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Full text of "Aus dem nachlass Varnhagen's von Ense:"

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Tagebüder 


4. 3. Barnhagen von Enfe. 


Zehnter Band. 


Ans den Nachlaß Varnhagen’s von Enfe. 


— — — — 


Tagebücher 


von 


K. A. Barnhagen von Enſe. 


Zehnter Band. 





OD — 


Hamburg. 
Hoffmann & Campe. 


1868. 


Das Recht der Ueberiegung ins Englijche, Kranzefiihe und andere fremde 


Sprachen iſt verbebalten. 


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1858. 


j Montag, den 3. Sanuar 1853. 
Der ehmalige Abgeordnete und Oberbürgermeiſter Zieg— 
ler in Brandenburg iſt vom Kriminalgericht in Magdeburg 
freigeſprochen worden. Er ſollte den Gerichtsdirektor in 
Brandenburg und einen Superintendenten verläumdet haben. 


7 
Dienstag, den 4. Januar 1853. 


Das Buch von Reichlin⸗Meldegg it in Stuttgart erſchie⸗ 
nen, der erfte Band. in langweiliger Text, fo jchlecht redi- 
girt ald möglich. — 

Die „Urwählerzeitung“ Nr. 2 ift von der Polizei weg— 
genommen worden; ſie beſprach die Schändlichkeiten, die in 
Elbing von dem Polizeidireftor verübt iverden, und ungeftraft 
bleiben. 

Rösler von Dels hat von Amerika ber feinen politiſchen 
und auch perſönlichen Gegner, Reallehrer Kehler zu Tuttlin— 
gen, der den Entfernten mit niedrigen Schmähungen und 
Verdächtigungen verfolgt, gerichtlich belangt, und der elende 
Verläumder iſt vom Gericht zu achttägiger Haft und 30 Gul- 
den Strafgeld verurtheilt worden; ein erjter Spruch lautete 
ſogar auf 5 Wochen und 55 Gulden. 


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| Mittwoch, den 5. Januar 1853. 


Das Kreiögericht in Stettin hat die angeflagte freie Ge— 
meinde dajelbit freigefprochen, und ihre polizeiliche Schließung 


Varnhagen von Enſe, Tagebücher. X. 


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2 


aufgehoben. Ein wahres Wunder! Das Gericht über die 
Polizei geftellt! Aber wird es dabei verbleiben ? 
In Goethe’gelefen ; in meinen Kriegsbüchern ꝛc. — 


Donnerstag, den 6. Januar 1853. 

Sehr fchlechte, großentheils jchlaflofe Nacht. — 

Gefchrieben. Die Schlaht von Belleallianice wieder ein- 
mal durchgemacht, nadı Wagner, Müffling, Plotho, Sibornexe. 
Ohne Blücher und Gneifenau war Wellington verloren. Er 
wäre es auch jo geweſen, wenn Napoleon noch der alte geweſen 
wäre, feine Befehle richtiger gegeben und durch Wiederholun- 
gen geficherter gewefen wären, er ſelbſt noch mie fonjt rüftig 
zu Pferde -gejeifen hätte. Daß ihm Ney bei Ligny, Grouchy 
bei Bellealliance ausblieb, ift feine Schuld. Uebrigens be- 
nahm er ſich mehr wie ein Spieler, ald wie ein eldherr; er 
fühlte fich in verzweifelter Lage, er betrog die franzöfifche Na- 
tion, das machte ihn unficher, da bedurfte er um jeden Preis 
eined Sieged, und. gelang der nicht, fo war das Spiel ver: 
loren; fein Spiel, die Sache der Nation hätte fich noch ver- 
theidigen und retten laſſen, jelbit gegen die anrückende Ueber: 
macht. Die Flucht von Bellealliance nach Paris ift da8 Ger 
genftüd zu dem Siegeszug von Cannes nah Parid. Mir ift 


88 fehr glaublih, was Alerander Dumas erzählt, daß Napo- 


leon bei Bellealliance wegen eines ‘heimlichen Uebels fich nicht 
zu Pferde halten fonnte, außer im Schritt! — Ä 

Der König hat am Johanniter-Orden gediftelt; nun ift 
diefer erſt recht nicht Fifch noch Fleiſch! Es follen 100 Thaler, 
auch 200 Thaler, bei der Aufnahme bezahlt, auch Jahresbei— 
träge zur Stiftung eines Hospitals gegeben werden; auswär— 
tige Ritter brauchen das nicht, find aber dann nur Ehrenritter. 
Das wird viel helfen! Unvermögen etwas zu fchaffen, in allen 
Richtungen! — — | 


— — — — — 


3 


Freitag, den 7. Januar 1853. 

Die demofratifchen Blätter jtellen mit beißender Schärfe 
wiederholt Die merkwürdige Thatfache vor Augen, daß, wie 
ſchon länaft die Demokratie, nun aud) die Standeöherren, die 
- Königlichen Prinzen, ja der König felbft, fich der Ausübung 
ihrer durch die Berfafjung ertheilten politifchen Rechte enthuls 
ten! Ob das aber, wo dergleichen gefchieht, ein ſchöner Zus 
fand ift? Jene wollen nicht Pairs vorjtellen, das Volk nicht 
Wähler! — 

„Einleitung in die Geſchichte des neunzehnten Jahrhun— 
derts. Bon G. G. Gervinus. Leipzig, 1853. 8.“ Ganz 
vortreffliche Geſchichtsanſchauungen, mir ſehr vertraute. — 


Sonnabend, den 8. Januar 1853. 
In Gervinus geleſen, mit großer Befriedigung; in 
Tieck ꝛc. — 

Der König hat die Wahl des Dr. Krech ſchließlich nicht 
beſtätigt, der Magiſtrat muß eine neue Wahl vornehmen. — 
Der nichtswürdige falſche Ankläger Goedſche, ehmaliger Poſt— 
ſekretair, iſt wegen Herausforderung des Buchdruckers Hayn 
auf Piſtolen — der elende Schächer! — zu ſechswöchentlicher 
Haft verurtheilt worden, eben ſo ſein Kartelltrager, ein 
Dr. Köhler, Geſindel, Gezücht! — 

Die Geſandten von Oeſterreich, Preußen und Rußland 
haben dem Kaiſer der Franzoſen ihre neuen Beglaubigungen 
überreicht. „Monsieur mon frère“, heißt es alfo nun! Der 
ruſſiſche Kaifer foll diefen Ausdrud noch vermieden haben, ift 
darum aber nicht weniger Monsieur mon frere, der Bona— 
partes — nicht minder „Sire“ und „Majeste Imperiale“, 
grade wie der Katjer Nikolai. _ 

Das Bud) von Gervinus ift in Heidelberg fchon polizeilich 
weggenommen und ſoll als hochverräthberiſch angeklagt werden. 

.18 





5 


Momag, ven 10. Januar 1853. , 

Herrn von Hänlein geſprochen. Der Minifter von Man- 
teuffel hat zu ihm gejagt, es fei Doch immer eine ſchöne That: 
fache, daß der Kaiſer von Deiterreich hier gewejen, und Pro— 
keſch fomme nun auch fort, das fei ein Triumph! Daß Herr 
von Profefch zum Bundesgefandten ernannt worden, wußte 
der Minifter noch nicht, doch ftand ed noch am felbigen Abend 
in der Zeitung! Man fieht in diefer Ernennung und in ber 
Heimlichkeit, die dabei gegen Preußen beobachtet worden, eine 
befondere Tücke Oeſterreichs, einen Anfang der Nadenfchläge, 
die wir ferner von daher zu erwarten haben. — 

Beſuch bei Herrn Dr. Hermann Franck. Ueber Gervinus, 

und daß er durch feine Schrift die Gothaer verlaffen hat. — 

Beſuch von Herrn Staatsrath von Blum. Nachrichten 
aus Nizza. — - J 

Es gehört doch zu den Zeichen unſrer Zuſtände, daß ein 
. Mann, wie der Präſident der Seehandlung, Herr Bloch, von 
der neueften Schrift des Gervinus entzüct ift und dies laut 
ausipricht. 


Dienstag, den 11. Januar 1853. 


Gefchrieben, „Alte Zeiten werden jung“, Wiederkehr der 
Bonapartifchen Herrichaft in fcheuplichfter Frage! — | 

Nachrichten aus Paris; die Legitimiſten neigen ſich fchon 
mehr dem Kaifer- — zu, fie jehen mit Neid die ungeheuern 
Bortheile, die Andern von ihm zufliegen, Würden, Macht, und 
befonders Geld, Geld! Die Verbrecher Saint-Arnaud, Mag: 
nan, Morny, Perfigny ꝛc. find ſchnell Millionaire ge: 
worden! — | 

Madiai in Toscana im Kerfer geitorben! "Alle Berwen- 
dungen ded Könige von Preußen, Gropbritanniend ꝛc. zu 
Schanden gemaht! Sein Verbrechen war, die Bibel gelefen 





7 


Donnerstag, den 13. Januar 1853. 

Die Neue Preupifche Zeitung ift ganz entjegt über die ſich 
fundgebende Demokratie, die Anzeige von Berends und 
Bathow, die Schrift von Gervinus, fie fchreit Lärm und 

Rache! — 

“ Der deutfchfatholifche Prediger Grdmann hier ift wegen 
angeblich gehäffiger Angriffe auf Chriftus und auf die Grund- 
lehren des Chriſtenthums zu vier Wochen Gefängnig verur- 
theilt worden, der Staatsanwalt forderte neyn Monate, — 
Die freie Gemeinde in Nordhaufen, deren polizeiliche Schlie— 
Bung durch zwei gerichtliche Sprüche aufgehoben worden, bleibt 
dennoch gefchloffen, nun ſchon ein Jahr! Die Gerichte find 
ohnmächtig, die Polizeiwillfür allmächtig! Aber e8 wird ein 
Tag des Gerichtd kommen, der wird Macht haben! — 

In Elding wirthfchaftet der Polizeifcherge vom Selker wie 
ein Paſcha. Es giebt fein Recht mehr, feine Selbitftändigkeit 
irgend einer Art, bei ſolcher Wirthſchaft. Und im Angeficht, 
der Kammern, in aller Deffentlichfeit befteht der Gräuel! — 

‚Die freie Gemeinde in Halberftadt ift auch gerichtlich frei- 
gejprochen worden, depgleichen die zu Tilfit; was hilft's? man 
kann den Gerichten das Freifprechen erlauben, wenn die Poli⸗ 
zei doch thut was ſie will! — 


Freitag, den 14. Januar 1853. 

Nachrichten aus dem Kreiſe der Abgeordneten. Sie ſind 
im Allgemeinen noch ſchwierig genug, machen ſich unterein— 
ander und auch den Miniſtern viel zu ſchaffen, es regt ſich 
mancher Widerſpruch, manche Unzufriedenheit. Wir ſind weit 
zurückgegangen, das iſt wahr, aber die Forderungen ſind wei— 
ter voraus als je vorher, und die Wege vorwärts ſind gebahnt 
und nur nothdürftig geſperrt. Die Regierung ſteht fchlim- 
mer ale j je vorher! Sie fühlt es auch. 


1 





9 


1632, den Herr Gollier in einer Verfteigerung faufte, und erit 
feines fchmusßigen verdorbenen Ausſehens wegen nicht beach: 
tete, zeigte bei näherer Anficht gegen 20,000 handſchriftliche 
Bemerkungen oder Verbeſſerungen, die aus alter Zeit und aus 
einem zuverläſſigen Texte zu ſtammen ſcheinen. Ein bedeu: 
tender Fund! — 

Zamartine in jeinem achten Bande wird immer fader und 
matter; er fpricht alle mit ſchönen Redensarten zurecht, und 
ichmeichelt nach allen Seiten, bejonters aber den Bourbong, 
deren Glendigkeit er höfiſch aufitußt, deren Wortbrüchigfeit er 
verſchweigt oder entſchuldigt. Unter ſeinen Händen wird die 
Geſchichte nur eine Beſchönigung. Ich bin ſeiner herzlich 
ſatt. — 

Im Plinius geleſen, Engliſches. — 


— — — — — 


Sonntag, den 16. Januar 1853. 
Gecſchrieben; über die Theilnahme, die man für dag heu— 
tige Preußen haben kann; fig fann einzig in der Hoffnung be- 
jteben, daß es ein andered werden fönne, daß dieſer Staat 
einen andern Inhalt aufnehmen werde, das Jahr 1848 hat 
gezeigt, welchen. — 

Die Feſtlichkeiten bei Hof haben angefangen, und beichäf- 
tigen die vornehme Welt. König und Königin wohnen auf 
dem Schloffe. Alles drängt fich dorthin, aber es ift fein auf: 
richtiger Sinn, Teine ächte Huldigung dabei. Wie hat fid 
das verändert! Hof und. Adel und Militair vergißt nicht die 
erlittnen Schläge. 

Der Randrath von Elsner, gefragt, warum er den Hofball 
nicht bejucht. habe, antwortete, wenn man Mitglied der Kam: 
mer fei, fünne man dort fein Bergnügen haben, man werde 
ganz verächtlich angefehen und jchändlich behandelt. „Auch 





11 


Preußen giebt nach, und ift am Ende froh, feine Preſſe ſtrenger 
zu feffeln, ohne den Schein zu haben, es ſelbſt zu thun. Alte 
Erbärmlichkeit, die mit dem böfen Willen auch noch die Feig— 
heit aufzeigt! Sie denken wirklich, diefe Sammerleute, mit 
einem Wort, mit einem Anſchein, ſei etwas ausgerichtet! Jetzt 
noch! — 

Die Künſtler klagen alle ſehr über Herrn von Olfers. — 

In Kopenhagen iſt der Reichstag aufgelöſt worden, wegen 
dänifch-demofratifcher Eigenwilligkeit. 

Aus Toscana wird die Nachricht vom Tode Madiai's amt— 
lich verneint. Man ſagt ſogar, er werde höchſt mild und gut 
gehalten und nächſtens freigelaſſen! 

Als einen der eifrigſten Zuträger und Schmarotzer in der 
diplomatiſchen Welt und auch in zweiter Geſellſchaft der Ban— 
quiers bezeichnet man den Landrath von Kleiſt-Schweinitz aus 
Herzberg; er geht auf den Wegen Küpfer's, der ſich jetzt be- 
ſonders dem franzöfifchen Gefandten anſchmiegt, und ſoll ein 
höchſt gefährlicher Menſch ſein. 


Dienstag, den 18. Januar 1853. 
Regen mit Sihneefloden untermifcht. Gräuliche Näſſe! — 
Gejchrieben, mein täglich Werf! Mas kann ich anderes! 
— in folcher trüben Zeit, wo ed faum hell wird, fchwindet 
ohnehin das unmittelbare Leben in Unfichtbarfeit, man muß 
es vorausfegen, aber fieht und fühlt ed nicht. Kein Ausgehen, 
feine frifche Quft, feine muntre Anfprache, feine Naturfreude, 
ein Berfriechen hinter erwärmte Mauern, in allerlei Gedanfen- 
jpiele, Zraumgefpinnfte. Das ift nichts Neues, jeder hier zu 
Lande hat's erfahren, und ich erfahr' es nun auch. Ooou de 
— XR TUyaıs Agorol &iye. Eyovoıv, av Av uoiea⸗ 
&yoıg, Tavınv Eys und ayavanısı. — 





13- 


ſindel um Logik zu thun? Sie fuchen ihren Bortheil auf alle 
Weiſe, mit Hoffahrt und Demuth, mit Lüge und Verrath, mit 
jeder Niederträchtigfeit; fie jchmeicheln dem König und halfen 
ihn, den Miniftern und verachten fie. Und ihr Anführer it, 
was. ihnen felbit das Verächtlichjte, der getaufte Jude Stahl, 
den jie bewundern, weil er Maulfertigfeit hat, darauf be— 
ſchränken fich feine Talente, er ift fonft ein erbärmlicher 
Wicht. — 

Gefchrieben. Facit indignatio versus. Doc diesmal 
feine Berfe. Ausgegangen mit Ludmilla; im Kunftverein das 
Bild von Gallait befehen, die Xeichen der Grafen Egmont und 
Hoorn. 

Brief und Sendung aus Weimar von Apollonius von 
Maltitz. Gin ſchönes Blatt von Goethe, eined von Adelheid 
Neinbold, eines von Karl Gottlob Cramer, dem einft berühm- 
ten Verfaſſer des Erasmus Schleicher, der, wie ich nun fehe, 
auch der Verfaſſer Des Liedes „ Sehnſucht nad) Oskar“ ift, das 
meine Schweiter und ich einjt jehr liebten und oft herfagten 
und fangen. — Maltitz iſt voll Gedanfen und Entwürfen, 
fleißig, immer mit Edlem und Hohem befchäftigt. — 

Herr Dr. Schrader aus Erfurt — jest nach Halle. verjebt 
— ſendet mir ein Blatt, dad ganz was Neues enthält, nämlich 
er bezweifelt, daß Angelus Stlefius und Johann Scheffler ein 
und diefelbe Perfon feien; feine Gründe der Annahme einer 
Berjchtedenheit wollen mir keineswegs einleuchten, ih fann 
aber jebt auf eine rechte Prüfung derfelben nicht eingehen. 


Freitag, den 21. Sanıar 1853. 
Ich habe doch gleich meine Papiere nachſehen müffen, und 
- Tchnell gefunden, daß Herrn Dr. Schrader’3 Aufftellungen . in 
Betreff der Verfchiedenheit des Angelus Silefius und Johannes 
Scheffler ganz in den Wind geben; alles fällt zufammen vor 





15 


dewefen zu fein, denn Ehre hat fie nicht abgehalten, nur dum⸗ 
mer Dünkel, weil fie fi im Augenblide grade weniger fürch— 
teten! Seine Heirath wirft den Kaifer- Abentheurer auf die 
tevolutionaite Seite, Der „Retter der Gefellfchaft“ "wird es 
ihnen nicht lange bleiben ! | 

- Dad Ordensfeſt war heute; nur noch ‚ein Prunk- und 
Gaufelfpiel! 

Die Rede Louis Napoleons ift ganz hieher telegraphirt 
worden; das erſte Beiſpiel einer ſo großen Depeſche von mehr 
als tauſend Wörtern. Die Spener'ſche, Voſſiſche und die 
Nationalzeitung hatten ſie. Die Kreuzzeitung gab ein Extrablatt. 

Der Präſident von Gerlach ſagte neulich mit höhniſcher 
Bitterkeit: „Der preußiſche Staat wird von zwei Sh...... 
regiert, von Louis Schneider und Ryno Quehl.“ Beide waren 
Schaufpieler. — | 


Montag, den 24. Januar 1853. 

Mit vielem Fleiß und mit tiefer Rührung Papiere von 
Rahel durchgeſehen und eingetragen. Ich war wohlthätig er— 
wärmt und zu neuem Leben erfriſcht durch dieſen lieblichen 
Sonnenſchein, in dem ich ſonſt immer lebte, jetzt nur auf Augen⸗ 
blicke, denn wie er mich belebt, ſo verzehrt er mich auch. Ich 
halt' ihn nicht lange aus, ich müßte denn neue Thätigkeit an 
ihn wenden können. 

Sendung aus Halle von Prof. Heinrich Ren, der dritten 
Auflage feiner Univerfalgefchichte dritter Band, über 1100 
* Seiten ftarf, dem Präfidenten Ludwig von Gerlach zugeeignet ! 
Mit welcher Beharrlichfeit diefer Leo fich in gutem Vernehmen 
mit mir erhalten will! Er müßte mich von Rechts wegen 


haſſen! Aber nein! er ſchickt mir feine Schriften, und zitirt - 


die meinigen. — | 
Befuh von Herrn.&. Ueber die Bonapartifche Heirath 
und Rede. Die Beleidigung der alten Höfe ift das Wichtigfte. 





17 


Mittwoch, den 26. Sanuar 1853. 

In Königsberg hat der alberne Polizeidireftor die Schrift 
von Gervinus mit Befchlag belegt, der einzige in Preußen! 
Solch dumme Augendiener werden doch öfters mißbilligt. Die 
Schrift eines Predigers der freien Gemeinden gegen die Jeſuiten— 
moral war in Magdeburg polizeilich unterdrüdt, durch einen 
Befehl von bier ift fie wieder freigegeben worden. Dagegen 
ift Herr von Jasmund, Redakteur des Bethmann-Hollweg'ſchen 
Wocenblattes, wegen Beleidigung ded Minijteriumd fehr un⸗ 
gerecht zu Gefängnißftrafe verurtheilt worden; er hatte gefagt, 
der Minifter des Innern habe eine fehr ftrenge und tiefgeheime 
Berordnung an alle Zandräthe erlaffen um die Wahlen zu lei- 
ten; die Thatfache wurde nicht geläugnet. 

Die telegraphifche Depefche, welche die Nede des Kaiſers 
Napoleon für die Zeitungen brachte, wurde durch eine des 
preußischen Gefandten von Haßfeldt unterbrochen, welche na= 
türlich den Borrang erhalten mußte, dabei aber lächerlicher- 
weife nichts fagte, als daß der Gefundte die Rede noch nicht 
babe befommen fönnen und fie fünftig ſchicken werde! Darauf 
wurde die Zelegraphirung für die Zeitungen fortgefeßt. Der 
König las die Rede zuerft in der Nationalzeitung. Dies ift 
ganz authentiſch. — 

Der Graf von Itzenplitz erweiſt ſich in der erſten Kammer 
immer erbärmlicher, täglich ſeines Schwagers von Meding 
würdiger! Die Burſche wundern ſich, daß Freunde der Oeffent— 
lichkeit dennoch bei Wahlen geheime Abſtimmung verlangen 
können, Mit ſolchen Dummheiten kommen fie noch jetzt! — 

Betrachtungen über den Gang der Geſchichte. Alles fängt 
immer von neuem an, und doch iſt in allem Wiederanfangen 
jedesmal ein Fortfchritt. in Gefchlecht folgt dem andern, 
aber weiß wenig von dem andern ; die Erfahrungen gehen ver— 
loren, daher müffen immer neue gemacht werden, unter etwas 
veränderten Umftänden, darin liegt dann der Fortſchritt. — 

Barnhagen von Enfe, Tagebüder. X. 2 





19 

In Königsberg der Prediger Detroit wegen einer Drud- 
fchrift, in der er fich vertheidigte, zu Gefängniß- und Geld- 
ftrafe verurtheilt. Hier ein Prediger von Bülow, der in der 
freien Gemeinde Trauungen und Taufen vorgenommen hat, zu 
vierzehntägiger Haft verurtheilt. In Magdeburg der Prediger 
Uhlich und noch ein andrer wegen gleicher Vergehen freige- 
ſprochen. 

Mein Nachbar, der badiſche Geſandte von Meyſenbug, hat 
im Auftrag ſeiner Regierung hier Beſchwerde über die Neue 
Preußiſche Zeitung geführt, welche die Maßregeln Badens ge- 
gen die Alt-Rutheraner unanftändig getadelt haben ſoll. — 

Die Frau von Bruining geb. Fürftin von Lieven, Die 
. eigentliche Befreierin Kinkel's, ift in London an der Herzbeutel: 
Waſſerſucht geftorben. Sie that den Flüchtlingen viel Gutes; 
an ihrem Grabe follen Reden gehalten werden. 

Nachrichten aus Paris. Die Defterreicher dort enthalten 
fich des Hofes. Defterreich ift beleidigt, weil gefagt worden, 
es habe fich beworben (brigué) um die Heirath der Erzherzogin 
Marie Louiſe mit Napoleon. Aber ift die Berichtigung, ed 
fei durch Zwang dahin gebracht worden, nicht noch ſchlimmer? 
-— Wie efelhaft find alle diefe Gleißnereien, Rügen, Eitelfeiten 
und Niederträchtigkeiten! — In welcher Luft leben wir, müffen 
wir leben! Nur, wer fie erfährt, kennt diefe Vergiftung ! 
Die Nachkommen werden es ſchwer begreifen, welche Zuftände 
dies waren, und wenn dies, wie fie jo allgemein ertragen wer: 
den konnten. — 


Sonnabend, den 29. Jannar 1853. 
Meifterhafter Auffat der Nationalzeitung gegen den Runt- 
ſchauer Gerlach ; deſſen Haß gegen Friedrich den Großen, deſſen 
Arglift und Verrätherei werden herrlich aufgededt. — Auch 
die Urwählerzeitung ift ganz vortrefflich ; fie zeigt, wie Louis 
2* 





21 


Buch ebenfallä verlegt; aber auch die ibren will ja niemand 
mebr! Nachrichten au Paris von dem elenden Circourt, der 
von der srl. Montijos bewundern? ſchreibt; Bettina meint, 
diefe Dame babe freien Sinn und große Kraft, jie werde Bo⸗ 
naparte'n mit denfelben Ideen erfüllen, die fie, Bettina, unferm 
König habe geben wollen, jener werde nun ausführen, was 
diefer verjäumt. Cine Fluth von Verwirrung und Wider: 
ſprüchen! Herr von Zivers fam und bemmte den Strom. 
Ein namhafter General (Bardeleben? Webern ?) bat ges 
fagt, fein preugijcher Patrietismus ruhe, jo lange diefer König 
tegiere! Das innerite Gefühl empöre fih gegen diefe Wirtb- 
Ihaft, alles Bertrauen und alle Hoffnung fei vernichtet! — 


Montag, den 31. Januar 1853. 

Borgejtern war Die bürgerliche Heirath Louis Bonaparte's, 
das Bolf jubelt ihm in den Straßen zu. — Hier gaben Ber- 
liner Bürger dem Polizeipräjidenten von Hindeldey ein Seit: 
mahl bei Kroll, über 1100 Gäjte, auch viel Jubel, für ihn und 
Manteuffel, die Unterdrüder der Freiheit und des Volks! 
Dieje Leute würden auch Santerre und Henriot hochleben 
laſſen! — Sie thun, als wäre Hindeldey der liebenswürdigite, 
gutmüthigfte Menjchenfreund; und er hält eine Rede, und 
fühlt jüch beraufcht von dem Afterbilde der Popularität! — 
Gejtern war auch gleich die Firchliche Heirat Bonaparte's, unter 
großem Bolfsjubel, und die Gefandten waren auch dabei. — 

Schimpfliches Benehmen unjrer Kammern, jeder Unjinn 
it ihnen recht, wenn die Regierung ihn vorbringt und die 
Partheifucht ihren VBortheil dabei zu finden glaubt. Der Mi- 
nifter von Weitphalen blamirt fi) jo frank und frei, als wenn 
es die größte Ehre wäre. Und die edlen Grafen von Shen: 
plig, von Arnim, von Stolberg hinter ihm drein! Die Edel: 
leute ftehn unter dem Befehlswink des getauften Juden Stahl. 


22 


Uns ift das fein Schimpfname, ihnen aber ift er's! Drum 
nenn’ ich ihn fo. — 

Die Minifter haben fchon erflärt, daß fie nach Annahme 
der Vorlage über die Umbildung der eriten Kammer fogleich 
Borfchläge über die der zweiten bringen würden. Die Hafen- 
füge von Abgeordneten werden ſchon ſehen, wie man mit ihnen 
umſpringt! — 

Louis Bonaparte hat eine anneſie erlaſſen, die ſich auf 
etwa dreitauſend Perſonen erſtreckt. — Donoſo Cortez, Mar— 
quez de Valdegamas, der fanatiſche Eiferer für die katholiſche 

Kirche, iſt auch einer für Bonaparte und für deſſen Heirath. - 
Der Präſident der hieſigen Bank, Herr von Lamprecht, 
iſt wirklicher Geheimer Rath und Exzellenz geworden. Vor 
zwei Jahren ſtand er noch unter Hanſemann und wollte dieſem 
ganz weichen. 


. Dienstag, den 1. Februar 1853. 

In Baden find die Unterbehörden angewielen worden, 
Befchlagnahmen von Schriften fünftig nicht ohne vorherige An— 
frage vorzunehmen. Man fchämt fich der Dummheit, Die ge: 
gen Gervinus begangen worden. — 

Die ehmalige polnische Wirthichaft war Ordnung und 
Weisheit gegen die jebige preußifche. Solche Minifter, folche 
Kammern! Lüge, Verwirrung, Dummbeit, Gemeinheit! — 

Der Student Schlehan ift endlih, auf erneuertes Bitten 
feiner Mutter und militairärztliched Zeugniß wegen feines Ge- 
ſundheitszuſtandes, in Silberberg aus einem Zuchthausfträfling 
ein gewöhnlicher Feitungsgefangener geworden. — 

- Der König hat Maskenbälle in den Faſten ftreng verboten. 

Kriegsgefchichte des Jahres 1814 von Srolman und Da- 
miß ; viel aufgefitrieben. — In Leo, Yamartine und Boltaire 
geleſen. 

t 


23 


Der König macht fein vor vier Jahren gegebenes Wort, er 
werte die jtändifchen Anordnungen zurüdführen, jest wirflic) 
wahr. „Sch fürchte ſehr, er macht damit zugleich noch vieles 
andre wahr, was ihm einjt recht lieb fein wird, * 

Ryno Quehl iſt das Faktotum des Miniſters von Man: 
teuffel, er macht ihm feine Berichte an den König, feine Bor: 
träge in der Kammer, ersliefert zu allem die Phrafe. Dabei 
hat er die litterarifche Bolizeizu handhaben. Ber ihm warten 
die angefeheniten Beamten int Borzimmer; auch Lamprecht 
hat ihm fleigig aufgewartet. Und welch’ ein Burſch iſt dieſer 
Quehl! 


Mittwoch, den 2. Februar 1853. 

„Jeder dieſer Staatsretter wird vom andern abgethan“, 
jo iſt ein Leitartikel der „Urwählerzeitung“ überſchrieben; 
witzig und ſcharf. 

Die „Reue Preußiſche Zeitung“ war dieſer Tage nahe 
daran zu fterben. Die Klagen des franzöfifchen Gefandten 
und der Katholiken fanden bei Manteuffel ein willige® Ohr. 
Für diesmal Fam fie noch durch, aber fie ſchwebt in Gefahr. 
Die Ausfälle gegen Friedrich den Großen in der Rundſchau 
haben ihr neuen Haß zugezogen. 

Manteuffel unterftügt den Minifter von Weftphalen nur 
ſchwach; er möchte diefen Gönner der Kreuzzeitung am liebiten 
befeitigt jehen. Seine Kreatur, Ryno Quehl, ftimmte fogar 
mit der Linken gegen die Anträge Weftphalen’d. — 

Die Debatten in der Kammer find efelhaft, die Rechte be- 
nimmt fich frech und bübifch, Gerlach und Stahl ſchwatzen das 
ſchändlichſte Zeug, unverschämt, heuchleriſch, höhniſch. Herr 
von Binde-Dibendorf, Geheimrath Riedel und beſonders Al— 
denhoven zeigen Muth und Kraft, aber e8 hilft nichts. — 


— 





25 


angefchuldigten Stellen gab; doch was fchaden dieſe Stellen, 
da die ganze Schrift nicht verboten ift? — 

Herr. von Mitjchle-Kollande, vor wenig Jahren noch Herr 
Mitichke, ein vollitändiger Junker, fpielt den Ritter, redet in 
der Kammer! „Zaunfönige gewinnen Stimme. * — 


Sonntag, den 6. Februar 1853. 

Die „Urmwählerzeitung*“ wieder weggenommen; fie werden 
ed mit ihren Schifanen nicht müde! — Die Verhandlungen mit 
Deiterreich in den Zollfachen follen dem Abſchluß nahe fein; 
unter welchen Bedingungen? Darauf kommt alles an, — 
Herr von Prokeſch hat auf der Durchreife nach Frankfurt am 
Main in Kaffel den Dieb Haffenpflug befucht. Ehrenvoll für 
beide! — 

Der Juſtizrath Grelinger ift geftern Nachmittag nad) Tan- 
gen Leiden hier geftorben. 


Montag, den 7. Februar 1853. 

Der Profeſſor und Mahler Kopiſch verſtarb geſtern hier 
plötzlich. 

In Grolman geleſen. Mein alter lieber Tettenborn er— 
ſcheint bei ihm in gebührender Weiſe, als eifriger, einſichtiger, 
tapfrer Kriegsheld, ſeine Gefechte ſind umſtändlich beſchrieben, 
zum Theil nach mir, zum Theil aber auch nach andern Quel- 
len, 3. B. das Gefecht gegen Napoleon bei Saint-Dizier, aus- 
führlih und genau. Es bewegte mir das innerfte Herz, dies 
zu leſen. — | 


2 
— — — — — 





27 


frühere Schuld ift damit nicht ausgelöfcht, fie rächt ſich. — 
Stahl jebt, wie früher Gerlach, ſchimpft auf die eigne Parthei, 
Ihämt fich der dummen Genofien. Nur Geduld! bald wird 
der dümmſte Junker wieder vornehm auf den Juden herab- 
fehen! Stahl ift verbraucht, dialektiſch abgenutzt, er kann 
nichts mehr; din wucherifcher Geſchäftsmann, wie weit ent- 
fernt vom Staatömann! man jchmeichelt ihm während man 
ihn braucht, aber man fchämt fich feiner, und bald kennt man 
ihn nicht mehr. Gefchadet hat er genug. 

. Der Präfident von Leite wegen einer Wahlrede vor das 
Disziplinargericht gezogen! Die Kammer erlaubt e3 herzlich 
gern. 

In Kaffel Prozeffe gegen Mitglieder der Stände beab- 
fichtigt, und fchon eingeleitet, wenigftend befohlen. Haffen- 
pflug — 

In Böhmen Todesurtheile wegen Sachen aus dem Jahre 
1849. Auch ein Abgeordneter zur Frankfurter Nationalve⸗ 
ſammlung iſt darunter. Die Todesuttheile jedoch gemildert in 
ſchweren Kerker. — 

In Paris Verhaftungen von Legitimiſten und Schrift⸗ 
ſtellern. Auch der treffliche Moritz Hartmann iſt darunter. 

In Klapka's Buch zu leſen war mir diesmal wie früher 
höchſt peinlich; die Wunden bluten wenn man ſie berührt. 


Freitag, den 11. Februar 1853. 
Die „Nationalzeitung“ fehr fapfer über unfre Jammer— 
zuftände. — Die „Urmwählerzeitung * belehrend und warnend 
über den Aufſtandsverſuch in Mailand, fie darf natürlich nicht 
ihre ganze Meinung fagen, deutet fie aber genug an, um dag 
Bolf daraus Verhaltungsmaßregeln ziehen zu laſſen; fie ſpricht 
von Defterreich, meint aber audy Preußen. — 





29. 


Gerlach und Stahl verlieren nah und nad alles Anjehn in 
der eignen Parthei, man fühlt ihre freche Unfähigkeit, Arglift, 
ihren Hohn und Berrath gegen die eignen Mitläufer. 


Sonntag, ben 13. Februar 1853. 

Im Thiergarten bei Bettina von Arnim. Sie ſaß über 
einem dicken Manuſkript von Achim von Arnim, die Fortſetzung 
der „ Kronenwächter“, die fie will druden laffen, um den Er- 
trag für das Goethe-Denkmal zu verwenden. Sie fagt, es, 
fonımen darin bedenflihe Stellen vor. — — Sie will fait 
nichts reden und hören, ald was died Manuffript betrifft, alles 
andre muß weichen! — 

Frau v. Marenholg läßt mir jagen, daß ihr Sohn geftern 
geftorben fei. Die arme Mutter! Sch fehreib’ ihr ein Wort. — 

In Mailand Hängen und Erfchießen. Es find auch viele 
Oeſterreicher geblieben, Offiziere und Gemeine. Stalien er: 
zittert aber nicht aus Furcht, au Grimm und Rachgefühl. — 
Auch in Mailand war ed eine Rotte fremder, [chlechtgefleideter 
Kerle, deren jeder 5 Lire befam, die den Aufitand gemadıt; 
aber geftraft foll doch die Stadt werden ? und für den Schaden 
haften? fie, die entwaffnet und gebunden ift? Befinge deinen . 
Radetzky! Juſtinus Kerner! Lüge und Ungerechtigkeit! — 
Was find das für Leute, die für 5 Lire Leben und Freiheit 
wagen? Gigennübig fünnen fie nicht fein, denn ald Angeber 
der Sache könnten fie das Zwanzigfache befommen. 


— — — 2t— 


Montag, den 14. Februar 1853. 
Die Amneftie in Frankreich ift großentheild nur Vorſpie⸗ 
gelung ; die Zahl der durch fie wirflich Befreiten ift ſehr gering. 
Der — bleibt fih gleich. -- Stahl und Gerlach klagen bitter 
über die Dummheit und Störrigfeit ihrer Junker, diefe flagen 





21 


Buch ebenfalld verlegt; aber auch die ihren will ja niemand 
mehr! Nachrichten aus Paris von dem elenden Eircourt, der 
von der Frl. Montijos bewundernd fchreibt; Bettina meint, 
diefe Dame habe freien Sinn und große Kraft, fie werde Bo- 
naparte'n mit denfelben Ideen erfüllen, diefie, Bettina, unferm 
König habe geben wollen, jener werde nun ausführen, was 
diefer verfäumt. Eine Fluth von Verwirrung und Wider: 
ſprüchen! Herr von Sivers fam und hemmte den Strom, 
Ein namhafter General (Bardeleben? Webern?) hat ges 
jagt, fein preußifcher Patriotismus ruhe, jo lange dieſer König 
regiere! Das innerfte Gefühl empöre fich, gegen diefe Wirth- 
ſchaft, alles Vertrauen und alle Hoffnung fei vernichtet! — 


Montag, den 31. Januar 1853. 

Vorgeſtern war die bürgerliche Heirath Louis Bonaparte's, 
das Volk jubelt ihm in den Straßen zu. — Hier gaben Ber: 
liner Bürger dem Bolizeipräftdenten von Hindeldey ein Feft- 
mahl bei Kroll, über 1100 Säfte, auch viel Jubel, für ihn und 
Manteuffel, die Unterdrüder der Freiheit und des Volks! 
Diefe Leute würden auch Santerre und Henriot hochleben 
laſſen! — Sie thun, ald wäre Hindeldey der liebenswürdigite, 
gutmüthigfte Menfchenfreund; und er hält eine Rede, und 
fühlt fich beraufcht von dem Afterbilde der Popularität! — 
Geſtern war auch gleich die Firchliche Heirath Bonaparte's, unter 
großem Volksjubel, und die Gefandten waren auch dabei. — 

Schimpflihes Benehmen unfrer Kammern, jeder Unſinn 
ift ihnen recht, wenn die Regierung ihn vorbringt und Die 
Bartheifucht ihren Bortheil dabei zu finden glaubt. Der Mi- 
nifter von Weftphalen blamirt ſich fo frank und frei, ald wenn 
ed die größte Ehre wäre. Und die edlen Grafen von Itzen— 
plig, von Arnim, von Stolberg hinter ihm drein! Die Edel: 
leute ftehn unter dem Befehlswink des getauften Juden Stahl. 





23 


Der König macht fein vor vier Jahren gegebenes Wort, er 
werde die jtändifchen Anordnungen zurüdführen, jetzt wirklich 
wahr. „Ich fürchte ſehr, er macht damit zugleich noch vieles 
andre wahr, was ihm einft recht lieb fein wird. * 

Ryno Quehl ift das Faktotum des Minifterd von Man- 
teuffel, er macht ihm feine Berichte an den König, feine Vor⸗ 
träge in der Kammer, ersliefert zu allem die Bhrafe. Dabei 
hat er die litterarifche Bolizeizu handhaben. Bei ihm warten 
die angejehenften Beamten im Borzimmer; auch Lamprecht 
hat ihm fleigig aufgewartet. Und welch’ ein Burfch ift diefer 
Quehl! 


Mittwoch, den 2. Februar 1853. 

„Jeder dieſer Staatsretter wird vom andern abgethan“, 
jo iſt ein Leitartikel der „Urwählerzeitung“ überſchrieben; 
witzig und ſcharf. 

Die „Neue Preußiſche Zeitung“ war dieſer Tage nahe 
daran zu fterben. Die Klagen des franzöfifchen Gefandten 
und der Katholiken fanden bei Manteuffel ein williges Ohr. 
Für diesmal fam fie noch duch, aber fie ſchwebt in Gefahr. 
Die Ausfälle gegen Friedrich den Großen in der Nundfchau 
haben ihr neuen Haß zugezogen. 

Manteuffel unterftügt den Minifter von Weftphalen nur 
ſchwach; er möchte diefen Gönner der Kreuszeitung am liebften 
bejeitigt fehen. Seine Kreatur, Ryno Quehl, ftimmte fogar 
mit der Linken gegen die Anträge Weftphalen’d. — 

Die Debatten in der Kammer find efelhaft, die Rechte be- 
nimmt fich frech und bübifch, Gerlach und Stahl ſchwatzen das 
Ihändlichfte Zeug, unverfhämt, heuchlerifch, höhnifch. Herr 
von Binde-Dibendorf, Geheimrath Riedel und befonders Al- 
denhoven zeigen Muth und Kraft, aber es hilft nichts. — 


— 





25 


angefchuldigten Stellen gab; doch mas ſchaden dieſe Stellen, 
da die gange Schrift nicht verboten it? — 

Herr. von Mitichfe-Kellande, vor wenig Jahren noch Herr 
Mitichfe, ein vollitändiger Junker, fpielt den Ritter, redet in 
der Kammer! „Zaunfönige gewinnen Stimme.“ -— 


Sonntag, den 6. Februar 1853. 

Die „Urmählerzeitung“ wieder weagenommen ; fie werden 
es mit ihren Schifanen nicht müde! — Die Verhandlungen mit 
Oeſterreich in den Zollſachen jollen dem Abfchluß nabe fein; 
unter welchen Bedingungen? Darauf fommt alled an. — 
Serr von Prokeſch hat auf der Durchreife nach Kranffurt am 
Main in Kaffel den Dieb Haflenpflug beſucht. Chrenvoll für 
beide! — 

Der Juſtizrath Erelinger ift gejtern Nachmittag nach lan- 
gen Leiden bier geftorben. 


Montag, deu 7. Februar 1853. 

Der Profeſſor und Mahler Kopiſch verſtarb geſtern hier 
plötzlich. 

In Grolman geleſen. Mein alter lieber Tettenborn er: 
ſcheint bei ihm in gebührender Weife, alö eifriger, einfichtiger, 
tapfrer Kriegsheld, feine Gefechte find umſtändlich bejchrieben, 
zum Theil nach mir, zum Theil aber auch nach andern Quel- 
len, 3. B. das Gefecht gegen Napoleon bei Saint-Dizier, aus⸗ 
führlid) und genau. Es bewegte mir das innerfte Herz, dies 
zu lejen. — 





27 


frübere Schuld ijt Damit nicht ausgelöſcht, fie rächt ſich. — 
Stahl jegt, wie früher Gerlach, ſchimpft auf die eigne Partbei, 
ſchämt jich der dummen Genoffen. Nur Geduld! bald wird 
der dümmite Junker wieder vornehm auf den Juden berab: 
ſehen! Stahl iſt werbraucht, dialeftifch abgenutzt, er kann 
nichts mehr; Ein wucheriſcher Geſchäftsmann, wie weit ent: 
fernt vom Staatsmann! man ſchmeichelt ihm während man 
ihn braucht, aber man ſchämt ſich ſeiner, und bald kennt man 
ihn nicht mehr. Geſchadet hat er genug. 

Der Präſident von Lette wegen einer Wahlrede vor das 
Disziplinargericht gezogen! Die Kammer erlaubt es herzlich 
gern. 

In Kaſſel Prozeſſe gegen Mitglieder der Stände beab- 
jichtigt, und ſchon eingeleitet, wenigftend befohlen. Haſſen⸗ 
pflug! — 

In Böhmen Todesurtheile wegen Sachen aus dem Jahre 
1849. Auch ein Abgeordneter zur Kranffurter Nationalver- 
jammlung ijt darunter. Die Todesurttheile jedoch gemildert in 
ſchweren Kerker. — 

In Paris Verhaftungen von Legitimiſten und Schrift⸗ 
ſtellern. Auch der treffliche Moritz Hartmann iſt darunter. 

In Klapka's Buch zu leſen war mir diesmal wie früher 
höchſt peinlich; die Wunden bluten wenn man ſie berührt. 


Freitag, den 11. Februar 1853. 
Die „Nationalzeitung* fehr fapfer über unfre Sammer: 
zuftände. — Die „Urwählerzeitung * belehrend und warnend 
über den Aufſtandsverſuch in Mailand, fie darf natürlich nicht 
ihre ganze Meinung fagen, deutet fie aber genug an, um das 
Bolt daraus Berhaltungsmaßregeln ziehen zu laſſen; fie ſpricht 
von Defterreich, meint aber auch Preußen, — 





29. 


Gerlach und Stahl verlieren nady und nad) alles Anfehn in 
der eignen Parthei, man fühlt ihre freche Unfähigkeit, Argliſt, 
ihren Hohn und Verrath gegen die eignen Mitläufer. 


Sonntag, den 13. Februar 1853. 

Im Thiergarten bei Bettina von Arnim. Gie faß über 
einem diden Danuffript von Achim von Arnim, die Fortſetzung 
der „ Kronenwächter“, die fie will druden laffen, um den Er- 
trag für das Goethe-Denfmal zu verwenden. Sie fagt, es 
fommen darin bedenflihe Stellen vor. — — Sie will fait 
nichts reden und hören, als was dies Manuffript betrifft, alles 
andre muß weichen! — 

Frau v. Marenholg läßt mir jagen, daß ihr Sohn geftern 
geftorben fei. Die arme Mutter! Ich fchreib’ ihr ein Wort. — 

In Mailand Hängen und Erſchießen. ES find auch viele 
Defterreicher geblieben, Offiziere und Gemeine. italien er: 
zittert aber nicht aus Furcht, aud8 Grimm und Rachgefühl. — 
Auch in Mailand war ed eine Rotte fremder, ſchlechtgekleideter 
Kerle, deren jeder 5 Lire befam, die den Aufitand gemacht; 
aber geftraft foll doch die Stadt werden? und für den Schaden 
haften? fie, die entwaffnet und gebunden iſt? Befinge deinen . 
Radetzky! Juſtinus Kerner! Lüge und Ungerechtigkeit! — 
Was find das für Leute, die für 5 Lire Leben und Freibeit 
wagen? Eigennützig fünnen fie nicht fein, denn ald Angeber 
der Sache könnten fie das Zwanzigfache befommen. 


Montag, den 14. Februar 1853. 
Die Amneftie in Frankreich ift großentheild nur Vorſpie⸗ 
gelung ; die Zahl der durch fie wirflich Befreiten ift fehr gering. 
Der — bleibt ſich gleich. -- Stahl und Gerlady Flagen bitter 
über die Dummheit und Störrigfeit ihrer Sunfer, diefe flagen 





31 


Der Köma bar jea erũ Tee Anden achört. af Kran 
rra Mameufſel den Tranziniden Soanleen — wat not Nu 
der Sue ame Dolmeriders. — acfraat. sIl x a des car 
pes en France’ un? Taf Meict Inn acanrmert. Oh! 
oui. Madame! tant que von: wwndrer! Der Koma Miuiiat 
nt uhr die Waßen an ſoldden Cihrn: die Dem 
tagen, 08 frene ihn, wenn Manteufel' & lädırluh wurden und 
er rc hänteln Tann. Die Dötlinac Ant ale wider en Koma 
un? reli Zatelä — 

Der Graf Cajus zu Stolbera Dat aclaat, Ne im Weiten 
seien Freuper mü Unzufriedenbeit; der Graf zu Stoldera 
Wernigerode erwiedert darauf, cr ſei cin caragirter True, 
un? will ſeinen Namen von dem ſeinee Namenevertere jory- 
ſam unterjbieten wien. Die deiden Reichenſperger men in 
der katboliſchen Debane eifrig uud lanıc geſproden, Nine 
Olbendorf, Brünned, Kleiſt⸗Tochow, am ſchlechteſten ir Fri: 
Nident ron Gerlach, der nach Abfluß RE wenigen dellen Waſ 
ſers recht erdärmlich auf em ſtinkenden Schlamm ſeiner Yüg- 
nerei figen blieb. Es wird ibm etwas unbeimlic. 

Hier find Verbaftungen und Saudjudhungen geſcheben: 
junge Leute, Möber unbefannt und undeſcholten, iind fommu- 
niſtiſchet Berbintungen angeflagt. Was die Behörde wohl 
darunter verfteben may? — 

In Italien jiebt es düſter und drobend aus, eiterreich, 
das eben mit dem Volksaufſtand in Montenegro liebeln wollte, 
wird wohl in der Lombardei entgegengeſetzte Beſchaftigung 
finden. Das ganze Land gährt. Ungarische Soldaten muchte 
man nicht gebrauchen, einzelne mußte man ſtandrechtlich er- 
Ihiegen laffen. Aufrufe von Mazzini, von Koſſutb. Ter 
Aufftand, wenn auch unterdrüdt, iſt ein furchtbares Lebens- 
zeihen. Die Reaktion ift ganz in Wutb, 

Radetzky's Proflamationen und Anordnungen find Die einer 
ftupiden toben Gewalt, fie athmen Wutb und verwirren ſich 





33 


billigt fie. Strafbare Behörden. Und dabei noch ſtets das 
freche Borgeben nur das Gefebliche zu thun! Sie höhnen und 
mißhandeln die Geſetze. — 

In Stettin ift nun auch ein Verbot gegen die Schrift von 
Gervinus ergangen. Warum nicht auch hier? 

In Königäberg eine Borlefung des Dr. Rupp von der 
Polizei, das heigt von einem fie bewachenden Gendarm, abge: 
brochen. Und das foll gute Stimmung mahen? — 

Die Anrede von Profefh an den Bundestag bei feinem 
Eintritt in denfelben ijt ein ſchlechtes Machwerk, aus Lüge 
und Schwulit zufammengebaden. Er ftellt jogar hiftorifche 
Anfihten auf! Sch fange an zu zweifeln, daß er der Mann 
jei, in Sranffurt am Main die Zeitung zu führen, Der aller: 
erbärmlichite, feigfte Graf von Mündy-Bellinghaufen war 
wohl auch untauglich, aber ex hatte einen Metternich hinter 
ih, Prokeſch nur einen Buol. 

- Die Börfe war hier heute fehr unruhig und beftürzt wegen 
ſchlechter Nachrichten aus Wien! angeblich auch aus Paris. 

Im Volke hier heißen die Gaffenfehrer „Hindeldey’s 
Garde”. | 

Stahr in der „Nationalzeitung“ fehr gut über Hinrichs 
und fein Buch vom Königthum. — 

Ein diplomatifches Uebereinkommen Defterreihd und 
Rußlands mit Frankreich überläßt lebterem die Einverleibung 
von Belgien und in gewilfen Fällen des linken Rheinuferg, 
dafür nehmen Defterreih und Rußland Stüde der Türfei. 
Preupen fteht außerhalb des Spieles; aus Mitleid will man 
ihm, wenn es fügfam iſt, Stüde von Galizien zur Entfchädi- 
gung geben! Der preußifche Gefandte in Wien ift ohne Ahn⸗ 
dung folder Dinge, der Minifter von Manteuffel hat fie er- 
fahren, aber will fie nicht glauben, oder ftellt ſich ſo; aber 
Dr. Ryno Quehl muß eifrige Nachforfchungen anftellen! Die 
erfte Spur diefer Sache hat in Wien Herr Bo Mitheraus⸗ 


Varnhagen von Enie, Tagebüder. X. 





39 


Donnerstag, den 17. Februar 1853. 

Gefchrieben. Ueble Stimmung aus innern Gründen und 
äußern Anläffen. Ich möchte herausfpringen aus allem Wuft, 
in dem ich ſitze! Mir fehlt geiftiger, belebender Austauſch; 
auch die Beten bringen mir nur ihre Klagen, ihre Sorgen. 
Keine Vorgänge, deren man fich freuen könnte, fein Werk, an 
dem man herzhaft Mitarbeiter werden möchte. Lumpen und 
Schufte find obenauf. — — 

Einige hundert Einwohner von Elbing haben an die Kam- 
mern eine Petition gefandt, in der fie über die Willfür und 
Vartheilichkeit der dortigen Polizeibehörde lagen und viele 
Beispiele davon angeben. Die Tagesordnung ift die Antivort 
darauf, wie der Minifterpräfident von Manteuffel felber fie 
will. Wo foll man eine Petition gegen die Willfür und Par- 
theilichfeit der Kammern einreichen ? Das Volk wird es ſchon 
. einmal wiſſen! — 

Meber die Handelöverhältniffe Gnofande und Deutjch- 
lands ein paar große Abhandlungen gelefen. Ein gefcheidter 
Fürft wäre nöthig, diefe Wirrniffe zu ordnen, oder eine ächte 
Nationalverfammlung. Die litterarifchen Debatten darüber 
helfen nichts, fo lange fie nur von niedrigen Standpunften 
ausgehen ; unfre- Schriftiteller haben feine andern. Biele diefer 
Schreiber meinen es weit gebracht zu haben, wenn fie über 
Fichte's gefchloffenen Handeldftaat fpotten! — 

Need von Eſenbeck dankt in der Breslauer Zeitung (Neuen 
Dder-Zeitung) den Arbeitern, die ihm an. feinem Geburtstag 
"ein Ständchen bringen wollten, das aber die Polizei verhin- 
dert hat; er jagt, er habe ihre Lieder doch gehört. — 


% 
Freitag, ben 18. Februar 1853. 
Verſtimmung, vwiderwärtige Betrachtung der Menjchen 


und Sachen. Grzürnte Empfindlichkeit. ch verarbeite alles 
3* 





37 
vorübergehende und Dabei fehr wadelige Gejtalten an; man 
wundert fi) über nichte. Das Volk, früher bei folchen Ge: 
legenheiten erichroden, lacht und höhnt, und hält alles, was 
jene trifft, noch für viel zu wenig. — 

Herr von Hänlein, in alter Diplomatengewohnbeit, fommt 
gelaufen um allerlei Ausrufungen zu machen, einige Bemer- 
kungen zu hören, und weiß ſich viel mit der Nachricht, daß 
heute noch von hier der General von Brauchitſch nad Wien 
abreiit, um das Beileid ded Königs dort auszusprechen. Für 
die Höfe ift freilich die Sache wichtig! — 

Zu Haufe geblieben wegen Unmwohljein. Schach mit Lud⸗ 
milla. Im Tacitus und Suetonius manched nachgefehen. 
Mont-Reveche, von Frau von Dudevant, zu lefen ange- 
fangen. — 

Geftern ijt in Charlottenburg ein Menfc verhaftet wor- 
den, der eined Anfchlage auf den König verdächtig if. Man 
fand zwei Piftolen bei ihm! — An demfelben Tage mit dem . 
Mordanfall in Wien! — 


— — — — — 


Sonntag, den 20. Februar 1853. 

Die Schrift von Gervinus iſt nun wie in Stettin ſo auch 
in Magdeburg verboten; hier nicht, auch iſt in Königsberg das 
Verbot wieder zurüdgenommen, aber das fihadet nichts, den 
Polizeibehörden ift e8 doch zu ſüß ihre Macht zu zeigen! — 
Die Minifter billigen auch die ſchändliche Willfür der Polizei 
in Elbing, die offenbare Ungerechtigkeit! — Die biöher bei 
dem Gefchwornengericht in Poſen betheiligt gewejenen Juden 
erlaffen eine ſcharfe Erflärung gegen die Berläumdungen, die 
der Oberpräfident von Bommern, Herr Senfft von Pilfach, in 
der Kammer gegen fie ausgefprochen hat; fie weifen ihn 
gründlich zurecht, er muß jich tief ſchämen. a, ja, wir haben 
herrliche Beamte! — 





39 


jich gehabt. Boten über Boten wechſelten zwiſchen Berlin und 
Charlottenburg am Freitag, Hindeldey war den ganzen Tag 
draugen. Das Bertufchen hilft nichts ; e8 jchadet oft nur, — 
Diesmal hilft das Wiener Ereigniß etwas, und lenft die Auf: 
merfjamfeit dorthin. — Der Schreden ift ungeheuer unter 
den Ultra's. — | 

Sch fonnte heute wenig fchreiben, las aber viel in meinen 
Kriegögefchichten. — 

Dr. Zabel war wegen Preßvergehen zu viermonatlicher 
“Haft verurtheilt, im Wege der Gnade ift dieſe Strafe in eine 
Gelditrafe verwandelt worden. — 

Männer vom Fache verfihern, daß unfer Heerwefen jäm- 

merlich verwaltet werde, daß die Gebrechen, die bei der lebten 
Mobilmahung an den Tag kamen, bei einer neuen nur in 
größerem Mapitabe fihtbar werden würden, daß der Tag der 
Prüfung fchredlich fein werde, Beſonders foll die Artillerie 
in größtem Berfall fein, viele Offizierftellen find unbeſetzt, es 
fehlt an Befähigten. Der König, fagen die alten Generale, 
habe für das Militair zwar hochklingende Worte, füße 
Phrafen, aber feine Liebe, feinen Blick, Feine zweckmäßige 
Sorafalt. 
General von Wrangel erzählt, der Kaifer Nikolai habe 
ihm gefagt,. er wünfche nicht, daß die Türkei ihn zwinge fie 
anzugreifen, ihr Beftand ſei ihm allzu wichtig ; jelbft Konftan- 
tinopel zu befommen, würde ihn nur in DBerlegenheit fegen, 
denn dann müßte er St. Peteröburg verlaffen, und die Ruffen 
würden eiferfüchtig fein auf da neue Reich, das er dann an⸗ 
treten müßte ꝛc. Den alten Burfchen hat e er aanz bethört, 
der glaubt ihm das alles! — 


nn 











43 


Donnerstag, deu 24. Februar 1853. 

Endlih haben die hiefigen Minifter eine Berabredung 
erlaffen, nach der die Deutfchkatholifchen von den Gerichten 
und Berwaltungsbehörden etwas weniger gequält werden 
follen! — 

General Graf von Bendendorff fommt aus Weimar und 
bringt mir einen Brief und ein Buch von Apollonius von 
Maltis. Ein feiner, artiger Mann; Neſſelrode, der General, 
hat ihm von mir erzählt, darum wünfchte er mich kennen zu 
lernen. Wir fprachen von der Großherzogin Marie, mit eins 
fimmigem Lobe, vom Grafen Bludoff, von ruffischer Litte- 
ratur, von Tettenborn; feinen Vater Konftantin und feine 
Mutter Natalie Alopeus hab’ ich fehr gut gekannt. — 

Die neuften Nachrichten aus Wien fchildern den Saifer 

doch als fehr leidend. Erſt klang alles fo heroifch, er hatte 
feinen Säbel gezogen, war allein fortgegangen, jeßt heißt es, 
er fei eingefnict, habe fih am Arm feines Adjutanten fortge- 
ichleppt, habe eine Zeitlang nicht fehen können u.f.w. Großer 
Blutverluft. — 
Unfer Handelövertrag mit Defterteih ift vom 19. und 
fteht Thon in auswärtigen Zeitungen. Der Inhalt fcheint 
vortheilhaft genug, die Korm ift ein Nachgeben, wie in Betreff 
des Bundestages auch. Wir prahlen nur mit der Großmacht, 
find feine. 

In Sachſen Beichlagnahmen, in Karlsruhe depgleichen, 
ſelbſt ältere Bücher fommen an die Reihe. — In Franfreich 
verdammen Erzbifchöfe und Bifchöfe das ultramontane Blatt 
„V’Univers“, verbieten es zu lefen ꝛc. ‘Der Herausgeber 
Beuillot ift grade in Rom. Die katholifchen Pfaffen treiben 
ihr Wefen arg genug, das iſt wahr, aber fie find im Ganzen 
doch nichts mehr gegen fonft, ihre Macht ift gebrochen, wie die 
des Adeld und der Fürften, fo ſehr fie im Einzelnen ſich gel- 
tend macht, 


o 











47 


Gefpräch über unfre Zuftände, diplomatische, militairifche. — 
Gr erzählt mir von zweien Brüdern, Herren von Schwerin, 
die in feiner Brigade ausgezeichnete wackre Küraffieroffiziere 
waren, und aus bloßer Ueberlegung, weil ihnen diefe Dienſt⸗ 
verhältniffe und die erwerblofe Befchränttheit, in der fie leb- 
ten, mißfällig geworden, ihren Abfchied nahmen, das Grob- 
chmiedehandwerf lernten, und mit etwa 4000 Thalern nad 
Kalifornien gingen. Man fieht, die Denkart geht über alle 
Standesvorurtheile und Vortheile! — 

Sch konnte heute meiner Verſtimmung nicht Herr werden. 


Montag, den 28. Februar 1853. 

Wunderliche Träume; ich fprach ausführlich mit General 
Klapfa, mit dem verftorbenen Minifter von Bülow, und An— 
dern, hatte dann einen fehlimmen Handel mit einem Kon: 
itabler ıc. 

Zeichtgläubigkeit der Menfchen, man Tann ihnen alles 
weiß machen, wenn man die Gelegenheit richtig benußt, mit 
gehöriger Unverfhämtheit und gewichtigem Ernſt daffelbe 
wiederholt vorträgt; Pfaffen und Diplomaten benugen dag 
recht gut. Glauben doch jekt Vornehme und Geringe zum 
Erftaunen den Worten des — Louis Bonaparte, dem Wort: 
brüdhigen, Meineidigen, dem Erzlügner! — 

Ausgegangen mit Ludmilla. Im Thiergarten bei Bettina 
von Arnim. Sie arbeitet an ihren Muſikſachen. Sie zeigt 
mir ihren Schrant mit Papieren, Erft beim Weggehen zeigt 
fih Fräulein Gifela, fommt und auf der Treppe nad), febt 
fih auf eine Treppenftufe, ift fehr liebenswürbdig. 

„Der Handelövertrag mit Defterreich ift und in der Sache 
gewig ein Vortheil, — wenn man ihn und läßt; aber der 
Form nad) eine Niederlage, wir haben thun müſſen, was 














52 


Arbeit zum Guten, fördernde Thätigkeit, welchen Reiz haben 
fie! Gedanken, das Beſte, was der Menſch haben kann! — 

Beſuch vom Staatsrath von Blum; Nachrichten aus Hei— 
delberg, aus Hanau. Fit es möglich, daß in Deutſchland 
folche Zuftände beftehen, wie in Kucheffen ? Unter den Augen 
aller Fürften, des Bundestages? Der Iegtere hatte feierlich 
verſprochen, nach Heritellung der Macht des Kurfürften folle 
der Belagerungszuftand fogleich aufhören, ex befteht noch! 
Der Bundestag ift wortbrüchig wie jeine Beſtandtheile, ge- 
mein und nichtswürdig bis in die innerſte Faſer. — 

In der zweiten Kammer wurde gefagt, von unfren Ge- 
richten könne man Gerechtigkeit erwarten (bisweilen), vom 
Bundestage nicht gleiheriweife; der Minifter von der Heydt 
fand eine folche Aeußerung unftatthaft, der Präfident Graf 
von Schwerin aber ftatthaft. Darauf erwiederte Heydt jehr 
heftig, die Regierung werde diefe Nedefreiheit zu beſchränken 
wiffen, Der chmals Liberale, jest grundſervile Heydt ift wir 
dig, für den Bundestag aufzutreten. Asinus asinum frieat. 


Sonnabend, ben 5. März 1853. 
Unfre Demokraten laſſen ſich den Aufftandsverfuc in 
Mailand zur guten Lehre fein, das Gelüft, ihre Kräfte zur 
Ungeit anzuwenden, tft jehr gedämpft worden, indefjen find 
diefe Kräfte vorhanden und ftets im Wachſen, und können, 
wenn die rechte Gelegenheit erjcheint, wunderbaren Erfolg 
haben ; wenn zu dem Muthe des Volkes die Klugheit ſich ge- 
fellt, dann ift der Sieg der Demokratie gewiß. Man ver: 
ſicherte vor einiger Zeit, nicht nur feien die Handiwerkervereine 
in größter Blüthe, fondern auch in der Freimanrerei, ja ſogar 
im Treubunde, beftänden geheime Abtheilungen, die ganz im 
demofratifchen Sinn arbeiteten, Die Polizei fucht in der 

Ferne was in der Nähe, ja vielleicht in ihr felber ift! — 





54 


ariftofratifche und katholiſche Parthei regt fich, vielleicht ge- 
lingt es, ihr — zunächft in Neuchatel — das Uebergewicht zu 
geben und das Anfehn des Königs dort wiederherzuftellen. 
Defterreich hat allen Nachdruck verfprochen, hat mit dem Köder 
von Neuchatel manche Willfährigfeit des Königs gewonnen, 
und doch hat man Urfache zu glauben, daß Defterteich es gern 
fehen wird, wenn, ſelbſt wenn die ganze Schweiz’unterworfen 
wird, doch grade Neuchatel nicht wieder preußifch wird! — 


Sonntag, den 6, März 1853. 

Die „Nationalzeitung * liefert den Schluß ihrer geiftvollen, 
pathetifchen, ſchmerzlich / muthigen Entwiclungen, die nur den 
edlen Fehler haben, noch zu liebevoll für Preußen zu fein. Ich 
weiß recht wohl, daß es hier noch nicht am ſchlimmſten ift, daß 
unſre Regierung verhältnifmäßig noch etwas menſchlicher fich 
benimmt als andre, aber im Ganzen ift fie doch ebenfalls wort- 
brüchig, brutal, gewaltthätig, rachſüchtig und heuchleriſch gleich 
den andern ; es ruht ein Fluch auf ihr, und fo lange fie waltet, 
Tann fein Vaterlandsgefühl ſich ihr verbinden, bleibt dieſer 
Staat ein ehmals glänzendes, lebenerfülltes, jetzt befudeltes, 
toderfülltes Gefäß! Soll noch ein Preußen fein, gut! fo fei 
es, aber nicht das jegige, fondern das alte ruhmwürdige, oder 
ein neues, räftigaufftrebendes! — 

Die Aufwallung gegen die Schweiz fühlt ſich ſchon wieder 
etwas ab; die ruhige Gelaffenheit der Schweizer, ihre bedacht- 
fame Erörterung der Thatfachen, wirft ſelbſt auf Oeſterreichs 
Leidenfchaftlichkeit beruhigend ein. Dazu kommt, daß Frank— 
reich und noch mehr England allen Grund bat, die Schweiz 
nicht rücfichtslos den Defterreichern und Preußen zu über 
faffen, ja daß Defterreich fogar den Preußen ihr Neuchatel nicht 
wiedergegeben zu fehen wünſcht. Die Hoffnungen des Königs 
































65 


faft jedesmal folgt, aber dad Beitehen des Blattes wird ı un: ' 
möglich, | 

In Speyer wird die Zeitung wegen Polizeifchitanen mit 

- Ablauf des Vierteljahres zu erfcheinen aufhören. 
Auch unfer „ Kladderadatſch“ fagt: „Wir fchreiben nur, 
weil wir es brauchen, wir ſchrieben jest ſonſt wahrlich nicht.“ 
Er befommt unaufhörlihe Warnungen, und darf bejtimmte 
Gegenstände nicht berühren. 

Schändlich-erbärmliche Rede des Abgeordneten von Senfft: 
Pilfach gegen die Juden, höhniſche Hindeutung auf Meyerbeer 8 
muſitaliſches Talent. 

Inm Tacitus geleſen. Fort mit allen Kleinlichkeiten! — 

Das Miniſterium iſt ziemlich in Auflöſung, die Miniſter 
unter ſich ganz uneinig, keiner des Königs ſicher, er geht mit 
allen ſchlecht um. Die unterthänige Beugung nur, in der ſie 
ſtehen, iſt ihr wahrhaft Gemeinſames. Sie werden doch alle 
bleiben, ſo lange jeder kann! — 

Das Domkapitel in Breslau will bei Wiederbeſetzung der 
fürſtbiſchöflichen Würde nur unmittelbar mit dem Könige zu 
thun haben, nicht mit den Miniſtern, und der König ſoll ſehr 
geneigt ſein, dieſen Anſprüchen zu willfahren, ſeine Miniſter 


auf dieſe Bei ffentlich 3 zurüdzujeßen. 


— — — — — 


Dienstag, den 15. März 1853. 
Brief von Humboldt. Er fpricht über Bülow von Denne: 
wis, über Friedrich Schlegel fehr merfwürdig; er wird mir den 
jechiten Band der Schriften feined Bruders jelber bringen. 
Die „ Urmwählerzeitung ” ift polizeilich weggenommen worden. 
In Würtemberg ift der von einigen Unterbehörden auf die 
Schrift von Gervinus gelegte Beichlag höheren Ortes wieder 
aufgehoben. Das bischen Scham und Ehrbarfeit muß man 
heutiges Tages einer deutjchen Regierung hoc) antechnen! Bei 


Varnhagen von Enſe, Tagebücher. X, 





67 


wie mächtig find fie noch ! Die Deutſchen haben feinen ſolchen. 
Mann, können ihn nicht haben, die Spaltung im Innern ift 
zu groß. 


Freitag, den 18. März 1853. 

Alle Konftabler find feit frühftem Morgen in Bewegung, 
damit kein Verſuch gemacht werde, den heutigen Jahreötag des 
Barrifadenfampfes zu feiern. Die ftille Feier im Herzen ift 
nicht zu hindern, und ift wichtiger ala die öffentliche. -- 

Das Obertribunal hat endlich freifprechende Urtheile er- 
laffen in Betreff der Handlungen deutfchfatholifcher und frei- 
gemeindlicher Priefter. Leider nicht ald unabhängiger Ge— 
richtshof nach dem Recht, fondern nach eingeholten Weifungen 
der Mintjter, die das blinde Verfolgen nicht mehr rathfam 
fanden. Dan glaubt, eine Feine Hülfe gegen die maßlofen 
Anſprüche der Fatholifchen Kirche dadurch zu erlangen, daß 
man gerecht gegen jene ift. 

Die fäümmtlichen Zeitungen erwähnen des 18, März nicht, 
auch die Neue Preußische nicht, die doch fonft bei diefer Ge- 
fegenheit fo gern ihren Geifer in Schimpfreden ausfprikt. Sie 
haben alle vom Polizeipräfidenten von. Hindeldey die War- 
nung erhalten, fie würden, wenn fie ded 18. März gedächten, 
weggenommen werden. ine neue Art Zenfur! Was ift 
dagegen zu thun! — 

Die Neue Preußifche Zeitung hat feit langer Zeit wieder 
zum erftenmal einen Leitartifel; fie Spricht, ale habe fie jebt 
mit Regierung und Polizei ein leidlich gutes Vernehmen, 
rückt ihnen aber vor, daß mit Beſchlagnahmen und Konzeſ— 
ſionsentziehungen ein ſolches nicht zu bewirken geweſen. 
Trotzig genug. 

Die Hyäne Haynau war in letzter Zeit immer ohne Raft 


und Ruh, ding von einem Ort zum andern, blieb nirgends, 
| 5* 








70 


beſchaffen; fie ift ein Meiner Kreis, in dem man gar nicht zu 
leben braucht, und der, wenn man darin lebt, ungeachtet fei- 
ner Enge noch ftets viel Unbekanntes enthält! Der Aufſatz üt 
wohlmeinend genug für Rahel, aber voll ſchiefer Auffafjungen 
und verfehrter Urtheile, weniger über Rahel ſelbſt, als über 
Goethe und Andere, Goethe krankhaft, für die Deutfchen vers 
derblich, fo lange fein Kultus gilt, kann aus ihnen nichts wer⸗ 
den! Er, der Gefunde, Naturkräftige, Hohe, er, in dem ſich 
alles darftellt, was in den Deutjchen Gutes tft, er, durch den 
fie zumeift geworden find, was fie werden können! — 

Brief aus Bern don Herrn Dr. Ludivig Eckardt; er 
ſchickt mir feine Gedächtnißrede, „Schiller's Geiftesgang“, 
Bern, 1853. — 

Beſuch von Herrn Karl Fröhlich, der neue Ausfchnitte 
bringt, vortrefflih in Zeichnung, Erfindung und Feinheit. 

Lippe Detmold hat feine Berfaffung eingebüßt, der wort 
brüchige Fürft hat die vormärzliche durch ein eigenmächtiges 
Dekret hergeftellt. 

In Prag laſſen Studenten den Magyaren Kofjuth hoch⸗ 
eben , fogar den Mörder Libenyi! Ruthenſtreiche, Kriminal⸗ 
unterfuchung. So allgemein geliebt ift der Kaiſer, dem freis 
lich das vornehme und reiche Wien ſchmeichelt und huldigt! 

In Bremen über zwanzig Verbaftungen wegen Verfamms 
lungen und Feſtreden am 18, März. Anh ſchon in der 
Nacht vom 6.— 7, März. — In Reuß-Lobenftein Jubel und 
Böllerfhüffe, Feuer auf den Bergen, wegen des 18. — Bier 
haben zwanzig Gefellen eines Hofhandwerkers den 18, Nach— 
mittags die Arbeit eingeftellt und ein Feſt gefeiert; der Meifter 
bat fie der Polizei angezeigt, fie find verhaftet, aber auch er 
jeßt bei dringender Arbeit ohne Gehülfen. — 

Hier hat die Polizei geftern und vorgeftern plötzlich eine 
Menge Leute verhaftet, die breitgefrempte Hüte trugen, 
Einige haben über Nacht im Gefängnig bleiben müffen, Bis— 








73 


fo großer Lärm gemacht worden, will nichts werden. Die 
Unterfuhung wird in der Stille zu Grabe gebracht. 

Der König von Würtemberg bat die Burfchenfchaft in 
Tübingen auflöfen und bei ſchwerer Strafe verbieten laſſen; 
altes noch wegen des Schoder’fchen Leichenbegängniſes! Klein⸗ 


lich, rachſüchtig! — 





Mittwoch, den 23. März 1853. 

Beſuch von Frau von Treskow; angenehme Unterhaltung, 
Beiträge zur Kenntniß der hiefigen Gejellihaft, der Vorneh— 
men, der Halbvornehmen, — letztere, gleich den Halbgebildeten, 
die fchlimmfte Sorte! — 

In der Kronenftraße gefchah vorige Nacht ein Mord, an 
einem Klempnermeiſter ˖ verübt. Großes Auffehn im Volke, 
Gedränge nad) dem Schauplatz, Murren und Schimpfen gegen 
die Polizei, bei Tage Ichikanirten die Konftabler, nähmen den 
Leuten die Hüte weg, bei Nacht fei nie einer zu fehen zc. 

Die Zeitungen fügen, Ranke habe hier, weil er den Ruf 
nah Münden mit 7000 Gulden Gehalt abgelehnt, jebt 
4500 Thaler Bejoldung, anftatt voriger 1800, 

Was alle amtlichen Berfiherungen eifrig geläugnet, für 
bösfiche Lüge erflärt, fteht num doc, als erwiejene Thatfache 
feft, daß das ungarische Regiment Leopold beim Aufftand in 
Mailand fich geweigert hat zu fchießen. Daffelbe wurde in 
die Kaferne zurüdgefühtt, und mußte bald nach Kroatien ab- 
marjchiren. in anderes ungarifches Regiment ift neuerdings 
als zu wenig ficher aus Italien zurüdgezogen worden. 

Mantua war wegen Niederfchlagung des polififhen Pro- 
zefled erleuchtet, aber unerwartet auch Mailand, was den 
Defterreiihern doch bedenklich ſchien. — Hintichtungen in 
Italien durch den Strang, durdy Pulver und Blei. 








76 


Stiller Freitag, ben 25. März 1853. 

Geſchrieben. Ich glaube nicht, daß der Welten Europa's 
dem Dften unterliegt; ich glaube an die fteigende Bedeutung 
des ruſſiſchen Volkes, aber auch an den Geift der Freibeit, der 
dort im Schlummer wählt. Die Ruſſen genießen ſchon jetzt 
die Früchte der Revolution, fie werden fie bald im Lande felbft, 
nicht nur aus der Fremde ziehen. 

Die Türkei, von England und Frankreich im Stich ge⸗ 
laffen, von Defterreich angefeindet und bedroht, muß ſich der 
Macht des Kaiſers von Rußland beugen, Den Kaifer joll der 
raſche und glänzende Erfolg des öſterreichiſchen Grafen von 
Leiningen ganz beſonders geärgert, und er ſogleich beſchloſſen 
haben, denjelben durch ruſſiſches Auftreten weit zu überbieten. 
Nur jo läßt ſich das barjche flegelhafte Benehmen des Fürſten 
Menſchikoff erklären. 

Herr Rudolph von Auerswald iſt jetzt überzeugt, daß die 
fonftitutionelle Monarchie jet eine Nothwendigkeit ift. Er 
war im Sommer in Paris, Algier, Italien. Gr findet die 
franzöfifhe Armee vwortrefflich, Eriegseifrig und Friegsfertig. 
‚Gr fagt, man dürfe fid nicht voritellen, daß die Italiäner ges 
beugt, gedemüthigt, eingefchüchtert feien, offen und faut fei ihr 
Troß, ihr Haß, ihre Erbitterung, fie verſteckten ihre Geſin— 
nung gar nicht, jeder theile fie, und die Defterreiher müßten 
es fo hingehen laſſen, fie übten ihre Schreckensgewalt, wo fie 
nur könnten, aber fie fönnten nicht viel, und die Jtaliäner, die 
nicht unmittelbar getroffen wären, trieben ihr Wefen unge 
bemmt weiter, 

Man Hört immer mehr von Verfammlungen und Feſtlich⸗ 
feiten zur eier des 18. März, aus Königsberg, Stettin, , 
Greifswald, Magdeburg, Köln, Trier. Die Regierung ift 
ſchon zufrieden, daß fein öffentliches Bezeigen, Feine große 
Boltsbewegung hat ftattfinden fünnen. 














81 


Mittwoch, den 30. März 1853. 

Gefchrieben. Unluft über die Verhaftungen. Sind folche 
Gefinnungen und Abfichten, wie Die Polizei fie entdedt haben 
will, wirklich ‚vorhanden und noch immer thätig, fo ſollte die 
Regierung daraus erkennen wie nöthig eine Amneſtie iſt; ſo 
lange dieſe fehlt, wird auch das Volk und ſeine Verfechter un— 
verſöhnt bleiben. An Amneſtie denkt man weniger als je, 
nur an Rache, Verfolgung, Strafen, Quälen. Jede Befin- 
nung fehlt, jeder Rückblick auf ſich ſelbſt. Was man ſelbſt 
verſchuldet, will man an Andern ſtrafen. Sie ſollten die Ver⸗ 
bannten zurückkommen laſſen, die Eingekerkerten in Freiheit 
ſetzen, das Vergangene vergeſſen; allein dieſes allein Vernünf—⸗ 
tige kommt ihnen wie Wahnſinn vor. — 

Bücher gekauft, unter andern Kieſewetter's Reiſe nach 
Paris vom Jahre 1815. Ich ſah ihn damals in Paris, und 
zuletzt noch 1817 in Berlin. Das Buch verſetzte mich lebhaft 
in die alte Zeit, und ich bedauerte ſchmerzlich, den einſt heiß— 
geliebten Lehrer nicht feſter gehalten zu haben; doch weiß ich 
wohl, daß er ſelber daran große Mitſchuld hatte, er wollte 
mich hemmen, und ich ſtrebte vorwärts. Aber der Eindruck 
war ſehr ſchwermüthig, und ich konnte ihn lange nicht ver— 
winden. Aufgeregte Nerven! — 

Nachmittags Beſuch von Herrn Palleske, der Abſchied 
nimmt. — Beſuch von Herrn Prof. Stahr und Fräulein 
Fanny Lewald. 

Die Regierung prahlt, wie bequem und nüglich die Paß— 
farten find, aber das erwähnt fie nicht, daß fie folche nur den 
Begünftigten ertheilt, den Unbegünftigten verweigert, das 
heißt allen Demofraten, allen kleinen Leuten, die nicht bejon- 
ders empfohlen find, Wer feine Paßkarte — auf ein Jahr 
für 5 Sar. — befommt, muß für jede Reife einen befondern 
Paß für 1 Thlr. nehmen, und diefer Pap iſt dann an jid 
jelber jchon ein Berdächtigungspapier! — 


Barnhbagen von Enfe, Tagebücher. X. 6 





83 


wieder einmal übereilt, und muß zurüdziehen. Das ift ihm 
nun ſchon oft gefchehen. Für diesmal fcheint alles noch diplo- 
matifch abzulaufen. 

Ausgegangen mit Ludmilla. Durd das Brandenburger 
Thor, zum Potsdamer, in der Reipzigeritraße bei Müller Pa- 
pier gekauft, bei Stredfuß Zigarren, Diefer erzählt uns feine 
Haftgejchichte. Er kam zufällig, ala bei Müller grade Haus⸗ 
ſuchung war, in deſſen Laden um etwas zu holen, augenblid- 
lich trat ihm der Polizeilieutenant Heig, der wohlbekannte, 
entgegen, und erklärte ihn für verhaftet; er wurde dann abge⸗ 
führt, auf die Polizei, die Stadtvoigtei, die Hausvoigtei, nir— 
gende wollte man ihn annehmen, es fei Fein Berhaftbefehl 
Dazu vorhanden ; nach vielen Stunden wurde der nachträglich 
geliefert; eben fo erging es Berends, er wollte bei Müller 
Papier kaufen. Beide wurden die Nacht zufammen in der- 
felben Zelle gefangen gehalten, am andern Morgen ohne wei- 
teres freigelaffen. Als ganz Unbetheiligte! Zum Vergnügen 
des Herrn Heib waren fie 28 Stunden ihrer Freiheit beraubt. 
Heiß, ein [höner Name, zum Behalten! — 5/ 

In Roftod Hausfuchungen und BVerbaftungen. Der Po— 
lizeidireftor Stieber aus Berlin war dort. Stieber, ein fchöner 
Name! — 

In Wien ift der bisherige Polizeidireftor Hofrath Weiß 
von Starfenfeld plößlich diefed Amtes .entlaffen worden. Er 
war ein rechter Reutefchinder, ein Haynau in jeinem Fach. 
Wie die Dienfte, fo der Lohn! Doch hat er noch beilern 
Lohn verdient. — 

Don den Berbafteten iſt noch feiner gerichtlich verhört 
worden ; fie werden in ftrenger Haft gehalten. — Sogar von 
oben ber wird verfichert, die demokratiſche Parthei als folche 
fei bei den Sachen nicht betheiligt, es ſei nur in der unterften 
Schichte der Bevölkerung ein ftrafbared Treiben, das ſich aber 


an die Flüchtlinge in London anranfe. Gin entjchiedener 
6* 





85 


Macht und Würde des Hertn von Hindeldey! Braune Kof- 
juthhüte in Frankfurt am Main weggenommen, in Fürth 
Zabade mit Koſſuth's Bildnif. In Roftod neue Berhaf: 
tungen; nicht Stieber foll dort geweſen fein, aber andre preu— 
Bifche Polizeifchergen, und der medlenburgifche Staatsrath 
- von Schröter (früher Brofefjor“ in Jena), auch ein fehöner 
Name! — 

In Stettin hat die Polizei eine Petition der Juden an 
die Kammern weggenommen, um diefelbe zu prüfen, Mit 
welchen Rechte? Mit dem der Willtür und frechen Anma- 
Bung. Und diefe Lumpenfammern ſchweigen, auch ftill dazu! 
Jede Täufchung ſchwindet. — 

Humboldt fendet mir den rückſtändigen Band der Schriften 
ſeines Bruders. — Tieck ſoll ſehr gefährlich krank und ſchwach 
ſein. 

Brief und Sendung don Herrn Dr. Julius Altmann; 
Gedichte. 

Ein hieſiger Bürger, der nicht? Beſſres verlangt als ein 
guter Unterthan zu fein, und der durch fein Gewerbe mit vor- 
nehmen Perfonen viel in Berührung kommt, ift ganz betroffen 
über die Reden, die er von höchiten Staatöbeamten, von 
Herren und Damen ded Hofes zu hören befommt. Die ganze 
Umgebung ded Königs meint ed mit ihm nicht gut, haft ihn, 
erklärt ihn für unfähig zu regieren. — Generale, gewefene 
Miniſter, Führer der Kreuzzeitungsparthei, angefehene Grund- 
‚ befigerzc. wünfchen laut, der König möchte abdanfen, Preußen 
fönne fo nicht länger beftehen 2. Der arme Bürger ift ganz 
verwirrt über alles Dies! — 

Im. Volk ift wieder viel die Rede von des Könige Hin- 
neigung zur Tatholifchen Kirche, daß die Königin ihn 
dDränge*zc. — 

Zur Begründung der Freiheit bedarf e8 der Freiheit ihrer 
Freunde, aber der Unterdrückung ihrer Feinde; auch dieſen 





87 


Niederträchtigkeit, dem Wochenblatt feine Auflehnung höhnifch 
zu verweiſen. 

Der Gefundheitspflege- Derein hier, eine der wohlthätigiten 
Anftalten, ift von der Polizei aufgehoben worden. Nichte 
fann bier beftehen, alle® unterliegt dem türfifchen Willfür- 
regiment. 

Berhaftungen in Köln, Dresden, weitere in Roftod. — 
Hinrichtung Cefard von Bezard in Wien, andre graufame 
Strafurtheile gegen magyarifche Leute. — Starkes Ausreipen 
ungarifcher Soldaten aus Italien nah der Schweiz; die 
Schweiz fol fie nah) den Verträgen ausliefern, aber fchafft fie 
eiligſt nach Franfreih und England, denn die Oeſterreicher 
weifen jeden Verkehr mit der Schweiz ab, nehmen nicht ein- 
mal gemeine Verbrecher an! Wegen der Ausreißer wird es 
ihnen bald leid Tein, und werden fie eine Ausnahme machen 
wollen. Hunderte von Soldaten laufen fort. 

Bon R. Marz in London find „Enthüllungen über den 
Kommuniften- Prozeß in Köln“ erfchienen, die fireng verboten 
und verfolgt werden. An der Schweizer Gränze hat man 
ganze Kiſten voll Abdrücke weggenommen. 

Gerüchte von. Untuhen in Palermo. Gahrung in 
Italien. 

In Mitchell gelefen, in Diezel's neuem Buche; die miß— 
urtheile gegen Frankreichs Geiſt und Richtung ſind ſehr 
ſchlecht begründet und hoffentlich von keiner Wirkung. Falſche 
Deutſchheit, voll Dünkel, wie 1813 und 1814 von ſo vielen 
hohlen Schreiern aufgeſtellt wurde, nur lag damals That und 
Sieg zum Grunde, wie jetzt Schmach und Jammer. 

In Spandau find drei Artillerie⸗-Anteroffiziere verhaftet, 
man befchuldigt fie der Theilnahme an den entdeckten Umtrie- 
ben. — (Später wurde dies für einen Irrthum, die Verhaf—⸗ 
teten für ganz unschuldig erflärt.) — 

Einer alten Verordnung gemäß durfte fein preußischer 





89 


Philiſter, der den König ftetd herabfegen möchte, der fich ein- 
bildet ihn beurtheilen zu fünnen, und dazu ganz unfähig ift; 
er it überdies höchſt unwiffend und oberflächlich; nicht einmal 
die hiftorifchen und geographifchen Namen hat er zu berich— 
tigen gewußt, und weiß fich doch groß mit feinem spelling, 
defien Mangel er beim König wiederholt rügt! 

Daß General von Prittwiß bei Herrn von Weiher einen 
Abſchiedsbeſuch gemacht hat, erregt einiged Aufjehn und Miß— 
vergnügen. Man ftellt das Greigniß mit dem zufammen, daß 
General von Pfuel beim Abgeordneten Jung eine Taſſe Thee 
getrunken hat! — 

Ueber Ariftoteles, ein dicker Band von Prof. Brandis in 
Bonn, dem Herrn von Schelling zugeeignet, der ihm von allen 
neuern Philofophen dem Ariftoteled am meiften nahe zu ftehen 
fheint! Da wäre doch wahrlich Hegel eher zu nennen! — 
Ein fchwerfälliges, unerquidlihes Buch! — 


Montag, den 4. April 1853. 

Ausgegangen mit Ludmilla. Mir das Neue Mufeum 
betrachtet; es wird nicht fonderlich ausfehen, und die Säulen» 
gänge werden dad Hauptgebäude nicht retten. Daß es zur 
Seite wie durch eine Nabelichnur mit dem Alten Mufeum zu: 
ſammenhängt, ift ein lächerliches Gebrechen. Wer hat den 
dummen Einfall gehabt? — Meber den Hade’fchen Markt, 
durch die Spandauer: und in die Königdftraße, an der Ger: 
traudenbrüde bei Schickler das gerühmte Bildniß von Fried- 
rich dem Großen angefehen ; ob Pesne oder Falbe es gemahlt, 
ift ungewiß. Das Bild ift fchön, aber der König in zu 
ſpäten Jahren aufgefaßt. Bildniß von Spfittgerber, deſſen 
Schwiegerſohn der alte Schickler war. — In verſchiedenen 
Bilderläden nach Barrikadenbildern vom Jahr 1848 gefragt, 
überall vergebens, auch da wo ich ſie früher gekauft habe; ſie 





91 


ed gar nichts Schlimmes enthält?" — Jawohl, das Blatt 
muß einmal unfre Sand fühlen. — „Aber Herr Präfi- 
dent —!“ — Was? ch befehle es, es foll gefchehen, damit 
genug! — Der ehrliche Beamte entzog fich darauf dieſem Ge— 
ſchäft, verlor die Zulage von 200 Thalern und natürlich alle 
Gnade des Borgefebten. 


Dienstag, den 5. April 1853. 

Die „Nationalzeitung * vortrefflih über Michel von Bour- 
ged. Der „Publizift* mit fühner Schärfe über die neueften 
Berhaftungen, dad Märzkomplott, wie er die Sache nennt. — 
In meinen Papieren gearbeitet. — Die Zeitungen theilen das 
Defret Hindeldey’8 mit, durch das diefer den Gefundheits- 
pflege-Berein aufhebt; es werden ‚darin namhafte Männer 
gefchimpft, zur Umfturzparthei gezählt 2c., grade fo wie es 
Kamp im Jahre 1819 mit Jahn machte, worauf diefer eine 
Injurienklage gründen wollte; damals mußte man erft erfah- 
ren, daß eine Behörde ungeftraft beleidigen darf, jet weiß 
man ed fchon vorher! Doc, wenn die Gerichte ſolche Klage 
nicht annehmen, verloren geht fie darum nicht. — 

Nachmittags Fam Bettina von Arnim. Sie ſchenkte mir 
ein Blatt von ihrer Hand, an die Günderrode gefchrieben. 
Sie wollte offenbar etwas von mir, fagte e8 aber wieder nicht. 
Vielleicht wieder etwas in Betreff Pückler's? oder irgend einer 
Veröffentlihung über die Heirath ihrer Tochter? Weiß der 
Himmel was! — 

In Mitchell gelöfen, und in der Revue des deux mondes 
einen Artikel von Heine, les dieux en exil; ganz der alte 
Heine, Weisheit und Kraft im Gewande der Schalfheit, Witz 
und Laune einziger Art, glänzende Phantafie; zugleih eine 
Enttäufchung derer, die fich feiner vermeintlichen Belehrung 

N 





93 


fangenen Schlehan einen Unteroffizier beftochen zu haben, vom 
. Kreidgericht freigefprochen. Der Unteroffizier aber war fchon 
früher militairifch deghalb in Strafe genommen! — 


| Mittwoch, den 6. April 1853. 

Gefchrieben ; Sachen des Taged. Diefe Zeit fordert nur 

Auffäge, Bemerkungen, eingreifende Worte, nicht große Werte, 
Dichtungen, Schönheitögebilde; wir haben Vorrath, Vorrath 
auf lange Zeit; es gilt ihn zu verwenden, anzubringen, allge: 
mein zu machen. Diefe Zeit fordert Marftdienft, nicht Tem⸗ 
‚peldienft. — 
Die „Urwählerzeitung“ wollte wieder erfcheinen, ift aber, 
- ald fchon 5000 Abdrüde fertig waren, von der Polizei weg- 
genommen worden. Man verbietet fie nicht, aber man hin- 
dert fie, fie foll todt fein. — . 

Die „Kreuzzeitung“ hatte geftern einen Artikel zum Lobe 
ded infamen Buchs von Günther, dad unſre litterarifchen 
Heroen aus hriftlicher gemeiner Rohheit heraus verwirft und 
ſchmäht. Lotterbuben ziehen Lotterbuben an, fie bleiben alle 
was fie find. | 

Morik Hartmann ift in Paris freigefprochen worden, frei 
ift er fchon längere Zeit. — Bei Dr. Hagen in Heidelberg hat 
man nicht? gefunden ald Abdrücke einer feiner unverbotenen 
Schriften. 

Ausgegangen mit Ludmilla. Bei Jofty. In der Breiten 
Straße (Reitbahn) die Blumenausftellung gefehen. Wunder: 
ihön, entzüdende Anblide, ein kleines Paradies! — Herrn 
Dr. Spifer gefprochen, Herrn Geh, Legationsrath Michaelis. 

Die „Nationalzeitung“ hat die Ehrenhaftigfeit und den 
Muth, gegen die Angaben Hindeldey’d in feinem Defretum 
‚wegen Aufhebung der Gefundheitöpflege- Vereine fräftige Ver⸗ 
wahrung einzulegen, und feine notorifh unwahren Ausdrüde 





95 


germanifchen Regierungen haben die Evangelien, denen fie 
aber in’d Angeficht fchlagen. — 

Ausgegangen mit Ludmilla. Herrn Dr. Zunz gefprochen. 
„Sch Iefe feit vierzehn Tagen feine Zeitung, ich weiß gar 
nichts, nicht einmal ob ic) ſchon Kaifer geworden bin, — das 
wär’ doch voreilig, denn ich habe ja noch feinen Eid gebrochen, 
died muß doch nothwendig vorhergehen!“ — 

Die „Nationalzeitung” legt in einem ausführlichen Ar- 

titel die Webelftände dar, welche für Preußen Aus den neuen 
- Zoll und Handelöverhältniffen hervorgehen ; Aufgeben feiner 
bisherigen Richtung, Abhängigkeit von Defterreich, von Baiern 
und den bisher mit diefem verbundenen Staaten fogar! Der 
Artifel macht aufmerffam auf den Jubel der Wiener Blätter, 
der Augsburger Allg. Zeifung ꝛc. 

Neue Hausfuhungen und Berhaftungen, in Roftod, hier, 
in Breslau 2. Im Staatdminifterium war der Antrag ge 
macht worden, Berlin in Belagerungsftand zu erklären, um 
alle verheimlichten Waffen einziehen zu fünnen! Dieſes Aer— 
gerniß hätte noch gefehlt! Kanonen gegen Sperlinge auf: 
pflanzen! — | 

Unter einer elenden, nichtöwürdigen, lächerlichen und doc) 
gefährlichen Regierung leben zu müffen, ift mit das größte 
Unglüd, das einen Menfchen treffen kann. Voltaire hat dies 
Unglüd in vollen Zügen genofjen. Unter einer Regierung zu 
leben, die man achten muß, die man lieben fann, — ein Glüd, 
das für vieles Unglüd jchadlos hält! Wer hat ed genoffen ? 
Diele Preußen, die Friedrih dem Großen anhingen, viele 
Engländer, die meiften Bürger der Bereinigten Staaten von 
Nordamerika. — 

Dr. Holdheim wegen der „ Urwählerzeitung“ vom 3. Fe⸗ 
bruar zu zweimonatlichem Gefängniß verurtheilt. (Haß und 
Verachtung 2c.) 

Eine freie Gemeinde durch das Ober-Tribunal freige- 





97 


zeipräfidenten von Hindeldey Berläumbdeten fein Erfolg zu 
erwarten fei. Der ganze Lärm von Hochverrath und Kom— 
plott erfcheint mit jedem Tage hohler, und alles was die Po- 
lizei gefunden hat, ift nicht der Nede werth. Gewiß, die. 
Gefinnungen, welche man voraugfegt, find vorhanden, und 
in größerem Maße, ald man gewöhnlich glaubt, auch Verbin- 
dungen beftehen, die der Regierung feindlich find, aber jene 
hat fein Strafrecht je zu erreichen gewußt, und die Verbin- 
dungen wird man nie ausrotten, folange folhe Gefinnungen 
beftehen ; die Regierung felbit aber ift es, die fie ftetd neu . 
erzeugt. Diele der Angaben, die von der Polizei auspofaunt 
werden, jind ganz übertrieben, Die Angabe der Waffenvor- 
räthe, der Bulvermenge, andre mit Abjicht falfch geftellt, 3.82. 
die ſogenannten Spiegelgranaten, welche ein Schloffer, der 
neue Erfindungen an den Schießgewehren machen will, zu 
feinen Verſuchen angefertigt hat. Man denkt an die berüch- 
tigten Handgranaten Hätzel's! Der ftupide Hof glaubt an 
alle vergrößerten Angaben, das Eluge Publikum aber nicht! 
Daß indeß Berurtheilungen erfolgen werden, wird faum be- 
zweifelt; alle Anftrengung wird dahin gerichtet werden. Selbft 
wo die Behörde die Anklage fallen läßt und jede Schuld ver: 
neint, hält man am Hofe noch feft am Glauben. Der Prinz 
Auguft von Würtemberg fagte noch kürzlich von dem in Char⸗ 
Iottenburg verhafteten Mann, der amtlich für fchuldlos erklärt 
worden: „Gr hat ſich durchgelogen!" Ein herrliches Lob 
der Polizei! — | 

Die fchon vielgequälte freie Gemeinde zu Magdeburg foll 
nun fchlieplich aufgehoben werden, man will ihr die Konzeffion 
nehmen, die fie früher in aller Korm befommen hat. Man 
ſchien endlich milder, gerechter gegen Die freien Gemeinden 
werden zu wollen, da fommt plößlich ſolche Laune! Wir 
leben in lauter Widerfprüchen, nirgends ift richtige Folge. 

Hüteverfolgung in München, über hundert ‘Berfonen verz 

Varnhagen von Enfe, Tagebücher. X. 7 


{ 





99 


den Fall Herrn von Sivers und Herrn Adolf Böttger mit; 
jest erfahre ich, day beide dad Sonett auf den Bruder Alexan— 
der deuten. Wenn ed audy noch fo fehr paſſen follte, nimmer 
fann das die Abficht Wilhelms gewefen fein! (Gedenfen an 
Schlabrendorff's Wort: „Sie haben alles was dazu ‚gehört 
um große Männer zu fein, und find es beidedoch nicht!” Und 
das andre, von ihm zitirte Wort: „Iln’y arien de verita- 
blement grand oü il n’y ait du eitoyen,“) 

Nachmittags Fräulein de Caftro und Dr. Gottfchall bei 
Zudmilla ; ich verliere zwei Parthieen Schad) in größter Sihnel- 
ligfeit. 

Humboldt nannte neulich den Minifter von Raumer einen 
Lump, der von den Wifjenfchaften nichts wiſſe und die Gelehr: 
ten hafje. Humboldt hat dem Könige geklagt, er habe ftete 
das Unglüd, an der Tafel neben Naumer zu figen, und fühle 
jedesmal in der diefem zugewandten Seite eine Kälte jtrömen, 
der König möchte ihn doch den Plab verändern laſſen, dieler 
fei gar zu rheumatiſch; aber es feheint dem König Vergnügen 
zu machen, die beiden Widerfacher neben einander leiden zu 
ſehen. 

In engliſchen Blättern wird mit Zuverſicht behauptet, daß 
zwei preußiſche Miniſter, Heydt und Simons, deren Gemein— 
ſchaft in Handelsſachen auch hier kein Geheimniß iſt, ihren 
Hauptgewinn vom Sklavenhandel ziehen, bei dem ſie mit ihren 
Kapitalien betheiligt ſind! Der Juſtizminiſter!! — 


Sonntag, den 10. April 1852. 
Tapfre Erklärung der Aerzte des Geſundheitspflege-Vereins, 
unwillige Zurückweiſung der Hinckeldey'ſchen grundloſen Be— 
ſchuldigungen, in der „Nationalzeitung“ abgedruckt. 
Hausſuchungen in Strelitz, auch wieder in Roſtock, und 
neue in Berlin. — „Die Polizei macht aus dem gefundenen 
q* 





101 


greifen der proteftantifchen und fatholifchen Kirche, des Pabſtes, 
der Jeſuiten; das Schaufpiel ift traurig genug, aber weckt ge- 
ringe Furt. Die Macht, die fich das hierarchifche Unweſen 
aneignet, hat feinen Boden, zerfällt bei der nächſten Bewegung. 
Die Kirche dient dem Staat, der irdifchen Macht, beherricht 
jie nicht, ift Werkzeug, nicht Selbitzwed. Sähe ich die kirch— 
liche Gewalt herrfchend, den Staat ihr dienend, von ihr ab» 
hängend, — dann würd’ ich fürchten! — 


Montag, den 11. April 1853. 


Gefhrieben; ein ayavıaua Lı To napgaxojua! — Dad 


Montagsblatt „Die Feuerſpritze“ fagt nicht? mehr über die 
hiefigen Berhaftungen; dies Schweigen fann nur die Folge 
polizeilicher Warnungen fein; die Preſſe wird immer ſchwächer, 
verftummt immer mehr; es iſt wie im Herbft, wenn die Blätter 
fallen, die Zweige leer werden! Die „Volkszeitung“, Erſatz 
des „Urmwählers*, ift zum drittenmal in allen Abdrücken weg⸗ 
genommen worden, ganz widergefeßlich, ehe noch Die Veröffent- 
lihung verfucht worden. Die Polizei thut, die Gerichte 
ſchweigen. | 
Endlich einmal ein hervorragendes Wort in der zweiten 
Kammer! Der Abgeordnete Wengel, unterftüßt von Lette, 
Harfort, Milde, Kühne, Kisker, von Binde, Jacob, Konaz, von 
der Rede, Degenkolb, von Flemming, von Sauper, von Sauden, 
Pochhammer, Lenfing, NRemien, ftellt die Minifter' zur Rede 
wegen des Dekretes von Hindeldey, griff deſſen Verfahren an, 
das unerhört fei, das den Gerichten vorgreife 2c., dabei wurde 
der infame Stieber namentlich als ein ſchlechtes Subjeft be- 
zeichnet. Der Minifter von Weitphalen antwortete ſchwach 
und ungenügend, wie ein Lump, der ein fchlechted Gewiſſen 
hat; die Schande war offenbar; damit hatte denn freilich für 
diesmal die Sache ihr Bewenden! — Eine andre Heine That 


243490 


vw. 


wo.“ 





103 


Kammern konnte man dulden, und nun wählt ausdem Schmuß 
doch allerlei Pflanzenmwerf auf, das man nicht will, und defien 
Erftarfen man noch nicht fürchtet, das aber einft doch guten 
Trotz bietet. Wir könnten freilich ſchon edle reife Früchte 
haben! — Ä 

Die Hausfuhungen und Verhaftungen in Roftod find von 
feiner mecklenburgiſchen befugten Behörde gefchehen, fondern 
die Regierung hat den preußifchen Polizeibeamten dort nad) 
‚Belieben zu wirthfchaften erlaubt. Died maht im Lande 
große Mißſtimmung, ſetzt die eigne Regierung tief herab, macht - 
die preußifche verhaßt. — Dünger für die Zukunft! — 

Die Polizeiforfchungen gehen ihren Gang; unerfättlicher 
Durft nad) Vergehen und Verbrechen! “Die rechten wollen fich 
nicht finden. Sie find fo, wie die Polizei fie denkt, entweder 
nicht vorhanden, oder für ihre Schnüffelei nicht erreichbar. — 

In Dresden Verhaftungen. Unter andern ein Schriftfeker 
wegen Gottesläfterung verhaftet, aber auch gleich wieder ent- 
lafien. 

In Bremen ift der lebte der im März dort Berhafteten 
gleich den andern ftraflos in Freiheit gefeßt worden. Es war 
nichts! — 

Srneuerte Verwendung ded Königs von Preußen für den . 
in Ancona verhafteten Gelehrten Salandrelli; bisher hat der 
Pabſt ihn nicht freigegeben. „Warum begnadigt der König 
nicht feine eignen Gefangenen? 8 find gewiß viele würdige 
Männer unter ihnen.“ 

Graf Cieſzkowski kam gegen 10 Uhr, blieb eine kleine 
Stunde. Luſtige Beiprehung der politifchen Zuftände, — 
ganz Europa unterhöhlt, die Völker gegen ihre treulofen Fürſten, 
überall gewaltfamer Ausbruch zu fürchten, — die Bedeutung 
Polens, — Rußland am meiften geſchwächt und verwundbar 
durch feine Eroberungen. Frankreich!? Es wird fi ſchon 


helfen, ich forge nicht! — 











107 


führt, daß der Verein auch politifche Zwedle habe! So ein 
Staatsanwalt! | 

sch blieb den Abend zu Haufe, ziemlich verftimmt, das 
Lefen im Suetonius machte mich noch ſchwermüthiger, auch der 
Inhalt der Zeitungen wirkte niederdrüdend, — ch las noch 
im Goethe's Sprüchen. 

Der Polizeidireftor Stieber führte unter dem Belagerungd- 
ftande vor Gericht häufig die Vertheidigung angeklagter De- 
mofraten, und machte dabei die heftigften Ausfälle gegen die 
Polizei, die ihm ungeftraft hingingen. Es ſtellt fich heraus, 
dag er dieſe Rolle im Auftrage fpielte, damit die Demokraten 
ihm vertrauen möchten, und er ihre Geheimniffe erführe, um 
fie dann der Regierung mitzutbeilen. — 

Die Kreuzzeitung wiederholt, daß der jebt hier anweſende 
würtembergifche Staatsrath Klindworth in preußifche Dienfte 
treten werde, Auch eine Art Stieber! Wie ift der nur zu 
dem würtembergijchen Titel gekommen? Bedurfte der König 
fo ſchmutziger Dienfte? Und bedarf Preußen jest ſolcher? 
Unſre Diplomatenrotte hat ohnehin ſchon genug Schande; 
was für Burſchen zählt Preußen feit beinahe vierzig Fahren 
in diefem Jah! — Miltig, Küpfer, Schladen, Neigebaur, 
Dtterftedt, Lottum, Königsmard, Habfeldt, Küfter, Jordan 
ꝛc. ꝛc. — 

Verfaſſer der Berichte aus London in der Kreuzzeitung iſt 
der Flüchtling F., ehmals Mitarbeiter an der Demokratiſchen 
Zeitung. Von ihm ſind die niederträchtigen Artikel über 
Koſſuth, über die deutſchen Flüchtlinge, über Kinkel, Ruge ꝛc. 
— Von dieſem F. rühren auch gewiß die Anzeigen her, auf 
welche hier die Verhaftungen vorgenommen worden. Dr. La— 
dendorf iſt ohne Zweifel die unabſichtliche Vermittlung gewe— 
fen, er ſagte alles dem Dr. *, dieſer verſchwieg es dem F. nicht. 
Der letztere hat jetzt viel Geld und ift guter Dinge. — 











111 


Freifprehung des Diafonus Weiß in Breslau, der die fa- 
tholifche Kirche follte beleidigt haben. — In Stade Haus: 
juhungen. In Augsburg und Würzburg Wegnahme von. 
Büchern und Zeitfchriften. 

In Bremen die Schübengilde aufgelöft, weil ſie eine An- 
zahl Mitglieder, die angeklagt aber noch nicht verurtheilt find, 
nicht auf Begehren des Senats ausſtoßen wollte. Bürgermeijter 
Smidt verherrlicht jih! Der einjt gefeierte Republikaner ein 
. Fürftenfnecht und Gewaltsmann! — Erklärung des entlafjenen 
ſächſiſchen Appellationgrathes Dr, Ludwig Höpfner in Dresden. 
Offiziere übten große Rohheiten gegen ihn aus, er klagte, ftatt 
Genugthuung erhielt er Strafe, wurde dann ohne Grund 
entlaffen. | | 

In Madrid eine Hundewirthfchaft! Die Metze Ehriftina 
jolte man aus dem Lande hinauspeitfchen. — | 

In Paris Berurtheilung von Zeitungsbriefitellern, meift 
- Regitimiften. — Neue Millionen für Louis Bonaparte; gut 
für die, welche meinten, die Mitglieder der Nationalverfamm- 
lung foiteten zu viel! 


Sonntag, den 17. April 1853. 

Geftern jtarb hier die legte noch überlebende Schweiter von 
Gent. Die andre ftarb ſchon vor mehreren Jahren. Biele 
Briefe des Bruders müſſen fich in dem Nachlaß finden. | 

Das badische Oberhofgericht hat den verurtheilenden Spruch 
des Hofgerichtd gegen Gervinus vernichtet und der Staatö- 
behörde die Koften auferlegt; der Fall, fagt dafjelbe, hätte vor 
die Geſchwornen gehört. 

Der Stedbrief gegen Dr. Ladendorf wird von der Polizei 
für erledigt erflärt; dadurch beftätigt fich die Angabe, der Ber: 
folgte jei ergriffen worden, 

Die hiefigen Geiftlihen und Frömmler arbeiten im Stillen 





113 


hebung! Selbft ein Wicht, wie der Herausgeber des * mapt 
ji an über einen Morig Hartmann, Karl Bogt, Bucher ıc. 
abzuſprechen, Leute, denen er nicht werth iſt die Schuhriemen 
aufzulöjen! Die Nationalzeitung fteht noch tapfer vor dem 
Riß, allein wie lange wird ed dauern, fo fällt auch fie! — 

Bettina von Arnim hat den thörichten Gedanken, * könne 
ihr zur Verbreitung ihrer „Geſpräche mit Dämonen“ nützlich 
fein, daher fchmeichelt fie ihm auf die übertriebenfte Weiſe, 
erzeigt ihm die größten Artigfeiten, ſchenkt ihm Bücher, lieſt 
ihm vor, jo daß diefer ganz beraufcht iſt! — Es iſt fchlimm, 
daß Bettina nie ruhen fann, immer voller Abfichten ift, und 
wenn grade fein würdiger Zweck vorliegt, ſich mit den aller: 
Kleinlichften befaßt, mißtrauifch gegen jedermann, ausgenommen 
gegen fich jelbit, wo ed doch am beiten angebracht wäre. 

In Mirabeau gelejen, im Tacitus. Ä 

Die Magdeburger Zeitung wegen Mittheilung der Aufrufe 
Kofjuth’8 und Mazzini's angeklagt, ijt freigefprochen worden. . 
Wie früher wegen gleichen Falles die Neue Preußiſche Zeitung. 

In Mainz zwei Angeklagte — wegen Theilnahme am 
Freifchaarenzug 1849 — Schmib und Brodrecht, freigefprochen, 
drei andre zu Gefängnißjtrafen verurtheilt. 

Dr. Holdheim hier wegen Preßvergehend freigefprochen, 
wegen Majeftätsbeleidigung noch in Haft und Unterfuchung. 

In Roftod hat der Magiftrat nachgegeben, die Regierung 
übt die Polizei, gegen alle beftehende Redht. Die Soldaten 
zogen ab, — | 
In Kaſſel die Zivilehe aufgehoben. Mit den Ständen 
dort — mit dieſen jetzigen — vielfache Schwierigkeiten und 
Häkeleien! — 

Der ſardiniſche Geſandte in Wien, Graf Revel, proteſtirt 
gegen das Attentat, das Oeſterreich gegen die ehmaligen Lom— 
barden, jegigen Piemontefer, durch die Güterveſchlagnahme 


Varnhagen von Enſe, Tagebücher, X. 





115 


verſteht, heiter aufnimmt. Sie iſt ftreng kirchlich erzogen 
worden, fo ftreng, daß fie jekt ganz freifinnig tft, und dabei 
ganz mild und fromm. 

Gegen Abend kam die elfjährige Fräulein von Buch und 
brachte mir von Frau von Nimptfch einen „Frühlingsvogel“ 
— Schnepfe — mit einer fchönen Rofe im Schnabel. Das 
„Mädchen aus der Fremde”, auf dem Kapitol in Rom geboren, 
plauderte wie eine junge Dame und machte mir allerlei Fragen. 

In Mirabeau gelefen. Englifche Blätter. 

- Die nihtöwürdigen Kammern haben die durch Petitionen 
angeregte Diffidenten-Frage feig und tüdifch fallen laſſen, die 
Ihändlich verfolgten Mitbürger aller Willfür und Gewalt preie- 
gegeben. Konftitutioneller Staat, der Name ift für Preußen 
ein Hohn und Spott! — 

Der verfolgte Lehrer Wander vom Hirfchberger Kreiögericht 
. wegen feines Auswanderungs-Katechismus zu 50 Thaler Strafe 
oder drei Wochen Gefängnig verurtheilt. 

Herr Adolph Stredfuß, wegen feiner Revolutionsgefchichte 
von den Gefchwornen freigefprochen, aufs neue wegen derfel- 
ben Sache vor Gericht. Der Staatsanwalt Adler trägt auf 
einjähriges Gefängnig an! — Konftitutioneller Staat, unab- 
hängige Rechtöpflege! — 

Der Polizeipräſident fol durch fein Zutappen in Aufbe- 
bung des Gefundheitäpflege- Vereins, die ſich ald eine große 
Mebereilung erweift, in feinem Anfehn ‚bedeutend gelitten 
haben. Der Minifterpräfident von Danteuffel hat ſtarke Klagen, 
von Bürgern angehört und an den König gebracht, der darauf 
erwiedert hat, dem Eifer müſſe man was zu Gute halten, indeß 
ſehe er wohl, daß Hindeldey nicht der Mann fei, der zu höheren 
Posten tauge, vielleicht fei er jebt fchon zu hoch geftellt. — 

Zwei junge Edellente in Schlefien find auf der Jagd zu 
Schaden gefommen durch eigne Unvorfichtigfeit, der eine ſchwer. 
Wenn Bürgerlichen dergleichen gefchieht, erhebt die Kreuzzeitung 

8* 





117 


als fich in den Gefinnungen beftärfen, feine Denkart befeitigen, 
und beided nach Kräften ausbreiten, Aber mit hohlen Worten 
und gangbarem Geſchwätz ift’8 nicht gethan! Die Gothaer 
reden immer nur von Deutfchheit, von Berfaffung. — Diele 
Leute follten für jet das Maul halten. 

Der Kriminalrichter Nörner und Polizeidireftor Stieber 
find zufammen nach London abgereift, „Wie fann Nörner 
ſich ſolche Gefellfehaft gefallen laſſen?“ jagt einer. „ Wie kann's 
Stieber?" fagt ein andrer. Schwer zu enticheiden! — Nör— 
ner Oberftaatsanmwalt geivorden. — 

General von Weyrad) fagte mir, fein Schwager Herr von - 
Sauden = Tarputfchen, der tapfre freifinnige Oftpreuße, fei 
gränzenlos verſtimmt und jogar krank durch die jämmerliche 
Lage unſrer Angelegenheiten, durch die Unredlichkeit und Bos— 
heit, die er herrſchen ſieht, — 


— — — — — 


Donnerstag, den 21. April 1853. 

Um halb 11. Uhr auf den Generalſtab gegangen und über 
drei Stunden ununterbrochen gearbeitet. Hauptmann von 
Treskow. — Fräulein de Caſtro nimmt Nachmittags Abſchied, 
ſie reiſt morgen früh nach Altona zurück. — Beſuch vom Fürſten 
von Pückler, der mir manches Merkwürdige erzählt, aus alter 
und neuer Zeit. Er ſieht ganz gut aus. — 

Herr von Knebel-Döberitz freut ſich in der erſten Kammer, 
daß unter andern Errungenschaften von 1848 auch die Habeas— 
Corpus: Akte wieder abgefchafft worden, — kann die fchamlofe 
Dummheit weiter gehen? — und verlangt die Abfchaffung des 
Jagdgeſetzes. Wunderbarerweije vertheidigt der Graf von 
Arnim-Boytzenburg deffen gefeglichen Urfprung und Graf von 
Saurma jihlägt die Tagesordnung vor, das Geſetz habe feit 
fünf Jahren ſich eingebürgert und Rechte gefchaffen. Aber 
beide werden mit 43 gegen 40 Stimmen überftimmt. — 





119 


des Erzbiſchofs und der Bischöfe der katholiſchen oberrheinifchen . 
Kirchenprovinz kräftig und drohend entgegen. Sie werden fi) 
wenig dran fehren. Freiheit muß man ihnen entgegenfeßen, 
die halten fie nicht aus; der Gewalt trogen fie, fie eignen fie 
fih an, Freiheit Fönnen fie nicht auf ihre Seite bringen, doch 
nehmen fie folche argliftig wohl in Anspruch, wie in Preußen, 
und feinem jonft wird fie gewährt, nur ihnen, von dem heuch- 
lerifchen, gewaltthätigen, ſchwachſinnigen Staat! — 

Heute griff Georg von Binde mit Nachdruck die Polizei: 
ſcheerereien an, Wentzel unterftüßte ihn darin. Marcus Nie- 
buhr warf fich zum Vertheidiger der Polizeiwillkür auf, ſeiner 
würdig! — 

Herr Stadtrath Georg Reimer hat auch zu kämpfen, gegen 
die Miniftergewalt in Betreff auswärtiger d. h. auch deutfcher 
Drudjachen. — 

Neue Hofbeamten : Pitt⸗Armin Oberſt⸗Schenk, Graf von 
Redern Oberft-Truchfeß, Freiherr von Stillfried Oberſt-Zere⸗ 
monienmeiſter; iſt der Hof nun glänzender, ſchöner? Du lieber 
Gott! — 

Graf von Arnim-Blumberg iſt Oberſt⸗Gewandmeiſter ge⸗ 
worden, Grandmaitre de la garderobe. Seit dem Tode 
des Grafen Grote war diefes lächerliche Hofamt unbeſetzt. — 
Der. König hat den neuernannten Hofbeamten den Rang bei: 
gelegt, den Die Generale der Infanterie oder Kavallerie haben, 
was dieſe ald die größte Beleidigung empfinden, die ganze 
Armee iſt empört. J 


Freitag, den 22. April 1853. 
Geſchrieben. Kurze Bemerkungen gegen, den Fürſprecher 
. der Beitjche, Ludwig von Gerlach, und gegen den Abgeordneten 
von Knebel-Döberib, der fich freut, daß die Polizei in jedes 
Haus eindringen und jeden Menfchen verhaften fann! — Auf 
dem Generaljtab anderthalb Stunden. . 





121 


Europa? Werden diefe bisher ruhigen Länder nicht gleichjam 
flüffig gemacht zur Theilnahme an der fünftigen Bewegung ? 
Der Boden der Revolution wird erweitert! Belgien, Piemont, 
Schweiz fehlen noch, fie werden fommen, Für kurzlebende 
Menjchen geht freilich alles nur langfam! — 

England! ſteht dort alles feſt? ft dort Fein Umfturz der 
Verfaſſung möglih? Fürerft wohl nicht. zu Gunften der 
Demokratie, fondern der Gewaltherrichaft; aber wie die Macht 
eines Einzelnen leicht aus der Volksmacht entfteht, fo auch 
diefe leicht aus jener. Die Ariſtekratie in England ſteht in 
großer Gefahr. 

Krummacher hat am Bußtage wider die Verfaſſung gepre⸗ 
digt. Dem Könige ſei aus ſeinem Königlichen Gewand ein 
Stück herausgeriſſen, das Volk müſſe ihm helfen es zu flicken, 
indem es ihn des geleiſteten, unglücklich geleiſteten Eides ent— 
binde! — 


Sonnabend, ben 23. April 1853. 

Gefchrieben. Unfer Gefängnißweſen, ein unmenfählicher 
Gräuel! Grundfag ift, daß Haft nicht zur Sicherheit, fondern 
zur Qual fein müffe. Man läßt die Leute hungern und dur- 
ften, ohne die nöthigen Bekleidungen, nichts dürfen’ fie fich 
holen Taffen, felbit für ihr Geld nicht, Feine Zeitung, fein 
Bud, kein Schreibzeug,, außer nach langer Verhandlung, aus 
größten Gnaden! Diejenigen, die das einrichten, und verthei- 
digen, 3. B. Gerlah, Casper, Julius ꝛc. follten von Rechts: 
wegen einmal felbit foiten, was fie fo richtig finden! --- 

Befuh von Weiher. Merfwürdige Mittheilung ; katho— 
liſche Geiftlichkeit, Jeſuiten 20. — 

Beſuch von Herrn Affeffor Feodor Taddel, Sohn des Kam- 
mergerichtörathed. Er wünſcht aus der juriftifchen in die 
handelöpolitifche Laufbahn überzutreten, und hat dazu die 





123 


Ludwig Tieck ift im Erlöfchen, heißt es. Sein Berluft 
geht mir jehr nahe, troß vieler Entgegenfegungen! — 

In Goethe gelefen, in Balentini’8 Lehre vom Kriege ꝛc. 

Cornelius fagte mir, daß er in furzem nad Rom reife, 
und wollte Briefe und Beitellungen mitnehmen. Grüße an 
Dr. Steinheim, | 

Als der Antrag der Minifter in der zweiten Rammer be⸗ 
rathen wurde, ſagte Weſtphalen, die Kammer möchte be— 
ſchließen was ihr gefiele, er würde doch thun, was er für ſeine 
Pflicht halte, Dieſe Frechheit iſt dem Staatsanwalt, der ge 
gen Gervinus Nehnliches fügte, nachgeahmt. Die Kammer 
nahm die Ohrfeige ungerügt hin, doch den Antrag ließ ſie 
durchfallen. 


Sonntag, den 24. April 1853. 

Geſchrieben. In Rahel's und meinen Papieren gear— 
beitet. 

Nachmittags wieder gearbeitet in meinen Papieren. — 
Dann fam Herr Dr. Vehſe und blieb zwei Stunden; er hatte 
viel zu fragen, unter andern über Kaspar Hauſer; diefer Kerl, 
und aller Wahn der fich mit ihm verfnüpft hat, ift mir zuwider 
wie das Tiſchrücken, und wie bei diefem ift auch alled Reden 
umfonft. Der alte Feuerbach, der mit phantaftifchem Eifer 
in diefe Gefchichte fich ganz verbiffen hatte, ift ein Hauptver- 
breiter ded Wahns, der alte Hitig half ihm als gläubiger 
Shildfnappe in diefer Don Quigoterei. Dr. Vehſe wollte 
fi) nicht ausreden laffen, was er fich feft eingeprägt hat, daß 
jener betrügerifche Yandftreicher ein entführter badifcher Prinz 
ſei! „Geſchehne giebt's und nicht geglaubte Sachen, Und 
giebt geglaubte, welche nicht geſchehen.“ Kritik, geſunde 
Kritif thut noth, die mit gehöriger Kenntniß ausgeftat- 
tet iſt. — 





185 


dann in heftiger Oppofitionsftimmung gegen die unpreußifche 
Kreuzzeitungsparthei loszieht, die und in Schande und Ber: 
derben ftürzt, gegen die Peitſche Gerlach's, der felber fie ver- 
dient wie die Verachtung der ganzen Welt, gegen die neuen 
Hofämter, oder neuen Benennungen der alten, gegen den Rang 
der mit ihnen verbunden wird, gegen die Deforationd- und 
Koftüm- Spielerei am Hofe ꝛc. 20. — Bei Kranzler eine Taffe 
Kaffee, dann auf den Generalftab. Mitten in der Arbeit 
werd’ ich Yeftört, Herr General von Reyher will feine Verant— 
wortlichfeit deden, will etwas Schriftliche von mir, um && 
dem Kriggsminifter vorzulegen. ch gehe zum General hin— 
auf, er meint es recht qut, ift herzlich und vertraulich, aber 
fürdtet fich vor dem Hofgerede, vor dem König, erzählt mir 
Fälle von Verdrüffen die er gehabt, und will fich ficherftellen. 
Ich fage ihm, dem Gerede müffe man Trog bieten, dem Könige 
jelbit feften Stand halten, dann grade wanke man nicht; er 
fimmt mir vollfommen bei, doch — ih muß an ihn 
ſchreiben! — 

Zu Haufe gleich dieſen Brief aufgefebt und abgefchidt. 

Abende mit Ludmilla in's franzöfifche Theater. Le 
demon du foyer von Frau von Dudevant wurde gegeben, das 
zog uns an; fie it ganz darin, mit all ihren Borzügen! La 
. eorde sensible wurde wiederholt, Wir hatten vortreffliche 
Plätze, unter andern auch den freien Blick in die nahe Seiten— 
loge, wo der König und die Königin ſaßen. Der König ſieht 
ſchrecklich gealtert, eingeſchrumpft, verkniffen und verärgert 
aus, kleine enge Züge, unangenehme Röthe; doch war ſein 
Benehmen ganz ungezwungen und frei, und ſeine Aufmerk— 
ſamkeit, ſein Lächeln, ſein Umherblicken waren die eines ſinni— 
‚gen Menſchen. ch dachte an den Eindruck, den einſt Rahel 
bei ähnlicher Gelegenheit von ihm gehabt; damals freilich 
war er um einige zwanzig Jahre jünger. — Das Haus war 
ziemlich leer. — 





127 


erkennt, findet alles richtig, und wundert fich, daß es nicht nod) 
Ihlimmer ift. — 


Dienstag, den 26. April 1853. 

. Befuh von Dr. Hermann Frand; dann fam Bettina 
von Arnim, die durch Frand’3 Gegenwart geftachelt, allerlei 
Poſſen trieb, ſich über * luſtig machte, plößlich ihren Schwager 
Pitt⸗Arnim für einen würdigen Dann ausgeben wollte und 
für einen General der Infanterie ꝛc. Al Frand meggegangen 
war, trieb fie es noch weiter, ich fagte ihr derb die Wahrheit, 
. und ließ fie gern abziehen, da fie mich mit ihrem dummen 
Zeug von Tifchrüden und Klopfen nur langweilte. Seit die 
politiihe Spannung aufgehört hat — für Leute ihrer Art 
wenigſtens — tft fie wieder allen Narrheiten und Klatſchereien, 
aller Hoffahrt und Eitelkeit zugänglich. 

Franck ſagte ſehr nahdrüdlih, binnen zwei Monaten, 
vielleicht ſchon binnen vier Wochen, werde kein Menſch mehr 
etwas von der Narrheit des Tiſchrückens ſagen oder hören 
wollen. 

Der Polizeipräſident von Hinckeldey iſt plötzlich erkrankt, 
man hat ihm in der Nacht zur Ader laſſen müſſen. Er wird 
ſich erholen. 

Merkwürdiger Artikel der Nationalzeitung aus London, 
von Bucher, über die Möglichkeit, daß auch in England ein 
Staatsſtreich verſucht werden und gelingen könnte; Unum— 
ſchränktheit der Herrſchgewalt, Vernichtung des Parlaments, 
oder Zähmung deſſelben. — 

Die „Volkszeitung“ ſpricht von Spanien und Holland 
recht gut. — | 

Der Pfarrer Beyfchlag in Trier follte die Fatholifche 
Kirche beleidigt haben, wurde aber von — großentheils Tatho- 
liihen — Gejchwornen freigefprochen, doc, follen einige Stel: 








130 


Koſſuth erklärt ſich in den engliſchen Zeitungen heftig gegen 
« Mafregeln der Minifter gegen ibn; er hat mit dem Raketen⸗ 

rabrifanten, wo man Hausſuchung gebalten, nichts zu ſchaf⸗ 
fen; er Hagt, daß er und andre Flüchtlinge von verfappten 
Aufpaffern bewacht und verfolgt werde, fei es von englifchen, 
auf Befehl der Minifter, oder von fremden, mit Zulafjung der 
Minifter, in jedem Fall eine Schändlichkeit und Schwäche. 
Die „Times“ fahren in ihrer Niederträchtigkeit fort, in ihrer 
bezahlten, gegen Koſſuth. 

Bon allen in legter Zeit hier Verhafteten follen nur der 
befannte Dr, Ladendorf und ein Moabiter Arzt einigermaßen 
beſchwert fein; man will gedrudte revolutionaire Aufrufe bei 
ihnen gefunden haben, wer weiß ob's wahr iſt — . 

Der Lehrer Gerde hat elf Tage in einfamem Kerfer ges 
ſeſſen (fünf Schritte lang, drei Schritt breit, ganz niedrig), 
ohne Licht, ohne Beſchäftigung, ohne freie Luft — auch die 
Stunde Spaziergang: im Hofe bliebgperfagt, — bei bloßer 
Gefangenkoſt, ohne Schlafrod; ein Sttühfad, ein Schemel, ein 
Nachtituhl, die einzigen Möbel, Erſt nach vierzehn Tagen 
ift ex verhört worden, und noch fpäter in gerichtfiches Gefäng- 
niß übernommen, Der Unterfuchungsrihter Schlöttle — hin- 
reichend befannt — hat ſelbſt erklärt, ihm fei die ganze Behand» 
lung nicht zuzurechnen, 

Donnerstag, den 28. April 1853. 

Brief und Sendung aus Hamburg von Frau Marie Köſter, 
ihres Vaters dichterifcher Nachlaß mit meiner Vorrede endlich, 
gedruckt. 

Der Prediger Krummacher, der von hier als Hofprediger 
nach Potsdam geht, hat verfichert, daß in feinem Berufungss 
ſchreiben ihm in Betreff des Hofes und des Königs felber 
ſolche Ermächtigungen ertheilt find, wie fie kaum ein katho— 
liſcher Beichtvater haben könnte. „Ich darf dem König alles 











134 


unfern gemeinjhaftlihen Freund, den Ritter Bunſen, der. jo 
wohlgenährt wie immer ausfah, und feine Zunge noch jehr 
wohl auf Koften ehrlicher Leute zu brauchen weiß, wenn er 
ſich dadurch erheben zu können glaubt." — 

Man erzähft, in London fei ein Pamphlet gegen den 
Prinzen von Preußen erfhienen, das bejonders die Flucht des 
Prinzen in den Märztagen 1848 beleuchten, und das Schnurr- 
bartabſchneiden, Querfeldeinflüchten ac. ſehr feindlich behan- 
dein foll. Dem Könige war e3 eingefandt worden, und als 
man fragte, ob man nicht in alle Buchhandlungen ſchicken 
jolle um das Verbot im voraus einzufchärfen, foll der König 
erwiedert haben, das fei grade nicht fo jehr nöthig. — Hieher 
Scheint das Pamphlet ſonſt nicht gefommen zu fein. — 


Sopmabend, ben 30, April 1853. 

Die „Volkszeitung“ geißelt heute den Rundſchauer Ger 
lach ganz gehörig, die Peitſche gebührt Dem Peitfhenmeifter! 
Der Minifter von Manteuffel fieht ee gern, daß jener ausge 
hauen wird; ‚die ganze Regierungspreffe fist ihm ohnehin auf 
dem Hals, diefem Geden der Reaktion; ob er nächftes Jahr 
noch wie diejes der Rechten in der Kammer imponiren wird, 
iſt fehr zweifelhaft, viele Mitglieder find ſehr unzufrieden mit 
ihm, und wanken. 

Der Prinz von Preußen hat die Abgeordneten der Pro: 
vinz Pommern bier wie ſchon früher empfangen, und ihnen 
merkwürdige Worte gefagt, gegen die Junker- und Kreuzjeis 
tungsparthei, nicht die feien die beten Patrioten, die am laus 
teften ausfchreien daß fie es feien u. ſ. w. Den Grafen von 
Schwerin, Präfidenten der zweiten Kammer, hat ex befonders 
ausgezeichnet. 

Nach dreitägiger Verhandlung ift endlich der Prozeß 
Bloch's gegen den Aſſeſſor Wagener, Redakteur der Kreuzzei⸗ 





136 


zweifpänniger Wagen folgte, etwa hundert Perfonen, Ver— 
wandte, Gelehrte, Litteratoren. 

In Goethe gelefen. Welch ſchönes gehaltreiches Gedicht 
ift das „Vorfpiel zur Eröffnung des weimarifchen Theaters, 
1807,“ welcher edle Ausdrud fruchtbarer Gedanken! Lieſt 
man denn dergleichen in Deutfchland? Liegt der Schatz nicht 
unbenust, fo wierunfte faft alle? — 


Montag, ben 2. Mai 1853. 

Umzogener Himmel, trübe Luft. Nur 12° R. Wärme, 
geſtern 160, 

Schlechte, fat chlaflofe Naht. Um 4 Uhr aufgeftanden, 
ganz heller Tag, aber alles noch ftill, die Enospenden Bäume 
noch kahl anzufehen! — 

Ausgegangen mit Ludmilla. Beſuch bei der Geheimräthin 
Steffens. Klaärchen war bei Tied's Begräbniß geftern. Sie 
fand die Leichenrede Sydow's vortrefflih, eine gelungene 
Schilderung Tieck's in allen Beziehungen, nicht Bloß in chrift- 
licher; — Tieck hatte ihn zehn Tage vor feinem Tode rufen 
laſſen und ihn beauftragt, mit der Bemerkung, er wolle nicht, 
daß einer der frommen Lämmerhirten an feinem Grabe 
ſpreche! Die Steffens freut ſich diefer Aeußerung, ſchimpft 
auf die lächerlichen Fanatiker Büchfel und Ktummacher! — 
Bon diejen edfen Ehriften läßt feiner den andern gelten, jeder 
nennt die andern als Unchriften! — 

In England hat das Oberhaus die Juden-Emanzipation 
mit anfehnlicher Stimmenmehrheit fallen laſſen. Im Unter: 
haufe wird Lord Palmerfton heftig von Cobden und Andern 
wegen Koſſuth befragt, und befteht mit Schanden! — 

Die nihtswürdigen Stände in Kaſſel haben drei ihrer 
Abgeordneten, welche der Minifter verfolgt, aus ihrer Mitte 
ausgefchloffen und ihm preisgegeben! — 





138 


werth, als aller Ruhm! Und welcher Ruhm fteht feit, welcher 
wird nicht angetaftet? und aus welchen Beftandtheilen befteht 
er meiſt! Doc ift unter allen Welttrieben die Ruhmbegier 
noch einer der beften, edelften, und auf das Gute und Aechte 
gerichtet, einer der fruchtbarften. — 

Im Antiquarius des Rheinſtroms gelefen, in Goethe. 

Der Advofat Moris Wiggers zu Roſtock verhaftet und 
weggeführt. — Schimpfliche Wirthſchaft mit den Ständen in 
Kaffel, ein wahrer Gräuel! 

Feier des 2, Mai (Groß-Görfehen) durch das erſte Garde 
tegiment, Theilnahme des Königs und Rede deffelben. — Die 
Zeitungen fagen, der größte Enthuſiasmus-der Auweſenden 
ſei diefer Rede gefolgt, allein von andrer Seite wird vers 
fichert, daß alte Generale und Stabsoffiziere mißliebig dar- 
über gejpottet haben: „man höre nichts als Ruhmredigkeit, 
Selbftverherrlichung, und habe das nun längjt fatt; der König 
liebe das Militair nicht, das wiſſe man längft, das fähe man 
täglich, fchöne Worte änderten da nichts“; von Kugelregen, 
von eigentlicher Gefahr, in der ſich der damalige Kronprinz - 
befunden haben fol, wollen die alten Kriegsleute gar nichts 
wiſſen, fie meinen, der Kommandeur des Regiments habe dafür 
su forgen gehabt, daß der Kronprinz nicht in's (Feuer käme, 
aber darin gewejen zu fein ſcheine. (Ganz wie der Krieger 
minifter Louvois für Ludwig den Bierzehnten forgte, wenn 
diefer ſich bei der Armee befand.) 


Mittwoch, ben 4. Mai 1853. 
Warmer Regen ; für Pflanzen gut! 
Wenig geihlafen, Träume von Rahel und von — Krieg! 
Unruhe, Müdigkeit, Die „Nationalzeitung“ liefert, geſtützt 
auf die Worte des. Prinzen don Preußen — den fie nicht 




















145 ! 
Sonntag, den 8. Mai 1853. 


Kalte Luft und matter Sonnenſchein. Langſam quält fich 
dad Grün hervor, man hat feinen Genuß davon. Gewitter, 
dabei falt. — . 

Brief aus Gmunden von Augufte Brede. Sie lebt von 
ihren Erinnerungen, von den Menfchen, die in Prag um 
Rahel verfammelt waren; fie ſchreibt: „Wie Viele gehen jet 
wohl an dem unanfehnlihen Haus der Raymann in einem 
Winkel Prags vorüber, ohne zu ahnden, daß die Fleine Mob: 
nung im zweiten Stod damals eine ganze Gefchichte hatte! 
Auf einem Zettel hierbei fchreibe ich die Namen Aller auf, die 
fih an jo verhängnißvollen Tagen Abende in unſerer Woh— 
nung um einen Theetiſch verfammelt hatten, um die wich: 
tigjten Nachrichten zu erzählen oder zu hören.“ Sie nennt 
Rahel, Ludwig Robert, Alegander von der Marwitz, Gent, 
Ludwig Tied, Burgsdorff's Familie, Abraham Mendelefohn- 
Bartholdy, Fichte, Karl Maria von Weber, Fürft Wilhelm zu 
Bentheim, Clemens Brentano. Sie hätte noch viele hinzu- 
fügen fönnen, 3. B. Wilhelm von Humboldt, Graf Ehriftian 
von Bernjtorff, Wilhelm von Willifen, Sophie Schröder, 
grau von Heer, geb, Prinzeffin von Hohenzollern, Graf von 
Pachta ꝛc. — 

Zähheit der deutſchen Sachen: erſt am 1. Mai haben die 
oldenburgiſchen Truppen die deutſche Kokarde abgelegt! — 

Der Prinz von Preußen bat durch den ſpaniſchen Ge— 
fandten mit großer Feierlichfeit den Orden vom goldnen Bließ 
empfangen. Die Kreujzeitung, font fo dienfteifrig, fchweigt 
. darüber. Sie rächt ſich an dem Prinzen, würde dies aber 
nicht wagen, hielte fie fich im Stillen nicht verfichert, daß auch 
der König ihm grollt. — 

Der Kaufmann Krieger in Merfeburg ift wegen Verbrei— 
tung des Harkort'ſchen Katechismus vom Gericht zu Naum⸗ 
: -Barnhagen von Enfe, Tagebüder. X. , 10 





147 


kam eben von mir, und kehrte mit mir zurüd. Sie war ver⸗ 
legen, wollte was fagen und fam nicht damit heraus, ſprach 
von ihrem Goethe-Denkmal, doch das war nicht wovon fie 
teden wollte; viel eher war es ein Verdruß mit * oder mit **; 

da ich ihr nicht zu Hülfe fam, ihr Vertrauen nicht ermunterte, 
jo blieb alles verfhmwiegen., Dann fam fie wieder auf dad 
alberne Tifchrüden, lobte den alten Pitt-Arnim wegen feiner 
edlen Milde, er’ habe fo antheilvoll den armen Humboldt be- 
dauert, der durch feine übereilten Erklärungen fih fo arg 
blamirt habe! Sch lachte, und meinte, Humboldt von Pitt: 
Arnim, dem Oberft-Schenten mit General der: Infanterie 
Rang fo edelmütbig bedauert, das fei unerfchöpflich lächerlich. 
Da fie fortfuhr in ihrem Sinne zu fchwagen, und ich fie 
durch ernjthafte Ironie befpöttelte, fo ärgerte fie ſich und ging 
verbittert ad. Sie geht auf's Land zu ihrer Tochter Mare, 
die dad Falte Fieber hat. — Ä 

Nachmittags wieder tüchtig gefchrieben. Abende in der 
„Nationalzeitung“ las ich den Unfall des Fürften von Pückler, 
der fi) am Sonnabend auf dem Bahnhof zu Potsdam Abends 
im Dunfeln durch einen Sturz den Arm ausgefallen hat. Sch. 
ging gleich zu ihm, und traf ihn bei einem guten Mittageffen. 
Der Arm wurde erft-hier eingerenkt, bei Chloroformirung, 
weil der Wundarzt ed wollte. Sehr ftandhaft und — fehr 
elegant. Hofrath Förſter dort. — 

Um halb 8 Uhr in’d Englifhe Haus zu Dr. Gottſchall's 
Borlefung feined „Carlo Zeno“. Eine reihe Dichtung, fort- 
ichreitend in einer Fülle herrlicher, neuer, glüdlicher Bilder. 
Größte Aufmerkjamkeit. Gräfin von Ahlefeldt und General 
Palm dort, Geh. Rath Böckh, Rauch, Mevyerbeer, Ring, 
Rötſcher, Karl Bed, die ſchöne herrliche Fräulein Viereck, 
Fräulein Ada Treskow, Schasler, Sivers, Sternberg, Stahr 
und Fanny Lewald, wohl 150 Zuhörer. Bortrefflicher Eins 
druck; aber unreine, saghafte Urtheile! — 

10* 











151 


An Kurhefien find. alle Gefangvereine als repplutionair 
verboten. — 

- Nach fiebenwöchentlicher Haft ift der Schloffermeiiter 
Härter, wegen deſſen Schlofferarbeiten ein jo gewaltiger Lärm 
gemacht worden, vom Ugıterfuchungsrichter freigelaſſen worden. 
Nach ſieben Wochen! — 


Sonnabend, den 14. Mai 1853. 

Geſchrieben. Beſuche vom Grafen von Kleiſt-Loß und 
von Herrn von Hänlein nicht angenommen; zu ſchlimme Lang— 
fiser! — Gute Nachrichten vom Fürften von Pückler. — 
Nachmittags Fräulein Marie von Buch; fie holt ſich die 
„Sterner und Pfitticher*, bringt mir Wagner’3 Operndichs 
tungen. Gutes hübjched Kind. 

Hausfuhungen in Dresden und in Breslau, nichts ge⸗ 
funden. 
In Leipzig war der Kaufmann Wiehel aus Newyork gleich 
nach feiner Ankunft verhaftet worden, in Dresden hielt man 
itrenge Unterfuhung, man fand nichts auf ihn zu bringen. 
Nach acht Wochen entläßt man ihn, ſchickt ihn aber von Polizei 
begleitet nad) Bremen, um dort unter ihren Augen nach Ame- 
rika eingejchifft zu werden. Nach der Schweiz zu reifen, wurde | 
ihm nicht erlaubt, obſchon er Kamiliengejchäfte dort hatte. Im 
all der Rückkehr ift ihm fechömonatliche Arbeitsſtrafe ange- 
droht. Wie fol man fol Verfahren nennen? Man fagt, 
die Deutfchen haben noch Fein rechted Gefühl was perfönliche 
Freiheit und Recht ſei; dad Volk hat ed wohl, nur kann jein 
Schrei des Unmillend nicht mehr laut werden; aber in den 
Regierenden, den Bornehmen, den Beamten ift ed nicht. Per: 
derbte, nichtönugige, verächtliche Wirthfchaft ! . 

Walesrode in Königeberg, zu ſechsmonatlichem Gefängniß 
verurtheilt, ift in der Appellation freigefprochen worden. 


152 


Den rheinifchen Abgeordneten, die den Prinzen von Preu- 
sen begrüßen wollten, begehrte Herr von Kleiſt -Retzow ſich ans 
zuſchließen, und zwar als Oberpräfident der Rheinprovinz. 
Sie beftritten das; die Sache Fam an den Prinzen; der meinte, 
er babe nichts dagegen, daß jener mifomme. Kleift-Retow 
fam alſo, und triumphirte, aber dies zu früh, Der Prinz 
beachtete feine Gegenwart gar nicht, that als fei er nicht da. 
Man ſah die Bosheit in dem Frömmler kochen. 


Biingftfonntag, den 15. Mai 1853. 

Gefchrieben, emfiger als ertragreich. — Brief eines Flücht- 
lings Eduard Schmidt, der aus England zurüdgekehrt um 
Rath und Hülfe bittet. — 

Ic, blieb den ganzen Tag ungeftört, niemand befuchte 
mich. Der ftille Frieden that mir wohl, und auch dem 
Huſten. — 

Roſenkranz hat meines Erachtens die Leihtfertigkeiten und 
anftößigen Scherze Voltaire's fo wie auch die Schlüpfrigfeiten 
und ſinnlichen Rohheiten Heine's nicht richtig aufgefaßt. Er 
darf freilich als Profeffor der Philofophie und Lehrer ver 
Jugend dergleichen nicht vertheidigen, kaum entfchuldigen, aber 
er fonnte darüber hingehen; in Wahrheit jedoch hat er die 
Sache nicht verftanden. Von jeher ift der erfte Anlauf zur 
Freiheit, der erfte Widerfpruch gegen heuchlerifche und pedanz 
tifche Autorität auf diefem Gebiete des Sinnlichen geſchehen, 
hier ft der Kampf am ſicherſten geivonnen, weil die Gegenfeite 
ſelbſt dafür die zahlreichiten Kräfte liefert, die Bornehmen und 
Reichen, die ſich von den Feſſeln der Sittlichfeit längft befreit 
haben. Zu allen Zeiten find dieſe Waffen gebraucht worden, 
von Ariftophanes, Boccaccio, Nabelais, Friedrich Schlegel, von 
den Franzofen am meiften. Die haben aber überhaupt am 








155 


einen Sohn zur Welt, den der Bifchof unterbracdhte. Dies 
Kind, hätte fie feine Rechtmäßigkeit behaupten wollen — ge: 
konnt hätte fie es —, wäre der Thronerbe von Baiern geworden, 
mit Ausſchluß Mar Joſeph's von Zweibrüden. Diefer hat 
e8 ihr in der Folge ſehr gedankt, und ihr alles Geld bewilligt, 
das fie anſprach x. — 

Audgegangen mit Ludmilla, Bei Kranzler, Gang unter 
den Linden, dann nad Haufe. Fleißig gefchrieben, und mit 
gutem Erfolg. In. den Kriegsereigniffen.geht es frifch. 

Sendung aus London von Herrn Georg Grote, neunter 
Band feiner Gefchichte von Griechenland. Welch ein Werft! — 

Ein Schriftfteller Terſzianski aus Paderborn audgewiefen, 
bloß weil er mit Wirth befannt war, und nicht jagen konnte, 
was er in Paderborn zu thun habe! — 

Geftern am 17. SHerftellung ded Johanniterordens, und 
Teitlichkeit in Charlottenburg; aber die Güter behält man! 
Lächerliche mittelalterliche Poſſe mit Aufnahme, Heermetiter- 
wahl, Ritterfchlag, Herolden, Fragen und Antworten ꝛc. Zum 
Erbarmen! „Nur Schaufpielerei, Deforationen, Koftüme! 
Und wär's aud nur ein Umritt mit ſchwarzrothgoldnen 
Fahnen!“ 

Graf Cieſzkowski wollte mich beſuchen, er reiſt nach 
Poſen. — 

„Briefe des Staatsminiſters Grafen Marimilian von 
Montgelas. Herausgegeben von Julie von Zerzog. Regens— 
burg, 1853.“ Nicht erheblih, außer für Montgelas’ Karak: 
terbild. — | 

„Geſchichte Der deutfchen «Nationallitteratur im neun: 
zehnten Jahrhundert. Bon Julian Schmidt. Erfter Band, 
Leipzig, 1853.” 


156 


Donnerstag, ben 19. Mai 1853. 

Geſegneter Tag! Rahel, ihr Andenken ſei gefegnet! — 

In Julian Schmidt's deutſcher Litteraturgefchichte ift der 
Artikel Nabel wohlgemeint, aber von ihrer Perfon, Erfcheis 
nung und Wirffamfeit hat der Verfaſſer feinen Begriff, und 
kann feinen haben, weil er Aehnliches nicht gefehen hat. Solch 
unmittelbar auf Gott und Natur ruhendes Dafein! hr Be: 
trachten ihrer jelbft, ihr Bewundern ihrer ſelbſt — wie Julian 
Schmidt «8 nennt — war nur die mothwendige Folge ihres 
Umſchauens, fie fand alle andern Menjchen fo verfchieden von 
ſich, zudem war es feine Hauptfache, nur Nebenfache, gleiche 
ſam der Abfall ihres Thuns. Denn vor allem war fie thätig, 
jeden Tag thätig im Helfen, Nutzen, Rathen, Beforgen, Exhei 
tern, fie feiftete darin Unermeßliches, und ohne den Schein 
davon, wie zum Vergnügen, und doch oft mit peinlichiter 
Seldftopferung. Bei ihren Betrachtungen und Befenntniffen 
muß man an Auguftinus, J. 3. Rouſſeau, Saint-Martin, 
Goethe, denken; diefen fehlte die Gabe nicht Werke der Wif- 
ſenſchaft und Dichtkunſt zu Kiefern, und doch fehrieben fie über 
ſich feldft, Rahel, ohne jene Gabe, hatte feinen andern Stoff. 
Und mas ſie ſchrieb, ſchrieb fie nicht für die Deffentlichkeit, 
Daß ihre Sachen zu dieſer gelangt find, habe nur ich zu ver— 
antworten. 

Beſuch von Herrn von Weiher; er war Frank, ift noch fehr 
angegriffen und matt, ich fürchte er geht ftarhabwärts! Es 
thäte mir fehr leid um ihn, bei vielem Unerträglihen hat er 
doch viel Gutes, ein altadliher Freiherr ohne jedes abliche 
Vorurtheil, ganz freigeſinnt. — Brief aus St. Peteräburg 
von Gräfin Antonie Bludoff, zärtlihe Vorwürfe, Verſe von 
Chomätoff. 

Tüchtig gefhrieben, wie geftern, es ging friſch von ber 
Hand. 

‚Herr Homard ift wieder hier, er ift engliiher Gefandter in 








159 


Sonnabend, den 21. Mai 1853. 

—Geſchrieben. — Sendung aus London durch Herrn Meyer: 
beer, ich weiß nicht von wem, eine Staatsſchrift: „The crown 
of Denmark disposed of by a religious minister through 
a fraudulent treaty. London, march, 1850, (Not pu- 
blished.)“ Gegen Wilhelm von Willifen wird darin fehr 
höhniſch Todgezogen. — Sendung aus Rußland von Herrn 
‚Swan Turgeneff in Moskau, erjter Theil feiner „sannenw 
'oxoramsa“, gedrudt in Moskau. 1852. — „König Mon: 
mouth, ein Drama von Emil Pallesfe. Berlin, 1853," — 
„Sufanna und Daniel. Ein Schaufpiel von Karl Ludwig 
Werther. Berlin, 1853.* Unmöglich für jetzt, dies alles 
zu bejtreiten! — Nachmittags wieder gefchrieben, vielerlei 
nachgelefen, angemerkt; mehr Arbeit ald bei Blücher. — 

Abends Thee, dann mit Ludmilla Schach gefpielt. — In 
der Revue des deux mondes gelefen, Prosper Merimee 
über Grote’d Erzählung ded Rückzugs Xenophon's mit den 
Zehntauſend; Artikel über den Cancionero des getauften 
Juden Baena aus dem fünfzehnten Jahrhundert, von Leopoldo 
Augufto de Eueto. — | | 

Zwei Fatholifche Geiftliche find in Schlefien evangelifche 
Prediger geworden. — Der Zefuiten-General Roothan in 
Rom geftorben. Ein deutſcher Jeſuit fol ihn erfeßen, 
heißt es. | 

Der Buchhändler Alerander Dunder hat für den Sohan- 
niterorden 200 Thaler gefchenft, dafür hat ihm der König 
zur Tafel gezogen, zum Aerger und zum Gelächter vieler 
Leute. . | 


Sonntag, den 22. Mai 1853. 
Gefchrieben. Für die Schwierigkeit der Sache und die 
förenden Umftände nod viel genug. — Befuh von Herrn 


160 


von Hänlein; einige brauchbare Neuigkeiten, die ich aber ſchwer 
erfaufen muß, durch Anhören des langſamen, wehklagenden, 
graufenvollen Drudjens! Er geht endlich, weil ich ſchweige 
und faum noch höre! — Unerwartet fommt Herr von Sivers; 
er ift hieher zurückgekehrt, muß fein längeres Berweilen in 
Deutjchland aufgeben, und reift in wenigen Tagen nah Ruß— 
land ab. — Brief aus Wittenberg von Herrn Direktor Lom— 
matſch; einige Handfchriften, Er äußert fih mit einer 
Leidenſchaft und Begierde, als ob man zum Leben nothwendig- 
Handſchriften und jeden Tag neue brauchte! Ich muß ihm 
antworten; er ift voller Güte für mic, und befchämt mic, 
durch) immer neue Gaben. — Sogleich an ihn geſchrieben, mit 
Beifügung eines Blättchens von Jenny Lind. 

Thee zu Haufe, Wieder geſchrieben. Zuletzt noch mit 
Ludmilla· — In Julian Schmidt gelejen. Sein edfer Ernſt 
gefällt mir. Ihm in allen Uxtheilen beizuftimmen, üt mir 
unmöglich, allein ex jagt viel Treffendes und Gutes, Bon 
den Menſchen weiß er nicht genug, aus diefer Unkunde ftellt 
er die Karakterbilder oft falſch. Die jogenannte biftorifche 
Schule, Niebuhr, Savigny, Lachmann, ſelbſt beide Grimm’s 
nimmt er zu hoch. — 


Montag, den 23. Mai 1853, 

Sehr früh aufgejtanden, aber nur wenig geichrieben. — 
Beſuch von Herrn General von Weyrad, zwei Stunden; 
über Bülow, Nord, Gneijenau, Grolman und Blücher ſehr 
merkwürdige Mittheilungen. Erörterung des Verdienftes des 
Generals von Reihe vor der Schlacht von Groß-Beeren ; 
gewiß ift es nicht fo, wie Müffling es in feinem Briefe 
ſchmeichleriſch angiebt, und gewiß ift die Angabe Müffling’s, 
daß Bülow ſelbſt es ihm vertraut habe, eine Lüge, — 

Nun bekomm’ ich auch den zweiten Theil von Turgeneff's 


161 


sanmckn oxorausa, Madame Viardot hat das Buch mitge- 
bracht. — 

Der König hat in Wien nicht, mit feinem fonftigen 
Schwunge gefprochen, man findet die Worte kahl und arm, 
außerdem nicht wahr. — 

Herr von Hülfen, von der Kritik ſchonungslos angegriffen, 
it auch in vollem Streit mit den Schaufpielern, fie wollen 
alle fort. Mir ſehr gleichgültig! — 


Dienetag, den 24. Mai 1853, 

Gefchrieben. Auf den Generalftab gegangen und dort 
gearbeitet. — Nah Haufe. Mit Ludmilla ausgegangen. Im 
Tiergarten bei Kroll die Ausftellung des landwirthſchaftlichen 
Bereind angefehen. Herın Mahler Menzel gefprochen. — 
Nachmittags Sendung aus Leipzig von Herrn Dr. Adolf 
Böttger, fein „Buch deutfcher Lyrik“. — 

In Goethe gelefen, in Fontenelle. — 

Der Juſtizrath Wiefe wegen Beleidigung der Katholiken 
zu 20 Thlr. Strafe verurtheilt. Sein Ankläger der hiefige 
fatholifche Brobft Pelldram. 

Dr. Hedicher ift hamburgifcher Minifter-Refident in Wien 
geworden. Immer viel, für Hamburg, für Wien; ein getaufter 
Jude! — 


Mittwoch, den 25. Mai 1853. 

Der gute Dr. Schrader leidet ſchon die Strafe dafür, daß 
er auf meine Warnung nicht gehört; er dachte gewiß, ich fei 
fein Theologe, fein Kirchenhiftorifer, ich fei wohl nur ganz 
oberflächlich mit Angelus Silefius verfahren, habe vorgefundene 
Nachrichten ungeprüft nachgeredet; da glaubte er leichtes Spiel 
für feinen kritiſchen Scharflinn zu haben, und war felber 

Barnhagen von Ense, Tagebüder. X. 11 





163 


. Geld» und Gefängnißftrafen gerichtlich verurtheilt worden, im 
Mege der Gnade die Strafen und Unterfuchungsfoften erlaffen. ' 
— Da fiehbt man’d! Das ift dentlih! — Reden bei der Hul- 
digung, Verfprechungen, gleiche Map für Alle ꝛd. ꝛc. 

Der Sohanniterorden foll feine Güter wiederbefommen. 
D ja, man möchte wohl, aber — in Geldfachen hört die 
Gemüthlichkeit auf! Wird der Orden fie nicht am Ende 
fordern? — | 

„Der König hat den General von Prittwig recht ſchnöde 
behandelt!” fagtejemand. „Oh ”, verſetzte ein General, „ Pritt- 
wi den König noch weit mehr!“ In Potsdam, nach dem 
18. März 1848, alle Gardeoffiziere eben fo, fie gingen aus 
dem Wege wenn der König fam, um nicht zu grüßen, fie 
ſchimpften ꝛc. 


Donnerstag, den 26. Mai 1853. 

Geſchrieben, mit Luſt und Erfolg. Aber ich erſchrecke, 
nach gemachtem Ueberſchlage zu ſehen, daß ich bei ununter- 
brochener Arbeit nicht vor Ende des Oktobers fertig werde! 
Kann ich das aushalten? 

Hochzeitsfeft in Charlottenburg, Prunk und Prablerei, 
alle geladen und fchlecht bewirthet! — 

In Goethe gelefen, in Fontenelle’s Nobfchriften. 


Freitag, den 27. Mai 1853. 
Ausgegangen. — Bei Dr. 9. Franck. Ernſtes Gefpräd 
über den öffentlihen Zuftand Europa’, das Benehmen der 
Fürften und Regierungen, die Schwelgereien und Feſte der 
Höfe, der Bornehmen und Reichen, über das Steigen des Luxus 
und der Armuth, die Schwäche und Geiftlofigfeit, die Treu— 


lofigfeit und Bosheit in den obern Regionen; und wäre nicht? 
11* 





165 


Sonntag, den 29. Mai 1853. 
Nach London an Charlotte Williams Wynn gefchrieben, 
über Ziel, Bunfen 2. — Dann meine Arbeit; nicht unzu- 
frieden mit dem Gange. — 

Im SHoratius gelefen, in Vehſe's Hannover, deutfche 
Blätter. 

Der Würtemberger Rau, zur Auswanderung begnadigt, 
ist abgereift. In Leipzig Berhaftungen und Hausfuchungen, 
auch in Machern und Wurzen, wegen des für den Wurzener 
Bürgermeifter Schmidt angelegten Fluchtverfuches. 

Wilhelm Henſel foll vom Könige beauftragt fein, die 
Johanniter Feierlichkeit vom 17. ausführlich zu zeichnen. Da 
ift er wieder bei feinem Anfang, Lalla-Rookh; aber damals 
gab es junge ſchöne Welt, jegt alte Dickbäuche und Kahlköpfe! — 


Montag, den 30. Mai 1853. 

Gefchrieben. — Beſuch von Herrn Dr. Michael Sache. 
Ueber Grote’d Gefchichte von Griechenland. Ueber jüdiſche 
Dichtung und Sage. Ueber die politifche Lage der Juden. 
„Wir haben lange gewartet, und können noch warten.“ Rüd- 
blid auf 1848, da find Wahrheiten ausgeſprochen worden, die 
nicht wieder zurüdzunehmen find; die Lüge mag ferner gelten 
und herrſchen, aber man weiß, daß fie eine Züge ift, einmal 
dafür erflärt worden. — 


—— [nu 


Dienstag, den 31. Mai 1853. 
Sefchrieben. — Tapfre und fühne Worte Berryer’d in 
Paris vor Gericht gegen den alten Bonapartiömus und bes 
zugsweiſe den neuen. 





. 167 
Donnerstag, ben 2. Juni 1853. , 

- Sefchrieben. — „Skizzen eines vielbewegten Lebens von 
einer Dame aus dem höhern Stande. Stuttgart, Hallberger, 
1846. 8.“ Die Berfafferin ift Marianne von Bardeleben geb. 
Gräfin Bülow von Dennewis, auf Rinau bei Königsberg. — 

Ein Kourier des englifchen Gefandten in St. Petersburg 
ging hier durch nach London, er brachte Nachrichten, daß Der 
Kaifer in äußerſtem Zorn fei, Krieg wolle ꝛc. Lord Bloom: 
field fprash in demjelben Sinn zu Manteuffel, dann aber fam 
der ruſſiſche Geſandte Baron von Budberg zu diefem, und 
erflärte alles für grundlos. Diplomatifche Schwindeleien und 
Nichtigkeiten. 


Freitag, den 3. Juni 1853. 

Geſchrieben. — Die freie Gemeinde in Stettin, des Miß— 
brauche des Vereinsrechts angeklagt, ift auch in zweiter Inſtanz 
freigefprochen worden. Die Regierungsbehörden find aber 
fortwährend ftreng, und die Polizei ſchikanirt auf alle Weife, 

Ranke neulich beim König; die Königin ſprach entjchieden 
gegen das Tifchrüden und die Tifchklopferei, ed fei fogar wider 
den rechten Glauben. „Da muß ic) doch ergebenft bitten, daß 
mir Ihre Majeftät erlauben zu widerſprechen“, verſetzte Rante, 
„ich kenne einen fehr gebildeten Dann, der ift durch das Tiſch⸗ 
rücken erft zum wahren Glauben befehrt worden.“ ft das 
ein Menſch! 


Sonnabend, den 4. Juni 1853. 
Gejchrieben. — Verhaftungen in Prag, mehr ald zwanzig 
Studenten ꝛc. — Haudfuhungen hier, — Polizei, nichts ale 
Polizei! — Fefte und Schwelgereien der Bornehmen, Reifen 





169 


Engländern befommen wir — nicht ihr Befted, das bleibt 
daheim — nut Pedanterei und Beichränftheit, ohne das, was 
bei ihnen beided noch einigermaßen erträglich macht. 

Wenn ich nur früher Hand angelegt hätte, mein beabfid- 
tigtes Buch über Voltaire zu fchreiben! Es wäre vielleicht nüß- 
lich geworden; jebt ift ed zu fpät. — | 


Dienstag, den 7. Juni 1853. 
Geſchrieben, aber mit großer Beſchwerde, um halb 2 Uhr 
mußt’ ich plößlich aufhören wegen der drüdenden Gewitter: 
luft. — 
In Altenburg der Arzt Dr. Kittler verhaftet. — In Peſt 
wieder viele Berhaftungen. — 


Mittwoch, den 8. Juni 1853. 

Geſchrieben. — Mancherlei Störungen, Gefchäftliches. -— 
Nachmittags die unerwartetfte Erfcheinung! Ludwig Uhland 
aus Tübingen, den ich feit 1817 nicht wiedergefehen, der zum 
eritenmal in Berlin ift! Ich erfannt’ ihn gleich, er ift ganz 
der Alte, im Aeußern und Innern, Sprache, Laune, Gefin- 
nung. Politiſch jehr brav, allein ohne alle Begeijterung, ein 
Würtemberger wieder, nachdem es nicht mehr angeht cin 
Deutjcher zu fein. ch habe mich fehr feines Wiederfehend 
gefreut. Welche Erinnerungen und Betrachtungen! — 

Soll ih anmerken, daß der Kurfürft von Heffen feine 
Kebſe und feine neun Kinder zu Füriten und Fürftinnen von 
Hanau erhoben hat? — Hilft das dem Fürftenftande?! Die 
unfcheinbare Madame Lehmann aus Bonn! Meines Gefalleng, 
jagt man bier! — 


— — — — — — 


170 


Donnerstag, den 9. Juni 1853. 

Gefchrieben, wobei einiged mißrathen. — Beſuch von 
Herrn Dr. Bruno Bauer, wegen Büchern. Er verjichert mich, 
daß er feinen Ruſſen kenne, Herrn von Budberg nie gefehen 
habe! Alles won einer Reife nach PBeterdburg und Moskau 
Geſagte ift Wind, Vermuthung oder Lüge. Er lebt ganz ein: 
ſam und ärmlich, verbiffen in kalte Gedanfenfpiele, unter denen 
fein getäufchtes warmes Herz fich verbirgt. Sein Schimpfen 
auf die Demokraten iſt Liebe. — Ausgegangen; mit Zudmilla 
bei der Doktorin Uhland im Hotel du Nord; muntre 
Schwäbin! — 

„Monmouth, ein Trauerfpiel von Emil Palleske.“ — 
„Eine verlorene Seele, von Aline von Schlichtfrull *, A Theile. — 


Freitag, den 10. Juni 1853. 

Geſchrieben, leidlich ungeachtet der Störungen. — Nach— 
mittags Kaffee bei Ludmilla; Uhland und Frau, Sternberg, 
Dr. Strand und fein Sohn Hugo, Dr. Ring, Gräfin Klotilde 
von Kalfreuth, Fräulein von Schlichtfrull, Frau von Nimptich 
und Träulein Marie von Buch und Andre. Uhland ſprach 
ungemein viel, und jedermann war feiner erfreut, über fein 
Ausfehen und Weſen hoch erftaunt. — 


Sonnabend, den 11. Juni 1853. 

Gefchrieben, fleißig und erträglih. — Schlimme Nachricht 
von Herrn von Weiher, er krankt immerfort, leidet und ſchleicht 
ſo hin, und das in der beſten Jahreszeit! Ich bedaure ihn 
herzlich, und gönne ihm beſſre Zeiten zu erleben. — Uhland 
verachtet die Gothaer gründlich; bei Grimm, Pertz, Gervinus ꝛc. 
vergißt er aber, daß ſie Gothaer ſind. Er ſagt ſehr richtig, 
es ſolle ſich nur keiner von denen, die 1848 eine Rolle geſpielt 


171 


haben, einbilden, er könne auch bei dem nächſten großen Gr- 
eignig noch ein Führer fein! Das glaubten grade Die Gothaer. 
Auch von * jpricht er — mit Mitleid. Uber alte Freunde 
giebt er nicht auf, und mit diefem hat er grade nichts zu 
theilen als alte Erinnerungen, dad mag gehen! — 

Die Mad. Ritz, einjt berühmte Mad. Baranius, Tiebreizende 
Schönheit und angenehme Sängerin, iſt über achtzig Jahr alt 
geftorben. Die war nur wenig krank, man that ihr eine 
pflegende Handreichung, da fagte fie vergnügt: „Sp! nun iſt 
mir wohl!“ fchloß die Augen und war todt! Eine gutmüthige 
dumme Frau, lebhaft und freundlich. Ihre Fleinen, wenn 
auch vielen Sünden find ihr längft vergeben! — 


Sonntag, den 12. Junt 1853. 
Geſchrieben. — In Goethe gelefen, in Turgenieff. — 
Daß unfer Prinz Albrecht die Fräul. von Rauch heirathet, 
— meinetiwvegen! — Daß Krummacher gegen Berlin predigt, 
— madt mir auch fein graued Haar! Und fo vieles Andre, 
die Fluth des Tages ſchwemmt es alles fort. ch freue mich 
defien was beſteht. — 


— — — — — — 


Dienstag, den 14. Juni 1853. 

Geſchrieben, mit leidlichem Fortgang. — Störung durch 
einen Beſuch. Ein Herr läßt ſich melden, will ſeinen Namen 
aber nicht ſagen; er tritt ein und ſteht vor mir, da er ſieht, 
daß ich ihn nicht erkenne, wird er ſchon beſtürzt, er muß ſeinen 
Namen ſagen: *! Fa den hatte ich freilich vergeſſen, und 
erfannte ihn auch jest kaum; er hatte geglaubt, ich würde ihn 
freudigjt willfommen heißen, fo lächelnd ftand er vor mir! Er 
fagte Tieck's Tod habe ihn erinnert, dag auch ich alt fei, und 
da habe er doch wieder mit mir anfnüpfen wollen! Wie gnädig! 





173 


Mittwoch, den 15. Juni 1853. 

Gefchrieben. — Beſuch von Herrn General von Weyrach; 
er bringt mir Autographen, erzählt von Bülow, von 
Boyen. — 

Abends bei *. Herr von Reumont; der Unglüdliche ift 
exit heute von Florenz angefommen, und gleich) da! Das Un- 
glück ift nicht feines, fondern meines! Ich kann das Gefiht 
und ganze Weſen diefed weltlichen Pfaffen nicht ausftehen ! 
Ein friechender und hoffährtiger Lakai, gemeiner, flacher 
Burſch. Er macht ſich über Sternberg luftig, lacht über 
Fräulein *, daß fie deffen Bücher alle lieſt! Das wagt Herr 
von Reumont! Freilich feine Bücher lieſt fie nicht, obwohl 
er fie ihr fchenft, die Langeweile ift doch noch größer als Die 
Freundſchaft! — Ich ging früh fort. — 

Die elende Akademie der Wilfenfchaften hier! Weil Ra: 
dowitz ein Generallieutenant, weil er offenbar in der Gunit 
des Königs, macht fie ihn fchnell zum Mitglied! Knechtiſche 
Gefinnung, Profefioren, Gelehrte, — wie find fie herabge- 
fommen! — 


Donnerstag, den 16. Juni 1853. 


Gefchrieden. In Holland angefommen, der mir unanges 
nehmfte Theil des Lebens von Bülow. — 


Sreitag, den 17. Juni 1853. 
Sejchrieben, wie an andern Tagen. — Dem Lehrer Wan- 
der und feiner Frau wird die Erlaubniß zu einer Krämerei erft 
von den Behörden ertheilt, dann von einer Oberbehörde unter 
Anführung einer falſchen Geſetzesſtelle willfürlich entzogen. 
Die Gefebesftelle hat hier Feine Anwendung, das weiß 
die Oberbehörde recht gut; aber — es ift der Lehrer Wan⸗ 





175 


Nachmittags Beſuch von Uhland's, beide jehr munter. — 
Bemerkenswerth: Uhland ift feit mehr als dreißig Jahren nie 
franf geweſen, hat nie einen Arzt gebraucht. Er gefällt fi 
hier am meiften mit Grimm's, Homeyer, Maßmann, Belfer ıc. 
Guter, braver Kerl, dus ift er! — 

Hausfuhung bei Graf und Gräfin Reichenbach in Schle- 
fin. Nichte! — Seit geftern brennen in Berlin auch im 
Juni und Juli und felbit bei Mondfchein die Straßenlaternen; 
diefen raſchen Beſchluß von Gemeinderath und Magiftrat 
haben „Kladderadatſch“ und „Feuerſpritze“ bewirkt, duch ihre 
Spöttereien. Dazu die Eitelkeit der Hauptftadt ! 

Die Neue Preußiſche Zeitung ift jeßt ganz ruſſiſch. Die 
Kölnische fagt recht gut, die ganze Parthei jei fo flein, daß 
man mit einem Dutzend Kibitken fie dabin bringen Fönne, 
wohin fie gehöre, tiber die ruffifche Gränze! — Sie beaeifert 
wieder den Minifter von Manteuffel, recht hämiſch, und 
zumeift ihm verjtändlich. — 


Sonntag, den 19. Juni 1853. 
Gefchrieben. Bülow war nicht ungeduldiger Holland zu 

verlaffen als ich e8 bin! Diefer zerriffene Boden, diefe nichts 
entjcheidenden Gefechte! Dabei die Schwierigkeit der Namen, 
die ich ohne fo große Mühe, ale die Sache nicht werth ift, 
nicht ermitteln fann. Und bei dem heißen Wetter! Indeſſen 
— durch! — 

. Nachdem ich etwa 9 Stunden gefchrieben, fuhr ich Abende 
mit Zudmilla zu *. 

Der König verdrießlich ; im geheimften Innern der Kreuz: 
zeitungsparthei angehörig. — 





177 


Donnerstag, den 23. Juni 1853. 

Neue Regengüffe. Kalt. Mir ift fehr fieberlich, nachdem 
ich einiges gefchrieben, muß ich mich wieder hinlegen. Keine 
Eßluſt. Nachmittags Fam Bettina von Arnim, fie fah fehr 
übel aus, hatte fürchterlichen trodenen Huften und DBlutfpeien, 
ſprach von ihrem nahen Tode, erft im Ernft, dann wollte fie 
nit bedauert fein — aber ich bedauerte fie auch nicht, 
und machte einen Spaß daraus. — Doc) noch wieder ge- 
ſchrieben! 


Sonnabend, den 25. Juni 1853. 

Geſchrieben; einen guten Ruck. — Ein Zeichner, von 
Herrn Sagert an mich gewieſen, zeigt mir ein Bild Ludwig 
Tieck's, das er herausgeben will, ich ſoll ſagen ob ich es gut 
finde, und was er etwa ändern ſoll; ſehr viel muß er ändern; 
Ludmilla ſtimmt mir bei. 

Die Zeitungen theilen aus einem Briefe Humboldt's an 
Roſenkranz einige Stellen mit, über deſſen Aeſthetik des Häß⸗ 
lichen, und über das vermaledeite Tiſchrücken, „die Vergeiſti— 
gung des Tannenholzes und die intelligenten Tiſchfüße“. 

Die nichtswürdige Kreuzzeitung ſpricht gut von Moritz 
Hartmann's Reiſebuch, fie thut als wenn er ſich bekehrt häfte, 
was durchaus nicht wahr iſt. Eben jo von Uhland. — 

Abends zu Haufe; mit Qudmilla zwei Parthieen Shah. — 
Geplaudert, gelefen. — Bücher durchgefehen. — 

Alles Sinnlihe und Derbe ift die Fräftigfte Berufung 
auf die Natur! Daher die große Wirkung, daher die Noth- 
wendigfeit der Schimpf- und Schmutzwörter, des derben Spiele 
mit den Gefchlechtefachen. Jede Nation hat ihre Arifto: 
phanes. 

Es kommt nicht darauf an, mit was für Menſchen, ſon⸗ 


dern mit was in den Menſchen man verbunden iſt oder um⸗ 
BVarnhagen von Enſe, Tagebücher. X. 12 





179 


Mittwoch, den 29. Juni 1853. 
Brütende Hibe, Die Straße wie ein Backofen! Wiederholte 
Gemwitterregen, Mittags und Abends, dazwifchen ſchön. — 
Gefchrieben. Bülow's Leben beendigt; am 6. Mai fing 
ih es an; in 95 Tagen ein jtarfer Band von gewiß 500 Gei- 
ten; ich hatte mir wohl zugetraut, es noch zu Stande zu brin- 
gen, aber nicht, es jo jchnell abthun zu können. Es iſt eine 
große Genugthuung für mich, daß ich's noch kann! 
| Brief und Buch aus Köln, von Herrn Prof. Dünger, 
Goethe's Briefwechjel mit dem Staatsrath Schultz. — 


Donnerstag, den 30. Juni 1853. 

Das Leben des Staatsraths Schulg und fein Briefiwechjel 
mit Goethe bewegt mich zu fehmerzlicher Theilnahme. Ich 
habe das alles miterlebt, mitbefprochen, einzelne Stüde dieſes 
Lebenslaufes Fannt’ ich fehr gut; jeßt wird der ganze Zuſam— 
menhang aufgededt, von einer Seite her, wo mir manches ver- 
borgen geblieben war, ein ganzer Zug von Mitlebenden ſteht 
in hellem Lichte! Aber Schulg erſcheint nicht vortheilhaft, 
fein Troß ijt, wie der von Niebuhr, oft verzweifelt demüthig, 
jogar friechend. Freilich war dad Beamtenverhältnig damald 
ein eijerner Drud, und diefen, den er felbit fo bitter fühlte, 
wollte Schul nur immer ftrenger auflegen, wollte für die Be- 
börden blinden Gehorfam, den er doch felbft nicht leiſtete! 
Ihm war Zenfur, Auffiht, Unterdrüdung, Verfolgung ganz 
veht, nun er hat fie geübt, und gelitten! Gigentlich ijt mir 
die ganze Sache jebt Harz Schulg, von Ehrgeiz verzehrt — 
wie Niebuhr — wollte durchaus gedeihen, einflugreich und be- 
deutend fein, er ſchloß fi) daher an Wittgenftein, Schumann 
und Kamptz an — die Hofparthei —, durch ihn meinte Hegel, 
meinten Henning und Föriter zu gedeihen, auch Zelter und 
Nauch waren befliffen, es ſchien eine neue Macht im Staate 

12* 





& 
181 


Ihon gar nicht mehr angehörten; Goethe beobachtete dieſen 
Grundjag ſchon aus richtigem Gefühl größtentheild. Necht 
das Gegentheil war Rahel, fie unterjtrich drei, viermal, ja 
zehnmal, zu ihr gehörte das, fie hatte ftets etwas zu betonen, 
herauszuheben, fie legte in alles das Dramatifche, wodurch 
der Schaufpieler das was er zu fagen hat neubelebt. 

Antwort von Herrn Georg Reimer, er nimmt mein Buch 
auf die Bedingungen, die ich ihm fragend geftellt hatte. Es 
ift mir unendlich) Tieb, mit ihm zu thun zu haben, und mit 
feinem Andern, und daß gleich der erfte Schritt zum Ziele 
führt; ich haffe das Anerbieten und Feilfchen wie die Peft, 
und verfteh’ e8 auch nicht! — 

In Weishaupt gelefen, in Grote, — Die Kreuzzeitung 
fann ihr begangenes Falſum nicht läugnen! . 


Sonnabend, den 2. Juli 1853. 

Befuh von Herrn Stadtrath Reimer. Annahme des 
Buches. Klagen über unſre völlige Gefeglofigkeit, ſchranken— 
loſe Bolizeiwillfür, wie fie nie gewefen. Beifpiele von fchänd- 
lichen Berfolgungen gegen ganz Unfchuldige, gegen Nicht: 
Demokraten, Konfervative, gegen Fug und Recht, mit Zug 
und Trug, unter ſchamloſen Vorwänden, an die niemand 
glaubt. Die Polizei darf alles, der Minifter von Weſtphalen 
giebt ihr Recht bei allen Uebertretungen, gegen die Gerichte, 
man fpricht den Gefegen Hohn! Selbft Manteuffel ift dawider, 
und fann ed nicht ändern. Hindeldey gilt beim König alles, 
lügt ihm vor was er will ꝛc. Wie fteht ed mit der lebten 
Verſchwörung, der unter Pofaunenfchall angekündigten? Pfui 
über diefe Wirthfchaft ! 

Abends fam Uhland mit feiner Frau um Abſchied zu 
nehmen. 


— — — — — 


182 


Sonntag, den 3. Juli 1853. 

Die „Volkszeitung“ prüft unsre neue Städteordnung. 
Du lieber Gott! Was jest in diefer Art gemacht wird, tft 
alles für den Kehrbefen, den einftigen. — Audgegangen. Ab— 
ihied von Frau Doktorin Uhland. Herr Aſſeſſor Paalzow 
fam grade hin; feine Bekanntfchaft gemacht. 

Nachmittagd kam Fräulein von Schlihtkrull um Abſchied 
zu nehmen; fie reift mit ihrem Vater nach Parid. Talent 
hat fie genug, einen großen Reichtum von Verknüpfungen, 
eine Menge von Geitalten; nur feheint alle® mehr von außen 
zufammengehäuft, ald von innen hervorgewachlen ; mehr inne- 
rer Zufammenhang ift wünfchenswerth, mehr Einheit des Ge- 
danfengehalts! Es kommt alles darauf an, ob fie fteigt vder 
finft, ob fie die Hahn oder die Paalzow erſetzt! — 


Mittwoch, den 6. Juli 1853. 

Geftern vergaß ih an Wagram zu denken; heute fällt 
mir’d ein. Vor vierundvierzig Jahren, wie anders fah die 
Welt aus! Nicht beffer als jest, in keinem Betracht! Aber 
ich war vierundzwanzig Jahr alt, und hatte Rahel! — 

Geftern Abend las Humboldt beim Könige vor, um die 
Langweil zu vertreiben; was lad er? Kaum zu glauben, aber 
wahr: „Lettres persannes par Montesquieu!* Died Buch 
und diefer pietiftifche Hof! — 

„Die Deutfhen in Vergangenheit und Zukunft. Eine 
patriotifche Phantafie von Alerander Penz, der Rechte Doktor. 
Göttingen, 1853. 8.“ Große Gefichtöpunfte, mit Vorurtbeil 
und Dünfel! — . 


183 


Donnerstag, den 7. Juli 1853. 

In Goethe gelefen, in Rebmann! Wie alt ift der Uns 
glimpf und wie immer neu! — Unfre Gewaltfadhen, Haus— 
juhungen, Verhaftungen, Ausweifungen, Brutalitäten der 
Beamten, der Polizei und ihrer Schergen, Heucheleien, Nieder: 
trächtigfeiten, Hofpöbeleien u. |. w. regijtriren, hieße Bücher 
Ichreiben! — 


Freitag, den 8. Juli 1853. 

Die Niedrigfeit und Gemeinheit der Neuen Preußifchen 
Zeitung ift noch ſtets im Zunehmen, und überfteigt alle Be- 
griffe! Die Schändlichkeit fcheint nicht weiter gehen zu Fünnen, 
und findet immer neue Wege. Man ertappt fie auf offenbarer 
Lüge und Fälfhung, und wie freh und fihamlos tritt fie 
dabei auf! Es ift das Erzhalunfen-Blatt, ehrenfchänderifch, 
lügnerifch, pöbelhaft, vaterlandöverrätherifch! Solch deutfch- 
feindliche Rotte hat ed noch nie gegeben! est ihre Ruffen- 
vergötterung! Fa, die Knute gebührt diefen Schuften. Schufte 
find fie, wenn fie auch mit Ordensfternen und Generaldachfel- 
flappen einhergehen, Schufte und Verräther! Das Gericht 
wird einit fommen! — 

In Dar Dunder’s Gefchichte des Alterthums gelefen. — 
Gervinus Gefchichte der deutſchen Dichtung, zweiter Band, in 
vierter Auflage. 


Sonnabend, den 9. Juli 1853. 
Gejchrieben. — Beforgungen, — Unter den Linden große 
Parade, die Straßen gefperrt, aller Verkehr gehemmt. Was 
foll dergleichen Spielerei? Die Soldaten und Offiziere weh— 
flagen über die heiße Dual, dem Könige von Baiern tjt nichte 
dran gelegen, unfrem Könige noch weniger. „Was follen jie 





185 


Montag, den 11. Juli 1853. 

Die Kreuzzeitung ift in ihrer Frechheit wirklich bemerfens- 
werth. Sch weiß Fein Beilpiel, daß die Gemeinheit und 
Nichtewürdigkeit weiter gegangen wäre. Sie predigt offen 
den Derrath an Deutfchland, an Preußen, und ganz pöbel- 
haft! — 

„Worin erfcheint denn nun der Kaifer von Rußland beffer 
als Bonaparte, ald Louis Bonaparte? Eben fo hinterliftig, 
verrätheriſch, wortbrüchig, gewaltfam, freh, und eben fo 
dumm!” Solche Reden fommen vor. 

Abends Herr von Sternberg bei Yudmilla, dann Thee mit 
und getrunken; er ging darauf, — Wir gingen zu Kranzler, 
wo wir 2 Stunden vor der Thüre ſaßen. Herr Dr. 5.2. Klein 
gefellte fich zu und, und war fehr unterhaltend. Ueber Luds 
wig Tied wurde viel verhandelt, dann über Schleiermadher, 
Friedrih von Schlegel, — deren Biographieen niemand 
fchreiben wird, ald bis es zu ſpät ift! Weber den ruffifchen 
Kaifer, über den — Louis Bonaparte, über die Fürften in?- 
gefammt. Ueber Wilhelm von Humboldt, Gent ıc. — 





— — 


Dienstag, den 12. Juli 1853. 

Die Zeitungen bringen einen Armeebefehl des Könige, der 
allen Offizieren, die bei Eingehung einer gemifchten Ehe fi 
den Forderungen ded Bifchofd von Trier unterwerfen — den 
Mann eben fo entehrend wie dad evangelifche Bekenntniß — 
jogleih Entlafung aus dem Heeresdienft anfündigt. Der 
König führt alfo im eignen Lande Krieg mit dem Bifchof von 
Trier, Befehl gegen Befehl, anftatt unmittelbar auf die Quelle 
lo8zugehen, den Kerl beim Kragen zu nehmen, und ihm da 
Handwerk zu legen! Hier wäre Gewalt am rechten Platze, 
aber da wird fie nicht angewandt ; die hat man nur gegen das 
arme Volk, gegen die freien Gemeinden und Deutjchlatho- 





187 


netsrath Lombard verglichen und ihn gradezu infam genannt, 
gebrandmarft für alle Zeiten, weil er die preußifche Politik 
neutral halte, nicht mit den Ruffen halte. Dafür foll Manz 
teuffel Genugthuung vom König oder feine Entlaffung ge- 
fordert haben. Die Folge waren Mapregeln gegen die Kreuz: 
zeitung, die man noch nicht unterdrüct, aber doch einfchränft 
und bedroht. Deßhalb das Ausfcheiden der Redakteure. Auch 
der Geh. Rath Graf von Voß — der rothnäfige, chmald 
Herr von Voß, mit dem ich in Halle ftudirte — foll fih als 
rechtlicher und Ehrenmann jest (!?!) von der Kreuzzeitung 
toöfagen, die bisher an ihm die ftärffte Geldftüge gehabt hat. 
Jet! Hat der Ehrenmann alle früheren Schandartifel, Nie: 
derträchtigfeiten und Verläumdungen denn gebilligt? Ant: 
wort, Antwort, Herr Graf! — 


Diffeldorf, den 16. Juli 1853. 

Heute früh verließen wir die Stadt Berlin. — Nach und 
nach erholt" ich mih. Hinter Potsdam die ftahlblaue Havel, 
wieder ſo bei Brandenburg, war ſchön und erquidend anzu— 
ſehen. Die Landichaft bei Genthin flach und fruchtbar; ich 
dachte des Kriegsſchauplatzes der Gefechte Bülow's im Jahre 
1813 und manches verwandten Gegenftandes, 

Ueber Magdeburg, Braunfihweig, Hannover; überall ge- 
ringer Aufenthalt. Minden, weitphälifche Pforte, Wefer. 
Mitunter ſehr fchöne Gegend, befunderd in Weftphalen, das 
feine abgefchloffene Eigenheit immer mehr verliert, durch 
Landſtraßen und Eifenbahnen dem Verkehr geöffnet wird. 

Gegen 9 Uhr in Düffeldorf, auf dem Markt, im Hotel 
Beefing, einem alten guten Gafthof. Noch Abends ſpät be- 
ſahen wir das Standbild zu Pferde beim nächtlichen Schim- 
mer, gingen wir auf dem Markt und einigen Straßen umher. 

Beim Eingang eines kleinen Hofes, in deffen Hintergrund 





189 


Herr Landgerichtsrath von Uechtritz kam fehr befliffen. — 
Herr Wilhelm von Schadow, ungeachtet feiner faft völligen 
Erblindung äußerſt liebendwürdig und angenehm, zeigte und 
feine Bilder, Tud und zum Abend ein; wir fanden gute Ge- 
jellichaft, Männer und Frauen, hörten viel Merkfwürdiges; 
Shadow felbit, obwohl katholiſch und royaliftifch doch ſehr 
freifinnig in Diefen Richtungen, erzählte ganz ergögliche 
Dinge, tadelte Regierungen und Fürften ꝛc. — 

Katholifche prächtige Progefiton, Die mich mit größtem Ab- 
ſcheu diefes plärrenden Gößendienftes erfüllte. — 

- Schöne Fahrt über Ober-Kaffel und Herdt nah Neuß. 
Große und merfiwürdige Quirinus-Kirche dafelbft. 

Befuch mit Ludmilla bei Frau Grube und ihrer Schweiter, 
Träulein Katharina Dietz. (Spätere Anmerkung: Frau 
Grube hat fpäter, im Mai 1855, zu Ehren Immermann's 
und der Gräfin von Ahlefeldt würdige und herzliche Worte 
in der Düffeldorfer Zeitung druden laffen, gegen die roman- 
tifche Verunftaltung beider in der Kölnifihen Zeitung.) — 

Düffeldorf ift groß und belebt, hat in neufter Zeit an 
Handelöverkehr jehr zugenommen. Die Mahlerfchule it be- 
deutend, und unabhängig von ihr, wiewohl durch ſie veran- 
laßt, ift ein großer Künftlermarft bier entftanden. Schöne 
Häufer, Wohlhabenheit. Der Hofgarten prächtig, auch ſonſt 
viele Parkanlagen. 

Frau von Spiegel mocht’ ich nicht aufjuhen; dag Fräu- 
fein Tinette Homberg und Dr. Viehoff hier wohnen, erfuhr ich 
zu ſpät. — 


Köln, den 18. Juli 1853. 
Im Gafthof zum Rheinberg, Dicht an der Brüde, mit der 
herrlichſten Ausficht auf den Strom, auf Deuß und hinab auf 
Mühlheim. Unfer erſter Gang zum Dom. Ueber dies 





191 


zu fagen, fie mir nichts. Alſo laſſ' ich fie! Am liebſten 
wäre mir noch Dahlmann, aber auch ihn laſſ' ich, weil jeder 
Befuch mich anſtrengt und die Hitze fehr groß iſt. — Wir be- 
ſahen Beethoven’d Standbild, und die Münfterfirche, nebſt 
deren Kreuzgängen und Krypta, ein fehr gefälliger, mit 
Bonner Alterthümern fehr vertrauter Kirchenbeamter führte 
und. — Bonn ift ebenfalls, wie Köln und Düffeldorf, in 
beftändigem Wachfen ; das ganze Rheinland hat unter Preu- 
hens Regierung unendlih gewonnen, an Wohlftand und Bil- 
dung; e8 würde noch mehr gewonnen haben, ließe man ihm 
nicht die fatholifchen Feſſeln auf dem Naden liegen; fuchte 
man proteftantifcher zu wirken; durch die unglüdlichite Ber: 
wicklung find jene Fatholifchen Feſſeln dem Lande bisweilen 
auch ald Waffen gegen die Regierung erfchienen, und Diele 
jelbft drängt fie auch als folche dem Lande faft mehr auf, als 
es felber fie will! So viel Dummheit ift der Gefcheidtheit 
diefed Preußenthums verfnüpft! Test ift alles hier dem 
fatholifchen, dem jefuitifchen Einfluß offen. Doc, hat das Un- 
heil feine tiefen Wurzeln; ein neuer Revolutionshauch, und 
alles ift wie vom Kehrbefen weggefegt! — 

Niebuhr, Delbrüd, Auguft Wilhelm von Schlegel, d'Al⸗ 
ton, Rehfues, alle Bedeutenheiten, die ich früher hier gekannt, 
find fort, und durch Feine ähnlichen erfegt. Auch Näfe und 
Lerſch find todt. — Sch dachte viel an Eulogius Schneider, 
der bei feinen argen Berirrungen in die Grauſamkeit der Ja— 
fobiner doc, unſtreitig ein aufrichtiger Freiheitsheld war, und 
eine höchft merkwürdige Erfcheinung bleibt, der ich meine 
Theilnahme nicht entziehen fann. Wäre er nicht früher ein 
Mönch gewefen, jo würde er weniger hart geweſen fein, dag 
Mönchsthum trägt die Schuld feines Jakobinerthums, und er 
fiel ald das Opfer von beiden. — 

An der zahlreihen Wirthötafel war es ziemlich lebhaft. 
Ein preußifcher Konfiftorialrath T. führte dag große Wort, 





193 


Königsieinter, | ben 20. Juli 1853. 


Es giebt Menschen, die eine für ihren Geift und Sinn 
viel zu reiche, zu hohe, zu freie Sprache haben ; das fann recht 
angenehm fein, bei Einzelnen wie bei Völkern, z. B. den 
Franzoſen, fie haben Antheil an größerem Gemeinqut, das die 
Vorfahren und Genoffen erworben haben. Wo die Sprache 
enger ift ald der Geift und Sinn, da fehlt viele Anmuth, der 
Menſch it innerlich vielleicht um fo höher, aber äußerlich 
minder brauchbar. Die Uebereinitimmung des Aeupern und 
Innern, die Angemeffenheit des Ausdruds, ift das Rechte, das 
Erfreulihe. Alle großen Dichter haben das, Goethe vor allen 
andern. 

Wenn andre Perfonen ſich die Ausdrüde von Rahel an— 
eignen und fie gebrauchen, felbft ohne damit für fich eiteln zu 
wollen, jo überläuft es mich ganz eifig, und ich empfinde das 
größte Unbehagen mit den Leuten weiterzureden. Es ift ale 
ob jemand ein ſchweres Muſikſtück nachfpielen wollte, das er 
nicht bewältigen fann. Nur wenn e8 fo recht aus dem Herzen 
fam, wie bei Gräfin Bertha Nord, oder Fräulein Brandt von 
Lindau, oder Euftine, dann erquidte und entzüdte mic, eine 
Anführung von Rahel's Worten oder eine Anfpielung darauf. 
— Wenn R. F. wie Rahel fprechen wollte, war es gradezu 
empörend, fo bei noch vielen andern, die mir wohl gar dadurd) 
zu fchmeicheln meinten. — 

Ein Mann wie Seneca hat freilich alles gewußt, aber 
nicht auf die rechte Art, nur wie ein vornehmer reicher Römer, 
der zu den Ueppigkeiten des Lebens auch noch den Genuß der 
Philoſophie hinzufügt, und dieſen nach Gebühr höher ſtellt 
als alle andern. — 

„Und ruf auf mich in ſchöner Gegend!“ Dieſes Wort 
von Rahel, an ihren Bruder Ludwig ald hinterlaffenes ges 
richtet, macht auf mich den tiefften, herzerregendften Eindrud, 
ich vergehe in Wehmuth, wenn ich mich ihm hingebe! Ludwig 


Varnhagen von Enſe, Tagebücher. X. 





195 . 


Ihmüden; er hat an dem Plane mitgearbeitet, der Baumeifter 
Zwirner die Ausführung übernommen, Schadow'3 Schüler 
die Mahlereien ausgeführt, nachdem fie zu diefem Zwecke 
jahrelang auf Kosten des Grafen in Italien und Deutfchland 
Studien und Forfhungen gemaht. Alles Steinwert, alle 
Bilder, jede Verzierung zeugt von audgezeichneter Kunſt, bes 
ſonders haben die Mahler Auperordentliches geleiftet. Alle 
Wände, zu: diefem Behuf eigends als folche bewahrt, ohne 
durch lange Kirchenfenfter unterbrochen zu fein, — das Licht 
fallt durch runde byzantiniſche Fenfter hinreichend in den 
innen Raum — find mit Bildern bededt; alles ift voll 
Teuer und Leben, ich habe folche Pracht von Farben noch nie 
vereinigt gejehen. Und noc, fehlt vieles, der ganze Fußboden, 
der mit fchönen Steinen ausgelegt wird. Staunen und Be- 
wunderung. Wie beim Neuen Mufeum in Berlin. Wer 
fönnte jagen, das fei nicht ſchön, nicht kunſtreich? — 

Und doh! Was foll dies alles? Zum Gottesdienft ift 
diefer Prunf, diefe Berfchwendung von Goldgrund und Far— 
ben, unnöthig, dem fatholifchen Beter ift ein gefledites Mutter: 
gottedbild eben fo lieb. Dem Kunftgenuß aber ift die Kirche 
überflüffig, dem proteftantifchen Liebhaber ſogar hinderlich. 
Und dann die weltliche Eitelkeit und Hoffahrt im Gotteshaufe! 
Heberall das gräflihe Wappen prablerifh angebracht, eine 
beſondre Kapelle für die gräfliche Familie! Das Ganze macht 
mir einen verftimmenden, unangenehmen Eindrud, Kunft und 
Religion fcheinen mir an unrechter Stelle, nicht einträchtig, 
jondern mit einander hadernd, jede der andern den Boden 
ſtreitig machend. ft das ein Werk für unfre Zeit, unfer Be- 
dürfniß ? ein Werk der Kunit, der Frömmigkeit? ch fehe 
nur Dünfel und Luxus, ein Werk, dad fünftig ald Trümmer 
den folgenden Gefchlechtern Jagen kann, wie groß unfre Kunft- 
fertigfeit und wie gering unfer Sinn war. — 


13* 





197 


meinen Fenſtern vorging und geraume Zeit dauerte, bequem 
belaufhen; es war von höchſt komiſcher Wirfung, befonders 
da der Wirth. ganz gelaffen und höflich blieb, und faft gar 
nicht® erwiederte; e8 war ihm wie ein Regen, den man eben 
regnen läßt. 


Unterwegs, den 24. Yuli 1853. ° 

Zudmilla bezeigte Luſt, am Rhein die Höhe von Braubadı 
zu befteigen, um der herrlichen Ausficht zu genießen. ch 
fagte fcherzend, ja fie fei recht fchön, aber man könne nicht 
alles beftreiten, und den Leuten, die durchaus verlangten man 
folle alles gejehen haben, mülfe man furz und gut aufbinden, 
man fei dort oder dabei geweſen; ich könne ihr verfichern, fie 
verliere nicht? an Braubach, zwar fenne ich felbft es nicht, 
aber fage immer, ich fei von Ems hingefahren, es fei herrlich, 
und damit fei noch jedermann zufrieden geweſen. Sie lachte, 
fand es aber nicht recht. ch fuhr dann fort: „Das will 
Dir nicht recht ein? Nun wohl! machen wir gleich die 
Probe! Alſo Du warft in Braubah? war e8 nicht recht 
Ihön? was haft Du dort alles gefehen? Erzähle!" — Sie 
ſah mich mit durchdringenden Augen lächelnd an, und fagte 
nachdrücklich: „Dort fah id nur Dich, wie Du eben herauf: 
famft und Dieb umſahſt!“ Dies glüclich treffende Wort, fo 
wigig in der Sache und im Ausdrud, gefiel mir über die 
Maßen! — 


Mainz, den-24. Juli 1853. 
Früh von Remagen abgefahren. Herr und Frau de 
Vries mit und auf dem Dampfihiff. Herrlihe Fahrt; der 
ihönfte, wunderbarfte Theil des Rheins, zwiſchen Koblenz 





199 


Straßburg, den 25. Juli 1853. 

Vormittags von Mainz auf dem Dampfihiff abgereift. 
Der Rhein ift auch oberhalb noch ſchön und mächtig, die ftrö- 
menden Fluthen erquiden das Auge, wenn auch die Ufer meift 
flach und weniger anziehend find. Unerwartet trat auf dem 
Schiffe. Herr Dr. Wilhelm Buchner an mich heran, und 
erneuerte die Bekanntſchaft. Er war biöher in Wiesbaden 
angeftellt, und ſoll jeßt im Darmftädtifchen, wo feine Hei— 
math, ein Schulamt in Oppenheim übernehmen, er reifte 
dahin, um ſich die Oertlichfeit vorläufig anzufehen. Jugend— 
lich und vergnügt, fcheint er die politifhen Zuftände nicht 
ſchwer zu nehmen, doch im Allgemeinen jo zu beurtheilen wie 
ein Baterlands- und Volksfreund. — Oppenheim liegt ſehr 
ſchön; es fragt fich, wie das Leben ift! — Für geiftige, litte- 
rariſche, gefellige Bildung ift in allen diefen rheinifchen 
Städten nicht viel zu erwarten. — 

Wir gelangten Mittags nach Mannheim, gingen leider zu 
Fuß in der Hige vom Landungsplatz bid an den Pfälzer Hof, 
bei den Planfen. Mittageffen. Dann zu Herrn Kaft, dem 
reichen Holzhändler aus dem Murgthal; er war aber in Rip- 
polt3au ; feine zweite rau, geb. Jenny Schreiber aus Berlin, 
Rahel's edle Freundin, lebt nicht mehr; er hat fich zum dritten- 
mal verheirathet. Jenny, eine lieblihe Schönheit, war die 
erfte und nie vergeffene Liebe des Herrn von Wigleben, ſpä— 
teren Kriegsminifterd und Günftlingd des Königs Friedrich 
Wilhelms des Dritten; fie hat ein herbes Geſchick ſchon von 
den Eltern her gehabt, und es redlich durchgefämpft. Die 
Großherzogin Stephanie wird erwartet. in kurzer Gang 
durch die Straßen. Schneller Entfchluß, fogleich wieder ab- 
zureifen, nach Straßburg. Unter Regen und Gewitter zur 
Eifenbahn. 

Durch) Heidelberg, Karlsruhe, Raftatt, Kehl durchgeflogen; 
läffige franzöfifche Mauth, nach Päſſen faum gefragt. Luſtiger 





201 


Ranch verreitt: er it Arzt, aber will es nicht fein, ledt der 
Wiſſenſchaft und Poeſie, bedarf feine: Erwerbds. 

Beſuch bei dem Zilberfünitler Riritein, dem Sohn, der 
auf der Bahn des Vaters fortſchreitet. Zeigt uns gefällig 
jeine Arbeiten, Arbeiten Ohmacht's, Statuetten ſeines Vaters, 
Ohmacht's, Thiollier's; ſchenkt mir eine Denkmuͤnze. 

Das Franzöſiſche greift in Straßburg mächtiger um ſich 
als je. Ein Franzoſe zu fein iſt Doch jetzt wenig Ehre, unter dem 
Zwange des - = Abentbeurerd, Der ſich Kaifer nennt, und den 
alle Kaifer und Könige für ibresgleichen anerfennen! 

Franzöſiſche Soldaten in ihren frapprotben Hoſen ein 
widriger Anblid! Warum jchafft der neue Gewalthbaber nicht 
diefe Bourbonifche Erinnerung wieder ab? Sonft jeben fie 
friegerifch genug aus. Für Louis Bonaparte ſoll ſich unter 
den Iffizieren wenig Sympathie mehr zeigen. Unter den 
Straßburgern hat er gar feinen Anhang. 

Ein vollgültiger Vertreter des alten Straßburger Deutich- 
thums iſt der wadre Dr. Schneegand, Arhivar und Bibliv- 
thefar der Stadt. Er lebt und weht in den eljafjifchen Alter- 
thümern, dem deutfchen Volksweſen, der Volksſprache. Seine 
ausgehbreiteten Gefchichtefenntniffe kehren immer wieder in Die 
Enge feines Landes, feiner Stadt zurüd, und eiferfüchtig wacht 
er über deren Vortheile und Rechte, weshalb er ala thätiger 
Beamter oft in mühfamen Streitigkeiten mit den franzöſiſchen 
Behörden, felbit mit den Minijterien zu Paris, verwicelt ift. 
Am tiefften beflagt er den Verfall der Sprache, das Verſchwin⸗ 
den derfelben; die Verderbniß der Denkart und Gefinnung 
hängt ihm enge damit zufammen. Ueber dad Münfter bat er 
die größten Forfchungen angeftellt und ganz neue Auffchlüffe 
herausgebracht; die verfchiedenen Bauftile und Werfmeifter 
unterfcheidet er genau. Den Grabftein Erwind von Stein- 
bach, dem einft Goethe vergebens nachgeſpürt, hat er an der 
hintern Seite des Chors glücklich aufgefunden, eben fo weift 





203 


und müffen die Einwohner Franzofen fein, mehr ald unter den 
Königen, unter der erſten Revolution, unter dem erften Kaifer- 
thum. Das Deutfche, das bisherige elſaſſiſch Deutiche, wird 
verdrängt, verfchwindet, oder finkt in die Gemeinheit der 
unterften Volksklaſſe herab, das gebildete Deutſche kann nicht 
an die Stelle treten, ift noch fremder faft, ald das gebildete 
Franzöſiſche, welches mit feinen taufendfachen Lebensvortheilen 
unwiderſtehlich eindringt. Die alten Straßburger reden unter 
fich noch ftraßburgerifch, doch immer etwas beſchämt, weil die 
Mundart wie feltner fo auch roher und niedriger wird; mit 
den eignen Kindern nur franzöfifch, weil diefe ſchon durdy die 
Schule zu dieſer Sprache hingewiefen find; das gebifdete 
Deutſch Fällt dabei ganz aus. Ein feltfames, ſchwieriges Ber: 
hältnig! Weder das des Schleswigerd, der Dänifch Ternen 
fol, noch des Polen, der Ruffifch reden muß, iſt damit zu ver- 
gleichen, Beide können ihre eigne Sprache felbftitändig be- 
haupten, und die fremde, doch fehr verwandte hinzulernen ; das 
Franzöſiſche aber ift dem Elfaffer eine ganz fremde Sprache, und 
er foll dagegen die eigne Mundart, die er fogar dem Hochdeutfch 
gegenüber nicht behaupten kann, ganz aufgeben! — Das Ein- 
dringen des Franzöfifchen in die Schweiz, in Baden, den 
Schwarzwald, in ganz Süddeutfchland ift fo merkwürdig ale 
traurig, ed greift in das Volk ein und faßt die Wurzel, wo es 
am gefährlichften ift, und das jetzt, im tiefften Frieden, ohne 
Kriegdeinfluß, ohne Oberherrfchaft, bloß weil Frankreich eine 
thätige Einheit und Deutfchland unter feinen Fürften eine 
machtloje Zerftüdelung ift! — 


Unterwegs, den 27. Juli 1853. 
Eigentlih hat doch nur Friedrich der Große den Staat 
Preußen gefchaffen, zu etwas gemacht, Anfänge waren da, 
daß fie aber gediehen und zur bedeutenden Gejtalt famen, war 





205 


oder war gar nicht befannt. Die Nachfommen des einit be> 
rühmten Peter Ochs haben den politiich verbußten Namen — 
der Bürger Ochs war ein Freiheitsmann — abgeleat, und 
nennen ſich His! — Nah Tijch mit einem Bafeler Lohnkutſcher 
abgereift. Herrliche Fahrt, zuerit am Ufer des Rheins, Nup- 
bäume, Türkifchforn, Hanf, die Luft erquicklich. 

Abends in Waldshut. Schöner Blid auf den Rhein. Zwei 
Engländerinnen mit zwei Begleitern ftumm und jteif bei ihrem 
Thee, mit Reifebühern. — ch fand bier die „ Slluftrirte 
Zeitung“ vom 16. Juli, und darin mein Fragenbild nebit 
Lebensabrig. In Waldshut! Merfwürdig genug! Herr von 
Siverd hat wohlmeinende Einleitworte dazu gefchrieben. — 


Rheinfall bei Schaffbaufen, ven 28. Zuli 1853. 

Hoc erat in votis! Dieſe Naturerfcheinung wünfcht’ id) 
feit meinen Kinderjahren zu ſehen, nun ift fie mir endlich doc) 
vor Augen! Der Rheinfall ift ganz anders, ald ich mir ihn 
vorgejtellt, aber keineswegs unter meiner Erwartung; er 
macht den großartigiten, nachhaltigften Eindrud, der fich unter 
der Betrachtung nur immer fteigert. Dieſes Braufen und 
Zojen und Schäumen der gewaltigen Waſſermaſſe ſpricht ein 
Urleben der Natur aus, das in feiner Geftaltung ſtets daffelbe 
und wechjelvoll neu ift. ch werde nicht müde hinzufehen, 
Sinn und Gefühl und Gedanken find wie bezaubert von diefem 
Schaufpiel, e& ift ald ob man in einer andern Welt, als ob 
man zu den Ürfräften der Natur zugelaffen wäre. Die Leute 
verfichern, feit zwanzig Jahren fei er nicht fo groß und prächtig 
geweien, wie eben jet. Und wie dann aud dem Tofen, 
Schäumen und Zifchen dad Waller ftürmifch weiteriwogt, in 
ftarfen Fluthen nach linke und rechts abftrömt und fich in das 
berrlichite Grün verflärt! Man gewinnt diejed Waller jo 
lieb, man möchte fich felber hineinftürzen! — 





207 


und Holzſchnitzwerken treibt. Häßliche Gefchichte von ihr, fie 
foll einen Pudel, den fie los fein wollte, in den Wafjerfall ge- 
worfen haben, das arme Thier arbeitete fi wie durch ein 
Wunder glüdlih durch die Todesnoth, fam wieder zu feiner 
Herrin und wedelte; zum zweitenmale hineingeworfen fand er 
feinen Zod. Abjcheulih! — 


In der Hölle, den 30. Inli 1853. 

Wir verließen heute früh den Nheinfall, von dem unſre 
Blide fich ſchmerzlich losriſſen, und fuhren mit dem Bafeler 
Lohnkutſcher weiter. Schöner Weg, meift auffteigend, Mittage 
in Bonndorf. Wohlangebauted Land, üppiged Wachsthum, 
Wälder und Wiefen. Fürftenbergifches Schloß; weite Aus- 
ſicht. — Gegen Abend am Titifee, wunderbarer Anblick; end- 
ih Hinabfahren in das Höflenthal, jäh und eng. Die Helle, 
ein frifcher Forellenbach, fliegt raufchend hindurch, treibt viele 
Sägemühlen. Hohe, fteile Felſen, Tchroffe Waldwände, tief 
eingejchnittened, vielgewwundenes, enges, düftres Thal. Im 
Gafthof zum Höllenfteg übernachtet; Leidliches Elfen, Forellen. 
Gin Koblenmeiler in der Nähe wird eben angezündet und zu— 
gededt; gegen zwanzig Klafter Holz darin. NRegenwetter. 

Durch das Höllenthal machte der General Moreau feinen 
berühmten Rüdzug. Die Wände der Wirthözimmer find mit 
guten Bildniffen franzöfifcher Generale geſchmückt, Lafayette's, 
Ney’s, Kleber’d, Eugend Beauharnais ꝛc. Ein öſterreichiſcher 
oder preußiſcher General findet ſich nirgends! — 

Am 31. Juli frühmorgens abgefahren, immer im tiefen 
düftern Thal, das leider ein derber anhaltender Regen noch 
mehr verdunfelt. Prächtige, fchauerliche Anfichten, ſchön und 
erhaben. — 

Endlich öffnet fi) das Thal, die noch immer hohen Berge 





209 


Sungfrauen, die dort Blumen niederlegten, find verhaftet 
worden. 


Nach dem Mittageffen abgereift. An dem nächſten Halte— 
plaß jeßte jich Herr von *, —jiher Gefandter, zu und in den 
Wagen. Er that jehr freundlich, zeigte und erflärte alles, war 
mir aber ſehr läftig, denn ich wollte ſchlafen, jchlief endlich 
aud, und dann er ebenfalle. In Oos verließ er und. Ganz 
gewöhnlicher Diplomat, wie fie zu Hunderten herumlaufen, 
ohne Gefinnung und Denfart, ohne Herz und Blut. Die Welt 
. fann untergehen, wenn fie nur ihre Poften haben, ihre elenden 
Depefchen ſchreiben. | 

Schöne Fahrt länge des Schwarzwaldes; Burgtrümmer; 
fruhtbares Rheinthal; herrlicher Pflanzenwuchs, üppiges 
Grün, So lang’ ich wachte, genoß ich e8 in vollen Zügen. — 


Baden:Baden, den 31. Juli 1853. 

Mein erſtes Gefhäft war hier, das Grab Ludwig Robert's 
aufzufuhen; ein alter Küfter wußte nichtd davon, ein Badner 
Mädchen wies uns daffelbe am Ende des Kirchhofs, dicht an 
der Mauer. Ein Stein, auf dem eine Leier fteht, die mit 
einem Eichenfranz umwunden ift, würdig, einfach; die In— 
ſchriften, eigne Verſe Robert’s, find gut gewählt, und drüden 
feine Gefinnung aus. In den perfönlichen Angaben ift nicht 
gejagt, daß er ein Dichter war, auch feine erfte Eigenschaft, 
daß er Rahel's Bruder war, nicht erwähnt; um der Tegteren 
willen wird er doch am längften genannt werden, die erftere ift 
ſchon jeßt vergeffen. Die Infchriften lauten, auf der Vorder: 
wand: „Ludwig Robert, geb. zu Berlin, den 11. November 
1778, geft. den 7. Juli 1832." Auf der Rüdwand: „Friede— 
rife Robert, geb. Braun. Gefolgt ift fie ihm bald, Sein 

| 14 


Varnhagen von Enfe, Tagebüder. X, 





211 


ſelbſt gar nicht miterlebt, faft völlig gleichfteht. Tettenborn, 
Euftine, Xindner, Cotta, Friederich, Bachelu, Benjamin Con- 
ftant, Kosloffskii, Rajtoptichin, die Frauen Demidoff, Lagorce, 
Tajtet zc. find mir fo nah und fo entrüdt, wie die Perfonen 
des Briefwechjeld der rau von Sevigne, — 


Heidelberg, den 2. Auguft 1853. 

Zu Mittag angefommen, im Badifchen Hof; gleich zu dem 
Staatsrath von Blum geſchickt. — Nach dem Effen bei Blum, 
der ung feine Wohnung, Einrichtung, Garten zeigt, fich eines 
muntern Lebens freut, von der Familie Uerfüll erzählt, von 
Dorpat und Heidelberg, Wir fahren zufammen über den 
Wolfsbrunnen auf dad Schloß. Herrliche Fahrt und Aus- 
fichten! Auf der Terraſſe die ganze Heidelberger ſchöne Welt, 
und fremde die Menge; die öjterreichifche Militairmufit ſpielt. 
Dit vieler Mühe gelangen wir in der Hitze und dem Gedränge 
zu einem fühlen Platz, durch Blum's beeiferte Anftrengung 
auch zu Kaffee und Bier. Wir genießen lange der prächtigen 
Ausfiht, bewundern den fräftigen Pflanzenwuchs; diefe Ge- 
gend und Umgebung gehört Doch zu den ſchönſten von Deutſch⸗ 
land! — Befanntfchaften. Die Tochter des verftorbenen 
Alterthumsforſchers Kopp, der Arzt Hofrath Lange aus Prag 
jest hier bei der Univerfität. Dr. Chriftian Kapp ift nicht 
bier; Gervinus, Welder und Schloffer mag ich nicht auf- 
ſuchen; erftere wohnen auch zu weit. — Robert von Mohl 
fam Abends zu mir. 

Mrs. Beecher Stowe hier, gut aufgenommen, aber nicht 
gefeiert; feine Tageslöwin mehr! So wie Kofluth, Tiſch⸗ 
rüden ꝛc. — 

Merkwürdig ift die ſtarke Hinneigung zu Frankreich, die 
man in diefen Rändern fpürt. Die Schlechtigkeit der Regie: 

14* 











213 


mir dafjelbe nicht, e8 war, niemand wußte auf weſſen Befehl, 
nad Heidelberg in das Hotel Prinz Karl geſchickt worden; 
man verfprach und eilige Wiederherbeifhaffung, und wir reiſten 
mit dem Dampfſchiff den Rhein hinab nach Kaftell, gegenüber 
Mainz, wo wir im fehr guten Taunus-Hotel zu Mittag aßen 
und unfer Gepäd getroft erwarteten. Wir litten ſehr von der 
Mittagshige, und ein wenig von Beſorgniß, denn die Möglich- 
feit, unfer Gepäd könnte verloren fein oder wenigftend nicht 
fobald wieder aufgefunden werden, ftand trübe genug vor und. 
Das nächſte Dampfſchiff aber brachte gegen Abend all unfre 
Sachen richtig mit, und wir begaben und fofort zur Eifen- 
bahn, die dicht vor und ihren Bahnhof hatte, und fuhren nad 
Höchſt, von da in 10 Minuten bieher nach Soden. Ich war 
ſchon vor Jahren hier; es hat fich nicht wiel verändert, außer 
daß einige neue Häufer gebaut worden und die Pflanzungen 
gewachien find. Mein ſchlimmer Huften verlangt einige Ruhe, 
hier ift der Ort fie zu finden. 

Außer der Stille weiß ich wenig hier zu rühmen; die Anz 
lagen find artiq, aber von feinem Umfang, von feiner Aus— 
ſicht. Die Geſellſchaft ift null, und doch nicht ganz. Es fin- 
den ſich einige Berliner hier, ein Gerichtörath, der Kaufmann 
©. mit Frau und Kindern, der Kaffeewirth Volpi. Ein paar 
Ruffen und Engländer ftehen in der Lifte. 

Auf dem Dampfichiffe redete mich Herr Juftizrath Straß 
aus Berlin freundlichſt an; er ging nad) Kreuznach. 


5 Soben, den 6. Auguft 1853. 

mn Suften iſt fehr arg, ich fange an morgensfrüh ein 

figen Brunnend Nr, 3 zu trinken, der dem Keſſel⸗ 

Ems ähnlich, ift. Außerordentliher Reichthum 

bier, einundzwangig verſchiedene find hier 
Vebrauch. Vor etwa zehn Jahren wurde 





215 


dritte“. Sammer für einen Preußen, Land und Fürft und 
Bolf fo heruntergefommen zu ſehen! Zwar dem Volke leben 
noch ftarfe Sympathieen in Süddeutfchland, der Preuße als 
folcher, der nicht Beamter ift, genießt eines beffern Rufes ald 
vorher. — 


Soden, Sonntag, den 7. Auguft 1853. 

Ludmilla hatte Herrn Schirges aus Franffurt am Main 
bieher eingeladen, er fam Vormittags, wir empfingen ihn auf 
dem Bahnhof. Er aß mit und zu Mittag, und fuhr erft gegen 
Abend wieder fort. Geiftvoll und freifinnig, jebt in Handels⸗ 
‚und Gewerböfachen erfolgreich thätig. Er erzählt jehr anzie- 
hende Einzelheiten aus feinen neuen Berhältniffen. 

Mufit und Sonntagslärm bis tief in die Nacht. 


Soden, den 8. Auguft 1853. 

Wir machten und Morgend auf und fuhren um halb 
9 Uhr nad Frankfurt, nicht viel über eine halbe Stunde und 
wir waren dort; eine fleine Spazierfahrt, bei gutem etwas 
fühlem Wetter. 

Frankfurt ift mir eine der angenehmften Städte, das Ge- 
mifch von Altbürgerlihem und Neureichem macht hier einen 
guten Eindrud; alles ift rein, unverfallen, tüchtig, der Ge⸗ 
meinnugen ift überall fichtbar wie das Privatgedeihen. Das 
Leben ift hier ſehr frei; das ungeheure Zus und Durchſtrömen 
von Fremden, der von allen Seiten belebte Verkehr, macht die 
Polizeihände lahm, es ift unmöglich immer nah Paß oder 
Namen zu fragen. | 

Wir gingen vom Bahnhof durch das Gallusthor in die 
Stadt, und gleich nach dem Großen Hirfhgraben, wo wir 
gleich da8 Goethehaus fanden; es führt jept auch eine In- 





217 


Soben, den 9. Auguft 1853. 

Wir fuhren nad) Homburg gegen 8 Uhr; es war nicht 
heiß, eher fühl, die Fahrt angenehm; ſchöne Blide auf den 
Taunus. Vor 10 Uhr famen wir an, traten ab im Englifchen 
Hof. Wir befahen das Kurhaus, das durch zwei Flügel er- 
weitert worden ift, einer bildet den Spielfaal, der andre den 
Speifefaal, beide find fchmalundlang, dem Zweck entfprechend, 
beide von geſchmackvoller Pracht, von reicher, dem Auge wohl- 
thuender Buntheit, fie ift nicht grell, nicht herausfordernd, 
und hier an ihrer Stelle. Ein Spielfaal ift doch wie eine 
freche Dirne, einer folchen geftattet man Schminfe und Bus, 
fie foll und darf die Sinne reizen. Eine chrwürdige Matrone 
enthält fich deifen, der Appollinariöfirche fteht übel an, was 
den Spielfual ſchmückt. Auch die Terraffe nah dem Garten 
ift verfchönert worden, man hat eine zweite niedrigere hinzu- 
gefügt, die Wege verbeflert, die Blumen vermehrt; die Spa- 
ziergänge am Brunnen find dreimal fo breit als fie waren. 
Der Herr Gärtner fchenft uns fchöne Blumen. Wir fehen 
dem Spiel eine Weile zu. Diefes Lafter bringt ſolche Schöpfun- 
gen hervor... Mir ift diefer Zufammenhang cin Gräuel; ich 
wünfche die Brüder Blanc mit ihrem teufliihen Luxus zu 
allen Teufeln, ich bin befhämt ihn mitzugenießen ! 

Herin Hamel beſucht; Bildniß Sinclair’d, Hoffnung zu 
Briefen deffelben, die in Mainz liegen, bei dem Sohne des 
Hofraths Jung, der mit Sinclair und Hölderlin, früher aud 
mit Fichte befreundet war. Hamel war ein guter Demoftat, 
ift jest außer Amt, aber muthig und brav. 

Bon meinen früheren Hauswirthen ift niemand mehr hier! 
Der eine ift nad) Rußland ausgewandert, der andre nach Ame- 
rika! — Auch Herr von Dechöner ift nicht bier, fondern grade 
jest in London. — 

Wir ſaßen nah dem Efjen im Kurgarten mitten unter 
der eleganten Welt, beſonders Franzoſen und Engländer, 











221 


immer andre wurden hervorgeholt, die meine getadelt, von 
dem Alten mit feinen Händen wie abfichtlich getrübt, während 
er die feinen unaufbörlich klar wiſchte. „Sie find doch nur 
durch Zufall an mich gekommen”, fagte-er unter andern, „aber 
Sie werden ſehen, daß ich ein Augenfenner bin, Sie werden 
mich preifen als einen Engel, der ich geworden bin für Ihre 
Augen!“ Als Ludmilla herzutrat, wiederholte er dies: „Bin 
ih doch ein Engel geworden, für die Augen von Ihrem 
Mann!“ Das ergögte und nicht wenig! „Mit wen hab’ id) 
die Ehre? Sind Sie nit aus Mainz? Hab’ ich doch die 
Preismedaille vom König von Preußen befommen! Ich ſag' 
Ihnen, thun Sie was für Ihre Augen!“ Und ſolche Redens— 
arten mehr. Es war läftig, aber noch weit mehr komiſch. — 

Nach A Uhr Konzert der öfterreichifchen Militairmufif aus 
Mainz. Mittelmäßig. Der Kurplag gefüllt mit Menfchen. 
Prächtige, geichmadvolle Anzüge; befonders Engländerinnen 
jehr zahlreich. — Wir gingen noch eine gute Weile Tpazieren, 
gegen Dietenmühle hin, dann nad Haufe. Mufif im Haufe 
mit ſchönem mehrftimmigen Gefang. | 


— — — — — 


Wiesbaden, den 12. Auguſt 1853. 

Geſchrieben. Das Wetter kühl und angenehm. Ludmilla 
ging allein nach Dietenmühle und Sonnenburg, ſie kam ſehr 
befriedigt zurück. Später gingen wir zuſammen in den Kur— 
garten, wo e& immer ſchön und frifch ift, dann zum Effen im 
Kurhaus. — Nachdem wir nachher noch etwas umhergeftrichen, 
befamen wir ſchnell einen Wagen, um nad) der Platte zu fah- 
ven. Schöner Weg, anfangs fehr heiß, dann kühler im Schat- 
ten der Wolfen oder Bäume, erft ächte Kaftanienbäume, Nup- 
bäume, dann Eichen. Oben herrliche Ausficht, Nheinlauf, 
Mainz, Darmftadt ꝛc. Das Land liegt bis dreißig, vierzig 
Stunden weit den Augen offen. Hübfcher und artiger naffaui- 











225 


ftand fpeifen Tann! Wenn folcher peinlicher Hochgeſchmack 
fich bei verwöhnten Vornehmen und Diplomaten zeigt, fo 
macht e8 wohl den Eindrud von komischer Dialektik, bei einem 
aus tiefiter Dürftigfeit hervorgegangenen Fabrifanten aber — 
ich babe ded Herrn * Eltern gefannt — wird ed ganz und gar 
widrig, ſei es nun Eitelfeit oder wirflih Wohljdymederei. 
Vortreffliche Organifation der Bedienung, der Oberfellner be— 
fehligt zehn bis fünfzehn Kellner wie ein Feldherr feine 
Truppen, und alles geht wie am Schnürchen; bei faft 
150 Gäſten. — 

Nachmittags längere Zeit im Kurgarten, der von Men- 
ſchen ganz überfüllt if. Dr. Spiker trinkt mit und Kaffee ; 
mancherlei qute Gefpräche. Ich befomme die Nachricht, der 
Sraf von Kleift-Toß fige mit zwei Damen im Garten. Sch 
gehe hin, er fteht auf und tritt mir freundlich entgegen; nad) 
einigen gewechfelten Worten fagt er: „Erlauben Sie, daß ich 
Sie vorſtelle!“ — Die Vorftellung gefchah, und die jüngere, 
jchöne und angenehme Dame begann alebald in fehr geläu- 
figem und gutem Deutfh unfre Sprache- und Litteratur zu 
rühmen. ch klagte, dag den Damen zwar mein Name, nicht 
aber der ihre mir genannt worden, Kleift nannte fie nun, 
Lady Jerſey und ihre Tochter, böchfte englifche Ariftofratie! 
Die andre Tochter hat den Sohn des Fürften Baul Efterhazy 
geheirathet. Lady Jerſey fprach nun mit mir franzöfifch, die 
Tochter bald dies bald deutſch, über mancherlei Gegenftände, 
freundlich, angenehm, fcherzhaft. Kleiſt war offenbar froh, 
daß alles fo leicht und gut ablief, er hatte fich fehr verlegen 
gefühlt; er bewegt fich nicht frei in der großen Welt, fie im— 
ponirt ihm viel zu fehr. Er hat die Damen hieherbegleitet, 
und will felbft wieder fort; mit General von Pfuel war er in 
Aachen zufammen. Er fieht ganz verbrannt aus; von der 
früheren Schönheit — er hieß der fchöne Kleift — ift feine 
Spur mehr übrig. — 


Varnhagen von Enfe, Tagebüder. X. 15 





227 


fteht. Er jagt mir große Schmeicheleien, will mir feine guten 
Grundſätze zeigen, und tft fehr verwundert von mir die freiften 
Urtheile zu hören, in die er ſich Doch ergiebt. — Dr. Spiker, 
den ich dort zu treffen hoffte, fam nach einer Stunde, und ich 
lieg die beiden Herren Bibliothefare zufammen allein. See 
bode fagte mir, daß ihm die Vorträge über Gefchichte immer 
ſchwer auf's Herz fielen, wegen der Unficherheit der That- 
fachen, ihres Zufammenhanges, ihrer Triebfedern, ungefähr 
daffelbe was Fürſt von Metternich mir einft fchrieb; alles 
ganz richtig, was diefe Herren einwenden, allein alles Menſch— 
liche ift fo ageftellt, und doc geht das Leben unter Zweifeln 
und Unficherbeiten, unter Wahn und Irrthum ſtets ficher 
weiter, und aud) eine ziemlich wahre und klare Gefihichte dar- 
aus glücklich genug hervor; auf die Xeute, die fie fchreiben, 
fommt freilich viel an. 

Graf von Kleiſt-Loß befuchte mich, und hatte mir viel zu 
erzählen; Nachrichten aus Paris, aus Brüffel, und aus 
St. Petersburg, die er hatte, ließen ihn an feine Beilegung 
der jegigen orientalifchen Krijis glauben. Auch von zu Haufe 
wußte er vielerlei. Ein namhafter, jetzt aber etwas zurückge— 
fester hoher Beamter, der in Polizeibeobachtungen jehr 
erfahren it, hat ihm verfichert, e8 fei wieder alle® auf dem 
Punkte, wo es vor dem Ausbruche von 1848 war, diefelbe 
Unzufriedenheit, diefelbe Verachtung der Regierung, diejelbe 
Empörungsluſt, auf der einen Seite, auf der andern diefelbe 
Rathloſigkeit, Schwäche, Feigheit. Kleift fagte mir noch, wie 
der König nach Putbus gereift fei: im vorderften Wagen der 
Polizeipräfident Hindeldey, der Königliche Wagen von Kon- 
ftablern außer Uniform begleitet und bewacht, zulebt wieder 
ein hoher Polizeibeamter; der vorige König, meinte er, würde 
ed nie für möglich gehalten haben, daß fein Nachfolger ſo 
werde reifen müflen! — 


15* 





229 


Schmerz fühlte und eine Weile taub war. Andern ging es 
eben fo, man muß dad Stüd überladen haben, Noch am 
. andern Tag hatte ich Ohrenſauſen davon, das erft nah und 
nach jich verlor. 

Mittageflen in Koblenz, im Rheinberg, wo ich früher das 
Erdbeben erlebte. Nachher Fahrt nah Laubach. Dann nad 
Stolzenfeld. Hinaufgeritten auf Ejeln. Alles genau befehen. 
Die Ausjicht überall das Beſte. Das Technifihe überall vor- 
trefffich, in feiner Art ald Einzelned von guter Wirkung. Das 
Ganze eine reiche, foftbare Rumpelfammer, ein Gemisch von 
Kinderei, Spielwerf und ernftgemeinter Fürſtlichkeit, die 
größten Anſprüche auf Pracht und Macht in Heinftem Format, 
in drüdenditer Enge. Ein Unfinn, derglöichen zu bauen, ein 
Unfinn, hier ald König zu wohnen. Der ganze Karakter giebt 
jich hier zu erkennen. Der Steinmes, Eifenarbeiter, Maurer, 
Mahler, Gärtner, alle haben ihr Befteshier gethan, für einen 
findiihen Einfall, der mit Hunderttaufenden bezahlt worden! 
Wir erlangten auch Zutritt zu der fonft nicht geöffneten 
Kapelle, wo Herr Däger fchöne Fresken mahlt. Auch hier ift 
alles Kleinlih, eng und koſtbar; das Wendeltreppchen, durch 
das der König in jein Lögechen friechen muß, läßt feinen diden 
Bauch vielleicht nicht durch! Herr Däger konnte und die frohe 
Nachricht mittheilen, dag Wilhelm von Schadow’s Augen 
glüdlich operirt worden, nicht in Köln, fondern in Berlin. — 
Schöne Rückfahrt. — 

Gang über die Brüde nah Thal Ehrenbreitftein, in den 
Gaſthof zum Weißen Roß, in den Garten deſſelben. Der artige 
nafjauifche Offizier, den wir auf der Platte gefprochen, redet 
und auch hier unvermuthet an, er ift ungemein freundlich und 
dienitfertig; fein Name ift Lieutenant Thaut. — Es wird fpät, 
ed dunfelt, wir fahren nad) Koblenz heim, wo wir im Genuß 
der herrlichften Ausfiht auf dem blumengeſchmückten Balkon 
noch lange wach bleiben, — 





231 


Kirche, die Jeſuiterkirche, und im Gehen durch die Stadt fiel 
mir plöglich ein, anftatt den Rhein hinabzufahren, lieber noch 
einmal aufwärts zu fchiffen, und über Frankfurt und Thüringen 
zurüdzufehren. Meine Reiſegenoſſen fehr erfreut. Mit Noth 
gelangten wir noch auf das Dampfihiff, dad um 9 Uhr nad 
Mainz abfuhr. — Kammergerichterath Striedhorft aus Berlin, 
geborner Weftphale, erzählt mir das heldenmüthige Benehmen 
eines reichen Schleichhändlerd Namens Klöpper in Rheine, der 
von den Franzoſen zur Guillotine verurtheilt war, und ſchon 
hingerichtet werden follte, aber feine Genoſſen nicht verrieth, 
die nachher aber, als feine Tochter ihn durch Stridleitern aus 
dem Gefängniß befreit hatte, jehr unredlich an ihm handelten. 
MWidrige Engländerinnen, kleine Mädchen voll Trog und 
Schroffheit, etwas Ruthe würde ein Schönheitsmittel für Die 
Fratzen fein! — 

Wir landeten bei Kaſtell, ſprachen im Taunus-Hotel ein. 
Prächtige Lage von Mainz. Mit dem Bahnzuge nach Frank—⸗ 
furt am Main. Im Schwan die ſchönen Zimmer Nr.7 und 8; 
in erſterem ſah ich mit Rahel, die es bewohnte, zum erſtenmale 
den Dr. Börne, den Mile. Geyer uns zugeſchickt hatte, und 
der zum Mittagseſſen bei und blieb. Damald war er nod) 
nicht fo harthörig und noch frei von den Abgejchmadtheiten, 
von denen feine guten Eigenfchaften mehr und mehr unter- 
drüct oder bejchädigt wurden; er meinte damals — im Jahre 
1819, als ich von Karlsruhe abgerufen nach Berlin reifte — 
mit mir, Delöner und Lindner vereinigt eine politifche Zeit- 
Ichrift herauszugeben, von der aber nad) Befanntwerdung der - 
ihändlihen Karlsbader Beichlüffe nicht mehr die Rede fein 
konnte, — u 

Wir gingen Abends noch aus, und befahen und die Main- 
luft, ein großes am Main gelegenes Wirthshaus, aber mit den 
am Rhein gelegenen nicht zu vergleichen! — | 

Der ganze Eindrud von Frankfurt am Main ift mir aber- 





233 


ihn ganz liebgewann. Er ſprach ganz harmlos die fühnften 
Sachen über die katholiſche Sache, über die Fürften, die Re- 
gierungen im Allgemeinen, die Gelehrten. Auch er glaubt an 
die Wiederfunft der deutfchen Freiheit, die dann aber mit mehr 
Eifen und Teuer auftreten werde ald 1848, aud, er hielt Die 
Meberzeugung feit, dag nicht? geändert ſei Durch die Reaktion, 
auch er meinte, daß die fatholifche Kirche feine Grundfeiten mehr 
habe, daß ein Hauch ihren jebigen feheinbar fo mächtigen Ein- 
fluß verwehen werde; es ijt mit ihr wie mit Rußland, die 
Macht befteht in der Furcht der Andern. — Der wadre Mann 
hat nicht einmal gefragt, wer ich fei. — Sch verließ ihn fehr 
ungern. Merfwürdig war mir, daß er nicht? auf Ranke hielt, 
er rechnet ihn zu den oberflächlichen Schöngeiftern. 

Wir wollten durch die Judengaffe gehen. Sie hat ihren 
früheren Eindrud völlig verloren, die Juden wohnen in allen 
Straßen, in der Judengaſſe ſchon Chriſten; das Gedränge, 
der Schmuß, die Schauerlichfeit von ehmals find nicht mehr 
.zu finden. Dad Haus, wo Rothſchild geboren worden und 
feine alte Mutter bis zulegt lebte, wird gezeigt; das Haug, 
wo Börne geboren worden, ijt durch eine Gedenktafel audge- 
zeichnet; die Juden nennen ihn ihren Börne, und ftellen feine 
Verehrung neben die Goethe’. Und gefellte fih ein junger 
. Dann, den unfer Antheil an den Judenſachen freute, er zeigte 
und die neue Synagoge und erflärte alles, es war Herr Aleran- 
der aus Straßburg, Neffe des Bibliothefeninhabers und Bauch: 
rednerd Alerander. — Wir aßen an der wohlbedienten und 
zahlreich befegten Wirthötafel. Mich übernahm ein umgefehrtes 
Heimweh, eine unwiderftehliche Bleibensfcheu, ich wußte diefem 
Boden durchaus feinen Xebendreiz mehr abzugewinnen, und 
bejchleunigte die Abreife.e — Um A Uhr waren wir auf 
dem Bahnhof. Unzuverläffigfeit der gewöhnlichen, fogar amt- 
lichen Angaben über die Zeiten und Umijtände bei den Eifen- 
bahnfahrten; eine Biertelftunde vor der Abfahrt z. B. nimmt 





235 


find die Herftellungsarbeiten ſehr fortgefchritten, das alte Bau- 
werk tritt herrlich hervor. Aber was neu hinzugefügt wird, 
die Kontignation des Holzdaches, die von Holz gefchnibten 
Iymbolifchen Gebilde, den Sieg des Chriftenthbumd über das 
Heidenthum vorftellend, paffen wenig zu dem trefflichen Stein- 
werk. Nun follen auch noch in beliebter Weife Freskomahlereien 
die Wände fchmüden. ch erwarte die fchlechtefte Wahl der 
Gegenſtände bei der funftfertigften Ausführung! Der leitende 
Baumeifter führte und umher. Dann fam der Schloßhaupt- 
mann Herr von Arnswaldt, freute fich ungemein, zeigte und 
alles was gewöhnlich nicht gezeigt wird, gab alle Erflärungen ꝛc. 
Bildhauer Knoll aus München. Giebzigjähriger Dachdeder 
oben auf dem Dache in harmlofer Thätigfeit. Der Großherzog 
und feine Gemahlin wurden heute aus Wilhelmsthal zum Bes 
juh erwartet. — Arnswaldt's Wohnung — — 

Fahrt auf den Drachenftein nach Tifche; ich blieb unten 
auf Moos und Gras gelagert, fah mir Himmel, Bäume, Feld- 
blumen an; dann Fahrt nach dem Sirfchftein, dann nad 
- Wilhelmötbal. — Kaffee im Schloßparf, Bergnügte Rüdfahrt. 

Bei der Hohen Sonne ſahen wir ein weimariſches Ba- 
taillon einen Augenblid raften; einen neugeborenen Eſel, der 
feiner Mutter folgte, luftige Leute zechten. — 


Weimar, Sonntag, den 21. Auguft 1853. 

Um halb 2 Uhr waren wir in Weimar, aßen zu Mittag, 
ruhten, und machten dann eine ſchöne Fahrt nach Tieffurt, wo 
wir im Park fpazieren gingen, am Ufer der raufchenden lm; 
die Rüdfahrt war auch fehr angenehm. — Dann fuhren wir 
zu rau von Groß, der Mutter ded Eiſenacher Staatsanwalts, 
zu Herrn von Maltis, zum Probft Sabinin, — niemand war 
zu Haufe! Das Goethe’fche Haus war unzugänglih, nur 
Freitags erlaubt der Enkel Walther einen befchränften Zutritt. 





237 


Spielbüchlein”, welches eine Verhöhnung des Königd von 
Preußen fein foll; ald feine Spielereien werden aufgeführt: 
die neuen Uniformen der Truppen, der Hoflafaien, der Pro- 
fefforen, der Schiwarzenadlerordens-Nitter, der Schwanenorden, 
der Sohanniterorden, der Bereinigte Landtag, der deutſche 
Umritt, und dergleichen mehr. Das Büchlein ſoll befonderd 
im Herzogthum Sachſen fchnell vertrieben worden und den 
polizeilichen Spürungen ganz entgangen fein. 


Weimar, Montag den 22. Auguft 1853. 

Der Kollegienrath von Liepmann ſchickte ganz früh zu mir, 
er erwarte mich mit Ungeduld. Die beiden Töchter des ‘Prob- 
ſtes, Marfa und Mafcha, er felbit und der Sohn erſchienen, 
um Rudmilla’n den Park und andre Sehenewürdigfeiten zu 
zeigen. ch ging unterdefien zum Kollegienrath. Ganz der 
Alte! nur ohne die Frau, die doch manches milderte, ganz in 
der ironifhen Stimmung, ein Gemiſch von Mlerander von 
Humboldt und Wilhelm von Schlegel, pedantifch gegen alle 
Vedantereien, Germanismen, Thorheiten, Mißgriffe, uner- 
Ihöpflih in demonftrirenden Bemerfungen, unzufrieden mit 
allen Menfchen, die er fieht. Er zog gleich gegen die Groß— 
fürftin Io8, gegen den Großherzog felbit, gegen die elende 
Stadt, fogar gegen die Familie *, die ihn doch befonders ver- 
ehrt, — der Sohn bringt ganze Abende bet ihm zu. Er fpottet 
über die Fläglichen Denfmale hier, die wohlfeilen Ehren durd) 
die Namen Schillerftraße, Goetheplag, dem Volke heißt der 
Herderplab noch immer Schöpfenmarft! Luftige Züge und 
Geſchichten. Ein deutfcher Profeffor fannte das Lied: Dies 
irae dies illa nur aus Goethe’d Fauſt. „Parodie und Kari- 
fatur ift alles heute.“ Der Kaifer Nifolaus hat dem Groß— 
herzog gerathen, ſich in der Politif nur an Defterreih und 





239 


Privatfekretair (Engländer, der vollkommen Deutſch Tann), 
Herr Bildhauer von Hojer. Wir unterhielten und ganz gut, 
unter ftetem Bedauern, daß Maltig fehlte. — Wir gingen um 
10 Uhr, trafen Maltis, der vom Belvedere fam, feine Ber: 
zweiflung ausſprach, und nach Haufe geleitete. Er hat der 
Großfürſtin gefagt, ich fei in Weimar, aber frank; fie hatte 
die günftigften Gefinnungen für mic) ausgeſprochen, die beiten 
MWünfche für mid), und daß fie darauf rechne, mich bei andrer 
Gelegenheit wiederzufehen. — Huften, Heiferfeit! — 


Weimar, Dienstag den 23. Auguft 1853. 

Große Hibe nach frühen Nebel. Allerlei Erzählungen 
von der Gropfürftin; vom Könige von Preußen hat fie gefagt, 
es fei traurig, bei aller Neigung und Freundfchaft, die man 
für ihn habe, fönne man nicht umhin, alles was er ald König 
thue, zu verwerfen, zu tadeln; er verftehe fein Handwerk nicht. 

Nuffifche Anekdoten. Als Kaifer Alerander geitorben 
war, hatte fi) Shukoffskii durch irgend einen Zufall in einer 
Kirche verfpätet, und war Zeuge eined merfwürdigen Vorgan— 
ged, der Großfürſt Nikolaus und ein Priefter traten ein, 
ſchritten zum Altar, und hier legte Nikolaus feierlich den Hul⸗ 
digungseid für feinen Bruder, den Kaifer Konftantin, ab. 
Shukoffskii hat den Vorgang bejihrieben und als Manuffript 
einzeln drucden laffen. — Konftantin fchlug die Krone aus, 
weil er feine Stellung in Polen zu fehr liebte, die in 
St. Petersburg fürchtete, — er war über die Maßen feig. 
Hätte die Sache noch einige Tage unentschieden fich hingezogen, 
jo würde er ſich doch noch beſonnen haben, denn er fagte ſchon 
zu Mohrenheim: „Au fond, la lettre de l’empereur 
Alexandre ne m’engage & rien; mes droits sont incon- 
testables.*“ Aber Nikolaus fperrte fich nicht länger, griff zu, 
und alled war vorbei. 





241 
September-Sigung des Schwurgerichtähofes Gefchworner zu 
fein; ein Amt, das ich fehr in guten Ehren halte, aber fchlech- 
terdings nicht erfüllen kann. ch fchrieb fogleich an das Ge— 
richt, und fchilderte ihm meinen Gefundheitdzuftand, den id) 
aber durch ein ärztliched Zeugniß nicht befcheinigen könne, 
weil ich feit fünf Jahren feinen Arzt habe, Mein gegenwär: 
tiges Uebel nehm’ ich weniger in Betracht, es find noch acht 
Tage bis zur angegebenen Frift, vielleicht weicht es bis dahin, 
und ich kann wenigſtens perfünlich meine Gründe vorlegen. — 

Herr Theophile Schuler aus Strapburg hatte bei mir ein 
Padet von Herren Dr. Mühl abgegeben, mit Briefen, Gedich- 
ten, Handfchriften, Drudfachen; Herr Wilhelm Hemfen aus 
Amfterdam wollte mich befuchen, Herr Lothrob Motley aus 
Dredden ꝛc. ꝛc. 

Bücherpackete in großer Zahl. Briefe von Humboldt, 
Charlotte Wynn, Mühl, Troxler, Eckardt, Sivers, Frau 
von Waldow, Fräulein Bölte, Frau von Nimptſch, Eduard 
von Bülow, Lewes, Alexander Jung, Kloſe, Fanny Lewald, 
Müdler-ıc. ıc. 

Weiher's Tod erfolgte am 25. Juli; die Todesanzeige lag 
auf meinem Tifche, und bewegte mich doch fehr. Mit der 
Freiheit hat er es ftetd gut gemeint und gehalten, er meinte 
ein Fichtianer zu fein, war aber gar fein Philoſoph. Er hat 
in vielem herumgetaftet, doch blieb fein Wiffen fragmentarifch, 
und eine geordnete Thätigfeit hat er nie gehabt, er wollte und 
fonnte nicht arbeiten. 

Sch mußte mich bald zu Bette legen; es ftellte fich Fie—⸗ 
ber ein. 

„Der König ift verrückt!“ fagte neulich ein Oberft in Ge— 
genwart von mehreren Leuten. Man drohte lächelnd mit Anz 
flage wegen Majeftätdbeleidigung. „Dann freilich“, verſetzte 
jener, „wird es fchlimm fein, denn das Gericht wird mir nicht 


erlauben dürfen, den Beweis der Wahrheit zu führen. “ Aber 
Varnhbagen von Enfe, Tagebüder. X. 





243 


der Prinz müſſe die Sachen in die Hand nehmen?” Beide 
fchrieen auf, verneinten ohne Zögern, aber hielten ihre und des 
Prinzen Ehre fo verlegt, daß fie erklärten, jie würden dem 
Prinzen fogleih Anzeige von dem Gefchehenen machen. 
Alle Vorftellungen und Bitten des alten Narren konnten jie 
nicht davon abhalten. Der Prinz gerieth außer fi, und 
Ichrieb gleich an den König, wenn er nur des hundertften 
Theils der Anklage fich fchuldig wüßte, jo würde er fich felber 
im Kriegdgericht unbedenklich zum Tode verurtheilen. Er 
verlangte nun Genugthuung, Wrangel follte in Ungnaden 
entlafjen werden. Aber der König fchrieb ihm die zärtlichiten 
Briefe, entfhultigte Wrangel’s Eifer, und behielt ihn in feiner 
Stellung. — Man fragte, wenn die Adjutanten Ja gejagt 
hätten, wad würde Wrangel gethan haben? Die Sache dem 
König angezeigt, fagte jemand. Ein Andrer meinte: „O nein! 
Er würde gelagt haben: Stehen die Sachen jo? Nun, da 
halt’ ich mit dem Prinzen! Sagen Sie ihm das, meine 
Herren!“ Diefe Auslegung wurde fehr belacht, aber bei jpä- 
terem Nachdenken auch mehr und mehr als die richtige ange- 
ſehen. 


Donnerstag, den 25. Auguſt 1853. 
Den ganzen Tag zu Bette, bei heftigem Huften. ch 
fuchte zu leſen, aber es ging Tchlecht. 


— — 





Sonntag, den 28. Auguſt 1853. 
Goethe's Geburtstag. Heil und Preid dem großen Na- 
men! Immer wieder, und nie genug! — Herr Dr. Ring fand 
mich um vieles beffer; ich fehrieb einiged aus den „ Eume- 
niden“ ab. Seit dreißig, vierzig Jahren ſuch' ich dieſe Drud- 
ſchrift, die ich ehmald in Händen gehabt, die feitdem aber aus 
16* 


244 


der Welt verfchwunden fchien. Niemand fonnte fie fchaffen, 
niemand fannte fie, Sch fuchte jo eifrig, daß ich mir ſcherzend 
dachte, wenn ich fie einmal unerwartet fände, könnte ſich eine 
Kataftrophe damit verknüpfen; aber alled war vergebens. 
Nun, da ich Frank liege, wohl an fchlimmen Ausgang mitunter 
denke, [hidt mir die Dümmler'ſche Buchhandlung das Buch, 
und mir fällt gleich ein, was e8 bedeuten könne; doch indem 
ich der abergläubifchen Vorftellung, die ja nie mein Ernft 
war, lache, Tefe ich den dabei Tiegenden Zettel, und fehe, daß 
das Buch mir nur gelichen tft, auf wenige Tage; damit fällt 
die Vorbedeutung, und der Aberglaube darf beftehen! Das 
Buch heißt im vollen Titel: „Die Eumeniden oder Noten 
zum Text des Zeitalters. Motto: Suche Jeder, wen er 
reibe. Fr. Schlegel. Zürich, 1801.“ 221 S. in kl. 8. 
Drt und Jahreszahl waren mir nicht mehr befannt, jest läßt 
fih die Schrift wohl leichter auffinden. Sie full von zwei 
Studenten verfaßt fein, die mit guten litterarifchen Kennt⸗ 
niffen im Geiſte der Schlegel’fchen Schule das Athenäum 
nachahmen, freilich weit ab von dem Vorbilde! — 


Montag, den 29. Anguſt 1853. 
Etwas aufgeftanden, aber bald wieder zu Bette, Herr 
Dr. Ring. Briefe gelefen, in Goethe’d Fauſt, im Juvenalis. 
Abends mit Ludmilla Schach gefpielt. 


Dienstag, den 30. Auguft 1853. 
Das Schwurgericht fordert durchaus ein Ärztliches Zeug: 
niß. Pedanterei; finnlofe Förmlichkeit! Wenn ich nun feinen 
Arzt habe? Und gilt mein Wort nicht fo viel als feines? 


245 


Mittwoch, den 31. Auguft 1853, 

Ein trüber Tag heute für mich! Der Huften wieder etwas 
ftärfer, und eine Nervenftimmung, die fait nicht zu ertragen 
ift! So rüftig und in gewiffem Sinne fräftig die Reife mic) 
zeigte, fo gänzlich ermattet, abgefpannt, ja lebensunfuftig fühl’ 
ich mich jet. Ich lag heute ganz erbärmlich da, ohne Trieb 
und Reiz, alled langweilte und ärgerte mich, am meijten das 
Bewußtfein felbit dieſes Zuſtandes. Die fatale Gefchwornen- 
fache laftet auch noch auf mir; Herr Dr. Ring, dem ich deß⸗ 
balb fehrieb, brachte mir das vom Gericht unerläglich gefor- 
derte Krankheitdzeugniß, und ich legte ed meinem Schreiben 
an dad Gericht bei. Dad Verſehen Ring's, anftatt des 
31. Auguſts den 1. September zu fchreiben, nöthigte mic) 
meine Eingabe neu zu faflen und auch dieſen Tag zu ſetzen. 
Diefe Mühe war mir wie ein Unglüd, und dann famen nod) 
andre Ungelegenheiten, die mich völlig niederdrüdten. Wer 
dergleichen nicht aus Erfahrung kennt, der ahndet nicht, was 
das bedeutet, was Nerven für Wirkungen hervorbringen 
fönnen! Welcher Nachficht bedarf man da! Für Rahel habe 
ich jie Gottlob gehabt, auch ohne fchon das Uebel felbft erfah- 
ren zu haben! Das freut mich noch! — 

Herr Neuberg aus Bonn befuchte mich; er überfiedelt 
wieder nad England, und läßt bier eine Weberfegung von 
Carlyle's Heroworship bei Deder druden, — 

Sch raffte mich aus tiefiter Nervenverftimmung endlich doch 
zufammen, und fehrieb an Humboldt, der wie ich hörte wieder 
bier ift, und dem ich zu antworten hatte. Dann fchrieb ich 
an die Buchhandlung J. J. Weber in Leipzig, und Aufträge 
nach Straßburg an die Buchhandlung Levrault. 

Schon gleich im Schreiben wurde mir etwas befjer. Die 
frühere Berdumpfung, der Ueberdruß und die Schlaffheit der 
Nerven, find gleihfam die Borboten der Schweißftife. So— 
bald dieje wirklich ausbricht, ift ed wie eine Erldfung, alles 





247 


In Goethe’s Briefen, und in Baader gelefen; wo in leb- 
term die abergläubifche Beichränftheit, das leichtgläubige Ein- 
gehen auf Alfanzereien, 3. B. auf die Gaufeleien Juſtinus 
Kerners, hervortritt, wird er mir ganz abfcheulich. — 

Die Demokraten in der Bürgerfchaft, in den Gewerken, 
halten noch fehr ftreng zufammen, nicht nur bier, fondern 
auh in den Provinzen. Schlichte ruhige Leute, die früher 
nicht für die Bewegung waren, erflären ſich bereit, einer neuen 
beizutreten; Leute von ſonſt milder Gefinnung halten Liſten 
über diejenigen Böſen und Schlehten, die durchaus zu befei- 
tigen, zu beftrafen fein werden, Denen feine Gnade widerfahren 
darf. — 

Was hat denn der König am 11. Auguft in Wolgaft für 
eine fchöne Rede gehalten, daß ein ſüddeutſches Blatt ſich 
darüber fo luſtig macht? ine leidenfchaftliche Vorliebe für 
dad arme Neft foll er audgefprochen haben, ald finde er hier, 
in diefem unfcheinbaren Orte, endlich Kiebe, Ruhe und Ber 
friedigung! Ich kann die Rede felbft in unferen Zeitungen 
noch nit finden. — 

Der König ift bei feiner Anwefenheit in Roftod vom 
Bolfe mit Koth geworfen worden. Der Großherzog von 
Medlenburg Schwerin war außer fich, daß feinem Gafte der- 
gleichen widerfuhr, und daß er felber davon fein Theil ab- 
befam. Die Medlenburger hafjen den König, weil fie glau- 
ben, daß ohne ihn die fchändliche Reaktion in ihrem Lande 
nicht hätte durchgreifen können: die Roftoder haffen ihn noch 
bejonderg, weil feine Polizeibeamten dort Verhaftungen vor- 
genommen haben. — 


Freitag, den 2. September 1853. 
Ganz früh befuchte mich Herr Dr. Achilled Runkel aus 
Hamburg, Redakteur des dortigen unpartheiifchen Korrefpon- 





| 249 

fammenhängt, ift ein folcher Rechtsbruch, eine ſolche Eigen- 
macht und Partheiwillfür, daß der Staat, wo dergleichen 
gejchieht, davon die größte Schande haben muß. Auch ift der 
Unmillen allgemein. Die Zeitungen dürfen aber nichts fagen, 
man hat fie im voraus verwarnt. Und dabei fommt die 
Schwächlichkeit und der Unfinn vor, daß dem Bürgermeifter, 
den man abjebt, die größte Belobung ertheilt wird wegen 
feiner Amtöführung, man ihn dagegen mit Disziplinarunter:- 
fuchung bedrohte, falls er fich nicht penfioniren ließe! 





Sonnabend, den 3. September 1853. 

Das unbejtändige Wetter wendete jich zur Heiterfeit und 
Wärme, ich gab dem Verlangen nad), wieder einmal auszu— 
gehen. Mit Ludmilla zuerft nach den Linden, das Grün der 
Bäume ſchon bräunlich und fahl, der frifche Glanz ift fort! 
Bei Kranzler eingefprohen. Dann die Schloßbrüde befehen: 
die beiden aufgeftellten Marmorgruppen — die dritte und 
vierte follen bald folgen — find an ſich ſchön gearbeitet, von 
guter Wirkung: ein wahrer Schmud der Brüde, aber das 
Antike iſt nicht antif genug, und ift wider Willen modern, - 
ohne zu den andern Bildfäulen der Generale zu paffen. Auch 
ftehen die Gruppen zu hoch und verlieren dadurch ſehr. Es 
waltet ein Unjtern über unſerm Kunftwefen, nie was Rechtes, 
Ganzes, Uebereinſtimmendes. Die Leiter find Pfufcher! — 
Herrn Hofrath Bolzenthal gefprochen. — Fortdauernde Kunft- 
ausitellung bei Herrn Sachſe in der Jägerſtraße; Frau von 
Raumer dort gefprochen. — Ich kam erfchöpft nach Haufe, der 
Ausgang that mir nicht gut. — 





251 


coby befommt Quehl's Stelle ald Direktor des litterarifchen- 
Bureau’d. — 

Die Cholera ift hier ziemlich hart, ftärfer als man einge- 
ftehen will. — 


Dienftag, den 6. September 1853. 

Der König hat ſich in Hirfchberg wiederum in der ihm 
eignen Art vernehmen laffen, deren Wirkung für ihn die trau- 
rigfte von der Welt ift. Reiſt umher, und zankt aller Orten 
mit den Leuten, macht ihnen Vorwürfe, vergiebt dann und tft 
gnädig, und Alles ohne Sinn und Fug. Wenn er nur wüßte, 
was diefelben Leute, die demüthig ihn anreden, hinter feinem 
Rüden fagen! Als er im Jahr 1848 nad) langem Schweigen 
zum erftenmal wieder feiner Zunge freien Lauf ließ, riefen 
ariftofratifche Neaktionaire fpöttifch: „Nun plaudert Papa- 
geno wieder!” Die Hundedemuth der Elbinger und Hirſch— 
berger Magiftrate nimmt fich faſt noch übler aud, als die 
Sroßfprechereien, die darauf antworten. Der ganze Dialog 
it efelhaft. — 

Neue Korfchungen über den Tod des Fürſten Felir Lich— 
nowsky thun unmiderfprechlih dar, daß er wie ein unbefon- 
nener Prahler alled aufgewendet, um Haß und Kampf her- 
borzurufen. Er hat unaufhörlich frech beleidigt, gehöhnt, 
herausdgefordert, und wenn died anfangs als tapferer Ueber- 
muth erjcheinen konnte, jo war das Ende Doch. feige Flucht. 
Er ift nicht durch Meuchelmord gefallen, fondern im offenen 
Kampfe, den er gewollt, aber nicht beftanden hat. "Ein frecher 
Bube war er. 

Der König, der die Trägheit felbft if, wenn es gift einen 
Gegenftand forafältig zu beachten, ein Gefchäft folgerichtig 
durchzuführen, ift förperlich immer bereit zur Bewegung, zum 
Wechſel des Aufenthaltes, er ift von einer ewigen Unruhe 





253 


Magener eine Menge von Adreſſen der Anerkennung, der 
Beiftimmung und des Dankes zuwegegebracht, und noch immer 
laufen dergleichen ein, die meiften Gutöbefißer und Landedel— 
leute fchreiben ihre Namen bei folcher Gelegenheit willig. 
Daß fie ſich zu dieſer Gemeinheit befennen, halten fie für 
Ehre, — | 


Zum 7. Septeinber 1853. 

Radowitz fagt in feinen „ Gefammelten Schriften “, Bd. IV. 
S. 256: „Der neuefte Hergang in Parts fehliept eine Reihe 
von hiſtoriſchen Thatfachen, die feit drei Jahren den Beweis 
für den Saß liefern, daß im heutigen Europa (England aud- 
genommen) nur zwei materielle Kräfte wirflih wirffam 
find: die Armee und die Demokratie. Nur diefe beiden ver: 
mögen fichtbare Umwälzungen hervorzubringen ; fobald die: 
jenigen, die fich ihrer bedienen wollen, die moralifchen Ele: 
mente einfach negiren, find diefe auch faktiſch annullirt. 
Gegen Demokraten helfen nur Soldaten! hieß der Spruch. 
Das Tieffchmerzlihe ift, daß manche Mittelpartheien, ja, daß 
ein großer Theil der Tonftitutionellen Maffe, welcher deutlich 
gezeigt worden, weldhe Ohnmacht allen Rechts⸗ und Vertrags⸗ 
Berhältniffen inne wohnt, bald genug verfucht fein fann zu 
jagen: Gegen Soldaten helfen nur Demofraten !* 

Terner ©. 281: „Die Demokraten waren unmittelbar 
nach dem MärzsUmfturze offenbar Herren Deutſchlands; ; alles 
Andere war zurüdgetreten, Die Regierungen lagen am Boten; 
die Monarchiſten traten in’d Dunkel zurüd; die Altliberalen 
waren noch ohne DOrganifation und über einen foldhen Sieg 
faft beftürzt. Das Ziel der Demokraten war die Republik, 
die Mittel dazu mußten ohne allen und jeden Verzug ergriffen, 
und bis zum äußerften bin raſtlos und ſchrankenlos fortge- 
führt werden. Organifation eined Revolutionsheeree, das die 





255 


fihtlih wohl. Er äußerte fich ziemlich frei über das Berliner 
Treiben und jein Royaliömus hat große Köcher, Sein Buch: 
„Der neue Vaſari“ ijt noch nicht im Drud, 

Dr. Ryno Quehl foll ald Konful nach Dänemark gefchidt 
werden, Manteuffel hat feinen Günftling doch nicht behalten 
fönnen, ihm feinen Eintritt in das geregelte Beamtenthum 
mit Titel und Rang erzwingen fünnen. Daß er Mitglied der 
zweiten Kammer war, würde eine Schande für die Kammer 
fein, wäre fie felbft nicht wieder eine Schande für jeden, der 
in ihr war. — Bon Minifterkrifis ift fonjt nicht Die Rede, Die 
Veränderung mit Quehl foll doch nicht dafür gelten?! — 

Der Geheime Rath Graf von Pop, der rothnäfige, will 
beftimmt fein Geld mehr für das Fortbeftehen der Kreuz: 
zeitung geben; auch der Oberfitruchjeg Graf von Redern 
weigert fich die früheren Zuſchüſſe fortzufegen. Nur einige 
reiche Zandedelleute in den Provinzen jind einfältig genug, 
noch immer Gelder für fie zu liefern. Die Zeitung felbft 
fönnte wohl ohne fremde Beiträge beitehen, aber ihre Parthei⸗ 
zwede fordern größere Mittel, fie mußte überall Geld zur 
Berfügung haben, Belohnungen, Ermunterungen austheilen, 
bei den Behörden ihre Leute haben; die Halunfen thaten 
nichts umſonſt. — 

In den „Geſammelten Schriften“ von J. von Radowitz 
— Bd. V. S. 293 — ſteht Folgendes: „In bewunderungs— 
würdiger Weiſe iſt Saint-Martin's Esprit des choses hu- 
maines mit einem tiefen See im Frühling verglichen worden. 
Auf feinem Spiegel ſcheinen die Gedanken wie ſchöne Waſſer— 
blumen zwar nur lofe zu ſchwimmen, jede aber erhebt jich aus 
dem Grunde des See's und wurzelt tief in deſſen Grunde, “ 
Die Vergleihung ift von Rahel. ch weiß nicht, ob fie ges 
druct, oder blos gefagt worden ift, in legterm Falle fann 
Radowitz fie leicht durch den Altern Willifen erfahren haben, 
— Früher fchon, ehe ich Rahel näher fannte, fagte ich 





257 


immerfort! Biel war auch von Wilhelm von Humboldt die 
Rede, von feiner heidnifchen Gefinnung, feiner Verachtung 
des vorigen Könige u. |. mw. Bon Arago’d traurigem Zu— 
Stand, von meinen Arbeiten, von Sem eleftrifchen Wetter diejes 
Sommers, vom Kodmod. — 

Der König jagt alfo nicht, wie Ludwig der DVierzehnte, 
l’Etat c’est moi, fondern: „l’Etat c’est une canaille“. — 


Sonnabend, den 10. September 1853. 

Größte Meberrafhung! Der Chevalier Adolphe de Barn- 
hagen, Charge d’affaires de S. M. l’empereur du Bresil 
pres la cour de Madrid, läßt fich bei mir melden! Der 
Sohn des verftorbenen portugiefilch = brafilifchen Oberften 
Friedrich von Barnhagen aus Walded, Ein hübfcher brauner 
Mann, in den Dreipigen, artig und gutmüthig, ded Deutfchen 
fundig, aber Franzöſiſch redend, ganz Südländer, von der 
brafiliichen Mutter her. Wir taufchen unfere Familiennach⸗ 
richten aus. Der Kaifer von Braftlien ift ihm fehr gewogen, 
ihm steht eine gute Laufbahn offen. Er ift auch Schriftiteller 
und arbeitet an einer Gejchichte Brafiliend in zwei Bänden, 
‚portugiefifh. Er ift auf einer Urlaubsreife, die zu Ende 
geht. — 

Barnhagen gab ausreichende Narhrichten von feinen Ber: 
- hältniffen, feinem Leben in Madrid, in Liffabon, in Brafilien, 
von dortigen Zuftänden, von Litteratur und Kunft. Er ift in 
allen Stüden wohlunterrichtet, wie e8 ſcheint fehr gründlich 
in feinen Arbeiten, dabei welttundig, angenehmen Umganges, 
heiter, fcherzhaft und äußerſt gutmüthig. Mir fagte er ver- 
traulich feine innerfte Denfart, jie ift durchaus freifinnig, edel, 
er will Gutes wirken, und zieht eine Stelle in der Verwal- 
tung Brafilieng, in der es ihm vergönnt fein fann, etwas 


Gedeihliches zu Schaffen, allem glänzenden Leben an euto- 
Varnhagen von Enfe, Tagebüder. X. 17 





259 


Sonntag, den 11. September 1853. 

Gefchrieben ; Bemerkungen gegen Berk, der e8 im Zitiren 
dem Heidelberger Schloffer nicht nachgiebt, fich einen willfür- 
lihen Tert macht und dann ein fchiefed Urtheil darauf 
gründet! ch fpreche von „einem benachbarten Lande“, er 
macht eine „fächfifche Sache” daraus, an die ich nicht gedacht 
habe, fondern an Böhmen. Wenn folh ein Pedant nicht 
einmal genau ift, fo fällt er noch unter den oberflächlichiten 
Schluderer, über den er fich weit erhaben dünkt! ch könnte 
mit dem Herrn Pers überhaupt eine gute Abrechnung halten. 
Vielleicht fommt mir einmal die Luft! 

Gegen 11 Uhr fam Adolph von VBarnhagen wieder; wir 
verhandelten mancherlei; Humboldt, Metternich, die Revo— 
lution von 1848, die deutfchen Zuftände, fpanifche und por- 
tugiefische, Palmella, Refende, Pinheiro, Navarro D’Andrado ꝛc. 
Sein Wagen bielt unten, er ſchlug ung eine Spazierfahrt vor. 
Zudmilla und ich fuhren mit ihm in den Thiergarten; Bild- 
jäule ded vorigen Könige, Raczynski's Gemähldefammlung, 
dann Fahrt in die innere Stadt; um 2 Uhr zu Haufe. Der 
Better gewinnt bei jedem neuen und längeren Jufammenfein ; 
unterrichtet, bequem, von beſtem Willen, von ftarfem Anhäng- 
lichkeitsgefühl. — 

„Der Ranzau und feine Grafen, nebit neuen Forfchungen 
über die Abftammung der Burggrafen von Nürnberg. Ein 
Beitrag 2c. von H. Haas, Erlangen 1853.“ Die Schrift be 
jtreitet die ſchon von Alterd her bezweifelte Abftammung des 
preußijchen Königshaufes von den Grafen von Zollern. Dem 
König ift das fehr fchmerzlich, dem Herrn von Stillfried ein 
Sammer, den gelehrten Hoffchmeichlern ein ftrafbares Erdrei- 
ften, „Ich fein Hohenzollern ?” ruft der König aus, „was bin 
ih denn?” Das ift eine zweite Trage, deren Beantwortung 
die Gefchichte chon geben wird. — 

Der Schriftfteller Mügge fam auf der Rüdreife aus einem 

17* j 





261 


Geficht gefchlagen. Frechheit, dienur hier gefchehen kann, Frech- 
heit mit nichtswürdiger Sophiftif verbunden! Beitrafenswerth! 
Der Better nimmt Abfchied, er befeigt fich ungemein lieber 
voll und brav, und ale vollitändig weltgebildet. Gr reift 
Nachmittag um 2 Uhr. Sein Scheiden iſt mir fchmerzlich. — 
Befuch bei Herrn Dr. Hermann Frand; er zieht leider 
weit von mir weg, in die Köpenider Straße. Ueber unjere 
Zuftände, die ganze gemeine Wirthfchaft des „Rackers von 
Staat*, wie der König felber ihn nennt, das Zerfallen aller 
guten Drdnung, alles Rechtes; über Das Erziehen zum 
Schlechten, zur Heuchelei, Graufamfeit, Selbitfucht, zur Ver- - 
läugnung des Edlen, des Menfchlichen. Welch trauriger Zeit: 
abfchnitt, in welchem wir hier jeßt leben! Doch leben wir ein 
Leben, das nicht fo fehr unferes ift, als das allgemeine; es wird 
Ihon Neues daraus entftehen, darauf verlaß ih mih! — 

Bon Friedrich's des Großen Werken find Bd. 21 —23 
erfchienen, fie enthalten den Briefmechfel deffelben mit Voltaire, 
jehr vermehrt, berichtigt und erläutert. Wie groß und ſchön 
ift bier Friedrich! Ein folher Mann auf dem Thron, das 
heißt mag, da müffen die armfeligen andern Fürſten ſich ver- 
friehen! Voltaire erfcheint hier wieder vortheilhaft, des Ver: 
hältniffe® wegen, in welchem noch nie ein Menſch ganz das 
Rechte hat treffen fönnen. — 

Der neue Staatsgerichtshof hat geftern zum erftenmale 
Gericht gehalten und einen armen Schneidergefellen Tiek and 
dem Kippefchen zu fünfjähriger Zuchthausſtrafe verurtheilt, 
wegen Theilnahme an einem fogenannten Kommuniftenbunde, 
auf Zeugniffe des Polizeirathd Stieber hin. Schöner Anfang! 
— Der von dem Waldeck'ſchen Prozeſſe her berüchtigte Schlötfe 
führte die Anklage. — Der Berurtheilte hat appellirt. 

Abends zu Haufe. Mit Ludmilla Schach gefpielt. Im 
Plutarchos gelefen, in Goethe, in Radowitz. | 

Heute ftarb der Superintendent Dr. Mann in Eharlotten- 





263 


mehre Gefchlechtöfolgen erlebt, ganze Lebenszuſtände ſchwin— 
den oder wechfeln gefehen, denft man auch über die nächſten 
Geichlechtöfolgen hinaus, — dann ift’man alt. — 


Donnerstag, den 15. September 1852. 
Zudmilla fuchte in alten Papieren, und gab mir die Reſte 

eined fleinen zerlumpten Liederbuches aus der franzöfifchen 
Nevolutiondzeit, worin die fühnften republifanifchen Gefänge 
ftehen, dafjelbe fcheint aus dem Jahre 1793 zu fein, denn die 
Wiedereinnahme von Toulon und die Montagne werden be 
jonderd Darin gefeiert. Dad Herz ging mir auf, als ich diefe 
gemißhandelten Blättchen wieder durchſah; ich erinnere mic 
diefe nämlichen ſchon als Knabe in den Händen meiner 
Schwefter und meiner Mutter gefehen zu haben, fie wurden 
in müßigen Abendftunden gelefen, und noch öfter wurden die 
Rieder gefungen, mir zu großem Ergötzen. Es weht eine frifche 
Begeifterung darin, ein herrlicher Muth und Sieg und Ges 
deihen. Die Gefühle jener Zeit zurüdgurufen, war mir eine 
waßre Herzitärfung. — Auch das kräftige Lied: „Quels ac- 
cents, quels transports! par-tout la gaite brille“ ift in 
der Sammlung. Dann Strophen wie diefe: 

„Dans l’Europe avilie 

Par la superstitiou, 

La sotte idolatrie 

Passe pour religion, 

En France on n’est pas si böte, 

L’erreur n’est pas de saison; . 


Nous ne faisons qu’une fete, 
La föte de la Raison.“ (bis) 


„Oh! mes amis, mes freres, 
Retenons cette lecgon: 

Sans des vertus ausföres 
La Libert& n’est qu’un nom. 





265 


Freitag, den 16. September 1853. 

Die Sahen Rußlands und der Türkei fehen wieder kläg— 
lich aus,- die Diplomatie, das heißt, das ganze Benehmen der 
Kabinette, legt wenig Ehre ein,, von allen Seiten zeigt ſich 
Unredlichkeit, Züge, Feigheit und Wankelmuth; aber dennod) 
ift der ruffifche Kaifer von diefen efelhaften Fäden jo ganz 
umfponnen, daß er fich nicht zu helfen weiß, und auch den 
Schein eines ehrenhaften Rückzuges verlieren muß. Während 
die Bermittler-Höfe ſchon wieder für ihn bei der Türfei wirken 
und diefe zum Nachgeben beftimmen möchten, hat er in feiner 
Berlegenheit auch feinerfeitd wieder geheime Unterhandlungen 
in Konftantinopel angefnüpft, was feine gute Art ift, fih gegen 
die Permittler zu benehmen. Die Türken haben in größter 
Eile die außerordentlichiten Rüftungen gemacht, und find voll 
erbitterter Kampfesluft. — 

Nicht der Kanzleirath Joel Jacoby, den Hindeldey gern 
dazu gemacht hätte, fondern der Geheime Regierungsrath 
Hegel wird Leiter ded Zentralamts für Preßangelegenheiten, 
das vor wie nach unter Manteuffel ftehen wird. Dr. Ryno 
Quehl gebt ald General:Ronful nady Kopenhagen. Die Kon- 
fulate find jeßt die glänzenden Erile, wohin man diejenigen 
wirft, Die man los fein oder verforgen will. Minutoli, Seifert, 
Neigebaur, Meuſebach, Quehl ꝛc. — 

Die Pairsernennung macht dem König viel zu ſchaffen, er 
kann ſich zu der großen Handlung nicht entſchließen, weder zur 
Aufſtellung eines leitenden Grundſatzes, noch zur einzelnen 
Auswahl, Er möchte lieber alles unterlaſſen. Die Kreuz— 
zeitungspartbei hofft noch immer ihn dahin zu bringen, daß er 
ftatt einer Bairdfammer eine Adelskammer mache, nämlich die 
ſämmtliche alte und begüterte Ritterfchaft zu Pairs zu ernennen ! 
Der alte Quark von ritterſchaftlichen Verbänden, die aus ſich 
heraus wählen! — 

Ranke war vom Könige von Baiern nach München berufen 





267 


Amerika auswandern. Ob es ihm gelingen wird? Das 
Gericht hat feine Verhaftung angeordnet. Diefer neue Ber: 
folgungsprozeß ift ein neuer Schandfled der jekigen preußifchen 
Regierung. Bor hundert und fünfzig Jahren ſchon durfte 
Zoland, der englifche Freidenker, foldhe Meinungen, wegen 
deren der arme Wislicenus fo fchnöde verurtheilt wird, ohne 
Scheu am Hofe vortragen, und die Königin Sophie Charlotte 
war felbjt eine SFreidenferin. Und nun gar Friedrich der 
Große! Doc, der ift ja der Einzige, der hat nichte mit dem 
heutigen Krömmlergefchlecht gemein! — 

Außer den Blauröden, im Felde vor den Thoren manö— 
priren im Innern der Stadt jeßt auch ganze Heerfchaaren von 
Schwarzröden. Der evangelifche Kirchentag hier ift von mehr 
als anderthalbtaufend Paftoren befucht. Die Menge fette die 
Polizei in Berlegenheit, fie konnte nicht mehr unterfcheiden, 
wer ein Paſtor und berufen fei und wer nicht? Der Kirchen 
tag erließ die öffentliche Aufforderung, jeder Kommende folle 
fi) vor der Wbreife mit einer Paßkarte verfehen. Die Ver: 
ſammlung der Schwarzröde ift nicht zu fürchten, fie beißen fich 
nur untereinander, die Draußenftebenden find ihnen nicht 
wichtig genug, und gegen die Katholifchen haben fie feinen 
rechten Muth. Wie weit find wir von der Kraft und Tapfer- 
feit der Reformation! — | 

Die Cholera ift noch ſehr fchlimm. Auch unter den Trup: 
pen find ungewöhnlich viel Kranfe. 


Sonntag, den 18. September 1853. 
Des Unheild und der Widrigkeit ift überall eine reiche 
Saat ausgeſtreut, die ungefehen aufgeht, vder unter ſchim— 
mernder Oberfläche fich verbirgt. Die Menfchen follten ein: 
ander helfen, einander bedauern, erfreuen; ftatt deifen machen 





269 


ift wahr; doch gönnt’ ich ihnen von Herzen noch zu leben. 
Roſenkranz und Güldenftern, in Betreff ihrer Befuche, fonft 
aber grundverfchieden ; in Weiher war ungleich mehr Kern, 
mehr Gefinnung. — 

„NRachgelaſſene Schriften von Anfelm Feuerbach, In vier 
Bünden. SHeraudgegeben von Hermann Hettner. Braun- 
Ihweig, 1853. 8." Auch einer der edlen und tüchtigen deut- 
ſchen Streber, denen Das Leben zu mächtig war, und die daran 
zu Örunde gingen. Enge Berhäftniffe, aber auch Mangel fri- 
ichen freien Weltblides! — 

Der neue Großherzog von Weimar fängt gut an! Dem 
weimarifchen Landtage werden zwei Gefeßentwürfe vorgelegt, 
zur Wiedereinführung der Prügelftrafe und gefchärften Zucht: 
hausftrafe, und zur Wiedereinführung der Todeöftrafe! Edler 
Randesvater! — 

Kofjak in der, Feuerſpritze fchlägt unbarmherzig auf den 
Intendanten der föniglihen Schaufpiele, Herrn von Hülfen, 
108, ftellt ihm Iffland's Einfiht, Artigkeit, Wirthichaftlich- 
feit 2c. zum Mufter vor, und meint, der Adliche ftehe an Bil- 
dung tief unter dem Bürgerlihen. Was hilfts? Er bleibt 
Intendant. — 

In Grote's Griechenland gelejen. Welch ein reines Ber- 
gnügen, ſolch ein Buch! Bei aller Mannigfaltigfeit der Gegen- 
ftände bleibt Grote immer in derjelben antheilvollen Wärme, 
immer in derjelben Geiſtesfriſche. Sein Buch hat feine öden 
Stellen, feine, wo bloß Gelehrſamkeit fich breit auslegt. Alles 
ift darin gedacht, eingejehen, erwogen, gefühlt. Das Werk 
wird bei und immer mehr anerfannt ; nur die Duckmäuſer, die 
Ariftofraten und Frömmler fönnen e& nicht vertragen, möchten 
die Vortrefflichfeit läugnen. 


— — — — — — 





271 


fion — durch ein Reffript des Minifterd des Kultus und des 
Minifterd des Innern, Raumer und Weftphalen, abgefprochen 
und den Melteften der Gemeinde dieſes eröffnet worden. 
Glaubt die Regierung, damit etwas gewonnen, der Religion, 
oder auch nur der Kirche, einen Vortheil gebracht zu haben? — 
Hat der Widerruf des Ediftd von Nantes, haben die Drago- 
naden in frankreich die Bewegung von 1789 gehindert ? — 

Der Oberftlieutenant Teichert mit feiner ganzen Familie 
binnen wenigen Stunden ein Opfer der Cholera! Auch andere 
plögliche Fälle hier und in der Umgegend. Der Kirchentag 
geräth in Schreden, viele der Gottesmänner denken an die 
Flucht aus Berlin! — 

In Grote geleſen, in Goethe. — - Neuigfeiten durchges 
ſehen. — 


— — — — — — 


Donnerstag, den 22. September 1853. 

Der Referendarius außer Dienſten Herr von Menshauſen 
und der Rittergutsbeſitzer Herr Köhler, angeſchuldigt dem Ge— 
fangenen Schlehan bei ſeiner Entweichung von Silberberg zur 
Flucht behülflich geweſen zu ſein, ſind vom Appellationsgericht 
in Breslau auch in zweiter Inſtanz freigeſprochen worden. — 

In Hannover find vom Schwurgerichtöhofe die Angeklay- 
ten Dr. Conring, Ritterat Willrih, Pofamentier Möbius und 
Damaftiweber Appenzeller freigefprochen worden. Sie waren 
beſchuldigt die Flugſchrift: „Reue eines preußifchen Soldaten 
über die Gräuelthaten des herrlichen Kriegsheeres in Baden ” 
verbreitet zu haben. Sie waren jeit dem April in Unter: 
ſuchungshaft! Auch ein Handelemann Müller, der dem Litte- 
raten Willrich zur Flucht bebülflich geweſen fein follte, wurde 
freigefprochen. Die müffen gewiß unfchuldig gewefen fein! — 

In Grote gelefen, in Goethe, und in Amalia Schoppe’d 
Erinnerungen, 





273 


chwerer Beleidigung des Oberbürgermeifter Phillip’d, Wulce- 
rode's und andrer Freigefinnten rechtöfräftig verurtheilt. Der 
König aber hatte ſchon im Auguft ihm Begnadigung ver: 
ſprochen, und diefe iſt nun durch Kabinets-Ordre wirklich er- 
folgt! Welch ein Beifpiel! Der König, der das Necht feiner 
mißhandelten Unterthanen aufgiebt dem Beleidiger zu Gunften! 
der fi mit diefem auf diefelbe Seite ftellt, verbündet, der 
Parthei nimmt gegen die gekränkten ehrlihen Männer für 
ſolchen Schuft! Und fein Minifter warnt den König, feiner 
zeigt ihm den Nachtheil folchen Handelns! — 

In Elbing find der Direktor Herbberg, die Oberlehrer 
Büttner, Kreyſſig, Lieber, die Lehrer Schilling und Neumann, 
auf die Polizei gefordert worden, um zu vernehmen, der Mi: 
nifter von Raumer habe aus den Akten erjehen, dag fie bei 
den legten Gemeinderathswahlen für den oppofitionellen Kan- 
didaten geftimmt hätten ; wenn fie das nochmals thäten, wür: 
den fie abgeſetzt. Die Frechheit diefes elenden Kerld geht 
wirflich weit, 

Der Landrath von dem Hagen in Droffen empfiehlt durch 
ein Umlaufsfchreiben an die Wahlmänner des Kreifed zur 
nächften Wahl für die zweite Kammer mit großen Nobes- 
erhebungen den Affeffor Wagener, und meint, es fei vornehm- 
lich die Prlicht des Landrathes für gute Wahlen zu forgen! 
Der Knecht heißt von dem Hagen. — . 

Die Empfehlung bat nichts geholfen. Es ift ein andrer 
Mann gewählt worden. (Der Geheime Revifionsratb Ambronn. 
©. d. Blatt vom 8. Oftober.) . 


— — — — 


Sonnabend, den 24. September 1853. 
Brief aus Hamburg von Ludmilla, lieb und gut; ſie kommt 
am 28. hierher zurück; ſehr erwünſcht und willkommen! — 
Der gute, wackre Prediger Uhlich will aus Nagdebutg, 


Varnhagen von Enſe, Tagebücher. X. 





275 


frob, wieder auf meinem Zimmer zu fein! Mir zum Troft las 
ich den Prometheus des Aeſchylos und deſſen Perſer, nur in 
der Stolberg’jchen Ueberfegung, aber auch in diefer Ab— 
Ihwächung von herrlicher Kraft, von unausfprechlicher Wir- 
fung! — 

Man findet die Schriften won Nadowik überaus gering, 
feicht, gehaltlod ; eine Sammlung von Platitüden, mit denen 
man in unwiſſender Gefellfchaft aroßthun, aber in der Litte— 
ratur nicht beftehen fann. Man erinnert an Ancillon's Schrif- 
ten, die auch von Diefer Art waren, und die mit feinem Tode 
völlig geitorben find, jchon früher zum Theil todt dalagen. — 


Sonntag, den 25. September 1853. 
Die Sonntagdfeier wird ftreng gehalten, alle Läden feit 
verfchloffen! Dumme verrüdte Maßregel, auf die der heuch- 
lerifche vornchme Pöbel ſich viel einbildet. Dabei die Grup- 
pen auf der Schloßpbrüde in antifer Nadtheit, von Menſchen 
dicht umftanden und begafft, die fich der Unanftändigkeit freuen, 
- nicht, weil es diese tft, fondern weil hier einmal der Kunitdufel 
wider Willen mit dem chriftlichen frömmelnden Dufel in Streit 
fommt, jener diefen verfpottet und höhnt; der Kladderadatich 
beutet den Gegenftand reichlich aus; der König wird noch befehlen 
müffen, den Bildfäulen einmal während der Nacht die Ge— 
Ichlechtötheile wegzumeißeln! Das Aergerniß wird immer tol- 
ler, es ift ein Hohn und Gefpött ohne Ende. Der Kladderadatſch 
bindet auch mit dem Kirchentage an, zwar vorfichtig, aber doch 
iharf; er thut ald gäbe er Beſcheid auf einen eingefandten 
Artikel, den er nicht aufnehmen könne, und fagt, das Stroh, 
dad drinnen gedrofchen werde, jei ja noch leerer, als das 
draußen auf der Straße; — vor der Garnifonfirche, wo der 
Ihwarze Klub fih verfammelt, ift nämlich Stroh auf die 
Straße gelegt, damit das Geräufch der Wagen die Berfamm: 
18* 


276 


fung nicht ſtöre. Das Volk fpricht mit Hohn und Verachtung 
von den firchlichen Anftalten und Nedereien, fehimpft auf die 
Pfaffen, und die Pfaffenfreunde, den König an deren Spike. 
Ein Zerrbild it in Leipzig auf das Unwesen erfchienen, bier 
aber gleich verboten worden. — 

Die Herausgeber der „Gränzboten“ befennen ſich frech 
zum Prinzip der Gothaer; fo thöricht als jämmerlich! Ver— 
geben? wollen fie die Perfonen verwerfen und nur das Prin- 
zip feithalten, grade diefed taugt nicht, es ijt das der ſchwäch— 
lichen Anbequemung, die zufrieden ijt mit etwas wenigen, 
auch wohl mit nichtd, 3. B. mit dem lumpigen Berfaffungs- 
weſen jest in Preußen. Dieſe blödfichtigen Tröpfe möchten 
und cinreden, eö ſei verkehrt und Schlecht, fich der Theilnahme 
an den Wahlen für diefe Lumpenkammern zu enthalten; — wie 
richtig und gut es iſt, zeigt und am beiten dad Treiben der 
Regierung zur Theilnahme an den Wahlen. — Wir erfen- 
nen das Gute und nehmen ed an, woher und von wen ed 
fommt, aber den Schein, das Falfche, den Betrug läßt ſich nur 
die Dummheit ald Gutes vorfpiegeln. Wir wollen fein be- 
jtimmted Maß der Sache, aber wir wollen die Sache, die 
Richtung zu ihr, das Kortfchreiten, die Ihätigfeit zur Frei— 
heit mehr noch als ihre Früchte. Wir wilfen die Hinfälligfeit 
aller menjchlihen Dinge, und fagen nicht, wir wollen unbe- 
dingt died oder jenes äußere Gebild, das wir und ausgedacht, 
verwirklicht jeben; dem Freunde des Volkes und der Freiheit 
fann ein edles Königthum lieb und werth fein, eine nicht: 
würdige Republik wird er haſſen. — 

Bettina von Arnim ift mit ihren Töchtern Armgart und 
Giſela bei der verheiratheten Tochter Mare, Gräfin von Drivla, 
in Bonn, und foll dort unter Profelforen und Studenten ges 
börigen Rumor machen. Das läpt fih glauben! — 


277 


Montag, den 26. September 1853. 

Das ift brav, das ift ein Labfal! Dr. Koſſak hat in fei- 
nem heutigen Montagsblatte den Kirchentag nad) Gebühr be- 
zeichnet und abgefertigt, die Pfaffen in ihrer Rohheit, Hoffahrt 
und Unverfchämtheit dargeftellt, fie mit verdienten Geißelhie- 
ben gezüchtigt; wie ed ihm befommen wird, das fteht dahin, 
jedenfall® hat er fich eine Bürgerfrone damit verdient. So 
was Starkes, Unummundenes ift unferen Kircheneiferern und 
Frömmlern lange nicht gefagt worden. Ein Stüdchen freier 
Preſſe ift doc noch da! — Auch gegen den Intendanten von 
Hülfen ſetzt er feine Angriffe mutbig fort, und giebt ihm herbe 
Streihe. — " 

Abend? um halb 8 Uhr ließ fich Herr J. Oswald Mur- 
ray bei mir melden, ein Schotte, der aus Paris fommt und 
mir ein Empfehlungsblatt von der Gräfin d'Agoult bringt, 
das feinen Karafter, feinen Geift und fein Fünftlerifches wie 
litterarifches Talent rühmt. Er war eben erft in Berlin an- 
gekommen, will aber auch gleich wieder fort, erft in England 
Deutfch lernen und dann wiederfehren. Eine ſeltſame Mifchung ! 
Er ift in Handelögefchäften, liebt Litteratur und Kunft, ift mit 
Lammenais auf's innigfte verbunden, „nous sommes comme 
pere et fils“, fennt aber auch Louis Blanc, den Bildhauer 
David ꝛc. Lammenais ift nicht Fatholifch mehr, fagt er, nur 
ein Chrift nach dem Evangelium. Don der Gräfin D’Agoult 
fagt er, den legten Theil ihres Geſchichtsbuches hätte fie lieber 
nicht fchreiben ſollen, fie habe alled nur zu ſchwach ſagen dür- 
fen. Und mid) dünft, es ift doch ftarf genug! Die Mifchung 
von äußerſtem Freifinn und gefühlvoller Frömmigkeit iſt fehr 
merfwürdig. — | 

Im Horaz etwas gelefen, in Goethe einiges nachgefeben. 

Es ift im Werke, dem Aſſeſſor Wagener, dem Redakteur 
der Kreuzzeitung, nachdem er bei diefem Gefchäft fih nicht 
halten gekonnt und von den Gerichten eine mehrmonatliche 





279 


Tagen aus allen Kräften an feinem Ruhm.“ m fchlimmen. 
Sinn! (Mebed war fein Adjutant.) — 

In Louis Blanc gelefen, und in „Memoirs of Sir Tho- 
mas Fowell Buxton. London, 1851. 8.“ 

Der Redakteur der Volkszeitung, Herr Dierfe, war wegen 
eined Artifel®, der die preußifche Politik tadelte, angeklagt 
worden, Haß und Verachtung gegen die Obriafeit zu erregen; 
das Kriminalgericht ſprach ihn heute frei, denn der Tadel fei 
noch keine Schmähung. Der Staatsanwalt, der die Anklage 
erhob, verdient Strafe, denn wenn ſolche Artikel nicht gefchrie- 
ben werden dürften, fo wäre fein Wort mehr erlaubt, — 

In Medienburg-Schwerin find zwei Angeklagte, unter 
denen ein Paſtor, die befchuldigt waren eine Schrift von Ronge 
verbreitet zu haben, in der Appellation völlig freigefprochen 
worden. — | 

Der arme Kradrügge in Erfurt wegen Preßvergehens 
auf's neue zu drei Monat Gefängniß verurtheilt! Vor furzem 
ift fein Sohn auf einer Fußwanderung räuberifch ermordet 
worden. - 

Heute im Jahr 1814! Mein Hochzeitstag! — 


Mittwoch, ven 28. September 1853. 

Brief aus Hamburg von Yudmilla, fie fommt! — Nach— 
mittags nad) A Uhr fam Ludmilla von Hamburg an, ich holte 
fie auf dem Bahnhof ab, fie ift wohlauf und freudig, letzteres 
ih auch. Unter Erzählungen und Gefprächen blieben wir 
zufammen bis gegen 10 Uhr, dam fühlten wir und beide er- 
müdet und fagten einander Gutenadht. 

Nachträgliches vom Kirchentag. Nicht alle der verfammel- 
ten Geiftlihen fonnten ihren firengen Ernft behaupten oder 
ausdauernd heucheln, einige zeigten ungemeine Zuftigfeit, den 
Iuftigjten Weltfinn. Nicht blos Koſſak erzählt, daß er zwei 





281 ! 


und faljcher Karakter war. Die Gefchichte mit dem Ringe 
wird behauptet, jedoch bleiben erhebliche Zweifel übrig. — 

Der König hat den Befehl ertheilt, das Alumnat des 
Joachimsthal'ſchen Gymnafiumsd jest fchleunigft nach dem 
Klofter Chorin zu überfiedeln. Der Befehl war fehon vor 
Jahren einmal gegeben, dann wurde die ganze Sache 
für ungegründet erklärt; dann kam neuer Befehl, der aber 
durch Schwierigfeiten hingehalten wurde. Jetzt nun foll 
endlich ſchnell Ernſt gemacht werden; der König hat Schul: 
pforta wiedergefehen, und will Chorin ebenfo beſetzt wiſſen. 
MWird es diegmal gelingen? Die Meberfiedelung foll aus den 
Mitteln der Anftalt beitritten werden; nun aber find Alum- 
nat und Gymnafium in vielen Stüden mit einander verivach- 
fen, auf einander angewiefen, wer foll’da zerfchneiden, erjeken, 
einrihten? — 

Die Leute nennen hier den Polizeipräfidenten von Hindel- 
den den zweiten König. Dad Volk hat eine gute Merfe! 
Diefe Bezeichnung ift Feine, wobei die Majeftät gewinnt; ann 
die Macht übertragen werden, von der Perſon getrennt wer: 
den, fo fehwindet der Nimbud. — 


Donnerstag, den 29. Septeniber 1853. 

Befuh von Herrn Carteron; er reift diefer Tage mit fei- 
ner Frau nach Paris, denkt aber zurüdzufommen. Züge zur 
Bezeichnung des jegigen Zuftandes in Frankreich. Niedrigfeit 
Sainte-Beuve’s, der dem Louis Bonaparte fehmeichelt und ſich 
von Perfigny gebrauchen läßt; fein Ausfall gegen Humboldt 
in einer Börrede zu Ra Rochefaucould's Marimen. Bravheit 
Mignet’3 in einer Rede; Berryer’d Hartnädigfeit nicht in die 
Akademie einzutreten; Zurüdgezogenheit von Thiere. Es 
geht im Stillen manches vor. — 

Brief aus Köln von Herrn Prof. Dünger; er war in 





283 


forfchungen bi zur Abftammung von einem Schneidergefellen 
fortgeführt. Ueber die Familie Brion jedoch wurde erft öffent: 
lich gefprochen, als alle Mitglieder derfelben verftorben waren, 
Wo ift da eine Verlegung? — Goethe felbit hat einmal gegen 
Eckermann feinen Unwillen geäußert, daß man von ihm habe 
wiffen wollen, ob er bei dem Städtchen in Hermann und Doro— 
thea einen beftimmten Drt im Auge gehabt und welchen ? 
Dieje Anfrage hatte ich an ihn gerichtet, im Namen mehrerer 
Perſonen, denen damals diefer Gegenjtand eine angenehme 
Beichäftigung war. Goethe hatte feine Urfache, darüber un: 
willig zu fein; bei andern Gelegenheiten giebt er felbit und, 
recht gern ſolche Auffchlüffe. Wohl möglich, daß Goethe bei 
feiner Weußerung gegen Edermann meinen Namen genannt 
bat, und diefer ihn aus Rückſicht verfchwiegen hat. Ich ſchrieb 
ihm darüber, und meldete mich gleichfam, indem ich ihm jagte, 
ich fei nicht Jo Schüchtern, und er hätte mich dreift nennen dür- 
fen. Der dumme Kerl mißverftand das fo arg, daß er meinte, 
ih fei nur deßhalb unzufrieden, weil mein Name überhaupt 
in feinem Buche nicht vorfäme! Zum Glück ift mein Brief 
felbft ein Zeuge für mich! — 


Freitag, den 30. September 1853. 
Die Magdeburger freie Gemeinde, ihrer Konzeflion ver: 
Iuftig, will es auf die unfichre Duldung wagen, die ihr das 
Bereindgefeb gewährt, und fortbeftehen fo gut es geht und fo 
lange man es geftattet. Aber welchen Scheerereien und Roh: 
heiten der Polizei bleibt fie preisgegeben! Auch anderer Orten 
fangen die Schifanen gegen die fummervoll das Neben friiten- 
den freien Gemeinden wieder an, in Schlefien, in der Mark, 
in Preußen. — 
In Nürnberg weift die Polizei mit fchamlofer Gewaltthat 
einen anfälfigen Bürger aus, weil er an einem politifchen 





285 


gar nicht mehr aushalten, objchon er auch da ſtets umherfährt 
und an feiner Stelle lange bleibt. Er verlangt nad) größeren 
Ausflügen, nah neuen Gindrüden, Bewilllommnungen, 
Prunfauftritten, Huldigungen. Daß ed mit den inländifchen 
Freudenbezeigungen nicht. jo recht richtig iſt, merkt er 
jehr gut; daher wünfcht er ausländische. Wäre die Welt 
ruhiger, fo würde er al& Pilger nach Jeruſalem wallfahrten, 
Luft dazu bezeigt er oft genug. Gr ginge auch gern nad) 
Spanien. — 

„Memoires et correspondance politique et militaite 
du roi Joseph. Par R. du Casse. Paris, 1853. Tome I.“ 
Es follen 6 bis 8 Bände werden; der Werth erfcheint etwas 
untergeordneter Art; die Briefjchaften und Aktenſtücke jind 
nicht immer gute Zeugniffe, am wenigften wenn von Napo- 
leon die Rede ift. — Ueber den Herzog von Enghien hat er 
feinen Bruder Joſeph getäufcht, oder diefer die Welt täufchen 
wollen. — 


Sonnabend, den 1. Oktober 1853. 

Gefchrieben. Ueber die orientalifche Frage auch einmal 
ein Wort! aber zu Gunften feines der Betheiligten, fondern 
zur Anklage und Schande aller, beſonders aber Defterreichg, 
das hinter den Raubanfchlägen Rußlands feige lauert, die 
eignen nebenher mit durchzuſetzen. — 

Neue Schändlichfeit in der Elbinger Sache. Der muthige 
Bürger Jacob Riefen in Elbing hat dem Staatsanzeiger eine 
Berichtigung der falfchen Angaben eingefandt, welche dieſes 
Blatt über die Auflöfung der Elbinger Stadtverordneten-Ber- 
ſammlung veröffentlicht hatte. Der Staatsanzeiger war ver- 
pflichtet Durch das Preßgeſetz, diefe Berichtigung fogleich auf- 
zunehmen; aber das Blatt und die Regierungs- und Polizei— 
behörde find hier eind, und nad) längerem Zögern wies es die 


F 


286 


Berichtigung zurüd. Auf neue drohende Mahnung nahm es 
ſolche zwar auf, aber verftümmelt, die Behörde wollte ihren 
lügenhaften Bericht doch nicht ganz aufgeben. Seht hat Herr 
Niefen feinen Einfprud und den ganzen Hergang in die Natio- 
nalzeitung einrüden laffen. Doch noch ein biechen Preffrei- 
heit, die folche Schurferei und Tüde gehörig an den Tag 
bringt! — 

Der Staatdanzeiger meldet die Anftellung des Dr. Ryno 
Quehl als Generalfonful Preußend in Kopenhagen. Biel 
Ehre! — 

Abende. mit Ludmilla Schach geipielt, und bis halb 1 Uhr 
gefprochen, über Menfchen und Berhältniffe. In Grosley's 
Oeuvres inedites gelefen, in Burton. — 

Der ruffifche Kaifer hat fih in Olmütz überaus friedlich 
audgefprohen, Warum follt’ er nicht? Seinen Raub hält er 
einftweilen feft, und Furcht hat er auch! Der Kaifer hat das 
frühere perfönliche Anfehen, deifen er bei Freund und Feind 
genoß, ganz eingebüßt. Der Schimmer ift verfchwunden, und 
der Mann fteht in feiner Blöße da, ein Mann ohne Talent 
und Geift und durchareifenden Muth, ein Dann, den der 
neue franzöfifche Kaifer, fo fehr diefer ein — ift, weit über- 
flügelt, und ſchon vielfältig hat narren dürfen. — 

Das mit fo großem Gepränge vom Treubunde — diefer 
Nottenichtswürdiger Reaktionaird — angekaufte und zu Feten 
benußte Haus in der Friedrichöftrape hat wegen Zahlungs- 
unfähigfeit der elenden Genoſſenſchaft Hffentlich verfteigert 
werden müffen und fait alle Handwerker und Arbeiter find 
dabei mit ihren Korderungen ausgefallen. Die infame Kreuz: 
zeitung ſucht diefe Schande zu bemänteln, indem fie ver: 
fchleiernd fagt, einige kleine Gläubiger wären mit ihren Forde— 
rungen durchgefallen. — 

Die Regierung der Vereinigten Staaten von Nordamerifa 
billigt das Verfahren ihres Schiffsfapitaind Ingraham im 


287 


Hafen von Smyrna, und nimmt fich des von ihm befchükten 
ungarifchen Flüchtlinge Koßta als nunmehrigen Bürgers der 
Bereinigten Staaten trotzig gegen Defterreich an, Letzteres 
hat ſchnöde Antworten und auch Rupland und Preußen berbe 
Zurüdweifung hinnehmen müffen. Sa, ja! Nordamerika ge— 
winnt Stimme! — (Später ftille Auslieferung Koßta's an 
die nordamerifanifche Behörde). 


Sonntag, den 2. Oftober 1853. 

Ausgegangen mit Ludmilla. Im Kunftverein die neuen 
Bilder angefehen. Ich freute mich auf’8 neue des prächtigen 
Bildes von Menzel, Friedrich's des Großen Tifchgefellichaft, 
meines lieben Königs, meines lieben Voltaire's und der andern 
wackern Genofjen, die hier beifammen ſitzen. Da war Geift 
und Kraft in Preußen. Sept haben wir den elenden Kirchen- 
tag, die Frömmler und Heuchler, die Prahler und Schwädh- 
linge, die düftere ftrenge Sonntagsfeier, die nur den Schein 
erzwingt, und mehr Fluchen und Verwünſchen erweckt ale 
Gebet. Das Volk halt fi) am Abend um jo mehr fchadlos 
für den Zwang am Vormittag, je läftiger ihm diefer geworden 
ift. Unendlicher Schaden wird durch die Frömmler-Rotte an- 
geftiftet, Leidenſchaft und Zorn erregt, und befonderd Schein- 
frömmigfeit begleitet von allen heimlichen Gottlojigfeiten. Ich 
verfluche dad Unweſen täglich. — 

Zu * gefahren. Alwina Srommann, die ich weiß nicht aus 
welchem Anlaß allerlei von Goethe'n erzählte, und das war das 
Befte vom ganzen Abend. Sie fagte unter anderm, man habe 
es Goethe'n immer angefehen, wie fehwer es ihm wurde, ja 
wirklich weh that, wenn er genöthigt war zu tadeln, zu ver: 
werfen; dagegen leuchteten feine Augen freundlich, wenn er 
irgend tüchtigen Sinn, frifchen Geift, oder irgend Geſchicklich— 


288 


feit und Talent wahrnahm, das Kleinfte wußte er in diefer 
Richtung anzuerkennen, zu ermuthigen, zu fördern. Da fieht 
man den ganzen Goethe! ch forderte Alwinen dringend auf, 
alle ihre Erinnerungen von ihm niederzufihreiben, und wo fie 
deſſen eigne Worte nicht mehr wife, wenigitend den Sinn oder 
Eindrud wieder zu geben. — 

Zu Haufe noch mit Ludmilla längeres Geſpräch, über 
Menfihen, Kitteratur, Kriegsereigniffe. — 

Der König ift heute Abend nach Warfchau gereift, wohin 
der Kaifer von Rußland ihn eingeladen hat, und auch der 
Kaifer von Defterreih kommen ſoll. Diefe Reife mipfällt 
ſehr. Die Leute jagen, der Kaifer hat den König fommen 
laffen, hat nach ihm gefchielt, und andres dergleichen, um an- 
zudeuten, daß der König eine untergeordnete, abhängige Rolle 
ipielt. — 

Der Kanzleirath Joel Jacoby fteht nun doch an der Spike 
der Behörde für Preßfachen, anftatt des beförderten Quehl. 
(Dem Namen nach der Geheime Negierungsrath Hegel, dem 
Wirken nach aber Joel Jacoby. —) Wenn man alle fchlech- 
ten Kerle zufammentafft, bezahlt und liebfoft, glaubt man 
gut bedient zu fein. Gold ein Subjekt wie Joel Jacoby! — 

Der arme Kradrügge in Erfurt ift abermals, wegen eines 
alten Preßvergehene — Beleidigung (angebliche) eines Poli— 
zeifergeanten — zu 9 Monaten Gefängnig verurtheilt worden! 
Den braven Mann wollen fie mit aller Gewalt zu Grunde 
richten, fie haben einen tödtlichen Haß auf ihn! — 

Der Gymnaſiumsdirektor Gladifh im Poſen'ſchen hat 
fein Mandat ald Abgeordneter zur zweiten Kammer nieders 
gelegt. Seine Unfähigkeit ift noch größer als feine Schledhtig- 
feit. Die Kammer hat einen Schaaföfopf weniger, was will 
das fagen bei fo vielen? — 


289 


Montag, den 3. Oftober 1853. 

Der König war -geftern auf dem Bahnhof weitum von 
Konftablern bewacht, einen großen Umkreis hielten fie leer um 
ihn. Eine ziemliche Volksmaſſe war Doch zufammengeftrönit 
am Potsdamer Thor. Kein Jubelruf, Tautlofe Stille, düftre 
Gefichter. — 

Der Handelöminifter von der Heydt hat den Poftämtern 
verboten, die in Hannover erfcheinende „Zeitung für Nord-- 
deutfchland* ferner auszugeben. Ganz wider Ordnung und 
Geſetz. Der Handeldminifter hat in Preßſachen nichts zu vers 
bieten, und auch feinen Poftbeamten hierin nicht® vorzufchrei- 
ben. Der Minifter ded Innern wird ſich's wohl gefallen 
laffen. Es ift ja ohnehin alles in ftiller Anarchie! — 

Durch die den Beamten aufgedrungene Gleißnerei für den 
König, für ihre Borgefebten, für Die Kirche, durch die DBezei- 
gungen, welche für den König diejenigen anbefehlen, welche 
ſelbſt keine Niebe für ihn hegen, jondern ihn mißachten und 
fogar fhimpfen, wird er mit lauter Gonerill's und Regan's 
umftellt, die füßed Wort auf den Lippen aber Bosheit im Ser: 
zen tragen, und Cordelia wird verftopen und entfernt. Ob 
noch die Zeit fommen wird, wo man fie vergebens anrufen 
und herbeiwünfchen wird?! Nicht jedem iſt's befchieden, feine 
Kataftrophe zu erleben, die ift fchon eine Auszeichnung, man- 
cher läuft drunter weg, weil er dem Schidfal zu gering; fo 
Ludwig der Fünfzehnte, deifen Sünden erft an feinem Enfel 
geftraft wurden, — 

„Was haben wir durch die Revolution von 1848 gewon- 
nen?" O gar vieled, was wir fchmerzlich entbehren würden, 
wenn wir es wieder verlieren follten. 1. Das Bewußtfein, 
das Beifpiel großer Möglichkeiten in Deutfchland. 2, Preß- 
freiheit, denn troß aller Beſchränkungen ift es wirklich Frei⸗ 
heit. 3. Deffentliche Gerichte, Geſchworne. A. Anfang parla- 
mentarifhen Lebens. — Diefer Anfang ift no ſchwach, 


Varnhagen von Enſe, Tagebücher. X. 





291 


heil könne für Preußen in Warſchau audgebrütet werden. 
Der Minifter von der Heydt jammert, daß die Kourfe fallen, 
daß Preußen jest gar fein Geld habe, auch, feines befommen 
könne, daß eine Truppenaufftellung jebt an den Rand des Ab- 
grundes führen müßte. Der Firhlichfromme Minifter legt 
fich gar feinen Zwang auf, und fchimpft, wie nur ein Demo: 
frat es könnte. Dabei findet man es tief unter der Würde 
des Königs fo nad Warſchau gleich hinzulaufen, nachdem er 
nicht mit in Olmütz gewefen. — Der Minifter von Man: 
teuffel- ift ganz verblüfft, und fühlt die ihm zugefügte Krän- 
fung tief. — 

Der weimarifche Landtag hat die Wiedereinführung der 
Todesſtrafe und der Prügelftrafe mit aroper Stimmenmehrheit 
abgelehnt. — Der neue Großherzog wird ald ein herzlofer 
Phantaft angefehen. — 

Immer mehr Abgeordnete unjerer Kammer legen ihre 
Mandate nieder, ‚fie finden es ein undanfbares Gejchäft, der 
Regierung in diefer Eigenfchaft zu dienen oder zu widerfprechen. 
Neue Wahlen finden Statt, aber die Demokratie hält fid 
ihnen fern. Mit vollem Recht und gutem politifchen Taft. 
Die Doftrinaird und Gothaer möchten e3 freilich für einen 
Fehler ausgeben, weil ihre Sache dabei nur leidet, denn Die 
Demokraten könnten jebt unmöglich ihre eignen Leute durch- 
fegen, fie müßten Gothaer wählen. Die Demofratie will ihr 
Wahlgefeb, bis das hergeftellt ift, muß fie fich enthalten, das 
iſt fo recht ala klug. — 


Mittwoch, den 5. Oktober 1853. 
Brief aus dem Haag von Frau Anna Aller; meine Schwä⸗ 
gerin Roſe Alfer, Rahel's einzige Schwefter, ift am 1. Oktober 
dafeldft im dreiundfiebzigften Jahre geftorben; fie hat mir 
die Briefe vermacht, die fie von Rahel noch befißt, und auf 
19* 





293 


beaucoup de ne voir personnellement votre empereur et 
de ne pouvoir dire & toute l’Europe comment j’aime et 
estime l’empereur votre maitre; je vous invite de me 
suivre à Varsovie pour assister aux manoeuvres de mes 
troupes.“ ft ihm das Wort in der Kehle nicht erftorben, 
hat ihn die Schamröthe nicht erſtickt, bei diefer Unwürdigfeit 
gegenüber dem —, dem —? Wa ift da noch für Stolz übrig, 
für Ehre, wenn man fich vor ſolchem —, den man felber für 
einen unberechtigten — hält, fo demüthigt, fo erniedrigt? Es 
wäre hiemit der Schande genug, aber es fommt noch beffer! 
Der General Goyon hat die Worte des Kaiferd fogleich nad) 
Paris telegraphirt, und fogleich den Befehl erhalten, nicht mit 
nah Warfchau zu gehen, weil fein englifcher General diejelbe 
Sinladung erhalten habe. Sp ift e& recht! Erſt Selbiter- 
niedrigung, dann noch Schnödigkeit abfeiten des Gejchmeichel- 
ten! — Meinen diefe Gottverlaffenen auf dem Throne, auf 
ſolche Weife noch Ehrerbietung unter den Menſchen zu be- 
haupten? Meinen fie mit großen Worten und Rügen das Volk 
immerfort zu betrügen? jeder Geringfte ſieht ja die Erbärm- 
lichkeit, die Feigheit! — 

Der Alfeffor Wagener, wegen Beleidigung Manteuffel’s 
zu 9 Monaten Gefängniß verurtbeilt, hat uppellirt, und ift 
heute in zweiter Inſtanz zu 6 Monaten verurtheilt worden. 

Zu gleicher Zeit aber denkt man daran, ihm eine Oberftaats- 
anwaltichaft zuzumenden !! 

Arago ſtarb in Paris am 2. Oktoberi im 68. Jahre. 


Donnerstag, den 6. Oktober 1853. 
Zu Hauſe mit Ludmilla viel geſprochen, und gelacht. In 
Burton geleſen und in George Sand. — 
Morgen fommt der König von Olmüg zurüd, und der 
Kaifer Nikolaus mit ihm! — Kriegögerüchte, Beftürzung der 





295 


Bettina von Arnim, ließen ſich die ftarfen Uinfläthereien, welche 
der Vortrag nur wenig milderte, ganz gern gefallen. Jetzt 
aber, ohne die luftige Genoffenfchaft, beim einfamen Leſen, 
wird mir dad Ganze nach wenigen Seiten ſchon zuwider, und 
ich begreife nur die Wirkung, die e8 damald üben konnte, 
wenn ich alle die mithelfenden Umstände mir vergegenmwärtige, 
die Damals walteten. 


— — — — — 


Freitag, den 7. Oftober 1853. 

Nachmittags Beſuch von Frau von Treöfow. Englifche 
Sachen befprochen, die Beterei, die Aeußerlichkeiten der Fröm- 
migfeit, die den Leuten zur Hauptjache werden. — „Ad 
Gott!" ald Ausruf der Verwunderung oder Müdigkeit, ift den 
Dummföpfen eine Gottesläfterung, aber Gott mit ihrem 
verächtlichen Dank zu behelligen, wenn ihnen ihr Plums 
pudding gefchmedt hat, dünkt ihnen fromm und verdienftlic ! 
Seiner Stiftung nad ift dad Chriftenthum das Allermora- 
liichfte, und will nur diefes fein, fie machen daraus aber 
das Alleräußerlichfte, ftatt des lebendigen Geiftes wählen fie 
den todten Buchftaben, fo fehr auch Chriftus grade dieſes ver: 
worfen hat. Ueber die Erbärmlichkeit der Menſchen; ein guter 
Schein, ein biöchen Titel, und beſonders gut Eſſen und Trin- 
fen, das befticht ſie faſt immer; fich ein Haus zu verfchliegen, 
wo man eingeladen wird, gute Biffen empfängt, gepußte Leute 
fieht, allenfalls etwas Mufif hört, das geht über ihr Vermö— 
gen, wenn fie auch die Bewohner des Hauſes noch fo gering 
Ihäßen! Es war vom *fchen Haufe Die Rede. Welch uner- 
meßlihe Räume tiefer Unfittlichfeit und Verwilderung aller 
Begriffe werden aufgededt, wenn man den Zufammenhang 
aller unfrer Rebensbedürfniffe etwas ehrlich unterfucht! Dan 
fann von allem, was ald gerechtfertigt oder richtig gilt, gradezu 
das Gegentheil annehmen, und wird meift das Rechte treffen. 





297 


fichert, Fräulein Emilie von Waldenburg fei in Potsdam 
und man habe fie geſehen. Uber eine Dame, das jei richtig, 
habe fi am Kreuz in der Friedendfiche erhängt, fei in 
Bornftedt fill begraben, die Kirche auf des Könige Befehl 
wieder geweiht, die ganze Gefchichte aber unterdrüdt worden, 
weil die Königin nicht wieder in diefe Kirche würde gehen wol- 
len ; daher werde auch der Name der Dame nicht genannt. Eine 
Sache fo nah und offen, und doch fo verſteckt und zweifelhaft! 


Sonnabend, den 8. Oftober 1853. 

Ausgegangen mit Ludmilla. In der Leipziger Straße eine 
Drofchfe genommen, vor das Potsdamer Thor, länge des 
Kanals bis zum Birkenwäldchen, und zurüd. Sehr ange: 
nehme Fahrt, frifche gute Luft, und warm durch die Sonne; 
noch viel guted Grün, dazwifchen viel Herbitlaub. — 

Der Major außer Dienften Senfft von Pilſach auf Sans 
dow bei Ziebingen, bat die Frechheit gehabt, dem in Droffen ° 
gewählten Abgeordneten zur zweiten Kammer, Geh. Rath 
Ambronn, durch einen Brief zuzumuthen, daß er die Wahl 
nicht annähme, da diefelbe dem Affeffor Wagener doch nur 
durch zufällige Abwefenheit einiger Wähler entgangen fei, und 
droht ihm im Weigerungöfalle mit VBorhaltung früherer Reden 
und Abftimmungen. Diefen unverfchämten Burjchen hat 
Ambronn gehörig abgewieſen, und die gewechjelten Briefe 
dur, die heutige Spener’fche Zeitung veröffentlicht. 

Die Kreugzeitung macht einen pöbelhaften Ausfall gegen 
Fanny Lewald. Durch folche brutale Gemeinheiten Tchadet 
ihr das Blatt am wenigſten. 3 ift eine Ehre, dort ange— 
griffen zu werden. — 

Abend! mit Ludmilla bei *. Zu Haufe noch eine längere 
Sitzung, zu der Julian Schmidt meift den Stoff zu leihen 
hatte. Der Hauptfehler feines Buches ift, daß er immer zankt, 





299 


.. Sonntag, den 9. Oftober 1858, 

Geſchrieben. — Beſuch von Herren von Halle, geweſenem 
Präfidenten des Handelögerichte in Hamburg, Schwiegerfohn 
Salomon Heine’d, Neffe ded verftorbenen Hartwig Heſſe; er 
reift über Paris und Marjeille nad) Neapel, um den Winter 
dort zu bleiben; ich kannte ihn vorher gar nicht. 

Abends Yudmilla bei der Gräfin. von Ahlefeldt,; ich blieb 
zu Haufe, und las und arbeitete größtentheild in Rahel's Brie- 
fen, mit denen ich in Gedanken alle Tage feit der Nachricht 
von dem Tode ihrer Schweiter Rofe jehr befchäftigt war. Mir 
erſchloß fi) beim Wiederlefen gleichſam ein neuer Schaß, 
Leben ftrömte mir zu in feiner urjprünglichen Reinheit und 
Kraft, in feinen höchften und edelften Geftaltungen. So vies 
les oft Gelefene hatte ich vergeffen, oder nur farblos behalten ! 
Mit allen ächten, gediegenen Schriften geht es und fo, nad 
furzem Zwifchenraum find jie und wieder neu, fie fprechen 
anders zu und, wir bringen frifchen Sinn für fie mit. Das 
probire mal einer mit untergeordneten, abgeleiteten, bloß and 
dem Talent hervorgegangenen Schriften. — Rahel's Andenken 
erwachte ganz leidenschaftlich in mir! — 

ALS Ludmilla nad) Haufe gefommen war, hatten wir noch 
lebhaftes vergnügliches Geſpräch, hauptfächlih Erinnerungen 
an unfere Eltern und Boreltern. Viele befondere Züge famen 
zur Sprache. — 

In Burton gelefen, und in der „Gegenwart“ (Brodhaus, 
Heft 99) den Auffab über das Frankfurter Parlament, — 

Der Kaifer von Rußland reift morgen wieder ab, nad) 
St. Peteröburg, wo er fo ungern ift. Kein Herrfcher, der fich 
an die Spiße feiner Kriegäheere ftellt, ftellen fann! Und ift 
er mehr Staatsmann als Feldherr? Er fpielt in der ganzen 
jegigen Berwidlung eine klägliche Rolle; feine Arglift und 
Unredlichfeit fommen ebenſo wie feine Ungefchidlichfeit an 
den Tag und fein Anfehen hat unendlich verloren. — 





” 301 


mitgetheilte waren. Die Beröffentlihung fällt mir zur Schuld, 
und diefe trag’ ich fo leicht ald willig; mein einziges Bedauern 
Dabei ift diefes, daß fo manche nichtöbedeutende Perfonen bei 
diefer Gelegenheit zu Namen fommen, was felbft mit dem an⸗ 
haftenden Tadel noch zuviel Ehre für fie iſt. — Meine Hoff- 
nung auf die Briefe Rahel's, die ich aus dem Haag erhalten 
ſoll, ift jehr gemindert; es werden wohl nur die fein, die ich 
jhon 1833 hatte, und nad) genommener Abjchrift zurüd- 
ſandte. — " 

Ausgefahren mit Ludmilla zum Brandenburger Thore 
hinaus, die Potsdamer Straße hinab, an dem Kanal hinauf 
zu dem SKreuzberge, die Trümmer von Tivoli durchwan— 
dert, durch die Hafenhaide zum Kottbuffer Thor, und länge 
des Kanals zurüd, durd das Potsdamer Thor nach Haufe. 
Schöne erquidende Fahrt! Goldener Sonnenſchein, reine 
Himmeldbläue, das Waſſer herrlich blau, grünes Laub und 
welfes Schön ; die Luft wortrefflich, frifch und doch warm. — 

Der Oberforftmeifter von Burgsdorf hatte mich befuchen 
wollen. Der Freiherr Boris von Uexkull (der Majoratsherr) 
war dagewefen, und hatte aufgefchrieben, daß er mit feiner 
Frau (er über 60. Jahre alt, fie faum 30) auf der Durchreife 
nach Nizza hier fei. Ich ging Nachmittags zu ihm, die Frau 
gefiel mir ganz wohl, er ist der Alte, lebhaft, fahrig, verblafen, 
von allem den Schaum abjchöpfend und austheilend; Hegel, 
Deutſchheit, Baader, Klindworth, Jeſuiten, ruffiicher Kaifer, 
alles floß durcheinander. Seine Mutter, die Geheimräthin, 
it von Müntchen nad) dem See von Como zurüdgefehrt, und 
wird den Winter auch in Nizza verbleiben. — Unter den Lin: 
den fprach mich Herr Dr. Klein an, und begleitete mich nach 
Haufe. — 

In Burton gelefen, im Plinius; Zeitfchriften. — 

Der Aufjag in der „Gegenwart“ über dad Frankfurter 
Parlament giebt einen guten Weberblid der dortigen Berhand- 





303 


Laſius eine Synodalverſammlung lutheriſcher Geiſtlichen ver- 
anſtaltet hat, in welcher dieſe proteſtantiſchen Pfaffen in Nach— 
ahmung der katholiſchen eine Art Kirchenbann, das heißt 
förmliche Exkommunikation einzuführen beſchloſſen haben! Sie 
wollen den, vergebens Ermahnten für einen Heiden und Zöll- 
ner erklären“. 

- Dem Prediger Rupp in Königeberg iſt bei 20 Thaler 
Strafe verboten, Unterricht zu ertheilen. Er foll in Elend 
verfommen! — 

In Naumburg war ein Litterat Schrader wegen angeb- 
licher Majeftätsbeleidigung zu einem Jahr Gefängniß ver- 
urtheilt; das Obertribunal hat denfelben vor neue Ge- 
ſchworne verwiefen. In Haft ift er aber fchon über fechs 
Monate, — " 

Ein armer Teufel wegen Preßvergehen verurtheilt, hatte 
jich dazu verftanden, den König um Gnade anzuflehen. Sein 
Geſuch it unberüdfichtigt geblieben. Der König begnadigt 
nur diejenigen,. welche gegen die Demokraten irgend Der: 
brechen begangen haben. Man hört nicht, daß der mehrfach 
verurteilte Affeffor Wagener, diefe Haupt — der Reaktion, 
jeine Strafe angetreten habe. Auch Ohm und Goedfche blie- 
ben unbeftraft, das Verfahren gegen fie wurde eingeftellt. — 


Mittwoch, den 12. Oftober 1853. 

Nachmittags fleipig gearbeitet in Rahel's und meinen 
Papieren. — Ich habe die Ueberzeugung gewonnen, daß ich 
vor allen andern Menfchen, joweit ich deren kenne, geeignet 
und berufen war, Rahel zu erfennen, zu lieben, zu verehren. 
Selbit Alexander von der Marwis mußte in diefer Fähigkeit 
weit hinter mir zurüditehen, ja jogar hinter Beit, Prinz Louis 
Ferdinand und Bokelmann! — 





305 


reich fällt, jondern nächſt Sahfen-Weimar, Meiningen und 
Altenburg am meiften auf Preußen. Der Verfaſſer macht 
Angaben, die nur aus den Akten genommen fein können, Auch) 
andere Blätter fiefern ähnliche Mittheilungen, Man muß 
eine öfterreichifhe, preußenfeindfiche Negierungshand dabei 
vorausſetzen. — 


Donnerstag, den 13. Oftober 1853. 

Die freie Gemeinde polizeilih geſchloſſen, der Vorftand 
hausgeſucht. Der Tanz geht immer auf's neue an. — Der 
Lehrer Wander aus Hirfehberg erlebt auch wieder Betfolgun- 
gen. — Und welche Verwarnungen, Verweiſe nad) allen Sei- 

"ten! Die Regierung erſtickt alles Leben, beſonders in den 
armen Schullehrern! — , — 

Es wird hier viel auf den Kaiſer von Rußland geſchimpft. 
Man fagt, Hinckeldey habe ihm Furcht vor Meuchelmördern 
gemacht, und die außerordentliche Polizeibewahung einge 
richtet, die der Kaifer dankbar angenommen habe, Früher 
ging er bier frei und faum begleitet in den Straßen 
umber, in die Kaufläden, diesmal hat er ſich nirgends ſehen 
laſſen. Auch im Militair hat er nur die jogenannten Hofoffi— 
ziere zu Freunden, und wie mar am Hofe Freund ift, weiß 
man zur Genüge! — 

Abends mit Ludmilla zur Gräfin von Kalkreuth gefahren ; 
Sternberg kam hin, und Dr. Vehſe. Der Abend war durchaus 
vergnüglich, munter und harmlos, ohne irgend eine Störung, 
die Gräfin Klotilde ſehr gefprächig. — 

Zu Haufe noch lange Sisung; Träume beſprochen 1. — 

Bon Schelling wird erzählt, er halte fich nach feiner Bade 
fur jegt bei Kaſſel auf Wilhelmshöhe auf, und fehe den Kur- 
fürften viel, mit dem er in beftem Vernehmen ſtehe. Das 


fehlte dem verkommenen Philofophen noch zu feiner gründ- 
Varnhagen von Enfe, Tagebücher, X. 20 





"307 


Beſuch von Heren Auguft von Viedert aus Moskau, er 
kommt aus Leipzig und bringt mir Grüße und ein Buch von 
Heren Wolfjohn. Ausführliches Gefpräch über ruſſiſche Lit- 
teratur, er fennt Granoffeti, der in Moskau gedeihliche Ge— 
Schichtevorträge hält, Schewüreff, Katkoff, der in Moskau die 
dortige Zeitung herausgiebt, Jefremoff, Iwan Turgenieff — 
feit anderthalb Jahren auf fein Landgut verwiefen —, auch 
den Fürften Wiaſemskii a. — 

Nachmittags Beſuch von General Adolph von Witlifen; 
die Lage der Dinge befprochen, die Schwäche Rußlands, die 
Schlappen des Kaifers Nikolaus, die mit der Zeit noch größer - 
werden müßten 2c. Ueber die Gefahren Belgiens, und Preu- 
ßens Verhalten dabei; fein Muth, keine Kraft! Kein gutes 
Gewiſſen, ſag' ih. — 

Vierunddreißig Jahre meiner Theaterleitung. Bon Karl 
Theodor von Küftner. Leipzig, 1853." Ein trocknes Buch, 
zur Rechtfertigung geſchrieben, für den Theaterliebhaber viel» 
leicht anziehend. — - 

Der ruſſiſche Staatsrat) und Spion von Gretſch ift hier 
angefommen. Er ſoll beauftragt fein, deutjche Federn anzu- 
werben für den ruſſiſchen Dienft. Der Kaifer joll ganz außer 
ſich darüber fein, daß deutſche Zeitungen ihn fo heftig angrei— 
fen, ihm fo hartnädig entgegenwirken. — 

Der edle, gottjelige Handeläminifter von der Heydt hat die 
Ausgabe und Annahme von Briefen auf der Poft an Sonn- 
und Feſttagen noch mehr befehräntt, als es bisher der Fall war; 
Padete werden gar nicht “angenommen oder abgegeben an 
ſolchen Tagen, — 


20* 


Sonnabend, den 15. Oltober 1853. 

Trompetengeblafe oben auf der Schloßfuppel. 101 Ka— 
nonenfhüffe vwerfünden den Geburtstag des Königs. Die 
Spener’fhe Zeitung bringt das hergebrachte Gedicht von Spi- 
fer, diesmal befonders gering; dann fpticht noch ein Leitaptifel 
die Freude aus, dag Fürft und Volk hier fo Herzlich eins feien, 
To ganz zufammengehören, Daffelbe wird heute noch bei hun— 
dert Gaftmählern, in den Prologen aller Theater, ja von den 
Kanzeln verfündigt werden, und jedermann weiß, was er davon 
zu halten hat, So gewöhnt man fi an ein Einverftändniß 


zur Lüge, zur Heuchelei! Die Wahrheit ift, daß noch fein 


König von Preugen jo gering geachtet, To gehaßt worden ift, 
wie dieferz und grade die Offiziere, die Hofbeamten, der reat- 
tionaire Adel, halten am wenigften von ihm. Die Beleuch- 
tung der Stadt foll heute Abend unterbfeiben, man will 
das Geld den Armen zuwenden, Ohnehin ift diefe Beleuch- 
tung eine Neuerung, die nie vollftändig ducchgegriffen hat, 
und die man beffer einftellte, es giebt dabei mehr Verdruß, 
als Freude, — 

Das Obertribunal hat in einer geringen Prefangelegen- 
heit das Urtheil des Kammergerichts, welches eine leichte 
Strafe ausfprach, vernichtet und den Angefchuldigten freige- 
ſprochen. — 

In des Ovidius Metamorphofen gelefen. — Mit Ludmilfa 
zu Haufe einiges Geſpräch. — 

Die infame Kreuzzeitung, jest ganz ſchlecht redigirt, möchte 
ſich den Schimmer der Billigkeit aneignen, fie rühmt Uhland's 
Trauerfpiel „Ernft von Schwaben“, das hier auf der Königs 
lichen Bühne aufgeführt worden ift, nach ſechsunddreißig 
Jahren feit feinem Erſcheinen! Uhland wird ſich dieſes Lob, 
das überdies noch mit Schmähungen feines politischen Verhals 
tens gemifcht ift, verbitten. — 

Der Geheimrath Prof, Böckh foll eine tapfre Feſtrede in 


+. 309 


der Univerfität gehalten haben, für die freie Wiſſenſchaft, die 
nicht umzufehren, fondern nur fortzufchteiten habe; der Prof. 
Stahl war als abgehender Rektor gegenwärtig, umd zeigte 
ſich fehr unruhig, denn er fühlte die Stiche und Schläge, die 
ihm reichlich extheilt wurden, und war von ihnen fo zugerich- 
tet, daß er vor der ganzen Verfammlung fich felbit verläug- _ 
nete, und in den Worten, die er zu fagen hatte, auch von 
freier Wiffenfchaft ſprach! Der elende Wicht! — 

Die ſchändliche Kreuzzeitung fogar wünfcht jetzt die bes 
ftehende Preffreiheit erhalten ; ihr bangt vor neuen Beſchrän— 
ungen durch ein Bundespreßgeſetz. — 

Ranke bleibt nun beftimmt hier. Der König will ihn bes 
halten, denn deffen unverftändliche zerhadte Sprache beluftigt 
jenen ; er giebt ihm 1600 Thaler Zulage aus der Schatulle, — 


Sonntag, ben 16. Oftober 1853. 

Die Nationalzeitung bringt zwei qute Urtifel, über die _ 
Revolution in China mit vielen Geſchichtsblicken und nahen 
Spisen, und über Uhland’s „Ernft von Schwaben“, dies 
Lob fann er annehmen, es ift ächt wie er. — 

Mit Ludmilla zu Haufe noch gutes Geſpräch, über Uhland, 
Lenau ꝛtc. — 

- Heute wurde die neuerbaute Petrikirche eingeweiht; der 
König war dabei. Die Strafen waren in der Nähe der Kirche 
gänzlich abgefperrt, fogar für Fußgänger; das Volk werbielt 
ſich gleichgültig. 

„ Der Geheimrath Dr. Damerowsin Halle hat ein Buch 
über Sefeloge geſchrieben, den er als Irrfinnigen doch in ges 
wiſſem Grade für zurehnungsfähig erklärt. Das Buch iſt 
mit dem Beifall des Kultusminifters beehrt, und mit Erlaub— 
niß des Königs gedrudt, Diefer Umftand allein reicht ſchon 


310 


bin, den ganzen Werth des Inhalts in Zweifel zu ftellen, was 
ſoll man bier erfahren? — 


Montag, ben 17. Oftober 1853. 

Sendung aus London. Der Oberftlieutenant J. Mitchell 
“fendet mir fein Wert „The fall of Napoleon“ in drei Bän- 
den. In früherer Zeit befam ich fein Buch über Wallenftein 
don ihm. Gin brieflicher Verkehr aber wurde damals nicht 
angefnüpft und auch jetzt noch nicht. — 

Vortrefflich fpricht heute Herr Dr. Koſſak in feinem Mon— 
tagsblatt über Küftner und deffen Buch, über beide. Die 
ftärkiten Schläge führt ex dabei gegen Herrn von Hülfen, den 
Nachfolger Küſtner's, ohne diefen defhalb zu loben. =G8 ger 
bört Muth und Gefchietlichfeit dazu, diefen Kampf jo kräftig 
fortzuführen, gegen den Hochgeftellten, Hochbegünftigten. 

Markus Niebuhr, als Geheimer Negierungsrath bisher im 
Kabinet des Könige angeftellt, ift num wirklich Geheimer 
Kabinetsrath geivorden. (Nein, er hat nur den Karakter als 
Kabinetsrath.) Solche Schäher werden befördert. Ganz 
richtig. Ryno Quehl und Markus Niebuhr, dafjelbe Gelicy- 
ter, wenn auch einander todtfeind. — 

In Elbing haben fih 1060 Anechtsfeelen gefunden, die 
in einer Adreffe an den Minifter des Innern Seren von Weit 
pbalen ſich des Polizeidivektors von Selter freuen! — Es fei 
ihnen gegönnt — " 

Eine Schrift über das Weltall, von Ludwig Fernow, ift 
in Halle der Religionsverfpottung und Majeſtätsbeleidigung 
angeklagt worden. Das Kreisgeriht hat deren Vernichtung 
auögefprochen. — 

Der Staatsanwalt Nörner ift wegen der hiefigen März— 
gefangenen, wegen denen es noch fehr an Inzichten fehlt, nach 


311 


London gereift, in der Hoffnung dort durch die Schufte bezahle 
ter Spürhunde noch einige Angaben zu ermitteln. — 


Dienstag, ben 18. Oftober 1853. 

Beſuch bei Herrn Major Nobiling, dem ich nicht fand; im 
nämlichen Haufe die Werkjtätten der Bildhauer Wilhelm 
Wolff und; Seidel befucht, Koloſſalbüſte Herder's für die Stadt 
Mohrungen. Büfte Friedrich Auguft Wolf's für die Univer- 
fität Halle, ſchöne Thierftüde, — Beſuch beim Mahler Men— 
zel, der wieder. ein prächtiges Friedrichsbild auf der Staffelei 
hat, der König fteigt in einem Kofoniftenort aus dem Wagen, 
und Brenfenhof will ihm Anlagenplane vorlegen. — 

Die Kreuzzeitung geifert giftig gegen Böckh, der ibren gez 
liebten Stahl angegriffen hat; auch der ſonſt farblofe Staats: 
anzeiger, der die Rede Böckh's nur eben berührt, verweilt mit 
Wonne bei den Nachworten Stahl's. Die Feindfchaft bricht 
nun offen aus, und Böckh wird viel aushalten müſſen. Seh’ 
er wie er durchkommt. — 

Der Redakteur des Zuſchauers der Kreuzzeitung, der ver- 
abſchiedete Poftfefretair Goedſche, aus dem Waldeck ſchen Pro- 
zeß wohlbefannter —, war zu ſechs Wochen Gefängnißftrafe 
wegen Herausforderung zum Zweifampfe vom Gericht ver- 
urtheilt. Jetzt melden die Zeitungen, daß der König ihm dieſe 
Strafe aus Gnaden erlaffen hat. Die Leute jagen, ſolche 
Burfhe, nur folche werden begnadigt, allen Anderen wird 
ftrenges Recht nach oft ganz ungerechten Ausfprüchen zuge 
theilt. — 

Der König erzählte vor furzem dem Heren von Burgdorf, 
wie er im Jahre 1812 in Dresden dem Kaifer Napoleon habe 
die-Yufwartung machen müfen; der Vater, gebieterifch dort 
hinbeſchieden, mußte den Kronprinzen mitbringen, es war die 
größte Demüthigung für beide, An der Mittagstafel befam 


312 


Napolcon eine Nachricht, die ihm verdrießlich machte, er wurde 
finfter, kümmerte ſich nicht mehr um die Kaiſerin von Defter- 
reich neben ihm, reckte fich im Lehnftuhle, gähnte überlaut und 
ſtreckte die Zunge heraus. Dann aufgeftanden, ſchritt er hef⸗ 
tig im Zimmer auf und ab, der Kaiſer Franz, der König von 
Preußen, der von Sachfen, die Damen, alles ftand ehrfurchts ⸗ 
voll wartend. Endlich rief Napoleon mit rauher Gewalt 
ſtimme: „Prince de Neufehatel.“ Er fam, und empftg 
Befehle; dann eben fo heftig: „Roi de Saxe!“ Auch der 
kam. Den König von Preußen würdigte er kaum einer Ab— 
fertigung; vor dem Kronprinzen blieb eriftehen, maß ihn mit 
Blicken, zupfte ihn derb am Ohr und fagte: „ Vous ressemblez 
beaucoup A votre mere.“ Das follte eine Schmeichelei fein, 
wurde aber durch den Ton zur Grobheit. „Avez vous vu la 
forteresse ?“ fragte ex weiter. Auf das „Non“ des Kronz 
prinzen wandte er ihm den Rüden und ging fort. „Ich mußte 
nun,“ fagte der König zu Burgsdorf, „von allen Seiten noch 
Vorwürfe hören, daß ich bios Non nicht, Non, Sire! gejagt; 
aber ich war fo wüthig, daß ich ihn lieber in Stücken geriffen 
hätte.“ Die Defterreicher, Die damals mit in Dresden waren, 
erzäßlten die Sache viel ſchlimmer, fie fagten, es fei ein Mit: 
leid gewefen, wie der rohe Kaifer mit dem ſiebzehnjährigen 
Kronprinzen verfahren, ex habe ihm den Ohrlappen heftig ge— 
tiffen und gezwickt, und ihn auf fein Non zornig ftehen laſſen, 
mit dem Austuf: „Vous Ötes une böte.* — 


Mittwoch), den 19. October 1853. 
Der geftrige Tag ging ungefeiert vorüber; fie machten 
Lärm von Groß-Beeren und Dennewiß, und wie der Tag don 
Leipzig fommt, find fie ftill, ift darin Sinn und Verftand? DO 
ja, der Tag von Leipzig ift ihnen zu volksbeliebt, erinnert an 





313 


die ehemals allgemeine Volkofeier, an die Feuer auf den Ber 
geshöhen, an die Gedanken deutfcher Einheit und Freiheit, — 

Gefchrieben, wieder im alten Geleife! Namenlos, die befte 
Kraft. — 

Die Ruffen in Khiwa! Große Schiefalswendungen bereiz 
ten fi dor; niemand fann jagen, welche Strömungen die 
ſtärkſten find. Bedrohen die Nuffen das englifche Reich in 
Dftindien? Sind fie felber von China her gefährdet? Heißt es 
auch von Rußland, wie einft von Rom: „Jam magnitudine 
tua laborat,“ wie Vellejus Patereulug es bedeutend aus ⸗ 
ſpricht? — ; 

Die Kriegserffärung der Türken, ihre Rüftungen, ihre 
Heeresmacht, fegen die Diplomatie in große Verwirrung. Die 
Türken mögen den Rufen im Felde gewachſen fein; was fie 
zu fürchten haben, find Beftechungen, Liften, Ränfe! — 

Bei Potsdam und Halle brannten einige Feuer auf den 
Anhöhen zu Ehren der Leipziger Schlacht. Der König fah 
die bei Potsdam, es war alles dürftig und freudlos, aus 
ſchlechtem augendienerifchen Antrieb, den man höheren Ortes 
nicht mißbilfigen wollte. Die Sache allgemeiner werden zu 
fehen, wünfchte man nicht, 

Der Unterftaatsfekretair im Minifterium der auswärtigen 
Angelegenheiten Herr Le Coq foll zum Gefandten in Stutt⸗ 
gart ernannt fein, der Poften, den er bisher bekleidet, ein- 
gehen. Das wäre ein neuer Sieg Manteuffel’3 über die Kreuz— 
zeitungsparthei, zu der fid Le Coq mit Eifer hielt. Aber 
allen diefen Burſchen werden goldene Brücken gebaut zu ihrem 
Rückzug, glänzende Stellen eingeräumt! — Das Aergerniß, 
daß Herr Affeffor Wagener Staatsanwalt beim Obertribunal 
werden foll, daß der König ihm alle gegen ihn ausgefprochenen 
„ Gefängnißftrafen — wegen Berläumdung des Präfidenten 

Bloch ꝛc. — im Wege der Gnade erläßt, dies Aergerniß wird 
auch als ficher verkündet! — 





314 


Donnerstag, ben 20. October 1853, 

In der Revue des deux mondes vom 15. Dftober find" 
ich eine Erzählung von Madame E, v. Bagrejeff-Speransfi, 
der Tochter des berühmten Minifters, den die ruſſiſchen 
Großen anfeindeten, das Volk aber liebte; die Feindichaft er= 
ſtreckte ſich fogar auf die Tochter, die man arg zu verläumden 
fuchte; fie machte auf mich den Eindruck einer klugen feinen 
Frau, und id, bedauerte, fie nicht näher fennen gelernt zu 
haben, Eine Schriftitellerin hätte ich in ihr nicht gefucht, 
Ihre Erzählung Kenia, ‚Demianstona iſt ächt ruſſiſch, einfach, 
fromm, etwas ſchwermüthig. — 

In Königsberg war die alte freie Gemeinde gänzlich aufs 
gehoben, Aber eine neue bildete fich fogleih, der gebildete 
Kern der alten, nur einige dreißig Perfonen, Dr. Rupp nach 
wie vor an der Spitze. Dies ift. eine gewaltige Zähigkeit! Sie 
haben vorfschriftsmäßig ihr Glaubensbekenntniß und das Bers 
zeihniß der Mitglieder dem Polizeiamt eingereicht. — Dem 
Dr. Rupp war erft.fürzlich jeder Unterricht verboten worden! 

Die Magdeburger freie Gemeinde, feit der Zurücknahme 
ihrer Konzeſſion unter dem fehwachen Schuß des Vereinsgeſetzes 
ftehend, foll ihr Statut und das Verzeichniß ihrer Mitglieder 
einreichen, fie jagt, beides fei ſchon in den Händen der Behörde, 
es feien die alten, Nein! fie follen fie doch nen einreichen, 
Pure Schifanen. — 

Majeftätsbeleidigung durch einen Handwerker verübt; 
Konftablerbeleidigung durch einen Arbeitsmann; beide hart 
bejtraft. — 

In Roftod hat der Magiftrat gegen eine konſervative 
Zeitung, die ihn beleidigt hatte, geklagt, das Gericht hat die 
Klage abgewiefen. Einer weitern Berufung weifjagt: man 
dafjelbe Schickſal. Die Juftiz gilt nur für eine Parthei! 
Bravo, Graf von Bülow, Herr von Schröter! Was gebührt ” 
ſolchen Leuten? — 


315 


Niebuhr, der wegen feines neuen Titels-fein Mandat als 
Abgeordneter verloren hatte, verzichtet auf Neuwahl. Kleiſt⸗ 
Retzow hat fein Mandat niedergelegt. Verlaſſen die Ratten 
das Schiff, weil fie merken, daß es ſinkt? Wird man den 
Muth Haben, die ganze Verfaſſung zum Teufel zu ſchicken? 
Holte ex doch die Abgeordneten auch! — 

Die Kreuzzeitung wagte es in den pöbelhaftejten Aus: 
drücken auf Lafayette zu ſchimpfen; fie warf ihm unter anderen 
vor, da alle Sachen, die er in die Hand genommen, binnen 
kurzer Zeit verdorben feien, und er immer fehnell wieder vom 
Schauplag abtreten müſſen; er habe feiner Parthei nie wahren 
Nutzen gebracht. Das Gefindel der Kreuzzeitung giebt feine 
eigne Dummheit und Niedrigfeit blos; der Partheinugen, das 
ift dem Lumpenpad das Höchfte! Lafayette diente feiner Par— 
thei, ex war für diegute Sache, wo er fie fand, griff er ſie auf, 
wo fie fich verwandelte ind gefälfcht wurde, ließ er fie los. 
Das ift feine größte Ehre, fein größter Ruhm! Hätte er Fein 
anderes Ziel gehabt, als ſich in Amt und Einfluß zu erhalten, 
fo hätte er wie Talleyrand beides Zeitlebens haben fönnen. 
Die Lumpenhunde begreifen fo was freilich nie! — 


Freitag, ben 21. October 1853. 

Nach einer fait ſchlafloſen Nacht ſpät aufgeitanden. Ge— 
ſchrieben ; vaterländifhe Wirklichfeiten im Gegenſatze der 
vaterländifchen Bedürfniſſe und Hoffnungen! — Die Volks— 
zeitung fpricht vortrefflich über Böckh's Ausfall gegen Stahl; 
fie will die That nicht fchelten, noch verkleinern, fagt aber ſehr 
richtig, das Volk habe ſchon in den erften acht Tagen fein Ur— 
theil und feine Antwort gegen den Verräther der Wifjenfchaft 
fertig gehabt, die Gelehrſamkeit aber habe fich ein ganzes 
Jahr Zeit dazu genommen, und rede wie zu fpät auch noch 
viel zu glimpflich. — 


316 


Brief und Bud aus Breslau von Herrn Profeffor 
Guhrauer, der mir die erfte Abtheilung feiner Fortſetzung des 
von Danzel begonnenen Werkes über Leſſing's Leben und 
Wirken überfhidt. Dergleihen Buch ift mir immer ein wah⸗ 
res Feſt! — 

Heute wurde der Grundſtein zu den Waſſerwerken vor dem 
Stralauer Thor, die Berlin mit friſchem Waſſer verſorgen 
ſollen, gelegt; der König kam wegen Unwohlſeins nicht, und 
ſchickte an ſeiner Statt den Prinzen von Preußen, den wir 
hinausfahren ſahen. Die Sache ſoll kalt und dürftig geweſen 
fein, alles nur zum Feſte der Eitelkeit für den Polizeipräſiden— 
ten von Sindeldey, der feinen Namen um jeden Preis überall 
anzubringen fucht. Er braucht nicht zu forgen! In Berlin 
ift fein Andenken gefichert, fowie das des Waldeck'ſchen 
Prozeffes, Ohm’s, Goedſche's ꝛc. Alle Waflerwerke, die er 
begründen helfen mag, werden dies Andenken nicht weg⸗ 
fpülen. — 

Abends zu Haufe, Erſt gefhrieben; dann mit Ludmilla 
Schach gefpielt. In Guhrauer's Leffing gelefen, dann in den 
Metamorphofen des Dvidius. — 

Zahlreiche Verhaftungen in Paris und in den Provinzen, 
Hausfuhungen, man fagt gegen fechshundert Perfonen find 
plöslich feitgenommen worden, viele freilich gleich wieder ent- 
laffen, z. B. Goudchaux. Alles ift wadelig, in Frankreich wie 
anderswo. — 


Sonnabend, den 22. Oftober 1853. 
Der König ift wieder beffer und heute nach Halle gereift; 
morgen legt er den Grundftein zu einem neuen Fatholifchen 
Kloſter des heiligen Auguftinus, das in Magdeburg errichtet 
wird, Ein proteftantifcher Fürft legt den Grundftein zu einem 
fatholifchen Klofter! Welchen Eindrud das im Volke macht, 


317 


iſt gar nicht zu fagen! Das Volk it ohnehin ſchon lange des 
Glaubens, der König fei ein heimlicher Katholik, ein Glauben, 
der im Volfögeifte die ſchlimmſte Bedeutung hat. — Der Ber 
ſuch des Königs in Magdeburg foll eigentlich eine Verſöhnung 
mit diefer bisher für jo bös erflärten, in Ungnade ftehenden 
Stadt bezwecken; ein gutes Mittel, jene Grundfteinlegung, 
um die proteftantifchen, freigefinnten Einwohner zu ges 
winnen! — \ 

Der arme Stredfuß wurde wegen feiner Gejchichte der , 
franzöſiſchen Revolution ſchon beftraft, dann fortwährend — 
gegen die Nechtöregel non bis in idem — angeklagt, verfolgt, 
gequält, Endlich ift er jest vom Obertribunal freigeſprochen 
worden, aber nut wegen Verjährung der Sache. Die Vers 
nichtung der Abdrüce wurde beftätigt. Der badifche Prozeß 
gegen Gervinus hat hier ein preußiſches Seitenftüd! — 

Der Kladderadatſch wird matt und verlegen, es fehlt ihm 
die Freiheitsluft; er bringt jest häufig Späßchen, die ein 
wohlgefälliges Lächeln des Kaifers Nikolaus erregen müffen. - 
— Trog aller polizeilichen Verwarnungen und Anfehtungen 
verharren die Nationalzeitung und die Volkszeitung in alter 
Tapferkeit. — ° 

Nach der Anficht vornehmer Ruſſen wäre die Unterneh- 
mung des Kaifers gegen die Türkei gar nicht ein übermütbiger 
Einfall oder eine willfürliche Laune deſſelben, fondern ein ſich 
aufdraͤngender Nothbehelf. Ueber den Geiſt im ruſſiſchen Heere, 
die Gährung der Gemüther, die gehegten Erwartungen, die 
überhaupt ftattfinden, follen dem Kaifer ſchon feit längerer Zeit 
die beunrubigendften Gerüchte und Anzeigen zugegangen fein. 
Gr ſoll ſich endlich überzeugt haben, daß ex dem Heere zu thun 
geben, daß er jolches nach andern Richtungen bewegen müffe. 
Dies wird als Hauptgrund des Zuges gegen die Donau hin 
angegeben, und aus derfelben Anficht bemühte man ſich, diefe 
Berwicelung mit der Türkei als eine volksthumliche und religiöfe 








319 


lügen’ oft, oder fehlen auch gänzlich; mündliche Uebetlieferuns 
gen, die fich durch nichts belegen Bar, geben nicht felten die 
thatſächlichſte Wahrheit. . 

Mit Ludmilla geſprochen, die von der Gräfin von Ables 
feldt nach Haufe Fam; gutes Geſpräch. — 

Gefhrieben ; in Guhrauer gelefen, im Dvidius, — 

In Magdeburg war großer Jubel für den König, feſtlicher 
Empfang, Aufzüge der Gewerke und Bereine, Beleuchtung 2c. 
Der König hat zu deutlich und oft gezeigt, daß er dergleichen 
liebt und will; als daß es micht geleiftet werden follte! 
Defto ſchlimmer, wenn er fih darin täufhen läßt! Die 
Gefinnungen find ganz anders, aber die Aufführung ſolchen 
Prunfes läßt ſich nicht verweigern, wenn Behörden und Kör- 
perfchaften dazu anregen. Wegen des fatholifchen Kloſters 
hört man bier die unglaublichften Aeußerungen, es fei un 
möglich, es fei ein Unfinn, ob der König denn mit feir 
nen profejtantifchen Unterthanen brechen wolle, warum er 
denn nicht Fieber geradezu befenne, er jei längft ſchon fatho- 
liſch 20. 20. — 


Bei feinem letzten Aufenthalte in Danzig hat der König 
einen Ausfall gemacht, der allgemeines Staunen und Unwillen 
zur Folge hatte. Gin zu mehr ala zwanzig Jahren Feſtungs- 
ftrafe verurtheilter Demokrat hatte ſich als reuig Bekehrter 
angeftellt, und einen Stabsoffizier, unter dem er ftand, ganz 
für fich gewonnen, fo daß diefer den König um Begnadigung 
Für jenen anging, der alles Frühere bereue, u. ſ. w. „Was“, 
tief der König, in wahrer Wuth, „jo ein verfluchter Demokrat? 
So machen es die Kanaillen all erſt wollen fie mir an die 
Krone, dann Friechen fie wie Hunde vor mir! Nichts da, fünf- 
undzwanzig Jahre ift viel zu wenig, zu fünfzig hätte der Mader 
verurtheilt werden müſſen! Sigen foll er, daß ep ſchwarz 
wird! Und, wie fönnen Sie ſich unterftehen, für den Halun— 





321 


für Manteuffel gearbeitet und unter andern die Schrift: „Bon 
Warſchau nah Olmütz“ zu deſſen Vertheidigung gefchrieben 
hat. Der Danf ift eine Anftellung bei der Erfurter Zeitung 
mit 250 Thalern jährlich, womit der arme Schelm aber jee- 
lenvergnügt iſt! Da wiffen Andre fich beffer zu beiten, ſchon 
Ryno Quehl, noch mehr aber Bismard-Schönhaufen, Kleift- 
Retzow ꝛc. ꝛc. — 

Für den General von Radowitz ſoll wenig Hoffnung der 
Geneſung ſein. Der Prinz von Preußen und Prinz Albrecht 
haben ihn beſucht. Der König ſchickt ihm den Leibarzt Schön— 
lein. Die Königin bleibt in ihrem Widerwillen gegen ihn 
feſt; man ſcherzte, ſie habe ihm Wein geſchickt, und dieſer 
ihm wohlgethan, es iſt aber nichts daran. — Grade jetzt lie— 
fert Kühne's Europa ein elendes Zerrbild gegen Radowitz ohne 
allen Geſchmack und Zug! — 


Dienstag, den 25. Oktober 1853. 

Das Klofter in Magdeburg, zu welchem der König den 
Grunditein legt, wird ein Hofpital; das mildert etiwad den 
proteftantifchen Unwillen. Die meiften wußten das nicht, 
viele glauben 's noch nicht. — 

In Breslau fteht der alte Need von Eſenbeck wieder vor 
Gericht, er und andre namhafte Mitglieder der freien Ge- 
meinden find angeklagt, das Vereinsgeſetz überfchritten zu haben. 
Die fchändlichen Schifanen, den religiöfen Verein ald einen 
politifchen zu behandeln, erneuern fich immerfort. Es wird 
einmal an das Kicht gezugen werden, welcherlei Weifungen die 
Minifter den Behörden in diefem Betreff ertheilt haben, und 
welche Leute und in welcher Art fie ihren Eifer dabei bezeigt. 
Es wird nicht zur Ehre für manche jet Hochangefehene aus- 
füllen. Die Oberbehörden find ganz knechtiſch. — Der wegen 


Varnhagen von Enſe, Tagebüder. X. 21 





323 


durch die Feindſchaft Rußlands, die fie ihm erregt, zu ftürzen; 
fie jucht diefe mächtige Verbündung gegen ihn zu gewinnen 
und zu gebrauchen. Die Intrigquen am Hofe find in voller 
Thätigfeit, gegen Manteuffel ift vielleicht nie fo ſtark und fo 
gefährlich gearbeitet worden, ald eben jebt. Da die Kreuz- 
zeitungsparthei ihn ale Ruffenfeind Hinftellt, die ruffifchen Ein- 
flüffe hier befonders wirfjam find, fo muß es ihm nicht unlieb 
fein, diefe durch die freifinnigen Blätter jo Fühn und anhal— 
tend beftritten, und die Kreuzzeitung fo heftig von ihnen ange— 
ariffen zu fehen. Hieraus erflärt fi) zum Theil, warum die 
Behörden jest diefe Blätter einigermaßen gewähren laffen, — 


Mittwoch, den 26. Oftober 1853. 

Brief aus Weimar von Apollonius von Maltih, der mir 
. Grüße von Herren von Zedlig aus Wien und durch Tutſcheff 
vermittelt Grüße von Heine aus Paris fendet; einen gedrud- 
‚ten ruffifchen Brief von Shukoffski ꝛc. — Tutfcheff hat Sei: 
ne'n immer noch voll Xeben gefunden. — Wie der gute * aber 
durch empfindfame Verficherungen und äußere Einflüffe ſich 
berüden läßt, ift merfwürdig! Er glaubt im Ernfte, daß der 
dide, felbitfüchtige Zedlig für den Kaiſer von Defterreich 
ſchwärmt, und erwartet nun auch große Dinge von dem jun- 
gen, durch nichts hervorragenden, von finnlicher Luſt bereite 
erichöpften,, in gemeiner Soldatenliebhaberei befangenen Kür: 
ften außerordentliche Dinge! — 


Straf von Kleiſt-Loß, der mich wieder verfehlt hat, läßt 
mir jagen, er reife in acht Tagen mit feiner Frau nad) Bene: 
dig, wo er den ganzen Winter zu bleiben gedenft, er hoffe mic 
vorher noch zu ſehen. Italien hat er in frühen Jahren 
ſchon durchreift. — 

21" 


324 


Herr Crepet, ein litterarifcher Sranzofe der in Rom war, 
und hier den Winter bleiben will. Er it ernſthaft, obne 
Neigung zum Scherz; Fein Legitimift, Fein Orleanijt, fein 
Bonapartift, alfo — ein Freiheitsliebender. Gr fagte unter 
andern: „C’est la France qui a produit le dix-huitieme 
siècle;“ das gefiel mir gut, ich Teßte jedoch hinzu: „Il faut 
avouer qu’elle a eu de bons collaborateurs.* Gr liebt 
Rouffeau und Boltaire, — 

Zu Haufe mit Ludmilla noch gutes Geſpräch. — In 
Guhrauer's Leſſing gelefen, in Leſſing's Dramaturgie, Eng: 
liſche Tagesfachen, franzöſiſche. — 

Humboldt hat zu dem Konful Rofen, dem Schwager Klinge- 
mann’d, gejagt, der König werde täglich befchränfter und 
zerjtreuter; dad hat jener luftiger Weife fo verjtanden, als 
werde der König täglich mehr eingefchränft durch die Ver- 


fafjung!! — 


Donnerstag, den 27. Oktober 1853. 

Bon Humboldt die fchöngedrudten und reich gebundenen 
Sonette feined Bruderd empfangen. — Brief aus Paris von 
der Gräfin D’Agoult, die jehr belebt und vertrauend fchreibt: 
„La France est dans le plus singulier etat. Le peuple 
ne regrette pas ce qu’il a fait. La prosperite materielle 
est grande, mais Paris gronde sourdement et la bour- 
geoisie reste obstin&ment liberale.“ — 

Befuch von Herrn Dr. Hermann Franck, erſt bei Ludmilla, 
dann bei mir. Angenehmer und geiftreicher Scherz, tüchtiger 
Ernſt. Ueber die politifche Stellung des Tages; Ohnmacht, 
Mittelmäpigkeit, Furcht und Mipbehagen überall, in den 
Fürften ein Ehrgeiz wie die Lujtgier der Hämlinge, von Un- 
fäbigfeitt und Schwäche unwiderruflich vereitelt! Der Kaiſer 
von Rußland in fteter Unruhe, der König von Preußen des— 


325 


gleichen; in allem Glanz und in aller Ueppigkeit führen fie 
ein Hundeleben. Ob die Times in rufjischem Solde ftehen ? 
Nein, aber es giebt der Beftechungen viele Arten. Ob in 
Preußen die Berfaffung, die Kammern abgejchafft werden ? 
Schwerlih, denn wo follte der Muth herfommen etwas fo 
Einfaches und Unfchwieriges zu thun? — 

Es heißt, die Herausgeber der Volfdzeitung und der Natio- 
nalzeitung feien unter der Hand ermuntert worden, der 
Kreuzzeitung nur recht ſtark zu Leibe zu gehen, man werde 
in den oberen Regionen dies recht gern fehen, — 


Freitag, den 28. Oktober 1853. 

Die Volkszeitung enthält heute einen fcharfen Auffa „der 
Mufterftaat Kurheſſen“, der die Haffenpflug’iche Regierung 
tüchtig trifft, und durch Rückſchlag alle andern, die ihr gleichen 
und beiftimmen. Sie führt die furchtbare Thatſache aus, daß 
das heffifche Volk aus dem Lande zieht, um der Niederträchtig- 
feit und Verruchtheit dieſes Negierivejend zu entgehen; das 
Dorf Wernings ift durch Auswanderung entvölfert, nieder: 
geriffen, dem Erdboden gleichgemacht. Das Dorf Pfeddere- 
bach fieht demfelben Schidfal entgegen, nur drei unbewohnte 
Häuſer ftehen noch ; ebenfoweit ift das Dorf Wippenbach fchon 
gefommen; in dem Dorfe Gelnhaar fteht nur noch die Kirche. 
Dabei werden die Treubündler flüchtig als Verbrecher, werden 
wegen fleifchlicher Vergehen vor Gericht gezogen ꝛc. — Eine 
wahre Teufelswirthſchaft. Und die deutfchen Fürften fehen 
dem Unweſen ruhig zu, die frommen, Die edeln! Keiner hat 
ein Wort des Abfchend, der Abmahnung. ebt verbietet 
Haſſenpflug fogar dad Auswandern, ſchickt Spürhunde und 
Wächter ꝛc. — 

Audgegangen mit Ludmilla. Auf der Poft, dann das 





397. 


| Sonnabend, den 29. Oftober 1853. 

Mit Ludmilla gutes Geſpräch; ich las ihr auch eine Aus— 
wahl von Sonetten Wilhelms von Humboldt vor. — In 
Guhrauer's Leffing gelefen, in Leſſing's Werfen ſelbſt. — 
„Ungarns Recht und Gefeb, ruhmvoll verfochten von Deut- 
ſchen, Polen, Jtalienern, Engländern und Franzoſen in den 
Kriegsjahren 1848— 1849, Bon Philipp Korn. Erfter Band, 
erfte Abtheilung. Bremen, 1853. * 

Auch in Königsberg hat der Fnechtifchgefinnte Staatsan: 
walt bei dem dortigen Stadtgericht auf Bernichtung der Schrift 
von. Gervinus angetragen; erſt jebt hat das Gericht den Be- 
ſchluß gefaßt, die Schrift, ald nach preußifchen Gefegen nicht 
ftrafbar, wieder freizugeben. Der Staatdanwalt hat fich fehr 
geboßt. Wie fpät und nachträglich! — 

In Koblenz Hausfuchungen und Verhaftungen. Das geht 
jo fort! — 


Sonntag, den 30. Oftober 1853. 


Befud von Frau von Marenholtz; fie ift ſchon drei 
Wochen bier, war aber krank. Den Sommer bradte fie in 
Thüringen zu, in den Fröbel’fchen Anſtalten. In Oeſterreich 
finden die Kindergärten begünftigten Eingang, der Unterrichts⸗ 
minifter Graf von Thun tft ganz für fie; der Graf von Deym 
hat hunderttaufend Gulden zur Gründung einer Erziehungs- 
anjtalt beftimmt, fünfzigtaufend für ein Wochenblatt, das 
demfelben Zwecke dienen fol. Wie muß fich der preußifche 
Kultusminifter von Raumer ſchämen! Defterreich aufgeflär- 
ter, freifinniger ald Preußen! — Nachrichten über den Dr. 
von Buchhaufen aus Weftphalen, der eine neue Philoſophie 
aufftellen will, — und ſich thörichter Weife bei Manteuffel 
und Raumer um die Erlaubnig bewirbt, öffentliche Borle- 


328 
fungen halten zu dürfen. Er behauptet mit Fröbel's Anfich- 
ten. ganz übereinzuftimmen. — 

Abende Befuh von Frau von Treskow bei Yudmilla und 
mir, Lebhaftes, geiftreiches Gefpräc über die jeht hier wal- 
tende Mifere von Gefelligfeit, ſchlagende Beifpiele werden 
angeführt. Die Abhängigkeit ift hier gar zu groß, daher 
das und auf allen Seiten begegnende Nachthun und Nach— 
ſprechen, noch außer dem freiwilligen, dad auch nicht Klein ift. 
Die Erbärmlichkeit. der Menſchen war von jeher diefelbe, 
aber fo ſchamlos, ohne Bedeckung und Schminke, wie jest 
bier, war fie, dünft mich, noch nie. Die nichtöwürdigfte Feige 
heit, Unterduden, Schmarogerei — man will ſich ein gutes 
Haus nicht verfchlagen, wenn man ed auch noch fo fehr ver: 
achtet — herrſchen unbedingt. — Fräulein von Erayen ift 
eine Heldin dadurch, daß fie ed doch bieweilen auf Brouilliren 
anfommen läßt! — 

In Leſſing gelefen, in Goethe. Etwas in Puſchkin und 

Lermontoff, ded Klanges wegen. — 
Sn Breslau ift die chriftfatholifche Gemeinde vom Gericht 
aller gegen fie gemachten Anfchuldigungen freigefprochen, die 
Schließung der Gemeinde aufgehoben, und die Koften der 
Unterfuhung niedergefchlagen worden. — 

In Halle hat das Kreidgericht auf Begehren des Staats- 
anwalts befchloffen, die Schließung der freien Gemeinde vor; 
läufig fortbeitehen zu lafjen, bis das Endurtheil erfolgt. — 

In Mainz hat das Bezirfögericht den Abgeordneten 
Dr. Müller-Melchiord und den Buchdruder Jörg, wegen Ver: 
breitung der Zollvereinsfchrift des erftern, zu 5 und zu 3 Mo⸗ 
naten Gefängniß verurtheilt. Cine wahre Schändlichkeit! — 


329 


Montag, den 31. Oftober 1853. 

Schlechte Nacht, viel geträumt, Verworrenes, Beunruhi— 
gended. — Gefchrieben ; die orientalifche Jrage vom Stand- 
punft der Revolution betrachtet. Der Revolution hat der 
Kaifer Napoleon gedient, der Revolution dient auch der Kaifer 
Nikolaus. — 

Abends bei ***, Es war viel die Rede von Gefellfihaft. 
Die urfprünglich von Rahel herrührende Bemerkung, daß die 
Gefelligkeit ihre fchönften, gefälligiten Blüthen gewöhnlich auf 
dem Boden zerfallender Staatszuſtände treibt, alfo furz vor 
Kataftrophen, konnte nicht widerftritten werden, — in Paris 
vor 1789, in Berlin vor 1806, und vor 1847 (1848), — die 
Urſachen diefer Erfcheinung darzulegen, war hier aber nicht 
der Drt und Sinn, Der reiffte Weltblid gehört dazu, Dies 
gehörig, im ganzen Umfang und Zufammenhang einzujeben. 
Sch fagte den Damen mancherlei hierauf Bezügliches und für 
jie Anwendbares, fcharf genug, um zu Yen, aber doch viel 
leicht nicht fcharf genug, um nachhaltig zu wirken. Daß die 
Offiziere aus der Gefellfchaft verfehwinden, auch die jungen 
Diplomaten, und ihr Anhang von Fremden, nur in den 
höhern Kreifen verfehten, Fonnte nicht geläugnet werden. Die 
Dffiziere leben vorzugsweije unter fih. jedes Regiment hat 
feine Gejellfchaftstage und Zuſammenkünfte. Man fann fi 
die Langeweile denfen, für die fid) die jungen Leute dann im 
Theater, im Circus, an den öffentlichen Vergnügungsorten 
möglichit ſchadlos halten. — 


Dienstag, den 1. November 1853. 
Vehſe's neufter Band Hofgefchichten, worin auch Baden 
verarbeitet ift, wurde von der badischen Behörde mit Befchlag 
belegt. Der Verleger, Julius Campe in Hamburg, macht fich 


330 


daraus nichts, das Buch wird nur um fo eifriger gefauft, und 
dns Feine Baden iſt von allen Seiten offen, 

In Bremen find über achtzig Perfonen, die der Theil: 
nahme an dem fogenannten Todtenbunde befchuldiat waren, 
von den Gericht abgeurtheilt worden, nur wenige freige- 
jprochen, die. meiften zu vieljähriger Zuchthaugftrafe! verur- 
theilt. Sie legen alle die Berufung ein. Die außerordentliche 
ganz unverhältnigmäßige Schärfe diefer Urtheile wird ala die 
Wirkung des innern Partheihaſſes in dem kleinen Kreiftant 
angefehen. Die Reaktion der ariftofratiihen Bürger gegen 
die Ddemofratifhen wird überdies von außen mit allen 
Kräften unterftüßt. Den Todtenbund felbft muß man als 
eine Nächerlichfeit anfehen, das Verbrechen ift erſt hineinver- 
hört. Höchſtens iſt gegen die Polizeivorſchriften gefehlt. — 

In Turin Fräftiger Widerftand gegen Fatholifche Geiftlich- 
feit und Defterreih. Rattazzi zum Juftizminifter ernannt. — 

Telegraphifche Nachricht, aus Wien, daß die Türken über 
die Donau gegangen, und in die Meine Wallachei eingedrungen 
find, — am 27, Oftober. — 


Mittwoch, den 2. November 1853. 

Brief aus Breslau von Herrn Profeffor Gubrauer; er 
vertheidigt fich gegen meine — doch nur leichte — Anklage, 
gegen Voltaire nicht ganz gerecht geweſen zu fein; er ſchickt 
mir Abfchrift eines Briefes von Voltaire an den Beronefer 
Bettinelli, und benachrichtigt mich, daß Herr von Knebel in 
Weimar ihm gegen 1600 Briefe aus dem Nachlaffe feines 
Baterd — von mehr ald 90 Brieffchreibern — zugefandt 
habe, für Die er einen Verleger wünſcht; einer Ähnlichen Sen: 
dung von Herrn von Herder in Erlangen fieht er entgegen. — 

Ausgegangen mit Ludmilla; bis zum Aleranderplag. In 


331 


Rauch's Werkftatt feine neuen Arbeiten bejehen. — Das Mo— 
dell zur Bildfäule Gneifenau’d, etwas plump, nicht genug 
vergeiftigt, wozu Doch das Urbild Anlaß und Reiz genug bot; 
die Gruppe Schiller und Goethe ftand auch da, gefiel mir aber 
noch weniger als fonft; Statuette den Grafen von Branden- 
burg vorftellend ; Moſes betend, für Potsdam beftimmt. — 

Im Ovidius gelefen, und ältere deutfche Sachen durch— 
geſehn. — . | 

Die Kreuzzeitung macht ihre hämifchen Bemerkungen über 
das Breslauer Gericht, welches die deutjchfatholifchen Bor: 
jtände freifpricht. Sie verdächtigt die Richter, was fie in 
andern Fällen ald ein Verbrechen rügt. Wir tadeln auch 
manche Gerichtöfprüche als ungerecht, ald durch Einflüffe be: 
ftinnmt, allein wir haben auch nie die Heiligkeit der Richter: 
jtüble anerkannt, und dann ift ed ein großer Unterjchied, ob 
Das Gericht in einem Sinne fpricht, der feinen Theilnehmern 
alle Gunjt und Förderung zu entziehen droht, oder in einem 
Sinne, der ihm diefe Güter in reichitem Maße verheißt; Die 
eritern gehen gewiß aus Lleberzeugung hervor und bewähren 
diefe durch Opfer, die andern Finnen diefe Vorausſetzung 
nicht ansprechen. — 

Bon dem Märzkomplott ift ed nach dem erften Lärm bald 
jtill geworden, ganz ftill. Die Polizei hatte das Maul gar voll 
genonmen, die Kreuzzeitung ſchrie aus Leibeskräften. Jetzt iſt 
der Dr. Ladendorf, der ald Hauptangeflagter ftelbrieflich ver: 
folgt, und gleich ergriffen wurde, in die Charite als Wahn- 
finniger abgeliefert worden! — 


— — — — — 


Donuerstag, den 3. November 1853. 
In Bahrdt's Leben geleſen. In den Sachen ſind wir nicht 
viel weiter als damals, ja wir find in manchen noch mehr zu— 
rüd, aber in Anficht, Form, Vortrag und Sprache haben wir 





333 


auf nichte, es fchien in der Ordnung, wenn auch unangenehm. 
Da macht’ ich endlich felbit die Bemerkung, es fei doch eigent- 
lic unrecht, bei noch vorhandenem Leben fich das Begräbniß 
und alfo den Tod zu beftellen ; wenn es jein müfle, recht gern, 
fo wolle ich noch heute fterben, aber ich könne auch noch leben, 
das fühle ich deutlich, meine Kraft fer noch nicht aufgezehrt, 
und mit Rahel weiterzuleben ſei ja mein höchſtes Glüd, 
Darüber wacht’ ich auf, aber Die Xeichendiener, die ich felbft 
mit der Hausnummer meiner Wohnung befannt gemacht hatte, 
— es war indeß nicht die jebige — ſah ich noch lange vor 
mir ſchwindeln. — 

Beſuch von Herrn Stadtrath Georg Reimer, der mir den 
letzten Aushängebogen von Bülow's Biographie bringt; das 
Bildniß wird exit in drei Wochen fertig fein. Reimer fpricht 
mit Unwillen von dem Umlaufjchreiben einiger Bürger, das 
zur Unterzeichnung für ein Feſt auffordert, durch Das man die 
Minifterthronbefteigung des Herrn von Manteuffel feiern 
wird. Er meint, ein Feſt wegen Olmütz, das ſei doc, zu ver: 
rüct, und er habe Sorge getragen, daß in feinem Bezirke die 
Ihamlofe Aufforderung feinen Erfolg habe. Jedoch die Gleiß— 
ner und Knechte werden ſich nicht hindern laffen, und Berlin 
ift reich an folchen Lumpen! — 

Bahrdt's Lebensgeſchichte, roh und gemein, doch anziehend 
wegen der Sittengefchichte. — 

Der König machte geftern dem öfterreichifchen Feldmar— 
ichalllieutenant von Heß im Britifh Hotel einen. anderthalb- 
ftündigen Beſuch. Ungewöhnlich. Heß war zwar erfranft, ift 
aber befier, und will nach Wien zurüdreifen, 


ı 834 


Sonnabend, den 5. November 1853. 


Ueber Wohlthätigkeitsvereine, die mehr oder minder poli- 
tifche find. Sie pflanzen Gefinnungen fort, halten Verbin— 
dungen feit, verbreiten Kenntniffe. Das mag fein; aber mir 
gefällt feine Art Berlarvung, und es ift ein Unglüd mit Ber: 
larvten zu thun zu haben. Die Thatjache jedoeh, daß 
dergleichen bejtehbt, und wie man verfichert, durch ganz 
Deutfchland, ja weit über deſſen Gränzen hinaus beiteht, ift 
jedenfalls richtig und als folche anzumerfen. — 

Die Kreuzzeitung hat feit. ihrer Partheinahme für die 
Ruſſen gegen die Türken ihre heftigen Angriffe gegen den — 
Louis Bonaparte ganz eingeftellt. Das Blatt ift überhaupt 
arg heruntergefommen, und fo grob und platt, ale ſchändlich 
und tückiſch. — 

In Luchet's histoire litteraire de Voltaire gelefen, im 
Ovidius. Engliſche Zeitfchriften, franzöſiſche. — 

In Dresden hat man ein paar Maigefangene begnadigt; 
einer davon, ein Handwerker, war zu Icbenslänalichen Zucht: 
° haus verurtbeilt. In Berlin erfolgt feine Begnadigung! — 

Herr von Bardeleben in Königsberg, vom erften Gericht 
freigefprochen, ift vom zweiten zu 30 Thlr. Strafe verurtheilt 
worden. Er foll einen Polizeibeamten durd Schrift beleidigt 
haben. — 

In Schlefien ift Dr. Lorinfer, Herausgeber einer katho— 
fischen Zeitjehrift, zu einer Gelditrafe wegen Beleidigung 
der Obrigfeit und der proteftantifchen Religion verurtheilt 
worden. — 

Bolföverfammlungen in Enaland ftellen an die Königin 
Vitoria die Aufforderung, alle jett fchiwebenden diploma 
tifchen Verhandlungen und die Geſandtſchaften felbit alsbald 
einzuftellen, das Parlament zu entlaffen, ein neues zu beru- 
fen, und durch dieſes das Verhalten der bisherigen Minifter 


335 


unterfuchen zu laffen; fie folle ihre Vorrechte gegen die Miniſter 
beſer wahrnehmen ꝛc. — 


Sonntag, den 6. November 1853. 

Die Nationalzeitung hat heute in ihrem erſten Artikel, 
der von Abfchaffung der Diplomatie Spricht, diefe bedeutende 
Stelle: „Es hat ſich mehr und mehr die Vorftellung feſtge— 
fest, daß die Ariftofratieen der verfchiedenen Länder Europas 
mehr und mehr den Zuſammenhang eben fowohl mit den Dy— 
naftieen ald mit den Nationen und ihren Intereſſen verloren 
haben; daß fie, um Privilegien, die oft mehr eine Form ald 
reeller Werth find und ihnen nur Schaden thun, zu Fonfer- 
viren, eine Stüße an den Gleichgefinnten außerhalb fuchen ; 
daß ihnen dies folidarifche Kaften- und Koterieintereffe weit 
höher ftehe ald das herzliche Einverftändnig mit ihren Lands— 
leuten und Mitbürgern; und daß die Diplomatie nichts an- 
deres mehr fei, als die DOrganifation für ein volföthümlich 
indifferentes, ein dynaftifch gleichgültiges, im ſchlechteſten 
Sinne kosmopolitiſches Junkerthum. Die Heimlichfeit, in 
welche die Diplomatifchen Unterhbandlungen gehüllt werden, 
trägt dazu bei, das ganze diplomatische Gebahren in den 
Augen der Nationen ald eine gegen fie gerichtete permanente 
Verſchwörung erfcheinen zu laffen.” Diefe Ausſprüche treffen 
den Nagel auf den Kopf. Die Höfe, fofern fie Adeldneiter 
find, die Diplomaten, der Adel, halten zufammen, ohne Un: 
terichied der Länder, der Nationen, der Sprache, ja meiit 
auch der Religion. Die Arijtofratieen ftehen im enaften Zu— 
fammenhang, halten zuſammen, wirken vereint; die Demo- 
fratieen entbehren dieſes Bortheild noch beinahe ganz, fie 
müffen daher alle8 aufbieten, ihn. zu erringen. — 

Sch las Bahrdt's Leben zu Ende, dann fein befonderes 
Buch über feine Gefangenschaft; darauf in Semler’d Selbft- 


336 


biographie. Bahrdt wäre ein köſtlicher Gegenftand für einen 
geſchickten Bearbeiter, litterarifch, biographiich, politiſch, — Die 
Schilderung lieferte taufend Spigen für die Gegenwart! Es 
. dürfte nur ein Auffag fein, fein Buch. Aber unfere jungen 
Schreiber fennen dergleichen kaum, und wiſſen e& nicht zu bes 
handeln, — 


Montag, den 7. November 1853. 

Diefer Jahrestag war mir früher lieb und angenehm, der 
Geburtstag Stägemann’s, den ich gern mitfeierte, fo lange die 
Täuſchung beftand, daß er mein Freund fer; doch felbft nach 
feiner böslichen VBerrätherei, die ich mir noch heute nicht erflä- 
ren kann, — denn meine Zurüdforderung von 16 Friedrichs— 
d'or, Die ich ihm einit auf der Reife geliehen, fann doc nicht 
die alleinige Urfache feiner Umjtimmung gewefen fein, das 
wäre Doch zu erbärmlich — behielt ich ein Gefühl der An- 
hänglichkeit für ihn, das mich auch wieder mit ihm zufammen- 
führte, und er war dann auch fichtbar bemüht, mir die freund: 
ſchaftlichſten Gejinnungen auf’8 neue zu bezeigen. — 

Die Nene Preugifche Zeitung beginnt mit einem heftigen 
Ausfall gegen den djterreichifchen Bundestagegefandten Frei— 
herrn von Prokeſch; diefer fei Schon hier als Geſandter feind- 
lich und mipfällig, feine Ernennung nah Frankfurt am Main 
faft eine Beleidigung für Preußen geweſen, jebt werde feine 
Rückkehr auf feinen dortigen Poften durch eine Menge tüdi- 
her Angriffe gegen Preußen in den vielen unter öfterreichi- 
chem Einfluffe ftehenden Blättern bemerkbar, der Zollverein 
werde eine Krankheit im Innern von Deutfchland genannt, 
und mehr dergleichen; er wird gewarnt, dies Treiben nicht 
fortzufegen. Man sieht, wie der preußiſche Bundestags: 
gefandte Herr von Biemard-Schönhaufen mit ihm ſteht. — 

In dem Streite zwiſchen Magiftrat und Stadtverordneten, 


337 


ob beide Körperfchaften gleich, oder eine unter der andern 
ftebe, hat der Minifter des Innern entichieden, die Stadtver- 
ordneten feien zwar jelbititändig, aber jedenfalld habe der 
Magiftrat ale ihre Obrigfeit zu gelten. Dieſe Entfcheidung 
lähmt wieder allen freien Eifer für dad Gemeinwefen, und 
er war ohnehin fchon gering genug. Der Streit über Bes 
jeßung einiger Schulämter iſt damit noch nicht gefchlichtet. — 


Dienstag, den 8. November 1853. 

Der Staatögerichtähof hat den Herrn von Rappard, vor- 
maligen Stadtrichter und Nittergutöbefiker, wegen feiner 
Theilnahme am Stuttgarter Parlament (Hochverrath!) zu 
fünfzehnjähriger Zuchthausſtrafe verurtheilt. Er ift aber aus— 
wärts in Sicherheit. — 

Kradrügge in Erfurt, dem noch drei Preßverurtheilungen 
in Ausfiht ftehen, zufammen fünfzehn Monate Gefängniß, 
ſoll fich diefen entzogen und nach Nordamerifa begeben haben. 
Es mußte doch endlich dahin fommen. Dem Unglüdlichen 
war von der Reaktion fein Berderben zugedacht worden, man 
hörte nicht auf, ihn zu plagen und zu verfolgen. — 

Ausweifungen in Rheinbaiern. — Verbot der Vehſe'ſchen 
neuejten Bände in Baden, man fucht ihn gerichtlich zu be- 
langen, — 

Nach ſpätern Nachrichten lebt Kradrügge nach wie vor in 
Erfurt jtill und zurüdgezogen, den Erfolg feiner Appellationen 
abwartend. Jenes Gerücht ift gefliffentlich ausgejtreut, um 
ihm zu fihaden, feine heimliche Entfernung unmöglich zu 
machen, oder gar feine Verhaftung zu veranlaffen. — 


Barnhagen von Enfe, Tageblider. X. 22 





339 


Fürſtenknecht, der Scherge, möge einmal an fidh felbft erfah- 
ren, was Gewalt ift, und je ungerechter, defto beſſer! Das 
Beifpiel ift noch beffer, ald das an Haynau volljogene, eben 
weil die Schläge von derjenigen Seite fommen, der er dient, 
vor der er friecht. Wohl befomm’ eg! — 

Der Kurfürft hat feinem Knechte Haffenpflug ein Troft- 
Schreiben zugefandt, die erfte Kammer der Stände ihm ihr Bei- 
leid bezeigt; das ift richtig, beide find ja haſſenpflugiſch! — 

Das ruſſiſche Manifeft gegen die Türfen ift erfchienen; . 
ein ganz erbärmliches Machwerk, frech und heuchlerifch, ein 
Frevel gegen die Religion, fie hier jo lügenhaft vorzufchieben, 
und ein Vertrauen auf den Schuß Gottes auszuſprechen! — 

Ich glaube, die Verfaffung und die Freiheit Englands 
muß untergehen, eine Diktatur oder fonftige Alleinherrſchaft 
den Uebergang zu reineren Formen der Freiheit, zur Nepublif, 
bilden. Es hängen an dem jehigen Zuſtand Englands die 
herrlichften Früchte freier Entwidlung, die größte Sicherheit 
der Perſon und des Eigenthums, die fräftigfte Gefeglichkeit, 
der fchönfte Gemeinfinn und der reichfte Weltverfehr; aber 
noch größere Mebel! Und es hilft nicht, alle jene Bortheile 
müſſen geopfert werden, damit größere entſtehen können. Hat 
doch Griechenland mit all feiner Herrlichfeit untergehen 
müffen! — Alles in Europa ftrebt und arbeitet zur Republif, 
zur Bereinigung der Völker. — 


Donnerstag, den 10. November 1853. 
Der geftrige Tag, Jahrestag der Erfchiegung Robert 
Blum's in Wien, ift hier in demofratifchen Familien vielfältig 
gefeiert worden, das untere Bolf hängt mit ftarfem Eifer an 
diefem Namen; in fünftigen Zeiten kann man’d vielleicht 
erleben, daß dem Vertreter und Märtyrer der Freiheit eine 


Bildſäule errichtet wird! — 
22° 





341 


| Freitag, den 11. November 1853. 

Die Nationalzeitung bringt eine Rede, mit der der Wie- 
derbeginn der Bundestagsfikungen durch Herrn von Profefch 
hätte eröffnet werden fönnen, wenn dergleichen „Throns 
reden” gebräuchlich wären. Ein bitterböfer, Fühner Aufſatz, 
der unter andern Umftänden für die Nationalzeitung fchlimme 
Folgen haben würde, jeßt aber, bei der Feindſchaft zwifchen 
Prokeſch und Manteuffel, hier nicht mipfällig fein fann. Das 
Elend des Bundestages wird fchonungslos aufgededt. — 

Uhland und noch ein Würtemberger follten als gemefene 
Abgeordnete zur Frankfurter Nationalverfammlung gericht: 
liches Zeugniß über gewiffe Abftimmungen Furheffifcher Kol: 
legen geben, die furheffifche Regierung hatte das Verlangen 
geftellt, und Die würtembergiiche ed aufgenommen. jene 
Ehrenmänner haben fich natürlich geweigert, und niemanden 
das Recht zugeftanden, dergleihen von ihnen zu fordern. 
Jeder ift dephalb einftweilen in fünf Gulden Strafe verur- 
theilt worden ; dies kann fich bis zu fünfzig fteigern. — 

Hier ift ein Buchdrudereibefiger Weidle verhaftet wor⸗ 
den. — 

Der Zuftand des Generald von Radowitz hat fich fehr 
verjehlimmert. Die Gerlach's hoffen auf feinen Tod und zu— 
gleich auf die Erlangung wichtiger Papiere, die fih in feinem 
Nachlaß finden würden. Er foll aber diefe Papiere, befonders 
die Briefe des Könige an ihn, ſchon längſt auswärts in Sicher: 
heit gebracht haben. — 


- 





Sonnabend, den 12. November 1853. 
Der Eindrud ded Minifterialfchreibend und des darin an- 
geführten Königlichen Befehle der Nichtbeförderung aller im 
Fahre 1848 politifch und Firchlich Betheiligten macht den 
allerübelften Eindrud, die Leute find empört über diefe Rach— 





343 


Wohl des Grafen von Yſenburg-Waächtersbach getrunfen 
worden. Die rohe Gewaltthat würde unter andern Umftänden 
Widerwillen und Ubfcheu erregen, aber in diefem Falle, wie 
in dem des elenden Haynau, überwiegen Befriedigung und 
Beifall. So groß ift der Durch jahrelange Nihtswürdigfeiten 
und Gewalttbaten aufgehäufte Haß gegen Haffenpflug. — 


— — — — — 


Sonntag, den 13. November 1853. 

Merkwürdig iſt der freie und kühne Ton unſerer Zei— 
tungen gegen Rußland; wieſo wird Das hier und in St. Pe- 
teröburg geduldet? Als fie gegen den — in Frankreich 
loszogen, drohte der fo heftig, daß man auf der Stelle die 
Blätter warnte und der Sache Einhalt that. Bonaparte 
mächtiger in Diefem Fall ald der Kaifer Nifolaus! — 

Ausgegangen mit Ludmilla. Kurzes Zufammengehn mit 
Herrn von *; der unbedeutende Schwähling, der Mann 
von **! Da hätte fie auch den Herrn von Fr nehmen fünnen, 
und beffer! Doch, „die Menfchen thun fich miferabel zufam- 
men“ fagte ſchon vor fünfzig Jahren der Graf Alerander zur 
Lippe mit größtem Ingrimm, ale die reizende Caroline Leh— 
mann dem alten Muzio Clementi zu Theil wurde! — 

Herr Wilhelm Blum wollte mich befuchen. — Beſuch von 
Herrn Profeffor Dirichlet; vielfacher Austaufch, wir endeten 
damit, nur einander luftig zu ſchimpfen, ich Ihn „Herr Pro- 
feifor *, er mich „Herr Geheimrath“! — 

Abends Beſuch von Herrn Dr. Hermann Franck. Ich 
merfe ald eine Befonderheit an, daß in anderthalbftündigem 
lebhaften Geſpräch Teine Erwähnung Haffenpflug’3 geſchah; 
eine gewiß große Enthaltfamfeit oder Zerjtreutheit von und 
beiden! — 

Ich las feit einigen Jahren öfters in den Zeitungen, der | 
würtembergifche Staatsrath von Klindworth fei angefommen, 





345 


gäbe fie frei; aber dort wie hier gefällt man fih in harter 
Strafluft! — 

Auf der Bornheimer Haide bei Frankfurt am Main wehte 

am 9, eine Trauerfahne mit dem bluthrotben Namen Robert 
Blum’d. Die Polizei nahm die Fahne weg, aber das An- 
denken kann fie nicht zerftören. Das Volf weiß recht gut, daß 
Blum wirklih und ächt ein Volksfreund war, und läßt nicht 
von ihm los. — 
Fortgeſetzten äußerften Streit der elenden badiſchen Re- 
gierung, und des fanatifchen Erzbifchofd von Freiburg. Recht 
fo! Schlagt euch untereinander, uns ift es ein großes Ver: 
gnügen! — 

Preußen beabfichtigt, in Kurhafen einen Kriegdhafen an- 
zulegen, und fteht dephalb in Unterhandlung mit Hamburg. 
Für diefe einftweilen nutzloſe und ganz thörichte Spielerei 
werden die größten Summen aufgewendet. — 

In Leſſing und in Goethe gelefen. Franzöſiſche Blätter. — 

- Frankreich führt eine heftige Sprache gegen Rußland. In 
England das jämmerlichfte Minifterium feit Menjchenge- 
denken. Defterreich in Feigheit und Tüde lauernd. Preußen 
— ja Preußen! Was ift von dem zu fagen? Wer hat hier 
das Heft in Händen? Niemand! Einige fafen wechjelnd es 
ein wenig an, niemand ergreift und führt es feſt. — | 

Daß das ruſſiſche Manifeft, alfo der Kaifer von Rußland, 
im franzöfifchen Moniteur öffentlih und amtlich Lügen ge: 
ftraft wird, ift ein Schimpf, den der Kaifer Nikolaus niemals 
abwaschen kann! Alle Ruffenfeinde haben die größte Freude 
daran! Es thut ihnen wohl, daß auch diefe fo gefürchtete 
Macht das Uebergewicht der Wahrheit zu fühlen befommt, da 
der Uebermuth gebeugt wird, wenn auch: nicht befchämt, denn 
die Scham ift längft von den Stirnen der Großen ver: 
ſchwunden! — 





347 


werden. Mit welchen — find die Aemter angefüllt! in den 
obern Schichten, in den.unten! — 

Wie edel und rein ift die Sprache, in welcher am 13. die 
Nationalzeitung die „ Kirchlichkeit in der Gegenwart“ befprach! 
Wie weit entfernt find unfre rohen Gewaltömenfchen, die an- 
geblich Bornehmen, aber wirflih Gemeinen, von folcher Höhe 
des Geiftes, ſolchem Adel der Gefinnung! — 

Der König hat den kranken Radowitz abermald bejucht. 
Die Kreuzzeitungdleute jagen, er habe fich alle Briefe, die Ra- 
dowitz von ihm in großer Menge befist, wieder ausliefern 
laffen. Doch ſoll Radowis beglaubigte Abjchriften diefer 
Briefe ſchon vor ‚längerer Zeit an ficherem Orte verwahrt 
haben, — 


Mittwoch, den 16. November 1853. 

Mit richtigem Takte faffen Volkszeitung und National- 
zeitung nun audy die Nüdfeite ded Vorganges in Kaffel auf, 
nach der Schlechtigkeit des Geprügelten, nun auch die Schlech- 
tigfeit des Prüglere. SHafjenpflug hat fein mwohlverdientes 
Theil, nun befomme es auch der Graf von Pfenburg, der 
Schwiegerfohn des Kurfürften. Beide gehören doch zufammen, 
und der Kurfürft ale Dritter dazu. Heſſen-kaſſel'ſche Zuftände! 
und der deutfche Bundestag! der feit drei Jahren diefer Höls 
lenwirthfchaft ruhig und wohlgefällig zufieht, und die deut: 
ſchen Fürften alle, die im Bundestage vertreten find! Des 
Himmels Strafe über fie! — 

Der Graf von Nfenburg ſoll nun für wahnfinnig ausge— 
geben werden, In Kaffel wünfcht man, daß der Vorfall nicht 
weiter bejprochen werde, daß man Gras darüber wachjen laffe!! 
— Ei, wünfdht man? — 

In einem veröffentlichten Schreiben an die ſchleswig'ſchen 
Stände jpricht der dänifche Staatsminifter Graf von Moltke 





349 


fluger, der die Federfrankheit hat und fie zum Erwerbe mit 
dDreifter Unverfchämtheit benutzt. — 

MWiderfprechende Nachrichten vom Kriegsſchauplatz an der 
Donau. Die neueften Nachrichten find immer nur ruffifche 
oder ruſſiſch gefärbte. — 

Der König möchte jebt gern, daß nicht Henfel, fondern 
Dlferd zum Direktor der hiefigen Akademie der Künfte gewählt 
oder ernannt würde; da wäre den Künftlern doch fogar Henfel 
lieber, als einer vom Fach, als einer, der fihon ihr Kamerad 
ift. Neben Hülfen, der nicht vom Theater verfteht, noch 
Olfers, der nicht? von der Kunſt verfteht, das ift recht im heu— 
tigen Sinn! — 

Der König läßt eine Reiterbildfäule für den Bringen von 
Preußen machen, während er diefem zugleich die mannigfad)- 
ſten Kränfungen widerfahren läßt. Ni cet excès d’honneur, 
ni tant d’indignite! fünnte es hier heißen! — Wo foll fie 
aufgeftellt werden? Bor feinem Palaſte, „den Eigenthum der 
ganzen Natron“, ift Fein Pla mehr. — 

Für Hindeldey wird eine neue Regierungsbehörde in Ber: 
lin eingerichtet. Sein Chrgeiz dringt auf höhere Stellung, 
man macht ihm diefe zurecht, die ihn aber keineswegs befriedi- 
gen kann. Wenn er nicht Minifter und Erzellenz wird, — 
alles andere ift ihm nichts! Dieſe neue blos aus perfönlichen 
Beweggründen herporgerufene Schöpfung wird fchon jeßt als 
ganz unndthig angefehen, wird aber eine Mehrausgabe von 
12 bis 14,000 Thalern jährlich verurfüchen. Könnte man nicht 
lieber die Hälfte baar an Hindeldey geben und die Behörde 
nicht errichten? hm wär’ es gewiß lieber, und dem Staat 
auch. Uber es fehlte Dann der Borwand! Nein, die Behörde 
it dazu nöthig!! — 





351 


Dienstag, den 22. November 1853. 

Bon der Donau her noch immer nicht? Zuverläffiges, doch 
icheint ed gewiß, daß die Türfen bei Olteniga in einem fchar- 
fen Gefecht gefiegt haben, dann aber freitwillig auf das rechte 
Ufer der Donau zurüdgegangen find. Vielleicht auf Befehl 
aus Konftantinopel? Diplomatifches Treiben Spielt zwifchen 
den Kriegebegebenheiten immer weiter, hemmt und verwirrt 
fie! Wer weiß was alled im Werfe fein mag! Ränke aller 
Art, Beftehungsverfuche, Drobungen, Bermittelungen. Die 
Zufunft wird's enthüllen. Hier gönnt alles den Ruſſen eine 
gründliche Niederlage, nur die Kreuzzeitungdparthei hält es 
mit den Ruſſen, heuchlerifch, lügenhaft, und niederträchtig 
wie nur je! Sie führt eine hämifche, pöbelhafte Sprache, die 
den Ruffen wahrlich feine Freunde gewinnt. — 

In Froſchdorf foll die fogenannte Fuſion — Vereinigung 
der alten Bourbon? und der Orleans —, von der fo lange die 
Rede war, die fo lange ganz unmöglich fchien, nun wirklich zu 
Stande kommen; der Herzog von Nemours ift hingereift und 
wird den Grafen von Chambord Sire und Königliche Maje— 
jtät nennen. 


Mittwoch, den 23. November 1853. 

Sm Bette .gelefen. Beſuch von Herrn Prof. Schultz⸗ 
Schulgenftein; er bringt mir fein Buch: „Die Menfchiwerdung 
Gottes im Glauben und Wiſſen erläutert durch die Gefege der 
Berjüngung in der organifchen Natur“, und trägt mir ohne 
weiteres, weil er qrade eine halbe Stunde übrig hat, feine 
neue 2ebre vor. Die Frommen glaubten anfangs, durch den 
Titel verführt, der Autor fei zu ihnen übergegangen, mußten 
aber bald ihren Irrthum erfennen, und er hat den Herren 
Imweiten, Hengjtenberg ꝛc. feharf aufgetrumpft; er befennt nicht 
fi zu Chriſtus, fondern läßt Chriftus fih als Schulkianer 





393 


Chambord! Unter den jänmerlichften Bedingungen; beide 
Theile blamiren ſich. Die Orleans erfennen in ihrem Vater 
einen Thronräuber, Chambord verfpricht ſchimpflichſt nicht 
wieder zu heirathen, damit nad ihm die Orleans den Thron 
doch befteigen fünnen! Sie befennen ihre Schwäche, ihre Er: 
bärmlichkeit. Dabei verfprechen beide den Franzofen konſtitu— 
tionelle Freiheit! Die Sache wäre von gar keiner Bedeutung, 
wenn fie nicht doch den — Louis Napoleon beunruhigte, und 
eine Waffe gegen ihn ſchiene. — 


Freitag, den 25. November 1853. 

Auffallend ift es, wie wenig man jet in Berlin vom Kö- 
nige fpricht, und überhaupt vom Hofe. Früher, bis zum Jahre 
1848, war der König und fein Hof ein Hauptgegenftand aller 
Unterhaltung; das hat aufgehört, nur ein Heiner Theil alter 
Philiſter und Klatjchweiber hält fich noch an diefe Art Bedien- 
tengefpräh! Die Bornehmen ſchweigen, mehrentheild aus 
Verachtung, die Bürger aus Haß. Majeftätbeleidigungen 
fommen wieder häufiger vor Gericht, doch ift bei ihrer Ber- 
handlung die Deffentlichfeit ausgefchloffen. — 

Am Bundestag ift das von Defterreich beabfichtigte Preß⸗ 
gejeb abermals gefcheitert, an dem Widerſpruch Preußens und 
dem Zögern der fleineren Staaten. — 

Die beiden preußifchen Gefandten von Brodhaufen und 
Graf Maz von Hapfeldt find zu Wirflichen Geheimen Räthen 
mit dem Prädikat Erzellenz ernannt worden. Der erftere galt 
früher für einen ſchönen Dann und für nicht fonderlic, Hug, 
der lestere ift von jeher und noch ald dummer Junge be: 
fannt. — 


Barnhagen von Enfe, Tagebüder. X. 23 





359 


Sonntag, den 27. November 1853. 
In den Briefen des Plinius gelefen, in Vinzent Nolte’ 
Memoiren. — 


Der türfifcheruffifche Krieg ſtockt, aber nicht ganz; in 
Aſien glückliche Gefechte der Türken und Ticherfeffen gegen die . 
Ruſſen, eroberte Kanonen, viele Gefangene, — 


Die fogenannte Fufion wird von den franzöfifchen Blät- 
tern ala ein bemitleidendwerthed, lächerliches Ereigniß darge: 
ftellt. — 


Der Kaufmann Jacob in Halle, fonft ein ſchwächlicher 
Mann in politifhen Dingen, hatte doch den Harfort’fchen 
Wahlkatechismus verbreiten helfen, war dephalb angeflagt 
worden, doch haben die Geſchworenen ihn freigefprochen. — 


Morgen werden hier die Kammern eröffnet. Jämmer— 
liches Ding! "Und feine Pairskammer! Nach fo langem Ber 
finnen! Unfähigkeit zum Schaffen, Hintergedanfen, Unent- 
ſchloſſenheit, Feigheit, alle® fommt hier zufanımen. Und aljo 
noch immer die alte erfte Kammer, nach der willfürlichen abge- 
Ihmadten Wahlordnung! Kerld, die da willen, daß man fie 
nächftend zum Teufel ſchicken wird, die fi ald Nothbehelf 
ichimpflich brauchen Taffen! Auch Graf von Nord ift in Bres- 
lau wiedergewählt worden, wird fich auf’3 neue vom Qumpen- 
hund Stahl verfpotten laſſen! — (Er hai die Wahl aber abge: 
lehnt.) (Später eine andere angenommen. —) 


Oeſterreich erflärt fich fehr entfchuldigend bei Louis Bona- 
parte über die bourbonifchen Vorgänge in Frofchdorf, und giebt 
ihm die Verfiherung, daß es Feinerlei Kompflotte auf feinem 
Gebiete dulden werde, die gegen das befreundete bonapartifche 
Kaiferreich gerichtet fein könnten, So ſpricht auch die öfter: 
reichifche Preffe, geringfchägend und beinahe feindfich gegen die 
Bourbond-Komplotte! Bon Leuten gejagt, die nad) fonftiger 
| 23° 





357 


Der Präfident der Scehandlung, Herr Bloch, will fih aus 
dem Staatedienfte, jagt man, zurüdziehen, weil er die vom 
Könige ertheilte Begnadigung des Verläumders Aſſeſſor Wage- 
ner als eine Kränfung anfieht, die ihm felber zugefügt wird. 
Der Aſſeſſor Wagener, zu mehrmonatlicher Feſtungsſtrafe ver- 
urtheilt, iſt auf freien Füßen, das ift gewiß; öffentlich befannt 
gemacht ift feine Begnadigung jedoch nicht. — 


Dienstag, den 29. November 1853. 

Uhland ift zum Mitgliede der Friedensklaſſe des Ordens 
pour le merite an Tieck's Stelle gewählt worden. Die Be⸗ 
ftätigung von Seiten des Königs fehlt noch. Wir wollen 
ſehen! Uhland war Mitglied des deutfchen Parlaments bie zu 
deffen Auflöfung ; wird man das vergeffen wollen? Und wenn 
bei ihm, warum nicht bei Andern? — (Siehe dag Blatt vom 
12. Degember 1853 und 19, Januar 1854. —) 

Herr von Plehwe, Kommandeur ded Gumbinner Rand: 
wehrbataillond, hat ein Wahlfchreiben an feine Offiziere und 
Unteroffiziere erlaffen, fie follten bei der Wahl der Abgeord- 
neten für Herren von Lüderitz ſtimmen. Zwei Offiziere, Die 
dennoch für Herrn von Sauden ftimmten — der eine ſogar 
der Schwiegerfohn Sauden’d —, hat er vor ein Ehrengericht 
verwiefen. Und foldhe unwürdigen Gewaltftreiche werden 
von unfern halunfifchen Ariftofraten gutgeheißen, beklatſcht! 
Fühlen fie denn nicht, wie ſehr fie den Offizierftand befchim- 
pfen, wenn fie ihm jede Freiheit abfprechen? — 

Das free Wort Ludwig’d von Gerlah: „Für meine 
Junker ift das gut genug!“ hat ihm viele feiner fonftigen 
Anhänger entzogen. — 





35) 


ſellſchaft 2c. und der Bann ift kraftlos für alle, die nicht weltlich 
davon betroffen werden. Und gäbe es Freiheit in Baden, wie 
viele deutfchkatholifche Gemeinden würden fich bilden! — Jetzt 
muß die Regierung doch ſchimpflich nachgeben. — | 
Die Junker hatten in ihrer Zahl Fein einziges Mitglied, 
daß fie dem Grafen von Schwerin ald Mitbewerber um die 
Präfidentichaft hätten zur Seite ftellen fünnen. So geiftes- 
arm, fo unbrauchbar find diefe Burfchen! Sie haben die 
Macht und Fönnen fie nicht brauchen! — | 


Donnerstag, den 1. Dezember 1853. 

Eben wollt’ ich ausgehen, da fam Bettina von Arnim, 
und hielt mid) eine Stunde auf. Wieder zog fie gegen * los, 
machte Ludmilla'n und mir Bormwürfe, ſprach ihren Abfcheu 
heftig aus. Dann famen die Fragen um Rath; fie will dem 
König einen jungen Muſiker empfehlen, allenfalld durch den 
Grafen von Redern, — gut! fie will ihm Ratti’d Kopie des 
Bildes von Tizian in Venedig, die er in ihrem Auftrag an— 
gefertigt, für A000 Thaler zum Kauf anbieten, die Hälfte des 
Werthes, meint fie, — bedenflih! Wie verhält es jich über: 
haupt mit diefer Mahlerei? Bettina gab fich bisher nur ald 
Bermittlerin an, reiche Befteller flanden im Hintergrunde, 
2000 Thaler find dafür ald Zahlung angegeben, wie jo fommt 
das Bild nun zum Verkauf, mit ſolchem Doppelpreis? Aus 
Bettina’3 verworrenen Ausſagen ift nicht Flug zu werden, fie 
ift eine Meifterin der Verwirrung und der Verdrehung! Sie 
will beim Könige für Hoffmann von Yullersleben Schritte 
thun, — ſchlimm! fie wird diefem nur fchaden. Der König 
hört nicht mehr auf fie, fondern läßt fie laufen, ohne fie einer 
Antwort zu würdigen. Vom Demetrius des jungen Grimm 
wollte fie rühmend fprechen, ließ ihn aber gleich in die tiefite 





‚ 361 \ 


Freitag, den 2. Dezember 1853. 

Es fehlt nicht an Leuten, die da meinen, die vielen Mans 
datsniederlegungen von Abgeordneten zur erften Kammer und 
die Unbefchlupfähigkeit diefer wegen mangelnder Mitglieder, 
feien feine Berlegenheit, fondern eine Freude für die Negier 
rung. Denn wenn feine erſte Kammer da ift, gilt auch die 
zweite nicht, und die Regierung hat es in der Hand, die ganze 
Berfaffung in ihrer Schwäche jtill abfterben zu laſſen. Zu 


einer Bairdernennung fann der König fich nicht entjchliegen, 


er mag Feine Gerechtfame gründen, die er nicht fo leicht würde 
zurüctnehmen können, und er müßte für Einen Pair, den er 
gern hat, immer zwei oder drei ernennen, die er haßt. Aber 
ih glaube, die Todesitunde diefer Scheinverfaffung ift noch 
nicht gefommen, man fchleppt die Schwächlichfeit lieber noch 
eine Weile fort, und ed kann gefchehen, daß jie unterdeſſen fo- 
gar an Kräften zunimmt. Wie die Sache jest ift, ift fie zum 
Ekel. — 

Weiſe Engländer möchten und belehren, wir follten doch 
die jegige preußiſche Verfaſſung nicht fo, gänzlich verachten und 
finfen laſſen, es fei doc, immer etwas, ein folches Ding zu 
haben! Armſelige Krämeranfiht! Wollen die, denen das 
Ding angehört, was draus machen? wir hindern fie nicht! 
Aber beiftehen in diefer nichtewürdigen Wirthichaft können 
wir ihnen nicht. Die Krämer wiffen nicht? von Ehre, nichts 
von Zuverficht. Wir bedürfen des Nothbehelfs nicht, nicht der 
eiteln Hoffnung auf ein philifterhaftes fümmerliches Zwifchen- 
beftehen. Unſer Sinn geht höher. Unfere Sache wird fiegen, 
davon find wir überzeugt, darauf fünnen wir feft vertrauen ; 
ja fie hat fchon gefiegt, fiegt immerfort, mitten in der gräß- 
lichen Reaktion; der ganze Zuftand zeigt es! — 

Der biefige reiche Kaufmann Jakobſohn, der erft neulich 
den Muth gehabt, zur freien Gemeinde überzutreten, hat ernite 

maßvolle Briefe an Manteuffel und Hinfeldey gerichtet, durch 


._ 





3 


Friedrih Murhard farb in Kaffel am 29. November, 
75 Sahr alt. In Brüffel ftarb am 30. Hert von Coopmans, 
dänifcher Minijterrefident dafelbft, ein ftarfer Siebziger. Ich 
fannte ihn feit 1807, wo er hier der Galopin feines Gefandten 
und der Frau von Boye war. Ein trodner Diplomat und 
dürftiger Elegant ſchon ale junger Mann, unwifjend, be- 
ſchränkt, fonft eine gute Haut! — 

In Königsberg ift ein Referendarius Braufewetter, der im 
Sahre 1848 einen demofratifchen Klub leitete, von der Ber: 
‚ folgung lange überfehen worden. Plötzlich aber hat man ſich 
feiner erinnert, und er durch ein Reſkript des Juſtizminiſters 
feine Entlaffung erhalten. — 


— —r — — 


Sonntag, den 4. Dezember 1853. 

Auch in Königsberg ſind die Zeitungen verwarnt worden, 
gegen auswärtige Regierungen nicht feindlich aufzutreten, ſonſt 
werde die Polizei mit Verwaltungsmaßregeln einſchreiten! 
Natürlich nicht mit geſetzlichen Maßregeln! Schon dieſe Ber: 
warnungen find nicht gefeglich, find eine ſchamloſe Nachäffung 
der franzöfifchen Bonaparte-Wirtbichaft. Weiter willen unfere 
Schächer nichts! Wie lange wird ed dauern, fo wird auch 
der Nationalzeitung unterfagt, wider die Nuffen zu reden. 
Behörden ſchämen ſich nicht. — 

Der König hat zu pommerſchen Abgeordneten, die gegen 
die neue Maiſchſteuer Vorſtellungen machten, ganz offen ge⸗ 
jagt, auch er fei gegen die Maßregel, er fei mit feinem Finanz- 
minifter ganz geipannt! Was foll das heißen? Konftitutionell 
oder nicht, abfegen Tann er feinen Minifter jeden Augenblid, 
und jeden Augenblid neue wählen. Wo ift der Vortheil, die 
Leute glauben zu machen, er könne das nicht? Und es glaubt 
e8 dennoch niemand, — 

Ludmilla kam von der Gräfin von Ahlefeldt. Geſpräch. — 





365 


geben. Gin verjtändiger, aufgewedter und haltungsvoller 
junger Mann, der mir ſehr gefällt. Wir fommen in ausführ: 
fiched Geſpräch. Er erzählt mir von dem Leben in Koblenz, 
wo fih ein guter Kern preußifcher Gefellfchaft befindet, die 
Generale außer Dienften von Bardeleben und von Holleben, 
der Prof. Bercht, der Oberft von Othegraven, auch General 
von Griesheim gehört etwas dazu, dann jüngere Offiziere; fie 
find Gegner der Kreuzzeitung, fonftitutionell, der Parthei 
Bethmann-Hollweg zugethan — died dürfen fie eingeftehen, 
nicht aber etwa, was drüber hinausgeht. — Der alte 
Bärfch ift völlig unbedeutend, der Legationsrath Sirt von 
Armin ganz lächerlich; letzterer fchreibt ein Leben Juſtus 
von Gruner’d; das wird gut werden! — Herrn Stawitzky 
find bereitwilligft alle Archive hier geöffnet worden, aud) 
der Ordendfommilfion, wo fih manche Friegsgefchichtliche 
Sachen finden. Man muß Offizier fein, um fo begünftigt zu 
werden. Wie öffneten fich alle geheimen Schränfe für den 
Major von Gerwien, ald er über Rühle von Lilienftern ſchrieb, 
für den einfältigen Leopold von Orlich! — General Balm, 
Dberft von Beczwarzowski, Hofrath Friedrich Förfter 2c. haben 
Mehreres geliefert. — 

Nachmittags kam Bettina von Arnim. Sie lad mir ihren 
Brief an den König vor, und fragte mich wegen mehrerer Stellen 
um Rath. Der Brief it geſchickt, eindringlich abgefaßt, etwas 
Ihroff, no mehr aber empfindjam, um Verzeihung biftend, 
das Mipverftändnig zwifchen ihr und dem Könige ſei „zum 
Weinen!” Wenn fie jo fchreiben wollte, fo ift der Brief fehr 
gut, wie mag fie aber wollen, nad allen Schnöbdigfeiten, die 
fie erfahren? Sie fchmeichelt ſich dem König auf unwürdige 
Weife auf? neue an, fpricht zu feiner Gropmuth und 
Nahfiht, nahdem er ihre Fürbitte für Kinkel nur beachtet, 
um deffen 2008 graufamer zu beftimmen. Diesmal fpricht fie 
jur den Mufifer Cornelius, für den Mahler Ratti, und zulegt 





367 


Dienstag, den 6. Dezember 1853. 

An Herren Premierlieutenant Stawitzky gefchrieben, und 
ihm das einzige noch vorhandene Eremplar der „Zeitung aud 
dem Feldlager von 1813 und 1814 * zur Anficht überfandt. — 

Sch habe lange vorausgefehen, daß Dünger, der mit jo 
vielem Fleiß und Scharffinn Goethe’s Leben und Schriften 
durchforfcht, aber auch mit Bitterkeit und Härte die Be: 
mühungen Anderer auf diefem Felde tadelt, endlich ebenfo 
behandelt werden wird. Dies gefchieht in dem neueften Heft 
der Blätter für litterarifche Unterhaltung durch Adolph Schöll, 
der in einem großen, noch nicht beendigten Aufſatz, Vermeint⸗ 
fihe und wirfliche Figuren aus dem Leben in Goethe's Dich: 
tungen * heftig gegen Dünger losfährt, deſſen Verfahren bitter 
rügt, deſſen Deutungen verwirft. Schöll ift gerade fo wie der, 
den er dephalb tadelt, auch ihm begegnen Irrthümer und Ber- 
fehen, wie jenem, wie fie jedem begegnen, der Vielartiges zu 
behandeln bat. Nur ift Dünger mir doch weit lieber, weil er 
gründlicher und umfichtiger verfährt, fein Eifer wärmer und 
umfaffender ift. Schöll geht auch mit Heftigfeit gegen Edardt 
108, der eine foldhe gar nicht verdient; dabei werde auch ich 
zwar in allen Ehren genannt, aber doch foll um fo mehr be- 
wiejen werden, daß meine Zuſtimmung zu Eckardt's Meinung, 
in Goethe's Taffo werde ald Antonio das Bild Herder’3 vor: 
geführt, keinen Grund habe; er, will dies durch Widerfprüche 
darthun, zwiſchen Goethe's Aeuperungen und folder An- 
nahme, doch damit ift nichts gelagt. Was widerfpricht jüch 
nicht alles, und ift doc, beifammen; man liebt und hapt zu— 
gleich, ehrt und mipbilligt, zieht an und ftößt ab, und ohne 
Falſchheit, ohne Argliit, aus gebotener Nothwendigfeit der 
Berhältniffe und Umftände, ja der zwiefpaltigen Menfchen- 
natur felber. Daß Goethe zu allen Zeiten, bei größter Ber: 
ehrung des Geiſtes, bei ftärffter Hinneigung des Gemüths, 
immer eine geheime Widrigfeit in Herder gefpürt, daher auch 





369 


gleich die Auflöfung der Kammern bewirken, eine Aenderung 
des Wahlgeſetzes, zuleht eine Abſchaffung der Verfaffung. Auf 
diefem Wege fünnen wir nichts erlangen, unfere Sade ift 
weiter hinaus — auf Ereigniffe geitellt, die nicht fehlen wer⸗ 
den. Wir können warten. — 

Im Suetonius geleſen, im Plutarchos, Franzöſiſches. — 

Die Neue Preußiſche Zeitung, welche ſonſt bei einer ſie 
treffenden Beſchlagnahme wüthig aufbrauſt und widerbellt, 
giftige Drohungen gegen Hinckeldey und Manteuffel erläßt, iſt 
bei der letzigeſchehenen Beſchlagnahme ganz ſtill! Wie die 
Zeiten ſich geändert haben! — Und doch ſind es für uns noch 
dieſelben Zeiten! — 

Wird der nun doch gewählte Aſſeſſor Wagener in die Kam- 
mer eintreten dürfen, da nod eine unverbüßte Gefängniß- 
ftrafe auf ihm liegt? Seine Junker find doch fonft auf jede 
Spur von Befcholtenheit fo erpicht! Sollihm die Abgeordneten- 
ftelle noch gar etwa zur Freiftätte gegen die Haft dienen? — 

Der Abgeordnete Aldenhoven, der in der Kammer die Mi: 
nifter beleidigt haben fell, war troß aller Einwendungen doc 
vor Gericht angeklagt worden. Da die Kammern nun wieder 
in Thätigkeit find, und Aldenhoven in feinem Berufe wirkfam, 
fo hat das Obertribunal einftweilen feinen Sprud auf- 
geſchoben. — 


Donnerstag, den 8. Dezember 1853. 

Frau Bettina von Arnim befuchte mich, und brachte noch- 
mals ihren Brief an den König; ich hatte ihr neulich gerathen, 
ein paar Blätter von Hoffmann’? von Tallersleben Hand 
lieber nicht an den König zu fchiden, jie hatte das aber weit 
weggewieſen; heute meint fie felbit, daß der König dadurch 
übel gereizt werden fönnte, und will fie weglaffen, was ich 
natürlich billige. Sie theilt mir auch den Anhalt eines Briefed 

Varnhagen von Enfe, Tagebüder. X. 24 





371 


Leibe nicht dag, was ich bei Andern einmal getadelt, mir dep- 
halb auf immer und unter allen Umftänden verbieten! — 

Gerlach's Heußerung in der Kammer: „Ich fühle mich um . 
jo freier, jemehr ich influirt bin ! * wurde von vielen Kammer- 
mitgliedern beklatſcht. Ganz recht, die Frechheit, welche mit 
Hohn baare Unvernunft hinſchwatzt, gefällt ihnen! Die 
Zumpenhunde fühlen, daß alles Vernünftige ihnen feindlich 
ift, fie beten die Göttin der Unvernunft an, und erkennen die- 
jen Gerlach ald deren würdigen Priefter. Der ganze Kerl ift 
doch nur ein Abklatfch von Leo, und ein gefudelter! — 


Freitag, ben 9. Dezember 1853. 

Sm Suetonius gelefen, ich komme ftets wieder auf ibn 
zurüd, obſchon von dem Inhalt immer mehr abgefchredt. — 

Herr von Bally, einſt Mitglied der Frankfurter National: 
verfammlung, tft hier in der Charite an den Poden geftorben. 
Er war durch einen Prozeß heruntergefommen. — 

In den Gränzboten fteht eine treffende Schilderung des 
Hiftorikerd. Leo und feiner Schriften; die Verdienfte werden 
anerkannt, aber auch die wüthige Leidenſchaft, die blinde Will- 
für und Berbiffenheit, die Tücken und Narrheiten ſcharf be- 
zeichnet. — | 

Viktor Hugo hat eine neue feharfe Schrift gegen Louis 
Bonaparte und fein — Kaifertbum herausgegeben; man hat 
fie hier fogleich verboten. Sie heißt: „Les chätiments“. 
Wie zaghaft und aufmerfjam it Preußen, daß diefer neue 
Kaifer ja nichts übel nehme! Welche Geißel ift der Menfch 
für alle die von ihrer Majeftät und Gottesweife trunfenen 
Fürſten! Schon um depwillen dürfte ihm viele zu verzeihen 
fein. Sie fühlen alle den Arm des Emporkömmlings, des 
Mannes, nicht von Gotted Gnaden, fondern von Volkes 

24* 





373 


zelnen Angaben und Vorherfagungen Recht gehabt haben, im 
Ganzen und Großen haben fie ed nie, und der Fortgang der 
Dinge fpottet ihres Scharffinng, ihrer Rathichläge. Wie eng 
find ihre Gefichtöfreife, wie dürftig ihre Bernünfteleien! Der 
. in den Himmel erhobene Burke mit feiner gepriefenen Bered- 
famfeit ift oft gradezu dumm. Webrigens kann ich einen Men- 
hen, dem bei großen Strebungen zum Licht und zur Freiheit 
nicht das Herz höher fchlägt, nicht den klügelnden Berftand 
fortreißt, niemals für einen edlen und grogmüthigen halten ; 
und wirklich find es nur Feine Seelen oder blinde Fanatifer, 
die ſich ſolchen Bewegungen feindlich bezeigen, fie herabdrüden 
oder vernichten wollen! — 


Sonntag, den 11. Dezember 1853. 

Bei Kranzler. In den Thiergarten. Bei den Zelten 
Schrittichuhlaufen gefehen, Damen und Herren; bei Bettina 
von Arnim Buch und Karte abgegeben. Herrn Geh. Medizinal- 
rath Romberg geiprochen, fpäter Herrn Dr. Ring, der ung in 
die Stadt zurüd begleitete. — ü 

Zu Haufe wartete Fräulein Marie von Buch auf ung; fie 
brachte mir ein allerliebites Billet von Frau von Treskow, die 
bald auch jelber Fam, das Fräulein wieder abzuholen. — 

Herr Wolfgang von Goethe wollte mich befuchen und ließ 
jeine Karte zurüd. 

Nachmittags fleißig gearbeitet. Räthſelhafter Beſuch; 
Bettelei? Neugier? irgend Ränte politifcher oder litterari- 
ſcher Art? Alles an fchroffer Unbefangenheit haltungslos ab- 
geglitten. — 

Der General von Willifen (in Erfurt) war ſchon im Jahr 
1849 zum Oberftallmeifter ernannt, die Ernennung vom 
König vollzogen, aber der Graf von Brandenburg widerfeßte 
fi) mit aller Macht, und mit dem Erfolg, daß die Sache 


374 


ichweben blieb. Die Hauptfache war, Willifen follte nicht in 
der Nähe ded Könige fein, und das ijt auch noch der Kall; 
der Minifterpräfident von Manteuffel haft den General, wie 
ihn der Graf von Brandenburg haßte. — Der König indep 
behielt den ehemaligen Jlügeladjutanten jtetd in Gunft, und 
diefer ftarfen Einfluß auf ihn, beſonders auch in Geftütfachen, 
in denen der König ganz nach Williſen's Angabe Befehle er: 
lieg. Jetzt hat fich plößlich ergeben, dag der König plöglich 
Befehle im entgegengefegten Stun erlaffen hat, auf Man: 
teuffel’3 dringende Anregung, und man fchließt daraus, daß 
Willifen in der Gunft geſunken fei. Schon triumphiren feine 
Feinde und befonders Munteuffel; fie könnten fich aber doch 
verrechnet haben, eine furze Anwefenheit dürfte den König 
wieder anders ftimmen; dap fein Verlag auf ihn fei, klagt 
Manteuffel bitter und laut. — 


Montag, den 12. Dezember 1853. 

Briefe von Humboldt, Dr. Hermann Franck, General 
von Neiche, Dr. Zabel. Der General Reiche dankt verbind- 
lichft für mein Buch, preift mein Talent, will mich bejuchen, 
fügt aber die Bemerkung hinzu: „Sollten in der Schrift viel- 
leicht Einzelnheiten angetroffen werden, welche zu Ausftellungen 
Anlaß geben könnten, ſo werden folche gern überfehen wer: 
den.“ Gr meint die ihn betreffenden Angaben, in denen er 
nicht genug hervorgehoben zu fein glaubt, obſchon für ihn faft 
mehr gefchehen fein mag als ihm gebührt. Er ging gleih An- 
fang davon aus, daß nur für ihn das Leben Bülow's ge— 
Schrieben werden ſollte! — Humboldt jchreibt mir die freundlich: 
ihmeichelhaften Worte: „Die Galerie Ihrer LXebensbilder 
jteht einzig groß in unferer deutfchen Litteratur!“ — 

Befuh von Herrn Oberlandforjtmeiiter von Burgsdorf. 
. Sprudelnder Dank, heftiger Eifer für Bülow, für jeden, der 


375 


an der Ehre Bülow's mäfeln will, follen feine Piftolen bereit 
fein, auch allenfalld feine Feder, fie follen ihm nur kommen, 
dieſe Schächer! Er fpottet über die hofführtigen General- 
ftäbler, die elenden Hofoffiziere, wenn es vor den Feind geht, 
dann find ganz andre Kerls die Führer, nicht jene Prahlhänfe, 
die da meinen, in Schledwig-Holftein oder in Baden große 
Sachen gemacht zu haben. Schweinereien haben fie gemacht, 
das hat er Wrangel’n jelber in's Geficht fagen dürfen! Er 
. fpricht darauf mit einiger Zärtlichkeit von feinem dreijährigen 
Enkel, befennt, das Kind fei die Freude feines Alters ꝛc. — 

Mit Ludmilla Litterarifched und Gejellichaftliches be- 
jprochen. — Im Suetonius und Plutarcho8 gelefen. — 

Die Türken haben im fchwarzen Meer eine Anzahl Trans⸗ 
portfchiffe verloren, fie wurden von ruffifchen Kriegsſchiffen 
überfallen. — 

Es heißt, Uhland habe den preußifchen Friedendorden 
pour le merite, fowie den neuen bairifchen Orden ab- 
gelehnt! — (S. 19. Januar 1854.) 

Hunboldt hatte dem Könige die Wahl Uhland’s mitgetheilt, 
und dieſer, der ſchon den Vorſchlag ſehr eifrig gebilligt hatte, 
war äußerſt damit zufrieden, er freute ſich, dieſe Berühmtheit 
auch in den Kreis preußiſcher Beziehungen zu bringen. Hum- 
boldt fchrieb demnach an Uhland, und verfündigte ihm, was 
im Werke fei. Doch Uhland antwortete, er müffe Bedenken 
tragen, eine Auszeichnung anzunehmen von einem Fürften, in 
deffen Namen diejenigen Männer, die mit ihm in der Rativnal- 
verfammlung gleichen Sinnes und gleicher Ausdauer gewefen, 
noch immer verfolgt und ald Hochverräther bezeichnet werden. 
Tapferer, braver Uhland! — 

Das Obertribunal hat in der Sache Aldenhoven’d doch 
gefprehen, und zum allgemeinen Grftaunen und gegen 
alles Erwarten für ibn, nämlich) erklärt, es könne feine ges 
richtliche Verfolgung ftattfinden, weil fein Kammermitglied 





- 317 


leger in 50 Thaler Geldftrafe verurtheilt, die Abdrüde zur 
Vernichtung. Der Berfaffer ift der Lump Victor von Strauß, 
lippifher Bundestagdgefandter — und das bleibt ein 
folder! — 

Der König fann mit feiner Pairskammer nicht zu Stande 
fommen. Er hatte den Höfling Herrn von Stillfried —!! — 
beauftragt, ihm eine Lifte hoher und grundbefigreicher Häufer 
anzufertigen, e8 fand fich, daß zwei Drittheile Fatholifch waren. 
Er hat mehrere märfifhe und pommerfche Häufer aufgefordert, 
Majorate zu ftiften, die meiften haben ed abgelehnt, und einige 
fogar die fchon ausgefertigten Diplome zu höheren Adelstiteln 
uneingelöft gelaffen! — 


Mittwoch, den 14. Dezember 1853. 

Gefchrichen, dann Befuch von Herren Profeffor Bopp, der 
mir feine afademifche Schrift über die Sprache der alten 
Preußen bringt. Ein vortreffliher Mann, tüchtig ald Gelehr- 
ter und ale Karakter, freifinnig, hell, dabei in fich gezogen und 
till, er thut dad Seine, läßt die Anderen gewähren, fid) aber 
„von ihnen nicht fören, nicht leiten. Sch erinnere mich nod) 
fehr gut, daß man in ihm, als er auf Wilhelm’d von Hum- 
boldt Betrieb hier für das Sanskrit angeftellt wurde, nur 
einen trodnen Pedanten ſah, wie er auch für das Fach er- 
forderlich ſchien; als man ihn fo fchilderte, rief Rahel 
aus: „Nun Gottlob! fo geht doch fein Menfch an die 
jem Sanskrit unter!” Die Boraudfegung nämlich war, 
er fei fein frifcher Lebendmenfch, nur eine Mafchine für Ge- 
lehrſamkeit. Doch Bopp ift ein ächter Menfch, der feines- 
wege in fein Fach aufgeht, der died wie fein Anderer erfüllt, 
aber mit Sinn und Urtheil viel darüber hinausreicht, 
ganz und gar nicht in ihm untergeht. Er ſprach fehr bündig 
über die hiefigen Univerfitätsverhältniffe, anerfennend von 





. 379 


Feinde unter den Hofleuten; feiner von ihnen liebt ihn, oder 
ſchont ihn nur. Und doch giebt er fich diefen am meiften hin, 
jtüst fich auf fie, hört fie an! — 

Im Leben Vincke's gelefen. Elendes Machwerk aus reichen 
und guten Stoffen! Bodelſchwingh ift noch unter Perb, er 
verſteht nicht® von fchriftftellerifcher Abfaffung, er ift plump, 
gering, ohne alles Urtheil, fein Tert ift erbärmlih. Binde 
ſelbſt erfcheint gar nicht fo vortheilhaft, ald man erwartet. 
Sein Berdienft ald Oberpräfident ift fehr anzuerkennen, er 
war redlich, einfichtsvoll, von unermüdlicher Thätigkeit, aber 
auch Fleinlich, pedantifch, von geringem Geiſt, etwas närriſch 
fogar, und das hat ahm bei den Großen genußt, die nicht? 
weniger vertragen, ala Tüchtigkeit, Kraft und Begabung ohne 
Beimifchung von Schwächen. — 


Donnerstag, den 15. Dezember 1853. 

Neuer und, wie es fcheint, bedeutender Bortheil der Türken 
über die Ruſſen in Afien. Der Seefieg der Ruſſen bei Sinope 
nicht fehr erheblich. — 

Die Wahl Uhland’3 für die Friedensklaffe des Ordens 
pour le merite joll vom Könige nicht beftätigt, und an 
feiner Statt ein Ausländer ſchon ernannt fein. 

Schöne Anekdoten von Orden; Ruft: „Für a Titel und 
a Orden lauf’ ich durch’3 Feuer!” Ilgen: „Ein Orden? Sch 
thu's!“ Dazu die dritte: der Kaufmann * hier, der freilich in 
feiner Beziehung die Möglichkeit fieht zu einem Orden auf 
gewöhnlichem Wege zu gelangen, vwerfichert ganz ernftlich, für 
den Rothen Adlerorden vierter Klaffe — das Geringjte von 
diefer Sorte — Tiefe er fich die Hand abhauen! Solche nichts⸗ 
würdige Gefinnung im Jahre 1853, nach dem herrlichen 
Jahre 1848! Ich fage, man follte ſolch efenden Kerl vor Ges 





381 


laſſe fich num doch einmal nicht aus der Gefihichte reißen, und 
der Staub der gefallenen Märzfämpfer werde die Sittlichkeit 
der Waifenkinder nicht gefährden. Dawider jprach der Kom- 
miffarius des Magiftrate, Stadtſchulrath Fürbringer, — ein 
Lumpenkerl — und behauptete fnechtifch, man müſſe den Kin 
dern jede Erinnerung an jene Greigniffe fern halten. Die 
ganze Berfammlung ftimmte dann, mit ein paar Ausnahmen, 
für den Plag am Rummelöburger See. Im Magiftrat, wie 
in den Stadtverordneten find noch aroßentheild dieſelben 
Kerle, die dem Begräbniß jener Kämpfer mit prablerifchem 
Prunf beiwohnten, fie für Helden und Märtyrer erklärten ! 
Die Frechheit ift der eigentliche Karafter unfrer jetzigen Zus 
ſtände! — 


Sonnabend, den 17. Dezember 1853. 

Befuh von Herrn Dr. Hermann Franck. Sinnige Mit— 
theilungen über das Leben in Stalien, befonderd in Rom; es 
wäre unbegreiflih, daß Menſchen, die dort leben könnten, 
doch hier leben, wenn nicht alle Reize des Himmels und des 
Landes dort reichlich aufgewogen wären Durch die Scheußlich- 
feit ded Regierungs- und Pfaffenweſens, gegen welches alleg, 
was wir in der Art haben, noch golden erfcheint! Ich fürchte, 
wenn e8 bei und fo weiter gebt, jo wird der Unterfchied bald 
verfchwinden, und wir nur die Nachtheile des Klimas voraus 
haben! Ueber Perfonen ſehr gut; Franck iſt ein feiner Beob⸗ 
achter und gründlicher Kenner. — 

Brief aus Stuttgart von Frau von Suckow. Kolaczek iſt 
glücklich in New-Yorck angelangt, und dort in litterariſcher 
Thätigkeit. 

‚Sn Spanien droht ein Staatsſtreich die Vernichtung der 
Cortes. Recht fo! Wann fonımt e8 an das englische Parla⸗— 
ment? Dann fünnen wir hoffen. — 


382 


Montag, den 19. Dezember 18 58. 

Bettina von Arnim plagt mich mit dem Demetrius von 
Herman Grimm; fie will mein Urtheil offenbar in der Abſicht, 
es zu gebrauchen, daher wünſcht fie es ſchriftlich. Daß ich ihr 
gefagt, es feien feine Knochen darin, gefällt ihr; fie ift mit. 
ihrem Günftling nicht mehr fo zufrieden, daß fie ihm nicht 
herzlich gern eine Schlappe gönnte. Der arme Menſch ift 
ganz gereizt und gefpannt wegen ſeines Stüdes, die Auffüh- 
rung ift zugefagt, der Erfolg unficher. 

Die Kammern haben fid) bis zum 4. Januar vertagt. 
Diele Abgeordnete reifen zum Weihnachtöfeft nach Haufe. 
Berlin hat diesmal, jo hört man allgemein, traurige Weih- 
nachten zu erwarten. Theurung, Armuth, Stodung des Er- 
werbd und Handeld, große Abgabenlaft und immer höhere 
Anforderungen! — 

Lord Palmerſton's Austritt aus dem englifchen Miniſte— 
rium erregt großed Auffehen. Man jagt, der Unfall der 
Zürfen bei Sinope fei eine Folge der Schurkerei des Grafen 
Aberdeen. Heftige Aeußerungen der englifchen Blätter, ſo— 
gar der Times, die bisher ſchändlich Aberdeen'ſch und ruſſiſch 
war. — 


Dienstag, den 20. Dezember 1853. - 

Herr don Arnim-Kriwen, in feiner vollen reaftionairen 
MWiderwärtigfeit! Erzariftofrat, mit feiner Geldheirath; mit 
einer Kaufmanndtochter aus Magdeburg! Er war damals ein 
hübſcher Burfch, das machte er geltend. Jetzt ficht er wie Neid 
und Bosheit aus. — | 

In München Hausfuchungen, man wollte die Urheber 
mipfälliger Zeitungsberichte von dort entdeden, entdedte 
nichts! — 

In Baden Fatholifhe Aufwieglerfhriften in den Kaſernen 


383 


vertheilt, ganze Päcke von einem Blatte, das den Titel führt: 
„Katholifen, paßt auf!" Das geht denn doch der weltlichen 
Macht gradezu an den Hald. Die Behörden find wieder etwas 
fttenger. — 

Neue ruffifche Siege werden verfündet. Die Nachrichten 
jind fehr zweifelhaft, fowohl der Umfang ald der Erfolg der 
Gefechte bleibt ungewiß. Frühere Angaben beftätigen fich 
nicht. — | 

Der Handelöjtand in Magdeburg, dann der in Danzig, 
haben ausführliche Denkfchriften eingereicht, um darzutbun, 
wie fehr die ftrenge Sonntagsfeier, bejunderd in Betreff der- 
Poft, ihre Geſchäfte ftört und benachtheiligt. Der Minifter 
von der Heydt, der frömmelnde Libertin, hat mit Freuden 
die Gelegenheit ergriffen, auf's neue feinen Eifer für die 
Sonntagsfeier zu zeigen, und dem Handelöftande feine Bitt- 
Ichriften abjchläglic, beantwortet. — 

Ich habe die Bemerkung gemacht, daß es in vielen Stüden 
beifer ginge, wenn die Leute ein befiered Gedächtnig hätten, 
nicht zu fchnell alles vergäßen. Sie willen allenfalld das Ge- 
ichehene, aber fie denfen nicht daran, nicht in jedem, nicht im 
gehörigen Augenblid. Daß fie der Dinge nicht erwähnen 
dürfen, daß fie ſchweigen müſſen, jollte fie nicht hindern, 
der Dinge doc) zu gedenken. Aber das Schweigen ift der erfte 
Schritt zum Vergeſſen, daher die Regierungen ganz richtig 
fürerft jenes auferlegen, joviel fie ed können. Auch haben rohe 
Völker ein geringes Gedächtnig, z. B. Die Polen, die Ruſſen, 
die untern Volföklaffen überhaupt. Johann Benjamin Erhard 
behauptete ſtets, e8 fei ein Vorzug und Vortheil der Adlichen, 
daß fie ein beſſeres Gedächtniß hätten; diefed Paradoxon iſt 
nicht ohne guten Grund. — Die Demokraten find auf alle 
MWeife bemüht, die Thatfachen, Gefinnungen und Neden vom 
Jahr 1848 im Andenken des Bolfes frifch zu halten, — 

sm Plutarchos gelefen, im Ovidius. — 





385 


Zutheranern hat Baden auf preußische Fürſprache (unferer 
Pietiſten und Scheinheiligen), jet Duldung zugejtanden, 
aber den Prediger Eichhorn dürfen fie nicht behalten! — 

Bon den Türken verlangt man jest, fie follen, alle hrift- 
lichen Religionen frei zulaffen, den Bau von Kirchen, die Er- 
tihtung von Gemeinden unbedingt freigeberr, allen Ein- 
wohnern gleiche bürgerliche Rechte, gleiche Berechtigung zum 
Staatsdienfte zugejtehen; als ob dergleichen in andern 
Staaten herfömmlich wäre, als ob die verlangenden Negie- 
rungen in ihren Ländern dergleichen gejtatteten! Wenn hier 
Mobammedaner eine Mofchee bauen wollten, ohne des Königs, 
‚der Minifter, Hindeldey’d Erlaubnig, den Lärm wollten wir 
eben! — 

Der Staatöftreih in Spanien beginnt fhon; bravo! — 


Donnerstag, den 22. Dezember 1853. 


Der Minifter des Innern hat die neuliche Bervarnung, 
die der Poligeimeifter Rudloff in Stettin einem dortigen Zei⸗ 
tungsredafteur zugehen ließ, wenn er fortführe, feindlich gegen 
Rußland zu fchreiben, würde fein Blatt eingezogen werden, 
ſowohl für unbegründet ald für willfürlich erklärt, und dem 
Polizeimeijter deßhalb einen PVerweid gegeben. Im Herzen 
aber ſoll er das Verfahren billigen. — 

Man kann alle Kriege als Berfuche zur Bölferverbrüde- 
rung anfehen, und obfehon noch durch feinen das Ziel erreicht 
worden, fo hat doch jeder feinen Beitrag zur Annäherung 
geliefert. Warum ein ſolch ſchönes Ziel durch ſolche Mittel 
angejtrebt werden muß, das ift Sache der Vorfehung, die hat 
der Unbegreiflichfeiten viele! — Der Natur iſt an den fallen- 
den Menfchen nicht mehr gelegen, ald an den fallenden Blät- 


Varnhagen von Enfe, Tagebüder. X. 25 


386 


tern, fie fchafft immer neue in größter Fülle, fie fann ver: 
Ihmwenden! — 


Freitag, den 23. Dezember 1853. 

Fünfter Band von Louis Blanc's Gejchichte der franzö— 
fifchen Revolution. Schmerzlich fchöner Ergup darin über 
Mirabeau, dem er endlich Gerechtigfeit widerfahren läßt. Bei 
Gelegenheit des Defrets, durch Das der National-Konvent die 
Gebeine Mirabeau's aus dem Pantheon hinausſchaffen ließ, 
jagt Louis Blanc, S. 245: „Ah! qu'il reste sur Mirabeau 
le voile dont la Convention enveloppa sa statue il ya 
soixante ans, qu’il reste tant que les societes seront 
plongees dans cet &tat de corruption qui veut qu’on soit 
inexorable pour le vice! Mais si jamais les ämes s’af- 
franchissent, si jamais se dissipe la nuit au sein de la- 
quelle errent aujourd’hui les intelligences égarées, Ö 
posterite des siceles heureux, gräce, ou du moins, pitie 
pour Mirabeau! Et n’oubliez pas, vous qui le jugerez 
plus tard, qu’il y eut des jours dans sa vie oü il com- 
battit pour le droit; qu’il y en eut oü il souffrit pour la 
Justice; que sous ses fautes, apres tout, germörent des 
qualites charmantes; que cet homme, si violent, etait 
neanmoins d’un commerce facile et doux, que la vie 
d’un malheureux le remplissait d’&motion; qu’il eut des 
amis fanatiques et des serviteurs qui l’adorerent; que, 
dans son coeur, helas! trop orageux, l’amour de la 
liberte, flambeau celeste, vacilla d’une maniere étrange, 
mais ne s’cteignit jamais enticrement; que, s’il descen- 
dit à des gofts qu’on n’avoue pas, il ne fut point sans 
avoir les aspirations les plus élevées, et que, s’il risqua 
la pudeur de son nom sur des oreillers impudiques, il 
sut aussi aimer les femmes avec heroisme, avec purete, 


387 


comme il aimait la gloire enfin, ou, ce qui vaut peut- 
etre mieux encore, comme il aimait les fleurs.* Aber 
Genüge thut mir Louis Blanc doch nicht, er faßt nicht den 
Menſchen ale ein großes Ganzes auf, er zerjplittert ihn zu 
fehr in Gutes und Böſes, und rechnet zu [ehr unter das lep- 
tere die Leidenschaft finnlicher Bedürfniffe, die an fich gar 
nicht jo große Bedeutung haben, und am wenigiten in der 
Zeit und Welt und VBerhältniffen, in denen Mirabeau lebte, 
ihm mehr ald andere zur Laſt fallen dürfen; bier gilt vor 
Allem Seneca's Sprud: „Iniquus autem est qui commune& 
vitium singulis objecit.“ (De ira III. 26.) — Merkwürdig 
ijt mir das Befenntnig Louis Blanc’d, dag das geihichtliche 
Urtheil jih nach) den Zeitumftänden zu richten habe, in denen 
es gefällt wird. Es liegt darin eine große, ſehr zu beachtende 
Wahrheit. Wer aber will mich hindern, mich ſchon jest auf 
den höheren Standpunkt zu itellen, den die fernite Zufunft 
darbietet ? — | 


— — — — — 


Sonnabend, den 24. Dezember 1853. 

Sm Plutarchos und in Louis Blanc gefefen. Daß die 
neueren Gefchichten ung näher angehen, ift ein Vorzug, den 
fie vor den älteren haben, daß die älteren und fremder find, 
it ein Vorzug, den fie vor den neueren haben; ed kommt dar- 
auf an, ob wir mehr zur Theilnahme oder zur Betrachtung 
geftimmt find, um die einen oder die andern vorzuziehen, pr 

Seltfamer Zuftand der politifchen Welt. Weberall nur 
Berlegenheit, und defto mehr, je größer die Macht. England 
jo verlegen wie Rußland, Frankreich wie Oeſterreich; ein 
Zeichen, dag die Macht ihnen nicht gebührt, daß fie auf 
falfchen Grundlagen ruht. Wenn Preupen jest weniger ver: 
legen erfcheint, fo tft ed nicht darum, daß feine Regierung 
flüger oder ftärfer wäre, fondern nur deßhalb, weil feine 

25* 


388 


Macht fo viel geringer ift, ald die der anderen. Noch fteht es 
außerhalb des Spieles, kommt es aber hinein, dann werden 
wir fehen! — 


Sonntag, den 25. Dezeniber 1853. 

Stille Weihnachtstage, es geht nichts vor, als ſchenken 
und gejchenft befommen, und auch dad nicht, wie jonit; Kla— 
gen über Theurung, Mangel an Abfag, Mangel an Wrbeit, 
dazu fommt nun die jtrenge Kälte. Das arme Volk leidet 
ſehr, und niemand achtet feiner, die Bedürfniffe und Geſin— 
nungen, die in ihm wachjen, werden erjt erfannt werden, wenn 
fie Verderben bringen, dem Volke ſelbſt, oder denen, die über 
ihm ftehen. — 

Mein Wandnahbar, der badifche Gefandte von Meyfen- 
bug, iſt nach Wien gereiſt, er joll dort über die katholiſchen 
Wirren in Baden mit den öfterreichifchen und päbftlichen 
Zeuten unterhandeln. Man glaubt, er fei der Mann dazu, 
weil er früher bei Zettenborn in Wien war. Das hilft nichts 
bei dieſer Sache. 

In Karlsruhe zeigte fich beim Prinz-Regenten plöglich ein 
Unbefannter, der dann, als der Prinz auf ihn zuging, aus 
dem Fenſter fchnell entkam. Katholiſche Schredanitalten und 
Ränke! — 

Mit großem Vergnügen in Louis Blanc die Flucht Yud- 
vige des Sechzehnten nach Varennes gelefen; immer neu, 
immer anziehend! Gr hat mehre bezeichnende Züge wegge- 
laffen, deren Wahrheit nicht bezweifelt werden fann, 3. B. daß 
der König im Anfang der Flucht einen Umweg machen wollte, 
um bei einem alten Marfchall auf dem Lande den Marjchalls 
jtab zu holen, mit dem er den General Bouille fugleich beloh- 
nen wollte. Bei ſolchen Gejchichten iſt jeder Umstand merf- 
würdig. — Dann las ich in Vincke's Leben, mit lebhaften 


389 


Antheil; fo viele mir befannte Perſonen und Verhältniſſe! 
In den Zeiten von Friedrich's des Großen Ausgang und dem 
Anfange der franzöfifchen Revolution haben fi in Preußen 
eine Schaar von Staatöbeamten ausgebildet, die fpäter ale 
Hauptſtützen ded Staates erfchienen find. -Trefflihe Männer, 
fowohl in den erſten Stellen, als in den ziveiten und dritten ! 
Nechtichaffenheit, gepaart mit Einficht, mit Muth; mit Auf: 
flärung, wie das achtzehnte Jahrhundert fie erzeugt hat, — 
für die Wiffenfchaft nicht genügend, für den Staat aber höchit 
eriprießlich ; Kehren Jean Jacques Rouffeau’d, Montesquien's, 
Adam Smith’, Grundjäße der franzöfifchen Revolution und 
Freude an deren Gelingen ; auch Binde nahm an diefer freude 
Theil, und erzählt merfwürdige Dinge, man hofft auf die Ans 
funft der Franzoſen, man fingt in Kaffel: „Ca ira“, man 
trägt in Hannover rothe Jakobiner-Mützen 2c. — Unfer aus: 
wärfige® Departement hatte die wenigſten ausgezeichneten 
Beamten, außer Eichhorn, der nachher als Kultusminifter 
jo ſchmählich ald Pietiit und Knecht endete, ift kaum einer 
zu nennen. — 


Montag, den 26. Dezember 1853. 

Der Generallieutenant von Radowis ift gejtern geitorben. 
Die Kreuzzeitungsleute und ihr Anhang, die Gerlach's, Voß, 
Präfident von Kleiſt ꝛc. frohloden, dag der König den ihnen 
verhaßten Günftling verloren hat. Auch die Königin fonnte 
ihn nicht Leiden, der Prinz von Preußen nicht und fajt nie= 
mand von den Militairperjonen, — 

Engliſche Blätter, durch den Vorfall von Sinope aufge- 
wecdt, gehen jest ftrenger auf Unterfuchung der englifchen 
Politif ein, und finden deren Schwäche und Schmach in der 
höchſten Sphäre des Hofed begründet. Der fremde, der frei- 
heitögefährliche Einfluß des Prinzen Albert hemmt jedes Mir 


390 


nijterium, das diefen nicht bricht. Der Morning Advertiser 
geht jo weit, für England eine Revolution zu weiffagen, ent= 
weder durch Albert, — Staatsſtreich gegen die Volfäfreiheit, 
gegen das Parlament, die Verfaffung, — vder gegen Albert, 
um dies alled zu wahren. Die niedrigen Ränke, die Eigen- 
ſucht und Arglift, welche England niederhalten, formen an 
den Tag. Lord Aberdeen iſt ein Lump, aber nicht der größte, 
er hat feinen Herrn und Meiſter. — Lord Palmerſton's Auss 
tritt aus dem Minifterium ift ein großer Schreden für feine 
Kollegen. Man fagt, er werde wieder eintreten, aber ohne 
diefe Kollegen. — 

Ernitlihe Krieggrüftungen in Schweden, in Dünemarf 
Befeftigungen. Gegen England? Gegen Rußland? Ye nach: 
dem. — 


Dienstag, den 27. Dezember 1853. 

Die Neue Preußische Zeitung faltet bei der Nachricht vom 
Tode des Generallieutenant von Radowitz heuchlerifch Die 
Hände, und [pricht ihn felig; er ſei da, meint fie, wohin wir 
alle hoffen zu gelangen! Dahinter verjtedt die Heine freche 
Parthei ihren privatim Schon im voraus bezeigten Jubel über 
diefen Tod, der fie noch beſonders deßhalb freut, weil er den 
König betrübt. — 

Die unerwartete Erſcheinung im Zimmer ded Prinz- 
Regenten in Karlsruhe wird jet als ein entichiedener Mord- 
anjchlag auf fein Leben angeſehen. Man wollte die Sache 
anfangs unfcheinbar halten, nähere Umftände jedoch, die be- 
fannt wurden, machen die fchlimmfte Abficht unzweifelhaft. 
Nachrichten von dort fagen, der arme Prinz wiffe nicht, auf 
wen er jich verlaffen, wem er vertrauen folle, er ftehe ganz 
allein, es fei ein zerriffener Zuftand! Der arme Prinz foll 
nur rechtfchaffen und wahr jein, und dem Volke vertrauen, 


391 


da wäre ihm geholfen. Aber fo wie ſie's treiben, mögen fie 
zum Teufel fahren! — 
- $n Grote gelefen, im Plutarchos, in Goethe. — 

Ich ſoll alles leicht übertreiben, im Guten wie im Schlim— 
men, man wirft es mir ver, Es iſt wahr, ich ergreife alles 
mit Lebhaftigfeit, Taffe mich durch einzelne Eindrüde fehr ent— 
[hieden zu Vorliebe oder Abneigung beftimmen, ftelle meine . 
Urtheile oft fcharf und grell hin; aber diefem Fehler, wenn 
ed einer ift, geht feine Ausgleichung unmittelbar zur Seite, 
die Fähigkeit neue Eindrüde rein aufzunehmen, die fich nicht, 
bei neuer Thatfache, von vorgefapter Meinung abwehren oder 
verfümmern laffen, und dann das mir tief eingepflanzte Be— 
ftreben nah) Map und Mäpigung. Dieſes fühlt’ ich fchon in 
frühefter Jugend, und eine Ode von Klopſtock, welche auch in 
der Poefie fichere Maßbeftimmung verlangt, machte den tiefiten 
Eindruck auf mich. Daher vermißt man auch jenen Fehler in 
meinen Schriften größtentheile, denn bei diefen fam Zeit und 
Ueberlegung ftets zu Hülfe ; anders aber ift es in mündlichen 
Aeußerungen, wo nicht etwa ftrenge Form, oder gar gefell- 
ichaftliher Zwang waltet, in freundfchaftlichen Briefen, in 
Aufzeichnungen für mid) ſelbſt. Aliud est enim epistolam, 
aliud historiam, aliud amico, aliud omnibus scribere. 
Plinius cap. VI, 16. — 


Mittwoch, den 28. Dezember 1853. 

Nachmittags befuchte mich der Graf von Königsmard. 
Was er eigentlich wollte — denn er wollte gewiß etwas — 
fam nicht zur Sprache, denn Bettina von Arnim folgte bald, - 
und dann aud Herr Kohl, der berühmte Reifende. Könige- 
mard blieb noch eine Weile, fowohl wegen Bettinend al? 
wegen Kohl's, der ihm wegen feiner Schriften merfwürdig 
war. Als er gegangen war, ſetzte fich zwifchen Bettinen und 


392 


Kohl die Unterhaltung lebhaft fort, er mußte erratben, ‚daß er 
Bettinen vor ſich habe, denn fie verbot mir, daß er es hörte, fie 
zu nennen! Es machte fi) etwas kindiſch, zu folchen Fleinen 
Zierereien gehört Jugend und Anmuth. Sie ging fort, in 
der Meinung, Kohl follte folgen, und fie wollte dann wieder 
bei mir eintreten. Aber Kohl blieb mit mir und Yudmilla, 
die ich hatte rufen laſſen. — 

Mit Vergnügen den Auffag Pröhle's über Jahn gelefen, 
er ift mit vieler Einficht und Töblicher Gerechtigkeit abgefaßt. 
Das angeführte Zeugniß Pfuel’d für Jahn, wonach diefer 
manchen namhaften Gefechten beigemohnt haben full, ift zu— 
gleich eined der Gutmüthigfeit, mit der Pfuel dergleichen 
behandelte; das Bataillon Jahn's hat die Gefechte wohl mit- 
gemacht, er aber perfönlich nicht, es war aber die Klage, die 
damals geführt wurde, daß es fich immer fo traf, wenn die 
Lützower in's Feuer famen, fo war Jahn nicht da, hatte fich 
Aufträge gemacht, verfchiden laſſen ꝛc. — 

Pitt-Arnim hat bei Hof einen Ranagftreit mit dem, Mi- 
niſter von der Heydt gehabt, und ihm bewiefen, Daß der Oberft- 
Mundſchenk, feitdem das |t hinzugefommen, den Rang vor dem 
Staateminifter habe. Heydt mußte aufjtchen, und den Platz 
räumen. Die plebejifhe Erzellenz ift ganz außer fich über 
diefe Shmah! — 


Donnerstag, den 29. Dezember 1853. 

Befuh von Herrn Dr. Hermann Frand, Geiftvolle Bes 
merkungen über Gedächtnig, Namen, Erlernen, Umgang, 
Gefellihaft. Daß Frauen bei und in der Regel gar wenig 
wahre Kenntniffe haben, daß ed ihnen, wie Erhard ganz all: 
gemein behauptete, an eigentlichem Intereſſe für die Wahr: 
beit fehlt, mit feltenen Ausnahmen! Cbenfo gehe ihnen, mit 
feltener Ausnahme, die Fähigkeit jtrengen Denkens ab. „Wie 


398 


viele Männer aber find in diefem Betreff den Frauen gleich! * 
Freilich wahr! Auch hier fann man fagen, find die Aus— 
nahmen jelten. Beim Lichte befehen find es wieder mehr die 
Unterfchiede der Menfchen, ald der Gefchlechter, die man zu 
bemerfen bat. — 

Allgemeine Mobilmahung in Rußland befohlen. Sat 
nicht viel zu bedeuten, wenn man fich nur nicht fchreden läpt! 
— Perſien gegen die Türkei, auch mehr Wort ale That. Aber 
Reizung für England. — 

Neuerdings noch Berhaftungen von Handwerkern in Be— 
treff ded jogenannten Märzfrawalld „zum Behuf des März- 
komplotts“ fagen die Leute, die Polizei arbeitet daran, es 
fertig zu machen; fie darf doch nicht Unrecht haben! Der 
jelige Tzſchoppe legte unter die Papiere der Berhafteten ftraf- 
bare hinein, wenn fich nur unfchuldige fanden. — 

Ein Herr von Puttfammer in Oftpreußen wird ald Hoch» 
verräther durch Stedbriefe verfolgt. — 

In Baden viele VBerhaftungen wegen der Flugſchrift: 
„Katholiken, paßt auf!" Doch bleibt die elende Regierung 
rathlos. — In Freiburg ift der Stadtdireftor Burger, den 
der Erzbifihof in den Bann gethan, mit fait hundert Stimmen 
gegen ſechs, zum Präfidenten des Mufeums gewählt worden, 
Alles katholiſche Stimmen; fo viel macht man fi aue dem 
Kirhenbann! — 

In Goethe gelefen, im Plutarchos, Franz Xöher’d „Graf 
Sport”. — 

Zweifämpfe in Madrid, der Sohn des nordamerifanifchen 
Gefandten Soule mit dem Herzog von Alba, der nordameri- 
fanifche Gefundte felbft mit dem franzöfifchen ; leterer in's 
Knie geſchoſſen. — 


— — — — — 





395 


durch Fähigkeiten war er aufgeitiegen, durch Eigenfchaften, 
die man nicht Tugenden nennen fann. — 


Sonnabend, den 31. Dezember 1853. 

Zum Schluffe des Jahres droht alles mit großem euro- 
päifchen Krieg. Louis Bonaparte wird Belgien, das linke 
Rheinufer an fih reißen, Stalien gegen Defterreich in Empö- 
rung feßen. Died kann nicht ohne revolutionaire Mittel ge: 
ſchehen, bei denen aber feine Rechnung anzulegen iſt; e8 kann 
dann mehr und anderes gefchehen ald man erwartet. Dies 
jehen die Regierungen — fv Flug find fie doch — und aud) 
— Bonaparte — wohl ein, und werden den Krieg noch ver: 
meiden. Iſt aber der Zivang der Dinge fo groß, muß Bona- 
parte zum Krieg fchreiten, dann forge er nur, daß er Sieg an 
Sieg reihe, fonft ift er verloren! Daſſelbe rath’ ich auch den 
Preußen, den Defterreichern,, fonft ift e8 ſchlimm für fiel — 
Was im Innern von Rußland vorgeht, davon melden feine 
Zeitungen etwas; nach vertraulichen Angaben reifender Ruſſen 
ift aber die Mipftimmung gegen den Kaifer groß, und fein 
Anfehen tief gefunfen. Er mag wünfchen, den türfifchen 
Handel nicht angefangen zu haben. Kann er nicht den Schein 
retten, muß er offenbar nachgeben, fo ift er verloren, und er- 
leiden feine Heere Niederlagen, fo find die Folgen für ihn gar 
nicht abzuſehen. Engliſche Blätter Sprechen fchon von einem 
Aufftand in der Krim, ald Thatfache noch keineswegs anzu⸗ 
nehmen, aber ald Fingerzeig merfwürdig und bedeutend! — 

Ic konnte nicht zu Frau von Nimptſch. Nach dem Thee 
mit Ludmilla Schach geſpielt, aber vor dem Eintritt des 
neuen Jahres aufgehört. Mit guten Glückwünſchen dies be- 
gonnen. | 

In Goethe's Farbenlehre gelefen, in Louis Blanc, — 


- — nn — — 


1854. 


Sonntag, den 1. Januar 1854. 

Bon allen Seiten düstere Weiffagungen für dies beginnende 
Jahr! Das rothe Gefpenft in Frankreich glauben fte durch 
den — Teufeldbanner Louis Bonaparte glücdlich verfcheucht, 
da droht ihnen ein grünes Gefpenft in Rußland, heraufbe- 
ſchworen durch den Kaijer Nikolaus, den jie auch für einen 
Retter hielten. Was auch immer gefchehen mag, in allem 
Unheil und Verderben werden wir unfere Genugtbuungen 
haben, dafür ift geforgt! Ich bin aber auch fehr darauf ge- 
faßt, daß das Jahr ohne große Schläge vorübergeht, träg 
und klein und erbärmlich, wie jest alle Machthaber find. Die 
Völker wachfen indeß immerfort, auch unter der Hülle der 
Unterdrüdung. Sie brauchen lange, lange Zeit zu ihrer 
Einigung, ſonſt — wäre fchon jeßt alles anders! — 

Wenn man zurüdblidt, wie früher die Dinge waren, was 
man von ihnen erwartet hat, und wie fie geworden find, fo 
lernt man ficher da3 Wejentliche von dem Scheinbaren unter: 
fcheiden, und befommt einen Maßſtab in die Hand, mit dem 
man ruhig und ungeirrt die weitern Tage durchſchreitet! — 
Unſere heutigen Eitelfeiten werden dahinfahren, wie die ehe— 
maligen; wir wollen fie deshalb nicht unbedingt verwerfen, 
aber als das hinnehmen und genießen, was fie nach diefer Er— 
fenntnig wirflich find. — 


397 


Montag, den 2. Januar 1854. 

Schwerfälliger Traum von einer Schlange, die man in 
einer Gefellichaft ald Scherz einführte, und die im Ernſt ge- 
fährlih war; ich wehrte jie mir ab, und drohte ihr den Kopf 
abzufchneiden, falle man fie nicht entfernte. Den ganzen 
Bormittag behielt ich die widrigen Eindrüde, — Dann fam 
Frau von Bud (Schröders Devrient) heiter und freundlicd,, 
auch bei alternden Zügen noch voll Anmuth! Sie verfündigte 
und, daß ihr der Eintritt in Rußland nicht mehr verfagt fei. 
Nah Rußland gehen zu dürfen, foll man ein Glüd nennen! 
Aber in ihren Berhältniffen ift es eines, fie mußte es zu— 
geben. — 


Dienstag, den 3. Januar 1854. 

Brief aus Genf von Helmina von Chezy; fie klagt mir 
ihr ſchweres Unglüd, völlig erblindet und dadurch in erhöhter 
Bedrängniß und Sorge zu fein. Sie hofft Unterftügung aus 
Frankreich, aus Preußen, am erfolgreichiten aber, meint fie, 
würde für jie fein, wenn zu ihrem Bortheil eine allgemeine 
Aufführung der von ihr gedichteten Oper Euryanthe ftattfände, 
ein Gedanke, dem bereitd Meyerbeer günftig zugeftimmt habe, 
und für den auch ich möglichſt wirken ſoll. ch überlege mir 
die Sache und feße fogleich etwas auf, das zu dieſem Zwecke 
dienen kann. Die arme frau ift fehr bedauernswerth, die 
Noth im Alter jo fchredlih, daß man nicht erft lange fragen 
darf, wiefern fie verfchuldet fei oder nicht! — 

Bejuch von Herrn Prof. Dirichlet; feine Mathematik will 
er über die Philofophie erheben, was ich nicht geitatte; was 
wollte die Mathematik anfangen, wenn fie nicht Philofophie 
Ihon in Jih hätte? Die Philofophie ift die Bewegung des 
Geiſtes, daher wandelbar und wechjelvoll, die Mathematik ift 
ftarr und feit, aber ohne Xebendreiz und Anmuth; jeder ver: 


398 


bleibe ihre Ehre auf eignem Boden! Herr Prof. Adolph 
Stahr Fam dazu. Wir befprachen mancherlei Gegenftände, 
die Menfchenfurdt und Schmiegfamfeit fo vieler Gelehrten, 
an der Spiße der Karafterlofen ftand Ranfe, von dem und 
Dirichlet eine ſchimpfliche Geſchichte mittheilte. — Bettina 
von Arnim fam, ging mit zu unferem Mittagelfen. 

In Hamburg tft der Architeft Chatenunceuf, der vor fünf- 
unddreigig Sahren mit feinem Genoifen Weiffenburg in Berlin 
bei und war, und nachher viele Bauten in Hamburg audge- 
führt hatte, geftorben. Gr war feit längerer Zeit wahnfinnig 
geworden. ch habe feinen Bater gefannt, der Sänger bei 
der franzöſiſchen Schaufpielergefellfchaft in Hamburg war, und 
bei einem Feſte der franzöfiichen Republik in Harvſtehude ung 
duch .Fühne Freiheitslieder entzückte. — 


— — — — — — 


Mittwoch, den 4. Januar 1854. 

Die Neue Preußiſche Zeitung iſt geſtern polizeilich beſchla— 
gen worden, ich erhielt fie noch; die heutige ebenfalls weg— 
genonimen, erhielt ich nicht. — (Erftere wurde jpäter wieder 
freigegeben.) | 

Der General, Kommandant von Koblenz, Herr von Gried- 
heim, iſt am 1. Januar dafelbit gejtorben. — 


Donnerstag, den 5. Januar 1854. 

Brief und Weihnachtölied vom Kriegsrath Karl Müchler; 
der neunzigjährige Greid dichtet noch, und nicht ſchlechter 
als fonft. — 

Die Neue Preußische Zeitung meldet kläglich ihre zwei: 
inalige Befchlagnahme, fie droht und fchimpft nicht, fie fragt 
bejcheiden, warum ihr das geichehe? Sie tft fehr herunter 
gefommen! — 


399 


Ein Tagelöhner, von gutem Ausfehen, war wegen Obdadh- 
Iofigfeit verhaftet und fand vor Gericht wegen Arbeitfcheu. 
Er berief fih auf einen Bürger, bei dem er gearbeitet, und 
dann vergebend zu neuer Arbeit ſich gemeldet habe. Der 
Bürger erfannte ihn nicht gleich, Dann aber doch, ging auf ihn 
zu und gab ihm die Hand, er fei ein guter Mann und braber 
Arbeiter, den er fogar gewünfcht wieder auffinden zu fünnen. 
Der Stantsanwalt beantragte ſogleich Freiſprechung, der Prä— 
dent des Gerichts fprach fie ohne Berathung aus. Der 
Steigeiprochene aber hat zwei Monate in vorläufiger Haft 
zugebracht! Er heißt NRheinftein. Und bei ſolchem Rechts— 
frevel bleiben die Behörden ftumm, die Kammern ftumm! 
Feilich dieſe Lumpenkammern, falfchen Kammern, Minoris 
tätefammern, gefüllt mit dem Junferpöbel und Beamten 
lafaien! — | 

Sainte-Beuve's Artikel über Kondorcet ijt das Schled)- 
tejte, was ich bisher von ihm gelefen habe, Aus niederm 
Standpunkt, augendieneriich für gewiffe herrfchende Meinun- 
gen, ohne allen politifchen Geift, auf den es hier jo wefentlich 
ankommt, ohne alle Einficht in die großen Verhältniffe, das 
Kochen und Braufen der wilden revolutionairen Gewäfler. 
Ein Franzoſe, der dafür feinen Sinn, fein Urtheil bat, ift eine 
Seltenheit. ondorcet war einer der edlen Helden der Revo: 
lution, der im Eifer für das Heil der Menjchheit vieles über: 
jehen durfte, beſonders aber das, was diejenigen traf, die bis 
dahin alles überfehen, was nicht fie felbft unmittelbar an- 
ging! — Fontenelle, Droz, die Genlis, folhe Leute mag 
Sainte-Beuve beurtheilen ; die Condorcet, Diderot, Mirabean 
jtehen außerhalb feines Bereichd. — 

Der König war heute bei der Feierlichkeit der Fortbrin- 
gung der Leiche des Generald von Radowitz furze Zeit gegen- 
wärtig, hielt am Sarg ein ftilles Gebet, küßte dann die anwe— 
jenden Söhne des Verſtorbenen auf die Stirne. Pitt-Arnim 


400 


fügt, das foftet ihn gar nichts, das kann er immer, dazu 
braucht er nicht das geringfte Gefühl ıc. — 

Als Herr von Bismard-Schönhaufen nad Franffurt am 
Main ale Bundestagsgeſandter fam, bemerkte er fehr mipfällig, 
dag die preußiichen Geldgefchäfte durch Rothſchild beſorgt 
würden, und er verlangte, dag ed durch Bethmann gefchehen 
-ſolle. Der Jude war ihm verhaßt; er machte eine Gelin- 
nungsjache daraus, mit diefem nichts zu thun zu haben. Die 
Behörden in Berlin wollten aber feine Weifungen nicht anneh⸗ 
men. Nach einiger Zeit bemerkte man, daß Herr von Bis⸗ 
mard feine Bejoldung durch Rothſchild beziebe, daß er dies 
Haus warm empfehle, und in großer Vertraulichkeit mit den 
Häuptern defjelben verfehre. — 


—r 


Freitag, den 6. Januar 1854. 

Es fam Bettina von Arnim. — Berathung wegen Achims 
von Arnim und Clemens Brentano’s Briefwechlel. Schnur= 
ren und Unarten des ungezähmten Bruders, ich erwähnte feis 
ner Liebenswürdigfeit. „Sa, mit der bat er gewuchert, wie 
der ärgite Jude!“ Lob der Sophie Mereau, die er hart gepei- 
nigt; fein Unrecht auch gegen die zweite Srau. Bettina war 
ganz aufrichtig über ihn. — 

Wie im Leben des Einzelnen die gleichförmigen, ruhigen 
Tage nur durch) ihre Anhäufung etwas find, die Höhe und der 
Glanz des Lebens aber in wenigen außerordentlihen Tagen 
beiteht, die einen Wendepunkt, einen Erfolg, eine Begeijterung 
enthalten, fo ift e8 auch mit den Nationen. Werth und Be— 
deutung derjelben berubt in ſolchen Gejchichtömomenten, Die 
das Innerſte zur Erjcheinung rufen. Unvergeßlich ift ung 
der jiebenjährige Krieg, unvergeglich die Kataftrophe von 1806, 
unvergeplic die Ruhmeszeit der Befreiungskriege; doch alle 
diefe Gejchichtämomente überftrahlt das Tahr 1848. Das 


401 


Beſte und Höchite der Deutjchen kam da zum Borfchein, in 
überfchwänglicher Fülle. Die ganze Nation war eine Einheit, 
wie noch nie, alle beften Kräfte und Talente, das reinfte fitt- 
liche Streben, arbeiteten an Entwidelung und Ausbildung der 
neuen Zuftände Nie war in Deutichland foviel Gutes, 
Edles, Hohes fo gemeinfam rege. Die Nation erwies fich groß- 
müthig, hochgefinnt, maßvoll; nur Flug und fchlau war fie 
nicht! Daher ging auch alles fchleht. Sie war ihren 
innern Feinden nicht gewachfen, weil fie ihnen vertraute; fie 
ließ fich zu Dünkel und Eigenfucht verleiten. Aber dennoch, 
die vier Monate der Kreiheit und Selbftjtändigfeit, die wir 
erlebt haben, find ein unvergänglicher Feſttag in unferer 
Geſchichte, der immer fich erneut, fo oft wir feiner nur geden- 
fen. Heil dem Jahre 18481 — 


Sonnabend, den 7. Januar 1854. 

Im Bette die Zeitung lefend, werde ich durch die Nachricht 
erihüttert, Daß am 5. mein Freund Guhrauer in Breslau ge- 
jtorben ift! Da er nicht, wie font wohl, nad) Empfang mei- 
nes Buches ſogleich gejchrieben hatte, vermuthete ich ihn krank, 
aber an feinen Tod wollt’ ich nicht denken, - Der Arme! es ift 
ihm nicht viel Glück befchieden gewefen, er hat fich immer 
durchquälen müffen, und feine Arbeiten fanden wenig Lohn! 
Seine Arbeit, welche die Biographie Leffing’d von Danzel 
fortfeßte, feine befte und reiffte, ift nun abermals unterbrochen, 
und ein Dritter wird fih daran machen müffen. ch fchrieb 
der Wittwe gleich mein Beileid, meine Theilnahme. Schwere 
Sorgen werden auf den Hinterbliebenen laften! — 

Daß man nur nicht glaube, weil ich mich mit Allgemei- 
nem tröfte, und das auf Augenblide und Erſchienene preiſe, 
ich erkläre mich damit abgefunden und zufrieden! Im Gegen- 
theil, der Troſt ift nie die Sache felbft, und die wird nie 


Varnhagen von Enſe, Tagebücher. X. 





403 


der That können wir diefe ung faum groß genug denken, wenn 
wir erwägen, daß folche dramatische Dichtungen allgemein ge— 
fielen und verftanden wurden. Daß die fpanifchen Versarten 
für und zu fünftlich feien, die Reime uns verwirren, die Affe: 
nanzen und ganz verloren gehen, kann ich durchaus nicht zu— 
geben; mir wenigftend geht nicht? won diefer üppigen Ausitat- 
tung verloren, ich empfinde den ganzen Zauber derfelben 
ohne alle Störung ded Sinned, und ed mag nody viele Leſer 
und Hörer geben, bei denen dies ebenfo der Fall ift. — Wie 
vermiffe ich die Alfonanzen im Herder’fchen Eid! — 

Dr. Ladendorff, zum Märztomplot gehörig, war aus dem 
Kriminalgefängniß wegen Geiftesftörung zur Charite gebracht 
worden, jebt hat man ihn, den noch immer Wahnfinnigen, 
wegen größerer Sicherheit, wieder in's Kriminalgefängniß zu- 
rüdgebracht. — 


— — — — — 


Montag, den 9. Januar 1854. 

Sch las in Goethe und im vierten Bande der Causeries 
du lundi. — 
Bis tief in die Nacht blieb ich ohne Schlaf, und nicht er- 
freuliche Bilder und Gedanken hielten mich wach. Das Dahin- 
Ihmwinden aller Dinge, das Sterben der Menfchen, die allmäh— 
lige Beränderung der Welt, in der man alles Bekannte nad) 
und nad) verliert, ſich von allen Befreundeten verlaffen, von 
Fremden umgeben fieht, das Zurüdrufen des DBergangenen, 
ded Unmiederbringlichen, die Bergeblichfeit dieſes Ningeng, 
das Verfchwimmen des reichften Lebens in ein ununterfcheid- 
bares Allgemeine, alles dies bewegte mich ſchwermüthigſt. — 
Dem Prediger Balper bei der freien Gemeinde in Nord- 
haufen, ift von der Regierung bei namhafter Strafe verboten 
worden, den Kindern feiner Gemeinde Religionsunterricht zu 


ertheilen, nicht einmal feine eignen Kinder foll er unterrichten! 
26* 





405 


diefer Beanadigung eine neue Beleidigung Bloch's, die ihm 
fretlih nicht vom erſten Beleidiger zugefügt wird! — Der 
Beleidiger hat vorher die ihm auferlegte Bedingung erfüllen 
müſſen, und den Beleidigten um Berzeihbung bitten müſſen. 
Das hat der — denn auch ſchriftlich gethan. Damit ift natür- 
lich nicht® gebeſſert. Es ift ein Hohn mehr gegen die Gefeße 
und gegen Bloch. — (Siehe d. 19. Oktober 1853.) — 

Hausfuchungen in Halberftadt, im Poſen'ſchen, letztere 
duch Anzeigen von Warfchau her veranlaft. Den Ruſſen 
wird bei Annäherung eines europäifchen Krieged bange, daß 
die Polen fi regen! — 


Mittwoch ‚den 11. Januar 1854. 

An den Verhandlungen unſerer Kammern kann ich kein 
Vergnügen finden, wenn auch mitunter ein guter Hieb fällt, 
von Vincke, von Bethmann-Hollweg und Andern. Der Boden 
ift Schlecht, er kann die rechten Erzeugniffe nicht liefern. Um 
Kleinigkeiten wird geftritten, alle großen Fragen find unter- 
brüdt, alle Hauptfachen find verloren, oder der Willkür über- 
lafjen. Da fchweigen die Abgeordneten! Und die erfte Kam- 
mer! Sie bleibt noch in die volfäthümlichen Rappen bekleidet, 
bleibt noch vom Schmuge fogenannter Wahl befudelt, in zwei- 
felhaftem, beftrittenem Rechte fich hinfchleppend, weil ed dem 
Unvermögen noch nicht gelingt, die Pairskammer zu fchaffen, 
zu der es fich dad Recht und die Erlaubniß fchon vor Jahren 
ausbedungen! Unvermögen und Tüde gehen gern zufammen. 

Die Kammern haben in geheimer Sigung vernommen, 
daß die preußifche Regierung mit Oldenburg einen Vertrag 
geſchloſſen, nach welchem Preußen einen Kriegshafen in dem 
Jahdebufen gründen darf. Im Allgemeinen macht dad wenig 
Eindrud. Man fieht zunähft nur eine Vermehrung der 
Staatdaudgaben, eine Gelegenheit zu großen Berfchwendun- 





407 


Donnerstag, den 12. Januar 1854. 


63 ijt faum glaublih, daß man noch heute fo jihnle 
Gründe gegen die Entwidelung und das Fortfchreiten der 
menfchlichen Dinge vorbringen und jagen mag, ein Wolf, oder 
gewiffe Zuftände feien dafür nicht reif, es müßten erft gewiffe 
Borfchulen durchlaufen werden, und mehr dergleichen, wie 
jelbit neulich noch Agathon Benary mit verfpäteter Einficht 
Flagte. Als ob die Gefchichte fich daran Fehrte! Als ob man 
die Entwidelung warnen fönnte gegen ihre eignen Thatfachen! 
Als ob man die Antriebe zu diefen angeblich unzeitigen Ge— 
burten zurüddrängen könnte! .Die Ereigniffe find immer 
richtig, wenn fie uns auch mißfallen, wenn wir auch die Mittel 
und Wege nachträglich zeigen können, wie fie anders hätten 
werden können. Ginzelne Menfchen begehen Berbrechen, 
machen Staatöftreiche, aber machen feine Revolutionen. Und 
wenn diefe vergeblich ausfallen — meift doch nur ſcheinbar 
vergeblich, denn alle zählen in der Reihe der Entwidelungen —, 
weß ift die Schuld? Die Reaktion gegen Vorfchritte ift immer 
unedel, immer verrätherijch, oft niederträchtig und verbreche- 
riſch. — 

Der Dieziplinarhof für Zuftizbeamte hat geftern ein Ur- 
theil gefällt, das die Schriftitellerei eines Beamten als eine 
ſehr unfichere, gefährliche erfcheinen läßt, auch wenn fie fein 
Amt und deſſen Geheimniffe gar nicht berührt. Ein Juftiz- 
beamter hatte eine Zeitungsnachricht, daß preußifche Polizei 
nach Medlenburg wegen des Märzkomplotts geſchickt worden, 
wiederabdruden laffen, und war deßwegen zur Unterfuchung 
gezogen worden, man bejchuldiate ihn, ein Geheimniß ver- 
rathen zu haben, das er nur durch einen Beamten habe willen 
fönnen, und diefen follte er nennen. Cr: fagte, daß er die 
Sache ſchon in einem Zeitungdblatte gefunden habe, das aber 
nicht fogleih zur Stelle war, und die Behörde that nichts, 
um es herbeizufchaffen. Der Oberftaatsanwalt fpielte dabei 





409 


Die Nationalzeitung freut fich des preußifchen Kriegs: 
hafens in der Jahde. Ich kann ihrer Aufftellung nicht bei- 
jtimmen. Wenn auch, in der Folge, gewiß erft in ferner Zeit, 
etwas aus der preußilchen Flotte wird, fie zur Bedeutung ge- 
langt und Nuten bringt, fo ift es Doch zweifelhaft, ob der Er- 
folg die Kräfte werth fein wird, die auf diefe erfünftelte 
Schöpfung verwendet werden. Für jebt, für unfere Zuſtände, 
ift jede Zerjplitterung der Kräfte eine Schwächung, und Vie 
Luft und der Eifer für die Sache nur hoffährtige Thorheit. — 


— — — — — 


Sonnabend, den 14. Januar 1854. 

Eine Abtheilung der engliſch-franzöſiſchen Flotte iſt nun 
wirklich am 3. aus dem Bosporus ind ſchwarze Meer geſchifft. 
Die Verwickelung wird nun bedenklicher. Merkwürdig iſt die 
Schwäche und das Mißtrauen, die in allen Regierungen offen 
an das Licht treten. Keine Regierung vertraut dem eignen 
Volke, keine wagt ſich auf daſſelbe zu ſtützen, jede hat einen 
Theil ihrer Unterthanen ſorgſam zu bewachen. Jammer—⸗ 
zuſtand! — 

Verurtheilungen in Prag; junge Leute wegen politiſcher 
Vereine, zum Tode! Begnadigt zu mehrjähriger Schanzen— 
arbeit in Eifen. Solche Gnade tft eine Schmad, für die Be- 
gnadiger wie für die Begnadigten. — 

Der freien Gemeinde in Magdeburg wird von der Polizei 
wieder mit roher Willkür arg zugeſetzt. — 


— — — — — 


Sonntag, den 15. Januar 1854 
Der Lage der Dinge hier in Preußen ift offenbar feiner 
der obenftehenden Leute gewachſen, nicht der König, nicht die 
Minifter, noch fonft jemand von wirflihem Einfluß oder An— 


m 





411 


Montag, den 16. Januar 1854. 


Unfichere Nachrichten vom Kriegsfchauplag an der Donau, 
es fallen heftige, bedeutende Gefechte vor, die nicht zum Vor- 
theil der Ruſſen fein können, denn die Nachrichten würden 
dann fehr beitimmt lauten. — . 

Nicht die Kammermitglieder, nicht einmal die Präfidenten 
der Kammern, wie doc bidher immer geſchehen, werden 
diesmal an den Hof gezogen. Gelbit die entfchiedenften 
Königöfreunde find darüber empört und ſchimpfen. „Der 
König haft die Kammern, es fei! Wir haffen fie auch. Aber 
darf er auch und haffen und fihlecht behandeln? Um feinet- 
willen find wir drin, flimmen in allen Sachen für ihn und 
feine Minifter, wir find in feinem Dienfte thätig, er würde 
ed übelnehmen, wenn wir abträten und Andern das Feld 
ließen; foll nun unfer Lohn fein, daß wir in Ungnade fallen 2” 
Dergleihen hört man; es giebt aber hiezu einiges zu bes 
merfen: 1. Der König weiß recht gut, daß ein großer Theil 
derer, die fcheinbar für ihn auftreten, im Grunde gar nicht 
jeine Freunde find. 2. Die Reaktionsparthei arbeitet zunächit 
für den eignen Vortheil und möchte die Königliche Macht nod) 
mehr jchwächen ald die Demofraten es wollen, der Zuwachs 
aber foll für die ariftofratifche Barthei fein! — | 

„Charlotte Adermann, Roman von Otto Müller,” — 

Der Polizeipräfident von Hindeldey ift Wirkl. Geheimer 
Dber-Regierungsrath, das heißt Rath erfter Klaffe geworden. 
Das verfchlägt ihm wenig, er will Erzellenz heißen. Nur 
warten! — 


Dienstag, ken 17. Januar 1854. 
Bettina von Arnim bejuchte mich und blieb zwei Stun- 
den. Sie trank mit mir Kaffee, die feltenfte Ausnahme, daß 





413 


Stadtgericht freigefprochen war, vernichtet werden ſoll! Eine 
rechte Schande! — 

Der Redakteur der Kreuzzeitung Dr. Beutner ift wegen 
Beleidigung des Breslauer Stadtgerichteg — vom November 
ber — zu vierwöchentlicher Gefängnißftrafe verurtheilt wor- 
den. Wird ihm wohl geſchenkt werden! 

Die Herzogin von Orleans hat fich entjchieden gegen die 
Fuſion ausgefprochen, und ihrer Söhne Recht auf den Thron 
von Frankreich behauptet, auf Grund der Wahl des Volta, 
das einft den Louis Philipp zum Thron berufen hat. Unbe- 
deutend für jest, doch der Legitimität ein Stich. — 

In Peſth Berurtheilungen. — Im Poſen'ſchen neue Ber- 
haftungen. — 


— — — —— 


Mittwoch, den 18. Januar 1854. 

Heute hat der König die Schloßfapelle feierlich einweihen 
laffen. Die Zeremonie ſoll mit allem Prunf, doch geiftloe 
und. fchal gewejen fein. Merkwürdig tft, daß im untern Bolf 
das Gerücht allgemein verbreitet war, und gar gern geglaubt 
wurde, der König werde heute abdanfen, und der Prinz von 
Preußen den Thron befteigen. Der Prinz und die Prinzefjin 
jind heute angefommen. — | 


Donnerstag, den 19. Januar 1854. 

Eine neue Arbeit unternommen; Schwierigkeiten des 
Stoffe, der Form. Fäden ded Gedankens, Fäden der That- 
fachen, die ſich immerfort verflechten müffen. Aufgaben ge: 
nug, wenn ich nur Hände, Augen und Stunden genug hätte, 
oder auch Arbeiter, denen ich jie übertragen fönnte! Es ift ein 
Sammer anzujehen, was alles die Deutfchen bei folcher Viel- 
gejchäftigkeit doch verfäumen! — 





415 


welt, er bewegte fie nicht, jie nicht ihn. Dabei die Einbil- 
dung auf eigne DVortrefflichfeit, bei urfprünglich befcheidenen 
Weſen. Die Partheinahme für Naheftehendes, dad er heftiger 
auffaßte, ald es ihm von innen geboten war, der Groll gegen 
Goethe, die Gehäjfigfeit gegen den wadern Johann Heinrid) 
Voß, die wieder aufgenommenen Borurtheile — denn er hatte 
jie fchon einmal weggeworfen, — alled das verdunfelt feine 
edle Perſönlichkeit, die beftimmt fchien hell zu leuchten. Ich 
bedauere ihn jehr, und ich glaube, ich hätte ihm können nüb- | 
lich werden, wenn er länger gelebt, oder ich mich ihm enger 
angefchloffen hätte, wozu doch die Umftände nicht günftig 
waren. — 

Der Magdeburger freien Gemeinde ift jegt von der Polizei 
in Folge höheren Befehld jede Zufammenkunft förmlich ver- 
boten worden. Wider Zug und Recht, ganz willfürlih, nad 
beliebiger Auslegung des fogenannten Bereindgejekes! — 

In Elbing ift der Elbinger Anzeiger zum großen Staunen 
und Aerger der Behörden wieder erjtanden. Geſetzlich können 
fie ihm nichts anhaben, doch bedroht haben fie ihn jogleich, 
und jie werden ihm fchon Händel machen, ihn heben und 
quälen! — 


— — — — — 


Sonnabend, den 21. Januar 1854. 

Die Türfen haben in fcharfen Gefechten obgefiegt, das 
geht aus den verivorrenen, unvollftändigen, gefäljchten Berich- 
ten unzweifelhaft hervor. Und die englifch-franzöfifche Flotte 
ift im Schwarzen Meer! — 

Sohanniter-Ordend-Kapitel; neue Ernennungen. Mor: 
gen Ordensfeſt auf dem Schloſſe. Kindiſche Polen! Die 
Ruthe von 1848 ift vergeifen, die Kinder fpielen wieder. 
Möchten fie nur fpielen! Aber fie treiben auch erniten Un— 





4117 


ſtimmung dazu giebt! Was ſind das alles für Zeichen? Die 
Volksparthei darf keine Vereine ſtiften, keine Verſammlungen 
halten; wenn ſie es einmal doch thut, dann iſt es auch mit 
der andern aus! 

Zu feiner Zeit wurde in Berlin ſoviel geſtohlen und be— 
trogen, als in diefen Jahren der gerühmten Heritellung von 
Ruhe und Ordnung, der fittlihfrommen Ueberwachung, der 
vollendeten Polizeiherrſchaft. Es ift ald ob die guten und 
wadern Leute ausgewiefen, verbannt, eingeftedt oder ausge: 
wandert wären, die Spisbuben und Yumpen find zurüdgeblie- 
ben, und üben ihr Handwerk. Jetzt gefellen fi zu Diebftahl 
und Betrügerei auch häufige NRaubanfälle, fowohl vor den 
Thoren der Stadt, ald auf den Straßen der belebteften Stadt- 
theile. Bei der gerühmten Polizei, bei den mehr ald taufend 
Konitablern, bei den ungeheuren von der Stadt aufzubrin- 
genden Koften der ganzen Verwaltung, die nicht müde wird, 
fich felber zu rühmen, und von feilen Schmeichlern und Tröpfen 
fih rühmen zu laffen! Hindeldey wird nächitend eine Bild- 
fäule zu feinen Ehren aufgerichtet fehen! — 

Unfere Börfe ift in den größten Schreden gerathen, alle 
Staatöpapiere finken, dad Vertrauen ftodt. Banfrotte — 


Fortgeſetzte Gerüchte von Abdanfung des Könige, von 
Auftritten mit dem Prinzen von Preußen ıc. Der König 
habe erflärt, wenn man ihn bindere (wer?) dem Kaifer von 
Rußland fein gegebenes Wort zu halten. und ihm eintretenden 
Talled preußifche Truppen zur Bewachung Polens zu leihen, 
jo werde er abdanken, ꝛc. — 


Andre Gerede, die nicht fogleich auf’d reine zu bringen 
find, daß in der Neihe der Bildniffe, welche die Schloßfapelle 
zieren, das Bildniß Friedrich's des Großen fehle, daß auch fein 
Name in den firchlichen Fürbitten, die aller andern Vorfahren 


des Föniglichen Hauſes namentlich erwähnten, „ieler Name 
Varnhagen von Enfe, Tagebüder. X. 


418 


ausgeblieben fei. Geglaubt wird dies fajt allgemein, doc) 
mit fiheint es noch unglaublich. — 


Dienstag, den 24. Januar 1854. 

Es wird geflagt und gejammert, unfer Zeitalter fei eines 
des Verfalld und Unterganged, das jebige Menfchengefchlecht 
ein fchwächliches, abgenutztes, ohne Kraft und Aufſchwung. 
Ich fehe das gerade Gegentheil, ich fehe Kraft und Aufſchwung, 
Entwidelung und Bildung die Fülle! Der Berfall erftarrter 
Kirchenformen, fchlehter Regierungen, Pfaffen- und Junfer- 
weſens, Diefer Verfall ift ja nur ein Zeichen des Fortſchritts, 
Gottlob daß dergleichen verfällt! Es ift wahr, wir erleben 
harte Dinge, die Berruchtheit und Gemeinheit in augenblid- 
lichem Sieg; aber find dafür ſolche Erfchütterungen wie die 
von 1830 und 1848 herrlihe Genugthuungen, Fräftige jauch— 
zende Lebenszeichen? Wer fich eitelm Gößendienfte widmet, 
der mag beim alle der Gögen verzweifeln, wer dem ewigen 
Seifte dient, kann jubeln und lachen! — 

Die Evangelifche Kirchenzeitung hatte die Freimaurerei 
angegriffen. Das hatte zur Folge, daß der Prinz von Preupen, 
der fich darin gefällt, an der Spiße der preußifchen Maurer zu 
ftehen, feinen Sohn in die Brüderfchaft aufnehmen ließ, wobei 
derfelbe von der Vorſchrift — der ftaatspolizeilihen —, daB 
niemand unter 25 Jahren aufgenommen werden darf, dispen— 
firt wurde, Gebt haben auch die Berliner Logen eine Verthei— 
digungsfchrift ergehen laſſen, eine herzlich fchlechte! Sie jtellen 
die Freimaurerei ald eine chriftliche Genoſſenſchaft vor, die 
auch nur Chriften zulaffe; das letztere ift hier der Fall, aber 
nicht in England, Frankreich, Holland, Amerika, und ift nicht 
der Maurerei zuzufihreiben ; das erjtere ift geradezu eine Lüge, 
die Maurerei hat mit dem Chriſtenthum gar feine Berbin- 


419 


dung, ſteht ganz unabhängig neben demſelben; hier nimmt fie 
nur die hriftliche Maske vor, weil die bier gilt. — 

„ Befämpfung gefchichtlicher Unmwahrheiten und Mißur— 
theile.“ Solch ein Bud, wäre nützlich, ganz furz und bündig 
müßte es den falfchen, den entftellenden Angaben widerjprechen, 
wie ein Richter, nicht wie ein Sachwalter. Für den Aus- 
ſpruch fteht der Name des Urtheilenden ein, alle Gründe be- 
ruhen doch zulebt auf Zeugniß. Ein Gibbon kann alle feine 
Belegftellen weglaffen, man glaubt ihm doch! Niebuhr will 
nirgends bei ihm ein irriges Zitat gefunden haben, noch ein 
ſolches, das nicht genau fagte, was er zu belegen beabfichtigte. 

Freiheitsblüthe und Geiftesblüthe fehen wir bei den 
Griechen gleichzeitig und fchön verbunden; bei den Römern 
vermiffen wir bei der Blüthe ihrer Freiheit und Kraft die 
höhere Geiftesbildung, und als fie diefe hatten, war ihre Frei⸗ 
heit dahin. Das ift ein ungeheurer, ein folgenreicher Un— 
terfchied. — 


Mittwoch, den 25. Januar 1854. 


Der Schreden der Pariſer Börfe deutet auf ernite Kriege: 
ausfihten. Man fängt auch hier an, einzufehen, daß es mit 
der gehofften Neutralität Preußens nicht beſonders fteht, daß 
Preußen wird einen Entſchluß fallen müſſen, und feinen faſſen 
fann, bei dem Sicherheit oder Vortheil mit Gewißheit vor= 
auszufehen wäre. Die Volkszeitung räth enges Bündniß mit 
England an. Was hilft aller Rath, wo Einfiht und Ent- 
ichloffenheit fehlt! Preußen müßte, um frei und ftarf nad 
außen zu ftehen, oder zu wirken, vor allem nach innen ein an- 
dered Verfahren haben; nur das freifinnige, das fortfchrei- 
tende, das in gewiſſem Maße revolutionaire Preußen ift ftark, 
das pfäffiiche, junkerliche, reaftionaire hat feine Zuverläffigkeit, 
it ein Spiel der Ereigniſſe. — 

27° 





421 


möchten fich gern einbilden, fie hätten Die Volksſympathieen, — 
mit ihrem fchändlichen Verfahren gegen die Freiheit und das 
Recht, mit ihrer Polizeiwilllür,.ihren Berfolgungen, Tüden, 
Scheerereien! Die infame Kreuzzeitungsparthei, die noch die 
wichtigiten Stellungen hat, ift fogar ganz unpreußiſch, ift 
durchaus ruffiih! Wir haben das Ausland in und! — 

Der deutjchfatholifhe Prediger Hoffmann, Herausgeber 
ded „Diffidenten“, hatte populair-philofophifche Vorlefungen 
angekündigt, die von der Polizei erlaubt wurden, ald aber 
etwa 200 Zuhörer eben verfammelt waren, und der Vortrag 
- beginnen follte, löfte ein Polizeibeamter die Berfammlung auf. 
Das ift eine Wirthfchaft! Erft erlaubt, dann verboten, ohne 
allen Grund! Die Pietiften und Junker haben allein alles 
Recht, die dürfen fich berathen, verfammeln, denen geht alles 
durch. Willfür und nichts als Willfür! Preußen Eonftitutio- 
nell? Daß ſich Gott erbarme! — Hole der Teufel diefe Reak⸗ 
tiondfammern! — 

Im Ovidius gelefen, im Seneca. Wie jo die Römer bei 
mir die Griechen etwas zurüddrängen, ift mir felber etwas 
auffallend, Am Ende wirken die Ausgaben, die mir eben zur 
Hand find, mehr ald billig ein. Wo find meine griechifchen 
Autoren alle hingekommen? — 

Der Schloßhauptmann Graf von Arnim, Bruder des ehe: 
maligen Staatöminifterd, hält in feinem Haufe Abendandach— 
ten, denen feine Familie, die Dienerfchaft, Nachbarn und 
fremde Dienftboten beimohnen. Es ſoll das geiftlojefte Trei- 
ben, der gemeinfte Wortfram fein, der hier für Erbauung gel- 
ten fol. Der König hat fehon ein paarmal diefen Andachten 
beigewohnt, und belebt dadurch den Eifer der Leute und mehrt 
ihren Zulauf. — 


422 


Freitag, ben 27. Januar 1854. 

Sm Suetoniud gelefen. Franzöſiſches. — 

Es wird erzählt, der König habe fürzlih an den Kaifer 
von Rußland gejchrieben: „Nun, mein alter guter Nid, wirft 
du wohl die große Trommel fchlagen müffen, und ich das 
Tlageolet dazu blafen.* So wird erzählt, aus guter Quelle, 
die aber auch als folche gar wohl eine fein kann, die Falfches 
geben will, Am Hof und in der Regierung ift jet hier alles 
voll Ränfe und Tüden; man kann dem Könige gern etwas 
andichten wollen, um ihn der öffentlichen Meinung zu verdäch- 
tigen. Jene obigen Zeilen fünnen von ihm gefchrieben fein, - 
fie find in feiner Art; aber ich möchte lieber noch nicht an fie 
glauben. Solcher Ton gegenüber dem Kaifer von Rußland, 
jest, in fol ernfter Sache, dünkt mich fehr zweifelhaft, die 
Geſchmackloſigkeit zu groß, die Pofjierlichkeit zu fehr am un- 
rechten Ort! — („Alter Nid oder Nicks“, ift des Königs ge- 
wöhnliche Anrede an den Kaiſer Nikolaus.) — 

Der König machte kürzlich — am Mittwoch glaub’ ih — 
der Prinzeffin von Preußen einen Beſuch, und ſprach fie ganz 
allein, anderthalb Stunden lang. Eine Dame, die zur Prin- 
zeflin befchieden war, follte eben vorgelaffen werden, ale der 
König unvermuthet fam, die Prinzeffin ließ daher im Neben- 
zimmer die Dame warten, in der Meinung, der Befuch würde 
nur furz fein. Uber er dauerte anderthalb Stunden, und als 
die Prinzeffin nad) dem Weggehen des Königs erfchien, war ſie 
in folder Aufregung, fo hochrothen Geſichts und heftigen 
Athemd, dag die Dame bat, die Prinzeffin möchte fie weg— 
ſchicken und ein andermal rufen laffen, was auch endlich ange- 
nommen wurde, Die Dame hat ed mir jelbft erzählt. — 


423 


“ Sonntag, den 29. Januar 1854. 


Die unter dem 27. Januar angemerkte Gefchichte von des 
Königs Schreiben an den Kaifer Nikolaus ift nun auch von 
dem Gefandten, Herten von Ujedom, beglaubigt worden, mit 
der Heinen Variation, daß der Kaifer die Pofaune blafen und 
der König ihn auf dem Flageolet begleiten würde, — 

Heber Preußens Politik und Regierung: „Der Staat hält 
nur in feinen äußern Banden noch zufammen, diefe allein hin- 
dern, daß er nicht auseinanderfällt. Unſere Regierung im 
Innern berubt auf täglicher Gewohnheit, dienach außen ebenfo; 
Preußen gebt mit und nach, und läßt fich fchleppen, bald von 
Defterreich, bald von Rußland, bald wieder von der Furcht vor 
Frankreich, es hat weder Richtung noch Abfiht, möchte viel 
vorftellen und bedeuten, und hat gar feinen Geift und feine 
Kraft dazu, Die Launen ded Königd wechjeln, oft ehe fie 
zur Ausführung fommen, oft auch ftehen ihnen die Minifter 
entgegen, die es verfuchen, wie weit fie es im Widerfpruch trei= 
ben können; dann find fie auch wieder über die Maßen nad: 
giebig und gefällig. Alles ift wie ein großer Brei, zäh und 
did und ſchmierig. Geift und Karakter darf man hier nirgends 
fuhen. Man lebt jo hin, das ift alles.“ — 


Montag, den 30. Ianuar 1854. 

Der Redakteur der Nationalzeitung, Herr Dr. Zabel, ift 
wegen eined Berichts aus Elbing zu 30 Thaler Strafe ver: 
urtheilt worden. — 

Der Diffidentenprediger Hoffmann, deſſen Borlefungen 
neulich vor dem Beginn durch die Polizei verhindert wurden, 
darf fie nun doch halten, und hat fie auf's neue angekündigt. 
Wozu war nun die Scheererei? Zum Privatvergnügen der 
Polizei? — 

Hoffefte, Bälle, in der großen Welt und in der Eleinen! 





425 


Dienstag, den 31. Januar 1854. 


Die Volkszeitung greift den Abgeordneten Wagener heute 
tüchtig an, und macht nicht viel Umstände’ mit ihm. “Die 
Krenzzeitungsparthei will einen Helden aus ihm machen. — 
Er fol wirflich einen Brief an Bloch gejchrieben haben, worin 
er diefen um Verzeihung bittet; diefe Nichtswürdigkeit macht 
feine Sache nicht beffer, und Leute feiner eignen Parthei tadeln 
ihn; glaubte er fih im Recht, wie fann er um Verzeihung bit- 
ten? wußte er ſich im Unrecht, wie mochte er fo giftig losfah— 
ren? Genug, der — ift aufgededt ald —, und feine Genoffen 
und Verbündeten, wie groß ihre Namen auch fein mögen, 
müſſen jich jeiner ſchämen. — Es heißt, der König werte ihn, 
jobald er im Befig eines Rittergutes fein wird, in den Adel- 
ftand erheben. Und den armen Goedfche nicht? Berdient hat 
der's wohl nody mehr, daß er erhoben werde, und wie viel 
Leute würden gern dazu beitragen! Seine Anwefenheit merft 
man übrigens am „Zufchauer“ der Kreuzzeitung, er ift wie- 
der giftiger, ſchmutziger, nichtöwürdiger. — 

Eben meldet die Kreuzzeitung, dag Wagener die Redaktion 
der Kreuzzeitung wieder übernimmt, nachdem die Hinderniffe, 
die ihm entgegenftanden, gehoben feien! („Die höhere poli- 
tifche Leitung.”) Die Hinderniffe waren die Gefängnißitrafen 
wegen Verläumdung des Präfidenten Bloch, die ihm der König 
in Gnaden erlaffen hat! — Alfo nun auf's neue drauf los, 
wer feine Strafe zu fürdten hat, kann fchon was ausrichten. 
Nun ift er alfo wirklich mit Goedſche wieder zufammengefup- 
pelt, und fie fönnen darüber ftreiten, wer die meifte Schande 
davon hat! — 

Berurtheilungen in Siebenbürgen; die Todesftrafen in 
Schanzarbeiten gemildert. — Berhaftungen in Warfchau. — 

In Hannover zur Ständeverfammlung demofratifche Wah- 
len in ftarfem Webergewicht. Die Kreuzzeitung jammert 
darob. — 


426 


In unfern Kammern herbe Worte gegen den Handwurft 
Gerlach, gegen den Gaufler Stahl, Vinde tbeilt gut aus. — 


— — — — — — 


Mittwoch, den 1. Februar 1854. 


Rede der Königin Viktoria bei Eröffnung des Parlaments. 
Kriegszuſtand erwähnt, Kriegsrüſtungen verkündet. — 

Bemühungen zur Schlichtung der katholiſchen Streitigkei— 
ten in Baden; bis jegt alle vergeblih. Herr von Meyſenbug 
hat in Wien nicht? erwirkt, die öfterreichifchen, und die preußts 
hen Rathichläge nicht?, das Einlenfenwollen der badifchen 
Regierung nichte. Der Bifchof von Mainz, Herr von Ketteler, 
der nach Baden gefommen, hat alles nur verfchlimmert. Nicht 
unterhandeln muß man mit den Pfaffen, fondern brechen, 
ihnen den Ruß auf den Naden feben, dann frümmen fie ſich 
wie andered Gewürm. Man fieht, daß man es dreift thun 
fann, aber die feigen Regierungen fürchten ſich dennoch, „und 
möchten ed mit den Pfaffen nicht verderben, da fie in ihnen 
Gehülfen zur Unterdrüdung ded Volkes fehen. — 


Donnerstag, den 2. Februar 1854. 


Nachmittag kam Frau Bettina von Arnim, die mir einen 
Brief zeigt, den fie dem Großherzog von Weimar fchreibt, fer- 
ner ein herrliches, noch ungedrudte® Sonett, dad Goethe ihr 
am 4. Januar 1811 überfchict hat, und einen vortrefflichen 
Brief Goethe’d an Arnim vom Februar 1814. Mit meiner 
Ordnung der Arnim’fchen Papiere ift fie überaus zufrieden, 
und wird mir mehr zu thun geben. Sie Elagt bitter, daß fie 
frank, verftört und von allen Seiten hart geplagt fei. — Sie 
ſah ſchlimm aus. — 





427 


Darauf Befuch von Herrn Dr. Ring. Ueber Milton und 
Cromwell; er arbeitet fleißig an feinem Roman, deſſen Held 
Milton ift. — Ueber das Litteratenthum 20. — 


Freitag, den 3. Februar 1854. 
Der Difjidentenprediger Hoffmann hat feine VBorlefungen 
über die Entwidelung der Menfchen zur fittlichen Freiheit nun 
doch begonnen, vor etwa 400 Zuhörern, meift aus dem Bür— 
ger und Handwerkerſtande. — 

- Der hiefige Magiftrat, jet fo ziemlich der Inbegriff alles 
Feigen und Niederträchtigen, will den Begräbnißplatz im 
Friedrichshain zerftören. Gr hat über den Plab zu verfügen, 
und will ihn zu einem neuen Bahnhof — der Eifenbahn nad) 
Kreuz — beftimmen, da denn die Xeichen nach andern Kirch: 
böfen gebracht werden müßten. Schon jebt hat der Magiftrat 
den Verwandten der dort begrabenen Barrifadenfinpfer — 
oder vielmehr Opfer — unter der Hand das Ancrbieten eröff- 
nen faffen, die ihnen angehörigen Reichen anderweitig uns 
terzubringen. Ob das Anerbieten fehon von einigen Be: 
theiligten angenommen worden, wird nicht gefagt. Diele 
Schändung und Entweihung, denn eine folche ift es, kann nicht 
fehlen auf? neue die tiefite Erbitterung hervorzurufen. — 
Aber wie langfam geht alles! Schon im Jahr 1849 mußte 
das gefchehen! So läßt man und auch die freifinnigen Zeitun- 
gen noch, gegen alle meine Erwartung. Freilich, Feigheit 
und Dummheit bilden einen Verein, deffen Kraft gar nicht zu 
berechnen ift. — 


— — — — — ,— 


Sonnabend, den 4. Februar 1854. 
Ein Dr. Sauer und der Kleiderhändler Kramer, wegen 
des ſogenannten Märzkomplotts ſeit 10 Monaten in Haft, ſind 


428 


jebt ohne weiteres freigelaffen worden, wie ſchon früher einige 
Andere. Dr. Sauer hat über 10 Monate in ftrenger Haft 
zugebracht, ohne daß ihm das Geringfte bewiefen werden 
fonnte, Kramer war ſchon einmal entlaffen, dann aber wieder 
verhaftet worden und wieder ohne Ergebniß! Andere, wohl 
ebenfo Schuldlofe, ſchmachten noch im Gefängniß. Und da 
fräht fein Hahn darnach! — Bälle, Teftlichfeiten, Gajtmahle, 
Ballette, Schwelgereien, Huldigungen und heuchlerifche Be— 
zeigungen, — wer fann da an Gefangene denken! —! 

Nicht ein Dr. Sauer, fondern der Büchſenmacher Sauer 
ift freigelaffen, und zwar fchon am 31. Dezember, die Haft be= 
trug demnach nur 9 Monate. Der Unterfchied ift nicht eben 
groß! — 


Sonntag, den 5. Februar 1854. 

Für den Augenblid ift der General von Gerlach beim 
° Könige nicht gut angeſchrieben; er war zu nafeweis, heißt es, 
und überhaupt fei die pietiftiiche Klique jetzt nicht grade in 
Gunſt. Wir wollen jehen, wie es nach acht Tagen ausſehen 
wird! Wie vorher. Diefe Leute find im Beſitz aller Stellungen, 
und im Nothfall erregen fie die Furcht, ohne fie möchte e8 um 
das Königthum fchlecht ftehen. — 

Dem Könige foll von Wien her die Mahnung zugegangen 
fein, die Kammern und die ganze Verfaſſung abzufchaffen. 
D wie gern! Aber zu ſolchem Entſchluß gehört mehr als bloße 
Laune! — 

Es heißt, der Kaiſer Nikolai habe den Fürften Gortfchafoff 
vom Oberbefehl abberufen. Das wäre Der beite Kommentar 
zu den biöherigen Nachrichten von ruffiihen Siegen. — 

Im Tauler gelefen, und in den Metamorphofen des 
Ovidius. — 


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In Pommern ift e8 ganz hergebracht, felbft unter den 
Bauern, daß man vom Könige, um nicht wegen Majejtäte- 
beleidigung angellagt zu werden, unter einem andern Na- 
men ſpricht; man jagt: Schulze, oder auch Friedrich Wilhelm 
Schulze. — 

Wie immer etwas ganz Anderes wird, ald man beabfichtigt! 
Neid und Gehäſſigkeit juchten den Prinzen von Preußen und 
feine Gemahlin von hier zu entfernen; beide bekamen ihren 
Aufenthalt in Koblenz. Hier aber gefchah, was man am 
wenigften wünjchte, Die Prinzeffin befam in diefer Abjonde- 
rung das entjchiedenfte Hebergewicht über den Prinzen, wandte 
ihn von Rußland ab, flößte ihm verfaflungsfreundliche Ge- 
finnungen ein. Dem Hof ift das ſehr anftößig. Das Volk 
aber, wenn es dergleichen vernimmt, vergißt nicht, Daß der 
Prinz früher ganz andere war, und dag die neue Richtung 
ebenjo jchnell, wie fie entftanden, wieder vergehen fann! — 


Montag, den 6. Februar 1854. 

Gefchrieben, doch mit Unluit; in heiterem Wetter gedeiht 
mir wie dag Ausgehen auch das Schreiben am beiten, — 
Wenn ich heute dichtete, würde unfehlbar eine Elegie „Halle“ 
entjtehen, fo lebhaft ſteht mir meine Univerfitätdzeit dort wor 
Augen, und zwar die jonnige de? eriten Sommers, in allen 
Reizen der Spaziergänge, der Studien, der Bekanntſchaften, 
es ift mir, ald ob jene alte Zeit neu würde, und mit fchmerz- 
licher Pein gedenfe ich all der Auftritte und Begegnungen. 
Bis auf wenige Ueberbleibfel find fie Alle todt, die ich Damals 
dort fannte. An jene Erinnerungen fihliegt fich innigjt die 
andre, wie ich fo viele Jahre fpäter mit Rahel Halle be- 
ſuchte, und ungeachtet der mich heglüdenden Gegenwart 
immer weinen mußte über Die Bergangenheit. Welcher 


430 


Zauber, dieſes Zeitftrömen! Das Herz möchte von ihm befreit 
fein! — 

Unfere Börfe ift in größter Unruhe und Beftürzung. Die 
ruſſiſchen Gefandten verlaffen Parid und London, Der Graf 
Drloff ift in Wien mit feinen Anträgen gefcheitert. Oeſter— 
reich will feinen Neutralitätsvertrag mit Rußland eingeben. 
Auch Preußen nit. Beide wollen neutral fein, ohne fich 
dazu zu verpflichten. Wer hierin Weisheit oder nur Selbft- 
ftändigfeit erbliden wollte, würde fehr irren, e8 iſt nur Furcht, 
Furcht vor Frankreich, die größer iſt als die vor Rußland. 
Wie fteht ed aber mit der großen Trommel und dem „Fla—⸗ 
geolet“?! — 

Nachrichten aus Paris. Stille Gährung dort unter dem 
Volke. Louis Bonaparte auch unter den Soldaten nicht mehr 
recht beliebt; er ſchickt fie deghalb gern in den Krieg, wie der 
alte Napoleon feine beiten alten Truppen nad) San Domingo 
ſchickte. — 

Zur Gefchichte unferer Schand- und Yumpenfammern! 
Die Erfte Kammer befam eine Petition dieſes Wortlautes: 
„Feſtung Graudenz, den 13. Dezember 1853. Gedenfet der 
politifchen Gefangenen! Rudolph Dowiat, von Dowiatowo, 
Staatögefangener feit Auguſt 1848. Die Petitions-Kom— 
mifjion beantragte die Tagesordnung, die Kammer nahm Diefe 
an. Borfigender diefer Kommifjion war ein Fürft Reuß, Ber 
richterjtatter Thadden-Trieglaff. Pfui über beide, über die 
ganze Kammer! Pfui! — 

Ginem „Verein evangelifcher Ehriften * in Königsberg hat 
die Polizei verboten, fi fo zu nennen!!! — Die Türfen be- 
Ichämen und! — 

Auh die Petition ded Predigerd Hrabowsky in Groß— 
Slogau, der hieher berufen war, um der hiefigen freien 
Gemeinde vorzuftehen, und im Begriff feine Antrittöpredigt 
zu halten, von der Polizei brutal ausgewiefen wurde, tft Durch 





431 


feige Tagesordnung fehnell befeitigt worden. Gar feine Unter: 
fuchung oder Anfrage deßhalb bei den Behörden. — 


Dienstag, den 7. Februar 1854. 

Befuch von Frau Bettina von Arnim; Briefe an fie von 
Schade und Hoffmann (von Falleröleben) in Betreff der wei- 
marifchen Eröffnungen, mißliche Lage der Dinge, nichtd will 
zufammenftimmen, alles ift auf Borausfegungen geftellt, Die 
fich erſt beftätigen müſſen, oder auch gar nicht eintreffen; die 
treffliche Frau, von dem fehönften Eifer befeelt, hat gar fein 
Gefchäftstalent, alles verwirrt fich unter ihren Händen, ihre 
Phantajie überflügelt alles, mas die Wirklichkeit entgegen- 
ftellt. Sie rechnet noch immer auf Gunft und Vorliebe des 
Könige, der ihr doc) längft Dad Gegentheil beweift ; „Er kann 
mir’d nicht abſchlagen“, jagt fie, und er — antwortet ihr gar 
nicht! Sie ift jehr gedrüdt und fchwach, und befennt eg! — 

Nachmittags fleißig gefchrieben. Ich ſchwimme im weiten 
Gewäfler, fern vom Landungsufer, und ſchnappe nach Luft! 
Man wird die Bedingungen, unter denen man herangelebt, 
nicht los, außer man entjagt dem Leben jelbit. — 


Mittwoch, den 8. Februar 1854. 

Die Königin hat nun auch der Prinzeffin von Preußen 
einen längeren Befuch gemacht. Man will einander lieben. 
Als ob das fo ginge! Doc, find die Hofjchranzen, die früher 
das Teuer dienftfertig angeblujen, etwas beftürzt über die.Ar- 
tigleitn. — 

Recht efelhaft ift ed, wie von Seiten niedriggefinnter und 
feiler Xeute den Mächtigen gefchmeichelt wird, fo jetzt beſon— 
derd den Herren von Manteuffel und von Hindeldey, denen 
auch jehr daran gelegen fcheint, öffentlich gerühmt zu werden. 


432 


Aus der Zurüdhaltung Preußen! von Rußland, fo zufällig 
und wenig ernft fie auch fein mag, will man fir Manteuffel 
ein großes Verdienſt machen, feine Schmeichler benußen die 
Dummheit der Menge, um died hervorzuheben; es kann Ber- 
anlaffungen geben, wo er died Rühmchen gern wieder ab- 
ftreifen möchte! Der König ift ganz auf Seiten Rußlands, 
wird verfichert, aber mit bloßen Worten, ohne Entfchloffenheit 
zur That, ohne Stätigfeit. — 

Der Beſuch ded Prinzen Napoleon in Brüffel hatte, außer 
dem offenbaren Zwed bei dem Könige der Belgier, noch den 
geheimen bei den Generalen Yamoriciere, Changarnier, Bedeau, 
fie für den — Kaifer zu gewinnen, der den Mangel tüchtiger 
Kriegsbefehlshaber fühlt; der Verſuch ift ganz gefcheitert. 
Der — muß feben, wie er mit feinen — Saint-Arnaud, 
Magnan, Eaftellane ꝛc. zurechtlommt! — Gavaignac ift in 
Frankreich. — 

Der Graf Orldff, fehr unzufrieden mit feiner Aufnahme 
in Wien, hat gleich dort gejagt, das öfterreichifche Minifte- 
rium jei das elendefte auf der Welt, und mit Empörung hin- 
zugejeßt: „Buol est une cruche et Bach un scelerat.“ 
Man glaubt, Orloff's Berichte werden dem Gefandten Meyen⸗ 
dorff den Hals brechen. — 


Donnerstag, den 9. Februar 1854. 

Ausfagen ded Dr, *, Mitarbeiterd an der Spener’fchen 
Zeitung! Der Prinz von Preußen habe gejagt, er werde 
wohl nächſtens einen Oberbefehl an der Memel haben! Fer: 
ner, Frankreich habe dem deutfchen Bundestag diplomatifch 
eröffnen laffen, daß Rußland dem Louis Bonaparte, wenn er 
mit ihm fein wolle, das linfe Rheinufer überlaffen wolle. 
Beides gewiß nicht wahr, objchon * betheuert, er habe es aus 
der beiten unmittelbarften Quelle, und ihn daran gelegen 


433 


Scheint, daß man es glaube! In Berlin, mehr ald anderswo, 
findet jede Neuigfeit Glauben! — 

Der König bat nun doch erlaubt, daß das ſchon einmal 
aufgeführte, dann von der Polizei verbotene Stück, worin 
Friedrich der Große vorkommt, nochmals — zum Vortheil des 
Schauſpielers Aſcher — aufgeführt werden darf. „Zeigt 
ſolches Schwanken nicht aller Welt, daß nicht Grundſätze, fon- 
dern bloße Willfür waltet ?* Das will man grade zeigen, und 
gar nicht verbergen, alle Welt foll wilfen, daß alles nur von 
der Willfür abhängt, dag Gnade und Nicht-Gnade alles be= 
jftimmen! — 

Der heutige Vortrag Hoffmann’s ift von dem überwachen- 
den Polizeibeamten unterbrochen und die Berfammlung auf- 
gelöft worden. Hoffmann foll hriftliche Symbole auf ägyptifche 
zurüdgeführt haben, Natürlich fann die Polizei dergleichen 
Erdreiftung nicht dulden. — 


Freitag, den 10. Februar 1854. 

Um 6 Uhr fam Frau Bettina von Arnim, und blieb bis 
gegen 8 Uhr. Sie brachte noch Papiere aud dem Nachlaffe 
ihres Mannes, noch immer unvollftindige, feinen Abſchluß ge⸗ 
ftattende, Gefihäftsfachen in Betreff des Arnim’fchen Verlags. 
— Bittere Klagen und Sorgen, rathlofe Berlegenheit. Die arme 
Bettina ift für dergleichen Gefchäfte nicht gemacht, und es ift 
ein Unglüd, daß ſie fich mit ihnen eingelaffen; fie wird be- 
trogen und mißbraucht, und geräth in Verwidelungen, aus 
denen fie fih nicht ohne Schaden wieder herausfindet. Blindes 
Vertrauen, ungemefjfene Hoffnungen, dann unbedachte Gut- 
müthigfeit und Nachſicht, dann wieder Argwohn und Strenge, 
das iſt der diegmalige Verlauf. ch bedaure fie unendlich, fie 
leidet ſichtbar; aber es ift nicht zu helfen! Jeder Fath kommt 


Varnhagen von Enſe, Tagebücher. X. 


434 


zu ſpät, und fie erfennt nicht, daß fie für ſolche Angelegen- 
heiten fein Gefchid hat, duß fie am wenigften dabei von dem 
gewwöhnlichen Wege abgehen darf, daß ſie lieber Fleinern Bor- 
theil ohne Schaden, ald den großen Bortheil mit noch 
vielleicht größerm Schaden ſuchen follte. Auch ift e& ihr un- 
möglich, eine Sache klar darzulegen, fie verfchweigt immer 
einige Umſtände, oder fest fie ald befannt voraue. ch babe 
noch immer feinen fichern Ueberblick ihrer Sache, troß wieder: 
holten, ftundenlangen Erörterungen! — ‘ 

Der König hat durch eine Kabinetöordre den Grafen von 
Hochberg zum Fürften von Ple und die Herrfchaft Pleß zum 
Fürſtenthum erhoben. Die Nationalverfammlung hatte den 
Adel für abgefchafft erklärt. Bei allen folhen Standesfachen 
mup einem dad einfallen. Der König kann feinen folchen 
Titel mehr verleihen, als mit dem Mafel, daß er einmal abge: 
Ichafft gewefen! — > 

Graf zu Stolberg, der Hausminifter, ift Schwer erfranft, 
der König iſt befümmert, weint, fährt wiederholt zu dem 
Kranfen, — auch die Königin —, aber mit ſechs Pferden, 
mit zwei Vorreitern; — man meint, es fünne mehr in der 
Stille geſchehen, es ſähe aus, ald wolle man damit prunfen. — 


Sonnabend, den 11. Februar 1854, 

Die Volkszeitung Tpricht heute mit aller Gelaffenheit von 
der nädhftens mit Rußland zu haltenden Rechnung, was ibm 
alled abgenommen werden müſſe. Die Ruſſenfreunde, die 
Kreuzzeitungsritter — die nun aus VBerräthern der Freiheit 
auch zu Landesverräthern werden — wollen unfinnig werden 
über diefe Dreijtigfeit. Die Nichtswürdigen möchten die Knute 
in Berlin herrfchen fehen, aus reiner Knechtögefinnung und 
Bosheit, denn an ruſſiſche Beftechung ift ſelbſt bei ihnen nicht 
zu glauben. — 


435 


Der Oberjtfammerherr und Minifter Graf zu Stelberg 
ift heute Nachmittag geftorben. Der König war nody Bor: 
mittags bei ihm geweſen, wieder mit ſechs Pferden und zwei 
Vorreitern. Das Gepränge macht feinen guten Eindrud, und 
freilich großes Auffehen. — 

Im zweiten Bande von Paulus Denkwürdigkeiten gelefen. 
Die Briefe von Friedrich und Dorothea von Schlegel geben 
einen tiefen Einblid in das Leben und Treiben diefer beiden. 
Sie lieben oder haffen Perfonen und Orte, Staaten und Ber: 
hältniffe, je nachdem fie Bortheile erwarten, oder nicht, Aus— 
fichten haben oder nicht! Goethe, der von ihnen Vergötterte, 
wird gefchimpft und gehaßt, weil er für Feine Anftellung in 
Jena geforgt, Berlin wird verachtet, weil dort fein Gedeihen 
war, noch zu hoffen fteht, Schelling wird angefeindet, weil er, 
und nicht Schlegel, in Würzburg und München ein Unter: 
fommen fand. Das Sehnen nach Ruhe und Ausfommen ift 
eigentlich rühren, wäre nur nicht diefe gemeine Bitterfeit 
dabei! — Schon im Jahre 1803 fagte mir Fichte, zu meiner da- 
maligen größten Beltürzung, Friedrich Schlegel, der ihn und 
Goethe'n bei jeder Gelegenheit preife, fei gegen fie beide von 
Neid und Haß erfüllt. Die Briefe-geben nun den Beweis, 
denn die Frau fpricht nur dem Manne nad, und blind- 
lings. — 

Der Minifter von Raumer hat allen Lehrern verboten, 
fernerhin der allgemeinen deutfchen Lehrerverſammlung bei— 
zuwohnen, weil auf diefer ein fchlechter Geift herrſche. Bei 
Strafe der Disziplinarunterfuhung. Humboldt nennt ihn 
die dumme Exzellenz. Wir hatten Wöllner, Eichhorn, wit 
haben Raumer, der beide überflügelt! — 


28 * 


436 


Sonntag, den 12. Februar 1854. 

Hier hat man befchloffen, an geeigneten Orten die Küften 
zu befeitigen und ftarfe Batterieen anzulegen. Scheint nicht 
nöthig! — j 

Ein Graf von Findenftein hier hat fich heftig für Ruß— 
land erflärt, wir müßten unverbrüclich an ihm halten, wir 
gehörten zu Rußland! Ein preupifcher Junker weiß nicht, daß 
er als ruffiicher aufhören müß!e das zu fein, was er einzig 
fein will. Solcher Patrioten hat Preußen nicht wenige! — 


— — — — ñ— 


Montag, den 13. Februar 1854. 

Das Obertribunal hat den Geiſtlichen Lorinſer in Bres— 
lau, der beſchuldigt war, in ſeiner Vertheidigungsrede — 
wegen Angriffs gegen die proteſtantiſche Kirche -- preußiſche 
Gerichte verläumdet zu haben, freigefprochen, deßgleichen den 
Litteraten Schrader aus Naumburg, der einer Majeftätöbelei- 
digung ſchuldig fein follte. Letzterer hat aber über ein Jahr 
im Gefängnig zugebracht! — 

Die dumme Sonntagsfeierftrenge erregt fortwährend Un- 
zufriedenheit und Aergerniß. Behörden erflären öffentlich die 
Albernheit, das Geräufch des Eröffnend einer Yadenthür, Das 
Sichtbarfein von Verkaufsſachen an den Fenſtern, ſtöre die 
Kirhgänger in ihrer Andacht! Solch auserlefener Dumm: 
heit ift gar nicht zu antworten, außer daß man ihr auf Das 
Maul ſchlägt! — 

Die vornehne und die bürgerliche Lakaienwelt befümmert 
ſich ſchon ängftlidy mit vielem Geklatfch, wer nun Oberkammer— 
herr werden wird! Wo möglich ein Fürſt, wenigjtend ein 
Graf! „Meinetwegen ein Gafjenfehrer!* fagte der Graf von 
Blanfenfee, weil er doch gewiß weiß, daß er's nicht wird. — 

Der König hat die Verwaltung des Stift! zum Heiligen 
Grabe (eines adlichen Damenjtifts) der Minijterialbehörde ent- 





437 


zogen, und dem Oberfirchenrath übergeben. ft das mit der 
Verfaſſung verträglih? Was ift der Oberfirchenrath? Eine 
anomale Behörde, die beim nächſten Stoß über Bord geht! 
Eine firchlihe Zwangsanſtalt, ein Keßergeriht! — 

Der König jelbit hat ausdrüdlich befohlen, daß der „De- 
metrius“ von Herman Grimm zur Aufführung fommen fol. 
Der Grundfaß der Regitimität darin gefällt ihm. „Da dag 
Stüd auf dem Welttheater ein unmögliches ift, fo mögen 
jie’8 in Gotteenamen auf der Königlichen Schaubühne auf: 
führen.* Der in Frojchdorf bleibt der in Froſchdorf, der in 
Paris bleibt der in Paris. — 


Dienstag, den 14. Februar 1854. 

Befuh von Frau Bettina von Arnim. Sie hat eine neue 
Mapregel in ihren Berlagsangelegenheiten ausgedacht, und ift 
ganz munter und luftig, macht allerhand Poſſen und erzählt 
mir tolle Sachen. — 

Nachmittag Gefchäfte wegen Armenfachen. Unglüdliche 
Ritteraten ! fie verderben phyfifch oder moraliſch; fie brauchen 
in beiderlei Beziehung Hülfe. Und es geht ihnen, wie den 
Webern, wer Died einmal ift, wird fehwer zu 'was andrem! — 

Der König beharrt darauf, Rußland zu unterftüßen, we⸗ 
nigſtens durch Belegung der polnischen Länder. Alle Minifter 
find ihm entgegen, wollen Neutralität. Der Minifter von 
Weſtphalen hat gejagt, e8 ſei dem Könige nicht Ernſt, er thue 
nur fo wegen des Kaiferd von Rußland, es fei ihm lieb, daß 
feine Minifter widersprechen. — Eitelfeit und Prahlerei wer: 
den ed aber doc, dahin bringen, daß man Truppen aufitellt, 
Kriegsrüftungen macht. An die Opfer, die dieſes koſtet, denkt 
man nicht, und auch daran nicht, daß man im voraus wiffen 

muß, was man thun will! — 


438 


Mittwoch, den 15. Februar 1854. 

In einem Briefe des Braunfchweigerd Karl Friedrich 
Pockel's vom 24. Dezember 1810 (unter den geftrigen Ge- 
ſchenken) leſe ih: „des Altvaterd Gleim Disharmonie mit 
Ramler war mir noch nit befannt. Wie hoch fteht der 
flare, offene, reine Gleim über dem hämifchen Ramler! Auch 
gegen die Karſchin nahm fich Ramler nicht beffer. Noch inter: 
elfanter find Gleim’d Briefe an Lavater. Wie fo ganz hatte 
Gleim diefen Lavater durchſchaut, — wie ich ihn hier vor- 
mals perfönlich zu durchfchauen Gelegenheit gehabt hatte, — 
ein geſchminkter Heiliger, voll Eiteffeit, Celebritäts-Koketterie 
— imponirender Herzend-Suade, — aber nur Suade —! 
und um wieder gejchmeichelt zu werden, ein impertinenter 
Schmeichler. Unſer Herzog hatte ihn gleich weg; — „ Das tft 
der leibhafte Jeſuit“, fagte er zu mir." — Sehr traurig, aber 
wahr! Der junge Lavater fo liebenswürdig, der alte fo 
grundverdorben! And in wie vielen Menfchen ift das Alter 
nur die Blüthe des Schlechten, während dad Gute längit ent- 
ſchwunden ift! Wie richtig fchafft die Natur immer neue 
Schlechter, an den alten kann fie feine dauernde Freude 
haben! — 

In der Dämmerung fam Bettina von Arnim, das Herz 
beſchwert, gefränft und gequält von neuen Berdrüffen! Die 
Papierhandlung von Spitta und Zeug hat gerichtlich geklagt 
wegen Bapierlieferungen, die von ** ohne ihren Auftrag dort 
entnommen find. * ſelbſt hat ihr ausweichend geantivortet. 
Sie geht von mir durch Schnee und Wind nun zu Spitta, um 
fi) näber audzufprechen. Es that mir in der Seele weh, fie 
fo fortgeben zu laffen! Dabei ſagt fie, es ſei ihr einziger 
Troft, daß fie an mir jemand habe, dem fie wenigftend alles 
mittbeilen, deifen Meinung fie hören fünne, in der ganzen 


Stadt habe fie jonft niemand! Und das beidiejen Berwandten, 


Verehrern und freunden! — 


439 


Segen 7 Uhr Fam Bettina nochmald, um mir zu fagen, 
daß fie bei Spitta und Leutz die befte Aufnahme gefunden, und 
von der Klage feine Rede mehr fei. — 

In Kenophon’d Anabafis gelefen, wegen der Ufer dee 
jchwarzen Meeres. Franzöſiſche Sachen. — Holtzmann's neue 
Forſchungen über das Lied der Nibelungen, gegen Lachmann. — 

In Italien gährt ed mächtig, in Mailand, Bologna, Nom, 
Neapel; franzöſiſche Einflüffe begünftigen den Volkshaß gegen 
Deiterreich, gegen den Pabſt, und befonders gegen den ſchänd— 
lichen König von Neapel, die Muratiften find befonders thätig. 
Alles dies hält die Defterreicher im Schach. — Dagegen ſucht 
der Kaiſer Nikolai die Griechen und Slaven in der Türkei auf- 
zuwiegeln, bildet Sreifchaaren in der Walachei, läßt durch 
Sendlinge Geld, und noch mehr Berfprechungen austheilen. — 
Arme Revolution! wie wird fie gemißbraucht, von jenem, von 
diefem, zu ihren eigenfüchtigen Zweden! — 





Donnerstag, den 16. Februar 1854. 

Der — Louis Bonaparte hat fi) zum Meifter der poli- 
tiichen Situation gemacht, von ihm zunächſt hängt die Ent: 
widelung der europäischen Angelegenheiten ab, Frieden, 
Krieg, Richtung und Geſtalt des letztern. Er ift es, der für 
das Gleichgewicht, für Die Verträge, für das Erhalten auf: 
tritt, während fein Bruder, der Kaifer von Rußland, der 
Friedensbrecher, der Nuheftörer, der Aufwiegler und Revo— 
lutionair geworden ift! — 


Freitag, den 17. Februar 1854. 
Gegen Mittag fam Frau Bettina von Arnim wieder und 
durchſprach auf's neue die geftrigen Vorgänge, fo wirr, fo 
phantajtifch, und willkürlich, daß ich ganz rathlo® wurde und 
mir der Kopf dröhnte. Sie beftehbt mit Härte auf ihren ein— 





44] 


an, und richtet fi) mehr und mehr zu Grunde. Sie fann 
nicht ruhen, das ift ihr Unglüd, hr Vertrauen zu mir ift 
auch Fein vollftändiges, fie hält immer manches zurück, und 
denft aud) mir was weiß zu machen; doch iſt ed groß genug, 
um bisweilen fich zu fragen, wiefo fie mir Dinge mittheift, 
die gutzuheißen fchon etwas fchlecht wäre? fo zum Beiſpiel 
die Gleißnerei bei Henfel, die fie mir mit allen Kräften ihrer 
fomifchen Laune luftig und höhnifch vorfpielt, und über die 
ih nicht lache! Sie ging endlich, und ließ mich in der größ— 
ten Berftimmung zurüd, im fämpfenden Wechjel von Bedauern 
und Mipbilligung. — 

Binde und Andre fprachen in der zweiten Kammer heftig 
gegen das willfürliche Polizeiverfahten gegen Perfonen, die 
fih bier aufhalten oder niederlaffen wollten, ed werde 
gradezu gegen die Gefege gehandelt; troß der elenden, nur 
frehen Bertheidigung des Regierungsſprechers, wurde doch 
eine Klage diefer Art an die Minifter verwiefen, mit großer 
Stimmenmehrheit. Uber — die Minifter lachen dazu! Für 
eine andere Petition wurde die Tagesordnung beliebt. — 

In Mailand regt fich das Volk wieder, im Theater, auf 
den Straßen, gegen Zigarrenraucher ꝛc. Die Regierung ift 
ſehr beunruhigt ob folcher Zeichen; auch bier ift man ev 
ſchrocken. Es liegt offen am Tage, fie haben nicht gethan, 
um zu berubigen,, auszuſöhnen, zufrieden zu ftellen, fie haben 
fein gerechtes Verlangen erfüllt. — 


Sonnabend, den 18. Februar 1854. 
Die Zeitungen bringen einen Brief Schelling’® vom 
August 1853 an einen Dr. Walther in St. Petersburg, der 
lateinifche Gedichte zum Lobe des Kaiſers gemacht hat. 
Schelling fpricht ſich darin unzweideutig für die politifchen 
Abfichten des Kaiferd mit herzbaften Schmeicheleien aus. 
Hätte der Dr. Walther diefe zur Kenntniß des Kaiſers ge- 


442 


bracht, jo wäre das recht fchön gewefen, aber daß er den Brief 
in der St. Petersburger Zeitung abdruden lich, darauf hatte 
Scelling nicht gerechnet! Nun erfiheint ex als Ruffenfreund 
grade in der Zeit, da Preußen jelbit von Rußland fih ab- 
wendet! 68 ging dem weltflug fein wollenden ehrgeizigen 
Bhilofophen ſchon einmal fo, in Baiern, wo er fih ganz dem 
franzöſiſchen Hebergewicht anfchloß, rheinbündnifch und bairifch- 
franzöfifch zu fein begann, als plötzlich Napoleon's Stern ſich 
verdunfelte, und auch Baierns Politif eine deutfche wurde. 
Damals dedten die Greigniffe einigermaßen die Beihämung 
Schelling's, der klüglich ſchwieg, und um den niemand ſich 
mehr bekümmerte. — Humboldt kommt jetzt freundſchaftlich 
zum Thee zu Schelling, das hätte man früher auch kaum für 
möglich gehalten. — 

Ich dachte mich eben etwas auszuruhen, da kam Frau 
Bettina von Arnim, und blieb von halb ſieben Uhr bis acht. 
Sie war aufgeregter als je, voll Gift und Galle, ſchimpfte 
auf **, trug die mannichfaltigſten Beſchuldigungen vor, vom 
Hundertiten in's Taufendite, brachte alles durcheinander, 
Großes und Kleined, Fernes und Nahe, ſah grimmig bös 
aus, lachte dann wieder in unangenehmer Luſtigkeit, fagte Die 
windiajten Dinge mit pathetiſchem Nachdruck, die offenbarften 
Unwahrheiten mit zuverfichtliher Berheuerung, beachtete 
feine Einrede, gab auf feine Frage beftimmte Antwort, zeigte 
die maßloſeſte Gitelfeit, brauchte die unredlichiten Kiften, bäufte 
die ſchwerſten Anklagen. Es war ein wahrer Serenfabbath, 
den fie aufführte! Sie fah mich öfters mit Blicken an, in denen 
mir der Wahnfinn zu reden fchien. Bald gab fie jich für hin— 
fällig, Tchwach und erjchöpft aus, und gleich darauf troßte fie 
auf ihre unverfiegbare Kraft, ihre freudige Thätigkeit. Auch 
von Sindeldey ſprach fie wieder, jegt auch in Bezug auf M., 
den die Polizei als gefährlihen Menſchen kenne, der ſchon 
mehrmals wegen demofratifcher Sachen in Haft geweſen ſei!! 


443 


ganz unwahr! und mie falfch von Bettinen, wie unflug und 
vergeplich, dies bei mir anzubringen ! Genug, es überftieg alles 
Map, und als fie endlich, endlich ging, war ich felber wie ver: 
rüdt, einer Ohnmacht oder einem Krampfe nah! Sie ließ 
mir folche Eindrüde, dag ich mich gar nicht wundern kann, 
wenn ich höre, fie jei über Nacht vom Schlagfluß getroffen 
worden, in ein Nervenfieber, oder in Tollheit verfallen. — 

Nach dem Thee mußte ich Tanye Zeit allein bleiben, um 
mic) wieder zu fallen und zu erholen. — 

Sonntag, den 19. Februar 1854. 

Schreiben Louis Bonaparte's an den Kaifer von Rußland, 
dem er alles vorhält, im Moniteur mitgetheilt, noch bevor es 
in St. Peteröburg gelefen und beantwortet fein kann. — 


Montag, den 20. Februar 1854. 

Fräulein Fanny Eldler fam gegen Mittag, von Herrn Wehl 
begleitet. Noh ganz hübſch, und fehr anmuthig, freundlich 
und mittheilend, in alter Weife; nicht eben geiftreich, aber 
auch ganz anſpruchslos; wir Sprachen von Rahel, Mrd, Grote, 
Gentz, deifen Schweftern, Metternich, Wallmoden, Tettenborn, 
ihrer Schwefter Frau von Barnim, ꝛc. — | 

Als wir zu Mittag aßen, kam Frau Bettina von Arnim. 
Sie erzählte von dem Nothitande der Armen, von dem Hülfe- 
eifer ded Mahlers Ratti und der Frau von Marenholtz. Dann 
ging fie mit mir auf mein Zimmer, befannte fih völlig er- 
müdet und fchlafbedürftig, zitternd aus Gemüthsbewegung. 
Sie zeigte mir Briefe, Die fie abfchieden wollte, auf meine Be- 
merkungen jchrieb fie den einen auf der Stelle um. Doch in 
der Hauptfache bleibt fie auf ihrem Sinn. Sie fagt dem wei- 
marjchen Buchhändfer, er müffe ſich jo benehmen, daß die hie- 
jigen Leute den Glauben faßten, das Unternehmen ftünde dort 
unter der Yegide einer hohen Behörde! und um hier — ganz 





445 
Preußen, und es erließ an England die Aufforderung, feine 


Flotte mit der ruſſiſchen vereinigt im baltifchen Meere gegen 
Preußen handeln zu laffen! — Ein edler Schwager! — 


Dienstag, den 21. Februar 1854. 


Bettina von Arnim bringt mir einen nod) zugefiegelten 
Brief von Herrn M.; fie ſei zu feige, ihn zu eröffnen; fie 
fürchte neue Gemüthdbeweaungen, ich foll ihn zuerft leſen. 
Sch thu's, er enthält nichts Widriges, nur geichäftliche Be— 
merfungen zu ihrem Beiten. Daß der vierte Band der Werke 
Arnim’s, der zweite Theil der Kronenwächter, chleunigft aus- 
zugeben ſei, verneint fie, aus lauter nicht ftichhaltigen Grün- 
den, bis ich nach vielem Drängen endlich herausbringe, es 
fehle noch der Schluß, den fie erft fchreiben müſſe und jegt 
nicht fönne. A la bonne heure! warum fagt fie diefen wah- 
ren Grund nicht gleih ? Sie fieht heute beſſer aus, ich fag’ es 
ihr, und fie erwiedert: „Das kommt daher, dag ich einmal 
eine Nacht gut ausgefchlafen habe! * Fünf Minuten fpäter, 
als fie wegging, fagte ich ihr, fie folle mehr ſolcher Nächte zu 
gewinnen ſuchen. „Mehr folher Nächte? * verſetzt fie; 
„was denfen Sie denn, ich habe die ganze Nacht fein Auge 
zugethan, fondern immer geleſen!“ Plötzlich joll das kurz 
vorher Gejagte nicht mehr wahr fein! — 

Nachdem fie weggegangen war, fam fie noch einmal wies 
der; fie wollte mancherlei Angaben und Rathſchläge; dann 
eilte fie fort, zu Savigny's Geburtötag, nachher müffe fie zu 
Spitta und Leu, zum Buchdruder Schade, zu Hindeldey ꝛc. — 

Die Kreuzzeitung ärgert fih, daß ihr lieber Kaifer Niko— 
laus nicht nur von den franzöfiichen Blättern, fondern au 
von der hiefigen Volfdzeitung, bloß Zar genannt wird; er fei 
das zwar auch, aber auch Kaifer und das fei mehr! Sie ärgert 
fich höchſt poffierlich, und macht und vielen Spaß! — 

„Wir flimmen den Ton preußifcher Baterlandsliebe, 


446 


preußifihen Geiftes, preußifcher Ehre mit beftem Eifer an, wir 
juchen die deutſche Meinung für Preußen wiederzugewinnen, 
ed iſt und auch in diefer Richtung ſchon viel gelungen; aber 
wir müffen jet mit Borficht in diefer Richtung weitergehen, 
denn über Nacht kann alles, weghalb wir in Diefem Augenblide 
preußiſch find, umjchlagen, und wir wollen nicht für Rußland 
preußifchen Baterlandseifer weden; wir müßten in folchem 
Falle jogleich einhalten und dämpfen.“ Merkwürdige Aeuße— 
rung! Für mich nichts Neues! Ich bin ſchon immer beob- 
achtend in der Schwebe. Wenn fich jebt Preußen mit Rup- 
land verbündet, fo ift es nicht mehr Preußen, bat alle feinen 
Inhalt verloren, wird aus Reaktion hintenherum revolutionair, 
denn der ruffifche Kaiſer ift jetzt entfchieden der entjchiedenfte 
Bolfdaufwiegler! — 

Die Spener’fche Zeitung bringt heute eine Entgegnung auf 
ihren vorgeftrigen Artikel. — Starfe Rede Lord John Ruſſell's 
im Unterhaufe gegen Rußland. 

Die Engländer wollen ernjtlich vorgehen, Sebaſtopol bom- 
bardiren und die ruffifche lotte verbrennen. Auch in der 
Oſtſee werden fie angreifen; fo jagen geftern aus London cin- 
getroffene Depefchen. — 


Mittwoch, den 22. Februar 1854. 

Man behauptet, der ruffifche Kaiſer habe dem preußifchen 
Gefandten in St. Petersburg Herrn von Rochow eine Anzabl 
Huandichreiben des Königs vorgelegt, in denen diefer fich auf's 
entjchiedenite verbindlich macht, es in allen Fällen mit Ruß— 
land zu halten. Der König müffe feine Verfprechungen halten, 
beißt es dann auf Seiten der Kreuzzeitungdparthei, diefer 
Nuffenfnechte, die des Namens Preußen nicht werth find. Wo 
find die andern Verfprechungen alle hingefommen ?! — 

Die durchlöcherte Berfaffung wird noch immer mehr durch⸗ 
löchert. Für die Mediatifirten, für die Majorate, gegen das 


447 


beftebende Wahlgeſetz; gegen die Jahresfigungen ; gegen die Fi— 
nanzrehnung 20. — 


Donnerstag, ben 23. Februar 1854. 

Die neulich bejchlagene Kreuzzeitung ift einfach zurüd- 
gegeben worden, ohne Anklage, ohne ErHärung; die über die 
lie betreffende Polizeiſtrenge empörte Kreuzzeitungöparthei hat 
hierauf in den Kanımern einen Antrag zu Gunſten der Prep- 
freiheit eingebracht; nicht die Polizei, fondern der Staats— 
anwalt folle die Befchlagnahme verfügen, die Stellen, wegen 
deren fie erfolgt, follen dem Herausgeber bezeichnet, die nicht 
befchuldigten Blätter binnen 24 Stunden gurüdgegeben wer: 
den. Thadden-Trieglaff, Meding und Andere folchen Gelichters, 
urſprüngliche Feinde aller Prepfreiheit, machen den Antrag, der 
freilich im Grunde nur ihre Preßfreiheit meint, die der Gegner 
möge preiögegeben jein! — 

Mit der Reviſion des Jagdgeſetzes mühen jich die rohen 
Sunfer auch noch vergebens ab. Sie wilfen nicht, wie ſie's 
machen follen! — | 

Der König hat auf den legten Alfembleen jich auffallend 
freundlich gegen Manteuffel gezeigt, immer auf's neue mit ihm 
gefprochen 2c. was er fonjt nit that. Er wollte offenbar 
darthun, daß er mit deffen Politik zufrieden fei. Wie fünnte 
er auch anders! Manteuffel ijt ja nur der geborfame Aus: 
drud empfangener Borfchriften! — 

Eine eigene Bolitif hat Preußen nicht ; ed geht mit dem Tage, 
wie die Umftände es wollen, die Haupttriebfeder ift die Furcht, 
der folgt man, im Augenblid it die vor Bonaparte am größten. — 

Die Ausfichten werden immer dunkler, Preußen weiß 
in der Angft nicht wohin jich wenden, wohin ſich an- 
ſchließen; auf allen Seiten lauert Gefahr, die größte im zu 
befürchtenden Verrath, auf allen Seiten unzuverläfjige, falfch- 
gejinnte Regierungen, die uns jeden Augenblid im Stich 








450 


Kammerdiener des Königs hatte ihm in deffen Abivefenheit den 
Zutritt geitattet. Gewiß ift ed, dag der anfangs eingeleiteten 
Unterſuchung plöglich alle Folge abgefchnitten worden. — 


— — — — nn — 


Sonnabend, den 25. Februar 1854. 

Der Polizeipräfident von Hindeldey, der dem Könige 
jtet® befondern Polizeivortrag hält, und eben jetzt in hoher 
Gunjt bei ihm ſteht, erwedt auf's neue die Eiferfuht des 
Minifterpräfidenten von Manteuffel. Die ruffiihe Par: 
thei, die zugleich die der Kreuzzeitung ift, wendet alles auf, 
um durch Hindeldey dad Minijterium zu ftürgen, den König 
für ihre Sache zu gewinnen. Sie vermögen viel, aber die 
Furcht vor Bonaparte können fie nicht bezwingen! Und dann 
it Hindeldey fein politifher Mann; er will für ſich felbit ar: 
beiten, nicht für eine Parthei, am wenigiten für jie etwas 
wagen. — ' 

Don ruffiiher Seite wird alles aufgeboten, das ſchwan— 
fende Preußen zu gewinnen, Berjpreihungen aller Art, aber 
auch Drohungen, und der rujjiiihe Kaifer foll ausgejprochen 
haben, die Zufunft Preupend hänge von feiner heutigen Ent- 
ſchließung ab. Doch die thatjächlihe Drohung Frankreichs, 
wenn man ihr auch feine Worte giebt, wirkt jtärfer, und der 
König, obwohl zu Rußland hingeneigt, will auch mit Frank— 
reich auf gutem Fuß bleiben. — 

In Görlig iſt der dortige „Anzeiger“ wegen rufjenfeind- 
licher Artikel verwarnt und bedroht, auch find ihm die amt— 
lichen Einrüdungen entzogen worden. Ob die Behörde zu 
jolcher Willfür befugt jet, wird nicht gefragt. Die ruffifchen 
Gefandtjchaften, auch die in Wien, führen ungeftüme Klagen 
gegen die deutſchen Zeitungen! — 


451 


Sonntag, den 26. Februar 1854. 

In der jegigen politifchen Krije wollen auch Baiern, Sach⸗ 
jen und Würtemberg fich bemerklich machen, nicht ohne An— 
regung von Seiten Rußlands. Defterreich hat fie, wie dann 
auch Preußen gethan, zur Ruhe und auf ihre Stellung im 
dentfchen Bunde verwiefen. Darüber herrfcht bei den Kleinen 
eine große Unzufriedenheit, die wenig bedeutete, wenn fie nicht 
in vorfonmenden Fällen jich leicht dem Auslande verbünden 
fönnten. Wenn es fein Deutſchland als politifche Einheit 
giebt, der Nationalgeift nichts gelten, Feine Farbe, fein Ab- 
zeichen haben foll, dann fann es gleichgültig erjiheinen, ob 
man unter einem Fürſten lebt, der von Paris, oder unter 
einem, der von Wien her Schuß und Befehl erhält. Das hat 
fi die dummfluge Reaktion gegen Volk und Freiheit be- 
reitet! — 

Der Präfident von Gerlach, Leiter und Spaßmacher der 
Reaktion ur den Kammern, will aus dem Staatödienite ſchei— 
den. Man giebt ihm Schuld, dem’rufjiichen Gefandten man— 
cherlei verrathen zu haben, was wenigſtens für den Augen— 
blid noch als Staatögeheimniß gelten konnte. Der Angriff 
des Oberften Friedrich von Bülow, der in der Voſſiſchen Zei— 
tung an die Zuchthaugftrafe erinnert, die auf folcherlei fteht, 
jo unmittelbar gegen Gerlach gerichtet jein. — 

Nachrichten aus St. Peterdburg fagen, daß der Kaifer in 
einer Art Berzweiflung fei, VBerwünfchungen gegen Louis 
Bonaparte ausſtoße, der ihn betrogen habe, Der ein Schwindel: 
fopf fei, unwürdig des Titeld, den man ihm allzu großmüthig 
erlaubt habe; auch gegen Preußen und Oeſterreich foll er 
wüthen, in beiden Staaten Aufitände wünfchen, damit fie 
ſähen, wie ed mit ihnen innerlich beftellt jei. Für feine 
Umgebungen ift der Kaiſer ein Schreden, eine Geißel, er 
plagt alles mit feinem Grimm, feiner Mißlaune und Rath- 
lofigfeit. — 

29 * 





453 


Dienstag, den 28. Februar 1854. 

In diefen traurigen Zeiten, unter dem fchweren Drud, den 
Willfür, den Ungerechtigkeit, Dünkel, Frechheit und Selbit- 
fucht und auflegen, bei der allgemeinen Verdunkelung weit 
umber, bei der Ausfichtslofigkeit für unfre innern YZuftände, 
ja bei den drohenden Gefahren unjeres bürgerlichen Dafeins, 
erfahr’ ich in mir dennod ein tiefes Wohlgefühl, das von allen 
diefen Dingen unabhängig, durch fie nicht die geringfte Hinde— 
rung erleidet. Es ift ein Gefühl des Antheils und der Freude 
an allem rein und ächt Deenfchlichen, ein dankbares Erkennen 
des vielen Guten und Schönen, das in der Welt ift, und mir 
durch Liebe mitgehört. Mich dünkt, ich ſehe die Natur reiner 
und höher als fonft, und was nur in Vorzeit und Gegenwart 
als edlere Menfchengeftalt mir erfcheint, erwedt mir die be- 
glüdendfte Neigung. Am frühen Morgen und fpäten Abend 
empfind’ ich dies Wohlgefühl am hellften, und bin oft von ihn 
fo durchdrungen und erhoben, daß ich ein andres und neues . 
Leben zu führen glaube. — Der laute Tag mit feinen Auf- 
gaben, Eindrüden und Nachrichten, bringt dann wohl eine 
verminderte Stimmung, bringt Unwillen, Verdruß und Haß, 
aber unter diefer Hülle ftrömt doch das Wohlgefühl leife fort, 
und wenn fie mit dem Tage abfällt, ift dieſes voll und frifch 
wieder da, Heute grade, wo die Empfindung beſonders lebhaft 
ift, muß ich doch wieder einmal etwas davon auffchreiben! — 

Stahl, Gerlach's, und andres folches Gelichter, finden es ab⸗ 
ſcheulich, daß man die ZulusKaffern bier duldet, im chriftlichen 
Staate die Heiden! Wenigftend zur Taufe müßte man fie 
doch bringen! Warum nicht mit ein Bischen Gewalt?! — 


— — — — 


Mittwoch, den 1. März 1854. 
Schlechte Nacht, aber ein guter Morgen. Ich wachte früh, 
und fand mich in beſter Geſellſchaft; Rahel war mir ganz 


454 


gegenwärtig, in ihrem tiefften Wefen, in ihren leuchtendften 
Eigenſchaften; ich fand feinen Ausdrud für ihren hohen 
Werth, für diefe Berbindung von Herzendwärme und Geiftes- 
frifche, Die fie nicht nur hatte, fondern auch mittheilte, für dieſe 
Wahrheit und Urfprünglichfeit aller ihrer Regungen und Ge: 
danfen, für diefe Tiebliche Heiterfeit und gewaltige Kraft ihres 
Daſeins. Was von ihr gefchrieben, gedrudt ift, das Befte fo- 
gar, wie gering und matt ift ed gegen das, was jie lebend aus— 
übte! Ich lachte vor Vergnügen in freudigem Stolz auf 
fie! — Dann aber überdacht” ich mir Fichte, Schleiermacher, 
Marwis, Harfcher, zulegt Hermann Franck, der auch eine hohe 
Eigenthümlichfeit iſt, die fich der vollitändigen Bezeichnung 
entzieht, und in fchriftlicher Auffaffung ſchwer ihre ganze Ge- 
bühr empfängt. Die beften, die ähnlichiten Bilder find nur 
Bilder! — 

In Spanien droht innerer Krieg andzubrechen. Bon einer 
Seite denft man an Willfürherrfchaft, won anderer an Sturz 
der Dynaftie. Das Königthum gewinnt in feinem Falle 
dabei, — 

In Schweden und Dänemarf Rüftungen. — 

Unfere Junker find recht befliffen, für fünftige Volks— 
beiwegungen vorforglih Nahrungsftoff anzuhäufen. Die blin- 
den Schächer ahnen nicht, was fie eigentlich thun, indem fie 
die Jagdrechte, die gutsherrliche Polizeigewalt, den Drud auf 
Geſinde und Arbeiter, wiederherftellen! Die ganze Bolfe- 
gefinnung wird von ihnen auf’® neue mit Haß und Unwillen 
erfüllt! — 

Lamennais ift am 27. Februar in Paris geftorben. Gr 
hat durchaus feinen Priefter angenommen, er, der felbit katho— 
lifcher Priefter war, hat von der Kirche nichts wiffen wollen ! 
Er fonnte Kardinal werden. Sein Freidenken war ihm lieber. 
Ein großed Beifpiel! — 


455 


Donnerstag, den 2. März 1854. 

Großes Aufgehebe wegen des Entjchluffed des Königs, 
nicht mit Rußland, fondern mit England und Oeſterreich zu 
gehen, und mit Frankreich. Der Entfchluß ift noch nicht 
ſo ganz vollftändig, und weder ein fo hoher noch ein fo 
freier, fondern fommt aus Verlegenheit und-Noth; auch hofft . 
die Kreuzzeitungsparthei — Kleift-Rebow, Gerlach, Bismurd: 
Schönhaufen ꝛc. — noch immer ihn umzuftoßen. Der König 
werde wieder beim Volke qutftchen, jagt man. Dem Volke 
müßten ganz andere Dinge dargeboten werden! — 

Bettina fagt, Goethe fei neben der Frau von Stein eigent- 
fich in die Herzogin Luiſe verliebt gewefen, und diefe Nei- 
gung habe ſich in ganzer Stärke bis zulegt bewahrt; die Hof- 
dumme der Herzogin, Gräfin Karoline von Egloffftein, hat zu 
Bettinen gefagt: „ Wir wilfen dies Alle, die Sache fonnte fein 
Geheimniß für und fein, die Frau von Stein war nur der 
Deetmantel, dem Zufammenfein Goethe's mit der Herzogin ein 
unfchuldiges Anſehen zu geben." Das Letztere ift zu viel, ift 
ficher fo nicht wahr; aber ganz grundlos ift die Sache nicht, 
die Berebrung für die Herzogin konnte leicht eine Zeitlang in 
ächte Liebesneigung übergehen, ohne die für Frau von Stein 
aufzuheben. Sch erinnere mich in frühen Jahren ſchon etwas 
der Art aus Weimar gehört zu haben, im Jahre 1803, was 
jpäter durch Neußerungen Wilhelms von Humboldt, Friedrichs 
von Schlegel, Amaliens von Helwig ꝛc. beftätigt wurde. 
Doch ſchien das bei Erfcheinung der Briefe an Frau von Stein 
alles in nichte zu zerfallen! Die Neigung zu Frau von Stein 
ift mir aber auch jeßt noch die wefentlichfte, die auch einen 
ganz andern Spielraum hatte, ald die ganz platenifche zur 
äußerft zurüdhaltenden Herzogin. — Bettina jagt mir fchalf- 
baft: „Sch habe in der Liebe gar wenig Erfahrungen gemacht, 
und das thut mir jeßt fchredlich leid, ich möcht’d noch nach— 
holen!” Ich erwiedere, dazu fei ed nun zu fpät. „Warum 





457 


In den vornehmen Kreifen geht ein Gerede ftarf um, das 
früher gar nicht gehört wurde, Graf von Brandenburg foll, 
beißt es jeßt, nicht vor Aerger aeftorben fein, den er hier ein- 
gejchludt hat, fondern an einer Prife Tabad, die ihm der Graf 
Drloff in Warfchau gereicht habe! Geradezu Unfinn, denn 
Drloff hatte nicht den geringften Grund das zu thun; Bran— 
denburg war angewiefen, den ruffiichen Forderungen nachzuge— 
ben, und hatte nachgegeben, was konnten die Ruffen mehr wollen? 
Über ald ed gefchehen war, that hier der König, ald ob er es 
nicht gewollt, und wollte doch gleich weiter fo, und Man- 
teuffel mußte nach Olmütz. Es heißt, die Familie Orloff fei 
im Beſitz eines geheimen Giftes, das fich in ihr vererbt habe; 
zu gelegener Zeit werde fie auch dem Kaifer davon zu fehnupfen 
geben! Died Gerede ift offenbar gegen die Ruſſen, wird aber, 
wunderbar genug und doc gewöhnlich in folchen Fällen, vor: 
züglich von folchen Leuten geglaubt und verbreitet, die im 
Grunde den Ruffen zugeneigt find, von vornehmen Herren 
. und Damen des Hofes ꝛc. Wer hat es in Umlauf geſetzt? 

Abends mit Ludmilla zu *** — Der Franzofe ſprach viel 
und gut, aber langſam und eintönig, daß es die Nerven an- 
griff; über Sängerinnen und Frauentugend ift er voll Vor: 
urtheile, er glaubt auch noch, die Tugend ftede in der Heirath, 
jet diefe übrigen, wie fie wolle! Wenn eine Frau vier Män— 
ner hintereinander geheirathet hat, dann bleibt fie tugendhaft, 
wenn ed nur Liebhaber waren — mag die Liebe woch fo ſchön 
und herrlich gewefen fein —, fo taugt fie nicht! Wie verkehrt, 
wie erbärmlih! — | 

Zu Haufe noch Unterhaltung mit Ludmilla. Menfchen- 
funde, Anlagen, Triebfedern der Menfchen ; weder das, was 
fie jagen, noch das, was fie thun, ift immer aufrichtig: fie 
wollen meift ganz was andres, ald was fie vorgeben. — 

Im Plinius gelefen, Englifche Blätter. — 

Der Prinz von Preußen foll fich fortwährend gegen Ruß: 





459 


möge?! Doch ift es fo; weltliche Stellung, hohe Titel und 
Würden imponiren ihr überaus! — 

Nachmittags Beſuch vom Grafen Cieſzkowski. Politiſche 
Betrachtungen. Ob der Krieg noch wieder rüdgängig werden 
könne, welche Wendung er nehmen werde, wenn e& zum Treffen 
kommt? Alle führen ihn wider Willen, ſchon Frankreich und 
England nicht mit voller Kraft und Entfchloffenheit, geſchweige 
denn Defterreich und Preußen, falld fie fi) dazu bequemen. 
Furcht vor Aufftinden. Mißtrauen gegeneinander, Berrath 
und Arglift lauern überall Bedeutung Polens im bevor: 
ftchenden Kampf, welche Vortheile da zu gewinnen wären, 
welche Gefahren drohen, wenn man jene Vortheile nicht er: 
greift. Meberall Schwachföpfe, ideenlofe, gemeine Menfchen, 
ohne Geift, ohne Karafter, alle in der Gewalt der Umftänte, 
Drabtpuppen, mit denen die Gefchichte ihr Spiel treibt! Ber: 
ächtliches Gefindel, wie hoch es auch jtehe, wie ftarf e& auch 
prahle! — 

Herr Wehl nimmt Abfchied, er reift morgen nach) Hamburg - 
zurück. — 

Zu Haufe mit Ludmilla Geſpräch, fie fam erft um halb. 
12 Uhr von der Gräfin von Ahlefeldt. — In dem Paulus: 
Buche von Reichlin-Meldegg gelefen ; gute Broden jind darin, 
aber eine fchlechtere Redaktion kann nicht gefunden wer: 
den; und Dazu habe ich eine Vorrede fihreiben follen! Dann las 
ih, durdy Erepet angeregt, einiged im Boileau; troß alles 
Vorurtheild, das fich gegen ihn aufgehäuft hat, machten mit 
feine Satiren wahres Vergnügen, und jedenfalls ift er ein 
Autor, der fehr nüglich wirkt, wenn man ihn zu leſen ver: 
jteht. — 

Die Kammern mit ihrer entfchiedenen Mehrheit von 
dummen Junkern und hämifchen Reaktionairs greifen außer 
dem Jagdgeſetz nun auch die neuere Juftizverfaffung ernftlich 
an. Das Gefindegejeg ift ſchon durchgegangen. Sie laffen 





461 


jtunden, Vergnügungen, ganz wie eine große Perfon, mit ent- 
Ichiedenen Urtheilen, Neigungen ꝛc. Dabei ift fie ein ganz 
gutes liebes Kind. — 

Straf von Wartensleben bradıte mir ein paar Auto— 
graphen. Die Heine Marie ging dann bald. Darauf jtürmte 
der Oberforftmeifter von Burgsdorf herein; er und Wartene- 
leben erfannten fich als alte Befannte von Königäberg ber. 
Burgsdorf theilte mir einen Brief des Generals der Infan— 
terie von Natzmer mit, worin diefer mein Buch über Bülow 
ungemein preift, ihm den Vorzug vor allen Ähnlichen giebt. 
Dagegen werde ich auch getadelt, meinte er; der Fürſt Wil: 
heim Radziwill 3. B. Mage, daß ich einen Brief feiner Mutter 
habe abdruden laffen, der Narr! Ein Oberſt von Franden- 
berg behaupte, Taucha ſei in der Schlacht von Leipzig nicht an 
gegriffen und genommen worden, — die unerheblichfte Ein- 
zelheit, von gar feinem Belang! Wenn’ weiter nichts ift, 
dann fteht ed gut! — 

Ludmilla fam ans dem Theater, fie hatte den „Demetrius“ 
von Grimm geſehen, der doch zum drittenmal aufgeführt 
worden iſt; auf der Bühne ſo ſchwach, wie im Leſen! — 

Im Leben Ilgen's geleſen; ſeine harte Jugend- und Lern— 
zeit! Wie viele tauſend Vornehme und Reiche haben nicht den 
geringſten Begriff von ſolchem Heldenthum! — 

Der Aufſtand der Griechen im Epirus wächſt noch, und 
ergreift, durch ruſſiſche Sendlinge und Gelder unterſtützt, auch 
in Theſſalien ſchon einen Theil der Bevölkerung. — 

Da jebt der Raifer von Rußland Anftifter von Aufftänden 
ift, jo fünnte er fi, wenn er bedrängt wird, auch wohl bei- 
gehen laſſen, nicht nur Ungarn aufzuwiegeln, jondern fogar 
Polen, und die Drangfale, die ihm durd, Polen bereitet wer: 
den könnten, den Anderen zuzuwälzen. — 


— ⸗22 .. — — 





463 


Gewerbe in Preußen herunterfonimen, er fürchtet, auch fie 
möchten von dem neuen Kriegdhafen an der Jahde ihren 
Nutzen haben, das foll nicht fein! Man könnte den Wahnfin- 
nigen fragen, was denn die preußifchen Kriegefchiffe beſchützen 
follen, wenn nicht Handel und Gewerbe? — 

In Magdeburg wurde am Sonntage wieder die Berfamm- 
lung der freien Gemeinde, in welcher Dr. Sachſe redete, durch 
Polizei aufgelöſt. — 

Wo follen wir mit aller Gefchichte hin? Jedes Land, jede 
-Stadt haben die ihre, und Taufende von Ländern und Städten 
giebt's, Taufende werden noch entjtehen! Da hilft nichts, Die 
Gefchichte wird mit fich felber fertig werden, das Meifte fter: 
ben laffen und begraben, und nur dad Bevorzugte am Leben 
erhalten! Dazu kommt, daß nur diejenige Geſchichtsſchreibung 
taugt und nußt, die in das genaue Einzelne fich erftredt, die 
allgemeinen Umriffe geben fein inneres Leben. — 

Ich habe einmal in einer Rezenjion die Gefchichtäzeiten 
näher angegeben, welche für und die wichtigften find, an welche 
ſich unjere Theilnahme vorzugsweiſe fnüpfen darf, in denen 
auch das Kleinite und aufbewahrungewerth fein kann. Unſere 
jegige Zeit iff auch darunter, ich glaube mit Fug, nicht aus 
Täuſchung, und bin noch heute diefer Meberzeugung. — 
Mögen wir wenigftend mit allem Fleiße das Unfre thun, daß 
die Zukunft, im Fall fie doch etwa unfre Gefchichtözeit nur in 
gedrängtem Auszug, in furchtbarer Abkürzung, noch anfchauen 
will, wenigitend aus möglichft vollftändiger Weberlieferung 
diefen Auszug, diefe Abkürzung machen könne! In diefer 
Hinficht können wir und auch folche fechs dicke Bände, wie die 
von Perg über Stein, über einen einzigen unferer Staats- 
männer gefallen laſſen! Nur wünfchten wir mehr Geiftes- 
freiheit und wahre Nedlichfeit in den Mittheilungen! — 


— — — — — 





465 


Es wird verjichert, der König habe ſich zur Entlaffung 
Manteuffel’3 entfchloffen, und.-wolle ein Minifterium aus der 
Kreuzzeitungsparthei nehmen, woraus denn Anfchluß an Ruß— 
fand und Krieg gegen England und Frankreich folgen müfle. 
Manteuffel ſoll fhon mit der Sendung Gröben’d nad) Eng- 
land und Hohenzollern’d nach Paris nicht einverftanden ge- 
wefen fein. Sept bittet man den Himmel, es möchte doch nur 
Manteuffel Minifter bleiben! Was ift damit geholfen? Für 
die gute Sache iſt er niemals ein Gewinn; er ift ein Erz 
reaftionair von Haus aus. Lieber Feinde zu Miniftern, als 
ſolche Lauheiten! — 

Gerede von einem Briefe der Kaiſerin von Rußland an 
ihre Schwägerin, die Königin, Preußen ſolle doch nicht ab— 
trünnig von Rußland werden, u. f. w. Das Weinen der Kö— 
nigin, die Durch diefen Brief im Innerjten bewegt worden, ſoll 
das Herz des Königs tief ergriffen und fo wieder auf die Seite 
Rußlands gelenkt haben! Und dergleichen mehr. So ſoll auch 
der Prinz von Preußen erklärt haben, wenn der König ſich zu 
Nupland halte, fo werde er mit Frau und Kind nach England 
abziehen; darauf fei ihm vom Könige ſpitz geantwortet wor: 
den: „ Du bift ja fchon einmal dort geweſen, Du kannſt wieder 
hingehen!“ — 


Donnerstag, ben 9. März 1854. 

Dumme Gerüchte jagen fich im Publiftum; unfre Börfe 
ift die verzagtefte, wenigft unterrichtete, im Schreden und Ber: 
trauen gleich maßlos. jede Albernheit wird geglaubt, be: 
fonderd wenn der Schwindel irgendwo fich höhern Orts zu 
gründen ſucht. — 

Die Neue Preußische Zeitung ift heute wieder im vollften 
Glanze ihrer —. Sie behauptet ſchamlos, die ftrenge Neutra- 
fität Preußens, die jebt ausgefprochen, fei das, was die Par⸗ 

Varnhagen von Enfe, Tagebüder. X. 30 





467 


„Was joll Preußen thun?“ Zum bundertitenmal ant- 
worte ich: feine innere Politik ändern, ſich der Ungerechtigkeit 
entichlagen, der Willfür, des Haſſes gegen feine eignen, feine 
beiten Leute, Dann wird alles Uebrige fich von felbit finden ! 
„Alſo die jetzige politifhe Haltung genügt Ihnen nicht?“ 
Schon dephalb nicht, weil fie gar feine Haltung ift, fondern 
ein Gemifch von allen möglichen Mängeln, die man fiih ver: 
behlen und für Andre verdeden möchte. Preußen liegt da, 
wie ed der Tag grade gelegt hat, die Furcht vor dem Dften 
und die Furcht vor dem Welten, bei völliger Abweſenheit eig: 
nen Willend und Zieles! Selbft wenn ihm die gebratenen 
Tauben in’d Maul fliegen, wie 1848 das Kaiferthum, 
Ichnappt ed nit zu! — ' 

Noch, noch jebt denken viele Polen daran, ihre herge- 
ftellte Arone könne dem Könige von Preußen zufommen ! Aber 
fein Preuße denft es. — Wir fünnen Gott danfen, wenn 
Preußen nichts weiter verliert, ale das entbehrliche Fürſten— 
thum Neufchatel, — was fönnten wir unter diefer Regierung _ 
wohl erwerben? Hohenzollern, Jahdebuſen? Das ift was 
Rechtes! — | | 

Eine neue Schrift von Diezel, in Stuttgart bei Göpel 
erichienen, ift heute hier von der Polizei weggenommen 
und verboten worden, — Sch habe nicht erfahren können, was 
aus dem Gerichtöverfahren geworden ift, das gegen Diezel’d 
erfte Schrift mit fo großer Strenge und gewaltigem Lärm 
erhoben worden. Nichts, wie es fcheint! — 

Defterreich und Preußen wollen den deutichen Bund ihrem 
Machtwillen auch formell unterordnen, aber gleich im Beginn 
wird diefer gemeinfame Zwed auf zwielpaltigem Wege zu 
erreichen gefucht, Defterreich traut dabei Preußen nicht, 
Preußen traut Defterreih nicht. Die andern Bundesglieder 
aber werden dadurch gewaltfam in den Schuß Frankreichs ge: 
trieben, das den Rheinbund ganz in Bereitichaft hält. Eine 

30* 





469 


Noch zulegt aber rief ihn der König wieder zurüd, fagte: „Du 
haft doch alles verftanden?* — er dutzt ihn — und fügte 
dann zu deſſen größtem Erftaunen die der Verabredung ent: 
gegengejeßteften Dinge hinzu. Manteuffel beruhigte ihn im 
Abgehen, und fagte, e8 bliebe bei der Verabredung, er Feine 
ja die Art des Könige. Das aber hörte der König noch zum 
Theil, und machte nun Manteuffel arg herunter, ohne doch den 
eignen Sinn durchſetzen zu wollen, es blieb bei der Verab— 
redung. Welch unnöthige Verwirrung und Quälerei! — 


Sonntag, den 12. März 1854. 

Nachrichten aus Griechenland, Die von dem ruffischen 
Kaifer angeftifteten Aufitände ſinken fchon wieder zufammen, 
fie haben in der Xage der Dinge feinen Grund; den Griechen, 
die türfifche Unterthanen find, geht es jetzt beffer ald denen, 
die unter ruffifcher Herrfchaft leben. Die nationale Begeifte- 
rung ift ein fünftliches Flackerfeuer, das nicht dauert. Natür: 
lich empfindet das freifinnige Europa jebt feine Sympathie 
für Griechen, die nur den Ziveden Rußlands dienen; es han- 
delt jih um die Selbitftändigfeit aller Staaten, die Oberge— 
walt eines Herrfchers, der zu einem Oberherren oder Eroberer 
nicht einmal das nöthige Zeug, fondern nur den Dünkel hat! 
Schweigt jebt doch fogar die Rache, welche die Freiheit, welche 
das franzöfifche Volk gegen den Verbrecher Louis Bonaparte 
zu nehmen hat! Er dient jegt gut, man läßt ihn dienen, doc) 
verziehen find feine Verbrechen nicht! — 

Die Berfuche der Kreuzzeitungsparthei, in das Minifterium 
zu fommen, find abermals gefcheitert. Der König liebt fie 
zwar ein wenig, aber fürchtet fie weit mehr. Und dann gefällt 
es ihm, einen Minifter, der angefeindet wird, eben deßhalb zu 
behalten. — 

Zwei Schriften gegen die Freimaurerei find erfchienen. 





471 


zurüd, und bezüchtigt die Kreuzzeitung tüdifcher Ränfe und 
Bosheiten. — 

Aus der neuen Regierungsbehörde, welche hier errichtet 
und an deren Spitze Hindeldey geftellt werden follte, wird für- 
erft nichtd. Die Mintjter gaben den Gelüften Hinckeldey's 
unwillig nach, weil fich derfelbe durch feine Bolizeifachen grade 
jehr wichtig gemacht hatte, und fie ihm nicht offen entgegen- 
treten konnten. Jetzt ift die Polizei etwas im Hintergrunde, 
die Bolitif it voran. Aber Hindeldey wird feinen Augenblid 
auch wieder finden und dann zu benußen wiffen. Er haft den 
Minifter von Manteuffel gründlich. — 

Die Anfrage ded Grafen von Schwerin an das Minifte- 
rium war mit Diefem zum voraus verabredet, jomwie die zu— 
friedenftellende Antwort, welche darauf ertheilt wurde, Die 
Kreuzzeitungsparthei it über die Art und Wendung dieſer 
Erflärung voll Gift und Geifer. Die Junker in der Marf 
und Pommern wären nicht ungern unter ruffiicher Herrichaft, 
wenn nur die Bauern wieder unter die ihrige gegeben wür— 
den. In der Provinz Preußen denken die Edelleute ganz 
anderd. — 

In nächfter Woche follen genauere politiiche Mitthei- 
lungen den Kammern vorgelegt und zugleich eine Anleihe von 
30 Millionen Thalern gefordert werden. Ob die Kammern 
fie bewilligen? Die Minifter glauben der Mehrheit gewiß 
zu fein! „Vielleicht machen die Junker, da die Sache doch, 
gegen Rußland gerichtet ift, dennoch einen Strich durch die 
Rechnung. Das wäre dann die fehönjte Gelegenheit, die 
Rammern ganz und gar abzufchaffen.“ Und woher dann das 
Geld? „DO, der abfolute König von Preußen hat mehr Kredit 
ald der fonftitutionelle!* — 





473 


zu bringen. Auf meine Aufforderung, mir nun einmal genau 
zu fagen, was er eigentlich gethan, erwiedert fie: „Nun, dag 
fann ich fo beftimmt nicht angeben!“ und ich erfahre wieder 
‚ nichts! Sie fagt, fie werde großen Berluft erleiden, aber alles 
fei ihr lieber-ale ein Prozeß, überdies wolle der Anwalt ihr 
zu feinem rathen, von dem er nicht die unumftößliche Ueber⸗ 
jeugung habe, daß fie ihn gewinnen müffe, jo jedoch 
erfcheint ihm diefer Fall Teineswegd. Dann würde ed auch 
eine Menge ſchwieriger Unterfuchungen geben, etwa gar Eide 
zu leiften, das alled wolle jie nicht, fie fei zufrieden, nur ſchnell 
von dem Schmutzfinken lodzufommen. Das ganze Gewirr iſt 
nicht zu verftehen, macht mir den Kopf ſchwindeln. Und dabei 
Bettinens phantafievolle Darftellung, die vom Hundertften in's 
Taufendfte fpringt, Bekanntes in ganz veränderter Geftalt 
wiederholt, Unbekanntes mit halben Worten andeutet, jeder 
Nachfrage fich entwindet, niemals feftzuhalten ift! — 

Hierauf von politifchen Dingen ; Savigny ganz ruſſiſch 
gefinnt ; ihre Tochter Gräfin Oriola fchreibt vom Nhein, nie 
mand wolle dort von Anjchliegung an Rußland hören, lieber 
würde man wieder franzöjifh. Die Menge alter Weiber hier, 
die heftig für Rußland find und fchreien, Die Megären Gräfin 
von Münfter, Gräfin von Brandenburg, Gräfin von Bis: 
mard:Bohlen, wie fo nur die alten Weiber jebt bier 
fo viel gelten? Und noch vieles Andere. Sie ging erft gegen 
4 Uhr. — 

Die englifhe Flotte unter Sir Charles Napier ift nad 
der Dftfee abgegangen ; ihr nächſtes Ziel fol die Kieler Rhede 
fein. — Am 16. fol fie dort eintreffen, fagt der englifche Lord 
Bloomfield. (Sie bleibt fürerſt im Kattegat an der. ſchwediſchen 
Küfte. — ) 





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Man habe die Nachforſchungen eingeftellt, man wolle der Sache 
lieber nicht auf den Grund kommen! — 


Freitag, den 17. März 1854. 


Bejuh von Frau Generalin von Pfuel, heiter und an 
genehm; die Frau hat den bellften Sinn, die glüdlichite An- 
muth, gar fein ariftofratifches oder religidfed Borurtheil. Ich 
muß meine politifchen Anfichten aufitellen, fie findet ſolche viel 
zu düfter, ſie verläßt fih darauf, daß der Himmel und das 
Glück die Dinge ftetd anders leiten, ald man ed vermuthet; 
darauf verlaff’ ich mich auch! aber wie der Einzelne, fo frevelt 
auch die Regierung, die fich blind in diefem Glauben den Er: 
eigniffen hingiebt! — 

In der Spener’fchen Zeitung wird der Graf zu Stolberg 
aus Paderborn, der in der Kammer jich erfrecht hatte zu er- 
flären, ein Jude, als Ungläubiger, habe gar fein Recht, ale 
das der Kreatur, und andre folche boshafte Berrüdtheiten hin- 
geihwaßt hatte, durch einen Herrn Ludwig Leſſer nach Ber: 
dienft abgefertigt und gezüchtigt. Hier wäre die Prügelftrafe 
am Ort! Für foldhen Grafen das einzige Recht, das er ſich 
jelber offen läßt, das Recht der Kreatur! — 

Heute fam in den Kammern die Vorlage wegen der An: 
leihe und die damit verbundene politifche Erklärung noch 
nicht vor, — 

Die Prinzeffin * pflegt bei wichtigen und verwidelten 
Gegenftänden, auch politifchen, fi) an Humboldt mit der Aufs 
forderung zu wenden: „Expliquez-moi cela en deux 
mots!“ — . 

Abends kam Herr General von Pfuel, und blieb mit mir 
und Ludmilla wohl zwei Stunden; fehr liebenswürdig, im 
Scherz und im Ernft. Die Tagesangelegenheiten famen ernit- 
lic) zur Sprache, Nachher befchäftigten und Schachaufgaben, 





477 


durch die ganze damals gebildete Welt, ihm felbit waren in 
Griechenland und Italien mehr ald hundert Bildfäulen er: 
richtet. — 


Sonnabend, den 18. März 1854. 

Wieder auf einen Sonnabend fällt der 18. März, wie vor 
ſechs Jahren, das Volk begrüßt den Tag als feinen Feſttag, 
und er wird auch heute wieder vielfach gefeiert. — 

Mittags fam Frau Bettina von Arnim. Sie fagt mir, fie 
habe geftern einen fchredlichen Tag gehabt; es habe fich erge- 
ben, daß fie einen Schaden leide von mehr ald 700 Thalern, 
dabei fage ihr Rechtsanwalt Caspar nun gar auch, er habe fich 
überzeugt, ihr Gefchäftsführer fei fein unedler Menfh! Ihr 
Schwiegerfohn Graf Driola hingegen verlange, fie folle fcharf 
verfahren, wenn fie es nicht thue, fo müfje er glauben, es 
ſtecke noch was dahinter, und [te habe Unrecht! Sie hat dem 
Herrn Caspar nun aber doch eine Vollmacht audgeftellt, mit 
den Gläubigern zu unterhandeln. Sie fommt auf Savigny's 
zu reden: „Barnhagen, Sie haben feine Vorftellung davon, 
was da für eine Peitluft ift! Er ift frank am Pietismus, er hat 
Angft und fühlt, daß er viel Unrechtes gethan hat.” — 

Heute brachte der Minifterpräfident von Manteuffel die 
Borlage wegen einer Anleihe von 30 Millionen Thalern in 
die zweite Kammer ; die Erklärungen, welche der Minifter gab, 
und die zweifelhaft laffen, ob nicht am Ende doch das Geld zu 
einem Kriege gebraucht werden foll, der dem Nationalfinne 
widerfpricht, befriedigten nicht. Es wurde faft noch weniger 
gefagt, als bei der neulichen Anfrage Schwerin’d. — 





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ich nie gefagt! Aber dahin wird mich nicht® bringen, Daß ich 
mein Kreuz dem Halbmond gefelle gegen dad eigentliche 
Kreuz!“ Das eigentliche Kreuz ift alfo das griechifche; wieſo 
der proteftantifihe König dies höher ftellt, als das eigne, 
bleibt ein Räthfel. Aber auch der Ausdrud „mein“ Kreuz ift 
bier fchief und ungeziemend! — Terner: „Auf die vox po- 
puli hör’ ich nicht! * — 


Montag, den 20. März 1854. 

Mas vor jechd Fahren brennende Gegenwart, frifches 
Leben war, ift jetzt fchon entlegene, halbvergeſſene Gefchichte ! 
Wie mit den großen Ereigniffen ift es aber auch mit den Flein- 
jten ; was und vor einem Jahre gefiel, reizte, befchäftigte, Tiegt 
blaß und matt in fernem Nebel. Alles fließt ununterbrochen 
fort, und wir fünnen nicht? feithalten, außer mit dem Ge- 
dächtniß. Alte Betrachtungen, und Betrachtungen im Alter! — 


Wo die Verhältniſſe und noch Freiheit laffen, hält uns ein 
ſcheußliches Wetter gefangen! Diefed Staatsweſen, und diefed 
Klima! Wie einengend alles! — Bücher, und immer nur 
Bücher! Und doch noch lange nicht genug der rechten! Unfere 
Zeit hat feinen Dichter, feinen Philofophen mehr! — 

Bon allen Seiten fpricht fi große Unzufriedenheit, mit 
den Erflärungen aus, die der Minifterpräfident den Kaınmern 
gegeben hat. Man will ſchon unterfcheiden, was darin von 
Manteuffel felbft herrühtt, und was von fremder Hand ihm 
hinzugethan worden; im Anfange glaubt man den Minifter 
zu hören, weiterhin den Einfluß der Kreuzzeitungsparthei auf 
den König zu fpüren. Daß der König es wirflih mit Ruß— 
land halte, mit Rußland geben wolle, wird von bedeutenden 
Perſonen verneint, es fei aber nur Schaufpielerei, die aber da⸗ 
- durch gefährlich werden könne, daß man ihn bei der angenom- 


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menen Rolle fefthalte, und ihm zwinge fie zu verwirklichen. 
Fürft von Wittgenftein fagte einmal vom Könige, als diefer 
noch Kronprinz war: „Der Herr bat Schnurren und Einfälle, 
aber nicht Einen gefunden Gedanken im Kopf!” Und Uehn- 
liched fagte Stägemann, ja fogar der ehemalige Präfident 

Adolph von Kleift, der zu den nächſten Freunden des Könige 
gehört. — 

Der Paderborner Graf zu Stolberg wird gut verarbeitet 
wegen ſeines unvernünftigen, gemeinen, gottlofen Ausfalls 
wider die Juden. Im Kladderadatſch bietet ihm ein verſoffener 
Kutſcher Brüderſchaft an, er und ſeine Kameraden in der 
Kneipe ſeien ganz einverſtanden mit dem pöbelhaften Grafen! — 

In Grote gelefen, und im Herodotod. Als befondere 
Erquidung dienten mir Goethe’d Briefe an Frau von Stein. 
Welche Lebensfülle! welche reiche innere und äußere Szenerie! 
Sie war aud für Andre da, doch nur für Goethe ftand fie im 
vollen Sonnenfhein! — 

Die Engländer wollen aus unferen baltifchen Häfen 70 
Lootſen in Dienjt nehmen. Die Lootſen find auch gern bereit, 
haben jedoch, erflärt, fie müßten von der Regierung dazu Ur- 
laub erhalten. Ihre Anfrage ift bieher gelangt, und man ift 
begierig auf die Antwort. — 


Drud von Otto Wigand in Leipzig. 


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