Skip to main content

Full text of "Aus dem tagebuche eines musikers .."

See other formats


Google 



This is a digital copy of a book that was prcscrvod for gcncrations on library shclvcs bcforc it was carcfully scannod by Google as pari of a projcct 

to make the world's books discoverablc online. 

It has survived long enough for the Copyright to expire and the book to enter the public domain. A public domain book is one that was never subject 

to Copyright or whose legal Copyright term has expired. Whether a book is in the public domain may vary country to country. Public domain books 

are our gateways to the past, representing a wealth of history, cultuie and knowledge that's often difficult to discover. 

Marks, notations and other maiginalia present in the original volume will appear in this flle - a reminder of this book's long journcy from the 

publisher to a library and finally to you. 

Usage guidelines 

Google is proud to partner with libraries to digitize public domain materials and make them widely accessible. Public domain books belong to the 
public and we are merely their custodians. Nevertheless, this work is expensive, so in order to keep providing this resource, we have taken Steps to 
prcvcnt abuse by commercial parties, including placing lechnical restrictions on automated querying. 
We also ask that you: 

+ Make non-commercial use ofthefiles We designed Google Book Search for use by individuals, and we request that you use these files for 
personal, non-commercial purposes. 

+ Refrain fivm automated querying Do not send automated queries of any sort to Google's System: If you are conducting research on machinc 
translation, optical character recognition or other areas where access to a laige amount of text is helpful, please contact us. We encouragc the 
use of public domain materials for these purposes and may be able to help. 

+ Maintain attributionTht GoogXt "watermark" you see on each flle is essential for informingpcoplcabout this projcct and hclping them lind 
additional materials through Google Book Search. Please do not remove it. 

+ Keep it legal Whatever your use, remember that you are lesponsible for ensuring that what you are doing is legal. Do not assume that just 
because we believe a book is in the public domain for users in the United States, that the work is also in the public domain for users in other 
countries. Whether a book is still in Copyright varies from country to country, and we can'l offer guidance on whether any speciflc use of 
any speciflc book is allowed. Please do not assume that a book's appearance in Google Book Search mcans it can bc used in any manner 
anywhere in the world. Copyright infringement liabili^ can be quite severe. 

Äbout Google Book Search 

Google's mission is to organizc the world's Information and to make it univcrsally accessible and uscful. Google Book Search hclps rcadcrs 
discover the world's books while hclping authors and publishers rcach ncw audicnccs. You can search through the füll icxi of ihis book on the web 

at |http: //books. google .com/l 



Google 



IJber dieses Buch 

Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Realen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im 
Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfugbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde. 
Das Buch hat das Uiheberrecht überdauert und kann nun öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch, 
das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann 
von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles 
und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist. 

Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei - eine Erin- 
nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat. 

Nu tzungsrichtlinien 

Google ist stolz, mit Bibliotheken in Partnerschaft lieber Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse 
zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nie htsdesto trotz ist diese 
Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch 
kommerzielle Parteien zu veihindem. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen. 
Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien: 

+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche Tür Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese 
Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden. 

+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen 
über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen 
nützlich ist, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials fürdieseZwecke und können Ihnen 
unter Umständen helfen. 

+ Beibehaltung von Google-MarkenelementenDas "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über 
dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sie das Wasserzeichen nicht. 

+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein, 
sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA 
öffentlich zugänglich ist, auch für Nutzer in anderen Ländern öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist 
von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig 
ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und überall auf der 
Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben. 

Über Google Buchsuche 

Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google 
Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser We lt zu entdecken, und unterstützt Au toren und Verleger dabei, neue Zielgruppcn zu erreichen. 
Den gesamten Buchtext können Sie im Internet unter |http: //books . google .coiril durchsuchen. 



^^ 



SlOBi-oadivny 



Ü 



PROTECTORAT : PROTECTORAT : 

Se. Kön. Hoheit | Se. Kon. Hoheit 

GRDSSHEmOG KARL ALKANDKi ' PRINZ GEORG 



701t Prensaea. 



DAS CUßATOEITIM: 
Dr. Eudolf T. Sneist, Dr. C. Werder, 

Wiikl. Geh. Oberjnitlmth, Qeh. BegieTimgmtli, ProCsHor 

entl. ProfHxir an der Kanigl. Uni^erilut KODigL Univsnilkt lu Bat 



Prof. A. V. Werner, 



Sr. E. Sranbh, 

1. LtBUlonsTitb imd ^rofcH 



-«4 STATUT: ^- 

§. 1. Jeder Litteraturfreund , welcher dem Ältgemeinen Verein für 
Deutsche Litteratur als Mitglied beizutreten gedenkt, hat aeine deefallBige 
Erklärung an eine beliebige Buchhandlung oder an da» Bureau des 
Vereins für Deutsche Litteratur in Berlin W., Steglitzerstr. 90, 
direct zu übermitteln. 

§. 2. Die Mitglieder verpflichten sich zur Zahlung eines Serienbei- 
trages von Achtzehn Mark Reichs-Währung, der vor oder bei Emptang 
des ersten Bandes der Serie zu entrichten ist. (Für die Serie I — IV be- 
trug derselbe 30 Mark pro Serie.) 

g. 3, Jedes Mitglied erhält in der Serie vier Werke aus der Feder 
unserer beliebtesten und hervorragendsten Autoren. Die Bände haben 
durchschnittlich einen Umfang von 20 — 26 Bogen , zeichnen sich durch 
geschmackvolle Druckausstattung und höchst eleganten Einband aas und 
gelangen in Zwischenräumen von 2 — 3 Monaten zur Ausgabe. 

g. 4. Die Yereins-Fublikationen gelangen zunächst nur zur Versendung 
an die Vereinsmitglieder und werden an Nichtmitglieder erst später und 
auch dann nur zu bedeutend erhöhtem Preise (ä Band 6—8 Mk.) 
abgegeben. Der sofortige Umtausch eines neu erschienenen Werkes 
gegen ein anderes, früher erschienenes, ist gestattet. 

S. 5. Ein etwaiger Austritt ist spätestens bei Empfang des dritten 
Bandes einer jeden Serie der betreffenden Buchhandlung resp. dem Bureau 
des Vereins anzuzeigen. 

§. 6. Uie Oeschäftsfühmi^ des Vereins leitet Herr Verlagsbuchhändler 
Dr. Hermann Paetel in Berlin selbstatandi^, sowie ihm auch £e Vertretung 
des Vereins nach innen und aussen obhegt. 

Jeder Band von Serie V an ist elegant in Halbfranz mit vergoldeter 
RückenpresBung gebunden. 
0^' All* BiehluuidlaDK«n ttt In- a>d Aiilani«*. lowl« da« Bit«m du Tcialat 
JaBMlln, W., St<«llt«ntTui> VO, ■«hnen B«ltcitt*-BrUir»8«n «■)«•«*>■• "VV 



In den bisher erschienenen Serien I — XYI gelangten 
nachstehende Werke zur Versendung: 



Serie I 



Bodenstedt, Fr., Aus dem Nach- 
lasse Mirza-Schafiy's. 

Hanslick, Eduard, Die moderne 
Oper, 

Iiöher, Franz v., Kampf um Pa- 
derborn 1597—1604. 



Osenbrüggen, £., Die Schweizer. 
Daheim und in der Fremde. 

Beitlinger, Edmi. , Freie Blicke. 
PopulärwissenschaftlicheAufsätze. 

Schmidt, Adolf, Historische Epo- 
chen und Katastrophen. 

Sybel, H. v., Vorträge und Auf- 
sätze. 



Serie II 



Auerbach, Berthold, Tausend 
Gedanken des CoUaborators. 

Bodenstedt , Fr. , Shakespeare's 
Frauencharaktere. 

Frenzel, Karl, Renaissance- und 
Rococo-Studien. 



Gutzkow^, Carl, Rückblicke auf 

mein Leben. 
Heyse, Paul, Giuseppe Giusti, 

Gedichte. 
Hoyns, Georg, Die alte Welt. 
Bichter,H. M., Geistesströmungen. 



Serie III 



Bodenstedt, Fr., Der Sänger von 
Schiras, Hafisische Lieder. 

Büchner, Ludwig, Aus dem 
Geistesleben der Thiere. 

Gk>ldbauin,W.,Entlegene Oulturen. 

Lindau, Paul, Alfred de Musset. 

Serie 

Dingelstedt, Franz, Literarisches 
Bilderbuch. 

Büchner, Ludwig, Liebesleben 
in der Thierwelt. 

Lazarus, M. , Ideale Fragen. 

Lenz, Oscar, Skizzen aus West- 
afrika. 



Lorm, Hieronymus, Philosophie 
der Jahreszeiten. 

Beclam, C, Lebensregeln für die 
gebildeten Stände. 

Vamibery, Hermann, Sittenbilder 
aus dem Morgenlande. 

IV 

Strodtmann, Ad., Lessing. Ein 
Lebensbild. 

Vogel, H. W., Lichtbilder nach 
der Natur. 

Woltmann, Alfred, Aus vier 
Jahrhunderten niederländisch- 
deutscher Kunstgeschichte. 



Serie V 



Hanslick, Eduard, Musikalische 

Stationen. (Der „Modernen Oper" 

II. Theil.) 
Cassel, Paulus, Vom Nil zum 

Ganges. Wanderungen in die 

orientalische Welt. 



Werner, Beinhold, Erinnerungen 
und Bilder aus dem Seeleben. 

Lauser, W., Von der Maladetta 
bis Malaga. Zeit- und Sittenbilder 
aus Spanien. 



Serie VI 



Lorm, Hieronymus, Der Abend zu 

Hause. 
Schmidt, Max, Der Leonhardsritt, 

Lebensbilder aus dem bayerischen 

Hochlande. 



Genee, Budolf, Lehr- undWander- 
jahre des deutschen Schauspiels. 

Kreyssig, Friedrich, Literarische 
Studien und Ghars^eristiken. 



Serie VII 



Weber, M. M., Freiherr von. Vom 

rollenden Eliigelrade. 

Ompteda, Iiud^vig, Freiherr von. 
Aus England. Skizzen und Bilder. 



Hopfen, Hans, Lyrische Ge- 
dichte und Novellen in Versen. 

Das moderne Ungarn. Heraus- 
gegeben von Ambros Nemenyl. 



Serie VIII 



Ehrlich, H., Lebenskunst und 
Kunstleben. 

Hanslick, Eduard, Aus dem 
Opemleben der G-egenwart. (Der 
„Modernen Oper" III. Theil.) 



Beuleaux, F., Quer durch Indien. 
Mit 20 Original-Holzschnitten. 

Klein,Hermann,J.,Astronomische 
Abende. Geschichte und Resul- 
tate der Himmels - Erforschung. 



Serie IX 



Brahm, Otto, Heinrich von Kleist. 
(Preisgekröntes Werk.) 

Egelhaaf, G., Deutsche Geschichte 
im Zeitalter der Reformation. 
(Preisgekröntes Werk.) 



Jastrow, J., Geschichte des deut- 
schen Einheitstraumes und seiner 
Erfüllung. (Preisgekr. Werk.) 

Qottschall, Rudolf V., Literarische 
Todtenklänge u. Lebensfragen. 



Serie X 



Preyer, W., Aus Natur- und 
Menschenleben. 

Jahns Max, Heeresverfassungen 
und Völkerleben. Eine Umschau. 



Iiotheissen, Ferdinand, Marga- 
rethe von Navarra. 

Hanslick, Eduard, Ooncerte, Com- 
ponisten u. Virtuosen der letzten 
fünfzehn Jahre. 



Serie XI 



Gneist, Budolf, Das englische 
Parlament in tausendjährigen 
Wandlungen vom 9. bis zum Ende 
des 19. Jahrhunderts. 

GÜBsfeldt, Faul, In denHochalpen. 
Erlebnisse aus den Jahren 1859 — 
1885. 



Meyer, M. Wilhelm, Kosmische 
Weltansichten. Astronomische 
Beobachtungen und Ideen aus 
neuester Zeit. 

Brugsch, H., Im Lande der Sonne. 
Wanderungen in Persien. 



Serie XII 



Meyer, Jürgen Bona, Probleme 
der Lebensweisheit. Betrach- 
tungen. 

Herrmann, Emanuel, Gultur und 
Natur. Studien im Gebiete der 
Wirthschaft. 



Büchner, Ludwig, Thatsachen 
und Theorien aus dem natur- 
wissenschaftlichen Leben der 
Gegenwart. 

Hanslick, Eduard, Musikalisches 
Skizzenbuch. (Der „Modernen 
Oper" IV. Theil.) 



Serie XIII 

Geflfcken, F. H., Politische Feder- 
zeichnungen. 

liBBseps, Ferdinand von, Erinne- 
rungen. 



Meyer, M. Wilhelm, Die Ent- 
stehung der Erde und des Irdi- 
schen. 



Bodenstedt, Friedrieh, Erinne- 
rungen aus meinem Leben. I.Band. 



Serie XIV 



Falke, Jacob von. Aus dem weiten 
Keiche der Kunst. 

Herrmann, Emanuel, Sein und 
Werden in Raum und Zeit. 



Henne am Bhyn, O., Kultur- 
geschichtliche Skizzen. 

Preyer, W., Biologische Zeit- 
fragen. 



Serie XV 



Hanslick, Ed., Musikalisches und 
Litterarisches (der ., Modernen 
Oper" V. Theil). 

Bodenstedt, Fr., Erinnerungen aus 
meinem Leben. IL Band. 



Hellwald, Fr. von. Die Welt der 
Slawen. 

Spielhagen, Fr., Aus meiner Stu- 
dienmappe. 



Serie XVI 



Büchner, Ludwig, Das goldene 
Zeitalter. 

Brugsch-Paseha, Steininschrift und 
Bibelwort. 



Meyer, M. Wilh., Mussestunden 
eines Naturfreundes. 

Sterne, Carus, Natur und Kunst. 



Serie XVII 

Hanslick, Ed., Aus dem Tagebuche eines Musikers. 

Ferner werden erscheinen: 
Henne am Bhyn, Die Frau in der Kultur-Geschichte. 
Ehrlieh, Heinrieh, Höhenzüge der Tonkunst. 
Herrmann, Em., Das Geheimniss der Macht. 
Bodenstedt, Fr., Erinnerungen aus meinem Leben. UI. Band. 
Kugler, B. von, Problematische Naturen. 

AUgemeiner Verein für Deutsche Litteratur. 

Geschäftsftthrender Director: 

Dr. Hermann Paetel, 
Verlagsbuchhändler in Berlin, W., Steglitzerstrasse 90. 




ö. Pätz'sche Bucbdr. (Lippert & Co.), Naumbursr aiß. 



^m itm 
(9m: „ytiinncn ®pti" Tl. 8|)eil-) 



firitttcn unb Bdfilbetun^en 

dritte Huftnge. 



Stllgemeiner ESeiein ffli Sleutfc^e Sitteratur. 
1892. 



^^ ^^^ ^ H 2. . 1 . 2. 7 



MARVARD COLieei I tBRARY 
FROM 
f THE REQUEST OF 
if ERT JANSEN WENOELL 



2l0e Hechte Dorbel^alieit. 



V 



Itt^jalt 



(Seite 

3cnnk| ßmb 8 

Äarl ©acmki 82 

9?a(i^ bcm ©ängcrfcft 41 

®n SBricf auS Obcrammcrgau 49 

S)ic SWupf in Slmcrifa 68 

SWobcmcg im BcitungS« unb X^eatcwcfcn Ö2 

®. SRckicrbccr 101 

„3)cr Sarbicr uon SSagbab" uon $. ©orncItuS . . . 118 

„3)cr 3)orf barbier" öon ©c^enf 122 

„SScatricc unb SBcnebict" öon ^. Serlioj 128 

,M(av)n" uon 3. SWaffenct 187 

„3)cr SBafatt öon ©äigctl^" üon ©marcglia 147 

„S)ie beibcn ©d^ü^cn" üon ßor^ing 166 

,,3)ic fertige ©lifabct^' öon Sifjt 160 

,,S)ic fjm^tlingc" üon 3fi. SRabcr 166 

,,@tctlianifd^e Sauemel^re'' („Cayalleria rustioana") t)on 

^. fKaScagni 171 

iM r^m tKonmtrmtl (1886-1891). 

äRaden^ie: ©d^otttfdie [R§o|)fobte 188 

3. ©ücnbfcn: Octctt 185 

e^riftine S«il8fon 187 

Slnton aflubinftcin 189 

SifätsSoncert 199 

SSro^mg: SBicrtc ©^mp^onic 208 



• 



@eite 

3»offcnct: Dr4cfter*@uite 206 

©rftbcner unb SBrüII: Ouüertüren 208 

SBro^m«: groei neue Sonaten 209 

Scrlio^: „fjauftg SSerbammung" . ........ 211 

©. ©d^ü^: ,,3)ie fieben SSorte'' ' . . 220 

©anng ©über: ,,iWorbfeebUber" 225 

SBirtuof en unb @ftnger (Xiüabar ^a6)^^, SB. ©d^önbergcr, 

©ermine ©pieS, @. sBIaumaert, g. fiaffaUe) . 226 

ffi. (Schumann: „©ermann unb 3)orot^ea" ..... 234 

91. ^öof af: Qwtiit @l}mp^onie unb SSariationen . . . 236 

S. Stfat: „5Jauft=@t)mp^onic" 238 

^iolinöirtuofen (^^omfon, @arafate) 241 

©. D. S3üIom (S3eet^ot)en-'6;^!(u§) . 244 

©efanggfünftler (SRarie üan 8anbt, Wt. ©embrid^, 

^aulinc Succa, SHeid&mann) 248 

3 a d^ i m : Duüertürc. ® r i e g : „Holbergiana" .... 256 

SBerltoj: Ouüerturc S3. 6;emm 268 

b'5llbert: Duüertüre. @t. @aeng: Omp^ale .... 260 

Sifat: „SSogelprcbigt be8 §1. granj" 263 

SBral^mS: ©oncert für SSioline unb SBioIonceU .... 264 

ttoierconcerte (fjrau 3 a eil u. 51.) 267 

©olbmarf: „^rüpngS^Duüertüre" 270 

9?icob6: „@t)mp^omfd^e SSariationen" 271 

Wtadtn^xt: Out)€rtüre ,,3Sag ifir ttJoHt" 274 

©önbclg Oratorium ,,3ofua'' 276 

S^öre öon S)urante, <B. ^ad) unb Sra^m« .... 283 

©. ©oifmann: ,,©aralb8 SBrautfa^rt" , 286 

3B. bc ©aan: ,,3)er töniggfo^n" . .' 288 

Älabierbirtuofen : ©taücn^agen, gricb^eim, @c^ar* 

»enfa 289 

SRojart: ©treic^trto in Es-dur 296 

®oIbmar!: „$romet^eu8=Duöcrtüre" . , 298 

©metana: ,,3)ie SRolbau" 800 

3)lo8äfott)gfi: 3 weite Ord^efter^Suite 804 

91. »rudner: 3)ritte 8t)mp^onie 306 

©. aSerlioj: [Requiem 309 

Pore t)on 3)lenbel8fo§n, 93ad^ unb SBra^mS ... 314 

9?cuc Quintette üon Sra^mS unb 3)t)of af 816 



•* 
t 



3ntjalt. V 

©eite 

SBra^mS: Älaöiertrio op. 8 (9f?eue SBeorbeitung) . . . 320 

^laöieröirtuofen : Stoöen^agen, (£. 8auer, 9ftofent§al 321 

©ftngerinnen : 9(Iice S3 ar bi, 3)larianne SBvanbt. . . . 329 

®rieg: Ovd)efter::(5uite „$eer ®^nt" 335 

3)öof Qf: 3)ritte ©tjm^^ome 339 

©metana: ^^Suftf^jielsDuüertüre" 342 

SB er Ho 5: „Sinfonie fantastique" 343 

SBra^mS: Motoierconcert D-moU 344 

DrdieftertDerte üon ©d)ubert, §ai)bn, ?Sagner, Ärug 345 

@. S3 a d) : Kantate „gd) ^atte üiel SBcfümmemiö" ... 348 

^ttnbel: ©oc^äeitScontate , . . . . 351 

9?icobe: S^m^^onie-Obe „^a^ 3Jieer" 351 

(SJrieg: ü-dur-duortett. 2Ko5art=S3earbeitiingen . . . 358 

Sieberabenbe uon 9nice S3arbi, @d)eibemantel, ®ura 355 



\ 



y 



ItMttB uttb lelrm 



ffib: $an8U(f , aus bcm a;o0e6u(!^ eine« 9Runfcr8. 



/ 



(1891.) 



(JW/I it bem boppetten Eifer eineä f(^önen @rinnetn8 unb 
s^&* einer fteiibigen 9!eugiet langte ic^ naii) ber eöen 
etfcftienenen \)va^t'ooü aiiägeftatteten Siograi^tiie ber großen 
©ängetin.*) 3«ilic§, ber 3tn6M oon jroei ftar(en CftaU' 
bänben i)ai tnic^ ein roenig erjt^redt. SKie oermog man mit 
bem Seben einer ©efongäfünj'ltmn , unb Jei e§ bie ooHfoni' 
menfte, p}n biife SSänbe ju füllen? %ie eigent£)ümlii^en 
©diroierigfeiten biefer Stufgabe finb ja gerabe folc^e , bie ju 
gebrängter Raffung mo^nen. 3ft ber ©iogtaiifi einmal, na(§ 
©d)itberung ber SinbEr* unb Se^rja^re, bei bem etften ®t= 
fotge bet ©ängetin ongelangt, fo ^at er, üon ©tabt ju ©tobt 
mttreifenb, nur eine Sei^e üon ffunftlciftungen unb Xriuinp^en 
JU 6ef(^reiben, bie fii^ meiftenä »eräWeifett ä^nlii^ jetien. 55en 
aSerfuc^, biefe Seiftungen felbft ju f(^itbern, unS bie ©d|iin= 

♦) „Scnnq Öinb. g^re Soufboftn ülä ffünflletin, 1820 -1851." 
fßaäi Sriefcn, Sagebütiietn utib anbsren von Otto ©nltofdöniibt ge:= 
fommdleit ©iriftfiiiilen uon &. 6. ^ollnnb «nb ffi. ©. Sfiorfftto. 
autorifirte beut[(fie UeöftfeBung uon S'ebiöig ©{^öll. iQmti Snnbe. 
Seipjig, bei S, a. Srotf&aHä.) - 

1* 



4 €b. Qanslirf. 

^eit bicfcr Stimme, biefc^ SSortrageä mit S33orten Mar ju 
mad^cn, toirb bcr Siogra^)^ fid^ allcrbing^ nid^t fd^cnfcn. 
SKIIein er barf i^n, meinen wir, nid^t bei jeber Dt)ernt)or* 
ftellnng mieberl^olen. äKüffen wir wirfüd^ benfelben §^mnuS 
über bie ©öngerin neuerbingS lefen, wenn jte biefelbe 9totte 
in Hamburg, in SSerlin, in granffurt, in SBien, in Sonbon 
gefnngen f|at? 2tn @ewiffent)aftig!eit unb gleife läfet bie nene 
Sinb=S9iogra))t)ie ebenfowenig eitoa^ ju wünfd^en, wie ha^ 
S5ud^ üon Sr. 5RidE§ über E^ot)in; nad^ biefen beiben SBerIcn 
bürfte fortan bie eng.Iifd^e unb nid^t mel^r bie beutfd^e 
„©rünblid^Ieit" atö ©uperlatib gelten. SBerben bod^ bei=^ 
f|)ietöweife bem Sluftreten ber Sinb in einer ^ßroöinjialftabt 
wie SRorwid^ jwei Äa|)itel gewibmet! ®ie häufige SSSieber- 
l^olung alle§ beffen, wa§ bie SSerfaffer über ben ©efang 
unb ben K^arafter ber ffünftlerin öorbringen, befd^wert baS 
33ud^ unb ermübet ben Sefer. 2)ünft un§ fomit bie neue 
Sinb'93iograt)]^ie ju lang geratljen, fo ift fie in anbercr S3e* 
giel^ung bod^ wieber ju fur^. Sie fd^fiefet mit bem Slbgang 
ber Äünftlerin öon ber D^ernbüfine, alfo mit htm ^a^rc 
1851. 3ennl) Sinb ^at aber bann nod^ an 20 Qal^rc lang 
aU Soncert' unb Oratorien * ©angerin 2rinm|)]^e in beiben 
SBelten gefeiert. @ine Siograpl^ie foll un§ baS ganje Seben 
il^reS gelben erää^Ien. SBarum fagen un§ bie SSerfaffer, hit 
pd^ ja intime Sreunbe ber ©angerin nennen burften, nid^t§ 
öott il^rem fjamilienlcben , i^rer ^äu^Iid^feit, nid^t^ öon 
i^ren Äinbern, bereu 3iamen wir nid^t einmal crfal^ren, 
gefd^weige benn il^re ©c^idEfale? Sie (Sriö^Iung bricht öor 
ber großen amerifanifd^en Steife ah, weil — fo meinen bie 
SJerfaffer — bod^ nur fd^on ®efagte^ wieberl^olt werben 
müfete. SRit nid^ten; gerabe bie amerifanifd^e loumec ber 
Sinb unter bem berülömten S3arnum bot fel^r öiel ©igen* 
artige^, aud^ fultur^iftorifd^ SntcreffanteS , ba^ mit il^rcn 



3ennY txnb. 5 

curot)äifci^en ©ricbniffen fid^ burd^au^ md)i bccft. ©outen bic 
SSiograjjl^ett ^ter öiellcid^t |)löfelici^ Shtflft belommen ^abcn öor 
eittcnt mögUc^en brittcn Sanb? 3ft)ct SScrfaffer l^abcn fic^ 
in bic Arbeit gctl^cilt, ol^ne bcn Stnt^eil cined jeben öon il^nen 
eigene fenntlid^ jn mad^en. Dl^ne Stod\ti rül^rcn bic ntnfi* 
falifd^cn Scurtl^cilungcn öon $crm SRodftro ^er, n^äl^renb 
ber Eanonicn^ ©cott^oUanb bcn biogra))]^if(^en Il^cil 
nnb bie ©d^ilberung öon 3cnn^ £inb^ (Sfiarafter fd^rieb. 
SBüßten ttjir nid^t au§ |)errn Dtto @oIbfd^ntibt§ SSorrcbe, 
bafe Scott |)oIIanb „ein fel^r gcfd^öfeter Äanjdrebner unb 
SSerfaffcr anerlanntcr religtöfcr Sudler" ift , mir mürben cd 
aus mand^er befonberS falbungSöoIIen ?ßartie bcS 39ud^c§ er* 
ratl^en. ®ic „©d^Iupetrad^tung", tocld^c am fönbe beS smcitctt 
SSanbed alle K^araftcröorjügc ber Sinb nod^ einmal jufam* 
menfaßt ober rid^tiger: auSeinanberbreitet, ift eigcntfid^ eine 
öerfd^ämte ^rebigt, ein anböd^tigeiS SSariiren unb ^axapf^xa^ 
firen bcSfelben %^tma^, toit e§ ffanjelrebner fo toortreid^ 
unb erbaufid^ in Uebung l^abcn. Uebrtgend finb bie SSorjüge 
be§ SBerfcS nid^t gering. S)a§ S3ud^ ift mit großer SBärme, 
cbler ©efinnung unb nid^t o^ne ©eift gefd^rieben ; bie beutfd^e 
Ucberfefeung treu unb getoanbt. 

S)er intereffantefte, toeil am menigften befanntc I^cil ber 
S3iogra))]^ie ift bie 3ugenbgefd^i(^te. 3ctin^ Sinb ift in 
©todl^olm ben 6. Dftober 1820 geboren, ^i^xt ©Item lebten 
in bebrängten SScrl^Mtniffen. S)er SSater, bamafö erft jmei* 
unbjmanjig Qal^re alt unb - ©ud^l^alter bei cinfm Sauf manne, 
toirb atö ein gutmütl^ig fd^mad^er, leid^tlebiger äRann ge* 
fd^ilbert. ^cnn^Ä äRutter, bie gefc^iebene ©attin eines üitU 
berüd^tigtcn ffapitänS Slobbcrg, mar eine ^arafterftarfe grau, 
meldte fid^ l^au^Jtfäd^Iid^ mit Unterrid^tgeben burd^l^alf unb eine 
lägeSf^uIe für SKftb^en l^iclt. @ie gab bie Äeine ^enn^ 
«ufS Sanb ju einem Drganiften in bie ^ßflcge unb l^at jeit* 



6 €b. ^ansM. 

lebend nte^r Strenge afö Sörtlid^fcit, jcbenfaHS menig 9Ser* 
ftänbni^ bclpiefen ffir il^re Xoä^itx, ®te ©ro^mutter entbedfte 
juerft baS auffallcnbe mufifaüfti^e latent, ha§f nnfel^Ibare ©e- 
l^ör nnb ©eböd^tniß be§ ßinbe§. S)te neunjährige Sennt) 
ntufete öor bem S)irector be§ fönigfid^en S^l^eaterS, ®rafen 
?ßale, fingen unb erl^ielt auf beffen SSorfd^Iag nid^t nur Unter* 
riti^t im ©efang, fonbern itjre ganje Stu^btlbung unb @r* 
jiel^ung auf ©taatsfoften. Sie äKutter ^atte ben größten 
Slbfd^eu öor bem S^l^eater, fie mußte aber bem S)rudE ber 
SSer^öItniffe nad^geben, unb Senn^ luurbe ein ^ftegeünb ber 
S5üt)ne. @§ ift eine feltene ©rfd^einung in ben Slnnalen ber 
fiunft, baß bie Seprben fo rafd^ ein ungemöl^nüd^eS latent 
cntbedfen unb fofort bereit finb, etiuag bafür ju magen. S)aä' 
Knigüd^e Il^eater ju ©todf^olm, in meld^em bie jel^njäl^rige 
3enn^ im @e^)tember 1830 afö „aktris-elev" eintrat, blieb 
für bie nöd^ften jel^n ^af^xt ber ©d^anpla^ unb aRitteIt)unft 
i^reS Seben§. S)ie föniglid^e I^eaterbirection t)ftegte bie 
Sögünge in auägemö^Iten Käufern in ber ©tabt unter ber 
Sluffid^t einer grau unterjubringen unb mit biefer ein lieber* 
einfommen für ßoft unb SBol^nung ju treffen. S)a 3cnn^§ 
äJlutter o^nel^in ffoftfd^ülerinnen in itjrem ^aufe ^ielt, n)urbe 
il^r aud^ bie lod^ter übergeben. 3n bem mit grau Sinb ge= 
fd^toffenen, öon ber ffeinen Senn^ mitunterfertigten ©ertrage 
l^eißt e^ : „S5iS fie l^erangemad^fen unb genügenb au^gebilbet 
ift, um einen feften ©el^aft beanft)rud^en ju fönnen, fott fie 
auf Sled^nung be^ S^eaterS Soft, ffiteibung unb SSSol^nung, 
fomie freien Unterrid^t im ©ingen, S)eclamiren, im Sanj 
unb allen anberen göd^ern erl^alten, bie jur ©rjiel^uttg eined 
gebilbeten SKäbd^en^ gel^ören unb für bie Sül^nenlaufbal^n 
notl^toenbig finb." SBie öielS^itn^ P^ bon ben „Uterarifd^en'' 
gäd^ern unb fremben ®ptaä)tn angeeignet l^abe, läßt ftd^ 
nid^t beftimmen, aber bie SSoIlftänbigfeit ber ft)ecififd^ fünft» 



3ennY £tnb. 7 

lerifd^cn Äu^bilbmig toax fel^r bcad^tenätoertl^ unb l^intcrlicfe 
in iftr einen unauSlöfd&nd^en (Sinbrucf. @te fül^ftc, bafe fie 
bcrfelbeu öiel öon il^ren Jt)ätercn (Srfolgen öerbanite; bcfott== 
berS fd^afete fie il^re SluSbilbung in fd^önen unb auSbrud^* 
motten Setoegungen , bie fie in ber Il^eatertanjfd^ule ge== 
toonnen. @o lag i^re Saufbal^n beftimmt unb l^offnungdreid^ 
öorgejeici^net. @§ toax auf Qa^re ]^inau§ für fie geforgt unb 
für bie Bwfunft il^r eine ©teile gefid^ert. Stur ha^ lieMofe 
aSenel^nten t^rer äugerft reijbaren unb l^eftigen SRutter trübte 
it)re Sugenbjeit. 3taä^ einer aufregenben ©cene entlief Senn^ 
eines lageS il^rer SRutter unb ftüd^tete ju einer belannten 
brauen Stau. 5)ie S)irection erlaubte il^r, bort ju bleiben, 
aber Srau Sinb ftrengte einen ^ßrocefe an, unb Senn^ mu§te 
il^r jurüdgegeben werben. SBeld^e Sorgen il^r &tbtn a\xä) 
mit \iä) brachte, einen ffummer, ber gettJö^nfic^ bie 8lnf dnge 
junger Mnftlerinnen öerbüftert, ^at fie nid^t gefannt : e§ fel^Ite 
il^r nie an Slnerlennung. ©d^on im erften Saläre il^rer 8luf== 
nal^me in bie 3^^eaterfd^ule f))ielte bie jel^njäl^rige Qenn^ 
fi'inberrotten unb glönste afö Sönserin. 3n ben näd^ften 
Salären trat fie toiebertjoft in @d^auf^}ielen auf; in einigen 
anä) mit ©efang unb Sanj. @ie fang l^in unb lieber in 
I^eaterconcerten S)uette mit i^rem ©efanglel^rer öerg, 
bem fie il^re gange SluSbilbung für bie fd^toebifd^e Sül^ne ju 
banlen l^atte. 3citteben§ blieb fie il^m treu anl^ängttd^; er 
mu^te lange nad^l^er, 1848, auf i^ren SSSunfd^ fie nad^ @ng^ 
Iwah begleiten. SiS jum 1. Januar 1837 mar Senn^ me^r 
ate l^unbertmal auf ber ©todfl^olmer öül^ne aufgetreten; 
man fanb eS nun an ber 3^tt, i^r eine fefte ßtellung mit 
beftimmtem ©el^afte (jal^rlid^ 1200 äRarf) ju geben, «on 
ba an follte fie, nad^ htm urft)rüngttd^en ©ontracte, nod^ jcl^tt 
Sa^re im S)ienfte ber S)irection bleiben. @ie f<)ielte fleißig 
toeiter in Wngft öergeffenen @d^uf))ielen , £uftft)ielen unb 



8 €b. ^anslid. 

Surle^fcn. ®a trat, ein cntfd^cibcnber 3Stnitpnnti ein: ber 
Slbenb beS 7. äRärs 1838. „3d^ ftanb an bcm äRotgen auf 
aU eine Kreatur toie fonft,'' <)ftegte fie ju erjäl^Ien, „unb 
legte mid^ fd^Iafen ate eine neue Kreatur. 3^ ^^tte meine 
ffraft erlannt.'' gl^r ganje^ Seben l^inburd^ feierte fie ben 
7. äRärj mit reügiöfem ©ruft tt)ie einen jtüeiten ©eburtStag. 
Sin bem Jage ttjarb fie fid^ i^rer f elbft berufet ; i^r fünftlerif d^eS 
Seben begann. 2)ie§ gefd^al^ in ber 9toIIe ber Stgatl^e in 
SBeberg „Steifd^üfe''. 9Jon ba erfannte man 3cnn^ atö bie 
^gottbegabte ©öngerin''. @ie n^ibmete fic^ je^t ganj ber 
Dptx. 2(uf bie Stgatl^e folgt bie SRarie öon iperolb, ©meline 
in ber ;,@d^tt)eiäerfamilie", ?ßamina in ber ^^gauberftöte'', 
fjjäter „S)ie »e^alin" unb Sttice in ^Stöbert ber Teufel''. 
S)iefe 8lotte, in ber fie fpäter il^re bebeutenbften ®rfoIge er^ 
rang, fang fie jum erften SRale im Sa^re 1839 afö ad^tjel^n- 
jal^rigeg ajlöbd^en. ©anj gfildfUd^ toäre fie getoefen, l^ötten 
nid^t feit i^ren -erften ©rfolgen bie SReijbarfeit, ber ^od^mutl^ 
unb ha§f SKi^trauen i^rer äKutter, anftatt pd^ ju milbem, 
nod^ angenommen. 5)a t^at 3enn^ ben entfd^eibenben ©d^ritt 
jur Trennung öom l^äuSUd^en §erb. @ie jog ju bem il^r 
befreunbeten berühmten Siebercontponiften S i n b b I a b , beff en 
grau i^r eine jmeite äJlutter tourbe. S)ort blieb fie bi^ ju 
i^rer Slbreife nad^ ?ßari§, 1841; ba^in lam fie toieber bei 
i^rer mdlti)x im Saläre 1842. 

SaSel^e »ettjanbtnife ^atte e^ mit biefer ^ßarifer Steife? 
UnfereS5iograt)]^en begeid^nen fie, ettoa^ gejiert, afö „^Pilgerfahrt* 
unb erMären fie mit ben m^fteriöfen ©ingang^ttjorten : „ba^ 
3enn^ jum Dp^tv beftimmt mar !" @inf ad^ auSgebrüdft : Senn^ 
Sinb emt)fanb, bafe i^re ©efang^ted^nif einer ^ö^eren 2(ud* 
bilbung bebürfe, bafe fie nod^ gu lernen ^ait. S)er fd^toe* 
bifd^e ^iftoriler ©eijer ^atte juerft barauf beftanben, ba§ fie 
au^ bem engen ßreid öon ©todtl^olm l^inauiJ muffe in bie 



3cnnY £inb. 9 

SBcft. S)aäu tarn bcr |)raltifd&e 9tatl^ bcS trcfflid^en Sari* 
tottS Sellctti, tt)cl(i^cr auf 3cnn^§ iJtage, mo man fid^ 
bic gute itafieuifd^e 3)ict^obe aneignen !önne, unbebenfüd^ 
antwortete: „^n ^ßariö, bei ®arcia/ Um bie äWittel ju 
einem jtüölfmonatfid^en ©tubium bei Oarcia ju ermerben, 
unternahm 3enn^ eine ©oncertrcife in bie ^ßrouinjen, meldte 
ber mutl^igen jungen Mnftlerin itoax reic^Iid^e ®^ren unb 
Sinnal^men brad^te, aber burdEi übermäßige Slnftrengung i^re 
Stimme fd^abigte. 2tte fte (Sarcia eine Strie au§ „Sucia" 
öorfang, brad^ fie mö^renb be^ Singend ööHig jufammen. 
„Mademoiselle,^ fagte ®arcia, „vous n'avez plus de voix.** 
S)er ©d^Iag toar furd^tbar. Stber i^r äKutl^ unb bie @r* 
innerung an fo öiele e^rlid^ errungene ©rfofge l^ielten bie 
fd^mer Oetroffene aufredet. ®arcia rietl^ il^r, fed^g SBod^en 
lang feinen einzigen Ion ju fingen, ja, fo toenig toie möglid^ 
ju f))red^en; bann möge fie toieber ju i^m fommen. 3cnn^ 
Sinb toibmete biefe t)einlid^ langen fed^§ S33od^en bem eifrigen 
©tubium be§ 3talienifd^en unb granjöfifd^en. 9tad^ biefer 
SBartejeit fanb ®arcia il^re ©timme fo n^eit au^gerul^t, baß 
er i^r Hoffnung auf gänslid^e SBieberl^erftellung mad^en 
lonnte, uorau^gefefet, baß fie il^re falfd^e äRet^obe bcr ©timm=. 
bilbung, toeld^e fie faft ju ®runbe gerid^tet, aufgeben merbe. 
©ie ^atte regelmäßig bei ®arcia jttjei ©tunben in ber S33od^e 
unb mad^te überrafd^enbe gortfd^ritte. „3d^ l^abe,'' fd^reibt 
fie an eine greunbin, „fd^on fünf ©tunben bei ©ignor 
®arcia, bem SSruber öon äWabame äRalibran, gel^abt; ba 
l^eißt cS benn für mid^ toieber öon öorn anfangen; bie 
©calen auf* unb abn)ärt§ fingen , langfam unb öorfid^tig ; 
IriHer üben (aud^ und^rifttid^ langfam). 3Kit bem Sttl^men 
nimmt er e§ an^ fel^r genau. 3<^ betrad^te e§ afö ein 
großes ®Iüdt für mid^, baß eS einen ®arcia giebt.'' Ueber 
baS Sltl^eml^olen, bie ©timmbübung, SSerfd^meljung ber 3te* 



10 €&. ^anslirf. 

giftet unb anbete tcd^nifc^e ©ittäcH^etten toufetc fte nid^t^: 
biefe mcciiamfci^e ©tunblage Ictntc fie öon ©atcia; in ben 
^öl^etcn ategioncn bet ffunft ttjat i^t gtofeeS mufüafifc^ed 
Sdent längft ^eimifd^ unb fid^et. 3n bet %^ai, fie 
toax eine gebotene föünftletin; untet Oatcia^ Seitung toat 
fie eine SSittuofin geiüotben. 

SBd^tenb biefe^ 5ßatifet Se^tjal^tc^ quöfte fie unauSgefefet 
bie ©el^nfud^t nac^ bet ©eimatl^ unb naä) — bet ©ü^ne. 
„5)a§ Sül^nenleben," fd^teibt fie, „f)at etmaö fo ^inteifeen* 
be§, ba§ id^ lüitllic^ glaube, met e^ einmal gefoftet l^at, 
lann, ttjenn et e^ entbel&ten mufe, nie hiebet glüdfüc^ fein/ 
S)ief es ©eftänbnife fielet in f c^neibenbem ©onttaft ju bet faft ftan!- 
^ften ©el^nfuc^t, mit meldtet S^nn^ Sinb nid^t lange batauf 
fid^ öon bem Il^eatetleben fottmünfd^te. SBid^tig füt il^te 
f))ätete ©attiete tt)at it)t bie Sefanntfd^aft SKe^etbeetS, 
bet eben in 5ßati^ SSotfel^tungen füt. feinen „ißto|)]&eten" 
ttaf. (St ^atte bie Sinb ^)tiöatim fingen getjött unb „öiel 
(B^pxii unb ©efü^I" in il^tem SSotttag gefunben. Süt ben 
3laum bet 5ßatifet gto^en Dpet fd^ien i^m bie Stimme nid^t 
ftati genug, bod^ meinte et, bafe 93etlin ein geeignete^ gelb 
füt i^t latent fein ttjütbe. S)et \päkxt (Stfolg l^at SRe^et* 
beetS Uttl^eil geted^tfettigt. Deffentlid^ l^at 3enn^ Sinb in 
?ßati§ niemafö gefungen. S)ie eine jeitlang öetbteitete %aUl, 
fie fei in ?ßatiS butdögefallen unb ^abe be^l^afb nie ttjiebet 
bott auftteten motten, mitb in unfetem ^nä^t gtünbüd^ 
ttJibetlegt. Qmmet mäd^tiget jie^t e§ fie nad^ $aufe. „?ßatiS/' 
fd^teibtfie, „t)a6t nid^t füt mid^, unb id^ paffe nic^t füt^ßatiÄ." 
1842 fel^tt Scnn^ nad^ ©todl^olm jutüdt unb etfd^eint pm 
etftenSRale toiebet afe SRotma, bann afö Sucia, enblid^ afö 
©onnambula, bie eine i^tet betü^mteften 8loHen ttjutbe. SKit 
il^ten unbebeutenben ®tf^}atniffen fauft fie il^ten Sttetn ein 
Heiner §eim auf bem Sanbe. Stoei Salute lang ioitit fie 



Jenny £inb. H 

ttun, öom ^ßublilum vergöttert, in ©todf^olm. S)a erinnert 
fid^ 3K ererbe er ber jungen ©ängerin unb bemüht fid^, fie 
für SSerlin ju gewinnen, mo fie bie ^aviptxoUt in feiner neuen 
SDptx „Sag Selblager in ©c^Iefien" übernel^men foH. Sie lel^nt 
ein glönäenbe§ 2lnerbieten be§ ©todf^olmer Sl^eaterS ab unb 
berlä^t jum gweiten SKale i^re ^eintat^, bieSmal aU öollenbetc 
SJieifterin, um in fernem Sanb il^r ®Iü(f ju öerfuc^en. @inen 
SRonat l^ölt fie fid^ in S)re§ben auf unb mibmet fid^ bort 
eifrig bem ©tubium ber beutfd^en Bpvai)^. ^n Sertin tritt 
fie juerft aU Storma auf, balb barauf aU SSielfa in SRe^er* 
beer§ „Selblager". @ie ^at übrigeng biefe öon SKe^erbeer 
für fie gefd^riebene SRoIIe nid^t „creirt", fonbern fid^ freiwillig 
ben 8lnft)rüd^en ber berliner ^offöngerin Sröulein Sucjef 
gefügt, meldte bei ber feierlid^en ©röffnung beg neuen Dptxn- 
l^aufeg bie SSielfa juerft fingen mollte. ®ieg gefd^al^, aber 
nid^t äu ajle^erbeerg Sufriebenl^eit unb nid^t jum SSort^eUe 
beg SaSerfeg. 3la6) fünf Sluffül^rungen be§ „gelblagerS" über* 
nal^m ^enn^ Sinb im S^nuar 1845 bie SRotte unb öerfefctc 
ben ®om))oniften unb bag ^ublüum in öegeifterung. @o l^at 
bie Sinb il^ren euro^jüifc^en 9luf in öertin begrünbet. 
aWit glönjenben Sfnträgen bettjarben fid^ nun Sonbon unb 
alle beutfd^en ipau<)tftöbte um bie „fd^mebifc^e Stad^tigall". 
Sie nöd^ften fieben ^al^re bilben einen ununterbrod^enen 
Iriuntpl^äug ber gefeierten D t) er n f ä n g e r i n. 2tm 10, ajlai 
1849 ^at fie (afö Sllice in „SRobert'') jum legten SRal bie 
aSül^ne betreten unb bann auf il^ren Sunftreifen in S)eutfd^== 
lanb, ©nglanb unb Slmerifa nur nod^ in Eoncertcn gefungen. 



n. 

®g fann mir nid^t beifatten, ben ffiunftreifen S^un^ Sinbg 
aud^ nur entfernt mit ber ptintiä^tn ©ettjiffenl^aftigfeit il^rer 



12 (Eb. £?ansHcP. 

^voQtapf)tn ju folgen. S)ic %xivimpf)t, totid^t bicfc fd^Ubcrn, 
pnb im ®runbe überall biefelben uttb bic ja^Iretd^en 3oumat 
artifel; bie fte abbrucfen, gleid^fattö. äKit Sleti^t geben bie 
SSerfaffer einem faciifunbigen nnb üebenStoürbigen ^itifer 
tote S. atellftab toieberl^olt baS SBort; feine ©erliner Ur* 
t^eile über bie Sinb finb fd^on baburd^ ttjid^tig, ha% fte bie 
erften in S)eutfci^Ianb erfd^ienenen toaren nnb wie eine ftar! 
angefd^Iagene Stimmgabel ben Son angaben, ber nun fort 
unb fort ttjeiterffingt. Stber öiele l^ier aufgenommene S^ttungS- 
artüel öon unbefannten. ober unbebeutenben ©erid^terftattem 
würben wir leidet entbefirt l^aben. Ueber bie erften SBiener 
SDptvn unb Eoncerte ber 3cttn^ Sinb im Saläre 1847 citirt 
ba^ Sud^ auSfd^Iiefeüd^ ffiritifen auS ber faiferlid^en SBiener 
Seitung. Sc^ toeig nid^t, toer beren SSerfaffer »ar, tool^I 
aber, bafe SBien ju jener 3ctt einen einzigen bebeutenben 
aWufüfritüer befaß, ben Dr. Stifreb Sedier, ber fogar 
eine eigene ©rofd^üre über bie Sinb öeröffentlid^te. Unb ge* 
rabe öon biefem nimmt ba§ S9ud^ feine ^Rotij. Sieben ben 
berfd^toenberifd^ auSgeftreuten 3ournaIcitaten geben un^ bie 
SSerfaffer natürlid^ aud^ il^r eigene^, fel^r eingel^enbe^ Urt^eil 
über Senn^ SinbS ©efang. Sie ©d^toierigfeit, ben ganj 
eigenen Sauber ber Sinb ttiit SBorten ju fd^ilbem, l^abe id^ 
nur ju fel^r an mir felbft erfahren. 9tad^ il^ren S33iener 
Koncerten im Saläre 1854 meinte id^, eS müßte bem Etiler 
eigentlid^ geftattet fein, über (Srfd^einungen öon öollenbeter 
©d^ön^eit, tt)ie fie günftigenfallS in l^unbert Sorten einmal 
fommen, nid^t§ Slnbere^ au§äuf:>)red^en, afö bic greube, fie 
mit erlebt ju l^aben. S)ie bebeutenbften ©öngerinnen, bie man 
bamafö in S33ien l^örte, mad^ten un^ ben ®inbrudf, baß bie 
Sinb nid^t nur mel^r ttjar, dfö jebe anbere, fonbem gerabeju 
anber^; tt)ir fül^ften nid^t bloß eine ©rößenbiffereng, fonbem 
etttja^ tt)ie einen Oattung^unterfd^ieb. S)iefe S)urd^geiftigung 



3ennY ÜintL 13 

unb S)urci^fii^Iun9 icbeS cttiäelncn loneS nrie ber göttjett 
©runbftimmxing einer ®om:j)ofttion iparen ttjeber nad^jual^mctt 
nod^ ju befd^reiben. 2luf eine faft röt^fet^afte ätrt offenbarte 
nn^ Senn^ £inb bie abfolute Sd^ön^eit beS ©ingcnS an ftc^. 
SBie jener alte Äönig öertoanbelte fte atted , nja^ pe berührte, 
in @oIb. aSenn fie eine Slrie an^ „Beatrice di Tenda" 
ober ans ben „?ßuritanem" fang — war bad nod^ biefetbe 
SKnfif , bie mir ftetS matt nnb füfeüd^ gefunben ? S33ie marnier, 
bnftiger Sttl^ent legte fie fid^ unS um Smft unb SBangen. SBic 
ganj anberS, ttjenn grofee ©efangSöirtuofinncn ttjic bie SSiar*' 
bot, laboüni, Sa ©ränge bergleid^en vortrugen! S^tin^Swi^^ 
Saubereien erttjedftcn in unS baS (Scfül^I beS Staunend nid^t 
anbefS, atö bereits gctrönft öon ber ©üfeigleit rul^igen ®c* 
nie^enS. SBer l^at i^re fd^toebifd^en SSoIfölieber, toer il^ren 
SSortrag beS laubertfd^en Siebes : „^ä^ mufe nun einmal 
fingen", je öergeffen? 2MS beiläufige Stad^al^mung beSSSogel^ 
gefangS l&art an ber ®renje ber äJlufil ftel^enb, mürben biefc 
flötenben unb fd^metternben ©olfeggien in 3cnn^S äKunb jur 
enljüdfenben ©c^önl^eit. S)er ganje ttjalbfrifd^e ^Raturreij 
jubelnben SSogelgefangS fam unS l^ier auf bem unbegreifKd^en 
SBege ber äufeerften tec^nifc^en Sraöour entgegen, ^a tott 
fönnte überl^aupt irgenb eine ©efangSleiftung ber Sinb je 
öergeffen, ber fo glüdflid^ mar, fie ju erleben! ®S ift ein 
fd^öncS SBort öon Sral^mS, ber einmal aö Süngfing bie 
Sinb in ber „@d^ö^)fung" gel^ört l^atte, baß il^m l^eutc nod^, 
loenn er bie ?ßartitur bicfeS SSSerfeS auffd^Iage, bie öon Senn^ 
Sinb gefungenen ©teilen tnie in ©olbglanj erfd^einen. ^ä^ 
fribft l^abe öor 45 ^af)xtn ©d^umannS „Stufebaum" unb 3Rcn^ 
belSfo^nS „Stuf gWgeln beS ©efangcS" öon ber Senn^ Sinb 
(mit fflaöierbegleitung öon Klara ©d^umann) gel^ört unb 
!ann feitl^er feines biefer Sieber ^ören ober \pxdtn, ol^ne bag 
nid^t jcbcr Ion ber Sinb beutlid^ mie eine SSifion öor mir 



14 , €b. ^ansHcf. 

auflebt. S)amafö mar id& aud^ jum crftcn 9Kale Slugcnjeugc 
öon bcm Sam|)cnfiebcr jtoeicr großer ffuttftlcrintten. Elara 
©d^umann, bie im Sesember 1846 mit il^rem ®atten in SBicti 
öerlüeilte, ^atte ein Eoncert im großen Sleboutenfaal unter 
äWitmirlung öon S^nn^ Sinb angezeigt. Slm SKorgen be§ 
EoncerteS erfud^te fie mi(i^, in^ ffunftlerjimmer ju fommcn, 
um il^r nöt^igenfattS, tt)enn jfie Slngft befäme, bie 5Roten um^ 
gumenben. S33irflid^ magte fie, im SKomcnt bc§ ^crau^treten^, 
nid^t, ein tjunbertmal gef))ielte§ ©tüdE öon 39ad^ au^tt)enbig 
öorjutragen — „e§ fönnte i^r bod^ toa§> ))afftren". 3d^ \mx 
afö junger ©tubent nid^t menig ftolj auf biefe SRiffton, unb 
ttJir beibe mad^ten unfere Baä^t gut SRun !am bie SReil^e 
an ;3enn^ Sinb mit ben genannten gmei Siebern. Unrutjig, 
aufgeregt fd^ritt fie ba§ 3immer auf unb ab, \)oU Seforgnig, 
ob fie aud^ gut fingen mürbe, ^ä) tonnte ein SSäort fragenber 
ajertounberung nid^t unterbrüdfen. „5)a ift nid^t^ ju öer^ 
munbern," lautete i^re Slnttoort — ,,nur ein E^orift l^at 
feine Slngft". S)iefe§ Stngftgefü^t üor jeber 5ßrobuction 
l^at fie geitleben^ nid^t üerlaffen; il^re Sriefe unb Vit (Sr^^ 
jäl^Iungen intimer Steunbe geben 3cwgni§ baüon burd^ baS 
ganje S3ud^. 

äKerftüürbig übereinftimmenb finb alle bie in ber Sio- 
grapl^ie abgebrudften pribaten unb öffentlid^en Urtl^eile barin, 
ha^ fie in ben eigenartigen großen SBirfungen ber Sinb bie 
fittlid^e ©runblage l^eröorl^eben ober bod^ ^erüu^fül^Ien , bie 
öerebefnbe S^aft einer toal^r^aften unb reinen Seele. 3n ber 
Sl^at, toie e^ latente giebt, bie t)om E^arafter au^ gefd^äbigt 
ober ruinirt mürben, fo fetjen mir bie filmft ber 3ennt| 
Sinb öon i^rem Sl^arafter au§ gel^oben unb uerHört. Kein 
äRufifer, fonbern ein Sid^ter, El^riftian Slnberfen, mar 
fid^ juerft über biefen ©inbrucf Kar gemorben, inbem er 
f^rieb: „3Ran fü^It bei i^rem auftreten auf ber SSü^ne, 



3ennv J^inb. 15 

ha^ e§ ein reineä @efö§ tft, luorin bcr ^eilige %xant un§ 
gereid^t tt)irb. SRit bem t)oIIett ©efül^I eine^ Sruberä fd^ä^c 
irf) fte; id^ füllte mid^ glüdflid^, ba§ id^ eine fold^e ©eelc 
fenne nnb öerftetje. 2)urd^ ^enn^ Sinb l^abc ic^ juerft bic 
^eüigfeit ber Sfnnft em|)funben; burd^ fie l^abe id^ gelernt, 
ba% man int Sienfte beS §ö^eren ftd^ fetbft öergcffen ntufe. 
Seine Sudler, feine Söienfd^en fiaben beffer nnb öerebeinber 
auf mic^ aU 5)id^ter eingetoirft, aU Senn^ Sinb." Stbcr ba§ 
grogartigfte S^wotiife bünfen unS bie SSSorte Selij SKenbeU^^ 
fol^n^: ,,@ie ift eine bcr größten ffünftlerinnen, bie je 
gelebt l^aben, unb bie größte, bie id^ fenne." 5)er l^erjlid^c, 
auf innigfte ©eelenöerjDanbtfd^aft gegrünbetc fjreunbfd^aftä* 
bunb jinifd^en S^tin^ Sinb unb äRenbeföfol^n bilbct eine ber 
erquidfenbften 5ßartien in bem Seben ber ©öngerin. Sie lernt 
SRenbefefol^n in SSerlin fennen unb freut fid^ auf jebeS S^' 
fammentreffen mit il^m. „2)a^ ift ein äReufdö," fd^reibt fie, 
„unb §ugleid& ba§ ^ert)orragenbfte Salent. So muß e§ fein!" 
äRe^rere, meift fe^r au^füfirli^e S3riefe äRenbeßfofin^ an 
bie Sinb finben mir in ber a3iogra|)^ie §um erften 2KaIe mit* 
getl^eilt. @r tnill eine Dptx für bie Sinb fd^reiben, unb ber 
®irector ber Stalienifcften Dptx in Sonbon, Sumle^, fenbet 
il^m ben $Ian eine^ Sibretto^. 5)er Stoff mar ©l^afefpeare^ 
®rama „5)er Sturm" entnommen, unb grau 93ird^=5ßfeiffer 
foBte baS D^jernbu^ aufarbeiten. @ie fam, jaubernb unb 
fränfelnb, nid^t ba^u, fo fe^r 3enn^ Sinb unb Sumle^ brang* 
ten. 2)a fd^Iug Sumle^, ber bie (Baä^t mit großem Sifer 
betrieb, ben ^ßoeten Seiice Stoma ni öor, öon bem bie beften 
italienifd^en Sibretti (SRorma, ©onnambula, Siebe^tranf :c.) 
l^errü^ren. S9alb barauf unterjubelt Sumte^ in 5ßari§ mit 
© c r i b e , ber ba§ größte ^ntereff e fitr bie Strbeit äußerte. 
SBirflii^ fann Sumle^ menige SBo^en fpäter SRenbefefo^n 
ben ©cribcfd^en Seyt faft t)oIIenbet jufd^iden; aud^ bie 8e* 



16 €b. ^auslief. 

fefeung ber SRoHen ift bereits öorgef el^en : SKifanba, 3enn^ 
Sinb ; 5ßro§^)ero, S a b I a d^ e ; Taliban, @ t a u b i g I ; gernanbo, 
©arboni ober graSd^ini. äRenbeföfol^tt lotrnte jtd^ aber 
mit ber 9lrt, mie ©cribc ben @^a!ef:>)earefd^en ©toff bel^an^ 
bdte, nid^t befreunben. ©in langer Sriefmed^fel entft)attn fid^ 
jtoifd^en bem ®ontt)oniften xinb bem leytbid^ter. Dbfd^on 
©cribe bereit mar, in einigen ^ßunften nad^jugeben, öer== 
mod^te er bod^ ntd^t fo meit ju gelten, ttjie SKenbefefo^nS 
?ßietät für @]^afeft)eare e§ verlangte, unb fo marb ber ganjc 
f d^öne 5ßlan öereitdt. S33eld& großer SSerluft für nn§ ! ©cribe* 
leytbudö ttjurbe öon ^aleö^ comt)onirt unb 1850 in §er 
SRajeft^S Stjeatre mit ber @ o n t a g unb £ a b I a (^ e in ben 
ipauptroHen gegeben. SRenbeföfol^n aber entfd&Iofe fid^ ju 
einer beutfd^en D|)ernbid^tung, ber ,,SoreIe^" öon ®eibel, bie 
er befanntlid^ laum ju com:>)oniren begonnen l^atte, als il^n 
ber lob abrief. 

Site Senn^ ßinb jur Sluffütjrung ber ,,SSietta" na^ 
SSäien reifte, tmp\af)i SRenbetefotjn fie befonberS l^erjüd^ an 
feinen Steunb, ben D))ernfänger unb fpateren S)irector beS 
äRünd^ener KonferöatoriumS , Si^anj $ auf er. '„^ä) bilbe 
mir ein," fc^reibt er, „eS mujs S)ir mit i^r fo gelten, njie 
mir, bem fie eigentüd^ niemals toie eine grembe, fonbem 
toie eine „öon ben Unfrigen" (öon ber unfid^tbaren fitrd^e, 
über bie S)u mir fonft jumeilen fd^riebft) erfd^tcnen ift. @ic 
jie^t mit unS allen, bie ttjir eS reblid^ mit ber ffiunft meinen, 
einen Strang, beult an baSfelbe, ftrebt nad^ bemfelben, unb 
barum ift atteS ®ute, ttjaS i^r in ber SSSelt toiberföl^rt, mir 
genau fo fd^meid^el^aft , atö toenn eS mir felbft ttjiberfü^re, 
unb l^ilft mir unb unS allen ebenfogut weiter. Unb S)ir, 
bem ©änger, muß cS nod^ gar eine befonbere Sreube fein, 
biefe SJereinigung öon glüdfüd^fter Slnlage , tiefftem ©tubium 
unb innerfter ^erjüd^feit einmal enblid^ ju finben." Raufet 



)ei 



3ennv £tnb. 17 

'^^ aber ontwortet glcici^ naä) il^rcm Sluftrctcn: ^SDic S^nn^ 

^^' Sinb fingt ^kx, unb id^ fagc toeitcr nici^t^, atö baß iä) ba§ 

Sicbcr f|abe, unb gwar int l^öd^ften ®rabc. @o eine ©tintntc 

]^o6c id^ in meinem ScBen nid^t gel^ört, aber oud^ nod^ nie 

4 ein fo geniale^, toeibüd^e^, mupfalifd^e^ S33efen gefeiten. Stuf 

ß bem Sweater ift e§ boS SicbenStoürbigfte, Seufd^efte, ©d^önfte, 

^'- toa§> man feigen unb tfören fonn — biefcr SReij ber ©timmc 

9 ift mir bisher unbef annt getoefen ; toa^ oud^ aUe Sängerinnen 

« ju übertoinben im ftanbe toaren, toic ^jotent oud^ il^re Sor* 

' ftettungen auf ber @cene — bie Sinb ragt über aHe, aber 

burd^ nid^tS SSereinjelte^ — biefe äReiftcrf d6af t , bie biefc 

anima Candida übt, toirft ben Sauitx.'^ ©rill^jarjerä 

SBort: „^ier iftnid^t Äör^er, faum nod^ Son: id^ l^öre 3) eine 

Seele!" Hingt in ben öerfd^iebenften SBenbungen burd^ aHe 

biefe Urtl^eile. S)ie bebeutenbften SRänner erfennen bie öer- 

cbetnbe SBirfung il^rer ffunft unb beren organifd^en 3^fom= 

menl&ang mit bem ftttlid^en SBefen ber ©ängerin. S^tin^ 

Sinb ttjar ein reiner unb toal^rl^after ©l^arafter. SBer fie 

notier gefannt, fül^Ite fid^ tief unb nad^l^altig öon i^rcm 

SBefen berührt; toem fie einmal i^r SSertrauen, i^re greunb- 

fd^aft gefd^enft ^atte, ber tonnte jeitleben^ feft auf fie bauen. 

(Bttoa^ ^erbe^, ftreng Stbgefd^Ioffeneä l^errf d^te aHerbing§ in 

i^rem SBene^men, unb fie gab fid^ feine 3Rü]^e, e§ ju öer^ 

bergen. SiebeöoH gegen aHe i^r nö^er SBefreunbeten, toax fie 

bod^ feinegtoeg^ „üebenStoürbig" im gebröud^Iid^en Sinne. 

■ Unfere Siogropl^en öerl^el^Ien e^ nid^t, „ba§ bie fittli^e 

' ipol^eit i^rem SSerfel^r mit fjremben unb mit fold^en, toeld^e 

I fie nid^t genau fannten, einen Stnftrid^ öon |)od^mut^ gab. 

S)a toar ^in abtoeifcnber SlidE, ein ©id^entjiel^en, eine fd^arfe 

äRufterung be§ neuen 2tn!ömmüng^, toa^ in f^äteren So^^^n 

, bie (Sinfül^rung bei i^r oft ju einem quatooHen 2Komente 

ntad^te für biejenigcn, toeld^c öon biefem ®IüdC öielleid^t 

i (ED. ^anSUct, 9(uS bem Zagebu(^ eines SO^uftfer«. 2 



18 <Hb. Qanslirf. 

ftimben== ober tagelang juöor gctröutnt l^attcn". 3n btcfem 
$ßunft ^dbt iä) jcI6ft eine fleiiic Srfalirung gemad^t unb barf 
tDO^I bag @cfci^id^t(!^en ergäfilen. 2tfe id^ mit mctnetn grcunbc 
K. g. ^ol^I (bent öerftorbencn Slrd^tearber ©efeHfd^aft ber 
äRufiffreunbc) int ^al^re 1862 jur SBeltauSfteHung nad^ 
Sonbon reifte, Ifatten toir ein gemeinfame^ ©mpfel^IungS* 
fd^reiben an grau ^cnnti Stnb*®oIbfd^ntibt öon einer 
il^rer intiniften greunbinncn ntitbefommen. SBir erful^ren 
in Sonbon, ha% bie Sinb ntc6rere SReilen toeit, in 2lrgt|Ie^ 
Sobge^ bei SBintblebon^^eommon^, ttjoline, unb öerfd^oben öon 
od^e p SBod^e bcn ettoa^ untftänblid^en unb urifid^eren ©e* 
fuc^. 3)a erblidEe id^ eine^ 2KittagS int ©etoül^I ber SRegent:^ 
ftreet ben @emat)I ber Sängerin, bcn id^ au§ feinen S33iener 
ffonjerten tjont ©el^cn lannte. „$abe id^ nid^t bie ®^rc, 
^errn Dtto Oolbfd^mibt §u f:pred^en?" ®r blidft ntid^ eine 
äRinutc ftarr an unb fagt enblid^: „SBarum?" 3d^ ntufetc 
über bie fonberbare ©egenfrage laut lad^en, bie er nad^träg- 
lid^ mit ber @r!Iärung entfd^ulbigte , man muffe in Sonbon 
immer auf ber $ut fein, tt)enn man beutfd^ angef^rod^en 
toerbe. ©inige Sage barauf erhielten toir, ^oI|I unb iii), 
eine felir artige Sinlabung öon |)errn unb grau ©olbfd^mibt 
gum Dejeuner , mit bem Seifügen, ba§ fie ber f:paten |)cim- 
fal^rt toegen niemanben §um 3)iner §u bitten hjagen. SBir 
langten an einem fonnigen Sunimorgen in ber ftattlid^en, 
gartenumfränäten SSitta an. Dtto ©olbf^mibt füljrte un§ 
in ben ^röd^tigen ©alon, n)o un§ grau ;3^nn^ mit furjcm 
So:pfnidEen begrüjjte. Sieben i^rem @opf|a er^ob fid^, öon 
$ßalmgen)öd^fen befd^attet, eine SKarmorbüfte ber Königin 
aSiftoria, i^r ju Raupten I|ing ein Ieben§gro§e§ ©ruftbilb 
g. äRenbeföfo^ng. 9tad^ einer 5ßaufe nafim Senn^ ba§ SBort 
unb fragte mid^ in trodEenem Sone: „|)aben Sie fd^on in 
Sonbon äRufif geprt?" — „Sa," entgegnete id^; „i^ Iiatte 



3ennY £inb. 19 

t>a^ mUr Sie in ber „Sd^ö^fung" ju pren." ©in finpercr 
SlidE — id^ fürd^tete fci^on, fie tuerbc oud^ „SBarum?" rufen — 
bann btc jured^ttoeifcnben SBorte : „SBoHcn Sic meine $ßcrfon 
gänjltd^ au§ bent @:piele loffen!" S)a§ wor in einem Jon 
gefagt unb mit einer SRiene, ba§ e§ mir !alt über ben SlüdEcn 
lief. ^6) \pxa6^ feine ®übt mefir unb unterhielt mid^ tüä^- 
renb be§ langen, o:puIenten Sejeuner^ auSfd^Iiejsüd^ mit ^erm 
Dtto ©olbfd^mibt, ben id^ bann in ben ©arten Begleitete, too 
bie beiben l^übfd^en Sinber, SBalter unb 3ennt|, mit bem 
nod^ unberüfimten Slrtl^ur ©uHiöan KridEet f^ielten. ®er 
^au§]^crr benal^m fid^ gegen mid^ fel^r lieben^ttJürbig, obgleid^ 
id^ gerabe il^n in meinen Stitifen im 3af|re 1854 red^t un- 
üeben^ttJürbig bel^anbelt l^atte. ®a^ brüSfe Sene^men feiner 
grau fd^ien il^n felbft ein tüenig §u geniren, er murmelte 
einige entfd^ulbigenbe SBorte. SSielletd^t mod^te er i^r felber 
einen SBinf gegeben l^aben , benn atö toir in ben ©alon 
jurüdEf eierten, tüo grau ^trmt) mit Sari JtUngemann (bem 
3)id^ter öieler SRenbeI§fol^nfd^er Sieber) fid^ unterl^ielt, rid^tete 
fie ba§ SBort an mid^ unb f:prad^ über ©änger unb Sän- 
gerinnen. ^f)xt Urtl^eile lauteten jiemüd^ fd^arf. ,,®ie 
je|igen ©ängerinnen l^aben alle mit 30 Salären feine ©timmc 
mel^r, fie l^aben 5U toenig ftubirt unb fd^reien ju öiel. ^d^ 
felbft l^abe niematö öiel ©timme befeffen, aber id^ fiabe fie 
öoBfommen erfialten , ja id^ finge mit nod^ größerer Scid^* 
tigfeit aU fonft." 2tl§ grojje italienifd^e ©önger Iie§ fie nur 
SRubini unb äaiiaä)t gelten, aHenfaH^ bie $ßerftani ; bie ^afta 
l^atte fie nie geliört. „3u ^aufe ," erjöl^Ite fie, „finge i(^ 
feinen %on, ha bin id^ nur |)au^frau unb arbeite tüie 
ein $ßferb." 



2* 



20 <2b. QansHcf. 



m. 



SBic oft ntad^tc iä) bie fcitfamc ©rfal^rung, bafe felbft bie 
gcnialftcn Sünftlerinnen, Sängerinnen öon fetnfteni ®el^ör 
für jeben frcntben äRijsHang, bcn Stiebergang i^rer eigenen 
Stimme nid^t bemerfen. 9lber ba§ gerabe ^ennt) Sinb, 
biefeg SRufter Rarer ©elbftf enntni^ , noc!^ im S^^re 1862 
il^rc Stimme für nnöerfel^rt l^alten tonnte, l^at mid^ überrafd^t. 
SSierunbjtoanjig ^af^xt toaren öerffoffen feit ilirem ereignife* 
öoHen Sluftreten afö 2lgatf|e ; fed^jel^n ^al^re feit ilirem erften 
SBiener ®aftf|)iel. SJefa§ fie ttjirHic!^ feine Erinnerung mel^r an 
ben l^immüfd^en SBol^Haut ifirer Stimme öon bamafö, ober 
fein Dl^r für bie aScrönberung, n^eld^e in langem S^itöerianf 
bamit vorgegangen? SBenige Sage t)or meinem Scfuci^ bei 
Scnn^ Sinb l^atte id^ fie bod^ in Sjeterl^att bie So^ranjjartic 
in ber ,,Sd^ö^)fung" fingen Iiören. 3Rit toeld^er Setoegung 
l^arrte id^ bamal§ bem SRoment entgegen, n)o fie l^erauä* 
treten foHtc! Dl^ne fd^ön ju fein, l^at fie bod^ ftet§ mit ber 
ffraft ber Sd^önl^eit gen)irft; ber ®efang, n^eld^er bie bfirf^^ 
tigften SRelobien SeHini^ unb 3)oniäetti§ ibealiftrte, fd^icn 
immer aud^ einen ^eiligenfd&ein um bie Sängerin felbft p 
jaubern. Sie trat l^eröor, tt)ei§ unb ol^ne ©efd^meibe, hJie 
fonft. Sie ertoiberte ben jubelnben @m<)fang mit einem furgen 
gleid^ giltigen ßo^fnidfen, toie fonft. 2lHein ba§ e^ebem 
))ro:t)l^etifd^ leud^tenbe 2luge toar glanjlog unb mübe geworben ; 
um ben äRunb trieben böfe galten ein unfieimlid^eS S:piet 
3flun ]&ebt fie ju fingen an, unb id^ erfenne bie Stimme, ttjic 
man ein l^alböerhjitterte^ S5ilb langfam n)iebererfennt. 3)ie 
Söne fommen fd^toad^ unb öerfd^Ieiert fieröor, in ben l^ol^cn 
fräftigen Stellen mit Slnftrengung. SRand^mal bringt nod^ 
ein öereinjelter Silberton n)ie ein Strafjl burd^ trübet ®e= 
n)ötf, um, gleid^fam erfd^rodEen, fd^neH toieber ju öerfd^toinben. 



\ 



Jenny £in&. 21 

Säag mit folc^cm 2KaterioI möglid^ ift, ba« frctfic^ crrcid^tc 
bte Sinb nod^ immer, tpic feine ätoeite Sängerin ber SBeft. 
STn bem »eifott be« ^ßuBIilumg lonntc fie atterbing^ nod^ 
lange nid^t getoal^r toerben, bag i^re Stimme am Anfang 
be§ @nbeS ftanb. S)a§ englifc^e 5ßublifum ift beif^jielloS in 
©ad^en ber 5ßietät, nnb in genn^ Sinb e^rte eä bie ioppütt 
»irtnofität: ber S^nft nnb ber SBo^It^ätigfeit. «fe i^ fic 
jnlefet im Satire 1862 tjörte, fonnte bie treffliche grau mit 
il^rcn Sönen noc!^ ©deuten nnb @<)italer erbauen, il^re $örer 
!aum mel^r. *) 

@tne au^ bem ^crjen fommenbe, großartige SBol^Itl^ätig« 
feit gehörte ju ben fd^önften 3ägen i^re§ K^arafter^. ^xt^ 
maU juDor ober nad^l^er ^at eine ©öngerin einen fo großen 
Il^eil i^rer ®infünfte ben Slrmen jugetoenbet. SBol^It^un er=» 
erfd^ien i^r ni^t bloß atö l^eilige ^ffid^t, fonbem aU 
ber fd^önfte Sol^n i^rer Slrbeit. ^n bem un§ uorüegenben 
aSerieid^niffe il^rer Stieater^^ unb Koncertabenbe öon 1848 bi^ 
1850 finb bie ju njofjltl^ätigen ä^Jedfen gegebenen mit einem 
©tcmd^en bejeidjnet. @in toal^rer ©temenl^immel! Unb in 
ben f:pateren ga^ren fang fie eigentlid^ nur nod^ für bie 
8lrmen. SBie fie i^r latent afö eine ©immelSgabe erfannte, 
fo l^ielt fie e§ aud^ für il^re 5ßflid^t, ba§ ©rttjorbene »iebcr 
ium Seften ber Sebürftigen unb UnglüdEIid^en l^erjugcben: 
„tt)aS l^ereingefloffen ift, muß and^ toieber l^erau^ffießen!" 
^^xt SBol^It^ätigfeit toax eng öcrtooben mit ifirer ffunft; fic 
mad^te e^ fogar bei i^rer SSerfieiratl^ung ju einer ^anpibt^ 
bingung, baß it^r äRann i^r in ber Sluäübung i^rer SBol^I- 
tl^ätigfeit ööHig freie $anb laffe. 3n aßen ©tobten, ttjo fie 

♦) 3enn^ ßinb trat jum legten 9RaIe in einem SQ3o^lt§ätigfcit§= 
(S4)ncert im Suli 1883 öffentlich auf; öicr Saftrc öor i^rcm am 2. 9^0* 
öembcr 1887 erfolgten %ob^, @ic l^at ein 5ttter öon 67 3a^ren er* 
ret<l§t 



S2 <Hb. Qansitrf. 

fong, öcranftaltctc fie eine äuffül^rung jum Scfteit be§ K^or* 
unb Drd^eftcr|)crfonafe. SRit il^retn ®clbc, junt i^etlc auf 
il^rc STnrcgung, finb in ©d^tocbcn unb (Snglanb ©deuten, 
^piialtx, Ka^JcHcn gebaut ober bod^ toefentUd^ öergröfeert 
toorben.*) 

SttJei öon Senn^ Stnb l^crrüfirenbe (Stiftungen intereffiren 
ung befonber^ burd^ i^re fünftlerifd^e Scftimmung : ber 
,,@ti))enbienfonb§ für bie (Srjiel^ung unb Untcr== 
ftüfeung Don ©d^ülern ber föntglid^en Xl^eater^ 
fd^ule in ©todf^olnt" im betrage öon 80,000 föronen 
(ctttja 88,000 SRarf), bann bie ^^äRenbel^fo^nftiftung". 
8ln aJienbetöfoön f|ing Sennq Sinb mit innigfter Siebe unb 
aSere^rung. ©ein Job tüar für fie ein fur^tbarer, nie öer- 
fd^mcrater SSerluft. 2tm 22. ^onuar 1848 fd^rieb fie an 
grau t). Söger in SBien (bie fie i^re „öfterrei^ifd^e äRutter" 
nannte): ,,2ld^, äRutter! toeld^er ©d^Iag toar für mid^ ber Sob 
bon SRenbeföfotin ! e^ ift Urfad^e, njarum id^ fo lange ftilt 
toax. 3d^ fonnte bie jioei erften SRonate nid^t ein SBort 
ouf§ üßopier fefeen , unb nod^ fd^eint mir aHe§ tüie tobt. SRic 
toar mir fo glüdflid^, fo er^ebenb ju SRut^e, afe wenn id^ mit 



*) StDifcöen bem 4. ©ejcmber 1848 unb bem 2. fjcbruar 1849, 
einem S^^traumc öon iDcnigcr als neun ^ociften, l^attc ^trmt) ßinb in 
neun ©oncerten bie ^o§c ©ummc öon 8740 ^fb. ©t. jur Untcrftü^ung 
öon fünf ^ofpitälem, ber SRenbelSfo^nftiftung unb beS fie begicitenben 
Ord^efterg geliJft. SBenn mir noc^ bie ©tnna^me beS ©oncertg für ba§ 
SSrom^tons^ofpital Dom öor^ergcl^enbcn guli :^injune^men, fo ergiebt 
ftc^ eine ©efammtfumme öon 10,500 ^fb. ©t (210,000 3Karf). 3n 
S'JortDic^ ^attc fie auS bem ©rtrage jtoeier ©oncertc ba8 „genn^sßinbs 
^^inber^üfpital" gegrünbet unb big ju i^rem 2^obe bafür fo augrcidftenb 
geforgt, bag bie Slnftalt im Sa^re 1890 1230 franten Äinbem aufeer* 
l^alb beg ^aufeS unb 257 in bcn ©ölen ärjtlid^c |)ilfe bieten fonnte. 
5luf i^rer amcrüanifc^en fRcife ^at Scnnt) ßinb ber ©tabt S^eto^orf 
allein me^r alS 30,000 ®oIIarg ju »o^It^ätigen 3tt>ccfen gefpcnbct. 



• 



3ennv £inb. 23 

S^ttt \pxa(i)l unb feiten toaxtn in bcr SBelt jttjei aKenfd^cn 
p glcid^er 3eit, btc ftd^ fo uerftanben unb bie fo f^mtjotl^t* 
ftrten toic tüir! SBie l^errlid^ unb ttjunberbar finb bie SBegc 
®ottc§ — auf ber einen. Seite g i e b t ® r 21 11 e § , auf bcr 
anbem nimmt @r 2lIIe§ toeg! @o ift ba§ Sebcn — fo 
fielet e§ aug." Siod^ atoei DoHe 3<J^te nad^ äRenbefefol^nS 
Xobe tonnte fie e§ nid^t über ftd^ gewinnen, eine^ feiner Sieber 
ju fingen. 3n (Semeinfd^aft mit einigen feiner intimften 
tJreunbe befd^Iofe fie, SJRenbetöfol^n ein ®enfmal ju fe^en 
burd^ ©rünbung einer SJRufiff d^ule , toeld^e äRenbeföfo^nS 
Stamen fül^ren unb feine fünftlerifd^en ®runbfä|e öon Seigrer 
auf ©d^üler, öon ©eneration auf ©eneration öererben foHte. 
3ur aiuSfül^rung biefeS ^lone^ foHte öorerft eine großartige 
8luffüf|rung be§ „®Iia§" in @ jeter ^aH bienen. SRenbefefol^tt 
l^atte ben größeren X^eil biefeä Oratorium^ ju einer 3rit 
.com:ponirt, too er mit 3^nn^ Sinb in eifrigem 93rieftt)ed^fel 
ftanb; er l^atte auf ba^ genauefte i^re Stimme, il^ren SJor* 
trag ftubirt unb bie @o:pran:partie im „SüaS" für fie gc= 
fd^rieben. ®ie auS ber e^od^emad^enben Sluffü^rung Dom 
15. S)eaember 1848 erlöfte Summe betrug 1000 5|5funb 
Sterling ; fie tourbe öon bem ©omitö (unter bem SJorfi^ öon 
Sir @eorg Smart unb ffarl Älingemann) auf 3infen 
angelegt, bie man bi^ 1856 antoad^fen ließ unb bann jum 
Äa|)ital fd^Iug. 9iun glaubte ba§ ®omit6 ben erften „SWenbefe^ 
fofmfd^üler" ernennen ju bürfen. ®ie SBa^I fiel auf ben 
jungen Slrtl^ur SuIIiöan. 8luf il^n folgten anbere Sd^üler, 
toeld^c einzig auf ®runb i^rer ^Begabung getoäl^It tourben. 
Sag ffa^ital belauft fid^ jefet auf me^r afö 2000 5ßfunb 
Sterling. 

Sel^r eingel^enb bel^anbeln bie SJerfaffer S^nn^ Sinbg 
unertt)arteten frühen SlüdEtritt öom Sl^eater. SBaä fonnte 
bie föünftlerin öeranlaff en , auf ber ^öl^e i^re^ SRul^meS, in 



24 <Hb. ^anslxd, 

t^rcr öoHftcn Straft unb »lütl^c bcr SBü^nc ju cntfagcn? 3Ron 
l^ot f einer jcit öerfci^iebette SSermutl^iingen baruber ouSgetaufd^t 
uttb l^aitptfäci^Itc!^ auf reltgiöfe @cru:pel unb geiftlid^en ©influjl 
gerat^en. Stogcr erjäl^It in feinem „Gamet d'un tenor**, 
wie er jum legten 3RaIe mit ber Sinb im SRobember 1848 
bie „SRegimentSto(!^ter" fang. ;,®ebcn @ie jefet gut aä)t, 
aioger/' pftertc fie i^m öor bem ©ci^Iu^ronbo ju, „eS finb 
bie legten Jone, bie Sie öon mir auf bem D^eater l^ören!" 
Sftoger, ganj beftürjt, fonnte e^ nid^t glauben. Unb bod^ war 
CS fo. ^@ie ^at bag Sebcn einer ©eiligen geführt/ fagtc 
aioger, „aber man f:prid^t öon einem Sifd^ofe, ber il^r troft== 
bem ©cru^jel in ben Äo<)f gefegt ^at. @ott möge if|n rid^tenl'' 
Unter bem „Sifd^of, ben ®ott rid^ten möge", ift offenbar 
ber Don SRortoid^ gemeint, Dr. ©broarb 6tanlet|, in beffen 
©aufe bie Sinb im ^uü 1847 tool^nte. Slber i^r ©ntfci^Iujs, 
bie SJül^ne ju öerlaffen, reid^t t^atfad^lid^ öiel weiter jurüd. 
©ci^on im 3af|re 1845, unmittelbar nad^ i^ren berliner 
Irium^j^en, tfieilt fie grau ®rote biefeS SSorl^aben mit 
unb begrünbet eS mit i^rem S33iberwiHen gegen bie „en- 
tourage" ber Sü^ne unb mit ber Ueberreijung il^rer burd^ 
boS Sfieaterleben erfd^ütterten Sterben. Slel^nlid^e 9lu§f:prüd^e 
entl^alten i^re ©riefe auS ben folgenben Satiren. 8lu§ SBien, 
wo gerabe bie Sinb - SJegeifterung „faft bt§ jur Sott^eit 
reid^te", fd^reibt fie im 3anuor 1848 an eine greunbin, bie 
öon einem ^ßarifer Engagement gel^ört ^aben Witt: „SBaS 
fteHjl S)u S)ir nur uor? 3d^ nad^ 5ßarig! SSon ber SJü^nc 
will id^ weg unb weiter Witt id^ nid^tS in ber SBelt." 
©ewiffenl^aft legen bie 83iogra:pf|en bie uerfd^iebenen gaben 
auSeinanber, bie fid^ in ber Seele ber Sinb ju jenem ©nt^ 
fd^Iufe uerflod^ten l^atten. SRid^t atte fd^einen unS öon er:= 
l^eblid^er ©tärfe. 3)ie ©el^nfud^t nad^ ber ©eimat^ ? 
aber Senn^ Sinb l^at fid^ ja nid^t in ©d^weben, fon* 



3ennY ii"b. 25 

bern in ©nglonb bIciBcnb nicbcrgelajfen ! S)tc SKü^fal bc^ 
^crumreifcnS unb bie ©rfättigung an bcn Döationcn bc8 
Jßnbtilunt^? »eibcS blieb fid^ ja gleid^, feit fic bfofe oK 
Konccrtföngcrin SDcutfd^Ianb nnb Slmcrifa bereifte! SBa^ il^r 
bie Sü^ne verleibet l^at, toax ol^ne S^^if^^ i^^i^^t^ „entourage", 
bie forttoäl^renSe Sfteibung mit ffeinlid^cr 3titrigue, ®ifer= 
füd^telei nnh gemeiner ©efinnung. S^re ibeale Slnffajfung 
ber ffunft ttjarb i^r im Sweater öon biefem Unfraut örger* 
U(S) umttjud^ert. S^tinti^ ibeale Sluffaffung ber ffunft, aö 
einer if|r auferlegten göttlid^en 2Kiffion ^ing toiebernm mit 
il^rer tief reügiöfen Statur "jufammen. ®ine gewiffe prote* 
ftantifd^e Strenge l^atte fic fc^on öon ilirer norbifd^en ^eimat^ 
mitbefommen — man erinnere fid^ an ben Slbfd^eu ilirer 
SRutter öor bem Sweater — i^r anl^altenbcr SSerfel^r mit 
frommen gamilien in ©nglanb tl^at baS Uebrige. ®ic SSer* 
faffer fonftatiren, bafe ber Sifd^of öon SRortoid^ bie Sinb jum 
SSerlaffen ber Sü^ne fcineStüeg^ überrebet l^abe, too^I aber, 
baJ3 er unb feine Umgebung fie in biefem ©ntfci^Iuffc ein^ 
bringlici^ beftärften. Sinem $ßoeten anttoortet fie auf bie 
SBibmung eineg ba§ S)rama öerl^errlid^enben Ocbid^tä, „fie 
fei 5u ber @r!enntnife gelangt , ba§ alle auf ber Söl^ne t>er= 
goffenen Il^ränen falfd^e S^ränen feien; fie l^abe, unbefrie* 
bigt öon i^ren (Erfolgen, bie 83ibel aufgefci^Iagen unb bort 
folgenbe SBorte gelefen: „äRein neu gefunbener |)err, ber 
mid^ juerft bie toal^ren Sl^rönen uergiefeen letirte". 3^r fub* 
fimirteS religiöfe^ Sewufetfein rül^rt ol^ne fjrage öon @nglanb 
l^er. Unb bod^ l^atte fie in 93ejug auf bie öerlnöd^erte gröm* 
migfeit ber ©nglänber in einer eigenen ^erjen^angelegen^eit 
fd^merjüd^e Erfahrungen gemad^tr S^nn^ Sinb, bie fid^ 
löngft nad^ einem l^äuSlid^en gamilienglüdE fel^nte, l^atte fid^ 
mit einem jungen englif d^en ®a:t)itän $ a r r i ^ öerlobt. Slber 
an ber :()ietiffcifd^en Strenge be^ Säräutigam^ , nod^ mel^r an 



26 €b.'QansIirf. 

ber rcügiöfcn Sornirtl^eit feiner äRutter, tDeld^e ba§ Sweater 
für einen ©atan^tempcl unb bie ©d^auf^teler föntmtttd^ für 
Ieufefö<)riefter erflärte, fd^eitertc bie SBerbinbung. Ditoo^t 
fie bamafe fd^on entfd^Ioffen toax, bie Sül^ne ju öerlaffen, 
ettt:pörte fie bod^ bie Sumut^ung, bajs fie i^ren 93emf, ben 
fie fo reinen l^erjen^ g^^ff^gt, otö eine ^d^mad^ unb @r* 
niebrigung onfel^en foHte. 3l^re greunbe liefen nid^t ju, bo§ 
int |)eirat!^§contract bie öom S3rciutigam geforberte Sebingung 
aufgenommen tüerbe, 3ennt| Sinb bürfe nie mel^r bie Sül^ne 
Betreten. ®iefe 3KögUd^feit foHte ilfr bod^ nid^t auf Seben^^ 
§eit unb für aHe göHe obgefd^nitten fein. ®er fromme 
ffa^itän fanb aber eine fold^e ber grau öorbel^altene grei^eit 
„unbiblifd^", unb fo ging bie |)eiratf|, für toeld^e fd^on ber 
Sag feftgefe^t toar, §urüdE. 

©ine anbere SSerlobung ber Sinb fd^eiterte feltfamertt)eife 
an bem entgegengefe|ten ©runbe: ber ^Bräutigam hjar ju 
eng mit bem Il^eater Derflod^ten. ^ennt) Sinb fiatte fd^on 
t)or ifirer ^arifer 9leife mit einem Sänger be§ ©todfiiolmer 
^oftl^eaterg , 3uliu§ Oüntl^er, in D^em unb ©oncerten 
öiel jufammen gefungen. ^l^re greunbfd^aft befeftigte unb 
ertüärmte fid^ in ber ^Jolge nod^ jufe^enb^ unb fül^rtc im 
3a^re 1848 ju einer förmlid^en SBerlobung. ^tnnt) Sinb 
reifte nad^ berfelben nad^ Sonbon §urüdE, too fie §u greunben 
nod^ t)oH SJegeifterung über biefe SSerbinbung f^rad^. 2lttein 
©üntl^er toar, toie gefagt, Senorift am @todEf|oImer Sl^eatcr 
unb fein gauje^ Seben mit ber 93üf|ne öertooben. S)icfe 
aSerbinbung mu^te bal^er engere SJanbe ätoifd^en il^r unb ber 
Sl^eatertoelt fierbeifüfiren, toeld^e fie bod^ fo fe^r ju öerlaffen 
tüünfd^te. 3n Sonbon getoannen bie religiöfen Slnfd^auungen, 
toeld^e il^re englifd^e Umgebung in il^r enttoidEelte, einen immer 
größeren @inf(u§ auf fie ; il^r SBibertoiHen gegen ba^ X^eatcr 
tourbe gefteigert, ifire ^utunft^l^offnung getrübt, ©üntl^cr in 



3ennv ^inb. 27 

bcm fernen ©todf^olnt ^atte fein SSerftänbnife unb leine S^m- 
^jatl^ie für biefe religiöfe Strenge. 3)ie Slnfd^auungen nnb 
©mnbfö^e ber beiben Srautlente biuergirten je länger, je 
totittXf nnb fo tt)urbe fd^Iie^tici^ int Dftober 1848 bie SSer- 
lobnng mit beiberfeitiger ^wf^inininng aufgelöft. @rft in bem 
britten i^rer freier ^at ^mnt^ Sinb „ben Siedeten" gefunben: 
in |)errn Dtto ©olbfd^mibt, einem jungen Älaöieröirtuo fen 
unb ®om:poniften auä Hamburg, ber fd^on in i^ren englifd^en 
©oncerten mitgetüirft l^atte unb fie 1851 auf il^rer amerifo* 
nifd^en Sournee ofe @oIo:pianift unb Slccompagnoteur bc* 
gleitete. Sennq Sinb öermäfilte fid^ mit i^m in SBofton 1852 
unb ^at fed^§unbbreij3ig ^al^rc lang, bi§ ju'il^rem Seben^* 
enbe, in glüdfüd^fter ®^e an ber Seite biefe§ atö SRenfd^ unb 
^nftler ^od^ad^tbaren SRanne^ gelebt. 

Sft e§ attju getDagt, ttjenn id^ ju ben ®rünben, ouS tütU 
d)tn 3ennt| Sinb bem I^eater entfagte, mir im StiHen nod^ 
einen bagu benfe? ©in öerftedEtere^ STOotit), bag bie SJio:= 
gra^^en getoife nid^t jugeftel^en unb ia§> bie ©iinftlerin felbft 
öielleid^t nur bunfel empfanb. S^ meine bie geringe Slu^- 
be^nung if|re§ 3lotten!reij'eg unb bie S3egrenjung il^reS — 
inner^Ib biefer ©renjen getpife intcnfiöen — bramatifd^en So* 
Ient§. SDie SSerfaffer f:pred^en öon ber bramatifd^en Shinft 
ber S^un^ Sinb nur mit fd^ranfenlofer SJettJunberung , unb 
bie§ mit SRed^t bejüglid^ aller jener ©eftalten, ttjeld^e mit 
i^rer Statur übereinftimmten , toie Slmina, Sucia, SKarie, 
iBielfa, Slgat^e. ®infad^e§, ungebrod^eneä ©efül^I, träume* 
rifd^e§, jarteS Sm^finben, l^eitere Slnmut^, and^ ^o^eit unb 
SBürbe fanben in il^rer ®arfteHung ben reinften SIu^brudE. 
Seibenfd^aftlid^e ©lutl^ l^ingegen in Siebe, ^a§, ßorn unb 
©iferfud^t toar if|r nur annäl^ernb erreid^bar; il^re tüeid^e, 
ettt)a§ Derfd^Ieierte Stimme toel^rte fid^ gegen biefe Slu^brüd^e 
ebenfo inftinftit) ttjie bie ganje SRatur ber Sinb. 3hJ^i d^ara!== 



28 <Eb. ^anslxd. 

teriftifd^c a5etf:ptcle boten ilirc 9torma unb i^re SSoIcntinc. 
aioger, bcr in ^öd^ftcr SJctounberung ber Sinb aufruft: 
„^tl6)t^ ®lüd für mi6)f ba§ x6) biefe feltenc grau ftubircn 
!ann!" fd^reibt über if|re SRorma in fein Sagebud^: „S)ie 
Casta diva fingt fie fel^r gut; biefe Slnrufung be§ SRonbc« 
l^armonirt mit iljrem tröumerifd^en beutfd^en StatureH; aber 
bie SomouSbrüd&e be^ tiebenben SBeibeS, ber öerratlienen 
aKutter — nein unb taufenbmal nein! 3)a§ ift ffein unb 
öerjtDicft."*) gür i^re SSoIentine toax e§ bejeid^nenb, ba§ fie 
bei ber ©tette im vierten 2lft; „iä) ffammere mid^ an3)id^I" 
ben ©eliebten !aum ju berühren rt)agte , toä^renb alle be^ 
beutenben Sarftefferinnen fid^ ^ier in öerjmeifelter 2lngft 
t^atföd^tid^ an 9laouI ;,anffammern", um i^n jurüdEgu^alten. 
©d^on au§ 5|5ari§ fd^ilbert 3ennt| Sinb in einem S3riefe, toie 

*) ®§ ift aufgefallen, ha^ bie SSerfaffer, meldte boc^ Slu8fprüd)c, 
SBriefe, S^agebudftblfttter öon fo öielen uubefannten unb unbebeutenbcn 
5ßerfonen abbrucfen, bie fel^r intereffanten SJJitt^eilungcn 3floger§ gftn^ 
lidft ignoriren, ^u6) bie prf)ft d^arafteriftifd^en SBriefe ber Sennt) 
Sinb an granj Käufer, hit id) ^uerft im Qal^re 1883 öeriJffents 
lid^te, öermiffen mir in i^rer SBiograp^ie. 

©in Jöeif|)iel : Slm 20. gebruar 1847 fd^reibt Sennt) Sinb fc^r auf* 
geregt über bie burdft Sola SJJontej ^eraufbefd^roorcnen Unrul^cn in 
ajlünd^en, oon meldten Käufer i^r eben 9Jadöric6t gegeben: „gd^ !ann 
S^nen nirf)t befdftreiben," ruft fie au§, „toie mid& bie ©adften aufgeregt! 
3ft benn aUe SSemunft auSgeftorben ? unb fann man benn eine ganjc 
9'^ation fo megtoerfen! @§ ift traurig. ®ebc ®ott, bafe ba balb mag 
gefd^iel^t — aber balb — ! ©onberbar, mie e§ nur in bcr legten 3«t 
fonberbar ge^t! @o oiel (BpdiaM in Sonbon, bafe irf) lieber ici^ weife 
nic^t \va^ t^ue, al§ ^injuge^en, unb nad^ 2)?ündöen ju ge^en ift je^t 
bebenflic^. ®ott bel^üte @ud& oor SReoolution; bie ©a^e ift gu fcabrög 
unb forbert grofee O^jfer, e^e e§ toieber gut ge^en !ann. Sft benn fo 
unmiJglid^, bie§ oerlorenc SBefen wegzubringen, tobt ober lebenbig, — 
einerlei? 9?ein, baS ift mal^r, etroaS 5(e^nlid^c§ l^at man nie erlebt; 
ferne 3eit, fo fd^led^t fie aud& war, oermag etwas 5(e^nlid&e§ aufju? 
weifen!" 



Jenny £tnb. 29 

öortrcfflid^ bic ,,9la d^cl" int 3ome fei, unb fügt l^inju, 
„aber iäxtliä), nein, baju eignet fie ftc!^ nid^t. Qd^ bin ab^» 
fd^culid^ garftig, tocnn id^ jomig fein mufe, aber bafür, gtoubc 
id^, toiebcr beffer in ber äörtüd^fcit''. ©cl^r bebcutung^öott 
ift eine STeufeeruug S^tin^ SittbS ju 81. 5|5. ©tonleij, bem 
nad^maligen ®eon t)on SBefttninfter: „\n fönne beim Sar* 
fteHen auf ber S3üf|nc il^ren Kfiarafter nid^t ganj öerleug* 
nen; benn toenn fie i^re 3nbit)ibualität jerftöre, fo öcmid^te 
fie jugleid^ atte^ @ute, toa^ an if)x fei, unb fie l^obe eS fid^ 
}um ©runbfafe gemad^t, nie fold^e Seibenfd^often barjufteHctt, 
loeld^e f^Ied^te ©efü^Ie ertocdEen Knuten. ®a^er oud^ il^re 
bon ber ©rifi fo fel^r Derfd^icbene Stuffaffung ber Siorma. 
8lnbererfeiti5 tüerfe fie fid^ mit ganjer Seele in bie Stuf* 
faffung einer 3lottc, tüeld^e fie fid^ nun einmol gentad^t. 
SBenn fie bie§ nid^t t^uu fönnte, toa^ xf)x ein* ober jtoeiutol 
begegnet fei, fo tt)öre e§ i^r, atö lüge fie, unb bann l^ättc 
fie aud^ nur SKigerfoIg". ©in S3en)ei§ i^rer uöttigen 3ben* 
tifijirung mit i^rer 3loHe war, ba§ bie SRad^tmanblerin fie 
fo fe^r ermübete, ba fie toä^renb be§ Slad^ttoanbelnä bic 
äugen nid^t belegen ju bürfcn gloubte. 3« ber ©cene, too 
Slmino über ben morfd^cn Steg fd^reitet unb bie Äerje in 
bie Siefe f allen löfet , erlaubte Sennij Sinb niemals , bo§ 
(toic e§ überaß üblid^ toar) eine gleid^ gefleibete ©tettöer^* 
treterin boS gefä^rlid^e SBagnife befte^e. SRi^t afe ob fie 
mutl^iger getoefen tt)äre, atö anbere ®arfteHerinnen ber 
Siad^tttjanblerin — im ©egcnt^eil, fie fürd^tete fid^ j[ebe^mal 
entfe|Iid^ öor biefem SRoment. „Slber," fagtc fie, „id^ 
ttJürbe mid^ gefd^ämt ^aben, öor ba§ 5ßublifum ju treten unb 
Dorjugebcur bic SrüdEe überfd^ritten }u l^aben, toenn id^ eS 
nid^t ttjirHid^ getrau ^öttc." @ine ßünftterin, bie mit fol^er 
Snbrunft unb ©etoiffenl^aftigfeit in il^ren Stollen oufging, 
mu|tc nid^t nur mel^r afö anbere baöon angegriffen, ja auf* 



30 <2ö. ^ansHcf. 

gerieben toerben, fte ntufete and) iatb tDa^icntf)men, ba§ ber 
fitete öon D:pcrtt:partien , in meldte jte ifire ganje Seele 
«nb nur il^re ©eele ju legen öerntod^te, ein fe^r Begrenzter 
fei. aSie emtübenb, md) ^a^xtn immer unb immer lieber 
nnr bie SRad^üüanblerin, bic 3legiment§tod^tcr, Sucta, Siorma 
unb Sllice ju fingen! ^n jeber neuen 9lotte, bie man il^r 
Dorfd^Iug, mod^te aber if|re juncl^menbe ftttüd^e unb religiöfe 
@m:pfinblid^feit ©efül^Ie entbecfen, bie fie nid^t „lügen" !önne 
unb hjotte. S33ir begreifen bie SBärme, mit n^eld^er bie SSer* 
faffer an ber SRorma unb anberen Dloßen ber Sinb bereu 
;,eigenortige SBerflärung unb SSerebelung" rühmen; ober 
cigenortige 3beaüfirung fonn mitunter jur eigenmöd^tigen 
njerben, bie gegen bie flare Slbftd^t be^ S)id^ter§ unb ®om* 
^joniften ftreitet. @o ftrcnge SBalirl^aftigfeit be^ E^araf* 
ter§ erzeugt notl^n^enbig eine SJegrenjung be§ bramatifd^en 
lalentg, iueld^e§ @ntäuf;erung ber eigenen ^ßerfönlid^feit 
verlangt. 

SBer fid^ an^ allen biefen SH^^ ein Hare§ S5ilb öon bem 
Kfiarafter ber Sinb mad^t, ber tt)irb e§ begreifen, ba§ gerabe 
fie unter hjad^fenber I^eatcrabneigung ju ber Ueberjeugung 
gelangte, nur al^ Koncert^ unb Dratorienföngerin gang i^r 
befte§ ©elbft geben §u fönnen. ^ebe bramatifd^e SDarfteHung 
tt)irft farbiger, fraftuotter, lebenbiger afö ein Koncertöortrag, 
aber bie ©inbrüdEe, bie toir öon bem Sieber== unb Dratorten- 
gefang ber Sinb betoa^ren, finb un§ nid^t njeniger tl^euer. 
S33ir l^aben f^eciett in SBien bie föftlid^ften erinnerungcn an 
i^re Koncerte im ^al^rc 1854. @ine ttjertl^öoHc , für ben 
äRufifer uufd^ä^bare Seigabe finb bie 9totenbeif:pieIe, ipeld^e 
|)err Otto Oolbfd^mibt afö Slnl^ang ju ber 93iogra:p]^ie ge^ 
f:penbet f|at: jttjei i^rer origineHften f^n^ebifd^en Sieber unb 
eine änja^I eigener ffabenjen unb SScr§ierungen, mit meldten 
gennti Sinb i^re SieblingSarien auSäufd^müdfen pflegte. SBer, 



3ennv £inb. 31 

tote iä), ju bcn ©lüdEIid^en jö^It, tocld^e 3cnn^ ßinb auf bcr 
Sül^nc, im Dratorium unb im Koncertj'aol in il^rcr SMüt^c 
gcfannt tiobcn, ber tüicber^olt öon gaujcm ^crjen äRcnbefö* 
fol^nS Slu^f^jrud^ : @ic toax eine bcr größten ©ünftlerinncn, 
bic je gelebt ^abcn, unb bie größte, bie id^ fenne. 



(3u feinem 100. Geburtstage 1891.) 



3Ran fprid^t feiten mcl^r t)on Kjem^, unb tt)enn e§ ge* 
fd^ieiit, mit einer Slrt §crablaffung. Unb bod^ fpielen in 
bicfem Stugcnblidf ^nnberte öon ©d^ülern feine ©tüben unb 
arbeiten ^unberte öon Selirem, bie alle in i^rer Sfwgenb au§ 
Kjern^fd^en |)eften gelernt l^aben. @o tt)ir!t er afö unent= 
be^rlid^er unb unübertroffener fflaöierpäbagoge , afö muftfa== 
lifd^er Dber-Sd^uIIelirer nod^ l^eute fort unb toirb toeit in^ 
fommenbe S^^^^nnbert ^inübertoirfen. 3Äan betrad^te bit 
öerfd^iebenen Uebung^ftüdfe Kjern^^ unb feine ßompofttionen 
für bie ^itgcttb — eS giebt l^eute leine beff eren. Unb tt)eiter : 
feine StuSgaben t)on SSad^g „SBopem^jerirtem Älaöier'' unb 
ScarlattiS Sonaten — eg giebt l^eute leine befferen. Sie 
betoeifen jngleid^, ba^ fein Sbeal einer mufifaüfd^en ©d^ulc 
leine^toegS eine blofee „Sd^ule ber ®eläufig!eit" toax, fon* 
btxn ebcnfofeiir eine ftrengere, tief ergreif enbe ©d^ule be^ 
©tubiumS unferer glafftfer. SÖSie fegen^reidö l^at ©jem^ 
burd^ feine mufterl^aft ^jraftifd^e, mit trcfflid^em Singerfaft 
bcrfel^ene SluSgabe bc^ „SBoIiItemperirtett ^laöier^'' gett)irttl 
Unb, tt)o^Igemerft, afö einer ber ©rften; ju einer S^it, bie 
noc^ nid^t über ba§ reid^e, p^ilologifd^ gefic^tete SSac^^SRatertal 



Karl (£3erny. 33 

bcr iieutigen äRufilgcIel^rtett öerfügte. ©carlattig Sonaten 
lagen i^m junt Zi)ül in jtt)eifcl^aftett unlorrelten Sjem- 
^jlaren bor — aier fein flarer Slidf unb fein mnftlalifd^e^ 
©ctüiffcn trafen inftinftit) ba^ Slid^tigc. „3Ran fann Sjcm^ 
l^eute gar nid^t genug fc^ö|en,'' ^örten tt)ir mel&r afö einmal 
t)on SSral^tttg, bem grünblic^ften unb ftrengften Siic^ter in 
biefem %aä), 

ältg lonbid^ter in l^ö^erem ©inn ^at Kjern^ niemals 
geleuchtet ; er tüar ein bielfeitig gebilbeter, überaus gefd^idftec 
äRufiler t)on niebrig flattember 5ß^antafie unb geringer Dri* 
ginalität. Slfö ted^nifd^er S3Ubner t)on l^öd^ftem SSerbienft 
fc^uf er bod^ au^erl^atb — oberl^alb — biefeS ©ebieta lein 
SBerl, mit bem er fid^ in bie Unfterblid^feit eingelauft l^atte. 
Unb toeld^e fd^toere SRenge t)on ßom^jofitionen jeber ©attung 
l^at er ^interlaffen ! @^m^)l^onien, Soncerte, Irio^, Duartette, 
©onaten, SReffen u. f. tu. ©ein 3Iei§ grenjte ang SRärd^enliaf te ; 
fein itt)eiter mobemer Kom^)onift ift auf ber Seiter ber Dpug* 
jaulen fo ^immel^od^ geftiegen. S)a^ lefete, ju feinen fieb* 
jeiten bei ©pina erfc^ienene SBerl (32 ©jerjitien) trögt bie 
Dpvi^af)l 848. S)iefe ^ol^e Qi^tx giebt aber nod^ immer 
feine genaue SSorfteHung t)on Kjern^S grud^tbarfeit, ha 
mel^rere feiner SBerfe gar feine Dpu^ja^Ien ^aben, ja^Ireid^e 
SlrrangementS nic^t mitgejö^It finb, überbieS öiele feiner 
5ßubUfationen 10 bis 15 §efte füHen. 9lad) einzelnen ©efteu 
nummerirt; würben Kjern^S SBerfe tool^I bie lotalfumme 
laufenb crreid^en. Stöbert ©d^umann, ber in feiner 
Seitfd^rift für aHeS 5ßoetifd^e, 3iii>toibueIIe, Oeniale mit 
fäm|>fenber S3egeifterung eintrat, Iie§ gern feinen farfaftifd^en 
^umor gegen (SjernQ loS. 2)ie flad^e Sleganj unb bie ,,un^ 
t)ertt)üftKd^e Stüftigfcif, beS SWanneS ärgerten i^n grünblic^. 
;,§erm ®jem^ fann man nid^t einholen, mit aHer fritifd^en 
©d^nettigf eit / fd^reibt ©d^umann über beffen Opus 302. 

Gb. ^anSlid, ttuS bem Xagebud^ eines aRufilerS. 3 



B4 <£2). QansUcf. 

Unb über Kjcrn^g „»riaantc $^atttaficn^ Op. 434: ,,SSer* 
fcfec man boc^ bcn gefd^älten Kom^joniften in Sul^cftanb unb 
gebe i^m eine 5ßenfion ; tüal^rl^aftig, er öerbient fie unb tt)ürbe 
nic^t nte^r f einreiben." ipierin irrt Sc^unionn. Slfe er biefe 
ffritif fd^rieb (1838), mx ejern^ töngft ein fe^r tt)o^I- 
^abenber SRann, aHeinftcl^enber Swttggefette t)on anfprud^S^ 
lofefter ßeben^tüeife, ber nid^t ntc^r um beg ©rtüerbeS loiHen 
fc^rieb, fonbern au^ einem unftittbaren I)rang, ju com^joniren. 
®en lag über gab er Seitionen (in feiner rüftigften Seit 
i^rer itoötf), abenbg com<)onirte er. Sltö er in ben legten 
10 bi^ 15 ^af)xen bie Sel^rtptigfeit aufgegeben l^attc, ge^^ 
prte ber ganje lag bem ©omponiren ober älrrangiren. Seine 
noc^ fo ^o^e „5ßenfion" ^atte il^n babon abgehauen. I)ie 
legten Kompofitionen , bie man auf feinem Slrbeit^tifd^ fanb 
— ein Dffertorium unb eine Sonate — tragen ba§ ®atum 
„@nbe Sitiii 1857"; baS toar öicr jel^n läge bor feinem Xob. 
®er Strme fömpfte bamalg bereite mit fd^ioerem ßciben ; eine 
©id^tgefc^tüutft , toeld^e fid^ fpater töbtlic^ auf ben ganjen 
Körper getoorfen, jeigte fid^ anfangt nur an einem Slrme, 
toeld^er burc^ einen ftarfen ©^pSöerbanb förmüd^ eingemauert 
loar. Sro^bem componirte ©jern^ toeiter. S)ie SRufil toat 
jeitlebenS feine einzige greube, feine einzige SSefc^äftigung, 
fie toar il^m jugleid^ tägtid^e 5ßflid^t unb ^öd^fteg Sbeal. 

Sari e^ern^ ift am 21. gebruar 1791 in SBien ge^ 
boren, ©ein bö^mifd^-beutfd^er älccent, ben er geitlebenS nid^t 
lo^ tt)urbe, öerriet^ aber augcnblidflid^ feine cjed^ifd^e Slb- 
fünft. I)er Snabe lonnte faum bie ginger regen, atö fd^on 
fein SSater, SÖSenjel ©jern^, ber feit ben ad^tjiger Sötten afe 
Staöierfpieler in SBien lebte, i^n auf bem Slaöier ju unter* 
richten anfing. 3Rit 4 Seilten fpielte er fd^on Heine ©tüdEe, 
mit 14 ^Qi)xtn begann er felbft Slaöierteltionen ju geben. 
Sm Sa^re 1800 f^ielte er bereits öffentfid^ aRojartS C-moll- 



Karl (L^evtvf. 38 

Eoncert. Salb galt er mdS) $>ummri unb äRofd^ctcg für bcn 

beften SSirtuofcn in SBien unb für bcn bor^üglic^ftcn Seigrer; 

Sif jt, 2)Ö^Ier, ffulla!, bic »eüebille unb anberc 

naml^aftc ^ßianiften ücrbonften i^m il&re Slugbilbung. ©jcrn^ 

iiat im S^l^re 1842 (für feinen ^ßriöatgebrauci^) eine «rt 

©elbftbiogra^jl^ie gefd^rieben, ein 3Ranuf!riDt üon ntelireren 

©rogfoliobogcn ftarfen, groben ^apitx^, bag jefet im ®eflfe bcr 

;,®efettfci^aft ber aJiufilfreunbe" ift. 2)iefe „ßrinnerungen 

au§t meinem ficben'S burd^ il^ren ^nf^alt ebenfo anjicl^enb, 

n)ie burd^ il^re fd^Iid^te, befd^eibene SfuSbrudf^meife, liegen in 

Ejern^S gto^er, fefter ^onbfc^rift t)or mir. ®ine intereffant« 

@^3ifobc barauS ift fotgenbe: 

„3ni 3al^re 1819/' erjä^It Sjern^, „tarn eine^ ÜKorgenö 

ein aRann mit einem Meinen S'noben öon ungefdl^r a6)t 

Sol&ren ju mir, mit ber aSitte, ben kleinen auf bem Sorte- 

piano titoa^ t)orf^)ieIen ju laffen. @§ toar ein bleid^e^, 

fd^tt)öd6Iid^ augfel^enbe^ Sinb , unb beim Spielen toanlk eg 

am Stul^Ie tt)ie betrunfen l^erum, fo ba§ id^ oft badete, c^ 

mürbe ju ©oben fallen. 2tuc^ mar fein ©piel ganj unreget 

mö^ig, unrein, öermorren, unb öon ber gingerfefeung l^attc 

er fo menig S3egriff, baß er bie Singer ganj toilllürlid^ über 

bie Saften marf. Slber bemungead^tet mar id^ über baS 

latent erftaunt, meld^e^ bie 3iatur in il^n gelegt ^atte. @r 

fpiette einiges, ba§ id^ i^m öorlegte, a vista, jmar afe reiner 

8?aturalift, aber eben barum um fo mel^r in einer 3trt , ba§ 

man f al^, l^ier f)abt bie Slatur f etber einen Sf tabierfpieter ge== 

bitbet. @benfo mar eS, aU 16) auf ben SBunfd^ feinet 

SSaterS ilim ein I^ema jum ^ßl^antafiren gab. D^ne bie ge*. 

ringfte erlernte Iiarmonifd^e Sfenntnife ixa6)it er bod^ einen 

gemiffen genialen Sinn in feinen SSortrag." ®er ßnabe mar 

granj Sifjt. @r fam ein ^af)x fpöter mit feinem SSater 

mieber iiad^ SBien unb bejog eine SBol^nung in berfetben 

3* 



•I 



86 <£2). Qansitcf. 

®offC; tüo Kjcm^ lool^ntc. ®icfcr loibmctc i^m (ba er bei 
läge toenig 3^it l^atte) regelmäßig ben Slbenb. „S)a id^/' 
fäiirt Kjern^ fort, „an^ ntand^er ©rfal^rung tüußte, baß ge* 
rabe folc^e ®enic^, tüo bie ©eifteSgaben ber pl^^fifd^en Sraft 
borau^eilen, ba§ grünbüd^ Xec^nifd^e ju öerfäumen pflegen, 
fo fc^ien eg mir t)or allem nöt^ig, bie erften SRonate baju 
anjutüenben , feine med^anifd&e gertigfeit bergeftalt ju regeln 
unb ju befeftigen, baß fie in fpateren ^^l^^en auf feinen Stb- 
n)eg mel^r geratl^en lonnte. ®ie unberänberüc^e äJhinterleit 
unb gute Saune beS ^aben nebft ber fo außerorbentlic^en 
(Snttt)idflung feinet latente^ betotrfte, baß meine ©Item i^n 
xoit il^ren ©ol^n, \6) n)ie einen ®ruber liebte, unb nid^t nur 
baß id^ il^n ööHig unentgeltlich unterrid^tete, fonbern id^ gab 
aud^ atte il^m nötl^igen SRufilalien, bie fo jiemlid^ in allem 
©Uten unb Sraud^baren beftanben, toa^ big ju jener 3^^* 
ejiftirte. @in ^ai)x fpätcr fonnte tc^ il^n fd^on öffentlid^ 
f^jielen laffen. 9lie Iiatte id^ einen fo eifrigen, geniet)oHen 
unb fleißigen ©d^üler gel^abt." 

SBag uns Kjern^ befonberS lieb unb el^rioürbig mad^t, 
ift fein ^Serl^altniß ju »eetl^ooen, ber i^n afö Sünftler 
aufrid^tig fd^öfete unb burd^ feine greunbfd^aft jeitlebenS au«- 
gejeid^net l^at. Kjern^ liegte fd^on afö Snabe bie größte S5e«= 
njunberung für SSeetl^oöen, t)on bem er alles, tt)aS erfd^ienen 
njar, auSmenbig ft)ielte. S)urd^ ben SSioünf<)ieIer Ärump- 
1^0 Ij »urbe Kjern^ bei Seet^oben eingeführt. @r erjäl^It 
biefeS für il^n ]^od^tt)id^tige ©reigniß mit folgenben SBorten: 
w3^^n Saläre toax x6) ungefäl^r alt, afö id^ burd^ ^umpl^olj 
jum Seetl&oöen gefül^rt tourbe. SBie freute unb fürd^tete id^ 
mid^ beS XageS, too id^ ben bett)unberten SReifter fc^en follte. 
3to(iS) l^eute fd^njebt mir jener Slugenblidf lebl^aft im ®ebad^t* 
niß. Sin einem SBintertage toanberte mein SSater, förunt()^oI} 
unb id^ an^ ber fieo^)oIbftabt in bie ©tabt, in ben fogenannten 



Karl Cjerny. 37 

Xicfen ©rabcn, ftiegen tl^urml^ocl^ bis in bcn fünften ober 
fed^ften ®tod, tt)o unS ein gientlic^ unfaubcr auSfel^enbcr 
Scbienter beim Seetl^oöen niclbete nnb bann einliefe. @in 
fel^r tt)üft anSfel&enbeS Simmet; überall 5ßa^3iere nnb föleibnn93== 
ftücfe berftreut, einige Soff er, fälble SBönbe, tmm ein ®tvi% 
anägenommen ber njadfeinbe beim SBalterfd^en gortejiiano 
(bamafe bie beften), unb in biefem Simmer eine ©efettfd^aft 
bon fed^S bis ac^t ^ßerfonen, njornnter bie beiben 93rüber 
SBranifel^, ©üfeme^er, ©d^n^panjigli nnb einer 
t)on Seetl^oöenS Srübern; Seetl^oöen felbft toax in eine 
3ocfe t)on langhaarigem, bunlelgranem geuge nnb gleid^c 
Seinlleiber gef leibet, fo ia^ i^ mic^ gleid^ an bie Slbbil* 
bung beS Kam^jefc^en Stobinfon ßrnfoe erinnerte, ben iä) 
bamafe eben las. ®aS ^ed^fd^tt)arje ^aax ftränbte fic^ jottig 
(Ä la XitnS gefd^nitten) nm feinen Sopf. ®er feit einigen 
lagen nid^t rafirte S5art fd^ttJärjte ben unteren Il^eit feines 
o^nel^in brünetten ®efid^teS nod^ bunfler.'' Sluf SSeetl^oöenS 
Slnfforbernng, ilim ettoaS öorjufpieten, trug ber Heine Äünft* 
ler erft äKojartS C-dur-Koncert, bann bie „Sonate pathötique" 
t)or. Seetl^oben äußerte taut feine S^fricbenl^eit unb fagtc 
bann ju bem SSater : „Qlir @oi|n Iiat öiel Xalent ; id^ »itt 
il^n felbft unterrid^ten ; fd^idfen ©ie ilin njöd^enttid^ jmeimal 
ju mir. iSerfd^affen ©ie il^m fogleid^ ^^ilipp ©mannet 
aS a d^ S ßeiirbuc^ über „bie malere Slrt baS Slaöier ju \pitltn'', 
baS fott er mitbringen." S)er Meine Kjern^ begab fid^, ftetS 
t)on feinem SJater begleitet, attttJöd^entlid^ ju Seet^oöen, mußte 
aber oft ben njeiten SBeg umfonft mad^en , »eit ber äJieifter 
eS bnxä)an^ nic^t pünltlid^ nal^m, oft nic^t ju §aufe ttar, 
ober avi^, gerabe mit domponixtn befd^äftigt, ben ©d^üter 
fortfd^idfte. @o fd^Iief benn ber Unterrid^t mit ber Seit ganj 
ein. Ueber öeetl^oöenS äRetliobe berid^tet ©jem^ : „3n ben 
erften Seitionen befd^öftigte mid^ Seetl^oben auSfd^Iießenb nur 



38 <Hb. ^ansiid, 

mit ben Scalen in allen lonarten, jcigte mir bie (bamafö 
ben meiften @^)ielern noä) nnielannte) einjig rid^tige Hal- 
tung bcr §anbc, ber ginger nnb borjüglid^ ben ©ebraud^ 
be§ S)anmenS — Siegeln, beren Stufen ic^ erft in toeit f^)ätcrcr 
Seit in öoHem Umfang einfe^en lernte. @r machte mic^ öor* 
jügtid^ anf ba§ Legat o aufmerffam, ba^ er f eiber in feiner 
fo unübertrefflid^en Strt in feiner SKac^t ^attc nnb ha^ ju 
jener Seit alle anberen 5ßianiften auf bem 5ortet)iano für un== 
augfül^rbar l^ielten, inbem bamatö (noc^ öon 3Rojart^ S^it) 
bag gel^adfte unb furj abgefto^ene ©^)iel äKobe mar." öeetlio* 
k)en ftettte Kjem^ ein fd^riftlic^eS S^WQ^iß «ug, ttjorin er bie 
,,fein öierjel^njäl^rigeg Stiter überfteigenben augerorbentlid^cn 
Sortfd^ritte unb bettjunbern^tüertl^e^ ©eböd^tni^" rül^mt. Später 
mad^te er Sjern^ gett)ifferma§en ju feinem Hilfsarbeiter, in- 
bem er i^m bie ^orreftur feiner neu erfd^ienenen SBerle att== 
vertraute unb aud^ ben ßlaöierauSjug ber D^jer „Seonore" 
übertrug. SSeetl^oöen tüä^Ite au6) Kjern^ jum ÜJhififlcl^rcr 
feines Steffen ^arl. S^itereffant finb bie pabagogifc^en SBinfe, 
bie er bei biefem Slntafe giebt. SSeetl^oöen fd^reibt an Kjern^ : 
„^n SlüdEfic^t feines S^jietenS bei S^nen bitte id^ @ie, il^n, 
njcnn er einmal ben gel^örigen 3ingerfa| nimmt, im lafte 
rid^tig, tüie aud^ bie Sloten jiemlid^ oline geiler \pitÜ, aföbann 
erft il^n in SiüdEfid^t beS SSortrageS anjul^alten, unb toenn 
man einmal fo meit ift, i^n toegen Ileinen Settern nic^t 
aufl^ören ju laffen unb felbe i^m erft beim @nbe beS ©tüdtS ju 
bemerfen. Dbfd^on ic^ wenig Unterrid^t gegeben, i)abt id^ 
bod^ immer biefe 3Retl^obe befolgt; fte bilbet balb SRufifer, 
meld^eS am @nbe bod^ fd^on einer ber erften S^^dEe ber ffiunft 
ift, unb ermübet äßeifter unb ©d^üler toeniger." 

Kjern^ mar ju einer Stit, ba SeetliobenS ßompofitionen 
nod^ öietfad^ angefod^ten mürben, einer ber marmften S5e* 
munberer beS 9KeifterS unb einer feiner erften, einflu^reid^ften 



> 



Karl £5ernv. 39 

Slpoftd in SBien. Seim ©tubiutn öcrfd^iebencr Sectl^obenfd^cr 
©ont^ofttionen erfreute ftd^ ©jertit) ber ^crföttlid^en Slnleitung 
be§ SKeifterg. ©d^on im ^af)xt 1806 f^jiette er im Slugarten 
»cetl^oöeng C-dur-Koncert unb 1812 juerft öjfentlid^ beffen 
Es-dur-Koncert. Kjem^ gab in ben Salären 1818, 1819 unb 
1820 in feiner SÖSol^nung aHfonntöglid^ bon 11 bi^ 1 Ul^r 
^ßrobuftionen , welche au^fd^Iie^Iic^ SSeetl^oöenfd^er 
Slaöiermufil gett)ibmet »aren unb ju »eld^en jeber SRufiffreunb 
Sutritt l^atte. ©c^inbler rül^mt ilim naä), ©jern^ fei ;,ber 
e i n ä i g e unter ben SBiener Sirtuof en gettjef en, ber fid^ be* 
mül^t iiatte, Seetl^oöen in feiner guten 3rit oft ^u Iiören''. 
©jern^ toax. bi§ an fein Sebenöenbe einer ber ffei^igften 
SRcnfd^en. @r ftanb ftetg frül^jeitig auf unb fefetc fid^ gleid^ 
nad^ bem griiiiftüdE an bie Slrbeit. 3)a ber fe^r anf^jrud^g* 
tofe SRann tüebcr gamilie noc^ SSerttjanbte l^atte, fo blieb ber 
größte 2^i|eit feiner ©innalimen unberülirt. ßjern^ l^interlie^ 
ein Vermögen t)on 100,000 f(., ba§ er mit Slu^nal^me weniger 
Segate tt)o]^ft]^atigen Slnftalten bermac^t ^at. <Snt bem Satire 
1854 fränielte ejern^ unb blieb faft ftetg ju $aufc. Slicmafö 
ift er in einem ©aftl^auS ober ÄoffeeftauS gefelien toorben. 
@r l^atte fid^ fo fe^r an bie 3intmerluft getoö^nt, bag er jjebcn 
aJorfd^Iag, im Sommer auf ba§ Sanb ju jiel^en, äurüdfttjie^. 
©eine einjige ©rl^otung beftanb in einem Keinen ©<)ajiergange 
um bie SRittag^jeit , mit bem er eine für je ©inlel^r in ber 
®iabeHifd^en SRufif^anblung am ®raben öerbanb. ®a l^abe 
id^ il^n benn aud^ öfter gefeiten unb flüchtig geft)roc^en. S)er 
Heine, fd^ttjad^Ud^e 9Kann mit ber golbenen SBriHc unb ber 
großen runben labatebofe mad^te auf ben erften Slidf einen 
fel^r fd^ulmeifterlid^en ©inbrudf, toar aber im Umgang öott 
ärtigleit, 8tu^e unb öefd^eibenl^eit. 3Ran rühmte il^n afe 
aufrid^tig, tool^ItüoHenb unb l^ilfreid^. Kjem^ ftarb am 15. 
Suli 1857. 



40 <£^. ^ansM. 

S)ag Slrd^it) ber ©cfcttfc^oft bcr SRufiffrcunbe bcfifet an^ 
ein ßuftf^jtel „S)a^ ^antermabd^ctt" unb jtüct ©d^aufpicle 
„®ie SBed^fetfönc" unb „®ic öarfenfrielerin" bon Äarl 
Kjcrn^; toetd^e neben öerfc^iebenen poetifc^en SJerfud^en an- 
berer Strt unter ben Kjern^fd^en Slutogrd^jl^ett aufbetoal^rt 
ttjerben. Sft e^ nid^t benimürbtg, ba§ ber äRann auc^ ge- 
bid^tet l^at? Sei ber autobiogro^jl^ifd^en ©fiäje Kjern^^ fanb 
id^ ein ergänjenbeS Slatt, eine Sfrt Slad^ruf, öon ber ^anb 
beS um unfcr SRufüIeben l^od^öerbienten Dr. Seopolb t). ©onn^ 
t eitlen er. @r fd^Iiefet mit folgenben SBorten: ^^Kjern^ lebte 
immer fe^r jurüdEgejogen unb flol^ jebe ©emeinl^eit, bal^er aud^ 
fein befd^rönfter Umgang mit Äunftgenoffen. ©ein ipal^rl^aft 
jungfräulid^eg ©efül^I tüurbe burd^ jebe 9ioi|l^eit t)erle|t, unb 
felbft im ©d^erj öertrug er feine Serle^ung be§ SlnftanbeS. 
Sn il^m ftarb ber lefete UJirHid^e ©d^üt^r Seet^oöenS, bcr fid^ 
nod^ burd^ ben SSortrag be§ SKeifter^ felbft bie Sluffaffung feiner 
SBerfe angeeignet l^atte." 



(?Iuguft 1890.) 



SBöl^renb ba^ ©öngerfcft fid^ in SBien • a%ielte , gefd^al^ 
es, ba§ ein SBiencr aJlufiffritifer unberfel^en^ k)on S3clanntcn 
in einem ©eBirgSborf aufgeftöbert tt)urbc. aJian fielet il^m 
erftaunt unb tttoa§> bortüurfSöoH in^ ©efid^t. „SBic? ©ic 
finb nid^t beim ©angcrfeft? @ic fd^reiben nid^t barüber? 
Srcuen ®ie fid^ benn etttja nid^t bcS jubelnben @ni^)fange^ 
unferer fingenben beutfd^cn Slrmee?" SÖSorauf bcr glüd^tling 
ungefdl^r fjolgenbe^ antwortete: ®ett)i§ freue id^ ntid^ bon 
gonjem ^erjen unb juble mit, tüo immer ba§ treue Swfammen* 
ftel^cn S)eutfd^=Defterreid^§ mit bem äRutterlanbe in toufenb* 
ftimmigcm Slufe fid^ funbgiebt. 3d^ geftetie fogar, bo^ jebe 
begeifterte ffiunbgebung einer großen SSotfemenge, ja bie blo^e 
Seitüre ber Seitung^bertd^te mid^ auf§ tieffte ergreift unb 
rü^rt. Stber, meine ttjertl^en Sreunbe, Sie inter^elliren mid^ 
ja nid^t afö äRenfd^en, nid^t afö S)eutfd^:=Defterreid^er, fonbem 
aU aRufiflritifer. Unb in biefer ©igenfd^aft foftet e^ mid^ 
Wirlüd^ einige Slnftrengung, l^erau^jufinben, toa^ benn eigent= 
lid^ an fo einem ©ängerfeft mufifatifd^ tt)id^tig unb be* 
beutenb fei ? Serf otgen n)ir ben Hergang be^ gefte^, toit i^n 
unfere ölätter fo lebenbig unb »arm gefd^itbert l^aben. S^^^^f* 



42 <Eb. ^anslicf. 

jubrinbcr ffinnjfang bcr anfommcnben ©anger auf ben SSal^n- 
l^öfcn, l^crjlid^c Slnf^jrad^tn unb @rtt)iberungen. ©obann ber 
im^jofante 2(ufttiarfd^, ein brci ©tunben langer Irium^)]^äug, 
umbrauft t)on |)oci^rufen, umflattert bon ttjcl^enben lafc^en- 
tud^ern unb fattenben S9Iunten. S^ ber geftl^atte enblid^ ein 
Säanfett mit fd^mettcrnben loaften unb ganfaren. ®ie§ aHe§ 
ift freuböoH unb erl^ebenb, aber getüig nid^t muftfatifc^, fo 
toenig mufifalifd^, ba§ e^ fid^ ganj glcid^ geblieben tüdre, menn 
wir ftatt ber beutfd^en ©anger beutf d^e @d^u|cn begrübt ptten. 
®e^en tt)ir fo iDeit, un§ öoräufteHen, e§ fei mit biefem glön^^ 
jenben erften läge ba§ geft ju @nbe getücfen; iebenfatt^ tüar 
tl ber ergreif enbftc X^cil, ber ftörffte ©inbrudf be^ gefte^. 
Unb bod^ t)at bie.9Äufif nid^tS bajugetlian. 3)ie moralifd^c 
S33ir!ung, bic tüid^tigfte biefe^ ©öngerbefuc^cg, ftanb am erften 
Sage auf il^rer §öt)e; baS taufenbftimmige §od^* unb ^urral^^ 
rufen crfe^te unb übertraf jebe anbere SRuftf. 

„älber bie @efang§t)robuItionen am jtt)eiten unb britten 
lag! — biefe lieferten bod^ reid^e SluSbeute für bie mufi- 
falifd^e Sritil?" 3^ glaube nid^t. SÖäaS ift benn in biefen 
Koncerten gefungen toorben, ba§ tt)ir nid^t fc^on oft unb 
öortrefftid^ geprt ? ®ie ßiteratur be^ öierftimmigen SKänner- 
gefangg ift ja arm an toert^tjollen ßom^ofitioncn. S)ie 
fd^Iid^ten Kl^orlieber, tt)elc^e bie ©tifter ber erften Sieber- 
tafeln — Reiter in »erlin unb SRögeli in 3üric^ — 
für iiire fleine ©d^aar componirt ^abeu, finb längft öerattet. 
SRojartunb Seetl^oöen l^aben biefe ffunftform nur 
au^nal^mStoeife afe Dperncomj)oniften geftreift in ber 3ciuber* 
ftöte unb im gibelio. ©rft mit SÖäeber, äRarfc^net, 
©onrabin Sreu|er beginnt bic Srü^IingSjeit be§ melir* 
ftimmigen äRänncrgef angS ; aud^ t)on il^ren Stützen finb gar 
öiete rettungslos öermelft. SRit ben ßiebertafeln unb burd^ 
biefelben öerme^rten fic^ bie Sompofttionen für SRännerd^or; 






Xtadj bem Sängerfefl. 4S 

bie SWtttelmä^igleit unb ber 3)ilett(mti§mu§ ergoffen fid^ in 
breiten glutl^en baröber. SRenbeUfol^n unb (Scan- 
nt ann finb bie Ie|ten großen äReifter, tücld^e ben fiieber* 
tafeln einige 5ßerten, nur wenige, gefc^enft ^aben. ®ro§c 
E^orcotttpofitionen mit fd^ttjieriger Drd^efterbegteitung, tüic 
SBagnerS ;,fiiebe3ma^t", 93ral^mS' „Stinalbo"' fommen l^ier 
nid^t in Setrad^t ; bie fremben ©änger bringen feine Drd^efter 
mit, nod^ ^aben fie bie ä^it, fold^e SBerfe mit einem SBiener 
Drd^efter erft einjuftubiren. Uebrigen§ fennen tüir in SBien 
ba§ SBid^tigfte, tt?a§ bie neueften lonbid^ter an fold^en größeren 
(S^ortüerfen mit Drd^efter geliefert l^aben — Ifd^ird^, ©einrid^ 
^ofmann, Sif^t, $an^ ^ueber, SSrud^, ©emS^eim ic. — 
©ad^en, meldte bii aHer üirtuofen Icd^nif übertüiegenb ben 
(ginbrudE be^ Uebertriebenen, fünftlid^ Slufgebaufd^tcn jurüdf* 
laffen. 3Jtit unferem ©ngel^berg fd^eint ber Ie|te naiöe, 
melobienreid^e Kom^jonift t)on SKönnerd^ören ba^ingegangen 
ju fein. SBie gerne feieren tt)ir juriidE ju feiner Iiebcn^= 
n)iirbigen Sfnf<)rud^§Iofigfeit t)on jenen bombaftifd^en StüdEen 
mit großem Drd^efter, tt)et($e bie befc^eibenen SSorjüge beä 
öierftimmigen 3Jtännerd^or§ unnotürlid^en unb unerreid^baren 
SKfpirationen o^jfern. @ine Duette, au§ tt)eld^er bie äRänner* 
gefangbereine nod^ reid^Iid^ fd^ö^fen lönnten, finb bie Sotlg* 
lieber — bie beutfd^en junäd^ft, bann bie italienifd^en unb 
norbifd^en. SBie öiel Söfttid^e^ läßt fic^ ba, am beften in 
breiftimmigem @a|, nod^ bearbeiten! 

3n ben SBiener geftconcerten toed^fetten @inäeQ)robuI' 
tionen ber berfd^iebenen Sereine mit ©efammtöorträgen ber. 
ganjen ©öngermaffe. Seibe l^atten gegen bie afuftifd^en 
©inberniffe be^ riefigen 2oM§> ju fäm^)fen. Unmöglid^, baß 
in einer luftigen, jttjanjigtaufenb ^erfonen faffenben $atte 
^ianoftetten unb jarte S)etailg überatt öerne^mUc^, gefd^meigc 
benn »irffam l^erauSfommen. ©benfowenig erreid^t in ber 



44 <£b. Qansitcf. 

Siegel bog fjorte ber julammentpirlettbcn großen SRaffe bett 
ertüarteten au^erorbenttid^en ffiffeft. SBtr fonnten in SBien 
biefe ©rfa^rung mad^ctt, afö §crbecf t)or fütifunbätüanätg 
Salären fämmtlid^e aKännergefangöereine SBien^, jioölfl^unbert 
äKann ftarl, in ber foiferüd^en 3Binterreitfc^ute ju einer 
2)lonfire^)robuItion bereinigte. S)ie Steigerung ber Xonftärle 
i)ai il^re aluftifd^e unb öftl^etifc^e ©renje , boS l^ei^t bie SBir* 
fang wad^ft mit ber Duantitöt ber au^fü^renben ffrafte nur 
ix§> p einem gemiffen 5ßun!t, ber ungeföl^r bem c^emif(i^en 
SBegriff ber „Sättigung" entf^jrid^t: über biefen l^inaug bleibt 
bie afuftifd^e S33ir!ung ftelien unb ge^t bie aftl^etifc^e fogar 
jurüdf. „S33a§ ungeheuer, ift barum nid^t grofe/' l^eigt e^ bei 
©ritt^jarjer. S3ei bem 5ßarifer «uSfteaunggfeft, baS 1867 in 
bem jttjanjigtaufenb äRenfd^en faffenben S^buftriepalaft ftatt^ 
fanb, »irlten fed^Staufenb Sänger unb ein Sliefenord^efter 
jufammen; tro|bem öer^juffte bie äRufif ol^nmäd^tig tüie ein 
Söjfel öoß SBaffer auf einer glü^enben 5ßtatte. aJhififprobuI^ 
tionen in einem übergroßen Siaum bieten niemafe einen mufi^^ 
falifd^ reinen, ungetrübten ®enu§. äReiftent^eifö ift ber 
übertüättigenbe ©inbrudE, ben ba^ 5ßublilum öon fo einem fold^en 
reifig- unb fa^nengefd^müdften 3Ronftre*3eftconcert em^)fängt, 
me^r eine SBirfung auf ba^, Sluge, atö auf ba^ D^r. 

Slnfangg eine rein gefeHige Unterlialtung, l^at bag fiieber* 
tafelmefen mit ber Seit eine l^ö^erc SSoHenbung angeftrebt 
unb ift mit ©rfolg au^ bem Klub in bie Deffentlid^Ieit auf* 
geftiegen. So tange ber SRännergefang irgenbn)o mit bem 
Sfteij ber Sleul^eit auftritt, übt er, aud^ auf ba§ Koncert* 
publilum, einen eigent^ümlid^en Sauber. äRan glaubt, an 
bem reinen, fd^arfen Sufammenllang frifd^er SWännerftimmen 
fid^ nid^t fattl^ören ju fönnen unb giebt fid^ anfangt mit ber 
S)ufeenbn)aare öon IrinI*, Sd^erj- unb Siebe^Iiebem jufrieben. 
Später mad^t fid^ bag @nge unb S)ürftige beä 3Ränncrgefange§ 



/ 



Xladf bem Sängerfefi. 45 

immer fühlbarer, utib fclbft bie öirtuofcftc SluSfül^rung tüill 
nic^t mcl^r rcd^t ü6cr bic ©pärKd^Icit bc§ ö^iP^Ö^^ @tf)ali^ 
l^intoegl^ctfcn. ffiEiormcifter t)on bcffcrer Silbung unb ftörfcrem 
®^W^f ^i^ $erb ecf; loaren mit @rfoIg bcmülit; bic ©rcnjcn 
bcg Stepcrtoirc^ ju erloeitcrtt unb bic fiicbcrtafd auf ein 
Üinfttcrifd^cS, conccrtmä^igeS Sftiöeau ju ^cbcn. S)cr SRanncr* 
gcfang trat in eine ätt)eite ^eriobe, in bie bcr l^ö^eren 3i^I^ 
unb ernfteren SÖSürbigung. Slber aud^ auf bicfc ift bereite 
bic ©müd^terung gefolgt, \a mitunter bi^ ju bcr frcunblid^cn 
3Ral^nung öorgefd^ritten, eS möchte ber öierftimmigc SRänner- 
gcfang aus ben Koncertfalen attmälilid^ tüicbcr in ben Surg- 
trieben ber ®efeHig!eit unb be§ SSerein^mefcn^ jurüdfel^ren. 
Slamcntüd^ bie Ie|ten jel^n big fünfgel^n ^ai^xt l^aben un^ 
überfättigt am3Rclnnerci^or,.ber, monoton unb bon bcf darauf tem 
Umfang, bei aHer tcd^nifd^cn SSeröoHfommnung bod^ felb= 
ftänbig nur geringe mufifalifd^e SBertl^e ju probuciren ver- 
mag. S)ic Ucberfd^äfeung erjcugte ben SiüdEfd^Iag. Unb toit 
weit biefe Ucberfd^afeung gebieten »ar, lann man aug ber 
%f)ai\aä)t erfcl^en, ba§ bic bcutfd^en Oefangbcrcine bcm 
Siebcrtafdcomponiftcn Stanj 81 bt in S3raunfd^ttjeig ein 
äRonument gefegt l^aben. Sticht ettoa eine ©ebenftafd an 
feinem ©eburtSl^au^ , nein, ein gro^e^ ©tanbbilb, glcid^ 
äRojart unb Seet^oöen, ©dritter unb Ooct^c. ©clbft »enn 
man, gcjicmcnbcrtocife, jubor an ein SWonument fürffreu|cr 
unb fior^ing gebadet l^attc — c^ »äre, glaube id^, nod^ 
lange nid^t bie Sieil^e ber SSeremigung an 21 bt gefommen, 
t)Ott bem man toal^rfd^cinlic^ in jcl^n S^^rcn leine Slotc mel^r 
fingen n)irb. 

S)cm fiiebertafctocfen eignen öiete unbeftreitbare SJor* 
jiige, bie nid^t mit bem eigentüd^ mufilafifd^en ftunftgeminn 
jufammenf allen, ©eine erfrif d^enbe unb berebcinbe gefeüige 
Sebeutung brauche id^ Imm l^eröorjul^eben. Stur ift babei 



46 €b. f^ansHcf. 

ber eine Slac^tl^cU nid^t ganj ^u überfe^en, ba§ bicfc SSeretnc 
beti beutfd^en Irieb jur STbfonberung beförbcrn unb bte SSil* 
bung üon ,,gcttiifd^ten" Sl^örcn fel^r erfd^tüeren. 3n Stmcrifa 
töften fid^ faft alle SKönttergcfangöercinc auf, fobalb fte jur 
SSeröoHftänbigung i^rer mufüalifd^cn ßeiftungcn grauen l^erbei* 
jogen. Unb bod^ bleibt ber au§ SRanner- unb grauen* 
fttmmen gebilbete — ber ganje — K^or bie ungleid^ öoH* 
lommenere lünftlerifd^e 3orm, ju tüeld^er fid^ ber äRönnerd^or 
t)exf)ätt tt)ie ber I^eil jum ©anjen. 

9lod^ ntöd^te id^ eine anbere, ^öd^ft tüert^öoHe SBirfung 
beg SKännergefange^ l^eröorl^eben : feinen fittlid^ bilbenben 
@inf(u6 auf bie arbcitenben S'Iaffen. ^n granfrcid^ 
unb SSelgien fann man fid^ baöon überzeugen. S)ie franjöfifd^en 
®efangt)ereine (orpheons) rcfrutiren fid^ (in ^ari^ faft au§>^ 
fc^fie^tid^, in ber 5ßrot)inj grö^tent^eifö) au§ ben arbeitenben 
S'Iaffen; bei unS beftel^en fie übernjiegenb an^ ntufifatifd^ 
gefd^ulten Dilettanten be§ aRittelftanbeg. 2)arau§ erttart 
fid^ ber ungleid^ l^öl)ere fünft lerifd^e SBert^ ber beutf d^en 
©efangtjereine, anbererfeitS bie tüeit größere fojiale 8Bid^== 
feit ber fran^öfifd^en. ®iefe 5ßarifer 2trbeiter fingen oft 
^erjlid^ fd^ted^t — fennen bod^ öiele feine 3ioten — aber 
bie regelmäßige, liebetjotte Sefd^äftigung mit ber 3Rufif ^aud^t 
unfefjtbar ein SIement ber SSereblung unb SSerfeinerung in 
il^r Seben unb vermittelt i^nen jugleid^ ein ttjo^ltl^uenbe^ 
Setüußtfein ber 3ufammenge^örigfeit. ®ie Slegierung ^at 
on ber ©rünbung biefer ©efangöereine unb ©efangfd^ulen 
ein aufeerorbentlid^e^ SSerbienft; bie meiften finb gerabegu 
i^re ©d^ö^jfung. Sie forgt für ben ©efangunterrid^t , über=^ 
ttjad^t bie Prüfungen, fd^reibt ^onfurfe auS, üert^eilt 
^^ßreife. Stud^ bie ©otbaten berbanfen ber franjöfifd^en 
^Regierung bie ©infü^rung be^ Kl^orgefangg ; öor 20 gal^ren 
jöl^fte bie franjöfifd^e Strmee fd^on me^r aU 70 8tegiment^== 



Xladi bcm Sängerfcji. 47 

©efangfd^ulen , unb bie allgemeine ©infül^rung beä ffi^or* 
gefang§ in ber ganzen 2lrmee ift bort längft befd^Ioff^n. 9Jon 
biefen roo^ttl^ötigen @inri4tungen jur 5ßflege beg K^orgefangS 
toeife man leiber nid^t^ bei un§, unb bod^ ift bie§ ein 5ßun!t, 
an bem ein mdd^tiger ^ebel gur SSoIföbitbung unb SSerebtung 
eittjufe|en tt)äre. 

Die p n t i f d^ e äRad^t ber äRännergef angöereine, woöon 
ie|t aud^ ^äuflg gefprod^en tt)irb, fann ic^ nid^t ]^od& an- 
f erlagen. (S^ war ettt)a§ 2lnbereä in öormärjUd^er S^t, wo 
biefe aSereine afö ein „au§ ®eutfd^Ianb intportirte^ ©iff* 
t>on äRetternid^ Verboten unb öerfolgt worben ftnb. ®iefe 
bureaulratifd^e Unterbrüdtung mad^te fie tl^atföd^Iid^ ju 
Irägern be§ liberalen (Seiftet, obgleid^ fie fid^ nidf^t unter- 
fingen, einen liberalen lejt ju fingen, ©eitbem bie äRänner* 
gefangöereine nid^t me^r unter bie ®ifte Haffificirt werben, 
finb fie politifd^ äRild^ geworben, ^n ben grei^eit^friegen 
entflammten nod^ bie Sieber öon ßömer, Slrnbt unb 
©d^enfenborf ben Patriotismus bal^eim unb im Selblager. 
Das britte ©ataiHon Sü^ow befa§ juerft einen eigenen 
©ängerd^or, öon bem ber alte Sal^n SBunber erjöl^Ite. 8lud^ 
biefe Stoße ift auSgefpielt. Der in biefen Sefttagen l^unbert* 
mal citirte SBal^If^jrud^: „Sieb. wirb I^at, — frü^ ober fpat", 
ift eine Hingenbe ^l^rafe. ?luS großen Späten werben Sieber, 
aber ftid)t umgefe^rt. 9iid^t unfere taufenb Siebertafetn, fon* 
bem brei ber unmufifaüfd^eften SWänner, — Äaifer SBil^elm, 
SiSmardE unb SRoItfe — l^aben bie granjofen niebergeworfen 
unb baS Deutfdf^e SReid^ aufgerid^tet. 

SRit bem „<30Ütifd^en" ©inftufe wolle man aber bie 
nationale SSebeutung beS beutfd^en 2RannergefangS nid^t 
öcrwed^feln. Se^tere ift unbesweifelt unb öon ftarfem mora* 
üfd^en SBerttj. SBie ein fd^warj*rot^*goIbeneS Sanb öerbinbet 
baS fjeimatl^tid^e Sieb alle bie über ganj 2lmeri!a öerftreuten 



48 €6. f?anslt(f. 

Scutfd^cn. äRänner au§ Softon, (S^icago, ?ß]^UabeI|)]^ia ^abcn 
bie tüeite SRcerfal^rt nid^t gefd^cut, um in SBicn mit ätt^ 
S)eutfci^Ianb pfammcnäutreffcn. 3Rit tüetdf^cm 3u6cl tüurben 
fte begrüßt, fic unb bie ©änger aug Sa^em, 5ßreugen, 
©d^tüaben ! @ie l^aben einanber nie juöor gefeiten nnb füllten 
ftd^ bod^ fofort öermanbt unb treu öerbunben — bnxä) ba§ 
beutfd^e Sieb. S)a§ finb Oefül^Ie öon ibealem ©el^att unb 
unöergängtid^er Sraft. aber ©efül^Ie finb nidf^t Sunft, natio* 
nalt @^m<)att|ien finb nidf^t äRufif. S)a§ ©ängerfeft in SBien 
toax allen Sendeten jufolge ftedEenIo§ l^errüd^, eine greube 
für atte äRitmirfenben unb äRitgenießenben, ein reid^er Stoff 
für bie fd^ilbembe geber — aber fein @reigni§ öon eminent 
muftfalifd^em ^ntereffe. Sebe neue D^jer, jebe neue Kantate 
ober @^m<)^onie iftunS mufifatifd^ »id^tiger, ate ba§ ganje 
breitögige ©öngerfeft im ^^Jrater. Unb barum — fo fd^Ioß 
ber au§ ber ©ommerfrifdf^e aufgefd^eudf^te Sritüer — barum 
glaube id^ burd^ mein Sembleiben lool^I ein erl^ebenbeS ©d^ou* 
^pitl, ttid^t aber eine 5ßftid^t öerfaumt ju l^aben. 



ffitn f ruf tm$ ®btximmtx%m. 

(5(n li^tobox mUxo% 1890.) 



Sürd^te nid^t^, lieber greunb! SBebet geletirten ©rant, 
nod^ rcUgiöfc ©df^tüärmlJjrü. 9lur ganj ^Jerfönlic^e ©inbrücfe 
iinb ©riebniffe lüitt iä) S)ir flüd^ttg mitt^eilen, übergel^enb, 
toa^ ein regelred^ter „Sertd^terftattcr" atteS ^u erjal^Ien l&ötte. 
@inb lüir bod^ alle überfättigt öon ittuftrtrten unb nid^t- 
ittuftrirten ©d^ilberungen be§ großen ^affionSfpiefö, ju tüeldf^etn 
feit aWonaten alle ©lodfen ber ^ournaüftif läuten. 

S)dn 3:0g be§ 3eftf<)icfö ptte man un§ nic^t fd^timmer 
auSfud^en fönnen; e§ lüar ber ob feiner SBinterfälte unb 
SBajferflut^en bcrül^ntt geworbene 13. ^uli. ©d^on bei unfeter 
Slbfal^rt öon äRünd^en, ant ©amftag frii^, regnete e^ in 
©trömen. Rotten wir nid^t jwei foftbare SRaritöten, bie 
^orau^bejal^ftcn tl^euren ?ßlä|e unb bie fd^riftlid^e SBol^nung^* 
anlüeifung, fc^on bei un§ gel^abt, unb, toa^ nod& »ertl^botter, 
ein öergnügtc^ SBiener ©l^e^jaar öon un^erftörbarem guten 
©untor — lüir loaren öon bief er abenteuerlid^en SBattfatirt mal^r- 
fd^einlid^ abgeftanben. 3m äRünc^ener Sal^nl^of überrafd^tc 
uns fd^on ber SlnblidE be§ riefig langen, bIo§ für STmmergau 
beftimmten ©d^nettjugeS, (Sr fü^rt un^ bi§ jur Station 
Dberau. ipier beginnt (bei ftrömenbem Siegen) ber Sfantpf 

Sb. .^anSltcf, S(u8 bent XaQthuä) eines anuftferS. 4 



50 <2b. fjattsitrf. 

um ba§ gul^rtDct!. ®in ^öuel öon etma l^unbcrt SBageit 
battt ftdf) öor bcnt ©al^nl^ofe jufammcn; Dmnibuffc mit Heilten 
genfterdf^cn, anbete, f enfteriof e , bie ben 3n faff en bie naffe 
SBaci^äleinlüanb tn§ ejtd^t f df^Iagcn ; gialer, ©inf^jänner unb 
allerlei fonberbare Slaberlaften, tüie fte au§ ber ganzen Um* 
gegenb, aud^ auS äRünd^en, äCugSburg, SRürnberg äufommen' 
gebettelt finb. 2)ie neu angelegte Straße fül^rt in ©er^jentinen 
jiemKd^ fteil bi§ in§ S)orf Dberammergau ; tt)ic eine ^Riefen- 
fd^Iange minbet fid^ ber lange SBogenjug öor unferen SlidEen. 
Xtef unter un§ feigen lüir bie ©d^aar ber Sußgänger auf ber 
fürjeren, fteilen „alten ©trage" em^jorf (immen ; bie rotl^en 
Siegenfd^irme ber Sauern leud^ten loie gliegenfc^iDamme an^ 
bem SBalb herauf. ®ie ßanbleute l^aben natürlidf) i^r geft- 
gett)anb anget^an; bie SRöbd^en in buntfeibenen ^o^jftüd^ern 
ober fd^mudEen Sirolerpten, bteiten furjen SiödEd^en — mand^c 
leiber aud^ in @onntag§fd^ul^en — waten burd^ ben unbarm- 
l^erjigen SRoraft. Sin Drt unb ©teHe muffen bie SSebauemS* 
ttjertl^en auf feud^tem ©trol^ ober auf garten aBirt]^§t|au§== 
bönfen übemad^ten. Slttein fie ^jreifen e§ atö ein gottgefälliges 
SBerf, loenn ber SBeg jum ^affionSf^jiel burdf) 3)?ü^faf unb 
Unwetter il^nen felber jum 5|5affion§lDeg wirb, ffinblid^ ffäft 
^ie SBagenburg in Dberammergau ; ein unbefd^reibtid^eS S)ifrd^- 
einanber! SltteS rennt, mit Siegenf d^irmen, 5|5Ioib§ unb ^nb- 
tafd^en belaftet, nad^ einer Unterlunft. SBir fanben bie unferc 
in bem befd^eibenen ^aufe einer ^oläfd^ni^er^wittwe Seit. 
3d^ gUube, ba§ bie $öu§üd^feit biefer gamilie unb il^re tierj- 
lid^e Suöorlommentieit un§ öon aßen 2lmmergouer ©inbrüdfen 
bod^ berliebfte bleiben wirb. Unermübüdf) bebienen unS bei 
Xifd^e jwei junge Xöd^ter be§ ^aufe§, bereu SBürbe aU (Sngel 
unb ^eilige im ^affionäfpiel il^rer l^inreifeenben äRunterfeit 
nid^tS anl^aben !ann. draußen gießt e§ ununterbrod^en, troft- 
log ; man wagt leinen ©d^ritt auf bie ©trage. S)efto ge=* 



(Ein Brief aus 0bcrammcrgau. 51 

mütl^üd^er machen tüir'S un§ in ber gcl^ciiten SBirtl^^ftuBc. S)o§ 
Heine Siw^iner, in bent an brei lifc^en bie (Safte be^ $aufe^ 
nad^tmaten, lüiberl^allt öon Sad^en unb fröl^Ud^em (ätplanhtx. 
3)ie ßuftigfcit unferc^ öfterreic^ifc^en 2ifc^e§ ftcigcrt fid^ an 
bem ©ontraft ber neben ung tafeinben ©ngWnber. Seieriid^ 
unb f(^tt)eigfam fi|en fie mit i^ren langen falten ©efid^teru ba 
unb nageln il^re langen 3^^^^ in bie bidten ©anbttjid^eg. (£in 
gute§ S)ritt]^eil ber ©äfte in Dberantmergau finb ©nglanber. 
SBcnn ju ber Sieugierbe biefeS fal^renben SSolfeS fid^ noc^ ein 
religiöfer Slnreij gefeilt, bann gilt i^nen feine Sieife 5U weit, 
ju mül^fam. ^I^re unöerjeil^Ud^e Unfenntnife ber beutfd^eu 
(Spxa6)t tt)irb felbft in biefem ba^erifd^en Oebirg^borf a(§ etmaS 
©elbftüerftänblic^eg Eingenommen, ©nglifd^e Slnfünbigungen 
öon Quartier* unb gal^rgelegenl^citen begegnen tt)ir in allen 
©äffen ; öoUftanbige englifd^e lejte („Libretto of the holy 
play") werben aufgeboten. S)ie Sauern getien öor bem 5|5affion§' 
\pitl um 6 Ul^r frü^ jur äReffe ; bie ©nglänber fiaben fid^ fogar 
nad^ bemfelben einen 8lbenbgotte§bienft in il^rer ©^jrad^e 
organiftrt. ®§ ift erftaunlidf), Wie öiel Sfnbad^t Sauern unb 
©nglänber vertragen fönnen. 

3)a§ $ßaffion§fpieI in ber neuerbauten 2lrena beginnt ^unft 
8 Ul^r frül^. ^m 3legen arbeiten wir un^ butd^ bie fotfiigen, 
unge^)flafterten ©trafen ba^in. ®a bie Sü^ne unbebedt ift, 
finb bie ©d^auf^jieler unb ©änger ftunbenlang bem Siegen an§>' 
gefegt. Sag gleiche SRart^rium trifft bie 1000 bi§, 1500 3u= 
fd^auer, weld^e bie öorberften, gleid^faHä unbebedEten ©ilrdi^en 
einnel^men. @rft tjinter biefen beginnt ber gebedfte I^eil be§ 
3nfd^auerraume§, bie tl^euren ^Iä|e. SSor bem Siegen finb wir 
ha gefd^ü^t, aber nur fel^r notl^bürftig gegen bie Mite, fo feft 
wir un^ auä) in bie Sudler unb Sleifebeden ptten, bie unfere 
frcunbUd^en ^an^ltutt un§ unaufgeforbert mitgegeben. ®ag 
©d^önfte unb eigcnt^ümtid^fte an bem 5ßaffionSf<3ieI ift bie ©in:» 

4* 



52 (Eb. ^ansUa. 

rid^hmg bcr Sül^ne unb btc burd^ biefe ©inrid^tung crmögltd^te 
gtofee SBirlung ber SSotföfccnen. SBetd^ ^jradf^töotter" SlnMtdf , 
ttjcnn ber fcftlid^c ©tnjug Sefu fid^ an^ bcr Heineren gebedtten 
SRittelbül^ne nad^ bem ?ßrofcenium ergießt unb gletd^geitig öon 
red^t§ unb IxnU au§ ben ©trofeen öon ^tm^altm ba§ SSoH 
l^erbeiftrömt ! S)ie ®ru<)^)irung ber SSoIf^fcenen ift burd^au§ 
malerifd^ unb natürfid^, ba§ 3ufcimmenf<3iel <)raci§ unb' leben* 
big. an bie cinjelnen S)arftetter legen tt)ir natüritd^ nid^t ben 
3Ra§ftab unfereS Surgtl^eaterS ; mel^r afö einer ttjar über* 
rafd^enb gut, ftixrenb lein einziger, ungenügenb mand^er burc^ 
gu leifeS @})red^en. ®cr große SRaum biefe§ offenen Il^eatcr^, 
bo§, ber Sogen entbel^renb, bod^ 1500 ^erfonen mel^r aU ba§ 
größte O^jernl^auS, bie ©cala in SRailonb, faßt, ift öernel^m* 
barem SSortrag äußerft l^inberlid^. SSon mand^cm S)iaIog öer* 
ftanb man auf unferem $Ia^e nur einjelne SBorte. SSoHIommen 
htvitli6)f mit flangöollem Drgan unb rul^iger SluSeinanber* 
fe^ung ber SRebe f^jradf^en bie S)arftetter be§ ^c^n^, be§ ?ßontiu§ 
?ßilatug unb be§ ^nnaa. 

^o\tp^ SRatier, §ol5fd^ni|er unb aSice*S5ürgermeifter in 
Dbcrammergau, genießt atö SarfteHer be§ ^t\vi^ bereite einen 
ausgebreiteten 9luf. ®r ^at bie SRotte fd^on bor jel^n unb t)or 
ätoanjig ^af^xzn gef^jiett, unb met|r afö taufenb briefliche ober 
telcgra))^ifd^e 2lnfragen follcn in biefem grüfiial^re eingelangt 
fein, ob ^o\tpi) 3Rat|er loieber bie ^anptxoUt f^jielen toerbe. 
2)er befd^eibene äRtfnn ift öon gubringtid^en 2lnfudf)en um 8luto* 
gra^jl^e unb fignirte 5|5ortröt§ berart beftürmt, baß er fid^ ge* 
jttjungen fielet, fortan jebeS fold^e Verlangen abjulel)nen. @r 
l^at öottf ommen Siedet unb f ottte in unf erer 3eit be§ jügellof eften 
2lutogra:t3]^enbettefö jebermann jum SSorbilbe bienen. ^ofe^)^ 
SKatier öerbient feinen guten SRuf. ©ein ®efidf)t ift nid^t öon 
ibealen ßinicn, aber rül^renb burd^ ben SluSbrudt ebler SBel^mutl^ 
unb ®üte, bem fogar ein 3m9 bon emfter ®eban!enarbeit nid^t 



(Ein 3rief aus 0berammcrgau. 53 

mauöeft. ©eine gigur ift l^od^ uttb fd^Ianf, ©^jrad^ unb Se^^ 
tüegungcn finb nil^ig unb ungcfuc^t mürbeüott. ®o ei^riftu^ 
»enig ju f^jred^cn ^at unb mit äuSnal^ntc bcr äbcnbnial^Ö* unb 
Ddbergäfcene eine butd^au^ paffiöe Slotte f^jielt, fo erfd^einen 
bie SJorjügc öon SRa^erS S)arfteIIung — feine ©ntl^aftfamfett 
t)on jeber' tl^eatralifd^en ?ßofe ober S)eHamation — atö öor« 
nel^mlid^ negative. @ie öerbienen barunt !ein geringere^ Sob. 
@§ ttJiß fel^r öiel l^eigen, lüenn ber SarfteHer einer eigentü^ 
unerreid^baren ©eftalt un§ afö K^riftug ein eble§ unb tief 
:^aftenbe§ 95ilb prüdläfet. ^ofepl^ SRa^er, üon beut bereit« 
eine ertoac^fene lod^ter unter ben Sängerinnen mittüirlt, ift 
ber'®egenftanb mancher l^eimlid^en ©d^toännerei. SBie öielc 
®amen öerlieben fid^ nid^t in einen unbebeutenben fd^mudten 
©d^auf^jieler, ben fie nur mit ffrone unb ©cepter fennen. Slun 
öoHcnbS ein K^riftuS ttne ^o^p^ SRa^er! SBil^elminc ö. 
I^illern ^at il^n unter öeränbcrtem Siamen, aber §iemKd^ 
burd^fid^tiger SRaSle jum gelben i^re« eben erfd^ienenen 
„5ßaffion§roman§ auä Dberammergau" gemad^t. Unbenfbar 
ift e§ nid^t, ba§ eine ejaltirte öornel^me ®ame, in tt)^d^er 
©innlid^Ieit unb m^ftifd^e ©d^ttJörmerei burd^einanber gtül^en, 
unter bem ©inbrudfe be« ^affion«f<)iefö il^re Siebe jum ipeilanb 
auf ben S)arfteHer be^felben l^inüberträgt. @ie erblidft in il^m 
einen äRenfd^en ptierer 2(rt, bem fie mit ßeib unb ©eele 
angel^örcn Witt. 9Kan benfe an Kl^araftere tt)ie fjrau ü. 
^übener ober mie Sioöaü«, bei mcld^em, na6) Slrnolb SiugeS 
«uSbrudE , ,,bie SR^ftil, biefe t^eoretifd^e SBoItuft , unb bie 
SBoHuft biefer <3raftifd^en äR^ftü, gleid^ ftarf l^eröortraten." 

3m Sloman ber $)ittem, ben ic^ übrigen« nur pd^tig 
bnrd^blättern fonnte, Iä|t bie .fd^öne junge ®röfin il^re l^od^- 
geborenen SSemerber im @tid^ unb l^eiratl^et ^eimlid^, faft gc* 
toaltfam, ben lange »iberftrebenben ©otjfd^ni^er. S)ie ganje 
Iragü, »eld^e au« biefem unüberlegten Sunbe ertoäc^ft, fann 



54 €b. ^ansltrf. 

td^ l^ier ntd^t nac^erjal^Icn. Ucbcrtricbcne§ unb Unmal^r* 
fd^einüd^eS fcl^Ien nid^t barin. fjür bo§ <3ft|d^oIogijd^c $ßro= 
Bletn aber, ba§ bic Äcimjettc bicfe§ SRomanS bilbet, tft fautn 
ein ®ä)au)(>la^ fo geeignet, tüic ba§ 5ßaf jton^f^Jiel in Slninter* 
gau. Sieben il^rer eigenen ftarfen ©inbilbung^froft unb ber 
t)on äRutter Sird^-^feiffer ererbten @ffeftlenntni§ lomntt ber 
aSerfafferin l^ier ba§ genauefte SoMftubium ju ftatten. @ie 
bettjo^nt feit ^af)x unb Sag eine eigene ftattlid^e SSitta in 
Dberammergau, Iö§t fid^ aber, mie ntan un§ erjäl^It, fel^r »enig 
int Drte feigen. Db il^r dtoman, abgefel^en öon ben SSortl^eilen 
ber SReHame, ben Sett)oI)nem fonberüd^ einleud^ten tüerbe, ift 
bie grage. ©inf ad^e Sente ^jflegen bie SierquidEung öon 
S)idf)tung unb SBal^rl^eit nid^t §u üertragen. 'Sfud^ toenn ber 
S)id^ter fte ibealifirt, füllten fte fid^ gern öerleumbet; ge= 
fd^tüeige benn, lüenn er fie ^jorträtirt. 

2)ie l^ö.d^fte Sld^tung öerbienen ber fc^öne @rnft, bie innere 
©ammlung, ba^ Slufgebot aller geiftigen unb ^jl^^fifd^en 
Gräfte, ttjomit fämmtlid^e 2)arftetter an i^re aufgäbe ge^en. 
Sin tjoßes ^a'S^x öor ber Sfuffül^rung beginnen fd^on bie 
regelmögigen groben. S)ie S3efe|ung bier Stoßen gefd^ietjt 
burdö SBal^t, wobei aHe einftuftreid^en SRönner ber ©emeinbe 
il^re Stimme abgeben. S)er 3^ag ber SBal^I ift für ben ganjen 
®au ein toid^tigeS ©reignife; er loirb mit einem feierlid^en 
©otteSbienfte eröffnet unb fein 9iefultat öon ®roB unb ffilein 
mit öugerfter ©^jannung ertoartet. 9iur Dberammergauer 
bürfen mittoirfen al§ 5)arftetter, Sänger unb äRufifer. 95ei 
SSefe^ung ber SRoHen entfd^eibet nid^t bloß ba§ latent unb 
bie entfpred^enbe (Srfd^einung, fonbern anä) bie fittlid^e Stuf- 
fül^rung. So war für bie SloHe ber SRaria urf^jrünglid^ ein 
fd^öneS unb taIentt)otte§ äRdbd^en auäerfel^en — atö rud^* 
bar hjurbe, bafe bie Slrme ein ßiebe^öermtnife unterl^alte, 
n?arb il^r bie SioIIe genommen. 



(Ein 3nef aus 0bcrammergau. 65 

SBenigcr gut, afö um bic brantatifd^e S)arftettung , fielet 
e§ um bie SRufil im ?ßaffion§f<3ieIe. S)iefe nimmt einen 
öiel ju breiten 3laum ein unb ift in ®om<)ofition unb 8[u§= 
füt)rung öon fcl^r jtpeifeC^after SSefc^affenl^cit. S)a§ Drd^efter 
tiad^ Sa^reutl^er äRufter in bie 3^iefe öerfenit, ijt unftd^tbar. 
Sutoeilen mußte id^ tüünfd^en, e§ tüöre aud) unl^örbör. @^ 
liebt jtoar ntd^t ben Sdrm, aber tjäufig bie Unretnl^eit. 
©elbftönbig tüirft btefe^ Drd^efter nur in ber Duüerture unb 
furjen Stt)if df^en f^jielen , im übrigen bloß begleitenb. SSor 
jeber ber bramatifd^en ©cenen („SSorftellungen''), beren eS 
od^tjel^n giebt, ftettt fidf) ein ©l^or öon öiemnbjwanjig ^ßer- 
fönen, äJlänner unb grauen, im ffoftüm öon ®enien auf ber 
SSorberbütine auf; recitirenbe SSorfönger üerlünben bie ju 
erloartenbe ^anblung, ber K^or folgt mit frommen 95ctrad^* 
tungen. SBenn man nid^t iDüßte, ba§ bie ©ompofition öon 
einem batjerifd^en Sorffd^utlel^rer au§ bem öorigen S^^^^^iinbert 
l^errül^rt , man tüürbe e^ ol^ne »eitert ^erau^l^ören. @g ift 
ber rid^tige Sanbmeffenftil im ©efd^madfe ber S^itgenoffen 
unb SWa^al^mer ^o^t^^ §at|bn§, ofine eine ®pnx öon Drigi= 
nalität, öjeidf^lid^, fraftIo§ unb immer im gleid^en lone reb* 
feiig fortlei^rnb. ^n ben erften gtoei ©cencn laßt man fid^ 
biefen biebermaierfd^en 3ReIobien§opf, ber ja burd^ lange S^ra- 
bition gefalbt ift, gefallen; öjenn er aber immer länger 
unb länger tt)irb, bi^ er enblid^ mit bem Steigen ber 
Sonne un§ töie eine S5oa umftridtt l^at -— bann bleibt nur 
berjenige gebulbig, ber öor lauter grömmigfeit überl^au^jt 
ttid^t me^r ^ört. S)aju lommt, ba| bie Statur unfere braöen 
©änger unb ©öngerinnen öon Slmmergau loeber mit fd^önen 
Stimmen, nod^ mit altju feinem Oe^ör befd^enft l^at, toa^ fie 
iebod^ geioiß nid^t l^inbern ttjirb, in ben ^immel ju lommen. 
3Bir ]&aben eg l^ier freilid^ nid^t mit Jtünftlem ju tl^un, fonbern 
mit braöen, öom ©d^uttel^rer rebtid^ gebriHten Staturaliften, 



56 €6. f?ansltcf. 

unb für fold^c muß aud^ ba§ ©eiciftete ti^xtntotxti) feigen. 
S)ag ift ber innere SBiberft»ruc^, ber in bem heutigen 2lmmer=^ 
gauer ^$affion§f^)icI niftet unb über ben wir bei atter greube 
am ©injelnen nie ööllig l^inauöfommen. ®§ ift ^u fiinfttic^, 
äu öorgefd^ritten für ein naiöeS 95auernf^)iel unb boc^ p un- 
öollfommen für eine ^nftleiftung öor einem internationalen 
gebUbeten ^^Jubüfum, ba§ jel^n SWarf für ben @ife bejal^ft. 
&)tmaU f^)ielten bie Dberammergauer bie ^ßaffionggefc^ic^te 
mit bef^eibenfter äurüftung nur ju il^rer unb i^rer Siad^bam 
eigener ©rbauung. So n^ar e§ nod^, alg ©buarb S)et)rient, 
ergriffen öon ber naiöen ©d^ön^eit unb frommen ©infalt 
biefeg Sauemfpiefe, öor 50 ga^ren jum erften äRale in ber 
Slllgemeinen S^itung baöon erjä^Ite. 3n ben näd^ften 20 
Sauren toar e§ eine 5|5robuftion für ganj S)eutfd^lanb ge* 
morben, je^t ift e§ ein europäifd^eö -S^gftüd, ettoa toit baS 
SBagnerfd^e Sa^reutl^, nur je^nmal ftärfer befud^t, ba eS 
immer je^n 3^^^^ ^uf fid^ toorten läfet. 3^^ tiabe öor gal^ren 
in einer SSorftabt tjon S^^^^brudE , bann in Srijlegg l^eUige 
^omöbien auffül^ren fetten, toeld^e nod^ gan^ bie ©infad^l^eit 
be§ aSauernf^jietö aufliefen, im Xiroter S)iale!t unb in red^t 
abenteuerüd^en Softümen gef^)ielt mürben, ©ine anbäd^tige 
SSauernöerfammlung fragt wenig nad^ ber $ßrad§t unb l^ifto- 
rifd^en ®enauigleit ber ©cwänber. ®af) bod^ 2lnberfen 
eine balefarlifd^e Sauernfamilie fel^r anböd^tig öor einem 
Silbe, auf tüeld^em @ott SSater im gradf unb lebernen ^ofen 
abgebUbet war. Qn Dberammergau l^at fid^ ber urf^jrünglid^e 
Kl^arafter be§ ^affion^f^jiefö im Saufe ber Seit t>öttig t)er= 
änbert. 9iid^t bag id^ an ben einzelnen 2)arftettem ein affef- 
tirteS, eitlem ©ebal^ren bemerft l^ätte — fie.mad^en burd^au^ 
ben StnbrudE öottfommener ©l^rlid^feit — aber bie ganje 
SSorfteHung l^at aufgel^ört, SRatur ju fein, ol^ne bod^ bie $)ö]^e 
bewußter ®unft ju erreid^en. 3)ie§ aHe§ fagt man fid^ 



/ 

r 
1 

\ 
I 



(Ein Brief aus ©berammergau. 57 

fd^Iießlid^, märe crl^eBcnb, toenn tt)ir eS irgenbtüo anträfen, 
ol^nc Sngtänber, ©e^^arat * ©iläüge , 3c^ti^örfft|e u. f. tt). 
SBa§ bem Xotateinbrucf ber ganjen $ßrobuftion ent^jfinbtid^ 
f d^abgt, ift il^re aüiu grofee Sänge ; fte tütrft peinlid^ ermübenb. 
Db nun bie S^^f^^^er ben ganzen lag über im Siegen ober 
in gtül^cnber ©ounen^i^e bafi^en, fte finb fd^IiegUd^ alle f)aß) 
tobt — (Snglänber unb Säuern immer aufgenommen. ®ie SSor* 
ftettung, »eld^e (mit einer ^aufe öon einer ber Fütterung ge- 
»ibmeten ©tunbe) öon 8 Ul^r frü^ big t|oIb 6 Ul^r abenbS mä^rt, 
ließe fid^ leidet um brei ©tunben tjerfürjen, ol^ne ba§ ettoaS 
SBid^ttgeg ober Slotl^wenbige^ gum D^jfer fiele. SBie öiel 
h)irb nid^t unnötl^ig mieberl^olt! @o ^ält jum ©eif^jiel 
3ubaö brei lange SDlonoIoge, in toelc^en er ftetS baSfelbe, 
feine SReue unb SSerjmeiflung , auSbrüdtt, anftatt ftd^ gleid^ 
nad^ bem erften aufjufniHjfen. 2)ie au^giebigfte Slebuftion 
aber geftattet unb öertangt ber mufifalifc^e 2^eil; id^ 
toürbe bie $älfte öon ben ' f aljlofen monotonen ©efängen 
ftreid^en, bie un§ enttoebec erjäl^Ien, toa§ tt)ir feffift gefeiten, 
ober öorfd^reiben, tt)a§ mir afe fromme ©Triften unmeigerlid^ 
ju em^jfinben Iiaben. S)u fragft mid^ furj unb gut, ob baS 
Smmergauer $ßaffion§f^)iet eine mül^fame unb loftf^jieüge Sieife 
lol^ne? laufenbe merbcn mit ^a antworten. 3d^ bcfd^eibc 
mid^ mit bem 3ii9^ftänbnife, ba§ e^ gett)i§ lelirreid^ unb an- 
genel^m ift, e§ einmal gefeiten ju tjaben. S)ir, lieber fjreunb, 
begegnet, mag tel^rreid^ unb angenel^m ift, aud^ auf unjäl^* 
ligen anberen SBegen. äRöd^te e^ mir balb in deiner ^^Jerfon 
begegnen. 



§it pu|tk in ^mtxxkü. 



I. 

(Br|ie ^Infange. 

. 8lmerifa , l^eute ba§ gelobte Sanb , ttjenn nid^t ber 3^on= 
fünft, bod^ ber 3^on!ünftter , beginnt aud^ in mufifaüfd^er 
Segie^ung ein ernftere§ Sntereffe ju cmedEen. Sllliäl^rlid^ 
tt)öd^ft bie "än^a^l ber D^jernfcmger unb SSirtiiofcn, bie nüd^ 
8lmerifa l^inüberfegeln , nid^t um . bort bie Ie|tc Stu^bilbung 
i^rc§ Salenteä ober bie ^öd^fte SBeil^e il^re^ 9tu^me§ ju fud^en, 
fonbern um Sorbeeren in S)ottar§ umjufelen. Slber ein SSbtf, 
ba§ bergleid^en ©enüffe fo ^od^ bcjal^ft, mu§ boc^ mufüaüfc^e 
(£mt)fängtid^!eit, mufifaUf^eS Sebürf nife, tt)0^I auc^ Salent 
befi^en. SBie ift e§ bamit beftettt? Unb tüie fie^t e§, neben 
ber D^jer, mit ben Drd^efterconcerten, mit ben ©l^oröereinen, 
mit ber Sammermufif, mit bem äRufüunterrid^t au§? ©eit 
loann fann überfianpt öon SRufü^jflege in Stmerifa gef^jrod^en 
loerben unb toeld^en ®ang öerfolgt fie in il^ren öerfc^iebenen 
Stoeigen? S)iefe fragen beantwortet un§ jum erften äRaCe 
äufammcnl^öngenb ein 93ud^ öon Dr. greberidE SouiS SR i 1 1 e r , 
ba§ foeben in jn)eiter öermel^rter Sfuflage erfd^ienen ift. *) 5)er 



*) „Music in America", by Dr. Fr. L. Ritter. New edition, 
with additions. (Newyork, Charles Scribners sons, 1890.) 



Die mufl! in Zlmerüa. 59 

aScrfoff er, ein tüiffenf d^aftlid^ gebilbeter äRujtfer unb ^ßöbagoge, 
ift Sirector ber äRufiffdbuIe am Vassar-College unb ^at, tt)ie 
toir au§ einer ©teile . feinet ^nä)ti (pag. 299) beitäufig 
entnel^men, afö S)irigcnt ber „Harmonie Society" in 9iett)= 
^orf im ^af)xt 1867 grofee Oratorien, toit bie Sd^öpfung, 
®Iia§, äReffia^, jur Sluffül^rung gebrad^t. 9iod^ immer mit= 
tl^ötig im Kentrum bc^ amerifanifc^en äRufiflebenS, l^at er 
feit ^^al^ren unermüblic^ äRaterial für eine Oefd^idf^te ber 
STCufif in 8lmerifa gebammelt, ©ein 93ud^ ift ganj in bem 
cnglifd^-amerüanifd^en ®eift nüd^terner SSeobad^tung unb 
^jraltifd^en Urttieile« gefd^rieben; e§ tt)ill feineStoeg^ SReltame 
für Slmerüa mad^en, fonbern ebenfo »atir^eit^treu l^crüorl^eben, 
tt)a§ in fünftlerifd^em ®eift geleiftet ober.bod^ öerfuc^t morben 
ift, mie altes baSjenige rügen, toa^ aU finbifd^, l^ol^I unb 
betrügerifd^ fid^ bem mufifalifd^en gortfd^ritt entgegenftettt. 
%xo^ ber mit jebem ^al^re pnel^menben SWufiffuItur in 
STmerifa giebt eS nod^ mand^e ©tobte bort, »elc^e nur eine 
fette aSeibe für mufifalifd^e Ignoranten unb 2lbenteurer finb. 
®er eine jeigt an, bag er mufifalifd^e (£om<3ofition in jetin 
Seftionen lel^re, ber anbere (irgenb ein ^laöierftimmer ober 
*§anbler) öerf^jric^t, feine ©d^üler in öier SBod^en ju guten 
tßianiften auäjubUben. Qfn einer ©tabt nid^t toeit t)on SRett)- 
^orf tritt ber Dirigent eines ©l^oröereinS jugleid^ atö S5uffo 
auf unb fd^ilbert fingenb mit grdfelid^en Äör^jeröerrenlungcn 
einen ©eefturm unb ha^ ©d^eitcrn beS ©d^iffeS. Sine Unjal^I 
äl^nlid^er ©efd&id^ten, „loie fie nur in ämerifa öorfommen 
lönnen", ftel^e bem SSerfaffer, toit er f agt, ju ®ebote ; er l^at 
jeboc^ SRed^t, fie für unpaffenb ju tialten in einem ernften 
l^iftorifd^en SBerf. 

S)ie Slnfönge mufifatifdöer ©ntmidfung in ämerüa batiren 
bon ber erften 2lnfieblung englifd^er Puritaner in 9teu»®ngtanb. 
SuS il^rem ^falmengcfang , an^ ber ro^en gorm einer bar* 



60 &. fjanslirf. 

iarifd^ gefungcnen cinfadf^en ^ßfalntobie ertoud^S bie muftfo:' 
lifd^e Kultur in ben vereinigten Staaten. Selanntlid^ l^aben 
jur S^it ^^^ otogen Sleöolntion in Knglanb bic $ßuritaner 
Drgeln unb äRnfifbüd^er ^erftört. S)er ^falmengefang in ber 
fd^önen SSearbeitnng ber bcften englifd^en ©ontrajjunftiften 
tt)urbe atö friöol öerpönt, nur bie einftimntige SKelobie burfte 
öon ber ©emeinbe gefunqen »erben. S)ie ©rfinbnng neuer 
SBeifen tvax öerboten, ba^ SSoIf fd^redtte öor fold^em ,,3:eufel8:= 
werf jurüdE unb öertor aHmöl^tid^ jeglichen ©inn für bic 
fünftlerifd^e ©ebeutung ber äRufil. S)ie Puritaner, njelc^e 
1620 in $I^moutl^==9lod lanbeten, bradf^ten i^r eintönige^ 
^fafmobiren unb il^ren ^ag gegen n)eltlid^e äRufi! mit. SBäl^* 
renb ber erften ©fiod^e ber Jtolonien ftanb bie mufifalifd^e 
Äultur bafelbft fo ntebrig, tüie bei ben ©alliern ober SKe- 
mannen im fiebenten ^al^rl^unbert. S)ie erften amerilanifdf^cn 
SRufiflefirer lüaren <3uritanifd^e ©eiftüd^e. S)ur(^ lird^Iid^c 
(Sngl^erjigfeit öerMieb bie SRufif in fo arger SSernad^täffigung, 
bafe ber K^orgefang ber aUereinfad^ften $ßfaImobie p einer 
Folterqual würbe für jebeS gebilbete Dl^r. S3 a d^ unb $) ö n b e I 
Wirften mäd^tig in S)eutfd^Ianb, wäl^renb in Slmerifa barüber 
geftritten würbe, ob ^falmengefang in ber Sirene mit ben 
SBorten ber Sibet vereinbar fei. Seetl^oöen war imfetben 
3at|re geboren, afe SBiUiam SiUingS in SSofton feine erftc 
ro]^e,@ammIung : „The New-England Psalmsinger" l^erauägab. 
Siefer 93itting§ war feinet S^ic^^ti^ ein ßo^gerber, ber eine 
©ingfd^ule befud^t l^atte unb einiget 3Kufi!taIent in fid^ öer* 
fpürte. @r begann bie Sorm ber il^m am meiften jufagenben 
^^Sfalmmelobien umjumobeln unb, fo gut er fonnte, ju l^ar* 
monifiren, woju er bie 3nnenfeite feinet fiebert ober feiner 
Säaumrinbe afö 9toten<3al3ier benu^te. ÖiHingg galt für 
einen guten Sfird^enf änger , fo weit bamafö überl^au^jt öom 
Singen bie Siebe fein fonnte. ®cr ®rfoIg feinet ®efang=* 



Die ITTuftf in Tlmevifa. 61 

Bud^eg toax bebeutcnb unb crmutl^igtc il^n, Balb äl^nlid^c 
©antmlungcn folgen ju laffcn, fogar citte 8lrt primitiver ©e- 
fangfd^ule unb Kom<)o|ition§Ie]^re. 95ei aHebem blieb' er ftetS 
ein ungefd^idEter §armoni!er unb nod^ ärgerer Kontrapnnftift. 
^txtxixppdt, auf einem Sluge blinb unb auf einem Sufec 
l^infenb, forttüa^renb au§ einer großen lebernen 3lodftafd^c 
Saba! fd^nu))fenb — fo l^at fid^ fein S3ilb feinen S^itgenoffen 
einge^jragt. ®in Original unb fo red^t ber %tipn^ be« 
„Yankee Psalmtune-teacher" t)om @nbe beS Vorigen ^af)X^ 
l^unbertg. @in grogeS <3oIitifdf)e§ ®reigni§, bie amerifanifd&e 
Sleöolution mad^te il^n jum ^jatriotifd^en ^falmcom^joniften. 
S5itting§ unterlegte beliebten Äird^enmelobien politifd^e ©elegcn* 
l^eitstefte, unb biefe patriotifd^en |>^mnen lüurben von jebem 
K^orverein, in ber gamilie, fott)ie von ben ©olbaten im Setb- 
lager gefungen. Unb fo gefd^al^ t§>, ba§ mand^e feiner ®e* 
fange, bie mit bem S^itpunfte' großer ))oIitifdf)er Slufregung 
jufammentrafcn, mirflid&e SSoIföUeber mürben, 5. S. ehester, 
Columbia; Indepondance , Lamentation over Boston u. a. 
@r ftat ba§ SSerbienft, nid^t bloß frembe 3KeIobien „ange^jafet'', 
fottbern aud^ eigene erfunben ju l^aben, unb barf afe ber erfte 
omerilanifd^e Kom^jonift bejeidbnet iverben: ein armfeliger, 
aber el)rlid^er SRufiler. ^ebenfalls begannen mit biefem 
5ßfaImcom<)oniften vom @nbe beS vorigen unb änfang biefe§ 
Sal^rl^unbertS bie erften eigenartigen Siegungen amerifanifd^er 
ERufü; eine ®<)od^e ber Äinbl^eit, aber lebenSfröftig unb l^off* 
nunflSVott. SBie alte 8lutobiba!ten, fo legten SittingS unb 
feine Scitgenoff en großen SBertl^ auf ba^jenige , ivag f ie fo 
mül^fam l^ervorgcbrad^t Ratten, obgleid^'ba^ l^öc^ft mittelmäßig 
loar im SSergleid^ mit ben Seiftungen irgenb eines lüirftid^en 
lonfe^erS. Dl^ne bie geringfte SEenntniß von bem, toa^ anbere 
bereits vor il^nen unb viel beffer geleiftet l^atten, l^ieüen fie 
fid^ in naiver Unerfa^renl^eit für Originalgenies unb il^re 



62 <Hb. ^ansM. 

^robuftc für unöcrgleid^ad^c aKciftcrftücfe. Son i^ren Sin- 
Rangern lourbcn fic bic 3lapoUon^f bic SBaf^ington^ , bic 
SBetttngtön^ bcr äKufif gel^eifeen. @o läd^crüd^ bie Ucbcr*- 
fd^ä^ung biefcr Slutobibaftcn ift, fic bejeid^nen bod^ eine Spod^c 
in ber SntioidEfung bcr aincrüanifd^en SRufü. @ie öcrbrcitctcn 
im SSotte ik Siebe jur SRufif, in^befonbere bag SSerlangen 
nad^ neuen aKcIobicn. Saf)ixtiä)t ©ingfd^ulen unb Sl^öre, in 
allen Steilen 9ieu=®nglanb§ enH)orfd^ie§enb, eröffneten einen 
breiten SRarft für ®efangbüd^er unb ^falmenfinglel^rer. S)er 
Sol^gerber, ber tJtcifd^er, ber 3intmerniann, ber ^äd^ter^ ber 
brotlofe 2(böo!at, tüenn er nur eine erträglid^e ©timme unb 
einige Uebung im 9iotenIefen befa§, njurbe je^t ^falmen== 
comt)onift unb Seigrer unb l^aufirte öon ©tabt ju ©tabt mit 
„neuen, nie juöor gebrudtten 5ßfaImmeIobien". SBol^I tüufeten 
biefe pfiffigen ^anfee^, ba§ i^re SögKnge fic^ nad^ ettüoS 
leid^terer SBaare fel^nten. Slbet njeltlid^e SRufif toax fo gut 
tüie unbe!annt im Sanbe ; l^öd^ften§ ba§ einige englifd^e Sal- 
laben, aKarfd^= ober Sanjweifen fid^ in bie Salons reid^er 
gamilien eingefd^Iid^en l^atten. S9itting§ unb Sonforten nju^ten 
fid^ ju l^elfen; fie jwöngten biefe tt)eltUd^en aWelobien unter 
ffird^entejte, ba^ galt bann für geiftüd^e äRufü. 

3nftrumentalmufi! njurbe faft gar nid^t get)Pegt. ®ie 
Puritaner unterfagten fie aU und^riftlid^, fotüof|I in ber Sird^e 
afö in ber gamilie. S)iefe§ fromme SSorurtl^eil fd^tüanb juerft 
in Setreff ber Drgel, unb mand^« reid^e amerüanifd^e ©e* 
meinbe Iie§ fid^ ein foId^e§ Snftrument au^ (Snglanb fommcn, 
afö bie befte Unterftüfeung be§ ^^Sfalmengefangeö. 3n ^riöat:* 
fjäufem njaren bamafö mufüalifd^e ^nftrumente bie .größte 
©eltenl^eit. ©anj S3ofton, mit einer SJeoöIferung öon 
fed^^taufenb tJ^milien, befaß ju @nbe be^ öorigen ^a^x^ 
ÖunbertS nid^t fünfzig Slaöiere. S)ie SKufi! ^atte, felbft in 
ben Singen ber liberalften ©inglel^rer, nur SBert^ im Su^ 



Die IHuftf in 2Imerifa. 63 

fommenl^ange mit bem Oottc^bicnfte. Srofebcm gcbie)^ bic 
äRufifpflcge, ^cröorgetüad^fen au§ bem ^falmfingcn, oHmal^Iicl^ 
5U IcBeitbigcrcr Sraft im SSoHc. ©d^on in Silliitgg Sl^or* 
öcrcin l^attc man mit einzelnen ©prcn au§ §änbel§ SReffiad 
unb ^o^bn^ Sd^ö^jfung bcn SSerfud^ gemad^t. Slad^bcm bie 
fi^ird^e feine Oelcgenl^eit bot, gum ©tubium fold^er SBerfe, 
tt)agten einzelne ©efangüereine bie gclcgentlid^e Sluffül^rung 
popnläxtx ©tüdfe au^ blefcn Oratorien. Unter ben SKufif* 
öereinen, bie fid^ ju Slnfang beg ^al^rl^nnbert^ btibeten, ttjar 
einer ber erften bie „Händel-Society" be^ Dartmouth- 
College bei 93ofton. SSon ben Se^rem unb ©tubirenben 
biefe^ einflu^reid^en ®ottegtnm§ ausgeübt unb geförbert, mu^te 
bie SRufif balb in ©d^id^ten beS amerüanifd^en SSoIfe^ ein* 
bringen, bie fid^ lange bagegen gefträubt l^atten. S)ie ©tu* 
beuten, toeld^e ba§ Kollegium abfoloirten, brachten überalll^in 
in i^re ^eimatl^ ober itiren neuen SSeruf^ort bie Siebe jur 
äWufi! mit unb l^alfen bort ©ingöereine ober beffere Sird^eu- 
d^öre orgauifiren. Sebeutenber nod^ unb einflu^reid^er war 
bie in Softon gegrunbete „Händel- and Haydn- 
Society". Sie gab ju SBeil^nad^ten 1815 i^r erfteg öffentlid^c§ 
„Oratorio", tüeld^e^ au^ bem erften Xl^cile ber „©d^ö^jfung" 
unb öerfd^iebenen (Stören unb Slrien üon |)änbel beftanb. 
(Unter „Oratorio" öerftanb man in Slmcrifa big gur äRitte 
unfere^ Sa^rl^unbertS ein auS öerfd^iebenen, meiften^ geiftlid^en 
©tüdfen jufammengefe^te^ ©oncert.) 

3n @uro<3a lag el^ebem bie 5ßflege ber SKufi! übcrroiegenb 
in ben ^dnben ber SReid^en unb SSornel^men, au§ bereu ejHu' 
fiöen ©reifen fie aßmä^tid^ in§ SSoI! brang unb (Baä)t be^ 
„^ublifumS" njurbe. ^n bem bemofratifd^en 2lmeri!a, wo 
otte bie gfcid^en ^joütifd^en unb fojialen SRed^te genießen unb 
nur ber gefülltem ©eltbeutel einen Unterfd^ieb mad^t, ift bie 
SKufif öom SSoIfe ausgegangen unb gel^ört bem SSoIfe. S)en 



64 €ö. ^ansM. 

erften tnufifalifd|cn Smpufö gaben bic ^rd^end^öre unb ©ing- 
öerciite, tüeld^c fid^ an^ allen klaffen be§ Sottet refrutirten, 
öor affent in bcr reid^en ^au^jtftabt SReu'(£ngIanb§, SSofton, 
ftjeld^e in il^rer „Häüdel- and Haydn-Society" juerft eine 
anfel^nlid^c 5ßflanj= unb ^ftegeftötte mufifalifd^er SSilbung 
fd^uf. S)eutfd^er ©tnflufe ftjirfte babei njefentüd^ mit. S9i§ 
^utti Slnfange unfere^ Qal^rl^unbertg bejog bie amerifanifd^e 
ffultur il^re ntufüalifd^e Sftal^rung faft au^fd^fie^Iid^ au§ eng^ 
Itfd^en Duellen. 9tur öereinjelt taud^te l^ier unb ha ber 
3tame eines S)eutfd^en, granjofen ober ^tditnet^ auf, ber 
fid^ aU SRufüer in ber neuen SBeft burd^jubringen fud^te. 
derjenige 5)eutfd^e, ber juerft einen ganj entfd^eibenben (Sin- 
flu§ ouf bie SRufif in Soften geübt l^at, ttJar ©ottlieb 
®raut)ner. Urfprünglid^ |)oboift'in einem l^annoöerifd^en 
Slegiment, toax er fjjäter nad6 Sonbon gefommen unb l^atte 
bort in ©alomonS Drd^efterconcerten unter §at|bnS Seitung 
gef<)ielt. 3n Softon Iie§ er fid^ 1798 nieber unb bilbete ba 
ben Sem eine§ Meinen Drd^efterS; meiftenS Siebl^aber, bic 
fid) jeben ©amftag afö ,,^^ir^armonifd^e ©efcfffd^aft" öer- 
einigten , um in i^reip befd^eibenen SBeife, fed^jel^n SKann 
ftarf, §a^bnS ©^m^jl^onien ju f))ielen. ^f)x le^teS ©oncert 
gaben fie im SRoöember 1824. ®Tcaupntx fauftc aud^ einen 
Keinen SRufiKaben, brudfte 2Rufi!aIien unb fd^rieb eine eigene 
^ianofortefd^ute für feine ^ööKuge. ©eine ganje %amHxt 
toar mufüalifd^, feine grau jatirelang bie einjige Sängerin 
in ganj 93ofton. öaut)tfäd^lid^ burd^ ®xanpnn^ SBemül^ungen 
tourben bie äRufüfreunbe Softong be!annt mit italienifd^em 
unb beutfd^em SRufifftil. 3n Sonbon, tool^er ja ©raut^ncr 
gefommen, mu^te ber gad^mufifer, um ©rfolg ju l^aben, brei 
öerfd^iebene SRufifrid^tungen Verfölgen ; bie italienifd^e für bic 
£)ptx, bie beutfd&e für bie Sttftrumentalmufif unb bie cngüfd^e 
für ben ffird^engefang unb bie SSattaben. S)icfc SRifd^ung 



Die IHuflf in 2lmerifa. 65 

nationaler äRufiffttlc fd^icfte il^re 3tc))räfcntanten nad^ Stnicrifa 
unb legte l^ier bcn @runb ju einer neuen ÄunftenttDidlung. 
gür bie Slmerifaner — S)ilettanten tt)ie %ai)mu\ittt — ttJar 
aUt^f tt)a§ aufecr ben ^falmen gefangen ober gefpielt njurbe, 
fd^lcd^ttoeg ,,eurot)öif(i^e 3Kuft!", ol^ne naivere nationale S3e^ 
jcid^nung. Sin Äam^jf um bie Dberl^errfd^aft jttJifd^en ben 
beutfd^en, englifd^en unb itaüenifd^en lonfünftlem entftanb 

erft nad^ ber ©rünbung ber „Newyork Philharmonie Society" 

(1842). ®a ftjurben auS ben brei mufifalifd^en @mpptn 
brei getblager. S)ie cngüfd^en 3Kufifer l^ieften au8 alter 
ererbter ©elool^nl^eit jufantmen mit ben italienifd^en ®cfang* 
Icl^rem unb D^)emfängern gegen ben mäd^tig ttJad^fenben @itt= 
Pufe be§ beutfd^en fflaöierlel^rerS unb Drd^eftermufüu^. STud^ 
einige beffere franjöfifd^e SKufifer fiebelten fid^ an, öome^m* 
lid^ in SReio^or! unb 9iett)orIean§, fie bKeben jjebod^ im ganzen 
neutrat unb nal^men ba§ @ute, foloeit fie e§ öerftanbcn, 
ol^ne Unterfd^ieb ber ^Rationalität, ©päter bilbete fid^ nod^ 
eine neue ®xvippt: bie eingebor en-en äKufifer; biefe l^dttcn 
am liebften alle tjremben gteid^ au^ bem Sanbe gejagt, teiftetcn 
aber fclber fo gut tok nid^t§. 

S)ie „^'dnieU unb ^a^bn^Sefellfd^aft" in 
SSofton erftarfte fo rafd^ in i^ren SRitteln unb in ber ©^m- 
patf)k ber SetJötferung, ba§ fie im 3a^re 1818 ben ganzen 
„ajieffia^" unb balb barauf aud^ .^a^bnS „Sd^öpfung'' 
geben fonnte. S)ie äReiftertoerfe |)änbefö unb $a^bn§ bil= 
beten bie Säule, um toeld^e öiele - Saläre lang bie ganjc 
mufif alifd^e Kultur in Slmerifa fid^ bch)egt l^at. S)er „3R e f f i a 8'' 
unb bie „@d^ö<)fung" ttJurben in äffen möglid^en gormen 
gefungen, nur nid^t in ber rid^tigen, öielmel^r in bcn erbenf* 
Ud^ften SlrrangementS. Sie rcid^ten lange aus für bie 
iperanbilbung be^ mufif alif d^en jungen Slmerif a , unb ed 
toar ein ®IüdE für lefetercS, ba§ ^önbcl unb $a^bn atö 

eb. ^ ans lief, ^ui bem Xagebudie eines SRufllerS. 5 



66 <£^* Qansitcf. 

bic ibcoIcTi Dratoriencomponiften l^ingeftcüt unb ancrfannt 
toaxtn, an bencn bie fünftigcn ©cnerationen ftd^ foriju^ 
Klben l^atten. S)ie ©rünbung bcr „S^'äix\>th unb ^a\)i>u- 
(ScfeHfd^aft" in SSofton toax ein ®rctgni§ öon bcr größten 
unb nac^^altigftcn SBid^ttgfcit. ®ic ©efeCf^aft befc^rdnftc 
fid^ nid^t auf§ aRuftcircn. Sie ^)ubltctrtc aud^ muftfalifd^c 
SBcrfc, tüeld^e (^tüte bie „Bridgewater Collection") balb 
öon bcn länblid^en Vereinen angefd^afft tourben unb lange 
Seit bereu mufüalifd^e^ @tanimfa))ital auSmad^ten. ©iefe 
SRufifttjerfe l^aben nid^t bloß ein bringenbeS S5ebürfni§ be^ 
friebigt, fie bilbeten aud^ eine gute ©ubfiftenjqueffe für bie 
©efeafd^aft, ftjeld^e feit 1820 i^re Stu^tagen gröfetent^eifö 
au§ bem ©rtrage jener 5ßubli!ationen beftritten ^at. ^l^re 
^falmenbüd^er aßein foHen über jtoanjigtaufenb ' ®oßar^ 
betrogen l^aben. S)ie*®efeIIfd^oft tt)ud^§ jufe^enbS unb toax 
um bag Qal^r 1825 bag anerfonnt befte berartige ^nftitut 
in Slmerifa. ^f)xt erfte ftjid^tige ©ntfaftung alfo ^at bie 
omerüanifd^e SKufitpflege in Softon gefunben. ©d^Iiegli^ 
aber tüurbe SRetü^orf, tt)ie im ^anM unb SBanbel, fo 
aud^ in ber SRufi! bie eigentlid^e ^au))tftabt SlnterifoS. 

II. 

. ©te ®pen 
Slfö erfte ©d^toalben, bie einen fünftigen Dpemfrül^Ung 
in Slmerifa anzeigten, erfd^ienen Keine Sieberf))iele au^ @ng* 
lanb. ®ie unbegrenzte Popularität, ftjeld^e bag erfte englifd^c 
©ingfpiel „®ie Settlero^jer" feit feinem ©rfd^einen in Son* 
bon genofe, öeranlaßte 1750 beffen erfte Sluffü^rung inStew* 
^orf. ©eitbem ift burd^ ein boHeg Qal^r^unbert fein einziger 
Il^eaterbirector ober SaHabenfönger nad^ 3teh)^orf ge* 
lommen, ol^ne biefe« ©tüdt aufpfül^ren. So l^at benn bie 



Die IHuflF in 2Imerifa. 07 

cnglifd^c Dptx in ber eigcntpmnd^en gornt afö Sieber* 
f|)iel (ballad-opera) unb mit ber ERufif ber ^joputarftcn eng* 
lif^en ®om))oniften 75 ga^re frül^er ofö bie ttalieniCd^e D^)cr 
in Slmerifa ©ingang gefunben. S)ie beüebteften cngKfc^en 
Sieberfpiele üon ber Slrt ber ^SSettlero^jer" crfd^ienen ttun< 
ttie^r auf ber 9iett)^orfer Sü^ne. ^a(^ ©eginn biefeg Sal^r* 
]^unbert§ ftjurben ancS) einige ber beliebtcften fran§5ftf(i^en 
©^ieto^ern, \pättx nod^ SRoffini^ ,,S5arbicr" unb SBeber^ 
/fSrcifd^üfe" (1825) in englifd^er ®pxai)t gegeben, unüoH* 
ftönbig unb mit ganj tt)ittfürfid^ arrangirter äRufif. 3m Sct^rc 
1832 erf^ien jum erften SKat ,,S)ie gauberftöte^, gleic^fattg 
englifd^ unb ^^arrongirt" öon bem unermüblid^en 3Rr. <^orn. 
©in beutfd^er Serid^t auS-bem Qal^re 1828 fül^rt aug, ba§ 
eine rid^ge D^jemauffü^rung in 3teh)^orf fd^on megen ber 
gerabeju unbefd^reiblid^en ©d^Iec^tigfeit unb Unüottftänbigfeit 
ber Drd^efter unmöglid^ fei. S)a§ tt)ici^tigfte Qnftrument in 
biefen Drd^eftern fei überaß bie 5ßofaune, »eld^e ftet^ bie 
SSioIonceHt)artie mitbläft,- mand^mal aud^, faßg ber Slöfer 
gefd^idft ift, eine SSioIin^jaffage. 3[mmerl^in ^aben biefe eng* 
Itfd^en ©änger juerft ben ©efd^madt für (Sefang in Slmertfa 
tttoedi, unb i^re @ingft)iele, tialb gefungen, l^alb gef^jrod&en, 
l^aben für bie italienifd^e D)(>tx, in \odd)tx nur ber ®efang 
^errf d^t, ben SBeg gebal^nt. ^m Saläre 1825 erfd^ien @ar* 
cia mit einer guten %x\ippt in 3lmt)oxt unb gab ben 
Slmerifanem perft eine ^robe itaüenifd^er D^jernmufü. 3ta* 
üenifd^e SKuftfer unb Siteraten l^atten bereite §u Slnfang bcS 
Sal^r^unbertg, infolge ))oIitifd^er unb finanjietter SKifegefd^idEe, 
Suftud^t in 9ien)t)orf gefud^t. Unter i^nen finben toix jftjei 
befannte unb angefcl^ene 9iamen: gili^j^jo Irajetta unb 
Sorenjo ba ^onte. S3eibe äRänner toaxtn burd^ l^öd^ft 
romanl^afte SBcd^felfaße nad^ Slmerifa öerfd^Iagen tt)orben. 
dUxppo lirajetta, geboren 1776 in SSenebig, \oax ber ©ol^n 

5* 



'68 €b. ^anslxd. 

bes bcrftl^mtctt D^jcpcontponiftcn lomafo %xa\tüa (ober 
%taeüa). (St l^attc eine gute ©rgiel^ung genoffen unb julc^t 
unter ^ictnni ftubirt. 3«^ S^it i^^i^ franjöfifd^ett Slcöolutiott 
trat er in bie patriotifd^e italienifd^c Slrmcc, würbe öon ben 
aio^aUfteu gefangen, öerlefite ad^t äRonate in einem fd^retf- 
lid^ctt fferfertl^urm unb cntfam enblid^ an SSorb cineS 
anierifanifd^en ©d^iffe^. (Sr Ue§ jid^ juerft afe ®cfang- 
lel^rer in ©ofton niebcr, fant fpäter nad^ SReto^orf, tt)urbe 
Il^eaterbirector in ben füblid^cn Staaten unb ftarb enblid^ 
im ^äf)xt 1854 in ^l^ilabel^l^ia. Srajetta, tl^ätig unb ein* 
Pußreid^ afö Eontponift toie aU ©cfanglel^rer, follte aud^ auf 
ba 5ßonteS ©inlabung für bie Dptvnttn^ppt ®arciad in 3tm- 
t^oxt arbeiten; ate er bafelbft eintraf, roax aber ©arcia* 
©efettfd^aft fd^on aufgelöft. S)en . nod^ öiel bctoegteren 
Sebcn^Iauf ba ^onte«, beg Sibrettiften öon äRojart^ „^on 
3uan" unb ,,gfigaro", l^aben mir gelegentlid^ beS S)on Suan- 
$5ubiläum^ auSfü^rttd^ in einem früheren Sanbe er^äl^It.*) 
S)a $onte, ber im Qa^re 1838 l^od^betagt in 9lett)^orf ge- 
ftorben ift, l^at mit S. Srajetta unb ®arcia juerft für bie 
itafienifd^c D^jer in Smerita ben Soben bereitet. S)enerften 
SSerfud^ mad^te, toie gefagt, äRaniiel ©arcia im ^al^re 1825. 
SRoffinig „Sarbier öon ©eöitta", afö @röffnungSo))er , toax 
faft gänälid^ öon ber Samitte ©arcia bargeftcttt. Satcr 
©arcia fang ben SlImaDiöa, fein ©ol^n SKanuel (ber f^)äter 
berül^mte ©cfanglel^rer) ben gigaro, feine Sod^ter äRario 
(aKaUbran) bie Äofina, SRama ©arcia bie Sert^a. S)a« 
^ublüum mar entjüdtt, bie ffritif nic^t minb«£^ S)ie 
näd^ften Slbenbe brad^ten „Don Giovanni", „Olgllo", 
„Semiramide", „II Turco in Italia" unb Jtoei D^)Cm *ÖOn 

*) ,,^uftfolifd^e8 u. Sitevarifi^e^" (bev „mobtman Oper" 5. ^^cil^ 
«crlin 1889. p. 221. N 

y 



s 



i 



Die ntufif in 2Imerifa. 69 

©arcia^ ®ont|)oyttion — im gonjcn 79 SSorftcHungen. 
%xo^ be§ anfangt fo gönftigen ©rfotgcg fonnte ©arcia 
jcinc ©cfeHfd^aft nid^t länger äufammcn^alten unb fd^Io^ im 
©c|)tcmbcr 1826 feine SSorftettungcn. @r ging nad^ ERejifo ; 
aWaria, ttJelc^e $erm SKalibran l^cirat^cte, blieb in Sleto^rf, 
fang fonntog^ in ber ffird^c unb gelegentlid^ in engtifd^cn 
Dperetten. ^m ©e^jtember 1827 nal^m fie Slbfd^ieb öon 
ämerifa unb reifte naä) ^ari§, ba^ il^ren SBeltrul^m be* 
grünbet unb verbreitet f^at 

SBal^renb bie oben erlüä^nten erften englifci^en Operetten? 
öorftettungen in SRetotiorf ftattfanben, öerfud^tcn fr an? 
jöfifc^e @d^auft)ieler bie franjöfifd^c D^cr in ber ^awpU 
ftabt öon Souifiana (9iett)orIean^) einjufül^ren, n^eld^e ur«= 
fprünglid^ tjon franjöfifd^en Stotoniften gegrünbet loar. Db- 
tool^I feit 1803 p ben bereinigten Staaten gefd^Iagcn, blieb 
bod^ bie äRel^rjal^I ber Seöötferung franjöfifd^ unb fül^rte 
franjöfifd^e Sitten unb Il^eater ein. ©d^on 1791 erfd^ien bie 
erfte regelmäßige franjöfifd^e Xxuppt in 9lett)orIean§. S)ie 
ERitglicber tt)aren jugleid^ @d^auft)ieler unb ©änger. 5ßae= 
ficllo^ ,,S3arbier üon ©ebitta", SingarcIIig „Uomto 
unb 3uUe" »urben fd^on 1810 öon i^nen gegeben. SBöd^ent* 
üd^ brei D^jernabenbe in franjöfifd^er <Spxad)t bifbeten ha^ 
l^auptöergnügen ber rafd^ antt)ac^fenben S9et>ölferung. lüd^* 
tige Unterncl^mer lüie S)at)i§ unb S9oubau§quier brad^ten p 
änfang jeber ©aifon trefflid^e ©änger unb ©d^auft)ieler au^ 
^ari§, tücld^e balb bie SKeiftemjerte öon SRojart, 3R6^uI, 
äloffini unb S^jontini tabeltoS auSfül^rten. 9lett)orIean§ l^at 
bctt Slul^m, juerft in ben bereinigten Staaten regelmäßige 
Dpernfaifon^ eingefül^rt unb feftgel^alten ju l^aben; ein 
Seid^en fel^r öorgefd^rittener ©iöUifation unb äRufifliebe. ^m 
S)cjember 1859 lourbe ein neue^ gtänjenbeS I^eater für bie 
franjöftfd^e Dpn errid^tet unb mit 3loffini§ „Seit" eröffnet. 



70 <2b. f?anslicf. 

Aber bie Sage ber früheren, übermütl^ig luftigen freoüfd^en 
©efeHfd^aft toaren gejault. 3taä) bem ©eceffion^friege 
fd^intmerte bie Dptx nod^ tnand^mat in flüä^tigem ©lanje, 
enbete aber faft immer mit bem Sluin ber Untemel^mer. 
Stoti Srüber, ®^arle§ unb äRarcelin 8111^ ai ja, reiften nad^ 
5|5ari§, um für bie ©aifon 1866/67 eine üottftänbige fran^ 
jöfifd^e Dpern= unb ©d^aufpieltruppe nad^ Sftenjorlean^ ju 
bringen, ©in fd^redflid^eS ©d^idffal jerftörte ba§> Unter- 
nel^men. Slm SSorabenb berSbreife ftarb ber eine ©ruber, 
SRarcelitt, Sl^arle^ brad^te bie ganje ©efeHfd^aft nad^ Slett)- 
tfort unb fd^iffte fid^ mit il^r auf bem S)am:pfer „©öening 
Star" na^ Sftetoorlean^ ein. Slm 3. Dftober 1866 ging 
ba§ ©d^iff bei einem furd^tbaren ©türme unter, unb mel^r 
afö 300 ^erfonen ertranfen, barunter bie franjöfifd^en ©d^au« 
f^ieler unb il^r ®irector ®^arle§ Sll^aiäa. ©eitl^er ift 
bie Saufbal^n ber D:per in Sftetporlean^ ganj äl^nlid^ ber in 
Stetü^orf. ©ie l^at eine fefte S5afi§ nid^t tüieber erlangen 
lönnen. 

S)ie ©^ftenj ber itaüenifd^en Dt)er in Slmerifa toax 
ftetS eine unfid^ere, ftjed^feföoHe. ®in Unternel^mer nad^ 
bem anbem l^at bamit fein ®IüdE öerfud^t, faft jeber aber 
feinen SRuin gefunben. S)ie italienifd^e D^jer, unter SSerl^öIt* 
niffen entftanben unb getpad^fen, ttjeld^e ber 9latur unb ben 
©ettJol^nl^eiten be§ amerifanifd^en SSoIfe^ gänjlid^ fremb ftnb, 
l^at in biefem niematö SBurjel faffen fönnen. ®er fcenifd^e 
®Ianj, bie 93raöour ber ©änger erregten anfangt ein neu- 
gieriges ©rftaunen. Stber baS SBefen biefer ejotifd^en Äunft 
bUeb ber Sftatur beS SlmerifanerS burd^auS fremb. ©ein 
fetter SSerftanb öermod^te !einerlei Slüfelid^feit baran ju 
entbedfen. (Ss ]^ie§, ba§ eS „fashionable" fej, in bie ita* 
üenifd^e D:per ju gelten, ©o ging er benn l^in, benn ber 
rid^tige Slmerifaner ttJürbe fic^ lieber erbroffeln laffen, atö 



i 

[ 



Die mujlf in 2Imerifa. 71 

für unfaf^ionabte gelten. ©^ ift erl^eitemb, in öfteren S^^r- 

gangen ber 9ietü^or!cr Journale bic jal^Ireid^cn Slnfragen 

unb SSekl^rungen nacöjulefen, toit man ftd^ in ber D^^cr nad^ 

enropäifd^er äWobe ju Heiben unb ju fienel^men l^abe. 3tai^ 

bem erften Strohfeuer ber Sfteugierbe tüurbe bag ^uMüum 

gleid^giüig gegen ben S^it^er ber äWaria Oarcia unb ber 

SRoffinifd^en Dpern. S)er Slmerifaner fanb in ber italienifd^cn 

Oper fe^r ttjenig für feinen SSerftanb, ja er fanb fie lädier* 

tiä). Dbgleid^ ber amerüanifd^e SKupffreunb attttia^Iid^ ben 

©efang ber Italiener betounbern lernte, er ttjotttc bod^ S^gl^idS 

»iffen, ,,um mag e§ fid^ l^anbeü", unb baran ^inberte il^n 

feine Unfenntnife ber italienifd^en ©prad^e. (Sin nod^ größeres 

$inbemi§ tt)ar burd^ lange Seit bie fird^ftd^e Oefinnung be§ 

amerüanifc^en SSoI!e§, beffen gro^e Tttf)x^af^l „church-people" 

ift, b. ]^. puritanifd^, ftreng feftl^aftenb an ben SSorfd^riften 

ber Selten, fomit in D|)t)ofition gegen alle äftl^etifd^en len* 

beulen, bie fid^ nid^t unbebingt ber fird^Iid^en ^a<S)i unter* 

tperfen. S)ie ®eiftlid^!eit »arnte i^re ©emeinben öor einem 

aSergnügen, ba§ il^r unmoraftfc^ unb öott h)eftlid^er SSer- 

fud^ungen erfd^ien. ®a§ tüaxtn aber nid^t bie einzigen 

unb nid^t bie gefal^rlid^ften Mippm, Unjulanglid^e D^)em* 

l^äufer unb Sühnen, mangell^afte Drd^efter, ungefd^ufte 

©l^oriften, bie S'oftfpieligfeit ber Ueberfal^rt einer ganjen 

Int()pe au§ @uro^)a! ®er Unternel^mer mufete, um fid^ ju 

fid^ern, ^o^t greife anfefeen. ©obalb bie erfte Sfteugierbe be* 

friebigt mar, murrte bag ^ublüum über bie tl^euren greife, 

bfieb aHmä^Ud^ au§ unb bie Unternehmung mad^te Sauf erott. 

Sitten nur erben!bar äRögtid^e ift öon erfinberifd^en Unter- 

nel^mem öerfud^t morben, um ba§ amerifanifd^e ^ubftlum 

für bie D^jer ju gewinnen: ^ol^e greife unb bittige greife, 

berül^mte ©änger unb aWittelgut, itaüenifd^e, beutfd^e unb 

franjöfifd^e D^jer — nid^t^ h)oHte auf bie ®auer öerfangen. 



72 <Eb. Qanslirf. 

@cit bem erften emftl^aften SScrfud^c ©arciag bis auf bcn 
l^cutigcn lag jctgt bic (Sefd^id^te bcr itaKcnifd^cn D^jer in 
Slmertfa im loefcnttid^en biefclbe ^^^fiognoniie; nur bic 
©cfid^tcr ber Untcmcl^ntcr unb ber Sünfticr l^aben qmtä)^dt 
®ic Dptx in Slmcrifa lebt juhjcifcn itp^)ig, 5Utt)eiren fümmer^ 
lid^, nicntafe aber in organifd^cm SBad^Stl^um. ®er Dpern* 
bcfud^ ift l^eute nod^ nid^tS ttJcitcr afö eine 3KobeIaune 
(a fashionable whim). grgenb ein fIcincS aufregcnbeS @reig* 
nife genügt, um bic Seute inS Dptxnf^an^ ju treiben, unb 
eine ebenfo geringfügige Urfad^e, fte babon abjul^alten. S)er 
amerifanifc^e D^jernuntemel^mer fi|t forttüäl^renb ouf einem 
^utoerfaffe, baS er, ber (Sjplofion gett)ärtig, unabtaffig beob* 
ad^ten unb bel^ütcn mu§. Sin Unternel^mer nad^ bem anbern 
verliert fein SSermögen. Oft aud^ fte^en bie SKitglieber (big 
auf ben „Stern" ber Iru^jpe, ber fid^ ftetS ju fidlem tt)ei§) 
l^itftoS ba naä) bem S5an!erott il^reS ©l^efS. Slttein bie Sänger 
unb aSirtuofen ttjcnbetcn immer me^r il^re SSIidtc nad^ Slmcrifa, 
too il^nen angebüd^ in fürjefter 3cit ein SSermögen ttjinftc. 
3m Saläre 1843 baute ©ignor ^^Jalmo ein neues I^eater 
für bie italienifd^e Dper in SRetp^orf. @r toax ein fel^r be- 
ttebter ©aftoirtl^; ba^ SSermögen, baS er mit feinem be* 
rül^mten „Caf6 des mille colonnes" crtüorbcn, öerlor er in 
ber Dpern^Unternel^mung. 3m Saläre 1847 ftjurbe abcrmate 
ein neues, prad^tigeS D^jcml^auS gebaut, baS nad^ fünf 3^^^^^ 
mit großem SSerlufte gefd^Ioffen unb in bie „®tinton*S9ibUo* 
tl^el" umgeh)anbelt tüurbe. 3Kan mad^te l^ierauf ben SJorfd^Iag 
ein breimat fo großes D^Jcrnl^auS ju errid^tcn: ber ^ait 
begann im SKai 1853, unb fd^on am 2. Dftober 1854 fanb 
bie ©röffnungSöorftettung (mit aWario unb ber ®rifi) 
\tatt @o fd^ncH baut man in Slmcrifa! S)ie „Academy 
of music" fo ]^ie§ ha^ neue I^eatcr, üerf^jrad^ unter 
anberm aud^ ?ßreife auSjufc^en für bie befte mufifalifc^c 



Die IHnftf in 2lmerifa. 73 

ffiompofltion. (Srofeer ^nM uitb fül^itc $ojfnutigen ber 
iungcn anicrifantfci^en Som^joniftcn ! @in einjigc^ SRal tüurbe 
toixtliä) ein folc^cr ^rei§ öoti 1000 S)onarg für bic befte Doit 
eitlem Slntcrifoner cotn^jonirte Dptx au^gefd^ricben, aber nie- 
ttiafö au^bejal^It. Srofe beS neuen, großen ^aufeg, ber nteift 
trefflid^en S^nftler unb ber niebrigen 5ßreife fd^citerte ein 
Unternehmen nad) bem onbern. 8(ud^ Die SuII toarleiber 
barunter. 9iun folgt ein toixxt^ S)urc^einanber öon Utl- 
mann, ©trafofd^, BRare^ef unb anberen 3m<)refario&, 
njeld^e tl^eitö nad^ einanber, t^eifö gleid^jeitig unb gegen ein== 
anber italienifd^e Iru^jpen ind gelb fül^rten, eine ttJÜbc 3agb, 
ba§ einem beutfd^en Sefer ber Äo^jf fd^ttJirrt. @ine intcr- 
effante furje @^)ifobe toax bie beutfd^e D^jernfaifon beS SParl 
81 n f ^ ü fe .im alten SBaOad-I^eater (1862). S)ie ©efeOfd^aft 
befaß feinen einzigen großen ©änger, ber fid^ mit ben ita* 
lienifd^en ffünftlem ber Academy of mueic öergleid^en fonnte, 
aber ba§ ©nfemble toax l^armonifd^ gerunbet,. bag Drd^efter 
öortrefflidö, ber ®f|or gut gefd^ult. Unb metd^e^ SRe^jertoire 
Don auderlefenen beutfd^en D:pern ! ^ier toax mt^x Sntettigenj, 
mefir ed^te SSegeifterung unb mufüattfd^e SSitbung, atö in 
irgenb einer anberen D^jem^Untemel^mung, bie man in SftettJ* 
^orf erlebt ^at. Seiber ttjarb Slnfd^üfe burd^ bie ungünftigen 
Seitüerl^dttniffe genötl^igt, feine Dptx balb aufzugeben. Slad^ 
SSecnbigung be§ ©riege^, ber auf aHen ©emüt^ern fd^toer 
gelaftct, brängtc alleS nad^ feid^ter, finnüd^er Unterl^altung, 
unb bie Dffenbad^fd^en D^jeretten im franjöfifd^en Ifieoter 
öon 9tett)^or! l^atten einen ungel^euren 3"iöitf • D f f e n b a d^ 
tourbe fo poputör, baß feine S5ett)unberer i^n in ^erfon nad^ 
Slmerifa brad^ten. ®r ma^k aber nid^t ben gel^offteo @in* 
brudf ; bie 9ieugierbe, ben Eom^joniften ber „©d^öncn ^etena'' 
gefeiten ju l^aben, ttJar balb geftißt unb bie öon il^m biri* 
girten ©ommernad^tSconcerte verloren il^r 5ßublifutu. SBenn 



74 <Hb. ^anslxd. 

in Slmerifo ein Sitttg po^juför loirb, fo ctitfcffclt c§ eine 3^^* 
lang eine ttja^re SRaferei, fällt aber bann meiften^ ebenfo 
fd^neß lieber in SSergeffenl^eit. S)a§ glcid^e ©d^idffal l^atten 
^pättv bie l^atttilofen Operetten öon ®ilbert unb ©uni- 
öan; bag ^ublifum mar öon ifinen ebenfo fd^nett entjüdEt, 
aU überfättigt. SBa§ nod^ l^ier unb ba an S^tereffe bafür 
üerbUeb, bürfte balb öerjagt fein burd^ ben ©d^marm neuer 
„fomifd^er Dptxn", an bencn ber Sitet meiftenS ba§ einjig 
^omifd^e ift. 

©inige glänjenbe itaüenifd^e ©aifon^ l^atte 9lett)^orf in 
ben fiebjiger 3af|ren : 3Ka j @ t r a ! o f d^ brad^te bie 
Sängerinnen StitSfon, lietjen^, Äellogg, SKarie 
3loje unb ben Senor ©am^janini, ,,biefe§ 3beal eines 
ßol^engrin''. ^a6) einigen Salären öerfd^ümmerten fld^ lie- 
ber bie SluSfid^ten ber italienifd^en D:per unb mud^fen bie 
aSerlufte ber Unternehmer. S5alb maren bie äRarefeefö, bie 
OrauS, bie ©trafofd^ fertig unb abgetl^an. S)a taud^te ber 
„Soloncl" 3Wa<)fefon öom Sonboner äRajeft^S^S^eater auf 
unb gab ber italienifd^en D^jer einen neuen äiudt. Salb ent* 
ftanb SKa^pIcfonS „ Academy of music" ein gefäl^rlid^er äiiöale 
in bem neuerbauten großen „Metropolitan-Opera- 
House". (gg ftjurbe öon bem Unternel^mer ^enr^ 21 bbe^ 
im 3af|re 1883 mit ber Stitöfon, 6embrid^, Irebetti unb ben 
©ängern ®anH)anini, dapoul, ©tagno eröffnet. S)iefe ©aifon, 
eine ber glönjenbften, bie Steftj^orf ertebt l^at, marb bod^ 
öerpngni^öott für SKr. Slbbe^ unb liefe i^n ein fo gefä^r* 
liä)t^ Unternel^men unöerjüglid^ aufgeben. SBie in SBien, 
$ari§ unb anberen euro^^äifd^en ^au^^tftäbten, fo begann 
aud^ in Stew^orf bie italienifc^e Dper i^ren ^att im ^ubli- 
fum ju öerüeren. S)amit ftiegen einigermaßen toieber bie 
Sluöjid^ten einer beutfd^en D^)er, obmol^I biefe niemafö in 
Slmerüa „fashionable" ju »erben öermod^te. ®ie S)irectoren 



Die ntufir in Tlmevxfa. 75 

bcd 3Kctro^)Oütan=I]^catcr^ beauftragten ben tüd^tigen ^aptü^ 
meiftcr unb SSiotinf^)ieIer ßeo^jolb S)ainrofd^ (geboren 1832 
in ^ßofen), eine beutfd^e ©efettfd^aft ju engagiren. ^m 9lo== 
tjember 1884 gab biefe il^re ©röffnungäöorfteHung ^lann- 
l^äufer", mit ber SKaterna, SWarianne S3ranbt, bcri 
Ferren ©d^ott unb fRobinfon. S)iefe erfte ©aifon l^atte 
einen großen fünftlerifd^en ©rfolg, unb finansiett ,, einen iiem- 
lid^ befriebigenben", b. ^, ba^ Sefijit betrug nur 40000 
2)offar^. 3)iefe§ ,,unertüartet günftige" SRefuItat beftimmte 
bie ®irectoren, bie gortfe^ung ber beutfd^en SSorftettungen 
für bie folgenben brei ^aii)xt ju befd^Iie^en. ®ie Dt)er er- 
l^iett fic^ auf il^rer fünftterifd^en ^öl^e; aber bie SluSlagen 
überftiegen fel^r bebeutenb bie ©inna^men. S^^fteid^e Stint* 
Uten liefen fid^ öeme^men gegen ba§ ju ftarfe UebergettJid^t 
ber öon S)attirofd^ beöorjugten SBagnerfd^en Dpern int 
8ie^)ertoire. S)iefe Stimmen brangen burd^. S)ie näd^fte ©aifon 
(1891—92) geprt loieber ber itaüenifd^en D^jer. 

Slid^arb SBagner ift juerft in S3ofton befannt ge* 
tporben, mo 1853 jum erften SRale bie lann^äufer^Duöer- 
türe öon bem ,,®ermania'Drd^efter" unter Sari S3ergmannS 
ßeitung geft)iett tüurbe. S^en erfolgreid^en Semii^ungen ber 
fortgefd^rittenen S)eutfd^en in ©ofton folgte f^jöter ba§ fonfer* 
Datiöe Sleto^or!; inöbejonbere bie beutfd^en ßiebertafeln ba= 
fetbft. ®ie erfte Sluffüfjrung be§ ,,3:ann^äufer" fanb 1859 
in Steto^or! ftatt, beutfd^, unter ßeitung öon Äarl Sergmann, 
einem begeifterten Slnl^änger ber Sifjt-SBagnerfd^en SRid^tung. 
3m ^al^re 1870 erft folgte ,,ßo]^engrin", unb jtoar in bem 
alten beutfd^en ©tabttl^eater unter ber ßeitung öon 
St. Sleuenborf. Si^^er l^atte nur bie beutfd^e SeööHerung 
fid^ um SBagner geflimmert. ®ie amerifanifd^en SKufiffreunbe 
blieben biefer ©ettjegung gänjüc^ fern. (£rft aU bie i ta- 
uen ifd^e Dperngefettf^aft öon ©trafofd^ im S^^re 1873 



76 <£^* Bianslid. 

bcn „Sol^engrin'' auffül^rtc, begann bcr ©rfotg 3Bagncrä bei 
bcnt antcrtfanifd^cn 5ßuMifuni. ®ic Don X^oma^ 1884 
untctnommencn SBagner * Sonccrte mit ber Tt attxna, 
SBinfetmonn unb ©caria förbertcn auftcrorbentlid^ ba^ 
^ntpad^fen be§ SBagncr^^ltuS in Sinterifa, unb bic bereite 
ertoö^nten beutf d^cn SSorftcßungen im Metropolitan - Opera- 
Houae i^attn baS Ucbrigc. 

Dr. SRitter gelangt abermals ju bemfelben äiefrain, ba& 
bie Dptx (italicnifd^, beufc^ ober franjöfifd^) in Slmerita ein 
fünftüd^ aufgewogene^ ®en)ac^^ unb nur für einen ganj Keinen 
SSrud^tl^eit ber SeüöHerung ein S9cbürfni§ ift. @ine ftel^enbc, 
regelmäßig f^jielenbe D^^er, tt)ie fie in S)eutf(i^Ianb, tJtanfrcic^ 
unb 3taUen aU ein Sl^cil unb aU eine @f|renfad^e ber na* 
tionaten ffultur beftel^t, üermag in Sfmerüa nid^t ju eyiftircn. 
3lttot)oxl beftfet mel^r afö breißig Ifieater, bie alle gute 
©efd^äfte mad^en, aber feine ftabite D\>tx. SBenn 3tmt)oxl 
im fetben SSerl^ältnife eine mufifalifd^e ©tabt ttJäre, fo 
toürbe @in Dpern^auS nid^t genügen, um ba^ SSebürfnife attcr 
D^jemfreunbe ju befriebigen; e§ gäbe ba ^infänglid^en 3laum 
für eine italienifd^e , franjöfifd^e unb beutfd^e D^jer. S)em 
Slmerifaner ift bie D))er nod^ immer nur ein ©egenftanb 
öorübergel^enber Sfteugierbe ; ein bleibenbe§ Äunftinftitut fann 
aber nid^t auf üorübergel^enbe Sleugierbe gegrünbet n^erben. 



m. 

(Eonjcertnjefen, iWurikunterndjt, „Musical Conventions", 

Wolksgefang* 

SSofton ttjar in f^ftematifd^er Pflege beS ®oncertn)efen^ 
3ltto\)oxl unb ben übrigen ©tobten um äloanjig Saläre üoraug. 
3n 3lmt)oxl gab e« um ba§ Sal^r 1830 brei bef^eibene 2)i* 



Die nTitjtP in HmertPa. 77 

Icttatitcnöcrcitte uttb l^in unb toicbcr ein Kottccrt unter SKit* 
toirfung citicS frcmbctt Sirtuofcn. Unter biefen cräidte ein 
^err ^oung, bcr bie Dpl^icleibe büe«, ben größten unb bauemb«^ 
ften ©rfolg. Irompete unb 5ßofaune waren bie SiebUngä^ 
tnftruntcnte beS amertfanifd^en ?|SubK!unt§. Diefe SSorüebe 
für 95ted^inftruntente eyiftirt, naä) Dr. SRitter^ B^^igniß, nod^ 
l^eute bei ber großen SRel^rl^ctt ber ©oncertbefud^er. 93iS 
1839 l^atte man feine Oboen im Drd^efter; jtoei Klarinetten 
ft)ielten bereu 5ßart. 8luS ber grembc bejog Slmcrifa feine 
SKuftHel^rer, feine ©olofanger, feine Snftrumentaüften. 

SBir l^abcn gefe^en , baß bie Semül&ungcn, eine ftabile 
Dp er in atmerüo ju grunbcn, ftetS gcfd^eitert waren. Slber 
eine günftigc SBirfung l^atten fie bod^ mittelbar auf bie Kon^^ 
certmufü. ®ine Slnjal^I guter Dpemfänger, mitunter großer 
Äünftler, entl^ülltc bem Sfmerifaner, ber nur bag ^ßfalmobiren 
feiner ©ingfd^ulcn gelaunt, ben 3öwbcr tool^tgef^uttcr fd^öner 
Stimmen. SSietc t)on biefen D^jernföngern toirften in (Eoncerten 
unb Oratorien mit. ®in anbercS toid^tigeS ®rgebniß toar, baß 
bie italienifd^en D^)ernt)orftettungen üottftönbigere Drd^efter 
brandeten. 3taä^ ben üblen ©rfal^rungen ©arciaS brad^ten 
bie näd^ftcn D^ptxn ' Untcmel^mer tiid^tige ßa^jeHmeifter unb 
einige ^nftrumentaliften mit. Der ©efd^macf an f^m|)]^onifd^er 
äRufi! entwicf elte fid^ ftetig, unb bie maßgebcnben SRufüfreunbe 
t)on 5ßeto^or< fallen ein, baß ber B^it^junft jur ©rünbung 
einer eigenen pl^itl^armonifd^en ©cfettf.d^aft gelommen fei. Der 
3Kann, beffen Energie unb ßunftbegcifterung ia% fd^loierige 
SBerf }u ftanbe brad^te, einen permanenten Drd^cfteröerein 
nad^ Slrt ber Sonboner „Philharmonie Society** ju fd^affen, 
toar Urial^ ^ill. ©eboren in JKeto^orl 1802, war er aU 
junger SRann nad^ ©uropa gegangen unb ©pol^rS ©d^üler 
geworben. 3tad^ feiner SSaterftabt jurücf gefeiert, faßte er gleid^ 
ben 5ßlan jur ©rünbung einer „?ß]^«^armonifd^cn ©efeCfd^aft". 



78 €^. BtansUa. 

@r toirftc barin aU crftcr SSioünfpielcr, mu^tc aber fpötcr, 
oft gcloorbctt, bicfcn 5ßoftcn aufgeben. S)er ^mmcr barübcr 
unb anbete fd^tperc äRi^gefd^icfe trieben ben TSjäl^rigenbraöen 
SRann jum ©elbftntorb. S)te ;,?ß^«]&armottifd^e ©efenf^aft" 
eröffnete il^re Koncerte im 3^^^^ 1842; fie waren in ben 
erftcn S^^i^cn siemüd^ bitettantifd^ („amateurisb'' fd^rcibt 
8Ktter); ftet^ aber öoll Kifer nnb Segeifterung. S)ie „New 
York Philharmonie Society" , bie gegentpörtig ein Drd^efter 
t)on l^unbert ©vielem, burd^auS gad^mufifer, befifet, l^at toa^- 
renb il^re§ langen Seftel^en^ großen @inffu§ ausgeübt auf 
baS SKufütebcn in Sfmerüa. Qfl^re crften ©oncerte fanben in 
einem langtofal („Apollo-Hall") ftatt ; bie @i|e toaren nid^t 
nummerirt unb beftanben au^ l^öljernen Sönfen. SSier 3RxU 
glieber ijerfal^en ben ®ienft öon SiHeteuren unb erl^ielten 
bafür öon ber ©efeUfd^aft toei^teberne ^anbfd^ul^e. SRad^bem 
ba§ ^ßubtifum öerfammelt toar, nal^men biefe freiwilligen Sluf- 
fel&er il^re 5ßtö|e im Drd^eftej: ein. Slllmäl&üd^ würbe biefcr 
SSerein bie wid^tigfte S^ftrumentatgefeUfd^aft in ben Ser^ 
einigten Staaten. 2In bem 95efi|ftanbe Haffifd^er aRufi! feft- 
l^altenb, ilki fie nid^t aHjutange jurüdE l^inter ben mobemen 
©ntwidCtungen. ^n ben fünf jiger ^a^xtn finben Wir in il^ren 
^Programmen SR. @^u mann, in ben fed^jiger S^l&ren Sif jt, 
in ben fiebriger 3<J]^^cn SSäagner, 9tubinftein, ®oIb- 
marf unb bie beiben erften S^mpl^onien öon Sral^mS. 
Einer ber üerbienftöollften Dirigenten ber ^l^itl^armonifd^en 
©efettfd^aft war t)on 1855 bi§ 1876 ein ©ad^fe, «art 95erg:= 
m ann, ber ®rfte, ber in SImerifa für SSSagner unb Sifjt ge* 
wirft l^at. Sr ftarb, 55 Qfal^re alt, gänjfid^ öergeffen unb 
öertaffen, im beutfd^en ipof^italju SRew^orf. 8Iu^ S5erg* 
manng SSorgönger, I^eobor ®igfelb, war ein ©eutfd^er, 
unb fein JRad^foIger , ber fürjfid^ öerftorbene Dr. 2,^am^ 
rofd^, ebenfalls ein Deutfd^er. Sieben ben ©oncerten ber 



Die muftf in 2lmenPa. 79 

^l^m^armomfd^en ©efcttfd^aft ^at au6) X^. X^oma^ eigene 
„©^m^jl^onicfoirccn" cingcfül^rt, fo ba§ Sftcto^orf l^eute in 
SSejug auf Drd^efterconcerte mit jeber europäifd^en ^anpU 
ftabt fonfurrircn fann. 

Die crfte Scfanntfd^aft mit aSerlcn ber ßammcr- 
muftf öerbanft Sfmerüo einigen franjöftfd^cn SRo^aliften, 
todä^t infolge ber SReüoIution nad^ ätmerifa ouSgcttJanbcrt 
iporen. $ier, n)ie überall, btieb bte Pflege biefe§ äJhifif* 
jtt)cige§ lange auf ben l^öu^Iid^en ffreiS ber Siebl^aber be^ 
fd^ränft. Den erften SSerfud^ mit öffcntüd^en Duartett- 
foireen mad^te ber genannte Urial^ $tH im ^al^rc 1834. 

®]^ ort) er eine finb in 3iett)^or! jal^Ireid^ unb fd^neU 
entftanben, aber regetmafeig balb lieber öerfd6tt)unbcn. 8e* 
fonbere ©rtodl^nung öerbient bie „New York Harmonie 
Society", toeld^e unter Xf), ®isfelb§ ßeitung unb 3fenn^ 
Stnbg SKitttJirfung im Sal&re 1850 $önbet§ ,,aRcffia§" 
auffül^rte. @§ ift bieg ba^ einjige Oratorium, ba^ big auf 
ben l^eutigen lag im ftanbe geieefen ift, t)oIIe Käufer ju er= 
fielen. Snm „äReffiaS" greifen bie Kl^orbereine in ber 3loÜ) 
ftetg tt)ieber jurüdE, gerabc fo toit bie banferott geworbenen 
beutfd^en DperngefeUfd^aftcn jum „Stcif^üfe". igcnn^ Sinb 
l^at befanntlid^ jn^ei Qal^rc tang in SImerifa öerlebt, baS Sanb 
nad^ aßen Slid^tungen afö ©oncertföngerin bereifcnb. 3^r 
3m<)refario, Samum, ift burd^ feine marftfd^reierifd^en 
8lnnoncen berühmt geworben unb ber cigentlid^e Urheber bc§ 
unwürbigen Stnnoncenftife , ber mcl^r ober minber nod^ in 
Slmerüa bcftel^t. 

3n Softon befd^rönfte fid^ bie „^önbel^ unb ipa^bn* 
©efettfd^aft" wä^renb ber erften jtüanjig Saläre auf ben 
„aReffiag" unb bie „©d^ö^fung". @ie beftanb um ba« ^a\)x 
1830 aus etwa 100 ©öngern unb 25 ©ängerinncn; festere 
waren nid^t äRitglieber, fonbem Würben öon gaU ju gatt 



80 ^^ EJansHcT. 

jur SKittDitfuttg cingclabcn. S^ftruntcntalmufif fanb anfangs 
ttjcnig aScrftänbnift unb Pflege in 95ofton, übtx^aupt in 9leu* 
©nglanb. ®a§ bisd^en Dtd^cftcr, ba§ aufjubringen toax, 
tonxbt mcift nur jum Slcconnjagnemcnt öon Kantaten unb 
Oratorien bcrtoenbet. ©igentlid^e Drd^efterücrcine für 2tuS= 
fül&rung j^nnjl^onifd^er SBcrfc friftcten in Softon bis auf bie 
neuefte Stii eine fd^toanfenbe unb fd^toicrige ©yiftcnj. ategel- 
mäßige Drd^eftcrtoerfe öcrfud^te juerft bic „Academy of Music", 
bcrcn Äcrn ber ©eiger ^enr^ ©mitl^ auS einem ßiebs= 
l^aberctub l^erauSgcfd^ätt l^attc. ^m ^di)xt 1841 f^jieftc bicfcr 
aSerein bic erften Seetl^oöenf d^en @^nH) Ironien (Sir. 1 
unb 5), bie in Softon gel^ört »urben. @S ift baS eigentlid^c 
SSerbienft ber SSoftoner „Academy", ba§ fie ttJöl^renb il^re§ 
furjen SSeftanbeS bod^ fe^S öon ben neun @^nH)]^onien Seetl^o* 
öenS jur erften Sluffill^rung gebrad^t l^at. ^f)x folgten im 
ßaufe ber ^af)xt t)erfd^iebene Drd^efterüereine, aber leiner lebte 
lange. 8lm längften nod^ bie „Harvard Musical Aa- 
sociation", bie 1837 tjon ©tubeuten beS $art)arb*®ot 
legiumS gebilbet tourbe. S)iefe begeifterten Sö^ger ber SBiffen* 
fd^aft ^jroHamirten, bie äRufif fei il^nen nid^t Unterl^altungS* 
fad^e , fonbern ein ernfteS SilbungSmittel. ®ie Süften öon 
^änbet unb SKojart feien neben jene öon ipomer unb^ 5ßIato, 
Sleioton unb ©^afefpeare ju fteHen. ©ine Sonate öerbicne 
fein geringeres Slnfel^en, afö eine 5ßrebigt ober ein ^falm. 
Slatürlid^ ttjaren bie ööeren Slmerifaner überzeugt, ba§ bie 
SluSfül^rung biefeS revolutionären 5ßrogrammS, toeld^eS ein fo 
unnü^eS Ding n)ie bie äRufi! ben l^öd^ften SBiffenfd^aften gleid^* 
fteHen möd^te, bie ©runblagen ber ®efellf d^aft unb beS ©toateS 
unterttjü^len muffe. Der mutl^igc SbealiSmuS biefer jungen 
ßeute, bie aud^ gteid^ an bie ©rünbung einer mufilaUfd^en 
Sibliotl^ef gingen, öerbient S5en)unberung. 

9lod^ immer fel^Ite eine Snftitution für ben regelmäßigen 



Die IRujif in 2Imerifa. 81 

©cfattgSuntcrtici^t itx Äinbcr. 3)ic ^rt^cnd^örc unb 
©ittgöcrcine braud^ten forttoäl^rettb neue atcfruten. S)aS bcftc 
äRatcriat jur ©ilbuttg öon S^orföttgcrn, bic ©d^uljugcnb, toax 
jur ©anb unb ba§ 5ßrobIcm leidet ju löfcn burc^ Sittfül^rung 
be§ ©cjanggunterrid^ts in ben ©deuten. 2lber boÄ größte 
4)inberni6 bilbetc bic D^j^ofition bcr Sftem unb bereu SSor^ 
urtlieU gegen muftfalifd^e ©rsiel^uug. fütt, SBoobbribge, 
ein öcrbtenftt)oIIer amerifanifd^cr ^ßäbagogc, l^otte auf feinen 
^Reifen beobad^tct, tnie cmftl^aft in Deutfd^Ianb unb in ber 
©d^toeij bie SRufi! gepflegt warb im ^auS toit in bcr ©d^ule. 
®r brad^te bie ^ßeftalojjifd^e Unterrid^tömetl^obc , SRögelig 
©ingfd^ule unb Sieberfontmlungen aug ber ©d^wcij mit. S)ie 
t)on il&m ins Snglifd^e übcrfc|ten Sudler legte er in bic $dnbe 
beS SKr. ßotoell ajiafon. Die beiben SRänner brangcn 
fortiDäl^rcnb barauf, bafe ber ®efang afö regelmäßiger Unter^' 
rid^tögegcnftanb in bie öffcntlid^en ©deuten eingefül^rt loerbe. 
Um bie (Sinfod^l^eit feiner äRetl^obe ju betpeifcn, erbot ftd^ 
äRafon, in einer öffentlid^en ©d^ule ein ^a^x lang gratis im 
®efang ju unterrid^ten. S)er SSerfud^ glüdCte öoUftänbig unb 
jcrftreute atte Sebenlen. (SS toax eine folgereid^e Il^at, bafe 
ber ©tabtratl^ öon Softon im Qal^re 1838 bie ©infül^rung 
beS ©efangSuntcrrid^tS in ben ©deuten anorbnete. Softott 
genoß guerft bie grüc^te biefer ©aot ; ber ^önbel* unb ^a^bn* 
©efcQfd^aft unb anberen ©ingöereinen fel^Ite eS nid^t mel^r 
an geeignetem 9lad&toud^§. ^a, für bic ganje Union toarb bcr 
SSorgang toid^tig, benn bie öorncl^mften ©tdbte im Jßorben 
unb aSeften, im ©fiben unb Dftcn folgten aömöl^üd^ bem Sei* 
fpiele aSoftonS. aSeitere Unterftilfeung fanben biefe Semül^un^ 
gen burd^ bie fpeciett amerilonif^e Snftitution ber SRufiftage 
ober Sttf^nimcnfünftc (musical Conventions) in öer* 
fd^iebenen ©t&bten ber äJereinigten ®iaattn. aSietteid^t auQt^ 
regt öon ber ©itte europftif^er äRufilfefte, finb fie bod^ gänj*= 

®b. $an9li(f, %\a bem Xagebud^ etneS aOlufilerS. 6 



83 <E^. Qanslicf. 

ßd^ oon biefen üetfd^ieben. Urf))rüngltd^ Sufamntenlfinfte 
k>on ^rd^end^dren , bie unter Seitung eines ^falmobielel^rerS 
$falmen unb lurje ^ntiftm^ fangen, gen^annen biefe „Ckm- 
ventions'' eine größere 93ebeutung, aU 93ofton bad (Zentrum 
berfelben tourbe. 5ßrofefforen ber Softoner äfabemie l^ietten 
ba Sorlefungcn für bie Seigrer ber berfd^iebenen ©d^ulen, bc- 
fonberS über bie ?ßeftoIojjifd^e aWetl^obe unb anberc 3fragen 
beS SKuftfunterrid^tg. 

Sin »id^tigeS ©reignife toax bag gro^e breitögige SKuftf- 
fep, baS bie Softoner ^'dnith unb |>a^bn-®efenfd^aft int 
SWai 1857 nad^ SRufter ber engüfd^en geftiöofe gab. S)cr 
(J^or toax 500 Stimmen , ba« Drd&efter 78 SRann ftorf , ber 
Sologefang burd^ bie beften Äünftler öertreten. ©eitl^er feiert 
»ofton alle brei Saläre fein 3Rufiffeft. ®er Sortfd^ritt »oftons 
ärigte fid^ aud^ in ber ©rünbung einer eigenen aKufiljei' 
tung, mtä)t 3Rr. S)tt)ig]^t, ein begeifterte« unb tl^otigeS 
SRitglieb ber ^^Havard Association^', unter bem Xitel ^^Dwights 
Journal of music" begrünbete. Ein ©inbemife für reget 
müßige Drd^efterconcerte beftanb nur in bem äRanget eines 
ftabilen Drd^efterS. S)ie ©oncerte mußten immer nad^mittagS 
pattfinben, toeü bie SRuftfer foft fämmtlid^ beS «benbS in ben 
Il^eatem befd^äftigt toaxtn. tiefem SRangel l^aben fpdter bie 
entl^ufiaftifd^en ©tubenten beS |>aröarb=^KoIIegiumS abgel^olfen, 
»eld^e aud^ ben erften 3nU)ufö gaben jur 5ßf(egc ber Ä a m - 
mermufif in Softon. @S entftanb im SBinter 1849 ber 
,,3Renbetöfo]&n=Duintett*SJub", ber l^eute nod| beftel^t. 

aSei bem fd^toanlenben S^P^^b ber 3nftrumentalmufil in 
Slmerif a »ar baS l^äufige @rf d^einen reifenber Drd^efler 
bo^^elt totxÜ)t>oU. ®ungl auS SSerßn, bag „Sayonia^ 
Ord^eftcr" unter Saxt ®d&arbt, bie ^^Sombarbi" unter äugufl 
3f r i e S lamen nad^ einanber. Seine bief er ®efellfd^aften blieb 
längere Seit beifammen ; einige il^rer äRitglieber fiebelten fld^ 



Die rnnfiP in Hmcrifa. 83 

in SÄcto^orf, ©ofiott ober in einer ©tabt be« SBeftenS an. 
®Iclnjenbe @:oncerte gab :3uHien and Sonbon, ein tüd^ttger 
^Btrigent, jn beffen ©efettfd^aft Ännagerr gcl^örte, bic crftc 
DarfteDerin bcr aWartl^a im SBiener ^o^optmtf^tattx. am 
einflnlreid^ften touxht bad „Germania Orchestra**. 
©ein ftem beftanb ans äRitgliebem ber ©nnglfd^en ®cfell== 
f^oft, benen ani^xt gcfc^idtc SKnfifcr, bnrd^anS befrennbetc 
jnngc ßente, fid^ anfdötoffen. S)ic ^^Sermania" crfrcntc fid& 
bed feltenen SSorjngS, für {ebcd Sfnftmmcnt einen tüd&tigen 
©oltften jn befi|en. Sie lanbcte im September 1848 in 
Steto^or! nnb gab bort 16 Soncerte mit großem SSeifatte, 
ober geringem Profit. S)ie „^ßl^ill^ormonifd^e ©efcHfd^aft" 
rm^t^ mit einem SSeneflceconcert an^l^elfcn/ beffen rcid&üd^er 
(Srtrag bcn gefnnfenen äJhitl^ ber S)entfd^en lieber l^ob. 3n 
^l^Uabetpl^ia tonrbe il^re Sage öerjtoeifett. SKit tocd^felnbem 
®Ift(f bereipen fie nad^ cinanber biete ©täbtc ber Union, bi§ 
fte in 35ofton mit rafd^ nac^ einanber gegebenen jtoanäigSon- 
certen bie l^öl^e i^rer ©rfolge errcid^ten. Sfit bie mnfifaltfd^e 
©ntnjidinng Slmerilad toax baS ,,®ermania"^Drd^efter, bod 
im Sanfc öon fed^S S^l^rcn 129 Concerte gegeben l^at, t)on 
eminenter SBid^tigfeit. (Sine überanS große Slnjal^I t>on gnten 
nnb Bebentenben lontocrfcn warb bnrd^ bie ,,®ermania" ba 
jnerft befannt. Sine fd^ioerc, aber nid^t öergcbüd^e ^ßionnier- 
«rbeiti ffiie oft ftanbcn biefe SHhtftler, bie im ftanbe »oren, 
eine ©eetl^oöenfd^e ©^nq^l^onic pcrfcft anSWenbig jn fpielen, 
t)or einem feinen 5ßnbüfnm, weld^em feinere Drd^eftermnfil 
titoa^ ganj Slened wor. S)ie SRül^fal nnanSgefefetcn Steifend 
nnb ber SBnnfc^, fic^ enblid^ eine bleibenbe ^eimatl^ }n 
grfinben, bcronlaßte bie „®ermonio", 1864 and einanber jn gelten. 
Aber felbft nad^ il^rer Slnpfnng ^ai fie fegendreid^en ®inftnß 
fortgeibt nnb üii i^n nod^ l^ente, inbem biete il^rcr SDlitgüeber 

6* 



84 &. E^anslid. 

\iä) in ämerüa btcibenb nicberlicfecn unb j|efet totd^tigc aRufil- 
ämter bort bcllctben. 

S)ie übrigen ©tobte atmcrüo^ fommen ntufifoüfd^ neben 
S3ofton unb 9tett)^orf f anm in 95etrad^t. ^l^ilabel^jl^ioift 
in ntufüatifd^er ^infid^t eine 2lrt SJorftabt öon Sleto^rf 
unb toirb öon ba mit D)(>txn unb SSirtuofen üerforgt. Sei 
ber SBeltau^ftenung öom Solare 1876 ^piütt bie äßufif eine 
fd^Ied^te SRoHe; bie ^ßl^ilabetpl^icr l&atten nid^t bafür geforgt, 
unb bie gremben a6)itttn nid^t barauf. SBaS bie mufilatifd&e 
«uftur beS SBeftenS betrifft, fo l^aben jWei toeftlid^e ©tobte, 
aJlittoaufee unb Kincinnati, l^ier einen öl^nüd^en 
(£tttf[u| ^eüit, toit Softon unb SReto^orf auf bie übrigen 
©täbte be§ DftenS. S)a? mufif alif ^e Seben in äRiltoouf cc 
ftönb anfangt ganj unter beutfd^er ®intpir!ung. ©ine 
flro^e Migration öpn gebUbeten S)eutfd^en ^tte fid^ i^ier 
frül^ angefiebcft unb ift namentlid^ infolge ber 3iet)oIutiott 
mn 1848 burd^ jal^Ireid^e neue ©intoanberer tmmt^xt tüot^ 
ben. ©ie brod^ten Siebe für äRufif unb 5ßoefie mit unb 
grftnbeten eifrig ©ingöcreine. Imn^ Salatfa, einer bie;fer 
beutfd^en Sld^tunbtHerjiger, trat an bie ©J|)i|e be^ aRütDaufee== 
SWufi&ercin? , eineg beS äfteften unb einffugreid^ften im 
aSJeften, @r brad^te fd^an k)or fünfael^n ^al^rtn ba§ beutfd^ 
giequiem unb bie beib^n erften ©^ntpl^onien üon ©ral^m^ 
pr Stup^rung. 3n eincinnati unb ©^icago finb eg 
gleid^f aa§ öor^ug^toeif e bie S)eutf(j^ett , loeld^e ®efangöereinc 
gebitbet l&aben unb SKufif f cfte t)eranftafteten. Sn @t. ß o u ii^ 
grünbete 1869 @b. ©oboletpgf^, ein geborener &bni^^ 
berger unb @#ü|üng Sifjt^, eine Sßl^it^armonifd^e ©efctt- 
fd&aft, tüeld^e t)iele ber beften neueren Drd^eftertoerle jum 
erften aKaie bort befannt mad^te. ©r ftorb 1872 in @t. Soni». 
Sm attgemeinen i>em)enben bie toeftlid&en Stäbe i|rc mnfi* 
falifd&en STuftrengungen auf bie SJeronftaltung jä^rlid^cr 




Die HTnflf in 2Imertfa. 85 

aWufiffcftc, bcrcn g^ter Sinftufe unätorifdl^aft «nb um fo 
ttnd^tigcr ift, aU bort, too ftabilc Drd^cftcr f eitlen, reget 
mäßige gro^e Snftrumentalconcerte nid^t l^ergnfteQen fhtb. 
S)ie äftefte unb bebeutcnbfte aSereinigung für fold^c fDtvL^h 
fefte ift ber ,,9'iotbamcrifonifd^c ©fingerbunb", bc- 
ftel^enb au^ ben beutfd^en 9Rufif vereinen k>erf(i^iebener 
@täbte bed SEBeftend. Sttfangd blog auf aßännergefang be^ 
fd^rdnlt, erfd^ien ber 99unb bei beut Sängerfeft in Sl^icago 
(1868) mit einem Drd^efter öon 100 SKann unb toirlt feit^ 
l^er ouf breiterer ©runblage. 

SRotiottalgcfang ift im amerifanifd^en SSoIfe nid^t 
ju flnben. SDer amerifonifd^e 5ßöd^tcr, ©d^&fer, ^anbtoerfcr 
fingt niemafö, aufeer atö aWitglieb eines Äird^end^orS. 
S)arum ift bie omerifanifd^e Sanbfd^aft ftumm unb unbelebt 
unb mad^t, tro| il^rer JRaturfd^önl^eiten, einen meland^olifd^en 
®inbrudf. S)ie befeelenben, erfrifd^enben klänge ber menfd^- 
ßd^en @timme fel^Ien üoQftänbig. 2)aS ©eful^föleben ber 
äRenfd^en, meldte l^ier bad Sanb bebauen, fd^eint tief in il^re 
©ruft jurfidtgebrängt, ober nid^t ejiftirenb. SRur einmat im 
3a]^r Hingen menfd^Ud^e Stimmen burd^ bie ßanbfd^aft: 
toenn bie ©ommer^jarteien fommen, bie ©täbter, »eld^e mit 
il^ren abgcfd^madtten , triöialen SRinftretbaHaben bie ®ing== 
üögel öerfd^euc^en. SBie follen toir un§ biefe gftnjKd&e Ab* 
»efcnl^eit öon SSoIfSgefang erllärcn? $rofeffor I^Ier fagt in 
feiner (E^oralteriftil ber erften Slnfiebler in 5ßeu*(£ngtenb : 
„Sinnen toax baS Seben eine emftl^afte ätrbeit, ja ein l^arter 
Sam4)f. Singer unb über biefem toax eS nur bie Steligion, 
»aS il^re ganje Stttettigenj unb ®m|)flnbung abforbirte. 8leli* 
gion, fagten fie, ift bie $au))tfad^e; fie glaubten eS, fie l^an* 
belten bamad^. SHe äSirlung toax furd^tbar. Sn ^I^moutl^ 
tt)irb eine braöe ®ienftmagb Samuel ©orbonS wie eine Sanb^ 
ftreid^erin aus ber ©emeinbe au§gefto§en, toeil fie — in ber 



Sird^e gelöd^ctt })at ©in l&od^gead^tcter ©ciftfid^er, bcr einige 
iunge Seute int ©rbgefd^ofe ^etätid^ tad^en l^ört, ftcigt fofort 
jn il^nen l&ernnter mit ber Srmal^nnng: ;,aKitbrübcr,icl^ftantte, 
bafe il^r fo l^citer fein fönnt, ha H)x bod^ enrer etoigen Selig* 
feit nid^t gett)i§ feib!" 8lu§ bcm Oemütl^ eine^ folgen »oBcS 
fann ein unbefangener l^erjlid^et ©efang nid^t erblül^en. S)iefc 
büftere SSerfd^Ioffenl^eit ift bi§ auf ben l^eutigen lag ber 
©runbjug bcr äRajorität be§ SSoHe^ geblieben. Ätterbing^ 
gefd^al^ toöl^renb be^ Unabl^ängigfcit^friegeS ber SSerfud^, 
einige patriotifd^e Sieber ju fd^affen, aber nad^ bem Srieg 
tparen fie aud^ fd^on bergeffen; ber groteSfe, löd^erlid^e 
„Yankeedoodle" — obenbrein nod^ ein fremblönbifd^eS ^ßro- 
buft — l^at fie alle au§ bem gelbe gefd^Iagen. S)a§ ein fo 
emftl^afteS SSoK biefen ©affenl^aner jum SIu^brudE feiner 
Jpatriotifd^en ©efül^te erttJöl^Ien lonnte, gel^ört ju ben ^f^d^o- 
logifd^en IRöt^feln. 

SSoIfögefang üon fel^r origineller gorm e^ftirt nur in 
ben fübtid^en (Staaten ber Union: bie Silber ber farbigen 
Sftaffe. Die garbigen beS ©übenS finb fpri^ttjörtfid^ mufifa^ 
üfd^ ; man fönnte fie ein IroubabouröoH nennen. 3n einigen 
il^rer äRelobiet^pen beftel^t aUeS, toaS man cigentüd^ 
amerifanifd^e SRufi! nennen fann; alle§ Uebrige ift mel^r 
ober minber öottftänbig bag (Sd^o euro^öifd^er SRuftf. Statur* 
lid^er, naiöer ®efang toax ba§ @injige, toaS ben armen 
unterbrüdEten ©flauen in Sufammenl^ang mit feinem SSoIfe 
erl^ielt. S)ie gleid^förmig büftere ©efd^id^te be§ el^emaügen 
Slegerfflauen jeigt il^n un§ atö ein SSäefen öon geringer 
3nteIIigenj, nur im S5efi| einiger toörtlid^ eingelernten reU== 
giöfen SSorfd^riften unb eines angeborenen muftfalifd^en 
latente, ©eine SRationattieber, gröfetentl^eitö in Dur, jeigen 
einen lebl^aften ©inn für originelle SMetobie unb 3tl^^t§mil, 
aud^ für eigentl^ümlid^e ^armonifirung beS öom ffi^or ge= 



Die nToflP in 2Imerifa. 87 

fungencn SRcfrain«. S)er Sieger bet aSereittigtcn Stoaten ift 
berjeit ein freier SRotttt unb genickt bie SSortl^eile einer 
l^öl^eren inteUcItneacn ©rjiel^ung. 3lxä)t wenige Sötbige, 
SKönner wie fjrauen, l^oben fid^ bereite au^gejeid^nct aö 
©Änger unb SitftrumcntaKften, ja fogar burc^ 5ßroben öoti 
©Ottttjofition^talent. ®^abt, ba§ Dr. 9litter nid^t einige 
biefer t)on il^m fo fel^r ge^riefencn SRegerliebcr in 9loten bei* 
gefügt l^at; fte wären ben Sefern wiHIommener getoefen, ate 
bie im Ättl^ang abgebrudten olten ^falmntelobien. Semerfen^* 
wertl^ i% bag bie SBei^en in Snterila, gleid^gittig unb ))affit) 
in ©rfinbung üon Driginalmelobien, fid^ gegenwärtig bie 
d^orafteriftifd^en Sll^^tl^nien unb SKobuIationen ber Sieger gern 
aneignen, um i^ren „95attaben" eine Sofalforbe ju geben. 
S)iefe öattaben werben in^befonbere burd^ bie f^jeciett ameri* 
fanifü^en 5ßrobuftionen ber Stegro^SRinftrete popnlax unb 
l^aben bad Xalent mand^ed ameritanifd^en Sontponiften ab« 
forbirt. Der ©egabtefte unter il^nen ift ©te^jl^en Softer, 
ein Slmerifaner irlänbifd^er Slblunft, ber in Slew^or! 1864 
ftarb, nad^bem er eine äKenge t)oU^t]^ümIi(^ geworbener, in 
il^rer ©infad^l^eit rül^renber ©aHaben gefd^rieben. ®r lann 
par excellence „ber Kompouift be^ amerilanifd^en SSoIfe^" 
genannt werben. 

IV. 

ißjoptjott Uttb M. ©erirke. 

3u I>r, JRitter^ 35ud^ öermiffen Wir ben Flamen SBill^elm 
©eridfe^, ber in ben legten 5 Qal^ren bie SSoftoner S^m^ 
:p^onic « ©oncerte mit größter Eingebung unb glänjenbem 
@rfoIg geleitet l^at. 9Bir lönnen aud münblid^en (Srjäl^Iungen 
be^felben un^ eine beutlid^e SSorftettung bilben öon bem 
neueften Soncertleben in 93ofton. SJland^ed mag unfere SSer^« 



S8 €b. Bianslid, 

ttunbcrung, ©inigcSauc^ uttfcren Sllcib cttoeden. ^oben njir 
zitoa dum öiclfad^cn SRiHionclr, bcr tt)ic 3Rt. ^igginfon 
an^ freiem Stntrieb unb reiner Äunfttiebe ^unberttaufcnbe 
l^crgiebt für ben ©oncertfuftuS in feiner SSaterftabt? ffir 
öttein ]^at im Saläre 1881 ba§ gegentt)artige öoftoner @^m* 
<)]^onie'Drc^efter begrfinbet unb beffen ©oncerte atten ©tanben 
Ux6)t jugänglid^ gemad^t. ®iefe Koncerte, 24 in j|eber ©aifon^ 
finben flet^ an ©amftagen um 8 Ul^r abenbö ^iatt ; am grei* 
tag um l^alb 3 Ul^r nad^mittagS gel^t eine öffenttid^e ®eneral* 
^)tobc t)orau§. S)er ©aal mit feinen (Salcrien l^at 2400 
©ife^Iä^e unb fa|t im ganjen 3000 $ßerfonen. S)ie 6in^ 
tritt^^reife finb nad^ amerifanifd^em aWa^ftab f^jottbißig: 
ein @ife im 5ßarterre ober auf ber erften ©alerie loftet nad^ 
öfterreid^ifd^em @elbe beiläufig anbertl^alb (Bulben, b(i^ ©ntree 
einen ®ulben; ber @i| auf ber jtoeiten ©alerie einen @nU 
ben, ber Eintritt fünfjig ffreu|er. S)ie 5ßreife finb biefelben 
für ia^ Koncert toit für bie ©eneralprobe. S)a3 fd^eint ouf 
ben erften 95IidC befrembenb. aber biefe „public rehearsals" 
finb t^atfdd^Iid^ gut t)orbereitete , öottftönbige Sluffül^rungen, 
benen brei bi^ bier 5ßroben vorausgegangen finb. ®cr S3e* 
fud^ ber ©eneratproben ift aufeerorbentüd^ ; »enn eine SSeet- 
]^ot)enfd^e @^m^)]^onie ober ein berül^mter ®aft auf bem^ro- 
gramm ftel^t, muffen ^unberte öon Sefud^em fortgefd^idft 
werben, loeü leine SiHette mel^r twrl^anben finb. S)iefer 
Slnbrang gerabe ju ben $|5roben erflört fid^ barauS , baß fie 
aKatinee^Soncerte finb. S)ie gu^örer, »eld^e 20 m 30 
SBleilen weit öom Sanbe ober aus benad^barten ©täbten nad^ 
ajofton fommen, l^aben eine bequeme 8iüdCreife, »äl^renb fie 
nad^ bem eigentlid^en „Koncert" bei 3laä)i l^eimfal^ren muß* 
ten. 3n - biefe SJad^mittagSauffül^rungen fommen löd^er 
aus ben beften gamilien ol^ne jebwebe Begleitung, ©el^r 
balb geigte fid& baS allgemeine Sntereffe an ben ©^mpl^onie^ 




Die ntuflf m 2(mertfa. 89 

Conecrtcn in Icbl^after SunaJ^tttc; c^ \<Sßd) ftd^ ein 3tt)ifd^en* 
l^anbel mit Agiotage ein, ^eld^er bie (Sriangung getmffet 
@ife^)Iä|e crfd^loerte. 3Rr. |>igginfoti Verfiel öuf ein pvat- 
tif d^e^ ® egcnmittct : üor aScginn bcr iSoifon toctben bie @i|c 
im Soncertfaol öerftcigert — ein SJerfal^ren, bag fid^ i>ttoaf)vt 
f)at unb big l^eute befielet. 3^^t fold^e Sluttion^tage genügen 
lebe^mat, um fämmtUd^e @i^e an bie Slbonnenten abjufe^en. 
3n ben etften brei Sfal^ren be§ 3nftitutS leitete ber bcfönntc 
trcffli(i^e ©onger ®eorg ^enfd^el bie Koncerte. gm öierten 
Saläre reifte SKr. ^igginfon nod^ (Snxopa, um in öerfd^icbe* 
nen $auJ)>tftäbten Umfd^au ju l^alten mtS) einem neuen 
Dirigenten. Sr befud^te auc^ in SSien S^ptvn unb Eoncerte 
unb fanb l^ier, \t>a^ er njünfd^te. Dl^nc 3öwbem fd^Io^ er 
ben ©otttract mit ©eridte, toeld^er in Soften gleid^ feine erftc 
©aifon, 1884/85, ju allgemeiner Sufriebenl^eit abfolöirte. 
8tfö einen l^emmenbcn Ucbelftanb empfanb e^ ®eridfe, ba§ 
ba^ Drd^efter jum 85eginn jeber ©oifon ftet^ tiele neue äHit- 
glieber befam. Um fo häufigen ^erfonentoed^fel }u t^ermeiben 
unb ein ftänbige^ Drc^fter ju erlangen, bcontragte er mit 
©rfolg eine SScrWngerung ber ©oifon unb bie Untemel^mung 
einiger heiterer Zovtxnet^ mit feinem Drd^efter. Slud^ erfefete 
er biete altere SRuftfer burd^ jüngere, ^olte einzelne tüd^ttgc 
au^ ^nxopa l^erüber, lurj er untemol^m eine förmlid^e 8le== 
organifirung, bie burd^ brei Saläre • fortgefe|t nmrbe, bi$ ba$ 
Drd^efter feine jcfeige ©eftalt erlieft. @^ beftel^t größten* 
tl^eife auf^ 3)eutfd^en, ttJorunter öiele Defterrcid^er ; aufeerbcm 
Slmerifaner, gransofen, ©nglänber, ^oHänber — furj ein 
rid^tige^ aßeltord^eftcr. ®eridfe* Reformen öerurfoc^ten 
natürlid^ neue gro^e Slu^Iagen. Da$ geh)ö]^nUd^e S)eft}it 
(bo§ 3Rr. <&igginfon aHein bedfte) betrug nad^ Slblauf einer 
©aifon in ben erften Sauren ettva 20000 Sotlard; nac^ bem 
jtoeiten Sö^re foH e§ fogar auf 40000 S)oBor^ geftiegen 






90 €6. djanslid, 

fein. S)a mußten nun bcfonberc Slnftrengungen gemdd^t 
»erben, üor aUcm bcr fül^c SSerfud^, mit bem Drd^efter nid^t 
bloß in !(einercn ©täbten, fonbcm ani) in 3ttto^oxt ju con* 
certiren. Dbtpo^l SReW^orf felbft öortrefffid^c Drd^efter be- 
fifet, l^atten bie SSoftoner ©oncette unter ©erideS Seitung 
bort fo großen ©rfolg, baß fte jtd^ bolb einbürgerten unb 
feitl^er attjal^rUd^ (t)ier bi§ fünf in ber ©aifon) Wieberl^olen. 
5ß]^ilabelp]^ia, Baltimore, SBaf^ington unb nod^ einige ©tobte 
fefeen fid^ ftetS in SSerbinbung, fobalb eine fold^e Heinere 
lournee ber SSoftoner im SBer! ift, tooju in ber Sieget, öom 
S)e§ember ab, eine SBod^e in jebem äRonat öerttjenbet njirb. 
3n biefen Sfteifetood^en cntbel^rt natürüd^ Softon fein Koncert. 
Slllein e§ ge^t ben 2f bonnenten fein ©oncerttag öerloren, 
berfelbe tt)irb nur l^erauSgefd^oben burd^ SSerlöngerung ber 
©aifon. ®ie ©aifon 1888/89 ixaä)it in »ofton ein @rtrag^ 
niß t)on na^eju 100000 ©ottarS. 2ltö »etoei^ für bie un^ 
gemeine Slnjiel^ung^fraft biefer ©^mpl^onie - Koncerte fei er* 
toäl^nt, baß in S3ofton an feinem ©amftag in irgenb einem 
$aufe eine SlbenbgefeUfd^aft ftattfinbet. SRan ttjeiß, baß 
jebermann in§ ©oncert gel&t. 3)a§ Qfntereffe für äRufif ift 
bort nid^t nur groß, fonbern ed^t unb aufrid^tig. Slbgefel^en 
k)on bem regelmäßigen @^oncertbefud^ , mad^t man aud^ ju 
ipaufe fd^redEIid^ öiel STOuftf; bie jungen Seute arbeiten bie 
ganje SBod^e l^inburd^ am ßlaöier baS ^Programm bc^ näd^ften 
KoncerteS burd^ unb fommen tt)o]^It)orbereitet jur Slufffil^rung. 
©0 rul^ig, ja anböd^tig ba^ $ubKfum ftd^ loöl^renb ber SRuftf 
\)txi)öit, ebenfo ftürmifd^ lörmenb äußert e§ feinen Seifatt, 
tt)enn itim ein ©tüdE gefallen l^at. JRömentüd^ bie fünfte unb 
bie fiebentc ©^m^jl^onie öon 93eet^ot)en entfcffeln ieberjeit 
einen toitben ©ntl^ufiaSmuS. ^n il^ren ^Programmen , foloie 
in ber S)auer ber Sluffül^rungen ftnb bie ©oftoner Koncerte 
gauj anatog unferen Jpl^in^armonifd^en. SSier bi^ fünf SSeet^ 



Die mufif in Tlmetxia. 91 

l^oöcttfc^c S^m^l^onicn bürfen in feiner ©aifon feilten. Einen 
eigenen Kl^or l^atte ® eridfe nid^t jur SSetfügung. SBenn ein fold^er 
notl^tDenbig toax, erjielte man feine SRittDitfung burc^ befon- 
bcrc (ginlabungen. 93ofton befifet toter Kl&oröereine : brei ge* 
mifd^te (beren größter bie „Händel and Haydn - Society" 
mit 500 SKitgliebem ift) unb einen äRönnergefangöerein. 
(Sin ®^or t)on 300 ©öngem war eingelaben jn Sluffül^rungen 
ber neunten ©^nH^l&onie, jur Sad^feier im Qfal^re 1885, ju 
Schümanns „SRanfreb" unb ju ben jtoei Slufful^rungen be^ 
aRojartfd^en SRequiem^, bie jum ©eften be^ SKojart^^ 
©enfmol^ in SBien ftattgefunben l^aben. Die mufif oüf d^e 
S^ötigfeit in Slmerifa l^at anä) i^xt ©d^attenfciten : bie er- 
barmungSlofe, übermäßige SInftrengung öon Ä^ör^er unb @eift. 
®eridfe ^ai bcif^jiefötpeife in ber ©aifon 1887/88 einl^unbert- 
unböier Koncerte birigirt unb in einer fünftoöd^entlid^en 
loumee 3400 SKeilen jurüdEgelegt. ^n ber legten ©aifon 
1888/89 birigirte er nid^t weniger afö einl^unbertunbad^t 
ßoncerte. 3m ganjen l^atte er wäl^renb ber fünf ©aifon^ 
457 Koncerte unb toöd^entlid^ brei, auc^ öier Drd^efterproben 
ju leiten. Siner fold^en Slnftrengung unb Unrul^e wirb aud^ 
ber normalfte Dirigent nad^ einigen S^^ren mübe; jumat 
einer, ber in ollen Dingen fo accurat ift, wie ©eridfe. ®o 
war e§ il^m benn ertoünfd^t, nad^ fünf amerifanifd^en SlrbeitS^ 
jal^ren feine Äröfte wieber in bem Allegretto non troppo 
bentfd^en ©oncertfeben^ er|)robcn ju bürfen. 



(@in SSricf an bic |)crauSgcber bcr „S'Jcucn freien treffe" in SBien.) 

(1891.) 



Sl^r geuiCcton üöcr ^SScrbcutfd^unöcn'' öcranlafet nric^ 
§u einem SBorte f^jectellen ®an!e^. ®ie ©ted^ftiegen ber 
neueften ®))ra(i^reimgung$^aRanie , tpeld^e, ]^a£& läd^erltd^, 
l^alb örgerlid^ un^ täglid^ laftiger umf d^tuirren , reijten ntid^ 
Idngft ju htm SSerfud^e einer Slbtpel^r. @nt, ba§ bcr unge* 
nannte SSerfaffer jene^ geuilletoniJ mir juöorgefommen unb 
tteffcnb ber SSerbeutfd^nnggfud^t jn ßcibe gegangen ifi 3d^ 
l^ätte toal^rfd^einlid^ ettoad leibenfd^aftlid^er jugefd^Iagen unb 
loeniger refignirt gefd^Ioffcn. SWmmermcl^r lönnte id^ jugeben, 
ba^ aud^ für bie fd^iefe nnb l^ä^Iid^e SSerbeutfd^ung ^^©d^rift- 
leitnng" nnb ;,®d^riftteitcr'' ^bie ©tnnbc beö cnbgtttigen 
Siegel fd^Iagcn tpcrbc". SRein. @§ tpirb gctoife immer 
cmftl^afte bcutfd^e S^Uungen geben, toeld^e bie feil bem S3e^ 
ftanbc ber Soumaliftil eingebürgerten, öon allen SRationen 
öerftanbenen 3Börter Slcbaftion unb Slebalteur beibel^aften 
toerben. 3n jebem S^^^igc i>cS SBiffeniJ unb ber led^nif 
l^aben fid^ grembtpörter eingebürgert, bie, ju ted^nifd^en Äug* 
brüdten geworben, burd^ rein beutfd^e nid^t erf eftt werben lönnen 



ITTobernes im gettuu^s* un6 (Cl^eateriDefen. 93 

unb nid^terfe^t ju loerben braud^en. 9Benn äRitglieber einer fol- 
d^en „©d^riftteitung" unter fid^ finb, fragen fte einanbcr : 3ft bcr 
äiebalteur zugegen? kommen @te au$ ber Stebaltion? 
Unb ein paar 2)u^enb Seute, bie fid^ f eiber nid^t an bief e Unnatur- 
lid^en SBörter — ung frembartiger afe aCe grembttJörter — 
gett^ö^nen Idnnen, tooUtti fte bem ganjen SSoIIe aufbrongen? 
(Sd ^at n^irllid^ ettDad ytaitt», totm man eine ®pxad^t tyon 
bem reid^en unb fidleren S3eft|ftanb ber beutfd^en burd^ fold^c 
Äinbercicn glaubt befeftigen unb fd^üfeen ju muffen. 3)icfe 
aengföid^feit pa^t für bie Heinen ;,intereffanten SRationaK* 
täten", bie fid^ eine ©d^riftf<)r ad^e unb ßiteratur erft fd^affen. 
SBer jebeS 3frcmbtt)ort verbieten toiH, ber mad^t unfere 
®pxaä)t arm. 3^ Icnne feinen einjigen guten ©d^riftfietter, 
ber fid^ nid^t ol^ne ttjeiterS fold^er 2frembwörter bebiente, tpcld^e 
enttoeber Iftngffc eingebürgert ober burd^ rein beutfd^e nid^ 
genau tpieberjugeben finb. ®ie rid^tige (Srenje bafür lann 
nur ba^ SBiffen unb ber @t^d)mad be^ einjelnen Slutor« it^ 
fttmmen; lommanbiren laffen fid^ aJerbeutfd^ungen ttjebcr 
burd^ @<)rad^t)ereine , nod^ burd^ „©d^riftleitungen", nod^ 
felbft für bie nid^tamtlid^e Literatur, burd^ bie 9iegierungen. 
anerfannte beutfd^e ©d^riftfteCer, barunter Autoritäten crften 
atonged, l^aben längft gegen bie ^arrilatur ber mobemen 
©^ad^teinigungdfud^t il^re ©timme erl^oben. Seiber fd^eint 
man fie nid^t l^ören ju n^oQen unb glaubt fid^ einer ))a- 
iriotifd^en Stettungdtl^at ju rül^men, n^enn man ^iatt föiUti 
„%(äix^6fün'* , ftatt Idegramm ;,S)ra]^tnad^rid^t'', ftatt 5ßro* 
gramm ,,93ortragdorbnung'' fagt. 

3cber gute ©d^riftfteHer toirb, tt)ie gefagt, fold^e Sremb* 
ttiörter aufnel^en, beren 93ebeutung fid^ mit feinem wc^pxünf^* 
liäf beutfd^en fflort bedtt. Aber neben biefem inneren SWotiü 
für bie ^BkiS)l eined gfrembn^orted, äÜ bed genaueffcen, feinften 
t(udbrudEi& nnfered (Sebanlend, giebt ed nod^ ein imiM, t)on 



94 <E^. BtansM. 

beut öicl feltencr bie 3tcbe ift unb ba§ iä) barum nad^brütf* 
lid^er l^erborl^ebett mdd^te: id^ meine ben SBol^HIang. 
@in Sfrentbn>ort ift l^äufig ba^ befte, mand^mal baS einzige 
SRittel; äRt^Hdnge unb gärten }u t^emteiben, todä^t oud bent 
Sufamntenftofe gcn^iffer beutfd^er SBörter, inSbefonbere tntU 
fiftiger, entftel^en. Sieber brei grcntbtt)örtcr nod^ einonber, 
tpie j. 85. „ba§ lofettc ^Programm biefeS ffionccrts", als auf 
greulid^ reinbeutfd^ : ,,bie gefaUfüd^tige äSortragdorbnung 
biefcr aRuftfouffu^rung". SSäic bog Kingt I SBcr gut f d^ciben 
toitl, mn% mä} l^ören. 2)a$ fd^eint aber jenen Ofanatilem 
öerfagt, bie aus $o^ gegen ein tool^HIingenbeä gfrembtoort 
lieber eine unöerfälfd^te beutfd&e Sa|ennmftf fd^reiben. 

SSor furjent erl^ielt id^ einen red^t fiebcnSmürbigen SSrief 
t)on einem befannten $oeten unb eifrigen Scfer meiner Sluf* 
fä^e, ber nur eines baran bellagt: „bie t)telen borlommenben 
grembn^örter". ^ä) glaubte, in biefem 5ßunlt lein großer ®ön== 
ber §u fein, unb l^abe getui^ nie einen ®a| gefc^rieben, toie 
jüngft einer ber befonnleften Sloüettiften in „Slorb unb BSb" 
(®ejcmber^i&eft 1890): „OTe jene Uebergänge toaren nur 
9ippxoäftn jum eigentlid^en ßebenSberuf. Diefer fromme 
SDSunfd^ mu^te cad^irt tuerben." ' Sttttein ben ®ef allen 
!ann id^ meinem tuol^tooUenben 9tat]^geber bod^ nid^t tl^un, 
bie 3Börter : ®om<)onift, (£om<)ofition, 5ßrobu!tion ftetS ju öer* 
meiben unb ftatt ®t)mpat^t „Swftitnmung", ftatt SSrofd^öre 
/f^cft", ftatt <)robuciren „bartl^un", fiatt ffionferöatorium 
„SRuftlfd^uIe" JU fagen, »ie er verlangt. SSoHenbS unbe* 
greiflid^ erfd^eint il^m aber, ba^ id^ einmal (Som^onift, (Kom« 
if)ofttion, 5ßrobuItion fd^reibe, nad^bem id^ eine Seile frül^er 
^nbid^ter, Xonbid^tung, 9(up]^rung gefagt l^abe^ olfo ted^ 
gut toiffe, tt)ie ber beutfd^e ^nibxni lautet 3<^, ^bxtn 
®ie benn nid^t? mdd^te man fold^en ^tifem jurufen. 
SRerlen @ie tpirllid^ nid^t, ba^ id^ abftd^tlid^ einmal ^ompo- 



IHo^erncs im gcitungs* un6 (Cljeatcrioefen. 95 

nVjt, bad anitxe , Wlai Xonbid^ter, einmal ^robuftion, bad 
anbete aJial älupl^rung fd^reibe, um bie äRonotonie bed 
$Iange§ ju tiermeiben? 

SKan fottte meinen, SWnftfer müßten ba« em^ifinMici^fte 
€^x befifeen, aud^ ffir bie Harmonie beiJ ©tifö. Selber er- 
lebt man oft ba« ©egentl^eil. 3n neuefter 3cit betreiben 
einige aKufilgeitungen „nationaI*beutfd^cr'', b. i). SBagnerfd^er 
Utid^tnng ben SteinUd^feitdf^port mit auffaüenber SEBid^tigfeit. 
@in fold^e^ mir öorliegenbe^ Statt entl^ält eine fettgebrudte 
Äufforberung an bie SRitarbeiter unb Sorref<)onbenten , ftd^ 
ja aller gfrembtoörter ju entl^alten. S)a ftol^ert man in 
jebem ©afte über bie fü|en neuen SBorte: S)ral^tnad^rid^t, 
©onberberic^t unb felbfttierftänblid^ über liBortrag^orbnung 
(für Programm), ;,®l)iel§eit'' (ffir ©aifon), „®pitiplan" (für 
8le^)ertoire) u. f. tu. 3^^ f^og^f t^nn man aud^ fagen: ber 
neue S)irector enttoidfelte feine SSortragiJorbnung ? Dber:*bie 
(Eoncertfängerin Starbt l^at einen reid^^altigen ®pitlptan? 
Dbcr : tuir finb jeftt in ber tobten ®pxüitit ? S)a^ finb lauter 
Äu^brüdfe, bie einanber nid^t bcdfen; ber beutfd^e ift immer 
tttoa^ tt>eitcr ober enger, afö ba§ längft eingebürgerte gfremb^ 
ttjort. SBie toirb unfere aRufifjeitung bie in ben franjöfifd^en 
Soumalen toieberfel^renbe Il^eatemotij überfe^en: „Les 

Diman'ches on joue le röpertoire" ? 3n biefen mufifalifd^en 

©<)rad^reinigung8anpalten brängen fid^ greulid^ Hingenbe ©aft* 
bilbungen, öon benen m^ bie S&^m unb bie Dl^ren totf) 
t^un. fjreilid^ betoieiJ aud^ i^r $err unb äWeifter, 3tid^arb 
SBagner, feineStoeg^ ein em<)finbad^e^ ®epr toeber in feiner 
^rofa nod^ in feinen S)id^tungen. ^ä) ffattt ba^ berühmte 
?)ebication§ejem|)Iar ber „9libelungen'':'3)id^tung in Rauben, 
toeld^e« Saäagner an @d^o<)en^auer gefanbt unb ba^biefer 
an ben mifettingenbften ®ä|en mit »anbbemerfungen , tt>ie 



96 <Hb. .^anslirf. 

„$ört. er bemt nid^t?!" ,,»cr töubc äRufifottt f^at feine 
DifxmVf u, bergt ni. öerfel^en l^at. 

Slber bic mufilalifd^en ©eutfd^tl^ümler gc!^en noä) toexttx ; 
ni^ 6Io^ aug ben aRuftf feitilen^ aitti^ aw^ ben SRotenl^eften 
tooUen fie aüe§ grcaiblänbifci^e öerboimen. @itt Serßner 
^lott ^at ganj erafll^aft aUen baitfd&en ffibmtjoniften unb 
äRufttoerleflem ba§ Slnfinnett geeilt, bie italienifd^en So^t- 
tva^^tiä^m intä)oM ju öerbeutfd^en. Sttfo fein Slllegro uttb 
Stnbante me^r^ fein ^itninuenbo irnb Src^cenbo! @S ift un- 
glaubtid^, mit loelti^m Seid^tftmi ^onb baran gelegt wirb, 
einen Sal^r^unberte altm, «nfd^a|baren Änltnrbefil tocgju- 
fegen. S^ren fcpnften Segen befi^t bie ättufil barin, eine 
allgemein Jjerflönblid^e ®pvaä)t jn fein, eine Io§mo^)oßttf^e 
Sunfi S)iefer Sorpg ber Slttöjerftönblid^feit erfd^eint im 
:praftifd^en Beben babnrd^ cr^öl^t, bafe nid^t blo^ ber Mang 
einer beflimmten Sonate, ober ®^nH)l^onie, fonbcm anä) bie 
Meibenbe SRieberfd^rtft berfetten big l^eute aßen Stationen giei<^ 
öerftättblid^ ift. 5)ic Sttoten finb ol^el^in für alle biefelben, 
unb bie SSortrag^beieid^nungen l^aben alle bon alterdl^er au^ 
Stalten, bcni ©tammlanbe unferer mobemen mnfifaUfd^en 
ff uttnr, übernommen* SBenn eine beutfd^e $ßartitur nad^ 
Sfilu^Ianb, 5ßDlen, Ui^garn, ©panien jur Slwffftl^mng öcrfd^itft 
toixbf fp öerftcl^t bort jeber ffiat)ettmeifter, toie fie }u birigiren, 
jebeg Dri^ieftierjnitgücb, toie fie ju f|)ielen ift, S)aä foll nun 
aufl^ören; fein nid^tbeutfd^eS SBort fott ein beutfd^eg 9floten^ 
l^eft Jjerunäieren. ?3Jer iiberl^au^jt mufif alifd^ ift in Suro})a 
ober SImcrif a , berftel^t bie eingebürgerten italienif d^en SSor* 
trag^seid^en unb il^re Slbförjunften. SBenn man aber biefe 
bequemen Slbbreipiaturep burd^ fd^merf ftllige SSerbeutf d^ungen 
«f^fet^ ;^att.pp, wb fff. ;4e^r leife" ober „fo ftarf ate mög«» 
liri^" .J^inffj^reifetr fo fauTi ber SHu^Iänber fid^ babei nid^t» 
beuten; bie $ßartitur toirb aujserl^alb ©eutfd^IanbS unbraud^ 



IRobernes im Sexinnqs^ nnb (CI^eateriDefen. 97 

hat. golgcrid^tifl müfttcn, bcm 5ßrittji<) juücbe, aud^ bic 
Slamen ber (£ottH)ofttü)nöformcn unb bcr Snftrumente t)er== 
bctttf^t tpetbcn. Sonate tpürbe .^Älangftütf", ®^xstpf)onit „Qa^ 
fammenfiangftüd'' l^ei^en, Dboe, Klarinette, SSiolonceO müßten 
fid^ in „^od^l^ol}", fr^eCl^oIj'', „^iegeige" öertoanbeln. 3)a' 
mit toöre bad S^aod qiUliä) ferüg. ©elbft in S)eut{(I^Ianb 
tDürbe ntan fid^ fd^toer jnrcd^tfinben in biefer neu unifor= 
mitten SRufif. 5!lu^tt)ärt^ aber bürfte ber l^eute fo eigenfinnig 
l^od^gefteigerte Slationalfinn ol^ne Stoeifel bem böfen a3cif<)iel 
folgen unb biefeftcn ^ptaä)lx6)m Sottf(i^ranfen in bcr äRufit 
gegen un§ aufri^tcn. 3)ann toirb ein SRufilftüd au^ Ungom, 
9tu^Ianb, Slormegen, ©Spanien bei und {ein 9RufiIer Dortragen, 
lein Äapettmeifter birigiren lönnen. Ängefid^tÄ fold^er Ser= 
fud^e, eine burd^aud lodmoipolitifd^e Kunft national ju Inebeln 
unb abiuf<)erren, tröftet uniJ ber ®ebanle, ba^ einfeitige Sitten« 
iatt auf einen uralten ßutturbefi| leidster Dorjufd^Iagen aU 
burd^jufül^ren finb. @inc ©ermanifirung bed beutfd^en SRufit 
öerlaged »ilrbe ju öiele materielle 3»tereffen fd^äbigen, üom 
gefunben SJlenfd^enberftanb ganj ju fd^toeigcn.*) 

*) 3)ie SBerbeutfc^ung ber mufifalifd^en SluSbrücfe ift übrigen^ auc^ 
eine alte 3Robe, au8 ber beutf^t^ümelnben Seit nad^ bcn grci^eitSs 
Jriegcn; ftc »irb §cutc nur mit größerer ©clbftgcfftnigfcit otö bomol§ 
getragen, ^eet^ooen toollte baS gfrembtoort $ianoforte burcS^ 
^^ammerflaöier" crfejen, toobei er überfa^, ha^ nur bic erftc ^älftc 
feiner 3ufammenfe^ung beutfd^, bie jtoeite aber romonifd^ ift. SBil^elm 
t>, SBalbbrüftl, ein SIKitarbeiter ©(^umonnS, fd^rieb in feiner Ärittl 
^er ,,5ugenotten", hai gleid^ in ber ,,@röffnung" (Duüertürc) bic ,,Saife" 
(bcr (S^oraO in einem „Xonrungc" (gugc) l^ätte burd^gefül^rt »erben 
foHen u. f. tt). 'SRcai lachte über foU^e ^äu^e, mie über ^IbelungS 
S^erbeutfdftungen: „8(i^mcttermeffing" für trompete, „3)reiedf" fürXri« 
angel u. f. m. @d^umann ^at belanntli^ in feinen erften ^laüier« 
ftüden beutfd^e SSortragdbe^cid^nungen, er lam aber balb bak)on prüdf 
unb DerHieb in feiner jmetten unb britten ^eriobe bei ben italienifd^cn 
Hudbtitden. IGSagncr gebroud^t in feinen Opem^artituren beutfd^e 
(Eb. Qanilid, «u8 oem ZaQOu^ eines SHuflfet«. 7 



98 <E2). ^anslid. 

S)a td^ nun einmal im Siaifonniren bin, fo möd^te id^ 
nod^ eine jttjcitc mobcmc ©rmngcnfd^aft berühren, bic jtoar 
nid^t mit bcn ^^SSerbcutfd^ungen'S aber bod^ mit ber tieucften 
beutfd^en %f)tattxpxa^^ jufammenl^ängt. 3^ meine bie Sitte 
ober Unfitte, onf ben D^eaterjetteln bie S)arfteHer ol^ne bie 
Sejeid^nung $err , ^au ober gröulein ju nennen, l^ingegen 
burd^toegS mit il^ren SSor* unb B^tiamen. Sluf biefc SRobe, 
bie bereite öon öfterreid^ifd^en ^roöinjtl^eatem , loie ^ßrag, 
Äorföbab u. f. to., nad^gea^^mt toixb, fann fid^ S)eutfd^Ionb 
ettoaS einbilben. Äeine öon ben Stationen, bic in I^eater- 
bingen unfere Seigrer getoefen, lennt biefe 3Ranier, bie mir 
gefd^madtlo^ unb un<)affenb öorlommt. gtanjofen unb Stö- 
tiener nennen il^re ®d^auf<)ieler auf bem $erfonenöeräeid^ni§, 
toie eg fid^ gel^ört, aJionfieur unb SRabame, ©ignor unb 
©ignora. 3)er Herausgeber bcS Il^eaterjettefö, ber feine äWit- 
glieber öorftettenbe ^auSl^err, ift bod^ immer ber 3)irector; 
bie fötinftler l^aben ben Slnf^jrud^ , öon il^m mit „$err" ober 
„grau'' titulirt ju werben. 3n bem SBeglaffen be« litcfö 
„Herr" ftedft ettoaS eigent^ümlid^ 3wief»)ältige§, eS ttjeift über 
ober unter ba§ gefettfd^aftlid^e Sliöeau. ©d^Ied^ttocg mit 
il^rem SRamen nennt man enttoeber berül^mte SRänner ober 
Seute in untergeorbneter S)ienftftettung. SBir ^pxtäftn furj 
öon aioffi unb ©alöini, öon ©aral^ Sernl^arbt unb äbeßna 
$atti; toir nennen aber aud^ ffeHner unb Dienftmäbd^en 
nid^t „Herr" ober „gfräulein". 3Ran emanjipirt fid^ olfo öon 
ber litulatur bemjenigen gegenüber, ber fie nid^t brandet ober 
bem fie nid^t gebül^rt. S)ie granjofen, SReifter ber Höffid^feit, 
nennen in i^ren S^itungen jebcn Sebenben, unb fei er ber 



^ejetd^nungen; ba fd^aben fte nid^t, hvm hd €)ptm (überl^ou))! bei 
@(efangftüdfen) bebarf ber beutfd^e ^ejrt o^ne^tn für bad ^uSlonb bed 
tteberfe^eri^, meld^er bann aud^ bie ^ortragdbe^eid^nungen Derbolmetfdftt. 



mobernes im gettungs^^ unb Cljeatertpefen. 99 

• 

bcrül^mtcftc : ,,H)iottftcur". Sic f daneben bei Sebäciten bicfer 
SRcnncr nie anbcrg atö aJir. I^ier^, SRr. Stoffini, 3Rr. »aljac, 
tote man l^eutc ntd^t anbcr^ atö öon 3Rr. ®ounob, SKr. S)aubcl, 
SWr. atcnan f^jtid^t. Die beutfd^e unb bic italienifd^e Ucbung 
tocid^t baöon ab. Seabfid^tigt ein 2^eatcrbirector gerobc 
bic S3erü!^mt]^eit feiner erftcn SRitgtieber burd^ ba^ SBeglaffen 
be§2:itefö „$err" ju bejeid^nen, bann barf er e§ nid^t auä) auf bie 
3)arftetter öon Sebientenrollen antt)enben. ®em H^caterjettel 
gejiemt aber gleid^e $öflid^!eil gegen aüt, ®iefe ©leid^ftettung 
üben bie mobemen beutfd^en Sl^eaterjettel baburd^, bafe fie atte 
3)arfteHer, aud^ bie legten gigurantinnen, mit il^rem öoCen 
SSor^ unb gutiamen aufführen. SRid^tg ffonjifd^ereS unb ju^ 
gleid^ Saftigere^, afö fo ein langer I^eaterjettel mit großem 
5ßerfonaI, ber unS nötl^igt, anstatt ätoanjig ober breifeig @igen=^ 
nomen il^rer öierjig ober fed^jig l^erabsutoürgen. 3)a§ lang- 
tocilt ben Sefer, ben e§ nid^t im minbcften intereffirt, ob ber 
jtoeite ^'äqtx im greifd^ü| S3äenjel ober Sol^ann ^oliöla, ber 
britte Kl^orfnabe im ^ro^jl^eten 5ßoIbi ober aRie|i Sa| l^eifet. 
®enn baS ift aud^ eine Solge bicfer neuen SRobe, bafe bic 
finbifd^cn Äofenamen auf ben Il^eaterjettcln überl^anb nel^men. 
lini, 5ßoIbi, 3Rie|i, Sri^i finb feine 9lamen, fonbcm Silb- 
fürjungen öon Slamcn unb bc^l^alb uttpaffcnb auf öffcntlid^en 
fiunbmad^ungen. Sür bie ffritiler ertoöd^ft barau^ überbieg 
bie Unbcquemlid^feit, nid^t ju toiffen, ob ,,3Riefei ffa^" grau 
ober fSfräuIein ju tituUren ift, benn glüdHid^ertoeife l^ött bie 
bcutfd^e Soumalifti! nod^ an ber §öflid^feit feft, toeld^e bie 
H^eotcrbirectoren über S9orb getoorfen l^aben. D<)timift, 
ber id^ nun citimal bin, l^egc id^ bie fröl^Iid^e Suberftd^t, bafe 
jcbe unvernünftige unb gefd^madtlofe SKobe balb in SSergeffen- 
l^eit fällt. 3Ran fann fid^ inmitten all beg Säd^erlid^en unb 
Äergerlid^en bod^ immer über irgenb cttoag freuen. Unb bie 
gleite gteube , bie id^ an bem gortbeftcl^en ber „Stebaftion" 

7* 



100 €6. Qanslirf. 

unb bc§ „atebattcurS" bct „bleuen gteicn treffe" l^abc, cm- 
pfinbe id^ aud^ barüber, bag unfere großen SBiener Xl^eoter 
nod^ l^oflid^ genug finb gegen i^re aRitglieber unb gegen t^ 
^ubKIum, um jene ,,$err" unb „grau" }u nennen unb biefe^ 
mit ben Sornomen öon ©totiften unb gigurantinnen ju Der* 
fd^onen. 

3lad^fd^rift: (Sin juftimmcnber ©rief öonöillrot]^ ettt== 
l^ält fotgenbe ©teile, bie id^ meinen ßcfem nid^t tjorentl^often 
möd&te. ,,@in jjeber gebilbete SKenfd^, ttjeld^er Äation er aud^ an* 
geprt, l^at eine unbefugte f^eube an bem Klange feiner ©firad^e, 
tok er burd^ ben äludbrudtdtoed^fel ]^ert)orgebrad^t tpirb. Sie 
inbogermanifd^en ©prad^en ber bt^l^crigen ffultumationen 
ftammen f d^Iie^Iid^ t)on @inem 93aum ; bag i^tt^inanbermad^fen 
ber Steige lann id^ für !ein dftl^etifd^ed Unglüdt galten. SSte 
bie mobeme äÄufiffprad^e öon Stauen ftammt, fo ftammt unfte 
mebijinifd^e ©^jrad^e, ja überl^aupt unfere wiffenfd^aftKd^e 
©^rad^e t)on ben 9t5mem unb ®ried^en. Sie fübbeutfd^e, 
jumat bie SBürjburger ©d^ule, l^at öor einem l^alben ^oXft^ 
l^unbert bie SSerfud^e gemad^t, für 8lnH)utation „Sbfeftung'', 
für (gjftirpation ,,9Iumfung", für 9iefeftion „Stu^fügung" 2C. 
JU fagen. S)od^ umf onft ; man blieb bei ben aug bem Satci- 
nifd^en entlehnten, aUm Stationen öerftänblid^cn Slu^brüden. 
Sird^om unb ^oä) unb aud^ meine SBenigfeit, flnb bod^ 
getuife gut beutfd^e SRänner; aber atte SBörter, bie »ir in 
bie SBiffenfd^aft eingefül^rt l^aben, finb gricd^ifd^en Urft)rungd. 
Sumat bie SRomencIatur ber patl&ologifd^en Sleubübungen 
in ber ganjen mobemen IBacterioIogie ift gried^if^. 88on 
einer „©täbd^en^ßel^re" ftatt ton einer „©acteriofogie" ju 
fpred^en, ttJäre gerabeju töd^erlid^." 



©♦ ^tvitxbttx. 

(3ur ^unbettftcn aOBieberfe^r fcineg ®eburt§tage§, 6. <Se|)tembcr 1891.) 



SBenn ERc^crbeer l^cute öon irgcnb einem 9[u§fid^t8^)unfte 
beS S^ttfritS auf bie @rbe ^erabfetien fönnte, cttoa tuie ein 
®<j^auf^ieler an feinem ISenefice«§[benb burd^S @ndloä^ f))ä]^t 
— id^ glaube, ein jufriebeneg Söd^eln tuürbe fein ernfteS, 
geiftöotteS ®efid^t erretten. 3n fämmtüd^en ^aujjtftöbten 
6ttro<)aS unb ringsum in ber ^ßroöinj tpürbc er geftöor:» 
fteOungen feiner D<)ern ttjol^rnel^men , öotte ipäuf er, rauf d^en* 
bcn aSeifatt. S3äenbct bonn ber 9ltt6ilar öon feinem 2lu^fid^t§=^ 
fteme ben Slidtnad^ ber anberen §emif<)l^are, fo begegnet er 
bcmfelben @d^auf<)iel, benn bie SKufitfreunbe öon SRettJ^orf 
unb aWejilo, öon 8tio unb ©an gfranciSco fönnen fid^ nod^ 
immer nid^t fatt I)ören an ben SKelobicn be§ „Stöbert" unb 
ber „Hugenotten", bie fie längft au^toenbig toiffen. ®ic 
Il^caterbirectoren finb bie^mal nid^t in SSerlegenl^eit, tpie fie 
eS bei ben Subiläcn öon S<)ontini, ©^erubini, SRel^uI, @<)o]^r 
unb ^erolb getuefen, bereu Dptxn erft l^aftig l^eröorgefud^t 
uttb neu fcenirt toerben mußten, foHte ba^ Jubiläum btefer 
SReifter nid^t idtal ignorirt bleiben, tuag oft genug aud^ ge* 
fd^o:^. SKe^erbeer^ D<)ern bebtirf en leiner SBicberertocdEung, 
fic fifeen feft in bem 3te|)ertoire aller I^eater unb l^errfd^en 



102 €b. ^auslief. 

ha feit il^ren crftcn Sluffül^runflcn ununtcrBrod^cn. ^Stöbert 
bcr leufcl", „®ie ipuflcnotten", ,,S)cr "^xopijtt" f)af>m eine 
Sal^I öon Sühnen eroBcrt unb eine Summe öon SBiebcr* 
Iioluttgen erlebt, tute in gleid^em Stiixanmt faum eine anbete 
gro^e Dpex. Um nur SBien ju citircn: „S)ie Hugenotten" 
(am 19. Dejember 1839 jum erften SKale im Mrntnert^or* 
Sweater gegeben) finb im Saufe öon 50 ^a^xm (1889) gegen 
500 mal aufgeführt toorben, eine Siff^^^ We in SQäien über* 
l^au^t nur öon ,,S)on ;3Man'' erreid^t tuorben ift. 3n ?ßari§ 
!iaben „Stöbert" unb bie ,,ipugenotten" bereits bie 1000. 9luf== 
fü^rung l^inter fid^. @ine ^o^jularitöt toie biefe ift o^ne 
S5cif^iel „^Robert" öerforgt feit öOgal^ren, ,,S)ie Hugenotten" 
bel^errfdien feit 55 ^af)xtn mit bcinal^e ungefd^toäd^ter Sfroft 
alle D^ernbü^nen. Unb toenn i^re anfangs gerabcju ungc- 
l^eure S33ir!ung feitl^er bod^ tttoa^ nad^gelaffen l^at, fo gefd^al^ 
eS eben infolge biefer gehäuften SQäieberl^oIungen. 3n fo 
langem S^itöertauf finb bie Sluffül^rungen faft überaß nad^= 
läfftger, fd^Ieuberifd^er geworben, überbieS bie ^anpt^jartien 
nirgenbs me!|r im 95efi| fo großer (SefangSfünftler, fo l^err* 
lid^er Stimmen, h)ie el^ebem. Iro^bem hetoaf)xm SRe^erbcerS 
S)ptxn l^eute nod^ il^re atte Bugiraft; „Siobert" unb „®ie 
Hugenotten" mit äled^t üoran, nad^ i^nen „^xop^ei" unb 
„2lfri!anerin". ©elbft ber „SRorbftem" unb „®inora^" — 
fd^tüäd^ere ^^Jrobufte SRe^erbecrS in bem il^m fremberen ®e= 
biet ber Opera comique — feilten laum in einem D<)em^aufc, 
baS nod^ bie @eftenl)eit einer glänjenben, jugcnbUd^en ©olo- 
raturfängerin befi|t. 

©0 fönnte benn SRe^erbeer öon feinem l^immüfd^cn 
SugnnS'Sanb toal^mel^men, ba§ feine SBerfe Iröftig fortleben 
öor einem unermejslid^en, il^m mit feltener 2lnl^änglid^feit 
treu gebliebenen ^ublüum. SRe^erbeer toax fo gtüdfßd^, fid^ 
nod^ bei Sebjeiten burd^ bie glänjenbften Erfolge anerlannt 



<5. IHcfcrbeer. 103 

üttb belohnt ju feigen. Ungetrübt toax bicfc grcubc feinet- 
tocgS. SRan l^at bcm SWann, njcld^cr <)erfönUd^ nciblo«, bc* 
fd^eiben unb grenjcntoS tool^Itl^ätig toax, feinen Snl^m naci^ 
Säften öcrgäOt. »öme^ auäf^rnd^, bajj Unbanftarteit 
gegen bie eigenen Sanb^Icute im (Sf)axatUx ber ®eutf(i^en 
liege, finbet ein ftarfcg (Sd^o in ben (Srfal^rungen SKe^erbcerS. 
Se rodmier bie granjofen il^n, ben greniben, anerfannten 
nnb feierten, befto tiefer glaubte bie beutfd^e Äriti! il^n !^erab* 
jerren fia muffen. 3Ran neibete il^m ßtoeicrlei : feinen SBo^I- 
ftanb unb feine (Srfotge. SBa§ l^at man i^m nid^t alle§ an- 
gebid^tet! ©innlofe Slnefbotcn, iüie bie, bajs SRe^erbeer fämmt- 
lid^e Drgcin in ^ari§ ange!auft l^abe, bamit lein Sieben* 
bul^Icr biefen im „Stöbert" öern)enbeten (Sffelt nad^a^men 
lönne, mürben blinbfing^ geglaubt unb verbreitet. 9lm läd^er^ 
lid^ftcn ift aber bie befannte SieblingSöerbäd^tigung : äWc^er- 
bcer ^abt feine (Srfolge auf ©d^Ieid^ttjegen ber 8teHame unb 
ber Scftec^ung erreid^t. S33er bergleid^en für mögüd^ ^ölt, 
ber mad^t bem euro^öifd^en ^ublifum unb feinem eigenen 
aSerftanbe ein fd^Ied^teS ©om^jüment. fRellame unb Sefted^ung 
lönnen einen äußeren Srfolg für ein paax D^eaterabenbe unb 
in itod ober brei ©tobten erf d^Ieid^en , niemals aber für 
längere Seit unb über ttjeite Entfernungen l^inauS. 3Ran gebe 
l^eute einem beliebigen ©omjjoniften SKillionen §u Scfted^ungS* 
jttjedcn — toenn feine Dptx bem $ßubUfum nid^t gefällt, nid^t 
fel^r geföttt, fo wirb fie in lurjer Seit unb innerl^alb be* 
fc^eibener ©renjen öerfd^otten fein. SKe^erbeer ift feit 27 
Salären tobt; feine Dptxn ttjirfen aber l^eute loie ju feinen 
Sebäeitcn, ber befte SetpeiS, bafe man nid^t öon i^m beftod^en 
ift, fonbern öon feinen SWelobien. äWe^erbeer ttjar allerbingS 
ein ängftUd^eS ®enie, ftetS jnjeifetnb unb beforgt um baS 
©d^idtfal feiner S3äerle; baS ^inbert nid^t, ba^ biefe burd^ 
il^ren eigenen ©el^alt gcfiegt unb fid^ über ein ^atbt^ ^oi)x^ 



104 €b. Qansitcf. 

^unbert lang toirf f am erl^alten l^aben. S)ie beutf d^e SoumalifHf 
ifüi SDte^etbeer unau^gefe^t mit gel^äfftgem @ifer ))erfoIgt; 
ba8 ^ubtilum aber ift i^m treu geblieben, überall, in oHen 
ßänbem. @r brandete feine SWe^erbcer^SSereine ju grünben, fein 
eigene^ äJie^erbeer^Xl^eater ju erbauen; bad ganje ^ubtifum 
toar fein SSerein unb ^xopa fein Sa^reutl^. 

Sagl^afte, nerööfe SRaturen toit SRe^erbeer finb in ber 
Sieget fel^r em<)flnbüd^. Der ®d^ö<)fer ber „Hugenotten" 
füllte fd^merjUd^ jeben Slabelftid^ ber ^tif. 91m tieften 
fränfte il^n bie öeröd&tlit^ »egtoerf enbe Sritif SKci^arb SB o g = 
ner§, ben er bod^ in fd^toerften lagen tl^atfrdftig unter* 
ftö|t unb geförbert ^attc. S)ie Sragc ber <)erfönUd^en Donf- 
borfeit möge ^ier gar nid^t aufgctoorfen, öielmel^r toiHig ju* 
geftanben »erben, ba§ man ®ute^ öon einem greunbe 
em<)fangen unb bod^ feine 3Bcrfe öerfel^It finben fönnc. 2CJ>er 
id^ glaube, ba^ ba§ Sewufetfcin genoffener SBol^Itl^aten jebem 
nid^t ganj öcr^örteten ®emüt^ oon felbft einige gii^üdf^al- 
tung im SRafe unb Slu^brudE cinc^ öffentlid^cn labcfö auf* 
erlegen mügte. Dbenbrcin, too e^ fid^ nid^t um eine 9lb* 
toel^r, fonbem um einen burd^ feine Siötl^igung motiöirten 
Singriff l^anbelt. SRan tocife, ba^ ber junge unbefannte SBagner 
bie Slnna^me feinet „Stienji'' in S)reSben (bie feine An* 
fteßung afö §of*ßa<)eamcifter jur golge gel^abt) nur HRe^er* 
beer öcrbanfte, beggleid^en bie 8luffü!^rung beiS „gfiegenbcn 
ipottänber" in »erlin. „D^ne äWe^erbeer ^attc id^ in 5ßari« 
mit meiner grau öer^ungem fönnen,'' fagte mir toörtlid^ 
81. SBagncr im «uguft 1846 in SRarienbab. 8lber gleid^ auf 
biefeS unbefangene ©cftanbnife folgte eine glutl^ öon 
Schmähungen gegen SRe^erbeer^ äJlufif, bie nur „einetoiber^^ 
toörtige 3ra|e" fei. SRe^erbecr, bcm meine jugenbüd^e 9leu=» 
gier bamaB gern ein SBort über aBagner cntlodtt ^ötte, fagte 
nid^tg weiter afö: „©eine D<)ern gefaOen fe^r" unb ttjenbete 



(0..HteYerbeer. . 105 

fofort bad &t^ptäd). Kn 9Re^rBeerd Stic^tung ifi biel ju 
bdDagen, in feinen 0))em gar ntand^ed jn Dertoerfen, unb 
meine Sefer n)tf[en ganj gut, ha% ic^ für baS 9laffinitte, 
®ettKxItfame unb ©efd^madlofe barin niematö blinb ober 
nad^fid^tig getoefen. 8(Ber in ber ^ayxpi^aift, glaube id^, 6e« 
urtl^eilt i^n SSagner falfd^ unb ungered^t. (St fagt näntlid^ 
in „Dptx unb ©rama" (jtocite ätufloge, Seite 91): „»e* 
ad^tendtt)ert]^ ift ed t)or aQent, ba^ äRe^erbeer biefem ®ange 
ber D^jemntuflf nur immer folgte, nie aber mit il^m, ge* 
fd^n^eige benn il^m irgenbn)ie t)oraudging. @r glid^ bem 
©taar, ber ber 5ßftugfd^aar auf bem gelbe folgt unb au§ 
ber foeben aufgeioü^lten ädterfurd^e luftig bie an bie ßuft 
gefegten StegenttJürmer an^pidt Slid^t eine SRid^tung ift il^m 
eigentl^ümlid^, fonbern jebc ]^at er nur feinem SSorgängef 
abgelaufd^t.'' SBenn SKe^erbcer leine Driginaütöt befäfee, 
nur SKbgelaufd^tc^ unb ©rborgte^ toicberl^olte , nimmermehr 
l^ätten feine Dpttn eine fo gett)altig jünbenbe SBirfung 
mad^en unb bi§ ^eute ittoai)xtn f önnen. ®erabe bad Originelle 
in „aiobert" unb ben ,,i&ugenotten'' f)at baS ©tudf biefer 
D^ern begrünbet. SBer fid^ ber Stit erinnert, ba biefe SBerfe 
erfd^ienen, bem ift anä} bad blenbenb 9>leue, ganj Eigenartige 
i]^re§ ®inbrudfe§ unöerge^Iid^. SBaiJ barin tttoa an SBebcr, 
8loffini, äuber erinnert, ift öerfd^ttjinbenb gering gegen baS 
gau} Eigenartige, f<)ccififd^ SKe^erbeerfd^e biefer ERufif. 
Stiemanb. n)ürbe eine äRe^erbeerfd^e £)ptx irgenb einem an^ 
bem Eomponiften jufd^reiben lönnen. 9Ran lann im ®egen^ 
tl^eil bel^au^ten, ba^ äJleljerbeer mit „Stöbert" unb ben 
„Hugenotten" ber mobemen großen Dptx ben ©tem^jel feiner 
$erf5nUd§Ieit aufgebrüdEt :^at. SBag auf gleid^em ®ebiet 
borauf folgte, unb nid^t btofe in granlreid^, öerrötl^ mel^r 
ober minber bie ©imoirlung SKe^erbeerS : ^al^t^s ,r3öWn", 
„®uibo unb ©ineöra", „ßarl VI.", OounobiJ „Sauft" 



106 • €b. ^ansKrf. 

uttb „Äötttgut öon ®aba", 81. Zf^oma^' „^dmlct", SWaf* 
fcnetg „ftöttig öon ßa^ore" unb „ffiib'S Serbin ,,©i^ 
jUiantfd^c ^t^ptx", 3)oni}cttt^ „S^om ©ebofticm" unb 
„gaöotite". Unb nid^t aud^ 3Bagner fclbft? @r l^at ganj 
Siedet, ttjenn er in einem öon Demütig unb 3)onIbarfeit 
triefenben SSriefc on SWe^etbcer (1842) fid^ beffen ,,allerauf' 
rtd^tigftcn ©d^üler" nennt; benn nid^t Mofe ,,3lienji" ift eine 
unöerl^ol^Iene Slad^bilbung SRe^erbecrä, ani) ,,Iannl^öufer'' 
ttJürbc fd^tt)erUd^ cyiftiren, ttjenn nie ein SRe^erbcer cyiftirt 
l^ättc. SSottenbg unbcgreiflid^ erfd^eint ober, toie jentönb, 
fei er beut bromatifd^en Slaffinement SRe^erbeer^ nod^ fo fel^r 
abl^otb, jiüeifeln lönne an beffen grofeent mufüaüfd^en 
%aUnt SSSagner aber nimmt feinen Slnftanb (in „D<)er unb 
S)rama", Seite 80), „SRe^erbeerg f^ecififd^ mufifalifd^e 
Begabung öoüfommen auf SRuII ju feften"! aJion 
brandet nid^t einmal bie „Hugenotten'' ju fennen, fonbem nur 
,,8lobert ber leufel", nur ben crften 8Ht öon ,,8tobert ber 
Seufel", um barüber Rar ju fein, bajs l^ier eine^ ber ü^jjjigflen 
mufifaüfd^en Salentc einen Sleid^t^um an ©rfinbung ent=^ 
falte, tt)ie er ju ben größten Seltenheiten gel^brt. Slber 
SBagner tuar nid^t immer fo fd^ted^t ju f^red^en auf SWe^er^ 
beerS D<)ern. ®§ ejiftirt ein burd^au^ öon SBagnerÄ §anb 
gefd^riebcner 8luffa| öon fünf gottofeiten über ERe^erbeer, 
ber alle§ übertrifft, »a^ ber entjüdttefte franjöfifd^e Sritiler 
je jum greife biefeg ©om^joniften fd^reiben fonnte. ®icfer 
ganj brudtfertige 8luffa|, tt)a]^rfd^einlid^ ou^ bem ^al^rc 1842, 
ttjar offenbar für eine 3Rufi!§citung beftimmt. SBarum er 
trofebem nid^t jur Seröffentlid^ung gelangte, ift unbefannt; 
fd^abe ift^^ iebenfaO^. »er »efifeer biefeS foftbaren «uto=* 
ffcap^^f Herr Seo SiepmanSfo^n in ISerßn, l^at ed toeidlid^ 
tjor ber öffentüd^en SSerfteigerung brudfen laffen, bamit ed 
nid^t etn)a t)on liebet^oUer Hanb l^eimUc^ angetauft unb un« 



<S. IHeyerbeer. 107 

gflannt aud ber 9BeIt gefd^afft toerbe. 3tiä)t bad ®elüfte 
einer t)erf|)äteten ^ßolemif, fdtibern ber SBunfd^, gerabe an 
äRe^erbeerd Subtiäum- ettoad jur ^Rettung feinet %amen^ 
betjutragen, beranlagt mi6), ben äBagnerfd^en Sluffa^, toon 
toeld^em btel^cr cmffallenb toenig bie 8lcbe getoefcn, l^erbor- 
jufud^en unb einige $au|)tfä|e baraud mitjutl^eilen. 

„Setrad^ten toir bic ©rfd^cinnng äRe^crbecrg," fd^reibt 
8t. SBagner, „[o tocrben toir fotool^I il^rer Xcnbenj atö jumal 
and^ il^ren äußeren Bügen nad^ untoiQfürßd^ an $ anbei 
nnb @lnd erinnert, nnb felbft ein toefentlid^er Xl^eil in 
ber Slid^tung unb Silbung üJiojartg fd^eint fid^ l^ier 
toieberl^olt ju l^abcn. SSor atten Dingen ift nie auÄ bem 
Singe ju öcriieren, bag jene S)eutfd6c inaren, tt)ie 
biefer cö ift ... äRe^erbcer mar fo beutfd^, bag er 
balb in bie Su6ftat)fen feiner alten beutfdften SSorfal^ren 
geriet)^; biefe jogen mit ber botten ßraft be§ 5RorbenS über 
bie 8lt))en unb eroberten ftd^ ba§ fdftöne Statten. SKe^erbeer 
ging nac^ Italien, er mad^te felbft bie iM)l)igen ©öl^ne beS 
©fibenö in feinen Xönen fd^loelgcn, unb bie^ toar fein erfter 
©ieg. äRnJ5 e^ nid^t mit ©tolj erfüllen, ftd^ nid^t nur bag 
frembe ©d^öne ju eigen mad^en ju fönnen, fonbem felbft 
bie, benen mir e§ entnel^men, fid^ ber SSereblung beöfelben 
erfreuen laffen ju fönnen ? aber felbft bamit feigen mir 
ben bentfc^en ®eniuä fid^ nod^ nid^t begnügen, an biefem 
Siege mottte er ja erft nur nod^ lernen. S)ie öerfc^tnim- 
menben, unbeftimmtcn Sttebel be^ Spiritualismus l^aben ftd^ 
ju gormen fd^önen, toarmen glcifd^eS geftaltet, baS reine, 
fcufd^e, beutfd^e S3lut fließt aber in feinen Slbern ; bie ®eftalt 
beS üJianneS ift fertig unb tabelloS — nun fann er fd^affen 
unb Il^aten für bie ©migleit öerrid^ten . . . (SS mar nun 
aber 3Ke^erbeer, ber biefe äRanier ermeiterte, ja ber fie bann 
JU einer allgemein giltigen ftaffifd^en ©d^reib? 



108 €^. ^ansltd. 

axt txf^oi. Sott getDiffen gebräud^Ii^ett ititb poptäwctn 
^tfäfmtn uttb äRdtötnett f^at ix bte tnobertie Bäjxvbaxt gu 
ettteitt grattbiod emfa^ett @ttl gefül^rtv ber bett uttettblid^m 
Sorjug beft|t, ba| er ferne Saftd in bett ^erjett uttb Dl^ren 
beS SSoIlc« ^ai — uttb ttid^t Mo§ afö eitie rafpttirte ®rftti> 
buttg eitte^ tteueruttg^füd^tigett Sop^t^ tyaqt uttb ol^ne ©runb 
uttb ©oben in ber Suft l^erumfci^tointntt . . . äRe^crbcer fd^rieb 
aSeltgcf d^id^te , ©efd^ic^te ber $erjen unb Snt^jfinbungen , er 
jerfd^Iug bie ©d^ranfen ber Slationatoorurtl^eilc, öcmidötetc 
bie beengenben ©renjen ber @j)rad&ibiome, er fd^rieb %f)atta 
ber äRuftI, 9RufiI, toie fte t)or if)m ^änbel, &hxd unb 
SRojart fd^rieben, unb bicfe toaren S)eutfd^e unb SRc^erbecr 
ift ein S)eutfd^er ... 6r l^at fein beutfc^eö ®rbtl§eil be- 
toafycir bie SRaibetöt ber @nH)finbung, bie ffcufd^l^eit ber 
©mpfinbung. Diefe jungfräuüd^ öerfc^önten S^ge tiefen 
©emütl^eS finb bie ^oefie, baS Oenie SRe^erbeer^; er f^at 
ein unbeftedtteS ®ett)iffen, ein lieben^toürbigeg Sctoufetfein 
bcloal^rt, ba^ neben bcn ricfigften ^robultionen oft feftft 
raffinirter ©rfinbungen in feufd^en ©tral^Ien ergtönjt unb fid^ 
bef (Reiben afö bcn tiefen Srunnen er!ennen täfet, auS bem 
aQe jene intf)ofanten äßogen be^ löniglic^en SReered gefd^5|)ft 
»erben." 

3n biefeni lone gel^t eS in niel^r afö 300 langen 3cüctt 
fort. üJian traut feinen äugen nid^t unb fragt ftd^ beftürjt: 
SBie ift e^ ntöglid^, ba§ SBagner, tt)cnn er aud^ nur bie $älfte 
Don feinem fiobedartilel n)irltid^ geglaubt l^at, einige Saläre 
flJäter mit fo leibcufd^aftlid^er Oel^affigfeit über SRe^erbeer 
l^erfaDen unb aQe^ früher ®efagte runbtoeg in bad ©egentl^eil 
t)ertt)anbeln tonnte ? SBir ftel^en l^ier öor einem Slätl^f el, aber 
t)or feinem fd^önen. ©ne beiläufige Slufflärung ücfert öiel* 
leicht SBagnerd ^VL^^ptnd): ,,@§ l^at ettoad tief Setrübenbed, 
beim Ueberblidt unferer Dt)emgefd^id^te nur t)on ben lobten 



(5. meycrbeer. l(M) 

%Viit% reben ju t5nnen, bie Sebenben aber mit fd^oimngd- 
lofcr ötttctfctt öerfotgen ju muffen." S)aö ^«It^ SBagRer 
tooQte nid^t blö| atö ber erfte, fonbem ol^ ber einzige 
Xonbid^tet ber ©egetünart gelten, ©eine ^arteig&ttger l^en 
fid^ natürlid^ nur . im ba$ abfolute SSerbammung^uxtl^eil ge« 
l^alten, baS SBagner in bem Sluffafee „S)aS Subentl^um in 
ber äJiufif unb in bem "^Mi^t „D^jer unb Drama'' gegen 
SRe^erbeer fd^Ieubcrt. Sl^r $a§ f^jrubclt um fo l^eftiger, afö 
fie feigen, bafe tro| il^rer Slnftrengungen bie „Hugenotten'' 
noc^ immer nid^t bon ben „Slibetungen" berbrängt ftnb unb 
neben „Iriftan unb Sfolbe" fogar „3tobert ber Xeufel" ein 
fröl^Iid^eS ©afein fül^rt. 2)ie öon SBagner anbefol^Iene „fd^o^ 
nungSlofe S5itter!eit" lüirb öon feinen Slnl^ängem mit einem 
@ifer betl^ätigt, ber erl^eitemb ttJirfen mü^te, tt»äre er nid^t 
gar fo l^ä^Iid^. So lüurbe beif^jietötoeife ein t)iett)erft)red^enber 
junger lenorift öon feinen SBagnerfd^en greunben veranlagt, 
in feinem SngagementSfontrafte auf bie Maufel ju bringen, 
baJ5 er niemafö öerl^alten ttJerben bürfe, in einer üJie^erbeer- 
fd^en Dtjer mitjutoirfen! 2)iefer ffünftler, ber franjöfifd^en 
£))^ttxi öon Oounob unb üJiaffenet feine beften ©rfolge öer^ 
banft unb für Stollen lüie 3iaouI unb Stöbert tt)ie gefd^affen 
ift, mu^te ftd^ gegen feinen eigenen SSortl^eil urfunbüd^ öer* 
barrifabiren , bIo§ um afö SBagnerianer feinen $aJ5 gegen 
SDle^erbeer ju bezeugen. 

©old^en ^ßarteibeftrebungen gegenüber bietet baS SSerl^alten 
bes ?ßubfihtm8 unb ber Xl^eaterbirectionen bei ber ©entennar^ 
feier äRe^erbeer^ einen erfreulid^en änbtidt. @ie beibe »iffen, 
ba§ fie bem ©d^ö^jfer ber „Hugenotten" ju 2)anf t)er<)ftid^et 
finb, unb freuen fid^, bieg laut unb l^erjüd^ ju bolumentiren. 
®eme feiern mir l^eute bag Oeböd^tnift eine^ SReifterS öon 
ebenfo glänjenbem latent lüie au^erorbentlid^em Äunftberftanb, 
toeld^er burd^ bie SSerfd^meljung reijenbfter SRelobienfüIIe mit 



110 €b. riansM. 

)Hi(tettbein bramattfd^en Sebett ein l^dBed ^ol^l^itttbert long 
miU^ auf bie (demütiger aQer 9lattonen getoirtt l^oi Die 
l^eutige Seter giebt 3^pi^ ^^n ber gonj emsig boftel^ettbeit 
$o^arit&t ber äRe^erbeerfd^en fDpttti, bereu Ie|te$ @tünb« 
lein gemig nod^ lange nid^t gefd^Iagen fyxt 




^m htm ^ttnm^tixkt. 



(ftomildieCiiev in siuei Sitten: SfjlunbSmuridiwi^eteveorncliu«.) 
1890. 

)ts ereignet fi(^ t|in unt» niieber auif itn ^unftleben, ba^ 
ein elfter SDlifietfolg fii^ noi^ 5[a^re« in ftra^Ietibe 
®Iom otctoanhelt fiommt baS ^Putififum im Üaufe bet 3«t 
ba^inter, baf; einem Sfin(tlet übereiltes ((^nöbeä Untei^t lDiber= 
fahren , fo tiflegt eS baä e^ebent SBorent^altene ^itnbertfa(^ 
ju erfefeen, bie Stnertranung jur SSer^errlii^ung ju fleigem. 
Stuf bie erfte ^ßeriobe, bie beä Sfgnorirenä ober SGerurt^eilenS, 
folgt tneiftenS eine f&poäfe ber Ueberfi^it^ung , mä) tneli^er 
etft eine fpätere britte 5ß^afe baä rif^tige ©leii^geloit^t Bie' 
ber ^erftellt. 9lac^ aUebent, loaS man ^eute über @omeIiuS 
}u lefen befommt — e8 ftnb ganje ^rofd^Üren bnrnnter — 
fftieint bai ilffentUi^e Urt^eit ftd) nod) in jenem jmeiten 
©tabiiim, bem ber Ueberfi^älinng, jii befinben, inbem eä ben 
Snonn, an^att i^n einen geiftrcidien, feinen nnb IiebenSn)ür= 
bigen ^nftter ju nennen, o^ne roeiteiä atS einen ber großen 
Unfterb(i<^en, aii ba^nbre<^cnben @eniu3 proftamixt. SRan 
erinnert fl^ beä gemottigen SärmS, mit Welchem »Der a3ür= 
bier Oon Sagbcb" in äSeimar ^ut SSJelt tarn. ®ä mar bei: 

96. ^aniiitl, ÜuS btm tnttbatk tinte <Dltt[\ltt!. ^ 



114 <£^. ^anslxd. 

ü&tnt eiltet, ber mit fra^nbem ©c^oltcr burd^fftKt. ßifjt, 
bet 1858 bie @rftUngdo|)er bed jungen dotnüM lithetyoU 
cinftubirt unb birigirt ^atte, füpe M ^^^^ We rüdffid^tö^ 
lofc älHcl^nung berfelbcn fo tief öcriefet, ia% er fid& fofort 
öom Xl^eater jurüdEjog. @o tt)cttl^in wiberl^attte ber ©turj 
biefer Dt)cr, ba§ burd^ i»ei ®ccennicn jeber S^caterbirector 
bor bem ^SSarbicr" fd^cu auStoid^, toit öor einer gefüllten 
ajombe. SBie fottte öor 32 gal^ren eine fomifd^e Dptx nid^t 
befrcmben, lüeld^e baS maffipe, contplicirte Siüftjeug SBagnerö 
einem Keinen Suftfpictftoff auflub unb ben $örem bie unge= 
ttol^ntefte gciftige Slnftrengung 1 SKan lönnte ben „95arbier 
öon ^agbab" faft einen fd^üd^tcmen SSorlöufcr ber jel^n 
3a]^rc jüngeren „üJieifterfingcr" nennen. Slad^bem einmal baS 
5ßubüfum mit ben äReiftcrftngem befreunbet toax, beren @tit 
fid^ jur öfteren fomifd^en D^jer öerl^ieft lüie greöfomalcrei ju 
aWiniaturbitbd^en , ba erinnerten fid^ bie Xl^eaterbirectoren 
aud& beg „95arbierg öon Sagbab*. ©omeliuS fetbft ^at btefen 
günftigen Umfd^toung leibcr nid^t mcl^r erlebt; fein „8ar* 
bier" aber ift tt)ieber tebenbig gett)orben auf ben bcften beut* 
fc^en Sül^nen. Slud^ baS SBiener $ofo^)ertttl^eater l^at j[e|t 
ben „Sarbier" aufgenommen unb l^at red^ gel^anbeft. S)aS 
SBerf Derbient e^ um feiner fetbft Witten. Ueberbie§ toax 
augenfc^eintid^ einem SBunfd^ unfereS ^ßublifumö entf^jroc^cn, 
ba^ fid^ in günftigfter SJoreingenommenl^eit ju ber Sorftettung 
einfanb. äRit faft befrembenbem 3ubel nal^m es gleid^ bie 
Duöertürc auf, meines ®rad^tenS baS fd^toäd^fte Stüdt ber 
Optx, 3Ran merft eS biefem 83eifattSfturm an, ba§ bie 
SBagnert)artci il^re §anb ober öielmcl^r i^re ^änbc im ©piet 
l^atte. 2)ie Duöertüre auS atten möglid^en Xl^emen ber Dpn 
jufammengefd^üttet, mad^t ben ©inbrudf beS gerl^acften, Sorm* 
lofen unb Ueberlabenen. 2)er Kontponifi ffil^ft fid^ in bem 
f^m^)]^onifc^en SRal^men offenbar unbel^aglid^ unb nerööS auf* 



Der Barbier von Baobab. • 115 

flcreflt; er locd&fclt feine ERotiöe, Ion* nnb Xaftarten ieben 
Äugenblicf, tote bcr SSogel im Ääfig bie S^Jtoffen. ©ein 
Xalent Derrätl^ aud^ l^ierin eine SSertoanbtfd^aft ntit äBagner ; 
tpie biefer bebarf SorneliuS beS SBorteS, lüomögüd^ ber cige* 
nen ©id^tung, afö Slnl^att für fein mufifalifd^eS ßrfinben unb 
Somien. Sfuc^ KomettuS l^at, gleid^ SBagner, ftd^ nid^t öon 
^m^ aus ber SWufif getoibmct, fonbem jtoifd^en 2)id^tlunft 
unb SKufif gefd^toanft. „S)er 2)id^tcr in mir," fd^rcibt er, 
„toax unter großen SBcl^en geboren; ber SKufifer toax ein 
STngfÖtnb öon jel^er; ba tarn aber nun ba§ ©IfidtSfinb, bag 
öon beiben baS öefte l^atte unb mit freiem Klnftterifd^en 
®eba]^ren in bie SBelt lad&te. S)a8 loar ber S) i d^ t e r - 
SKufiler." 2)ie ©d^toäd^e fold^en 2)o^j<)eItt)efen§ offenbart 
fid^ in ber Duuertüre, feine ©tärfe in ber €)ptx felbft. 

SSeim Sfufjiel^en beS SSorl^angeö feigen tt)ir ben jungen 
9iurebbin, t)on flagenben 2)ienem umgeben, franf auf feinem 
IBiöan auögeftredtt. (Sr öerjel^rt fid& in ©el^nfud^t nad^ 
SRargiana, einer x^m gegenüber tool^nenben ©d^önen, bie er 
nur öom 3fenfter au8 lennt. SBal^rfd^cinlid^ toürbe er einen 
erbärmlid^en „SiebeStob" fterben, rettete il^n nid^t äRargiana^ 
(SefeKfd^afterin 95oftana mit ber frol^en Sotfd^aft, il^re Herrin 
erloarte il^n. ©d^neU läfet ber ^eglüdtte einen Sarbier Idolen, 
ber il^n fauber ]^erauöt)U|en fott für biefen S3efuc^. 3)er 
©arbier crfd^eint, ein tt)ürbet)otter SHter mit bcm toeitläufigen 
Slamen Slbiri $affan Slli @bn Sefar unb nod^ toeitlöufigeren 
Sieben. 2)a er, anftatt ju rafiren, nur unabläffig fd^toafet, 
bcfiel^It ber ungebulbige Siurebbin feinen Wienern, ben Sttten 
l^nau^junoerfen. 3)iefer jeboc^ jagt fie, mit feinem aiafir- 
meffer bewaffnet, fömmtüd^ in bie Slud^t. 9tun öerlegt fid^ 
Slurebbin auf§ Sitten unb ©d^meid^eln unb toirb enbüc^ nad^ 
SBunfd^ rafirt. 9tad^ getl^aner Slrbeit toiU aber ber Sarbier 
baS Simmer nid^t öertaffen, fonbem befteiit barauf, SRurcbbin 

8* 



116 €b. Bfansüd. 

äu SDlargiana ju begleiten. Um hm Säftigen loSsutoerbcn, 
lägt 5Rurebbin ben Sarbter auf ba§ Slul^ebett toerfcn, il^n 
mit Äiffen bcbedtcn unb maffiren, ttJöl^renb er felbft ju feinem 
atenbegDoug eilt. S)er jttJeite Sl!t fpielt in ber SBol^nung ber 
3Äargiana. ^f)x SSatcr, ber Äabi ^vi\i(ip\)a, ber fie einem 
reid^en alten Saufmanne öerl^eiratl^en lüill, läfet eben bic 
83rautgefd^enfe be^felben in einer grojsen Äifte l^ereintragen. 
S)a rufen bie SWuejjim jum @titi, ber Äabi eilt in bie 
üJiofd^ce, unb ber fel^nlid^ erwartete Slurebbin fann eintreten. 
S)ie beiben Siebenben finb mit il^rem ®uett faum fertig, afö 
fie S&rm unb ©efc^rei öcmel^men : ber ffabi ift junldEgeIcl|rt. 
Siurebbin, bem feine S^i* ^^^^ bleibt, ju fliel^en, toirb t)Ott 
ben SRäbd^en in ben großen ffoffer Derftecft. äRan geftatte 
uns l^ier bie Semerfung, bajs noir in ber £}ptx nod^ niemals 
eine geräumige Äifte l^aben l^ereintragen unb bel^utfam nieber- 
ftetten feigen, ol^ne bajs nid^t balb nad^l^er jemanb l^inetn 
Derftecft toorben noare. ^m „SSarbier öon SSagbab" »irlt 
alfo biefer SBi| aud^ nur mößig überrafd^enb. Slbul ipaffan 
l^ört, ha^ ^an^ umfd^Ieid^enb, ben Särm unb glaubt, SRureb- 
bin fei t)on bem Sabi ermorbet ttJorben unb liege aU Seid^* 
nam in ber ffiifte. Sltterlei SSoIf brangt fid^ l^erein unb er* 
Ijebt ein großem ©el^eul unb IBörmen , ba§ enbtid^ aud^ ben 
Ä^alifen l^erbeitorft. SBeife, toie alle D^)em^ffi]^aüfen, gerätl^ 
er auf ben finnigen ©infatt, man möge bie Äifte öffnen, um 
gu feigen, ttJaS brin ift. SBirftid^ liegt 5Rurebbin ol^nmäd^tig 
im ffioffer, erl^olt fid^ aber attmöl^Iid^ unb erl^alt burd& beö 
S^^alifen gürnoort bie |)anb SRargianaS. 

@S ttJäre eben nid^t unbefd^eiben, toenn jemanb bicfen ©toff 
etttJaS mager fönbe für eine Dper öon jttjei langen äften. 
SBar bod^ felbft Sifjt mit bem Sibretto nid^t einöerftanben. 
S)ie Sunft beS eom<)oniften l^at e§ aUerbingS öermod^t, un» 
gröfetentl^eifö l^inttjeggul^elfen über bic Sangtoierigfeit ftitt* 



Der Barbier von ^aQbat>, 117 

ftcl^cnbcr ©ccncn; grö^tcntl^eifö, hoi) nid^t immer. 3)aS ge= 
ringe 3tttereffe ber ^attbluttg unb bie uttau^toeid^Iic^ getoor- 
benc lange SluSbel^nung ber einjclnen ©cenen finb ber 
toefentüd^ftc ©intoanb, ber fid^ gegen bag SBerf erl^ebt. ^ai 
aber Sornefiu^ ben ©toff (aug ^^laufenb nnb @ine 9iad&t") 
ol^ne bie nütl^ige SRücfftd^t auf Ieben§t)oIIe $anblung gen)ä]^It, 
fo öerrätl^ er bod^ in beffen Bearbeitung eine fd^öne ^joetifd^e 
95egabung. UeberauS glüdEüd^ ttjei^ er bie bitberreid^e äuS- 
brudE§»eife beS Orients feft^ul^ alten unb burd^ finnreid^e 
3teimfpiele ber 3totte beS SarbierS nationale Sörbung unb 
ed^t fomifd^e SBirlung ju geben. S)iefer öarbier, liteE^elb, 
ffem^ unb ©lanj^junft ber D^jer, ift eine ganj neue, originelle 
Sigur ; er erinnert in feiner brottigen geiertid^f eit an S5oben= 
ftebtS föftüd^en üWirja^Sd^affti, in feiner 3teimt>irtuofität an 
ben 9lbu ©aib öon SRüdfert. 2)er 83arbier öon Sagbab bilbet 
eine Slrt ©egenftüdt ju bem 3ioffinifc^en Sarbier t)on SeDiUa. 
S3eibe pnb @d^tt)äfeer : gigaro ein jugenblidö luftiger , Slbul 
^affan ein alter, le^r^after, t)at^etifd^er. SIK S)ic^ter toie 
afe ®omt)onift l^at ®omeIiu§ in ber Kl^arafteriftif feinet 
öarbierS Originalität unb $umor bettJiefen. 

SBenn noir unS ben mufifatifd^en SSerlauf ber D^jer rafc^ 
öergegenttJärtigen, fo öerttjeilen toir gleid^ mit Vergnügen bei 
bem erften fo toeid^ l^inflieftenben ®l^or „Sanfter ©d^Iummer 
noiegt il^n ein". SBeniger befriebigen unS bie beiben foIgen== 
ben aKonoIoge, in benen Siurebbin juerft feine Serätoeiftung, 
bann fein Siebeöglüdf auSbrüdft. 2)er ®efang öerliert fic^ 
nur ju oft in beclamatorifd^e ^ßl^rafen unb leibet überbieS 
unter ber raftlofen Unrul^e unb bem unaufl^örlid^en Sarben* 
toed^fel im Drc^efter. ©el^r ^übfc^ ift bag Keine, ftreng 
fanonifd^ geführte S)uett jttJifd^en Siurebbin unb »oftana; 
ipräc^tig ber Eintritt beS »arbierg („äRein @o^n, fei Ma^^ 
grieben ^ier, auf ßrben ftetö befd^ieben ©ir"); bag fomifd^c 



118 €6. ^anslicf. 

^atl^od ber äRelobie getoinnt burd^ bte nad^fd^Iagenben äteüne 
eine bcfonbcrc SBiirjc, Slud^ in feinen ftcibcn SSerid^ten über 
bic fed^S ©ruber ftedtt ein ungefud^ter, origincKer ©unurr. 
S)ettt SlHegrofafe: „Sin Stfabemilcr, 2)oftor nnb ©l^emifer" 
ift ein ©leid^e^ nid^t nad^jurül^nten ; er erinnert ju fel^r an 
altere SJorbilber. 2luc^ in ber eigentlid^en 3tafirfcene erfreut 
nng ber ttJadfere Slbul ©affan burd^ wandle gelungene ©teile 
bod^ ttJürbe eine Inop^jere Raffung biefer unbarml^eräig l^inauö* 
gezogenen D^)eration gettJijs jum SSortl^eil au^fc^Iagen. ®or- 
neliuS ftanb i|ier einer f d^tt)ierigen Sluf gäbe gegenüber : er f)at 
einen graDitötifd^en @d^ttjä|er bar juftetten , toeld^er ben 9hi= 
rebbin bi§ jur SSer^toeiflung langttJeilt unb bod^ bag ^ßubli^» 
fiim nid^t langnoeilen fott. (£ine ineite ©tredte entlang ber= 
mag ©orneliu^ biefeS ^ßroblem glüdtüd^ ju löfen, aber bod^ 
nid^t gang bi^ ju ®nbe. Unb gerabe noo er burd^ ©infd^ic* 
bung großer benoegter El^orfcenen einen inirlfamen ©ontraft 
ju ber ©införmigleit ber 9tafirfcene ju fd^affen fuc^t, gerätl^ 
er in ben entgegengefeiten Segler. 3d^ meine bie beiben 
©l^öre ber 3)iener, ttJeld^e ben 2lngriff auf ben Sarbier unter* 
nel^men. Sn beiben gdtten ift bie üJiufif §u lärmenb, f^jef* 
tafell^aft; il^re majstofe Uebertreibung berlel^rt bie beabfid^- 
tigte S'omif in Ifto^tit SBetd^e^ Slufgebot, um einen Sarbier 
bor bie %f)üx p fe^en ! 3)ie feinen contrapunftifd^en ffiünfte, 
tt)eld^e ber ©om^jonift l^ier (tt)ie aud^ in ber SSoIf^fcene bc§ 
ätoeiten Slfteg) anbringt, bleiben gröfetentl^eitö Slugenmufif, bad 
l^eifet Sedferbiffen für bie ßefer ber ^ßartitur ; in ber STuffü^rung 
toerben fie bon ben SattJinen beö Drd^efterS öerfd^üttet. 
S)a§u !ommt nod^, bafe ber jttjeite Sl^or ber gegen Slbul ©affan 
lo^gelaffenen 3)iener eigentlid^ nur ein 3)ut)Iifat beg erften, 
eine SBieberl^oIung berfelben Situation ift unb bemnad^ ein fd^on 
unem<)fänglid^ unb unaufmerffam geioorbeneS 5ßubüfum öor* 
finbet. ©el^r l^übfd^ beginnt ber jmeite Slft mit einem grajiöfen 



Der Barbier von ^aqf>ab, 119 

Smicgefattfl bcr beiben grauen („@r tommt"), loeld^en bet 
^mjutritt bed Sabi sunt Xer^ett emeitert. ©rögtentl^eitö aU 
ffanott burd&gefül^rt , mad^t eö bod^ nirgenbs bcn ©tnbrud 
bc^ ©tfifen, Scrfünfteltcn. S)a« Xcrjett gel^t über in eine« 
bcr »irlfamften, origineKften ©töcfe ber D^jcr: S)rci 
SRuejjim l^inter ber ©cenc rufen au« öcrfd^iebener @nt* 
fcmung jum ®ebet; bic bciben grauen mit bcm Äabi 
nel^men bie (»al^rfd^einlid^ original arabifd^e) äRelobic auf, 
bie fd^Iie^Iid^ in nod^ feineren SJerfd^üngungcn t)om Drd^efter 
toeitergef^jonnen toirb big jum ©intritte Slurebbin«. S)ic 
fiiebcScrllärung biefe« feurigen Slnbeter« unb fein 3)uctt 
mit äRargiana l^aben ntid^ etn^a« enttdufd^t; t^ fel^It i^nen 
ber ftarfe 2)uft ber Seibenf d^aft , bie ßraft unb Sicul^eit ber 
äRcfobie. $icr, tt)o ©omeliuS, auf comt)Iicirte Segleitung 
öcrjid^tenb, rein burd^ ben melobifd^en ©cbanfen toirfen toiU, 
vertiert er alle Originalität. Slfe er öoKenb« bie beiben 
Siebenben über 40 lafte lang unisono fingen Iä|t, öcrüert 
er fid^ felbft unb ber Snf)öx^x bie äufmcrffamfeit. 2)ie 
jälagcn 9lbufö unb beS SRönncrd^or«, tocld^e burd^ ^injutritt 
ber ÄIagett>eiber jum fd^ncibenbften 3<iintn^i^ antoad^fen, 
überfd^reiten für meine ©ntpfinbung atteg 23ta%, toit and) 
bie Salgerei um bie enbloS ^in unb ^er gcjerrtc ^fte. S^^ 
©lüdfe Irönt bie lang l^inauggefd^obene ®nttt)tdHung ein 
©d^luggefang, ber, jum Stile bcS erftcn Sßte« jurüdEgreifenb, 
uns in ber redeten Stimmung unb mit bem günftigften 
einbrudte entläßt: SlbbuK ^ulbigung an ben Sfl^aKfen: 
„^ül biefem $aufe, bcnn S)u tratft ein, ©alamalcifum !" 
®ag Stüdt, geiftreid^ unb ftimmungSöoH , überrafd^t in«* 
bcfonbcre bur^ ben reid^cn SBcd^fel ber ^armonifirung in 
bem jebe^mal Dom gangen (Sf)ox aufgenommenen ätefrain 
@alamaleilum V* 

SBenn ComeKu« in einem ©riefe äußert, baß feine SKe* 



120 €b. fJansUrf. 

lobienbilbung „auf bcm SBagnerfd^en SBcgc gcl^t, o^m plattt 
SRad&al^mung ju fein" , fo cntf|)rici^t bic^ bcr SSal^rl^cit. ffir 
fd^üc^t fic^ an SBagncr nur um ein ©eringe^ näl^er an, afö 
$emtann ®ö| in ber „SBiberf^)enftigen". SKanc^e ©tüdfe im 
„öarbier" ftel^en ööttig auf bem öoben ber alten £)ptx, toxt 
j. 83. baS lerjett „@r fommt". SBagnerifd^ ift l^ingegen bie 
bedamatorifd^e Se^anblung aller nic^t rein t^rifd^en Stellen, 
bie aSorüebe für ©nl^armonif unb lül^neS äRobuIiren, öor 
attem aber bie Sel^anbtung beS Drd^efterS, bag eine überaus 
ttid^tige, oft bie toid^tigfte 3iotte f^jielt im „öarbier". S)ie 
3nftrumente finb forttoöl^renb in eifrigftem ®ef^)rad^, toeiter 
au^fül^renb, erttärenb, malcnb, beftreitenb, noaS oben gefungen 
mirb. 2)er mufiffunbig fotgenbe $örer ttJirb öon biefem reid^en, 
toed^fefootten Drd^efterbetail unau^gefefet befd^äfttgt unb ange* 
regt, faHö il^n nid^t ))Iö|ttd^ einmal bie 3bee überfommt, er 
fi|e auf einem geiftreid^en Slmeifenl^aufen. 2)er „Sarbier öon 
Sagbab" entl^ätt feine birecte „Siemini^cenj" auS SBagner, 
aber er ift burd^au^ @in gro^eg ©rinnern an SBagncr. S)ie 
ganje ^ßartitur ift gteid^fam mit SBagner imt)rägnirt, mit 
SBagner unb Serttoj, beffen „8tömifc^er ^axntt)aV* in ber 
Duöcrtüre unöerf ennbar , ftettentoeife fogar wortgetreu nad^* 
Hingt. äRit »erlios trifft ©omeüuS aud^ in ber ärt ber 
SBirfung infofem jufammen, afö ber „95arbier'', ö^nlid^ toit 
„Seatrice unb Senebict'', me^r ben äRufifer intereffirt, afö 
ba^ grojse ^ßubttfum befriebigt, mel^r geiftreid^e Slnrcgung 
bietet, afö eine unmittelbar ^jadtenbe SBirfung. ©ättcn toir 
öon Serlioä, beffen »ebeutung in ber f^nH)]^onifd^en äRufif 
liegt, nid^t^ afö feine Dpttn, lüir müßten Korneliu^ i^m 
minbeften« gleic^ftetten. ®egen „Seatrice" gehalten, erfd^eint 
mir ber „Sarbier öon Sagbab" afö bie beffere fomifd^e Dper. 
ein fiarfeg, urf»)rünglic^e^ äRufifgenie Dermag id), noie gefagt, 
in ffiorneliuÄ nid^t ju erfennen, am toenigften ein in ber 



Der Barbier von Ba^ba^ 121 

SRelobic oriflittettcS unb erfinbung^reid^cö ; lüol^I ober ift er 
ein ^art ettt^jfinbcnbcr, feiner unb benoegüd^er ®eift, ber oud^ 
einen gen^öl^nlici^en ©ebanlen aufjufd^ntücfen n^ei^ burd^ ))ilante 
{ftl^^tl^mif , intereffante Drd^eftration unb eine nid^t gctt)öl)n== 
lid^c l^amtonifd^e unb contra^)unftifci^e ^nft. SSon fc^arfem 
OcttJürj, ttJoju toir auc^ ben fcl|r tiäufigcn Xafttocd^fel äö^Icn, 
nitttttit er gern eine DoIIc |)anb ; 83iäarre3 unb Ucbertricbcnc^ 
bringt er l^aufig, gerabeju Xribiale§ niemafö. 3)ic ?ßerlen 
ber Dptx l^aben noir nad^ Oebül^r tieröorgel^oben ; toai unS 
nod^ ttjcrtl^tjotter fd^eint, ift ber gug Don SiebenStoürbigfeit 
unb guter Saune, n^eld^er bad ®anje ein^eitlid^ burd^ftrömt. 
S)aS $ubü!um f^jenbetc ber D^ptx unb f ömmtüdöen 3Rit= 
toiricnbcn bie ttJörmftc Slnerfennung. SBJie traurig, bajs Sor- 
neUu§ biefe Sluffill^rung , biefcn ©rfolg nid^t ntel^r ertcben 
foKte ! SBer i^n tjerf önlid^ gcf annt, ben üebenSttJürbigen, ge= 
mütl^öotten 3Kann, ben fein ©ntl^ufia^mu^ für SBagner niemafö 
unbillig, niemafö gel^öffig gegen änbcröbenfenbe gemad^t ^at, 
ber mod^te fid^ geftem fagen, ba§ biefem fd^önen Slbenb eigcnt- 
lid^ ba^ »cfte fehlte. 



^f er f 0rfbÄrlrter" nm ^Aitnk. 

(1890.) 



S)cr S)orfbarbicr im ^ofo^cmtl^catcr! @cit ctma fcd^jig 
Sagten ^ai er \x6) an bicfcr torncl^nten ©tättc nit^t mcl^r 
blicfcn laffcn unb fein SRaftrjeug nur in bcn Sorftäbtcn gc^ 
l^anbl^abt. Slbcr feine SBiegc war bod^ ba^ ^oftl^eater näd^ft 
bem ßärntnertl^or, ba^ lann il^nt niemanb ncl^men. S)ie ^anb* 
lung freiließ ift gar nid^t ariftofratifd^er ^erlunft ; nod^ üiel 
älter afö ba§ @(^enff(^e ©ingf^iel, ^ai fte burt^ mel^r ate 
ein ^af)xf)nnhtxi alle mögltd^en S33anblungcn burd^gemat^t. 
S)er „S)orfbarbier" blül^tc fd^on ju 3^ü^tt i>^^ eftemporirten 
S'omöbie; jeber neue Suj ober Sbam brad^te aud^ neue (Sin> 
fäHe unb Variationen hinein, bis eines XageS — baS ,,regel' 
mäßige ©(^auf^ieP befolgten würbe. S)a fammelte 5ßaul 
SBeibmann (ein ©ruber beS trefflid^en ©d^auf^ielerS) auS bem 
©ebäd^tniffe attcS Sorl^anbene ju einem Suftf^iel, unb „S)er 
S)orfbarbier" tourbe im SJurgt^eater ein XummeI^)Iafc fröl^Iit^ett 
äJlutl^willenS. S)ie beften ©d^auf^ieler terfd^mäl^ten eS nit^t, 
barin auf jutreten ; einmal lieft ftd^ fogar ber berül^mte Xragöbe 
©rodEmann ate einer ber „®efd^toorenen" im S)orfbarbier 
jum Sw^rf beS 5ßubüfumS üon Suj einfeifen. 3n biefer ®e*= 
ftalt, afe Suftf^iel, erfd^ien ber S)orfbarbier jum lefcten ERal 
im gal^re 1796. Unb tote ift er D^er getoorben? ^o^tpf^ 



Der Dorfba.rbier. 123 

SBcibtttann fanb afö neu ernannter 3legiffeur ber S)eutf(^en 
D))er im ate^jertoire fel^r wenig Meine @ingj')}ielc tor unb 
fa§te bie glücttid&e ^itt, ben ©toff beg ,,S)orfbarbier" ju be^ 
nu|en. S)ie beiben ©ruber SBeibmann bearbeiteten ba^ Sibretto, 
il^r gemeinfamer greunb ©d^enf fd^rieb bie äJiufil. S33ie 
griebric^ Sreitfc^fe erjä^It, lag ba^ ©ingf^iel fd^on feit SRo:^ 
naten fertig, blieb aber toegen „verbreiteter übler Sftad^rebe" 
beifeite gefd^oben, bi§ eines SagS bie gleid^jeitige ©rfranlung 
mel^rcrer Sänger jur Sluffül^rung be§ „S)orfbarbier" nöt^igte. 
»ei ber erften Sluffül^rung im ffiärntnert^or^^Xl^eater (30. Df= 
tober 1796) f:fieften alle SRitwirlenben fo fd^üd^tern, ba§ ba§ 
©angc leine SBirlung mad^te. S)er befd^eibene Eomponift 
l^atte nid^t einmal getoagt, ftd^ auf bem Il^eaterjettel ju 
nennen.*) ^n ben folgenben SBieberl^oIungen trat man aU- 
mäl^Iid^ fül^ner auf, unb anä) ber Eom^onift toarf fein 3n= 
fognito ai. S)er ftetig ttjad^fenbe S3eifaII fteigerte bon Xag 
ju lag bie gute Saune unb ben SRutl^millen ber S)arftetter. 
3m Safd^ing 1804 fanb man eines SlbenbS bie Sebl^aftigfeit 
ber ffomifer ju grofe, unb bie folgenbe SSorfteHung foHte bie 
I e fe t e fein. Slbam rettete baS jum Xobe berurtl^eifte ©ing- 
fljiel burd^ ein l^eroifd^eS äJiittel. @r erfd^ien in Xrauer^^ 
Heibern, mit langem glor um ben §ut, unb afö Suj mit il^m 
ju janfen begann, f^jrad^ er toeinerüd^ in feierüd^em ^od^* 
beutfd^: „iperrSuf, l^eute jum legten äRale werben Sie mir 
alles in ®fite fagen!" S)ie 3wfd^auer erful^ren fd^neU bie 
S3ebeutung biefcr 3m)}rot)ifation unb erreid^ten burd^ ftürmifd^e 
S)emonftration bie gurüdEnal^me beS SSerboteS. Sogar in 



*) 2)er ^^feeaterjettel bvad)te folgenbe empfe^fenbe Söemerfuiig : 
„^aS Suftfpiet biefeS Sf^amenS ift befannt unb immer mit SBeifaH auf^ 
genommen roorben. 3)ie fomifctjen 5luftritte barin gaben ^nlafe, bafe 
m(xn eS jur Oper umfd)uf. 3)er 2^onfc^er §at bie intereffanteften @ituo= 
tionen genügt unb in SJJufif gefegt." 



124 ^^ ^ansHa. 

ariflofratift^c Sreifc brang bcr „S)orfbarbter". @r erft^icn 
in itaKettifci&er Ucbcrfefeung auf beut ©(^lofetl^eatcr bcS gürflen 
Äarl Slucr^^crg, für toclt^e^ ©d^enf fd^on ntcl^rerc Dpttttttn 
gcf einrieben l^atte. S)er trcffUd^e SJaPuffo 85 r o « (^ i gab bcn 
Suj: uttb bcr berühmte D<)emcotti()Ottift Serbinanb $acr ben 
Slbam. Slud^ getanjt tourbe ber „S)orfbarbter" afö ©aUct. 
SJlit bctt Salären nal^nt ba^ ©oftl^eater öorncl^mere ©ittcn an ; 
man fanb bic berbcn ®p&%t l^ier nld^t mel^r ant redeten $Iafc. 
Site ju Slnfang 1807 bic bctbcn ©oftl^catcr eine neue S)irectiott 
erl^ielten, begann biefe il^r 2lmt mit einer ©id^tung be^ 9lc* 
^ertoire^ unb ftrid^ bei biefer Oelegenl^eit aud^ ben ,rS)orf' 
barbier". S)iefer bettjie^ aber neuerbingS fein jäl^eg Scben. 
2lm felben Slbenbe melbcten fid^ faft alle crften ©änger 
unb Xänjer franf; e§ fonnte am nöd^ften Slbenb ni6)i^ 
Slnbere^ gegeben ttjcrben, afö ein Heiner SJaHetbiüertiffement 
unb — ber „S)orfbarbier". SJian begnabigte il^n nötige* 
brungen unb Iie§ ben großen SJiann fortan ungeftört feine 
ttjunberbaren ©d^infenfuren fortfe^en. SSorjüglid^ blieb er 
ein Siebling^ftüdE bei fjrcitl^eatern. 3« einem fold&en über= 
mäfeig üoHgebrängten greitl^cater lam Saumann atö 8lbam 
tor ben SSorl^ang mit einer riefigen ©lutl^^fanne unb räud^crte. 
Subelnb bebaniten fid^ bie gemütl^Iid^en Sufd^auer. S)iefer 
SJaumann, ein geborener ff omif er bon f^rubelnbcr ßaune, 
gab ben Sbam in mel^r atö brei^unbcrt Sorftettungcn. ©ein 
?ßortröt in biefem ffoftüm l^ängt in ber ©d&auf^jielergalcric 
be^ SJurgtl^eater^. 3Kit feltener Slu^nalöme ftanben il^m immer 
SBeinmüIIer atö Suj unb Sogel atö 9lunb jur ©eite; 
beibe D^jcmfönger crften SRange^. SBeinmüIIer toar bcr ©a* 
raftro, ber Sigaro, bcr erfte 9locco im ^ofo^cmtl^catcr. SSogel, ber 
große ©d^ubertf änger , galt jugleid^ für ben beften S)arfteIIer 
bc« «(maöiba in ,,gigaro§ ^od^jcit", be^ Drefteg in ®IudS 
f/3)>^igcnie" unb anberer Haffifd^er ?ßartien. 3Ran erficl^t 



Der Dorfbarbtcr. 125 

an^ bicfem S9cif<)icl, ba^ früfier jttjifd^en bem ernften unb bcm 
fomifd^en SRoUcnf ad^ feine fo ftrenge ©d^eibung beftanb; fo- 
bann, bafe fclbft für Keine ©ing^iele am ipofo^emtl^eatcr eine 
boHfomntcne mufifaüfd^e Slu^fül^riing verlangt tourbe. äJiit 
ber junel^menben Verfeinerung bcr ^ofbül^nen mufete ber 
totcberl^oft gefäl^rbcte „S)orfbarbier" bod^ cnbüd^ ba^ Selb 
räumen. @r ftüd^tete in bie SSorftabttfieater, too er nod^ in 
unferen Xagen jeitmeilig bie alte i&eiterfeit crtoedft. SBir l^aben 
il^n julefet in bem Keinen „@tram))fer'X]^eater" unter ben 
lud^Iauben, mit Sd^toeigl^of er afe Slbam, gefeiten. 

SBol^er nun ber aufeerorbentlid^e ©rfolg, bie l^unbertjäl^rigc 
SebenSbauer bief e§ Meinen, anf))rud^^Iof en S33erf e^ ? S)ie ^o))u* 
Iure S33irfung lomifd^er @ingf))ielc gel^t immer junäd^ft bon 
ber i&anblung, bom Xejte auS. @o ttjenig tt)ir ©d^enl^ 
SRufif untcrfd^äfeen, niemafö l^ätte fie aHein einen fd^mad^en 
%tict jum @ieg geführt, gefd^meige benn bi§ l^eute nad^gettjirft. 
Slber toetc^ üoHStiümlic^er ©toff, biefe^ löftlid^e ©rbftüd ber 
alten ejtem^orirten ffomöbie ! ®§ ftedEt ettoa^ Unbertoüftlid^e^ 
in bief en ber SBirfüd^leit abgelauf d^ten Figuren : ' bem auf ge=^ 
Mafenen, albernen Duadffalber unb feinem ©efeUcn, biefem 
©d^Iaud^ üoÜ SRutterttJi^ unb fomifd^er @<)rud^tt)ei^]^eit. S)ie 
fd&ncHgetröftete SBittttje beS ©d^miebeS, ber falbungSbottc 
©(^uttel^rer 3lunb, bie auf ber 3lafierbanf iapptlnbtn ©e- 
fd^toorenen, enblid^ ba^ muntere Siebe§)}aar Sofep^ unb @u«* 
d^en — fie alle finb inbibibuett, d^arafteriftifd^ , au§ bem 
Seben gegriffen. S)ie ^anblung, in ttjeld^er biefe ^erfonen 
mit unb gegen einanber arbeiten, enttoidfelt ftd^ natürüd^ unb 
in lauter brottigen Situationen. 3n biefem Xejtbud^ finbet 
ber (£om<)onift bie SBirfung faft fertig öor, er l^at biefelbe 
gleid^fam nur ju unterftreid^en. Unb ba^ l^at ©d^enf meifter* 
lid^ getroffen, ©eine SJhtfif pm S)orfbarbier ift jugleid^ naib 
unb d^arafteriftifd^ , fie fliegt leidet unb fröl^üd^ bal^in, ol^ne 



126 €b. ^ansltrf. 

bcleibigenbc Iriüialttät. SBic uttgefud^t fontifd^ Hingen bie 
@tro))f|enIiebcr SfbamS unb bic F-dur-STric be^ Suj': „©fcr^ 
fud^t unb atad^e!'' ®a§ ®tpidt „®ott grüße ©iic^ ing^rcn!" 
erinnert in feinem mclobiöfen ^In^ unb feiner bramatifd^en 
Sebenbigfeit faft an äRojart, ben STbgott unfere^ ©d^enf. Um 
einige geföl^rlid^e Situationen , ' too ber ®pa^ ettoaS unfieim* 
lid^ ju toerben brol^t, toeiß ber ©om^onift ret^t gefd^idEt 
l^erumjufommen. ^m „S)orfbarbier", toie in allen alten 
SSoIfgftüdfen, toorin bie S)octoren gel^ed^elt ttjerben, f))ielt aud^ 
Oebatter ^ain eine 3loIle. SBenn gleid^ ju Slnfang bie Stad^» 
barin mit ber Älage eintritt, il^r SKann fei an ber @d^inlen== 
für geftorben, unb toenn fpäter ber ©d^ullel^rer bem t)er= 
meintlid^ vergifteten ^o^tp\) ein ©terbelieb fingt, fo ^pxtttn 
bod^ red^t büfterc SSorftettungen in ben Sd^erj l^inein. Unferc 
alten ^offenbid^ter faßten aud^ ben lob nid^t fentimental. 
gür bie aKuftf, bie faft immer affeltirt unb abertoifeig toirb, 
too fie ätt)ief)}altigen StuSbrudt erflügeln Witt, finb Situationen 
tt)ie bie genannten nid^t leidet. SRur Sftaibetöt fd^reitet, bem 
5Rad^ttt)anbIer gleid^, l^eil an biefem STbgrunb vorbei, ©d^enf 
befaß biefe Sftaiöetät; er trifft mü^elog baS SRic^tige, inbem 
er XraurigeS ^toax anbeutet, aber Iraurigfeit nid^t auf* 
fommen läßt. 3Rerftt)ürbig ift ber ©ffeft, ben er in bem 
Xobtenüeb burd^ gebäm^fte Xxomptttn l^eröorbringt. 3)ie 
©orbine ber Xrom^ete (eine Heine l^öljerne Stöl^rc, bie in bie 
©türje eingefd^oben tt)irb) ift feit bem vorigen ^^^^^wnbert 
faft ganj außer Oebraud^ gefommen. @rft SRid^arb SBagner 
l^at ben bünnen, burd^bringenben Xon ber gebäm<)ften Xrompete, 
bem eine ganj eigne fd^auerfid^e Äomif innewol^nt, »ieber 
d^aralteriftifd^ t)em)enbet: in ber ©cene, too SJlime bei bem 
®ebanfen aufjaud^jt, fid^ ©iegfriebs ju entlebigen, bann in 
ben „äJleifterfingem", toenn Sedtmeffer von bem ©efd^rei 
unb ^ol^ngeläd^ter ber äRenge verfolgt toirb. ©d^enfö melo* 



Der Dorf barbier. 127 

biöfcö Xaltni entbel^rtc nid^t be^ guttbamentc^ einer grüttb== 
lid^ctt muftfaUfd^en SSübung. S^ai bod^ SJeetl^obctt, ber 
il^ni jeitleben^ ein toaxmtx Srcunb geblieben, bei ©d^cnl ein 
Söl^r lang Eontra^)unft ftubirt. 3taä) feinen mufifaüfd^en 
ffenntniffen »äre ©d^enf tool^I befäl^igt getoefcn, ©röfeere^, 
©mftcre^ afö ben ,,S)orfbarbier" ju fd^affen. 3ta6) feinen 
Äenntniffen, nid^t nad^ feinem Xalent. @r ^at fid^ in feinen 
legten Seben^jal^ren bamit abgequält, eine gro^e Dptx „naä) 
®Iudf^ ©runbfä^en" ju conn^oniren, aber fein ®eift erlag 
ber aufgcbürbeten Saft; er berficl, toie ©e^frieb crjäl^ft, in 
Irübfinn unb ©d^toermutl^, enbüd^ in ein leben^geföl^rüd^eS 
SRerüenfieber. 2lfö attmä^Iid^ feine ffrafte jurücRel^rten, ttjar 
fein ©elbftöertrauen gef d^ttjunben ; er t)erjttjeifette an feiner 
gö^igleit unb liefe bie ?lrbeit unöoHenbct. ^ol^ann ©d^enf, 
geboren 1761 in SBiener^SReuftabt, ift erft (£nbe S)eäentber 1836 
geftorben. 

e§ öerftefft fid^, bafe bie SBirfung beS „S)orfbarbier" öor 
altem öon ber fomifd^en Kraft ber S)arfteIIer abl^ängt. ßuj 
unb Slbam, bie beiben Xräger beS ©tüdfe^, muffen eminente 
ftomiler fein; nad^ ©timme unb Oefang^Iunft fragen toir nur 
nebenbei. S)arum ))flegt aud^ ber „S)orfbarbier" in Ileinelt 
Il^eatem ergö^Iid^er ju wirfen, atö auf großen D^jembül^nen. 
©elbft bie befferen S)arfteIIer in unferer ©:pieIo:per f^nb bod^ 
feine eigentüd^en ffiomifer; fel^It il^nen nid^t bag Xalent, fo 
fel^ft il^nen bod^ ber 3Kutf|, fo lomifd^ ju fein, ttjie il^re Sl^n^ 
l^erren e§ ungeftraft fein tonnten. äRit biefem SSorbel^alte 
muffen mir bie Sluffül^rung beS „S)orf barbier" im ^ofo^)em^ 
tl^^ater bortrefflid^ nennen. S)ie ganje SorfteHung toax muft* 
falifd^ öoHtommen unb txtoedit bon Slnfang big ju ®nbe bie 
ungejtoungenfte ^eiterleit. äRan l^örte lieber einmal öon 
iperjen lad^en — ein Vergnügen, beffen unfere im^)ofanten 
D))eretten un^ aUmiä)lx(i) entnjöl^nt l^aben. 



,,§ttüxitt ttttJi f ^ittbirt" trim fetter f erlto^ 

(@rftc Sluffü^rung im ^ofopemtl^catcr am 20. SRftrj 1890.) 



ajJan mug ftd^ in^ ©ebäd^tni^ rufen, ba^ ^erlule^ auc^ 
einmal SBoHe aufgetoicfelt unb ©imfon Oetreibe gemalzten 
l^at, um fid^ SJerlioj afö ©omponiften einer lomift^en Dptt 
torftellen ju Jfönnen. 2lug feinen lonbid^tungen fennen tt)ir 
il^n ate einen revolutionären, nur auf l^öd^ft Seibenfd^aftlit^eÄ 
unb ))]^antaftif(i^ Xragifd^e^ gerichteten ®eift; au^ feinen 
©d^riften^ afö l^arten Sl^feten, bem alle Unterl^altungSmuflf 
— aud^ im toeiteften unb beften ©inne — ein ©r^uel toax, 
Sn^befonbere öerabfd^eute er bie fomifd^e Dptx unb ))ftegte, 
toa^ il^m am tcrad^tungS* unb üernid^tungStoürbigften erfd^ien, 
auf ben S3egriff „Opöra comique" ju l^äufen. S3Ser il^n 
boHenb^ ))erfönUd^ gelaunt l^at, ben SÄann mit bem tt)ilben, 
grauen ^aarn^alb, bem finftern SSIidf unb ber ^)effimiftif(^en 
SBeltberad^tung , ber toürbe alleg Slnbere el^er ton il^m er* 
tt»artet l^aben, afö eine l^eitere @))ieIoj)er. @S toax leine 
S)elila, fonbern ber berill^mte ©^ieipad^ter bon S3aben*S9abett, 
Sönajet, ber unferem mufifalift^en ©imfon bie SodEen ft^nitt 
unb il^n ber fomifd^en Dpa überlieferte. 8luf SJönajet^ ®itt=» 
labung l^atte SSerlioj burd^ mel^rere ^äf^xt in 83aben*83aben 
attjäl^rlid^ ein gro§e§ Koncert gegeben, meiften^ eigene ®om* 






Beatrice unb Benebict. 129 

<)ofitiottcn. S)a untcmal^nt bcr ^^ffiönig bon Saben", tote 
Senajct genannt tourbe, bcn 83ou eines neuen %f)taitx^ unb 
beftellte für bie ©röffnunö^feicr eine lomifd^e €)ptx bei Seriioj. 
©c^nett entfd^Iiefet ftc^ biefer für @^afeft)eareS Suftf)}iet „Siel 
Öärm um Sftid^tS" unb fd^neibet fid^ felbft ein Sibretto barauS. 
Sr änbert nur ben für ben EonH}oniften gefäl^rlid^en Xitel unb 
öerfid^ert , eS ttjerbe in „SJeatrice unb Senebict'' auf feinen 
gatt „öiel Särm" torfommen. S)ie erfte Sluffül^rung fanb am 
9. Sluguft 1862 ftatt; ^ntit großem ©rfolg", wie »erlioj 
fd^reibt — mit fel^r fd^ttjad^em, wie beutfd^e Slätter berid^teten. 
S)ie jnjeite Sluffül^rung folgte am 11. Sluguft; eine britte 
l^at nid^t ftattgefunben. Serlioj ftanben für feine Dptt bic 
beften ffräfte ber ?ßarifer Opöra comique ju Oebote; bie 
®!^arton*S)emeur („une femme d'assez d'esprit") fang bie 
Säeatrice, ber oortreffßd^e Xenor SKontaubr^ ben Senebict. 
3n ©^alef^eareS „SSiel Sürm um Sftid^ts" ftnb jwei i&anb* 
lungen ineinanber oerf d^Iungen ; eine emfte: baS burd^ S)ott 
3uan§ Stttriguen oerftörte SiebeSOerl^ältnig jtoifd^en |)ero 
unb ©laubio, unb eine l^eitere: ber luftige ffrieg SSeatriceS 
mit SSenebict. ^tit biefer beiben ^ßarattellöanblungen ^at für 
fid^ ben ©toff ju einer D:per geliefert: SBertonS „Montano 
et Stephanie" bel^anbelt bie ernfte, Serlioi' „Seatrice unb 
Senebict" bie luftige ©ölfte bcr @^afef^)earcfd^cn ßomöbie. 
Scriioj nimmt an, ba§ §ero unb Efaubio bereite oerlobt 
finb, unb Iä§t fie ruffig in i^rem ®Iüdfc fd^ioetgen; befto 
lebhafter befc^äftigcn i^n SJcatrice unb SJencbict, bie beiben 
®^cfeinbe, bie einanber mit nid^t oerfiegcnbcm ©pott ^erauS* 
forbem, um fid^ fd^Iie^Iid^ — ju ^eirat^en. Sitte übrigen 
^erfonen beS StüdEcS gru<):piren fic^ aU SRcbenfiguren um 
biefe beiben, benen fie gteid^fam nur ba§ ©tid^toort geben. 
3n atten entfd^eibenben ©cenen l^at Serlioj ben ©l^afefpeare* 
fd^en Xcjt wörtlid^ beibel^alten. S)ie ^)offen^aften @^)ifoben 

@b. ^an^lid, 9(u3 bem Xage6u(^ eines lanuftfecS. ^ 



130 <Hö. f^ansHrf. 

utttcrbrtidEt er unb crfc^t fic burd^ anbete feiner eigenen ®r* 
finbung. S^m allein gel^ört bie fontifd^e gigur be« StaptU^ 
mcifter« ©omarone, in todä^tm angeMid^ SerKoj feinen 
SBiberfad^er getiS perfiftiren toottte. 

golgen wir bem ®ang be^ ©tüdEe^. S)ie Duöertüre 
öertoenbct jtoei contraftirenbe Sternen au§ ber Dper. S)aS 
leidet fd^erjenbe Slllegretto, bag tt)ie luftige^ Sunfenf^)rü]^en 
Hingt , ift bem @d^Iufe^S)uettino entnommen; ba§ fd^toer* 
mütl^ige Slnbante gel^ört ber Sfrie SeatriceS im jttjeiten 8Ht. 
S)ag l^eitere SRotit) gettjinnt balb bie Dberl^anb unb bel^alt 
fie big jur legten SRote ; leiber wirb eS nid^t eigentUd^ burd^* 
gefül^rt, fonbern meiften^ in ermübenben SBieberl^oIungen 
fortgef^)onnen. §err SRid^arb ^ol^I, ber ®cneralj)äd^ter ber 
beutft^en SJerKoj-aJegeifterung, nennt fie bie fd^toöd^fte aller 
feiner Duüertüren; ein Urtl^eil, bem id^ nid^t beiftimmen 
mb6)tt. @ie ift fein EReifterftüdf , aber eine ed^te Suftf^iet 
Dntjertüre unb jlebenfalls Harer, natürlid^er, id^ möchte fagen 
mufifalifd^ anftänbiger afe bie Duöertüren ju »SBattjerle^", 
ben ^aSe^mrid^tern" unb bem „Sorfar". S)ie £)ptx eröffnet 
ein überaus atttäglid^er, öon ^a^n fräftig jufammengeftri* 
d^ener geftt^or. hierauf toirb eine ^©iciüenne'' gctanjt, ber 
eS nid^t an jierlid^em Kontur, tool^I aber an l^eHer, fräftiger 
Sarbc gebrid^t. SBie biefeS lanjftüdE ol^nc eigentlid^en 
©d^Iufe öcrbuftet, fo öerüfd^t e§ aud^ f^JurloS im ©ebät^tnife 
be2 Su^örer«. 2lboIt)]^e ^ullien, aU ©eneral^äd^ter ber 
franjöfifd^e ffottege 9lid^arb ^ol^fe, meint, biefe ©icifienne 
mü^tt ben SReib SluberS erregen! ^err SuHicn toirb bod^ 
einmal bie SaÜetmufif in ber „Stummen öon ?ßortici^ ge* 
prt l^aben? 6s ft^eint, bafe SJerliog, ber feine Xanjnmfil 
ft^reiben fonnte, fid^ aud^ feinen geftmarfd^ jugetraut l^at, 
»ar bod^ für einen folt^en gerabe l^ier, bei ber JRüdfel^r beS 
ftegreid^en ^eereS, bie fd^önfte ©elegenl^eit. ^ero bleibt aHein 



/ 



Scatrtce nnh beneblet 131 

auf ber SJül^ttc jurüd, um i^rcr ©el^nfud^t xtaä) bcm cttDartctcu 

©räutigam iu eiuer Slrie Slu^brucf ju geben. S)a^ Slnbontc 

Hingt jatt unb träumerifd^ , befto trivialer ber 8lttegro'©a^, 

tocld^er 5u unferem maßlofen ©rftaunen in einen langen, ge* 

ft^ntacHofen ffoforaturfd^ttjanj auSgel^t. S)on 5ßebro erfd^eint 

mit ben SRittern, unb fofort entf)}innt fid^ baS necfenbe 3Bort= 

gefeii^t jtoifd^en S3eatrice unb ©enebict in einem fe^r langen 

S)uett. S)er beclamatorifd^ gel^altene erfte Xl^eil ift, njo er 

bie Stimmen nid^t in bum:pfer tiefer Sage fcftl^ält, red^t 

toirffam; ber fc^neHere ^ttjeite friftet fid^ mit atttägüd^en, 

oltmobifd^en 5ß]^rafen. 2lud^ öon bem borauffolgenben S^er^ett 

ber brei greunbe ift baS SSefte ber ?lnfang, S3enebict§ l^crj^ 

^after SluSruf: „^d), ©l^emann? ®ott foH betoal^ren!", ben 

bie beiben Saffiften in lernen ttjieberl^olen unb meiterfül^ren. 

Sm »eiteren SSerlaufe ~ unb ber Serlauf möl^rt lange ! — 

toirb aud& biefeS Xerjett gettJö^nlid^ unb ermübenb. Sftun 

eilt ber S'a)}enmeifter ©omorone mit feinen ©öngern ^erbei 

unb lägt fie bie ^od^^eit^-Kantate pxoUxtxt. ©d^on bafe 

biefc mit ben SBorten beginnt: „D ftirb, ^olbefte^ $aar!" 

gel^ört ju ben bebenfüd^ften ®p&^tn ; bafe fie afö S)o:()^)eIfuge 

com^onirt ift, ju ben fd^ttjer öerjeil^Ud^en ©efd^madflofigleiten. 

SSerlioj l^agte bie fjorm ber guge unb t)erf^)ottete fie, tt)o er 

nur fonnte. Irojbem mad^te er felber lüeld^e; freilid^, tt)ie 

er borgiebt, nur in :()arobiftifd^er Slbfid^t, aber — guge bleibt 

bod^ guge. S)a§ Sßublifum merft bie Slbfid^t nid^tunb toirb 

öcrftimmt; e§ befommt ftatt be^ gel^offten fomifd^en @tädfe§ 

ein plnmpt^ unb langtoeiligeS ^u l^ören. grifd^ unb nid^t 

ol^ne \>itantt rl^^tl^mifd^e SBürje Riefet i>a§f SRonbo l^in, in 

toeld^em SSenebict über feine neue Eroberung jubelt, ^anb 

in ^ani crfd^cinen ^ero unb il^re OefeUfd^afterin Urfula im 

©arten unb feiern bie fommerlid^e äJionbnad^t mit einem 

itoeiftimmigen SRotturno, ba^ mit feinen fügen lerjengöngen 

9* 



132 <£^. ^anslicf. 

auf rul^ig fd^aufelnber Segleitung ficö gar frcunbüd^ bc§ 
^örcrS bemächtigt. @ä ift baS bcfte SKufifftüd in bcr. Dpn, 
baS eitiäigc, baS bei ber kremiere in Saben-SSaben ©rfolg 
l^atte, uttb bi^ jur ©tunbe bog einjtge, ba§ bcm ^arifer 
5ßubü!uni burd^ ©oncertauffül^rungen befannt geworben ift. 
©el^r originell toixb faum jemanb bie äRelobie finben; 
aber ba§ Oanjc ift ftimntungäöoH unb Hangft^ön. SKit 
biefem ®uett fd^Iiefet rcd^t glücflid^ ber erfte 2lft; ber 
5tt)eitc bietet weniger. Um il^n etma^ aufju^jufcen, l^at 
S)irector Sa^n in bie erfte ©jene ba§ Satt-Sd^erjo aus ber 
„Sinfonie fantastique" eingelegt. S)ag grajiöfe ©tücf toirft 
übrigens beffer für fid^ allein, ate mit bem Sanj, meldten 
cS e^er l^emmt, afö bepgelt. 2luf ein triüialeS SrinHieb 
©omaroneS, baS lebiglid^ burd^ feine originelle SSegleitung 
(®uitarren unb trompeten) toirlt, folgt bie toid^tigfte unb 
einzig bebeutenbe Stummer beS jttjeiten 8lfteS: bie Slric 
SeatriceS. S)aS anbaute, beffen Sl^ema toir aus ber Duter* 
türe fennen, ift öon eblem SluSbrudf, leiber and) bon er* 
mübenber Sänge. 3)er 8filegr05©afe öerfäHt ttjieber in banale, 
oltmobifd^e 5ß]^rafeoIogie. SRit |)ero unb Urfula fingt ^ta^ 
trice einS^erjett, baS mitber§onbtung nid^ts ju tl^un f)at unb 
Don 83erüo5 erft f:päter nad^componirt tourbe. @S ift ein 
SRifegriff, ba§ biefeS ©tüdf in SRelobie unb Begleitung ju 
fefir an ha^ jttjeiftimmige „SRottumo'' erinnert, beffen 3Bir* 
fung eS nidit entfernt erreid^t. @ine Sürjung biefeS ^)einlid^ 
langen lerjetts fd^eint mir bringenb toünfd^enSloert^. (Sin 
unerlaubt fim:t)leS Srautlieb für E^or, baS in feiner öollen 
üänge unerträglid^ wäre, aber burd^ Sa^nS gnäbige $anb 
auf ^albfolb gefegt ift, leitet §u bem legten unb fürjeften 
SKufüftüdf ber Dper: einem „©d^erjo^Suettino" jwifd^enSea* 
trice unb Senebict. ®S ift baS Slöegretto^Xl^ema ber Duöer^ 
türe, baS offenbar juerft rein inftrumental erbad^t war unb 



Beatrtce nnb Benedict. 133 

bem crft nad^trägüd^ bic Singfümmcn in ft^toer ju erl^afci^ctt' 
bcn, tl^opfobift^cn ^ßl^rofcn etngefj)rcngt »urbcn. ®g föitntc 
fel^r l^übfc^ fein, n>enn ed ettoaS fang6arer gefd^rieben unb 
reicher ou^gcfül^rt wäre. 3Kit einem pUl^ti^tti einjigen "än^^ 
mf beg Kl^or^: „Bemain, demain!" ft^Iiefet bie £)pex, toenn 
man biefeS formlofe Sfbbred^en einen ©d^Infe nennen lann. 
SRan fielet, wie ber ®om^)onift immer eilfertiger geworben ift, 
je naiver er an ba^ (Snbe !am. 

S)er Serftoj beS „©aralb", be§ „3lomeo", be^ ,,3leqmem" 
ift in „Seatrice unb S3enebict" niij&t wieberjuerfennen. Ober 
rid^tiger: nur für benjenigen ju erfennen, ber aufg genauefte 
uertrant ift mit gewiffen rl^^tl^mifd^en unb l^armonifc^en 
©d^ruHen biefeS (£om))oniften , mit feinen feineren Sarben^ 
mifd^ungen im Drd^efter unb feinem Slbwed^feln äWifd^en f^)ru= 
l^enben Oeifte^blifeen unb finbifd^ trivialen Eantilenen. Serlios 
^ai in biefer €)ptx bie 3lolIe beS mufifalifd^en SReboIutionärS 
öoHftänbig abgelegt; er mad^t feine äRiene, irgenb ctwag an 
bem Oewol^nl^eit^red^t ber Opera comique ju reformiren, er 
öerbleibt bei bem SBed^fel üon ®efang unb gef^)rod^enem S)iaIog 
unb fügt fid^ in bie l^erfömmlid^e abgefd^toffene gorm ber 
„morceaux carres". 3n biefe alten ©d^Iäud^e giefet er nid^t 
einmal ben neuen SBein feiner fo eigenartigen 3ttWöibuaIität ; 
er feiert üielmel^r jurüdE gu ber 8lu§brudE^weife ber älteren 
franjdfifd^en Somponiften. ,,S5eatrice unb ©enebict" fönntc 
tl^atfäc^Iid^ com^jonirt fein, e^e nod^ ein 91 üb er auf ber 
"SBeft war. 9lur in ©injell^eiten, nid^t in ber fjorm ober 
bem ©runbton be^ ©angen jeigt fid^ ein moberner ®eift. 
S)aS Drd^efter ift außerorbentUd^ bisiret, faft fc^üd^tern be= 
l^anbelt; bie ^ofaunen l^aben ben l^alben Sbenb ^inburc^ 
Slul^e, bie Särminftrumente ben ganjen. S)iefe Swcndf)aU 
tung giebt ber £)ptt einen wol^Itl^uenb grajiöfen, intimen 
Cl^arafter, einen leidsten ©ilberglanj öon SSomel^ml^eit. S)er 



Suftf^jicttott bleibt burd^tocgs unangetaftet, übcrfd^Iägt nirgenbS 
in bag gortiffimo bcr grofeett Dptt, SlUcrbingä ift mcl^r feine 
Slnrnntl^ bartn, aU öotte, gefunbc gröl^Iid^feit ober l^erjl^afte 
Somif. „Berlioz ne sait pas rire/^ fagte einmal 3^1^^ 
Sanin, unb er ^atte 'Sttä^t Serlioj mar eine burd^anS crnfte, 
l^atl^etifd^e Statur, bie fid^ jur ^eiterfeit jnjingen mufete unb 
S'omifd^eö felbft mit großer Slnftrengung nid^t errcid^te — eben 
tt)egen ber grossen 3lnftrengung. SBie tief ftel^t bie angeblid^ 
f omifd^e ©antaten<)robe be^ Somarone unter ber äl^nfid^en ©cene 
im „Ejar unb 3iwiraermann" ober felbft im ,,S)on SBucefalo". 
5)a S5erIio§ @^afeft)eareg ,,aSieI Särm um SRid^tg" afö 
einen bcfonber§ glüdEüd^en D:t)ernftoff begrüßte, mag er bod^ 
jioei nid^t unloid^tige 5ßun!te überfeinen l^aben. ßinmal, bafe 
bie loi^igcn SledEereien ^tüifd^en SSeatrice unb SSenebict, bie 
im Suftf^)iel blifefd^neU aufeinanberfolgen unb gerabe burd^ 
biefe§ ©d^nenfeueriocrf fo ergöfelid^ toirfen, fid^ bei toeitem 
nid^t fo loittig ber SRufif f)ingeben. S)te SJiufif brandet 
Seit unb SBieberl^oIungen. gür§ ätoeite liefert bie an^ 
@f|ofef:t)eareS Somöbie Iierau^gefd^ätte ©eitenl^anblung „SJea^ 
trice unb SSenebict" für fid^ allein nid^t l^inretd^enben Stoff 
für eine ganje D:per. 3^r bramatifd^eä ^ntereffe ift jiemlid^ 
gering, jebenfatt^ fel^r furjatl&mig. Serlloj' urf)}rttnglid&er 
5ßlan, bie D:()er einaf tig ju mad^en, toar tool^I ber rid^tige. 
*SBir befommen ju tt)enig §anblung unb ju menig SKufif für 
einen ganjen Slbenb. Um »enigften^ bem festeren aKangcI 
einigermaßen ab^ul^elfen, f)at |)err gelijäRottt ben ganjen 
gef^)rodnenen S)iaIog in 9lecitatit)e umgetoanbelt, bie mitunter 
einen betröd^tlid^en Slaum einnel^men. S)iefe SRecitatiöe 
(fteHenioetfe titoa^ „meifterftngernb") lieben fid^ burd^ pxüQ^ 
nantenunb lebhaften SluSbrudE mitunter bort^^eif^aft jtDifd^en 
gtoei SSerlio^fd^en äRufifnummern l^erauS. Smmerl^in bleibt 
e§ ein fonberbarer, ol^ne S3eif:piel baftel^enber SSorgang, bcn 



^ 



^eatrtce unb Beneblet. 1B5 

Dialog einer franjöfifd^en Opöra comique gerabe für unS 
S)eutfd^e, bie tötr boä) fdbft in ernften D:()em an 5ßrofa ge^^ 
»ol^nt ftnb, für ®efang umsnfomtcn. S)ie SReiic ber SJerüoi* 
fc^en D^jer ftnb fein unb eigenartig, aber intermittirenb nnb 
Don geringer ©nergic. „Seatrice unb Senebict" l^at im ^of- 
optmÜ)tattx bon Slnfang bis jum ©d^Ing intereffirt; um 
ftar! unb nad^l^altig auf baS ^ublifum ju toirfen, mü^te 
biefe feine SRuftf jugleid^ eine biel reid^ere melobifd^e Sr- 
finbung, frifd^ere garben unb lebenbigere SJetoegung entfalten. 
S)cr neufte ^ioqxap^ 89erIioä\ ^^^ Sfbol^)^ ^uHien, 
erjö^It uns, ba§ 83erIio5 fein ^t^t gemad^t auS feinem §a§ 
gegen SBagner, öon bem er atterbingS graufam be^anbett 
tt)orben ttjar. 2lfe SerKoj in einer ©efeUfd^aft fid^ in ma§= 
lofen SluSfäHen gegen 3Bagner gefiel, ttjagte eine S)ame bie 
fd^üd^teme S3emer!ung, ba^ Serlioj unb 3Bagner ii^x bod^ 
öerttjanbt öorfämen in i^rer Stid^tung. Serfioj em^)fanb bieS 
afö bie ärgftc Seleibigung, ^pxan^ auf unb öerliefe entrüftet 
bie ©efeUfd^aft. @S wurmte il^n tief, ttjenn man öon „SBagner 
unb SJerlioä" f^^^'^J ^^^ ^^^^ beutfd^c Journale gar baS 
Trifolium „SBagner, Sif^t, Sertioä" aufbrad^ten, fannte fein 
3oin leine ®renjen. ©err 21. S^Ilien, ber aud^ über SBagner 
ein entl^ufiaftifd^eS 83ud^ gefc^rieben, jiel^t fid^ ittjifd^en biefen 
Oegncm fo l^eil ate möglich aus ber Slffaire. @r ^ätte eS 
aber offen auSfj)red^en lönnen, bafe SBagner ^toax feine 
©^m^l^onie tt)ie „Stomeo unb 3uüe" ju fd&reiben öermod^te, 
ba^ aber no(^ öiel weniger Serlioj fid& als D:t)emcom:t)onift 
mit SBagner irgenbwie meffen fann. SBagner ^atte ben 
großen SSerftanb, mit ganjcr ^aft auSfd^üeftlid^ auf bem 
il^m entf))re(^enben bramatifc^en ®ebiete ju öerl^arren, 
ttäl^renb SBerlioj einer traurigen ©elbfttüuft^ung gefolgt ift, 
als er ben ©l^rgeij feiner alten Xage für eine riefige €)ptxn^ 
fd^öj)fung („Les Troyens") anf^annte, toeld^e bod^ fc^Iie^^ 



136 <E^* Qansitcf. 

1x6) bic Uttjulängüd^lcit feiner brautatifd^en Segabung be* 
loteg. 3d& tl^etle feine^toegS bie «nfit^t, bo§ „bte Suftmft" 
biefen Irojancm xtoä) ben erl^offtcn Sorbeer reichen locrbe. 
@(^on ba§ Don SSerlio^ au$ SSirgifö 9(eneibe gejintmerte 
trofttofe Xe^bud^ mad^t bie D^per l^alb unmöglich ; bie äRufil 
ift in großem @inn fonji^jirt, aber lal^m, ftodenb, unlebenbig, 
ift falfd^er ©lud. S)a§ l^inbert un§ nit^t, ben Sranjofen 
ote grobe Sernad^Iäffigung öorjutuerfen, ba§ fie feit Serlioi' 
lobe, olfo feit jtoanjig ^QX)xtn, nid^t baran gebadet l^abcn, 
eine feiner Dptxn aufjnfü^ren. ©o öiel 5ßietat ober toenig^^ 
ftenS fo öiel Steugierbe foHte man bod^ bei Serfios' SanbS- 
lenten üorauSfe^en. ^ein ^arifer D^eater benit an eine 
Slnffül^mng öon „©eatrice unb SSenebict" ober „Senöenuto 
©ellini" — jwei leidet barjufteHenbe, in S)eutfd^Ianb lieber* 
ffolt gegebene unb mit fd^önen ©injell^eiten gefd^mfidfte D^^ern 
— nod6 toenigcr an eine SBieberertoedEung ber ,,Iroianer". 
„SJeatrice unb Senebict" ift in fjranheid^ big ^eute un* 
befannt; bie erfte Slbtl^eilung ber ^^Irojaner" (ber ^aH 
XrojaS) gleid^faHS unbefannt; „Senbenuto ©eHini", öor 
fünfzig Sö^ren in 5ßari§ burd^gefaüen , ift nie »ieber ge= 
geben Sorben; bie „Trojaner in ffartl^ago" nad^ wenigen 
Sluffül^rungen im Th6&tre Lyrique (1863) für immer öer* 
f(^tt)unben. S)er äRifterfoIg biefeg SBerfeö loar einer ber 
legten unb tiefften S)oId^ftid^e, an benen ber attembe äReifter 
öerblutete. Serlioi ift (nad^ ®ounobg geiftreid^em SBort) 
toie fein l^elbenmütl^iger SRamen^bruber |)eftor unter ben 
äJiauern ton Xroja gefallen. @o lange bie granjofen, toeld^e 
in ber SJiufil bod^ öorjug^toeife eine Xl^eatemation finb, 
biefe öierfad^e ©l^renfc^ulb nid^t abgetragen l^aben — gleid^* 
tjiel mit toa§> für einem ©rfolg — fo lange l^aben fie tocnig* 
ftenS feinen ®runb, mit il^rer ^joftl^umen Serlioj^SSerel^rung 
gar fo grofe ju tl^un. 



\ 



Pan0n. 

(Optic in fünf Slftcn, üon ^enri 3Rci(^ac unb ^^ilipp Quillt. 
aßuftf öon 3. aW offene t. 1890.) 

„^öftlid^e äRufü, ein Dortrefflid^ed 93uci^, audgejetc^nete 
fcenifc^e .Slnorbnungen unb batin ha& etnjtge mirftid^ lad^enbe 
£teb, bad je comt)omrt mürbe i'' @o fd^rieb S^arled2)idend 
im ^äf)xt 1865 aitö $ariiS einem gfreunbe aber bie Dptt 
„fOtanon Se^caut'' t)on @cribe unb Sluber. 2)ie £)))er, 
eine ber legten ^gugenbfänben'' itd 74 iäl^rigen Sluber, errang 
in $ariiS grogen 93eifaII, fanb aber feine meitere SSerbreitung. 
3n äBien fennt man barauiS nur iad t)on 2)i(Ieni^ mit Sted^t 
gerühmte Sad^Iieb: „C'est rhistoire amoureuse" aa^ ben 
Concerten ber Sarlotta $atti. SiS ift baiS origineQfte 
@tfid in ber gangen Dptx, bie übrigeniS in il^rem nac^Iäffigen 
dovpltU unb OuabriHenftil beute t)oIIftänbtg veraltet Ringen 
bfirfte. äßanon mar atö brillante SoIoratur))artie für äßarie 
(£abel gefc^rieben, eine 93rat)ourfängerin mit munberbarer 
fiel^Ie unb gar leiner @eele. (&^ ift biefelbe SRabame Säbel, 
tpetd^e }ule^t noc^ bie ^l^iline in i^SJ'lignon'' heirt unb t)on 
®ounob ben @))t^namen befommen l^at: „I^^ garde mobile 
du chant^'. 2)ie gange Dptx mar auf il^ren Xon geftimmt, 
ben Ion l^rjlofcr Äoletterie unb unfeiner Suftigfcit. 5Wur in 



138 €b. ^anslicf. 

bent legten S)uett ber fterbenben SRonon mit il^rem DeT}tDeifebtben 
(geliebten erl^ob fid^ Kuber ju einem bramatifd^en Smfi unb 
einer gnnigfeit ber gmpftnbung, bie fonft nid^t feine ftorle 
Seite getoefen. S)ie leic^tfextige 93e^anblun9 itd @toffed 
burc^ @cribe unb Kuber miberftrebt bem l^eutigen (Sefc^mad, 
ober »eld^ ftoricr bromatifd^er 8leij in bicfcm Stoffe felbft 
liegt, bafür ff^ric^t fc^on beffen bejanbember @inbrud auf 
S)idEen«. SBärc äKoffcnct ber SBirfung biefe« @uiti^ m6)i 
fieser gemefen, er l^ätte e§ !aum unternommen, ba^felbe naäf 
Kuber neuerbingi^ ju com))oniren. 93eiben Optm liegt bie 

berühmte ,,HiBtoire de Manon Lescaut et du Chevalier Des 
Grieux" Don 5ßret)oft b'gjilc« (1697—1763) ju Orunbc, 
ber ofö ©döriftfteffer , ©olbot, ©eiftlid^cr unb Abenteurer ein 
t)telbctt)egteg Seben gefül^tt unb jule|t ofö ©ccretSr bcg $rinjcn 
t)on Sonti aiu^e gcfunben l^ot. (Sin SKeifterftüdE fc^üd^tcr 
(Srjdl^IungiSlunft t)on f))Qnnenber unb rü^renber ©ett^alt, gel^ört 
bie oltc SIloDellc nod^ l^eute ju ben |jo|)uIörftcn Suchern in 
Srantreid^ unb f^at unjä^Iige 9{ac^al^mungen bi$ auf S)umad' 
ffamclicnbamc l^eröorgerufcn. S^r ^jf^d^ologifd^ei^ HKotio ift 
ber bömonifc^e S^^^ber, mit todd^em bie fd^öne, ebenfo UitbU 
fertige ate gutmüt^ige äWanon ben jungen (S^cüatier 5)ci? 
®rieuj fcffeft unb öerwirrt, big er Sitte unb ®efc|, enblid^ 
auc^ bag Slnftanbdgefü^I bed Sbelmannd mit ^nitn tritt. 
Xro| i^rer ungtaublid^en moraIif(^en Sd^toäd^e erjtoingen bod^ 
bie beiben fo ^urd^tbar bcftraften jungen Seute unfere ©^mjjot^ic. 
Sie befte^cn nid^t üor ber äWoral; aber bie 5ßocfie l^at fte 
unfterblic^ gemacht Klfreb be SJluffet ^ot äRanon in einem 
©ebic^te öcr^errlid^t ; feine |joetifd^e JCpoftrop^e 

,,ManoD, sphinx etonnant, veritable sir^ne! 

Coeur trois fois feminin — que je t'aime et te hais!** 

ift in SRaffcnet« Dpn bem gelben toörtlid^ in ben SRunb gelegt 
Sog ®t&d beginnt mit ber ©cene im $oft^aud }n Kmien^, 



Itlanon. 1$9 

too SRanon, bie i^red Seid^finni^ toegen t)on t^rem SJtuber ind 
ßlofter gebracht merben foD, SRaft mac^t unb bem skoanjig^ 
idl^ngen 3)ed ®tteu£ jum erften SRale begegnet 93on ougen^^ 
Mt(f lieber Sctbenfc^oft für SWonon erfaßt, berebet er fie leicht, 
mit tl^m m^ 5ßari« ju cntfttc^en. 3m jtoeiten ?Ifte finbett 
Jütr baö ^ßord^en bereite in 5ßorig, befd^cibcn eingerichtet, im 
glficMid^en {Raufd§ ber erften Siebe. S)iefcr nimmt icbod^ ein 
jö^eö ®nbe: ber SSater be^ K^eüoKer«, t)on bem SJerfted bc« 
©ol^ne^ «nterrid^tet , logt i^n gctooltfam oufteben nnb in bte 
tßroöinj entführen. aRanon tröftet ftd^ mit bem ®ebonfen, e? 
gefd^el^c jum SJeften ifire« ©eficbten, ängleid^ aber mit bem 
®Ianj unb Sieid^t^nm, ben ein öomel^mer SSerfü^rer, be 
SJrettgn^r il^r t>tx^pxid^t @ie lann eben ol^ne fd^öne bleibet unb 
3tttoelen, ol^ne ©alle unb Il^eater nic^t leben. 5)ret gol^re 
fpöter (im btitten äft) feigen toir ouf einem länbfic^en geftc 
SWonon atö bie gefeierteftc Sc^önl^eit üon ^and mit ©retign^ 
crfc^einen. $ier erfahrt fie, bafe S)eg (Srieuj im Segriff« 
ftc^e, 5ßriefter ju »erben, unb bereite feine $robe<jrebigt gehalten 
l^abe. Sie reigt ftc^ t)om Slrme i^red reid^en SlnbeteriS lod 
unb eitt in bie ©acriftei ber Äird^e ®t. ©ulpice, um ben 
fö^eöolier, ber t^r im Äbbefleibe entgegentritt, »ieber für ficft 
unb bie SEBelt ju geminnen. Sänge miberfte^t er i^rem järtlid^ea 
Stehen; enblid^ überrennt bie alte Seibenfd^aft alle guten 
^orfä^e, unb er fliegt mit ^Dlanon aud bem ^lofter. 2)ie{e 
@cene, u^eld^e @ctibe unb Sluber fic^ ^aben gönglid^ entgegen 
laffen, bilbet bei SRaffenet ben ^ö^e^unft ber Oper, äßanon 
rci§t i^ren ©eliebten fpfort »ieber in ben Strubel bed 
SSergnügen^ Um i^re Ioftf|)ieIigen IBebürfniffe ju befriebigen, 
ergiebt fid^ 2)eiS (Srieu^ bem $ajatbf))iele. Siir fe^en i^n 
int vierten %ftt am 9rme aRanond eine verrufene @\Aüf)öüt 
betreten, tno er rafc^ fabelhafte Summen geminnt, aber t)on 
einem rad^füd^tigen 9lebenbu^Ier, bem ©eneralpac^ter &vdüot, 



140 <2b. fJansIidP. 

ht^ SSetrugelS angeHagt unb fammt SRanon t)er]^aftet tt)irb. 
3n bcm XcjtBttd^c finbct ftc^ ntt^t bic gcringftc «nbcittmig 
einet @(^ulb bei^ 6:^et)aIierS , ia er tuetgert ftd^ au^brfidHtd^, 
mit ben Uebrigen ju piel^en, im ScJüugtfcin feiner ©d^ulb* 
lofigleit. 3n $ret)oftg (grg&^Inng ^ot 5)e3 ©rienj, SRanon 
juliebe, t)om Stnfang an immer mtb f^rofeffion^mägig folfd^ 
Qt^pitÜ, ift au^ stoeimal aui^ bem ^efdngniffe aui^gebroc^en, 
um bie toegen SetrngS unb S)iebfta^tö t)erl^aftete beliebte ju 
befreien. äKaffcnetS Sibrettiften flnb in bem Seftreben, beibe 
Kl^oroftere t)on ben fc^mufeigftcn gleden ju reinigen , fo tocit 
afö mdglid^ gegangen. 2)aburcl^ toirb bie föataftro|)]^e 
unt)erftänblid§ , itnb ed begreift niemanb, tot§lf)a\b 3Ranon, 
beren einjigeS ©ergeben l^ier in ber Slbtoec^^Iung öon Sieb* 
l^abem befielet, ju leben^Iänglii^er S)e))ortation nac^ ben Kolonien 
öcrurtl^cilt toirb. S)a« unb öiele« Änbere bleibt uni^ frcilid^ 
aud^ fd^n^er begreifti^ in $reDoftS @rjd^Iung, biefem treuen, 
noiüen ^Iturbilb einer 3cit beren fittlid^e unb 8ie(^t«bcgriffe 
ben mobemen grell miberff^red^en. lieber äRanoni^ S)e))ortation 
l^eifst t^ bort nur ganj (afonifc^: ,,man begann ju biefer 3^^^ 
eine äRenge auj^n^ei^Iofer 2tvAt (gens sans aveu) nai^ bem 
SRiffiffi<)t)i einjufd^iffen." mx fe^cn im lefeten mt bie 
Unglüdlic^e in gcffeln unter miüt&rifd&er ©i^forte auf bem 
SBege nad^ ^at>xt marfd^iren, t)on too fie mit anberen Sträflingen 
nac^ Slmerila eingefd^ifft merben foK. 3n ber OriginaI«@r}a^Iun^ 
folgt il^r ber treue S]^et)alier unter unfSglic^en fDtüS)tn uub- 
(Entbehrungen bid in bie neue SBelt; mit aufo))fernbet Siebe 
t)flegt er bie rettungdloi^ ^infied^enbe bi^ ju il^rem Xobe unb^ 
gräbt mit eigenen Rauben i^r ®rab. Unfere Dptx, meiere 
3eit unb Staum bod^ nic^t gar )u totit au^be^nen tt^oHte, lä^t 
SRanon fd^on auf bem äBege t)on $arid nad^ ^oDre an (Srf d^d))fung 
fterben. 3^r reuet)oIIer Slbfc^ieb unb i^r Xob in 2)eS ®rieu('^ 
«rmen fd^Uejst ba^ ®tM 



irtanon. 141 

2)ad %t]Aiu6) ift mit ber @(et0anbt^ett unb Xl^eaterlenntnt| 
gearbeitet , bie toir an bett fetten SRetl^ac unb ®x\lt lennett. 
@te lonnten freiltd^ nur einzelne @cenen an9 bem 9loman 
l^eraudl^eben unb in fed^d „^Hbtxn*^ anetnanberreil^en; ben 
leitenben f^aben ber ))f^d^oIogif(^en Snttoidlimg unb mand^eiS 
exfiärenbe äRottt) ntujs ber ßufi^auer and ber Erinnerung ffin^ 
jubenlen. 3)ie ©cenen felbfi ftnb lebenbig Bel^anbelt unb bieten 
t)iel ^btoed^felung. 93on ben auftretenben ^erfonen abforbiren 
bie beibenSiebej^Ieuteunfereganje Xl^eilna^me; ffirbte anberen 
bleibt toenig übrig. S)ie beiben relatit) tt^ic^tigfien unter biefen 
8lebenj)erf oncn , ber verlotterte (Sarbift ße^caut unb ber alte 
®ed ®\dUot, ttnnten aQerbingiS in ben ^önben bebeutenber 
Y(i^auf|)ielerif(l^er Xalente ju originellen S^aralterfiguren werben. 
S)te ?ßartitur ift bie Slrbeit einci^ feinen, geiftreid^en ftopfcd, 
ber über ben ooUftänbigen äRufiIa|)|)arat unb über bie mo« 
bemften @(e^eimmittel beiS bramatif(^en SCudbrudCe^ verfügt 
;,3Kanon'' fc^cint mir <)rcii^toürbiger ate bie großen I^rifc^en 
Sragöbien, toeldfee SRaffencti^ Sfhif begrünbet j^oben: ^®er 
Äönig von Sal^ore'', ^^erobia^^ unb ^S)er Kib''. 3)ie Opöra 
comique l^at er nur afö Slnfänger mit ^2)on Sefar be fßaian^ 
betreten, toeld^er öor S^^^^^n aud^ im SBiener „SWngtl^cater'' 
ouftaud^te. 3)iefe Sugenbarbeit fd^ien barauf l^injubeuten, baB 
EWaffenet fein ®efte3 im ga^ ber @|jicIo|)er leiftcn toerbe, 
gonj toie fein Seigrer älmbroife Xl^oma^, ja n)ie im (Srunbe 
alle ti^t franjöftfd^en Komponiften. S)ie gerin^je S^ohöft bed 
;,2)on Sefar'' mag ben @^om))oniften t)on biefer ^af)n abge^» 
teuft unb ber ®ro§cn D|jer jugefü^rt ^aben. @rft jel^n 3a^re 
nad^ jenem ^ugenbtoerl fc^rieb er toteber eine lomifd^e Qptt, 
eben ;,9Jlanon^, toeld^e meine bamalige S)iagnofe ju rec^t«" 
fertigen fc^eint Sluf ber äJhtfil ju SRanon blü^t jtoar nic^t 
mel^r bad jugenblid^e äBangenrot^ itd ,,S)on S^far'', aber fie 
ift bei aQem Siafftnement nod^ immer natürlicher, magdoUer, 



142 €b. tfansWd. 

etttl^cttßc^cr , oB HKaffcnctg tragifd^c Dptm. gn Icjtcrcn, 
öon bcncn SBtcn imr beti ^Ktb'' Icnnt, l^crrf d^t ein lujurtrcn* 
htx Stil, ein ffiffeftfiebcr , eine S^jonnung, ja Uebcrf^jannung 
aller Smpftnbnngen , n^eld^e nur feiten had ®efü]^I reiner S3e^ 
friebigung anffommen loffen. ^n „Karton'* mußten fd^on ber 
@d^Qu))Ia| ber ^anblmtg nnb i^re ben Sont)erfationdfHI it* 
bingenben S^araftere bem Sont))onifien grdjsere aßägigung 
mtb ßinfac^l^eit auferlegen. S)ie SRufil fc^Iie^ ftc^ birect an 
Slntbroife X^omai^, ®ounob unb 93i}et an, bie auc^ in mand^er 
äSenbung t)emel^mlid^ burd^IIingen. 9htr ge^t äRaffenet in ber 
Sbtf(öfung ber ntuftlalifd^en t^form unb in bem Smüdbtänqtn 
bt^ äRufüalifi^en l^inter bai^ brantatifd^e l^ntereffe nod^ Diel 
loeiter unb fü^rt ganje @cenen burd^, in toeld^en ber ®efang 
eigentlich nur beclamatorifd^ über bem Drd^efter fid^ betoegt. 
©einen Seitmotiöen — fie feilten notürlid^ md^t — ift dreierlei 
nad^jurfil^men : bajs fie t)on geringer Stnjal^I, bajs fie melobid^S 
unb mpx&gfid^ finb unb bajs fie nic^t jeben Slugenblid fic^ 
t)orbrängen. S)ai$ reijenbe f^ncopirte äRotit) beim 3(ufträen 
äRanoni^ (^^Je suis encore toute etourdie^^) unb bie ben 
S^edalier anlfinbigenbe SSioIoncell^Santilene gießen atö lid^tere 
ober bunflere SBoHen aber alle (Srlebmffe ber beiben Siebenben. 
ein ^übfd^e§ ^tx\pxd ift bie erfte Stoifc^enaftmufil, mo ha^ 
fd^toärmerifc^e SSiolonceQmotit) beiS (S^eDalieriS nad^ je brei 
Xalten t)on einer auf äRanond t^ol^finn onfpielenben fßp^tahtn 
gfigur abgelöft toirb. 3m Slugbrud feid&ter, aud^ fd^märmerifd^er 
Sentimentalität ift äRaffenet am natürlid^ften unb glfidKic^ften ; 
in einjelnen äRomenten erreicht er t)oräberge]^nb auc^ bie $ö^e 
ftarler Seibenfd^aft. Sie jarten, anmut^igen 3^egef|)räd^e 
aitanond unb 3)ej^ @(rieu£' im erften unb gtoeiten Sitte, bann 
tl§r tiefer unb ftarfer bemegted 3)uett in ber ©ahiftei ent^« 
l^alten bie fd^önften SRomente ber fDptx. Ungemein gefc^dt 
finb bie Z&nge bem @til SMtf» unb 9lameaui» nad^gebilbet. 



Utartoit. 143 

gm brüten unb t)terten S(fte fSUt (abgefel^en t)on ber ^r^en« 
fcene) bie äßuft! entfc^teben ab. S)er Xon natflriid^er gfrdl^« 
lic^Iett fd^eint bem (£om))ontften derfagt; ober fül^It er fid^ )U 
toomel^nt, il^ l^rjl^ft anjuf dalagen ? 3^^tmal l^at äRanon im 
SSoÜgeffil^Ie il^rer Xrtutn))]^e ein j|u6eInbejS Sieb an}ttffcimnten : 
Suerft bei bent SSoIfdf efte im britten , bann in bem ®)>ielf ade 
im t)ierten 9(Ite. 9Ran fel^e ftc^ bie beiben @ef&nge an; giebt 
td ettoad bei aller Serfc^robenl^eit gfarblofered? ^ier, koenn 
irgl^nbtoo, toax gefunbe 9laiärlid^leit unb fefte f^orm iment'* 
b^rtid^. äRaffenet t^vA aber aUeiS äßöglid^e, um äRelobie unb 
Stl^^t^mui^ )U t)ertrfi|)))eln, ben ®efang ftottemb, ben Sftol^finn 
träbfelig, ben SBein fauer }tt mad^en. 3(ttd^ tt)enn ber ®arbiffc 
Sedcaut {td^ im ®)nelfad erbietet, ^ein tIeineiS Sieb'' jum 
beften ju geben, fo lommt ettoa^ ju ftanbe, toai feinem Sieb, 
übttt^caüpi leiner demiinfttgen SKelobie ä^nlic^ fte^t. gfeine, 
überrafd^enbe SBenbungen in ber mufilalifd^en Sonüerfation, 
geiftreid^e, glänjenbe 2)etaild im Drd^fter tQerben bem äRuftter 
faft in jeber Scene auffallen. (Eigentlid^ beftel^t biefe gonje 
äRufil an» Setaild; fie bebeuten ben Steij unb jugleid^ \>ad 
@ebrec^en üon äRaffenetd Partitur. Sein unb ))ilant erbac^t, mit 
forgfamer, erfahrener $anb auiSgefäl^rt, ermangelt fie bod^ ber 
tetd^Iid^ ftrömenben originellen Srftnbung, fotoie ber fd^dnen 
$IaftiI ber ^otm. 2)ie reijenbften fOtotiot fd^toimmen toie 
einlebte in ben @trom getoorfene SRofen t)or unferen 9lugen 
badon. 3n einen richtigen blul^enben ©arten ober ein ®ätt' 
d^en, toorin fid^ t)ertoeiIen I&^, toerben toir gar fetten geführt. 
äRaffenet ift ber raffinirtefte unter ben franjöfifd^en Qptxn^ 
com|)oniften ; ein feiner Seift, aber im Srunbe ein trodener 
8Ru{tIer. Sie ftete Seforgnig, gemO^nlic^ )U merben, t>tx^ 
lOnftett feine äRuflf. 

Zro^ biefer SKängel nimmt äRaffeneti^ ^aRonon'' unter 
bett neueften Optm biefed ®enred einen l^erk^orragenben ^la^ 



144 €5. ^ansltrf. 

ein. Sie tft ia$ SJeftc unb SEBtrffomftc, toa« bic Opera comique 
fett „aWtgnon^ unb „Sonnen^ l^eröorgebrod^t f^at öetounberni^* 
toürbig tft an SKoffenct feine lec^nil; oben ouf ber »ü^ne, 
toie unten int Drd^efter. SKit au^erorbentlid^er (Sefc^tdttd^Iett 
be^anbelt er bie Sondetfation ; toie nteifter^aft ^i(^net er 
j. 8. bo« ®t^px&(f^ SRanon« ntit bent SSater S)ei^ ®rieuj' onf 
bent ^intergrunb eine§ aud bent ®arten l^erüberKingenben 
SWenuettg ! Sirtuoi^ ift feine Snftrumcntimng , in^befonbere in 
jarten ©teilen. SBo er energifc^ auftreten toiH — unb boiJ 
t^ut er ^äuftg aud^ an unpaffenbcm Ort — ba Joirb er leicht 
brutal ^ine leibenfd^aftlid^e ®efangdftelle ol^ne baiS VHU 
brüllen ber brei ^ofaunen fammt Xuba unb gen^altigent Raufen» 
toirbel. S)ai5 Drd^efter fiberfd^reit fi^ unb boÄ arme Siebe«* 
paar ntujs e« natürlich aud^. Unb gar bie SSoHdfcenen! ^örte 
ientanb, mit bem fRüdtn gegen bie Sfi^ne getoenbet, ben Sl^or 
ber aieifenben, bie an^ ber 5ßoftIutfd^e fteigen, er toürbe baraitf 
fd^mören, ed fei ber Stu^brud^ einer 9tet)oIution. @iS ift traurig, 
ba^ felbft in fold^en l^armlod l^eiteren @cenen bie Xrabition 
ber älteren Op^ra comique j[c|t gänjlid^ verleugnet toirb. 2Bie 
biiJfret unb inirffam ^aben JCuber unb Äbam bergleic^en Hein* 
bürgerlid^e SJilbd^en au^gefü^rt ! 9loä) toäxt eine t)on äRaffenet 
eingeführte intereffante Steuerung ju erto&öuen: er I&fet aud^ 
}u bem gefpro^enen S)taIog tad Ord^efter ununterbrod^en 
fortf<)ieIen. 5)aÄ ^ßriujip be« alten HKelobram«, fteffentoeife 
fc^on t)on 9[uber unb Slmbroife X^oma« glüdtlid^ tytxtotnitt, 
erfc^eint in ^äWanon" jum erften HKale mit ftrengcr Sonfc* 
quenj burd^gefü^rt für alle 5ßrofaftetten. 3)Kt rü^mlid^ftcr 
Sorgfalt beachtet äWaffenetSbie ®efefee ber ©eclamation, tootytm 
man ftd^ freili^ nur aui^ ber frangöfifd^en Partitur überzeugen 
lann. 2)ie beutf(^e Ueberfe|ttng t)on ^. ®umbert Kingt 
l^otprig unb ungefüg. (Sanj unrichtig fü^rt ba« ^rfonen« 
toerjeid^nife ben SRr. ®uiIIot att ^reid^en ?ßäd^ter* ouf, 



nianon. 145 

ftatt ate ®tntxaipääfttx, SJci einem „xtx6)tn ^ßdc^ter" benft 
ntan notürltd^ on einen Sanbmann; bie franjöftfii^en Permiers 
gen^raux Agaren aber bie ^avtp\pää)ttx ber @taatöntono^ole 
nnb BöQe, bielfac^e 9KiDionäre unb burd^ il^ren Stetc^tl^um 
lüie burd^ il^re äSerbtnbung mit ben ^öd^fien ^offteHen fel^r 
einflußreiche SRänner ber 5ßarifer ©efeBfd^oft. ©in fold&er 
Permier genöral f^cIte im borigen ga^rl^unbert tint ganj 
anbere 9toIIe, unb ^Dtx. ©uillot f^ielt auc^ in „^Slanon" eine gan} 
anbcre SRoHe, aU ein „xü6)tt ^aäfttx" fd&Icd^ttoeg. 

„STOonon^ l^ot in SSKcn eine glänjenbc Stufnol^me gefunbcn. 
@ie derbanlt biefelbe grojsentl^eifö ber trefflichen 93efe^ung ber 
beiben $au))trolIen mit ^öulein SRenarb unb ^errn tyan 
S)jjd. STOanon unb S)ei5 ®rieuj üerlongen, abgefe^en bon rein 
fünftlerifd^en DuatitSten, unbebingt ®arfteller, bereu ^jerfönlid^e 
Srfd^einung jene gfiguren glanbmärbig unb f^m))at^i{c^ mac^i 
S)ag ift l^icr ber gaD. Qu biefer natürlid&en SRitgift, 3M9^«i> 
unb @c^dn^eit, gefeilt fid^ nod^ ba$ QUiSgef))rod^ene mufüalifd^e 
unb bramatifd^e Xatent ber beiben Huftier. 2)ie SioIIe ber 
äRanon, fflr aKabcmoifeHe ^cilbronn gefd^rieben, liegt jiemlic^ 
^oc^ unb fteHt bebeutenbe Sfnf^jrüd^e an bie S^wö^n* unb Seilten» 
fertigfeit ber ©öngerin. gür bie bunfle, ttxoa^ fc^toere 
3Reägofo|)ran*@timme ber Slenarb toar „3Wanon'' jebenfate 
eine ungetoo^nte unb fd^luierige Slufgabe. Sie l^at biefelbe 
tro^bem glönjenb gelöft unb mit einigen @rleid^terungen unb 
^nltirungen getreu unb toirfung^DoH burc^gefü^rt. ^m erften 
S(ft ift il^re SRanon bon lieben^toürbiger @infad^^eit unb 93e« 
f cfieiben^ctt ; im jtoeiten toeife fie i^rer Steigung für S)ed 
®ricuj — ben fie nod^ immer, aber fd^on mit ber beginnenben 
Sangtocite ber SScrarmung liebt — eine laum merflid^e bejeic^»« 
nenbe ©d^ottirung ju geben. 3n ben raufd^enben ©cenen bed 
^om^t^t^ unb ber ©pielgefeafd^aft ^ätt fie i^re grö^lic^Ieit 
ftetiS in ben ©renken feinen SlnftanbeiS, in bem Suett mit bem 

(£b. ipanSlicf , 9(u§ bem Zngebuc^ eines 97{uftfer?. 10 



146 <Hb. ?tansM. 

jungen VbU enbltc^ jtegt fle ebenfo unfel^Ibar burd^ tl^te toeid^e 
Qäitiiilftit , nrie burd^ bte Energie ber Seibenfd^aft Sielen« 
lid^t^ Sob t)erbtent ^err Dan S)^dC, über n)eld^en ber an« 
toefenbe Som^onift ^d^ ebenfo entj^nftaftifd^ Demel^men Itejs, 
toie aber Sftciuletn Sienarb. @ein @^et)alier ^ei^ ®rteu£ 
l^at meine urf^rfingltd^e Ueberjeugmtg nnr beft&rlt, bo^ bte 
franjöfifc^e D^jer ba^ angemcffenfic unb frud^tbarfte gelb tft 
für feine !ünftterifd^e Snbit)ibttalttät. SRöge ^err t)an 2)^d( 
nur feinem ©efang^atl^leten in bie |)önbe faQen, ber il^n jn 
einem Xannl^&nfer, @iegfrieb ober Xriftan nmfd^mieben toiH, 
jtt einem Sbtfer im 6treit! 



(JDptx in brct 5l!tcn, oug bcm gtalienifd^cn bci^ S. gllica unb fj. ^o^a 
öon 9Koj ^olbctf. gj^upl öon 51. ©marcgno. 1889.) 



Seim Sbt&ItdC belS X^eaterjettefö mögen too^I fömmtlic^e 
£efer fiBereüiftimmenb an bie Selagetmtg Don @giget^ unb 
Snn^d |)eIbentob gebaii^t ^aben. ^n SBa^r^eit f^at aber bie 
neue Dptx mit @giget^ imb firin^, über^au^t mit Ungarn 
gar ni(^td ju fd^affen. 2)ie |)anbtung lönnte ebenfognt in 
6(^lneben ober in Portugal \pxAen, fällig man überl^au:pt an« 
nel^men toill, ba^ ein folc^ed IQHrrfal alberner &xtntt in ttgenb 
einem Sanbe möglid^ fei 8ßir erbltcfen beim Snfiie^en bed 
Sorl^angi^ bai^ innere eined S)omi^, in toelc^em bie Serm&^Imtg 
bei^ ®tttdbeft^ri$ Snbor mit ber fd^önen 9laj|a gefeiert nrirb. 
(Eben ^at eine Sebtifftn (bie in ber Dptx ha» «mt tm» 
Jßriefter« jn oerfe^en fd^eint) ba« 5ßaar gefegnet, ate SRaja 
mit einem SBel^fd^rei lebloi» )n »oben ftflr)t. d» loirb für 
bie lobte m, «eqniem angeftimmt, nnb ber oerjioeifelte 
IBr&utigam t)erlä^t mit ber ganjen (StefeQfd^aft bie ^d^e. 
8htr fein »ruber aRiloÄ bleibt jurüdf. ffir toäre al« ber 
»dfetoid^t bed &i&dtd }u begeidbnen, toemt biefeiS nid^t beren 
Jtoei bcfäfee, beibc im ©afef^Iüffel, ben genannten SRöo« nnb 
ben ^aSafaaen t)on Sjiget^'' «olf. SKilog l^at ben atten Slolf 

10* 



148 €b. ^ansWd. 

üetanlo^t, bcr Sraitt fctnc§ ©rubere, in bic er ocritcbt ift, 
ein ®ift bei jubtingen , ba$ fie fd^etntobt nieberftnlen ntad^t. 
2)a$ ift gelungen, unb 3R\io^ toartet nun in ber Sixi^t bai^ 
Sriuad^en 9loj|ai§ ab, um ftd^ ber fc^ntä^Ii(^ Setrogenen ju be^ 
mäd^Kgen. Sflolf, ber ein ebenfo feiner ©l^cmiler toie 35öfe» 
nji^t ift, lögt in ber ffird^e ötterl^anb „ftorfe Boubcrbüfte^ 
aufzeigen, tocl^c überPffigemjeife boi^ „\ü%t Sertongen'' bt^ 
ol^nel^in fe^r er^i^ten Sieb^ober^ jur Siebci^rofcrei jieigem 
foOen. S)te t)om ©d^eintob ertoad^te, gleichfalls betäubte 3laia 
ftürjt jubelnb in feine ämte unb bebedft il^n fo longe tnit 
föüffen, i\9 bcr SSor^ang — toagnerifc^ wft^wett" — l^erabfinlt. 
gfür einen furjen erften Slft liefert biefer,. tuie man fielet, eine 
ganj anftönbige 9ividtDäf)l bon Si^ebeln unb ©d^redniffen. Slber 
au6^ an Unt)erft&nUid^!eit löjst er tuentg ju tnünfd^en übrig. 
®er Sufd^auer, bem bic (Sreigniffe tüie getebtödfe auf bcn 
^o|)f fallen, reibt ftd^ betäubt unb ratl^Io^ bie @tim. 9ioIf 
l^at frftl^cr bic ?leu6erung ^ingetoorfen, ba§ er t)on bem bcr» 
ftorbenen SSater ber beiben jungen Ferren um fein Sebengglüd 
betrogen Sorben unb bafür cntfc^Ioffen fei, fi^ an ben ©dienen 
5U räd^en. äßan brandet blojs bief e tDcnigcn äSorte, bie obenbretn 
Don bem 9taiabcn(^or unb bem Drd^efter gönjlic^ Dcrbedtt 
finb, }u überl^ören, um ben Slbenb l^inburd^ Dor einem lom* 
picten Sftät^fel ju fte^en. 9loc6 mcl^r. 3)er Sn^d^avitx fie^t 
ben Slltar tangfam ücrfinfen, fielet in blenbcnb rofigem Sid^t 
eine t)on fingenben unb tiarfenben Slajaben umgebene äSenud 
im SRufc^cImagen ba^erfd^n)cben — tool^er foÖ er toiffen, ia^ 
bte«2iae§ nur in bcr ^^antafie bes SKüog fid^ abf^jiclt? 
äJlujs er bo^ ben gc]^cimntBt)oIIen 9loIf na6) feinen Xl^aten 
für einen ri^tigen Sauberer anfe^en. SBir ^ören ferner bad 
entjüdtte SicbcSbuett jtoifd^en 9taja unb 9RÜog; muffen toir 
nid^t glauben ober lönnen n)cnigfteng glauben, JRaja liebe 
njirflid^ biefen äWiloS unb fei bon il^m a\t^ ben SJanben 



Der Pafall von S3i9ct^. 149 

einer aufgejtoitngenen @l^e errettet? ^eH genug t{t td j|a auf 
ber fS&fßt unb lang genug bte Stebei^fcene , um fOlHo^ k>on 
SCnbor tovfjH unterf treiben ju lönnen. @o, nad^ aOen Seiten 
öertoirrenb, übertrifft biefer ^SSafatt öon ©jigetl^'' an Unllar» 
l^eit ber @£|)ofition nod^ meit ben SSerbifd^en „Zroubabour'', 
beffen SSorgefd^id^te belannttic^ ein ^auiS^ofmeifter in einer 
9tajurIaftro))]^e tjcpikitt, bie nientanb t>tt^tf)t unb ber 
ntemanb jul^drt. 

Auf biefen erften Slft, ber mit unl^eimlic^er (Sefd^toinbigleit 
bie ^od^jeit in ein S3egröbnig unb ben @arg in ein ^od^^eitd« 
bett t)em)anbelt, fe|t ber jtoeite um fo luftiger ein. 3n 
fommerli^er ßanbfc^aft giebt eS Sanj unb ßuftbarleit. aRilog 
erfd^eint mit fd^mudCem befolge, fi^ölert mit ben äRäbd^en unb 
trinft mit ben Sat)alieren. S(uc^ ^ci\a, bie Xobtgeglaubte, ift 
auf Siolfi^ SSeranftaltung aui^ i^rer ®ruft befreit unb l^ierl^er« 
gebracht Sorben. @ie toirb gleid^ t)on bem überglüdKic^en 
S(nbor erblidCt unb umarmt. 9tad) ben erften Su^bnid^en ber 
gfreube entl^üOt i^m ffta\a ben an il^r begangenen ^xtt)tL 
Slnbor belommt einen erfreulid^en Einfall t)on äRut^, jerrt 
rad^eglft^enb feinen jec^enben SBruber auj^ bem 3^^^ unb fteUt 
i^n bid^t t)or 9laia l^in. SD^hloi^ aber, bem bie ®a6^t unge:» 
legen lommt, befiel^It ol^ne Umftanbe, ;,bie ^ejce" in geffcin 
abjufü^ren. Unb bod^ l^at berfelbe fDlüo^ toenige 8(ugenblide 
iWoox ft(^ in reuiger Sentimentalität förmlid^ getounben: er 
tooUt ^aia um SSerjeil^ung bitten unb ^nad^ freier 
SBa^I fotte pe fid^ für i^n entfd^eiben, fein eigen fein!'' 
äBeiter lann man tool^I bie Unt)erfd^&mt^ett nid^t treiben. 
9}on ben Solbaten bebro^t, toirft fid^ 9laia ju Slnbor^ gfä^en 
unb befd^toart i^n, mit i^r ju fliegen, «ber biefer eble 
Kocher toenbet pd^ faltbifitig t)on i^r ab, toeil — 81 o If i^m 
jugeraunt l^at, er foHc fftaia „an» Borjtd^t" öerleugnen! 
ffio^er biefer niebcre ftnec^t fo ungel^eure morolifd^e Autorität 



150 ^^' ^«nstirf. 

jt6ti Sabor bcft|t, fragen mir bagcfiGi^ Vbet mtfet ^Ib 
fragt m^ foübtrn folgt UinbfiMgS bcs iDipai Ibu^egrdiS itnb 
vbctfSgt Sbija i^rem @#I{aL (Er giAt bod 3^^ i»^ 
gfortf€|iiii0 bed Xanjed, mib iiricber bn^ ful^ aUt^ in InfKgem 
Sfr6el, nnr unf er Ser{lanb p^ pic 

3« brüten Kit fe^ nnr Sbqn ix eineni degonten ®emad^ 
he§ Väo^, nnier &l^ nb abgcL @te t)erstneifelt an 
leber fwiffnnng nnb tmaUjIt fUk wa einen rafc^en, fd^merjlofen 
Zob. Somit ionn ber ibcnfl f tyinw i ti ge, brätle 9loIf bienen. 
9bu^bent er einen ön§erit yflühwlni aSonoIog junt gfenfter 
^EBonSgrfnngai, reii|t er Sbqn ein QKftpofi^c^en, ba$ fte rafd^ 
aiG^trinft 3n ft»t foHoct Unlir — ein btrjei^ SieBe^ett 
nd) 9bi|a ifk eoK Sea|c >irhMf toirllt(^. @te fttiBt nttt bem 
9n#nif: JBSbi, Sir ki nfe winen SOtptxl gfür «nbor 
\^ Seele!'* aKM iimit Herein nnb na^rt ftc^ bem il^m 
nomffitten Snqier nril IedcsH|affß4«r ä^Itt^teit. SBetI er 
bobet ein^ ZIrranlein ner^Kit, mA Xnbor gleid^ unenblid^ 
geratet nb iriK «IIbI treqei^ «ber bat)on tuia äRilod 

inKT giMrt w e r rc^ er feinen 93ruber bnrc^ 

noK 9taia« fiingebnng« bie er unb nur er allein 

^annes. SÄlWii* nnÄingt et »tt fo jartßc^er ®Iut^ bic 

:iii^ » ^s!¥r 9sl^9r fn inel «nrb. @r erfc^tögt feinen 

<trr^ vo an ' ^ ' " ' ac nnb bdct nnr nix^ bie fc^abenfro^e 

;. '^^Ti^ ."^^i^. N&t tA s^ißmvx nnb ben @(^mur 

f^*: Wä? V: ff*l«i5 meoier Saaten!'' S38ir 

v«it!c^ Kh V* 4^u««tatiii ^ y&t ^eine Smte. @ine 

^ GbttG« i^t%:uic ^wlMniig niie bie be^ 

^»K"^' it m i^üsKskt Ux donjen Dptxn^ 

vianiM\9 iA ^M«n. $te SitMÜsnen finb un« 

it >a:%. WtMmmi ifi^lxtab m bcr fbiiSffi^mng. 

? Ifaft ü^ttHmft, todäffx tum ben brei 

nnidMbtgen JDt^Iontnt 9taia fünbigen 



Der Pafall von S^i^et^. 151 

ber j[&mntetli(i^fte fei: Stolf, Sbtbor ober aRilod. flu^ btefet 
^oefte ,,de sang et de boae<< to&^nten toir bod^ fd^on ^eroud« 
gelotmnen ju fein. 2)te neue Dptx bemeift leiber balS (Segen^ 

tbibbieäRuftl? »eina^e fü^It mannad^ (Stjä^Iung biefed 
Ze^bnc^eiS fic^ t)etfuc^t, gar ni(^t§ über bie (!:om))ofitton ju 
fagctt. 9Wd^t otö ob bie SRufif ntc^t beffer toarc cfö ber 
lejt unb ©err ©mareglio fein öomel^merer ftünftler afö fein 
$oet. Kber bie neuere ntuftlbrantatifd^e @d^ule, ju ber and^ 
©mareglia gel^ört, jtoingt uni^ anbete Sorberungen auf, ald man 
cl^ebcm an einen Dptxnit}^ fteßte. Ungleid^ ben älteren naiöen 
aßeiftem, toelc^en aud^ in ber Optx ber Steij unb bad &tmd)t 
ber muftfalifd^en ©rflnbung bie ^avüp^aä^t toax, crblidfen bie 
Steueren il^re lünftterifc^e Aufgabe in ber genaueften Suglegung 
unb Sludntalung bed SibrettoiS. ^ßa^ ber S)id^ter borfd^reibt, 
toa^ ber S)id^ter fagt, toa^ ber S)id^ter em^jfinbet, ba« foD in 
iebetn laft ntufifalifc^ auggcbrfidCt, au^geprcfet fein, unbelümmert 
um ben ©c^affeni^brang ber felbftänbig erfinbenben unb 
formenben mufifalifd^en ^ßl^antafie. SBft^renb bie älteren 
Xonbid^ter gleid^fam au$ eigenem äRaterial einen mufilalifd^n 
Söxptx formten, ähneln unfere äRobemen bem Anatomen, ber 
einem <jrä|)arirten Seid^nam bie feinften ®eföJ5e funftöoD mit 
farbiger Stüffigleit au^f^ri|t. ®ie erflären unb bel^anbeln 
bie aRuf» in ber Dptx aU ein blo^elS äRittel für bie gtoedFe 
bed $oeten. ®vA. S)ann aber mujs ein folc^er Som))omft 
Oor aOem barauf achten, bajs, toa^ er mufifalifd^ ju inter« 
^jretircn unternimmt., auc^ biefer 3wtcr|)retation mert^ fei 
SBenn er toirHid^ had Xe^tbud^ für bie unumfc^ränlte SRac^t 
anerfennt, bie i^m — nic^t blojä im großen unb ganjen, 
fonbem für iebe einjelne SBenbung — bie (Sefefte öorfd^reibt, 
bann barf er nimmer freitoiKig fid^ in bie 8}otmägigIeit einei^ 
bramatifd^en äRac^toerled begeben, barf und lein Sibretto ju« 



150 €6. fjanslicf. 

ä6er 9(nbot beft|t, fragen idü üergeUic^. 8lbet mtfet ^elb 
fragt nic^t, fonbem folgt blinblmgd betn kDüften Stad^egrete imb 
äberlägt Slaja il^rem @d^i(ffal. Sr giebt bai^ S^ici^^ i^r 
gortfe^ung bei^ %anit^, unb tt)ieber brel^t fid^ aUed in luftigem 
aSSirbel, nur unfer SBcrftanb ftel^t ftiHc. 

Snt britten Sit feigen nnr 3lQia in einem eleganten @tmai^ 
beiS äRtlod, unter @(^Iog unb SHegel. @ie t)er}kDeifeIt an 
jeber Hoffnung unb tuünfc^t ftd^ nur einen rafd^en, fd^merjlofen 
lob. S)amit fann ber überall gegenwärtige, braöe Stolf biencn. 
92a(i^bem er einen anwerft gefül^fooQen äRonoIog }um gfenfter 
l^inauSgefungen, reicht er 9laja ein @iiftf(öfd^c^en, baS fie rafd^ 
augtrinft. gu \päi lommt Änbor — ein lurjciS ßiebe^buett 
unb 3laia ift eine ßeid^e, bieSmal toirflid^. Sie ftirbt mit bem 
«u^ruf: ^ä»iIo8, S)ir lag ic^ meinen mxptxl gür «nbor 
bie ©ecle!" äRilo^ ftürmt l^erein unb nöl^ert fid^ bem il^m 
öcrmad^tcn Äör^jer mit leibenfd^aftlid^er görtlid^leit. SBeil er 
babei einige Xbrönlein tiergiejst, n)irb 3(nbor gleid^ unenblid^ 
gerül^rt unb toitL aded üerjeil^en. Slber bat)on n^id SD'HIoi^ 
nid^tg ttjiffcn; immer graufamer reijt er feinen Sruber burd& 
ha^ {(u^malen t)on 3la\a^ |)tngebnng, bie er unb nur er aQein 
gcnoffcn. ©c^Iiefelid^ umfängt er mit fo järtlid^er ®Iutl^ bie 
ßeid^e, bafe ti felbft Änbor ju öiel tt)irb. (gr erfc^Iägt feinen 
93ruber, toirb tt)a]§nfinnig unb l^ört nur noc^ bie fd^abenfro^e 
@d^IugmoraI 9ioIfd : „Stacke l^ab id^ gefc^n^oren unb ben ©c^mur 
gel^alten. ^icr liegt ber ©rtrag meiner Saaten!" SBir 
banlen fotool^I ffir ben ©äemann, afö für feine ®mte. Sine 
fo tt)ibertt)ärtige, finnlo^ gräglid^e ©anblung toie bie bed 
^SSafatt öon ©jigetl^" ift im 8erei(^e ber ganjen Dpttn* 
literotur fc^toerlid^ ju finben. S)ie Situationen finb un» 
natürlich in ber äRotiüirung , k>erle^enb in ber Slui^fül^ng. 
Unb bie ffi^araftere? SRan fd^toanft, toeld^er öon ben brei 
Wl&nntvn, bie an bem unfd^ulbigen D))ferlamm 9taia fünbigea 



Der Pafaö von Ssigettj. 151 

bet iämmctßd^ftc fei: {Rolf, Änbor ober 3Mo&. Hu^ biefer 
^oefte „de sang et de hovL&* toäl^nten ttrit bod^ fd^on f)txau^ 
gelonrnien ju fein. 5)ie neue Dptx betoeift leiber ia^ (äkgen»» 
t^eit 

llnbbieaRuft{? »einal^e fül^It mannad^ (Stjö^Iung biefei^ 
ZtjAiui^t^ fi^ \}tx\u6^t, gar nid^tö fiber bie Sontpofition }u 
fagen. 3Wd^t atö ob bie SDfhtfif nic^t beffer toöre atö ber 
Icjt unb ^err ©marcgiia fein öomel^mcrer Kfinftler atö fein 
5ßoet. Aber bie neuere ntnftlbramatifd^e S^nle, ju ber and^ 
©mareglia gel^ört, jtoingt und anbere t^orberungen auf, atö man 
cl^ebcm an einen D|)cmtejrt fteHte. Ungleid^ ben älteren naiöen 
äReiftem, toeld&en aud^ in ber D^jer ber SReij unb iad ®ctt)id^t 
ber muftfalifd&en (grfinbung bie $)auptfadöe toar, erblidten bie 
Steueren il^re fünftterifd^e Aufgabe in ber genaueftcn Auflegung 
unb Ausmalung be§ SibrettoiS. SSäa« ber ©id^ter öorfc^rcibt, 
toa^ ber 5)ic^ter fogt, toa§ ber ©id^ter em|)finbet, bad foH in 
iebem %a1t muffflalifd^ aui^gcbrüdft, au§get)re6t fein, unbeHlmmert 
um ben ©d^affendbrang ber fetbftönbig erflnbenben unb 
fomicnben muftfalifd^en 5ß^ontafie. SBä^renb bie älteren 
Xonbid^ter gleid^fam aud eigenem 3RateriaI einen mufilalifd^n 
Si^xptx formten, äl^neln unfcre SRobemen bem Hnatomen, ber 
einem prä^arirten Seid^nam bie feinften @(efäBe funftooll mit 
farbiger gflüffigfeit auöft)ri|t. Sie erflären unb bel^anbeln 
bie SRuftl in ber Optx ate ein blofee« SRitter für bie gtotit 
bed $oeten. @(ut. Sann aber mug ein fold^er S^ontponift 
öor allem barauf ad^tcn, bafe, toad er mufüalifc^ ju inter* 
pxttixtn unternimmt., aud^ biefer Snterpretation toert^ fei 
SBenn er toirllid^ baö lejtbud^ für bie unumfd^ränlte SRad^t 
anerlennt, bie i^m — nid^t bloß im großen unb ganjen, 
fonbern für jebe einjelne SBenbung — bie ®efe^ öorfd^reibt, 
bann barf er nimmer freiwillig fid^ in bie öotmäfeigleit eine« 
bramotifd^en 3Rad^wer(ed begeben, barf uni^ fein Sibretto ju« 



152 <£b. fjansitrf. 

nttttl^ctt tote btcfcn ^SJofoH öoti ©jtgctl^^. ®cm tDtcberl^oIcn 
tt^ir, bai @mareglta eine fel^r bead^tettj^toettl^e SJegabung, 
®ett)anb]§eit unb @ffeltfenntnig befiel. (Sine QU^ef))r^ene 
3nbik>ibualit&t l^aben iDtr aderbing^ aud feiner Optx nid^t 
l^erau^gel^ört ; jte jäl^It jn jenen mobem itaßenifd^en , n^eld^e 
eine SSermitteInng jtt)if(^en bent \pättxtn 35 erb i unb bem 
jüngeren SB a g n e r onftreben. ®ag belonntefte unb bemerf eniJ* 
toertl^efle ?|5robuft btefer «id^tung ift »oitog ^aRefiftofele", 
unb biefem möd^ten tt)ir einen beftimmenben ßinffug auf 
©ntareglia^ Dpcr jufd^reiOen. Soito ift freiließ ein öiel 
intenfiöereg %aUni, feine (Srfinbung reid^er unb Wiener. 
^SWefiftofele" enthält cinjelne reijöoHe, originelle ©tüdte, an 
toeld^e ba« Sefte oug bem „^a\ati öon ©jiget^" nid^t 
l^inonreid^t — Sid^tblidfe, bie ung toa^rfd&einüd^ nod^ l^eHer 
erfc^einen toürben, ftönben toir ber ganjcn D^jer, atö einer 
IBerunglintpfung be^ @oet]§efd^en %au\i, nid^t mit @runb 
t)oreingenommen gegenüber. Seiber finb um biefe Sid^t))unfte 
im ^^aWcfiftofefe" breite ©d^atten»» unb ©c^mufeffedfe gelagert, 
t)on toeld^en ber folibcre ^^SSafaH'' fid^ frei ju galten toeife. gn 
©mareglia Iöm))ft bie 92atur bei^ geborenen ^^alieneri^ mit 
feinen beutfd^en aWuftem unb ®rrungenfd^aftcn ; ja ber größere 
Zl^eil feiner Dper Hingt me^r toagnerifc^sbeutfc^, afö italienifd^. 
SSiele unferer Sanbi^Ieute toerben bied bem äBerfe nad^rü^men ; 
für mein I^eil geftcl^e id^ offen, bag id& bie unoerfälfd^ten, bie 
italienifd^en QStaliener öoräiel^e. SBir mod^en ung feine 
Sttufionen barüber, bofe biefe in ber SKufi! ouSgeftorben finb. 
Irctcn ttnr naiver an bie Partitur ^eran, fo jcigt fie unjJ 
©maregliaj^ ©tärfe nid^t fon;)0]§{ in ber Urf))rünglid^feit unb 
Originalität ber @rfinbung, afö Dielmel^r in ber gefc^idCten 
^2lnpaffung feiner aWufi! an bie ©ituation unb bereu malerifd&e 
Spiegelung im Drd^efter. Am glüdflid^ften bel^errfd^t ber 
Somt^onift ba^ S^rte, n)eid^ Smpfinbfame unb ©d^toörmerif d^e, 



Der PafaU von S^x^etlt' 153 

tai er mit SB&rme, aber mit geringer Kbtued^felung gum 
Sui^brud briitgU @o l^ebt fid^ im erften SHt bte d^romotifd^e 
B-dur-gatitilcne Änbori? (»rSP'^ "ur ein Iraum?") freunblid^ 
1)txmd, eine frQ|)|)Qnt @))0]§rf(i^e SEBenbnng, bie aü (SrinnerungiS:» 
motxt> im legten SHt tuieberlel^rt. ^el^nlic^ in il^rer fd^mod^tenb 
mobttlirenben, ^romatifd^en SBeife Hingt bie SRelobic SRiloS': 
^@d^on fül^r i(^ fie liegen in meinen Srmen'', unb n^ieberum 
fi^nlid^ 3laiaii Sieb in A-dur im jtoeiten 8(It. 2)er Somponift 
läßt fomit biefe brei öerfd^iebenen (£]§ara!tere biejelbe em|)finbfamc, 
in $)albtdnen fd^melgenbe ®pxa6)t f))red^en! 3^^^^^^^ ^^^^ 
biefe I^rifd^en ©teilen bie beften. SBo l^ingegen leibenfd&aftlicöe 
(Energie nnb @d^{agfertig{eit jn entfd^eiben ^oben, ba mangelt 
bem (£om})oniften bie jnfammenfaffenbe ^aft. @r fudbt bann 
bie geifHge ®emalt bnrd^ materielle jn erfe|en, bie lebenbigen 
Sbeen burd^ betoäl^rte ^ßl^rafen. öfe Seif|)iel citiren toir 
ba8 ginale beg jtoeiten Hfte«, bie ÄHegrofäle ber beibcn 
ßiebeiJbuettc : ;,9limm mid^, bie S)eine!" im erften Slft, „Safe 
in einem langen Suffe" im britten u. a. %xx\ä^ unb anmut^ig 
Singen bie SSoIföfcenen im jn^eiten S(It ; t)olIi^t]^ümIid^, nait) ftnb 
fie nid^t, am aüernienigften national (Sinjig ber aU 8}aIIetmufiI 
eingefügte Sjarbad erinnert baran, bafe bad @tfld( in Ungarn 
\pxüt 3)ie ftd^ abtöfenben &xvLpptn ber Sanbteute, SRönc^e, 
@oIbaten, burd^ bereu ©tropl^en fic^ ein SBaljermotit) 
fd^Iöngett, formen ftd^ }u einem geföQigen Sanjen, ba^ feine 
Borbilber, ben Dfterf|)ajierjang in SoitoiJ ^^äRefiftofele" unb 
in (SounobiJ /fSttttft", feinen Äugenblidt oerleugnet. S)cr britte 
Sit koirlt nod^ n^eit troftlofer unb nieberbrüdCenber atö ber 
erße ; er beginnt mit Slagen unb SSerlofinf d^ungen unb enbet 
mit Selbftmorb, Xobtfd^Iag unb äBal^nfinn. ®erne erfennen 
toxx bad reblid^e 93emü]^en unb ba^ bramatifd^e Xalent, n^omit 
ber (£om|)onift biefen g^ntmerfcenen bie entf|)red^enben l^erj^ 
burd^bol^renben Zone ju geben t)erfud^t unb namentlid^ bie 



152 €ö. f^ansltrf. 

nttttl^ett tote biefen ^SBafall t)on ^iXQtif)". (Sem tuieberl^olen 
tt^it, ba% Stnareglia eine fel^r bead^ten^toettl^e Begabung, 
®en;)anb]^ett unb @ffeltfenntnt^ beft^t. (Sine au^efprod^ene 
gnbiöibualttät l^abcn toir atterbing^ and feiner €ptx ntd^t 
l^etau^gel^ört ; fte j&I^It ju jenen mobem itdienifd^en, niield^e 
eine SSermittelung jtoifd^en bent f|)öteren 35 erb i unb bem 
jfingeren SB a g n e r onftreben. ®og belanntefte unb bemerf cniJ=' 
toert^epe 5ßrobuft btcfer «id^tung tft »oito« ^aReftftofele^, 
unb biefem möd^ten toxi einen beftimmenben (Sinjlug auf 
©maregüai^ Dper jufd^reiOen. Soito ift freiließ ein öiel 
intenfiöerei^ S^alent, feine (Srfinbung reid^er unb fill^ner. 
^^SWefiftofele" entl^ält cinjelne reisöoHe, originelle ©tüdtc, an 
toeld^e bog Sefte and bem „^a\ati öon ©jigetl^'' ni^t 
l^inanreid^t — Sid^tblidfe , bie ung toal^rfd&einlid^ nod^ l^etter 
erfd^einen würben, ftänben toir ber ganjcn Dper, ate einer 
IBerungIim))fung btd @oet]^efd^en %an\t, nid^t mit @runb 
t)oreingenontmen gegenüber. Seiber finb nm biefe Sid^t))unfte 
im „SWefiftofele" breite ©d^atten»» unb ©d^mufeffedte gelagert, 
öon »eichen ber folibere ,,aSafafl" fid^ frei ju l^alten toeife. gn 
©mareglio !önH)ft bie 3?atur be^ geborenen gtalieneriJ mit 
feinen beutfd^en aWuftem unb Srrungenfd^aften ; ja ber größere 
2^eil feiner Optx Hingt me^r tt)agnerifc^:»beutfd&, ate italienifd^. 
Siele unferer ßanb^Ieute toerben bieö bem SBerle nad^rül^men ; 
für mein I^eil gcftel^e id^ offen, bag id^ bie unöerfälfd^ten, bie 
italienifd^en Staliener öorjie^e. SBir mad^en ung feine 
Sttufionen barüber, bafe biefe in ber äKufi! auggeftorben finb. 
treten toir nöl^er an bie ?ßortitur l^eron, fo geigt fie uni8 
©maregliag ©tärfe nid^t fotoo^I in ber Urf|)rünglid^!eit unb 
Originalität ber (Srfinbung, ate öielmel^r in ber gefc^idften 
^n|)affung feiner aWufi! an bie Situation unb beren malerifd&e 
S|)icgdung im Drd^efter. Slm glüdflid^ften bel^errfd^t ber 
(Jornt^onift iad garte, toeid^ ©mpfinbfame unb ©d^toärmerifd^e, 



Der PafaU von S^x^et):^. 153 

iai er mit SBärme, aber mit geringer Kbtue^felung gum 
SuSbrud bringt« @o l^ebt ftd^ im erften Wt bie d^romotifd^e 
B-dur-gantitcne Änbor« (^,3^^^ "ur ein Iraum?") freunblid^ 
l^eroni^, eine fcappani ©pol^rfd^e SBenbung, bie aU (Srinnerungd« 
motit) im legten 8Öt toieberlel^rt Slel^nlid^ in il^rer fc^mod^tcnb 
mobuHrenben, c^romatifd^en äBeife Hingt bie 3ReIobie aRiIo^^* 
^©d^on fül^P i(^ fie liegen in meinen örmen", unb toicbcmm 
ft^nlid^ fftaia^ Sieb in A-dur im jtoeiten Äft. S)cr ®omt)onift 
läßt f omit biefe brei öerfd^iebenen S^araftere biejelbe em|)finbfame, 
in ^albtönen fd^toelgenbe ®pxai^t \pxti^tnl gmmerl^in finb 
biefe I^rif^en ©teHen bie beften. SBo l^ingegen leibenfd^aftlicöe 
(Energie unb @d^{agfertigleit ju entfc^eiben ^aben, ha mangelt 
bem (£om})oniften bie gufammenfaffenbe Sraft. @r fudbt bann 
bie geiftige ®ttoaÜ burd^ materieUe ju erfe|en, bie lebenbigen 
Sbeen burd^ betoäl^rte 5ß^rafen. Site Seift)iel citiren toir 
baiJ ginale beg jtoeiten SHte^, bie Slßegrofäfee ber beiben 
SiebeSbnettc : ^SRimm mid^, bie S)eine!" im erften Äft, „Safe 
in einem langen ffuffe" im britten u. a. grifd^ nnb anmut^ig 
Singen bie SSoItefcencn im {leiten W, ; t)oIf^tpmIid^, naik) finb 
fie nid^t, am aOernDenigften national. (Sinjig ber aU 93aIIetmufiI 
angefügte (Sgarbai^ erinnert baran, bafe bad @tüd( in Ungarn 
f))ielt. 2)ie fid^ ablöfenben &xupptn ber Sanbleute, SRönd^e, 
@oIbaten, burd^ beren ©tropl^en jtd^ ein SBaljermotid 
fd^Iängelt, formen fid^ gu einem gef&lligen ©anjen, bai^ feine 
Borbilber, ben Dfterf|)ajiergang in Soito« ^^ÜRefiftofele" unb 
in Oounobg /, Sanft", feinen öugenblidt verleugnet. S)cr britte 
Sit toirft nod^ n^eit troftfofer unb nieberbrüdenber ate ber 
erfte ; er beginnt mit 0agen unb 93ertt)finf d^ungen unb enbet 
mit Selbftmorb, Xobtfd^Iag unb äBal^nfinn. (Seme erfennen 
tt)ir bad reblid^e S3emü]^en unb ba^ bramatifd^e Xalent, n^omit 
ber (Jom|)onift biefen gammerfcenen bie entf|)rec^enben l^erj^ 
burd^bol^renben Zone )u geben t^erfud^t unb namentlich bie 



154 €b. ^ansM. 

Sterbefcene 9laia§ totid^ unb ^mmttngi^t)o(I aui^tönen l&j^ 
Wim td lägt fid^ nid^t t)erfd^kDetgen, miütn in btefen 
))f^(i^oIogtfd^en uitb ^aü^ologif d^eit ^ongtunftflflclen f d^mo^n wh 
bod^ nad^ bem, toa^ toir gute äRufil nennen. 2)iefe ekoige 
&diiä)Umaltxd unb ^effil^ßquäleret, n)te n)irb fie und fc^Iie^td^ 
Iangn)eiltg! ©maregßai^ leibenfd^aftßd^ accentutrter Sefangftil 
unb betatOirte ©ttntmungiSmalerei tierratl^en ein fel^r genaue^ 
©tubiuni ber neueften S)eutfd^en. 5)er ©nftug SBagncriJ, 
bed t^omtbelungifd^en SBagner, brandet nid^t etft betont ju 
toerben. (&x ift l^anbgteiftid^ glei^ in ber Igntrobultion bet 
Optx; aud^ ber beftamatorifd^e @ingfang StoIfS im britten 8(cte 
unb Stel^nlid^ed ift reiner SBagner. äBie t)iel ©ntareglia in 
ber gnftrumentirungSfwnft öon SBagner projttirt f^at, betoeift 
bie Sifion aWiloö' im erften «ftc, biefed gd^eimnigöoHe ©d^totrren 
ber getl^eilten SSioIinen, bie auf $)orfen»9[rpeggien unb tiefen 
Slorinett^Iönen immer ^öl^er fteigcn. Äße bie neuen Sünftc 
ber Drd&eftratton l^ölt ©marcglio in fidlerer $anb; c8 finb 
i^rer, nad^ meinem ®efd^madt, nur ju öiele, unb fie brängen 
fi(^ mit i^rer t)f^d&oIogifdöcn Serebtfamfeit attjufe^r an bie 
Oberfläche. S)en natürlid^en, gefunben Drd^efterHang toirb 
eine fpätere g^it erft toieber au« ättogart lernen muffen.' 
Xro^ mand^er n)ert^t)oUen (Sigenfd^aften l^at mir ber ^.SSafaQ 
t)on ©giget^'' boc^ nic^t jenen befriebigenben Sotaleinbruct 
l^interlaffen, n)eld^er an eine fd^öne Erinnerung baiS SJerlangen 
nad^ n)ieber^Qltem 93egegnen Int))ft. S)ad mobeme ^ublilum, 
indbefonbere bad äBiener, tok iä) glaube, bärfte t)ieQeid^t anberd 
em))finben. @d öffnet fid^ mit SSorliebe aQem ^at^etifd^en, auc^ 
bem überfpannt ^atl^etifd^en , unb l^at ftd^ bereit« in jenen 
D|)emftil eingelebt, toeld^er bie muftfolifd^e ©ubftanj jerfafert, 
bi« fie in ©timmungdbuft aufgellt. 






((grfte 5tup^rung im gofo^emt^eater am 15. Oftober 1889.) 

IXnfere gfreunbe im beutfd^en Steid^ bütften ed mit einigem 
©tftaunen lefen, baß Sor^ingS lomifc^c Dptx ,/SAt beiben 
®(^ä|en" ie^t im SEBieiter ^ofopemtl^eoter gum' erften, jum 
atteretjJen SWoIe gegeben tourbe — öoHe 52 ^aiftt nai) il^rcr 
$temi^te in Seipjig 1 2)ort ^atte bad luftige ©tüd, mit toelc^em 
fid^ Sot^ing atö D))emcomt)onift eingefül^rt, glängenbe Slufnal^me 
gefunben unb balb barauf einen fieberen Pa| auf allen beutfc^en 
Optxnbüifntn. S)ie $)auf)troQen tuaren ben beliebteften Seipjiger 
S)atfteIIem genau ange))agt, Sor^ing felbft gab ben bummen 
5ßeter. SBai^ i)at bcr öielfeitig begabte SRann, ber nebenbei 
D})emcom:ponift, Xejrtbid^ter, $a))ellmeifter getoefen, nid^t %Ut9 
gefungen unb gef))ielt tuäl^renb feinet Sngagementd in 2ei|)}ig ! 
^tuit fang er ben äßafetto ober ^pa^tno, morgen \pititt er 
ben t^ri^ ^urlebufd^ ober ben Zifc^Ier im ,,2um))acit)agabunbud'^ 
om näc^ften Äbenb ben Valentin im „SSerjd^toenber'' ober ben 
5ßeter ^öanoto in feiner eigenen Dptx „©jar unb ßimmermann". 
Unb bad aQed gleich Iiebendn;)flrbig , gleid^ lebenbig in @))iet 
unb @)efang. Sor^ing toar bamatö ein fd^Ian{er, pbfc^er 
99urf(l^ mit bunllen Soden unb audbrud(^t)oaen braunen Stugen, 
ftetg gut gelaunt unb öoH luftiger ©nfäHe. SBie fel^ öcränbert, 



156 €b. fjanslirf. 

frfil^ geaüctt crfd^icn er vm§, ate er im gcbruar 1849 feine 
le^te Dptx „Sam ®rogabmiraI" im 3ofe))l§{labter X^eoter 
birigirte ! 9htr bie leud^tenben Sugen unter ben grauen Soden 
unb ber gefurd^ten @time liefen ben einft fo leben^frol^en äRann 
tuieberer{ennen. 2)ie tl^eotralif d^en äRigjal^re, toeld^e ber SReüoIution 
t)on 1848 folgten, l^atten Sor|ing in forgenüoQe Soge Derfe^t; 
^ier in * SBien , al^ Ä(t()eanteifter beg 3ofe|)^ftöbtcr Il^eoterg, 
bur^Iebte er ben un^eitoerlfinbenben üorle^ten S[!t feinet 
ßebengbrantaö , beut in Serlin fd^nell ber lefete folgen foHte. 
®er Äcmtfte f)ai bie Seit ber lantiömen nid^t erlebt. ®ai^ 
SofetJ^ftöbter il^eatcr, ba^ Sorfeingg lefete« SBer! iniJ ßeben 
rief, i)at anä) bie nteiften feiner früheren Dptxn in SGBien 
juerft gebracht: im Huguft 1842 ben „Sjar unb Simmermann", 
im folgenben gal^r ben „SEBilbfd^üfe" unb „S)ie beiben @(^ü|cn". 
SRit bem „aBdffenfd&mieb" unb „Unbine" toar 1846 bai» i^eater 
an ber äSSien bem $)ofot)ernt^eater tt)eit vorangegangen. 2)ie 
SSiener ^ofo^er ^at fid^ eigenttid^ um Sor^ing fe^r menig 
geülmmcrt; fic gab jtoar ben „Sjar" fc^on im S^l^re 1842, 
lieg aber bann DoDe ac^t^el^n gal^re t)erftreid^en , el^e fte ben 
„aSitbf d^ä|", unb tocitere fünf Saläre, beöor fie ben „SBaffeufd^mieb" 
jum crften äRal aufführte. „Unbine" crf^ien auf btefer Sül^ne 
crft 1881, unb jefet erft, ganj juleftt, ßorfeingS erfte D^er 
„S)ie beiben ©d^flfeen". S^wö^ft erWärt fid& biefe »erf|)ätung 
toofjl aud ber rafd^ Dorgreifenben Konturrenj ber beiben genannten 
^orftabttl^eater , ebenfofel^r aber aud bem reid^en Sufbxi k)on 
Sloöitäten, bie in bem ga^rjel^nt 1837 — 1847 unferer Oroßen 
Dptx fid^ barboten. 9leue SBerle k)on 2) o n i j e 1 1 i unb SS e r b i, 
t)on äRe^erbeer,$[uber, Slbam^ %.%f)omad erfc^ienen 
in rafd^er gfolge, unb ba bei bem ^bI9um bei^ fö&mtnert^or* 
Il^eaterg italienifd^e unb franjöfid^e äRufif in l^öl^erer (Sunft 
ftanb, ate bie beutfc^e, fo glaubte bie S)irection, ben an\pxti(f^^ 
lofen Sor^ing leidet entbel^ren ju fönnen. ^aüt fie bod^ fogar 



Pte betben 5d?ü^en. 157 

(Bfofyc unb 972arfd^ner auffaQenb ignorirt. ^eute ift bod 
SBerl^ältnig faft umgelel^rt, im @htten n:)ie im Sd^Ummen. 
@inn unb SSertl^fd^&^ung beutfd^er äRuftl ^aben fic^ in äSHen 
ungemein erl^öl^t unb t)erbreitet, ba^ ift bie gute @ette. S)ad 
Uebel l^ingegen, totl6)t^ je^t ber äBieberaufna^me Sor^ing^ )u 
ftatten lommt , ift bie augerorbentlic^e Strmutl^ an mir!famen 
neuen Dpttn, fon)o]^I avS 2)eutf(^Ianb toxt and f$tan{ieid^ unb 
Stauen. 3«be D^jernbül^nc fielet ftd^ l^eutc genötl^igt, ältere 
SBetle tt)ieber auf^ufrifc^en, um einige S[bn)eci^fe{ung in bai^ 
9ie))ertoire gu bringen. 

Sor^ing f)ai bie ^anblung einem franjöfidgen SSaubeüiUe: 
„Les deux grenadiers'*, entnommen , ben @(^au|)Iafe unb bie 
?ßerfonett iebod^ in fein geliebte^ Ifeinbfagerlid^eiJ S)eutfd^ über- 
tragen. Sorfeing betocgt fic^ l^icr auf feinem eigcnften 95oben. 
@in Heiner beutfd^ed Stäbtd^en mit feinen gutmüt^igen @)rie^ 
bürgern, toeld^e burd^ allerlei SJertoed^fcIungen unb SDhfeüerftänb* 
niffe in ungen)o]^nte älufregung unb in einen SBirrmarr geratl^en, 
bei bem ed natürlid^ ol^ne Prügel unb Slrretirungen nid^t 
abgel&t. Sin eingebilbeter Slmtmann, ein bomirter ®afttt)ixtl^, 
ein ffud^enbcr S)ragoner, ein furd^tfamer bummer 3unge — 
baiJ ftnb bie fomifd^en giguren, gtoifd^en benen jtoei Siebei^ 
P&t6)tn, ein mutl^tt)ifligeg unb ein mel^r enH^flubf omeö , il^re 
l^armlofe ^wtrigue fpinnen. Sauter Zt^ptn, mit bereu 
©^arafterifti! unfer KomtJonift grünbftd^ öertraut ift unb bie 
in leidet öeränberter gorm ung oud^ fonft bei t^m begegnen. 
S)ie gut gefül^rte §anblung ergiebt ©cenen öon untoiberftel^ 
lid^er ftomil, ol^ne bem SSerftanbe Seit ju laffen, über 
Untoal^rfd^einlid^ei^ tiefer nad^iubenfen. S)ie §anb bei^ Xejt* 
bid^terj^ Sor^ing ift in bem gefd^idtten ^lufbau ber tomifd^en 
(Snfembtenummem nic^t gu üerlennen, leiber aud^ nic^t in 
ber Sriöialität bei8 S)iafogi^ unb ber Siebertejrte. 

2)ie neue alte D^er befi^ alle SJorjüge unb ®d^)t)&d^en 



158 €b. ^anslirf. 

« 

Sorfeingfi^cr SKufil — mx lönntc fl6cr biefc no^ tttoai Slcuc« 
faflcn! mit im ^^SBilbfd&ül" unb bctn ^aBaffenfd^mtcb" ftcl^en 
bic ^©eibcn @d^fi|ctt'' nid^t ouf glctd^cr $ö]§c bcr mufüo* 
lifd^en Srftnbung unb fömtedett Stu^fül^tung; nod^ toemger 
erreichen fic bcn in feiner SBcifc flafftfd&en ^Kjar unb girnntcr* 
mann''. @ic Hingen veralteter burd^ oHcrlei }o|)figc ?ßaffagen, 
burc^ il^re ®efangftfide in ^olonaifenfomt, il^re l^äufigen Stofalien 
unb langen SBieberl^oInngen. Slber U)ir begegnen barin man^ent 
9[Rufi{ftü(I, bai tuir gn ben geinngenften be$ fo tiebeniSlDürbigen 
Sor^ing jä^Ien muffen. $a ift t)or aQem bte broQige groge 
©olofcene beS bummen ?ßeter, ber, jugleid^ tangenb unb meift 
auf e i n e m Jone fingenb, feine SCbenteuer er jal^Ü, @tc ift t)oß 
Seben, t)oII gefunber, natürlid^er $omiI; biefeil einjige ®tSid, 
bag origineßfte in ber ganjen Optx, toürbe l^inrcid^en, Sorfeing 
}um aJleifter feinet fjfac^d }u ftempeln. 2)enno(l^ lege id^ nod^ 
ftör{eren Slac^brud auf ben einl^eitßd^en , ftet§ l^eiteren unb 
natftrlid^en %on, toüäjtx bad ^anje bel^errfd^t. @elbft bie 
fentimentalen Steden @iuftat>i^ unb Sarolineni^ treten niematö 
burd^ übertriebenen S(udbrudF auj^ bem Stammen bed Suftfpiefö. 
3n emften aJlomenten ift Sor^ingi^ äRufil toarm unb ^erglid^, 
aber niemals ))at]^etifd^. @^ ift titoa^ ^nitxt^, ob Siebe^^ 
fel^nen unb Slbfd^ieb^fc^merj in einer l&eroifd^en großen Dptx 
ober in einer Keinen fomifd^cn ju fd^Hbem finb. ffiin ®enre* 
bilb barf nit^t mit ben äRitteln unb gormen be« ^iftorien* 
bilbed koirfen. 2)ai^ ^auf^tmotit) lann bad gleid^e, ber ®tU 
mujs ein anberer fein, tlnb biefen (Srunbfa^ l^at Sor^ing 
fteti feftgel^alten. @eine burd^n^egd anf))rud^9lofe $)altung unb 
gefunbe 9latflrlid^leit tonnen aOen feinen Slac^folgem in ber 
beutfd^en lomifd^en Dptx unb ooDenbd in ber Dptxtttt tum 
Stufter bienen. S)iefe (Sigenfd^aften toirten auf ben ^drer 
mit einer einfd^meid^elnb flberjeugenben ^aft felbft bort, too 
fie unbebeutenberen älbtfitftfldCen anl^aften, bie ia in feiner 



Die beiben Sd^ü^en. 159 

SoT^tngfd^en Ciptx ganj feilten. Sei mond^er gar ju fettft« 
Detftänbßd^en 3ReIobie ober allju Imblid^en @cene fiberfitegt 
vm^ tooijil ein Söd^eln, baiS mtgeföl^r fagen toiO: tlnbegreifltd^e 
3eäen, totl^t ftd^ an bergletd^en ergd^en fonnten! Kber in 
biefed mobeme @eIbftbetDuBtfein ntifd^t fic^ bo^ ein bii^d^en 
Sleib auf unfere SSorettern, benen ^S)ie beiben @^fi|en^ einen 
genugreid^en, frol^en $[benb bebeuteten. @inb jene ^unbegreif« 
lid^en^ Seiten nid^t aud^ glüdKid^ere getoefen? (Btixmd toxt ein 
^aud^ aui^ jenen Xagen naiüer (Senftgfamleit fd^Iei^t ftd^ bod^ 
in unfer eigene^ ^erj, unb U)ir leil^en ben einfad^en aJlelobien 
unb l^amtlofen ®^ö^en ein freunblid^ed Df^x, toeil fie nait> 
unb an[))rud^i»Ioi^ finb. SSir ft|en \)ox ber Sfil^ne faft toie 
t)or einem trauten Kaminfeuer unb tt)&nnen uni^, frfi^erer 
Seiten gebenlenb, an beut berben ^urnor ber ^anblung unb 
ber gemfit^üotten Srd^Iic^Iett ber äRufil. 



158 €b. ^ansltrf. 

Sor|hiöf(i&er 3RufB — tott lönntc Aber bicfc nod^ ettoa« Slcuc« 
fagcn! SKit bctn ^aßirbfd&fife" unb bcm ^aBoffenfd^mtcb^ ftcl^en 
btc ^©cibcn @d^fi|cn^ nid^t ouf gictd&cr $ö]§c ber mujtio* 
lifd^en Srftnbung unb formellen KuiSfü^rung; nod^ n^eniger 
erreid^en fte ben in feinet SBeife Kafftf d^en ^Sjor unb 3itnmer^ 
ntonn''. @ie Itingen t)erafteter burd^ allerlei io))fige ^affagen, 
burc^ il^re ®efangftfide in ^olonaifenfomt, il^re l^äufigen iRofanen 
unb langen SBieberl^oIungen. {(ber toir begegnen barin mani^m 
äRuft{fKld(, bad tuir gu ben gelungenflen be^ fo liebeniStDürbigen 
Sor^ing jä^Ien muffen. $a ifi t)or aQem bie broOige groge 
@oIofcene bei^ bmnmen $eter, ber, jugleid^ tanjenb unb meift 
auf einem lone pngenb, feine SCbenteuer etjäl^It. Sie ift t)oQ 
Seben, t)oQ gefunber, natütlid^er ßomil; biefed einzige ®tSii, 
bad origineUfte in ber ganjen Dptx, tofirbe l^inreid^en, Sor|ing 
jum aReifier feined fjfa^i^ }u ftem))eln. 3)ennod^ lege id^ nod§ 
ftärleren Stad^brudf auf ben einl^eitlid^en , ftetiJ l^citeren unb 
natftrli^en Xon, toeld^er bad (Sanje bel^errfc^t. @elbft bie 
fentimentalen ©teilen ®uftak)i^ unb Sarolineni^ treten niemals 
burd^ übertriebenen Unibmd and bem Stammen bed Suftfpiete. 
3u emflen äRomenten ift Sor^ingd äRufil toaxm unb ^erglid^, 
aber niemals ))atl^etifd^. @^ ift etn^ad 9lnberei$, ob Siebe^^ 
fernen unb 9(bfd^iebi$fd^merj in einer l^eroifd^en großen Dptx 
ober in einer Keinen fomifd^en p fd^ilbem finb. Sin (Üenre^ 
bilb barf nit^t mit ben SRitteln unb gormen bc« ^iftorien« 
bilbed toirlen. S)ad ^auf^tmotik) tann bai^ glei(i^e, ber ®tU 
mujs ein anberer fein. Unb biefen ®runbfa| l^at Sor^ing 
fletd feflgel^alten. @eine burd^tt)egi^ anf))rud^9lofe Haltung unb 
gefunbe 9tatflrlid^Ieit lönnen allen feinen Slac^folgem in ber 
beutfc^en fomifd^en Qptx unb üoUenbd in ber Dptxtüt irnn 
Stufter bienen. S)iefe Sigenfd^aften toirlen auf ben $5rer 
mit einer einfc^meid^elnb überjeugenben ^aft felbft bort, mo 
fte unbebeutenberen SDbtfSpdCen anl^aften, bie ja in feiner 



Die betben Sd^ü^en. 159 

SoT^tngfd^eit €ptx ganj feilten. 8et mand^er gar gu feI6ft« 
t?etft&nbli(|en aJlelobie ober aOju finblid^en ®cene fiBerfltegt 
und kDOl^I ein Säd^eln, bad ungefäl^r fagen toiU: Unbegretflid^e 
Betten, toetd^e fid^ an bergletd^en ergd^en tonnten! Sber in 
biefed mobeme @elbpen)ugtfein ntifd^t ftd^ bod^ ein bidc^en 
9te{b anf nnfere SSoreltem, benen ^S)ie betben @d^ü|en'' einen 
genugreid^en, frol^en Kbenb bebeuteten. @inb iene ^unbegreif« 
lid^en'' Seiten nid^t (mä) glüdKid^ere gekoefen? (Sttoad tote ein 
$and^ aui^ ienen Xagen natoer (Benftgfamleit fd^Ieid^t ftc^ bod^ 
in unfer eigened ^erj, unb n)tr teilten ben einfa^en äRelobien 
unb l^armlofen @))äBen ein freunblid^ei^ £)f)x, toeil fie naio 
unb an^pmäj^lo^ jtnb. 2Bir ft|en oor ber Sfil^e faft tsnt 
oor einem trauten Kantinfeuer unb to&mten und, frfi^erer 
Betten gebenlenb, an bent berben Junior ber $anbtung unb 
ber gemfit^ootten gfrö^ßc^Ieit ber äRuftf. 



(®rfte fcenifd^e ^uffü^rimg im $ofo|)ernt^cater 1889.) 



Unanfcd^tborc Scitgntffc bcfiöttflcn cg, bafe Sifjt btc 
fccnif^c Sluffü^rung feinci^ Dratoriumg „^k l^ciligc Slifabctl^'' 
grunbfä^Iici^ >exn)orfen ^at. $[tö tl^nt ju (Sitten 1884 im 
SBeimarer $)oft]^eQter biefe SarfteDung jum erften äKak ftatt^ 
fanb; öugerte er nad^brüdlid^ gegen feine @d^üler unb t^reunbe, 
fein innerjleg ©efül^I toiberftrebe ber t^catralifd^cn Mu^ftattung 
eineiS SBerfe^, bad er „jur Erbauung'' gefd^rieben ^abe. ®an} 
genau erfannte ßifjt ba^ Oratorium unb bie £)ptx atö jtoei 
Sunftformen, bie, fid^ eng berü^renb, ja fd^einbar öermifd^cnb, 
bod& öerfd^iebencn ®cfe|cn unterliegen, anberc giele mit anbcrcn 
äKitteln anftreben unb — nod^ gang abgcfe^cn öon ber STOufil 
— fd^on eine burd^aug öerfd^iebenc Slnlagc beS lejtbud^eiJ jur 
S3orauiSfe|ttng l^aben. Sin Oratorium fcenifd^, atö £}ptx, auf^ 
iuffll^ren (toie e^ einmal auc^ bie 3)üffeIborfer Huftier mit 
äRenbelgfol^ng ^^ßaulu^'' gctl^an) ift unb bleibt eine Silettantcn- 
ibee. Allein Sifjt, ber in feiner angeborenen SiebeniJtoflrbig* 
feit nic^t leicht ^Stein" fagte, öermoc^te eg am toenigften gegen 
einen :perfönltd^en äBunfd^ feinei^ l^ol^en $erm unb ©dmterd. 
SBa« ©erm ®irector Sal^n betrifft, fo ift er ein triel jn 
feiner SRufllcr, um nid^t bai^ SBibcrf^tud^iSöottc jene« Unter* 



( 



£if3ts „^eilige €Itfabetlj«. lei 

nc^meitg fo gut einjufc^cn, toic Sifet fclbfi ei» cingcfel^n l^at 
®r tft anä) ötcl ju fcl^r Sl^catcrlcnncr, aö bafe er ber lofHl«« 
mirten ^^l^eifigen ©fifabet^" einen Äaffcnerfolfl jutraucn foOtc. 
SBa§ mag i^n alfo trofebem baju belogen ^aben? äBa§iJ» 
fd^einlid^ biefdbc gfnffuenja, an ber feinerjett aud^ ßifjt ge^« 
litten. @g iüärc übrigens bare ©eud^elei, iüollte man be* 
l^aitpten, Sifjti» SBerl ^abe burd^ bie fcenifi^e ©inlleibung an 
SBirfting eingebüßt. SJielmel^r lann t^ ein ®cn)inn l^eifecn, 
iüenn mir burd^ potü^ä) erbad&te, t^eifö lieblid^e, tftcifö ^)ntnl* 
t)otte fcenifd^e ©über ^ati abgejogen »erben öon ber unfög* 
lid^en Sangmciligleit biefer SKufil. 3)ie Mugenmcibe auf ber 
S3ül&ne mirlt ^ier mie eine gelinbc SRarfofe, toeld^e bie unferem 
D^re jugefugten ©d^mcrjen angenel&m öerfd^Ieiert. SRod^ @inc» 
fönnen bie Semunberer ber ,,|)eiligen ©lifabetl^^ ju ®unftcn 
il^rer Koftümuung anfül^rcn. @g giebt namlid^ lein jmeitei» 
Oratorium, bag fid^ fo eng, fo unerlaubt eng an bag D|)ern* 
mefen anbrängt, mie bie Sifjtfd^e „Slifabet^". @ie entl&ält 
nid^t ben * geringften et)if d^en , erjäl&Ienben Bn^iW^^f ^fe »nb ift 
burd^toegg bramatifd^ geformt. S)er ©injug ber magt)arifd^en 
©efanbten in ben S33artburgf aal , ber ^eujfa^rermarf d^ mit 
großer Irommel unb ©edEen, bie ©emitterfcene mit bem ein=« 
ftürjenben ©d^Ioßl^of — ha^ aöeS reicht bem D|)cmregiffettr 
förmüd^ bie ^anb. ©asmifd^en freilid^ toiebcr bußfertige 8tn* 
bad^t, m^ftifd^c ©alonl^eiligleit, bie in i^rem unerfättlid^en 
©id^felbftgenießen ung baran mal^nt, baß e§ bod^ ein Dra* 
toxium ift, toa^ fid^ ^ier inS I^eater öerirrt l^at. 2)em 
I^eater miberftrebt bag breit auggef^)onnene SRofcniounber, 
ber ©^or ber Slrmcn unb SSrcft^aften, Slifabet^S lob unb 
SSerHärung, enblid^ bie Seic^enfeier mit ben Ktd&enlateinifd^en 
^^mnen. @in längere SebenSbauer afö im ©oncertfaal l^at 
bie „^eilige @Iif abet^"* aud^ im Dpttn\)m\t nid&t ju l^offen. 
2)iefc SRufi! ift bod^ ju nieberbrüdEenb in i^rer ffirfinbungg^ 

eb. J&ansttcf, Slu8 bem Xagcöuc^ eines SWufifer«. H 



162 <2^ f^anslicf. 

loftgleä, in i^rer äRonotome unb SSerIflnftelung. @kiä) ha^ 
enblofe üt Serjen ptenbe Drd^eftert)orf))ieI mad^t nnd unge« 
bulbig mit feiner raffinirten llnfci^ulb unb allol^oliftrten Sinb^ 
fid^feit. Sebenbiger mirb bie ©ad^c im erftcn 'WH, too ber 
^nberd&or (er fönnte in einer opera comique ftel^en) fogar 
ju einem ©alletbiöertiffement benufet toirb. Qfm jmeiten 
Äft folgt auf eine |)]^rafcnreic^e , äufeerft faftlofe ^^gb^Strie 
be« Sanbgrafen ia^ öieIbef^)roc^ene ^^aiofennjunber^. @§ ift 
me^r ein Siofalientounber im mufifalifc^en ©inn, inbem bag 
bürftigfte SKotit) fid^ in Sifjtg |)änben in eine eniflofc Sctte 
fogenannter SRofalien öertoanbelt, n^eld^e ben Kom^joniften öiel* 
leidet jum ^eiligen, ben ^örer gen)iB jum äRärt^rer mad^en. 
$öd^ft bejeid&nenb für Sifjt ift folgenbe ®cmerfung jum ^fftofen»» 
tounber'' auf ©eite 69 ber gebrucften 5ßartitur: ^8fn biefer 
©teile unb bei bem Eintritt beS Sl^ord ^^Sin SSunber l^at ber 
$err getrau" foll ba« Drd&efter toie öerllärt erHingen. 
S)er 2)irigent mirb gebeten, ben lalt faum ju marlircn, unb 
ha bieS gefagt, fei nod^ l^inju bemerft, bag ber Som)7onift bad 
übti^^ lattfc^Iagen ate eine finntoibrige, brutale Singe* 
n)o^nl^eit betrad^tet unb e^ gerne bei allen feinen SSerfen 
»erbieten möd^te. äRufi! ift eine golge öon Ionen, bie 
fid^ einanber begehren, umfd&IieBen — unb nid^t burc^ lalt* 
^rilgel gefettet n^erben bürfen." 2)ie Xöne, „bie fic^ begel^ren 
unb umfc^tie^en" — wie balb toürben fic fid^ in ben paaren 
liegen ol^ne ben öon Sif jt öerbammten laltirftab ! 8lud& fonft 
nod^ finbet man in ber Partitur mand^e foftbare Slnmeifung. 
Sum S5eif|)iel (@. 71) unter ber ^arfenftimme bie aRal^nung: 
,,3lid&t alg gingerflbung abjufj)ielen;^ S)er arme 
$arfenf|)ieler foO alfo biefe aOergenDöl^nlid^ften SreiKongar« 
:peggien nod^ mit einer befonberen Stömmig!eit Dortragen! 

993ir bringen nid^t n^eiter in bie Sinjel^eiten ber Som« 
))ofttion; bie ja aui^ bem Soncertfaale fattfam belannt ift. SBod 



£if3ts „fyxlx^e €Itfabetl^\ 163 

aber hl bcr D:pembarftcKuitg jtörfct ate je ]^crt)ortrtlt, tft 

ßtfjtö $lb]^ängig!eit Don ätidgarb äBagner. 3>te ;,$eilige 

(Elifabetl^^ ift ol^ne ben Xanitl^äufer uitb Sol^engrin gar ni(^t 

benttar. S)tcfelbcn SKelobtciücnbungcn unb Äff orbfolgcti, bicfcfte 

jtDifd^en SRecitatit) unb Sltiofo fdgtDebeitbe beclamatorifd^e 8e^ 

l^anblung bei^ 2)taIogi^. Wan l^öre bie 3[agb:«S(rie be^ Sanb« 

grafen unb bie 9)egegnung mit feiner (Sema^Iin, (Slifabetl^i^ 

SCbfd^ieb beim 8lu3marfd& ber Sreujritter, il^re ®cene mit ber 

ßonbgröfin ®opi)k, tl&re lange Ie|te äRonobie — e« ift ber 

reine SBagner, o^nc SSagneri^ Salcnt. Offenbar ^at ber hoppdtt 

fUt^pdt öor bem SBeltml^m be^ greunbeö unb öor bem eigenen 

geiftlidgen Semanb Sifjt Don ber D^embül^ne abgel^alten; 

bafür mod^te er gern ber SRid^arb SSäagner beg Oratorium^ 

»erben. ®n leidet begreifßd^cr S^rgeij. Aber bamit ift'^ 

nid^t getl^an, ba§ man mit SBagnerfd^en ^ßl^rafen arbeitet unb 

bie ^eilige ©lifabet^, i^ren ©emal^I unb bie Sanbgräfin genau 

fo fingen lögt, wie ®Ifa, So^engrin, Drtrub, unb mciftcntl^etfe 

eine $ßerfon tt)ie bie anbere. 5)ie mangetnbe ©egabung, un* 

mittelbar mufifalifd^ ju d^arafterifiren, fud^t Sifjt burd^ aKer* 

l^anb @^mboIif t)on augenl^er ju erfe^en. (Sr Dernienbet ein 

alte^ beutfd^eg $ßilgerlieb, ein ungarifd^e^ ffird^enfieb, bie lat^o* 

lifd^e Stttip^onie „Quasi Stella matutina^S cnblid^ eine 3wto* 

nation aui^ bem ®rcgorianifd&cn ®efang — ©itate, toeld^e ate 

^Seitmotiüe'' ba^ ganjeJDratorium l^inbur^ il&r budfmäuferif^e^ 

SSäefen treiben. S^ber unbefangene $örer finbet too^I bie ®e* 

tonung be0 @d6Iad^trufeg ^®ott toiti eg!" mit bem SKotio f, 

g, b — b, c, es (unisono, in gleid^eu l^alben SRoten) ab* 

gefc^madft unb ^äglic^. SBirb er fie fd&ön finben, »enn i^m 

Stfgt fagt; bag biefeS äRotio bie (Sregoriantfd^e igntonation 

be^ „Magnificat** ifl? @clbftt)erftänbüd& bringt ein fo um* 

fangreid^ei^ äBerf Don Sifjt aud^ intereffante unb geiftreic^e 

SteKen — id^ erinnere öor aKem an bie effeltDoKe 3KaIcrei 

11* 



164 €b. ^ansM. 

beS Qktoitttx^. Sludg ber @ngeIc^or an ber Seiche Slifabetl^i^ 
tüirft bur^ jartctt, ftimntungi^öottcn Klang. S33tII man ober 
an einem a5cif^)icl erfennen, mo^ bloße ©ttmmungiJmaleret ift 
unb toag ed^te ÜRnftf, fo öerglcidöe man mit bem ßifjtfd^en 
©ngelc^oT ^ipimmetörofen finb ctttf^)r offen" ben analogen Set* 
Hämngggefang in ©c^nmannS 2fauft*9Kttfif: ^Sene »ofen 
in ben ^önben." 

^a^ äßetl toar mit ebenfoDiel $rad^t afö ))oetifd^em 
geingcfül^I fcenirt. 3)ic ^ulbigung im aBartburgfaal, bie SScr* 
Hömng toäl^renb be« SRofeniounberi^, ber ^engfal^rcrjug, bie 
®m:|)))imng ber @ngel um bie ikii^t @Iifabet§d — toeU^ 
l^enlid^e Silber ! ©olojönger, Kl^or unb Orc^efter (unter $an§ 
Sftid^terS Scitung) — fie aKe l^aben an bicfer ,,$ciKgen ffilifa* 
betl^" öicic SBo(Sen lang unabläffig ftubirt unb pxoUxi. Solcher 
@ifer Derbient ba^ größte Sob. 9htr baß er an ein gau} aui^ 
fid^tglofeg SBerl öerfc^n^enbet ioarb, an ein SBerf, ba^ nid^t 
einmal aufg Sweater gel^ört, ift }u beflagen. SKit bemfelben 
Sluftoanb öon Stit unb (Selb n^ar leidet eine neue Optx l^erau«* 
jubringen, meldte aKgemeine^ Qfntereffe erregt unb ben Sängern 
loie bem 5ßublifum Sreube gcmad^t ^ötte. SSeibe gingen bei 
ber „^titxQtn ©fifabet^" rec^t leer aug. öeibe fel^nen fid^ 
nad^ banfbaren neuen Opern. 2)er Scfer bürfte fd^Iießüd^ er* 
fahren motten, toic ber äußere @rfoIg be^ t)ero|)erten Dra* 
toriumö au^gefcl^cn l^abc? @8 toai ein „succes d'ennui", 
eine fcitfamc, aber nid^t eben felteue unb leineSmegS ganj öer* 
äd^tlid^e Slrt t)on ©rfofg. S33enn bie Seute fi^ bei ber ©om* 
pofition cineg benil^mten SKanneg gelangmeiÜ ^aben, fo finb 
fie leidet geneigt, bag SBcrf für ein gelcl^rteg unb tieffinnige« 
ju l^alten. 3n bicfem Sinne ti^at einmal ©ainte^sSeuöe 
ben monumentalen 8lu8f^)ruc^: „L'ennui a son prestige.** 



„ftt jifldrtititg«" 

(fotnif(]^c D:per in brei Elften üon S3em§arb Söud^binber, SKufif 

öon SJaouI SKaber. 1891). 



9lad^ einem t)on ben Seutfd^en getDonnenen ®efe^t metben 
meistere franjöfif^e Dffijiexe atö ©efangcne fortgcfül^xt. 
3tt)eiett t)on il&nen gelingt cg, ju cnttoifd&en. 3)cr erfte, 5ßrinj 
Santbignac, flüd^tet fid^ in eine SSiQa, tDO et jmei lieben^mürbige 
äR&bc^en, ^ertl^a unb ®vifix, Zo^ttx unb 9Hd^te bei^ penfionitten 
Dberftcn ©anbcr, antrifft. @ie laffcn fid6 na^ einigem 
©tr&uben ertoeic^en, ben feinblid^en Dffijier jn öerftecfen. (88 
ift l^öc^fte S^itf io, ber bentfd^e Sergeant ©fenroft bereite mit 
feiner äRannfd^aft anrfidt, um bem (Sntflol^enen nad^juffyüren. 
Sertl^a Drängt biefen in bie ®arberobe i^reiJ auf einer Steife 
beflnblid&en SSaterö, öon too er in beffcn Uniform unb $ßerrüde 
afe — Dbcrft ©anber ^eraugfommt. gnätoifd^en ^at ber jtoeitc 
t^Küd^tting, Slbiutant Sumont, fid^ gleichfalls in bie SBonberfd^e 
SSiOa gerettet. Stac^ SambignacS 93eif:piel bemöd^gt anä^ er 
ftd^ einer Uniform unb ^errüdEe beS $(Iten unb toirb fc^ned 
t)on ben äRäb^en für ben trüber beS Dberften ausgegeben. 
3m jioeiten Sitte finben loir baS 5ßerfonaI öerme^rt burd^ ein 
öltlid^eS gfraulein @mma t>, (Sleid^en unb einen gedenl^aften 
®aron Sippmi, SSert^aS SSerlobten. 2)ie ®efellf^aft ergel^t 



166 <H^. ^anslxd. 

fi^ fc^r l^eitcr beim ftaffce im ®artcn. S)ic öerHeibcten 
Dffijicrc, bcibc bereit« grünblid^ öeriiebt in bie Zoä)ttx unb 
Stickte bc8 t>öufeg, mad^cn jum ©c^eine ber alten ^wttflfct 
ben $of unb jc^Iagen il^r fogar eine Sntfül^rung öor, um in 
i^rem SBagen fidler über bie ©renje ju gelangen. ®Ieid^jeitig 
bereben bie SKäbd^en ben Saron Sit)|)nicl, jum ©d^erj aud^ 
eine Uniform (bie britte!) beg alten Dberften aujUiiel^en unb 
biefem in ber f^)a65öften SScrHeibung entgegenjugel^en. SBöl^' 
renb ba« atte« eiligft ing SBerl gefegt iüirb, erfd^eint uner^ 
toartet ber n)irf(id^e Dberft ©anber, ber nun brei S)op<)eI* 
göngcr öor fid^ fielet, gm britten 2Kt mirb bem Cberft toeiS^ 
gemad^t, ßambignac fei fein alter Srieggfamerab Sarafft, ber 
fid^ mit bem Slbjutanten eingefunben ^öbe, um bie alleinftel^enben 
SRäbc^en gu befd^ü^en. 5)er ©ergeant ©ifenroft, im ®runbe 
ein ©c^afgfo|)f, pit fid& für einen feinen 2)i)jIomaten — tote 
man benn häufig gerabe auf biejenigen ©igeufd^aften ^lod&t, bie 
man am toenigften befi^t. @r l^at fi^ burd^ jmei 3Wte ^in^ 
burd^ narren laffen unb gel^t nod^ im britten in bie gallc, atö bie 
beibcn franjöfifd^en Offiziere in SgauemHeibung i^n um einen 
5ßaffirfc^ein bitten, ben er ol&ne Leiter« ausfolgt. S)ie beibcn 
glücbtlinge fagen eben i^ren ©eliebten ein Ie^te§, fd6merjlt(^e« 
Äebemo^I, ba ftürjt ^)Iö^Iid& ein ©olbat — toir l^aben i^n 
längft ermartet — auf bie SJü^ne unb bringt bie SRad&rid&t, 
^a^ ber griebe gefd^Ioffen fei. Unb biefer griebc öerfd^afft 
un« feinerfeit« bie beglüdenbe Slu^fid^t auf eine 5)o^)|)eIl^eirat. 
„2)ic glüd&tlinge" fann man ol^ne toeiter« eine gafd^ingiJ* 
:poffe nennen. 2)ie Untoal^rfi^einlid^feitcn unb 8Biberf|)rüd^c 
ber ^anbtüng finb fo riefig, baJ3 man trofe be« Äriegi^getoitterg 
unb ber fteten Sebenggefa^r ber beiben Dffljiere leine cinjigc 
@cene ernft nehmen !ann. 2)ie 93Iinb^eit unb Summl^eit aQer 
burd^ bie SSerHeibungi^fomöbic ®efo^)^)ten überfc^rettet jebe« er* 
benlKd^e aRafe. S)ie gigur beg gefä^rbetcn Siebl^abcriJ, ber, 



„Die ^Iüd?tange\ 167 

üU alter Dberft t)erf(etbet, übet ®ici^t Hagt unb lauftet, matt 
tetmt fte l^mlöngltd^ an^ So^ebued unb anbeten $offen. Sbet 
auf einmal ö i e r fotd^c aft^matifd^e ^elbengreife auf bet Sül^ne 
ju feigen, \>a^ tft me^r, atö man bittigern^eife ertoarten lann. 
SBenn toir an bag Sibtetto nur bie 2lnf|)rüd^c einer 5ßoffe 
ftellen, fo lönnen toir bem SSerfaffer ba^ Sob ntd^t öerfagen, 
ba§ er ba8 bunte 3)urci^einanber gemanbt unb luftig arrangtrt 
f)at atuSfci^Iieglic^ auf Situation§fomi! bebad^t unb ftet§ auf 
ber gagb nad^ neuen Ueberrafd^ungen, tonnte er fid6 um bie 
©l&aralterifti! ber einzelnen ^erfoncn nicbt öiel fümmem. Die 
beiben galanten Offiziere, ber bärbeißige Dberft, bie öerliebte 
alte ©d^ad&tel, ber bumntpfiffige Sergeant, ber näfeinbe, ge* 
fd^ttiegeüe Sgaron — e§ finb lauter n^ol^Ibelannte 5|}^t)fiog* 
nomien. S)ie beiben ©d^lojsfräulein red^nen n)ir nid&t baju, ba 
fie eigentltd^ gar feine 5ßl&^fiognomie ^aben. 3)er erftc 2Bt 
toirft red^t er^eiternb, im jmeiten ftodEt bie ©anblung fd&on 
cm^)finbtid^, um im britten beinahe einjufd^Iafen. Dl^ne bicfe 
Sängen mürbe ber anf^)ru(^gIofe ©d^toanf einen nod& gxöjseren 
Sac^erfolg crsielen, ba ber SSerfaffer fid^ mei^Iid^ ptet, ben 
Sufd^auer burd^ ^)at^etif(^e Slniüanblungen aug ber einjig jtoedf* 
mäßigen gfßfc^inggftimmung ju reißen. 

3)ie aWufi! ift öon ^errn Slaoul SWaber, einem in SSäten 
aU ^laöicrlel&rer unb ®efang§coxrepetitor gefd^ä^ten, aud^ 
^jerfönlid^ lieben^toürbigen jungen 3Rann. Site ®om^)oniftett 
fannte id^ i^n bis ^eute nur burd& einige Sieber, bie mir, offen 
geftanben, toenig SSerttauen einflößten, ©d^on au8 ben litel« 
blättern biefet einzeln erfd^ienenen Sieber ftrömt ein cigent^üm* 
lic^ faber, füß*fäuerli(^er (Seruc^, tt)eld^em ber fd^mad^tenbe 
muftWifd^e Sn^alt ööttig entfpric^t. „»ei bir allein!", 
^erm ^ofo^)cmföngcr S33infelmann gemibmet. „SBärft bu 
mein eigen!", ^errn §ofo|)cmfänger Sommer augeeignet 
„3)id^ min id^ cmig lieben!", ^errn ^ammerfänger 



168 €b. f^anslirf. 

®. SWfiDer gctoibmet. ,,®c^Iäfft bu, Sicbd^en, fd&Iäfft 

bu fd^ott?", $erm ipofo|)cmfängcr Sd&röbtcr gctoibmet. Qfd^ 

tt>ei|5 njirllid^ nid^t, ob ba^ Sicbd^en fc^on fd^Iäft; tocnn nid&t, 

fo hxaai^i fte ftd^'i^ nur nod^ einmal Dorfingen ju laffen. (S^ 

pnb burd^ang Steber, bic, mit ben flctoöl^nlid^en mufilalifd^en 

Sloffen aniSgeftattet , im f eid^teften ©entimentalitötötDaff er 

:plätfd^em. B^ittpeilig fteden etlid^e banfbare l^o^e 9}ru{ttöne 

il^re 3lotenIö|)fe ^^raui^, nad^ bem Wj^ptan^ itd öerd^rlid^cn 

$u6ü!um^ au^Iugenb. 2)te fel^r feltene Slu^seid^nung, bag Dor 

einem «oc^ burd^ feinerlei größere Slrbeit Icgitimirten jungen 

(Eomponiften gleid^ bte 5ßforten be^ $ofo|)ernt]^eaterg auff|)ringen, 

mußte bag 5ßubKftim notfixltd^ mit ertoartungSöoIIer Sleugier 

erfüKen. S)aiJfettc toirb mit ©efriebigung iüal^rgenommen 

l^aben, baß $err aWaber in ben „glfid^tlingen" nur feiten in 

feinen @d^Iafenben*Siebd^en*Son öerfällt, öielmel^r fid^ über^ 

ttjiegenb einer bequemen §eiterleit befleißigt, einer ^eiterleit, bie 

in il^ren $ö^e<)unften an jene berliner Sieutenante erinnert, 

bie „beinal^e ©elt beftellt l^ätten". 6r fd^eint mel^r aug Wxi* 

ftc^t für feine (Säfte luftig 5U fein , ate au^ innerem 3)range. 

SebenfoD^ öerbient |)err aWaber bai^ Sob, baß er jtt)ar ftetteu'' 

weife fentimental, aber nid^t gerabeju ^)at]^etifc^, tragifc^, mag* 

nerifc^ toirb; er miß un8 nie jeigen, baß er fe^r gut eine 

l^eroifd^e große Dptx fd^reiben Knute, toa^ er, mie id6 öer« 

mut^e, auc^ mirllid^ nid^t lann. 

So toie ha^ lejtbud^ biKigermeife nur ate 5ßoffe ju be* 
urt^eilen ift , f ioirb man bie aWufif ber „glüd^tlinge" öiel:» 
leidet am rid^tigften jur Operette red^nen. Sin unb für fic^ 
bebeutet bai^ burd^aui^ leinen Xabel. @^ giebt fel^r gute Dpt^ 
retten, unb ic^ möd^te für mein S^eil lieber bie ?ßartitur jui 
„©d^önen $elena" gcfc^rieben l^aben, ate ben „Iribut öon 
gamora" ; lieber bie „glebermauiJ" ate ben „SSafaB öon ©jiget". 
S)a« SSic^tigfte ift immer ba« lalent, bau fic^ in biefem 



„Vie Jlüd?tlinge\ 169 

ober jenem ®ettre öoll ben^äl^rt. 3)te Sragc, ob ein erfte^ 
ftnnftinftitut Optxtittn anffü^ren bürfc ober nic^t, toirb baüon 
nic^t bcrfll^rt. S)cr Scgtiff ber Qptxtttt ift flbrtgcng ein 
jc^ioanfenber. aWond&e „fomifd^c €)ptx'' au^ unferer SSäter 
3ctt mürbe ^ente nur ju ben Operetten gejault merben, unb 
bte neueften S33iencr „Dptnittn" mit i^ren Mec^gepanjerten 
gfinafei? unb ^eIbentenor*$ßartten Rotten öor fünfjig galten 
„Dp^tn" gel^ei^en. S)ie n^efentlid^ften SKerfmale ber Operette: 
eine poffen^aft fomtfd^e ^anblung, gefprod^ener S)iaIog uub 
populöre, in fnappfte gormen gefaßte aWelobie, ftellen fte, ber 
Oper gegenüber, te^Iid^ tt)ie mufifalifd^ auf ein äft^etifc^ 
niebrigei^ 3lit)tavi. S)iefeg Sßiöeau unb nid^t ber größere ober 
Heinere Umfang ift entfd^etbenb. 5)ie „Cavalleria rusticana" 
ift ein einaftigeg Sauemftücl, unb io<b tüirb niemanb fie eine 
Operette nennen, felbft toenn fie im Sarl*a:]^eater gefpielt mürbe. 
3Kaberi5 „glüd^tlinge" hingegen fußen brei Slfte unb befd^äftigen 
bie beften Äräfte ber ^ofoper, bennod^ finb fie Opercttenmufü. 
SBir finben barin alle in ber SBiener Operette t^pifc^ gemorbenen 
®ffe!te: faft jebe^ im */4*3:aft beginnenbe ®efangftüdf münbet 
tu ein langfam miegenbei? SBaljertempo, ha§ aU Stefrain jum 
Ueberbruß mieberl^ott mirb ; bie gorm beiJ @tropI)enIiebeg mad&t 
fic^ aud& in ben ©nfembteg breit u. f. m. 2luf biefem Soben 
bemegt jtc^ SRaber aU ein leid^tei^, gut gefd^uüeg latent, bag 
einfädle SKufifformen gefd&idtt ^^^nb^abt, bem ©l^araöer ber 
?ßerfonen unb Situationen im allgemeinen geredet mirb, fe^r 
ftimmgemäß für ben (Sefang unb ätoedEmäßig für ba« Ord^efter 
fefei S33a^ man fd^mer öermijst, ift bie Originalität ber ffir* 
finbung. 3c^ entftnne mid^ leine« einzigen I^ema« in ben 
„Flüchtlingen'', bag mir ate neu, padfenb, geiftreid^ aufgefatten 
möre. (Sbenfomenig bietet ber bramatifc^e !(ui$brudC ober bie 
©truftur ber mufifalifd^en Sormen irgenb einen neuen, \xap^ 
panten gug. S)ie ©nfemblenummern, bte einen breiter au««« 



170 €b. ^anslid. 

gefül^rtcn öau erl^cifc^cn, ftnb größtcntl^citö ouf ßor^mgfd&en 
©d^aMottcn jugcfd^nittcn. 3)a8 gicbt bcr aRuftl ein ctloa^ öcr* 
ftoubtcg Slugfcl^cn, bcnn bei aßet SSoriicbe für Sorfeing f d^cint 
e§ mir bod^ bebenlfid^, fünfsig S^^re mä) bem ^®jar unb 
Simmerntann" Sor|ingifci^ ju fd^rcibcn. @S fe^It aber ber 
3Rufif äRaberS nid^t bloß bie Originalität, t^ fep i^r aud^ 
an Ieni^)cramcnt. Sßon einem jungen Kom|)onifien l^crrül^renb, 
Hingt bicfc ÜRufil bod& gar nid^t jugcnblid^. SSSie fd^iüunglog 
nnb urnftänblid^ rüdft fic in ftetg gicid&em öicrtaftigen SR^^tl^* 
ntuiJ öor, iüie jagl^aft im Äomifd^cn, iüic flau in ber Siebe! 
SBie ffebt ha$ alleg ol^ne innere mufifalifd^c Iriebiraft an bem 
monotonen 3Retrum be8 SejteS 1 @S ift nid&tg gerabeju fd^Iedöt 
ober l^öfelid^ in ber $ßartitur, nid^t« une^rlid^, gefünftelt ober 
gel^eud^elt; aber e§ ift alle§ — ni(^tS. SBcnn id^ einige furje 
Konöerfationi^ftellen, h)ie j. ©. bag erfte Stuftreten ber beiben 
3Mäbd^en, auiJnel^me, unb l&in unb mieber einen gelungenen 
Slnfang, tok ben bed Sad^tcrjett^, fo bin id^ faft am ®nbe mit 
ber Slufjö^Iung ber Sid^tblide. SSießeid^t n)äre nod^ Sinjelned 
]^ert)orju]^eben, aber ber Stempel beg Drbinären unb ©eiftlofen, 
ber bem (Sangen aufgebrüdft ift, mad^t e^ mir beim beften 
SBiHen unmöglid^, tiefer ing 3)ctail einjuge^en« 



/ 



.^tHxmxfiit §ümxmipct^*^ („Carallerla rustlcana^^) 

(üon ^ietro 3Äa§cagni. 1891). 



3tt Qftafien fommen aüjä^riid^ 30 big 40 neue Opttn gut 
^rften Sluffül^rung, im öorigeti gal^rc (1890) gab e^ beren 
fogor 54! 3)ie meiften Dort il^nen roüeti laullog in ein @cf* 
lod^ bcr H^eotcrftatiftif, um nie lieber an§ Sid&t ju fommen. 
?teu§erft feiten ereignet e§ fid^, bafe bie SrftlingiSoper cineg 
unbefannten ®om^)oniften aud^ nur im eigenen SSaterlanbe feinen 
Sftul^m begrünbet. 3)ie bcbeutenbften Sonfe^er l^aben fid^ burc^ 
mißlungene ober l^albgelungene D|)ernöerfud^e erft ju i^ren 
aWeiftertoerfen burd^taften muffen, „^k erften §unbe unb bie 
erften Qptxn mirft man in^ SBaffer/' pflegte Äarl 2Raria S33ebet 
}u fagen. Slber mel^r aU eine Seltenl^eit, tin gerabeju un* 
erl&örteg (Sreignig ift e^, bajs ber erfte bramatifd^e SSerfud^ 
eineg iungen gtalienerg ni^t nur in ganj Stauen afö SReifter^ 
totxt gefeiert, fonbern fofort aud^ auf ben größten beutfd^en 
S3ü^nen in beutfd^er @|)ra^e gegeben roitb. 3)ie „Cavalleria 
rnsticana" t)on 2Ra§cagni ift in ber SRufifgef^id^te baS erfte 
Seif^)iel eineg fo rafd^en, faft augenbtidEKc^cn internationalen 
®rfoIge§. SBie lange mußten bie berfi^mteften italienifd^en 
SO^cifter auf biefe @^re märten! Sloffini l^atte ein 3)ufeenb 
ßpem gefi^rieben, bebor fein ^^lancreb" über bie Sltpen brang. 



172 €b. fjanslirf. 

Ätö SäcIUnt btttd^ feinen „$ßtraten", S)onijctti burd^ 
^Slnna Solcna", SSerbi burd^ ben ^©mani'' in S)cntf(i^Ianb^ 
bcfannt njutbe, ftanben fte Kngft in ^o^cm Anfeilen bei il^rea 
ßonb^Ieuten. Dbenbrein waren i^re D|)em bnrd^ bie italienifc^en. 
©tagioncg in SBien immer anf bentfc^em ©oben fc^on ein* 
gefül^rt nnb expxobi, el^e fie in beutfd^cr Sprache fönnlic^eg 
Säürgerrcd^t bei un^ erlangten. S)cr „Cavalleria rusticana**' 
toar allerbingS ber Umftanb fel^r förberlid^, ba§ fie bei einer 
^ßrei^öertl^eilung über jtebjig aSitbemerber gefiegt l^at. S)ra* 
matifc^e ?ßreigaugf^reibungen treiben meifient^eifö nnt SRittet 
gut an bie Dbexpd^e; fc^on begl^alb, meil anerlannte aWeifter 
fid^ lieber fernhalten, iüä^renb aOe ©tieffinber be§ Olüdeg 
nnb öe^ lalenteg i^re fi|engebliebenen $ßartitnren bei biefer 
(Selegenl^eit n^ieber offeriren, @^ toar eine nene originelle 
Sbee be^ SKailanbet äRnfilöerlegerg ©onjogno, nur fold^e 
ffonfurrenten jnjnlaffen, iüelc^e nod^ niemals ettoa« für bai^ 
Sweater gefd^rieben ^aben. $ßietro 3Ka§cagni, ein titva^ 
leii^tfinniger S3nrfd^e öon 25 g^l^ren, befanb fid^ in bicfem 
gaö. Kin grojsmfitl^iger 2Räcen l^atte ben SJödEerfol^n anS- 
Siöorno ing aWailänber Äonferöatorinm gebrad^t. ^ßietro lang* 
toeilt ba§ trodfene ©tnbinnt ; er gel^t bnrc^, njanbert afe Saptü* 
meiftcr einer fliegenben Dptxnixuppt öon Drt ju Drt nnb 
bleibt cnblid^ in bem ©tabtd^cn Kerignola ate S)irigent ber 
bortigen ©tabtfapelle l^ängen. S)a8 ift toid^tig für feine S5e* 
urtl^eilnng. Dl^ne einen töglid^en :praltifd^cn SSerle^r mit ber 
©ül^ne nnb bem Drd^efter toavt bie fidlere, effeftfnnbige Icd^nif, 
bie fein (grftKngi^toerf anfmeift, nid^t erHörlic^. 8ln8 einem 
geitnng^blatt erfäl^rt SRagcagni auföllig öon ber ^eisfanS* 
fd^reibnng für bie befte einaltige Dptx. gn jwei SRonaten 
\)ai er feine ^artitnr t^oOenbet nnb eingefd^idCt. @ie erl^ött 
ben erffcen 5ßrei^ nnb tohb in 8tom im leatro ©onftanja nnler 
unbefd^reiblic^em gnbel am 18. 3Kai 1890 anfgeffil^rt. Am 



„Stctltantfc^e Bauerndjre". 173 

felben äRotgett nod^ ein 9lamenIofec, gel^t fßietro 9Rai^cagnt 
afö beräl^mter 9Rann gu ®ett. 9to(i^ finb !aum jel^n fOtoncAt 
feit jener erften Äuffül^rung öetffoffcn, unb fd^on ift bic 
„Cavalleria rusticana'< ein fefter ScftanWl^eil beiJ curo^iäifii^ett 
9ie))ertoirei^. 

S)ad ßibretto ber ,,Cavalleria rusticana'^ gel^drt {u ben 
©lüdi^fäQen beiS jungen (S^ontponifien. S)ie brantatifd^e ^aft 
unb bie aujserorbenUidge $o|)uIarität bed gleid^namigen SSoIIi^« 
ftüd^ t)on (Siot)anm SSerga ^aben ber Dptx möd^tig Dorge« 
arbeitet. S)iefe ift auc^ begüglid^ bed Xe^e^ ein Unilum. S3on 
einem I&nblid^en Singfpiel in einem !(It ern^artet iebermann 
eine l^eitcrc ober ib^Kifd&e ^onblung. S)ie „Cavalleria rusti- 
cana" ift ein Heiner 2:rauerf<)iel, eine rid^tige S)orftragöbie 
mit toilbctt Seibenfd&aften unb blutigem Äui^gang. 3^^ einem 
ficilianifd^en S)orfe \)ai ber junge (Safttoirtl^ Xurribbu, e^e er 
jtt ben ©olbaten eingereil^t lourbe, ein lofettciS fd&öneö aRäbd^en, 
Sola, geliebt. SSom $eer jurüdEgefel^rt, finbct er fie atö bag 
993eib be^ 3fu|rmanni$ SUfio unb fu^t 2:roft in ben $(rmen 
ber i^n leibenfc^aftlid^ liebenben ©antujja. Sola toei^ iebod^ 
ben lurribbu toieber in i^re SRefee ju loden. (Sr ftöftt @an^ 
tujja t)on fid^, bie nun, öon Siferfud^t getrieben, bem Sllfio 
ba« fträftid^e »cr^ältnife feinet äBeibeg ju lurribbu öerrät^. 
älfio räd^t fid& an bem Släuber feiner (Sl^re, inbem er il^n im 
aWefferfampf tobtet. 3)ie^ alleg gefc^iel^t am Dfterfonntag im 
SSerlauf beS ®ottei5bienftcg, öor ber Kird^e. 

S)ie öon §errn Döfar ©erggrün öerfafete beutfd&e Ucber»* 
fe^g gel^ört ju ber fd^Ieuberl^afteften aRar!ttt)aare. Sag fie auäf 
^raltifc^ gerabeju unbraud^bar ift, betoeift ber notl^gebrungene äSor« 
gang ber D^ernbireltionen t)on Hamburg, 2)regben unb SEBien, 
n^eld^e 93erggräniS Ueberfe^ung total umarbeiten mußten. $ier 
toirb tl^atfäd^Iic^ ein ganj anberer Xe^t gefungen, atö ber bei^ 
gebrudCten Sibretto^. $err S9erggrün l^at feine Unf&^igfeit al^ 



174 €b. f^anslirf. 

Ueberfcfecr itxtxi^ an ©amaxag Dptx „Flora mirabilis^' 
bctoiefen, tocld&c eine Slütl^cnlcfc, eine toal^xt Flora miserabilis 
an @cl^m|em barbietet, ^etm ScrggrünS SKetl&obe ift fe^r 
einfad^. ®r mad^t eine ro^c ntetrifd^e Ucbertragung unb fd^reibt 
nun TUl^ig ©übe unter SRotc in bie $ßartitur, unbefümmert, ob 
bcr mufifalifd^e Slcccnt baju ftimmt ober ntd^t. ®Ieid6 in bcm 
allererften SBorte bc^ ©inleitungi^d^org, ^Drangen'*, legt er 
auf bie erfte ©übe D ben 9tad^brud(. (Sd mad^t ftc^ reijenb, 
tocnn ein ^albbufeenbmal gcfungen iüirb: ^D— rangen buften, 
bie Serd^e fingt; jefet ift Qüt für iebcrmann, frö^ßd^ ju fingen 
ba« fü§e Sieb!'' (gtnc anbere Haffifd^e SSerggrüniabe ift bcr 
Slefrain: ^SRientanb frol^cr fein fann — cid ein toacfrcr 
gul^rmann!" ®d^on feine Siteluberfe|ung ^Sänblid^e Sftitter^ 
lid^feit'' mit^ bem l^ö^Iid^en ©leid^Hang in ber SDKtte bciber 
SBörter öenöt^ ben SWangel an mufüalifd^em ®el&ör. 3)a6 
eine Ot)emfiberje|ung erftenS gut beutfd^ unb jmeiten^ rid^tig 
mufilalifd^ fein mu^, fd^eint ber SWann nie gehört ju l^abcn. 
Sum ®IfldE fann ^err ©onjogno, njeld&er bie Sweater jtt)ingt, 
bai? Serggrünfdöe ^Seutfd^'' an ber ftaffe ju öerlaufen, nid^t 
aud^ bie ftfinftler öerl^alten, eS ju fingen. 

?ltt0 ber aWufif jur „Cavalleria" f:prid^t unöerfennbar ein 
frifd^e^, energifd&e^ unb e^rlid^cg latent, gn unferer ntufi* 
lalifd^ talentamien S^ü lonnte c« nid^t aui^bleiben, ba§ ber 
3ubel über biefe neue ©rfd^einung alle S5efinnung öerior unb 
nic^t feiten in eine Art SReffiaganbctung augfd^Iug. S)iefe ben 
SBiberfprud^ l^eraugforbemben Uebertreibungcn, öon benen ein 
Seif^jiel \pättx citirt werben foK , bürfen un8 trofebem nid^t 
irremad^en. @in fo allgemeiner unb fpontaner groger @rfo(g 
ift niematö o^ne jureid^enben ®runb. 2)ie Sigentl^üntlid^Ieit 
äßa^cagnid liege fid^ Dielteid^t am lürjeften bamit bejeidgnen, 
bog er burd^aui^ national italienifd^ unb bod^ jugleid^ euro« 
p&V\ä) mobem ift. 9tirgenbd t)erleugnet er ben Italiener. S)er 



^5i3tliamfd?e ^Sduernet^re". 175 

(El^araftet feinet aWelobien, il^r SSorl^errjd^en öor ber ©cgleitung, 
bie finnenfäSige Stl^^tJ^mif, bie @c^Iu^l^rafen ber leibenfd^aft« 
fieberen Äefängc — allc§ itaficmfd^. ^ingeflen l^errfci&cn in 
bet „Cavalleria" ntobcmerc Slnfc^auungctt bcjüglic^ beiS S)ra« 
matifc^cn. S)ic äRuft! enttoicicit fid^ jireng fccnifc^, o^ne bie 
alte Ärien*@ci&aWone unbbie alten, IäftigenSBorttt)ieber]^oIungen. 
S)urc^au^ einl^eitlid^ , aug @inem ®uffe geformt, enthält fie 
leine Mofeen Südcnbflfeer , feinen 5ßaff agcn= nnb IriHerauf^Ju^, 
leine toiberfinnigen Sffelte. Sic ©armonie mie bie Drd^e* 
ftrimng laffen bentfd^en nnb franjöfifd^en Sinflufe bnrd^bliden, 
aber !eine birelte Stad^al^ntnng SSagner^; ben ^örer bebrücft 
njcbet bie I^rannei ber Scitmotiöe noc^ ber uncnblid^cn äRcIobic. 
S)te ®onne ber 9libelnngen ^at auc^ jenfeitS ber Sllpen mand^en 
tpagnerifirenben Kontponiften ausgebrütet, ber — wie $aImS 
3ngomar nac^ bcm Sln^iprud^c t)on Stöbert $ßtu^ — „lieber 
ein Suntp auf ®ric(^ifd^ ift, aU ein l^onettcr leltofage". SRag* 
cagni gehört nic^t ju biefcn. ®r ift eine urfprfinglic^e Slatur, 
ttjenngleidö fid^ l^cutc, nac^ feinem ©rftlingiJinerf , nod^ nic^t 
fagen läßt, er fei ein bal^nbrec^enbcg (Senie, baS eine gefd^id^t* 
lic^c gurd^e jiel^t. SBorin fein latent fid^ am ftörlften unb 
augenfäKigffcen jeigt, bag ift baS unmittelbare, fiebere treffen 
ber Stimmung in ieber ©cene, ruic beS bramatifd^en Äug* 
brudtg im einjelnen. Sine ftarle ©innlid^fcit unb leibenf^aft* 
lic^eS Temperament burd^glü^en bie ganje Dper, meiere t)on 
Anfang bis ju ffinbe nid^t bIo§ intereffirt, fonbem :padft. SBie 
bflfter, unl^eimlic^ bro^enb fd^Iei^t bie Fis-moU-ginleitung ju 
ber erften @cene {tDifd^en Santu^ja unb Sueia ; toie fc^auertid^ 
ergreif enb po6)t baS tiefe Es ber ©öf[c bei bem Ausrufe SoIaS : 
„D (Sott, baS UnglüdC na§t!''; mie angftk)oa aufgefd^eud^t 
fd^mirren bie SSioIinen, ate lurribbu öor feinem lobeSgange 
nad^ ber äRutter ruft! ®at mancher trefflid^e 3ug t>on feiner 
ober energifd^er Sl^arafterifttf toatt ffitx anpffil^ren. ^a, man 



176 <2b. ßanslicf. 

fötttttc in btefcr Dptx öortrefflid^ attcö nennen, tt)a§ im weiteren 
Sinne ia^ ®ebiet ber mufifalifd^en Äonüerfation ftreift, ntel^r 
ber anf geregten Siebe nnb ®egenrebe angel^ört, atö bem 
eigentlid^en ©efange. Slein ntufilatifd^ l^ingegen ift mir bie 
©rfinbung SKaScagntS jtoar attj'i)red^enb , frifd^, aber leineg* 
totQ^ xtiä) ober originell erfd^ienen. SRelobien öon jener 
fd^önen, unüertoifd^baren ^ßrägnng, tt)ie fie au^ ben befferen 
D^jern bon Seßini, S)oniietti, SSerbi l^erborgtänjen, tt)irb man 
in ber „Cavalleria" fd^toerlid^ naml^aft mad^en. SBenn man 
ben bromotifd^en ^cifef^jom 9Ka§cagni f^jeciett ate „aWetobien* 
fröfu§" feierte, ift mon im erften fRaufd^e jn toeit gegangen. 
SRan fel^e fid^ bie äRelobien an, bie atö fold^e in ber D^jer 
fclbftänbig auftreten unb toirlen: ba§ (aud^ in ber Dubertöre 
öorfommenbe) Andante appassionato @antuäja§ : „Stein, 
Surribbu, o bleibe!", bie ©erenabe lurribbuS, ätftoiS Slad^e* 
8tttegro in F-moU, ba^ ®ebet „5ßreifen laßt ttn§ ben $erm" 
unb Slel^nüd^ei^ — Steu^eit, Driginalitöt tt)irb man il^nen nid^t 
nad^rütimen fönnen. ®ie rcijenbfte, jugleid^ einfad^fte unb 
natürlic^ftc aRelobie ift ba§ ©tometto ber Sola, ein SSoIfötieb, 
n)ie man il^rer t)unbert in Italien ^ren ober in itatienifd^en 
aSoIfölicberfammlungcn ftnben fann. 5Rid^t bicl beffer aK mit 
biefen ^jatl^etifd^en unb fentimentalen ©efängen ftel^t ej^ mit ben 
luftigen — fie entbel^ren ber Originalität, aber aud^ ber Statur* 
lid^leit, unb fud^en biefen äWangel (beffen fid^ ber ©oni|3onift 
toal^rid^einlic^ ittou^t ift) burd^ eine erjtoungene, fd^arfe ®^a* 
raltcrifiif ju oerbedEen. S)ag gul^rmannSlieb mit feiner SRott* 
tonart unb ben l^cftig rüdfenben äRobuIattonen ftraft SÖfioi^ 
SSerfid^erung : „Sd^ bleibe bod^ ftet^ frol^", Sügen ; eg ift nid&t 
„frol^", fonbern aufgeregt, toilb, trofeig. Statürlid^en , frtfd&* 
qucHenben grol^finn öermiffc id^ aud^ in bem Irinttieb lur* 
ribbu^, bag crft im SRefrain burd^ ben pbfd^en ?R^^t^mui^ 
bon brei ju brei Saften fid^ loirffam auffd^loingt. Unb ber 



i 



„Sicilianifc^e Baucrncl^re". 177 

(Singangdd^or, ati)rmi er tuirftic^ bte nait)e (Sonntagdlufttgfett 
bon ^oifbemol^nem ober nid^t t)ie(ntel^r ben glfll^ettben $auc^ 
einer aufgeregten SBal^Iüerfantntlung? 

J)afe ben $örer mand^e äRelobte entjüdft, bie an ftd^ meber 
befonberS neu no^ borne^nt ift, fontmt grofeentl^eite auf JRed^« 
nung ber tt)irffamen gnftrumentation. STOaScagni ift ein SWeifter 
ber Drd^eftrirung ; er übt biefe SReifterf^aft in ber Wegel afö 
e^ter ^nftler, nti^raud^t fie aber au^ ^auftg jn rein ntate« 
rießen ©ffeften. ®Ieid^ bte Duberlürc gewinnt nnS burd^ t^re 
^langfd^önl^eit. Seiber l^at ber Sontf^onift fid^ burd^ aRe^er« 
beerg 93eif^)tel (in „^inoxai)") 5U bem falfd^en Sffefte öcrietten 
laffen, mitten in ber Duöettüre, l^inter bcm SSorl^ange, In* 
tibbu feine ©erenabe fingen ju laffen. S)ie ©erenabe gehört auf 
bte 93ü^ne, bor SoIa§ genfter. S)urdö Slongfc^önl^eit entjödtt auc^ 
ba§ berühmte Drd^efter*3«termej50 , in tt)e(^em ein ntödöttg an« 
f(fitt)ettenbeg Unifono ber SSioIinen fid^ mit $atfenafforben unb 
Drgeltönen ju einer 8lrt @|)^ärenmufi! öerftöfet. SBortrefflid^ öer* 
ftet)t pd^ SRagcagni auf bie Serebfamleit ber einjelnen Snftrumente. 
@r bringt ba mitunter aud^ feltenere, öornel^mere ^i^ftrumental* 
effelte , tt)omit nic^t gef agt fein f ott , bafe er fie juerft erfunben 
t)at. S)ie tt)ieber^oIten leifen ©daläge auf bie grofee Irommel 
(im ginate, gleid^ nod^ ber ^erauSforberung) l^at Serbt für 
ben 8lu3brudE fd^müler Seflemmung berciti^ in ber Sterbe* 
fcene ber J)egbemona bertoenbet, ja frül^er fd^on im „Stigo* 
letto". 3)er fd^öne ffiffeft ber öerein^ellen tiefen $arfentöne, 
tt)eld^e in bem „^"termejjo" bie S)ominante unb lonifo (g, c) 
anf^Iagen, ftammt öon Soito a\x^ bem S)uett gauftg mit 
©retd^en. J)ie bebenllid^e ©eite öon SWagcagnii^ ^wp^wwif«* 
tirung ift ba§ ®etöfe, ber betäubenbe Särm, in bem er fid^ 
häufig gefaßt. J)arin ge^t er über SSerbi l^inaug unb ber* 
!e^rt länblid^en gro^finn in ben Slufrul^r einer Steüolution^* 

@b. ^anSUcf, 9Utg bem Xagebitd^ eines anufiferS. 12 



178 €&. ^anslirf. 

fcene. Um hai „^ufjxmannüith" ju accontt^agniren, arbeiten 
ade Slec^inftrumente , ?ßaufen, große unb Heine Irommet 
nnb Seden eifrig jufammen. ©efd^madlod ift bad ^uftge 
aSerbo^j^jeln ber ©efanggmelobie burc^ ^ßofaunen, noci^ ge» 
f^madttofer bie Stot^jüd^tigung ber ^ßofaunen ju rafc^en, figu* 
rirten Stellen, toie in bem erften ®^or nnb in Stlfiog Sieb. 
Unfere ^offnnng, SRaiJcagniS öietgerü^mteg reformatorifd^ei^ 
Serbienft tt)erbe ftc^ and^ in einer SSerebInng unb äKöfeigung 
beS nnertrSglid^ angetoad^fenen Drd^efterlärm« äußern, ift ge* 
täufd^t tt)orben. 

aaSie öer^alt fid^ bie neue £)ptx ju SSerbi? .3n einer 
eben erfc^ienenen unb nad^ allen Seiten ^in öerfd^idtten Sro* 
fd^üre: „3^^^ (SrHärung ber Cavalleria rusticana" tt)irb jeber 
ttiujtlalifd^e 3«fömmen^ang äRagcagnii? mit SScrbi runbtoeg ge* 
leugnet. J)er Serf äff er , $err 5ß u b o r , beff en auf föfte jtd^ 
burd^ einen fe^r ftarfen Ion beg Setbftgefül^te auSjeid^nen, 
nennt bie Cavalleria rusticana „ba§ erfteSBerlbemeuen 
3eit", „bie erfte mufüalifd^e Offenbarung", „ein 
SBerl, bag nod^ bie ganje mufilalif^e SBctt erfd^üt« 
tern mirb'M Sin biefe Meinen Sd&meid^eleien fnü|)ft $err 5ßubor 
bie Sel^auptung, äRaiJcagni l^abe mit SSerbi gar nic^tg 
gemein. S5ei SBerbi fei aüt^ nur „(Sefü^I^raf finement , ®e- 
f ül^tö * aienommage , ®efü^fö^eud&elei , feine SRuftl ^jom^jl^aft, 
aber tnnerlid^ l^o^t 2C.". Stur iemanb, ber SJerbi nid^t fennt, 
!ann fo f^jred^en. SBerbi mar niematö ein ®efü^l§^eu^Ier; 
aud^ toa^ un^ in feinen D^jcrn übertrieben unb rol^ er« 
fd^eint, l^at er aufrid^tig fo empfunben unb unbefangen ^er* 
au^gefagt. Db äRagcagni i^n übertreffen toerbe, baS mögen 
feine fünftigen größeren SBerfe bartl^un; in ber „Cavalleria" 
erreid^t er feinegtoeg« bie äRetobienfrifd^e, bie Originalität, 
bie unerfd&öt)f{i(^e (grfinbung SSerbig. (gr enthält fid^ nur 
mand^er ©efd^madtlofigfeiten be« frül^eren SSerbi, unb bie3 öer* 



,;5icilianifd?e Öaiieruel^re''. 179 

bauft er ber 3^'*/ ^^^ muftlalifd^ öetänbertcn Slnfci^auungen 
bcr 3^i^ iw tt)cld6cr er ouftouc^S; er öerbanft e3 jum großen 
Steife SScrbt fcttft, bcffen „^ha" unb ,,Otcao" i^re ©puren 
in bie „Cavalleria** unöerfennbar eingebrüdtt ^aben. „On est 
toujours le fils de quelcun,** fagt Scaumar^atg. Slud^ 9Kag* 
cagni ift nici^t bom $immel gefallen, unb aö fein mufifatifd^cr 
SSater fann fd^Ied^terbingg nur SSerbi bejeid^net werben. SSon 
SSerbi \)at bie italienifd^e D^jer, f^at \ptdtü aJiaScagni bie 
(eibenfd^aftlic^e S^jannung, bie mächtigen Steigerungen, bie 
aJiufif, „mel^e S5Iut jie^t". SSon bem jungen SSerbi f)at er 
bie lobernbe ©innlid^f eit , öon bent aöen bie beclantatorifd^e 
Prägung. Unb toit fo manche ntelobifd^e unb ^armonifd^e 
S33cnbung baju ! Ätingt nit^t gleich bie ©erenabc in ber Ditöcrs 
türe SSerbifc^ ? Sft nid^t luribbuS A-moll-©afe: ,,ßa6 mic^, 
©antujja!" mit feinem IrioIengeHo^jfe SSerbifd^? Unb Sllfiog 
müt^enbeS F-moll-8lttegro (im ®uett mit ©antujja) , unb bie 
banalen Unifono^ in bem S)uett jtDifi^en luribbu unb ©an* 
tujja — finb fie nic^t SSerbifc^? 

3d^ burfte ni^t öerfd^meigen , bafe bie e|)ibemifd^ fid^ fort» 
|)f(an5enbe, fd^ranfenlofe 8ett)unberung ber „Cavalleria** in 
Uebertreibungcn öerföttt. S)ag ift fein Unglüdt. a)er aRa§^ 
cagni*$ßaroji§mu^ ^at ba3 SSerbienft einer ajiebijin gegen ben 
SBagner*?ßaroji^mui^. SWagcagni ^at gegen ba§ falfd^e unge* 
funbe ^rinjip be^ SBagnerftite ein rid^tigeg unb gefunbeö 
tüieber ju g^ren gebrad^t: baß e^ o^ne aWelobie feine SJhifif 
giebt, ol^nc gefungene aWelobie feine D^jer. Sei ^öc^ft euer« 
gifd^er Slug^jrögung bei? a)ramatifd6en bleibt in ber „Cavalleria" 
bod^ ber ©efang ^errfd^enb, unb im ®efang bie jufammen* 
l^ängenbe SRelobie. S)a6 biefe Bereinigung möglich, \>ai ge== 
fungene äRelobten no^ ergretfenber, al§ becfamirte, )>ai ber 
SSoKf(ang t)on Stören unb ©nfembleg bramatifc^ nod^ möc^tiger 
ift, aU bag' eigenfinnige SRad^einanber* unb ©iujelfingen, ba§ 

12* 



180 €6. fjanslirf. 

mugte baiS $uHifum aüerbingd längft aug 2)on ^mn, Sibelio, 
greif d^üft. ®i^ flioubte aber unter bei I^rannei ber 9?tbe* 
lungentnufil btefe SBa^r^eit öergeffen ober gar bcfämpfen 5U 
ntüffen. gcftt erinnert man fici^ i^rer lieber, glaubt tt)teber 
baran. S)tei^ ift bai^ unbeftreitbare Serbienft äRai^cagniö unb 
bie l^eitfanifie SBirfung feineg (grfolgeg. 




^m htm €mtnifMl 

(1885-1891.) 



1865. 



l^ler Sotiponifl, StfeEaitbcr ©ampfeeß SDiorfengie, geboten 
^ts 1817 in ©binbura^, ^at mtfircre 3ot)re in Seutfc^fanb 
flubitt, üwd) aii iiigtnblii^er Sßiolinlpirfer im ^ccjogtic^en 
Or^efiet ju ©onberg^aufi-n genirlt. @eit 1865 miebei in 
feinet iSatetflabt l£6in&utgf| anfäfpg, ift er buic^ eine IRei^e 
Bon Sefättgen, ^lauiet» unb Ort^eftetflfiden ba^eitn begebt 
geiDOtben — bet etfte ©c^oKe, ber fi(^ biö^er üU gonit>onift 
fietöotgetVi'- ^"f beiti Sontinent blieb 9Wadenjie (o gut mie 
unbefannt. ^an& diid)Ut, meli^et bie bcibcn engli($en !£on> 
bicbtet (Sotoen unb ©tanfotb fütjli(^ bi^r eingeführt, bat 
nun ani) ä^oifenjie ben gleichen Siebeäbienft ertoiefeii. Seine 
fR^at)fobie, „aiobeit Surne" betitelt, ftettt f4 bie Stufgabe, 
ben fc^ottiii^en SRotutbittitet mit iDrc^eftermitteln nocbjubit^ten, 
roaä natürtii^ mit einem gtogen Sluftitanbe DOn Sotalfarbe 
gefdiie^t. Seit äKenbelöjobn in feinet „gingaKtiä^le", 
@obe in feinem „DIfian" unb ber „^oiJ^lonbS=OuBertßre* 
fid) Don ben flerooHigen £ünbfd)aftäbilbetn ©ctiottlonbö inf()iiiren 
lieBen, ^aben mit DergebenS eimartet, eö metbe bai mufilalii(%e 



184 €^. ^anslid. 

©roPtitanniett fein SSorred^t auf bicfen ©oben tpcntgften^ 
naci^ttöglid^ burci^ ä^nlid^e Xottgemälbe bart^un. SRacfenite 
l^at e§ getl^an mit tncftr anftrengung aU fd^ö^jfcrifd^cr Drigi* 
naiität. ©in mufüaltfd^cr SBalter Scott ift er nid^t geworben, 
©ein ^ttai fd^eittt Sifjt ju fein, beffen f5m|)^ottif^e ©id^tungen 
tt)m in Sform unb Icnbenj offenbar jum SSorbi(be bienen. SBie 
jene, fo ift bie Sum§*9i^a^)fobie 5ßrogramm*aÄuftf, mie jene 
befte^t pc au^ brei felbftänbigen, bod^ ol^ne 2lbf(^Iu§ incin* 
onber teitenben ©öfeen. ^ü>tm biefer brei Säfte ift eine 
®ixopf)t t)on Stöbert fßnxn^ aid fOlotto t)orgebmd(t. 2)aiS erfte 
Slöegro fd^itbert bie mifitärifc^en lugenben ber ©d^otten, bie 
einft 81. 93ruce geführt — ©ieg ober Job! ^örncrfanfaren 
unb fd^riöc Sftötcnpfiffe ntifc^en fid^ in einen ntartiatifd^ ^junf* 
tirten SH^^tl^muS ber ©eigen; ba^ ganje, öorjugömeifc auf 
molerifd^en unb bramatifd^en ©ffeft abjielenb, jeugt öon toenig 
felbftänbiger ©rfinbung. Äu^ ber lärmenben ©iege^cobo ge* 
ratzen toir unmittelbar in ein „Andante dolente" in G-moll. 

„She's broken her oow, she's broken my heart" foufffirt 

un§ bog 3Kotto; alfo eine SiebeSKage. 2)o§ I^emo, ein 
fd^lic^tcr ib^Hifd^er ®efang ber ©eigen, bon glöten^affagen 
burd^brod^en, ift offenbar fc^ottifd^»nationoI. Dl^ne jebcn Ueber* 
gang fd^Iiefet ftd^ ein lebhafter Sauerntonj an, eine fd^ottifd&c 
ffiirmeB, mit Stnfföngen öon S)ubeIfadE unb 5ßfeifen. S)ic 
SWelobic tt)ie boi^ aWotto: „Johnny is my only jo" beuten 
ouf ein loirftic^eg SSott^Iieb. S)ag S5efte an ber gangen ^f^ap^ 
fobie finb einzelne ^jüante Drc^eftereffefte, mie überhaupt bie 
Snftrumentirung eine fe^r gefd^idtte $anb öerrät^. S)ag, toa^ 
inftrumentirt tt)irb, ift, toie bei fo öielen mobemen ®om^)o* 
fitionen, biefeg Sluf|)ufte§ jebenfatt^ bebürftig. ®efunbe, reij* 
öotte, jugleid^ neue Ocbanfen öermiffcn mir, unb atte§ mobu* 
latorifd^e unb inftrumentale Stafflnement fann fic ung nic^t 
erfeften. $err äRadtcnjic ift ein getoanbter led^nifer, toot)t 



Kammennuftf. 1 85 

auc^ eine ^joetifd^e Sttatur, aber fein im ^ö^eren ©innc ^jro* 
bultiöe« lalent ®r beraufd^t fid^ an ber ?ßoefte öon 5)id^* 
tungen imb Sanbfd^aften; aber aud^ biefe 2lrt ?Raufc^ fd^toafet 
nur aug unb erjtnbet nid^tiS. 



^ammermurtk. 

Sntereffant toar ung bte Sefanntfd^aft eine§ Dctettg für 
©treid^tnftrumente öon ©benbfen. 3)er ©om^jonift, geboren 
1840 in ©^riftiania, f)at jtc^ nid^t bloß in ©eutfd^Ianb, fonbern 
auc^ in $ari§ unb 9iom bereits Geltung errungen. 2)aiS 
Dctett (Op. 3) gel^ört ju ben ©rfttingen ©öenbfeni^ unb ^ä^Ü 
me{)r ate fünfjel^n g^^^^« ®^ ift öon felbftänbiger , ni(^t 
befonberS iH)^iger ober genialer, aber anmut^iger, ed^t ntufi« 
falifd^er ©rjtnbung; fterj^aft, frifc^ em^funben unb burd^auS 
organifd^ entmidtelt. 3" bem Streben nad^ ein^eitfid^er @tim* 
mung tt)irb ber ©om^onift oft einfeitig, inbent er ju lange an 
benfelben SWotiücn unb SH^^t^men Heben bleibt unb e§ öer* 
fäumt, burd^ fd^arf lontraftirenbe I^emen unb frei eintretenbe 
ffi|)ifoben jU tpirfen. 3« ^^^ ft)ätcren f5nH)t)onifd^en SBerfen 
©üeubfend fott oft ba§ Umgefel^rte ber gatt fein. 3)er erftc 
©a|, beffen fröftigeS ad^ttaftigeiJ %f)tma öon allen ad^t ^n^ 
ftruntenten unisono aufgepffauät wirb, erfreut burd^ ^erbe 
grifd^e; bag ©c^erjo, ein jtoif^en ©Ifentanj unb SBatpurgig* 
nad^t t)in unb l^er wirbeinbeg ättegro, bringt l^übfc^e fflangeffeltc 
unb ^untoriftifd^e SBenbungen. ®ine fd^Iid^te Sicbmelobie be* 
fierrfc^t baS anbaute, ba§ nur ju gebe^nt unb in ber S)urd^* 
fü^rung monoton tüirb. 8tm tüenigften befriebigt ba3 Sfinale 
mit feiner jtoeibeutigen Suftigfeit unb fel^r langtpierigen 8lug^ 



186 €b, Viansluf. 

f|)tnnung. 3n btcfcnt SBcrfe öon jugcnblic^cr grifd^c unb 
'fflamiat entbetirt bcr ©om^jonift nod^ ju fe^r ber ^crrfd^aft 
über bic fontrapunftifc^en unb t)oI^:p^oncn |)ilfdmttlel, burc^ 
tDcIc^e mon eine bürftige SWcIobic intcrcffantcr, eine ftotfcnbe 
®ntmi(fluug Icbcnbiger 5U madfeen öcrmag. Äwc^ mirfen bic 
ad^t ^nftrumcnte übertoiegenb burc^ SSerbo))^)lung, atfo burd^ 
S(angftär!e, unb jefgcn fetten einen reell ac^tftinimigen @a^. 
@:pe§ijtfc^ Slorbifd&eg me^t nur tt)ie ein leidster faljiger ^aucft 
über bad ©an^e; nid^t etgenfinnig ober aufbringlic^, tute fo 
oft bei ®. ®rieg. S'^ 'f^^'^^ J^^ toenig öon ©öenbfen, um 
ben Umfang unb bte Sebeutung feinet lalentei^ beurt^eilen 
ju fönnen; fein Dctett reid^t aber jebenfattg ^in, um unferc 
Dirigenten öon Ord^efter« unb ffammermufifen auf biefen 
mobernen (£om))oniften nad^brüd((ic^ aufmerifam 5U machen. 

8Hi^ ?ßrimgeiger glänzte im Dctett $err Slrnolb Slofe 
burc^ feinen fletö reinen Son, feine unfet)Ibare led^nif imb 
forrefte ?luffaffung. S)ag Sinnig«, mag man ^in^umünfc^en 
möchte unb mag $err SRofe fic^ nid^t felber geben fann, ift 
geuer unb Iem:pcrament, feiner unb lebl^after öibrirenbc Sleröen. 
@o öiel ©elaffen^eit bei fo öiel Swö^"^' ®w ®^^^ ^^ 
^jraftifd^en Seben, aber nid^t immer in ber Äunft. gwngen 
Sängerinnen öon fc^öuer ©timme, aber fül&Iem SJortrag, toünfd^t 
man gemö^nlic^, fic möchten fid^ balb red^t tüchtig oerlieben. 
®ie „gro^e $affion", t)offt man, merbe ben SlugbrudE fc^on 
beleben unb ermärmen. S^ meife nic^t, inmiemeit biefeg SRittet 
auc^ für junge SSioIinf^jicIer ^probat ift. Dber foHte unfer 
trefflicher SRofe bag 3teie|)t bereite gebrandet l^aben? JJann 
üerfucöe er^iS mit einer anbetn 9l^)ot^efe. 



Concert bcr Sängerin Ctjriftinc ^^ilsfon. 187 



®0ttcert ier g^ängmit ©Ijrilitne^tl^rön. 



@§ n>ar un§ eine 2trt Slufcrftc^ungöfeier gar lieber ®r* 
inneruugen. SSor jtpanjig Sötten bemunberten tüir im $artfer 
Söeätre l^rtque jum crftcn SKale bie fc^Ianfe, jugenblid^ fc^öne 
®t\iaü ber SRitiSfon. 3Kit äRojartö Xönen bcftricfte ung ju* 
erft bie h)cid^e, glodent)ette Stimme biejcr „Königin ber 5Rad^t", 
bie in SBa^r^eit einer fiönigin beg Sic^te§ glic^. S)antt fpäter, 
öor neun ^al^ren, fam fie nac^ SBien. SBeld^ ibeale, ja ge* 
rabegu einzige „O^jl^elia'M S^re Stimme beja§ nid^t me^r hk 
öolle erfte gugenbfrifd^e , fie fd^meid^elte fid^ aber mit füfeen, 
reinen glötentönen untüiberfte^Iid^ in Di)x unb $erj. S)ie 
legten ga^re forberten abermals einen Keinen Iribut: mit 
Slnftrengung gel^ori^en bie ^öc^ften Xöne beS Sruftregiftcri^; 
bie tiefen geben nidftt jene Slangfüöe, toelc^e bie Sängerin 
burd) breiten, offenen 8tnfa| beabfid^tigt. SRur bie Sopfftimme 
^ot im $iano unb folorirtem ®efong i^ren frül^eren ^^uber 
betüaljrt. S)ie fc^öne 8(u§gleic^ung ber fRegifter, ber reine, 
fidlere Xonanfa|, enblid^ bie glänjenbe SSirtuofität — SSor^üge, 
tottd^t bie SRitefon ju einer ber erften OefangSfünftlerinnen 
ftempeln — !amen in jebem i^rer ©oncertüorträge jur erfreu* 
lid^ften ©citung. ^n ber öoßenbct feinen Stuggeftaltung be^ 
„Sc^mudttjalaerg" au§ gauft ift befanntlic^ bie Sliföfon öon 
feiner Sängerin erreid^t Jporben. SÖSer l^ätte i^r ©retd^en, 
bieje lic^tumftoffene ©eftalt, öergeffen! grau S«itefon felbft 
fd^ien t)on unttjiberftel^lid^er Srinneiung an bie Sütine erfaßt: 
fie fang bie 3lrie, i^rer- Soncerttoitette §um Xrofe, mit faft 
tl^catralifc^er Stftion unb äRimit. S)ag ift neu unb mu^te 
ate ctmo^ im Soncerte ganj Ungetöo^nteg befremben. ^rin* 



'S 



188 €b. fjatislirf. 

ji:piell !ann man faum öerbietcn tpottcn, bafe beim SSottrage 
eincg bramatifc^en ©efangftüdtcg nid^t aud^ ba§ aKienenf^Jtel 
ber Sängerin eine lebtiofte 9Ritempfinbung tt)iberf|)iegete , eine 
unb bie anbete $anbbett)egung unterftüfeenb ^injutrete. Sine 
®renje muß jeboc^ befleißen äWifd^en ber loirflid^cn S)arftettung 
auf ber Sü^ne unb ber bloß anbcutenben im ©oncertfaate; fie 
richtig )u jiel^en unb einjul^alten ift ©ad^e be$ ®efc^mad(§ unb 
ber Sefci^eiben^eit be^ SSortragenben. ©tefe feine ©rcnjiinie 
tt)urbe t)on grau JRiföfon leiber nid^t eingel^alten. gn bem 
SSerbifd^en äRiferere, ba§ Stau Sliföfon mit einem feinge«* 
fd^niegelten jungen lenor, 4>^ttn Sjötfften, fang, fonnte 
man te^t auffaHenb ma^tne^men, too jene äftl^elifd^e ©tenj* 
linie liege. SWitten jmifd^en gtau Slil^fon unb $etrn Sjörfften. 
Sieben ber bramatif^ auSmalenben Sängerin ftonb ferjen* 
gerabe ber unbetoegli^e lenorift, mit fteif ^erabl^ängenben 
Slrmcn unb ööllig leblofer SRiene, gan^ lüie eine ber eleganten 
SD?obe})Up^en in ben 8lu§(age!äften unfetet ^ettenfd^neibet. 
Stoifd^en biefe beiben ®egenfäfte geftettt, ^ot tpol^l jebet ber 
3u]^ötet ftd^ me^t auf Seite ber JRitöfon gefc^Iagen unb i^re 
immerl^in ju bramatifc^c SBotttagömanict afö bie übet^cugenbete, 
beffete em^jfunben. 3lad) aü ben OlaHjftädten bet SRitefon ift 
ung bod^ bag einfad&e fd^toebifc^e SoIKIieb ,,S38etmeIanb'' ha^ 
liebfte geblieben. S)et B^ubet ed^ten SSoIfötoneg toebte batin 
unb eine ftitte SBel^mut^, bie fid^ tief in jcbe^ $etj einbtfidtte. 
3tüet föünftlet, ein Sänget unb ein ?ßianift, toitöcn in bem 
Eoncett bet SRitefon mit, ot)ne befonbete 8lufmer!fam!eit ju er* 
regen. S)er bereite ertoä^nte fd^mcbifd^e Xenorift bel^anbett 
fein Keines, nic^t übelgefd^uÜcS Stimmten mit einet ®Ieid^* 
gi(tig{eit, atö tDenn eS gat ni^t il^m gel^ötte. (Sin SRec^anifer 
in meiner Ställe pa^te ftar! auf , ob- biefer Sänger nid^t rüdE* 
tt)ärtg mit einem Sd^Iüffel aufgejogen »erbe. 2)er ^ianift 
l^ingegen, |)crr gelij S)reQfd^od(, f^jieft öon felbft, unb 



Hubinftcin. 189 

ba§ fel^r ftarf. ®r Befi^t eine für ferne Sugenb bebeutenbe 
Sraöour, bie aber nod^ ber Mat^eit unb Stulpe, tote be3 feinen 
®ef(^tna(fg entbehrt. 



Ilubtttlietn. 
I. 

Sin ton fRubtnftein bot un§ einen Konccrtc^Hng üon 
ntd^t toeniget als fieben Slbenben in gan^ neuer fjorm: eine 
gef}3tefte Oefd^id^te ber Slaüiermufi! tjon beren Slnfängen bis 
auf bie Oegenloart. StuSbrüdEKd^ angefünbigt l^at er biefe 
Senbenj feineSloegS; nid^t einmal in bem Xitel, toeld^er ein* 
fad^ ;,®^!(us tjon 7 Slaüieröorträgen" lautet. ®urd& biefe 
gan^ attgenteine Se^eiddnung n^a^rt fid^ 3tubinftetn bößig freie 
^anb, }u f^jielen, toaS unb toie üiel er tt)ttt. ®r l^at fein 
„l^iftorifc^eS Koncert" öerf^rod^en, feine iöuftrirte „©ntlotdlung 
ber Slaöiercom^jofttion"; fo ift benn aud^ niemonb beredötigt, 
aus bicfent ®efid§tS:punfte, ben unS ja 3tubinftein nid^t oftro^irt, 
©inloenbungen gegen baS Programm ju ergeben. Oetoi^. 
SJber ber gange Qnl^alt unb bie d^ronologifd^e Stnorbnung ber 
„Sieben Slaöierbortröge" befennt bod^ unöerblümt, tt)aS biefe 
Stuffd^rift öerfd^toeigt: bie le^rljafte, l^iftorifd^e Xenbenj beS 
S^fluS. SlubinfteinS „Sieben Slbenbe" foHen ebenfoöielen 5ße* 
rioben ber Slaöierntufif entf^jred^en. S)er erfte 8(benb umfaßt 
toeitauS ben größten S^ttraum, etloa jn)ei Sa^rl^unbertc, näm* 
lid^ üon SBittiam Sirb (geboren 1640) bis SKojart (geboren 
1756). @r enthält aud^ bie meiften 5Ramcn: jel^n Sonfefeer 
mit 36 ©tüdtcn. 2)aS ift ctloaS öiel. SSäir ptten bie fteifen 
©om^ofitionen ber ©nglänber 93irb unb f8uU, bie nur 



190 €b. ßmislirf. 

3ntercffe für bcn §iftorifcr, nic^t für bag ?ßu6(ifum l^abcn, 
übrigeni^ aud^ o^nc @inf(u6 auf btc Vettere ^nftcntmidtlung 
marcn, bem Sonccrtgeber gern crlaffcn. SBon bcn intcrcffantcn 
©enrcbtlbc^en Sou^jerinS unb Slameaujg ntod^ten tüol^l 
gmci big brct genügen, tDö^renb ftc in bent 5ßrogramm jcl^n 
Slummern füHten. S33enn übrigeng ?Rubinftein auf bicfe öftere 
®ru^)^)e franjöfifd^er Kom^oniften ein befonbereg ®emid^t legen 
ttjottte, bann burfte er aud^ ®eorgc SKuffat nid^t öergeffen. 
(ginc fo lange SReil^e üon Slaöiercom^ofitionen biefer ?ßeriobe 
fann bie Il^eilnal^me eineg großen ®oncert|)ubIi!umg !aum nadö* 
l^altig erregen; fte getoä^ren aber, ouf bem l^eutigen 5ßianoforte 
gef^ielt, nid^t einmal bie rid^tige Slnf^auung i^reg Original* 
dfearafterg. Sie müßten, mie eg @rnft ?ßauer in Sonbon 
getl^an, auf ben ^nftntmenten il^rer geit (SBirginal, ©laöic^orb, 
®(at)ic^mbel) borgetragen merben, beren lurjer, jirpcnbcr Ion 
erft biefe Slrt Slaöierftil begreiffid^ mad^t, morin unauf^örlid^c 
SKorbente, ?ßraKtrilIer unb ameifenartig burd^einanberrennenbe 
5ßaffagen ben SWongel an fräfttger SBottftimmigfeit unb einfad^ 
getragenem ®efang 5U erfefeen l^atten. @rft mit ber ba^n^: 
bre^enben ©rfinbung, bie Slaöierfaiten burd^ auffd^tagcnbe 
$ammerd^en jum Sönen ju bringen, anftatt burd^ riftenbe Äiet 
febem ober SRctaH^jIott^en, ift bag moberne Slaöicrfpicl um 
bie SRittc beg öorigen Sa^r^unbertg erftanben. S38ag ung atfo 
t)on Sirb, SuH 2c. auf einem neuen $ßiano öorgetragen tt)irb, 
ift fftoax tl^re Som|)ofition, aber eg war anberg gebadet, l^at 
anberg geHungen. SSon bem geiftboHen, öiel ju tt)enig gc* 
!annten ®omenico ©carlatti gab ung Slubinftein nur ^toti, 
burd^ häufige Soncert^jrobultioncn allgemein belannte ©tüdEe: 
bie Safeenfuge unb bie A-dur-@onate. gn ber ©jem^fc^en 
auggabe ber ©carlattifd^en Sonaten ftanben SRubinftein ganj 
anberc, ungel^obenc S^ä^e ju ®ebote, beren Vortrag bag 
5ßublifum ju öiel größerem 3)anf öer|)ftid^tet ^ötte. ©ebaftian 



Hubmflctn. 191 

33 d& ift mit neun, § ö n b e t mit fcd^S Som^iofitioncn ücr* 
treten; getoife nid^t ju üiet für bic S3cbcutung biefer ®roß* 
mcifter, wol^I aber §u üiel für ba§ ol^nel^in mafetoS ouggcbel^ntc 
^ßrogromm. gcbenfaög l^ätte 83ad&, bcr SJoter, jmei bi§ brei 
©tüdc o})fern bürfen ju ®unftcn feinet @o^ne§ Sriebcmann 
S3ad^. a)icfcr toa^x^a^t geniole ®eift, ben unferc äRufif* 
freunbe l^öd^ftenS aug Srocfiüogete JRoman fennen, burftc in 
btcfer Sleil^e fd^Ied^terbingg nid^t fehlen. StRon fel^c fid^ feine 
ff 3^ölf ^ßotonaifcn" on. Srfinbungen öon retdöer ?ßI|ontafie 
unb energif^em ®effli|t, unb entf^eibe bann, ob nid)t üieleg 
barin (5um S9cif))iel 3lr. 4 in D-moll) gerabeju auf Sect« 
^ot)en ^intoeift. 3ofe})^ ^a^bn, üon bcm mx 24 ©onaten 
befifecn, ift öon 8tubinftein auffoKcnb färgtid^ nur mit einer 
$|?artic Variationen bebod^t. SSon SJRojart l^öxten loir bie 
C-moll-^^antofic unb bog atonbo ,,alla turca". SWan loeig, 
tt)ie löftlid^ atubinftein beibc ©tüdfe fpielt, bie er öffentlich fe^r 
oft vorgetragen — aber gerabe beg^alb loar in biefem E^Hug 
bic 838a]^I anberer, minber befannter ®om})ofitionen toünfdieng* 
ttjert^. SDafe ©cctl^oücn allein einen ganjen Slbenb in 2ln« 
fprud^ nimmt, ift nid^t anjufed^ten, loenngtcid^ bag ^intcrein« 
onberfpiclen üon a6)t SBeet^oüenf^en ©onaten nur mit einer 
öollftänbigen ?lbf|)annung beg ^örerS enben lann. hingegen 
bünft eg uns nid^t motiüirt, (i^opin einen ganjen ?lbenb, 
olfo ben ftcbcnten S^eil ber gefammten STOufifentmidEIung , ju 
toibmen unb i^n übcrbieS no^ am folgcnben Slbenb mit elf 
3lummem ju bebenlen. @iner ber genialften unb eigenartig* 
ften lonbi^ter, fommt S^o^jin bo^ nie auf eine loefentli^e 
Umbilbung feinet ©tilg, er erlebt leine SBanblungen, !eine 
einfd^neibenben 5ßl^afen, unb bleibt mel^r ate irgenb ein anberer 
®om})onift in bemfelben I|öd)ft fubjeftiöen @m|)finbungg!reife 
üerl^arrcn. @inen ganjen Slbenb l^inburd^ au^fd^Iieglid^ biefe 
neröög aufregenbe Suft ju at^men, brei^ig ©tüdEe öon ^i)opm 



192 €b. ßattsHcf. 

— unb tüäxt jebeg für fid^ bag rcijcnbftc — rafd^ nad^ein* 
anber in ftd^ aufiunc^mcn, ba^ ift eine ftorfc ^winutl^uno, bic 
Mn§ toeber äft^etifd^ gcforbcrt, nod& :()roftif^ üernünftig er- 
fd^ctnt. 3^^ beut fünften 5ßrogtamm, ba§ btc 5ßcriobc üon 6(c* 
mcntt big Sifgt, ütoa bic legten od^tjtg gal^rc, umfafet, l^öttc 
ber trcfffid^c S^itgcnoffc KIcmenttS, S)uffcl, geiptfe ein 5ßlö|* 
d^en Derbient, unb Klententi felbft, ber l^od^bebeutenbe, öicl 
ju hJenig gefannte ©onatencomponift, einen toeit größeren 5ßla|, 
afö i^m JRubinftein mit einer, obenbrein unöoUftänbigcn 5Rum* 
ntcr üergönnt. SSon ©(ementi (Sine, öonSifjt neun (£onH)o^ 
fitionen (Worunter bie befannteften Iran8ffri:()tionen) — ia^ 
äKifeüer^ältnig ift etitjaS ftarf. SSon lebenben Sonbid^tern ift 
gronj Sifjt ber @rfte, bem it)ir in SRubinfteing ^Programm be* 
gegnen. (S§ folgen auf biefen am legten Slbenb: 8lnton 8tubin* 
ftein felbft, %\&ailotü^t\), aiitngf^^gorfalotD, ©. 
®ui, fdaiatixtto, Siobotü — lauter lebenbe ©onH)o* 
niften, meift aßemeuften 2)atunig. Unböral^nt^? ®r fel^It 
aud^ bieSmoI auf SflubinfteinS $|grograntnt. S33ir l^aben fc^on 
früher cinmol bie Slnomalie l^erüorgel^oben , ba^ Slubinftein, 
beffen ©oncerte bod^ eine 9Wufter!arte üon Xonbid^tem aller 
Seiten unb Stationen barfteHen, nie eine Slote öon Sral^mg 
fpielt. Wan mod^te ha^ bomafö, ipunberli^ genug, „(Se* 
f^tttadEi§fad)e" nennen, ^n einem l^iftorifd&en ®^!Iug jebod^, 
toeld^er alle bebeutenbften Slaüiercomponiften big auf bie neuefte 
Seit mit mel^reren SQäerfen repröfentirt , ift bag gellten beg 
Stameng Sral^mg eine unbegreiflid^e unb unöcrjei^Iid^c 
Untertaffung. 

aiubtnftein ift afö ber ®rftc in feiner S^nft längft aner* 
fannt, unb id^ ^abe feit breifeig 3^^^en fein Sob fo oft unb 
gern gefungen, bafe id^ ben Sefer nid^t abermals mit SBieber* 
l^olungen bcl^elligen möd&te. 3n feinem bicgjä^rigen K^Hug ent* 
falteten fid^ öieKeidfit im^jofanter aU je bie unüergleid^Iid^en 



Subinftem. 198 

aSorjüge bicfeS ^ünftler^: bcr tüunbcröoHe ?lnf^Iag, bic un* 
fc^IBorc SStrtuofität , bcr niännlid^ feurige (nur manä^mal jur 
Ueberl^aftung ncigenbe) SSortrag, baS fabell^oftc ©cbäd^tniß unb 
bie ebcnfo fabelliafte Slugbauer. S)ic Stugböuer KubinfteiniS! 
aWan möd^tc fie f aft geringer mfinfd^cn. gn feinem crfkn 
Eoncert l^at atubinftein 27 ©tfidfe öon fteben öerfd^iebcncn 
Sonfe^em rafc^ Ifintereinanbcr gefpielt; erft naä) beut 27. er* 
ijob er fi^ für einige äRinuten unb filierte bonn bie gange 
jmeite Äbtl^eilung (Smanuel )Bad&, $a^bn, SRojart) lieber in 
@inent ^n^t burd^. 3^if<^^tt ben einjelnen Vorträgen läfet er 
bent §örer laum S^i* 8" einem Sltl^ernjuge, er toortet feine 
gonje ©cfunbe, um baS nöd^fte neue ©tüd ju beginnen, unb 
fo gel^t bag burd^ anbert^alb ©tunben fort, um na^ furjer 
ataft iüieber ju beginnen. SJiefeö at]^emüerfe|enbe, ru^elofe 
Slb^c^cn einer fel^r fangen Sfteil^e öerfd^iebener ©tudte ift eine 
©efd^madlofiglcit, um ni^t ju fagen eine ©arbarei. @o fünft* 
lerifc^ jcber cingelne SSoitrag JRubinfteini^ für fid^ baftel^t, ber 
ganje SSortragSabenb befommt burd^ biefe^ ungebulbige Sluf* 
räumen tttoa^ gabrif mäßiges ; benn mögli^ft t)iel ©tüdEe in 
fiirgefter Seit ju ejjjebiren, ift 5ßrincip beS g^brifarbeiter^. 
SBir toünfc^ten, bafe Sftubinftein lieber einige Stummem 
ipeniger \pxtlk unb bafür nad^ jebem ©tüdEe un§ eine für je 
9laft gönnte. SRur bann oermöc^ten wir toirflid^ jugeniefeen, 
mag mir jefet öerfd^Iingen muffen. 

Slubinfteing beif^jieltofe Slujiel^unggfraft ^at ba§ SSäunber 
bewirft, bafe für feinen gaujen ©^fluö öon fieben Slbenben ber 
große äRufiföerein^faal fofort im Slbonnement auSöerfauft war. 
Unb l^ier muffen wir eine^ menfd&Iid^ fd^önen SH^^ ^on 
aiubinfteitt erwähnen : er wieberl^olt biefen öottftonbigen ©^f lud 
gratig für unbemittelte ff taöierf c^üIer , Setter unb aWufifer. 
@g ift bieg ein Slft ed^t fünftlerifd^er ©rogmutl^, bem wir in 
bcr ganjen ®cf d^id^tc beg ©onccrtwcfeng jum erftcn SWoIc begegnen. 

@t>. ^anSlicf, ^u§ bem Xagebuc^ eines aRuftlerS. 13 



194 €b. f^auslirf. 



II. 

SBog atubittftcin an icbcnt feiner „Sieben Slbenbe'' Iciftete, 
ift tttoa^ USf)tx Unerlebted, faft Unbegreiftid^eiS an 9(uSbauer, 
,®eba(i^tnil5ftär!c unb SSirtnöfitöt int tueiteften ©innc. 3)er 
britte 8lbcnb — ©d^ubert, SSäebcr, äRenbetefo^n — toirfte 
jmifd^en ber iBeet^oden» unb ber @ci^umannn-@oiree eigenartig 
milb unb friebtid^ bnrd^ bic t^eitö l^eiter , t^eitö fd^toännerif d^ 
blidenbe, ani^ toitbtx sterlid^e unb glanjüoUe Stomantif ber 
brei Xonbid^ter. 2)a^ äReifte badon l^at Stubinftein entjüdEenb 
gef})ielt, (SinigeS aber auc^ — onbcr^. Smmer finb c^ bie 
jarten, einfad^eren ©tücte, bie SRubinftein am fc^önften öor* 
trägt. 2)ic ©uirlanbe ber ©c^ubertfc^en „Moments musicals^^ 
Mfilfte buftig auf unter Stubinftein^ gingem; Ifingegen üer* 
brannte bie „SBanbcrer^j^antofie" in einem maleren ©d^miebe« 
fcucr. Sifjt, ber ma^r^aftig fein $ß^Iegmatifer mar, nal^m 
bo§ lem^jo biefer 5ß^antafie üiel gemäßigter — wer gebeult 
nid^t gern feinet Haffifd^en SSortrage^ im S^ni 18741 9lod^ 
befrembenber mirfte bie unbegreiffid^e 5ßarf orcejagb , bie 
Sftubinftein mit SBebcrg „?tufforberung jum lanje" aufteilte. 
„2lufftürmung jur ©d^anje" l^ötte boS oHenfaH^ tfeifeen lönneu. 
%üx Stubinftein , ba^ gilt und je^t atö au^gemad^t , giebt eS 
fein ällegro, fonbem nur ein ?ßrefto unb 5ßreftiffimo. SBo ber 
@^|arafter eined Sonftüäed nid^t blojs burd^ feinen mufilalifd^en 
3nI|aÜ, ber ja mitunter ©ontroderfen julögt, fonbem oben* 
brein burd^ j^eifeHofe Ueberfd^riftcn feftftel^t, bo toirb jebe 
SBergemaltigung beS Stxtmait^ bo)7)}eIt unbegreiflid^. 2)a]^tn 
gehören bie „Stufforbcrung jum Xaxiit" unb SBeberS Es-dur- 
5ßolonaife, toeld&er aud6 in ber dirtuofeften 8lu«ffi^mng bie 
feftlid^ üomel^mc §aÖung ebenfotoenig fehlen barf , toie ber 
,,Slufforberung jum lonje" bie anmutl^ig toiegenbe SJetocgung. 



Hubinjieiii. 195 

gär 3hibinftcind gewalttl^ötigc Scl^anMung btcfcr bcibcn ©tüdc 

fuc^en mir hergebend naä^ einem atcd^tferligungggrunbc. ®rjl 

fein jattber^aftcr SSortrog üon elf SRcnbdfo^nfc^en ,,Siebem 

ol^nc SBorte" tjerrnod^te uitS jenen üblen Sinbrud ju öertoifd^cn. 

SKbcr elf „ßieber o^ne SBorte" in @inem gngc — »ären t^rcr 

fünf nid^t l^inreic^enb gemefen? SSiel ^errlid^ei^ befc^eerte nnS 

bermerte, aui^fc^Iiejslici^ ©d^umann gemibmete 9(benb. äRan 

meig au$ Slubinfteind früheren Soncerten, mie unt)erglei(i^li(l^ 

jart er bic «einen ©tildte „SBomm?", „SSogel ol^ 5ßro|)^et'', 

„S)c« abenb^" fpielt, icbem ©änger jnm SSorbilbe. SKan fennt 

feinen au^ tiefer, leibenfd^aftli^er Seele ftrömenben SSortrog 

bc« @(i^In§fo|eö bcr C-dur-?ß^ontafie. S)ad finb (ginbrüdte 

füri^ gan}e Seben. $(ud^ t)on ©c^umannd äKnfif giebt un^ 

Siubinftetn am fd^önften bie me^müt^igen, tränmerifd^en @tüd(e. 

3)a folettirt fein Qmq öon falfc^em SBeÜfd^merj, fein ©enfgen 

iinb SBinfeln — aUt^ Hingt wie Qt\pxo(S)tn , mit notürlic^er, 

feelenüoKcr Stimme ju nng gef|)rod^en. ffirftounlid^ mirft fein 

Spiel in ben ftflrmifc^en 1KIIegrofä|en; fo fd^ön nnb fiber« 

geugenb nid^t. Sobalb Stubinftein ein StOegro beginnt, paSi 

i^n ber S)ämon ber Sleröojttät (ober S3irtuofität ?) nnb treibt 

i^n, 'ta^ Stfid! fo fd^nell gu fpieten, aU äRenfd^en^änbe t^ t)o(l^ 

bringen lönnen. SRit ben rafc^en Stfldfen in ben „Kreisleriana" 

nnb ben „S^mpl^onifd^en Stuben^' ^ot nnS Stubinftein me^r 

betrübt als erfreut, mitunter gerabegu entjaubert. 2)a gefeSte 

ft^ ju ber Uebertreibung beS Icmpod bie Uebertrcibung bcr 

Äraft; e« toar ein loilber Sturm, ber jebem ni^t gang genau 

mit ber Sompofition SSertrauten ben Sinn üermirite unb i^m 

nid^t fotool^I gu genießen afö gu ratzen gab. 

SBenn Sd^umann biefen Slbenb erlebt l^ättc! S)cn Slbenb, 

bcr ganj öon i^m erfüllt unb mit einer einzigen Meinen Äui^ 

na^mc {„^^%A ate ^ropl^et") ber crften, gäl^renben, ieon*' 

paulifirenben $ßeriobe feinet Sd^affeniJ gewibmet »ar! S)iefe 

13* 



196 €>. f^anslirf. 

ft) l^d^ft fubjcfttoc, inKmc SWuftf ^at ©c^um ann fclbft gar 
nid&t für conccrtfö^ifl gcl^altcn. 3loc| im SDcjcmbcr 1837 
fd^rcibt er on Älora fflicrf: „Svm öffcntKci^ ©^)iclcn paßt 
toirfßc^ nx6)t§ t)on meinen ©ad^en äffen"; nur „3n ber Siot^t" 
unb ,,Iraume8h)irren" nimmt er aui^. Unb bann: „Du l^aft 
too^Igetfian , meine ©^mpl^onifd^en Stuben nid^t ju f))ielen; 
bad pajst ntd^t fürd ^ublifnm, unb bann tuare eiS laj^m, menn 
i^ mid^ l^interbrein bellagen moffte , eiS l^ötte etmai^ nid^t t)tx^ 
fianben, toa^ filr fold^en 99eifaff nid^t bered^net unb nur um 
feiner felbft toiffen ba ift/' Sufe|t führte unS Iftubinftein 
in feiner fiebenten $Iat)ier))robu!tion in baiS innere atugfonb^ 
unb ^olenS. Dhtooijll er am Slbenb t)or]^er au^fd^liejslic^ 
@om)}ofilionen t)on S]^o))in (30 an ber g^^O 9ef))ielt ^atte, 
begann er biedmal mieber mit ber ^leinigfeit ))on elf ^iopin^ 
fd^en ©tttben, ©ie toaren im ftrengften SBortt)erftanb ber 
©lanjpunlt bed Slbenbd: ein glönjenber $unlt inmitten me^r 
ober minber trüber ©eftalten. D^ne tSfrage toax jeber ber 
früheren 9iubinftetn*?lbenbe ipeit, toeit genufereidjer, afö biefer 
lefete, beffen 5ßrogramm me^r bem ruffifc^en ^Patrioten aU bem 
aRufiter Stubinftein ®]^re maä^t S)ie @^^o)?infd^en (Stuben 5u 
8(nfang glid^en fc^tant aufftrebenben $rot)^Iäen t)or einem ba- 
rod^en ®ebäubeIom)7le$ : ber neueften ruffifd^en aRuftf. Wat er« 
freultd^ften berührten nod^ brei @om))ofitionen bed alten Slinfa, 
pbfd^e, piUntt ©atonftüde, bie freilid^ gegen bie $au))tt]^tig« 
feit biefed Q^omponiften , bie bramatijc^e, nic^t fd^n^er in§ &t^ 
»id^t fallen. Ungefäl^r eine analoge „83öterd^en"*@teHung, toie 
S?td&ael ®Iinfa unter ben ruffifd^en aWufilern, bel^auptct SW o * 
n i u c 5 f bei ben :()oInif c^en. Slud^ er begrunbcte feinen Slu^m 
ate nationaler D))erncom)7onift , fd^uf aber nebenbei man^eS 
f^ib\ä)t S(at)ierftüd. S33ir befi|en ))on äRoniucalo ein ^eft 
$olonat{en, bie origineffer unb mufilalifd^er finb aU affed, mad 
»ir öon Siabo», (Sui, SalaÜrett) unb fi'orfalott) fcimen. ©ein 



Hubiiijiciu. 1^7 

3?amc l^ättc nid^t fehlen follen in einem norbfIoöif(|cn ?ßro* 
graram. KI|o<)in ift ber eingige öon JRubinftein aufgenommene 
5ßoIe. aSon ben jüngeren rufftfd^en (£om<3oniften , bereu un^ 
Shtbinftein ein öoHe« §aI6bu|enb üorfü^rte, ift Ifd^ai^ 
! m g f 5 getoi^ ber talcntöollfte unb originefffte. Ungemein 
probuftiö, f)ai er Dptvn, @^m|)^onien, Dnüertüren, Ouartctte 
unb Äladierftüdfe gefdbrieben, in wetd&en ber ruffifcl^»nattonoIe 
S^arafter (atterbingg ftarf mit Sifjt'Serliojfc^en ©lemcnten 
legirt) eigenartiger unb energifc^cr l^crüortritt, atö bei feinen 
Kollegen. SBir lennen Don i^m in SBien nebft einer müften 
Duöertüre ju ,,8flomeo" ein rcd^t originelles unb geiftreid^eS 
Streichquartett, aufeerbem bag gragiöfe „Sieb ol^ne SBorte" in 
F-dur (Op. 1), baS aiubinftcin toieber^olt gef^jiclt ^at. S)icfc 
Äleinigfcit, toclc^e in cbicrer Umgebung gerabe fein fonbcr* 
Ii^e§ Sluffe^en erregt ^ötte, erfc^ien biciJmal bem $ublifum 
mie eine ©rlöfung ; man atl^mete auf, noc^ fo ötel franl^oftem 
unb toüftem Stu^ eine natürlid^c, njo^IHingenbe SWetobie ju 
^ören. 2)er gflnftige @inbru(f fiel aQerbingS bem to6fü(i^tigen 
„Scherzo ä, la Russe" öon Ifd^aifotüS!^ rafd^ jum Opfer. 
SBorangegangen maren Sompofitionen öon S^efar ®ui, bem 
fleißigen SRufiÜritifer, öonJRimSf^^ffiorfalolounb Snatole 
ß i a b U) , mcift Keine ©tttrfe, auS ioeld^en, üerjjerrt mie im 
^o^If)}iege{, bte SSorbtIber S^o)?in unb ©d^umann l^eraudfd^auen» 
?ltte§ jugleidö unbebeutenb unb raffinirt bi# jum SBiberioörtigen. 
©d^abe, bafe SiabotoS Unfclbftanbigfcit nid^t burd^ feine 
beiben @:^Hen ,,2lr ab cSfen" unb «Siroulü" ittuftrirt 
war; jtoei fo birelte, unverfrorene Slad^bilbungcn ber ^aoibg« 
bünblertänge unb bed Sarneüal üon ©d^umann, n)ie fie in 
ber ganjen ßiteratur nid^t njieber üorfommen. Der ©d^Iimmfte 
in biefer ©erie ift aber §err SJalalireto, beffen Slo^l^eit 
unb Unnatur bei unaudgefe|ter ^a^b nad^ ^aarftröubenben 
S)iffonanjen, melobifd^en unb r^^t^mifd^en SSerrcnfungen einem 



198 <Eb. £?atisltrf. 

§01^11 auf bic SKufif glctd^t. Unb ba^ atte« in fo l^atmtofcn 
©ujctg, ipic „©d&crjo", ,,aRaptfa", ^Oricntalifd^c ^ß^antofie" ! 
aWan möd^tc fid^ fragen, ob in bcr ©cclc bicfcS SRanncS über* 
^aupt ein ®cfü^I für aWufil niftet. UntDiöIüriid^ erinnern 
biefe neurujfifd^en @om))oniften an baiS gegen äiuglanb gefallene 
berühmte SBort: „JSföuInijs öor ber Sfteife". 2)en «efd^tufe 
machten @omf)ofttionen ber beiben 93rüber Stubinfiein. 9(nton 
atubinftein bebarf l^ier nid^t mel^r einer auöfül^rli^en K^arafte« 
riftif; mir fennen feine SSorjfige, an^ feine ©c^tüäc^en. SBir 
njiffen iniJbefonberc, bafe er aU fi'IaöierconUJonift feine oben 
genannten jüngeren Sanbgleute überragt, äud^ feinen Sruber 
Slifolaui^, ber feltfamcrtoeifc öon ^au^ au^ für bcn begabteren 
Spntponiften galt, mäl^renb Slnton fid^ urf))rünglid^ gang bem 
SSirtuofentl^um toibmen toollte. SBa# toir öon SliloIauiS Shtbin* 
ftein fennen, finb re^t unbebeutenbe SalonftüdEe, ntel^r bie 
öraüour afö bai^ lalent be§ SlntorS öerratl^enb, fd^n^ieriger, 
aber farblofer aU bie @!omf)ofitionen SlntonS. 2)a$ ^ublifum, 
offenbar ioeniger bef riebigt öon bicfem legten 8iubinftein=9lbcnb, 
afö öon ben frül^cren, jeigte fi^ trofebem nid^t minbcr banfbar 
gegen ben großen SSirtnofcn, beffen „Sieben 0at)ierborträge" 
iebem wnüergejslid^ bleiben nnb in ber ®efd^id^te be§ ©onccrt* 
toefeng eine monumentale ©teile einnehmen Jocrben 



( 



1886- 

S)a§ Ic^tc, nur aug Sifjlfd^ctt ©omtJofitionen äufammcn^ 
gefegte ®efeIIf(^oftgconceTt ^ot bte glüijenbfte 5ßietSt für bcir 
aScrftorbcncn mit einer erl^obcncn ®Ieid&giÜigfcit gegen bie 
Sebenben glürfftd^ bereinigt, gürtoalir, eine l^artc $ßrüfung, 
in rafd^er golge eine f^nt<)]^ottif(i^c S)id^tung, ein Älaüier* 
concert, einen großen ^]aim unb eine Ungarifd^e 3t^a<)fobte 
öon Sifat nac^einanber ju l^ören. Sluf bad Ie|tc ©tflct, unb 
nur auf biefeg, Ratten mir unö eigentlid^ gefreut; Heben toxi 
\>od) bie Ungarifd^en 8lI|a<)fobien otö boö Seftc, toa^ Sifjt ge^» 
fd^offen. Suftige, glänjcnbe 3nHJrodifotioncn, ju toefd^en ein 
natura üd^figeS SBoII ben Stoff unb ßifjt bie reijenbftc StidEeret 
geliefert l^at — unb nod^ feine ©pur öon ©efc^id^tS* unb 
aieligiongp^ilofop^ie. 2lber bog ©d^idtfal mottte e8 anberg. 
2)ie brei t)orauggegangenen Xongetpitter Ratten unS total auf« 
gerieben, für aUeS SSäeitere unempfinblid^ gemalt. Slt^emlo^ 
üerliefeen toir nad^ beut 13. 5ßfatm ben ©oncertfaat Unfere 
@i|nac^barn — fie l^atten furj öorl^er bie ^©ur^ant^e" gehört 
— f^ienen ben S^^or „SSäir alle tooHen mit bir gc^n" an=* 
ftimmen 5U tooHen; fie blieben aber fifeen, entttjeber um iljre 



200 €b. £JansItrf. 

$|gietatg^)flid^t ober um il|r (£tntritt§gelb ööHtg abjubtenen. 
gn bcn ©angcn iebod^ ftrömten un§ galilrctd^c gtud^tgcnoffcn 
öon allen ©eiten entgegen, barunter Eoncertlötuen öon ge* 
räumtgftem 3Ragen, @d^n)armer für Silber- unb Oebanlenmufif, 
ptx\Miä)t greunbe SifitS. ©ie ptten alle gern bte Unga- 
rifd^e SR^apfobie nod^ ge^rt, fülilten fid^ aber bi§ auf ble 
©nod^en üerbrü^t üon beut fiebenben SBaffer, ba§ burd^ jipei 
©tunben ftursipetfe ober in tüdifd^en gaben auf un§ nieber* 
gegangen loar. „S)ie Sbeale", eine jener än)ölf f^m^jl^onifd^en 
®id^tungen, »eld^e tijeite burd^ liefttge Ueberrafd^ungSf^Iäge, 
tlieife burd^ unabfelibare SBieberl^oIungen fid^ ben älnfd^ein 
aufeerorbentttd^cn lieffinn^ geben — „bie Sbeale" überfefeen 
befanntlid^ ©d^ifferS ©ebid^t in bie Bpxai^t be§ Drd^efter^, 
Sifät tl^eilt ba§ 5ßoem in 2lbfd^nitte, giebt biefen eigene Sitel 
(toie: ,,2tuffd^n)ung'S ,,®nttäufd^ung^ ,,a3ef^äftigung") unb 
fügt f d^Iie^Iid^, ganj ipie in unf eren S3affetten, bie unentbel^r- 
lid^e ,,2l})ot]^eofe" l^inju. SBir Sn^xtx fud^en nun enttocber 
mit bem 5ßrogramm in ber §anb ©d^iller§ ®eban!en au^ 
ben Sifjtf^en Sonreil^en l^eraugjuf tauben unb ärgern un§ 
über bie anmofeenbe ^ilflofigleit ber 2Kufi! — ober mir feigen 
Don bem ®ebid^t gönjüd^ ai unb fd^toimmen ,,troftto§ im 
toeiten SJReer" einer balb efftatifd^ aufgeftad^elten, balb fraft= 
Io§ äufammenfin!enben unb nod^ Slu^brudE ringenben 3Rufif. 
Äaum ftnb bie ,,Si>eoIe" entfd^tounben — nid^t bie unferen 
— fo po6)i fd^on ein Sifjtfd^eg Slaüierconcert an unfer be* 
forgte^ SDf)x. Seiber nid^t ba§ brillante in Es-dur mit feinem 
energifd^ l^ömmernben $au:()tmotiü, feinem flangfd^ttjelgerifd^en 
Slbagio unb bem lofett ftingelnben Sinale — fonbcrn ba§ 
gef^tt)ö|ige A-dur-Koncert. §err Sllfreb 9teifenaucr — 
Sifjtianer, SBagnerianer, aber, nad^ feiner lieblid^en ^öxptx- 
fülle ju urtl^eilen, fein SSegctarianer — 'ipuit e§ glatt, tjtrtuoä, 
o^ne fonberlid^ belebcnben Ocift. (£§ folgt ber „13. 5ßfalm" 



£if3t»(Jloncert. 201 

für Senorfolo, K^or unb Drd^cftcr; eine breite, ti^t Sifetfd^c 
SWelange öon ©ird^ett- unb Dpttn^iil Slud^ üon biefer Kont* 
^ofttion toirb unS, wie öon bcr ®raner SWeffc, berfid^ert, 
Sifjt l^abe fie nld^t ^^corntJonirt", fonbern ,,ge6etet". SBo^I 
möglicl^. @§ fommen äRittionen aRenfd^en, iüeld^e anbad^tig 
beten fönnen, auf einen, bcr gut comjjonirt. gräulein Souife 
3? a m a n n ^ai fiirjlid^ iljrem fd^tüeren biogra^jl^ifd^en Srad^t* 
lüagen ein eigene^ ©e:()arotn)ägeId^cn „granj Sifjt alö 
$falmenfänger" nad^gefd^idft, worin fie bie Seweifc für 
ÖifjtS Uebertegenl^eit über anbere 5ßfotmcomponiften (ßaci), 
Raubet, ©d^ubert, aRcnbeföfo^n) aufftapelt unb fdCjIie^Iic^ ben 
grogartigen ©afe üerfünbigt: „Unter ben bi^^erigen 5ßfalm* 
componiften fte^t Öif^t bem Urbilbe aller 5ßfalmenblc^tung, 
ben 5ßfalmen 3)abibg, am näd^ften. Sei il^m bietet fid^ 
bie äKuftf jum 5ßfalm!" 2tu§ ben Dr afein t)on Srcnbel, 
9to^I unb ©onforten toiffen wir bereite, ba§ Öifjt in feiner 
„S)ante*©^m^)l^onie" bem 3) ante am näd^ften fte^t, in feinen 
,,3beoten" bem ©dritter, in feinem „gauft" bem ©oetl^e, 
in feiner „^unnenf d^tad^t" bem Ä a u I b a d^. @inem Stuf fa^e 
be^ $errn S. Slbran^i in ^^ßeft entnehmen Wir bie Steuigfeit, 
bafe Sifjt „Sieben mufifaüfc^e ^ßorträtä" (für maöier) fertig 
t^interlaff en ^at ; Silbniffe ber berühmten Ungarn Satt^^an^i, 
®eaf, ®ötöö^, 5ßetöfi, @äed^ent)i, SSöröämart^ 
unb äKofon^i. ©obalb biefe§ „monumentale SBerf", an 
WetdEiem nadE) 2lbrant|ig SSerftc^crung „Öifjt nur bei bem innern 
ßic^tc ber ^ßietöt arbeitete", üeröffenttid^t ift, werben Wir o^nc 
Zweifel iefen, bag Sifjt aU ^Porträtmaler San ®t|cf unb 
Siembranbt am näd^ften gefommen fei. Sitten großen ®id^tern, 
$^iIofop^en, SKalern ift Sifjt abwcd^felub „am näd^ftcn ge* 
fommen". SBarum nid^t aud^ ben äRufifern ^a^, SKojart, 
Sectl^oüen? 3)er 13. 5ßfalm, mit weld^em Sifjt bem ffiJnig 
2)aöib fo na^c fommt, ba^ wir ba§ SBeite fud^en mußten, 



202 <Eb. fjansitrf, 

beginnt mit ben SBorten: ,,SBie lange, ^tn, toillft bu mein 
bergcffcn?" S)er Sln^ruf „SBie lange!" burd^jammert in enb^ 
lofer SBieberl^oIung bie fe^r nmftänblid^e Kompofition. §err 
SBinfelmann, ipeld^er ba§ lenorfoto mit einbringlid^er 
ffraft üortrug, be^nte babei jebeSmal feinen beneiben^Ujertl^ 
langen Slftl^em fo inbrünstig au§, ia^ e§ tüie ein (£d6o in ben 
3utiörerrei^en nad^feufjte: SBie lange nod^, ipie lange, tt)ie 
Ia'a=aange! ^iefeS unb äl^nlid^e Sifjt'3Ronftreconcerte, ipie 
fie ein untobeliger SobtenfuItuS je|t aöeripörts organiftrt, 
fönnten immerl^in einen guten (Sinffufe l^aben — freilid^ nid^t 
benjenigen, toeld^en bie SSeranftoIter tüünfc^cn. ^ä) meine 
tücnn bie 3wl|örer eine§ fold^en Eoncerteö jid^ el^rlid^ unb 
unbefangen auf ben ©inbrucf be§felben (jrüfen, fo müßten fie 
ba§ burd^au^ fterite, getünftelte, äu^erlic^e SBefen biefer 
ft|m()^onifd^en S)id^tungen, ^ßfalmen u. f. tt). fid^ bod^ enblic^ 
eingeftel^en. @§ ift unipal^re, fatfd^e SHufif, beren Eigenheiten 
l^anbgreiftid^e @^m()tome be§ SSerfaHe^ unb nid^t Stützen 
einer l^öl^eren Sunftorbnung finb. Sifjt toax eine geniale 
Statur, bie i^r SefteS in bejaubernber Sße^jrobuütion, in einer 
SSirtuofitöt o^ne ©teid^en auSf^jrad^. gür atteg Uebrige befafe 
er latente, ®eift, S^rgeij, aber ipeber innere Sammlung, 
nod^ fd^ö()ferifd^e§ Oenie. <SoKte ber freie 8Iidf, ber ju 
SifjtS Sebjeiten burd^ allerlei SKebien ju ®unften feiner 
SBerfe beirrt tüarb, nid^t enblid^ erfennen, ba§ fie ^robufte 
einer geiftreid^ combinirenben unb folorirenben ^nt^Jotenj 
finb? Stöe „Sifjt-aSereine'', bie fid^ jefet afö 5ßro))aganba 
fonftituiren — ein böfe^ Sdiitn für bie eigene Seben§!raft 
t)on Sifjt^ Eompofitionen ! — iüerben bie SBal^rl^eit, werben 
bie gefunbe ©m^ifinbung be^ 5ßublifum§ nid^t auf bie SDauer 
unterbrüdEen. SBen l^aben tüol^I bie jüngft geliörten 2on^ 
bid^tungen im Qnncrften bercid^ert, erl^oben, beglüdft? Unb 
fann eine aRufif, toelc^er fold^e SBirfung üerfagt ift, Slnf^jrud^ 



Bral^ms' E-moll-Sympl^ome. 203 

ouf ©Icid^ftellung mit unfcren großen S'unftfd^ö^jfungcn, Sht- 
f^)rud^ auf gortbouer mad&cn? SBie üicic gro^c ©ompofitioncn 
t)on Sifjt giebt e^ übn^aupt, totläjt bic bcfd^cibenftc aßet 
Slnforberungen erfüllen: nid^t longtüeüig ju fein? 

Stod^ eine anbete Sifjtfeier f^jiclt fid^ l^ier gleid^jeitig ab 
— auf ätüei fftaöiercn. S)ie getreu Sluguft ©trabal unb 
Stuguft ®öUerid^, jtuei junge SSirtuofen, bic ilir grei* 
tüittigenjalir unter Sifjt in SBeimar abfolbirt liaben, üer^ 
anftaltcten äufammen einen 3 Slbenbe umfaffcnben SSortrag 
fdmmtlid^er f^m^j^onifd^en ®id^tungen ii|re§ 2Keiftcr§. „(Selben 
@ie jebenfaH^ i)m/* xitif) mir nad^ bem erften Slbenb ein 
Sifjtf d^tt)ärmer , ,,e§ ift tt^irKid^ unerl^ört, tt)ie biefe beiben 
Slugufte jufammen f})ielen — riefen^aft ! S)ag reine 2)onner= 
ttietter; man glaubt man^mal, ba§ einem bie fflaöiere um 
ben Sopf l^erumffiegen!'' ®ett)i§, tjöd^ft tjerlodfenb. Stber 
„unjung unb nid^t me^r ganj gefunb, tt)ie id^ e§ bin ju biefer 
©tunb'", fingt ^eine, burfte id^ mid^ einem fo übermenfd^Iid^en 
®enu§ leiber nid^t au§fe|en unb fann fomit nur nad^erjaWen, 
toa§ ©lüdEtid^ere mir bat)on rül^mten. 



Sterte %tn^$ottte in E-moU i>on ^xaf^ms. 

Sie l^at feit i^rer erften Sluffül^rung in SReiningcn (25. DI* 
tober 1885) bereite eine fleine Sirium^jl^reife l^inter fid^, unb 
toer bie entjüctten Serid^te au§ granffurt, ^'6tn, ®tberfelb 2C. 
gclefen (ober iper fie aud^ nid^t gelefen ^at), mufete üon 
S3ra]^m§' neueftem SBerfc ©rofee^ unb (Eigenartige^ ertt)arten. 
SBeld^e ©^m^jl^onie auS ben testen breifeig bi§ bierjig Qal^ren 
öermöd^te fid^ ben S3ral|m§fd^en aud^ nur annöl^erung^toeife 
5U Dergteid^en ? Unb bod^ werben in jüngfter Stit mel^r 



204 €b, JJansIirf. 

©^mpl^onicn componirt, afö man gcmciniöfic| glaubt. 2)ic 
bonfcnStocrtl^e SRüdEfd^au bcr Sci^jjigcr ,,@ignalc'' üerjcid^nct 
nid^t tucnigcr aU neunje^n ©ijin^iionicn, bie im Soufc bc^ 
vorigen ^Q!f)xt^ jur crften Sluffü^rung gelangt finb. ®^ 
f(|cmf faft, afö l^ättcn auf bic löngcrc ©torfung, bie nad^ 
aKcubeföfo^it unb ©d^umonn auf bicfem ®ebtctc gelicrrfd^t, 
bic ®rfoIgc SralimS' plö^d^ tüicbcr eine lebenbigere ^ro- 
buftion l^erüorgerufcn. Stber nid^t jebcg l^übfd^c latent, 
bem einige ÄlabicrftüdEc unb Sieber geglüdft finb, barf fid^ 
auf biefen Äantpf^jla^ toagcn. 5)ic @t5m})^onie verlangt 
öollenbcte SReifterfd^aft ; fie ift ber unerbittlic^ftc 5ßrüfftein 
unb bie l^öd^fte SBeil^e beS 3uftruntentaI*KonH3oniften. Sn 
ber ©nergie tä^i ftimpl^onifd^er ®rfinbung, in ber fouöeräncn 
Se^errfd^ung aller ©e^eimniffe ber ©ontrapunftif, ber ^ax^ 
monie unb Suftrumentation, in ber ßogif ber SnttoidKung bei 
fd^önfter gi^eil^eit ber ^ß^antafie fte^t S3ra^mö gauä einzig 
ba. ®iefc Sorpge finben tüir in feiner öierten @^ttt})]^onie 
bollftanbig tt)ieber; ja fie frfieinen -- ^toax nid^t in ber melo* 
bifd^en ®rfinbung, bod^ jebenfallä in ber Äunft ber 3lu§fü^=^ 
rung — nod^ ^ö^er cmporgetoad^fen. SnbiöibueHe SSorüebe 
mag fid^ mel^r ber einen ober anbern üon Sral^m^^ S^mpl^o- 
nien äutoenben; unfer fpecieHer Siebting ift bie britte. STber 
tt)ir möd^ten nid^t üerfd^toören, ba§ fie e§ nod^ bleiben tnirb, 
tt)enn un§ einmal i^re jüngere ©d^toefter ebenfo bcfannt unb 
üertraut geworben. ?luf ben erften SlidE wirb fie feinem 
i^ren reid^en Oebanlenfd^a^ erfd^Iie^en, il^re feufd^e ©dEiönl^cit 
entpöen ; i^re SReiäe finb nid^t bemofratif d^er Statur. äRänn* 
lid^e Äraft, unbeugfame ffonfequenj, ein an§ ^erbe ftreifenbcr 
©ruft — biefe ©runbiüge aller größeren SBerfe öon Sral^mS 
— treten aud& in feiner neuen ©5m|)]^onie beftimmcnb auf. 
©ie fd^affen fid^ l^ier il^re eigene Sorm, i^re eigene ©jjrad^e. 
Unabliängig don iebem birecten SSorbilb, öerleugnen fie bod& 



Braljms' E-moU-Sympljotiic. 205 

nirgcnbä tl^rcn ibcatcn Swfatnmen^ong mit Seetlftoüen; ein 
SRomcnt, ba§ bei S3ra:^m§ unglcid^ ftöricr l^ertjovtritt, otö bei 
SRenbel^fol^n unb ©d^umann. Sotten toir nun bie neue 
@^nH)]^onie f Silbern? ®er Sefer tüirb ipiffen motten, toit 
ber ittuftre, nod^ öon feinem SSerieger <)f|otogra:()]^irte ©oft 
ungefäl^r ausfielet. 2lbcr fetbft einen anflänbigen ©tedbrief 
ttjirb unfere SBortbefd^reibung nirf)t erreid^en, benn tt)er öermog 
bie ,,befonberen ^ennjeid^en" einer Kom^jofition aufjuäöl^len, 
in ber jieber %alt ein fold^eö ift? S)ie E-moll-S^m^j^onie — 
borf) l^alt! jd^on bie SBa!^! ber Sonart gel^ört l^ier ju ben 
befonberen ffennjeid^en; benn jeltfamern)eife l^aben toeber 
SKojart, S3eet^oüen unb ©d^ubert, nod^ aRenbel^fo^n ober 
©dftumann je eine ©^mjjl^onie in E-moll gcjd^rieben. 2(Ifo 
bie E-moll-©t|m})]^onie beginnt ol^ne jebe (Einleitung mit einem 
fel^r einfad^en, etipa^ nad^benfUd^ ibtjHifc^en Stiema, ba§ fi^ 
attmäl^tid^ fteigert, entfaltet unb in einem ftrammen, tro^igen 
SKotit) feinen ©egenfofe finbet. S)er ©a| (Alla breve, Alle- 
gro non assai) fd^Uefet ftarf unb ftürmifdE). S3ei atter gütte 
lunftreidEier aSerfd^Iingungen bleibt bo§ ®tnd burd^toegS flar 
unb überfid^tlid^ ; ber $örer, fortipäl^renb lebhaft angeregt, 
merft gar nid^t unb brandet nid^t ju merfen, ba§ gleid^ ba§ 
Xliema mit feinen fanft fd^tud^^enben 5Roten fid^ fanonifd^ im 
93affe tüieber^ott. 9lod^ tiefer unb unmittelbarer toirft ha^ 
«bagio (E-dur, ©ed^Sad^tetSaft), ber föftli^fte ©a^ beg 
ganzen SBerfe^ unb eine ber fd^önften (SIegieen, bie S3rat|m§ 
je gefd^rieben. ®§ l^errfd^t barin eine ganj eigene, fü^e, 
toarme ©timmung/ ein fc^toärmenber 3ow6er, ber in immer 
neuen Sftangfarben ttmnberbar aufblüht, big fd^Iiefelid^ atte§ 
in fanftem S)ämmerlid^te leife üerl^attt. ®a§ Sl^ema ^eg 
©dierjo (AUegro giocoso, C-dur, 2^ti\)mttU%att) tritt fel^r 
berb auf — „l^a^nebüd^en" ipürbe ©d^umann fagen — bi§ 
fein öeripegener §umor burd^ eine jipeite, ettoag atttäglid^ 



206 €b. ^ansHrf, 

fßngenbc aWefobie gejäl^mt toirb. Sine IcbcnööpHc ©cc^S? 
icl^ntetgigur ber aSioIinen burd^ft^längclt rcijenb bcrt Sialog 
biefcr bciben X^cmcn. 3« i>cn früheren gnftrumenten treten 
im ©c^erjo 5ßiccoIo unb Sriangel mit bem ©ffefte fein auf== 
gefpartcr Siebter l^inp. DaS ginale (E-dur SreiöierteHaft) 
„AUegro energico e passionato" l^ebt itoav fel^r ,,energif(^.^ 
an, fc^eint unS jebod^ in feinem geiftreic^ combinircnben SBefen 
mel^r einen finnenben afe einen ^leibenfd^aftüt^en" S«g h^ 
^aben. 3um erften äHale in ber ganzen ©^m^jl^onie treten 
^ier 5ßofounen anf, gleid^ anfangt mit einer Steige mäd&tiger, 
fura abbrec^enber äfforbe. @ie leiten unmittelbar in ba^ 
Il^ema, bo§, ad^ttaltig, ganj nai) ärt ber alten Chaconne 
ober Passecaglia, forttoal^renb öariirt toirb. @^ gefd^ie^t bie§ 
^ier mit unerfd^öpflid^em ©eftaltungSreic^t^ifm, mit einer 
ftaunenSmert^en l^armonifc^en unb fontrapunftifc^en Sunft, 
iüelc^e fid^ bod^ nirgenbS atö trodtene ©ele^rfamfeit öorbrängt. 
Oanj neu ift biefe gorm für ein grofee^ @^m^l^onie*SinaIe 
unb ganj neu jebe§ ®etail barin. ®er lunftreid^fte @a| öon 
allen ift biefer lefete, bod^ ber mcnigft populäre, moju aud^ 
feine breitere -— im SSerl^altnife ju bem melobifd^en ®runb= 
ftoffe mol^I ju breite — SluSbel^nung beiträgt, gür ben 
äHufiler toüfeten toir fein jtoeiteS moberne§ ©tücf, baS il^m 
einen fo ergiebigen ®(i)aii frud^tbaren ©tubiumS erfd^Iöffc. 
SBie ein bunfler Srunnen ift biefe§ Sinale; je länger man 
l^ineinfc^aut, befto mel^r unb fettere ©terne glänjen unS ent* 
gegen. 



^ ^r($ePer-ü5utfe „Scenes pittoresques" von 3. 9iafftntt 

Sfann e§ jemanbem entgelten, bafe SKaffenet^ ©uite burc^- 
au^ opernl^aft ift? Sine fd^toere (äintoenbung gegen ben 



ITTaffenet: 0rc^efter»5uite. 207 

Drd^eftercom^oniften. SKon möge bcn Segriff Suite \wd) fo 
liberal auSbc^nen — tüie e§ ja ^eute öon ben öielen ge= 
fc^ie^t, bie S^mpl^oniemofeigeS um jcben 5ßrei^ auftreben, ol^ne 
eine ©^mp^onie fc^reibeu ju fönncn — baS aJiaffenetfd^e 
Drc^efterluerl öcrfäfft gerabcju bem SSerbad^t, au§ jurücf- 
gelegten SReften irgenb einer ©pielo^er äufommengefefet ju 
fein. 3)aS „5ßittore§!e" be^felben gel^t fo meit, bafe mir 
förmlich bie gemalten Sl^eaterbelorotionen öor unö feigen, 
ätuifc^en luelc^en bie einzelnen ©tücfe fic^ abfpielen. 81m 
mciften |)altung jeigt nod^ ber einleitenbe ^SKorfc^" ober 
richtiger: ber STnfang biefe§ äJiarfc^e^; benn auc^ l^ier t)er== 
läuft ba& rec^t l^übfc^e Xl^ema balb in gefud^te ©c^nörfeleien. 
Solgt aU jmeiter @afe eine öon ben SSioIonceffS vorgetragene 
altdäterifc^ öerjwicfte SRelobie: „Air de Balletts unb l^ier^ 
auf ein Slnbante, „Slngeluö", im Oefd^madte ber ^^Jrojeffion^^ 
fcene au^ ben „Hugenotten". SSier |)örner in C unisono 
mad^en ba§ fd^mere ©lodEengeläute, baju liefern bie Stöten 
unb Dboen in unermüblid^en lerjen^ unb ©ejtengängen bie 
frommen Oefü^Ie ber 5ßilger. Die ©cene öerl^afft ))ianiffimo 
über einem gebämt)ften Slnbad^tgfd^auer ber ©eigen. SRun 
brandet ber richtige I^eatercomjjonift felbftöerftänbüd^ einen 
padtenben Sontraft: er fü^rt un§ avL§f ber ffird^e birect inS 
SBirtl^S^auS. SRit ber vereinten SBuc^t von vier Srompeten, 
vier Hörnern unb brei 5ßofaunen fommt ba§ ginale („Fete 
Boheme'^) angeblafen, eine SKajurfa in D-dur, luftig unb 
fd^arf r^^tl^mifirt. Slber felbft auf bem lanjboben vermag 
SRaffenet nic^t lange natürlid^ ju bleiben; er läfet unS atö 
äRittelfafe eine affeftirte Äantilene von gagotten, Säratfc^en 
unb SSioIonceH^ unisono Vorbrummen, bi§ fc^Iiefeüc^ tvieber 
alle Sörminftrumente unS auf ben Oipfel be§ ffirc^weil^ju^e^ 
^inauffc^Ieubern. SBir l^aben aud^ für biefe Drd&efternovität 
fein anbereS Sob, aU ba§ fd^on ftereot^^ merbenbe einer 



208 <2ö. £?anslirf. 

pifauten ^armoitiprung unb rafftnirt gefc^idften ^nftrumen- 
tatioit. 9lur in bicfen Slccefforien fann man aKoffcnctS „Suite" 
einige Originalität juerf enncn ; i^r fubftanäieHer ©el^It reid^t 
!anm on ba^ SRiöeau öon S)eUbe^' SSaKetmufif. 



®räbener§ ,,8nftf<3icI=Duöertüre" entnjicfelt \xä) ofö ein 
t)orne^me§ Sntrigucnftüdt öon nid^t übertriebener Suftigfeit, 
iüorin gefc^eite Seute fid^ in gemäl^Item, fd^Iagfertigem Sialog 
ergeben unb nur ganj am ©c^Iuffe etliche \tf)x gejmungene 
SBi^e mad^en. Die Duöertüre njurbe öufeerft beifällig ouf== 
genommen. 

SSon ber legten @erien= unb Stummemjiel^ung ber breifeig 
ffiretfd^mannfd^en Drd^efterconcerte metfe id^ njeber Xreffer 
nod^ Slieten ju berid^ten. ^ein SRenfd^ ^at bie graufame 
Slaiöetät, ju glauben, bafe ein äRufiffritifer in SBien aUe 
©oncerte befuc^en !ann. ffürjlid^ trieb mid^ aber bod^ bei 
JRegen unb ©d^neegeftöber bie SReugierbe l^in, eine Duöertüre 
ju ©f)alfpeare§ SRacbet^ öon ^Qnaj SärüII ju l^ören. „S)ag 
ift \a, afö ob ein fi'anariöogel ben S)onner nad^mad^en iüoffte!" 
rief einft Hebbel au§, al§ id^ il^m öon ®eibelS ?ßlan, eine 
Slibelungen-S^ragöbie ju bid^ten, erjäl^Ite. (£§ fann ben 
Heben§njürbigen Kom^oniften öom ,,®oIbenen föreuj" unmög= 
lid^ beleibigen, njenn man il^n mit bem Sid^ter ber „3uniu§= 
lieber" unb feinen SRacbetl^ mit ®eibel§ Särunl^öbe öergleid^t. 
Sn einem ?ßunlte l^at SrüII bie ©^affpearefc^e Xragöbie fogar 
überholt. Sei @f)aff|)eare bleibt ber an SRacbet^S Xafel er* 
fd^einenbe Sanquo allen ®äften unfic^tbar. Sn SJrüK^ Duöer* 
türe fielet man ouc^ öon äRacbetl^ nic^t^. 



§ipci neue Sonaten von Bratjms. 209 



3toei neue l^onafen tion ^ta^ms. 

2)ie SStoIoitceII=@onatc in F-dur op. 99 unb btc SSioIiit- 
Sonate in A-dur op. 100 crfd^tencn un§ otö (Scgenftücfe, bie 
cinanbcr lieben unb crgönjcn. Sn bcr SJioIoncett-Sonatc 
Iierrfd^t bic Seibcnfc^aft, feurig bt§ jur |)eftigleit, balb tro^ig 
l^erauSforbemb, balb fd^merjüc^ flagenb. S8ie f ul^n fefet gleid^ 
ba§ erfte 2lffegro=H^ema ein, toit ftürmift^ ftutl^et baS ©d^erjo ! 
SlHerbing^ befänftigt fid^ bie Seibenfd^aft im Slbagio ju fanftcr 
S^rauer unb Hingt öerföl^nt au§ im ginale. Slber ber 5ßutö= 
fc^Iag ber früheren ©ä^e gittert bod^ nac^, unb ba^ ^ßatl^oS 
bleibt ber entfd&eibenbe pf^d^ologifd^e ©runbjug be^ ganzen 
lonftüdfeS. |)örcn n)ir l^icrauf bie neue SStoIin-Sonate, fo 
mirb ung ungefdl^r ju SRutl^e, aU fei nad^ t)röd^tig fid^ ent- 
labenbem ©eiüittcr bie föftlid^e Stiße eine§ iüürjigen Sommer- 
abenbä eingejogen. ©ine l^immüfc^e ^ufriebenl^eit burc^ftrömt 
ben erften @a| mit feinem fc^Ud^ten, leife an ba§ 5ßrei^Ueb 
in ben ,^3Rcifterfingern" anflingenben Il^ema. ®er folgenbe 
©a| ift eigentlid^ Slnbante unb ©d^er50 jugleic^. @in lang- 
famer ®cfang in D-dur fc^eint fic^ mol^Iig ju bel^nen unb 
ju ftredfen, ba unterbricht il^n ein fc^erjenbeö SSiöace in H-moll; 
ba^ Slnbante tritt wieber in ben SSorbergrunb, aber nur mit 
einem Srud^ftüdf, njorauf ein fleinfteS SSrud&ftüdfd^en beS 
©d^erjo^, ba§ gleid^fam ba^ lefete SBort l^aben n)iff, ben @a| 
lalonifd^ abfc^Iiefet. SBie biefer jmeite ©afe l^armonifd^ auä 
ber ©timmung be^ erften quillt, fie nur weiter auSfül^rt, fo 
auc^ ba§ Sinale, in beffen Säejeid^nung „Andante grazioso 
quasi AUegretto" fd^on fein K^arafter angebeutet liegt. ®a^ 
Oanje ift ein faft ununterbrochene^ ©ingen ber SSioIine. ^d) 
njüfete feine jweite ©onatc, bic in fold^em äRafee auf ba§ 
fd^arfe Kontraftiren ber einjelnen ©äfee öerjid^tet. 3)ie brei 

(St). ^anSlicf, 9(u3 bem XaQtbuä^ etneS a^ufiferd. 14 



210 <Hö. ^auslief. 

Bä^t bUben einen reinen Dreiflang ein^eitlid^ wofiltl^uenber 
©tintmungen ; ein fneblid^e^ ©elbftgeniefeen nnb fieitereS 2lu^= 
tufien be^ ®emüt^§. 3)aS unterfd^eibet biefe Komjjofition 
auffaßcnb öon ber neuen SSiotonceH^Sonate, meldte gerobe 
burd^ bie ftarfen ®eqenfä|e fo mäd[)tig ergreift. SSon beiben 
ift bie 9SioIin=@onate bie lid^tere, populärere; fie fingt fid^ 
unmittelbarer inS |)er§ ber ^örer ein, aU bie aSioIonceH- 
©onate, beren aufgeregte^ unb mufüalifc^ öerwicfeltereS SBefen 
un§ langfamer, aber ebenfo fidler unb nad^l^altig erobert. 
5)ie SSra^mgfd^en ©ac^en finb unS ja nid^t alle öon Slnfang 
an Heb getoefen — ober gemorben finb fie e§ alle. 9lfö Äunft- 
toerfe finb beibe Sonaten fiinber be^felben männlid^ ftarfen, 
gefunben ®eifte§, ber in fd^öner SRifd^ung mit innigem, nic^t 
aHju ttjei(^em ®emütl^ ben ©runbjug aller fpäteren SBerfe 
tjon S5ral^m§ beftimmt unb auöjeic^net. DaS Unöor^ergefel^ene 
ber SBenbungen bei ftreng einl^eitlic^em K^arafter bilbet einen 
unerfd^öpflid^en Steig biefer neuen Jonbid^tungen. Sehjunbe* 
rungSmürbig ift babei bie fnappe gorm. ^un^e ßomponiften, 
bie feinen Unterfd^ieb mel^r jtoifd^en einer ©onate unb einer 
©^mpl^onie fennen, mögen l^ier erfahren, bafe tiefe ©ebanfen, 
Icibenfd^aftUc^e ©mpfinbungen fid^ aud^ in gebrängtem SSortrag, 
ofine breite ©efd^möfeigfeit ou^fprec^en laffen. SBortbefd^rei* 
bungen finb l^ier freilid^ ganj müfeig. SBoHten mir felbft, 
tt)ie bie englifc^en ©oncertprogramme t^un, bie Sl^emen ber 
cinjelnen ©onatenfä^e in SRoten l^ier beibrudfcn — toa^ meife 
man öon Säral^mS, menn man nur feine nadften Il^emen f ennt ? 
3)a§ ^auptmotiö be§ erften unb be^ britten @a^e§ ber neuen 
SSioIin*©onate, be^ SinaleS ber SSioIonceff:^©onate, fönnten 
fie nic^t faft öon ^a\)bn fein ? SJiöc^ten bie beiben Slloöitäten 
red^t balb unb Ijäufig toieber erflingen — ba^ ift ba^ SBic^tigfte. 



„^aujls Perbammung" ooii ^. TSerlxo^. 211 



€:0tnp|itt0itfu ffir Clf^r unb ®x^tfitx. 



S5erUo§ ^at auf feinen Steifen unauf^örlid^ an ber „Dam- 
nation de Faust" gearbeitet, manche ber bcften Siummern 
in ^ßrag, SBien, 5ßeft fonjijjirt unb ba§ ©anje im §erbft 
1846 ju 5ßarig öoHenbet. ®r mar nid^t ber SKann, eine 
fertige ?J5artitur lange im 5ßult liegen §u laffen. ©obalb er 
ein SBerl öoffenbet ^atte, trieb il^n eine fieberl^afte Ungebulb, 
e§ aufjufüfiren. @§ befierrfd^te il^n bann nur ber ®ine ®e* 
ban!e, ber Sine SBunfd^, für beffen SSermirflid^ung er alle 
SRüfien, Sorgen unb ©elbopfer gering ad^tete. 2)ie Ungebulb, 
feine „^auft-Segenbe" gu f)ören, mad^te il^n un)3raftifd^er afe 
je unb öermel^rte noc^ bie jal^IIofen @d^tt)ierig!eiten be§ Untere 
nel^menS. älber bie 8luffül)rung feiner Slomeo = ©^mpfionie 
im Saläre 1832 fiatte il^m einen Keinen 3teingett)inn eingetragen, 
unb fo hoffte Serlioj, bie 5ßarifer mürben einem neuen SBerfe 
biefer 2lrt l&inreid^enbe Sieugier entgegenbringen, um bie Soften, 
bie er jefet o^ne 35eben!en dorgeftredft, reic^Iic^ ju bedfen. 
Seiber gefc^af) e^ anber§. „SauftS SSerbammung", in einer 
SRatin^e ber Opera ©omique im Stoöember 1846 aufgefüfirt, 
öerfammelte nur ein Keinem ?ßubüfum. ®ie 3w^örer der* 
l^ielten fid^ tl^eilna^m^Io^, bie ©angcr unbegeiftert, bie ©ritifer 
graufam. Serliog empfanb biefen SRifeerfoIg als einen fd^meren 
©d^Iag. „SRid^t^" — fd^reibt er in feinen SRemoiren — 
„nichts in meiner gangen ffiünftlerlaufbafin l^at mid^ tiefer 
öermunbet. ^ä) mar ruinirt unb fd^ulbete eine bebeutenbe 
©umme, bie id^ nic^t befafe. 9lad^ jmei S^agcn unbefd^reib- 

lid^er ©eelenquafen erblicfte id^ eine 9tettung au§ biefen 

14* 



.212 €b. BtansM. 

SBirrniffcn in einer Steife nad^ SRufelanb." 5)ort fanb Serlioj 
in ber %^at Slnertennung unb auc^ materiellen ®en)inn^ ber 
für einige S^it öor^ielt. SSon 5ßeter§burg jurücfgefel^rt, ftiefe 
er aber in $ari§ mieber auf bie frühere ©leid^giltigfeit unb 
©eringfd^ägung. @r ^at in ^ari§ fein SieblingSnjer! feif 
Jener unglücflid^en 5ßremiere nie mieber auffül^ren l^ören. 
SBie gan§ anberä ^eute! ©in genjaltigerer Umfd^Iag in ber 
öffentlid^en SKeinung ift laum irgenbnjo öorgefommen. SSor 
•ettDa jefin :Söl^ren begannen bie beiben ßoncert-Dirigenten 
Ißa^belou)) unb Kolonne ein förmlid^e^ SBettrennen in SSor- 
fül^rung Serlio^fd^er ®om|)ofitionen. 8^^^-, fünfsel^nmal in 
@iner Saifon iüurbe ,,gauft§ SSerbammung" gegeben; cbenfo 
oft ba§ 9lequiem, öon ben ©^ntjjl^onien unb Dudertüren gar 
nid^t ju fpred^en. Unb fo gel^t eS nod^ l^eute fort. S33ie 
bie ©timmfü^rer be§ ntufüalifd^en 5ßariS öerfid^ern, mar e§ 
ber lob 95erIio§' aHein, ber biefen Umfd^njung l^erbeigefü^rt, 
bie (Sleid^giltigen in SSegeifterte, bie ©pötter in Sobrebner 
t)ertt)anbelt I)at. ®a§ ift nur sunt Steile rid^tig. 9tid^t 
^leid) nad^ beut lobe be§ äReifter§ (1869) zeigten fid^ aud^ 
nur bie erften @^m^)tome biefen |äf)en ©efd^macftoed^fetö. 
@g mufete äu beut (Sefül^Ie ber 3teue über ba§ an Serlio^ §u 
fül^nenbe Unred^t unb ju bem fortgefd^rittenen mufüatifd^en 
9tuffaffung§t)ermögen nod^ ein britte^ mdd^tige§ ©lement ^in§u=: 
treten : ha^ naä) bem beutfd^en Kriege fo gemaltig gefteigerte 
unb gereifte Stationalgefül^I. S)ie granjofen brandeten Seutfd^- 
(anb gegenüber ün grofeeö revolutionäre^ ®enie in ber ^n- 
ftrumentalmufi! unb fanben e§ in bem bi^^er mifead^tcten 
S3erIio§. @ie feiern i^n ^eute al§ ben franjöfifd^en Seetl^oöen 
unb aSagner in ®iner 5ßerfon. 

©el^en n)ir, iüie Serlios ^^^ ©oetl^efd^en fjauft auf bie 
t)ier Slfte feiner „bramatifd^en Segenbe" üert^eilt l^at. S)er 
erfte Sl^eil fjjielt auf einer ungarifd^en (Sitm, iüo Sauft, 



„^aufis Perbammung" üoii fj. 53erIio3. 213 

eiitfam, fid^ be§ fd^öncn grül^Iing^ntorgen^ freut. SBnrum 
i)at if)n ber ©om^jonift gerabe na6) Uitgarn gefül^rt? ©infad^, 
um eitteu SSortoanb §ur Slnbringung be§ SRafocj^tttarfd^e^ ju 
fiuben. Serlioj gefte^t bte§ offen ju unb öerfid^ert, au^ 
mufilolifd^en ®rüuben würbe er il^n aui) ttod^ bem fernften 
SBinfel ber @rbe derfefet ^oben. Da§ ift ^üenigfteuS auf^ 
rid^tig. ®§ na^en fid§ Sauern, fingenb unb tanjenb. („®et 
©doofer pu^te fid^ §um lanj.") gouft bcncibet i^ren grol^* 
finn. ®a erfüHt fid^ bie ®6ene mit friegcrifd^em ©lonje, 
bie Ungarn jiel^en gemaffnet in ben Srieg. (Stafocä^marfd^.) 
S)er §h)eite I^eil fü^rt un^in gauftg ©tubirftube. I)e^ 
Seben§ tiberbrüffig, fe|t er bie ©iftfd^ale an bie ßit)pen; ba 
i)öxt er fromme (Sefänge („ß^rift ift erftanben!") — bie ®rbc 
^at i^n njieber. äRep^ifto tritt auf, lieft unferm @ele{)rten 
macfer hm Sejt unb füfirt il^n in Sluerbad^^ ÄeHer. ®ie 
3ed^brüber fingen einen 5ßunftf)d^or, bann ba§ Sieb öon ber 
blatte, enblid^ tint parobirenbe guge auf baS SSort Slmen, 
worauf SRepl^ifto ba§ Sieb öom %lo^ jum beften giebt. 
gauft, öon bicfen ©cenen gelangweilt, fliegt mit SRet)^ifto 
ah. SBir finben il^n fd^Iafenb an btn Ufern ber @Ibe wieber. 
©nomen unb ©^Ijjl^en fingen (,,@d^tt)inbet, if)r bunflen SBöI= 
bungen broben!")f ©^IpT^iben umgaufeln il^n. @r fielet im 
Sraume ©retd^en. 3Re)3^ifto öerfjjrid^t, il^n §u bem giele 
feiner ©el^nfud^t §u führen. 3m ©ebränge fieranlommcnber 
©olbaten („95urgen mit l^ol^en SKauern unb Siiinen") unb 
ber il^nen mit lateinifd^en Siebern nac^folgenben ©tubenten 
wanbcm gauft unb SRep^ifto ber ©tabt ju. ^m britten 
26 eile erfd^eint Oretd^cn unb fingt baö Sieb öom „Sönig 
in Sl^ule". fjauft l^at fid^ in il^rem gimmer üerftedft; äRe= 
pl^ifto, öor bem $aufc t)oftirt, bcfd^wört bie ^rrlid^ter ju 
einem für ®retd^en§ Sinne unl^eitoollen Sanj unb ftimmt 
bann bie ©erenabe an: „SBa^ mac^ft bu mir öor Siebd^enä 



^. 



214 €b. Btanslid, 

Xl^ür?" ßiebe^fccne jmifd^en gauft unb Oretd^en. ©c^on 
ftcl^cn bie 3lad)baxn t^oSl^aft jifc^elnb öor bem |)oufc unb 
benod^rid^tigcn bie „2Slixtttx D\>ptnf)txm" , bafe c§ im Innern 
nic^t gel^cucr jugel^t. SRcpl^ifto fül^rt ben Sauft om frühen 
SKorgcn gewaltfam öon bannen. S)er öicrtel^eil beginnt 
mit ©retd^enS Sieb: ;,2Reine 8tu^^ ift l^in." SRan ^ört au§ 
ber gerne bie ®^öre ber ©tubenten.unb ©olboten. — „SBalb 
unb ^ö^te". 3Re»)I|ifto t^eilt bem gauft ba§ Unglücf ber 
©eliebten mit unb erbietet fid^, bie jum Sobe SSerurt^eilte 
ju retten, toenn gauft fid^ öerbinblid^ mad^t, il^m öon morgen 
an ^u bienen. %aii\t uni^rfc^reibt ; fie gaIot)t)iren ,,auf 
fc^njarjen ^ferben" öon bannen, @ef^)enfter l^inter i^nen ^er. 
Slber ftatt il^n ju ®retd^en ju fül^ren, bringt il^n aKet)l^ifto 
ins ,,^anbämonium'', ba§ SReid^ beS ©atanS, n)o ein ^öllifd^er 
®6or i^n mit einem S*aubern)älfd^ begrübt („Tradioun marexil, 
Trundixe burrudixe" u. f. tt).), ba§ nad^ ©njebenborgS SSer* 
fid^erung bie ©prad^e ber Dämonen ift. ®§ folgt nod^ ein 
6t)iIog: 2luf ber ®rbe ertönt e§: „2)ie ^öKe öerftummt; 
ein fc^recfüd^eS SR^fterium öoffgiel^t fid^ bort." ^in^immel: 
ß^or ber ®ngel, tt)eld^e ©retd^en ju fid^ fieranrufen. 

95erIio5 öertfjeibigt fid^ in einer SSorrebc eifrig gegen ben 
SSortt)urf, ein ®enfmal wie ©oetl^eS gauft öerftümmelt ju 
l^aben („d'avoir mutile un monument"). 3)a§ mag ben 
granjofen fo öorfommen; jeber ®eutfc^e, ber feinen ©oet^e 
fennt unb liebt, mufe tro^bem baS Säerliojfd^e Sibretto aU 
eine mitunter barbarifd^e SSerftümmcIung empfinben. SJerlioj 
reifet einem t)oetifd^en Organismus eine beliebige Slnjal^I 
„effe!tt)oIIer" BiMz auS, ju bem bebenttid^en 3tt>edf, brama* 
tifdti ©ebad^teS unb SluSgefül^rteS unbramatifd^ nad^gubilben. 
SSenigftenS brei SSiert^eile don SJerlioj' „Öegenbe" finb 
©oet^eS gauft mörtlid^ entnommen, baS Uebrige beftel^t auS 
mittfürlic^en 3wtl^öten, n)ie gauftS SSerfefeung in bie ©benen 



„^Jaiifis Perbammung" von ^. 3erIio3. 215 

Ungarn^ unb feine fd^IicfeUd^c |)öffenfa]^rt. ©d^mer begreife 
lid^ bleibt e§, bafe Säerlioj itoei ber crgrcifenbften unb muji- 
falifd^ öerlodEenbften ©cenen fid^ cntgelien Hefe: ©rctd^cn im 
Dome öor bem SRabonnenbUbe unb bie fferferfcene. ^Sauftä 
SSerbammung" gel^ört ju jener SRifd^gattung, meiere Serlioj 
unter bem Siamen „Sromatifd^e ©^m^l^onie" erfunben fiat. 
3n ber bramattfd^en S^m^pl^onie „Slomeo unb 3itKc" ^^^' 
fud^te 93erüo5 bie SSerbinbung felbftönbiger großer ©^m^pl^onic' 
fä^c (Slbagio, ©d^erjo) mit I^rifc^en ©efängen, tüoäu afe 
britte^ Element nod^ rein crjal^Ienbe SRecitatiöe, 5ßroIoge unb 
©pitoge l^injutreten — eine gorm, bie, unorganifd^ unb toiber- 
fprud^Söoff in fid^, faum eine Swfunft ^at SBie bort auS 
bem ©l^affpearefd^en Drama, fo l^at ber ©omponift l^ier auä 
bem Ooetl^ejd^en gefd^öt)ft, nur mit bem Unterfd^iebe, bafe er 
ba§ epifd^e ©lement bieömal faft gänjlid^ gegen ba§ brama- 
tiftfje unb I^rifd^e jurüdEftefft. Drama unb Oratorium, rein 
@cenifd^e§ unb blofe ßoncertmdfeige^ merben fo unter einanber 
gemifd^t, bafe fid^ ber ©tanb^unft be^ $örer§ fortwdl^renb 
öerrüdEt. S3erIio§' „gauft" ift eigentlich eine Iör|)erIofe, ^Dl^an- 
taftifc^e Dper, toeld^e bie S3ü^ne öerfd^mäl^t unb fie bod^ nid^t 
entbel^ren fann. @egen bie frül^eren ganj ober übertoiegenb 
f^m^l^onifd^en SBerfe öon Serlioa — |)aroIb§ 5ßilgerfal^rt, 

bie Symphonie phantastique, Slomeo — ftel^t feine Sauft- 

Segenbe in bem großen SRac^tl^eile , übermiegenb ®efang§= 
comt)ofttion ju fein. Da§ toxU fagen, Serlioj ^at fiier ben 
Soben öerlaffen, au^ bem er alle feine Straft jiel^t, ben rein 
inftrumentalen, unb fid^ einem il^m ftet§ unheilvollen, njiber- 
ftrebenben ©lemente l^ingegeben. ©obalb Serltoj für bie 
menfd^Iid^e ©timme fd^reibt, fd^nappt unb jappelt feine SRufif 
toie ein Sifd^ auf l^eifeem ©anbe. ©ein 3tingen, bie reine Sn- 
ftrumentalmufi! ju beftimmter, gegenftänblid^er Sebeutung ju 
fteigem, l^at etwa^ @rofeartige§, feine Slnftrengung l^tngegen, 



^ 



216 €b. fjansHrf. 

für bie ctnfad^ftcn SBortc einen entf^rcd^enbcn melobifd^en 
2[u§brucf jn finben, ettoa^ 9RitIeiberregenbe§. Db er nun 
greube ober ©d^merj au^brücfen toiff, er fommt au§ bem 
engen 3ting einer nur il^m eigenen, ebenfo bürftigen aU un* 
öerftanblid^en Terminologie be§ ©efü^IS nic^t l^erau^. SRid^tö 
in biefen unobfel^baren (Sefang^ftrecfen erblül^t jur fc^önen, 
reifen äRelobie. Unfangbarere ?ßartien finb faum gefd^rieben, 
Höglic^ere SRelobien feiten erfunben morben, aU bie ®ret(^en§ 
unb 3auft§, äRe^^ifto§ unb Sranber^. SSon ben brei ^au^jt- 
^jerfonen ift relatiö SRejjl^ifto bie gelungenfte ; bie Snftrumen* 
tation öerleil^t il^m bie l^anbgreiflic^ biobolifd^e ©^aralteriftil 
(ein geller 5ßfiff be§ ^iccolo, begleitet öon einem !ur§en d^ro- 
matifd^en ©runjen ber ?J5ofaunen unb gagotte lünbigt il^n an) 
unb fein ift ba& einzige Sieb in ber ganjen Kantate, ba§ fid^ 
gefunber ©lieber rül^men f ann : bie ©erenabe. SBa§ foff man 
aber ju bem jmifd^en fünf= unb breitaftigem Sl^^t^muS 
taumeinben „Slattenfteb" unb ju bem öerfd^robenen „glo^- 
lieb" fagen? Sann jemanb in biefen mufilalifdö l^äfelid^en, 
nad^ Driginalität l^afc^enben Siebern njirlüc^ ^umor unb 
@eift finben? Un§ bün!en fie, njie bie „2lmen=Suge" auf 
ben 3^ob ber "äiattt unb bie gange Sefferfcene, nur mibrig 
unb triöial. ßbler, aber geftaltlofer ftel^en biefer Qixuppt 
gauft unb ©retd^en gegenüber, bereu ©efang fic^ meiftenS 
in einem ®ämmerlid^t träumerifc^en Def(amiren§ beilegt. Qu 
einem fertigen Säilbe, baS un^ mit ben rufiigen Slugen ber 
©d^ön^eit anblicft, fommt e§ nirgenbg. gft fie nid^t an^^ 
ftubirt mibematürlic^, biefe SRcIobie jum „Sönig öon Sfiule", 
mit i^rem l^infenben Sil^^t^muS unb ben leiernben Söffen? 
@ret(^enS äiüeite^ Sieb : „SReine SRu^' ift l^in" njirb nad^ ben 
erften Saften immer öerjerrter unb opern^after, fogar fteine 
fofette SReli^men bröngen fid^ bor, toie bie auffteigenbe ©cala 
auf „feine eble ©eftalt", unb bie paaxtüd^t ^erabl^ü^j^enben 



„faufts Perbammung'' von fj. 3erUo3. 217 

©ec^jefintel auf „^änbebrudt". 2Bir Italien un^ jeboc^ ntc^t 
an fold^c ©injell^citen, fanbcrn on bcn unmufifaüfd^en ß^arofter 
be§ SSerlioäfd^ett ©efangcS im affgenteincn unb bcffen ©d^hjanfen 
ämijd^ett trocfcner Sllltdglid^feit unb rafenbcr ©jaltatiou. Wan 
tann bie§ tec^t bcutlid^ an bem Siebe^buett jnjifc^en gauft 
unb (Srctd^en wal^rnel^men, ba§, fo lange e§> mci) ©infac^^cit 
unb 3latnxtüa^xf)dt ftrcbt, jmar nid^t o^ne (Smpfinbung, aber 
ganj fd^rounglo^ unb gemö^nUd^ Hingt, ©später fteigert fid§ 
bie Seibenfd^aft, fom^Iicirt \id) bie Situation, SRepfiifto unter* 
brid^t bie Siebenben, unb ein ©l^or bog^after 3la6)haxn ruft 
hjleberl^olt: „Holiah! mere Oppenheim !*• S)a fe^t nun ber 
Komponift alle SRittel in Semegung, bie getoogteften Sll^^t^men 
unb aWobuIationen, ben l^eftigften brantatifd^cn 9lu§brudt, Vit 
getDaltigften Drd^efterffönge, aber unter beut ©inbrudfe ber 
Ueberreijung unb Unnatur ermübet \>a^ Dl^r unb erftarrt 
ba§ ^erj. 

„Sc^ bebarf fel^r großer SRittel/' äußerte einmal SJerlioj 
in rid^tiger ©elbftf enntnife , „um über^au^jt tttoa^ l^eröorju* 
bringen." 3)a eS nun mit beften SBiffen unmöglid^ ift, für 
Oefönge n)ie ber ,,ffönig öon I^ule" ober „SReine Stul^' 
ift ^in" fe^r grofee SRittel in SSe^egung §u fc|en, fo tritt 
I)ier bie UJa^rl^aft |)at^oIogifd^e Südte in SSerlioj' Drgani^- 
mu§ erfd^redEenb fieröor. SRan brandet fein (Sntl^ufiaft für 
(Sounob ju fein, um ju geftel^en, bafe feine ©cenen jiüifc^en 
gauft unb ©retd^en in jeber |)infid^t l^oc^ über ben analogen 
Stummem be§ Serliojfd^en „Sauft" ftel^en: an ©c^önl^eit 
unb Slatürlid^f eit ber SRelobie , an SBärme ber ©mpfinbung, 
an mafeöoller Durd^fül^rung unb an bramatifc^en Seben. 
©ounob ift feine fo eigentl^ümüd^e, energifc^e ^ßerfönlid^feit 
wie SJerlio}, aber eine weit mufifaüfc^ere Slatur; feiner 
Smpfinbung ftrömt öon felbft ber natürliche melobifc^e 2lu§brucf 
entgegen, wä^renb Scrlioj wie ein laubftummer ringen mu^. 



218 €ö. f?anslirf. 

um ha^ feine S3ruft fjjrengenbe ©efü^I auä) nur öerftänblid^ 
ju mad^cn. 

SBie in Serlioj' ,,3totttco" , fo finb aud^ in feinem 
;,gQuft" bie reinen Snftrumentolftücfe meitau^ bie ^eröor^ 
ragenbften; leiber finb fie l^ier njeber fo ja^Ireid^ nod^ fo 
au^gefü^rt njtc bort. SSon bem glän§enb inftrumentirten 
äiofocj^marfd^ njoHen toir lieber nid^t reben; bcr 3ubel, ben 
gerabe 'biefe frembc, rl^^t^mifd^ unb melobifd^ urfräftige 
SBeife inmitten ber 95erIio§fd^en Siummern überaß erregt,' 
bünft uns für ben ßomponiften be§ ,,Söuft" njenig 
fd^meid^eltiaft. Slbgefel^en öon biefem Slbojjtiöfinb , finb ber 
„3trIid^tertQn§" unb baS ,,@^(p^enbaHet" bie glänjenbften 
unb effeftöoCften ©türfe beS SBerfeS. S)er melobifd^c ©toff ift 
anmutl^ig, Slnlage unb Steigerung natürlidti unb überfid^tlid^, 
bie SPIangtoirfung enblid^, — baS SBefentlic^e an beiben 
Stüdten — ein ßabinetftüdf geiftüoHer unb erfinberifd^er 
Snftrumentation. SBir muffen un§ ©emalt antl^un, um liier 
nid^t über eine tJüHc mer!mürbiger 3)ctaifö, bie n)ir au^ 
ber ^^Jartitur notirten, rebfelig ju njerben. ^taä) biefen 
reinen Drd^efterftüdEcn finb jene ©nfemblenummern be§ 
SBer!e§ bie gelungenften , in iüeld^en burd^ matenbe Sl^ara!- 
terifti! ober finnlid^en ^Iangrei§ bie ^nftrumentirung njenig* 
ftenS eine l^eröorragenbe Stoffe fpielt. ®a^in gel^ört ber 
bem ,,93affet" öorl^ergel^enbe ©^Ipl^enc^or , ber gefjjenftifc^c 
9titt SauftS mit SRe^j^ifto unb anbereS. SSir toürben and) 
nod^ bie ^öffenfcene („5ßanbämonium") nennen, märe l^ier 
nid^t bie greffe Kfiarafterifti! gemoltfam ju einem Sombaft 
öon Särm unb ^äfelid^feit aufgeblatjt, tt)ie er in ber ganjen 
mufüalifd&en Siteratur, Serlioj mit eingefc^Ioffen , nid^t 
mieber t)or!ommt. 

3m ganjen unb großen glauben toir in ,,Söuft§ SScr- 
bammung" ein ©infen öon Serlioj^ fd^ö^pfcrifd^er ßraft tDal^r- 



„ifaufts Perbammung'' von fj. Scrlt03. 219 

junel^nten. ®§ qt^i inxä) ba^ SBer! tüit ein leidster ©d^Iag^ 
anfaH, ber SSerlioj' feinet, franf{|afte§ laleitt getroffen unb 
öon bem e§ fid^ ni(^t njieber erholt ^at SSom ,,Souft" an- 
gefangen, ber hod) erft bte S)pu^a^ 24 trägt, fließt SSerlioj' 
Ißrobuftioität jel^r f^järlid^ unb ftodEt balb gänjlid^. ©^ bün!t 
nn§ fel^r begreiftid^, baß Serliog fid^ nid^t lange Qüi unb 
nur mit ber größten Slnfpannung probuftiö erl^alten lonnte. 
SSar bod^ gerabe ba§ mujüaUfd^e latent biefeS fo öielfad^ 
unb {)od6begabten @eifte§ üon |>au§ au§ franfl^aft organifirt, 
nämlid^ ganj auf einen ^unft geiüorfen: auf ben Sinn für 
inftrumentale ^langeffefte. 2ltle§ um biefen f^prubelnben 
Duell l^erum njar gleid^fam bürre^ Sanb, t)on bem nur 
einige guß breit mit großer SRul^e urbar gemad^t merben 
fonnten. 3n ber S^ftrumentirungöfunft ift SBerfioj nid^t 
bIo§ SSirtuofe, er ift barin ?ßoet unb genialer ©rfinber, eine 
©pecialität ol^negleitfjen. Slber eine ©jjecialitdt in einem 
©ebiete mufüalifd^er Sed^ni! ju fein, mad^t notf) nid^t ben 
großen Som^oniften. SRit ber „Siebe^fcene" unb „gee SRab" 
in „SRomeo" ftanb SSerlioj auf bem ®ipfet feinet ^önnen^; 
„tJauft" beseid^net fd^on ben Slnfang be§ $erabfteigen§, btn 
SKoment, njo ajerlio^ felbft mit „fe^r großen SRitteln" wenig 
Steuer me^r erjielen fonnte, Ueberbie^ ift SSerüoj' gauft* 
Segenbe eine burd^ unb burd^ frangöfifd^e ©d^öt)fung, unb 
il^r 3(utor mag füglid^ aU gnjeiter Seetl^oüen öon einer 
9iation gefeiert toerben, bie in feinem ®efd^madf§^ unb 
©eifte^üernjanbten SS i ! t o r $ u g o • ben größten ®id^ter 
affer Briten erblidt. 

®em größten Xl^eil unfere^ ^ublifumS tvax „La Dam- 
nation de Faust" öoffftönbig neu; ba§ fpiegelte fid^ in ber 
gefpannten Sieugierbe be§ ja^Ireid^en Slubitoriumö. ®§ UJar 
im Sejember 1866, aU SJerlioj, ouf Sfnregung §erbedE§, in 
SBien eintraf, um fein l^ier nod^ unbe!annte§ ^aupttuerf gu 



220 <Hb. ^anslxd. 

birigircn. ®er SlnblidE be§ SRanneS fd^nitt feinen tJteunben 
in§ ^erj. ®r Iiatte in ben legten Sauren erfd^rerfenb ge* 
altert. ®ie el^cbem frdftige, elaftifd^e ©eftalt mar öon jJ^^ft- 
fd^en unb moralifd^en Seiben gebrod^en; ha^ fonft fo feurige 
Slblerauge blicfte ntatt unb refignirt unter bem, grauen $aar=^ 
roalb ; mit fidötlid^er Slnftrengung birigirte er baS öon ^erbedf 
forgfältig vorbereitete, umfangreid^e SBerf. ©ein SlidE erbeute 
fidE), al§ braufenber SSeifaff i^n begrüßte. SSMioj l^at an 
jenem Slbenb einen Xriumpl^ gefeiert, ber il^n für langjäl^rigc 
ba^eim erlittene ©eringfd^a^ung momentan entfd^öbigte unb 
aU ein le^ter Sid^tblidE bie brei legten 3a^re feinet SebenS 
er^eßte. Slber fo entl^ufiaftifd^ ber SeifaH nad^ /,Sauft§ SSer* 
bammung" aud^ Hang, er fd^ien bod^ mel^r ber aufeerorbent* 
licöen ?J5erfönIid^feit be§ berül^mten Sonbid^terg ju gelten, 
aU bem SBerfe felbft. §ätte fonft biefe^ burd^ ootte 20 3a^re 
l^ier unn)ieberf)oIt, ja gänglidti öerfd^offen bleiben fönnen? 
SBare ber ©inbrudt biefer SRufi! auf ha^ ^ublilum mirHi^ 
ün tiefer, beglüdtenber gewefen, baS SSebürfnife, fie lieber 
gu ^ören, toürbe fid^ unmiberftel^Iid^ geäußert unb „gauftS 
aSerbammung", gleid^ ben frtil^eren SSerfen be^ SReifterS, öon 
Seit §u 3rtt immer lieber l^eröorgebrängt l^aben. 3e|t enb^ 
a^ f)at fi^ bie „©efeHfc^aft ber SRuftIfreunbe" ber gouft= 
Segenbe öon SSerlio^ erinnert unb l^at bamit dt^i^i getl^an. 
®a§ aSer! ift, bei aß feinen ©d^mad^en unb ©rubitöten, bod^ 
eigenartig geiftreid^ unb bebeutenb genug, um Slnfprud^ auf 
eine SBieberl^oIung gu mad^en. 



„Die Mett 20orte'' tioit ib. S (§ ü ^. 

„Die fieben SSorte unfereö lieben @rlöfer§ unb @eUg= 
mad^erä 3efu ©l^rifti, fo er am ©tamme be§ l^eiügen fiteuje^ 



„Die fieben Woxte" oon £}. Sd^üfe. 221 

gefrrod^en , gonj belüeglid^ gefegt öon |)einrid^ @c^ü$, 
furföd^ftfd^em ff o^JcHmeifter. " @o lautet ber Drigitialtitel 
einer im S^^te 1623 ju S)regbctt gcbrudftcn ffird^en== 
conH)ofttion , meldte jefet in SBien jur erften Sluffül^rung ge* 
langt ift. S)em Umftanb, bafe bei ©elegenl^eit beS jlüeil^nnbcrt' 
jäl^rigen Subilänmg öon 95ad^ unb |)änbel auc^ an beten großen, 
genau l^unbert Saläre öor il^nen geboreneu SSorläufer §einrid^ 
©d^üfe erinnert mürbe, öerbanlen lüir offenbar biefe 9luf== 
fül^rung burd^ bie ©efeüfd^aft ber SRujif freunbe. S)ie ffenntnife 
@d)ü^fd^er lonmerfe ift auf ben engen SfreiS eigentlid^er 
SRufifl^tftoriler befd^ranft, lüeld^e jum grojsen Il^eile toofjl 
erft burd^ SBinterfelb^ unfd^ö^bareg 95ud^ über ^o^ann^^ 
©abrieli barauf t)ingelenlt mürben. ,,S)ie SRel^rl^eit ber ge- 
bilbeten S)eutfd^en bürfte |). ©d^ü$ faum bem 3iamen nad^ 
fcnnen," fagt @^)itta in feinem geiftöoüen 6ffa^ ,,^dnbel, 
^aä) unb @dE)ü^". ©ine fd)mermiegenbe Seftätigung unfere^ 
— nur Don ööllig Unmiffenben angejmeifelten — 9(u§f<)rud^§ : 
erft mit ^änbel unb 95ad) beginne, ma§ öon beutfd^er SWufif 
ein tt)irfUd)e§ Seben fül^rt in ber Station. S)a6 mir rüdfmärt^- 
büdfenb, in §änbet unb ^aä) bie beiben legten lonbid^ter 
®eutfd^Ianb§ treffen, meldEie nod^ öollauf unb ftetig in ber 
©egenmort mirfen, ift fo unumftöfelid^, mie bie Il^otfadEie, bafe 
ba§ beutfd^e ®rama für unS mit Seffing, ©dEiiller unb ©oetl^e 
beginnt, ober bafe in ©nglanb fein SSorgänger @]^aIf<)earcS 
mel^r in lebenbigem S^fammenl^ang mit ber Station ftel)t. 
SBaS atterbingS nid^t l^inbert, ha^ unter biefen auS unferer 
lebenbigen ffunftübung längft l^erau^gefaHenen SSorgöngem 
fel^r eigenartige unb bebeutenbe latente ftd^ befinben. |)einrid^ 
@d^ü| ift mol^I ber merfmürbigfte beutfd^e SRuftfer be§ 
itebjel^nten ^al^rl^unbert^. 5Rid^t blofe burd^ feine ffunft, 
fonbern aud^ burd^ feine Don ben größten <)oIitifd^en ©reigniffen 
ummogtc bebeutenbe 5ßerfönlid^!eit. @r l^atte eine fel^r forgfältige 



222 €b. ^anslid. 

©rjie^utig genoffen, on ber äWarburger Uniöerfität bie fütö^t^ 
njiffenfd^aft ftubirt unb — äl^nlid^ tt)ie fi)äter 5ß^. ©manuel 
95ad^ — eine S^WIang jlüifcfien bem ©elel^rtcn* unb bem 
^nftlerberuf gefd^manlt. @r befafe btd^terifd^e^ Xaltni unb 
eine SSielfeitigfeit ber Säilbung, tt)ie fie tt)cbcr Sad^ nod^ 
^anbel erreid^t l^aben. Sd^on 1609 feigen mir @d^ü^ in 
SSenebig, wo er bei bem berühmten ^of^annt^ ©abrieli feine 
mufifaüfd^e Silbung öoHenbet. @ine (ebenSöoHe, reid^betoegte 
Seit, ba ber ^anbetööerfe^r ^tüifd^en S)eutfd)Ianb unb Italien 
attmä^Iid^ anä) bie SSeröoIIIonimnung ber SRufif förbcrte. 
9Bie e^ebem Jlieberlönber nad^ Stölicn gingen, um bort bie 
Kom<)ofition ju leieren, fo begannen nun bie ®eutfd^en l^inju- 
manbern, um com<)oniren ju lernen, ^aä^ ®obrieIiS %ob 
unternimmt ©d^üfe eine itodtt SReife nad^ Italien, um — 
tt)ie er felbft fd^reibt — „nod^ ber inä^ifd^en aufgebrod)ten 
neuen SKanier ber SKufif fid^ ju erfunbigen". ffoum jurüdE- 
gefeiert, finbet er fein SSaterlanb aU ffriegSfd^au<)Io|. 3m 
Saläre 1631 mar ba§ meißenifd^e Sanb öon S:iffi)§ ^rieg^boff 
nad^ ber ©rftürmung äRagbeburgä überfd^memmt, im folgenben 
Sa^re bur^ SBallenftein ^eimgefud^t. O^üfe, feit 1613 für- 
fürftüd^ fäd^fifd^er ^a^jeHmeifter, berliefe ®re§ben, öon ben 
fitiegSmirren bebröngt, um eine S^ittang bem bönifd^en Äönig 
S^riftian IV., bann bem ^erjog @eorg öon 95raunfc^meig 
5u bienen. ®r Hagt in ber SSorrebe jum j^meiten Sfieile 
feiner Symphoniae sacrae über „bie erbärmlid^e, im lieben 
SSaterlanbe nod^ immer anfialtenbe 3^^, tt)eld)e ber SRuftf 
nid^t meniger atö fonft anberen freien fünften mibrig fei", 
©d^üfe ftarb in S)re§ben, mol^in er 1645 bleibenb jurüdt* 
gefeiert mar, l^od^geel^rt im 88. Seben^jal^re. @S ift bemerfenS== 
mertl^, bafe ein fo ed^t beutfd^er unb tief religiöfer äRann mit 
©d^ü^ fomol^I nationale aU religiöfe Stnfeinbungen ju beftel^en 
fjatte. SSom ^atriotifd^en ©tanb^unfte berargten il^m feine 



^Die ftebcii Woüc" üou f). Sd^üfe. 223 

öonb^Ieutc bie S3erufung italienifdier Sänger unb bie §tn* 
neigiing 511 itoUenifd^er Sutift; afö 5ßroteftanten erbüdftcn fie 
in ben fatl^olifd^en Stöliencrn ®egner i^reS ®Ian6en§ unb 
bcfd^ulbigten ©d^üfe bcr rcligiöfen (Sleid^giltigfeit. 

®ie eigcnt^ümlid^c 95ebeutung be§ Sonbid^ter^ ©d^üfe in 
ber 9Kufifgcfd^id^te löfet jid^ auf jmei toefentlidEic äKomente 
gurüdfü^rcn. ©inmol auf bie i^m gelungene Ueberleitung 
ber öorgefd^rittenen italienifd^en SRufif in bie beutfd^e, fo- 
bann auf ba§ Seftreben nad^ beftimmterem 9(u§brudEe, nad^ 
innigerer ®urd^bringung ber SonH)ofttion burd^ ba^ SBort. 
®iefe beiben jielbemufeten Steuerungen führten ©d^üfe ju- 
gleid^ 5U einer Sereid^erung unb SSerfeinerung ber bar- 
ftellenben Sunftmittel. ©d^on in feinen ,,^falmen" feigen 
n)ir ©d^ü^ ben neuen beclamatorifd^en ober recitatiöifd^en 
©til, „UJeld^er bi§ dato in S)eutfd^lanb faft unbefaunt" — 
auf grofee Sfiormaffen anmenben. ®ie ^jroteftantifd^e föird^en^ 
mufif banfte ©d)üfe il^re ßoMöfung öon ben Sanben be^ 
Äird^entiebe^ vlvlO eine ptiere ©ntfaltung auSbrudf^öoffen , 
üon obligaten ^nftrumenten begleiteten ©oIogefange§. SSon 
biefem neuen bramatifirenben ©tife geben un^ bie ^©ieben 
SBorte'' ha§> anfd^aulid^fte S3cif<)iet. ®in biefberl^eifeenber S^eiin, 
ber bermöge einer l^unbertjä^rigen SBeiterentioidffung ju 
ber äKad^t ber SSad^fd^en 5ßaffion^mufifen em^orgemac^fen 
ift. S)ag eigentUd^e ^ßaffionSbrama ift bei ©d^ü| bon jloei 
großen lijrifd^en K^örcn eingerahmt unb t)on biefen burd^ 
jmei 3nftrumental =* Btt^if^^cwft'ictc (,,©^nH)^onien'') getrennt. 
®er §cilanb, ber ©üangelift, bie übrigen 5ßerfonen ber 
Seibcn^gefd^ic^te treten rebenb auf; ifir ®efang bemegt fid^ 
§tt)ifd)en Slecitatib unb geglieberter SRelobie. 5Rur bie Sieben 
Sl^rifti werben t)on ©treid^inftrumenten begleitet, alle übrigen 
^erfonen fingen jur Drgel. äRan erfennt fd^on au^ biefent 
öufeerlid^en Svlq bag ©treben nad^ K^arafteriftif , loeld^e^ in 



224 €ö. ^anslxd. 

einem anbern ©tüdfe t)on §. @d^ü$ (bie Selcl^rung bc§ 5ßaulu§ 
biird^ bie Stimme bom ^immcl) nod^ lüeit prägnanter 
l^eröortritt.*) S^ibibibuette K^arofteriftif l^errfd^t nod^ nid^t in 
ben ©injelgefängen ber „Sieben SBortc", bie in glcid^mö^ig 
rutiigem, feierlid^em 3lu§brncf ber ©runbem^finbung öerfiarren. 
®em SRufifl^iftorifer offenbart fid^ in biefem fo einl^eitttd^ 
geftalteten SBerfe bie öoHe Sebeutung be§ Som^oniften; er 
wirb bie neuartige Sel^onblung ber ©oli nnb bie beiben t)on 
altitatienifd^er SSeife fct)ön beeinftu^ten Sfiöre mit gleid^ 
lebhaftem Slntl^eil öerfotgen. S)er unbefangene, ungelcl^rte 
^örer bürfte fic^ jwar ber fd^tid^ten frommen S^inigfeit bicfer 
SKufif nid^t berfd)Ueften, ebenfoft)enig aber ber SSafirnel^mung, 
ujetd^' langer SBeg nod^ öon ©d^üfe bi§ ju Sad^S ^ßaffion^- 
mufifen unb §änbetö SKeffia^ jurüdEjuIegen war. Stngefid^t^ 
ber burd^au^ im SSieröierteltaft ftetg in E-moll langfam unb 
gfeid^möfeig ba^inftiefeenben ,,@ieben SSorte" nimmt ftd^ 
@<)itta§ Se^au^tung: „©dE)ü| ift üiet Ieibenfd)aftlid^er aU 
S3ad^" gar munbertid^ au§. SSon ber Sutunft l^offt S^jitta 
fröftigere Semü^ungen jur SBieberbelebung öon ©c^tt^^ SBerfen, 
mad^t aber §ugteid^ ben bemerfenSmert^en 3ufafe, ba^ unfere 
Soncertföle nid^t bie Stätte bafür finb. SSielmel^r muffe 
eine ©rneuerung unferer Sird^enmufil nad^ 9trt beS fiebjel^nten 
unb ad^tjel^nten ^a^^x^nnitti^, ein ,,Srnfd^Iufe an ben ®otte§- 
bienft" S^üfe jur ©eltung bringen. 3n ber I^at ift für 
feine ©om^jofitionen bie Sfird^e ber redEite 5ßlafe. Unfer Soncert= 
<)ubnfum l^at ba§ SBerf mit gef^jannter Stufmerffamfeit, aber 
augenfd^einlid^ o^nc tiefere ©rregung angetiört. 

*) ^bgebrucft im britten SSanb üon ?Sinterf e(b§ „3o^. ©abrieli" 
6. 92. 



„norbfcebilber" pon ^. Qubcr. 295- 



®er Som^onift ^ai au^ ipetncS gleid^namigcm ®^flu§ 
ad^t ©ebid^tc für Soli, SRöttnerc^or itnb Drd^cfter btoxiditt, 
öon tDeld^en fcd^§ l^ier jitr Sluffül^rung gelangten. SBa^ tt)ir 
bi^l^er öon biefem forcirten, in genialifd^er aRafelofigfeit ftd^ 
gefaHenben ©d^meijer lalente fennen gelernt l^aben, erfüllte 
nn§ feine^meg^ mit fel^r freubigen (Sm)artungen. ^n ber 
%^ai, biefetbe ©rofemann^fud^t , bie fic^ nid^t begnügt, für 
ein ©ebid^t l^omogenen mufifalifd^en 2ln^brucf ju finben, 
fonbern ba^felbc unter ben ©turjlüeHen einc§ nnerföttlid^en 
®§^rit erbrücft ; bief elbe pom^^afte Sterilität, bie nnS bereite 
in ber SSerl^nberung öon ©oetl^e^ „Irilogie ber Seibenfd^oft" 
erf d^recf te , l^aben wir in biefen „5Rorbfeebitbern" lüieberge* 
funben. Sejeicfinenb für ba§ SBefen eine§ ©om^oniften ift 
immer fd^on bie SBol^I feiner Sejte. ®ebid^te ju com^joniren, 
tüeld^e bi^l^er öon guten SWufifern für mufifaüfd^ ungeeignet 
gel^aften würben, reijt alle Eom<)oniften öom Sd^Iage ^ann^ 
§uber§. SBie wenig ^eine§ Jlorbfcegebid^tc mit i^ren frei= 
fd^Weifenben reimlofen SSerfen unb il^rem swifd^cn Sanbfd^aft§= 
maierei unb SReftejion fd^aufelnben ^n^aii fid^ baju eignen, 
gefungen ju werben, liegt auf ber ^anb. ®ilt e§ bennod^ 
einen SSerfud^, fo fann füglid^ nur eine ©oloftimme geeignet 
fein, \xä) biefen §eine*fd^ jugef^ifeten, l^öd^ft inbiöibueffen 
®m<)finbungen unb 9lef[ejionen anjufdEimiegen. §err |)uber 
läfet aber einen Dom raufd^enbften Drd^efter umwogten großen 
SRännerd^or SSerfe Wie folgenbe fingen: „SRir war, afe l^ört' 
id^ öerfd^oHene ©agen, uralte liebtid^e SRärd^en — ®ie iä) 
cinft aU Snabe bon Jlad^barfinbern öernal^m — SBenn wir 
am ©ommcrabenb auf ben Xre^^enfteinen ber ipau^tl^ür jum 
ftiHen ©r^äl^Ien niebcrfauerten — SRit fleinen l^ord^enben 

(Sb. ^anSIicf, $(us bem ^agebudg eines SRufifer§. 15 



226 €b. dianslid, 

^erjen unb neugierig flugen äugen" u. f. tt). Unb mit 
welchem Stad^brucfe lö^t er ben S^or bo§ alle§ fingen! S)ie 
aSorte: „SBie ouf bem gelbe bie SSeijenl^almen , fo mad^fen 
unb wogen im äKenfd^engcifte bie ©ebanfen" iffuftrirt ein 
toütl^enbeS gortijftmo aller Sled^inftrumente unb ber mirbelnben 
Raufen, 3n ber ©c^ilberung be§ ©eefturmeS vereinigt ber 
©omponift natürlid^ bie nieberfd^metternbften Drcfieftereffefte, 
um bem ^einefd^en Silbe „®in Xoü^au^ öon Ionen" @f|re 
5u mad^en. Slfe ein ©ffeftftüdf für Drd^efter allein fönnte 
man biefen ,,@eefturm'' ebenfalls gelten taffen ; aber niemals 
ift un§ bie Slufgabe eine» großen 3Rännerd^or§ unnü^er unb 
täd^erlid^er öorgefommen , al§ t)ier. Stuf Tonmalerei unb 
raffinirte ®IangmifdE)ungeu ift e§ nid^t nur im ©eefturm, 
fonbern in bem gangen S^Hug gunac^ft abgefel^en. 2)a§ ed^t 
^einefd^e fentimentale ffo!ettiren mit ben „©ternentl^rönen", 
t)on benen „feine Seele überftiefet", njirb burd^ glötengeblinjel, 
Ä'larinettroulaben unb Seufzer einer Sotoöioline inter- 
pretirt, bie „Slbenbbämmerung" mittetft ©ngüfd^l^orn unb 
Viola d'amour gemalt. 6§ ftjäre berlodEenb, an §uber§ „9iorb= 
feebilbern" ®iM für StüdE nad^jutoeifen, wie berfetirt ein @e= 
bid^t wiebergegeben werben !ann, wenn ber ©om^jonift um 
jeben $rei^ Unerl^örte^ unb StiebergWingenbeg l^ineinptegen 
trad^tet. ®od^ genug. S)a§ SSerf felbft redEitfertigt nid^t fo 
lange 9lebe, unb ber Kom:ponift wäre fid^erlid^ ber Se|te, i^r 
fein Df|r ju leiten. 



prtu0ren nnt ^öngtr. 



S)er SSiotinöirtuofe |)err liöabar 3laä)h^ ^ie§ öor 
einigen ^di)xtn nod^ gang einfad^ euro^jaifd^ !It|eobor 3la(S)ti 



Oltoabar Had?e3. 227 

(recte 3taf (^i^) , lüic and) bie Sängerin (Serfter noc^ im 

SSicner ©onfcröatorium bcn nid^t ungetoöl^nlic^cn laufnomcn 

SIbele trug, beöor jtc \x(S) oI§ „&ttUa" berütjmt mad^te. Sic 

^anbeltcn beibe tot\\t, ber Xiöabor unb bie ©tetia, benn ein 

e jotif (^ f langboller 9lame ift tt)ie ein ^räd^tigc^ ®cmonb, in toel* 

e^em njir jid^erlid^ beffer aufgenommen toerben, toenn oud^ nid^t 

immer beffer entlaffen. ^ebenfoIIS ift un^ ber afiotifd^e $runl 

fold^er Jian^en öiel njillf ommener , al§> bie jefet auffommenbe 

SKobe fd^elmifd^er ^aug- unb S^ofenamen: bie bieten Xini, 

^olbi, 3ri|i, SKi^i auf ben ©oncert* unb I^eaterjetteln. 

S)ie eleganteften , nid^t immer jüngften ®amen, meldte um 

feinen $rei§ in furjen SlödEIein fid^ ^jrobuciren würben, finben 

e^ pbfd^, auf ben großen Slnfd^Iagjetteln in ^ö^d^en ju er:= 

fc^einen. S^^ ®IüdE l^aben bie |)erren ber ©d^öpfung fid^ 

biefer unfäglid^ lö^jpifc^en SKobe nod^ nid^t angefdEitoffen , fo 

^er^ig e§ aud^ Hingen mürbe, bafe bie ^ianiften „loni S)oor, 

Suferl e:pftein unb SRafei »rütt" ba§ Sa^fdie Irtpelconcert 

fpieten werben. „©ann§" für Qo^ann ift biil^er baS einzige 

2)iminutit), ba§ in ber männlichen äRufilwelt borfomnlt unb 

aud^ f)ot)en älnwert^ geniest. ®§ ift für äKaler, S)id^ter unb 

äRufifer unbebingt öort^eil^aft, §ann§ ju l^eifeen; ba§ Hingt 

fo altbeutfd^, fo ipann§ ^otbeinifd^, fo meifterftngerl^aft. SSor 

breifeig Sö^i^^ii 9^6 e§ in ber föünftlermelt nod^ feinen 

offiziellen „^anng" ; wer Sol^ann l^iefe, fül^tte ftd^ etmaS ^rofaif^ 

gebrüdft unb nannte Jid^ ^tan SSedEer, 3ean S5ott u. f. m. 

§err liüabar 3lai)^^ ift ein öirtuofer Sraöourf^ieter, 

beffen SSortrag nid^t fo wilb unb bermegen, afö feine äigeu== 

nerifd^ bunfle ^l^^ftognomie, fein me^tiifto^^elifdi jugef^i^ter 

SdEmurr- unb ^nebelbart bermutl^en liefen. SBenn er im 

3ufammenf^iel mit bem ^ianiften Senno ©d^önberger fjinter 

biefem rofig angel^aud^ten Süngüng ftel^t, fie^t er an^f, wie 

beffen böfer S)ämon. SSa^rf^einli^ ift er bie ®üte felbft. ®ie 

15* 



228 &' Qaitsücf. 

Siolinf ottote (G-dnr) t>on Sra^mS, mit toelc^ ine betben fiunftter 
i^r Soncttt erdffneten, tft toenig geeignet, jtoei Sirtuofen 
par excellence in ^eOe§ Si^t ju fteOen. 3)a§ Stnd, träumenfc^, 
bef^auli^, glei^fam ^alUout in fic^ ^tnetnfingenb, geftottet 
fein gldnjenbe^ $ert>ortreten tt)eber be§ äSioIin-, no^ be^ 
Slat>itt^pitln^. @S Hingt fd^öner im trouliii^en SRufi^immer 
t)or einem $rit)atiffimum, aU im großen Soncertfoal üor einem 
^$ublitum''. 93on gkoei äSirtnofen dffentli^ gefpielt, erl^alt 
bie ©onote faft immer einen 3ufa| t)on obfic^tlic^er ©c^ön^ 
mod^erei, unb ba§ mar aud) Ie|t]^in ber gf<iS- «^err 9lQ(^e5 
bolumcntirte fein ©efü^I bnrd^ öerfc^iebene fentimcntalc ©eufjcr, 
bie ntc^t im (S^orafter biefer rul^ig abgeflärten Som^ofition 
liegen, toa^renb ^err ©c^önberger, aud^ nic^t tüiHenS, \>it 
©d^&n^eiten feines änfc^IagcS unter ben ©c^effel gu fteHen, 
einjelnen S'loten mel^r Klangfülle unb Ue|)<)ig!eit gab, atö ber 
fd^Itd^te 3ttfammen]^ang crforbert. Seibe cnblid^ t)ereinigten 
fic^ JU einem t)iel ju fd^neHen ^citmafe in t>cm Sinalc: 
„ Allegro moltomoderato^. hierauf fjjielte ^err Siac^cj 
(mit S?lat)terbegleitung) ba§ Fis-moll-®oncert t)on |). 6 r n ft , 
eine ftad^e, geiftlofc Kompofttton, bie mon enblid^ einmal in 
ber tt)o]^It)erbienten Slrd^ibrul^e belaffen foHte. ©ruft mar ein 
bejaubcmb liebenSmürbtger SSirtuofe, ber ein öormörjltci^eS 
Stubitorium allenfalls mit feinen ®om<)ofitionen t)erfö]^nen 
fonnte; eigene ©cbanfen l^at er nie gel^abt. ^erm 3laä)e^ 
gab ha^ Soncertftücf ©elegenl^eit, ungemöl^nlid^e firoft, SluS= 
bauer unb gfertigfeit nad^ j[eber SRid^tung ju cntmidEeln. Sin 
Oleic^cS leiftete iperr 95enno ©d^önbergermit bem brillanten 
Vortrage einer „^ßl^antafie unb Suge" bon 3t äff. 3)ie S3e= 
fanntfd^aft mit biefer ®om:pofition ftimmte unS nid^t über- 
mäfeig banfbar. äRit großem ^ßatl^oS beginnt SRaff ein freies 
^rälubiren, baS unS mit ber bebeutenbften SKiene bon ber 
SBelt bod^ eigenttid^ nid^tS fagt; bann jagt er ein Keines 



fjermtne Spies. 229 

|)üttbd^en öoti gugcntl^ema unabläffig über ©tpcf unb Stein, 
o^tie SRitleib mit x^m ober mit un§. S)ag Sral^mSfci^e ©oncert 
f^iefte |)err 5Rad^ö§ beffer atö bie ©onate. @r bel^errfd^tc 
bo§ überaus fdin)ierige ©tüdf mit großer Sraöour, ©id^erl^eit 
unb ©nergie: nur bie t)on i^m eingelegte ©abenj fanb id^ 
jerriffen, gefd^macftoS unb jebenfaHS ju lang, ©igentlidö märe 
^ier jebe ©ytrasßabenj entbel^rlid^, fo reid^ bel&ängt, faft über- 
laben ift biefer erfte @a^ mit 95rat)ourfd^.mudE aller STrt. 
SSunberlic^ genug fügt \x6) l^ier S5raf|m§ ber veralteten Son^ 
ceffion, mlä)t bem SSirtuofen geftattet, fein S^Iuföei (oft 
öon ber ©röfee eines (SlobuS) in baS 3ieft beS foftbarften 
©ingöogefe gu legen, ©cfiabe, bafe Sral^mS nid^t felbft eine 
furje Kabenj ju bem SSioIinconcert gefd^rieben ober menig* 
ftenS bie SSeröffentlid^ung ber ^oad^imfd^cn öeranlafet l^at. 
Sieben bem geiftöollen erften @a^ beS Sral^mSfd^en ©oncerteS 
mit feinen fd^ön contraftirenben Il^emen ftel^en SIbagio unb 
ginale jurüdE an <)(aftifd^er SBirlung it)ie an melobiöfer 
©rfinbung. ®ie ftete SRüdEfid^t auf ben SSirtuofen fd^eint 
l^ier baS freie ©d^affen beS lonbid^terS gebunben ju l^aben.- 
9Ran ujeife übrigens, tt)ie SebeutenbeS bie l^ol^e ®unft eines 
S3ral^mS ani) bei jeitmeilig fd^Iummernber Si^f^jiration ju 
fdEiaffen öermag. S)en Sefd^Iufe beS SlbenbS mad^te bie 
,/f$o^ieitSmufif" öon SK. Stufen, bie man auS bem bier* 
fjänbigen Original ober auS bem öon ®. Saffen beforgten 
jujeil^änbigen Slrrongement lennt. fjür biefe gefälligen, aber 
burd^auS oberflöd^Iid^en SBeifen ein ganjeS Drd^efter ju in^ 
fommobiren, bafür f^rad^ faum eine innere 9loti|tt)enbigfeit. 
S)ie Kom^ofition ift fo feid^t, ba§ man felbft burd^ bie blenben* 
ben Drd^efterfarben l^inburd^ jebeS ©teinc^en auf bem 33oben 
jäl^Ien fann. 

@ine in ®eutfd^Ianb gefeierte, für SBien neue ©rfd^einung 
lernten n)ir in gräulein Termine @ ^) i e S lennen. Selten f)at 



230 €b. J?an5lirf. 

eine Siebcrfangerin unfer 5ßublifum fo fel&r cntäüdt, fo fd&nett 
erobert. Unb bo§ mit ben ed^teften fünftlcrifd^en SKitteln; 
ol^ne öirtitofe^ Slenblüerf, ol^ne bie SEBürjc be§ blofe 5ßifanten 
ober Sntereffanten. S^r Drgon, ein fräftiger, öollflingenbcr 
211t öon eigenartig l^erber grifd^e, nur in ber Siefe ol^ne 
red^te^ SRetaH, geprt nid^t ju jenen au^erorbentlid^en Stimmen, 
bie (tt)ie manche italienifd^e) fd^on burd^ t^ren finnlid^en 
3lei5 gelüonnene? 8<)iel l^oben. Slber bie fünftlerifd^e S3ilbung 
biefer Stimme ift öor^üglid^, unb itire Sefeelung burd^ bie 
äKöd^te: ©emütl^ unb ©eift mad^t fie unh)iberftel^IidE). ®afe 
gräulein @^ie§ bie Untermeifung ©todfl^aufeng geno§, 
möd^te faft erratl^en, njer biefen gröbsten unb öielfeitigften 
aller Sieberfönger ^äufig gel^ört. S)ie tabellofe SSerbinbung 
ber 3legifter; biefe§ fd^öne Sigato; ber lange, fo rid^tig au^^ 
gef^arte Slttiem; bie immer beutlid^e, forre!te SluSf^rad&e — 
bieg allein finb fd^on fd^tnertoiegenbe tec^nifd^e ©rrungenfd^aften. 
2lfe bienftbare ©eifter empfangen fie aber erft i^re äKad^t 
burd^ ben S^^^^^^ ^^^^^ feltenen ^joetifd^en wie mufüatifd^en 
«SnftinftS unb einer leben^öollen 9le<)robuItiongfraft. @oba(b 
gröulein @^ie§ Ut erften 2^öne eineä Siebes anfdEiIägt, l^at 
man bie ©m^finbung, ba^ fie ©ebid^t unb SKufif böllig erfaßt 
unb tief in fid^ aufgenommen ^aht. Qlire Stimme fd;miegt 
fidE) mit tjerfdEiiebenem ©lang ben öerfd^iebenen S^onbid^tungen 
an, unb in biefen njieber ben dEiarafteriftifdEien einzelnen 
SBenbungen be§ ®id^ter§, be§ 2^onfe^er§. SBaS immer fie aud^ 
finge, |)eitere§ ober ^^?atl^etifdE)e§ , ©dEierj ober SBe^mut^, 
SdEiubert ober SralimS — man glaubt ifir aHeS. Scfilid^t, 
ergreifenb flang au§ ilirem äKunbe @dE)ubert§ Sieb „SBer 
nie fein 33rot mit Il^ränen a^"; „frifd^ unb n)unberl)ell", 
tt)ie eS t)on bem raufd^enben Söd^Iein ^ei§t, ba§ „SBo^in?" 
au§ ben äKüIIerliebern, bag id^ nur ettt)a§ tt)eniger fd^neU 
gemünfd^t ^ätte. gür bie gel^altene @m<)finbung, bie langge^^ 



3. Caffaüe unb (E. 3Iauipaert. ^31 

äogcnen 5ßcriobcn bcr 95ra^m§fd^cn ;,3Kaiennad^t" fanb 
gräulein @^te§ ebenfo überjeugcnb bcn Xon tt)tc für bo§ 
nedfige ®eflotter bon b'2(Ibcrt§ ,,@d^mcttcritng''. ^xaf)m%^ 
©om^ofttion ber ötcräciligcn „^timh^x^ öoti Ul^Iatib pa^t 
fd^on i^rer Sürjc mcgen nid^t für öffentlid^cn SSortrag; ia 
mir fd^ctnt ba^ ©cbtd^t ntd^t einmal für SRuftf rcd^t geeignet. 
@^ ift njeniger ein ©ebid^t, atö ein l^alb unterbrfidfter Sluf- 
fd^rei, ein Stoßgebet, nidEjt Diel länger aU ein 2ltl&emjug; 
burd^ jebe Kom<)ofition tt)irb eS auSeinanbergejogen, jur ©cene 
überf<)annt. SBenm mir fd^on SRufif baju l^aben foHen, fo 
mü^te fie bie affereinfod^fte, allernaibfte fein. ®a^ ift aber 
befanntlid^ bie 33ral^m§fd^e nid^t. Um fo erquidfenber Hang 
unmittelbar barauf Sral^mS^ ,,SSerge6Ud^e§ ©tönbd^en". |)ier 
löfte gröulein @^ie§ mit öollenbetem geingefül^I bie Stufgabe, 
ben ®iaIog im Vortrage ju inbiöibualifiren, oljne burd^ affju 
bramatifd^e SKccente bie gorm be§ leid^tgefd^ürjten Sieben §u 
burd^bred^en. 9lod^ fd)tt)ieriger ift biefe^ äRa^l^alten, nod^ 
größer bie ®efal)r in ©döumann^ ,,SBaIbe^gef<}räd^" ; auc^ 
ba fd^ritt bie ©ängerin mit ber ©id^erfieit ongeborenen Saftet 
auf ber ®renjfd^eibe jlüifd^en bialogifirtem Siebe unb realer 
©cene. 5Rur leife anbeutenb bleibt itir SRienenf^iel unb i^re 
ftet§ rul^ige ^örperl^altung. SRit einem SEBorte: in gröulein 
@^ie§ öerfd^miljt fünftlerifdEje Silbung mit ber frifd^eften 
Slatürlid^feit, unb biefer S^^f^mmenllang nnrft ebenfo unmiber- 
fte^Iid^, aU er feiten ift. 

@ine feltene gügung tiefe gteid^jeitig jmei au^gejeic^netc 
franjöfifd^e Sänger in SBien jufammentreffen: ^tan Saf fatte 
bon ber 5ßarifer D^er unb ©mit Stauujaert auS ©raffet, 
©teicl) ift beiben bie üoltenbete ©efang^tec^nif , bie fidlere 
^errfd^oft über ba§ Snftrument, fobann bie unüergtcid^tid^ 
forrefte unb beuttic^e SluSf^jrad^e, bie ^unft be§ 3)ectomiren^ 
im ©ingen. Stuf üerfd^iebenen Gebieten tl^ätig, l&aben bie 



232 <Eb. Btanslid. 

beiben Sänger cinanber itid^t öerbuiifcüp öielmel^r ftd^ gegen- 
fettig baburd^ genügt, ba^ mand^e Stgentl^üntUc^feit, bie an 
bem ®lnen unb Slnbem befrembenb auffief, aU eine feinet- 
tt)eg§ ^erföntid^e, fonbern nationale erfannt lüurbe. ^a^in 
gel^ört bie fel^r breite, gutturale Sonbitbung auf e unb ai 
(j'aime, r^ve), fogar in bem Sßlura^Slrtifel les (Lääh desirs) 
unb anbereS. S)ie im:pofante ©timmfraft ßaffaHe§ befi^t 
SSIautuaert nid^t, fo ausgiebig fein umfangreid^er SSariton 
aud^ fßngt; bafür be^errfd^t er^. n)ie e^ bem Soncert- unb 
Dratorienfänger jiemt, ein biet toeitere^ •mufi!attfd^e§ gelb: 
üon ber teid^ten franjöfifd^en SRomanse bi§ ju ben ©antaten 
t)on S5ad^. 2lm fd^arfften unb fiegreid^ften trat bie franjöfifd^e 
©igenart l^eröor in S5Iautt)aert§ SSortrag ber SKe^l^ifto* 
©crenabe öon SSerliog („Damnation de Faust"). SBeld^ 
funfeinber ®\pxii burd^gudEte l^ier berujcgen unb bod^ fo an- 
mutl^ig bief eg ironifd^e ©tänbd^en ! SBir l^atten ba§f elbe Sind 
furj guöor im ©ejettfd^aftSconcerte t)on einem gebiegenen 
©änger gel^ört, aber blonb unb norbbeutfd^ gefungen — auS 
SlauttJaertg ÜHunb Mang e§ erft glaublüürbig , jo l^in- 
reifeenb. 3^^ aiomanjen t)on §uberti — gemö^nlid^er 
5ßorifer ©alonftit mit titoa^ Schumann öerfe^t — l^aben un^ 
infofem enttöufd^t, afö lüir öon biefem un§ bi^l^er fremben 
Kom|)oniften ettoaS Ungeiüöl^nlid^eS crroartetcn. ©uftatje Seon 
$uberti (geboren 1843 in Srüffel) gilt nämlid^ für einen ber 
entfd^iebenften Slnl^önger ber tjlämifd^en äRuftffd^uIe, lüeld^e 
unter Sül^rung t)on 5ßeter 99enoit gegen ben franjöfifd^en 
©tit reagirt unb neubcutfd^en SSorbilbem, inSbefonbere SRid^arb 
3Bagner, nad^eifert. S)at)on ujar in ben beiben Slomanjen 
^ubertig nid^tö ju merlen. S5Iautt)aert er^jrobte feine SSiel^ 
feitigleit unb grünbtid^e mufifalifd^e SSilbung in einer 3lrie 
bon ©ebaftian S5 a d^ , einem gragmente auS SBagnerö „SReifter^ 
fingern", enblid^ in jtoei (beutfd^ vorgetragenen) „SRagellone- 



€. Blauwaert. 233 

SRomangen" öon Sral^mS. S)tc Slrie beS äRomug au§ 
©cbaftian SSad^g bramatifd^er S^ammercantatc : „S)er ©treit 
ätoif^cn 5ßpbu§ unb ^an" (»ad^-StuSgabe XI.), ^örtc man 
in SBien tool^t jum crften SKale. @ic ift ein intereffante^ 
a3cij'|)tcl, tt)ic bic lonbid^tcr jener S^it bie einmal gett)onncnen 
unb Don i^nen mit äReifterft^aft bc^errfd^ten formen überaß 
f eftl^ielten , biefetben Slu^brudE^mittel unbefangen für SBelt* 
lid^e^ unb ©eiftlic^eg, für fubjeftiöe S^ril unb lel^riiafte Slu§^ 
fprüd^e öertüenbeten. 2lbgefel^en öon bem Keinen ©d^erje 
mit bcr SBieberl^oIung ber erften ©itbe bon „lüadEett", fönnte 
biefe S3uffo*9lrie ganj gut in einer feftlid^en Sird^encantate 
Sod^g ober in einer Opera seria öon ipänbel [teilen. 



1887. 

SSir l^örtcn jum erften 3KaIc bie Duöertüre ju ©oetl^e^ 
,,ipcrmann unb S)orotl^ea" t)on 9iobert ©d^umantt. (£r 
fd^rieb fie in feiner legten S)üffdborfer Seit ^mit großer 
Suft in mcnigen ©tunbcn". SSon bem (Sefül^Ie großer Suft 
ift nid^t^ in bie ©om:pofitton felbft übergefloffen. (£ine§ ber 
fd^toäd^ften , unerquidEIic^ften SEBerfe ©d^umonn^, ift fie oben- 
brein unbcgrciflid^ in il^rer Sluffaffung cine^ fo burd^ou§ 
florcn Stoffe^ lüie „©ermann unb S)orot^ea". ©d^umann 
räumt in feiner Duöertüre ber SRarf eillaife bie ipau^trotte 
ein. SSier- bi§ fünfmal erlüngt fie im ßaufe be§ furjen 
@tüdEe§, ftetS in l^effem Dur, in beri luftigen i|oI|en Ionen 
ber SWten unb Dboen, f^äter nod^ illuminirt burd^ 2^rom^ete 
unb Heine Irommel — wä^renb bie eigentlid^e SbJjUe, bie 
öerjen^gefd^id^te öon |)ermann unb Sorotl^ea, fid^ nebenher 
in trübem Moll fd^lüunglo^ , matt, öerbriejslid^ burd^fd^Ieid^t. 
95ei (Soetl^e öon affebem ba§ gerabe ©egentl^eil. ©ein (äebid^t 
ift eine fonnen^cHe Sanbfd^aft, bie boji ben bunften SBoIfen 
be§ 2lnfang§ fid& in erquidfenber grifd^e abtiebt unb meiterl^in 



^EJcrmann nnb Porott^ca" von Schumann. 235 

faum eine ©rinncrung an jene^ ferne <)oIitifd^e ®en)ittcr 
auffomnten läfet. 9(m ©d^Iuffe feiner SRomanjc Don ben 
,,95eiben ©renabieren" bringt ©d^umann atö geiftreid^e§ 
mufilalifd^e^ ©itat bie SKarfeillaife — aber erft am ©d^Iuffc, 
tt)o bcr ©renabier im ©eifte ben ffaifer über fein ®rab 
reiten fie^t. ^n analoger SBeife, glaube id), l^atte in einer 
Dnöertüre jn ^^ermann unb S)orotl^ea" bie äRarfeiHaife (njenn 
fie überl|au:pt not^menbig mar) nur ju STnfang, brol^enb, 
fd^attenl^aft aufjutaud^en unb bann nid^t ujieber. S)amit tt)äre 
an bie ©oetl^efd^e ©y^ofition, bie bor ben <)tünbernben granjofen 
l^erüberftüd^tenben 9lu§h)anberer , l^inreid^enb erinnert. S)ie 
franjöfifd^e 9iet)oIution burfte I)öd^ften8 ber ©intergrunb be^ 
33itbe§ h)erben; ba§ 93ilb felbft, ein ein^eitftd)e§ Songemälbe 
öoH Slnmutl^ unb fd^Ud^ter $erjtid|!cit , ein Slad^flong 
be§ beglütfenbften unb üoüenbetften ©ebid^teS, bag ©oetl^e 
gefd^ äffen, gür foId)en 3iad)!tang fel^Iten bamatö fd^on ber 
gotbenen Seier @dE)umann§ bie ©aiten. S)ie füllte Slufnal^me 
ber Duöertüre ju ,,ipermann unb ®orotl^ea" UJürbe @ d^ u m a n n 
tnal^rfd^eintid^ ebenfo befrembet l^aben, toit feinerjeit ber 
fdE)tt)ad^e ©rfotg feiner Duöertüre 511 ©d^iHer^ „Sraut t)on 
SReffina". „^ä) bin baran gemöl^nt," fd^reibt er im 
gal^re 1851 an einen greunb, „meine ®om<)ofitionen , bie 
befferen unb tieferen §umal, auf bag erfte ^ören öom größten 
Sl^eil be§ ^ublifum^ nic^t berftanben ju fe^en. Sei biefer 
Duöertüre jeboc^, fo flar unb einfach in ber ©rfinbung, l^ötte 
16) fd^neHere^ SSerftäubnife erwartet." ©d&umann überfal^, 
ba^ e§ aud^ ©om^jofitionen geben fann, bie, ,,Har unb einfad^", 
ben §örem fein ^o^fbred^en mad^en, aber aud& feine greube. 
S)ie Dubertüre jur „Sraut bon äReffina" l^at bamal^ falt 
getaffen, toit f:päter überall bie Duberturen jum ,,3wliu§ 
Kafar", jum „SRl^eintoeinlieb" unb je^t bie ju ,,©ermann 
unb Sorotl^ea". S)iefen bier legten Duberttiren ©d^umannS 



236 €b. f^anslid, 

ift ber traurige l^i^j^jofratifd^e Sh gemeinfant, ttjcld^cr bic 
le^tc •(&po(i)t biefeS genialen 2Reifter§ fennjcid^nct. 

SBenn n)ir fd^on getegentlid^ frül^ercr Kon^jofitionen 
®öof afg e^einegteube nannten, in unferer ^jrobuf tionSarmen 
unb refleftirten S^it einem fo originellen, naiö unb frö^Iid^ 
fd^affenben latent ju begegnen, fo füllen wir unS burd^ 
biefe gmeite S^m^^l^onie (D-moU) barin neuerbingS bcftärft. 
®t)of af §eigt fid^ and) l^ier als ein SRann, ber, im ©tubium 
unferer beutfd^en Slaffifer l^erangebitbet , auf eigenen güfeen 
ftel^t. @§ fe^It ii)m mand^mal an afabemifd^er Ofötte, an 
tabetlofem (Sbenmafe aller Steile, aber niemafö an genialen 
Einfällen. ®ie jtoeite @t)mpl^onie öerrätl^ mel^r aU einen 
Sortfd^ritt gegen bie erfte in D-dur. gl^re SKotiüe, ed^t 
f^mpl^onifd^ , atl^men fräftige Urf^^rünglic^feit unb tt)erben in 
immer neuen SBanblungen effeftüoH burd^gefül^rt. S)ie§ gilt 
namentlid^ öom erften @a^e, beffen büftereS 5ßat]^og juerft burd^ 
ein fanfteS ®efang§tl^ema fid^ erl^eHt, bann mad^tig anttjäd^ft 
unb fd^Iiefelid^ tt)ie ein immer n^eiter jiel^enbeS @en)itter leife 
groHenb öerl^aHt. 3Kan fel^e fid^ ben ©d^Iufetl^eil biefeS 
Sa^eS an {ütoa öbm „poco accelerando" angefangen) unb 
tt)ie bie immer neuen Sid^ter burc§ l^armonifd^e unb rl^^tl^mifd^c 
®ern)anblung§funft unb hjed^felnbe fflangfdrbung auf ia^ 
^au^jtmotit) fallen. 2lm glüdEIi^ften ift ®t)ofaf faft immer 
in feinen 2lnf äugen unb ©d^Iüffen; am SluSgange jebeS 
@a|e§ toeife er unS tt)enigften§ nocti mit neuen geiftreid^en 
SBenbungen ju überrafd^en. ®a§ Slbagio toirlt ttjeniger burd^ 
fein §arte§, üon ben ^oläbläfern über leifem ?ßijjicato beS 
©treid^quartett§ üorgetrageneS Sl^ema, afö burc§ d^arafteriftifd^e 
©eitenmotiüe unb einen fel^r ftimmungSöoIlen ©d^tufe. S)a§ 
©d^erjo, ein rafd^er ©ed^Sdierteltaft in D-moll, ift ein ©tüdf 
öon ftro^enber SebenSfraft unb l^inreifeenbem S^^^ ; iebenfalls 
baS glänjenbfte ber ©^mp^onie. 3m ginale tobt ein ttJilbeS 



,,5vinpl?onie unb Variationen" von Doofaf. 237 

ölut unb treibt ein Iranll^aft trübet dtotf) an bic Dberftäd^c. 
®ä tüiberföl^rt bcm Kom^joniften nid^t sunt erften SRalc, bafe 
er gerabe ba^ finale etnc^ metirfä^tgcn SBerfe^ bwrd^ 
übertriebenen SJraftaufttjanb (aud^ in ber ^nftruntentirung) 
unb burd^ allju l^eftige^ 3KobuIiren fd^öbigt. S)od^ feffett 
un^ oud^ biefer ftürmifd^e @a^ fon)o]^I burd^ fein Xem^^erament 
tuie burd^ fein contrapunftifc^eS S)etaU. — 

S)ie „@^nH3]^onifd^eu SSariationen" t)on Slnton 3) ü o f a ! finb 
otö D<)Ug 78 erfc^ienen. Sl^otfäd^Iid^ ift ba§ StüdE aber fd^on 
öor jel^n ^al^ren con^jonirt. §at e§ ber ®om:()onift öietlei^t 
fo lange jurüdbel^atten, ttjeil er an beffen unmittelbar tjadfen* 
ber SBirfung jhjeifelte? 3n SBal^rl^eit hjerben bie @^nt:()]^o= 
nifc^en SSariationen jumeift ben SKufiler intereffiren, n^eld^er 
bo§ Sl^ema au§ all ben öielgeftaltigen fiebenunb^tüan^ig SSer- 
önberungen l^erau^ l^ört unb mit @:()annung beffen rl^^tl^mifd^en 
unb l^armonifd^en 3BedE)feIföIIen folgt, ©in grojgeS ^ublifum 
bürfte fid^ hjot)! nur an effeftöotte Sinjettieiten {)alten unb 
öor allem an bem Stiema fein befonbere§ ©efatten finben. 
S)a§felbc ift einem mir nidEit nätjer befannten qec^ifd^en Elftor 
„Ja jsem guslar" entnommen, eine eigentl^ümlid^ gebrüdfte, 
fd^Ieid^enbe , trodfene 3KeIobte in C-dur, im 9t^t)t!^mu§ don 
fieben Xaften. Ueberrafd^t unS fd^on im §n)eiten Saft beS 
I^ema^ ba§ fd^arf einfd^neibenbe fis, fo fd^muggelt bie erfte 
SSariation nod^ aufeerbem ein red^t übelflingenbe^ b unb as 
in bie C - dur - |)armonie. Slel^ntid^e l^armonifd^e |)ärten, 
Eiuerftönbe unb ungefd^idEte SSerbo^j^jIungen finben ftc^ nod^ 
l^äufig im SSerlaufe be§ SBerfe^. ®ennod^ gel^t ein großer 
ernfter 3^9 ^^^^ ^^^ ®an§e, eine reidE) unb eigenartig 
fd^affenbe 5ß]^antafie, tt)ie fte in ber heutigen, tl^eifö auS S^- 
funft^:^, tl^eifö au§ ^a^jeKmeiftermufif beftel^enben 5ßrobuftion 
anwerft feiten dorfommt. S)t)of af ift nid^t bIo§ ein glän§en= 
be§, er ift ein tä^tt^, urf:()rünglid^e§, naiöeS S^alent. DrigineH 



238 €b. B^anslicf. 

unb natürlich, lüie tüenige neben i^nt, ^at er felbft in feinen 
fd}mäc^eren ßonn^ofitionen ftet§ geniale Einfälle. S^äd^ft 
33ral)m§ ift, meinet S)afürt)atten^ , S)üofaf ber begabtcfte 
gnftrumental * ßonnjonift ber (Segenttjart. ©einen SBerfen 
eignet nid^t bie fiinftlerifc^e SSoHcnbung, nod^ bie ^nfammen* 
fialtenbe ^aft unb jhjingenbe SRotl^hjenbigfeit ber SSral^nt^fd^en 
SKufif; fie finb finnlid^er, naiöer, »eid^er, »ol^I anö^ ytx- 
fal&rener. 2ln Sö^^en fein Süngling ntefir, ift e§ ®üofaf 
nod^ immer in feiner 3Rufif; 93ra]^m§ ift immer fräftig, ge- 
brungen, mannhaft. 2luf bie „S^mpl^onifd^cn SSariationen'' 
gurüdEjufommen , fo n^otten fie un§ bei fel^r öorgefd^rittener 
contrttpunftifd^er (Settjanbtl^eit boc^ weniger farbenfrifd^ unb 
urfprüngüd^ erfd^einen, afö öiele öon ®üof afö frül^eren Eom- 
pofitionen. ®enug jebod^, ba§, n^er fie aufmerffam prt, auf 
feinen onbern Eom^joniften ratzen tt)ürbc, afö eben auf 
5)t)ofaf. 

S)a§ fiebente „^l^il^armonifd^e Soncert" h)ar eine 
gro^e ßifjt^geier, mit ber „gauft:'©t|m^)^onie" atö §aupt- 
unb @ct|Iu§nummer. 3n ber Dper bie beiben 3auft öon 
®ounob unb Soito, im Eoncertfaale bie 3fluft=Duöertüre 
üon aSagner, gauft öon SSerlios, gauft öon ©d^umann, 
Sauft öon Sifät — h)ir geftel^en, mufifalifd^ fauftmübe gu 
fein. S33cnn irgenb ettt)a§ un§ ©oetl^eS S)id^tung p öer- 
leiben öermöd^te, fo wäre e§ bie unerfättüd^e 5ßaffion ber 
©omponiften, biefen l^otjen 3Raft §u erffettern, um il^re eigne 
ga^ne barauf §u pffanjen. 2lm unangenel^mften berührt un^ 
bie pratflerif^ fouöeräne äRiene, mit ttjeld^er Sifjt biefc^ 
Sunftftüdf probucirt. ®r ^at e§ fid^ freiüct} leidster gemad^t, 
ober fagen tt)ir, flüger angeftettt, alg ©d^umann. Slnftatt bie 
bunfeln, refleftirenben Sieben, mit benen fid^ ©d^umann ge= 
plagt, in ©efang um§utt)anbeln, öerlegt ßif§t bie ©oetl^efd^e 
Sragöbie furjhjeg m^ Drctiefter. ^en erften ©a^ feiner 



„cfauft^Sympl^oiuc" von £if3t. 239 

©i)mp^onie betitelt er ;,5ouft", ia^ Slnbontc ,,@retc^en\ bo§ 
©c^er5o „äRe^)l^ifto<)f|eIe§". ©el^r einfad^. 3nt ginale 
„gauftö SSerflärung" la^t er ficti bie ©elegenl^eit md)t cnt= 
gel)en, ein ttjenig Sectl^oöen gu f^jielen unb bie ^xxlt^xt öon 
ber „il^re eigene Unjulänglid^feit füf)Ienben unb notl^menbig 
5ur SBortfprac^e bröngenben Sttftrumentolniufif" ju ^^rebigen. 
2)ie ©d^Iufeöerfe ,,2ltte§ aSergänglid^e" merben gefangen, öon 
einem SKännerd^or mit Senorfolo gefungen. SBien f)at fd^on 
im Sa^re 1875 bie »efanntfd^aft biefer „gauft=©Qm<)^onie" 
gemadjt, totlö^e 5ugleid^ ein glönsenbe^ S)irigentenbebüt 
$ann§ älid^terg bilbete. 5)ie geftrige, ebenfalls öon 
3flict)ter mit gefteigerter SÖieifterjd^aft geleitete Slnffü^rung 
öermod^te mid^ jebod^ bem SSerfe nidfjt ^u befefiren. Siä^t 
fpelulirt nid^t unricfjtig barauf, ba§ ber öon ®oett)e§ S)id^= 
tung au^ftra^Ienbe ©lorienfd^ein anä) bie SKufif öergolben 
tüerbe. SBirflid^ :pftegt ein großer S{)eil be§ 5)JnbIifum§ einer 
Drd^eftercom:pofition t)orn{)erein günftiger entgegen jufommen, 
menn e§ fid^ gegmungen fielet, fortmä^renb (Sebanfen an 
@oett)e§ wSöuft" bomit §u öerbinben. 2Kir tüiberfä^rt (eiber 
ba§ ©egentl^eil. SBenn id^ ben erften ®a^ ber Sif§tfdf)en 
@t)m<)l^onie {)öre unb mir foge, biefe§ entfe^Iid^e glidfmerf 
fott ben „Sttuft" öorfteKen; menn id^ Ui biefen ge^)Iagten 
aiccorbfolgen , biefen ftoI:pernben äl^i^t^men, biefen üäglid^en 
SPfielobienbrodEen , biefen enblofen SBieberl^oIungen eine§ SKo^ 
tit)§, ba§ fd^on ©inmal fd^eu^Iid^ ift, an gauft§ erften SKono^^ 
log ober an ben Dfterfpajiergang benfe, bann berührt mid^ 
fold^e ajluftf nodf) n)ibertt)örtiger. ^wm ®Iüdf mirfen bie 
SSerjerrungen biefeS ®enialitat§fram^)fe§ enblid^ auf bie Sad^= 
muffeln. S)er erfte @a^ „Sauft" ift gerabeju !omifd^; ein 
üer^jfufd^ter aSerlio^, ber fidf) für (Soet£)e t)ält. 2)a§ „©retd^en" 
Sifjt§ betrögt fid^ im Sfnbante aKerbing^ feiner, ^ai 9Äo= 
mente ber Slnmut^ unb 3ärtlid)f eit ; aber feine 9?aiöetät ift 



240 €b. ^anslid. 

bic gctDiffer SRafartfd^cr Äinberbitbcr , auf ttjcld^cn ^alb^ 
tüüci^figc äRöbd^en un^ mit gefniffcnen 3(ugcn unb bcgetjrttci^ 
unter öerfürjter Dberli^j^^e üorglönjcnbcn 3^^iten anfd^mad^tcn. 
®er mufüatifd^ freunbtid^erc ©inbrud biejcg Sifjt^aRafart' 
fd^cn ®rctci^en§ ttjirb alsbalb tobtgcfd^Iagcn bon bcr 
nacften ^'ä^liiiMt bcS ©d^crjog ,,3Re<)^ifto^)^etc§". 95oito 
ift ein SKo^art bagegen. S33itt man bcn Xeufel übcr]§au^)t 
mufifalifd^ batftettcn, fo mufe er fur^tbar ober er mu% 
l^umoriftijd^ mirfen. S5ci SJiJjt gelingt i:^m toeber ba^ ®inc 
nod^ ba§ Slnbere. S)a fott er aU ber „@eift, ber ftets öer- 
neint", auftreten, unb §u biefem Stoed muß ba§ Sd^erjo bie 
Sl^emen ber beiben frül^eren @ä|e ,,Sauft" unb ,,®retci^en" 
derbrel^en unb öerf:()otten ! S)icfer @a^, hjeld^er am ^anb- 
greiflid^ften jeigt, burd) ma§ für bürre SSerftanbe^o^^erationen 
Stfjt ,,aKufif" ^erdorbringt , ift bon unbefd^reiblid^er Slbge- 
fd^macftl^eit. @r münbet unmittelbar in bie ,,aSerKörung", 
ju toeld^er Seierlid)feit au^er bem K^or aud^ bie Drgel afe 
©c^Iu^effeft aufgefpart ift. ®ie unmittelbare 8lufeinanber== 
folge be§ ©c^umanttfd^en unb beS Sifjtfd^en ,,3öuft" 
in biefer Eoncerttüod^e bot un§ öielfad^e Slnregung unb S5e* 
lel^rung. Sie l^at unfere ©ijmpatl^ien für ben erfteren ge= 
fteigert. ®a§ neben ber l^errli^en britten 2lbtt|eilung be§ 
©d^umannfd^en ,,Sciuft" bie beiben erften ben (Seift beg S^on- 
bid^ter^ nid^t me^r in feiner alten Sraft unb gütte geigen, 
l^aben toir gugeftanben. Slber e§ ift bod^ immer ber eble, 
feufd^e ®eift unfere§ ©d^umann. SReiften^ grau in ber 
garbe, mübe im STu^brudE, ftel^en bod^ bie fc^toöd^ften 5ßortien 
feinet ,,t5auft" nod^ immer l^er§gen)innenb unb öornel^m ba 
neben Sifjt^ B^^^tbilbern. 95ei ©d^umann überaß ia^ treue, 
nur ju bcfd^eibene ©treben, ben Sinn be§ S)id^ter§ rid^tig 
ju f äffen unb in jebem SBorte tüieberjugeben ; Überott bie 
Sorgfalt, borbringlid^en äleij beg Üftange^ ju öerl^ütten unb 



(El^omfon, Sarafate. 241 

mit bcn cinfad^ftcn, gciftigftcn aRittcIn ju toirfcn. S)agcgcn 
bei Si?ät bie unerjättlid^c ©rofetl^uerei, bic l^ral^Icrifd^e D^n^ 
maä)t unb tolle garbenöerfditoenbung — an ein 3licf)tö. 

Sijjt§ ©^m^jl^onie fanb eine §icmrid^ laue Sluftial^me ; 
nacfi bem erfteti unb §tt)citen @a^e flüchtete ba§ ^ßublilum 
in tfctten Raufen. S)er angeftrengte 2r:()^3laug ber Snxü& 
gebliebenen, bie ba gefontmen maren, um anjubeten, öer- 
l^aHte tüirfung^Io^. 3laä) ber legten Slote ftürjten ttjir 
3(nberen in§ greie, atl^meten beglücft bie Iräftig milbc ^xiXf)^ 
lingSluft unb gebadeten be§ überftanbenen Sifätfd^en Sttp- 
brücfen^ nur mel^r mit bem Kitat ai\§> SSifd^er^ löftlid^er 
„gauft"'^arobie: 

S)a§ ^Ibgefd^madteftc 
$ier marb eS gcf^mecft, 
2)a§ ^Hertjertracftcftc 
$icr toar cS bcjtoccft, 
3)a§ Unöergei^Iid^c 
|)icr fei eS öer^ie^n, 
3)aS ctoig Sangtuciltgc 
3iei^t un§ bal^in! 



gtrtuöfien* 



©ine intereffante Srfd^einung ift ber SSioünöirtuofe 
Eöfar S^l^omfon, ©ol^n einer nac§ SSelgien überftebelten 
fci^n)ebif(i^en Familie unb gegenn)drtig 5ßrofeffor am Konfer- 
öatorium ju Süttid^. ®6^tocL(i)ü6) , bla§, mit burd^bol^renb 
fc^toarjen Singen unb lang l^erabfattenbem fd^tnarjen §aar, 
brauet er nur eine SRönd^^futte, um ben I^<3U^ eine§ mittet^ 

®b. §anS lief, 9tu§ bem Xagebuc^ eines SWuflfcrS. 16 



242 €b. f?anslirf. 

altcrü^en SlSfctcn ju öerftnnlid^cn. (£r tritt öor ba^ ^^Subü- 
fum tüie (£incr, ber hoffnungslos mit ber SBdt abgefc^Ioffcn 
f)atf unb nod^ bcm legten Sogenftrid^ ge^t er mit einer SRiene 
ab, atö lauteten fd^on bie OIodEen ju feiner ^inrid^tung. 
®abei liegt bod^ n^ieber fo öiel @rnft unb Sefd^eiben^eit in 
feinem SBefen, ba§ tüir nid^t an 2lffeftation glauben fönnen. 
Il^omfonS Bpitlf offenbar baS 5ßrobuft ungemöl^nlid^en 
©tubiumS unb Slei^eS, intereffirt ^au:()tföc^Iid^ auS ted^nifc^em 
©efi^tspunft. ®r mac^t Sunftftücfe unb ffiunftgriffe, bie felbft 
geübten ©eigern ^u ratzen geben, ^affagen avi§f ber 3^iefe 
in bie ^öl^e unb umgefe^rt fü^rt er mittels eines eigentfiüm* 
Uctien gingerfa^eS in einer Sage auSunb f^jiett burd^ ätoanjig 
bis breifeig Safte polijpl^one @ä^e :pianiffimo, mä^renb boc^ 
fonft baS gleid&geitige 8ln:padEen aller öier Saiten einen ftarfen 
^raftauftüanb forbert. ^auptfäd^Iic^ toaxen eS ^aganiniS 
Variationen über ein 3ioffinifdf)eS S^l^ema (Non piü mesta) 
unb barin ttjieber feine eigene langfame ^abenj, toomit Slftom- 
fon pmeift imponirte unb einen aufeerorbentlid^en @rfoIg er- 
rang, ©ein 3^on ift nid^t grofe, auc§ nidf)t fo füfe ein=^ 
fdfimeid^elnb tok ©arafateS, an n)eld^en Sl^omfon fonft am 
meiftcn erinnert. 3n baS 2lbagio legt er nid^t eben tiefe 
ober leibenfd^aftlid^e ©m^jfinbung; bie langfame Anleitung 
ber ^ßaganinidariationen, tneld^e bod^ fe^r einlabet §u breitem, 
auSbrudfSöottem Vortrag, fang er gleid^fam mit l^alber ©timme. 
SluS biefem ©runbe öerfagt feinem getüife erftaunlid^en ©^)iele 
bie tiefe unb untoiberftetjlicti ergreifenbe SSirfung. Qeben 
ffiunftfreunb n)erben S^omfonS Seiftungen intereffiren , jeben 
SSioIinfpieler bürften fie belel^ren unb bereid^ern. 

3Bie in ber SKarftfcene öon „Lakme" bie ließen ©lödfc^en 
beS SöubererS, fo tnirft bei unS ber ©eigenflang ©arafateS. 
ätteS SSoH ftrömt tierju unb »ei^t ni^t öom 5ß(afee, beüor 
ber Ie|te Ion öerfd^oHen. 3uni SRul^me biefeS SöubererS läßt 



Sarafate. 243 

jid^ nid^t me^r öiel beitragen, and) öon if)m felbft nid^t. 

©arafate l^at in testet S^it mieberfiolt in SBien 9ef:()iclt, 

immer bei gteid^em Slnbrang, mit gteid)em ®rfoIg unb aud^ 

— in berfelben 3Beife. ®ie S'Iangfd^önl^eit jcine§ Soneg 

tö^t pd^ fo tüenig befd^reiben, mie bie ^ejenfiinfte feiner 

Sedf)nif. Dl^nc grage berul^t bie ©igentpmtid^feit unb ber 

Srfolg @arafate§ ^am^tfäd^tidfi auf biefen Sirtuofenfünften, 

unb barauö erHdre id^ mir avi(S), n)arum er für mid^ an 

SRei^ öerüert, menn id^ il^n oft geprt l^abe. 2ln fd^ö^jferifd^er 

^l^antafie, an geiftiger ffraft unb tiefer ©m^jfinbung bleibt 

er un§ bod^ einiget fd^ulbig. Sag betneift unter anberm fein 

aSortrag be§ SSeet^oöenfd^en ©oncertg, n)omit ©arafate 

feine§tt)eg§ bie SSirfung erhielt, mie ^oad^im ober Dnbricef. 

©ein gan§ einzig fü^er ©eigenton ftreift öon biefem SBerfe 

t>a^ ®ro§e unb S3reite ab unb giel^t e§ inä (Srajiöfe, 9fiieb= 

lid^c. aSiel naiver öerttjanbt fü^It er fid^ bem SKenbeU- 

fol^nfd^en ©oncert, ba§ er überaus fein unb liebtidfi aug- 

fül^rt. Sunt ®d^Iu§ f^jielte er ein neue^ SSirtuofenftüdE, 

„Muineira" (bie SJiütterin), öon ©arafate nur für ©arafate 

unb feine ®eige gefd^rieben. @g mirb faum einen SSiotin- 

fpieler gelüften, i^m biefe§ ©tüdE nad^jugeigen, fo fe^r ift e^ 

nur baju ba, um feine Sraöour ^u jeigen. 

3Rit ber ßtit erfättigt man fid^ jebod^ an ben B^ubereien 

ber Sed^nif, menn gteid^jeitig tiefere mufifalifd^e 93efriebi== 

gung fel^It unb bie ^unft faum mel^r ju 3Bort fommt 

öor lauter ^unftftüdEen. S^ 6in fein befonberer SSerel^rer 

t)on 93rud^§ gmeitem SSioIionconcert , aber in ©arafate^ 

Programm erl^ob fid) baSfelbe toie eine SÄarmorfäuIe au§ 

einem Raufen ©^jieljeug. ®a§ Srud^f^e ©oncert, beffen 

erfter ©afe h)enigften§ ein ebleg $atl^o§ enthjidfelt unb 

bie toarme @n<)finbung bei ©^)ieler§ entfeffelt, Jüar bie einjige 

Siummer, bie ben Flamen einer ernft^aften ©om^jofition öer^ 

16* 



244 <HÖ. f?ansIicF. 

bicnt. 2lHe übrigen ©lüde benügtcn jid^ mit @elegcnl^eit^= 
ntod^crci für ©arafated Sraöour: ein Allegro appassio- 
nato öon ®. ©uiraub, eine ungarifd^c 9l]^a^)fobie öon 
21 u e r, eine SRajurf a öon 3 ^ ^ 5 ^ c f i unb jh^ei Kom^jofitionen 
be§ Eoncertgeber§ : „Soüabc'' unb „Jota arragonesa". 
SBcnn biefe SSirtuofenftüdc bei aller Dberfläd^Iid^fcit menigften^ 
Slnniut^ unb grifd^e atl^meten unb l^er^l^ofte Suftigfcit ! «ber 
fie alle fränietn an @rfinbung§barre unb jener falfd^en „3nter= 
effont^eit", ttjeld^e jebe fliefeenbe SÄelobie flaut, jeben gefunbeu 
SRl^^t^ntu^ öerrenft, jebe naturlid^e |)armonie burd^ SSor'^alte 
unb SDiffonaujen öerfünftcit. Sluö bcm meland^oUfd^ mirbeln- 
ben Sfiüdfentanj ber 3ig^«nermuftf !amen tt)ir biefen Slbenb faft 
nid^t l^eraug. 2lud^ ©arafateS neue „SSaüabe'' jigeunert unb 
n)irb nid^t ntübe, über beut E-moll-S)reiHang unauf^örlid^ 
bie Keine @ej)time (d ftatt dis) jammern §u taffen. 

S5 ül m § ,,S5eet]^ot)en^eQ!to" gehjöiirt un§ ba§ Vergnügen, 
neben ben befannteften SlaöierftüdEen be§ 3Reifter§ aud^ einige 
feiten gehörte anjutreffen, tt)eld^e ben ©oncertgebern entn^eber 
ju leidet ober p fd^n)er bünfen für öffentlid^en Vortrag. 3n= 
bem 93üIotP fein Programm d^ronologifd^ orbnet, betont er 
bie lel^rl^afte Slbfid^t be§ Unternel^meng. Sine 2lrt Kollegium 
über bie EnttüidEtung Seetl^oöen^ in lauter SRufifbeifpielen. 
S)a§ ift fel^r üerbienftüott, n^enngleid^ nid^t ganj unbebenllid^. 
Sla^einanber eine tauge Steige üon fi'Iaöier^SoIoftüdfen aix^ 
berfelben ^eriobe beäfelben 3Reifter§ ju l^ören — unb fo 
burd^ öier 2lbenbe — mu§ fd^Iie^Iid^ ermüben. ®egen bie 
Sefriebigung unferer Sernbegierbe erl^ebt fid) bod^ attmöfilid) 
ia§> SSerlangen beg D^reS nad^ Slbmed^felung. Unb biefe 
mar ja, unbefd^abet ber d^ronologifd^en Drbnung unb bc§ 
bibaftifd^en S^^dfeg, teid^t §u befd^affen: burd^ Einreibung 
5öeet^obenfd^er Slaüiertrio^ , SJioIin^ unb Settofonaten in 
ba§ Programm. 



£^. ü. 23üIom. 245 

®a brauste ^^tx^c ö. Süloit) feinen Slugenblidf öom 5ßiono 
oufjuftel^en ; mir hjürben il^n in ber Äamntcrmuftf öon neuer 
Seite fennen lernen unb il^m für jhjei ober brei ©ompofitionen 
öon reld^erer fftangfütte fel^r banfbar fein. 

S)er erfte 2lbenb mit ben einfacheren unb ted^nifd^ leichteren 
©ompofitionen Seetl^oöcn^ bilbctc gleid^fam eine einleitcnbe 
aSorfc^uIe. S)er SSirtuofität eine§ ffiünftlerg wie mioto geben 
fie gar ^u menig ju t^un unb ber Sluffoffung be^ ^örer^ 
aud^ nid^t öiel. ©efbft bie 3üngften im 5ßublifum fpielen l^eute 
biefe Seetl^oöenfd^en ©rfttingSmerfe felbft, mcnn aud^ nid^t 
fo gut mie 93üIom. ®iefe Älofje öon 3«^örern unb 8elbft= 
fpiciern gehjann an^ ber erften S5üIon)=@oir6e ben größten 
SRu^en unb geh)iB ^cl^ fd^önfte SSorbilb. 

S)er lefete Slbenb öon Süloms »eet^oöen^^E^fte cntfiielt 
a(ö feltenfteg unb merftt)ürbigfte§ Stüdf bie 33 Variationen 
über ein S)iabettifd^e§ S^^ema. 93üIom ift ber Erfte, n^etd^er 
biefe ©ompofition öffentlict} gef^jiett ober — tt)ie ber Seet^oöen* 
33iogra:()]^ SB. ö. Seng fid^ au^brüdft — biefe S^l^^nj juerft 
fpred^en gemad^t i^at ®a§ 93ilb ift nid^t rictjtig : n)eber bem 
Spieler nod^ bem ^örer geben bie SJariationen * unlösbare 
3tät^fel auf, fie finb feine Spl^tjuy, UJie bie große B-dur- 
Souate, tt)elc^e SSüIoh) am felben Slbenb ejpücirte. SSarum 
gerabe bie 33 Variationen ^u einer Seit, ba ber te^te 
Seet^oüen längft für ba§ ©oncertrepertoire erobert mar, 
t)on aHen Virtuofen ignorirt mürben unb nod^ l^eute gcmieben 
finb, mitt un§ nid^t einlcud^ten. SBeber finb fie in il^rer 
Sec^nif fo f^mierig, nod^ fo bunfel ober millfürlid^ in il^rer 
mufifalifd^en ßogif, mie anbere Spötmerfe be§ SKeifter^. 
Sollten bie Soncertfpieler fie nid^t fo^nenb, nid^t anjic^enb 
genug gefunben ^aben? Unmöglid^. S)ie S)iabetti= Variationen 
gehören nid^t bloß ju ben aUermerfmürbigften Sd^öpfungen 
S3eet]^oüen§, fonbern aud^ ju ben ffarften unb anmutl^igften 



246 <H^. ^anslid. 

feines ©pätl^erbfteS. S)ie S^iefe unb gütte feiner nnerfc^öjjf^ 
lid^ neubilbenben 5ßl^antafte f^jottet barin jeber SSergteid^ung. 
SBitt man aber biefe Offenbarung mit .üerbop^)eItem @enu§ 
erfennen, fo üergleid^e man bamit, toa^ fünfzig öon 93eet= 
^oöenS angefel^enften S^Wgenoffen an^ bemfelben Sl^ema ge= 
n)onnen ^aben. ®er SBiener 3Kufi!t)crIeger 2lnton S)iabelli 
l^atte befanntlid^ bie ^jüante unb nid^t foftfpieüge Sbee, bie 
naml^afteften Eom^joniften ber öfterreid^ifd^en 3Konard^ie 
§ur ©infenbung je einer SSariation über baSfelbe SSSaljer- 
tl^ema auf§uforbern. @ie fteöten ftd^ ^ünftlid^ ein, unb 
S)iabeHi öeröffentlid^te unter bem jo^jpgen Sitel „SSater= 
länbifd^er ^ünftlerüerein" biefe§ mufifaüfd^e $idfnidf. 9iur 
95eet^oöen erflärte mit fouüeröner Saune, mit ©iner SSaria- 
tion gebe er fid^ nirfjt ab: er tüoKe il^rer fed^§ U§f fieben 
liefern. 3m SSerlauf intereffirte if)n bie 2lrbeit; l^alb ai\^ 
®d^er§ begonnen, n)ud^§ biefe SJariationenfette mit jebem 
Siing ju größerer Sebeutung, ju ftrengerem @rnft. 9iac^ 
ber breiunbbrei^igften Variation burfte ber ob fold^er grud^t* 
barfeit ftarf beöngftigte SiabeHi ba§ ^eft mitnel^men, n)eld^e§ 
bann al§ gttjeite felbftänbige Slbt^eilung be§ „SSaterlönbifd^en 
ffünftleröereinS" erfd^ien. ®ie erfte bleibt ein feltfameS 
^iftorifd^e§ SlftenftüdE. ®er ganje mufifalifc^e 5ßarna§ ber 
StPanjiger^Safire t{)ut fid^ tjor un§ auf: neben gran^ ©d^ubert 
bie gefeierten ©om^joniften |)ummel, äRofc^eleS, ^onrabin 
^reu^er, 3Ka^feber, ffialfbrenner : bie ftrengen ©ontrapunftiften 
©ed^ter, Xomafd^ef, SBittaffef, ®ioni)§ SBeber; öornefime 
Dilettanten toit ®raf 3Kori^ Dietrid^ftein unb Saron Sanno^ ; 
aSirtuofen ttJie SSodEIet, ©äern^, 5JSiji§, SeibeSborf, aSorjifd^ef 
unb ber elfjäl^rige Stanj Sifjt, ber fie balb alle öerbunfeln 
foüte. Diefe^ .^albl^unbert SSariationen über ein einfältige^ 
S^fiema burd^^uf^jielen, ift ein mül^feliger, aber letirreid^er x 
©pa§. Sfeiner öon ben iHuftern Sünfgig ^eigt in feiner ^t-^ 



£J. ü. Büloip. 247 

arbeitung einen genialen ©infatt, eine inbiüibueHe 5ß]§^ftognoniie. 
3)ctfe fie faft aHe bem bamotö unBeftrittenen SJariationen- 
begriff eincS brillanten @aIonftncfe§ l^ulbigten, barf und 
nic^t n)unbern. Slber ba^ bie 5ßl^antaftc beinal^c jämmtüd^er 
©on^^oniften über einen ^amm gefd^oren toax unb bie 3Ke{)r= 
jal^Ibiefer SSariationen einanber jtnillingäartig gleid^en, inbem fie 
bie öier erften C-dur-3^afte bc§ S^emag, bann bie öier 
folgenben in Gr einfach in S^riolen^jaffagen ber redeten ober 
ber linfen ^onb anflöjen, ba§ mad^t bod^ einen gar füntmer= 
lid^en ©inbrudf. 9lur n^enige l^aben ben aRutl^, bie laftart ober 
ben $eriobenbau be§ Sl^ema^ ju üerlaffen; nur jn)ei bis 
brei bie ^^r(S)txi, e§ in Moll ju öariiren. Qu le^teren 
gel^ören Sranj ©d^ubert, mit einem anwerft einfad^en ge* 
müt^Iid^cn Sänbler in C-moU unb ber junge Sif 5t mit einer 
leidet in ber ^anb liegenben C-moll-®tube in rafd^en @ed^* 
ge^ntetn. S)ie SSeetfiodenfd^en SSariationen l^at Sülow 
burd^megS mit Ueberfd^riften öerfefien, bie ttenigftenS bie 
Slnerfennung öerbienen, einfact} unb anf^^rud^SloS geh)ä^It gu 

fein. „SRarfd^", ,,S)uett", „Presto giocoso'S „Scherzino", 

„SbtjHe", „^tage'' — ha§> läßt man fid^ gefallen: nur mit 
einem „Sänbler" l^at bie jmeite SSariation feine Sle^nlid^feit 
S)a padi ber früher genannte ^err t). Senj bie ©ad^e fd^on 
granbiofer an; burd& fein unablciffigeS Oeiftbeftittiren unb 
©eiftauSfd^änlen lüirb biefer jhjeifelloS geiftreid^e SKann jur 
Äarifatur. 93eet:^oben§ SSariationen fd^müdft er mit liteln 
tt)ie: „S)aS SKaftobont unb baS %^tma] Orgelpunftturniere ; 
S)a§ 5ßaufenrät^fel ; Sluf bem ®runbe be^ SReereS; S)er aHe 
Drgelmanualc f:()ielenbc SBaffertro^jfen ; ©rfteä Oratorium; 
3n)eiteS; drittes; ®a§ jüngftc ©erid^t ber ajeränbcrungS= 
öorfteHung!" SBeld^ brö^nenbeS ©eläd^ter »eet^oöenS, toürbe 
er bie ® eifteSfräm^jf e feiner Jf ommentatoren erlebt l^aben ! S)ie 
33 Variationen finb un» übrigen^ mcrtoürbig nid^t bIo§ 



248 €b. f?ansIicF. 

burd^ bic ööttig neue, unerl^ört freie Sluffaffung ber SSaria- 
tionenform, fonbem aufeerbem hwci) ifire ftarfc Sintüirfung 
auf bie fölaöicrtoerf e öon ©d^umann unb 93ral^m§. SKand^e öon 
ben gel^eimnifeöott berüdfenbcn Slängen in ©d^u inann^ 
jugenbüd^en KonUJofitionen ^ören mir l^ier fd^on anfüngen; 
am auffattenbften in ber 20. SJariation. Stuf 93ral^m§' 
(Snttoidflung nal^men offenbar ©d^umann unb ber lefete öeet- 
l^oöen ben entf^eibenbften ©inftu^. 2ln iencm berauf^ten 
il^n bie neuen fölaüiereff ef te , bie m^fteriöfen fflönge, bie 
SSottgriff igleit ; öon biefcm überfam er bie SSorüebe für Ut 
SSariation im meiteften ©inn, bie aufeerorbentlid^e Sütte 
unb SSietfeitigfeit in ber SSeränbcrungSfunft, 93ra^m§' erfte 
5ßeriobe tüeift ficben rafd^ aufeianberfotgenbe ^efte ®Iaöier= 
Variationen auf, tüeld^e ol^ne ben SSorgang öon Seetl^oöen^ 
„Sreiunbbreifeig" unbenfbar ftnb. 



(&tJms$kM^ltx. 



3n ber ?ßarifer D^3er l^atte fid^ 1781 ein Heiner ©fanbaf 
ereignet. @^ tonxit 5ßiccinni§ neue D^jer „Iphigenie en 
Tauride" gegeben. ®cmoifette Sa®uerre, bie S)arftetterin 
ber SitelroIIc, mar fo ftarf angefieitert auf bie Sül^ne ge== 
fommen, ba^ fte meber gelten noc§ ftel^en fonnte unb fort= 
mäl^renb üon ben fräftigen 5ßriefterinnen ber ^iana geftüfet 
merben mufete. Irofebcm öermod^te fie, nad^bem fte in ben 
3mifd^ena!ten ben Äo<)f in !alte§ SSSaffer getaud^t, il^re 5ßartie 
fel^terfrei ju @nbe ju fingen, aber mit matter, Reiferer 



lUarie van gaiibt. 249 

©timme, unbctücglid^, fafeeniömmerüd^. SRan bi§!uHrtc toäfirenb 
ber gonjen SSorftettung nur über bic Icid^tfinnigc „Iphigenie 
en Champagne", toit ia§^ bli^fd)nett öerbreitcte öonmot 
lautete, unb l^örte gor nid^t auf bie SÄufif. ^ßiccini mar in 
SSerjmeiffuttg. Slber bie E^am^^agner = 3^)l^igenie tarn anä) 
nic^t ungeftraft baüon. 2luf Sefel^I beS fi'önigg fül^rte man 
jte in ba§ ©cfängnife gort V(BHcc\nt, au§ bem fie ^mei Soge 
fpäter auf bie Sü^ne e§fortirt jpurbe, um bie Partie nüchtern 
ju tüieberl^olen. 3wnt ®IM mar fie mi^ig genug, um bie 
erften SBorte il^rer Stoße ju i^rem SSortl^eit au§junu|en. 

„0 jour fatal, que je voulais en vain — Ne pas compter 
parmi ceux de ma vie!" begann fie mit einem fo rül^renben 
SluSbrudE bußfertiger SReuc, baß baö gan^e $ubli!um in lauten 
8(^)<}Iau§ auSbrad^. Sie toar gerettet. Slm ©d^Iuffe be§ erften 
Slftg tt)urbe ber S)emoifeHe Sa ®uerre berfünbet, ba§ fie 
tt»ieber in greifieit gefegt fei. ©ie fang loie ein @ngel, unb 
$iccinni§ Dptx ma6)tt gurore. 

gaft biefelbe ©efd^id^te, nur mit einem anbern Schluß, 
l^at ficti ^unbert ^al^re \p'ättx in ber 5ßarifer DperaSomique 
mieber^olt. Sine l^oc^betiebte junge ffünftlerin, SKarie üan 
Sanbt, fang bie Siofine im „Sarbier öon ©ebiöa" — ober 
rid^tiger; mottte fie fingen, ©rl^ifet, fd^tnonfenb unb öertuirrt 
betrot fie bie 93ül^ne, öerfefilte bie Sinföfee unb fang unju- 
fammenl^ängenbeS S^wg- ®ö§ ^ubtifum brad^ in laute ©nt- 
rüftung au§ unb ließ bie arme 3tofine nid^t meiter fingen, 
greilid^ erflärte SRabemoifette öan 3^iii>t %aQ^ barauf in ben 
Sournalen, fie fei nid^t öon K^am^jogner, fonbern nur öon 
einer ju ftarfen ®ofi§ SKorp^in hticLubt gemefen, unb ba mir 
im Steifet un^ jeberjeit ber milberen 2lu§Iegung anfd^Iießen, 
glauben mir i^r gerne auf§ SBort. Slttein bie $arifer moHten 
nid^t glauben, unb SRorie öan S^nbt erfd^ien nie mieber in 
ber Opexa Somique, bereu Stern fie big ju jenem Slbenb 



250 <H^. f^ansIicF. 

getDcfen. SBie öicl öerföl^nlid^er unb gemüt^üd^er tüar bod^ 
ba§ franjöfifd^e 5ßublifum be§ ac^tjel^ntcn Sö^r^unbcrt§! @§ 
na^m bic ou§ bem ©cfängnife gcl^olte ©ängerin fofort in 
®naben tüiebcr auf, tüä^renb ba^ l^eutige ^^Jort§ jene fatale 
@ccue nie lieber öergiel^en unb fid^ felbft feiner onntutl^igften 
lifünftlerin beraubt l^at. SBie aber jebeS Urtl^eil aud^ fein 
®ute» nad^jufd^Ie<)pen l^ffegt, fo l^at ba§ ern^al^nte äRifegefd^itf 
bem gräutein t)an 3onbt fd^neß bie allgemeine Slufmerffam- 
feit jugetüenbet. ©liebem nur in 5ßari§ gefeiert, erregt fie 
je^t aU intereffante Stotabilität überoß bie begierigfte ®r= 
hjartung. ©o aud^ bei nn^, im großen SUiuftfdereinäfaal, n)o 
fid^ bie vielgenannte ®ame afö ©oncertfängerin l^ören liefe. 
©ie begann mit einem SRecitatiö unb @tro^)!^enIieb au§ 3)e=^ 
übe§' D^jer „Lakme", eine 'SSa^l, bie mel^r ber Sängerin, 
aU bem ©omponiften 5um SSortl^eit gebie^. Sine geläufig 
perlenbe Seilte, n^eld^e bie l^öd^ften löne mit Seid^tigfeit an- 
fdfjlägt, Vermag bamit ju gfänsen; bie Kompofition felbft be^ 
rü^rt faft unangenehm burd^ bie raffinirte ©raufamfeit, mo^ 
mit fie un§ in bie öerjtpidften SR^tjtl^men, bie wiberl^aarigen 
Intonationen unb bie jammernben SSofafifen orientalifd^er 
SDtefobif derftridft. ^n ber D^jer felbft — fie f^jielt in bem 
I)eutigen S^bien — entbehrt biefeS „Air de clochettes", mie 
eg toegen ber geftimmten ©lödfd^en benannt n)irb, feine^meg^ 
ber bramatifd^en SKotiüirung. 2luf SSefel^I il^reö SSater^, 
eine^ fanatifd^en 95ra^minen unb Sobfeinbe^ ber ©nglönber, 
mufe bie fd^öne Safme bei einem SSoIf^fefte auf offenem 
SKarfte 'oa§> Sieb fingen, bamit burd^ i^re ©timme ber eng- 
lifd^e Dffijier ©eralb l^erbeigelodtt toerbe unb itn S5ral)minen 
in bie §änbe faKe. S)ie ©ituation geftattet ber ©öngerin, 
in jene abenteuerlid^en Koloraturen bramatifd^e^ Seben, 
ined^felnben Slu^brudf ju bringen; Safme fingt immer leiben* 
fd^aftlid^er, immer t)er§n)eifelter, je mel^r ber l^eimlic^ (Seliebte 



HTaric van ganbt. 251 

• 

fid^ i^x nafjtxt — i^r unb bem fi^ern Untergang! gräniein 
t)an 3<^tibt, meldte befanntü^ bie ?Rottc ber ßafnte mit 
an^erorbentlid^em @Iürf freirt tjat, ift in bicfer gcfonglid^ tt)ie 
f^anf)3ielerifcl^ gteid^ fd^wierigen ©cene am meiften betüunbert 
tüorben. 9Kan mer!t e§ i^r oud^ im Koncertfaal iin, ba§ i£)re 
eigcntüdbe ®omane ba» 2^1^eater unb ba§ il^r grajiög be- 
n)eglid^e§ @))iel öon i^rem ©efang un^erttennüd^ fei. SBir 
fennen fic alfo nur t|a(b. ^i^vt Stimme, ein jarter @o))ran, 
ber mü^elog ba§ l^o^e d, es, fogar e anfdilägt unb rein feft= 
^äft, tt)ir!t burd§ grofee Siegfamfeit unb ©eläufigfeit. Qn 
ben ^o^en ^o))ftönen Hingt bie Stimme reijenb, in ber 
SRittellage unb für getragenen ®efang t|at fie gu njenig JJüHe 
unb SBol^Haut, fogar einen teid|t näfeinben Seiflang. SBöl^' 
renb bie Sängerin in bem- t)aI§bredE|erifdE|en ®tödEd^enIieb ber 
Safme fid^ raufd^enben 93eifaH er^tpang, liefe il^r SSortrag 
be§ SKignon-Siebe^ öon 2lmbroife S^^oma^ falt. S)iefe ein= 
fadjen @tro^5^en tjerlangen, menn aud^ feine grofee, bod^ eine 
n^arme, ft)m^5atl^ifd^e Stimme, bie bei bem STuSrufe: „®a^in, 
ba^in!" frei au§ öoHer »ruft au^römt. 9Kit bem Sn^alt 
be§ Siebet öoHfommen öertraut, öerftanb mon baöon einzelne 
SBorte ; bie übrigen 9iummern liegen !aum errat^en, in tneld^er 
@))rad^e JJröuIein Dan S^nbt überl)au))t finge, fo unbeutli^ 
ift i^re 2lu§f^5rad^e. SBa§ für biefe Sängerin f^m^^atl^ifd^ 
einnimmt, ift gar nid^t il^re Stimme, öiel mel^r fdion il^re 
bebeutenbe, wenngteid^ nid|t boHenbete S^e^nif; am meiften 
aber ber grajiöfe unb geiftreid^e S^^t ber i^ren SSortrag tnie 
ein feiner ^arfüm burd^bringt. g^re Semegungen , i^r 
Säd^eln, it|r ©rüfeen — atteS ift öon üebenSmürbiger Slnmutl^ 
unb Sftobteffe. So intereffant gräulein öan S^ubt im Kon= 
cert aud^ mirfte, bebauern muffen mir bod^, bafe fie un^ nid^t 
lieber auf ber 93ü^ne, in einer i^rer ©lansrotten, entgegen- 
getreten ift. 



252 €». BansUa. 

• 

fKit nnQittobffnii^ct SiKmnimg f^at man boä ct^t Suf^ 
treten ber Sängerin 9Rarcei(a Sembric^ enooitet. Seit 
tttoa a^t ^a^ttn mxh ne in Sonbon, $ari^, ^eterSfotrg 
nnb Serün ai^ eine @efang^!ünfilerin erfien ätongeS ge- 
anriefen. Xad i\t fte onc^. 9tnr fyit äbereifrige ffttUamt ft^ 
nic^t begnügt, nne in ber Sembric^ einen Stern onsnfnnbigen, 
fte tytx^pxad^ gieic^ eine Sonne, üor ber oQe Sterne erbleichen. 
Xer ytad^ti^til folc^er Uebertreibungen bleibt niemals an§, 
nnb fo glaubte benn mancher 9Rufi!frennb, ber unter onberen 
S3orau§fe|ungen ba^ groge Zaient ber Sentbric^ freubig an- 
erfannt l^atte, i^r t^onoerfen gu muffen, ba^ fte gemiffe üir^ 
tuofe 3)etaite ber ^atti nic^t erreiche. 3^^ ber ^loratur ber 
^attt ift aUerbing^ jeber einzelne Zon noc^ feiner unb 
fc^ärfer ^erauSgcmeifeelt unb öor- aUeni ber Iritter in bem 
genaueren Äbftanbc beiber Sßotcn, in feiner @ldäfyüt unb 
Sc^neQigfeit weit DoQfomutener. S)ic Seuibric^ bleibt bem- 
ungeachtet eine groge @efang3lünftlerin, bie fogar titoa^ tyox 
ber je^igen 5ßatti öorau§ f)ai, bie jugenblic^ere grifd^e unb 
fitaft in ben (öon ber ^atti gegenwörtig forgfam öer= 
miebcncn) l^öc^ftcn löncu. SBir l^örten bie Sembric^ tokhex- 
f)oU ba§ breigeftri^ene Es frei unb fröftig anfd^Iageu, unb 
in ber jmeiteu Slrie ber Königin ber 9ta^t bie gefal^rlid^en 
<3tattato^ unb Iriolenfctten glönjenb bcttjältigcn. Sluf btefe§ 
SPunftftüdE legen toir fcineSmegS ben größten SBertl^; ni^t 
einmal auf ba§ brillante geucrtüerf, ba§ bie Sembrid^ in ber 
aSal^nfinnSfcene ber Sucia fo fiegreid^ lo^brannte. SBa§ il^r fo* 
fort unfere Sld^tung unb S^m^jat^ie ernjarb, mar im ®egcn* 
tf)eil eine gonj f^mudlofe ©antilenc : ba§ Slnbante, toelc^eS bie 
erfte Strie ber Slbira in ben „Puritanern" einleitet. S)a 
mirlte ber unbefd^reiblid^ fü&e, toeid^e Stiaug biefer ed^ten 
©o|)ranftimme im SSerein mit ber fd^önften lonbilbung unb 
DoHenbeten Slobleffe be§ SßortrageS bejaubernb. 9lu^ in ber, 



in, Sembvidf, paiiline £ucca. 253 



^eute titoa^ üerbla&ten 9(ric bcS @d^äfcr§ Slmtnto au§ SWo^ 
5art§ 3w9enbo))cr „II Eö pastore" erwie^ fid^ bie ©cmbvid^ 
ot§ gebiegcne äRojartfättgcrin. 2(u§ il^rent ©efang \pxi(i)t 
eine burd^au^ mufilalifd^e 9iotur. Slirgenb^ ein unfc^öne§ 
Uebertreiben, @c^Ie^)^5en ober 2^remoIiren — nirgenb§ eitle 
@ffe!t!^afc^eret unb bo^ überall ber getüiinfd^te ®ffe!t. Se^ 
!anntüd^ ^at bie ©entbridi aU SSioIinf))ieIerin cjcettirt, bcöor 
fie §um ®efang überging. Unb baö tt?irfte, ganj »ie einft 
iti K^riftine 9iitöfon, getoife fegen^reid^ auf bie fReinl^eit t^rer 
;3ntonation, auf bie feine (£mpfinbli^!eit il^re§ ®el^ör§. 

3n bem für ben „S)eutfd^en ^it^^t)txtin" öeran- 
ftalteten Koncert ^örten wir öon i^xan Routine Succa 
5um erften SRale ein gragment au§ 3W a f f e n e t ^ neuefter Dper 
„Le Cid« : bie ©ceue ®^intene§ ju Slnfang beg brüten 2lftg. 
©bimene überlädt fid^ barin ifjrem ©d^merj, öon bem 
OeUebten, ber ibr ben SSater getöbtet, auf emig getrennt gu 
fein. 9iad^ einem flangöott inftrumentirten Dr^efteröorfpiel, 
tt)orin bie Klarinette bie SKelobie öorauSnimmt, gelangen 
tvix §u einem furjen Slecitatiü unb bem Slriofo ©l^imene^ 
in H-moll: „Pleurez, pleurez mes yeux!** (£§ ift bie§ ein 
ftimmung§t)olIer , anfangt aud^ fdjlid^t melobiöfer ®efang, 
ber fid^ aber balb fteigcrt unb §u jenem f^arf beKamirenben, 
ejattirtcn ^jJatl^o^ aufftad^elt, an tüeld^cm n)ir bie neufran= 
^öftfd^e ©d^ute unb SKaffenet inSbefonbere erfennen. SSerftönb^ 
ni§ unb öoße SBirfung fann btefe Scene nur im B^^f^mmen* 
:^ang mit ber ^anblung, auf ber Sül^ne, ernjerben. Sie 
fRoHe ber ®t|imene bürf te ber Succa einen neuen lol^nenben 
@))ietraum für i^r eminent bramatifd^eS S^alent eröffnen. 
SSon btefer fpecieHen Begabung ber Äünftlertn ^at felbft i^r 
©oncertbortrag eine glängenbe $robe geliefert. ^tbt§> SBort 
ber troftlofen Ktiimene mar fo einbringlid^ accentuirt, jebe 



252 €t>, f^anslirf. 

• 

ÜRit ungctüöfinlid^cr 8^)annung I)at man ba§ erftc Sluf== 
treten ber ©öngerin aRarcella ©embrid^ crtoartet. Seit 
etnja a^t ^aljxm it)irb fie in Sonbon, 5|5ari§, Petersburg 
unb 93erlin aU eine ©efangäfunftlerin erften 3tonge§ ge* 
))riefen. S)a§ ift jie auc^. Slur l^at übereifrige 9lefIome fid^ 
nid^t begnügt, un§ in ber ©embric^ einen Stern anäufünbigen, 
fie i)tx^pxaä) gleich eine ©onne, öor ber alle Sterne erbleid^en. 
S)er Sla^tl^eil fofd^er Uebertreibungen bleibt nientafö auS, 
unb fo glaubte benn mand^er SKufiffreunb, ber unter anbercn 
SSorauSfe^ungen ia^ grojse S^afent ber ©embrid^ freubig an- 
erfannt l^ötte, il^r öornjerfen gu muffen, ha^ fie gen^iffe öir== 
tuofe ®etaife ber ^atti nid^t erreid^e. 3n ber Koloratur ber 
^atti ift aHerbingä jeber einzelne Ion nod^ feiner unb 
fc^ärfer l^erauSgemeifeelt unb öor- allem ber 2riIIer in bem 
genaueften Slbftanbe beiber 9toten, in feiner ©leid^iieit unb 
©d^nettigfeit tt)eit öoHfommener. S)ie ©embric^ bleibt bem* 
ungead^tet eine gro^e @efang§!ünftlerin, bie fogar ettnaS t>or 
ber je^igen ^atti öorauS ^at, bie jugenblid^ere grifd^e unb 
ffiraft in ben (öon ber $atti gegenwärtig forgfam öer* 
miebenen) l^öd^ften Ionen. SBir tjörten bie ©embrid^ toitbtx- 
^olt ha^ breigeftrid^ene Es frei unb fräftig anfd^Iagen, unb 
in ber jweiten SIrie ber S'önigin ber Stad^t bie gefäl^rlid^en 
©taffatoS unb Iriolenfetten glönaenb benjöltigen. 2Iuf biefcS 
ÄunftftüdE legen wir feineSWegS ben größten SBcrt^; ni^t 
einmal auf ha§> brillante JJeuerwerf, ba§ bie ©embrid^ in ber 
SQäal^nfinnSfcene ber ßucia fo fiegreid^ loSbrannte. SBaS il^r fo- 
fort unfere Std^tung unb ©^m))at^ie erwarb, war im ®egen^ 
tl^eil eine ganj f^mudlofe Kantilene : ba§ Slnbante, welches bie 
crfte Slrie ber ©löira in ben „Puritanern" einleitet. Da 
Wirfte ber unbefd^reibfid^ fuße, weid^e Slang biefer ed^ten 
©opranftimme im SSerein mit ber fd^önften lonbilbung unb 
DoHenbeten Slobleffe be§ SSortrageS bejaubernb. 2lud^ in ber, 



in. Scmbrtd?, paiiKne £ucca. 253 

l^eutc ütoa^ öerblafeten 9(rtc beS Sd^äfcrö Slntinto au§ 3)?o= 
5artg ;3ugenbo))cr „II R§ pastore" ertötet fid^ bic Scmbrid^ 
ofö gebiegcne äRogartfängerin. Slug tl^rcnt ©efang \pxi(i)i 
eine burd^au^ mujilalifci^e Sftatur. 3lirgenb§ ein unjd^öne^ 
Uebertreiben, ©^Ie<j^)en ober 2^rentoItren — ntrgenb§ eitle 
©ffeftl^afd^crei unb bod^ überall ber gctoünjd^te ®ffe!t. Se- 
!anntttd^ tiat bie ©embrtd^ atö SSioIinf^^ielerin ejceHirt, bcöor 
fic §um ®efang überging. Unb ba§ tt?trfte, ganj »ie einft 
bei e^riftine 5Ritöfon, getoife fcgen^rei^ auf bie fRein^eit t^rer 
Intonation, auf bie feine (£ntpfinblid^!eit it|re§ ®e^ör§. 

3n bem für ben „S)eutfdöen §ilf§öerctn" öeran=^ 
ftalteten Koncert ^örten tvxx öon grau $auUne Succa 
5um erften SRale eingragment au^äWaff enet^ neuefter Dper 
„Le Cid« : bie Scene Sl^imcne§ ju Slnfang be^ britten 9lft§. 
©bimene überlädt fi^ barin ifjrem @d)merä, öon bem 
OeUebten, ber ibr ben SSater getöbtet, auf en)ig getrennt gu 
fein. 9iad^ einem Hangöott inftrumentirten Drd^efteröorfpiel, 
n)orin hk S'Iarinette bie SKelobie tiorauSnimmt , gelangen 
tt)ir ju einem !ur§en Slecitatiü unb bem Slriofo ©l^imene^ 
in H-moll: „Pleurez, pleurez mes yeux!" @§ ift bie§ ein 
ftimmung^öoller , anfangt aud^ fdjlid^t melobiöfer ©efang, 
ber fid^ aber balb fteigert unb §u jenem f^arf beflamirenben, 
ejaltirten ^ßatl^oS aufftad^elt, an toeld^em toir bie neufran= 
^öftfd^e ©d^ule unb 3Koffenet in^befonbere erfennen. SSerftönb* 
nife unb öoße SBirfung !ann biefe ©cene nur im B^^f^mmen- 
!^ang mit ber ^anblung, auf ber Sül^ne, ertnerben. Sie 
fRoHe ber K^imene bürfte ber Succa einen neuen lol^nenben 
@))ietraum für i^r eminent bramatifd^eS S^alent eröffnen. 
SSon biefer f))ecietten Begabung ber Äünftlerin t)at felbft i^r 
©oncertöortrag eine glänjenbe ^robe geliefert. 3cbe§ SBort 
ber trofttofen ©^imene tnar fo einbringlid^ accentuirt, jebe 



254 €b. fjansltrf. 

^^rafe fo leibcnfd^oftUd^ geförbt, ba§ bie 3uf|örer, obglcid^ 
üon jebem SBcrftönbitife bc§ ^uf^mmentiangö abgefd&nittcn, 
jic^ einer tiefen S5cn)egung nic^t emel^ren tonnten. 2)ie 
Senbeng, öor allem bramotifc^ gu mirfcn, wirb augerl^alb 
ber D^5er leidet gefä^rlidö. Sie mirft ein fd^ielenbcS ßic^t 
auf ^xan SuccaS SieberDorträge, Wie ^um a3eif^)iel be§ 
„SSeilc^en^" öon Sölosart. S)ie ©tro^)^en be§ befd^eibenften 
93Iümd^en§ erfüllt grau Succa mit einem fd^merälid^cn ^ßatl^oS, 
ha^ Weit über ben !teinen ©toff, weit über ben 8til be§ 
Siebet ^inauSgreift. So fingt fein SScild^en, fo ftirbt fein 
aSeild^en, nid^t einmal eine 2t(oe. ©odte biefer üersweifcinbc 
Ion bennod^ bere^tigt erfc^einen, bann müßte er in ben 
©d^Iußworten wenigftenS üagenb nad^tönen. grau Succa 
laßt aber biefe ed^t wienerifd^en ©d^lufeworte ,/§> war ein 
^erjig'g Seilten" — äRojart f)ai fie eigenmä^tig bem 
©oet^efc^en ®ebid^t angeflidEt — mit fütiler 9lbftd^tlic^= 
feit, faft gfeidögiltig abfallen. Slud^ ^err 91 e i d^ m a n n , 
unfer gefeierter D))ernbariton , ift fein echter Sieberfönger. 
®r fc^äbigt ben günftigen SinbrudE, beffen feine flangüotte 
Stimme, beutüd^e 8tugf))rad^e unb warme ©m^^finbung überall 
fidler ftnb, burd& ein Uebermaß öon t^eatraüfd^er @entimen= 
talität. SBenn lefetere fd^on mand^e feiner I^rifd^en Dptxn^ 
^5artien trübt, Wie ben SBoIfram, ber im ©ängerfrieg fi^ öor 
$er5We^ gar nid^t ju faffen weife, fo wirft fie nod^ befrembenber 
im Siebe. §err Sleid^mann fingt ©d^umannS „S)u bift wie eine 
Slume", ein ^einefc^eS, alfo nic^t fel^r tiefgefühlte^ ©egenö^ 
Wort, mit bem SIuSbrudE einer ftd^ öerblutenben S^roftlofigfeit. 
3n fofc^em 2:on fönnte etwa SuciaS ©bgar, ba§ SReffer im 
Seibe, ber SBelt Slbieu fagen. 2tu^ in Söwe§ SaHabc 
„Sbwarb", bie fel^r gut angefangen war, glaubte ^err 
SReid^mann jebe folgenbe @tro))^e immer t^eatraüfd^er auf- 



Hcid^mann. 255 

blafen ju muffen. S)a beritten fic^ bie Slnttüorten ©btüarbS 
„äRcin .§au§ unb ^of", bann „Safe fte betteln gel^n" 511 
einer tragifd^en Ueberf d^njönglic^f eit , bie ^öd^ften^ auf ber 
93ü^ne in einem njirflid^en 3)uett jnjif^en äKutter unb @o^n 
fic^ motiöiren liefee. ^m SSortrog einer SJadabe, felbft einer 
bialogifd^ abgefaßten, barf ber epifd^e ©runbton niemals bi§ 
auf bie le^te Spux öerloren ge^en. 



I88S. 

(dttoertüre von 3oa($tttt, %mU von ^rieg. 

®ie 6eiben Drd^cfternoöitöten, mit töel^en ^offa))ettmeifter 
$onn§ Slid^ter un§ üBerrafd^t l^at, bebeuten ^ulbigungen für 
jtüei S)ic^ter. S)ie erfte, eine Dut)crtürc öon Qoa^im, tft 
bem SIttbenfen ^einrid^ ö. ^Ieift§, bie onbere, eine „Suite 
im alten Stil" öon ©rieg, bem 2tnbenfen ^olbergS ge- 
mibmet. SBer nid^t in fe^r finblid^en SSorfteHungen über bie 
SlugbrudfSfäl^igfeit ber Sttftrumentalmufif befangen ift, ber 
toirb öon feinem biefer beiben Drd^efterftüdfe eine povtväU 
getreue ©d^ilberung be^ betreffenben $octen ernjarten. SBeber 
^oad^im nod^ @rieg ^aben je öermeint, irgenb ein SKenfd^, 
mit bem 2itel biefer SWufifftürfe unbefannt, fönnte beim Sfn- 
l^ören juft auf fi'feift ober auf ^olberg verfallen. 3)er 2^on= 
bid^ter giebt un§ ^ier glei^fam ^Wd öerf^iebene JJäben in 
bie |)anb, bie ©om^jofition unb ben S^itel — biefe fotten n^ir 
im ©eifte mit einanber öerfnii))fen. 3)ie ^ß^antäfie be§ einen 
|)örer§ njirb fid^ babei tniHfafiriger, gef^äftiger jeigen, al§ 
bie eines anbern. 3lur wenn voix gar feinen SSereinigungS- 
punft für biefe beiben gäben entbeden, gar feine innere S5er= 
manbtfc^aft jnjifd^en bem SRufifftüdE unb feinem Jitel, bann 



OuDertüre von 3oad^tm, Suite von (Srie^. 257 

toerbcn toix fagcn fönncn, ber ©on^jornft f)at einen SRijjgriff 
getl^an. S)ie§ ift »eber ^oad^im nod^ ©rieg tt)tbcrfa]^ren. 
3)oc^ fd^eint unö legieret glüdKic^ct getoefen ju fein in ber 
Sln|)affung feiner SKuft! an bcn gegebenen Stoff: „Stn^ $ot 
berg§ Seit", ^m So^re 1884 njaren eä jtoeil^nnbert So^re 
feit ber ®eburt Snbmig ^olbergS, beS beften unb erften 
Suftf|)ielbid^ter^ S)anentarIS. 5Rietö @abe feierte biefeä 
Snbilänm mit einer Drd^efter-Snite „Holbergiana«, ©bn^arb 
@rieg mit ber ©uite für ©treid^inftrumente. ©ine feine, 
geiftreid^e 9(rbeit, anf^jru^Slofer nnb njeniger ejotifdö, crfö e^ 
bie ®om))ofitionen biefeS 3lom)eger§ §n fein iJflegen. S)a§ 
Stltert^ümlid^e erf^eint in ben formen, SRl^^tl^men, SSer^ 
jierungen gefd^idft getroffen unb bod^ mit mobernem ®eift 
crfüHt. 3leijenb ift ba§ „Air" in G^-moU mit feiner toeid^en, 
leidet getröfteten ®ä)totxmuti), öod lebenbigen §umor§ baS 
bie Suite effeftöott abfd^Iiejsenbe lanjftüdE „ßigaudon". ^n 
einem tjortrefflic^en ®ffa^ fagt ®eorg S5ranbeS öon ^olberg: 
„SBoS er aud^ l^eröorbringt, er nimmt aHe§ üon ber luftigen 
Seite. §ier lommt feiten eine anbere Stimmung afö bie 
be§ guten ^umor§ pm SSorfd^ein, anwerft feiten ein 8ug üon 
SBel^mutl^, nur ein einjigeS SRal ein Slnftrid^ üom SRül^renben.'' 
Sin biefe Kliarolteriftil ^olberg^ badeten n)ir bei ber Suite 
t)on ©rieg, bie gleid^faüS ba§ Seben leidet nimmt nnb un^ 
ia§f ®eniej5en leidet mad^t. ^oad^im^ Duüertüre ift eine 
ernftere, fc^n^erer toiegenbe Slrbeit, bod^ birgt fie toenig, tt)a§ 
uns nötl^igen lönnte, fie unter bem @influ§ üon §einric^ 
t). ffileift ju benfen. SSon biefem lebt nur ber grübeinbe, 
meland^olifd^e gug in Soad^imS Dut>ertüre, bie in i^rer trüben, 
ujeid^en Stimmung an Sd^umann, nomentlid^ ftar! on beffen 
©enoöefa-Duöertüre erinnert. SEBir üermiffen einen öiel ent= 
fc^eibenberen Sw* ^^^ leibenfd^aftlic^ Äufflammenbe, ®e= 
tüaltige, \a ®etöaltfame, baS ffileift« SBefen fennjeid^net unb 

(Sb. $an§(id, 9lue bem Xage^uc^ eines fßlufxUxS. 17 



258 <2b. BfansM. 

feine Did^tungen prägt. Slbgefel^en öon ber poctifd^en lieber- 
einftimmung — meiere, wie gefagt, ebenfofel^r in bem guten 
SBiHcn unferer eigenen $^antafte, aU in ber Partitur felbft 
liegt — ift 3oac^im§ Äleift-Duüertüre ein ebel gebac^tc^, mit 
tüchtiger S'unft au^gefül^rteS lonftüd, tt)ie beren l^eute nid^t 
adjuöiele auf ben 9Karft fommcn. 



2Scrrt05' Kuvertüre ^u „^cnvenuto (EeCTtni*'. 

@in lonftüdE, ju beffen Settjunberung unfere ©oncertbiri- 
genten un<^ feit einem SSiertelja^r^unbert ju erjielien bemül^t 
finb. 2^ro§bem fd^eint ha^ 5ßublifum bem S)inge nod^ immer 
mel^r öerblüfft atö erbaut gegenüberjuftel^en. SBa^ mid^ be= 
trifft, fo t|at f^on ju einer Seit, ba ic^ ber SRufif unb ber 
feffeinben $erfönli^!eit ^eltor 93erIio§^ nä^er geftanben, mir 
bie Sefanntf^aft feiner üier Duöertüren §u „©eßini", ben 
„SSe^mrid^tern", ,,2Bott)erIe^" unb bem „Korfar" eine bittere 
©nttaufd^ung bereitet. Unb biefe ©nttäufd^ung fteigert fid^ 
faft jum SBibernjiHen mit jeber neuen Sluffü^rung biefer 
SBerle. Sie finb erqualt, ftilto^, unmufüalifd^; in ifiren 
©efangftellen triöial unb abftrug in il^ren S)urd^fü]^rungen. 
S)e^ Komponiften ber ,,5ee 3Rab" unb ber „Siebe^fcene" 
fd^einen fie mir unmürbig. S)ie Duöertüre ju „Sönig Sear" 
padEt uns bod^ ftettennjeife burd^ il^r ftar!eS ^atl^oS unb läßt 
un§ obenbrein bie JJrei^eit, ob tüir ba§ SSerftörte barin auf 
SRed^nung beS ffönig§ Sear ober beS Sonbid^terS fteden 
tooHen. S)ie Dubertüre §um „SRömifd^en iSarneöar' toirft 
burd^ i^ren feftlid^en ®Ian§ unb eine aufgeregte, aber nid^t 
unnatürliche ^Jröl^Iic^feit. ©igent^ümlic^ unb pifant, toic 
aHe§ Don Serlio^, ift aud^ bie KeÖini*Dut)ertüre, aber eS 



53erlt03' CDuocrtüre 3U „Benoenuto (tcllini". 259 

fel^It i^r fc^Iec^terbhtgö bie mufifaüfd^e ©eetc. SBenn man 

bic langfame (Sinleitung ^'6xt mit il^rer flägli^en mdobifd)ett 

Slrmut^ unb ^armonifd^en Ungefd^idEIic^feit unb bonn ben 

aufeer dtanb unb Sonb fal^rcnben ®ä)lu^\pdiaM, fo möd^te 

man bo§ einem Stnfänger jnfd^reiBen. Sa felbft Serlioj' 

glänjenbfte ©pecialität, feine S^ftrumentirung, glau6t man 

^ier nod^ in ben SBinbcIn ju fe^en, fd^medtcn nid^t lieber 

anbete ©teilen nod^ ber Ucberreijung blafirten Sllter^. SBenn 

t)on manchen Seiten htf)anpkt toirb, erft bie 8u!unft njerbe 

biefer unb ben früher genannten Dubertiiren ben öerbienten 

S^riumpl^ bringen, fo möd^te id) elier baS ©egentl^eil öer- 

mutzen; il^re 3^^^ f^eint mir bereits öorüber. gu ®nbe 

ber ©reisiger* unb Slnfang ber SSierjiger-Sal^re ^at ber 

jüngere S^^eil be§ 5ßublifum§ unb ber ffritif fid^ baöon 

bfenben laffen. |)eute, Wo bie t>on 93erfio§ erfunbenen be* 

rürfenben Drc^eftereffefte fo öielfad^ narfigeal^mt, jum Steile 

aud^ fd^on überboten finb, erfennen mir — nid^t mel^r be- 

ftod^en öon ber garbe — ba§ unfäglid^ dürftige unb 

Silettantifd^e ber 3eid)nung. SDtänner öon feinfter mufif alifd^er 

Silbung unb @m))finbung, mie SRenbelSfo^n, ^aben bo§ 

freiließ fd^on in jüngeren Satiren auf ben erften S5IidE er^ 

fannt. ^n einem ©rief an feinen JJreunb 3gna§ SRofd^eleS 

f^reibt aRenbeföfotin im ^a^re 1834 : „SBa§ bu öon »erlios^ 

Duöertüre fdireibft (Les francs-juges), ift mir red^t au§ ber 

Seele gefprod^en; eS ift ein n^üfteS, ^^rofaifd^eS Stüdf, unb 

bod^ nod^ eines feiner menfc^Iid^eren. 3Rir !ommt eS immer 

öor, aU müjste iä) auS bem gauft babei fingen: Sie !am 

oor Slngft am listen 2^ag ber ffü^e angelaufen, jernagt, 

jerfra^t baS ganjc ^auS, h)oHt nid^tS i^r SBüt^en nüfeen ; fie 

ful^r ^erum, fie ful^r l^erauS unb foff auS aßen ^fü^en. 

3)enn feine ^nftrumentirung ift fo entfefelid^ fd^mufeig unb 

burd^einanber gefd^miert, bafe man fid^ bie ginger n^afd^en 

17* 



260 <H^. ^ansM. 

mu6, tt)cnn man mal eine ?|5artitur öon il^m in ber ^onb ge^ 
l^abt l^at. Sa^^^ ift c§ bod^ fd^änblid^, feine SRuftf auö 
lanter 3Äorb, 3lotf) unb 3<iwtmer juf ammenjufefeett ; benn 
felbft tt)entt'^ gut märe, föme nid^tS SlnbereS barin öor, aU 
fold^e Atrocites. ®r f)at mxd) eigentfid^ }u oHererft red^t 
metand^olifd^ gemad^t, n^eil er fo Ilng unb talt unb |)affenb 
über alle anberen urt^eift, fo gänjlid^ vernünftig ift unb fo 
grenjenloS unbemünftige^ 8eug bei ftd^ gor nic^t bemerlt" 
Unb bei einer anbem ® elegen^eit : „S'önnte id^'§ nur »enigften^ 
apaxt finben ober gesagt ober fedE baS ganje SBefen; iii) 
finbe e^ Mojs Iangtt)eilig unb gebanfenloS." 



^mtxtiiu von ('ütf^ert ,,®mpf^<iks %pinntah'' »Ott %t %ae>ns. 

3n frül^erer B^it, toenn ber SSerfu^er an gefeierte Maöier- 
öirtuofen l^erantrat unb, fie §um ©om^joniren üerlodfenb, auf 
bie Sorbeerl^aine ÜRojartS unb Seetl^oüen^ beutete, ba |)ftegten 
jene Ferren feineSn^eg^ „Ap«^g® Satanas" ju rufen. Stber 
fie jogen bie SSerfud^ung gleid^fam ju fic^ l^erüber, ouf il^r 
eigenfte^ ©runbftüdE, unb com|)onirten befd^eibentlid^ Slaöier^ 
©tüben, D))ern<j]^antafien, 2:ran§ffri^)tionen. SHfo traten 
Dre^fc^odE Sl^alberg, Söller, SBittmerä, felbft Sifjt buri^ 
t)otte jtöonjig ^a^xt. Der junge b'SlIbert, ^eute »o^t 
ber gefeiertefte unb glän§enbfte ISIaöieröirtuofe , trad^tet, 
ungenügfam an biefem fRul^m, gleid^faßS nad^ ber l^öl^eren 
©eftung be§ fd^affenben Sonlünftler^ ; bod^ föfet er feini^m 
fo njittige^ unb banfbare^ Suftrument gönälid^ beifeite unb 
tt)enbet fid^ gleich an baS Dri^efter. auf eine @^m|)]^onie, 
bie toir mit mäßigem Vergnügen in Sonbon gel^ört, lä^t er 



(Duoertüre o. b'^llbert. „0mpl^ales Spinurab" o. St Saens. 261 

rafd^ eine grojsc Duöertürc folgen, beten SBirfung im testen 
,,^]^tI]^armonifc^en ©oncert" oud^ nid^t üiel berüdfcnber njor. 
Urf|)rünglid^ nannte fie ber ®om^)onift „S)ramotif d^e Duoertüre" ; 
jefet i)at er jie ,,Dut>crtäre ju ©rillparjcrS ©ft^er" 
umgetauft, ©ein erfter ®tnfaH njar ber Kügere. 3)o lonnte 
ftd^ ber ^örer afö öerfd^toiegeneg Sujet ein beliebige^ 
S)rama beuten — SBaßenftcin ober ®appi)Of ®gmont ober 
©oriolan — bie SRuft! pa^it jur Sftotl^ auf aUeS, unb ber 
®omt)onift behielt immer SRed^t. S^fet i)at er Unred^t, benn 
bie ouSbrüdEIic^e Sejiel^ung auf ®riÖ<jarjer§ „ßftl^er'' öer* 
mag !ein äßenfd^ l^erau^äufinben, unb bodi nötl^igt un§ b'SKbert 
§u biefcr Slnftrengung. @in Fragment »ie „Sft^er", baS 
nad^ ber finnigften, liebüd^ften ©jpofition au^gangSlog ai' 
brid^t unb unS mit einem großen gragegeid^en entläßt, er* 
giebt fid^ am tüenigften ber Umbi^tung in ein abgefd^IoffeneS 
großes Drd^efterftiidf. SQäiH b'SlIbert tttoa mit feinem trium* 
p^irenben ©d^Iuß, mit feinen Xromptim unb Raufen, ©edfen 
unb Triangeln ba§ ®rill))arjerfd^e Fragment auffegen unb 
crgänsen? S^tbre^en tt)xx un§ ni^t ben ®opf; t|at bod^ ber 
Eomponift, aU er bie Duoertüre fd^rieb, felber nid^t an 
(gftiier gebadet. S)a§ ©ntf^eibenbe für un§ bleibt, bafe bie 
Duüertüre, mit ober o^ne Stuffd^rift, atö mufüalifd^eS Äunft- 
njerf unbefriebigt lägt. S)ie SRotibe finb n^eber bebeutenb 
nod^ reijenb, nod^ originell; t^rer ©ntn^idEtung fel^tt bie 
organifd^e Iriebfraft, jene innere mufifalifd^e Stot^n^enbigfeit, 
tüeld^e uns uberjeugt unb mit fid^ fortreifet. S)ie 3Ket^obc 
b^SKbertS fd^medft nad^ JJIidEfd^neiberci: forttoä^renb n^irb ge- 
ftüdfeft, ein neuer Sa^j^jen aufgefegt, ein alter obgeriffen. 
Unrut|ige§ SEBed^feln ber S^em^ji, 2;aft' unb 2:onarten, con* 
traftirenbe ffilangeff ef te , boju einige (üielleid^t unbeft)u§te) 
SlnHänge on SBagner unb 93erfioä — ba§ bebeutet offenbar 
\)a§f „S)ramatifd^e" in biefem ©tüdEe. 9(n ber Dürftigfeit ber 



262 <£b. Qanslicf. 

gbeeti; an ber Stx\af)xtnf)tii ber Durd^fü^rung jd^eitcrn aber 
aU bie ©ffefte, fd^eitert bie große ted^nifd^e ©etDanbt^eit be§ 
©ontpottiften in Slebenbingen. SBa§ un§ an b'SlIbert^ 
Duöertüre (»ie aud^ an feiner @^m))]^onie) erfreulid^ auffiel, 
ift ein ernftere§ mufüalif^eS Seftreben, ein Sh ^on ©olibität 
im SSergtei^e ju anbeten jungen 9lbe))ten ber neueften ©d^ute, 
toeld^e fid^ berufen glauben, Serlioj, Sif jt unb SBagner „fort= 
jufefeen", b. ^. ol^ne bereu S^alent bie ©gtraöaganjen biefer 
2^onbi^ter nod^ §u überbieten. b^SKbert ge^t nid^t pxaf)tm^6) 
barauf au§, un§ burd^ UnerprteS nieberjunjerfen, unb fd^on 
biefer, l^eutjutage an einem Stt)anjigiäbrigenfeltene(£^arafterjug 
läßt un§ l^offen, er n^erbe un^ mit ber Qdi no^ utand^eä 
t>iel ©rfreulid^ere bringen. S)a§ ^ßublifum ließ bie ©ftl^er- 
Duöertüre fd^n^eigenb fallen, ermie^ fid^ aber befto freunb^ 
Ud^er gegen ba§ j|ebenfall§ reijenbere unb effeftDoHerc 
Drd^efterftüdE öon @aint*@aenS, „Le rouet d'Omphale*'. 
®§ ift ein au§erlefene§ ©tüdf lonmalerei, ein 2;rium))^ ber 
geiftreid^en, in 93erIio5^ ©d^ule l^erangebilbeten Dr^eftrirungS- 
fünft. @aint'@aen§ n^iH fi^ otterbing§ an biefem ßobe nid^t 
geniigen; er öerfid^ert in bem SSorttjort feiner Partitur, ia^ 
©pinnrab fei il^m nur „un prötexte** unb lebiglid^ njegen 
be§ 9il^^t^mu§ unb ber allgemeinen Haltung feiner ©om))o^ 
fition genjä^It. Seite 19 ber Partitur njerbe man ben an 
feinen SSanben öerjmeifelt jerrenben ^erfule^ unb Seite 32 
bie i^n öerfpottenbe Dmp^att leibhaft erlennen. Saffen töir 
un§, nac^ 93i§mardEg 3lat^, nid^t öerblüffen. S)a$ @))innrab 
mit feinem unöergleid^üd^ nad^gea^mten ©d^nurren ift Vit 
^auptfad^e in @aint'@aen<^' (Senrebilb unb Dmp^aU nur ber 
aSornjanb. SBenn ber ©omponift n^irflid^ bie I)öt|ere Slbfid^t 
öerfolgte, ein ©eelengemölbe §u liefern, fo ^at er fie nid^t er= 
reid^t. S)ie beiben öon i^m angeftrid^enen SenjeiäfteHen iiber^ 



£if3ts ^^Pogelprebigt bes l^eiltgctt frait3 v, 2Ifftft". 263 

jeugen unS am beftcn, bo§ mit bem ©tittftcl^en bc§ Spinn* 
rabcS il^m aud^ fofort ber gaben ausgebt. 



£ir5t$ ,ß0^etpuh\^t 5(5 Setfiden SFrana o. 5ip'S für ®r($eRer 

@ine innere Stotl^njenbigfeit fd^eint jid^ barin fortjuf|)innen, 
ba J3 $err äRottl inftrumentiren mufe, toaS 8 i U t für ÄIat)ier 
fe^te, unb $err Stifter auffül^ren muß, toa^ §err SKottl 
inftmmentirt l^at. SSom @tanb^)unfte ber |)]^iIl^armonifd^en 
©oncerte, ben mir nn8 gern etmaS l^öl^er benfen, l^atten toir 
aöe brei Seiftungen für überflüffig gel^alten. S)aS Sifjt 
eine 9SogeIgcäh)itf ^er = Stube für§ Slaöier fd^reibt unb fie 
feinem eben ernjorbenen Slbbemantel ju Stiren nad^ bem 
^eiligen Sranj ö. Slffifi tauft, fann niemanben ernftUd^ an- 
fechten. S)aS 3)ing ift überaus feid^t, mod^te aber, t>on einem 
Slbbe gef))ielt , ber jugleid^ ber erfte ffifaöieröirtuofe ber 
SBelt tüar, feinen ©ffeft gcmad^t l^aben. gür ein fold^e^ Stifts 
nad^troglid^ ein ganjeS Drd^efter in 93en)egung §u fe^en, baS 
fottte bo^ feinem emft^aften SRufiler einfallen. 3e größere 
ajlittel bafür aufgenjenbet njerben, befto finbif^er erfd^eint 
e§ un§. 3ö, ba^ SBiberfinnige biefer ganzen (£oncet)tion 
tritt burrf) ben Drd^efterprunl no^ auffaöenber ^eröor, afe 
in ßifjtS Driginol. 3^ f^nn mir ein l^übfd^eS ©enrebilb 
{tttoa öom ©d^n^inb) beuten, n^el^eS bie Segenbe bel^anbelt : 
ein öon grü^rotl^ beglönjter Sud^enioalb, barin ber el^mjürbige 
SRön^, umfd^n^irrt öon einer ©d^aar jut^unlid^er Söget, bie 
anfd^einenb feiner frommen Slnfprad^e taufd^en. S)ie reine 
Snftrumentatmufi! jebod^, bie Weber Söget nod^ äWönd^e 
maten fann, jeigt in fot^en SBagftüdEen nur i^re Stößen. 



264 <Sb. £jansltcf. 

^ttt äRottl l^anb^abt natürlid^ ben gattjen S(^^i^^(^pp(^^(i^ 
bcS Scrüoä == SBagncrfd^cn Drd^cfterä mit bcr Sid^cr^cit einc^ 
lofd^cnf^iclcrg. gWtcn* unb fflarinctt^SriCcr, baju flatternbe 
SSioün^offagen über einigen gerupften |)arfenfoitcn unb fum* 
ntcnben Srotfd^en — bog aHcg imitirt baS SJurd^einonber 
l)on SSogelftintmen fo gut, ald ed fid^ nur imitiren tö^t. 
816er gcrobc bicfer auftcrftc 3leoIi§ntug bcr Snftrumcntirung, 
toü(S)cx ber 9latur gaui^ nal^e ju fommen fd^eint unb il^r 
bod^ meUcnfcrn bleibt, ftöfet un^ ah. @g fommt jcbod^ nod^ 
beffer: auf ben ®pa^ folgt ber lieffinn, bie fßtoxal, ba^ 
SReligiöfe. Sie SSögel ftetten |)löfelid^ il^r ©oncert ein, unb 
ein ©olottjalbfiorn beginnt mittete eine§ graöitätifd^en 
SRecitotiög ben prebigenben ^eiligen öorjuftetten. 3Rit biefer 
SSenbung toixb bie ®efc^id^te fomifd^, unb n)irflid^ mifd^t fid^ 
in SKotttö aSogelgejnjitfd^er ein unterbrüdEte^ Jtid^ern ber 3U' 
l^örer, bo§ njol^I nur aus Slef^jeft für ben l^eiügen granj 
ö. äffifi nid^t jum SCu^brud^e fommt. S)urd^gefatten ift bie 
Meine SRenagerie bennod^. 



QSraSms' (Sottcert für M^ünt tttt5 ^iorottcelT, op. 102. 

Sofe^)^ 3oad^im, ber ©eigcriönig, unb ber jüngere, 
f aum geringere aSioIoncettüirtuofe Stöbert |)ougmonn ttjaren 
jur äfuSfül^rung biefeS SBerleg eigene üon 95erlin ^ierl^er- 
gereift unb f^ielten e^ mit jener fouüeränen Se^errfd^ung unb 
öottenbeten Sftobleffe, bie h)ir an i^nen ju benjunbern gewol^nt 
finb. ®om|)ofition unb SCu^fül^rung fanben aufeerorbentüd^en 
Seifatt. (£§ tl^ut mir leib genug, gefte^en ju muffen, bafe 
mir |)erfönlid^ bag S)o|)t)eIconcert feinen fo ^ol^en ©enufe ge* 
ttJä^rt ^at, ttjie bie früheren großen SBerfe üon Sra^mg. 



Sraljms' (Loncext für Pioliue unb Diolonccll. 265 

©cbcnfc ic^ feiner @i)mp]§onien, feiner beiben Slaöierconcerte, 
feiner ^amntermufifen, fo öermag id^ j|ene§ nid^t in bie erfte 
Sleil^e öon Sral^m^' ©d^ö^fungen ju ftetten. ©d^on bie 
©attung f)at t)on ^au^ au§ etn)ag 93ebenf(ic6e§. ®o ein 
S)oi(jpetconcert gleid^t einem 2)roma, ba^ anstatt eines gelben 
beren s^ei befifet, tozti)t, unferc gleiche Il^eilnal^me unb S5e^ 
n)unbcrung anf^)rcd^enb, einanber nur im SBege ftel^cn. SBenn 
man aber öon einer SÄufifform behaupten barf, bafe fie auf 
ber Uebermad^t eines fiegreid^en |)elben berul^t, fo ift'S baS 
©oncert. ^aben tt)ir nid^t etnjaS Slel^nUc^eS in ber 3RaIerei ? 
®ie Äünftter njel^ren fid^ gegen S)o|)^)eIporträtS, mögen nid^t 
gern SÄann unb fjrau auf (Siner Seinnjanb öeren)igen. ®Ieid^e 
Snftrumente (jnjei aSioUnen, jnjei Sfaüiere) fügen fid^, njie 
bie altere äRufüIiteratur unS ^eigt, fd^on leidster ju einem 
©oncert, als jtoei ^riuäipalftimmen t)on fo tjerfd^iebener Xon- 
l^ö^e, tt)ie SSiotine unb SSiotonceH. 3ft bereits gegen baS 
SJioIinconcert t)on 93ra]^mS bie 95emerfung gefaCen, eS fei 
barin ber ©ologeige nid^t bie i^r jufommenbe ^errfd^er* 
ftettung eingeräumt, fo tjerfd^ärft fid^ nod^ biefer (Sinnjanb 
gegen baS 2)o^)petconcert, njorin beibe ©oloinftrumente nid^t 
bIo§ t)om Drd^efter, fonbern obenbrein t)on einanber in ben 
®i)atkn gebrängt werben. S)aS SJioIoncett ift gegen bie 
aSiotine mit einiger SSorUebc bebad^t; bod^ fc^cinen mir l^ier 
bem Snftrumente S)inge jugemutl^et, bie t)on SSirtuofen ^toax 
auSfül^rbar, aber nid^t in ber eigenften SRatur beS S^ftru- 
menteS gelegen finb. S)ic ©oloöioline njirb gleid^ im erften 
@a^ t)on ben breifad^ getfieilten ©eigen beS Drd^cfterS, njeld^e 
n)ie geuergarben bie Suft burc^fc^neiben, tjerbunfett. Seibe 
©ofiften l^aben feine entfd^eibenbe, fül^renbe SRotte in biefer 
ganj f^m^l^oniftifd^ bezauberten ®om^)ofition; nur feiten 
fd^njingen fie fid^ für längere Sdi fiegreic^ über bie möd^tigc 
Drd^efterflutl^, in n)eld^e fie alSbalb njieber untertaud^en. @o 



266 €b. ?iansüd, 

gleid^t ba§ S)o^)petconccrt mel^r einer ©^mpl^onie, tpeld^c üon 
einer ®cige unb einem SSiotonceö mit feinem ^affagentpcrf 
au^gefd^mücft \oxxh. Um ein bebeutenbeS Sunftn)er! finb njtr 
jebenfaö^ reid^er, ba§ tjerftel^t \xä) bei Sral^mS üon jelbft. 
3)iefe§ SPunftn)erf bünft mir jebod^ mel^r bie fjrud^t eineö 
großen combinatorifd^en SSerftanbeS ju fein, aU eine unn)iber= 
ftel^Iid^e ©ingebung fd^öpferifd^er ^l^antafie nnb @m^)finbnng. 
aSir öermiffen baran bie fjrifd^e unb Urf|)rüngfid^feit ber 
©rfinbung, ben metobifd^en nnb rl^^tl^mifd^en Sanier. S33ic 
geiftreid^ 93ra^m§ jebeS SWotit) ju tücnben, gu tjariiren, au»- 
^nnu^en üerftel^t, ift befannt; aud^ in feinem S)o|)peIconcert 
ben)unbern n)ir bie ©unft ber 2)urd^fü^rung. Slttein ba§, 
toa§> bnrd^gefütirt n)irb, ber tl^ematifd^c ©toff, fd^eint mir für 
ein fo großem S58er! nid^t bebeutenb genug, ©o empfangen 
toit benn nad^gerabe ben ©inbrudf eines S^eaterftüdEeS, in 
njeld^em atte ^erfonen fel^r gefd^eit unb geiftreid^ \pxe6)m, 
voo e§ aber ju feiner ^anblung lommen n)itt. 3)ie§ gilt üor- 
netimüd) öon ben beiben äußeren ©ä^en. S)er erfte ©afe, 
ber funftreid^fte tjon aßen, !ommt an^ ber ^alb tro^igen, 
l^otb gcbrüdften Stimmung unb au§ ber A-moll-Ionart nid^t 
l^inauS. 5)urd^ feine Dielen SSor^älte, ©^nfopen unb rl^^t^- 
mifd^en SRüdEungen, feine übermäßigen unb tjerminberten 
^ntertjalle brid^t nur feiten ba§ ^ette XageSlid^t. gaft werben 
toit an ©d^umann§ fpätere SRonier erinnert. 2lud^ ba§ Sl^ema 
be§ testen @a^e§ ftel^t nid^t auf ber §ö^e öon Sral^mS' 
®eniu§; ein Heiner, in engen SRafd^en soppefnbeS SWotit), 
me^r öerbrießtid^ aU l^eiter. 5)er §örer ^offt nad^ btefcm 
Meinlid^en Slnfang auf eine fräftige, glänjenbe Steigerung; 
aber n)o biefe SRiene mad^t, eingufe^en (F-dur, fortiffimo), 
erlal^mt ber 9t^^t^mu§ unb bewegt fid^, t)on ben Steifugeln 
fd^Werer Xriolen gefeffelt, nur ftodfenb Vorwärts. (£in Sabfal 
gwifc^en btefen beiben ©ä^en ift ba§ 9(nbante in D-dur. 



Klamerconccrtc. 267 

2)ag Il^cmo, eine licbüd^ einfädle aJidobie, öon beibcn Solo- 
inftrumeittcn all' ottava gelungen, breitet ein tool^Iige^ 8e= 
l^ogen über ©ipieler unb ^örer. ®a§ Impp begrenste ©tüdf 
ääl^It jtpar nid^t ju ben bebeutenbften a[nbantefä|en üon 
Srol^mS, gewife aber au ben gefööigften; eS bürfte überaß 
entfd^eibenb wtxim für ben ©rfolg be^ ganjen SBerle^. 



^lümttmttxtt. 



grau äRarie 3a eil ^aben tüir feit il^ren legten SBieuer 
©oncerten im ^al^re 1883 giemlid^ untjeränbert n)iebergefunben, 
unb fomit aud^ unfer Urt^eil üon bamal^. (£S ift nid^t 
leidet über grau Qaeff gu fd^reiben. @ie befi^t ®eift unb 
eine enorme S^ed^nif, öertoenbet aber beibeg jo ungleich unb 
e^centrifd^, bafe man oft fd^ttjonft, ob man il^r Spiel genial 
nennen fott ober talentlos. ®igentfid^ beibe§ ^ugleid^ : äufeer* 
lid^ genial, innerlid^ tatentto^. ^a^ fie f^Jielt, t)erfd^tt)immt 
romantifd^ in einem ununterbrod^enen 5ßebatrauf d^ ; §n)ei 
gortcftüdfe üermag man oft faum üon einanber ju unter- 
fd^eiben. S)ie ®om^)ofitionen ber grau ^aeU bezeugen me^r 
ba^ fd^n)ad^e afe ba^ fd^öne Oefd^led^t. (Sine dttxf)^ Heiner 

®^ara!terftüdfe betitelt fie „Prisme, problemes en musique^^ 

©ie gel^ören, n)ie bie ®om^)oniftin felbft, ju ben probtema^ 
tifd^en SRaturen in ' ber Sunft , mlä)t jtoar burd^ il^re Un- 
genjöl^nlid^fcit momentan intereffiren, aber bod^ tt)eit mel^r 
aSernjunberung aU greube erregen, ©in $)ettenftädf, eigent- 
lid^ einen mufifalifc^en gelbjug J^at grau ^aeü in 5ßari§ ge- 
liefert , n)o fie in einer Serie öon 6 Wbenben fömmtlid^e 



268 &' Qansittf. 

Sta\>ittft&dt tyon Sd^umann unb in toeiteren 6 äJortragen 
farnntttid^e DriginaIcom))oftttonen don Sif jt l^inter einanber 

fpielte. yjAdmirable, admirable! . . . le public!'' riefSoc- 

queUn, aU er ben jloeiten Xl^eil be§ ©oet^efd^en Sauft im 
SBicner SBurgtl^catcr obfotoirt l^otte. 

2)a§ &la\>i^x f^ai auger f^rau ^aeti uoä) eine bebeutenbe 
©d^aar nteift junger, nod^ unerprobter Äampfer ober beffer 
Sfmajonen in§ gelb gefül^rt. S)ie wenigen 5ßianiften öom 
ftarfen ®efd^Ied^t t)erfd^tt)anben l^inter bem Aufgebot concer- 
tirenber S)amen. SSäie grofe toax bic Säi)t ber Kaüierf^)iekn' 
ben ©oncertgeberinnen in ben legten brei SKonaten ? ^ier ift bie 
Sifte : SCbele äRanbü!, DIga Segel, Sitti ü. SReumann, ©miüe 
Oolbberger, DIga Stofinger, ©IIa 5ßancera, 3ba Sleid^, ©aroüne 
ö. »abio, ®ifefo granf I, Seontine SSäinHer, gtta ÄernbL Sfufeer- 
bem l^aben in anbern Koncerten nad^ftel^enbe SBiener ^ia- 
niftinnen mitgeioirft : ®ifela SSergl, ®ifela ü. ^ßaftl^or^, ®eorgine 
^unbl^amnter , ^aula Nürnberger, 8lofa gteifd^mann, Sitti 
äWid^ale!, ©ufanne ^il^, SKarie Saunta^er. ©ottte bie Sifte, 
n)ie ic^ fürd^te, unöottftänbig fein, fo mögen bie SSergeffenen 
mid^ nad^fid^tig entfd^ulbigen — nod^ mel^r bie Ungestörten, 
Unbefprod^enen ! ffat^olifd^e SRiffionöre in El^ina finb ^tvav 
auf ba§ SluSfunft^mittel üerfatten, eine grofee SKenge t)on 
ipeiben jugteid^ mittete Seuerfpri^en ju taufen — bie mufi= 
falifd^e ffritif üerfügt leiber über nic^t^ SCel^nüd^eS. @ine 
fritifd^e SSäürbigung aCer obengenannten S)amen ift toeber 
möglid^ nod^ aud^ bringenb notl^wenbig. @ie fpielen ja — 
mel^r ober tomxQtx — atte gut, bag ftel^t ganj außer S^^if^- 
SRur bafe gar fo üiele gut fpielen unb begl^alb ffioncerte 
geben, bie fid^ fd^Ied^t lol^nen, mad^t unS angftüd^ unb mit 
jebem $iaf)xt öngftüd^er. SKöd^te unfere Sifte n)enigften^ 
ben SWufeen ftiften, ein ober bag anbere 3Räbd^en absu- 
l^aüen öon ber SBal^I eine§ 93erufeS, ber in fo erfd^redfen^ 



Klamerconccrtc. 269 

bem äRafec überfüHt unb baburd^ im praüifd^cn fiebert ent- 
toertl^ct ift. 

5ßarifcr aKufifäeitungcn melben, bafe eben äum ^Beginne 
be^ ©d^uQol^re^ nid^t toenigcr afö 220 jung e^ianift innen 
fic^ ber Slufnal^me^jrüfung in§ ©onfcrüatoriunt untcrjogcn 
tiabcn. 3uwt ®IM ift man bort fo tjemünftig, bie Ucbcr* 
flntl^nng mit SIaüiert)irtuofen nid^t nod^ eigene jn bcförbem, 
baS Sflaüierfpiel nid^t afe ^aupt^totä cine^ ®onfcrüatorium§ 
on^ufcl^cn. @S ftnb öon ben 220 SKäbd^en nnr 13 in bie 
8lnSbiIbung§Haffc , 17 in bie unteren klaffen aufgenommen 
n)orben ; alfo im ganzen bIo§ b r e i § i g. hingegen üerjeid^^ 
net ber Ie|te Sal^re^berid^t be§ SB i euer Konfert)atorium^ 
446 fflat)ierfd^üler, ungefäl^r bie ipalftc ber gefammten 
©^ülersa^I. SBeld^er «uSblid in bie S^funft! SBel^e Sämpfe 
umS S)afein bei fo mäd^tig anfd^n)ettenber ffonhirrenj unb 
ftetig abnel^menber Il^eilnal^me beS ^ublüumS! ®ernc fällen 
tt)ir obige Saf)Un aU SBarnungStafel öor bie Koncertfäle 
aufgepftanjt, n)ü6ten tt)ir nid^t, ba§ t|ier jieber Slatl^ nu^toS 
unb jebe SBamung üergebUd^ ift. 



1889. ^ 



„^rti grüpng" betitelt ©olbmarf feine neue Duöertüre. 
®te Sluffd^rift ^at un§ l^offnung^öott unb bod^ äugte id& etn)a§ 
ängfttid^ geftimmt. greuen mußten wir uns, ba§ ©olbmarf, 
biefe l^öd^ft patl^etifd^e Statur, einen Stoff gehjal^tt ^dbe, 
\otlä)tv atte öerfd^neiten SBonnen be§ ®emüt^e§ unb ber 
Sinne lebenbig mad^t. g^eitid^ giebt e§ ©c^ttjarsfel^er unb 
©d^njaräfül&Ier, bie il^re SieblingSfarbe aU 93^ronfd^cn aSelt* 
fd^merj ober ©d^o^en^auerfd^e ©alligfeit anä) in ben grül^* 
üng l^ineintragen. SBirb ©olbmar!, ber gen)altigc ^iffonanjen- 
Jtönig, e§ über fid^ getoinnen, beut SRai juliebe feine 
fd^neibenbften SHforbe ju öerabfd^ieben? SBirb er ben 3rü^= 
ling öer^errtid^en, ol^ne il)m jugteid^ Dp|)ofition §u mad^en? 
SBirb er un§ nid^t giftftammenbe Stützen au§ bem Orient 
iicrüberbringen unb SRad^tigaHen an^ SSa^reut^ ? So ungefäl^r 
ffiifterten unfere 95eforgniffe. ©olbmar! ftat fie auf ba^ 
Uebensnjürbigfte unb beinal^e öottftanbig befiegt. Dl^ne atteS 
5ßrölubiren fefet feine ^^grül^Iing^-Duöertüre" mit einem 
jubelnben I^ema in A-dur ein, ba§ nad^ einigen befd^wid^tigen* 
ben halten fid^ in As-dur, bann mit aller Sraft in C-dur 



0uoertnren von (Solbmarf unb Vfladen^k u. f. m. 271 

tpiebcrl^olt, um enblid^ in ein ätücite^ S^ema t)on ib^ttifd^er 
|)armIopgfeit einsulenlen. S5eibe I^einen bieten günftige unb 
geiftreid^ öerujenbetc SRotitje für bie äiemüd^ umfangreid^e 
S)urd^fül^rung ; Sinfenjd^Iag unb Serd^entritter, \ok man fie 
natürtid^er nid^t n)ünfd^en faun, tiefern baju ben tieblid^ften 
9(ufpu^. ©anj unb gar otfne ^efud^ in ,,9Bal^nfrieb" gel^t 
e§ freiließ nid^t ab : SBagnerifd^e Harmonien, anfangt fd^üd^tcrn 
unb öereinjelt, ftürjen f^jötcr aU tt)ilbe Sagb öon ben Sergej- 
gi^)feln l^ernieber; f^nfopirte d^romatifd^e SejtaHorbe ber 
©eigen unb ^oläblöfer, gegen totläjt Söffe unb 5ßofaunen 
eine fd^auerlid^c ^rojeffion öon auffteigenben öerminberten 
©eptimattorben in§ %üb führen. ®ag ift nid^t ia^ obligate 
grü^fing§gen)itter, auf ba§ man gered^net t)atte ; e^er eine 
ffeine SSorprobe be§ SBeItuntergange§, wobei gtüffe, SaSötbcr, ®e= 
birge burd^einanberpurjetn unb atte§ ©ingemeibe bes ©rbballeS 
p pla^tn brot)t. 3iiwt ®tvii gel^t bie ©pifobe f d^nett vorüber ; 
nod^ einmal, je^t etn)a§ auSfü^rlid^er unb bequemer, erfd^allt 
bo§ ^erjige SSogelconcert, unb iaud^jenb fliegt in ftürmifd^em 
Slttegro bag ©anje jum ©d^tuffe. SBir jöl^Ien bie „^xiif)- 
üng^^Duöertüre" gu ®otbmar!§ erfreulid^ften Drd^eftercom* 
|)ofitionen; nid^t atö ob bie einjelnen Sl^emen gerabe be- 
bcutenb n)ären, aber fie finb fo tebenbig in gfufe gebrad^t, 
alle§ fo ttjarm empfunben unb fo frifd^ gemalt, ba§ bie 
SBir!ung nirgenb§ üerfagen toirb. 

Stnfprud^Söotter aU bie ®otbmar!fd^e fü^rt fid^ eine 
jweite Stoöität ein: „@t)mpl^onifd^e SSariationen für 
großes Drd^efter" öon S- S- Sticobe. (£§ finb i^rer jtoölf * 
an ber S(^% nebft ©inteitung unb ginate. @in Programm 
in gorm einer fd^ttjütftigen I^rifd^en äil^a^fobie ift bem ©anjen 
tjorgebrudft unb aufeerbem in feinen einjelnen Stbfd^nitten ben 
betreffenben SSariationen überfd^rieben. 2)a§ „5ßrälubium", 
ba§ unter bem tragifd^en 2)onner öon brei 5ßau!en (in h, c, d) 



272 €b. ßanslirf. 

imb crfd^üttcrnbetn ®ctöfc aller 93Ied^inftrumcntc {id^ ob* 
f»)ielt, fül^rt folgenbc auff^rift : ,,m^mn glugcg fc^toing^ bid^ 
tmpox ju tid^tcn ^öt|en! Slur bort ift beinc Heimat, im 
SRcid^c ber ©d^önl^cit, tüo elüig unb l^eiter blül^ct ia^ ®IMI 
S)ort !ofte @d^ö))fern)onnen!" SBir tnöd^ten nid^t bc]^oii^)tcn, 
ba§ biefcn @(i^ö^)fcrtt)onncn gteiii^ uncrntcfeltd^e ^örertüoniten 
auf unferer ©citc cntfprec^cn , aber ia^ bem graufigen 
5ßrätubium folgenbe Zf)tma, foloie aud^ bie erften fiebert 
aSariationen, bie anmutl^ig erfunben tinb tptrffam inftrumentirt 
finb, tnad^en einen günftigen, burd^auS ntufifalifd^en ©inbrudf. 
Ueber ber ad^ten SSariation, einem Mo§ öon ben tiefen ©eigen 
mit ©orbinen vorgetragenen Slbagio in As-dur, fetien Wir 
folgcube Drientirnng^taf el : „SWöd^tiger bod^, ofö ber SKufe 
Sodfruf, n)ir!t bie Siebe. SBonnige Xräume! |)immlifd^e 
©eelengtoiefljrad^ ! |)öd^fte§ ©ntjüdfen ! aSeltentrüdfen ! Olanj, 
Sid^t meiner Seele! 3d^ tebe t)on beinem Sltl^em!" ®g wäre 
ottenfaC^ begreiffid^, toenn jemanb nad^ ber Seftüre bicfeö 
®efafetö, ba§ ein or'd^eftratcg SRad^ftommeln Sriftan^ nnb 
3foIben§ befiird^ten lögt, gleid^ bie fjlud^t ergriffe. 2)er 
gläd^tling würbe fid^ inbe§ um einige ber gelungenften SSaria- 
tionen be§ ^errn SRicobe gebrad^t l^aben. SefonberS gefielen 
ber jörtlid^e ®efang ber neunten unb bie brillanten SSioIin- 
^paffagen ber je^nten Variation. Slad^bem Wir l^inreid^enb 
lange „tjon ^^x^m STtl^em gelebt" l^aben, wirb un§ nad^ ber 
zwölften SSariation Wieberum eine neue ©ouüffentjerftnberung 
terfünbigt: „Stoüember! Drangen iff^ !att, brinnen nod^ 
fölter! Debe bie SBett, ftarre ba& $erj! StKeS einfam, 
leer! Qu Slöngen tiefernfter ©l^öre tragen bie ^riefter bie 
einftigc öerlorne Hoffnung gu ®rabe !'' ©in SSegröbnißmarfc^ 
ertiifet fic^ aHmäl^Iid^ bi^ gu einem feurigen SfHegro, weld^eS 
feinerfeits wieber in baS t)erjweifelte 5ßat]^o§ beS ?ßrölubium^ 
(;,@d^wing' bid^ empor!") übergel^t. ffriegerifd^e S^romipeten^ 



Variationen von Zticobe. 273 

faufarcn attormircn bag „didä) bcr ©d^önl^cit", unb — Ucbcr^ 
rafd^un&cn ol^nc ®nbe — eine gotij furge glötenntelobic mit 
|)arfenbegleitung befd^Iicfet ))iamffimo ba^ ®anje. Vorüber 
fielet nur ba§ eine rötl^feC^afte SBort: „SlmarantJ^o!" 

5)ie „@5nH)]^onifd^en aSoriationen" (baS einzige un§ be^^ 
fannte SBerf be§ fel^r ^jrobuftitjen S)rc§bener Kont^poniften) 
t)errat]^en feine ftorfe Driginalitöt, aber eine fel^r gefd^idft 
an^fül^renbe $anb, eine gewiffc (SIeganj, auä) gein^eit be§ 
©efd^madfeS, wo SRtcobe auf muftfalifd^ reinem 33oben t)er* 
l^arrt unb nid^t ben S^rlid^tern feinet |)oetifd^en Programms 
nad^jagt. Sefetere^ ^ai unS ein njcnig gegen bie ®om|)ofttion 
felbft Voreingenommen. @§ ift genjife ebenfonjenig ju bittigen, 
njenn njir ein an fid^ öerftönblid^eä unb gute^ lonftüdf n)egen 
feines gefd^madlofen 5ßrogramme§ ablel^nen, ate ttjenn tt)ir 
eine üerfel^Ite ©ompofition mit bereu ))oetifd^en aSorfafeen ent^ 
fdiulbigen, ba§ iieigt un§ nid^t an ba§ t)alten, toa^ ber Xon^ 
bid^ter ttjirfüd^ giebt, fonbern an ba^, ttjaS er laut Programm 
auSjubrüdEen beabfid^tigte. SBeber im ©d^Iimmen nod^ im 
©Uten fott man fid^ tjoreinnel^men laffen. Slber, fo fragen 
wir, l^at benn ber ®om))onift fid^ nid^t felbft öorbeftimmen, jjer- 
leiten, tjerberben laffen burd^ ein Programm, ba§ il^m in 
mufüalifd^em ©rfinben unb ©nttoidfeln {eben Slugenblid bie 
^änbe binbet ? Unb giebt e§ eine Sorm, bie auf rein mufif a* 
lifd^eS, ))rogrammtofeS SSilben me^r angewiefen wäre, ate bie 
aSariationenf orm ? ^err SRicobe ift ein ju begabter äRufifer, 
ate bag er notl^wenbig l^öttc, für feine ®rfinbungen ©inn unb 
3ufammen^ang öon irgenb einem ^oeten p erbetteln. Unb 
mit toa^ für SSroden er biefen @inn unb Sufammenl^ang ^er- 
fteCt, ba§ weife ber Sefer auS ben „5ßoefien", bie id^ nid^t 
ol^ne ©elbftüberWinbung wortgetreu citirt tiabe. S)erlei 
©uggefttt)comi(jofitionen berratl^en ieberjett ba§ ®efüt|I un^ 
jureid^enber mufifalifd^er ffraft unb Älarl^eit unb befommen 

(Sb. $anSti(C, 9(uS oem XaQtf>u^ eined 3Rufirer9. 18 



274 €b. ^auslief. 

immer ein fd^ielenbe^, bitettantifd^eS ?lu§fe]^en. SWögtic^, bajs 
einige fd^njötmerifd^e Seelen au§ SRicobeS Oebic^t l^erauS fid^ 
für feine Variationen begeiftern werben , auf jcben guten 
SKuftfer n)irb e§ e^er bie entgegengefe^te S33irfung mad^en. 

Sl{§ 9tot)ität erfd^ien eine Duöertüre ju S^afef^jeare^ 
,,SBo§ i^r njoltf' tjon 91. K. SKadEenjie, bemfetben eng= 
lifc^en Kom^joniften, öon bem $ann§ SRid^ter un§ bereits eine 
effeltöoff colorirte „Sd^ottifd^e 3l^a^)fobie" unb ein grünbUd^ 
einfd^IäfernbcS SSioIinenconcert tjorgefü^rt f)at ^n feiner 
Dutjertüre pit fid^ SRadEeuäie faft auSfc^üe^tid^ an bie 
(omifd^en ©temente be§ ©^afefpearefd^en SuftfpielS : SRatöoUo 
unb Sunler XobiaS finb ^^atl)e geftanben. S)er eitle, auf- 
geblafene ^auS^ofmeifter erfc^eint „in gelben Strümpfen unb 
freujnjeiS gebunbcnen S'niegürteln" gteid^ anfangt in ber lang* 
famen ©inleitung: ein graöitätifd^eS gagottfolo, ha^, um 
tt)i^ig ju bleiben, njeniger lange bauern bürfte. SWan fönnte 
baüon mit SRalöoIio fagen: „@§ mad^t einige (Stodfung im 
aSIute, bie§ «inben ber S^niegürtet.'' SRatöoIio tt)äre in 
biefem gagottmotit) leidet gu er!ennen, aud^ o^ne bie an^^ 
brüdftid^e ©rßörung in ber ^ßartitur. 2lnbere feinere S3e= 
^iel^ungen würbe man hingegen !aum auS ber SRufif l^erauS- 
finben, göbe bie Partitur nid^t gewiffenl^aft bei öieten ©teilen 
bie ©cene unb ba§ betreff enbe ©tid^mort an, weld^e ba 
iffuftrirt werben. 2)a§ jweite S^ema in F-dur !ann, ate 
ba§ einzige fentimentale in bem ©tüdfe, freilid^ nur ein 
SiebeSöerl^ättnife bebeuten. ^er Partitur äufolge ift e§ bie 
Seibenfd^aft be§ ^erjogS ju Dtiöia; e§ fönnte ebenfogut 
bie Steigung DliöiaS für ©ebaftian fein, ober ber SSioIa für 
ben ^erjog — wir wären mit allem eintjerftanben, ftedte 
nur in ber äRelobie felbft mel^r Seibenfd^aft unb ©ü^igleit. 
®a§ Slöegro gel^ört gum größten S^eil ben beibcn lomifd^en 
3un!ern %oUa% unb ©l^rifto^))^. SBir burften erwarten, ba§ 



(Duocrtürc üoii HTarfcnjic. 275 

ber Äanon ,;$atf§ äRaut, h\i <Bä)U^iV\ ben fie in ber 
flaffifd^en Xrinffccne anfttmmen, l^ier nid^t fehlen toürbe; tüctd^ 
f)errüd^c ©etegenl^eit für ben ©omponiftcn, einen öolfötl^üm^ 
lid^en, ^erj^aft luftigen Son on^ufc^Iagen ! Slber nid^t§ öon 
attebem. Dbtpo^l 3)?adfen§ie bic ©teile au^brüdfUd^ citirt: 
,,@oIIen tüir bie SZad^teuIe mit einem Sfanon aufftören?", 
bringt. er leinen fold&en; bafür f^)ater ju 3RaIboIio§ SBorten : 
,;9^iemafö t)at mon jemanbem fo abfd^eutid^ mitgefpielt" einen 
burd^ bier Stimmen fugirten @a§, njeld^er biet ©etel^rfamfeit, 
aber leine @^)ur öon ^umor üerrötl^. Slatürlid^c Saune unb 
5röl|tici^!eit, überl^au^jt Slatur ift^§, tüa§ n)ir am meiften tjcr- 
miffen in biefer ®om))ofition. ^ebt Sor^ingfd^e Dutjertüre 
gäbe eine ^)affenbere Einleitung ju ,,S33a§ iör tt)oöt", aU 
biefe§ fd^n)erfallige , öerfünftelte unb unmäßig gebe^nte 
DrcfiefterftüdE. ®roße ©etpanbtlieit ift SKadenjie ja nid^t ab- 
jufpred^en, fonjol^I in !ontra^un!tifd^er ffunft tok in ber 
:3nftrumentirung. 2lud^ bie Verlegungen ber mufüalifd^en 
Sogif burd^ l^äufige^ B^t^eifeen be^ g^f^mmenl^angeS unb 
ganj unmotibirte ®infd^iebfel beuten mel^r auf ein Stid&tnjoIIen, 
als auf ein SRid^tfönnen be§ ©om^oniften. ®er (S^rgeij, 
genial unb großartig ju erfd^einen, top e^ bod^ nur gilt, 
frifd^ unb fröl^lid^ ju fein, bagu ber ©inftuß \}on Serlioj 
unb aSagner (unter toeld^em atterbingg ber ben englifd^en 
Kom^)oniften gemeinfamc Untergrunb, äRenbeföfol^n, burd^= 
fd^immert), ftemmt SRadEenjie auf ©d^ritt unb Sritt, eine 
ei)U, redete SuftflJieloubertüre ju fd^affcn. Sßein, ba§ ift 
nidöt bog bielgerüt)mte „Merry old England", e§ ift ba§ 
heutige ernftl^afte, geleierte, maßleibige @nglanb, beffen jäl^er 
?5tei§ unb @l|rgeiä fid^ auf bie 3Rufi! berfd^lagen l^at. Ueber 
\>a^ SWibeau öon SRadEeuäie^ „SOSa^ i^r toollt" fd^einen bie 
Slefultate biefe§ 33eftrebenS big l^eute nid^t mcrflid^ ju retd^en. 
aWadfengieg Duberture fanb eine fel^r fül^le Slufna^me. §at it)re 

18* 



268 €b. ^ansHcf. 

ftlabicrftüdfc üon ©d^umann unb in toeitercn 6 aSorträgcn 
fommtüd^c Driginalcom^)ofitionen t)on Stf^t tfinter cinonbcr 

f))idtc. „ Admirable, admirable ! . . . le public!" riefßoc- 

quctin, atö er bcn^tüeiten I^cil be^ ©oetl^cfd^en 2fauft im 
Saäicncr Surgtl^eatcr abfotoirt l^atte. 

®a§ ßlaöicr l^at auger grau ^aeU nod^ eine bebeutenbe 
©d^aar nteift junger, nod^ unerprobter Kämpfer ober beffer 
Slmajonen in§ gelb gefül^rt. 2)ie n)enigen 5ßianiften Dom 
ftarfen ©efd^Ied^t oerfd^tt)anben hinter bem 9(ufgebot concer- 
tirenber Tanten. S33ie groß njar bie Sdf)l ber ftabierfpielen* 
ben ©oncertgeberinnen in ben legten brei SKonaten ? $)ier ift bie 
Sifte: «bele aRanblif, DIga Segel, Sitti t). SReumann, emilic 
Oolbberger, DIga SRofinger, @öa 5ßancero, 3ba 3teid^, ©aroline 
t). »abio, ©ifela granf I, Seontine SBinfler, ©tta Sfernbl. STufeer^ 
bem l^aben in anbern Koncerten nad^ftel^enbe SBiener ^ia* 
niftinnen mitgett)irft : ®ifela Sergl, ®ifela t). ^aftl^or^, Oeorgine 
^unbl^ammer, 5ßauta Nürnberger, Stofa gleifd^mann, Silli 
äWid^alef, ©ufanne ^ilj, SKarie Saumatier. ©oHte bie Sifte, 
tük id) fürd^te, unöottftänbig fein, fo mögen bie SSergeffenen 
mid^ nad^fid^tig entfd^ulbigen — nod^ mel^r bie Ungestörten, 
Unbef^jrod^enen ! ßat^oUfd^e SRifftonäre in ©^ina finb jnjar 
auf bag 2lu§funft§mittel verfallen, eine grofee SKenge t)on 
ipeiben jugleid^ mittetö geuerf^ri^en ju taufen — bie mufi- 
falifd^e fititif berfügt leiber über ni^t^ Sle^nli^eg. ©ine 
fritifd^e SBürbigung aCer obengenannten S)amen ift njeber 
möglid^ nod^ ani) bringenb notl^njenbig. @ie f))ielen ja — 
mel^r ober njeniger — alle gut, ba§ ftetit gang auger S^^if^^- 
Stur bag gar fo öiele gut fpielen unb be^l^alb ©oncerte 
geben, bie fid^ fd^Ied^t tol^nen, mad^t unS ängftlid^ unb mit 
jebem gal^re ängftüd^er. aJiöd^te unfere Sifte wenigften^ 
ben SRufeen ftiften, ein ober bag anbere äRöbd^en abju- 
l^alten öon ber SBal^I eineS 35erufe§, ber in fo erfd^redfen- 



Klaptercortcertc. 269 

bem SKofec übcrfüöt unb baburd^ im praüifd^cn Seben cnt- 
totxi^tt ift. 

^arifcr aKufifjcitungen melbcn, bafe eben jum Scginnc 
bc^ ©d^uIjal^reS nid^t tDcniger afö 220 jung c^iantft innen 
fid^ bcr Slufnal^meiprüfung in§ ©onfcrtjatoriunt untcrjogcn 
tiabcn. 3iJ^ ®tödf ift man bort fo tjcmünftig, bic lieber* 
flutl^nng mit Sloüiertirtnofen nid^t nod^ eigene ju bcförbem, 
ba^ ftloöierfpiel nid^t afö $om)tjn)edE eines ©onferöatoriumS 
onjufel^cn. ®§ finb üon bcn 220 aJiäbd^cn nur 13 in bie 
STuSbilbungSllaffe , 17 in bie unteren klaffen aufgenommen 
ujorben ; alf o im ganzen blofe b r e i § i g. .g^ingegen der jeid^* 
net ber le^te 3at|reSberid^t beS SB i euer KonfertjatoriumS 
446 fflaüierf d^üter , ungefäl^r bie ipölfte ber gefammten 
©c^üleräa^l. äBel^er Slugblid in bie Sufunft ! SBelc^e kämpfe 
umS S)afein bei fo mäd^tig anfd^njettenber Sonlurrenj unb 
ftetig abnel^menber Il^eilnal^me beS ^ublüumS! ®erne fä^en 
ttjir obige Saf^Un aU SBarnungStafel bor bie ©oncertfale 
aufge))flan}t, njüfeten n)ir nid^t, bafe l^ier jeber Slatl^ nufeloS 
unb jebe SBamung öergeblid^ ift. 



1889. ^ 



^mextnxm loott ^ofömarR nnb Ma {kennte. ^m^QoniffQe 

^ariaftonett von ^tco^e. 

„^m Srül^Kng" betitelt ©olbmar! feine neue Duöertüre. 
2)tc 2luf)d^rift ^at un§ l^offnungSöott unb bod^ jugte id& etnjag 
ängfttid^ geftimmt. gr^i^^n mußten n)tr ung, ba^ ©olbmarf, 
btefe l^öd^ft ^jattietifd^e Statur, einen ©toff getoäl^It ^dbt, 
\od(i)tx aUe öerfd^neiten SBonnen be§ ©emütl^e^ unb ber 
Sinne lebenbig maä)t g^eiltd^ giebt e§ ©d^njaräfc^cr unb 
©d^njarjfü^ter, bie il^re SieblingSfarbe afö 93^ronfci^en S33elt= 
fd^merj ober ©d^o^jen^auerfd^e ©alligleit aud^ in ben 3rüt|* 
ling hineintragen. SBirb ©olbmarf, ber gen)alttge Siffonanjen* 
ffönig, e§ über fid^ gen)innen, bem SRai juliebc feine 
fd&neibenbften SlHorbe ju tjerabfd^ieben ? SBirb er ben ^xii^- 
ling üerl^errlid^en, ol^ne il)m jugleid^ D))i)ofttion ju mad^en? 
SBirb er un§ nid^t giftflammenbe SSIütl^en au§ bem Orient 
l^erüberbringcn unb Slad^tigattcn au^ SSa^reutl^ ? @o ungeföl^r 
pfterten unfere 95eforgniffc. ©olbmar! ^at fie auf baS 
lieben^njürbigfte unb beinal^e tJoHftönbig befiegt. Dl^ne atte§ 
^rälubiren fe^t feine „grüpng^==Dut)ertüre" mit einem 
jubelnben S^ema in A-dur ein, ba§ nad^ einigen befd^iüid^tigen^ 
ben laften ftd^ in As-dur, bann mit aller Sraft in C-dur 



0uDertiiren Doii (ßolbmarf uub JXladeu^xe u. f. m. 271 

tüicberl^olt, um enblid^ in ein ättjeiteö %i)tma üon ib^Hifd^cr 
^armlofigfcit einjulenlen. Scibc Sternen bieten günftige «nb 
geiftreid^ üemenbete äKotiöe für bie jiemlid^ umfangreid^c 
Surd^fül^rung ; ginfenfd^Iag unb Serd^entriller, n)ic man fie 
natürlid^er nid^t njünfd^en faun, liefern baju ben lieblic^ften 
2luf))ufe. ©a.nj unb gar of^ne SJefud^ In „SBatinfrieb" gel^t 
e§ freiließ nid^t ab : SBagnerifd^e Harmonien, anfangt fd^üd^tern 
unb ücreinädt, ftürscn \p'dkx al§ iüilbe 3agb öon ben Sergej- 
gi))fcln l^ernieber; ft5nIo))irte d^romatifd^e ©eytaHorbe bcr 
©eigen unb öoIjMäfer, gegen meldte Söffe unb $ßofaunen 
eine fd^auerlid^e ^ßrojeffion öou auffteigenben öerminberten 
©e^jtimafforben in§ Selb führen. S)a§ ift nid^t bag obligate 
3ru]^Iing§gen)itter, auf ba§ man gered^net ^atte ; el^er eine 
Heine SSor^jrobe be§ SBeltuntergangeS, ttjobei SKffe, SBöIbcr, ®c== 
birge burc^einanber^jurjeln unb alle§ ©ingeltjeibe beö ©rbbaöeg 
§u <jla^en brol^t. 3^^^ ®Iüdf gel^t bie ®<jifobe fd^neö öorüber ; 
nod^ einmal, je^t etn)a§ auSfü^rlid^er unb bequemer, erfd^aöt 
bag ^erjige SSogelconcert, unb jaud^jenb fliegt in ftürmifd^em 
SlHegro bag ©anje jum ©d^Iuffe. 9Bir jä^Ien bie „gru^- 
lingg'Duöertüre" ju ®oIbmarf§ erfreulic^ften Drc^eftercom- 
<jofitionen; nid^t afö ob bie einjelnen I^emen gerabe be- 
beutenb mären, aber fie jinb fo lebenbig in 3(u§ gebracht, 
atteg fo marm em^)funben unb fo frifd^ gemalt, ba§ bie 
SBirlung nirgenbs öerfagen mirb. 

2(nf<jrud^§öoIIer aU bie ©olbmarffd^e fül^rt fid^ eine 
jmeite Sioöitöt ein: „@^m^)]^onifd^e aSariationen für 
großem Drd^efter" öon S. S. SRicobö. gg finb il^rer ^mölf 
an ber Sa% nebft Einleitung unb Sinale. @in 5ßrogramm 
in 3orm einer fd^rtjülftigen Itjrifd^en 9i^a))fobie ift bem ©anjen 
öorgebrudEt unb aufecrbem in feinen einzelnen Slbfd^nitten ben 
betreffenben Variationen überfd^rieben. ®ag „$ralubium", 
ba§ unter bem tragifd^en S)onner öon brei Raulen (in h, c, d) 



272 €b. Bianslxd. 

unb crfd^üttcmbem ®etöfc aller Slcd^inftrumentc pd^ ab- 
fpidt, fü^rt folgenbe «uffd^rift : „Kühnen glugc^ fd^toing' bid^ 
cittpor 5U lid^ten ^öl^en! 9iur bort ift bcinc ^eimat, im 
Slcid^c bcr ©d^ön^cit, mo ctoig unb l^citcr Mül^ct ba§ ®IfidE! 
®ort foftc ©d^ö<)fertt)onncn!" SBir tnöd^tcn nid^t it^anpttn, 
ba§ biefcn ©d^ö^jfertoonnen glei^ uncrmefelid^c ^örcrtoonncn 
auf uufcrcr Seite entf^)red^en , ober bag bem grauftgen 
?ßrälubium folgenbe Il^ema, foioie and^ bie erften fieben 
SSariatiouen, bie anmut^ig erfunben unb ttjirffom inftrumentirt 
finb, ttiad^en einen gunftigen, burd^ou^ mufifalifd^en ©inbrudf. 
Heber ber ad^ten SSariation, einem Mo^ öon ben tiefen ©eigen 
mit ©orbinen vorgetragenen Slbagio in As-dur, feigen loir 
folgenbe Drientirung^tafel: „SKöc^tiger bod^, aU ber 3Kufe 
Sodfruf, ttjirft bie Siebe. SBonnige Iraume! ^immlif^e 
@eelenjn)ief<)rad^ ! §öd^fte§ @nt§üdf en ! SBeltentrüdEen ! ©lanj, 
Sid^t meiner ©eele! ^6) lebe öon beinem Stt^em!" @§ to'dxt 
attenfattg begreiflid^, n)enn jemanb nad^ ber Seftüre biefeS 
©efafefö, ia§> ein oiTd^eftraleg 9lac^ftammeln 2riftan§ unb 
Sfotben§ befürd^ten laßt, gleid^ bie glud^t ergriffe. S)er 
Slüd^tling n)urbe fid^ inbe§ um einige ber gelungenften SSaria^^ 
tionen be§ §errn SRicobe gebrad^t l^aben. Sefonber^ gefielen 
ber järtlid^e ©efang ber neunten unb bie brillanten SSioIin- 
|)affagen ber je^nten SSariation. SRad^bem n)ir l^inreid^enb 
lange „öon ^l^rem Slttiem gelebt" l^aben, mirb un§ nad^ ber 
jmölften Variation mieberum eine neue ©ouliffenöerönberung 
öerfunbigt: „Sloöember! ©raupen ift'g falt, brinnen nod^ 
f alter! Debe bie 9BeIt, ftarre bo§ ^erj! Sitten einfam, 
leer! gu S^Iängen tiefemfter K^öre tragen bie ?ßriefter bie 
einftige verlorne Hoffnung ju ®rabe !" ©in SScgräbnifemarfc^ 
erl^i^t fid^ aHmäl^Iid^ bi^ ju einem feurigen Slllegro, njeld^eS 
feinerfeits ttjieber in ba§ veraloeifelte $at]^o§ be§ 5ßrälubiumg 
(,,@d^n)ing' bid^ em^jor!") übcrgel^t. ffriegerifd^e Srom^jeten* 



Partatioiien von Hicobe. 273 

fanfarcn aöarntircn ba§ „Stcid^ bcr ©d^önl^cit", unb — Ucber^ 
raj^d^uti&en o^nc @nbc — eine gang furje glötcntnelobic mit 
|)arfcnbc8tcitung befd^tiefet ))taniffitno baS ©anjc. darüber 
fielet nur ba§ eine rät^fctl^afte SEBort: „Slmarant^a!" 

3)ic ,,@^m<j]^onifc^ett SSariationen" (ba§ einäigc un» bc=* 
fanntc SBerf beS fe^r |)robuItit)cn S)rc§bcticr ©onnjoniften) 
öcrratl^en feine ftarfe Driginalitöt, aber eine fel^r gefc^icft 
an^fü^renbe §anb, eine gen)iffe ©leganj, aud^ Scin^eit be« 
©efc^madfe^, mo SKicobe auf ntufifalifd^ reinem Soben üer* 
l^arrt unb nid^t ben Srrüc^tern feinet ^joetifd^en $ßrogramm« 
nad^jlagt. Sefetere^ ^at un§ ein ttjenig gegen bie ©om^)option 
felbft voreingenommen. @8 ift gemi^ ebenfon)enig ju billigen, 
n)enn tüir ein an pd^ öerftänblid^eS unb gutes SonftüdE ttjegen 
feinet gefc^madEIofen ?ßrogvamme§ abtel^nen, aU n)enn toir 
eine öerfel^Ite ©ompoption mit beren ^joetifc^en SSorfa^en ent* 
fd^ulbigen, baS tieifet un§ nid^t an ba§ galten, toa^ ber Son- 
bid^ter n)irfüd^ giebt, fonbern an ba§, toa^ er laut ^Programm 
auSjubrüdfen beabfic^tigte. SBeber im ©d^Iimmen nod) im 
Outen folt man fid^ öorcinnel^men laffen. Sfber, fo fragen 
tt)ir, l^at benn ber Kom^jonift fid^ nid^t fclbft öorbcftimmen, her- 
leiten, öerberben laffen burd^ ein ^Programm, ba§ i^m in 
mufifalifd^em ©rfinben unb SntmidEetn jeben Slugenblidf bie 
4)änbe binbct ? Unb giebt eg eine 3orm, bie auf rein mufif a^^ 
lifd^eS, ^3rogrammIofe§ Silben mel^r angenjiefen tt)äre, atö bie 
SSariationenf orm ? I^err 9licobe ift ein ju begabter SKufifer, 
afe ba§ er notl^ttjenbig l^ätte, für feine ffirfinbungen @inn unb 
3ufommen]^ang öon irgenb einem $oeten ju erbetteln. Unb 
mit tt)aS für S3rodEen er biefen Sinn unb Sufammenl^ang l^er* 
ftellt, ba« tt)ei§ ber Sefer ouS ben „$oeften", bie id^ nid^t 
ol^ne @etbftübertt)inbung n)ortgetreu citirt Iiabe. S)erlei 
@uggeftit)com<)ofitionen öerrat^cn jeberjcit ba§ ®efü^I un=^ 
jureid^enber mufifalifd^er Äraft unb Klarl^eil unb befommen 

@&. ^anSUct, 9(u8 Dem Xagei^uc^ eines a^ufllerS. 18 



274 €b. £)auslicf. 

immer ein fc^ielenbe^, bilettantifd^eg 3luSfet|en. 3RöQlxä), bafe 
einige fd^mätmevifd^e ©celen au§ 9llcobe§ ©ebid^t ^erau^ \\6) 
für feine SSariationen begeiftern njerben, auf jeben guten 
SKufifer tüirb e§ el^er bie entgegengefefete SBirfung machen. 

81I§ Sioöität erfd^ien eine Duöertüre ju ©^alef^jeare^ 
„2Ba§ i^r tooUV* öon 21. ®. SRadfensie, bemfelben eng= 
lifd^en ©om^oniften, öon bem .^ann§ Stid^ter un^ bereits eine 
effeltöoll colorirte „©c^ottifd^c 9lt|a^3fobie" unb ein grünblid^ 
einfc^IäfernbeS SSioIinenconcert öorgefül^rt ^ai. ^n feiner 
Duöertüre l^alt fid^ äRadfenjie faft auSfd^IiefeUd^ an bie 
lomifd^en Elemente be§ @^afef^)earcfd^en Suftf^jiefö : SKalöoIio 
unb Sunfer 2obia§ finb 5ßatl|e geftanben. S)er eitle, auf- 
geblafene ^auS^ofmeifter erfd^eint „i^ getben @trüm^)fen unb 
txtn^tüti^ gebunbenen S^niegurteln" gleid^ anfangt in ber Iang= 
famen ©inleitung: ein graöitätifd^eS Sfagottfolo, ha^, um 
tt)ifeig ju bleiben, n)eniger lange bauern bürfte. SRan fönnte 
baüon mit Sßalüolio fagen: „@§ mad^t einige ©todfung im 
Slute, bie§ »inben ber föniegürtel." äRalöoIio märe in 
biefem gagottmotiö leidet ju erfennen, aud^ o^ne bie au§- 
brüdflid^e ©rflärung in ber ^^Sartitur. Slnbere feinere S5e= 
jiel^ungen mürbe man l^ingegen faum auS ber äJlufil l^erau^- 
finben, gäbe bie ?ßartitur nic^t getüiffenl^aft bei öielen ©teilen 
bie ©cene unb ba§ betreff enbe ©tid^mort an, njeld^e ba 
illuftrirt merben. ®a§ jn)eite S^ema in F-dur fann, aU 
ha§> einjige fentimentale in bem ©tüdfe, frcilid^ nur ein 
SiebeSöcrl^öItni^ bebeuten. S)er ?ßartitur pfolge ift e§ bie 
Seibenfd^aft be§ l^erjogS ju Dliöia; e§ fönnte ebcnfogut 
bie Steigung DliöiaS für ©ebaftian fein, ober ber SSioIa für 
ben ^erjog — tüir n)ären mit allem cinöerftanben, ftedfte 
nur in ber äWelobie felbft me^r Seibcnfd&aft unb ©üfeigfeit. 
®aS Slßegro gel^ört jum größten Il^eil ben beiben fomifd^en 
Sunfern SobiaS unb ©^rifto))t|. SBir burften ertt)arten, ba^ 



CDitücrtiire üoii nTacfcn3ic. 275 

ber ^anon „^aW^ SRauI, bu ©d^iift!", bcn fie in ber 

ffafftfd^en 3;rinffcene anftimmen, ^ier nid^t felilen mürbe; ttctd^ 

f)errti(^e ©elegen^eit für ben Kom))omftcn, einen öolfötl^üm^ 

tid^en, ^erjliaft luftigen 2^on an§ufrf)tagen ! ?(ber nid^t§ öon 

allebem. Dbtüol^I 9Kadf enjie bic ©teile auSbrüdfüd^ cttirt: 

„Sotten mir bie 5read^teule mit einem Jtanon aufftören?", 

bringt, er feinen foldöen; bafür fpäter ju SMalöoIio^ SBorten : 

„SWiemal^ ^at man jemanbem fo abfc^eutid^ mitgefpielt" einen 

bnrd^ öier Stimmen fugirten @a^, meld^er öiet ©elelirfamfeit, 

aber feine ©pur öon |)umor öerrätl^. Siatürlid^e Saune unb 

gröl^tid^feit, überl^aupt Siatur ift'§, tüo§ mir am meiften öer* 

miffen in biefer Kom|)ofttion. ^tht Sorfeingfd^e Dubertüre 

gäbe eine paffenbere Einleitung ju „SBaS itir mottt", aU 

biefe§ fd^merföttige , berlünftelte unb unmäßig gebel^nte 

Drcfjefterftüdf. ©rofee ©emanbt^eit ift SKadEengie ja nid^t ai^ 

jufpred^en, fomo^I in fontra^junftifd^er ffunft mie in ber 

;3nftrumentirung. 2(ud^ bic Verlegungen ber mufifalifd^en 

Sogif burc^ ^ufigeS ^nxti^tn be§ ^wf^mmenl^angeg unb 

ganj unmotiüirte ©infd^iebfel beuten mel^r auf ein Siid^tmotten, 

aU auf ein SKid^tfönnen be§ ©omponiften. 2)er ß^rgeij, 

genial unb großartig ju erfd^einen, mo e^ bod^ nur gilt, 

frifc^ unb fröl^Iid^ ju fein, baju ber Einfluß öan Serlioj 

unb SBogner (unter meld^em atterbing^ ber ben englifd^en 

ßomponiften gcmeinfamc Untergrunb, SRenbel^fol^n, burd^- 

fd^immert), ftemmt SKadEenjie auf 'Bä)xiii unb Sritt, eine 

e^it, redete Suftfpielouöertüre ju fd^affen. 9iein, ba§ ift 

nid^t ba§ bielgerü^mte „Merry old England", e§ ift ba§ 

fieutige ernftfiofte, geleierte, ma^Ieibige ®nglanb, beffen jälöer 

glei^ unb S^rgeij fid^ auf bie SRufif öerfd^Iagen l^at. Ueber 

ha^ 9Höeau öon SRarfenjie^ „SBa§ if|r mottt" fd^einen bie 

üiefultate biefer SSeftreben^ bi§ l^eute nid^t merflid^ ju reid^en. 

SKadEenjieg Dubertüre fanb eine f ef|r füfjlc STufnal^me. $at i^re 

18* 



276 (Eb. ^anslxd, 

grage an ha^ SBiener ^ßublifum njirttid^ ^SQ3a» i^v 

wollt?" gelautet, fo l^iefe bie Slutlport unjtoeibeutig : ®ttoa^ 
Stnbere^ ! 



„^ofita'S ^ratormm pott ibän5ef. 

(durfte 9(utfü^vung in SEQien am lO. g?u))cm&er 1889.) 

@in |)änbelfd^c§ Drotorium unb „@rfte Sluffül^rung in 
SBien"? SBir tüiffen für biefc befrembenbe, ja unbcgreifüd^e 
SSerf))ätung Weber öufeere nod^ innere ®rünbc anzugeben. 
@§ l^at bamit ein öl^nlid^ röt^fell^afteS S5ett)anbtni§, wie mit 
§änbel§ fterrlid^ent Dratoriunt ,,@aul", bag erft 1873 
unter Sral^mS' Seitung, unb §änbel§ „S^eobora", bie 
1888 unter |)an§ SRid^ter in SBien pr aOererften 8Cuf- 
fü^rung gelangt ift. §ätte in SBien ein l^albwegS rege(= 
mäßiger §önbetfi'uftu§ Seftanb gewonnen, wie in ©nglonb 
ober felbft in 3iorbbeutfd^Ianb, fo würbe ein Sonoriren fold^er 
SReifterwerle burd^ öoHe l^unbertunbbreifeig Qa^re eine Un- 
möglid^feit gewefen fein. Sür baö ))eriobifd^e, immer erft 
nad^ me^rjäl^riger $aufe fto^weife l^eröorbred^enbe .^önbet^ 
Swtereffe in SBien genügte Jebod^ ein begrenzter Surnu^ öon 
Sluffüfirungen , weld^er „@amfon\ „Sepl^ta'', „3Reffia§", 
„Jimot^eug", „Selfasar" unb „Suba§ SRaffabäu^" einf^Io^. 
®er grofee JReid^tl^um |)änbetfd^er 5ßrobu!tion fonnte in htn 
f^jorabifd^en SRufüfeften 2ttt*SBieng nic^t erfd^ö^jft werben, unb 
fo war bie SSefanntfd^aft be^ „@aur, be§ „Sofua", ber „Xfieo^ 
bora" erft bem mufüatifd^ reformirten neuen SBien öorbe- 
l^alten. ®a§ Siedet inbiöibueHer Vorliebe unangetaftet, ftc^t 
„3of«ö" ol^ne Stage neben §änbetö beften SBerfen. @cd^§ 
3a^re nad^ bem „aReffiaS" com^jonirt (1747), gehört „3ofua^ 
ju ben fpöteften ©d^ö^jfungen beö Sßeifter^ — - alfo ju feinen 
öottfommenften. 3)ie Steige öon Oratorien, bie i^n unfterblid^ 



„3ofua", 0ratortum von f^änbel. 277 

gemad)t, ^t er alle in öorgerüdEten S^^^^^n gefd^rieBen, barin 
®Iudf unb ^a^bn ä^nüd^, iüeld^e i^r ©röjäte^ in einem 
9(Iter fd^ufen, in meld^em beut Äünftler fonft nur eine ^aä)^ 
lefe öergönnt ift. Siid^t bte SBerfe feinet Slfter^, bic feiner 
^ugenb finb öeraltct. Ungenießbar nennen toix bie öielen 
italienifd^en D^jcrn bcS 3öngling§ unb SKanneg, n)ä]^renb 
wir an ben Oratorien be§ ©reifet un§ nod^ lange erbauen 
merben. ,,Sofua" ift, n)ie bie große äKetirjal^I ber «'pänbelfd^en 
Oratorien, bem Sitten 3;eftantent entnommen. SKöglid^, baß 
man in 9Bien nid^t für bringenb erad^tete, ben „Qofua" einem 
^ublifum öorjufü^ren, meld^eS ©amfon, Se^j^ta, Selfajar, 
:3frael in ©g^pten, ^nha^ SJJaHabäuS !anntc — gerabe megen 
ber Slel^nUd^feit biefer altteftamentarifd^en SSorgönge. S)a 
toerben regelmäßig bie Qfraetiten einmal gefdjiagen unb 
ftimmen Slageüeber an, bann fiegen fie mieber unb preifen 
Sefjoöal^. S)ev ®^or medfifeü faft immer jmifd^en biefen beiben 
Situationen, unb er, ber K^or, ift ber eigentlid^e $etb, ift 
^anpU unb SKitteI))un!t aßer |)anbelfd^en Oratorien. 2)ie 
©ologefänge ftefjen baneben in sttjeiter SRei^e. S)ie ©efc^id^te 
ber 3uben bot bem 2^onbid)ter große SSoIfSbenjegungen, 
munberbore Gegebenheiten, in metd^en ba§ ©d^idEfal ber 
9iation mit bem i^rer Reiben fid^ öerfnü^jft. Slußerbem 
mod^te bie SSorliebe ber ©nglänber für \>a^ Sllte Seftament 
if)n in ber SBat)t biefer «Stoffe beftürft l^aben. ®ie ©nglänber, 
bie tjeutc nod^ il^ren d^riftlid^en ffinbern gern altteftamen= 
tarifd^c Siamen geben (Sftl^er, Stallet, Sarai)), mad^fen in in* 
timer SSertrautlieit mit allen SSegebcntieiten jener SSorjeit auf 
unb feigen bie jübifd^en fitiegSftetben 3ofua, Saul zc. fo leben- 
big t)or ?fugen, rt)ie mir ctma ben Studier ober SSeHington. 
Stud^ ber ^jroteftantifcfie Siorben ift tiefer eingelebt in bie 
^erfönlid^feiten be§ Sitten 2^eftament§, aU mir fatffotifd^e 
Sübbeutfd^c ober qar bie romanifd^en SSöHer. Iro^bem 



278 €^. £?ansltrf. 

bürfte allenttialben iüa^rjune^men fein, ba§ jenes Stoffgebiet 
in ber SEunft einem ftetig abnel^menben 3ntereffe begegnet. 
5ßadfte un§ nid^t §änbcfe gcmattige aRufil, ber ftereottjpc 
SBed^fel öon Siegen unb Sticberlagen be§ jübifd^en $eereS 
mürbe unS ^eute leibenfd^aftlid^en atnt^eil fanm abgetüinnen. 
®iefe ©efd^id^ten finb unS mel^r e^rtüürbig, als intereffant; 
mir fül^Ien fie, nnr fc^mad^ mitöibrirenb, mie einen weit ent- 
fernten 2on, fe^en fie öielleid^t gar bnrd) bie SSriHe mobemer 
Sorfc^nng. $)önbel, ber mit ber Sfnbac^t unerfc^ütterlid^en 
©laubenS jn feinem bibüfd^en gelben emporbücfte — ma» 
für Singen mürbe er gemod^t ^aben, menn er ein S5ud^ mic 
JRenanS öortrefflid^e „Histoire du peuple d'Israel" erlebt 
l^atte! SSon feinem frommen Qofua l^eifet eS barin: „^ä) 
meife nid^t, ob Sofua mc^r gefd^ic^tlid^c SBirflid^feit l^at, al» 
Safob. 3lber gemife mürbe ber fanfte gafob ftd^ em^jört 
I|oben, l^ötte er eine SRenge |)anblnngen Sofua^ feigen fönnen, 
bie fpöter für ru^möoö galten. 3a!ob foH auf feinem @terbe= 
bette ©imeon unb Seöi megen SKiffetl^aten »erfindet l^aben, 
bie im SSergleid^ mit SofuaS SroberungSjug als geringfügige 
SRefriminationen erfd^einen." SKofeS felbft, ber SSorläufer 
unb Sefd^ü^cr SofuaS, ift für 9lenan „idnaf^t ein @g^j)tier" 
unb feine Stolle ,,me^r bie eines |)aiH3tlingS ä la Slbb-el^ 
Äaber, als bie eines DffenbarerS (revelateur) bon ber Slrt 
aRotiamebS". SKofeS Srlebni^ auf bem ©inai nennt Slenan 
„eine granbiofe Segenbe, meldte in ben folgenben 4^ bis 500 
3al^ren gleid^ einer ©eifenblafe anfc^moll, um fo glansenbcr 
unb farbiger, je leerer fte ift". ^eutt mu§ ein armes 
SRenf d^enlinb , baS öon mobernen SilbungSelementen erfüllt 
unb t)on bem Sltl^em einer gemaltigen SBirflid^feit ongeme^t 
ift, fic^ felbft einen fanften 3ludE geben, miH eS für bie Ifiaten 
SofuaS biefetbe SBörme aufbringen, meldte ^mtbel befeelt Ijot. 
3a, baS biblifd^e Oratorium bünft unS eine l^alböerftorbene 



i 



„3ofuci", (Dxaiothim von £)änbel. 279 

S'unftgattimg : il^rc tebcnbigc ^ölftc ift bie SSergangenl^eit, 
ift S3ad^ unb ^önbel — ifirc tobte ^ölfte : l^cutc unb morgen. 
SBir öerftelicn, toaxnm S5ra^m§ — ber einäige lebenbe 
Sonfe^cr, ttjeld^er bie gorm bcS großen Dratorium« ju be- 
lüältigen unb beteben öcrmöd^te — baöon tro| aller Stuf- 
forberung fern bleibt. 

®ie ^anblung öon |)änbel§ „Sofuo" f)at fein Sejtbid^ter 
%f)oma^ äRoreH in folgenben ^au|)tiügen geftattet: 3ofua 
^at bie Sfi^öriiten eben burd^ bcn Sorbon gefül^rt, unb bo^ 
SSoII fingt 3e{|oöa^ ein Soblieb. 3crid^o§ Serftörung tüxxh 
bnxiS) einen @ngel befolgten unb öon Sofua befd^Ioffen. Unter 
bem Sd^aHc feiner ^ofaunen ftürgen bie SKauern öon 3erid^o ; 
ber @ieg mirb mit Sobgefdngen gefeiert. ®er ^ieg gegen 
bie ©tabt 2li beginnt unglüdEIic^, enbet ober mit @ieg. Slboni- 
jebe! n)irb unter bem üon ^o^m ben)ir!ten ©tiHftanbe ber 
Sonne gefd^tagen. S)er Jüngling Dt^niel, toeld^er Slc^fal^, 
bie Sod^ter be§ ©tammeSfürften ffialeb, liebt, erobert für i^n 
bie ©tabt ®ebir unb ermirbt fid^ baburd^ feine SSrout. ©in 
®anf* unb ^reislieb mad^t ben ©d^Iufe. ®iefen ©toff fyit 
^änbel in bemfelben ©eifte unb in gleid^er Sorm bcl^anbelt 
lt)ie feine übrigen Oratorien, b. ^. jum 2^^eit mit genioler 
©c^ö^jferfraft unb ßunft, jum S^eit in ber pd^tigcn, bem 
Seitgcfd^marf nod^gebenben SKanier, bie öon feiner fabeltiaftcn 
Ißrobuftiöität unjertrennlic^ ttjar. SEBer ^eute irgenb ein 
,t)änbelfd^eg Oratorium jum erften SRale ju l^ören befommt 
(mie je^t bie SBiener ben ,,3ofua")f ber ift fidler, ®ro§e§ 
unb ©d^önc^ ju erleben. Slber er barf nic^t erlDorten, in 
biefem neuen Oratorium aud^ überall SReueg ju l^ören. SSiel- 
leidet tüirb er bel^au^ten, e§ fei biefc unb jene 3lrie i^m öor- 
l^er fd^on befonnt gemefen, unb bod^ öernimmt er fie tl^at^ 
föd^üd^ §um erften SRale. ^änbel ttjieber^olt fid^ eben pufig, 
er fennt gar nicfit ba^ Sebürfniß, immer etlt)a§ 9leue§ ju 



280 €b. £)anslirf, 

fagcn. S)iefcI6cn ftercot^^jcn SBctibungcn, giguren, ©dilüffe 
feieren immer iüicber. @§ lag in ber Slnfc^auungStueifc bcr 
ättcrcn SRciftcr, mit bcr größten Unbcfangcnl^cit Slnlel^cn iti 
[xä) felbft (unb oud^ bei anberen) ju mad^en. 

S)a§ ©c^lpcrgetuid^t ber 3ofua * Partitur liegt in bcn 
ei^ören. §ier finbet |)änbefö Sunft bte reid^ftc Sntfal* 
tung, bie öoHfte SStütl^e. 9Bir nennen nur einige baöon, bic, 
untereinanber fel^r öerfd^ieben , alle auf gleid^er ^öl^e muft= 
latifd^er SReifterfd^aft unb unn)iberfte^Ii(^er SBtrfung ftel^en. 
5)a ift juerft ber S^Iaged^or ber gefc^Iagenen Sfraeltten in 
E-moU („SBie balb bie ftolje Hoffnung fanf ") , ein ®efang 
t)on tieffd^merjlid^em unb hod) ungemein mürbigem SluSbrucf. 
Smei Sföten — nur feiten finb fie in bem Dratorium an= 
getüenbet — l^auc^en einen eigenartig tt)eid^en, elegifd^en 2on 
über biefe rü^renbe SSoIföfcene. ®en ftörfften ®egenfa| baju 
bilbet ber berütimte S^rium^l^gefang in ber brüten Slbttieitung : 
^©el^t ben ©ieger!" S)ie erfte @tro|)^e tt)irb öon einem brei- 
ftimmigen Jfnabend^or gelungen unb blofe Don ber Drget 
(„tasto solo^O begleitet, hierauf fingt ein grauend^or, öon 
jttjei flöten begleitet, bie jmeite ©tro^jl^e.*) @nblid& fteigert 
fid^ ber ©efang im öoHen K^or jur mäd^tigften SBirfung; 
bie begteitenben ©treid^inftrumente erhalten eine glönjenbe 
SSerftärfung burd^ Dboen, glöten, |)örner unb Raufen. S)iefer 
5ßreiggefang, mit bem ba^ SSott ben l^eimfel^renben ©ieger 
begrübt, tt)irft burcfi feine ungemeine ©infad^^eit unb SSoIfö^ 
tpmlid^feit. §änbel l^at ba^ ®iüd \pixttx feinem Dratorium 
,,3ubaS SRaKabäu^" einöerteibt; componirt njarb e§ für 
,,Sofua^ SRöc^ft bem ^^^aMuja^" an^ bem „3Reffia§'' geniest 
n)oI|I fein ©tüdE öon ^önbel eine fold^e $ßo<)uIarität in ©ng- 

*) 3" ^er SBiener ?(uffü^rung üermifeten im bit ^nabenftimmen 
unb mit bcren {d^arf abftec^enben Timbre ben üon ipftnbel beabfic^tigten 
©ontraft. 



„3ofua", 0ratorium von ^änöel. 281 

9 

lonb, aU biefe§ ,,@ct|t ben ©iegcr!", bag bei feftlic^en Sluf^ 
fütiruitgcn feiten fel^It. @tn ^rad^tftücf ift bcr Sobgefang ber 
afraeliten in H-moll („Sramd^t^ger |)err int |)immeföfrei§'Or 
beffcn 2^]^cma juerp gojna nad^ STrt eine§ SSorbeter§ intonirt, 
um eS Iiierauf bcm ®t|or ju funftöoßfter fontra^unftifd^er Se- 
Iianblung ju überantworten. 9Son ®tanj unb ^aftgefüt)! 
überftrömt ber K^or „®t|re fei @ott!" 2)er SRittetfafe ,,®ie 
aSöIfer beben" bietet ein mcr!mürbige§ Seif^)iel öon Son- 
malerei, p njeld^er nid^t bloß bie ^nftrumente, fonbern oucfi 
bie ba§ ^^Seben" au^brüdfenben ©ingftimmen l^erangejogen 
njerben. @in genialer 3wg mufifalifc^er SRalerei erglänjt 
aucfi in bem K^or, mefd^en Sofi^ö^ 2ln§ruf einleitet: „®u 
üic^t be§ Soge§, ba§ l^oc^ am |)immel thront, l^emm' beinen 
Sauf!" 3laä) einem majeftätifd^en Sluffd^ttJunge be§ Drc^efterS 
l^ätt baS SBort 3ofua§ bie Sioünen auf bem l^otien A feft. 
@ie bel^au^jten l^artnärfig biefen 2^on; ein jnjeiunbbreifeig* 
taftiger DxQdpmttt, inner^otb beffen fid^ eine lange Sleil^c 
föm^jfenber 3l!forbe benjegt. SBag bie STrien im „Sofua" 
betrifft, fo finb bie meiften mit il^rem fteifen, öom Drd^efter 
in gleid^mä^igen Stbftönben unterbrod^enen ©efang unb il^ren 
Soloratur^jaffagcn für un§ rettungslos öeraltet. 

3n ber SBiener Stuffü^rung finb mel^rere biefer 3lrien 
Ujeggebtieben. darüber tröftet unS bie ©rujägung, ba§ fie 
nid^t ju ben l^eröorragenbften ber 5ßartitur gel^ören, öielmetjr 
5u jenen, bie melir |)änbels Saftur atS §änbels ®enie re=^ 
^jröfcntiren. 3n feinen Drotorien mifd^en fid^ jmifd^en buftige, 
farbenfrifd^e SSIütl^en ^in unb ttjieber öergilbte Slätter. ®er 
er^ebenben SBirfung beS ©anjen fd^abet eS nid^t, n)enn man 
fie abftreift. SBer fo aufeerorbentlid^ öiet <)robucirte, n)ie 
|)önbel, unb ein ganjeS Oratorium gettJöl^nlid^ in brei bis 
öier SBod^en fertig mad^te, bcr fonnte unmöglid^ immer 9ieueS 
unb DrigineHeS bringen, nod^ bei jeber Siummer ben ©eniuS 



282 <2ö. ^auslief. 

« 

an feiner ©eitc l^aben. SKan mag fid^ fd^meren $erjen§ ^u 
^rjiingen entfd^Iießen, aber ba» öffcntlid^e ^nftleben untere 
liegt ©eboten öon jtüingenber Sftot^iüenbigfeit, bereu SSer^^ 
lefeung ftd^ gemeinigüd^ an beut ffunfttüerle felbft rad^t. S)ie 
^ietät, ^änbefö Drotorien gonj unüerfürjt aufjufü^ren, lüurbc 
fid^ öermut^lid^ bamit belol^nt feigen, baß nur eine ^onböoll 
3u]^örer auSl^arren unb aud^ biefe in einer Steige abfteigenber 
©tintmungen big pr ©rmattung anlangen mürben — ein 
3uftanb, in meld^em man befannttid& fo gut n)ie nid^t§ me^r 
l^ört. 3n einem Sluffa^e über „ba§ ©efefe ber ©rgöuäung 
in ben Mnften" erjä^It SB. $. SRie^I öon einer öollftanbigen 
Sluffül^rung be§ ©d^itterfd^en ,,2)on ®arIo§" in SKünd^en, 
tüeld^e t)on 6 Ul^r bi§ nad^ äRitternad^t bauerte unb ber faft 
äße Bwfd^auer bi§ ju Snbe treu blieben. @g n)erbe f^on 
bie 3^it !ommen, meint JRie^I, tt)o tt)ir aud^ 95ad^§ „äRattl^äu^- 
paffion" unb $önbel§ „SKeffia^'' o^ne ^ebe Mrjung l^ören 
lüerben unb „n)o ber greunb ber 5ßoefie un§ SKufiffreunbe 
beneiben tüirb, totxt tt)ir bann eine fed^S^albftünbige $affiou 
l^aben tüerben, unb er nur einen fünf^albftünbigen S)on Korlo^". 
9liel)I überfielet gan§, ba§ bie SaffungSiraft be§ Si^f^fl«^^^ 
im ®rama eine gan^ anbere, auSbauernberc ift, afö bie be§ 
3u^örer§ im ©oncert. ^m ©d^aufpiel ift unfere SRitt^ätig^ 
feit eine üiet ruliigere, DerftanbeSmäfeigere, aU bei ber SKufif, 
bereu finnüc^e SKad^t ungleid^ aufregenbcr unb tro^ biefer 
Slufregung bod^ meit einförmiger, einfeitiger mirft. S)ort 
bietet neben bem gef^)rodeenen SBort bie öor unferen Slugen 
tJorfd^reitenbe ^anblung, \)a^ farbenbunte Seben ber S)efp= 
rationen unb ^oftüme, ba§ d^arafteriftifd^e ©<jiel ber S)ar= 
fteHer eine fo reid^e Slbrtjed^felung unb ftetigc Stuffrifd^ung, 
ba§ mir einem fünfftünbigcn ®rama öicl leidster big ju 
@nbe aufmerffam folgen fönnen, al§ einem breiftünbigen 
Oratorium. ®em liegt nid^t Saune nod^ SRobe, nod^ ®e^ 



(£I^Öre von Duratite, ^adf, Bral^ms. 283 

iüol^ntieit 5U ®runbe, fonbcrn ein pfijc^o^jl^^fiotogifd^cg ®efe^, 
ba§ \x6) tucber tücgteugncn nod^ f^jotten laßt. @bcnfo bcbenf- 
(id^ ift bcr ntotiöirenbe Sn\ai^ Sliel^I^, bag ja ,,fömnttlicl^e 
Strien ebensogut gur 5ßaffton gel^ören, tüie fötnnttlid^e ©ccnen 
5um ®ott KarloS". ®ie meiften STrien in §änbel§ unb Sad^^ 
Oratorien finb I^rifd^e 8tu{|e^3unlte , bie ben Fortgang ber 
4)anblung nicfit betül^ren, für ben 3ufammen^ang be§ ©onjen 
alfo nicfit fd^ted^ttoeg uncntbcl^rüd^ finb. SBir mögen ben 
SSegfaH einer 8trie, bie eine allgemeine S3etrad^tung ober eine 
rul^enbe @m<)finbnng auSbrücft, aU eine SSerfürjung unfere^ 
mufifalifd^cn SSergnügenS em))finben, aber feincSmegS aU 
einen 9ti§ burd^ ben ganzen Organismus, wie er burd^ bas 
©treid^en njid^tiger ©cenen im ®rama entftel^t. 

®ie Slnffütirung beS „3ofua" mirb jeber öon unS aU ein 
inertl^öoßeS mufifoIifd^eS Sriebnife im @ebö(f|tni§ bettjal^ren, 
aU ein S'unftn)erf, \>a^ unS feinen @d)ö<jfer; lücnn oucfi nid^t 
t)on einer neuen, bod^ öiclfad^ öon feiner ftärfften Seite ge- 
Seigt r}at. 



($n|litrl|e Pufik. 



®aS „äKagnififat" öon ®urante i^at nid^t fo ftarf ge= 
tüirft, n)ie 95 a c^ S ©om^jofttion beSfelben SejteS, bie Wir 1885 
ju ^ören befamen. Xro^bem gen)äl)rt eS unS eine befonbere 
©cnugtl^uung , ba^ ber Dirigent unfereS ©ingöereinS, §err 
^anS Siid^ter, wieber einmal ein StüdE auS bcr großen 
itatienifd^en SSofal^eriobe gewählt ^at. ®aS SBenige, waS in 



284 €b. ^ansHrf. 

SBien an geiftlid^cn Sl^ortuerfen geboten mirb, befd^ränlt fid^ 
— öon SScctl^oöenS Seftmeffe abgefel^en — eigcnttid^ auf 
S3ad^ unb §önbel. gaft l^aben tt)ir t)ergeffen, ba§ Dor unb 
neben ber großen proteftantii'd^=beutyd^en @(^ule, bic burd^ 
©c^üfe, Sacfi unb §änbel re))räfentirt ttjirb, eine gro^e 5J?e* 
ttobc itaüenifd^'fatl^oüfd^er Siird^enmufif geblüht f)at, beren 
©pi^en gleid^fall^ ju ben unverlierbaren ©d^ä^en bcr ntuft* 
laltfd^en SBelt gehören. 2)iefe beiben in fid^ abgefd^Ioffenen 
Streife geiftüc^er SRufif bleuen ber religiösen Äunft mit gteid^er 
Eingebung, bod^ in gan§ öerfd^iebeucr 2lu§brudf§tt)eife. @^ 
ift ein anbereS Sunftibeal, ba§ jebem öon i^nen öorfd^tt)cbt. 
Sür bie ^jroteftantifd^en ®eutfd)en be§ 17. unb 18. ^a^x^ 
^unbert§ toax e§ öor allem Siefe unb Snnigfcit be§ 8lu§brud§ 
inmitten ^öd^fter po\t)pi)onex ßunft, eine bi§ jur §ärtc 
ge^enbe Kl^arafteriftif unb an @<ji^finbigfeit grcnjenbe SBort* 
au^Iegung; bie mufifalifd^e @d^önt)eit ^atte fid^ bcm unter- 
juorbnen. ®ic alten Italiener l^ingegen emöfanben aud^ ben 
mufifalifd^en ®otte§bienft aU untrennbar üon Mangfc^öncr 
güHe unb ftarer STnfd^auIid^f eit ; i^nen ftanb bie ®^arafte= 
riftif, bie Interpretation be§ einzelnen 9Borte§ in ^weiter 
SRei^e. ^örcn njir irgenb einen Sad^fd^en ^falm nad^ einer 
analogen ®om))ofition an^ ber großen itatienifc^en ^$eriobe, 
fo mirb un§ ungefähr p aRut^e, aU ieixad^ttkn vdix neben 
einer SRobonna üon Slofael ober Xijian ein SKarienbilb öon 
®ürer ober ©ranad^. S)er ©olbglanj ber ^eiügfeit öerflärt 
fie beibe, aber in ber öerfd^icbenen Seleud^tung eines norb- 
beutfd^eti ober cine§ italienifd^en ^immefö. ®er nationale, 
ber reügiöfe, ber mufüalifd^e ©efd^madf be§ ^örerS njirb ft^ 
mel^r ju ber einen ober bcr anbern Sunft l^ingcjogen finalen. 
S)ie 5ßalme pd^fter SKeifterfd^aft rul^t unbeftritten in ben 
|)önben S3ad^§ ; bemungead^tet befi^en bic großen italicnifd^en 
ffiird^encom))oniften nid^t minbcr leud^tenbe SSorjüge, bie nur 



i 



(£ljorc von Durante, ^ad^, Bral^ms. 285 

iiircr Station eigen. $ßaleftrina, bie größte Qit^iait 
unter il^nen, berül^rt un^ l^eute frentb, faft unl^eimlid^ in feiner 
bnfteren SKajeftdt. Ungleid^ öem)onbter füllten Wir nn§ ben 
SKeiftern ber neapolitanifd^en ©d^ulc, bem n)eici^eren ^arnto- 
nifd^en Süife, ber freier entttjidfetten SWelobie il^rer SBerfe. 
SSa§ mir SRobernen an i^nen öermiffen, ift Snbiöibualitdt. 
SBir tragen nnben)u§t foöiel SKufil ber nea^jolitanifd^cn 
©d^ute int Dt)r — SKojart nnb §at)bn ftnb Ja nod^ it)re 
8tu§Iönfer — ba§ Sircfienmufifen öon Seo ober ®urante, bie 
tüir niemals gel^ört, un^ tro^bem befannt anllingen. Sine 
ftar!e gantilienät)nlici^!eit öerfnü:pft obenbrein bie unüber= 
fet)bar jal^Ireidien SBcrfe ber neapotitanifd^en ©d^ule. S)u== 
ranteö ,,aMagnififat" gel^ört eigentlid^ in bie Sirene nnb be- 
barf ber S'ird^e gnr üoHen SBirfung. ®od) aud^ im ©oncert 
l^at nn§ ber eble Sau, ber bü aller SSorne^ntl^eit njarme 
StuSbrudf, bie burc^fid&tige unb flangfd^öne 5ßoIt)p]^onie biefcr 
2^onbid^tung erfreut unb erbaut. S)er ©til ift feierlich unb 
gldn^enb, bie @angbar!eit unb jmanglofc gül^rung ber Stimmen 
eine SBot)It]^at für ©önger unb |)örer. ^ai) biefer erl|eben= 
•ben Sonbic^tung, rtjetd^e in ber ©d^önlieit ber 3flcIigion 5U= 
gleid^ bie Sieligion ber ©d^ön^eit feiert, tt)ürbe man nid^t 
t)ermut^en, ba§ grangeäfo S)urante im Seben ein abftofeenb 
farf aftifd^er , öerbiffener SKcnfd^ gemefen. @o f d^ilbern itin 
Beitgenoffen mit bem SSeifügen, ba§ feine ber brei grauen, 
mit benen er öerl^eiratliet roax, einen tjöfüc^en, umgängüd^en 
äRann auS i!^m ju mad^en öermod^t f)abe. 

Sn erftmaligcr Sluffül^rung erfd^ien ein motettenartig auf- 
geführter Kl^oral öon S3ad^: „D ^efu K^rift, meinet 
Sebeng Sid^t", für ©^or unb »laSinftrumente. ®a§ furje 
©tüdf ift für eine S3egrabni§feier com^jonirt, ^öd^ft ttjal^rfd^ein* 
üd^ pr Sluffül^ntng auf bem Sriebtjof felbft. SRan fann fic^ 
babei au^geseid^net begraben laffen. @inem Icbenbigen ©oncert- 



286 <S2>. Banslid. 

^jublifum mad^t c^ menigcr SScrgnügen. Unter 93ac^^ ^af)U 
reichen Eantatenfä^en ift bicfer aUcrbingS, toic ©pitta ^eröor- 
ficbt, „eine aKerftt)ürbig!eit" burc^ bie eigenartige Sufammcn- 
fteHung ber S3Ia§inftrumente ; im SSerl^öItnife ju 93ad^§ 
(Sefammtfd^ö<)fung fc^eint er mir bod^ faum in SSetrad^t jn 
fommen. 

Säral^m^' „Segräbnifegefang" für gemifd^ten ®^or 
unb aSIaöinftrumente (op. 13) n^eift jn^ar, tt)ie jener 93 a d^fd^e, 
me^r nad^ ber S'ird^e aB nac^ bem ©oncertfaal; er Hingt 
jebod) tt)eit mitber unb un§ nä^er t)ertt)anbt burc^ feine an 
i)a§> aitt geiftlid^e Solfölieb erinnernbe fc^üd^te ©mpfinbung. 
Strenge gortfc^reitung in ben Harmonien, einfad^e§ 9Kit= 
Hingen ber 95Ia§inftrumente erl^öl^en ben ernften, fc^einbar 
fo funftIo§ erzeugten ©^araHer biefe§ ebten, üiel ju tt)enig 
befannten ®efange§. S)ie mit fo einfad^en äRittetn betoirfte 
Steigerung bei ben SSorten : „tt)enn ©otteS ^of aun' tt)irb an= 
ge^n" ift mufifalifc^ unb ^joetifd^ ebenfo fd^ön, toit bie 
äöenbung, baß grauenftimmen ben erften SSerö: „®ie ©eele 
lebt o^n' alle ffilag'" intoniren unb bie tiefen SKännerftimmcn 
anttt)orten: ,,S)er Seib fd^Iäft bi^ jum testen lag". ®iefer 
aSegräbnifed^or an^ S5ra^m§ erfter ^^Jeriobe l^at für un§ nod^ 
hk befonbere Sebeutung einer üorbereitenben ©tubie §u feinem 
„®eutfd^en Slequiem". 



Pännerd^fir^e. 

9Son |)einrid^ |)ofmann prten mir eine neue ®om<)o= 
fition für SBaritonfoIo, 3Rännerd)or unb Drc^efter, betitelt 
,,§öralb§ SBrautfa^rt". S)a§ ©ebid^t, ia^ eine fe^r 



männcrd?öre. 287 

magere 93ege6en^eit mit einem Ucbermafe t)on ©d^ilberimg 
umtuidE elt, !ommt ber $f|öntafie be§ Som^^oniften nid^t fonber^ 
licfi entgegen. @in norbifc^er $elb, $aralb, öerfinft auf 
feiner Srautfal^rt im ©eefturm fammt Schiff unb SKannfd^aft. 
S)a im ©ebid^te gar nid^tS gefd^iel^t, um un§ biefen 93räutigam 
einigermaßen intereffant ju mad^en, fo begreifen lüir nur 
fd^ltjer ba§ furd&tbare ©peftafel, meld^e§ ber „®ott ber ©türme'' 
unb ,,bic Unl^olbe be§ @übmeer§" gegen benfelben lo^faffen^ 
uoä) bie lange, untröftlid^e Samentation, mit lüelc^er fc^Iieß^ 
1x6) „bie ©eifter ber @ee" ben Untergang $aralb§ beffagen. 
Un» läßt fein ©rtrinfen giemlid^ gleid^giltig. gür ben 
ßomponiften mar er im ®runbe aud^ 9?ebenfad^e; ^auptfad^e 
finb il^m bie ©d^ilberungen be§ @c^iff§Ieben§ unb be§ See- 
fturm^, bie S^öre ber 3Katrofen, ber guten unb ber böfen 
SReere^geifter. S)a§ <SiM ift, tt)a§ bie äRaler eine „aKarine" 
nennen. Unb ofö SKaler l^at $einrid^ $ofmann in feinem 
^aralbbilb eine nid^t aütäglid^e ©emanbt^eit unb ©ffeft- 
fenntniß beriefen. @r malt mit breitem ^^infel unb fräftigen 
?5arben. 3m gac^e inftrumentaler 9?oturfc^iIberei ^aben ja 
o^ne grage unfere mobernen ©om^joniften bie Älaffifer über- 
holt. (Segen ben ©eefturm t)on |)einrid^ §ofmonn finb ber 
Drfan im „Idomeneo" unb ba§ @ett)ittcr in ber ^ßaftoraU 
@^m<)]^onie ffinberfpiel. Unb boc^ mirfen biefe öiel unmittel= 
barer, einbringlid^er auf un§, tt)eit fte nid^t afe |)aupt}ad^e 
auftreten, nod^ mit ber Slbfid^t eine§ SSirtuofenftürfeS im 
Snftrumentiren. ©benfo angemeffen unb n)ir!fom xok ha§>- 
Drd^efter bel^anbelt §ofmann bie ©ingftimmen. „§aralb§- 
Srautfa^rt" tpirft afebanfbare^ 5ßrobuftion#üd; Originalität 
ber ©rfinbung, Siefe unb Sraft be§ ©ebanfen^ muß man 
nic^t barin fuc^en. §. |)ofmann ift fein genialer Sonbid^ter, 
mol^I aber ein fieserer, gett)anbter ^ßraftifer, tpeld^er Sllltäg^^ 
lic^eö in gefd^madföoH abgerunbeter gorm öorjutragen tt)eij3- 



288 €b. f^anslirf. 

®r bctpcgt fid^ in jener ©fala, bie tt>ir \>tn gcbtibeten beut- 
fc^en Siebertafelfttl nennen möd^ten. Sie SBelt ntiifete bcrften, 
fagte einmal Stöbert ©d^nmann, todüit fie lauter SJeetl^oüen^ 
hervorbringen. S)er unglüdEüd^e ©eefa^rer ^aralb n)irb au- 
ftatt feiner SSraut fic^ menigftenä bie SKdnnergejangüerctne 
erobern. SSefonberg, toenn ber ©omponift, toie er e§ I)ier 
gettian, fein SBerf ^jerfönlid^ birigirt. ®r l^at fc^on einmal, 
1876, mit feiner „grit^jof^S^mpl^onie" in SBien frennblic^c 
Slufnal^me gefunben ; fie marb il^m bie^mal in nod^ toärmerem 
Orabe §u tl^eil. — gum ©d^Inffe be§ ©oncert^ !am eine 
mufüalifdie SRief enf d^Iangc ba^ergetoäljt rSaäillembe^aan^ 
Kom^jofition ber U^Ianbfd^en »attabe ,,®er Söniggfo^n'', für 
@oIi, SRönnerd^or unb Drd^efter. ®ie ©emöd^Iid^feit, mit 
uield^er biefe jäl^e SKaffe fid^ in langfamem lem^jo , mono^ 
tonem 9il^^t^mu§ unb abgegriffenen SReben^arten fortf(^Iep<)t, 
ift nid^t gu befd^reiben. S)ie unerfättlid^e SBieber^oIung t)on 
©ä^d^en toie „S)ie SJü^e judfen an^ ber Siad^t" ober „SSer- 
fd^Iungen ift ber ^önigSfo^n" fteHten fd^on im Slnfange bie 
©ebulb be§ ^örerä auf eine l^arte ^robe. S)er Se^Igriff, 
ben ein geniater lonbid^ter toit Stöbert ©d^umann mit bem 
bramatifc^en Surd^- ober Slugeinanber-Eomponiren biefer 
ober anberer U^Ianbfd^er SSallaben gemad^t, foHte füglid^ 
jeben Stad^folger abmahnen. SBer erjöl^Ienbe ©ebid^te bergen 
ftalt/an einzelne bramatifd^e ^ßerfonen öert^eilt, ba§ ®po§ 
unb S)rama fid^ fortinal^renb in ben paaren liegen, tt)irb 
fd^merlic^ ettt)a§ 9lnbere§ hervorbringen, atö üerfrü^jpelte 
D^jern, benen baä bramatifd^e Seben unb bie finnlid^e Sin- 
fc^aulid^feit fehlen. @o unglüdflid^ bie @ d^ u m a n n fd^e Eom- 
pofition beg „SönigSfol^neg" un§ auc^ crfd^eint: in einem 
$unft tonnte fie §errn SB. ö. ^aan nod^ immer jum SRufter 
bienen. %üx bie cinleitenben üier SSerfe brandet ©d^umann 
nur je^n lafte, für bie 8lnttt)ort beS Sönig^fo^ne^ : „®ieb 



B. Staücnl^agen, 2Irtt^ur ^Jriebt^cim, 3^avex Sd^ariPcnFa. 289 

mir t)on allen ©d^öfecn" u. f. tu. ficbcn laftc. Sei ^ami 
bauern fie eine @tt)ig!eit. §err t). $aan, Sapettmeifter in 
Sarmftabt, wirb un§ aU ein vortrefflicher Dirigent nnb l^öd^ft 
lieben^tpürbiger junger 3Kann gefc^ilbert. SBenn biefe SSor- 
jüge l^inreid^en, um eine bie §örer einfd^Iäfernbc, bie ©änger 
aufrcibenbe ©ompofition jur Sluffül^rung ju mälzten, bann 
f)ai ber 5)irigent Stecfit gehabt, biefen Sönig^fol^n gegen nn§ 
loSjuIoffen. 



^irtuüfen* 

23. %t<imn^a^tr\, JIriQur 5Frie59eim, 3cavev l^fQanvenRa. 

|)err SSernl^arb ©taöenl^agen, ein junger Sil^üringer, 
ift ätt)eifeno§ berufen, einer ber größten Maöierfpieler ju 
n)erben. ©ein erfteS Eoncert ^atte nur ein Heiner ^ublHum 
l^erbeigetodtt; fein 5n)eite§ fanb üor einem jal^Ireid^en, fein 
brütet enbKd^ öor einem bid^tgebrängten Slubitorium ftatt. 
©taüen^agen üerfügt über eine öoHenbete, abgerunbete unb 
abgeHärte Sec^nü, ber gar nichts 3KaterieIIe^ mefir anhaftet, 
©ein 9lnfd^Iag ift mitunter jauberl^aft. @r fingt, fpricf)t, er- 
jäl^It, <)Iaubert am Älaöier. SRan fann öon il^m l^unbertertei 
Stnfd^IagSarten ^ören; jebe fdieint anber^ ju fein, unb feine 
verlangt üom S^Iaüier mel^r, afö e^ leiften fann. S)ie ffunft, 
ben Ion fo öerfd^iebenartig ju färben, ju fd^attiren, macht 
fein ©piel ungetoö^nlic^ angie^enb unb reijöoH. @ine fo 
f^oä) auSgebilbete ©peciaütät birgt aHerbing^ auä) il^re @e= 
fahren, ^ä) fann bie SJeforgnife nid^t ganj unterbrüdEen, bafe 
ber SReid^tl^um öon Slnfc^Iag^nuancen, burc^ meldten ©taöen^ 
l^agen bezaubert, öietteid^t i^n felbft irrefül^ren unb herleiten 



290 <2b. f^anslirf. 

möd^tc, über bcr Slangfd^önl^cit bcr einädnen ^^rafc, ja bcä 
cinjclncn Iott§ ben ©l^arafter bc§ ®an§en ju ücrnad^Iäffigcn. 
©0 fd^etnt er mir bie ,,SScrfcf)iebung" , ber er fd^öne @ffc!te 
entlodt, §u pufig unb anl^altenb ju üertoenben. @r fptelt 
— mit SluSnal^me toeniger %atie — ha§> ganje Slbagio ber 
Cis-moll-@onate unb ben gangen Des-dur-3KitteIfa| in ®^o* 
^)inS Iröuermarfd^ mit SSerfd^iebung ; boburc^ Hingt, toa^ 
ötl^erifdö begonnen f)ai, om fönbe fränflid^ nnb matt. Sfn 
feinem SSortrag ber Seetl^oöenfdien ©onaten rül^men n)ir bie 
männüd^e Sluffaffung bei jarteftem 5)etail nnb bie ftrenge 
©inl^altung be§ %altt^. ®ennod^ erzeugten mitunter bie S'Iang- 
fünfte beS 5ßianiften n)enigften§ ben ©d^ein eine§ abfid^tlid^en 
©d^önmad^en^. S)er groge gug ber Sonbid^tung mußte fid^ 
tjorüberge^enb bod^ bem einzelnen berüdfenben ®Ionge fügen, 
©taöenl^agen erfd^eint in fotd^en äRomenten ettoa tou tin 
aSaler, ber einer blenbenben garbe julieb, ober toie ein 5ßoet, 
ber für einen originellen SReim bie ^het be§ (Sangen gured^t- 
rüdft. ftleinere ©türfe üon ©d^umann , ^tjopm, Sifgt fpielt 
er mit reigenber 9latürlid^!eit , faft mit Unmittclbarfeit bon 
3ni<)rot)ifationen. SWit jauber^after Seid^tigfeit, faft ju rafd^, 
lößt er ben S^o^jinfc^en Des-dur-SBaljer an un^ öorüber- 
fliegen. Sefrembenb fiel e§ auf, baß ©taöenl^agen eine S^o- 
^)infd^e @tübe gang unvermittelt, faft ol^ne bie $anbe üon ber 
Slaöiatur gu ^cben, an ben Srauermarfd^ anfügte. SWit be^ 
fonberem gntereffe hörten wir E^opin§ „Fantaisie-Polonaise", 
op. 61. ©ic tt)irb megen il^rer außerorbentlid^en ted^nifd^en 
©c^tt)ierig!eiten mie ob i^re§ rötl^fel^aften 3n^alt§ feiten ge- 
fpicit. ©taüenl^agen gügelte bie erfteren öoHfommen unb 
erl^eHte ba§ öermirrenbe Sunfel be§ lefeteren nac^ 3Rögtid)feit. 
@g ift bieg eine ^ßl^antafie im ^jatl^ologifd^en ©innc, baS 
5ß]^antafiren eineg gieberfranfen , bem lodEenbe unb tt)üfte 
©Über in mirrcr fjlud^t erfd^einen. SJergeben§ fud^t er fte 



TS. Staocnt^agcn, 2Irtt^ur fricbl^eim, Xavex Sd^aripenfa. 291 

5U beuten, feftju^atten, ju üerBinbcn; feine ©rregung fteigert 

\xä) enblid^ bis jur Sobfud^t, aii§ meldier er in tieffte @r* 

ntattung l^ilffoS jurücffinft. (Sin ^jf^d^ologifc^ merftnürbigeS, 

aber rnnjüalifd^ burdionS nnerfreuIid^eS ©tüdt. SBenn Sif jt, 

ber begeifterte SSere^rer ©^opinS, t)on biefer ©ompofition 

fagt, jie fte^e ofe ganj patl^ologifd^ aufeerl^db ber S^j^äre 

ber ^mft, fo ift bem nid^tö votxttx beizufügen. @S tt)irb er= 

5ä^It, ba§ El^opin, als er be§ Slac^tS biefe eben entftanbene 

$oIonaife fid^ üorj^jielte, bie %f)üx feinet SiwinterS aufgellen 

fal^ unb ein langer Snq polnifc^er ®amen unb ©belfeute in 

altcrtfjünilid^er Srad^t an ifim üorbeifd^ritt. S)tefe SSifion 

erfüllte i^n mit folc^em ©c^redEen, bafe er gur entgegen=^ 

gefegten 2pr ^inauSftüd^tete unb jeneS 3iwi^^^ i>c^ 3tad)t^ 

nid^t mel^r gu betreten tüagte. ©in :poInifd)er SRaler, ütoia" 

tott)§!i, l^at biefe SSifion „nad) ©f|o<)in§ eigenen Sfngaben" in 

einem Silbe bargefteHt. 3(m fd^önften \pklt ©taöenl^agen 

bxe ©ad^en feinet SKeifterS Sifjt. @r ntad^t fie fogar er- 

ttöglid^ unb intereffant, benn er f^jielt fie mit ber Ueber* 

geugung unb bem ©ntl^ufiaSmuS einer ben?ibenön)ert^en 

3ugenb unb fiölt fid^ fern Don bem ^Raffinement unb ber 

3lufbringlicf)feit folc^er Sif^i^^elben. 9Kan öergi^t tüiHig bie 

finbifc^en Ueberfcf)riften : ,,gran§ öon Slffifi ))rebigt ben 

SSögetn", „Stanj be ^^5aula fd^reitet auf ben aSeHen", ttjenn 

©taüenfiagen biefe beiben brillanten ©tüben Vortragt. 2)ie 

eine afimt ba§ SSogeIgejtt)itfcf)er nac^, bie anbere baS SSäogen* 

geräufd^ — alfo in beiben gäHen bod^ dtoa§> $)örbare§. S33a§ 

foH man aber bo^u fagen, tpenn Sifjt einem Iot)men Slnbante, 

ba§ fid^ in eine Dftaöenetübe ftürjt, ben erl^abcnen Sitel 

giebt: „II sposalizio; n a d^ Stafael!" ©jiftirt benn 

fein unfterbüc^eg &po^ mel^r, fein S)rama, fein SKonument, 

fein ^iftoricnbilb , baS fieser tt)are öor SifjtS unfehlbarem 

Stad^muficircn ? S)a§ foH an Siafael erinnern? S)aS bie 

19» 



292 &. ^anslirf. 

SSermäl^Iung äRariag mit Sofe^)^ im Icmpel barfteffcn? 
9li6)i einmal bie |)od^5eit eine§ Slaöicrfabrifanten mit einer 
SSirtuofin. S)ie falfd^e Senben^, fold^e ©d^itberungen ju 
componiren, ift gottlob im entfdEiiebenen 9lbfterben; bcr 
jtüeifeC^afte ©efd^madf, fie in ©onccrtcn §u fultiüiren, bürfte 
and) nidE)t lange anl^alten. 2tuf biefc getrillerten ipeiligen* 
legenben unb Slaöiergemälbe „nad) SRafael" loirfte bie 
Sigcnnernatnr in öifjtg 12. 3?]^a<)fobie ttja^rl^aft erquidfenb. 

@in furiofe^ StüdE ift übrigen^ and^ ber „Valse Caprice" 
t)on S i f 5 1. ^einrid^ §eine tt)ürbe barin mit feinem mnnber* 
baren „S'Iangbifbertalent" öielfeid&t eine blafirte Stiftöbame 
gefd^aut l^aben, bie eine Äa|e auf bem ©d^og unb eine SpieU 
nf)v t)or fid^ ^at. 5)ie ©pielu^r bleibt plöfelid^ mit il^rem 
SBaljer ftedfen, tt)orauf bie S'a^e il^re ^errin erft ju ftreid^eln, 
bann furchtbar ju fragen beginnt, bi^ mit einem Stucf mieber 
ber SSäal^er in ber ©Jjielbofc loSgel^t unb bie ®a|c il^rerfeit^ 
SRu^e giebt. ©ine rec^t fd)öne Unterl^altung. 

3lrt]^ur grieb]^eimfpieIteSifätg,,@<)anifd^e 3fll^a<)fobic" 
unb brei ©tüdfe t)on©i^o}3in — atte§ mit tobenbem Vortrage 
unb unter tobenbem 8r:p<)Iau§. ^ä) öermag beiben nid)t juju* 
ftimmen. ©eine öirtuofe led^nidE , unterliegt feinem ß^^ifcl; 
i^err griebl^eim ift, toa^ man e^ebem einen „©tarff^jieler'' 
nannte, ein ©tarff}3ieler öon ftarffter, aber nid^t reinlid^ftcr 
©orte. 9Kit feiner öerblüffenben, aber feelenlofen 93rat)our 
erftrebt er nur materielle äöirfungen, tt)enigften§ errcid^t er 
bIo§ fold^e. ©ein ®pitl, ^äufig unrein, mad^t burd^ Uebcr* 
treibung be^ Xtmpo^f ber Sonftärfe, be^ ^ebalgebraud^S 
mitunter einen c^aotifd^en ©inbrurf. STIS Sifjt-Sd^üler befi|t 
er pd^ften^ bie SSraöour, aber nid^t ben (S^pxii, bie 8ln* 
mut^, bie ©m^jfinbung feinet großen SKeifter§. S93enn 
Sifat feine „©»janifd^e SRl^a^jfobie'' fpielte, mel^e Sütte 
jauberifc^ loed^felnber Sid^ter flog ba über ba§ bijarre ©tücf, 



ba§ tüic eine übermütl^ige gntproüifation tüirftc! Unter 
|)errn Stiebl^eint^ ^önbcn flang fic reijloS, troden. ®^o* 
pin§ As-dur-^olonaife, ein ©lanjftüdt aller au^geieid^neten 
5ßtaniften, erlebigte §err Srieb^eim n)ie ein töftige^ 5ßenfum, 
mit bent mon ntöglid^ft fdineü unb couragirt fertig ju ttjerben 
fud^t. S)ie „Polonaise-Fantaisie", op. 61, üon ®^o:pin, ein 
fran!^afte§, unl^eintlic^e^ unb unniufifalifd^e^ ®iM, fd^eint 
mir für öffentlid^en SSortrag gar nid^t geeignet; gefd^ie^t e^ 
bennod), fo mn§ e3 nid^t bloß mit ben gingern gef|)ielt n)erben, 
fonbern mit ber ganzen ©eele eine§ mitfü^tenben SRenfdjen. 
SBer bag ©tüdf Don ©taüenl^agen gel^ört ^at unb je^t 
tjon griebl^eim, ber tt)ei§, tt)ie tief felbft in rein ted^nifcf)er 
|)inftd&t ber SSortrag be§ festeren gegen bie Seiftung be^ 
erfteren jurüdEfte^t. 3d^ bin fein greunb ber aHejeit forreften 
8:pieIbof enpianiften ; überfd^äumenbe SSerttjegen^eit ift mir 
n)ilI!ommen, tpcnn fie bie natürlicf)e Sleufeerung eines mit ben 
©c^tpierigfeiten freubig fpielenben Äraftgefü^IS ift. Slud^ 
Sifjt ^t im Scuer ber SSegeifterung mitunter baneben ge- 
fd^Iagen. SSäol^Igemerft, im geuer ber SSegeifterung. Slber 
gerabe biefeS üermiffen toir on §errn griebl^eim; er f^jielt 
nüd^tern, unbett)egt, mit einer Slrt gelangmeilter ©leic^giltig- 
leit. Seit feinem erften Sluftreten in SBien l^at er fid) feine 
genialen langen §aare ftu|en laffen unb fielet mit feinem, 
glattrafirten ©efid^te unb ber filbernen S5riHe gar nid^t me^r 
l^immelftürmifd) auS. ©teif, tiif)l unb förmlid^ Wie ein eng= 
lifc^er Sieöerenb fefet er fid^ an fein ^nflrument, baS i^n 
in einen 9lobe§<)ierre unb ha^ er in eine ©uiHotine üer- 
toanhdt 

@in SJirtuofe, ber fid& ben milbt^ätigen SujuS er* 
laubt, ein großem Drc^efterconcert jum 95eften be§ Unter* 
ftü^ungSfonbS beS SBiener KonTeröatoriumS ju geben, mufe 
noc^ ein anbereS aU bloß mufifaüfc^cä SSermögen befifeen. 



294 €b. f^anslirf. 

SBir gratultren ^errn Xaücr @d^artücn!a red^t l^erjüci^ 
ba^u. S)a§ ber ©rtrag jicniüd^ gering auffiel, fd&mälert nid&t ba§ 
SScrbtcnft bc§ Koncertgcbcr^, tücld^em, entf^jrcd^enb bcn t)on il^m 
bcftrittencn Unfoften, ein großartiger 93eifaII ^n t^cil tüurbc. 
§err ©c^arlüenfa f^jielte jncrft fein befannteS B-moll-®on* 
cert, ba§ er bereite im Saläre 1879 l^ier vorgetragen ^at, unb 
l^ierauf einige Soloftüde t)on 3Wenbefefot)n, ©d^umann nnb 
Sifgt. S)urd^n)eg§ heroä^xtt er fid^ aU perfefter Sirtnofe 
üon tabeltofer Sforre!tl^eit, au^bauernbcr Sraft unb SJraüour. 
Sro^bem !^at mtdE) fein ©piel Weniger befriebigt, atö üor 
gel^n Salären, ©d^orttjenfa ift feit longe aU ein ausgezeichneter 
Älaüier^jäbagoge gefud^t unb berühmt. ®er ^rofeffor fd^eint 
in i^m ben 5ßoeten tobtgefd^Iagen ju tiaben. S33aS er fpielt, 
Wingt niett)obifd^, abge^irf elt, nüdEitcrn. ®ie frühere Soübität 
feinet SSortrageS ift jur ^ebanterie öerfnöd^ert. S33ie fül^t 
unb ))oefieIo§ gerietl^en unter ©d^orinenfaS §anb bie genialen 
„ÄreiSleriana" öon Sd^umann! Sold^e ©tüdfe tPoHen mit 
lebenbigem ®eift unb tief einttmrjetnber ©mpfinbung, h)ie 
ettüa§ inbiüibueH ©rIebteS, gef}3ielt fein. Sluf bie Singer be§ 
SSirtuofen möchten mir ba öergeffen; bei ©d^armenfa Der- 
goßen toix auf feine ©eele. 2lud^ fein Slnfd^Iag ift l^ärter unb 
fteifer gen)orben ; bie tiortaute ^errfd^af t ber linf en ^anb er- 
innerte an ba§ ftrenge S'ommanbo eines DffijierS, ber feine 
Som<)agnie in S^aft unb Drbnung erl^ölt. ®en Sefd^Iufe 
machte eine ®t^mp^onit in C-moll Don ber Eompofition beS 
©oncertgeberS, ttjelc^er felbft birigirte. @ie fud^t burd^ bie 
gettjaltigften Intentionen, burd^ baS betäubenbfte ©etöfe, burd^ 
ungenjö^nlid^e Sänge unb breite ju njirfen. ^n bem Se* 
ftreben, etinaS äußerft Seibenfd^aftlid^eS , liefeS unb ©roß- 
artiges ju fc^affen, ^at Sd^artoenfa leiber fein 2^alent über* 
fc^ä^t. ©d^on ber erfte @a^, eine SSer^errlid^ung beS grim- 
migften 5ßeffimiSmuS , ift geeignet, ben §örer öon ber 9leu* 



Streid^trio von ino3art. 295 

gicrbe naä) bem golgcnbcn gu l^cileti. ^n bcr Sorm faßt 
ber @a| l^altlo^ au^einanbcr; bie Sogif f^mpl^omfc^cr ©nt* 
toidEIung erjd^eint aböebanft ju ©utiftcn eitic^ fprungl^aften 
tnelobramatifd^cn SBefenS. SKan glaubt mitunter eine erregte 
bramatifd^e D^jernfcene o^nc Oefang ju l^ören. ®ö mad^t 
ftetg einen betrübenben SinbrudE, menn ein liebenSmürbiger 
äRann, ber mit feiner SSernunft unb bem Seben auf bem 
beften gufee fielet, fid^ ein groge^ tragifd^e^ ©d^idfal an* 
bid^tet unb burd^auS für einen $iob, gauft ober Sölanfreb 
gelten n)itt. 



$itmmermu|tk. 



^txx 3unu^SBinfIer,ein äRufif er öoH lemperament 
unb Segeifterung , beffen fc^öner, n^armer ©eigenton un* 
übergeugenb ju §erjen fprid^t, l^at un§ am legten Stbenb 
mit einem merfmürbigen ©tlicf überrafc^t. @g ift ein ©treid^* 
trio in Es-dur üon äRojart, baS, 101 3a^r alt, unferem 
^ublifum bennod^ ate eine Sioöität entgegenfam. äRan öer* 
»edifele eS ja nid^t mit fo mand^en pd^tigen ®elegen^cit«* 
compofitionen SDlojart^, n)eld^e nur bie Unter^altung^mufil 
ber gebilbeten S)ilettantenfreife feiner Stit bereidiern n)ottten. 
Unfer @treicf)trio ift ebelfter SBein an^ einem ber beften 
Sa^rgänge, 1788, bem n)ir aud^ bie brei ©qm^jl^onien in 
C, Es unb G-moU öerbanlen. Dtto 3^^^, meld^em toir bei 
aller fd^ulbigen unb aufrid^tig gefüllten SSerel^rung bod^ 
mand^mal ein bisd^en mißtrauen, menn er üon gett)iffen ber* 
fd^ollenen Slrbeiten SRojartö befonber^ ent^upaftifd^ f<)rid^t 



296 <2ö. ^anslirf. 

— er f)ai bie^mal öottftänbig Ifitä^i, \>a^ Es-dur-Irio „ein 
tt)a^rc§ S'abinett^ftücf bcr ^antmermufi! unb eine ber bc= 
tüunbcrungStüürbigftcn Strbcitcit Sölojart^" gu nennen. @§ bc- 
fte^t au^ 6 ©ö^en: SlHegro, Slbagio, SRenuett, Sfnbante mit 
SSariationen, SKennett, SRonbo. 3eber biefer @ä^e ift breit 
angelegt, ungemein forgfältig au^gefü^rt, bei aller ©infad^l^eit 
erfinbungSreid^ in ben äRotiöen, ftet§ anregenb burd^ feine 
tiarmonifd^e unb fontrapunftifdEie Sel^anblung. SRanc^e 
SBieberl^oIungen unb lonbentioneHe SBenbungen trüben laum 
öorüberge^enb ben ©enufe biefeS \o fd^Iid^ten unb bod^ t>ox^ 
nel^men SBerfe^. SBie reijboH unb eigenartig Hingt nid^t baS 
STnbante, beffen öolföüebmäfeige^ Sl^ema fid^ in eine SReil^e 
fein inbiöibualifirter Variationen auSeinanberlegt ! SSie blü= 
^enb, frifd^ unb jart ber §tt)eite SKenuett! Unb über bem 
®anjcn biefeS feiige ®enügen, biefe ©emüt^Sreinl^eit, biefe 
greube am Seben unb am ©piel. SBie glüdflid^ möd^te man 
unn)imürlid& aufrufen, tüie glüdfüd^ mu^te ber äRann ge= 
toefcn fein, aU er biefe SDlufif fc^rieb ! SBeit gefel^It. SWojart 
mar in jener 3cit l^art bebrängt öon ©elböerlegenl^eitcn, be- 
brüdft burdö l^äuglid^e ©orgen, geöngftigt burd^ bie ^anf^eit 
feiner Stau. S)ie flel^entlic^en Sittfd^reiben an feinen grcunb 
?ßud^berg batiren au§ berfelben 3eit. Slber all ben böfen 
Srbenftaub fd^üttelte SKojart üon fid^, tpenn er ju componircn 
begann. ®er Jammer be§ 8ltttag§Ieben§ burfte nid^t hinein 
in baS OTer^eiligfte feiner ®unft; er behielt i^n ftitt für fid^ 
unb ad^tete e§ für unerlaubt, mit ben S)iffonanjen feinet 
^)erfönKd^cn äRifegefc^idfeS bie ig)örer §u üertoirren, bie ja 
il^rer eigenen ?ßlagen bergeffen moHten in einem ©tünbd^en 
SKufif . SBie ganj anber§ i^tntt ! Unf ere befferen ©om^joniften 

— nod^ lange feine SKojart§ — leben in einer unüergleid^üd^ 
beüorsugteren fo^ialen ©tettung unb in meit günftigeren SSer* 
l^ältniffen, atö ber ©d^öpfer beg ®on Swan; e§ ge^t il^nen 



Streidjtrio von Xtlo^att 297 

red^t gut, too nid^t öortrcffüd^ , unb boä) — ml^ bitterer 
?ßef fimiSmuS , troftlofer Jammer unb ober SebcnSüberbrufe 
burd^gie^en il^re ®onH)ofitiouen ! Oetoife überftrömt bie ©runb^* 
ftintmung einer bcftimmten Seit in ben einjelnen Sünftler; 
fott aber biefer tpirflid^ nur ein SReferöoir fein ber attgenteinen 
Unjufrieben^eit unb ein STu^rufer ber eigenen? „S)ie fd^ttere 
3lotf) ber Seit, bie Seit ber fd^tteren 9iot^" — ift fte allein 
fd^ulb an ber SSerbüfterung unferer SKufil, ober ftnb e^ nid^t 
aud^ ein biSc^en bie ©ontponiften felbft? ©ine ntuftlaüfd^* 
^)f^d^oIogifd^e Preisfrage. 



1890. 



®ie „Duöertüre junt ©cfeffelten ^romet^euS bcS 
Slcfd^^IoS", eine ber beften, tetfften Eompofittonen ©olbmarfö, 
reijt nic^t bIo§ burd^ bie l^ei^e ©nergte be§ STu^brucf^, pe 
l^at aud) mufifaUfd^en ®c^alt unb überftd^tlid^e ijorm. @S 
gel^t barin tPtrffic^ etn)a§ öor, in mufitalifci^em Sinn, 
nid^t in bem ntigüerftänblid^en einer brantatifd^en Slad^malerei. 
®ie Dnöertüre beginnt tt)ie feierüd^e SKeereSftiHe mit einem 
Slbagio in C-moll ; ba§f elbe bröngt aHmä^Iid^ ju ber l^eftigeren 
S3ett)egung, bie in bem SlHegrofa^ (gleidEifallg C-moll) in öoHen 
SIu§ gerätl^. STuf bag trofeige, fd^arf mdrürte ^aupttl^ema 
folgt ein jtoeiteS in C-dur öon auffaHenb fanftem, foft ib^tti^ 
fd&em Slu^brudE; eine einzelne Dboe, bann eine Klarinette 
intonirt biefe, öon leifen Slfforben getragene SKelobie. SKand^cr 
foH STnftofe genommen l^aben an bem friebüd^en Son biefeS 
@eitenmotit)§. Di e^ bie Erinnerung an frül^ereS ®füdE ober 
bie Hoffnung auf ©rlöfung anhtnttf überlaffe id^ ben SluS^ 
legefünftlern. SRir aber fd^eint e§ gerabeju ein SSerbienft 
be^ ©om^joniften, baß er bie Folterqualen beS angefd^miebetcn 
?ßromet]^euS öorübergel^enb unterbricht unb befc^toid^tigt, if)n 



,,Prometl^cus»0uüertüre" von (SoIbmarF. 299 

unb un§ glcid^fant STt^em fd^ö^jfen läßt. ®iefcr ©ontraft toar 
mufüalifd^ nottitDenbig ; in einem Drd^eftcrftücf öerlangen tt)ir 
^uerft äRufif unb bann crft Iragöbie, fo meit fie in erfterer 
lösbar ift. 95alb brid^t bie ©nergic be§ erften Ificmag tt)icber 
^eröor unb fteigert ftd^ p ftürmifd^er @m}3örung. 3Kan be* 
mer!e bie öon öier ^ofaunen burd^ eine Dftoöe c^romatifd^ 
l^eraufgefü^rten öerminberten Septimenafforbe. @in öon allen 
©treid^inftrumenten in ftörfftem gortiffinto au^gefül^rteS an* 
l^altenbeS Iremolo — ber ^ö^tpnnti ber tragifc^en Situation 
— fc^ttjäc^t fidE) alImä£)Ud^ ab; immer langjamer unb leifer 
näfiert fid^ ba§ @nbe: ein rut)ige^ Slu^at^men auf einem 
langen, üerl^aüenben C-dur-8lfforb. ®ie ^romet£)eu§=Dut)er= 
türe bebeutet eine weitere bettjugte S^Iärung öon ©olbmarfö 
ftarfem, aber turbulentem latent ; erfreulicf)e Slnjeid^en toaxtn 
fd)on in ber ,,Sifü^Iing§=Duöertüre'', folüie in ben neueften 
Siebem mal^rjunel^men , ttjeld^e öon bem beclamatorifc^en 
$rin§i<) ber mobernen Sieberfunft fel^r merflic^ toieber jum 
tKelobifd^en einlenfen. SRan ttjeijg, ha^ ©olbmar! öorjug^- 
n)eife tragifc^e Stoffe, teibenfc^oftIid^e§, unöerfö^nte§ JRingen 
liebt unb ba§ er im SluSbrudt biefer Siebe nid)t fd^üd^tern 
ift. ^ä) fonnte mid^ be^l^alb einiger 93eforgni§ nid^t ern)e^ren, 
üU ©olbmar! fid^ gerabe ben „gefeffeften ^romett)eug" au§* 
fuc^te. SBirb ber fd^eufelid^e ®eier, ber an ^ßrometl^eu^^ Seber 
l^adt, fid^ nid^t ä^gleid^ in unfere D^ren öerbeigen? SBirb 
nid^t ftatt be§ Reiben unöerfe^enS fein ©ruber @<)imet]^eu§ 
auftaud^en unb au§ ber berüd^tigten Siid^fe ber 5ßanbora 
alle§ auffliegen mad^en, tt)a§ bie SRufi! an böfen Stechfliegen 
befi^t? Siic^tg öon allebem ift gefd^el^en. Xxo^ ber ein== 
fd^neibenben, im geuer be§ ftärfften Drd^efter^ l^eifegegfül^ten 
^ragif biefer Kompofition t)abe iä^ gerabeju Slbfto^enbeS, 
|)ö§Iid^e^ nid^t barin bemerft. SRit reinen ®reiflängen läfet 
fid^ freilid^ ein ^rometl^euö ebcnfott)enig machen, toie eine 



300 €b. f?ansHrf. 

SReDoIution mit Stofetittaffer. Slbcr ®oIbmarf§ SJcrbicnft ift 
cS, ba^ er jtd^ nid^t in Heinlid) au^malcnbc§ S)ctail öerioren, 
fonbem ftet§ ba^ große ©anje im Slugc bel^altcn unb auS 
feinem gefä^rlid^en ©toffe ein mufüaüfd^e^ ^unfttterl ge* 
fd^affen ^at Um üoHfommen . ju üerftel^cn, toa^ mit biefen 
SBortcn gemeint ift, braud&te man im ^^Sl^ill^armonifd^en Kon* 
cert nur noc^ ein SBeild^en na^ ©olbmarf^ Duöertüre fi^en 
ju bleiben unb fid^ bie ^^^^ante^S^mpl^onie" üon Sifjt an* 
jul^ören. 

©rofee SBirfung machte eine Sioöität; @metana§ ft)m* 
^)]^onifd)e ®id^tung „Vltava". @o nennt fie ber Slnfd^Iog* 
jettel. S^ ^ötte geglaubt, bafe mir in SBien nod^ S)eutf(^ 
\pxtd)m unb l^ier niemanb üer^jflid^tct fei, ju wiffen, bafe 
„Vltava" bie äRoIbau bebeutet. SBal^rfd^einlid^ toar §of* 
la^)eIImeifter Stid^ter gleich üielen feiner Svif)'6xtx ber 3Rei* 
nung, „Vltava^* fei ber 5Rame irgenb eines unbefannten 
großen gelben cjcd^ifd^cr Station. 5)ie erfte ©d^ulb trifft 
ben SWufifüerleger, ber auf ber ^ßartitur jmar ben ©efammt- 
titel unb fogar aöe SSortragSbejeid^nungen in beutfd^er 
Ueberfe^ung beifügt, aber bie für ba§ SSerftänbnife entfd^ei- 
benbe Sluffd^rift „Vltava" nic^t. Unb boc^ moKen bie Kjed^en 
©metanaS SBerfe auc^ in ganj S)eutfd^Ianb verbreitet roiffen. 
3Barum alfo auf bem Sitelblatte ben Flamen „SRoIbau" bcr* 
fc^meigen, ben ebenfoöiele SKiHionen Sölenfd&en fennen, aU 
etma ^unbertebaS aSort „Vltava^^ SRit fold^en „^jatriotifd^en" 
ffinbereien l^aben cjec^ifd^e SSerleger i^ren äRufif^eroen fd^on 
mel^r, afö fie glauben, gefd^abet.*) S)ie Eompofttion felbft 

*) 3)a§ uon ben ^^ü^armonifern gefpielte ©tücf ift bie gmeite von 
fec^S ©t}mp()onif(^cn ^ic^tungen, meictje ©metana unter bem QJefammts 



Sympl^onif d^c Dtd^titng von Smetana. 301 

tft ba§ SEBerf eine§ ed^ten unb glänjenben latente^. Qn 
crfter Sinie SRaturfd^ilbcrung, gciiört fie ju jenen ^xoqxamm^ 
SRuftfcn, n)eld^e im ©runbe feiner gebrncften Oebraud^^an^^ 
toeifung bcbürfen unb nirgenb^ über bie (Srenjen bc§ muft* 
faüfd^ aSerftänblid^en ober ßulöffigen i|inau§gel)en. SSon 
Sifjtg @^m^)^onifd^en ®id^tungen angeregt unb beeinflußt, 
ift @metana§ „äRoIbau" bod^ biet einl^eitlic^er gebadet unb 
natürlicher entn)idEeIt. ©in |)au^)tgebanf e, eine ©runbftimntung, 
beinalie eine S3egteitung§figur bel^errfd^t ba§ gonje (Sind, 
Der Slnfang ift reijenb. SBir ftefien am Urf^jrung ber 
SHotbau, bie im Söl^mermolb au§ jlüei Duetten entf^jringt. 
Sine einjelne glöte melbet fid^ mit einer rafd^en, fd^üd^ternen 
SSettenfigur; öerf^jrengte ^ßijjifatotöne ber ©eige unb §orfe 
blifeen lt)ie ©onnenftral^Ien barein. S)a§ SBäfferd^en fd^n)ittt 
on: ^toti glöten bringen ba§ aSettenmotit) in @ejten, bie 
Klarinetten in lernen, enblid^ nimmt ani) ba§ ©treid^quartett 
e§ auf. Sluf biefer gteid^möfeig auf- unb nieberlüogenben 
Begleitung erl^ebt fic^ in ben c^oljbläfern ba§ eigentlid&e 
Iljema, eine öolfötpmlid&e, rul^ige Sieblüeife in E-moll. S)a 
ertönen SBalbl^örner ; eine ^a^h jiel^t vorüber, n)äi|renb bie 
SBettenbegleitung unter gli|emben2riangelf längen rul^ig n)eiter^ 
flutl^et. Slttmal^Iic^ öerliatten bie Körner, bie ^aqh entfernt 
fid^ ; i^r folgt , jtoif d^en 9Karf d^ unb ^olta f d^n)ebenb , eine 
lönblid^e ^od^jeit^mufif. SRad^ bem SSerfd^n)inben ber Säuern* 
l^od^jeit taud^t bie itjogenbe Segleitung^figur n)ieber auf, bie^- 
mal bIo§ in ben glöten unb Klarinetten. S)ie ©eigen, mit 
©orbinen, führen baju eine fanfte, getragene äRelobie, bereu 
Slbfd^nitte furje ^arfenar^jeggien marfiren. „äRonbfd^ein, 

titel „m^in ^attxianb" öeröffentlid)t ^at. g^re 5tuffd^rifteu tauten : 
1. 3St)fcöe6rab. 2. S)ic SKoIbau. 3. 6c^arfa (^JJome ber ^Imojonens 
fü^rerin unb eine§ St^oIeS bei ^rag). 4. §lu§ SBö^menS gfur unb 
^ain. 5. ^abor. 6. SBIanif. 



302 €J). fjanslirf. 

SR^ttt^jl^enreigctt" l^eifet e§ in ber Partitur — ein glcid^mö^ig 
bic äRalcrei toic bie ^ocfic ftrcifenber SSortourf, ber l^icr mit 
cd^t tttufifalifd^cn SKitteln reisenb au^gefüiirt ift. SlUntöl^Iid^ 
befd^Ieunigt fic^ ber SBogentonj, immer lauter unb tüilber 
fd^öumen bie SBäffer: lt)ir finb in bie „@t. Sotianni^-Strom- 
fcfmeHen" gerotiien. S)a§ gaitje Ord^efter mit SSecfen unb 
großer Srommel gerötli in Slufrul^r unb öoüfüiirt ein potrio* 
tifc^ übertreibenbe§ ®etöfe, ba§ ben äRoIbaunjirbel für einen 
jttjeiten SRiagarafaH ausgeben möd^te. S)urc^ bie Strom* 
fd^neHen gelangen n)ir in bie breitefte Strömung be§ äRoIbau- 
fluffeg, ber nun majeftötifd^ am gufee be^ SB^fd^el^rab ba^in- 
fliegt. 2)a§ erfte Il^ema ertönt nun in l^ettem E-dur, bie 
S5egleitung§figur n)irb ruljiger, möd^tiger, unb ba§ ©anje 
fd^Iiefet in ftoljer, öielteid^t nur ju lärmenber ^^Jrad^t. ©metana^ 
„SRoIbau" ift ein fd^ön gebadetes, ein^eitlidE) unb bod^ ol^ne 
äRonotonie burd^gefül^rte^ StüdE, ba§ ein originelle^ Salcnt 
unb in ber S^ftrumentirung einen ber eminenteften ©d^üler 
SifjtS unb SSerliog' öerröt^. 9luf einen tiefen mufifalifd^en 
Qbeengel^alt, auf polt^p^ont unb fontra^junftifd^e ffunft in 
Verarbeitung ber aWotiöe mad^t e§ feinen Slnfprud^ ; e§ ttjirft 
burdE) liebmä^ige (nid^t ^^unenblid^e") SRelobie, burd^ flare, 
f^mmetrifd^e gorm unb reigöotten Slang. 8tfö Srtaturfd^ilbe* 
rung i)ai ©rnetana^ „äRoIbau" ben SSorjug, ber ^^antafic 
nur ganj t^pifd^e Silber öorgugaubern, bie feine» betaiKirten 
5ßrogramm§ bebürfen unb ben ©om^oniften nirgenbS ju ge* 
fd^madEIofer ©renjüberfd^reitung nötl^igen. 

Sriebrid^ ©metana ift 1824 in Seitomifd^I geboren. (£r 
leitete anfangt eine SKufiffd^uIe in 5ßrag, folgte bann einem 
3?uf nad) ©ot^enburg in ©d^njeben al§ äRufifbirector, feierte 
nad^ je^n S^^^en in feine §eimat^ gurüdf unb übernal^m 
bafelbft 1866 bie Äapettmeifterfteße am cged^ifd^en Slational« 
tl^eater. @r l^atte ba§ Unglüdf, bie legten jel^n ^cfs/tt feinet 



SYtnpl^ontfd^e Did^tung von Smetana. 303 

Scben§ in öoUftönbigcr %anbf)txt ju öerbringen unb fd^Iiefelii^ 
in SBa^nfinn §n verfallen, ©metana ift 1884 im ^rogcr 
Strenl^anfe gcftorben. 9lä^ere§ über feine SBerfe unb bie 
atter übrigen großen unb Keinen Sterne be§ 5ßrager äRufit 
l^immetö erfahren tüir ou§ einer bei Urbanef in 5ßrag er* 
fd^ienenen Srofd^üre : ,,®in Sierteljalir^unbert böl^mifd&er 
äßufif" t)on ©ntanuel ©l^öala. .SRac^bem ber SSerf affer 
mit liebenSttJürbiger Slufrid^tigfeit felbft gcfte^t, baß „unter 
bem ®inbrudE ber frifd^en Il^aten ein ober baS anbere 
©rgebniß überfd^ä^t njerben fonnte", fo erfd^eint e^ 
ratl^fam, ®]^öala§ entfjufiaftifd^e Urtl^eile ttjie ben 5ßart 
einer B-SIarinette, nämlid^ um einen ganjen Ion tiefer, ju 
lefen. ®{)t)oIa botirt bie böfimifc^e äRufif erft „öon bem 
rafd^en Slufblül^en be§ nationalen ©eifteä nadE) bem ©rfd^einen 
be^ Oftober-Siplom^''. Srtac^ biefer, aber aud^ nur biefer 
Zeitrechnung barf er aßerbingS ©metana ben „erften bö^* 
mifd^en lonfünftler unb Segrünber ber böl^mifd^en äWufif'' 
nennen, ffiin SSetounberer öon ©metanaS ©t^mpiionifd^en 
S)id^tungen, fteßt ®£)tjala bod^ jul^öd^ft beffen Dpern unb 
bejeid^net überiiaupt bie bramatifd^e äRufif aU baSjenige 
®ebiet, in loeld^em feine £anb§Ieute ^^auf ber §ö^e ber geit* 
genöffifd^en Sunft" ftelien. SReineSt^eifö finbe ic^ bie beften 
©rjeugniffe ber cjec^ifd^en äWufif loeit mefjr in ber ^nftru- 
mentatmufif, atö in ber Dper. 2lHerbing§ öerrat^en jnjei 
Heinere fomifd^e Dpern au§ ©metanaS frül^erer Qdi — 
„S)er S'u§" unb „S)ie öerfaufte Sraut" — ein ed6te§, meto* 
biöfeS unb d^arafteriftifdöeä lalent, bag ficf) glüdflid^ mit 
bem ®eift ber SSblfötoeifen befrud^tet l^at. Qu biefen ©ing- 
ft)ielen toar ©metana noc^ nait), melobiöS unb national, 
©ie entjüdfen ^eute noc^ bie cjed^ifd^e Seöölferung 5ßragö. 
Sluf fremben Sühnen bürften fie aber ebenfonjenig ^eimifd^ 
»erben, aU ®t)of afg in äl^nlid^em ©til gel^altene fomifcfte 



304 €b. ^anslicf. 

©ingfpicic „®er Sauer at§ ©cficlttt" unb „Sicffc^öbel". 
©päter ^at ©metana als Dj^crncom^jonift 3ttd^arb SBagncr 
nad^gcftrebt. ^n feiner großen tragifd^en D^jcr ^^Sibuffa" 
(bic ici^ in 5ßrag gel^ört) öermifete id^ bic frühere Slaitoetat 
unb Srtatürlid^feit ©metanaö unb fanb i^n, fetner beftcn 
©igcnart beraubt, ate W)tpten beg fpötn^agnerifd^en ©tite. 
S)ie berül^mten brantatifd&en unb beclamatorifd^en gein^etten in 
ber „Sibuffa" öerntag natürtid^ nur ein genauer ffenner bcS 
cjed^ifcfien SbiontS ju n)ürbigen; rein mufifalifd^ mad)tt 
mit bie D^jer, lüie alle SSäagner^Slad^bilbungen, ben ©inbrui 
be§ Ungefunben, ©rgrübelten unb peinlid^ ©rmübenben. ©ie 
rei(f)t, meines ©rad^tenS, an ©metanaS ,,aRoIbau", an fein 
©treid^quortett unb feine „Suftf^jielouöertüre" ebenfottjenig 
l^inan, al§ S) t) o f a f § gro^e Opern „5)mitri", unb „S^fobin", an 
beff en DrdEiefter* unb ßamntercompofitionen. SluS ©metana unb 
S)öofaf fönnen unfere ^l^ill^armonifer nod& ntand^eS fel^r 
njirffame unb intereffante ®tM für i^r 3tepertoire getoinnen. 
3n Sejug auf bie Sitel njünfd^en ttjir bann nid^t fd^Ied^ter 
bel^anbelt ju fein, aU bie Dber^SanbeSgerid^tSrätl^e in 5ßrag, 
bie nadE) bem neueften SluSgleid^ au(^ nid^t mel^r alle ©jed^ifd^ 
ffU öerftel^en braud&en. 



®rc8«(!«r-Sttife (Ir. 2 in G-moll) oo« ^0x1% ^os^k^msku 

gür biefe SBa^I entfd^ieb too\)l n)eniger ber SBert^ ber 
eotttpofttion, afö ber ©rfolg ber erften aRogjfotoSüfd^ett 
©uite, n)eld^e i|ier bor brei Salären fo ftürmifd^en Sipplau« 
entfeffelt l^at. ®iefe toax ein flott erfunbeneS, briHant 
inftrumentirteS ©tüdE, ba§ tro^ ber geringen Siefe unb 
Originalität feiner ®eban!en ©ffeft mad^en ntufete. 5Rid&t 
ebenfo bie neue ©uite. gtoar ntarfd^irt anä) ^itx ein flattje« 



0rd?efter=5utte von ITTorife inos3foiPsfi. 305 

@litcfor^3§ bott Drc^eftereffeften qegen ben Si^^örer Io§, fogar 
unter äRit^iffe ber Drgel; tro|beni fü^It man \x6) fd&Iic^Iid^ 
ermübet, ja gelangtüeilt öon bicfer breit aufgelegten bunten 
©cenenrei^e. 8tn gefälligen, ^jifanten ©türfen unb ©tüdfd^en 
fef)It e^ natürlid^ bei SKogjfotüöfi nid^t; tüo er fid^ begnügt, 
in fna^j^jeren formen ®§prit unb ©rajie njalten ju laffen, 
n)ie in beni „Sd^ergo'' unb „Suterme^so'', ba ift er auf^ 
rid^tigen S5eifatt§ fidler. S)ie beiben langfamen ©ö^e: 
„^rätubium" unb „Sarg^etto'', beiinen fid^ in einer Slrt un- 
unenblid^er äRelobie unb fteigern biefelbe mit SBagnerfd^en 
äRitteln bi§ jur „^ö#en ®ntrüdEt^eit'^ Slm ©d^Iufe beS 
erften @a^e§ ereignet fid^ ettoag Ungeal^nteö: bie §arfe be- 
ginnt ^)tü^tid^ ganj allein fid^ in langer öirtuofer Saben^ ^n 
ergeben. ©dE)on fürd^ten n)ir nac^ biefem ^arfenconcert 
Sucia t)on Sammermoor heraustreten 5U fe^en; eä fommt 
aber etfbaS nod^ S33unberbarere§ : ein Drgelfolo öon ad^t 
Saften. ®aran fd^Iiefet fid^ eine elegante Drd^efterfuge, bereu" 
langet, in ©ed^jel^nteln rafd^ ^ingleitenbeS Il^ema ju effeft- 
öoüen SSerfled^tungen ber ©aiten- unb S3Ia§inftrumente ge- 
eigneten ©toff giebt. S)ie Drgel ^at nad^ il^ren ^jaar prälu= 
birenben 3lfforben bi§ ganj jum ©d^Iuffe ber Suge gefd^n)iegen, 
I)ier faßt fie, Iiau^jtfäd^tid^ Ujegen ^erftettung eine§ langen 
Drgel^junfteS auf bem ®ontra-D, njieber ein unb ^at fortan 
in ber gangen ©uite njeiter nichts ju tf)un. ©§ fd^eint 
mir bod^ ettüa§ refpeftlo^v einen großen §erm toit bie Drgel 
ju fold^er ttjingigen Siebenrolle §u infommobiren. ^mmer^in 
ftnb bie fünf erften ©ä^e lüeit intereffanter, afö ber fed^fte 
unb Ie|te, ein „SRarfc^", ber mit fettem ®etöfe bie fläglid^e 
äRagerfeit ber ©rfinbung gu öerptten bemüht ift. Unter 
baS ginale feiner erften ©uite, jenes ^agelartig nieber- 
t)raffelnbe Perpetuum mobile aller SSioIiueu, fonnte 2RoS§- 
fon)Sfi ein „finis coronat opus" fd^reiben; ber ©d^Iufefa^ ber 

(£b. $au$(l(f, $(u§ bem Xagebucf) eines äl^uftferS. 20 



306 €b. ^anslid. 

neuen Suite ift fein frönenber unb fein ÄrönungSmarfc^, 
el^er eine feierii(|e Slbbifation mit ZxompeUn unb Jßoufcn. 
SBol^rfd^einlii^ um bie beiben für 3Rog^gfott)§fi beigeftettten 
Warfen nod^ einmal ju benu^en, Ȋ^Ite $err ^onS Slid^ter 
äJienbeUfol^nS Duöertüre ju „Slt^alia", eine ®om* 
t)ofition, ttjeld^e unä bie ^6)toad}t, ttjeid^Iid^e unb conöentionette 
©cite biefe^ äReifterS jufel^rt unb jeber feiner übrigen Duöer* 
türen nad^ftel^t. 



drifte %^mpi0nk (D-moU) oon ^rucfiner« 

@^ ift biefelbe, bie 1877 unter ber Seitung beS (iompo- 
niften geft)ielt n)orben ift. Srucfner unterzog bag SBerf f|)ätcr 
einer Umarbeitung, in ttjelc^er e§ jefet in Partitur unb 
Stimmen bei S^. Slättig in SBien erfd&ienen unb Don bcn 
^l^ül^armonifem gefpielt tüorben ift. ®iefe SReubearbeitung 
unterfd^eibet fid^ nicfit toefentlid^ öon ber erften Soffung. 
©ie toeift einzelne fteine ©trid^e auf unb an manchen ®ttfltn 
Stenberungen in ben öerbrämenben SSioIinpaffagen. @incn 
einzigen ausgiebigen ©trid^ bemerfen toir im ^inalt] ber* 
felbe xoax aber fdE)on in ber erften SluSgabe burd^ ein „Vide" 
bem einfid^tgöoüen Dirigenten nal^egelegt toorben. Siur bie 
©d^Iufepartie beg legten ©a|eS I|at ber ©omponift grünbüd^ 
geönbert. ®cr befte @o^ ift iebcnfaßS bo§ ©dEierjo, ein 
rafd^ fortftrömenber 3)reitjierteltaft, öon einer bei SrudEner 
feltenen Konfiftenj ber gorm. 8luc^ bem gefangöotten Slbogio 
in Es-dur fönnen toir eine geraume 3cit mit SSergnügcn 
folgen, fo lange eS fid^ flar unb ol^nc unmotiöirte greße ab- 
ft)rünge enttoidEelt. S)iefe bleiben fpöter niä)t au§ unb 
trüben, gufammen mit ber unleiblidEien SluSbel^nung beS ©a^c^, 
ben guten ©inbrudE ber erften ^alfte. ®cr erfte ©a|, in 



Dritte Sympl^onte von BrudPner. 307 

toctd^cm fid^ SWad^Kängc aug ber Sicuntcn S^ntpl^ottic mit 
cttidöctt aSenuSbergmotiöen freujen, bonn baä lärmenbc 
ginalc fittb ©tüde, bie fid& in loutcr folfd^en ©ontraftcn bc= 
loc'gctt unb jcrf^jlittcrn. @te iiaben mir benfdben unfiinft== 
Icrif(f)cn ©inbrudf gemod^t, ttjie bie übrigen in SBicn gel^örlen 
©ompofttionen öon SrudEner, in toeld^en gciftreid^e, fü^nc 
nnb origincttc ©injel^eiten mit fd^toer begreiflid^cn @cmcin= 
ptä^tn, leeren, trodfenen, aud^ brutalen ©teilen, oft ol^ne er- 
fennboren ä^fammeniiang toed^fetn. SBie l^ette S3Iifee leud^ten 
l^ier t)ier, bort ad^t Safte in eigenartiger ©d^önl^eit auf ; ba- 
jtoifd^en liegt toieber öertoirrenbeS S)unfel, mübe 8tbfpannung 
unb fieberhafte Ueberreigung. Unb aüe^ ju einer Sönge 
ouSgebel^nt, toeld^e bem gebulbigften ©emütl^ jur Dual tt)irb. 
3n S5rudner§ Sompofitionen öermiffen wir baS logifd^e 
S)enfen, ben geläuterten ©d^ön^eitöfinn , ben fidEitenben unb 
überfd^auenben Äunftöerftonb. Sa§ bie D-moll-@^m^)]^onie 
lebl^aften Seifall fanb, toöre öiel gu toenig gefagt. ®§ tonxit 
geftamt)ft, getobt, gefd^rien; nad^ jebem ©a^e mufetc ber 
®omt)onift n)ieber unb lieber banfenb öortreten. 

Slud^ ein ©treidEiquartett Don Srudfner (F-dur) toirb öon 
ber SBagnergemeinbe grenjenloS betounbert unb aU SReifter^^ 
totvt gepriefen. Srudfner ift neueftenS äRobe gen)orben, tt)a§ 
id^ bem jjal^relang unbead^tet gebliebenen befc^eibenen ffiünftler 
l^erjlid^ gönne, wenn id^ aud^ bie SRobe nid^t felbft mitmad^en 
fann. ®§ bleibt ein ^)f^d^oIogifdE)e§ 3tät^fel, wie biefer 
fanftefte unb friebfertigfte aller SKeufd^en — ju ben jüngften 
gel^ört er aud^ nid^t mel^r — im SKoment beS ©omponirenS 
5um 8lnard)iften wirb, ber unbarml^erjig atteg opfert, toa^ 
fiogif unb fflarl^eit ber ©utwidEIung, ©inl^eit ber gorm unb 
ber Sonalitöt l^eifet. SBie eine unförmlid^e glül^enbe 8laud^== 
faule fteigt feine äRufif auf, balb biefe, balb jene gtoteSfe 
©eftalt annel^menb. Sin genialen gunfen fel^tt eg nid^t, felbft 

20* 



308 (£b. ^anslxd, 

nid)t an längeren fd^önen ©teilen. Slbcr man rei§e an^ bcm 
dorntet unb Sönig Seor bie tiefftnnigften ©ebanfen l^erou^, 
meinettoegen nod^ einige au§ %au\t baju unb bringe fie in 
ben tüittf ürüd^ften Sufamnten^ang ntit allerlei platten, fonfufin, 
enbloS langen Sieben, unb frage fid^ bann, ob ba^ ein S'unft^ 
ttjerf giebt. Soft gteid^jeitig mit bem bei ^etme^berger entl^u* 
fiaftifd^ applaubirten F-dur-Duintett öon SrudEner ift ein 
neues 93ud^ öon Subtoig 9t o 1^1: „Sie gefd^id^tüd^e ®ntn)idEIung 
ber Sammermufü", erfd^ienen, baS feiir mcritüürbig ift. 
Sticht titoa burd^ irgenb eine neue Sorfd^ung ober ^itt — 
!eine§tt)egS — too^I aber burd^ bie tragifomifc^e Stellung, in 
toeld^c ber Sfutor ^ier gu feinem ©egenftanbe gerätl^. SRol^te 
Spezialität ift befanntlid^ bie SEBagneromanie ; er fann über 
feinen nod^ fo entlegenen Stoff fdftreiben, ol^ne plö^Iid^ in ein 
^aüünidf) auf SBagner (unb Sif^t) auszubrechen, n)orauf er 
erleid^tert n)ieber in fein §auSd^en gurüdEfel&rt. 9tun fott ber 
Slermfte über Sammermufif fd^reiben ! SBagner unb Sifzt l^abcn 
leine Duartette componirt, fomit fann felbft SRol^I nid^t au^- 
rufen, i^re Duartette feien bie fd^önften. SSergebenS tt)arteten 
toix beim ®urd^blattern feineS neuen ^ni^t^ auf ben 9lugen= 
büdE, tt)o er ben üblid^en SBagner-Sfutfturz befommen toerbe. 
3lof)t muß fid^ bamit begnügen, allerlei SluSfprüd^e öon SBagner 
über Seet^oben in entjüdftem Sone ju citiren. 9ladE)bem er 
in feinen früi^eren ©d^riften ben attmäd^tigen ®influ§ SBagnerS 
auf alle ©ebiete ber S'unft, auf bie ^olitif, bie ^l^ilofopl^ie, 
bie 3teIigion nad^getoiefen — öor ber Äammermufif ftodft bicfe 
©enjeiSfü^rung ; biSl^er toax bie ©ammermufif öon SBagner 
unberü{)rt geblieben. SBir fönnen |)errn Stölzl Reifen: er 
fe^e fld^ 53 rudfnerS Quintett an. S)a finbet er ben reinen 
SBagner-Stit auf fünf ©treid^inftrumente abgezogen, bie un* 
enblid^c äRelobie, bie Emanzipation öon atten natürlid^en 
SKobuIationSgefe^en, baS 5ßat^oS SBotanS, ben irrlid^terircnbcn 



Hequiem von f^. Berltos. 309 

^untor aKtntc§ unb bie in unerföttUd^cn Steigerungen ftd^ 
öerjel^renbe ©fftafe Sfolbens. SBag ^erm SRol^I fo. fi^ntetäüd^ 
gefel^It, e§ ift gefunben, unb eine jn^eite Sluflage feiner „(SnU 
ttjidflung ber ffarnntermufif" fann baS ©d^Iufefa^jitel in jener 
aSerHörung erglänzen laffen, ol^ne toei6:)t ja bocf) ©nttoicHung 
unb ^antmermufif nur „SBal^n" bleiben ttJürben. 

@ine anbre ©gnipiionie öon Srudner (in E-dur) ^ai im 
Saläre 1886 benfelben tuutultuarifc^en ©rfolg errungen. Sür 
bie SBagnerianer ift Srudner einfad^ ,,ber jn^eite Seetl^otien". 
SRir erfd^eint biefe äRufif franfl^aft, unnatürlid^ aufgeblafen, 
öerberblid^. SBie {ebeS größere SBerf S5rudEnerg, entl^ält oud^ 
bie E-dur-@t)nip]^onie geniale ©inföHe, intereffante, ja fd^öne 
©teilen — l^icr fedEiS, bort ad^t Safte — ätoifd^en biefen 
SBIi^en bel^nt fid^ aber unabfcl^bareS S)unfel, bfeieme Öange^ 
toeile unb fieberhafte Ucberreigung. @iner ber gead^tetften 
äRufifer SeutfdE)Ianb§ bejeid^net (in einem ©riefe an mid^) 
ajrudfnerg ©^m^jl^onie aU „htn tt)üften Sraum eines burd^ 
jttjanjig „Iriftan"- groben überreizten Drd^eftermufüerS". 
Sa§ fd^eint mir bünbig unb treffenb. 



föiner ber erften unb feurigften Slnl^önger öon SSerttoj 
toar ber unglüdEIid^e Dr. 2llfrcb 85 e d^ e r in SBien. ^n einem 
langen ®ffa^ öerl^errlid^te er (1846) S5erüoä atö baS 
mufifalifd^e ®enie, tt)eIdE)e§ alle (Seiftet' unb Oemüt^gfräfte 
in l^öd^fter Sülle bereinige. Srtur ein einziger äRangel fei 
il^m an Serlio^ aufgefallen. ,,3d^ glaube/' fagt SJedEier, „t^ 
fel^It il^m bag religio fe Oefül^I. S^^ar öermag ajerlioj 
bie grömmigfeit in anberen töufd^enb njieber jugeben, aber fie 



810 €^. f^ansltrf. 

Hingt nic^t tote f elbftempfunben. Slud6 lücid^t er ii|r oft au^, 
tt)o bod6 ber poetifc^e ©ebonfcngtüatig fie foft notl^tücnbig bc= 
bingte." S)iefc§ öon Sedier juerft unb allein crl^obenc Se* 
bcnfen, ,,ber äRangel an religiöfem ©efül^I", ift fcl^r ftc- 
nterfen§n)crt]^. §ötte Br. Sedier baS SRequicm gefannt 
unb bie SSeröffcntlid^nng ber SKemoiren erlebt, e§ tt)ürben 
ii|m an^ beiben Duellen neue SelüeiSgrünbe für feine Slnfid^t 
jugefloffen fein, ^n ben 2Remoiren erjälilt Serüoj felbft, 
ba§ er trüben S^genberlebniffen einen bleibenben tiefen 
SBibern)itten gegen atteS ^rd^Iid&e öerbanfe. ©ein Slequiem 
aber jeigt unter allen befannten Siontüerfen biefeS 9tamen§ 
bie aüergeringfte ©pur öon religiöfem ©inn. SKit fouöeräner 
SSiüfür unb S33eltlid^fcit Verarbeitet Serlioä ben alte^rn)ürbigen 
ffird^ente^t ju einer Strt pliantaftifd^em ®ranta. SBaö er 
barin nid^t ju uneriiörten Slangeffeften öertoenben fann, baS 
Iä§t il^n gleidigiltig unb gelangtüeilt ; er bel^anbelt e§ audE) 
gleid^giltig unb langweilig. Saffen tüir jebod^ bie religiöfe 
.grage bößig beifeite unb ftetten un§ ganj auf ben ©tanb* 
pnntt be§ freien Sünftler§. äRag i^n in ber ,,2obtenmeffe" 
imnterl^in nur bie ftarfe, attgentein menfd^Iid^c S^rif unb öor 
aüem ba§ brantatifd^e Element angelodft l^aben. Slber gerabc 
Dom muftfalifd^en ©tanbpunft crfd^eint mir biefeS angeblid^e 
SReiftertüer! be§ ^ranjofen aU beffen unjulänglid^fte unb bc* 
benfüd^fte Strbeit. S)er Sefer fennt meine lebl^afte Empfang- 
lid^feit für bie ja^Ireid^en ^ol^en @d)önl^eiten ber „Sinfonie 
fantastique^S ber „3tomeo"^ unb ber ,,§araIb"'@^mp]^onic; 
l^abe id^ bod^ ba§ ^ublifum fd)on in jener Urzeit bafür ju 
genjinnen öerfud^t, ate man nod^ ^öuflg Serlioä mit 
SSeriot bertüed^felte. Sin eine S^ritif be§ SlequiemS jebod^ 
gel^c id& nur mit peinbotten ©mpfinbungen. ®§ galant barin 
eine troftlofe Seere unb Sbeenarmutl^ , meldte burd^ eine 
SIrtnec öon öärminftrumenten ebetifotoenig öerbedEt werben 



Hequiem von ^. Berlioj. 311 

lann, toie bic grofee ted^nifd^c Unbcl^otfcnl^cit bc§ ©ont^jonifteti. 
S)a§ SRequiem gel^ört ju Serlioä^ Sugenbiperien ; bic Sunft 
be§ mufifaüfdien @a|c§ im tüeiteftcn Sinn, bie jeitlcbenS 
feine fd^tüad^e Seite geblieben — fie ftedft liier nod^ in ben 
^nberfc^u^en. ©d^n^erlic^ ftöfet man in irgcnb einer großen 
geiftlid^en ®om^)ofition auf ä^nlic^e Unfäl^igfeit, ein Il^ema 
JU tnttoiddn, einen öierftimmigen ©l^orfa^ §u fü{)ren, ein 
äRotit) contrapunftifd^ ju öernjert^en unb n)a§ fonft nod^ ben 
äRufifer mad^t. Qeben StugenbüdE mu§, ttjie in einer 
italienifd^en Dptx, ber ?iot]^be{)eIf be§ Unifono*@ingen§ l^er* 
Italien; jeben SlugenblidE jerbrödEelt bie gorm, ftolpert unb 
überfd^Iägt fid) ber melobifd^e gortgang. Serlioj mu§ nie 
äuöor ein E^orwer! öon S3ad^ ftubirt ^aben, gefd^toeige benn 
öon 5ßaleftrina, beffen 9lut)m er ja einen fd^Ied^ten @pa§ 
nennt. ®a^ finb aber bie eljernen gunbamente aller geiftlid^en 
äRufü. SBo nid^t feine oft blenbenb geiftreidjen, oft aud^ nur 
tounberltd^ barodEen Sffangeffelte unfer Qntereffe erregen, 
erfc^Iafft biefeS ; benn nirgenb^ entjüdft, nirgenbS erl^ebt un§ 
bie @d)öni|eit tim^^ ausgereiften mufitaüfd^en ®eban!enö. 
SBie matt unb ftodEenb beginnt nid^t ia^ „Dies irae", rt)o ber 
©omponift bod| mit ganzer, erfdEiütternber ^aft einjufelen 
l^at! S)iefer „Xag beS gorneS'' fd^eint für SJerliog ein %a^ 
tt)ie jeber anbere ju fein. Slber ba§ ift nur eine bi^jlomatifd^e 
ginte. aSerlioa Witt fid^ ben ©ontraft einer ur^)Iö|Iid^ :^erein^ 
bred^enben gewaltigen (Eruption für ba^ „Tuba mirum** 
offen iialten, unb biefer foloffale @(^atteffe!t ift'S im ©runbe, 
ttjaS fein 3lequiem berüfjmt gemad^t ^at. SSierunbjWaniig 
?ßofaunen, jwölf §örner unb jioölf Sirompeten ftürjen fid^ 
gleichzeitig mit brö^nenbem gortiffimo auf unS, baju lärmen 
SedEen, Samtam, gro^e Srommel unb fed^je^n Raufen! 3ft 
e§ ein SBunber, bafe ber B^^flörer förmlid^ nicbergeworfen 
Wirb? 3ft c^ eine l^unft, mit fo brutalen SRitteln eine be* 



312 <2J). ^ansHrf. 

öngftigenb erf d^üttembe SBirf ung ju erjielen ? 3wr 3cit frei* 
üc^, atö Scriioj biefcn muftfalifi^ett aKaffcnmorb ouSfül^rte, 
gcl^örtc bcr äRut^ cincö litanen baju; l^eute mad^t bag ein 
gefd^idfter Slegitttentöfapcttmeifter. aScrlioä l^at befanntUc^ 
über SRojart gef^jottet, ber baS „Tuba mirum^^ Don einer (!) 
^ofaune intoniren läfet. ®aS toar für§ erfte ganj forreft, 
ba ber fird^üd^e Sejt nur öon einer „tuba" fprid^t; fobann 
ober gab aKojort biefer einen ein großartig einf ad^eS äRotiö, 
\>a§> uns fftüax nid^t im buc^ftäblid^en ©inne ju Soben 
fd^teubert, tok Serliog^ ^ofaunend^or, aber nnöergleid^üd^ 
tiefer ergreift. S5ei äRojart: äftl^etifd^e SBirf ung, beiSerlioj: 
pl^tififd^e ®malt Ser S'Iang ber 5ßofaune ift an ftd^ fd^auer* 
Kd^, marferfd^ütternb, toit fein anberer; ber junge SRojart 
fiel babei in D^nmad^t. Unfere ^n^örer beriefen ftörfere 
Sterben; fie brad^en nad^ bem erften ©d^redE in nid^t enben* 
wottenben 3ubel au§. SBaiirfd^einßc^ toaxtn feine SRojartS 
unter i^nen. SRit bem „Tuba mirum<< unb bem „Rex 
tremendae majestatis" finb bei SSerlioj gleid^fam alle Scuer* 
garben be§ SSuIf anS auSgefd^üttet ; e§ folgt tt)ieber mufif auf d^e 
SlfdEie unb SunfeC^eit. ©iebt e§ etnjag Släglid^ereg, atö ben 
Kl^or „Quid sum miser" ober ba§ Dffertorium in D-moU, 
tt)o bie Stimmen ber SSerbammten im gegefeuer öon 8lnfang 
bis ju ®nbe auf jttJei Ionen, a unb b, loinfeln? Unb ber 
©l^or „Quaerens me" mit feiner abfd^redfenben Stimm* 
fül^mng — ift er nid^t ein äRufterbeifpiel für angel^enbe 
©ottUJoniften, toit man nid^t „a capella^* fd^reiben fott? 
©d^Iießüd^ bie jum Ueberbruß ttjieberl^olte äRelobie „Lacry- 
mosa", im Unifono öon ©o^jran unb lenor — toirft fic 
nid^t er^eiternb? @ie erinnert fo pbf(^ an italienifc^e Dpern, 
fpegiett an bie ©teHe an§> ©onijettis „Sucia", n)o ber (jum 
SluSgelad^tiüerben) „beftimmte Sröutigam'' fid^ ben ^aöalieren 
unb S)amen beS ©d^IoffeS öorfteßt. SBenn man biefe Xxityia^ 



Hcquiem pon ^. Bcrlioj. 318 

ütöt l^ört, fo möd^tc man 3toffini gleid^ oßcS •abbitten, 
tt)a§ man je gegen feine ffird^enmufif eingetoenbet l^at. 
JRoffinig SBeltlid^feit n)ar bod^ ftet§ in ©d^ön^eit gctaud^t, 
aug feinem ©d^önl^eitSbebürfnife geboren. SBo finbet ntan 
aber in Serlioä' Slequient eine fangbare SRelobie, bic nid^t 
ganj orbinär n)äre? 

Sefrembenb n)ie baS ganje Slequient njar ntir aud^ 
bie jubelnbe S5ereittt)iIIigfeit, mit toeld^er ba§ SBiener ^ubli- 
fnm fid^ biefem SIenbtoerfe l^ingab. Da^felbe ^ublifnm, 
ba§ fo oft erhoben, entjüdEt bem „3tequiem" bon äRojart, 
Don ei^erubini, bon Sral^m^ gelanfd^t l^at! ©elbft 
aS erbig Slequiem n)äd^ft, gegen ba§ SJerlioäfd^e gel^atten, 
jn einem mnfifalifd^en SKeifterftüdE. Unb nod) an ein anbereS, 
befd^eibenereö SSerf biefer ®attnng möchte id^ erinnern: an 
©d^nmannö atequiem. 9lu§ bem S^jätl^erbfte be§ äJieifterS 
ftammenb, ftel^t e§ jiemlid^ nnbead^tet im ©d^atten feiner 
frül^eren SBer!e. Unb tro^bem, n)ie ttjal^r unb gefammelt, 
tt)ie menfd^Iid^ fd^ön fprid^t e§ ju nn§! S)a§ ein SBerl öon 
ber SBerü^mtl^eit be§ Serliojfd^en 9lequiem§ ben SBienem 
nid^t öorentlialten bleiben burfte, ftel^t an^er Srage. ®a§ 
feine geiftreid^en ©injell^citen ben ipörer intereffiren, feine 
nnerl^örten ^langcombinationen überrafd^en unb blenben muffen, 
ift ebenfo begreiftid^. Slber bie ©rnüd^terung, badeten toxv, 
tt)ürbe fd^nett auf ben Slaufd^ folgen, fo fc^nett, bafe ein aß* 
gemeines S3eburfni§ nad^ einer §tt)eiten unb britten Sluffül^rung 
faum jur ©prad^e !äme. Unb bod^ lefen tt)ir, bafe bereite 
eine bierte, obenbrein mit nod^ öerftärftem Drc^efter, ^tplani 
fei. ®S toäre traurig, mnn bie „©efettfc^aft ber 2RufiI* 
freunbe", biefeS einjige Slf^I großer Haffifd^er äJiufif in SBien, 
baS Serliojfd^e ©t)eftafeIftüdE in i^re regelmäßig wieber* 
lel^renben Sttuffül^rungen einreil^en njoßte. S)er ©oncertc^HuS 
ber ,,®efeBfd^aft'' ift eng begrenzt unb jeber gu^reit biefer 



314 €b. f^ansltrf. 

fd^tnatcif 8trca foftbar. SSäir ^aitn Scriioj' Slequicnt tyox 
feiner erften STuffüiirung oI§ einen intereffanten bcrül^mten 
grembling gaftfrennbltd^ begrübt, bafe aber biefer „tobte ©aft" 
fid^ bleibenb l^ier anfiebte, fönnen toir im Sntereffe beS äftt^e* 
tifd^en Oefd^madfS unb be§ mufilalifd^ guten 9lufc§ ber SBiener 
unntöglid^ n)ünfd^en. 



©in lt)a^re§ Sujs- unb gaften^jrograntm ba^ be§ legten 
©efellfd^aft^concertg ! 3« Einfang l^eifet un§ SRenbcUfoiin 
ben ®ott ber S^ben aufleimen um Segen für ba^ ^an^^ Sfrael 
unb ha^ ^au§ Slaron, bann §erfd^mettern un§ in Sral^mS' 
,,$ar^enlieb" bie graufamen (Sötter ber Reiben, jule^t njirb 
unö in S3ad^§ 9Rotette „Komm' gefu, fomm'" ba§ prote* 
ftantifd^e SieblingSt^ema, ba§ SScrgnügen am Sterben, ein* 
geprägt unb bie Sel^nfud&t, au^ biefer Sünbenn^elt fo balb 
aU möglid^ fortjufommen. SRad^ biefen brei unmittelbar auf 
einanber folgenben ®^ortt)er!en maren bie ®emütt)er ber 3u= 
l^örer fo erloeic^t unb jerfd^fagen, bafe einige auf ber Stelle 
beid^ten ge^en ttJoHten, anbere tt)ieber nad^ irgenb einem 
Segräbnife augfpö^ten, bem fie aU Seibtragenbe auf ben 
Äirc^^of folgen tonnten. 3ebe§ biefer brei SReiftcrmerfc für 
fid^ tt)ürbe man anböd^tig unb banfbar aufgenommen l^aben, 
i£)re ununterbrodiene 3teiI|enfoIge brad^te aber eine fold&e 
Summe nieberbrüdfenber (Smpfinbungen juioege, ba^ un§ gar 
fromm unb elcnb ju äRut^ tt)urbe. gür ben ©oncertfaal l^eifet 
e§ nid^t bIo§: bie rechten SBerfe finben, fonbem anä) i^nen 
ben redeten $Ia^ bereiten. SRenbelöfol^ng 115. $falm toax 
feltfamerttJeife in SBien nie juöor aufgefül^rt. 3tüifc^en einem 



(£l^ore von IHenbelsfoljn, ^ad^ unb Braljms. 316 

Iräftigcn, lebl^aft figurirten (Singong^d^or unb einem ntäd^tigen 
©d^Iußd^or, tüeld^er baö crfte Sl^ema in öeränbertet Saftart 
toieber aufnimmt, Iiören toxx ein Suctt unb ein Slriofo'für 
Sariton — ttJol^Ifüngenbe, bod^ ütoa^^ meid^Iid^e ©efängc- 
Sin mnfifalifd^er ffnnft fielet biefer ^folrn hinter ben übrigen 
beS SKeifter^ !aum jurüdE, tüol^I aber an Originalität unb 
grifd^e ber Sorben. S)ie fo oft geprten äRenbel^fol^ufd^en 
äßelobien* unb |)annonienfoIgen Hingen l^eute ben ©örern 
fc^on attgu befannt, aud^ ertoedft ber leyt nid^t fo lebl^afte 
Xl^eilnaljme, toie bie übrigen bon äRenbel^fo^n com^jonirten 
5ßfalmen. @o liefe benn baSStüdE im ganzen fü^I. Sral^mS' 
„(Sefang ber ^ßarsen" betounbern n)ir aU ein Sfunftioerf öon 
großartiger ®once^)tion unb einfd^neibenber ©ewalt be§ 2lu§* 
brurfg. aSoüfommen öerftänblid^ mirb e§ einem größeren 
^ublifum feiten, gefd^n)eige benn f^mpat^ifd^. Sa§ ®ebic^t 
toitL in 2Rufif nid^t rein oufgel^en unb ilidt un§, aug bem 
©oetbefd^en S)rama l^erauögeriffen, mit ben röt^fel^aft bro^en= 
ben Slugen einer ®p^\nic on. S3ad^§ jmeid^örige äRotette 
„Äomm' 3efu, fomm'" (mit bem ©l^oral am ©nbe) bietet bem 
SRufifer ein unerfd^ö^)flid^e§ ©tubium unb ben öon feiner S5e= 
gleitung unterftü^ten ©angem eine breifad^e geuer^jrobe für 
bie reine Intonation, ben präcifen (£info| unb bie Seilten* 
fertigfeit. @anj anber§ atö im Soncertfaale müßte bie Wo^ 
tctte in ber ffiirdie tt)irfen, wo eine gerfnirfd^te ©emeinbe in 
bem ttjonneöoüen ©ebanfen an ein balbige§ Slbleben über== 
einftimmt. Sltö ®egenfa| ju bem öielgetabelten „Seben unb 
Sebenlaffen'' unferer fatl^olifc^en ®om^)oniften fönnte man über 
f8a6)^ Äird^enmufif en ba§ SRotto fe|en : Sterben unb Sterben- 
laffen. S)ie äRotettc „®omm' 3efu" gehört ^u ben bemunbernä* 
toürbigftcn äReifterftüdfen l^armonifd^er unb contra^junftifd^er 
Shinft. eine glüdfli^ere SBal^I tt)äre jebod^ S3ac^^ Sttrd^en* 
cantate „S)u toal^rer @ott unb ®aöib^ ©ol^n" geioefen, jene 



316 €b. fjanslirf. 

Iierrüd^c, jcbeS ®cmöt^ ergreifenbc lonbid^tung, toeld^e tüir 
in SBicn nur in bcr fclir ungcnügcnbcn ^robuftion cinc^ 
anbeten SSerein^ f ennen gelernt l^aben. Seetl^oöen^,, äluinen 
t)on Srtlien" befd^Ioffen ba§ Soncert. ®iefeg ©elegenl^eits* 
feftfpiel entölt befanntüd^ jh)ei tierrüd^e Sftummern: ben 
2)erh)tfd^cl^or unb ben geftmarfd^; h)ir I|ören fie lieber allein, 
afö in mtnbertt)ertl|iger Stad^barfd^aft unb atö Seftanbt^eite 
eine^ ®onjen, bag un^ ja ftofflid^ faum mel^r intereffiren fann. 



^ummertnuftk. 



3tof6^ Duartettgefellfd^aft brad^te gteid^ in i^rer erften 
^robuftion ein neue^, nod^ ungebrucEte^ ©treid^quintett 
(mit 5tt)ei Sratfd^en) t)on 3o^onne§ Sralim^. 3Ran fann 
nid^t beffer anfangen.* S)a§ neue SBerf ift t)on jener fußen, 
Haren 3teife, meldte nur bie Bereinigung öoHenbeter SKeifter* 
fd^aft unb ungefd^h)äd^ter ©rfinbung mit einer ^armonifd^ 
abgeftärten Sebenäanfd^auung l^eröorbringt. 3n Stimmung 
unb ©el^att fd^Iießt e^ fid^ Sra^mg' jüngften S'ammermufifen 
an, benen h)ir fo gern bie fd^öne, marml^erjige lüd^tigfeit be§ 
3n]^altg, bie S'ontinuität ber Stimmung unb bie betounberungS- 
tüürbige ^nappl^eit ber gorm nad^rül^men. Smmer me^r 
fd^eint fid^ Sral^mä ju f onjentriren ; immer beh)u§ter finbet 
er feine ©tärfe im STu^brudE gefunber, öer^ältnifemäßig ein* 
fad^er ©efül^Ie. @in reid^eS Seelenleben toebt barin, ol^ne 
Ueber^ebung, o^ne Ueberfpannung. 2)a ift nid^t^ t)on ber 
fclbftgefälligen B^^iff^n^eit, ber m^fteriöfen lonmalerei unb 



Heue Quintetten pon Bral^ms unb Doofaf. 317 

bcn ,,bramatifd^en" Sd^ilberungen, momit anfprud^SöoHc 
^atbgenieS un§ l^eute avai) in ber reinen ^nftrumentalrnnfif 
l^cintfud^en. ®ie ©d^ön^eit, bie \iä) ja mit bem ©erben h)te 
mit bem Seibenfd^aftUd^en verträgt, tritt bei SSra^mS immer 
bett)ufeter, immer reiner in ben SSorbergrunb. 2)arin bilbet 
er ben ©egenfa^ ju ber Sif^t==SBagnerifd^en, fammt ber iung= 
ruffifd^en unb norh)egifc^en ©d^ule, auf bie ein trejfenbeS 
SSort über bie ,,Siwp^^ffioniften" in ber SRalerei pafet: fie 
fürd^ten forth)ätnenb, eth)a§ ®d)önt^ ju mad^en. S5ra^m§' 
Sammermujüen au^^ ben legten ge^n big fünfje^n Satiren 
maf)nen mid^ in i^rer SBirfung öielfad^ an ben S5eett)ot)en 
ber §h)eiten ^eriobe; bie Slel^nlid^feit liegt nid^t in ©injcl- 
jügen, fonbern in bem ©efammtd^arafter, in ber gangen 
Sltmof^pre, meld&e mit fo tüol^Itl^uenb milber ^raft un§ bar- 
au§ antt)et)t. 3n biefem ©timmungSfrei^ bürfte SSral^mg nad^ 
aller SSorau^fid^t aud^ bel^arren. @r ift ben umge!el^rten 
S33eg öon SSeettioöen gegangen : öom Sturm §um ^rieben, öon 
9tad)t jum Sid^t. 2lfö 93eetf)oöen feine legten Quartette fd^rieb, 
biefe granbiofen ®ramen beS SßeffimiSmug unb be§ unöer- 
föl^nten ©umorg, tüar er gerabe fo alt, mie ber SSral^mS öon 
l^eute. SSelc^e (Segenfä^e bei unleugbarer innerer SSerh)anbt= 
fdiaft! SSielleid^t ift e§ nur inbiöibueße SSorliebe, bie auf 
SlHgemeingiltigfeit feinen 3lnf^rud^ mad^t, ba§ mir 93rat)m§ 
ftet§ am öoöfommenften erfd^ien in feiner Sfammermufif. 
Smmer abgefetien öom „®eutfd^en ^Requiem", ba§ ganj obenan 
unb für fic^ allein ftet)t, finbe id^ SSral^mS al§ erfinbenbe unb 
au^fü^renbe Sraft, afö innigfte SSerfd^meljung eigenartigen unb 
bod^ allgemein menfd^Iidien ^n^aü^ mit fd^öner gorm, am gtüdE* 
lid^ften in feinem B-dur-@ejtett, feinen ©treid^quartetten unb 
S'Iaöierquartetten, bem F-dur-Ouintett, ben SSiöIinfomiten. gu 
ben SBerfen, in meldten id^ nid^t ben origineüften unb fül^nften, 
aber gleid^tool^I ben beften 93ra]^m§ erblicEe, jäl^It anä) baä neue 



318 (Eb. f^ansltcf. 

Duiittctt. ©anj l^crrlid^ ift bcr crftc @a^, ein „ Allegro con brio" 
in Q-dur, Sfleunad^teltaft. SBic ficgcSfreubig fd^toingt ftd^ ba§ 
Xl^ema au§ bcm SSioIonccH l^erüor unter bem raufd^cnben 
Iremolo ber ©eigen! hierauf bie füfee aRelobie be§ Seiten* 
fa^eg, t)on beiben Sratfd^en gelungen, unb bie änttoort ber 
SSioIinen, biefe^ anmut^ige Steigen unb Sengen in bie grofee 
®tpümt l^erab! SBie finb bie SRotiöe unb äßotiöd^en bc§ 
erften 2:^eile§ fo funftöott unb bod^ fo aioangloS öerioertl^et 
in ber ©urd^fül^rung ; faft immer überrafc^enb unb bo^ mieber, 
afö fonnte e§ gar nid^t anber§ fommen! Sanft unb innig 
flagt bag Slbagio, ein fd^mermütl^iger, tt\t)a§> flaöifd^ an* 
gel^aud^ter ®efang in D-moU. (£§ folgt ein SlHegretto 
in Q^-moU, mit einem lieblid^ miegenben Srio in G-dur-, 
nad^ 2lrt ber meiften SSra^m^fd^en ©d^erjoS nicfit eigentüd^ 
fd^ergenb ober luftig, fonbem in be^aglid^em $umor fd^Ien* 
bemb, gleid^fam öor fid^ l^infingenb. 2)ag ginale, ba§ an^ 
einem leidet öerf^Ieierten H-moU fid^ rafd^ jur ^aupttonart 
G-dur emporarbeitet, ift ein fd^arf rl^^t^mifirter 3h>cit)iertettaft 
t)on leidet ungarifd^er Färbung. @^ h)irft loeniger bur^ bie 
Sebeutung feiner S^emen, afö burd^ fein Temperament, baS 
in fröfilid^er, jule^t ganj üolföt^ümn^ auSHingenber Suft 
atte§ mit fid^ fortreißt. 

@§ fügte fid^ fd^ön, ba§ jloei Sage nad^ bem SSral^mSfd^en 
Strei^quintett ein neueg ^laöierquintett (A-dur, op. 81) 
üon 2lnton S) ö o f a ! jur STuffül^rung gelangte. 2)ie Snftru* 
mentalmufif üon l^eute mu§ fid^ oft genug al§ unprobuftiö 
freiten laffen, aber eine B^W, bie jloei neue SBerfe, toie ba§ 
Duintett öon S5raf)m§ unb jenes öon S)öofaf, gleid^jcitig 
l^eröorbringt unb attjäl^rfid^ l^eröorbringt , ift tpal^rUd^ nid^t 
arm ju nennen. ®er ;3üngere öon ben beiben arbeitet nid^t 
f gleid^mäfeig unb fcrupulög loie Sral^mS ; er bringt jtoifd^cn 
®utem unb SSorjügüd^em gelegentü^ anä) ©cringereS, inS* 



Zteue (Quintetten oon Bral^ms unb Doofaf. 319 

befonbcrc on Sicbcm unb S'Ioöicrftüdfen, gleid^fam eine ^lad)' 
Icfe ;,jn)ifcl^en ben ®arben". 2)a§ neue Duintctt gehört aber 
ju feinen fd^önften ©tüdfen. @§ ift ein ed^ter 2)öofaf: 
originell, unmittelbar entpfunben unb frifc^ tierau^gefungen. 
SSon bem toilben Ungeftüm unb btn unöerntittelten grellen 
Sontraften feiner „Slaöifd^en Sll^äpfobien" ,^at er fid^ längft 
loSgefagt; ebenfo öon bem übertriebenen SSoranbrängen be^ 
flaöifd^eu K^arafter^. ©eine neueren SSSerfe, barunter ba^ 
A-dur-Duintett, §eigen bei aller greil^eit ber ^^antafie logifd^e 
@nttt)idEIung ber ®eban!en, ©inl^eit ber gorm, fd^Iie^Iid^ einen 
ti)t internationalen ©til, ber nur burd^ ftüd^tige, reijenbe 
Slnflänge* an ba§ |)cimatl|lanb be§ ©omponiften malint. 
®t)of afö Sompofitionen finb o^ne Srage mel^r aUgemeingiltig, 
attgemeinmenfd^Iid^, aU bie feiner ruffifc^en unb norioegifc^cn 
Sollegen. 3)ie beutf^e Schule, au§ ber fie ja aUe l^eröor* 
gegangen, öerleugnet er am toenigften. SSeet^oöen, 
©d^ubert, 93ra^m§ finb feine einzigen SSorbilber. ®er 
®eift be^ Se^tgenannten rinnt gleid^fam unterirbif^ burd^ 
S)öof ate fpätere SBcrle, ol^ne itirer ©igenart Slbbrud^ ju t^un. 
©ein S'Iaöierquintett begrüßen toir aU eine ber buftigften 
neuen a3tüt^en am Saum unferer ffammermufif. @§ öerliert 
fi^ I|in unb h)ieber eth)a§ in bie Sreite, aber bie tyidtti 
reijenben Einfälle, toeld^e biefen ©omponiften faft niematö im 
©tic^e laffen, Italien unfer S^tereffe ftet§ lebenbig. ®a§ 
erfte Sldegro bringt fräftige, gefangöolle Stjemen öon langem 
Slt^em. 2)a§ Slbagio in Fis-moll, eine h)el^mütt)ige ©legie 
(„Dumka") mit einem föftlid^ fingenben SRittelfa^e in D-dur, 
fd^eint unS ber bebeutenbfte öon ben öier ©ä^en. 2)a§ 
©c^erjo, in toddjtm eine pd^tige ©d)ubert*3temini^cen5 nid^t 
ftört, unb ba^ ginale loirfen me^r burd^ ben rafd^ l^in- 
ftrömenben S«g i^ter gröl^Iidifeit, aU burd^ abfolute SReul^eit 
ber ©rfinbung. 3m ginale jeigt fid^ 2)öofof nebenbei atö 



/ 

) 



320 €b. £Janslicf. 

tapferer ©ontrapunftift, ol^ne trocEen ober loitgioeilig ju merbeu. 
2)ag gattje SBerf trägt ben @tenH)eI ber ©cfunbl^eit unb Ur- 
ft)rünglic^feit. 



Mamertrto op. 8 oon I3ra§in$. 

aSir toerben mit einer gan§ mertoürbigen Sioöitöt über* 
rafd^t: einer alten ®onH)ojition öon SSral^mg, bie boc^ ganj 
unb gar eine neue geworben. 3d^ meine ba§ Slaöiertrio op. 8, 
ba§ ben ©om^oniften nun an bie brei^ig Saläre lanp toie ein 
boSl^after Sobolb öerfolgte, il^m juraunenb : Sieber ^a^a, 3)u 
l^ätteft toa^ Seffereg au§ mir mad^en fönnen! 2)a§ $ubli* 
fum mar niemars fo fc^Ied^t barauf gu ft)red^en, h)ie SJra^mS 
felbft; e^ f)at ba§ Srio -bei ber erften 2lufful^rung burd^ 
2) r (1870) aufeerorbentfid^ marm aufgenommen. „Sra^rnS/' 
fo fd^rieb id^ nad) jener 5ßremiere, „l^at feit^er fein Salent 
geflärt, feine SJunft verfeinert, öielleid^t urtl^eilt er je^t felbft 
ftrenge über biefeS ^robuft unauggereifter Sünftlerfd^aft — 
e§ bleibt tro^bem ein lebenSöoHeS, burd) unb burd^ poetifd^eS 
2:onn)er!/' @§ ftedfte eben 3ugenb barin, unb 3ugenb ift 
ein fd^öneS 2)ing. 9tun l^at SSral^mS, ben Snf^ii^ötioncn 
feiner Süngting^seit liebeöott on^öngenb unb bod^ gleid^jeitig 
geärgert öon beren ted^nifd^en äKängeln, boä S^rio mit Sei- 
bel^alt ber Xl^emen fo öottftänbig umgearbeit, ba§ e^ at^ ein 
ein^eita^eS neue^ SBerf baftel^t. STuc^ ba^ fd^ärffte STugc 
wirb !eine Spm öon SlicEarbeit baran bemerfen. Slad^bem 
ber erfte @a^ fein Ieud)tcnbe§ ^au^ttl^ema l^ingeftettt, bringt 
er ein ganj neues ©eitent^ema, breitet fic^ in grofeortiger 
®urd)fül^rung auS unb nimmt erft in ben attcrle^tcn Soften 
ben SRüdEtoeg jum Original. ®o§ Sugato, öon bem id^ 
bamatö fagte, eS tt)irfe mie ein lateinifd^eS ©d^utcitat in 



« 



^ 



53. Stapenljagen. 321 

einem SiebeSgebid^t, ift üerfc^tpunben, unb mand^e leere ©teile 
baju. 2lm tücnigften aSerdnberung f)at ba^ ©d^erjo erfal&ren, 
beffen einI|eitUcf)er inappex Sau einer Stad^l^itfe nid^t be= 
burfte. 2)od^ aud^ t)ier überrafc^t un^ ein neuer @d^Iu§ öon 
gtönjenberer SBirfung. SSom Slbagio finb nur bie crften 
Safte geblieben, nid^tg toeiter. S)a§ urf^jrünglid^e jtoeite 
Il&ema, ba^ an ©d^ubert^ „8tm äReere" erinnerte, l^at einem 
anbern äRotiö 5ßla| gemad^t; fein Slllegro unterbrid^t mel^r 
ben eblen Stufe biefe^ @a|e§, ber nun ebenfo tod^et)oli fc^üefet, 
atö er angefangen. 2)a^ ginale \^at ein ganj neues, ener= 
gifd^eS ©eitent^ema in D-dur erfjalten, öon beffen Eintritt 
aHeg golgenbe neu erfunben ift bi§ jum ©d^Iufe. SBieöiet 
geuer unb Seibenfdiaft brauft je^t in biefem ginale ! SSon ben 
fleinen S)etailg, bie Sral^mS gednbert ober angefügt ^at, fann 
l^ier nic^t erja^It werben; fie finb für ben äRufifer faum 
minber intereffant, als bie Steubilbungen im großen. S^ingc 
©om^jonifteri mögen eine SSergleid^ung beS DriginaltrioS 
op. 8 mit ber neuen SRebaftion ni(^t öerfaumen. SRan lernt 
barauS, tt)ie tin SKeifter niemals auftjört ju lernen. 



28. I^taven^agen, (&, Iraner, 2K. ^oftnt^al 

$err S5ernt)arb ©taöenl^agen ^at jmei Koncerte 
unter gewaltigem Slnbrange beS ^^ublifumS unb mit außer- 
orbentüd^cm ©rfolge gegeben. SBunberlid^ genug, bafe et, 
ber Sif5t'©^ieler par excellence, feine ^robuftionen mit 
Seet^oöenS B-dur-Koncert 3lx, 2 eröffnete. @S toirb noc^ 

(£b. $anSU(f , 8(ud bem Xage6u(^ eines IDhifiteTg. 21 



l 



322 <26. f^anslicf. 

fcitcncr 9eft)ielt, aU ba§ erftc in C-dur, alfo etöentttd^ gar 
ntd^t. SStr l^aben c§ jc^t jum crften WtaU öffcntU^ gcl^ört. 
©tabetttiagen fpteltc ba§ Soncert, bcffcn ©d^tüierigfcitctt l^eutc 
icber üorgcfd^rtttenc ©d^üler bctüöltigt, fd^ön unb burc^au^ 
getreu; e§ mag ii}n ©elbftöerleugnung gefoftet l^aben, bem 
bünnen Slaüierfa^e nid^t burd) üerftärfenbe Dftaöen ober 
öoUftimmtgere Slfforbe ftellenmetfe aufzuhelfen. 3)a§ B-dur- 
.©oncert (op. 19) ift nad^ 93eetI)oüen§ eigner Eingabe früher 
conH)onirt, aU ha'a mit 3lv. 1 bcjeid^nete in C-dur (op. 15). 
@§ !önntc beinal^e für ein 3Rojartfd^e§ gelten, fo Har, 
natürlich unb felbftgenügfam fliegt e§ batiin. Sebeutenb nac^ 
Seetl^oüenfd^em SRofeftabe ift e§ in feinem ber brei @ö|e, 
aber auc^ xr\ feinem langiüeilig. .t)err ©taöentiagen moKte 
unö tt)af)rfd^einUd^ bie äufeerften muftfatifd^en ®ren5t)unfte 
imfere^ 3a]^rf)unbert§ aufzeigen, inbem er auf ba§ befd^eibene 
©oncert be§ jungen 93eett|ot)en Sif^t^ „Ipbtentan^'' 
folgen liefe. 2)a§ ift mirflid^ unb in jebem ©inn „fin du 
si^cle". Sifjt ^at eg unternommen, einen ber berühmten 
„Xobtentönse", mie bie 5pf|antafie ber alten beutfd^en 9KaIer 
fie gefd^affen, mufifalifd^ nad^^ubilben in einer 9leif)e üon 
Maöteröariationen mit SSegteitung be§ Drd^efter§. S)er 
fc^redtlid^e ©enfenmann tt)irb burd^ eine angeblid^ au§ bem 
fed^ften gal^rfjunbert ftammenbe S^ird)enmeIobie (Dies irae) 
ftjmbolifirt , njeld^e marferfd^ütternb angeblafen fommt unb 
hk ^^5erfonen be§ Sobtentauäe^, bie Variationen ndmlid^, öor 
fid6 tiertreibt. ®ie 9Sariationenform ift ol^ne Srage glüdtüc^ 
getuäl^It für biefen Sormurf, bie 2lu§fü^rung iebod^ fel^r 
materialiftifc^. SRid^arb ^^Jo^I, ber litterarifd^e Sorreiter jebeS 
incognito reifenben lieffinneS, öerfid^ert, er fet)e beutfid^ in 
jeber btefer Variationen einen anbern ©^arafter: „ben ernften 
9Rann, ben leic^tfinnigen Jüngling, ben l^ötinenben 3tt)eifler, 
ben betenben 9Wön^, bie lieblid^e Jungfrau" u. f. h). 3c^ 



\ 



erblidte nur lauter ^laöieröirtuof en , bie nad) einanber t^rc 

Sfunftftüde pxoiixtn, ber eine in trillern, ber anbete in 

Dftaüen, ber britte in S^jrüngen, ber öierte in 8lf!orben — 

aöe aber fo unbeläftigt t)on Sobe§gebanfen mie etma ifirc 

Suf)örer. ©oute ber „Xobtentan^" mirflid^ ben beabftd^tigten 

^p^ontaftifrfi^d^auerüd^en ©inbrucE mad^en, fo burfte eine 

concertmdfeig \iä) öorbrängenbe Slaüier^artie gar nid)t brein= 

reben. S)er Stoff l^ötte t)on einem gett)altigen ernften 

©l^m^^onifer in grofeem Stil betianbelt h)erbett muffen, 

ober mit ber fein ironifrfien ©ra^ie öon ©aint-SaenS' 

„Danse macabre^S toeld^e ©eringereg anftrebt unb boc^ 

t)iel me^r erreid^t, afö Sifgt^ Sobtentan^. S)iefer Äingt 

tt)atfärf|Iid^ tt)ie eine gelungene geiftreid^e ^erfiftage öon Sif^t^ 

eomt)ofition§ftiI. §err 9t. $o^I fagt mit Unred^t, Sifjt^^ 

lobtentan^ fei „fein unter^altenbeg StüdE". Stein, biefe in 

lauter Purzelbäumen üom (Sr^abenen in§ Söd^erlid^e fid^ 

überfd^Iagenbe äRufi! ift unterl^attenb , ift fe^r unter= 

Ijaltenb, S^^^Q^ beffen bie gal^treid^en Jßl^^fiognomien im 

©oncert; bie alle öon mu{)fam jurüdEgebröngter |)eiterleit h)etter^ 

leud^teten. • Stad^bem |)err ©taüenfiagen noc^ in Sifgt^ A-dur- 

©oncert afe großer SSirtuofe geglönjt f)atte, trat er jum erften 

SRal aud^ aU ©onnjonift ^eröor. @r t|at einen langen 9Kono= 

log au§ bem ®rama „Suleüa" t)on Saftru^^ für eine 

Sopranftimme mit Drd^efterbegleitung gefegt, ©uleifa ft)ric^t 

t)on itirer Siebe §u ^uffuff ; SBonne unb ^^rtlidöleit, ©d^mer^ 

unb aSer§n)eifIung , ©elbftöormürfe unb gtül^enbe ©el^nfud^t 

nad^ bem ®eUebten löfen einanber ab. 2)er ©om^onift l^at 

biefe SSäanblungen in eine SRei^e t)on ®efangftü|fd^en umge== 

fe|t, bie mufifalifd^ bürftig unb ifoürt, eigentlid^ nur burc^ 

ben ??aben ber S)ic^tung jufammenl^ängen. 5)a§ ®anje — eS 

ift eben fein ©onjeg ~ entläßt un^ ol^ne beftimmten IotaI= 

einbrucE. ®er @til ift ber rl^a^fobifd^ bedamatorifd^e, liber- 
al* 



324 €b. f^ansltcf. 

fc^wänglid^c öon Iriftan unb Sfolbe. ®a§ Drd^cftcr in 
feiner mobernftcn äRa^tfütte fü^rt ia^ grofee SBort unb fott 
uns burd^ garbenejfefte für ben SRangel an mufifalifc^en 
Sbeen entfd^äbigcn. SBir tt)ürben beS Kom^joniften grofee ©c* 
toanbt^eit im 3nftruntentiren loben, menn biefcS Sob ^eutju- 
tage nod^ öiel ju bebeuten ptte. SBann merben unfere Ion* 
btd^ter aufhören, für einen go^jf ju galten, toaS eine ewige 
SBal^r^eit, ein Urgefe| ift: ba§ bie aRelobie ber obcr)tc 
SSille fein mu§ in iebem ©cfangftüdE! ®ie junge fd^öne 
©attin beS Komponiften , grau Signet @taöenl|agen, 
fang bie „Suleifa" unb im gleiten Koncert nod^ brei 
Sieber il^reS SRanneS mit IiellKingenber, angenehmer @ot)ran* 
ftimme, reiner Intonation unb beutlid^er ^u§>\pxaä)t, im 
SluSbrucEe jeboci^ eigenttjümüd^ ftarr unb unfrei. ®ie Sieber 
felbft finb öon ber SIrt be§ jefeigen jungen 3)eutf d^Ianb : ein 
jiemtid^ p^^fiognomielofer ©efang, unter h)etd^em eine tneit^ 
griffige, com^jßcirte Slaöierfigur fic^ eigenfinnig fortwälzt. 
®a§ britte Sieb: „2)eine meinen Siüenfinger" , ift gerabeju 
eine unberfälfd^te Slaöieretübe mit entbel^rlirfier ©efangö- 
begleitung. Unfere jungen com^jonirenben ©eelenmalcr wiffen 
für jebe Sftuance einer ^^fterifd^en SBaHung hk entf^red^en* 
hm garbentöne ju finben; nur toa^ ein Sieb ift, wirb man 
balb nid^t me^r tniffen. Qu ©taöen^agenä jmeitem ©oncert, 
bag oline Drc^efter ftattfanb, öermod^te man bie gein^eiten 
feinet ©^iefe nod^ beffer ju mürbigen. (£r ift ja am be- 
beutenbften aU äRiniaturmaler. ®ie Sfunft ber 8tnfc^IagS* 
nuancen, afe ein befonbereS ©tubium, batirt erft an^ neuerer 
Seit. 3n biefer Sunft, bem fflaöier bie mannigfaltigften 
Klangfarben abjugetoinnen, I|at ©taöenl^agen leinen Sliöaten. 
Slttein meine SSefürd^tung öom öorigcn ^af)xt, ©taüenliagcn 
fönnte bie SluSbilbung biefer ©^jeciafität auf eine gefä^rüd^e 
©<)ifee treiben, toar nid^t grunbloS. SBirHid^ verleitet i^n 






3. Stapentjagcn. 325 

fein ateid^t^um an STnfd^Iaggnuanccn ntand^ntat baju, über 
bic befonbere SIangfd^önt)cit einer einzelnen ^^rafc ben 
ntuftfalifd^en Stiarafter be§ ©anjen ju öernad^Iaffigcn. S^ 
oft unb antialtenb benu^t er bie „SSerfd^iebung" , fo 5. 85. 
burd^ ba^ gan^e Dur-Xrio beö H-moll-9Kenuett§ üon @ d^ u b e r t. 
5E)iefe, tüie bur^ Jtam^ferfalbe {)ert)org€fünftelte Stoffe gerftört 
ba§ fd^öne notürlid^e SBangenrotf) ber ©d^ubertfd^en SKelobie. 
3)o§feIbe ©d^ön^eit^mtttel „una corda" gebrandet Staöen^ 
Öagen für bie F-dur-9locturne öon ©l^o^in (op. 15); baju 
fpielt er ben (au^brücEtid^ mit „sempre legato" bc^eid^neten) 
95ofe im allerf^t^igften ©toccato! SBorbei toar eä mit ber 
fiolben 3nnig!eit biefer SRelobie, fie marb ge§irpt anftatt ge- 
fungen. @§ gefiel eben unferm Slangfünftler , ha§> öoK- 
tönenbe Slaöier in eine armfeUge 3itf)er §n üerh)anbe(n. S)ic 
„Polonaise-Fantaisie** üon ©fjopin f)ot unS ©tatjen^agen 
bereite im öorigen ^a^xt gefpiett; tt)ir {)ätten biefer fieber* 
franfen 9l^aJ)fobie iebenfaHS \)ie HangöoIIe As-dur-$oIonaife, 
op. 53, üorgejogen. S i f 5 1 § H-moll-@onate l^aben h)ir bis* 
I)er nur öön 89 ü loh) geprt; fie befam unter ©taüenl^agenS 
gingern mel^r gorbe unb finnlic^en 3tei§. ©in^etne Partien, 
§umal bie elegifd^en, troten boburd^ in eine günftigere Se* 
Teud^tung ; \>a^ abftrufe ©anje ift freilid^ nid^t ju retten. @S 
bürften üielleid)t nur menige t)on ben Serel^rern SifjtS ein 
93ud^ fennen, baS 1847 in äKailanb unter bem Xitel erfd^ienen 

ift: „Etüde phrönologique sur le caract^re originel 
et actuel de Mr. Fran^ois Liszt.*^ S)er SSerfaffer, eitt 

engüfd^er 2)oftor ber SRebi^in, SRr. ©aftle, erfjieft in einem 
anwerft liebenSmürbigen a3riefe öon Sifjt hie ©rlaubni^, 
feinen ,,me^r ober minber bucEIigen ©c^äbel" gu unterfud^en. 
3ugleid^ giebt il^m öifjt bie SSerfid^erung, er tt)erbe nid^t bic 
leifefte (£mpfinblicf)feit geigen, felbft h)enn ber ^l^renolog Dr= 
gane beS 2)ieb§ftnne§ unb ber SRorbluft an il^m entbedfen 



326 €b. f^ansltcf. 

foHtc. 3n bem citirtcn furd^tbar rangtücUigcn Sud^e ^at SKr. 
ffiaftle bic 3tefultate feiner Unterfud^ung au^fül^rüd^ mitgct^eilt 
unb in einer langen %dbtüt überfid^tüd^ gemad^t. ®anj 
rid^tig finbet er an SifjtS ©d^öbel im Iiöd^ften ®robe onS^ 
geprägt: Sntelligcnj, Siebe, grennbfd^aft, ©ro^mut^, ©nt^u- 
fia^mug, ®^rgei5 u. f. tt). 9lur eine ©igenfd^aft Sifjt§ be* 
jeid^net Kaftfe al§ minber l^eröorragenb : fein KonH)ofitionS== 
talent, h)elc^e§ offenbar burd^ feine ntdd^tige SleprobuftionS* 

gäbe („la puissance d'execution artistique") jurüdEgebrängt 

unb cjc^emmt fei. 9Rr. ffiaftle f)atit e^ fieilid^ leidet, ba« 
atte^ an bem ©d^äbel SifjtS ju „entbedfen'' , ba er ja öor 
ber Unterfud^ung über ben großen äßenfd^en unb S'ünftler 
ijoUftönbig im Haren ttjor. 

@mil ©auer. ®er noc^ fe^r junge SRann fpielte 
^enfeltS Jflaöierconcert in F-moU mit großer Sirtuofität, 
fd^önem 8lnf(f)Iag unb toarmer, faft mäbd^en^aft jarter (£m* 
^)finbung. ©eine im fc^önften Sßianifftmo l^inge^aud^ten Staffagen 
unb aSerjierungen erregten Sluffe^en. $err ©auer !ann fic^ 
eines entfc^iebenen ©rfoIgeS rühmen. ®a§ ©enfeltfd^c ffioncert, 
loetd^eS me^r ^art^eit aU S^aft unb Mtin^eit verlangt, fam 
feiner ©^jietoeife fel^r günftig entgegen. 2)ie Komt)ofttion 
felbft h)irft nur burd) fd^öne ©injef^eiten ; ein großem ©anje^ 
ju formen, lag ni^t in ber äRad^t ^enfeltS, biefeS feinen 
poetifd^en SIeinmalerS. ©eine ©tüben übertreffen an fd^öner 
(Sigenart unb mufifalifd^em ©el^alt ha§> große Koncert; fie 
bleiben immerbar |)enfeltg äKeiftermerf. äRit Unred^t h)erben 
fie jefet üon ben Äfaöieröirtuofen öööig ignorirt: t)öc^ftenä, 
baß l^in unb lieber noc^ bag „SSöglein" gef<)ielt ober öietme^r 
burd^ ein finnlofe^ Zmpo ju lobe gel^efet h)irb. ^enfeltS 
(Stuben ftnb burd^ i^re glänjenbe lec^nif toie burd^ i^re 
poetifd^e ®m^)finbung ungemein banfbar für ben ©<)ieler, 
tt)enn fie i^m au^ nid^t bie äRöglid^feit bieten, au bemonftriren, 



N 



€. Sauer, HT. Hofentl^al. 327 

h)ic ein l^eittger Sranj über ble SBette f^ajiert itnb ein onberer 
l^eiliger granj ben SSögeln t)rebi9t. 

@^)äter t)ot ^err @auer nod^ in öier Koncerten ein über* 
aus öielfeitigeS Programm allein bewältigt unb fic^ afe 
Mnftler erften 9lange§ beh)ö^rt. ©länjenb unb fraftüoH in 
otten Slufgoben energifd^er SSraöour, toirfte er bod^ am 
»fd^önften in ben jarten, finnigen ^oefien öon ©d^untonn unb 
®^o^)in. S)a ift Sauer em tt)al)rer Iroubabour beg fflaöierS. 

^err 3t o f e n t ^ a I, ben tüir fd^on bei feinem erften 8luftreten 
(1884) einen SSirtuofen erften 9lange§ nennen mußten, bürfte 
gegenh)örtig an ted^nifd^em Spönnen bie meiften feiner be- 
rühmten Kollegen übertreffen. 2)amit foH feine§tt)eg§ gefagt 
fein, baß er hit 83eften auc^ in otten übrigen SSorjügen er* 
reidEie unb an Siefe ber mufifalifd^en @m^)finbnng, an SBörmc 
unb Slbel be§ SSortrageö nid)t§ ju h)ünfc^en laffe. Stofen* 
tl^afö (Spiel ^at bi^fjer feine blenbenbfte unb öottftänbigfte 
SSirfung im SSortrag Sif^töfd^er Sompofitionen gefunben. 
SBal^rfd^einlid) n^ottte er fid^ bie§mal öon einer neuen Süit 
jeigen, inbem er feinem langen Programm ein einjige^ ®ind 
t)on Sifjt, obenbrein ein 9lrrangement, einfügte: bie SBill^elm 
Sett^Duüertüre. Sie mor ber ©lanjpunlt be§ ganjen Slbenb^ 
unb bi§ auf ben fel^r unfauber gefpielten @d^Iu§ eine erftaun- 
lid^e SSraüourleiftung. S)ie Ueberh)inbung ted^nlfd^er ©d^mierig* 
feiten fd)eint ^errn fRofentl^al aud^ in fold^en Sonbid^tungen 
jumeift anjulodfen, bie neben ber Sroöour nod^ ettoaS ganj 
8(nbere§, ©öl^ere^ verlangen. SBo bie Singer nid^t üottauf 
5u t^un finben, ba toixh fRofentl^al enth)eber gleid^giltig, fü^I, 
ober er fud^t bie innere Xfieilnal^mSlofigfeit burd^ Häufung 
fentimentaler Slu^brudEömittel , h)ö fie nid^t ^inge^ören, ju 
öerbedEen. S)aö öirtuofe (Clement, tno e§ it|m banfbar ent= 
gegenfommt, übertreibt er mieberum gern in <8cUnia§ unb 
fi^aftaufh)anb. ®ie A-moll-Drgelfuge öon 93 ac^ tt)ar gut 



328 <Hb. ^anslid. 

begonnen, geriet)^ aber gegen ben 8d^ru§ in lobfnd^t. S)ie 
©carlattifd^e ®igne in G-dur nnb bic (in Xerjen ge* 
fpielte) Ci8-moll-®tübe t)on © ^ o p i n flogen f aft ol^ne rl^^tl^' 
ntifd^e Slccentnirnng fo blifefd^nell bal^in, ba§ man bie ©tücfe 
gcnan fennen mufete, nm baran^ fing §n Werben. SRoientl^afö 
SBortrag ber finblid^ einfarfien A-moll-SKajnrfa (op. 57) nnb 
ber fd^tt)ärnterifd^en Des-dur-9toctnrne (op. 27) öon K^opin 
zeigten nnö bie fatalften SKanieren • ber Sifjtf^nle h)ie im 
|)of)If:piegeI : l^t)fterifd^e§ Tempo rubalo, grellem Selend^tcn 
einzelner Safte, neben meldten ba§ Uebrige nebell^aft öer» 
fd^ttjamm, mittfürlid^e^ 9Ser§erren beg SR^^tl^mnS, B^i^trenncn 
ber gebnnbenen Sßelobie in einzelne SRoten — nnb toa^ 
fold^er SBunberfalben mel^r finb. 5)er SRangel an feelifd^er 
SBärme nnb eminent mnfifalifc^em ®eift berütirte nn^ am 
empfinblid^ften in ©d^nmann^ C-dur-$^antafie, einer ber 
Ijöd^ften — nid^t bloB ber fdEimierigften — 2(nfgaben für 
ben ret)robucirenben ®ünftler. 2)er breit l^inflntl^enbe grofee 
Sng be§ erften @a^e§ jerbrödEelte nnter SRofentl^atö §änbett 
in öirtuofenl^afte§ ©tüdEmerf; tt)eggen)ifd^t tt)ar ber nnbe* 
fd^reibtid^ §arte, tröumerifd^e $and^ über ben langfamen 
©ci^en, üerl^efet nnb öerpanft ber energifdic SRittelfa^ in 
Es-dur. Un§ ttjarb jn SKntl^e, aU fa^en mir ©d^nmann^ 
®eift auf ber glnd^t öor bem il^n öerfolgenben SSirtnofcn. 
©d^umonn toirb nur t)on jenen gut gef^jielt, bie, il^re 
SSirtuofenglorie öergeffenb, fid& mit Siebe nnb reifem SSer* 
ftänbnife in i^n eingelebt l^aben. 3d^ toeife nid^t, ob ba^, 
tt)o§ |)erm SRofcntl^al bajn fe^It, fid^ nad^trögtid^ nod^ er- 
ttjerben laffe. ®IüdEIid^erh)eife t)at $err Stofentl^al ein gelb, 
auf bem er fouöerön maltet : bag grofee ®ebiet ber SBirtnofität 
par excellence. ;3ti^befonbere aU Sifjtf^jieler h)irb er überall 
cl^rüd^e Irinm^l^e feiern nnb jebe^ ^nblifum entjüdten. 



i 



2ince Barbt. 329 



2lug bem mufifaltfdieTt ©etümmcl bcr legten ^dtixt feigen 
mir eine neue, öorne^me ®eftoIt enH)orragen: bie ©öngerin 
Sllice Sarbi. Unfer $u6ü!um ^ai fie gleid^ bei il^rem 
crften ©rfd^einen (1889) mit rafd^em 93ficEe erfannt unb lieb* 
gewonnen. gräulein Sarbi öerfügt über eine todi^t, 
^tjm\)aii)i\ä)e, nid^t fe^r umfangreid^e 9Re§5ofopranftintme, bie 
fie mit großer ffunft be^anbelt. S)a§ biefe Stimme nid^t 
mcl^r in ber eirften Slüt^e, bafür entfc^äbigt un^ bie golbcne 
grud^t il^rer fünftlerifd^en SSoIIenbung. 3n ben ganj fd^mudf^ 
tofen tragif d^en 8lrien öon 81 ft o r g a unb Slleff anbro @ c a r - 
latti offenbarte Sräulein Sorbi bie ©d^ä^e einer faft üer* 
toren gegangenen Haffifd^en ®efang§(unft : eine rul^ige eblc 
lonbilbung, unöergleid^IidEie Defonomie beg Sltl^emö, ba§ 
fd^önfte ^ortamento im Sfnf^toeHen unb Slbnel^men beS XoneS, 
t)or allem eine fc^üd^te ©roßl^eit be§ SSortrage§, ol^ne Ut 
jene älteren Strien nid£|t benfbar ober bod^ faum genießbar 
ftnb. SBic ben patl^etifd&en 9lu§brudE, fo l^at fie aud^ ben 
l^eiteren, fd^ergl^aften in i^rer ©ettjalt. ^a*i fie IIo^ Sieb 
,.La Zingarella^S au§ bem un§ bie ganje naiüe ScbenSfüIIe 
bcr nea^olitanifc^en SRufif anlad^t, lann man nid^t fd^öner 
l^ören. S)ie SSarbi ift ba in ber %i}ai „la Zingarella gra- 
ziosa, accorta e bella'*, ttjie e§ in bem Siebd^en l^eißt. 
®abei l^ätt fie aud^ bergleidben ©d^erälieber fern öon allem 
t)ulgären Seigefd^macE, mie benn über^au^jt bie Stobteffe be^ 
SSortrage^, in jeber ©tilgattung, un^ befonber^ d^arafteriftifd^ 
erf^eint für i^re ^nbiöibualität. ©albara^ STrie „Come raggio 



330 &. ^anslxd. 

di soll", Don bcr Sorbi gefungen, toirb jcbcm unöergcßßd^ 
bleiben. Selten Iiaben mir fo ed^te, tiefe $erjen§töne, fo 
ftarlen unb boc^ ntaßöollen bromatifc^en STnöbrurf, eine fo 
öottfommene lonbilbung unb langgezogenes eMe§ ^ortamento 
geliört. 2)ie fd^önften Irabitionen ber italienifd^en ©efangS- 
fünft großen @til§ fc^ienen aufzuleben. S)er alte Slntonio 
Salbara, ber öon 1715 big 1736 aU ^offapettmeifter unb 
Sefirer SorlS VI. in SBien lebte unb in ber ©tep^anSKrci^e 
begraben liegt, mirb feine Slrie fd^toerüd^ fd^öner gel^ört 
l^aben. 9Kit gleid^er ted^nifd^er SSottenbung unb einbringen* 
beut SSerftänbnife fang Sraulein Sarbi einige jierlid^c 
SRomanjen Don äßonfignij unb Si^et, bonn beutfd^e Sieber 
t)on SKojart, ©d^ubert unb ©d^umann. 3n Ic^teren mod^tc 
gerabe bie ausgeprägte 2)eutUd^feit unb Äorreftl^eit ber STuS- 
fprad^e ettoaS frembartig berühren : offen auSgeft)rod^ene SSofale, 
hk toix bunfler förben, accentuirte Snbftiben, bie mir abäu== 
fd^Ieifen t)f(egen, unb bergleid^en. Slber Dortrefflid^, ja er* 
greifenb flangen aud^ biefe unS fo mo^Ibefannten Sieber au^ 
Sfräulein SarbiS äKunbe. äRaffenetS SRomanje „Les 
enfants^S eigentlid^ nur eine fein jugel^adEte S)ecIamation oline 
ntufifalifdEieS Sleifd^ unb S5Iut, erfreute lebiglid^ burd^ bie 
finnige Interpretation ber Sarbi unb ben SReij il^rer fran* 
jöfifc^en SluSfprad^e. SKufifalifd^er ift eine Sijetfd^e 
SRomanje, ed^t fran^öfifd^eS ©alonprobuft mit einem Keinen 
arabifc^en 2lnf|ängfel: „Les Adieux de Thotesse Arabe.*' 
8lud^ ju biefem ©efangftüdfe gab eigentlid^ Sllice SSarbi Ut 
©eele l^er. 3^r unüergleid^lid^ marmer, unmittelbar em- 
pfunbener SSortrag fd&ien biefe Slbfd^iebSfcene beinal^e in 
eigenes ©riebnife ber Sängerin ju öermanbeln. äRufete man fid^ 
nac^ biefem Vortrage nic^t fagen, ba§ an ber ©arbi eine 
große bramatifd^e Sängerin üerlorcn gegangen ift? 

I)en ®amen ajiarianne a3ranbt unb Sllice S3arbi 



/ 



Xdarianne Branbt. 331 

öerbanfen iDir je einen crtjebenbcn mufifQüfd^en Hbenb; wir 
öerbanfen il^nen ha§f lang entbehrte grofjgcfül^I, bo§ eS noc^ 
©ängcri'nncn giebt, bie 5ßoefie, ®eift «nb ©mpfinbung mit 
öottcnbctcr Icd^ni! vereinigen, greilid^ finb bie wenigen 
alfo gcfd^ulten Stimmen t^eilS im Slbwelfen, tl^eit^ weit in 
ber grembe unb nur Qfe 3ugt)ögel SBien berü^renb. Um 
fo fd^öner brad^te ber 3«f<itt S^jei SReifterinnen ^ier gu- 
fommen, bie bei aller SSerfdiiebenl^eit bod) baS eine gemein* 
fam iiaben, bafe fie ben ®efang als ernfte Siinft bel^anbeln 
unb i^r Snflrument fo meifterlid^ bel^errf d^en, wie irgenb 
ein grofeer SSirtuofe baS feinige. 3e üppiger auf ber Dpern* 
bü^ne ber StaturaliSmuS tvnd^txi, bie ^errfd&aft ungefd^ulter 
l^übfd^er Stimmen unb ber blofee ^nftinft ftillofen Vortrags, 
befto freubiger begrüben Wir baS SJeifpiel öon S?ünftlerinnen 
Wie bie S3ranbt unb bie S3arbi. äKöd^ten bod^ aöe unferc 
jüngeren ©angerinnen an il^nen ftubiren unb öon it)nen 
lernen — toa^^ eben gelernt werben fann. 2)cn 3un!en, 
Weld^er bie tobte led^nif erft jur göttlid^en flamme entfad^t, 
ben müßten fie aÖerbingS jur Seftion fd^on mitbringen, 
gröulein SSranbt, bie man bei ber Slafd^Iebigfeit unferer 
Opemmenfd^en wol^I fd^on ju ben äJeteraninnen jaulen barf — 
fie f^at eine fünfunbjwanjigjä^rige rufimöotte 93ülinencarriöre 
hinter fid^ — wirb ^eute Weber burd^ il^re ©timme, noc^ 
burd^ i^r SteufeereS einen |)örer befted^en, unb bennod^ laufdE)ten 
wir ifiren Vorträgen mit nic^t ermübenber Eingabe unb S5e*^ 
wunberung. UnöergegüdE) bleiben unS ifire bromatifc^en 
©d^öpfungen: if|r gibelio, i^r ©ejtuS, i^re nie wieber er* 
reid^te SibeS. Slnftatt bie öorbringlid^en ©tackeln biefer an 
Sfarrifatur ftreifenben 5ßartie nod^ l^erauSjuf eieren , wie ia^ 
um beS ®ffefteS willen meift gefd^ie^t, ^at fie biefelben über* 
all gemilbert, öer^üüt, um befto fräftiger ^eröorjul^eben, toa^ 
irgenb gut unb ed^t ift in biefer 3Rufif. Su»i crften äRale 



332 €b. f^ansltrf. 

begegneten tt)ir je^t graulein Sranbt im ©oncertfaal, atö 
Sieberfängerin. S)a ermieS fic fid^ iebem ©til, jeber ©mpfin- 
bnng geredet; überatt ^atte fie bie S3cbeutung beS @cbi(f|teS 
tief in fid^ aufgenommen, bi§ in^ einzelne S33ort ftubirt, 
o^ne baS einjelnc SBort mit t^eatrattfd^em Jlad^brurf ju 
unterftreid^en. 9lm öottenbetften erfc^ien mir i^r SSortrag in 
ber t)on @d)ubert componirten Sfopftodffd^en Dbe „5)em 
Unenblic^en". SBie plaftifd^ trat ha jeber @a|, jebe ^eriobe 
l^eraug, ttJeldfte SBei^e rul^iger Segeifterung lag über bem 
©anjen! 9Kit ftarfer ßeibenfc^aft fogtc fie ha§^ n)ilb aufftür* 
menbe Sieb öon S r a 1^ m S ,,aBeit über ba§ gelb". 5)iefc8 
felir feiten gefiörte Sieb ftet)t in ein unb bemfelbcn $eft 
(op. 3) mit bem fo ^jo^jular geworbenen „Siebe^treu" unb 

— auffattenb genug — in berfetben Sonart, Es-moll. 
9llice S3arbi entjürfte am meiften n)ieber mit ben 

italienifc^en ®efang§ftüdfen öon ©albara, @Iudf, ©al- 
öator 9to-fa unb ber „gingareöa'' öon Somelli. 3^re 
rufiige, fd^öne Xonbilbung, ü}t unöergleic^Iid^e^ ^ortamento, 
il^r ebleS ^att)o§ t)oben aud^ bie Seet^oöenfd^c Strie „Ah 
perfido" 5u einer SBirfung, h)e(d^e biefeS ©tüdE nur bei ganj 
öollenbeter SSortragSfunft gu erreid^en pflegt. SBie bie S raubt 
in ben erften Saften ber ©d^ubertfd^en ^^mne, fo entfaltete 
Sllice S a r b i gleid^ in bem 9tecitatit) ber $erfibo=2rrie ben ganzen 
Stbel ber @efang§Iunft. ®^ ift ein öielöerbreiteter gtrt^um, bie 
/,gro§e ®efang§Iünft(erin" nur in ber öirtuofen Koloratur ju 
fud^en unb ju erfennen. SBeber bie 93ranbt nod^ bie Sarbi fiatten 
in il^rem Programm eine Sraöonr-Slrie, beibe »irften burd& 
bie öollenbete Sonbilbung unb ben großen ®til, »omit fie 
einfad^ftc getragene SRelobie öortrugen. ®in paar 8tnfangS* 
tafte, mie bie frül^er ernjöl^nten, öon ©d^ubert unb Seetl^oöen 

— unb njir n^iffen, mit njem wir e^ ju tl^un fiaben, unb 
5iet)en ben $ut. (Segen gräulein 93ranbt ftef)t bie ©arbi 



i 



2llice 23arbi. 333 

übrigen^ im Ißort^cit burd) htn nod| unocrfümmcrtcn 9tcij 
i^rcr Stimme unb ifirer ©rfc^einutig. äWan ^ört eine 
©angerin nic^t blofe mit bem SSerftanbe unb ber nad^^elfen^ 
ben ^^S^antafie; bie lebenbigen Sinne ergeben i^re Slnfprüc^e 
in jeber Sunft, unb barum bleibt immer nod^ ein Unterfd^ieb 
jmifd^en bettJunbernbem STnerfennen unb öoöem, reinem @e* 
niefeen. S)ie föunft be§ ©ängerS öermag bie Sinie, bi§ gu 
»eld^er mir auf ben finnlid^en SBol^IIIang ber Stimme oer- 
jid^ten fönnen, oft er^eblic^ auSjubefinen, aber fd^Iießlid^ 
fommt fie boc^ on einer ©renje an, too bie ©raufamfeit ber 
Statur nid^t Weiter mit fid| unterfianbeln lägt. Unter ben 
beutfd^en Siebern, bie fjröulein Sarbi mit einer für eine 
Italienerin ungen)öf|nlidE)en Sel^errfd^ung ber ©prad^e vortrug, 
machten bie 93raf)mgfc^en („äKöbd^enlieb'', „äKeine Sieb' 
ift grün'', „SSergeblidEieS Stänbd^en'O bie befte SBirfung. 
2)en Sd^ubertfd^en Siebern fiaftete für un^ bod^ etnjaS 
iJrembartigeS an. ®in fo lang öerfiattenbeS ^ßianiffimo , fo 
fein auSgefparte Sonfd^attirungen, njie fjräufcin 93arbi fie in 
ber „Sieben gärbe" anbringt, übermalen gerabe bie un^ liebe 
iJarbe biefeS Siebet, mifd^en i^r ettoa§> SSerf einerteS , föünft* 
tid^eS bei, ba§ ttJeber in falfd^cr Sluffaffung nod^ in eitler 
©d^önt^uerei feinen @runb ^at, fonbern einzig in bem fremben 
SRationalgeift. S)er S)eutfd^e fielet im Siebe melir auf bie 
einheitliche SBärme unb Statürlid^feit beg SSortroge^, al^ auf 
f einfte SRuancen ; er bürf te beSl^alb für ©c^ubert ben f c^lidE)teren 
8lu§brud eines ©uftaö SBalter ober einer Termine ©picS 
oorjie^en. 

©d^ubcrtS „Doppelgänger" eignet fid^ fd^on burc^ ben 
Sn^olt nid^t red^t für eine fjrauenftimme ; ia^ bie ©angerin, 
lebljaftem SSeifaÖe nadbgebenb, bag Sieb obenbrein ttJieberl^olte, 
ftimmt nod^ weniger mit meiner ©mpfinbung. S)ie gefpenftifd^ 
beflemmenbe Iragi! biefeS ©tüdfeS vertragt feine SBieber* 



334 €5. f^aiislicf. 

l^olung. Ueberl^oupt pflegt jebeä Da capo ben erften ©ittbruc! 
nid)t fotoo^I ju ftcigern, aU db^n\d)tüä6^tn. S)ie ftärffte, na(S)' 
l^altigftc SBirlung erhielte 9Kicc 99orbi mit fcci^§ Siebcm öon 
S5rat)m§. „3>^nicr feifer mirb mein ©d^Iummcr" ift mol^I 
nod^ nie fo crgretfenb unb bei aller fd^merjlid^en ^nnigfeit 
jugleid^ fo einfad^ gefangen morben. 

2)ie 93arbi ju ^ören treibt un§ nid^t etttJa „äKobe'', fonbern 
ba^ tiefe S3ebürfni§ nad^ bem S33at)ren unb ©d^önen. S)er 
geplagtefte Sritifer, bcr fonft nur feufjenb bie Slnfünbigungen 
öon wieber einem tialben S)u^enb „öieberabenben" lieft, freut 
ftd^ (»enn id& nad^ mir urtl^eilen borf) auf jebeS Sluftreten 
ber Sarbi unb möd^te !eine§ öerabfäumen. Seit ber Ofenn^ 
S i n b , bie freiüd^ nebenbei aU öoöenbetfte Soloraturföngerin 
glänzte, Iiat fein Sieberöortrag mid^ in bem @rabe erfreut 
unb fange nad^ttingenb erfüllt, njie ber bon Sllice Sorbi. 
©0 öerfd^ieben bie beiben aud^ ttjaren in STu^fel^en unb Sem* 
pcrament — öerfd^iebcn tt)ie eben fd6tt)ebifd&e unb italienifd^e 
Sanbfd^aft — fie glid^en einanber in ber SSerfd^meljung öon 
ebelfter ®efang§ted^nif mit unmittelbar feelenöottem, getftigem 
HuSbrucf. 2)er Heinfte Vortrag ber Sarbi ben)eift, ba§ tiefet 
©tubium it)m öorau^gegangen , ein SSerfenlen unb ©inleben 
in bie ©timmung be§ ©anjen, bann in jebe ©injell^eit beS 
©ebid^teS »ie ber Eompofttion. Dfine emfte Slrbeit ftnb 
fold^e Seiftungen, aud^ bie fd^einbar leid^teften, nid^t mögüd^. 
Stber bie ©pur biefer Slrbeit unb jeber ^aud^ öon Hbfid^tlid^* 
feit ift öerfd^munben , fobalb ha^^ Sieb, toit ein eigene^ ©r- 
lebniß, au§ ber 93ruft ber ©öngerin ftrömt. 



j 



189U 



3)tc „$ecr O^nf betitelte Drd^efterjuite öon ®rteg 
tft ntd^t in biefer Sorm unb Stbpd^t entftanben. Urfprüng^ 
lid^ tl^eotralifd^em S^^cdEe bienftbar, fottte fie — tüie Seet* 
l^oöenS @gniont:= unb SBcberS ^ßrögiofamufi! — ba^ brama- 
tifd^e ©cbid^t öon ^Wn, „$ecr ®^nt", ittuftriren. ©ine 
Su^nenanffu^rung btefe^ im ®runbe unmögUd^en S)rantaö 
foH in ©tjriftiania ober Sopenl^agen tt)irHtd^ öerfud^t ttJorben 
fein. ®rieg t)at fid^ red^tjeitig beeilt, feine SRnfi! burd^ eine 
©oncertbearbeitung öor bem öorauSfid^tlid^en ©d^idffal be§ 
©tüdfe^ ju retten. 2)ie SRufif lennt nid^t ben anftönbigen 
©d^eintob eine§ „Sud^brama^"; eine 5ßartitur, bie bto§ ge- 
lefen nnb nirgenb^ aufgefüfirt to'xxh, ift unb bleibt n^irlttd^ 
tobt. aSiclIcid^t mirb in nid^t langer Qtxt JJbfenS ,,$eer 
@^nt" nur nod^ in ber ©riegfd^en ©ompofition fortleben, bie 
nad^ meiner ©mpfinbung in \eitm il^rer @a|e mel^r 5ßoefie 
unb SunftüerftQub birgt, Qtö ba§ ganje fünfaltigc Ungel^euer 
Sbfcn^. es ift bieS eines ber abfto^enbftcn ȟnbniffc, baS 
pl^antaftifd^ QuSfd^mcifenbe SBiÖfür mit innerer ^erjcnSlöIte, 
mobernfter 5ßeffimiSmu§ mit abergläubiger SK^fti! gefd^Ioffen 



336 €b. f^ansltrf. 

f)abtn, SBcr ift 5ßeer (5ßctcr) @^nt? 3u änfang bcS @tudc§ 
ein jluanjigia^rigcr nortücgifd^er Sauernjungc, ber burd^ SScr* 
logen^eit unb Staufluft feine alte äKutter ju lobe fränft, 
überaß Unfriebcn unb ©d^reden verbreitet, fo bag im S)orfc 
otte§ fd^eu öor i^m au^n^eid^t. Ungebeten brängt er fid^ jur 
ipod^jeitsfeier ber fd^önen S^gtib, bie einen foliberen fjreier 
ifim öorgejogen, bentäd^tigt fid^ gettJaltfam ber 93raut unb 
trägt fie „mie ein ^aW eiligft über ik Serge. 9iac^ einer 
njilben ^od^jeit^nad^t mit i^r öerftöfet er bie Sötnmernbe 
^o^nladEienb. ©in anbcre§ SKäbdEien, ©olöeig, ia^ if)n tro| 
feiner SSerroilberung liebt, öerläfet er gleid^fattS, nad^bem er 
eine auf ber Strafte aufgelefene „SroÖ^^ßrinjeffin" oerfül^rt 
t|at. 8luf einem ttjüben @ber reitet er mit biefer in bie 
^öl^le i^re§ SSater^, mo bie ©nomen unb ©rbmännd^en allerlei 
l^ciftfid^en 8lbern)i| mit if|m treiben unb il^n fcf)IieJ5ttd& jur 
4)ö]^Ie ^inau§^)rügeln. ®o wed^feln SBirflid^Ieit unb SKärd^en* 
fpu! unauff)örUd& in gbfen^ ©tüdf. ^eer @^nt, ber nad^ 
bem 3eugniffe ber eigenen SKutter „nur Sügen fpann, mo er 
ging unb ftanb, ber niematö ein tauglid^ SBerf öoöenbet", 
t|at bloft eineg im ffiopf: jur l^öd^ften äKad^t ju gelangen. 
(Sr Witt Soifer werben, „ffaifer ber ganzen SBelt^ ! SSon ?lor* 
wegen öerfe^t un§ ber 2)id^ter ganj ^)Iö|lTdö an bie ffüfte — 
öon SKaroffo. |)ier fe^en wir unferen 5l5eter ate einen 
„^übfd^en 4)errn öon mittlerem 8llter, elegant geHeibet, eine 
golbene Sorgnette auf ber 93ruft". @r giebt ein S)iner im 
^ßatmenl^ain ; ein Sranjofe, SKonfieur SaÖou, ein S)eutfd|er, 
$err ö. ©berlopf, ein ®nglänber, äRr. ©otton, unb ein 
©d^webe, Irumt)eterftrale, finb feine Softe — Wiftlofe Äari:= 
!aturen ber öier Stationen. 5ßeer @t|nt, ber |)tö^Iid^ auS 
bem 9iaturburfd|en ein blafirter moberner Spefulant ge* 
worben ift unb über atte§ mit naferüm^)fenber Sronie ab* 
urt^eilt, ^at burd^ ©flaöen^anbel Sleid^t^ümer gewonnen. 



[/ 



„peer (Synt" von (Srieg. 337 

(£r plant neue fd^änbltd^e Unternel^ntungen unb öcrtrout fie 
feinen öter fjreunben. ®iefc l^aben nid^t^ ©iltgereS 5U t^un, 
ate l^eimlid^ mit feinem ©d^iff unb feinem Selbe Qbjufegeln. 
$ecr ®^nt bleibt arm unb ^ilfloS allein. 2luf einem Saume 
fämpft er mit njilben Slffen. 2)ann ftie^It er ein 5ßferb unb 
ein türfifd^eS geftgemanb unb f^)ielt fid^ bor ben Slrabern 
auf ben $ro^)^eten auf. S)ie Siod^ter eine^ Sebuinenl&aupt' 
Iing§, Slnitra, erregt fein SBo^Igefatten unb, tt)ie e§ fd^eint, 
feine Siteraturfenntnife, benn er citirt in beutfd^er ®pxai)t 
®oet^e§ SSer^ üom ©njig^SBeiblid^en. Slnitra reitet mit i^m 
auf bemfelben ©d^immel burd^ bie S33üfte; fie fd^meid^elt il^m 
feine Äoftbarfeiten unb SBaffen ab unb jagt mit feinem Slofe 
baöon. 5Run fann ber überliftete 5ßeter njieber einen langen 
peffimiftifd^en SRonoIog tialten. 9lm Stil, njo bie SKemnon^- 
faule ifjm eine ©tropl^e öorfingt — „SSergangenl^eit^mufif", 
tt)ie er in fein lafd^enbud^ notirt — begrüßt i^n ber S)irector 
eine^ S^enl^aufe^ |)err Segriffenfelb, fü^rt il^n in feine 
Sfnftalt unb \pexxt i^n ein. SRan mad^t fid^ feine SSorftettung 
t)on ber breiten iDi^Iofen Slbgefd^madtt^eit biefer ©cene, in 
meld^er ber berrüdtte S)irector bie §egelfd^e 5ß^iIofo^)l^ie ptt\u 
flirt unb ein SBal^nfinniger bie nationalen „©prad^ftreber" in 
Stormegen. ®ie näd^ften ©cenen f^)ielen auf einem ©eefd^iffe; 
ein furd^tbarer ©türm brid^t Io§, 5ßeter ®^nt rettet fid^ auf 
einem Stadien, öon bem er einen armen leufel l^erabgeftofeen, 
unb lanbet afö ad^tjigiäl^riger ©reis in 5Rorn)egen. S)ie treue 
©olöeig erwartet if)n in berfelben ^ütte, ioo er fie oor fed^jig 
3a{)ren fd^nöbe öerlaffen, unb fd^Iummert i^n mit einem 
SBiegenliebe ein. SBafirfd^einfid^ bebeutet baS 5ßeter§ lob, 
benn ba§ ©tüdf ift l^ier ju ®nbe. 

StnfangS eine Slrt böuerlid^er ©iegfrieb ol^ne freie Reiter- 
feit, bann ein ®iM SRanfreb ofjne geiftige SRad^t, ein ®t&d 
S)on 3uan, ol^ne 5ßoefie unb ©d^ön^eitsftnn , ein ©tüdf 

eb. !&an§lt(t, SluS bcm Xaflcöu* eine» SWurtferS. 22 



338 €^. ^anslicf. 

aRcpIlifto o^ne ©urnor, fd^üe^Iid^ ein crbdrmltd^cr mobemcr 
©elbmenfc^ ol^nc einen gunfen t)on ©entütl^ — bas ift ber 
|)elb ber größten bramatifd^en S)ic^tung QbfenS. Um biefen 
S!Ritte^)unft ber ^anblung, todä^t un§ bie golgcn beS „Ucber* 
ma§e§ bon 5ßl^antafie" bcranfd^aulid^en fott, mirbeln toit 
för^)erIofe ©d^necflodten eine äRenge unöerftänblid^er giguren 
unb groteg!er ©pifoben ^in unb iier. 2)er Scfer greift ftd^ 
jeitttJeilig an ben Äopf, ob er öerrüdEt gettJorben fei. S)er 
beutfd^e Ueberfe^er, S. ^ßaffarge, ber nod^ in ber SSorrebe 
5ur erften Sluflage über bie unlösbaren Slät^fel biefeS ©tücfeS 
geflagt, erjötilt jur jtoeiten Sluflage, erft fieben Qal^re fpöter 
t)abe 3bfen felbfl it|m einige biefer Slat^fel aufgelöfl, t)or 
allem baS n)i(i^tigfte: „5ßeer @^nt ift ber 9teprafen = 
tant beS norn)egifd^en SSoüeS!" @in angenel^meS 
S)ramo, ba§ fold^ autfientifd^er SluMegungen bebarf, unb ein 
fd^öne§ Kompliment für baS nornjegifd^e SSoIf. ®an§ merf* 
njürbig ift bie SSerfd^iebenlieit be§ ,,$eer @^nt" öon ben 
übrigen be!annten ©tücfen 3bfenS. SBö^renb biefe eine faft 
pebantifd^e @inf)eit öon 3^it unb Drt einl^alten unb fid^ nid^t 
aus ben öier SBönben beS bürgerlid^en SebenS ^erauSttJagen, 
treiben im „5ßeer ®t|nt" bie Sötjrjel^nte unb bie aSeltt^eile 
^)]^antaftifd^ burd^einanber. 3n allen jur 8luffüf)rung ge= 
langten ©d^aufpielen SbfenS l^errfd^t ber fd^arfe, unbarm= 
tierjig logifd^e SSerftanb, n)eld^en ber S)id^ter toit einen ©pur* 
l^unb auSfd^idft, um l^erauSjuttJittern, tt)o irgenb eine Salfd^- 
l^eit, SSernjorfenl^eit, Süge unb göulniß vergraben liegt. Ofm 
„5ßeer ®^nt" ^at biefer ftrenge, orbnenbe SSerftanb ju ©unften 
einer jügellofen SBiÖfür abbicirt unb gleid^t einem ber ffeinen 
SuftbaHonS, bem man au§ Spafe ben 3aben abgefd^nitten 
l^at. 2)ie ©d^Iuftmorat bleibt freilid^ immer biefelbe: tt)aS 
befielet, ift njert^, bafe eS ju ®mnbe gel^t. ©eorgöranbeS, 
ber geiftüotte Siteratur^iftorÜer unb gemife befte ©enner feinet 



Sympljonte von Doofaf. 339 

SSolfcg, fügt einmal : ,,S)ie Sänifd^en ©d^riftftettcr ^abcn in 
bcr Siegel ben SSor§ug, bie Slu^f^meifungeu b€§ ©efd^madf^ 
unb ber ^ßl^antafie ju öermeiben, in ttJeld^e bie beutfd^en 
flöufig verfallen. Sie fiaben baS ©id^er^eit^gefü^l, totl6)e^ 
angeborenes ©leid^getoid^t unb angeborene^ ^l^Iegnta öerleil^en ; 
fie finb niemafe öerttJegen, c^nifd^, rebettifd^, tt)ilb pl^antaftifd^, 
rein abftra!t ober rein finnlid^ ; fie ftürmen nie ben §immel, 
fie fallen nie in einen Srunnen. S)ag iff §, toa^ fie bei i^rer 
Station fo po^juWr mad^t." SSon attebem ift 3bfen§ „5ßeer 
©l^nt" ba§ gerabe ©egent^eil. SKon fielet, mie öieleS fid^ 
aud^ im ®^ara!ter ber bönifd^en Siteratur berönbert i)at 

3tun ju OriegS aWufü. @ie befielt auS öier 2;an5=^ 
ftüdEen unb je einem SSorfpiel ju ben fünf 8l!ten be§ S)rama§. 
3m $^ilf|armonifdE)en ©oncert befamen h)ir nur öier bon 
bicfen neun ©tüdfen ^u l^ören. 1. S)a§ 9SorfpieI jum öierten 
9Ht, „SKorgenftimmung", eine freunblid^e Sbi^He, mit tanjen- 
ben Sid^tern öon gfötentriöern auf ber leidEjten, gleid^mä^igen 
SBettenbenjegung. 2. S)er jierlid^e %ani ber fd^Ianfen Sebuinen* 
todE)ter STnitra; reijenb in ber ©rfinbung unb ^auber^aft in= 
flrumentirt. 3. Sin mel^müttiig ftiÖeS Slbagio in A-moll auf. 
ben 3^ob öon $eer ®t|nt§ äRutter; bie fd^Iid^te, liebmäfeige 
aSeife burd^ einige geiftreid^e |)armonien gehoben, ©nblid^ 
4. ber ungemein d^aratteriftifd^e , fd^merfättig barode 3^anj 
ber ättJerge in ber |)ö]^Ie ber „Srott^^ßrinjeffin". S)ie übri- 
gen ©tüdte, bie burd^auS intereffant, bod^ übertt)iegenb öon 
jerriffener gorm finb (tt)ie ber „©eeflurm"', bie ©cene jttJifdEien 
ber flel^enben ^nqxib unb bem unerbittüd^en 5ßeer @^nt, baä 
aSorft)ieI jum „|)od^äeitS]^of'0, ^at man, ate für fid^ fd^n^er 
öerftänblid^, t)on ber Soncertauffül^rung auSgefd^Ioffen. 

S)ie 3ul^örer l^atten fid^ für ©rieg an Seifatt fo öer^^ 

fd^ttJenberifd^ ausgegeben, ba§ unS für bag ©d^idffal ber barauf- 

folgenben SRobitat, einer @^mt)^onie bon S)t)ofaf, 

29* 



340 <£^. Vtanslid, 

bemalte bang iuurbe. %tö le^te stummer auf ben gefa^rlid^ften 
$Ia| gefteQt, f^ai fie tro^bem mit ben ed^teften SDlttteln geftegt. 
2)a§ äSerl, t)on Anfang btd jum Snbe unt)erfenn6arer 2) t) o r a f , 
ift bod^ grunboerfd^ieben Don feinen beiben erften, in SSiien 
befonnten @^nH)]^onien. Sie Hingt freunbli^cr, ftorer, ^)0}}u* 
lärer aU bic erftc, }}at^etifd&e in D-dur unb bie jmcite tnifb« 
romantifd^e in D-moll. J)ie (noc^ ungcbrudftc) neue @^m* 
Päonie, op. 88, fielet in G-dur; ber ^örer bürfte füglid^ QU^ 
G-moU fagen, benn in biejcr lonort beginnt ber erftc ©Qfe 
(AUegro con brio) unb üerttJeilt barin üotte fed^jel^n Softe 
lang; bann erft intonirt bie gfötc ba§ atterliebfte I^ema in 
G-dur. Unb bod^ finb jene fed^je^n SKoHsSaftc wieber me^r, 
aU eine blofee ^i^trobuftion, fie bilben ein gefangüolleg I^cnta 
für fid^, ba^ na^ bem ©eitentl^ema in H-moU öottftänbig 
mieberfe^rt. J)t)ofaf liebt ei^, mit üielen aWotiöen ju arbeiten, 
toa^ eine gütte öon Qbeen, aber l^äufig aud^ eine eigent^üm* 
lid^e Unruhe in feine ®tndt bringt. S)a§ crfte Ättegro, fomic 
bag abagio feiner neuen @5m^)^onie fliegen jtoar in einem 
3ug ol^ne laft* ober lentpomed^fcl ba^in, l^abcn aber trofe* 
bem burd^ ben SBed^fel öerfd^iebenartigcr @m|)finbungen et\m^ 
8t^a^)fobifd^ei8. Originell toit ber erfte @a^ in feiner jugenblid^en 
grifd^c ift anö^ bag Slbagio in feiner fanften Sefd^aulid^feit. 
Stud^ l^ier giebt e§ für ben ^örer tttoa§ ju ratl^en. J)ai? 
Stbagio beginnt mit einer äRelobie in Es-dur, bereu ®nbc 
erft in bie ^au^)ttonart C-raoU einbiegt; übermiegenb beloegt 
fid^ aber bag BtM in C-dur unb fc^Kegt auc^ fo. Sletjenb 
ttjirft ba§ jloeite I^ema, eine getragene äRelobie ber glöte, 
meldte burd& bie ©eigen in rafd^ abfteigenben ©ejtafforben 
staccato begleiten. ®ann werben bie SioIIen getocd^felt: bie 
SSioIincn bringen ben ©efang, glöten unb Klarinetten bie bc«» 
gicitcnbe ©taccatofigur. ^m ©c^erjo, einem Slttegretto in 
G-moll, l^crrfc^t weniger grol^finn ober ^umor, ate öielme^r 



4 



Sympljonie »ort Dootaf. 34 1 

Die ruhige ©rajic bc5 SWcnuctt^. 3la(f^ bcm %xxo toxxb l^cr* 
fömmlt^ertDeife ba^ ©d^erjo mteber^olt, aber anftatt bamit ju 
f daliegen, ftürjt [xd) ber ®oni})omft — „bcr SBcnjcI fommt!" 
— lofifüber in einen )}otIaartigen berben Sanemtanj. St)of af 
ffSiitt Dielteid^t n^ol^Igetl^an , biefe überjlüffige Soba, bie mel^r 
bö^mifd^ atd fd^ön x% gana au unterbrüden. 2)er einl^eitlid^fte 
unb miilfamfte ®a| ift ba^ finale. SSon einem Xromt)eten' 
fignal angeffinbigt, ba^ gleid^fam $abt Sld^t! ruft, tritt ein 
onntutl^igcS, gebunbeneg Sl^cma Quf ben 5ßIon, eine liebartige 
SRelobie in jtoei ad^ttoftigcn Il^eilen, bercn jeber vtptüxt toirb. 
aWan nterft, bag e« auf SSariattonen abgefefien ift, unb in ber 
Xl^at folgen folc^e in gleid^em f^mmetrifd^en Stammen. 2)a9 
Secuta, in bcn brei Ionen bc^ G-dur-S)reifIong^ auffteigenb, 
ift aui^ beut ^au))tmotit) bei^ erften @a^e§ gebilbet. STlit 
raufd^enbcm Subel bridbt e^ jeitnjetlig im gortiffimo beS 
ganjen Drd^eftcr« lo^, eine Strt gläujenbeg „Tutti^^ öon 
padtcnber ©ewalt. 3)oS ganje finale ift trofe feiner feinen 
^armonifd^en contra)}unftifd^en Slrbeit t)on unmittelbarer 
äBirfung. Ueber^aut)t (ögt ftc^ auc^ biefem SBerle 2)t)ofafö, 
bad 5U ieinen aQerbeften jäl^tt, nad^tü^men, bag ed nirgenbd 
))ebantifd^ ift unb bod^ in feiner Ungebunbenl^eit nid^td weniger 
aU naturaliftifc^. 2)t)of al ift ein ernft^after ^finftler, ber t)iel 
gelernt l^at unb bod^ über bem ©elernten feiner SRoiöctät 
unb grifd^e nic^t üerluftig gemorbcn ifi ?tug feinen SBerfen 
ff)ri^t eine originelle ^erfünlic^feit, unb aud biefer ^erfdnli^^ 
feit n^el^t ber erfrifd^enbe Stirem bei$ UnDerbraud^ten unb Ur« 
ft)rfing(id^en. ®ie finb balb üppi^tx, balb unfd^einbarer, ba(b 
l^ö^er, ba(b niebriger gen^ad^fen, aber gen^ad^fen finb fie aQe. 
Unb biefei^ natürlid^e blfl^enbe äOSad^dtl^um ift td, toaS in 
unferer Qtit ber bor^errf^enben 8flef(e^on und rafc^ gewinnt 
unb ttjitlig feft^ält. 



342 €b. fjanslirf. • 



„Sinfonie fantastique" oott 23er f 105. 

S)tc „Suftf}}ictDut)crtürc'' üon gticbrid^ ©mctana ift 
ibentifd^ mit bcr Dutjcrtürc jur lomifd^cn Dper „Prodana 
faevesta" (btc ücrfauftc Staut), wclci^c in ^rag 1866 i^rc 
er ftc «uf fül^rung, im Saläre 1 886 fd^on i^rc 1 50. erlebt ^ot. Sieben 
SmetanaS „Sufe" (Hubicka), ber nid^t, toxt ber S)ocji?(^c, 
an einem ^)t|ontaflifd^ f|)anifd^en $)of, fonbern anf einem bö^= 
mifd^en Sorfe f^)ielt, bc]^am)tet jic^ bie „uerloufte 95raut^ aö 
bog betiebtefte ©tüdt bei^ national^cjec^ifd^en D|)ernre^)ertoireS. 
S)ic Duöertüre büifte i^re 5ßo})ttIaritat nid^t auf eigene %avi\t, 
fonbern erft mit unb burd^ bie D^jer felbft ertt^orben l^aben, 
benn fie ftjenbet fid& me^r an ein mufüalifc^eg ®Iitefor^)§, afö 
üxi ba§ ;,gro6e'' 5ßublifum. J)ag |)feilfd^nett toit über ein 
SSäel^r l^erabftürjenbe Säiolintl^ema mirft ungemein belebenb 
unb tt)irb contra|)unftifd^ trefflic^ verarbeitet. Sin leicht na« 
tionaler 8lnflug ftreift nur ba^ ©eitenmotiö. SDie Duöertürc 
ift ein breit auiSgefü^rteg, organifd^ enttpidfeßei^ SRufif ftüdt, fein 
5ßott)ourri. Sie fönnte mit S^ren jebcg ®^afef|)earefd^e ßuft* 
f^)iel einleiten. Sei feiner, üorne^mer Spaltung fjjrül^t fie bod^ 
Seben unb Suftigleit. ÖQerbingS bie Suftigfeit eine« geiftreic^en 
äKenfc^en . . . 

3n ber S3rat)our=Slrie „SWartern aller arten" aug ber 
,,@ntfü]^rung" l^aben wir me^r bie ©efangiJöirtuofität ber Silli 
S e 1^ m a n n bemunbert, ate bie Som^jofition SKojart«. S)arauf 
l^atte er felbft e« ja abgefel^en. SRit ber il^m eigenen liebend* 
njürbigen gügfamleit in ^)erfönlid^e unb lolale Slnf^jrüc^e forgte 
er l^ier für bie Sraüourfängerin ©aualieri, meldte bie füge, 
freunbtid^e ®tmf)x(f)tii be« (^lönjeng aud^ an un)}affenber 
©teile nic^t aufgeben fonnte. Unb un}jaffenb, n)iberf|)red^enb 
fte^t biefe im ^jatl^etifd^en 5ßrunlftif ber Opera seria gefd^rie« 



i 

A 



2Irie ber <£onftan3e. „Sinfonie fautastique" von Bcrlioj. 343 

benc Slrtc mitten in SWojart^ l^citcrcm bcutWen @in9ft)tcr. 
S)a 5U bicfcm inneren SBiberf^)rud^ fid^ obenbrcin ber äWongel 
Qn Sängerinnen gefeilt, ttjcld^e bergleic^en o^ne Sebenggefal^r 
ausführen fönnen, fo tt)irb bic SWarter^Slrie faft überott in 
ber Dptx njeggefaffen. 3^^t ^at grau Sel^mann ftc mit großem 
©rfolg in ben Koncertfaal t)txp^an^t, too^'m dn Sraöour* 
ftüd biefer ^rt jebcnfaög beffer pa^t Slud^ nod^ anbere 
StüdEc in ber „(Sntfül^rung" öerratl^en, baß SKojart nod^ mit 
einem gu§ in ber italientjc^en SRufif ftonb, atö er baS crfte 
Sunftmerf beg beutfc^en ©ingfpiete fd^uf. ®iefe S^^i^ft^öltig* 
feit im Stile ber ,,(Sntfü§rung'', bie un§ burd^ i^ren beutfc^en 
§umor entjüdEt, burc^ i^ren veralteten ttjälfc^en 5ßu^ abftöjgt, 
fann man nur befragen, ©ic l^at in ben 83rat)our*Slrien ber „^ü^ 
nigin ber SRad^t" nod^ ein ftjeitereSSeitenftüdbefommcnunbfomit 
bopptittm ®emic^t bie ftilgemäge gntnjidEfung ber beutfd^en 
fomijd^en Dptx um ^a\)xt jurüdEgefialten . . » 

@ine außerorbentlic^e Sciftung be§ Jj^il^armonifc^en Dr* 
C^efterg ift bie „Sinfonie fantastique'* Don SSerltOJ. 
SebeSmal, ftjenn id^ fie nad^ längerer S^i^ toieber f)öre, 
fü^te td^ mid^ einige Stufen ober Sre<j|)enabfä^e l^erabftürjen 
üon meiner einftigen S^geubfc^mörmerei. (£§ tröftet mid^, 
\>a^ e^ bamit anberen genau fo ge^t. SDen befriebigenbftcn 
©inbrudt machen nod^ immer burd^ i^re gefc^Ioffene Sorm ber 
„93att" unb ber „ipinrid^tunggmarfc^". gm erftcn Safee, mic 
im Slbagio njtrfcn tt)ie e^emafö einzelne Steßen von burd^* 
bol^renbem ®Ianj ober ttje^müttger ^nnigfeit — aber bie ^attlofc 
gerfal^renl^eit biefer Sä^e, bic bürftige Slu^fül^rung i^rer nid^tS 
weniger aU bebeutenben I^emen bei fo unoer^äftniSmäßiger 
Slu^betinung faßt un§ um fo betrübenber auf. Ser Ie|te, 
fünfte Sa| ift einfad^ l^äglic^, mit einem ftar!cn StidE) ing 
Säc^erlic^e. Serlioj felbft l^atte feine Sebenlen bagegen; er 
brachte in SBien unb anfangt aud^ in 5ßra0 nur bie erften uicr 



344 €^. ^anslirf. 

@ä^e ber S^mt^^onte jur Sluffü^ntng. Srft afö ber l^od^ge^ 
ftiegene ^tl^ufia^niud ber fraget i^n gegen iebe ®efa]^r feite, 
ga6 93erlt05 in einet ff)ätcren SBteberl^oIung avtä) ha^ berüd^* 
tigte ginoTc. 8luf einem Sinkflüge nac^ SBien begriffen, mußte 
ic& jenei^ benfmürbige ©oncert o^jfern. S)a toar Seriioj fo 
(iebendmürbig, mtd^ über biefe^ SSerfäumnig mit eitttgen ^umo« 
riftifc^en S^Wcn ju tröftcn. ®r fd^rieb mir ouiJ 5ßrog om 5. 

8l^)ril 1846: „Henri IV öcrivait: Pends toi Crillon, nous 
avons vaincu ä Arques et tu n'y etais pas! Notre Sab- 
bat a etö ex^cutö mardi dernier; cependant je ne yous 
engage pas ä yous pendre, car il peut allez beaucoup mieux. 
Mille amities, et revenez nous Yite!*^ S)ie jüngfte 9(uffit^« 

rung unter |)onn^ {Richter, n^elc^e äSerlioj gemig ni^t „beau- 
coup mieux* < gelDünfd^t l^ötte, rief mir fc^öne S^genbtage, 
aber aui) bie Ueberjeugung jurüdt, ba§ ber ^^cgenfabbat^" 
am beften mirft, toenn man il^n — njegläfet. 



23 r a § ttt $' D-moll-Öottcert. 

Stur feiten njagt fid^ ein Älaöierbiertuofe an Sra^m^' 
D-moll-ffioncert, bag mir nod^ langer ßtii tüieber einmal bei 
ben 5ß^iIt)armonifern ju l^örcn bc!amen. S)ie ©d^n^ierigfeitcn 
biefc^ aSerfeS, äußere unb innere, geben nidfet bem @|)ieler 
aöein, fonbern aud^ bem ^örer ju fc^affen. 3c^ gefte^e, \)a^ 
mir ba^ D-moll-®oncert trofe feiner unDeifennbaren (Genialität 
anfangt h)eit mebr abme^renb aU angiel^enb gegenüberftanb. 
©eine genjitterfd^tt^üle, öerfengenbe Seibenfd^oft unb Irofe« 
gen^att fc^eint ba^ ®emät]^ bei^ $örerd mie ein 2)ämon bed 
5ßcffimi3mug ju bebrol^en, ttJäl^renb unfer mufifalifd&e^ S)enlen 
ftc^ glei^^eitig an ber Söfung feiner contra^^unttifc^en ©el^etm? 



% 



Braljms' ü-moll-(Loncert. 345 

nvffc abarbeitet. 3Ratt muft biefe^ möd&tiflc lonftüdt lieber* 
l^ott t|dren unb gut l^ören, um feine eigenartige unb l^erbe 
©c^ön^eit ganj ju erfaffen unb ju genießen. S^ Sra^m^' 
^toeitem Soncert, bai^ nur ^u erflingen braud^t, um ju fiegen, 
öer^ätt jid^ biefe« crfte ungefäl^r toit feine erfte &t)mpi)omt 
^ur jmciten. Slic^t nur in i^rem finfteren , milben ©d^mcrj* 
gefü^l, aud^ in ben änHängen an Seetl^ooeniJ „Slcunte" 
berül^ren ftd^ Sra^mg' D-moU-Eoncert unb bie jtoanjig ^Qf)xt 
\pakxt C-moll-@5nt^)^onic. SRie juDor toar ein ftlaüicrconccrt 
mit fo emfter, ftrenger Siebe aufgetreten, fo burc^auiJ f5m}}]^o^ 
nifd^ unb allet bloß gtöngenben SBirfung abgemenbet. äBie 
merfroürbig, baßSralömgbaS D-moll-Soncert, einSQäerf gereifter 
äRannl^eit unb SWeifterf d^aft, al^ Süngling gefd&rieben unb üor mel^r 
afö brcißig Sauren fd^on in Ztip^XQ öffentlich gef^jielt l^at! 
äBer ba^ @tfld Don iBra^md felbft ober Don 93üIom 
einmal gel^ört, ber mod^te an bem SSortragc be^ $erm 
Seonarb 83 ortoi dt gar öieleiJ üermiffen. @« fe^tt bem 
jungen SKanne nod^ an aui^reid^enber Sraft, geiftiger ttjie 
^jl^Jjfifd^er, gerabe für biefc Stufgabe. $err ^oxtoxd jiel^t 
mcnig SEon an^ bem Slaöicr; fein Slnfd^Iag ift flac^ in ben 
©efangfteHen, l^art unb bod^ unauSgiebig im gorte. Sorreft 
ipar aQeg toicbergcgeben — wag aDcrbingi^ fd^on eine be* 
beutenbe Icd^nil beioeift — aber bie liefe' unb Seibenfd^aft, 
bie brennenben garben fel^Itcn. 3n bicfcr fül^lett, rcinlid^cn, 
unanfiögigen SSortrag^wcife fam mir $crr 8ortt)idf beinahe 
Dor tt)ie ein englifc^er ©entleman, roag er aud^ ttJirfUc^ ift. 



J)a3 lefete ^©efellfc^aftgconcert" war, ganj im Vertrauen 
gefagt, eigcntli^ langweilig. Sft «^ möglid^? SBerfc Don 



»-« « * s 



346 €b. ^anslirf. 

^aljbn, @d&ubcrt, SBognet ncbft einer Sloüitöt öon ^erj 
ärnolb ffirug? 3a, eg giebt eben Sangmeile t)on öcrfd^iebeai* 
artiger gf^^i^be, ©törle unb Stu^bel^nung. 9}ian lann fid^ ))ie^ät« 
öoQ ober rücffid&töloS langmeilcn, bußfertig ober müt^ciib, 
öoruberge^enb ober unüergeBIid^. S)te B-dur-S^mp^onie be« 
19jö§rigen ©d&ubert, bag mar bie gemütl^Iid^e Songmctie; 
man fonnte babei nid^t bö§ merben. Sie fpielt ftd& ol^ne jcg* 
lic^e Ueberrafc^ung unb ?lufrcgung, fo bürgerlich bequem unb 
fetlftuerftänblic^ ab, bog mir ben @d&öt)fcr ber fpäteren großen 
C-dur-S^mp^onie laum erfennen. greitid^ liegen ^mölf ^a\^xt 
jmifc^cn beiben — für Schuberts munberbor fc^neöeS SBac^g* 
tl^um ein l^albeS ga^r^iunbert. Sßur bag ©d^erjo in G-moU 
uerrät^ unfern Sranj ©d^ubert, inbem e§ an fpätere, beffcre 
©c^er^og Don i^m anflingt; öorübergc^enb auc^ bag Anbaute, 
mo e§ uac^ bem Stbfd^Iufe beg ^auptfaje§ in Es-dur unüer* 
mittelt ben E-dur-9lf!orb pait unb einige fd^üc^terne roman* 
tif(^e fö(änge anfc^Iägt. SlßeS Uebrige, jumal ber ganje erfte 
unb le^te ©a^, fd^medt mie ein fc^mac^er 3lbguß t)on ^a^bn 
unb äWojart. 3Kan meiß immer je t)ier Safte üorou^, o^ne 
ben Dier tiorl^ergegangenen gerabe nac^jumeinen. 2)ai^ ®e- 
l^eimniß ber mufifalifc^en S33ir!ung befielt aber im ®runbe 
barin, bafe in ber Kompofition aßeg fo fommt, mie e§ lommen 
muß, unb bod^ ganj anberö, als mir ermarteten . . . „'S)tx 
©türm" üon ^al^bn, ein befannteS S^orftüdt, baS el^ebem 
im SSSiener ©oncertteben eine große 3totte gefpielt ^at, ift für 
Sonbon im gal^re 1792 componirt. ©eit biefen 99 S^^ren 
^aben mir gan^ anbere „©türme" erlebt, in ber SRufü, in 
ber 5ßoefie, in ber SBeltgefc^ic^te, im eigenen ©eelenleben. 
SBenn ^o^bn nac^ bem furjen ©emitter bie ©itte „Komm' 
bod^ mieber, fanfte Stu^'" unjö^Iige äRale (ang audbe^nenb 
mieberl^oft, bann beginnt ganj fanft bie ,, fanfte 3tuy in 
fanfte ßangmeile ju gerinnen .... S)er „©l^m^j^onifd^e ^Järolog 



<£ompoftttonen von 5d?ubcrt, Bayön, IDagucr u. 21. Krug. 347 

ju ©l^afefpcarc« Dtl^cHo" öon Slrnolb Srug ift burd^oui^ 
niobcm unb bcmgcmä^ auä) unferc Sangtpcilc eine moberne, 
gereijte, nerööfe. SBeber bie finfter brütenbe ©micitung, noc^ 
baS ausgebrütete C-moll-9ltIegro, mit Dtl^ettoS ©iferfuc^t unb 
bem contraflirenben S)eSbemona*3Kotiü — einem auf Warfen* 
or^jeggien fd^toimmcnben Dboefolo — gewinnen übergeugenbe 
SRad^t über ben ^örer. S)a6 bcr ©omponift fd&IieBti^ jum 
®rbroffeIn bei' atmen S)egbemono breimal foüict 3^** wnb 
Änftrengung üerbraud^t, oB Dt^eHo felbft, baS mag i^m bag 
gequälte D<)fer üerjei^en — mir fönnen'i^ nic^t. SSor brei 
Sauren brachten bie (Sefeüfc^aftäconcerte eine f(eine ©antote 
üon Srug: „S)ie äRaien-föönigin", ber man jmar leine origi* 
neuen S^^een, aber boc^ gute fölangmirfung unb eine gemiffe 
gefällige Si^rif nac^rü^men fonnte. ®er „@t|mp^onifc^e 5ßroIog 
5u Dt^ießo" (fonft nannte man ba« einfach eine Duöertüre) 
f d&eitert an ber gewaltigen tragifc^en Slufgabe, meldte bie föraft 
bei^ Somt)oniften übcrfteigt imb mit aufgeregten ^^rafen unb 
billigen Drc^eftereffeften nic^t ju erlebigen ift. Swm ©d^Iuff e : 
bie „®ralgfeier" au« SÖäagncrS „^arfifal". 3m Sa^rcut^cr 
X^eater ^at fie gemi§ noc^ niemanben gelangmeilt, im ©oncert^ 
faale nimmt fie fid^. biefe grei^eit. 3)ort bemunbern mir an 
bem ©tücfe bie unerfc^ö^jflic^e malerifc^e 5ß^antafie, bie ii)^a» 
tralifc^e Snft)iration SSäagnerS, meldte in jebem öül^nenmerfe 
immer neue feffeinbe öitber 5U fd^affen mcife.*) S)er ganj 



*) (äJuftaö gre^tog er^ft^It in feiner eben erfrf)ienenen ©elbft* 
biograp^ie, wie i^m SSagncr im ^af^xt 1848 ^uerft mitget^eilt ^abe, 
bofe i^n bie 3bee ju einer großen Oper befcl)(iftige, bie in ber germa* 
nifc^en ©ötterioelt jpielen fotlte. 3)er Sn^alt ftanb i^m nodft nid)t feft, 
aber moS i()n für bie 3bec begeifterte, wax ein dijox ber SBoIfüren, bie 
auf it)ren 9?offen burd) bie iiujt reiten. S)iefe SSirfung fcftilberte er 
mit grofeem geuer. 3)a§ ©c^meben in ber fiuft unb ber ©efong ouS 
ber ^'6t)t \mx für if>n gerabe boS ßorfenbe, iüa§ i^m bie ©toffe au§ 



348 €6. fjaiislitf. 

cigenaittge, imt)ofante Stnbrud bicfcr ®raKfctcr ^aftct aber 
unablöjJbar an bcm fccnif^cn SSorgangc. 3nbcm man bicfc 
@cene in bcn (Soncertjaal überträgt, n^o fie farb(oS, finnlo^, 
unbcrftänblid) unb crntflbcnb ift, Iciftct man mcber bcm SSScrfe, 
nod& bcffcn Utl^cbcr einen 3)tenft, fonbern ^öd^ftcn^ ber 9teu- 
gierbc be^ ^ßuMifum^. 3)iefc ^at bereite bnrd^ ein @ral* 
concert unter Q, Sticktet (1887) i^r Dt)fer crl^alten; jebc 
SSieberl^oIung lann ben ^i^^^^i^tii i^icfer S3er))jlan2ung unb SSer« 
Irü))pelung be^ Originale nur nod^ auffäQiger mad^en. 



©ac^g ftirc^encantate „3^^^ l^attc öicl ©efümmernife" ift 
eine ber foftbarften perlen aus bem und nur unöoHftänbig 
erhaltenen unb trofebem faft unüberfc^baren ©c^afe öon ffiird^en* 
cantaten, ttjeld^e ber arbeitSfrol^e unb gotteSffird^tige SKcifter im 
Saufe ber gal^re aufget^ürmt ^ai. S)ie Slnfangömorte: „^ä) 
l^atte öiel ©efümmerni^ in meinem ^erjcn, aber beine 
Iröfiungen erquidtcn meine ©eele", preffen ben ganzen ^ni)aii 
beS SBerfeg mie in eine %i)t[\^ jufammen, toelc^c bann in 
jebcr i^rer beiben §ölftcn, ber betrübten unb ber getröfteten, 
mit bem mä^tigften iperienSantl^eit ausgeführt ttjirb. 3)ic 
Kantate beftel^t an^ einer Drt^cftereinleitung (Sinfonia) unb 
ac^t SSoIalfä^eu. 9Son ben @oIogefängen gebührt n^o^I 
bie 5ßalme ber t>on einer Dboe umranftcn @o<)ran«?tric in 



tiefer ©ötterwelt ^uerft üertraulicft mad^te. „9^un ift" — fc^Iiefet grret)* 
tag — /ffür einen ©d^affenben nichts fo cftarofteriftifc^, alS baS (i\, 
aus loelcftem fein SSogel herausfliegt. 3)ie grcube an unerhörten 2)e!ü* 
rationStoirfungen ift mir immer qIS ber ®runbjug unb baS ftiffe Seits 
motiü feines ©c^offenS crfd^icnen." 



9 



Cantaten von ^adi unb fjänbel. 349 

C-moll. @ic l^at (tüic ouc^ btc jmcttc lenur^Äric in F-dur) 
eine Süfee unb SugenMic^Iett ber SRelobie, \ok mir fie bei 
^a6) feiten antreffen; tnir möd&ten, fo uncr^ebfi^ fonft bie 
Scil^rei^ringe gerabe bei ^aä) finb , ber frfi^en @ntfte^uttg$jeit 
(1714) elmag öon biefem Sletje guf (^reiben. 3)ie Ienor»?tric 
in F-moll, „Säc^e Don gefallenen 8äi)xtn*\ mit i^rem fo er* 
greifcnben begleiteten Slecitattt) ift ein merfmürbige^ Silb raft- 
Io8 tDü^Ienbcn ©d^merjeS. Ungteidt) fc^möd^eren , faft be* 
frembenben SinbrudE mad^t baiS breit ani^gefponnene 3)uett 
jtüifd^en ©opran nnb 8a§. S)ie „gWnbige ©cele", eine 
ftereot^pe Srfd^einnn^ in ber ölteren ))i:oteftantifd^en Sird^en« 
mnfif, tritt l^ier in unmittelbaren SEBcd^felgefang mit bcm §eiIonb. 
S)ie t)ietiftifd&e ©üBIic^fcit biefe« ©tüdteg toerftimmt un§ unb 
bie unerfattli(^ micber^olten ®egenreben : ;,ffomm', mein gefu, 
unb erquidte — 3a, id& fommc unb erquidte'' — „Stein, ai^ 
nein, S)u l^affeft mid^ — 3^, cid^ ia, i^ liebe S)id^!'' üerfefeen 
und au$ ber ^irc^e in bie D))er, 'äl^ ici) t)or etma brei^ig 
3al^ren btefeS Sebenlen gegen bad 2)uett ünd\pxa6), mürbe id^ 
t)on einem ber ®encral^ä(^ter bed Sad^futtud gel^örig abge» 
fanjelt. @d erreid^t mid^ je^t bie befonbere (Senugtl^uung, ba§ 
ber gelel^rtefte aller S3ad^t)cre{|rer, 5ß^iIiW ©pitta, in feiner 
Kaffifc^en ^xogtapi)xt bad S)uett „einen gerabCju munben 
^ßunft" ber S^antate nennt, „ein ©tüdt, baS überall bcn ®in* 
brudf eined reijenben SiebcdbuetteS mctd^en mufe". „Äffe 
Äirc^enmufif," fagt ©pitta, „l^ört auf, fobalb jmei 5ßerfönlid^* 
leiten berma^en fid^ in Slufforberung unb ©emäl^tung, in 
SBiberf<)ru(^ unb Suftimmung mit einanber ju t^un machen, 
mie ed l^icr gefd^ie^t. S)a§ S)uett ift, mag Sird^enmufif nie^» 
mate fein borf, bramatifd^. ^aä^ l^at, ed mu^ leibcr gefagt 
mcrben, nic^t nur nichts getrau, um bad SSerfel^Ite ber 2)ic^tung 
5u milbern, fonbern eiJ burd^ feine Se^anblung no^ gefteigert." 
©otc^e Unbef angenl^eit bed Urt^eild ift ©))itta ^od^ angured^nen ; 



350 &. £?aiisltrf. 

fic I)at i^n gcmiß» einige Ueberlüinbung gefoftet. SBer mit ber 
ganjen (gnergie feir.cr Siebe unb Sertjunberung an einem S^on=» 
bii^ter l^ängt, in aufopfernber, jal^relangcr Sltbeit beffen Seben 
erforfc^t unb barftettt, bem gefi^iel^t c^ unöerfe^en^, ba§ ber 
4)elb feinet ©ud^c^ i^m fd^Iecfitmeg aU ba§ ^beal erfd^cint, 
i^m ba^ SRaB aßer S)ingc ipirb. ^d) glaube, unferc beiben 
berühmten SRufifforfc^er @t)itta unb S^rljfanbet njütben 
aufrid^tige Siebe für ^ai^ unb Raubet nod^ üicl me^r geförbert 
unb gefeftigt l^abcn, n)enn fie ^in unb n?ieber, toie in öor^ 
liegenbem gaß, n)irf(id^ gefagt l^ätten, „toa^ leibet gefagt 
n?erben mu§". Unter anberm aud^ über bie fd^rcdflit^en 
^jietiftifd^en 5ßoefien öon ©alomon grandE unb ä^nli^er S)id^ter, 
bie 83ad^ mit SSorltebe „unb nid^t bIo§ auf ^ö^eren SSSunfd^" 
in SKufif fefete. S)ie attju milbe Seurtl^eilung biefer ^fingen- 
ben edangelifd^en ©d^n^anen'' mai^t un^ üerbrieglid^, Ujic biefe 
^oefien felbft. 33on ben Stören ber Santatc tuirb man 
balb bicfen, balb jenen aU ben fcfiönften benjunbern, je nad^bem 
man abmec^felnb fic^ barin öertieft. 8luf bem ©oben, ben ber 
erfte S^or fd^tic^t unb fräftig öorbercitet, erl^ebt • fid^ ber Kl&or : 
„SBa§ betrübft S)u S)ic^, meine ©cele'' ju rieflger ^ö^e, ftarrenb 
im Sleic^t^um poIl)t)^oner Sunft, unerf(^öt)f{id^ in immer neuen 
SQSenbungeri, äKenbeföfol^ng Som^jofition berfelben 5ßfalm^ 
tt)orte ftel^t in i^rer mobernen ©anftmutf) tok ein Sinb ba^ 
neben, ^m j^citen S^tieil ift ber Sl^or: ^@ei nur iDieber 
jufricben" (K^oral mit guge) öon überlDöItigenber Kraft unb 
(gr^aben^eit; bie 5ßoI^<)]^onie njirft l^ier in itirem eigenften 
SIement, mit einer nur öad& erreichbaren greil^cit ber Se« 
megung. (g§ toax eine öottreffti^e 3*^ee ©eridei^, bie S^orat* 
melobie („SBer nur ben lieben ®ott ta^t »alten") t)on jel^n 
oben auf ber Drgelgalerie t)oftirten Knaben fingen ju laffen, 
moburc^ biefer ftimmenumftod^tene Cantus firmus gleic^fam 
ffir Slug' unb Dl^r <)Iaftifd^ l^eröortrat. SUlit einer bei ^aä) 



5ympl]onie»0be von ^^an Kouis ITicobe. 351 

fcitcncn, befto nte^r an §änbcl mo^ncnbcn ©onncnHarl^cit 
itttonirt bcr ©(^lufec^or unter ItonH)ctenöcfc6mcttcr ein auf 
ben 3ntert)aQen beö C-dur-S)rciHan9ei^ mac^töoö auffleigcnbeiJ 
I^ema, bag im SScriauf ben ©d&mud reii^ftcr giguration fieg* 
teid& burc^bringt. 

3)iefe ^o^^eitgfontatc öon ^änbcl ift eigentlich eine ®om« 
bination aug ben beiben „Wedding-Anthems*^, bie fid^ im 
36. ©anb ber großen |)önbel*?luggabe befinben. SBer bie 
tt)ic^tigftcn ©ad^en bon §änbel lennt, ber mirb in biefen beiben 
^oc^jeitiSlantaten nid^t t>xd 92eue^ erlebt l^aben. %xtxlxä^, menn 
|)änbel einen jubelnben Kl^or in D-dur mit Irompeten unb 
^ßaufen entfeffcU, bann i\i bie SEBirfung jebegmol fid&cr unb 
ftarl, mag fic aud^ noc^ fo fe^r an Stel^nlid^eS t)on biefem 
SReifter erinnern, gn ben brei Strien („Selig ift ber äKann, 
ber fanb ein treuem S33eib", ^^(Sin gut' SBeib ift eine gute 
©abe" unb „Sraft unb ß^re finb il^re ©d^üfeer'') l^crrfc^t ein 
biebcrer ©ratulation^ton unb etmoS nüchterne geftftimmung. 
SBietiiel l^at boc^ ipänbel angenommen Dom engUfc^en SSotfö« 
c^arafterl ^n biefen ^oc^jciti^muftlen buften bie „Wedding- 
cakes" unb f(^allen bie englifc^en 2;ooft»9leben öon ber Sic* 
rebtfamleit ber 2;enor*8lrie, in njeld^er bie SBortc „fie toirb fic^ 
freuen, fid^ freuen" ad^tunbbreifeigmal njieber^olt werben. 



.^"^a» «Sleet^S !&t$m:))Qonie-®5e für Süänn^rtOor, ®r(§e|f(r nnb ®rg(f 

tiott 3ean £om$ »Rico 5 e. 

S)urd& i^re ©ejcid^nung afö „©^m^j^onie^Dbe", burd^ i^ren 
tonmolerifc^en ©toff unb bie ?lbh)ec^felung öon rein inftrumen* 
taten mit S^orföfeen erinnert SWicobej^ „SReer" an bie 
;,SBüfte" bon geticien S)at)ib, ol^ne icbod& — um bieS gteid^ 
ju fagen — bereu tiebenSmürbige grifd^e unb JRatflrtiAfeit 



352 €b. BtansVxd. 



}u crrcid^cn. ?Bir l^abcn $crrn SRicobe öor jtüci Solaren 51 
erftcnmal a(d Som))ontficn t)on jmdlf „@t|tn)7^onifc^en SSartl 
tionen'' Icnnen gelernt, in meldten bie öirhtofc äßad^e oöei 
bingd ben eigentlid^ fd^d)7feri{d^en $em übermog, imtnerM 
aber gügc eined feinen unb fieberen mnfifalifd&en lolcntel 
aufn^ieiS. %>a^ nene SBerf jeigt und ben S)regbener Som» 
poniften nod^ weiter Dorgefd^ritten in ber ^Bereitung aßeiil 
erbenftic^en filangeffclte , aber cbenfofe^r jurüdgegangen t 
bem fubfianjieQen ntufilalifd^en @el^alt, in ber originellen @r« 
flnbung. ffflit ÄnSnal^me jmeier refleftirenber ©tcHen, bie 
etmad gemaltfant in bie Slaturfd^ilberung ^tneinget)reBt unb 
t)om @^omponiften ju gan} unDer^altnidmägiger Streite aus« 
gebe^nt finb — ben ©d^IugöeriJ öon ^ßbbe unb gluil^'' unb 
bad ©^tempore „^a^ ift bie Siebe!'' — gel^t bie ganje ©onir 
pofition in Sionmalerei auf. S)afür erft^einen bie S)inien^ 
fioncn ber ?ßartitur öiel ju grog. 3Ran !ann mit SSergnügcn 
fteben @tunben @eefa]^rt auSl^alten, nid^t aber fteben lange 
©ä^c mufifalifd^ er ©ecmalerei. S)ie ©efal^r ber SRonotonte 
fud^t SWicobe burc^ einen Stufmanb btcnbenber ffilangeffeftc 
unb burd^ einen conH)Iicirten 3nftrunientena<)<)arat ju be* 
fiegen, mie er in fold^er SWaffe unb ?lufbringlid^feit im 
Koncertfaal nod^ nii^t erlebt tt)orben ift. gn beut ungemöl^nlid^ 
ftarf befefeten Drd^efter arbeiteten unter anberm 4 ?ßofaunen 
unb 5 Siuben, 2 5ßaar 5ßaufcn, Siriangel, Sedfcn, lamtam, 
groge Irommel, ein ®IodEcnf<)ieI , baju ^arfe unb bie große 
Drgel ! SBag ba für abcnteuerlid^e Sffelte einanber Jagen, 
ift ni(^t ju befd^reiben : geftot)fte Srompetentöne , d&rontatifc^e 
©ejtenläufe ber §oIjbIäfer, ®eigen<)i}5ifato§, anl^oltenbcr 
Il^eaterbonner auf ber großen Irommel, ©ellirre ber Sedfen 
mittete ©d^Iögel, ©clngerc^or l^inter ber ©cene, ?ßofaunen(^or 
au^ ber gerne, einmal „bei gefd^Ioffener", bann bei „offener 
I^ür" ($ßartitur ©eitc 79, 117) unb fo weiter. S)ieiJ atteg Iic|e 



\ 

i 



Quartett oon &. (Srieg. 353 

^or ^" jt fic]^ nod& cntf d^ulbigen, tücnn unter bief cm aufgekauften mufilafo 

:DniAiiiifa; j^j^^n ^nbianerf d^mutf ein tüol^Igebilbcteg , lebenbigeg ©efd^öpf^ 

Jirhipff Uäi ^en ftedtc, ein gefunber niufifalifd&cr DrganigntuS. S)at)Ott ift 

öbmwiji, 15 aber laum etma« ju entbccf en. Sin ber blinf enbe Menbenbc 5ßu^ 

^nkmi töuf^t nientanbcn über bie »ürftigfeit ber (Srftnbung, bie «r^ 

1» frf?te mutl^ an ausgereiften ntufifalifd^en 3becn, ben aRangel an 

)er ftrdöa innerer , nic^t Wo§ burd^ ba^ ^5ßrograntm^ angetäufd^tcr 

0i^c Sogif. S)ic fc^mmbelnbc ^öl^e, iDetc^e bie gnftruntentirung«* 

^?r oriyfe fünft feit ©erlioj, SiSjt unb SOSagner ctreid^t l^at, fic ift mir 

fi^r 6/dIc nie juöor in fo grauenl^aft bcbro^Iid^er ®eftalt erfc^ienen, wie 

hmtsß^. in 3tkoW^ „SWeer". S)iefeSunft ift ein ^ampt)x getoorben, toel- 

jfger gm d^er ber f c^iJ^jferifd^en ^aft unferer lonbic^ter ba§ SJIut auffangt. 
unb gij' 

hit^m'. - 

len litti: 

er fifk : ^itmmermufik. 

bcrJ^r 

fr te:.' 

.. G-dur-@ttartdt (op. 27) pott Ö5. (Stieg. 

ing/*: S)<^^ ®^ö* W ^^¥ ungünftig öon ®riegg Drc^efterfuitc 

tmgjiP^.. „Peer Gynt" abgeftod^en. Sebeutenb luoren jlpar aud^ bie 

4 fc Sbeen bief er Suite nit^t; too^I ober anmutl^ig, d&araöeriftifc^ 

n Ir ^^^ öo« bejaubember Älangmirfung. ®a8 Q--dur-Duortett 

ib h{ .: gefaßt fid^ bagegen in gierigem ^af c^cn nad§ melobifd^ unb 

innere l^armonifd^ Sigarrem, nac^ öcrrenften SD^^tl^men unb falfd6en 

t^c: ©ontraften. S)er Komponift öerrätl^ ein tpa^r^aft finbifd^eg 

^ SSergntigen an aöem, tüaS pfefid^ ftingt, unb l^at er einmal 

^^f^ einen red^t faftigen äRigflang auSge^edtt, fo läfet er i^n nid^t 
fo balb los. 2BaS aber fd^eu|fi(^ Hingt, baS mirb nid^t beffer, 
inbem man eS unS für „normegifc^'' auSgiebt. S)aS gefunbe 
menfc^Iid^e Dl^r ift tüol^l aud& in ©lanbinaöien nicöt anbcrS 

eö. $a TIS lief, $lu§ bcm Xqqcöuc^ clncS aRu[ifctö. 23 



¥■■■ 



ti „!^ 



354 €b. ^anslid. 

organiftrt; nur giebt eiS bort mel^r al^ aniex^too 2)ic^ter unb 
lottfcfecr, bcren Sunft im ^anll^Qftcn niftet ©d^abc um ein 
lolcttt toic ©ticg. gebcr ©ofe fcinc§ DuartcttS ift öoll 
ßcbcn unb Scttjcgung, bic im lieblid&ftcn SSoII^ton gcl^aüenc 
^^Äomanjc" fogar fo rcigcnb , bog njir fcttft il^ren unförmlich 
ttjilben SRittcIfafe mit in ben Sauf nehmen. ?tbcr bo^ ©anje 
(übctbicg ein STOufter Don unquartettmäBiBcm^ @o^) bleibt ein 
unerfreulid&c« SEBcrf . Qit\pklt tourbc eS mit glänjcnber SSirtuo* 
fität. §crr 5Rofe ^attc ftarfc Äürjungcn barin öorgenommcn, 
ein SSerfal^rcn, bad grunbfa^Iid^ nid^t 5U billigen ift. (Sinen 
©ontponiftcn, ber fein Anfänger me^r ift, mu^ man für bai^, 
toa^ er fd^reibt, felbcr einfte^cn laffen, toenn man e^ überhaupt 
aup^rt. 3m öorliegenbcn galle mögen freilid& bie Äm^JU* 
tationen bem allgemeinen @inbmd nfi^Iic^ gemefen fein. Sudg 
belamcn toir eine ber ;,8corbeitungen" ju ^ören, ft)el(^e @. ® rieg 
t)ier ajtojartfd^en @onaten angetl^an l^at. @r fügt }U 
bem unöeränberten Original eine ;,frei l^injucomponirte öe* 
gleitung'' tint^ jn)eiten Slaöier^. ©tue äRojartfd^e ©onate 
bebarf aber feines jmeiten ®to(Ih)crfeS öon frember $anb, 
noc^ öerträgt fie eines. S)ie ©ad^e liegt nicfit fo plan, toit 
bei bem C-dur-5ßräIubium üon Sac^, über meld^cS ®ounob 
eine getragene 3ÄcIobie tt)ölben fonnte, benn gerabc bicfeS 
?ßralubium fann ol^ne gragc auS bem ®efid^tS^)unfte einer 8e* 
gIcitungSfigur betrachtet h)erben. SBie berb unb mojarttDibrig 
aber ® r i e g öerf äl^rt, bctocift gleid^ ber ?lnf ang ber belanntcn 
l^errlic^en C-moll-5ß]^antafie, ju bereu erften fünf lalten unfcr 
Slormegcr einen Drgclpunit auf C forttüirbeln lägt! SBo fo 
Iraffe SScrbre^ungcn öon äRojartS SBillen nic^t angelten, mu§ 
fic^ ®rieg mit überpffigen 9Serbo))))eIungcn, eingeftreuten S^ti* 
tationen unb ä^nlic^em mol^Ifeilen Sel^elf begnügen. ®riegS 
eigene Som)7ofitionen lönnten burd^ einige äRojartfc^e ipar« 
monien l^äufig genjinnen, aber nic^t umgefel^rt. 



mke Barbi. 355 



guitxübtnit. 



,,ßiebcrabcnbc" unb fein gnbc! SBftl^rcnb t» nod& ju 
»ect^oöenjl unb ©c^ubcttg Scbicitcn für unfd^ttflid^ galt, in 
einem Eoncert anä^ nur ein cinjigcjl Sieb mit Älaöier* 
Begleitung öotjutragcn , bilbcn ^eutc bic Siebctabcnbe, an 
jtüanjig ^mmtm ftarf, bic aWoiotität unfcrer ©oncertc. §itt< 
gegen ift bic Sttic, tücld^c cl^cbem allein für concertfä^ig 
galt, ööHig öon bem 5ßrogramm öerfd&tounbcn. SBol^I mit 
Unred^t, benn gerabc jcfet, jur Qtxt ber StUcin^errfd^aft beiJ 
Siebe«, mürbe eine Strie bie äRonotonic bed 5ßrogamm« glüd* 
lid^ untcrbrcd^en. SBir befifeen au« l^alböergeffenen Opttn ber 
ttafjtfc^en h)ie ber romantifd^en ^poä^t beutfci^e, franjöftfd^e, 
italienifd^c Äricn genug, todä)t, öon ber ©ccnc nid^t fc^Ied^t^in 
abl^ängig, l^eutc ein ncuci^ Sntereffe erregen tüürben. gteilid^, 
mie mcnigc ©önger üerflcl^en l^eutc eine teiblic^ öerjierte Strie 
}U fingen! 2)ie Sicberabenbe beginnen bereit«, toie ade« Sin«* 
feitige unb StUjul^auftge, bem ?ßublilum unbequem ju werben. 
9tatürli(^ bann nid^t, tüenn ®efanggfünftler tbie Alice 8a rbi, 
©d^eibcmantel unb ®ura bie SSortragenben finb. S)iefe 
brei SRamen öerlicl^en ber lefetcn SBod^c i^re mufifalifc^e Sig- 
natur. 9lUce Sarbi gab unS ©d^umonn« Sieberfrei« 
„S)id^terliebe'', ^attc jebod^ ben guten ©efc^madt, il^n nid&t öoB* 
ftönbig, fonbern mit ^inlpcgtaffung öon ad^t Slummem öor* 
jutragen. S)a« unöerfürjte S)ur(^fingen eine« fogcnannten 
„Sieberc^flu«'' l^at auä) bann fein Scbcnflic^e«, tücnn e« [xä) um 
einen h)irffic^cn ©^flu«, ein öom S)ic^ter felbft al« jufammen* 
l^öngenb gebac^tc« ©anje l^anbelt, toie bic „©d^öne äRüQerin'' 

23* 



356 €ö- £?ansltcf. 

ober btc „SBintcrrcife". SBo bic« nid^t bcr gatt , ba ftcigcrt 
fic^ bic Scbcnllic^Ieit unb entfallt jebe innere SRöt^igung. 
©d^umann ^at an^ ^einei^ ^SBud^ ber Sieber" fed^jel^n öon 
Siebe l^anbelnbc ®ebtd^tc anSgemä^It unb unter bem Xitel 
„S)i(^terltebe" ju einem ©traufe gebunben, bem einen untrenn^ 
baren Swfommenl^ang ju öinbiciren bem S)id^ter nic^t bei« 
gefallen toöre. S)a§fefbe gilt öon ©c^umanniS Sieberfammlung 
„SR^rtl^en'', feinem „eid^enborffjd&en Sieberlrei«" u. a. Sie 
geigen cbenfotoenig eine tpHä^t ober bramatifd^e SnttoidHung, 
finb ebcnfotoenig „Si^Hen^ im Sinne not^menbigen ^ufammcn* 
l^angg, njie bie „äRageöonelieber" öon SJral^mS, bereu öoH* 
ftänbigeg S)urd^fingen oud^ bereits in S)eutf(^Ianb SRobe toirb, 
eine folfc^e, mifeöerftönblid^e SRobe. Unmittelbar noc^ ber 
Sarbi l^at §err ®ura unb gleid^ nac^ biefem §crr Xl^ielc 
bie ^S)ic^terliebe" öollftänbig gefungen. SBarum nid^t 
lieber jene ßieber augf treiben, bie mufifalifd^ unbebeutenber 
finb unb burd^ bie ©lei^artigfeit ber Stimmung fid& faft lüie 
Doublettcn ausnehmen? 3)iefe leibige SSoöftänbigfeit mad^t 
ben ©onger unb ben gul^örer ju S^ränenttjeiben. ©ed^jcl^n 
Iiebeg!ran!e ©ebid^te nad& einanber, unb gerabe biefe ®e* 
bid&te! gür meine ®mt)finbung finb fie |)etnlid^ burd^ i^r \m^ 
erfättlic^e« heraushängen beS jerriffenen ^erjenS, beS über« 
großen SBel^eS, ber bitteren Sl^ränen, lurg beS ganjen ©d&merjen* 
appaxaitd, an ben man bei §eine, ber fo gern mit fid^ felbft 
Iragöbie \pxt\k, nie rec^t glauben fann. ®er Herausgeber 
ber HebbeI«Sorreft)onben} , gdij Bamberg, erioä^nt barin, 
Heine l^abe i^m toieber^olt öerfid^ert, ^^bafe baS innere ütitn 
bes 3)id^terS mit feiner 5ßoefieburc^ aus nid^tS ju fd^affen 
^ai\ S)ie r^rif^en ©ebid^tc ®oet^eS, ©d^iOcrS, Urlaub« 
ftel^en als lebenbiger 5ßroteft gegen biefe I^eorie — auf 
Heine felbft pa%t fie öortrefflid^. S)er toifeige,' ironifd^e, fati* 
rifd^e Heine ift ebenfo ttja^r, überjeugenb unb untoiberftepd^, 



Sd^eibemantcL 357 

tote bcr ;,fd&mer85criffcne ntit bcm großen bergen " lolctt unb 
ocriogcn. Alice fßaxU oerriet^ ein fetneg SSerftönbntfe in bem, 
toag fie avi^ ber ^S)i(^terUebe" auslief, darunter toax freilid^ 
ctneiJ ber aUerbeften ßieber: „^6^ grotte nid^t"; aber bie 
©öngcrin füllte ganj richtig, bafe tl^rc Sfnbioibualität bagcgen 
rcogirte. Äug bemfclbcn ®runbc ^ättc fie füglic^ auc^ ha^ 
le^te Sieb — üon bent ^eibclberger ^a% baö ^einc für feine 
großen ©d^merjcn bcnöt^igt — wcgioffcn lönnen; für ben 
bnrfd^ifofen §umor be^fetben pa^i nur eine aRönnerftimme, 
njib eine ret^t „aufbcgel^rcnbc'' obenbrein. öroud^t noc^ gefagt 
ju toerben, baß bie SJorbi bie Sc^nmannfd^en Sieber mit 
Sart^eit nnb SBärme oortrug? SBcIc^ edjter ©d^merj Hang 
ong ben ©t^Iußöerfen : „^oä^ tvtnn bu ft)ric^ft: ic^ liebe S)ici^! 
fo muß iä^ meinen bitterlit^." SBenn man fic^ erinnert, baß 
$eine juerft „freubigltd^" gefd^ricben l^at, beoor il^m ba§ 
„bitterlicfi" beffer gefiel, fo barf man h)o]^I fagen, bie S3arbi 
l^abe in biefen Siebern mel^r nja^re @mt)finbung gezeigt, afö 
$eine felbft. 3" i^^c« fd&iJnften Vorträgen gehörten aud^ oier 
©c^ubertfd^e Sieber. S^^i f^ft unmerflid^e feine güge 
fielen mir auf. 3m „SHeugierigen" ber SSerg: „ba^ anbre 
l^eißct Stein'', bann in ber Ungebulb: „unb fie merft nid^tg 
t)on Ott bem bangen Ireiben" — bo jog eine leidste SBoIfe 
öngftlic^ über il^ren Sion, über if)r ©efid^t, um fd^nett lieber 
ju üerfd^minben. 

©err ©d^cibemantel errang aö Sieberfänger einen 
großen unb öerbienten ©rfolg. S33ir lennen biefen Sünftler, 
bei bem ein ttjol^lgefc^utte^ jugenblic^e^ Organ fit^ mit 9Ser» 
ftanb unb ©mpfinbung ju fc^önem ©inHang öerbinben, bcrcitjl 
t)om §ofot)ernt^eater l^er. S)ort fd^ien er mir nod^ un* 
mittelbarer ju ttjirlen, oieHcic^t h)eil bie bcrüdtenbe {Romantil 
cineg ^eifing ober S^mpa ben ©önger mit einem ftarfen §aud^ 
t)on $ßoefie umgiebt, ber im ©oncertfaal öerfc^minbct. Scheibe» 



368 €b. Ejanslirf. 

mantcfö Sicbcröortrogc ftcl^en auf bcr ^öl^c feiner öottrcfftid^ett 
©efattgSted^nil, bei ftetö rtd^tigcr Stuffajfung unb toaxmtm Slu«* 
brucf. §inrei§enb möd^tc iä) fie faunt nennen. S)oi5 mag an 
bem etiüaS trodencn Slang feiner tieferen unb mittleren löne 
liegen, tücld^e ja im bcutfcl^ett Siebe öor ben l^od^ßegenbcn 
®fonjfteßcn öoriüiegen. Äud^ fd^ien mir bic feinfte ©lütl^c 
ber ^oefie, ein le^ter belebenber ^an6) Don Xem))erament ju 
feblen. ©d^eibemantefö SSortrog l^at, entf<)rec^enb feiner 5ßer* 
fönlid^feit, ctlDag folib Serftänbigeg, ru^ig ©efafeteg. S)ag fel^r 
feiten gel^örte Sectl^oöenfd^c Sieb „^tx Sufe", bafe ein 
fd^erjl^afteg ®ebi(^tlein ju einer altmobifd&en Slrie au^be^nt, 
intetpretirte §err ©c^eibemantel mit guter Saune. S)ag !öft* 
lic^e, fo oft ^jatl^etifc^ mi^öcrftanbene Sieb „©el^eime^'' öon 
® d^ u b e r t fang er, mie e§ fein f oß, mit leid^tbetoegter f d^oll* 
l^after ?lnmut^. „@ei mir gegrüßt'' öcriiert in tieferer 
Stimmlage ben urft)runglici^en unerfefelid^en ©c^melj. S)ennoci^ 
lonnte ©d&eibcmantel bamit jcbermann öoöauf befricbigen, bem 
nid^t, toie mir, ber SSortrag S33 a 1 1 e r g tief in Dl^r unb $erj 
eingeprägt ift. ?ln SBalter^ „@ei mir gegrüSt" reicht für 
meine ©ntpfinbung lein jioeiter Sänger l^eran. 

S)em erften Sariton ber 3)regbener €)ptx folgte fd^neU 
ate ©oncertgeber fein College öom äRüni^ener ^oft^eatcr, 
$err @ugen @ura. ©eltfam, ba§ biefer feit einem SSiertel* 
ja^rl^unbert in ganj 2)eutfd^ranb befannte unb ^od^gefd^ä|te 
Äünftler — ein ©eutfd^böl^me öon ®eburt — niemate in 
SBien gefungen l^at. Sttö Süngling lebte er eine Seit lang l^icr, 
um fid^ an ber älfabemie jum 9RaIer auSgubilben. S)ann jog 
er nad^ SRünc^en an bie aWalerfd^uIe, loo er bereite Slufmcrf* 
feit ju erregen begann, ate feine fd^öne Stimme t)löilid^ bei 
Äünftlerfeften entbedtt lourbe. 6§ ift nid^t unbenfbar, ba§ 
fein materifc^eg lalcnt i^m für ben mufilalifc^en garbenreid^*» 
tl^um JU ftatten lam, ben er im SSortrag ber Sötoefd^en 



<^uQen (Sura. 359 

»oüabcn entfaltet. Sluf btefem ©ebiet ift ®ura SWeifter, ja 
ber größte, bcn lüir fcnncn. ®ag ^ot er glcid^ in fetner crften 
SSortrag^nummcr „(gblDarb" ben?iefen, einer ber fd^önften 
iBaüaben SömeS, jugleid^ einer ber fd^n)ierigften Slufgaben für 
ben ©änger. Stbgefel^en öon bem nngenjöl^nlid^cn ©tintmunt^ 
fang unb ber SluSbauer; bie fie verlangt, erforbert baS fd^arfc 
Sluöeinanberl^alten ber beiben {Rollen (SDlutter unb ©ol^n), 
bann bie rei^enb anfd^njeüenbc brantatifd^e Steigerung einen 
©änger crften 3longeg. 3Kit gtcid^er Sunft ber Sluffaffung, 
ber S)arfteIIung , ber Slu^fprad^e Iie§ ®ura „S)er SBirtl^in 
löc^terlcin'', ben ^©rlfönig" unb bag ©oetl^efd^e „^oc^jeit^* 
lieb" Don Sari ßöme folgen. S)er epifd^c ©efang, ber Sattaben* 
öortrag bilbet ol^ne gragc in bem tt)citen SRing ber Sicberlunft 
ba^ienige ©ebiet, meld^ei^ öor§ug§njeife ber Sa^« unb Sariton=» 
ftimnte jufättt. 2luc^ im SSortrog ber ©d^umannfc^en 
„®i(^terliebe" — $err ®ura fang in einem Svlq alle fet^je^n 
Sieber — erlüieS er ftd^ al§ benfenber unb marmfül^Ienbcr 
Sünftter; bie SBirfung mar aber lange nid^t fo unmittelbar 
unb l^inreigenb, toie bie ber Sattaben. S)ie 8t\t raubt ben Sa^* 
unb Saritonftimmen öiel frül^er ben limbre atö bie Sraft — 
unb ®ura ift fein Süngling mel^r. ©eine ©timme flingt ftarl 
unb üoll, lä^t aber im 5ßiano, in anl^altcnb fcntimentalem ®e* 
fang, SÖäeic^^eit unb ©d^melj öermiffen. S)arum fingt aud& 
®ura meiftcn^ ftarf, ntd^t jum SSortl^eil ber eigentpmlid^ 
bämmernben, l^alböerfc^teiertcn (Sntpfinbung ber ©d^umann* 
fc^en ^eine^Sieber. S)q§u tritt nod§ ber früher bcrül^rte 
Uebelftanb, ba§ bie meiftcn für lenor ober ©ot)ran gefd^riebenen 
SiebeSlicber burd^ Sran§t)onirung für tiefe 3Kännerftimmen 
an Sleij üerlieren. SSon unbefd^reiblic^er SEBirfung toax ®ura^ 
Vortrag be§ „Slrd^ibalb 3)ougIa§" unb „^riuj @ugcn", biefen 
perlen au§ Sötoeg Sattabcufd^afe. Äarl Söme — ein 3eit^ 
genoff e beg nur je^n 3a^re älteren S. äW. SBeber — ftel^t l^eute 



360 €b. BiansM, 

no(^ unerreicht in ber S)aOabencom))ofition. Stuf biefe^ Gebiet 
blieb feine §errfc^aft begrenjt. SBie unferen großen S^rifem 
Urlaub unb §eine fein Xroma gelingen mottte, fo finb aud^ 
Söwe^ D^jcrn unb Drotorien crfoIgloiJ geblieben. 6r l^ot 
faum ein rein t^rifd^ed Sieb gefd^rieben, baS fid^ mit @d^ubert 
meffcn lönnte, unb feinen einjigen S^or, ber mit SRenbelefol^tts 
fd^en öergleic^bar. ©eine SaHoben hingegen »erben un^ 
immer greube mad^cn, gcift* unb <)]^antafiereid^en Sängern 
immer ©rfolge bereiten. @ie tierlangen fein glänjenbeS Organ, 
ja man fönnte faft be^au})ten, bag eine geringere ©timme fid^ 
beffer bafür eigne, afö eine öoße, finntid^ blenbenbe; jene 
braud^t aUerl^anb getoagte ©teßen nur anjubeuten, lüetd^c biefc, 
gum 3laä)tfftit be^ (Sebid^te^, mit gesättigten ^^arben t)oK au^* 
jufä^ren trad^tet. 3fd^ erinnere an bie ftimmgetoaltigen 
Saritong Sutfe unb Sleid^mann. ßöme felbft, ber mit 
bem äSortrag feiner 9)allaben aUed entgfidte, ^atte mentg 
Stimme, unb ate er jute|t (1844) in SÖäien fang, eigentlich 
gar feine. „Sl^r l^errlid^en SBiencr,'' fc^rcibt er banfbar bc^ 
n^egt, „i^r ^abt tion mir nur nod^ einen 92ad§flang tier« 
gangener Sage ..." $crrn ®ura^ Vorträge ttjurben öon ^erm 
?ßrofeffor ©iel^rl fel^r forgfältig begleitet. §err ®iel^rl gilt in 
äRünd^cn für einen ber öorgügfic^ftcn Slaüierlc^rer. ©offent* 
lid^ beginnt er feinen Unterrid^t mit bem Slat^, bie ©d^üler 
mögen ja nid^t fomet 5ßebat nel^men, toie er felbft. iR^ein* 
berger§„Ioccata'' unb aflubinfteingC-dur-®tübe(op. 23) 
f<)ielte er mit au^reic^enber Sraft unb ©etöuftgfeit, menngleid^ 
mit etmaS l^artcm Stnfd^Iag — aber mag ba Sitten mit* unb 
burd^cinanber f(ang bei ftetg gehobener ®äm<)fung! ?ln SJei* 
faß l^at es §errn ©iel^rl nic^t gefel^It, ebenfottjenig mie jungft 
^errn öon Sofe, unter bcffen l^öflid&en Seipjiger ^änben 
fogar (l^opin^ geniate F-moll-$^antofie fangttjeilig tourbe. 
SBir finb nur leiber ettoai^ öerttjöl^nt. 



tt» 9£^'f4< eiu^bc (8ipt>ert ft (Eo.), Staumburg a/®. 



3m Perlage bes Mqemdnm Perein« fnv Seutft^e Cttteroto in 
Berlin jinb erfc^tenen unb burc^ jebe Suc^tjanMung 3U bejteljen : 

Krtttf en unö Stuöten pon fbnatb <$aii5tidL 

Hennte anfinge» 

(Dctav, 22 Sogen. €Iegant in ^albfranj gebunben 6 HTarf. 

(i)er „^jotemen ©p^r" jw^iter ®treü.) 

Don 

^ßnfte ^nflitse. 

0ctao. 23 ^oQtn. (Elegant in ^albfran3 Qehnnben 6 XRarf. 



(©jw: „iSÄJOternen ©p^r" dritter ©IfBÜ*) * 

Zteue KriMen unö Stuöten pon §biiatb ^an^tiA» 

iritte aufläge. 

(Dctav. 2^ Bogen. €Iegant in Qalbfran3 ^thviXibtxi 6 IRarf, 

IV. 

(J3er „ÜJObern^n ®pjer" vierter ®^eiU) 
Zleue Kritifen unö Sc^tlöerungen pon 

Jnieite ^nflitoe. 

(Dctao. 22 Bogen. (Elegant in f^albfranj ^thmihtn 6 XRarf.. 



V. 

3lttt|tkalifd)ej0 unb ütterarifdiejö. 

OOtv „üöbjenuen ©per" fünfter ^titlL) 
Kritif en nnb Sc^tlberungen pon §biiatb <$ail5(id. 

Irltte ^ufla^e. <Ddav. 23 Bogen. €Ieg, in Qalbf. geb. 6 HT. 

VI- 

Concerte, Ol^ompomptett unb Utrtuofen 

ber le^en 15 Safrre. 1870—1885- 
Krtttfen pon fbnatb <$ail5(id. 

Jiveite Auflage* 0ctao. 28 Bogen. (Eleg. in ^albf. geb. 8 XR. 

^^1lat?^ 1&anöU(fö geiftfprüljenbe Sd?riften über ^^ie Wiobtmt 
(Dper^' traben ftd; ipeit über bie (5ren5en Deutfc^IanSs t^inaus 6er 
aügemeinjien 2(nerf ennung feitens aller IHufiffreunbe ju erfreuen, 
jie fin6 gleid^fam ein litterarifc^es <5cmeingut bes mufifalifcben 
Cljeiles ber beutfd^en Hation gemorben nn^ }:iaben bem Derfaffer 
»nbefhittene (Seltung als erfier un6 oorneljmfter HTufiffritifer ber 
(Segenipart ermorben. lX>ären Wefe feinen un6 3ugleid? fd^arfen 
Kritifen, bie geiftooUen Sd^ilbcrungcn aus bem muftfalifd^en ieven 
ber (SegeniDart auc^ weiter nid^ts als auf ben 21ugenblicf bered?nete 
fritifc^e IDürbigungen oorübergetjenber €rfdjeinungen bes Cages, 
fle würben troftbem immer bes IDieberlefens mertl] fein. Diefe 
Sd^riften aber entt^alten weitaus mefjr : fie entwickeln 3ugleic^ eine 
Jpüüe ber trefflid?ften, allgemein gültigen Kunftan fiepten, aus benen 
fid? eine |jan3e 2leftl^etif ber (Eonfutift 3ufammenflellen liege, pe 
bieten gleichseitig ein fo reiches unb wertl^ooUes funftl^ifiorifc^cs 
HTaterial, ba^ fic^ oor ben 2lugen bes £efcrs allmäl|lid? glcid^fam 
ein (Sefammtbilb ber „ganseii mobernen (Dper" entrollt. 

IDer bas (£oncertleben, (£omponiften unb Dirtuofen ber neueren 
geit grünblic^ fennen lernen, wer bie intcreffanteften (£apitel ber 
HTufifgejd^id^te ber (Segenwart, wie fic fid? in ben (£oncertfälen 
ttjatfä^lid? fpiegdten, in geiftig anregenber IDeife mitburd?lebcn 
wilJ, ber wirb, gleidjoiel ob IHufif er oon ^ad?, ob£aie, in bemXberfe 
»<£oncerte, (£omponijieniinb Dirtuofen'' reicijfte Befriebigung ftnben. 

2lusfüljrlid)C Profpecte ftel^en jeberseit gratis unb franco ju 
Dienften. Bei birecter €infenbung bes Betrages an bie unter* 
3eid?nete Derlagsbud^l^anblung werben bie Züerfe aud? birect franco 
per pop gefanbt. 

»erlin W., Stegliöerprage 90. 

Ttttgem. Herein für llentfd^e £itteratnr. 

Dr. ^ermann paetel. 



\ 



I 



- * -