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Tagebüder
4. 3. Barnhagen von Enfe.
Zehnter Band.
Ans den Nachlaß Varnhagen’s von Enfe.
— — — —
Tagebücher
von
K. A. Barnhagen von Enſe.
Zehnter Band.
OD —
Hamburg.
Hoffmann & Campe.
1868.
Das Recht der Ueberiegung ins Englijche, Kranzefiihe und andere fremde
Sprachen iſt verbebalten.
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1858.
j Montag, den 3. Sanuar 1853.
Der ehmalige Abgeordnete und Oberbürgermeiſter Zieg—
ler in Brandenburg iſt vom Kriminalgericht in Magdeburg
freigeſprochen worden. Er ſollte den Gerichtsdirektor in
Brandenburg und einen Superintendenten verläumdet haben.
7
Dienstag, den 4. Januar 1853.
Das Buch von Reichlin⸗Meldegg it in Stuttgart erſchie⸗
nen, der erfte Band. in langweiliger Text, fo jchlecht redi-
girt ald möglich. —
Die „Urwählerzeitung“ Nr. 2 ift von der Polizei weg—
genommen worden; ſie beſprach die Schändlichkeiten, die in
Elbing von dem Polizeidireftor verübt iverden, und ungeftraft
bleiben.
Rösler von Dels hat von Amerika ber feinen politiſchen
und auch perſönlichen Gegner, Reallehrer Kehler zu Tuttlin—
gen, der den Entfernten mit niedrigen Schmähungen und
Verdächtigungen verfolgt, gerichtlich belangt, und der elende
Verläumder iſt vom Gericht zu achttägiger Haft und 30 Gul-
den Strafgeld verurtheilt worden; ein erjter Spruch lautete
ſogar auf 5 Wochen und 55 Gulden.
— nn
| Mittwoch, den 5. Januar 1853.
Das Kreiögericht in Stettin hat die angeflagte freie Ge—
meinde dajelbit freigefprochen, und ihre polizeiliche Schließung
Varnhagen von Enſe, Tagebücher. X.
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2
aufgehoben. Ein wahres Wunder! Das Gericht über die
Polizei geftellt! Aber wird es dabei verbleiben ?
In Goethe’gelefen ; in meinen Kriegsbüchern ꝛc. —
Donnerstag, den 6. Januar 1853.
Sehr fchlechte, großentheils jchlaflofe Nacht. —
Gefchrieben. Die Schlaht von Belleallianice wieder ein-
mal durchgemacht, nadı Wagner, Müffling, Plotho, Sibornexe.
Ohne Blücher und Gneifenau war Wellington verloren. Er
wäre es auch jo geweſen, wenn Napoleon noch der alte geweſen
wäre, feine Befehle richtiger gegeben und durch Wiederholun-
gen geficherter gewefen wären, er ſelbſt noch mie fonjt rüftig
zu Pferde -gejeifen hätte. Daß ihm Ney bei Ligny, Grouchy
bei Bellealliance ausblieb, ift feine Schuld. Uebrigens be-
nahm er ſich mehr wie ein Spieler, ald wie ein eldherr; er
fühlte fich in verzweifelter Lage, er betrog die franzöfifche Na-
tion, das machte ihn unficher, da bedurfte er um jeden Preis
eined Sieged, und. gelang der nicht, fo war das Spiel ver:
loren; fein Spiel, die Sache der Nation hätte fich noch ver-
theidigen und retten laſſen, jelbit gegen die anrückende Ueber:
macht. Die Flucht von Bellealliance nach Paris ift da8 Ger
genftüd zu dem Siegeszug von Cannes nah Parid. Mir ift
88 fehr glaublih, was Alerander Dumas erzählt, daß Napo-
leon bei Bellealliance wegen eines ‘heimlichen Uebels fich nicht
zu Pferde halten fonnte, außer im Schritt! — Ä
Der König hat am Johanniter-Orden gediftelt; nun ift
diefer erſt recht nicht Fifch noch Fleiſch! Es follen 100 Thaler,
auch 200 Thaler, bei der Aufnahme bezahlt, auch Jahresbei—
träge zur Stiftung eines Hospitals gegeben werden; auswär—
tige Ritter brauchen das nicht, find aber dann nur Ehrenritter.
Das wird viel helfen! Unvermögen etwas zu fchaffen, in allen
Richtungen! — — |
— — — — —
3
Freitag, den 7. Januar 1853.
Die demofratifchen Blätter jtellen mit beißender Schärfe
wiederholt Die merkwürdige Thatfache vor Augen, daß, wie
ſchon länaft die Demokratie, nun aud) die Standeöherren, die
- Königlichen Prinzen, ja der König felbft, fich der Ausübung
ihrer durch die Berfafjung ertheilten politifchen Rechte enthuls
ten! Ob das aber, wo dergleichen gefchieht, ein ſchöner Zus
fand ift? Jene wollen nicht Pairs vorjtellen, das Volk nicht
Wähler! —
„Einleitung in die Geſchichte des neunzehnten Jahrhun—
derts. Bon G. G. Gervinus. Leipzig, 1853. 8.“ Ganz
vortreffliche Geſchichtsanſchauungen, mir ſehr vertraute. —
Sonnabend, den 8. Januar 1853.
In Gervinus geleſen, mit großer Befriedigung; in
Tieck ꝛc. —
Der König hat die Wahl des Dr. Krech ſchließlich nicht
beſtätigt, der Magiſtrat muß eine neue Wahl vornehmen. —
Der nichtswürdige falſche Ankläger Goedſche, ehmaliger Poſt—
ſekretair, iſt wegen Herausforderung des Buchdruckers Hayn
auf Piſtolen — der elende Schächer! — zu ſechswöchentlicher
Haft verurtheilt worden, eben ſo ſein Kartelltrager, ein
Dr. Köhler, Geſindel, Gezücht! —
Die Geſandten von Oeſterreich, Preußen und Rußland
haben dem Kaiſer der Franzoſen ihre neuen Beglaubigungen
überreicht. „Monsieur mon frère“, heißt es alfo nun! Der
ruſſiſche Kaifer foll diefen Ausdrud noch vermieden haben, ift
darum aber nicht weniger Monsieur mon frere, der Bona—
partes — nicht minder „Sire“ und „Majeste Imperiale“,
grade wie der Katjer Nikolai. _
Das Bud) von Gervinus ift in Heidelberg fchon polizeilich
weggenommen und ſoll als hochverräthberiſch angeklagt werden.
.18
5
Momag, ven 10. Januar 1853. ,
Herrn von Hänlein geſprochen. Der Minifter von Man-
teuffel hat zu ihm gejagt, es fei Doch immer eine ſchöne That:
fache, daß der Kaiſer von Deiterreich hier gewejen, und Pro—
keſch fomme nun auch fort, das fei ein Triumph! Daß Herr
von Profefch zum Bundesgefandten ernannt worden, wußte
der Minifter noch nicht, doch ftand ed noch am felbigen Abend
in der Zeitung! Man fieht in diefer Ernennung und in ber
Heimlichkeit, die dabei gegen Preußen beobachtet worden, eine
befondere Tücke Oeſterreichs, einen Anfang der Nadenfchläge,
die wir ferner von daher zu erwarten haben. —
Beſuch bei Herrn Dr. Hermann Franck. Ueber Gervinus,
und daß er durch feine Schrift die Gothaer verlaffen hat. —
Beſuch von Herrn Staatsrath von Blum. Nachrichten
aus Nizza. — - J
Es gehört doch zu den Zeichen unſrer Zuſtände, daß ein
. Mann, wie der Präſident der Seehandlung, Herr Bloch, von
der neueften Schrift des Gervinus entzüct ift und dies laut
ausipricht.
Dienstag, den 11. Januar 1853.
Gefchrieben, „Alte Zeiten werden jung“, Wiederkehr der
Bonapartifchen Herrichaft in fcheuplichfter Frage! — |
Nachrichten aus Paris; die Legitimiſten neigen ſich fchon
mehr dem Kaifer- — zu, fie jehen mit Neid die ungeheuern
Bortheile, die Andern von ihm zufliegen, Würden, Macht, und
befonders Geld, Geld! Die Verbrecher Saint-Arnaud, Mag:
nan, Morny, Perfigny ꝛc. find ſchnell Millionaire ge:
worden! — |
Madiai in Toscana im Kerfer geitorben! "Alle Berwen-
dungen ded Könige von Preußen, Gropbritanniend ꝛc. zu
Schanden gemaht! Sein Verbrechen war, die Bibel gelefen
7
Donnerstag, den 13. Januar 1853.
Die Neue Preupifche Zeitung ift ganz entjegt über die ſich
fundgebende Demokratie, die Anzeige von Berends und
Bathow, die Schrift von Gervinus, fie fchreit Lärm und
Rache! —
“ Der deutfchfatholifche Prediger Grdmann hier ift wegen
angeblich gehäffiger Angriffe auf Chriftus und auf die Grund-
lehren des Chriſtenthums zu vier Wochen Gefängnig verur-
theilt worden, der Staatsanwalt forderte neyn Monate, —
Die freie Gemeinde in Nordhaufen, deren polizeiliche Schlie—
Bung durch zwei gerichtliche Sprüche aufgehoben worden, bleibt
dennoch gefchloffen, nun ſchon ein Jahr! Die Gerichte find
ohnmächtig, die Polizeiwillfür allmächtig! Aber e8 wird ein
Tag des Gerichtd kommen, der wird Macht haben! —
In Elding wirthfchaftet der Polizeifcherge vom Selker wie
ein Paſcha. Es giebt fein Recht mehr, feine Selbitftändigkeit
irgend einer Art, bei ſolcher Wirthſchaft. Und im Angeficht,
der Kammern, in aller Deffentlichfeit befteht der Gräuel! —
‚Die freie Gemeinde in Halberftadt ift auch gerichtlich frei-
gejprochen worden, depgleichen die zu Tilfit; was hilft's? man
kann den Gerichten das Freifprechen erlauben, wenn die Poli⸗
zei doch thut was ſie will! —
Freitag, den 14. Januar 1853.
Nachrichten aus dem Kreiſe der Abgeordneten. Sie ſind
im Allgemeinen noch ſchwierig genug, machen ſich unterein—
ander und auch den Miniſtern viel zu ſchaffen, es regt ſich
mancher Widerſpruch, manche Unzufriedenheit. Wir ſind weit
zurückgegangen, das iſt wahr, aber die Forderungen ſind wei—
ter voraus als je vorher, und die Wege vorwärts ſind gebahnt
und nur nothdürftig geſperrt. Die Regierung ſteht fchlim-
mer ale j je vorher! Sie fühlt es auch.
1
9
1632, den Herr Gollier in einer Verfteigerung faufte, und erit
feines fchmusßigen verdorbenen Ausſehens wegen nicht beach:
tete, zeigte bei näherer Anficht gegen 20,000 handſchriftliche
Bemerkungen oder Verbeſſerungen, die aus alter Zeit und aus
einem zuverläſſigen Texte zu ſtammen ſcheinen. Ein bedeu:
tender Fund! —
Zamartine in jeinem achten Bande wird immer fader und
matter; er fpricht alle mit ſchönen Redensarten zurecht, und
ichmeichelt nach allen Seiten, bejonters aber den Bourbong,
deren Glendigkeit er höfiſch aufitußt, deren Wortbrüchigfeit er
verſchweigt oder entſchuldigt. Unter ſeinen Händen wird die
Geſchichte nur eine Beſchönigung. Ich bin ſeiner herzlich
ſatt. —
Im Plinius geleſen, Engliſches. —
— — — — —
Sonntag, den 16. Januar 1853.
Gecſchrieben; über die Theilnahme, die man für dag heu—
tige Preußen haben kann; fig fann einzig in der Hoffnung be-
jteben, daß es ein andered werden fönne, daß dieſer Staat
einen andern Inhalt aufnehmen werde, das Jahr 1848 hat
gezeigt, welchen. —
Die Feſtlichkeiten bei Hof haben angefangen, und beichäf-
tigen die vornehme Welt. König und Königin wohnen auf
dem Schloffe. Alles drängt fich dorthin, aber es ift fein auf:
richtiger Sinn, Teine ächte Huldigung dabei. Wie hat fid
das verändert! Hof und. Adel und Militair vergißt nicht die
erlittnen Schläge.
Der Randrath von Elsner, gefragt, warum er den Hofball
nicht bejucht. habe, antwortete, wenn man Mitglied der Kam:
mer fei, fünne man dort fein Bergnügen haben, man werde
ganz verächtlich angefehen und jchändlich behandelt. „Auch
11
Preußen giebt nach, und ift am Ende froh, feine Preſſe ſtrenger
zu feffeln, ohne den Schein zu haben, es ſelbſt zu thun. Alte
Erbärmlichkeit, die mit dem böfen Willen auch noch die Feig—
heit aufzeigt! Sie denken wirklich, diefe Sammerleute, mit
einem Wort, mit einem Anſchein, ſei etwas ausgerichtet! Jetzt
noch! —
Die Künſtler klagen alle ſehr über Herrn von Olfers. —
In Kopenhagen iſt der Reichstag aufgelöſt worden, wegen
dänifch-demofratifcher Eigenwilligkeit.
Aus Toscana wird die Nachricht vom Tode Madiai's amt—
lich verneint. Man ſagt ſogar, er werde höchſt mild und gut
gehalten und nächſtens freigelaſſen!
Als einen der eifrigſten Zuträger und Schmarotzer in der
diplomatiſchen Welt und auch in zweiter Geſellſchaft der Ban—
quiers bezeichnet man den Landrath von Kleiſt-Schweinitz aus
Herzberg; er geht auf den Wegen Küpfer's, der ſich jetzt be-
ſonders dem franzöfifchen Gefandten anſchmiegt, und ſoll ein
höchſt gefährlicher Menſch ſein.
Dienstag, den 18. Januar 1853.
Regen mit Sihneefloden untermifcht. Gräuliche Näſſe! —
Gejchrieben, mein täglich Werf! Mas kann ich anderes!
— in folcher trüben Zeit, wo ed faum hell wird, fchwindet
ohnehin das unmittelbare Leben in Unfichtbarfeit, man muß
es vorausfegen, aber fieht und fühlt ed nicht. Kein Ausgehen,
feine frifche Quft, feine muntre Anfprache, feine Naturfreude,
ein Berfriechen hinter erwärmte Mauern, in allerlei Gedanfen-
jpiele, Zraumgefpinnfte. Das ift nichts Neues, jeder hier zu
Lande hat's erfahren, und ich erfahr' es nun auch. Ooou de
— XR TUyaıs Agorol &iye. Eyovoıv, av Av uoiea⸗
&yoıg, Tavınv Eys und ayavanısı. —
13-
ſindel um Logik zu thun? Sie fuchen ihren Bortheil auf alle
Weiſe, mit Hoffahrt und Demuth, mit Lüge und Verrath, mit
jeder Niederträchtigfeit; fie jchmeicheln dem König und halfen
ihn, den Miniftern und verachten fie. Und ihr Anführer it,
was. ihnen felbit das Verächtlichjte, der getaufte Jude Stahl,
den jie bewundern, weil er Maulfertigfeit hat, darauf be—
ſchränken fich feine Talente, er ift fonft ein erbärmlicher
Wicht. —
Gefchrieben. Facit indignatio versus. Doc diesmal
feine Berfe. Ausgegangen mit Ludmilla; im Kunftverein das
Bild von Gallait befehen, die Xeichen der Grafen Egmont und
Hoorn.
Brief und Sendung aus Weimar von Apollonius von
Maltitz. Gin ſchönes Blatt von Goethe, eined von Adelheid
Neinbold, eines von Karl Gottlob Cramer, dem einft berühm-
ten Verfaſſer des Erasmus Schleicher, der, wie ich nun fehe,
auch der Verfaſſer Des Liedes „ Sehnſucht nad) Oskar“ ift, das
meine Schweiter und ich einjt jehr liebten und oft herfagten
und fangen. — Maltitz iſt voll Gedanfen und Entwürfen,
fleißig, immer mit Edlem und Hohem befchäftigt. —
Herr Dr. Schrader aus Erfurt — jest nach Halle. verjebt
— ſendet mir ein Blatt, dad ganz was Neues enthält, nämlich
er bezweifelt, daß Angelus Stlefius und Johann Scheffler ein
und diefelbe Perfon feien; feine Gründe der Annahme einer
Berjchtedenheit wollen mir keineswegs einleuchten, ih fann
aber jebt auf eine rechte Prüfung derfelben nicht eingehen.
Freitag, den 21. Sanıar 1853.
Ich habe doch gleich meine Papiere nachſehen müffen, und
- Tchnell gefunden, daß Herrn Dr. Schrader’3 Aufftellungen . in
Betreff der Verfchiedenheit des Angelus Silefius und Johannes
Scheffler ganz in den Wind geben; alles fällt zufammen vor
15
dewefen zu fein, denn Ehre hat fie nicht abgehalten, nur dum⸗
mer Dünkel, weil fie fi im Augenblide grade weniger fürch—
teten! Seine Heirath wirft den Kaifer- Abentheurer auf die
tevolutionaite Seite, Der „Retter der Gefellfchaft“ "wird es
ihnen nicht lange bleiben ! |
- Dad Ordensfeſt war heute; nur noch ‚ein Prunk- und
Gaufelfpiel!
Die Rede Louis Napoleons ift ganz hieher telegraphirt
worden; das erſte Beiſpiel einer ſo großen Depeſche von mehr
als tauſend Wörtern. Die Spener'ſche, Voſſiſche und die
Nationalzeitung hatten ſie. Die Kreuzzeitung gab ein Extrablatt.
Der Präſident von Gerlach ſagte neulich mit höhniſcher
Bitterkeit: „Der preußiſche Staat wird von zwei Sh......
regiert, von Louis Schneider und Ryno Quehl.“ Beide waren
Schaufpieler. — |
Montag, den 24. Januar 1853.
Mit vielem Fleiß und mit tiefer Rührung Papiere von
Rahel durchgeſehen und eingetragen. Ich war wohlthätig er—
wärmt und zu neuem Leben erfriſcht durch dieſen lieblichen
Sonnenſchein, in dem ich ſonſt immer lebte, jetzt nur auf Augen⸗
blicke, denn wie er mich belebt, ſo verzehrt er mich auch. Ich
halt' ihn nicht lange aus, ich müßte denn neue Thätigkeit an
ihn wenden können.
Sendung aus Halle von Prof. Heinrich Ren, der dritten
Auflage feiner Univerfalgefchichte dritter Band, über 1100
* Seiten ftarf, dem Präfidenten Ludwig von Gerlach zugeeignet !
Mit welcher Beharrlichfeit diefer Leo fich in gutem Vernehmen
mit mir erhalten will! Er müßte mich von Rechts wegen
haſſen! Aber nein! er ſchickt mir feine Schriften, und zitirt -
die meinigen. — |
Befuh von Herrn.&. Ueber die Bonapartifche Heirath
und Rede. Die Beleidigung der alten Höfe ift das Wichtigfte.
17
Mittwoch, den 26. Sanuar 1853.
In Königsberg hat der alberne Polizeidireftor die Schrift
von Gervinus mit Befchlag belegt, der einzige in Preußen!
Solch dumme Augendiener werden doch öfters mißbilligt. Die
Schrift eines Predigers der freien Gemeinden gegen die Jeſuiten—
moral war in Magdeburg polizeilich unterdrüdt, durch einen
Befehl von bier ift fie wieder freigegeben worden. Dagegen
ift Herr von Jasmund, Redakteur des Bethmann-Hollweg'ſchen
Wocenblattes, wegen Beleidigung ded Minijteriumd fehr un⸗
gerecht zu Gefängnißftrafe verurtheilt worden; er hatte gefagt,
der Minifter des Innern habe eine fehr ftrenge und tiefgeheime
Berordnung an alle Zandräthe erlaffen um die Wahlen zu lei-
ten; die Thatfache wurde nicht geläugnet.
Die telegraphifche Depefche, welche die Nede des Kaiſers
Napoleon für die Zeitungen brachte, wurde durch eine des
preußischen Gefandten von Haßfeldt unterbrochen, welche na=
türlich den Borrang erhalten mußte, dabei aber lächerlicher-
weife nichts fagte, als daß der Gefundte die Rede noch nicht
babe befommen fönnen und fie fünftig ſchicken werde! Darauf
wurde die Zelegraphirung für die Zeitungen fortgefeßt. Der
König las die Rede zuerft in der Nationalzeitung. Dies ift
ganz authentiſch. —
Der Graf von Itzenplitz erweiſt ſich in der erſten Kammer
immer erbärmlicher, täglich ſeines Schwagers von Meding
würdiger! Die Burſche wundern ſich, daß Freunde der Oeffent—
lichkeit dennoch bei Wahlen geheime Abſtimmung verlangen
können, Mit ſolchen Dummheiten kommen fie noch jetzt! —
Betrachtungen über den Gang der Geſchichte. Alles fängt
immer von neuem an, und doch iſt in allem Wiederanfangen
jedesmal ein Fortfchritt. in Gefchlecht folgt dem andern,
aber weiß wenig von dem andern ; die Erfahrungen gehen ver—
loren, daher müffen immer neue gemacht werden, unter etwas
veränderten Umftänden, darin liegt dann der Fortſchritt. —
Barnhagen von Enfe, Tagebüder. X. 2
19
In Königsberg der Prediger Detroit wegen einer Drud-
fchrift, in der er fich vertheidigte, zu Gefängniß- und Geld-
ftrafe verurtheilt. Hier ein Prediger von Bülow, der in der
freien Gemeinde Trauungen und Taufen vorgenommen hat, zu
vierzehntägiger Haft verurtheilt. In Magdeburg der Prediger
Uhlich und noch ein andrer wegen gleicher Vergehen freige-
ſprochen.
Mein Nachbar, der badiſche Geſandte von Meyſenbug, hat
im Auftrag ſeiner Regierung hier Beſchwerde über die Neue
Preußiſche Zeitung geführt, welche die Maßregeln Badens ge-
gen die Alt-Rutheraner unanftändig getadelt haben ſoll. —
Die Frau von Bruining geb. Fürftin von Lieven, Die
. eigentliche Befreierin Kinkel's, ift in London an der Herzbeutel:
Waſſerſucht geftorben. Sie that den Flüchtlingen viel Gutes;
an ihrem Grabe follen Reden gehalten werden.
Nachrichten aus Paris. Die Defterreicher dort enthalten
fich des Hofes. Defterreich ift beleidigt, weil gefagt worden,
es habe fich beworben (brigué) um die Heirath der Erzherzogin
Marie Louiſe mit Napoleon. Aber ift die Berichtigung, ed
fei durch Zwang dahin gebracht worden, nicht noch ſchlimmer?
-— Wie efelhaft find alle diefe Gleißnereien, Rügen, Eitelfeiten
und Niederträchtigkeiten! — In welcher Luft leben wir, müffen
wir leben! Nur, wer fie erfährt, kennt diefe Vergiftung !
Die Nachkommen werden es ſchwer begreifen, welche Zuftände
dies waren, und wenn dies, wie fie jo allgemein ertragen wer:
den konnten. —
Sonnabend, den 29. Jannar 1853.
Meifterhafter Auffat der Nationalzeitung gegen den Runt-
ſchauer Gerlach ; deſſen Haß gegen Friedrich den Großen, deſſen
Arglift und Verrätherei werden herrlich aufgededt. — Auch
die Urwählerzeitung ift ganz vortrefflich ; fie zeigt, wie Louis
2*
21
Buch ebenfallä verlegt; aber auch die ibren will ja niemand
mebr! Nachrichten au Paris von dem elenden Circourt, der
von der srl. Montijos bewundern? ſchreibt; Bettina meint,
diefe Dame babe freien Sinn und große Kraft, jie werde Bo⸗
naparte'n mit denfelben Ideen erfüllen, die fie, Bettina, unferm
König habe geben wollen, jener werde nun ausführen, was
diefer verjäumt. Cine Fluth von Verwirrung und Wider:
ſprüchen! Herr von Zivers fam und bemmte den Strom.
Ein namhafter General (Bardeleben? Webern ?) bat ges
fagt, fein preugijcher Patrietismus ruhe, jo lange diefer König
tegiere! Das innerite Gefühl empöre fih gegen diefe Wirtb-
Ihaft, alles Bertrauen und alle Hoffnung fei vernichtet! —
Montag, den 31. Januar 1853.
Borgejtern war Die bürgerliche Heirath Louis Bonaparte's,
das Bolf jubelt ihm in den Straßen zu. — Hier gaben Ber-
liner Bürger dem Polizeipräjidenten von Hindeldey ein Seit:
mahl bei Kroll, über 1100 Gäjte, auch viel Jubel, für ihn und
Manteuffel, die Unterdrüder der Freiheit und des Volks!
Dieje Leute würden auch Santerre und Henriot hochleben
laſſen! — Sie thun, als wäre Hindeldey der liebenswürdigite,
gutmüthigfte Menjchenfreund; und er hält eine Rede, und
fühlt jüch beraufcht von dem Afterbilde der Popularität! —
Gejtern war auch gleich die Firchliche Heirat Bonaparte's, unter
großem Bolfsjubel, und die Gefandten waren auch dabei. —
Schimpfliches Benehmen unjrer Kammern, jeder Unjinn
it ihnen recht, wenn die Regierung ihn vorbringt und die
Partheifucht ihren VBortheil dabei zu finden glaubt. Der Mi-
nifter von Weitphalen blamirt fi) jo frank und frei, als wenn
es die größte Ehre wäre. Und die edlen Grafen von Shen:
plig, von Arnim, von Stolberg hinter ihm drein! Die Edel:
leute ftehn unter dem Befehlswink des getauften Juden Stahl.
22
Uns ift das fein Schimpfname, ihnen aber ift er's! Drum
nenn’ ich ihn fo. —
Die Minifter haben fchon erflärt, daß fie nach Annahme
der Vorlage über die Umbildung der eriten Kammer fogleich
Borfchläge über die der zweiten bringen würden. Die Hafen-
füge von Abgeordneten werden ſchon ſehen, wie man mit ihnen
umſpringt! —
Louis Bonaparte hat eine anneſie erlaſſen, die ſich auf
etwa dreitauſend Perſonen erſtreckt. — Donoſo Cortez, Mar—
quez de Valdegamas, der fanatiſche Eiferer für die katholiſche
Kirche, iſt auch einer für Bonaparte und für deſſen Heirath. -
Der Präſident der hieſigen Bank, Herr von Lamprecht,
iſt wirklicher Geheimer Rath und Exzellenz geworden. Vor
zwei Jahren ſtand er noch unter Hanſemann und wollte dieſem
ganz weichen.
. Dienstag, den 1. Februar 1853.
In Baden find die Unterbehörden angewielen worden,
Befchlagnahmen von Schriften fünftig nicht ohne vorherige An—
frage vorzunehmen. Man fchämt fich der Dummheit, Die ge:
gen Gervinus begangen worden. —
Die ehmalige polnische Wirthichaft war Ordnung und
Weisheit gegen die jebige preußifche. Solche Minifter, folche
Kammern! Lüge, Verwirrung, Dummbeit, Gemeinheit! —
Der Student Schlehan ift endlih, auf erneuertes Bitten
feiner Mutter und militairärztliched Zeugniß wegen feines Ge-
ſundheitszuſtandes, in Silberberg aus einem Zuchthausfträfling
ein gewöhnlicher Feitungsgefangener geworden. —
- Der König hat Maskenbälle in den Faſten ftreng verboten.
Kriegsgefchichte des Jahres 1814 von Srolman und Da-
miß ; viel aufgefitrieben. — In Leo, Yamartine und Boltaire
geleſen.
t
23
Der König macht fein vor vier Jahren gegebenes Wort, er
werte die jtändifchen Anordnungen zurüdführen, jest wirflic)
wahr. „Sch fürchte ſehr, er macht damit zugleich noch vieles
andre wahr, was ihm einjt recht lieb fein wird, *
Ryno Quehl iſt das Faktotum des Miniſters von Man:
teuffel, er macht ihm feine Berichte an den König, feine Bor:
träge in der Kammer, ersliefert zu allem die Phrafe. Dabei
hat er die litterarifche Bolizeizu handhaben. Ber ihm warten
die angefeheniten Beamten int Borzimmer; auch Lamprecht
hat ihm fleigig aufgewartet. Und welch’ ein Burſch iſt dieſer
Quehl!
Mittwoch, den 2. Februar 1853.
„Jeder dieſer Staatsretter wird vom andern abgethan“,
jo iſt ein Leitartikel der „Urwählerzeitung“ überſchrieben;
witzig und ſcharf.
Die „Reue Preußiſche Zeitung“ war dieſer Tage nahe
daran zu fterben. Die Klagen des franzöfifchen Gefandten
und der Katholiken fanden bei Manteuffel ein willige® Ohr.
Für diesmal Fam fie noch durch, aber fie ſchwebt in Gefahr.
Die Ausfälle gegen Friedrich den Großen in der Rundſchau
haben ihr neuen Haß zugezogen.
Manteuffel unterftügt den Minifter von Weftphalen nur
ſchwach; er möchte diefen Gönner der Kreuzzeitung am liebiten
befeitigt jehen. Seine Kreatur, Ryno Quehl, ftimmte fogar
mit der Linken gegen die Anträge Weftphalen’d. —
Die Debatten in der Kammer find efelhaft, die Rechte be-
nimmt fich frech und bübifch, Gerlach und Stahl ſchwatzen das
ſchändlichſte Zeug, unverschämt, heuchleriſch, höhniſch. Herr
von Binde-Dibendorf, Geheimrath Riedel und beſonders Al—
denhoven zeigen Muth und Kraft, aber e8 hilft nichts. —
—
25
angefchuldigten Stellen gab; doch was fchaden dieſe Stellen,
da die ganze Schrift nicht verboten ift? —
Herr. von Mitjchle-Kollande, vor wenig Jahren noch Herr
Mitichke, ein vollitändiger Junker, fpielt den Ritter, redet in
der Kammer! „Zaunfönige gewinnen Stimme. * —
Sonntag, den 6. Februar 1853.
Die „Urmwählerzeitung*“ wieder weggenommen; fie werden
ed mit ihren Schifanen nicht müde! — Die Verhandlungen mit
Deiterreich in den Zollfachen follen dem Abſchluß nahe fein;
unter welchen Bedingungen? Darauf kommt alles an, —
Herr von Prokeſch hat auf der Durchreife nach Frankfurt am
Main in Kaffel den Dieb Haffenpflug befucht. Ehrenvoll für
beide! —
Der Juſtizrath Grelinger ift geftern Nachmittag nad) Tan-
gen Leiden hier geftorben.
Montag, den 7. Februar 1853.
Der Profeſſor und Mahler Kopiſch verſtarb geſtern hier
plötzlich.
In Grolman geleſen. Mein alter lieber Tettenborn er—
ſcheint bei ihm in gebührender Weiſe, als eifriger, einſichtiger,
tapfrer Kriegsheld, ſeine Gefechte ſind umſtändlich beſchrieben,
zum Theil nach mir, zum Theil aber auch nach andern Quel-
len, 3. B. das Gefecht gegen Napoleon bei Saint-Dizier, aus-
führlih und genau. Es bewegte mir das innerfte Herz, dies
zu leſen. — |
2
— — — — —
27
frühere Schuld ift damit nicht ausgelöfcht, fie rächt ſich. —
Stahl jebt, wie früher Gerlach, ſchimpft auf die eigne Parthei,
Ihämt fich der dummen Genofien. Nur Geduld! bald wird
der dümmſte Junker wieder vornehm auf den Juden herab-
fehen! Stahl ift verbraucht, dialektiſch abgenutzt, er kann
nichts mehr; din wucherifcher Geſchäftsmann, wie weit ent-
fernt vom Staatömann! man jchmeichelt ihm während man
ihn braucht, aber man fchämt fich feiner, und bald kennt man
ihn nicht mehr. Gefchadet hat er genug.
. Der Präfident von Leite wegen einer Wahlrede vor das
Disziplinargericht gezogen! Die Kammer erlaubt e3 herzlich
gern.
In Kaffel Prozeffe gegen Mitglieder der Stände beab-
fichtigt, und fchon eingeleitet, wenigftend befohlen. Haffen-
pflug —
In Böhmen Todesurtheile wegen Sachen aus dem Jahre
1849. Auch ein Abgeordneter zur Frankfurter Nationalve⸗
ſammlung iſt darunter. Die Todesuttheile jedoch gemildert in
ſchweren Kerker. —
In Paris Verhaftungen von Legitimiſten und Schrift⸗
ſtellern. Auch der treffliche Moritz Hartmann iſt darunter.
In Klapka's Buch zu leſen war mir diesmal wie früher
höchſt peinlich; die Wunden bluten wenn man ſie berührt.
Freitag, den 11. Februar 1853.
Die „Nationalzeitung“ fehr fapfer über unfre Jammer—
zuftände. — Die „Urmwählerzeitung * belehrend und warnend
über den Aufſtandsverſuch in Mailand, fie darf natürlich nicht
ihre ganze Meinung fagen, deutet fie aber genug an, um dag
Bolf daraus Verhaltungsmaßregeln ziehen zu laſſen; fie ſpricht
von Defterreich, meint aber audy Preußen. —
29.
Gerlach und Stahl verlieren nah und nad alles Anjehn in
der eignen Parthei, man fühlt ihre freche Unfähigkeit, Arglift,
ihren Hohn und Berrath gegen die eignen Mitläufer.
Sonntag, ben 13. Februar 1853.
Im Thiergarten bei Bettina von Arnim. Sie ſaß über
einem dicken Manuſkript von Achim von Arnim, die Fortſetzung
der „ Kronenwächter“, die fie will druden laffen, um den Er-
trag für das Goethe-Denkmal zu verwenden. Sie fagt, es,
fonımen darin bedenflihe Stellen vor. — — Sie will fait
nichts reden und hören, ald was died Manuffript betrifft, alles
andre muß weichen! —
Frau v. Marenholg läßt mir jagen, daß ihr Sohn geftern
geftorben fei. Die arme Mutter! Sch fehreib’ ihr ein Wort. —
In Mailand Hängen und Erfchießen. Es find auch viele
Oeſterreicher geblieben, Offiziere und Gemeine. Stalien er:
zittert aber nicht aus Furcht, au Grimm und Rachgefühl. —
Auch in Mailand war ed eine Rotte fremder, [chlechtgefleideter
Kerle, deren jeder 5 Lire befam, die den Aufitand gemadıt;
aber geftraft foll doch die Stadt werden ? und für den Schaden
haften? fie, die entwaffnet und gebunden ift? Befinge deinen .
Radetzky! Juſtinus Kerner! Lüge und Ungerechtigkeit! —
Was find das für Leute, die für 5 Lire Leben und Freiheit
wagen? Gigennübig fünnen fie nicht fein, denn ald Angeber
der Sache könnten fie das Zwanzigfache befommen.
— — — 2t—
Montag, den 14. Februar 1853.
Die Amneftie in Frankreich ift großentheild nur Vorſpie⸗
gelung ; die Zahl der durch fie wirflich Befreiten ift ſehr gering.
Der — bleibt fih gleich. -- Stahl und Gerlach klagen bitter
über die Dummheit und Störrigfeit ihrer Junker, diefe flagen
21
Buch ebenfalld verlegt; aber auch die ihren will ja niemand
mehr! Nachrichten aus Paris von dem elenden Eircourt, der
von der Frl. Montijos bewundernd fchreibt; Bettina meint,
diefe Dame habe freien Sinn und große Kraft, fie werde Bo-
naparte'n mit denfelben Ideen erfüllen, diefie, Bettina, unferm
König habe geben wollen, jener werde nun ausführen, was
diefer verfäumt. Eine Fluth von Verwirrung und Wider:
ſprüchen! Herr von Sivers fam und hemmte den Strom,
Ein namhafter General (Bardeleben? Webern?) hat ges
jagt, fein preußifcher Patriotismus ruhe, jo lange dieſer König
regiere! Das innerfte Gefühl empöre fich, gegen diefe Wirth-
ſchaft, alles Vertrauen und alle Hoffnung fei vernichtet! —
Montag, den 31. Januar 1853.
Vorgeſtern war die bürgerliche Heirath Louis Bonaparte's,
das Volk jubelt ihm in den Straßen zu. — Hier gaben Ber:
liner Bürger dem Bolizeipräftdenten von Hindeldey ein Feft-
mahl bei Kroll, über 1100 Säfte, auch viel Jubel, für ihn und
Manteuffel, die Unterdrüder der Freiheit und des Volks!
Diefe Leute würden auch Santerre und Henriot hochleben
laſſen! — Sie thun, ald wäre Hindeldey der liebenswürdigite,
gutmüthigfte Menfchenfreund; und er hält eine Rede, und
fühlt fich beraufcht von dem Afterbilde der Popularität! —
Geſtern war auch gleich die Firchliche Heirath Bonaparte's, unter
großem Volksjubel, und die Gefandten waren auch dabei. —
Schimpflihes Benehmen unfrer Kammern, jeder Unſinn
ift ihnen recht, wenn die Regierung ihn vorbringt und Die
Bartheifucht ihren Bortheil dabei zu finden glaubt. Der Mi-
nifter von Weftphalen blamirt ſich fo frank und frei, ald wenn
ed die größte Ehre wäre. Und die edlen Grafen von Itzen—
plig, von Arnim, von Stolberg hinter ihm drein! Die Edel:
leute ftehn unter dem Befehlswink des getauften Juden Stahl.
23
Der König macht fein vor vier Jahren gegebenes Wort, er
werde die jtändifchen Anordnungen zurüdführen, jetzt wirklich
wahr. „Ich fürchte ſehr, er macht damit zugleich noch vieles
andre wahr, was ihm einft recht lieb fein wird. *
Ryno Quehl ift das Faktotum des Minifterd von Man-
teuffel, er macht ihm feine Berichte an den König, feine Vor⸗
träge in der Kammer, ersliefert zu allem die Bhrafe. Dabei
hat er die litterarifche Bolizeizu handhaben. Bei ihm warten
die angejehenften Beamten im Borzimmer; auch Lamprecht
hat ihm fleigig aufgewartet. Und welch’ ein Burfch ift diefer
Quehl!
Mittwoch, den 2. Februar 1853.
„Jeder dieſer Staatsretter wird vom andern abgethan“,
jo iſt ein Leitartikel der „Urwählerzeitung“ überſchrieben;
witzig und ſcharf.
Die „Neue Preußiſche Zeitung“ war dieſer Tage nahe
daran zu fterben. Die Klagen des franzöfifchen Gefandten
und der Katholiken fanden bei Manteuffel ein williges Ohr.
Für diesmal fam fie noch duch, aber fie ſchwebt in Gefahr.
Die Ausfälle gegen Friedrich den Großen in der Nundfchau
haben ihr neuen Haß zugezogen.
Manteuffel unterftügt den Minifter von Weftphalen nur
ſchwach; er möchte diefen Gönner der Kreuszeitung am liebften
bejeitigt fehen. Seine Kreatur, Ryno Quehl, ftimmte fogar
mit der Linken gegen die Anträge Weftphalen’d. —
Die Debatten in der Kammer find efelhaft, die Rechte be-
nimmt fich frech und bübifch, Gerlach und Stahl ſchwatzen das
Ihändlichfte Zeug, unverfhämt, heuchlerifch, höhnifch. Herr
von Binde-Dibendorf, Geheimrath Riedel und befonders Al-
denhoven zeigen Muth und Kraft, aber es hilft nichts. —
—
25
angefchuldigten Stellen gab; doch mas ſchaden dieſe Stellen,
da die gange Schrift nicht verboten it? —
Herr. von Mitichfe-Kellande, vor wenig Jahren noch Herr
Mitichfe, ein vollitändiger Junker, fpielt den Ritter, redet in
der Kammer! „Zaunfönige gewinnen Stimme.“ -—
Sonntag, den 6. Februar 1853.
Die „Urmählerzeitung“ wieder weagenommen ; fie werden
es mit ihren Schifanen nicht müde! — Die Verhandlungen mit
Oeſterreich in den Zollſachen jollen dem Abfchluß nabe fein;
unter welchen Bedingungen? Darauf fommt alled an. —
Serr von Prokeſch hat auf der Durchreife nach Kranffurt am
Main in Kaffel den Dieb Haflenpflug beſucht. Chrenvoll für
beide! —
Der Juſtizrath Erelinger ift gejtern Nachmittag nach lan-
gen Leiden bier geftorben.
Montag, deu 7. Februar 1853.
Der Profeſſor und Mahler Kopiſch verſtarb geſtern hier
plötzlich.
In Grolman geleſen. Mein alter lieber Tettenborn er:
ſcheint bei ihm in gebührender Weife, alö eifriger, einfichtiger,
tapfrer Kriegsheld, feine Gefechte find umſtändlich bejchrieben,
zum Theil nach mir, zum Theil aber auch nach andern Quel-
len, 3. B. das Gefecht gegen Napoleon bei Saint-Dizier, aus⸗
führlid) und genau. Es bewegte mir das innerfte Herz, dies
zu lejen. —
27
frübere Schuld ijt Damit nicht ausgelöſcht, fie rächt ſich. —
Stahl jegt, wie früher Gerlach, ſchimpft auf die eigne Partbei,
ſchämt jich der dummen Genoffen. Nur Geduld! bald wird
der dümmite Junker wieder vornehm auf den Juden berab:
ſehen! Stahl iſt werbraucht, dialeftifch abgenutzt, er kann
nichts mehr; Ein wucheriſcher Geſchäftsmann, wie weit ent:
fernt vom Staatsmann! man ſchmeichelt ihm während man
ihn braucht, aber man ſchämt ſich ſeiner, und bald kennt man
ihn nicht mehr. Geſchadet hat er genug.
Der Präſident von Lette wegen einer Wahlrede vor das
Disziplinargericht gezogen! Die Kammer erlaubt es herzlich
gern.
In Kaſſel Prozeſſe gegen Mitglieder der Stände beab-
jichtigt, und ſchon eingeleitet, wenigftend befohlen. Haſſen⸗
pflug! —
In Böhmen Todesurtheile wegen Sachen aus dem Jahre
1849. Auch ein Abgeordneter zur Kranffurter Nationalver-
jammlung ijt darunter. Die Todesurttheile jedoch gemildert in
ſchweren Kerker. —
In Paris Verhaftungen von Legitimiſten und Schrift⸗
ſtellern. Auch der treffliche Moritz Hartmann iſt darunter.
In Klapka's Buch zu leſen war mir diesmal wie früher
höchſt peinlich; die Wunden bluten wenn man ſie berührt.
Freitag, den 11. Februar 1853.
Die „Nationalzeitung* fehr fapfer über unfre Sammer:
zuftände. — Die „Urwählerzeitung * belehrend und warnend
über den Aufſtandsverſuch in Mailand, fie darf natürlich nicht
ihre ganze Meinung fagen, deutet fie aber genug an, um das
Bolt daraus Berhaltungsmaßregeln ziehen zu laſſen; fie ſpricht
von Defterreich, meint aber auch Preußen, —
29.
Gerlach und Stahl verlieren nady und nad) alles Anfehn in
der eignen Parthei, man fühlt ihre freche Unfähigkeit, Argliſt,
ihren Hohn und Verrath gegen die eignen Mitläufer.
Sonntag, den 13. Februar 1853.
Im Thiergarten bei Bettina von Arnim. Gie faß über
einem diden Danuffript von Achim von Arnim, die Fortſetzung
der „ Kronenwächter“, die fie will druden laffen, um den Er-
trag für das Goethe-Denfmal zu verwenden. Sie fagt, es
fommen darin bedenflihe Stellen vor. — — Sie will fait
nichts reden und hören, als was dies Manuffript betrifft, alles
andre muß weichen! —
Frau v. Marenholg läßt mir jagen, daß ihr Sohn geftern
geftorben fei. Die arme Mutter! Ich fchreib’ ihr ein Wort. —
In Mailand Hängen und Erſchießen. ES find auch viele
Defterreicher geblieben, Offiziere und Gemeine. italien er:
zittert aber nicht aus Furcht, aud8 Grimm und Rachgefühl. —
Auch in Mailand war ed eine Rotte fremder, ſchlechtgekleideter
Kerle, deren jeder 5 Lire befam, die den Aufitand gemacht;
aber geftraft foll doch die Stadt werden? und für den Schaden
haften? fie, die entwaffnet und gebunden iſt? Befinge deinen .
Radetzky! Juſtinus Kerner! Lüge und Ungerechtigkeit! —
Was find das für Leute, die für 5 Lire Leben und Freibeit
wagen? Eigennützig fünnen fie nicht fein, denn ald Angeber
der Sache könnten fie das Zwanzigfache befommen.
Montag, den 14. Februar 1853.
Die Amneftie in Frankreich ift großentheild nur Vorſpie⸗
gelung ; die Zahl der durch fie wirflich Befreiten ift fehr gering.
Der — bleibt ſich gleich. -- Stahl und Gerlady Flagen bitter
über die Dummheit und Störrigfeit ihrer Sunfer, diefe flagen
31
Der Köma bar jea erũ Tee Anden achört. af Kran
rra Mameufſel den Tranziniden Soanleen — wat not Nu
der Sue ame Dolmeriders. — acfraat. sIl x a des car
pes en France’ un? Taf Meict Inn acanrmert. Oh!
oui. Madame! tant que von: wwndrer! Der Koma Miuiiat
nt uhr die Waßen an ſoldden Cihrn: die Dem
tagen, 08 frene ihn, wenn Manteufel' & lädırluh wurden und
er rc hänteln Tann. Die Dötlinac Ant ale wider en Koma
un? reli Zatelä —
Der Graf Cajus zu Stolbera Dat aclaat, Ne im Weiten
seien Freuper mü Unzufriedenbeit; der Graf zu Stoldera
Wernigerode erwiedert darauf, cr ſei cin caragirter True,
un? will ſeinen Namen von dem ſeinee Namenevertere jory-
ſam unterjbieten wien. Die deiden Reichenſperger men in
der katboliſchen Debane eifrig uud lanıc geſproden, Nine
Olbendorf, Brünned, Kleiſt⸗Tochow, am ſchlechteſten ir Fri:
Nident ron Gerlach, der nach Abfluß RE wenigen dellen Waſ
ſers recht erdärmlich auf em ſtinkenden Schlamm ſeiner Yüg-
nerei figen blieb. Es wird ibm etwas unbeimlic.
Hier find Verbaftungen und Saudjudhungen geſcheben:
junge Leute, Möber unbefannt und undeſcholten, iind fommu-
niſtiſchet Berbintungen angeflagt. Was die Behörde wohl
darunter verfteben may? —
In Italien jiebt es düſter und drobend aus, eiterreich,
das eben mit dem Volksaufſtand in Montenegro liebeln wollte,
wird wohl in der Lombardei entgegengeſetzte Beſchaftigung
finden. Das ganze Land gährt. Ungarische Soldaten muchte
man nicht gebrauchen, einzelne mußte man ſtandrechtlich er-
Ihiegen laffen. Aufrufe von Mazzini, von Koſſutb. Ter
Aufftand, wenn auch unterdrüdt, iſt ein furchtbares Lebens-
zeihen. Die Reaktion ift ganz in Wutb,
Radetzky's Proflamationen und Anordnungen find Die einer
ftupiden toben Gewalt, fie athmen Wutb und verwirren ſich
33
billigt fie. Strafbare Behörden. Und dabei noch ſtets das
freche Borgeben nur das Gefebliche zu thun! Sie höhnen und
mißhandeln die Geſetze. —
In Stettin ift nun auch ein Verbot gegen die Schrift von
Gervinus ergangen. Warum nicht auch hier?
In Königäberg eine Borlefung des Dr. Rupp von der
Polizei, das heigt von einem fie bewachenden Gendarm, abge:
brochen. Und das foll gute Stimmung mahen? —
Die Anrede von Profefh an den Bundestag bei feinem
Eintritt in denfelben ijt ein ſchlechtes Machwerk, aus Lüge
und Schwulit zufammengebaden. Er ftellt jogar hiftorifche
Anfihten auf! Sch fange an zu zweifeln, daß er der Mann
jei, in Sranffurt am Main die Zeitung zu führen, Der aller:
erbärmlichite, feigfte Graf von Mündy-Bellinghaufen war
wohl auch untauglich, aber ex hatte einen Metternich hinter
ih, Prokeſch nur einen Buol.
- Die Börfe war hier heute fehr unruhig und beftürzt wegen
ſchlechter Nachrichten aus Wien! angeblich auch aus Paris.
Im Volke hier heißen die Gaffenfehrer „Hindeldey’s
Garde”. |
Stahr in der „Nationalzeitung“ fehr gut über Hinrichs
und fein Buch vom Königthum. —
Ein diplomatifches Uebereinkommen Defterreihd und
Rußlands mit Frankreich überläßt lebterem die Einverleibung
von Belgien und in gewilfen Fällen des linken Rheinuferg,
dafür nehmen Defterreih und Rußland Stüde der Türfei.
Preupen fteht außerhalb des Spieles; aus Mitleid will man
ihm, wenn es fügfam iſt, Stüde von Galizien zur Entfchädi-
gung geben! Der preußifche Gefandte in Wien ift ohne Ahn⸗
dung folder Dinge, der Minifter von Manteuffel hat fie er-
fahren, aber will fie nicht glauben, oder ftellt ſich ſo; aber
Dr. Ryno Quehl muß eifrige Nachforfchungen anftellen! Die
erfte Spur diefer Sache hat in Wien Herr Bo Mitheraus⸗
Varnhagen von Enie, Tagebüder. X.
39
Donnerstag, den 17. Februar 1853.
Gefchrieben. Ueble Stimmung aus innern Gründen und
äußern Anläffen. Ich möchte herausfpringen aus allem Wuft,
in dem ich ſitze! Mir fehlt geiftiger, belebender Austauſch;
auch die Beten bringen mir nur ihre Klagen, ihre Sorgen.
Keine Vorgänge, deren man fich freuen könnte, fein Werk, an
dem man herzhaft Mitarbeiter werden möchte. Lumpen und
Schufte find obenauf. — —
Einige hundert Einwohner von Elbing haben an die Kam-
mern eine Petition gefandt, in der fie über die Willfür und
Vartheilichkeit der dortigen Polizeibehörde lagen und viele
Beispiele davon angeben. Die Tagesordnung ift die Antivort
darauf, wie der Minifterpräfident von Manteuffel felber fie
will. Wo foll man eine Petition gegen die Willfür und Par-
theilichfeit der Kammern einreichen ? Das Volk wird es ſchon
. einmal wiſſen! —
Meber die Handelöverhältniffe Gnofande und Deutjch-
lands ein paar große Abhandlungen gelefen. Ein gefcheidter
Fürft wäre nöthig, diefe Wirrniffe zu ordnen, oder eine ächte
Nationalverfammlung. Die litterarifchen Debatten darüber
helfen nichts, fo lange fie nur von niedrigen Standpunften
ausgehen ; unfre- Schriftiteller haben feine andern. Biele diefer
Schreiber meinen es weit gebracht zu haben, wenn fie über
Fichte's gefchloffenen Handeldftaat fpotten! —
Need von Eſenbeck dankt in der Breslauer Zeitung (Neuen
Dder-Zeitung) den Arbeitern, die ihm an. feinem Geburtstag
"ein Ständchen bringen wollten, das aber die Polizei verhin-
dert hat; er jagt, er habe ihre Lieder doch gehört. —
%
Freitag, ben 18. Februar 1853.
Verſtimmung, vwiderwärtige Betrachtung der Menjchen
und Sachen. Grzürnte Empfindlichkeit. ch verarbeite alles
3*
37
vorübergehende und Dabei fehr wadelige Gejtalten an; man
wundert fi) über nichte. Das Volk, früher bei folchen Ge:
legenheiten erichroden, lacht und höhnt, und hält alles, was
jene trifft, noch für viel zu wenig. —
Herr von Hänlein, in alter Diplomatengewohnbeit, fommt
gelaufen um allerlei Ausrufungen zu machen, einige Bemer-
kungen zu hören, und weiß ſich viel mit der Nachricht, daß
heute noch von hier der General von Brauchitſch nad Wien
abreiit, um das Beileid ded Königs dort auszusprechen. Für
die Höfe ift freilich die Sache wichtig! —
Zu Haufe geblieben wegen Unmwohljein. Schach mit Lud⸗
milla. Im Tacitus und Suetonius manched nachgefehen.
Mont-Reveche, von Frau von Dudevant, zu lefen ange-
fangen. —
Geftern ijt in Charlottenburg ein Menfc verhaftet wor-
den, der eined Anfchlage auf den König verdächtig if. Man
fand zwei Piftolen bei ihm! — An demfelben Tage mit dem .
Mordanfall in Wien! —
— — — — —
Sonntag, den 20. Februar 1853.
Die Schrift von Gervinus iſt nun wie in Stettin ſo auch
in Magdeburg verboten; hier nicht, auch iſt in Königsberg das
Verbot wieder zurüdgenommen, aber das fihadet nichts, den
Polizeibehörden ift e8 doch zu ſüß ihre Macht zu zeigen! —
Die Minifter billigen auch die ſchändliche Willfür der Polizei
in Elbing, die offenbare Ungerechtigkeit! — Die biöher bei
dem Gefchwornengericht in Poſen betheiligt gewejenen Juden
erlaffen eine ſcharfe Erflärung gegen die Berläumdungen, die
der Oberpräfident von Bommern, Herr Senfft von Pilfach, in
der Kammer gegen fie ausgefprochen hat; fie weifen ihn
gründlich zurecht, er muß jich tief ſchämen. a, ja, wir haben
herrliche Beamte! —
39
jich gehabt. Boten über Boten wechſelten zwiſchen Berlin und
Charlottenburg am Freitag, Hindeldey war den ganzen Tag
draugen. Das Bertufchen hilft nichts ; e8 jchadet oft nur, —
Diesmal hilft das Wiener Ereigniß etwas, und lenft die Auf:
merfjamfeit dorthin. — Der Schreden ift ungeheuer unter
den Ultra's. — |
Sch fonnte heute wenig fchreiben, las aber viel in meinen
Kriegögefchichten. —
Dr. Zabel war wegen Preßvergehen zu viermonatlicher
“Haft verurtheilt, im Wege der Gnade ift dieſe Strafe in eine
Gelditrafe verwandelt worden. —
Männer vom Fache verfihern, daß unfer Heerwefen jäm-
merlich verwaltet werde, daß die Gebrechen, die bei der lebten
Mobilmahung an den Tag kamen, bei einer neuen nur in
größerem Mapitabe fihtbar werden würden, daß der Tag der
Prüfung fchredlich fein werde, Beſonders foll die Artillerie
in größtem Berfall fein, viele Offizierftellen find unbeſetzt, es
fehlt an Befähigten. Der König, fagen die alten Generale,
habe für das Militair zwar hochklingende Worte, füße
Phrafen, aber feine Liebe, feinen Blick, Feine zweckmäßige
Sorafalt.
General von Wrangel erzählt, der Kaifer Nikolai habe
ihm gefagt,. er wünfche nicht, daß die Türkei ihn zwinge fie
anzugreifen, ihr Beftand ſei ihm allzu wichtig ; jelbft Konftan-
tinopel zu befommen, würde ihn nur in DBerlegenheit fegen,
denn dann müßte er St. Peteröburg verlaffen, und die Ruffen
würden eiferfüchtig fein auf da neue Reich, das er dann an⸗
treten müßte ꝛc. Den alten Burfchen hat e er aanz bethört,
der glaubt ihm das alles! —
nn
43
Donnerstag, deu 24. Februar 1853.
Endlih haben die hiefigen Minifter eine Berabredung
erlaffen, nach der die Deutfchkatholifchen von den Gerichten
und Berwaltungsbehörden etwas weniger gequält werden
follen! —
General Graf von Bendendorff fommt aus Weimar und
bringt mir einen Brief und ein Buch von Apollonius von
Maltis. Ein feiner, artiger Mann; Neſſelrode, der General,
hat ihm von mir erzählt, darum wünfchte er mich kennen zu
lernen. Wir fprachen von der Großherzogin Marie, mit eins
fimmigem Lobe, vom Grafen Bludoff, von ruffischer Litte-
ratur, von Tettenborn; feinen Vater Konftantin und feine
Mutter Natalie Alopeus hab’ ich fehr gut gekannt. —
Die neuften Nachrichten aus Wien fchildern den Saifer
doch als fehr leidend. Erſt klang alles fo heroifch, er hatte
feinen Säbel gezogen, war allein fortgegangen, jeßt heißt es,
er fei eingefnict, habe fih am Arm feines Adjutanten fortge-
ichleppt, habe eine Zeitlang nicht fehen können u.f.w. Großer
Blutverluft. —
Unfer Handelövertrag mit Defterteih ift vom 19. und
fteht Thon in auswärtigen Zeitungen. Der Inhalt fcheint
vortheilhaft genug, die Korm ift ein Nachgeben, wie in Betreff
des Bundestages auch. Wir prahlen nur mit der Großmacht,
find feine.
In Sachſen Beichlagnahmen, in Karlsruhe depgleichen,
ſelbſt ältere Bücher fommen an die Reihe. — In Franfreich
verdammen Erzbifchöfe und Bifchöfe das ultramontane Blatt
„V’Univers“, verbieten es zu lefen ꝛc. ‘Der Herausgeber
Beuillot ift grade in Rom. Die katholifchen Pfaffen treiben
ihr Wefen arg genug, das iſt wahr, aber fie find im Ganzen
doch nichts mehr gegen fonft, ihre Macht ift gebrochen, wie die
des Adeld und der Fürften, fo ſehr fie im Einzelnen ſich gel-
tend macht,
o
47
Gefpräch über unfre Zuftände, diplomatische, militairifche. —
Gr erzählt mir von zweien Brüdern, Herren von Schwerin,
die in feiner Brigade ausgezeichnete wackre Küraffieroffiziere
waren, und aus bloßer Ueberlegung, weil ihnen diefe Dienſt⸗
verhältniffe und die erwerblofe Befchränttheit, in der fie leb-
ten, mißfällig geworden, ihren Abfchied nahmen, das Grob-
chmiedehandwerf lernten, und mit etwa 4000 Thalern nad
Kalifornien gingen. Man fieht, die Denkart geht über alle
Standesvorurtheile und Vortheile! —
Sch konnte heute meiner Verſtimmung nicht Herr werden.
Montag, den 28. Februar 1853.
Wunderliche Träume; ich fprach ausführlich mit General
Klapfa, mit dem verftorbenen Minifter von Bülow, und An—
dern, hatte dann einen fehlimmen Handel mit einem Kon:
itabler ıc.
Zeichtgläubigkeit der Menfchen, man Tann ihnen alles
weiß machen, wenn man die Gelegenheit richtig benußt, mit
gehöriger Unverfhämtheit und gewichtigem Ernſt daffelbe
wiederholt vorträgt; Pfaffen und Diplomaten benugen dag
recht gut. Glauben doch jekt Vornehme und Geringe zum
Erftaunen den Worten des — Louis Bonaparte, dem Wort:
brüdhigen, Meineidigen, dem Erzlügner! —
Ausgegangen mit Ludmilla. Im Thiergarten bei Bettina
von Arnim. Sie arbeitet an ihren Muſikſachen. Sie zeigt
mir ihren Schrant mit Papieren, Erft beim Weggehen zeigt
fih Fräulein Gifela, fommt und auf der Treppe nad), febt
fih auf eine Treppenftufe, ift fehr liebenswürbdig.
„Der Handelövertrag mit Defterreich ift und in der Sache
gewig ein Vortheil, — wenn man ihn und läßt; aber der
Form nad) eine Niederlage, wir haben thun müſſen, was
52
Arbeit zum Guten, fördernde Thätigkeit, welchen Reiz haben
fie! Gedanken, das Beſte, was der Menſch haben kann! —
Beſuch vom Staatsrath von Blum; Nachrichten aus Hei—
delberg, aus Hanau. Fit es möglich, daß in Deutſchland
folche Zuftände beftehen, wie in Kucheffen ? Unter den Augen
aller Fürften, des Bundestages? Der Iegtere hatte feierlich
verſprochen, nach Heritellung der Macht des Kurfürften folle
der Belagerungszuftand fogleich aufhören, ex befteht noch!
Der Bundestag ift wortbrüchig wie jeine Beſtandtheile, ge-
mein und nichtswürdig bis in die innerſte Faſer. —
In der zweiten Kammer wurde gefagt, von unfren Ge-
richten könne man Gerechtigkeit erwarten (bisweilen), vom
Bundestage nicht gleiheriweife; der Minifter von der Heydt
fand eine folche Aeußerung unftatthaft, der Präfident Graf
von Schwerin aber ftatthaft. Darauf erwiederte Heydt jehr
heftig, die Regierung werde diefe Nedefreiheit zu beſchränken
wiffen, Der chmals Liberale, jest grundſervile Heydt ift wir
dig, für den Bundestag aufzutreten. Asinus asinum frieat.
Sonnabend, ben 5. März 1853.
Unfre Demokraten laſſen ſich den Aufftandsverfuc in
Mailand zur guten Lehre fein, das Gelüft, ihre Kräfte zur
Ungeit anzuwenden, tft jehr gedämpft worden, indefjen find
diefe Kräfte vorhanden und ftets im Wachſen, und können,
wenn die rechte Gelegenheit erjcheint, wunderbaren Erfolg
haben ; wenn zu dem Muthe des Volkes die Klugheit ſich ge-
fellt, dann ift der Sieg der Demokratie gewiß. Man ver:
ſicherte vor einiger Zeit, nicht nur feien die Handiwerkervereine
in größter Blüthe, fondern auch in der Freimanrerei, ja ſogar
im Treubunde, beftänden geheime Abtheilungen, die ganz im
demofratifchen Sinn arbeiteten, Die Polizei fucht in der
Ferne was in der Nähe, ja vielleicht in ihr felber ift! —
54
ariftofratifche und katholiſche Parthei regt fich, vielleicht ge-
lingt es, ihr — zunächft in Neuchatel — das Uebergewicht zu
geben und das Anfehn des Königs dort wiederherzuftellen.
Defterreich hat allen Nachdruck verfprochen, hat mit dem Köder
von Neuchatel manche Willfährigfeit des Königs gewonnen,
und doch hat man Urfache zu glauben, daß Defterteich es gern
fehen wird, wenn, ſelbſt wenn die ganze Schweiz’unterworfen
wird, doch grade Neuchatel nicht wieder preußifch wird! —
Sonntag, den 6, März 1853.
Die „Nationalzeitung * liefert den Schluß ihrer geiftvollen,
pathetifchen, ſchmerzlich / muthigen Entwiclungen, die nur den
edlen Fehler haben, noch zu liebevoll für Preußen zu fein. Ich
weiß recht wohl, daß es hier noch nicht am ſchlimmſten ift, daß
unſre Regierung verhältnifmäßig noch etwas menſchlicher fich
benimmt als andre, aber im Ganzen ift fie doch ebenfalls wort-
brüchig, brutal, gewaltthätig, rachſüchtig und heuchleriſch gleich
den andern ; es ruht ein Fluch auf ihr, und fo lange fie waltet,
Tann fein Vaterlandsgefühl ſich ihr verbinden, bleibt dieſer
Staat ein ehmals glänzendes, lebenerfülltes, jetzt befudeltes,
toderfülltes Gefäß! Soll noch ein Preußen fein, gut! fo fei
es, aber nicht das jegige, fondern das alte ruhmwürdige, oder
ein neues, räftigaufftrebendes! —
Die Aufwallung gegen die Schweiz fühlt ſich ſchon wieder
etwas ab; die ruhige Gelaffenheit der Schweizer, ihre bedacht-
fame Erörterung der Thatfachen, wirft ſelbſt auf Oeſterreichs
Leidenfchaftlichkeit beruhigend ein. Dazu kommt, daß Frank—
reich und noch mehr England allen Grund bat, die Schweiz
nicht rücfichtslos den Defterreichern und Preußen zu über
faffen, ja daß Defterreich fogar den Preußen ihr Neuchatel nicht
wiedergegeben zu fehen wünſcht. Die Hoffnungen des Königs
65
faft jedesmal folgt, aber dad Beitehen des Blattes wird ı un: '
möglich, |
In Speyer wird die Zeitung wegen Polizeifchitanen mit
- Ablauf des Vierteljahres zu erfcheinen aufhören.
Auch unfer „ Kladderadatſch“ fagt: „Wir fchreiben nur,
weil wir es brauchen, wir ſchrieben jest ſonſt wahrlich nicht.“
Er befommt unaufhörlihe Warnungen, und darf bejtimmte
Gegenstände nicht berühren.
Schändlich-erbärmliche Rede des Abgeordneten von Senfft:
Pilfach gegen die Juden, höhniſche Hindeutung auf Meyerbeer 8
muſitaliſches Talent.
Inm Tacitus geleſen. Fort mit allen Kleinlichkeiten! —
Das Miniſterium iſt ziemlich in Auflöſung, die Miniſter
unter ſich ganz uneinig, keiner des Königs ſicher, er geht mit
allen ſchlecht um. Die unterthänige Beugung nur, in der ſie
ſtehen, iſt ihr wahrhaft Gemeinſames. Sie werden doch alle
bleiben, ſo lange jeder kann! —
Das Domkapitel in Breslau will bei Wiederbeſetzung der
fürſtbiſchöflichen Würde nur unmittelbar mit dem Könige zu
thun haben, nicht mit den Miniſtern, und der König ſoll ſehr
geneigt ſein, dieſen Anſprüchen zu willfahren, ſeine Miniſter
auf dieſe Bei ffentlich 3 zurüdzujeßen.
— — — — —
Dienstag, den 15. März 1853.
Brief von Humboldt. Er fpricht über Bülow von Denne:
wis, über Friedrich Schlegel fehr merfwürdig; er wird mir den
jechiten Band der Schriften feined Bruders jelber bringen.
Die „ Urmwählerzeitung ” ift polizeilich weggenommen worden.
In Würtemberg ift der von einigen Unterbehörden auf die
Schrift von Gervinus gelegte Beichlag höheren Ortes wieder
aufgehoben. Das bischen Scham und Ehrbarfeit muß man
heutiges Tages einer deutjchen Regierung hoc) antechnen! Bei
Varnhagen von Enſe, Tagebücher. X,
67
wie mächtig find fie noch ! Die Deutſchen haben feinen ſolchen.
Mann, können ihn nicht haben, die Spaltung im Innern ift
zu groß.
Freitag, den 18. März 1853.
Alle Konftabler find feit frühftem Morgen in Bewegung,
damit kein Verſuch gemacht werde, den heutigen Jahreötag des
Barrifadenfampfes zu feiern. Die ftille Feier im Herzen ift
nicht zu hindern, und ift wichtiger ala die öffentliche. --
Das Obertribunal hat endlich freifprechende Urtheile er-
laffen in Betreff der Handlungen deutfchfatholifcher und frei-
gemeindlicher Priefter. Leider nicht ald unabhängiger Ge—
richtshof nach dem Recht, fondern nach eingeholten Weifungen
der Mintjter, die das blinde Verfolgen nicht mehr rathfam
fanden. Dan glaubt, eine Feine Hülfe gegen die maßlofen
Anſprüche der Fatholifchen Kirche dadurch zu erlangen, daß
man gerecht gegen jene ift.
Die fäümmtlichen Zeitungen erwähnen des 18, März nicht,
auch die Neue Preußische nicht, die doch fonft bei diefer Ge-
fegenheit fo gern ihren Geifer in Schimpfreden ausfprikt. Sie
haben alle vom Polizeipräfidenten von. Hindeldey die War-
nung erhalten, fie würden, wenn fie ded 18. März gedächten,
weggenommen werden. ine neue Art Zenfur! Was ift
dagegen zu thun! —
Die Neue Preußifche Zeitung hat feit langer Zeit wieder
zum erftenmal einen Leitartifel; fie Spricht, ale habe fie jebt
mit Regierung und Polizei ein leidlich gutes Vernehmen,
rückt ihnen aber vor, daß mit Beſchlagnahmen und Konzeſ—
ſionsentziehungen ein ſolches nicht zu bewirken geweſen.
Trotzig genug.
Die Hyäne Haynau war in letzter Zeit immer ohne Raft
und Ruh, ding von einem Ort zum andern, blieb nirgends,
| 5*
70
beſchaffen; fie ift ein Meiner Kreis, in dem man gar nicht zu
leben braucht, und der, wenn man darin lebt, ungeachtet fei-
ner Enge noch ftets viel Unbekanntes enthält! Der Aufſatz üt
wohlmeinend genug für Rahel, aber voll ſchiefer Auffafjungen
und verfehrter Urtheile, weniger über Rahel ſelbſt, als über
Goethe und Andere, Goethe krankhaft, für die Deutfchen vers
derblich, fo lange fein Kultus gilt, kann aus ihnen nichts wer⸗
den! Er, der Gefunde, Naturkräftige, Hohe, er, in dem ſich
alles darftellt, was in den Deutjchen Gutes tft, er, durch den
fie zumeift geworden find, was fie werden können! —
Brief aus Bern don Herrn Dr. Ludivig Eckardt; er
ſchickt mir feine Gedächtnißrede, „Schiller's Geiftesgang“,
Bern, 1853. —
Beſuch von Herrn Karl Fröhlich, der neue Ausfchnitte
bringt, vortrefflih in Zeichnung, Erfindung und Feinheit.
Lippe Detmold hat feine Berfaffung eingebüßt, der wort
brüchige Fürft hat die vormärzliche durch ein eigenmächtiges
Dekret hergeftellt.
In Prag laſſen Studenten den Magyaren Kofjuth hoch⸗
eben , fogar den Mörder Libenyi! Ruthenſtreiche, Kriminal⸗
unterfuchung. So allgemein geliebt ift der Kaiſer, dem freis
lich das vornehme und reiche Wien ſchmeichelt und huldigt!
In Bremen über zwanzig Verbaftungen wegen Verfamms
lungen und Feſtreden am 18, März. Anh ſchon in der
Nacht vom 6.— 7, März. — In Reuß-Lobenftein Jubel und
Böllerfhüffe, Feuer auf den Bergen, wegen des 18. — Bier
haben zwanzig Gefellen eines Hofhandwerkers den 18, Nach—
mittags die Arbeit eingeftellt und ein Feſt gefeiert; der Meifter
bat fie der Polizei angezeigt, fie find verhaftet, aber auch er
jeßt bei dringender Arbeit ohne Gehülfen. —
Hier hat die Polizei geftern und vorgeftern plötzlich eine
Menge Leute verhaftet, die breitgefrempte Hüte trugen,
Einige haben über Nacht im Gefängnig bleiben müffen, Bis—
73
fo großer Lärm gemacht worden, will nichts werden. Die
Unterfuhung wird in der Stille zu Grabe gebracht.
Der König von Würtemberg bat die Burfchenfchaft in
Tübingen auflöfen und bei ſchwerer Strafe verbieten laſſen;
altes noch wegen des Schoder’fchen Leichenbegängniſes! Klein⸗
lich, rachſüchtig! —
Mittwoch, den 23. März 1853.
Beſuch von Frau von Treskow; angenehme Unterhaltung,
Beiträge zur Kenntniß der hiefigen Gejellihaft, der Vorneh—
men, der Halbvornehmen, — letztere, gleich den Halbgebildeten,
die fchlimmfte Sorte! —
In der Kronenftraße gefchah vorige Nacht ein Mord, an
einem Klempnermeiſter ˖ verübt. Großes Auffehn im Volke,
Gedränge nad) dem Schauplatz, Murren und Schimpfen gegen
die Polizei, bei Tage Ichikanirten die Konftabler, nähmen den
Leuten die Hüte weg, bei Nacht fei nie einer zu fehen zc.
Die Zeitungen fügen, Ranke habe hier, weil er den Ruf
nah Münden mit 7000 Gulden Gehalt abgelehnt, jebt
4500 Thaler Bejoldung, anftatt voriger 1800,
Was alle amtlichen Berfiherungen eifrig geläugnet, für
bösfiche Lüge erflärt, fteht num doc, als erwiejene Thatfache
feft, daß das ungarische Regiment Leopold beim Aufftand in
Mailand fich geweigert hat zu fchießen. Daffelbe wurde in
die Kaferne zurüdgefühtt, und mußte bald nach Kroatien ab-
marjchiren. in anderes ungarifches Regiment ift neuerdings
als zu wenig ficher aus Italien zurüdgezogen worden.
Mantua war wegen Niederfchlagung des polififhen Pro-
zefled erleuchtet, aber unerwartet auch Mailand, was den
Defterreiihern doch bedenklich ſchien. — Hintichtungen in
Italien durch den Strang, durdy Pulver und Blei.
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Stiller Freitag, ben 25. März 1853.
Geſchrieben. Ich glaube nicht, daß der Welten Europa's
dem Dften unterliegt; ich glaube an die fteigende Bedeutung
des ruſſiſchen Volkes, aber auch an den Geift der Freibeit, der
dort im Schlummer wählt. Die Ruſſen genießen ſchon jetzt
die Früchte der Revolution, fie werden fie bald im Lande felbft,
nicht nur aus der Fremde ziehen.
Die Türkei, von England und Frankreich im Stich ge⸗
laffen, von Defterreich angefeindet und bedroht, muß ſich der
Macht des Kaiſers von Rußland beugen, Den Kaifer joll der
raſche und glänzende Erfolg des öſterreichiſchen Grafen von
Leiningen ganz beſonders geärgert, und er ſogleich beſchloſſen
haben, denjelben durch ruſſiſches Auftreten weit zu überbieten.
Nur jo läßt ſich das barjche flegelhafte Benehmen des Fürſten
Menſchikoff erklären.
Herr Rudolph von Auerswald iſt jetzt überzeugt, daß die
fonftitutionelle Monarchie jet eine Nothwendigkeit ift. Er
war im Sommer in Paris, Algier, Italien. Gr findet die
franzöfifhe Armee vwortrefflich, Eriegseifrig und Friegsfertig.
‚Gr fagt, man dürfe fid nicht voritellen, daß die Italiäner ges
beugt, gedemüthigt, eingefchüchtert feien, offen und faut fei ihr
Troß, ihr Haß, ihre Erbitterung, fie verſteckten ihre Geſin—
nung gar nicht, jeder theile fie, und die Defterreiher müßten
es fo hingehen laſſen, fie übten ihre Schreckensgewalt, wo fie
nur könnten, aber fie fönnten nicht viel, und die Jtaliäner, die
nicht unmittelbar getroffen wären, trieben ihr Wefen unge
bemmt weiter,
Man Hört immer mehr von Verfammlungen und Feſtlich⸗
feiten zur eier des 18. März, aus Königsberg, Stettin, ,
Greifswald, Magdeburg, Köln, Trier. Die Regierung ift
ſchon zufrieden, daß fein öffentliches Bezeigen, Feine große
Boltsbewegung hat ftattfinden fünnen.
81
Mittwoch, den 30. März 1853.
Gefchrieben. Unluft über die Verhaftungen. Sind folche
Gefinnungen und Abfichten, wie Die Polizei fie entdedt haben
will, wirklich ‚vorhanden und noch immer thätig, fo ſollte die
Regierung daraus erkennen wie nöthig eine Amneſtie iſt; ſo
lange dieſe fehlt, wird auch das Volk und ſeine Verfechter un—
verſöhnt bleiben. An Amneſtie denkt man weniger als je,
nur an Rache, Verfolgung, Strafen, Quälen. Jede Befin-
nung fehlt, jeder Rückblick auf ſich ſelbſt. Was man ſelbſt
verſchuldet, will man an Andern ſtrafen. Sie ſollten die Ver⸗
bannten zurückkommen laſſen, die Eingekerkerten in Freiheit
ſetzen, das Vergangene vergeſſen; allein dieſes allein Vernünf—⸗
tige kommt ihnen wie Wahnſinn vor. —
Bücher gekauft, unter andern Kieſewetter's Reiſe nach
Paris vom Jahre 1815. Ich ſah ihn damals in Paris, und
zuletzt noch 1817 in Berlin. Das Buch verſetzte mich lebhaft
in die alte Zeit, und ich bedauerte ſchmerzlich, den einſt heiß—
geliebten Lehrer nicht feſter gehalten zu haben; doch weiß ich
wohl, daß er ſelber daran große Mitſchuld hatte, er wollte
mich hemmen, und ich ſtrebte vorwärts. Aber der Eindruck
war ſehr ſchwermüthig, und ich konnte ihn lange nicht ver—
winden. Aufgeregte Nerven! —
Nachmittags Beſuch von Herrn Palleske, der Abſchied
nimmt. — Beſuch von Herrn Prof. Stahr und Fräulein
Fanny Lewald.
Die Regierung prahlt, wie bequem und nüglich die Paß—
farten find, aber das erwähnt fie nicht, daß fie folche nur den
Begünftigten ertheilt, den Unbegünftigten verweigert, das
heißt allen Demofraten, allen kleinen Leuten, die nicht bejon-
ders empfohlen find, Wer feine Paßkarte — auf ein Jahr
für 5 Sar. — befommt, muß für jede Reife einen befondern
Paß für 1 Thlr. nehmen, und diefer Pap iſt dann an jid
jelber jchon ein Berdächtigungspapier! —
Barnhbagen von Enfe, Tagebücher. X. 6
83
wieder einmal übereilt, und muß zurüdziehen. Das ift ihm
nun ſchon oft gefchehen. Für diesmal fcheint alles noch diplo-
matifch abzulaufen.
Ausgegangen mit Ludmilla. Durd das Brandenburger
Thor, zum Potsdamer, in der Reipzigeritraße bei Müller Pa-
pier gekauft, bei Stredfuß Zigarren, Diefer erzählt uns feine
Haftgejchichte. Er kam zufällig, ala bei Müller grade Haus⸗
ſuchung war, in deſſen Laden um etwas zu holen, augenblid-
lich trat ihm der Polizeilieutenant Heig, der wohlbekannte,
entgegen, und erklärte ihn für verhaftet; er wurde dann abge⸗
führt, auf die Polizei, die Stadtvoigtei, die Hausvoigtei, nir—
gende wollte man ihn annehmen, es fei Fein Berhaftbefehl
Dazu vorhanden ; nach vielen Stunden wurde der nachträglich
geliefert; eben fo erging es Berends, er wollte bei Müller
Papier kaufen. Beide wurden die Nacht zufammen in der-
felben Zelle gefangen gehalten, am andern Morgen ohne wei-
teres freigelaffen. Als ganz Unbetheiligte! Zum Vergnügen
des Herrn Heib waren fie 28 Stunden ihrer Freiheit beraubt.
Heiß, ein [höner Name, zum Behalten! — 5/
In Roftod Hausfuchungen und BVerbaftungen. Der Po—
lizeidireftor Stieber aus Berlin war dort. Stieber, ein fchöner
Name! —
In Wien ift der bisherige Polizeidireftor Hofrath Weiß
von Starfenfeld plößlich diefed Amtes .entlaffen worden. Er
war ein rechter Reutefchinder, ein Haynau in jeinem Fach.
Wie die Dienfte, fo der Lohn! Doch hat er noch beilern
Lohn verdient. —
Don den Berbafteten iſt noch feiner gerichtlich verhört
worden ; fie werden in ftrenger Haft gehalten. — Sogar von
oben ber wird verfichert, die demokratiſche Parthei als folche
fei bei den Sachen nicht betheiligt, es ſei nur in der unterften
Schichte der Bevölkerung ein ftrafbared Treiben, das ſich aber
an die Flüchtlinge in London anranfe. Gin entjchiedener
6*
85
Macht und Würde des Hertn von Hindeldey! Braune Kof-
juthhüte in Frankfurt am Main weggenommen, in Fürth
Zabade mit Koſſuth's Bildnif. In Roftod neue Berhaf:
tungen; nicht Stieber foll dort geweſen fein, aber andre preu—
Bifche Polizeifchergen, und der medlenburgifche Staatsrath
- von Schröter (früher Brofefjor“ in Jena), auch ein fehöner
Name! —
In Stettin hat die Polizei eine Petition der Juden an
die Kammern weggenommen, um diefelbe zu prüfen, Mit
welchen Rechte? Mit dem der Willtür und frechen Anma-
Bung. Und diefe Lumpenfammern ſchweigen, auch ftill dazu!
Jede Täufchung ſchwindet. —
Humboldt fendet mir den rückſtändigen Band der Schriften
ſeines Bruders. — Tieck ſoll ſehr gefährlich krank und ſchwach
ſein.
Brief und Sendung don Herrn Dr. Julius Altmann;
Gedichte.
Ein hieſiger Bürger, der nicht? Beſſres verlangt als ein
guter Unterthan zu fein, und der durch fein Gewerbe mit vor-
nehmen Perfonen viel in Berührung kommt, ift ganz betroffen
über die Reden, die er von höchiten Staatöbeamten, von
Herren und Damen ded Hofes zu hören befommt. Die ganze
Umgebung ded Königs meint ed mit ihm nicht gut, haft ihn,
erklärt ihn für unfähig zu regieren. — Generale, gewefene
Miniſter, Führer der Kreuzzeitungsparthei, angefehene Grund-
‚ befigerzc. wünfchen laut, der König möchte abdanfen, Preußen
fönne fo nicht länger beftehen 2. Der arme Bürger ift ganz
verwirrt über alles Dies! —
Im. Volk ift wieder viel die Rede von des Könige Hin-
neigung zur Tatholifchen Kirche, daß die Königin ihn
dDränge*zc. —
Zur Begründung der Freiheit bedarf e8 der Freiheit ihrer
Freunde, aber der Unterdrückung ihrer Feinde; auch dieſen
87
Niederträchtigkeit, dem Wochenblatt feine Auflehnung höhnifch
zu verweiſen.
Der Gefundheitspflege- Derein hier, eine der wohlthätigiten
Anftalten, ift von der Polizei aufgehoben worden. Nichte
fann bier beftehen, alle® unterliegt dem türfifchen Willfür-
regiment.
Berhaftungen in Köln, Dresden, weitere in Roftod. —
Hinrichtung Cefard von Bezard in Wien, andre graufame
Strafurtheile gegen magyarifche Leute. — Starkes Ausreipen
ungarifcher Soldaten aus Italien nah der Schweiz; die
Schweiz fol fie nah) den Verträgen ausliefern, aber fchafft fie
eiligſt nach Franfreih und England, denn die Oeſterreicher
weifen jeden Verkehr mit der Schweiz ab, nehmen nicht ein-
mal gemeine Verbrecher an! Wegen der Ausreißer wird es
ihnen bald leid Tein, und werden fie eine Ausnahme machen
wollen. Hunderte von Soldaten laufen fort.
Bon R. Marz in London find „Enthüllungen über den
Kommuniften- Prozeß in Köln“ erfchienen, die fireng verboten
und verfolgt werden. An der Schweizer Gränze hat man
ganze Kiſten voll Abdrücke weggenommen.
Gerüchte von. Untuhen in Palermo. Gahrung in
Italien.
In Mitchell gelefen, in Diezel's neuem Buche; die miß—
urtheile gegen Frankreichs Geiſt und Richtung ſind ſehr
ſchlecht begründet und hoffentlich von keiner Wirkung. Falſche
Deutſchheit, voll Dünkel, wie 1813 und 1814 von ſo vielen
hohlen Schreiern aufgeſtellt wurde, nur lag damals That und
Sieg zum Grunde, wie jetzt Schmach und Jammer.
In Spandau find drei Artillerie⸗-Anteroffiziere verhaftet,
man befchuldigt fie der Theilnahme an den entdeckten Umtrie-
ben. — (Später wurde dies für einen Irrthum, die Verhaf—⸗
teten für ganz unschuldig erflärt.) —
Einer alten Verordnung gemäß durfte fein preußischer
89
Philiſter, der den König ftetd herabfegen möchte, der fich ein-
bildet ihn beurtheilen zu fünnen, und dazu ganz unfähig ift;
er it überdies höchſt unwiffend und oberflächlich; nicht einmal
die hiftorifchen und geographifchen Namen hat er zu berich—
tigen gewußt, und weiß fich doch groß mit feinem spelling,
defien Mangel er beim König wiederholt rügt!
Daß General von Prittwiß bei Herrn von Weiher einen
Abſchiedsbeſuch gemacht hat, erregt einiged Aufjehn und Miß—
vergnügen. Man ftellt das Greigniß mit dem zufammen, daß
General von Pfuel beim Abgeordneten Jung eine Taſſe Thee
getrunken hat! —
Ueber Ariftoteles, ein dicker Band von Prof. Brandis in
Bonn, dem Herrn von Schelling zugeeignet, der ihm von allen
neuern Philofophen dem Ariftoteled am meiften nahe zu ftehen
fheint! Da wäre doch wahrlich Hegel eher zu nennen! —
Ein fchwerfälliges, unerquidlihes Buch! —
Montag, den 4. April 1853.
Ausgegangen mit Ludmilla. Mir das Neue Mufeum
betrachtet; es wird nicht fonderlich ausfehen, und die Säulen»
gänge werden dad Hauptgebäude nicht retten. Daß es zur
Seite wie durch eine Nabelichnur mit dem Alten Mufeum zu:
ſammenhängt, ift ein lächerliches Gebrechen. Wer hat den
dummen Einfall gehabt? — Meber den Hade’fchen Markt,
durch die Spandauer: und in die Königdftraße, an der Ger:
traudenbrüde bei Schickler das gerühmte Bildniß von Fried-
rich dem Großen angefehen ; ob Pesne oder Falbe es gemahlt,
ift ungewiß. Das Bild ift fchön, aber der König in zu
ſpäten Jahren aufgefaßt. Bildniß von Spfittgerber, deſſen
Schwiegerſohn der alte Schickler war. — In verſchiedenen
Bilderläden nach Barrikadenbildern vom Jahr 1848 gefragt,
überall vergebens, auch da wo ich ſie früher gekauft habe; ſie
91
ed gar nichts Schlimmes enthält?" — Jawohl, das Blatt
muß einmal unfre Sand fühlen. — „Aber Herr Präfi-
dent —!“ — Was? ch befehle es, es foll gefchehen, damit
genug! — Der ehrliche Beamte entzog fich darauf dieſem Ge—
ſchäft, verlor die Zulage von 200 Thalern und natürlich alle
Gnade des Borgefebten.
Dienstag, den 5. April 1853.
Die „Nationalzeitung * vortrefflih über Michel von Bour-
ged. Der „Publizift* mit fühner Schärfe über die neueften
Berhaftungen, dad Märzkomplott, wie er die Sache nennt. —
In meinen Papieren gearbeitet. — Die Zeitungen theilen das
Defret Hindeldey’8 mit, durch das diefer den Gefundheits-
pflege-Berein aufhebt; es werden ‚darin namhafte Männer
gefchimpft, zur Umfturzparthei gezählt 2c., grade fo wie es
Kamp im Jahre 1819 mit Jahn machte, worauf diefer eine
Injurienklage gründen wollte; damals mußte man erft erfah-
ren, daß eine Behörde ungeftraft beleidigen darf, jet weiß
man ed fchon vorher! Doc, wenn die Gerichte ſolche Klage
nicht annehmen, verloren geht fie darum nicht. —
Nachmittags Fam Bettina von Arnim. Sie ſchenkte mir
ein Blatt von ihrer Hand, an die Günderrode gefchrieben.
Sie wollte offenbar etwas von mir, fagte e8 aber wieder nicht.
Vielleicht wieder etwas in Betreff Pückler's? oder irgend einer
Veröffentlihung über die Heirath ihrer Tochter? Weiß der
Himmel was! —
In Mitchell gelöfen, und in der Revue des deux mondes
einen Artikel von Heine, les dieux en exil; ganz der alte
Heine, Weisheit und Kraft im Gewande der Schalfheit, Witz
und Laune einziger Art, glänzende Phantafie; zugleih eine
Enttäufchung derer, die fich feiner vermeintlichen Belehrung
N
93
fangenen Schlehan einen Unteroffizier beftochen zu haben, vom
. Kreidgericht freigefprochen. Der Unteroffizier aber war fchon
früher militairifch deghalb in Strafe genommen! —
| Mittwoch, den 6. April 1853.
Gefchrieben ; Sachen des Taged. Diefe Zeit fordert nur
Auffäge, Bemerkungen, eingreifende Worte, nicht große Werte,
Dichtungen, Schönheitögebilde; wir haben Vorrath, Vorrath
auf lange Zeit; es gilt ihn zu verwenden, anzubringen, allge:
mein zu machen. Diefe Zeit fordert Marftdienft, nicht Tem⸗
‚peldienft. —
Die „Urwählerzeitung“ wollte wieder erfcheinen, ift aber,
- ald fchon 5000 Abdrüde fertig waren, von der Polizei weg-
genommen worden. Man verbietet fie nicht, aber man hin-
dert fie, fie foll todt fein. — .
Die „Kreuzzeitung“ hatte geftern einen Artikel zum Lobe
ded infamen Buchs von Günther, dad unſre litterarifchen
Heroen aus hriftlicher gemeiner Rohheit heraus verwirft und
ſchmäht. Lotterbuben ziehen Lotterbuben an, fie bleiben alle
was fie find. |
Morik Hartmann ift in Paris freigefprochen worden, frei
ift er fchon längere Zeit. — Bei Dr. Hagen in Heidelberg hat
man nicht? gefunden ald Abdrücke einer feiner unverbotenen
Schriften.
Ausgegangen mit Ludmilla. Bei Jofty. In der Breiten
Straße (Reitbahn) die Blumenausftellung gefehen. Wunder:
ihön, entzüdende Anblide, ein kleines Paradies! — Herrn
Dr. Spifer gefprochen, Herrn Geh, Legationsrath Michaelis.
Die „Nationalzeitung“ hat die Ehrenhaftigfeit und den
Muth, gegen die Angaben Hindeldey’d in feinem Defretum
‚wegen Aufhebung der Gefundheitöpflege- Vereine fräftige Ver⸗
wahrung einzulegen, und feine notorifh unwahren Ausdrüde
95
germanifchen Regierungen haben die Evangelien, denen fie
aber in’d Angeficht fchlagen. —
Ausgegangen mit Ludmilla. Herrn Dr. Zunz gefprochen.
„Sch Iefe feit vierzehn Tagen feine Zeitung, ich weiß gar
nichts, nicht einmal ob ic) ſchon Kaifer geworden bin, — das
wär’ doch voreilig, denn ich habe ja noch feinen Eid gebrochen,
died muß doch nothwendig vorhergehen!“ —
Die „Nationalzeitung” legt in einem ausführlichen Ar-
titel die Webelftände dar, welche für Preußen Aus den neuen
- Zoll und Handelöverhältniffen hervorgehen ; Aufgeben feiner
bisherigen Richtung, Abhängigkeit von Defterreich, von Baiern
und den bisher mit diefem verbundenen Staaten fogar! Der
Artifel macht aufmerffam auf den Jubel der Wiener Blätter,
der Augsburger Allg. Zeifung ꝛc.
Neue Hausfuhungen und Berhaftungen, in Roftod, hier,
in Breslau 2. Im Staatdminifterium war der Antrag ge
macht worden, Berlin in Belagerungsftand zu erklären, um
alle verheimlichten Waffen einziehen zu fünnen! Dieſes Aer—
gerniß hätte noch gefehlt! Kanonen gegen Sperlinge auf:
pflanzen! — |
Unter einer elenden, nichtöwürdigen, lächerlichen und doc)
gefährlichen Regierung leben zu müffen, ift mit das größte
Unglüd, das einen Menfchen treffen kann. Voltaire hat dies
Unglüd in vollen Zügen genofjen. Unter einer Regierung zu
leben, die man achten muß, die man lieben fann, — ein Glüd,
das für vieles Unglüd jchadlos hält! Wer hat ed genoffen ?
Diele Preußen, die Friedrih dem Großen anhingen, viele
Engländer, die meiften Bürger der Bereinigten Staaten von
Nordamerika. —
Dr. Holdheim wegen der „ Urwählerzeitung“ vom 3. Fe⸗
bruar zu zweimonatlichem Gefängniß verurtheilt. (Haß und
Verachtung 2c.)
Eine freie Gemeinde durch das Ober-Tribunal freige-
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zeipräfidenten von Hindeldey Berläumbdeten fein Erfolg zu
erwarten fei. Der ganze Lärm von Hochverrath und Kom—
plott erfcheint mit jedem Tage hohler, und alles was die Po-
lizei gefunden hat, ift nicht der Nede werth. Gewiß, die.
Gefinnungen, welche man voraugfegt, find vorhanden, und
in größerem Maße, ald man gewöhnlich glaubt, auch Verbin-
dungen beftehen, die der Regierung feindlich find, aber jene
hat fein Strafrecht je zu erreichen gewußt, und die Verbin-
dungen wird man nie ausrotten, folange folhe Gefinnungen
beftehen ; die Regierung felbit aber ift es, die fie ftetd neu .
erzeugt. Diele der Angaben, die von der Polizei auspofaunt
werden, jind ganz übertrieben, Die Angabe der Waffenvor-
räthe, der Bulvermenge, andre mit Abjicht falfch geftellt, 3.82.
die ſogenannten Spiegelgranaten, welche ein Schloffer, der
neue Erfindungen an den Schießgewehren machen will, zu
feinen Verſuchen angefertigt hat. Man denkt an die berüch-
tigten Handgranaten Hätzel's! Der ftupide Hof glaubt an
alle vergrößerten Angaben, das Eluge Publikum aber nicht!
Daß indeß Berurtheilungen erfolgen werden, wird faum be-
zweifelt; alle Anftrengung wird dahin gerichtet werden. Selbft
wo die Behörde die Anklage fallen läßt und jede Schuld ver:
neint, hält man am Hofe noch feft am Glauben. Der Prinz
Auguft von Würtemberg fagte noch kürzlich von dem in Char⸗
Iottenburg verhafteten Mann, der amtlich für fchuldlos erklärt
worden: „Gr hat ſich durchgelogen!" Ein herrliches Lob
der Polizei! — |
Die fchon vielgequälte freie Gemeinde zu Magdeburg foll
nun fchlieplich aufgehoben werden, man will ihr die Konzeffion
nehmen, die fie früher in aller Korm befommen hat. Man
ſchien endlich milder, gerechter gegen Die freien Gemeinden
werden zu wollen, da fommt plößlich ſolche Laune! Wir
leben in lauter Widerfprüchen, nirgends ift richtige Folge.
Hüteverfolgung in München, über hundert ‘Berfonen verz
Varnhagen von Enfe, Tagebücher. X. 7
{
99
den Fall Herrn von Sivers und Herrn Adolf Böttger mit;
jest erfahre ich, day beide dad Sonett auf den Bruder Alexan—
der deuten. Wenn ed audy noch fo fehr paſſen follte, nimmer
fann das die Abficht Wilhelms gewefen fein! (Gedenfen an
Schlabrendorff's Wort: „Sie haben alles was dazu ‚gehört
um große Männer zu fein, und find es beidedoch nicht!” Und
das andre, von ihm zitirte Wort: „Iln’y arien de verita-
blement grand oü il n’y ait du eitoyen,“)
Nachmittags Fräulein de Caftro und Dr. Gottfchall bei
Zudmilla ; ich verliere zwei Parthieen Schad) in größter Sihnel-
ligfeit.
Humboldt nannte neulich den Minifter von Raumer einen
Lump, der von den Wifjenfchaften nichts wiſſe und die Gelehr:
ten hafje. Humboldt hat dem Könige geklagt, er habe ftete
das Unglüd, an der Tafel neben Naumer zu figen, und fühle
jedesmal in der diefem zugewandten Seite eine Kälte jtrömen,
der König möchte ihn doch den Plab verändern laſſen, dieler
fei gar zu rheumatiſch; aber es feheint dem König Vergnügen
zu machen, die beiden Widerfacher neben einander leiden zu
ſehen.
In engliſchen Blättern wird mit Zuverſicht behauptet, daß
zwei preußiſche Miniſter, Heydt und Simons, deren Gemein—
ſchaft in Handelsſachen auch hier kein Geheimniß iſt, ihren
Hauptgewinn vom Sklavenhandel ziehen, bei dem ſie mit ihren
Kapitalien betheiligt ſind! Der Juſtizminiſter!! —
Sonntag, den 10. April 1852.
Tapfre Erklärung der Aerzte des Geſundheitspflege-Vereins,
unwillige Zurückweiſung der Hinckeldey'ſchen grundloſen Be—
ſchuldigungen, in der „Nationalzeitung“ abgedruckt.
Hausſuchungen in Strelitz, auch wieder in Roſtock, und
neue in Berlin. — „Die Polizei macht aus dem gefundenen
q*
101
greifen der proteftantifchen und fatholifchen Kirche, des Pabſtes,
der Jeſuiten; das Schaufpiel ift traurig genug, aber weckt ge-
ringe Furt. Die Macht, die fich das hierarchifche Unweſen
aneignet, hat feinen Boden, zerfällt bei der nächſten Bewegung.
Die Kirche dient dem Staat, der irdifchen Macht, beherricht
jie nicht, ift Werkzeug, nicht Selbitzwed. Sähe ich die kirch—
liche Gewalt herrfchend, den Staat ihr dienend, von ihr ab»
hängend, — dann würd’ ich fürchten! —
Montag, den 11. April 1853.
Gefhrieben; ein ayavıaua Lı To napgaxojua! — Dad
Montagsblatt „Die Feuerſpritze“ fagt nicht? mehr über die
hiefigen Berhaftungen; dies Schweigen fann nur die Folge
polizeilicher Warnungen fein; die Preſſe wird immer ſchwächer,
verftummt immer mehr; es iſt wie im Herbft, wenn die Blätter
fallen, die Zweige leer werden! Die „Volkszeitung“, Erſatz
des „Urmwählers*, ift zum drittenmal in allen Abdrücken weg⸗
genommen worden, ganz widergefeßlich, ehe noch Die Veröffent-
lihung verfucht worden. Die Polizei thut, die Gerichte
ſchweigen. |
Endlich einmal ein hervorragendes Wort in der zweiten
Kammer! Der Abgeordnete Wengel, unterftüßt von Lette,
Harfort, Milde, Kühne, Kisker, von Binde, Jacob, Konaz, von
der Rede, Degenkolb, von Flemming, von Sauper, von Sauden,
Pochhammer, Lenfing, NRemien, ftellt die Minifter' zur Rede
wegen des Dekretes von Hindeldey, griff deſſen Verfahren an,
das unerhört fei, das den Gerichten vorgreife 2c., dabei wurde
der infame Stieber namentlich als ein ſchlechtes Subjeft be-
zeichnet. Der Minifter von Weitphalen antwortete ſchwach
und ungenügend, wie ein Lump, der ein fchlechted Gewiſſen
hat; die Schande war offenbar; damit hatte denn freilich für
diesmal die Sache ihr Bewenden! — Eine andre Heine That
243490
vw.
wo.“
103
Kammern konnte man dulden, und nun wählt ausdem Schmuß
doch allerlei Pflanzenmwerf auf, das man nicht will, und defien
Erftarfen man noch nicht fürchtet, das aber einft doch guten
Trotz bietet. Wir könnten freilich ſchon edle reife Früchte
haben! — Ä
Die Hausfuhungen und Verhaftungen in Roftod find von
feiner mecklenburgiſchen befugten Behörde gefchehen, fondern
die Regierung hat den preußifchen Polizeibeamten dort nad)
‚Belieben zu wirthfchaften erlaubt. Died maht im Lande
große Mißſtimmung, ſetzt die eigne Regierung tief herab, macht -
die preußifche verhaßt. — Dünger für die Zukunft! —
Die Polizeiforfchungen gehen ihren Gang; unerfättlicher
Durft nad) Vergehen und Verbrechen! “Die rechten wollen fich
nicht finden. Sie find fo, wie die Polizei fie denkt, entweder
nicht vorhanden, oder für ihre Schnüffelei nicht erreichbar. —
In Dresden Verhaftungen. Unter andern ein Schriftfeker
wegen Gottesläfterung verhaftet, aber auch gleich wieder ent-
lafien.
In Bremen ift der lebte der im März dort Berhafteten
gleich den andern ftraflos in Freiheit gefeßt worden. Es war
nichts! —
Srneuerte Verwendung ded Königs von Preußen für den .
in Ancona verhafteten Gelehrten Salandrelli; bisher hat der
Pabſt ihn nicht freigegeben. „Warum begnadigt der König
nicht feine eignen Gefangenen? 8 find gewiß viele würdige
Männer unter ihnen.“
Graf Cieſzkowski kam gegen 10 Uhr, blieb eine kleine
Stunde. Luſtige Beiprehung der politifchen Zuftände, —
ganz Europa unterhöhlt, die Völker gegen ihre treulofen Fürſten,
überall gewaltfamer Ausbruch zu fürchten, — die Bedeutung
Polens, — Rußland am meiften geſchwächt und verwundbar
durch feine Eroberungen. Frankreich!? Es wird fi ſchon
helfen, ich forge nicht! —
107
führt, daß der Verein auch politifche Zwedle habe! So ein
Staatsanwalt! |
sch blieb den Abend zu Haufe, ziemlich verftimmt, das
Lefen im Suetonius machte mich noch ſchwermüthiger, auch der
Inhalt der Zeitungen wirkte niederdrüdend, — ch las noch
im Goethe's Sprüchen.
Der Polizeidireftor Stieber führte unter dem Belagerungd-
ftande vor Gericht häufig die Vertheidigung angeklagter De-
mofraten, und machte dabei die heftigften Ausfälle gegen die
Polizei, die ihm ungeftraft hingingen. Es ſtellt fich heraus,
dag er dieſe Rolle im Auftrage fpielte, damit die Demokraten
ihm vertrauen möchten, und er ihre Geheimniffe erführe, um
fie dann der Regierung mitzutbeilen. —
Die Kreuzzeitung wiederholt, daß der jebt hier anweſende
würtembergifche Staatsrath Klindworth in preußifche Dienfte
treten werde, Auch eine Art Stieber! Wie ift der nur zu
dem würtembergijchen Titel gekommen? Bedurfte der König
fo ſchmutziger Dienfte? Und bedarf Preußen jest ſolcher?
Unſre Diplomatenrotte hat ohnehin ſchon genug Schande;
was für Burſchen zählt Preußen feit beinahe vierzig Fahren
in diefem Jah! — Miltig, Küpfer, Schladen, Neigebaur,
Dtterftedt, Lottum, Königsmard, Habfeldt, Küfter, Jordan
ꝛc. ꝛc. —
Verfaſſer der Berichte aus London in der Kreuzzeitung iſt
der Flüchtling F., ehmals Mitarbeiter an der Demokratiſchen
Zeitung. Von ihm ſind die niederträchtigen Artikel über
Koſſuth, über die deutſchen Flüchtlinge, über Kinkel, Ruge ꝛc.
— Von dieſem F. rühren auch gewiß die Anzeigen her, auf
welche hier die Verhaftungen vorgenommen worden. Dr. La—
dendorf iſt ohne Zweifel die unabſichtliche Vermittlung gewe—
fen, er ſagte alles dem Dr. *, dieſer verſchwieg es dem F. nicht.
Der letztere hat jetzt viel Geld und ift guter Dinge. —
111
Freifprehung des Diafonus Weiß in Breslau, der die fa-
tholifche Kirche follte beleidigt haben. — In Stade Haus:
juhungen. In Augsburg und Würzburg Wegnahme von.
Büchern und Zeitfchriften.
In Bremen die Schübengilde aufgelöft, weil ſie eine An-
zahl Mitglieder, die angeklagt aber noch nicht verurtheilt find,
nicht auf Begehren des Senats ausſtoßen wollte. Bürgermeijter
Smidt verherrlicht jih! Der einjt gefeierte Republikaner ein
. Fürftenfnecht und Gewaltsmann! — Erklärung des entlafjenen
ſächſiſchen Appellationgrathes Dr, Ludwig Höpfner in Dresden.
Offiziere übten große Rohheiten gegen ihn aus, er klagte, ftatt
Genugthuung erhielt er Strafe, wurde dann ohne Grund
entlaffen. | |
In Madrid eine Hundewirthfchaft! Die Metze Ehriftina
jolte man aus dem Lande hinauspeitfchen. — |
In Paris Berurtheilung von Zeitungsbriefitellern, meift
- Regitimiften. — Neue Millionen für Louis Bonaparte; gut
für die, welche meinten, die Mitglieder der Nationalverfamm-
lung foiteten zu viel!
Sonntag, den 17. April 1853.
Geftern jtarb hier die legte noch überlebende Schweiter von
Gent. Die andre ftarb ſchon vor mehreren Jahren. Biele
Briefe des Bruders müſſen fich in dem Nachlaß finden. |
Das badische Oberhofgericht hat den verurtheilenden Spruch
des Hofgerichtd gegen Gervinus vernichtet und der Staatö-
behörde die Koften auferlegt; der Fall, fagt dafjelbe, hätte vor
die Geſchwornen gehört.
Der Stedbrief gegen Dr. Ladendorf wird von der Polizei
für erledigt erflärt; dadurch beftätigt fich die Angabe, der Ber:
folgte jei ergriffen worden,
Die hiefigen Geiftlihen und Frömmler arbeiten im Stillen
113
hebung! Selbft ein Wicht, wie der Herausgeber des * mapt
ji an über einen Morig Hartmann, Karl Bogt, Bucher ıc.
abzuſprechen, Leute, denen er nicht werth iſt die Schuhriemen
aufzulöjen! Die Nationalzeitung fteht noch tapfer vor dem
Riß, allein wie lange wird ed dauern, fo fällt auch fie! —
Bettina von Arnim hat den thörichten Gedanken, * könne
ihr zur Verbreitung ihrer „Geſpräche mit Dämonen“ nützlich
fein, daher fchmeichelt fie ihm auf die übertriebenfte Weiſe,
erzeigt ihm die größten Artigfeiten, ſchenkt ihm Bücher, lieſt
ihm vor, jo daß diefer ganz beraufcht iſt! — Es iſt fchlimm,
daß Bettina nie ruhen fann, immer voller Abfichten ift, und
wenn grade fein würdiger Zweck vorliegt, ſich mit den aller:
Kleinlichften befaßt, mißtrauifch gegen jedermann, ausgenommen
gegen fich jelbit, wo ed doch am beiten angebracht wäre.
In Mirabeau gelejen, im Tacitus. Ä
Die Magdeburger Zeitung wegen Mittheilung der Aufrufe
Kofjuth’8 und Mazzini's angeklagt, ijt freigefprochen worden. .
Wie früher wegen gleichen Falles die Neue Preußiſche Zeitung.
In Mainz zwei Angeklagte — wegen Theilnahme am
Freifchaarenzug 1849 — Schmib und Brodrecht, freigefprochen,
drei andre zu Gefängnißjtrafen verurtheilt.
Dr. Holdheim hier wegen Preßvergehend freigefprochen,
wegen Majeftätsbeleidigung noch in Haft und Unterfuchung.
In Roftod hat der Magiftrat nachgegeben, die Regierung
übt die Polizei, gegen alle beftehende Redht. Die Soldaten
zogen ab, — |
In Kaſſel die Zivilehe aufgehoben. Mit den Ständen
dort — mit dieſen jetzigen — vielfache Schwierigkeiten und
Häkeleien! —
Der ſardiniſche Geſandte in Wien, Graf Revel, proteſtirt
gegen das Attentat, das Oeſterreich gegen die ehmaligen Lom—
barden, jegigen Piemontefer, durch die Güterveſchlagnahme
Varnhagen von Enſe, Tagebücher, X.
115
verſteht, heiter aufnimmt. Sie iſt ftreng kirchlich erzogen
worden, fo ftreng, daß fie jekt ganz freifinnig tft, und dabei
ganz mild und fromm.
Gegen Abend kam die elfjährige Fräulein von Buch und
brachte mir von Frau von Nimptfch einen „Frühlingsvogel“
— Schnepfe — mit einer fchönen Rofe im Schnabel. Das
„Mädchen aus der Fremde”, auf dem Kapitol in Rom geboren,
plauderte wie eine junge Dame und machte mir allerlei Fragen.
In Mirabeau gelefen. Englifche Blätter.
- Die nihtöwürdigen Kammern haben die durch Petitionen
angeregte Diffidenten-Frage feig und tüdifch fallen laſſen, die
Ihändlich verfolgten Mitbürger aller Willfür und Gewalt preie-
gegeben. Konftitutioneller Staat, der Name ift für Preußen
ein Hohn und Spott! —
Der verfolgte Lehrer Wander vom Hirfchberger Kreiögericht
. wegen feines Auswanderungs-Katechismus zu 50 Thaler Strafe
oder drei Wochen Gefängnig verurtheilt.
Herr Adolph Stredfuß, wegen feiner Revolutionsgefchichte
von den Gefchwornen freigefprochen, aufs neue wegen derfel-
ben Sache vor Gericht. Der Staatsanwalt Adler trägt auf
einjähriges Gefängnig an! — Konftitutioneller Staat, unab-
hängige Rechtöpflege! —
Der Polizeipräſident fol durch fein Zutappen in Aufbe-
bung des Gefundheitäpflege- Vereins, die ſich ald eine große
Mebereilung erweift, in feinem Anfehn ‚bedeutend gelitten
haben. Der Minifterpräfident von Danteuffel hat ſtarke Klagen,
von Bürgern angehört und an den König gebracht, der darauf
erwiedert hat, dem Eifer müſſe man was zu Gute halten, indeß
ſehe er wohl, daß Hindeldey nicht der Mann fei, der zu höheren
Posten tauge, vielleicht fei er jebt fchon zu hoch geftellt. —
Zwei junge Edellente in Schlefien find auf der Jagd zu
Schaden gefommen durch eigne Unvorfichtigfeit, der eine ſchwer.
Wenn Bürgerlichen dergleichen gefchieht, erhebt die Kreuzzeitung
8*
117
als fich in den Gefinnungen beftärfen, feine Denkart befeitigen,
und beided nach Kräften ausbreiten, Aber mit hohlen Worten
und gangbarem Geſchwätz ift’8 nicht gethan! Die Gothaer
reden immer nur von Deutfchheit, von Berfaffung. — Diele
Leute follten für jet das Maul halten.
Der Kriminalrichter Nörner und Polizeidireftor Stieber
find zufammen nach London abgereift, „Wie fann Nörner
ſich ſolche Gefellfehaft gefallen laſſen?“ jagt einer. „ Wie kann's
Stieber?" fagt ein andrer. Schwer zu enticheiden! — Nör—
ner Oberftaatsanmwalt geivorden. —
General von Weyrad) fagte mir, fein Schwager Herr von -
Sauden = Tarputfchen, der tapfre freifinnige Oftpreuße, fei
gränzenlos verſtimmt und jogar krank durch die jämmerliche
Lage unſrer Angelegenheiten, durch die Unredlichkeit und Bos—
heit, die er herrſchen ſieht, —
— — — — —
Donnerstag, den 21. April 1853.
Um halb 11. Uhr auf den Generalſtab gegangen und über
drei Stunden ununterbrochen gearbeitet. Hauptmann von
Treskow. — Fräulein de Caſtro nimmt Nachmittags Abſchied,
ſie reiſt morgen früh nach Altona zurück. — Beſuch vom Fürſten
von Pückler, der mir manches Merkwürdige erzählt, aus alter
und neuer Zeit. Er ſieht ganz gut aus. —
Herr von Knebel-Döberitz freut ſich in der erſten Kammer,
daß unter andern Errungenschaften von 1848 auch die Habeas—
Corpus: Akte wieder abgefchafft worden, — kann die fchamlofe
Dummheit weiter gehen? — und verlangt die Abfchaffung des
Jagdgeſetzes. Wunderbarerweije vertheidigt der Graf von
Arnim-Boytzenburg deffen gefeglichen Urfprung und Graf von
Saurma jihlägt die Tagesordnung vor, das Geſetz habe feit
fünf Jahren ſich eingebürgert und Rechte gefchaffen. Aber
beide werden mit 43 gegen 40 Stimmen überftimmt. —
119
des Erzbiſchofs und der Bischöfe der katholiſchen oberrheinifchen .
Kirchenprovinz kräftig und drohend entgegen. Sie werden fi)
wenig dran fehren. Freiheit muß man ihnen entgegenfeßen,
die halten fie nicht aus; der Gewalt trogen fie, fie eignen fie
fih an, Freiheit Fönnen fie nicht auf ihre Seite bringen, doch
nehmen fie folche argliftig wohl in Anspruch, wie in Preußen,
und feinem jonft wird fie gewährt, nur ihnen, von dem heuch-
lerifchen, gewaltthätigen, ſchwachſinnigen Staat! —
Heute griff Georg von Binde mit Nachdruck die Polizei:
ſcheerereien an, Wentzel unterftüßte ihn darin. Marcus Nie-
buhr warf fich zum Vertheidiger der Polizeiwillkür auf, ſeiner
würdig! —
Herr Stadtrath Georg Reimer hat auch zu kämpfen, gegen
die Miniftergewalt in Betreff auswärtiger d. h. auch deutfcher
Drudjachen. —
Neue Hofbeamten : Pitt⸗Armin Oberſt⸗Schenk, Graf von
Redern Oberft-Truchfeß, Freiherr von Stillfried Oberſt-Zere⸗
monienmeiſter; iſt der Hof nun glänzender, ſchöner? Du lieber
Gott! —
Graf von Arnim-Blumberg iſt Oberſt⸗Gewandmeiſter ge⸗
worden, Grandmaitre de la garderobe. Seit dem Tode
des Grafen Grote war diefes lächerliche Hofamt unbeſetzt. —
Der. König hat den neuernannten Hofbeamten den Rang bei:
gelegt, den Die Generale der Infanterie oder Kavallerie haben,
was dieſe ald die größte Beleidigung empfinden, die ganze
Armee iſt empört. J
Freitag, den 22. April 1853.
Geſchrieben. Kurze Bemerkungen gegen, den Fürſprecher
. der Beitjche, Ludwig von Gerlach, und gegen den Abgeordneten
von Knebel-Döberib, der fich freut, daß die Polizei in jedes
Haus eindringen und jeden Menfchen verhaften fann! — Auf
dem Generaljtab anderthalb Stunden. .
121
Europa? Werden diefe bisher ruhigen Länder nicht gleichjam
flüffig gemacht zur Theilnahme an der fünftigen Bewegung ?
Der Boden der Revolution wird erweitert! Belgien, Piemont,
Schweiz fehlen noch, fie werden fommen, Für kurzlebende
Menjchen geht freilich alles nur langfam! —
England! ſteht dort alles feſt? ft dort Fein Umfturz der
Verfaſſung möglih? Fürerft wohl nicht. zu Gunften der
Demokratie, fondern der Gewaltherrichaft; aber wie die Macht
eines Einzelnen leicht aus der Volksmacht entfteht, fo auch
diefe leicht aus jener. Die Ariſtekratie in England ſteht in
großer Gefahr.
Krummacher hat am Bußtage wider die Verfaſſung gepre⸗
digt. Dem Könige ſei aus ſeinem Königlichen Gewand ein
Stück herausgeriſſen, das Volk müſſe ihm helfen es zu flicken,
indem es ihn des geleiſteten, unglücklich geleiſteten Eides ent—
binde! —
Sonnabend, ben 23. April 1853.
Gefchrieben. Unfer Gefängnißweſen, ein unmenfählicher
Gräuel! Grundfag ift, daß Haft nicht zur Sicherheit, fondern
zur Qual fein müffe. Man läßt die Leute hungern und dur-
ften, ohne die nöthigen Bekleidungen, nichts dürfen’ fie fich
holen Taffen, felbit für ihr Geld nicht, Feine Zeitung, fein
Bud, kein Schreibzeug,, außer nach langer Verhandlung, aus
größten Gnaden! Diejenigen, die das einrichten, und verthei-
digen, 3. B. Gerlah, Casper, Julius ꝛc. follten von Rechts:
wegen einmal felbit foiten, was fie fo richtig finden! ---
Befuh von Weiher. Merfwürdige Mittheilung ; katho—
liſche Geiftlichkeit, Jeſuiten 20. —
Beſuch von Herrn Affeffor Feodor Taddel, Sohn des Kam-
mergerichtörathed. Er wünſcht aus der juriftifchen in die
handelöpolitifche Laufbahn überzutreten, und hat dazu die
123
Ludwig Tieck ift im Erlöfchen, heißt es. Sein Berluft
geht mir jehr nahe, troß vieler Entgegenfegungen! —
In Goethe gelefen, in Balentini’8 Lehre vom Kriege ꝛc.
Cornelius fagte mir, daß er in furzem nad Rom reife,
und wollte Briefe und Beitellungen mitnehmen. Grüße an
Dr. Steinheim, |
Als der Antrag der Minifter in der zweiten Rammer be⸗
rathen wurde, ſagte Weſtphalen, die Kammer möchte be—
ſchließen was ihr gefiele, er würde doch thun, was er für ſeine
Pflicht halte, Dieſe Frechheit iſt dem Staatsanwalt, der ge
gen Gervinus Nehnliches fügte, nachgeahmt. Die Kammer
nahm die Ohrfeige ungerügt hin, doch den Antrag ließ ſie
durchfallen.
Sonntag, den 24. April 1853.
Geſchrieben. In Rahel's und meinen Papieren gear—
beitet.
Nachmittags wieder gearbeitet in meinen Papieren. —
Dann fam Herr Dr. Vehſe und blieb zwei Stunden; er hatte
viel zu fragen, unter andern über Kaspar Hauſer; diefer Kerl,
und aller Wahn der fich mit ihm verfnüpft hat, ift mir zuwider
wie das Tiſchrücken, und wie bei diefem ift auch alled Reden
umfonft. Der alte Feuerbach, der mit phantaftifchem Eifer
in diefe Gefchichte fich ganz verbiffen hatte, ift ein Hauptver-
breiter ded Wahns, der alte Hitig half ihm als gläubiger
Shildfnappe in diefer Don Quigoterei. Dr. Vehſe wollte
fi) nicht ausreden laffen, was er fich feft eingeprägt hat, daß
jener betrügerifche Yandftreicher ein entführter badifcher Prinz
ſei! „Geſchehne giebt's und nicht geglaubte Sachen, Und
giebt geglaubte, welche nicht geſchehen.“ Kritik, geſunde
Kritif thut noth, die mit gehöriger Kenntniß ausgeftat-
tet iſt. —
185
dann in heftiger Oppofitionsftimmung gegen die unpreußifche
Kreuzzeitungsparthei loszieht, die und in Schande und Ber:
derben ftürzt, gegen die Peitſche Gerlach's, der felber fie ver-
dient wie die Verachtung der ganzen Welt, gegen die neuen
Hofämter, oder neuen Benennungen der alten, gegen den Rang
der mit ihnen verbunden wird, gegen die Deforationd- und
Koftüm- Spielerei am Hofe ꝛc. 20. — Bei Kranzler eine Taffe
Kaffee, dann auf den Generalftab. Mitten in der Arbeit
werd’ ich Yeftört, Herr General von Reyher will feine Verant—
wortlichfeit deden, will etwas Schriftliche von mir, um &&
dem Kriggsminifter vorzulegen. ch gehe zum General hin—
auf, er meint es recht qut, ift herzlich und vertraulich, aber
fürdtet fich vor dem Hofgerede, vor dem König, erzählt mir
Fälle von Verdrüffen die er gehabt, und will fich ficherftellen.
Ich fage ihm, dem Gerede müffe man Trog bieten, dem Könige
jelbit feften Stand halten, dann grade wanke man nicht; er
fimmt mir vollfommen bei, doch — ih muß an ihn
ſchreiben! —
Zu Haufe gleich dieſen Brief aufgefebt und abgefchidt.
Abende mit Ludmilla in's franzöfifche Theater. Le
demon du foyer von Frau von Dudevant wurde gegeben, das
zog uns an; fie it ganz darin, mit all ihren Borzügen! La
. eorde sensible wurde wiederholt, Wir hatten vortreffliche
Plätze, unter andern auch den freien Blick in die nahe Seiten—
loge, wo der König und die Königin ſaßen. Der König ſieht
ſchrecklich gealtert, eingeſchrumpft, verkniffen und verärgert
aus, kleine enge Züge, unangenehme Röthe; doch war ſein
Benehmen ganz ungezwungen und frei, und ſeine Aufmerk—
ſamkeit, ſein Lächeln, ſein Umherblicken waren die eines ſinni—
‚gen Menſchen. ch dachte an den Eindruck, den einſt Rahel
bei ähnlicher Gelegenheit von ihm gehabt; damals freilich
war er um einige zwanzig Jahre jünger. — Das Haus war
ziemlich leer. —
127
erkennt, findet alles richtig, und wundert fich, daß es nicht nod)
Ihlimmer ift. —
Dienstag, den 26. April 1853.
. Befuh von Dr. Hermann Frand; dann fam Bettina
von Arnim, die durch Frand’3 Gegenwart geftachelt, allerlei
Poſſen trieb, ſich über * luſtig machte, plößlich ihren Schwager
Pitt⸗Arnim für einen würdigen Dann ausgeben wollte und
für einen General der Infanterie ꝛc. Al Frand meggegangen
war, trieb fie es noch weiter, ich fagte ihr derb die Wahrheit,
. und ließ fie gern abziehen, da fie mich mit ihrem dummen
Zeug von Tifchrüden und Klopfen nur langweilte. Seit die
politiihe Spannung aufgehört hat — für Leute ihrer Art
wenigſtens — tft fie wieder allen Narrheiten und Klatſchereien,
aller Hoffahrt und Eitelkeit zugänglich.
Franck ſagte ſehr nahdrüdlih, binnen zwei Monaten,
vielleicht ſchon binnen vier Wochen, werde kein Menſch mehr
etwas von der Narrheit des Tiſchrückens ſagen oder hören
wollen.
Der Polizeipräſident von Hinckeldey iſt plötzlich erkrankt,
man hat ihm in der Nacht zur Ader laſſen müſſen. Er wird
ſich erholen.
Merkwürdiger Artikel der Nationalzeitung aus London,
von Bucher, über die Möglichkeit, daß auch in England ein
Staatsſtreich verſucht werden und gelingen könnte; Unum—
ſchränktheit der Herrſchgewalt, Vernichtung des Parlaments,
oder Zähmung deſſelben. —
Die „Volkszeitung“ ſpricht von Spanien und Holland
recht gut. — |
Der Pfarrer Beyfchlag in Trier follte die Fatholifche
Kirche beleidigt haben, wurde aber von — großentheils Tatho-
liihen — Gejchwornen freigefprochen, doc, follen einige Stel:
130
Koſſuth erklärt ſich in den engliſchen Zeitungen heftig gegen
« Mafregeln der Minifter gegen ibn; er hat mit dem Raketen⸗
rabrifanten, wo man Hausſuchung gebalten, nichts zu ſchaf⸗
fen; er Hagt, daß er und andre Flüchtlinge von verfappten
Aufpaffern bewacht und verfolgt werde, fei es von englifchen,
auf Befehl der Minifter, oder von fremden, mit Zulafjung der
Minifter, in jedem Fall eine Schändlichkeit und Schwäche.
Die „Times“ fahren in ihrer Niederträchtigkeit fort, in ihrer
bezahlten, gegen Koſſuth.
Bon allen in legter Zeit hier Verhafteten follen nur der
befannte Dr, Ladendorf und ein Moabiter Arzt einigermaßen
beſchwert fein; man will gedrudte revolutionaire Aufrufe bei
ihnen gefunden haben, wer weiß ob's wahr iſt — .
Der Lehrer Gerde hat elf Tage in einfamem Kerfer ges
ſeſſen (fünf Schritte lang, drei Schritt breit, ganz niedrig),
ohne Licht, ohne Beſchäftigung, ohne freie Luft — auch die
Stunde Spaziergang: im Hofe bliebgperfagt, — bei bloßer
Gefangenkoſt, ohne Schlafrod; ein Sttühfad, ein Schemel, ein
Nachtituhl, die einzigen Möbel, Erſt nach vierzehn Tagen
ift ex verhört worden, und noch fpäter in gerichtfiches Gefäng-
niß übernommen, Der Unterfuchungsrihter Schlöttle — hin-
reichend befannt — hat ſelbſt erklärt, ihm fei die ganze Behand»
lung nicht zuzurechnen,
Donnerstag, den 28. April 1853.
Brief und Sendung aus Hamburg von Frau Marie Köſter,
ihres Vaters dichterifcher Nachlaß mit meiner Vorrede endlich,
gedruckt.
Der Prediger Krummacher, der von hier als Hofprediger
nach Potsdam geht, hat verfichert, daß in feinem Berufungss
ſchreiben ihm in Betreff des Hofes und des Königs felber
ſolche Ermächtigungen ertheilt find, wie fie kaum ein katho—
liſcher Beichtvater haben könnte. „Ich darf dem König alles
134
unfern gemeinjhaftlihen Freund, den Ritter Bunſen, der. jo
wohlgenährt wie immer ausfah, und feine Zunge noch jehr
wohl auf Koften ehrlicher Leute zu brauchen weiß, wenn er
ſich dadurch erheben zu können glaubt." —
Man erzähft, in London fei ein Pamphlet gegen den
Prinzen von Preußen erfhienen, das bejonders die Flucht des
Prinzen in den Märztagen 1848 beleuchten, und das Schnurr-
bartabſchneiden, Querfeldeinflüchten ac. ſehr feindlich behan-
dein foll. Dem Könige war e3 eingefandt worden, und als
man fragte, ob man nicht in alle Buchhandlungen ſchicken
jolle um das Verbot im voraus einzufchärfen, foll der König
erwiedert haben, das fei grade nicht fo jehr nöthig. — Hieher
Scheint das Pamphlet ſonſt nicht gefommen zu fein. —
Sopmabend, ben 30, April 1853.
Die „Volkszeitung“ geißelt heute den Rundſchauer Ger
lach ganz gehörig, die Peitſche gebührt Dem Peitfhenmeifter!
Der Minifter von Manteuffel fieht ee gern, daß jener ausge
hauen wird; ‚die ganze Regierungspreffe fist ihm ohnehin auf
dem Hals, diefem Geden der Reaktion; ob er nächftes Jahr
noch wie diejes der Rechten in der Kammer imponiren wird,
iſt fehr zweifelhaft, viele Mitglieder find ſehr unzufrieden mit
ihm, und wanken.
Der Prinz von Preußen hat die Abgeordneten der Pro:
vinz Pommern bier wie ſchon früher empfangen, und ihnen
merkwürdige Worte gefagt, gegen die Junker- und Kreuzjeis
tungsparthei, nicht die feien die beten Patrioten, die am laus
teften ausfchreien daß fie es feien u. ſ. w. Den Grafen von
Schwerin, Präfidenten der zweiten Kammer, hat ex befonders
ausgezeichnet.
Nach dreitägiger Verhandlung ift endlich der Prozeß
Bloch's gegen den Aſſeſſor Wagener, Redakteur der Kreuzzei⸗
136
zweifpänniger Wagen folgte, etwa hundert Perfonen, Ver—
wandte, Gelehrte, Litteratoren.
In Goethe gelefen. Welch ſchönes gehaltreiches Gedicht
ift das „Vorfpiel zur Eröffnung des weimarifchen Theaters,
1807,“ welcher edle Ausdrud fruchtbarer Gedanken! Lieſt
man denn dergleichen in Deutfchland? Liegt der Schatz nicht
unbenust, fo wierunfte faft alle? —
Montag, ben 2. Mai 1853.
Umzogener Himmel, trübe Luft. Nur 12° R. Wärme,
geſtern 160,
Schlechte, fat chlaflofe Naht. Um 4 Uhr aufgeftanden,
ganz heller Tag, aber alles noch ftill, die Enospenden Bäume
noch kahl anzufehen! —
Ausgegangen mit Ludmilla. Beſuch bei der Geheimräthin
Steffens. Klaärchen war bei Tied's Begräbniß geftern. Sie
fand die Leichenrede Sydow's vortrefflih, eine gelungene
Schilderung Tieck's in allen Beziehungen, nicht Bloß in chrift-
licher; — Tieck hatte ihn zehn Tage vor feinem Tode rufen
laſſen und ihn beauftragt, mit der Bemerkung, er wolle nicht,
daß einer der frommen Lämmerhirten an feinem Grabe
ſpreche! Die Steffens freut ſich diefer Aeußerung, ſchimpft
auf die lächerlichen Fanatiker Büchfel und Ktummacher! —
Bon diejen edfen Ehriften läßt feiner den andern gelten, jeder
nennt die andern als Unchriften! —
In England hat das Oberhaus die Juden-Emanzipation
mit anfehnlicher Stimmenmehrheit fallen laſſen. Im Unter:
haufe wird Lord Palmerfton heftig von Cobden und Andern
wegen Koſſuth befragt, und befteht mit Schanden! —
Die nihtswürdigen Stände in Kaſſel haben drei ihrer
Abgeordneten, welche der Minifter verfolgt, aus ihrer Mitte
ausgefchloffen und ihm preisgegeben! —
138
werth, als aller Ruhm! Und welcher Ruhm fteht feit, welcher
wird nicht angetaftet? und aus welchen Beftandtheilen befteht
er meiſt! Doc ift unter allen Welttrieben die Ruhmbegier
noch einer der beften, edelften, und auf das Gute und Aechte
gerichtet, einer der fruchtbarften. —
Im Antiquarius des Rheinſtroms gelefen, in Goethe.
Der Advofat Moris Wiggers zu Roſtock verhaftet und
weggeführt. — Schimpfliche Wirthſchaft mit den Ständen in
Kaffel, ein wahrer Gräuel!
Feier des 2, Mai (Groß-Görfehen) durch das erſte Garde
tegiment, Theilnahme des Königs und Rede deffelben. — Die
Zeitungen fagen, der größte Enthuſiasmus-der Auweſenden
ſei diefer Rede gefolgt, allein von andrer Seite wird vers
fichert, daß alte Generale und Stabsoffiziere mißliebig dar-
über gejpottet haben: „man höre nichts als Ruhmredigkeit,
Selbftverherrlichung, und habe das nun längjt fatt; der König
liebe das Militair nicht, das wiſſe man längft, das fähe man
täglich, fchöne Worte änderten da nichts“; von Kugelregen,
von eigentlicher Gefahr, in der ſich der damalige Kronprinz -
befunden haben fol, wollen die alten Kriegsleute gar nichts
wiſſen, fie meinen, der Kommandeur des Regiments habe dafür
su forgen gehabt, daß der Kronprinz nicht in's (Feuer käme,
aber darin gewejen zu fein ſcheine. (Ganz wie der Krieger
minifter Louvois für Ludwig den Bierzehnten forgte, wenn
diefer ſich bei der Armee befand.)
Mittwoch, ben 4. Mai 1853.
Warmer Regen ; für Pflanzen gut!
Wenig geihlafen, Träume von Rahel und von — Krieg!
Unruhe, Müdigkeit, Die „Nationalzeitung“ liefert, geſtützt
auf die Worte des. Prinzen don Preußen — den fie nicht
145 !
Sonntag, den 8. Mai 1853.
Kalte Luft und matter Sonnenſchein. Langſam quält fich
dad Grün hervor, man hat feinen Genuß davon. Gewitter,
dabei falt. — .
Brief aus Gmunden von Augufte Brede. Sie lebt von
ihren Erinnerungen, von den Menfchen, die in Prag um
Rahel verfammelt waren; fie ſchreibt: „Wie Viele gehen jet
wohl an dem unanfehnlihen Haus der Raymann in einem
Winkel Prags vorüber, ohne zu ahnden, daß die Fleine Mob:
nung im zweiten Stod damals eine ganze Gefchichte hatte!
Auf einem Zettel hierbei fchreibe ich die Namen Aller auf, die
fih an jo verhängnißvollen Tagen Abende in unſerer Woh—
nung um einen Theetiſch verfammelt hatten, um die wich:
tigjten Nachrichten zu erzählen oder zu hören.“ Sie nennt
Rahel, Ludwig Robert, Alegander von der Marwitz, Gent,
Ludwig Tied, Burgsdorff's Familie, Abraham Mendelefohn-
Bartholdy, Fichte, Karl Maria von Weber, Fürft Wilhelm zu
Bentheim, Clemens Brentano. Sie hätte noch viele hinzu-
fügen fönnen, 3. B. Wilhelm von Humboldt, Graf Ehriftian
von Bernjtorff, Wilhelm von Willifen, Sophie Schröder,
grau von Heer, geb, Prinzeffin von Hohenzollern, Graf von
Pachta ꝛc. —
Zähheit der deutſchen Sachen: erſt am 1. Mai haben die
oldenburgiſchen Truppen die deutſche Kokarde abgelegt! —
Der Prinz von Preußen bat durch den ſpaniſchen Ge—
fandten mit großer Feierlichfeit den Orden vom goldnen Bließ
empfangen. Die Kreujzeitung, font fo dienfteifrig, fchweigt
. darüber. Sie rächt ſich an dem Prinzen, würde dies aber
nicht wagen, hielte fie fich im Stillen nicht verfichert, daß auch
der König ihm grollt. —
Der Kaufmann Krieger in Merfeburg ift wegen Verbrei—
tung des Harkort'ſchen Katechismus vom Gericht zu Naum⸗
: -Barnhagen von Enfe, Tagebüder. X. , 10
147
kam eben von mir, und kehrte mit mir zurüd. Sie war ver⸗
legen, wollte was fagen und fam nicht damit heraus, ſprach
von ihrem Goethe-Denkmal, doch das war nicht wovon fie
teden wollte; viel eher war es ein Verdruß mit * oder mit **;
da ich ihr nicht zu Hülfe fam, ihr Vertrauen nicht ermunterte,
jo blieb alles verfhmwiegen., Dann fam fie wieder auf dad
alberne Tifchrüden, lobte den alten Pitt-Arnim wegen feiner
edlen Milde, er’ habe fo antheilvoll den armen Humboldt be-
dauert, der durch feine übereilten Erklärungen fih fo arg
blamirt habe! Sch lachte, und meinte, Humboldt von Pitt:
Arnim, dem Oberft-Schenten mit General der: Infanterie
Rang fo edelmütbig bedauert, das fei unerfchöpflich lächerlich.
Da fie fortfuhr in ihrem Sinne zu fchwagen, und ich fie
durch ernjthafte Ironie befpöttelte, fo ärgerte fie ſich und ging
verbittert ad. Sie geht auf's Land zu ihrer Tochter Mare,
die dad Falte Fieber hat. — Ä
Nachmittags wieder tüchtig gefchrieben. Abende in der
„Nationalzeitung“ las ich den Unfall des Fürften von Pückler,
der fi) am Sonnabend auf dem Bahnhof zu Potsdam Abends
im Dunfeln durch einen Sturz den Arm ausgefallen hat. Sch.
ging gleich zu ihm, und traf ihn bei einem guten Mittageffen.
Der Arm wurde erft-hier eingerenkt, bei Chloroformirung,
weil der Wundarzt ed wollte. Sehr ftandhaft und — fehr
elegant. Hofrath Förſter dort. —
Um halb 8 Uhr in’d Englifhe Haus zu Dr. Gottſchall's
Borlefung feined „Carlo Zeno“. Eine reihe Dichtung, fort-
ichreitend in einer Fülle herrlicher, neuer, glüdlicher Bilder.
Größte Aufmerkjamkeit. Gräfin von Ahlefeldt und General
Palm dort, Geh. Rath Böckh, Rauch, Mevyerbeer, Ring,
Rötſcher, Karl Bed, die ſchöne herrliche Fräulein Viereck,
Fräulein Ada Treskow, Schasler, Sivers, Sternberg, Stahr
und Fanny Lewald, wohl 150 Zuhörer. Bortrefflicher Eins
druck; aber unreine, saghafte Urtheile! —
10*
151
An Kurhefien find. alle Gefangvereine als repplutionair
verboten. —
- Nach fiebenwöchentlicher Haft ift der Schloffermeiiter
Härter, wegen deſſen Schlofferarbeiten ein jo gewaltiger Lärm
gemacht worden, vom Ugıterfuchungsrichter freigelaſſen worden.
Nach ſieben Wochen! —
Sonnabend, den 14. Mai 1853.
Geſchrieben. Beſuche vom Grafen von Kleiſt-Loß und
von Herrn von Hänlein nicht angenommen; zu ſchlimme Lang—
fiser! — Gute Nachrichten vom Fürften von Pückler. —
Nachmittags Fräulein Marie von Buch; fie holt ſich die
„Sterner und Pfitticher*, bringt mir Wagner’3 Operndichs
tungen. Gutes hübjched Kind.
Hausfuhungen in Dresden und in Breslau, nichts ge⸗
funden.
In Leipzig war der Kaufmann Wiehel aus Newyork gleich
nach feiner Ankunft verhaftet worden, in Dresden hielt man
itrenge Unterfuhung, man fand nichts auf ihn zu bringen.
Nach acht Wochen entläßt man ihn, ſchickt ihn aber von Polizei
begleitet nad) Bremen, um dort unter ihren Augen nach Ame-
rika eingejchifft zu werden. Nach der Schweiz zu reifen, wurde |
ihm nicht erlaubt, obſchon er Kamiliengejchäfte dort hatte. Im
all der Rückkehr ift ihm fechömonatliche Arbeitsſtrafe ange-
droht. Wie fol man fol Verfahren nennen? Man fagt,
die Deutfchen haben noch Fein rechted Gefühl was perfönliche
Freiheit und Recht ſei; dad Volk hat ed wohl, nur kann jein
Schrei des Unmillend nicht mehr laut werden; aber in den
Regierenden, den Bornehmen, den Beamten ift ed nicht. Per:
derbte, nichtönugige, verächtliche Wirthfchaft ! .
Walesrode in Königeberg, zu ſechsmonatlichem Gefängniß
verurtheilt, ift in der Appellation freigefprochen worden.
152
Den rheinifchen Abgeordneten, die den Prinzen von Preu-
sen begrüßen wollten, begehrte Herr von Kleiſt -Retzow ſich ans
zuſchließen, und zwar als Oberpräfident der Rheinprovinz.
Sie beftritten das; die Sache Fam an den Prinzen; der meinte,
er babe nichts dagegen, daß jener mifomme. Kleift-Retow
fam alſo, und triumphirte, aber dies zu früh, Der Prinz
beachtete feine Gegenwart gar nicht, that als fei er nicht da.
Man ſah die Bosheit in dem Frömmler kochen.
Biingftfonntag, den 15. Mai 1853.
Gefchrieben, emfiger als ertragreich. — Brief eines Flücht-
lings Eduard Schmidt, der aus England zurüdgekehrt um
Rath und Hülfe bittet. —
Ic, blieb den ganzen Tag ungeftört, niemand befuchte
mich. Der ftille Frieden that mir wohl, und auch dem
Huſten. —
Roſenkranz hat meines Erachtens die Leihtfertigkeiten und
anftößigen Scherze Voltaire's fo wie auch die Schlüpfrigfeiten
und ſinnlichen Rohheiten Heine's nicht richtig aufgefaßt. Er
darf freilich als Profeffor der Philofophie und Lehrer ver
Jugend dergleichen nicht vertheidigen, kaum entfchuldigen, aber
er fonnte darüber hingehen; in Wahrheit jedoch hat er die
Sache nicht verftanden. Von jeher ift der erfte Anlauf zur
Freiheit, der erfte Widerfpruch gegen heuchlerifche und pedanz
tifche Autorität auf diefem Gebiete des Sinnlichen geſchehen,
hier ft der Kampf am ſicherſten geivonnen, weil die Gegenfeite
ſelbſt dafür die zahlreichiten Kräfte liefert, die Bornehmen und
Reichen, die ſich von den Feſſeln der Sittlichfeit längft befreit
haben. Zu allen Zeiten find dieſe Waffen gebraucht worden,
von Ariftophanes, Boccaccio, Nabelais, Friedrich Schlegel, von
den Franzofen am meiften. Die haben aber überhaupt am
155
einen Sohn zur Welt, den der Bifchof unterbracdhte. Dies
Kind, hätte fie feine Rechtmäßigkeit behaupten wollen — ge:
konnt hätte fie es —, wäre der Thronerbe von Baiern geworden,
mit Ausſchluß Mar Joſeph's von Zweibrüden. Diefer hat
e8 ihr in der Folge ſehr gedankt, und ihr alles Geld bewilligt,
das fie anſprach x. —
Audgegangen mit Ludmilla, Bei Kranzler, Gang unter
den Linden, dann nad Haufe. Fleißig gefchrieben, und mit
gutem Erfolg. In. den Kriegsereigniffen.geht es frifch.
Sendung aus London von Herrn Georg Grote, neunter
Band feiner Gefchichte von Griechenland. Welch ein Werft! —
Ein Schriftfteller Terſzianski aus Paderborn audgewiefen,
bloß weil er mit Wirth befannt war, und nicht jagen konnte,
was er in Paderborn zu thun habe! —
Geftern am 17. SHerftellung ded Johanniterordens, und
Teitlichkeit in Charlottenburg; aber die Güter behält man!
Lächerliche mittelalterliche Poſſe mit Aufnahme, Heermetiter-
wahl, Ritterfchlag, Herolden, Fragen und Antworten ꝛc. Zum
Erbarmen! „Nur Schaufpielerei, Deforationen, Koftüme!
Und wär's aud nur ein Umritt mit ſchwarzrothgoldnen
Fahnen!“
Graf Cieſzkowski wollte mich beſuchen, er reiſt nach
Poſen. —
„Briefe des Staatsminiſters Grafen Marimilian von
Montgelas. Herausgegeben von Julie von Zerzog. Regens—
burg, 1853.“ Nicht erheblih, außer für Montgelas’ Karak:
terbild. — |
„Geſchichte Der deutfchen «Nationallitteratur im neun:
zehnten Jahrhundert. Bon Julian Schmidt. Erfter Band,
Leipzig, 1853.”
156
Donnerstag, ben 19. Mai 1853.
Geſegneter Tag! Rahel, ihr Andenken ſei gefegnet! —
In Julian Schmidt's deutſcher Litteraturgefchichte ift der
Artikel Nabel wohlgemeint, aber von ihrer Perfon, Erfcheis
nung und Wirffamfeit hat der Verfaſſer feinen Begriff, und
kann feinen haben, weil er Aehnliches nicht gefehen hat. Solch
unmittelbar auf Gott und Natur ruhendes Dafein! hr Be:
trachten ihrer jelbft, ihr Bewundern ihrer ſelbſt — wie Julian
Schmidt «8 nennt — war nur die mothwendige Folge ihres
Umſchauens, fie fand alle andern Menjchen fo verfchieden von
ſich, zudem war es feine Hauptfache, nur Nebenfache, gleiche
ſam der Abfall ihres Thuns. Denn vor allem war fie thätig,
jeden Tag thätig im Helfen, Nutzen, Rathen, Beforgen, Exhei
tern, fie feiftete darin Unermeßliches, und ohne den Schein
davon, wie zum Vergnügen, und doch oft mit peinlichiter
Seldftopferung. Bei ihren Betrachtungen und Befenntniffen
muß man an Auguftinus, J. 3. Rouſſeau, Saint-Martin,
Goethe, denken; diefen fehlte die Gabe nicht Werke der Wif-
ſenſchaft und Dichtkunſt zu Kiefern, und doch fehrieben fie über
ſich feldft, Rahel, ohne jene Gabe, hatte feinen andern Stoff.
Und mas ſie ſchrieb, ſchrieb fie nicht für die Deffentlichkeit,
Daß ihre Sachen zu dieſer gelangt find, habe nur ich zu ver—
antworten.
Beſuch von Herrn von Weiher; er war Frank, ift noch fehr
angegriffen und matt, ich fürchte er geht ftarhabwärts! Es
thäte mir fehr leid um ihn, bei vielem Unerträglihen hat er
doch viel Gutes, ein altadliher Freiherr ohne jedes abliche
Vorurtheil, ganz freigeſinnt. — Brief aus St. Peteräburg
von Gräfin Antonie Bludoff, zärtlihe Vorwürfe, Verſe von
Chomätoff.
Tüchtig gefhrieben, wie geftern, es ging friſch von ber
Hand.
‚Herr Homard ift wieder hier, er ift engliiher Gefandter in
159
Sonnabend, den 21. Mai 1853.
—Geſchrieben. — Sendung aus London durch Herrn Meyer:
beer, ich weiß nicht von wem, eine Staatsſchrift: „The crown
of Denmark disposed of by a religious minister through
a fraudulent treaty. London, march, 1850, (Not pu-
blished.)“ Gegen Wilhelm von Willifen wird darin fehr
höhniſch Todgezogen. — Sendung aus Rußland von Herrn
‚Swan Turgeneff in Moskau, erjter Theil feiner „sannenw
'oxoramsa“, gedrudt in Moskau. 1852. — „König Mon:
mouth, ein Drama von Emil Pallesfe. Berlin, 1853," —
„Sufanna und Daniel. Ein Schaufpiel von Karl Ludwig
Werther. Berlin, 1853.* Unmöglich für jetzt, dies alles
zu bejtreiten! — Nachmittags wieder gefchrieben, vielerlei
nachgelefen, angemerkt; mehr Arbeit ald bei Blücher. —
Abends Thee, dann mit Ludmilla Schach gefpielt. — In
der Revue des deux mondes gelefen, Prosper Merimee
über Grote’d Erzählung ded Rückzugs Xenophon's mit den
Zehntauſend; Artikel über den Cancionero des getauften
Juden Baena aus dem fünfzehnten Jahrhundert, von Leopoldo
Augufto de Eueto. — | |
Zwei Fatholifche Geiftliche find in Schlefien evangelifche
Prediger geworden. — Der Zefuiten-General Roothan in
Rom geftorben. Ein deutſcher Jeſuit fol ihn erfeßen,
heißt es. |
Der Buchhändler Alerander Dunder hat für den Sohan-
niterorden 200 Thaler gefchenft, dafür hat ihm der König
zur Tafel gezogen, zum Aerger und zum Gelächter vieler
Leute. . |
Sonntag, den 22. Mai 1853.
Gefchrieben. Für die Schwierigkeit der Sache und die
förenden Umftände nod viel genug. — Befuh von Herrn
160
von Hänlein; einige brauchbare Neuigkeiten, die ich aber ſchwer
erfaufen muß, durch Anhören des langſamen, wehklagenden,
graufenvollen Drudjens! Er geht endlich, weil ich ſchweige
und faum noch höre! — Unerwartet fommt Herr von Sivers;
er ift hieher zurückgekehrt, muß fein längeres Berweilen in
Deutjchland aufgeben, und reift in wenigen Tagen nah Ruß—
land ab. — Brief aus Wittenberg von Herrn Direktor Lom—
matſch; einige Handfchriften, Er äußert fih mit einer
Leidenſchaft und Begierde, als ob man zum Leben nothwendig-
Handſchriften und jeden Tag neue brauchte! Ich muß ihm
antworten; er ift voller Güte für mic, und befchämt mic,
durch) immer neue Gaben. — Sogleich an ihn geſchrieben, mit
Beifügung eines Blättchens von Jenny Lind.
Thee zu Haufe, Wieder geſchrieben. Zuletzt noch mit
Ludmilla· — In Julian Schmidt gelejen. Sein edfer Ernſt
gefällt mir. Ihm in allen Uxtheilen beizuftimmen, üt mir
unmöglich, allein ex jagt viel Treffendes und Gutes, Bon
den Menſchen weiß er nicht genug, aus diefer Unkunde ftellt
er die Karakterbilder oft falſch. Die jogenannte biftorifche
Schule, Niebuhr, Savigny, Lachmann, ſelbſt beide Grimm’s
nimmt er zu hoch. —
Montag, den 23. Mai 1853,
Sehr früh aufgejtanden, aber nur wenig geichrieben. —
Beſuch von Herrn General von Weyrad, zwei Stunden;
über Bülow, Nord, Gneijenau, Grolman und Blücher ſehr
merkwürdige Mittheilungen. Erörterung des Verdienftes des
Generals von Reihe vor der Schlacht von Groß-Beeren ;
gewiß ift es nicht fo, wie Müffling es in feinem Briefe
ſchmeichleriſch angiebt, und gewiß ift die Angabe Müffling’s,
daß Bülow ſelbſt es ihm vertraut habe, eine Lüge, —
Nun bekomm’ ich auch den zweiten Theil von Turgeneff's
161
sanmckn oxorausa, Madame Viardot hat das Buch mitge-
bracht. —
Der König hat in Wien nicht, mit feinem fonftigen
Schwunge gefprochen, man findet die Worte kahl und arm,
außerdem nicht wahr. —
Herr von Hülfen, von der Kritik ſchonungslos angegriffen,
it auch in vollem Streit mit den Schaufpielern, fie wollen
alle fort. Mir ſehr gleichgültig! —
Dienetag, den 24. Mai 1853,
Gefchrieben. Auf den Generalftab gegangen und dort
gearbeitet. — Nah Haufe. Mit Ludmilla ausgegangen. Im
Tiergarten bei Kroll die Ausftellung des landwirthſchaftlichen
Bereind angefehen. Herın Mahler Menzel gefprochen. —
Nachmittags Sendung aus Leipzig von Herrn Dr. Adolf
Böttger, fein „Buch deutfcher Lyrik“. —
In Goethe gelefen, in Fontenelle. —
Der Juſtizrath Wiefe wegen Beleidigung der Katholiken
zu 20 Thlr. Strafe verurtheilt. Sein Ankläger der hiefige
fatholifche Brobft Pelldram.
Dr. Hedicher ift hamburgifcher Minifter-Refident in Wien
geworden. Immer viel, für Hamburg, für Wien; ein getaufter
Jude! —
Mittwoch, den 25. Mai 1853.
Der gute Dr. Schrader leidet ſchon die Strafe dafür, daß
er auf meine Warnung nicht gehört; er dachte gewiß, ich fei
fein Theologe, fein Kirchenhiftorifer, ich fei wohl nur ganz
oberflächlich mit Angelus Silefius verfahren, habe vorgefundene
Nachrichten ungeprüft nachgeredet; da glaubte er leichtes Spiel
für feinen kritiſchen Scharflinn zu haben, und war felber
Barnhagen von Ense, Tagebüder. X. 11
163
. Geld» und Gefängnißftrafen gerichtlich verurtheilt worden, im
Mege der Gnade die Strafen und Unterfuchungsfoften erlaffen. '
— Da fiehbt man’d! Das ift dentlih! — Reden bei der Hul-
digung, Verfprechungen, gleiche Map für Alle ꝛd. ꝛc.
Der Sohanniterorden foll feine Güter wiederbefommen.
D ja, man möchte wohl, aber — in Geldfachen hört die
Gemüthlichkeit auf! Wird der Orden fie nicht am Ende
fordern? — |
„Der König hat den General von Prittwig recht ſchnöde
behandelt!” fagtejemand. „Oh ”, verſetzte ein General, „ Pritt-
wi den König noch weit mehr!“ In Potsdam, nach dem
18. März 1848, alle Gardeoffiziere eben fo, fie gingen aus
dem Wege wenn der König fam, um nicht zu grüßen, fie
ſchimpften ꝛc.
Donnerstag, den 26. Mai 1853.
Geſchrieben, mit Luſt und Erfolg. Aber ich erſchrecke,
nach gemachtem Ueberſchlage zu ſehen, daß ich bei ununter-
brochener Arbeit nicht vor Ende des Oktobers fertig werde!
Kann ich das aushalten?
Hochzeitsfeft in Charlottenburg, Prunk und Prablerei,
alle geladen und fchlecht bewirthet! —
In Goethe gelefen, in Fontenelle’s Nobfchriften.
Freitag, den 27. Mai 1853.
Ausgegangen. — Bei Dr. 9. Franck. Ernſtes Gefpräd
über den öffentlihen Zuftand Europa’, das Benehmen der
Fürften und Regierungen, die Schwelgereien und Feſte der
Höfe, der Bornehmen und Reichen, über das Steigen des Luxus
und der Armuth, die Schwäche und Geiftlofigfeit, die Treu—
lofigfeit und Bosheit in den obern Regionen; und wäre nicht?
11*
165
Sonntag, den 29. Mai 1853.
Nach London an Charlotte Williams Wynn gefchrieben,
über Ziel, Bunfen 2. — Dann meine Arbeit; nicht unzu-
frieden mit dem Gange. —
Im SHoratius gelefen, in Vehſe's Hannover, deutfche
Blätter.
Der Würtemberger Rau, zur Auswanderung begnadigt,
ist abgereift. In Leipzig Berhaftungen und Hausfuchungen,
auch in Machern und Wurzen, wegen des für den Wurzener
Bürgermeifter Schmidt angelegten Fluchtverfuches.
Wilhelm Henſel foll vom Könige beauftragt fein, die
Johanniter Feierlichkeit vom 17. ausführlich zu zeichnen. Da
ift er wieder bei feinem Anfang, Lalla-Rookh; aber damals
gab es junge ſchöne Welt, jegt alte Dickbäuche und Kahlköpfe! —
Montag, den 30. Mai 1853.
Gefchrieben. — Beſuch von Herrn Dr. Michael Sache.
Ueber Grote’d Gefchichte von Griechenland. Ueber jüdiſche
Dichtung und Sage. Ueber die politifche Lage der Juden.
„Wir haben lange gewartet, und können noch warten.“ Rüd-
blid auf 1848, da find Wahrheiten ausgeſprochen worden, die
nicht wieder zurüdzunehmen find; die Lüge mag ferner gelten
und herrſchen, aber man weiß, daß fie eine Züge ift, einmal
dafür erflärt worden. —
—— [nu
Dienstag, den 31. Mai 1853.
Sefchrieben. — Tapfre und fühne Worte Berryer’d in
Paris vor Gericht gegen den alten Bonapartiömus und bes
zugsweiſe den neuen.
. 167
Donnerstag, ben 2. Juni 1853. ,
- Sefchrieben. — „Skizzen eines vielbewegten Lebens von
einer Dame aus dem höhern Stande. Stuttgart, Hallberger,
1846. 8.“ Die Berfafferin ift Marianne von Bardeleben geb.
Gräfin Bülow von Dennewis, auf Rinau bei Königsberg. —
Ein Kourier des englifchen Gefandten in St. Petersburg
ging hier durch nach London, er brachte Nachrichten, daß Der
Kaifer in äußerſtem Zorn fei, Krieg wolle ꝛc. Lord Bloom:
field fprash in demjelben Sinn zu Manteuffel, dann aber fam
der ruſſiſche Geſandte Baron von Budberg zu diefem, und
erflärte alles für grundlos. Diplomatifche Schwindeleien und
Nichtigkeiten.
Freitag, den 3. Juni 1853.
Geſchrieben. — Die freie Gemeinde in Stettin, des Miß—
brauche des Vereinsrechts angeklagt, ift auch in zweiter Inſtanz
freigefprochen worden. Die Regierungsbehörden find aber
fortwährend ftreng, und die Polizei ſchikanirt auf alle Weife,
Ranke neulich beim König; die Königin ſprach entjchieden
gegen das Tifchrüden und die Tifchklopferei, ed fei fogar wider
den rechten Glauben. „Da muß ic) doch ergebenft bitten, daß
mir Ihre Majeftät erlauben zu widerſprechen“, verſetzte Rante,
„ich kenne einen fehr gebildeten Dann, der ift durch das Tiſch⸗
rücken erft zum wahren Glauben befehrt worden.“ ft das
ein Menſch!
Sonnabend, den 4. Juni 1853.
Gejchrieben. — Verhaftungen in Prag, mehr ald zwanzig
Studenten ꝛc. — Haudfuhungen hier, — Polizei, nichts ale
Polizei! — Fefte und Schwelgereien der Bornehmen, Reifen
169
Engländern befommen wir — nicht ihr Befted, das bleibt
daheim — nut Pedanterei und Beichränftheit, ohne das, was
bei ihnen beided noch einigermaßen erträglich macht.
Wenn ich nur früher Hand angelegt hätte, mein beabfid-
tigtes Buch über Voltaire zu fchreiben! Es wäre vielleicht nüß-
lich geworden; jebt ift ed zu fpät. — |
Dienstag, den 7. Juni 1853.
Geſchrieben, aber mit großer Beſchwerde, um halb 2 Uhr
mußt’ ich plößlich aufhören wegen der drüdenden Gewitter:
luft. —
In Altenburg der Arzt Dr. Kittler verhaftet. — In Peſt
wieder viele Berhaftungen. —
Mittwoch, den 8. Juni 1853.
Geſchrieben. — Mancherlei Störungen, Gefchäftliches. -—
Nachmittags die unerwartetfte Erfcheinung! Ludwig Uhland
aus Tübingen, den ich feit 1817 nicht wiedergefehen, der zum
eritenmal in Berlin ift! Ich erfannt’ ihn gleich, er ift ganz
der Alte, im Aeußern und Innern, Sprache, Laune, Gefin-
nung. Politiſch jehr brav, allein ohne alle Begeijterung, ein
Würtemberger wieder, nachdem es nicht mehr angeht cin
Deutjcher zu fein. ch habe mich fehr feines Wiederfehend
gefreut. Welche Erinnerungen und Betrachtungen! —
Soll ih anmerken, daß der Kurfürft von Heffen feine
Kebſe und feine neun Kinder zu Füriten und Fürftinnen von
Hanau erhoben hat? — Hilft das dem Fürftenftande?! Die
unfcheinbare Madame Lehmann aus Bonn! Meines Gefalleng,
jagt man bier! —
— — — — — —
170
Donnerstag, den 9. Juni 1853.
Gefchrieben, wobei einiged mißrathen. — Beſuch von
Herrn Dr. Bruno Bauer, wegen Büchern. Er verjichert mich,
daß er feinen Ruſſen kenne, Herrn von Budberg nie gefehen
habe! Alles won einer Reife nach PBeterdburg und Moskau
Geſagte ift Wind, Vermuthung oder Lüge. Er lebt ganz ein:
ſam und ärmlich, verbiffen in kalte Gedanfenfpiele, unter denen
fein getäufchtes warmes Herz fich verbirgt. Sein Schimpfen
auf die Demokraten iſt Liebe. — Ausgegangen; mit Zudmilla
bei der Doktorin Uhland im Hotel du Nord; muntre
Schwäbin! —
„Monmouth, ein Trauerfpiel von Emil Palleske.“ —
„Eine verlorene Seele, von Aline von Schlichtfrull *, A Theile. —
Freitag, den 10. Juni 1853.
Geſchrieben, leidlich ungeachtet der Störungen. — Nach—
mittags Kaffee bei Ludmilla; Uhland und Frau, Sternberg,
Dr. Strand und fein Sohn Hugo, Dr. Ring, Gräfin Klotilde
von Kalfreuth, Fräulein von Schlichtfrull, Frau von Nimptich
und Träulein Marie von Buch und Andre. Uhland ſprach
ungemein viel, und jedermann war feiner erfreut, über fein
Ausfehen und Weſen hoch erftaunt. —
Sonnabend, den 11. Juni 1853.
Gefchrieben, fleißig und erträglih. — Schlimme Nachricht
von Herrn von Weiher, er krankt immerfort, leidet und ſchleicht
ſo hin, und das in der beſten Jahreszeit! Ich bedaure ihn
herzlich, und gönne ihm beſſre Zeiten zu erleben. — Uhland
verachtet die Gothaer gründlich; bei Grimm, Pertz, Gervinus ꝛc.
vergißt er aber, daß ſie Gothaer ſind. Er ſagt ſehr richtig,
es ſolle ſich nur keiner von denen, die 1848 eine Rolle geſpielt
171
haben, einbilden, er könne auch bei dem nächſten großen Gr-
eignig noch ein Führer fein! Das glaubten grade Die Gothaer.
Auch von * jpricht er — mit Mitleid. Uber alte Freunde
giebt er nicht auf, und mit diefem hat er grade nichts zu
theilen als alte Erinnerungen, dad mag gehen! —
Die Mad. Ritz, einjt berühmte Mad. Baranius, Tiebreizende
Schönheit und angenehme Sängerin, iſt über achtzig Jahr alt
geftorben. Die war nur wenig krank, man that ihr eine
pflegende Handreichung, da fagte fie vergnügt: „Sp! nun iſt
mir wohl!“ fchloß die Augen und war todt! Eine gutmüthige
dumme Frau, lebhaft und freundlich. Ihre Fleinen, wenn
auch vielen Sünden find ihr längft vergeben! —
Sonntag, den 12. Junt 1853.
Geſchrieben. — In Goethe gelefen, in Turgenieff. —
Daß unfer Prinz Albrecht die Fräul. von Rauch heirathet,
— meinetiwvegen! — Daß Krummacher gegen Berlin predigt,
— madt mir auch fein graued Haar! Und fo vieles Andre,
die Fluth des Tages ſchwemmt es alles fort. ch freue mich
defien was beſteht. —
— — — — — —
Dienstag, den 14. Juni 1853.
Geſchrieben, mit leidlichem Fortgang. — Störung durch
einen Beſuch. Ein Herr läßt ſich melden, will ſeinen Namen
aber nicht ſagen; er tritt ein und ſteht vor mir, da er ſieht,
daß ich ihn nicht erkenne, wird er ſchon beſtürzt, er muß ſeinen
Namen ſagen: *! Fa den hatte ich freilich vergeſſen, und
erfannte ihn auch jest kaum; er hatte geglaubt, ich würde ihn
freudigjt willfommen heißen, fo lächelnd ftand er vor mir! Er
fagte Tieck's Tod habe ihn erinnert, dag auch ich alt fei, und
da habe er doch wieder mit mir anfnüpfen wollen! Wie gnädig!
173
Mittwoch, den 15. Juni 1853.
Gefchrieben. — Beſuch von Herrn General von Weyrach;
er bringt mir Autographen, erzählt von Bülow, von
Boyen. —
Abends bei *. Herr von Reumont; der Unglüdliche ift
exit heute von Florenz angefommen, und gleich) da! Das Un-
glück ift nicht feines, fondern meines! Ich kann das Gefiht
und ganze Weſen diefed weltlichen Pfaffen nicht ausftehen !
Ein friechender und hoffährtiger Lakai, gemeiner, flacher
Burſch. Er macht ſich über Sternberg luftig, lacht über
Fräulein *, daß fie deffen Bücher alle lieſt! Das wagt Herr
von Reumont! Freilich feine Bücher lieſt fie nicht, obwohl
er fie ihr fchenft, die Langeweile ift doch noch größer als Die
Freundſchaft! — Ich ging früh fort. —
Die elende Akademie der Wilfenfchaften hier! Weil Ra:
dowitz ein Generallieutenant, weil er offenbar in der Gunit
des Königs, macht fie ihn fchnell zum Mitglied! Knechtiſche
Gefinnung, Profefioren, Gelehrte, — wie find fie herabge-
fommen! —
Donnerstag, den 16. Juni 1853.
Gefchrieden. In Holland angefommen, der mir unanges
nehmfte Theil des Lebens von Bülow. —
Sreitag, den 17. Juni 1853.
Sejchrieben, wie an andern Tagen. — Dem Lehrer Wan-
der und feiner Frau wird die Erlaubniß zu einer Krämerei erft
von den Behörden ertheilt, dann von einer Oberbehörde unter
Anführung einer falſchen Geſetzesſtelle willfürlich entzogen.
Die Gefebesftelle hat hier Feine Anwendung, das weiß
die Oberbehörde recht gut; aber — es ift der Lehrer Wan⸗
175
Nachmittags Beſuch von Uhland's, beide jehr munter. —
Bemerkenswerth: Uhland ift feit mehr als dreißig Jahren nie
franf geweſen, hat nie einen Arzt gebraucht. Er gefällt fi
hier am meiften mit Grimm's, Homeyer, Maßmann, Belfer ıc.
Guter, braver Kerl, dus ift er! —
Hausfuhung bei Graf und Gräfin Reichenbach in Schle-
fin. Nichte! — Seit geftern brennen in Berlin auch im
Juni und Juli und felbit bei Mondfchein die Straßenlaternen;
diefen raſchen Beſchluß von Gemeinderath und Magiftrat
haben „Kladderadatſch“ und „Feuerſpritze“ bewirkt, duch ihre
Spöttereien. Dazu die Eitelkeit der Hauptftadt !
Die Neue Preußiſche Zeitung ift jeßt ganz ruſſiſch. Die
Kölnische fagt recht gut, die ganze Parthei jei fo flein, daß
man mit einem Dutzend Kibitken fie dabin bringen Fönne,
wohin fie gehöre, tiber die ruffifche Gränze! — Sie beaeifert
wieder den Minifter von Manteuffel, recht hämiſch, und
zumeift ihm verjtändlich. —
Sonntag, den 19. Juni 1853.
Gefchrieben. Bülow war nicht ungeduldiger Holland zu
verlaffen als ich e8 bin! Diefer zerriffene Boden, diefe nichts
entjcheidenden Gefechte! Dabei die Schwierigkeit der Namen,
die ich ohne fo große Mühe, ale die Sache nicht werth ift,
nicht ermitteln fann. Und bei dem heißen Wetter! Indeſſen
— durch! —
. Nachdem ich etwa 9 Stunden gefchrieben, fuhr ich Abende
mit Zudmilla zu *.
Der König verdrießlich ; im geheimften Innern der Kreuz:
zeitungsparthei angehörig. —
177
Donnerstag, den 23. Juni 1853.
Neue Regengüffe. Kalt. Mir ift fehr fieberlich, nachdem
ich einiges gefchrieben, muß ich mich wieder hinlegen. Keine
Eßluſt. Nachmittags Fam Bettina von Arnim, fie fah fehr
übel aus, hatte fürchterlichen trodenen Huften und DBlutfpeien,
ſprach von ihrem nahen Tode, erft im Ernft, dann wollte fie
nit bedauert fein — aber ich bedauerte fie auch nicht,
und machte einen Spaß daraus. — Doc) noch wieder ge-
ſchrieben!
Sonnabend, den 25. Juni 1853.
Geſchrieben; einen guten Ruck. — Ein Zeichner, von
Herrn Sagert an mich gewieſen, zeigt mir ein Bild Ludwig
Tieck's, das er herausgeben will, ich ſoll ſagen ob ich es gut
finde, und was er etwa ändern ſoll; ſehr viel muß er ändern;
Ludmilla ſtimmt mir bei.
Die Zeitungen theilen aus einem Briefe Humboldt's an
Roſenkranz einige Stellen mit, über deſſen Aeſthetik des Häß⸗
lichen, und über das vermaledeite Tiſchrücken, „die Vergeiſti—
gung des Tannenholzes und die intelligenten Tiſchfüße“.
Die nichtswürdige Kreuzzeitung ſpricht gut von Moritz
Hartmann's Reiſebuch, fie thut als wenn er ſich bekehrt häfte,
was durchaus nicht wahr iſt. Eben jo von Uhland. —
Abends zu Haufe; mit Qudmilla zwei Parthieen Shah. —
Geplaudert, gelefen. — Bücher durchgefehen. —
Alles Sinnlihe und Derbe ift die Fräftigfte Berufung
auf die Natur! Daher die große Wirkung, daher die Noth-
wendigfeit der Schimpf- und Schmutzwörter, des derben Spiele
mit den Gefchlechtefachen. Jede Nation hat ihre Arifto:
phanes.
Es kommt nicht darauf an, mit was für Menſchen, ſon⸗
dern mit was in den Menſchen man verbunden iſt oder um⸗
BVarnhagen von Enſe, Tagebücher. X. 12
179
Mittwoch, den 29. Juni 1853.
Brütende Hibe, Die Straße wie ein Backofen! Wiederholte
Gemwitterregen, Mittags und Abends, dazwifchen ſchön. —
Gefchrieben. Bülow's Leben beendigt; am 6. Mai fing
ih es an; in 95 Tagen ein jtarfer Band von gewiß 500 Gei-
ten; ich hatte mir wohl zugetraut, es noch zu Stande zu brin-
gen, aber nicht, es jo jchnell abthun zu können. Es iſt eine
große Genugthuung für mich, daß ich's noch kann!
| Brief und Buch aus Köln, von Herrn Prof. Dünger,
Goethe's Briefwechjel mit dem Staatsrath Schultz. —
Donnerstag, den 30. Juni 1853.
Das Leben des Staatsraths Schulg und fein Briefiwechjel
mit Goethe bewegt mich zu fehmerzlicher Theilnahme. Ich
habe das alles miterlebt, mitbefprochen, einzelne Stüde dieſes
Lebenslaufes Fannt’ ich fehr gut; jeßt wird der ganze Zuſam—
menhang aufgededt, von einer Seite her, wo mir manches ver-
borgen geblieben war, ein ganzer Zug von Mitlebenden ſteht
in hellem Lichte! Aber Schulg erſcheint nicht vortheilhaft,
fein Troß ijt, wie der von Niebuhr, oft verzweifelt demüthig,
jogar friechend. Freilich war dad Beamtenverhältnig damald
ein eijerner Drud, und diefen, den er felbit fo bitter fühlte,
wollte Schul nur immer ftrenger auflegen, wollte für die Be-
börden blinden Gehorfam, den er doch felbft nicht leiſtete!
Ihm war Zenfur, Auffiht, Unterdrüdung, Verfolgung ganz
veht, nun er hat fie geübt, und gelitten! Gigentlich ijt mir
die ganze Sache jebt Harz Schulg, von Ehrgeiz verzehrt —
wie Niebuhr — wollte durchaus gedeihen, einflugreich und be-
deutend fein, er ſchloß fi) daher an Wittgenftein, Schumann
und Kamptz an — die Hofparthei —, durch ihn meinte Hegel,
meinten Henning und Föriter zu gedeihen, auch Zelter und
Nauch waren befliffen, es ſchien eine neue Macht im Staate
12*
&
181
Ihon gar nicht mehr angehörten; Goethe beobachtete dieſen
Grundjag ſchon aus richtigem Gefühl größtentheild. Necht
das Gegentheil war Rahel, fie unterjtrich drei, viermal, ja
zehnmal, zu ihr gehörte das, fie hatte ftets etwas zu betonen,
herauszuheben, fie legte in alles das Dramatifche, wodurch
der Schaufpieler das was er zu fagen hat neubelebt.
Antwort von Herrn Georg Reimer, er nimmt mein Buch
auf die Bedingungen, die ich ihm fragend geftellt hatte. Es
ift mir unendlich) Tieb, mit ihm zu thun zu haben, und mit
feinem Andern, und daß gleich der erfte Schritt zum Ziele
führt; ich haffe das Anerbieten und Feilfchen wie die Peft,
und verfteh’ e8 auch nicht! —
In Weishaupt gelefen, in Grote, — Die Kreuzzeitung
fann ihr begangenes Falſum nicht läugnen! .
Sonnabend, den 2. Juli 1853.
Befuh von Herrn Stadtrath Reimer. Annahme des
Buches. Klagen über unſre völlige Gefeglofigkeit, ſchranken—
loſe Bolizeiwillfür, wie fie nie gewefen. Beifpiele von fchänd-
lichen Berfolgungen gegen ganz Unfchuldige, gegen Nicht:
Demokraten, Konfervative, gegen Fug und Recht, mit Zug
und Trug, unter ſchamloſen Vorwänden, an die niemand
glaubt. Die Polizei darf alles, der Minifter von Weſtphalen
giebt ihr Recht bei allen Uebertretungen, gegen die Gerichte,
man fpricht den Gefegen Hohn! Selbft Manteuffel ift dawider,
und fann ed nicht ändern. Hindeldey gilt beim König alles,
lügt ihm vor was er will ꝛc. Wie fteht ed mit der lebten
Verſchwörung, der unter Pofaunenfchall angekündigten? Pfui
über diefe Wirthfchaft !
Abends fam Uhland mit feiner Frau um Abſchied zu
nehmen.
— — — — —
182
Sonntag, den 3. Juli 1853.
Die „Volkszeitung“ prüft unsre neue Städteordnung.
Du lieber Gott! Was jest in diefer Art gemacht wird, tft
alles für den Kehrbefen, den einftigen. — Audgegangen. Ab—
ihied von Frau Doktorin Uhland. Herr Aſſeſſor Paalzow
fam grade hin; feine Bekanntfchaft gemacht.
Nachmittagd kam Fräulein von Schlihtkrull um Abſchied
zu nehmen; fie reift mit ihrem Vater nach Parid. Talent
hat fie genug, einen großen Reichtum von Verknüpfungen,
eine Menge von Geitalten; nur feheint alle® mehr von außen
zufammengehäuft, ald von innen hervorgewachlen ; mehr inne-
rer Zufammenhang ift wünfchenswerth, mehr Einheit des Ge-
danfengehalts! Es kommt alles darauf an, ob fie fteigt vder
finft, ob fie die Hahn oder die Paalzow erſetzt! —
Mittwoch, den 6. Juli 1853.
Geftern vergaß ih an Wagram zu denken; heute fällt
mir’d ein. Vor vierundvierzig Jahren, wie anders fah die
Welt aus! Nicht beffer als jest, in keinem Betracht! Aber
ich war vierundzwanzig Jahr alt, und hatte Rahel! —
Geftern Abend las Humboldt beim Könige vor, um die
Langweil zu vertreiben; was lad er? Kaum zu glauben, aber
wahr: „Lettres persannes par Montesquieu!* Died Buch
und diefer pietiftifche Hof! —
„Die Deutfhen in Vergangenheit und Zukunft. Eine
patriotifche Phantafie von Alerander Penz, der Rechte Doktor.
Göttingen, 1853. 8.“ Große Gefichtöpunfte, mit Vorurtbeil
und Dünfel! — .
183
Donnerstag, den 7. Juli 1853.
In Goethe gelefen, in Rebmann! Wie alt ift der Uns
glimpf und wie immer neu! — Unfre Gewaltfadhen, Haus—
juhungen, Verhaftungen, Ausweifungen, Brutalitäten der
Beamten, der Polizei und ihrer Schergen, Heucheleien, Nieder:
trächtigfeiten, Hofpöbeleien u. |. w. regijtriren, hieße Bücher
Ichreiben! —
Freitag, den 8. Juli 1853.
Die Niedrigfeit und Gemeinheit der Neuen Preußifchen
Zeitung ift noch ſtets im Zunehmen, und überfteigt alle Be-
griffe! Die Schändlichkeit fcheint nicht weiter gehen zu Fünnen,
und findet immer neue Wege. Man ertappt fie auf offenbarer
Lüge und Fälfhung, und wie freh und fihamlos tritt fie
dabei auf! Es ift das Erzhalunfen-Blatt, ehrenfchänderifch,
lügnerifch, pöbelhaft, vaterlandöverrätherifch! Solch deutfch-
feindliche Rotte hat ed noch nie gegeben! est ihre Ruffen-
vergötterung! Fa, die Knute gebührt diefen Schuften. Schufte
find fie, wenn fie auch mit Ordensfternen und Generaldachfel-
flappen einhergehen, Schufte und Verräther! Das Gericht
wird einit fommen! —
In Dar Dunder’s Gefchichte des Alterthums gelefen. —
Gervinus Gefchichte der deutſchen Dichtung, zweiter Band, in
vierter Auflage.
Sonnabend, den 9. Juli 1853.
Gejchrieben. — Beforgungen, — Unter den Linden große
Parade, die Straßen gefperrt, aller Verkehr gehemmt. Was
foll dergleichen Spielerei? Die Soldaten und Offiziere weh—
flagen über die heiße Dual, dem Könige von Baiern tjt nichte
dran gelegen, unfrem Könige noch weniger. „Was follen jie
185
Montag, den 11. Juli 1853.
Die Kreuzzeitung ift in ihrer Frechheit wirklich bemerfens-
werth. Sch weiß Fein Beilpiel, daß die Gemeinheit und
Nichtewürdigkeit weiter gegangen wäre. Sie predigt offen
den Derrath an Deutfchland, an Preußen, und ganz pöbel-
haft! —
„Worin erfcheint denn nun der Kaifer von Rußland beffer
als Bonaparte, ald Louis Bonaparte? Eben fo hinterliftig,
verrätheriſch, wortbrüchig, gewaltfam, freh, und eben fo
dumm!” Solche Reden fommen vor.
Abends Herr von Sternberg bei Yudmilla, dann Thee mit
und getrunken; er ging darauf, — Wir gingen zu Kranzler,
wo wir 2 Stunden vor der Thüre ſaßen. Herr Dr. 5.2. Klein
gefellte fich zu und, und war fehr unterhaltend. Ueber Luds
wig Tied wurde viel verhandelt, dann über Schleiermadher,
Friedrih von Schlegel, — deren Biographieen niemand
fchreiben wird, ald bis es zu ſpät ift! Weber den ruffifchen
Kaifer, über den — Louis Bonaparte, über die Fürften in?-
gefammt. Ueber Wilhelm von Humboldt, Gent ıc. —
— —
Dienstag, den 12. Juli 1853.
Die Zeitungen bringen einen Armeebefehl des Könige, der
allen Offizieren, die bei Eingehung einer gemifchten Ehe fi
den Forderungen ded Bifchofd von Trier unterwerfen — den
Mann eben fo entehrend wie dad evangelifche Bekenntniß —
jogleih Entlafung aus dem Heeresdienft anfündigt. Der
König führt alfo im eignen Lande Krieg mit dem Bifchof von
Trier, Befehl gegen Befehl, anftatt unmittelbar auf die Quelle
lo8zugehen, den Kerl beim Kragen zu nehmen, und ihm da
Handwerk zu legen! Hier wäre Gewalt am rechten Platze,
aber da wird fie nicht angewandt ; die hat man nur gegen das
arme Volk, gegen die freien Gemeinden und Deutjchlatho-
187
netsrath Lombard verglichen und ihn gradezu infam genannt,
gebrandmarft für alle Zeiten, weil er die preußifche Politik
neutral halte, nicht mit den Ruffen halte. Dafür foll Manz
teuffel Genugthuung vom König oder feine Entlaffung ge-
fordert haben. Die Folge waren Mapregeln gegen die Kreuz:
zeitung, die man noch nicht unterdrüct, aber doch einfchränft
und bedroht. Deßhalb das Ausfcheiden der Redakteure. Auch
der Geh. Rath Graf von Voß — der rothnäfige, chmald
Herr von Voß, mit dem ich in Halle ftudirte — foll fih als
rechtlicher und Ehrenmann jest (!?!) von der Kreuzzeitung
toöfagen, die bisher an ihm die ftärffte Geldftüge gehabt hat.
Jet! Hat der Ehrenmann alle früheren Schandartifel, Nie:
derträchtigfeiten und Verläumdungen denn gebilligt? Ant:
wort, Antwort, Herr Graf! —
Diffeldorf, den 16. Juli 1853.
Heute früh verließen wir die Stadt Berlin. — Nach und
nach erholt" ich mih. Hinter Potsdam die ftahlblaue Havel,
wieder ſo bei Brandenburg, war ſchön und erquidend anzu—
ſehen. Die Landichaft bei Genthin flach und fruchtbar; ich
dachte des Kriegsſchauplatzes der Gefechte Bülow's im Jahre
1813 und manches verwandten Gegenftandes,
Ueber Magdeburg, Braunfihweig, Hannover; überall ge-
ringer Aufenthalt. Minden, weitphälifche Pforte, Wefer.
Mitunter ſehr fchöne Gegend, befunderd in Weftphalen, das
feine abgefchloffene Eigenheit immer mehr verliert, durch
Landſtraßen und Eifenbahnen dem Verkehr geöffnet wird.
Gegen 9 Uhr in Düffeldorf, auf dem Markt, im Hotel
Beefing, einem alten guten Gafthof. Noch Abends ſpät be-
ſahen wir das Standbild zu Pferde beim nächtlichen Schim-
mer, gingen wir auf dem Markt und einigen Straßen umher.
Beim Eingang eines kleinen Hofes, in deffen Hintergrund
189
Herr Landgerichtsrath von Uechtritz kam fehr befliffen. —
Herr Wilhelm von Schadow, ungeachtet feiner faft völligen
Erblindung äußerſt liebendwürdig und angenehm, zeigte und
feine Bilder, Tud und zum Abend ein; wir fanden gute Ge-
jellichaft, Männer und Frauen, hörten viel Merkfwürdiges;
Shadow felbit, obwohl katholiſch und royaliftifch doch ſehr
freifinnig in Diefen Richtungen, erzählte ganz ergögliche
Dinge, tadelte Regierungen und Fürften ꝛc. —
Katholifche prächtige Progefiton, Die mich mit größtem Ab-
ſcheu diefes plärrenden Gößendienftes erfüllte. —
- Schöne Fahrt über Ober-Kaffel und Herdt nah Neuß.
Große und merfiwürdige Quirinus-Kirche dafelbft.
Befuch mit Ludmilla bei Frau Grube und ihrer Schweiter,
Träulein Katharina Dietz. (Spätere Anmerkung: Frau
Grube hat fpäter, im Mai 1855, zu Ehren Immermann's
und der Gräfin von Ahlefeldt würdige und herzliche Worte
in der Düffeldorfer Zeitung druden laffen, gegen die roman-
tifche Verunftaltung beider in der Kölnifihen Zeitung.) —
Düffeldorf ift groß und belebt, hat in neufter Zeit an
Handelöverkehr jehr zugenommen. Die Mahlerfchule it be-
deutend, und unabhängig von ihr, wiewohl durch ſie veran-
laßt, ift ein großer Künftlermarft bier entftanden. Schöne
Häufer, Wohlhabenheit. Der Hofgarten prächtig, auch ſonſt
viele Parkanlagen.
Frau von Spiegel mocht’ ich nicht aufjuhen; dag Fräu-
fein Tinette Homberg und Dr. Viehoff hier wohnen, erfuhr ich
zu ſpät. —
Köln, den 18. Juli 1853.
Im Gafthof zum Rheinberg, Dicht an der Brüde, mit der
herrlichſten Ausficht auf den Strom, auf Deuß und hinab auf
Mühlheim. Unfer erſter Gang zum Dom. Ueber dies
191
zu fagen, fie mir nichts. Alſo laſſ' ich fie! Am liebſten
wäre mir noch Dahlmann, aber auch ihn laſſ' ich, weil jeder
Befuch mich anſtrengt und die Hitze fehr groß iſt. — Wir be-
ſahen Beethoven’d Standbild, und die Münfterfirche, nebſt
deren Kreuzgängen und Krypta, ein fehr gefälliger, mit
Bonner Alterthümern fehr vertrauter Kirchenbeamter führte
und. — Bonn ift ebenfalls, wie Köln und Düffeldorf, in
beftändigem Wachfen ; das ganze Rheinland hat unter Preu-
hens Regierung unendlih gewonnen, an Wohlftand und Bil-
dung; e8 würde noch mehr gewonnen haben, ließe man ihm
nicht die fatholifchen Feſſeln auf dem Naden liegen; fuchte
man proteftantifcher zu wirken; durch die unglüdlichite Ber:
wicklung find jene Fatholifchen Feſſeln dem Lande bisweilen
auch ald Waffen gegen die Regierung erfchienen, und Diele
jelbft drängt fie auch als folche dem Lande faft mehr auf, als
es felber fie will! So viel Dummheit ift der Gefcheidtheit
diefed Preußenthums verfnüpft! Test ift alles hier dem
fatholifchen, dem jefuitifchen Einfluß offen. Doc, hat das Un-
heil feine tiefen Wurzeln; ein neuer Revolutionshauch, und
alles ift wie vom Kehrbefen weggefegt! —
Niebuhr, Delbrüd, Auguft Wilhelm von Schlegel, d'Al⸗
ton, Rehfues, alle Bedeutenheiten, die ich früher hier gekannt,
find fort, und durch Feine ähnlichen erfegt. Auch Näfe und
Lerſch find todt. — Sch dachte viel an Eulogius Schneider,
der bei feinen argen Berirrungen in die Grauſamkeit der Ja—
fobiner doc, unſtreitig ein aufrichtiger Freiheitsheld war, und
eine höchft merkwürdige Erfcheinung bleibt, der ich meine
Theilnahme nicht entziehen fann. Wäre er nicht früher ein
Mönch gewefen, jo würde er weniger hart geweſen fein, dag
Mönchsthum trägt die Schuld feines Jakobinerthums, und er
fiel ald das Opfer von beiden. —
An der zahlreihen Wirthötafel war es ziemlich lebhaft.
Ein preußifcher Konfiftorialrath T. führte dag große Wort,
193
Königsieinter, | ben 20. Juli 1853.
Es giebt Menschen, die eine für ihren Geift und Sinn
viel zu reiche, zu hohe, zu freie Sprache haben ; das fann recht
angenehm fein, bei Einzelnen wie bei Völkern, z. B. den
Franzoſen, fie haben Antheil an größerem Gemeinqut, das die
Vorfahren und Genoffen erworben haben. Wo die Sprache
enger ift ald der Geift und Sinn, da fehlt viele Anmuth, der
Menſch it innerlich vielleicht um fo höher, aber äußerlich
minder brauchbar. Die Uebereinitimmung des Aeupern und
Innern, die Angemeffenheit des Ausdruds, ift das Rechte, das
Erfreulihe. Alle großen Dichter haben das, Goethe vor allen
andern.
Wenn andre Perfonen ſich die Ausdrüde von Rahel an—
eignen und fie gebrauchen, felbft ohne damit für fich eiteln zu
wollen, jo überläuft es mich ganz eifig, und ich empfinde das
größte Unbehagen mit den Leuten weiterzureden. Es ift ale
ob jemand ein ſchweres Muſikſtück nachfpielen wollte, das er
nicht bewältigen fann. Nur wenn e8 fo recht aus dem Herzen
fam, wie bei Gräfin Bertha Nord, oder Fräulein Brandt von
Lindau, oder Euftine, dann erquidte und entzüdte mic, eine
Anführung von Rahel's Worten oder eine Anfpielung darauf.
— Wenn R. F. wie Rahel fprechen wollte, war es gradezu
empörend, fo bei noch vielen andern, die mir wohl gar dadurd)
zu fchmeicheln meinten. —
Ein Mann wie Seneca hat freilich alles gewußt, aber
nicht auf die rechte Art, nur wie ein vornehmer reicher Römer,
der zu den Ueppigkeiten des Lebens auch noch den Genuß der
Philoſophie hinzufügt, und dieſen nach Gebühr höher ſtellt
als alle andern. —
„Und ruf auf mich in ſchöner Gegend!“ Dieſes Wort
von Rahel, an ihren Bruder Ludwig ald hinterlaffenes ges
richtet, macht auf mich den tiefften, herzerregendften Eindrud,
ich vergehe in Wehmuth, wenn ich mich ihm hingebe! Ludwig
Varnhagen von Enſe, Tagebücher. X.
195 .
Ihmüden; er hat an dem Plane mitgearbeitet, der Baumeifter
Zwirner die Ausführung übernommen, Schadow'3 Schüler
die Mahlereien ausgeführt, nachdem fie zu diefem Zwecke
jahrelang auf Kosten des Grafen in Italien und Deutfchland
Studien und Forfhungen gemaht. Alles Steinwert, alle
Bilder, jede Verzierung zeugt von audgezeichneter Kunſt, bes
ſonders haben die Mahler Auperordentliches geleiftet. Alle
Wände, zu: diefem Behuf eigends als folche bewahrt, ohne
durch lange Kirchenfenfter unterbrochen zu fein, — das Licht
fallt durch runde byzantiniſche Fenfter hinreichend in den
innen Raum — find mit Bildern bededt; alles ift voll
Teuer und Leben, ich habe folche Pracht von Farben noch nie
vereinigt gejehen. Und noc, fehlt vieles, der ganze Fußboden,
der mit fchönen Steinen ausgelegt wird. Staunen und Be-
wunderung. Wie beim Neuen Mufeum in Berlin. Wer
fönnte jagen, das fei nicht ſchön, nicht kunſtreich? —
Und doh! Was foll dies alles? Zum Gottesdienft ift
diefer Prunf, diefe Berfchwendung von Goldgrund und Far—
ben, unnöthig, dem fatholifchen Beter ift ein gefledites Mutter:
gottedbild eben fo lieb. Dem Kunftgenuß aber ift die Kirche
überflüffig, dem proteftantifchen Liebhaber ſogar hinderlich.
Und dann die weltliche Eitelkeit und Hoffahrt im Gotteshaufe!
Heberall das gräflihe Wappen prablerifh angebracht, eine
beſondre Kapelle für die gräfliche Familie! Das Ganze macht
mir einen verftimmenden, unangenehmen Eindrud, Kunft und
Religion fcheinen mir an unrechter Stelle, nicht einträchtig,
jondern mit einander hadernd, jede der andern den Boden
ſtreitig machend. ft das ein Werk für unfre Zeit, unfer Be-
dürfniß ? ein Werk der Kunit, der Frömmigkeit? ch fehe
nur Dünfel und Luxus, ein Werk, dad fünftig ald Trümmer
den folgenden Gefchlechtern Jagen kann, wie groß unfre Kunft-
fertigfeit und wie gering unfer Sinn war. —
13*
197
meinen Fenſtern vorging und geraume Zeit dauerte, bequem
belaufhen; es war von höchſt komiſcher Wirfung, befonders
da der Wirth. ganz gelaffen und höflich blieb, und faft gar
nicht® erwiederte; e8 war ihm wie ein Regen, den man eben
regnen läßt.
Unterwegs, den 24. Yuli 1853. °
Zudmilla bezeigte Luſt, am Rhein die Höhe von Braubadı
zu befteigen, um der herrlichen Ausficht zu genießen. ch
fagte fcherzend, ja fie fei recht fchön, aber man könne nicht
alles beftreiten, und den Leuten, die durchaus verlangten man
folle alles gejehen haben, mülfe man furz und gut aufbinden,
man fei dort oder dabei geweſen; ich könne ihr verfichern, fie
verliere nicht? an Braubach, zwar fenne ich felbft es nicht,
aber fage immer, ich fei von Ems hingefahren, es fei herrlich,
und damit fei noch jedermann zufrieden geweſen. Sie lachte,
fand es aber nicht recht. ch fuhr dann fort: „Das will
Dir nicht recht ein? Nun wohl! machen wir gleich die
Probe! Alſo Du warft in Braubah? war e8 nicht recht
Ihön? was haft Du dort alles gefehen? Erzähle!" — Sie
ſah mich mit durchdringenden Augen lächelnd an, und fagte
nachdrücklich: „Dort fah id nur Dich, wie Du eben herauf:
famft und Dieb umſahſt!“ Dies glüclich treffende Wort, fo
wigig in der Sache und im Ausdrud, gefiel mir über die
Maßen! —
Mainz, den-24. Juli 1853.
Früh von Remagen abgefahren. Herr und Frau de
Vries mit und auf dem Dampfihiff. Herrlihe Fahrt; der
ihönfte, wunderbarfte Theil des Rheins, zwiſchen Koblenz
199
Straßburg, den 25. Juli 1853.
Vormittags von Mainz auf dem Dampfihiff abgereift.
Der Rhein ift auch oberhalb noch ſchön und mächtig, die ftrö-
menden Fluthen erquiden das Auge, wenn auch die Ufer meift
flach und weniger anziehend find. Unerwartet trat auf dem
Schiffe. Herr Dr. Wilhelm Buchner an mich heran, und
erneuerte die Bekanntſchaft. Er war biöher in Wiesbaden
angeftellt, und ſoll jeßt im Darmftädtifchen, wo feine Hei—
math, ein Schulamt in Oppenheim übernehmen, er reifte
dahin, um ſich die Oertlichfeit vorläufig anzufehen. Jugend—
lich und vergnügt, fcheint er die politifhen Zuftände nicht
ſchwer zu nehmen, doch im Allgemeinen jo zu beurtheilen wie
ein Baterlands- und Volksfreund. — Oppenheim liegt ſehr
ſchön; es fragt fich, wie das Leben ift! — Für geiftige, litte-
rariſche, gefellige Bildung ift in allen diefen rheinifchen
Städten nicht viel zu erwarten. —
Wir gelangten Mittags nach Mannheim, gingen leider zu
Fuß in der Hige vom Landungsplatz bid an den Pfälzer Hof,
bei den Planfen. Mittageffen. Dann zu Herrn Kaft, dem
reichen Holzhändler aus dem Murgthal; er war aber in Rip-
polt3au ; feine zweite rau, geb. Jenny Schreiber aus Berlin,
Rahel's edle Freundin, lebt nicht mehr; er hat fich zum dritten-
mal verheirathet. Jenny, eine lieblihe Schönheit, war die
erfte und nie vergeffene Liebe des Herrn von Wigleben, ſpä—
teren Kriegsminifterd und Günftlingd des Königs Friedrich
Wilhelms des Dritten; fie hat ein herbes Geſchick ſchon von
den Eltern her gehabt, und es redlich durchgefämpft. Die
Großherzogin Stephanie wird erwartet. in kurzer Gang
durch die Straßen. Schneller Entfchluß, fogleich wieder ab-
zureifen, nach Straßburg. Unter Regen und Gewitter zur
Eifenbahn.
Durch) Heidelberg, Karlsruhe, Raftatt, Kehl durchgeflogen;
läffige franzöfifche Mauth, nach Päſſen faum gefragt. Luſtiger
201
Ranch verreitt: er it Arzt, aber will es nicht fein, ledt der
Wiſſenſchaft und Poeſie, bedarf feine: Erwerbds.
Beſuch bei dem Zilberfünitler Riritein, dem Sohn, der
auf der Bahn des Vaters fortſchreitet. Zeigt uns gefällig
jeine Arbeiten, Arbeiten Ohmacht's, Statuetten ſeines Vaters,
Ohmacht's, Thiollier's; ſchenkt mir eine Denkmuͤnze.
Das Franzöſiſche greift in Straßburg mächtiger um ſich
als je. Ein Franzoſe zu fein iſt Doch jetzt wenig Ehre, unter dem
Zwange des - = Abentbeurerd, Der ſich Kaifer nennt, und den
alle Kaifer und Könige für ibresgleichen anerfennen!
Franzöſiſche Soldaten in ihren frapprotben Hoſen ein
widriger Anblid! Warum jchafft der neue Gewalthbaber nicht
diefe Bourbonifche Erinnerung wieder ab? Sonft jeben fie
friegerifch genug aus. Für Louis Bonaparte ſoll ſich unter
den Iffizieren wenig Sympathie mehr zeigen. Unter den
Straßburgern hat er gar feinen Anhang.
Ein vollgültiger Vertreter des alten Straßburger Deutich-
thums iſt der wadre Dr. Schneegand, Arhivar und Bibliv-
thefar der Stadt. Er lebt und weht in den eljafjifchen Alter-
thümern, dem deutfchen Volksweſen, der Volksſprache. Seine
ausgehbreiteten Gefchichtefenntniffe kehren immer wieder in Die
Enge feines Landes, feiner Stadt zurüd, und eiferfüchtig wacht
er über deren Vortheile und Rechte, weshalb er ala thätiger
Beamter oft in mühfamen Streitigkeiten mit den franzöſiſchen
Behörden, felbit mit den Minijterien zu Paris, verwicelt ift.
Am tiefften beflagt er den Verfall der Sprache, das Verſchwin⸗
den derfelben; die Verderbniß der Denkart und Gefinnung
hängt ihm enge damit zufammen. Ueber dad Münfter bat er
die größten Forfchungen angeftellt und ganz neue Auffchlüffe
herausgebracht; die verfchiedenen Bauftile und Werfmeifter
unterfcheidet er genau. Den Grabftein Erwind von Stein-
bach, dem einft Goethe vergebens nachgeſpürt, hat er an der
hintern Seite des Chors glücklich aufgefunden, eben fo weift
203
und müffen die Einwohner Franzofen fein, mehr ald unter den
Königen, unter der erſten Revolution, unter dem erften Kaifer-
thum. Das Deutfche, das bisherige elſaſſiſch Deutiche, wird
verdrängt, verfchwindet, oder finkt in die Gemeinheit der
unterften Volksklaſſe herab, das gebildete Deutſche kann nicht
an die Stelle treten, ift noch fremder faft, ald das gebildete
Franzöſiſche, welches mit feinen taufendfachen Lebensvortheilen
unwiderſtehlich eindringt. Die alten Straßburger reden unter
fich noch ftraßburgerifch, doch immer etwas beſchämt, weil die
Mundart wie feltner fo auch roher und niedriger wird; mit
den eignen Kindern nur franzöfifch, weil diefe ſchon durdy die
Schule zu dieſer Sprache hingewiefen find; das gebifdete
Deutſch Fällt dabei ganz aus. Ein feltfames, ſchwieriges Ber:
hältnig! Weder das des Schleswigerd, der Dänifch Ternen
fol, noch des Polen, der Ruffifch reden muß, iſt damit zu ver-
gleichen, Beide können ihre eigne Sprache felbftitändig be-
haupten, und die fremde, doch fehr verwandte hinzulernen ; das
Franzöſiſche aber ift dem Elfaffer eine ganz fremde Sprache, und
er foll dagegen die eigne Mundart, die er fogar dem Hochdeutfch
gegenüber nicht behaupten kann, ganz aufgeben! — Das Ein-
dringen des Franzöfifchen in die Schweiz, in Baden, den
Schwarzwald, in ganz Süddeutfchland ift fo merkwürdig ale
traurig, ed greift in das Volk ein und faßt die Wurzel, wo es
am gefährlichften ift, und das jetzt, im tiefften Frieden, ohne
Kriegdeinfluß, ohne Oberherrfchaft, bloß weil Frankreich eine
thätige Einheit und Deutfchland unter feinen Fürften eine
machtloje Zerftüdelung ift! —
Unterwegs, den 27. Juli 1853.
Eigentlih hat doch nur Friedrich der Große den Staat
Preußen gefchaffen, zu etwas gemacht, Anfänge waren da,
daß fie aber gediehen und zur bedeutenden Gejtalt famen, war
205
oder war gar nicht befannt. Die Nachfommen des einit be>
rühmten Peter Ochs haben den politiich verbußten Namen —
der Bürger Ochs war ein Freiheitsmann — abgeleat, und
nennen ſich His! — Nah Tijch mit einem Bafeler Lohnkutſcher
abgereift. Herrliche Fahrt, zuerit am Ufer des Rheins, Nup-
bäume, Türkifchforn, Hanf, die Luft erquicklich.
Abends in Waldshut. Schöner Blid auf den Rhein. Zwei
Engländerinnen mit zwei Begleitern ftumm und jteif bei ihrem
Thee, mit Reifebühern. — ch fand bier die „ Slluftrirte
Zeitung“ vom 16. Juli, und darin mein Fragenbild nebit
Lebensabrig. In Waldshut! Merfwürdig genug! Herr von
Siverd hat wohlmeinende Einleitworte dazu gefchrieben. —
Rheinfall bei Schaffbaufen, ven 28. Zuli 1853.
Hoc erat in votis! Dieſe Naturerfcheinung wünfcht’ id)
feit meinen Kinderjahren zu ſehen, nun ift fie mir endlich doc)
vor Augen! Der Rheinfall ift ganz anders, ald ich mir ihn
vorgejtellt, aber keineswegs unter meiner Erwartung; er
macht den großartigiten, nachhaltigften Eindrud, der fich unter
der Betrachtung nur immer fteigert. Dieſes Braufen und
Zojen und Schäumen der gewaltigen Waſſermaſſe ſpricht ein
Urleben der Natur aus, das in feiner Geftaltung ſtets daffelbe
und wechjelvoll neu ift. ch werde nicht müde hinzufehen,
Sinn und Gefühl und Gedanken find wie bezaubert von diefem
Schaufpiel, e& ift ald ob man in einer andern Welt, als ob
man zu den Ürfräften der Natur zugelaffen wäre. Die Leute
verfichern, feit zwanzig Jahren fei er nicht fo groß und prächtig
geweien, wie eben jet. Und wie dann aud dem Tofen,
Schäumen und Zifchen dad Waller ftürmifch weiteriwogt, in
ftarfen Fluthen nach linke und rechts abftrömt und fich in das
berrlichite Grün verflärt! Man gewinnt diejed Waller jo
lieb, man möchte fich felber hineinftürzen! —
207
und Holzſchnitzwerken treibt. Häßliche Gefchichte von ihr, fie
foll einen Pudel, den fie los fein wollte, in den Wafjerfall ge-
worfen haben, das arme Thier arbeitete fi wie durch ein
Wunder glüdlih durch die Todesnoth, fam wieder zu feiner
Herrin und wedelte; zum zweitenmale hineingeworfen fand er
feinen Zod. Abjcheulih! —
In der Hölle, den 30. Inli 1853.
Wir verließen heute früh den Nheinfall, von dem unſre
Blide fich ſchmerzlich losriſſen, und fuhren mit dem Bafeler
Lohnkutſcher weiter. Schöner Weg, meift auffteigend, Mittage
in Bonndorf. Wohlangebauted Land, üppiged Wachsthum,
Wälder und Wiefen. Fürftenbergifches Schloß; weite Aus-
ſicht. — Gegen Abend am Titifee, wunderbarer Anblick; end-
ih Hinabfahren in das Höflenthal, jäh und eng. Die Helle,
ein frifcher Forellenbach, fliegt raufchend hindurch, treibt viele
Sägemühlen. Hohe, fteile Felſen, Tchroffe Waldwände, tief
eingejchnittened, vielgewwundenes, enges, düftres Thal. Im
Gafthof zum Höllenfteg übernachtet; Leidliches Elfen, Forellen.
Gin Koblenmeiler in der Nähe wird eben angezündet und zu—
gededt; gegen zwanzig Klafter Holz darin. NRegenwetter.
Durch das Höllenthal machte der General Moreau feinen
berühmten Rüdzug. Die Wände der Wirthözimmer find mit
guten Bildniffen franzöfifcher Generale geſchmückt, Lafayette's,
Ney’s, Kleber’d, Eugend Beauharnais ꝛc. Ein öſterreichiſcher
oder preußiſcher General findet ſich nirgends! —
Am 31. Juli frühmorgens abgefahren, immer im tiefen
düftern Thal, das leider ein derber anhaltender Regen noch
mehr verdunfelt. Prächtige, fchauerliche Anfichten, ſchön und
erhaben. —
Endlich öffnet fi) das Thal, die noch immer hohen Berge
209
Sungfrauen, die dort Blumen niederlegten, find verhaftet
worden.
Nach dem Mittageffen abgereift. An dem nächſten Halte—
plaß jeßte jich Herr von *, —jiher Gefandter, zu und in den
Wagen. Er that jehr freundlich, zeigte und erflärte alles, war
mir aber ſehr läftig, denn ich wollte ſchlafen, jchlief endlich
aud, und dann er ebenfalle. In Oos verließ er und. Ganz
gewöhnlicher Diplomat, wie fie zu Hunderten herumlaufen,
ohne Gefinnung und Denfart, ohne Herz und Blut. Die Welt
. fann untergehen, wenn fie nur ihre Poften haben, ihre elenden
Depefchen ſchreiben. |
Schöne Fahrt länge des Schwarzwaldes; Burgtrümmer;
fruhtbares Rheinthal; herrlicher Pflanzenwuchs, üppiges
Grün, So lang’ ich wachte, genoß ich e8 in vollen Zügen. —
Baden:Baden, den 31. Juli 1853.
Mein erſtes Gefhäft war hier, das Grab Ludwig Robert's
aufzufuhen; ein alter Küfter wußte nichtd davon, ein Badner
Mädchen wies uns daffelbe am Ende des Kirchhofs, dicht an
der Mauer. Ein Stein, auf dem eine Leier fteht, die mit
einem Eichenfranz umwunden ift, würdig, einfach; die In—
ſchriften, eigne Verſe Robert’s, find gut gewählt, und drüden
feine Gefinnung aus. In den perfönlichen Angaben ift nicht
gejagt, daß er ein Dichter war, auch feine erfte Eigenschaft,
daß er Rahel's Bruder war, nicht erwähnt; um der Tegteren
willen wird er doch am längften genannt werden, die erftere ift
ſchon jeßt vergeffen. Die Infchriften lauten, auf der Vorder:
wand: „Ludwig Robert, geb. zu Berlin, den 11. November
1778, geft. den 7. Juli 1832." Auf der Rüdwand: „Friede—
rife Robert, geb. Braun. Gefolgt ift fie ihm bald, Sein
| 14
Varnhagen von Enfe, Tagebüder. X,
211
ſelbſt gar nicht miterlebt, faft völlig gleichfteht. Tettenborn,
Euftine, Xindner, Cotta, Friederich, Bachelu, Benjamin Con-
ftant, Kosloffskii, Rajtoptichin, die Frauen Demidoff, Lagorce,
Tajtet zc. find mir fo nah und fo entrüdt, wie die Perfonen
des Briefwechjeld der rau von Sevigne, —
Heidelberg, den 2. Auguft 1853.
Zu Mittag angefommen, im Badifchen Hof; gleich zu dem
Staatsrath von Blum geſchickt. — Nach dem Effen bei Blum,
der ung feine Wohnung, Einrichtung, Garten zeigt, fich eines
muntern Lebens freut, von der Familie Uerfüll erzählt, von
Dorpat und Heidelberg, Wir fahren zufammen über den
Wolfsbrunnen auf dad Schloß. Herrliche Fahrt und Aus-
fichten! Auf der Terraſſe die ganze Heidelberger ſchöne Welt,
und fremde die Menge; die öjterreichifche Militairmufit ſpielt.
Dit vieler Mühe gelangen wir in der Hitze und dem Gedränge
zu einem fühlen Platz, durch Blum's beeiferte Anftrengung
auch zu Kaffee und Bier. Wir genießen lange der prächtigen
Ausfiht, bewundern den fräftigen Pflanzenwuchs; diefe Ge-
gend und Umgebung gehört Doch zu den ſchönſten von Deutſch⸗
land! — Befanntfchaften. Die Tochter des verftorbenen
Alterthumsforſchers Kopp, der Arzt Hofrath Lange aus Prag
jest hier bei der Univerfität. Dr. Chriftian Kapp ift nicht
bier; Gervinus, Welder und Schloffer mag ich nicht auf-
ſuchen; erftere wohnen auch zu weit. — Robert von Mohl
fam Abends zu mir.
Mrs. Beecher Stowe hier, gut aufgenommen, aber nicht
gefeiert; feine Tageslöwin mehr! So wie Kofluth, Tiſch⸗
rüden ꝛc. —
Merkwürdig ift die ſtarke Hinneigung zu Frankreich, die
man in diefen Rändern fpürt. Die Schlechtigkeit der Regie:
14*
213
mir dafjelbe nicht, e8 war, niemand wußte auf weſſen Befehl,
nad Heidelberg in das Hotel Prinz Karl geſchickt worden;
man verfprach und eilige Wiederherbeifhaffung, und wir reiſten
mit dem Dampfſchiff den Rhein hinab nach Kaftell, gegenüber
Mainz, wo wir im fehr guten Taunus-Hotel zu Mittag aßen
und unfer Gepäd getroft erwarteten. Wir litten ſehr von der
Mittagshige, und ein wenig von Beſorgniß, denn die Möglich-
feit, unfer Gepäd könnte verloren fein oder wenigftend nicht
fobald wieder aufgefunden werden, ftand trübe genug vor und.
Das nächſte Dampfſchiff aber brachte gegen Abend all unfre
Sachen richtig mit, und wir begaben und fofort zur Eifen-
bahn, die dicht vor und ihren Bahnhof hatte, und fuhren nad
Höchſt, von da in 10 Minuten bieher nach Soden. Ich war
ſchon vor Jahren hier; es hat fich nicht wiel verändert, außer
daß einige neue Häufer gebaut worden und die Pflanzungen
gewachien find. Mein ſchlimmer Huften verlangt einige Ruhe,
hier ift der Ort fie zu finden.
Außer der Stille weiß ich wenig hier zu rühmen; die Anz
lagen find artiq, aber von feinem Umfang, von feiner Aus—
ſicht. Die Geſellſchaft ift null, und doch nicht ganz. Es fin-
den ſich einige Berliner hier, ein Gerichtörath, der Kaufmann
©. mit Frau und Kindern, der Kaffeewirth Volpi. Ein paar
Ruffen und Engländer ftehen in der Lifte.
Auf dem Dampfichiffe redete mich Herr Juftizrath Straß
aus Berlin freundlichſt an; er ging nad) Kreuznach.
5 Soben, den 6. Auguft 1853.
mn Suften iſt fehr arg, ich fange an morgensfrüh ein
figen Brunnend Nr, 3 zu trinken, der dem Keſſel⸗
Ems ähnlich, ift. Außerordentliher Reichthum
bier, einundzwangig verſchiedene find hier
Vebrauch. Vor etwa zehn Jahren wurde
215
dritte“. Sammer für einen Preußen, Land und Fürft und
Bolf fo heruntergefommen zu ſehen! Zwar dem Volke leben
noch ftarfe Sympathieen in Süddeutfchland, der Preuße als
folcher, der nicht Beamter ift, genießt eines beffern Rufes ald
vorher. —
Soden, Sonntag, den 7. Auguft 1853.
Ludmilla hatte Herrn Schirges aus Franffurt am Main
bieher eingeladen, er fam Vormittags, wir empfingen ihn auf
dem Bahnhof. Er aß mit und zu Mittag, und fuhr erft gegen
Abend wieder fort. Geiftvoll und freifinnig, jebt in Handels⸗
‚und Gewerböfachen erfolgreich thätig. Er erzählt jehr anzie-
hende Einzelheiten aus feinen neuen Berhältniffen.
Mufit und Sonntagslärm bis tief in die Nacht.
Soden, den 8. Auguft 1853.
Wir machten und Morgend auf und fuhren um halb
9 Uhr nad Frankfurt, nicht viel über eine halbe Stunde und
wir waren dort; eine fleine Spazierfahrt, bei gutem etwas
fühlem Wetter.
Frankfurt ift mir eine der angenehmften Städte, das Ge-
mifch von Altbürgerlihem und Neureichem macht hier einen
guten Eindrud; alles ift rein, unverfallen, tüchtig, der Ge⸗
meinnugen ift überall fichtbar wie das Privatgedeihen. Das
Leben ift hier ſehr frei; das ungeheure Zus und Durchſtrömen
von Fremden, der von allen Seiten belebte Verkehr, macht die
Polizeihände lahm, es ift unmöglich immer nah Paß oder
Namen zu fragen. |
Wir gingen vom Bahnhof durch das Gallusthor in die
Stadt, und gleich nach dem Großen Hirfhgraben, wo wir
gleich da8 Goethehaus fanden; es führt jept auch eine In-
217
Soben, den 9. Auguft 1853.
Wir fuhren nad) Homburg gegen 8 Uhr; es war nicht
heiß, eher fühl, die Fahrt angenehm; ſchöne Blide auf den
Taunus. Vor 10 Uhr famen wir an, traten ab im Englifchen
Hof. Wir befahen das Kurhaus, das durch zwei Flügel er-
weitert worden ift, einer bildet den Spielfaal, der andre den
Speifefaal, beide find fchmalundlang, dem Zweck entfprechend,
beide von geſchmackvoller Pracht, von reicher, dem Auge wohl-
thuender Buntheit, fie ift nicht grell, nicht herausfordernd,
und hier an ihrer Stelle. Ein Spielfaal ift doch wie eine
freche Dirne, einer folchen geftattet man Schminfe und Bus,
fie foll und darf die Sinne reizen. Eine chrwürdige Matrone
enthält fich deifen, der Appollinariöfirche fteht übel an, was
den Spielfual ſchmückt. Auch die Terraffe nah dem Garten
ift verfchönert worden, man hat eine zweite niedrigere hinzu-
gefügt, die Wege verbeflert, die Blumen vermehrt; die Spa-
ziergänge am Brunnen find dreimal fo breit als fie waren.
Der Herr Gärtner fchenft uns fchöne Blumen. Wir fehen
dem Spiel eine Weile zu. Diefes Lafter bringt ſolche Schöpfun-
gen hervor... Mir ift diefer Zufammenhang cin Gräuel; ich
wünfche die Brüder Blanc mit ihrem teufliihen Luxus zu
allen Teufeln, ich bin befhämt ihn mitzugenießen !
Herin Hamel beſucht; Bildniß Sinclair’d, Hoffnung zu
Briefen deffelben, die in Mainz liegen, bei dem Sohne des
Hofraths Jung, der mit Sinclair und Hölderlin, früher aud
mit Fichte befreundet war. Hamel war ein guter Demoftat,
ift jest außer Amt, aber muthig und brav.
Bon meinen früheren Hauswirthen ift niemand mehr hier!
Der eine ift nad) Rußland ausgewandert, der andre nach Ame-
rika! — Auch Herr von Dechöner ift nicht bier, fondern grade
jest in London. —
Wir ſaßen nah dem Efjen im Kurgarten mitten unter
der eleganten Welt, beſonders Franzoſen und Engländer,
221
immer andre wurden hervorgeholt, die meine getadelt, von
dem Alten mit feinen Händen wie abfichtlich getrübt, während
er die feinen unaufbörlich klar wiſchte. „Sie find doch nur
durch Zufall an mich gekommen”, fagte-er unter andern, „aber
Sie werden ſehen, daß ich ein Augenfenner bin, Sie werden
mich preifen als einen Engel, der ich geworden bin für Ihre
Augen!“ Als Ludmilla herzutrat, wiederholte er dies: „Bin
ih doch ein Engel geworden, für die Augen von Ihrem
Mann!“ Das ergögte und nicht wenig! „Mit wen hab’ id)
die Ehre? Sind Sie nit aus Mainz? Hab’ ich doch die
Preismedaille vom König von Preußen befommen! Ich ſag'
Ihnen, thun Sie was für Ihre Augen!“ Und ſolche Redens—
arten mehr. Es war läftig, aber noch weit mehr komiſch. —
Nach A Uhr Konzert der öfterreichifchen Militairmufif aus
Mainz. Mittelmäßig. Der Kurplag gefüllt mit Menfchen.
Prächtige, geichmadvolle Anzüge; befonders Engländerinnen
jehr zahlreich. — Wir gingen noch eine gute Weile Tpazieren,
gegen Dietenmühle hin, dann nad Haufe. Mufif im Haufe
mit ſchönem mehrftimmigen Gefang. |
— — — — —
Wiesbaden, den 12. Auguſt 1853.
Geſchrieben. Das Wetter kühl und angenehm. Ludmilla
ging allein nach Dietenmühle und Sonnenburg, ſie kam ſehr
befriedigt zurück. Später gingen wir zuſammen in den Kur—
garten, wo e& immer ſchön und frifch ift, dann zum Effen im
Kurhaus. — Nachdem wir nachher noch etwas umhergeftrichen,
befamen wir ſchnell einen Wagen, um nad) der Platte zu fah-
ven. Schöner Weg, anfangs fehr heiß, dann kühler im Schat-
ten der Wolfen oder Bäume, erft ächte Kaftanienbäume, Nup-
bäume, dann Eichen. Oben herrliche Ausficht, Nheinlauf,
Mainz, Darmftadt ꝛc. Das Land liegt bis dreißig, vierzig
Stunden weit den Augen offen. Hübfcher und artiger naffaui-
225
ftand fpeifen Tann! Wenn folcher peinlicher Hochgeſchmack
fich bei verwöhnten Vornehmen und Diplomaten zeigt, fo
macht e8 wohl den Eindrud von komischer Dialektik, bei einem
aus tiefiter Dürftigfeit hervorgegangenen Fabrifanten aber —
ich babe ded Herrn * Eltern gefannt — wird ed ganz und gar
widrig, ſei es nun Eitelfeit oder wirflih Wohljdymederei.
Vortreffliche Organifation der Bedienung, der Oberfellner be—
fehligt zehn bis fünfzehn Kellner wie ein Feldherr feine
Truppen, und alles geht wie am Schnürchen; bei faft
150 Gäſten. —
Nachmittags längere Zeit im Kurgarten, der von Men-
ſchen ganz überfüllt if. Dr. Spiker trinkt mit und Kaffee ;
mancherlei qute Gefpräche. Ich befomme die Nachricht, der
Sraf von Kleift-Toß fige mit zwei Damen im Garten. Sch
gehe hin, er fteht auf und tritt mir freundlich entgegen; nad)
einigen gewechfelten Worten fagt er: „Erlauben Sie, daß ich
Sie vorſtelle!“ — Die Vorftellung gefchah, und die jüngere,
jchöne und angenehme Dame begann alebald in fehr geläu-
figem und gutem Deutfh unfre Sprache- und Litteratur zu
rühmen. ch klagte, dag den Damen zwar mein Name, nicht
aber der ihre mir genannt worden, Kleift nannte fie nun,
Lady Jerſey und ihre Tochter, böchfte englifche Ariftofratie!
Die andre Tochter hat den Sohn des Fürften Baul Efterhazy
geheirathet. Lady Jerſey fprach nun mit mir franzöfifch, die
Tochter bald dies bald deutſch, über mancherlei Gegenftände,
freundlich, angenehm, fcherzhaft. Kleiſt war offenbar froh,
daß alles fo leicht und gut ablief, er hatte fich fehr verlegen
gefühlt; er bewegt fich nicht frei in der großen Welt, fie im—
ponirt ihm viel zu fehr. Er hat die Damen hieherbegleitet,
und will felbft wieder fort; mit General von Pfuel war er in
Aachen zufammen. Er fieht ganz verbrannt aus; von der
früheren Schönheit — er hieß der fchöne Kleift — ift feine
Spur mehr übrig. —
Varnhagen von Enfe, Tagebüder. X. 15
227
fteht. Er jagt mir große Schmeicheleien, will mir feine guten
Grundſätze zeigen, und tft fehr verwundert von mir die freiften
Urtheile zu hören, in die er ſich Doch ergiebt. — Dr. Spiker,
den ich dort zu treffen hoffte, fam nach einer Stunde, und ich
lieg die beiden Herren Bibliothefare zufammen allein. See
bode fagte mir, daß ihm die Vorträge über Gefchichte immer
ſchwer auf's Herz fielen, wegen der Unficherheit der That-
fachen, ihres Zufammenhanges, ihrer Triebfedern, ungefähr
daffelbe was Fürſt von Metternich mir einft fchrieb; alles
ganz richtig, was diefe Herren einwenden, allein alles Menſch—
liche ift fo ageftellt, und doc geht das Leben unter Zweifeln
und Unficherbeiten, unter Wahn und Irrthum ſtets ficher
weiter, und aud) eine ziemlich wahre und klare Gefihichte dar-
aus glücklich genug hervor; auf die Xeute, die fie fchreiben,
fommt freilich viel an.
Graf von Kleiſt-Loß befuchte mich, und hatte mir viel zu
erzählen; Nachrichten aus Paris, aus Brüffel, und aus
St. Petersburg, die er hatte, ließen ihn an feine Beilegung
der jegigen orientalifchen Krijis glauben. Auch von zu Haufe
wußte er vielerlei. Ein namhafter, jetzt aber etwas zurückge—
fester hoher Beamter, der in Polizeibeobachtungen jehr
erfahren it, hat ihm verfichert, e8 fei wieder alle® auf dem
Punkte, wo es vor dem Ausbruche von 1848 war, diefelbe
Unzufriedenheit, diefelbe Verachtung der Regierung, diejelbe
Empörungsluſt, auf der einen Seite, auf der andern diefelbe
Rathloſigkeit, Schwäche, Feigheit. Kleift fagte mir noch, wie
der König nach Putbus gereift fei: im vorderften Wagen der
Polizeipräfident Hindeldey, der Königliche Wagen von Kon-
ftablern außer Uniform begleitet und bewacht, zulebt wieder
ein hoher Polizeibeamter; der vorige König, meinte er, würde
ed nie für möglich gehalten haben, daß fein Nachfolger ſo
werde reifen müflen! —
15*
229
Schmerz fühlte und eine Weile taub war. Andern ging es
eben fo, man muß dad Stüd überladen haben, Noch am
. andern Tag hatte ich Ohrenſauſen davon, das erft nah und
nach jich verlor.
Mittageflen in Koblenz, im Rheinberg, wo ich früher das
Erdbeben erlebte. Nachher Fahrt nah Laubach. Dann nad
Stolzenfeld. Hinaufgeritten auf Ejeln. Alles genau befehen.
Die Ausjicht überall das Beſte. Das Technifihe überall vor-
trefffich, in feiner Art ald Einzelned von guter Wirkung. Das
Ganze eine reiche, foftbare Rumpelfammer, ein Gemisch von
Kinderei, Spielwerf und ernftgemeinter Fürſtlichkeit, die
größten Anſprüche auf Pracht und Macht in Heinftem Format,
in drüdenditer Enge. Ein Unfinn, derglöichen zu bauen, ein
Unfinn, hier ald König zu wohnen. Der ganze Karakter giebt
jich hier zu erkennen. Der Steinmes, Eifenarbeiter, Maurer,
Mahler, Gärtner, alle haben ihr Befteshier gethan, für einen
findiihen Einfall, der mit Hunderttaufenden bezahlt worden!
Wir erlangten auch Zutritt zu der fonft nicht geöffneten
Kapelle, wo Herr Däger fchöne Fresken mahlt. Auch hier ift
alles Kleinlih, eng und koſtbar; das Wendeltreppchen, durch
das der König in jein Lögechen friechen muß, läßt feinen diden
Bauch vielleicht nicht durch! Herr Däger konnte und die frohe
Nachricht mittheilen, dag Wilhelm von Schadow’s Augen
glüdlich operirt worden, nicht in Köln, fondern in Berlin. —
Schöne Rückfahrt. —
Gang über die Brüde nah Thal Ehrenbreitftein, in den
Gaſthof zum Weißen Roß, in den Garten deſſelben. Der artige
nafjauifche Offizier, den wir auf der Platte gefprochen, redet
und auch hier unvermuthet an, er ift ungemein freundlich und
dienitfertig; fein Name ift Lieutenant Thaut. — Es wird fpät,
ed dunfelt, wir fahren nad) Koblenz heim, wo wir im Genuß
der herrlichften Ausfiht auf dem blumengeſchmückten Balkon
noch lange wach bleiben, —
231
Kirche, die Jeſuiterkirche, und im Gehen durch die Stadt fiel
mir plöglich ein, anftatt den Rhein hinabzufahren, lieber noch
einmal aufwärts zu fchiffen, und über Frankfurt und Thüringen
zurüdzufehren. Meine Reiſegenoſſen fehr erfreut. Mit Noth
gelangten wir noch auf das Dampfihiff, dad um 9 Uhr nad
Mainz abfuhr. — Kammergerichterath Striedhorft aus Berlin,
geborner Weftphale, erzählt mir das heldenmüthige Benehmen
eines reichen Schleichhändlerd Namens Klöpper in Rheine, der
von den Franzoſen zur Guillotine verurtheilt war, und ſchon
hingerichtet werden follte, aber feine Genoſſen nicht verrieth,
die nachher aber, als feine Tochter ihn durch Stridleitern aus
dem Gefängniß befreit hatte, jehr unredlich an ihm handelten.
MWidrige Engländerinnen, kleine Mädchen voll Trog und
Schroffheit, etwas Ruthe würde ein Schönheitsmittel für Die
Fratzen fein! —
Wir landeten bei Kaſtell, ſprachen im Taunus-Hotel ein.
Prächtige Lage von Mainz. Mit dem Bahnzuge nach Frank—⸗
furt am Main. Im Schwan die ſchönen Zimmer Nr.7 und 8;
in erſterem ſah ich mit Rahel, die es bewohnte, zum erſtenmale
den Dr. Börne, den Mile. Geyer uns zugeſchickt hatte, und
der zum Mittagseſſen bei und blieb. Damald war er nod)
nicht fo harthörig und noch frei von den Abgejchmadtheiten,
von denen feine guten Eigenfchaften mehr und mehr unter-
drüct oder bejchädigt wurden; er meinte damals — im Jahre
1819, als ich von Karlsruhe abgerufen nach Berlin reifte —
mit mir, Delöner und Lindner vereinigt eine politifche Zeit-
Ichrift herauszugeben, von der aber nad) Befanntwerdung der -
ihändlihen Karlsbader Beichlüffe nicht mehr die Rede fein
konnte, — u
Wir gingen Abends noch aus, und befahen und die Main-
luft, ein großes am Main gelegenes Wirthshaus, aber mit den
am Rhein gelegenen nicht zu vergleichen! — |
Der ganze Eindrud von Frankfurt am Main ift mir aber-
233
ihn ganz liebgewann. Er ſprach ganz harmlos die fühnften
Sachen über die katholiſche Sache, über die Fürften, die Re-
gierungen im Allgemeinen, die Gelehrten. Auch er glaubt an
die Wiederfunft der deutfchen Freiheit, die dann aber mit mehr
Eifen und Teuer auftreten werde ald 1848, aud, er hielt Die
Meberzeugung feit, dag nicht? geändert ſei Durch die Reaktion,
auch er meinte, daß die fatholifche Kirche feine Grundfeiten mehr
habe, daß ein Hauch ihren jebigen feheinbar fo mächtigen Ein-
fluß verwehen werde; es ijt mit ihr wie mit Rußland, die
Macht befteht in der Furcht der Andern. — Der wadre Mann
hat nicht einmal gefragt, wer ich fei. — Sch verließ ihn fehr
ungern. Merfwürdig war mir, daß er nicht? auf Ranke hielt,
er rechnet ihn zu den oberflächlichen Schöngeiftern.
Wir wollten durch die Judengaffe gehen. Sie hat ihren
früheren Eindrud völlig verloren, die Juden wohnen in allen
Straßen, in der Judengaſſe ſchon Chriſten; das Gedränge,
der Schmuß, die Schauerlichfeit von ehmals find nicht mehr
.zu finden. Dad Haus, wo Rothſchild geboren worden und
feine alte Mutter bis zulegt lebte, wird gezeigt; das Haug,
wo Börne geboren worden, ijt durch eine Gedenktafel audge-
zeichnet; die Juden nennen ihn ihren Börne, und ftellen feine
Verehrung neben die Goethe’. Und gefellte fih ein junger
. Dann, den unfer Antheil an den Judenſachen freute, er zeigte
und die neue Synagoge und erflärte alles, es war Herr Aleran-
der aus Straßburg, Neffe des Bibliothefeninhabers und Bauch:
rednerd Alerander. — Wir aßen an der wohlbedienten und
zahlreich befegten Wirthötafel. Mich übernahm ein umgefehrtes
Heimweh, eine unwiderftehliche Bleibensfcheu, ich wußte diefem
Boden durchaus feinen Xebendreiz mehr abzugewinnen, und
bejchleunigte die Abreife.e — Um A Uhr waren wir auf
dem Bahnhof. Unzuverläffigfeit der gewöhnlichen, fogar amt-
lichen Angaben über die Zeiten und Umijtände bei den Eifen-
bahnfahrten; eine Biertelftunde vor der Abfahrt z. B. nimmt
235
find die Herftellungsarbeiten ſehr fortgefchritten, das alte Bau-
werk tritt herrlich hervor. Aber was neu hinzugefügt wird,
die Kontignation des Holzdaches, die von Holz gefchnibten
Iymbolifchen Gebilde, den Sieg des Chriftenthbumd über das
Heidenthum vorftellend, paffen wenig zu dem trefflichen Stein-
werk. Nun follen auch noch in beliebter Weife Freskomahlereien
die Wände fchmüden. ch erwarte die fchlechtefte Wahl der
Gegenſtände bei der funftfertigften Ausführung! Der leitende
Baumeifter führte und umher. Dann fam der Schloßhaupt-
mann Herr von Arnswaldt, freute fich ungemein, zeigte und
alles was gewöhnlich nicht gezeigt wird, gab alle Erflärungen ꝛc.
Bildhauer Knoll aus München. Giebzigjähriger Dachdeder
oben auf dem Dache in harmlofer Thätigfeit. Der Großherzog
und feine Gemahlin wurden heute aus Wilhelmsthal zum Bes
juh erwartet. — Arnswaldt's Wohnung — —
Fahrt auf den Drachenftein nach Tifche; ich blieb unten
auf Moos und Gras gelagert, fah mir Himmel, Bäume, Feld-
blumen an; dann Fahrt nach dem Sirfchftein, dann nad
- Wilhelmötbal. — Kaffee im Schloßparf, Bergnügte Rüdfahrt.
Bei der Hohen Sonne ſahen wir ein weimariſches Ba-
taillon einen Augenblid raften; einen neugeborenen Eſel, der
feiner Mutter folgte, luftige Leute zechten. —
Weimar, Sonntag, den 21. Auguft 1853.
Um halb 2 Uhr waren wir in Weimar, aßen zu Mittag,
ruhten, und machten dann eine ſchöne Fahrt nach Tieffurt, wo
wir im Park fpazieren gingen, am Ufer der raufchenden lm;
die Rüdfahrt war auch fehr angenehm. — Dann fuhren wir
zu rau von Groß, der Mutter ded Eiſenacher Staatsanwalts,
zu Herrn von Maltis, zum Probft Sabinin, — niemand war
zu Haufe! Das Goethe’fche Haus war unzugänglih, nur
Freitags erlaubt der Enkel Walther einen befchränften Zutritt.
237
Spielbüchlein”, welches eine Verhöhnung des Königd von
Preußen fein foll; ald feine Spielereien werden aufgeführt:
die neuen Uniformen der Truppen, der Hoflafaien, der Pro-
fefforen, der Schiwarzenadlerordens-Nitter, der Schwanenorden,
der Sohanniterorden, der Bereinigte Landtag, der deutſche
Umritt, und dergleichen mehr. Das Büchlein ſoll befonderd
im Herzogthum Sachſen fchnell vertrieben worden und den
polizeilichen Spürungen ganz entgangen fein.
Weimar, Montag den 22. Auguft 1853.
Der Kollegienrath von Liepmann ſchickte ganz früh zu mir,
er erwarte mich mit Ungeduld. Die beiden Töchter des ‘Prob-
ſtes, Marfa und Mafcha, er felbit und der Sohn erſchienen,
um Rudmilla’n den Park und andre Sehenewürdigfeiten zu
zeigen. ch ging unterdefien zum Kollegienrath. Ganz der
Alte! nur ohne die Frau, die doch manches milderte, ganz in
der ironifhen Stimmung, ein Gemiſch von Mlerander von
Humboldt und Wilhelm von Schlegel, pedantifch gegen alle
Vedantereien, Germanismen, Thorheiten, Mißgriffe, uner-
Ihöpflih in demonftrirenden Bemerfungen, unzufrieden mit
allen Menfchen, die er fieht. Er zog gleich gegen die Groß—
fürftin Io8, gegen den Großherzog felbit, gegen die elende
Stadt, fogar gegen die Familie *, die ihn doch befonders ver-
ehrt, — der Sohn bringt ganze Abende bet ihm zu. Er fpottet
über die Fläglichen Denfmale hier, die wohlfeilen Ehren durd)
die Namen Schillerftraße, Goetheplag, dem Volke heißt der
Herderplab noch immer Schöpfenmarft! Luftige Züge und
Geſchichten. Ein deutfcher Profeffor fannte das Lied: Dies
irae dies illa nur aus Goethe’d Fauſt. „Parodie und Kari-
fatur ift alles heute.“ Der Kaifer Nifolaus hat dem Groß—
herzog gerathen, ſich in der Politif nur an Defterreih und
239
Privatfekretair (Engländer, der vollkommen Deutſch Tann),
Herr Bildhauer von Hojer. Wir unterhielten und ganz gut,
unter ftetem Bedauern, daß Maltig fehlte. — Wir gingen um
10 Uhr, trafen Maltis, der vom Belvedere fam, feine Ber:
zweiflung ausſprach, und nach Haufe geleitete. Er hat der
Großfürſtin gefagt, ich fei in Weimar, aber frank; fie hatte
die günftigften Gefinnungen für mic) ausgeſprochen, die beiten
MWünfche für mid), und daß fie darauf rechne, mich bei andrer
Gelegenheit wiederzufehen. — Huften, Heiferfeit! —
Weimar, Dienstag den 23. Auguft 1853.
Große Hibe nach frühen Nebel. Allerlei Erzählungen
von der Gropfürftin; vom Könige von Preußen hat fie gefagt,
es fei traurig, bei aller Neigung und Freundfchaft, die man
für ihn habe, fönne man nicht umhin, alles was er ald König
thue, zu verwerfen, zu tadeln; er verftehe fein Handwerk nicht.
Nuffifche Anekdoten. Als Kaifer Alerander geitorben
war, hatte fi) Shukoffskii durch irgend einen Zufall in einer
Kirche verfpätet, und war Zeuge eined merfwürdigen Vorgan—
ged, der Großfürſt Nikolaus und ein Priefter traten ein,
ſchritten zum Altar, und hier legte Nikolaus feierlich den Hul⸗
digungseid für feinen Bruder, den Kaifer Konftantin, ab.
Shukoffskii hat den Vorgang bejihrieben und als Manuffript
einzeln drucden laffen. — Konftantin fchlug die Krone aus,
weil er feine Stellung in Polen zu fehr liebte, die in
St. Petersburg fürchtete, — er war über die Maßen feig.
Hätte die Sache noch einige Tage unentschieden fich hingezogen,
jo würde er ſich doch noch beſonnen haben, denn er fagte ſchon
zu Mohrenheim: „Au fond, la lettre de l’empereur
Alexandre ne m’engage & rien; mes droits sont incon-
testables.*“ Aber Nikolaus fperrte fich nicht länger, griff zu,
und alled war vorbei.
241
September-Sigung des Schwurgerichtähofes Gefchworner zu
fein; ein Amt, das ich fehr in guten Ehren halte, aber fchlech-
terdings nicht erfüllen kann. ch fchrieb fogleich an das Ge—
richt, und fchilderte ihm meinen Gefundheitdzuftand, den id)
aber durch ein ärztliched Zeugniß nicht befcheinigen könne,
weil ich feit fünf Jahren feinen Arzt habe, Mein gegenwär:
tiges Uebel nehm’ ich weniger in Betracht, es find noch acht
Tage bis zur angegebenen Frift, vielleicht weicht es bis dahin,
und ich kann wenigſtens perfünlich meine Gründe vorlegen. —
Herr Theophile Schuler aus Strapburg hatte bei mir ein
Padet von Herren Dr. Mühl abgegeben, mit Briefen, Gedich-
ten, Handfchriften, Drudfachen; Herr Wilhelm Hemfen aus
Amfterdam wollte mich befuchen, Herr Lothrob Motley aus
Dredden ꝛc. ꝛc.
Bücherpackete in großer Zahl. Briefe von Humboldt,
Charlotte Wynn, Mühl, Troxler, Eckardt, Sivers, Frau
von Waldow, Fräulein Bölte, Frau von Nimptſch, Eduard
von Bülow, Lewes, Alexander Jung, Kloſe, Fanny Lewald,
Müdler-ıc. ıc.
Weiher's Tod erfolgte am 25. Juli; die Todesanzeige lag
auf meinem Tifche, und bewegte mich doch fehr. Mit der
Freiheit hat er es ftetd gut gemeint und gehalten, er meinte
ein Fichtianer zu fein, war aber gar fein Philoſoph. Er hat
in vielem herumgetaftet, doch blieb fein Wiffen fragmentarifch,
und eine geordnete Thätigfeit hat er nie gehabt, er wollte und
fonnte nicht arbeiten.
Sch mußte mich bald zu Bette legen; es ftellte fich Fie—⸗
ber ein.
„Der König ift verrückt!“ fagte neulich ein Oberft in Ge—
genwart von mehreren Leuten. Man drohte lächelnd mit Anz
flage wegen Majeftätdbeleidigung. „Dann freilich“, verſetzte
jener, „wird es fchlimm fein, denn das Gericht wird mir nicht
erlauben dürfen, den Beweis der Wahrheit zu führen. “ Aber
Varnhbagen von Enfe, Tagebüder. X.
243
der Prinz müſſe die Sachen in die Hand nehmen?” Beide
fchrieen auf, verneinten ohne Zögern, aber hielten ihre und des
Prinzen Ehre fo verlegt, daß fie erklärten, jie würden dem
Prinzen fogleih Anzeige von dem Gefchehenen machen.
Alle Vorftellungen und Bitten des alten Narren konnten jie
nicht davon abhalten. Der Prinz gerieth außer fi, und
Ichrieb gleich an den König, wenn er nur des hundertften
Theils der Anklage fich fchuldig wüßte, jo würde er fich felber
im Kriegdgericht unbedenklich zum Tode verurtheilen. Er
verlangte nun Genugthuung, Wrangel follte in Ungnaden
entlafjen werden. Aber der König fchrieb ihm die zärtlichiten
Briefe, entfhultigte Wrangel’s Eifer, und behielt ihn in feiner
Stellung. — Man fragte, wenn die Adjutanten Ja gejagt
hätten, wad würde Wrangel gethan haben? Die Sache dem
König angezeigt, fagte jemand. Ein Andrer meinte: „O nein!
Er würde gelagt haben: Stehen die Sachen jo? Nun, da
halt’ ich mit dem Prinzen! Sagen Sie ihm das, meine
Herren!“ Diefe Auslegung wurde fehr belacht, aber bei jpä-
terem Nachdenken auch mehr und mehr als die richtige ange-
ſehen.
Donnerstag, den 25. Auguſt 1853.
Den ganzen Tag zu Bette, bei heftigem Huften. ch
fuchte zu leſen, aber es ging Tchlecht.
— —
Sonntag, den 28. Auguſt 1853.
Goethe's Geburtstag. Heil und Preid dem großen Na-
men! Immer wieder, und nie genug! — Herr Dr. Ring fand
mich um vieles beffer; ich fehrieb einiged aus den „ Eume-
niden“ ab. Seit dreißig, vierzig Jahren ſuch' ich dieſe Drud-
ſchrift, die ich ehmald in Händen gehabt, die feitdem aber aus
16*
244
der Welt verfchwunden fchien. Niemand fonnte fie fchaffen,
niemand fannte fie, Sch fuchte jo eifrig, daß ich mir ſcherzend
dachte, wenn ich fie einmal unerwartet fände, könnte ſich eine
Kataftrophe damit verknüpfen; aber alled war vergebens.
Nun, da ich Frank liege, wohl an fchlimmen Ausgang mitunter
denke, [hidt mir die Dümmler'ſche Buchhandlung das Buch,
und mir fällt gleich ein, was e8 bedeuten könne; doch indem
ich der abergläubifchen Vorftellung, die ja nie mein Ernft
war, lache, Tefe ich den dabei Tiegenden Zettel, und fehe, daß
das Buch mir nur gelichen tft, auf wenige Tage; damit fällt
die Vorbedeutung, und der Aberglaube darf beftehen! Das
Buch heißt im vollen Titel: „Die Eumeniden oder Noten
zum Text des Zeitalters. Motto: Suche Jeder, wen er
reibe. Fr. Schlegel. Zürich, 1801.“ 221 S. in kl. 8.
Drt und Jahreszahl waren mir nicht mehr befannt, jest läßt
fih die Schrift wohl leichter auffinden. Sie full von zwei
Studenten verfaßt fein, die mit guten litterarifchen Kennt⸗
niffen im Geiſte der Schlegel’fchen Schule das Athenäum
nachahmen, freilich weit ab von dem Vorbilde! —
Montag, den 29. Anguſt 1853.
Etwas aufgeftanden, aber bald wieder zu Bette, Herr
Dr. Ring. Briefe gelefen, in Goethe’d Fauſt, im Juvenalis.
Abends mit Ludmilla Schach gefpielt.
Dienstag, den 30. Auguft 1853.
Das Schwurgericht fordert durchaus ein Ärztliches Zeug:
niß. Pedanterei; finnlofe Förmlichkeit! Wenn ich nun feinen
Arzt habe? Und gilt mein Wort nicht fo viel als feines?
245
Mittwoch, den 31. Auguft 1853,
Ein trüber Tag heute für mich! Der Huften wieder etwas
ftärfer, und eine Nervenftimmung, die fait nicht zu ertragen
ift! So rüftig und in gewiffem Sinne fräftig die Reife mic)
zeigte, fo gänzlich ermattet, abgefpannt, ja lebensunfuftig fühl’
ich mich jet. Ich lag heute ganz erbärmlich da, ohne Trieb
und Reiz, alled langweilte und ärgerte mich, am meijten das
Bewußtfein felbit dieſes Zuſtandes. Die fatale Gefchwornen-
fache laftet auch noch auf mir; Herr Dr. Ring, dem ich deß⸗
balb fehrieb, brachte mir das vom Gericht unerläglich gefor-
derte Krankheitdzeugniß, und ich legte ed meinem Schreiben
an dad Gericht bei. Dad Verſehen Ring's, anftatt des
31. Auguſts den 1. September zu fchreiben, nöthigte mic)
meine Eingabe neu zu faflen und auch dieſen Tag zu ſetzen.
Diefe Mühe war mir wie ein Unglüd, und dann famen nod)
andre Ungelegenheiten, die mich völlig niederdrüdten. Wer
dergleichen nicht aus Erfahrung kennt, der ahndet nicht, was
das bedeutet, was Nerven für Wirkungen hervorbringen
fönnen! Welcher Nachficht bedarf man da! Für Rahel habe
ich jie Gottlob gehabt, auch ohne fchon das Uebel felbft erfah-
ren zu haben! Das freut mich noch! —
Herr Neuberg aus Bonn befuchte mich; er überfiedelt
wieder nad England, und läßt bier eine Weberfegung von
Carlyle's Heroworship bei Deder druden, —
Sch raffte mich aus tiefiter Nervenverftimmung endlich doch
zufammen, und fehrieb an Humboldt, der wie ich hörte wieder
bier ift, und dem ich zu antworten hatte. Dann fchrieb ich
an die Buchhandlung J. J. Weber in Leipzig, und Aufträge
nach Straßburg an die Buchhandlung Levrault.
Schon gleich im Schreiben wurde mir etwas befjer. Die
frühere Berdumpfung, der Ueberdruß und die Schlaffheit der
Nerven, find gleihfam die Borboten der Schweißftife. So—
bald dieje wirklich ausbricht, ift ed wie eine Erldfung, alles
247
In Goethe’s Briefen, und in Baader gelefen; wo in leb-
term die abergläubifche Beichränftheit, das leichtgläubige Ein-
gehen auf Alfanzereien, 3. B. auf die Gaufeleien Juſtinus
Kerners, hervortritt, wird er mir ganz abfcheulich. —
Die Demokraten in der Bürgerfchaft, in den Gewerken,
halten noch fehr ftreng zufammen, nicht nur bier, fondern
auh in den Provinzen. Schlichte ruhige Leute, die früher
nicht für die Bewegung waren, erflären ſich bereit, einer neuen
beizutreten; Leute von ſonſt milder Gefinnung halten Liſten
über diejenigen Böſen und Schlehten, die durchaus zu befei-
tigen, zu beftrafen fein werden, Denen feine Gnade widerfahren
darf. —
Was hat denn der König am 11. Auguft in Wolgaft für
eine fchöne Rede gehalten, daß ein ſüddeutſches Blatt ſich
darüber fo luſtig macht? ine leidenfchaftliche Vorliebe für
dad arme Neft foll er audgefprochen haben, ald finde er hier,
in diefem unfcheinbaren Orte, endlich Kiebe, Ruhe und Ber
friedigung! Ich kann die Rede felbft in unferen Zeitungen
noch nit finden. —
Der König ift bei feiner Anwefenheit in Roftod vom
Bolfe mit Koth geworfen worden. Der Großherzog von
Medlenburg Schwerin war außer fich, daß feinem Gafte der-
gleichen widerfuhr, und daß er felber davon fein Theil ab-
befam. Die Medlenburger hafjen den König, weil fie glau-
ben, daß ohne ihn die fchändliche Reaktion in ihrem Lande
nicht hätte durchgreifen können: die Roftoder haffen ihn noch
bejonderg, weil feine Polizeibeamten dort Verhaftungen vor-
genommen haben. —
Freitag, den 2. September 1853.
Ganz früh befuchte mich Herr Dr. Achilled Runkel aus
Hamburg, Redakteur des dortigen unpartheiifchen Korrefpon-
| 249
fammenhängt, ift ein folcher Rechtsbruch, eine ſolche Eigen-
macht und Partheiwillfür, daß der Staat, wo dergleichen
gejchieht, davon die größte Schande haben muß. Auch ift der
Unmillen allgemein. Die Zeitungen dürfen aber nichts fagen,
man hat fie im voraus verwarnt. Und dabei fommt die
Schwächlichkeit und der Unfinn vor, daß dem Bürgermeifter,
den man abjebt, die größte Belobung ertheilt wird wegen
feiner Amtöführung, man ihn dagegen mit Disziplinarunter:-
fuchung bedrohte, falls er fich nicht penfioniren ließe!
Sonnabend, den 3. September 1853.
Das unbejtändige Wetter wendete jich zur Heiterfeit und
Wärme, ich gab dem Verlangen nad), wieder einmal auszu—
gehen. Mit Ludmilla zuerft nach den Linden, das Grün der
Bäume ſchon bräunlich und fahl, der frifche Glanz ift fort!
Bei Kranzler eingefprohen. Dann die Schloßbrüde befehen:
die beiden aufgeftellten Marmorgruppen — die dritte und
vierte follen bald folgen — find an ſich ſchön gearbeitet, von
guter Wirkung: ein wahrer Schmud der Brüde, aber das
Antike iſt nicht antif genug, und ift wider Willen modern, -
ohne zu den andern Bildfäulen der Generale zu paffen. Auch
ftehen die Gruppen zu hoch und verlieren dadurch ſehr. Es
waltet ein Unjtern über unſerm Kunftwefen, nie was Rechtes,
Ganzes, Uebereinſtimmendes. Die Leiter find Pfufcher! —
Herrn Hofrath Bolzenthal gefprochen. — Fortdauernde Kunft-
ausitellung bei Herrn Sachſe in der Jägerſtraße; Frau von
Raumer dort gefprochen. — Ich kam erfchöpft nach Haufe, der
Ausgang that mir nicht gut. —
251
coby befommt Quehl's Stelle ald Direktor des litterarifchen-
Bureau’d. —
Die Cholera ift hier ziemlich hart, ftärfer als man einge-
ftehen will. —
Dienftag, den 6. September 1853.
Der König hat ſich in Hirfchberg wiederum in der ihm
eignen Art vernehmen laffen, deren Wirkung für ihn die trau-
rigfte von der Welt ift. Reiſt umher, und zankt aller Orten
mit den Leuten, macht ihnen Vorwürfe, vergiebt dann und tft
gnädig, und Alles ohne Sinn und Fug. Wenn er nur wüßte,
was diefelben Leute, die demüthig ihn anreden, hinter feinem
Rüden fagen! Als er im Jahr 1848 nad) langem Schweigen
zum erftenmal wieder feiner Zunge freien Lauf ließ, riefen
ariftofratifche Neaktionaire fpöttifch: „Nun plaudert Papa-
geno wieder!” Die Hundedemuth der Elbinger und Hirſch—
berger Magiftrate nimmt fich faſt noch übler aud, als die
Sroßfprechereien, die darauf antworten. Der ganze Dialog
it efelhaft. —
Neue Korfchungen über den Tod des Fürſten Felir Lich—
nowsky thun unmiderfprechlih dar, daß er wie ein unbefon-
nener Prahler alled aufgewendet, um Haß und Kampf her-
borzurufen. Er hat unaufhörlich frech beleidigt, gehöhnt,
herausdgefordert, und wenn died anfangs als tapferer Ueber-
muth erjcheinen konnte, jo war das Ende Doch. feige Flucht.
Er ift nicht durch Meuchelmord gefallen, fondern im offenen
Kampfe, den er gewollt, aber nicht beftanden hat. "Ein frecher
Bube war er.
Der König, der die Trägheit felbft if, wenn es gift einen
Gegenftand forafältig zu beachten, ein Gefchäft folgerichtig
durchzuführen, ift förperlich immer bereit zur Bewegung, zum
Wechſel des Aufenthaltes, er ift von einer ewigen Unruhe
253
Magener eine Menge von Adreſſen der Anerkennung, der
Beiftimmung und des Dankes zuwegegebracht, und noch immer
laufen dergleichen ein, die meiften Gutöbefißer und Landedel—
leute fchreiben ihre Namen bei folcher Gelegenheit willig.
Daß fie ſich zu dieſer Gemeinheit befennen, halten fie für
Ehre, — |
Zum 7. Septeinber 1853.
Radowitz fagt in feinen „ Gefammelten Schriften “, Bd. IV.
S. 256: „Der neuefte Hergang in Parts fehliept eine Reihe
von hiſtoriſchen Thatfachen, die feit drei Jahren den Beweis
für den Saß liefern, daß im heutigen Europa (England aud-
genommen) nur zwei materielle Kräfte wirflih wirffam
find: die Armee und die Demokratie. Nur diefe beiden ver:
mögen fichtbare Umwälzungen hervorzubringen ; fobald die:
jenigen, die fich ihrer bedienen wollen, die moralifchen Ele:
mente einfach negiren, find diefe auch faktiſch annullirt.
Gegen Demokraten helfen nur Soldaten! hieß der Spruch.
Das Tieffchmerzlihe ift, daß manche Mittelpartheien, ja, daß
ein großer Theil der Tonftitutionellen Maffe, welcher deutlich
gezeigt worden, weldhe Ohnmacht allen Rechts⸗ und Vertrags⸗
Berhältniffen inne wohnt, bald genug verfucht fein fann zu
jagen: Gegen Soldaten helfen nur Demofraten !*
Terner ©. 281: „Die Demokraten waren unmittelbar
nach dem MärzsUmfturze offenbar Herren Deutſchlands; ; alles
Andere war zurüdgetreten, Die Regierungen lagen am Boten;
die Monarchiſten traten in’d Dunkel zurüd; die Altliberalen
waren noch ohne DOrganifation und über einen foldhen Sieg
faft beftürzt. Das Ziel der Demokraten war die Republik,
die Mittel dazu mußten ohne allen und jeden Verzug ergriffen,
und bis zum äußerften bin raſtlos und ſchrankenlos fortge-
führt werden. Organifation eined Revolutionsheeree, das die
255
fihtlih wohl. Er äußerte fich ziemlich frei über das Berliner
Treiben und jein Royaliömus hat große Köcher, Sein Buch:
„Der neue Vaſari“ ijt noch nicht im Drud,
Dr. Ryno Quehl foll ald Konful nach Dänemark gefchidt
werden, Manteuffel hat feinen Günftling doch nicht behalten
fönnen, ihm feinen Eintritt in das geregelte Beamtenthum
mit Titel und Rang erzwingen fünnen. Daß er Mitglied der
zweiten Kammer war, würde eine Schande für die Kammer
fein, wäre fie felbft nicht wieder eine Schande für jeden, der
in ihr war. — Bon Minifterkrifis ift fonjt nicht Die Rede, Die
Veränderung mit Quehl foll doch nicht dafür gelten?! —
Der Geheime Rath Graf von Pop, der rothnäfige, will
beftimmt fein Geld mehr für das Fortbeftehen der Kreuz:
zeitung geben; auch der Oberfitruchjeg Graf von Redern
weigert fich die früheren Zuſchüſſe fortzufegen. Nur einige
reiche Zandedelleute in den Provinzen jind einfältig genug,
noch immer Gelder für fie zu liefern. Die Zeitung felbft
fönnte wohl ohne fremde Beiträge beitehen, aber ihre Parthei⸗
zwede fordern größere Mittel, fie mußte überall Geld zur
Berfügung haben, Belohnungen, Ermunterungen austheilen,
bei den Behörden ihre Leute haben; die Halunfen thaten
nichts umſonſt. —
In den „Geſammelten Schriften“ von J. von Radowitz
— Bd. V. S. 293 — ſteht Folgendes: „In bewunderungs—
würdiger Weiſe iſt Saint-Martin's Esprit des choses hu-
maines mit einem tiefen See im Frühling verglichen worden.
Auf feinem Spiegel ſcheinen die Gedanken wie ſchöne Waſſer—
blumen zwar nur lofe zu ſchwimmen, jede aber erhebt jich aus
dem Grunde des See's und wurzelt tief in deſſen Grunde, “
Die Vergleihung ift von Rahel. ch weiß nicht, ob fie ges
druct, oder blos gefagt worden ift, in legterm Falle fann
Radowitz fie leicht durch den Altern Willifen erfahren haben,
— Früher fchon, ehe ich Rahel näher fannte, fagte ich
257
immerfort! Biel war auch von Wilhelm von Humboldt die
Rede, von feiner heidnifchen Gefinnung, feiner Verachtung
des vorigen Könige u. |. mw. Bon Arago’d traurigem Zu—
Stand, von meinen Arbeiten, von Sem eleftrifchen Wetter diejes
Sommers, vom Kodmod. —
Der König jagt alfo nicht, wie Ludwig der DVierzehnte,
l’Etat c’est moi, fondern: „l’Etat c’est une canaille“. —
Sonnabend, den 10. September 1853.
Größte Meberrafhung! Der Chevalier Adolphe de Barn-
hagen, Charge d’affaires de S. M. l’empereur du Bresil
pres la cour de Madrid, läßt fich bei mir melden! Der
Sohn des verftorbenen portugiefilch = brafilifchen Oberften
Friedrich von Barnhagen aus Walded, Ein hübfcher brauner
Mann, in den Dreipigen, artig und gutmüthig, ded Deutfchen
fundig, aber Franzöſiſch redend, ganz Südländer, von der
brafiliichen Mutter her. Wir taufchen unfere Familiennach⸗
richten aus. Der Kaifer von Braftlien ift ihm fehr gewogen,
ihm steht eine gute Laufbahn offen. Er ift auch Schriftiteller
und arbeitet an einer Gejchichte Brafiliend in zwei Bänden,
‚portugiefifh. Er ift auf einer Urlaubsreife, die zu Ende
geht. —
Barnhagen gab ausreichende Narhrichten von feinen Ber:
- hältniffen, feinem Leben in Madrid, in Liffabon, in Brafilien,
von dortigen Zuftänden, von Litteratur und Kunft. Er ift in
allen Stüden wohlunterrichtet, wie e8 ſcheint fehr gründlich
in feinen Arbeiten, dabei welttundig, angenehmen Umganges,
heiter, fcherzhaft und äußerſt gutmüthig. Mir fagte er ver-
traulich feine innerfte Denfart, jie ift durchaus freifinnig, edel,
er will Gutes wirken, und zieht eine Stelle in der Verwal-
tung Brafilieng, in der es ihm vergönnt fein fann, etwas
Gedeihliches zu Schaffen, allem glänzenden Leben an euto-
Varnhagen von Enfe, Tagebüder. X. 17
259
Sonntag, den 11. September 1853.
Gefchrieben ; Bemerkungen gegen Berk, der e8 im Zitiren
dem Heidelberger Schloffer nicht nachgiebt, fich einen willfür-
lihen Tert macht und dann ein fchiefed Urtheil darauf
gründet! ch fpreche von „einem benachbarten Lande“, er
macht eine „fächfifche Sache” daraus, an die ich nicht gedacht
habe, fondern an Böhmen. Wenn folh ein Pedant nicht
einmal genau ift, fo fällt er noch unter den oberflächlichiten
Schluderer, über den er fich weit erhaben dünkt! ch könnte
mit dem Herrn Pers überhaupt eine gute Abrechnung halten.
Vielleicht fommt mir einmal die Luft!
Gegen 11 Uhr fam Adolph von VBarnhagen wieder; wir
verhandelten mancherlei; Humboldt, Metternich, die Revo—
lution von 1848, die deutfchen Zuftände, fpanifche und por-
tugiefische, Palmella, Refende, Pinheiro, Navarro D’Andrado ꝛc.
Sein Wagen bielt unten, er ſchlug ung eine Spazierfahrt vor.
Zudmilla und ich fuhren mit ihm in den Thiergarten; Bild-
jäule ded vorigen Könige, Raczynski's Gemähldefammlung,
dann Fahrt in die innere Stadt; um 2 Uhr zu Haufe. Der
Better gewinnt bei jedem neuen und längeren Jufammenfein ;
unterrichtet, bequem, von beſtem Willen, von ftarfem Anhäng-
lichkeitsgefühl. —
„Der Ranzau und feine Grafen, nebit neuen Forfchungen
über die Abftammung der Burggrafen von Nürnberg. Ein
Beitrag 2c. von H. Haas, Erlangen 1853.“ Die Schrift be
jtreitet die ſchon von Alterd her bezweifelte Abftammung des
preußijchen Königshaufes von den Grafen von Zollern. Dem
König ift das fehr fchmerzlich, dem Herrn von Stillfried ein
Sammer, den gelehrten Hoffchmeichlern ein ftrafbares Erdrei-
ften, „Ich fein Hohenzollern ?” ruft der König aus, „was bin
ih denn?” Das ift eine zweite Trage, deren Beantwortung
die Gefchichte chon geben wird. —
Der Schriftfteller Mügge fam auf der Rüdreife aus einem
17* j
261
Geficht gefchlagen. Frechheit, dienur hier gefchehen kann, Frech-
heit mit nichtswürdiger Sophiftif verbunden! Beitrafenswerth!
Der Better nimmt Abfchied, er befeigt fich ungemein lieber
voll und brav, und ale vollitändig weltgebildet. Gr reift
Nachmittag um 2 Uhr. Sein Scheiden iſt mir fchmerzlich. —
Befuch bei Herrn Dr. Hermann Frand; er zieht leider
weit von mir weg, in die Köpenider Straße. Ueber unjere
Zuftände, die ganze gemeine Wirthfchaft des „Rackers von
Staat*, wie der König felber ihn nennt, das Zerfallen aller
guten Drdnung, alles Rechtes; über Das Erziehen zum
Schlechten, zur Heuchelei, Graufamfeit, Selbitfucht, zur Ver- -
läugnung des Edlen, des Menfchlichen. Welch trauriger Zeit:
abfchnitt, in welchem wir hier jeßt leben! Doch leben wir ein
Leben, das nicht fo fehr unferes ift, als das allgemeine; es wird
Ihon Neues daraus entftehen, darauf verlaß ih mih! —
Bon Friedrich's des Großen Werken find Bd. 21 —23
erfchienen, fie enthalten den Briefmechfel deffelben mit Voltaire,
jehr vermehrt, berichtigt und erläutert. Wie groß und ſchön
ift bier Friedrich! Ein folher Mann auf dem Thron, das
heißt mag, da müffen die armfeligen andern Fürſten ſich ver-
friehen! Voltaire erfcheint hier wieder vortheilhaft, des Ver:
hältniffe® wegen, in welchem noch nie ein Menſch ganz das
Rechte hat treffen fönnen. —
Der neue Staatsgerichtshof hat geftern zum erftenmale
Gericht gehalten und einen armen Schneidergefellen Tiek and
dem Kippefchen zu fünfjähriger Zuchthausſtrafe verurtheilt,
wegen Theilnahme an einem fogenannten Kommuniftenbunde,
auf Zeugniffe des Polizeirathd Stieber hin. Schöner Anfang!
— Der von dem Waldeck'ſchen Prozeſſe her berüchtigte Schlötfe
führte die Anklage. — Der Berurtheilte hat appellirt.
Abends zu Haufe. Mit Ludmilla Schach gefpielt. Im
Plutarchos gelefen, in Goethe, in Radowitz. |
Heute ftarb der Superintendent Dr. Mann in Eharlotten-
263
mehre Gefchlechtöfolgen erlebt, ganze Lebenszuſtände ſchwin—
den oder wechfeln gefehen, denft man auch über die nächſten
Geichlechtöfolgen hinaus, — dann ift’man alt. —
Donnerstag, den 15. September 1852.
Zudmilla fuchte in alten Papieren, und gab mir die Reſte
eined fleinen zerlumpten Liederbuches aus der franzöfifchen
Nevolutiondzeit, worin die fühnften republifanifchen Gefänge
ftehen, dafjelbe fcheint aus dem Jahre 1793 zu fein, denn die
Wiedereinnahme von Toulon und die Montagne werden be
jonderd Darin gefeiert. Dad Herz ging mir auf, als ich diefe
gemißhandelten Blättchen wieder durchſah; ich erinnere mic
diefe nämlichen ſchon als Knabe in den Händen meiner
Schwefter und meiner Mutter gefehen zu haben, fie wurden
in müßigen Abendftunden gelefen, und noch öfter wurden die
Rieder gefungen, mir zu großem Ergötzen. Es weht eine frifche
Begeifterung darin, ein herrlicher Muth und Sieg und Ges
deihen. Die Gefühle jener Zeit zurüdgurufen, war mir eine
waßre Herzitärfung. — Auch das kräftige Lied: „Quels ac-
cents, quels transports! par-tout la gaite brille“ ift in
der Sammlung. Dann Strophen wie diefe:
„Dans l’Europe avilie
Par la superstitiou,
La sotte idolatrie
Passe pour religion,
En France on n’est pas si böte,
L’erreur n’est pas de saison; .
Nous ne faisons qu’une fete,
La föte de la Raison.“ (bis)
„Oh! mes amis, mes freres,
Retenons cette lecgon:
Sans des vertus ausföres
La Libert& n’est qu’un nom.
265
Freitag, den 16. September 1853.
Die Sahen Rußlands und der Türkei fehen wieder kläg—
lich aus,- die Diplomatie, das heißt, das ganze Benehmen der
Kabinette, legt wenig Ehre ein,, von allen Seiten zeigt ſich
Unredlichkeit, Züge, Feigheit und Wankelmuth; aber dennod)
ift der ruffifche Kaifer von diefen efelhaften Fäden jo ganz
umfponnen, daß er fich nicht zu helfen weiß, und auch den
Schein eines ehrenhaften Rückzuges verlieren muß. Während
die Bermittler-Höfe ſchon wieder für ihn bei der Türfei wirken
und diefe zum Nachgeben beftimmen möchten, hat er in feiner
Berlegenheit auch feinerfeitd wieder geheime Unterhandlungen
in Konftantinopel angefnüpft, was feine gute Art ift, fih gegen
die Permittler zu benehmen. Die Türken haben in größter
Eile die außerordentlichiten Rüftungen gemacht, und find voll
erbitterter Kampfesluft. —
Nicht der Kanzleirath Joel Jacoby, den Hindeldey gern
dazu gemacht hätte, fondern der Geheime Regierungsrath
Hegel wird Leiter ded Zentralamts für Preßangelegenheiten,
das vor wie nach unter Manteuffel ftehen wird. Dr. Ryno
Quehl gebt ald General:Ronful nady Kopenhagen. Die Kon-
fulate find jeßt die glänzenden Erile, wohin man diejenigen
wirft, Die man los fein oder verforgen will. Minutoli, Seifert,
Neigebaur, Meuſebach, Quehl ꝛc. —
Die Pairsernennung macht dem König viel zu ſchaffen, er
kann ſich zu der großen Handlung nicht entſchließen, weder zur
Aufſtellung eines leitenden Grundſatzes, noch zur einzelnen
Auswahl, Er möchte lieber alles unterlaſſen. Die Kreuz—
zeitungspartbei hofft noch immer ihn dahin zu bringen, daß er
ftatt einer Bairdfammer eine Adelskammer mache, nämlich die
ſämmtliche alte und begüterte Ritterfchaft zu Pairs zu ernennen !
Der alte Quark von ritterſchaftlichen Verbänden, die aus ſich
heraus wählen! —
Ranke war vom Könige von Baiern nach München berufen
267
Amerika auswandern. Ob es ihm gelingen wird? Das
Gericht hat feine Verhaftung angeordnet. Diefer neue Ber:
folgungsprozeß ift ein neuer Schandfled der jekigen preußifchen
Regierung. Bor hundert und fünfzig Jahren ſchon durfte
Zoland, der englifche Freidenker, foldhe Meinungen, wegen
deren der arme Wislicenus fo fchnöde verurtheilt wird, ohne
Scheu am Hofe vortragen, und die Königin Sophie Charlotte
war felbjt eine SFreidenferin. Und nun gar Friedrich der
Große! Doc, der ift ja der Einzige, der hat nichte mit dem
heutigen Krömmlergefchlecht gemein! —
Außer den Blauröden, im Felde vor den Thoren manö—
priren im Innern der Stadt jeßt auch ganze Heerfchaaren von
Schwarzröden. Der evangelifche Kirchentag hier ift von mehr
als anderthalbtaufend Paftoren befucht. Die Menge fette die
Polizei in Berlegenheit, fie konnte nicht mehr unterfcheiden,
wer ein Paſtor und berufen fei und wer nicht? Der Kirchen
tag erließ die öffentliche Aufforderung, jeder Kommende folle
fi) vor der Wbreife mit einer Paßkarte verfehen. Die Ver:
ſammlung der Schwarzröde ift nicht zu fürchten, fie beißen fich
nur untereinander, die Draußenftebenden find ihnen nicht
wichtig genug, und gegen die Katholifchen haben fie feinen
rechten Muth. Wie weit find wir von der Kraft und Tapfer-
feit der Reformation! — |
Die Cholera ift noch ſehr fchlimm. Auch unter den Trup:
pen find ungewöhnlich viel Kranfe.
Sonntag, den 18. September 1853.
Des Unheild und der Widrigkeit ift überall eine reiche
Saat ausgeſtreut, die ungefehen aufgeht, vder unter ſchim—
mernder Oberfläche fich verbirgt. Die Menfchen follten ein:
ander helfen, einander bedauern, erfreuen; ftatt deifen machen
269
ift wahr; doch gönnt’ ich ihnen von Herzen noch zu leben.
Roſenkranz und Güldenftern, in Betreff ihrer Befuche, fonft
aber grundverfchieden ; in Weiher war ungleich mehr Kern,
mehr Gefinnung. —
„NRachgelaſſene Schriften von Anfelm Feuerbach, In vier
Bünden. SHeraudgegeben von Hermann Hettner. Braun-
Ihweig, 1853. 8." Auch einer der edlen und tüchtigen deut-
ſchen Streber, denen Das Leben zu mächtig war, und die daran
zu Örunde gingen. Enge Berhäftniffe, aber auch Mangel fri-
ichen freien Weltblides! —
Der neue Großherzog von Weimar fängt gut an! Dem
weimarifchen Landtage werden zwei Gefeßentwürfe vorgelegt,
zur Wiedereinführung der Prügelftrafe und gefchärften Zucht:
hausftrafe, und zur Wiedereinführung der Todeöftrafe! Edler
Randesvater! —
Kofjak in der, Feuerſpritze fchlägt unbarmherzig auf den
Intendanten der föniglihen Schaufpiele, Herrn von Hülfen,
108, ftellt ihm Iffland's Einfiht, Artigkeit, Wirthichaftlich-
feit 2c. zum Mufter vor, und meint, der Adliche ftehe an Bil-
dung tief unter dem Bürgerlihen. Was hilfts? Er bleibt
Intendant. —
In Grote's Griechenland gelejen. Welch ein reines Ber-
gnügen, ſolch ein Buch! Bei aller Mannigfaltigfeit der Gegen-
ftände bleibt Grote immer in derjelben antheilvollen Wärme,
immer in derjelben Geiſtesfriſche. Sein Buch hat feine öden
Stellen, feine, wo bloß Gelehrſamkeit fich breit auslegt. Alles
ift darin gedacht, eingejehen, erwogen, gefühlt. Das Werk
wird bei und immer mehr anerfannt ; nur die Duckmäuſer, die
Ariftofraten und Frömmler fönnen e& nicht vertragen, möchten
die Vortrefflichfeit läugnen.
— — — — — —
271
fion — durch ein Reffript des Minifterd des Kultus und des
Minifterd des Innern, Raumer und Weftphalen, abgefprochen
und den Melteften der Gemeinde dieſes eröffnet worden.
Glaubt die Regierung, damit etwas gewonnen, der Religion,
oder auch nur der Kirche, einen Vortheil gebracht zu haben? —
Hat der Widerruf des Ediftd von Nantes, haben die Drago-
naden in frankreich die Bewegung von 1789 gehindert ? —
Der Oberftlieutenant Teichert mit feiner ganzen Familie
binnen wenigen Stunden ein Opfer der Cholera! Auch andere
plögliche Fälle hier und in der Umgegend. Der Kirchentag
geräth in Schreden, viele der Gottesmänner denken an die
Flucht aus Berlin! —
In Grote geleſen, in Goethe. — - Neuigfeiten durchges
ſehen. —
— — — — — —
Donnerstag, den 22. September 1853.
Der Referendarius außer Dienſten Herr von Menshauſen
und der Rittergutsbeſitzer Herr Köhler, angeſchuldigt dem Ge—
fangenen Schlehan bei ſeiner Entweichung von Silberberg zur
Flucht behülflich geweſen zu ſein, ſind vom Appellationsgericht
in Breslau auch in zweiter Inſtanz freigeſprochen worden. —
In Hannover find vom Schwurgerichtöhofe die Angeklay-
ten Dr. Conring, Ritterat Willrih, Pofamentier Möbius und
Damaftiweber Appenzeller freigefprochen worden. Sie waren
beſchuldigt die Flugſchrift: „Reue eines preußifchen Soldaten
über die Gräuelthaten des herrlichen Kriegsheeres in Baden ”
verbreitet zu haben. Sie waren jeit dem April in Unter:
ſuchungshaft! Auch ein Handelemann Müller, der dem Litte-
raten Willrich zur Flucht bebülflich geweſen fein follte, wurde
freigefprochen. Die müffen gewiß unfchuldig gewefen fein! —
In Grote gelefen, in Goethe, und in Amalia Schoppe’d
Erinnerungen,
273
chwerer Beleidigung des Oberbürgermeifter Phillip’d, Wulce-
rode's und andrer Freigefinnten rechtöfräftig verurtheilt. Der
König aber hatte ſchon im Auguft ihm Begnadigung ver:
ſprochen, und diefe iſt nun durch Kabinets-Ordre wirklich er-
folgt! Welch ein Beifpiel! Der König, der das Necht feiner
mißhandelten Unterthanen aufgiebt dem Beleidiger zu Gunften!
der fi mit diefem auf diefelbe Seite ftellt, verbündet, der
Parthei nimmt gegen die gekränkten ehrlihen Männer für
ſolchen Schuft! Und fein Minifter warnt den König, feiner
zeigt ihm den Nachtheil folchen Handelns! —
In Elbing find der Direktor Herbberg, die Oberlehrer
Büttner, Kreyſſig, Lieber, die Lehrer Schilling und Neumann,
auf die Polizei gefordert worden, um zu vernehmen, der Mi:
nifter von Raumer habe aus den Akten erjehen, dag fie bei
den legten Gemeinderathswahlen für den oppofitionellen Kan-
didaten geftimmt hätten ; wenn fie das nochmals thäten, wür:
den fie abgeſetzt. Die Frechheit diefes elenden Kerld geht
wirflich weit,
Der Landrath von dem Hagen in Droffen empfiehlt durch
ein Umlaufsfchreiben an die Wahlmänner des Kreifed zur
nächften Wahl für die zweite Kammer mit großen Nobes-
erhebungen den Affeffor Wagener, und meint, es fei vornehm-
lich die Prlicht des Landrathes für gute Wahlen zu forgen!
Der Knecht heißt von dem Hagen. — .
Die Empfehlung bat nichts geholfen. Es ift ein andrer
Mann gewählt worden. (Der Geheime Revifionsratb Ambronn.
©. d. Blatt vom 8. Oftober.) .
— — — —
Sonnabend, den 24. September 1853.
Brief aus Hamburg von Ludmilla, lieb und gut; ſie kommt
am 28. hierher zurück; ſehr erwünſcht und willkommen! —
Der gute, wackre Prediger Uhlich will aus Nagdebutg,
Varnhagen von Enſe, Tagebücher. X.
275
frob, wieder auf meinem Zimmer zu fein! Mir zum Troft las
ich den Prometheus des Aeſchylos und deſſen Perſer, nur in
der Stolberg’jchen Ueberfegung, aber auch in diefer Ab—
Ihwächung von herrlicher Kraft, von unausfprechlicher Wir-
fung! —
Man findet die Schriften won Nadowik überaus gering,
feicht, gehaltlod ; eine Sammlung von Platitüden, mit denen
man in unwiſſender Gefellfchaft aroßthun, aber in der Litte—
ratur nicht beftehen fann. Man erinnert an Ancillon's Schrif-
ten, die auch von Diefer Art waren, und die mit feinem Tode
völlig geitorben find, jchon früher zum Theil todt dalagen. —
Sonntag, den 25. September 1853.
Die Sonntagdfeier wird ftreng gehalten, alle Läden feit
verfchloffen! Dumme verrüdte Maßregel, auf die der heuch-
lerifche vornchme Pöbel ſich viel einbildet. Dabei die Grup-
pen auf der Schloßpbrüde in antifer Nadtheit, von Menſchen
dicht umftanden und begafft, die fich der Unanftändigkeit freuen,
- nicht, weil es diese tft, fondern weil hier einmal der Kunitdufel
wider Willen mit dem chriftlichen frömmelnden Dufel in Streit
fommt, jener diefen verfpottet und höhnt; der Kladderadatich
beutet den Gegenftand reichlich aus; der König wird noch befehlen
müffen, den Bildfäulen einmal während der Nacht die Ge—
Ichlechtötheile wegzumeißeln! Das Aergerniß wird immer tol-
ler, es ift ein Hohn und Gefpött ohne Ende. Der Kladderadatſch
bindet auch mit dem Kirchentage an, zwar vorfichtig, aber doch
iharf; er thut ald gäbe er Beſcheid auf einen eingefandten
Artikel, den er nicht aufnehmen könne, und fagt, das Stroh,
dad drinnen gedrofchen werde, jei ja noch leerer, als das
draußen auf der Straße; — vor der Garnifonfirche, wo der
Ihwarze Klub fih verfammelt, ift nämlich Stroh auf die
Straße gelegt, damit das Geräufch der Wagen die Berfamm:
18*
276
fung nicht ſtöre. Das Volk fpricht mit Hohn und Verachtung
von den firchlichen Anftalten und Nedereien, fehimpft auf die
Pfaffen, und die Pfaffenfreunde, den König an deren Spike.
Ein Zerrbild it in Leipzig auf das Unwesen erfchienen, bier
aber gleich verboten worden. —
Die Herausgeber der „Gränzboten“ befennen ſich frech
zum Prinzip der Gothaer; fo thöricht als jämmerlich! Ver—
geben? wollen fie die Perfonen verwerfen und nur das Prin-
zip feithalten, grade diefed taugt nicht, es ijt das der ſchwäch—
lichen Anbequemung, die zufrieden ijt mit etwas wenigen,
auch wohl mit nichtd, 3. B. mit dem lumpigen Berfaffungs-
weſen jest in Preußen. Dieſe blödfichtigen Tröpfe möchten
und cinreden, eö ſei verkehrt und Schlecht, fich der Theilnahme
an den Wahlen für diefe Lumpenkammern zu enthalten; — wie
richtig und gut es iſt, zeigt und am beiten dad Treiben der
Regierung zur Theilnahme an den Wahlen. — Wir erfen-
nen das Gute und nehmen ed an, woher und von wen ed
fommt, aber den Schein, das Falfche, den Betrug läßt ſich nur
die Dummheit ald Gutes vorfpiegeln. Wir wollen fein be-
jtimmted Maß der Sache, aber wir wollen die Sache, die
Richtung zu ihr, das Kortfchreiten, die Ihätigfeit zur Frei—
heit mehr noch als ihre Früchte. Wir wilfen die Hinfälligfeit
aller menjchlihen Dinge, und fagen nicht, wir wollen unbe-
dingt died oder jenes äußere Gebild, das wir und ausgedacht,
verwirklicht jeben; dem Freunde des Volkes und der Freiheit
fann ein edles Königthum lieb und werth fein, eine nicht:
würdige Republik wird er haſſen. —
Bettina von Arnim ift mit ihren Töchtern Armgart und
Giſela bei der verheiratheten Tochter Mare, Gräfin von Drivla,
in Bonn, und foll dort unter Profelforen und Studenten ges
börigen Rumor machen. Das läpt fih glauben! —
277
Montag, den 26. September 1853.
Das ift brav, das ift ein Labfal! Dr. Koſſak hat in fei-
nem heutigen Montagsblatte den Kirchentag nad) Gebühr be-
zeichnet und abgefertigt, die Pfaffen in ihrer Rohheit, Hoffahrt
und Unverfchämtheit dargeftellt, fie mit verdienten Geißelhie-
ben gezüchtigt; wie ed ihm befommen wird, das fteht dahin,
jedenfall® hat er fich eine Bürgerfrone damit verdient. So
was Starkes, Unummundenes ift unferen Kircheneiferern und
Frömmlern lange nicht gefagt worden. Ein Stüdchen freier
Preſſe ift doc noch da! — Auch gegen den Intendanten von
Hülfen ſetzt er feine Angriffe mutbig fort, und giebt ihm herbe
Streihe. — "
Abend? um halb 8 Uhr ließ fich Herr J. Oswald Mur-
ray bei mir melden, ein Schotte, der aus Paris fommt und
mir ein Empfehlungsblatt von der Gräfin d'Agoult bringt,
das feinen Karafter, feinen Geift und fein Fünftlerifches wie
litterarifches Talent rühmt. Er war eben erft in Berlin an-
gekommen, will aber auch gleich wieder fort, erft in England
Deutfch lernen und dann wiederfehren. Eine ſeltſame Mifchung !
Er ift in Handelögefchäften, liebt Litteratur und Kunft, ift mit
Lammenais auf's innigfte verbunden, „nous sommes comme
pere et fils“, fennt aber auch Louis Blanc, den Bildhauer
David ꝛc. Lammenais ift nicht Fatholifch mehr, fagt er, nur
ein Chrift nach dem Evangelium. Don der Gräfin D’Agoult
fagt er, den legten Theil ihres Geſchichtsbuches hätte fie lieber
nicht fchreiben ſollen, fie habe alled nur zu ſchwach ſagen dür-
fen. Und mid) dünft, es ift doch ftarf genug! Die Mifchung
von äußerſtem Freifinn und gefühlvoller Frömmigkeit iſt fehr
merfwürdig. — |
Im Horaz etwas gelefen, in Goethe einiges nachgefeben.
Es ift im Werke, dem Aſſeſſor Wagener, dem Redakteur
der Kreuzzeitung, nachdem er bei diefem Gefchäft fih nicht
halten gekonnt und von den Gerichten eine mehrmonatliche
279
Tagen aus allen Kräften an feinem Ruhm.“ m fchlimmen.
Sinn! (Mebed war fein Adjutant.) —
In Louis Blanc gelefen, und in „Memoirs of Sir Tho-
mas Fowell Buxton. London, 1851. 8.“
Der Redakteur der Volkszeitung, Herr Dierfe, war wegen
eined Artifel®, der die preußifche Politik tadelte, angeklagt
worden, Haß und Verachtung gegen die Obriafeit zu erregen;
das Kriminalgericht ſprach ihn heute frei, denn der Tadel fei
noch keine Schmähung. Der Staatsanwalt, der die Anklage
erhob, verdient Strafe, denn wenn ſolche Artikel nicht gefchrie-
ben werden dürften, fo wäre fein Wort mehr erlaubt, —
In Medienburg-Schwerin find zwei Angeklagte, unter
denen ein Paſtor, die befchuldigt waren eine Schrift von Ronge
verbreitet zu haben, in der Appellation völlig freigefprochen
worden. — |
Der arme Kradrügge in Erfurt wegen Preßvergehens
auf's neue zu drei Monat Gefängniß verurtheilt! Vor furzem
ift fein Sohn auf einer Fußwanderung räuberifch ermordet
worden. -
Heute im Jahr 1814! Mein Hochzeitstag! —
Mittwoch, ven 28. September 1853.
Brief aus Hamburg von Yudmilla, fie fommt! — Nach—
mittags nad) A Uhr fam Ludmilla von Hamburg an, ich holte
fie auf dem Bahnhof ab, fie ift wohlauf und freudig, letzteres
ih auch. Unter Erzählungen und Gefprächen blieben wir
zufammen bis gegen 10 Uhr, dam fühlten wir und beide er-
müdet und fagten einander Gutenadht.
Nachträgliches vom Kirchentag. Nicht alle der verfammel-
ten Geiftlihen fonnten ihren firengen Ernft behaupten oder
ausdauernd heucheln, einige zeigten ungemeine Zuftigfeit, den
Iuftigjten Weltfinn. Nicht blos Koſſak erzählt, daß er zwei
281 !
und faljcher Karakter war. Die Gefchichte mit dem Ringe
wird behauptet, jedoch bleiben erhebliche Zweifel übrig. —
Der König hat den Befehl ertheilt, das Alumnat des
Joachimsthal'ſchen Gymnafiumsd jest fchleunigft nach dem
Klofter Chorin zu überfiedeln. Der Befehl war fehon vor
Jahren einmal gegeben, dann wurde die ganze Sache
für ungegründet erklärt; dann kam neuer Befehl, der aber
durch Schwierigfeiten hingehalten wurde. Jetzt nun foll
endlich ſchnell Ernſt gemacht werden; der König hat Schul:
pforta wiedergefehen, und will Chorin ebenfo beſetzt wiſſen.
MWird es diegmal gelingen? Die Meberfiedelung foll aus den
Mitteln der Anftalt beitritten werden; nun aber find Alum-
nat und Gymnafium in vielen Stüden mit einander verivach-
fen, auf einander angewiefen, wer foll’da zerfchneiden, erjeken,
einrihten? —
Die Leute nennen hier den Polizeipräfidenten von Hindel-
den den zweiten König. Dad Volk hat eine gute Merfe!
Diefe Bezeichnung ift Feine, wobei die Majeftät gewinnt; ann
die Macht übertragen werden, von der Perſon getrennt wer:
den, fo fehwindet der Nimbud. —
Donnerstag, den 29. Septeniber 1853.
Befuh von Herrn Carteron; er reift diefer Tage mit fei-
ner Frau nach Paris, denkt aber zurüdzufommen. Züge zur
Bezeichnung des jegigen Zuftandes in Frankreich. Niedrigfeit
Sainte-Beuve’s, der dem Louis Bonaparte fehmeichelt und ſich
von Perfigny gebrauchen läßt; fein Ausfall gegen Humboldt
in einer Börrede zu Ra Rochefaucould's Marimen. Bravheit
Mignet’3 in einer Rede; Berryer’d Hartnädigfeit nicht in die
Akademie einzutreten; Zurüdgezogenheit von Thiere. Es
geht im Stillen manches vor. —
Brief aus Köln von Herrn Prof. Dünger; er war in
283
forfchungen bi zur Abftammung von einem Schneidergefellen
fortgeführt. Ueber die Familie Brion jedoch wurde erft öffent:
lich gefprochen, als alle Mitglieder derfelben verftorben waren,
Wo ift da eine Verlegung? — Goethe felbit hat einmal gegen
Eckermann feinen Unwillen geäußert, daß man von ihm habe
wiffen wollen, ob er bei dem Städtchen in Hermann und Doro—
thea einen beftimmten Drt im Auge gehabt und welchen ?
Dieje Anfrage hatte ich an ihn gerichtet, im Namen mehrerer
Perſonen, denen damals diefer Gegenjtand eine angenehme
Beichäftigung war. Goethe hatte feine Urfache, darüber un:
willig zu fein; bei andern Gelegenheiten giebt er felbit und,
recht gern ſolche Auffchlüffe. Wohl möglich, daß Goethe bei
feiner Weußerung gegen Edermann meinen Namen genannt
bat, und diefer ihn aus Rückſicht verfchwiegen hat. Ich ſchrieb
ihm darüber, und meldete mich gleichfam, indem ich ihm jagte,
ich fei nicht Jo Schüchtern, und er hätte mich dreift nennen dür-
fen. Der dumme Kerl mißverftand das fo arg, daß er meinte,
ih fei nur deßhalb unzufrieden, weil mein Name überhaupt
in feinem Buche nicht vorfäme! Zum Glück ift mein Brief
felbft ein Zeuge für mich! —
Freitag, den 30. September 1853.
Die Magdeburger freie Gemeinde, ihrer Konzeflion ver:
Iuftig, will es auf die unfichre Duldung wagen, die ihr das
Bereindgefeb gewährt, und fortbeftehen fo gut es geht und fo
lange man es geftattet. Aber welchen Scheerereien und Roh:
heiten der Polizei bleibt fie preisgegeben! Auch anderer Orten
fangen die Schifanen gegen die fummervoll das Neben friiten-
den freien Gemeinden wieder an, in Schlefien, in der Mark,
in Preußen. —
In Nürnberg weift die Polizei mit fchamlofer Gewaltthat
einen anfälfigen Bürger aus, weil er an einem politifchen
285
gar nicht mehr aushalten, objchon er auch da ſtets umherfährt
und an feiner Stelle lange bleibt. Er verlangt nad) größeren
Ausflügen, nah neuen Gindrüden, Bewilllommnungen,
Prunfauftritten, Huldigungen. Daß ed mit den inländifchen
Freudenbezeigungen nicht. jo recht richtig iſt, merkt er
jehr gut; daher wünfcht er ausländische. Wäre die Welt
ruhiger, fo würde er al& Pilger nach Jeruſalem wallfahrten,
Luft dazu bezeigt er oft genug. Gr ginge auch gern nad)
Spanien. —
„Memoires et correspondance politique et militaite
du roi Joseph. Par R. du Casse. Paris, 1853. Tome I.“
Es follen 6 bis 8 Bände werden; der Werth erfcheint etwas
untergeordneter Art; die Briefjchaften und Aktenſtücke jind
nicht immer gute Zeugniffe, am wenigften wenn von Napo-
leon die Rede ift. — Ueber den Herzog von Enghien hat er
feinen Bruder Joſeph getäufcht, oder diefer die Welt täufchen
wollen. —
Sonnabend, den 1. Oktober 1853.
Gefchrieben. Ueber die orientalifche Frage auch einmal
ein Wort! aber zu Gunften feines der Betheiligten, fondern
zur Anklage und Schande aller, beſonders aber Defterreichg,
das hinter den Raubanfchlägen Rußlands feige lauert, die
eignen nebenher mit durchzuſetzen. —
Neue Schändlichfeit in der Elbinger Sache. Der muthige
Bürger Jacob Riefen in Elbing hat dem Staatsanzeiger eine
Berichtigung der falfchen Angaben eingefandt, welche dieſes
Blatt über die Auflöfung der Elbinger Stadtverordneten-Ber-
ſammlung veröffentlicht hatte. Der Staatsanzeiger war ver-
pflichtet Durch das Preßgeſetz, diefe Berichtigung fogleich auf-
zunehmen; aber das Blatt und die Regierungs- und Polizei—
behörde find hier eind, und nad) längerem Zögern wies es die
F
286
Berichtigung zurüd. Auf neue drohende Mahnung nahm es
ſolche zwar auf, aber verftümmelt, die Behörde wollte ihren
lügenhaften Bericht doch nicht ganz aufgeben. Seht hat Herr
Niefen feinen Einfprud und den ganzen Hergang in die Natio-
nalzeitung einrüden laffen. Doch noch ein biechen Preffrei-
heit, die folche Schurferei und Tüde gehörig an den Tag
bringt! —
Der Staatdanzeiger meldet die Anftellung des Dr. Ryno
Quehl als Generalfonful Preußend in Kopenhagen. Biel
Ehre! —
Abende. mit Ludmilla Schach geipielt, und bis halb 1 Uhr
gefprochen, über Menfchen und Berhältniffe. In Grosley's
Oeuvres inedites gelefen, in Burton. —
Der ruffifche Kaifer hat fih in Olmütz überaus friedlich
audgefprohen, Warum follt’ er nicht? Seinen Raub hält er
einftweilen feft, und Furcht hat er auch! Der Kaifer hat das
frühere perfönliche Anfehen, deifen er bei Freund und Feind
genoß, ganz eingebüßt. Der Schimmer ift verfchwunden, und
der Mann fteht in feiner Blöße da, ein Mann ohne Talent
und Geift und durchareifenden Muth, ein Dann, den der
neue franzöfifche Kaifer, fo fehr diefer ein — ift, weit über-
flügelt, und ſchon vielfältig hat narren dürfen. —
Das mit fo großem Gepränge vom Treubunde — diefer
Nottenichtswürdiger Reaktionaird — angekaufte und zu Feten
benußte Haus in der Friedrichöftrape hat wegen Zahlungs-
unfähigfeit der elenden Genoſſenſchaft Hffentlich verfteigert
werden müffen und fait alle Handwerker und Arbeiter find
dabei mit ihren Korderungen ausgefallen. Die infame Kreuz:
zeitung ſucht diefe Schande zu bemänteln, indem fie ver:
fchleiernd fagt, einige kleine Gläubiger wären mit ihren Forde—
rungen durchgefallen. —
Die Regierung der Vereinigten Staaten von Nordamerifa
billigt das Verfahren ihres Schiffsfapitaind Ingraham im
287
Hafen von Smyrna, und nimmt fich des von ihm befchükten
ungarifchen Flüchtlinge Koßta als nunmehrigen Bürgers der
Bereinigten Staaten trotzig gegen Defterreich an, Letzteres
hat ſchnöde Antworten und auch Rupland und Preußen berbe
Zurüdweifung hinnehmen müffen. Sa, ja! Nordamerika ge—
winnt Stimme! — (Später ftille Auslieferung Koßta's an
die nordamerifanifche Behörde).
Sonntag, den 2. Oftober 1853.
Ausgegangen mit Ludmilla. Im Kunftverein die neuen
Bilder angefehen. Ich freute mich auf’8 neue des prächtigen
Bildes von Menzel, Friedrich's des Großen Tifchgefellichaft,
meines lieben Königs, meines lieben Voltaire's und der andern
wackern Genofjen, die hier beifammen ſitzen. Da war Geift
und Kraft in Preußen. Sept haben wir den elenden Kirchen-
tag, die Frömmler und Heuchler, die Prahler und Schwädh-
linge, die düftere ftrenge Sonntagsfeier, die nur den Schein
erzwingt, und mehr Fluchen und Verwünſchen erweckt ale
Gebet. Das Volk halt fi) am Abend um jo mehr fchadlos
für den Zwang am Vormittag, je läftiger ihm diefer geworden
ift. Unendlicher Schaden wird durch die Frömmler-Rotte an-
geftiftet, Leidenſchaft und Zorn erregt, und befonderd Schein-
frömmigfeit begleitet von allen heimlichen Gottlojigfeiten. Ich
verfluche dad Unweſen täglich. —
Zu * gefahren. Alwina Srommann, die ich weiß nicht aus
welchem Anlaß allerlei von Goethe'n erzählte, und das war das
Befte vom ganzen Abend. Sie fagte unter anderm, man habe
es Goethe'n immer angefehen, wie fehwer es ihm wurde, ja
wirklich weh that, wenn er genöthigt war zu tadeln, zu ver:
werfen; dagegen leuchteten feine Augen freundlich, wenn er
irgend tüchtigen Sinn, frifchen Geift, oder irgend Geſchicklich—
288
feit und Talent wahrnahm, das Kleinfte wußte er in diefer
Richtung anzuerkennen, zu ermuthigen, zu fördern. Da fieht
man den ganzen Goethe! ch forderte Alwinen dringend auf,
alle ihre Erinnerungen von ihm niederzufihreiben, und wo fie
deſſen eigne Worte nicht mehr wife, wenigitend den Sinn oder
Eindrud wieder zu geben. —
Zu Haufe noch mit Ludmilla längeres Geſpräch, über
Menfihen, Kitteratur, Kriegsereigniffe. —
Der König ift heute Abend nach Warfchau gereift, wohin
der Kaifer von Rußland ihn eingeladen hat, und auch der
Kaifer von Defterreih kommen ſoll. Diefe Reife mipfällt
ſehr. Die Leute jagen, der Kaifer hat den König fommen
laffen, hat nach ihm gefchielt, und andres dergleichen, um an-
zudeuten, daß der König eine untergeordnete, abhängige Rolle
ipielt. —
Der Kanzleirath Joel Jacoby fteht nun doch an der Spike
der Behörde für Preßfachen, anftatt des beförderten Quehl.
(Dem Namen nach der Geheime Negierungsrath Hegel, dem
Wirken nach aber Joel Jacoby. —) Wenn man alle fchlech-
ten Kerle zufammentafft, bezahlt und liebfoft, glaubt man
gut bedient zu fein. Gold ein Subjekt wie Joel Jacoby! —
Der arme Kradrügge in Erfurt ift abermals, wegen eines
alten Preßvergehene — Beleidigung (angebliche) eines Poli—
zeifergeanten — zu 9 Monaten Gefängnig verurtheilt worden!
Den braven Mann wollen fie mit aller Gewalt zu Grunde
richten, fie haben einen tödtlichen Haß auf ihn! —
Der Gymnaſiumsdirektor Gladifh im Poſen'ſchen hat
fein Mandat ald Abgeordneter zur zweiten Kammer nieders
gelegt. Seine Unfähigkeit ift noch größer als feine Schledhtig-
feit. Die Kammer hat einen Schaaföfopf weniger, was will
das fagen bei fo vielen? —
289
Montag, den 3. Oftober 1853.
Der König war -geftern auf dem Bahnhof weitum von
Konftablern bewacht, einen großen Umkreis hielten fie leer um
ihn. Eine ziemliche Volksmaſſe war Doch zufammengeftrönit
am Potsdamer Thor. Kein Jubelruf, Tautlofe Stille, düftre
Gefichter. —
Der Handelöminifter von der Heydt hat den Poftämtern
verboten, die in Hannover erfcheinende „Zeitung für Nord--
deutfchland* ferner auszugeben. Ganz wider Ordnung und
Geſetz. Der Handeldminifter hat in Preßſachen nichts zu vers
bieten, und auch feinen Poftbeamten hierin nicht® vorzufchrei-
ben. Der Minifter ded Innern wird ſich's wohl gefallen
laffen. Es ift ja ohnehin alles in ftiller Anarchie! —
Durch die den Beamten aufgedrungene Gleißnerei für den
König, für ihre Borgefebten, für Die Kirche, durch die DBezei-
gungen, welche für den König diejenigen anbefehlen, welche
ſelbſt keine Niebe für ihn hegen, jondern ihn mißachten und
fogar fhimpfen, wird er mit lauter Gonerill's und Regan's
umftellt, die füßed Wort auf den Lippen aber Bosheit im Ser:
zen tragen, und Cordelia wird verftopen und entfernt. Ob
noch die Zeit fommen wird, wo man fie vergebens anrufen
und herbeiwünfchen wird?! Nicht jedem iſt's befchieden, feine
Kataftrophe zu erleben, die ift fchon eine Auszeichnung, man-
cher läuft drunter weg, weil er dem Schidfal zu gering; fo
Ludwig der Fünfzehnte, deifen Sünden erft an feinem Enfel
geftraft wurden, —
„Was haben wir durch die Revolution von 1848 gewon-
nen?" O gar vieled, was wir fchmerzlich entbehren würden,
wenn wir es wieder verlieren follten. 1. Das Bewußtfein,
das Beifpiel großer Möglichkeiten in Deutfchland. 2, Preß-
freiheit, denn troß aller Beſchränkungen ift es wirklich Frei⸗
heit. 3. Deffentliche Gerichte, Geſchworne. A. Anfang parla-
mentarifhen Lebens. — Diefer Anfang ift no ſchwach,
Varnhagen von Enſe, Tagebücher. X.
291
heil könne für Preußen in Warſchau audgebrütet werden.
Der Minifter von der Heydt jammert, daß die Kourfe fallen,
daß Preußen jest gar fein Geld habe, auch, feines befommen
könne, daß eine Truppenaufftellung jebt an den Rand des Ab-
grundes führen müßte. Der Firhlichfromme Minifter legt
fich gar feinen Zwang auf, und fchimpft, wie nur ein Demo:
frat es könnte. Dabei findet man es tief unter der Würde
des Königs fo nad Warſchau gleich hinzulaufen, nachdem er
nicht mit in Olmütz gewefen. — Der Minifter von Man:
teuffel- ift ganz verblüfft, und fühlt die ihm zugefügte Krän-
fung tief. —
Der weimarifche Landtag hat die Wiedereinführung der
Todesſtrafe und der Prügelftrafe mit aroper Stimmenmehrheit
abgelehnt. — Der neue Großherzog wird ald ein herzlofer
Phantaft angefehen. —
Immer mehr Abgeordnete unjerer Kammer legen ihre
Mandate nieder, ‚fie finden es ein undanfbares Gejchäft, der
Regierung in diefer Eigenfchaft zu dienen oder zu widerfprechen.
Neue Wahlen finden Statt, aber die Demokratie hält fid
ihnen fern. Mit vollem Recht und gutem politifchen Taft.
Die Doftrinaird und Gothaer möchten e3 freilich für einen
Fehler ausgeben, weil ihre Sache dabei nur leidet, denn Die
Demokraten könnten jebt unmöglich ihre eignen Leute durch-
fegen, fie müßten Gothaer wählen. Die Demofratie will ihr
Wahlgefeb, bis das hergeftellt ift, muß fie fich enthalten, das
iſt fo recht ala klug. —
Mittwoch, den 5. Oktober 1853.
Brief aus dem Haag von Frau Anna Aller; meine Schwä⸗
gerin Roſe Alfer, Rahel's einzige Schwefter, ift am 1. Oktober
dafeldft im dreiundfiebzigften Jahre geftorben; fie hat mir
die Briefe vermacht, die fie von Rahel noch befißt, und auf
19*
293
beaucoup de ne voir personnellement votre empereur et
de ne pouvoir dire & toute l’Europe comment j’aime et
estime l’empereur votre maitre; je vous invite de me
suivre à Varsovie pour assister aux manoeuvres de mes
troupes.“ ft ihm das Wort in der Kehle nicht erftorben,
hat ihn die Schamröthe nicht erſtickt, bei diefer Unwürdigfeit
gegenüber dem —, dem —? Wa ift da noch für Stolz übrig,
für Ehre, wenn man fich vor ſolchem —, den man felber für
einen unberechtigten — hält, fo demüthigt, fo erniedrigt? Es
wäre hiemit der Schande genug, aber es fommt noch beffer!
Der General Goyon hat die Worte des Kaiferd fogleich nad)
Paris telegraphirt, und fogleich den Befehl erhalten, nicht mit
nah Warfchau zu gehen, weil fein englifcher General diejelbe
Sinladung erhalten habe. Sp ift e& recht! Erſt Selbiter-
niedrigung, dann noch Schnödigkeit abfeiten des Gejchmeichel-
ten! — Meinen diefe Gottverlaffenen auf dem Throne, auf
ſolche Weife noch Ehrerbietung unter den Menſchen zu be-
haupten? Meinen fie mit großen Worten und Rügen das Volk
immerfort zu betrügen? jeder Geringfte ſieht ja die Erbärm-
lichkeit, die Feigheit! —
Der Alfeffor Wagener, wegen Beleidigung Manteuffel’s
zu 9 Monaten Gefängniß verurtbeilt, hat uppellirt, und ift
heute in zweiter Inſtanz zu 6 Monaten verurtheilt worden.
Zu gleicher Zeit aber denkt man daran, ihm eine Oberftaats-
anwaltichaft zuzumenden !!
Arago ſtarb in Paris am 2. Oktoberi im 68. Jahre.
Donnerstag, den 6. Oktober 1853.
Zu Hauſe mit Ludmilla viel geſprochen, und gelacht. In
Burton geleſen und in George Sand. —
Morgen fommt der König von Olmüg zurüd, und der
Kaifer Nikolaus mit ihm! — Kriegögerüchte, Beftürzung der
295
Bettina von Arnim, ließen ſich die ftarfen Uinfläthereien, welche
der Vortrag nur wenig milderte, ganz gern gefallen. Jetzt
aber, ohne die luftige Genoffenfchaft, beim einfamen Leſen,
wird mir dad Ganze nach wenigen Seiten ſchon zuwider, und
ich begreife nur die Wirkung, die e8 damald üben konnte,
wenn ich alle die mithelfenden Umstände mir vergegenmwärtige,
die Damals walteten.
— — — — —
Freitag, den 7. Oftober 1853.
Nachmittags Beſuch von Frau von Treöfow. Englifche
Sachen befprochen, die Beterei, die Aeußerlichkeiten der Fröm-
migfeit, die den Leuten zur Hauptjache werden. — „Ad
Gott!" ald Ausruf der Verwunderung oder Müdigkeit, ift den
Dummföpfen eine Gottesläfterung, aber Gott mit ihrem
verächtlichen Dank zu behelligen, wenn ihnen ihr Plums
pudding gefchmedt hat, dünkt ihnen fromm und verdienftlic !
Seiner Stiftung nad ift dad Chriftenthum das Allermora-
liichfte, und will nur diefes fein, fie machen daraus aber
das Alleräußerlichfte, ftatt des lebendigen Geiftes wählen fie
den todten Buchftaben, fo fehr auch Chriftus grade dieſes ver:
worfen hat. Ueber die Erbärmlichkeit der Menſchen; ein guter
Schein, ein biöchen Titel, und beſonders gut Eſſen und Trin-
fen, das befticht ſie faſt immer; fich ein Haus zu verfchliegen,
wo man eingeladen wird, gute Biffen empfängt, gepußte Leute
fieht, allenfalls etwas Mufif hört, das geht über ihr Vermö—
gen, wenn fie auch die Bewohner des Hauſes noch fo gering
Ihäßen! Es war vom *fchen Haufe Die Rede. Welch uner-
meßlihe Räume tiefer Unfittlichfeit und Verwilderung aller
Begriffe werden aufgededt, wenn man den Zufammenhang
aller unfrer Rebensbedürfniffe etwas ehrlich unterfucht! Dan
fann von allem, was ald gerechtfertigt oder richtig gilt, gradezu
das Gegentheil annehmen, und wird meift das Rechte treffen.
297
fichert, Fräulein Emilie von Waldenburg fei in Potsdam
und man habe fie geſehen. Uber eine Dame, das jei richtig,
habe fi am Kreuz in der Friedendfiche erhängt, fei in
Bornftedt fill begraben, die Kirche auf des Könige Befehl
wieder geweiht, die ganze Gefchichte aber unterdrüdt worden,
weil die Königin nicht wieder in diefe Kirche würde gehen wol-
len ; daher werde auch der Name der Dame nicht genannt. Eine
Sache fo nah und offen, und doch fo verſteckt und zweifelhaft!
Sonnabend, den 8. Oftober 1853.
Ausgegangen mit Ludmilla. In der Leipziger Straße eine
Drofchfe genommen, vor das Potsdamer Thor, länge des
Kanals bis zum Birkenwäldchen, und zurüd. Sehr ange:
nehme Fahrt, frifche gute Luft, und warm durch die Sonne;
noch viel guted Grün, dazwifchen viel Herbitlaub. —
Der Major außer Dienften Senfft von Pilſach auf Sans
dow bei Ziebingen, bat die Frechheit gehabt, dem in Droffen °
gewählten Abgeordneten zur zweiten Kammer, Geh. Rath
Ambronn, durch einen Brief zuzumuthen, daß er die Wahl
nicht annähme, da diefelbe dem Affeffor Wagener doch nur
durch zufällige Abwefenheit einiger Wähler entgangen fei, und
droht ihm im Weigerungöfalle mit VBorhaltung früherer Reden
und Abftimmungen. Diefen unverfchämten Burjchen hat
Ambronn gehörig abgewieſen, und die gewechjelten Briefe
dur, die heutige Spener’fche Zeitung veröffentlicht.
Die Kreugzeitung macht einen pöbelhaften Ausfall gegen
Fanny Lewald. Durch folche brutale Gemeinheiten Tchadet
ihr das Blatt am wenigſten. 3 ift eine Ehre, dort ange—
griffen zu werden. —
Abend! mit Ludmilla bei *. Zu Haufe noch eine längere
Sitzung, zu der Julian Schmidt meift den Stoff zu leihen
hatte. Der Hauptfehler feines Buches ift, daß er immer zankt,
299
.. Sonntag, den 9. Oftober 1858,
Geſchrieben. — Beſuch von Herren von Halle, geweſenem
Präfidenten des Handelögerichte in Hamburg, Schwiegerfohn
Salomon Heine’d, Neffe ded verftorbenen Hartwig Heſſe; er
reift über Paris und Marjeille nad) Neapel, um den Winter
dort zu bleiben; ich kannte ihn vorher gar nicht.
Abends Yudmilla bei der Gräfin. von Ahlefeldt,; ich blieb
zu Haufe, und las und arbeitete größtentheild in Rahel's Brie-
fen, mit denen ich in Gedanken alle Tage feit der Nachricht
von dem Tode ihrer Schweiter Rofe jehr befchäftigt war. Mir
erſchloß fi) beim Wiederlefen gleichſam ein neuer Schaß,
Leben ftrömte mir zu in feiner urjprünglichen Reinheit und
Kraft, in feinen höchften und edelften Geftaltungen. So vies
les oft Gelefene hatte ich vergeffen, oder nur farblos behalten !
Mit allen ächten, gediegenen Schriften geht es und fo, nad
furzem Zwifchenraum find jie und wieder neu, fie fprechen
anders zu und, wir bringen frifchen Sinn für fie mit. Das
probire mal einer mit untergeordneten, abgeleiteten, bloß and
dem Talent hervorgegangenen Schriften. — Rahel's Andenken
erwachte ganz leidenschaftlich in mir! —
ALS Ludmilla nad) Haufe gefommen war, hatten wir noch
lebhaftes vergnügliches Geſpräch, hauptfächlih Erinnerungen
an unfere Eltern und Boreltern. Viele befondere Züge famen
zur Sprache. —
In Burton gelefen, und in der „Gegenwart“ (Brodhaus,
Heft 99) den Auffab über das Frankfurter Parlament, —
Der Kaifer von Rußland reift morgen wieder ab, nad)
St. Peteröburg, wo er fo ungern ift. Kein Herrfcher, der fich
an die Spiße feiner Kriegäheere ftellt, ftellen fann! Und ift
er mehr Staatsmann als Feldherr? Er fpielt in der ganzen
jegigen Berwidlung eine klägliche Rolle; feine Arglift und
Unredlichfeit fommen ebenſo wie feine Ungefchidlichfeit an
den Tag und fein Anfehen hat unendlich verloren. —
” 301
mitgetheilte waren. Die Beröffentlihung fällt mir zur Schuld,
und diefe trag’ ich fo leicht ald willig; mein einziges Bedauern
Dabei ift diefes, daß fo manche nichtöbedeutende Perfonen bei
diefer Gelegenheit zu Namen fommen, was felbft mit dem an⸗
haftenden Tadel noch zuviel Ehre für fie iſt. — Meine Hoff-
nung auf die Briefe Rahel's, die ich aus dem Haag erhalten
ſoll, ift jehr gemindert; es werden wohl nur die fein, die ich
jhon 1833 hatte, und nad) genommener Abjchrift zurüd-
ſandte. — "
Ausgefahren mit Ludmilla zum Brandenburger Thore
hinaus, die Potsdamer Straße hinab, an dem Kanal hinauf
zu dem SKreuzberge, die Trümmer von Tivoli durchwan—
dert, durch die Hafenhaide zum Kottbuffer Thor, und länge
des Kanals zurüd, durd das Potsdamer Thor nach Haufe.
Schöne erquidende Fahrt! Goldener Sonnenſchein, reine
Himmeldbläue, das Waſſer herrlich blau, grünes Laub und
welfes Schön ; die Luft wortrefflich, frifch und doch warm. —
Der Oberforftmeifter von Burgsdorf hatte mich befuchen
wollen. Der Freiherr Boris von Uexkull (der Majoratsherr)
war dagewefen, und hatte aufgefchrieben, daß er mit feiner
Frau (er über 60. Jahre alt, fie faum 30) auf der Durchreife
nach Nizza hier fei. Ich ging Nachmittags zu ihm, die Frau
gefiel mir ganz wohl, er ist der Alte, lebhaft, fahrig, verblafen,
von allem den Schaum abjchöpfend und austheilend; Hegel,
Deutſchheit, Baader, Klindworth, Jeſuiten, ruffiicher Kaifer,
alles floß durcheinander. Seine Mutter, die Geheimräthin,
it von Müntchen nad) dem See von Como zurüdgefehrt, und
wird den Winter auch in Nizza verbleiben. — Unter den Lin:
den fprach mich Herr Dr. Klein an, und begleitete mich nach
Haufe. —
In Burton gelefen, im Plinius; Zeitfchriften. —
Der Aufjag in der „Gegenwart“ über dad Frankfurter
Parlament giebt einen guten Weberblid der dortigen Berhand-
303
Laſius eine Synodalverſammlung lutheriſcher Geiſtlichen ver-
anſtaltet hat, in welcher dieſe proteſtantiſchen Pfaffen in Nach—
ahmung der katholiſchen eine Art Kirchenbann, das heißt
förmliche Exkommunikation einzuführen beſchloſſen haben! Sie
wollen den, vergebens Ermahnten für einen Heiden und Zöll-
ner erklären“.
- Dem Prediger Rupp in Königeberg iſt bei 20 Thaler
Strafe verboten, Unterricht zu ertheilen. Er foll in Elend
verfommen! —
In Naumburg war ein Litterat Schrader wegen angeb-
licher Majeftätsbeleidigung zu einem Jahr Gefängniß ver-
urtheilt; das Obertribunal hat denfelben vor neue Ge-
ſchworne verwiefen. In Haft ift er aber fchon über fechs
Monate, — "
Ein armer Teufel wegen Preßvergehen verurtheilt, hatte
jich dazu verftanden, den König um Gnade anzuflehen. Sein
Geſuch it unberüdfichtigt geblieben. Der König begnadigt
nur diejenigen,. welche gegen die Demokraten irgend Der:
brechen begangen haben. Man hört nicht, daß der mehrfach
verurteilte Affeffor Wagener, diefe Haupt — der Reaktion,
jeine Strafe angetreten habe. Auch Ohm und Goedfche blie-
ben unbeftraft, das Verfahren gegen fie wurde eingeftellt. —
Mittwoch, den 12. Oftober 1853.
Nachmittags fleipig gearbeitet in Rahel's und meinen
Papieren. — Ich habe die Ueberzeugung gewonnen, daß ich
vor allen andern Menfchen, joweit ich deren kenne, geeignet
und berufen war, Rahel zu erfennen, zu lieben, zu verehren.
Selbit Alexander von der Marwis mußte in diefer Fähigkeit
weit hinter mir zurüditehen, ja jogar hinter Beit, Prinz Louis
Ferdinand und Bokelmann! —
305
reich fällt, jondern nächſt Sahfen-Weimar, Meiningen und
Altenburg am meiften auf Preußen. Der Verfaſſer macht
Angaben, die nur aus den Akten genommen fein können, Auch)
andere Blätter fiefern ähnliche Mittheilungen, Man muß
eine öfterreichifhe, preußenfeindfiche Negierungshand dabei
vorausſetzen. —
Donnerstag, den 13. Oftober 1853.
Die freie Gemeinde polizeilih geſchloſſen, der Vorftand
hausgeſucht. Der Tanz geht immer auf's neue an. — Der
Lehrer Wander aus Hirfehberg erlebt auch wieder Betfolgun-
gen. — Und welche Verwarnungen, Verweiſe nad) allen Sei-
"ten! Die Regierung erſtickt alles Leben, beſonders in den
armen Schullehrern! — , —
Es wird hier viel auf den Kaiſer von Rußland geſchimpft.
Man fagt, Hinckeldey habe ihm Furcht vor Meuchelmördern
gemacht, und die außerordentliche Polizeibewahung einge
richtet, die der Kaifer dankbar angenommen habe, Früher
ging er bier frei und faum begleitet in den Straßen
umber, in die Kaufläden, diesmal hat er ſich nirgends ſehen
laſſen. Auch im Militair hat er nur die jogenannten Hofoffi—
ziere zu Freunden, und wie mar am Hofe Freund ift, weiß
man zur Genüge! —
Abends mit Ludmilla zur Gräfin von Kalkreuth gefahren ;
Sternberg kam hin, und Dr. Vehſe. Der Abend war durchaus
vergnüglich, munter und harmlos, ohne irgend eine Störung,
die Gräfin Klotilde ſehr gefprächig. —
Zu Haufe noch lange Sisung; Träume beſprochen 1. —
Bon Schelling wird erzählt, er halte fich nach feiner Bade
fur jegt bei Kaſſel auf Wilhelmshöhe auf, und fehe den Kur-
fürften viel, mit dem er in beftem Vernehmen ſtehe. Das
fehlte dem verkommenen Philofophen noch zu feiner gründ-
Varnhagen von Enfe, Tagebücher, X. 20
"307
Beſuch von Heren Auguft von Viedert aus Moskau, er
kommt aus Leipzig und bringt mir Grüße und ein Buch von
Heren Wolfjohn. Ausführliches Gefpräch über ruſſiſche Lit-
teratur, er fennt Granoffeti, der in Moskau gedeihliche Ge—
Schichtevorträge hält, Schewüreff, Katkoff, der in Moskau die
dortige Zeitung herausgiebt, Jefremoff, Iwan Turgenieff —
feit anderthalb Jahren auf fein Landgut verwiefen —, auch
den Fürften Wiaſemskii a. —
Nachmittags Beſuch von General Adolph von Witlifen;
die Lage der Dinge befprochen, die Schwäche Rußlands, die
Schlappen des Kaifers Nikolaus, die mit der Zeit noch größer -
werden müßten 2c. Ueber die Gefahren Belgiens, und Preu-
ßens Verhalten dabei; fein Muth, keine Kraft! Kein gutes
Gewiſſen, ſag' ih. —
Vierunddreißig Jahre meiner Theaterleitung. Bon Karl
Theodor von Küftner. Leipzig, 1853." Ein trocknes Buch,
zur Rechtfertigung geſchrieben, für den Theaterliebhaber viel»
leicht anziehend. — -
Der ruſſiſche Staatsrat) und Spion von Gretſch ift hier
angefommen. Er ſoll beauftragt fein, deutjche Federn anzu-
werben für den ruſſiſchen Dienft. Der Kaifer joll ganz außer
ſich darüber fein, daß deutſche Zeitungen ihn fo heftig angrei—
fen, ihm fo hartnädig entgegenwirken. —
Der edle, gottjelige Handeläminifter von der Heydt hat die
Ausgabe und Annahme von Briefen auf der Poft an Sonn-
und Feſttagen noch mehr befehräntt, als es bisher der Fall war;
Padete werden gar nicht “angenommen oder abgegeben an
ſolchen Tagen, —
20*
Sonnabend, den 15. Oltober 1853.
Trompetengeblafe oben auf der Schloßfuppel. 101 Ka—
nonenfhüffe vwerfünden den Geburtstag des Königs. Die
Spener’fhe Zeitung bringt das hergebrachte Gedicht von Spi-
fer, diesmal befonders gering; dann fpticht noch ein Leitaptifel
die Freude aus, dag Fürft und Volk hier fo Herzlich eins feien,
To ganz zufammengehören, Daffelbe wird heute noch bei hun—
dert Gaftmählern, in den Prologen aller Theater, ja von den
Kanzeln verfündigt werden, und jedermann weiß, was er davon
zu halten hat, So gewöhnt man fi an ein Einverftändniß
zur Lüge, zur Heuchelei! Die Wahrheit ift, daß noch fein
König von Preugen jo gering geachtet, To gehaßt worden ift,
wie dieferz und grade die Offiziere, die Hofbeamten, der reat-
tionaire Adel, halten am wenigften von ihm. Die Beleuch-
tung der Stadt foll heute Abend unterbfeiben, man will
das Geld den Armen zuwenden, Ohnehin ift diefe Beleuch-
tung eine Neuerung, die nie vollftändig ducchgegriffen hat,
und die man beffer einftellte, es giebt dabei mehr Verdruß,
als Freude, —
Das Obertribunal hat in einer geringen Prefangelegen-
heit das Urtheil des Kammergerichts, welches eine leichte
Strafe ausfprach, vernichtet und den Angefchuldigten freige-
ſprochen. —
In des Ovidius Metamorphofen gelefen. — Mit Ludmilfa
zu Haufe einiges Geſpräch. —
Die infame Kreuzzeitung, jest ganz ſchlecht redigirt, möchte
ſich den Schimmer der Billigkeit aneignen, fie rühmt Uhland's
Trauerfpiel „Ernft von Schwaben“, das hier auf der Königs
lichen Bühne aufgeführt worden ift, nach ſechsunddreißig
Jahren feit feinem Erſcheinen! Uhland wird ſich dieſes Lob,
das überdies noch mit Schmähungen feines politischen Verhals
tens gemifcht ift, verbitten. —
Der Geheimrath Prof, Böckh foll eine tapfre Feſtrede in
+. 309
der Univerfität gehalten haben, für die freie Wiſſenſchaft, die
nicht umzufehren, fondern nur fortzufchteiten habe; der Prof.
Stahl war als abgehender Rektor gegenwärtig, umd zeigte
ſich fehr unruhig, denn er fühlte die Stiche und Schläge, die
ihm reichlich extheilt wurden, und war von ihnen fo zugerich-
tet, daß er vor der ganzen Verfammlung fich felbit verläug- _
nete, und in den Worten, die er zu fagen hatte, auch von
freier Wiffenfchaft ſprach! Der elende Wicht! —
Die ſchändliche Kreuzzeitung fogar wünfcht jetzt die bes
ftehende Preffreiheit erhalten ; ihr bangt vor neuen Beſchrän—
ungen durch ein Bundespreßgeſetz. —
Ranke bleibt nun beftimmt hier. Der König will ihn bes
halten, denn deffen unverftändliche zerhadte Sprache beluftigt
jenen ; er giebt ihm 1600 Thaler Zulage aus der Schatulle, —
Sonntag, ben 16. Oftober 1853.
Die Nationalzeitung bringt zwei qute Urtifel, über die _
Revolution in China mit vielen Geſchichtsblicken und nahen
Spisen, und über Uhland’s „Ernft von Schwaben“, dies
Lob fann er annehmen, es ift ächt wie er. —
Mit Ludmilla zu Haufe noch gutes Geſpräch, über Uhland,
Lenau ꝛtc. —
- Heute wurde die neuerbaute Petrikirche eingeweiht; der
König war dabei. Die Strafen waren in der Nähe der Kirche
gänzlich abgefperrt, fogar für Fußgänger; das Volk werbielt
ſich gleichgültig.
„ Der Geheimrath Dr. Damerowsin Halle hat ein Buch
über Sefeloge geſchrieben, den er als Irrfinnigen doch in ges
wiſſem Grade für zurehnungsfähig erklärt. Das Buch iſt
mit dem Beifall des Kultusminifters beehrt, und mit Erlaub—
niß des Königs gedrudt, Diefer Umftand allein reicht ſchon
310
bin, den ganzen Werth des Inhalts in Zweifel zu ftellen, was
ſoll man bier erfahren? —
Montag, ben 17. Oftober 1853.
Sendung aus London. Der Oberftlieutenant J. Mitchell
“fendet mir fein Wert „The fall of Napoleon“ in drei Bän-
den. In früherer Zeit befam ich fein Buch über Wallenftein
don ihm. Gin brieflicher Verkehr aber wurde damals nicht
angefnüpft und auch jetzt noch nicht. —
Vortrefflich fpricht heute Herr Dr. Koſſak in feinem Mon—
tagsblatt über Küftner und deffen Buch, über beide. Die
ftärkiten Schläge führt ex dabei gegen Herrn von Hülfen, den
Nachfolger Küſtner's, ohne diefen defhalb zu loben. =G8 ger
bört Muth und Gefchietlichfeit dazu, diefen Kampf jo kräftig
fortzuführen, gegen den Hochgeftellten, Hochbegünftigten.
Markus Niebuhr, als Geheimer Negierungsrath bisher im
Kabinet des Könige angeftellt, ift num wirklich Geheimer
Kabinetsrath geivorden. (Nein, er hat nur den Karakter als
Kabinetsrath.) Solche Schäher werden befördert. Ganz
richtig. Ryno Quehl und Markus Niebuhr, dafjelbe Gelicy-
ter, wenn auch einander todtfeind. —
In Elbing haben fih 1060 Anechtsfeelen gefunden, die
in einer Adreffe an den Minifter des Innern Seren von Weit
pbalen ſich des Polizeidivektors von Selter freuen! — Es fei
ihnen gegönnt — "
Eine Schrift über das Weltall, von Ludwig Fernow, ift
in Halle der Religionsverfpottung und Majeſtätsbeleidigung
angeklagt worden. Das Kreisgeriht hat deren Vernichtung
auögefprochen. —
Der Staatsanwalt Nörner ift wegen der hiefigen März—
gefangenen, wegen denen es noch fehr an Inzichten fehlt, nach
311
London gereift, in der Hoffnung dort durch die Schufte bezahle
ter Spürhunde noch einige Angaben zu ermitteln. —
Dienstag, ben 18. Oftober 1853.
Beſuch bei Herrn Major Nobiling, dem ich nicht fand; im
nämlichen Haufe die Werkjtätten der Bildhauer Wilhelm
Wolff und; Seidel befucht, Koloſſalbüſte Herder's für die Stadt
Mohrungen. Büfte Friedrich Auguft Wolf's für die Univer-
fität Halle, ſchöne Thierftüde, — Beſuch beim Mahler Men—
zel, der wieder. ein prächtiges Friedrichsbild auf der Staffelei
hat, der König fteigt in einem Kofoniftenort aus dem Wagen,
und Brenfenhof will ihm Anlagenplane vorlegen. —
Die Kreuzzeitung geifert giftig gegen Böckh, der ibren gez
liebten Stahl angegriffen hat; auch der ſonſt farblofe Staats:
anzeiger, der die Rede Böckh's nur eben berührt, verweilt mit
Wonne bei den Nachworten Stahl's. Die Feindfchaft bricht
nun offen aus, und Böckh wird viel aushalten müſſen. Seh’
er wie er durchkommt. —
Der Redakteur des Zuſchauers der Kreuzzeitung, der ver-
abſchiedete Poftfefretair Goedſche, aus dem Waldeck ſchen Pro-
zeß wohlbefannter —, war zu ſechs Wochen Gefängnißftrafe
wegen Herausforderung zum Zweifampfe vom Gericht ver-
urtheilt. Jetzt melden die Zeitungen, daß der König ihm dieſe
Strafe aus Gnaden erlaffen hat. Die Leute jagen, ſolche
Burfhe, nur folche werden begnadigt, allen Anderen wird
ftrenges Recht nach oft ganz ungerechten Ausfprüchen zuge
theilt. —
Der König erzählte vor furzem dem Heren von Burgdorf,
wie er im Jahre 1812 in Dresden dem Kaifer Napoleon habe
die-Yufwartung machen müfen; der Vater, gebieterifch dort
hinbeſchieden, mußte den Kronprinzen mitbringen, es war die
größte Demüthigung für beide, An der Mittagstafel befam
312
Napolcon eine Nachricht, die ihm verdrießlich machte, er wurde
finfter, kümmerte ſich nicht mehr um die Kaiſerin von Defter-
reich neben ihm, reckte fich im Lehnftuhle, gähnte überlaut und
ſtreckte die Zunge heraus. Dann aufgeftanden, ſchritt er hef⸗
tig im Zimmer auf und ab, der Kaiſer Franz, der König von
Preußen, der von Sachfen, die Damen, alles ftand ehrfurchts ⸗
voll wartend. Endlich rief Napoleon mit rauher Gewalt
ſtimme: „Prince de Neufehatel.“ Er fam, und empftg
Befehle; dann eben fo heftig: „Roi de Saxe!“ Auch der
kam. Den König von Preußen würdigte er kaum einer Ab—
fertigung; vor dem Kronprinzen blieb eriftehen, maß ihn mit
Blicken, zupfte ihn derb am Ohr und fagte: „ Vous ressemblez
beaucoup A votre mere.“ Das follte eine Schmeichelei fein,
wurde aber durch den Ton zur Grobheit. „Avez vous vu la
forteresse ?“ fragte ex weiter. Auf das „Non“ des Kronz
prinzen wandte er ihm den Rüden und ging fort. „Ich mußte
nun,“ fagte der König zu Burgsdorf, „von allen Seiten noch
Vorwürfe hören, daß ich bios Non nicht, Non, Sire! gejagt;
aber ich war fo wüthig, daß ich ihn lieber in Stücken geriffen
hätte.“ Die Defterreicher, Die damals mit in Dresden waren,
erzäßlten die Sache viel ſchlimmer, fie fagten, es fei ein Mit:
leid gewefen, wie der rohe Kaifer mit dem ſiebzehnjährigen
Kronprinzen verfahren, ex habe ihm den Ohrlappen heftig ge—
tiffen und gezwickt, und ihn auf fein Non zornig ftehen laſſen,
mit dem Austuf: „Vous Ötes une böte.* —
Mittwoch), den 19. October 1853.
Der geftrige Tag ging ungefeiert vorüber; fie machten
Lärm von Groß-Beeren und Dennewiß, und wie der Tag don
Leipzig fommt, find fie ftill, ift darin Sinn und Verftand? DO
ja, der Tag von Leipzig ift ihnen zu volksbeliebt, erinnert an
313
die ehemals allgemeine Volkofeier, an die Feuer auf den Ber
geshöhen, an die Gedanken deutfcher Einheit und Freiheit, —
Gefchrieben, wieder im alten Geleife! Namenlos, die befte
Kraft. —
Die Ruffen in Khiwa! Große Schiefalswendungen bereiz
ten fi dor; niemand fann jagen, welche Strömungen die
ſtärkſten find. Bedrohen die Nuffen das englifche Reich in
Dftindien? Sind fie felber von China her gefährdet? Heißt es
auch von Rußland, wie einft von Rom: „Jam magnitudine
tua laborat,“ wie Vellejus Patereulug es bedeutend aus ⸗
ſpricht? — ;
Die Kriegserffärung der Türken, ihre Rüftungen, ihre
Heeresmacht, fegen die Diplomatie in große Verwirrung. Die
Türken mögen den Rufen im Felde gewachſen fein; was fie
zu fürchten haben, find Beftechungen, Liften, Ränfe! —
Bei Potsdam und Halle brannten einige Feuer auf den
Anhöhen zu Ehren der Leipziger Schlacht. Der König fah
die bei Potsdam, es war alles dürftig und freudlos, aus
ſchlechtem augendienerifchen Antrieb, den man höheren Ortes
nicht mißbilfigen wollte. Die Sache allgemeiner werden zu
fehen, wünfchte man nicht,
Der Unterftaatsfekretair im Minifterium der auswärtigen
Angelegenheiten Herr Le Coq foll zum Gefandten in Stutt⸗
gart ernannt fein, der Poften, den er bisher bekleidet, ein-
gehen. Das wäre ein neuer Sieg Manteuffel’3 über die Kreuz—
zeitungsparthei, zu der fid Le Coq mit Eifer hielt. Aber
allen diefen Burſchen werden goldene Brücken gebaut zu ihrem
Rückzug, glänzende Stellen eingeräumt! — Das Aergerniß,
daß Herr Affeffor Wagener Staatsanwalt beim Obertribunal
werden foll, daß der König ihm alle gegen ihn ausgefprochenen
„ Gefängnißftrafen — wegen Berläumdung des Präfidenten
Bloch ꝛc. — im Wege der Gnade erläßt, dies Aergerniß wird
auch als ficher verkündet! —
314
Donnerstag, ben 20. October 1853,
In der Revue des deux mondes vom 15. Dftober find"
ich eine Erzählung von Madame E, v. Bagrejeff-Speransfi,
der Tochter des berühmten Minifters, den die ruſſiſchen
Großen anfeindeten, das Volk aber liebte; die Feindichaft er=
ſtreckte ſich fogar auf die Tochter, die man arg zu verläumden
fuchte; fie machte auf mich den Eindruck einer klugen feinen
Frau, und id, bedauerte, fie nicht näher fennen gelernt zu
haben, Eine Schriftitellerin hätte ich in ihr nicht gefucht,
Ihre Erzählung Kenia, ‚Demianstona iſt ächt ruſſiſch, einfach,
fromm, etwas ſchwermüthig. —
In Königsberg war die alte freie Gemeinde gänzlich aufs
gehoben, Aber eine neue bildete fich fogleih, der gebildete
Kern der alten, nur einige dreißig Perfonen, Dr. Rupp nach
wie vor an der Spitze. Dies ift. eine gewaltige Zähigkeit! Sie
haben vorfschriftsmäßig ihr Glaubensbekenntniß und das Bers
zeihniß der Mitglieder dem Polizeiamt eingereicht. — Dem
Dr. Rupp war erft.fürzlich jeder Unterricht verboten worden!
Die Magdeburger freie Gemeinde, feit der Zurücknahme
ihrer Konzeſſion unter dem fehwachen Schuß des Vereinsgeſetzes
ftehend, foll ihr Statut und das Verzeichniß ihrer Mitglieder
einreichen, fie jagt, beides fei ſchon in den Händen der Behörde,
es feien die alten, Nein! fie follen fie doch nen einreichen,
Pure Schifanen. —
Majeftätsbeleidigung durch einen Handwerker verübt;
Konftablerbeleidigung durch einen Arbeitsmann; beide hart
bejtraft. —
In Roftod hat der Magiftrat gegen eine konſervative
Zeitung, die ihn beleidigt hatte, geklagt, das Gericht hat die
Klage abgewiefen. Einer weitern Berufung weifjagt: man
dafjelbe Schickſal. Die Juftiz gilt nur für eine Parthei!
Bravo, Graf von Bülow, Herr von Schröter! Was gebührt ”
ſolchen Leuten? —
315
Niebuhr, der wegen feines neuen Titels-fein Mandat als
Abgeordneter verloren hatte, verzichtet auf Neuwahl. Kleiſt⸗
Retzow hat fein Mandat niedergelegt. Verlaſſen die Ratten
das Schiff, weil fie merken, daß es ſinkt? Wird man den
Muth Haben, die ganze Verfaſſung zum Teufel zu ſchicken?
Holte ex doch die Abgeordneten auch! —
Die Kreuzzeitung wagte es in den pöbelhaftejten Aus:
drücken auf Lafayette zu ſchimpfen; fie warf ihm unter anderen
vor, da alle Sachen, die er in die Hand genommen, binnen
kurzer Zeit verdorben feien, und er immer fehnell wieder vom
Schauplag abtreten müſſen; er habe feiner Parthei nie wahren
Nutzen gebracht. Das Gefindel der Kreuzzeitung giebt feine
eigne Dummheit und Niedrigfeit blos; der Partheinugen, das
ift dem Lumpenpad das Höchfte! Lafayette diente feiner Par—
thei, ex war für diegute Sache, wo er fie fand, griff er ſie auf,
wo fie fich verwandelte ind gefälfcht wurde, ließ er fie los.
Das ift feine größte Ehre, fein größter Ruhm! Hätte er Fein
anderes Ziel gehabt, als ſich in Amt und Einfluß zu erhalten,
fo hätte er wie Talleyrand beides Zeitlebens haben fönnen.
Die Lumpenhunde begreifen fo was freilich nie! —
Freitag, ben 21. October 1853.
Nach einer fait ſchlafloſen Nacht ſpät aufgeitanden. Ge—
ſchrieben ; vaterländifhe Wirklichfeiten im Gegenſatze der
vaterländifchen Bedürfniſſe und Hoffnungen! — Die Volks—
zeitung fpricht vortrefflich über Böckh's Ausfall gegen Stahl;
fie will die That nicht fchelten, noch verkleinern, fagt aber ſehr
richtig, das Volk habe ſchon in den erften acht Tagen fein Ur—
theil und feine Antwort gegen den Verräther der Wifjenfchaft
fertig gehabt, die Gelehrſamkeit aber habe fich ein ganzes
Jahr Zeit dazu genommen, und rede wie zu fpät auch noch
viel zu glimpflich. —
316
Brief und Bud aus Breslau von Herrn Profeffor
Guhrauer, der mir die erfte Abtheilung feiner Fortſetzung des
von Danzel begonnenen Werkes über Leſſing's Leben und
Wirken überfhidt. Dergleihen Buch ift mir immer ein wah⸗
res Feſt! —
Heute wurde der Grundſtein zu den Waſſerwerken vor dem
Stralauer Thor, die Berlin mit friſchem Waſſer verſorgen
ſollen, gelegt; der König kam wegen Unwohlſeins nicht, und
ſchickte an ſeiner Statt den Prinzen von Preußen, den wir
hinausfahren ſahen. Die Sache ſoll kalt und dürftig geweſen
fein, alles nur zum Feſte der Eitelkeit für den Polizeipräſiden—
ten von Sindeldey, der feinen Namen um jeden Preis überall
anzubringen fucht. Er braucht nicht zu forgen! In Berlin
ift fein Andenken gefichert, fowie das des Waldeck'ſchen
Prozeffes, Ohm’s, Goedſche's ꝛc. Alle Waflerwerke, die er
begründen helfen mag, werden dies Andenken nicht weg⸗
fpülen. —
Abends zu Haufe, Erſt gefhrieben; dann mit Ludmilla
Schach gefpielt. In Guhrauer's Leffing gelefen, dann in den
Metamorphofen des Dvidius. —
Zahlreiche Verhaftungen in Paris und in den Provinzen,
Hausfuhungen, man fagt gegen fechshundert Perfonen find
plöslich feitgenommen worden, viele freilich gleich wieder ent-
laffen, z. B. Goudchaux. Alles ift wadelig, in Frankreich wie
anderswo. —
Sonnabend, den 22. Oftober 1853.
Der König ift wieder beffer und heute nach Halle gereift;
morgen legt er den Grundftein zu einem neuen Fatholifchen
Kloſter des heiligen Auguftinus, das in Magdeburg errichtet
wird, Ein proteftantifcher Fürft legt den Grundftein zu einem
fatholifchen Klofter! Welchen Eindrud das im Volke macht,
317
iſt gar nicht zu fagen! Das Volk it ohnehin ſchon lange des
Glaubens, der König fei ein heimlicher Katholik, ein Glauben,
der im Volfögeifte die ſchlimmſte Bedeutung hat. — Der Ber
ſuch des Königs in Magdeburg foll eigentlich eine Verſöhnung
mit diefer bisher für jo bös erflärten, in Ungnade ftehenden
Stadt bezwecken; ein gutes Mittel, jene Grundfteinlegung,
um die proteftantifchen, freigefinnten Einwohner zu ges
winnen! — \
Der arme Stredfuß wurde wegen feiner Gejchichte der ,
franzöſiſchen Revolution ſchon beftraft, dann fortwährend —
gegen die Nechtöregel non bis in idem — angeklagt, verfolgt,
gequält, Endlich ift er jest vom Obertribunal freigeſprochen
worden, aber nut wegen Verjährung der Sache. Die Vers
nichtung der Abdrüce wurde beftätigt. Der badifche Prozeß
gegen Gervinus hat hier ein preußiſches Seitenftüd! —
Der Kladderadatſch wird matt und verlegen, es fehlt ihm
die Freiheitsluft; er bringt jest häufig Späßchen, die ein
wohlgefälliges Lächeln des Kaifers Nikolaus erregen müffen. -
— Trog aller polizeilichen Verwarnungen und Anfehtungen
verharren die Nationalzeitung und die Volkszeitung in alter
Tapferkeit. — °
Nach der Anficht vornehmer Ruſſen wäre die Unterneh-
mung des Kaifers gegen die Türkei gar nicht ein übermütbiger
Einfall oder eine willfürliche Laune deſſelben, fondern ein ſich
aufdraͤngender Nothbehelf. Ueber den Geiſt im ruſſiſchen Heere,
die Gährung der Gemüther, die gehegten Erwartungen, die
überhaupt ftattfinden, follen dem Kaifer ſchon feit längerer Zeit
die beunrubigendften Gerüchte und Anzeigen zugegangen fein.
Gr ſoll ſich endlich überzeugt haben, daß ex dem Heere zu thun
geben, daß er jolches nach andern Richtungen bewegen müffe.
Dies wird als Hauptgrund des Zuges gegen die Donau hin
angegeben, und aus derfelben Anficht bemühte man ſich, diefe
Berwicelung mit der Türkei als eine volksthumliche und religiöfe
319
lügen’ oft, oder fehlen auch gänzlich; mündliche Uebetlieferuns
gen, die fich durch nichts belegen Bar, geben nicht felten die
thatſächlichſte Wahrheit. .
Mit Ludmilla geſprochen, die von der Gräfin von Ables
feldt nach Haufe Fam; gutes Geſpräch. —
Gefhrieben ; in Guhrauer gelefen, im Dvidius, —
In Magdeburg war großer Jubel für den König, feſtlicher
Empfang, Aufzüge der Gewerke und Bereine, Beleuchtung 2c.
Der König hat zu deutlich und oft gezeigt, daß er dergleichen
liebt und will; als daß es micht geleiftet werden follte!
Defto ſchlimmer, wenn er fih darin täufhen läßt! Die
Gefinnungen find ganz anders, aber die Aufführung ſolchen
Prunfes läßt ſich nicht verweigern, wenn Behörden und Kör-
perfchaften dazu anregen. Wegen des fatholifchen Kloſters
hört man bier die unglaublichften Aeußerungen, es fei un
möglich, es fei ein Unfinn, ob der König denn mit feir
nen profejtantifchen Unterthanen brechen wolle, warum er
denn nicht Fieber geradezu befenne, er jei längft ſchon fatho-
liſch 20. 20. —
Bei feinem letzten Aufenthalte in Danzig hat der König
einen Ausfall gemacht, der allgemeines Staunen und Unwillen
zur Folge hatte. Gin zu mehr ala zwanzig Jahren Feſtungs-
ftrafe verurtheilter Demokrat hatte ſich als reuig Bekehrter
angeftellt, und einen Stabsoffizier, unter dem er ftand, ganz
für fich gewonnen, fo daß diefer den König um Begnadigung
Für jenen anging, der alles Frühere bereue, u. ſ. w. „Was“,
tief der König, in wahrer Wuth, „jo ein verfluchter Demokrat?
So machen es die Kanaillen all erſt wollen fie mir an die
Krone, dann Friechen fie wie Hunde vor mir! Nichts da, fünf-
undzwanzig Jahre ift viel zu wenig, zu fünfzig hätte der Mader
verurtheilt werden müſſen! Sigen foll er, daß ep ſchwarz
wird! Und, wie fönnen Sie ſich unterftehen, für den Halun—
321
für Manteuffel gearbeitet und unter andern die Schrift: „Bon
Warſchau nah Olmütz“ zu deſſen Vertheidigung gefchrieben
hat. Der Danf ift eine Anftellung bei der Erfurter Zeitung
mit 250 Thalern jährlich, womit der arme Schelm aber jee-
lenvergnügt iſt! Da wiffen Andre fich beffer zu beiten, ſchon
Ryno Quehl, noch mehr aber Bismard-Schönhaufen, Kleift-
Retzow ꝛc. ꝛc. —
Für den General von Radowitz ſoll wenig Hoffnung der
Geneſung ſein. Der Prinz von Preußen und Prinz Albrecht
haben ihn beſucht. Der König ſchickt ihm den Leibarzt Schön—
lein. Die Königin bleibt in ihrem Widerwillen gegen ihn
feſt; man ſcherzte, ſie habe ihm Wein geſchickt, und dieſer
ihm wohlgethan, es iſt aber nichts daran. — Grade jetzt lie—
fert Kühne's Europa ein elendes Zerrbild gegen Radowitz ohne
allen Geſchmack und Zug! —
Dienstag, den 25. Oktober 1853.
Das Klofter in Magdeburg, zu welchem der König den
Grunditein legt, wird ein Hofpital; das mildert etiwad den
proteftantifchen Unwillen. Die meiften wußten das nicht,
viele glauben 's noch nicht. —
In Breslau fteht der alte Need von Eſenbeck wieder vor
Gericht, er und andre namhafte Mitglieder der freien Ge-
meinden find angeklagt, das Vereinsgeſetz überfchritten zu haben.
Die fchändlichen Schifanen, den religiöfen Verein ald einen
politifchen zu behandeln, erneuern fich immerfort. Es wird
einmal an das Kicht gezugen werden, welcherlei Weifungen die
Minifter den Behörden in diefem Betreff ertheilt haben, und
welche Leute und in welcher Art fie ihren Eifer dabei bezeigt.
Es wird nicht zur Ehre für manche jet Hochangefehene aus-
füllen. Die Oberbehörden find ganz knechtiſch. — Der wegen
Varnhagen von Enſe, Tagebüder. X. 21
323
durch die Feindſchaft Rußlands, die fie ihm erregt, zu ftürzen;
fie jucht diefe mächtige Verbündung gegen ihn zu gewinnen
und zu gebrauchen. Die Intrigquen am Hofe find in voller
Thätigfeit, gegen Manteuffel ift vielleicht nie fo ſtark und fo
gefährlich gearbeitet worden, ald eben jebt. Da die Kreuz-
zeitungsparthei ihn ale Ruffenfeind Hinftellt, die ruffifchen Ein-
flüffe hier befonders wirfjam find, fo muß es ihm nicht unlieb
fein, diefe durch die freifinnigen Blätter jo Fühn und anhal—
tend beftritten, und die Kreuzzeitung fo heftig von ihnen ange—
ariffen zu fehen. Hieraus erflärt fi) zum Theil, warum die
Behörden jest diefe Blätter einigermaßen gewähren laffen, —
Mittwoch, den 26. Oftober 1853.
Brief aus Weimar von Apollonius von Maltih, der mir
. Grüße von Herren von Zedlig aus Wien und durch Tutſcheff
vermittelt Grüße von Heine aus Paris fendet; einen gedrud-
‚ten ruffifchen Brief von Shukoffski ꝛc. — Tutfcheff hat Sei:
ne'n immer noch voll Xeben gefunden. — Wie der gute * aber
durch empfindfame Verficherungen und äußere Einflüffe ſich
berüden läßt, ift merfwürdig! Er glaubt im Ernfte, daß der
dide, felbitfüchtige Zedlig für den Kaiſer von Defterreich
ſchwärmt, und erwartet nun auch große Dinge von dem jun-
gen, durch nichts hervorragenden, von finnlicher Luſt bereite
erichöpften,, in gemeiner Soldatenliebhaberei befangenen Kür:
ften außerordentliche Dinge! —
Straf von Kleiſt-Loß, der mich wieder verfehlt hat, läßt
mir jagen, er reife in acht Tagen mit feiner Frau nad) Bene:
dig, wo er den ganzen Winter zu bleiben gedenft, er hoffe mic
vorher noch zu ſehen. Italien hat er in frühen Jahren
ſchon durchreift. —
21"
324
Herr Crepet, ein litterarifcher Sranzofe der in Rom war,
und hier den Winter bleiben will. Er it ernſthaft, obne
Neigung zum Scherz; Fein Legitimift, Fein Orleanijt, fein
Bonapartift, alfo — ein Freiheitsliebender. Gr fagte unter
andern: „C’est la France qui a produit le dix-huitieme
siècle;“ das gefiel mir gut, ich Teßte jedoch hinzu: „Il faut
avouer qu’elle a eu de bons collaborateurs.* Gr liebt
Rouffeau und Boltaire, —
Zu Haufe mit Ludmilla noch gutes Geſpräch. — In
Guhrauer's Leſſing gelefen, in Leſſing's Dramaturgie, Eng:
liſche Tagesfachen, franzöſiſche. —
Humboldt hat zu dem Konful Rofen, dem Schwager Klinge-
mann’d, gejagt, der König werde täglich befchränfter und
zerjtreuter; dad hat jener luftiger Weife fo verjtanden, als
werde der König täglich mehr eingefchränft durch die Ver-
fafjung!! —
Donnerstag, den 27. Oktober 1853.
Bon Humboldt die fchöngedrudten und reich gebundenen
Sonette feined Bruderd empfangen. — Brief aus Paris von
der Gräfin D’Agoult, die jehr belebt und vertrauend fchreibt:
„La France est dans le plus singulier etat. Le peuple
ne regrette pas ce qu’il a fait. La prosperite materielle
est grande, mais Paris gronde sourdement et la bour-
geoisie reste obstin&ment liberale.“ —
Befuch von Herrn Dr. Hermann Franck, erſt bei Ludmilla,
dann bei mir. Angenehmer und geiftreicher Scherz, tüchtiger
Ernſt. Ueber die politifche Stellung des Tages; Ohnmacht,
Mittelmäpigkeit, Furcht und Mipbehagen überall, in den
Fürften ein Ehrgeiz wie die Lujtgier der Hämlinge, von Un-
fäbigfeitt und Schwäche unwiderruflich vereitelt! Der Kaiſer
von Rußland in fteter Unruhe, der König von Preußen des—
325
gleichen; in allem Glanz und in aller Ueppigkeit führen fie
ein Hundeleben. Ob die Times in rufjischem Solde ftehen ?
Nein, aber es giebt der Beftechungen viele Arten. Ob in
Preußen die Berfaffung, die Kammern abgejchafft werden ?
Schwerlih, denn wo follte der Muth herfommen etwas fo
Einfaches und Unfchwieriges zu thun? —
Es heißt, die Herausgeber der Volfdzeitung und der Natio-
nalzeitung feien unter der Hand ermuntert worden, der
Kreuzzeitung nur recht ſtark zu Leibe zu gehen, man werde
in den oberen Regionen dies recht gern fehen, —
Freitag, den 28. Oktober 1853.
Die Volkszeitung enthält heute einen fcharfen Auffa „der
Mufterftaat Kurheſſen“, der die Haffenpflug’iche Regierung
tüchtig trifft, und durch Rückſchlag alle andern, die ihr gleichen
und beiftimmen. Sie führt die furchtbare Thatſache aus, daß
das heffifche Volk aus dem Lande zieht, um der Niederträchtig-
feit und Verruchtheit dieſes Negierivejend zu entgehen; das
Dorf Wernings ift durch Auswanderung entvölfert, nieder:
geriffen, dem Erdboden gleichgemacht. Das Dorf Pfeddere-
bach fieht demfelben Schidfal entgegen, nur drei unbewohnte
Häuſer ftehen noch ; ebenfoweit ift das Dorf Wippenbach fchon
gefommen; in dem Dorfe Gelnhaar fteht nur noch die Kirche.
Dabei werden die Treubündler flüchtig als Verbrecher, werden
wegen fleifchlicher Vergehen vor Gericht gezogen ꝛc. — Eine
wahre Teufelswirthſchaft. Und die deutfchen Fürften fehen
dem Unweſen ruhig zu, die frommen, Die edeln! Keiner hat
ein Wort des Abfchend, der Abmahnung. ebt verbietet
Haſſenpflug fogar dad Auswandern, ſchickt Spürhunde und
Wächter ꝛc. —
Audgegangen mit Ludmilla. Auf der Poft, dann das
397.
| Sonnabend, den 29. Oftober 1853.
Mit Ludmilla gutes Geſpräch; ich las ihr auch eine Aus—
wahl von Sonetten Wilhelms von Humboldt vor. — In
Guhrauer's Leffing gelefen, in Leſſing's Werfen ſelbſt. —
„Ungarns Recht und Gefeb, ruhmvoll verfochten von Deut-
ſchen, Polen, Jtalienern, Engländern und Franzoſen in den
Kriegsjahren 1848— 1849, Bon Philipp Korn. Erfter Band,
erfte Abtheilung. Bremen, 1853. *
Auch in Königsberg hat der Fnechtifchgefinnte Staatsan:
walt bei dem dortigen Stadtgericht auf Bernichtung der Schrift
von. Gervinus angetragen; erſt jebt hat das Gericht den Be-
ſchluß gefaßt, die Schrift, ald nach preußifchen Gefegen nicht
ftrafbar, wieder freizugeben. Der Staatdanwalt hat fich fehr
geboßt. Wie fpät und nachträglich! —
In Koblenz Hausfuchungen und Verhaftungen. Das geht
jo fort! —
Sonntag, den 30. Oftober 1853.
Befud von Frau von Marenholtz; fie ift ſchon drei
Wochen bier, war aber krank. Den Sommer bradte fie in
Thüringen zu, in den Fröbel’fchen Anſtalten. In Oeſterreich
finden die Kindergärten begünftigten Eingang, der Unterrichts⸗
minifter Graf von Thun tft ganz für fie; der Graf von Deym
hat hunderttaufend Gulden zur Gründung einer Erziehungs-
anjtalt beftimmt, fünfzigtaufend für ein Wochenblatt, das
demfelben Zwecke dienen fol. Wie muß fich der preußifche
Kultusminifter von Raumer ſchämen! Defterreich aufgeflär-
ter, freifinniger ald Preußen! — Nachrichten über den Dr.
von Buchhaufen aus Weftphalen, der eine neue Philoſophie
aufftellen will, — und ſich thörichter Weife bei Manteuffel
und Raumer um die Erlaubnig bewirbt, öffentliche Borle-
328
fungen halten zu dürfen. Er behauptet mit Fröbel's Anfich-
ten. ganz übereinzuftimmen. —
Abende Befuh von Frau von Treskow bei Yudmilla und
mir, Lebhaftes, geiftreiches Gefpräc über die jeht hier wal-
tende Mifere von Gefelligfeit, ſchlagende Beifpiele werden
angeführt. Die Abhängigkeit ift hier gar zu groß, daher
das und auf allen Seiten begegnende Nachthun und Nach—
ſprechen, noch außer dem freiwilligen, dad auch nicht Klein ift.
Die Erbärmlichkeit. der Menſchen war von jeher diefelbe,
aber fo ſchamlos, ohne Bedeckung und Schminke, wie jest
bier, war fie, dünft mich, noch nie. Die nichtöwürdigfte Feige
heit, Unterduden, Schmarogerei — man will ſich ein gutes
Haus nicht verfchlagen, wenn man ed auch noch fo fehr ver:
achtet — herrſchen unbedingt. — Fräulein von Erayen ift
eine Heldin dadurch, daß fie ed doch bieweilen auf Brouilliren
anfommen läßt! —
In Leſſing gelefen, in Goethe. Etwas in Puſchkin und
Lermontoff, ded Klanges wegen. —
Sn Breslau ift die chriftfatholifche Gemeinde vom Gericht
aller gegen fie gemachten Anfchuldigungen freigefprochen, die
Schließung der Gemeinde aufgehoben, und die Koften der
Unterfuhung niedergefchlagen worden. —
In Halle hat das Kreidgericht auf Begehren des Staats-
anwalts befchloffen, die Schließung der freien Gemeinde vor;
läufig fortbeitehen zu lafjen, bis das Endurtheil erfolgt. —
In Mainz hat das Bezirfögericht den Abgeordneten
Dr. Müller-Melchiord und den Buchdruder Jörg, wegen Ver:
breitung der Zollvereinsfchrift des erftern, zu 5 und zu 3 Mo⸗
naten Gefängniß verurtheilt. Cine wahre Schändlichkeit! —
329
Montag, den 31. Oftober 1853.
Schlechte Nacht, viel geträumt, Verworrenes, Beunruhi—
gended. — Gefchrieben ; die orientalifche Jrage vom Stand-
punft der Revolution betrachtet. Der Revolution hat der
Kaifer Napoleon gedient, der Revolution dient auch der Kaifer
Nikolaus. —
Abends bei ***, Es war viel die Rede von Gefellfihaft.
Die urfprünglich von Rahel herrührende Bemerkung, daß die
Gefelligkeit ihre fchönften, gefälligiten Blüthen gewöhnlich auf
dem Boden zerfallender Staatszuſtände treibt, alfo furz vor
Kataftrophen, konnte nicht widerftritten werden, — in Paris
vor 1789, in Berlin vor 1806, und vor 1847 (1848), — die
Urſachen diefer Erfcheinung darzulegen, war hier aber nicht
der Drt und Sinn, Der reiffte Weltblid gehört dazu, Dies
gehörig, im ganzen Umfang und Zufammenhang einzujeben.
Sch fagte den Damen mancherlei hierauf Bezügliches und für
jie Anwendbares, fcharf genug, um zu Yen, aber doch viel
leicht nicht fcharf genug, um nachhaltig zu wirken. Daß die
Offiziere aus der Gefellfchaft verfehwinden, auch die jungen
Diplomaten, und ihr Anhang von Fremden, nur in den
höhern Kreifen verfehten, Fonnte nicht geläugnet werden. Die
Dffiziere leben vorzugsweije unter fih. jedes Regiment hat
feine Gejellfchaftstage und Zuſammenkünfte. Man fann fi
die Langeweile denfen, für die fid) die jungen Leute dann im
Theater, im Circus, an den öffentlichen Vergnügungsorten
möglichit ſchadlos halten. —
Dienstag, den 1. November 1853.
Vehſe's neufter Band Hofgefchichten, worin auch Baden
verarbeitet ift, wurde von der badischen Behörde mit Befchlag
belegt. Der Verleger, Julius Campe in Hamburg, macht fich
330
daraus nichts, das Buch wird nur um fo eifriger gefauft, und
dns Feine Baden iſt von allen Seiten offen,
In Bremen find über achtzig Perfonen, die der Theil:
nahme an dem fogenannten Todtenbunde befchuldiat waren,
von den Gericht abgeurtheilt worden, nur wenige freige-
jprochen, die. meiften zu vieljähriger Zuchthaugftrafe! verur-
theilt. Sie legen alle die Berufung ein. Die außerordentliche
ganz unverhältnigmäßige Schärfe diefer Urtheile wird ala die
Wirkung des innern Partheihaſſes in dem kleinen Kreiftant
angefehen. Die Reaktion der ariftofratiihen Bürger gegen
die Ddemofratifhen wird überdies von außen mit allen
Kräften unterftüßt. Den Todtenbund felbft muß man als
eine Nächerlichfeit anfehen, das Verbrechen ift erſt hineinver-
hört. Höchſtens iſt gegen die Polizeivorſchriften gefehlt. —
In Turin Fräftiger Widerftand gegen Fatholifche Geiftlich-
feit und Defterreih. Rattazzi zum Juftizminifter ernannt. —
Telegraphifche Nachricht, aus Wien, daß die Türken über
die Donau gegangen, und in die Meine Wallachei eingedrungen
find, — am 27, Oftober. —
Mittwoch, den 2. November 1853.
Brief aus Breslau von Herrn Profeffor Gubrauer; er
vertheidigt fich gegen meine — doch nur leichte — Anklage,
gegen Voltaire nicht ganz gerecht geweſen zu fein; er ſchickt
mir Abfchrift eines Briefes von Voltaire an den Beronefer
Bettinelli, und benachrichtigt mich, daß Herr von Knebel in
Weimar ihm gegen 1600 Briefe aus dem Nachlaffe feines
Baterd — von mehr ald 90 Brieffchreibern — zugefandt
habe, für Die er einen Verleger wünſcht; einer Ähnlichen Sen:
dung von Herrn von Herder in Erlangen fieht er entgegen. —
Ausgegangen mit Ludmilla; bis zum Aleranderplag. In
331
Rauch's Werkftatt feine neuen Arbeiten bejehen. — Das Mo—
dell zur Bildfäule Gneifenau’d, etwas plump, nicht genug
vergeiftigt, wozu Doch das Urbild Anlaß und Reiz genug bot;
die Gruppe Schiller und Goethe ftand auch da, gefiel mir aber
noch weniger als fonft; Statuette den Grafen von Branden-
burg vorftellend ; Moſes betend, für Potsdam beftimmt. —
Im Ovidius gelefen, und ältere deutfche Sachen durch—
geſehn. — . |
Die Kreuzzeitung macht ihre hämifchen Bemerkungen über
das Breslauer Gericht, welches die deutjchfatholifchen Bor:
jtände freifpricht. Sie verdächtigt die Richter, was fie in
andern Fällen ald ein Verbrechen rügt. Wir tadeln auch
manche Gerichtöfprüche als ungerecht, ald durch Einflüffe be:
ftinnmt, allein wir haben auch nie die Heiligkeit der Richter:
jtüble anerkannt, und dann ift ed ein großer Unterjchied, ob
Das Gericht in einem Sinne fpricht, der feinen Theilnehmern
alle Gunjt und Förderung zu entziehen droht, oder in einem
Sinne, der ihm diefe Güter in reichitem Maße verheißt; Die
eritern gehen gewiß aus Lleberzeugung hervor und bewähren
diefe durch Opfer, die andern Finnen diefe Vorausſetzung
nicht ansprechen. —
Bon dem Märzkomplott ift ed nach dem erften Lärm bald
jtill geworden, ganz ftill. Die Polizei hatte das Maul gar voll
genonmen, die Kreuzzeitung ſchrie aus Leibeskräften. Jetzt iſt
der Dr. Ladendorf, der ald Hauptangeflagter ftelbrieflich ver:
folgt, und gleich ergriffen wurde, in die Charite als Wahn-
finniger abgeliefert worden! —
— — — — —
Donuerstag, den 3. November 1853.
In Bahrdt's Leben geleſen. In den Sachen ſind wir nicht
viel weiter als damals, ja wir find in manchen noch mehr zu—
rüd, aber in Anficht, Form, Vortrag und Sprache haben wir
333
auf nichte, es fchien in der Ordnung, wenn auch unangenehm.
Da macht’ ich endlich felbit die Bemerkung, es fei doch eigent-
lic unrecht, bei noch vorhandenem Leben fich das Begräbniß
und alfo den Tod zu beftellen ; wenn es jein müfle, recht gern,
fo wolle ich noch heute fterben, aber ich könne auch noch leben,
das fühle ich deutlich, meine Kraft fer noch nicht aufgezehrt,
und mit Rahel weiterzuleben ſei ja mein höchſtes Glüd,
Darüber wacht’ ich auf, aber Die Xeichendiener, die ich felbft
mit der Hausnummer meiner Wohnung befannt gemacht hatte,
— es war indeß nicht die jebige — ſah ich noch lange vor
mir ſchwindeln. —
Beſuch von Herrn Stadtrath Georg Reimer, der mir den
letzten Aushängebogen von Bülow's Biographie bringt; das
Bildniß wird exit in drei Wochen fertig fein. Reimer fpricht
mit Unwillen von dem Umlaufjchreiben einiger Bürger, das
zur Unterzeichnung für ein Feſt auffordert, durch Das man die
Minifterthronbefteigung des Herrn von Manteuffel feiern
wird. Er meint, ein Feſt wegen Olmütz, das ſei doc, zu ver:
rüct, und er habe Sorge getragen, daß in feinem Bezirke die
Ihamlofe Aufforderung feinen Erfolg habe. Jedoch die Gleiß—
ner und Knechte werden ſich nicht hindern laffen, und Berlin
ift reich an folchen Lumpen! —
Bahrdt's Lebensgeſchichte, roh und gemein, doch anziehend
wegen der Sittengefchichte. —
Der König machte geftern dem öfterreichifchen Feldmar—
ichalllieutenant von Heß im Britifh Hotel einen. anderthalb-
ftündigen Beſuch. Ungewöhnlich. Heß war zwar erfranft, ift
aber befier, und will nach Wien zurüdreifen,
ı 834
Sonnabend, den 5. November 1853.
Ueber Wohlthätigkeitsvereine, die mehr oder minder poli-
tifche find. Sie pflanzen Gefinnungen fort, halten Verbin—
dungen feit, verbreiten Kenntniffe. Das mag fein; aber mir
gefällt feine Art Berlarvung, und es ift ein Unglüd mit Ber:
larvten zu thun zu haben. Die Thatjache jedoeh, daß
dergleichen bejtehbt, und wie man verfichert, durch ganz
Deutfchland, ja weit über deſſen Gränzen hinaus beiteht, ift
jedenfalls richtig und als folche anzumerfen. —
Die Kreuzzeitung hat feit. ihrer Partheinahme für die
Ruſſen gegen die Türken ihre heftigen Angriffe gegen den —
Louis Bonaparte ganz eingeftellt. Das Blatt ift überhaupt
arg heruntergefommen, und fo grob und platt, ale ſchändlich
und tückiſch. —
In Luchet's histoire litteraire de Voltaire gelefen, im
Ovidius. Engliſche Zeitfchriften, franzöſiſche. —
In Dresden hat man ein paar Maigefangene begnadigt;
einer davon, ein Handwerker, war zu Icbenslänalichen Zucht:
° haus verurtbeilt. In Berlin erfolgt feine Begnadigung! —
Herr von Bardeleben in Königsberg, vom erften Gericht
freigefprochen, ift vom zweiten zu 30 Thlr. Strafe verurtheilt
worden. Er foll einen Polizeibeamten durd Schrift beleidigt
haben. —
In Schlefien ift Dr. Lorinfer, Herausgeber einer katho—
fischen Zeitjehrift, zu einer Gelditrafe wegen Beleidigung
der Obrigfeit und der proteftantifchen Religion verurtheilt
worden. —
Bolföverfammlungen in Enaland ftellen an die Königin
Vitoria die Aufforderung, alle jett fchiwebenden diploma
tifchen Verhandlungen und die Geſandtſchaften felbit alsbald
einzuftellen, das Parlament zu entlaffen, ein neues zu beru-
fen, und durch dieſes das Verhalten der bisherigen Minifter
335
unterfuchen zu laffen; fie folle ihre Vorrechte gegen die Miniſter
beſer wahrnehmen ꝛc. —
Sonntag, den 6. November 1853.
Die Nationalzeitung hat heute in ihrem erſten Artikel,
der von Abfchaffung der Diplomatie Spricht, diefe bedeutende
Stelle: „Es hat ſich mehr und mehr die Vorftellung feſtge—
fest, daß die Ariftofratieen der verfchiedenen Länder Europas
mehr und mehr den Zuſammenhang eben fowohl mit den Dy—
naftieen ald mit den Nationen und ihren Intereſſen verloren
haben; daß fie, um Privilegien, die oft mehr eine Form ald
reeller Werth find und ihnen nur Schaden thun, zu Fonfer-
viren, eine Stüße an den Gleichgefinnten außerhalb fuchen ;
daß ihnen dies folidarifche Kaften- und Koterieintereffe weit
höher ftehe ald das herzliche Einverftändnig mit ihren Lands—
leuten und Mitbürgern; und daß die Diplomatie nichts an-
deres mehr fei, als die DOrganifation für ein volföthümlich
indifferentes, ein dynaftifch gleichgültiges, im ſchlechteſten
Sinne kosmopolitiſches Junkerthum. Die Heimlichfeit, in
welche die Diplomatifchen Unterhbandlungen gehüllt werden,
trägt dazu bei, das ganze diplomatische Gebahren in den
Augen der Nationen ald eine gegen fie gerichtete permanente
Verſchwörung erfcheinen zu laffen.” Diefe Ausſprüche treffen
den Nagel auf den Kopf. Die Höfe, fofern fie Adeldneiter
find, die Diplomaten, der Adel, halten zufammen, ohne Un:
terichied der Länder, der Nationen, der Sprache, ja meiit
auch der Religion. Die Arijtofratieen ftehen im enaften Zu—
fammenhang, halten zuſammen, wirken vereint; die Demo-
fratieen entbehren dieſes Bortheild noch beinahe ganz, fie
müffen daher alle8 aufbieten, ihn. zu erringen. —
Sch las Bahrdt's Leben zu Ende, dann fein befonderes
Buch über feine Gefangenschaft; darauf in Semler’d Selbft-
336
biographie. Bahrdt wäre ein köſtlicher Gegenftand für einen
geſchickten Bearbeiter, litterarifch, biographiich, politiſch, — Die
Schilderung lieferte taufend Spigen für die Gegenwart! Es
. dürfte nur ein Auffag fein, fein Buch. Aber unfere jungen
Schreiber fennen dergleichen kaum, und wiſſen e& nicht zu bes
handeln, —
Montag, den 7. November 1853.
Diefer Jahrestag war mir früher lieb und angenehm, der
Geburtstag Stägemann’s, den ich gern mitfeierte, fo lange die
Täuſchung beftand, daß er mein Freund fer; doch felbft nach
feiner böslichen VBerrätherei, die ich mir noch heute nicht erflä-
ren kann, — denn meine Zurüdforderung von 16 Friedrichs—
d'or, Die ich ihm einit auf der Reife geliehen, fann doc nicht
die alleinige Urfache feiner Umjtimmung gewefen fein, das
wäre Doch zu erbärmlich — behielt ich ein Gefühl der An-
hänglichkeit für ihn, das mich auch wieder mit ihm zufammen-
führte, und er war dann auch fichtbar bemüht, mir die freund:
ſchaftlichſten Gejinnungen auf’8 neue zu bezeigen. —
Die Nene Preugifche Zeitung beginnt mit einem heftigen
Ausfall gegen den djterreichifchen Bundestagegefandten Frei—
herrn von Prokeſch; diefer fei Schon hier als Geſandter feind-
lich und mipfällig, feine Ernennung nah Frankfurt am Main
faft eine Beleidigung für Preußen geweſen, jebt werde feine
Rückkehr auf feinen dortigen Poften durch eine Menge tüdi-
her Angriffe gegen Preußen in den vielen unter öfterreichi-
chem Einfluffe ftehenden Blättern bemerkbar, der Zollverein
werde eine Krankheit im Innern von Deutfchland genannt,
und mehr dergleichen; er wird gewarnt, dies Treiben nicht
fortzufegen. Man sieht, wie der preußiſche Bundestags:
gefandte Herr von Biemard-Schönhaufen mit ihm ſteht. —
In dem Streite zwiſchen Magiftrat und Stadtverordneten,
337
ob beide Körperfchaften gleich, oder eine unter der andern
ftebe, hat der Minifter des Innern entichieden, die Stadtver-
ordneten feien zwar jelbititändig, aber jedenfalld habe der
Magiftrat ale ihre Obrigfeit zu gelten. Dieſe Entfcheidung
lähmt wieder allen freien Eifer für dad Gemeinwefen, und
er war ohnehin fchon gering genug. Der Streit über Bes
jeßung einiger Schulämter iſt damit noch nicht gefchlichtet. —
Dienstag, den 8. November 1853.
Der Staatögerichtähof hat den Herrn von Rappard, vor-
maligen Stadtrichter und Nittergutöbefiker, wegen feiner
Theilnahme am Stuttgarter Parlament (Hochverrath!) zu
fünfzehnjähriger Zuchthausſtrafe verurtheilt. Er ift aber aus—
wärts in Sicherheit. —
Kradrügge in Erfurt, dem noch drei Preßverurtheilungen
in Ausfiht ftehen, zufammen fünfzehn Monate Gefängniß,
ſoll fich diefen entzogen und nach Nordamerifa begeben haben.
Es mußte doch endlich dahin fommen. Dem Unglüdlichen
war von der Reaktion fein Berderben zugedacht worden, man
hörte nicht auf, ihn zu plagen und zu verfolgen. —
Ausweifungen in Rheinbaiern. — Verbot der Vehſe'ſchen
neuejten Bände in Baden, man fucht ihn gerichtlich zu be-
langen, —
Nach ſpätern Nachrichten lebt Kradrügge nach wie vor in
Erfurt jtill und zurüdgezogen, den Erfolg feiner Appellationen
abwartend. Jenes Gerücht ift gefliffentlich ausgejtreut, um
ihm zu fihaden, feine heimliche Entfernung unmöglich zu
machen, oder gar feine Verhaftung zu veranlaffen. —
Barnhagen von Enfe, Tageblider. X. 22
339
Fürſtenknecht, der Scherge, möge einmal an fidh felbft erfah-
ren, was Gewalt ift, und je ungerechter, defto beſſer! Das
Beifpiel ift noch beffer, ald das an Haynau volljogene, eben
weil die Schläge von derjenigen Seite fommen, der er dient,
vor der er friecht. Wohl befomm’ eg! —
Der Kurfürft hat feinem Knechte Haffenpflug ein Troft-
Schreiben zugefandt, die erfte Kammer der Stände ihm ihr Bei-
leid bezeigt; das ift richtig, beide find ja haſſenpflugiſch! —
Das ruſſiſche Manifeft gegen die Türfen ift erfchienen; .
ein ganz erbärmliches Machwerk, frech und heuchlerifch, ein
Frevel gegen die Religion, fie hier jo lügenhaft vorzufchieben,
und ein Vertrauen auf den Schuß Gottes auszuſprechen! —
Ich glaube, die Verfaffung und die Freiheit Englands
muß untergehen, eine Diktatur oder fonftige Alleinherrſchaft
den Uebergang zu reineren Formen der Freiheit, zur Nepublif,
bilden. Es hängen an dem jehigen Zuſtand Englands die
herrlichften Früchte freier Entwidlung, die größte Sicherheit
der Perſon und des Eigenthums, die fräftigfte Gefeglichkeit,
der fchönfte Gemeinfinn und der reichfte Weltverfehr; aber
noch größere Mebel! Und es hilft nicht, alle jene Bortheile
müſſen geopfert werden, damit größere entſtehen können. Hat
doch Griechenland mit all feiner Herrlichfeit untergehen
müffen! — Alles in Europa ftrebt und arbeitet zur Republif,
zur Bereinigung der Völker. —
Donnerstag, den 10. November 1853.
Der geftrige Tag, Jahrestag der Erfchiegung Robert
Blum's in Wien, ift hier in demofratifchen Familien vielfältig
gefeiert worden, das untere Bolf hängt mit ftarfem Eifer an
diefem Namen; in fünftigen Zeiten kann man’d vielleicht
erleben, daß dem Vertreter und Märtyrer der Freiheit eine
Bildſäule errichtet wird! —
22°
341
| Freitag, den 11. November 1853.
Die Nationalzeitung bringt eine Rede, mit der der Wie-
derbeginn der Bundestagsfikungen durch Herrn von Profefch
hätte eröffnet werden fönnen, wenn dergleichen „Throns
reden” gebräuchlich wären. Ein bitterböfer, Fühner Aufſatz,
der unter andern Umftänden für die Nationalzeitung fchlimme
Folgen haben würde, jeßt aber, bei der Feindſchaft zwifchen
Prokeſch und Manteuffel, hier nicht mipfällig fein fann. Das
Elend des Bundestages wird fchonungslos aufgededt. —
Uhland und noch ein Würtemberger follten als gemefene
Abgeordnete zur Frankfurter Nationalverfammlung gericht:
liches Zeugniß über gewiffe Abftimmungen Furheffifcher Kol:
legen geben, die furheffifche Regierung hatte das Verlangen
geftellt, und Die würtembergiiche ed aufgenommen. jene
Ehrenmänner haben fich natürlich geweigert, und niemanden
das Recht zugeftanden, dergleihen von ihnen zu fordern.
Jeder ift dephalb einftweilen in fünf Gulden Strafe verur-
theilt worden ; dies kann fich bis zu fünfzig fteigern. —
Hier ift ein Buchdrudereibefiger Weidle verhaftet wor⸗
den. —
Der Zuftand des Generald von Radowitz hat fich fehr
verjehlimmert. Die Gerlach's hoffen auf feinen Tod und zu—
gleich auf die Erlangung wichtiger Papiere, die fih in feinem
Nachlaß finden würden. Er foll aber diefe Papiere, befonders
die Briefe des Könige an ihn, ſchon längſt auswärts in Sicher:
heit gebracht haben. —
-
Sonnabend, den 12. November 1853.
Der Eindrud ded Minifterialfchreibend und des darin an-
geführten Königlichen Befehle der Nichtbeförderung aller im
Fahre 1848 politifch und Firchlich Betheiligten macht den
allerübelften Eindrud, die Leute find empört über diefe Rach—
343
Wohl des Grafen von Yſenburg-Waächtersbach getrunfen
worden. Die rohe Gewaltthat würde unter andern Umftänden
Widerwillen und Ubfcheu erregen, aber in diefem Falle, wie
in dem des elenden Haynau, überwiegen Befriedigung und
Beifall. So groß ift der Durch jahrelange Nihtswürdigfeiten
und Gewalttbaten aufgehäufte Haß gegen Haffenpflug. —
— — — — —
Sonntag, den 13. November 1853.
Merkwürdig iſt der freie und kühne Ton unſerer Zei—
tungen gegen Rußland; wieſo wird Das hier und in St. Pe-
teröburg geduldet? Als fie gegen den — in Frankreich
loszogen, drohte der fo heftig, daß man auf der Stelle die
Blätter warnte und der Sache Einhalt that. Bonaparte
mächtiger in Diefem Fall ald der Kaifer Nifolaus! —
Ausgegangen mit Ludmilla. Kurzes Zufammengehn mit
Herrn von *; der unbedeutende Schwähling, der Mann
von **! Da hätte fie auch den Herrn von Fr nehmen fünnen,
und beffer! Doch, „die Menfchen thun fich miferabel zufam-
men“ fagte ſchon vor fünfzig Jahren der Graf Alerander zur
Lippe mit größtem Ingrimm, ale die reizende Caroline Leh—
mann dem alten Muzio Clementi zu Theil wurde! —
Herr Wilhelm Blum wollte mich befuchen. — Beſuch von
Herrn Profeffor Dirichlet; vielfacher Austaufch, wir endeten
damit, nur einander luftig zu ſchimpfen, ich Ihn „Herr Pro-
feifor *, er mich „Herr Geheimrath“! —
Abends Beſuch von Herrn Dr. Hermann Franck. Ich
merfe ald eine Befonderheit an, daß in anderthalbftündigem
lebhaften Geſpräch Teine Erwähnung Haffenpflug’3 geſchah;
eine gewiß große Enthaltfamfeit oder Zerjtreutheit von und
beiden! —
Ich las feit einigen Jahren öfters in den Zeitungen, der |
würtembergifche Staatsrath von Klindworth fei angefommen,
345
gäbe fie frei; aber dort wie hier gefällt man fih in harter
Strafluft! —
Auf der Bornheimer Haide bei Frankfurt am Main wehte
am 9, eine Trauerfahne mit dem bluthrotben Namen Robert
Blum’d. Die Polizei nahm die Fahne weg, aber das An-
denken kann fie nicht zerftören. Das Volf weiß recht gut, daß
Blum wirklih und ächt ein Volksfreund war, und läßt nicht
von ihm los. —
Fortgeſetzten äußerften Streit der elenden badiſchen Re-
gierung, und des fanatifchen Erzbifchofd von Freiburg. Recht
fo! Schlagt euch untereinander, uns ift es ein großes Ver:
gnügen! —
Preußen beabfichtigt, in Kurhafen einen Kriegdhafen an-
zulegen, und fteht dephalb in Unterhandlung mit Hamburg.
Für diefe einftweilen nutzloſe und ganz thörichte Spielerei
werden die größten Summen aufgewendet. —
In Leſſing und in Goethe gelefen. Franzöſiſche Blätter. —
- Frankreich führt eine heftige Sprache gegen Rußland. In
England das jämmerlichfte Minifterium feit Menjchenge-
denken. Defterreich in Feigheit und Tüde lauernd. Preußen
— ja Preußen! Was ift von dem zu fagen? Wer hat hier
das Heft in Händen? Niemand! Einige fafen wechjelnd es
ein wenig an, niemand ergreift und führt es feſt. — |
Daß das ruſſiſche Manifeft, alfo der Kaifer von Rußland,
im franzöfifchen Moniteur öffentlih und amtlich Lügen ge:
ftraft wird, ift ein Schimpf, den der Kaifer Nikolaus niemals
abwaschen kann! Alle Ruffenfeinde haben die größte Freude
daran! Es thut ihnen wohl, daß auch diefe fo gefürchtete
Macht das Uebergewicht der Wahrheit zu fühlen befommt, da
der Uebermuth gebeugt wird, wenn auch: nicht befchämt, denn
die Scham ift längft von den Stirnen der Großen ver:
ſchwunden! —
347
werden. Mit welchen — find die Aemter angefüllt! in den
obern Schichten, in den.unten! —
Wie edel und rein ift die Sprache, in welcher am 13. die
Nationalzeitung die „ Kirchlichkeit in der Gegenwart“ befprach!
Wie weit entfernt find unfre rohen Gewaltömenfchen, die an-
geblich Bornehmen, aber wirflih Gemeinen, von folcher Höhe
des Geiftes, ſolchem Adel der Gefinnung! —
Der König hat den kranken Radowitz abermald bejucht.
Die Kreuzzeitungdleute jagen, er habe fich alle Briefe, die Ra-
dowitz von ihm in großer Menge befist, wieder ausliefern
laffen. Doch ſoll Radowis beglaubigte Abjchriften diefer
Briefe ſchon vor ‚längerer Zeit an ficherem Orte verwahrt
haben, —
Mittwoch, den 16. November 1853.
Mit richtigem Takte faffen Volkszeitung und National-
zeitung nun audy die Nüdfeite ded Vorganges in Kaffel auf,
nach der Schlechtigkeit des Geprügelten, nun auch die Schlech-
tigfeit des Prüglere. SHafjenpflug hat fein mwohlverdientes
Theil, nun befomme es auch der Graf von Pfenburg, der
Schwiegerfohn des Kurfürften. Beide gehören doch zufammen,
und der Kurfürft ale Dritter dazu. Heſſen-kaſſel'ſche Zuftände!
und der deutfche Bundestag! der feit drei Jahren diefer Höls
lenwirthfchaft ruhig und wohlgefällig zufieht, und die deut:
ſchen Fürften alle, die im Bundestage vertreten find! Des
Himmels Strafe über fie! —
Der Graf von Nfenburg ſoll nun für wahnfinnig ausge—
geben werden, In Kaffel wünfcht man, daß der Vorfall nicht
weiter bejprochen werde, daß man Gras darüber wachjen laffe!!
— Ei, wünfdht man? —
In einem veröffentlichten Schreiben an die ſchleswig'ſchen
Stände jpricht der dänifche Staatsminifter Graf von Moltke
349
fluger, der die Federfrankheit hat und fie zum Erwerbe mit
dDreifter Unverfchämtheit benutzt. —
MWiderfprechende Nachrichten vom Kriegsſchauplatz an der
Donau. Die neueften Nachrichten find immer nur ruffifche
oder ruſſiſch gefärbte. —
Der König möchte jebt gern, daß nicht Henfel, fondern
Dlferd zum Direktor der hiefigen Akademie der Künfte gewählt
oder ernannt würde; da wäre den Künftlern doch fogar Henfel
lieber, als einer vom Fach, als einer, der fihon ihr Kamerad
ift. Neben Hülfen, der nicht vom Theater verfteht, noch
Olfers, der nicht? von der Kunſt verfteht, das ift recht im heu—
tigen Sinn! —
Der König läßt eine Reiterbildfäule für den Bringen von
Preußen machen, während er diefem zugleich die mannigfad)-
ſten Kränfungen widerfahren läßt. Ni cet excès d’honneur,
ni tant d’indignite! fünnte es hier heißen! — Wo foll fie
aufgeftellt werden? Bor feinem Palaſte, „den Eigenthum der
ganzen Natron“, ift Fein Pla mehr. —
Für Hindeldey wird eine neue Regierungsbehörde in Ber:
lin eingerichtet. Sein Chrgeiz dringt auf höhere Stellung,
man macht ihm diefe zurecht, die ihn aber keineswegs befriedi-
gen kann. Wenn er nicht Minifter und Erzellenz wird, —
alles andere ift ihm nichts! Dieſe neue blos aus perfönlichen
Beweggründen herporgerufene Schöpfung wird fchon jeßt als
ganz unndthig angefehen, wird aber eine Mehrausgabe von
12 bis 14,000 Thalern jährlich verurfüchen. Könnte man nicht
lieber die Hälfte baar an Hindeldey geben und die Behörde
nicht errichten? hm wär’ es gewiß lieber, und dem Staat
auch. Uber es fehlte Dann der Borwand! Nein, die Behörde
it dazu nöthig!! —
351
Dienstag, den 22. November 1853.
Bon der Donau her noch immer nicht? Zuverläffiges, doch
icheint ed gewiß, daß die Türfen bei Olteniga in einem fchar-
fen Gefecht gefiegt haben, dann aber freitwillig auf das rechte
Ufer der Donau zurüdgegangen find. Vielleicht auf Befehl
aus Konftantinopel? Diplomatifches Treiben Spielt zwifchen
den Kriegebegebenheiten immer weiter, hemmt und verwirrt
fie! Wer weiß was alled im Werfe fein mag! Ränke aller
Art, Beftehungsverfuche, Drobungen, Bermittelungen. Die
Zufunft wird's enthüllen. Hier gönnt alles den Ruſſen eine
gründliche Niederlage, nur die Kreuzzeitungdparthei hält es
mit den Ruſſen, heuchlerifch, lügenhaft, und niederträchtig
wie nur je! Sie führt eine hämifche, pöbelhafte Sprache, die
den Ruffen wahrlich feine Freunde gewinnt. —
In Froſchdorf foll die fogenannte Fuſion — Vereinigung
der alten Bourbon? und der Orleans —, von der fo lange die
Rede war, die fo lange ganz unmöglich fchien, nun wirklich zu
Stande kommen; der Herzog von Nemours ift hingereift und
wird den Grafen von Chambord Sire und Königliche Maje—
jtät nennen.
Mittwoch, den 23. November 1853.
Sm Bette .gelefen. Beſuch von Herrn Prof. Schultz⸗
Schulgenftein; er bringt mir fein Buch: „Die Menfchiwerdung
Gottes im Glauben und Wiſſen erläutert durch die Gefege der
Berjüngung in der organifchen Natur“, und trägt mir ohne
weiteres, weil er qrade eine halbe Stunde übrig hat, feine
neue 2ebre vor. Die Frommen glaubten anfangs, durch den
Titel verführt, der Autor fei zu ihnen übergegangen, mußten
aber bald ihren Irrthum erfennen, und er hat den Herren
Imweiten, Hengjtenberg ꝛc. feharf aufgetrumpft; er befennt nicht
fi zu Chriſtus, fondern läßt Chriftus fih als Schulkianer
393
Chambord! Unter den jänmerlichften Bedingungen; beide
Theile blamiren ſich. Die Orleans erfennen in ihrem Vater
einen Thronräuber, Chambord verfpricht ſchimpflichſt nicht
wieder zu heirathen, damit nad ihm die Orleans den Thron
doch befteigen fünnen! Sie befennen ihre Schwäche, ihre Er:
bärmlichkeit. Dabei verfprechen beide den Franzofen konſtitu—
tionelle Freiheit! Die Sache wäre von gar keiner Bedeutung,
wenn fie nicht doch den — Louis Napoleon beunruhigte, und
eine Waffe gegen ihn ſchiene. —
Freitag, den 25. November 1853.
Auffallend ift es, wie wenig man jet in Berlin vom Kö-
nige fpricht, und überhaupt vom Hofe. Früher, bis zum Jahre
1848, war der König und fein Hof ein Hauptgegenftand aller
Unterhaltung; das hat aufgehört, nur ein Heiner Theil alter
Philiſter und Klatjchweiber hält fich noch an diefe Art Bedien-
tengefpräh! Die Bornehmen ſchweigen, mehrentheild aus
Verachtung, die Bürger aus Haß. Majeftätbeleidigungen
fommen wieder häufiger vor Gericht, doch ift bei ihrer Ber-
handlung die Deffentlichfeit ausgefchloffen. —
Am Bundestag ift das von Defterreich beabfichtigte Preß⸗
gejeb abermals gefcheitert, an dem Widerſpruch Preußens und
dem Zögern der fleineren Staaten. —
Die beiden preußifchen Gefandten von Brodhaufen und
Graf Maz von Hapfeldt find zu Wirflichen Geheimen Räthen
mit dem Prädikat Erzellenz ernannt worden. Der erftere galt
früher für einen ſchönen Dann und für nicht fonderlic, Hug,
der lestere ift von jeher und noch ald dummer Junge be:
fannt. —
Barnhagen von Enfe, Tagebüder. X. 23
359
Sonntag, den 27. November 1853.
In den Briefen des Plinius gelefen, in Vinzent Nolte’
Memoiren. —
Der türfifcheruffifche Krieg ſtockt, aber nicht ganz; in
Aſien glückliche Gefechte der Türken und Ticherfeffen gegen die .
Ruſſen, eroberte Kanonen, viele Gefangene, —
Die fogenannte Fufion wird von den franzöfifchen Blät-
tern ala ein bemitleidendwerthed, lächerliches Ereigniß darge:
ftellt. —
Der Kaufmann Jacob in Halle, fonft ein ſchwächlicher
Mann in politifhen Dingen, hatte doch den Harfort’fchen
Wahlkatechismus verbreiten helfen, war dephalb angeflagt
worden, doch haben die Geſchworenen ihn freigefprochen. —
Morgen werden hier die Kammern eröffnet. Jämmer—
liches Ding! "Und feine Pairskammer! Nach fo langem Ber
finnen! Unfähigkeit zum Schaffen, Hintergedanfen, Unent-
ſchloſſenheit, Feigheit, alle® fommt hier zufanımen. Und aljo
noch immer die alte erfte Kammer, nach der willfürlichen abge-
Ihmadten Wahlordnung! Kerld, die da willen, daß man fie
nächftend zum Teufel ſchicken wird, die fi ald Nothbehelf
ichimpflich brauchen Taffen! Auch Graf von Nord ift in Bres-
lau wiedergewählt worden, wird fich auf’3 neue vom Qumpen-
hund Stahl verfpotten laſſen! — (Er hai die Wahl aber abge:
lehnt.) (Später eine andere angenommen. —)
Oeſterreich erflärt fich fehr entfchuldigend bei Louis Bona-
parte über die bourbonifchen Vorgänge in Frofchdorf, und giebt
ihm die Verfiherung, daß es Feinerlei Kompflotte auf feinem
Gebiete dulden werde, die gegen das befreundete bonapartifche
Kaiferreich gerichtet fein könnten, So ſpricht auch die öfter:
reichifche Preffe, geringfchägend und beinahe feindfich gegen die
Bourbond-Komplotte! Bon Leuten gejagt, die nad) fonftiger
| 23°
357
Der Präfident der Scehandlung, Herr Bloch, will fih aus
dem Staatedienfte, jagt man, zurüdziehen, weil er die vom
Könige ertheilte Begnadigung des Verläumders Aſſeſſor Wage-
ner als eine Kränfung anfieht, die ihm felber zugefügt wird.
Der Aſſeſſor Wagener, zu mehrmonatlicher Feſtungsſtrafe ver-
urtheilt, iſt auf freien Füßen, das ift gewiß; öffentlich befannt
gemacht ift feine Begnadigung jedoch nicht. —
Dienstag, den 29. November 1853.
Uhland ift zum Mitgliede der Friedensklaſſe des Ordens
pour le merite an Tieck's Stelle gewählt worden. Die Be⸗
ftätigung von Seiten des Königs fehlt noch. Wir wollen
ſehen! Uhland war Mitglied des deutfchen Parlaments bie zu
deffen Auflöfung ; wird man das vergeffen wollen? Und wenn
bei ihm, warum nicht bei Andern? — (Siehe dag Blatt vom
12. Degember 1853 und 19, Januar 1854. —)
Herr von Plehwe, Kommandeur ded Gumbinner Rand:
wehrbataillond, hat ein Wahlfchreiben an feine Offiziere und
Unteroffiziere erlaffen, fie follten bei der Wahl der Abgeord-
neten für Herren von Lüderitz ſtimmen. Zwei Offiziere, Die
dennoch für Herrn von Sauden ftimmten — der eine ſogar
der Schwiegerfohn Sauden’d —, hat er vor ein Ehrengericht
verwiefen. Und foldhe unwürdigen Gewaltftreiche werden
von unfern halunfifchen Ariftofraten gutgeheißen, beklatſcht!
Fühlen fie denn nicht, wie ſehr fie den Offizierftand befchim-
pfen, wenn fie ihm jede Freiheit abfprechen? —
Das free Wort Ludwig’d von Gerlah: „Für meine
Junker ift das gut genug!“ hat ihm viele feiner fonftigen
Anhänger entzogen. —
35)
ſellſchaft 2c. und der Bann ift kraftlos für alle, die nicht weltlich
davon betroffen werden. Und gäbe es Freiheit in Baden, wie
viele deutfchkatholifche Gemeinden würden fich bilden! — Jetzt
muß die Regierung doch ſchimpflich nachgeben. — |
Die Junker hatten in ihrer Zahl Fein einziges Mitglied,
daß fie dem Grafen von Schwerin ald Mitbewerber um die
Präfidentichaft hätten zur Seite ftellen fünnen. So geiftes-
arm, fo unbrauchbar find diefe Burfchen! Sie haben die
Macht und Fönnen fie nicht brauchen! — |
Donnerstag, den 1. Dezember 1853.
Eben wollt’ ich ausgehen, da fam Bettina von Arnim,
und hielt mid) eine Stunde auf. Wieder zog fie gegen * los,
machte Ludmilla'n und mir Bormwürfe, ſprach ihren Abfcheu
heftig aus. Dann famen die Fragen um Rath; fie will dem
König einen jungen Muſiker empfehlen, allenfalld durch den
Grafen von Redern, — gut! fie will ihm Ratti’d Kopie des
Bildes von Tizian in Venedig, die er in ihrem Auftrag an—
gefertigt, für A000 Thaler zum Kauf anbieten, die Hälfte des
Werthes, meint fie, — bedenflih! Wie verhält es jich über:
haupt mit diefer Mahlerei? Bettina gab fich bisher nur ald
Bermittlerin an, reiche Befteller flanden im Hintergrunde,
2000 Thaler find dafür ald Zahlung angegeben, wie jo fommt
das Bild nun zum Verkauf, mit ſolchem Doppelpreis? Aus
Bettina’3 verworrenen Ausſagen ift nicht Flug zu werden, fie
ift eine Meifterin der Verwirrung und der Verdrehung! Sie
will beim Könige für Hoffmann von Yullersleben Schritte
thun, — ſchlimm! fie wird diefem nur fchaden. Der König
hört nicht mehr auf fie, fondern läßt fie laufen, ohne fie einer
Antwort zu würdigen. Vom Demetrius des jungen Grimm
wollte fie rühmend fprechen, ließ ihn aber gleich in die tiefite
‚ 361 \
Freitag, den 2. Dezember 1853.
Es fehlt nicht an Leuten, die da meinen, die vielen Mans
datsniederlegungen von Abgeordneten zur erften Kammer und
die Unbefchlupfähigkeit diefer wegen mangelnder Mitglieder,
feien feine Berlegenheit, fondern eine Freude für die Negier
rung. Denn wenn feine erſte Kammer da ift, gilt auch die
zweite nicht, und die Regierung hat es in der Hand, die ganze
Berfaffung in ihrer Schwäche jtill abfterben zu laſſen. Zu
einer Bairdernennung fann der König fich nicht entjchliegen,
er mag Feine Gerechtfame gründen, die er nicht fo leicht würde
zurüctnehmen können, und er müßte für Einen Pair, den er
gern hat, immer zwei oder drei ernennen, die er haßt. Aber
ih glaube, die Todesitunde diefer Scheinverfaffung ift noch
nicht gefommen, man fchleppt die Schwächlichfeit lieber noch
eine Weile fort, und ed kann gefchehen, daß jie unterdeſſen fo-
gar an Kräften zunimmt. Wie die Sache jest ift, ift fie zum
Ekel. —
Weiſe Engländer möchten und belehren, wir follten doch
die jegige preußiſche Verfaſſung nicht fo, gänzlich verachten und
finfen laſſen, es fei doc, immer etwas, ein folches Ding zu
haben! Armſelige Krämeranfiht! Wollen die, denen das
Ding angehört, was draus machen? wir hindern fie nicht!
Aber beiftehen in diefer nichtewürdigen Wirthichaft können
wir ihnen nicht. Die Krämer wiffen nicht? von Ehre, nichts
von Zuverficht. Wir bedürfen des Nothbehelfs nicht, nicht der
eiteln Hoffnung auf ein philifterhaftes fümmerliches Zwifchen-
beftehen. Unſer Sinn geht höher. Unfere Sache wird fiegen,
davon find wir überzeugt, darauf fünnen wir feft vertrauen ;
ja fie hat fchon gefiegt, fiegt immerfort, mitten in der gräß-
lichen Reaktion; der ganze Zuftand zeigt es! —
Der biefige reiche Kaufmann Jakobſohn, der erft neulich
den Muth gehabt, zur freien Gemeinde überzutreten, hat ernite
maßvolle Briefe an Manteuffel und Hinfeldey gerichtet, durch
._
3
Friedrih Murhard farb in Kaffel am 29. November,
75 Sahr alt. In Brüffel ftarb am 30. Hert von Coopmans,
dänifcher Minijterrefident dafelbft, ein ftarfer Siebziger. Ich
fannte ihn feit 1807, wo er hier der Galopin feines Gefandten
und der Frau von Boye war. Ein trodner Diplomat und
dürftiger Elegant ſchon ale junger Mann, unwifjend, be-
ſchränkt, fonft eine gute Haut! —
In Königsberg ift ein Referendarius Braufewetter, der im
Sahre 1848 einen demofratifchen Klub leitete, von der Ber:
‚ folgung lange überfehen worden. Plötzlich aber hat man ſich
feiner erinnert, und er durch ein Reſkript des Juſtizminiſters
feine Entlaffung erhalten. —
— —r — —
Sonntag, den 4. Dezember 1853.
Auch in Königsberg ſind die Zeitungen verwarnt worden,
gegen auswärtige Regierungen nicht feindlich aufzutreten, ſonſt
werde die Polizei mit Verwaltungsmaßregeln einſchreiten!
Natürlich nicht mit geſetzlichen Maßregeln! Schon dieſe Ber:
warnungen find nicht gefeglich, find eine ſchamloſe Nachäffung
der franzöfifchen Bonaparte-Wirtbichaft. Weiter willen unfere
Schächer nichts! Wie lange wird ed dauern, fo wird auch
der Nationalzeitung unterfagt, wider die Nuffen zu reden.
Behörden ſchämen ſich nicht. —
Der König hat zu pommerſchen Abgeordneten, die gegen
die neue Maiſchſteuer Vorſtellungen machten, ganz offen ge⸗
jagt, auch er fei gegen die Maßregel, er fei mit feinem Finanz-
minifter ganz geipannt! Was foll das heißen? Konftitutionell
oder nicht, abfegen Tann er feinen Minifter jeden Augenblid,
und jeden Augenblid neue wählen. Wo ift der Vortheil, die
Leute glauben zu machen, er könne das nicht? Und es glaubt
e8 dennoch niemand, —
Ludmilla kam von der Gräfin von Ahlefeldt. Geſpräch. —
365
geben. Gin verjtändiger, aufgewedter und haltungsvoller
junger Mann, der mir ſehr gefällt. Wir fommen in ausführ:
fiched Geſpräch. Er erzählt mir von dem Leben in Koblenz,
wo fih ein guter Kern preußifcher Gefellfchaft befindet, die
Generale außer Dienften von Bardeleben und von Holleben,
der Prof. Bercht, der Oberft von Othegraven, auch General
von Griesheim gehört etwas dazu, dann jüngere Offiziere; fie
find Gegner der Kreuzzeitung, fonftitutionell, der Parthei
Bethmann-Hollweg zugethan — died dürfen fie eingeftehen,
nicht aber etwa, was drüber hinausgeht. — Der alte
Bärfch ift völlig unbedeutend, der Legationsrath Sirt von
Armin ganz lächerlich; letzterer fchreibt ein Leben Juſtus
von Gruner’d; das wird gut werden! — Herrn Stawitzky
find bereitwilligft alle Archive hier geöffnet worden, aud)
der Ordendfommilfion, wo fih manche Friegsgefchichtliche
Sachen finden. Man muß Offizier fein, um fo begünftigt zu
werden. Wie öffneten fich alle geheimen Schränfe für den
Major von Gerwien, ald er über Rühle von Lilienftern ſchrieb,
für den einfältigen Leopold von Orlich! — General Balm,
Dberft von Beczwarzowski, Hofrath Friedrich Förfter 2c. haben
Mehreres geliefert. —
Nachmittags kam Bettina von Arnim. Sie lad mir ihren
Brief an den König vor, und fragte mich wegen mehrerer Stellen
um Rath. Der Brief it geſchickt, eindringlich abgefaßt, etwas
Ihroff, no mehr aber empfindjam, um Verzeihung biftend,
das Mipverftändnig zwifchen ihr und dem Könige ſei „zum
Weinen!” Wenn fie jo fchreiben wollte, fo ift der Brief fehr
gut, wie mag fie aber wollen, nad allen Schnöbdigfeiten, die
fie erfahren? Sie fchmeichelt ſich dem König auf unwürdige
Weife auf? neue an, fpricht zu feiner Gropmuth und
Nahfiht, nahdem er ihre Fürbitte für Kinkel nur beachtet,
um deffen 2008 graufamer zu beftimmen. Diesmal fpricht fie
jur den Mufifer Cornelius, für den Mahler Ratti, und zulegt
367
Dienstag, den 6. Dezember 1853.
An Herren Premierlieutenant Stawitzky gefchrieben, und
ihm das einzige noch vorhandene Eremplar der „Zeitung aud
dem Feldlager von 1813 und 1814 * zur Anficht überfandt. —
Sch habe lange vorausgefehen, daß Dünger, der mit jo
vielem Fleiß und Scharffinn Goethe’s Leben und Schriften
durchforfcht, aber auch mit Bitterkeit und Härte die Be:
mühungen Anderer auf diefem Felde tadelt, endlich ebenfo
behandelt werden wird. Dies gefchieht in dem neueften Heft
der Blätter für litterarifche Unterhaltung durch Adolph Schöll,
der in einem großen, noch nicht beendigten Aufſatz, Vermeint⸗
fihe und wirfliche Figuren aus dem Leben in Goethe's Dich:
tungen * heftig gegen Dünger losfährt, deſſen Verfahren bitter
rügt, deſſen Deutungen verwirft. Schöll ift gerade fo wie der,
den er dephalb tadelt, auch ihm begegnen Irrthümer und Ber-
fehen, wie jenem, wie fie jedem begegnen, der Vielartiges zu
behandeln bat. Nur ift Dünger mir doch weit lieber, weil er
gründlicher und umfichtiger verfährt, fein Eifer wärmer und
umfaffender ift. Schöll geht auch mit Heftigfeit gegen Edardt
108, der eine foldhe gar nicht verdient; dabei werde auch ich
zwar in allen Ehren genannt, aber doch foll um fo mehr be-
wiejen werden, daß meine Zuſtimmung zu Eckardt's Meinung,
in Goethe's Taffo werde ald Antonio das Bild Herder’3 vor:
geführt, keinen Grund habe; er, will dies durch Widerfprüche
darthun, zwiſchen Goethe's Aeuperungen und folder An-
nahme, doch damit ift nichts gelagt. Was widerfpricht jüch
nicht alles, und ift doc, beifammen; man liebt und hapt zu—
gleich, ehrt und mipbilligt, zieht an und ftößt ab, und ohne
Falſchheit, ohne Argliit, aus gebotener Nothwendigfeit der
Berhältniffe und Umftände, ja der zwiefpaltigen Menfchen-
natur felber. Daß Goethe zu allen Zeiten, bei größter Ber:
ehrung des Geiſtes, bei ftärffter Hinneigung des Gemüths,
immer eine geheime Widrigfeit in Herder gefpürt, daher auch
369
gleich die Auflöfung der Kammern bewirken, eine Aenderung
des Wahlgeſetzes, zuleht eine Abſchaffung der Verfaffung. Auf
diefem Wege fünnen wir nichts erlangen, unfere Sade ift
weiter hinaus — auf Ereigniffe geitellt, die nicht fehlen wer⸗
den. Wir können warten. —
Im Suetonius geleſen, im Plutarchos, Franzöſiſches. —
Die Neue Preußiſche Zeitung, welche ſonſt bei einer ſie
treffenden Beſchlagnahme wüthig aufbrauſt und widerbellt,
giftige Drohungen gegen Hinckeldey und Manteuffel erläßt, iſt
bei der letzigeſchehenen Beſchlagnahme ganz ſtill! Wie die
Zeiten ſich geändert haben! — Und doch ſind es für uns noch
dieſelben Zeiten! —
Wird der nun doch gewählte Aſſeſſor Wagener in die Kam-
mer eintreten dürfen, da nod eine unverbüßte Gefängniß-
ftrafe auf ihm liegt? Seine Junker find doch fonft auf jede
Spur von Befcholtenheit fo erpicht! Sollihm die Abgeordneten-
ftelle noch gar etwa zur Freiftätte gegen die Haft dienen? —
Der Abgeordnete Aldenhoven, der in der Kammer die Mi:
nifter beleidigt haben fell, war troß aller Einwendungen doc
vor Gericht angeklagt worden. Da die Kammern nun wieder
in Thätigkeit find, und Aldenhoven in feinem Berufe wirkfam,
fo hat das Obertribunal einftweilen feinen Sprud auf-
geſchoben. —
Donnerstag, den 8. Dezember 1853.
Frau Bettina von Arnim befuchte mich, und brachte noch-
mals ihren Brief an den König; ich hatte ihr neulich gerathen,
ein paar Blätter von Hoffmann’? von Tallersleben Hand
lieber nicht an den König zu fchiden, jie hatte das aber weit
weggewieſen; heute meint fie felbit, daß der König dadurch
übel gereizt werden fönnte, und will fie weglaffen, was ich
natürlich billige. Sie theilt mir auch den Anhalt eines Briefed
Varnhagen von Enfe, Tagebüder. X. 24
371
Leibe nicht dag, was ich bei Andern einmal getadelt, mir dep-
halb auf immer und unter allen Umftänden verbieten! —
Gerlach's Heußerung in der Kammer: „Ich fühle mich um .
jo freier, jemehr ich influirt bin ! * wurde von vielen Kammer-
mitgliedern beklatſcht. Ganz recht, die Frechheit, welche mit
Hohn baare Unvernunft hinſchwatzt, gefällt ihnen! Die
Zumpenhunde fühlen, daß alles Vernünftige ihnen feindlich
ift, fie beten die Göttin der Unvernunft an, und erkennen die-
jen Gerlach ald deren würdigen Priefter. Der ganze Kerl ift
doch nur ein Abklatfch von Leo, und ein gefudelter! —
Freitag, ben 9. Dezember 1853.
Sm Suetonius gelefen, ich komme ftets wieder auf ibn
zurüd, obſchon von dem Inhalt immer mehr abgefchredt. —
Herr von Bally, einſt Mitglied der Frankfurter National:
verfammlung, tft hier in der Charite an den Poden geftorben.
Er war durch einen Prozeß heruntergefommen. —
In den Gränzboten fteht eine treffende Schilderung des
Hiftorikerd. Leo und feiner Schriften; die Verdienfte werden
anerkannt, aber auch die wüthige Leidenſchaft, die blinde Will-
für und Berbiffenheit, die Tücken und Narrheiten ſcharf be-
zeichnet. — |
Viktor Hugo hat eine neue feharfe Schrift gegen Louis
Bonaparte und fein — Kaifertbum herausgegeben; man hat
fie hier fogleich verboten. Sie heißt: „Les chätiments“.
Wie zaghaft und aufmerfjam it Preußen, daß diefer neue
Kaifer ja nichts übel nehme! Welche Geißel ift der Menfch
für alle die von ihrer Majeftät und Gottesweife trunfenen
Fürſten! Schon um depwillen dürfte ihm viele zu verzeihen
fein. Sie fühlen alle den Arm des Emporkömmlings, des
Mannes, nicht von Gotted Gnaden, fondern von Volkes
24*
373
zelnen Angaben und Vorherfagungen Recht gehabt haben, im
Ganzen und Großen haben fie ed nie, und der Fortgang der
Dinge fpottet ihres Scharffinng, ihrer Rathichläge. Wie eng
find ihre Gefichtöfreife, wie dürftig ihre Bernünfteleien! Der
. in den Himmel erhobene Burke mit feiner gepriefenen Bered-
famfeit ift oft gradezu dumm. Webrigens kann ich einen Men-
hen, dem bei großen Strebungen zum Licht und zur Freiheit
nicht das Herz höher fchlägt, nicht den klügelnden Berftand
fortreißt, niemals für einen edlen und grogmüthigen halten ;
und wirklich find es nur Feine Seelen oder blinde Fanatifer,
die ſich ſolchen Bewegungen feindlich bezeigen, fie herabdrüden
oder vernichten wollen! —
Sonntag, den 11. Dezember 1853.
Bei Kranzler. In den Thiergarten. Bei den Zelten
Schrittichuhlaufen gefehen, Damen und Herren; bei Bettina
von Arnim Buch und Karte abgegeben. Herrn Geh. Medizinal-
rath Romberg geiprochen, fpäter Herrn Dr. Ring, der ung in
die Stadt zurüd begleitete. — ü
Zu Haufe wartete Fräulein Marie von Buch auf ung; fie
brachte mir ein allerliebites Billet von Frau von Treskow, die
bald auch jelber Fam, das Fräulein wieder abzuholen. —
Herr Wolfgang von Goethe wollte mich befuchen und ließ
jeine Karte zurüd.
Nachmittags fleißig gearbeitet. Räthſelhafter Beſuch;
Bettelei? Neugier? irgend Ränte politifcher oder litterari-
ſcher Art? Alles an fchroffer Unbefangenheit haltungslos ab-
geglitten. —
Der General von Willifen (in Erfurt) war ſchon im Jahr
1849 zum Oberftallmeifter ernannt, die Ernennung vom
König vollzogen, aber der Graf von Brandenburg widerfeßte
fi) mit aller Macht, und mit dem Erfolg, daß die Sache
374
ichweben blieb. Die Hauptfache war, Willifen follte nicht in
der Nähe ded Könige fein, und das ijt auch noch der Kall;
der Minifterpräfident von Manteuffel haft den General, wie
ihn der Graf von Brandenburg haßte. — Der König indep
behielt den ehemaligen Jlügeladjutanten jtetd in Gunft, und
diefer ftarfen Einfluß auf ihn, beſonders auch in Geftütfachen,
in denen der König ganz nach Williſen's Angabe Befehle er:
lieg. Jetzt hat fich plößlich ergeben, dag der König plöglich
Befehle im entgegengefegten Stun erlaffen hat, auf Man:
teuffel’3 dringende Anregung, und man fchließt daraus, daß
Willifen in der Gunft geſunken fei. Schon triumphiren feine
Feinde und befonders Munteuffel; fie könnten fich aber doch
verrechnet haben, eine furze Anwefenheit dürfte den König
wieder anders ftimmen; dap fein Verlag auf ihn fei, klagt
Manteuffel bitter und laut. —
Montag, den 12. Dezember 1853.
Briefe von Humboldt, Dr. Hermann Franck, General
von Neiche, Dr. Zabel. Der General Reiche dankt verbind-
lichft für mein Buch, preift mein Talent, will mich bejuchen,
fügt aber die Bemerkung hinzu: „Sollten in der Schrift viel-
leicht Einzelnheiten angetroffen werden, welche zu Ausftellungen
Anlaß geben könnten, ſo werden folche gern überfehen wer:
den.“ Gr meint die ihn betreffenden Angaben, in denen er
nicht genug hervorgehoben zu fein glaubt, obſchon für ihn faft
mehr gefchehen fein mag als ihm gebührt. Er ging gleih An-
fang davon aus, daß nur für ihn das Leben Bülow's ge—
Schrieben werden ſollte! — Humboldt jchreibt mir die freundlich:
ihmeichelhaften Worte: „Die Galerie Ihrer LXebensbilder
jteht einzig groß in unferer deutfchen Litteratur!“ —
Befuh von Herrn Oberlandforjtmeiiter von Burgsdorf.
. Sprudelnder Dank, heftiger Eifer für Bülow, für jeden, der
375
an der Ehre Bülow's mäfeln will, follen feine Piftolen bereit
fein, auch allenfalld feine Feder, fie follen ihm nur kommen,
dieſe Schächer! Er fpottet über die hofführtigen General-
ftäbler, die elenden Hofoffiziere, wenn es vor den Feind geht,
dann find ganz andre Kerls die Führer, nicht jene Prahlhänfe,
die da meinen, in Schledwig-Holftein oder in Baden große
Sachen gemacht zu haben. Schweinereien haben fie gemacht,
das hat er Wrangel’n jelber in's Geficht fagen dürfen! Er
. fpricht darauf mit einiger Zärtlichkeit von feinem dreijährigen
Enkel, befennt, das Kind fei die Freude feines Alters ꝛc. —
Mit Ludmilla Litterarifched und Gejellichaftliches be-
jprochen. — Im Suetonius und Plutarcho8 gelefen. —
Die Türken haben im fchwarzen Meer eine Anzahl Trans⸗
portfchiffe verloren, fie wurden von ruffifchen Kriegsſchiffen
überfallen. —
Es heißt, Uhland habe den preußifchen Friedendorden
pour le merite, fowie den neuen bairifchen Orden ab-
gelehnt! — (S. 19. Januar 1854.)
Hunboldt hatte dem Könige die Wahl Uhland’s mitgetheilt,
und dieſer, der ſchon den Vorſchlag ſehr eifrig gebilligt hatte,
war äußerſt damit zufrieden, er freute ſich, dieſe Berühmtheit
auch in den Kreis preußiſcher Beziehungen zu bringen. Hum-
boldt fchrieb demnach an Uhland, und verfündigte ihm, was
im Werke fei. Doch Uhland antwortete, er müffe Bedenken
tragen, eine Auszeichnung anzunehmen von einem Fürften, in
deffen Namen diejenigen Männer, die mit ihm in der Rativnal-
verfammlung gleichen Sinnes und gleicher Ausdauer gewefen,
noch immer verfolgt und ald Hochverräther bezeichnet werden.
Tapferer, braver Uhland! —
Das Obertribunal hat in der Sache Aldenhoven’d doch
gefprehen, und zum allgemeinen Grftaunen und gegen
alles Erwarten für ibn, nämlich) erklärt, es könne feine ges
richtliche Verfolgung ftattfinden, weil fein Kammermitglied
- 317
leger in 50 Thaler Geldftrafe verurtheilt, die Abdrüde zur
Vernichtung. Der Berfaffer ift der Lump Victor von Strauß,
lippifher Bundestagdgefandter — und das bleibt ein
folder! —
Der König fann mit feiner Pairskammer nicht zu Stande
fommen. Er hatte den Höfling Herrn von Stillfried —!! —
beauftragt, ihm eine Lifte hoher und grundbefigreicher Häufer
anzufertigen, e8 fand fich, daß zwei Drittheile Fatholifch waren.
Er hat mehrere märfifhe und pommerfche Häufer aufgefordert,
Majorate zu ftiften, die meiften haben ed abgelehnt, und einige
fogar die fchon ausgefertigten Diplome zu höheren Adelstiteln
uneingelöft gelaffen! —
Mittwoch, den 14. Dezember 1853.
Gefchrichen, dann Befuch von Herren Profeffor Bopp, der
mir feine afademifche Schrift über die Sprache der alten
Preußen bringt. Ein vortreffliher Mann, tüchtig ald Gelehr-
ter und ale Karakter, freifinnig, hell, dabei in fich gezogen und
till, er thut dad Seine, läßt die Anderen gewähren, fid) aber
„von ihnen nicht fören, nicht leiten. Sch erinnere mich nod)
fehr gut, daß man in ihm, als er auf Wilhelm’d von Hum-
boldt Betrieb hier für das Sanskrit angeftellt wurde, nur
einen trodnen Pedanten ſah, wie er auch für das Fach er-
forderlich ſchien; als man ihn fo fchilderte, rief Rahel
aus: „Nun Gottlob! fo geht doch fein Menfch an die
jem Sanskrit unter!” Die Boraudfegung nämlich war,
er fei fein frifcher Lebendmenfch, nur eine Mafchine für Ge-
lehrſamkeit. Doch Bopp ift ein ächter Menfch, der feines-
wege in fein Fach aufgeht, der died wie fein Anderer erfüllt,
aber mit Sinn und Urtheil viel darüber hinausreicht,
ganz und gar nicht in ihm untergeht. Er ſprach fehr bündig
über die hiefigen Univerfitätsverhältniffe, anerfennend von
. 379
Feinde unter den Hofleuten; feiner von ihnen liebt ihn, oder
ſchont ihn nur. Und doch giebt er fich diefen am meiften hin,
jtüst fich auf fie, hört fie an! —
Im Leben Vincke's gelefen. Elendes Machwerk aus reichen
und guten Stoffen! Bodelſchwingh ift noch unter Perb, er
verſteht nicht® von fchriftftellerifcher Abfaffung, er ift plump,
gering, ohne alles Urtheil, fein Tert ift erbärmlih. Binde
ſelbſt erfcheint gar nicht fo vortheilhaft, ald man erwartet.
Sein Berdienft ald Oberpräfident ift fehr anzuerkennen, er
war redlich, einfichtsvoll, von unermüdlicher Thätigkeit, aber
auch Fleinlich, pedantifch, von geringem Geiſt, etwas närriſch
fogar, und das hat ahm bei den Großen genußt, die nicht?
weniger vertragen, ala Tüchtigkeit, Kraft und Begabung ohne
Beimifchung von Schwächen. —
Donnerstag, den 15. Dezember 1853.
Neuer und, wie es fcheint, bedeutender Bortheil der Türken
über die Ruſſen in Afien. Der Seefieg der Ruſſen bei Sinope
nicht fehr erheblich. —
Die Wahl Uhland’3 für die Friedensklaffe des Ordens
pour le merite joll vom Könige nicht beftätigt, und an
feiner Statt ein Ausländer ſchon ernannt fein.
Schöne Anekdoten von Orden; Ruft: „Für a Titel und
a Orden lauf’ ich durch’3 Feuer!” Ilgen: „Ein Orden? Sch
thu's!“ Dazu die dritte: der Kaufmann * hier, der freilich in
feiner Beziehung die Möglichkeit fieht zu einem Orden auf
gewöhnlichem Wege zu gelangen, vwerfichert ganz ernftlich, für
den Rothen Adlerorden vierter Klaffe — das Geringjte von
diefer Sorte — Tiefe er fich die Hand abhauen! Solche nichts⸗
würdige Gefinnung im Jahre 1853, nach dem herrlichen
Jahre 1848! Ich fage, man follte ſolch efenden Kerl vor Ges
381
laſſe fich num doch einmal nicht aus der Gefihichte reißen, und
der Staub der gefallenen Märzfämpfer werde die Sittlichkeit
der Waifenkinder nicht gefährden. Dawider jprach der Kom-
miffarius des Magiftrate, Stadtſchulrath Fürbringer, — ein
Lumpenkerl — und behauptete fnechtifch, man müſſe den Kin
dern jede Erinnerung an jene Greigniffe fern halten. Die
ganze Berfammlung ftimmte dann, mit ein paar Ausnahmen,
für den Plag am Rummelöburger See. Im Magiftrat, wie
in den Stadtverordneten find noch aroßentheild dieſelben
Kerle, die dem Begräbniß jener Kämpfer mit prablerifchem
Prunf beiwohnten, fie für Helden und Märtyrer erklärten !
Die Frechheit ift der eigentliche Karafter unfrer jetzigen Zus
ſtände! —
Sonnabend, den 17. Dezember 1853.
Befuh von Herrn Dr. Hermann Franck. Sinnige Mit—
theilungen über das Leben in Stalien, befonderd in Rom; es
wäre unbegreiflih, daß Menſchen, die dort leben könnten,
doch hier leben, wenn nicht alle Reize des Himmels und des
Landes dort reichlich aufgewogen wären Durch die Scheußlich-
feit ded Regierungs- und Pfaffenweſens, gegen welches alleg,
was wir in der Art haben, noch golden erfcheint! Ich fürchte,
wenn e8 bei und fo weiter gebt, jo wird der Unterfchied bald
verfchwinden, und wir nur die Nachtheile des Klimas voraus
haben! Ueber Perfonen ſehr gut; Franck iſt ein feiner Beob⸗
achter und gründlicher Kenner. —
Brief aus Stuttgart von Frau von Suckow. Kolaczek iſt
glücklich in New-Yorck angelangt, und dort in litterariſcher
Thätigkeit.
‚Sn Spanien droht ein Staatsſtreich die Vernichtung der
Cortes. Recht fo! Wann fonımt e8 an das englische Parla⸗—
ment? Dann fünnen wir hoffen. —
382
Montag, den 19. Dezember 18 58.
Bettina von Arnim plagt mich mit dem Demetrius von
Herman Grimm; fie will mein Urtheil offenbar in der Abſicht,
es zu gebrauchen, daher wünſcht fie es ſchriftlich. Daß ich ihr
gefagt, es feien feine Knochen darin, gefällt ihr; fie ift mit.
ihrem Günftling nicht mehr fo zufrieden, daß fie ihm nicht
herzlich gern eine Schlappe gönnte. Der arme Menſch ift
ganz gereizt und gefpannt wegen ſeines Stüdes, die Auffüh-
rung ift zugefagt, der Erfolg unficher.
Die Kammern haben fid) bis zum 4. Januar vertagt.
Diele Abgeordnete reifen zum Weihnachtöfeft nach Haufe.
Berlin hat diesmal, jo hört man allgemein, traurige Weih-
nachten zu erwarten. Theurung, Armuth, Stodung des Er-
werbd und Handeld, große Abgabenlaft und immer höhere
Anforderungen! —
Lord Palmerſton's Austritt aus dem englifchen Miniſte—
rium erregt großed Auffehen. Man jagt, der Unfall der
Zürfen bei Sinope fei eine Folge der Schurkerei des Grafen
Aberdeen. Heftige Aeußerungen der englifchen Blätter, ſo—
gar der Times, die bisher ſchändlich Aberdeen'ſch und ruſſiſch
war. —
Dienstag, den 20. Dezember 1853. -
Herr don Arnim-Kriwen, in feiner vollen reaftionairen
MWiderwärtigfeit! Erzariftofrat, mit feiner Geldheirath; mit
einer Kaufmanndtochter aus Magdeburg! Er war damals ein
hübſcher Burfch, das machte er geltend. Jetzt ficht er wie Neid
und Bosheit aus. — |
In München Hausfuchungen, man wollte die Urheber
mipfälliger Zeitungsberichte von dort entdeden, entdedte
nichts! —
In Baden Fatholifhe Aufwieglerfhriften in den Kaſernen
383
vertheilt, ganze Päcke von einem Blatte, das den Titel führt:
„Katholifen, paßt auf!" Das geht denn doch der weltlichen
Macht gradezu an den Hald. Die Behörden find wieder etwas
fttenger. —
Neue ruffifche Siege werden verfündet. Die Nachrichten
jind fehr zweifelhaft, fowohl der Umfang ald der Erfolg der
Gefechte bleibt ungewiß. Frühere Angaben beftätigen fich
nicht. — |
Der Handelöjtand in Magdeburg, dann der in Danzig,
haben ausführliche Denkfchriften eingereicht, um darzutbun,
wie fehr die ftrenge Sonntagsfeier, bejunderd in Betreff der-
Poft, ihre Geſchäfte ftört und benachtheiligt. Der Minifter
von der Heydt, der frömmelnde Libertin, hat mit Freuden
die Gelegenheit ergriffen, auf's neue feinen Eifer für die
Sonntagsfeier zu zeigen, und dem Handelöftande feine Bitt-
Ichriften abjchläglic, beantwortet. —
Ich habe die Bemerkung gemacht, daß es in vielen Stüden
beifer ginge, wenn die Leute ein befiered Gedächtnig hätten,
nicht zu fchnell alles vergäßen. Sie willen allenfalld das Ge-
ichehene, aber fie denfen nicht daran, nicht in jedem, nicht im
gehörigen Augenblid. Daß fie der Dinge nicht erwähnen
dürfen, daß fie ſchweigen müſſen, jollte fie nicht hindern,
der Dinge doc) zu gedenken. Aber das Schweigen ift der erfte
Schritt zum Vergeſſen, daher die Regierungen ganz richtig
fürerft jenes auferlegen, joviel fie ed können. Auch haben rohe
Völker ein geringes Gedächtnig, z. B. Die Polen, die Ruſſen,
die untern Volföklaffen überhaupt. Johann Benjamin Erhard
behauptete ſtets, e8 fei ein Vorzug und Vortheil der Adlichen,
daß fie ein beſſeres Gedächtniß hätten; diefed Paradoxon iſt
nicht ohne guten Grund. — Die Demokraten find auf alle
MWeife bemüht, die Thatfachen, Gefinnungen und Neden vom
Jahr 1848 im Andenken des Bolfes frifch zu halten, —
sm Plutarchos gelefen, im Ovidius. —
385
Zutheranern hat Baden auf preußische Fürſprache (unferer
Pietiſten und Scheinheiligen), jet Duldung zugejtanden,
aber den Prediger Eichhorn dürfen fie nicht behalten! —
Bon den Türken verlangt man jest, fie follen, alle hrift-
lichen Religionen frei zulaffen, den Bau von Kirchen, die Er-
tihtung von Gemeinden unbedingt freigeberr, allen Ein-
wohnern gleiche bürgerliche Rechte, gleiche Berechtigung zum
Staatsdienfte zugejtehen; als ob dergleichen in andern
Staaten herfömmlich wäre, als ob die verlangenden Negie-
rungen in ihren Ländern dergleichen gejtatteten! Wenn hier
Mobammedaner eine Mofchee bauen wollten, ohne des Königs,
‚der Minifter, Hindeldey’d Erlaubnig, den Lärm wollten wir
eben! —
Der Staatöftreih in Spanien beginnt fhon; bravo! —
Donnerstag, den 22. Dezember 1853.
Der Minifter des Innern hat die neuliche Bervarnung,
die der Poligeimeifter Rudloff in Stettin einem dortigen Zei⸗
tungsredafteur zugehen ließ, wenn er fortführe, feindlich gegen
Rußland zu fchreiben, würde fein Blatt eingezogen werden,
ſowohl für unbegründet ald für willfürlich erklärt, und dem
Polizeimeijter deßhalb einen PVerweid gegeben. Im Herzen
aber ſoll er das Verfahren billigen. —
Man kann alle Kriege als Berfuche zur Bölferverbrüde-
rung anfehen, und obfehon noch durch feinen das Ziel erreicht
worden, fo hat doch jeder feinen Beitrag zur Annäherung
geliefert. Warum ein ſolch ſchönes Ziel durch ſolche Mittel
angejtrebt werden muß, das ift Sache der Vorfehung, die hat
der Unbegreiflichfeiten viele! — Der Natur iſt an den fallen-
den Menfchen nicht mehr gelegen, ald an den fallenden Blät-
Varnhagen von Enfe, Tagebüder. X. 25
386
tern, fie fchafft immer neue in größter Fülle, fie fann ver:
Ihmwenden! —
Freitag, den 23. Dezember 1853.
Fünfter Band von Louis Blanc's Gejchichte der franzö—
fifchen Revolution. Schmerzlich fchöner Ergup darin über
Mirabeau, dem er endlich Gerechtigfeit widerfahren läßt. Bei
Gelegenheit des Defrets, durch Das der National-Konvent die
Gebeine Mirabeau's aus dem Pantheon hinausſchaffen ließ,
jagt Louis Blanc, S. 245: „Ah! qu'il reste sur Mirabeau
le voile dont la Convention enveloppa sa statue il ya
soixante ans, qu’il reste tant que les societes seront
plongees dans cet &tat de corruption qui veut qu’on soit
inexorable pour le vice! Mais si jamais les ämes s’af-
franchissent, si jamais se dissipe la nuit au sein de la-
quelle errent aujourd’hui les intelligences égarées, Ö
posterite des siceles heureux, gräce, ou du moins, pitie
pour Mirabeau! Et n’oubliez pas, vous qui le jugerez
plus tard, qu’il y eut des jours dans sa vie oü il com-
battit pour le droit; qu’il y en eut oü il souffrit pour la
Justice; que sous ses fautes, apres tout, germörent des
qualites charmantes; que cet homme, si violent, etait
neanmoins d’un commerce facile et doux, que la vie
d’un malheureux le remplissait d’&motion; qu’il eut des
amis fanatiques et des serviteurs qui l’adorerent; que,
dans son coeur, helas! trop orageux, l’amour de la
liberte, flambeau celeste, vacilla d’une maniere étrange,
mais ne s’cteignit jamais enticrement; que, s’il descen-
dit à des gofts qu’on n’avoue pas, il ne fut point sans
avoir les aspirations les plus élevées, et que, s’il risqua
la pudeur de son nom sur des oreillers impudiques, il
sut aussi aimer les femmes avec heroisme, avec purete,
387
comme il aimait la gloire enfin, ou, ce qui vaut peut-
etre mieux encore, comme il aimait les fleurs.* Aber
Genüge thut mir Louis Blanc doch nicht, er faßt nicht den
Menſchen ale ein großes Ganzes auf, er zerjplittert ihn zu
fehr in Gutes und Böſes, und rechnet zu [ehr unter das lep-
tere die Leidenschaft finnlicher Bedürfniffe, die an fich gar
nicht jo große Bedeutung haben, und am wenigiten in der
Zeit und Welt und VBerhältniffen, in denen Mirabeau lebte,
ihm mehr ald andere zur Laſt fallen dürfen; bier gilt vor
Allem Seneca's Sprud: „Iniquus autem est qui commune&
vitium singulis objecit.“ (De ira III. 26.) — Merkwürdig
ijt mir das Befenntnig Louis Blanc’d, dag das geihichtliche
Urtheil jih nach) den Zeitumftänden zu richten habe, in denen
es gefällt wird. Es liegt darin eine große, ſehr zu beachtende
Wahrheit. Wer aber will mich hindern, mich ſchon jest auf
den höheren Standpunkt zu itellen, den die fernite Zufunft
darbietet ? — |
— — — — —
Sonnabend, den 24. Dezember 1853.
Sm Plutarchos und in Louis Blanc gefefen. Daß die
neueren Gefchichten ung näher angehen, ift ein Vorzug, den
fie vor den älteren haben, daß die älteren und fremder find,
it ein Vorzug, den fie vor den neueren haben; ed kommt dar-
auf an, ob wir mehr zur Theilnahme oder zur Betrachtung
geftimmt find, um die einen oder die andern vorzuziehen, pr
Seltfamer Zuftand der politifchen Welt. Weberall nur
Berlegenheit, und defto mehr, je größer die Macht. England
jo verlegen wie Rußland, Frankreich wie Oeſterreich; ein
Zeichen, dag die Macht ihnen nicht gebührt, daß fie auf
falfchen Grundlagen ruht. Wenn Preupen jest weniger ver:
legen erfcheint, fo tft ed nicht darum, daß feine Regierung
flüger oder ftärfer wäre, fondern nur deßhalb, weil feine
25*
388
Macht fo viel geringer ift, ald die der anderen. Noch fteht es
außerhalb des Spieles, kommt es aber hinein, dann werden
wir fehen! —
Sonntag, den 25. Dezeniber 1853.
Stille Weihnachtstage, es geht nichts vor, als ſchenken
und gejchenft befommen, und auch dad nicht, wie jonit; Kla—
gen über Theurung, Mangel an Abfag, Mangel an Wrbeit,
dazu fommt nun die jtrenge Kälte. Das arme Volk leidet
ſehr, und niemand achtet feiner, die Bedürfniffe und Geſin—
nungen, die in ihm wachjen, werden erjt erfannt werden, wenn
fie Verderben bringen, dem Volke ſelbſt, oder denen, die über
ihm ftehen. —
Mein Wandnahbar, der badifche Gefandte von Meyfen-
bug, iſt nach Wien gereiſt, er joll dort über die katholiſchen
Wirren in Baden mit den öfterreichifchen und päbftlichen
Zeuten unterhandeln. Man glaubt, er fei der Mann dazu,
weil er früher bei Zettenborn in Wien war. Das hilft nichts
bei dieſer Sache.
In Karlsruhe zeigte fich beim Prinz-Regenten plöglich ein
Unbefannter, der dann, als der Prinz auf ihn zuging, aus
dem Fenſter fchnell entkam. Katholiſche Schredanitalten und
Ränke! —
Mit großem Vergnügen in Louis Blanc die Flucht Yud-
vige des Sechzehnten nach Varennes gelefen; immer neu,
immer anziehend! Gr hat mehre bezeichnende Züge wegge-
laffen, deren Wahrheit nicht bezweifelt werden fann, 3. B. daß
der König im Anfang der Flucht einen Umweg machen wollte,
um bei einem alten Marfchall auf dem Lande den Marjchalls
jtab zu holen, mit dem er den General Bouille fugleich beloh-
nen wollte. Bei ſolchen Gejchichten iſt jeder Umstand merf-
würdig. — Dann las ich in Vincke's Leben, mit lebhaften
389
Antheil; fo viele mir befannte Perſonen und Verhältniſſe!
In den Zeiten von Friedrich's des Großen Ausgang und dem
Anfange der franzöfifchen Revolution haben fi in Preußen
eine Schaar von Staatöbeamten ausgebildet, die fpäter ale
Hauptſtützen ded Staates erfchienen find. -Trefflihe Männer,
fowohl in den erſten Stellen, als in den ziveiten und dritten !
Nechtichaffenheit, gepaart mit Einficht, mit Muth; mit Auf:
flärung, wie das achtzehnte Jahrhundert fie erzeugt hat, —
für die Wiffenfchaft nicht genügend, für den Staat aber höchit
eriprießlich ; Kehren Jean Jacques Rouffeau’d, Montesquien's,
Adam Smith’, Grundjäße der franzöfifchen Revolution und
Freude an deren Gelingen ; auch Binde nahm an diefer freude
Theil, und erzählt merfwürdige Dinge, man hofft auf die Ans
funft der Franzoſen, man fingt in Kaffel: „Ca ira“, man
trägt in Hannover rothe Jakobiner-Mützen 2c. — Unfer aus:
wärfige® Departement hatte die wenigſten ausgezeichneten
Beamten, außer Eichhorn, der nachher als Kultusminifter
jo ſchmählich ald Pietiit und Knecht endete, ift kaum einer
zu nennen. —
Montag, den 26. Dezember 1853.
Der Generallieutenant von Radowis ift gejtern geitorben.
Die Kreuzzeitungsleute und ihr Anhang, die Gerlach's, Voß,
Präfident von Kleiſt ꝛc. frohloden, dag der König den ihnen
verhaßten Günftling verloren hat. Auch die Königin fonnte
ihn nicht Leiden, der Prinz von Preußen nicht und fajt nie=
mand von den Militairperjonen, —
Engliſche Blätter, durch den Vorfall von Sinope aufge-
wecdt, gehen jest ftrenger auf Unterfuchung der englifchen
Politif ein, und finden deren Schwäche und Schmach in der
höchſten Sphäre des Hofed begründet. Der fremde, der frei-
heitögefährliche Einfluß des Prinzen Albert hemmt jedes Mir
390
nijterium, das diefen nicht bricht. Der Morning Advertiser
geht jo weit, für England eine Revolution zu weiffagen, ent=
weder durch Albert, — Staatsſtreich gegen die Volfäfreiheit,
gegen das Parlament, die Verfaffung, — vder gegen Albert,
um dies alled zu wahren. Die niedrigen Ränke, die Eigen-
ſucht und Arglift, welche England niederhalten, formen an
den Tag. Lord Aberdeen iſt ein Lump, aber nicht der größte,
er hat feinen Herrn und Meiſter. — Lord Palmerſton's Auss
tritt aus dem Minifterium ift ein großer Schreden für feine
Kollegen. Man fagt, er werde wieder eintreten, aber ohne
diefe Kollegen. —
Ernitlihe Krieggrüftungen in Schweden, in Dünemarf
Befeftigungen. Gegen England? Gegen Rußland? Ye nach:
dem. —
Dienstag, den 27. Dezember 1853.
Die Neue Preußische Zeitung faltet bei der Nachricht vom
Tode des Generallieutenant von Radowitz heuchlerifch Die
Hände, und [pricht ihn felig; er ſei da, meint fie, wohin wir
alle hoffen zu gelangen! Dahinter verjtedt die Heine freche
Parthei ihren privatim Schon im voraus bezeigten Jubel über
diefen Tod, der fie noch beſonders deßhalb freut, weil er den
König betrübt. —
Die unerwartete Erſcheinung im Zimmer ded Prinz-
Regenten in Karlsruhe wird jet als ein entichiedener Mord-
anjchlag auf fein Leben angeſehen. Man wollte die Sache
anfangs unfcheinbar halten, nähere Umftände jedoch, die be-
fannt wurden, machen die fchlimmfte Abficht unzweifelhaft.
Nachrichten von dort fagen, der arme Prinz wiffe nicht, auf
wen er jich verlaffen, wem er vertrauen folle, er ftehe ganz
allein, es fei ein zerriffener Zuftand! Der arme Prinz foll
nur rechtfchaffen und wahr jein, und dem Volke vertrauen,
391
da wäre ihm geholfen. Aber fo wie ſie's treiben, mögen fie
zum Teufel fahren! —
- $n Grote gelefen, im Plutarchos, in Goethe. —
Ich ſoll alles leicht übertreiben, im Guten wie im Schlim—
men, man wirft es mir ver, Es iſt wahr, ich ergreife alles
mit Lebhaftigfeit, Taffe mich durch einzelne Eindrüde fehr ent—
[hieden zu Vorliebe oder Abneigung beftimmen, ftelle meine .
Urtheile oft fcharf und grell hin; aber diefem Fehler, wenn
ed einer ift, geht feine Ausgleichung unmittelbar zur Seite,
die Fähigkeit neue Eindrüde rein aufzunehmen, die fich nicht,
bei neuer Thatfache, von vorgefapter Meinung abwehren oder
verfümmern laffen, und dann das mir tief eingepflanzte Be—
ftreben nah) Map und Mäpigung. Dieſes fühlt’ ich fchon in
frühefter Jugend, und eine Ode von Klopſtock, welche auch in
der Poefie fichere Maßbeftimmung verlangt, machte den tiefiten
Eindruck auf mich. Daher vermißt man auch jenen Fehler in
meinen Schriften größtentheile, denn bei diefen fam Zeit und
Ueberlegung ftets zu Hülfe ; anders aber ift es in mündlichen
Aeußerungen, wo nicht etwa ftrenge Form, oder gar gefell-
ichaftliher Zwang waltet, in freundfchaftlichen Briefen, in
Aufzeichnungen für mid) ſelbſt. Aliud est enim epistolam,
aliud historiam, aliud amico, aliud omnibus scribere.
Plinius cap. VI, 16. —
Mittwoch, den 28. Dezember 1853.
Nachmittags befuchte mich der Graf von Königsmard.
Was er eigentlich wollte — denn er wollte gewiß etwas —
fam nicht zur Sprache, denn Bettina von Arnim folgte bald, -
und dann aud Herr Kohl, der berühmte Reifende. Könige-
mard blieb noch eine Weile, fowohl wegen Bettinend al?
wegen Kohl's, der ihm wegen feiner Schriften merfwürdig
war. Als er gegangen war, ſetzte fich zwifchen Bettinen und
392
Kohl die Unterhaltung lebhaft fort, er mußte erratben, ‚daß er
Bettinen vor ſich habe, denn fie verbot mir, daß er es hörte, fie
zu nennen! Es machte fi) etwas kindiſch, zu folchen Fleinen
Zierereien gehört Jugend und Anmuth. Sie ging fort, in
der Meinung, Kohl follte folgen, und fie wollte dann wieder
bei mir eintreten. Aber Kohl blieb mit mir und Yudmilla,
die ich hatte rufen laſſen. —
Mit Vergnügen den Auffag Pröhle's über Jahn gelefen,
er ift mit vieler Einficht und Töblicher Gerechtigkeit abgefaßt.
Das angeführte Zeugniß Pfuel’d für Jahn, wonach diefer
manchen namhaften Gefechten beigemohnt haben full, ift zu—
gleich eined der Gutmüthigfeit, mit der Pfuel dergleichen
behandelte; das Bataillon Jahn's hat die Gefechte wohl mit-
gemacht, er aber perfönlich nicht, es war aber die Klage, die
damals geführt wurde, daß es fich immer fo traf, wenn die
Lützower in's Feuer famen, fo war Jahn nicht da, hatte fich
Aufträge gemacht, verfchiden laſſen ꝛc. —
Pitt-Arnim hat bei Hof einen Ranagftreit mit dem, Mi-
niſter von der Heydt gehabt, und ihm bewiefen, Daß der Oberft-
Mundſchenk, feitdem das |t hinzugefommen, den Rang vor dem
Staateminifter habe. Heydt mußte aufjtchen, und den Platz
räumen. Die plebejifhe Erzellenz ift ganz außer fich über
diefe Shmah! —
Donnerstag, den 29. Dezember 1853.
Befuh von Herrn Dr. Hermann Frand, Geiftvolle Bes
merkungen über Gedächtnig, Namen, Erlernen, Umgang,
Gefellihaft. Daß Frauen bei und in der Regel gar wenig
wahre Kenntniffe haben, daß ed ihnen, wie Erhard ganz all:
gemein behauptete, an eigentlichem Intereſſe für die Wahr:
beit fehlt, mit feltenen Ausnahmen! Cbenfo gehe ihnen, mit
feltener Ausnahme, die Fähigkeit jtrengen Denkens ab. „Wie
398
viele Männer aber find in diefem Betreff den Frauen gleich! *
Freilich wahr! Auch hier fann man fagen, find die Aus—
nahmen jelten. Beim Lichte befehen find es wieder mehr die
Unterfchiede der Menfchen, ald der Gefchlechter, die man zu
bemerfen bat. —
Allgemeine Mobilmahung in Rußland befohlen. Sat
nicht viel zu bedeuten, wenn man fich nur nicht fchreden läpt!
— Perſien gegen die Türkei, auch mehr Wort ale That. Aber
Reizung für England. —
Neuerdings noch Berhaftungen von Handwerkern in Be—
treff ded jogenannten Märzfrawalld „zum Behuf des März-
komplotts“ fagen die Leute, die Polizei arbeitet daran, es
fertig zu machen; fie darf doch nicht Unrecht haben! Der
jelige Tzſchoppe legte unter die Papiere der Berhafteten ftraf-
bare hinein, wenn fich nur unfchuldige fanden. —
Ein Herr von Puttfammer in Oftpreußen wird ald Hoch»
verräther durch Stedbriefe verfolgt. —
In Baden viele VBerhaftungen wegen der Flugſchrift:
„Katholiken, paßt auf!" Doch bleibt die elende Regierung
rathlos. — In Freiburg ift der Stadtdireftor Burger, den
der Erzbifihof in den Bann gethan, mit fait hundert Stimmen
gegen ſechs, zum Präfidenten des Mufeums gewählt worden,
Alles katholiſche Stimmen; fo viel macht man fi aue dem
Kirhenbann! —
In Goethe gelefen, im Plutarchos, Franz Xöher’d „Graf
Sport”. —
Zweifämpfe in Madrid, der Sohn des nordamerifanifchen
Gefandten Soule mit dem Herzog von Alba, der nordameri-
fanifche Gefundte felbft mit dem franzöfifchen ; leterer in's
Knie geſchoſſen. —
— — — — —
395
durch Fähigkeiten war er aufgeitiegen, durch Eigenfchaften,
die man nicht Tugenden nennen fann. —
Sonnabend, den 31. Dezember 1853.
Zum Schluffe des Jahres droht alles mit großem euro-
päifchen Krieg. Louis Bonaparte wird Belgien, das linke
Rheinufer an fih reißen, Stalien gegen Defterreich in Empö-
rung feßen. Died kann nicht ohne revolutionaire Mittel ge:
ſchehen, bei denen aber feine Rechnung anzulegen iſt; e8 kann
dann mehr und anderes gefchehen ald man erwartet. Dies
jehen die Regierungen — fv Flug find fie doch — und aud)
— Bonaparte — wohl ein, und werden den Krieg noch ver:
meiden. Iſt aber der Zivang der Dinge fo groß, muß Bona-
parte zum Krieg fchreiten, dann forge er nur, daß er Sieg an
Sieg reihe, fonft ift er verloren! Daſſelbe rath’ ich auch den
Preußen, den Defterreichern,, fonft ift e8 ſchlimm für fiel —
Was im Innern von Rußland vorgeht, davon melden feine
Zeitungen etwas; nach vertraulichen Angaben reifender Ruſſen
ift aber die Mipftimmung gegen den Kaifer groß, und fein
Anfehen tief gefunfen. Er mag wünfchen, den türfifchen
Handel nicht angefangen zu haben. Kann er nicht den Schein
retten, muß er offenbar nachgeben, fo ift er verloren, und er-
leiden feine Heere Niederlagen, fo find die Folgen für ihn gar
nicht abzuſehen. Engliſche Blätter Sprechen fchon von einem
Aufftand in der Krim, ald Thatfache noch keineswegs anzu⸗
nehmen, aber ald Fingerzeig merfwürdig und bedeutend! —
Ic konnte nicht zu Frau von Nimptſch. Nach dem Thee
mit Ludmilla Schach geſpielt, aber vor dem Eintritt des
neuen Jahres aufgehört. Mit guten Glückwünſchen dies be-
gonnen. |
In Goethe's Farbenlehre gelefen, in Louis Blanc, —
- — nn — —
1854.
Sonntag, den 1. Januar 1854.
Bon allen Seiten düstere Weiffagungen für dies beginnende
Jahr! Das rothe Gefpenft in Frankreich glauben fte durch
den — Teufeldbanner Louis Bonaparte glücdlich verfcheucht,
da droht ihnen ein grünes Gefpenft in Rußland, heraufbe-
ſchworen durch den Kaijer Nikolaus, den jie auch für einen
Retter hielten. Was auch immer gefchehen mag, in allem
Unheil und Verderben werden wir unfere Genugtbuungen
haben, dafür ift geforgt! Ich bin aber auch fehr darauf ge-
faßt, daß das Jahr ohne große Schläge vorübergeht, träg
und klein und erbärmlich, wie jest alle Machthaber find. Die
Völker wachfen indeß immerfort, auch unter der Hülle der
Unterdrüdung. Sie brauchen lange, lange Zeit zu ihrer
Einigung, ſonſt — wäre fchon jeßt alles anders! —
Wenn man zurüdblidt, wie früher die Dinge waren, was
man von ihnen erwartet hat, und wie fie geworden find, fo
lernt man ficher da3 Wejentliche von dem Scheinbaren unter:
fcheiden, und befommt einen Maßſtab in die Hand, mit dem
man ruhig und ungeirrt die weitern Tage durchſchreitet! —
Unſere heutigen Eitelfeiten werden dahinfahren, wie die ehe—
maligen; wir wollen fie deshalb nicht unbedingt verwerfen,
aber als das hinnehmen und genießen, was fie nach diefer Er—
fenntnig wirflich find. —
397
Montag, den 2. Januar 1854.
Schwerfälliger Traum von einer Schlange, die man in
einer Gefellichaft ald Scherz einführte, und die im Ernſt ge-
fährlih war; ich wehrte jie mir ab, und drohte ihr den Kopf
abzufchneiden, falle man fie nicht entfernte. Den ganzen
Bormittag behielt ich die widrigen Eindrüde, — Dann fam
Frau von Bud (Schröders Devrient) heiter und freundlicd,,
auch bei alternden Zügen noch voll Anmuth! Sie verfündigte
und, daß ihr der Eintritt in Rußland nicht mehr verfagt fei.
Nah Rußland gehen zu dürfen, foll man ein Glüd nennen!
Aber in ihren Berhältniffen ift es eines, fie mußte es zu—
geben. —
Dienstag, den 3. Januar 1854.
Brief aus Genf von Helmina von Chezy; fie klagt mir
ihr ſchweres Unglüd, völlig erblindet und dadurch in erhöhter
Bedrängniß und Sorge zu fein. Sie hofft Unterftügung aus
Frankreich, aus Preußen, am erfolgreichiten aber, meint fie,
würde für jie fein, wenn zu ihrem Bortheil eine allgemeine
Aufführung der von ihr gedichteten Oper Euryanthe ftattfände,
ein Gedanke, dem bereitd Meyerbeer günftig zugeftimmt habe,
und für den auch ich möglichſt wirken ſoll. ch überlege mir
die Sache und feße fogleich etwas auf, das zu dieſem Zwecke
dienen kann. Die arme frau ift fehr bedauernswerth, die
Noth im Alter jo fchredlih, daß man nicht erft lange fragen
darf, wiefern fie verfchuldet fei oder nicht! —
Bejuch von Herrn Prof. Dirichlet; feine Mathematik will
er über die Philofophie erheben, was ich nicht geitatte; was
wollte die Mathematik anfangen, wenn fie nicht Philofophie
Ihon in Jih hätte? Die Philofophie ift die Bewegung des
Geiſtes, daher wandelbar und wechjelvoll, die Mathematik ift
ftarr und feit, aber ohne Xebendreiz und Anmuth; jeder ver:
398
bleibe ihre Ehre auf eignem Boden! Herr Prof. Adolph
Stahr Fam dazu. Wir befprachen mancherlei Gegenftände,
die Menfchenfurdt und Schmiegfamfeit fo vieler Gelehrten,
an der Spiße der Karafterlofen ftand Ranfe, von dem und
Dirichlet eine ſchimpfliche Geſchichte mittheilte. — Bettina
von Arnim fam, ging mit zu unferem Mittagelfen.
In Hamburg tft der Architeft Chatenunceuf, der vor fünf-
unddreigig Sahren mit feinem Genoifen Weiffenburg in Berlin
bei und war, und nachher viele Bauten in Hamburg audge-
führt hatte, geftorben. Gr war feit längerer Zeit wahnfinnig
geworden. ch habe feinen Bater gefannt, der Sänger bei
der franzöſiſchen Schaufpielergefellfchaft in Hamburg war, und
bei einem Feſte der franzöfiichen Republik in Harvſtehude ung
duch .Fühne Freiheitslieder entzückte. —
— — — — — —
Mittwoch, den 4. Januar 1854.
Die Neue Preußiſche Zeitung iſt geſtern polizeilich beſchla—
gen worden, ich erhielt fie noch; die heutige ebenfalls weg—
genonimen, erhielt ich nicht. — (Erftere wurde jpäter wieder
freigegeben.) |
Der General, Kommandant von Koblenz, Herr von Gried-
heim, iſt am 1. Januar dafelbit gejtorben. —
Donnerstag, den 5. Januar 1854.
Brief und Weihnachtölied vom Kriegsrath Karl Müchler;
der neunzigjährige Greid dichtet noch, und nicht ſchlechter
als fonft. —
Die Neue Preußische Zeitung meldet kläglich ihre zwei:
inalige Befchlagnahme, fie droht und fchimpft nicht, fie fragt
bejcheiden, warum ihr das geichehe? Sie tft fehr herunter
gefommen! —
399
Ein Tagelöhner, von gutem Ausfehen, war wegen Obdadh-
Iofigfeit verhaftet und fand vor Gericht wegen Arbeitfcheu.
Er berief fih auf einen Bürger, bei dem er gearbeitet, und
dann vergebend zu neuer Arbeit ſich gemeldet habe. Der
Bürger erfannte ihn nicht gleich, Dann aber doch, ging auf ihn
zu und gab ihm die Hand, er fei ein guter Mann und braber
Arbeiter, den er fogar gewünfcht wieder auffinden zu fünnen.
Der Stantsanwalt beantragte ſogleich Freiſprechung, der Prä—
dent des Gerichts fprach fie ohne Berathung aus. Der
Steigeiprochene aber hat zwei Monate in vorläufiger Haft
zugebracht! Er heißt NRheinftein. Und bei ſolchem Rechts—
frevel bleiben die Behörden ftumm, die Kammern ftumm!
Feilich dieſe Lumpenkammern, falfchen Kammern, Minoris
tätefammern, gefüllt mit dem Junferpöbel und Beamten
lafaien! — |
Sainte-Beuve's Artikel über Kondorcet ijt das Schled)-
tejte, was ich bisher von ihm gelefen habe, Aus niederm
Standpunkt, augendieneriich für gewiffe herrfchende Meinun-
gen, ohne allen politifchen Geift, auf den es hier jo wefentlich
ankommt, ohne alle Einficht in die großen Verhältniffe, das
Kochen und Braufen der wilden revolutionairen Gewäfler.
Ein Franzoſe, der dafür feinen Sinn, fein Urtheil bat, ift eine
Seltenheit. ondorcet war einer der edlen Helden der Revo:
lution, der im Eifer für das Heil der Menjchheit vieles über:
jehen durfte, beſonders aber das, was diejenigen traf, die bis
dahin alles überfehen, was nicht fie felbft unmittelbar an-
ging! — Fontenelle, Droz, die Genlis, folhe Leute mag
Sainte-Beuve beurtheilen ; die Condorcet, Diderot, Mirabean
jtehen außerhalb feines Bereichd. —
Der König war heute bei der Feierlichkeit der Fortbrin-
gung der Leiche des Generald von Radowitz furze Zeit gegen-
wärtig, hielt am Sarg ein ftilles Gebet, küßte dann die anwe—
jenden Söhne des Verſtorbenen auf die Stirne. Pitt-Arnim
400
fügt, das foftet ihn gar nichts, das kann er immer, dazu
braucht er nicht das geringfte Gefühl ıc. —
Als Herr von Bismard-Schönhaufen nad Franffurt am
Main ale Bundestagsgeſandter fam, bemerkte er fehr mipfällig,
dag die preußiichen Geldgefchäfte durch Rothſchild beſorgt
würden, und er verlangte, dag ed durch Bethmann gefchehen
-ſolle. Der Jude war ihm verhaßt; er machte eine Gelin-
nungsjache daraus, mit diefem nichts zu thun zu haben. Die
Behörden in Berlin wollten aber feine Weifungen nicht anneh⸗
men. Nach einiger Zeit bemerkte man, daß Herr von Bis⸗
mard feine Bejoldung durch Rothſchild beziebe, daß er dies
Haus warm empfehle, und in großer Vertraulichkeit mit den
Häuptern defjelben verfehre. —
—r
Freitag, den 6. Januar 1854.
Es fam Bettina von Arnim. — Berathung wegen Achims
von Arnim und Clemens Brentano’s Briefwechlel. Schnur=
ren und Unarten des ungezähmten Bruders, ich erwähnte feis
ner Liebenswürdigfeit. „Sa, mit der bat er gewuchert, wie
der ärgite Jude!“ Lob der Sophie Mereau, die er hart gepei-
nigt; fein Unrecht auch gegen die zweite Srau. Bettina war
ganz aufrichtig über ihn. —
Wie im Leben des Einzelnen die gleichförmigen, ruhigen
Tage nur durch) ihre Anhäufung etwas find, die Höhe und der
Glanz des Lebens aber in wenigen außerordentlihen Tagen
beiteht, die einen Wendepunkt, einen Erfolg, eine Begeijterung
enthalten, fo ift e8 auch mit den Nationen. Werth und Be—
deutung derjelben berubt in ſolchen Gejchichtömomenten, Die
das Innerſte zur Erjcheinung rufen. Unvergeßlich ift ung
der jiebenjährige Krieg, unvergeglich die Kataftrophe von 1806,
unvergeplic die Ruhmeszeit der Befreiungskriege; doch alle
diefe Gejchichtämomente überftrahlt das Tahr 1848. Das
401
Beſte und Höchite der Deutjchen kam da zum Borfchein, in
überfchwänglicher Fülle. Die ganze Nation war eine Einheit,
wie noch nie, alle beften Kräfte und Talente, das reinfte fitt-
liche Streben, arbeiteten an Entwidelung und Ausbildung der
neuen Zuftände Nie war in Deutichland foviel Gutes,
Edles, Hohes fo gemeinfam rege. Die Nation erwies fich groß-
müthig, hochgefinnt, maßvoll; nur Flug und fchlau war fie
nicht! Daher ging auch alles fchleht. Sie war ihren
innern Feinden nicht gewachfen, weil fie ihnen vertraute; fie
ließ fich zu Dünkel und Eigenfucht verleiten. Aber dennoch,
die vier Monate der Kreiheit und Selbftjtändigfeit, die wir
erlebt haben, find ein unvergänglicher Feſttag in unferer
Geſchichte, der immer fich erneut, fo oft wir feiner nur geden-
fen. Heil dem Jahre 18481 —
Sonnabend, den 7. Januar 1854.
Im Bette die Zeitung lefend, werde ich durch die Nachricht
erihüttert, Daß am 5. mein Freund Guhrauer in Breslau ge-
jtorben ift! Da er nicht, wie font wohl, nad) Empfang mei-
nes Buches ſogleich gejchrieben hatte, vermuthete ich ihn krank,
aber an feinen Tod wollt’ ich nicht denken, - Der Arme! es ift
ihm nicht viel Glück befchieden gewefen, er hat fich immer
durchquälen müffen, und feine Arbeiten fanden wenig Lohn!
Seine Arbeit, welche die Biographie Leffing’d von Danzel
fortfeßte, feine befte und reiffte, ift nun abermals unterbrochen,
und ein Dritter wird fih daran machen müffen. ch fchrieb
der Wittwe gleich mein Beileid, meine Theilnahme. Schwere
Sorgen werden auf den Hinterbliebenen laften! —
Daß man nur nicht glaube, weil ich mich mit Allgemei-
nem tröfte, und das auf Augenblide und Erſchienene preiſe,
ich erkläre mich damit abgefunden und zufrieden! Im Gegen-
theil, der Troſt ift nie die Sache felbft, und die wird nie
Varnhagen von Enſe, Tagebücher. X.
403
der That können wir diefe ung faum groß genug denken, wenn
wir erwägen, daß folche dramatische Dichtungen allgemein ge—
fielen und verftanden wurden. Daß die fpanifchen Versarten
für und zu fünftlich feien, die Reime uns verwirren, die Affe:
nanzen und ganz verloren gehen, kann ich durchaus nicht zu—
geben; mir wenigftend geht nicht? won diefer üppigen Ausitat-
tung verloren, ich empfinde den ganzen Zauber derfelben
ohne alle Störung ded Sinned, und ed mag nody viele Leſer
und Hörer geben, bei denen dies ebenfo der Fall ift. — Wie
vermiffe ich die Alfonanzen im Herder’fchen Eid! —
Dr. Ladendorff, zum Märztomplot gehörig, war aus dem
Kriminalgefängniß wegen Geiftesftörung zur Charite gebracht
worden, jebt hat man ihn, den noch immer Wahnfinnigen,
wegen größerer Sicherheit, wieder in's Kriminalgefängniß zu-
rüdgebracht. —
— — — — —
Montag, den 9. Januar 1854.
Sch las in Goethe und im vierten Bande der Causeries
du lundi. —
Bis tief in die Nacht blieb ich ohne Schlaf, und nicht er-
freuliche Bilder und Gedanken hielten mich wach. Das Dahin-
Ihmwinden aller Dinge, das Sterben der Menfchen, die allmäh—
lige Beränderung der Welt, in der man alles Bekannte nad)
und nad) verliert, ſich von allen Befreundeten verlaffen, von
Fremden umgeben fieht, das Zurüdrufen des DBergangenen,
ded Unmiederbringlichen, die Bergeblichfeit dieſes Ningeng,
das Verfchwimmen des reichften Lebens in ein ununterfcheid-
bares Allgemeine, alles dies bewegte mich ſchwermüthigſt. —
Dem Prediger Balper bei der freien Gemeinde in Nord-
haufen, ift von der Regierung bei namhafter Strafe verboten
worden, den Kindern feiner Gemeinde Religionsunterricht zu
ertheilen, nicht einmal feine eignen Kinder foll er unterrichten!
26*
405
diefer Beanadigung eine neue Beleidigung Bloch's, die ihm
fretlih nicht vom erſten Beleidiger zugefügt wird! — Der
Beleidiger hat vorher die ihm auferlegte Bedingung erfüllen
müſſen, und den Beleidigten um Berzeihbung bitten müſſen.
Das hat der — denn auch ſchriftlich gethan. Damit ift natür-
lich nicht® gebeſſert. Es ift ein Hohn mehr gegen die Gefeße
und gegen Bloch. — (Siehe d. 19. Oktober 1853.) —
Hausfuchungen in Halberftadt, im Poſen'ſchen, letztere
duch Anzeigen von Warfchau her veranlaft. Den Ruſſen
wird bei Annäherung eines europäifchen Krieged bange, daß
die Polen fi regen! —
Mittwoch ‚den 11. Januar 1854.
An den Verhandlungen unſerer Kammern kann ich kein
Vergnügen finden, wenn auch mitunter ein guter Hieb fällt,
von Vincke, von Bethmann-Hollweg und Andern. Der Boden
ift Schlecht, er kann die rechten Erzeugniffe nicht liefern. Um
Kleinigkeiten wird geftritten, alle großen Fragen find unter-
brüdt, alle Hauptfachen find verloren, oder der Willkür über-
lafjen. Da fchweigen die Abgeordneten! Und die erfte Kam-
mer! Sie bleibt noch in die volfäthümlichen Rappen bekleidet,
bleibt noch vom Schmuge fogenannter Wahl befudelt, in zwei-
felhaftem, beftrittenem Rechte fich hinfchleppend, weil ed dem
Unvermögen noch nicht gelingt, die Pairskammer zu fchaffen,
zu der es fich dad Recht und die Erlaubniß fchon vor Jahren
ausbedungen! Unvermögen und Tüde gehen gern zufammen.
Die Kammern haben in geheimer Sigung vernommen,
daß die preußifche Regierung mit Oldenburg einen Vertrag
geſchloſſen, nach welchem Preußen einen Kriegshafen in dem
Jahdebufen gründen darf. Im Allgemeinen macht dad wenig
Eindrud. Man fieht zunähft nur eine Vermehrung der
Staatdaudgaben, eine Gelegenheit zu großen Berfchwendun-
407
Donnerstag, den 12. Januar 1854.
63 ijt faum glaublih, daß man noch heute fo jihnle
Gründe gegen die Entwidelung und das Fortfchreiten der
menfchlichen Dinge vorbringen und jagen mag, ein Wolf, oder
gewiffe Zuftände feien dafür nicht reif, es müßten erft gewiffe
Borfchulen durchlaufen werden, und mehr dergleichen, wie
jelbit neulich noch Agathon Benary mit verfpäteter Einficht
Flagte. Als ob die Gefchichte fich daran Fehrte! Als ob man
die Entwidelung warnen fönnte gegen ihre eignen Thatfachen!
Als ob man die Antriebe zu diefen angeblich unzeitigen Ge—
burten zurüddrängen könnte! .Die Ereigniffe find immer
richtig, wenn fie uns auch mißfallen, wenn wir auch die Mittel
und Wege nachträglich zeigen können, wie fie anders hätten
werden können. Ginzelne Menfchen begehen Berbrechen,
machen Staatöftreiche, aber machen feine Revolutionen. Und
wenn diefe vergeblich ausfallen — meift doch nur ſcheinbar
vergeblich, denn alle zählen in der Reihe der Entwidelungen —,
weß ift die Schuld? Die Reaktion gegen Vorfchritte ift immer
unedel, immer verrätherijch, oft niederträchtig und verbreche-
riſch. —
Der Dieziplinarhof für Zuftizbeamte hat geftern ein Ur-
theil gefällt, das die Schriftitellerei eines Beamten als eine
ſehr unfichere, gefährliche erfcheinen läßt, auch wenn fie fein
Amt und deſſen Geheimniffe gar nicht berührt. Ein Juftiz-
beamter hatte eine Zeitungsnachricht, daß preußifche Polizei
nach Medlenburg wegen des Märzkomplotts geſchickt worden,
wiederabdruden laffen, und war deßwegen zur Unterfuchung
gezogen worden, man bejchuldiate ihn, ein Geheimniß ver-
rathen zu haben, das er nur durch einen Beamten habe willen
fönnen, und diefen follte er nennen. Cr: fagte, daß er die
Sache ſchon in einem Zeitungdblatte gefunden habe, das aber
nicht fogleih zur Stelle war, und die Behörde that nichts,
um es herbeizufchaffen. Der Oberftaatsanwalt fpielte dabei
409
Die Nationalzeitung freut fich des preußifchen Kriegs:
hafens in der Jahde. Ich kann ihrer Aufftellung nicht bei-
jtimmen. Wenn auch, in der Folge, gewiß erft in ferner Zeit,
etwas aus der preußilchen Flotte wird, fie zur Bedeutung ge-
langt und Nuten bringt, fo ift es Doch zweifelhaft, ob der Er-
folg die Kräfte werth fein wird, die auf diefe erfünftelte
Schöpfung verwendet werden. Für jebt, für unfere Zuſtände,
ift jede Zerjplitterung der Kräfte eine Schwächung, und Vie
Luft und der Eifer für die Sache nur hoffährtige Thorheit. —
— — — — —
Sonnabend, den 14. Januar 1854.
Eine Abtheilung der engliſch-franzöſiſchen Flotte iſt nun
wirklich am 3. aus dem Bosporus ind ſchwarze Meer geſchifft.
Die Verwickelung wird nun bedenklicher. Merkwürdig iſt die
Schwäche und das Mißtrauen, die in allen Regierungen offen
an das Licht treten. Keine Regierung vertraut dem eignen
Volke, keine wagt ſich auf daſſelbe zu ſtützen, jede hat einen
Theil ihrer Unterthanen ſorgſam zu bewachen. Jammer—⸗
zuſtand! —
Verurtheilungen in Prag; junge Leute wegen politiſcher
Vereine, zum Tode! Begnadigt zu mehrjähriger Schanzen—
arbeit in Eifen. Solche Gnade tft eine Schmad, für die Be-
gnadiger wie für die Begnadigten. —
Der freien Gemeinde in Magdeburg wird von der Polizei
wieder mit roher Willkür arg zugeſetzt. —
— — — — —
Sonntag, den 15. Januar 1854
Der Lage der Dinge hier in Preußen ift offenbar feiner
der obenftehenden Leute gewachſen, nicht der König, nicht die
Minifter, noch fonft jemand von wirflihem Einfluß oder An—
m
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Montag, den 16. Januar 1854.
Unfichere Nachrichten vom Kriegsfchauplag an der Donau,
es fallen heftige, bedeutende Gefechte vor, die nicht zum Vor-
theil der Ruſſen fein können, denn die Nachrichten würden
dann fehr beitimmt lauten. — .
Nicht die Kammermitglieder, nicht einmal die Präfidenten
der Kammern, wie doc bidher immer geſchehen, werden
diesmal an den Hof gezogen. Gelbit die entfchiedenften
Königöfreunde find darüber empört und ſchimpfen. „Der
König haft die Kammern, es fei! Wir haffen fie auch. Aber
darf er auch und haffen und fihlecht behandeln? Um feinet-
willen find wir drin, flimmen in allen Sachen für ihn und
feine Minifter, wir find in feinem Dienfte thätig, er würde
ed übelnehmen, wenn wir abträten und Andern das Feld
ließen; foll nun unfer Lohn fein, daß wir in Ungnade fallen 2”
Dergleihen hört man; es giebt aber hiezu einiges zu bes
merfen: 1. Der König weiß recht gut, daß ein großer Theil
derer, die fcheinbar für ihn auftreten, im Grunde gar nicht
jeine Freunde find. 2. Die Reaktionsparthei arbeitet zunächit
für den eignen Vortheil und möchte die Königliche Macht nod)
mehr jchwächen ald die Demofraten es wollen, der Zuwachs
aber foll für die ariftofratifche Barthei fein! — |
„Charlotte Adermann, Roman von Otto Müller,” —
Der Polizeipräfident von Hindeldey ift Wirkl. Geheimer
Dber-Regierungsrath, das heißt Rath erfter Klaffe geworden.
Das verfchlägt ihm wenig, er will Erzellenz heißen. Nur
warten! —
Dienstag, ken 17. Januar 1854.
Bettina von Arnim bejuchte mich und blieb zwei Stun-
den. Sie trank mit mir Kaffee, die feltenfte Ausnahme, daß
413
Stadtgericht freigefprochen war, vernichtet werden ſoll! Eine
rechte Schande! —
Der Redakteur der Kreuzzeitung Dr. Beutner ift wegen
Beleidigung des Breslauer Stadtgerichteg — vom November
ber — zu vierwöchentlicher Gefängnißftrafe verurtheilt wor-
den. Wird ihm wohl geſchenkt werden!
Die Herzogin von Orleans hat fich entjchieden gegen die
Fuſion ausgefprochen, und ihrer Söhne Recht auf den Thron
von Frankreich behauptet, auf Grund der Wahl des Volta,
das einft den Louis Philipp zum Thron berufen hat. Unbe-
deutend für jest, doch der Legitimität ein Stich. —
In Peſth Berurtheilungen. — Im Poſen'ſchen neue Ber-
haftungen. —
— — — ——
Mittwoch, den 18. Januar 1854.
Heute hat der König die Schloßfapelle feierlich einweihen
laffen. Die Zeremonie ſoll mit allem Prunf, doch geiftloe
und. fchal gewejen fein. Merkwürdig tft, daß im untern Bolf
das Gerücht allgemein verbreitet war, und gar gern geglaubt
wurde, der König werde heute abdanfen, und der Prinz von
Preußen den Thron befteigen. Der Prinz und die Prinzefjin
jind heute angefommen. — |
Donnerstag, den 19. Januar 1854.
Eine neue Arbeit unternommen; Schwierigkeiten des
Stoffe, der Form. Fäden ded Gedankens, Fäden der That-
fachen, die ſich immerfort verflechten müffen. Aufgaben ge:
nug, wenn ich nur Hände, Augen und Stunden genug hätte,
oder auch Arbeiter, denen ich jie übertragen fönnte! Es ift ein
Sammer anzujehen, was alles die Deutfchen bei folcher Viel-
gejchäftigkeit doch verfäumen! —
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welt, er bewegte fie nicht, jie nicht ihn. Dabei die Einbil-
dung auf eigne DVortrefflichfeit, bei urfprünglich befcheidenen
Weſen. Die Partheinahme für Naheftehendes, dad er heftiger
auffaßte, ald es ihm von innen geboten war, der Groll gegen
Goethe, die Gehäjfigfeit gegen den wadern Johann Heinrid)
Voß, die wieder aufgenommenen Borurtheile — denn er hatte
jie fchon einmal weggeworfen, — alled das verdunfelt feine
edle Perſönlichkeit, die beftimmt fchien hell zu leuchten. Ich
bedauere ihn jehr, und ich glaube, ich hätte ihm können nüb- |
lich werden, wenn er länger gelebt, oder ich mich ihm enger
angefchloffen hätte, wozu doch die Umftände nicht günftig
waren. —
Der Magdeburger freien Gemeinde ift jegt von der Polizei
in Folge höheren Befehld jede Zufammenkunft förmlich ver-
boten worden. Wider Zug und Recht, ganz willfürlih, nad
beliebiger Auslegung des fogenannten Bereindgejekes! —
In Elbing ift der Elbinger Anzeiger zum großen Staunen
und Aerger der Behörden wieder erjtanden. Geſetzlich können
fie ihm nichts anhaben, doch bedroht haben fie ihn jogleich,
und jie werden ihm fchon Händel machen, ihn heben und
quälen! —
— — — — —
Sonnabend, den 21. Januar 1854.
Die Türfen haben in fcharfen Gefechten obgefiegt, das
geht aus den verivorrenen, unvollftändigen, gefäljchten Berich-
ten unzweifelhaft hervor. Und die englifch-franzöfifche Flotte
ift im Schwarzen Meer! —
Sohanniter-Ordend-Kapitel; neue Ernennungen. Mor:
gen Ordensfeſt auf dem Schloſſe. Kindiſche Polen! Die
Ruthe von 1848 ift vergeifen, die Kinder fpielen wieder.
Möchten fie nur fpielen! Aber fie treiben auch erniten Un—
4117
ſtimmung dazu giebt! Was ſind das alles für Zeichen? Die
Volksparthei darf keine Vereine ſtiften, keine Verſammlungen
halten; wenn ſie es einmal doch thut, dann iſt es auch mit
der andern aus!
Zu feiner Zeit wurde in Berlin ſoviel geſtohlen und be—
trogen, als in diefen Jahren der gerühmten Heritellung von
Ruhe und Ordnung, der fittlihfrommen Ueberwachung, der
vollendeten Polizeiherrſchaft. Es ift ald ob die guten und
wadern Leute ausgewiefen, verbannt, eingeftedt oder ausge:
wandert wären, die Spisbuben und Yumpen find zurüdgeblie-
ben, und üben ihr Handwerk. Jetzt gefellen fi zu Diebftahl
und Betrügerei auch häufige NRaubanfälle, fowohl vor den
Thoren der Stadt, ald auf den Straßen der belebteften Stadt-
theile. Bei der gerühmten Polizei, bei den mehr ald taufend
Konitablern, bei den ungeheuren von der Stadt aufzubrin-
genden Koften der ganzen Verwaltung, die nicht müde wird,
fich felber zu rühmen, und von feilen Schmeichlern und Tröpfen
fih rühmen zu laffen! Hindeldey wird nächitend eine Bild-
fäule zu feinen Ehren aufgerichtet fehen! —
Unfere Börfe ift in den größten Schreden gerathen, alle
Staatöpapiere finken, dad Vertrauen ftodt. Banfrotte —
Fortgeſetzte Gerüchte von Abdanfung des Könige, von
Auftritten mit dem Prinzen von Preußen ıc. Der König
habe erflärt, wenn man ihn bindere (wer?) dem Kaifer von
Rußland fein gegebenes Wort zu halten. und ihm eintretenden
Talled preußifche Truppen zur Bewachung Polens zu leihen,
jo werde er abdanken, ꝛc. —
Andre Gerede, die nicht fogleich auf’d reine zu bringen
find, daß in der Neihe der Bildniffe, welche die Schloßfapelle
zieren, das Bildniß Friedrich's des Großen fehle, daß auch fein
Name in den firchlichen Fürbitten, die aller andern Vorfahren
des Föniglichen Hauſes namentlich erwähnten, „ieler Name
Varnhagen von Enfe, Tagebüder. X.
418
ausgeblieben fei. Geglaubt wird dies fajt allgemein, doc)
mit fiheint es noch unglaublich. —
Dienstag, den 24. Januar 1854.
Es wird geflagt und gejammert, unfer Zeitalter fei eines
des Verfalld und Unterganged, das jebige Menfchengefchlecht
ein fchwächliches, abgenutztes, ohne Kraft und Aufſchwung.
Ich fehe das gerade Gegentheil, ich fehe Kraft und Aufſchwung,
Entwidelung und Bildung die Fülle! Der Berfall erftarrter
Kirchenformen, fchlehter Regierungen, Pfaffen- und Junfer-
weſens, Diefer Verfall ift ja nur ein Zeichen des Fortſchritts,
Gottlob daß dergleichen verfällt! Es ift wahr, wir erleben
harte Dinge, die Berruchtheit und Gemeinheit in augenblid-
lichem Sieg; aber find dafür ſolche Erfchütterungen wie die
von 1830 und 1848 herrlihe Genugthuungen, Fräftige jauch—
zende Lebenszeichen? Wer fich eitelm Gößendienfte widmet,
der mag beim alle der Gögen verzweifeln, wer dem ewigen
Seifte dient, kann jubeln und lachen! —
Die Evangelifche Kirchenzeitung hatte die Freimaurerei
angegriffen. Das hatte zur Folge, daß der Prinz von Preupen,
der fich darin gefällt, an der Spiße der preußifchen Maurer zu
ftehen, feinen Sohn in die Brüderfchaft aufnehmen ließ, wobei
derfelbe von der Vorſchrift — der ftaatspolizeilihen —, daB
niemand unter 25 Jahren aufgenommen werden darf, dispen—
firt wurde, Gebt haben auch die Berliner Logen eine Verthei—
digungsfchrift ergehen laſſen, eine herzlich fchlechte! Sie jtellen
die Freimaurerei ald eine chriftliche Genoſſenſchaft vor, die
auch nur Chriften zulaffe; das letztere ift hier der Fall, aber
nicht in England, Frankreich, Holland, Amerika, und ift nicht
der Maurerei zuzufihreiben ; das erjtere ift geradezu eine Lüge,
die Maurerei hat mit dem Chriſtenthum gar feine Berbin-
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dung, ſteht ganz unabhängig neben demſelben; hier nimmt fie
nur die hriftliche Maske vor, weil die bier gilt. —
„ Befämpfung gefchichtlicher Unmwahrheiten und Mißur—
theile.“ Solch ein Bud, wäre nützlich, ganz furz und bündig
müßte es den falfchen, den entftellenden Angaben widerjprechen,
wie ein Richter, nicht wie ein Sachwalter. Für den Aus-
ſpruch fteht der Name des Urtheilenden ein, alle Gründe be-
ruhen doch zulebt auf Zeugniß. Ein Gibbon kann alle feine
Belegftellen weglaffen, man glaubt ihm doch! Niebuhr will
nirgends bei ihm ein irriges Zitat gefunden haben, noch ein
ſolches, das nicht genau fagte, was er zu belegen beabfichtigte.
Freiheitsblüthe und Geiftesblüthe fehen wir bei den
Griechen gleichzeitig und fchön verbunden; bei den Römern
vermiffen wir bei der Blüthe ihrer Freiheit und Kraft die
höhere Geiftesbildung, und als fie diefe hatten, war ihre Frei⸗
heit dahin. Das ift ein ungeheurer, ein folgenreicher Un—
terfchied. —
Mittwoch, den 25. Januar 1854.
Der Schreden der Pariſer Börfe deutet auf ernite Kriege:
ausfihten. Man fängt auch hier an, einzufehen, daß es mit
der gehofften Neutralität Preußens nicht beſonders fteht, daß
Preußen wird einen Entſchluß fallen müſſen, und feinen faſſen
fann, bei dem Sicherheit oder Vortheil mit Gewißheit vor=
auszufehen wäre. Die Volkszeitung räth enges Bündniß mit
England an. Was hilft aller Rath, wo Einfiht und Ent-
ichloffenheit fehlt! Preußen müßte, um frei und ftarf nad
außen zu ftehen, oder zu wirken, vor allem nach innen ein an-
dered Verfahren haben; nur das freifinnige, das fortfchrei-
tende, das in gewiſſem Maße revolutionaire Preußen ift ftark,
das pfäffiiche, junkerliche, reaftionaire hat feine Zuverläffigkeit,
it ein Spiel der Ereigniſſe. —
27°
421
möchten fich gern einbilden, fie hätten Die Volksſympathieen, —
mit ihrem fchändlichen Verfahren gegen die Freiheit und das
Recht, mit ihrer Polizeiwilllür,.ihren Berfolgungen, Tüden,
Scheerereien! Die infame Kreuzzeitungsparthei, die noch die
wichtigiten Stellungen hat, ift fogar ganz unpreußiſch, ift
durchaus ruffiih! Wir haben das Ausland in und! —
Der deutjchfatholifhe Prediger Hoffmann, Herausgeber
ded „Diffidenten“, hatte populair-philofophifche Vorlefungen
angekündigt, die von der Polizei erlaubt wurden, ald aber
etwa 200 Zuhörer eben verfammelt waren, und der Vortrag
- beginnen follte, löfte ein Polizeibeamter die Berfammlung auf.
Das ift eine Wirthfchaft! Erft erlaubt, dann verboten, ohne
allen Grund! Die Pietiften und Junker haben allein alles
Recht, die dürfen fich berathen, verfammeln, denen geht alles
durch. Willfür und nichts als Willfür! Preußen Eonftitutio-
nell? Daß ſich Gott erbarme! — Hole der Teufel diefe Reak⸗
tiondfammern! —
Im Ovidius gelefen, im Seneca. Wie jo die Römer bei
mir die Griechen etwas zurüddrängen, ift mir felber etwas
auffallend, Am Ende wirken die Ausgaben, die mir eben zur
Hand find, mehr ald billig ein. Wo find meine griechifchen
Autoren alle hingekommen? —
Der Schloßhauptmann Graf von Arnim, Bruder des ehe:
maligen Staatöminifterd, hält in feinem Haufe Abendandach—
ten, denen feine Familie, die Dienerfchaft, Nachbarn und
fremde Dienftboten beimohnen. Es ſoll das geiftlojefte Trei-
ben, der gemeinfte Wortfram fein, der hier für Erbauung gel-
ten fol. Der König hat fehon ein paarmal diefen Andachten
beigewohnt, und belebt dadurch den Eifer der Leute und mehrt
ihren Zulauf. —
422
Freitag, ben 27. Januar 1854.
Sm Suetoniud gelefen. Franzöſiſches. —
Es wird erzählt, der König habe fürzlih an den Kaifer
von Rußland gejchrieben: „Nun, mein alter guter Nid, wirft
du wohl die große Trommel fchlagen müffen, und ich das
Tlageolet dazu blafen.* So wird erzählt, aus guter Quelle,
die aber auch als folche gar wohl eine fein kann, die Falfches
geben will, Am Hof und in der Regierung ift jet hier alles
voll Ränfe und Tüden; man kann dem Könige gern etwas
andichten wollen, um ihn der öffentlichen Meinung zu verdäch-
tigen. Jene obigen Zeilen fünnen von ihm gefchrieben fein, -
fie find in feiner Art; aber ich möchte lieber noch nicht an fie
glauben. Solcher Ton gegenüber dem Kaifer von Rußland,
jest, in fol ernfter Sache, dünkt mich fehr zweifelhaft, die
Geſchmackloſigkeit zu groß, die Pofjierlichkeit zu fehr am un-
rechten Ort! — („Alter Nid oder Nicks“, ift des Königs ge-
wöhnliche Anrede an den Kaiſer Nikolaus.) —
Der König machte kürzlich — am Mittwoch glaub’ ih —
der Prinzeffin von Preußen einen Beſuch, und ſprach fie ganz
allein, anderthalb Stunden lang. Eine Dame, die zur Prin-
zeflin befchieden war, follte eben vorgelaffen werden, ale der
König unvermuthet fam, die Prinzeffin ließ daher im Neben-
zimmer die Dame warten, in der Meinung, der Befuch würde
nur furz fein. Uber er dauerte anderthalb Stunden, und als
die Prinzeffin nad) dem Weggehen des Königs erfchien, war ſie
in folder Aufregung, fo hochrothen Geſichts und heftigen
Athemd, dag die Dame bat, die Prinzeffin möchte fie weg—
ſchicken und ein andermal rufen laffen, was auch endlich ange-
nommen wurde, Die Dame hat ed mir jelbft erzählt. —
423
“ Sonntag, den 29. Januar 1854.
Die unter dem 27. Januar angemerkte Gefchichte von des
Königs Schreiben an den Kaifer Nikolaus ift nun auch von
dem Gefandten, Herten von Ujedom, beglaubigt worden, mit
der Heinen Variation, daß der Kaifer die Pofaune blafen und
der König ihn auf dem Flageolet begleiten würde, —
Heber Preußens Politik und Regierung: „Der Staat hält
nur in feinen äußern Banden noch zufammen, diefe allein hin-
dern, daß er nicht auseinanderfällt. Unſere Regierung im
Innern berubt auf täglicher Gewohnheit, dienach außen ebenfo;
Preußen gebt mit und nach, und läßt fich fchleppen, bald von
Defterreich, bald von Rußland, bald wieder von der Furcht vor
Frankreich, es hat weder Richtung noch Abfiht, möchte viel
vorftellen und bedeuten, und hat gar feinen Geift und feine
Kraft dazu, Die Launen ded Königd wechjeln, oft ehe fie
zur Ausführung fommen, oft auch ftehen ihnen die Minifter
entgegen, die es verfuchen, wie weit fie es im Widerfpruch trei=
ben können; dann find fie auch wieder über die Maßen nad:
giebig und gefällig. Alles ift wie ein großer Brei, zäh und
did und ſchmierig. Geift und Karakter darf man hier nirgends
fuhen. Man lebt jo hin, das ift alles.“ —
Montag, den 30. Ianuar 1854.
Der Redakteur der Nationalzeitung, Herr Dr. Zabel, ift
wegen eined Berichts aus Elbing zu 30 Thaler Strafe ver:
urtheilt worden. —
Der Diffidentenprediger Hoffmann, deſſen Borlefungen
neulich vor dem Beginn durch die Polizei verhindert wurden,
darf fie nun doch halten, und hat fie auf's neue angekündigt.
Wozu war nun die Scheererei? Zum Privatvergnügen der
Polizei? —
Hoffefte, Bälle, in der großen Welt und in der Eleinen!
425
Dienstag, den 31. Januar 1854.
Die Volkszeitung greift den Abgeordneten Wagener heute
tüchtig an, und macht nicht viel Umstände’ mit ihm. “Die
Krenzzeitungsparthei will einen Helden aus ihm machen. —
Er fol wirflich einen Brief an Bloch gejchrieben haben, worin
er diefen um Verzeihung bittet; diefe Nichtswürdigkeit macht
feine Sache nicht beffer, und Leute feiner eignen Parthei tadeln
ihn; glaubte er fih im Recht, wie fann er um Verzeihung bit-
ten? wußte er ſich im Unrecht, wie mochte er fo giftig losfah—
ren? Genug, der — ift aufgededt ald —, und feine Genoffen
und Verbündeten, wie groß ihre Namen auch fein mögen,
müſſen jich jeiner ſchämen. — Es heißt, der König werte ihn,
jobald er im Befig eines Rittergutes fein wird, in den Adel-
ftand erheben. Und den armen Goedfche nicht? Berdient hat
der's wohl nody mehr, daß er erhoben werde, und wie viel
Leute würden gern dazu beitragen! Seine Anwefenheit merft
man übrigens am „Zufchauer“ der Kreuzzeitung, er ift wie-
der giftiger, ſchmutziger, nichtöwürdiger. —
Eben meldet die Kreuzzeitung, dag Wagener die Redaktion
der Kreuzzeitung wieder übernimmt, nachdem die Hinderniffe,
die ihm entgegenftanden, gehoben feien! („Die höhere poli-
tifche Leitung.”) Die Hinderniffe waren die Gefängnißitrafen
wegen Verläumdung des Präfidenten Bloch, die ihm der König
in Gnaden erlaffen hat! — Alfo nun auf's neue drauf los,
wer feine Strafe zu fürdten hat, kann fchon was ausrichten.
Nun ift er alfo wirklich mit Goedſche wieder zufammengefup-
pelt, und fie fönnen darüber ftreiten, wer die meifte Schande
davon hat! —
Berurtheilungen in Siebenbürgen; die Todesftrafen in
Schanzarbeiten gemildert. — Berhaftungen in Warfchau. —
In Hannover zur Ständeverfammlung demofratifche Wah-
len in ftarfem Webergewicht. Die Kreuzzeitung jammert
darob. —
426
In unfern Kammern herbe Worte gegen den Handwurft
Gerlach, gegen den Gaufler Stahl, Vinde tbeilt gut aus. —
— — — — — —
Mittwoch, den 1. Februar 1854.
Rede der Königin Viktoria bei Eröffnung des Parlaments.
Kriegszuſtand erwähnt, Kriegsrüſtungen verkündet. —
Bemühungen zur Schlichtung der katholiſchen Streitigkei—
ten in Baden; bis jegt alle vergeblih. Herr von Meyſenbug
hat in Wien nicht? erwirkt, die öfterreichifchen, und die preußts
hen Rathichläge nicht?, das Einlenfenwollen der badifchen
Regierung nichte. Der Bifchof von Mainz, Herr von Ketteler,
der nach Baden gefommen, hat alles nur verfchlimmert. Nicht
unterhandeln muß man mit den Pfaffen, fondern brechen,
ihnen den Ruß auf den Naden feben, dann frümmen fie ſich
wie andered Gewürm. Man fieht, daß man es dreift thun
fann, aber die feigen Regierungen fürchten ſich dennoch, „und
möchten ed mit den Pfaffen nicht verderben, da fie in ihnen
Gehülfen zur Unterdrüdung ded Volkes fehen. —
Donnerstag, den 2. Februar 1854.
Nachmittag kam Frau Bettina von Arnim, die mir einen
Brief zeigt, den fie dem Großherzog von Weimar fchreibt, fer-
ner ein herrliches, noch ungedrudte® Sonett, dad Goethe ihr
am 4. Januar 1811 überfchict hat, und einen vortrefflichen
Brief Goethe’d an Arnim vom Februar 1814. Mit meiner
Ordnung der Arnim’fchen Papiere ift fie überaus zufrieden,
und wird mir mehr zu thun geben. Sie Elagt bitter, daß fie
frank, verftört und von allen Seiten hart geplagt fei. — Sie
ſah ſchlimm aus. —
427
Darauf Befuch von Herrn Dr. Ring. Ueber Milton und
Cromwell; er arbeitet fleißig an feinem Roman, deſſen Held
Milton ift. — Ueber das Litteratenthum 20. —
Freitag, den 3. Februar 1854.
Der Difjidentenprediger Hoffmann hat feine VBorlefungen
über die Entwidelung der Menfchen zur fittlichen Freiheit nun
doch begonnen, vor etwa 400 Zuhörern, meift aus dem Bür—
ger und Handwerkerſtande. —
- Der hiefige Magiftrat, jet fo ziemlich der Inbegriff alles
Feigen und Niederträchtigen, will den Begräbnißplatz im
Friedrichshain zerftören. Gr hat über den Plab zu verfügen,
und will ihn zu einem neuen Bahnhof — der Eifenbahn nad)
Kreuz — beftimmen, da denn die Xeichen nach andern Kirch:
böfen gebracht werden müßten. Schon jebt hat der Magiftrat
den Verwandten der dort begrabenen Barrifadenfinpfer —
oder vielmehr Opfer — unter der Hand das Ancrbieten eröff-
nen faffen, die ihnen angehörigen Reichen anderweitig uns
terzubringen. Ob das Anerbieten fehon von einigen Be:
theiligten angenommen worden, wird nicht gefagt. Diele
Schändung und Entweihung, denn eine folche ift es, kann nicht
fehlen auf? neue die tiefite Erbitterung hervorzurufen. —
Aber wie langfam geht alles! Schon im Jahr 1849 mußte
das gefchehen! So läßt man und auch die freifinnigen Zeitun-
gen noch, gegen alle meine Erwartung. Freilich, Feigheit
und Dummheit bilden einen Verein, deffen Kraft gar nicht zu
berechnen ift. —
— — — — — ,—
Sonnabend, den 4. Februar 1854.
Ein Dr. Sauer und der Kleiderhändler Kramer, wegen
des ſogenannten Märzkomplotts ſeit 10 Monaten in Haft, ſind
428
jebt ohne weiteres freigelaffen worden, wie ſchon früher einige
Andere. Dr. Sauer hat über 10 Monate in ftrenger Haft
zugebracht, ohne daß ihm das Geringfte bewiefen werden
fonnte, Kramer war ſchon einmal entlaffen, dann aber wieder
verhaftet worden und wieder ohne Ergebniß! Andere, wohl
ebenfo Schuldlofe, ſchmachten noch im Gefängniß. Und da
fräht fein Hahn darnach! — Bälle, Teftlichfeiten, Gajtmahle,
Ballette, Schwelgereien, Huldigungen und heuchlerifche Be—
zeigungen, — wer fann da an Gefangene denken! —!
Nicht ein Dr. Sauer, fondern der Büchſenmacher Sauer
ift freigelaffen, und zwar fchon am 31. Dezember, die Haft be=
trug demnach nur 9 Monate. Der Unterfchied ift nicht eben
groß! —
Sonntag, den 5. Februar 1854.
Für den Augenblid ift der General von Gerlach beim
° Könige nicht gut angeſchrieben; er war zu nafeweis, heißt es,
und überhaupt fei die pietiftiiche Klique jetzt nicht grade in
Gunſt. Wir wollen jehen, wie es nach acht Tagen ausſehen
wird! Wie vorher. Diefe Leute find im Beſitz aller Stellungen,
und im Nothfall erregen fie die Furcht, ohne fie möchte e8 um
das Königthum fchlecht ftehen. —
Dem Könige foll von Wien her die Mahnung zugegangen
fein, die Kammern und die ganze Verfaſſung abzufchaffen.
D wie gern! Aber zu ſolchem Entſchluß gehört mehr als bloße
Laune! —
Es heißt, der Kaiſer Nikolai habe den Fürften Gortfchafoff
vom Oberbefehl abberufen. Das wäre Der beite Kommentar
zu den biöherigen Nachrichten von ruffiihen Siegen. —
Im Tauler gelefen, und in den Metamorphofen des
Ovidius. —
429
In Pommern ift e8 ganz hergebracht, felbft unter den
Bauern, daß man vom Könige, um nicht wegen Majejtäte-
beleidigung angellagt zu werden, unter einem andern Na-
men ſpricht; man jagt: Schulze, oder auch Friedrich Wilhelm
Schulze. —
Wie immer etwas ganz Anderes wird, ald man beabfichtigt!
Neid und Gehäſſigkeit juchten den Prinzen von Preußen und
feine Gemahlin von hier zu entfernen; beide bekamen ihren
Aufenthalt in Koblenz. Hier aber gefchah, was man am
wenigften wünjchte, Die Prinzeffin befam in diefer Abjonde-
rung das entjchiedenfte Hebergewicht über den Prinzen, wandte
ihn von Rußland ab, flößte ihm verfaflungsfreundliche Ge-
finnungen ein. Dem Hof ift das ſehr anftößig. Das Volk
aber, wenn es dergleichen vernimmt, vergißt nicht, Daß der
Prinz früher ganz andere war, und dag die neue Richtung
ebenjo jchnell, wie fie entftanden, wieder vergehen fann! —
Montag, den 6. Februar 1854.
Gefchrieben, doch mit Unluit; in heiterem Wetter gedeiht
mir wie dag Ausgehen auch das Schreiben am beiten, —
Wenn ich heute dichtete, würde unfehlbar eine Elegie „Halle“
entjtehen, fo lebhaft ſteht mir meine Univerfitätdzeit dort wor
Augen, und zwar die jonnige de? eriten Sommers, in allen
Reizen der Spaziergänge, der Studien, der Bekanntſchaften,
es ift mir, ald ob jene alte Zeit neu würde, und mit fchmerz-
licher Pein gedenfe ich all der Auftritte und Begegnungen.
Bis auf wenige Ueberbleibfel find fie Alle todt, die ich Damals
dort fannte. An jene Erinnerungen fihliegt fich innigjt die
andre, wie ich fo viele Jahre fpäter mit Rahel Halle be-
ſuchte, und ungeachtet der mich heglüdenden Gegenwart
immer weinen mußte über Die Bergangenheit. Welcher
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Zauber, dieſes Zeitftrömen! Das Herz möchte von ihm befreit
fein! —
Unfere Börfe ift in größter Unruhe und Beftürzung. Die
ruſſiſchen Gefandten verlaffen Parid und London, Der Graf
Drloff ift in Wien mit feinen Anträgen gefcheitert. Oeſter—
reich will feinen Neutralitätsvertrag mit Rußland eingeben.
Auch Preußen nit. Beide wollen neutral fein, ohne fich
dazu zu verpflichten. Wer hierin Weisheit oder nur Selbft-
ftändigfeit erbliden wollte, würde fehr irren, e8 iſt nur Furcht,
Furcht vor Frankreich, die größer iſt als die vor Rußland.
Wie fteht ed aber mit der großen Trommel und dem „Fla—⸗
geolet“?! —
Nachrichten aus Paris. Stille Gährung dort unter dem
Volke. Louis Bonaparte auch unter den Soldaten nicht mehr
recht beliebt; er ſchickt fie deghalb gern in den Krieg, wie der
alte Napoleon feine beiten alten Truppen nad) San Domingo
ſchickte. —
Zur Gefchichte unferer Schand- und Yumpenfammern!
Die Erfte Kammer befam eine Petition dieſes Wortlautes:
„Feſtung Graudenz, den 13. Dezember 1853. Gedenfet der
politifchen Gefangenen! Rudolph Dowiat, von Dowiatowo,
Staatögefangener feit Auguſt 1848. Die Petitions-Kom—
mifjion beantragte die Tagesordnung, die Kammer nahm Diefe
an. Borfigender diefer Kommifjion war ein Fürft Reuß, Ber
richterjtatter Thadden-Trieglaff. Pfui über beide, über die
ganze Kammer! Pfui! —
Ginem „Verein evangelifcher Ehriften * in Königsberg hat
die Polizei verboten, fi fo zu nennen!!! — Die Türfen be-
Ichämen und! —
Auh die Petition ded Predigerd Hrabowsky in Groß—
Slogau, der hieher berufen war, um der hiefigen freien
Gemeinde vorzuftehen, und im Begriff feine Antrittöpredigt
zu halten, von der Polizei brutal ausgewiefen wurde, tft Durch
431
feige Tagesordnung fehnell befeitigt worden. Gar feine Unter:
fuchung oder Anfrage deßhalb bei den Behörden. —
Dienstag, den 7. Februar 1854.
Befuch von Frau Bettina von Arnim; Briefe an fie von
Schade und Hoffmann (von Falleröleben) in Betreff der wei-
marifchen Eröffnungen, mißliche Lage der Dinge, nichtd will
zufammenftimmen, alles ift auf Borausfegungen geftellt, Die
fich erſt beftätigen müſſen, oder auch gar nicht eintreffen; die
treffliche Frau, von dem fehönften Eifer befeelt, hat gar fein
Gefchäftstalent, alles verwirrt fich unter ihren Händen, ihre
Phantajie überflügelt alles, mas die Wirklichkeit entgegen-
ftellt. Sie rechnet noch immer auf Gunft und Vorliebe des
Könige, der ihr doc) längft Dad Gegentheil beweift ; „Er kann
mir’d nicht abſchlagen“, jagt fie, und er — antwortet ihr gar
nicht! Sie ift jehr gedrüdt und fchwach, und befennt eg! —
Nachmittags fleißig gefchrieben. Ich ſchwimme im weiten
Gewäfler, fern vom Landungsufer, und ſchnappe nach Luft!
Man wird die Bedingungen, unter denen man herangelebt,
nicht los, außer man entjagt dem Leben jelbit. —
Mittwoch, den 8. Februar 1854.
Die Königin hat nun auch der Prinzeffin von Preußen
einen längeren Befuch gemacht. Man will einander lieben.
Als ob das fo ginge! Doc, find die Hofjchranzen, die früher
das Teuer dienftfertig angeblujen, etwas beftürzt über die.Ar-
tigleitn. —
Recht efelhaft ift ed, wie von Seiten niedriggefinnter und
feiler Xeute den Mächtigen gefchmeichelt wird, fo jetzt beſon—
derd den Herren von Manteuffel und von Hindeldey, denen
auch jehr daran gelegen fcheint, öffentlich gerühmt zu werden.
432
Aus der Zurüdhaltung Preußen! von Rußland, fo zufällig
und wenig ernft fie auch fein mag, will man fir Manteuffel
ein großes Verdienſt machen, feine Schmeichler benußen die
Dummheit der Menge, um died hervorzuheben; es kann Ber-
anlaffungen geben, wo er died Rühmchen gern wieder ab-
ftreifen möchte! Der König ift ganz auf Seiten Rußlands,
wird verfichert, aber mit bloßen Worten, ohne Entfchloffenheit
zur That, ohne Stätigfeit. —
Der Beſuch ded Prinzen Napoleon in Brüffel hatte, außer
dem offenbaren Zwed bei dem Könige der Belgier, noch den
geheimen bei den Generalen Yamoriciere, Changarnier, Bedeau,
fie für den — Kaifer zu gewinnen, der den Mangel tüchtiger
Kriegsbefehlshaber fühlt; der Verſuch ift ganz gefcheitert.
Der — muß feben, wie er mit feinen — Saint-Arnaud,
Magnan, Eaftellane ꝛc. zurechtlommt! — Gavaignac ift in
Frankreich. —
Der Graf Orldff, fehr unzufrieden mit feiner Aufnahme
in Wien, hat gleich dort gejagt, das öfterreichifche Minifte-
rium jei das elendefte auf der Welt, und mit Empörung hin-
zugejeßt: „Buol est une cruche et Bach un scelerat.“
Man glaubt, Orloff's Berichte werden dem Gefandten Meyen⸗
dorff den Hals brechen. —
Donnerstag, den 9. Februar 1854.
Ausfagen ded Dr, *, Mitarbeiterd an der Spener’fchen
Zeitung! Der Prinz von Preußen habe gejagt, er werde
wohl nächſtens einen Oberbefehl an der Memel haben! Fer:
ner, Frankreich habe dem deutfchen Bundestag diplomatifch
eröffnen laffen, daß Rußland dem Louis Bonaparte, wenn er
mit ihm fein wolle, das linfe Rheinufer überlaffen wolle.
Beides gewiß nicht wahr, objchon * betheuert, er habe es aus
der beiten unmittelbarften Quelle, und ihn daran gelegen
433
Scheint, daß man es glaube! In Berlin, mehr ald anderswo,
findet jede Neuigfeit Glauben! —
Der König bat nun doch erlaubt, daß das ſchon einmal
aufgeführte, dann von der Polizei verbotene Stück, worin
Friedrich der Große vorkommt, nochmals — zum Vortheil des
Schauſpielers Aſcher — aufgeführt werden darf. „Zeigt
ſolches Schwanken nicht aller Welt, daß nicht Grundſätze, fon-
dern bloße Willfür waltet ?* Das will man grade zeigen, und
gar nicht verbergen, alle Welt foll wilfen, daß alles nur von
der Willfür abhängt, dag Gnade und Nicht-Gnade alles be=
jftimmen! —
Der heutige Vortrag Hoffmann’s ift von dem überwachen-
den Polizeibeamten unterbrochen und die Berfammlung auf-
gelöft worden. Hoffmann foll hriftliche Symbole auf ägyptifche
zurüdgeführt haben, Natürlich fann die Polizei dergleichen
Erdreiftung nicht dulden. —
Freitag, den 10. Februar 1854.
Um 6 Uhr fam Frau Bettina von Arnim, und blieb bis
gegen 8 Uhr. Sie brachte noch Papiere aud dem Nachlaffe
ihres Mannes, noch immer unvollftindige, feinen Abſchluß ge⸗
ftattende, Gefihäftsfachen in Betreff des Arnim’fchen Verlags.
— Bittere Klagen und Sorgen, rathlofe Berlegenheit. Die arme
Bettina ift für dergleichen Gefchäfte nicht gemacht, und es ift
ein Unglüd, daß ſie fich mit ihnen eingelaffen; fie wird be-
trogen und mißbraucht, und geräth in Verwidelungen, aus
denen fie fih nicht ohne Schaden wieder herausfindet. Blindes
Vertrauen, ungemefjfene Hoffnungen, dann unbedachte Gut-
müthigfeit und Nachſicht, dann wieder Argwohn und Strenge,
das iſt der diegmalige Verlauf. ch bedaure fie unendlich, fie
leidet ſichtbar; aber es ift nicht zu helfen! Jeder Fath kommt
Varnhagen von Enſe, Tagebücher. X.
434
zu ſpät, und fie erfennt nicht, daß fie für ſolche Angelegen-
heiten fein Gefchid hat, duß fie am wenigften dabei von dem
gewwöhnlichen Wege abgehen darf, daß ſie lieber Fleinern Bor-
theil ohne Schaden, ald den großen Bortheil mit noch
vielleicht größerm Schaden ſuchen follte. Auch ift e& ihr un-
möglich, eine Sache klar darzulegen, fie verfchweigt immer
einige Umſtände, oder fest fie ald befannt voraue. ch babe
noch immer feinen fichern Ueberblick ihrer Sache, troß wieder:
holten, ftundenlangen Erörterungen! — ‘
Der König hat durch eine Kabinetöordre den Grafen von
Hochberg zum Fürften von Ple und die Herrfchaft Pleß zum
Fürſtenthum erhoben. Die Nationalverfammlung hatte den
Adel für abgefchafft erklärt. Bei allen folhen Standesfachen
mup einem dad einfallen. Der König kann feinen folchen
Titel mehr verleihen, als mit dem Mafel, daß er einmal abge:
Ichafft gewefen! — >
Graf zu Stolberg, der Hausminifter, ift Schwer erfranft,
der König iſt befümmert, weint, fährt wiederholt zu dem
Kranfen, — auch die Königin —, aber mit ſechs Pferden,
mit zwei Vorreitern; — man meint, es fünne mehr in der
Stille geſchehen, es ſähe aus, ald wolle man damit prunfen. —
Sonnabend, den 11. Februar 1854,
Die Volkszeitung Tpricht heute mit aller Gelaffenheit von
der nädhftens mit Rußland zu haltenden Rechnung, was ibm
alled abgenommen werden müſſe. Die Ruſſenfreunde, die
Kreuzzeitungsritter — die nun aus VBerräthern der Freiheit
auch zu Landesverräthern werden — wollen unfinnig werden
über diefe Dreijtigfeit. Die Nichtswürdigen möchten die Knute
in Berlin herrfchen fehen, aus reiner Knechtögefinnung und
Bosheit, denn an ruſſiſche Beftechung ift ſelbſt bei ihnen nicht
zu glauben. —
435
Der Oberjtfammerherr und Minifter Graf zu Stelberg
ift heute Nachmittag geftorben. Der König war nody Bor:
mittags bei ihm geweſen, wieder mit ſechs Pferden und zwei
Vorreitern. Das Gepränge macht feinen guten Eindrud, und
freilich großes Auffehen. —
Im zweiten Bande von Paulus Denkwürdigkeiten gelefen.
Die Briefe von Friedrich und Dorothea von Schlegel geben
einen tiefen Einblid in das Leben und Treiben diefer beiden.
Sie lieben oder haffen Perfonen und Orte, Staaten und Ber:
hältniffe, je nachdem fie Bortheile erwarten, oder nicht, Aus—
fichten haben oder nicht! Goethe, der von ihnen Vergötterte,
wird gefchimpft und gehaßt, weil er für Feine Anftellung in
Jena geforgt, Berlin wird verachtet, weil dort fein Gedeihen
war, noch zu hoffen fteht, Schelling wird angefeindet, weil er,
und nicht Schlegel, in Würzburg und München ein Unter:
fommen fand. Das Sehnen nach Ruhe und Ausfommen ift
eigentlich rühren, wäre nur nicht diefe gemeine Bitterfeit
dabei! — Schon im Jahre 1803 fagte mir Fichte, zu meiner da-
maligen größten Beltürzung, Friedrich Schlegel, der ihn und
Goethe'n bei jeder Gelegenheit preife, fei gegen fie beide von
Neid und Haß erfüllt. Die Briefe-geben nun den Beweis,
denn die Frau fpricht nur dem Manne nad, und blind-
lings. —
Der Minifter von Raumer hat allen Lehrern verboten,
fernerhin der allgemeinen deutfchen Lehrerverſammlung bei—
zuwohnen, weil auf diefer ein fchlechter Geift herrſche. Bei
Strafe der Disziplinarunterfuhung. Humboldt nennt ihn
die dumme Exzellenz. Wir hatten Wöllner, Eichhorn, wit
haben Raumer, der beide überflügelt! —
28 *
436
Sonntag, den 12. Februar 1854.
Hier hat man befchloffen, an geeigneten Orten die Küften
zu befeitigen und ftarfe Batterieen anzulegen. Scheint nicht
nöthig! — j
Ein Graf von Findenftein hier hat fich heftig für Ruß—
land erflärt, wir müßten unverbrüclich an ihm halten, wir
gehörten zu Rußland! Ein preupifcher Junker weiß nicht, daß
er als ruffiicher aufhören müß!e das zu fein, was er einzig
fein will. Solcher Patrioten hat Preußen nicht wenige! —
— — — — ñ—
Montag, den 13. Februar 1854.
Das Obertribunal hat den Geiſtlichen Lorinſer in Bres—
lau, der beſchuldigt war, in ſeiner Vertheidigungsrede —
wegen Angriffs gegen die proteſtantiſche Kirche -- preußiſche
Gerichte verläumdet zu haben, freigefprochen, deßgleichen den
Litteraten Schrader aus Naumburg, der einer Majeftätöbelei-
digung ſchuldig fein follte. Letzterer hat aber über ein Jahr
im Gefängnig zugebracht! —
Die dumme Sonntagsfeierftrenge erregt fortwährend Un-
zufriedenheit und Aergerniß. Behörden erflären öffentlich die
Albernheit, das Geräufch des Eröffnend einer Yadenthür, Das
Sichtbarfein von Verkaufsſachen an den Fenſtern, ſtöre die
Kirhgänger in ihrer Andacht! Solch auserlefener Dumm:
heit ift gar nicht zu antworten, außer daß man ihr auf Das
Maul ſchlägt! —
Die vornehne und die bürgerliche Lakaienwelt befümmert
ſich ſchon ängftlidy mit vielem Geklatfch, wer nun Oberkammer—
herr werden wird! Wo möglich ein Fürſt, wenigjtend ein
Graf! „Meinetwegen ein Gafjenfehrer!* fagte der Graf von
Blanfenfee, weil er doch gewiß weiß, daß er's nicht wird. —
Der König hat die Verwaltung des Stift! zum Heiligen
Grabe (eines adlichen Damenjtifts) der Minijterialbehörde ent-
437
zogen, und dem Oberfirchenrath übergeben. ft das mit der
Verfaſſung verträglih? Was ift der Oberfirchenrath? Eine
anomale Behörde, die beim nächſten Stoß über Bord geht!
Eine firchlihe Zwangsanſtalt, ein Keßergeriht! —
Der König jelbit hat ausdrüdlich befohlen, daß der „De-
metrius“ von Herman Grimm zur Aufführung fommen fol.
Der Grundfaß der Regitimität darin gefällt ihm. „Da dag
Stüd auf dem Welttheater ein unmögliches ift, fo mögen
jie’8 in Gotteenamen auf der Königlichen Schaubühne auf:
führen.* Der in Frojchdorf bleibt der in Froſchdorf, der in
Paris bleibt der in Paris. —
Dienstag, den 14. Februar 1854.
Befuh von Frau Bettina von Arnim. Sie hat eine neue
Mapregel in ihren Berlagsangelegenheiten ausgedacht, und ift
ganz munter und luftig, macht allerhand Poſſen und erzählt
mir tolle Sachen. —
Nachmittag Gefchäfte wegen Armenfachen. Unglüdliche
Ritteraten ! fie verderben phyfifch oder moraliſch; fie brauchen
in beiderlei Beziehung Hülfe. Und es geht ihnen, wie den
Webern, wer Died einmal ift, wird fehwer zu 'was andrem! —
Der König beharrt darauf, Rußland zu unterftüßen, we⸗
nigſtens durch Belegung der polnischen Länder. Alle Minifter
find ihm entgegen, wollen Neutralität. Der Minifter von
Weſtphalen hat gejagt, e8 ſei dem Könige nicht Ernſt, er thue
nur fo wegen des Kaiferd von Rußland, es fei ihm lieb, daß
feine Minifter widersprechen. — Eitelfeit und Prahlerei wer:
den ed aber doc, dahin bringen, daß man Truppen aufitellt,
Kriegsrüftungen macht. An die Opfer, die dieſes koſtet, denkt
man nicht, und auch daran nicht, daß man im voraus wiffen
muß, was man thun will! —
438
Mittwoch, den 15. Februar 1854.
In einem Briefe des Braunfchweigerd Karl Friedrich
Pockel's vom 24. Dezember 1810 (unter den geftrigen Ge-
ſchenken) leſe ih: „des Altvaterd Gleim Disharmonie mit
Ramler war mir noch nit befannt. Wie hoch fteht der
flare, offene, reine Gleim über dem hämifchen Ramler! Auch
gegen die Karſchin nahm fich Ramler nicht beffer. Noch inter:
elfanter find Gleim’d Briefe an Lavater. Wie fo ganz hatte
Gleim diefen Lavater durchſchaut, — wie ich ihn hier vor-
mals perfönlich zu durchfchauen Gelegenheit gehabt hatte, —
ein geſchminkter Heiliger, voll Eiteffeit, Celebritäts-Koketterie
— imponirender Herzend-Suade, — aber nur Suade —!
und um wieder gejchmeichelt zu werden, ein impertinenter
Schmeichler. Unſer Herzog hatte ihn gleich weg; — „ Das tft
der leibhafte Jeſuit“, fagte er zu mir." — Sehr traurig, aber
wahr! Der junge Lavater fo liebenswürdig, der alte fo
grundverdorben! And in wie vielen Menfchen ift das Alter
nur die Blüthe des Schlechten, während dad Gute längit ent-
ſchwunden ift! Wie richtig fchafft die Natur immer neue
Schlechter, an den alten kann fie feine dauernde Freude
haben! —
In der Dämmerung fam Bettina von Arnim, das Herz
beſchwert, gefränft und gequält von neuen Berdrüffen! Die
Papierhandlung von Spitta und Zeug hat gerichtlich geklagt
wegen Bapierlieferungen, die von ** ohne ihren Auftrag dort
entnommen find. * ſelbſt hat ihr ausweichend geantivortet.
Sie geht von mir durch Schnee und Wind nun zu Spitta, um
fi) näber audzufprechen. Es that mir in der Seele weh, fie
fo fortgeben zu laffen! Dabei ſagt fie, es ſei ihr einziger
Troft, daß fie an mir jemand habe, dem fie wenigftend alles
mittbeilen, deifen Meinung fie hören fünne, in der ganzen
Stadt habe fie jonft niemand! Und das beidiejen Berwandten,
Verehrern und freunden! —
439
Segen 7 Uhr Fam Bettina nochmald, um mir zu fagen,
daß fie bei Spitta und Leutz die befte Aufnahme gefunden, und
von der Klage feine Rede mehr fei. —
In Kenophon’d Anabafis gelefen, wegen der Ufer dee
jchwarzen Meeres. Franzöſiſche Sachen. — Holtzmann's neue
Forſchungen über das Lied der Nibelungen, gegen Lachmann. —
In Italien gährt ed mächtig, in Mailand, Bologna, Nom,
Neapel; franzöſiſche Einflüffe begünftigen den Volkshaß gegen
Deiterreich, gegen den Pabſt, und befonders gegen den ſchänd—
lichen König von Neapel, die Muratiften find befonders thätig.
Alles dies hält die Defterreicher im Schach. — Dagegen ſucht
der Kaiſer Nikolai die Griechen und Slaven in der Türkei auf-
zuwiegeln, bildet Sreifchaaren in der Walachei, läßt durch
Sendlinge Geld, und noch mehr Berfprechungen austheilen. —
Arme Revolution! wie wird fie gemißbraucht, von jenem, von
diefem, zu ihren eigenfüchtigen Zweden! —
Donnerstag, den 16. Februar 1854.
Der — Louis Bonaparte hat fi) zum Meifter der poli-
tiichen Situation gemacht, von ihm zunächſt hängt die Ent:
widelung der europäischen Angelegenheiten ab, Frieden,
Krieg, Richtung und Geſtalt des letztern. Er ift es, der für
das Gleichgewicht, für Die Verträge, für das Erhalten auf:
tritt, während fein Bruder, der Kaifer von Rußland, der
Friedensbrecher, der Nuheftörer, der Aufwiegler und Revo—
lutionair geworden ift! —
Freitag, den 17. Februar 1854.
Gegen Mittag fam Frau Bettina von Arnim wieder und
durchſprach auf's neue die geftrigen Vorgänge, fo wirr, fo
phantajtifch, und willkürlich, daß ich ganz rathlo® wurde und
mir der Kopf dröhnte. Sie beftehbt mit Härte auf ihren ein—
44]
an, und richtet fi) mehr und mehr zu Grunde. Sie fann
nicht ruhen, das ift ihr Unglüd, hr Vertrauen zu mir ift
auch Fein vollftändiges, fie hält immer manches zurück, und
denft aud) mir was weiß zu machen; doch iſt ed groß genug,
um bisweilen fich zu fragen, wiefo fie mir Dinge mittheift,
die gutzuheißen fchon etwas fchlecht wäre? fo zum Beiſpiel
die Gleißnerei bei Henfel, die fie mir mit allen Kräften ihrer
fomifchen Laune luftig und höhnifch vorfpielt, und über die
ih nicht lache! Sie ging endlich, und ließ mich in der größ—
ten Berftimmung zurüd, im fämpfenden Wechjel von Bedauern
und Mipbilligung. —
Binde und Andre fprachen in der zweiten Kammer heftig
gegen das willfürliche Polizeiverfahten gegen Perfonen, die
fih bier aufhalten oder niederlaffen wollten, ed werde
gradezu gegen die Gefege gehandelt; troß der elenden, nur
frehen Bertheidigung des Regierungsſprechers, wurde doch
eine Klage diefer Art an die Minifter verwiefen, mit großer
Stimmenmehrheit. Uber — die Minifter lachen dazu! Für
eine andere Petition wurde die Tagesordnung beliebt. —
In Mailand regt fich das Volk wieder, im Theater, auf
den Straßen, gegen Zigarrenraucher ꝛc. Die Regierung ift
ſehr beunruhigt ob folcher Zeichen; auch bier ift man ev
ſchrocken. Es liegt offen am Tage, fie haben nicht gethan,
um zu berubigen,, auszuſöhnen, zufrieden zu ftellen, fie haben
fein gerechtes Verlangen erfüllt. —
Sonnabend, den 18. Februar 1854.
Die Zeitungen bringen einen Brief Schelling’® vom
August 1853 an einen Dr. Walther in St. Petersburg, der
lateinifche Gedichte zum Lobe des Kaiſers gemacht hat.
Schelling fpricht ſich darin unzweideutig für die politifchen
Abfichten des Kaiferd mit herzbaften Schmeicheleien aus.
Hätte der Dr. Walther diefe zur Kenntniß des Kaiſers ge-
442
bracht, jo wäre das recht fchön gewefen, aber daß er den Brief
in der St. Petersburger Zeitung abdruden lich, darauf hatte
Scelling nicht gerechnet! Nun erfiheint ex als Ruffenfreund
grade in der Zeit, da Preußen jelbit von Rußland fih ab-
wendet! 68 ging dem weltflug fein wollenden ehrgeizigen
Bhilofophen ſchon einmal fo, in Baiern, wo er fih ganz dem
franzöſiſchen Hebergewicht anfchloß, rheinbündnifch und bairifch-
franzöfifch zu fein begann, als plötzlich Napoleon's Stern ſich
verdunfelte, und auch Baierns Politif eine deutfche wurde.
Damals dedten die Greigniffe einigermaßen die Beihämung
Schelling's, der klüglich ſchwieg, und um den niemand ſich
mehr bekümmerte. — Humboldt kommt jetzt freundſchaftlich
zum Thee zu Schelling, das hätte man früher auch kaum für
möglich gehalten. —
Ich dachte mich eben etwas auszuruhen, da kam Frau
Bettina von Arnim, und blieb von halb ſieben Uhr bis acht.
Sie war aufgeregter als je, voll Gift und Galle, ſchimpfte
auf **, trug die mannichfaltigſten Beſchuldigungen vor, vom
Hundertiten in's Taufendite, brachte alles durcheinander,
Großes und Kleined, Fernes und Nahe, ſah grimmig bös
aus, lachte dann wieder in unangenehmer Luſtigkeit, fagte Die
windiajten Dinge mit pathetiſchem Nachdruck, die offenbarften
Unwahrheiten mit zuverfichtliher Berheuerung, beachtete
feine Einrede, gab auf feine Frage beftimmte Antwort, zeigte
die maßloſeſte Gitelfeit, brauchte die unredlichiten Kiften, bäufte
die ſchwerſten Anklagen. Es war ein wahrer Serenfabbath,
den fie aufführte! Sie fah mich öfters mit Blicken an, in denen
mir der Wahnfinn zu reden fchien. Bald gab fie jich für hin—
fällig, Tchwach und erjchöpft aus, und gleich darauf troßte fie
auf ihre unverfiegbare Kraft, ihre freudige Thätigkeit. Auch
von Sindeldey ſprach fie wieder, jegt auch in Bezug auf M.,
den die Polizei als gefährlihen Menſchen kenne, der ſchon
mehrmals wegen demofratifcher Sachen in Haft geweſen ſei!!
443
ganz unwahr! und mie falfch von Bettinen, wie unflug und
vergeplich, dies bei mir anzubringen ! Genug, es überftieg alles
Map, und als fie endlich, endlich ging, war ich felber wie ver:
rüdt, einer Ohnmacht oder einem Krampfe nah! Sie ließ
mir folche Eindrüde, dag ich mich gar nicht wundern kann,
wenn ich höre, fie jei über Nacht vom Schlagfluß getroffen
worden, in ein Nervenfieber, oder in Tollheit verfallen. —
Nach dem Thee mußte ich Tanye Zeit allein bleiben, um
mic) wieder zu fallen und zu erholen. —
Sonntag, den 19. Februar 1854.
Schreiben Louis Bonaparte's an den Kaifer von Rußland,
dem er alles vorhält, im Moniteur mitgetheilt, noch bevor es
in St. Peteröburg gelefen und beantwortet fein kann. —
Montag, den 20. Februar 1854.
Fräulein Fanny Eldler fam gegen Mittag, von Herrn Wehl
begleitet. Noh ganz hübſch, und fehr anmuthig, freundlich
und mittheilend, in alter Weife; nicht eben geiftreich, aber
auch ganz anſpruchslos; wir Sprachen von Rahel, Mrd, Grote,
Gentz, deifen Schweftern, Metternich, Wallmoden, Tettenborn,
ihrer Schwefter Frau von Barnim, ꝛc. — |
Als wir zu Mittag aßen, kam Frau Bettina von Arnim.
Sie erzählte von dem Nothitande der Armen, von dem Hülfe-
eifer ded Mahlers Ratti und der Frau von Marenholtz. Dann
ging fie mit mir auf mein Zimmer, befannte fih völlig er-
müdet und fchlafbedürftig, zitternd aus Gemüthsbewegung.
Sie zeigte mir Briefe, Die fie abfchieden wollte, auf meine Be-
merkungen jchrieb fie den einen auf der Stelle um. Doch in
der Hauptfache bleibt fie auf ihrem Sinn. Sie fagt dem wei-
marjchen Buchhändfer, er müffe ſich jo benehmen, daß die hie-
jigen Leute den Glauben faßten, das Unternehmen ftünde dort
unter der Yegide einer hohen Behörde! und um hier — ganz
445
Preußen, und es erließ an England die Aufforderung, feine
Flotte mit der ruſſiſchen vereinigt im baltifchen Meere gegen
Preußen handeln zu laffen! — Ein edler Schwager! —
Dienstag, den 21. Februar 1854.
Bettina von Arnim bringt mir einen nod) zugefiegelten
Brief von Herrn M.; fie ſei zu feige, ihn zu eröffnen; fie
fürchte neue Gemüthdbeweaungen, ich foll ihn zuerft leſen.
Sch thu's, er enthält nichts Widriges, nur geichäftliche Be—
merfungen zu ihrem Beiten. Daß der vierte Band der Werke
Arnim’s, der zweite Theil der Kronenwächter, chleunigft aus-
zugeben ſei, verneint fie, aus lauter nicht ftichhaltigen Grün-
den, bis ich nach vielem Drängen endlich herausbringe, es
fehle noch der Schluß, den fie erft fchreiben müſſe und jegt
nicht fönne. A la bonne heure! warum fagt fie diefen wah-
ren Grund nicht gleih ? Sie fieht heute beſſer aus, ich fag’ es
ihr, und fie erwiedert: „Das kommt daher, dag ich einmal
eine Nacht gut ausgefchlafen habe! * Fünf Minuten fpäter,
als fie wegging, fagte ich ihr, fie folle mehr ſolcher Nächte zu
gewinnen ſuchen. „Mehr folher Nächte? * verſetzt fie;
„was denfen Sie denn, ich habe die ganze Nacht fein Auge
zugethan, fondern immer geleſen!“ Plötzlich joll das kurz
vorher Gejagte nicht mehr wahr fein! —
Nachdem fie weggegangen war, fam fie noch einmal wies
der; fie wollte mancherlei Angaben und Rathſchläge; dann
eilte fie fort, zu Savigny's Geburtötag, nachher müffe fie zu
Spitta und Leu, zum Buchdruder Schade, zu Hindeldey ꝛc. —
Die Kreuzzeitung ärgert fih, daß ihr lieber Kaifer Niko—
laus nicht nur von den franzöfiichen Blättern, fondern au
von der hiefigen Volfdzeitung, bloß Zar genannt wird; er fei
das zwar auch, aber auch Kaifer und das fei mehr! Sie ärgert
fich höchſt poffierlich, und macht und vielen Spaß! —
„Wir flimmen den Ton preußifcher Baterlandsliebe,
446
preußifihen Geiftes, preußifcher Ehre mit beftem Eifer an, wir
juchen die deutſche Meinung für Preußen wiederzugewinnen,
ed iſt und auch in diefer Richtung ſchon viel gelungen; aber
wir müffen jet mit Borficht in diefer Richtung weitergehen,
denn über Nacht kann alles, weghalb wir in Diefem Augenblide
preußiſch find, umjchlagen, und wir wollen nicht für Rußland
preußifchen Baterlandseifer weden; wir müßten in folchem
Falle jogleich einhalten und dämpfen.“ Merkwürdige Aeuße—
rung! Für mich nichts Neues! Ich bin ſchon immer beob-
achtend in der Schwebe. Wenn fich jebt Preußen mit Rup-
land verbündet, fo ift es nicht mehr Preußen, bat alle feinen
Inhalt verloren, wird aus Reaktion hintenherum revolutionair,
denn der ruffifche Kaiſer ift jetzt entfchieden der entjchiedenfte
Bolfdaufwiegler! —
Die Spener’fche Zeitung bringt heute eine Entgegnung auf
ihren vorgeftrigen Artikel. — Starfe Rede Lord John Ruſſell's
im Unterhaufe gegen Rußland.
Die Engländer wollen ernjtlich vorgehen, Sebaſtopol bom-
bardiren und die ruffifche lotte verbrennen. Auch in der
Oſtſee werden fie angreifen; fo jagen geftern aus London cin-
getroffene Depefchen. —
Mittwoch, den 22. Februar 1854.
Man behauptet, der ruffifche Kaiſer habe dem preußifchen
Gefandten in St. Petersburg Herrn von Rochow eine Anzabl
Huandichreiben des Königs vorgelegt, in denen diefer fich auf's
entjchiedenite verbindlich macht, es in allen Fällen mit Ruß—
land zu halten. Der König müffe feine Verfprechungen halten,
beißt es dann auf Seiten der Kreuzzeitungdparthei, diefer
Nuffenfnechte, die des Namens Preußen nicht werth find. Wo
find die andern Verfprechungen alle hingefommen ?! —
Die durchlöcherte Berfaffung wird noch immer mehr durch⸗
löchert. Für die Mediatifirten, für die Majorate, gegen das
447
beftebende Wahlgeſetz; gegen die Jahresfigungen ; gegen die Fi—
nanzrehnung 20. —
Donnerstag, ben 23. Februar 1854.
Die neulich bejchlagene Kreuzzeitung ift einfach zurüd-
gegeben worden, ohne Anklage, ohne ErHärung; die über die
lie betreffende Polizeiſtrenge empörte Kreuzzeitungöparthei hat
hierauf in den Kanımern einen Antrag zu Gunſten der Prep-
freiheit eingebracht; nicht die Polizei, fondern der Staats—
anwalt folle die Befchlagnahme verfügen, die Stellen, wegen
deren fie erfolgt, follen dem Herausgeber bezeichnet, die nicht
befchuldigten Blätter binnen 24 Stunden gurüdgegeben wer:
den. Thadden-Trieglaff, Meding und Andere folchen Gelichters,
urſprüngliche Feinde aller Prepfreiheit, machen den Antrag, der
freilich im Grunde nur ihre Preßfreiheit meint, die der Gegner
möge preiögegeben jein! —
Mit der Reviſion des Jagdgeſetzes mühen jich die rohen
Sunfer auch noch vergebens ab. Sie wilfen nicht, wie ſie's
machen follen! — |
Der König hat auf den legten Alfembleen jich auffallend
freundlich gegen Manteuffel gezeigt, immer auf's neue mit ihm
gefprochen 2c. was er fonjt nit that. Er wollte offenbar
darthun, daß er mit deffen Politik zufrieden fei. Wie fünnte
er auch anders! Manteuffel ijt ja nur der geborfame Aus:
drud empfangener Borfchriften! —
Eine eigene Bolitif hat Preußen nicht ; ed geht mit dem Tage,
wie die Umftände es wollen, die Haupttriebfeder ift die Furcht,
der folgt man, im Augenblid it die vor Bonaparte am größten. —
Die Ausfichten werden immer dunkler, Preußen weiß
in der Angft nicht wohin jich wenden, wohin ſich an-
ſchließen; auf allen Seiten lauert Gefahr, die größte im zu
befürchtenden Verrath, auf allen Seiten unzuverläfjige, falfch-
gejinnte Regierungen, die uns jeden Augenblid im Stich
450
Kammerdiener des Königs hatte ihm in deffen Abivefenheit den
Zutritt geitattet. Gewiß ift ed, dag der anfangs eingeleiteten
Unterſuchung plöglich alle Folge abgefchnitten worden. —
— — — — nn —
Sonnabend, den 25. Februar 1854.
Der Polizeipräfident von Hindeldey, der dem Könige
jtet® befondern Polizeivortrag hält, und eben jetzt in hoher
Gunjt bei ihm ſteht, erwedt auf's neue die Eiferfuht des
Minifterpräfidenten von Manteuffel. Die ruffiihe Par:
thei, die zugleich die der Kreuzzeitung ift, wendet alles auf,
um durch Hindeldey dad Minijterium zu ftürgen, den König
für ihre Sache zu gewinnen. Sie vermögen viel, aber die
Furcht vor Bonaparte können fie nicht bezwingen! Und dann
it Hindeldey fein politifher Mann; er will für ſich felbit ar:
beiten, nicht für eine Parthei, am wenigiten für jie etwas
wagen. — '
Don ruffiiher Seite wird alles aufgeboten, das ſchwan—
fende Preußen zu gewinnen, Berjpreihungen aller Art, aber
auch Drohungen, und der rujjiiihe Kaifer foll ausgejprochen
haben, die Zufunft Preupend hänge von feiner heutigen Ent-
ſchließung ab. Doch die thatjächlihe Drohung Frankreichs,
wenn man ihr auch feine Worte giebt, wirkt jtärfer, und der
König, obwohl zu Rußland hingeneigt, will auch mit Frank—
reich auf gutem Fuß bleiben. —
In Görlig iſt der dortige „Anzeiger“ wegen rufjenfeind-
licher Artikel verwarnt und bedroht, auch find ihm die amt—
lichen Einrüdungen entzogen worden. Ob die Behörde zu
jolcher Willfür befugt jet, wird nicht gefragt. Die ruffifchen
Gefandtjchaften, auch die in Wien, führen ungeftüme Klagen
gegen die deutſchen Zeitungen! —
451
Sonntag, den 26. Februar 1854.
In der jegigen politifchen Krije wollen auch Baiern, Sach⸗
jen und Würtemberg fich bemerklich machen, nicht ohne An—
regung von Seiten Rußlands. Defterreich hat fie, wie dann
auch Preußen gethan, zur Ruhe und auf ihre Stellung im
dentfchen Bunde verwiefen. Darüber herrfcht bei den Kleinen
eine große Unzufriedenheit, die wenig bedeutete, wenn fie nicht
in vorfonmenden Fällen jich leicht dem Auslande verbünden
fönnten. Wenn es fein Deutſchland als politifche Einheit
giebt, der Nationalgeift nichts gelten, Feine Farbe, fein Ab-
zeichen haben foll, dann fann es gleichgültig erjiheinen, ob
man unter einem Fürſten lebt, der von Paris, oder unter
einem, der von Wien her Schuß und Befehl erhält. Das hat
fi die dummfluge Reaktion gegen Volk und Freiheit be-
reitet! —
Der Präfident von Gerlach, Leiter und Spaßmacher der
Reaktion ur den Kammern, will aus dem Staatödienite ſchei—
den. Man giebt ihm Schuld, dem’rufjiichen Gefandten man—
cherlei verrathen zu haben, was wenigſtens für den Augen—
blid noch als Staatögeheimniß gelten konnte. Der Angriff
des Oberften Friedrich von Bülow, der in der Voſſiſchen Zei—
tung an die Zuchthaugftrafe erinnert, die auf folcherlei fteht,
jo unmittelbar gegen Gerlach gerichtet jein. —
Nachrichten aus St. Peterdburg fagen, daß der Kaifer in
einer Art Berzweiflung fei, VBerwünfchungen gegen Louis
Bonaparte ausſtoße, der ihn betrogen habe, Der ein Schwindel:
fopf fei, unwürdig des Titeld, den man ihm allzu großmüthig
erlaubt habe; auch gegen Preußen und Oeſterreich foll er
wüthen, in beiden Staaten Aufitände wünfchen, damit fie
ſähen, wie ed mit ihnen innerlich beftellt jei. Für feine
Umgebungen ift der Kaiſer ein Schreden, eine Geißel, er
plagt alles mit feinem Grimm, feiner Mißlaune und Rath-
lofigfeit. —
29 *
453
Dienstag, den 28. Februar 1854.
In diefen traurigen Zeiten, unter dem fchweren Drud, den
Willfür, den Ungerechtigkeit, Dünkel, Frechheit und Selbit-
fucht und auflegen, bei der allgemeinen Verdunkelung weit
umber, bei der Ausfichtslofigkeit für unfre innern YZuftände,
ja bei den drohenden Gefahren unjeres bürgerlichen Dafeins,
erfahr’ ich in mir dennod ein tiefes Wohlgefühl, das von allen
diefen Dingen unabhängig, durch fie nicht die geringfte Hinde—
rung erleidet. Es ift ein Gefühl des Antheils und der Freude
an allem rein und ächt Deenfchlichen, ein dankbares Erkennen
des vielen Guten und Schönen, das in der Welt ift, und mir
durch Liebe mitgehört. Mich dünkt, ich ſehe die Natur reiner
und höher als fonft, und was nur in Vorzeit und Gegenwart
als edlere Menfchengeftalt mir erfcheint, erwedt mir die be-
glüdendfte Neigung. Am frühen Morgen und fpäten Abend
empfind’ ich dies Wohlgefühl am hellften, und bin oft von ihn
fo durchdrungen und erhoben, daß ich ein andres und neues .
Leben zu führen glaube. — Der laute Tag mit feinen Auf-
gaben, Eindrüden und Nachrichten, bringt dann wohl eine
verminderte Stimmung, bringt Unwillen, Verdruß und Haß,
aber unter diefer Hülle ftrömt doch das Wohlgefühl leife fort,
und wenn fie mit dem Tage abfällt, ift dieſes voll und frifch
wieder da, Heute grade, wo die Empfindung beſonders lebhaft
ift, muß ich doch wieder einmal etwas davon auffchreiben! —
Stahl, Gerlach's, und andres folches Gelichter, finden es ab⸗
ſcheulich, daß man die ZulusKaffern bier duldet, im chriftlichen
Staate die Heiden! Wenigftend zur Taufe müßte man fie
doch bringen! Warum nicht mit ein Bischen Gewalt?! —
— — — —
Mittwoch, den 1. März 1854.
Schlechte Nacht, aber ein guter Morgen. Ich wachte früh,
und fand mich in beſter Geſellſchaft; Rahel war mir ganz
454
gegenwärtig, in ihrem tiefften Wefen, in ihren leuchtendften
Eigenſchaften; ich fand feinen Ausdrud für ihren hohen
Werth, für diefe Berbindung von Herzendwärme und Geiftes-
frifche, Die fie nicht nur hatte, fondern auch mittheilte, für dieſe
Wahrheit und Urfprünglichfeit aller ihrer Regungen und Ge:
danfen, für diefe Tiebliche Heiterfeit und gewaltige Kraft ihres
Daſeins. Was von ihr gefchrieben, gedrudt ift, das Befte fo-
gar, wie gering und matt ift ed gegen das, was jie lebend aus—
übte! Ich lachte vor Vergnügen in freudigem Stolz auf
fie! — Dann aber überdacht” ich mir Fichte, Schleiermacher,
Marwis, Harfcher, zulegt Hermann Franck, der auch eine hohe
Eigenthümlichfeit iſt, die fich der vollitändigen Bezeichnung
entzieht, und in fchriftlicher Auffaffung ſchwer ihre ganze Ge-
bühr empfängt. Die beften, die ähnlichiten Bilder find nur
Bilder! —
In Spanien droht innerer Krieg andzubrechen. Bon einer
Seite denft man an Willfürherrfchaft, won anderer an Sturz
der Dynaftie. Das Königthum gewinnt in feinem Falle
dabei, —
In Schweden und Dänemarf Rüftungen. —
Unfere Junker find recht befliffen, für fünftige Volks—
beiwegungen vorforglih Nahrungsftoff anzuhäufen. Die blin-
den Schächer ahnen nicht, was fie eigentlich thun, indem fie
die Jagdrechte, die gutsherrliche Polizeigewalt, den Drud auf
Geſinde und Arbeiter, wiederherftellen! Die ganze Bolfe-
gefinnung wird von ihnen auf’® neue mit Haß und Unwillen
erfüllt! —
Lamennais ift am 27. Februar in Paris geftorben. Gr
hat durchaus feinen Priefter angenommen, er, der felbit katho—
lifcher Priefter war, hat von der Kirche nichts wiffen wollen !
Er fonnte Kardinal werden. Sein Freidenken war ihm lieber.
Ein großed Beifpiel! —
455
Donnerstag, den 2. März 1854.
Großes Aufgehebe wegen des Entjchluffed des Königs,
nicht mit Rußland, fondern mit England und Oeſterreich zu
gehen, und mit Frankreich. Der Entfchluß ift noch nicht
ſo ganz vollftändig, und weder ein fo hoher noch ein fo
freier, fondern fommt aus Verlegenheit und-Noth; auch hofft .
die Kreuzzeitungsparthei — Kleift-Rebow, Gerlach, Bismurd:
Schönhaufen ꝛc. — noch immer ihn umzuftoßen. Der König
werde wieder beim Volke qutftchen, jagt man. Dem Volke
müßten ganz andere Dinge dargeboten werden! —
Bettina fagt, Goethe fei neben der Frau von Stein eigent-
fich in die Herzogin Luiſe verliebt gewefen, und diefe Nei-
gung habe ſich in ganzer Stärke bis zulegt bewahrt; die Hof-
dumme der Herzogin, Gräfin Karoline von Egloffftein, hat zu
Bettinen gefagt: „ Wir wilfen dies Alle, die Sache fonnte fein
Geheimniß für und fein, die Frau von Stein war nur der
Deetmantel, dem Zufammenfein Goethe's mit der Herzogin ein
unfchuldiges Anſehen zu geben." Das Letztere ift zu viel, ift
ficher fo nicht wahr; aber ganz grundlos ift die Sache nicht,
die Berebrung für die Herzogin konnte leicht eine Zeitlang in
ächte Liebesneigung übergehen, ohne die für Frau von Stein
aufzuheben. Sch erinnere mich in frühen Jahren ſchon etwas
der Art aus Weimar gehört zu haben, im Jahre 1803, was
jpäter durch Neußerungen Wilhelms von Humboldt, Friedrichs
von Schlegel, Amaliens von Helwig ꝛc. beftätigt wurde.
Doch ſchien das bei Erfcheinung der Briefe an Frau von Stein
alles in nichte zu zerfallen! Die Neigung zu Frau von Stein
ift mir aber auch jeßt noch die wefentlichfte, die auch einen
ganz andern Spielraum hatte, ald die ganz platenifche zur
äußerft zurüdhaltenden Herzogin. — Bettina jagt mir fchalf-
baft: „Sch habe in der Liebe gar wenig Erfahrungen gemacht,
und das thut mir jeßt fchredlich leid, ich möcht’d noch nach—
holen!” Ich erwiedere, dazu fei ed nun zu fpät. „Warum
457
In den vornehmen Kreifen geht ein Gerede ftarf um, das
früher gar nicht gehört wurde, Graf von Brandenburg foll,
beißt es jeßt, nicht vor Aerger aeftorben fein, den er hier ein-
gejchludt hat, fondern an einer Prife Tabad, die ihm der Graf
Drloff in Warfchau gereicht habe! Geradezu Unfinn, denn
Drloff hatte nicht den geringften Grund das zu thun; Bran—
denburg war angewiefen, den ruffiichen Forderungen nachzuge—
ben, und hatte nachgegeben, was konnten die Ruffen mehr wollen?
Über ald ed gefchehen war, that hier der König, ald ob er es
nicht gewollt, und wollte doch gleich weiter fo, und Man-
teuffel mußte nach Olmütz. Es heißt, die Familie Orloff fei
im Beſitz eines geheimen Giftes, das fich in ihr vererbt habe;
zu gelegener Zeit werde fie auch dem Kaifer davon zu fehnupfen
geben! Died Gerede ift offenbar gegen die Ruſſen, wird aber,
wunderbar genug und doc gewöhnlich in folchen Fällen, vor:
züglich von folchen Leuten geglaubt und verbreitet, die im
Grunde den Ruffen zugeneigt find, von vornehmen Herren
. und Damen des Hofes ꝛc. Wer hat es in Umlauf geſetzt?
Abends mit Ludmilla zu *** — Der Franzofe ſprach viel
und gut, aber langſam und eintönig, daß es die Nerven an-
griff; über Sängerinnen und Frauentugend ift er voll Vor:
urtheile, er glaubt auch noch, die Tugend ftede in der Heirath,
jet diefe übrigen, wie fie wolle! Wenn eine Frau vier Män—
ner hintereinander geheirathet hat, dann bleibt fie tugendhaft,
wenn ed nur Liebhaber waren — mag die Liebe woch fo ſchön
und herrlich gewefen fein —, fo taugt fie nicht! Wie verkehrt,
wie erbärmlih! — |
Zu Haufe noch Unterhaltung mit Ludmilla. Menfchen-
funde, Anlagen, Triebfedern der Menfchen ; weder das, was
fie jagen, noch das, was fie thun, ift immer aufrichtig: fie
wollen meift ganz was andres, ald was fie vorgeben. —
Im Plinius gelefen, Englifche Blätter. —
Der Prinz von Preußen foll fich fortwährend gegen Ruß:
459
möge?! Doch ift es fo; weltliche Stellung, hohe Titel und
Würden imponiren ihr überaus! —
Nachmittags Beſuch vom Grafen Cieſzkowski. Politiſche
Betrachtungen. Ob der Krieg noch wieder rüdgängig werden
könne, welche Wendung er nehmen werde, wenn e& zum Treffen
kommt? Alle führen ihn wider Willen, ſchon Frankreich und
England nicht mit voller Kraft und Entfchloffenheit, geſchweige
denn Defterreich und Preußen, falld fie fi) dazu bequemen.
Furcht vor Aufftinden. Mißtrauen gegeneinander, Berrath
und Arglift lauern überall Bedeutung Polens im bevor:
ftchenden Kampf, welche Vortheile da zu gewinnen wären,
welche Gefahren drohen, wenn man jene Vortheile nicht er:
greift. Meberall Schwachföpfe, ideenlofe, gemeine Menfchen,
ohne Geift, ohne Karafter, alle in der Gewalt der Umftänte,
Drabtpuppen, mit denen die Gefchichte ihr Spiel treibt! Ber:
ächtliches Gefindel, wie hoch es auch jtehe, wie ftarf e& auch
prahle! —
Herr Wehl nimmt Abfchied, er reift morgen nach) Hamburg -
zurück. —
Zu Haufe mit Ludmilla Geſpräch, fie fam erft um halb.
12 Uhr von der Gräfin von Ahlefeldt. — In dem Paulus:
Buche von Reichlin-Meldegg gelefen ; gute Broden jind darin,
aber eine fchlechtere Redaktion kann nicht gefunden wer:
den; und Dazu habe ich eine Vorrede fihreiben follen! Dann las
ih, durdy Erepet angeregt, einiged im Boileau; troß alles
Vorurtheild, das fich gegen ihn aufgehäuft hat, machten mit
feine Satiren wahres Vergnügen, und jedenfalls ift er ein
Autor, der fehr nüglich wirkt, wenn man ihn zu leſen ver:
jteht. —
Die Kammern mit ihrer entfchiedenen Mehrheit von
dummen Junkern und hämifchen Reaktionairs greifen außer
dem Jagdgeſetz nun auch die neuere Juftizverfaffung ernftlich
an. Das Gefindegejeg ift ſchon durchgegangen. Sie laffen
461
jtunden, Vergnügungen, ganz wie eine große Perfon, mit ent-
Ichiedenen Urtheilen, Neigungen ꝛc. Dabei ift fie ein ganz
gutes liebes Kind. —
Straf von Wartensleben bradıte mir ein paar Auto—
graphen. Die Heine Marie ging dann bald. Darauf jtürmte
der Oberforftmeifter von Burgsdorf herein; er und Wartene-
leben erfannten fich als alte Befannte von Königäberg ber.
Burgsdorf theilte mir einen Brief des Generals der Infan—
terie von Natzmer mit, worin diefer mein Buch über Bülow
ungemein preift, ihm den Vorzug vor allen Ähnlichen giebt.
Dagegen werde ich auch getadelt, meinte er; der Fürſt Wil:
heim Radziwill 3. B. Mage, daß ich einen Brief feiner Mutter
habe abdruden laffen, der Narr! Ein Oberſt von Franden-
berg behaupte, Taucha ſei in der Schlacht von Leipzig nicht an
gegriffen und genommen worden, — die unerheblichfte Ein-
zelheit, von gar feinem Belang! Wenn’ weiter nichts ift,
dann fteht ed gut! —
Ludmilla fam ans dem Theater, fie hatte den „Demetrius“
von Grimm geſehen, der doch zum drittenmal aufgeführt
worden iſt; auf der Bühne ſo ſchwach, wie im Leſen! —
Im Leben Ilgen's geleſen; ſeine harte Jugend- und Lern—
zeit! Wie viele tauſend Vornehme und Reiche haben nicht den
geringſten Begriff von ſolchem Heldenthum! —
Der Aufſtand der Griechen im Epirus wächſt noch, und
ergreift, durch ruſſiſche Sendlinge und Gelder unterſtützt, auch
in Theſſalien ſchon einen Theil der Bevölkerung. —
Da jebt der Raifer von Rußland Anftifter von Aufftänden
ift, jo fünnte er fi, wenn er bedrängt wird, auch wohl bei-
gehen laſſen, nicht nur Ungarn aufzuwiegeln, jondern fogar
Polen, und die Drangfale, die ihm durd, Polen bereitet wer:
den könnten, den Anderen zuzuwälzen. —
— ⸗22 .. — —
463
Gewerbe in Preußen herunterfonimen, er fürchtet, auch fie
möchten von dem neuen Kriegdhafen an der Jahde ihren
Nutzen haben, das foll nicht fein! Man könnte den Wahnfin-
nigen fragen, was denn die preußifchen Kriegefchiffe beſchützen
follen, wenn nicht Handel und Gewerbe? —
In Magdeburg wurde am Sonntage wieder die Berfamm-
lung der freien Gemeinde, in welcher Dr. Sachſe redete, durch
Polizei aufgelöſt. —
Wo follen wir mit aller Gefchichte hin? Jedes Land, jede
-Stadt haben die ihre, und Taufende von Ländern und Städten
giebt's, Taufende werden noch entjtehen! Da hilft nichts, Die
Gefchichte wird mit fich felber fertig werden, das Meifte fter:
ben laffen und begraben, und nur dad Bevorzugte am Leben
erhalten! Dazu kommt, daß nur diejenige Geſchichtsſchreibung
taugt und nußt, die in das genaue Einzelne fich erftredt, die
allgemeinen Umriffe geben fein inneres Leben. —
Ich habe einmal in einer Rezenjion die Gefchichtäzeiten
näher angegeben, welche für und die wichtigften find, an welche
ſich unjere Theilnahme vorzugsweiſe fnüpfen darf, in denen
auch das Kleinite und aufbewahrungewerth fein kann. Unſere
jegige Zeit iff auch darunter, ich glaube mit Fug, nicht aus
Täuſchung, und bin noch heute diefer Meberzeugung. —
Mögen wir wenigftend mit allem Fleiße das Unfre thun, daß
die Zukunft, im Fall fie doch etwa unfre Gefchichtözeit nur in
gedrängtem Auszug, in furchtbarer Abkürzung, noch anfchauen
will, wenigitend aus möglichft vollftändiger Weberlieferung
diefen Auszug, diefe Abkürzung machen könne! In diefer
Hinficht können wir und auch folche fechs dicke Bände, wie die
von Perg über Stein, über einen einzigen unferer Staats-
männer gefallen laſſen! Nur wünfchten wir mehr Geiftes-
freiheit und wahre Nedlichfeit in den Mittheilungen! —
— — — — —
465
Es wird verjichert, der König habe ſich zur Entlaffung
Manteuffel’3 entfchloffen, und.-wolle ein Minifterium aus der
Kreuzzeitungsparthei nehmen, woraus denn Anfchluß an Ruß—
fand und Krieg gegen England und Frankreich folgen müfle.
Manteuffel ſoll fhon mit der Sendung Gröben’d nad) Eng-
land und Hohenzollern’d nach Paris nicht einverftanden ge-
wefen fein. Sept bittet man den Himmel, es möchte doch nur
Manteuffel Minifter bleiben! Was ift damit geholfen? Für
die gute Sache iſt er niemals ein Gewinn; er ift ein Erz
reaftionair von Haus aus. Lieber Feinde zu Miniftern, als
ſolche Lauheiten! —
Gerede von einem Briefe der Kaiſerin von Rußland an
ihre Schwägerin, die Königin, Preußen ſolle doch nicht ab—
trünnig von Rußland werden, u. f. w. Das Weinen der Kö—
nigin, die Durch diefen Brief im Innerjten bewegt worden, ſoll
das Herz des Königs tief ergriffen und fo wieder auf die Seite
Rußlands gelenkt haben! Und dergleichen mehr. So ſoll auch
der Prinz von Preußen erklärt haben, wenn der König ſich zu
Nupland halte, fo werde er mit Frau und Kind nach England
abziehen; darauf fei ihm vom Könige ſpitz geantwortet wor:
den: „ Du bift ja fchon einmal dort geweſen, Du kannſt wieder
hingehen!“ —
Donnerstag, ben 9. März 1854.
Dumme Gerüchte jagen fich im Publiftum; unfre Börfe
ift die verzagtefte, wenigft unterrichtete, im Schreden und Ber:
trauen gleich maßlos. jede Albernheit wird geglaubt, be:
fonderd wenn der Schwindel irgendwo fich höhern Orts zu
gründen ſucht. —
Die Neue Preußische Zeitung ift heute wieder im vollften
Glanze ihrer —. Sie behauptet ſchamlos, die ftrenge Neutra-
fität Preußens, die jebt ausgefprochen, fei das, was die Par⸗
Varnhagen von Enfe, Tagebüder. X. 30
467
„Was joll Preußen thun?“ Zum bundertitenmal ant-
worte ich: feine innere Politik ändern, ſich der Ungerechtigkeit
entichlagen, der Willfür, des Haſſes gegen feine eignen, feine
beiten Leute, Dann wird alles Uebrige fich von felbit finden !
„Alſo die jetzige politifhe Haltung genügt Ihnen nicht?“
Schon dephalb nicht, weil fie gar feine Haltung ift, fondern
ein Gemifch von allen möglichen Mängeln, die man fiih ver:
behlen und für Andre verdeden möchte. Preußen liegt da,
wie ed der Tag grade gelegt hat, die Furcht vor dem Dften
und die Furcht vor dem Welten, bei völliger Abweſenheit eig:
nen Willend und Zieles! Selbft wenn ihm die gebratenen
Tauben in’d Maul fliegen, wie 1848 das Kaiferthum,
Ichnappt ed nit zu! — '
Noch, noch jebt denken viele Polen daran, ihre herge-
ftellte Arone könne dem Könige von Preußen zufommen ! Aber
fein Preuße denft es. — Wir fünnen Gott danfen, wenn
Preußen nichts weiter verliert, ale das entbehrliche Fürſten—
thum Neufchatel, — was fönnten wir unter diefer Regierung _
wohl erwerben? Hohenzollern, Jahdebuſen? Das ift was
Rechtes! — | |
Eine neue Schrift von Diezel, in Stuttgart bei Göpel
erichienen, ift heute hier von der Polizei weggenommen
und verboten worden, — Sch habe nicht erfahren können, was
aus dem Gerichtöverfahren geworden ift, das gegen Diezel’d
erfte Schrift mit fo großer Strenge und gewaltigem Lärm
erhoben worden. Nichts, wie es fcheint! —
Defterreich und Preußen wollen den deutichen Bund ihrem
Machtwillen auch formell unterordnen, aber gleich im Beginn
wird diefer gemeinfame Zwed auf zwielpaltigem Wege zu
erreichen gefucht, Defterreich traut dabei Preußen nicht,
Preußen traut Defterreih nicht. Die andern Bundesglieder
aber werden dadurch gewaltfam in den Schuß Frankreichs ge:
trieben, das den Rheinbund ganz in Bereitichaft hält. Eine
30*
469
Noch zulegt aber rief ihn der König wieder zurüd, fagte: „Du
haft doch alles verftanden?* — er dutzt ihn — und fügte
dann zu deſſen größtem Erftaunen die der Verabredung ent:
gegengejeßteften Dinge hinzu. Manteuffel beruhigte ihn im
Abgehen, und fagte, e8 bliebe bei der Verabredung, er Feine
ja die Art des Könige. Das aber hörte der König noch zum
Theil, und machte nun Manteuffel arg herunter, ohne doch den
eignen Sinn durchſetzen zu wollen, es blieb bei der Verab—
redung. Welch unnöthige Verwirrung und Quälerei! —
Sonntag, den 12. März 1854.
Nachrichten aus Griechenland, Die von dem ruffischen
Kaifer angeftifteten Aufitände ſinken fchon wieder zufammen,
fie haben in der Xage der Dinge feinen Grund; den Griechen,
die türfifche Unterthanen find, geht es jetzt beffer ald denen,
die unter ruffifcher Herrfchaft leben. Die nationale Begeifte-
rung ift ein fünftliches Flackerfeuer, das nicht dauert. Natür:
lich empfindet das freifinnige Europa jebt feine Sympathie
für Griechen, die nur den Ziveden Rußlands dienen; es han-
delt jih um die Selbitftändigfeit aller Staaten, die Oberge—
walt eines Herrfchers, der zu einem Oberherren oder Eroberer
nicht einmal das nöthige Zeug, fondern nur den Dünkel hat!
Schweigt jebt doch fogar die Rache, welche die Freiheit, welche
das franzöfifche Volk gegen den Verbrecher Louis Bonaparte
zu nehmen hat! Er dient jegt gut, man läßt ihn dienen, doc)
verziehen find feine Verbrechen nicht! —
Die Berfuche der Kreuzzeitungsparthei, in das Minifterium
zu fommen, find abermals gefcheitert. Der König liebt fie
zwar ein wenig, aber fürchtet fie weit mehr. Und dann gefällt
es ihm, einen Minifter, der angefeindet wird, eben deßhalb zu
behalten. —
Zwei Schriften gegen die Freimaurerei find erfchienen.
471
zurüd, und bezüchtigt die Kreuzzeitung tüdifcher Ränfe und
Bosheiten. —
Aus der neuen Regierungsbehörde, welche hier errichtet
und an deren Spitze Hindeldey geftellt werden follte, wird für-
erft nichtd. Die Mintjter gaben den Gelüften Hinckeldey's
unwillig nach, weil fich derfelbe durch feine Bolizeifachen grade
jehr wichtig gemacht hatte, und fie ihm nicht offen entgegen-
treten konnten. Jetzt ift die Polizei etwas im Hintergrunde,
die Bolitif it voran. Aber Hindeldey wird feinen Augenblid
auch wieder finden und dann zu benußen wiffen. Er haft den
Minifter von Manteuffel gründlich. —
Die Anfrage ded Grafen von Schwerin an das Minifte-
rium war mit Diefem zum voraus verabredet, jomwie die zu—
friedenftellende Antwort, welche darauf ertheilt wurde, Die
Kreuzzeitungsparthei it über die Art und Wendung dieſer
Erflärung voll Gift und Geifer. Die Junker in der Marf
und Pommern wären nicht ungern unter ruffiicher Herrichaft,
wenn nur die Bauern wieder unter die ihrige gegeben wür—
den. In der Provinz Preußen denken die Edelleute ganz
anderd. —
In nächfter Woche follen genauere politiiche Mitthei-
lungen den Kammern vorgelegt und zugleich eine Anleihe von
30 Millionen Thalern gefordert werden. Ob die Kammern
fie bewilligen? Die Minifter glauben der Mehrheit gewiß
zu fein! „Vielleicht machen die Junker, da die Sache doch,
gegen Rußland gerichtet ift, dennoch einen Strich durch die
Rechnung. Das wäre dann die fehönjte Gelegenheit, die
Rammern ganz und gar abzufchaffen.“ Und woher dann das
Geld? „DO, der abfolute König von Preußen hat mehr Kredit
ald der fonftitutionelle!* —
473
zu bringen. Auf meine Aufforderung, mir nun einmal genau
zu fagen, was er eigentlich gethan, erwiedert fie: „Nun, dag
fann ich fo beftimmt nicht angeben!“ und ich erfahre wieder
‚ nichts! Sie fagt, fie werde großen Berluft erleiden, aber alles
fei ihr lieber-ale ein Prozeß, überdies wolle der Anwalt ihr
zu feinem rathen, von dem er nicht die unumftößliche Ueber⸗
jeugung habe, daß fie ihn gewinnen müffe, jo jedoch
erfcheint ihm diefer Fall Teineswegd. Dann würde ed auch
eine Menge ſchwieriger Unterfuchungen geben, etwa gar Eide
zu leiften, das alled wolle jie nicht, fie fei zufrieden, nur ſchnell
von dem Schmutzfinken lodzufommen. Das ganze Gewirr iſt
nicht zu verftehen, macht mir den Kopf ſchwindeln. Und dabei
Bettinens phantafievolle Darftellung, die vom Hundertften in's
Taufendfte fpringt, Bekanntes in ganz veränderter Geftalt
wiederholt, Unbekanntes mit halben Worten andeutet, jeder
Nachfrage fich entwindet, niemals feftzuhalten ift! —
Hierauf von politifchen Dingen ; Savigny ganz ruſſiſch
gefinnt ; ihre Tochter Gräfin Oriola fchreibt vom Nhein, nie
mand wolle dort von Anjchliegung an Rußland hören, lieber
würde man wieder franzöjifh. Die Menge alter Weiber hier,
die heftig für Rußland find und fchreien, Die Megären Gräfin
von Münfter, Gräfin von Brandenburg, Gräfin von Bis:
mard:Bohlen, wie fo nur die alten Weiber jebt bier
fo viel gelten? Und noch vieles Andere. Sie ging erft gegen
4 Uhr. —
Die englifhe Flotte unter Sir Charles Napier ift nad
der Dftfee abgegangen ; ihr nächſtes Ziel fol die Kieler Rhede
fein. — Am 16. fol fie dort eintreffen, fagt der englifche Lord
Bloomfield. (Sie bleibt fürerſt im Kattegat an der. ſchwediſchen
Küfte. — )
475
Man habe die Nachforſchungen eingeftellt, man wolle der Sache
lieber nicht auf den Grund kommen! —
Freitag, den 17. März 1854.
Bejuh von Frau Generalin von Pfuel, heiter und an
genehm; die Frau hat den bellften Sinn, die glüdlichite An-
muth, gar fein ariftofratifches oder religidfed Borurtheil. Ich
muß meine politifchen Anfichten aufitellen, fie findet ſolche viel
zu düfter, ſie verläßt fih darauf, daß der Himmel und das
Glück die Dinge ftetd anders leiten, ald man ed vermuthet;
darauf verlaff’ ich mich auch! aber wie der Einzelne, fo frevelt
auch die Regierung, die fich blind in diefem Glauben den Er:
eigniffen hingiebt! —
In der Spener’fchen Zeitung wird der Graf zu Stolberg
aus Paderborn, der in der Kammer jich erfrecht hatte zu er-
flären, ein Jude, als Ungläubiger, habe gar fein Recht, ale
das der Kreatur, und andre folche boshafte Berrüdtheiten hin-
geihwaßt hatte, durch einen Herrn Ludwig Leſſer nach Ber:
dienft abgefertigt und gezüchtigt. Hier wäre die Prügelftrafe
am Ort! Für foldhen Grafen das einzige Recht, das er ſich
jelber offen läßt, das Recht der Kreatur! —
Heute fam in den Kammern die Vorlage wegen der An:
leihe und die damit verbundene politifche Erklärung noch
nicht vor, —
Die Prinzeffin * pflegt bei wichtigen und verwidelten
Gegenftänden, auch politifchen, fi) an Humboldt mit der Aufs
forderung zu wenden: „Expliquez-moi cela en deux
mots!“ — .
Abends kam Herr General von Pfuel, und blieb mit mir
und Ludmilla wohl zwei Stunden; fehr liebenswürdig, im
Scherz und im Ernft. Die Tagesangelegenheiten famen ernit-
lic) zur Sprache, Nachher befchäftigten und Schachaufgaben,
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durch die ganze damals gebildete Welt, ihm felbit waren in
Griechenland und Italien mehr ald hundert Bildfäulen er:
richtet. —
Sonnabend, den 18. März 1854.
Wieder auf einen Sonnabend fällt der 18. März, wie vor
ſechs Jahren, das Volk begrüßt den Tag als feinen Feſttag,
und er wird auch heute wieder vielfach gefeiert. —
Mittags fam Frau Bettina von Arnim. Sie fagt mir, fie
habe geftern einen fchredlichen Tag gehabt; es habe fich erge-
ben, daß fie einen Schaden leide von mehr ald 700 Thalern,
dabei fage ihr Rechtsanwalt Caspar nun gar auch, er habe fich
überzeugt, ihr Gefchäftsführer fei fein unedler Menfh! Ihr
Schwiegerfohn Graf Driola hingegen verlange, fie folle fcharf
verfahren, wenn fie es nicht thue, fo müfje er glauben, es
ſtecke noch was dahinter, und [te habe Unrecht! Sie hat dem
Herrn Caspar nun aber doch eine Vollmacht audgeftellt, mit
den Gläubigern zu unterhandeln. Sie fommt auf Savigny's
zu reden: „Barnhagen, Sie haben feine Vorftellung davon,
was da für eine Peitluft ift! Er ift frank am Pietismus, er hat
Angft und fühlt, daß er viel Unrechtes gethan hat.” —
Heute brachte der Minifterpräfident von Manteuffel die
Borlage wegen einer Anleihe von 30 Millionen Thalern in
die zweite Kammer ; die Erklärungen, welche der Minifter gab,
und die zweifelhaft laffen, ob nicht am Ende doch das Geld zu
einem Kriege gebraucht werden foll, der dem Nationalfinne
widerfpricht, befriedigten nicht. Es wurde faft noch weniger
gefagt, als bei der neulichen Anfrage Schwerin’d. —
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ich nie gefagt! Aber dahin wird mich nicht® bringen, Daß ich
mein Kreuz dem Halbmond gefelle gegen dad eigentliche
Kreuz!“ Das eigentliche Kreuz ift alfo das griechifche; wieſo
der proteftantifihe König dies höher ftellt, als das eigne,
bleibt ein Räthfel. Aber auch der Ausdrud „mein“ Kreuz ift
bier fchief und ungeziemend! — Terner: „Auf die vox po-
puli hör’ ich nicht! * —
Montag, den 20. März 1854.
Mas vor jechd Fahren brennende Gegenwart, frifches
Leben war, ift jetzt fchon entlegene, halbvergeſſene Gefchichte !
Wie mit den großen Ereigniffen ift es aber auch mit den Flein-
jten ; was und vor einem Jahre gefiel, reizte, befchäftigte, Tiegt
blaß und matt in fernem Nebel. Alles fließt ununterbrochen
fort, und wir fünnen nicht? feithalten, außer mit dem Ge-
dächtniß. Alte Betrachtungen, und Betrachtungen im Alter! —
Wo die Verhältniſſe und noch Freiheit laffen, hält uns ein
ſcheußliches Wetter gefangen! Diefed Staatsweſen, und diefed
Klima! Wie einengend alles! — Bücher, und immer nur
Bücher! Und doch noch lange nicht genug der rechten! Unfere
Zeit hat feinen Dichter, feinen Philofophen mehr! —
Bon allen Seiten fpricht fi große Unzufriedenheit, mit
den Erflärungen aus, die der Minifterpräfident den Kaınmern
gegeben hat. Man will ſchon unterfcheiden, was darin von
Manteuffel felbft herrühtt, und was von fremder Hand ihm
hinzugethan worden; im Anfange glaubt man den Minifter
zu hören, weiterhin den Einfluß der Kreuzzeitungsparthei auf
den König zu fpüren. Daß der König es wirflih mit Ruß—
land halte, mit Rußland geben wolle, wird von bedeutenden
Perſonen verneint, es fei aber nur Schaufpielerei, die aber da⸗
- durch gefährlich werden könne, daß man ihn bei der angenom-
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menen Rolle fefthalte, und ihm zwinge fie zu verwirklichen.
Fürft von Wittgenftein fagte einmal vom Könige, als diefer
noch Kronprinz war: „Der Herr bat Schnurren und Einfälle,
aber nicht Einen gefunden Gedanken im Kopf!” Und Uehn-
liched fagte Stägemann, ja fogar der ehemalige Präfident
Adolph von Kleift, der zu den nächſten Freunden des Könige
gehört. —
Der Paderborner Graf zu Stolberg wird gut verarbeitet
wegen ſeines unvernünftigen, gemeinen, gottlofen Ausfalls
wider die Juden. Im Kladderadatſch bietet ihm ein verſoffener
Kutſcher Brüderſchaft an, er und ſeine Kameraden in der
Kneipe ſeien ganz einverſtanden mit dem pöbelhaften Grafen! —
In Grote gelefen, und im Herodotod. Als befondere
Erquidung dienten mir Goethe’d Briefe an Frau von Stein.
Welche Lebensfülle! welche reiche innere und äußere Szenerie!
Sie war aud für Andre da, doch nur für Goethe ftand fie im
vollen Sonnenfhein! —
Die Engländer wollen aus unferen baltifchen Häfen 70
Lootſen in Dienjt nehmen. Die Lootſen find auch gern bereit,
haben jedoch, erflärt, fie müßten von der Regierung dazu Ur-
laub erhalten. Ihre Anfrage ift bieher gelangt, und man ift
begierig auf die Antwort. —
Drud von Otto Wigand in Leipzig.
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CECIL H. GREEN LIBRARY
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1415) 723-1493
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Jun 2 u —