
teressant ist  aber  dann  das  vollständige  Einlenken  in  die 
Bahn  des    einmal   angefahrenen  Wortes,    wie   das    A*    beweist, 

Sehr  häufig  sind  in  der  Schrift  Vertauschungen  kleiner 
Wörtchen.     Sie  sind  nur  als  Schreibfehler  möglich. 

y^Das  ist  Till  Eulen spieiiel'^,  der  die  Schneider  als  (für 
„das'')  Zivi  mein  fädeln  lehren  ivilV  (Me).  Weit  und  breit  war 
kein  ,.rt?5''   im  Texte. 

„nicht''  für  Jsf 

^.zti'-'  für  ,.so"   und  umgekehrt. 

„ist"  für  „?c//"  und  umgekehrt. 

yund"'  für  „um" 

„auch"  für  ,,aus" 

„nicht ''  für  „ich'^ 

„iw"  für  „ist"- 

,.das"  für  ,,da" 

„alle"  für  „also". 

„Ich  hcdte  es  viel   (statt  „für^')   sehr  gut   möglich"    (Me). 

„unter'-  statt  „unten"  (RMM). 

„Sicher  sich  vor  allem  die  drei  Sätze  .  ."     Ich  las  diesen 


141 

Satz  mehrere  Male,    ohne    zu    merken,    dass    ich    ,,sich^''    für 
„sind""  geschrieben  habe. 

g-.  Entgleisungen. 
„.  .  paralle  .  ."  für  ,,.  .  parallele  .  .'■'  (Me).     Dieser  Typus 
ist  sehr  häufig,    man  springt  gleich    zu    dem    zweiten  Laute, 
wenn  Wiederholung  stattfindet. 

h.  Schwierigkeit  des  Schreibens 
stellt  sich  oft  in  denselben  Wörtern  ein  wie  Schwierigkeit 
des  Sprechens.  Von  zwei  gleichen  oder  ähnlichen  Silben 
wird  oft  eine  unterdrückt  (s.  Antizipation,  Dissimilation)  oder 
man  schreibt  mehr  Silben,  als  man  wollte.  Man  achte  nur, 
wenn  man  Wörter  wie  ,, Substitution"  zu  schreiben  hat. 

Ein  sonderbarer  Fall.  Ich  wollte  „Kindes^''  schreiben. 
Mein  Blick  haftet  (warum?)  auf  dem  «,  das  ich  bereits  ge- 
schrieben.    Ich  schreibe  „Kinden^'. 

Auch  in  bezug  auf  die  Schriftzeichen  selbst  kann  man 
ähnliche  Erfahrungen  machen.  Man  kommt  häufig  von  einem 
Buchstaben,  durch  teilweise  Ähnlichkeit  verführt,  in  einen 
folgenden  hinein,  ich  meine,  man  schreibt  dann  einen  Buch- 
staben, der  eine  Kombination  zwischen  dem  zu  schreibenden 
und  einem  folgenden  ist.  Ebenso  werden  von  einer  Anzahl 
gleicher  Buchstaben  oder  Buchstabenteile  gerne  einer  oder 
der  andere  unterdrückt,  oder  man  schreibt  gerade  umgekehrt 
zu  viele  solcher  Zeichen. 

i.  Dissimilationen. 
„Steuerheber"  für  St  euer  er  lieber^''  (RMM). 
„derste'^  statt  „der  crste^'  (RMM). 
„Zuhören''  statt  „Zuhörern"'  (RMM). 
„hier  aben"'  statt  „hier  haben"  (RMM). 
„woher  eben  laini"  statt  „ivoher  er  eben  kam  (RMM). 
,,.  .  entschiedenen  Schluss  .  ."  für  „.  .  Entschluss  .  ."  (Mu). 

k.  Umstellungen. 
„sptä"  für  „S2)ät"  (RMM). 
„rehalten"  statt  „erhalten"   (RMM). 


142 


,.Nautrcin!ia)}(/^^  statt  „Naturcinganfi^^  (RMM). 
.jErzlneg  .  ."  statt  „Erzichnny"  (RMM). 

1.  Doppelschreibung-cn. 
„Kindeu  den''  statt  „KimJ  den''  (RMM). 

m.  Unterdrückungen. 
Alle  Beispiele  sind  von  RMM. 
,,vo  r''  statt  ,,vo)'  r'' 
„es  ind""  statt  „es-  sind'' 
,,crehra1"  statt  „cerehrcd" 
„y,'-  statt  „3/,4- 
„nich  statt  ,. nicht" 
,,tvoh"  statt  „wohl" 
„hesondes''  statt  „besonders" 
„Bd"  statt  „5af/" 
.,gcänder''  statt  „(jeänderV 
„Dr"  statt  „Ä>" 
„r^e"  statt  „viele"" 
„Beiige"  statt  „Beilage" 
„ac  ontinnis"  statt  ,,«c  continuis" 
„Porträhogen"  statt  „ Fort rätbo gen" 
„s  cheinV  statt  ,.es  scheint'' 
„hervorheu"  statt  „hervorheben" 
„ahtraJct"  statt  „abstrali'' 
„und  och"  statt  „?n?f?  doc/<" 
,,drt5  hervorgende"  statt  „hervorgehende". 

4.  Das  Verhören. 

Vgl.  V.  und  V.  S.    157. 

Ich  habe  davon  nur  wenig  gesammelt. 

„Russland"  für  „Buhcstand"  (Bunzl). 

„Sacl'"  für  „Sarg"  verstanden  Dr.  Adler  und  Pintner. 

Der  Kellner  sagt  zum  Jungen:  „2  Seitel,  1  Krügl^ 
Flasche  Lgsol!"  So  wenigstens  verstand  meine  Frau,  die 
mit  mir  am  Nebentisch  sass.  Ich  hatte  gehört  „2  S..  1  K. 
rasch  besorgen!"  was  wohl  der  Wahrheit  nahe  kommen 
wird.     Meine  Frau    lachte  über    ihren  Hörfehler  und  erklärte 


statt:    „einen  reinen  Eid^^  wird  gehört 


143 

sehr  richtig,  dass  ihr  „eine  Flasche  LysoV  ein  naheUegcndcs 
Wortbild  sei.  Unser  ältestes  Mädchen  wurde  damals  mit  ver- 
dünntem Lysol  gewaschen. 

Meine  Frau:  „Was  fehlt  ihm  denn?"  —  L,  v.  Frankl: 
„Meseliügge  is  er!'-'-     M.  Fr.:   „Wie,  versehiednes?'-' 

H.  Gross  berichtet  über  die  Hörfehler  bei  der  Eides- 
formel für  Zeugen.  Sie  lautet:  „Ich  scJnvöre  bei  Gott,  dem 
ÄlhnäcJdigen,  Älhvissenden  einen  reinen  Eid,  dass  ich  über 
alles,  ivas  ich  bei  Gericht  befragt  tverde,  die  reine  Wahrheit 
n)id  nichts  als  die  Waltrheit  aussagen  werde  —  so  ivahr  mir 
Gott  helfe!'' 

keinen  Eid 
eine  KleinigJceit 
einen  Bleineid 
Reu  und  Leid 
Dreieinigkeit 

statt  „bei  Gericht  befragt  tverde'^  wird  gehört  „nicht  be- 
fragt iverde''\ 

statt:   „reine   Wahrheit^''  wird  gehört  „keine   WaJirlieit". 

statt:  „nichts  als  die  Wahrheit'-''  Avird  gehört  „und  nix 
die  Wahrheit''. 

statt:  „ich  schwöre,  so  ivahr  mir  Gott  helfe'^  wird  gehört 
„Ich  ivahre  so  seJ/iver  mir  Gott  helfel'-'  „Ich  helfe,  so  schiver 
mir  Gott  wahrt!'-' 

Bei  einer  gerichtlichen  Sektion  wird  diktiert;  „Gehirn 
blutreich'-'-.  Der  Schreiber  versteht:  ,.Gehirn  gut  und  iveich'-^. 
(H.  Gross). 

Jemand  sagt:  „Ihr  Tisch!  sollte  einen  Rand  haben'-'. 
H.  Gross  versteht:  „Ihr  Tischler  soll  einen  Brand  haben,,  (dh. 
verrückt  sein). 

5.  Das  Verhandeln. 

Ich  sage  absichtlich  so,  weil  „  Vergreifen'-'-  nicht  auf  alle 
Fälle  passt.     Vgl.  V.  und  V.  S.  98. 

Oftmals  passierte  mir  und  anderen,  dass  man  auf  die  Uhr 
sieht,  um  zu  sehen,  wie  viel  Grad  die  Temperatur  hat,  oder 
auf  das  Thermometer,  um  zu  erfahren,  wie  viel  Uhr  es  ist. 
Man  verspricht   sich   auch    in    dieser  Weise  und  sagt:    „Sieh 


144 

aufs  Thermometer,  wie  viel  Uhr  es  ist!"*  oder  „Sich  auf  die 
Uhr,  wie  viel  Grad  es  hat!" 

Bei  mir  oder  meiner  Frau  ereiuj'nct  sich  ein  solches 
Verhandeln  besonders  des  Morgens  vor  tlcm  Schulg-ang'  der 
Kinder,  da  in  dieser  Zeit  die  Uhr  wegen  richtigen  Eintreffens 
der  Kinder  in  der  Schule  und  das  Thermometer  wegen  der 
Kleidung  zu  Rate  gezogen  werden  müssen. 

In  den  Bibliotheken  ist  mir  öfter  begegnet,  dass  mir  ein 
zurückgebrachtes  Buch  wieder  überreicht  wird,  statt  des  von 
mir  ausgestellten  Empfangscheins. 

Kostbar  ist,  dass  Ilillebrand  einmal  Licht  machte,  um  zu 
sehen,  ob  in  seinem  Zimmer  Licht  ist. 

Martha  hat  sich  nass  gemacht.  Meine  Frau  holt  eine 
neue  Hose  untl  will  sie  in  allem  Ernste  dem  Johannes  über 
seine  Lederhose  anziehen;  bricht  natürlich,  durch  die  lebhaf- 
ten Proteste  des  Knaben  aufmerksam  gemacht,  in  helles  Ge- 
lächter aus. 

Ich  sage  zur  Tabakverkäuferin:  y^Zehn  Stück  Rosita!*' 
Sie  beginnt  abzuzählen,  denn  ich  nehme  mir  nie  die  Zigarren 
selbst.  Unterdessen  frage  ich:  „Wie  gehn  sie  denn?"  (näm- 
lich die  Rosita,  eine  neue  Sorte).  Sie  sagt:  „Ganz  gut!  Ein 
Herr,  der  in  einem  Automobil  vorgefahren  ist,  hat  zwanzig 
Stück  genommen!"  Sie  zählt  mir  nun  ruhig  20  Stück  her, 
trotzdem  ich  nie  mehr  als   lO  Stück  nehme. 

Zum  Verhandeln  gehört  auch  der  folgende  Fall  von 
Verschreiben.  Ich  erhielt  am  23.  2.  08  einen  Brief,  dessen 
Vermerk  besagte,  dass  er  von  Architekt  A.  Dachler  in  Wien 
abgesandt  sei.  Ich  lese  den  Brief  und  ersehe,  dass  er  irr- 
tümlich mir  gesandt  wurde,  denn  es  ist  von  „Meringer" 
drinnen  die  Rede.  Ich  seh  nun  den  Brief  von  allen  Seiten 
an  und  finde,  dass  er  gar  nicht  meine  Wohnungsangabc  hat, 
sondern  die  von  Dr.  Rudolf  Much  in  Wien.  Und  dieser 
hatte  mir  den  Brief,  weil  er  ja  meinen  Namen  trug,  auch 
zugeschickt.  Dachler  wollte  ihn  also  an  Much  senden,  war 
aber  in  Gedanken  so  mit  mir  beschäftigt  (wir  sind  in  wissen- 
schaftlichem Streite),  dass  er  statt  „Much"  meinen  Namen 
schrieb,  aber  sonst  alles  andere  richtig  angab. 


IL  Hauptstück. 

Zur  Kindersprache, 
Ä.  Kinderbiographien.  1) 

1.  Gretl. 

Geboren  am   15.  5.   1896. 

Das  Kind  war  in  den  ersten  Nächten  sehr  unruhig-.  Nach 
ganz  kurzem  Schlafe  wachte  sie  immer  wieder  auf  und  be- 
gann zu  jammern:  la  la  .  .  la-i  la-i.  Dann  kam  ein  äh  voll 
tiefen  Missbehagens  und  endlich  Weinen  und  Schreien.  So 
ging  es  durch  neunzehn  Nächte  hindurch.  Wir  konnten 
nicht  schlafen,  aber  ich  fand  doch  nicht  die  Energie  aufzu- 
stehen und  alle  die  Laute,  die  sie  in  ihren  Klagemonologen 
vorbrachte,  zu  buchen.  Jedoch  kann  ich  versichern,  dass 
ich  in  jenen  unheimlichen  Nächten  so  gut  wie  alle  Laute 
unseres  Deutsch  und  noch  viele  andere  gehört  habe. 

Als  das  Kind  sich  endlich  wohl  fühlte  und  ruhig  schlief, 
waren  alle  die  gehörten  Laute  verschwunden  und  das  Kind 
in  bezug  auf  Sprachlaute  fast  stumm  zu  nennen. 

Erst  am  ersten  Tage  des  vierten  Monats  hielt  es,  ruhig 
im  Bette  liegend,  einen  Lallmonolog,  in  dem  die  Lautver- 
bindungen grli  grli  guch   mehrfach  vorkommen,    so  dass  wir 


*)  Literatur  in:  Clara  und  William  Stern.  Monographien  über  die 
seelische  Entwickelung  des  Kindes  I.  Die  Kindersprache,  Leipzig  1907, 
Ein  ganz  vortreffliches  Buch!  —  Dazu  weiter  E,  Tappolet,  Die  Sprache  des 
Kindes.  Basel  1907.  —  Ernst  und  Gertrud  Scupin  Bubis  erste  Kindheit 
Leipzig   1907. 

Meringer,  Ans  dem  Leben  der  Sprache.  l" 


146 

scherzend  diesen  Monolog  die  Geschichte  vom  Grit  Grit  Guch 
nannten.  Die  Lautfolge  Grli  ist  eine  so  schwierige,  dass  das 
Kind  in  der  Zeit  der  eigentlichen  Spracherlernung  ein  solches 
Wort  gewiss  vereinfacht  hätte.  Aber  ich  habe  bei  allen 
meinen  Kindern  die  Beobachtung  gemacht,  dass  sie  in  ihren 
ersten  Lallmonologen  Laute  und  Lautverbindungen  richtig 
sprachen,  die  ihnen  später  grosse  Schwierigkeiten  machten'). 
An  einer  vererbten  Prädisposition  zur  Hervorbringung  der 
Sprachlaute  kann  man  nach  solchen  Beobachtungen  nicht 
zweifeln.  Das  merkwürdige  ist  nur,  dass  gewisse  Laute,  die 
das  Kind  bereits  sprechen  konnte,  zur  Zeit  des  nachahmen- 
den Sprechcnlernens  unter  mehr  oder  weniger  grossen 
Schwierigkeiten  wieder  neu  gelernt  werden  müssen. 

Die  Kinder  zeigten  aber  im  Lallen  einen  viel  grösseren 
Schatz  an  Lauten,  als  das  heutige  Verkehrsdeutsch  hat,  eine 
Fülle  von  Zischlauten,  wie  sie  die  slavischen  Sprachen  haben, 
mullierte  Laute  und  nasalierte,  wie  sie  den  romanischen 
Sprachen  eigen  sind.  Die  Vererbung  erstreckt  sich  also 
nicht  auf  die  einzelnen  Laute,  sondern  auf  die  Fähigkeiten 
der  Lauthervorbringung  überhaupt,  und  es  können  durch 
spielende  Kombination  von  Muskeltätigkeiten  im  Lallen  beim 
Kinde  Laute  erzeugt  werden,  die  der  Sprache  der  Eltern 
vollkommen  fremd  sind. 

Gretl  9  Monate  alt. 

Bis  jetzt  hat  G.  mir  nur  einmal  „&«"  nachgeahmt,  als 
der  Hund  bellte  und  ich  den  Klang  mit  diesen  zwei  Lauten 
wiederholte.  Sonst  spricht  sie  absolut  nichts  nach^).  Nur 
wenn  sie  selbst  etwas  lallt  und  man  sagt  es  nach,  lacht  sie 
und  wiederholt  es  mehrfach.  Bald  darauf  fehlt  jede  Möglich- 
keit, sie  zum  neuerlichen  Hervorbringen  zu  veranlassen. 

Um  dieselbe  Zeit  reagierte  Gr.  auf  die  Frage:   ,.  Wie  gehts 


»)  E.  Tappolet  S.  85. 

')  Cl.  u.  W,  Stern  aao.  S.  83  berichten,  dass  ihr  Sohn  Günther  mit 
8  Monaten  nur  „Mama"  mit  Mühe  nachsprach.  Erst  im  nächsten  Monate 
werden  einige  Wörter  nachgesprochen.  Über  das  Nachsprechen  in  den 
weiteren  Stadien  aao.  S.  93  S.   101. 


147 

Dir?^'  mit  „J.?t?w/""  oder  y^Äpfüh'^     Nach  einiger  Zeit  war  es 
unmög"lich,  diese  Lautfolge  mehr  aus  ihr  herauszubringen. 

Gretl   I   Jahr  7  und  8  Monate  alt. 

Am  Weihnachtsabend  1897  erhielt  Gr.  Würfel,  die  sie 
sofort  aufeinandertürmte.  Dazu  sagte  sie  baufibau))  „bauen"; 
ihr  erstes  Wort. 

Das  Kind  sitzt  am  31.  i.  98  auf  meinem  Schosse,  wäh- 
rend ich  arbeite.     Sie  hält  einen  Monolog: 

,.Mama,  papa,  guna  (unser  Dienstmädchen  Fanny), 
papü  (Essen),  hrum-hrnm  (Blumen),  Ah,  Ah,  buwä-buwä 
(Buben  im  Sinne  von  „Kinder"),  Nja,  Nja,  Ijlj,  mvlj  (mul- 
lierte  1),  .  .  .  gocJca,  gocka  (sie  berührte  meine  Tischglocke), 
papa  buch  .  .  buclt  (sie  sieht  die  Bücher  vor  mir  an,  dann 
wiederholt  sie  einiges,  dann  jubelnd :)  Eia,  heija,  heija,  Ei, 
Eiahaih  .  .  Jö  Jö  Jö  Jö  .  .  mang,  papa^  pang  {?),  mang, 
mama,  Ahancha  .  .  papü,  buwä  .  .  .  hng,  hng,  hng,  gucka, 
gucka,  gucka  (Ich  frage:  Wo  ist  eine  Guckal"  „Da\"'  sagt 
Gr.  und  zeigt  auf  die  Glocke;  dann:)  rl  rl  rl  rl^. 

Darauf  setzte  ich  Gr.  weg.  Diese  aber  erhebt  die  Hände, 
wie  sie  immer  tut,  wenn  sie  genommen  werden  will  und 
sagt  dazu:  ,^Mama  .  .  puppä  .  .  papal''^  Nach  der  ganzen 
Situation  kann  ich  nur  glauben,  dass  sich  Gretl  versprochen 
hat  und  weder  ^^Mama'^  noch  ,.inippä"'  sagen  wollte,  denn 
sie  hob  die  Hände  gegen  mich  (meine  Frau  war  gar  nicht 
anwesend)  und  ^^puppü'^  (Puppe)  bedeutet  wohl  auch  nur 
einen  Versuch  zu  „Pajia"  zu  kommen,  denn  eine  Puppe  war 
nicht  vorhanden  und  die  Annahme,  dass  sie  nach  ihr  ver- 
langt hätte,  war  durch  ihre  Geste  ausgeschlossen. 

Ihren  Wortschatz  im  Alter  von  i  Jahr  9  Mon.  gibt  die 
folgende  Zusammenstellung. 

I.  Substantiva. 

a.  Personen. 
2)ctpa 

mcbna 

güna-güna;  gunä-gunu]  gnd-gnä  wurde  das  Dienstmäd- 
chen Fanny  genannt 

ifi* 


148 


buwa    (aus  „Bube")  „Kind"  überhaupt. 

mann 

fall    „Frau** 

kali    „Karl" 


r?" 


b.  Tiere. 

Die  erste  Bezeichnung-  der  Katze  war  naun  aus  vorg-e- 
sprochenem  mjaiV).  Mit  i  Jahr  8  Mon.  zeigt  man  dem  Kind 
das  Bilderbuch  und  fragt:    Wie  macht 

der   Hund?    Antwort:  bäbä 

die  K  atze?  ,,  miau 

das  Schaf?         ,,  ma    (mit  Kehlkopfverschluss). 

die  Ziege?  „  mäh 

das  Pferd?  „  ng,  ng,  (dabei  hopst  das  Kind) 

der  Esel?  ,,  aä  (Mit  i  Jahr  loMon.  schon  „iä"* 

die  Ente?  „  a'-a'^) 

die  Kuh?  ,,  mü 

der  Vogel?        „  piipiipii    (mit    hohem    u   weil    man 

dem  Kinde  pipl  vorgesgrochen  hatte). 

Mit  diesen  Wörtern  bezeichnete  das  Kind  auch  die  Tiere 
selbst.     Eine  Taube  war  für  sie  eine  „a-a"',  also  eine  „Ente". 

c.  Körperteile. 
atign  „Augen"     |    Beachte  die  Assimilation  dieser  begrifif- 
ogn  „Ohren"        \  hch  verwandten   Wörter.      Über   indi- 
agn  „Haare"        j    viduelle  Suffixe  vgl.  Cl.u. W.Stern  S  91. 
Ägn  „Haare"  nennt  sie  beim  Hunde  (langhaariger  Spitz!) 
nur  die  Haare  des  Kopfes,  nicht  die  anderen  auf  dem  Leibe. 
—  Wenn  ich  sie  frage:  „Wo  ist  mein  Bart?",  greift  sie  dar- 
nach  und    sagt:    „Dal"     Dann   greift  sie  an   ihr   Kinn    und 
auch  nach  dem  der  Mutter.     Auf  die  Frage:    „Wo  hast   I)ii 
Deinen  Bart?'''  nimmt  sie  sich  beim  Kinne. 

pupu    „Popo".      Das   Wort  bedeutet   aber   auch    ,,Popo 
waschen'^,  „geschlagen  werden",  „fallen". 
ha  „Bart". 


')  Mit  dem  Zirkumflex  bezeichne  ich  die  Nasalierung,  mit '  den  Kehlkopf- 
verschlusslaut. 


149 

d.  Kleidungsstücke. 

jack  ,  Jacke,  Kleid" 

hucTc  „Hut" 

hatsi  (dial.  „Batschn"-)  „Schuhe" 

geid  ,, Kleid" 

ma  „Mantel" 

am  oder  hamhani  „Handschuh". 

dbim  oder  ahün-ahün  „Haube".  Ihr  mit  blauer  Seide 
gefüttertes  Spitzenhäubchen  spielt  in  ihrem  Seelenleben  eine 
grosse  Rolle.  Manchmal  spricht  sie  schon  beim  Erwachen 
von  ihrer  Ahün-Ahün. 

tu-tu  „Tuch" 

hück  oder  hück-hiich  „Hut" 

Wenn  man  sie  fragt:  „TFb  hast  Du  Deine  Schuhe?" 
zeigt  sie  zuerst  auf  ihre  Schuhe,  dann  auf  meine,  auf  die 
meiner  Frau,  aber  auch  auf  die  Pfoten  des  Hundes. 

e.  Nahrungsmittel. 

papü  „Essen",  „gib  mir  zu  essen".  Das  Ammenwort 
„Papperl"  wurde  von  uns  nie  gebraucht,  ist  aber  doch  viel- 
leicht einmal  von  der  Magd  gebraucht  worden.  Merkwürdig 
ist  der  Akzent  des  kindlichen  Wortes,  doch  vgl.  auch  abün- 
dbün  „Haube",  gumi  „Fanny". 

gn-gn  ,, Wasser",  ,, trinken",  ,,Gib  mir  zu  trinken",  gn-gn 
ist  aus  ,, trinken"  entstanden.  Mit  anderer  Betonung  ge- 
braucht das  Kind  diese  Laute,  wenn  es  etwas  haben  will. 
Dabei  schlägt  es  mit  beiden  Händen  auf  den  Bauch.  Ein 
Versuch  ,, Margarete"  zu  sagen,  war  dieses  gn-gn,  das  sehr 
früh  auftrat,  gewiss  noch  nicht. 

ham-ham  sagte  das  Kind  zuerst,  als  der  Hund  spielend 
nach  meiner  Hand  schnappte.  Dann  gebrauchte  das  Kind 
dieses  Wort,  um  den  Hund  zu  reizen.  Endlich  bedeutete  es, 
„etwas  in  den  Mund  stecken"  und  allgemein  ,, essen".  Vgl. 
das  ham  von  Taine's  Tochter,  Cl.  u.  W.  Stern,  S.  306,  322. 

bot  „Brot" 

hulika  „Butter" 


150 

f.  Spielsachen. 

6a,  hang,  bangana,  mangan  „Ball" 

Balüni  „Ballon" 

hil,  hili  „Bilder" 

teine  ,, Steine" 

mani  ,,eine  Musiktrommel".  Das  Wort  bedeutete  eigent- 
lich „Kaffeemühle",  wurde  aber  auf  das  Spielzeug  übertragen, 
weil  dieses  auch  eine  Kurbel  hatte.     Mani  ist  wohl  ,, Mühle". 

puppa  ,, Puppe",  auch  puppa-puppa 

buch,  Mehrzahl  biich  (mit  kurzem  u  und  ü).  Buch  im 
Sinne  von  Bilderbuch  war  eins  der  ersten  korrekt  gesproche- 
nen Wörter. 

g.  Andere  Substantiva. 

gn-gn  auch  gi-gi  ,,Uhr";  später  u. 

0  „Ofen" 

ho  „Korb" 

jauch  „Rauch". 

ef  „Heferl,  Töpfchen" 

gawi  „Gabel" 

bidla-budla  „Sprudler"  (Reduplikation  und  Vokalwechsel!) 

le-le  „Schlüssel" 

has  „Kasten" 

terna  (gespr.  teana)  ,, Sterne" 

meta  ,, Thermometer" 

jing  „Ring" 

beiss  „Bleistift"  und  „Feder" 

hau  „Haus";  auch  hau-hau 

brum-bruma  „Blumen",  jeder  Dessin  (z.  B.  auf  dem 
Tischtuch),  dann  „der  Christbaum",  ,, Eisblumen",  ,, Tannen- 
zapfen". 

2.  Adjektiva. 
wat-icat  man  ,,ein  schwarzer  Mann". 

3.  Verba. 
lagn  „schlagen" 
gebn  {gern)  ,, geben" 
bitte  „bitte" 


151 

ne-ne  ,, nähen" 
wass  ,, waschen". 

4.  Adverb ia  u,  ä. 

au  „auch" 

no  ,,noch*'. 

II.  Sätze. 

mama  tiJc  ivagn-decke  gn-gn  „Mama  stickt  eine  Wagen- 
decke  für  die  Grete". 

tnann  hol  hacli  „Der  Mann  hat  Kohlen  g-ebracht". 

mann  hol  wagn  „Der  Mann  hat  den  Wagen  geholt". 

huk  auf  „Hut  aufsetzen". 

Nach  einem  Spaziergang  sagt  sie:  ^,papä,  bwva,  gn-gn, 
ad^'  d,  h.  „ich  war  fort  (und  habe)  Kinder,  Pferde,  Tauben 
(gesehen)". 

Beim  Einschlafen  hält  sie  folgenden  Monolog: 

„Anna  huppä  ge  anna  anna  hau  huiva  buch  (jubelnd) 
huwoh  buwahll  anna  (sie  muss  husten)  bau-hau  (sie  weint) 
mama  (weint  wieder)  abün-ahün\  .  ,  .  brum-brum'\  Es  ziehen 
also  die  Bilder  des  Tages  in  der  Erinnerung  an  ihr  vorüber: 
„anna  (?)  Puppe,  .  .  .  ?,  bauen,  Kinder,  Bilderbuch,  Kinder- 
Kinder!!  .  .  .  ?  Haube!  .  .  Blumen." 

Im  20.  Monate  nimmt  Gretl  eine  Zuckerbüchse  in  die 
Hand  und  sagt  bucka-bucka.  Wir  hatten  ihr  das  Wort  nie 
vorgesprochen,  sie  hat  es  selbst  aus  den  Sätzen  unserer  Rede 
erkannt  und  losgelöst. 

Am  selben  Abend  erhielt  sie  einen  Wagen  zum  Geschenk 
und  sagt  „Wagen"  nach:  wagi-wagi".  Einige  Tage  später 
sagte  sie  ,,wägn-iüägn^''  und  auch  tvägn-wägn. 

Am  12.  3.  98  zeige  ich  Grete  auf  einem  Bild  Schnee 
und  benenne  ihn.  Das  Kind  sagt  sofort  ne-ne.  Beim 
Speisen  sagt  sie  ausser  tuch  auch  tis  (mit  nicht  ganz  reinem 
seh).  Das  Wort  trat  plötzlich  auf,  wir  wussten  noch  nicht, 
dass  das  Kind  das  Wort  kannte. 

Gretl   I  Jahr  9  Mon.  alt. 
Gretl   sprach    bis  jetzt   noch    kein   Wort  auf  Verlangen 
nach.     Wohl  aber  dann,    wenn   sie  den  Gegenstand  oder  ein 


152 

Bild  von  ihm  sieht.  Wenn  man  z.  Beispiel  von  ihr  verlangt, 
dass  sie  Mama  sagt,  läuft  sie  zur  Mutter,  schlägt  sie  mit  der 
Hand  und  sagt  mama.  Und  so  in  anderen  Fällen.  Kann 
sie  die  Sache,  deren  Name  genannt  wurde,  nicht  erreichen, 
so  zeifft  sie  darauf  und  wiederholt  das  Wort.  Man  sieht 
also,  dass  sich  das  Wort  nach  dem  blossen  akustischen  Ein- 
druck nicht  so  leicht  einstellt,  als  wenn  Gesichts-  und  Tast- 
eindrücke damit  kombiniert  werden. 

Wiederum  erschienen  einige  Wörter  ganz  plötzlich.  Zu 
dem  schon  genannten  tis  „Tisch"  ist  nachzutragen,  dass  es 
auch  „Sessel"  und  „Schemel"  bezeichnete. 


his  „Bürste" 


Die   Vokale    dieser  Wörter    waren    ganz 
aufteilend  kurz  (ebenso  bei  tis). 


hi  „Besen" 

fitch   „Fuss" 

papi-papü  „Papier,  Zeitung" 

iva-iva  „Seife"  (aus  ,, waschen"  entstanden,  also  eine  kind- 
liche Neubildung",  die  in  den  Mitteln  der  späteren  Sprache 
ausgedrückt  „die  Wasche"  hiesse). 

män-män   „Waschfleck".     Wieso  r 

0  erhielt  zur  Bedeutung  „Ofen"  auch  noch  die  von  „Ofen- 
kübel". 

Ich  zeige  auf  den  Sessel  und  frage  Gr. :  „Was  ist  das? 
Sie  läuft  hin,  schlägt  mehrfach  darauf  und  sagt  „tis-tis"' 
(„Tisch"),     wus-iviis  „Wurstel". 

Am  2.  3.  98  sagt  Gretl  statt  hangana  „Ball"  bälli-hälli  und 
setzt  dazu  (/alloli;  hier  geht  also  das  Kind  entschieden  über 
das  überlieferte  Sprachmaterial  hinaus  und  betätigt  sich  selbst 
wie  früher  schon  bei  hangana  mangan. 

uagi-ivagi  wurde  um  diese  Zeit  auch  das  Modell  eines 
Spinnrades  genannt,  das  auf  meinem  Schreibtisch  stand. 
Auch  ein  Fahrrad  (Bicycle)  wurde  so  bezeichnet  und  schliess- 
lich ein  Rad  allein. 

Am  II.  3.  98  merkte  ich  mir  an:  Gretl  spricht  vielfach 
vorgesprochene  Wörter  nach,  z.  B.  sagt  sie  statt  ,.Rida" 
hija,  hida,  statt  „Rudolf"  tvidhi,  ivull. 

Neuerdings  sagt  sie  auch  habn-liahn,  wenn  sie  etwas 
haben  will.      Es   ist    entnommen   aus   unserem   abwehrenden: 


153 

„Das  kann  man  nicht  haben!"  was  das  Kind  natüdich  oft  zu 
hören  bekommt,  weil  es  seine  Händchen  nach  allem  begehr- 
lich ausstreckt. 

GretI  sagt  öfter  püppä  püppä,  wenn  sie  essen  will,  ver- 
spricht sich  also,  denn  dieses  Wort  bedeutet  „Puppe"  wäh- 
rend „essen"  papü  heisst. 

Zu  einem  Gestell  auf  zwei  Rädern  mit  zwei  sich  über- 
schlagenden Hampelmännern  sagt  Gr.  helüm-helütn.  Auch 
eine  Winde,  mit  der  bei  einem  Hausbau  Bretter  in  die  Höhe 
gezogen  wurden,  wurde  so  genannt.  Schliesslich  auch  eine 
Trommel.  Das  Wort  ist  nicht  aus  der  Verkehrssprache  her- 
zuleiten. 

Am  14.  3.  98  steht  Gr.  beim  Einkauf  korbe  und  sagt: 
wais  da  „Fleisch  ist  da",  apli  da  „Äpfel  sind  da",  es  waren 
aber  Orangen,  die  sie  vor  kurzem  noch  Bangana  „Ball"  be- 
nannte.    Übrigens  sind  auch  die  Erdäpfel  für  sie  apli. 

Statt  ballt  erscheint  hall. 

Um  diese  Zeit  tritt  ein  Laut  für  die  Bejahung  auf,  ein 
zaghaftes  Vibrieren  der  Stimmbänder.  Einen  bestimmten 
Laut  für  die  Vereinung  hat  das  Kind  noch  nicht.  Es  treten 
neu  auf: 

mi-mi  „Milch" 

ga  „Glas" 

kahao  korrekt  gesprochen. 

Gretl  sieht  ein  Glas  Wein  stehn  und  sagt:  ^^papa  pappü"' 
d.  h.   „Das  ist  Papas  Getränke"  oder  „das  wird  Papa  trinken." 

Man  sagt  oft,  es  gibt  kein  Denken  ohne  Sprache, 
Wenn  man  kleine  Kinder  beobachtet,  möchte  man  das  be- 
streiten, denn  sie  scheinen  Schlüsse  zu  ziehen,  bevor  sie 
noch  irgendwie  sprechen  können.  Allerdings  muss  zuge- 
standen werden,  dass  die  akustischen  W^ortbilder  (das  innere 
gehörte  Wort)  schon  weit  vor  den  motorischen,  vor  den 
ersten  Versuchen  die  Wörter  selbst  hervorzubringen,  vorhan- 
den sind, 

Gr.  nennt  alle  Damen,  die  öfter  zu  uns  kommen,  anna- 
anna,  wie  ihre  Tante  heisst.  Eine  Unbekannte  ist  eine  wau- 
wau „Frau^. 


154 

tock-töck  „Stock" 
ho'ho  „Hose" 

Grctl  1  Jahr   lo  Monate  alt. 

Am  i8.  3.  98  sagt  Gr.:  wagn-uagn  oJil  näh\  Eija  eija 
mang  eija  .  .  aja  ja  bis  .  .  augn  .  .  eng  (jammernd:)  manial  .  . 
(sie  schläft  ein).  Es  ziehen  also  wieder  die  Eindrücke  des 
Tages  an  der  Seele  vorüber,  Wagen,  Männer,  Bürsten  (die 
ihr  sehr  gefallen;  sie  streichelt  sie  gerne),  Augen,  (der 
Menschen,  in  die  sie  immer  mit  dem  Zeigefinger  hineinfahren 
will,  wie  in  die  Augen  ihrer  Puppen  und  Hanswurste^),  Engel 
(die  ihr  offenbar  wegen  der  Flügel  Eindruck  machen).  Dann 
meldet  sich  die  Müdigkeit  mit  ihrer  Unlust,  das  Kind  ruft  — 
wie  in  aller  Bedrängnis  —  die  Mutter,  schläft  aber  sofort  ein. 

Neue  Wörter: 

bebe  „beten" 

Mbi  „Besen" 

pl-pl  „Vogel".  Das  Wort  ist  kaum  vom  vorhergehenden 
unterschieden, 

na  „Nadel" 

gäwl  bedeutet  jetzt  „Messer,  Gabel,  Scheere" 

tvö-le  „Wolle,  Seide,  Zwirn*' 

bil-bU  bedeutet  „Bild,  Bilder,  Album" 

gäm-gäm  ..Kamm" 

telld  „Teller" 

tännä  „Sterne".  Das  Wort  war  schon  in  korrekterer 
Form  vorhanden. 

töck  bedeutet  „Stock,  Regenschirm",  ebenso  bezeichnet 
sie  aber  auch  meinen  Degen  und  meinen  Säbel. 

üpeis  „Zuspeise" 

gege  „Grete,  ich''' 

topi  „Topf". 

Ich  stehe  in  Wien  in  meiner  Wohnung  im  3.  Stockwerk 
am  Fenster  und  sehe  hinaus.  Auf  der  Strasse  kommt  Gretl 
mit  der  Mutter.       Gr.   sieht  mich,    hebt   die    Hände   und  ruft: 


')  Scupins    Söhnchen    zeigte    diese    Leidenschaft    schon    im    8.   Monate. 
Aao  S.  27,  30.     Wegen  des  Eindruckes  einer  Bürste,  Scupin  S.  37,  39  f. 


155 

„papa  hoppa-hoppal""     Sie  verlangt  also,   dass  ich  sie  hinauf- 
hebe. Raumvorstellungen  scheinen  noch  sehr  mangelhaft  zu  sein. 

Das  Dienstmädchen  fragt  Gretl:  „Willst  Du  nicht  zu  mir 
kommen?"  Das  Kind  antwortet:  „nicht  mir  Jcommenl"'  dh. 
„Ich  will  nicht  zu  Dir  kommen. 

„da  schaut  er  auf  dich''^  dh. :   „.  .  .  auf  mich'* 
„hihi  nicht  schaut  auf  dich,  mama  schaut  auf  dich,  papa 
schaut   auf  dich"'    dh.    „Johannes   sieht  nicht  auf  mich,    aber 
Mama  und  Papa  sehen  auf  mich." 
Gretl  sagt  (wie  früher  schon) 

habt  für  „hat"  (eine  echte  Kindergrammatik-Form) 
fanny,  nehmenl  Der  Infinitiv  noch  für  Imperativ. 
Einige  Sätze  dieser  Zeit   (beachte   die   Reduplikationen.): 
papa  auch  semmel  hat  {hat  tritt  auf). 
fanni-fatmi  eine-eine  semmel  hat  eine.     Auftreten  des  un- 
bestimmten Artikels. 

fanni  ivu^st  hat  „F.  hat  eine  Wurst." 
wu^st  heiss-heiss  ist  „Die  Wurst  ist  heiss." 
mama  gege  hall  pil  „Mama  spiel  mit  mir  Ball!" 
mama    gege    gar  nie  pupu    gehnl    „Mama,    gib    mir    nie 
Pupul  (schlag  mich  nie)." 

gege  mama  lieh  hahn  „Ich  hab  Dich  lieb". 
gege  topi  aä  mach,  a  mama  gege  hoppa  nem  dh.    „Wenn 
ich   in   den   Topf  hinein   mache,    dann   wird    mich  die  Mama 
hoppa  nehmen".     Der  erste  Nebensatz. 

Gretl  2  Jahr  2  Monate  alt. 

da  da  will  sitzenl  zum  erstenmal  flektiertes  ivill  (i  i.  8.  98). 

.  .  schaut  auf  dich  „.  .  sieht  auf  mich". 

das  hissi  hergehen  „gib  mir  das  ein  bisserl  (ein  wenig)!" 

gete  (nicht  mehr  assimiliertes  gege)  hat  g'sehn  ivazen 
Mann  „Ich  habe  einen  schwarzen  Mann  gesehen."  Das  Per- 
fektum  tritt  auf. 

papa  keine  hauhe  hat  nicht. 

gete  hahn  löffeV.   „Ich  will  einen  Löffel  haben". 

gete  kann  essen.  „Kann**  flektiert  wie  oben  „will''. 

gete  allein  essen  „Ich  will  allein  essen". 


156 

mvdcr-)iuntpr  katn>  mau  gehott  ,.Man  kann  hinuntergehen". 
„Man"  tritt  auf. 

dicsen-diescH  hui  aufsetzenl  (nicht  mehr  huJc) 

gete  kann  son  aUein\  „Ich  kann  es  schon  allein!"  ein 
später  oft  gebrauchter  Satz,  mit  dem  sie  jegliche  Hilfe  ab- 
lehnte. 

gete  senc  armi  hat  „Ich  habe  schöne  Arme". 

papa  tviedcr  von  lauft  „Papa  läuft  wieder  davon".  Gretl 
sagte  das  oft,  weil  ich  bei  verschiedenen  Heimlichkeiten  Reiss- 
aus nahm,  von  „davon"  neuer  Erwerb. 

huml-hund  gdc  fi'irdttcn  „Der  Hund  fürchtet  mich".  Sie 
fuhr  ihm  nämlich  immer  mit  dem  Finger  in  die  Augen. 

himd  tvicder  da  kommt  hund.    Flektiertes  „kommt", 

hund  wieder  papa  gangen  „.   .  ist  .  .  fortgegangen". 

Meine  Frau  fragt:  Wo  ist  meine  Maus?  Gretl:  da-da  topfi 
sitzt\  Das  erste  Erscheinen  von  pf.  Noch  immer  keine 
Präpositionen  („auf  dem  Topf"  ist  gemeint). 

haisst?  haisst?  gockil   „Hörst   Du?   Hörst  Du?  Glocken!" 

haisst-haisst,  wie  papa  fi'tssc  geht?  Ich  ging  mit  krachenden 
Stiefeln  im  Zimmer  auf  und  ab. 

mann-mann.  wie  jeimt  er\   „Wie  der  Mann  rennt!" 

Gretl  versprach  sich  einmal  und  nannte  mich  Fanni. 
„papa  senen  bat  Jtabn,  mama  keinen  hat  haben  nicht,  „Papa  hat 
einen  schönen  Bart  usw.".  Sonderbar,  dass  hier  wieder  der 
Infinitiv  eintritt,  während  das  Kind  früher  schon  Jiabt  und  h^t 
gebraucht  hatte. 

papa  nur  gege  hebn  tut,  „Nur  (neuer  Erwerb !)  hebt  mich 
zu  sich  empor)".  Wieder  gege,  obwohl  gete  schon  gebraucht 
worden  war. 

gege  auch  das  machen  könnenl  „kann"  war  schon  erworben. 

pa2m  ihr  hut  dort.   „Ihr'"   statt  „sein";  „dort"  Neuerwerb. 

Aus  dem  Hofe  tönt  Musik  herauf.  Ich  gebe  zuerst  mit 
dem  Hute,  dann  mit  der  Hand  allein  den  Takt  dazu.  Grete 
sagt:  das  nicht  hut  machen,  das  nicht  hand  tun  also  für:  „mit 
dem  Hut,  mit  der  Hand". 

Das  Wort  „Chineser"  (Dial.)  gab  Gretl  mit  kinderneser 
wieder,    leistete    also    eine    Kinderet\'mologie.       Im    Sommer 


157 

lernten  wir  in  Vöslau  einen  Albanesen  kennen,  der  Gretl 
wegen  seiner  malerischen  Tracht  und  seiner  Freundlichkeit 
g^efiel.  Sie  nannte  ihn  anderneser  mit  einer  neuen  Kinderety- 
molog-ie. 

Ich  zu  Gretl:  „Da  sieh,  was  der  Fritz  tut!"  Gretl:  abrissen 
tut\  Ausgleichung-  des  Ablauts.  Gemeint  ist,  er  reisst  Blätter  ab. 

Gretl  2  Jahr  3  Monate  alt. 

papa  dirm  hall  pilin  „Papa  spiel  mit  mir  Ball!"  dirm  = 
„mit  Dir".  Also  die  erste  Spur  einer  Praeposition'),  (21. 
8.  98.) 

mama  noch  hat  laß  „hat  geschlafen".  Schwaches  Partizi- 
pium statt  starkem. 

hei  der  Mama  will  sitzen.  Die  erste  korrekte  Praeposition. 
(22.  8.  98) 

der  so  iiell  lauft  er  „der  läuft  so  schnell". 

ein  hieftägB  ist  „Dort  ist  ein  Briefträger." 

göss  „gross" 

hain  „klein" 

gaxln  „kraxln,  klettern" 

tvai  „zwei" 

wats  „schwarz"  (früher  wat) 

nedi  „Knödel,  Kloss". 

Gretl  hatte  eine  ganz  kurze  Periode,  in  der  sie  geradezu 
abscheulich  sprach.  Ich  bemerke,  dass  der  Grund  in  unserer 
häuslichen  Umgebung  nicht  zu  suchen  ist.  Vielleicht  wirkten 
Klänge  von  der  Strasse  mit. 

mök  nicJit  „mag  nicht" 

auer  aiver  ,,aber"  (zuerst  in  dieser  Zeit  aufgetreten), 

Tiiädl  ,,Kerl" 

lchiä9t  „ghert,  gehört"  auch  „verkehrt" 

fiäatig  ,, fertig" 

diädr  Hiädr  „der  Herr" 
Neuerwerbungen : 

fasse  „Flasche" 


^J  Cl.  und  W.  Stern  Index  „Praepositionen' 


158 

daheim  „dableiben" 

hätts  „Blätter" 

witzeti  „schwitzen" 

thiken  „stinken" 

tcicke)i  „zwicken" 

2>i>ige)i  „sping-en" 

tickerei  „Stickerei" 

titzi  „Stritzi" 

gas  „Glas" 

hiimc  „Blume" 

ttopf  „Knopf" 

Von  anlautender  Doppelkonsonanz  wird  noch  immer  nur 
ein  Laut  wiedergegeben. 

Gretl  nennt  sich  jetzt  geye,  gelte  und  niangette  (Margarete). 
Verschiedene  Wörter  ihres  früheren  Sprachschatzes  sind  ver- 
schwunden, aber  den  Waschfleck  nennt  sie  noch  immer  man. 

Wenn  Gretl  jetzt  ein  Wort  ziemlich  richtig  sag^t,  füg^t  sie 
oft  hinzu:  gette  kann  schon  sagen.  Sie  war  sich  also  wohl 
früher  dessen  bewusst,  dass  ihre  Wörter  anders  klangen  als 
unsere,  konnte  es  aber  nicht  besser  machen.  So  z.  B.  sagte 
sie  früher  niuk.  Als  man  sie  jetzt  aufmerksam  machte,  dass 
es  so  nicht  heisst,  antwortet  sie  selbstgefällig-:  gette  kann  schon  ^ 
sagen  ^musik'^.  Das  Wort  kam  ohne  weiteres,  ohne  weitere 
Zwischenstadien,  plötzlich  vollkommen  richtig-  zum  Vorschein. 

firn  „frisieren" 

Jcoldt  ,, Schokolade" 

nieta  ,, Thermometer" 

Das  r  ersetzt  Gretl  im  Anlaute  durch  j: 

jicla  ,,Rida" 

jupi  „Rudolf" 

betta  ahjaissen  ,, Blätter  abreissen". 

Im  Inlaut  verschwindet  es  meist  ganz: 

rvats  „schwarz" 

Von  einem  g-eschlififenen  Steine,  von  einem  Lamm  aus 
Porzellan,  vom  Porzellangesicht  einer  Puppe  sagt  Gretl,  sie 
seien  nass.     Sie  meint  ,,kalt". 

fussil  ,,Fusserln" 


159 

sucherl  „Schucherl" 

tumpfil  ,,Strumpferl" 

Hier  wird  also  unser  dialektisches  Suffix-r?  teils  richtig-,  teils 
falsch  wiederg-egeben. 

fanni  näher  hergehnl  Richtiger  Komparativ. 

Gretl  wirft  mir  einen  Kuss  zu.  Ich  tu  so,  als  ob  ich  ihn 
in  der  Luft  auffinge  und  wegwürfe.  Sie  begreift  den  Spass 
und  sagt: 

papa  ein  hussi  wegivorft  ,,.  .  hat  weggeworfen". 

gelte  seid  nicJit  „.  .  sieht  .  ." 

der  mann  hat  gette  geld  geben.  Zum  erstenmal  der 
Artikel.  Das  ge-  des  Partizipiums  war  bis  jetzt  nicht  zu  be- 
obachten. 

mama  dirm  takt  geben  ,,Mama  gib  mit  mir  {Dirm  =  mit 
Dir  s.  o.)  Takt!" 

amgift  ,, angegriffen".     Schwache  Flexion. 

austunkt   ,, ausgetrunken". 

Mneinpunkt  ,,hineing-esprungen*'  (29.  8.  98). 

gette  nnll  diär  löffel  haben.  Zum  2.  Male  hörte  ich  den 
Artikel,  aber  der  für  den. 

Am  I.  9.  98  antwortete  Gretl  zum  ersten  Male  mit  Jal 
Ganz  kurze  Zeit  vorher  war  Neinl  aufgetreten^).  Gleichzeitig 
mit  Ja,  am  selben  Tage,  wurde  mir  zuerst  gebraucht-),  denn 
bis  jetzt  sagte  sie  immer  gete  oder  dir.  Das  Kind  war  in  der 
letzten  Zeit  sehr  gesund  und  war  an  diesem  Tage  schon 
morgens  beim  Erwachen  wie  verändert.  Es  kreischte  voll 
Übermut  in  Tönen,  die  wir  noch  nicht  bei  ihm  gehört  hatten, 
und  hatte  einen  besonders  klugen  Gesichtsausdruck. 

Wir  sahen  wieder,  dass  die  Entwicklung  nicht  gleich- 
massig  vor  sich  geht,  wenigstens  nicht  zum  Ausdruck  kommt, 
sondern  sprungweise^).  Was  sich  lange  vorbereitet  hat,  wird 
fast  plötzlich  ausgelöst. 

da    anlagt   hat  gete   ,,Da   habe   ich   mich    angeschlagen." 


')  Cl.   und   W.  Stern  S.   39,56 
')  Aao.  S.   54. 
^)  Aao.  S.   130. 


160 

dtr  mann  seht  gege  da  ,,Ich  sehe  den  Mann  da".  Wieder 
Nominativ  des  Artikels  für  Akkusativ  (29.  9.  98). 

Kameefiihle  für  „Kaffeemühle'^  Versprechen, Vertauschung 
(5.  9.  98).  Am  folgenden  Tage  dockenpupper  für  „Puppen- 
doktor''. 

Auftallend  sind  die  Adjektiva  garste  und  mutze  für 
„garstige"  „schmutzige",  vielleicht  nach  schwarze  gebildet 
z.  B.  in  der  Verbindung  wurtze  mutze  Hand  oder  wartze  garste 
Hand  (die  r  kaum  feststellbar). 

fola  „Flora". 

hule  „Bluse"  (12.  9.  98). 

Beim  Auf-  und  Niedergehen  eines  Aufzuges  mit  Kübeln 
(zur  Hinaufbeförderung  des  Kalks)  bei  einem  Hausbau  sagt 
Gretl: 

waimpapn  loaimpapn.     Ganz  unerklärlich'). 

da  Augi  tvas  neinpunkt  is,  ein  garster  mist  wirds  wcsen 
sein  „Mir  ist  da  etwas  ins  Auge  hineingesprungen;  ein  garstiger 
Mist  wirds  gewesen  sein."  Die  Ausdrucksweise  „wird's  ge- 
wesen sein"  ist  in  diesem  frühen  Alter  sehr  auffallend.  Der 
unbestimmte  Artikel  tritt  hier  zum  zweiten  Male  auf. 

Man  fragt:  „Wo  ist  der  Papa?"  Gretl:  geti  gaubs  nichtl 
d.  h.  „ich  glaube  es  nicht",  gemeint  ist  aber  „ich  weiss  es 
nicht" '■'). 


')  Ich  muss  hier  eine  allgemeine  Bemerkung  machen.  Jetzt  beim  Durch- 
lesen komme  ich  —  wie  wohl  auch  der  Leser  —  auf  den  Gedanken,  dass 
das  Kind  etwa  „Weinfass'-  gemeint  haben  könnte.  Ich  kann  aber  mit  gutem 
Gewissen  versichern,  dass  diese  naheliegende  —  oder  eine  andere  derartige  — 
Erklärung,  wenn  sie  richtig  wäre,  meiner  Frau  und  mir,  die  wir  doch  das  Um 
und  Auf  unseres  Daseins  in  den  damaligen  Grenzen  gut  genug  kannten, 
nicht  hätte  entgehen  können.  Gegen  ,,Weinfass"  spricht  auch,  dass  das  Kind 
„-fass"  nicht  durch  ,,-papn"  wieder  gegeben  hätte. 

Aber  eine  eigene  Schöpfung  war  das  Wort  gewiss  nicht.  Vielleicht  hat 
das  Kind  von  irgendwem,  von  der  Magd  oder  auf  der  Strasse  etwas  gehört, 
was  hier  zum  Vorschein  kommt.  Ob  ein  sehr  flüchtiges  Hören  schon  einen 
genügenden  Eindruck  hinterlassen  kann,  vermag  heut  noch  niemand  zu 
sagen,  denn  wir  haben  noch  keine  Mittel  festzustellen,  wie  oft  ein  Wort  gehört 
werden  muss,  um  Hirnbesitz  zu  werden,  oder  ob  etwa  schon  ein  einmaliges 
Hören  genügt. 

'')  Über  das  Auftreten  solcher  Abstrakta  Cl.  und  W,  Stern  S.  65,  S.  107. 


[ 


161 

papa  das  sen  jibt  hat  „Papa  hat  das  schön  geschrieben". 
jibt  schwach  flektiert. 
mach  „Mantel" 
mitze  „Mütze" 
tick  „Strick" 
sirze  „Schürze" 

Gretl  2  Jahr  4  Monate  alt. 

Die  puppe  kann  wirkerivahr  tehn  „Die  Puppe  kann  wirklich 
stehen",  tvirkerwahr  ist  aus  unserm  „wirklich  wahr!"  ent- 
nommen und  hier  nicht  ganz  korrekt  verwendet.  Der  weibliche 
bestimmte  Artikel  zum  erstenmal. 

Die  iir  kann  auiva  sen  singen  „Die  Uhr  kann  aber  schön 
singen",  sagte  das  Kind  vom  Läuten  eines  Weckers. 

Zur  Puppe  sagt  Gretl:  Komm  mein  maust,  gehn  wir  jetzt 
zur  senen  mama.  Komm  ich  zeig  dir  sene  Sachen  im  korhi. 
Eine  Fülle  von  Neuerwerbungen:  tvir,  zur,  im\ 

Am  5.  10.  98  sagt  Gretl  zuerst  fich  der  Mama  „für  die 
Mama",  fich  den  putzi  „für  den  Putzi"  (Hundename). 

Am  II.  10.  98:  was  die  mama  hatl  Seint  (es  scheint) 
wetsclien  (Zwetschken)  hat  sie  bacht  (gebracht).  Dann  erkennt 
sie,  dass  es  Weintrauben  sind.  Ah,  nicht  wetschen,  kugi  (eig. 
„Kugeln")  hat  sie.  Geti  will  habenl  „Scheint"  ist  hier  also 
ganz  richtig  verwendet. 

Gretl  2  Jahr  8  Monate  alt. 
Januar  1899. 
släfen  „schlafen"  Doppelkonsonanz  im  Anlaut! 
für  für  früheres  fich 
snell  für  früheres  nell 
mantel. 
Aber  noch  immer  anlautend  j  für  /. 

Gretl  3  Jahr  2  Monate  alt. 

Das  sind  kro  .  .  klosterfrauen.  Versprechen,  Antizipation. 
S.  V.  und  V.  S.  28  (18.   7.  99). 

sie  magen  mich  nicht.  Versprechen,  Ausgleichung  des 
Ablauts  (V.  und  V.  S.  166). 

Meringer,  Aus  dem  Leben  der  Sprache.  H 


162 

der  tcind  ivindet  da  herein.  Winden  für  wehen,  wobei 
Nachklang-  von  Wind  mitg-ewirkt  haben  kann.  Kindliche  Neu- 
bildung-. 

der  mann  hat  zwei  äffe  für  „.  .  .  Affen".  Falscher  Plural 
(V.  und  V.  S.   i66ff.) 

Gretl  3  Jahr  3  Monate  alt. 

(19.  8.  98)  Gretl  spricht  schon  fast  korrekt').  Aber  g-e- 
wisse  Dinge  lassen  sich  ihr  nicht  beibringen.  Sie  flektiert 
du  gehst,  er  geht  usw.,  ebenso  du  ne^nnist,  er  7iömnd  usw. 
Jeden  Versuch,  ihr  die  richtigen  Formen  aufzudrängen,  lehnt 
sie  ab,  Sie  hat  offenbar  das  Gefühl,  dass  zu  „nehmen"  nur 
nemmst  usw.  gehören  kann. 

Die  Reflexiva  bildet  sie  nur  mit  sich:  Ich  setz  sich,  tvir 
setzen  sich.  Solche  Dinge  hat  sie  nicht  gehört,  denn  niemand 
in  unserem  Kreise  spricht  so.  Auch  gegen  die  Abstellung 
dieses  Fehlers  wehrt  sie  sich. 

Bei  ihrer  Lautgebung  ist  am  auffallendsten,  dass  sie  fast 
jedes  e  sehr  offen  spricht  —  in  grossem  Gegensatz  zu  ihrer 
ganzen  Umgebung. 

Dabei  merkt  sie  aber  sehr  gut,  wenn  andere  anders 
sprechen  als  wir.     So  sagt  sie  z.  B.  einmal: 

du  Mama,  der  lierr  sagt  „ich  hoh"^).  Als  ein  Herr,,Flesch" 
für  ,, Fleisch"  sagte,  bemerkte  sie  es  sofort  und  bespöttelte  es. 

Von  Resten  früheren  Sprechens  ist  geblieben  Watschen 
„Zwetschken",  lampsam  „langsam".  Äffe  ,, Affen".  Statt  ,, pro- 
bieren" sag-t  sie  poiren  proiren  prowiren. 

Statt  „Wespe"  sagte  sie  am  21.  8.  99  ivepse  wefspe  ivefste. 
Am  nächsten  Tage  gelang  das  Richtige  nach  einigen  miss- 
glückten Versuchen. 

Gretl  3  Jahr  9  Monate. 

lampsam,  geh,  nem,  gehst,  nemmst,  geht,  nemmt  sind  noch 
immer  häufiger  als  die  richtigen  Formen. 


')  Auch  Cl.  und  \V.  Stern  S.  7 1   konstatieren,    dass  bei    ihrem    Günther 
mit  3  Jahr  2  Monaten  dieSprachentwicklungin  den  Hauptsachen  abgeschlossen  war 
-)  Wir  sprechen  in  „ich  hab'"  zwar  kein  helles  a.  aber  auch  kein  0. 


163 

ich  ivart  bis  du  gescJireihen  hast. 

Frage:  ,,Was  haben  wir  sonst  getan?"  Grete:  .  ,  .  und 
auch  gereden. 

die  einerc  heisst  mila,  die  einere  mizi.  Im  selben  Sinne 
gebraucht  sie  die  andere  —  die  andere. 

Für  dialektische  Lautunterschiede  hat  sie  ein  sehr  feines 
Ohr.  Sie  spottet  drüber,  wie  die  Steirer  die  kneip f  (Knöpfe) 
sagen. 

Gelegentlich  frage  ich:  „Gretl.  wer  ist  grösser,  Du  oder 
die  Mama?"  Grete:  die  mamal  Ich  (langsam):  „Gretl,  wer  ist 
grösser,  Du  oder  das  Bubi?"  Gretl:  die  mama.  Dieser  Ver- 
such wird  noch  zweimal  mit  demselben  Resultate  wiederholt. 

Dann  stelle  ich  nochmals,  aber  allein,  die  letzte  Frage. 
Grete:  das  Btd}i  ist  auch  Mein,  und  die  mama  ist  grösser. 

Dann  frage  ich  wieder  dieselbe  Frage,  wer  grösser  sei, 
sie  oder  das  Bubi,     Grete:  die  mamal 

Diese  Antworten  erinnern  stark  an  die  Ergebnisse  von 
Versuchen  mit  pathologischen  Individuen. 

Gretl  wird  aufmerksam  gemacht,  dass  man  sagt,  ich  gehe 
nach  Hause,  nicht  zu  Hause.  Grete:  du  sagst  nach  hause\ 
nach  hause  sagst  ja  auch  ich.     Nachklang. 

Ich  frage:  „Bin  ich  langsam  oder  schnell  gegangen?"  Grete: 
schnell  hin  ich  (für  bist  du)  gegangen]  Nachklang. 

rotJcöpfchen  sagt  Gretl  konstant,  obwohl  sie  weiss,  dass  die 
Bezeichnung  von  der  Kappe  genommen  ist.  Sie  nennt  auch 
Kinder  mit  roten  Hauben  so. 

geschlafen  und  geessen;  gehriecht. 

unser  bubi  ist  kein  gassenbub,    das  ist  ein  zimmerbubl 

Gretl  4 jährig.     Die  luaggöne. 

das  ist  das  noch  schönstere  Kleid. 

warum  muss  man  immer  den  lieben  Gott  bitten,  er  soll  mis 
beschützen,  das  iveiss  er  doch  ohnehin,  dazu  ist  er  ja  der 
liebe  Goit\ 

Gretl  4  Jahr  9  Monate.  Sie  erinnert  sich  noch  aus  der 
Zeit,  als  sie  i  Jahr  8  Monate  alt  war,  dass  in  Vöslau  ein  Herr 
namens  Krebs  immer  mit  zwei  Hunden  spazieren   ging,   auch 

11* 


164 

dass  man  von  unserer  Wohnung  in  Wien  in  einen  Garten  sah, 
wo  sich  eine  Katze  aufliielt. 

Gretl  4  Jahr  lo  Monate,  ich  spiele  so,  als  icollte  ich 
ein  huml  sein  „als  wäre  .  .  .'' 

ich  habe  ihm  antijrwortei  .  .  (24.  4.    1901). 

Gretl  5  Jahr  2  Monate,  es  sieht  so  aus,  als  icollte  es 
ein  fuss  sein  „als  wäre  es  .  .'* 

mir  kommt  vor,  alstvollt  ich  das  noch  sehen,  was  ich  nnmal 
gebaut  habe  „als  sähe  ,  ," 

beinahe  als  wollt  ich  fliegen  bin  ich  gerannt  „.  .  als  ob 
ich  flöge  .  ,•• 

7  Jahr  3   Monate,     gestri/f'en  für  „gestreift*'  u,  a. 

2.  Johannes  M. 

Geboren   19.  Januar   1899   als   besonders  kräftiges   Kind. 

Als  er  nahezu  i  Jahr  alt  war,  begann  er  sich  aufzurichten 
und  im  15.  Monat  (8,  4,  1900)  lief  er  frei.  Der  Knabe  war 
also  vollkommen  normal,  entwickelte  aber  seine  Sprache 
später  als  seine  ältere  Schwester. 

Mit  7  Monaten  hörten  wir  von  ihm  babababa 

Johannes   i   Jahr  3  Monate  alt. 
ba  „Ball'* 

bu  „Blumen,  Bäume" 
huhu  „Hund" 

Johannes   i   Jahr  7  Monate  alt. 

ham  „Semmel".  Also  hier  wieder  das  Wort,  das  wir 
schon  bei  Gretl,  zuerst  als  Nachahmung  des  Schnappens  des 
Hundes,  dann  als  Bezeichnung  des  Essens  überhaupt,  kennen 
gelernt  haben.  Aber  beim  Buben  trat  es  ohne  besondere 
begleitende  Umstände  auf.  Sein  ham  dürfte  wohl  eine  Kom- 
bination  des  nachahmenden  Naturlauts  ham  und  des  Wort- 
bildes „Semmel"  sein. 

buda  „Brot" 

weinn  „Fleisch" 

wa  „Wasser" 

Uta  „Uhr" 


165 

has  „Hase" 

hat  „Pferd"  (aus  hot-hot) 

miaum  ,, Katze" 

mä  „Lamm" 

Johannes   i  Jahr  9  Monate  alt. 

hoppajömml  wenn  er  genommen  werden  will  (wahrschein- 
lich aus  hoppa  nehmenl) 

huda  jetzt  auch  „Butter" 

gaga  ,,GretI" 

uh  „Schuh"  und  „zudecken" 

wann  „Frau",  „Fleisch"  und  ein  bestimmtes  Buch 

ku  „Kuchen" 

a'a'  mit  doppeltem  Kehlkopfverschluss  „Enten" 

wakkaka  „Soldat".  Hier  betätigt  sich  seine  eigene  Sprache 
über  das  Gehörte  hinaus.  Er  hat  die  Soldaten  mit  Trommel- 
und  Trompetenklang  vorbeimarschierend  kennen  gelernt  und 
nennt  eine  Trompete  wrakaka,  was  wohl  mit  dem  Wort  für 
Soldat  zusammenhängt.  Bald  darauf  nannte  er  auch  einen 
in  mehreren  Farben  des  seidenen  Gewandes  prangenden 
Wurstel  ivrakaka. 

rida  „Giesskanne" 

Johannes  2  Jahre  alt. 

I.  Substantiva 

a.  Personen. 

papa 
mama 
hub  „Bub" 
mäde  „Mädi" 
jojo  „Nikolo" 

jeke  „Grete"  vereinzelt;  gewöhnlich 

gege  „Grete"  (aber  auch  noch  gaga)^   er  nennt  sie  auch 
weiwe  „Weibi" 
jida  „Rida" 
Han  „Hans" 

b.  Tiere. 
hada  „Hase" 


166 

uuarma  „Waldmann'' 

wein  ,, Schwein" 

tniam  ,, Katze"  (früher  miaum) 

tititin  ,, Hühner" 

hä  „Bär" 

ja  „Esel"  (i-ah!) 

mepepem  „Schmetterling" 

Jcikije  „Kikeriki" 

kenne  „Henne" 

wowo  „Löwe" 

icanna  „Elefant" 

oA-e  „Ochse" 

jpipi  „Vogel" 

c.  Körperteile. 
ann  „Augen" 

,mum  „Mund" 
haiiM  „Bauch" 
hii  „Füsse"  und  „Schuhe" 

d.  Kleidungsstücke, 
hut  „Hut",  „Mütze" 

wrok,  ruok  (aus  „Rock"),  „Kleid"  „Schürze"  u.  a. 
nio  „Knopf" 

e.  Nahrungsmittel. 

huk  „Zucker",  „Bäckerei",  ,, Mehlspeise",  wenn  der  darauf- 
gestreute Zucker  sichtbar  ist. 

f.  Spielsachen. 
6m  ,,Buch" 

uda  „Peitsche"  auch  ,,Rute" 
go  „Stock" 

giglang  „Rad",  „Dreirad".     Welches  Wort   er  hier  selb- 
ständig weiter  entwickelt,  wurde  nicht  klar  (Klingkling?) 
lüän  „Wagen" 
'^a  zweisilbig,  früher  nda  „Giesskanne" 

g.  Sonstige  Gegenstände. 

pamma  „Bleistift".  Man  kann  zweifeln,  ob  nicht  ein  anderes 
Wort  zugrundeliegt. 
bw-bw  „Papier" 


167 

ge  „Deckel" 

wuo  „Löffel*" 

tis  „Tisch" 

joto  „Lotto",  ein  Spiel 

fnup  „Schmutz'" 

gim  „Kug-eln"  und  „Kreuzer" 

jade  „Lade" 

heivi  „Heferl'^ 

ging-ganga  „die  elektrische  Bahn";  wohl  aus  „Klingkling" 

nui  „Schnur" 

wampe,  später  Ijampe  „Lampe" 

ne  „Schnee" 

2.  Zeitwörter. 
an  „anschauen"' 
liuch  „zudecken"  (früher  uh) 
heija  „lieg-en,  schlafen" 
ten  „stehen" 

ging  „läuten"  (aus  „macht  kling-kling") 
heng  „aufhängen,  umhängen" 

3.  4.  Interjektionen  u.  a. 

wa-wa\  „weh-weh" 

jennl  „Ich  will  es  allein  machen",  Wohl  aus  allein  ent- 
standen. Derselbe  Wunsch  kam  auch  bei  Gretl  ganz  leiden- 
schaftlich zum  Vorschein,  Im  selben  Sinne  gebraucht  er  auch 
dudu ! 

du\  Im  Sinne  von  „Ich!"  Er  gebraucht  es  auch,  wenn 
er  sagen  will:  ,,Ich  will  es  haben,  gib  mir  es!" 

ann\  wenn  er  aus  seinem  hohen  Stuhl  herausgenommen 
werden  will. 

unn\  wenn  er  vom  Pferd  herunter  will. 

dankel 

5.  Adjektiva. 
tot  „tot". 


6.  Zahlwörter. 


at  iii  „acht  Uhr" 


168 

7-  Satzbildung. 

Johannes  zeigt  auf  die  elektrische  KHngel  über  dem 
Speisetische  und  sagt:  da  mama  ling  —  kakaun  omm,  wa 
omni,  ivann  omm,  upa  omm  dh.  „Da  klingelt  die  Manna,  der 
Kakao  kommt,  das  Wasser  kommt,  das  Fleisch  kommt,  die 
Suppe  kommt".  Wohl  schon  eine  Art  Nebensatz:  „wenn  da 
die  Mama  klingelt  ..." 

Gretl  gibt  an,  sie  spielt  „dass  ein  Regen  kommt,  sie 
muss  in  einen  Wagen  einsteigen,  Soldaten  kommen  und 
schiessen."  In  grosser  Aufregung  erzählt  das  Johannes  der 
Mutter:  jegen  omm,  wagen  omm,  gaga  nagn,  wrakaka  omm, 
hum-humW 

wa  ninn  „Da  ist  Wasser  drinnen!" 

bitte  wal  „bitte  umWasser!";  bitte  ivannl  „bitte  umFleisch!" 

Johannes  war  im  ganzen  sehr  sprechfaul.  Nur  wenn  ihm 
etwas  besonderen  Eindruck  machte,  wiederholte  er  es. 
Dann  sah  man,  um  wie  viel  weiter  er  war,  als  er  zeigte.  Als 
ich  ihm  einmal  mit  recht  flehentlichem  Tone  und  der  ent- 
sprechenden Geste:  „Bitte,  bitte,  bittet  vorsagte,  wiederholte 
er  die  Wörter  zu  meinem  Erstaunen  s^anz  tadellos  und  be- 
hielt  sie  dann  bei.  Ein  anderes  Mal  erzähle  ich  meiner  Frau 
ein  altes  Berliner  Erlebnis,  indem  ich  auf  der  Strasse  dazu- 
kam, wie  einer  einem  kleinen  aber  masslos  kecken  Kerl  eine 
„^^'atsche"  gab.  Johannes  hatte  sehr  aufmerksam  zugehört 
und  zugesehen  und  sagte  heiter:  papa  watz\  dh.  „Papa  spricht 
von  einer  Watsche".     Das  Wort  war  ihm  ganz  neu. 

Als  er  I  Jahr  7  Mon.  alt  war,  machten  wir  einen  Aus- 
flug in  die  Umgebung  von  Graz.  Wir  sahen  eine  kleine 
Ziege,  die  Gretl  und  ihm  sehr  gefiel.  Aber  Johannes  wieder- 
holte das  Wort  nicht.  Da  kam  das  Tier  ganz  nahe  zu  ihm, 
der  sich  zur  Mutter  geflüchtet  hatte,  und  berührte  ihn.  In 
seiner  grossen  Angst  stiess  er  hervor:  ige-tge\  sprach  also 
jetzt  das  Wort  nach. 

Johannes  2  Jahr   i   Monat  alt. 

mtwd  (z"/.  2.  Ol) 
bium   ,, Strumpf", 


169 

hode  ,,Hose" 

ho  „so" 

cJii  „Marie" 

tüiss  „Würfel" 

huwe  „Bubi"!  so  nennt  er  sich  selbst  öfter. 

hu  „Bürste"  und  „Pinsel" 

hudu  „hutschen,  schaukeln" 

ame  „Amsel" 

hin  ,,Ring-". 

Am  1.3.  Ol  nimmt  er  das  Liederbuch  und  singt  daraus 
eine  selbstgemachte  Melodie  mit  ganz  unverständlichen  Worten. 

oar  „Ohr" 

mein  hu  ,, meine  Schuhe".  Das  Pronomen  posscssivum 
zum   1.  Male. 

jois  „Loisl,  Alois" 

jitt-hu  „Schlittschuh" 

wetsch  „Zwetschken" 

Im  November  bekamen  wir  in  einem  Leinwandsack 
Zwetschken  aus  Bosnien,  Als  am  2.  3.  01  ein  ähnliches  Post- 
paket gebracht  wurde,  jubelte  Johannes:  da  wetsch  nin\  „Da 
sind  Zwetschken  drin !" 

Am  Weihnachtstag  00  war  J.  auf  einen  kleinen  Nudel- 
walker getreten,  gefallen  und  hatte  sich  sehr  weh  getan.  Er 
wurde  sofort  zum  Arzt  gebracht.  Davon  erzählte  er  oft: 
„da  wuja  iveh-weh"-  „Da  hat  mir  der  Nudelwalker  weh  getan". 
Als  im  März  01  die  Mutter  über  Schmerzen  klagt,  sagt  er 
sofort:  mama  as  gehn  „Mama  soll  zum  Arzt  gehn". 
mu  „Muff". 

jenn  (vgl.  oben)    sagt   er   nur   mehr  selten.      Jetzt  du-du 
das  schon  früher  begonnen  hatte. 
gigar  „Zigarre"  (7.  3.  01) 

tnan  komm  pacJc  „Ein  Mann  kommt  mit  einem  Paket" 
epia  aputz  „den  Divan  abputzen"  (13.  3.  01) 
Es   läutet.      Johannes   nimmt    die    Mutter   bei   der  Hand 
und  sagt:    gen  tvaii  alten,   alten  ivau  gen  „gehn  wir  zur  alten 
Frau."       Es    war    die    Zeit,    zu   der   die   alte   Gemüsefrau    zu 
kommen  pflegte. 


170 

tete  „Universität" 

dwol  „Ich  will  vom  Topfe  aufstehn!" 

Er  zeigt  auf  dem  Bilde  einer  Kuh  auf  die  Euter  und 
sagt:  da  kakao. 

Johannes  2  Jahre  3  Monate  alt. 

Gegen  Ende  März  macht  er  grosse  Fortschritte  und 
spricht  fast  alles  nach.  Er  bittet  um  alles  und  sagt  auch 
gerne  danke,  danke,  mama. 

Hch    ,,auch*'    sagt   er  jetzt  oft  im  Sinne:     ich  will  es  auch 
sehen,  haben  usw.     Im  April  sagt  er  schon:  Das  haben  wollen. 

julö  (Rouleaux)  aufziehn  nennt  er  das  Aufmachen  des 
Gitters  seines  Bettes. 

aiüo  bedeutet  auch  ,,aus  dem  Bett  gehen". 

Sich  selbst  nennt  er  noch  immer  Du  oder  Buwe. 

nunter  haun  ,,hinunterschaun". 

mahl  „Marie". 

hlb  hahn  „lieb  haben" 

Jiort  gen  „fort  gehn" 

Die  Mutter  sagt:  „Wir  gehn  in  den  Stadtpark".  Da 
wird  Johannes  sehr  aufgeregt:  neinl  hin-aus,  hintein,  jois  dort, 
handJiaiifn  piln,  herg  hum  huch  „Nein,  gehn  wir  hinaus  zum 
Hilmteich,  der  Loisl  ist  dort,  Sandhaufen  spielen,  am  Berg 
Blumen  suchen".     Das  war  nämlich  am  Tag  vorher  so  gewesen. 

nödn  „Knödl"  und  ,, Nockerln". 

gisbif  „Biskuit" 

papa  sein  himma  ,,dem  Papa  sein  Zimmer  (Dial.)".  sein 
hier  zum   i.  Male. 

awotandenl  (aufgestanden!)  ruft  er,  wenn  er  vom  Topfe 
aufstehn  will. 

jampe  ,, Lampe" 

Jaufen  „laufen" 

äfer  „Käfer" 

atze  ,, Katze'*.     Im  Inlaut  spricht  er  aber  k  vgl. 

mükn  „Muh-Kuh". 

he)nbal  „Selber"  war  ein  neues  Wort  für  sein  stetes  Ver- 
langen, alles  selbst  zu  tun. 


171 

hadgack  „Stadtpark" 

timpfe  „Strümpfe" 

appi  „Kappe,  Mütze" 

jafn  „schlafen" 

Die  Bedeutung-  der  Namen,  über  die  ich  J.  F.  XVI.  S. 
164  ff  einige  Bemerkungen  gemacht  habe,  ist  auch  bei  den 
Kindern  sehr  gross.  Johannes  wollte  kein  Schweinefleisch 
essen,  aber  Hühnerfleisch  behagte  ihm  sehr.  Da  verfielen 
wir  auf  ein  Auskunftsmittel.  Wir  nannten  das  Schweinefleisch 
schweindipipi  (Schweinehuhn)  —  und  Johannes  ass.  —  Auch 
die  Gemüse  waren  ihm  nur  aufzuzwingen,  wenn  man  sie  ihm 
als  Abarten  von  mitmat  „Spinat"  erklärte i). 

Johannes  2  Jahr  5   Monate  alt  (Ende  Juli   1901). 

mitmat  „Spinat'^,  „Zuspeise" 

tvaiss  (früher   Wann)  „Fleisch". 

wo  „Löffel" 

halz  „Salz" 

gaga  „Gretl".    Meine  Frau  hat  auch  gege  und  gete  gehört. 

jesi  „Resi" 

messa  „Messer" 

dab  „Gabel" 

tea  „Teller" 

herwetie  „Serviette" 

henhi  „Henkel"  (Nachgesprochen). 

hand,  ßnger,  hut,  rock,  hose  gut  nachgesprochen. 

Mt  „Bart" 

oa  „Ohr" 

nase,  aug,  mundi 

Jmdn  oder  han  „Haare" 

gaid  ,, Kleid" 

gigarr  „Zigarre" 

birse  „Bürste" 


')  Kluge  Leute  behandeln  auch  die  grossen  Kinder  so,  wie  Fritz  Mautner 
Die  Sprache  S.  107  richtig  bemerkt  hat.  Sie  nennen  ein  Kaffeesurrogat  „Malz- 
kaffee", und  es  gelingt  ihnen  dadurch  ..unzählige  wortabergläubische  Menschen 
zu  verführen,  den  künstlichen  Ersatz  lür  die  Sache  zu  nehmen,  die  ihnen 
früher  gut  geschmeckt  hat." 


172 

gas  „Glas" 

wein 

wasse  ,, Flasche" 

hu  „Schuh" 

haitoch  „Zeitung" 

uhr 

erze  ,. Kerze" 

heda  „Feder" 

goche  , .Glocke" 

„Radiergummi"  spricht  er  nach  als  dirbummi 

„Stiefelzieher"  spricht  er  nach  als  tifenhtr 

weiss,  jot 

Johannes  2  Jahr  6  und  7   Mon.  alt. 

Die  Tantannen  „die  Kastanien"  (12.  8.  01).  Zum  i.  Male 
der  Artikel. 

hagack  (früher  hadgack)  „Stadtpark" 

0  neim\    „o  Nein".     Beachte  den  labialen  Verschlusslaut! 

humem  „Buben"  (aber  tvaun,  herrn)  26.  8.  01. 

toei  gotten  „Zwei  Götter"  nannte  Johannes  zwei  Stand- 
bilder vor  einer  Kirche, 

irche  „Kirche"  1         ,    .  ,    .         ,     ^     j       7 

(  noch  immer  kern  anlautendes  k 
arte  „Karte"      J 

wef'pen  „Wespen"  (August  01) 

ivai  Mgenbocken  „Zwei  Ziegenböcke" 

Am  24.  Aug.  sagte  J.  zum   i.  Male  ein  anlautendes  s. 

nein,  du  bei  dir  jäfen  daussen  ,,Nein,  ich  will  bei  Dir 
draussen  schlafen"  (25.  8.  01). 

das  da  tajes  seinen  tül  „Das  ist  der  Therese  ihr  Stuhl". 

du  das  ässen  ichl  „Ich  will  das  essen!"  Johannes  sagt 
zum   1.  Male  ich  aber  noch  neben  du  (30.  8.  01). 

da  hucka  ninnen,  ich  so  ver-omnien,  das  so  süss  is  „Da 
ist  Zucker  drinnen,  mir  kommt  so  vor,  das  ist  so  süss." 

Am  30.  8.  Ol  spricht  Johannes  auf  Verlangen  tadellose 
anlautende  s.     Trotzdem  sagt  er  für  gewöhnlich  noch  h. 

Am  31.8.  sagt  J.  hane.  Ich  sage:  ,,Du  kannst  ja  schon 
Zähne  sagen".  J.  wiederholt  es  tadellos.  Es  war  sein  erstes  Z-. 


173 

Johannes  ist  mit  der  3  monatlichen  Martha  allein  im 
Zimmer.  Die  Mutter  kommt  herein,  er  berichtet:  mädi  jairiy 
ich  sagen:  mädi  juhig  sainl  —  mädi  juliig  ,,das  Mädi  hat  gre- 
schrien.  Ich  sagte:  Mädi,  ruhig  sein!  Das  Mädi  war  ruhig." 
Das  war  Bubi's  erste  Erzählung. 

Ich  biete  J.  „Bärenzucker"  an.  Er  will  ihn  nicht.  Ich 
gehe  hinaus.  Er  sagt  zur  Mutter;  papa  huck;  nein,  hrr\ 
(er  spuckt  aus)  ,,Papa  hat  mir  Zucker  angeboten,  ich  mag 
ihn  nicht,  ich  spuck  ihn  aus'^ 

Johannes  2  Jahr  8 — 11   Monate  alt. 

die  mama  mir  die  schü  anzielten  ,,Die  Mama  hat  .  .  . 
angezogen"  (24.  9.  01).  Der  Artikel  richtig.  Zum  i.  Male 
war  mir  am   17.  9.  01   aufgetreten. 

das  hiff  henhar  tvimmem  ,,Das  Schiff  schwimmt  selber'', 
(21.   9.  Ol). 

der  haum  mir  ören  ,,Der  Baum  gehört  mir"  (29.  10.  01). 

Johannes  hat  noch  keine  flektierten  Formen.  Doch 
sagte  er  schon  einmal  da  hastl  also  mehr  als  Interjektion, 
Sonst  erscheinen  Infinitive,  die  aber  manchmal  an  die  Parti- 
zipien Perfekti  assimiliert  werden.  ivimtliiaje  mir  heute  geich 
hachenl  ,, Schwimmtiere  mir  heute  gleich  bringen!** 

wöbe  ,,Löwe",  haihift  ,, Bleistift",  die  schon  länger  in  der- 
selben Form  vorhanden  waren. 

mani  ,, Marie'' 

liimme  tuntannen  ,, viele  Kastanien'*. 

nein,  die  suppe  ich  nie  essenl  nie  ,, nicht". 

gad  ivüa  ßs  deesst  ,,Grad  früher  habe  ich  einen  Fisch 
gegessen". 

Das  seh  spricht  Joh.  am  Ende  des  2ten  Jahres  noch 
immer  s  und  s  aus :  sauen  ,, schauen"  tis  „Tisch",  sissgewehr 
„Schiessgewehr". 

Das  l  machte  ihm  lange  Zeit  im  Inlaut  Schwierigkeit. 
Er  sagte  hinder  „Bilder",  fend  ,,Feld",  nenner  „schneller". 
Ferner  poista  „Polster",  sai^:  ,,Salz".  Aber  tül  und  tull  für 
„Stuhl".  Im  Doppelanlaut  fällt  es  weg:  lüiegn  „fliegen", 
goche  „Glocke". 


174 

Die  Partizipien   werden   fast  alle  stark  flektiert. 

ich  das  gut  demachen  „Ich  habe  das  g^ut  gemacht" 

ich  mich  andeJagcn  aber  nicht  deweinen  ,,Ich  habe  mich 
angeschlagen  aber  nicht  geweint. 

du  mir  Fusssoldaten  debachen?  „Hast  Du  mir  Fusssoldaten 
gebracht!" 

ich  das  nicht  detunl  „Ich  habe  das  nicht  getan", 

ich  auch  das  desagen.     „Ich  habe  das  auch  gesagt*'. 

.  .  die  decke  depacJcen  .,.  hat  die  Decke  gepackt,  angefasst". 

Die  Konsonantengruppen  des  Anlauts  werden  noch  immer 
vereinfacht:  tvau  „Frau",  restine  „Christine",  gocke  „Glocke", 
nalle  „Schnalle",  zündtein  „Zündstein",  {s  aber  korrekt)  nabe 
„Knabe",  icalen  ,, quälen",  waingas  „Weinglas". 

Johannes  3  Jahre  alt. 

denommen,  degeben,  demissen  ,, geschmissen"  (3.  2.  02) 

Was  reden  die  siffe?  fragt  Johannes,  meint  aber  die  ßsse 
,,die  Fische".  Er  macht  also  die  oben  mehrfach  nachge- 
wiesenen Sprechfehler.  Er  besass  nämlich  Fische,  eine  Gans, 
ein  Schiff,  alles  aus  Blech  und  hohl,  so  dass  es  schwimmen 
konnte. 

.  .  goss  gross  .  .  Zum  i.  Male  korrigiert  er  ohne  Auf- 
forderung einen  nur  teilweise  gesprochenen  anlautenden  Doppel- 
konsonanten. 

ich  auch  önnen  nien  „Ich  kann  {önncn  ,, können")  auch 
knien". 

tvo  is  die  bilder?  statt  ,,.  .  sind  .  ." 

ich  kann  das  nicht  sagen.    Also  schon  ganz  korrekte  Sätze. 

ich  hob  das  desagen  ,. gesagt'*. 

(Die  Soldaten)  sind  alle  tot  defallet}  .  dieser  teht  ganz 
allein  auf\  geich  (gleich)  die  umfallen  tverden  .  jetzt  sind  sie  tot. 

Johannes  sagt  5.  2.  02  .  .  Kugel  und  siissgewehr  .  .  ver- 
spricht sich  also  (Nachklang),  korrigiert  aber  sofort  sissgewehr; 
zu  meinem  fröhlichen  Erstaunen  setzt  er  hinzu  reib  (schreib) 
auf  papa\  hast  du  Kugel  und  sissgewehr  dereiben  (geschrieben)? 
Ich  lese  das  Niedergeschriebene  meiner  Frau  vor.  Sie  fragt: 
„Hat  erdereiben  gesagt?"  nein,  schreit  Johannes,  deriebenl    Er 


175 

irrt  sich  aber,  ich  hatte  gewiss  recht  gehört.  —  Beachte,  dass 
er  in  Sissgewehr  das  ge  ganz  richtig  spricht,  während  er  de- 
reihen,  deriehen,  dehraxn  (gekraxelt),  dehören  (gehört)  sagt.  Er 
hat  das  Wort  ,, Schiessgewehre"  viel  später  gelernt,  als  er 
schon  ge  sagen  konnte.  Das  Wort  fiel  also  nicht  mehr  dieser 
Lautveränderung  zum  Opfer.  Dass  er  im  Partizip  noch  immer 
de  sagt,  ist  nur  Gewohnheit. 

Am  selben  Abend  sagte  Johannes  zum  i.  Male  schwach 
andesaut  „angeschaut". 

hast  du  was  debingen  „gebracht'^?  ich  hah  die  tür  zude- 
pern  ,, zugesperrt"  (6.  2.  02). 

was  das  Krüsthind  debingen  hat  .  .  Aus  ri  machte  Johannes 
rü.     Er  sagt  heute  noch  oft  früsch  „frisch". 

Am  9.  2.  02  sagt  er  ich  sehen?  gebraucht  also  den 
Infinitiv,  aber  flektiert  sonst  z.  B.  ^9a5S  auf  Mama\  —  ivas 
hast  du? 

Die  gräthen  korrekt.  Er  hat  das  Wort  erst  in  der  letzten 
Zeit  gelernt. 

ich  bin  nicht  zugedecTien.    Zum  i.  Male  richtig  ge-  (9.  2.  02). 

umgrehn  ,,umdrehn".  Zum  i.  Male  bemerken  wir  Bubis 
Lautgesetz  dr  '.  gr '). 

so  schön  detehn  und  nicht  andehalten  „so  schön  gestanden 
und  nicht  angehalten." 

Aber  ich  hab  son  mein  bot  gegessen.  Man  sieht  s  und  seh, 
de  und  ge  sind  noch  nebeneinander  im  Gebrauch. 

degeben   „gegeben". 

Johannes  3  Jahr   i  —  3  Monate  alt. 
der  fis  dadinnen  hatdewimmen  ,,ist  geschwommen  (i  2.  2,  02.) 
die  martha  hat  debechen  ,, gebrochen,  zerbrochen". 
Sich   selbst  bezeichnet  er  schon  regelmässig  mit  ich, 
und    wenn   die  grete  gesund  bin,   dann  geht  sie  auch  mit 
(15.  2.  02). 

ich  habe  das  schön  debaun  ,, gebaut". 
da  haben  wir,  Gott  sei  Danh,  Äpfell 
morgen  haben  die  martha  dlacht  (gelacht)  zu  mir  (20.  2.  02) 


')  M.  Ament  Entwickig.  von  Sprechen    und  Denken   beim  Kinde  S.  4g. 


176 

(jreJiH  „drehn''. 

eins  tvei  yrei  „eins  zwei  drei*'. 

erste  iveite  greite  vierte  ., erste  zweite  dritte  vierte",  (jreite 
ist  Kinderetymolog-ie  {—  *dreite). 

/<äst*r');  wird  sofort  in  Jtasen  korrigiert. 

heisbif  ,, Bleistift''. 

(de  tvarzen  pferde,  die  rappen^  sind  mit  tinte  amlemtden? 
Der  Ton  der  Frage  zeigte,   dass   das    Kind   ein  ja    erwartete. 

ich  kann  das  pferd  kragen  „tragen".  tr:Jcr;  früher  sagte 
er  tagen  (25.  2.  02). 

krinkcn  ,,trinken*^ 

jetzt  haben  wir  den  wrif  hindndepicken  Gretel  „Den 
Schweif  hineingepickt,  geklebt^'. 

da  ist  das  glas,  ich  hob  von  der  grete  scins  gefcrunken 
„von  der  Grete  ihrem  getrunken". 

ivetin  ich  mich  umgreh  „umdrehe". 

ich  so  ruhig  da  detehn  „Ich    bin   so  ruhig  dagestanden'*. 

ich  ein  reh  tveinen  desehn,  wie  wir  fortdehn.  Die  Form 
des  letzten  Worts  ist  unklar,  der  Sinn  des  Nebensatzes  war 
„als  wir  fortgingen".  Das  Zeitwort  iveine)i  bezog  sich  auf  das 
,, Geweih",  wie  meine  Frau  sofort  konstatierte.  Das  Reh  hat 
irgend  etwas  mit  seinem  Geweih  gemacht. 

mein  gas  hat  nicht  die  anna  debingt  „Glas",    „gebracht". 

nur  so  viel  gunkcn  „getrunken"  (27.  2.  02).    Gleich  darauf: 

Wasser  hinken 

wo  Imst  du  denn  den  papa  seinen  tewolwa?     „Revolver". 

Du  hast  mir  nicht  die  wei  (zwei)  golleren  sabel  umdebindet 
(umgebunden)   i.  3.  02. 

sau  die  gottermuttesl  „Schau  die  Muttergottes!"  Ver- 
sprechen, Vertauschung. 

das  so  machen,  wie  das  wüher  dewaren  ist  „früher  ge- 
wesen ist",  dewaren  kontaminiert  aus  „gewesen"  und  „war" 
(2.  3.  02 2). 

es  ist  ausdebennen,  es  ist  schon  ausdebennt  „ausgebrannt". 


')  Derselbe  Fehler  bei  Tappolet  s.  91  verzeichnet. 

^)  Stern  S.  29S  berichtet  wasen,    eine  Kontamination   aus   war   und  ge- 
weaen. 


177 

Ende  Februar  machte  Johannes  verschiedene  schwache 
Partizipia.     Aber  schon  am  3,  3.  02: 

ich  hah  toirJclich  (meist  würJclich)  delafn  ,,g-eschlafen". 

das  sind  ivei  hausen,  wei  häuser  ,,zwei  H/'.  Die  Korrektur 
sofort,  spontan. 

ich  hah  wollen  das  umgrehn  ,,  um  drehen". 

dekreten  „g-etreten".     (7,  3.  02). 

valaiibst  (verlaubst  ^^  erlaubst)  du^  dass  die  martha  da 
klopft'^     Zum  I.  Mal  Jd-. 

die  Küfer  magen  das  haupt  (überhaupt)  nichtl  Wegen 
der  Form  magen  für  mögen  vgl.  die  Erscheinungen  des  Ver- 
sprechens (S.   118). 

die  martha  iviss  das  nicht  (wiss  ^=  ,, weiss").  Meine  Frau 
korrigiert:  „Die  M.  weiss  d.  n."  Johannes  wiederholt  starr- 
köpfig seine  Fassung,  er  ist  wieder  von  der  Unanfechtbarkeit 
der  Form  tuiss  überzeugt.  Vgl.  die  Ausgleichungen  von  weiss: 
wissen  beim  Versprechen  (S.    iii,    120). 

was  lüillen  die  tldere?  fragt  er  wiederholt  beim  Anblick 
ihrer  Bilder.     Vgl.  das  Versprechen. 

wer  hat  mir  senf  degeht,  degiht?  Hier  fühlt  er  sich  also 
unsicher. 

ich  todier  was  „ich  studiere  was",  sagt  /.  oft.  ich  mir 
was  erdenken  .  ich  mir  tvas  eingedenken. 

Er  sagt  öfter  noch  tein,  obwohl  er  ganz  gut  klein  sagen 
kann. 

spuktähn   ,,Buchstaben'^     Eine    Art   versprochene   Form. 

2)ischnat  „Spinat*'.     Ebenfalls  (22.  3.  02). 

das  sind  auch  so  kleine  nopsen  (Knospen). 

zucki,  Plural  zuckin. 

tun  die  jungen  hunden  nichts? 

und  da  sind  der  gretl  seine  .  .,,ihre''. 

.  .  hat  gezwicken  .  . 

kreiht  „treibt",  degrauht  ,, geglaubt"  (Mai  02). 

magen  die   Vogi  wasser?    Vgl.  oben. 

ich  hah  einmal  einen  grossen  spatzen  desehn,  der  hat  tvÖh 
(Flöhe)  dehaht  und  hat  heissen,  behauptet  J. 

Meringer,  Aus  dem  Leben  der  Sprache.  12 


178 

gibts  gollere  (g-oldene)  lufthalhns?  Über  sein  Suffix  -ere 
schon  oben  (S.   1 19). 

Johannes  3  Jahr  5 — 7  Monate. 

Er  hat  folg-ende  -e/r-Bildung-en:  (/oJlere,  silbere,  höhere, 
zerhrochere,  abdebroihfre  (abgebrochene),  jnclere  (pickende, 
klebende),  verschiedere. 

der  papa  hat  deschöre  (geschorene)  haare 

hausin  ,, Häuser"  wie  zuckin  ., Zuckerln**.  Als  er  hausin 
gebraucht  hatte,  wurde  er  bedenklich  und  sagte:  man  kann 
auch  ]iäuser  sagen.  (I) 

Das  Wort  j.Stadtpark'"  erscheint  als  pätgak.  ichpagak, 
schütgak. 

noltporrar  ,,Nordpolfahrcr" 

kann  man  Kinder  stöhlen'^  „stehlen". 

fähren  gewöhnlich  für  „fahren"  nach  „fährst,  fährt" 

Im  September  sprach  er  schon  oft  die  Vorsilbe  -ge,  aber 
wir  hörten  jetzt  noch  immer  defahren,  delassen,  degange». 

dlocke  „Glocke"  (15.   10.  02) 

krompete  ,, Trompete" 

die  gete  (Grete)  verlauht  (erlaubt)  mir  zu  schreiben  auf  der 
gete  seiner  tafel  (28.   10.  02). 

mundmamone  „Mundharmonika"  (November  02) 

Anlautendes  tr-  meist  richtig,  nicht  mehr  kr-  also  tröpfeln 
nicht  mehr  kröpfein. 

kastanne.     „Kastanie"  kann  er  nur  schwer  nachsagen. 

der  lieben  goft  trat  um  diese  Zeit  auf  und  blieb  bis  ins 
5.  Jahr  (Aug.   1903  noch). 

ist  jetzt  Sonntag  oder  herbst?  ,, Sonntag"  versprochen  für 
,, Sommer". 

Ich  erzähle,  dass  v.  Andrian  kommen  wird.  Gleich 
ruft  J.:  der  andimnnn,  der  andimann\  Kinderetymologie. 
Später  sagte  er  brandandimann  „Baron  Andrian".  Ich  spreche 
ihm  dann  das  Wort  vor.  er  sagt:  andiran,  andijan,  andian. 
anrian  und  endlich  andrian;  gleich  darauf  singt  er  wieder 
brandandimannl 


I 


179 

Johannes  am  Schlüsse  des  3.  Jahres. 

die  rauche  bedeutete  die  Tabakspfeife  (Okt.  02). 

ich  habe  dort  ein  hunderl  aus  dem  fenster  herausgeschaut. 
Versprechen.  Kontaminiert  aus:  ,,Ein  Hunderl  hat  heraus- 
geschauf'  und  ,,Ich  habe  gesehen,  dass  .  .  ^'' 

sie  schauen  aus,  dass  (als  ob)  sie  geputzt  wären. 

der  Meine  zeiger  ist  schon  über  dem  geschrieberen  (auf  der 
Uhr  steht:  Omega)  drüber.     Wieder  -ere-Bildung. 

gesitzt  „gesessen'* 

.  .  der  martha  .  der  gretl  sein  lederen  ball  „der  Gretl 
ihren  ledernen  B,"  Johannes  hatte  sich  zuerst  versprochen. 
Noch  eine  -ere-Bildung. 

Seit  12.  12.  02  beobachtete  ich,  dass  Johannes  an  aus- 
lautende Vokale  ein  ng  anhängt.  Er  sagte  in  den  nächsten 
Tagen : 

nitwäng  „n[t\\ahr}'^,jäng  ,.ja",  dang  „da",  ma  mang  „Mama'', 
papäng  ,,Papa'',  sogar  schaung  ,, schau". 

Die  Erscheinung  war  vollkommen  rätselhaft,  er  war  ge- 
sund und  hatte  auch  keinen  Schnupfen.  Ich  bemerke,  dass 
er  auch  nie  maman   in    französischer  Aussprache   gehört    hat. 

eine  mähe  nennen  Gretl  und  Johannes  eine  Sense. 

Am  6.  I.  03  hörte  ich  von  Johannes  düng  „du".  Sein 
Lautgesetz:  auslautender  Vokal  wird  guttural  nasaliert, 
breitete  sich  also  aus. 

Er  talkt  jetzt  öfter  falsch:  die  docke  dlocl'e  glocke  ivill  ich 
haben,     oline  für   Violine. 

der  schaut  aus  (ein  Storch),  tvie  (als  ob)  hinten  flössen 
sind  (wären). 

gefliegen,  gefliegt  „geflogen''. 

Am  10.  I.  03  greteng  ,, Grefe".  Merkwürdig  ist,  dass 
diese  Nasalierungen  immer  mit  einem  bestimmten  Ton,  beim 
Rufen  und  Ansprechen  erscheinen,  nicht  im  Innern  des  Satzes. 

siff  für  fis  (Fisch)  sagt  Bubi,  wenn  er  talken  will,  macht 
also  den  mehrfach  besprochenen  Fehler').    Sieh  S.  12,  51,  114. 


*)  is  =  „Fisch"  und  „Schiff''  verzeichnet  Scupin  (aus  dem  18.  Monate 
seines  Sohnes)  S.  73.  Vgl.  „Schiff"  für  „Fisch"  Ament  Entwicklung  von 
Sprechen  und  Denken  beim  Kinde  S.  67. 

12* 


180 

das  ist  ein  (jiraffenmann,  ein  härmann,  tin  scherniaun,  tin 
mvermann,  ein  fjeJirmann  usf.  Spasshafte  Neubildungen  ohne 
Sinn. 

Johannes  4  Jahr   i — 6  Monate  alt. 

es  gibt  die  mama  der  grete  noch  eine  larveng  ,.Larve,  Ge- 
sichtsmaske". Also  wieder  seine  Endnasalierung-.  Ich  be- 
merke hier,  dass  bei  diesem  rätselhaften  -ng  von  einem  Spasse 
des  Kindes  absolut  keine  Rede  sein  kann.  Aus  dem  -ng  ent- 
wickelt sich  öfter  ein  -m:  päpänil,  mäniäml  (Der  Zirkumflex 
bedeutet  in  diesen  Fällen  geschleifte  Betonung). 

heis  .  .  hausmeister  Versprechen,  Vorklang. 

umgef allere   Fahne,    offeres  messer.     Neue  -erc- Bildungen. 

mietz\ng\  ,,Mitzi";  mämäm  (3.  3.  03).  Neue  Auslaut- 
nasalierungen. 

ist  heilte  der  vJerteng?  ,, Vierte"  (4.  3.  03). 

fällt    da    nicht  die  Erde  auf  die  andere  seiteng    ,, Seite" 

(4-   3-  03). 

Das  ist  eine  ruschiche  (russische)  marke  (April  03). 

Noch  immer  fähren. 

gewaschen  und  gezähneputzt  hin  ich  (April  03). 

frissen  i   mal  für  „fressen''. 

Am  Ostermontag  1903  hörte  ich  zum  1.  Male:  der  gretl 
ihre  semmel.     Sonst  immer  seine 

päpäm,  mir  scheint,  ist  der  zu  nahe  (nämlich  ein  Zinn- 
soldat).    Konjunktion  dass  fehlt 

autohohil. 

in  maga  krost  .  .  , .Maria  Trost"  sagt  Johannes  plötzlich 
wieder   12.   5.  03,  nachdem  er  tr-  schon  längst  richtig  spricht. 

wir  scheint,  haben  die  das  gemacht.  Nach  „scheint"  inver- 
tierte Wortstellung,  ohne  Konjunktion  (wie  zuvor). 

was  für  einen  Kling  das  hat\  sagt  J.,  indem  er  an  ein 
Blechblättchen  klopft.     Neubildung  Kling  ,, Klang". 

Johannes  im  4.  Jahr  2.  Hälfte. 
agmet  ,, Magnet" 

gestriffen  ,, gestreift".  Wahrscheinlich  Einfluss  von  Gretl^ 
die  zur  selben  Zeit  öfter  so  sagte. 


181 

ich  habe  keine  geivaltiykeit  zum  festliebhaben  d.  h,  „Kraft 
zum  festen  Umarmen". 

ich  nenne  den  hund,  dass  er  ein  dackerl  ist. 

picTizeug  ,, Papier  zum  Flieg^enfangen". 

der  mann  schaut  so  aus,  dass  er  ganz  alt  ist  „.  .  als  ob 
er  .  .  wäre". 

in  der  kuh  seinen  bauch  (8.  9.  03). 

druckdings  „Petschierschaff' 

ausgeesseti  Versprechen 

Im  Okt.  03  sagte  Johannes  plötzlich  wieder  papang, 
greteng.     Die  Formen  verschwanden  dann  auf  immer. 

3.  Martha  M. 

Geboren  7.  Juni   1901. 

Lall-Laute:  tötötötö,  bababawa,  mbaivabai,  ababä,  aa,  wivw^ 
awww,  a  tl  {l  tonlos),  bababap. 

M  hat  sich  inbezug  auf  das  Sprechen  abnorm  langsam 
entwickelt,  obwohl  sie  körperlich  und  intellektuell  durchaus 
normal  war,  so  dass  über  ihre  erste  Zeit  kaum  etwas  zu  be- 
richten ist. 

Mit  I V2  Jahren  hatte  sie  eine  sehr  charakteristische  Geste 
bei  gespannter  Aufmerksamkeit.  Sie  stand  mit  gebeugten 
Knien,  die  Hände  darauf  gestützt,  mit  vorgebeugtem  Ober- 
körper und  sah  und  lauschte.  Sie  wurde  dabei  viel  kleiner, 
und  man  musste  sich  wohl  fragen,  was  für  einen  Sinn  diese 
Haltung  haben  könnte.  Wenn  sie  z,  B.  etwas  in  der  Ent- 
fernung (auf  der  Strasse,  im  Garten)  genau  beobachtete, 
nahm  sie  diese  Stellung  ein,  die  absolut  nicht  zweckmässig 
genannt  werden  konnte.  Bei  Erwachsenen  beobachtete  ich 
diese  Geste  nur,  wenn  jemand  etwas  ganz  Überraschendes 
hört,  was  er  womöglich  nicht  glauben  will.  Martha  beugte 
sich  sogar,  um  meine  Schlaf-Zipfelmütze  besser  bewundern 
zu  können,  obwohl  ich  stand  und  diese  auf  dem  Kopfe  hatte. 

Aufgefallen  ist  mir  um  diese  Zeit,  dass  ihre  Vorstellungen 
von  der  dritten  Dimension  sehr  mangelhaft  waren.  Ich  be- 
obachtete sie  oft,  wenn  sie  ihre  Tiere  auf  die  Tischfläche, 
die  für  sie  in  Augenhöhe  war,    stellen  wollte.     Sie  schob  sie 


182 

immer  so  wenig  hinein,  dass  sie  am  Rande  umschlug-en  und 
mit  den  Beinen  liäng-en  blieben  oder  überhaupt  herabfielen. 
Das  letztere  Resultat  war  g-ewiss  nicht  beabsichtigt,  denn  sie 
wurde  nicht  müde,  ihre  Versuche  zu  wiederholen. 

Um  dieselbe  Zeit  rief  sie  die  Mutter 

d-d  (beide  nasaliert). 

Mit   I  Jahr  7  Mon.  veränderte  sich  dieses  zu   . 

ä-mäl  „Mutter!^* 

Marthas  Verständniss  war  ganz  tadellos.  Meine  Frau 
sagt  z.  B.:  „Bring  das  VVagerl  in  das  Winkerl,  wo  es  hinge- 
gehört!" Martha  tut  das,  benützt  aber  dann  die  Gelegenheit 
gleich,  um  Verstecken  zu  spielen. 

Ich  sage:  ,, Martha,  bring  mir  das  kleine  Sesserl !"  Ich 
blicke  dabei  nicht  auf  den  verlangten  Gegenstand.  M.  eilt 
so  schnell  sie  nur  kann,  um  den  Stuhl  zu  holen,  und  bringt 
ihn  mit  seelenvergnügtem  Gesichte. 

I  Jahr  7  Monate.  Im  Schlafzimmer.  M.  nimmt  mich 
bei  der  Hand  und  führt  mich  zur  Tür.  Ich  weiss,  sie  will 
in  mein  Zimmer  gehen,  um  Hustenbonbons  zu  erhalten,  tue 
aber,  als  verstünde  ich  sie  nicht,  und  bleibe  bei  der  Türe 
stehen.  Sie  nimmt  meine  Hand  und  hebt  sie  zur  Türklinke 
hinauf.  Als  ich  wieder  nicht  zu  begreifen  scheine,  weiss  sie 
kein  Mittel  mehr  und  fängt  zu  weinen  an.  Darauf  erlöse  ich 
sie  aus  ihrer  Unruhe,  Die  kleine  Szene  spielte  sich  ganz 
stumm  ab.     M.  hatte  keinen  Laut  von  sich  gegeben. 

M.  kennt  eine  ganze  Reihe  von  Dingen,  bringt  sie  auf 
Wunsch,  versteht  Fragen  —  ohne  etwas  reden  zu  können. 

Martha  i   Jahr  8  Monate  alt. 

mämahl  „Mutter!'* 

dadal  „da  hier!'' 

awa  ,, Wasser" 

iva  ical  „wehl" 

dhl  „Säbel" 

Damit  begann  also  endlich  ihre  Sprechtätigkeit.  Da 
wurde  sie  schwer  krank  (Lungenentzündung),  und  wir  fürch- 
teten einige  Zeit  um  ihr  Leben.     Sie  erholte  sich  aber  doch 


183 

wieder,  aber  die  Stimulantien  des  Herzens  während  ihrer 
Krankheit  scheinen  hemmend  auf  ihre  sprachhche  Entwickelung- 
eingewirkt  zu  haben.  Körperhch  war  sie  sehr  bald  wieder 
vollständig-  hergestellt. 

I  Jahr  lo  Mon.  Am  6.  4.  03  sitzt  Martha  im  Bett  und 
plaudert.  Es  war  ihr  erster  gesprächiger  Tag:  mä  mä  nä  nä. 
Als  sie  mich  im  Nebenzimmer  sprechen  hört,  ruft  sie:  jjopa! 
Ich  komme  herein!  da\  sagt  sie  befriedigt.  Es  war  die  erste 
mit  sprachlichen  Mitteln  hergestellte  Unterhaltung. 

Wenn  M.  sich  ganz  wohl  befindet,  streckt  sie  oft  die 
Zunge  hervor  —  ein  Zeichen  ihres  Behagens.  Ich  habe  bei 
Kindern  nichts  Ahnliches  gesehen,  nur  eines  Kollegen  während 
des  Freiwilligenjahres  erinnere  ich  mich,  der  bei  besonders 
herzlichem  Lachen,  bei  sogenanntem  „Lachen  aus  vollem 
Halse",  die  Zunge  aus  dem  weit  geöffneten  Munde  hervorstreckte. 

Das  Wort  aiva  „Wasser"  erschien  nach  der  Krankheit 
als  apah,  pawah. 

hu  ,,Buch,  Bilderbuch" 

ho  „Boden".  Sie  sagt  es  immer,  wenn  etwas  auf  den 
Boden  fällt;  später  auch  dann,  wenn  sie  selbst  fällt. 

1  Jahr  II  Mon.  Am  11.  5.  ruft  M.  zum  i.  Male  ete\ 
„Grefe",  und  wiederholt  den  Ruf,  als  auch  die  Mutter  die 
Grefe  ruft. 

Am  Ende  des  zweiten  Jahres  erwarb  das  Kind  noch 
folgende  Wörter: 

hu  „Hut" 

hu  „Buch",  jetzt  auch  „Blumen" 

ha  „Ball" 

teie\  „Grefe!"  nicht  mehr  ete\ 

Martha  2  Jahre  alt.  Eine  kleine  Freundin  meiner 
Kinder  heisst  Ilse.  Am  11.  6.  03  sagt  M.  tadellos  ilse,  meint 
aber  deren  kleinere  Schwester  Gerda.  Das  erklärte  sich  bald, 
indem  wir  bemerkten,  dass  sie  jedes  kleine  Mädchen  Ilse 
nannte.  In  ähnlicher  Weise  waren  meine  anderen  Kinder 
der  Ansicht,  dass  jede  Tabakverkäuferin  ein  „Fräulein  Zilli"  ist. 

2  Jahr  I   Monat. 
mtimü  „Brot" 


184 

jmpa  „Wasser" 

nivi  „Mitzi"  (das  Kindermädchen) 

u  „Schuh" 

aal   „Jah!" 

Martha  2  Jahre  2  Monate  alt. 

ä-dnjä\     {nj    mulliertes    n)    „Marianne!''    ini    Rufe;    auch 
nja-njd\  „Marianne". 

Martha  vormittags  allein  bei  mir.  Niemand  ist  sonst  zu 
Hause.  Ich  beschreibe  das,  was  sie  in  der  Zeit  von  lO  bis 
ca.  12  Uhr  tat.  Sie  holt  sich  meinen  Papierkorb.  Sie  ver- 
sucht es,  sich  auf  ihn  zu  setzen.  Es  g-eht  nicht,  denn  er  ist 
zu  hoch.  Da  sie  ihn  neben  den  Divan  g-estellt  hat,  will  sie 
auf  diesen  klettern.  Auch  das  missglückt,  und  die  Versuche 
werden  aufgegeben.  Dann  will  sie  sich  neben  den  Papierkorb 
knien,  findet  aber  längere  Zeit  nicht  die  ihr  passende  Stellung. 
Als  sie  sie  endlich  gefunden,  fängt  sie  an,  die  Papiere  aus- 
zuräumen. Die  zerknüllten  Stücke  legt  sie  rechts  und  wischt 
mit  ihnen  auf  dem  Boden  herum.  Die  glatten  legt  sie  auf 
den  Divan.  Mit  einem  reinen  und  glatten  Papier  kommt  sie 
dann  zu  mir  zum  Schreibtisch  und  sagt  ?'-?!  Ich  verstehe, 
dass  sie  einen  Bleistift  meint,  und  gebe  ihr  einen.  Sie  legt 
sich  auf  den  Boden  und  kritzelt  auf  dem  Papier  von  rechts 
nach  links  und  zurück  gerade  Linien  und  flache  Kurven. 
Ich  frage:  „Martha]  tust  Du  schreiben?^'  Sie  antwortet  «a! 
,,ja!"  Beim  Schreiben  sagt  sie  dee  0^);  dann  nimmt  sie  einen 
neuen  Zettel,  feuchtet  den  Bleistift  an  (ich  weiss  nicht,  von 
wem  sie  das  gesehen  hat)  und  schreibt  wieder.  Bald  gibt  sie 
mir  den  Bleistift  zurück.  Dann  kommt  sie  wieder  und  sagt: 
„papa  ä  da  da!  (?).  Ich  sehe,  sie  will  etwas  haben  und 
reiche  ihr  verschiedene  Sachen.  Sie  lehnt  alles  ab  und  sagt: 
,,t  ?'!"  Ich  gebe  ihr  also  wieder  den  Bleistift,  den  sie  be- 
friedigt nimmt.  Es  stellt  sich  Langweile  ein.  Ich  rolle  einige 
grosse  Gedenkmünzen  auf  dem  Boden  zu  ihren  Füssen  hin. 
Das  Rollen  bewegt  sie  zu  keinem  Laute.  Sie  setzt  sich, 
nimmt  die  Münzen,  dreht  sie,  bis  die  Köpfe  darauf  gerade 
stehen,  und  legt  sie  darauf  nieder.  Dann  kratzt  sie  auf  den 
Münzen.      Sie  steht  auf,    bringt  sie  zurück,    legt  sie  in  meine 


185 

hole  Hand  und  schlägt  mit  ihrer  flachen  Hand  darauf,  als 
wollte  sie  sagen:  y,So,  da  hast  du  siel''-  Das  hat  sie  wohl 
schon  jemand  tun  gesehen. 

Sie  geht  um  den  Schreibtisch  herum  und  sieht  ein 
Lineal.  Sie  nimmt  es.  Da  fällt  ihr  eine  glänzende  Messing- 
handhabe einer  Lade  auf.  Sie  vergisst  das  Lineal  und  nestelt 
an  dem  Messing  herum.  Dann  nimmt  sie  den  Gurt  der 
Fensterjalousien   und  kratzt   mit   dem   Nagel  des  Zeigefingers. 

Plötzlich  ruft  sie:  pä,  i,  l!  (?)  Ich  sehe,  sie  verHert 
ihre  Hose.  Ich  sage:  „Geh  hinaus  und  ruf  Mariannel''  Sie 
geht  zur  richtigen  Tür  und  ruft  äänjäl  Als  sie  wieder  ins 
Zimmer  gelassen  wird,  sagt  sie  da  da  dal  Sie  legt  ihren 
Kopf  auf  meinen  Oberschenkel  und  hebt  auch  die  Beine; 
ich  sehe,  sie  will  auf  meinem  Schoss  schlafen.  Als  sie  be- 
merkt, dass  sie  sich  selbst  nicht  in  die  entsprechende  Lage 
bringen  kann,  wird  sie  immer  ungeduldiger.  Ich  nehme  sie 
endlich  und  lege  sie  auf  den  Divan.  Gleich  darauf  kommt 
die  Mutter  mit  den  anderen  Kindern  nach  Hause. 

Trotzdem  das  Kind  blühend  aussah  und  sich  sehr  wohl 
befand,  hat  es  doch  in  den  zwei  Stunden  nur  wenige  Laute 
von  sich  gegeben. 

ane  „Marianne" 

anan  „Johannes" 

de  hinweisend  „da" 

Beim  leisesten  tadelnden  Tone  verhüllt  Martha  ihr  Ge- 
sicht und  lässt  ein  Kehlkopfbrummen  hören. 

Wie   sie   etwas   haben   will,    sagt   sie  nur   die   Laute  a'  a 
(mit  doppeltem  Kehlkopfverschlusse)  dafür,  was  wohl  ^^hdben"' 
ausdrücken  soll.      Den  Gegenstand,    den  sie   will,    deutet  sie 
durch  Gesten  an. 

Als  Gretl  (30.  9,  03)  ein  wieherndes  Pferd  nachahmt, 
läuft  M.  auf  uns  zu  und  versucht  es  auch. 

Martha  2  Jahr  3  Monate  alt. 

12.  9.  03.     Ich  sage  zu  Martha:    ,,Sag  danlceV^     Sie  ant- 
wortet: „dan^'.    Es  war  das  erstemal,  dass  sie  etwas  nachsprach. 
Martha  2  Jahr  4  Monate  alt. 

mi  „Milch" 


186 

ja  „ja"  25.  9.  03. 
na  „Kastanie" 

bo  „zerrissen",  eig-entlich  ,, gebrochen" 
Wenn  Martha  die  Grete  ruft,    sagt  sie  dodol     Sonst  sagt 
sie  hur  do,  zu  ihr  und  von  ihr  sprechend. 

Martha  2  Jahr  5  Monate  alt. 
be  „Bett" 

bii  ,,bubi" 

ti  ,, Tisch" 

)H0  ,, Knopf" 

hi  ,, picken" 

bii  ,, Puppe" 

ha  ,, baden" 

änän  „Johannes" 

tje  ,, adieu" 

hu  ,,hut" 

hi  „Papier" 

bei  „Bleistift" 

bal  „Ball" 

nii  „ich",  also  aus  ,,mich"  entstanden. 

a\  „auch",  „ich  will  es  haben i" 

Im  Oktober  03  sagt  M.  einmal  sich  zärtlich  anschmiegend 

zu  mir  mal  korrigiert  aber  dann  ^a!   Ihr   erstes  Versprechen. 

a-njahl  (Ich  deute  die  Silbentrennung  an)  „Mariane". 

Martha  2  Jahr  6  Monate  alt. 
pi  ,, Pinsel" 

bü  „Bürste" 

nä  „nähen" 

ma  „Mama".     Aber  im  Rufe  langezogen  mämä. 

mamal  hi  „Mama!  Ich  springe" 

mi  pa  da  „Papa  soll  bei  mir  da  bleiben" 

Xein,    aber   sehr   undeutlich    ausgesprochen,    wurde    um 

diese  Zeit  beobachtet. 

/(  „Stuhl",  „Hut" 

bu  „Buch",  Bussi" 

ne  „Schnee" 

Jan  „Tante" 


187 

Gegfen  Ende  November  1903  trat  vollkommen  deutliches 
und  richtig"  verwendetes   Nein  auf. 

Martha  2  Jahre  7  Monate  alt. 

&a  „Krampuss" 

me  „Messer" 

ho  „Polster" 

de  „Decke" 

wei  „Fleisch" 

Ei  „Ei" 

e  „essen" 

en  „Eng-el" 

bomm  „komm" 

nei  „schneiden,  schneien" 

tveua  „Feuer" 

dan-dan  mi-mi  bed  „die  Stange  von  meinem  Bett  (ist 
heruntergefallen)" 

Martha  sieht  ein  Buch,  das  „Tante"  Reinitzer  gehört. 
Jan  Je^,  mama  nein,  dede  nein,  änän  nein,  papa  nein  „(das 
gehört)  Tante  Reinitzer,  der  Mama?  Nein,  der  Grete?  Nein, 
der  Marianne?  Nein,  dem  Papa?  Nein. 

Martha  3  Jahre  8  Monate  alt. 

mü  ,,müde" 

mam  ,,Mann" 

bei  „Bleistift" 

bä  ,, Eisenbahn" 

beij  ,, Papagei" 

hal  „ja!" 

na  be  0  „Die  Tapeten  oben  knacksen^'. 

bui  nachgesprochen  für  „Bubi".  Sie  spricht  gerne  nach, 
aber  der  Erfolg  ist  schlecht. 

e  ,, essen" 

di-di  heisst  eine  kleine  Musiktrommel. 

wau  „Frau" 

mü  „Gemüse" 

jei  ,, Kleid" 

bir  „Papier" 

bui,  nui  ,. Spule" 


188 

mama,  bi-hi,  nui  nü-nü  ,,Mama,  bitte,  die  Spule  zum 
Nüsse  (aufschlag-en)". 

Martha  2  Jahr  9  Monate  alt. 

hau  ,, Bauch".  Sie  hatte  einmal  nach  dem  Genüsse  von 
Wursteln  ,, Bauch  weh''.  Seit  der  Zeit  schlägst  sie  sich  beim 
Anblick  von  Wursteln  auf  den  Bauch  und  sagt  in  klagendem 

Tone  bau\ 

Sie  macht  oft  verzweifelte  Anstrengungen,  sich  verständ- 
lich -zu  machen,  aber  es  gelingt  ihr  nicht.  Sie  hat  schon 
einen  Schatz  von  Kenntnissen  aber  wenig  verständliche  Wort- 
bilder. Sie  versteht  aber  sehr  gut.  Wenn  man  z.  B,  von 
ihr  sag-t:  „Die  Martha  wird  dort  herunterfallen",  ruft  sie  sehr 
bestimmt:  ,,Nein!*' 

dei , .gleich".  Ihre  Antworten  sind  äei,  nein  oder  he  „später". 

em  ,,Hemd" 

tun  „ Strümpfe'"' 

ür  „Uhr" 

nö  ,, Knöpfe" 

ör  „Ohr" 

mama,  nicht  mehr  ma  „Mama" 

häja  ,, Bändel" 

mo  „Knopf" 

mama  häja  nü  „Die  Mama  muss  das  Bandl  annähn" 

homo  „Domino'* 

hem  „Hemd"  (8  Tage  nach  em) 

haha  „Sacktuch" 

ja  ja  „Schachtel" 

tva  „Wasser" 

au  te  „auch  Tee !" 

her  „Herr" 

he  , .brechen" 

in  „Ring" 

auten  „aufstehn" 

mu  „IMuschel" 

wü9r  „früher" 

hü  „bügeln" 

hau  „schau" 


189 

tvu  „Wurstl" 
heml  ,, Semmel" 
bi  ,, spitzen^' 
ho  „Stock" 
mo  ,,noch^' 
en  „eng" 

i  ,,ich"  findet  sich  schon  öfter,    während  sie  bis  jetzt  ml 
für  ,,ich"  g'csag't  hat. 
au  „auch" 
hibir  „Papier" 
we-tve  ,,Cafe" 
bau  ,, bauen"  (und  ,, Bauch") 

Martha  2  Jahr   10  Monate  alt. 
bäja  heu?   fragt  M,   die  Mutter,    indem  sie   ihr   ein  Stoff- 
fleckchen  zeigt.     Das  heisst:  „Schenkst  Du  mir  das  (Fleckerl) 
Bandl?" 

Soll  Johannes  die  Spielsachen  aufräumen,  so  ruft  sie 
gleich  Jie-Jie  „helfen  (will  ich) !" 

ich  und  mir  werden  schon  oft  richtig  verwendet. 
diu  ,, trinken" 

mama  decle  hol  ,,Mama  ging  die  Grete  holen" 

hüch,  hü  „Schürze" 

mama  aupuln  „Mama  tut  aufspulen" 

Johannes  sagt:  „Martha  ist  schlimm,  weil  sie  am  Stuhl 
kniet".  Da  ruft  M.  sehr  erregt:  himm  mi-mi  nien?  nein 
„schlimm,  ich  knien?   Nein!" 

we-we  ,, Serviette" 

papadei  ,, Papagei" 

hubala  „Schuhbandl" 

popo  ,, stoppen" 

beinme  ,, Beinmesser" 

örwe  „Ohrenweh" 

hör  mamal 

nl  mama  bommt  „nicht  kommt  die  M." 

danwe  „Zahnweh" 

mii  ,, Schnupfen" 

ham-ham  „Lampe" 


190 

hö  „Honig*' 

ho  „Brot",  „Stock" 

jci  „Kleid"  (noch  immer) 

wei  „zwei" 

alla  nem  „alles  nehmen" 

kirn  nä  ni  bomt   „die  schlimme  Näherin  kommt  nicht" 

bö  „böse" 
pupa  „Puppe" 

einmian  „einschmieren" 

nein,  bau  i  ni  „Nein,  brauch  ich  nicht" 

dede  hör  oder  niama  hör  „gehört  der  Grete,  der  Mama" 

neua  hähä  „neues  Sacktuch" 

hau   papa   wil    mo    ein   wil  „Schau,    Papa,    eine  Fliege! 
Noch  eine  Fliege!" 

hab  hon  ,,hab'  schon" 

dei  bu  „gleich  gut" 

aufhei  „aufschreiben" 

himm  niä  „schlimmes  Mädel" 

nein  haühaü  ,,nein,  (ich  bin  keine)  Raunzerin" 

dinnen  a  dinima  „drinnen  im  Zimmer" 

de  hol  „geh'  holen" 

ich  ha    woln    büei  das  da    „Ich   hab    das   Bügeleisen   da 
haben   wollen" 

alla  dein  „alles  ist  mir  zu  klein" 

abni  ,, abgeschnitten" 

wi  bu-bu  de  ,, viele  Bussi  geben" 

na-na  ,,gute  Nacht" 

a2i  hei-hei  „auch  Seife" 

we-ice  ,. Kaffee" 

dau-dau  „Kakao" 

dijjpo  „Kipfel" 

das   da  mi-mi  höH  sagt    sie   bei   allem,    was   sie   als   ihr 
Eigentum  kennt. 

Wie  sie  mit  2  Jahr  11   Monaten  sprach,  davon  wenige 
Proben. 

dei    bn    „gleich    gut"    („gleich   gut   sein"   im   Sinne  von 
„wieder  gut  sein") 


191 

umwal  „umfallen" 

wi  hu  de  „viele  Bussi  geben". 

Martha  3  Jahre  alt. 

Ich  spreche  ihr  einmal  Frestidigitatciir  vor,  Sie  sagt 
petititetör.  Das  war  nicht  so  übel,  und  gab  mir  Hoftnung-, 
dass  ihre  sprachliche  Entwicklung  nun  rascher  vor  sich 
gehen  wird. 

daka  (sie!)  mir  hör  „das  da  gehört  mir",  mir  gebrauchte 
sie  schon    seit  einiger  Zeit   statt   des    früheren   mi. 

wer  tvi  de,  ich  him-bim  mach  „Wenn  jemand  über  die 
Wiese  geht,   mache  ich  bim-bim". 

ahein  „allein" 

hama  hon  „hammer"  (dial.  für  haben  wir)  schon" 

hitei  „Hilmteich" 

täta  „Zahnarzt" 

är  abnitt  ,.Die  Ärmel  sind  abgeschnitten" 

ivi-wi  mämmer  bommt  „Viele  Männer  kommen" 

ma  ni  mir  „macht  mir  nichts. 

3  Jahre  2  Monate  alt. 

einher),  „einschenken" 

dene  hu  „Zähne  putzen" 

mur  wei-wei  i-i  e-e  „nur  Fleisch  esse  ich" 

ivoivorn   „verloren" 

^  ni  ha  de,  mur  buhaun  „ich  geh  nicht  baden,  nur  zuschaun" 

^  hauhau  dm  „ich  will  vorausgehn" 

hau  hihi  „blaue  Schürze" 

mepei  „Mehlspeise" 

Martha  3  Jahr  3 — 6  Monate  alt. 

nein  i  ni  ti-tiivei  hihi    „Nein,  ich  kein  Tischlerweib  bin" 

mama,  hi-hi  hambi  „Mama,  bitte  zusammenbinden" 

neua  hua  andi  „neue  Schuhe  anziehn" 

di  jeia?  „dieses  Kleid" 

hahau  den  „nach  Hause  gehn" 

hu  ni  ivo  den  „Du  nicht  fort  gehn!" 

honiama  „Gross mama" 

hu  himma  bu  hi  „Du  bist  ein  schlimmer  Bub" 

hon  „Toni" 


192 

nö-nö  „Knöpfe" 
hir  „Schere" 
nu-me  „Messer" 

hi-bi  ho  hi^    ich  an  lud  drn   „bis  ich  gross  bin,    geh  ich 
auch  in  die  Schule" 

wowar  i  bomama?  „fortgefahren  ist  die  Grossmama?" 
i  au  hui  bau-bau  „ich  auch   den  Stuhl   brauche** 
me-me  ha  „möchte  haben" 

Um  diese  Zeit  lernt  sie  ihren  Namen  leidlich  richtig 
nachsagen  (15.  10.  1904).  Bisher  sagte  sie  ma-ma  nach. 
wei  mama?  „wcisst,  Mama?"  Wird  oft  gesagt. 
ivohi  demeibüei?  „wohin  hastDu  mein  Bügeleisen  gegeben?" 
hi  mama,  das  da  nem  ich  „siehst,  Mama,  das  nehme  ich" 
neiv,  das  ni  mir  hör,  das  hä-hä  hör  „nein,  das  gehört 
nicht  mir,  das  gehört  dem  Johannes" 

mama,  hau,   wo  mei  hamma  „Mama,   schau,   wo  ist  mein 
Hammer?" 

ni  toar,  da  hä-hä  hör  „nicht  war,  das  gehört  dem  Johannes?" 
bo-bo  na  einha  „grossen  Nagel  einschlagen" 
ich  auch  we-wehaus  de  „ich  will  auch  ins  Kaffeehaus  gehn! 
bu  ni  wo  de  mama,   bu   hahau  dei    ,,Du  gehst  nicht  fort 
Mama,  Du  bleibst  zu  Hause". 

lüei  mama,  mir  hör  bü-bü  ,,weisst  Mama,  mir  gehört  das 
Büchl" 

hä-hä  umha  de    „dem  Johannes   einen  Umschlag  geben" 
mei  wau  dan  hi-hi  „meine  Frau  ist  krank" 
eräpa  dau  hi-hi  ,, Erdäpfel  drauf  sind" 
das  ho  bu  hi\   „das  so  gut  ist" 
bebejei  ,, Bäckerei" 
bumbalja  „Strumpfband" 

tvei  mama,  bu  he  aude  tver  „weisst  Mama,  du  später 
aufsteh n  wirst". 

wei  mama,  i  ni  änbä  tver  jeia,  he-be  wode  wer;  papa  au 
wode?  papa  hi  -hö  ivode?  ,, weisst  Mama,  ich  werde  nicht 
anpantschen  das  Kleid,  (weil  wir)  später  fortgehen  werden", 
(wird)  der  Papa  auch  fortgehn?  Ist  der  Papa  schon  fort- 
gegangen?" 


193 

26.  II.  1904  Zum  erstenmal  du  „Du",  aber  noch  nicht 
immer. 

dumm  richtig  nachgesagt,  ebenso  toni  „Toni" 

na-na  bo-ho   ,,Schnackerl  stossen  (=  Schluchzen  haben)" 

ich  ha  mä  hin  ,,ich  bin  ein  braves  Mädi" 

mama  he  mi  andi\   „Mama,  jetzt  mich  anziehn!" 

han-han  „Handschuhe" 

hoi-hoiy  wa-iva  hui  ,,Dolfi,   warte  Du!" 

demma  wir  wo  ,,gehn  wir  fort" 

mu  den  ,,nuntergehn" 

oje  oje  mama  ni  mer  da  ,,0  je,  die  Mama  ist  nicht  mehr  da" 

wau  he-he  „Frau  Rätin" 

wa  da  dl  war?  ho,  buhubo  di  war?  „was  da  drinnen 
war?    So,  Butterbrot  war  drinnen?" 

ne-ne  mal  ich  au  mitde   „nächstes  Mal  geh  ich  auch  mit^ 

ich  au  huitata  nem  „ich  nehme  auch  eine  Schul- 
tasche" 

8.  10.  04  beim  Aufwachen  weint  sie:  i  ni  haha  dan, 
ima  hem-hem  ma  „ich  kann  nicht  schlafen,  es  macht  immer 
bem-bem".  Es  war  nämlich  eine  sehr  stürmische  Nacht  ge- 
wesen. 

mama  iva  ma  du  denn  da?  ,,Mama,  was  machst  Du 
denn  da?" 

wei  er  mi  hühü  ha-ha  „weil  er  mich  auf  den  Rücken 
geschlagen  hat" 

dan  hon  ahein  mu  den  „kann  schon  allein  hinunter  gehen" 

huhi  „Kugelspiel" 

her  „Schere" 

we-we  „Fleckerl" 

we-we  din  „Kaffee  trinken" 

dau-dau  ha  ich  „draussen  schlafe  ich" 

haüi  „Sacktuch" 

mu-mu  ha  ich  „Schnupfen  hab'  ich" 

ich  iver  mei  potne  auhe  „ich  werde  .nein  Portemonnaie 
aufheben" 

mur  eima  hu  ha  „nur  einmal  hab'  ich  gerufen" 

dau-dau  ho  mu-mu  hi  „draussen  ist's  so  schmutzig" 

Me  ring  er,    Aus  dem  Leben  der  Sprache.  1" 


194 

haha  ha  immu,   da   ich  ein  da-da  mä  hi    „Johannes  sag^ 
immer,  dass  ich  ein  (ja-ga  (garstiges)  Mädl  bin" 
maM  „Marie" 
mi-mi  „Mizi" 

hä-hä  dor  c-e  du  ?  „Johannes  dort  essen  tut?" 
mei  hubuwa  ^mein  Puppenwagen" 
ich  au  hur  mc  ich  „ich  auch  turnen  möchte  ich" 
ich  dan  ni  mi  andi  „ich  kann  nicht  mich  anziehn" 
mei  hir-hir  „meine  Schürze" 

Martha  3  Jahr  9  Mon.  alt. 
14.  3.    1905   Martha  sagt  zum  erstenmal  ja\ 
toni  ho  hi-hi  nei  „Toni  solche  Gesichter  schneidet". 

3  Jahr  II  Monate,  de  mir  der  dei(n)  dämm  „gib  mir 
den  kleinen  Kamm"  (9.  5.  05). 

dan  wo  he?  „Können  Vogel  reden?"  Bemerke  dan,  das 
ein  liunnen  voraussetzt,  nicht  ein  können,  also  zu  den  Fällen 
von  Ausgleichung  des  Ablauts  gehört. 

4  Jahr,  ich  me  ho  dern  anhaun  der  depa\  „Ich  möchte 
so  gerne  anschaun  den  Krebs I"   4.   7.  05. 

den  wir  hau-hau  „gehn  wir  nach  Hause". 

henima  „Semmel". 

da  mümü  ma  ich  nll  „Das  Gemüse  mag  ich  nicht!" 

i  die  dete  in  hui  dana?  „Ist  die  Grete  in  die  Schule 
gegangen?" 

171  dei  järn  loer  i  au  in  hui  den  „In  drei  Jahren  werde 
ich  auch  in  die  Schule  gehn". 

Das  waren  schon  die  bedeutendsten  sprachlichen  Lei- 
stungen des  Kindes. 

hodendate  „Correspondenzkarte" 

4  Jahr  I  Monat.  Martha  sah  einem  Wagenunglück  zu. 
Die  Pferde  gingen  durch,  der  Kutscher  kam  zu  Fall  und 
blutete  stark.     Sie  kommt  nach  Hause  und  erzählt  (27.  7.  05): 

der  huhu  ha  ho  dehuhn  „Der  Kutscher  hat  so  geblutet." 

Dass  uns  bei  solchen  schlechten  Fortschritten  die  ernsteste 
Sorge  beschlich,  ist  begreiflich.  Nach  wenigen  Monaten  noch 
verhältnismässiger  Stummheit  fing  Martha  plötzlich  zu  sprechen 
an,  und  nun  kam  alles  so  rasch  und  unvermittelt,  dass  ein  Auf- 


195 

zeichnen  kaum  mehr  mögUch  war:  Die  Sprache  war  so  gut 
wie  plötzUch  da,  aus  der  stummen  Martha  war  eine  redende 
geworden.  Ihre  „innere"  Sprache  war  gewiss  längst  fertig, 
nur  die  äusseren  Organe  standen  unter  irgendwelchen  Hem- 
mungen. 

Einige   Fehler   macht  sie    noch  jetzt,   in    ihrem  6.  Jahre. 

manchmal  hinter  mir  und  manchmal  vorder  mir. 

ohne  sie  iveiss,  es  ist  meine  mutze,  hat  sie's  runter  gerissen 
„ohne  dass  sie  gewusst  hätte,  dass  es  ihre  Mütze  ist,  hat  sie 
sie  herabgerissen." 

kandddedd  „Katheder" 

was  das  lusfere,  das  lusterste  (Lustigste)  ist,  kann  ich  nicht 
sagen. 

Ein  grosses  Verdienst  um  die  sprachliche  Entwicklung 
des  Kindes  hat  sich  meine  Frau  erworben.  Als  es  gar  nicht 
mit  dem  Sprechen  vorwärts  gehen  wollte,  nahm  sie  das  Kind 
in  ein  stilles  Zimmer  und  begann  mit  ihm  Sprechübungen. 
Gutzmann')  sagt:  „Der  Einfluss  des  fortwährenden  Sprechen- 
hörens auf  das  (sprechunlustige)  Kind  wird  sich  bald  zeigen." 
Das  bewährte  sich  hier,  wo  die  Mutter  mit  dem  Kinde  allein 
war  und  jede  Störung  ferngehalten  wurde,  so  sehr,  dass  es 
gar  nicht  lange  dauerte  und  die  „Lektionen"  waren  nicht  mehr 
nötig.  Die  Sprechlust  war  einmal  erregt,  und  alles  Übrige 
machte  sich  von  selbst. 

Ich  schliesse  hier  eine  Bemerkung  an,  die  ich  nicht  besser 
unterzubringen  weiss.  Gutzmann  erwähnt,  dass  die  Angehörigen 
von  sprechunlustigen  Kindern  oft  verlangen  der  Arzt  möge 
dem  Kinde  das  Zungenbändchen  durchschneiden.  Er  hält 
das  in  den  allermeisten  Fällen  für  sinnlos.  Aber  er  berichtet 
weiter,  dass  in  manchen  Gegenden  die  Hebammen  mit  dem 
Fingernagel  das  Zungenbändchen  durchreissen.  Hier  liegt 
offenbar  ein  alter  Volksaberglaube  vor,  der  das  „Lösen  der 
Zunge"  befahl.  Die  Sache  wäre  weiterer  Aufmerksamkeit  wert^). 


^)  Über  Verhütung  und  Heilung  der  wichtigsten   Sprachstörungen    S.  7. 

-)  Die  alten  Jäger  schnitten  den  Raben,  Dohlen,  Elstern  und  Hähern  das 
frenulum  durch,  damit  sie  leichter  sprechen  lernen.  Marshall's  Anm.  zu  Garner's 
Die  Sprache  der  Affen  S.   106  auf  S.   178. 

13* 


196 

4.  Vika  Cartellieri. 

Geboren  3.  Juni   1897*). 

Von  den  „ersten  Lauten"  notierte  Cartellieri  bloss:  akru 
akrä  atta  (jatta-gatta  galt  arolla  rolla  rait  papapa  papap  papa 
pap  papi  apaij  ahl  mannama  mmama  mama  ive  ivc 

I  Jahr  6  Monate. 

a  petsi,  a  pcfsi  (ihr  Brüderchen  Peter) 

hüwi  „Bubi"' 

häsi  „Hasi" 

medi  „Mädi" 

aä  ivi-wl 

oto-teati  „Hotopferdi" 

hitta  Uta  liitta  ditta  „Vika" 

imm  „Rüben" 

niimme  „Birne" 

arli  „Karl"  und  „Hare"    (offenbar   „Karli"    und    „Harli") 

*aisi  „Fleisch" 

'rt/s/  „Wasser"  („Glas  Wasser") 

tet  auivus  „da  steht  der  Krampus" 

iör,  „Nikolo"  (der  hl.  Nikolaus) 

iutta   „Himmelmutter" 

puppi  „Suppi";  popß  „Topf",  „Erdäpfel";  podl  „Brot"; 
mammä  popp  „Mama  kommt";  ajjß  Uli  „Apfel  schälen";  ettot 
„Helf  Gott!";  mama  memmi  „Mama,  nehmen!";  miuch,  pliich 
„Bilderbuch";  'ammi  „haben";  titter  „Zither";  wetti  „Serviett"; 
betti  „Bett";  autesa,  otesa  „Augengläser";  Uli  ,, Brille";  papä 
lihl  (warnend)  „Papas  Buch!";  tätsi,  taitsi,  taitsi  „tanzen"; 
pt2n  „Papier";  ekJceing  „Schmetterling";  tat  „Hut";  pupß 
„Strumpf". 

Vika   I   Jahr  7  Monate  alt. 

4.  I.  99.  Nene  pape  mamä  hoch  ,, schöne  Lampe,  Mama 
gebracht"  sagt  V.  auf  die  neue  Lampe  zeigend,  ganz  spontan. 

Aüiüus  müm  müm  (zeigend)  ti,  dittä  baf  „Der  Krampus 

')  Ich  gebe  hier  die  täghchen  Aufzeichnungen,  die  mir  W.  Cartellieri, 
zuletzt  Professor  des  Sanskrit  in  Innsbruck,  seinerzeit  in  Wien  geschenkt  hat, 
mit  Beibehaltung  von  Cartellieri's  Lautdarstellung  wieder.  Die  Zeichen  sind 
dem  Linguisten  wohlbekannt. 


197 

hat  bumbum  g-emacht  an  die  Tür  (von  aussen),  da  war  die 
Vika  (g-leich)  brav",  erzählt  sie  der  Tante,  die  zu  Besuch 
konnimt,  wiederholt,  auch  am  Schlüsse  ein  treuherzig  beteuerndes 
jäl  anfügend. 

bitti-hittil  sammt  Geste  „bitte  bitte"  (früher  sagte  sie  bl-M); 
wenn  recht  dringend,  dann  sagt  sie  bibittil 

tauivi  ,, Taube"  (früher  auwi) 

tetsi  ,, setzen".  Sie  sagt  manchmal  vielfach  nacheinander 
testi  tsetsi  tetsi  setsi  bibittil  tetsi  bibettil,  wenn  sie  auf  den 
Schoss  gesetzt  werden  will.  (Das  letzte  e  ist  Nachklang  der 
früheren,  versprochen). 

4.  I.  tseln  ,, schälen"  (früher  Uli), 
tse  „Schnee" 

5.  I.  äpapei,  auch  pdpei  ,, Papagei"  (im  Bilderbuch) 
mm  (mmch)  ätsaü  {äsaun)\  „Bilderbuch  anschaun!" 
gögi  „Vogerl" 

metsenin  ,, Schmetterling";  nach  mehrfachem  Verbessern 
metteling. 

butter  (eig.  bütter)  ,, Butter" 

örlärli  „Cartellieri" 

petsi-t-oto  ,,dem  Petschi  sein  Hoto-Wagerl" 

tatatapiippie  (gesungen)  ,,tarara  bumdieh" 

leleräpß  , .Schälapfel"  „Apfel"  überhaupt.  Das  Schälen 
ist  ihr  besonders  interessant. 

gaucli,  pauch,  tauch,  naucJi,  ^aucli  sind  Versuche,  Brauch 
wiederzugeben. 

mim  mam  ,,bimbam" 

7.,  8.   I.  tsessi.  sessi  „Sesserl" 

Papa  zieht  die  Stiefel  an;  sie  setzt  sich  zu  ihm  auf  den 
Boden,  weil  das  Zuschnüren  sie  sehr  interessiert  und  sagt: 

2Mpä  tsü  ätsi,  dittä  tets  ,,Papa  Schuh  anziehn,  Vika  setzen". 
tsü  ist  nicht  etwa  dial.  cVScliuJi,  was  sie  nie  hört. 

memmil  bedeutet  den  Wunsch  auf  den  Arm  genommen 
zu  werden.  Nach  der  widerholten  Bitte,  die  verstärkt  als 
ditta  memmi  bibitte  auftritt,  wird  sie  genommen  und  sagt  dann 
befriedigt:  ditta  mümmi.     Was  ist  tnümmi'^ 

dittä  tsen  „Vika  schön"  (sich  im  neuen  Kleid  bewundernd). 


198 

Aber  nene  päpel  „schöne  Lampe!" 

plf  „Brief**.  Aber  täte  dittä  tif  „der  Tante  Vika  ihr  Brief." 

,,Anschaun"  heisst  jetzt  nicht  mehr  ätSaun  sondern  änt- 
Saun,  das  wie  aintsaun  kling-t. 

ut^imi  „haben".  Sehr  liäufig  gebraucht,  -i  ist  ihr  eigener 
Zusatz. 

Vika  hat  drei  neue  Schürzchen  (titsi)  erhalten,  zwei  blaue 
(fall),  ein  rotes  (clöt).  Bei  dem  Versuche,  ihr  die  Farben  und 
die  Bezeichnungen  einzuprägen,  läuft  sie  weg. 

•  Ihr  Bruder  Petschi  langt  nach  einem  Apfel.  Sie  sagt 
lachend:  apß  ammi  petsi  „Apfel  haben  Petschi". 

Sie  hört,  dass  ein  Bilderbuch  ihr  von  Herrn  Pepper  ge- 
schenkt worden  ist.  Das  nennt  sie  von  da  ab:  ä  {er)  peppa 
miuch  „Herr-Pepper-Bilderbuch'*. 

Man  sagt  ihr,  der  Krampus  habe  die  zerbrochene  Puppe 
mitgenommen.  Sie  wiederholt:  anivus  {aiwiis,  aijus)  midommi 
midjommi  amvus pepi  (Name  der  Puppe)  mihommi.  Und  später: 
pepi  mommi,  auwus  pepi  mommi  usw. 

häpßff  „Bleistift"») 

aisi,  aisi  ,, Wasser",  obwohl  sie  das  Wort  ganz  gut  nach- 
sprechen kann. 

12.  I.     waiser  „Wasser"  {s  dem  ch  ähnlich) 
naisi  „Nase" 

monne,  monje  „Sonne". 

13.  I.     st)}  (zweisilbig;  <•  nasaliert)  „schälen"  (früher  h'li) 
pepi   taidi  autsitl    sagt    Vika,    nachdem   sie   ihrer  Puppe 

namens  Pcppi  das  Kleid  ausgezogen  hat. 

tätlich  papal  Sinn:  „Da  liegt  dem  Papa  sein  Sacktuch!" 

tsessi  ditta  dmm  ,,Das  Sesserl  will  die  Vika  haben".  Zum 
I.  Mal  dmm  statt  dmmi. 

petsi  ninna  eihei  ,, Peter  drinnen  (im  andern  Zimmer) 
schläft,"  Spontan  gesagt. 

hüt  auß  sagt  Vika  von  der  Puppe,  die  einen  Hut  aufhat. 
Das  i  von  auß  falsche  Analogie,  oder  es  war  beabsichtigt  liüti 


'j   Ein   anderer   Knabe,   Hans   Schima,    dessen   Sprache   ich   nicht   mehr 
bringen  kann,  sagte  zweijährig  babupf. 


199 

auf.   Dann  versprochen,  Postposition.    Das  mundartliche  aufß 
hört  das  Kind  nie,  würde  hier  auch  gar  nicht  passen. 

14.  I.  Peter  ist  im  Nebenzimmer  erwacht  und  schreit. 
Vika  ruft,  wie  sie  es  von  der  Mutter  gehört  hat: 

petsi,  pöp  sön\  „Petschi,  komm'  schon!'" 

petsi  möch?  —  apäpfil  „Was  hat  der  Peter  gemacht? 
—  Abgestrampelt!" 

ditta  möch?  „Was  hat  denn  die  V.  gemacht?"  (wenn  sie 
etwas  angestellt  hat). 

äpäp  auch  „Der  Hampelmann  auch". 

In  den  nächsten  Wochen  war  Cartellieri  in  Innsbruck. 

31.   I.     biUdahiich  „Bilderbuch" 

Neben  ämmi  schon  hämmi  „haben".  Sie  sagt  nicht  nur 
papi  hammi,  wenn  sie  essen,  ivaisa  hammi,  wenn  sie  trinken 
will,  sondern  auch  mama  hämmi  als  Ausdruck  der  Sehnsucht 
nach  der  abwesenden  Mutter,  petsi  hammi,  wenn  sie  mit  dem 
Brüderchen  spielen  will;  ja  sogar  iviwi  hammil  Auch  tatsi 
hammil  „tanzen  haben",  wenn  ihr  der  Vater  das  Lied  spielen 
soll,  nach  dem  sie  gewöhnlich  tanzt. 

fai  „zwei",  fi  ,,vier" 

Sie  hält  in  jeder  Hand  eine  Puppe  und  sagt,  das  Zählen 
nachahmend,  fai  fi  pepi  „zwei  vier  Peppi".  Ihre  Puppen  be- 
nennt sie  alle  Peppi.  Ebenso  sagt  sie  fi  aits  „vier  —  eins", 
indem  sie  die  Knöpfe  an  des  Vaters  Weste  zählt. 

Das  Kind  nennt  sich  selbst  die  ditta.  Es  kann  ganz  gut 
Vika  nachsprechen,  bleibt  aber  bei  ditta,  wie  auch  die  Um- 
gebung sagt.  Vilia  spricht  sie  so  nach,  dass  es  oft  wie  blosses 
Tcka  klingt,  dass  also  die  betonte  Silbe  wegfällt! 

hatsihäd  „Franzensbad" 

ispuck  ,, Innsbruck" 

I.  3.  höpjyä  ämmi  „Hoppa  haben",  wenn  sie  aus  ihrem 
Sessel  gehoben  werden  will. 

pauivi  ,, Tauben"  (früher  auwi) 

Am  2.  3.  99.  verreiste  Cartellieri  wieder  nach  Innsbruck 
und  kehrte  am  9.  nach  Wien  zurück. 

Unterdessen  einige  bedeutende  Veränderungen. 


200 

Vika  I  Jahr  8  Monate  alt. 

lO.  2.  häwi,  hauwi  „haben".     Nicht  mehr  ammi. 
Die  Assimilationen  verlieren  sich. 

fimm  „schlimm";  früher  mimm 

Öffater  „Grossvater";  früher  otater 

sein  „schälen";  früher  Jeli 

^eler  „Schäler"  (Schalen);  früher  leler. 
Wegen  Krankheit  keine  Aufzeichnungen, 

2o.  2.  simm  „schlimm" 

bene  läppe  „schöne  Lampe" 

hepp  „Hemd",  heppi  „Hemdi" 

fäm  (zweisilbig-)  „Schwalben" 

fätsihäd  „Franzensbad" 

eder  „Eger"  (nachgesprochen) 

ummogn   „guten  Morgen!" 

22.  2.  Sie  will  die  grosse  Puppe  haben,  die  sie  zerbrochen 
hat  und  die  ihr  deshalb  weggenommen  wurde.  Man  gibt  ihr 
eine  kleinere,  die  sie  aber  nicht  mag: 

Nein  neinl  össe  pepi,  ditta  bochl  „Nein,  nein,  die  grosse 
Peppi,  die  die  Vika  zerbrochen  hat!"     Ein  Nebensatz! 

2.  3.  Die  assimilierten  Formen  werden  durch  richtigere 
bedrängt,  aber  noch  nicht  beseitigt.  Das  Neue  erscheint  neben 
dem  Alten. 

attoffe  „Kartoffel"   {popftl 

stiipf  „Strumpf"  (pupfi) 

goJcJier,  dohker  „Dotter" 

gukka-hetti,  sukka-betti,  tsiikka-hefti  „Zudeckbetterl" 

ncnasln  „Nähmaschine" 

eggi  (oder  ekki)  „Engerl" 

sai  „Scher" 

aisiupp  „einstuppen"'  (mit  Puder) 

ätsaun   „anschaun" 

täte  „Tante" 

häti  „Handi" 

Diese  Beispiele  (und  eggi)  zeigen,  dass  auf  dieser  Stufe 
n  vor  Konsonant  noch  nicht  gesprochen  wird. 

sam  „Schwamm" 


201 

hüder  „Bruder" 

näkhamäki  ,,Nackermandl^'  (auf  mäkJcamaki) 

3-  3-  99-  tauwi  ,, Taube"  neben  pauivi 

menasin  neben  nenasln  „Nähmaschine". 

Kohlen  wird  nachg-esprochen  höln,  töln,  thöln,  fsöln. 

die  ditta  ätsaun  mamä  papi  toche  „Ich  will  zuschaun,  wie 
die  Mama  das  Essen  kocht." 

Sie  nennt  sich  zum  i.  Male  spontan  Vika.  Das  nächste 
Mal  gleich  wieder  ditta. 

Vika   I   Jahr  9  Monate  alt. 

5.  3.  99.  attucht  „Handtuch" 
sattucht  ,, Sacktuch" 

hilderhuclit  ,, Bilderbuch"  (bemerke  dasselbe  Suffix!) 

appust  ,,Krampus"j  auch  uzv/.  öfter  appus 

Auch  fist  neben  fis  ,, Fisch".  In  allen  diesen  Fällen  ein 
temporär  wirkendes  Individualsuffix  -i. 

er  wird  durch  ai,  ae  wiedergegeben: 

sai  ,, Scher"  und  thaiivi  ,,Körberl,  Körbchen" 

säi  (zweisilbig-)  „Schnee" 

acke  „Jackerl" 

okke  ,,Rockerl" 

tsitte'ing  „Zitherring"  (zum  Zitherschlagen) 

inge  inge  aie  „Ringe  Ringe  Reihe" 

nüniiß,  (dreisilbig)  „ruinieren" 

mittöme  „mitgenommen" 

hä  pepper  mittöme  ,,Herr  Pepper  hat  (es)  mitgenommen" 

die  ditta  ivewe,  austöst  topfi  da  „Ich  habe  Weh-Weh,  ich 
habe  mich  angestossen  mit  dem  Kopf,  da!"  Bemerke  au  =  an. 

6.  3.  fetsi  ,, Zwetschken" 
fimm  simni  tsinim  ,, schlimm" 
fänt  „Schwalben" 

fibe  „Zwiebel" 

fai  „zwei" 

rifaist  „Rindfleisch",     r  ist  uvular.     Wieder  das  t-  Suffix. 

petsi  nin  „da  ist  der  Petschi  drinnen"  (z.  B.  im  Spiegel). 

üter  beit  „unterm  Bett" 

däkkel  „Danke!" 


202 

8.  3«  iHich  ,, Milch"  (palatalcs  ch) 
wü§  ,, Wurst" 

papa  wus,  die  ditta  michpapi  „Pai^a   isst  Wurst,   ich  eine 
Milchspeise". 

di  ditta  sü  ,. meine  Schuhe" 

9.  3.  ä^m  „Arm". 
tsigä'in  ,,Zi8farren" 
stkke  ,, Schinken" 

10.  3.  malike  ,, Mantel" 

cisibaun  ,, Eisenbahn"  (au  etwas  nasaliert) 

ir.  3.  engi  „Eng^erl"  (daneben  noch  efjgi) 

singe  ,, singen" 

12.  3.  pHer  ,, später"  (auch  seter,   fpeter  nachg-esprochen) 

14.  3.  atiwise  „abwischen" 

15.  3.  oks  oder  (aufmerksam  nachsprechend)  ohst  „Ochs". 
Wieder  das  t-  Suffix, 

ba'i,  hae  „Bär"  (in  Schönbrunn) 

waisser  ninne,    him  hum\    „im   Wasser   drinnen    —    bum 
bum!"  sa^  sie  dem  Bären  zusehend. 

pfau  „Pfau"  (ebenfalls  in  Schönbrunn) 

17.  3.  hai  hae  „her" 
dewai  deivae  „Gewehre" 
da  hai  „daher!"  (zeigend) 
auslain  „ausleeren" 

da  sau  hai  „da  schau  her". 

18.  3.  mamä  topp  ,,Mama  kommt"  (früher  popp) 
titte  „Tinte" 

19.  3.  die  ditta  hier  austukke  —  hier  häivi,  noch  ja,  bittel 
„Ich  hab  mein  Bier  ausg-etrunken  —  Bier  haben,  noch,  ja,  bitte!" 

die  ditta  ball  „der  Vika  ihr  Ball  =  mein  Ball". 

20.  3.  papä  hüt  üter  tis  „dem  Papa  sein  Hut  liegt  unter 
dem  Tisch".     Gemeint  war  „auf  dem  Tisch". 

mamä  topt  ,,Mama  kommt".     Beginn  der  Flexion. 

21.  3.  der   petsi  seit   „der  P,   schreit",    der  zum    i.  Mal. 
häti  dem  „die  Hand  geben" 

23.  3.  supiJB  „Suppe" 

speter  „später"  wird  mit  Mühe  nachgesprochen. 


203 

happhnan  ,,lizmpe]msLVLn" 
mich  „Milch"  (l  stark  nasaliert) 
papttüpp  „Papierkorb" 
hiters  thor  „hinters  Tor" 

24.  3.  petsi  spiJcJc  ,,Der  Petschi  springt" 

25.  3.  picqja  iveive  üter  m  „Der  Papa  hat  Wehweh  an 
dem  Knie."  Das  üter  (,, unter")  des  Kindes  hat  allgemeine 
lokativische  Bedeutung  vgl.  oben  üter  tis  „auf  dem  Tische". 

mama  üter  bett  „unter   der  Mama  ihrem  Bett".     Falsche 
Wortstellung. 
lies  „Käse" 
hitter  „Kinder" 
hiche  „Kirche" 

26.  3.  Jiept  (früher  hepp)  ,,Hemd".  Das  dial.  Hembd, 
Hempt  hört  das  Kind  nie. 

pfüshöcln,  füsbödeii,  fuisböden  „Fussboden" 

tsäde  „Zahndl" 

die  ditta  hefi  dä\  „Ich  will  das  Häferl  da" 

mama  tür  aufmachenl  „Die  Mama  soll  die  Tür  auf- 
machen!" 

die  ditta  papi  tochi  „Ich  möchte  Essen  kochen" 

die  ditta  ball  is?  „Wo  ist  nur  mein  Ball?"     Fragesatz. 

die  ditta  mach  däl  „Was  ich  da  mache!"  sagt  sie  meist, 
wenn  sie  etwas  Unerlaubtes  tut.  Von  den  Eltern  hört  sie: 
„Ja,  was  machst  Du  denn  da?" 

29.  3.  se2)f  „Senf".  Sie  lernte  Wort  und  Sache  erst  heute 
kennen.  Alle  Versuche,  ihr  die  richtige  Aussprache  beizu- 
bringen, sind  erfolglos. 

W^enn  ihr  Luftballon  ihr  entkommt  und  an  die  Decke 
stösst,  so  dass  sie  den  herabhängenden  Faden  nicht  mehr  er- 
reichen kann,  sagt  sie: 

bitte  papa  aufhebenl  Das  Wort  kommt  davon,  dass  man 
ihr  Gegenstände,  die  ihr,  indem  sie  auf  dem  hohen  Kinderstuhl 
sass,  entfielen,  aufhob. 

31.  3.  die  ditta  fetta  zumachl  ,,Ich  habe  das  Fenster 
zugemacht". 

die  ditta  papi  harn,  papi  üter  tis,  bittel     „Ich  will   das 


204 

Bappi  (einen  Biskuit)  haben,  das  Bappi  unter  (auf!)  dem  Tisch." 
Sieh  oben. 

I.  4.  2)(ip(>'  hoste  ,,Papa  soll  kosten" 

ivaclier  chocht  ,,das  Wasser  kocht".  Gewöhnlich  aber 
schon  richtig  ivasser.  Nach  mehrmaligem  Vorsprechen  tvasser 
hockt. 

ispult  „Innsbruck".     Wieder  das  -/. 

Vika   I  Jahr   10  Monate  alt. 

3.  4.  die  data  hffe  nunter  fall  ,,Dcr  Vika  ihr  =  mein 
Löftel  ist  hinuntergefallen";  nunter  ist  das  erste  Beispiel  von 
korrektem  nt. 

papa,  taisilaufe,  bittel  „Papa,  lass  den  Kreisel  laufen,  bitte!" 

8.  4.  die  data  füf  such  ,,Ich  fürchte  mich".  Das  Kind 
kann  längst  Vika  sagen,  sieh  30.   i.  99. 

V.  kann  bis  zwölf  zählen,  lässt  aber  immer  elf  weg!  eis, 
fei,  dei,  fi,  fipf,  sekse,  sime,  achte,  neine,  tsene,  fef.  Für  fipf 
sagt  sie  auch  füf,  wenn  man  ihr  fünf  mit  recht  deutlichem  ü 
vorspricht.     Zu  ßpf  vgl.  scpf  =  Senf. 

Die  Mutter  hat  ihr  ein  Spiel  vorgemacht.  Sie  zerriss 
Orangenschalen  in  kleine  Stückchen  und  gab  diese  in  einen 
kleinen  Topf,  dabei  zählend.  Vika  macht  das  nach,  beginnt 
aber  meist  bei  sechs,  zählt  richtig  bis  zehn  und  dann  kommen 
die  andern  Zahlwörter  ohne  Ordnung: 

sekse,  sime,  achte,  neinc,  tsene  (auch  sscne),  achte,  fipf, 
sime  usw. 

13.  4.  die  ditta  papä  lettich  müt  neisteck  ,,Ich  habe  dem 
Papa  seinen  Rettig  in  den  Mund  gesteckt"  (dh.  ,,ich  nahm 
Papas  Rettig  und  ass  ihn"),  lettich  erstes  Beispiel  l  für  r. 
müt  obwohl  die  Lautverbindung  nt  schon  einmal  richtig  ge- 
sprochen worden  war  (3.  4.) 

petsi  uffalt  „Petschi  ist  (im  Bett)  umgefallen".  Woher 
das  -^?     Vgl.  20.  3. 

17,  4.  Statt  bitte  hittel  sagt  Vika,  wenn  sie  recht  eindring- 
lich bittet  hode  bodel  (Ich  habe  gerade  bei  diesem  Worte  auch 
ähnliches  bei  Martha  beobachtet,  aber  viel  später).  Statt  bode 
erscheint  auch  büde  bei  Vika. 

13.  4.  noch  immer  hejH  ,,Hemd*' 


205 

15.  3-  <^^^  <^'^^<^  luppe  fester  ueiivoff't  „Ich  habe  Kluppen 
(zum  Wäscheaufhäng-en)  zum  Fenster  hineingeworfen".  Ge- 
meint war  aber  „hinausgeworfen".  Wohl  Versprechen,  nei- 
ivofft  schwaches  Partizipium. 

17.  3.  Sie  will  in  ihren  Kindersessel  hinaufgehoben  werden, 
sagt  aber:  die  ditta  mmtersteigny  bittel  Belehrt  sagt  sie  die 
ditta  naufsteign. 

Ende  April.  Vika  steht  auf  einem  Stuhl  und  sieht  zum 
Fenster  hinaus.  Sie  sagt:  immer  lets,  immer  lets  (immer 
regnets),  die  ditta  nicht  päpa  (ich  geh  nicht  aus),  mamä  eitaufe 
(sie  sieht  auf  der  Strasse  die  Mutter  einkaufen  gehn)  a  feisch 
Otter  a  lies  „(ein)  Fleisch  oder  (einen)  Käs",  steckt  er  nein 
sacki  nein  poizeimann  hopt  (sie  sieht  unten  einen  Polizeimann 
kommen,  von  dem  sie  gehört  hatte,  dass  er  die  schlimmen 
Kinder  in  einen  Sack  steckt),  mü  kaiwi,  mü  kaiwi,  mü  mü 
(sie  sieht,  dass  Kälber  zum  Fleischer  gebracht  werden). 

Hier  brechen  die  Aufzeichnungen  Cartellieris  ab.  C,  war 
beinahe  vier  Wochen  von  Wien  abwesend.  Zurückgekehrt 
fand  er  das  Sprachbild  Vikas  ganz  verändert.  Sie  selbst 
kannte  ihn  kaum  mehr,  sah  ihn  erstaunt  an  und  wich  scheu 
zurück.  Von  ihren  Reden  verstand  C.  nicht  viel,  die  Mutter 
musste  sie  ihm  übersetzen.  Auch  nach  dreiwöchentlichem 
Aufenthalt  zu  Haus  hatte  er  noch  keine  vollständige  Kenntnis 
der  Sprache  des  Kindes.  Das  Kind  sprach  jetzt  sehr  schnell 
und  nachlässig,  so  dass  sie  halbe  Wörter  verschluckte. 
Cartellieri  übersiedelte  nach  Innsbruck. 

5.  Erich  Reinitzer. 

Geboren  November   1896. 

Aus  den  Aufzeichnungen  des  Vaters  1)  entnehme  ich  nur 
ganz  wenige  Tatsachen. 

Erich  hat  ta  demonstrativ  verwendet.  Mit  16  Monaten 
htt  er  an  Aphthen.  Darnach  war  ta  verschwunden,  um  erst 
nach  fünf  Wochen  wieder  aufzutreten. 

Im  19.  Monate  hängt  er  an  auslautende  Vokale  ein  m 
(vgl.  Johannes  oben  S.    179)- 


')  Friedrich  Reinitzer,  Professor  an  der  technischen  Hochschule  in  Graz. 


206 

adm  für  ad 

hotom  für  hoto  „Pferd'' 

haham  für  haha  „Hund" 

tarn  für  tä 

Besonderen  Wert  lege  ich  auf  folgendes.  Erich  sah  im 
20.  Monat  im  Bilderbuch  das  Bild  eines  schnappenden  Fisches 
und  sagte  dazu  Jiaml  Seit  dieser  Zeit  nennt  er  jeden  Fisch 
ham.  Der  Lautkomplex  ist  also  auch  bei  ihm  ganz  spontan 
entstanden.     Vgl.   oben  Gretl  S.  149  und  Stern  S.  306,  322. 

Auch  Rcinitzer  fiel  es  auf,  dass  sein  Söhnchen  unter  einer 
heftigen  Gemütserregung  plötzlich  ein  Wort  ziemlich  richtig 
sagen  konnte.  Bei  einem  heftigen  Gewitter  sagte  Erich  Donner 
sofort  als  dünm,  iünnS,  tömiä  nach. 

B.  Allgemeines  zur  Kindersprache. 

Man  sollte  eigentlich  nicht  von  der  Sprache  der  Kinder 
oder  gar  von  der  Kindersprachc  sprechen,  denn  es  gibt  streng 
genommen  keine.  Was  wir  darunter  verstehen,  ist  die  Sprache 
der  Erwachsenen  in  jenen  Veränderungen,  welche  die  Kinder 
mit  ihr  vornehmen,  wozu  noch  der  ganz  geringe  Teil  von 
sprachlichen  Äusserungen  kommt,  die  sich  nicht  auf  die  Sprache 
der  Umgebung  der  Kinder  zurückführen  lassen.  Wenn  man 
nun  für  gewöhnlich  auch  das  Lallen  zur  Kindersprache  hinzu- 
rechnet, so  schadet  das  weiter  nichts,  denn  niemand  wird  im 
Zweifel  sein,  dass  es  sich  hier  um  ein  eigentliches  Sprechen 
nicht  handeln  kann.  Dagegen  will  mir  scheinen,  dass  unsere 
Aufzeichnungen  zu  früh  schliessen,  denn  das  kindliche 
Sprechen  hat  erst  mit  dem  Augenblicke  sein  Ende 
erreicht,  in  dem  das  Individuum  die  Sprache  seiner 
Umgebung  vollständig  beherrscht^)  und  das  dauert  auch 
bei  den  Kindern  der  Gebildeten,  die  bis  jetzt  beobachtet 
worden  sind,  sehr  lange,  denn  vereinzelte  Fehler  werden  wohl 
bis  in  die  Nähe  der  Pubertät  reichen,  und  es  w^ird  bei  den 
Kindern  der  Bauern  wahrscheinlich  noch  länger  dauern. 

Dass    man   sich    nicht   schon   längst  gezwungen   gesehen 


*)  Eine  —  aber   verkehrte   —    Definition   der  Kindersprache   bei  Ament 
Begriff  und  Begriffe  der  Kindersprache   1902  S.  25. 


207 

hat,  das  Wort  „Kindersprache"  aufzugeben,  ist  eig"entUch  auf- 
fallend, hat  aber  seinen  Grund  darin,  dass  die  Veränderung"en, 
welche  die  Kinder  vornehmen,  g-evvisse  gemeinsame  Merkmale 
zeigen.  Aber  diese  führen  nicht  zu  einer  Identität.  Nicht 
einmal  meine  drei  Kinder,  die  genau  dieselben  sprachlichen 
Muster  hatten,  hatten  dieselbe  „Kindersprache"',  sondern  unter- 
schieden sich  scharf  von  einander.  Nach  solchen  Erfahrungen, 
die  wohl  auch  von  jedem  anderen  Beobachter  gemacht  worden 
sind,  ist  es  ziemlich  unbegreiflich,  wie  z.  B.  Ament^)  sagen 
konnte:  „Die  SpracJte  des  einzelnen  Kindes  verhält  sich  zur 
Kindersprache  im  allgemeinen  ivie  irgendein  Dialekt  zu  seiner 
Stammsprache:  Die  Worte  sind  sehr  verschieden,  die  Gesetze 
ihrer  Bildung  aber  gleich.''^ 

Aus  derselben  Sprache,  der  Sprache  der  gemein- 
samen Eltern,  könnten  aber  die  Kinder  derselben 
Familie  nach  denselben  Gesetzen  nur  dasselbe 
machen!  Woher  dann  die  Differenzen  bei  den  sprach- 
lichen Leistungen  der  Geschwister? 

Aber  Ament  ist  noch  weitergegangen.  „Die  Onomato- 
poetiha  und  die  gesamte  Ammensprache  üherhaui^t  sind  nicht 
eine  Erfindung  der  Mütter  und  Ammen,  sondern  der  ungezählten 
Kinder  vieler  Jahrtausende,  zu  der  die  Mütter  und  Ammen  in 
keinem  andern  Verhältnisse  als  dem  der  Fixierer,  überlieferer 
und  Nachahmer  des  Gegebenen  stehen''^. 

Eigentlich  schade,  dass  das  nicht  wahr  ist,  denn  wer  hätte 
denn  eine  grössere  Freude  über  dieses  altehrwürdige  Idiom 
als  gerade  der  Linguist!  Ich  will  dem  verdienten  Ament 
nicht  nahetreten,  aber  das  Jahrhundert  des  Kindes  ist  auch 
das  Jahrhundert  der  kindischen  Erwachsenen.  Es  liegt  in  der 
Zeit,  dass  wir  alles,  was  sich  auf  das  Kind  bezieht,  masslos 
überschätzen. 

Es  wäre  sehr  schön,  wenn  jemand  ein  Wörterbuch  der 
Kindersprache  schriebe  und  unter  dem  Schlagworte  der  Ver- 
kehrssprache all  das  verzeichnete,  was  die  bis  jetzt  beob- 
achteten Kinder  daraus  gemacht  haben  —  geordnet  nach  zeit- 
lichen Abschnitten.    Dann  erst  könnte  er  versuchen,  auch  die 


*)  Ament,  die  Entwicklung  von  Sprechen  und  Denken  beim  Kinde.  S.  39. 


208 

gleichbleibenden  „Gesetze"  zu  formulieren  und  sie  etwa  mit 
unseren  Lautgesetzen  vergleichen,  wobei  es  nötig  wäre,  dass 
er  diese  erfasst  hat. 

Es  ist  erfreulich  konstatieren  zu  können,  dass  —  um  nur 
das  Wichtigste  zu  nennen  —  die  Arbeiten  von  Wundt, 
Meumann  und  jetzt  von  W.  Stern  (ich  möchte  aber  auch 
Idelb erger  und  die  kleine  Schrift  von  Tappolet  dankbar 
erwähnen)  die  Romantik  von  der  Kindersprache  abgestreift 
und  die  Fragen  auf  wissenschaftlich  festem  Boden  ihrer  Be- 
antwortung näher  gerückt  haben.  Das  ist  ein  sehr  bedeuten- 
der Fortschritt  gegen  den  Zustand,  der  noch  vor  nicht  langer 
Zeit  geherrscht  hat. 

Ich  habe  bei  meinen  drei  Kindern  genau  das  allmähliche 
Werden  der  Lautsprache  beobachtet  und  trotzdem  muss  ich 
sagen,  dass  das  Sprcchenlernen  mir  noch  immer  als  ein 
Wunder  erscheint.  Unser  Kollege  A.  Rollet  pflegte  zu  sagen, 
die  Sprache  sei  ein  Geschenk  des  Ohrs.  Das  ist  im  allgemeinen 
richtig.  Taubheit,  ja  schon  höhere  Grade  von  Schwer- 
hörigkeit in  der  Kindheit  sind  imstande,  die  Entwicklung  der 
Sprache  ganz  oder  in  hohem  Grade  zu  hemmen  •).  Und  das 
Ohr  hat  seine  Rolle  für  die  Sprache  nicht  ausgespielt,  wenn 
die  Sprache  erlernt  ist,  wie  die  merkwürdige  Tatsache  lehrt, 
dass  vor  der  Pubertät  ertaubte  Kinder  die  Sprache  wieder 
völlig  verlieren  können 2).  Aber  wie  die  Laute  erzeugt 
werden,  das  kann  das  Ohr  nicht  lehren.  Hier  hilft  der  Ge- 
sichtssinn weiter.  Aber  auch  das  Auge  kann  vom  Sprech- 
mechanismus nicht  viel  mehr  als  die  Lippenartikulation  beob- 
achten 3).  Die  überaus  grössere  Mehrheit  der  Sprechakte  voll- 
zieht sich  im  Räume  zwischen  den  Stimmbändern  des  Kehlkopfs 
und  den  Zähnen,  ist  also  einer  Beobachtung  von  aussen  unzu- 
gänglich. Noch  immer  würde  man  das  Sprechenlernen  be- 
greifen, wenn  man  sähe,  dass  es  das  Kind  so  macht  wie  der 


')  A.  Kussmaul,  die  Störungen  der  Sprache.     2.  Aufl.  S.  259. 

^)  Ebd.  S.  52  und  Anm.   i. 

')  Über  die  Frage,  ob  die  Kinder  überhaupt  die  Mundstellungen  der 
sprechenden  Erwachsenen  beobachten  H.  A.  Idelberger,  Die  Entwicklung 
der  kindlichen  Sprache   1904,  S.  70. 


209 

Erwachsene,  der  eine  fremde  Sprache  erlernt,  indem  er  fort- 
während das  von  ihm  Hervorg-ebrachte  mit  dem  vom  Lehrer 
Gehörten  vergleicht  und  darnach  bessert.  Einen  solchen  syste- 
matischen Vorg-ang  kann  man  beim  Kinde  nicht  bemerken. 
Die  Kinder  üben  nicht,  sondern  plötzlich,  wie  mit  einem 
Schlage,  erscheint  ein  neuer  Erwerb,  dessen  Vorbereitung  in 
keiner  Weise  zu  beobachten  gewesen  war.  Und  so  vollzieht 
sich,  wenigstens  für  den  Zuseher,  die  ganze  Entwicklung  der 
kindlichen  Psyche  nicht  in  Art  einer  aufsteigenden  Geraden, 
sondern  treppenartig,  in  Sprüngen. 

Hier  hegen  grosse  Rätsel  vor,  deren  Lösung  kaum  jemals 
ganz  gelingen  wird.  Gleich  die  erste  Zeit  der  kindlichen 
Lauterzeugung,  die  Lallperiode,  die  der  nachahmenden  Zeit 
vorausgeht,  zeigt  Laute,  die  von  denen  des  Tieres  vollkommen 
verschieden  sind.  Eine  Meng-e  von  Lauten,  so  zahlreich,  wie 
sie  gar  keine  Sprache  kennt,  aber  von  wirklich  menschlichen 
Lauten,  die  kein  Tier  hervorbringen  kann,  ohne  etwa  nachzu- 
ahmen wie  der  Papagei.  Diese  Kindeslaute  können  noch  nicht 
nachgeahmt  sein,  denn  zur  Nachahmung  reichen  die  unvoll- 
kommnen  Sinne  noch  nicht  aus,  sie  kommen  aus  dem  Innern, 
sie  entspringen  ererbter  Disposition.  Mit  Wundt  muss  man 
annehmen,  dass  das  Kind  infolge  seiner  Abstammung  von 
unzähligen  Generationen  sprechender  Ahnen  physiologische 
Prädispositionen  zur  Lautbildung  mitbringt  i). 

Aufs  lebhafteste  war  ich  aber  überrascht,  als  ich  beob- 
achtete, dass  Kinder  in  der  Lallperiode  Laute  von  selbst 
hervorbringen,  die  sie  in  der  Zeit  der  nachahmenden  Sprache 
nicht  gleich  zu  erzeugen  in  der  Lage  sind,  sondern  erst  durch 
andere  Laute  substituieren,  bis  sie  sie  dann  wieder  mit  einem 
Male  produzieren  können.  Zu  meiner  Freude  kann  ich  fest- 
stellen, dass  diese  wichtige  Beobachtung  auch  Ament^)  und 
Tappolet  gemacht  haben.  Tappolet  sagt 3):  ,^Es  ist  eine 
durch  genaue   Beobachtung  mehrfach    erprobte   Tatsache,   dass 


')  W.  Stern  S.    149. 

*)  Ament  Begrift"  und  Begriffe  der  Kindersprache  S.   51  f. 

^)  E.  Tappolet,  die  Sprache  des  Kindes,  Basel   1907,  S.  85. 

Meringer,   Aus  dem  Leben  der  Sprache,  14 


210 

das  Kind,  bevor  es  sprechen  Jcann,  unendlich  viel  mehr  Laute 
hervorbringt,  als  es  nachher  braucht  .  .  .  Besonders  merkwürdig 
ist  nun,  dass  das  Kind  auf  dieser  primitiven  Stufe  oft  Laute 
erzeugt,  die  ihm  nachher,  in  der  Periode  der  Nachahmung  nicht 
mehr  gelingen.  Wie  viele  Kinder  haben  wir  g  und  k  lallen 
hören,  ge-ge-ge  und  ka-ka-ka  usw.,  die  gleichen  Kinder  sagen 
aber  später  regrlmässig:  dut  für  gut,  tolc  für  Kohle  und  distanne 
für  Griesskanne •* . 

Das  entspricht  gfenau  meiner  BeobachtunjT.  Nur  habe  ich 
von  Gretl  noch  uvulares  /•,  l,  auch  Zischlaute  gehört,  soweit 
sie  ohne  Zähne  hervorzubringen  sind.  Bei  Gretl  ereignete  sich 
das  Sonderbare,  bis  jetzt  noch  nicht  Beobachtete,  dass  sie 
gleich  nach  der  Geburt  Laute  lallte,  dann  bei  eintretender 
Gesundheit  verstummte  und  erst  wieder  genau  mit  Beginn  des 
vierten  Monats,  aber  dann  in  der  behaglichsten  Stimmung, 
lallte  i). 

Wie  sich  dieses  scheinbare  Verschwinden  der  ererbten 
Laute  erklärt,  ist  bis  jetzt  nicht  bekannt.  Vermag  das  Kind 
in  der  ersten  sprachnachahmenden  Zeit  die  7,  k,  r  usw.  nicht 
zu  erkennen?  Die  labialen  und  dentalen  Laute  sind  ja  viel 
leichter  zu  erkennen,  weil  sie  ganz  oder  teilweise  der  Beob- 
achtung des  Auges  zugänglich  sind.  Oder  aber  erkennt  das 
Kind  auch  die  schwierigeren  g,  k,  r  usw.  und  sind  nur  die 
Nervenleitungen  vom  akustischen  (Wernickeschen)  Zentrum  zum 
motorischen  (Brocaschen)  noch  nicht  leistungsfähig? 

Warum  hat  sich  aber  in  der  Lallzeit,  in  der  das  Kind 
auch  g,  k,  r  usw.  bereits  sagen  konnte,  nicht  eine  gut  funktio- 
nierende Verbindung  von  akustischem  und  motorischem  Zentrum 
entwickelt?  Hat  das  Kind  damals  seine  eigenen  Laute  im 
akustischen  Zentrum  aufgenommen,  so  dass  die  akustischen 
mit  den  motorischen  Bildern  in  Beziehungen  getreten  sind, 
oder  nicht?  Jedenfalls  kann  man  nicht  annehmen,  dass  damals 
bloss  für  einzelne  Laute  die  Bahn  vom  akustischen  zum 
motorischen  Zentrum  fahrbar  gemacht  wurde. 


')  Das  Kind,  das  schon   im    4  Monat    grli-grli   sagte,    sprach 
1   Jahr  9  Mon.     Jing  für  „Ring". 


noch    mit 


211 

Die  Sache  steht  wohl  so,  dass  aus  der  Lallzeit  über- 
haupt keine  brauchbare  Verbindung-  vom  akustischen  zum 
motorischen  Zentrum  besteht,  und  dass  erst  in  der  nach- 
ahmenden Zeit  nach  Massgabe  der  progressiven  Perzeption 
der  Laute  die  Leitungsbahnen  leistungsfähig  werden.  Und 
das  wird  auch  durch  die  Schwierigkeit  der  ersten  Nach- 
ahmung von  gehörten  Sprachteilen  bestätigt. 

Ich  will  hier  eine  Beobachtung  zur  Vererbung  erzählen. 
Mir  fiel  schon  vor  vielen  Jahren  auf,  dass  die  Juden  mechanisch 
mit  einem  ch  sprechen,  wie  wir  es  nur  nach  einem  dunkeln 
Vokale,  also  etwa  in  Sache,  suchen  sprechen,  während  wir 
in  dem  Worte  mechanisch  dasselbe  ch  hervorbringen  wie  in 
Sichel,  fächeln  usw.  Mir  gelang  es  einige  Male  nach  der  Aus- 
sprache des  Wortes  mechanisch  festzustellen,  dass  ein  Mann, 
den  ich  bis  dahin  für  einen  Christen  gehalten  hatte,  weil 
nichts  mehr,  weder  die  Sprache  noch  sonst  etwas  an  den 
Juden  erinnerte,  ein  Jude  sei.  Meine  Diagnosen  erwiesen 
sich  als  richtig.  Um  nun  sicher  zu  gehen,  bat  ich  E.  Szanto, 
der  selbst  Jude  war,  auf  das  Wort  bei  seinen  Glaubens- 
genossen zu  achten.  Auch  Szanto  bestätigte  nach  mehr- 
jähriger Beobachtung  die  Richtigkeit  der  Tatsache. 

Aber  woher  haben  nur  die  Juden  ihr  ch  in  mechanisch  ? 
Wirkt  hier  noch  die  Sprache  ihrer  Ahnen  mit,  oder  ist  es 
bloss  die  Nachwirkung  des  Unterrichts  im  Hebräischen,  den 
sie  in  ihrer  Jugend  geniessen?  Auffallend  ist  jedenfalls,  dass 
eine  völlig  fremde  Sprache,  wie  es  das  Hebräische  für  den 
Juden  von  heute  ist,   solche  tiefe  Spuren  hinterlassen  kann^). 

Die  Vererbung  der  sprachlichen  Disposition  ist  unzweifel- 
haft. Aber  man  darf  sich  dieselbe  nicht  so  vorstellen,  dass 
etwa  ein  Kind  deutscher  Eltern  gerade  für  das  Deutsche 
besonders  prädisponiert  wäre.  Davon  ist  keine  Spur  zu  be- 
merken. Es  wäre  sonst  auch  ganz  unbegreiflich,  dass  Kinder 
rein  deutscher  Eltern  im  Lallen  Laute  hervorbringen,  die  dem 


')  Kann  man  etwa  in  Deutschland,  wo  auch  die  Christen  im  Gymnasium. 
Unterricht  im  Hebräischen  geniessen,  bei  diesen  dieselbe  Erfahrung  machen. 
dass  sie  in  mechanisch  das  ch  von  suchen,  Sache  sprechen? 

14* 


212 

Deutschen  vollkommen  fremd  sind.  Die  Reichhaltig"keit  der 
von  den  Kindern  in  der  Lallperiode  hervorgebrachten  Laute 
zeigt,  dass  die  Kinder  zur  Erlernung  jeder  menschlichen 
Sprache  durch  Vererbung  prädisponiert  sind. 

Von  grösster  Wichtigkeit  ist  für  das  Sprechenlerncn 
auch  der  Nachahmungstrieb.  Ich  sehe  keinen  Grund,  in 
ihm  etwas  anderes  als  eben  einen  Trieb  zu  erblicken,  denn 
er  bestimmt  und  treibt  uns  in  verschiedenen  Altern  zu  Hand- 
lungen wie  eben  ein  richtiger  Trieb.  Schon  Aristoteles  hat 
ihn  richtig  gewürdigt^):  .,Das  Nacliahmcn  ist  dem  Menschen 
angeboren  u)id  von  Jugend  auf  vertraut:  ragt  er  doch  in  An- 
sehung dieser  Begabung  und  dadurch,  dass  er  seine  ersten 
Kenntnisse  auf  diesem  Wege  erwirbt^  vor  den  anderen  Lebe- 
wesen hervor-,  und  nicht  minder  allgemein  ist  die  Freude  an 
Nachahmungen'*.  Der  Nachahmungstrieb  ist  in  der  Jugend 
am  stärksten  und  nimmt  dann  allmählich  ab,  ohne  aber  je 
ganz  zu  verschwinden. 

Der  Mensch  ahmt  nach,  weil  er  nachahmen  muss. 
Kussmaul  sagt-):  ,,Das  Kind  ahmt  die  Worte  der  Mutter  nach 
wie  das  Seilen  des  Hundes  und  das  Blöken  des  Schafes"". 
Ein  normales  Kind  ist  auch  sprechlustig.  Sprechunlust  ist 
abnorm  und  wird  am  leichtesten  durch  fortwährendes  Sprechen- 
hören geheilt^],  was  ich,  wie  oben  mitgeteilt,  in  meiner 
eigenen  Familie  zu  erleben  Gelegenheit  hatte.  Je  öfter  etwas 
gehört  wird,  desto  stärker  wird  der  Nachahmungstrieb  heraus- 
gefordert. 

Bei  den  Tieren  ist  gewiss  Nachahmungsfähigkeit  ein 
Zeichen  geistiger  Begabung.  Die  Vögel  lernen  voneinander 
singen,  viele  Vogelarten  machen  sehr  erfolgreich  die  Töne 
anderer  Vögel  nach*).      Aber    beim  Menschen  genügt  schon 


')  Ilepi  «otTjTix^c  c.  4.  Vgl.  Aristoteles  Poetik  übersetzt  und  eingeleitet 
von  Th.  Gomperz  1S97  S.  6.  —  Ament  Begrifl"  und  Begriffe  der  Kinder- 
sprache S.  7. 

-)  A.  Kussmaul.     Die  Störungen  der  Sprache  2.  Aufl.  S.  8,  54. 

')  H.  Gutzinann.  Über  die  Verhütung  und  Heilung  der  wichtigsten 
Sprachstörungen   1S98.  S.  7. 

*)  Garner.  Die  Sprache  der  Atien  übersetzt  von  Marshall  1900  S.  131 
Vgl.  auch  S.    177   (Marshalls  Anm.  zu  S.   106). 


213 

sehr  geringe  Begabung  zur  Nachahmung.  Es  gibt  idiotische 
Kinder,  sagt  H.  Gutzmann,  die  vollständig  reden  können,  ja 
die  Redensarten  der  Erwachsenen  ^^nur  so  hervorsprudeln'^. 
Merkwürdig  ist,  was  hier  nicht  unerwähnt  bleiben  soll,  dass 
der  Affe  niemals  versucht,  die  menschliche  Sprache  nachzu- 
ahmen. Hier  scheint  sein  Rubicon  zu  sein  (Marshalls 
Anm.  zu  Garners  Buch,  S.  113  auf  181).  Beim  Menschen 
kommt  es  aber  in  seiner  höheren  Entwickelung  darauf  an,  ob 
er  die  Nachahmung  einschränken  kann  und  seine  Kräfte  freier 
zu  entfalten  vermag. 

Dass  blindgeborene  Kinder  später  sprechen  lernen  als 
andere,  ist  ein  Beweis,  dass  das  Sehen  der  Muskelbewegungen 
des  Mundes  das  Sprechenlernen  erleichtert^).  Die  jüngeren 
Geschwister  lernen  im  allgemeinen  leichter  sprechen,  weil 
die  Nachahmung  der  Sprache  der  älteren  Geschwister  ihnen 
leichter  wird  als  die  Nachahmungder  Sprache  der  Erwachsenen^). 

Ich  habe  mir  keine  speziellen  Zusammenstellungen  über 
die  Zeit  des  Auftretens  der  ersten  klaren  Nachahmungen  des 
Kindes  gemacht.  Oltuszewski  hat  die  ersten  Nachahmungs- 
bewegungen im  achten  Monat  bemerkt 3).  Scupins  Knabe 
ahmte  im  elften  Monat  spontan  das  Hundegebell  mit  huhiih  und 
wuhu  nach'*)  und  meine  Gretl  ahmte  rnir  im  8.  Monate  ha 
nach,  als  der  Hund  bellte  und  ich  den  Laut  wiederholte.  Ich 
habe  den  Eindruck,  dass  solche  Erlebnisse  der  Kinderseele 
die  Fähigkeit  nachzuahmen  früher  auslösen  als  die  gewohn- 
ten Vorgänge. 

Dass  die  Nachahmungskraft  des  sprechenlernenden  Kindes 
viel  bedeutender  ist  als  die  des  Erwachsenen,  ist  allgemein 
anerkannt.  Man  muss  staunen,  mit  welcher  Treffsicherheit 
Kinder  Geräusche,  die  sie  nie  zuvor  gehört  haben,  nachahmen^)- 
Gerade  das  Neue,  Ungewohnte,  Abweichende  ist  es,  was  oft  die 
Kindesseele  am  meisten  aufregt  und  zur  Nachahmung  zwingt. 


')  H.  Gutzmann  aao  S.   6. 

^)   Stern  aao  S.  2545. 

")  W.  Oltuszewski  Psychologie  und  Philosophie  der  Sprache  190 1.  S.  47 

*)  E.  und  G.  Scupin  Bubi's  erste  Kindheit  S.   43. 

^)  Stern  aao  S.   273. 


214 

„Unsere  Hilde^\  sagt  Stern  S.  256,  „nahm  um  i;  10.^)  von 
einem  .  .  .  sehr  stark  schlesisch  sprechenden  Kindermädchen 
in  wenigen  Tagen  die  Endung  ele  an,  die  sie  nun  in  allen 
möglichen  und  unmöglichen  Formen  verwandte.  Und  noch  mit 
fast  7  Jahren  war  sie  für  DialeJcte  so  empfänglich,  dass  sie 
schon  nach  zweitätigem  Aufenthalt  in  Graudenz  begann,  in  be- 
stimmten Redensarten  unbewusst  den  singenden  Ton  der  West- 
prcussen  zu  gebrauchen. 

Ein  Kind  braucht  nur  eine  Stunde  bei  einer  stotternden 
Person  zu  sein,  um  das  Stottern  nachahmen  zu  können,  kann 
aber  auch  dadurch  schon  selbst  zum  Stotterer  werden.  Ein 
Lehrer  hatte  bei  Beginn  des  Schuljahres  einen  Stotterer  in 
der  Klasse,  am  Schlüsse  des  Schuljahres  stotterten  fünf^). 
Patienten  mit  sprachlichen  Defekten  sollen  einzeln  behandelt 
werden.  „Findet  sich  z.  B.  unter  den  Fatienten  einer,  der 
ganz  besondere  Schwierigkeiten  hei  einem  Laute  hat,  so  kann 
man  oft  erleben,  dass  mehrere  andere  diesen  Laut  mit  einem 
Male  auch  nicht  mehr  herausbekommen^^ '^).  Hier  liegt  natürlich 
eine  krankhafte  Steigerung  des  Nachahmungstriebs  vor. 

Früh  erworbene  Fehler  in  der  Aussprache  bleiben 
manchmal  zeitlebens.  Gutzmanns  berichtet'*):  „In  einem 
Falle  handelte  es  sich  um  vier  Geschwister,  welche  sämtlich 
nach  dem  Vorbilde  der  Amme  die  s- Laute  aus  dem  rechten 
Mundtvinhel  her  vor  zischten.  Als  diese  vier  Geschwister  er- 
wachsen waren,  pflanzte  sich  diese  üble  Angewohnheit  auf  das 
Kind  eines  derselben  fort.  Die  andern  hatten  ihren  Kindern 
schon  Namen  gegeben,  in  denen  kein  s-Laut  vorkam  und  ent- 
zogen sich  so  viel  ivie  möglich  dem  Umgange  mit  ihrai  Kindern, 
um  nur  die  Übertragung  zu  vermeiden.  In  einer  anderen 
Familie  fand  ich  denselben  Fehler  auf  drei  Kinder  durch  die 
Amme  übertragen.     In  einer  dritten  Familie  hat  ein  Kind  ein 


')  i.   e.    I    Jahr    lo   Monate.      Diese    Art    der   Altersbezeichnung   würde 
sich  zur  allgemeinen  Annahme  empfehlen. 

*)  H.  Gutzmann.     Des  Kindes  Sprache  und  Sprachfehler  1894  S.  41, 

44,  47.   179- 

')  A.  Lieb  mann  Vorlesungen  über  Sprachstörungen  i.  2.  Heft  S.  49  (1898). 

■*)  H.  Gutzmann  Über  die  Verhütung  usw.  S.  9. 


215 

wendisches  Kindermädchen  .  .  .  so  sprach  es  statt  „HuP^  Ut, 
statt  r,Hanne'^  Anne. 

Ich  komme  auf  diese  Tatsachen  noch  zurück. 

Ich  möchte  in  bezug  auf  die  sprachHche  Entwicklung"  des 
Individuums  vier  Stadien  annehmen^),  von  denen  sich  die 
ersten  zwei  mit  denen  Wundts  decken. 

I.  Die  Zeit  der  Schreilaute,  das  erste  Vierteljahr2). 

II.  Die  Lallzeit,  die  Zeit  der  artikulierten,  sinnlosen  Laute. 
Das  Kind  verfügt  bereits  über  spezifisch  menschliche  Laute^). 

III.  Die  Zeit  der  Sprachnachahmung-,  der  eigentlichen 
Spracherwerbung.  Der  Lautstand  wird  vollkommen  beherrscht 
aber  noch  nicht  die  Formen. 

IV.  Die  Formen  werden  erst  in  dieser  Periode  voll- 
ständig- erworben.  „Der  Dackel  ist  mir  ansfjeiveichP'' ,  „Es 
hat  heute  sehr  gegiesst^^  (geg-ossen,  stark  g-erechnet),  sagte 
Johannes  noch  mit  41/4  Jahren. 

Vereinzelte  Fehler,  die  diesen  Formentgleisung-en  ent- 
sprechen, kommen  bis  ins  hohe  Alter  vor,  wie  oben  die 
Auseinandersetzung-en  über  das  Versprechen  zeigen. 

Über  die  Laute  der  Lallzeit  (II)  verg-leiche  man  Idel- 
b erger  Entwicklung-  der  kindlichen  Sprache  S.  68,  Ament 
Begriff  und  Begriffe  der  Kindersprache  S.  52,  Stern  S.  128, 
146,  Scupin  S.   219. 

Wenn  man  eine  allgemeine  Charakteristik  der  Zeit  der 
Sprachnachahmung  (III),  dessen,  was  man  gewöhnlich  „Kinder- 
sprache" nennt,  geben  will,  so  müsste  man  etwa  folgendes  sagen: 

1.  Von  den  Silben  des  Worts  wird  die  hochbetonte 
(Akzent)-Silbe  am  besten  wiedergegeben,  die  anderen  im  An- 
fang gar  nicht. 

2.  Von  der  Akzentsilbe  ist  es  wieder  der  Vokal,  der  am 
treuesten  reproduziert  wird. 


*)  W.  Ament,    Begriff  und  Begriffe  der  Kindersprache  S.  6,  8,    17,   25. 

*)  A.  Kussmaul.     Die  Störungen  der  Sprache-  S    47. 

^)  E.  Mach.  Die  Prinzipien  der  Wärmelehre  Leipzig  1896  leugnet  im 
Kapitel  über  ,,Die  Sprache"  die  Berechtigung,  die  Sprache  der  Tiere  unartiku- 
liert zu  nennen.  Doch  vgl.  Marshalls  Aum.  (zu  Garner  S.  103)  S.  176.  — 
Paul,  Prinzipien^  S.    169. 


216 

3-  Lautet  die  Akzentsilbe  konsonantisch  an  und  aus,  so 
wird  der  Anlaut  besser  wiedertj;-ei>-cben  als  der  Auslaut. 
Letzterer  erscheint  im  Anfang-  oft  überhaupt  nicht.  Lautet 
aber  die  Akzentsilbe  vokalisch  an,  dann  erscheint  der  Aus- 
laut schon   früher. 

4.  Zwei-  und  mehrfache  Konsonanz  wird  vereinfacht. 

5.  Von  den  Konsonanten  werden  zuerst  die  Labialen, 
dann  die  Dentalen,  endlich  die  Gutturalen  richtig-  wiederge- 
g-eben.  Die  Liquida  r,  l  sowie  s,  seh,  h  machen  meist  zu- 
läng-st  Schwierigkeiten. 

Ich  möchte  also  versuchen,  anderes  und  mehr  zu  geben, 
als  z.  B.  Stern  S.  285,  mit  dessen  Charakteristik  der  „Kinder- 
sprache"  ich  nicht  g-anz  einverstanden  bin. 

Auf  die  Ammensprache  näher  einzugehen,  habe  ich 
keinen  Grund.  Sie  ist  nichts  anders  als  ein  Versuch,  das 
Wort  ähnlich,  wie  die  Kinder  es  selber  tun,  zu  verunstalten 
und  ist  ein  Unfug,  denn  ein  Kind,  mit  dem  man  immer  „talkt" 
—  wie  wir  sagen  —  lernt  später  richtig  sprechen  als  ein 
anderes.  Immerhin  wäre  es  gut,  wenn  man  die  Ausdrücke 
der  Ammen  zusammenstellte  (z.  B.  hot-hot  „Pferd",  haidi 
„schlafen  usw.),  damit  man  einmal  nachsehen  kann,  woher 
diese  von  Ament  so  phantastisch  überschätzten  Gebilde  stammen. 
Weither  ist  es  mit  ihnen  gewiss  nicht^).  Welche  Wörter  des 
Urindogermanischen  aus  dem  Lallen  und  Sprechen  der  Kinder 
stammen,  ist  eine  Frage  für  sich.  Sterns  Versuche  der  Er- 
klärung von  indogermanisch  *p9ter  „Vater"  spricht  mich 
nicht  an. 

Von  Interesse  für  die  Sprachwissenschaft  sind  die  Kinder- 
reduplikationen und  Assimilationen.  Sie  sind  Paul  2)  nicht 
entgangen.  Er  schreibt:  ^^Das  Kind  vermag  zunächst  nur  einen 
Konsonanten  mit  einem  Vokale  zu  Jcomhinieren,  welche  Kom- 
bination dann  in  der  Regel  verdoppelt  wird.  Von  solcher  Form 
sind  die  am  frühesten  erlernten  Wörter  der  Ammensprache 
{papa,    niama    usw.),    und    auf  diese    Form    werden    zunächst 


*)  Paul  Prinzipien  der  Sprachgeschichte  ^  S.    163 
*)  Paul  Prinzipien  S.   16S. 


217 

kompliziertere  Wörter  reduziert.^  Paul  zitiert  aus  dem  Sprach- 
schatze eines  zweijährigen  Mädchens  tata  „Martha",  bahel 
„Gabel",    popf  „Knopfe,  detie  „Decke",  pomm  „komm"  usw. 

Die  Kinderreduplikation  stellt  uns  wirklich  vor  ein  Rätsel. 

Idelberger  sagti):  „i)^e  Gefühle  {Affekte)  und  Begehrungen 
sind  nun  hei  dem  einjährigen  Kinde  in  solcher  Stärke  vor- 
handen, dass  sie  nicht  durch  einen  einmaligen,  sondern  erst 
durch  einen  mehrmaligen  Gehrauch  eines  Wortes  vollständig 
ausgelöst  iverden.  Deshalh  ist  auch  gerade  die  Beduplikation 
seiner  sprachlichen  Äusserungen  neben  dem  Klange  der  kind- 
lichen Stimme  und  der  ihre  Verwendung  hegleitenden  Gehärden 
das  sicherste  äussere  Kennseichen  ihres  emotionell-volitionalen 
Gebrauchs.  Diese  Beobachtung  halte  ich  für  eine  der  wert- 
vollsten, die  ich  hei  der  Beschäftigung  mit  dieser  Frage  gemacht 
habe,  iveil  sie  uns  einerseits  tatsächlich  ein  unfehlbares  Mittel 
an  die  Hand  gibt,  den  Wunsch  oder  affektionellen  Charakter 
der  Kindesivorte  zu  erkennen,  andererseits  auch  die  Entstehung 
vieler  Eeduplikationen  physiologisch  begründet." 

Das  letztere  ist  eine  Frage  für  sich,  aber  das  andere 
lässt  sich  hören.  Wenn  ich  gleichwohl  nicht  davon  überzeugt 
bin,  so  hat  das  seinen  Grund  darin,  dass  Martha  (5  V4  jährig) 
noch  val-val-kleid  „Voilakleid"  sagte,  aber  ebenso  bei-hei  für 
„dabei".  Bei  diesem  letzteren  Wort  ist  wohl  wenig  ,,Emo- 
tionell-volitionales"  vorhanden. 

Auch  W.  Stern  denkt  anders.  Er  hält  (S.  149)  die 
Silbenverdoppelungen  für  ein  letztes  Residuum  der  Wieder- 
holungstendenz der  Lallperiode.  Aber  er  meint  weiter  (S.  275), 
dass  die  Reduplikation  eine  Übereinstimmung  von  Kind  und 
Naturvolk  darstelle,   wovon  später  zu  sprechen  sein  wird. 

Was  ist  nun  wahr?  Richtig  ist,  dass  die  Kinder  sich 
endlos  wiederholen,  wie  ungebildete  oder  leidenschaftliche 
Erwachsene,  die  sich  nicht  ausschöpfen  können.  Aber  die 
Kinderreduplikation  ist  spezieller  Art,  sie  ist  nicht  mehr  das 
zahllose  Wiederholen  der  Lallzeit,  sie  ist  der  Regel  nach 
eine     Doppelsetzung.       Das     ist     ihr     charakteristisches 


'j  Entwicklung  d.   k.  Spr.  S.   39. 


218 

Gepräge.  Und  von  dieser  Doppelsetzung-  bleibt  dann,  wie 
Paul  ganz  richtig  gesehen  hat,  die  Assimilation  von  An-  und 
Auslaut,  von  der  jede  Kinderbiographie  Belege  bringt. 

Eine  Erklärung  der  Kinderreduplikation  müsste  also 
gerade  der  Doppel  Setzung  gerecht  werden.  Sie  hat  viel- 
leicht einen  ph\'siologischen  Grund.  Wir  Erwachsene  sprechen 
mit  der  linken  Hirnhälfte  (Brocasche,  Wernickesche  Stelle), 
wenn  wir  Rechtshänder  sind,  mit  der  rechten,  wenn  wir 
Linkshänder  sind.  Der  kleine  Sprechling  ist  Doppelthänder. 
Seine  innere  Sprache  wird  demnach  nicht  entweder  links  oder 
rechts,  sondern  wird  beiderseitig  lokalisiert  sein.  So  könnte 
die  Kinderreduplikation  eine  Folge  der  doppelten  Impulse 
sein,  die  um  diese  Zeit  noch  von  beiden  Hirnhälften  aus- 
gehen. Je  mehr  eine  Hand  verwendet  wird,  desto  mehr  tritt 
auch  die  eine  Hirnhälfte  in  Funktion.  Die  rechte  Hirnhälfte 
des  Rechtshänders  kann  aber  nicht  von  jeher  ganz  ohne 
sprachliche  Betätigung  gewesen  sein,  denn  sonst  wäre  es 
unmöglich,  dass  sie  für  die  linke  einspringen  kann,  wenn 
diese  durch  Krankheit  ausser  Dienst  gesetzt  ist.  Das  Wieder- 
erlernen der  Sprache  bei  den  Aphatischen  würde  sich  am 
ehesten  daraus  erklären,  dass  wenigstens  in  früher  Jugend 
die  andere  Hirnhälfte  bei  der  Spracherzeugung  mitbeteiligt 
gewesen  ist. 

Aber  darin  hat  Idelberger  sehr  recht,  dass  er  mit 
Nachdruck  auf  den  emotionell-volitionalen  Charakter  der  ersten 
Kindersprache  hingewiesen  hat.  Kinder  sind  sehr  leiden- 
schaftlich, so  lange  sie  wachen,  wollen  und  begehren  sie 
irgend  etwas.  Und  deshalb  sollten  auch  ihre  mimischen 
Ausdrucksformen  beobachtet  werden  wie  ihre  Sprache. 

Das  Gefühlsleben  des  Kindes  ist  ein  reiches.  Lust  und 
Unlust  begegnen  noch  keinen  Hemmungen.  Auch  kleine 
Ursachen  erzeugen  grosse  Wirkungen.  Aber  für  das  Kind 
ist  eben  nichts  klein  und  unbedeutend.  Alles  kann  Gegen- 
stand seines  Begehrens  werden.  Martha  ahmte  mit  i  Jahr 
5  Monaten  nur  einige  Laute  (aJi!  puhl)  und  einfache  Gebärden 
nach  (z.  B.  Kopfnicken),  aber  sie  hielt  manchmal  —  nicht 
oft  —  Lallmonologe  mit  ah  wah  .  .  .  und  reichlicher  Aktion 


219 

der  Hände.  Johannes  hielt  um  diese  Zeit  mit  „Rednergebärden 
und  Sprecherg"ewicht"  Sermones,  um  seinen  jeweiligen  Stand- 
punkt zu  vertreten  (3  Y^  jährig).  Bei  Gretl  hatten  sich  aber 
mit  6  Jahren  schon  die  meisten  mimischen  Ausdrucksformen 
verloren  oder  doch  sehr  abgeschwächt.  Der  Unterschied  der 
Kinder  war  um  diese  Zeit  (November  1902)  sehr  auffallend. 
Die  kleineren  erschienen  viel  leidenschaftlicher  in  ihren  Aus- 
drucksbewegungen als  die  ältere  Schwester. 

Mit  der  Zunahme  der  Sprache  scheinen  die  mimischen 
Mittel  des  Ausdrucks  zurückzugehen.  Erziehung  tut  natürlich 
auch  noch  das  ihrige,  um  den  Leidenschaften  Hemmungen 
zu  bereiten,   die  habituell  werden. 

Die  freudigen  Affekte  werden  mit  V^okalen  ausgedrückt. 
die  gehobenen  Kehlkopf  bedingen.  Wenn  Martha  der  Bau 
eines  Turmes  gelang,  so  jubelte  sie  ijil  Ärger  und  Verdruss 
fand  seinen  Ausdruck  in  ä  und  u.  Johannes  heulte  in  ä-  und 
M-Lauten.  Damit  stimmt  auch,  dass  das  Lachen  der  Er- 
wachsenen mit  hihi,  das  ganz  breite  mit  haha  wiedergegeben 
wird.  Wenn  der  Dichter  das  Gruseln  hervorrufen  will,  bedient 
er  sich  der  ««-Färbungen  der  Vokale  1). 

Scupin  hat  im  ersten  Monate  schon  Mundspitzen  bei 
Aufmerksamkeit  entdeckt  (S.  3),  eine  Bewegung,  die  man  bei 
Frauen  öfter  beobachten  kann.  Martha  warf  i  Y^  jährig  bei 
grosser  Freude  (z.  B.  wenn  man  mit  ihr  tanzte)  den  Kopf 
so  weit  ins  Genick,  dass  man  meinen  konnte,  er  breche  ab. 
Ahnlich  lachen  —  wie  schon  bei  Marthas  Biographie  ge- 
sagt —  manche  Erwachsene  mit  auffallend  weit  zurückgelegtem 
Kopfe.  Als  Ausdruck  der  Freude  beobachtete  ich  auch, 
dass  die  Kinder  auf  die  Schenkel  schlagen,  was  bei  den  Er- 
wachsenen eine  Geste  des  Erstaunens  ist.  Gretl  schlug  sich 
vor  Vergnügen  auf  den  Bauch,  was  später  auch  Martha  machte. 
Bei  den  Erwachsenen   sagt   man,   sie  halten   sich   vor  Lachen 


^)  Im  „Graf  von  Eulenfels"  heisst  es: 

Hier  stöhnt  es  dumpf  und  schauerlich, 
Wie  aus  dem  oftnen  Grabe : 
Huhul     Wie  lange,  dass  ich  mich 
Nicht  mehr  gewärmet  habe! 


220 

den  Bauch.  Vielleicht  steht  das  in  Zusammenhang  mit  den 
kindlichen  Gesten. 

Die  Ausdrucksbeweg'ungen  sind  ererbt  und  bleiben  beim 
Menschen,  wenn  sie  auch  durch  Kulturzunahme  zurückgedrängt 
werden.  In  Momenten,  wo  die  Hemmungen  wegfallen,  stellen 
sie  sich  alle  wieder  ein  und  die  tierische  Sprache  mit  allen 
ihren  Ausdrucksmitteln  erscheint  neben  der  menschlichen. 

Viel  wurde  die  Frage  erörtert,  ob  die  Kinder  sprach- 
schöpferisch sind.  Ich  bin  zur  selben  Ansicht  gekommen 
wie  Stern  (S.  337).  Wenn  man  unter  Urschöpfung  oder 
Worterfmdung  die  selbständige  Herstellung  einer  künstlichen 
Beziehung  zwischen  Wortklang  und  Bedeutung  versteht,  dann 
spreche  ich  sie  den  Kindern  ebenso  ab  wie  Stern  (S.  342). 
Auch  Idelbergeri)  leugnet  ein  spontanes  Erzeugen,  eine 
Wortbildung  der  Kinder  ohne  äussere  Anregung.  Zur 
Beurteilung  der  scheinbaren  Worterfindungen  haben  Idelberger 
und  Stern  so  viel  Gutes  gesagt,  dass  es  nicht  nötig  ist, 
auf  diesen  Punkt  weiter  einzugchen. 

Aber  Neuschöpfungen  mit  oder  infolge  äusserer  An- 
regung sind  ebenso  sicher  nicht  in  Abrede  zu  stellen. 

Ganz  gewiss  ist  mir  das  Wort  harn  für  „essen".  Ich 
habe  oben  erzählt,  wie  Gretl  und  Erich  Reinitzer  zur  Bildung 
dieses  W^orts  kamen.  Es  malt  die  schnappende  Bewegung 
des  Mundes  nach  Speise.  Dieses  liani,  das  genau  dem  Worte 
derselben  Bedeutung  entsprach,  das  Taine  von  seinem 
14  monatlichen  Mädchen  hörte,  ist  vorläufig  das  best  belegte 
Beispiel  einer  originellen  Kinderschöpfung^).  Aber  sie  hängt 
mit  dem  Dinge,  das  sie  bezeichnen  soll,  zusammen. 

In  deutlicher  Verwandtschaft  mit  diesem  ham  steht  am, 
mam.  Darwins  Sohn  sagte  mumm  (englisch  zu  sprechen), 
Compayre  berichtet  am,  Scupins  Sohn  sagte  mam  für 
„Milch",  später  mama  für  „Flasche"   „will  trinken"^). 


')  Die  Entwicklung  der  kindlichen  Sprache  S.  46,  48. 

-)  Man  wird  ham  wohl  gewiss  noch  oft  finden.  Aber  es  sei  zur  Vorsicht 
gemahnt,  denn  es  kann  leicht  auch  aus  haben',  entstehen  und  denselben  Sinn 
annehmen.  Nur  dort,  wo  diese  Entstehung  ausgeschlossen  ist.  kann  unser 
ham  vorliegen. 

^)  Stern   S.   306,    Ament   Begriff  usw.  S.  26,  28,    Scupin  S.  29,  42. 


221 

Und  dieser  Zusammenhang  besteht  wohl  auch,  wenn 
Kinder  etwas  sich  Drehendes,  etwas  Rollendes  bezeichnen 
wollen.  Gretl  nannte  den  „Ball"  ha,  hang,  hangana,  mangan. 
Schon  die  Mehrheit  der  Formen  zeigt,  wie  hier  die  Kindes- 
seele selbsttätig-  mitarbeitet.  Ein  andermal  setzte  sie  zu 
halli-halli  noch  galloli  hinzu.  Ein  fast  identisches  Wort  hat 
Kussmaul  schon  konstatiert  i) :  „Ein  Knahe  von  i  V2 
Jahren  .  .  .  hegrüsst  alle  rollenden  OhjeMe:  Kugeln,  Münzen, 
einen  Garnlinäuel,  Bleifedern  usw.  mit  dem  Ansrnf  ,,Galloh!''' 
„Dies  ist  ein  Anschauungsreflex  in  Gestalt  einer  Lautmetapher"' . 
Auch  Gretls  helum-helum  gehört  hierher.  Aber  nur  onomato- 
poetisch ist  Bubis  giglang  „Rad",  „Dreirad",  wohl  von  dem 
yJdingMing''''  der  Alarmglocke,  und  ebenso  ging-ganga  „elek- 
trische Bahn". 

Wie  man  nun  den  Zusammenhang  etwa  zwischen  einem 
rollenden  Gegenstande  und  einem  Worte  galloh,  galloli'^)  her- 
stellen soll,  darüber  möchte  ich  keine  Meinung  abgeben,  aber 
der  Zusammenhang  besteht. 

Auch  hier  wieder  brauchen  wir  Zusammenstellungen,  ehe  wir 
weiter  können.  Auch  der  sonst  so  besonnene  Forscher  Stern 
geht  mir  viel  zu  weit,  wenn  er  weitere  Zusammenhänge  sucht, 
wenn  er  auch  Demonstrativa  usw.  so  entstehen  lässt.  Diese 
Fragen  sind  noch  nicht  spruchreif.  Ohne  es  zu  wissen  folgte 
hier  zwar  Stern  den  Spuren  Jakob  Grimms,  der  schon 
sagte,  Je  sei  so  recht  fähig,  das  Wesen  der  Frage  auszudrücken, 
t  zeige,  deute,  erwidere,  aber  unser  Material  reicht  hier  noch 
nicht  aus.  Man  muss  erst  wirklich  sehen,  ob  unsere  Kinder 
ganz  von  selbst  auf  Demonstrativa  mit  einem  Dental  kommen, 
ohne  Beeinflussung  ihrer  Umgebung. 

Schon  sehr  alt  ist  der  Glaube,  dass  „die  Kindersprache" 
etwas  über  den   Ursprung   der  Sprache   überhaupt  lehren 


')  Kussmaul,  Die  Störungen  der  Sprache  '  S.  49  Anm.  Vgl.  dazu 
Ament  Begrift'  usw.  S.  27. 

■^)  Diese  Wörter  sind  nicht  etwa  aus  einem  „Hallo^^  der  Erwachsenen 
entstanden.  Das  wäre  weder  uns,  meiner  Frau  und  mir,  noch  auch  einem 
Beobachter  wie  Kussmaul  entgangen.     Material  bei  Stern  S.   330. 


222 

kann.  Soweit  es  sich  um  Wörter  des  ham-  und  galloli-  Typus'), 
denen  man  den  onomatapoetischen  ftw-Typus  (Bellen)  hinzu- 
gesellen  muss,  handelt,  hat  die  Frage  einen  Sinn. 

Aber  keinen  Sinn  hat  sie  bei  jenen  Wörtern  der  Sprachen, 
die  nicht  auf  solche  Typen  zurückzuführen  sind,  und  das  ist 
die  erdrückende  Mehrheit. 

Auch  Haeckels  biogenetisches  Gesetz^)  hat  man  in  der 
Sprachentwicklung  des  Individuums  finden  wollen,  in  der 
„Kindersprache".  Für  mich,  der  die  Existenz  einer  „Kinder- 
sprache" überhaupt  leugnet,  besteht  die  ganze  Frage  nicht. 
Aber  wenn  man  auch  am  alten  Worte  —  und  dem,  was  man 
darunter  verstand  —  festhält,  braucht  man  doch  nicht  an  dieses 
Gesetz  zu  glauben.  Stern  sagt  S.  263:  „jBei  einer  Nach- 
prüfung der  Frage  ivird  man  gut  tun,  das  Häckelsche  Wort 
,biogenetisches   Gesetz'  zu  vermeiden,   da  es  die  auf  alle  Fälle 


*)  N.  Rhodokanakis  macht  mich  aufmerksam,  dass  in  den  semitischen 
Sprachen  die  Wurzel  gall  im  Sinne  von  „rund",  „rollen"  u.  ä.  vorkommt. 
Er  gibt  mir  folgende  Zusammenstellungen. 

Hebräisch,  gal  (Stamm:  gll.)  „Steinhaufen",  von  übereinander  ge- 
rollten Steinen.     Jos.  7,26.     Gen.  31,46.     Hi.  8,17.  usw. 

galgal  (Stamm:  gl^  redupl.)  „Rad",  Jes.  5,28.     Jer.  47,3   usw. 

gilgäl  nomen  loci,  vgl. 

gulgoläd-  iTol-io^a'.)  „Schädel,  Kopf."     Ri.  9,53.     2  K.  9,35. 

gälil  (Stamm  gll.)  „drehbar"    i   K.  6,34.      „Walze"   Esth.    i,6. 

g:lüäh  „Umkreis,  Landstrich"  vgl.  Galilaea!  Von  demselben  Stamm  (gll) 
verschiedene  Verbalformen  mit  der  Bedeutung  im  Aktiv:  „rollen,  wälzen"  ; 
Passiv:  „Zusammengerollt  werden"   usw. 

Im  Arabischen  ist  dieselbe  Radix  (gll)  in  ähnlichen  Bedeutungen,  wenn 
auch  nicht  so  durchsichtig,  erhalten;  z.  B.  §alla-t^^  „runder  Mistfladen" 
(gewöhnl.  Brennmaterial.)  —   §algala-P'^  „Schädel". 

Das  Aramäische  (nur  im  Syrischen  Dialekt  herangezogen)  kommt  in 
den  Ableitungen  und  Bedeutungen  von  gll  dem  Hebräischen  sehr  nahe.  Das 
markanteste  Beispiel:  giylä  (aus  *gilglä)  „Rad". 

Im  Äthiopischen  dürfte  die  Radix  glg  („häufen"  etc)  mit  gl,  gll 
der  übrigen  semitischen  Sprachen  zusammenzustellen  sein.' 

Assyrisch  gallu  „wogend"  gillu  „Welle  Fluth"  hängt  mit  Heb.  gal 
„Quelle".  PI.  „Wellen";  syrisch  ^faZZä  „Woge",  graWeZ  „wogen"  usw.  zusammen 
und  wird  allgemein  von  demselben  Stamme  gll  abgeleitet. 

*)  Ament  Begriff  usw.  S.  78:  Das  biogenetische  Grundgesetz  (!)  — 
Ament  Fortschritte  der  Kinderseelenkunde    1906  S.   16. 


223 

anfechtbare  Behauptung  enthalt,  dass  das  Individuum  in  irgend- 
einer geheimnisvollen  Weise  zu  einer  ReJcapitulation  der  gattimgs- 
mässigen  EntwicJdungstatsachen  angelegt  sein  solle.^^  Damit 
ist  so  viel  weggeworfen,  dass  kaum  mehr  etwas  übrigbleibt. 
Stern  will  nur  von  „genetischen  Parallelen"  sprechen i).  Das 
möge  man  auch  tun,  möge  sie  sammeln  —  und  möge  sich 
hüten,  viel  daraus  zu  schliessen! 

Geradezu  Verdruss  müssen  dem  Sprachforscher  die  Ver- 
suche machen,  zwischen  der  „Kindersprache"  und  der  Ge- 
schichte der  Sprachen  Parallelen  herauszufinden.  Ament 
hat  damit  begonnen,  aber  ohne  in  das  Wesen  der  sprachlichen 
Veränderungen  irgendeinen  tieferen  Einblick  zu  habend). 
Übrigens  sind  solche  Versuche  schon  vor  Ament  für  verein- 
zelte Erscheinungen  gemacht  worden.  Ein  Gelehrter  be- 
obachtete, dass  ein  Kind  für  „KatzerV'  tatzerl  sagte.  Sofort 
war  ihm  klar,  warum  der  alte  Inder  einst  caJcära  statt  ^kaJcära 
gesagt  hätte.  Solche  Erklärungen,  die  jenseits  von  Gut  und 
Böse  sind,  verstummen  nach  und  nach,  aber  was  bleibt,  ist 
nicht  viel  besser.  Wenn  M.  Grammont^)  sagt:  Toutes  les 
modifications  fonetiques,  morphologiques  ou  sintaxique  qui  carac- 
terisent  la  vie  des  langues  apparaissent  dans  le  parier  des  enfants, 
so  mag  das  hingehen,  denn  die  Kinder  verändern  in  ihrer 
Gesamtheit  so  viel,  dass  allerdings  Parallelen  erscheinen  müssen. 
Aber  bedenklich  wird  die  Sache,  wenn  Grammont  einem 
kindlichen  capet  „paquet"  beifügt,  c'est  la  meme  nietatese  que 
woMS  trouvons  p.  e.  dans  lit.  Jcepii  ä  cöte  de  v.  sl.  peht.,  gr. 
7i£(7(70).  Dieselbe  Metathese?  Vielleicht  auch  nicht,  denn  wir 
wissen  nicht,  ob  sie  aus  derselben  Ursache  entstanden  sind. 
Vielleicht  sind  beides  „versprochene"  Formen;  dann  hätten 
sie  mit  der  „Kindersprache"   überhaupt  nichts  zu  tun. 

Auch  Stern  sagt  S.  285:  y^ßetrachtet  man  die  Verstümme- 


*)  Stern  S.  264:  „Diejenigen  Seiten  des  Sprachprozesses,  die  aus  inneren 
spontanen  Entwicklungstendenzen  geistigen  Lebens  hervorgehen,  können  onto- 
genetisch  und  phylogenetisch  Parallelen  zeigen;  diejenigen  Seiten,  welche  durch 
Ausseneinflüsse  bestimmt  werden,  müssen  Disparitäten  zeigen." 

*)  Man  vgl.  Ament  Entwicklung  usw.  S.  41,  45,  46,  47,  usw. 

^)  Melanges   linguistiques    offerts    ä  M.  A.  Meillet  Paris   iqo2  S.  61,  73. 


224 

lungen  der  Kindersprache  unter  linguistiscJiem  GesichtspnnTcte, 
so  zeigen  sich  alle  Formen,  die  auch  die  allgemeine  Sprach- 
geschichte Icennt:  Elision,  Lautivandrl,  Assimilation,  Metathesen, 
freilich  zum   Teil  mit  eigentümlichen  Modifihationen. 

Das  wäre  eine  sonderbare  „linguistische"  Betrachtung's- 
weise.  Auch  Stern  weiss  nicht  genau,  was  eine  sprach- 
g-eschichtliche  Veränderung-  ist.  Diese  ist  an  Bedingungen 
gebunden,  gilt  im  weitesten  Umfange  und  wirkt  bloss  inner- 
halb bestimmter  zeitlicher  und  örtlicher  Grenzen.  Die 
„Kindersprache"*  könnte  man  mit  den  wirklichen  Sprachen 
dann  vergleichen,  wenn  es  eine  gäbe.  d.  h.  wenn  die  Kinder 
einer  denselben  Dialekt  sprechenden  Genossenschaft  eine 
gemeinsame  Kindersprache  sprächen,  die  nach  denselben  Ge- 
setzen aus  der  Sprache  ihrer  Umgebung  gebildet  ist!  Das 
gibt  es  aber  nicht.  Nicht  einmal  die  Kinder  derselben  Eltern 
sprechen  gleich. 

So  kommt  man  auch  hier  wieder  im  besten  Falle  zu 
„Parallelen".  Man  kann  auch  diese  zusammenstellen,  aber 
man  möge  wieder  so  wenig  als  möglich  daraus  schliessenli) 
Für  die  Geschichte  der  lautlichen  Entwicklung  der  Sprachen 
werden  uns  die  kindlichen  Individualsprachen  nicht  viel  lehren, 
mehr  für  die  Formenlehre;  aber  dass  z.  B.  die  Reduplikation 
der  Sprachen  mit  dem  kindlichen  Doppelsetzen  etwas  andres 
als  die  menschliche  Basis  gemeinsam  hat,  gilt  mir  als  unbe- 
weisbar und  unannehmbar. 

Verschiedene  Gelehrte  sind  der  Ansicht,  dass  die  Tatsache 
der  immerwährenden  Veränderung  der  Sprachen  ihren 
Grund  darin  habe,  dass  die  Sprachen  auf  immer  neue  Gene- 
rationen von  Kindern  übertragen  werden.  Also  die  „Sprache 
der  Kinder"  wäre  schuld  an  dem  ewigen  Wechsel.  Ich  habe 
nie  daran  geglaubt  und  glaube    auch  heute  nicht  daran,  nach- 


')  Mein  Johannes  machte  aus  „trinken"  kritiken,  aus  „drehn"  grehn. 
Denselben  Fehler  merkte  Ament  Entwicklung  usw.  S.  49  an.  Dieselbe  Er- 
scheinung finden  wir  im  späten  afrikanischen  Latein  macri  =  matri  (Sommer, 
Handbuch  der  lateinischen  Laut-  und  Formenlehre  S.  232).  aber  auch  im 
Paelignischen  pristafalacirix  =  lat.  ^praestabulatrix,  und  wieder  finden  wir 
den  Wechsel  in  franz.  craindre  gegen  lat.  tremere.     Was  folgt  daraus.- 


225 

dem   ich    drei   Kinder   neben   mir  zu   beobachten   reichhchste 
Gelegenheit  hatte. 

Nur  in  bezug  auf  wenige  Punkte  könnte  ich  einen  Ein- 
fluss  der  „Kindersprache"  auf  die  Entwicklung  der  Sprachen 
für  diskutabel  halten. 

1.  Schwache  Laute  werden  in  der  neuen  Generation  über- 
haupt nicht  mehr  perzipiert  und  daher  unterdrückt. 

2.  Gewisse  Assimilationen  könnten  aus  der  Kindersprache 
herstammen.  Meine  Martha  sagt  heute  noch  ich  möU  „ich 
möchte". 

3.  Schwache  Kategorien  schwinden.  Vergleiche  den 
Kampf  der  Kinder  gegen  unsere  starken,  ablautenden  Zeit- 
wörter, die  sie  durch  schwache  zu  ersetzen  Lust  haben. 

4.  Seltene,  in  ihrem  Bau  unklar  gewordene  Wörter  fallen 
in  neue  psychische  Assoziationen  (Volksetymologie). 

Aber  auch  hier  homme  ich  über  die  Zweifel  nicht  hinaus, 
denn  alle  diese  Regungen  finde  ich  genau  so  beim  Erwachsenen 
und  habe  sie  reichlich  beobachtet.  Wie  stark  müssen  diese 
Triebkräfte  auch  beim  Erwachsenen  sein,  wenn  sie  sich  so 
häufig  trotz  aller  Übung  und  Gewöhnung  auch  bei  ihm  finden 
und  oftmals  im  Versprechen  sich  offenbaren! 

Zu  2  möchte  ich  bemerken,  dass  ich  yuy  gegangen  „gut 
gegangen"  und  Ähnliches  mehr  sage.  Zum  beippil,  zum  beippi 
„zum  Beispiel"  ist  doch  gewiss  nicht  bei  Kindern,  sondern 
bei  Erwachsenen  entstanden.  Wegen  3  verweise  ich  auf  das 
Versprechen.  Paul,  Prinzipien  ^  S.  206  sagt:  „Jede  Sprache 
ist  unaufhörlich  damit  beschäftigt,  alle  unnützen  Ungleichmässig- 
Jceiten  .zu  beseitigen,  für  das  funldionell  Gleiche  auch  den  gleichen 
lautlichen  Ausdruch  zu  schaffen''^.  Das  ist  vollkommen  richtig.  Wenn 
wir  aber  sehen,  wie  sich  diese  Arbeit  auf  die  verschiedenen 
Alter  verteilt,  so  finden  wir  daran  nicht  nur  die  Kindheit, 
sondern  auch  das  Mannesalter,  ja  auch  das  Greisenalter  be- 
teiligt. Zu  4  möchte  ich  nur  hinweisen,  dass  die  deutschen 
Soldaten  vom  Jahre  1870/71  von  den  Zuckerhüten  des  Onkels 
Baldrian  sprachen,  wobei  sie  die  Geschosse  des  Forts  vom 
iMont  Valerien  meinten.     Wegen  ähnlicher  Kinderetymologien 

Meringer,  Aus  dem  Leben  der  Sprache.  iö 


226 

verweise  ich  auf  hrandamlimann   „Baron  Andrian"  und  Stern 

S.  373- 

Aber  mehrere  Tatsachen  sprechen  laut  j^c^en  jede  Er- 
klärung" der  Sprachveränderungen  aus  der  Kindersprache. 

1.  Idelberg^er')  sagt:  Es  zeigt  sich  „eme  so  geringe 
Fähigleit,  das  einmal  Gesprochene  fesizulialtcn  und  zti  wieder- 
holen, dass  man  hieraus  mit  aller  WaJirscJieinlichkeit  schliessen 
kann,  dass  das  Kind  nicht  imstande  ist,  eine  etwa  erfundene 
gegenständliche  Bezeichnung  auch  nur  einmal  zu  wiederholen, 
geschweige  denn  konstant  derart  zu  gehrauchen,  dass  dieselbe  zu 
einem  zeitweisen  oder  dauernden  Bestandteil  seiner  Sprache  ivird."' 
Das  gilt  von  den  „Urschöpfungen",  aber  noch  mehr  von  den 
lautlichen  Veränderungen.  Und  diese  ändern  sich  ja  selbst 
immer  wieder.  Ja,  wenn  die  Kinder  derselben  Sprachgenossen- 
schaft dieselben  bleibenden  Tendenzen  in  der  Veränderung 
der  Laute  hätten !     Aber  davon  ist  nichts  zu  bemerken. 

Scupin  S.  47  sagt:  „Eigentümlich  ist,  dass  oft  Gutge- 
lerntes wochenlang  nicht  mehr  angewandt  und  getan  wird.  Es 
ist  augenscheinlieh  vergessen  und  niuss  wieder  von  neuem  ge- 
lernt iverden^. 

Man  denke  auch  daran,  wie  selten  unsere  Erinnerungen  aus 
der  ersten  Kinderzeit  sind.  Sie  beginnen  zumeist  erst  mit  dem 
5.  und  6.  Jahre;  in  dieser  Zeit  ist  aber  die  „Kindersprache" 
meist  schon  geschwunden. 

2.  Vor  der  Geschlechtsreife  erlaubte  Kinder  können  die 
Sprache  vollkommen  verlieren!  Sie  werden  taubstumm,  wenn 
sie  vor  dem  6.  oder  7.  Jahre  ertaubten.  Aber  es  sind  Fälle 
beobachtet  worden,  wo  die  Sprache  noch  nach  dem  14.  Jahre 
vollkommen  verloren  wurde.  Wie  schwach  müssen  also  die  Ein- 
drücke der  „Kindersprache"  auf  die  kleinen  Sprecher  selbst  sein. 

Ich  habe  eine  merkwürdige  Beobachtung  an  Johannes 
gemacht.  Als  er  schon  leidlich  sprechen  konnte,  gefiel  er 
sich    in   der  Rolle   eines    Baby 2)    und    talkte    wieder  —  aber 


*)  Idelberger.  Die  Entwicklung  usw.  S.  50. 

*)  Kinder  spielen  überhaupt  gern  Baby  sein.  Der  Besuch  bei  einem 
Wickelkind  macht  ihnen  oft  einen  solchen  Eindruck,  dass  sie  sofort  Baby 
spielen  müssen,  mit  jenem  tiefen  Ernste,  der  jedem  kindlichen  Spiele  eigen  ist. 


227 

falsch  I     Er  konnte  es  nicht  mehr,  er  hatte  seine  Lauteebuno- 
selber  schon  vergessen.     Hier  einige  Beispiele: 

toltaten  und  perde  „Soldaten  und  Pferde"  Okt.  Nov.  1902. 
„iveil  ich  so  dein  bin""   „klein" 

du  bist  ein  jabenüich   „Rabenvieh" 

iveyyetotten  „weggestossen" 

di  midi  soll  dommen   „die  Mizi  soll  kommen". 

(jemüde  „Gemüse". 

ich  will  einen  goten  („grossen")  schimmel  htiifen  und  nach 
Hutland  („Russland"). 

lüill  tand  ^„Sand")  taufein  („schaufeln")  mit  dem  tiefer 
(,  Schiefer"). 

Johannes  hat  in  diesem  kindlichen  Hyperdorisch  klar 
bewiesen,  dass  er  keine  rechte  Ahnung  mehr  hatte,  wie  er 
früher  gesprochen. 

Wenn  die  Verhältnisse  darnach  wären  oder  einstmals  ge- 
wesen wären,  dass  es  zu  einer  wirklichen  „Kindersprache" 
käme  oder  hätte  kommen  können,  könnte  man  trotzdem  noch 
an  manches  glauben.  Es  wäre  an  sich  denkbar,  dass  durch 
den  Verkehr  der  Kinder  eine  gewisse  gemeinsame  Sprache 
sich  irgendwo  entwickelt  hätte.  Aber  dazu  waren  weder  in 
alter  noch  in  neuerer  Zeit  die  Verhältnisse  günstig.  Die 
Kinder  haben  in  den  ersten  Jahren  früher  in  den  verstreuten 
Wohnsitzen  der  Siedelungen  noch  weniger  Gelegenheit  sich 
in  grösserer  Anzahl  zusammenzufinden  als  heute,  wo  doch 
meist  nur  Kinder  von  Nachbarn  verkehren.  Und  zu  einer 
halbwegs  einheitlichen  Sprache  könnte  es  auch  so  nicht 
kommen,  denn  das  verschiedene  Alter  der  Kinder  und  der 
verschiedene  Stand  ihrer  sprachlichen  Entwicklung  liesse  eine 
gemeinsame  Sprache  nicht  aufkommen.  Bei  den  kleineren 
Kindern  fehlt  aber  zum  Verkehr  die  notwendige  Voraussetzuno-, 
eine  gewisse  Fertigkeit  in  der  Sprache. 

Die  Kinder  haben  eine  ganz  besondere  Fähigkeit,  auf- 
fallende sprachliche  Erscheinungen  nachzuahmen,  und  be- 
halten solche  durch  Nachahmung  erworbene  Eigentümlichkeiten 
lange,  oft  zeitlebens  bei.  Ich  habe  oben  auf  einige  hierher- 
gehörige  Beobachtungen   (Ansteckende    Kraft    des    Stotterns, 

15* 


228 

einer  falschen  Aussprache  von  Zischlauten  usw.)  hingewiesen. 
Wir  finden  hier  eine  Zähigkeit  des  F'esthaltens,  die  sonst  der 
kindlichen  Seele  fremd  ist.  Es  handelt  sich  offenbar  um 
starke  Eindrücke.  Daraus  könnte  man  eher  schliessen,  dass 
Kinder  besonders  gceio^net  erscheinen,  Abweichungen  der 
Sprache,  die  sie  bei  einzelnen  Erwachsenen  bemerken,  nach- 
zuahmen und  festzuhalten.  Aber  was  erklärt  die  Tiefe  des 
Eindrucks  solcher  bei  völlig  normalen  Menschen  unter  allen 
Umständen  doch  nur  geringer  Verschiedenheiten?  Ich  kann 
mich  erinnern,  dass  ich  als  Gymnasiast  in  den  ersten  Jahren 
die  Sprachweise  eines  Lehrers  nachahmte  und  dafür  von  meinem 
Mitschülern  verspottet  wurde.  Aber  geblieben  ist  von  dieser 
nachgeahmten  Sprechart  bei  mir  nichts. 

Dass  die  lautlichen  Veränderungen  der  Sprache  nicht  von 
den  Kindern  herrühren,  ist  meine  feste  Überzeugung  i).  Das 
Gegenteil  wurde  oft  auch  von  Männern  ausgesprochen,  die 
weder  den  Beweis,  dass  sie  die  Kinder,  noch  den,  dass  sie 
die  Erwachsenen  im  Sprechen  beobachtet  haben,  jemals  er- 
bracht hatten.  Von  niemand  ist  auch  nur  die  Spur  eines 
Beweises  der  Urheberschaft  der  Kinder  gefunden  worden. 

Aber  auch  die  anderen  sprachlichen  Veränderungen  schrieb 
man  den  Kindern  zu.  Ich  greife  auf  einen  älteren  Aufsatz 
von  A.  Wallensköld-)  zurück,  weil  hier  die  Ansichten,  die 
auch  heute  noch  die  meisten  Anhänger  haben,  besonders 
deutlich  ausgesprochen  sind. 

y,Wie  weit  die  Ua geschicktheit  heim  Erlernen  des  Neuen 
gehen  kann,  zeigen  die  Metathesen,  Dissimilationen  und  Assi- 
milationen sivischen  zwei  nichtbenachharten  Lauten,  die  sämtlich 
M.  E.  im  Munde  eines  Anfängers  entstanden  sind.  Ein 
italienisches  Kind  {oder  eine  erwachsene  Person),  das  zum  ersten- 
mal glorioso  hörte  und  es  nachsagen  tvollte,  irrte  sich  und  sagte 
grolioso,  ohne  den  Unterschied  wahrzunehmen,  wonach  es  immer 
die  umgebildete  Form  brauchte  wul  sie  auf  andere  Individuen, 


')  Auch  der  neue  Versuch  von  £.  Herzog,  Streitfragen  der  romanischen 
Philologie   1904  (vgl.  namentlich  S.  soff.)  ist  missglückt. 

'j  A.  Wallensköld,  „Zur  Klärung  der  Lautgesetztrage"  Roman.  Ab- 
handlungen Herrn  Prof.  Dr.  Ad.  Tobler  dargebracht.     S.  2S9. 


229 

die  das  Wort  mich  noch  nicht  l:annten,  übertrug.  Dass  ein 
Mensch,  der  schon  fßorioso  aussprechen  Tcann^  dazu  Tionimen 
tvürdc,  diese  Aussprache  in  grolioso  auf  lautyesetzlichem  Wege 
SU  ändern,  ist  natürlich  undenkbar  (!),  da  glorioso  >  grolioso 
einen  Sprung  in  der  Aussprache  voraussetzt  und  die  lautgesetz- 
liclien  Lautverändenmgen,  wie  ich  gezeigt  zu  haben  glaube,  in 
ausserordentlich  Ideinen  Schritten  vor  sich  gehen  müssen^. 
(VVallensköld  S.   296). 

Ich  hoffe,  meine  obigen  Darlegungen  über  die  Be- 
ziehungen entfernter  Laute  in  der  inneren  Sprache  werden 
auch  VV.  von  diesen  seinen  Meinungen  abbringen.  Selbst  das 
Argument  der  Sprunghaftigkeit  der  Entwicklung  von  glorioso  : 
grolioso,  welches  übrigens  schon  H.  Paul  zu  denken  gab,  be- 
weist nichts.  Auch  die  Metathesen,  Assimilationen,  Dissimi- 
lationen bereiten  sich  langsam  vor,  indem  die  „versprochenen" 
Formen  immer  häufiger  werden.  Warum  sie  dann  in  manchen 
Fällen  durchdringen  und  zur  Regel  werden,  bleibt  dabei  dunkel. 

Auch  die  Schöpfung  eines  ital.  greve  (statt  grate)  nach 
lieve  fällt  nach  W.  einem  römischen  Kinde  zu.  Er  achte 
aber  im  Leben  darauf,  wie  zahlreich  die  Erwachsenen  solche 
Bildungen  hervorbringen,  und  er  wird  zugeben,  dass  die 
Möglichkeit  der  Entstehung-  solcher  Kontaminationsformen 
immer  gegeben  ist. 

Man  kann  aber  an  einzelnen  Fällen  zeigen,  dass  sie  be- 
stimmt nicht  den  Kindern  ihr  Dasein  verdanken.  Die  Hunderter 
werden  im  Jonischen,  i\ttischen  und  Lesbischen  mit  -xotioi 
gebildet  (Biaxöaioi  usw),  das  aber  sonst  (im  Dorischen  und 
Böotischen)  als  -xaTioi  erscheint.  Woher  stammt  nun  das  0 
von  -X0C7101?  Man  sagt  allgemein,  dass  es  von  dem  0  der 
Zehner  auf  -xovTa  abstammt.  Haben  nun  die  Kinder  das 
Wort  für  die  Hunderter  nach  dem  Wort  für  die  Zehner  um- 
gebildet, die  sprechenlernenden  Kinder  unter  sechs  Jahren? 
Diese  pflegen  zumeist  noch  andere  Sorgen  zu  haben,  als  die 
Zahlwörter  über  hundert  zu  üben. 

Ähnliches  lehrt  das  Lateinische.  Nach  quadräginta  ist 
gebildet  sexäginta,  nonägintä.  Also  wieder  Analogiebildungen. 
Neben    octögintä   erscheint   spätlateinisch    ocfägintä.     Das    uä 


230 

von  sepfuägintä  scheint  von  einem  alten  octucujintä  abzu- 
stammen, das  aber  von  einer  Neubildung  odögintä  verdrängt 
wurde  *)•  Es  sind  also  auch  bei  den  Zehnern  reichliche 
Analogiebildungen  zu  bemerken,  die  man.  nach  den  Erfahrungen 
an  unseren  Kindern  zu  schliessen,  gewiss  nicht  den  Kindern 
vor  Jahrtausenden  zuschreiben  darf. 

Um  nur  noch  einen  Fall  zu  nennen,  wo  die  Kinder  keine 
Rolle  spielen  können.  In  allen  Sprachen  ist  das  Pronomen 
personale  der  Tummelplatz  der  lebhaftesten  Analogiewirkungen. 
Und  eerade  dieses  tritt  bei  den  Kindern  zuletzt  auf,  wenn  die 
Sprache  schon  mehr  oder  weniger  festsitzt.  Am  persönlichen 
Fürwort  kann  sich  also  die  „Kindersprache"  nicht  mehr  be- 
sonders betätigen,  denn  ihre  Zeit  ist  ziemlich  bald  abgelaufen, 
wenn  das  Ich  auftritt '). 

Meiner  Meinung  ist  der  Anteil  der  Kinder  an  den  sprach- 
lichen Veränderungen  sehr  gering.  Wenn  wir  dann  sehen, 
wie  z.  B.  die  Sprache  kleinster  Kreise  gesellschaftlicher, 
sozialer  Art  schöpferisch  ist,  dann  muss  man  zum  Schlüsse 
kommen,  dass  der  die  Kultur  verändernde  Faktor  auch  die 
Sprache  ändert,  der  Erwachsene. 


*)  Sommer  Handbuch  S.  498. 

*)  Stern  S.  239;  namentlich  S.  243. 


3.  Hauptstück. 

Zum  Nachahmungstriebe^). 

Oft  hört  man,  der  Mensch  sei  ein  Herdentier.  Wer 
macht  uns  denn  dazu?  Das  ist  der  Nachahmungstrieb,  einer 
der  elementarsten  Triebe  des  Menschen-  Lustg-efühle  ent- 
spring-en  seiner  Befriedigung,  Unlust,  bis  zum  Schmerz  ge- 
steigert, entspringt  seiner  Hemmung.  Wenn  Essen  den  Hunger 
stillt  und  das  Individuum  erhält  als  Individuum,  so  ermöglicht 
der  Nachahmungstrieb  erst  das  Leben  des  Individuums  in 
seinem  sozialen  Kreise.  Wer  diesen  Nachahmungstrieb  nicht 
in  genügendem  Masse  hat,  erscheint  den  andern  als  von  der 
Natur  verkürzt,  ein  Narr  oder  ein  Bösewicht.  Der  Nach- 
ahmungstrieb ist  der  gesellschaftbildende  und  gesellschafter- 
haltende Trieb,  der  Trieb,  der  höhere  Vereinigungen,  als  die 
Familie  es  ist,  ermöglicht.  Ohne  ihn  gibt  es  keine  Organisation, 
kein  assoziatives  Handeln,  keinen  gemeinsamen  Angriff,  keine 
gemeinsame  Abwehr. 

Der  Nachahmungstrieb  ist  jene  Einrichtung,  womit  die 
Natur  das  unbegabte  Individuum  vor  den  Folgen  seiner  Dumm- 
heit schützt.  Man  tut  das,  was  die  andern  tun;  das  genügt, 
man  ist  ein  Ehrenmann,  ein  tüchtiges  Mitglied  des  Kreises, 
dem  man  angehört. 


')  Vgl.  die  wissenschaftliche  Beilage  der  Neuen  freien  Presse  vom  2 1 
Januar  1904.  Indogerm.  Forschungen  XVI  S.  I95f.  1904.  Ich  halte  mich 
hier  an  meine  damaligen  Ausführungen. 

Literatur:  G.  Tarde.     Les  lois  de  l'imitation   3  Paris   1900.     Ein  Buch, 
das  mich  schon  wegen  der  Art.  die  Dinge  zu  sehen,  wenig  anspricht. 

P.  Beck,  Die    Nachahmung    und    ihre    Bedeutung    für  Psychologie    und 
Völkerkunde  Leipzig   1904.     Enthält  viel  Anfechtbares. 


232 

Nachahmung  ist  auch  meist  und  für  die  allermeisten  Indi- 
viduen das  einzig  Richtige.  Was  nützt  es,  sich  ausser  die 
Reihe  der  Nachahmenden  zu  stellen,  wenn  man  nicht  die  Kraft 
zum  Kampfe  hat?  Gegen  den.  der  etwas  anders  machen  will, 
stellt  sich  sofort  die  ganze  Herde  und  senkt  die  Hörner.  Nicht 
mit  Unrecht.  Sic  verteidigt  einen  erträglichen,  mindestens  ge- 
wohnten Zustand,  Neues  ist  nicht  immer  Gutes.  Hat  aber 
der  Neuerer  Gewalt  in  sich,  dann  wird  er  ein  Führer,  seine 
Gedanken  werden  aller  Gedanken,  er  denkt  für  die  andern, 
bis  dann  im  notwendigen  W'echselspiel  der  Kräfte  der  Ge- 
danken wieder  ein  anderer  kommt  und  im  Kampfe  für  sich 
die  Palme  des  Sieees  erwirbt.  Wer  den  guten  Gedanken, 
aber  nicht  die  Gewalt  hat,  wird  ein  Vorläufer.  Er  ist  ein 
Halber,  aber  er  steht  hoch  über  dem  gewöhnlichen  Nachahmer, 
an  dem  nichts  neu  oder  originell  ist,  obwohl  ihn  dieser  — 
ewige  Erfahrung  —  geringschätzt. 

Das  Alter,  in  dem  jedes  Individuum  so  gut  wie  nichts  als 
Nachahmer  ist,  ist  die  Kindeszeit.  Ich  möchte  nicht  jede  Ver- 
erbung verwerfen,  denn  man  findet  bei  Kindern  Erscheinungen, 
die  man  nicht  anders  erklären  kann.  Die  allermeisten  Über- 
einstimmungen von  Kindern  und  Eltern  entspringen  aber  dem 
Nachahmungstriebe  in  dieser  so  aufnahmsfähigen  Zeit.  Wenn 
die  Ärzte  heute  sagen,  das  Kind  kommt  gesund  zur  Welt, 
der  kranke  Vater  oder  die  kranke  Mutter  übertragen  erst  im 
Verkehr  etwas,  z.  B.  eine  Lungenkrankheit,  auf  das  Kind,  so 
scheint  mir  das  auch  auf  geistigem  Gebiete  zu  gelten.  Das 
Kind  ahmt  alles  nach,  oft  ganz  sinnlos,  es  folgt  einem  ge- 
bieterischen Triebe,  es  muss.  Ein  Kind  gut  erziehen,  heisst 
ihm  für  seinen  elementaren  Nachahmungstrieb  die  richtigen 
Muster  geben,  was  man  glücklicherweise  nachgerade  weiss. 
Das  ewige  Wort  des  Kindes,  das  die  Eltern  so  oft  ungeduldig 
macht,  ist:  „Ich  auch,  ich  auch!"  Alles,  was  andere  tun,  will 
es  auch  tun,  was  andere  haben,  auch  haben. 

Ich  glaube,  dass  das,  was  man  beim  Kind  Neid  nennt, 
oft  nichts  weniorer  als  das  ist.  Aber  auch  beim  Erwachsenen 
ist  Neid  oft  nur  die  Hemmung  des  Nachahmungstriebes.  Der 
normale  Neid  ist  nur  das  Auchhabenwollen,  das  Auchtunwollcn, 


233 

das  nicht  ermöglicht  ist.  Aber  in  dem  Triebe  Hegft  nichts 
Unedles.  Wenn  ein  anderer  mehr  arbeiten  kann  als  ich, 
bessere  Gedanken  hat  als  ich,  so  bin  ich  ihm  nicht  neidig-  in 
dem  Sinne,  dass  ich  wünschte,  er  hätte  solche  Eig^enschaften 
nicht,  ich  wünsche  nur,  ich  hätte  sie  auch.  Dass  ich  es  ihm 
nicht  nachmachen  kann,  das  ist  mein  Unlustg-efühl.  Was  ist 
also  Neid?  Verhinderung  des  Nachahmungstriebes.  Man  hat 
sehr  richtig-  g-esagt,  dass  der  Bettler  nicht  den  Mann  beneidet, 
der  in  die  Equipag-e  einsteigt,  sondern  den  Mitbettler,  der 
den  Wagen  rascher  erreichen  kann  und  so  ein  Almosen  er- 
langt. Der  Neid  lebt  also  nur  in  der  Verkehrsgenossenschaft, 
in  der  eben  auch  die  Nachahmung  herrscht.  Natürliches  Ge- 
fühl nennt  den,  der  einen  Herrscher  beneidet,  einen  Narren. 
Das  ist  schon  insofern  richtig,  als  das  Neidgefühl  das  Gefühl 
der  Gleichheit  mit  dem  andern  voraussetzt,  der  wirklich  be- 
stehenden  oder  der  beanspruchten. 

Soviel  mag  vom  normalen  Neide  gelten.  Abnorm  wird 
er,  wenn  man  das  dem  andern  nicht  gönnt,  was  man  selbst 
hat.  Das  ist  Herrschsucht,  denn  man  will  nicht,  dass  der 
andere  in  derselben  Verkehrsgenossenschaft,  sagen  wir  gleich 
Nachahmungsgenossenschaft,  dieselbe  Achtung  geniesst  wie 
man  selbst,  oder  überhaupt  dieselben  Vorteile  irgendwelcher 
Art,  die  ihn  ebenso  mächtig  machen.  Das  Auchhabenwollen 
leugnet  niemand,  den  wirklichen  Neid  aber  jedermann,  und 
wär's  auch  der  missgünstigste  Geselle  Es  ist  raöghch,  dass 
jemand  den  wirklichen  Neid  als  das  Prinzip  erklärt  und  das 
Auchhabenwollen  als  seine  Kulturerscheinung.  Ich  sehe  die 
Sache  anders.  Neid  erscheint  mir  abnorm,  ein  Krankheits- 
oder Altersdefekt.  Sucht  ein  vollgefressenes  Tier  einem 
anderen  die  Nahrung  wegzunehmen? 

Was  noch  gar  nicht  genügend  studiert  ist,  das  ist  die 
unglaubliche  Nachahmungsfähigkeit  des  Kindes.  Von  Freude 
oder  Leid  werden  sie  fast  augenblicklich  entzündet.  Man 
sieht  bei  ihnen  —  übrigens  auch  bei  Erwachsenen  —  Er- 
scheinungen, als  ob  die  eine  bewegte  Psyche  die  andere  ohne 
weiteres  im  selben  Sinne  erregen  könnte,  wie  eine  Saite  die 
andere  gleichgestimmte  zum  Mitklingen    bringt.     Mit   was    für 


234 

Ding^cn  das  zug'cht,  das  weiss  der  liebe  Gott  allein.  Über- 
haupt: Der  liebe  Gott!  Wie  oft  wäre  er  seither  entdeckt 
worden,  wenn  seine  Entdeckuni;-  nicht  schon  so  uralt  wäre. 
Ein  grosser  Historiker  sagte,  das  Beste  bei  der  Erklärung  der 
Weltgeschichte  müsse  noch  immer  der  liebe  Gott  leisten.  Das 
kann  man  wohl  von  aller  Wissenschaft  sagen;  aber  deshalb 
steht  sie  noch  nicht  unter  der  Kritik  jedes  Toren. 

Im  Leben  des  Erwachsenen  heisst  die  Fuchtel,  unter  der 
er  steht,  Mode.  Sie  ist  weit  weniger  harmlos,  als  man  ge- 
wöhnlich meint.  Mode  ist  nicht  nur  herrschender  Geschmack 
in  Kleidung,  Mode  ist  aller  herrschende  Krauch,  auch  die 
herrschende  Art,  zu  denken,  zu  fühlen,  zu  handeln.  Es  ist 
nicht  der  geringste  Grund  vorhanden,  diese  Arten  und 
Äusserungen  des  Nachahmungstriebes  zu  zerreissen,  es  gehört 
alles  nach  seiner  psychischen  Quelle  zusammen,  ist  dasselbe. 
Auch  die  Kleidcrmodc  ist  herrischer,  als  die  meisten  empfinden. 
Man  kann  sich  ihr  nur  in  Kleinigkeiten  entziehen.  In  manchen 
Gegenden  trägt  der  Bauer  seinen  Pelz  mit  den  Haaren  nach 
aussen.  Weh'  dem,  dem  es  einfiele,  den  Pelz  mit  den  Haaren 
nach  innen  zu  tragen.  Er  wäre  ein  Narr,  mehr  als  das,  ein 
PVevler,  man  würde  ihn  meiden.  xAber  nicht  genug  mit 
solchen  Dingen.  Heute  stutzt  man  den  Pferden  den  Schweif; 
eine  törichte  Geschmacklosigkeit  und  eine  unnötige  Tierquälerei 
noch  obendrein.  Man  kann  sagen,  dass  es  geradezu  ein  Gesetz 
ist,  dass  Pferde,  den  besten  Ständen  gehörend,  gestutzte 
Schweife  haben.  Warum?  Weil  man's  tut.  Alle  Bekannten 
haben  ebensolche  verunzierte  Tiere.  Eine  Dame  würde  sich 
schämen,  mit  anderen  Pferden  auszufahren,  man  würde  sie  ver- 
höhnen. Nämlich  die  Standesgenossen.  Man  kann  heute  eben 
nicht  mit  anderen  Pferden  fahren,  wenn  man  den  obersten  Ge- 
sellschaftsklassen angehört. 

Bismarck  sagte  einmal,  das  Mitglied  einer  politischen 
Partei  brauche  einen  Führer,  damit  es  sehen  könne,  ob  es 
bei  einer  Abstimmung  aufstehen  oder  sitzen  bleiben  solle. 
Man  kann  die  organisierte  Nachahmung  nicht  besser  charak- 
terisieren. Doch  spielt  hier  noch  etwas  anderes  mit.  Aber 
auch   in    Dingen,    auf  die   wenig   oder   nichts   ankommt,    wird 


235 

nachgeahmt  und  muss  nachgeahmt  werden.  So  in  allem,  was 
der  Ethnograph  Sitte  und  Brauch  nennt.  Es  gibt  genug 
Menschen  —  hauptsächlich  Männer,  Frauen  weniger  —  die 
den  Unsinn  vieler  unserer  Bräuche  ganz  gut  einsehen.  Aber 
sie  folgen  trotzdem,  denn  sie  wissen,  es  anders  machen, 
heisst  kämpfen  müssen,  und  der  Kampf  ist  bitter.  Man  muss 
das  tun,  was  „man  tut".  Das  heisst,  man  muss  so  denken, 
fühlen,  handeln  wie  der  Kreis,  dem  man  angehört.  Für  den 
Mann,  dem  solcher  Zwang  unerträglich  ist,  gibt  es  nur  ein 
Rettungsmittel:    die  selbstgewähltc  Vereinsamung. 

Die  Nachahmung  in  der  Wissenschaft.  Sie  besteht  hier 
so  gut  wie  anderswo.  Die  wenigsten  Gelehrten  sind  originell. 
Das  „man  tut  es"  gilt  auch  hier,  nur  wird  es  „wir  glauben", 
„wir  nehmen  an"  ausgesprochen;  das  heisst,  man  glaubt,  man 
nimmt  an,  was  die  andern,  ein  Kreis,  eine  Schule  glaubt  und 
annimmt.  Das  genügt.  Wer  in  der  Arbeitsrichtung  einer 
Schule  den  grössten  Fleiss  entwickelt,  geniesst  das  höchste 
Ansehen.  Diejenigen,  welche  den  Haufen  umschwärmen 
darauf  achten,  dass  er  mit  den  andern  Truppen  in  Fühlung 
bleibe  und  nicht  etwa  in  einen  Sumpf  gerate,  werden  weniger 
geschätzt. 

Das,  was  man  in  der  Wissenschaft  Schulen  nennt,  hat 
aber  seine  Berechtigung.  Nichts  hat  so  sehr  das  Recht,  sich 
auszuleben  als  der  Gedanke.  Und  das  besorgen  die  Schulen. 
Erst  wenn  es  sich  zeigt,  dass  der  Gedanke  nicht  mehr  fähig 
ist,  des  Stoffes  Herr  zu  werden,  dann  ist  er  und  mit  ihm  die 
Schule  verloren.  Je  mehr  in  einer  Richtung  gearbeitet  wird, 
desto  besser,  denn  um  so  eher  muss  sich  zeigen,  ob  der 
Gedanke  die  Belastung  des  ungeheuren  Tatsachenmaterials 
verträgt  oder  unter  ihm  wie  eine  schlechte  Brücke  zusammen- 
stürzt. Der  wissenschaftliche  Kärrner,  der  neue  Lasten  auf 
die  Brücke  schleppt,  so  wie  er  es  andere  tun  sieht,  der  träumt 
oft,  zu  bauen,  und  er  hat  doch  nur  geholfen,  die  Brücke  zu 
zerstören.  Doch  an  ihr  liegt  nichts.  Es  kommen  neue  Ge- 
danken und  schlagen  neue,  bessere  Brücken.  So  ist  es  immer 
gewesen,  so  wird  es  immer  sein.  Jeder  Brückeneinsturz  ist  ein 
Triumph  der  Wissenschaft.     Die   neue   ist   meist    bald  wieder 


236 

da.  Wer  sich's  nicht  vcrdriesscn  lässt,  der  kann  über  das 
Kapitel  Nachahmung'  in  der  Wissenschaft  leicht  ein  Buch 
schreiben.  Am  merkwürdigsten  ist,  wie  manche  Vertreter  von 
Geisteswissenschaften  die  Methode  der  Naturwissenschaften 
naciiahmen  wollen.  Früher  hat  man  umg-ekehrt  die  Vorgänge 
in  der  Natur  nach  Art  von  menschlichen  Ereignissen  sich 
zurechtgelegt.  Goethes  „Wahlverwandschaften".  Aber  die 
Naturwissenschaften  haben  andere  Objekte  als  wir.  Dort  gibt 
es  ewig  bleibende  Gleichmässigkeiten  der  Erscheinungen, 
Gesetze.  Auf  dem  Boden  der  Geisteswissenschaften  ist  nur 
eines  ewig,  der  Wechsel.  Und  dieser  Wechsel  ist  unberechen- 
bar, keine  Erfahrung  von  früheren  Vorgängen  erlaubt  einen 
Schluss  auf  kommende.  Und  wenn  sich  auch  etwas  zu  wieder- 
holen scheint,  es  ist  doch  nicht  ganz  dasselbe,  es  ist,  wenn 
man  näher  zusieht,  etwas  ganz  anderes.  Nur  in  einem  kann 
die  Methode  der  Geisteswissenschaften  der  der  Naturwissen- 
schaften gleichen,  in  der  Beobachtung.  Die  Beobachtung  des 
unmittelbar  Zugänglichen  muss  das  nur  indirekt  Zugängliche 
vergangener  Zeiten  erklären  helfen  —  ein  Gemeinplatz!  — 
Gewiss.  Aber  wenn  man  hingeht  auf  diesen  Gemeinplatz, 
dann  ist  man  in  der  besten  Gesellschaft,  nämlich  so  ziem- 
lich allein. 

In  der  Geschichte  der  Wissenschaften,  wie  auch  sonst 
noch  oft,  bemerkt  man  allerdings  auch  einen  Trieb,  der  dem 
der  Nachahmung  direkt  zu  widerstreiten  scheint.  Ich  meine 
das  Gesetz  des  Widerspruchs.  Es  ist  der  V\'idcrspruch  aber 
nur  eine  Nachahmung  anderer  Art,  die  Kontraimitation,  wie 
man  sie  genannt  hat^).  Wenn  ich  auf  eine  Frage  ja  sage 
und  ein  anderer  ebenso  entschieden  nein,  so  ist  der  Unter- 
schied zwischen  uns  beiden  nicht  so  gross,  als  man  glauben 
möchte.  In  der  Hauptsache  aller  Wissenschaft,  in  der  Frage, 
sind  wir  ja  einig.  Eine  wirkliche  Änderung  tritt  erst  ein,  wenn 
wir  erkannt  haben,  dass  man  überhaupt  ganz  anders  fragen 
muss.  Die  Geschichte  der  Wissenschaft  ist  die  Geschichte 
dieser  Fragen. 


*)  Tarde  aao.  S.  XII. 


237 

Der  Widerspruch  der  Kontraimitation  lässt  sich  durch  alle 
Adern  des  wissenschaftlichen  Lebens  verfolgen.  Wenn  einer 
etwas  sagt,  zum  Beispiel  a,  so  sagt  vielleicht  ein  Zweiter  oder 
ein  Dritter  noch  a;  sicher  ist  aber,  dass  mehrere  das 
Gegenteil  sagen  werden.  Das  ist  schon  deshalb  notwendig, 
weil  sonst  jeder  a  sagen  könnte.  Auch  in  der  Wissen- 
schaft gibt  es  Mine  und  Kontremine,  Positivisten  und 
Negativisten,  Spieler  und  Gegenspieler,  Ormuzd  und  Ahriman. 
Aus  dem  Kampfe  von  These  und  Antithese  ergibt  sich  erst 
der  wahre  Wert  der  Idee.  Sachlicher  Widerspruch,  Wider- 
spruch mit  Gründen,  ist  eine  Wohltat,  denn  er  zwingt,  die 
These  so  stark  zu  machen,  als  sie  nach  ihrer  inneren  Ent- 
wicklungsfähigkeit gemacht  werden  kann.  Was  den  Wider- 
spruch nicht  verträgt,  ist  niclit  lebensfähig. 

Es  gibt  Perioden  widerspruchsarmer  Ruhe,  die  gewöhnlich 
auf  grosse  Funde  folgen,  wo  alle  in  einer  Richtung  arbeiten, 
dann  wieder  über  diese  Arbeiten  geschrieben  wird,  die  Zeiten 
der  „abschliessenden"  Werke.  Gottlob,  das  sind  auch  immer 
die  Zeiten  vor  dem  Sturm. 

Besonders  kräftig  ist  der  Nachahmungstrieb  beim  Weibe, 
wenigstens  beim  heute  noch  gewöhnlichen  Typus.  Deswegen 
ist  sie  in  aller  Kultur  das  erhaltende,  bewahrende  Prinzip. 
Das  Weib  hat  das  bitterste  Gefühl  der  Schande,  wenn  es 
nicht  das  haben  kann,  was  die  andern  haben  Die  Trina  in 
Turgenjews  „Dunst"  hat  nur  einen  alten  Mantel:  „O,  wie  sie 
es  hasste,  dieses  Mäntelchen!"  Natürlich,  sie  weiss  ja  die 
Gedanken  der  anderen,  wenn  diese  ihren  Aufzug  sehen,  hört 
ja  im  Geiste  ihre  höhnenden,  mitleidlosen  Worte  über  sich 
und  ihr  Mäntelchen. 

Nirgendwo  ist  der  Nachahmungstrieb  so  gewaltig,  wie  in 
der  Sprache.  Hier  ist  der  klassische  Boden  seiner  Betätigung. 
Schon  im  ersten  Stadium  des  Sprechenlernens.  Man  kann 
sagen,  dass  der  Mensch  überhaupt  sprechen  lernt,  verdankt 
er  nur  dem  Nachahmungstriebe  und  einer  ganz  enormen,  oft 
geheimnisvollen  Nachahmungsfähigkeit.  Die  Kinder  zeigen 
eine  Art  leidenschaftlichen  Dranges,  sich  der  Sprache  zu 
bemächtigen. 


238 

Die  Kindersprache  liat  heute  noch  etwas  Romantisches, 
sogar  für  manche  Forscher;  auch  diese  Romantik  verduftet, 
wenn  man  sich  die  Augen  reibt  und  scharf  zusielit  und  zu- 
hört. FreiUch  sieht  man  dann  neue,  wirkhche  Wunder.  Wir 
haben  davon  gesprochen.  Die  Kinder  sollen  daran  schuld 
sein,  dass  die  Sprachen  sich  fortwährend  ändern!  Dann  fand 
man  wieder,  dass  die  Kindersprache  bei  Deutschen  oft  auf 
ilem  Standpunkte  vor  der  ersten  Lautverschiebung  stehe,  und 
konstatierte  sofort  das  biogenetische  Gesetz.  Und  so  geht 
es  fort.  Man  beobachtet  zu  wenig  und  phantasiert  zu  viel. 
Man  muss  nur  recht  viel  behaupten,  und  zwar  gerade  über 
die  allerschwierigsten,  dunkelsten  oder  weitausgreifendsten 
Fragen,  dann  hat  man  den  Erfolg  bei  der  grossen  Menge  für 
sich.  Ich  habe  bei  so  bedeutenden  Männern  meist  nur  einen 
Seufzer  auf  den  Lippen:  „Herr!  Verzeih'  ihm,  er  weiss  nicht, 
was  er  spricht,  denn  der  Mann  ist  geistreich." 

Das  Kind  lernt  die  Sprache  des  Hauses,  in  dem  es  lebt, 
nach  und  nach  vollständig  und  vergisst  die  Art,  wie  es  im 
Anfang  gelallt,  getalkt  hat,  ebenso  gründlich.  Mit  sechs  bis 
sieben  Jahren  wird  das  Kind  so  ziemlich  die  Sprache  seines 
Kreises  innehaben. 

Wie  kommt  es  aber  zu  Änderungen  in  der  Sprache  ? 
Nach  allen  Erfahrungen  des  Lebens,  nach  dem,  was  man 
jederzeit  in  jedem  kleinen  Verkehrskreise  beobachten  kann, 
sind  es  einzelne  Individuen,  die  ihre  Art,  zu  sprechen,  doch 
zumeist  viel  mehr  als  das,  den  anderen  aufdrängen,  oder, 
besser  gesagt,  darin  von  den  anderen  nachgeahmt  werden. 
Wer  in  einem  Kreise  die  grösste  Achtung  besitzt,  den  anderen 
am  meisten  gilt,  die  grösste  Gewalt  besitzt  —  oder  wie  man 
das  immer  nennen  mag  —  der  wird  nachgeahmt.  Durch  die 
Einwirkung  des  einen,  den  unbewusst,  in  manchen  Dingen 
ganz  bcwusst,  zuerst  wenige,  dann  mehr  nachahmen,  entstehen 
Standessprachen.  Ein  einflussreicher,  mächtiger  Stand  kann 
wieder  in  vielem  vorbildlich  werden,  er  wird  bewusst  oder 
unbewusst  nachgeahmt;  sehr  viele  streben  darnach,  auch  vor- 
nehm zu  erscheinen.  Man  betrachte  die  jetzt  im  Reiche  übliche 
Art  zu  sprechen:  sie  geht  von  Preussen  aus  und  speziell  vom 


239 

preussischen  Oft'iziersstande.  Daher  der  kurz  ang-ebundene 
Satzbau,  die  bestimmte  Art,  die  hohe  Tonlage.  Natürlich 
hängt  die  Ausbreitung-  dieser  Art,  zu  sprechen,  damit  zu- 
sammen, dass  man  die  g^anze  Offiziersart  mehr  oder  weniger 
nachahmt,  das  ganze  Auftreten  und  Gehaben,  man  hat  ein 
gewisses  Ideal  von  Schneidigkeit,    dem  man  nachstrebt. 

Als  Mitglied  einer  gewissen  Verkehrsklasse  denke,  fühle 
und  spreche  ich  wie  diese,  und  mit  dieser  Klasse  ändere  auch 
ich  mich  in  jeder  Beziehung.  Das  hat  man  bis  jetzt  zu 
wenig  betont,  dass  Sprechen  mit  allem  andern  zu- 
sammenhängt, mitDenken,  Fühlen,  Handeln;  einund 
derselbe  Verkehr  ist  der  Grund  der  ganzen  Ver- 
änderungen in  mir  und  an  mir  und  um   mich. 

Ein  Lautgesetz  ist  nun  die  Konstatierung  der  Tatsache,  dass 
ein  bestimmter  Laut  zu  einer  bestimmten  Zeit  innerhalb  be- 
stimmter geographischer  Grenzen  zu  einem  andern  wurde. 
Die  Isolierung  eines  derartigen  Gesetzes  erst  macht  es  zu 
etwas  romantisch  Mystischen,  Es  wurde  alles  noch  merk- 
würdiger, als  man  erkannte,  wie  gross  die  Konsequenz  dieser 
Lautgesetze  sei.  Man  sprach  ihnen  Ausnahmslosigkeit  im 
bestimmtesten  Wortverstande  zu. 

Der  ganze  Nimbus  verschwindet,  wenn  man  sieht,  dass 
der  Lautwandel  die  Folge  oder  Erscheinungsform  einer  anderen 
Tonart,  Art  zu  sprechen  ist,  und  dass  diese  Änderung  Hand 
in  Hand  mit  anderen  Nachahmungen  geht.  Ein  Lautgesetz 
ist  um  nichts  merkwürdiger  als  das  Gesetz  des  roten  Schirmes 
und  schwarzen  Kopftuches  beim  Bauernweib,  der  Krinoline, 
der  Puffärmel  in  anderen  Kreisen  zu  anderen  Zeiten.  Ich 
weiss,  dass  man  sich  mit  solchen  Ansichten  lächerlich 
machen  kann.  Das  tut  nichts.  Überzeugung  scheut  auch 
dieses  Opfer  nicht.  Man  hat  sich  von  dem  Ernste  eines 
Gesetzes,  wie  das  des  roten  Regenschirmes  eines  ist,  von 
seiner  ungeheuren  Kraft,  sich  durchzusetzen,  eben  keine  rechte 
Vorstellung  gemacht.  Es  ist  gerade  so  viel  oder  so  wenig 
ausnahmslos  wie  ein  Lautgesetz,  es  entsteht  nach  und  nach, 
verbreitet  seine  Herrschaft  über  eine  gewisse  Gegend  und 
erlischt     einmal.       Deswegen     muss    man     fordern,     dass     die 


240 

Sachwcllcn.  die  Ausbreitungsj^ebictc  g^ewisscr  Kulturcrschcin- 
unj^^en,  im  Zusammenhange  mit  den  Sprachwellen,  dem  Gebiete 
der  Lautwandlungen,  studiert  werden.  Wo  man  sie  zusammen 
studiert  hat,  sah  man,  dass  die  Linien  zueinander  stimmen, 
dass    Beziehungen   vorhanden  sind  natürlich!      Denn   der 

V'erkehr,  der  Austausch  der  Begabungen,  ist  der  Grund 
alles  Kulturlebens.  V'erkehrsgenossenschaft  bedingt  Kultur- 
genossenschaft. 

Friedrich  Müller  hat  1884  die  Lautgesetze  Moden  ge- 
nannt. Das  fand  man  indiskutabel.  Weil  man  eben  von  der 
Mode  eine  ganz  ungenügende  Vorstellung  hatte.  Zudem  hielt 
man  die  Mode  für  bewusstc  Nachahmung,  die  Lautveränderung 
für  unbewusst.  Beides  ist  unrichtig.  Die  Mode  ist  sehr 
häufig  unbewusst,  und  die  Lautveränderungen  können  bewusst 
sein,  wenigstens  so  weit,  dass  man  eine  ganz  Art  zu  sprechen 
bewusst  nachahmt.  Übrigens  kommt  es  gar  nicht  auf  bewusst 
oder  unbewusst  an,  sondern  auf  das  Nachahmen  müssen, 
und  das  ist  überall  vorhanden.  Schon  1885  erklärte  sich 
H.  Schuchardt  mit  der  Auffassung  Fr.  Müllers  ziemlich  ein- 
verstanden und  konnte  auch  andere  Gelehrte  anführen,  denen 
solche  Gedanken  nahelagen. 

Die  anderen  Forscher  aber  sagten,  der  Grund  des  ver- 
änderten Lautes  sei  die  Änderung  des  Bewegungsgefühles 
bei  der  Hervorbringung.  Dieses  Bewegungsgefühl  verändere 
sich  bei  allen  gemeinsam,  niemand  könne  sich  ihm  entziehen, 
und  so  seien  die  Lautgesetze  eben  ausnahmslos  :  Einer  spreche 
wie  der  andere,  man  könne  bloss  minimale  Difterenzen 
zugeben. 

Also  das  Bewegungsgefühl !  x\uch  ein  Haupt-Wortfetisch, 
würde  Fr.  Mauthner  sagen.  Aber  ist  es  denn  erlaubt,  von 
einem  solchen  Gefühl  wie  von  einer  plötzlich  entstandenen 
Kraft  zu  reden,  anzunehmen,  dass  etwas  Fremdes  wie  mit 
einem  Schlage  in  die  Menschen  hineingefahren  sei?  Ein  ver- 
ändertes Bewegungsgefühl  setzt  schon  veränderte  Aussprache 
voraus.  Und  woher  kam  denn  die:  Dabei  gab  man  aber 
den  gesellschaftlichen  Charakter  aller  Sprachänderungen  gerne 
zu,  die  Nachahmung,  aber  das  Resultat  soll  doch  überall  das- 


241 

selbe  gewesen  sein.  Wie  ist  denn  das  möglich?  Jede  Ver- 
kehrsgenossenschaft hat  doch  Individuen  von  sehr  verschiedenem 
Alter  und  sehr  verschiedener  i\.ufnahmsfähigkeit! 

Der  Junge  spricht  anders  als  der  Alte,  der  Mann  anders 
als  die  Frau,  der  Gescheite  anders  als  der  Dumme.  Diese 
Unterschiede  sind  auch  bloss  vom  rein  sprachlichen  Standpunkt 
aus  betrachtet  —  gar  nicht  so  gering.  Der  junge  Bauer  weiss 
oft  ganz  bestimmt,  dass  er  anders  spricht  als  seine  Mutter 
oder  Grossmutter,  wenn  er  das  auch  bloss  am  Wortschatze 
beobachtet  hat.  Richtig  ist,  dass  in  praxi  diese  Unterschiede 
wenig  in  Betracht  kommen,  weil  die  literarischen  Denkmäler 
zumeist  von  Männern  mittlerer  Jahre,  also  der  aufnahms- 
fähigen  Zeit,  herrühren  und  weil  produzierende  Männer  auch 
sprachliche  Führer  sind.  Den  gesetzlichen  Lautwandel  hat 
man  den  lautmechanischen  genannt.  Dieses  Wort  muss 
eliminiert  werden,  denn  es  kann  zu  der  falschen  Auffassung 
verleiten,  dass  der  Lautwandel  in  einer  Veränderung  unserer 
Sprachwerkzeuge  seinen  Grund  hat.  Das  wäre  ein  grober 
Irrtum.  Nichts  in  der  Sprache  ist  mechanisch,  nicht  in  den 
Sprachwerkzeugen  wird  die  Sprache  gemacht  und  verändert, 
sondern  in  der  Seele,  dort,  wo  alle  Kultur  sitzt.  Kann  man 
den  Walzer  der  Deutschen  und  den  Kolo  der  Slaven  aus  der 
verschiedenen  Beinmuskulatur  der  Völker  erklären? 

Beim  Lautwandel  finden  sich  zwei  Arten.  Die  einen  Laut- 
übergänge sind  allmähliche,  der  eine  Laut  geht  langsam  und 
allmählich  in  einen  anderen  über.  Wir  alle  machen  solche  Laut- 
wandlungen mit  und  merken  sie  ebensowenig  wie  dieUmdrehung 
der  Erde.  Es  gibt  aber  andere  Veränderungen,  die  geschrieben 
wie  plötzliche  aussehen,  man  hat  sie  „sprunghafte"  genannt. 
Unser  Wort  „Vogel"  kommt  von  „fliegen",  muss  also  in  alter 
Zeit  „fluglaz"  gelautet  haben.  Hier  ist  das  erste  1  einmal 
geschwunden.  Aber  die  Veränderung  ist  auch  hier  keine  ur- 
plötzliche. Zuerst  hat  sich  „fuglaz"  nur  als  „versprochene" 
Form  eingestellt,  wurde  immer  häufiger,  schliesslich  die  Regel. 
Alle  die  Erscheinungen  des  sprunghaften  Lautwandels  kann 
man  im  „Versprechen"  beobachten.  Hier  liegt  eine  besondere 
Art   von   Lautwandel  vor,    der    unserer    unmittelbaren    Beob- 

Meringer,  Aus  dem  Leben  der  Sprache.  lo 


242 

aclitung  zug^änglich  ist.  Aber  auch  dieser  Wandel  ist  psycho- 
logisch. Besonderes  Merkmal  dieses  sprunghaften  Lautwandels 
ist,  dass  er  sich  zu  den  verschiedensten  Zeiten,  bei  den  ver- 
schiedensten Völkern  bemerkbar  macht,  kurz  etwas  Bleibendes 
ist,  wie  eben  auch  das  Versprechen. 

In  letzter  Linie  geht  also  der  Lautwandel  auf  ein  Indivi- 
duum zurück.  Und  da  fragte  man:  Warum  oder  wie  kommt 
aber  das  Individuum  dazu,  zu  ändern?  Das  ist  das  Muster 
einer  schlecht  gestellten  Frage,  die  auch  der  grösste  Denker 
nicht  beantworten  kann,  und  deshalb  konnte  auch  niemand 
eine  befriedigende  Antwort  geben.  Das  Individuum,  von  dem 
die  Änderung  ausging,  braucht  selber  gar  nichts  geändert  zu 
haben;  es  sprach  so  wie  die  anderen.  In  seinem  Munde  klang 
die  Sprache  anders  als  bei  anderen,  das  gilt  ja  von  jedem, 
aber  es  wurde  in  seinem  ganzen  Gehaben,  in  seiner  ganzen 
Art  nachgeahmt,  die  anderen  nicht.  Seine  nächsten  Nach- 
ahmer steigerten  das  Charakteristische,  das  Besondere  zu  einer 
Art  Ideal,  es  wurde  nicht  nur  die  Art,  zu  sprechen, 
sondern  ein  gewisses  Ideal  des  Handelns  und  Fühlens 
aufgestellt  und  entwickelt,  und  an  dem  arbeitet  dann 
die  ganze  Sprachgenossenschaft  und  ahmt  es  nach. 
Nicht  um  die  Sprache  allein  handelt  es  sich,  sondern  um  die 
Art,  auf  äussere  Eindrücke  zu  reagieren,  um  einen  Mode- 
charakter. „Die  Änderungen  fangen  nicht  mit  dem  Laute 
an,  sondern  mit  der  Tonierung  des  Satzes,  mit  seiner  seelischen 
und  musikalischen  Färbung"  lehre  ich  seit  vielen  Jahren. 

Und  mit  dem  Stimmungsinhalt  der  Seele  verändert 
sich  der  Wert  des  einzelnen  Lautes.  Das  hat  E.  Sievers 
zuerst  gesehen.  Aber  nicht  gesehen  hat  er  den  Weg. 
Ch.  Darwin  hat  zuerst  wissenschaftlich  den  Zusammenhang  von 
Gemütsbewegung  und  Gesichtsausdruck  dargestellt.  Aber 
die  Gemütsbewegung  verändert  nicht  nur  die  Musku- 
latur des  Gesichts,  sondern,  worauf  Darwin  zuwenig  ge- 
achtet hat,  auch  die  der  Zunge,  wirkt  auf  die  Tätigkeit 
der  Stimmbänder,  auf  Atmung  und  auf  die  Herz- 
tätigkeit, kurz  auf  alle  Faktoren,  die  bei  der  Sprache 
in  Funktion  treten.      Man  rede   sich  einmal  in  eine  schau- 


243 

spielerische  Wut  hinein  und  sage:  „Sie  sollen  kommen!!"  Es 
wird  klingen  wie:  „Se  sallen  kämmen!"  Jetzt  sage  man  die 
Worte  zärtlich:  i  und  o  klingen  geschlossen. 

Und  nun  nehmen  wir  einen  Menschen,  der  leicht  mit  Wut 
reagiert.  Seine  o  werden  nach  a  hinneigen,  sowie  in  seinem 
Gesichte  sich  jene  Runzeln  eingraben  werden,  die  der  Art 
dieser  Gemütsbewegung  entsprechen,  was  ja  mutatis  mutandis 
das  Charakteristische  eines  jeden  Gesichtes  ausmacht.  Nehmen 
wir  nun  weiter  an,  dass  viele  ihm  nachahmen,  aus  Liebe  oder 
Furcht,  so  wird  sein  Verkehrskreis  helle  o  sprechen,  und  man 
wird  einmal  finden,  dass  zu  dieser  Zeit  sich  das  „Lautgesetz" : 
„o  wird  zu  a"  zugetragen  hat. 

Das  ist  ein  grobes  Beispiel  und  übertrieben.  Aber  man 
folge  weiter.  Beobachten  wir  einen  Aristokraten.  Was  drückt 
sein  ganzes  Gehaben  aus:  Es  ist  langweilig,  ich  weiss  schon, 
kenne  das  schon  usw.;  ich  möchte  das  die  äh!-Stimmung- 
nennen.  Es  ist  Mode,  als  Aristokrat  so  zu  reden,  kurz  eine 
gewisse  gleichgültige  Gemütsstimmung  nachzuahmen,  wenn  auch 
das  Individuum  ganz  anderer  Art  ist;  man  spielt  eine  Rolle, 
man  eifert  einem  bestimmten  Ideal  nach.  Man  kann  doch 
auch  nicht  verkennen,  dass  der  Offizier  ein  bestimmtes  Ideal 
von  Schneidigkeit  hat  und  dass  damit  sein  Sprechen  mit  ge- 
hobenem Kehlkopfe,  die  hohe  Tonlage,  seine  Syntax  zusammen- 
hängen. Der  Österreicher,  namentlich  der  Wiener,  spricht 
„gemütlich",  ergeben.  Aber  damit  hängt  auch  sein  ganzes 
Auftreten,  seine  Mimik,  seine  Gebärden,  seine  Lebens-  und 
Weltanschauung  zusammen.  Man  spielt  den  Gutmütigen,  und 
wenn  man  das  auch  durchaus  nicht  ist,  wie  der  Berliner  den 
Schneidigen,  und  wenn  er  auch  ein  gutmütiges,  ganz  unschneidiges 
Individuum  ist. 

Man  hat  früher  dem  Klima  einen  Einfluss  auf  die  Sprache 
zugeschrieben.  Das  war  die  Zeit,  wo  man  die  Geschichte 
eines  Volkes  gewissermassen  von  der  Landkarte  ablesen  zu 
können  glaubte.  Aber  wir  haben  es  alle  selber  erlebt,  dass 
ein  altes  Volk  von  Seefahrern  eines  schönen  Tages  kein  ein- 
ziges brauchbares  Schiff  hatte.  Das  ist  jedenfalls  aus  seiner 
geographischen  Lage  nicht  zu  erklären.     Man  hat  überhaupt 

16* 


244 

dem  Klima  eine   zu  grosse   Rolle    bei    der  Kulturentwicklung 
eingeräumt,  was  man  nicht  oft  genug  hervorheben  kann. 

Aber  gewiss  scheint  mir  der  Einfluss  des  Volks- 
charakters auf  die  Sprache  zu  sein.  Nur  muss  man  sich 
diesen  nicht  als  gleichbleibend  denken.  Das  Deutschland 
des  „Simplizissimus"-Zeitalters  ist  nicht  mehr  das  der  schönen 
Zeit  der  Alleinherrschaft  der  „Gartenlaube".  Wie  weit  hinter 
uns  scheint  das  schon  zu  liegen!  Der  Volkscharakter  ist 
die  historisch  begründete,  aus  den  Erlebnissen  ge- 
flossene Nachahmung  eines  gewissen  gemeinsamen 
Ideals.  Die  Männer,  die  das  jetzige  Mannesideal  des  Deutschen 
geschaffen,  können  wir  an  den  Fingern  herzählen,  man  strebt 
ihnen  nach,  wenn  das  auch  nur  den  wenigsten  bewusst  wird. 
Aber  ewig  werden  auch  diese  Muster  nicht  bleiben.  Aus 
neuen  Verhältnissen  werden  neue  Lebensideale  erstehen,  auch 
solche,  die  den  Namen  Ideale  nicht  mehr  verdienen.  So  hebt 
und  senkt  sich  die  Woge  für  jedes  Volk  und  hat  sich  öfter 
gehoben  und  gesenkt,  als  wir  wissen  können.  Und  alle  diese 
Erregungen  hat  die  Sprache  mitgemacht  und  trägt  gewiss  in 
ihrer  Geschichte  die  Spuren,  die  wir  aber  nicht  verstehen. 
Nur  beobachten  kann  uns  helfen.  Eine  einzige  richtige  Beob- 
achtung des  Zusammenhanges  von  Sprache  und  Seele  wiegt 
einen  Band  auf!  „Geist"  brauchen  wir  nicht,  Verstand  tut  not, 
und  vor  allem  —  Augen  und  Ohren! 


Druck  Ton  Max  Scfameraow  vorm.  Zahn  &  Bae&del,  Eirchbjüii  N.-L. 


\*^^fy  J9-,         I 


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LaG.Gr 
M5625a 


Meringer,  Rudolf 

Aus  dem  Leben  aei 


DATE. 


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UNIKRSITY  OF  TORONTO 
LIBRARY 


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