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SlOBi-oadivny
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PROTECTORAT : PROTECTORAT :
Se. Kön. Hoheit | Se. Kon. Hoheit
GRDSSHEmOG KARL ALKANDKi ' PRINZ GEORG
701t Prensaea.
DAS CUßATOEITIM:
Dr. Eudolf T. Sneist, Dr. C. Werder,
Wiikl. Geh. Oberjnitlmth, Qeh. BegieTimgmtli, ProCsHor
entl. ProfHxir an der Kanigl. Uni^erilut KODigL Univsnilkt lu Bat
Prof. A. V. Werner,
Sr. E. Sranbh,
1. LtBUlonsTitb imd ^rofcH
-«4 STATUT: ^-
§. 1. Jeder Litteraturfreund , welcher dem Ältgemeinen Verein für
Deutsche Litteratur als Mitglied beizutreten gedenkt, hat aeine deefallBige
Erklärung an eine beliebige Buchhandlung oder an da» Bureau des
Vereins für Deutsche Litteratur in Berlin W., Steglitzerstr. 90,
direct zu übermitteln.
§. 2. Die Mitglieder verpflichten sich zur Zahlung eines Serienbei-
trages von Achtzehn Mark Reichs-Währung, der vor oder bei Emptang
des ersten Bandes der Serie zu entrichten ist. (Für die Serie I — IV be-
trug derselbe 30 Mark pro Serie.)
g. 3, Jedes Mitglied erhält in der Serie vier Werke aus der Feder
unserer beliebtesten und hervorragendsten Autoren. Die Bände haben
durchschnittlich einen Umfang von 20 — 26 Bogen , zeichnen sich durch
geschmackvolle Druckausstattung und höchst eleganten Einband aas und
gelangen in Zwischenräumen von 2 — 3 Monaten zur Ausgabe.
g. 4. Die Yereins-Fublikationen gelangen zunächst nur zur Versendung
an die Vereinsmitglieder und werden an Nichtmitglieder erst später und
auch dann nur zu bedeutend erhöhtem Preise (ä Band 6—8 Mk.)
abgegeben. Der sofortige Umtausch eines neu erschienenen Werkes
gegen ein anderes, früher erschienenes, ist gestattet.
S. 5. Ein etwaiger Austritt ist spätestens bei Empfang des dritten
Bandes einer jeden Serie der betreffenden Buchhandlung resp. dem Bureau
des Vereins anzuzeigen.
§. 6. Uie Oeschäftsfühmi^ des Vereins leitet Herr Verlagsbuchhändler
Dr. Hermann Paetel in Berlin selbstatandi^, sowie ihm auch £e Vertretung
des Vereins nach innen und aussen obhegt.
Jeder Band von Serie V an ist elegant in Halbfranz mit vergoldeter
RückenpresBung gebunden.
0^' All* BiehluuidlaDK«n ttt In- a>d Aiilani«*. lowl« da« Bit«m du Tcialat
JaBMlln, W., St<«llt«ntTui> VO, ■«hnen B«ltcitt*-BrUir»8«n «■)«•«*>■• "VV
In den bisher erschienenen Serien I — XYI gelangten
nachstehende Werke zur Versendung:
Serie I
Bodenstedt, Fr., Aus dem Nach-
lasse Mirza-Schafiy's.
Hanslick, Eduard, Die moderne
Oper,
Iiöher, Franz v., Kampf um Pa-
derborn 1597—1604.
Osenbrüggen, £., Die Schweizer.
Daheim und in der Fremde.
Beitlinger, Edmi. , Freie Blicke.
PopulärwissenschaftlicheAufsätze.
Schmidt, Adolf, Historische Epo-
chen und Katastrophen.
Sybel, H. v., Vorträge und Auf-
sätze.
Serie II
Auerbach, Berthold, Tausend
Gedanken des CoUaborators.
Bodenstedt , Fr. , Shakespeare's
Frauencharaktere.
Frenzel, Karl, Renaissance- und
Rococo-Studien.
Gutzkow^, Carl, Rückblicke auf
mein Leben.
Heyse, Paul, Giuseppe Giusti,
Gedichte.
Hoyns, Georg, Die alte Welt.
Bichter,H. M., Geistesströmungen.
Serie III
Bodenstedt, Fr., Der Sänger von
Schiras, Hafisische Lieder.
Büchner, Ludwig, Aus dem
Geistesleben der Thiere.
Gk>ldbauin,W.,Entlegene Oulturen.
Lindau, Paul, Alfred de Musset.
Serie
Dingelstedt, Franz, Literarisches
Bilderbuch.
Büchner, Ludwig, Liebesleben
in der Thierwelt.
Lazarus, M. , Ideale Fragen.
Lenz, Oscar, Skizzen aus West-
afrika.
Lorm, Hieronymus, Philosophie
der Jahreszeiten.
Beclam, C, Lebensregeln für die
gebildeten Stände.
Vamibery, Hermann, Sittenbilder
aus dem Morgenlande.
IV
Strodtmann, Ad., Lessing. Ein
Lebensbild.
Vogel, H. W., Lichtbilder nach
der Natur.
Woltmann, Alfred, Aus vier
Jahrhunderten niederländisch-
deutscher Kunstgeschichte.
Serie V
Hanslick, Eduard, Musikalische
Stationen. (Der „Modernen Oper"
II. Theil.)
Cassel, Paulus, Vom Nil zum
Ganges. Wanderungen in die
orientalische Welt.
Werner, Beinhold, Erinnerungen
und Bilder aus dem Seeleben.
Lauser, W., Von der Maladetta
bis Malaga. Zeit- und Sittenbilder
aus Spanien.
Serie VI
Lorm, Hieronymus, Der Abend zu
Hause.
Schmidt, Max, Der Leonhardsritt,
Lebensbilder aus dem bayerischen
Hochlande.
Genee, Budolf, Lehr- undWander-
jahre des deutschen Schauspiels.
Kreyssig, Friedrich, Literarische
Studien und Ghars^eristiken.
Serie VII
Weber, M. M., Freiherr von. Vom
rollenden Eliigelrade.
Ompteda, Iiud^vig, Freiherr von.
Aus England. Skizzen und Bilder.
Hopfen, Hans, Lyrische Ge-
dichte und Novellen in Versen.
Das moderne Ungarn. Heraus-
gegeben von Ambros Nemenyl.
Serie VIII
Ehrlich, H., Lebenskunst und
Kunstleben.
Hanslick, Eduard, Aus dem
Opemleben der G-egenwart. (Der
„Modernen Oper" III. Theil.)
Beuleaux, F., Quer durch Indien.
Mit 20 Original-Holzschnitten.
Klein,Hermann,J.,Astronomische
Abende. Geschichte und Resul-
tate der Himmels - Erforschung.
Serie IX
Brahm, Otto, Heinrich von Kleist.
(Preisgekröntes Werk.)
Egelhaaf, G., Deutsche Geschichte
im Zeitalter der Reformation.
(Preisgekröntes Werk.)
Jastrow, J., Geschichte des deut-
schen Einheitstraumes und seiner
Erfüllung. (Preisgekr. Werk.)
Qottschall, Rudolf V., Literarische
Todtenklänge u. Lebensfragen.
Serie X
Preyer, W., Aus Natur- und
Menschenleben.
Jahns Max, Heeresverfassungen
und Völkerleben. Eine Umschau.
Iiotheissen, Ferdinand, Marga-
rethe von Navarra.
Hanslick, Eduard, Ooncerte, Com-
ponisten u. Virtuosen der letzten
fünfzehn Jahre.
Serie XI
Gneist, Budolf, Das englische
Parlament in tausendjährigen
Wandlungen vom 9. bis zum Ende
des 19. Jahrhunderts.
GÜBsfeldt, Faul, In denHochalpen.
Erlebnisse aus den Jahren 1859 —
1885.
Meyer, M. Wilhelm, Kosmische
Weltansichten. Astronomische
Beobachtungen und Ideen aus
neuester Zeit.
Brugsch, H., Im Lande der Sonne.
Wanderungen in Persien.
Serie XII
Meyer, Jürgen Bona, Probleme
der Lebensweisheit. Betrach-
tungen.
Herrmann, Emanuel, Gultur und
Natur. Studien im Gebiete der
Wirthschaft.
Büchner, Ludwig, Thatsachen
und Theorien aus dem natur-
wissenschaftlichen Leben der
Gegenwart.
Hanslick, Eduard, Musikalisches
Skizzenbuch. (Der „Modernen
Oper" IV. Theil.)
Serie XIII
Geflfcken, F. H., Politische Feder-
zeichnungen.
liBBseps, Ferdinand von, Erinne-
rungen.
Meyer, M. Wilhelm, Die Ent-
stehung der Erde und des Irdi-
schen.
Bodenstedt, Friedrieh, Erinne-
rungen aus meinem Leben. I.Band.
Serie XIV
Falke, Jacob von. Aus dem weiten
Keiche der Kunst.
Herrmann, Emanuel, Sein und
Werden in Raum und Zeit.
Henne am Bhyn, O., Kultur-
geschichtliche Skizzen.
Preyer, W., Biologische Zeit-
fragen.
Serie XV
Hanslick, Ed., Musikalisches und
Litterarisches (der ., Modernen
Oper" V. Theil).
Bodenstedt, Fr., Erinnerungen aus
meinem Leben. IL Band.
Hellwald, Fr. von. Die Welt der
Slawen.
Spielhagen, Fr., Aus meiner Stu-
dienmappe.
Serie XVI
Büchner, Ludwig, Das goldene
Zeitalter.
Brugsch-Paseha, Steininschrift und
Bibelwort.
Meyer, M. Wilh., Mussestunden
eines Naturfreundes.
Sterne, Carus, Natur und Kunst.
Serie XVII
Hanslick, Ed., Aus dem Tagebuche eines Musikers.
Ferner werden erscheinen:
Henne am Bhyn, Die Frau in der Kultur-Geschichte.
Ehrlieh, Heinrieh, Höhenzüge der Tonkunst.
Herrmann, Em., Das Geheimniss der Macht.
Bodenstedt, Fr., Erinnerungen aus meinem Leben. UI. Band.
Kugler, B. von, Problematische Naturen.
AUgemeiner Verein für Deutsche Litteratur.
Geschäftsftthrender Director:
Dr. Hermann Paetel,
Verlagsbuchhändler in Berlin, W., Steglitzerstrasse 90.
ö. Pätz'sche Bucbdr. (Lippert & Co.), Naumbursr aiß.
^m itm
(9m: „ytiinncn ®pti" Tl. 8|)eil-)
firitttcn unb Bdfilbetun^en
dritte Huftnge.
Stllgemeiner ESeiein ffli Sleutfc^e Sitteratur.
1892.
^^ ^^^ ^ H 2. . 1 . 2. 7
MARVARD COLieei I tBRARY
FROM
f THE REQUEST OF
if ERT JANSEN WENOELL
2l0e Hechte Dorbel^alieit.
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9?a(i^ bcm ©ängcrfcft 41
®n SBricf auS Obcrammcrgau 49
S)ic SWupf in Slmcrifa 68
SWobcmcg im BcitungS« unb X^eatcwcfcn Ö2
®. SRckicrbccr 101
„3)cr Sarbicr uon SSagbab" uon $. ©orncItuS . . . 118
„3)cr 3)orf barbier" öon ©c^enf 122
„SScatricc unb SBcnebict" öon ^. Serlioj 128
,M(av)n" uon 3. SWaffenct 187
„3)cr SBafatt öon ©äigctl^" üon ©marcglia 147
„S)ie beibcn ©d^ü^cn" üon ßor^ing 166
,,3)ic fertige ©lifabct^' öon Sifjt 160
,,S)ic fjm^tlingc" üon 3fi. SRabcr 166
,,@tctlianifd^e Sauemel^re'' („Cayalleria rustioana") t)on
^. fKaScagni 171
iM r^m tKonmtrmtl (1886-1891).
äRaden^ie: ©d^otttfdie [R§o|)fobte 188
3. ©ücnbfcn: Octctt 185
e^riftine S«il8fon 187
Slnton aflubinftcin 189
SifätsSoncert 199
SSro^mg: SBicrtc ©^mp^onic 208
•
@eite
3»offcnct: Dr4cfter*@uite 206
©rftbcner unb SBrüII: Ouüertüren 208
SBro^m«: groei neue Sonaten 209
Scrlio^: „fjauftg SSerbammung" . ........ 211
©. ©d^ü^: ,,3)ie fieben SSorte'' ' . . 220
©anng ©über: ,,iWorbfeebUber" 225
SBirtuof en unb @ftnger (Xiüabar ^a6)^^, SB. ©d^önbergcr,
©ermine ©pieS, @. sBIaumaert, g. fiaffaUe) . 226
ffi. (Schumann: „©ermann unb 3)orot^ea" ..... 234
91. ^öof af: Qwtiit @l}mp^onie unb SSariationen . . . 236
S. Stfat: „5Jauft=@t)mp^onic" 238
^iolinöirtuofen (^^omfon, @arafate) 241
©. D. S3üIom (S3eet^ot)en-'6;^!(u§) . 244
©efanggfünftler (SRarie üan 8anbt, Wt. ©embrid^,
^aulinc Succa, SHeid&mann) 248
3 a d^ i m : Duüertürc. ® r i e g : „Holbergiana" .... 256
SBerltoj: Ouüerturc S3. 6;emm 268
b'5llbert: Duüertüre. @t. @aeng: Omp^ale .... 260
Sifat: „SSogelprcbigt be8 §1. granj" 263
SBral^mS: ©oncert für SSioline unb SBioIonceU .... 264
ttoierconcerte (fjrau 3 a eil u. 51.) 267
©olbmarf: „^rüpngS^Duüertüre" 270
9?icob6: „@t)mp^omfd^e SSariationen" 271
Wtadtn^xt: Out)€rtüre ,,3Sag ifir ttJoHt" 274
©önbclg Oratorium ,,3ofua'' 276
S^öre öon S)urante, <B. ^ad) unb Sra^m« .... 283
©. ©oifmann: ,,©aralb8 SBrautfa^rt" , 286
3B. bc ©aan: ,,3)er töniggfo^n" . .' 288
Älabierbirtuofen : ©taücn^agen, gricb^eim, @c^ar*
»enfa 289
SRojart: ©treic^trto in Es-dur 296
®oIbmar!: „$romet^eu8=Duöcrtüre" . , 298
©metana: ,,3)ie SRolbau" 800
3)lo8äfott)gfi: 3 weite Ord^efter^Suite 804
91. »rudner: 3)ritte 8t)mp^onie 306
©. aSerlioj: [Requiem 309
Pore t)on 3)lenbel8fo§n, 93ad^ unb SBra^mS ... 314
9?cuc Quintette üon Sra^mS unb 3)t)of af 816
•*
t
3ntjalt. V
©eite
SBra^mS: Älaöiertrio op. 8 (9f?eue SBeorbeitung) . . . 320
^laöieröirtuofen : Stoöen^agen, (£. 8auer, 9ftofent§al 321
©ftngerinnen : 9(Iice S3 ar bi, 3)larianne SBvanbt. . . . 329
®rieg: Ovd)efter::(5uite „$eer ®^nt" 335
3)öof Qf: 3)ritte ©tjm^^ome 339
©metana: ^^Suftf^jielsDuüertüre" 342
SB er Ho 5: „Sinfonie fantastique" 343
SBra^mS: Motoierconcert D-moU 344
DrdieftertDerte üon ©d)ubert, §ai)bn, ?Sagner, Ärug 345
@. S3 a d) : Kantate „gd) ^atte üiel SBcfümmemiö" ... 348
^ttnbel: ©oc^äeitScontate , . . . . 351
9?icobe: S^m^^onie-Obe „^a^ 3Jieer" 351
(SJrieg: ü-dur-duortett. 2Ko5art=S3earbeitiingen . . . 358
Sieberabenbe uon 9nice S3arbi, @d)eibemantel, ®ura 355
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y
ItMttB uttb lelrm
ffib: $an8U(f , aus bcm a;o0e6u(!^ eine« 9Runfcr8.
/
(1891.)
(JW/I it bem boppetten Eifer eineä f(^önen @rinnetn8 unb
s^&* einer fteiibigen 9!eugiet langte ic^ naii) ber eöen
etfcftienenen \)va^t'ooü aiiägeftatteten Siograi^tiie ber großen
©ängetin.*) 3«ilic§, ber 3tn6M oon jroei ftar(en CftaU'
bänben i)ai tnic^ ein roenig erjt^redt. SKie oermog man mit
bem Seben einer ©efongäfünj'ltmn , unb Jei e§ bie ooHfoni'
menfte, p}n biife SSänbe ju füllen? %ie eigent£)ümlii^en
©diroierigfeiten biefer Stufgabe finb ja gerabe folc^e , bie ju
gebrängter Raffung mo^nen. 3ft ber ©iogtaiifi einmal, na(§
©d)itberung ber SinbEr* unb Se^rja^re, bei bem etften ®t=
fotge bet ©ängetin ongelangt, fo ^at er, üon ©tabt ju ©tobt
mttreifenb, nur eine Sei^e üon ffunftlciftungen unb Xriuinp^en
JU 6ef(^reiben, bie fii^ meiftenä »eräWeifett ä^nlii^ jetien. 55en
aSerfuc^, biefe Seiftungen felbft ju f(^itbern, unS bie ©d|iin=
♦) „Scnnq Öinb. g^re Soufboftn ülä ffünflletin, 1820 -1851."
fßaäi Sriefcn, Sagebütiietn utib anbsren von Otto ©nltofdöniibt ge:=
fommdleit ©iriftfiiiilen uon &. 6. ^ollnnb «nb ffi. ©. Sfiorfftto.
autorifirte beut[(fie UeöftfeBung uon S'ebiöig ©{^öll. iQmti Snnbe.
Seipjig, bei S, a. Srotf&aHä.) -
1*
4 €b. Qanslirf.
^eit bicfcr Stimme, biefc^ SSortrageä mit S33orten Mar ju
mad^cn, toirb bcr Siogra^)^ fid^ allcrbing^ nid^t fd^cnfcn.
SKIIein er barf i^n, meinen wir, nid^t bei jeber Dt)ernt)or*
ftellnng mieberl^olen. äKüffen wir wirfüd^ benfelben §^mnuS
über bie ©öngerin neuerbingS lefen, wenn jte biefelbe 9totte
in Hamburg, in SSerlin, in granffurt, in SBien, in Sonbon
gefnngen f|at? 2tn @ewiffent)aftig!eit unb gleife läfet bie nene
Sinb=S9iogra))t)ie ebenfowenig eitoa^ ju wünfd^en, wie ha^
S5ud^ üon Sr. 5RidE§ über E^ot)in; nad^ biefen beiben SBerIcn
bürfte fortan bie eng.Iifd^e unb nid^t mel^r bie beutfd^e
„©rünblid^Ieit" atö ©uperlatib gelten. SBerben bod^ bei=^
f|)ietöweife bem Sluftreten ber Sinb in einer ^ßroöinjialftabt
wie SRorwid^ jwei Äa|)itel gewibmet! ®ie häufige SSSieber-
l^olung alle§ beffen, wa§ bie SSerfaffer über ben ©efang
unb ben K^arafter ber ffünftlerin öorbringen, befd^wert baS
33ud^ unb ermübet ben Sefer. 2)ünft un§ fomit bie neue
Sinb'93iograt)]^ie ju lang geratljen, fo ift fie in anbercr S3e*
giel^ung bod^ wieber ju fur^. Sie fd^fiefet mit bem Slbgang
ber Äünftlerin öon ber D^ernbüfine, alfo mit htm ^a^rc
1851. 3ennl) Sinb ^at aber bann nod^ an 20 Qal^rc lang
aU Soncert' unb Oratorien * ©angerin 2rinm|)]^e in beiben
SBelten gefeiert. @ine Siograpl^ie foll un§ baS ganje Seben
il^reS gelben erää^Ien. SBarum fagen un§ bie SSerfaffer, hit
pd^ ja intime Sreunbe ber ©angerin nennen burften, nid^t§
öott il^rem fjamilienlcben , i^rer ^äu^Iid^feit, nid^t^ öon
i^ren Äinbern, bereu 3iamen wir nid^t einmal crfal^ren,
gefd^weige benn il^re ©c^idEfale? Sie (Sriö^Iung bricht öor
ber großen amerifanifd^en Steife ah, weil — fo meinen bie
SJerfaffer — bod^ nur fd^on ®efagte^ wieberl^olt werben
müfete. SRit nid^ten; gerabe bie amerifanifd^e loumec ber
Sinb unter bem berülömten S3arnum bot fel^r öiel ©igen*
artige^, aud^ fultur^iftorifd^ SntcreffanteS , ba^ mit il^rcn
3ennY txnb. 5
curot)äifci^en ©ricbniffen fid^ burd^au^ md)i bccft. ©outen bic
SSiograjjl^ett ^ter öiellcid^t |)löfelici^ Shtflft belommen ^abcn öor
eittcnt mögUc^en brittcn Sanb? 3ft)ct SScrfaffer l^abcn fic^
in bic Arbeit gctl^cilt, ol^ne bcn Stnt^eil cined jeben öon il^nen
eigene fenntlid^ jn mad^en. Dl^ne Stod\ti rül^rcn bic ntnfi*
falifd^cn Scurtl^cilungcn öon $crm SRodftro ^er, n^äl^renb
ber Eanonicn^ ©cott^oUanb bcn biogra))]^if(^en Il^cil
nnb bie ©d^ilberung öon 3cnn^ £inb^ (Sfiarafter fd^rieb.
SBüßten ttjir nid^t au§ |)errn Dtto @oIbfd^ntibt§ SSorrcbe,
bafe Scott |)oIIanb „ein fel^r gcfd^öfeter Äanjdrebner unb
SSerfaffcr anerlanntcr religtöfcr Sudler" ift , mir mürben cd
aus mand^er befonberS falbungSöoIIen ?ßartie bcS 39ud^c§ er*
ratl^en. ®ic „©d^Iupetrad^tung", tocld^c am fönbe beS smcitctt
SSanbed alle K^araftcröorjügc ber Sinb nod^ einmal jufam*
menfaßt ober rid^tiger: auSeinanberbreitet, ift eigcntfid^ eine
öerfd^ämte ^rebigt, ein anböd^tigeiS SSariiren unb ^axapf^xa^
firen bcSfelben %^tma^, toit e§ ffanjelrebner fo toortreid^
unb erbaufid^ in Uebung l^abcn. Uebrtgend finb bie SSorjüge
be§ SBerfcS nid^t gering. S)a§ S3ud^ ift mit großer SBärme,
cbler ©efinnung unb nid^t o^ne ©eift gefd^rieben ; bie beutfd^e
Ucberfefeung treu unb getoanbt.
S)er intereffantefte, toeil am menigften befanntc I^cil ber
S3iogra))]^ie ift bie 3ugenbgefd^i(^te. 3ctin^ Sinb ift in
©todl^olm ben 6. Dftober 1820 geboren, ^i^xt ©Item lebten
in bebrängten SScrl^Mtniffen. S)er SSater, bamafö erft jmei*
unbjmanjig Qal^re alt unb - ©ud^l^alter bei cinfm Sauf manne,
toirb atö ein gutmütl^ig fd^mad^er, leid^tlebiger äRann ge*
fd^ilbert. ^cnn^Ä äRutter, bie gefc^iebene ©attin eines üitU
berüd^tigtcn ffapitänS Slobbcrg, mar eine ^arafterftarfe grau,
meldte fid^ l^au^Jtfäd^Iid^ mit Unterrid^tgeben burd^l^alf unb eine
lägeSf^uIe für SKftb^en l^iclt. @ie gab bie Äeine ^enn^
«ufS Sanb ju einem Drganiften in bie ^ßflcge unb l^at jeit*
6 €b. ^ansM.
lebend nte^r Strenge afö Sörtlid^fcit, jcbenfaHS menig 9Ser*
ftänbni^ bclpiefen ffir il^re Xoä^itx, ®te ©ro^mutter entbedfte
juerft baS auffallcnbe mufifaüfti^e latent, ha§f nnfel^Ibare ©e-
l^ör nnb ©eböd^tniß be§ ßinbe§. S)te neunjährige Sennt)
ntufete öor bem S)irector be§ fönigfid^en S^l^eaterS, ®rafen
?ßale, fingen unb erl^ielt auf beffen SSorfd^Iag nid^t nur Unter*
riti^t im ©efang, fonbern itjre ganje Stu^btlbung unb @r*
jiel^ung auf ©taatsfoften. Sie äKutter ^atte ben größten
Slbfd^eu öor bem S^l^eater, fie mußte aber bem S)rudE ber
SSer^öItniffe nad^geben, unb Senn^ luurbe ein ^ftegeünb ber
S5üt)ne. @§ ift eine feltene ©rfd^einung in ben Slnnalen ber
fiunft, baß bie Seprben fo rafd^ ein ungemöl^nüd^eS latent
cntbedfen unb fofort bereit finb, etiuag bafür ju magen. S)aä'
Knigüd^e Il^eater ju ©todf^olm, in meld^em bie jel^njäl^rige
3enn^ im @e^)tember 1830 afö „aktris-elev" eintrat, blieb
für bie nöd^ften jel^n ^af^xt ber ©d^anpla^ unb aRitteIt)unft
i^reS Seben§. S)ie föniglid^e I^eaterbirection t)ftegte bie
Sögünge in auägemö^Iten Käufern in ber ©tabt unter ber
Sluffid^t einer grau unterjubringen unb mit biefer ein lieber*
einfommen für ßoft unb SBol^nung ju treffen. S)a 3cnn^§
äJlutter o^nel^in ffoftfd^ülerinnen in itjrem ^aufe ^ielt, n)urbe
il^r aud^ bie lod^ter übergeben. 3n bem mit grau Sinb ge=
fd^toffenen, öon ber ffeinen Senn^ mitunterfertigten ©ertrage
l^eißt e^ : „S5iS fie l^erangemad^fen unb genügenb au^gebilbet
ift, um einen feften ©el^aft beanft)rud^en ju fönnen, fott fie
auf Sled^nung be^ S^eaterS Soft, ffiteibung unb SSSol^nung,
fomie freien Unterrid^t im ©ingen, S)eclamiren, im Sanj
unb allen anberen göd^ern erl^alten, bie jur ©rjiel^uttg eined
gebilbeten SKäbd^en^ gel^ören unb für bie Sül^nenlaufbal^n
notl^toenbig finb." SBie öielS^itn^ P^ bon ben „Uterarifd^en''
gäd^ern unb fremben ®ptaä)tn angeeignet l^abe, läßt ftd^
nid^t beftimmen, aber bie SSoIlftänbigfeit ber ft)ecififd^ fünft»
3ennY £tnb. 7
lerifd^cn Äu^bilbmig toax fel^r bcad^tenätoertl^ unb l^intcrlicfe
in iftr einen unauSlöfd&nd^en (Sinbrucf. @te fül^ftc, bafe fie
bcrfelbeu öiel öon il^ren Jt)ätercn (Srfolgen öerbanite; bcfott==
berS fd^afete fie il^re SluSbilbung in fd^önen unb auSbrud^*
motten Setoegungen , bie fie in ber Il^eatertanjfd^ule ge==
toonnen. @o lag i^re Saufbal^n beftimmt unb l^offnungdreid^
öorgejeici^net. @§ toax auf Qa^re ]^inau§ für fie geforgt unb
für bie Bwfunft il^r eine ©teile gefid^ert. Stur ha^ lieMofe
aSenel^nten t^rer äugerft reijbaren unb l^eftigen SRutter trübte
it)re Sugenbjeit. 3taä^ einer aufregenben ©cene entlief Senn^
eines lageS il^rer SRutter unb ftüd^tete ju einer belannten
brauen Stau. 5)ie S)irection erlaubte il^r, bort ju bleiben,
aber Srau Sinb ftrengte einen ^ßrocefe an, unb Senn^ mu§te
il^r jurüdgegeben werben. SBeld^e Sorgen il^r &tbtn a\xä)
mit \iä) brachte, einen ffummer, ber gettJö^nfic^ bie 8lnf dnge
junger Mnftlerinnen öerbüftert, ^at fie nid^t gefannt : e§ fel^Ite
il^r nie an Slnerlennung. ©d^on im erften Saläre il^rer 8luf==
nal^me in bie 3^^eaterfd^ule f))ielte bie jel^njäl^rige Qenn^
fi'inberrotten unb glönste afö Sönserin. 3n ben näd^ften
Salären trat fie toiebertjoft in @d^auf^}ielen auf; in einigen
anä) mit ©efang unb Sanj. @ie fang l^in unb lieber in
I^eaterconcerten S)uette mit i^rem ©efanglel^rer öerg,
bem fie il^re gange SluSbilbung für bie fd^toebifd^e Sül^ne ju
banlen l^atte. 3citteben§ blieb fie il^m treu anl^ängttd^; er
mu^te lange nad^l^er, 1848, auf i^ren SSSunfd^ fie nad^ @ng^
Iwah begleiten. SiS jum 1. Januar 1837 mar Senn^ me^r
ate l^unbertmal auf ber ©todfl^olmer öül^ne aufgetreten;
man fanb eS nun an ber 3^tt, i^r eine fefte ßtellung mit
beftimmtem ©el^afte (jal^rlid^ 1200 äRarf) ju geben, «on
ba an follte fie, nad^ htm urft)rüngttd^en ©ontracte, nod^ jcl^tt
Sa^re im S)ienfte ber S)irection bleiben. @ie f<)ielte fleißig
toeiter in Wngft öergeffenen @d^uf))ielen , £uftft)ielen unb
8 €b. ^anslid.
Surle^fcn. ®a trat, ein cntfd^cibcnber 3Stnitpnnti ein: ber
Slbenb beS 7. äRärs 1838. „3d^ ftanb an bcm äRotgen auf
aU eine Kreatur toie fonft,'' <)ftegte fie ju erjäl^Ien, „unb
legte mid^ fd^Iafen ate eine neue Kreatur. 3^ ^^tte meine
ffraft erlannt.'' gl^r ganje^ Seben l^inburd^ feierte fie ben
7. äRärj mit reügiöfem ©ruft tt)ie einen jtüeiten ©eburtStag.
Sin bem Jage ttjarb fie fid^ i^rer f elbft berufet ; i^r fünftlerif d^eS
Seben begann. 2)ie§ gefd^al^ in ber 9toIIe ber Stgatl^e in
SBeberg „Steifd^üfe''. 9Jon ba erfannte man 3cnn^ atö bie
^gottbegabte ©öngerin''. @ie n^ibmete fic^ je^t ganj ber
Dptx. 2(uf bie Stgatl^e folgt bie SRarie öon iperolb, ©meline
in ber ;,@d^tt)eiäerfamilie", ?ßamina in ber ^^gauberftöte'',
fjjäter „S)ie »e^alin" unb Sttice in ^Stöbert ber Teufel''.
S)iefe 8lotte, in ber fie fpäter il^re bebeutenbften ®rfoIge er^
rang, fang fie jum erften SRale im Sa^re 1839 afö ad^tjel^n-
jal^rigeg ajlöbd^en. ©anj gfildfUd^ toäre fie getoefen, l^ötten
nid^t feit i^ren -erften ©rfolgen bie SReijbarfeit, ber ^od^mutl^
unb ha§f SKi^trauen i^rer äKutter, anftatt pd^ ju milbem,
nod^ angenommen. 5)a t^at 3enn^ ben entfd^eibenben ©d^ritt
jur Trennung öom l^äuSUd^en §erb. @ie jog ju bem il^r
befreunbeten berühmten Siebercontponiften S i n b b I a b , beff en
grau i^r eine jmeite äJlutter tourbe. S)ort blieb fie bi^ ju
i^rer Slbreife nad^ ?ßari§, 1841; ba^in lam fie toieber bei
i^rer mdlti)x im Saläre 1842.
SaSel^e »ettjanbtnife ^atte e^ mit biefer ^ßarifer Steife?
UnfereS5iograt)]^en begeid^nen fie, ettoa^ gejiert, afö „^Pilgerfahrt*
unb erMären fie mit ben m^fteriöfen ©ingang^ttjorten : „ba^
3enn^ jum Dp^tv beftimmt mar !" @inf ad^ auSgebrüdft : Senn^
Sinb emt)fanb, bafe i^re ©efang^ted^nif einer ^ö^eren 2(ud*
bilbung bebürfe, bafe fie nod^ gu lernen ^ait. S)er fd^toe*
bifd^e ^iftoriler ©eijer ^atte juerft barauf beftanben, ba§ fie
au^ bem engen ßreid öon ©todtl^olm l^inauiJ muffe in bie
3cnnY £inb. 9
SBcft. S)aäu tarn bcr |)raltifd&e 9tatl^ bcS trcfflid^en Sari*
tottS Sellctti, tt)cl(i^cr auf 3cnn^§ iJtage, mo man fid^
bic gute itafieuifd^e 3)ict^obe aneignen !önne, unbebenfüd^
antwortete: „^n ^ßariö, bei ®arcia/ Um bie äWittel ju
einem jtüölfmonatfid^en ©tubium bei Oarcia ju ermerben,
unternahm 3enn^ eine ©oncertrcife in bie ^ßrouinjen, meldte
ber mutl^igen jungen Mnftlerin itoax reic^Iid^e ®^ren unb
Sinnal^men brad^te, aber burdEi übermäßige Slnftrengung i^re
Stimme fd^abigte. 2tte fte (Sarcia eine Strie au§ „Sucia"
öorfang, brad^ fie mö^renb be^ Singend ööHig jufammen.
„Mademoiselle,^ fagte ®arcia, „vous n'avez plus de voix.**
S)er ©d^Iag toar furd^tbar. Stber i^r äKutl^ unb bie @r*
innerung an fo öiele e^rlid^ errungene ©rfofge l^ielten bie
fd^mer Oetroffene aufredet. ®arcia rietl^ il^r, fed^g SBod^en
lang feinen einzigen Ion ju fingen, ja, fo toenig toie möglid^
ju f))red^en; bann möge fie toieber ju i^m fommen. 3cnn^
Sinb toibmete biefe t)einlid^ langen fed^§ S33od^en bem eifrigen
©tubium be§ 3talienifd^en unb granjöfifd^en. 9tad^ biefer
SBartejeit fanb ®arcia il^re ©timme fo n^eit au^gerul^t, baß
er i^r Hoffnung auf gänslid^e SBieberl^erftellung mad^en
lonnte, uorau^gefefet, baß fie il^re falfd^e äRet^obe bcr ©timm=.
bilbung, toeld^e fie faft ju ®runbe gerid^tet, aufgeben merbe.
©ie ^atte regelmäßig bei ®arcia jttjei ©tunben in ber S33od^e
unb mad^te überrafd^enbe gortfd^ritte. „3d^ l^abe,'' fd^reibt
fie an eine greunbin, „fd^on fünf ©tunben bei ©ignor
®arcia, bem SSruber öon äWabame äRalibran, gel^abt; ba
l^eißt cS benn für mid^ toieber öon öorn anfangen; bie
©calen auf* unb abn)ärt§ fingen , langfam unb öorfid^tig ;
IriHer üben (aud^ und^rifttid^ langfam). 3Kit bem Sttl^men
nimmt er e§ an^ fel^r genau. 3<^ betrad^te e§ afö ein
großes ®Iüdt für mid^, baß eS einen ®arcia giebt.'' Ueber
baS Sltl^eml^olen, bie ©timmbübung, SSerfd^meljung ber 3te*
10 €&. ^anslirf.
giftet unb anbete tcd^nifc^e ©ittäcH^etten toufetc fte nid^t^:
biefe mcciiamfci^e ©tunblage Ictntc fie öon ©atcia; in ben
^öl^etcn ategioncn bet ffunft ttjat i^t gtofeeS mufüafifc^ed
Sdent längft ^eimifd^ unb fid^et. 3n bet %^ai, fie
toax eine gebotene föünftletin; untet Oatcia^ Seitung toat
fie eine SSittuofin geiüotben.
SBd^tenb biefe^ 5ßatifet Se^tjal^tc^ quöfte fie unauSgefefet
bie ©el^nfud^t nac^ bet ©eimatl^ unb naä) — bet ©ü^ne.
„5)a§ Sül^nenleben," fd^teibt fie, „f)at etmaö fo ^inteifeen*
be§, ba§ id^ lüitllic^ glaube, met e^ einmal gefoftet l^at,
lann, ttjenn et e^ entbel&ten mufe, nie hiebet glüdfüc^ fein/
S)ief es ©eftänbnife fielet in f c^neibenbem ©onttaft ju bet faft ftan!-
^ften ©el^nfuc^t, mit meldtet S^nn^ Sinb nid^t lange batauf
fid^ öon bem Il^eatetleben fottmünfd^te. SBid^tig füt il^te
f))ätete ©attiete tt)at it)t bie Sefanntfd^aft SKe^etbeetS,
bet eben in 5ßati^ SSotfel^tungen füt. feinen „ißto|)]&eten"
ttaf. (St ^atte bie Sinb ^)tiöatim fingen getjött unb „öiel
(B^pxii unb ©efü^I" in il^tem SSotttag gefunben. Süt ben
3laum bet 5ßatifet gto^en Dpet fd^ien i^m bie Stimme nid^t
ftati genug, bod^ meinte et, bafe 93etlin ein geeignete^ gelb
füt i^t latent fein ttjütbe. S)et \päkxt (Stfolg l^at SRe^et*
beetS Uttl^eil geted^tfettigt. Deffentlid^ l^at 3enn^ Sinb in
?ßati§ niemafö gefungen. S)ie eine jeitlang öetbteitete %aUl,
fie fei in ?ßatiS butdögefallen unb ^abe be^l^afb nie ttjiebet
bott auftteten motten, mitb in unfetem ^nä^t gtünbüd^
ttJibetlegt. Qmmet mäd^tiget jie^t e§ fie nad^ $aufe. „?ßatiS/'
fd^teibtfie, „t)a6t nid^t füt mid^, unb id^ paffe nic^t füt^ßatiÄ."
1842 fel^tt Scnn^ nad^ ©todl^olm jutüdt unb etfd^eint pm
etftenSRale toiebet afe SRotma, bann afö Sucia, enblid^ afö
©onnambula, bie eine i^tet betü^mteften 8loHen ttjutbe. SKit
il^ten unbebeutenben ®tf^}atniffen fauft fie il^ten Sttetn ein
Heiner §eim auf bem Sanbe. Stoei Salute lang ioitit fie
Jenny £inb. H
ttun, öom ^ßublilum vergöttert, in ©todf^olm. S)a erinnert
fid^ 3K ererbe er ber jungen ©ängerin unb bemüht fid^, fie
für SSerlin ju gewinnen, mo fie bie ^aviptxoUt in feiner neuen
SDptx „Sag Selblager in ©c^Iefien" übernel^men foH. Sie lel^nt
ein glönäenbe§ 2lnerbieten be§ ©todf^olmer Sl^eaterS ab unb
berlä^t jum gweiten SKale i^re ^eintat^, bieSmal aU öollenbetc
SJieifterin, um in fernem Sanb il^r ®Iü(f ju öerfuc^en. @inen
SRonat l^ölt fie fid^ in S)re§ben auf unb mibmet fid^ bort
eifrig bem ©tubium ber beutfd^en Bpvai)^. ^n Sertin tritt
fie juerft aU Storma auf, balb barauf aU SSielfa in SRe^er*
beer§ „Selblager". @ie ^at übrigeng biefe öon SKe^erbeer
für fie gefd^riebene SRoIIe nid^t „creirt", fonbern fid^ freiwillig
ben 8lnft)rüd^en ber berliner ^offöngerin Sröulein Sucjef
gefügt, meldte bei ber feierlid^en ©röffnung beg neuen Dptxn-
l^aufeg bie SSielfa juerft fingen mollte. ®ieg gefd^al^, aber
nid^t äu ajle^erbeerg Sufriebenl^eit unb nid^t jum SSort^eUe
beg SaSerfeg. 3la6) fünf Sluffül^rungen be§ „gelblagerS" über*
nal^m ^enn^ Sinb im S^nuar 1845 bie SRotte unb öerfefctc
ben ®om))oniften unb bag ^ublüum in öegeifterung. @o l^at
bie Sinb il^ren euro^jüifc^en 9luf in öertin begrünbet.
aWit glönjenben Sfnträgen bettjarben fid^ nun Sonbon unb
alle beutfd^en ipau<)tftöbte um bie „fd^mebifc^e Stad^tigall".
Sie nöd^ften fieben ^al^re bilben einen ununterbrod^enen
Iriuntpl^äug ber gefeierten D t) er n f ä n g e r i n. 2tm 10, ajlai
1849 ^at fie (afö Sllice in „SRobert'') jum legten SRal bie
aSül^ne betreten unb bann auf il^ren Sunftreifen in S)eutfd^==
lanb, ©nglanb unb Slmerifa nur nod^ in Eoncertcn gefungen.
n.
®g fann mir nid^t beifatten, ben ffiunftreifen S^un^ Sinbg
aud^ nur entfernt mit ber ptintiä^tn ©ettjiffenl^aftigfeit il^rer
12 (Eb. £?ansHcP.
^voQtapf)tn ju folgen. S)ic %xivimpf)t, totid^t bicfc fd^Ubcrn,
pnb im ®runbe überall biefelben uttb bic ja^Iretd^en 3oumat
artifel; bie fte abbrucfen, gleid^fattö. äKit Sleti^t geben bie
SSerfaffer einem faciifunbigen nnb üebenStoürbigen ^itifer
tote S. atellftab toieberl^olt baS SBort; feine ©erliner Ur*
t^eile über bie Sinb finb fd^on baburd^ ttjid^tig, ha% fte bie
erften in S)eutfci^Ianb erfd^ienenen toaren nnb wie eine ftar!
angefd^Iagene Stimmgabel ben Son angaben, ber nun fort
unb fort ttjeiterffingt. Stber öiele l^ier aufgenommene S^ttungS-
artüel öon unbefannten. ober unbebeutenben ©erid^terftattem
würben wir leidet entbefirt l^aben. Ueber bie erften SBiener
SDptvn unb Eoncerte ber 3cttn^ Sinb im Saläre 1847 citirt
ba^ Sud^ auSfd^Iiefeüd^ ffiritifen auS ber faiferlid^en SBiener
Seitung. Sc^ toeig nid^t, toer beren SSerfaffer »ar, tool^I
aber, bafe SBien ju jener 3ctt einen einzigen bebeutenben
aWufüfritüer befaß, ben Dr. Stifreb Sedier, ber fogar
eine eigene ©rofd^üre über bie Sinb öeröffentlid^te. Unb ge*
rabe öon biefem nimmt ba§ S9ud^ feine ^Rotij. Sieben ben
berfd^toenberifd^ auSgeftreuten 3ournaIcitaten geben un^ bie
SSerfaffer natürlid^ aud^ il^r eigene^, fel^r eingel^enbe^ Urt^eil
über Senn^ SinbS ©efang. Sie ©d^toierigfeit, ben ganj
eigenen Sauber ber Sinb ttiit SBorten ju fd^ilbem, l^abe id^
nur ju fel^r an mir felbft erfahren. 9tad^ il^ren S33iener
Koncerten im Saläre 1854 meinte id^, eS müßte bem Etiler
eigentlid^ geftattet fein, über (Srfd^einungen öon öollenbeter
©d^ön^eit, tt)ie fie günftigenfallS in l^unbert Sorten einmal
fommen, nid^t§ Slnbere^ au§äuf:>)red^en, afö bic greube, fie
mit erlebt ju l^aben. S)ie bebeutenbften ©öngerinnen, bie man
bamafö in S33ien l^örte, mad^ten un^ ben ®inbrudf, baß bie
Sinb nid^t nur mel^r ttjar, dfö jebe anbere, fonbem gerabeju
anber^; tt)ir fül^ften nid^t bloß eine ©rößenbiffereng, fonbem
etttja^ tt)ie einen Oattung^unterfd^ieb. S)iefe S)urd^geiftigung
3ennY ÜintL 13
unb S)urci^fii^Iun9 icbeS cttiäelncn loneS nrie ber göttjett
©runbftimmxing einer ®om:j)ofttion iparen ttjeber nad^jual^mctt
nod^ ju befd^reiben. 2luf eine faft röt^fet^afte ätrt offenbarte
nn^ Senn^ £inb bie abfolute Sd^ön^eit beS ©ingcnS an ftc^.
SBie jener alte Äönig öertoanbelte fte atted , nja^ pe berührte,
in @oIb. aSenn fie eine Slrie an^ „Beatrice di Tenda"
ober ans ben „?ßuritanem" fang — war bad nod^ biefetbe
SKnfif , bie mir ftetS matt nnb füfeüd^ gefunben ? S33ie marnier,
bnftiger Sttl^ent legte fie fid^ unS um Smft unb SBangen. SBic
ganj anberS, ttjenn grofee ©efangSöirtuofinncn ttjic bie SSiar*'
bot, laboüni, Sa ©ränge bergleid^en vortrugen! S^tin^Swi^^
Saubereien erttjedftcn in unS baS (Scfül^I beS Staunend nid^t
anbefS, atö bereits gctrönft öon ber ©üfeigleit rul^igen ®c*
nie^enS. SBer l^at i^re fd^toebifd^en SSoIfölieber, toer il^ren
SSortrag beS laubertfd^en Siebes : „^ä^ mufe nun einmal
fingen", je öergeffen? 2MS beiläufige Stad^al^mung beSSSogel^
gefangS l&art an ber ®renje ber äJlufil ftel^enb, mürben biefc
flötenben unb fd^metternben ©olfeggien in 3cnn^S äKunb jur
enljüdfenben ©c^önl^eit. S)er ganje ttjalbfrifd^e ^Raturreij
jubelnben SSogelgefangS fam unS l^ier auf bem unbegreifKd^en
SBege ber äufeerften tec^nifc^en Sraöour entgegen, ^a tott
fönnte überl^aupt irgenb eine ©efangSleiftung ber Sinb je
öergeffen, ber fo glüdflid^ mar, fie ju erleben! ®S ift ein
fd^öncS SBort öon Sral^mS, ber einmal aö Süngfing bie
Sinb in ber „@d^ö^)fung" gel^ört l^atte, baß il^m l^eutc nod^,
loenn er bie ?ßartitur bicfeS SSSerfeS auffd^Iage, bie öon Senn^
Sinb gefungenen ©teilen tnie in ©olbglanj erfd^einen. ^ä^
fribft l^abe öor 45 ^af)xtn ©d^umannS „Stufebaum" unb 3Rcn^
belSfo^nS „Stuf gWgeln beS ©efangcS" öon ber Senn^ Sinb
(mit fflaöierbegleitung öon Klara ©d^umann) gel^ört unb
!ann feitl^er feines biefer Sieber ^ören ober \pxdtn, ol^ne bag
nid^t jcbcr Ion ber Sinb beutlid^ mie eine SSifion öor mir
14 , €b. ^ansHcf.
auflebt. S)amafö mar id& aud^ jum crftcn 9Kale Slugcnjeugc
öon bcm Sam|)cnfiebcr jtoeicr großer ffuttftlcrintten. Elara
©d^umann, bie im Sesember 1846 mit il^rem ®atten in SBicti
öerlüeilte, ^atte ein Eoncert im großen Sleboutenfaal unter
äWitmirlung öon S^nn^ Sinb angezeigt. Slm SKorgen be§
EoncerteS erfud^te fie mi(i^, in^ ffunftlerjimmer ju fommcn,
um il^r nöt^igenfattS, tt)enn jfie Slngft befäme, bie 5Roten um^
gumenben. S33irflid^ magte fie, im SKomcnt bc§ ^crau^treten^,
nid^t, ein tjunbertmal gef))ielte§ ©tüdE öon 39ad^ au^tt)enbig
öorjutragen — „e§ fönnte i^r bod^ toa§> ))afftren". 3d^ \mx
afö junger ©tubent nid^t menig ftolj auf biefe SRiffton, unb
ttJir beibe mad^ten unfere Baä^t gut SRun !am bie SReil^e
an ;3enn^ Sinb mit ben genannten gmei Siebern. Unrutjig,
aufgeregt fd^ritt fie ba§ 3immer auf unb ab, \)oU Seforgnig,
ob fie aud^ gut fingen mürbe, ^ä) tonnte ein SSäort fragenber
ajertounberung nid^t unterbrüdfen. „5)a ift nid^t^ ju öer^
munbern," lautete i^re Slnttoort — ,,nur ein E^orift l^at
feine Slngft". S)iefe§ Stngftgefü^t üor jeber 5ßrobuction
l^at fie geitleben^ nid^t üerlaffen; il^re Sriefe unb Vit (Sr^^
jäl^Iungen intimer Steunbe geben 3cwgni§ baüon burd^ baS
ganje S3ud^.
äKerftüürbig übereinftimmenb finb alle bie in ber Sio-
grapl^ie abgebrudften pribaten unb öffentlid^en Urtl^eile barin,
ha^ fie in ben eigenartigen großen SBirfungen ber Sinb bie
fittlid^e ©runblage l^eröorl^eben ober bod^ ^erüu^fül^Ien , bie
öerebefnbe S^aft einer toal^r^aften unb reinen Seele. 3n ber
Sl^at, toie e^ latente giebt, bie t)om E^arafter au^ gefd^äbigt
ober ruinirt mürben, fo fetjen mir bie filmft ber 3ennt|
Sinb öon i^rem Sl^arafter au§ gel^oben unb uerHört. Kein
äRufifer, fonbern ein Sid^ter, El^riftian Slnberfen, mar
fid^ juerft über biefen ©inbrucf Kar gemorben, inbem er
f^rieb: „3Ran fü^It bei i^rem auftreten auf ber SSü^ne,
3ennv J^inb. 15
ha^ e§ ein reineä @efö§ tft, luorin bcr ^eilige %xant un§
gereid^t tt)irb. SRit bem t)oIIett ©efül^I eine^ Sruberä fd^ä^c
irf) fte; id^ füllte mid^ glüdflid^, ba§ id^ eine fold^e ©eelc
fenne nnb öerftetje. 2)urd^ ^enn^ Sinb l^abc ic^ juerft bic
^eüigfeit ber Sfnnft em|)funben; burd^ fie l^abe id^ gelernt,
ba% man int Sienfte beS §ö^eren ftd^ fetbft öergcffen ntufe.
Seine Sudler, feine Söienfd^en fiaben beffer nnb öerebeinber
auf mic^ aU 5)id^ter eingetoirft, aU Senn^ Sinb." Stbcr ba§
grogartigfte S^wotiife bünfen unS bie SSSorte Selij SKenbeU^^
fol^n^: ,,@ie ift eine bcr größten ffünftlerinnen, bie je
gelebt l^aben, unb bie größte, bie id^ fenne." 5)er l^erjlid^c,
auf innigfte ©eelenöerjDanbtfd^aft gegrünbetc fjreunbfd^aftä*
bunb jinifd^en S^tin^ Sinb unb äRenbeföfol^n bilbct eine ber
erquidfenbften 5ßartien in bem Seben ber ©öngerin. Sie lernt
SRenbefefol^n in SSerlin fennen unb freut fid^ auf jebeS S^'
fammentreffen mit il^m. „2)a^ ift ein äReufdö," fd^reibt fie,
„unb §ugleid& ba§ ^ert)orragenbfte Salent. So muß e§ fein!"
äRe^rere, meift fe^r au^füfirli^e S3riefe äRenbeßfofin^ an
bie Sinb finben mir in ber a3iogra|)^ie §um erften 2KaIe mit*
getl^eilt. @r tnill eine Dptx für bie Sinb fd^reiben, unb ber
®irector ber Stalienifcften Dptx in Sonbon, Sumle^, fenbet
il^m ben $Ian eine^ Sibretto^. 5)er Stoff mar ©l^afefpeare^
®rama „5)er Sturm" entnommen, unb grau 93ird^=5ßfeiffer
foBte baS D^jernbu^ aufarbeiten. @ie fam, jaubernb unb
fränfelnb, nid^t ba^u, fo fe^r 3enn^ Sinb unb Sumle^ brang*
ten. 2)a fd^Iug Sumle^, ber bie (Baä^t mit großem Sifer
betrieb, ben ^ßoeten Seiice Stoma ni öor, öon bem bie beften
italienifd^en Sibretti (SRorma, ©onnambula, Siebe^tranf :c.)
l^errü^ren. S9alb barauf unterjubelt Sumte^ in 5ßari§ mit
© c r i b e , ber ba§ größte ^ntereff e fitr bie Strbeit äußerte.
SBirflii^ fann Sumle^ menige SBo^en fpäter SRenbefefo^n
ben ©cribcfd^en Seyt faft t)oIIenbet jufd^iden; aud^ bie 8e*
16 €b. ^auslief.
fefeung ber SRoHen ift bereits öorgef el^en : SKifanba, 3enn^
Sinb ; 5ßro§^)ero, S a b I a d^ e ; Taliban, @ t a u b i g I ; gernanbo,
©arboni ober graSd^ini. äRenbeföfol^tt lotrnte jtd^ aber
mit ber 9lrt, mie ©cribc ben @^a!ef:>)earefd^en ©toff bel^an^
bdte, nid^t befreunben. ©in langer Sriefmed^fel entft)attn fid^
jtoifd^en bem ®ontt)oniften xinb bem leytbid^ter. Dbfd^on
©cribe bereit mar, in einigen ^ßunften nad^jugeben, öer==
mod^te er bod^ ntd^t fo meit ju gelten, ttjie SKenbefefo^nS
?ßietät für @]^afeft)eare e§ verlangte, unb fo marb ber ganjc
f d^öne 5ßlan öereitdt. S33eld& großer SSerluft für nn§ ! ©cribe*
leytbudö ttjurbe öon ^aleö^ comt)onirt unb 1850 in §er
SRajeft^S Stjeatre mit ber @ o n t a g unb £ a b I a (^ e in ben
ipauptroHen gegeben. SRenbeföfol^n aber entfd&Iofe fid^ ju
einer beutfd^en D|)ernbid^tung, ber ,,SoreIe^" öon ®eibel, bie
er befanntlid^ laum ju com:>)oniren begonnen l^atte, als il^n
ber lob abrief.
Site Senn^ ßinb jur Sluffütjrung ber ,,SSietta" na^
SSäien reifte, tmp\af)i SRenbetefotjn fie befonberS l^erjüd^ an
feinen Steunb, ben D))ernfänger unb fpateren S)irector beS
äRünd^ener KonferöatoriumS , Si^anj $ auf er. '„^ä) bilbe
mir ein," fc^reibt er, „eS mujs S)ir mit i^r fo gelten, njie
mir, bem fie eigentüd^ niemals toie eine grembe, fonbem
toie eine „öon ben Unfrigen" (öon ber unfid^tbaren fitrd^e,
über bie S)u mir fonft jumeilen fd^riebft) erfd^tcnen ift. @ic
jie^t mit unS allen, bie ttjir eS reblid^ mit ber ffiunft meinen,
einen Strang, beult an baSfelbe, ftrebt nad^ bemfelben, unb
barum ift atteS ®ute, ttjaS i^r in ber SSSelt toiberföl^rt, mir
genau fo fd^meid^el^aft , atö toenn eS mir felbft ttjiberfü^re,
unb l^ilft mir unb unS allen ebenfogut weiter. Unb S)ir,
bem ©änger, muß cS nod^ gar eine befonbere Sreube fein,
biefe SJereinigung öon glüdfüd^fter Slnlage , tiefftem ©tubium
unb innerfter ^erjüd^feit einmal enblid^ ju finben." Raufet
)ei
3ennv £tnb. 17
'^^ aber ontwortet glcici^ naä) il^rcm Sluftrctcn: ^SDic S^nn^
^^' Sinb fingt ^kx, unb id^ fagc toeitcr nici^t^, atö baß iä) ba§
Sicbcr f|abe, unb gwar int l^öd^ften ®rabc. @o eine ©tintntc
]^o6c id^ in meinem ScBen nid^t gel^ört, aber oud^ nod^ nie
4 ein fo geniale^, toeibüd^e^, mupfalifd^e^ S33efen gefeiten. Stuf
ß bem Sweater ift e§ boS SicbenStoürbigfte, Seufd^efte, ©d^önfte,
^'- toa§> man feigen unb tfören fonn — biefcr SReij ber ©timmc
9 ift mir bisher unbef annt getoefen ; toa^ oud^ aUe Sängerinnen
« ju übertoinben im ftanbe toaren, toic ^jotent oud^ il^re Sor*
' ftettungen auf ber @cene — bie Sinb ragt über aHe, aber
burd^ nid^tS SSereinjelte^ — biefe äReiftcrf d6af t , bie biefc
anima Candida übt, toirft ben Sauitx.'^ ©rill^jarjerä
SBort: „^ier iftnid^t Äör^er, faum nod^ Son: id^ l^öre 3) eine
Seele!" Hingt in ben öerfd^iebenften SBenbungen burd^ aHe
biefe Urtl^eile. S)ie bebeutenbften SRänner erfennen bie öer-
cbetnbe SBirfung il^rer ffunft unb beren organifd^en 3^fom=
menl&ang mit bem ftttlid^en SBefen ber ©ängerin. S^tin^
Sinb ttjar ein reiner unb toal^rl^after ©l^arafter. SBer fie
notier gefannt, fül^Ite fid^ tief unb nad^l^altig öon i^rcm
SBefen berührt; toem fie einmal i^r SSertrauen, i^re greunb-
fd^aft gefd^enft ^atte, ber tonnte jeitleben^ feft auf fie bauen.
(Bttoa^ ^erbe^, ftreng Stbgefd^Ioffeneä l^errf d^te aHerbing§ in
i^rem SBene^men, unb fie gab fid^ feine 3Rü]^e, e§ ju öer^
bergen. SiebeöoH gegen aHe i^r nö^er SBefreunbeten, toax fie
bod^ feinegtoeg^ „üebenStoürbig" im gebröud^Iid^en Sinne.
■ Unfere Siogropl^en öerl^el^Ien e^ nid^t, „ba§ bie fittli^e
' ipol^eit i^rem SSerfel^r mit fjremben unb mit fold^en, toeld^e
I fie nid^t genau fannten, einen Stnftrid^ öon |)od^mut^ gab.
S)a toar ^in abtoeifcnber SlidE, ein ©id^entjiel^en, eine fd^arfe
äRufterung be§ neuen 2tn!ömmüng^, toa^ in f^äteren So^^^n
, bie (Sinfül^rung bei i^r oft ju einem quatooHen 2Komente
ntad^te für biejenigcn, toeld^c öon biefem ®IüdC öielleid^t
i (ED. ^anSUct, 9(uS bem Zagebu(^ eines SO^uftfer«. 2
18 <Hb. Qanslirf.
ftimben== ober tagelang juöor gctröutnt l^attcn". 3n btcfem
$ßunft ^dbt iä) jcI6ft eine fleiiic Srfalirung gemad^t unb barf
tDO^I bag @cfci^id^t(!^en ergäfilen. 2tfe id^ mit mctnetn grcunbc
K. g. ^ol^I (bent öerftorbencn Slrd^tearber ©efeHfd^aft ber
äRufiffreunbc) int ^al^re 1862 jur SBeltauSfteHung nad^
Sonbon reifte, Ifatten toir ein gemeinfame^ ©mpfel^IungS*
fd^reiben an grau ^cnnti Stnb*®oIbfd^ntibt öon einer
il^rer intiniften greunbinncn ntitbefommen. SBir erful^ren
in Sonbon, ha% bie Sinb ntc6rere SReilen toeit, in 2lrgt|Ie^
Sobge^ bei SBintblebon^^eommon^, ttjoline, unb öerfd^oben öon
od^e p SBod^e bcn ettoa^ untftänblid^en unb urifid^eren ©e*
fuc^. 3)a erblidEe id^ eine^ 2KittagS int ©etoül^I ber SRegent:^
ftreet ben @emat)I ber Sängerin, bcn id^ au§ feinen S33iener
ffonjerten tjont ©el^cn lannte. „$abe id^ nid^t bie ®^rc,
^errn Dtto Oolbfd^mibt §u f:pred^en?" ®r blidft ntid^ eine
äRinutc ftarr an unb fagt enblid^: „SBarum?" 3d^ ntufetc
über bie fonberbare ©egenfrage laut lad^en, bie er nad^träg-
lid^ mit ber @r!Iärung entfd^ulbigte , man muffe in Sonbon
immer auf ber $ut fein, tt)enn man beutfd^ angef^rod^en
toerbe. ©inige Sage barauf erhielten toir, ^oI|I unb iii),
eine felir artige Sinlabung öon |)errn unb grau ©olbfd^mibt
gum Dejeuner , mit bem Seifügen, ba§ fie ber f:paten |)cim-
fal^rt toegen niemanben §um 3)iner §u bitten hjagen. SBir
langten an einem fonnigen Sunimorgen in ber ftattlid^en,
gartenumfränäten SSitta an. Dtto ©olbf^mibt füljrte un§
in ben ^röd^tigen ©alon, n)o un§ grau ;3^nn^ mit furjcm
So:pfnidEen begrüjjte. Sieben i^rem @opf|a er^ob fid^, öon
$ßalmgen)öd^fen befd^attet, eine SKarmorbüfte ber Königin
aSiftoria, i^r ju Raupten I|ing ein Ieben§gro§e§ ©ruftbilb
g. äRenbeföfo^ng. 9tad^ einer 5ßaufe nafim Senn^ ba§ SBort
unb fragte mid^ in trodEenem Sone: „|)aben Sie fd^on in
Sonbon äRufif geprt?" — „Sa," entgegnete id^; „i^ Iiatte
3ennY £inb. 19
t>a^ mUr Sie in ber „Sd^ö^fung" ju pren." ©in finpercr
SlidE — id^ fürd^tete fci^on, fie tuerbc oud^ „SBarum?" rufen —
bann btc jured^ttoeifcnben SBorte : „SBoHcn Sic meine $ßcrfon
gänjltd^ au§ bent @:piele loffen!" S)a§ wor in einem Jon
gefagt unb mit einer SRiene, ba§ e§ mir !alt über ben SlüdEcn
lief. ^6) \pxa6^ feine ®übt mefir unb unterhielt mid^ tüä^-
renb be§ langen, o:puIenten Sejeuner^ auSfd^Iiejsüd^ mit ^erm
Dtto ©olbfd^mibt, ben id^ bann in ben ©arten Begleitete, too
bie beiben l^übfd^en Sinber, SBalter unb 3ennt|, mit bem
nod^ unberüfimten Slrtl^ur ©uHiöan KridEet f^ielten. ®er
^au§]^crr benal^m fid^ gegen mid^ fel^r lieben^ttJürbig, obgleid^
id^ gerabe il^n in meinen Stitifen im 3af|re 1854 red^t un-
üeben^ttJürbig bel^anbelt l^atte. ®a^ brüSfe Sene^men feiner
grau fd^ien il^n felbft ein tüenig §u geniren, er murmelte
einige entfd^ulbigenbe SBorte. SSielletd^t mod^te er i^r felber
einen SBinf gegeben l^aben , benn atö toir in ben ©alon
jurüdEf eierten, tüo grau ^trmt) mit Sari JtUngemann (bem
3)id^ter öieler SRenbeI§fol^nfd^er Sieber) fid^ unterl^ielt, rid^tete
fie ba§ SBort an mid^ unb f:prad^ über ©änger unb Sän-
gerinnen. ^f)xt Urtl^eile lauteten jiemüd^ fd^arf. ,,®ie
je|igen ©ängerinnen l^aben alle mit 30 Salären feine ©timmc
mel^r, fie l^aben 5U toenig ftubirt unb fd^reien ju öiel. ^d^
felbft l^abe niematö öiel ©timme befeffen, aber id^ fiabe fie
öoBfommen erfialten , ja id^ finge mit nod^ größerer Scid^*
tigfeit aU fonft." 2tl§ grojje italienifd^e ©önger Iie§ fie nur
SRubini unb äaiiaä)t gelten, aHenfaH^ bie $ßerftani ; bie ^afta
l^atte fie nie geliört. „3u ^aufe ," erjöl^Ite fie, „finge i(^
feinen %on, ha bin id^ nur |)au^frau unb arbeite tüie
ein $ßferb."
2*
20 <2b. QansHcf.
m.
SBic oft ntad^tc iä) bie fcitfamc ©rfal^rung, bafe felbft bie
gcnialftcn Sünftlerinnen, Sängerinnen öon fetnfteni ®el^ör
für jeben frcntben äRijsHang, bcn Stiebergang i^rer eigenen
Stimme nid^t bemerfen. 9lber ba§ gerabe ^ennt) Sinb,
biefeg SRufter Rarer ©elbftf enntni^ , noc!^ im S^^re 1862
il^rc Stimme für nnöerfel^rt l^alten tonnte, l^at mid^ überrafd^t.
SSierunbjtoanjig ^af^xt toaren öerffoffen feit ilirem ereignife*
öoHen Sluftreten afö 2lgatf|e ; fed^jel^n ^al^re feit ilirem erften
SBiener ®aftf|)iel. SJefa§ fie ttjirHic!^ feine Erinnerung mel^r an
ben l^immüfd^en SBol^Haut ifirer Stimme öon bamafö, ober
fein Dl^r für bie aScrönberung, n^eld^e in langem S^itöerianf
bamit vorgegangen? SBenige Sage t)or meinem Scfuci^ bei
Scnn^ Sinb l^atte id^ fie bod^ in Sjeterl^att bie So^ranjjartic
in ber ,,Sd^ö^)fung" fingen Iiören. 3Rit toeld^er Setoegung
l^arrte id^ bamal§ bem SRoment entgegen, n)o fie l^erauä*
treten foHtc! Dl^ne fd^ön ju fein, l^at fie bod^ ftet§ mit ber
ffraft ber Sd^önl^eit gen)irft; ber ®efang, n^eld^er bie bfirf^^
tigften SRelobien SeHini^ unb 3)oniäetti§ ibealiftrte, fd^icn
immer aud^ einen ^eiligenfd&ein um bie Sängerin felbft p
jaubern. Sie trat l^eröor, tt)ei§ unb ol^ne ©efd^meibe, hJie
fonft. Sie ertoiberte ben jubelnben @m<)fang mit einem furgen
gleid^ giltigen ßo^fnidfen, toie fonft. 2lHein ba§ e^ebem
))ro:t)l^etifd^ leud^tenbe 2luge toar glanjlog unb mübe geworben ;
um ben äRunb trieben böfe galten ein unfieimlid^eS S:piet
3flun ]&ebt fie ju fingen an, unb id^ erfenne bie Stimme, ttjic
man ein l^alböerhjitterte^ S5ilb langfam n)iebererfennt. 3)ie
Söne fommen fd^toad^ unb öerfd^Ieiert fieröor, in ben l^ol^cn
fräftigen Stellen mit Slnftrengung. SRand^mal bringt nod^
ein öereinjelter Silberton n)ie ein Strafjl burd^ trübet ®e=
n)ötf, um, gleid^fam erfd^rodEen, fd^neH toieber ju öerfd^toinben.
\
Jenny £in&. 21
Säag mit folc^cm 2KaterioI möglid^ ift, ba« frctfic^ crrcid^tc
bte Sinb nod^ immer, tpic feine ätoeite Sängerin ber SBeft.
STn bem »eifott be« ^ßuBIilumg lonntc fie atterbing^ nod^
lange nid^t getoal^r toerben, bag i^re Stimme am Anfang
be§ @nbeS ftanb. S)a§ englifc^e 5ßublifum ift beif^jielloS in
©ad^en ber 5ßietät, nnb in genn^ Sinb e^rte eä bie ioppütt
»irtnofität: ber S^nft nnb ber SBo^It^ätigfeit. «fe i^ fic
jnlefet im Satire 1862 tjörte, fonnte bie treffliche grau mit
il^rcn Sönen noc!^ ©deuten nnb @<)italer erbauen, il^re $örer
!aum mel^r. *)
@tne au^ bem ^crjen fommenbe, großartige SBol^Itl^ätig«
feit gehörte ju ben fd^önften 3ägen i^re§ K^arafter^. ^xt^
maU juDor ober nad^l^er ^at eine ©öngerin einen fo großen
Il^eil i^rer ®infünfte ben Slrmen jugetoenbet. SBol^It^un er=»
erfd^ien i^r ni^t bloß atö l^eilige ^ffid^t, fonbem aU
ber fd^önfte Sol^n i^rer Slrbeit. ^n bem un§ uorüegenben
aSerieid^niffe il^rer Stieater^^ unb Koncertabenbe öon 1848 bi^
1850 finb bie ju njofjltl^ätigen ä^Jedfen gegebenen mit einem
©tcmd^en bejeidjnet. @in toal^rer ©temenl^immel! Unb in
ben f:pateren ga^ren fang fie eigentlid^ nur nod^ für bie
8lrmen. SBie fie i^r latent afö eine ©immelSgabe erfannte,
fo l^ielt fie e§ aud^ für il^re 5ßflid^t, ba§ ©rttjorbene »iebcr
ium Seften ber Sebürftigen unb UnglüdEIid^en l^erjugcben:
„tt)aS l^ereingefloffen ift, muß and^ toieber l^erau^ffießen!"
^^xt SBol^It^ätigfeit toax eng öcrtooben mit ifirer ffunft; fic
mad^te e^ fogar bei i^rer SSerfieiratl^ung ju einer ^anpibt^
bingung, baß it^r äRann i^r in ber Sluäübung i^rer SBol^I-
tl^ätigfeit ööHig freie $anb laffe. 3n aßen ©tobten, ttjo fie
♦) 3enn^ ßinb trat jum legten 9RaIe in einem SQ3o^lt§ätigfcit§=
(S4)ncert im Suli 1883 öffentlich auf; öicr Saftrc öor i^rcm am 2. 9^0*
öembcr 1887 erfolgten %ob^, @ic l^at ein 5ttter öon 67 3a^ren er*
ret<l§t
S2 <Hb. Qansitrf.
fong, öcranftaltctc fie eine äuffül^rung jum Scfteit be§ K^or*
unb Drd^eftcr|)crfonafe. SRit il^retn ®clbc, junt i^etlc auf
il^rc STnrcgung, finb in ©d^tocbcn unb (Snglanb ©deuten,
^piialtx, Ka^JcHcn gebaut ober bod^ toefentUd^ öergröfeert
toorben.*)
SttJei öon Senn^ Stnb l^crrüfirenbe (Stiftungen intereffiren
ung befonber^ burd^ i^re fünftlerifd^e Scftimmung : ber
,,@ti))enbienfonb§ für bie (Srjiel^ung unb Untcr==
ftüfeung Don ©d^ülern ber föntglid^en Xl^eater^
fd^ule in ©todf^olnt" im betrage öon 80,000 föronen
(ctttja 88,000 SRarf), bann bie ^^äRenbel^fo^nftiftung".
8ln aJienbetöfoön f|ing Sennq Sinb mit innigfter Siebe unb
aSere^rung. ©ein Job tüar für fie ein fur^tbarer, nie öer-
fd^mcrater SSerluft. 2tm 22. ^onuar 1848 fd^rieb fie an
grau t). Söger in SBien (bie fie i^re „öfterrei^ifd^e äRutter"
nannte): ,,2ld^, äRutter! toeld^er ©d^Iag toar für mid^ ber Sob
bon SRenbeföfotin ! e^ ift Urfad^e, njarum id^ fo lange ftilt
toax. 3d^ fonnte bie jioei erften SRonate nid^t ein SBort
ouf§ üßopier fefeen , unb nod^ fd^eint mir aHe§ tüie tobt. SRic
toar mir fo glüdflid^, fo er^ebenb ju SRut^e, afe wenn id^ mit
*) StDifcöen bem 4. ©ejcmber 1848 unb bem 2. fjcbruar 1849,
einem S^^traumc öon iDcnigcr als neun ^ociften, l^attc ^trmt) ßinb in
neun ©oncerten bie ^o§c ©ummc öon 8740 ^fb. ©t. jur Untcrftü^ung
öon fünf ^ofpitälem, ber SRenbelSfo^nftiftung unb beS fie begicitenben
Ord^efterg geliJft. SBenn mir noc^ bie ©tnna^me beS ©oncertg für ba§
SSrom^tons^ofpital Dom öor^ergcl^enbcn guli :^injune^men, fo ergiebt
ftc^ eine ©efammtfumme öon 10,500 ^fb. ©t (210,000 3Karf). 3n
S'JortDic^ ^attc fie auS bem ©rtrage jtoeier ©oncertc ba8 „genn^sßinbs
^^inber^üfpital" gegrünbet unb big ju i^rem 2^obe bafür fo augrcidftenb
geforgt, bag bie Slnftalt im Sa^re 1890 1230 franten Äinbem aufeer*
l^alb beg ^aufeS unb 257 in bcn ©ölen ärjtlid^c |)ilfe bieten fonnte.
5luf i^rer amcrüanifc^en fRcife ^at Scnnt) ßinb ber ©tabt S^eto^orf
allein me^r alS 30,000 ®oIIarg ju »o^It^ätigen 3tt>ccfen gefpcnbct.
•
3ennv £inb. 23
S^ttt \pxa(i)l unb feiten toaxtn in bcr SBelt jttjei aKenfd^cn
p glcid^er 3eit, btc ftd^ fo uerftanben unb bie fo f^mtjotl^t*
ftrten toic tüir! SBie l^errlid^ unb ttjunberbar finb bie SBegc
®ottc§ — auf ber einen. Seite g i e b t ® r 21 11 e § , auf bcr
anbem nimmt @r 2lIIe§ toeg! @o ift ba§ Sebcn — fo
fielet e§ aug." Siod^ atoei DoHe 3<J^te nad^ äRenbefefol^nS
Xobe tonnte fie e§ nid^t über ftd^ gewinnen, eine^ feiner Sieber
ju fingen. 3n (Semeinfd^aft mit einigen feiner intimften
tJreunbe befd^Iofe fie, SJRenbetöfol^n ein ®enfmal ju fe^en
burd^ ©rünbung einer SJRufiff d^ule , toeld^e äRenbeföfo^nS
Stamen fül^ren unb feine fünftlerifd^en ®runbfä|e öon Seigrer
auf ©d^üler, öon ©eneration auf ©eneration öererben foHte.
3ur aiuSfül^rung biefeS ^lone^ foHte öorerft eine großartige
8luffüf|rung be§ „®Iia§" in @ jeter ^aH bienen. SRenbefefol^tt
l^atte ben größeren X^eil biefeä Oratorium^ ju einer 3rit
.com:ponirt, too er mit 3^nn^ Sinb in eifrigem 93rieftt)ed^fel
ftanb; er l^atte auf ba^ genauefte i^re Stimme, il^ren SJor*
trag ftubirt unb bie @o:pran:partie im „SüaS" für fie gc=
fd^rieben. ®ie auS ber e^od^emad^enben Sluffü^rung Dom
15. S)eaember 1848 erlöfte Summe betrug 1000 5|5funb
Sterling ; fie tourbe öon bem ©omitö (unter bem SJorfi^ öon
Sir @eorg Smart unb ffarl Älingemann) auf 3infen
angelegt, bie man bi^ 1856 antoad^fen ließ unb bann jum
Äa|)ital fd^Iug. 9iun glaubte ba§ ®omit6 ben erften „SWenbefe^
fofmfd^üler" ernennen ju bürfen. ®ie SBa^I fiel auf ben
jungen Slrtl^ur SuIIiöan. 8luf il^n folgten anbere Sd^üler,
toeld^c einzig auf ®runb i^rer ^Begabung getoäl^It tourben.
Sag ffa^ital belauft fid^ jefet auf me^r afö 2000 5ßfunb
Sterling.
Sel^r eingel^enb bel^anbeln bie SJerfaffer S^nn^ Sinbg
unertt)arteten frühen SlüdEtritt öom Sl^eater. SBaä fonnte
bie föünftlerin öeranlaff en , auf ber ^öl^e i^re^ SRul^meS, in
24 <Hb. ^anslxd,
t^rcr öoHftcn Straft unb »lütl^c bcr SBü^nc ju cntfagcn? 3Ron
l^ot f einer jcit öerfci^iebette SSermutl^iingen baruber ouSgetaufd^t
uttb l^aitptfäci^Itc!^ auf reltgiöfe @cru:pel unb geiftlid^en ©influjl
gerat^en. Stogcr erjäl^It in feinem „Gamet d'un tenor**,
wie er jum legten 3RaIe mit ber Sinb im SRobember 1848
bie „SRegimentSto(!^ter" fang. ;,®ebcn @ie jefet gut aä)t,
aioger/' pftertc fie i^m öor bem ©ci^Iu^ronbo ju, „eS finb
bie legten Jone, bie Sie öon mir auf bem D^eater l^ören!"
Sftoger, ganj beftürjt, fonnte e^ nid^t glauben. Unb bod^ war
CS fo. ^@ie ^at bag Sebcn einer ©eiligen geführt/ fagtc
aioger, „aber man f:prid^t öon einem Sifd^ofe, ber il^r troft==
bem ©cru^jel in ben Äo<)f gefegt ^at. @ott möge if|n rid^tenl''
Unter bem „Sifd^of, ben ®ott rid^ten möge", ift offenbar
ber Don SRortoid^ gemeint, Dr. ©broarb 6tanlet|, in beffen
©aufe bie Sinb im ^uü 1847 tool^nte. Slber i^r ©ntfci^Iujs,
bie SJül^ne ju öerlaffen, reid^t t^atfad^lid^ öiel weiter jurüd.
©ci^on im 3af|re 1845, unmittelbar nad^ i^ren berliner
Irium^j^en, tfieilt fie grau ®rote biefeS SSorl^aben mit
unb begrünbet eS mit i^rem S33iberwiHen gegen bie „en-
tourage" ber Sü^ne unb mit ber Ueberreijung il^rer burd^
boS Sfieaterleben erfd^ütterten Sterben. Slel^nlid^e 9lu§f:prüd^e
entl^alten i^re ©riefe auS ben folgenben Satiren. 8lu§ SBien,
wo gerabe bie Sinb - SJegeifterung „faft bt§ jur Sott^eit
reid^te", fd^reibt fie im 3anuor 1848 an eine greunbin, bie
öon einem ^ßarifer Engagement gel^ört ^aben Witt: „SBaS
fteHjl S)u S)ir nur uor? 3d^ nad^ 5ßarig! SSon ber SJü^nc
will id^ weg unb weiter Witt id^ nid^tS in ber SBelt."
©ewiffenl^aft legen bie 83iogra:pf|en bie uerfd^iebenen gaben
auSeinanber, bie fid^ in ber Seele ber Sinb ju jenem ©nt^
fd^Iufe uerflod^ten l^atten. SRid^t atte fd^einen unS öon er:=
l^eblid^er ©tärfe. 3)ie ©el^nfud^t nad^ ber ©eimat^ ?
aber Senn^ Sinb l^at fid^ ja nid^t in ©d^weben, fon*
3ennY ii"b. 25
bern in ©nglonb bIciBcnb nicbcrgelajfen ! S)tc SKü^fal bc^
^crumreifcnS unb bie ©rfättigung an bcn Döationcn bc8
Jßnbtilunt^? »eibcS blieb fid^ ja gleid^, feit fic bfofe oK
Konccrtföngcrin SDcutfd^Ianb nnb Slmcrifa bereifte! SBa^ il^r
bie Sü^ne verleibet l^at, toax ol^ne S^^if^^ i^^i^^t^ „entourage",
bie forttoäl^renSe Sfteibung mit ffeinlid^cr 3titrigue, ®ifer=
füd^telei nnh gemeiner ©efinnung. S^re ibeale Slnffajfung
ber ffunft ttjarb i^r im Sweater öon biefem Unfraut örger*
U(S) umttjud^ert. S^tinti^ ibeale Sluffaffung ber ffunft, aö
einer if|r auferlegten göttlid^en 2Kiffion ^ing toiebernm mit
il^rer tief reügiöfen Statur "jufammen. ®ine gewiffe prote*
ftantifd^e Strenge l^atte fic fc^on öon ilirer norbifd^en ^eimat^
mitbefommen — man erinnere fid^ an ben Slbfd^eu ilirer
SRutter öor bem Sweater — i^r anl^altenbcr SSerfel^r mit
frommen gamilien in ©nglanb tl^at baS Uebrige. ®ic SSer*
faffer fonftatiren, bafe ber Sifd^of öon SRortoid^ bie Sinb jum
SSerlaffen ber Sü^ne fcineStüeg^ überrebet l^abe, too^I aber,
baJ3 er unb feine Umgebung fie in biefem ©ntfci^Iuffc ein^
bringlici^ beftärften. Sinem $ßoeten anttoortet fie auf bie
SBibmung eineg ba§ S)rama öerl^errlid^enben Ocbid^tä, „fie
fei 5u ber @r!enntnife gelangt , ba§ alle auf ber Söl^ne t>er=
goffenen Il^ränen falfd^e S^ränen feien; fie l^abe, unbefrie*
bigt öon i^ren (Erfolgen, bie 83ibel aufgefci^Iagen unb bort
folgenbe SBorte gelefen: „äRein neu gefunbener |)err, ber
mid^ juerft bie toal^ren Sl^rönen uergiefeen letirte". 3^r fub*
fimirteS religiöfe^ Sewufetfein rül^rt ol^ne fjrage öon @nglanb
l^er. Unb bod^ l^atte fie in 93ejug auf bie öerlnöd^erte gröm*
migfeit ber ©nglänber in einer eigenen ^erjen^angelegen^eit
fd^merjüd^e Erfahrungen gemad^tr S^nn^ Sinb, bie fid^
löngft nad^ einem l^äuSlid^en gamilienglüdE fel^nte, l^atte fid^
mit einem jungen englif d^en ®a:t)itän $ a r r i ^ öerlobt. Slber
an ber :()ietiffcifd^en Strenge be^ Säräutigam^ , nod^ mel^r an
26 €b.'QansIirf.
ber rcügiöfcn Sornirtl^eit feiner äRutter, tDeld^e ba§ Sweater
für einen ©atan^tempcl unb bie ©d^auf^teler föntmtttd^ für
Ieufefö<)riefter erflärte, fd^eitertc bie SBerbinbung. Ditoo^t
fie bamafe fd^on entfd^Ioffen toax, bie Sül^ne ju öerlaffen,
ettt:pörte fie bod^ bie Sumut^ung, bajs fie i^ren 93emf, ben
fie fo reinen l^erjen^ g^^ff^gt, otö eine ^d^mad^ unb @r*
niebrigung onfel^en foHte. 3l^re greunbe liefen nid^t ju, bo§
int |)eirat!^§contract bie öom S3rciutigam geforberte Sebingung
aufgenommen tüerbe, 3ennt| Sinb bürfe nie mel^r bie Sül^ne
Betreten. ®iefe 3KögUd^feit foHte ilfr bod^ nid^t auf Seben^^
§eit unb für aHe göHe obgefd^nitten fein. ®er fromme
ffa^itän fanb aber eine fold^e ber grau öorbel^altene grei^eit
„unbiblifd^", unb fo ging bie |)eiratf|, für toeld^e fd^on ber
Sag feftgefe^t toar, §urüdE.
©ine anbere SSerlobung ber Sinb fd^eiterte feltfamertt)eife
an bem entgegengefe|ten ©runbe: ber ^Bräutigam hjar ju
eng mit bem Il^eater Derflod^ten. ^ennt) Sinb fiatte fd^on
t)or ifirer ^arifer 9leife mit einem Sänger be§ ©todfiiolmer
^oftl^eaterg , 3uliu§ Oüntl^er, in D^em unb ©oncerten
öiel jufammen gefungen. ^l^re greunbfd^aft befeftigte unb
ertüärmte fid^ in ber ^Jolge nod^ jufe^enb^ unb fül^rtc im
3a^re 1848 ju einer förmlid^en SBerlobung. ^tnnt) Sinb
reifte nad^ berfelben nad^ Sonbon §urüdE, too fie §u greunben
nod^ t)oH SJegeifterung über biefe SSerbinbung f^rad^. 2lttein
©üntl^er toar, toie gefagt, Senorift am @todEf|oImer Sl^eatcr
unb fein gauje^ Seben mit ber 93üf|ne öertooben. S)icfe
aSerbinbung mu^te bal^er engere SJanbe ätoifd^en il^r unb ber
Sl^eatertoelt fierbeifüfiren, toeld^e fie bod^ fo fe^r ju öerlaffen
tüünfd^te. 3n Sonbon getoannen bie religiöfen Slnfd^auungen,
toeld^e il^re englifd^e Umgebung in il^r enttoidEelte, einen immer
größeren @inf(u§ auf fie ; il^r SBibertoiHen gegen ba^ X^eatcr
tourbe gefteigert, ifire ^utunft^l^offnung getrübt, ©üntl^cr in
3ennv ^inb. 27
bcm fernen ©todf^olnt ^atte fein SSerftänbnife unb leine S^m-
^jatl^ie für biefe religiöfe Strenge. 3)ie Slnfd^auungen nnb
©mnbfö^e ber beiben Srautlente biuergirten je länger, je
totittXf nnb fo tt)urbe fd^Iie^tici^ int Dftober 1848 bie SSer-
lobnng mit beiberfeitiger ^wf^inininng aufgelöft. @rft in bem
britten i^rer freier ^at ^mnt^ Sinb „ben Siedeten" gefunben:
in |)errn Dtto ©olbfd^mibt, einem jungen Älaöieröirtuo fen
unb ®om:poniften auä Hamburg, ber fd^on in i^ren englifd^en
©oncerten mitgetüirft l^atte unb fie 1851 auf il^rer amerifo*
nifd^en Sournee ofe @oIo:pianift unb Slccompagnoteur bc*
gleitete. Sennq Sinb öermäfilte fid^ mit i^m in SBofton 1852
unb ^at fed^§unbbreij3ig ^al^rc lang, bi§ ju'il^rem Seben^*
enbe, in glüdfüd^fter ®^e an ber Seite biefe§ atö SRenfd^ unb
^nftler ^od^ad^tbaren SRanne^ gelebt.
Sft e§ attju getDagt, ttjenn id^ ju ben ®rünben, ouS tütU
d)tn 3ennt| Sinb bem I^eater entfagte, mir im StiHen nod^
einen bagu benfe? ©in öerftedEtere^ STOotit), bag bie SJio:=
gra^^en getoife nid^t jugeftel^en unb ia§> bie ©iinftlerin felbft
öielleid^t nur bunfel empfanb. S^ meine bie geringe Slu^-
be^nung if|re§ 3lotten!reij'eg unb bie S3egrenjung il^reS —
inner^Ib biefer ©renjen getpife intcnfiöen — bramatifd^en So*
Ient§. SDie SSerfaffer f:pred^en öon ber bramatifd^en Shinft
ber S^un^ Sinb nur mit fd^ranfenlofer SJettJunberung , unb
bie§ mit SRed^t bejüglid^ aller jener ©eftalten, ttjeld^e mit
i^rer Statur übereinftimmten , toie Slmina, Sucia, SKarie,
iBielfa, Slgat^e. ®infad^e§, ungebrod^eneä ©efül^I, träume*
rifd^e§, jarteS Sm^finben, l^eitere Slnmut^, and^ ^o^eit unb
SBürbe fanben in il^rer ®arfteHung ben reinften SIu^brudE.
Seibenfd^aftlid^e ©lutl^ l^ingegen in Siebe, ^a§, ßorn unb
©iferfud^t toar if|r nur annäl^ernb erreid^bar; il^re tüeid^e,
ettt)a§ Derfd^Ieierte Stimme toel^rte fid^ gegen biefe Slu^brüd^e
ebenfo inftinftit) ttjie bie ganje SRatur ber Sinb. 3hJ^i d^ara!==
28 <Eb. ^anslxd.
teriftifd^c a5etf:ptcle boten ilirc 9torma unb i^re SSoIcntinc.
aioger, bcr in ^öd^ftcr SJctounberung ber Sinb aufruft:
„^tl6)t^ ®lüd für mi6)f ba§ x6) biefe feltenc grau ftubircn
!ann!" fd^reibt über if|re SRorma in fein Sagebud^: „S)ie
Casta diva fingt fie fel^r gut; biefe Slnrufung be§ SRonbc«
l^armonirt mit iljrem tröumerifd^en beutfd^en StatureH; aber
bie SomouSbrüd&e be^ tiebenben SBeibeS, ber öerratlienen
aKutter — nein unb taufenbmal nein! 3)a§ ift ffein unb
öerjtDicft."*) gür i^re SSoIentine toax e§ bejeid^nenb, ba§ fie
bei ber ©tette im vierten 2lft; „iä) ffammere mid^ an3)id^I"
ben ©eliebten !aum ju berühren rt)agte , toä^renb alle be^
beutenben Sarftefferinnen fid^ ^ier in öerjmeifelter 2lngft
t^atföd^tid^ an 9laouI ;,anffammern", um i^n jurüdEgu^alten.
©d^on au§ 5|5ari§ fd^ilbert 3ennt| Sinb in einem S3riefe, toie
*) ®§ ift aufgefallen, ha^ bie SSerfaffer, meldte boc^ Slu8fprüd)c,
SBriefe, S^agebudftblfttter öon fo öielen uubefannten unb unbebeutenbcn
5ßerfonen abbrucfen, bie fel^r intereffanten SJJitt^eilungcn 3floger§ gftn^
lidft ignoriren, ^u6) bie prf)ft d^arafteriftifd^en SBriefe ber Sennt)
Sinb an granj Käufer, hit id) ^uerft im Qal^re 1883 öeriJffents
lid^te, öermiffen mir in i^rer SBiograp^ie.
©in Jöeif|)iel : Slm 20. gebruar 1847 fd^reibt Sennt) Sinb fc^r auf*
geregt über bie burdft Sola SJJontej ^eraufbefd^roorcnen Unrul^cn in
ajlünd^en, oon meldten Käufer i^r eben 9Jadöric6t gegeben: „gd^ !ann
S^nen nirf)t befdftreiben," ruft fie au§, „toie mid& bie ©adften aufgeregt!
3ft benn aUe SSemunft auSgeftorben ? unb fann man benn eine ganjc
9'^ation fo megtoerfen! @§ ift traurig. ®ebc ®ott, bafe ba balb mag
gefd^iel^t — aber balb — ! ©onberbar, mie e§ nur in bcr legten 3«t
fonberbar ge^t! @o oiel (BpdiaM in Sonbon, bafe irf) lieber ici^ weife
nic^t \va^ t^ue, al§ ^injuge^en, unb nad^ 2)?ündöen ju ge^en ift je^t
bebenflic^. ®ott bel^üte @ud& oor SReoolution; bie ©a^e ift gu fcabrög
unb forbert grofee O^jfer, e^e e§ toieber gut ge^en !ann. Sft benn fo
unmiJglid^, bie§ oerlorenc SBefen wegzubringen, tobt ober lebenbig, —
einerlei? 9?ein, baS ift mal^r, etroaS 5(e^nlid^c§ l^at man nie erlebt;
ferne 3eit, fo fd^led^t fie aud& war, oermag etwas 5(e^nlid&e§ aufju?
weifen!"
Jenny £tnb. 29
öortrcfflid^ bic ,,9la d^cl" int 3ome fei, unb fügt l^inju,
„aber iäxtliä), nein, baju eignet fie ftc!^ nid^t. Qd^ bin ab^»
fd^culid^ garftig, tocnn id^ jomig fein mufe, aber bafür, gtoubc
id^, toiebcr beffer in ber äörtüd^fcit''. ©cl^r bebcutung^öott
ift eine STeufeeruug S^tin^ SittbS ju 81. 5|5. ©tonleij, bem
nad^maligen ®eon t)on SBefttninfter: „\n fönne beim Sar*
fteHen auf ber S3üf|nc il^ren Kfiarafter nid^t ganj öerleug*
nen; benn toenn fie i^re 3nbit)ibualität jerftöre, fo öcmid^te
fie jugleid^ atte^ @ute, toa^ an if)x fei, unb fie l^obe eS fid^
}um ©runbfafe gemad^t, nie fold^e Seibenfd^often barjufteHctt,
loeld^e f^Ied^te ©efü^Ie ertocdEen Knuten. ®a^er oud^ il^re
bon ber ©rifi fo fel^r Derfd^icbene Stuffaffung ber Siorma.
8lnbererfeiti5 tüerfe fie fid^ mit ganjer Seele in bie Stuf*
faffung einer 3lottc, tüeld^e fie fid^ nun einmol gentad^t.
SBenn fie bie§ nid^t t^uu fönnte, toa^ xf)x ein* ober jtoeiutol
begegnet fei, fo tt)öre e§ i^r, atö lüge fie, unb bann l^ättc
fie aud^ nur SKigerfoIg". ©in S3en)ei§ i^rer uöttigen 3ben*
tifijirung mit i^rer 3loHe war, ba§ bie SRad^tmanblerin fie
fo fe^r ermübete, ba fie toä^renb be§ Slad^ttoanbelnä bic
äugen nid^t belegen ju bürfcn gloubte. 3« ber ©cene, too
Slmino über ben morfd^cn Steg fd^reitet unb bie Äerje in
bie Siefe f allen löfet , erlaubte Sennij Sinb niemals , bo§
(toic e§ überaß üblid^ toar) eine gleid^ gefleibete ©tettöer^*
treterin boS gefä^rlid^e SBagnife befte^e. SRi^t afe ob fie
mutl^iger getoefen tt)äre, atö anbere ®arfteHerinnen ber
Siad^tttjanblerin — im ©egcnt^eil, fie fürd^tete fid^ j[ebe^mal
entfe|Iid^ öor biefem SRoment. „Slber," fagtc fie, „id^
ttJürbe mid^ gefd^ämt ^aben, öor ba§ 5ßublifum ju treten unb
Dorjugebcur bic SrüdEe überfd^ritten }u l^aben, toenn id^ eS
nid^t ttjirHid^ getrau ^öttc." @ine ßünftterin, bie mit fol^er
Snbrunft unb ©etoiffenl^aftigfeit in il^ren Stollen oufging,
mu|tc nid^t nur mel^r afö anbere baöon angegriffen, ja auf*
30 <2ö. ^ansHcf.
gerieben toerben, fte ntufete and) iatb tDa^icntf)men, ba§ ber
fitete öon D:pcrtt:partien , in meldte jte ifire ganje Seele
«nb nur il^re ©eele ju legen öerntod^te, ein fe^r Begrenzter
fei. aSie emtübenb, md) ^a^xtn immer unb immer lieber
nnr bie SRad^üüanblerin, bic 3legiment§tod^tcr, Sucta, Siorma
unb Sllice ju fingen! ^n jeber neuen 9lotte, bie man il^r
Dorfd^Iug, mod^te aber if|re juncl^menbe ftttüd^e unb religiöfe
@m:pfinblid^feit ©efül^Ie entbecfen, bie fie nid^t „lügen" !önne
unb hjotte. S33ir begreifen bie SBärme, mit n^eld^er bie SSer*
faffer an ber SRorma unb anberen Dloßen ber Sinb bereu
;,eigenortige SBerflärung unb SSerebelung" rühmen; ober
cigenortige 3beaüfirung fonn mitunter jur eigenmöd^tigen
njerben, bie gegen bie flare Slbftd^t be^ S)id^ter§ unb ®om*
^joniften ftreitet. @o ftrcnge SBalirl^aftigfeit be^ E^araf*
ter§ erzeugt notl^n^enbig eine SJegrenjung be§ bramatifd^en
lalentg, iueld^e§ @ntäuf;erung ber eigenen ^ßerfönlid^feit
verlangt.
SBer fid^ an^ allen biefen SH^^ ein Hare§ S5ilb öon bem
Kfiarafter ber Sinb mad^t, ber tt)irb e§ begreifen, ba§ gerabe
fie unter hjad^fenber I^eatcrabneigung ju ber Ueberjeugung
gelangte, nur al^ Koncert^ unb Dratorienföngerin gang i^r
befte§ ©elbft geben §u fönnen. ^ebe bramatifd^e SDarfteHung
tt)irft farbiger, fraftuotter, lebenbiger afö ein Koncertöortrag,
aber bie ©inbrüdEe, bie toir öon bem Sieber== unb Dratorten-
gefang ber Sinb betoa^ren, finb un§ nid^t njeniger tl^euer.
S33ir l^aben f^eciett in SBien bie föftlid^ften erinnerungcn an
i^re Koncerte im ^al^rc 1854. @ine ttjertl^öoHc , für ben
äRufifer uufd^ä^bare Seigabe finb bie 9totenbeif:pieIe, ipeld^e
|)err Otto Oolbfd^mibt afö Slnl^ang ju ber 93iogra:p]^ie ge^
f:penbet f|at: jttjei i^rer origineHften f^n^ebifd^en Sieber unb
eine änja^I eigener ffabenjen unb SScr§ierungen, mit meldten
gennti Sinb i^re SieblingSarien auSäufd^müdfen pflegte. SBer,
3ennv £inb. 31
tote iä), ju bcn ©lüdEIid^en jö^It, tocld^e 3cnn^ ßinb auf bcr
Sül^nc, im Dratorium unb im Koncertj'aol in il^rcr SMüt^c
gcfannt tiobcn, ber tüicber^olt öon gaujcm ^crjen äRcnbefö*
fol^nS Slu^f^jrud^ : @ic toax eine bcr größten ©ünftlerinncn,
bic je gelebt ^abcn, unb bie größte, bie id^ fenne.
(3u feinem 100. Geburtstage 1891.)
3Ran fprid^t feiten mcl^r t)on Kjem^, unb tt)enn e§ ge*
fd^ieiit, mit einer Slrt §crablaffung. Unb bod^ fpielen in
bicfem Stugcnblidf ^nnberte öon ©d^ülern feine ©tüben unb
arbeiten ^unberte öon Selirem, bie alle in i^rer Sfwgenb au§
Kjern^fd^en |)eften gelernt l^aben. @o tt)ir!t er afö unent=
be^rlid^er unb unübertroffener fflaöierpäbagoge , afö muftfa==
lifd^er Dber-Sd^uIIelirer nod^ l^eute fort unb toirb toeit in^
fommenbe S^^^^nnbert ^inübertoirfen. 3Äan betrad^te bit
öerfd^iebenen Uebung^ftüdfe Kjern^^ unb feine ßompofttionen
für bie ^itgcttb — eS giebt l^eute leine beff eren. Unb tt)eiter :
feine StuSgaben t)on SSad^g „SBopem^jerirtem Älaöier'' unb
ScarlattiS Sonaten — eg giebt l^eute leine befferen. Sie
betoeifen jngleid^, ba^ fein Sbeal einer mufifaüfd^en ©d^ulc
leine^toegS eine blofee „Sd^ule ber ®eläufig!eit" toax, fon*
btxn ebcnfofeiir eine ftrengere, tief ergreif enbe ©d^ule be^
©tubiumS unferer glafftfer. SÖSie fegen^reidö l^at ©jem^
burd^ feine mufterl^aft ^jraftifd^e, mit trcfflid^em Singerfaft
bcrfel^ene SluSgabe bc^ „SBoIiItemperirtett ^laöier^'' gett)irttl
Unb, tt)o^Igemerft, afö einer ber ©rften; ju einer S^it, bie
noc^ nid^t über ba§ reid^e, p^ilologifd^ gefic^tete SSac^^SRatertal
Karl (£3erny. 33
bcr iieutigen äRufilgcIel^rtett öerfügte. ©carlattig Sonaten
lagen i^m junt Zi)ül in jtt)eifcl^aftett unlorrelten Sjem-
^jlaren bor — aier fein flarer Slidf unb fein mnftlalifd^e^
©ctüiffcn trafen inftinftit) ba^ Slid^tigc. „3Ran fann Sjcm^
l^eute gar nid^t genug fc^ö|en,'' ^örten tt)ir mel&r afö einmal
t)on SSral^tttg, bem grünblic^ften unb ftrengften Siic^ter in
biefem %aä),
ältg lonbid^ter in l^ö^erem ©inn ^at Kjern^ niemals
geleuchtet ; er tüar ein bielfeitig gebilbeter, überaus gefd^idftec
äRufiler t)on niebrig flattember 5ß^antafie unb geringer Dri*
ginalität. Slfö ted^nifd^er S3Ubner t)on l^öd^ftem SSerbienft
fc^uf er bod^ au^erl^atb — oberl^alb — biefeS ©ebieta lein
SBerl, mit bem er fid^ in bie Unfterblid^feit eingelauft l^atte.
Unb toeld^e fd^toere SRenge t)on ßom^jofitionen jeber ©attung
l^at er ^interlaffen ! @^m^)l^onien, Soncerte, Irio^, Duartette,
©onaten, SReffen u. f. tu. ©ein 3Iei§ grenjte ang SRärd^enliaf te ;
fein itt)eiter mobemer Kom^)onift ift auf ber Seiter ber Dpug*
jaulen fo ^immel^od^ geftiegen. S)a^ lefete, ju feinen fieb*
jeiten bei ©pina erfc^ienene SBerl (32 ©jerjitien) trögt bie
Dpvi^af)l 848. S)iefe ^ol^e Qi^tx giebt aber nod^ immer
feine genaue SSorfteHung t)on Kjern^S grud^tbarfeit, ha
mel^rere feiner SBerfe gar feine Dpu^ja^Ien ^aben, ja^Ireid^e
SlrrangementS nic^t mitgejö^It finb, überbieS öiele feiner
5ßubUfationen 10 bis 15 §efte füHen. 9lad) einzelnen ©efteu
nummerirt; würben Kjern^S SBerfe tool^I bie lotalfumme
laufenb crreid^en. Stöbert ©d^umann, ber in feiner
Seitfd^rift für aHeS 5ßoetifd^e, 3iii>toibueIIe, Oeniale mit
fäm|>fenber S3egeifterung eintrat, Iie§ gern feinen farfaftifd^en
^umor gegen (SjernQ loS. 2)ie flad^e Sleganj unb bie ,,un^
t)ertt)üftKd^e Stüftigfcif, beS SWanneS ärgerten i^n grünblic^.
;,§erm ®jem^ fann man nid^t einholen, mit aHer fritifd^en
©d^nettigf eit / fd^reibt ©d^umann über beffen Opus 302.
Gb. ^anSlid, ttuS bem Xagebud^ eines aRufilerS. 3
B4 <£2). QansUcf.
Unb über Kjcrn^g „»riaantc $^atttaficn^ Op. 434: ,,SSer*
fcfec man boc^ bcn gefd^älten Kom^joniften in Sul^cftanb unb
gebe i^m eine 5ßenfion ; tüal^rl^aftig, er öerbient fie unb tt)ürbe
nic^t nte^r f einreiben." ipierin irrt Sc^unionn. Slfe er biefe
ffritif fd^rieb (1838), mx ejern^ töngft ein fe^r tt)o^I-
^abenber SRann, aHeinftcl^enber Swttggefette t)on anfprud^S^
lofefter ßeben^tüeife, ber nid^t ntc^r um beg ©rtüerbeS loiHen
fc^rieb, fonbern au^ einem unftittbaren I)rang, ju com^joniren.
®en lag über gab er Seitionen (in feiner rüftigften Seit
i^rer itoötf), abenbg com<)onirte er. Sltö er in ben legten
10 bi^ 15 ^af)xen bie Sel^rtptigfeit aufgegeben l^attc, ge^^
prte ber ganje lag bem ©omponiren ober älrrangiren. Seine
noc^ fo ^o^e „5ßenfion" ^atte il^n babon abgehauen. I)ie
legten Kompofitionen , bie man auf feinem Slrbeit^tifd^ fanb
— ein Dffertorium unb eine Sonate — tragen ba§ ®atum
„@nbe Sitiii 1857"; baS toar öicr jel^n läge bor feinem Xob.
®er Strme fömpfte bamalg bereite mit fd^ioerem ßciben ; eine
©id^tgefc^tüutft , toeld^e fid^ fpater töbtlic^ auf ben ganjen
Körper getoorfen, jeigte fid^ anfangt nur an einem Slrme,
toeld^er burc^ einen ftarfen ©^pSöerbanb förmüd^ eingemauert
loar. Sro^bem componirte ©jern^ toeiter. S)ie SRufil toat
jeitlebenS feine einzige greube, feine einzige SSefc^äftigung,
fie toar il^m jugleid^ tägtid^e 5ßflid^t unb ^öd^fteg Sbeal.
Sari e^ern^ ift am 21. gebruar 1791 in SBien ge^
boren, ©ein bö^mifd^-beutfd^er älccent, ben er geitlebenS nid^t
lo^ tt)urbe, öerriet^ aber augcnblidflid^ feine cjed^ifd^e Slb-
fünft. I)er Snabe lonnte faum bie ginger regen, atö fd^on
fein SSater, SÖSenjel ©jern^, ber feit ben ad^tjiger Sötten afe
Staöierfpieler in SBien lebte, i^n auf bem Slaöier ju unter*
richten anfing. 3Rit 4 Seilten fpielte er fd^on Heine ©tüdEe,
mit 14 ^Qi)xtn begann er felbft Slaöierteltionen ju geben.
Sm Sa^re 1800 f^ielte er bereits öffentfid^ aRojartS C-moll-
Karl (L^evtvf. 38
Eoncert. Salb galt er mdS) $>ummri unb äRofd^ctcg für bcn
beften SSirtuofcn in SBien unb für bcn bor^üglic^ftcn Seigrer;
Sif jt, 2)Ö^Ier, ffulla!, bic »eüebille unb anberc
naml^aftc ^ßianiften ücrbonften i^m il&re Slugbilbung. ©jcrn^
iiat im S^l^re 1842 (für feinen ^ßriöatgebrauci^) eine «rt
©elbftbiogra^jl^ie gefd^rieben, ein 3Ranuf!riDt üon ntelireren
©rogfoliobogcn ftarfen, groben ^apitx^, bag jefet im ®eflfe bcr
;,®efettfci^aft ber aJiufilfreunbe" ift. 2)iefe „ßrinnerungen
au§t meinem ficben'S burd^ il^ren ^nf^alt ebenfo anjicl^enb,
n)ie burd^ il^re fd^Iid^te, befd^eibene SfuSbrudf^meife, liegen in
Ejern^S gto^er, fefter ^onbfc^rift t)or mir. ®ine intereffant«
@^3ifobc barauS ift fotgenbe:
„3ni 3al^re 1819/' erjä^It Sjern^, „tarn eine^ ÜKorgenö
ein aRann mit einem Meinen S'noben öon ungefdl^r a6)t
Sol&ren ju mir, mit ber aSitte, ben kleinen auf bem Sorte-
piano titoa^ t)orf^)ieIen ju laffen. @§ toar ein bleid^e^,
fd^tt)öd6Iid^ augfel^enbe^ Sinb , unb beim Spielen toanlk eg
am Stul^Ie tt)ie betrunfen l^erum, fo ba§ id^ oft badete, c^
mürbe ju ©oben fallen. 2tuc^ mar fein ©piel ganj unreget
mö^ig, unrein, öermorren, unb öon ber gingerfefeung l^attc
er fo menig S3egriff, baß er bie Singer ganj toilllürlid^ über
bie Saften marf. Slber bemungead^tet mar id^ über baS
latent erftaunt, meld^e^ bie 3iatur in il^n gelegt ^atte. @r
fpiette einiges, ba§ id^ i^m öorlegte, a vista, jmar afe reiner
8?aturalift, aber eben barum um fo mel^r in einer 3trt , ba§
man f al^, l^ier f)abt bie Slatur f etber einen Sf tabierfpieter ge==
bitbet. @benfo mar eS, aU 16) auf ben SBunfd^ feinet
SSaterS ilim ein I^ema jum ^ßl^antafiren gab. D^ne bie ge*.
ringfte erlernte Iiarmonifd^e Sfenntnife ixa6)it er bod^ einen
gemiffen genialen Sinn in feinen SSortrag." ®er ßnabe mar
granj Sifjt. @r fam ein ^af)x fpöter mit feinem SSater
mieber iiad^ SBien unb bejog eine SBol^nung in berfetben
3*
•I
86 <£2). Qansitcf.
®offC; tüo Kjcm^ lool^ntc. ®icfcr loibmctc i^m (ba er bei
läge toenig 3^it l^atte) regelmäßig ben Slbenb. „S)a id^/'
fäiirt Kjern^ fort, „an^ ntand^er ©rfal^rung tüußte, baß ge*
rabe folc^e ®enic^, tüo bie ©eifteSgaben ber pl^^fifd^en Sraft
borau^eilen, ba§ grünbüd^ Xec^nifd^e ju öerfäumen pflegen,
fo fc^ien eg mir t)or allem nöt^ig, bie erften SRonate baju
anjutüenben , feine med^anifd&e gertigfeit bergeftalt ju regeln
unb ju befeftigen, baß fie in fpateren ^^l^^en auf feinen Stb-
n)eg mel^r geratl^en lonnte. ®ie unberänberüc^e äJhinterleit
unb gute Saune beS ^aben nebft ber fo außerorbentlic^en
(Snttt)idflung feinet latente^ betotrfte, baß meine ©Item i^n
xoit il^ren ©ol^n, \6) n)ie einen ®ruber liebte, unb nid^t nur
baß id^ il^n ööHig unentgeltlich unterrid^tete, fonbern id^ gab
aud^ atte il^m nötl^igen SRufilalien, bie fo jiemlid^ in allem
©Uten unb Sraud^baren beftanben, toa^ big ju jener 3^^*
ejiftirte. @in ^ai)x fpätcr fonnte tc^ il^n fd^on öffentlid^
f^jielen laffen. 9lie Iiatte id^ einen fo eifrigen, geniet)oHen
unb fleißigen ©d^üler gel^abt."
SBag uns Kjern^ befonberS lieb unb el^rioürbig mad^t,
ift fein ^Serl^altniß ju »eetl^ooen, ber i^n afö Sünftler
aufrid^tig fd^öfete unb burd^ feine greunbfd^aft jeitlebenS au«-
gejeid^net l^at. Kjern^ liegte fd^on afö Snabe bie größte S5e«=
njunberung für SSeetl^oöen, t)on bem er alles, tt)aS erfd^ienen
njar, auSmenbig ft)ielte. S)urd^ ben SSioünf<)ieIer Ärump-
1^0 Ij »urbe Kjern^ bei Seet^oben eingeführt. @r erjäl^It
biefeS für il^n ]^od^tt)id^tige ©reigniß mit folgenben SBorten:
w3^^n Saläre toax x6) ungefäl^r alt, afö id^ burd^ ^umpl^olj
jum Seetl&oöen gefül^rt tourbe. SBie freute unb fürd^tete id^
mid^ beS XageS, too id^ ben bett)unberten SReifter fc^en follte.
3to(iS) l^eute fd^njebt mir jener Slugenblidf lebl^aft im ®ebad^t*
niß. Sin einem SBintertage toanberte mein SSater, förunt()^oI}
unb id^ an^ ber fieo^)oIbftabt in bie ©tabt, in ben fogenannten
Karl Cjerny. 37
Xicfen ©rabcn, ftiegen tl^urml^ocl^ bis in bcn fünften ober
fed^ften ®tod, tt)o unS ein gientlic^ unfaubcr auSfel^enbcr
Scbienter beim Seetl^oöen niclbete nnb bann einliefe. @in
fel^r tt)üft anSfel&enbeS Simmet; überall 5ßa^3iere nnb föleibnn93==
ftücfe berftreut, einige Soff er, fälble SBönbe, tmm ein ®tvi%
anägenommen ber njadfeinbe beim SBalterfd^en gortejiiano
(bamafe bie beften), unb in biefem Simmer eine ©efettfd^aft
bon fed^S bis ac^t ^ßerfonen, njornnter bie beiben 93rüber
SBranifel^, ©üfeme^er, ©d^n^panjigli nnb einer
t)on Seetl^oöenS Srübern; Seetl^oöen felbft toax in eine
3ocfe t)on langhaarigem, bunlelgranem geuge nnb gleid^c
Seinlleiber gef leibet, fo ia^ i^ mic^ gleid^ an bie Slbbil*
bung beS Kam^jefc^en Stobinfon ßrnfoe erinnerte, ben iä)
bamafe eben las. ®aS ^ed^fd^tt)arje ^aax ftränbte fic^ jottig
(Ä la XitnS gefd^nitten) nm feinen Sopf. ®er feit einigen
lagen nid^t rafirte S5art fd^ttJärjte ben unteren Il^eit feines
o^nel^in brünetten ®efid^teS nod^ bunfler.'' Sluf SSeetl^oöenS
Slnfforbernng, ilim ettoaS öorjufpieten, trug ber Heine Äünft*
ler erft äKojartS C-dur-Koncert, bann bie „Sonate pathötique"
t)or. Seetl^oben äußerte taut feine S^fricbenl^eit unb fagtc
bann ju bem SSater : „Qlir @oi|n Iiat öiel Xalent ; id^ »itt
il^n felbft unterrid^ten ; fd^idfen ©ie ilin njöd^enttid^ jmeimal
ju mir. iSerfd^affen ©ie il^m fogleid^ ^^ilipp ©mannet
aS a d^ S ßeiirbuc^ über „bie malere Slrt baS Slaöier ju \pitltn'',
baS fott er mitbringen." S)er Meine Kjern^ begab fid^, ftetS
t)on feinem SJater begleitet, attttJöd^entlid^ ju Seet^oöen, mußte
aber oft ben njeiten SBeg umfonft mad^en , »eit ber äJieifter
eS bnxä)an^ nic^t pünltlid^ nal^m, oft nic^t ju §aufe ttar,
ober avi^, gerabe mit domponixtn befd^äftigt, ben ©d^üter
fortfd^idfte. @o fd^Iief benn ber Unterrid^t mit ber Seit ganj
ein. Ueber öeetl^oöenS äRetliobe berid^tet ©jem^ : „3n ben
erften Seitionen befd^öftigte mid^ Seetl^oben auSfd^Iießenb nur
38 <Hb. ^ansiid,
mit ben Scalen in allen lonarten, jcigte mir bie (bamafö
ben meiften @^)ielern noä) nnielannte) einjig rid^tige Hal-
tung bcr §anbc, ber ginger nnb borjüglid^ ben ©ebraud^
be§ S)anmenS — Siegeln, beren Stufen ic^ erft in toeit f^)ätcrcr
Seit in öoHem Umfang einfe^en lernte. @r machte mic^ öor*
jügtid^ anf ba§ Legat o aufmerffam, ba^ er f eiber in feiner
fo unübertrefflid^en Strt in feiner SKac^t ^attc nnb ha^ ju
jener Seit alle anberen 5ßianiften auf bem 5ortet)iano für un==
augfül^rbar l^ielten, inbem bamatö (noc^ öon 3Rojart^ S^it)
bag gel^adfte unb furj abgefto^ene ©^)iel äKobe mar." öeetlio*
k)en ftettte Kjem^ ein fd^riftlic^eS S^WQ^iß «ug, ttjorin er bie
,,fein öierjel^njäl^rigeg Stiter überfteigenben augerorbentlid^cn
Sortfd^ritte unb bettjunbern^tüertl^e^ ©eböd^tni^" rül^mt. Später
mad^te er Sjern^ gett)ifferma§en ju feinem Hilfsarbeiter, in-
bem er i^m bie ^orreftur feiner neu erfd^ienenen SBerle att==
vertraute unb aud^ ben ßlaöierauSjug ber D^jer „Seonore"
übertrug. SSeetl^oöen tüä^Ite au6) Kjern^ jum ÜJhififlcl^rcr
feines Steffen ^arl. S^itereffant finb bie pabagogifc^en SBinfe,
bie er bei biefem Slntafe giebt. SSeetl^oöen fd^reibt an Kjern^ :
„^n SlüdEfic^t feines S^jietenS bei S^nen bitte id^ @ie, il^n,
njcnn er einmal ben gel^örigen 3ingerfa| nimmt, im lafte
rid^tig, tüie aud^ bie Sloten jiemlid^ oline geiler \pitÜ, aföbann
erft il^n in SiüdEfid^t beS SSortrageS anjul^alten, unb toenn
man einmal fo meit ift, i^n toegen Ileinen Settern nic^t
aufl^ören ju laffen unb felbe i^m erft beim @nbe beS ©tüdtS ju
bemerfen. Dbfd^on ic^ wenig Unterrid^t gegeben, i)abt id^
bod^ immer biefe 3Retl^obe befolgt; fte bilbet balb SRufifer,
meld^eS am @nbe bod^ fd^on einer ber erften S^^dEe ber ffiunft
ift, unb ermübet äßeifter unb ©d^üler toeniger."
Kjern^ mar ju einer Stit, ba SeetliobenS ßompofitionen
nod^ öietfad^ angefod^ten mürben, einer ber marmften S5e*
munberer beS 9KeifterS unb einer feiner erften, einflu^reid^ften
>
Karl £5ernv. 39
Slpoftd in SBien. Seim ©tubiutn öcrfd^iebencr Sectl^obenfd^cr
©ont^ofttionen erfreute ftd^ ©jertit) ber ^crföttlid^en Slnleitung
be§ SKeifterg. ©d^on im ^af)xt 1806 f^jiette er im Slugarten
»cetl^oöeng C-dur-Koncert unb 1812 juerft öjfentlid^ beffen
Es-dur-Koncert. Kjem^ gab in ben Salären 1818, 1819 unb
1820 in feiner SÖSol^nung aHfonntöglid^ bon 11 bi^ 1 Ul^r
^ßrobuftionen , welche au^fd^Iie^Iic^ SSeetl^oöenfd^er
Slaöiermufil gett)ibmet »aren unb ju »eld^en jeber SRufiffreunb
Sutritt l^atte. ©c^inbler rül^mt ilim naä), ©jern^ fei ;,ber
e i n ä i g e unter ben SBiener Sirtuof en gettjef en, ber fid^ be*
mül^t iiatte, Seetl^oöen in feiner guten 3rit oft ^u Iiören''.
©jern^ toax. bi§ an fein Sebenöenbe einer ber ffei^igften
SRcnfd^en. @r ftanb ftetg frül^jeitig auf unb fefetc fid^ gleid^
nad^ bem griiiiftüdE an bie Slrbeit. 3)a ber fe^r anf^jrud^g*
tofe SRann tüebcr gamilie noc^ SSerttjanbte l^atte, fo blieb ber
größte 2^i|eit feiner ©innalimen unberülirt. ßjern^ l^interlie^
ein Vermögen t)on 100,000 f(., ba§ er mit Slu^nal^me weniger
Segate tt)o]^ft]^atigen Slnftalten bermac^t ^at. <Snt bem Satire
1854 fränielte ejern^ unb blieb faft ftetg ju $aufc. Slicmafö
ift er in einem ©aftl^auS ober ÄoffeeftauS gefelien toorben.
@r l^atte fid^ fo fe^r an bie 3intmerluft getoö^nt, bag er jjebcn
aJorfd^Iag, im Sommer auf ba§ Sanb ju jiel^en, äurüdfttjie^.
©eine einjige ©rl^otung beftanb in einem Keinen ©<)ajiergange
um bie SRittag^jeit , mit bem er eine für je ©inlel^r in ber
®iabeHifd^en SRufif^anblung am ®raben öerbanb. ®a l^abe
id^ il^n benn aud^ öfter gefeiten unb flüchtig geft)roc^en. S)er
Heine, fd^ttjad^Ud^e 9Kann mit ber golbenen SBriHc unb ber
großen runben labatebofe mad^te auf ben erften Slidf einen
fel^r fd^ulmeifterlid^en ©inbrudf, toar aber im Umgang öott
ärtigleit, 8tu^e unb öefd^eibenl^eit. 3Ran rühmte il^n afe
aufrid^tig, tool^ItüoHenb unb l^ilfreid^. Kjem^ ftarb am 15.
Suli 1857.
40 <£^. ^ansM.
S)ag Slrd^it) ber ©cfcttfc^oft bcr SRufiffrcunbe bcfifet an^
ein ßuftf^jtel „S)a^ ^antermabd^ctt" unb jtüct ©d^aufpicle
„®ie SBed^fetfönc" unb „®ic öarfenfrielerin" bon Äarl
Kjcrn^; toetd^e neben öerfc^iebenen poetifc^en SJerfud^en an-
berer Strt unter ben Kjern^fd^en Slutogrd^jl^ett aufbetoal^rt
ttjerben. Sft e^ nid^t benimürbtg, ba§ ber äRann auc^ ge-
bid^tet l^at? Sei ber autobiogro^jl^ifd^en ©fiäje Kjern^^ fanb
id^ ein ergänjenbeS Slatt, eine Sfrt Slad^ruf, öon ber ^anb
beS um unfcr SRufüIeben l^od^öerbienten Dr. Seopolb t). ©onn^
t eitlen er. @r fd^Iiefet mit folgenben SBorten: ^^Kjern^ lebte
immer fe^r jurüdEgejogen unb flol^ jebe ©emeinl^eit, bal^er aud^
fein befd^rönfter Umgang mit Äunftgenoffen. ©ein ipal^rl^aft
jungfräulid^eg ©efül^I tüurbe burd^ jebe 9ioi|l^eit t)erle|t, unb
felbft im ©d^erj öertrug er feine Serle^ung be§ SlnftanbeS.
Sn il^m ftarb ber lefete UJirHid^e ©d^üt^r Seet^oöenS, bcr fid^
nod^ burd^ ben SSortrag be§ SKeifter^ felbft bie Sluffaffung feiner
SBerfe angeeignet l^atte."
(?Iuguft 1890.)
SBöl^renb ba^ ©öngerfcft fid^ in SBien • a%ielte , gefd^al^
es, ba§ ein SBiencr aJlufiffritifer unberfel^en^ k)on S3clanntcn
in einem ©eBirgSborf aufgeftöbert tt)urbc. aJian fielet il^m
erftaunt unb tttoa§> bortüurfSöoH in^ ©efid^t. „SBic? ©ic
finb nid^t beim ©angcrfeft? @ic fd^reiben nid^t barüber?
Srcuen ®ie fid^ benn etttja nid^t bcS jubelnben @ni^)fange^
unferer fingenben beutfd^cn Slrmee?" SÖSorauf bcr glüd^tling
ungefdl^r fjolgenbe^ antwortete: ®ett)i§ freue id^ ntid^ bon
gonjem ^erjen unb juble mit, tüo immer ba§ treue Swfammen*
ftel^cn S)eutfd^=Defterreid^§ mit bem äRutterlanbe in toufenb*
ftimmigcm Slufe fid^ funbgiebt. 3d^ geftetie fogar, bo^ jebe
begeifterte ffiunbgebung einer großen SSotfemenge, ja bie blo^e
Seitüre ber Seitung^bertd^te mid^ auf§ tieffte ergreift unb
rü^rt. Stber, meine ttjertl^en Sreunbe, Sie inter^elliren mid^
ja nid^t afö äRenfd^en, nid^t afö S)eutfd^:=Defterreid^er, fonbem
aU aRufiflritifer. Unb in biefer ©igenfd^aft foftet e^ mid^
Wirlüd^ einige Slnftrengung, l^erau^jufinben, toa^ benn eigent=
lid^ an fo einem ©ängerfeft mufifatifd^ tt)id^tig unb be*
beutenb fei ? Serf otgen n)ir ben Hergang be^ gefte^, toit i^n
unfere ölätter fo lebenbig unb »arm gefd^itbert l^aben. S^^^^f*
42 <Eb. ^anslicf.
jubrinbcr ffinnjfang bcr anfommcnben ©anger auf ben SSal^n-
l^öfcn, l^crjlid^c Slnf^jrad^tn unb @rtt)iberungen. ©obann ber
im^jofante 2(ufttiarfd^, ein brci ©tunben langer Irium^)]^äug,
umbrauft t)on |)oci^rufen, umflattert bon ttjcl^enben lafc^en-
tud^ern unb fattenben S9Iunten. S^ ber geftl^atte enblid^ ein
Säanfett mit fd^mettcrnben loaften unb ganfaren. ®ie§ aHe§
ift freuböoH unb erl^ebenb, aber getüig nid^t muftfatifc^, fo
toenig mufifalifd^, ba§ e^ fid^ ganj glcid^ geblieben tüdre, menn
wir ftatt ber beutfd^en ©anger beutf d^e @d^u|cn begrübt ptten.
®e^en tt)ir fo iDeit, un§ öoräufteHen, e§ fei mit biefem glön^^
jenben erften läge ba§ geft ju @nbe getücfen; iebenfatt^ tüar
tl ber ergreif enbftc X^cil, ber ftörffte ©inbrudf be^ gefte^.
Unb bod^ t)at bie.9Äufif nid^tS bajugetlian. 3)ie moralifd^c
S33ir!ung, bic tüid^tigfte biefe^ ©öngerbefuc^cg, ftanb am erften
Sage auf il^rer §öt)e; baS taufenbftimmige §od^* unb ^urral^^
rufen crfe^te unb übertraf jebe anbere SRuftf.
„älber bie @efang§t)robuItionen am jtt)eiten unb britten
lag! — biefe lieferten bod^ reid^e SluSbeute für bie mufi-
falifd^e Sritil?" 3^ glaube nid^t. SÖäaS ift benn in biefen
Koncerten gefungen toorben, ba§ tt)ir nid^t fc^on oft unb
öortrefftid^ geprt ? ®ie ßiteratur be^ öierftimmigen SKänner-
gefangg ift ja arm an toert^tjollen ßom^ofitioncn. S)ie
fd^Iid^ten Kl^orlieber, tt)elc^e bie ©tifter ber erften Sieber-
tafeln — Reiter in »erlin unb SRögeli in 3üric^ —
für iiire fleine ©d^aar componirt ^abeu, finb längft öerattet.
SRojartunb Seetl^oöen l^aben biefe ffunftform nur
au^nal^mStoeife afe Dperncomj)oniften geftreift in ber 3ciuber*
ftöte unb im gibelio. ©rft mit SÖäeber, äRarfc^net,
©onrabin Sreu|er beginnt bic Srü^IingSjeit be§ melir*
ftimmigen äRänncrgef angS ; aud^ t)on il^ren Stützen finb gar
öiete rettungslos öermelft. SRit ben ßiebertafeln unb burd^
biefelben öerme^rten fic^ bie Sompofttionen für SRännerd^or;
Xtadj bem Sängerfefl. 4S
bie SWtttelmä^igleit unb ber 3)ilett(mti§mu§ ergoffen fid^ in
breiten glutl^en baröber. SRenbeUfol^n unb (Scan-
nt ann finb bie Ie|ten großen äReifter, tücld^e ben fiieber*
tafeln einige 5ßerten, nur wenige, gefc^enft ^aben. ®ro§c
E^orcotttpofitionen mit fd^ttjieriger Drd^efterbegteitung, tüic
SBagnerS ;,fiiebe3ma^t", 93ral^mS' „Stinalbo"' fommen l^ier
nid^t in Setrad^t ; bie fremben ©änger bringen feine Drd^efter
mit, nod^ ^aben fie bie ä^it, fold^e SBerfe mit einem SBiener
Drd^efter erft einjuftubiren. Uebrigen§ fennen tüir in SBien
ba§ SBid^tigfte, tt?a§ bie neueften lonbid^ter an fold^en größeren
(S^ortüerfen mit Drd^efter geliefert l^aben — Ifd^ird^, ©einrid^
^ofmann, Sif^t, $an^ ^ueber, SSrud^, ©emS^eim ic. —
©ad^en, meldte bii aHer üirtuofen Icd^nif übertüiegenb ben
(ginbrudE be^ Uebertriebenen, fünftlid^ Slufgebaufd^tcn jurüdf*
laffen. 3Jtit unferem ©ngel^berg fd^eint ber Ie|te naiöe,
melobienreid^e Kom^jonift t)on SKönnerd^ören ba^ingegangen
ju fein. SBie gerne feieren tt)ir juriidE ju feiner Iiebcn^=
n)iirbigen Sfnf<)rud^§Iofigfeit t)on jenen bombaftifd^en StüdEen
mit großem Drd^efter, tt)et($e bie befc^eibenen SSorjüge beä
öierftimmigen 3Jtännerd^or§ unnotürlid^en unb unerreid^baren
SKfpirationen o^jfern. @ine Duette, au§ tt)eld^er bie äRänner*
gefangbereine nod^ reid^Iid^ fd^ö^fen lönnten, finb bie Sotlg*
lieber — bie beutfd^en junäd^ft, bann bie italienifd^en unb
norbifd^en. SBie öiel Söfttid^e^ läßt fic^ ba, am beften in
breiftimmigem @a|, nod^ bearbeiten!
3n ben SBiener geftconcerten toed^fetten @inäeQ)robuI'
tionen ber berfd^iebenen Sereine mit ©efammtöorträgen ber.
ganjen ©öngermaffe. Seibe l^atten gegen bie afuftifd^en
©inberniffe be^ riefigen 2oM§> ju fäm^)fen. Unmöglid^, baß
in einer luftigen, jttjanjigtaufenb ^erfonen faffenben $atte
^ianoftetten unb jarte S)etailg überatt öerne^mUc^, gefd^meigc
benn »irffam l^erauSfommen. ©benfowenig erreid^t in ber
44 <£b. Qansitcf.
Siegel bog fjorte ber julammentpirlettbcn großen SRaffe bett
ertüarteten au^erorbenttid^en ffiffeft. SBtr fonnten in SBien
biefe ©rfa^rung mad^ctt, afö §crbecf t)or fütifunbätüanätg
Salären fämmtlid^e aKännergefangöereine SBien^, jioölfl^unbert
äKann ftarl, in ber foiferüd^en 3Binterreitfc^ute ju einer
2)lonfire^)robuItion bereinigte. S)ie Steigerung ber Xonftärle
i)ai il^re aluftifd^e unb öftl^etifc^e ©renje , boS l^ei^t bie SBir*
fang wad^ft mit ber Duantitöt ber au^fü^renben ffrafte nur
ix§> p einem gemiffen 5ßun!t, ber ungeföl^r bem c^emif(i^en
SBegriff ber „Sättigung" entf^jrid^t: über biefen l^inaug bleibt
bie afuftifd^e S33ir!ung ftelien unb ge^t bie aftl^etifc^e fogar
jurüdf. „S33a§ ungeheuer, ift barum nid^t grofe/' l^eigt e^ bei
©ritt^jarjer. S3ei bem 5ßarifer «uSfteaunggfeft, baS 1867 in
bem jttjanjigtaufenb äRenfd^en faffenben S^buftriepalaft ftatt^
fanb, »irlten fed^Staufenb Sänger unb ein Sliefenord^efter
jufammen; tro|bem öer^juffte bie äRufif ol^nmäd^tig tüie ein
Söjfel öoß SBaffer auf einer glü^enben 5ßtatte. aJhififprobuI^
tionen in einem übergroßen Siaum bieten niemafe einen mufi^^
falifd^ reinen, ungetrübten ®enu§. äReiftent^eifö ift ber
übertüättigenbe ©inbrudE, ben ba^ 5ßublilum öon fo einem fold^en
reifig- unb fa^nengefd^müdften 3Ronftre*3eftconcert em^)fängt,
me^r eine SBirfung auf ba^, Sluge, atö auf ba^ D^r.
Slnfangg eine rein gefeHige Unterlialtung, l^at bag fiieber*
tafelmefen mit ber Seit eine l^ö^erc SSoHenbung angeftrebt
unb ift mit ©rfolg au^ bem Klub in bie Deffentlid^Ieit auf*
geftiegen. So tange ber SRännergefang irgenbn)o mit bem
Sfteij ber Sleul^eit auftritt, übt er, aud^ auf ba§ Koncert*
publilum, einen eigent^ümlid^en Sauber. äRan glaubt, an
bem reinen, fd^arfen Sufammenllang frifd^er SWännerftimmen
fid^ nid^t fattl^ören ju fönnen unb giebt fid^ anfangt mit ber
S)ufeenbn)aare öon IrinI*, Sd^erj- unb Siebe^Iiebem jufrieben.
Später mad^t fid^ bag @nge unb S)ürftige beä 3Ränncrgefange§
/
Xladf bem Sängerfefi. 45
immer fühlbarer, utib fclbft bie öirtuofcftc SluSfül^rung tüill
nic^t mcl^r rcd^t ü6cr bic ©pärKd^Icit bc§ ö^iP^Ö^^ @tf)ali^
l^intoegl^ctfcn. ffiEiormcifter t)on bcffcrer Silbung unb ftörfcrem
®^W^f ^i^ $erb ecf; loaren mit @rfoIg bcmülit; bic ©rcnjcn
bcg Stepcrtoirc^ ju erloeitcrtt unb bic fiicbcrtafd auf ein
Üinfttcrifd^cS, conccrtmä^igeS Sftiöeau ju ^cbcn. S)cr SRanncr*
gcfang trat in eine ätt)eite ^eriobe, in bie bcr l^ö^eren 3i^I^
unb ernfteren SÖSürbigung. Slber aud^ auf bicfc ift bereite
bic ©müd^terung gefolgt, \a mitunter bi^ ju bcr frcunblid^cn
3Ral^nung öorgefd^ritten, eS möchte ber öierftimmigc SRänner-
gcfang aus ben Koncertfalen attmälilid^ tüicbcr in ben Surg-
trieben ber ®efeHig!eit unb be§ SSerein^mefcn^ jurüdfel^ren.
Slamcntüd^ bie Ie|ten jel^n big fünfgel^n ^ai^xt l^aben un^
überfättigt am3Rclnnerci^or,.ber, monoton unb bon bcf darauf tem
Umfang, bei aHer tcd^nifd^cn SSeröoHfommnung bod^ felb=
ftänbig nur geringe mufifalifd^e SBertl^e ju probuciren ver-
mag. S)ic Ucberfd^äfeung erjcugte ben SiüdEfd^Iag. Unb toit
weit biefe Ucberfd^afeung gebieten »ar, lann man aug ber
%f)ai\aä)t erfcl^en, ba§ bic bcutfd^en Oefangbcrcine bcm
Siebcrtafdcomponiftcn Stanj 81 bt in S3raunfd^ttjeig ein
äRonument gefegt l^aben. Sticht ettoa eine ©ebenftafd an
feinem ©eburtSl^au^ , nein, ein gro^e^ ©tanbbilb, glcid^
äRojart unb Seet^oöen, ©dritter unb Ooct^c. ©clbft »enn
man, gcjicmcnbcrtocife, jubor an ein SWonument fürffreu|cr
unb fior^ing gebadet l^attc — c^ »äre, glaube id^, nod^
lange nid^t bie Sieil^e ber SSeremigung an 21 bt gefommen,
t)Ott bem man toal^rfd^cinlic^ in jcl^n S^^rcn leine Slotc mel^r
fingen n)irb.
S)cm fiiebertafctocfen eignen öiete unbeftreitbare SJor*
jiige, bie nid^t mit bem eigentüd^ mufilafifd^en ftunftgeminn
jufammenf allen, ©eine erfrif d^enbe unb berebcinbe gefeüige
Sebeutung brauche id^ Imm l^eröorjul^eben. Stur ift babei
46 €b. f^ansHcf.
ber eine Slac^tl^cU nid^t ganj ^u überfe^en, ba§ bicfc SSeretnc
beti beutfd^en Irieb jur STbfonberung beförbcrn unb bte SSil*
bung üon ,,gcttiifd^ten" Sl^örcn fel^r erfd^tüeren. 3n Stmcrifa
töften fid^ faft alle SKönttergcfangöercinc auf, fobalb fte jur
SSeröoHftänbigung i^rer mufüalifd^cn ßeiftungcn grauen l^erbei*
jogen. Unb bod^ bleibt ber au§ SRanner- unb grauen*
fttmmen gebilbete — ber ganje — K^or bie ungleid^ öoH*
lommenere lünftlerifd^e 3orm, ju tüeld^er fid^ ber äRönnerd^or
t)exf)ätt tt)ie ber I^eil jum ©anjen.
9lod^ ntöd^te id^ eine anbere, ^öd^ft tüert^öoHe SBirfung
beg SKännergefange^ l^eröorl^eben : feinen fittlid^ bilbenben
@inf(u6 auf bie arbcitenben S'Iaffen. ^n granfrcid^
unb SSelgien fann man fid^ baöon überzeugen. S)ie franjöfifd^en
®efangt)ereine (orpheons) rcfrutiren fid^ (in ^ari^ faft au§>^
fc^fie^tid^, in ber 5ßrot)inj grö^tent^eifö) au§ ben arbeitenben
S'Iaffen; bei unS beftel^en fie übernjiegenb an^ ntufifatifd^
gefd^ulten Dilettanten be§ aRittelftanbeg. 2)arau§ erttart
fid^ ber ungleid^ l^öl)ere fünft lerifd^e SBert^ ber beutf d^en
©efangtjereine, anbererfeitS bie tüeit größere fojiale 8Bid^==
feit ber fran^öfifd^en. ®iefe 5ßarifer 2trbeiter fingen oft
^erjlid^ fd^ted^t — fennen bod^ öiele feine 3ioten — aber
bie regelmäßige, liebetjotte Sefd^äftigung mit ber 3Rufif ^aud^t
unfefjtbar ein SIement ber SSereblung unb SSerfeinerung in
il^r Seben unb vermittelt i^nen jugleid^ ein ttjo^ltl^uenbe^
Setüußtfein ber 3ufammenge^örigfeit. ®ie Slegierung ^at
on ber ©rünbung biefer ©efangöereine unb ©efangfd^ulen
ein aufeerorbentlid^e^ SSerbienft; bie meiften finb gerabegu
i^re ©d^ö^jfung. Sie forgt für ben ©efangunterrid^t , über=^
ttjad^t bie Prüfungen, fd^reibt ^onfurfe auS, üert^eilt
^^ßreife. Stud^ bie ©otbaten berbanfen ber franjöfifd^en
^Regierung bie ©infü^rung be^ Kl^orgefangg ; öor 20 gal^ren
jöl^fte bie franjöfifd^e Strmee fd^on me^r aU 70 8tegiment^==
Xladi bcm Sängerfcji. 47
©efangfd^ulen , unb bie allgemeine ©infül^rung beä ffi^or*
gefang§ in ber ganzen 2lrmee ift bort längft befd^Ioff^n. 9Jon
biefen roo^ttl^ötigen @inri4tungen jur 5ßflege beg K^orgefangS
toeife man leiber nid^t^ bei un§, unb bod^ ift bie§ ein 5ßun!t,
an bem ein mdd^tiger ^ebel gur SSoIföbitbung unb SSerebtung
eittjufe|en tt)äre.
Die p n t i f d^ e äRad^t ber äRännergef angöereine, woöon
ie|t aud^ ^äuflg gefprod^en tt)irb, fann ic^ nid^t ]^od& an-
f erlagen. (S^ war ettt)a§ 2lnbereä in öormärjUd^er S^t, wo
biefe aSereine afö ein „au§ ®eutfd^Ianb intportirte^ ©iff*
t>on äRetternid^ Verboten unb öerfolgt worben ftnb. ®iefe
bureaulratifd^e Unterbrüdtung mad^te fie tl^atföd^Iid^ ju
Irägern be§ liberalen (Seiftet, obgleid^ fie fid^ nidf^t unter-
fingen, einen liberalen lejt ju fingen, ©eitbem bie äRänner*
gefangöereine nid^t me^r unter bie ®ifte Haffificirt werben,
finb fie politifd^ äRild^ geworben, ^n ben grei^eit^friegen
entflammten nod^ bie Sieber öon ßömer, Slrnbt unb
©d^enfenborf ben Patriotismus bal^eim unb im Selblager.
Das britte ©ataiHon Sü^ow befa§ juerft einen eigenen
©ängerd^or, öon bem ber alte Sal^n SBunber erjöl^Ite. 8lud^
biefe Stoße ift auSgefpielt. Der in biefen Sefttagen l^unbert*
mal citirte SBal^If^jrud^: „Sieb. wirb I^at, — frü^ ober fpat",
ift eine Hingenbe ^l^rafe. ?luS großen Späten werben Sieber,
aber ftid)t umgefe^rt. 9iid^t unfere taufenb Siebertafetn, fon*
bem brei ber unmufifaüfd^eften SWänner, — Äaifer SBil^elm,
SiSmardE unb SRoItfe — l^aben bie granjofen niebergeworfen
unb baS Deutfdf^e SReid^ aufgerid^tet.
SRit bem „<30Ütifd^en" ©inftufe wolle man aber bie
nationale SSebeutung beS beutfd^en 2RannergefangS nid^t
öcrwed^feln. Se^tere ift unbesweifelt unb öon ftarfem mora*
üfd^en SBerttj. SBie ein fd^warj*rot^*goIbeneS Sanb öerbinbet
baS fjeimatl^tid^e Sieb alle bie über ganj 2lmeri!a öerftreuten
48 €6. f?anslt(f.
Scutfd^cn. äRänner au§ Softon, (S^icago, ?ß]^UabeI|)]^ia ^abcn
bie tüeite SRcerfal^rt nid^t gefd^cut, um in SBicn mit ätt^
S)eutfci^Ianb pfammcnäutreffcn. 3Rit tüetdf^cm 3u6cl tüurben
fte begrüßt, fic unb bie ©änger aug Sa^em, 5ßreugen,
©d^tüaben ! @ie l^aben einanber nie juöor gefeiten nnb füllten
ftd^ bod^ fofort öermanbt unb treu öerbunben — bnxä) ba§
beutfd^e Sieb. S)a§ finb Oefül^Ie öon ibealem ©el^att unb
unöergängtid^er Sraft. aber ©efül^Ie finb nidf^t Sunft, natio*
nalt @^m<)att|ien finb nidf^t äRufif. S)a§ ©ängerfeft in SBien
toax allen Sendeten jufolge ftedEenIo§ l^errüd^, eine greube
für atte äRitmirfenben unb äRitgenießenben, ein reid^er Stoff
für bie fd^ilbembe geber — aber fein @reigni§ öon eminent
muftfalifd^em ^ntereffe. Sebe neue D^jer, jebe neue Kantate
ober @^m<)^onie iftunS mufifatifd^ »id^tiger, ate ba§ ganje
breitögige ©öngerfeft im ^^Jrater. Unb barum — fo fd^Ioß
ber au§ ber ©ommerfrifdf^e aufgefd^eudf^te Sritüer — barum
glaube id^ burd^ mein Sembleiben lool^I ein erl^ebenbeS ©d^ou*
^pitl, ttid^t aber eine 5ßftid^t öerfaumt ju l^aben.
ffitn f ruf tm$ ®btximmtx%m.
(5(n li^tobox mUxo% 1890.)
Sürd^te nid^t^, lieber greunb! SBebet geletirten ©rant,
nod^ rcUgiöfc ©df^tüärmlJjrü. 9lur ganj ^Jerfönlic^e ©inbrücfe
iinb ©riebniffe lüitt iä) S)ir flüd^ttg mitt^eilen, übergel^enb,
toa^ ein regelred^ter „Sertd^terftattcr" atteS ^u erjal^Ien l&ötte.
@inb lüir bod^ alle überfättigt öon ittuftrtrten unb nid^t-
ittuftrirten ©d^ilberungen be§ großen ^affionSfpiefö, ju tüeldf^etn
feit aWonaten alle ©lodfen ber ^ournaüftif läuten.
S)dn 3:0g be§ 3eftf<)icfö ptte man un§ nic^t fd^timmer
auSfud^en fönnen; e§ lüar ber ob feiner SBinterfälte unb
SBajferflut^en bcrül^ntt geworbene 13. ^uli. ©d^on bei unfeter
Slbfal^rt öon äRünd^en, ant ©amftag frii^, regnete e^ in
©trömen. Rotten wir nid^t jwei foftbare SRaritöten, bie
^orau^bejal^ftcn tl^euren ?ßlä|e unb bie fd^riftlid^e SBol^nung^*
anlüeifung, fc^on bei un§ gel^abt, unb, toa^ nod& »ertl^botter,
ein öergnügtc^ SBiener ©l^e^jaar öon un^erftörbarem guten
©untor — lüir loaren öon bief er abenteuerlid^en SBattfatirt mal^r-
fd^einlid^ abgeftanben. 3m äRünc^ener Sal^nl^of überrafd^tc
uns fd^on ber SlnblidE be§ riefig langen, bIo§ für STmmergau
beftimmten ©d^nettjugeS, (Sr fü^rt un^ bi§ jur Station
Dberau. ipier beginnt (bei ftrömenbem Siegen) ber Sfantpf
Sb. .^anSltcf, S(u8 bent XaQthuä) eines anuftferS. 4
50 <2b. fjattsitrf.
um ba§ gul^rtDct!. ®in ^öuel öon etma l^unbcrt SBageit
battt ftdf) öor bcnt ©al^nl^ofe jufammcn; Dmnibuffc mit Heilten
genfterdf^cn, anbete, f enfteriof e , bie ben 3n faff en bie naffe
SBaci^äleinlüanb tn§ ejtd^t f df^Iagcn ; gialer, ©inf^jänner unb
allerlei fonberbare Slaberlaften, tüie fte au§ ber ganzen Um*
gegenb, aud^ auS äRünd^en, äCugSburg, SRürnberg äufommen'
gebettelt finb. 2)ie neu angelegte Straße fül^rt in ©er^jentinen
jiemKd^ fteil bi§ in§ S)orf Dberammergau ; tt)ic eine ^Riefen-
fd^Iange minbet fid^ ber lange SBogenjug öor unferen SlidEen.
Xtef unter un§ feigen lüir bie ©d^aar ber Sußgänger auf ber
fürjeren, fteilen „alten ©trage" em^jorf (immen ; bie rotl^en
Siegenfd^irme ber Sauern leud^ten loie gliegenfc^iDamme an^
bem SBalb herauf. ®ie ßanbleute l^aben natürlidf) i^r geft-
gett)anb anget^an; bie SRöbd^en in buntfeibenen ^o^jftüd^ern
ober fd^mudEen Sirolerpten, bteiten furjen SiödEd^en — mand^c
leiber aud^ in @onntag§fd^ul^en — waten burd^ ben unbarm-
l^erjigen SRoraft. Sin Drt unb ©teHe muffen bie SSebauemS*
ttjertl^en auf feud^tem ©trol^ ober auf garten aBirt]^§t|au§==
bönfen übemad^ten. Slttein fie ^jreifen e§ atö ein gottgefälliges
SBerf, loenn ber SBeg jum ^affionSf^jiel burdf) 3)?ü^faf unb
Unwetter il^nen felber jum 5|5affion§lDeg wirb, ffinblid^ ffäft
^ie SBagenburg in Dberammergau ; ein unbefd^reibtid^eS S)ifrd^-
einanber! SltteS rennt, mit Siegenf d^irmen, 5|5Ioib§ unb ^nb-
tafd^en belaftet, nad^ einer Unterlunft. SBir fanben bie unferc
in bem befd^eibenen ^aufe einer ^oläfd^ni^er^wittwe Seit.
3d^ gUube, ba§ bie $öu§üd^feit biefer gamilie unb il^re tierj-
lid^e Suöorlommentieit un§ öon aßen 2lmmergouer ©inbrüdfen
bod^ berliebfte bleiben wirb. Unermübüdf) bebienen unS bei
Xifd^e jwei junge Xöd^ter be§ ^aufe§, bereu SBürbe aU (Sngel
unb ^eilige im ^affionäfpiel il^rer l^inreifeenben äRunterfeit
nid^tS anl^aben !ann. draußen gießt e§ ununterbrod^en, troft-
log ; man wagt leinen ©d^ritt auf bie ©trage. S)efto ge=*
(Ein Brief aus 0bcrammcrgau. 51
mütl^üd^er machen tüir'S un§ in ber gcl^ciiten SBirtl^^ftuBc. S)o§
Heine Siw^iner, in bent an brei lifc^en bie (Safte be^ $aufe^
nad^tmaten, lüiberl^allt öon Sad^en unb fröl^Ud^em (ätplanhtx.
3)ie ßuftigfcit unferc^ öfterreic^ifc^en 2ifc^e§ ftcigcrt fid^ an
bem ©ontraft ber neben ung tafeinben ©ngWnber. Seieriid^
unb f(^tt)eigfam fi|en fie mit i^ren langen falten ©efid^teru ba
unb nageln il^re langen 3^^^^ in bie bidten ©anbttjid^eg. (£in
gute§ S)ritt]^eil ber ©äfte in Dberantmergau finb ©nglanber.
SBcnn ju ber Sieugierbe biefeS fal^renben SSolfeS fid^ noc^ ein
religiöfer Slnreij gefeilt, bann gilt i^nen feine Sieife 5U weit,
ju mül^fam. ^I^re unöerjeil^Ud^e Unfenntnife ber beutfd^eu
(Spxa6)t tt)irb felbft in biefem ba^erifd^en Oebirg^borf a(§ etmaS
©elbftüerftänblic^eg Eingenommen, ©nglifd^e Slnfünbigungen
öon Quartier* unb gal^rgelegenl^citen begegnen tt)ir in allen
©äffen ; öoUftanbige englifd^e lejte („Libretto of the holy
play") werben aufgeboten. S)ie Sauern getien öor bem 5|5affion§'
\pitl um 6 Ul^r frü^ jur äReffe ; bie ©nglänber fiaben fid^ fogar
nad^ bemfelben einen 8lbenbgotte§bienft in il^rer ©^jrad^e
organiftrt. ®§ ift erftaunlidf), Wie öiel Sfnbad^t Sauern unb
©nglänber vertragen fönnen.
3)a§ $ßaffion§fpieI in ber neuerbauten 2lrena beginnt ^unft
8 Ul^r frül^. ^m 3legen arbeiten wir un^ butd^ bie fotfiigen,
unge^)flafterten ©trafen ba^in. ®a bie Sü^ne unbebedt ift,
finb bie ©d^auf^jieler unb ©änger ftunbenlang bem Siegen an§>'
gefegt. Sag gleiche SRart^rium trifft bie 1000 bi§, 1500 3u=
fd^auer, weld^e bie öorberften, gleid^faHä unbebedEten ©ilrdi^en
einnel^men. @rft tjinter biefen beginnt ber gebedfte I^eil be§
3nfd^auerraume§, bie tl^euren ^Iä|e. SSor bem Siegen finb wir
ha gefd^ü^t, aber nur fel^r notl^bürftig gegen bie Mite, fo feft
wir un^ auä) in bie Sudler unb Sleifebeden ptten, bie unfere
frcunbUd^en ^an^ltutt un§ unaufgeforbert mitgegeben. ®ag
©d^önfte unb eigcnt^ümtid^fte an bem 5ßaffionSf<3ieI ift bie ©in:»
4*
52 (Eb. ^ansUa.
rid^hmg bcr Sül^ne unb btc burd^ biefe ©inrid^tung crmögltd^te
gtofee SBirlung ber SSotföfccnen. SBetd^ ^jradf^töotter" SlnMtdf ,
ttjcnn ber fcftlid^c ©tnjug Sefu fid^ an^ bcr Heineren gebedtten
SRittelbül^ne nad^ bem ?ßrofcenium ergießt unb gletd^geitig öon
red^t§ unb IxnU au§ ben ©trofeen öon ^tm^altm ba§ SSoH
l^erbeiftrömt ! S)ie ®ru<)^)irung ber SSoIf^fcenen ift burd^au§
malerifd^ unb natürfid^, ba§ 3ufcimmenf<3iel <)raci§ unb' leben*
big. an bie cinjelnen S)arftetter legen tt)ir natüritd^ nid^t ben
3Ra§ftab unfereS Surgtl^eaterS ; mel^r afö einer ttjar über*
rafd^enb gut, ftixrenb lein einziger, ungenügenb mand^er burc^
gu leifeS @})red^en. ®cr große SRaum biefe§ offenen Il^eatcr^,
bo§, ber Sogen entbel^renb, bod^ 1500 ^erfonen mel^r aU ba§
größte O^jernl^auS, bie ©cala in SRailonb, faßt, ift öernel^m*
barem SSortrag äußerft l^inberlid^. SSon mand^cm S)iaIog öer*
ftanb man auf unferem $Ia^e nur einjelne SBorte. SSoHIommen
htvitli6)f mit flangöollem Drgan unb rul^iger SluSeinanber*
fe^ung ber SRebe f^jradf^en bie S)arftetter be§ ^c^n^, be§ ?ßontiu§
?ßilatug unb be§ ^nnaa.
^o\tp^ SRatier, §ol5fd^ni|er unb aSice*S5ürgermeifter in
Dbcrammergau, genießt atö SarfteHer be§ ^t\vi^ bereite einen
ausgebreiteten 9luf. ®r ^at bie SRotte fd^on bor jel^n unb t)or
ätoanjig ^af^xzn gef^jiett, unb met|r afö taufenb briefliche ober
telcgra))^ifd^e 2lnfragen follcn in biefem grüfiial^re eingelangt
fein, ob ^o\tpi) 3Rat|er loieber bie ^anptxoUt f^jielen toerbe.
2)er befd^eibene äRtfnn ift öon gubringtid^en 2lnfudf)en um 8luto*
gra^jl^e unb fignirte 5|5ortröt§ berart beftürmt, baß er fid^ ge*
jttjungen fielet, fortan jebeS fold^e Verlangen abjulel)nen. @r
l^at öottf ommen Siedet unb f ottte in unf erer 3eit be§ jügellof eften
2lutogra:t3]^enbettefö jebermann jum SSorbilbe bienen. ^ofe^)^
SKatier öerbient feinen guten SRuf. ©ein ®efidf)t ift nid^t öon
ibealen ßinicn, aber rül^renb burd^ ben SluSbrudt ebler SBel^mutl^
unb ®üte, bem fogar ein 3m9 bon emfter ®eban!enarbeit nid^t
(Ein 3rief aus 0berammcrgau. 53
mauöeft. ©eine gigur ift l^od^ uttb fd^Ianf, ©^jrad^ unb Se^^
tüegungcn finb nil^ig unb ungcfuc^t mürbeüott. ®o ei^riftu^
»enig ju f^jred^cn ^at unb mit äuSnal^ntc bcr äbcnbnial^Ö* unb
Ddbergäfcene eine butd^au^ paffiöe Slotte f^jielt, fo erfd^einen
bie SJorjügc öon SRa^erS S)arfteIIung — feine ©ntl^aftfamfett
t)on jeber' tl^eatralifd^en ?ßofe ober S)eHamation — atö öor«
nel^mlid^ negative. @ie öerbienen barunt !ein geringere^ Sob.
@§ ttJiß fel^r öiel l^eigen, lüenn ber SarfteHer einer eigentü^
unerreid^baren ©eftalt un§ afö K^riftug ein eble§ unb tief
:^aftenbe§ 95ilb prüdläfet. ^ofepl^ SRa^er, üon beut bereit«
eine ertoac^fene lod^ter unter ben Sängerinnen mittüirlt, ift
ber'®egenftanb mancher l^eimlid^en ©d^toännerei. SBie öielc
®amen öerlieben fid^ nid^t in einen unbebeutenben fd^mudten
©d^auf^jieler, ben fie nur mit ffrone unb ©cepter fennen. Slun
öoHcnbS ein K^riftuS ttne ^o^p^ SRa^er! SBil^elminc ö.
I^illern ^at il^n unter öeränbcrtem Siamen, aber §iemKd^
burd^fid^tiger SRaSle jum gelben i^re« eben erfd^ienenen
„5ßaffion§roman§ auä Dberammergau" gemad^t. Unbenfbar
ift e§ nid^t, ba§ eine ejaltirte öornel^me ®ame, in tt)^d^er
©innlid^Ieit unb m^ftifd^e ©d^ttJörmerei burd^einanber gtül^en,
unter bem ©inbrudfe be« ^affion«f<)iefö il^re Siebe jum ipeilanb
auf ben S)arfteHer be^felben l^inüberträgt. @ie erblidft in il^m
einen äRenfd^en ptierer 2(rt, bem fie mit ßeib unb ©eele
angel^örcn Witt. 9Kan benfe an Kl^araftere tt)ie fjrau ü.
^übener ober mie Sioöaü«, bei mcld^em, na6) Slrnolb SiugeS
«uSbrudE , ,,bie SR^ftil, biefe t^eoretifd^e SBoItuft , unb bie
SBoHuft biefer <3raftifd^en äR^ftü, gleid^ ftarf l^eröortraten."
3m Sloman ber $)ittem, ben ic^ übrigen« nur pd^tig
bnrd^blättern fonnte, Iä|t bie .fd^öne junge ®röfin il^re l^od^-
geborenen SSemerber im @tid^ unb l^eiratl^et ^eimlid^, faft gc*
toaltfam, ben lange »iberftrebenben ©otjfd^ni^er. S)ie ganje
Iragü, »eld^e au« biefem unüberlegten Sunbe ertoäc^ft, fann
54 €b. ^ansltrf.
td^ l^ier ntd^t nac^erjal^Icn. Ucbcrtricbcne§ unb Unmal^r*
fd^einüd^eS fcl^Ien nid^t barin. fjür bo§ <3ft|d^oIogijd^c $ßro=
Bletn aber, ba§ bic Äcimjettc bicfe§ SRomanS bilbet, tft fautn
ein ®ä)au)(>la^ fo geeignet, tüic ba§ 5ßaf jton^f^Jiel in Slninter*
gau. Sieben il^rer eigenen ftarfen ©inbilbung^froft unb ber
t)on äRutter Sird^-^feiffer ererbten @ffeftlenntni§ lomntt ber
aSerfafferin l^ier ba§ genauefte SoMftubium ju ftatten. @ie
bettjo^nt feit ^af)x unb Sag eine eigene ftattlid^e SSitta in
Dberammergau, Iö§t fid^ aber, mie ntan un§ erjäl^It, fel^r »enig
int Drte feigen. Db il^r dtoman, abgefel^en öon ben SSortl^eilen
ber SReHame, ben Sett)oI)nem fonberüd^ einleud^ten tüerbe, ift
bie grage. ©inf ad^e Sente ^jflegen bie SierquidEung öon
S)idf)tung unb SBal^rl^eit nid^t §u üertragen. 'Sfud^ toenn ber
S)id^ter fte ibealifirt, füllten fte fid^ gern öerleumbet; ge=
fd^tüeige benn, lüenn er fie ^jorträtirt.
2)ie l^ö.d^fte Sld^tung öerbienen ber fc^öne @rnft, bie innere
©ammlung, ba^ Slufgebot aller geiftigen unb ^jl^^fifd^en
Gräfte, ttjomit fämmtlid^e 2)arftetter an i^re aufgäbe ge^en.
Sin tjoßes ^a'S^x öor ber Sfuffül^rung beginnen fd^on bie
regelmögigen groben. S)ie S3efe|ung bier Stoßen gefd^ietjt
burdö SBal^t, wobei aHe einftuftreid^en SRönner ber ©emeinbe
il^re Stimme abgeben. S)er 3^ag ber SBal^I ift für ben ganjen
®au ein toid^tigeS ©reignife; er loirb mit einem feierlid^en
©otteSbienfte eröffnet unb fein 9iefultat öon ®roB unb ffilein
mit öugerfter ©^jannung ertoartet. 9iur Dberammergauer
bürfen mittoirfen al§ 5)arftetter, Sänger unb äRufifer. 95ei
SSefe^ung ber SRoHen entfd^eibet nid^t bloß ba§ latent unb
bie entfpred^enbe (Srfd^einung, fonbern anä) bie fittlid^e Stuf-
fül^rung. So war für bie SloHe ber SRaria urf^jrünglid^ ein
fd^öneS unb taIentt)otte§ äRdbd^en auäerfel^en — atö rud^*
bar hjurbe, bafe bie Slrme ein ßiebe^öermtnife unterl^alte,
n?arb il^r bie SioIIe genommen.
(Ein 3nef aus 0bcrammergau. 65
SBenigcr gut, afö um bic brantatifd^e S)arftettung , fielet
e§ um bie SRufil im ?ßaffion§f<3ieIe. S)iefe nimmt einen
öiel ju breiten 3laum ein unb ift in ®om<)ofition unb 8[u§=
füt)rung öon fcl^r jtpeifeC^after SSefc^affenl^cit. S)a§ Drd^efter
tiad^ Sa^reutl^er äRufter in bie 3^iefe öerfenit, ijt unftd^tbar.
Sutoeilen mußte id^ tüünfd^en, e§ tüöre aud) unl^örbör. @^
liebt jtoar ntd^t ben Sdrm, aber tjäufig bie Unretnl^eit.
©elbftönbig tüirft btefe^ Drd^efter nur in ber Duüerture unb
furjen Stt)if df^en f^jielen , im übrigen bloß begleitenb. SSor
jeber ber bramatifd^en ©cenen („SSorftellungen''), beren eS
od^tjel^n giebt, ftettt fidf) ein ©l^or öon öiemnbjwanjig ^ßer-
fönen, äJlänner unb grauen, im ffoftüm öon ®enien auf ber
SSorberbütine auf; recitirenbe SSorfönger üerlünben bie ju
erloartenbe ^anblung, ber K^or folgt mit frommen 95ctrad^*
tungen. SBenn man nid^t iDüßte, ba§ bie ©ompofition öon
einem batjerifd^en Sorffd^utlel^rer au§ bem öorigen S^^^^^iinbert
l^errül^rt , man tüürbe e^ ol^ne »eitert ^erau^l^ören. @g ift
ber rid^tige Sanbmeffenftil im ©efd^madfe ber S^itgenoffen
unb SWa^al^mer ^o^t^^ §at|bn§, ofine eine ®pnx öon Drigi=
nalität, öjeidf^lid^, fraftIo§ unb immer im gleid^en lone reb*
feiig fortlei^rnb. ^n ben erften gtoei ©cencn laßt man fid^
biefen biebermaierfd^en 3ReIobien§opf, ber ja burd^ lange S^ra-
bition gefalbt ift, gefallen; öjenn er aber immer länger
unb länger tt)irb, bi^ er enblid^ mit bem Steigen ber
Sonne un§ töie eine S5oa umftridtt l^at -— bann bleibt nur
berjenige gebulbig, ber öor lauter grömmigfeit überl^au^jt
ttid^t me^r ^ört. S)aju lommt, ba| bie Statur unfere braöen
©änger unb ©öngerinnen öon Slmmergau loeber mit fd^önen
Stimmen, nod^ mit altju feinem Oe^ör befd^enft l^at, toa^ fie
iebod^ geioiß nid^t l^inbern ttjirb, in ben ^immel ju lommen.
3Bir ]&aben eg l^ier freilid^ nid^t mit Jtünftlem ju tl^un, fonbern
mit braöen, öom ©d^uttel^rer rebtid^ gebriHten Staturaliften,
56 €6. f?ansltcf.
unb für fold^c muß aud^ ba§ ©eiciftete ti^xtntotxti) feigen.
S)ag ift ber innere SBiberft»ruc^, ber in bem heutigen 2lmmer=^
gauer ^$affion§f^)icI niftet unb über ben wir bei atter greube
am ©injelnen nie ööllig l^inauöfommen. ®§ ift ^u fiinfttic^,
äu öorgefd^ritten für ein naiöeS 95auernf^)iel unb boc^ p un-
öollfommen für eine ^nftleiftung öor einem internationalen
gebUbeten ^^Jubüfum, ba§ jel^n SWarf für ben @ife bejal^ft.
&)tmaU f^)ielten bie Dberammergauer bie ^ßaffionggefc^ic^te
mit bef^eibenfter äurüftung nur ju il^rer unb i^rer Siad^bam
eigener ©rbauung. So n^ar e§ nod^, alg ©buarb S)et)rient,
ergriffen öon ber naiöen ©d^ön^eit unb frommen ©infalt
biefeg Sauemfpiefe, öor 50 ga^ren jum erften äRale in ber
Slllgemeinen S^itung baöon erjä^Ite. 3n ben näd^ften 20
Sauren toar e§ eine 5|5robuftion für ganj S)eutfd^lanb ge*
morben, je^t ift e§ ein europäifd^eö -S^gftüd, ettoa toit baS
SBagnerfd^e Sa^reutl^, nur je^nmal ftärfer befud^t, ba eS
immer je^n 3^^^^ ^uf fid^ toorten läfet. 3^^ tiabe öor gal^ren
in einer SSorftabt tjon S^^^^brudE , bann in Srijlegg l^eUige
^omöbien auffül^ren fetten, toeld^e nod^ gan^ bie ©infad^l^eit
be§ aSauernf^jietö aufliefen, im Xiroter S)iale!t unb in red^t
abenteuerüd^en Softümen gef^)ielt mürben, ©ine anbäd^tige
SSauernöerfammlung fragt wenig nad^ ber $ßrad§t unb l^ifto-
rifd^en ®enauigleit ber ©cwänber. ®af) bod^ 2lnberfen
eine balefarlifd^e Sauernfamilie fel^r anböd^tig öor einem
Silbe, auf tüeld^em @ott SSater im gradf unb lebernen ^ofen
abgebUbet war. Qn Dberammergau l^at fid^ ber urf^jrünglid^e
Kl^arafter be§ ^affion^f^jiefö im Saufe ber Seit t>öttig t)er=
änbert. 9iid^t bag id^ an ben einzelnen 2)arftettem ein affef-
tirteS, eitlem ©ebal^ren bemerft l^ätte — fie.mad^en burd^au^
ben StnbrudE öottfommener ©l^rlid^feit — aber bie ganje
SSorfteHung l^at aufgel^ört, SRatur ju fein, ol^ne bod^ bie $)ö]^e
bewußter ®unft ju erreid^en. 3)ie§ aHe§ fagt man fid^
/
r
1
\
I
(Ein Brief aus ©berammergau. 57
fd^Iießlid^, märe crl^eBcnb, toenn tt)ir eS irgenbtüo anträfen,
ol^nc Sngtänber, ©e^^arat * ©iläüge , 3c^ti^örfft|e u. f. tt).
SBa§ bem Xotateinbrucf ber ganjen $ßrobuftion ent^jfinbtid^
f d^abgt, ift il^re aüiu grofee Sänge ; fte tütrft peinlid^ ermübenb.
Db nun bie S^^f^^^er ben ganzen lag über im Siegen ober
in gtül^cnber ©ounen^i^e bafi^en, fte finb fd^IiegUd^ alle f)aß)
tobt — (Snglänber unb Säuern immer aufgenommen. ®ie SSor*
ftettung, »eld^e (mit einer ^aufe öon einer ber Fütterung ge-
»ibmeten ©tunbe) öon 8 Ul^r frü^ big t|oIb 6 Ul^r abenbS mä^rt,
ließe fid^ leidet um brei ©tunben tjerfürjen, ol^ne ba§ ettoaS
SBid^ttgeg ober Slotl^wenbige^ gum D^jfer fiele. SBie öiel
h)irb nid^t unnötl^ig mieberl^olt! @o ^ält jum ©eif^jiel
3ubaö brei lange SDlonoIoge, in toelc^en er ftetS baSfelbe,
feine SReue unb SSerjmeiflung , auSbrüdtt, anftatt ftd^ gleid^
nad^ bem erften aufjufniHjfen. 2)ie au^giebigfte Slebuftion
aber geftattet unb öertangt ber mufifalifc^e 2^eil; id^
toürbe bie $älfte öon ben ' f aljlofen monotonen ©efängen
ftreid^en, bie un§ enttoebec erjäl^Ien, toa§ tt)ir feffift gefeiten,
ober öorfd^reiben, tt)a§ mir afe fromme ©Triften unmeigerlid^
ju em^jfinben Iiaben. S)u fragft mid^ furj unb gut, ob baS
Smmergauer $ßaffion§f^)iet eine mül^fame unb loftf^jieüge Sieife
lol^ne? laufenbe merbcn mit ^a antworten. 3d^ bcfd^eibc
mid^ mit bem 3ii9^ftänbnife, ba§ e^ gett)i§ lelirreid^ unb an-
genel^m ift, e§ einmal gefeiten ju tjaben. S)ir, lieber fjreunb,
begegnet, mag tel^rreid^ unb angenel^m ift, aud^ auf unjäl^*
ligen anberen SBegen. äRöd^te e^ mir balb in deiner ^^Jerfon
begegnen.
§it pu|tk in ^mtxxkü.
I.
(Br|ie ^Infange.
. 8lmerifa , l^eute ba§ gelobte Sanb , ttjenn nid^t ber 3^on=
fünft, bod^ ber 3^on!ünftter , beginnt aud^ in mufifaüfd^er
Segie^ung ein ernftere§ Sntereffe ju cmedEen. Sllliäl^rlid^
tt)öd^ft bie "än^a^l ber D^jernfcmger unb SSirtiiofcn, bie nüd^
8lmerifa l^inüberfegeln , nid^t um . bort bie Ie|tc Stu^bilbung
i^rc§ Salenteä ober bie ^öd^fte SBeil^e il^re^ 9tu^me§ ju fud^en,
fonbern um Sorbeeren in S)ottar§ umjufelen. Slber ein SSbtf,
ba§ bergleid^en ©enüffe fo ^od^ bcjal^ft, mu§ boc^ mufüaüfc^e
(£mt)fängtid^!eit, mufifaUf^eS Sebürf nife, tt)0^I auc^ Salent
befi^en. SBie ift e§ bamit beftettt? Unb tüie fie^t e§, neben
ber D^jer, mit ben Drd^efterconcerten, mit ben ©l^oröereinen,
mit ber Sammermufif, mit bem äRufüunterrid^t au§? ©eit
loann fann überfianpt öon SRufü^jflege in Stmerifa gef^jrod^en
loerben unb toeld^en ®ang öerfolgt fie in il^ren öerfc^iebenen
Stoeigen? S)iefe fragen beantwortet un§ jum erften äRaCe
äufammcnl^öngenb ein 93ud^ öon Dr. greberidE SouiS SR i 1 1 e r ,
ba§ foeben in jn)eiter öermel^rter Sfuflage erfd^ienen ift. *) 5)er
*) „Music in America", by Dr. Fr. L. Ritter. New edition,
with additions. (Newyork, Charles Scribners sons, 1890.)
Die mufl! in Zlmerüa. 59
aScrfoff er, ein tüiffenf d^aftlid^ gebilbeter äRujtfer unb ^ßöbagoge,
ift Sirector ber äRufiffdbuIe am Vassar-College unb ^at, tt)ie
toir au§ einer ©teile . feinet ^nä)ti (pag. 299) beitäufig
entnel^men, afö S)irigcnt ber „Harmonie Society" in 9iett)=
^orf im ^af)xt 1867 grofee Oratorien, toit bie Sd^öpfung,
®Iia§, äReffia^, jur Sluffül^rung gebrad^t. 9iod^ immer mit=
tl^ötig im Kentrum bc^ amerifanifc^en äRufiflebenS, l^at er
feit ^^al^ren unermüblic^ äRaterial für eine Oefd^idf^te ber
STCufif in 8lmerifa gebammelt, ©ein 93ud^ ift ganj in bem
cnglifd^-amerüanifd^en ®eift nüd^terner SSeobad^tung unb
^jraltifd^en Urttieile« gefd^rieben; e§ tt)ill feineStoeg^ SReltame
für Slmerüa mad^en, fonbern ebenfo »atir^eit^treu l^crüorl^eben,
tt)a§ in fünftlerifd^em ®eift geleiftet ober.bod^ öerfuc^t morben
ift, mie altes baSjenige rügen, toa^ aU finbifd^, l^ol^I unb
betrügerifd^ fid^ bem mufifalifd^en gortfd^ritt entgegenftettt.
%xo^ ber mit jebem ^al^re pnel^menben SWufiffuItur in
STmerifa giebt eS nod^ mand^e ©tobte bort, »elc^e nur eine
fette aSeibe für mufifalifd^e Ignoranten unb 2lbenteurer finb.
®er eine jeigt an, bag er mufifalifd^e (£om<3ofition in jetin
Seftionen lel^re, ber anbere (irgenb ein ^laöierftimmer ober
*§anbler) öerf^jric^t, feine ©d^üler in öier SBod^en ju guten
tßianiften auäjubUben. Qfn einer ©tabt nid^t toeit t)on SRett)-
^orf tritt ber Dirigent eines ©l^oröereinS jugleid^ atö S5uffo
auf unb fd^ilbert fingenb mit grdfelid^en Äör^jeröerrenlungcn
einen ©eefturm unb ha^ ©d^eitcrn beS ©d^iffeS. Sine Unjal^I
äl^nlid^er ©efd&id^ten, „loie fie nur in ämerifa öorfommen
lönnen", ftel^e bem SSerfaffer, toit er f agt, ju ®ebote ; er l^at
jeboc^ SRed^t, fie für unpaffenb ju tialten in einem ernften
l^iftorifd^en SBerf.
S)ie Slnfönge mufifatifdöer ©ntmidfung in ämerüa batiren
bon ber erften 2lnfieblung englifd^er Puritaner in 9teu»®ngtanb.
SuS il^rem ^falmengcfang , an^ ber ro^en gorm einer bar*
60 &. fjanslirf.
iarifd^ gefungcnen cinfadf^en ^ßfalntobie ertoud^S bie muftfo:'
lifd^e Kultur in ben vereinigten Staaten. Selanntlid^ l^aben
jur S^it ^^^ otogen Sleöolntion in Knglanb bic $ßuritaner
Drgeln unb äRnfifbüd^er ^erftört. S)er ^falmengefang in ber
fd^önen SSearbeitnng ber bcften englifd^en ©ontrajjunftiften
tt)urbe atö friöol öerpönt, nur bie einftimntige SKelobie burfte
öon ber ©emeinbe gefunqen »erben. S)ie ©rfinbnng neuer
SBeifen tvax öerboten, ba^ SSoIf fd^redtte öor fold^em ,,3:eufel8:=
werf jurüdE unb öertor aHmöl^tid^ jeglichen ©inn für bic
fünftlerifd^e ©ebeutung ber äRufil. S)ie Puritaner, njelc^e
1620 in $I^moutl^==9lod lanbeten, bradf^ten i^r eintönige^
^fafmobiren unb il^ren ^ag gegen n)eltlid^e äRufi! mit. SBäl^*
renb ber erften ©fiod^e ber Jtolonien ftanb bie mufifalifd^e
Äultur bafelbft fo ntebrig, tüie bei ben ©alliern ober SKe-
mannen im fiebenten ^al^rl^unbert. S)ie erften amerilanifdf^cn
SRufiflefirer lüaren <3uritanifd^e ©eiftüd^e. S)ur(^ lird^Iid^c
(Sngl^erjigfeit öerMieb bie SRufif in fo arger SSernad^täffigung,
bafe ber K^orgefang ber aUereinfad^ften $ßfaImobie p einer
Folterqual würbe für jebeS gebilbete Dl^r. S3 a d^ unb $) ö n b e I
Wirften mäd^tig in S)eutfd^Ianb, wäl^renb in Slmerifa barüber
geftritten würbe, ob ^falmengefang in ber Sirene mit ben
SBorten ber Sibet vereinbar fei. Seetl^oöen war imfetben
3at|re geboren, afe SBiUiam SiUingS in SSofton feine erftc
ro]^e,@ammIung : „The New-England Psalmsinger" l^erauägab.
Siefer 93itting§ war feinet S^ic^^ti^ ein ßo^gerber, ber eine
©ingfd^ule befud^t l^atte unb einiget 3Kufi!taIent in fid^ öer*
fpürte. @r begann bie Sorm ber il^m am meiften jufagenben
^^Sfalmmelobien umjumobeln unb, fo gut er fonnte, ju l^ar*
monifiren, woju er bie 3nnenfeite feinet fiebert ober feiner
Säaumrinbe afö 9toten<3al3ier benu^te. ÖiHingg galt für
einen guten Sfird^enf änger , fo weit bamafö überl^au^jt öom
Singen bie Siebe fein fonnte. ®cr ®rfoIg feinet ®efang=*
Die ITTuftf in Tlmevifa. 61
Bud^eg toax bebeutcnb unb crmutl^igtc il^n, Balb äl^nlid^c
©antmlungcn folgen ju laffcn, fogar citte 8lrt primitiver ©e-
fangfd^ule unb Kom<)o|ition§Ie]^re. 95ei aHebem blieb' er ftetS
ein ungefd^idEter §armoni!er unb nod^ ärgerer Kontrapnnftift.
^txtxixppdt, auf einem Sluge blinb unb auf einem Sufec
l^infenb, forttüa^renb au§ einer großen lebernen 3lodftafd^c
Saba! fd^nu))fenb — fo l^at fid^ fein S3ilb feinen S^itgenoffen
einge^jragt. ®in Original unb fo red^t ber %tipn^ be«
„Yankee Psalmtune-teacher" t)om @nbe beS Vorigen ^af)X^
l^unbertg. @in grogeS <3oIitifdf)e§ ®reigni§, bie amerifanifd&e
Sleöolution mad^te il^n jum ^jatriotifd^en ^falmcom^joniften.
S5itting§ unterlegte beliebten Äird^enmelobien politifd^e ©elegcn*
l^eitstefte, unb biefe patriotifd^en |>^mnen lüurben von jebem
K^orverein, in ber gamilie, fott)ie von ben ©olbaten im Setb-
lager gefungen. Unb fo gefd^al^ t§>, ba§ mand^e feiner ®e*
fange, bie mit bem S^itpunfte' großer ))oIitifdf)er Slufregung
jufammentrafcn, mirflid&e SSoIföUeber mürben, 5. S. ehester,
Columbia; Indepondance , Lamentation over Boston u. a.
@r ftat ba§ SSerbienft, nid^t bloß frembe 3KeIobien „ange^jafet'',
fottbern aud^ eigene erfunben ju l^aben, unb barf afe ber erfte
omerilanifd^e Kom^jonift bejeidbnet iverben: ein armfeliger,
aber el)rlid^er SRufiler. ^ebenfalls begannen mit biefem
5ßfaImcom<)oniften vom @nbe beS vorigen unb änfang biefe§
Sal^rl^unbertS bie erften eigenartigen Siegungen amerifanifd^er
ERufü; eine ®<)od^e ber Äinbl^eit, aber lebenSfröftig unb l^off*
nunflSVott. SBie alte 8lutobiba!ten, fo legten SittingS unb
feine Scitgenoff en großen SBertl^ auf ba^jenige , ivag f ie fo
mül^fam l^ervorgcbrad^t Ratten, obgleid^'ba^ l^öc^ft mittelmäßig
loar im SSergleid^ mit ben Seiftungen irgenb eines lüirftid^en
lonfe^erS. Dl^ne bie geringfte SEenntniß von bem, toa^ anbere
bereits vor il^nen unb viel beffer geleiftet l^atten, l^ieüen fie
fid^ in naiver Unerfa^renl^eit für Originalgenies unb il^re
62 <Hb. ^ansM.
^robuftc für unöcrgleid^ad^c aKciftcrftücfe. Son i^ren Sin-
Rangern lourbcn fic bic 3lapoUon^f bic SBaf^ington^ , bic
SBetttngtön^ bcr äKufif gel^eifeen. @o läd^crüd^ bie Ucbcr*-
fd^ä^ung biefcr Slutobibaftcn ift, fic bejeid^nen bod^ eine Spod^c
in ber SntioidEfung bcr aincrüanifd^en SRufü. @ie öcrbrcitctcn
im SSotte ik Siebe jur SRufif, in^befonbere bag SSerlangen
nad^ neuen aKcIobicn. Saf)ixtiä)t ©ingfd^ulen unb Sl^öre, in
allen Steilen 9ieu=®nglanb§ enH)orfd^ie§enb, eröffneten einen
breiten SRarft für ®efangbüd^er unb ^falmenfinglel^rer. S)er
Sol^gerber, ber tJtcifd^er, ber 3intmerniann, ber ^äd^ter^ ber
brotlofe 2(böo!at, tüenn er nur eine erträglid^e ©timme unb
einige Uebung im 9iotenIefen befa§, njurbe je^t ^falmen==
comt)onift unb Seigrer unb l^aufirte öon ©tabt ju ©tabt mit
„neuen, nie juöor gebrudtten 5ßfaImmeIobien". SBol^I tüufeten
biefe pfiffigen ^anfee^, ba§ i^re SögKnge fic^ nad^ ettüoS
leid^terer SBaare fel^nten. Slbet njeltlid^e SRufif toax fo gut
tüie unbe!annt im Sanbe ; l^öd^ften§ ba§ einige englifd^e Sal-
laben, aKarfd^= ober Sanjweifen fid^ in bie Salons reid^er
gamilien eingefd^Iid^en l^atten. S9itting§ unb Sonforten nju^ten
fid^ ju l^elfen; fie jwöngten biefe tt)eltUd^en aWelobien unter
ffird^entejte, ba^ galt bann für geiftüd^e äRufü.
3nftrumentalmufi! njurbe faft gar nid^t get)Pegt. ®ie
Puritaner unterfagten fie aU und^riftlid^, fotüof|I in ber Sird^e
afö in ber gamilie. S)iefe§ fromme SSorurtl^eil fd^tüanb juerft
in Setreff ber Drgel, unb mand^« reid^e amerüanifd^e ©e*
meinbe Iie§ fid^ ein foId^e§ Snftrument au^ (Snglanb fommcn,
afö bie befte Unterftüfeung be§ ^^Sfalmengefangeö. 3n ^riöat:*
fjäufem njaren bamafö mufüalifd^e ^nftrumente bie .größte
©eltenl^eit. ©anj S3ofton, mit einer SJeoöIferung öon
fed^^taufenb tJ^milien, befaß ju @nbe be^ öorigen ^a^x^
ÖunbertS nid^t fünfzig Slaöiere. S)ie SKufi! ^atte, felbft in
ben Singen ber liberalften ©inglel^rer, nur SBert^ im Su^
Die IHuftf in 2Imerifa. 63
fommenl^ange mit bem Oottc^bicnfte. Srofebcm gcbie)^ bic
äRufifpflcge, ^cröorgetüad^fen au§ bem ^falmfingcn, oHmal^Iicl^
5U IcBeitbigcrcr Sraft im SSoHc. ©d^on in Silliitgg Sl^or*
öcrcin l^attc man mit einzelnen ©prcn au§ §änbel§ SReffiad
unb ^o^bn^ Sd^ö^jfung bcn SSerfud^ gemad^t. Slad^bcm bie
fi^ird^e feine Oelcgenl^eit bot, gum ©tubium fold^er SBerfe,
tt)agten einzelne ©efangüereine bie gclcgentlid^e Sluffül^rung
popnläxtx ©tüdfe au^ blefcn Oratorien. Unter ben SKufif*
öereinen, bie fid^ ju Slnfang beg ^al^rl^nnbert^ btibeten, ttjar
einer ber erften bie „Händel-Society" be^ Dartmouth-
College bei 93ofton. SSon ben Se^rem unb ©tubirenben
biefe^ einflu^reid^en ®ottegtnm§ ausgeübt unb geförbert, mu^te
bie SRufif balb in ©d^id^ten beS amerüanifd^en SSoIfe^ ein*
bringen, bie fid^ lange bagegen gefträubt l^atten. S)ie ©tu*
beuten, toeld^e ba§ Kollegium abfoloirten, brachten überalll^in
in i^re ^eimatl^ ober itiren neuen SSeruf^ort bie Siebe jur
äWufi! mit unb l^alfen bort ©ingöereine ober beffere Sird^eu-
d^öre orgauifiren. Sebeutenber nod^ unb einflu^reid^er war
bie in Softon gegrunbete „Händel- and Haydn-
Society". Sie gab ju SBeil^nad^ten 1815 i^r erfteg öffentlid^c§
„Oratorio", tüeld^e^ au^ bem erften Xl^cile ber „©d^ö^jfung"
unb öerfd^iebenen (Stören unb Slrien üon |)änbel beftanb.
(Unter „Oratorio" öerftanb man in Slmcrifa big gur äRitte
unfere^ Sa^rl^unbertS ein auS öerfd^iebenen, meiften^ geiftlid^en
©tüdfen jufammengefe^te^ ©oncert.)
3n @uro<3a lag el^ebem bie 5ßflege ber SKufi! übcrroiegenb
in ben ^dnben ber SReid^en unb SSornel^men, au§ bereu ejHu'
fiöen ©reifen fie aßmä^tid^ in§ SSoI! brang unb (Baä)t be^
„^ublifumS" njurbe. ^n bem bemofratifd^en 2lmeri!a, wo
otte bie gfcid^en ^joütifd^en unb fojialen SRed^te genießen unb
nur ber gefülltem ©eltbeutel einen Unterfd^ieb mad^t, ift bie
SKufif öom SSoIfe ausgegangen unb gel^ört bem SSoIfe. S)en
64 €ö. ^ansM.
erften tnufifalifd|cn Smpufö gaben bic ^rd^end^öre unb ©ing-
öerciite, tüeld^c fid^ an^ allen klaffen be§ Sottet refrutirten,
öor affent in bcr reid^en ^au^jtftabt SReu'(£ngIanb§, SSofton,
ftjeld^e in il^rer „Häüdel- and Haydn-Society" juerft eine
anfel^nlid^c 5ßflanj= unb ^ftegeftötte mufifalifd^er SSilbung
fd^uf. S)eutfd^er ©tnflufe ftjirfte babei njefentüd^ mit. S9i§
^utti Slnfange unfere^ Qal^rl^unbertg bejog bie amerifanifd^e
ffultur il^re ntufüalifd^e Sftal^rung faft au^fd^fie^Iid^ au§ eng^
Itfd^en Duellen. 9tur öereinjelt taud^te l^ier unb ha ber
3tame eines S)eutfd^en, granjofen ober ^tditnet^ auf, ber
fid^ aU SRufüer in ber neuen SBeft burd^jubringen fud^te.
derjenige 5)eutfd^e, ber juerft einen ganj entfd^eibenben (Sin-
flu§ ouf bie SRufif in Soften geübt l^at, ttJar ©ottlieb
®raut)ner. Urfprünglid^ |)oboift'in einem l^annoöerifd^en
Slegiment, toax er fjjäter nad6 Sonbon gefommen unb l^atte
bort in ©alomonS Drd^efterconcerten unter §at|bnS Seitung
gef<)ielt. 3n Softon Iie§ er fid^ 1798 nieber unb bilbete ba
ben Sem eine§ Meinen Drd^efterS; meiftenS Siebl^aber, bic
fid) jeben ©amftag afö ,,^^ir^armonifd^e ©efcfffd^aft" öer-
einigten , um in i^reip befd^eibenen SBeife, fed^jel^n SKann
ftarf, §a^bnS ©^m^jl^onien ju f))ielen. ^f)x le^teS ©oncert
gaben fie im SRoöember 1824. ®Tcaupntx fauftc aud^ einen
Keinen SRufiKaben, brudfte 2Rufi!aIien unb fd^rieb eine eigene
^ianofortefd^ute für feine ^ööKuge. ©eine ganje %amHxt
toar mufüalifd^, feine grau jatirelang bie einjige Sängerin
in ganj 93ofton. öaut)tfäd^lid^ burd^ ®xanpnn^ SBemül^ungen
tourben bie äRufüfreunbe Softong be!annt mit italienifd^em
unb beutfd^em SRufifftil. 3n Sonbon, tool^er ja ©raut^ncr
gefommen, mu^te ber gad^mufifer, um ©rfolg ju l^aben, brei
öerfd^iebene SRufifrid^tungen Verfölgen ; bie italienifd^e für bic
£)ptx, bie beutfd&e für bie Sttftrumentalmufif unb bie cngüfd^e
für ben ffird^engefang unb bie SSattaben. S)icfc SRifd^ung
Die IHuflf in 2lmerifa. 65
nationaler äRufiffttlc fd^icfte il^re 3tc))räfcntanten nad^ Stnicrifa
unb legte l^ier bcn @runb ju einer neuen ÄunftenttDidlung.
gür bie Slmerifaner — S)ilettanten tt)ie %ai)mu\ittt — ttJar
aUt^f tt)a§ aufecr ben ^falmen gefangen ober gefpielt njurbe,
fd^lcd^ttoeg ,,eurot)öif(i^e 3Kuft!", ol^ne naivere nationale S3e^
jcid^nung. Sin Äam^jf um bie Dberl^errfd^aft jttJifd^en ben
beutfd^en, englifd^en unb itaüenifd^en lonfünftlem entftanb
erft nad^ ber ©rünbung ber „Newyork Philharmonie Society"
(1842). ®a ftjurben auS ben brei mufifalifd^en @mpptn
brei getblager. S)ie cngüfd^en 3Kufifer l^ieften au8 alter
ererbter ©elool^nl^eit jufantmen mit ben italienifd^en ®cfang*
Icl^rem unb D^)emfängern gegen ben mäd^tig ttJad^fenben @itt=
Pufe be§ beutfd^en fflaöierlel^rerS unb Drd^eftermufüu^. STud^
einige beffere franjöfifd^e SKufifer fiebelten fid^ an, öome^m*
lid^ in SReio^or! unb 9iett)orIean§, fie bKeben jjebod^ im ganzen
neutrat unb nal^men ba§ @ute, foloeit fie e§ öerftanbcn,
ol^ne Unterfd^ieb ber ^Rationalität, ©päter bilbete fid^ nod^
eine neue ®xvippt: bie eingebor en-en äKufifer; biefe l^dttcn
am liebften alle tjremben gteid^ au^ bem Sanbe gejagt, teiftetcn
aber fclber fo gut tok nid^t§.
S)ie „^'dnieU unb ^a^bn^Sefellfd^aft" in
SSofton erftarfte fo rafd^ in i^ren SRitteln unb in ber ©^m-
patf)k ber SetJötferung, ba§ fie im 3a^re 1818 ben ganzen
„ajieffia^" unb balb barauf aud^ .^a^bnS „Sd^öpfung''
geben fonnte. S)ie äReiftertoerfe |)änbefö unb $a^bn§ bil=
beten bie Säule, um toeld^e öiele - Saläre lang bie ganjc
mufif alifd^e Kultur in Slmerifa fid^ bch)egt l^at. S)er „3R e f f i a 8''
unb bie „@d^ö<)fung" ttJurben in äffen möglid^en gormen
gefungen, nur nid^t in ber rid^tigen, öielmel^r in bcn erbenf*
Ud^ften SlrrangementS. Sie rcid^ten lange aus für bie
iperanbilbung be^ mufif alif d^en jungen Slmerif a , unb ed
toar ein ®IüdE für lefetercS, ba§ ^önbcl unb $a^bn atö
eb. ^ ans lief, ^ui bem Xagebudie eines SRufllerS. 5
66 <£^* Qansitcf.
bic ibcoIcTi Dratoriencomponiften l^ingeftcüt unb ancrfannt
toaxtn, an bencn bie fünftigcn ©cnerationen ftd^ foriju^
Klben l^atten. S)ie ©rünbung bcr „S^'äix\>th unb ^a\)i>u-
(ScfeHfd^aft" in SSofton toax ein ®rctgni§ öon bcr größten
unb nac^^altigftcn SBid^ttgfcit. ®ic ©efeCf^aft befc^rdnftc
fid^ nid^t auf§ aRuftcircn. Sie ^)ubltctrtc aud^ muftfalifd^c
SBcrfc, tüeld^e (^tüte bie „Bridgewater Collection") balb
öon bcn länblid^en Vereinen angefd^afft tourben unb lange
Seit bereu mufüalifd^e^ @tanimfa))ital auSmad^ten. ©iefe
SRufifttjerfe l^aben nid^t bloß ein bringenbeS S5ebürfni§ be^
friebigt, fie bilbeten aud^ eine gute ©ubfiftenjqueffe für bie
©efeafd^aft, ftjeld^e feit 1820 i^re Stu^tagen gröfetent^eifö
au§ bem ©rtrage jener 5ßubli!ationen beftritten ^at. ^l^re
^falmenbüd^er aßein foHen über jtoanjigtaufenb ' ®oßar^
betrogen l^aben. S)ie*®efeIIfd^oft tt)ud^§ jufe^enbS unb toax
um bag Qal^r 1825 bag anerfonnt befte berartige ^nftitut
in Slmerifa. ^f)xt erfte ftjid^tige ©ntfaftung alfo ^at bie
omerüanifd^e SKufitpflege in Softon gefunben. ©d^Iiegli^
aber tüurbe SRetü^orf, tt)ie im ^anM unb SBanbel, fo
aud^ in ber SRufi! bie eigentlid^e ^au))tftabt SlnterifoS.
II.
. ©te ®pen
Slfö erfte ©d^toalben, bie einen fünftigen Dpemfrül^Ung
in Slmerifa anzeigten, erfd^ienen Keine Sieberf))iele au^ @ng*
lanb. ®ie unbegrenzte Popularität, ftjeld^e bag erfte englifd^c
©ingfpiel „®ie Settlero^jer" feit feinem ©rfd^einen in Son*
bon genofe, öeranlaßte 1750 beffen erfte Sluffü^rung inStew*
^orf. ©eitbem ift burd^ ein boHeg Qal^r^unbert fein einziger
Il^eaterbirector ober SaHabenfönger nad^ 3teh)^orf ge*
lommen, ol^ne biefe« ©tüdt aufpfül^ren. So l^at benn bie
Die IHuflF in 2Imerifa. 07
cnglifd^c Dptx in ber eigcntpmnd^en gornt afö Sieber*
f|)iel (ballad-opera) unb mit ber ERufif ber ^joputarftcn eng*
lif^en ®om))oniften 75 ga^re frül^er ofö bie ttalieniCd^e D^)cr
in Slmerifa ©ingang gefunben. S)ie beüebteften cngKfc^en
Sieberfpiele üon ber Slrt ber ^SSettlero^jer" crfd^ienen ttun<
ttie^r auf ber 9iett)^orfer Sü^ne. ^a(^ ©eginn biefeg Sal^r*
]^unbert§ ftjurben ancS) einige ber beliebtcften fran§5ftf(i^en
©^ieto^ern, \pättx nod^ SRoffini^ ,,S5arbicr" unb SBeber^
/fSrcifd^üfe" (1825) in englifd^er ®pxai)t gegeben, unüoH*
ftönbig unb mit ganj tt)ittfürfid^ arrangirter äRufif. 3m Sct^rc
1832 erf^ien jum erften SKat ,,S)ie gauberftöte^, gleic^fattg
englifd^ unb ^^arrongirt" öon bem unermüblid^en 3Rr. <^orn.
©in beutfd^er Serid^t auS-bem Qal^re 1828 fül^rt aug, ba§
eine rid^ge D^jemauffü^rung in 3teh)^orf fd^on megen ber
gerabeju unbefd^reiblid^en ©d^Iec^tigfeit unb Unüottftänbigfeit
ber Drd^efter unmöglid^ fei. S)a§ tt)ici^tigfte Qnftrument in
biefen Drd^eftern fei überaß bie 5ßofaune, »eld^e ftet^ bie
SSioIonceHt)artie mitbläft,- mand^mal aud^, faßg ber Slöfer
gefd^idft ift, eine SSioIin^jaffage. 3[mmerl^in ^aben biefe eng*
Itfd^en ©änger juerft ben ©efd^madt für (Sefang in Slmertfa
tttoedi, unb i^re @ingft)iele, tialb gefungen, l^alb gef^jrod&en,
l^aben für bie italienifd^e D)(>tx, in \odd)tx nur ber ®efang
^errf d^t, ben SBeg gebal^nt. ^m Saläre 1825 erfd^ien @ar*
cia mit einer guten %x\ippt in 3lmt)oxt unb gab ben
Slmerifanem perft eine ^robe itaüenifd^er D^jernmufü. 3ta*
üenifd^e SKuftfer unb Siteraten l^atten bereite §u Slnfang bcS
Sal^r^unbertg, infolge ))oIitifd^er unb finanjietter SKifegefd^idEe,
Suftud^t in 9ien)t)orf gefud^t. Unter i^nen finben toix jftjei
befannte unb angefcl^ene 9iamen: gili^j^jo Irajetta unb
Sorenjo ba ^onte. S3eibe äRänner toaxtn burd^ l^öd^ft
romanl^afte SBcd^felfaße nad^ Slmerifa öerfd^Iagen tt)orben.
dUxppo lirajetta, geboren 1776 in SSenebig, \oax ber ©ol^n
5*
'68 €b. ^anslxd.
bes bcrftl^mtctt D^jcpcontponiftcn lomafo %xa\tüa (ober
%taeüa). (St l^attc eine gute ©rgiel^ung genoffen unb julc^t
unter ^ictnni ftubirt. 3«^ S^it i^^i^ franjöfifd^ett Slcöolutiott
trat er in bie patriotifd^e italienifd^c Slrmcc, würbe öon ben
aio^aUfteu gefangen, öerlefite ad^t äRonate in einem fd^retf-
lid^ctt fferfertl^urm unb cntfam enblid^ an SSorb cineS
anierifanifd^en ©d^iffe^. (Sr Ue§ jid^ juerft afe ®cfang-
lel^rer in ©ofton niebcr, fant fpäter nad^ SReto^orf, tt)urbe
Il^eaterbirector in ben füblid^cn Staaten unb ftarb enblid^
im ^äf)xt 1854 in ^l^ilabel^l^ia. Srajetta, tl^ätig unb ein*
Pußreid^ afö Eontponift toie aU ©cfanglel^rer, follte aud^ auf
ba 5ßonteS ©inlabung für bie Dptvnttn^ppt ®arciad in 3tm-
t^oxt arbeiten; ate er bafelbft eintraf, roax aber ©arcia*
©efettfd^aft fd^on aufgelöft. S)en . nod^ öiel bctoegteren
Sebcn^Iauf ba ^onte«, beg Sibrettiften öon äRojart^ „^on
3uan" unb ,,gfigaro", l^aben mir gelegentlid^ beS S)on Suan-
$5ubiläum^ auSfü^rttd^ in einem früheren Sanbe er^äl^It.*)
S)a $onte, ber im Qa^re 1838 l^od^betagt in 9lett)^orf ge-
ftorben ift, l^at mit S. Srajetta unb ®arcia juerft für bie
itafienifd^c D^jer in Smerita ben Soben bereitet. S)enerften
SSerfud^ mad^te, toie gefagt, äRaniiel ©arcia im ^al^re 1825.
SRoffinig „Sarbier öon ©eöitta", afö @röffnungSo))er , toax
faft gänälid^ öon ber Samitte ©arcia bargeftcttt. Satcr
©arcia fang ben SlImaDiöa, fein ©ol^n SKanuel (ber f^)äter
berül^mte ©cfanglel^rer) ben gigaro, feine Sod^ter äRario
(aKaUbran) bie Äofina, SRama ©arcia bie Sert^a. S)a«
^ublüum mar entjüdtt, bie ffritif nic^t minb«£^ S)ie
näd^ften Slbenbe brad^ten „Don Giovanni", „Olgllo",
„Semiramide", „II Turco in Italia" unb Jtoei D^)Cm *ÖOn
*) ,,^uftfolifd^e8 u. Sitevarifi^e^" (bev „mobtman Oper" 5. ^^cil^
«crlin 1889. p. 221. N
y
s
i
Die ntufif in 2Imerifa. 69
©arcia^ ®ont|)oyttion — im gonjcn 79 SSorftcHungen.
%xo^ be§ anfangt fo gönftigen ©rfotgcg fonnte ©arcia
jcinc ©cfeHfd^aft nid^t länger äufammcn^alten unb fd^Io^ im
©c|)tcmbcr 1826 feine SSorftettungcn. @r ging nad^ ERejifo ;
aWaria, ttJelc^e $erm SKalibran l^cirat^cte, blieb in Sleto^rf,
fang fonntog^ in ber ffird^c unb gelegentlid^ in engtifd^cn
Dperetten. ^m ©e^jtember 1827 nal^m fie Slbfd^ieb öon
ämerifa unb reifte naä) ^ari§, ba^ il^ren SBeltrul^m be*
grünbet unb verbreitet f^at
SBal^renb bie oben erlüä^nten erften englifci^en Operetten?
öorftettungen in SRetotiorf ftattfanben, öerfud^tcn fr an?
jöfifc^e @d^auft)ieler bie franjöfifd^c D^cr in ber ^awpU
ftabt öon Souifiana (9iett)orIean^) einjufül^ren, n^eld^e ur«=
fprünglid^ tjon franjöfifd^en Stotoniften gegrünbet loar. Db-
tool^I feit 1803 p ben bereinigten Staaten gefd^Iagcn, blieb
bod^ bie äRel^rjal^I ber Seöötferung franjöfifd^ unb fül^rte
franjöfifd^e Sitten unb Il^eater ein. ©d^on 1791 erfd^ien bie
erfte regelmäßige franjöfifd^e Xxuppt in 9lett)orIean§. S)ie
ERitglicber tt)aren jugleid^ @d^auft)ieler unb ©änger. 5ßae=
ficllo^ ,,S3arbier üon ©ebitta", SingarcIIig „Uomto
unb 3uUe" »urben fd^on 1810 öon i^nen gegeben. SBöd^ent*
üd^ brei D^jernabenbe in franjöfifd^er <Spxad)t bifbeten ha^
l^auptöergnügen ber rafd^ antt)ac^fenben S9et>ölferung. lüd^*
tige Unterncl^mer lüie S)at)i§ unb S9oubau§quier brad^ten p
änfang jeber ©aifon trefflid^e ©änger unb ©d^auft)ieler au^
^ari§, tücld^e balb bie SKeiftemjerte öon SRojart, 3R6^uI,
äloffini unb S^jontini tabeltoS auSfül^rten. 9lett)orIean§ l^at
bctt Slul^m, juerft in ben bereinigten Staaten regelmäßige
Dpernfaifon^ eingefül^rt unb feftgel^alten ju l^aben; ein
Seid^en fel^r öorgefd^rittener ©iöUifation unb äRufifliebe. ^m
S)cjember 1859 lourbe ein neue^ gtänjenbeS I^eater für bie
franjöftfd^e Dpn errid^tet unb mit 3loffini§ „Seit" eröffnet.
70 <2b. f?anslicf.
Aber bie Sage ber früheren, übermütl^ig luftigen freoüfd^en
©efeHfd^aft toaren gejault. 3taä) bem ©eceffion^friege
fd^intmerte bie Dptx nod^ tnand^mat in flüä^tigem ©lanje,
enbete aber faft immer mit bem Sluin ber Untemel^mer.
Stoti Srüber, ®^arle§ unb äRarcelin 8111^ ai ja, reiften nad^
5|5ari§, um für bie ©aifon 1866/67 eine üottftänbige fran^
jöfifd^e Dpern= unb ©d^aufpieltruppe nad^ Sftenjorlean^ ju
bringen, ©in fd^redflid^eS ©d^idffal jerftörte ba§> Unter-
nel^men. Slm SSorabenb berSbreife ftarb ber eine ©ruber,
SRarcelitt, Sl^arle^ brad^te bie ganje ©efeHfd^aft nad^ Slett)-
tfort unb fd^iffte fid^ mit il^r auf bem S)am:pfer „©öening
Star" na^ Sftetoorlean^ ein. Slm 3. Dftober 1866 ging
ba§ ©d^iff bei einem furd^tbaren ©türme unter, unb mel^r
afö 300 ^erfonen ertranfen, barunter bie franjöfifd^en ©d^au«
f^ieler unb il^r ®irector ®^arle§ Sll^aiäa. ©eitl^er ift
bie Saufbal^n ber D:per in Sftetporlean^ ganj äl^nlid^ ber in
Stetü^orf. ©ie l^at eine fefte S5afi§ nid^t tüieber erlangen
lönnen.
S)ie ©^ftenj ber itaüenifd^en Dt)er in Slmerifa toax
ftetS eine unfid^ere, ftjed^feföoHe. ®in Unternel^mer nad^
bem anbem l^at bamit fein ®IüdE öerfud^t, faft jeber aber
feinen SRuin gefunben. S)ie italienifd^e D^jer, unter SSerl^öIt*
niffen entftanben unb getpad^fen, ttjeld^e ber 9latur unb ben
©ettJol^nl^eiten be§ amerifanifd^en SSoIfe^ gänjlid^ fremb ftnb,
l^at in biefem niematö SBurjel faffen fönnen. ®er fcenifd^e
®Ianj, bie 93raöour ber ©änger erregten anfangt ein neu-
gieriges ©rftaunen. Stber baS SBefen biefer ejotifd^en Äunft
bUeb ber Sftatur beS SlmerifanerS burd^auS fremb. ©ein
fetter SSerftanb öermod^te !einerlei Slüfelid^feit baran ju
entbedfen. (Ss ]^ie§, ba§ eS „fashionable" fej, in bie ita*
üenifd^e D:per ju gelten, ©o ging er benn l^in, benn ber
rid^tige Slmerifaner ttJürbe fic^ lieber erbroffeln laffen, atö
i
[
Die mujlf in 2Imerifa. 71
für unfaf^ionabte gelten. ©^ ift erl^eitemb, in öfteren S^^r-
gangen ber 9ietü^or!cr Journale bic jal^Ireid^cn Slnfragen
unb SSekl^rungen nacöjulefen, toit man ftd^ in ber D^^cr nad^
enropäifd^er äWobe ju Heiben unb ju fienel^men l^abe. 3tai^
bem erften Strohfeuer ber Sfteugierbe tüurbe bag ^uMüum
gleid^giüig gegen ben S^it^er ber äWaria Oarcia unb ber
SRoffinifd^en Dpern. S)er Slmerifaner fanb in ber italienifd^cn
Oper fe^r ttjenig für feinen SSerftanb, ja er fanb fie lädier*
tiä). Dbgleid^ ber amerüanifd^e SKupffreunb attttia^Iid^ ben
©efang ber Italiener betounbern lernte, er ttjotttc bod^ S^gl^idS
»iffen, ,,um mag e§ fid^ l^anbeü", unb baran ^inberte il^n
feine Unfenntnife ber italienifd^en ©prad^e. (Sin nod^ größeres
$inbemi§ tt)ar burd^ lange Seit bie fird^ftd^e Oefinnung be§
amerüanifc^en SSoI!e§, beffen gro^e Tttf)x^af^l „church-people"
ift, b. ]^. puritanifd^, ftreng feftl^aftenb an ben SSorfd^riften
ber Selten, fomit in D|)t)ofition gegen alle äftl^etifd^en len*
beulen, bie fid^ nid^t unbebingt ber fird^Iid^en ^a<S)i unter*
tperfen. S)ie ®eiftlid^!eit »arnte i^re ©emeinben öor einem
aSergnügen, ba§ il^r unmoraftfc^ unb öott h)eftlid^er SSer-
fud^ungen erfd^ien. ®a§ tüaxtn aber nid^t bie einzigen
unb nid^t bie gefal^rlid^ften Mippm, Unjulanglid^e D^)em*
l^äufer unb Sühnen, mangell^afte Drd^efter, ungefd^ufte
©l^oriften, bie S'oftfpieligfeit ber Ueberfal^rt einer ganjen
Int()pe au§ @uro^)a! ®er Unternel^mer mufete, um fid^ ju
fid^ern, ^o^t greife anfefeen. ©obalb bie erfte Sfteugierbe be*
friebigt mar, murrte bag ^ublüum über bie tl^euren greife,
bfieb aHmä^Ud^ au§ unb bie Unternehmung mad^te Sauf erott.
Sitten nur erben!bar äRögtid^e ift öon erfinberifd^en Unter-
nel^mem öerfud^t morben, um ba§ amerifanifd^e ^ubftlum
für bie D^jer ju gewinnen: ^ol^e greife unb bittige greife,
berül^mte ©änger unb aWittelgut, itaüenifd^e, beutfd^e unb
franjöfifd^e D^jer — nid^t^ h)oHte auf bie ®auer öerfangen.
72 <Eb. Qanslirf.
@cit bem erften emftl^aften SScrfud^c ©arciag bis auf bcn
l^cutigcn lag jctgt bic (Sefd^id^te bcr itaKcnifd^cn D^jer in
Slmertfa im loefcnttid^en biefclbe ^^^fiognoniie; nur bic
©cfid^tcr ber Untcmcl^ntcr unb ber Sünfticr l^aben qmtä)^dt
®ic Dptx in Slmcrifa lebt juhjcifcn itp^)ig, 5Utt)eiren fümmer^
lid^, nicntafe aber in organifd^cm SBad^Stl^um. ®er Dpern*
bcfud^ ift l^eute nod^ nid^tS ttJcitcr afö eine 3KobeIaune
(a fashionable whim). grgenb ein fIcincS aufregcnbeS @reig*
nife genügt, um bic Seute inS Dptxnf^an^ ju treiben, unb
eine ebenfo geringfügige Urfad^e, fte babon abjul^alten. S)er
amerifanifc^e D^jernuntemel^mer fi|t forttüäl^renb ouf einem
^utoerfaffe, baS er, ber (Sjplofion gett)ärtig, unabtaffig beob*
ad^ten unb bel^ütcn mu§. Sin Unternel^mer nad^ bem anbern
verliert fein SSermögen. Oft aud^ fte^en bie SKitglieber (big
auf ben „Stern" ber Iru^jpe, ber fid^ ftetS ju fidlem tt)ei§)
l^itftoS ba naä) bem S5an!erott il^reS ©l^efS. Slttein bie Sänger
unb aSirtuofen ttjcnbetcn immer me^r il^re SSIidtc nad^ Slmcrifa,
too il^nen angebüd^ in fürjefter 3cit ein SSermögen ttjinftc.
3m Saläre 1843 baute ©ignor ^^Jalmo ein neues I^eater
für bie italienifd^e Dper in SRetp^orf. @r toax ein fel^r be-
ttebter ©aftoirtl^; ba^ SSermögen, baS er mit feinem be*
rül^mten „Caf6 des mille colonnes" crtüorbcn, öerlor er in
ber Dpern^Unternel^mung. 3m Saläre 1847 ftjurbe abcrmate
ein neues, prad^tigeS D^jcml^auS gebaut, baS nad^ fünf 3^^^^^
mit großem SSerlufte gefd^Ioffen unb in bie „®tinton*S9ibUo*
tl^el" umgeh)anbelt tüurbe. 3Kan mad^te l^ierauf ben SJorfd^Iag
ein breimat fo großes D^Jcrnl^auS ju errid^tcn: ber ^ait
begann im SKai 1853, unb fd^on am 2. Dftober 1854 fanb
bie ©röffnungSöorftettung (mit aWario unb ber ®rifi)
\tatt @o fd^ncH baut man in Slmcrifa! S)ie „Academy
of music" fo ]^ie§ ha^ neue I^eatcr, üerf^jrad^ unter
anberm aud^ ?ßreife auSjufc^en für bie befte mufifalifc^c
Die IHnftf in 2lmerifa. 73
ffiompofltion. (Srofeer ^nM uitb fül^itc $ojfnutigen ber
iungcn anicrifantfci^en Som^joniftcn ! @in einjigc^ SRal tüurbe
toixtliä) ein folc^cr ^rei§ öoti 1000 S)onarg für bic befte Doit
eitlem Slntcrifoner cotn^jonirte Dptx au^gefd^ricben, aber nie-
ttiafö au^bejal^It. Srofe beS neuen, großen ^aufeg, ber nteift
trefflid^en S^nftler unb ber niebrigen 5ßreife fd^citerte ein
Unternehmen nad) bem onbern. 8(ud^ Die SuII toarleiber
barunter. 9iun folgt ein toixxt^ S)urc^einanber öon Utl-
mann, ©trafofd^, BRare^ef unb anberen 3m<)refario&,
njeld^e tl^eitö nad^ einanber, t^eifö gleid^jeitig unb gegen ein==
anber italienifd^e Iru^jpen ind gelb fül^rten, eine ttJÜbc 3agb,
ba§ einem beutfd^en Sefer ber Äo^jf fd^ttJirrt. @ine intcr-
effante furje @^)ifobe toax bie beutfd^e D^jernfaifon beS SParl
81 n f ^ ü fe .im alten SBaOad-I^eater (1862). S)ie ©efeOfd^aft
befaß feinen einzigen großen ©änger, ber fid^ mit ben ita*
lienifd^en ffünftlem ber Academy of mueic öergleid^en fonnte,
aber ba§ ©nfemble toax l^armonifd^ gerunbet,. bag Drd^efter
öortrefflidö, ber ®f|or gut gefd^ult. Unb metd^e^ SRe^jertoire
Don auderlefenen beutfd^en D:pern ! ^ier toax mt^x Sntettigenj,
mefir ed^te SSegeifterung unb mufüattfd^e SSitbung, atö in
irgenb einer anberen D^jem^Untemel^mung, bie man in SftettJ*
^orf erlebt ^at. Seiber ttjarb Slnfd^üfe burd^ bie ungünftigen
Seitüerl^dttniffe genötl^igt, feine Dptx balb aufzugeben. Slad^
SSecnbigung be§ ©riege^, ber auf aHen ©emüt^ern fd^toer
gelaftct, brängtc alleS nad^ feid^ter, finnüd^er Unterl^altung,
unb bie Dffenbad^fd^en D^jeretten im franjöfifd^en Ifieoter
öon 9tett)^or! l^atten einen ungel^euren 3"iöitf • D f f e n b a d^
tourbe fo poputör, baß feine S5ett)unberer i^n in ^erfon nad^
Slmerifa brad^ten. ®r ma^k aber nid^t ben gel^offteo @in*
brudf ; bie 9ieugierbe, ben Eom^joniften ber „©d^öncn ^etena''
gefeiten ju l^aben, ttJar balb geftißt unb bie öon il^m biri*
girten ©ommernad^tSconcerte verloren il^r 5ßublifutu. SBenn
74 <Hb. ^anslxd.
in Slmerifo ein Sitttg po^juför loirb, fo ctitfcffclt c§ eine 3^^*
lang eine ttja^re SRaferei, fällt aber bann meiften^ ebenfo
fd^neß lieber in SSergeffenl^eit. S)a§ glcid^e ©d^idffal l^atten
^pättv bie l^atttilofen Operetten öon ®ilbert unb ©uni-
öan; bag ^ublifum mar öon ifinen ebenfo fd^nett entjüdEt,
aU überfättigt. SBa§ nod^ l^ier unb ba an S^tereffe bafür
üerbUeb, bürfte balb öerjagt fein burd^ ben ©d^marm neuer
„fomifd^er Dptxn", an bencn ber Sitet meiftenS ba§ einjig
^omifd^e ift.
©inige glänjenbe itaüenifd^e ©aifon^ l^atte 9lett)^orf in
ben fiebjiger 3af|ren : 3Ka j @ t r a ! o f d^ brad^te bie
Sängerinnen StitSfon, lietjen^, Äellogg, SKarie
3loje unb ben Senor ©am^janini, ,,biefe§ 3beal eines
ßol^engrin''. ^a6) einigen Salären öerfd^ümmerten fld^ lie-
ber bie SluSfid^ten ber italienifd^en D:per unb mud^fen bie
aSerlufte ber Unternehmer. S5alb maren bie äRarefeefö, bie
OrauS, bie ©trafofd^ fertig unb abgetl^an. S)a taud^te ber
„Soloncl" 3Wa<)fefon öom Sonboner äRajeft^S^S^eater auf
unb gab ber italienifd^en D^jer einen neuen äiudt. Salb ent*
ftanb SKa^pIcfonS „ Academy of music" ein gefäl^rlid^er äiiöale
in bem neuerbauten großen „Metropolitan-Opera-
House". (gg ftjurbe öon bem Unternel^mer ^enr^ 21 bbe^
im 3af|re 1883 mit ber Stitöfon, 6embrid^, Irebetti unb ben
©ängern ®anH)anini, dapoul, ©tagno eröffnet. S)iefe ©aifon,
eine ber glönjenbften, bie Steftj^orf ertebt l^at, marb bod^
öerpngni^öott für SKr. Slbbe^ unb liefe i^n ein fo gefä^r*
liä)t^ Unternel^men unöerjüglid^ aufgeben. SBie in SBien,
$ari§ unb anberen euro^^äifd^en ^au^^tftäbten, fo begann
aud^ in Stew^orf bie italienifc^e Dper i^ren ^att im ^ubli-
fum ju öerüeren. S)amit ftiegen einigermaßen toieber bie
Sluöjid^ten einer beutfd^en D^)er, obmol^I biefe niemafö in
Slmerüa „fashionable" ju »erben öermod^te. ®ie S)irectoren
Die ntufir in Tlmevxfa. 75
bcd 3Kctro^)Oütan=I]^catcr^ beauftragten ben tüd^tigen ^aptü^
meiftcr unb SSiotinf^)ieIer ßeo^jolb S)ainrofd^ (geboren 1832
in ^ßofen), eine beutfd^e ©efettfd^aft ju engagiren. ^m 9lo==
tjember 1884 gab biefe il^re ©röffnungäöorfteHung ^lann-
l^äufer", mit ber SKaterna, SWarianne S3ranbt, bcri
Ferren ©d^ott unb fRobinfon. S)iefe erfte ©aifon l^atte
einen großen fünftlerifd^en ©rfolg, unb finansiett ,, einen iiem-
lid^ befriebigenben", b. ^, ba^ Sefijit betrug nur 40000
2)offar^. 3)iefe§ ,,unertüartet günftige" SRefuItat beftimmte
bie ®irectoren, bie gortfe^ung ber beutfd^en SSorftettungen
für bie folgenben brei ^aii)xt ju befd^Iie^en. ®ie Dt)er er-
l^iett fic^ auf il^rer fünftterifd^en ^öl^e; aber bie SluSlagen
überftiegen fel^r bebeutenb bie ©inna^men. S^^fteid^e Stint*
Uten liefen fid^ öeme^men gegen ba§ ju ftarfe UebergettJid^t
ber öon S)attirofd^ beöorjugten SBagnerfd^en Dpern int
8ie^)ertoire. S)iefe Stimmen brangen burd^. S)ie näd^fte ©aifon
(1891—92) geprt loieber ber itaüenifd^en D^jer.
Slid^arb SBagner ift juerft in S3ofton befannt ge*
tporben, mo 1853 jum erften SRale bie lann^äufer^Duöer-
türe öon bem ,,®ermania'Drd^efter" unter Sari S3ergmannS
ßeitung geft)iett tüurbe. S^en erfolgreid^en Semii^ungen ber
fortgefd^rittenen S)eutfd^en in ©ofton folgte f^jöter ba§ fonfer*
Datiöe Sleto^or!; inöbejonbere bie beutfd^en ßiebertafeln ba=
fetbft. ®ie erfte Sluffüfjrung be§ ,,3:ann^äufer" fanb 1859
in Steto^or! ftatt, beutfd^, unter ßeitung öon Äarl Sergmann,
einem begeifterten Slnl^änger ber Sifjt-SBagnerfd^en SRid^tung.
3m ^al^re 1870 erft folgte ,,ßo]^engrin", unb jtoar in bem
alten beutfd^en ©tabttl^eater unter ber ßeitung öon
St. Sleuenborf. Si^^er l^atte nur bie beutfd^e SeööHerung
fid^ um SBagner geflimmert. ®ie amerifanifd^en SKufiffreunbe
blieben biefer ©ettjegung gänjüc^ fern. (£rft aU bie i ta-
uen ifd^e Dperngefettf^aft öon ©trafofd^ im S^^re 1873
76 <£^* Bianslid.
bcn „Sol^engrin'' auffül^rtc, begann bcr ©rfotg 3Bagncrä bei
bcnt antcrtfanifd^cn 5ßuMifuni. ®ic Don X^oma^ 1884
untctnommencn SBagner * Sonccrte mit ber Tt attxna,
SBinfetmonn unb ©caria förbertcn auftcrorbentlid^ ba^
^ntpad^fen be§ SBagncr^^ltuS in Sinterifa, unb bic bereite
ertoö^nten beutf d^cn SSorftcßungen im Metropolitan - Opera-
Houae i^attn baS Ucbrigc.
Dr. SRitter gelangt abermals ju bemfelben äiefrain, ba&
bie Dptx (italicnifd^, beufc^ ober franjöfifd^) in Slmerita ein
fünftüd^ aufgewogene^ ®en)ac^^ unb nur für einen ganj Keinen
SSrud^tl^eit ber SeüöHerung ein S9cbürfni§ ift. @ine ftel^enbc,
regelmäßig f^jielenbe D^^er, tt)ie fie in S)eutf(i^Ianb, tJtanfrcic^
unb 3taUen aU ein Sl^cil unb aU eine @f|renfad^e ber na*
tionaten ffultur beftel^t, üermag in Sfmerüa nid^t ju eyiftircn.
3lttot)oxl beftfet mel^r afö breißig Ifieater, bie alle gute
©efd^äfte mad^en, aber feine ftabite D\>tx. SBenn 3tmt)oxl
im fetben SSerl^ältnife eine mufifalifd^e ©tabt ttJäre, fo
toürbe @in Dpern^auS nid^t genügen, um ba^ SSebürfnife attcr
D^jemfreunbe ju befriebigen; e§ gäbe ba ^infänglid^en 3laum
für eine italienifd^e , franjöfifd^e unb beutfd^e D^jer. S)em
Slmerifaner ift bie D))er nod^ immer nur ein ©egenftanb
öorübergel^enber Sfteugierbe ; ein bleibenbe§ Äunftinftitut fann
aber nid^t auf üorübergel^enbe Sleugierbe gegrünbet n^erben.
m.
(Eonjcertnjefen, iWurikunterndjt, „Musical Conventions",
Wolksgefang*
SSofton ttjar in f^ftematifd^er Pflege beS ®oncertn)efen^
3ltto\)oxl unb ben übrigen ©tobten um äloanjig Saläre üoraug.
3n 3lmt)oxl gab e« um ba§ Sal^r 1830 brei bef^eibene 2)i*
Die nTitjtP in HmertPa. 77
Icttatitcnöcrcitte uttb l^in unb toicbcr ein Kottccrt unter SKit*
toirfung citicS frcmbctt Sirtuofcn. Unter biefen cräidte ein
^err ^oung, bcr bie Dpl^icleibe büe«, ben größten unb bauemb«^
ften ©rfolg. Irompete unb 5ßofaune waren bie SiebUngä^
tnftruntcnte beS amertfanifd^en ?|SubK!unt§. Diefe SSorüebe
für 95ted^inftruntente eyiftirt, naä) Dr. SRitter^ B^^igniß, nod^
l^eute bei ber großen SRel^rl^ctt ber ©oncertbefud^er. 93iS
1839 l^atte man feine Oboen im Drd^efter; jtoei Klarinetten
ft)ielten bereu 5ßart. 8luS ber grembc bejog Slmcrifa feine
SKuftHel^rer, feine ©olofanger, feine Snftrumentaüften.
SBir l^abcn gefe^en , baß bie Semül&ungcn, eine ftabile
Dp er in atmerüo ju grunbcn, ftetS gcfd^eitert waren. Slber
eine günftigc SBirfung l^atten fie bod^ mittelbar auf bie Kon^^
certmufü. ®ine Slnjal^I guter Dpemfänger, mitunter großer
Äünftler, entl^ülltc bem Sfmerifaner, ber nur bag ^ßfalmobiren
feiner ©ingfd^ulcn gelaunt, ben 3öwbcr tool^tgef^uttcr fd^öner
Stimmen. SSietc t)on biefen D^jernföngern toirften in (Eoncerten
unb Oratorien mit. ®in anbercS toid^tigeS ®rgebniß toar, baß
bie italienifd^en D^)ernt)orftettungen üottftönbigere Drd^efter
brandeten. 3taä^ ben üblen ©rfal^rungen ©arciaS brad^ten
bie näd^ftcn D^ptxn ' Untcmel^mer tiid^tige ßa^jeHmeifter unb
einige ^nftrumentaliften mit. Der ©efd^macf an f^m|)]^onifd^er
äRufi! entwicf elte fid^ ftetig, unb bie maßgebcnben SRufüfreunbe
t)on 5ßeto^or< fallen ein, baß ber B^it^junft jur ©rünbung
einer eigenen pl^itl^armonifd^en ©cfettf.d^aft gelommen fei. Der
3Kann, beffen Energie unb ßunftbegcifterung ia% fd^loierige
SBerf }u ftanbe brad^te, einen permanenten Drd^cfteröerein
nad^ Slrt ber Sonboner „Philharmonie Society** ju fd^affen,
toar Urial^ ^ill. ©eboren in JKeto^orl 1802, war er aU
junger SRann nad^ ©uropa gegangen unb ©pol^rS ©d^üler
geworben. 3tad^ feiner SSaterftabt jurücf gefeiert, faßte er gleid^
ben 5ßlan jur ©rünbung einer „?ß]^«^armonifd^cn ©efeCfd^aft".
78 €^. BtansUa.
@r toirftc barin aU crftcr SSioünfpielcr, mu^tc aber fpötcr,
oft gcloorbctt, bicfcn 5ßoftcn aufgeben. S)er ^mmcr barübcr
unb anbete fd^tperc äRi^gefd^icfe trieben ben TSjäl^rigenbraöen
SRann jum ©elbftntorb. S)te ;,?ß^«]&armottifd^e ©efenf^aft"
eröffnete il^re Koncerte im 3^^^^ 1842; fie waren in ben
erftcn S^^i^cn siemüd^ bitettantifd^ („amateurisb'' fd^rcibt
8Ktter); ftet^ aber öoll Kifer nnb Segeifterung. S)ie „New
York Philharmonie Society" , bie gegentpörtig ein Drd^efter
t)on l^unbert ©vielem, burd^auS gad^mufifer, befifet, l^at toa^-
renb il^re§ langen Seftel^en^ großen @inffu§ ausgeübt auf
baS SKufütebcn in Sfmerüa. Qfl^re crften ©oncerte fanben in
einem langtofal („Apollo-Hall") ftatt ; bie @i|e toaren nid^t
nummerirt unb beftanben au^ l^öljernen Sönfen. SSier 3RxU
glieber ijerfal^en ben ®ienft öon SiHeteuren unb erl^ielten
bafür öon ber ©efeUfd^aft toei^teberne ^anbfd^ul^e. SRad^bem
ba§ ^ßubtifum öerfammelt toar, nal^men biefe freiwilligen Sluf-
fel&er il^re 5ßtö|e im Drd^eftej: ein. Slllmäl&üd^ würbe biefcr
SSerein bie wid^tigfte S^ftrumentatgefeUfd^aft in ben Ser^
einigten Staaten. 2In bem 95efi|ftanbe Haffifd^er aRufi! feft-
l^altenb, ilki fie nid^t aHjutange jurüdE l^inter ben mobemen
©ntwidCtungen. ^n ben fünf jiger ^a^xtn finben Wir in il^ren
^Programmen SR. @^u mann, in ben fed^jiger S^l&ren Sif jt,
in ben fiebriger 3<J]^^cn SSäagner, 9tubinftein, ®oIb-
marf unb bie beiben erften S^mpl^onien öon Sral^mS.
Einer ber üerbienftöollften Dirigenten ber ^l^itl^armonifd^en
©efettfd^aft war t)on 1855 bi§ 1876 ein ©ad^fe, «art 95erg:=
m ann, ber ®rfte, ber in SImerifa für SSSagner unb Sifjt ge*
wirft l^at. Sr ftarb, 55 Qfal^re alt, gänjfid^ öergeffen unb
öertaffen, im beutfd^en ipof^italju SRew^orf. 8Iu^ S5erg*
manng SSorgönger, I^eobor ®igfelb, war ein ©eutfd^er,
unb fein JRad^foIger , ber fürjfid^ öerftorbene Dr. 2,^am^
rofd^, ebenfalls ein Deutfd^er. Sieben ben ©oncerten ber
Die muftf in 2lmenPa. 79
^l^m^armomfd^en ©efcttfd^aft ^at au6) X^. X^oma^ eigene
„©^m^jl^onicfoirccn" cingcfül^rt, fo ba§ Sftcto^orf l^eute in
SSejug auf Drd^efterconcerte mit jeber europäifd^en ^anpU
ftabt fonfurrircn fann.
Die crfte Scfanntfd^aft mit aSerlcn ber ßammcr-
muftf öerbanft Sfmerüo einigen franjöftfd^cn SRo^aliften,
todä^t infolge ber SReüoIution nad^ ätmerifa ouSgcttJanbcrt
iporen. $ier, n)ie überall, btieb bte Pflege biefe§ äJhifif*
jtt)cige§ lange auf ben l^öu^Iid^en ffreiS ber Siebl^aber be^
fd^ränft. Den erften SSerfud^ mit öffcntüd^en Duartett-
foireen mad^te ber genannte Urial^ $tH im ^al^rc 1834.
®]^ ort) er eine finb in 3iett)^or! jal^Ireid^ unb fd^neU
entftanben, aber regetmafeig balb lieber öerfd6tt)unbcn. 8e*
fonbere ©rtodl^nung öerbient bie „New York Harmonie
Society", toeld^e unter Xf), ®isfelb§ ßeitung unb 3fenn^
Stnbg SKitttJirfung im Sal&re 1850 $önbet§ ,,aRcffia§"
auffül^rte. @§ ift bieg ba^ einjige Oratorium, ba^ big auf
ben l^eutigen lag im ftanbe geieefen ift, t)oIIe Käufer ju er=
fielen. Snm „äReffiaS" greifen bie Kl^orbereine in ber 3loÜ)
ftetg tt)ieber jurüdE, gerabc fo toit bie banferott geworbenen
beutfd^en DperngefeUfd^aftcn jum „Stcif^üfe". igcnn^ Sinb
l^at befanntlid^ jn^ei Qal^rc tang in SImerifa öerlebt, baS Sanb
nad^ aßen Slid^tungen afö ©oncertföngerin bereifcnb. 3^r
3m<)refario, Samum, ift burd^ feine marftfd^reierifd^en
8lnnoncen berühmt geworben unb ber cigentlid^e Urheber bc§
unwürbigen Stnnoncenftife , ber mcl^r ober minber nod^ in
Slmerüa bcftel^t.
3n Softon befd^rönfte fid^ bie „^önbel^ unb ipa^bn*
©efettfd^aft" wä^renb ber erften jtüanjig Saläre auf ben
„aReffiag" unb bie „©d^ö^fung". @ie beftanb um ba« ^a\)x
1830 aus etwa 100 ©öngern unb 25 ©ängerinncn; festere
waren nid^t äRitglieber, fonbem Würben öon gaU ju gatt
80 ^^ EJansHcT.
jur SKittDitfuttg cingclabcn. S^ftruntcntalmufif fanb anfangs
ttjcnig aScrftänbnift unb Pflege in 95ofton, übtx^aupt in 9leu*
©nglanb. ®a§ bisd^en Dtd^cftcr, ba§ aufjubringen toax,
tonxbt mcift nur jum Slcconnjagnemcnt öon Kantaten unb
Oratorien bcrtoenbet. ©igentlid^e Drd^efterücrcine für 2tuS=
fül&rung j^nnjl^onifd^er SBcrfc friftcten in Softon bis auf bie
neuefte Stii eine fd^toanfenbe unb fd^toicrige ©yiftcnj. ategel-
mäßige Drd^eftcrtoerfe öcrfud^te juerft bic „Academy of Music",
bcrcn Äcrn ber ©eiger ^enr^ ©mitl^ auS einem ßiebs=
l^aberctub l^erauSgcfd^ätt l^attc. ^m ^di)xt 1841 f^jieftc bicfcr
aSerein bic erften Seetl^oöenf d^en @^nH) Ironien (Sir. 1
unb 5), bie in Softon gel^ört »urben. @S ift baS eigentlid^c
SSerbienft ber SSoftoner „Academy", ba§ fie ttJöl^renb il^re§
furjen SSeftanbeS bod^ fe^S öon ben neun @^nH)]^onien Seetl^o*
öenS jur erften Sluffill^rung gebrad^t l^at. ^f)x folgten im
ßaufe ber ^af)xt t)erfd^iebene Drd^efterüereine, aber leiner lebte
lange. 8lm längften nod^ bie „Harvard Musical Aa-
sociation", bie 1837 tjon ©tubeuten beS $art)arb*®ot
legiumS gebilbet tourbe. S)iefe begeifterten Sö^ger ber SBiffen*
fd^aft ^jroHamirten, bie äRufif fei il^nen nid^t Unterl^altungS*
fad^e , fonbern ein ernfteS SilbungSmittel. ®ie Süften öon
^änbet unb SKojart feien neben jene öon ipomer unb^ 5ßIato,
Sleioton unb ©^afefpeare ju fteHen. ©ine Sonate öerbicne
fein geringeres Slnfel^en, afö eine 5ßrebigt ober ein ^falm.
Slatürlid^ ttjaren bie ööeren Slmerifaner überzeugt, ba§ bie
SluSfül^rung biefeS revolutionären 5ßrogrammS, toeld^eS ein fo
unnü^eS Ding n)ie bie äRufi! ben l^öd^ften SBiffenfd^aften gleid^*
fteHen möd^te, bie ©runblagen ber ®efellf d^aft unb beS ©toateS
unterttjü^len muffe. Der mutl^igc SbealiSmuS biefer jungen
ßeute, bie aud^ gteid^ an bie ©rünbung einer mufilaUfd^en
Sibliotl^ef gingen, öerbient S5en)unberung.
9lod^ immer fel^Ite eine Snftitution für ben regelmäßigen
Die IRujif in 2Imerifa. 81
©cfattgSuntcrtici^t itx Äinbcr. 3)ic ^rt^cnd^örc unb
©ittgöcrcine braud^ten forttoäl^rettb neue atcfruten. S)aS bcftc
äRatcriat jur ©ilbuttg öon S^orföttgcrn, bic ©d^uljugcnb, toax
jur ©anb unb ba§ 5ßrobIcm leidet ju löfcn burc^ Sittfül^rung
be§ ©cjanggunterrid^ts in ben ©deuten. 2lber boÄ größte
4)inberni6 bilbetc bic D^j^ofition bcr Sftem unb bereu SSor^
urtlieU gegen muftfalifd^e ©rsiel^uug. fütt, SBoobbribge,
ein öcrbtenftt)oIIer amerifanifd^cr ^ßäbagogc, l^otte auf feinen
^Reifen beobad^tct, tnie cmftl^aft in Deutfd^Ianb unb in ber
©d^toeij bie SRufi! gepflegt warb im ^auS toit in bcr ©d^ule.
®r brad^te bie ^ßeftalojjifd^e Unterrid^tömetl^obc , SRögelig
©ingfd^ule unb Sieberfontmlungen aug ber ©d^wcij mit. S)ie
t)on il&m ins Snglifd^e übcrfc|ten Sudler legte er in bic $dnbe
beS SKr. ßotoell ajiafon. Die beiben SRänner brangcn
fortiDäl^rcnb barauf, bafe ber ®efang afö regelmäßiger Unter^'
rid^tögegcnftanb in bie öffcntlid^en ©deuten eingefül^rt loerbe.
Um bie (Sinfod^l^eit feiner äRetl^obe ju betpeifcn, erbot ftd^
äRafon, in einer öffentlid^en ©d^ule ein ^a^x lang gratis im
®efang ju unterrid^ten. S)er SSerfud^ glüdCte öoUftänbig unb
jcrftreute atte Sebenlen. (SS toax eine folgereid^e Il^at, bafe
ber ©tabtratl^ öon Softon im Qal^re 1838 bie ©infül^rung
beS ©efangSuntcrrid^tS in ben ©deuten anorbnete. Softott
genoß guerft bie grüc^te biefer ©aot ; ber ^önbel* unb ^a^bn*
©efcQfd^aft unb anberen ©ingöereinen fel^Ite eS nid^t mel^r
an geeignetem 9lad&toud^§. ^a, für bic ganje Union toarb bcr
SSorgang toid^tig, benn bie öorncl^mften ©tdbte im Jßorben
unb aSeften, im ©fiben unb Dftcn folgten aömöl^üd^ bem Sei*
fpiele aSoftonS. aSeitere Unterftilfeung fanben biefe Semül^un^
gen burd^ bie fpeciett amerilonif^e Snftitution ber SRufiftage
ober Sttf^nimcnfünftc (musical Conventions) in öer*
fd^iebenen ©t&bten ber äJereinigten ®iaattn. aSietteid^t auQt^
regt öon ber ©itte europftif^er äRufilfefte, finb fie bod^ gänj*=
®b. $an9li(f, %\a bem Xagebud^ etneS aOlufilerS. 6
83 <E^. Qanslicf.
ßd^ oon biefen üetfd^ieben. Urf))rüngltd^ Sufamntenlfinfte
k>on ^rd^end^dren , bie unter Seitung eines ^falmobielel^rerS
$falmen unb lurje ^ntiftm^ fangen, gen^annen biefe „Ckm-
ventions'' eine größere 93ebeutung, aU 93ofton bad (Zentrum
berfelben tourbe. 5ßrofefforen ber Softoner äfabemie l^ietten
ba Sorlefungcn für bie Seigrer ber berfd^iebenen ©d^ulen, bc-
fonberS über bie ?ßeftoIojjifd^e aWetl^obe unb anberc 3fragen
beS SKuftfunterrid^tg.
Sin »id^tigeS ©reignife toax bag gro^e breitögige SKuftf-
fep, baS bie Softoner ^'dnith unb |>a^bn-®efenfd^aft int
SWai 1857 nad^ SRufter ber engüfd^en geftiöofe gab. S)cr
(J^or toax 500 Stimmen , ba« Drd&efter 78 SRann ftorf , ber
Sologefang burd^ bie beften Äünftler öertreten. ©eitl^er feiert
»ofton alle brei Saläre fein 3Rufiffeft. ®er Sortfd^ritt »oftons
ärigte fid^ aud^ in ber ©rünbung einer eigenen aKufiljei'
tung, mtä)t 3Rr. S)tt)ig]^t, ein begeifterte« unb tl^otigeS
SRitglieb ber ^^Havard Association^', unter bem Xitel ^^Dwights
Journal of music" begrünbete. Ein ©inbemife für reget
müßige Drd^efterconcerte beftanb nur in bem äRanget eines
ftabilen Drd^efterS. S)ie ©oncerte mußten immer nad^mittagS
pattfinben, toeü bie SRuftfer foft fämmtlid^ beS «benbS in ben
Il^eatem befd^äftigt toaxtn. tiefem SRangel l^aben fpdter bie
entl^ufiaftifd^en ©tubenten beS |>aröarb=^KoIIegiumS abgel^olfen,
»eld^e aud^ ben erften 3nU)ufö gaben jur 5ßf(egc ber Ä a m -
mermufif in Softon. @S entftanb im SBinter 1849 ber
,,3Renbetöfo]&n=Duintett*SJub", ber l^eute nod| beftel^t.
aSei bem fd^toanlenben S^P^^b ber 3nftrumentalmufil in
Slmerif a »ar baS l^äufige @rf d^einen reifenber Drd^efler
bo^^elt totxÜ)t>oU. ®ungl auS SSerßn, bag „Sayonia^
Ord^eftcr" unter Saxt ®d&arbt, bie ^^Sombarbi" unter äugufl
3f r i e S lamen nad^ einanber. Seine bief er ®efellfd^aften blieb
längere Seit beifammen ; einige il^rer äRitglieber fiebelten fld^
Die rnnfiP in Hmcrifa. 83
in SÄcto^orf, ©ofiott ober in einer ©tabt be« SBeftenS an.
®Iclnjenbe @:oncerte gab :3uHien and Sonbon, ein tüd^ttger
^Btrigent, jn beffen ©efettfd^aft Ännagerr gcl^örte, bic crftc
DarfteDerin bcr aWartl^a im SBiener ^o^optmtf^tattx. am
einflnlreid^ften touxht bad „Germania Orchestra**.
©ein ftem beftanb ans äRitgliebem ber ©nnglfd^en ®cfell==
f^oft, benen ani^xt gcfc^idtc SKnfifcr, bnrd^anS befrennbetc
jnngc ßente, fid^ anfdötoffen. S)ic ^^Sermania" crfrcntc fid&
bed feltenen SSorjngS, für {ebcd Sfnftmmcnt einen tüd&tigen
©oltften jn befi|en. Sie lanbcte im September 1848 in
Steto^or! nnb gab bort 16 Soncerte mit großem SSeifatte,
ober geringem Profit. S)ie „^ßl^ill^ormonifd^e ©efcHfd^aft"
rm^t^ mit einem SSeneflceconcert an^l^elfcn/ beffen rcid&üd^er
(Srtrag bcn gefnnfenen äJhitl^ ber S)entfd^en lieber l^ob. 3n
^l^Uabetpl^ia tonrbe il^re Sage öerjtoeifett. SKit tocd^felnbem
®Ift(f bereipen fie nad^ cinanber biete ©täbtc ber Union, bi§
fte in 35ofton mit rafd^ nac^ einanber gegebenen jtoanäigSon-
certen bie l^öl^e i^rer ©rfolge errcid^ten. Sfit bie mnfifaltfd^e
©ntnjidinng Slmerilad toax baS ,,®ermania"^Drd^efter, bod
im Sanfc öon fed^S S^l^rcn 129 Concerte gegeben l^at, t)on
eminenter SBid^tigfeit. (Sine überanS große Slnjal^I t>on gnten
nnb Bebentenben lontocrfcn warb bnrd^ bie ,,®ermania" ba
jnerft befannt. Sine fd^ioerc, aber nid^t öergcbüd^e ^ßionnier-
«rbeiti ffiie oft ftanbcn biefe SHhtftler, bie im ftanbe »oren,
eine ©eetl^oöenfd^e ©^nq^l^onic pcrfcft anSWenbig jn fpielen,
t)or einem feinen 5ßnbüfnm, weld^em feinere Drd^eftermnfil
titoa^ ganj Slened wor. S)ie SRül^fal nnanSgefefetcn Steifend
nnb ber SBnnfc^, fic^ enblid^ eine bleibenbe ^eimatl^ }n
grfinben, bcronlaßte bie „®ermonio", 1864 and einanber jn gelten.
Aber felbft nad^ il^rer Slnpfnng ^ai fie fegendreid^en ®inftnß
fortgeibt nnb üii i^n nod^ l^ente, inbem biete il^rcr SDlitgüeber
6*
84 &. E^anslid.
\iä) in ämerüa btcibenb nicberlicfecn unb j|efet totd^tigc aRufil-
ämter bort bcllctben.
S)ie übrigen ©tobte atmcrüo^ fommen ntufifoüfd^ neben
S3ofton unb 9tett)^orf f anm in 95etrad^t. ^l^ilabel^jl^ioift
in ntufüatifd^er ^infid^t eine 2lrt SJorftabt öon Sleto^rf
unb toirb öon ba mit D)(>txn unb SSirtuofen üerforgt. Sei
ber SBeltau^ftenung öom Solare 1876 ^piütt bie äßufif eine
fd^Ied^te SRoHe; bie ^ßl^ilabetpl^icr l&atten nid^t bafür geforgt,
unb bie gremben a6)itttn nid^t barauf. SBaS bie mufilatifd&e
«uftur beS SBeftenS betrifft, fo l^aben jWei toeftlid^e ©tobte,
aJlittoaufee unb Kincinnati, l^ier einen öl^nüd^en
(£tttf[u| ^eüit, toit Softon unb SReto^orf auf bie übrigen
©täbte be§ DftenS. S)a? mufif alif ^e Seben in äRiltoouf cc
ftönb anfangt ganj unter beutfd^er ®intpir!ung. ©ine
flro^e Migration öpn gebUbeten S)eutfd^en ^tte fid^ i^ier
frül^ angefiebcft unb ift namentlid^ infolge ber 3iet)oIutiott
mn 1848 burd^ jal^Ireid^e neue ©intoanberer tmmt^xt tüot^
ben. ©ie brod^ten Siebe für äRufif unb 5ßoefie mit unb
grftnbeten eifrig ©ingöcreine. Imn^ Salatfa, einer bie;fer
beutfd^en Sld^tunbtHerjiger, trat an bie ©J|)i|e be^ aRütDaufee==
SWufi&ercin? , eineg beS äfteften unb einffugreid^ften im
aSJeften, @r brad^te fd^an k)or fünfael^n ^al^rtn ba§ beutfd^
giequiem unb bie beib^n erften ©^ntpl^onien üon ©ral^m^
pr Stup^rung. 3n eincinnati unb ©^icago finb eg
gleid^f aa§ öor^ug^toeif e bie S)eutf(j^ett , loeld^e ®efangöereinc
gebitbet l&aben unb SKufif f cfte t)eranftafteten. Sn @t. ß o u ii^
grünbete 1869 @b. ©oboletpgf^, ein geborener &bni^^
berger unb @#ü|üng Sifjt^, eine Sßl^it^armonifd^e ©efctt-
fd&aft, tüeld^e t)iele ber beften neueren Drd^eftertoerle jum
erften aKaie bort befannt mad^te. ©r ftorb 1872 in @t. Soni».
Sm attgemeinen i>em)enben bie toeftlid&en Stäbe i|rc mnfi*
falifd&en STuftrengungen auf bie SJeronftaltung jä^rlid^cr
Die HTnflf in 2Imertfa. 85
aWufiffcftc, bcrcn g^ter Sinftufe unätorifdl^aft «nb um fo
ttnd^tigcr ift, aU bort, too ftabilc Drd^cftcr f eitlen, reget
mäßige gro^e Snftrumentalconcerte nid^t l^ergnfteQen fhtb.
S)ie äftefte unb bebeutcnbfte aSereinigung für fold^c fDtvL^h
fefte ift ber ,,9'iotbamcrifonifd^c ©fingerbunb", bc-
ftel^enb au^ ben beutfd^en 9Rufif vereinen k>erf(i^iebener
@täbte bed SEBeftend. Sttfangd blog auf aßännergefang be^
fd^rdnlt, erfd^ien ber 99unb bei beut Sängerfeft in Sl^icago
(1868) mit einem Drd^efter öon 100 SKann unb toirlt feit^
l^er ouf breiterer ©runblage.
SRotiottalgcfang ift im amerifanifd^en SSoIfe nid^t
ju flnben. SDer amerifonifd^e 5ßöd^tcr, ©d^&fer, ^anbtoerfcr
fingt niemafö, aufeer atö aWitglieb eines Äird^end^orS.
S)arum ift bie omerifanifd^e Sanbfd^aft ftumm unb unbelebt
unb mad^t, tro| il^rer JRaturfd^önl^eiten, einen meland^olifd^en
®inbrudf. S)ie befeelenben, erfrifd^enben klänge ber menfd^-
ßd^en @timme fel^Ien üoQftänbig. 2)aS ©eful^föleben ber
äRenfd^en, meldte l^ier bad Sanb bebauen, fd^eint tief in il^re
©ruft jurfidtgebrängt, ober nid^t ejiftirenb. SRur einmat im
3a]^r Hingen menfd^Ud^e Stimmen burd^ bie ßanbfd^aft:
toenn bie ©ommer^jarteien fommen, bie ©täbter, »eld^e mit
il^ren abgcfd^madtten , triöialen SRinftretbaHaben bie ®ing==
üögel öerfd^euc^en. SBie follen toir un§ biefe gftnjKd&e Ab*
»efcnl^eit öon SSoIfSgefang erllärcn? $rofeffor I^Ier fagt in
feiner (E^oralteriftil ber erften Slnfiebler in 5ßeu*(£ngtenb :
„Sinnen toax baS Seben eine emftl^afte ätrbeit, ja ein l^arter
Sam4)f. Singer unb über biefem toax eS nur bie Steligion,
»aS il^re ganje Stttettigenj unb ®m|)flnbung abforbirte. 8leli*
gion, fagten fie, ift bie $au))tfad^e; fie glaubten eS, fie l^an*
belten bamad^. SHe äSirlung toax furd^tbar. Sn ^I^moutl^
tt)irb eine braöe ®ienftmagb Samuel ©orbonS wie eine Sanb^
ftreid^erin aus ber ©emeinbe au§gefto§en, toeil fie — in ber
Sird^e gelöd^ctt })at ©in l&od^gead^tcter ©ciftfid^er, bcr einige
iunge Seute int ©rbgefd^ofe ^etätid^ tad^en l^ört, ftcigt fofort
jn il^nen l&ernnter mit ber Srmal^nnng: ;,aKitbrübcr,icl^ftantte,
bafe il^r fo l^citer fein fönnt, ha H)x bod^ enrer etoigen Selig*
feit nid^t gett)i§ feib!" 8lu§ bcm Oemütl^ eine^ folgen »oBcS
fann ein unbefangener l^erjlid^et ©efang nid^t erblül^en. S)iefc
büftere SSerfd^Ioffenl^eit ift bi§ auf ben l^eutigen lag ber
©runbjug bcr äRajorität be§ SSoHe^ geblieben. Ätterbing^
gefd^al^ toöl^renb be^ Unabl^ängigfcit^friegeS ber SSerfud^,
einige patriotifd^e Sieber ju fd^affen, aber nad^ bem Srieg
tparen fie aud^ fd^on bergeffen; ber groteSfe, löd^erlid^e
„Yankeedoodle" — obenbrein nod^ ein fremblönbifd^eS ^ßro-
buft — l^at fie alle au§ bem gelbe gefd^Iagen. S)a§ ein fo
emftl^afteS SSoK biefen ©affenl^aner jum SIu^brudE feiner
Jpatriotifd^en ©efül^te erttJöl^Ien lonnte, gel^ört ju ben ^f^d^o-
logifd^en IRöt^feln.
SSoIfögefang üon fel^r origineller gorm e^ftirt nur in
ben fübtid^en (Staaten ber Union: bie Silber ber farbigen
Sftaffe. Die garbigen beS ©übenS finb fpri^ttjörtfid^ mufifa^
üfd^ ; man fönnte fie ein IroubabouröoH nennen. 3n einigen
il^rer äRelobiet^pen beftel^t aUeS, toaS man cigentüd^
amerifanifd^e SRufi! nennen fann; alle§ Uebrige ift mel^r
ober minber öottftänbig bag (Sd^o euro^öifd^er SRuftf. Statur*
lid^er, naiöer ®efang toax ba§ @injige, toaS ben armen
unterbrüdEten ©flauen in Sufammenl^ang mit feinem SSoIfe
erl^ielt. S)ie gleid^förmig büftere ©efd^id^te be§ el^emaügen
Slegerfflauen jeigt il^n un§ atö ein SSäefen öon geringer
3nteIIigenj, nur im S5efi| einiger toörtlid^ eingelernten reU==
giöfen SSorfd^riften unb eines angeborenen muftfalifd^en
latente, ©eine SRationattieber, gröfetentl^eitö in Dur, jeigen
einen lebl^aften ©inn für originelle SMetobie unb 3tl^^t§mil,
aud^ für eigentl^ümlid^e ^armonifirung beS öom ffi^or ge=
Die nToflP in 2Imerifa. 87
fungencn SRcfrain«. S)er Sieger bet aSereittigtcn Stoaten ift
berjeit ein freier SRotttt unb genickt bie SSortl^eile einer
l^öl^eren inteUcItneacn ©rjiel^ung. 3lxä)t wenige Sötbige,
SKönner wie fjrauen, l^oben fid^ bereite au^gejeid^nct aö
©Änger unb SitftrumcntaKften, ja fogar burc^ 5ßroben öoti
©Ottttjofition^talent. ®^abt, ba§ Dr. 9litter nid^t einige
biefer t)on il^m fo fel^r ge^riefencn SRegerliebcr in 9loten bei*
gefügt l^at; fte wären ben Sefern wiHIommener getoefen, ate
bie im Ättl^ang abgebrudten olten ^falmntelobien. Semerfen^*
wertl^ i% bag bie SBei^en in Snterila, gleid^gittig unb ))affit)
in ©rfinbung üon Driginalmelobien, fid^ gegenwärtig bie
d^orafteriftifd^en Sll^^tl^nien unb SKobuIationen ber Sieger gern
aneignen, um i^ren „95attaben" eine Sofalforbe ju geben.
S)iefe öattaben werben in^befonbere burd^ bie f^jeciett ameri*
fanifü^en 5ßrobuftionen ber Stegro^SRinftrete popnlax unb
l^aben bad Xalent mand^ed ameritanifd^en Sontponiften ab«
forbirt. Der ©egabtefte unter il^nen ift ©te^jl^en Softer,
ein Slmerifaner irlänbifd^er Slblunft, ber in Slew^or! 1864
ftarb, nad^bem er eine äKenge t)oU^t]^ümIi(^ geworbener, in
il^rer ©infad^l^eit rül^renber ©aHaben gefd^rieben. ®r lann
par excellence „ber Kompouift be^ amerilanifd^en SSoIfe^"
genannt werben.
IV.
ißjoptjott Uttb M. ©erirke.
3u I>r, JRitter^ 35ud^ öermiffen Wir ben Flamen SBill^elm
©eridfe^, ber in ben legten 5 Qal^ren bie SSoftoner S^m^
:p^onic « ©oncerte mit größter Eingebung unb glänjenbem
@rfoIg geleitet l^at. 9Bir lönnen aud münblid^en (Srjäl^Iungen
be^felben un^ eine beutlid^e SSorftettung bilben öon bem
neueften Soncertleben in 93ofton. SJland^ed mag unfere SSer^«
S8 €b. Bianslid,
ttunbcrung, ©inigcSauc^ uttfcren Sllcib cttoeden. ^oben njir
zitoa dum öiclfad^cn SRiHionclr, bcr tt)ic 3Rt. ^igginfon
an^ freiem Stntrieb unb reiner Äunfttiebe ^unberttaufcnbe
l^crgiebt für ben ©oncertfuftuS in feiner SSaterftabt? ffir
öttein ]^at im Saläre 1881 ba§ gegentt)artige öoftoner @^m*
<)]^onie'Drc^efter begrfinbet unb beffen ©oncerte atten ©tanben
Ux6)t jugänglid^ gemad^t. ®iefe Koncerte, 24 in j|eber ©aifon^
finben flet^ an ©amftagen um 8 Ul^r abenbö ^iatt ; am grei*
tag um l^alb 3 Ul^r nad^mittagS gel^t eine öffenttid^e ®eneral*
^)tobc t)orau§. S)er ©aal mit feinen (Salcrien l^at 2400
©ife^Iä^e unb fa|t im ganjen 3000 $ßerfonen. S)ie 6in^
tritt^^reife finb nad^ amerifanifd^em aWa^ftab f^jottbißig:
ein @ife im 5ßarterre ober auf ber erften ©alerie loftet nad^
öfterreid^ifd^em @elbe beiläufig anbertl^alb (Bulben, b(i^ ©ntree
einen ®ulben; ber @i| auf ber jtoeiten ©alerie einen @nU
ben, ber Eintritt fünfjig ffreu|er. S)ie 5ßreife finb biefelben
für ia^ Koncert toit für bie ©eneralprobe. S)a3 fd^eint ouf
ben erften 95IidC befrembenb. aber biefe „public rehearsals"
finb t^atfdd^Iid^ gut t)orbereitete , öottftönbige Sluffül^rungen,
benen brei bi^ bier 5ßroben vorausgegangen finb. ®cr S3e*
fud^ ber ©eneratproben ift aufeerorbentüd^ ; »enn eine SSeet-
]^ot)enfd^e @^m^)]^onie ober ein berül^mter ®aft auf bem^ro-
gramm ftel^t, muffen ^unberte öon Sefud^em fortgefd^idft
werben, loeü leine SiHette mel^r twrl^anben finb. S)iefer
Slnbrang gerabe ju ben $|5roben erflört fid^ barauS , baß fie
aKatinee^Soncerte finb. S)ie gu^örer, »eld^e 20 m 30
SBleilen weit öom Sanbe ober aus benad^barten ©täbten nad^
ajofton fommen, l^aben eine bequeme 8iüdCreife, »äl^renb fie
nad^ bem eigentlid^en „Koncert" bei 3laä)i l^eimfal^ren muß*
ten. 3n - biefe SJad^mittagSauffül^rungen fommen löd^er
aus ben beften gamilien ol^ne jebwebe Begleitung, ©el^r
balb geigte fid& baS allgemeine Sntereffe an ben ©^mpl^onie^
Die ntuflf m 2(mertfa. 89
Conecrtcn in Icbl^after SunaJ^tttc; c^ \<Sßd) ftd^ ein 3tt)ifd^en*
l^anbel mit Agiotage ein, ^eld^er bie (Sriangung getmffet
@ife^)Iä|e crfd^loerte. 3Rr. |>igginfoti Verfiel öuf ein pvat-
tif d^e^ ® egcnmittct : üor aScginn bcr iSoifon toctben bie @i|c
im Soncertfaol öerftcigert — ein SJerfal^ren, bag fid^ i>ttoaf)vt
f)at unb big l^eute befielet. 3^^t fold^e Sluttion^tage genügen
lebe^mat, um fämmtUd^e @i^e an bie Slbonnenten abjufe^en.
3n ben etften brei Sfal^ren be§ 3nftitutS leitete ber bcfönntc
trcffli(i^e ©onger ®eorg ^enfd^el bie Koncerte. gm öierten
Saläre reifte SKr. ^igginfon nod^ (Snxopa, um in öerfd^icbe*
nen $auJ)>tftäbten Umfd^au ju l^alten mtS) einem neuen
Dirigenten. Sr befud^te auc^ in SSien S^ptvn unb Eoncerte
unb fanb l^ier, \t>a^ er njünfd^te. Dl^nc 3öwbem fd^Io^ er
ben ©otttract mit ©eridte, toeld^er in Soften gleid^ feine erftc
©aifon, 1884/85, ju allgemeiner Sufriebenl^eit abfolöirte.
8tfö einen l^emmenbcn Ucbelftanb empfanb e^ ®eridfe, ba§
ba^ Drd^efter jum 85eginn jeber ©oifon ftet^ tiele neue äHit-
glieber befam. Um fo häufigen ^erfonentoed^fel }u t^ermeiben
unb ein ftänbige^ Drc^fter ju erlangen, bcontragte er mit
©rfolg eine SScrWngerung ber ©oifon unb bie Untemel^mung
einiger heiterer Zovtxnet^ mit feinem Drd^efter. Slud^ erfefete
er biete altere SRuftfer burd^ jüngere, ^olte einzelne tüd^ttgc
au^ ^nxopa l^erüber, lurj er untemol^m eine förmlid^e 8le==
organifirung, bie burd^ brei Saläre • fortgefe|t nmrbe, bi$ ba$
Drd^efter feine jcfeige ©eftalt erlieft. @^ beftel^t größten*
tl^eife auf^ 3)eutfd^en, ttJorunter öiele Defterrcid^er ; aufeerbcm
Slmerifaner, gransofen, ©nglänber, ^oHänber — furj ein
rid^tige^ aßeltord^eftcr. ®eridfe* Reformen öerurfoc^ten
natürlid^ neue gro^e Slu^Iagen. Da$ geh)ö]^nUd^e S)eft}it
(bo§ 3Rr. <&igginfon aHein bedfte) betrug nad^ Slblauf einer
©aifon in ben erften Sauren ettva 20000 Sotlard; nac^ bem
jtoeiten Sö^re foH e§ fogar auf 40000 S)oBor^ geftiegen
90 €6. djanslid,
fein. S)a mußten nun bcfonberc Slnftrengungen gemdd^t
»erben, üor aUcm bcr fül^c SSerfud^, mit bem Drd^efter nid^t
bloß in !(einercn ©täbten, fonbcm ani) in 3ttto^oxt ju con*
certiren. Dbtpo^l SReW^orf felbft öortrefffid^c Drd^efter be-
fifet, l^atten bie SSoftoner ©oncette unter ©erideS Seitung
bort fo großen ©rfolg, baß fte jtd^ bolb einbürgerten unb
feitl^er attjal^rUd^ (t)ier bi§ fünf in ber ©aifon) Wieberl^olen.
5ß]^ilabelp]^ia, Baltimore, SBaf^ington unb nod^ einige ©tobte
fefeen fid^ ftetS in SSerbinbung, fobalb eine fold^e Heinere
lournee ber SSoftoner im SBer! ift, tooju in ber Sieget, öom
S)e§ember ab, eine SBod^e in jebem äRonat öerttjenbet njirb.
3n biefen Sfteifetood^en cntbel^rt natürüd^ Softon fein Koncert.
Slllein e§ ge^t ben 2f bonnenten fein ©oncerttag öerloren,
berfelbe tt)irb nur l^erauSgefd^oben burd^ SSerlöngerung ber
©aifon. ®ie ©aifon 1888/89 ixaä)it in »ofton ein @rtrag^
niß t)on na^eju 100000 ©ottarS. 2ltö »etoei^ für bie un^
gemeine Slnjiel^ung^fraft biefer ©^mpl^onie - Koncerte fei er*
toäl^nt, baß in S3ofton an feinem ©amftag in irgenb einem
$aufe eine SlbenbgefeUfd^aft ftattfinbet. SRan ttjeiß, baß
jebermann in§ ©oncert gel&t. 3)a§ Qfntereffe für äRufif ift
bort nid^t nur groß, fonbern ed^t unb aufrid^tig. Slbgefel^en
k)on bem regelmäßigen @^oncertbefud^ , mad^t man aud^ ju
ipaufe fd^redEIid^ öiel STOuftf; bie jungen Seute arbeiten bie
ganje SBod^e l^inburd^ am ßlaöier baS ^Programm bc^ näd^ften
KoncerteS burd^ unb fommen tt)o]^It)orbereitet jur Slufffil^rung.
©0 rul^ig, ja anböd^tig ba^ $ubKfum ftd^ loöl^renb ber SRuftf
\)txi)öit, ebenfo ftürmifd^ lörmenb äußert e§ feinen Seifatt,
tt)enn itim ein ©tüdE gefallen l^at. JRömentüd^ bie fünfte unb
bie fiebentc ©^m^jl^onie öon 93eet^ot)en entfcffeln ieberjeit
einen toitben ©ntl^ufiaSmuS. ^n il^ren ^Programmen , foloie
in ber S)auer ber Sluffül^rungen ftnb bie ©oftoner Koncerte
gauj anatog unferen Jpl^in^armonifd^en. SSier bi^ fünf SSeet^
Die mufif in Tlmetxia. 91
l^oöcttfc^c S^m^l^onicn bürfen in feiner ©aifon feilten. Einen
eigenen Kl^or l^atte ® eridfe nid^t jur SSetfügung. SBenn ein fold^er
notl^tDenbig toax, erjielte man feine SRittDitfung burc^ befon-
bcrc (ginlabungen. 93ofton befifet toter Kl&oröereine : brei ge*
mifd^te (beren größter bie „Händel and Haydn - Society"
mit 500 SKitgliebem ift) unb einen äRönnergefangöerein.
(Sin ®^or t)on 300 ©öngem war eingelaben jn Sluffül^rungen
ber neunten ©^nH^l&onie, jur Sad^feier im Qfal^re 1885, ju
Schümanns „SRanfreb" unb ju ben jtoei Slufful^rungen be^
aRojartfd^en SRequiem^, bie jum ©eften be^ SKojart^^
©enfmol^ in SBien ftattgefunben l^aben. Die mufif oüf d^e
S^ötigfeit in Slmerifa l^at anä) i^xt ©d^attenfciten : bie er-
barmungSlofe, übermäßige SInftrengung öon Ä^ör^er unb @eift.
®eridfe ^ai bcif^jiefötpeife in ber ©aifon 1887/88 einl^unbert-
unböier Koncerte birigirt unb in einer fünftoöd^entlid^en
loumee 3400 SKeilen jurüdEgelegt. ^n ber legten ©aifon
1888/89 birigirte er nid^t weniger afö einl^unbertunbad^t
ßoncerte. 3m ganjen l^atte er wäl^renb ber fünf ©aifon^
457 Koncerte unb toöd^entlid^ brei, auc^ öier Drd^efterproben
ju leiten. Siner fold^en Slnftrengung unb Unrul^e wirb aud^
ber normalfte Dirigent nad^ einigen S^^ren mübe; jumat
einer, ber in ollen Dingen fo accurat ift, wie ©eridfe. ®o
war e§ il^m benn ertoünfd^t, nad^ fünf amerifanifd^en SlrbeitS^
jal^ren feine Äröfte wieber in bem Allegretto non troppo
bentfd^en ©oncertfeben^ er|)robcn ju bürfen.
(@in SSricf an bic |)crauSgcber bcr „S'Jcucn freien treffe" in SBien.)
(1891.)
Sl^r geuiCcton üöcr ^SScrbcutfd^unöcn'' öcranlafet nric^
§u einem SBorte f^jectellen ®an!e^. ®ie ©ted^ftiegen ber
neueften ®))ra(i^reimgung$^aRanie , tpeld^e, ]^a£& läd^erltd^,
l^alb örgerlid^ un^ täglid^ laftiger umf d^tuirren , reijten ntid^
Idngft ju htm SSerfud^e einer Slbtpel^r. @nt, ba§ bcr unge*
nannte SSerfaffer jene^ geuilletoniJ mir juöorgefommen unb
tteffcnb ber SSerbeutfd^nnggfud^t jn ßcibe gegangen ifi 3d^
l^ätte toal^rfd^einlid^ ettoad leibenfd^aftlid^er jugefd^Iagen unb
loeniger refignirt gefd^Ioffcn. SWmmermcl^r lönnte id^ jugeben,
ba^ aud^ für bie fd^iefe nnb l^ä^Iid^e SSerbeutfd^ung ^^©d^rift-
leitnng" nnb ;,®d^riftteitcr'' ^bie ©tnnbc beö cnbgtttigen
Siegel fd^Iagcn tpcrbc". SRein. @§ tpirb gctoife immer
cmftl^afte bcutfd^e S^Uungen geben, toeld^e bie feil bem S3e^
ftanbc ber Soumaliftil eingebürgerten, öon allen SRationen
öerftanbenen 3Börter Slcbaftion unb Slebalteur beibel^aften
toerben. 3n jebem S^^^igc i>cS SBiffeniJ unb ber led^nif
l^aben fid^ grembtpörter eingebürgert, bie, ju ted^nifd^en Äug*
brüdten geworben, burd^ rein beutfd^e nid^t erf eftt werben lönnen
ITTobernes im gettuu^s* un6 (Cl^eateriDefen. 93
unb nid^terfe^t ju loerben braud^en. 9Benn äRitglieber einer fol-
d^en „©d^riftteitung" unter fid^ finb, fragen fte einanbcr : 3ft bcr
äiebalteur zugegen? kommen @te au$ ber Stebaltion?
Unb ein paar 2)u^enb Seute, bie fid^ f eiber nid^t an bief e Unnatur-
lid^en SBörter — ung frembartiger afe aCe grembttJörter —
gett^ö^nen Idnnen, tooUtti fte bem ganjen SSoIIe aufbrongen?
(Sd ^at n^irllid^ ettDad ytaitt», totm man eine ®pxad^t tyon
bem reid^en unb fidleren S3eft|ftanb ber beutfd^en burd^ fold^c
Äinbercicn glaubt befeftigen unb fd^üfeen ju muffen. 3)icfe
aengföid^feit pa^t für bie Heinen ;,intereffanten SRationaK*
täten", bie fid^ eine ©d^riftf<)r ad^e unb ßiteratur erft fd^affen.
SBer jebeS 3frcmbtt)ort verbieten toiH, ber mad^t unfere
®pxaä)t arm. 3^ Icnne feinen einjigen guten ©d^riftfietter,
ber fid^ nid^t ol^ne ttjeiterS fold^er 2frembwörter bebiente, tpcld^e
enttoeber Iftngffc eingebürgert ober burd^ rein beutfd^e nid^
genau tpieberjugeben finb. ®ie rid^tige (Srenje bafür lann
nur ba^ SBiffen unb ber @t^d)mad be^ einjelnen Slutor« it^
fttmmen; lommanbiren laffen fid^ aJerbeutfd^ungen ttjebcr
burd^ @<)rad^t)ereine , nod^ burd^ „©d^riftleitungen", nod^
felbft für bie nid^tamtlid^e Literatur, burd^ bie 9iegierungen.
anerfannte beutfd^e ©d^riftfteCer, barunter Autoritäten crften
atonged, l^aben längft gegen bie ^arrilatur ber mobemen
©^ad^teinigungdfud^t il^re ©timme erl^oben. Seiber fd^eint
man fie nid^t l^ören ju n^oQen unb glaubt fid^ einer ))a-
iriotifd^en Stettungdtl^at ju rül^men, n^enn man ^iatt föiUti
„%(äix^6fün'* , ftatt Idegramm ;,S)ra]^tnad^rid^t'', ftatt 5ßro*
gramm ,,93ortragdorbnung'' fagt.
3cber gute ©d^riftfteHer toirb, tt)ie gefagt, fold^e Sremb*
ttiörter aufnel^en, beren 93ebeutung fid^ mit feinem wc^pxünf^*
liäf beutfd^en fflort bedtt. Aber neben biefem inneren SWotiü
für bie ^BkiS)l eined gfrembn^orted, äÜ bed genaueffcen, feinften
t(udbrudEi& nnfered (Sebanlend, giebt ed nod^ ein imiM, t)on
94 <E^. BtansM.
beut öicl feltencr bie 3tcbe ift unb ba§ iä) barum nad^brütf*
lid^er l^erborl^ebett mdd^te: id^ meine ben SBol^HIang.
@in Sfrentbn>ort ift l^äufig ba^ befte, mand^mal baS einzige
SRittel; äRt^Hdnge unb gärten }u t^emteiben, todä^t oud bent
Sufamntenftofe gcn^iffer beutfd^er SBörter, inSbefonbere tntU
fiftiger, entftel^en. Sieber brei grcntbtt)örtcr nod^ einonber,
tpie j. 85. „ba§ lofettc ^Programm biefeS ffionccrts", als auf
greulid^ reinbeutfd^ : ,,bie gefaUfüd^tige äSortragdorbnung
biefcr aRuftfouffu^rung". SSäic bog Kingt I SBcr gut f d^ciben
toitl, mn% mä} l^ören. 2)a$ fd^eint aber jenen Ofanatilem
öerfagt, bie aus $o^ gegen ein tool^HIingenbeä gfrembtoort
lieber eine unöerfälfd^te beutfd&e Sa|ennmftf fd^reiben.
SSor furjent erl^ielt id^ einen red^t fiebcnSmürbigen SSrief
t)on einem befannten $oeten unb eifrigen Scfer meiner Sluf*
fä^e, ber nur eines baran bellagt: „bie t)telen borlommenben
grembn^örter". ^ä) glaubte, in biefem 5ßunlt lein großer ®ön==
ber §u fein, unb l^abe getui^ nie einen ®a| gefc^rieben, toie
jüngft einer ber befonnleften Sloüettiften in „Slorb unb BSb"
(®ejcmber^i&eft 1890): „OTe jene Uebergänge toaren nur
9ippxoäftn jum eigentlid^en ßebenSberuf. Diefer fromme
SDSunfd^ mu^te cad^irt tuerben." ' Sttttein ben ®ef allen
!ann id^ meinem tuol^tooUenben 9tat]^geber bod^ nid^t tl^un,
bie 3Börter : ®om<)onift, (£om<)ofition, 5ßrobu!tion ftetS ju öer*
meiben unb ftatt ®t)mpat^t „Swftitnmung", ftatt SSrofd^öre
/f^cft", ftatt <)robuciren „bartl^un", fiatt ffionferöatorium
„SRuftlfd^uIe" JU fagen, »ie er verlangt. SSoHenbS unbe*
greiflid^ erfd^eint il^m aber, ba^ id^ einmal (Som^onift, (Kom«
if)ofttion, 5ßrobuItion fd^reibe, nad^bem id^ eine Seile frül^er
^nbid^ter, Xonbid^tung, 9(up]^rung gefagt l^abe^ olfo ted^
gut toiffe, tt)ie ber beutfd^e ^nibxni lautet 3<^, ^bxtn
®ie benn nid^t? mdd^te man fold^en ^tifem jurufen.
SRerlen @ie tpirllid^ nid^t, ba^ id^ abftd^tlid^ einmal ^ompo-
IHo^erncs im gcitungs* un6 (Cljeatcrioefen. 95
nVjt, bad anitxe , Wlai Xonbid^ter, einmal ^robuftion, bad
anbete aJial älupl^rung fd^reibe, um bie äRonotonie bed
$Iange§ ju tiermeiben?
SKan fottte meinen, SWnftfer müßten ba« em^ifinMici^fte
€^x befifeen, aud^ ffir bie Harmonie beiJ ©tifö. Selber er-
lebt man oft ba« ©egentl^eil. 3n neuefter 3cit betreiben
einige aKufilgeitungen „nationaI*beutfd^cr'', b. i). SBagnerfd^er
Utid^tnng ben SteinUd^feitdf^port mit auffaüenber SEBid^tigfeit.
@in fold^e^ mir öorliegenbe^ Statt entl^ält eine fettgebrudte
Äufforberung an bie SRitarbeiter unb Sorref<)onbenten , ftd^
ja aller gfrembtoörter ju entl^alten. S)a ftol^ert man in
jebem ©afte über bie fü|en neuen SBorte: S)ral^tnad^rid^t,
©onberberic^t unb felbfttierftänblid^ über liBortrag^orbnung
(für Programm), ;,®l)iel§eit'' (ffir ©aifon), „®pitiplan" (für
8le^)ertoire) u. f. tu. 3^^ f^og^f t^nn man aud^ fagen: ber
neue S)irector enttoidfelte feine SSortragiJorbnung ? Dber:*bie
(Eoncertfängerin Starbt l^at einen reid^^altigen ®pitlptan?
Dbcr : tuir finb jeftt in ber tobten ®pxüitit ? S)a^ finb lauter
Äu^brüdfe, bie einanber nid^t bcdfen; ber beutfd^e ift immer
tttoa^ tt>eitcr ober enger, afö ba§ längft eingebürgerte gfremb^
ttjort. SBie toirb unfere aRufifjeitung bie in ben franjöfifd^en
Soumalen toieberfel^renbe Il^eatemotij überfe^en: „Les
Diman'ches on joue le röpertoire" ? 3n biefen mufifalifd^en
©<)rad^reinigung8anpalten brängen fid^ greulid^ Hingenbe ©aft*
bilbungen, öon benen m^ bie S&^m unb bie Dl^ren totf)
t^un. fjreilid^ betoieiJ aud^ i^r $err unb äWeifter, 3tid^arb
SBagner, feineStoeg^ ein em<)finbad^e^ ®epr toeber in feiner
^rofa nod^ in feinen S)id^tungen. ^ä) ffattt ba^ berühmte
?)ebication§ejem|)Iar ber „9libelungen'':'3)id^tung in Rauben,
toeld^e« Saäagner an @d^o<)en^auer gefanbt unb ba^biefer
an ben mifettingenbften ®ä|en mit »anbbemerfungen , tt>ie
96 <Hb. .^anslirf.
„$ört. er bemt nid^t?!" ,,»cr töubc äRufifottt f^at feine
DifxmVf u, bergt ni. öerfel^en l^at.
Slber bic mufilalifd^en ©eutfd^tl^ümler gc!^en noä) toexttx ;
ni^ 6Io^ aug ben aRuftf feitilen^ aitti^ aw^ ben SRotenl^eften
tooUen fie aüe§ grcaiblänbifci^e öerboimen. @itt Serßner
^lott ^at ganj erafll^aft aUen baitfd&en ffibmtjoniften unb
äRufttoerleflem ba§ Slnfinnett geeilt, bie italienifd^en So^t-
tva^^tiä^m intä)oM ju öerbeutfd^en. Sttfo fein Slllegro uttb
Stnbante me^r^ fein ^itninuenbo irnb Src^cenbo! @S ift un-
glaubtid^, mit loelti^m Seid^tftmi ^onb baran gelegt wirb,
einen Sal^r^unberte altm, «nfd^a|baren Änltnrbefil tocgju-
fegen. S^ren fcpnften Segen befi^t bie ättufil barin, eine
allgemein Jjerflönblid^e ®pvaä)t jn fein, eine Io§mo^)oßttf^e
Sunfi S)iefer Sorpg ber Slttöjerftönblid^feit erfd^eint im
:praftifd^en Beben babnrd^ cr^öl^t, bafe nid^t blo^ ber Mang
einer beflimmten Sonate, ober ®^nH)l^onie, fonbcm anä) bie
Meibenbe SRieberfd^rtft berfetten big l^eute aßen Stationen giei<^
öerftättblid^ ift. 5)ic Sttoten finb ol^el^in für alle biefelben,
unb bie SSortrag^beieid^nungen l^aben alle bon alterdl^er au^
Stalten, bcni ©tammlanbe unferer mobemen mnfifaUfd^en
ff uttnr, übernommen* SBenn eine beutfd^e $ßartitur nad^
Sfilu^Ianb, 5ßDlen, Ui^garn, ©panien jur Slwffftl^mng öcrfd^itft
toixbf fp öerftcl^t bort jeber ffiat)ettmeifter, toie fie }u birigiren,
jebeg Dri^ieftierjnitgücb, toie fie ju f|)ielen ift, S)aä foll nun
aufl^ören; fein nid^tbeutfd^eS SBort fott ein beutfd^eg 9floten^
l^eft Jjerunäieren. ?3Jer iiberl^au^jt mufif alifd^ ift in Suro})a
ober SImcrif a , berftel^t bie eingebürgerten italienif d^en SSor*
trag^seid^en unb il^re Slbförjunften. SBenn man aber biefe
bequemen Slbbreipiaturep burd^ fd^merf ftllige SSerbeutf d^ungen
«f^fet^ ;^att.pp, wb fff. ;4e^r leife" ober „fo ftarf ate mög«»
liri^" .J^inffj^reifetr fo fauTi ber SHu^Iänber fid^ babei nid^t»
beuten; bie $ßartitur toirb aujserl^alb ©eutfd^IanbS unbraud^
IRobernes im Sexinnqs^ nnb (CI^eateriDefen. 97
hat. golgcrid^tifl müfttcn, bcm 5ßrittji<) juücbe, aud^ bic
Slamen ber (£ottH)ofttü)nöformcn unb bcr Snftrumente t)er==
bctttf^t tpetbcn. Sonate tpürbe .^Älangftütf", ®^xstpf)onit „Qa^
fammenfiangftüd'' l^ei^en, Dboe, Klarinette, SSiolonceO müßten
fid^ in „^od^l^ol}", fr^eCl^oIj'', „^iegeige" öertoanbeln. 3)a'
mit toöre bad S^aod qiUliä) ferüg. ©elbft in S)eut{(I^Ianb
tDürbe ntan fid^ fd^toer jnrcd^tfinben in biefer neu unifor=
mitten SRufif. 5!lu^tt)ärt^ aber bürfte ber l^eute fo eigenfinnig
l^od^gefteigerte Slationalfinn ol^ne Stoeifel bem böfen a3cif<)iel
folgen unb biefeftcn ^ptaä)lx6)m Sottf(i^ranfen in bcr äRufit
gegen un§ aufri^tcn. 3)ann toirb ein SRufilftüd au^ Ungom,
9tu^Ianb, Slormegen, ©Spanien bei und {ein 9RufiIer Dortragen,
lein Äapettmeifter birigiren lönnen. Ängefid^tÄ fold^er Ser=
fud^e, eine burd^aud lodmoipolitifd^e Kunft national ju Inebeln
unb abiuf<)erren, tröftet uniJ ber ®ebanle, ba^ einfeitige Sitten«
iatt auf einen uralten ßutturbefi| leidster Dorjufd^Iagen aU
burd^jufül^ren finb. @inc ©ermanifirung bed beutfd^en SRufit
öerlaged »ilrbe ju öiele materielle 3»tereffen fd^äbigen, üom
gefunben SJlenfd^enberftanb ganj ju fd^toeigcn.*)
*) 3)ie SBerbeutfc^ung ber mufifalifd^en SluSbrücfe ift übrigen^ auc^
eine alte 3Robe, au8 ber beutf^t^ümelnben Seit nad^ bcn grci^eitSs
Jriegcn; ftc »irb §cutc nur mit größerer ©clbftgcfftnigfcit otö bomol§
getragen, ^eet^ooen toollte baS gfrembtoort $ianoforte burcS^
^^ammerflaöier" crfejen, toobei er überfa^, ha^ nur bic erftc ^älftc
feiner 3ufammenfe^ung beutfd^, bie jtoeite aber romonifd^ ift. SBil^elm
t>, SBalbbrüftl, ein SIKitarbeiter ©(^umonnS, fd^rieb in feiner Ärittl
^er ,,5ugenotten", hai gleid^ in ber ,,@röffnung" (Duüertürc) bic ,,Saife"
(bcr (S^oraO in einem „Xonrungc" (gugc) l^ätte burd^gefül^rt »erben
foHen u. f. tt). 'SRcai lachte über foU^e ^äu^e, mie über ^IbelungS
S^erbeutfdftungen: „8(i^mcttermeffing" für trompete, „3)reiedf" fürXri«
angel u. f. m. @d^umann ^at belanntli^ in feinen erften ^laüier«
ftüden beutfd^e SSortragdbe^cid^nungen, er lam aber balb bak)on prüdf
unb DerHieb in feiner jmetten unb britten ^eriobe bei ben italienifd^cn
Hudbtitden. IGSagncr gebroud^t in feinen Opem^artituren beutfd^e
(Eb. Qanilid, «u8 oem ZaQOu^ eines SHuflfet«. 7
98 <E2). ^anslid.
S)a td^ nun einmal im Siaifonniren bin, fo möd^te id^
nod^ eine jttjcitc mobcmc ©rmngcnfd^aft berühren, bic jtoar
nid^t mit bcn ^^SSerbcutfd^ungen'S aber bod^ mit ber tieucften
beutfd^en %f)tattxpxa^^ jufammenl^ängt. 3^ meine bie Sitte
ober Unfitte, onf ben D^eaterjetteln bie S)arfteHer ol^ne bie
Sejeid^nung $err , ^au ober gröulein ju nennen, l^ingegen
burd^toegS mit il^ren SSor* unb B^tiamen. Sluf biefc SRobe,
bie bereite öon öfterreid^ifd^en ^roöinjtl^eatem , loie ^ßrag,
Äorföbab u. f. to., nad^gea^^mt toixb, fann fid^ S)eutfd^Ionb
ettoaS einbilben. Äeine öon ben Stationen, bic in I^eater-
bingen unfere Seigrer getoefen, lennt biefe 3Ranier, bie mir
gefd^madtlo^ unb un<)affenb öorlommt. gtanjofen unb Stö-
tiener nennen il^re ®d^auf<)ieler auf bem $erfonenöeräeid^ni§,
toie eg fid^ gel^ört, aJionfieur unb SRabame, ©ignor unb
©ignora. 3)er Herausgeber bcS Il^eaterjettefö, ber feine äWit-
glieber öorftettenbe ^auSl^err, ift bod^ immer ber 3)irector;
bie fötinftler l^aben ben Slnf^jrud^ , öon il^m mit „$err" ober
„grau'' titulirt ju werben. 3n bem SBeglaffen be« litcfö
„Herr" ftedft ettoaS eigent^ümlid^ 3wief»)ältige§, eS ttjeift über
ober unter ba§ gefettfd^aftlid^e Sliöeau. ©d^Ied^ttocg mit
il^rem SRamen nennt man enttoeber berül^mte SRänner ober
Seute in untergeorbneter S)ienftftettung. SBir ^pxtäftn furj
öon aioffi unb ©alöini, öon ©aral^ Sernl^arbt unb äbeßna
$atti; toir nennen aber aud^ ffeHner unb Dienftmäbd^en
nid^t „Herr" ober „gfräulein". 3Ran emanjipirt fid^ olfo öon
ber litulatur bemjenigen gegenüber, ber fie nid^t brandet ober
bem fie nid^t gebül^rt. S)ie granjofen, SReifter ber Höffid^feit,
nennen in i^ren S^itungen jebcn Sebenben, unb fei er ber
^ejetd^nungen; ba fd^aben fte nid^t, hvm hd €)ptm (überl^ou))! bei
@(efangftüdfen) bebarf ber beutfd^e ^ejrt o^ne^tn für bad ^uSlonb bed
tteberfe^eri^, meld^er bann aud^ bie ^ortragdbe^eid^nungen Derbolmetfdftt.
mobernes im gettungs^^ unb Cljeatertpefen. 99
•
bcrül^mtcftc : ,,H)iottftcur". Sic f daneben bei Sebäciten bicfer
SRcnncr nie anbcrg atö aJir. I^ier^, SRr. Stoffini, 3Rr. »aljac,
tote man l^eutc ntd^t anbcr^ atö öon 3Rr. ®ounob, SKr. S)aubcl,
SWr. atcnan f^jtid^t. Die beutfd^e unb bic italienifd^e Ucbung
tocid^t baöon ab. Seabfid^tigt ein 2^eatcrbirector gerobc
bic S3erü!^mt]^eit feiner erftcn SRitgtieber burd^ ba^ SBeglaffen
be§2:itefö „$err" ju bejeid^nen, bann barf er e§ nid^t auä) auf bie
3)arftetter öon Sebientenrollen antt)enben. ®em H^caterjettel
gejiemt aber gleid^e $öflid^!eil gegen aüt, ®iefe ©leid^ftettung
üben bie mobemen beutfd^en Sl^eaterjettel baburd^, bafe fie atte
3)arfteHer, aud^ bie legten gigurantinnen, mit il^rem öoCen
SSor^ unb gutiamen aufführen. SRid^tg ffonjifd^ereS unb ju^
gleid^ Saftigere^, afö fo ein langer I^eaterjettel mit großem
5ßerfonaI, ber unS nötl^igt, anstatt ätoanjig ober breifeig @igen=^
nomen il^rer öierjig ober fed^jig l^erabsutoürgen. 3)a§ lang-
tocilt ben Sefer, ben e§ nid^t im minbcften intereffirt, ob ber
jtoeite ^'äqtx im greifd^ü| S3äenjel ober Sol^ann ^oliöla, ber
britte Kl^orfnabe im ^ro^jl^eten 5ßoIbi ober aRie|i Sa| l^eifet.
®enn baS ift aud^ eine Solge bicfer neuen SRobe, bafe bic
finbifd^cn Äofenamen auf ben Il^eaterjettcln überl^anb nel^men.
lini, 5ßoIbi, 3Rie|i, Sri^i finb feine 9lamen, fonbcm Silb-
fürjungen öon Slamcn unb bc^l^alb uttpaffcnb auf öffcntlid^en
fiunbmad^ungen. Sür bie ffritiler ertoöd^ft barau^ überbieg
bie Unbcquemlid^feit, nid^t ju toiffen, ob ,,3Riefei ffa^" grau
ober fSfräuIein ju tituUren ift, benn glüdHid^ertoeife l^ött bie
bcutfd^e Soumalifti! nod^ an ber §öflid^feit feft, toeld^e bie
H^eotcrbirectoren über S9orb getoorfen l^aben. D<)timift,
ber id^ nun citimal bin, l^egc id^ bie fröl^Iid^e Suberftd^t, bafe
jcbe unvernünftige unb gefd^madtlofe SKobe balb in SSergeffen-
l^eit fällt. 3Ran fann fid^ inmitten all beg Säd^erlid^en unb
Äergerlid^en bod^ immer über irgenb cttoag freuen. Unb bie
gleite gteube , bie id^ an bem gortbeftcl^en ber „Stebaftion"
7*
100 €6. Qanslirf.
unb bc§ „atebattcurS" bct „bleuen gteicn treffe" l^abc, cm-
pfinbe id^ aud^ barüber, bag unfere großen SBiener Xl^eoter
nod^ l^oflid^ genug finb gegen i^re aRitglieber unb gegen t^
^ubKIum, um jene ,,$err" unb „grau" }u nennen unb biefe^
mit ben Sornomen öon ©totiften unb gigurantinnen ju Der*
fd^onen.
3lad^fd^rift: (Sin juftimmcnber ©rief öonöillrot]^ ettt==
l^ält fotgenbe ©teile, bie id^ meinen ßcfem nid^t tjorentl^often
möd&te. ,,@in jjeber gebilbete SKenfd^, ttjeld^er Äation er aud^ an*
geprt, l^at eine unbefugte f^eube an bem Klange feiner ©firad^e,
tok er burd^ ben äludbrudtdtoed^fel ]^ert)orgebrad^t tpirb. Sie
inbogermanifd^en ©prad^en ber bt^l^crigen ffultumationen
ftammen f d^Iie^Iid^ t)on @inem 93aum ; bag i^tt^inanbermad^fen
ber Steige lann id^ für !ein dftl^etifd^ed Unglüdt galten. SSte
bie mobeme äÄufiffprad^e öon Stauen ftammt, fo ftammt unfte
mebijinifd^e ©^jrad^e, ja überl^aupt unfere wiffenfd^aftKd^e
©^rad^e t)on ben 9t5mem unb ®ried^en. Sie fübbeutfd^e,
jumat bie SBürjburger ©d^ule, l^at öor einem l^alben ^oXft^
l^unbert bie SSerfud^e gemad^t, für 8lnH)utation „Sbfeftung'',
für (gjftirpation ,,9Iumfung", für 9iefeftion „Stu^fügung" 2C.
JU fagen. S)od^ umf onft ; man blieb bei ben aug bem Satci-
nifd^en entlehnten, aUm Stationen öerftänblid^cn Slu^brüden.
Sird^om unb ^oä) unb aud^ meine SBenigfeit, flnb bod^
getuife gut beutfd^e SRänner; aber atte SBörter, bie »ir in
bie SBiffenfd^aft eingefül^rt l^aben, finb gricd^ifd^en Urft)rungd.
Sumat bie SRomencIatur ber patl&ologifd^en Sleubübungen
in ber ganjen mobemen IBacterioIogie ift gried^if^. 88on
einer „©täbd^en^ßel^re" ftatt ton einer „©acteriofogie" ju
fpred^en, ttJäre gerabeju töd^erlid^."
©♦ ^tvitxbttx.
(3ur ^unbettftcn aOBieberfe^r fcineg ®eburt§tage§, 6. <Se|)tembcr 1891.)
SBenn ERc^crbeer l^cute öon irgcnb einem 9[u§fid^t8^)unfte
beS S^ttfritS auf bie @rbe ^erabfetien fönnte, cttoa tuie ein
®<j^auf^ieler an feinem ISenefice«§[benb burd^S @ndloä^ f))ä]^t
— id^ glaube, ein jufriebeneg Söd^eln tuürbe fein ernfteS,
geiftöotteS ®efid^t erretten. 3n fämmtüd^en ^aujjtftöbten
6ttro<)aS unb ringsum in ber ^ßroöinj tpürbc er geftöor:»
fteOungen feiner D<)ern ttjol^rnel^men , öotte ipäuf er, rauf d^en*
bcn aSeifatt. S3äenbct bonn ber 9ltt6ilar öon feinem 2lu^fid^t§=^
fteme ben Slidtnad^ ber anberen §emif<)l^are, fo begegnet er
bcmfelben @d^auf<)iel, benn bie SKufitfreunbe öon SRettJ^orf
unb aWejilo, öon 8tio unb ©an gfranciSco fönnen fid^ nod^
immer nid^t fatt I)ören an ben SKelobicn be§ „Stöbert" unb
ber „Hugenotten", bie fie längft au^toenbig toiffen. ®ic
Il^caterbirectoren finb bie^mal nid^t in SSerlegenl^eit, tpie fie
eS bei ben Subiläcn öon S<)ontini, ©^erubini, SRel^uI, @<)o]^r
unb ^erolb getuefen, bereu Dptxn erft l^aftig l^eröorgefud^t
uttb neu fcenirt toerben mußten, foHte ba^ Jubiläum btefer
SReifter nid^t idtal ignorirt bleiben, tuag oft genug aud^ ge*
fd^o:^. SKe^erbeer^ D<)ern bebtirf en leiner SBicberertocdEung,
fic fifeen feft in bem 3te|)ertoire aller I^eater unb l^errfd^en
102 €b. ^auslief.
ha feit il^ren crftcn Sluffül^runflcn ununtcrBrod^cn. ^Stöbert
bcr leufcl", „®ie ipuflcnotten", ,,S)cr "^xopijtt" f)af>m eine
Sal^I öon Sühnen eroBcrt unb eine Summe öon SBiebcr*
Iioluttgen erlebt, tute in gleid^em Stiixanmt faum eine anbete
gro^e Dpex. Um nur SBien ju citircn: „S)ie Hugenotten"
(am 19. Dejember 1839 jum erften SKale im Mrntnert^or*
Sweater gegeben) finb im Saufe öon 50 ^a^xm (1889) gegen
500 mal aufgeführt toorben, eine Siff^^^ We in SQäien über*
l^au^t nur öon ,,S)on ;3Man'' erreid^t tuorben ift. 3n ?ßari§
!iaben „Stöbert" unb bie ,,ipugenotten" bereits bie 1000. 9luf==
fü^rung l^inter fid^. @ine ^o^jularitöt toie biefe ift o^ne
S5cif^iel „^Robert" öerforgt feit öOgal^ren, ,,S)ie Hugenotten"
bel^errfdien feit 55 ^af)xtn mit bcinal^e ungefd^toäd^ter Sfroft
alle D^ernbü^nen. Unb toenn i^re anfangs gerabcju ungc-
l^eure S33ir!ung feitl^er bod^ tttoa^ nad^gelaffen l^at, fo gefd^al^
eS eben infolge biefer gehäuften SQäieberl^oIungen. 3n fo
langem S^itöertauf finb bie Sluffül^rungen faft überaß nad^=
läfftger, fd^Ieuberifd^er geworben, überbieS bie ^anpt^jartien
nirgenbs me!|r im 95efi| fo großer (SefangSfünftler, fo l^err*
lid^er Stimmen, h)ie el^ebem. Iro^bem hetoaf)xm SRe^erbcerS
S)ptxn l^eute nod^ il^re atte Bugiraft; „Siobert" unb „®ie
Hugenotten" mit äled^t üoran, nad^ i^nen „^xop^ei" unb
„2lfri!anerin". ©elbft ber „SRorbftem" unb „®inora^" —
fd^tüäd^ere ^^Jrobufte SRe^erbecrS in bem il^m fremberen ®e=
biet ber Opera comique — feilten laum in einem D<)em^aufc,
baS nod^ bie @eftenl)eit einer glänjenben, jugcnbUd^en ©olo-
raturfängerin befi|t.
©0 fönnte benn SRe^erbeer öon feinem l^immüfd^cn
SugnnS'Sanb toal^mel^men, ba§ feine SBerfe Iröftig fortleben
öor einem unermejslid^en, il^m mit feltener 2lnl^änglid^feit
treu gebliebenen ^ublüum. SRe^erbeer toax fo gtüdfßd^, fid^
nod^ bei Sebjeiten burd^ bie glänjenbften Erfolge anerlannt
<5. IHcfcrbeer. 103
üttb belohnt ju feigen. Ungetrübt toax bicfc grcubc feinet-
tocgS. SRan l^at bcm SWann, njcld^cr <)erfönUd^ nciblo«, bc*
fd^eiben unb grenjcntoS tool^Itl^ätig toax, feinen Snl^m naci^
Säften öcrgäOt. »öme^ auäf^rnd^, bajj Unbanftarteit
gegen bie eigenen Sanb^Icute im (Sf)axatUx ber ®eutf(i^en
liege, finbet ein ftarfcg (Sd^o in ben (Srfal^rungen SKe^erbcerS.
Se rodmier bie granjofen il^n, ben greniben, anerfannten
nnb feierten, befto tiefer glaubte bie beutfd^e Äriti! il^n !^erab*
jerren fia muffen. 3Ran neibete il^m ßtoeicrlei : feinen SBo^I-
ftanb unb feine (Srfotge. SBa§ l^at man i^m nid^t alle§ an-
gebid^tet! ©innlofe Slnefbotcn, iüie bie, bajs SRe^erbeer fämmt-
lid^e Drgcin in ^ari§ ange!auft l^abe, bamit lein Sieben*
bul^Icr biefen im „Stöbert" öern)enbeten (Sffelt nad^a^men
lönne, mürben blinbfing^ geglaubt unb verbreitet. 9lm läd^er^
lid^ftcn ift aber bie befannte SieblingSöerbäd^tigung : äWc^er-
bcer ^abt feine (Srfolge auf ©d^Ieid^ttjegen ber 8teHame unb
ber Scftec^ung erreid^t. S33er bergleid^en für mögüd^ ^ölt,
ber mad^t bem euro^öifd^en ^ublifum unb feinem eigenen
aSerftanbe ein fd^Ied^teS ©om^jüment. fRellame unb Sefted^ung
lönnen einen äußeren Srfolg für ein paax D^eaterabenbe unb
in itod ober brei ©tobten erf d^Ieid^en , niemals aber für
längere Seit unb über ttjeite Entfernungen l^inauS. 3Ran gebe
l^eute einem beliebigen ©omjjoniften SKillionen §u Scfted^ungS*
jttjedcn — toenn feine Dptx bem $ßubUfum nid^t gefällt, nid^t
fel^r geföttt, fo wirb fie in lurjer Seit unb innerl^alb be*
fc^eibener ©renjen öerfd^otten fein. SKe^erbeer ift feit 27
Salären tobt; feine Dptxn ttjirfen aber l^eute loie ju feinen
Sebäeitcn, ber befte SetpeiS, bafe man nid^t öon i^m beftod^en
ift, fonbern öon feinen SWelobien. äWe^erbeer ttjar allerbingS
ein ängftUd^eS ®enie, ftetS jnjeifetnb unb beforgt um baS
©d^idtfal feiner S3äerle; baS ^inbert nid^t, ba^ biefe burd^
il^ren eigenen ©el^alt gcfiegt unb fid^ über ein ^atbt^ ^oi)x^
104 €b. Qansitcf.
^unbert lang toirf f am erl^alten l^aben. S)ie beutf d^e SoumalifHf
ifüi SDte^etbeer unau^gefe^t mit gel^äfftgem @ifer ))erfoIgt;
ba8 ^ubtilum aber ift i^m treu geblieben, überall, in oHen
ßänbem. @r brandete feine SWe^erbcer^SSereine ju grünben, fein
eigene^ äJie^erbeer^Xl^eater ju erbauen; bad ganje ^ubtifum
toar fein SSerein unb ^xopa fein Sa^reutl^.
Sagl^afte, nerööfe SRaturen toit SRe^erbeer finb in ber
Sieget fel^r em<)flnbüd^. Der ®d^ö<)fer ber „Hugenotten"
füllte fd^merjUd^ jeben Slabelftid^ ber ^tif. 91m tieften
fränfte il^n bie öeröd&tlit^ »egtoerf enbe Sritif SKci^arb SB o g =
ner§, ben er bod^ in fd^toerften lagen tl^atfrdftig unter*
ftö|t unb geförbert ^attc. S)ie Sragc ber <)erfönUd^en Donf-
borfeit möge ^ier gar nid^t aufgctoorfen, öielmel^r toiHig ju*
geftanben »erben, ba§ man ®ute^ öon einem greunbe
em<)fangen unb bod^ feine 3Bcrfe öerfel^It finben fönnc. 2CJ>er
id^ glaube, ba^ ba§ Sewufetfcin genoffener SBol^Itl^aten jebem
nid^t ganj öcr^örteten ®emüt^ oon felbft einige gii^üdf^al-
tung im SRafe unb Slu^brudE cinc^ öffentlid^cn labcfö auf*
erlegen mügte. Dbenbrcin, too e^ fid^ nid^t um eine 9lb*
toel^r, fonbem um einen burd^ feine Siötl^igung motiöirten
Singriff l^anbelt. SRan tocife, ba^ ber junge unbefannte SBagner
bie Slnna^me feinet „Stienji'' in S)reSben (bie feine An*
fteßung afö §of*ßa<)eamcifter jur golge gel^abt) nur HRe^er*
beer öcrbanfte, beggleid^en bie 8luffü!^rung beiS „gfiegenbcn
ipottänber" in »erlin. „D^ne äWe^erbeer ^attc id^ in 5ßari«
mit meiner grau öer^ungem fönnen,'' fagte mir toörtlid^
81. SBagncr im «uguft 1846 in SRarienbab. 8lber gleid^ auf
biefeS unbefangene ©cftanbnife folgte eine glutl^ öon
Schmähungen gegen SRe^erbeer^ äJlufif, bie nur „einetoiber^^
toörtige 3ra|e" fei. SRe^erbecr, bcm meine jugenbüd^e 9leu=»
gier bamaB gern ein SBort über aBagner cntlodtt ^ötte, fagte
nid^tg weiter afö: „©eine D<)ern gefaOen fe^r" unb ttjenbete
(0..HteYerbeer. . 105
fofort bad &t^ptäd). Kn 9Re^rBeerd Stic^tung ifi biel ju
bdDagen, in feinen 0))em gar ntand^ed jn Dertoerfen, unb
meine Sefer n)tf[en ganj gut, ha% ic^ für baS 9laffinitte,
®ettKxItfame unb ©efd^madlofe barin niematö blinb ober
nad^fid^tig getoefen. 8(Ber in ber ^ayxpi^aift, glaube id^, 6e«
urtl^eilt i^n SSagner falfd^ unb ungered^t. (St fagt näntlid^
in „Dptx unb ©rama" (jtocite ätufloge, Seite 91): „»e*
ad^tendtt)ert]^ ift ed t)or aQent, ba^ äRe^erbeer biefem ®ange
ber D^jemntuflf nur immer folgte, nie aber mit il^m, ge*
fd^n^eige benn il^m irgenbn)ie t)oraudging. @r glid^ bem
©taar, ber ber 5ßftugfd^aar auf bem gelbe folgt unb au§
ber foeben aufgeioü^lten ädterfurd^e luftig bie an bie ßuft
gefegten StegenttJürmer an^pidt Slid^t eine SRid^tung ift il^m
eigentl^ümlid^, fonbern jebc ]^at er nur feinem SSorgängef
abgelaufd^t.'' SBenn SKe^erbcer leine Driginaütöt befäfee,
nur SKbgelaufd^tc^ unb ©rborgte^ toicberl^olte , nimmermehr
l^ätten feine Dpttn eine fo gett)altig jünbenbe SBirfung
mad^en unb bi§ ^eute ittoai)xtn f önnen. ®erabe bad Originelle
in „aiobert" unb ben ,,i&ugenotten'' f)at baS ©tudf biefer
D^ern begrünbet. SBer fid^ ber Stit erinnert, ba biefe SBerfe
erfd^ienen, bem ift anä} bad blenbenb 9>leue, ganj Eigenartige
i]^re§ ®inbrudfe§ unöerge^Iid^. SBaiJ barin tttoa an SBebcr,
8loffini, äuber erinnert, ift öerfd^ttjinbenb gering gegen baS
gau} Eigenartige, f<)ccififd^ SKe^erbeerfd^e biefer ERufif.
Stiemanb. n)ürbe eine äRe^erbeerfd^e £)ptx irgenb einem an^
bem Eomponiften jufd^reiben lönnen. 9Ran lann im ®egen^
tl^eil bel^au^ten, ba^ äJleljerbeer mit „Stöbert" unb ben
„Hugenotten" ber mobemen großen Dptx ben ©tem^jel feiner
$erf5nUd§Ieit aufgebrüdEt :^at. SBag auf gleid^em ®ebiet
borauf folgte, unb nid^t btofe in granlreid^, öerrötl^ mel^r
ober minber bie ©imoirlung SKe^erbeerS : ^al^t^s ,r3öWn",
„®uibo unb ©ineöra", „ßarl VI.", OounobiJ „Sauft"
106 • €b. ^ansKrf.
uttb „Äötttgut öon ®aba", 81. Zf^oma^' „^dmlct", SWaf*
fcnetg „ftöttig öon ßa^ore" unb „ffiib'S Serbin ,,©i^
jUiantfd^c ^t^ptx", 3)oni}cttt^ „S^om ©ebofticm" unb
„gaöotite". Unb nid^t aud^ 3Bagner fclbft? @r l^at ganj
Siedet, ttjenn er in einem öon Demütig unb 3)onIbarfeit
triefenben SSriefc on SWe^etbcer (1842) fid^ beffen ,,allerauf'
rtd^tigftcn ©d^üler" nennt; benn nid^t Mofe ,,3lienji" ift eine
unöerl^ol^Iene Slad^bilbung SRe^erbecrä, ani) ,,Iannl^öufer''
ttJürbc fd^tt)erUd^ cyiftiren, ttjenn nie ein SRe^erbcer cyiftirt
l^ättc. SSottenbg unbcgreiflid^ erfd^eint ober, toie jentönb,
fei er beut bromatifd^en Slaffinement SRe^erbeer^ nod^ fo fel^r
abl^otb, jiüeifeln lönne an beffen grofeent mufüaüfd^en
%aUnt SSSagner aber nimmt feinen Slnftanb (in „D<)er unb
S)rama", Seite 80), „SRe^erbeerg f^ecififd^ mufifalifd^e
Begabung öoüfommen auf SRuII ju feften"! aJion
brandet nid^t einmal bie „Hugenotten'' ju fennen, fonbem nur
,,8lobert ber leufel", nur ben crften 8Ht öon ,,8tobert ber
Seufel", um barüber Rar ju fein, bajs l^ier eine^ ber ü^jjjigflen
mufifaüfd^en Salentc einen Sleid^t^um an ©rfinbung ent=^
falte, tt)ie er ju ben größten Seltenheiten gel^brt. Slber
SBagner tuar nid^t immer fo fd^ted^t ju f^red^en auf SWe^er^
beerS D<)ern. ®§ ejiftirt ein burd^au^ öon SBagnerÄ §anb
gefd^riebcner 8luffa| öon fünf gottofeiten über ERe^erbeer,
ber alle§ übertrifft, »a^ ber entjüdttefte franjöfifd^e Sritiler
je jum greife biefeg ©om^joniften fd^reiben fonnte. ®icfer
ganj brudtfertige 8luffa|, tt)a]^rfd^einlid^ ou^ bem ^al^rc 1842,
ttjar offenbar für eine 3Rufi!§citung beftimmt. SBarum er
trofebem nid^t jur Seröffentlid^ung gelangte, ift unbefannt;
fd^abe ift^^ iebenfaO^. »er »efifeer biefeS foftbaren «uto=*
ffcap^^f Herr Seo SiepmanSfo^n in ISerßn, l^at ed toeidlid^
tjor ber öffentüd^en SSerfteigerung brudfen laffen, bamit ed
nid^t etn)a t)on liebet^oUer Hanb l^eimUc^ angetauft unb un«
<S. IHeyerbeer. 107
gflannt aud ber 9BeIt gefd^afft toerbe. 3tiä)t bad ®elüfte
einer t)erf|)äteten ^ßolemif, fdtibern ber SBunfd^, gerabe an
äRe^erbeerd Subtiäum- ettoad jur ^Rettung feinet %amen^
betjutragen, beranlagt mi6), ben äBagnerfd^en Sluffa^, toon
toeld^em btel^cr cmffallenb toenig bie 8lcbe getoefcn, l^erbor-
jufud^en unb einige $au|)tfä|e baraud mitjutl^eilen.
„Setrad^ten toir bic ©rfd^cinnng äRe^crbecrg," fd^reibt
8t. SBagner, „[o tocrben toir fotool^I il^rer Xcnbenj atö jumal
and^ il^ren äußeren Bügen nad^ untoiQfürßd^ an $ anbei
nnb @lnd erinnert, nnb felbft ein toefentlid^er Xl^eil in
ber Slid^tung unb Silbung üJiojartg fd^eint fid^ l^ier
toieberl^olt ju l^abcn. SSor atten Dingen ift nie auÄ bem
Singe ju öcriieren, bag jene S)eutfd6c inaren, tt)ie
biefer cö ift ... äRe^erbcer mar fo beutfd^, bag er
balb in bie Su6ftat)fen feiner alten beutfdften SSorfal^ren
geriet)^; biefe jogen mit ber botten ßraft be§ 5RorbenS über
bie 8lt))en unb eroberten ftd^ ba§ fdftöne Statten. SKe^erbeer
ging nac^ Italien, er mad^te felbft bie iM)l)igen ©öl^ne beS
©fibenö in feinen Xönen fd^loelgcn, unb bie^ toar fein erfter
©ieg. äRnJ5 e^ nid^t mit ©tolj erfüllen, ftd^ nid^t nur bag
frembe ©d^öne ju eigen mad^en ju fönnen, fonbem felbft
bie, benen mir e§ entnel^men, fid^ ber SSereblung beöfelben
erfreuen laffen ju fönnen ? aber felbft bamit feigen mir
ben bentfc^en ®eniuä fid^ nod^ nid^t begnügen, an biefem
Siege mottte er ja erft nur nod^ lernen. S)ie öerfc^tnim-
menben, unbeftimmtcn Sttebel be^ Spiritualismus l^aben ftd^
ju gormen fd^önen, toarmen glcifd^eS geftaltet, baS reine,
fcufd^e, beutfd^e S3lut fließt aber in feinen Slbern ; bie ®eftalt
beS üJianneS ift fertig unb tabelloS — nun fann er fd^affen
unb Il^aten für bie ©migleit öerrid^ten . . . (SS mar nun
aber 3Ke^erbeer, ber biefe äRanier ermeiterte, ja ber fie bann
JU einer allgemein giltigen ftaffifd^en ©d^reib?
108 €^. ^ansltd.
axt txf^oi. Sott getDiffen gebräud^Ii^ett ititb poptäwctn
^tfäfmtn uttb äRdtötnett f^at ix bte tnobertie Bäjxvbaxt gu
ettteitt grattbiod emfa^ett @ttl gefül^rtv ber bett uttettblid^m
Sorjug beft|t, ba| er ferne Saftd in bett ^erjett uttb Dl^ren
beS SSoIlc« ^ai — uttb ttid^t Mo§ afö eitie rafpttirte ®rftti>
buttg eitte^ tteueruttg^füd^tigett Sop^t^ tyaqt uttb ol^ne ©runb
uttb ©oben in ber Suft l^erumfci^tointntt . . . äRe^crbcer fd^rieb
aSeltgcf d^id^te , ©efd^ic^te ber $erjen unb Snt^jfinbungen , er
jerfd^Iug bie ©d^ranfen ber Slationatoorurtl^eilc, öcmidötetc
bie beengenben ©renjen ber @j)rad&ibiome, er fd^rieb %f)atta
ber äRuftI, 9RufiI, toie fte t)or if)m ^änbel, &hxd unb
SRojart fd^rieben, unb bicfe toaren S)eutfd^e unb SRc^erbecr
ift ein S)eutfd^er ... 6r l^at fein beutfc^eö ®rbtl§eil be-
toafycir bie SRaibetöt ber @nH)finbung, bie ffcufd^l^eit ber
©mpfinbung. Diefe jungfräuüd^ öerfc^önten S^ge tiefen
©emütl^eS finb bie ^oefie, baS Oenie SRe^erbeer^; er f^at
ein unbeftedtteS ®ett)iffen, ein lieben^toürbigeg Sctoufetfein
bcloal^rt, ba^ neben bcn ricfigften ^robultionen oft feftft
raffinirter ©rfinbungen in feufd^en ©tral^Ien ergtönjt unb fid^
bef (Reiben afö bcn tiefen Srunnen er!ennen täfet, auS bem
aQe jene intf)ofanten äßogen be^ löniglic^en SReered gefd^5|)ft
»erben."
3n biefeni lone gel^t eS in niel^r afö 300 langen 3cüctt
fort. üJian traut feinen äugen nid^t unb fragt ftd^ beftürjt:
SBie ift e^ ntöglid^, ba§ SBagner, tt)cnn er aud^ nur bie $älfte
Don feinem fiobedartilel n)irltid^ geglaubt l^at, einige Saläre
flJäter mit fo leibcufd^aftlid^er Oel^affigfeit über SRe^erbeer
l^erfaDen unb aQe^ früher ®efagte runbtoeg in bad ©egentl^eil
t)ertt)anbeln tonnte ? SBir ftel^en l^ier öor einem Slätl^f el, aber
t)or feinem fd^önen. ©ne beiläufige Slufflärung ücfert öiel*
leicht SBagnerd ^VL^^ptnd): ,,@§ l^at ettoad tief Setrübenbed,
beim Ueberblidt unferer Dt)emgefd^id^te nur t)on ben lobten
(5. meycrbeer. l(M)
%Viit% reben ju t5nnen, bie Sebenben aber mit fd^oimngd-
lofcr ötttctfctt öerfotgen ju muffen." S)aö ^«It^ SBagRer
tooQte nid^t blö| atö ber erfte, fonbem ol^ ber einzige
Xonbid^tet ber ©egetünart gelten, ©eine ^arteig&ttger l^en
fid^ natürlid^ nur . im ba$ abfolute SSerbammung^uxtl^eil ge«
l^alten, baS SBagner in bem Sluffafee „S)aS Subentl^um in
ber äJiufif unb in bem "^Mi^t „D^jer unb Drama'' gegen
SRe^erbeer fd^Ieubcrt. Sl^r $a§ f^jrubclt um fo l^eftiger, afö
fie feigen, bafe tro| il^rer Slnftrengungen bie „Hugenotten''
noc^ immer nid^t bon ben „Slibetungen" berbrängt ftnb unb
neben „Iriftan unb Sfolbe" fogar „3tobert ber Xeufel" ein
fröl^Iid^eS ©afein fül^rt. 2)ie öon SBagner anbefol^Iene „fd^o^
nungSlofe S5itter!eit" lüirb öon feinen Slnl^ängem mit einem
@ifer betl^ätigt, ber erl^eitemb ttJirfen mü^te, tt»äre er nid^t
gar fo l^ä^Iid^. So lüurbe beif^jietötoeife ein t)iett)erft)red^enber
junger lenorift öon feinen SBagnerfd^en greunben veranlagt,
in feinem SngagementSfontrafte auf bie Maufel ju bringen,
baJ5 er niemafö öerl^alten ttJerben bürfe, in einer üJie^erbeer-
fd^en Dtjer mitjutoirfen! 2)iefer ffünftler, ber franjöfifd^en
£))^ttxi öon Oounob unb üJiaffenet feine beften ©rfolge öer^
banft unb für Stollen lüie 3iaouI unb Stöbert tt)ie gefd^affen
ift, mu^te ftd^ gegen feinen eigenen SSortl^eil urfunbüd^ öer*
barrifabiren , bIo§ um afö SBagnerianer feinen $aJ5 gegen
SDle^erbeer ju bezeugen.
©old^en ^ßarteibeftrebungen gegenüber bietet baS SSerl^alten
bes ?ßubfihtm8 unb ber Xl^eaterbirectionen bei ber ©entennar^
feier äRe^erbeer^ einen erfreulid^en änbtidt. @ie beibe »iffen,
ba§ fie bem ©d^ö^jfer ber „Hugenotten" ju 2)anf t)er<)ftid^et
finb, unb freuen fid^, bieg laut unb l^erjüd^ ju bolumentiren.
®eme feiern mir l^eute bag Oeböd^tnift eine^ SReifterS öon
ebenfo glänjenbem latent lüie au^erorbentlid^em Äunftberftanb,
toeld^er burd^ bie SSerfd^meljung reijenbfter SRelobienfüIIe mit
110 €b. riansM.
)Hi(tettbein bramattfd^en Sebett ein l^dBed ^ol^l^itttbert long
miU^ auf bie (demütiger aQer 9lattonen getoirtt l^oi Die
l^eutige Seter giebt 3^pi^ ^^n ber gonj emsig boftel^ettbeit
$o^arit&t ber äRe^erbeerfd^en fDpttti, bereu Ie|te$ @tünb«
lein gemig nod^ lange nid^t gefd^Iagen fyxt
^m htm ^ttnm^tixkt.
(ftomildieCiiev in siuei Sitten: SfjlunbSmuridiwi^eteveorncliu«.)
1890.
)ts ereignet fi(^ t|in unt» niieber auif itn ^unftleben, ba^
ein elfter SDlifietfolg fii^ noi^ 5[a^re« in ftra^Ietibe
®Iom otctoanhelt fiommt baS ^Putififum im Üaufe bet 3«t
ba^inter, baf; einem Sfin(tlet übereiltes ((^nöbeä Untei^t lDiber=
fahren , fo tiflegt eS baä e^ebent SBorent^altene ^itnbertfa(^
ju erfefeen, bie Stnertranung jur SSer^errlii^ung ju fleigem.
Stuf bie erfte ^ßeriobe, bie beä Sfgnorirenä ober SGerurt^eilenS,
folgt tneiftenS eine f&poäfe ber Ueberfi^it^ung , mä) tneli^er
etft eine fpätere britte 5ß^afe baä rif^tige ©leii^geloit^t Bie'
ber ^erftellt. 9lac^ aUebent, loaS man ^eute über @omeIiuS
}u lefen befommt — e8 ftnb ganje ^rofd^Üren bnrnnter —
fftieint bai ilffentUi^e Urt^eit ftd) nod) in jenem jmeiten
©tabiiim, bem ber Ueberfi^älinng, jii befinben, inbem eä ben
Snonn, an^att i^n einen geiftrcidien, feinen nnb IiebenSn)ür=
bigen ^nftter ju nennen, o^ne roeiteiä atS einen ber großen
Unfterb(i<^en, aii ba^nbre<^cnben @eniu3 proftamixt. SRan
erinnert fl^ beä gemottigen SärmS, mit Welchem »Der a3ür=
bier Oon Sagbcb" in äSeimar ^ut SSJelt tarn. ®ä mar bei:
96. ^aniiitl, ÜuS btm tnttbatk tinte <Dltt[\ltt!. ^
114 <£^. ^anslxd.
ü&tnt eiltet, ber mit fra^nbem ©c^oltcr burd^fftKt. ßifjt,
bet 1858 bie @rftUngdo|)er bed jungen dotnüM lithetyoU
cinftubirt unb birigirt ^atte, füpe M ^^^^ We rüdffid^tö^
lofc älHcl^nung berfelbcn fo tief öcriefet, ia% er fid& fofort
öom Xl^eater jurüdEjog. @o tt)cttl^in wiberl^attte ber ©turj
biefer Dt)cr, ba§ burd^ i»ei ®ccennicn jeber S^caterbirector
bor bem ^SSarbicr" fd^cu auStoid^, toit öor einer gefüllten
ajombe. SBie fottte öor 32 gal^ren eine fomifd^e Dptx nid^t
befrcmben, lüeld^e baS maffipe, contplicirte Siüftjeug SBagnerö
einem Keinen Suftfpictftoff auflub unb ben $örem bie unge=
ttol^ntefte gciftige Slnftrengung 1 SKan lönnte ben „95arbier
öon ^agbab" faft einen fd^üd^tcmen SSorlöufcr ber jel^n
3a]^rc jüngeren „üJieifterfingcr" nennen. Slad^bem einmal baS
5ßubüfum mit ben äReiftcrftngem befreunbet toax, beren @tit
fid^ jur öfteren fomifd^en D^jer öerl^ieft lüie greöfomalcrei ju
aWiniaturbitbd^en , ba erinnerten fid^ bie Xl^eaterbirectoren
aud& beg „95arbierg öon Sagbab*. ©omeliuS fetbft ^at btefen
günftigen Umfd^toung leibcr nid^t mcl^r erlebt; fein „8ar*
bier" aber ift tt)ieber tebenbig gett)orben auf ben bcften beut*
fc^en Sül^nen. Slud^ baS SBiener $ofo^)ertttl^eater l^at j[e|t
ben „Sarbier" aufgenommen unb l^at red^ gel^anbeft. S)aS
SBerf Derbient e^ um feiner fetbft Witten. Ueberbie§ toax
augenfc^eintid^ einem SBunfd^ unfereS ^ßublifumö entf^jroc^cn,
ba^ fid^ in günftigfter SJoreingenommenl^eit ju ber Sorftettung
einfanb. äRit faft befrembenbem 3ubel nal^m es gleid^ bie
Duöertürc auf, meines ®rad^tenS baS fd^toäd^fte Stüdt ber
Optx, 3Ran merft eS biefem 83eifattSfturm an, ba§ bie
SBagnert)artci il^re §anb ober öielmcl^r i^re ^änbc im ©piet
l^atte. 2)ie Duöertüre auS atten möglid^en Xl^emen ber Dpn
jufammengefd^üttet, mad^t ben ©inbrudf beS gerl^acften, Sorm*
lofen unb Ueberlabenen. 2)er Kontponifi ffil^ft fid^ in bem
f^m^)]^onifc^en SRal^men offenbar unbel^aglid^ unb nerööS auf*
Der Barbier von Baobab. • 115
flcreflt; er locd&fclt feine ERotiöe, Ion* nnb Xaftarten ieben
Äugenblicf, tote bcr SSogel im Ääfig bie S^Jtoffen. ©ein
Xalent Derrätl^ aud^ l^ierin eine SSertoanbtfd^aft ntit äBagner ;
tpie biefer bebarf SorneliuS beS SBorteS, lüomögüd^ ber cige*
nen ©id^tung, afö Slnl^att für fein mufifalifd^eS ßrfinben unb
Somien. Sfuc^ KomettuS l^at, gleid^ SBagner, ftd^ nid^t öon
^m^ aus ber SWufif getoibmct, fonbem jtoifd^en 2)id^tlunft
unb SKufif gefd^toanft. „S)er 2)id^tcr in mir," fd^rcibt er,
„toax unter großen SBcl^en geboren; ber SKufifer toax ein
STngfÖtnb öon jel^er; ba tarn aber nun ba§ ©IfidtSfinb, bag
öon beiben baS öefte l^atte unb mit freiem Klnftterifd^en
®eba]^ren in bie SBelt lad&te. S)a8 loar ber S) i d^ t e r -
SKufiler." 2)ie ©d^toäd^e fold^en 2)o^j<)eItt)efen§ offenbart
fid^ in ber Duuertüre, feine ©tärfe in ber €)ptx felbft.
SSeim Sfufjiel^en beS SSorl^angeö feigen tt)ir ben jungen
9iurebbin, t)on flagenben 2)ienem umgeben, franf auf feinem
IBiöan auögeftredtt. (Sr öerjel^rt fid& in ©el^nfud^t nad^
SRargiana, einer x^m gegenüber tool^nenben ©d^önen, bie er
nur öom 3fenfter au8 lennt. SBal^rfd^cinlid^ toürbe er einen
erbärmlid^en „SiebeStob" fterben, rettete il^n nid^t äRargiana^
(SefeKfd^afterin 95oftana mit ber frol^en Sotfd^aft, il^re Herrin
erloarte il^n. ©d^neU läfet ber ^eglüdtte einen Sarbier Idolen,
ber il^n fauber ]^erauöt)U|en fott für biefen S3efuc^. 3)er
©arbier crfd^eint, ein tt)ürbet)otter SHter mit bcm toeitläufigen
Slamen Slbiri $affan Slli @bn Sefar unb nod^ toeitlöufigeren
Sieben. 2)a er, anftatt ju rafiren, nur unabläffig fd^toafet,
bcfiel^It ber ungebulbige Siurebbin feinen Wienern, ben Sttten
l^nau^junoerfen. 3)iefer jeboc^ jagt fie, mit feinem aiafir-
meffer bewaffnet, fömmtüd^ in bie Slud^t. 9tun öerlegt fid^
Slurebbin auf§ Sitten unb ©d^meid^eln unb toirb enbüc^ nad^
SBunfd^ rafirt. 9tad^ getl^aner Slrbeit toiU aber ber Sarbier
baS Simmer nid^t öertaffen, fonbem befteiit barauf, SRurcbbin
8*
116 €b. Bfansüd.
äu SDlargiana ju begleiten. Um hm Säftigen loSsutoerbcn,
lägt 5Rurebbin ben Sarbter auf ba§ Slul^ebett toerfcn, il^n
mit Äiffen bcbedtcn unb maffiren, ttJöl^renb er felbft ju feinem
atenbegDoug eilt. S)er jttJeite Sl!t fpielt in ber SBol^nung ber
3Äargiana. ^f)x SSatcr, ber Äabi ^vi\i(ip\)a, ber fie einem
reid^en alten Saufmanne öerl^eiratl^en lüill, läfet eben bic
83rautgefd^enfe be^felben in einer grojsen Äifte l^ereintragen.
S)a rufen bie SWuejjim jum @titi, ber Äabi eilt in bie
üJiofd^ce, unb ber fel^nlid^ erwartete Slurebbin fann eintreten.
S)ie beiben Siebenben finb mit il^rem ®uett faum fertig, afö
fie S&rm unb ©efc^rei öcmel^men : ber ffabi ift junldEgeIcl|rt.
Siurebbin, bem feine S^i* ^^^^ bleibt, ju fliel^en, toirb t)Ott
ben SRäbd^en in ben großen ffoffer Derftecft. äRan geftatte
uns l^ier bie Semerfung, bajs noir in ber £}ptx nod^ niemals
eine geräumige Äifte l^aben l^ereintragen unb bel^utfam nieber-
ftetten feigen, ol^ne bajs nid^t balb nad^l^er jemanb l^inetn
Derftecft toorben noare. ^m „SSarbier öon SSagbab" »irlt
alfo biefer SBi| aud^ nur mößig überrafd^enb. Slbul ipaffan
l^ört, ha^ ^an^ umfd^Ieid^enb, ben Särm unb glaubt, SRureb-
bin fei t)on bem Sabi ermorbet ttJorben unb liege aU Seid^*
nam in ber ffiifte. Sltterlei SSoIf brangt fid^ l^erein unb er*
Ijebt ein großem ©el^eul unb IBörmen , ba§ enbtid^ aud^ ben
Ä^alifen l^erbeitorft. SBeife, toie alle D^)em^ffi]^aüfen, gerätl^
er auf ben finnigen ©infatt, man möge bie Äifte öffnen, um
gu feigen, ttJaS brin ift. SBirftid^ liegt 5Rurebbin ol^nmäd^tig
im ffioffer, erl^olt fid^ aber attmöl^Iid^ unb erl^alt burd& beö
S^^alifen gürnoort bie |)anb SRargianaS.
@S ttJäre eben nid^t unbefd^eiben, toenn jemanb bicfen ©toff
etttJaS mager fönbe für eine Dper öon jttjei langen äften.
SBar bod^ felbft Sifjt mit bem Sibretto nid^t einöerftanben.
S)ie Sunft beS eom<)oniften l^at e§ aUerbingS öermod^t, un»
gröfetentl^eifö l^inttjeggul^elfen über bic Sangtoierigfeit ftitt*
Der Barbier von ^aQbat>, 117
ftcl^cnbcr ©ccncn; grö^tcntl^eifö, hoi) nid^t immer. 3)aS ge=
ringe 3tttereffe ber ^attbluttg unb bie uttau^toeid^Iic^ getoor-
benc lange SluSbel^nung ber einjclnen ©cenen finb ber
toefentüd^ftc ©intoanb, ber fid^ gegen bag SBerf erl^ebt. ^ai
aber Sornefiu^ ben ©toff (aug ^^laufenb nnb @ine 9iad&t")
ol^ne bie nütl^ige SRücfftd^t auf Ieben§t)oIIe $anblung gen)ä]^It,
fo öerrätl^ er bod^ in beffen Bearbeitung eine fd^öne ^joetifd^e
95egabung. UeberauS glüdEüd^ ttjei^ er bie bitberreid^e äuS-
brudE§»eife beS Orients feft^ul^ alten unb burd^ finnreid^e
3teimfpiele ber 3totte beS SarbierS nationale Sörbung unb
ed^t fomifd^e SBirlung ju geben. S)iefer öarbier, liteE^elb,
ffem^ unb ©lanj^junft ber D^jer, ift eine ganj neue, originelle
Sigur ; er erinnert in feiner brottigen geiertid^f eit an S5oben=
ftebtS föftüd^en üWirja^Sd^affti, in feiner 3teimt>irtuofität an
ben 9lbu ©aib öon SRüdfert. 2)er 83arbier öon Sagbab bilbet
eine Slrt ©egenftüdt ju bem 3ioffinifc^en Sarbier t)on SeDiUa.
S3eibe pnb @d^tt)äfeer : gigaro ein jugenblidö luftiger , Slbul
^affan ein alter, le^r^after, t)at^etifd^er. SIK S)ic^ter toie
afe ®omt)onift l^at ®omeIiu§ in ber Kl^arafteriftif feinet
öarbierS Originalität unb $umor bettJiefen.
SBenn noir unS ben mufifatifd^en SSerlauf ber D^jer rafc^
öergegenttJärtigen, fo öerttjeilen toir gleid^ mit Vergnügen bei
bem erften fo toeid^ l^inflieftenben ®l^or „Sanfter ©d^Iummer
noiegt il^n ein". SBeniger befriebigen unS bie beiben foIgen==
ben aKonoIoge, in benen Siurebbin juerft feine Serätoeiftung,
bann fein Siebeöglüdf auSbrüdft. 2)er ®efang öerliert fic^
nur ju oft in beclamatorifd^e ^ßl^rafen unb leibet überbieS
unter ber raftlofen Unrul^e unb bem unaufl^örlid^en Sarben*
toed^fel im Drc^efter. ©el^r ^übfc^ ift bag Keine, ftreng
fanonifd^ geführte S)uett jttJifd^en Siurebbin unb »oftana;
ipräc^tig ber Eintritt beS »arbierg („äRein @o^n, fei Ma^^
grieben ^ier, auf ßrben ftetö befd^ieben ©ir"); bag fomifd^c
118 €6. ^anslicf.
^atl^od ber äRelobie getoinnt burd^ bte nad^fd^Iagenben äteüne
eine bcfonbcrc SBiirjc, Slud^ in feinen ftcibcn SSerid^ten über
bic fed^S ©ruber ftedtt ein ungefud^ter, origincKer ©unurr.
S)ettt SlHegrofafe: „Sin Stfabemilcr, 2)oftor nnb ©l^emifer"
ift ein ©leid^e^ nid^t nad^jurül^nten ; er erinnert ju fel^r an
altere SJorbilber. 2luc^ in ber eigentlid^en 3tafirfcene erfreut
nng ber ttJadfere Slbul ©affan burd^ wandle gelungene ©teile
bod^ ttJürbe eine Inop^jere Raffung biefer unbarml^eräig l^inauö*
gezogenen D^)eration gettJijs jum SSortl^eil au^fc^Iagen. ®or-
neliuS ftanb i|ier einer f d^tt)ierigen Sluf gäbe gegenüber : er f)at
einen graDitötifd^en @d^ttjä|er bar juftetten , toeld^er ben 9hi=
rebbin bi§ jur SSer^toeiflung langttJeilt unb bod^ bag ^ßubli^»
fiim nid^t langnoeilen fott. (£ine ineite ©tredte entlang ber=
mag ©orneliu^ biefeS ^ßroblem glüdtüd^ ju löfen, aber bod^
nid^t gang bi^ ju ®nbe. Unb gerabe noo er burd^ ©infd^ic*
bung großer benoegter El^orfcenen einen inirlfamen ©ontraft
ju ber ©införmigleit ber 9tafirfcene ju fd^affen fuc^t, gerätl^
er in ben entgegengefeiten Segler. 3d^ meine bie beiben
©l^öre ber 3)iener, ttJeld^e ben 2lngriff auf ben Sarbier unter*
nel^men. Sn beiben gdtten ift bie üJiufif §u lärmenb, f^jef*
tafell^aft; il^re majstofe Uebertreibung berlel^rt bie beabfid^-
tigte S'omif in Ifto^tit SBetd^e^ Slufgebot, um einen Sarbier
bor bie %f)üx p fe^en ! 3)ie feinen contrapunftifd^en ffiünfte,
tt)eld^e ber ©om^jonift l^ier (tt)ie aud^ in ber SSoIf^fcene bc§
ätoeiten Slfteg) anbringt, bleiben gröfetentl^eitö Slugenmufif, bad
l^eifet Sedferbiffen für bie ßefer ber ^ßartitur ; in ber STuffü^rung
toerben fie bon ben SattJinen beö Drd^efterS öerfd^üttet.
S)a§u !ommt nod^, bafe ber jttjeite Sl^or ber gegen Slbul ©affan
lo^gelaffenen 3)iener eigentlid^ nur ein 3)ut)Iifat beg erften,
eine SBieberl^oIung berfelben Situation ift unb bemnad^ ein fd^on
unem<)fänglid^ unb unaufmerffam geioorbeneS 5ßubüfum öor*
finbet. ©el^r l^übfd^ beginnt ber jmeite Slft mit einem grajiöfen
Der Barbier von ^aqf>ab, 119
Smicgefattfl bcr beiben grauen („@r tommt"), loeld^en bet
^mjutritt bed Sabi sunt Xer^ett emeitert. ©rögtentl^eitö aU
ffanott burd&gefül^rt , mad^t eö bod^ nirgenbs bcn ©tnbrud
bc^ ©tfifen, Scrfünfteltcn. S)a« Xcrjett gel^t über in eine«
bcr »irlfamften, origineKften ©töcfe ber D^jcr: S)rci
SRuejjim l^inter ber ©cenc rufen au« öcrfd^iebener @nt*
fcmung jum ®ebet; bic bciben grauen mit bcm Äabi
nel^men bie (»al^rfd^einlid^ original arabifd^e) äRelobic auf,
bie fd^Iie^Iid^ in nod^ feineren SJerfd^üngungcn t)om Drd^efter
toeitergef^jonnen toirb big jum ©intritte Slurebbin«. S)ic
fiiebcScrllärung biefe« feurigen Slnbeter« unb fein 3)uctt
mit äRargiana l^aben ntid^ etn^a« enttdufd^t; t^ fel^It i^nen
ber ftarfe 2)uft ber Seibenf d^aft , bie ßraft unb Sicul^eit ber
äRcfobie. $icr, tt)o ©omeliuS, auf comt)Iicirte Segleitung
öcrjid^tenb, rein burd^ ben melobifd^en ©cbanfen toirfen toiU,
vertiert er alle Originalität. Slfe er öoKenb« bie beiben
Siebenben über 40 lafte lang unisono fingen Iä|t, öcrüert
er fid^ felbft unb ber Snf)öx^x bie äufmcrffamfeit. 2)ie
jälagcn 9lbufö unb beS SRönncrd^or«, tocld^e burd^ ^injutritt
ber ÄIagett>eiber jum fd^ncibenbften 3<iintn^i^ antoad^fen,
überfd^reiten für meine ©ntpfinbung atteg 23ta%, toit and)
bie Salgerei um bie enbloS ^in unb ^er gcjerrtc ^fte. S^^
©lüdfe Irönt bie lang l^inauggefd^obene ®nttt)tdHung ein
©d^luggefang, ber, jum Stile bcS erftcn Sßte« jurüdEgreifenb,
uns in ber redeten Stimmung unb mit bem günftigften
einbrudte entläßt: SlbbuK ^ulbigung an ben Sfl^aKfen:
„^ül biefem $aufe, bcnn S)u tratft ein, ©alamalcifum !"
®ag Stüdt, geiftreid^ unb ftimmungSöoH , überrafd^t in«*
bcfonbcre bur^ ben reid^cn SBcd^fel ber ^armonifirung in
bem jebe^mal Dom gangen (Sf)ox aufgenommenen ätefrain
@alamaleilum V*
SBenn ComeKu« in einem ©riefe äußert, baß feine SKe*
120 €b. fJansUrf.
lobienbilbung „auf bcm SBagnerfd^en SBcgc gcl^t, o^m plattt
SRad&al^mung ju fein" , fo cntf|)rici^t bic^ bcr SSal^rl^cit. ffir
fd^üc^t fic^ an SBagncr nur um ein ©eringe^ näl^er an, afö
$emtann ®ö| in ber „SBiberf^)enftigen". SKanc^e ©tüdfe im
„öarbier" ftel^en ööttig auf bem öoben ber alten £)ptx, toxt
j. 83. baS lerjett „@r fommt". SBagnerifd^ ift l^ingegen bie
bedamatorifd^e Se^anblung aller nic^t rein t^rifd^en Stellen,
bie aSorüebe für ©nl^armonif unb lül^neS äRobuIiren, öor
attem aber bie Sel^anbtung beS Drd^efterS, bag eine überaus
ttid^tige, oft bie toid^tigfte 3iotte f^jielt im „öarbier". S)ie
3nftrumente finb forttoöl^renb in eifrigftem ®ef^)rad^, toeiter
au^fül^renb, erttärenb, malcnb, beftreitenb, noaS oben gefungen
mirb. 2)er mufiffunbig fotgenbe $örer ttJirb öon biefem reid^en,
toed^fefootten Drd^efterbetail unau^gefefet befd^äfttgt unb ange*
regt, faHö il^n nid^t ))Iö|ttd^ einmal bie 3bee überfommt, er
fi|e auf einem geiftreid^en Slmeifenl^aufen. 2)er „Sarbier öon
Sagbab" entl^ätt feine birecte „Siemini^cenj" auS SBagner,
aber er ift burd^au^ @in gro^eg ©rinnern an SBagncr. S)ie
ganje ^ßartitur ift gteid^fam mit SBagner imt)rägnirt, mit
SBagner unb Serttoj, beffen „8tömifc^er ^axntt)aV* in ber
Duöcrtüre unöerf ennbar , ftettentoeife fogar wortgetreu nad^*
Hingt. äRit »erlios trifft ©omeüuS aud^ in ber ärt ber
SBirfung infofem jufammen, afö ber „95arbier'', ö^nlid^ toit
„Seatrice unb Senebict'', me^r ben äRufifer intereffirt, afö
ba^ grojse ^ßubttfum befriebigt, mel^r geiftreid^e Slnrcgung
bietet, afö eine unmittelbar ^jadtenbe SBirfung. ©ättcn toir
öon Serlioä, beffen »ebeutung in ber f^nH)]^onifd^en äRufif
liegt, nid^t^ afö feine Dpttn, lüir müßten Korneliu^ i^m
minbeften« gleic^ftetten. ®egen „Seatrice" gehalten, erfd^eint
mir ber „Sarbier öon Sagbab" afö bie beffere fomifd^e Dper.
ein fiarfeg, urf»)rünglic^e^ äRufifgenie Dermag id), noie gefagt,
in ffiorneliuÄ nid^t ju erfennen, am toenigften ein in ber
Der Barbier von Ba^ba^ 121
SRelobic oriflittettcS unb erfinbung^reid^cö ; lüol^I ober ift er
ein ^art ettt^jfinbcnbcr, feiner unb benoegüd^er ®eift, ber oud^
einen gen^öl^nlici^en ©ebanlen aufjufd^ntücfen n^ei^ burd^ ))ilante
{ftl^^tl^mif , intereffante Drd^eftration unb eine nid^t gctt)öl)n==
lid^c l^amtonifd^e unb contra^)unftifci^e ^nft. SSon fc^arfem
OcttJürj, ttJoju toir auc^ ben fcl|r tiäufigcn Xafttocd^fel äö^Icn,
nitttttit er gern eine DoIIc |)anb ; 83iäarre3 unb Ucbertricbcnc^
bringt er l^aufig, gerabeju Xribiale§ niemafö. 3)ic ?ßerlen
ber Dptx l^aben noir nad^ Oebül^r tieröorgel^oben ; toai unS
nod^ ttjcrtl^tjotter fd^eint, ift ber gug Don SiebenStoürbigfeit
unb guter Saune, n^eld^er bad ®anje ein^eitlid^ burd^ftrömt.
S)aS $ubü!um f^jenbetc ber D^ptx unb f ömmtüdöen 3Rit=
toiricnbcn bie ttJörmftc Slnerfennung. SBJie traurig, bajs Sor-
neUu§ biefe Sluffill^rung , biefcn ©rfolg nid^t ntel^r ertcben
foKte ! SBer i^n tjerf önlid^ gcf annt, ben üebenSttJürbigen, ge=
mütl^öotten 3Kann, ben fein ©ntl^ufia^mu^ für SBagner niemafö
unbillig, niemafö gel^öffig gegen änbcröbenfenbe gemad^t ^at,
ber mod^te fid^ geftem fagen, ba§ biefem fd^önen Slbenb eigcnt-
lid^ ba^ »cfte fehlte.
^f er f 0rfbÄrlrter" nm ^Aitnk.
(1890.)
S)cr S)orfbarbicr im ^ofo^cmtl^catcr! @cit ctma fcd^jig
Sagten ^ai er \x6) an bicfcr torncl^nten ©tättc nit^t mcl^r
blicfcn laffcn unb fein SRaftrjeug nur in bcn Sorftäbtcn gc^
l^anbl^abt. Slbcr feine SBiegc war bod^ ba^ ^oftl^eater näd^ft
bem ßärntnertl^or, ba^ lann il^nt niemanb ncl^men. S)ie ^anb*
lung freiließ ift gar nid^t ariftofratifd^er ^erlunft ; nod^ üiel
älter afö ba§ @(^enff(^e ©ingf^iel, ^ai fte burt^ mel^r ate
ein ^af)xf)nnhtxi alle mögltd^en S33anblungcn burd^gemat^t.
S)er „S)orfbarbier" blül^tc fd^on ju 3^ü^tt i>^^ eftemporirten
S'omöbie; jeber neue Suj ober Sbam brad^te aud^ neue (Sin>
fäHe unb Variationen hinein, bis eines XageS — baS ,,regel'
mäßige ©(^auf^ieP befolgten würbe. S)a fammelte 5ßaul
SBeibmann (ein ©ruber beS trefflid^en ©d^auf^ielerS) auS bem
©ebäd^tniffe attcS Sorl^anbene ju einem Suftf^iel, unb „S)er
S)orfbarbier" tourbe im SJurgt^eater ein XummeI^)Iafc fröl^Iit^ett
äJlutl^willenS. S)ie beften ©d^auf^ieler terfd^mäl^ten eS nit^t,
barin auf jutreten ; einmal lieft ftd^ fogar ber berül^mte Xragöbe
©rodEmann ate einer ber „®efd^toorenen" im S)orfbarbier
jum Sw^rf beS 5ßubüfumS üon Suj einfeifen. 3n biefer ®e*=
ftalt, afe Suftf^iel, erfd^ien ber S)orfbarbier jum lefcten ERal
im gal^re 1796. Unb tote ift er D^er getoorben? ^o^tpf^
Der Dorfba.rbier. 123
SBcibtttann fanb afö neu ernannter 3legiffeur ber S)eutf(^en
D))er im ate^jertoire fel^r wenig Meine @ingj')}ielc tor unb
fa§te bie glücttid&e ^itt, ben ©toff beg ,,S)orfbarbier" ju be^
nu|en. S)ie beiben ©ruber SBeibmann bearbeiteten ba^ Sibretto,
il^r gemeinfamer greunb ©d^enf fd^rieb bie äJiufil. S33ie
griebric^ Sreitfc^fe erjä^It, lag ba^ ©ingf^iel fd^on feit SRo:^
naten fertig, blieb aber toegen „verbreiteter übler Sftad^rebe"
beifeite gefd^oben, bi§ eines SagS bie gleid^jeitige ©rfranlung
mel^rcrer Sänger jur Sluffül^rung be§ „S)orfbarbier" nöt^igte.
»ei ber erften Sluffül^rung im ffiärntnert^or^^Xl^eater (30. Df=
tober 1796) f:fieften alle SRitwirlenben fo fd^üd^tern, ba§ ba§
©angc leine SBirlung mad^te. S)er befd^eibene Eomponift
l^atte nid^t einmal getoagt, ftd^ auf bem Il^eaterjettel ju
nennen.*) ^n ben folgenben SBieberl^oIungen trat man aU-
mäl^Iid^ fül^ner auf, unb anä) ber Eom^onift toarf fein 3n=
fognito ai. S)er ftetig ttjad^fenbe S3eifaII fteigerte bon Xag
ju lag bie gute Saune unb ben SRutl^millen ber S)arftetter.
3m Safd^ing 1804 fanb man eines SlbenbS bie Sebl^aftigfeit
ber ffomifer ju grofe, unb bie folgenbe SSorfteHung foHte bie
I e fe t e fein. Slbam rettete baS jum Xobe berurtl^eifte ©ing-
fljiel burd^ ein l^eroifd^eS äJiittel. @r erfd^ien in Xrauer^^
Heibern, mit langem glor um ben §ut, unb afö Suj mit il^m
ju janfen begann, f^jrad^ er toeinerüd^ in feierüd^em ^od^*
beutfd^: „iperrSuf, l^eute jum legten äRale werben Sie mir
alles in ®fite fagen!" S)ie 3wfd^auer erful^ren fd^neU bie
S3ebeutung biefcr 3m)}rot)ifation unb erreid^ten burd^ ftürmifd^e
S)emonftration bie gurüdEnal^me beS SSerboteS. Sogar in
*) 2)er ^^feeaterjettel bvad)te folgenbe empfe^fenbe Söemerfuiig :
„^aS Suftfpiet biefeS Sf^amenS ift befannt unb immer mit SBeifaH auf^
genommen roorben. 3)ie fomifctjen 5luftritte barin gaben ^nlafe, bafe
m(xn eS jur Oper umfd)uf. 3)er 2^onfc^er §at bie intereffanteften @ituo=
tionen genügt unb in SJJufif gefegt."
124 ^^ ^ansHa.
ariflofratift^c Sreifc brang bcr „S)orfbarbter". @r erft^icn
in itaKettifci&er Ucbcrfefeung auf beut ©(^lofetl^eatcr bcS gürflen
Äarl Slucr^^crg, für toclt^e^ ©d^enf fd^on ntcl^rerc Dpttttttn
gcf einrieben l^atte. S)er trcffUd^e SJaPuffo 85 r o « (^ i gab bcn
Suj: uttb bcr berühmte D<)emcotti()Ottift Serbinanb $acr ben
Slbam. Slud^ getanjt tourbe ber „S)orfbarbter" afö ©aUct.
SJlit bctt Salären nal^nt ba^ ©oftl^eater öorncl^mere ©ittcn an ;
man fanb bic berbcn ®p&%t l^ier nld^t mel^r ant redeten $Iafc.
Site ju Slnfang 1807 bic bctbcn ©oftl^catcr eine neue S)irectiott
erl^ielten, begann biefe il^r 2lmt mit einer ©id^tung be^ 9lc*
^ertoire^ unb ftrid^ bei biefer Oelegenl^eit aud^ ben ,rS)orf'
barbier". S)iefer bettjie^ aber neuerbingS fein jäl^eg Scben.
2lm felben Slbenbe melbcten fid^ faft alle crften ©änger
unb Xänjer franf; e§ fonnte am nöd^ften Slbenb ni6)i^
Slnbere^ gegeben ttjcrben, afö ein Heiner SJaHetbiüertiffement
unb — ber „S)orfbarbier". SJian begnabigte il^n nötige*
brungen unb Iie§ ben großen SJiann fortan ungeftört feine
ttjunberbaren ©d^infenfuren fortfe^en. SSorjüglid^ blieb er
ein Siebling^ftüdE bei fjrcitl^eatern. 3« einem fold&en über=
mäfeig üoHgebrängten greitl^cater lam Saumann atö 8lbam
tor ben SSorl^ang mit einer riefigen ©lutl^^fanne unb räud^crte.
Subelnb bebaniten fid^ bie gemütl^Iid^en Sufd^auer. S)iefer
SJaumann, ein geborener ff omif er bon f^rubelnbcr ßaune,
gab ben Sbam in mel^r atö brei^unbcrt Sorftettungcn. ©ein
?ßortröt in biefem ffoftüm l^ängt in ber ©d&auf^jielergalcric
be^ SJurgtl^eater^. 3Kit feltener Slu^nalöme ftanben il^m immer
SBeinmüIIer atö Suj unb Sogel atö 9lunb jur ©eite;
beibe D^jcmfönger crften SRange^. SBeinmüIIer toar bcr ©a*
raftro, ber Sigaro, bcr erfte 9locco im ^ofo^cmtl^catcr. SSogel, ber
große ©d^ubertf änger , galt jugleid^ für ben beften S)arfteIIer
bc« «(maöiba in ,,gigaro§ ^od^jcit", be^ Drefteg in ®IudS
f/3)>^igcnie" unb anberer Haffifd^er ?ßartien. 3Ran erficl^t
Der Dorfbarbtcr. 125
an^ bicfem S9cif<)icl, ba^ früfier jttjifd^en bem ernften unb bcm
fomifd^en SRoUcnf ad^ feine fo ftrenge ©d^eibung beftanb; fo-
bann, bafe fclbft für Keine ©ing^iele am ipofo^emtl^eatcr eine
boHfomntcne mufifaüfd^e Slu^fül^riing verlangt tourbe. äJiit
ber junel^menben Verfeinerung bcr ^ofbül^nen mufete ber
totcberl^oft gefäl^rbcte „S)orfbarbier" bod^ cnbüd^ ba^ Selb
räumen. @r ftüd^tete in bie SSorftabttfieater, too er nod^ in
unferen Xagen jeitmeilig bie alte i&eiterfeit crtoedft. SBir l^aben
il^n julefet in bem Keinen „@tram))fer'X]^eater" unter ben
lud^Iauben, mit Sd^toeigl^of er afe Slbam, gefeiten.
SBol^er nun ber aufeerorbentlid^e ©rfolg, bie l^unbertjäl^rigc
SebenSbauer bief e§ Meinen, anf))rud^^Iof en S33erf e^ ? S)ie ^o))u*
Iure S33irfung lomifd^er @ingf))ielc gel^t immer junäd^ft bon
ber i&anblung, bom Xejte auS. @o ttjenig tt)ir ©d^enl^
SRufif untcrfd^äfeen, niemafö l^ätte fie aHein einen fd^mad^en
%tict jum @ieg geführt, gefd^meige benn bi§ l^eute nad^gettjirft.
Slber toetc^ üoHStiümlic^er ©toff, biefe^ löftlid^e ©rbftüd ber
alten ejtem^orirten ffomöbie ! ®§ ftedEt ettoa^ Unbertoüftlid^e^
in bief en ber SBirfüd^leit abgelauf d^ten Figuren : ' bem auf ge=^
Mafenen, albernen Duadffalber unb feinem ©efeUcn, biefem
©d^Iaud^ üoÜ SRutterttJi^ unb fomifd^er @<)rud^tt)ei^]^eit. S)ie
fd&ncHgetröftete SBittttje beS ©d^miebeS, ber falbungSbottc
©(^uttel^rer 3lunb, bie auf ber 3lafierbanf iapptlnbtn ©e-
fd^toorenen, enblid^ ba^ muntere Siebe§)}aar Sofep^ unb @u«*
d^en — fie alle finb inbibibuett, d^arafteriftifd^ , au§ bem
Seben gegriffen. S)ie ^anblung, in ttjeld^er biefe ^erfonen
mit unb gegen einanber arbeiten, enttoidfelt ftd^ natürüd^ unb
in lauter brottigen Situationen. 3n biefem Xejtbud^ finbet
ber (£om<)onift bie SBirfung faft fertig öor, er l^at biefelbe
gleid^fam nur ju unterftreid^en. Unb ba^ l^at ©d^enf meifter*
lid^ getroffen, ©eine SJhtfif pm S)orfbarbier ift jugleid^ naib
unb d^arafteriftifd^ , fie fliegt leidet unb fröl^üd^ bal^in, ol^ne
126 €b. ^ansltrf.
bcleibigenbc Iriüialttät. SBic uttgefud^t fontifd^ Hingen bie
@tro))f|enIiebcr SfbamS unb bic F-dur-STric be^ Suj': „©fcr^
fud^t unb atad^e!'' ®a§ ®tpidt „®ott grüße ©iic^ ing^rcn!"
erinnert in feinem mclobiöfen ^In^ unb feiner bramatifd^en
Sebenbigfeit faft an äRojart, ben STbgott unfere^ ©d^enf. Um
einige geföl^rlid^e Situationen , ' too ber ®pa^ ettoaS unfieim*
lid^ ju toerben brol^t, toeiß ber ©om^onift ret^t gefd^idEt
l^erumjufommen. ^m „S)orfbarbier", toie in allen alten
SSoIfgftüdfen, toorin bie S)octoren gel^ed^elt ttjerben, f))ielt aud^
Oebatter ^ain eine 3loIle. SBenn gleid^ ju Slnfang bie Stad^»
barin mit ber Älage eintritt, il^r SKann fei an ber @d^inlen==
für geftorben, unb toenn fpäter ber ©d^ullel^rer bem t)er=
meintlid^ vergifteten ^o^tp\) ein ©terbelieb fingt, fo ^pxtttn
bod^ red^t büfterc SSorftettungen in ben Sd^erj l^inein. Unferc
alten ^offenbid^ter faßten aud^ ben lob nid^t fentimental.
gür bie aKuftf, bie faft immer affeltirt unb abertoifeig toirb,
too fie ätt)ief)}altigen StuSbrudt erflügeln Witt, finb Situationen
tt)ie bie genannten nid^t leidet. SRur Sftaibetöt fd^reitet, bem
5Rad^ttt)anbIer gleid^, l^eil an biefem STbgrunb vorbei, ©d^enf
befaß biefe Sftaiöetät; er trifft mü^elog baS SRic^tige, inbem
er XraurigeS ^toax anbeutet, aber Iraurigfeit nid^t auf*
fommen läßt. 3Rerftt)ürbig ift ber ©ffeft, ben er in bem
Xobtenüeb burd^ gebäm^fte Xxomptttn l^eröorbringt. 3)ie
©orbine ber Xrom^ete (eine Heine l^öljerne Stöl^rc, bie in bie
©türje eingefd^oben tt)irb) ift feit bem vorigen ^^^^^wnbert
faft ganj außer Oebraud^ gefommen. @rft SRid^arb SBagner
l^at ben bünnen, burd^bringenben Xon ber gebäm<)ften Xrompete,
bem eine ganj eigne fd^auerfid^e Äomif innewol^nt, »ieber
d^aralteriftifd^ t)em)enbet: in ber ©cene, too SJlime bei bem
®ebanfen aufjaud^jt, fid^ ©iegfriebs ju entlebigen, bann in
ben „äJleifterfingem", toenn Sedtmeffer von bem ©efd^rei
unb ^ol^ngeläd^ter ber äRenge verfolgt toirb. ©d^enfö melo*
Der Dorf barbier. 127
biöfcö Xaltni entbel^rtc nid^t be^ guttbamentc^ einer grüttb==
lid^ctt muftfaUfd^en SSübung. S^ai bod^ SJeetl^obctt, ber
il^ni jeitleben^ ein toaxmtx Srcunb geblieben, bei ©d^cnl ein
Söl^r lang Eontra^)unft ftubirt. 3taä) feinen mufifaüfd^en
ffenntniffen »äre ©d^enf tool^I befäl^igt getoefcn, ©röfeere^,
©mftcre^ afö ben ,,S)orfbarbier" ju fd^affen. 3ta6) feinen
Äenntniffen, nid^t nad^ feinem Xalent. @r ^at fid^ in feinen
legten Seben^jal^ren bamit abgequält, eine gro^e Dptx „naä)
®Iudf^ ©runbfä^en" ju conn^oniren, aber fein ®eift erlag
ber aufgcbürbeten Saft; er berficl, toie ©e^frieb crjäl^ft, in
Irübfinn unb ©d^toermutl^, enbüd^ in ein leben^geföl^rüd^eS
SRerüenfieber. 2lfö attmä^Iid^ feine ffrafte jurücRel^rten, ttjar
fein ©elbftöertrauen gef d^ttjunben ; er t)erjttjeifette an feiner
gö^igleit unb liefe bie ?lrbeit unöoHenbct. ^ol^ann ©d^enf,
geboren 1761 in SBiener^SReuftabt, ift erft (£nbe S)eäentber 1836
geftorben.
e§ öerftefft fid^, bafe bie SBirfung beS „S)orfbarbier" öor
altem öon ber fomifd^en Kraft ber S)arfteIIer abl^ängt. ßuj
unb Slbam, bie beiben Xräger beS ©tüdfe^, muffen eminente
ftomiler fein; nad^ ©timme unb Oefang^Iunft fragen toir nur
nebenbei. S)arum ))flegt aud^ ber „S)orfbarbier" in Ileinelt
Il^eatem ergö^Iid^er ju wirfen, atö auf großen D^jembül^nen.
©elbft bie befferen S)arfteIIer in unferer ©:pieIo:per f^nb bod^
feine eigentüd^en ffiomifer; fel^It il^nen nid^t bag Xalent, fo
fel^ft il^nen bod^ ber 3Kutf|, fo lomifd^ ju fein, ttjie il^re Sl^n^
l^erren e§ ungeftraft fein tonnten. äRit biefem SSorbel^alte
muffen mir bie Sluffül^rung beS „S)orf barbier" im ^ofo^)em^
tl^^ater bortrefflid^ nennen. S)ie ganje SorfteHung toax muft*
falifd^ öoHtommen unb txtoedit bon Slnfang big ju ®nbe bie
ungejtoungenfte ^eiterleit. äRan l^örte lieber einmal öon
iperjen lad^en — ein Vergnügen, beffen unfere im^)ofanten
D))eretten un^ aUmiä)lx(i) entnjöl^nt l^aben.
,,§ttüxitt ttttJi f ^ittbirt" trim fetter f erlto^
(@rftc Sluffü^rung im ^ofopemtl^catcr am 20. SRftrj 1890.)
ajJan mug ftd^ in^ ©ebäd^tni^ rufen, ba^ ^erlule^ auc^
einmal SBoHe aufgetoicfelt unb ©imfon Oetreibe gemalzten
l^at, um fid^ SJerlioj afö ©omponiften einer lomift^en Dptt
torftellen ju Jfönnen. 2lug feinen lonbid^tungen fennen tt)ir
il^n ate einen revolutionären, nur auf l^öd^ft Seibenfd^aftlit^eÄ
unb ))]^antaftif(i^ Xragifd^e^ gerichteten ®eift; au^ feinen
©d^riften^ afö l^arten Sl^feten, bem alle Unterl^altungSmuflf
— aud^ im toeiteften unb beften ©inne — ein ©r^uel toax,
Sn^befonbere öerabfd^eute er bie fomifd^e Dptx unb ))ftegte,
toa^ il^m am tcrad^tungS* unb üernid^tungStoürbigften erfd^ien,
auf ben S3egriff „Opöra comique" ju l^äufen. S3Ser il^n
boHenb^ ))erfönUd^ gelaunt l^at, ben SÄann mit bem tt)ilben,
grauen ^aarn^alb, bem finftern SSIidf unb ber ^)effimiftif(^en
SBeltberad^tung , ber toürbe alleg Slnbere el^er ton il^m er*
tt»artet l^aben, afö eine l^eitere @))ieIoj)er. @S toax leine
S)elila, fonbern ber berill^mte ©^ieipad^ter bon S3aben*S9abett,
Sönajet, ber unferem mufifalift^en ©imfon bie SodEen ft^nitt
unb il^n ber fomifd^en Dpa überlieferte. 8luf SJönajet^ ®itt=»
labung l^atte SSerlioj burd^ mel^rere ^äf^xt in 83aben*83aben
attjäl^rlid^ ein gro§e§ Koncert gegeben, meiften^ eigene ®om*
Beatrice unb Benebict. 129
<)ofitiottcn. S)a untcmal^nt bcr ^^ffiönig bon Saben", tote
Senajct genannt tourbe, bcn 83ou eines neuen %f)taitx^ unb
beftellte für bie ©röffnunö^feicr eine lomifd^e €)ptx bei Seriioj.
©c^nett entfd^Iiefet ftc^ biefer für @^afeft)eareS Suftf)}iet „Siel
Öärm um Sftid^tS" unb fd^neibet fid^ felbft ein Sibretto barauS.
Sr änbert nur ben für ben EonH}oniften gefäl^rlid^en Xitel unb
öerfid^ert , eS ttjerbe in „SJeatrice unb Senebict'' auf feinen
gatt „öiel Särm" torfommen. S)ie erfte Sluffül^rung fanb am
9. Sluguft 1862 ftatt; ^ntit großem ©rfolg", wie »erlioj
fd^reibt — mit fel^r fd^ttjad^em, wie beutfd^e Slätter berid^teten.
S)ie jnjeite Sluffül^rung folgte am 11. Sluguft; eine britte
l^at nid^t ftattgefunben. Serlioj ftanben für feine Dptt bic
beften ffräfte ber ?ßarifer Opöra comique ju Oebote; bie
®!^arton*S)emeur („une femme d'assez d'esprit") fang bie
Säeatrice, ber oortreffßd^e Xenor SKontaubr^ ben Senebict.
3n ©^alef^eareS „SSiel Sürm um Sftid^ts" ftnb jwei i&anb*
lungen ineinanber oerf d^Iungen ; eine emfte: baS burd^ S)ott
3uan§ Stttriguen oerftörte SiebeSOerl^ältnig jtoifd^en |)ero
unb ©laubio, unb eine l^eitere: ber luftige ffrieg SSeatriceS
mit SSenebict. ^tit biefer beiben ^ßarattellöanblungen ^at für
fid^ ben ©toff ju einer D:per geliefert: SBertonS „Montano
et Stephanie" bel^anbelt bie ernfte, Serlioi' „Seatrice unb
Senebict" bie luftige ©ölfte bcr @^afef^)earcfd^cn ßomöbie.
Scriioj nimmt an, ba§ §ero unb Efaubio bereite oerlobt
finb, unb Iä§t fie ruffig in i^rem ®Iüdfc fd^ioetgen; befto
lebhafter befc^äftigcn i^n SJcatrice unb SJencbict, bie beiben
®^cfeinbe, bie einanber mit nid^t oerfiegcnbcm ©pott ^erauS*
forbem, um fid^ fd^Iie^Iid^ — ju ^eirat^en. Sitte übrigen
^erfonen beS StüdEcS gru<):piren fic^ aU SRcbenfiguren um
biefe beiben, benen fie gteid^fam nur ba§ ©tid^toort geben.
3n atten entfd^eibenben ©cenen l^at Serlioj ben ©l^afefpeare*
fd^en Xcjt wörtlid^ beibel^alten. S)ie ^)offen^aften @^)ifoben
@b. ^an^lid, 9(u3 bem Xage6u(^ eines lanuftfecS. ^
130 <Hö. f^ansHrf.
utttcrbrtidEt er unb crfc^t fic burd^ anbete feiner eigenen ®r*
finbung. S^m allein gel^ört bie fontifd^e gigur be« StaptU^
mcifter« ©omarone, in todä^tm angeMid^ SerKoj feinen
SBiberfad^er getiS perfiftiren toottte.
golgen wir bem ®ang be^ ©tüdEe^. S)ie Duöertüre
öertoenbct jtoei contraftirenbe Sternen au§ ber Dper. S)aS
leidet fd^erjenbe Slllegretto, bag tt)ie luftige^ Sunfenf^)rü]^en
Hingt , ift bem @d^Iufe^S)uettino entnommen; ba§ fd^toer*
mütl^ige Slnbante gel^ört ber Sfrie SeatriceS im jttjeiten 8Ht.
S)ag l^eitere SRotit) gettjinnt balb bie Dberl^anb unb bel^alt
fie big jur legten SRote ; leiber wirb eS nid^t eigentUd^ burd^*
gefül^rt, fonbern meiften^ in ermübenben SBieberl^oIungen
fortgef^)onnen. §err SRid^arb ^ol^I, ber ®cneralj)äd^ter ber
beutft^en SJerKoj-aJegeifterung, nennt fie bie fd^toöd^fte aller
feiner Duüertüren; ein Urtl^eil, bem id^ nid^t beiftimmen
mb6)tt. @ie ift fein EReifterftüdf , aber eine ed^te Suftf^iet
Dntjertüre unb jlebenfalls Harer, natürlid^er, id^ möchte fagen
mufifalifd^ anftänbiger afe bie Duöertüren ju »SBattjerle^",
ben ^aSe^mrid^tern" unb bem „Sorfar". S)ie £)ptx eröffnet
ein überaus atttäglid^er, öon ^a^n fräftig jufammengeftri*
d^ener geftt^or. hierauf toirb eine ^©iciüenne'' gctanjt, ber
eS nid^t an jierlid^em Kontur, tool^I aber an l^eHer, fräftiger
Sarbc gebrid^t. SBie biefeS lanjftüdE ol^nc eigentlid^en
©d^Iufe öcrbuftet, fo öerüfd^t e§ aud^ f^JurloS im ©ebät^tnife
be2 Su^örer«. 2lboIt)]^e ^ullien, aU ©eneral^äd^ter ber
franjöfifd^e ffottege 9lid^arb ^ol^fe, meint, biefe ©icifienne
mü^tt ben SReib SluberS erregen! ^err SuHicn toirb bod^
einmal bie SaÜetmufif in ber „Stummen öon ?ßortici^ ge*
prt l^aben? 6s ft^eint, bafe SJerliog, ber feine Xanjnmfil
ft^reiben fonnte, fid^ aud^ feinen geftmarfd^ jugetraut l^at,
»ar bod^ für einen folt^en gerabe l^ier, bei ber JRüdfel^r beS
ftegreid^en ^eereS, bie fd^önfte ©elegenl^eit. ^ero bleibt aHein
/
Scatrtce nnh beneblet 131
auf ber SJül^ttc jurüd, um i^rcr ©el^nfud^t xtaä) bcm cttDartctcu
©räutigam iu eiuer Slrie Slu^brucf ju geben. S)a^ Slnbontc
Hingt jatt unb träumerifd^ , befto trivialer ber 8lttegro'©a^,
tocld^er 5u unferem maßlofen ©rftaunen in einen langen, ge*
ft^ntacHofen ffoforaturfd^ttjanj auSgel^t. S)on 5ßebro erfd^eint
mit ben SRittern, unb fofort entf)}innt fid^ baS necfenbe 3Bort=
gefeii^t jtoifd^en S3eatrice unb ©enebict in einem fe^r langen
S)uett. S)er beclamatorifd^ gel^altene erfte Xl^eil ift, njo er
bie Stimmen nid^t in bum:pfer tiefer Sage fcftl^ält, red^t
toirffam; ber fc^neHere ^ttjeite friftet fid^ mit atttägüd^en,
oltmobifd^en 5ß]^rafen. 2lud^ öon bem borauffolgenben S^er^ett
ber brei greunbe ift baS SSefte ber ?lnfang, S3enebict§ l^crj^
^after SluSruf: „^d), ©l^emann? ®ott foH betoal^ren!", ben
bie beiben Saffiften in lernen ttjieberl^olen unb meiterfül^ren.
Sm »eiteren SSerlaufe ~ unb ber Serlauf möl^rt lange ! —
toirb aud& biefeS Xerjett gettJö^nlid^ unb ermübenb. Sftun
eilt ber S'a)}enmeifter ©omorone mit feinen ©öngern ^erbei
unb lägt fie bie ^od^^eit^-Kantate pxoUxtxt. ©d^on bafe
biefc mit ben SBorten beginnt: „D ftirb, ^olbefte^ $aar!"
gel^ört ju ben bebenfüd^ften ®p&^tn ; bafe fie afö S)o:()^)eIfuge
com^onirt ift, ju ben fd^ttjer öerjeil^Ud^en ©efd^madflofigleiten.
SSerlioj l^agte bie fjorm ber guge unb t)erf^)ottete fie, tt)o er
nur fonnte. Irojbem mad^te er felber lüeld^e; freilid^, tt)ie
er borgiebt, nur in :()arobiftifd^er Slbfid^t, aber — guge bleibt
bod^ guge. S)a§ Sßublifum merft bie Slbfid^t nid^tunb toirb
öcrftimmt; e§ befommt ftatt be^ gel^offten fomifd^en @tädfe§
ein plnmpt^ unb langtoeiligeS ^u l^ören. grifd^ unb nid^t
ol^ne \>itantt rl^^tl^mifd^e SBürje Riefet i>a§f SRonbo l^in, in
toeld^em SSenebict über feine neue Eroberung jubelt, ^anb
in ^ani crfd^cinen ^ero unb il^re OefeUfd^afterin Urfula im
©arten unb feiern bie fommerlid^e äJionbnad^t mit einem
itoeiftimmigen SRotturno, ba^ mit feinen fügen lerjengöngen
9*
132 <£^. ^anslicf.
auf rul^ig fd^aufelnber Segleitung ficö gar frcunbüd^ bc§
^örcrS bemächtigt. @ä ift baS bcfte SKufifftüd in bcr. Dpn,
baS eitiäigc, baS bei ber kremiere in Saben-SSaben ©rfolg
l^atte, uttb bi^ jur ©tunbe bog einjtge, ba§ bcm ^arifer
5ßubü!uni burd^ ©oncertauffül^rungen befannt geworben ift.
©el^r originell toixb faum jemanb bie äRelobie finben;
aber ba§ Oanjc ift ftimntungäöoH unb Hangft^ön. SKit
biefem ®uett fd^Iiefet rcd^t glücflid^ ber erfte 2lft; ber
5tt)eitc bietet weniger. Um il^n etma^ aufju^jufcen, l^at
S)irector Sa^n in bie erfte ©jene ba§ Satt-Sd^erjo aus ber
„Sinfonie fantastique" eingelegt. S)ag grajiöfe ©tücf toirft
übrigens beffer für fid^ allein, ate mit bem Sanj, meldten
cS e^er l^emmt, afö bepgelt. 2luf ein triüialeS SrinHieb
©omaroneS, baS lebiglid^ burd^ feine originelle SSegleitung
(®uitarren unb trompeten) toirlt, folgt bie toid^tigfte unb
einzig bebeutenbe Stummer beS jttjeiten 8lfteS: bie Slric
SeatriceS. S)aS anbaute, beffen Sl^ema toir aus ber Duter*
türe fennen, ift öon eblem SluSbrudf, leiber and) bon er*
mübenber Sänge. 3)er 8filegr05©afe öerfäHt ttjieber in banale,
oltmobifd^e 5ß]^rafeoIogie. SRit |)ero unb Urfula fingt ^ta^
trice einS^erjett, baS mitber§onbtung nid^ts ju tl^un f)at unb
Don 83erüo5 erft f:päter nad^componirt tourbe. @S ift ein
SRifegriff, ba§ biefeS ©tüdf in SRelobie unb Begleitung ju
fefir an ha^ jttjeiftimmige „SRottumo'' erinnert, beffen 3Bir*
fung eS nidit entfernt erreid^t. @ine Sürjung biefeS ^)einlid^
langen lerjetts fd^eint mir bringenb toünfd^enSloert^. (Sin
unerlaubt fim:t)leS Srautlieb für E^or, baS in feiner öollen
üänge unerträglid^ wäre, aber burd^ Sa^nS gnäbige $anb
auf ^albfolb gefegt ift, leitet §u bem legten unb fürjeften
SKufüftüdf ber Dper: einem „©d^erjo^Suettino" jwifd^enSea*
trice unb Senebict. ®S ift baS Slöegretto^Xl^ema ber Duöer^
türe, baS offenbar juerft rein inftrumental erbad^t war unb
Beatrtce nnb Benedict. 133
bem crft nad^trägüd^ bic Singfümmcn in ft^toer ju erl^afci^ctt'
bcn, tl^opfobift^cn ^ßl^rofcn etngefj)rcngt »urbcn. ®g föitntc
fel^r l^übfc^ fein, n>enn ed ettoaS fang6arer gefd^rieben unb
reicher ou^gcfül^rt wäre. 3Kit einem pUl^ti^tti einjigen "än^^
mf beg Kl^or^: „Bemain, demain!" ft^Iiefet bie £)pex, toenn
man biefeS formlofe Sfbbred^en einen ©d^Infe nennen lann.
SRan fielet, wie ber ®om^)onift immer eilfertiger geworben ift,
je naiver er an ba^ (Snbe !am.
S)er Serftoj beS „©aralb", be§ „3lomeo", be^ ,,3leqmem"
ift in „Seatrice unb S3enebict" niij&t wieberjuerfennen. Ober
rid^tiger: nur für benjenigen ju erfennen, ber aufg genauefte
uertrant ift mit gewiffen rl^^tl^mifd^en unb l^armonifc^en
©d^ruHen biefeS (£om))oniften , mit feinen feineren Sarben^
mifd^ungen im Drd^efter unb feinem Slbwed^feln äWifd^en f^)ru=
l^enben Oeifte^blifeen unb finbifd^ trivialen Eantilenen. Serlios
^ai in biefer €)ptx bie 3lolIe beS mufifalifd^en SReboIutionärS
öoHftänbig abgelegt; er mad^t feine äRiene, irgenb ctwag an
bem Oewol^nl^eit^red^t ber Opera comique ju reformiren, er
öerbleibt bei bem SBed^fel üon ®efang unb gef^)rod^enem S)iaIog
unb fügt fid^ in bie l^erfömmlid^e abgefd^toffene gorm ber
„morceaux carres". 3n biefe alten ©d^Iäud^e giefet er nid^t
einmal ben neuen SBein feiner fo eigenartigen 3ttWöibuaIität ;
er feiert üielmel^r jurüdE gu ber 8lu§brudE^weife ber älteren
franjdfifd^en Somponiften. ,,S5eatrice unb ©enebict" fönntc
tl^atfäc^Iid^ com^jonirt fein, e^e nod^ ein 91 üb er auf ber
"SBeft war. 9lur in ©injell^eiten, nid^t in ber fjorm ober
bem ©runbton be^ ©angen jeigt fid^ ein moberner ®eift.
S)aS Drd^efter ift außerorbentUd^ bisiret, faft fc^üd^tern be=
l^anbelt; bie ^ofaunen l^aben ben l^alben Sbenb ^inburc^
Slul^e, bie Särminftrumente ben ganjen. S)iefe Swcndf)aU
tung giebt ber £)ptt einen wol^Itl^uenb grajiöfen, intimen
Cl^arafter, einen leidsten ©ilberglanj öon SSomel^ml^eit. S)er
Suftf^jicttott bleibt burd^tocgs unangetaftet, übcrfd^Iägt nirgenbS
in bag gortiffimo bcr grofeett Dptt, SlUcrbingä ift mcl^r feine
Slnrnntl^ bartn, aU öotte, gefunbc gröl^Iid^feit ober l^erjl^afte
Somif. „Berlioz ne sait pas rire/^ fagte einmal 3^1^^
Sanin, unb er ^atte 'Sttä^t Serlioj mar eine burd^anS crnfte,
l^atl^etifd^e Statur, bie fid^ jur ^eiterfeit jnjingen mufete unb
S'omifd^eö felbft mit großer Slnftrengung nid^t errcid^te — eben
tt)egen ber grossen 3lnftrengung. SBie tief ftel^t bie angeblid^
f omifd^e ©antaten<)robe be^ Somarone unter ber äl^nfid^en ©cene
im „Ejar unb 3iwiraermann" ober felbft im ,,S)on SBucefalo".
5)a S5erIio§ @^afeft)eareg ,,aSieI Särm um SRid^tg" afö
einen bcfonber§ glüdEüd^en D:t)ernftoff begrüßte, mag er bod^
jioei nid^t unloid^tige 5ßun!te überfeinen l^aben. ßinmal, bafe
bie loi^igcn SledEereien ^tüifd^en SSeatrice unb SSenebict, bie
im Suftf^)iel blifefd^neU aufeinanberfolgen unb gerabe burd^
biefe§ ©d^nenfeueriocrf fo ergöfelid^ toirfen, fid^ bei toeitem
nid^t fo loittig ber SRufif f)ingeben. S)te SJiufif brandet
Seit unb SBieberl^oIungen. gür§ ätoeite liefert bie an^
@f|ofef:t)eareS Somöbie Iierau^gefd^ätte ©eitenl^anblung „SJea^
trice unb SSenebict" für fid^ allein nid^t l^inretd^enben Stoff
für eine ganje D:per. 3^r bramatifd^eä ^ntereffe ift jiemlid^
gering, jebenfatt^ fel^r furjatl&mig. Serlloj' urf)}rttnglid&er
5ßlan, bie D:()er einaf tig ju mad^en, toar tool^I ber rid^tige.
*SBir befommen ju tt)enig §anblung unb ju menig SKufif für
einen ganjen Slbenb. Um »enigften^ bem festeren aKangcI
einigermaßen ab^ul^elfen, f)at |)err gelijäRottt ben ganjen
gef^)rodnenen S)iaIog in 9lecitatit)e umgetoanbelt, bie mitunter
einen betröd^tlid^en Slaum einnel^men. S)iefe SRecitatiöe
(fteHenioetfe titoa^ „meifterftngernb") lieben fid^ burd^ pxüQ^
nantenunb lebhaften SluSbrudE mitunter bort^^eif^aft jtDifd^en
gtoei SSerlio^fd^en äRufifnummern l^erauS. Smmerl^in bleibt
e§ ein fonberbarer, ol^ne S3eif:piel baftel^enber SSorgang, bcn
^
^eatrtce unb Beneblet. 1B5
Dialog einer franjöfifd^en Opöra comique gerabe für unS
S)eutfd^e, bie tötr boä) fdbft in ernften D:()em an 5ßrofa ge^^
»ol^nt ftnb, für ®efang umsnfomtcn. S)ie SReiic ber SJerüoi*
fc^en D^jer ftnb fein unb eigenartig, aber intermittirenb nnb
Don geringer ©nergic. „Seatrice unb Senebict" l^at im ^of-
optmÜ)tattx bon Slnfang bis jum ©d^Ing intereffirt; um
ftar! unb nad^l^altig auf baS ^ublifum ju toirfen, mü^te
biefe feine SRuftf jugleid^ eine biel reid^ere melobifd^e Sr-
finbung, frifd^ere garben unb lebenbigere SJetoegung entfalten.
S)cr neufte ^ioqxap^ 89erIioä\ ^^^ Sfbol^)^ ^uHien,
erjö^It uns, ba§ 83erIio5 fein ^t^t gemad^t auS feinem §a§
gegen SBagner, öon bem er atterbingS graufam be^anbett
tt)orben ttjar. 2lfe SerKoj in einer ©efeUfd^aft fid^ in ma§=
lofen SluSfäHen gegen 3Bagner gefiel, ttjagte eine S)ame bie
fd^üd^teme S3emer!ung, ba^ Serlioj unb 3Bagner ii^x bod^
öerttjanbt öorfämen in i^rer Stid^tung. Serfioj em^)fanb bieS
afö bie ärgftc Seleibigung, ^pxan^ auf unb öerliefe entrüftet
bie ©efeUfd^aft. @S wurmte il^n tief, ttjenn man öon „SBagner
unb SJerlioä" f^^^'^J ^^^ ^^^^ beutfd^c Journale gar baS
Trifolium „SBagner, Sif^t, Sertioä" aufbrad^ten, fannte fein
3oin leine ®renjen. ©err 21. S^Ilien, ber aud^ über SBagner
ein entl^ufiaftifd^eS 83ud^ gefc^rieben, jiel^t fid^ ittjifd^en biefen
Oegncm fo l^eil ate möglich aus ber Slffaire. @r ^ätte eS
aber offen auSfj)red^en lönnen, bafe SBagner ^toax feine
©^m^l^onie tt)ie „Stomeo unb 3uüe" ju fd&reiben öermod^te,
ba^ aber no(^ öiel weniger Serlioj fid& als D:t)emcom:t)onift
mit SBagner irgenbwie meffen fann. SBagner ^atte ben
großen SSerftanb, mit ganjcr ^aft auSfd^üeftlid^ auf bem
il^m entf))re(^enben bramatifc^en ®ebiete ju öerl^arren,
ttäl^renb SBerlioj einer traurigen ©elbfttüuft^ung gefolgt ift,
als er ben ©l^rgeij feiner alten Xage für eine riefige €)ptxn^
fd^öj)fung („Les Troyens") anf^annte, toeld^e bod^ fc^Iie^^
136 <E^* Qansitcf.
1x6) bic Uttjulängüd^lcit feiner brautatifd^en Segabung be*
loteg. 3d& tl^etle feine^toegS bie «nfit^t, bo§ „bte Suftmft"
biefen Irojancm xtoä) ben erl^offtcn Sorbeer reichen locrbe.
@(^on ba§ Don SSerlio^ au$ SSirgifö 9(eneibe gejintmerte
trofttofe Xe^bud^ mad^t bie D^per l^alb unmöglich ; bie äRufil
ift in großem @inn fonji^jirt, aber lal^m, ftodenb, unlebenbig,
ift falfd^er ©lud. S)a§ l^inbert un§ nit^t, ben Sranjofen
ote grobe Sernad^Iäffigung öorjutuerfen, ba§ fie feit Serlioi'
lobe, olfo feit jtoanjig ^QX)xtn, nid^t baran gebadet l^abcn,
eine feiner Dptxn aufjnfü^ren. ©o öiel 5ßietat ober toenig^^
ftenS fo öiel Steugierbe foHte man bod^ bei Serfios' SanbS-
lenten üorauSfe^en. ^ein ^arifer D^eater benit an eine
Slnffül^mng öon „©eatrice unb SSenebict" ober „Senöenuto
©ellini" — jwei leidet barjufteHenbe, in S)eutfd^Ianb lieber*
ffolt gegebene unb mit fd^önen ©injell^eiten gefd^mfidfte D^^ern
— nod6 toenigcr an eine SBieberertoedEung ber ,,Iroianer".
„SJeatrice unb Senebict" ift in fjranheid^ big ^eute un*
befannt; bie erfte Slbtl^eilung ber ^^Irojaner" (ber ^aH
XrojaS) gleid^faHS unbefannt; „Senbenuto ©eHini", öor
fünfzig Sö^ren in 5ßari§ burd^gefaüen , ift nie »ieber ge=
geben Sorben; bie „Trojaner in ffartl^ago" nad^ wenigen
Sluffül^rungen im Th6&tre Lyrique (1863) für immer öer*
f(^tt)unben. S)er äRifterfoIg biefeg SBerfeö loar einer ber
legten unb tiefften S)oId^ftid^e, an benen ber attembe äReifter
öerblutete. Serlioi ift (nad^ ®ounobg geiftreid^em SBort)
toie fein l^elbenmütl^iger SRamen^bruber |)eftor unter ben
äJiauern ton Xroja gefallen. @o lange bie granjofen, toeld^e
in ber SJiufil bod^ öorjug^toeife eine Xl^eatemation finb,
biefe öierfad^e ©l^renfc^ulb nid^t abgetragen l^aben — gleid^*
tjiel mit toa§> für einem ©rfolg — fo lange l^aben fie tocnig*
ftenS feinen ®runb, mit il^rer ^joftl^umen Serlioj^SSerel^rung
gar fo grofe ju tl^un.
\
Pan0n.
(Optic in fünf Slftcn, üon ^enri 3Rci(^ac unb ^^ilipp Quillt.
aßuftf öon 3. aW offene t. 1890.)
„^öftlid^e äRufü, ein Dortrefflid^ed 93uci^, audgejetc^nete
fcenifc^e .Slnorbnungen unb batin ha& etnjtge mirftid^ lad^enbe
£teb, bad je comt)omrt mürbe i'' @o fd^rieb S^arled2)idend
im ^äf)xt 1865 aitö $ariiS einem gfreunbe aber bie Dptt
„fOtanon Se^caut'' t)on @cribe unb Sluber. 2)ie £)))er,
eine ber legten ^gugenbfänben'' itd 74 iäl^rigen Sluber, errang
in $ariiS grogen 93eifaII, fanb aber feine meitere SSerbreitung.
3n äBien fennt man barauiS nur iad t)on 2)i(Ieni^ mit Sted^t
gerühmte Sad^Iieb: „C'est rhistoire amoureuse" aa^ ben
Concerten ber Sarlotta $atti. SiS ift baiS origineQfte
@tfid in ber gangen Dptx, bie übrigeniS in il^rem nac^Iäffigen
dovpltU unb OuabriHenftil beute t)oIIftänbtg veraltet Ringen
bfirfte. äßanon mar atö brillante SoIoratur))artie für äßarie
(£abel gefc^rieben, eine 93rat)ourfängerin mit munberbarer
fiel^Ie unb gar leiner @eele. (&^ ift biefelbe SRabame Säbel,
tpetd^e }ule^t noc^ bie ^l^iline in i^SJ'lignon'' heirt unb t)on
®ounob ben @))t^namen befommen l^at: „I^^ garde mobile
du chant^'. 2)ie gange Dptx mar auf il^ren Xon geftimmt,
ben Ion l^rjlofcr Äoletterie unb unfeiner Suftigfcit. 5Wur in
138 €b. ^anslicf.
bent legten S)uett ber fterbenben SRonon mit il^rem DeT}tDeifebtben
(geliebten erl^ob fid^ Kuber ju einem bramatifd^en Smfi unb
einer gnnigfeit ber gmpftnbung, bie fonft nid^t feine ftorle
Seite getoefen. S)ie leic^tfextige 93e^anblun9 itd @toffed
burc^ @cribe unb Kuber miberftrebt bem l^eutigen (Sefc^mad,
ober »eld^ ftoricr bromatifd^er 8leij in bicfcm Stoffe felbft
liegt, bafür ff^ric^t fc^on beffen bejanbember @inbrud auf
S)idEen«. SBärc äKoffcnct ber SBirfung biefe« @uiti^ m6)i
fieser gemefen, er l^ätte e§ !aum unternommen, ba^felbe naäf
Kuber neuerbingi^ ju com))oniren. 93eiben Optm liegt bie
berühmte ,,HiBtoire de Manon Lescaut et du Chevalier Des
Grieux" Don 5ßret)oft b'gjilc« (1697—1763) ju Orunbc,
ber ofö ©döriftfteffer , ©olbot, ©eiftlid^cr unb Abenteurer ein
t)telbctt)egteg Seben gefül^tt unb jule|t ofö ©ccretSr bcg $rinjcn
t)on Sonti aiu^e gcfunben l^ot. (Sin SKeifterftüdE fc^üd^tcr
(Srjdl^IungiSlunft t)on f))Qnnenber unb rü^renber ©ett^alt, gel^ört
bie oltc SIloDellc nod^ l^eute ju ben |jo|)uIörftcn Suchern in
Srantreid^ unb f^at unjä^Iige 9{ac^al^mungen bi$ auf S)umad'
ffamclicnbamc l^eröorgerufcn. S^r ^jf^d^ologifd^ei^ HKotio ift
ber bömonifc^e S^^^ber, mit todd^em bie fd^öne, ebenfo UitbU
fertige ate gutmüt^ige äWanon ben jungen (S^cüatier 5)ci?
®rieuj fcffeft unb öerwirrt, big er Sitte unb ®efc|, enblid^
auc^ bag Slnftanbdgefü^I bed Sbelmannd mit ^nitn tritt.
Xro| i^rer ungtaublid^en moraIif(^en Sd^toäd^e erjtoingen bod^
bie beiben fo ^urd^tbar bcftraften jungen Seute unfere ©^mjjot^ic.
Sie befte^cn nid^t üor ber äWoral; aber bie 5ßocfie l^at fte
unfterblic^ gemacht Klfreb be SJluffet ^ot äRanon in einem
©ebic^te öcr^errlid^t ; feine |joetifd^e JCpoftrop^e
,,ManoD, sphinx etonnant, veritable sir^ne!
Coeur trois fois feminin — que je t'aime et te hais!**
ift in SRaffcnet« Dpn bem gelben toörtlid^ in ben SRunb gelegt
Sog ®t&d beginnt mit ber ©cene im $oft^aud }n Kmien^,
Itlanon. 1$9
too SRanon, bie i^red Seid^finni^ toegen t)on t^rem SJtuber ind
ßlofter gebracht merben foD, SRaft mac^t unb bem skoanjig^
idl^ngen 3)ed ®tteu£ jum erften SRale begegnet 93on ougen^^
Mt(f lieber Sctbenfc^oft für SWonon erfaßt, berebet er fie leicht,
mit tl^m m^ 5ßari« ju cntfttc^en. 3m jtoeiten ?Ifte finbett
Jütr baö ^ßord^en bereite in 5ßorig, befd^cibcn eingerichtet, im
glficMid^en {Raufd§ ber erften Siebe. S)iefcr nimmt icbod^ ein
jö^eö ®nbe: ber SSater be^ K^eüoKer«, t)on bem SJerfted bc«
©ol^ne^ «nterrid^tet , logt i^n gctooltfam oufteben nnb in bte
tßroöinj entführen. aRanon tröftet ftd^ mit bem ®ebonfen, e?
gefd^el^c jum SJeften ifire« ©eficbten, ängleid^ aber mit bem
®Ianj unb Sieid^t^nm, ben ein öomel^mer SSerfü^rer, be
SJrettgn^r il^r t>tx^pxid^t @ie lann eben ol^ne fd^öne bleibet unb
3tttoelen, ol^ne ©alle unb Il^eater nic^t leben. 5)ret gol^re
fpöter (im btitten äft) feigen toir ouf einem länbfic^en geftc
SWonon atö bie gefeierteftc Sc^önl^eit üon ^and mit ©retign^
crfc^einen. $ier erfahrt fie, bafe S)eg (Srieuj im Segriff«
ftc^e, 5ßriefter ju »erben, unb bereite feine $robe<jrebigt gehalten
l^abe. Sie reigt ftc^ t)om Slrme i^red reid^en SlnbeteriS lod
unb eitt in bie ©acriftei ber Äird^e ®t. ©ulpice, um ben
fö^eöolier, ber t^r im Äbbefleibe entgegentritt, »ieber für ficft
unb bie SEBelt ju geminnen. Sänge miberfte^t er i^rem järtlid^ea
Stehen; enblid^ überrennt bie alte Seibenfd^aft alle guten
^orfä^e, unb er fliegt mit ^Dlanon aud bem ^lofter. 2)ie{e
@cene, u^eld^e @ctibe unb Sluber fic^ ^aben gönglid^ entgegen
laffen, bilbet bei SRaffenet ben ^ö^e^unft ber Oper, äßanon
rci§t i^ren ©eliebten fpfort »ieber in ben Strubel bed
SSergnügen^ Um i^re Ioftf|)ieIigen IBebürfniffe ju befriebigen,
ergiebt fid^ 2)eiS (Srieu^ bem $ajatbf))iele. Siir fe^en i^n
int vierten %ftt am 9rme aRanond eine verrufene @\Aüf)öüt
betreten, tno er rafc^ fabelhafte Summen geminnt, aber t)on
einem rad^füd^tigen 9lebenbu^Ier, bem ©eneralpac^ter &vdüot,
140 <2b. fJansIidP.
ht^ SSetrugelS angeHagt unb fammt SRanon t)er]^aftet tt)irb.
3n bcm XcjtBttd^c finbct ftc^ ntt^t bic gcringftc «nbcittmig
einet @(^ulb bei^ 6:^et)aIierS , ia er tuetgert ftd^ au^brfidHtd^,
mit ben Uebrigen ju piel^en, im ScJüugtfcin feiner ©d^ulb*
lofigleit. 3n $ret)oftg (grg&^Inng ^ot 5)e3 ©rienj, SRanon
juliebe, t)om Stnfang an immer mtb f^rofeffion^mägig folfd^
Qt^pitÜ, ift au^ stoeimal aui^ bem ^efdngniffe aui^gebroc^en,
um bie toegen SetrngS unb S)iebfta^tö t)erl^aftete beliebte ju
befreien. äKaffcnetS Sibrettiften flnb in bem Seftreben, beibe
Kl^oroftere t)on ben fc^mufeigftcn gleden ju reinigen , fo tocit
afö mdglid^ gegangen. 2)aburcl^ toirb bie föataftro|)]^e
unt)erftänblid§ , itnb ed begreift niemanb, tot§lf)a\b 3Ranon,
beren einjigeS ©ergeben l^ier in ber Slbtoec^^Iung öon Sieb*
l^abem befielet, ju leben^Iänglii^er S)e))ortation nac^ ben Kolonien
öcrurtl^cilt toirb. S)a« unb öiele« Änbere bleibt uni^ frcilid^
aud^ fd^n^er begreifti^ in $reDoftS @rjd^Iung, biefem treuen,
noiüen ^Iturbilb einer 3cit beren fittlid^e unb 8ie(^t«bcgriffe
ben mobemen grell miberff^red^en. lieber äRanoni^ S)e))ortation
l^eifst t^ bort nur ganj (afonifc^: ,,man begann ju biefer 3^^^
eine äRenge auj^n^ei^Iofer 2tvAt (gens sans aveu) nai^ bem
SRiffiffi<)t)i einjufd^iffen." mx fe^cn im lefeten mt bie
Unglüdlic^e in gcffeln unter miüt&rifd&er ©i^forte auf bem
SBege nad^ ^at>xt marfd^iren, t)on too fie mit anberen Sträflingen
nac^ Slmerila eingefd^ifft merben foK. 3n ber OriginaI«@r}a^Iun^
folgt il^r ber treue S]^et)alier unter unfSglic^en fDtüS)tn uub-
(Entbehrungen bid in bie neue SBelt; mit aufo))fernbet Siebe
t)flegt er bie rettungdloi^ ^infied^enbe bi^ ju il^rem Xobe unb^
gräbt mit eigenen Rauben i^r ®rab. Unfere Dptx, meiere
3eit unb Staum bod^ nic^t gar )u totit au^be^nen tt^oHte, lä^t
SRanon fd^on auf bem äBege t)on $arid nad^ ^oDre an (Srf d^d))fung
fterben. 3^r reuet)oIIer Slbfc^ieb unb i^r Xob in 2)eS ®rieu('^
«rmen fd^Uejst ba^ ®tM
irtanon. 141
2)ad %t]Aiu6) ift mit ber @(et0anbt^ett unb Xl^eaterlenntnt|
gearbeitet , bie toir an bett fetten SRetl^ac unb ®x\lt lennett.
@te lonnten freiltd^ nur einzelne @cenen an9 bem 9loman
l^eraudl^eben unb in fed^d „^Hbtxn*^ anetnanberreil^en; ben
leitenben f^aben ber ))f^d^oIogif(^en Snttoidlimg unb mand^eiS
exfiärenbe äRottt) ntujs ber ßufi^auer and ber Erinnerung ffin^
jubenlen. 3)ie ©cenen felbfi ftnb lebenbig Bel^anbelt unb bieten
t)iel ^btoed^felung. 93on ben auftretenben ^erfonen abforbiren
bie beibenSiebej^Ieuteunfereganje Xl^eilna^me; ffirbte anberen
bleibt toenig übrig. S)ie beiben relatit) tt^ic^tigfien unter biefen
8lebenj)erf oncn , ber verlotterte (Sarbift ße^caut unb ber alte
®ed ®\dUot, ttnnten aQerbingiS in ben ^önben bebeutenber
Y(i^auf|)ielerif(l^er Xalente ju originellen S^aralterfiguren werben.
S)te ?ßartitur ift bie Slrbeit einci^ feinen, geiftreid^en ftopfcd,
ber über ben ooUftänbigen äRufiIa|)|)arat unb über bie mo«
bemften @(e^eimmittel beiS bramatif(^en SCudbrudCe^ verfügt
;,3Kanon'' fc^cint mir <)rcii^toürbiger ate bie großen I^rifc^en
Sragöbien, toeldfee SRaffencti^ Sfhif begrünbet j^oben: ^®er
Äönig von Sal^ore'', ^^erobia^^ unb ^S)er Kib''. 3)ie Opöra
comique l^at er nur afö Slnfänger mit ^2)on Sefar be fßaian^
betreten, toeld^er öor S^^^^^n aud^ im SBiener „SWngtl^cater''
ouftaud^te. 3)iefe Sugenbarbeit fd^ien barauf l^injubeuten, baB
EWaffenet fein ®efte3 im ga^ ber @|jicIo|)er leiftcn toerbe,
gonj toie fein Seigrer älmbroife Xl^oma^, ja n)ie im (Srunbe
alle ti^t franjöftfd^en Komponiften. S)ie gerin^je S^ohöft bed
;,2)on Sefar'' mag ben @^om))oniften t)on biefer ^af)n abge^»
teuft unb ber ®ro§cn D|jer jugefü^rt ^aben. @rft jel^n 3a^re
nad^ jenem ^ugenbtoerl fc^rieb er toteber eine lomifd^e Qptt,
eben ;,9Jlanon^, toeld^e meine bamalige S)iagnofe ju rec^t«"
fertigen fc^eint Sluf ber äJhtfil ju SRanon blü^t jtoar nic^t
mel^r bad jugenblid^e äBangenrot^ itd ,,S)on S^far'', aber fie
ift bei aQem Siafftnement nod^ immer natürlicher, magdoUer,
142 €b. tfansWd.
etttl^cttßc^cr , oB HKaffcnctg tragifd^c Dptm. gn Icjtcrcn,
öon bcncn SBtcn imr beti ^Ktb'' Icnnt, l^crrf d^t ein lujurtrcn*
htx Stil, ein ffiffeftfiebcr , eine S^jonnung, ja Uebcrf^jannung
aller Smpftnbnngen , n^eld^e nur feiten had ®efü]^I reiner S3e^
friebigung anffommen loffen. ^n „Karton'* mußten fd^on ber
@d^Qu))Ia| ber ^anblmtg nnb i^re ben Sont)erfationdfHI it*
bingenben S^araftere bem Sont))onifien grdjsere aßägigung
mtb ßinfac^l^eit auferlegen. S)ie SRufil fc^Iie^ ftc^ birect an
Slntbroife X^omai^, ®ounob unb 93i}et an, bie auc^ in mand^er
äSenbung t)emel^mlid^ burd^IIingen. 9htr ge^t äRaffenet in ber
Sbtf(öfung ber ntuftlalifd^en t^form unb in bem Smüdbtänqtn
bt^ äRufüalifi^en l^inter bai^ brantatifd^e l^ntereffe nod^ Diel
loeiter unb fü^rt ganje @cenen burd^, in toeld^en ber ®efang
eigentlich nur beclamatorifd^ über bem Drd^efter fid^ betoegt.
©einen Seitmotiöen — fie feilten notürlid^ md^t — ift dreierlei
nad^jurfil^men : bajs fie t)on geringer Stnjal^I, bajs fie melobid^S
unb mpx&gfid^ finb unb bajs fie nic^t jeben Slugenblid fic^
t)orbrängen. S)ai$ reijenbe f^ncopirte äRotit) beim 3(ufträen
äRanoni^ (^^Je suis encore toute etourdie^^) unb bie ben
S^edalier anlfinbigenbe SSioIoncell^Santilene gießen atö lid^tere
ober bunflere SBoHen aber alle (Srlebmffe ber beiben Siebenben.
ein ^übfd^e§ ^tx\pxd ift bie erfte Stoifc^enaftmufil, mo ha^
fd^toärmerifc^e SSiolonceQmotit) beiS (S^eDalieriS nad^ je brei
Xalten t)on einer auf äRanond t^ol^finn onfpielenben fßp^tahtn
gfigur abgelöft toirb. 3m Slugbrud feid&ter, aud^ fd^märmerifd^er
Sentimentalität ift äRaffenet am natürlid^ften unb glfidKic^ften ;
in einjelnen äRomenten erreicht er t)oräberge]^nb auc^ bie $ö^e
ftarler Seibenfd^aft. Sie jarten, anmut^igen 3^egef|)räd^e
aitanond unb 3)ej^ @(rieu£' im erften unb gtoeiten Sitte, bann
tl§r tiefer unb ftarfer bemegted 3)uett in ber ©ahiftei ent^«
l^alten bie fd^önften SRomente ber fDptx. Ungemein gefc^dt
finb bie Z&nge bem @til SMtf» unb 9lameaui» nad^gebilbet.
Utartoit. 143
gm brüten unb t)terten S(fte fSUt (abgefel^en t)on ber ^r^en«
fcene) bie äßuft! entfc^teben ab. S)er Xon natflriid^er gfrdl^«
lic^Iett fd^eint bem (£om))ontften derfagt; ober fül^It er fid^ )U
toomel^nt, il^ l^rjl^ft anjuf dalagen ? 3^^tmal l^at äRanon im
SSoÜgeffil^Ie il^rer Xrtutn))]^e ein j|u6eInbejS Sieb an}ttffcimnten :
Suerft bei bent SSoIfdf efte im britten , bann in bem ®)>ielf ade
im t)ierten 9(Ite. 9Ran fel^e ftc^ bie beiben @ef&nge an; giebt
td ettoad bei aller Serfc^robenl^eit gfarblofered? ^ier, koenn
irgl^nbtoo, toax gefunbe 9laiärlid^leit unb fefte f^orm iment'*
b^rtid^. äRaffenet t^vA aber aUeiS äßöglid^e, um äRelobie unb
Stl^^t^mui^ )U t)ertrfi|)))eln, ben ®efang ftottemb, ben Sftol^finn
träbfelig, ben SBein fauer }tt mad^en. 3(ttd^ tt)enn ber ®arbiffc
Sedcaut {td^ im ®)nelfad erbietet, ^ein tIeineiS Sieb'' jum
beften ju geben, fo lommt ettoa^ ju ftanbe, toai feinem Sieb,
übttt^caüpi leiner demiinfttgen SKelobie ä^nlic^ fte^t. gfeine,
überrafd^enbe SBenbungen in ber mufilalifd^en Sonüerfation,
geiftreid^e, glänjenbe 2)etaild im Drd^fter tQerben bem äRuftter
faft in jeber Scene auffallen. (Eigentlid^ beftel^t biefe gonje
äRufil an» Setaild; fie bebeuten ben Steij unb jugleid^ \>ad
@ebrec^en üon äRaffenetd Partitur. Sein unb ))ilant erbac^t, mit
forgfamer, erfahrener $anb auiSgefäl^rt, ermangelt fie bod^ ber
tetd^Iid^ ftrömenben originellen Srftnbung, fotoie ber fd^dnen
$IaftiI ber ^otm. 2)ie reijenbften fOtotiot fd^toimmen toie
einlebte in ben @trom getoorfene SRofen t)or unferen 9lugen
badon. 3n einen richtigen blul^enben ©arten ober ein ®ätt'
d^en, toorin fid^ t)ertoeiIen I&^, toerben toir gar fetten geführt.
äRaffenet ift ber raffinirtefte unter ben franjöfifd^en Qptxn^
com|)oniften ; ein feiner Seift, aber im Srunbe ein trodener
8Ru{tIer. Sie ftete Seforgnig, gemO^nlic^ )U merben, t>tx^
lOnftett feine äRuflf.
Zro^ biefer SKängel nimmt äRaffeneti^ ^aRonon'' unter
bett neueften Optm biefed ®enred einen l^erk^orragenben ^la^
144 €5. ^ansltrf.
ein. Sie tft ia$ SJeftc unb SEBtrffomftc, toa« bic Opera comique
fett „aWtgnon^ unb „Sonnen^ l^eröorgebrod^t f^at öetounberni^*
toürbig tft an SKoffenct feine lec^nil; oben ouf ber »ü^ne,
toie unten int Drd^efter. SKit au^erorbentlid^er (Sefc^tdttd^Iett
be^anbelt er bie Sondetfation ; toie nteifter^aft ^i(^net er
j. 8. bo« ®t^px&(f^ SRanon« ntit bent SSater S)ei^ ®rieuj' onf
bent ^intergrunb eine§ aud bent ®arten l^erüberKingenben
SWenuettg ! Sirtuoi^ ift feine Snftrumcntimng , in^befonbere in
jarten ©teilen. SBo er energifc^ auftreten toiH — unb boiJ
t^ut er ^äuftg aud^ an unpaffenbcm Ort — ba Joirb er leicht
brutal ^ine leibenfd^aftlid^e ®efangdftelle ol^ne baiS VHU
brüllen ber brei ^ofaunen fammt Xuba unb gen^altigent Raufen»
toirbel. S)ai5 Drd^efter fiberfd^reit fi^ unb boÄ arme Siebe«*
paar ntujs e« natürlich aud^. Unb gar bie SSoHdfcenen! ^örte
ientanb, mit bem fRüdtn gegen bie Sfi^ne getoenbet, ben Sl^or
ber aieifenben, bie an^ ber 5ßoftIutfd^e fteigen, er toürbe baraitf
fd^mören, ed fei ber Stu^brud^ einer 9tet)oIution. @iS ift traurig,
ba^ felbft in fold^en l^armlod l^eiteren @cenen bie Xrabition
ber älteren Op^ra comique j[c|t gänjlid^ verleugnet toirb. 2Bie
biiJfret unb inirffam ^aben JCuber unb Äbam bergleic^en Hein*
bürgerlid^e SJilbd^en au^gefü^rt ! 9loä) toäxt eine t)on äRaffenet
eingeführte intereffante Steuerung ju erto&öuen: er I&fet aud^
}u bem gefpro^enen S)taIog tad Ord^efter ununterbrod^en
fortf<)ieIen. 5)aÄ ^ßriujip be« alten HKelobram«, fteffentoeife
fc^on t)on 9[uber unb Slmbroife X^oma« glüdtlid^ tytxtotnitt,
erfc^eint in ^äWanon" jum erften HKale mit ftrengcr Sonfc*
quenj burd^gefü^rt für alle 5ßrofaftetten. 3)Kt rü^mlid^ftcr
Sorgfalt beachtet äWaffenetSbie ®efefee ber ©eclamation, tootytm
man ftd^ freili^ nur aui^ ber frangöfifd^en Partitur überzeugen
lann. 2)ie beutf(^e Ueberfe|ttng t)on ^. ®umbert Kingt
l^otprig unb ungefüg. (Sanj unrichtig fü^rt ba« ^rfonen«
toerjeid^nife ben SRr. ®uiIIot att ^reid^en ?ßäd^ter* ouf,
nianon. 145
ftatt ate ®tntxaipääfttx, SJci einem „xtx6)tn ^ßdc^ter" benft
ntan notürltd^ on einen Sanbmann; bie franjöftfii^en Permiers
gen^raux Agaren aber bie ^avtp\pää)ttx ber @taatöntono^ole
nnb BöQe, bielfac^e 9KiDionäre unb burd^ il^ren Stetc^tl^um
lüie burd^ il^re äSerbtnbung mit ben ^öd^fien ^offteHen fel^r
einflußreiche SRänner ber 5ßarifer ©efeBfd^oft. ©in fold&er
Permier genöral f^cIte im borigen ga^rl^unbert tint ganj
anbere 9toIIe, unb ^Dtx. ©uillot f^ielt auc^ in „^Slanon" eine gan}
anbcre SRoHe, aU ein „xü6)tt ^aäfttx" fd&Icd^ttoeg.
„STOonon^ l^ot in SSKcn eine glänjenbc Stufnol^me gefunbcn.
@ie derbanlt biefelbe grojsentl^eifö ber trefflichen 93efe^ung ber
beiben $au))trolIen mit ^öulein SRenarb unb ^errn tyan
S)jjd. STOanon unb S)ei5 ®rieuj üerlongen, abgefe^en bon rein
fünftlerifd^en DuatitSten, unbebingt ®arfteller, bereu ^jerfönlid^e
Srfd^einung jene gfiguren glanbmärbig unb f^m))at^i{c^ mac^i
S)ag ift l^icr ber gaD. Qu biefer natürlid&en SRitgift, 3M9^«i>
unb @c^dn^eit, gefeilt fid^ nod^ ba$ QUiSgef))rod^ene mufüalifd^e
unb bramatifd^e Xatent ber beiben Huftier. 2)ie SioIIe ber
äRanon, fflr aKabcmoifeHe ^cilbronn gefd^rieben, liegt jiemlic^
^oc^ unb fteHt bebeutenbe Sfnf^jrüd^e an bie S^wö^n* unb Seilten»
fertigfeit ber ©öngerin. gür bie bunfle, ttxoa^ fc^toere
3Reägofo|)ran*@timme ber Slenarb toar „3Wanon'' jebenfate
eine ungetoo^nte unb fd^luierige Slufgabe. Sie l^at biefelbe
tro^bem glönjenb gelöft unb mit einigen @rleid^terungen unb
^nltirungen getreu unb toirfung^DoH burc^gefü^rt. ^m erften
S(ft ift il^re SRanon bon lieben^toürbiger @infad^^eit unb 93e«
f cfieiben^ctt ; im jtoeiten toeife fie i^rer Steigung für S)ed
®ricuj — ben fie nod^ immer, aber fd^on mit ber beginnenben
Sangtocite ber SScrarmung liebt — eine laum merflid^e bejeic^»«
nenbe ©d^ottirung ju geben. 3n ben raufd^enben ©cenen bed
^om^t^t^ unb ber ©pielgefeafd^aft ^ätt fie i^re grö^lic^Ieit
ftetiS in ben ©renken feinen SlnftanbeiS, in bem Suett mit bem
(£b. ipanSlicf , 9(u§ bem Zngebuc^ eines 97{uftfer?. 10
146 <Hb. ?tansM.
jungen VbU enbltc^ jtegt fle ebenfo unfel^Ibar burd^ tl^te toeid^e
Qäitiiilftit , nrie burd^ bte Energie ber Seibenfd^aft Sielen«
lid^t^ Sob t)erbtent ^err Dan S)^dC, über n)eld^en ber an«
toefenbe Som^onift ^d^ ebenfo entj^nftaftifd^ Demel^men Itejs,
toie aber Sftciuletn Sienarb. @ein @^et)alier ^ei^ ®rteu£
l^at meine urf^rfingltd^e Ueberjeugmtg nnr beft&rlt, bo^ bte
franjöfifc^e D^jer ba^ angemcffenfic unb frud^tbarfte gelb tft
für feine !ünftterifd^e Snbit)ibttalttät. SRöge ^err t)an 2)^d(
nur feinem ©efang^atl^leten in bie |)önbe faQen, ber il^n jn
einem Xannl^&nfer, @iegfrieb ober Xriftan nmfd^mieben toiH,
jtt einem Sbtfer im 6treit!
(JDptx in brct 5l!tcn, oug bcm gtalienifd^cn bci^ S. gllica unb fj. ^o^a
öon 9Koj ^olbctf. gj^upl öon 51. ©marcgno. 1889.)
Seim Sbt&ItdC belS X^eaterjettefö mögen too^I fömmtlic^e
£efer fiBereüiftimmenb an bie Selagetmtg Don @giget^ unb
Snn^d |)eIbentob gebaii^t ^aben. ^n SBa^r^eit f^at aber bie
neue Dptx mit @giget^ imb firin^, über^au^t mit Ungarn
gar ni(^td ju fd^affen. 2)ie |)anbtung lönnte ebenfognt in
6(^lneben ober in Portugal \pxAen, fällig man überl^au:pt an«
nel^men toill, ba^ ein folc^ed IQHrrfal alberner &xtntt in ttgenb
einem Sanbe möglid^ fei 8ßir erbltcfen beim Snfiie^en bed
Sorl^angi^ bai^ innere eined S)omi^, in toelc^em bie Serm&^Imtg
bei^ ®tttdbeft^ri$ Snbor mit ber fd^önen 9laj|a gefeiert nrirb.
(Eben ^at eine Sebtifftn (bie in ber Dptx ha» «mt tm»
Jßriefter« jn oerfe^en fd^eint) ba« 5ßaar gefegnet, ate SRaja
mit einem SBel^fd^rei lebloi» )n »oben ftflr)t. d» loirb für
bie lobte m, «eqniem angeftimmt, nnb ber oerjioeifelte
IBr&utigam t)erlä^t mit ber ganjen (StefeQfd^aft bie ^d^e.
8htr fein »ruber aRiloÄ bleibt jurüdf. ffir toäre al« ber
»dfetoid^t bed &i&dtd }u begeidbnen, toemt biefeiS nid^t beren
Jtoei bcfäfee, beibc im ©afef^Iüffel, ben genannten SRöo« nnb
ben ^aSafaaen t)on Sjiget^'' «olf. SKilog l^at ben atten Slolf
10*
148 €b. ^ansWd.
üetanlo^t, bcr Sraitt fctnc§ ©rubere, in bic er ocritcbt ift,
ein ®ift bei jubtingen , ba$ fie fd^etntobt nieberftnlen ntad^t.
2)a$ ift gelungen, unb 3R\io^ toartet nun in ber Sixi^t bai^
Sriuad^en 9loj|ai§ ab, um ftd^ ber fc^ntä^Ii(^ Setrogenen ju be^
mäd^Kgen. Sflolf, ber ein ebenfo feiner ©l^cmiler toie 35öfe»
nji^t ift, lögt in ber ffird^e ötterl^anb „ftorfe Boubcrbüfte^
aufzeigen, tocl^c überPffigemjeife boi^ „\ü%t Sertongen'' bt^
ol^nel^in fe^r er^i^ten Sieb^ober^ jur Siebci^rofcrei jieigem
foOen. S)te t)om ©d^eintob ertoad^te, gleichfalls betäubte 3laia
ftürjt jubelnb in feine ämte unb bebedft il^n fo longe tnit
föüffen, i\9 bcr SSor^ang — toagnerifc^ wft^wett" — l^erabfinlt.
gfür einen furjen erften Slft liefert biefer,. tuie man fielet, eine
ganj anftönbige 9ividtDäf)l bon Si^ebeln unb ©d^redniffen. Slber
au6^ an Unt)erft&nUid^!eit löjst er tuentg ju tnünfd^en übrig.
®er Sufd^auer, bem bic (Sreigniffe tüie getebtödfe auf bcn
^o|)f fallen, reibt ftd^ betäubt unb ratl^Io^ bie @tim. 9ioIf
l^at frftl^cr bic ?leu6erung ^ingetoorfen, ba§ er t)on bem bcr»
ftorbenen SSater ber beiben jungen Ferren um fein Sebengglüd
betrogen Sorben unb bafür cntfc^Ioffen fei, fi^ an ben ©dienen
5U räd^en. äßan brandet blojs bief e tDcnigcn äSorte, bie obenbretn
Don bem 9taiabcn(^or unb bem Drd^efter gönjlic^ Dcrbedtt
finb, }u überl^ören, um ben Slbenb l^inburd^ Dor einem lom*
picten Sftät^fel ju fte^en. 9loc6 mcl^r. 3)er Sn^d^avitx fie^t
ben Slltar tangfam ücrfinfen, fielet in blenbcnb rofigem Sid^t
eine t)on fingenben unb tiarfenben Slajaben umgebene äSenud
im SRufc^cImagen ba^erfd^n)cben — tool^er foÖ er toiffen, ia^
bte«2iae§ nur in bcr ^^antafie bes SKüog fid^ abf^jiclt?
äJlujs er bo^ ben gc]^cimntBt)oIIen 9loIf na6) feinen Xl^aten
für einen ri^tigen Sauberer anfe^en. SBir ^ören ferner bad
entjüdtte SicbcSbuett jtoifd^en 9taja unb 9RÜog; muffen toir
nid^t glauben ober lönnen n)cnigfteng glauben, JRaja liebe
njirflid^ biefen äWiloS unb fei bon il^m a\t^ ben SJanben
Der Pafall von S3i9ct^. 149
einer aufgejtoitngenen @l^e errettet? ^eH genug t{t td j|a auf
ber fS&fßt unb lang genug bte Stebei^fcene , um fOlHo^ k>on
SCnbor tovfjH unterf treiben ju lönnen. @o, nad^ aOen Seiten
öertoirrenb, übertrifft biefer ^SSafatt öon ©jigetl^'' an Unllar»
l^eit ber @£|)ofition nod^ meit ben SSerbifd^en „Zroubabour'',
beffen SSorgefd^id^te belannttic^ ein ^auiS^ofmeifter in einer
9tajurIaftro))]^e tjcpikitt, bie nientanb t>tt^tf)t unb ber
ntemanb jul^drt.
Auf biefen erften Slft, ber mit unl^eimlic^er (Sefd^toinbigleit
bie ^od^jeit in ein S3egröbnig unb ben @arg in ein ^od^^eitd«
bett t)em)anbelt, fe|t ber jtoeite um fo luftiger ein. 3n
fommerli^er ßanbfc^aft giebt eS Sanj unb ßuftbarleit. aRilog
erfd^eint mit fd^mudCem befolge, fi^ölert mit ben äRäbd^en unb
trinft mit ben Sat)alieren. S(uc^ ^ci\a, bie Xobtgeglaubte, ift
auf Siolfi^ SSeranftaltung aui^ i^rer ®ruft befreit unb l^ierl^er«
gebracht Sorben. @ie toirb gleid^ t)on bem überglüdKic^en
S(nbor erblidCt unb umarmt. 9tad) ben erften Su^bnid^en ber
gfreube entl^üOt i^m ffta\a ben an il^r begangenen ^xtt)tL
Slnbor belommt einen erfreulid^en Einfall t)on äRut^, jerrt
rad^eglft^enb feinen jec^enben SBruber auj^ bem 3^^^ unb fteUt
i^n bid^t t)or 9laia l^in. SD^hloi^ aber, bem bie ®a6^t unge:»
legen lommt, befiel^It ol^ne Umftanbe, ;,bie ^ejce" in geffcin
abjufü^ren. Unb bod^ l^at berfelbe fDlüo^ toenige 8(ugenblide
iWoox ft(^ in reuiger Sentimentalität förmlid^ getounben: er
tooUt ^aia um SSerjeil^ung bitten unb ^nad^ freier
SBa^I fotte pe fid^ für i^n entfd^eiben, fein eigen fein!''
äBeiter lann man tool^I bie Unt)erfd^&mt^ett nid^t treiben.
9}on ben Solbaten bebro^t, toirft fid^ 9laia ju Slnbor^ gfä^en
unb befd^toart i^n, mit i^r ju fliegen, «ber biefer eble
Kocher toenbet pd^ faltbifitig t)on i^r ab, toeil — 81 o If i^m
jugeraunt l^at, er foHc fftaia „an» Borjtd^t" öerleugnen!
ffio^er biefer niebcre ftnec^t fo ungel^eure morolifd^e Autorität
150 ^^' ^«nstirf.
jt6ti Sabor bcft|t, fragen mir bagcfiGi^ Vbet mtfet ^Ib
fragt m^ foübtrn folgt UinbfiMgS bcs iDipai Ibu^egrdiS itnb
vbctfSgt Sbija i^rem @#I{aL (Er giAt bod 3^^ i»^
gfortf€|iiii0 bed Xanjed, mib iiricber bn^ ful^ aUt^ in InfKgem
Sfr6el, nnr unf er Ser{lanb p^ pic
3« brüten Kit fe^ nnr Sbqn ix eineni degonten ®emad^
he§ Väo^, nnier &l^ nb abgcL @te t)erstneifelt an
leber fwiffnnng nnb tmaUjIt fUk wa einen rafc^en, fd^merjlofen
Zob. Somit ionn ber ibcnfl f tyinw i ti ge, brätle 9loIf bienen.
9bu^bent er einen ön§erit yflühwlni aSonoIog junt gfenfter
^EBonSgrfnngai, reii|t er Sbqn ein QKftpofi^c^en, ba$ fte rafd^
aiG^trinft 3n ft»t foHoct Unlir — ein btrjei^ SieBe^ett
nd) 9bi|a ifk eoK Sea|c >irhMf toirllt(^. @te fttiBt nttt bem
9n#nif: JBSbi, Sir ki nfe winen SOtptxl gfür «nbor
\^ Seele!'* aKM iimit Herein nnb na^rt ftc^ bem il^m
nomffitten Snqier nril IedcsH|affß4«r ä^Itt^teit. SBetI er
bobet ein^ ZIrranlein ner^Kit, mA Xnbor gleid^ unenblid^
geratet nb iriK «IIbI treqei^ «ber bat)on tuia äRilod
inKT giMrt w e r rc^ er feinen 93ruber bnrc^
noK 9taia« fiingebnng« bie er unb nur er allein
^annes. SÄlWii* nnÄingt et »tt fo jartßc^er ®Iut^ bic
:iii^ » ^s!¥r 9sl^9r fn inel «nrb. @r erfc^tögt feinen
<trr^ vo an ' ^ ' " ' ac nnb bdct nnr nix^ bie fc^abenfro^e
;. '^^Ti^ ."^^i^. N&t tA s^ißmvx nnb ben @(^mur
f^*: Wä? V: ff*l«i5 meoier Saaten!'' S38ir
v«it!c^ Kh V* 4^u««tatiii ^ y&t ^eine Smte. @ine
^ GbttG« i^t%:uic ^wlMniig niie bie be^
^»K"^' it m i^üsKskt Ux donjen Dptxn^
vianiM\9 iA ^M«n. $te SitMÜsnen finb un«
it >a:%. WtMmmi ifi^lxtab m bcr fbiiSffi^mng.
? Ifaft ü^ttHmft, todäffx tum ben brei
nnidMbtgen JDt^Iontnt 9taia fünbigen
Der Pafall von S^i^et^. 151
ber j[&mntetli(i^fte fei: Stolf, Sbtbor ober aRilod. flu^ btefet
^oefte ,,de sang et de boae<< to&^nten toir bod^ fd^on ^eroud«
gelotmnen ju fein. 2)te neue Dptx bemeift leiber balS (Segen^
tbibbieäRuftl? »eina^e fü^It mannad^ (Stjä^Iung biefed
Ze^bnc^eiS fic^ t)etfuc^t, gar ni(^t§ über bie (!:om))ofitton ju
fagctt. 9Wd^t otö ob bie SRufif ntc^t beffer toarc cfö ber
lejt unb ©err ©mareglio fein öomel^merer ftünftler afö fein
$oet. Kber bie neuere ntuftlbrantatifd^e @d^ule, ju ber and^
©mareglia gel^ört, jtoingt uni^ anbete Sorberungen auf, ald man
cl^ebcm an einen Dptxnit}^ fteßte. Ungleid^ ben älteren naiöen
aßeiftem, toelc^en aud^ in ber Optx ber Steij unb bad &tmd)t
ber muftfalifd^en ©rflnbung bie ^avüp^aä^t toax, crblidfen bie
Steueren il^re lünftterifc^e Aufgabe in ber genaueften Suglegung
unb Sludntalung bed SibrettoiS. ^ßa^ ber S)id^ter borfd^reibt,
toa^ ber S)id^ter fagt, toa^ ber S)id^ter em^jfinbet, ba« foD in
iebetn laft ntufifalifc^ auggcbrfidCt, au^geprcfet fein, unbelümmert
um ben ©c^affeni^brang ber felbftänbig erfinbenben unb
formenben mufifalifd^en ^ßl^antafie. SBft^renb bie älteren
Xonbid^ter gleid^fam au$ eigenem äRaterial einen mufilalifd^n
Söxptx formten, ähneln unfere äRobemen bem Anatomen, ber
einem <jrä|)arirten Seid^nam bie feinften ®eföJ5e funftöoD mit
farbiger Stüffigleit au^f^ri|t. ®ie erflären unb bel^anbeln
bie aRuf» in ber Dptx aU ein blo^elS äRittel für bie gtoedFe
bed $oeten. ®vA. S)ann aber mujs ein folc^er Som))omft
Oor aOem barauf achten, bajs, toa^ er mufifalifd^ ju inter«
^jretircn unternimmt., auc^ biefer 3wtcr|)retation mert^ fei
SBenn er toirHid^ had Xe^tbud^ für bie unumfc^ränlte SRac^t
anerfennt, bie i^m — nic^t blojä im großen unb ganjen,
fonbem für iebe einjelne SBenbung — bie (Sefefte öorfd^reibt,
bann barf er nimmer freitoiKig fid^ in bie 8}otmägigIeit einei^
bramatifd^en äRac^toerled begeben, barf und lein Sibretto ju«
150 €6. fjanslicf.
ä6er 9(nbot beft|t, fragen idü üergeUic^. 8lbet mtfet ^elb
fragt nic^t, fonbem folgt blinblmgd betn kDüften Stad^egrete imb
äberlägt Slaja il^rem @d^i(ffal. Sr giebt bai^ S^ici^^ i^r
gortfe^ung bei^ %anit^, unb tt)ieber brel^t fid^ aUed in luftigem
aSSirbel, nur unfer SBcrftanb ftel^t ftiHc.
Snt britten Sit feigen nnr 3lQia in einem eleganten @tmai^
beiS äRtlod, unter @(^Iog unb SHegel. @ie t)er}kDeifeIt an
jeber Hoffnung unb tuünfc^t ftd^ nur einen rafd^en, fd^merjlofen
lob. S)amit fann ber überall gegenwärtige, braöe Stolf biencn.
92a(i^bem er einen anwerft gefül^fooQen äRonoIog }um gfenfter
l^inauSgefungen, reicht er 9laja ein @iiftf(öfd^c^en, baS fie rafd^
augtrinft. gu \päi lommt Änbor — ein lurjciS ßiebe^buett
unb 3laia ift eine ßeid^e, bieSmal toirflid^. Sie ftirbt mit bem
«u^ruf: ^ä»iIo8, S)ir lag ic^ meinen mxptxl gür «nbor
bie ©ecle!" äRilo^ ftürmt l^erein unb nöl^ert fid^ bem il^m
öcrmad^tcn Äör^jer mit leibenfd^aftlid^er görtlid^leit. SBeil er
babei einige Xbrönlein tiergiejst, n)irb 3(nbor gleid^ unenblid^
gerül^rt unb toitL aded üerjeil^en. Slber bat)on n^id SD'HIoi^
nid^tg ttjiffcn; immer graufamer reijt er feinen Sruber burd&
ha^ {(u^malen t)on 3la\a^ |)tngebnng, bie er unb nur er aQein
gcnoffcn. ©c^Iiefelid^ umfängt er mit fo järtlid^er ®Iutl^ bie
ßeid^e, bafe ti felbft Änbor ju öiel tt)irb. (gr erfc^Iägt feinen
93ruber, toirb tt)a]§nfinnig unb l^ört nur noc^ bie fd^abenfro^e
@d^IugmoraI 9ioIfd : „Stacke l^ab id^ gefc^n^oren unb ben ©c^mur
gel^alten. ^icr liegt ber ©rtrag meiner Saaten!" SBir
banlen fotool^I ffir ben ©äemann, afö für feine ®mte. Sine
fo tt)ibertt)ärtige, finnlo^ gräglid^e ©anblung toie bie bed
^SSafatt öon ©jigetl^" ift im 8erei(^e ber ganjen Dpttn*
literotur fc^toerlid^ ju finben. S)ie Situationen finb un»
natürlich in ber äRotiüirung , k>erle^enb in ber Slui^fül^ng.
Unb bie ffi^araftere? SRan fd^toanft, toeld^er öon ben brei
Wl&nntvn, bie an bem unfd^ulbigen D))ferlamm 9taia fünbigea
Der Pafaö von Ssigettj. 151
bet iämmctßd^ftc fei: {Rolf, Änbor ober 3Mo&. Hu^ biefer
^oefte „de sang et de hovL&* toäl^nten ttrit bod^ fd^on f)txau^
gelonrnien ju fein. 5)ie neue Dptx betoeift leiber ia^ (äkgen»»
t^eit
llnbbieaRuft{? »einal^e fül^It mannad^ (Stjö^Iung biefei^
ZtjAiui^t^ fi^ \}tx\u6^t, gar nid^tö fiber bie Sontpofition }u
fagen. 3Wd^t atö ob bie SDfhtfif nic^t beffer toöre atö ber
Icjt unb ^err ©marcgiia fein öomel^mcrer Kfinftler atö fein
5ßoet. Aber bie neuere ntnftlbramatifd^e S^nle, ju ber and^
©mareglia gel^ört, jtoingt und anbere t^orberungen auf, atö man
cl^ebcm an einen D|)cmtejrt fteHte. Ungleid^ ben älteren naiöen
äReiftem, toeld&en aud^ in ber D^jer ber SReij unb iad ®ctt)id^t
ber muftfalifd&en (grfinbung bie $)auptfadöe toar, erblidten bie
Steueren il^re fünftterifd^e Aufgabe in ber genaueftcn Auflegung
unb Ausmalung be§ SibrettoiS. SSäa« ber ©id^ter öorfc^rcibt,
toa^ ber 5)ic^ter fogt, toa§ ber ©id^ter em|)finbet, bad foH in
iebem %a1t muffflalifd^ aui^gcbrüdft, au§get)re6t fein, unbeHlmmert
um ben ©d^affendbrang ber fetbftönbig erflnbenben unb
fomicnben muftfalifd^en 5ß^ontafie. SBä^renb bie älteren
Xonbid^ter gleid^fam aud eigenem 3RateriaI einen mufilalifd^n
Si^xptx formten, äl^neln unfcre SRobemen bem Hnatomen, ber
einem prä^arirten Seid^nam bie feinften @(efäBe funftooll mit
farbiger gflüffigfeit auöft)ri|t. Sie erflären unb bel^anbeln
bie SRuftl in ber Optx ate ein blofee« SRitter für bie gtotit
bed $oeten. @(ut. Sann aber mug ein fold^er S^ontponift
öor allem barauf ad^tcn, bafe, toad er mufüalifc^ ju inter*
pxttixtn unternimmt., aud^ biefer Snterpretation toert^ fei
SBenn er toirllid^ baö lejtbud^ für bie unumfd^ränlte SRad^t
anerlennt, bie i^m — nid^t bloß im großen unb ganjen,
fonbern für jebe einjelne SBenbung — bie ®efe^ öorfd^reibt,
bann barf er nimmer freiwillig fid^ in bie öotmäfeigleit eine«
bramotifd^en 3Rad^wer(ed begeben, barf uni^ fein Sibretto ju«
152 <£b. fjansitrf.
nttttl^ctt tote btcfcn ^SJofoH öoti ©jtgctl^^. ®cm tDtcberl^oIcn
tt^ir, bai @mareglta eine fel^r bead^tettj^toettl^e SJegabung,
®ett)anb]§eit unb @ffeltfenntnig befiel. (Sine QU^ef))r^ene
3nbik>ibualit&t l^aben iDtr aderbing^ aud feiner Optx nid^t
l^erau^gel^ört ; jte jäl^It jn jenen mobem itaßenifd^en , n^eld^e
eine SSermitteInng jtt)if(^en bent \pättxtn 35 erb i unb bem
jüngeren SB a g n e r onftreben. ®ag belonntefte unb bemerf eniJ*
toertl^efle ?|5robuft btefer «id^tung ift »oitog ^aRefiftofele",
unb biefem möd^ten tt)ir einen beftimmenben ßinffug auf
©ntareglia^ Dpcr jufd^reiOen. Soito ift freiließ ein öiel
intenfiöereg %aUni, feine (Srfinbung reid^er unb Wiener.
^SWefiftofele" enthält cinjelne reijöoHe, originelle ©tüdte, an
toeld^e ba« Sefte oug bem „^a\ati öon ©jiget^" nid^t
l^inonreid^t — Sid^tblidfe, bie ung toa^rfd&einüd^ nod^ l^eHer
erfc^einen toürben, ftönben toir ber ganjcn D^jer, atö einer
IBerunglintpfung be^ @oet]§efd^en %au\i, nid^t mit @runb
t)oreingenommen gegenüber. Seiber finb um biefe Sid^t))unfte
im ^^aWcfiftofefe" breite ©d^atten»» unb ©c^mufeffedfe gelagert,
t)on toeld^en ber folibcre ^^SSafaH'' fid^ frei ju galten toeife. gn
©mareglia Iöm))ft bie 92atur bei^ geborenen ^^alieneri^ mit
feinen beutfd^en aWuftem unb ®rrungenfd^aftcn ; ja ber größere
Zl^eil feiner Dper Hingt me^r toagnerifc^sbeutfc^, afö italienifd^.
SSiele unferer Sanbi^Ieute toerben bied bem äBerfe nad^rü^men ;
für mein I^eil geftcl^e id^ offen, bag id& bie unoerfälfd^ten, bie
italienifd^en QStaliener öoräiel^e. SBir mod^en ung feine
Sttufionen barüber, bofe biefe in ber SKufi! ouSgeftorben finb.
Irctcn ttnr naiver an bie Partitur ^eran, fo jcigt fie unjJ
©maregliaj^ ©tärfe nid^t fon;)0]§{ in ber Urf))rünglid^feit unb
Originalität ber @rfinbung, afö Dielmel^r in ber gefc^idCten
^2lnpaffung feiner aWufi! an bie ©ituation unb bereu malerifd&e
Spiegelung im Drd^efter. Am glüdflid^ften bel^errfd^t ber
Somt^onift ba^ S^rte, n)eid^ Smpfinbfame unb ©d^toörmerif d^e,
Der PafaU von S^x^etlt' 153
tai er mit SB&rme, aber mit geringer Kbtued^felung gum
Sui^brud briitgU @o l^ebt fid^ im erften SHt bte d^romotifd^e
B-dur-gatitilcne Änbori? (»rSP'^ "ur ein Iraum?") freunblid^
1)txmd, eine frQ|)|)Qnt @))0]§rf(i^e SEBenbnng, bie aü (SrinnerungiS:»
motxt> im legten SHt tuieberlel^rt. ^el^nlic^ in il^rer fd^mod^tenb
mobttlirenben, ^romatifd^en SBeife Hingt bie SRelobic SRiloS':
^@d^on fül^r i(^ fie liegen in meinen Srmen'', unb n^ieberum
fi^nlid^ 3laiaii Sieb in A-dur im jtoeiten 8(It. 2)er Somponift
läßt fomit biefe brei öerfd^iebenen (£]§ara!tere biejelbe em|)finbfamc,
in $)albtdnen fd^melgenbe ®pxa6)t f))red^en! 3^^^^^^^ ^^^^
biefe I^rifd^en ©teilen bie beften. SBo l^ingegen leibenfd&aftlicöe
(Energie nnb @d^{agfertig{eit jn entfd^eiben ^oben, ba mangelt
bem (£om})oniften bie jnfammenfaffenbe ^aft. @r fudbt bann
bie geifHge ®emalt bnrd^ materielle jn erfe|en, bie lebenbigen
Sbeen burd^ betoäl^rte ^ßl^rafen. öfe Seif|)iel citiren toir
ba8 ginale beg jtoeiten Hfte«, bie ÄHegrofäle ber beibcn
ßiebeiJbuettc : ;,9limm mid^, bie S)eine!" im erften Slft, „Safe
in einem langen Suffe" im britten u. a. %xx\ä^ unb anmut^ig
Singen bie SSoIföfcenen im jn^eiten S(It ; t)olIi^t]^ümIid^, nait) ftnb
fie nid^t, am aüernienigften national (Sinjig ber aU 8}aIIetmufiI
eingefügte Sjarbad erinnert baran, bafe bad @tfld( in Ungarn
\pxüt 3)ie ftd^ abtöfenben &xvLpptn ber Sanbteute, SRönc^e,
@oIbaten, burd^ bereu ©tropl^en fic^ ein SBaljermotit)
fd^Iöngett, formen ftd^ }u einem geföQigen Sanjen, ba^ feine
Borbilber, ben Dfterf|)ajierjang in SoitoiJ ^^äRefiftofele" unb
in (SounobiJ /fSttttft", feinen Äugenblidt oerleugnet. S)cr britte
Sit koirlt nod^ n^eit troftlofer unb nieberbrüdCenber atö ber
erße ; er beginnt mit Slagen unb SSerlofinf d^ungen unb enbet
mit Selbftmorb, Xobtfd^Iag unb äBal^nfinn. ®erne erfennen
toxx bad reblid^e 93emü]^en unb ba^ bramatifd^e Xalent, n^omit
ber (£om|)onift biefen g^ntmerfcenen bie entf|)red^enben l^erj^
burd^bol^renben Zone ju geben t)erfud^t unb namentlid^ bie
152 €ö. f^ansltrf.
nttttl^ett tote biefen ^SBafall t)on ^iXQtif)". (Sem tuieberl^olen
tt^it, ba% Stnareglia eine fel^r bead^ten^toettl^e Begabung,
®en;)anb]^ett unb @ffeltfenntnt^ beft^t. (Sine au^efprod^ene
gnbiöibualttät l^abcn toir atterbing^ and feiner €ptx ntd^t
l^etau^gel^ört ; fte j&I^It ju jenen mobem itdienifd^en, niield^e
eine SSermittelung jtoifd^en bent f|)öteren 35 erb i unb bem
jfingeren SB a g n e r onftreben. ®og belanntefte unb bemerf cniJ='
toert^epe 5ßrobuft btcfer «id^tung tft »oito« ^aReftftofele^,
unb biefem möd^ten toxi einen beftimmenben (Sinjlug auf
©maregüai^ Dper jufd^reiOen. Soito ift freiließ ein öiel
intenfiöerei^ S^alent, feine (Srfinbung reid^er unb fill^ner.
^^SWefiftofele" entl^ält cinjelne reisöoHe, originelle ©tüdtc, an
toeld^e bog Sefte and bem „^a\ati öon ©jigetl^'' ni^t
l^inanreid^t — Sid^tblidfe , bie ung toal^rfd&einlid^ nod^ l^etter
erfd^einen würben, ftänben toir ber ganjcn Dper, ate einer
IBerungIim))fung btd @oet]^efd^en %an\t, nid^t mit @runb
t)oreingenontmen gegenüber. Seiber finb nm biefe Sid^t))unfte
im „SWefiftofele" breite ©d^atten»» unb ©d^mufeffedte gelagert,
öon »eichen ber folibere ,,aSafafl" fid^ frei ju l^alten toeife. gn
©mareglio !önH)ft bie 3?atur be^ geborenen gtalieneriJ mit
feinen beutfd^en aWuftem unb Srrungenfd^aften ; ja ber größere
2^eil feiner Optx Hingt me^r tt)agnerifc^:»beutfd&, ate italienifd^.
Siele unferer ßanb^Ieute toerben bieö bem SBerle nad^rül^men ;
für mein I^eil gcftel^e id^ offen, bag id^ bie unöerfälfd^ten, bie
italienifd^en Staliener öorjie^e. SBir mad^en ung feine
Sttufionen barüber, bafe biefe in ber äKufi! auggeftorben finb.
treten toir nöl^er an bie ?ßortitur l^eron, fo geigt fie uni8
©maregliag ©tärfe nid^t fotoo^I in ber Urf|)rünglid^!eit unb
Originalität ber (Srfinbung, ate öielmel^r in ber gefc^idften
^n|)affung feiner aWufi! an bie Situation unb beren malerifd&e
S|)icgdung im Drd^efter. Slm glüdflid^ften bel^errfd^t ber
(Jornt^onift iad garte, toeid^ ©mpfinbfame unb ©d^toärmerifd^e,
Der PafaU von S^x^et):^. 153
iai er mit SBärme, aber mit geringer Kbtue^felung gum
SuSbrud bringt« @o l^ebt ftd^ im erften Wt bie d^romotifd^e
B-dur-gantitcne Änbor« (^,3^^^ "ur ein Iraum?") freunblid^
l^eroni^, eine fcappani ©pol^rfd^e SBenbung, bie aU (Srinnerungd«
motit) im legten 8Öt toieberlel^rt Slel^nlid^ in il^rer fc^mod^tcnb
mobuHrenben, c^romatifd^en äBeife Hingt bie 3ReIobie aRiIo^^*
^©d^on fül^P i(^ fie liegen in meinen örmen", unb toicbcmm
ft^nlid^ fftaia^ Sieb in A-dur im jtoeiten Äft. S)cr ®omt)onift
läßt f omit biefe brei öerfd^iebenen S^araftere biejelbe em|)finbfame,
in ^albtönen fd^toelgenbe ®pxai^t \pxti^tnl gmmerl^in finb
biefe I^rif^en ©teHen bie beften. SBo l^ingegen leibenfd^aftlicöe
(Energie unb @d^{agfertigleit ju entfc^eiben ^aben, ha mangelt
bem (£om})oniften bie gufammenfaffenbe Sraft. @r fudbt bann
bie geiftige ®ttoaÜ burd^ materieUe ju erfe|en, bie lebenbigen
Sbeen burd^ betoäl^rte 5ß^rafen. Site Seift)iel citiren toir
baiJ ginale beg jtoeiten SHte^, bie Slßegrofäfee ber beiben
SiebeSbnettc : ^SRimm mid^, bie S)eine!" im erften Äft, „Safe
in einem langen ffuffe" im britten u. a. grifd^ nnb anmut^ig
Singen bie SSoItefcencn im {leiten W, ; t)oIf^tpmIid^, naik) finb
fie nid^t, am aOernDenigften national. (Sinjig ber aU 93aIIetmufiI
angefügte (Sgarbai^ erinnert baran, bafe bad @tüd( in Ungarn
f))ielt. 2)ie fid^ ablöfenben &xupptn ber Sanbleute, SRönd^e,
@oIbaten, burd^ beren ©tropl^en jtd^ ein SBaljermotid
fd^Iängelt, formen fid^ gu einem gef&lligen ©anjen, bai^ feine
Borbilber, ben Dfterf|)ajiergang in Soito« ^^ÜRefiftofele" unb
in Oounobg /, Sanft", feinen öugenblidt verleugnet. S)cr britte
Sit toirft nod^ n^eit troftfofer unb nieberbrüdenber ate ber
erfte ; er beginnt mit 0agen unb 93ertt)finf d^ungen unb enbet
mit Selbftmorb, Xobtfd^Iag unb äBal^nfinn. (Seme erfennen
tt)ir bad reblid^e S3emü]^en unb ba^ bramatifd^e Xalent, n^omit
ber (Jom|)onift biefen gammerfcenen bie entf|)rec^enben l^erj^
burd^bol^renben Zone )u geben t^erfud^t unb namentlich bie
154 €b. ^ansM.
Sterbefcene 9laia§ totid^ unb ^mmttngi^t)o(I aui^tönen l&j^
Wim td lägt fid^ nid^t t)erfd^kDetgen, miütn in btefen
))f^(i^oIogtfd^en uitb ^aü^ologif d^eit ^ongtunftflflclen f d^mo^n wh
bod^ nad^ bem, toa^ toir gute äRufil nennen. 2)iefe ekoige
&diiä)Umaltxd unb ^effil^ßquäleret, n)te n)irb fie und fc^Iie^td^
Iangn)eiltg! ©maregßai^ leibenfd^aftßd^ accentutrter Sefangftil
unb betatOirte ©ttntmungiSmalerei tierratl^en ein fel^r genaue^
©tubiuni ber neueften S)eutfd^en. 5)er ©nftug SBagncriJ,
bed t^omtbelungifd^en SBagner, brandet nid^t etft betont ju
toerben. (&x ift l^anbgteiftid^ glei^ in ber Igntrobultion bet
Optx; aud^ ber beftamatorifd^e @ingfang StoIfS im britten 8(cte
unb Stel^nlid^ed ift reiner SBagner. äBie t)iel ©ntareglia in
ber gnftrumentirungSfwnft öon SBagner projttirt f^at, betoeift
bie Sifion aWiloö' im erften «ftc, biefed gd^eimnigöoHe ©d^totrren
ber getl^eilten SSioIinen, bie auf $)orfen»9[rpeggien unb tiefen
Slorinett^Iönen immer ^öl^er fteigcn. Äße bie neuen Sünftc
ber Drd&eftratton l^ölt ©marcglio in fidlerer $anb; c8 finb
i^rer, nad^ meinem ®efd^madt, nur ju öiele, unb fie brängen
fi(^ mit i^rer t)f^d&oIogifdöcn Serebtfamfeit attjufe^r an bie
Oberfläche. S)en natürlid^en, gefunben Drd^efterHang toirb
eine fpätere g^it erft toieber au« ättogart lernen muffen.'
Xro^ mand^er n)ert^t)oUen (Sigenfd^aften l^at mir ber ^.SSafaQ
t)on ©giget^'' boc^ nic^t jenen befriebigenben Sotaleinbruct
l^interlaffen, n)eld^er an eine fd^öne Erinnerung baiS SJerlangen
nad^ n)ieber^Qltem 93egegnen Int))ft. S)ad mobeme ^ublilum,
indbefonbere bad äBiener, tok iä) glaube, bärfte t)ieQeid^t anberd
em))finben. @d öffnet fid^ mit SSorliebe aQem ^at^etifd^en, auc^
bem überfpannt ^atl^etifd^en , unb l^at ftd^ bereit« in jenen
D|)emftil eingelebt, toeld^er bie muftfolifd^e ©ubftanj jerfafert,
bi« fie in ©timmungdbuft aufgellt.
((grfte 5tup^rung im gofo^emt^eater am 15. Oftober 1889.)
IXnfere gfreunbe im beutfd^en Steid^ bütften ed mit einigem
©tftaunen lefen, baß Sor^ingS lomifc^c Dptx ,/SAt beiben
®(^ä|en" ie^t im SEBieiter ^ofopemtl^eoter gum' erften, jum
atteretjJen SWoIe gegeben tourbe — öoHe 52 ^aiftt nai) il^rcr
$temi^te in Seipjig 1 2)ort ^atte bad luftige ©tüd, mit toelc^em
fid^ Sot^ing atö D))emcomt)onift eingefül^rt, glängenbe Slufnal^me
gefunben unb balb barauf einen fieberen Pa| auf allen beutfc^en
Optxnbüifntn. S)ie $)auf)troQen tuaren ben beliebteften Seipjiger
S)atfteIIem genau ange))agt, Sor^ing felbft gab ben bummen
5ßeter. SBai^ i)at bcr öielfeitig begabte SRann, ber nebenbei
D})emcom:ponift, Xejrtbid^ter, $a))ellmeifter getoefen, nid^t %Ut9
gefungen unb gef))ielt tuäl^renb feinet Sngagementd in 2ei|)}ig !
^tuit fang er ben äßafetto ober ^pa^tno, morgen \pititt er
ben t^ri^ ^urlebufd^ ober ben Zifc^Ier im ,,2um))acit)agabunbud'^
om näc^ften Äbenb ben Valentin im „SSerjd^toenber'' ober ben
5ßeter ^öanoto in feiner eigenen Dptx „©jar unb ßimmermann".
Unb bad aQed gleich Iiebendn;)flrbig , gleid^ lebenbig in @))iet
unb @)efang. Sor^ing toar bamatö ein fd^Ian{er, pbfc^er
99urf(l^ mit bunllen Soden unb audbrud(^t)oaen braunen Stugen,
ftetg gut gelaunt unb öoH luftiger ©nfäHe. SBie fel^ öcränbert,
156 €b. fjanslirf.
frfil^ geaüctt crfd^icn er vm§, ate er im gcbruar 1849 feine
le^te Dptx „Sam ®rogabmiraI" im 3ofe))l§{labter X^eoter
birigirte ! 9htr bie leud^tenben Sugen unter ben grauen Soden
unb ber gefurd^ten @time liefen ben einft fo leben^frol^en äRann
tuieberer{ennen. 2)ie tl^eotralif d^en äRigjal^re, toeld^e ber SReüoIution
t)on 1848 folgten, l^atten Sor|ing in forgenüoQe Soge Derfe^t;
^ier in * SBien , al^ Ä(t()eanteifter beg 3ofe|)^ftöbtcr Il^eoterg,
bur^Iebte er ben un^eitoerlfinbenben üorle^ten S[!t feinet
ßebengbrantaö , beut in Serlin fd^nell ber lefete folgen foHte.
®er Äcmtfte f)ai bie Seit ber lantiömen nid^t erlebt. ®ai^
SofetJ^ftöbter il^eatcr, ba^ Sorfeingg lefete« SBer! iniJ ßeben
rief, i)at anä) bie nteiften feiner früheren Dptxn in SGBien
juerft gebracht: im Huguft 1842 ben „Sjar unb Simmermann",
im folgenben gal^r ben „SEBilbfd^üfe" unb „S)ie beiben @(^ü|cn".
SRit bem „aBdffenfd&mieb" unb „Unbine" toar 1846 bai» i^eater
an ber äSSien bem $)ofot)ernt^eater tt)eit vorangegangen. 2)ie
SSiener ^ofo^er ^at fid^ eigenttid^ um Sor^ing fe^r menig
geülmmcrt; fic gab jtoar ben „Sjar" fc^on im S^l^re 1842,
lieg aber bann DoDe ac^t^el^n gal^re t)erftreid^en , el^e fte ben
„aSitbf d^ä|", unb tocitere fünf Saläre, beöor fie ben „SBaffeufd^mieb"
jum crften äRal aufführte. „Unbine" crf^ien auf btefer Sül^ne
crft 1881, unb jefet erft, ganj juleftt, ßorfeingS erfte D^er
„S)ie beiben ©d^flfeen". S^wö^ft erWärt fid& biefe »erf|)ätung
toofjl aud ber rafd^ Dorgreifenben Konturrenj ber beiben genannten
^orftabttl^eater , ebenfofel^r aber aud bem reid^en Sufbxi k)on
Sloöitäten, bie in bem ga^rjel^nt 1837 — 1847 unferer Oroßen
Dptx fid^ barboten. 9leue SBerle k)on 2) o n i j e 1 1 i unb SS e r b i,
t)on äRe^erbeer,$[uber, Slbam^ %.%f)omad erfc^ienen
in rafd^er gfolge, unb ba bei bem ^bI9um bei^ fö&mtnert^or*
Il^eaterg italienifd^e unb franjöfid^e äRufif in l^öl^erer (Sunft
ftanb, ate bie beutfc^e, fo glaubte bie S)irection, ben an\pxti(f^^
lofen Sor^ing leidet entbel^ren ju fönnen. ^aüt fie bod^ fogar
Pte betben 5d?ü^en. 157
(Bfofyc unb 972arfd^ner auffaQenb ignorirt. ^eute ift bod
SBerl^ältnig faft umgelel^rt, im @htten n:)ie im Sd^Ummen.
@inn unb SSertl^fd^&^ung beutfd^er äRuftl ^aben fic^ in äSHen
ungemein erl^öl^t unb t)erbreitet, ba^ ift bie gute @ette. S)ad
Uebel l^ingegen, totl6)t^ je^t ber äBieberaufna^me Sor^ing^ )u
ftatten lommt , ift bie augerorbentlic^e Strmutl^ an mir!famen
neuen Dpttn, fon)o]^I avS 2)eutf(^Ianb toxt and f$tan{ieid^ unb
Stauen. 3«be D^jernbül^nc fielet ftd^ l^eutc genötl^igt, ältere
SBetle tt)ieber auf^ufrifc^en, um einige S[bn)eci^fe{ung in bai^
9ie))ertoire gu bringen.
Sor^ing f)ai bie ^anblung einem franjöfidgen SSaubeüiUe:
„Les deux grenadiers'*, entnommen , ben @(^au|)Iafe unb bie
?ßerfonett iebod^ in fein geliebte^ Ifeinbfagerlid^eiJ S)eutfd^ über-
tragen. Sorfeing betocgt fic^ l^icr auf feinem eigcnften 95oben.
@in Heiner beutfd^ed Stäbtd^en mit feinen gutmüt^igen @)rie^
bürgern, toeld^e burd^ allerlei SJertoed^fcIungen unb SDhfeüerftänb*
niffe in ungen)o]^nte älufregung unb in einen SBirrmarr geratl^en,
bei bem ed natürlid^ ol^ne Prügel unb Slrretirungen nid^t
abgel&t. Sin eingebilbeter Slmtmann, ein bomirter ®afttt)ixtl^,
ein ffud^enbcr S)ragoner, ein furd^tfamer bummer 3unge —
baiJ ftnb bie fomifd^en giguren, gtoifd^en benen jtoei Siebei^
P&t6)tn, ein mutl^tt)ifligeg unb ein mel^r enH^flubf omeö , il^re
l^armlofe ^wtrigue fpinnen. Sauter Zt^ptn, mit bereu
©^arafterifti! unfer KomtJonift grünbftd^ öertraut ift unb bie
in leidet öeränberter gorm ung oud^ fonft bei t^m begegnen.
S)ie gut gefül^rte §anblung ergiebt ©cenen öon untoiberftel^
lid^er ftomil, ol^ne bem SSerftanbe Seit ju laffen, über
Untoal^rfd^einlid^ei^ tiefer nad^iubenfen. S)ie §anb bei^ Xejt*
bid^terj^ Sor^ing ift in bem gefd^idtten ^lufbau ber tomifd^en
(Snfembtenummem nic^t gu üerlennen, leiber aud^ nic^t in
ber Sriöialität bei8 S)iafogi^ unb ber Siebertejrte.
2)ie neue alte D^er befi^ alle SJorjüge unb ®d^)t)&d^en
158 €b. ^anslirf.
«
Sorfeingfi^cr SKufil — mx lönntc fl6cr biefc no^ tttoai Slcuc«
faflcn! mit im ^^SBilbfd&ül" unb bctn ^aBaffenfd^mtcb" ftcl^en
bic ^©eibcn @d^fi|ctt'' nid^t ouf glctd^cr $ö]§c bcr mufüo*
lifd^en Srftnbung unb fömtedett Stu^fül^tung; nod^ toemger
erreichen fic bcn in feiner SBcifc flafftfd&en ^Kjar unb girnntcr*
mann''. @ic Hingen veralteter burd^ oHcrlei }o|)figc ?ßaffagen,
burc^ il^re ®efangftfide in ^olonaifenfomt, il^re l^äufigen Stofalien
unb langen SBieberl^oInngen. Slber U)ir begegnen barin man^ent
9[Rufi{ftü(I, bai tuir gn ben geinngenften be$ fo tiebeniSlDürbigen
Sor^ing jä^Ien muffen. $a ift t)or aQem bte broQige groge
©olofcene beS bummen ?ßeter, ber, jugleid^ tangenb unb meift
auf e i n e m Jone fingenb, feine SCbenteuer er jal^Ü, @tc ift t)oß
Seben, t)oII gefunber, natürlid^er $omiI; biefeil einjige ®tSid,
bag origineßfte in ber ganjen Optx, toürbe l^inrcid^en, Sorfeing
}um aJleifter feinet fjfac^d }u ftempeln. 2)enno(l^ lege id^ nod^
ftör{eren Slac^brud auf ben einl^eitßd^en , ftet§ l^eiteren unb
natftrlid^en %on, toüäjtx bad ^anje bel^errfd^t. @elbft bie
fentimentalen Steden @iuftat>i^ unb Sarolineni^ treten niematö
burd^ übertriebenen S(udbrudF auj^ bem Stammen bed Suftfpiefö.
3n emften aJlomenten ift Sor^ingi^ äRufil toarm unb ^erglid^,
aber niemals ))at]^etifd^. @^ ift titoa^ ^nitxt^, ob Siebe^^
fel^nen unb Slbfd^ieb^fc^merj in einer l&eroifd^en großen Dptx
ober in einer Keinen fomifd^cn ju fd^Hbem finb. ffiin ®enre*
bilb barf nit^t mit ben äRitteln unb gormen be« ^iftorien*
bilbed koirfen. 2)ai^ ^auf^tmotit) lann bad gleid^e, ber ®tU
mujs ein anberer fein, tlnb biefen (Srunbfa^ l^at Sor^ing
fteti feftgel^alten. @eine burd^n^egd anf))rud^9lofe $)altung unb
gefunbe 9latflrlid^leit tonnen aOen feinen Slac^folgem in ber
beutfd^en lomifd^en Dptx unb ooDenbd in ber Dptxtttt tum
Stufter bienen. S)iefe (Sigenfd^aften toirten auf ben ^drer
mit einer einfd^meid^elnb flberjeugenben ^aft felbft bort, too
fie unbebeutenberen älbtfitftfldCen anl^aften, bie ia in feiner
Die beiben Sd^ü^en. 159
SoT^tngfd^en Ciptx ganj feilten. Sei mond^er gar ju fettft«
Detftänbßd^en 3ReIobie ober allju Imblid^en @cene fiberfitegt
vm^ tooijil ein Söd^eln, baiS mtgeföl^r fagen toiO: tlnbegreifltd^e
3eäen, totl^t ftd^ an bergletd^en ergd^en fonnten! Kber in
biefed mobeme @eIbftbetDuBtfein ntifd^t fic^ bo^ ein bii^d^en
Sleib auf unfere SSorettern, benen ^S)ie beiben @^fi|en^ einen
genugreid^en, frol^en $[benb bebeuteten. @inb jene ^unbegreif«
lid^en^ Seiten nid^t aud^ glüdKid^ere getoefen? (Btixmd toxt ein
^aud^ aui^ jenen Xagen naiüer (Senftgfamleit fd^Iei^t ftd^ bod^
in unfer eigene^ ^erj, unb U)ir leil^en ben einfad^en aJlelobien
unb l^amtlofen ®^ö^en ein freunblid^ed Df^x, toeil fie nait>
unb an[))rud^i»Ioi^ finb. SSir ft|en \)ox ber Sfil^ne faft toie
t)or einem trauten Kaminfeuer unb tt)&nnen uni^, frfi^erer
Seiten gebenlenb, an beut berben ^urnor ber ^anblung unb
ber gemfit^üotten Srd^Iic^Iett ber äRufil.
158 €b. ^ansltrf.
Sor|hiöf(i&er 3RufB — tott lönntc Aber bicfc nod^ ettoa« Slcuc«
fagcn! SKit bctn ^aßirbfd&fife" unb bcm ^aBoffenfd^mtcb^ ftcl^en
btc ^©cibcn @d^fi|cn^ nid^t ouf gictd&cr $ö]§c ber mujtio*
lifd^en Srftnbung unb formellen KuiSfü^rung; nod^ n^eniger
erreid^en fte ben in feinet SBeife Kafftf d^en ^Sjor unb 3itnmer^
ntonn''. @ie Itingen t)erafteter burd^ allerlei io))fige ^affagen,
burc^ il^re ®efangftfide in ^olonaifenfomt, il^re l^äufigen iRofanen
unb langen SBieberl^oIungen. {(ber toir begegnen barin mani^m
äRuft{fKld(, bad tuir gu ben gelungenflen be^ fo liebeniStDürbigen
Sor^ing jä^Ien muffen. $a ifi t)or aQem bie broOige groge
@oIofcene bei^ bmnmen $eter, ber, jugleid^ tanjenb unb meift
auf einem lone pngenb, feine SCbenteuer etjäl^It. Sie ift t)oQ
Seben, t)oQ gefunber, natütlid^er ßomil; biefed einzige ®tSii,
bad origineUfte in ber ganjen Dptx, tofirbe l^inreid^en, Sor|ing
jum aReifier feined fjfa^i^ }u ftem))eln. 3)ennod^ lege id^ nod§
ftärleren Stad^brudf auf ben einl^eitlid^en , ftetiJ l^citeren unb
natftrli^en Xon, toeld^er bad (Sanje bel^errfc^t. @elbft bie
fentimentalen ©teilen ®uftak)i^ unb Sarolineni^ treten niemals
burd^ übertriebenen Unibmd and bem Stammen bed Suftfpiete.
3u emflen äRomenten ift Sor^ingd äRufil toaxm unb ^erglid^,
aber niemals ))atl^etifd^. @^ ift etn^ad 9lnberei$, ob Siebe^^
fernen unb 9(bfd^iebi$fd^merj in einer l^eroifd^en großen Dptx
ober in einer Keinen fomifd^en p fd^ilbem finb. Sin (Üenre^
bilb barf nit^t mit ben SRitteln unb gormen bc« ^iftorien«
bilbed toirlen. S)ad ^auf^tmotik) tann bai^ glei(i^e, ber ®tU
mujs ein anberer fein. Unb biefen ®runbfa| l^at Sor^ing
fletd feflgel^alten. @eine burd^tt)egi^ anf))rud^9lofe Haltung unb
gefunbe 9tatflrlid^Ieit lönnen allen feinen Slac^folgem in ber
beutfc^en fomifd^en Qptx unb üoUenbd in ber Dptxtüt irnn
Stufter bienen. S)iefe Sigenfd^aften toirlen auf ben $5rer
mit einer einfc^meid^elnb überjeugenben ^aft felbft bort, mo
fte unbebeutenberen SDbtfSpdCen anl^aften, bie ja in feiner
Die betben Sd^ü^en. 159
SoT^tngfd^eit €ptx ganj feilten. 8et mand^er gar gu feI6ft«
t?etft&nbli(|en aJlelobie ober aOju finblid^en ®cene fiBerfltegt
und kDOl^I ein Säd^eln, bad ungefäl^r fagen toiU: Unbegretflid^e
Betten, toetd^e fid^ an bergletd^en ergd^en tonnten! Sber in
biefed mobeme @elbpen)ugtfein ntifd^t ftd^ bod^ ein bidc^en
9te{b anf nnfere SSoreltem, benen ^S)ie betben @d^ü|en'' einen
genugreid^en, frol^en Kbenb bebeuteten. @inb iene ^unbegreif«
lid^en'' Seiten nid^t (mä) glüdKid^ere gekoefen? (Sttoad tote ein
$and^ aui^ ienen Xagen natoer (Benftgfamleit fd^Ieid^t ftc^ bod^
in unfer eigened ^erj, unb n)tr teilten ben einfa^en äRelobien
unb l^armlofen @))äBen ein freunblid^ei^ £)f)x, toeil fie naio
unb an^pmäj^lo^ jtnb. 2Bir ft|en oor ber Sfil^e faft tsnt
oor einem trauten Kantinfeuer unb to&mten und, frfi^erer
Betten gebenlenb, an bent berben Junior ber $anbtung unb
ber gemfit^ootten gfrö^ßc^Ieit ber äRuftf.
(®rfte fcenifd^e ^uffü^rimg im $ofo|)ernt^cater 1889.)
Unanfcd^tborc Scitgntffc bcfiöttflcn cg, bafe Sifjt btc
fccnif^c Sluffü^rung feinci^ Dratoriumg „^k l^ciligc Slifabctl^''
grunbfä^Iici^ >exn)orfen ^at. $[tö tl^nt ju (Sitten 1884 im
SBeimarer $)oft]^eQter biefe SarfteDung jum erften äKak ftatt^
fanb; öugerte er nad^brüdlid^ gegen feine @d^üler unb t^reunbe,
fein innerjleg ©efül^I toiberftrebe ber t^catralifd^cn Mu^ftattung
eineiS SBerfe^, bad er „jur Erbauung'' gefd^rieben ^abe. ®an}
genau erfannte ßifjt ba^ Oratorium unb bie £)ptx atö jtoei
Sunftformen, bie, fid^ eng berü^renb, ja fd^einbar öermifd^cnb,
bod& öerfd^iebencn ®cfe|cn unterliegen, anberc giele mit anbcrcn
äKitteln anftreben unb — nod^ gang abgcfe^cn öon ber STOufil
— fd^on eine burd^aug öerfd^iebenc Slnlagc beS lejtbud^eiJ jur
S3orauiSfe|ttng l^aben. Sin Oratorium fcenifd^, atö £}ptx, auf^
iuffll^ren (toie e^ einmal auc^ bie 3)üffeIborfer Huftier mit
äRenbelgfol^ng ^^ßaulu^'' gctl^an) ift unb bleibt eine Silettantcn-
ibee. Allein Sifjt, ber in feiner angeborenen SiebeniJtoflrbig*
feit nic^t leicht ^Stein" fagte, öermoc^te eg am toenigften gegen
einen :perfönltd^en äBunfd^ feinei^ l^ol^en $erm unb ©dmterd.
SBa« ©erm ®irector Sal^n betrifft, fo ift er ein triel jn
feiner SRufllcr, um nid^t bai^ SBibcrf^tud^iSöottc jene« Unter*
(
£if3ts „^eilige €Itfabetlj«. lei
nc^meitg fo gut einjufc^cn, toic Sifet fclbfi ei» cingcfel^n l^at
®r tft anä) ötcl ju fcl^r Sl^catcrlcnncr, aö bafe er ber lofHl««
mirten ^^l^eifigen ©fifabet^" einen Äaffcnerfolfl jutraucn foOtc.
SBa§ mag i^n alfo trofebem baju belogen ^aben? äBa§iJ»
fd^einlid^ biefdbc gfnffuenja, an ber feinerjett aud^ ßifjt ge^«
litten. @g iüärc übrigens bare ©eud^elei, iüollte man be*
l^aitpten, Sifjti» SBerl ^abe burd^ bie fcenifi^e ©inlleibung an
SBirfting eingebüßt. SJielmel^r lann t^ ein ®cn)inn l^eifecn,
iüenn mir burd^ potü^ä) erbad&te, t^eifö lieblid^e, tftcifö ^)ntnl*
t)otte fcenifd^e ©über ^ati abgejogen »erben öon ber unfög*
lid^en Sangmciligleit biefer SKufil. 3)ie Mugenmcibe auf ber
S3ül&ne mirlt ^ier mie eine gelinbc SRarfofe, toeld^e bie unferem
D^re jugefugten ©d^mcrjen angenel&m öerfd^Ieiert. SRod^ @inc»
fönnen bie Semunberer ber ,,|)eiligen ©lifabetl^^ ju ®unftcn
il^rer Koftümuung anfül^rcn. @g giebt namlid^ lein jmeitei»
Oratorium, bag fid^ fo eng, fo unerlaubt eng an bag D|)ern*
mefen anbrängt, mie bie Sifjtfd^e „Slifabet^". @ie entl&ält
nid^t ben * geringften et)if d^en , erjäl&Ienben Bn^iW^^f ^fe »nb ift
burd^toegg bramatifd^ geformt. S)er ©injug ber magt)arifd^en
©efanbten in ben S33artburgf aal , ber ^eujfa^rermarf d^ mit
großer Irommel unb ©edEen, bie ©emitterfcene mit bem ein=«
ftürjenben ©d^Ioßl^of — ha^ aöeS reicht bem D|)cmregiffettr
förmüd^ bie ^anb. ©asmifd^en freilid^ toiebcr bußfertige 8tn*
bad^t, m^ftifd^c ©alonl^eiligleit, bie in i^rem unerfättlid^en
©id^felbftgenießen ung baran mal^nt, baß e§ bod^ ein Dra*
toxium ift, toa^ fid^ ^ier inS I^eater öerirrt l^at. 2)em
I^eater miberftrebt bag breit auggef^)onnene SRofcniounber,
ber ©^or ber Slrmcn unb SSrcft^aften, Slifabet^S lob unb
SSerHärung, enblid^ bie Seic^enfeier mit ben Ktd&enlateinifd^en
^^mnen. @in längere SebenSbauer afö im ©oncertfaal l^at
bie „^eilige @Iif abet^"* aud^ im Dpttn\)m\t nid&t ju l^offen.
2)iefc SRufi! ift bod^ ju nieberbrüdEenb in i^rer ffirfinbungg^
eb. J&ansttcf, Slu8 bem Xagcöuc^ eines SWufifer«. H
162 <2^ f^anslicf.
loftgleä, in i^rer äRonotome unb SSerIflnftelung. @kiä) ha^
enblofe üt Serjen ptenbe Drd^eftert)orf))ieI mad^t nnd unge«
bulbig mit feiner raffinirten llnfci^ulb unb allol^oliftrten Sinb^
fid^feit. Sebenbiger mirb bie ©ad^c im erftcn 'WH, too ber
^nberd&or (er fönnte in einer opera comique ftel^en) fogar
ju einem ©alletbiöertiffement benufet toirb. Qfm jmeiten
Äft folgt auf eine |)]^rafcnreic^e , äufeerft faftlofe ^^gb^Strie
be« Sanbgrafen ia^ öieIbef^)roc^ene ^^aiofennjunber^. @§ ift
me^r ein Siofalientounber im mufifalifc^en ©inn, inbem bag
bürftigfte SKotit) fid^ in Sifjtg |)änben in eine eniflofc Sctte
fogenannter SRofalien öertoanbelt, n^eld^e ben Kom^joniften öiel*
leidet jum ^eiligen, ben ^örer gen)iB jum äRärt^rer mad^en.
$öd^ft bejeid&nenb für Sifjt ift folgenbe ®cmerfung jum ^fftofen»»
tounber'' auf ©eite 69 ber gebrucften 5ßartitur: ^8fn biefer
©teile unb bei bem Eintritt beS Sl^ord ^^Sin SSunber l^at ber
$err getrau" foll ba« Drd&efter toie öerllärt erHingen.
S)er 2)irigent mirb gebeten, ben lalt faum ju marlircn, unb
ha bieS gefagt, fei nod^ l^inju bemerft, bag ber Som)7onift bad
übti^^ lattfc^Iagen ate eine finntoibrige, brutale Singe*
n)o^nl^eit betrad^tet unb e^ gerne bei allen feinen SSerfen
»erbieten möd^te. äRufi! ift eine golge öon Ionen, bie
fid^ einanber begehren, umfd&IieBen — unb nid^t burc^ lalt*
^rilgel gefettet n^erben bürfen." 2)ie Xöne, „bie fic^ begel^ren
unb umfc^tie^en" — wie balb toürben fic fid^ in ben paaren
liegen ol^ne ben öon Sif jt öerbammten laltirftab ! 8lud& fonft
nod^ finbet man in ber Partitur mand^e foftbare Slnmeifung.
Sum S5eif|)iel (@. 71) unter ber ^arfenftimme bie aRal^nung:
,,3lid&t alg gingerflbung abjufj)ielen;^ S)er arme
$arfenf|)ieler foO alfo biefe aOergenDöl^nlid^ften SreiKongar«
:peggien nod^ mit einer befonberen Stömmig!eit Dortragen!
993ir bringen nid^t n^eiter in bie Sinjel^eiten ber Som«
))ofttion; bie ja aui^ bem Soncertfaale fattfam belannt ift. SBod
£if3ts „fyxlx^e €Itfabetl^\ 163
aber hl bcr D:pembarftcKuitg jtörfct ate je ]^crt)ortrtlt, tft
ßtfjtö $lb]^ängig!eit Don ätidgarb äBagner. 3>te ;,$eilige
(Elifabetl^^ ift ol^ne ben Xanitl^äufer uitb Sol^engrin gar ni(^t
benttar. S)tcfelbcn SKelobtciücnbungcn unb Äff orbfolgcti, bicfcfte
jtDifd^en SRecitatit) unb Sltiofo fdgtDebeitbe beclamatorifd^e 8e^
l^anblung bei^ 2)taIogi^. Wan l^öre bie 3[agb:«S(rie be^ Sanb«
grafen unb bie 9)egegnung mit feiner (Sema^Iin, (Slifabetl^i^
SCbfd^ieb beim 8lu3marfd& ber Sreujritter, il^re ®cene mit ber
ßonbgröfin ®opi)k, tl&re lange Ie|te äRonobie — e« ift ber
reine SBagner, o^nc SSagneri^ Salcnt. Offenbar ^at ber hoppdtt
fUt^pdt öor bem SBeltml^m be^ greunbeö unb öor bem eigenen
geiftlidgen Semanb Sifjt Don ber D^embül^ne abgel^alten;
bafür mod^te er gern ber SRid^arb SSäagner beg Oratorium^
»erben. ®n leidet begreifßd^cr S^rgeij. Aber bamit ift'^
nid^t getl^an, ba§ man mit SBagnerfd^en ^ßl^rafen arbeitet unb
bie ^eilige ©lifabet^, i^ren ©emal^I unb bie Sanbgräfin genau
fo fingen lögt, wie ®Ifa, So^engrin, Drtrub, unb mciftcntl^etfe
eine $ßerfon tt)ie bie anbere. 5)ie mangetnbe ©egabung, un*
mittelbar mufifalifd^ ju d^arafterifiren, fud^t Sifjt burd^ aKer*
l^anb @^mboIif t)on augenl^er ju erfe^en. (Sr Dernienbet ein
alte^ beutfd^eg $ßilgerlieb, ein ungarifd^e^ ffird^enfieb, bie lat^o*
lifd^e Stttip^onie „Quasi Stella matutina^S cnblid^ eine 3wto*
nation aui^ bem ®rcgorianifd&cn ®efang — ©itate, toeld^e ate
^Seitmotiüe'' ba^ ganjeJDratorium l^inbur^ il&r budfmäuferif^e^
SSäefen treiben. S^ber unbefangene $örer finbet too^I bie ®e*
tonung be0 @d6Iad^trufeg ^®ott toiti eg!" mit bem SKotio f,
g, b — b, c, es (unisono, in gleid^eu l^alben SRoten) ab*
gefc^madft unb ^äglic^. SBirb er fie fd&ön finben, »enn i^m
Stfgt fagt; bag biefeS äRotio bie (Sregoriantfd^e igntonation
be^ „Magnificat** ifl? @clbftt)erftänbüd& bringt ein fo um*
fangreid^ei^ äBerf Don Sifjt aud^ intereffante unb geiftreic^e
SteKen — id^ erinnere öor aKem an bie effeltDoKe 3KaIcrei
11*
164 €b. ^ansM.
beS Qktoitttx^. Sludg ber @ngeIc^or an ber Seiche Slifabetl^i^
tüirft bur^ jartctt, ftimntungi^öottcn Klang. S33tII man ober
an einem a5cif^)icl erfennen, mo^ bloße ©ttmmungiJmaleret ift
unb toag ed^te ÜRnftf, fo öerglcidöe man mit bem ßifjtfd^en
©ngelc^oT ^ipimmetörofen finb ctttf^)r offen" ben analogen Set*
Hämngggefang in ©c^nmannS 2fauft*9Kttfif: ^Sene »ofen
in ben ^önben."
^a^ äßetl toar mit ebenfoDiel $rad^t afö ))oetifd^em
geingcfül^I fcenirt. 3)ic ^ulbigung im aBartburgfaal, bie SScr*
Hömng toäl^renb be« SRofeniounberi^, ber ^engfal^rcrjug, bie
®m:|)))imng ber @ngel um bie ikii^t @Iifabet§d — toeU^
l^enlid^e Silber ! ©olojönger, Kl^or unb Orc^efter (unter $an§
Sftid^terS Scitung) — fie aKe l^aben an bicfer ,,$ciKgen ffilifa*
betl^" öicic SBo(Sen lang unabläffig ftubirt unb pxoUxi. Solcher
@ifer Derbient ba^ größte Sob. 9htr baß er an ein gau} aui^
fid^tglofeg SBerl öerfc^n^enbet ioarb, an ein SBerf, ba^ nid^t
einmal aufg Sweater gel^ört, ift }u beflagen. SKit bemfelben
Sluftoanb öon Stit unb (Selb n^ar leidet eine neue Optx l^erau«*
jubringen, meldte aKgemeine^ Qfntereffe erregt unb ben Sängern
loie bem 5ßublifum Sreube gcmad^t ^ötte. SSeibe gingen bei
ber „^titxQtn ©fifabet^" rec^t leer aug. öeibe fel^nen fid^
nad^ banfbaren neuen Opern. 2)er Scfer bürfte fd^Iießüd^ er*
fahren motten, toic ber äußere @rfoIg be^ t)ero|)erten Dra*
toriumö au^gefcl^cn l^abc? @8 toai ein „succes d'ennui",
eine fcitfamc, aber nid^t eben felteue unb leineSmegS ganj öer*
äd^tlid^e Slrt t)on ©rfofg. S33enn bie Seute fi^ bei ber ©om*
pofition cineg benil^mten SKanneg gelangmeiÜ ^aben, fo finb
fie leidet geneigt, bag SBcrf für ein gelcl^rteg unb tieffinnige«
ju l^alten. 3n bicfem Sinne ti^at einmal ©ainte^sSeuöe
ben monumentalen 8lu8f^)ruc^: „L'ennui a son prestige.**
„ftt jifldrtititg«"
(fotnif(]^c D:per in brei Elften üon S3em§arb Söud^binber, SKufif
öon SJaouI SKaber. 1891).
9lad^ einem t)on ben Seutfd^en getDonnenen ®efe^t metben
meistere franjöfif^e Dffijiexe atö ©efangcne fortgcfül^xt.
3tt)eiett t)on il&nen gelingt cg, ju cnttoifd&en. 3)cr erfte, 5ßrinj
Santbignac, flüd^tet fid^ in eine SSiQa, tDO et jmei lieben^mürbige
äR&bc^en, ^ertl^a unb ®vifix, Zo^ttx unb 9Hd^te bei^ penfionitten
Dberftcn ©anbcr, antrifft. @ie laffcn fid6 na^ einigem
©tr&uben ertoeic^en, ben feinblid^en Dffijier jn öerftecfen. (88
ift l^öc^fte S^itf io, ber bentfd^e Sergeant ©fenroft bereite mit
feiner äRannfd^aft anrfidt, um bem (Sntflol^enen nad^juffyüren.
Sertl^a Drängt biefen in bie ®arberobe i^reiJ auf einer Steife
beflnblid&en SSaterö, öon too er in beffcn Uniform unb $ßerrüde
afe — Dbcrft ©anber ^eraugfommt. gnätoifd^en ^at ber jtoeitc
t^Küd^tting, Slbiutant Sumont, fid^ gleichfalls in bie SBonberfd^e
SSiOa gerettet. Stac^ SambignacS 93eif:piel bemöd^gt anä^ er
ftd^ einer Uniform unb ^errüdEe beS $(Iten unb toirb fc^ned
t)on ben äRäb^en für ben trüber beS Dberften ausgegeben.
3m jioeiten Sitte finben loir baS 5ßerfonaI öerme^rt burd^ ein
öltlid^eS gfraulein @mma t>, (Sleid^en unb einen gedenl^aften
®aron Sippmi, SSert^aS SSerlobten. 2)ie ®efellf^aft ergel^t
166 <H^. ^anslxd.
fi^ fc^r l^eitcr beim ftaffce im ®artcn. S)ic öerHeibcten
Dffijicrc, bcibc bereit« grünblid^ öeriiebt in bie Zoä)ttx unb
Stickte bc8 t>öufeg, mad^cn jum ©c^eine ber alten ^wttflfct
ben $of unb jc^Iagen il^r fogar eine Sntfül^rung öor, um in
i^rem SBagen fidler über bie ©renje ju gelangen. ®Ieid^jeitig
bereben bie SKäbd^en ben Saron Sit)|)nicl, jum ©d^erj aud^
eine Uniform (bie britte!) beg alten Dberften aujUiiel^en unb
biefem in ber f^)a65öften SScrHeibung entgegenjugel^en. SBöl^'
renb ba« atte« eiligft ing SBerl gefegt iüirb, erfd^eint uner^
toartet ber n)irf(id^e Dberft ©anber, ber nun brei S)op<)eI*
göngcr öor fid^ fielet, gm britten 2Kt mirb bem Cberft toeiS^
gemad^t, ßambignac fei fein alter Srieggfamerab Sarafft, ber
fid^ mit bem Slbjutanten eingefunben ^öbe, um bie alleinftel^enben
SRäbc^en gu befd^ü^en. 5)er ©ergeant ©ifenroft, im ®runbe
ein ©c^afgfo|)f, pit fid& für einen feinen 2)i)jIomaten — tote
man benn häufig gerabe auf biejenigen ©igeufd^aften ^lod&t, bie
man am toenigften befi^t. @r l^at fi^ burd^ jmei 3Wte ^in^
burd^ narren laffen unb gel^t nod^ im britten in bie gallc, atö bie
beibcn franjöfifd^en Offiziere in SgauemHeibung i^n um einen
5ßaffirfc^ein bitten, ben er ol&ne Leiter« ausfolgt. S)ie beibcn
glücbtlinge fagen eben i^ren ©eliebten ein Ie^te§, fd6merjlt(^e«
Äebemo^I, ba ftürjt ^)Iö^Iid& ein ©olbat — toir l^aben i^n
längft ermartet — auf bie SJü^ne unb bringt bie SRad&rid&t,
^a^ ber griebe gefd^Ioffen fei. Unb biefer griebc öerfd^afft
un« feinerfeit« bie beglüdenbe Slu^fid^t auf eine 5)o^)|)eIl^eirat.
„2)ic glüd&tlinge" fann man ol^ne toeiter« eine gafd^ingiJ*
:poffe nennen. 2)ie Untoal^rfi^einlid^feitcn unb 8Biberf|)rüd^c
ber ^anbtüng finb fo riefig, baJ3 man trofe be« Äriegi^getoitterg
unb ber fteten Sebenggefa^r ber beiben Dffljiere leine cinjigc
@cene ernft nehmen !ann. 2)ie 93Iinb^eit unb Summl^eit aQer
burd^ bie SSerHeibungi^fomöbic ®efo^)^)ten überfc^rettet jebe« er*
benlKd^e aRafe. S)ie gigur beg gefä^rbetcn Siebl^abcriJ, ber,
„Die ^Iüd?tange\ 167
üU alter Dberft t)erf(etbet, übet ®ici^t Hagt unb lauftet, matt
tetmt fte l^mlöngltd^ an^ So^ebued unb anbeten $offen. Sbet
auf einmal ö i e r fotd^c aft^matifd^e ^elbengreife auf bet Sül^ne
ju feigen, \>a^ tft me^r, atö man bittigern^eife ertoarten lann.
SBenn toir an bag Sibtetto nur bie 2lnf|)rüd^c einer 5ßoffe
ftellen, fo lönnen toir bem SSerfaffer ba^ Sob ntd^t öerfagen,
ba§ er ba8 bunte 3)urci^einanber gemanbt unb luftig arrangtrt
f)at atuSfci^Iieglic^ auf Situation§fomi! bebad^t unb ftet§ auf
ber gagb nad^ neuen Ueberrafd^ungen, tonnte er fid6 um bie
©l&aralterifti! ber einzelnen ^erfoncn nicbt öiel fümmem. Die
beiben galanten Offiziere, ber bärbeißige Dberft, bie öerliebte
alte ©d^ad&tel, ber bumntpfiffige Sergeant, ber näfeinbe, ge*
fd^ttiegeüe Sgaron — e§ finb lauter n^ol^Ibelannte 5|}^t)fiog*
nomien. S)ie beiben ©d^lojsfräulein red^nen n)ir nid&t baju, ba
fie eigentltd^ gar feine 5ßl&^fiognomie ^aben. 3)er erftc 2Bt
toirft red^t er^eiternb, im jmeiten ftodEt bie ©anblung fd&on
cm^)finbtid^, um im britten beinahe einjufd^Iafen. Dl^ne bicfe
Sängen mürbe ber anf^)ru(^gIofe ©d^toanf einen nod& gxöjseren
Sac^erfolg crsielen, ba ber SSerfaffer fid^ mei^Iid^ ptet, ben
Sufd^auer burd^ ^)at^etif(^e Slniüanblungen aug ber einjig jtoedf*
mäßigen gfßfc^inggftimmung ju reißen.
3)ie aWufi! ift öon ^errn Slaoul SWaber, einem in SSäten
aU ^laöicrlel&rer unb ®efang§coxrepetitor gefd^ä^ten, aud^
^jerfönlid^ lieben^toürbigen jungen 3Rann. Site ®om^)oniftett
fannte id^ i^n bis ^eute nur burd& einige Sieber, bie mir, offen
geftanben, toenig SSerttauen einflößten, ©d^on au8 ben litel«
blättern biefet einzeln erfd^ienenen Sieber ftrömt ein cigent^üm*
lic^ faber, füß*fäuerli(^er (Seruc^, tt)eld^em ber fd^mad^tenbe
muftWifd^e Sn^alt ööttig entfpric^t. „»ei bir allein!",
^erm ^ofo^)cmföngcr S33infelmann gemibmet. „SBärft bu
mein eigen!", ^errn §ofo|)cmfänger Sommer augeeignet
„3)id^ min id^ cmig lieben!", ^errn ^ammerfänger
168 €b. f^anslirf.
®. SWfiDer gctoibmet. ,,®c^Iäfft bu, Sicbd^en, fd&Iäfft
bu fd^ott?", $erm ipofo|)cmfängcr Sd&röbtcr gctoibmet. Qfd^
tt>ei|5 njirllid^ nid^t, ob ba^ Sicbd^en fc^on fd^Iäft; tocnn nid&t,
fo hxaai^i fte ftd^'i^ nur nod^ einmal Dorfingen ju laffen. (S^
pnb burd^ang Steber, bic, mit ben flctoöl^nlid^en mufilalifd^en
Sloffen aniSgeftattet , im f eid^teften ©entimentalitötötDaff er
:plätfd^em. B^ittpeilig fteden etlid^e banfbare l^o^e 9}ru{ttöne
il^re 3lotenIö|)fe ^^raui^, nad^ bem Wj^ptan^ itd öerd^rlid^cn
$u6ü!um^ au^Iugenb. 2)te fel^r feltene Slu^seid^nung, bag Dor
einem «oc^ burd^ feinerlei größere Slrbeit Icgitimirten jungen
(Eomponiften gleid^ bte 5ßforten be^ $ofo|)ernt]^eaterg auff|)ringen,
mußte bag 5ßubKftim notfixltd^ mit ertoartungSöoIIer Sleugier
erfüKen. S)aiJfettc toirb mit ©efriebigung iüal^rgenommen
l^aben, baß $err aWaber in ben „glfid^tlingen" nur feiten in
feinen @d^Iafenben*Siebd^en*Son öerfällt, öielmel^r fid^ über^
ttjiegenb einer bequemen §eiterleit befleißigt, einer ^eiterleit, bie
in il^ren $ö^e<)unften an jene berliner Sieutenante erinnert,
bie „beinal^e ©elt beftellt l^ätten". 6r fd^eint mel^r aug Wxi*
ftc^t für feine (Säfte luftig 5U fein , ate au^ innerem 3)range.
SebenfoD^ öerbient |)err aWaber bai^ Sob, baß er jtt)ar ftetteu''
weife fentimental, aber nid^t gerabeju ^)at]^etifc^, tragifc^, mag*
nerifc^ toirb; er miß un8 nie jeigen, baß er fe^r gut eine
l^eroifd^e große Dptx fd^reiben Knute, toa^ er, mie id6 öer«
mut^e, auc^ mirllid^ nid^t lann.
So toie ha^ lejtbud^ biKigermeife nur ate 5ßoffe ju be*
urt^eilen ift , f ioirb man bie aWufif ber „glüd^tlinge" öiel:»
leidet am rid^tigften jur Operette red^nen. Sin unb für fic^
bebeutet bai^ burd^aui^ leinen Xabel. @^ giebt fel^r gute Dpt^
retten, unb ic^ möd^te für mein S^eil lieber bie ?ßartitur jui
„©d^önen $elena" gcfc^rieben l^aben, ate ben „Iribut öon
gamora" ; lieber bie „glebermauiJ" ate ben „SSafaB öon ©jiget".
S)a« SSic^tigfte ift immer ba« lalent, bau fic^ in biefem
„Vie Jlüd?tlinge\ 169
ober jenem ®ettre öoll ben^äl^rt. 3)te Sragc, ob ein erfte^
ftnnftinftitut Optxtittn anffü^ren bürfc ober nic^t, toirb baüon
nic^t bcrfll^rt. S)cr Scgtiff ber Qptxtttt ift flbrtgcng ein
jc^ioanfenber. aWond&e „fomifd^c €)ptx'' au^ unferer SSäter
3ctt mürbe ^ente nur ju ben Operetten gejault merben, unb
bte neueften S33iencr „Dptnittn" mit i^ren Mec^gepanjerten
gfinafei? unb ^eIbentenor*$ßartten Rotten öor fünfjig galten
„Dp^tn" gel^ei^en. S)ie n^efentlid^ften SKerfmale ber Operette:
eine poffen^aft fomtfd^e ^anblung, gefprod^ener S)iaIog uub
populöre, in fnappfte gormen gefaßte aWelobie, ftellen fte, ber
Oper gegenüber, te^Iid^ tt)ie mufifalifd^ auf ein äft^etifc^
niebrigei^ 3lit)tavi. S)iefeg Sßiöeau unb nid^t ber größere ober
Heinere Umfang ift entfd^etbenb. 5)ie „Cavalleria rusticana"
ift ein einaftigeg Sauemftücl, unb io<b tüirb niemanb fie eine
Operette nennen, felbft toenn fie im Sarl*a:]^eater gefpielt mürbe.
3Kaberi5 „glüd^tlinge" hingegen fußen brei Slfte unb befd^äftigen
bie beften Äräfte ber ^ofoper, bennod^ finb fie Opercttenmufü.
SBir finben barin alle in ber SBiener Operette t^pifc^ gemorbenen
®ffe!te: faft jebe^ im */4*3:aft beginnenbe ®efangftüdf münbet
tu ein langfam miegenbei? SBaljertempo, ha§ aU Stefrain jum
Ueberbruß mieberl^ott mirb ; bie gorm beiJ @tropI)enIiebeg mad&t
fic^ aud& in ben ©nfembteg breit u. f. m. 2luf biefem Soben
bemegt jtc^ SRaber aU ein leid^tei^, gut gefd^uüeg latent, bag
einfädle SKufifformen gefd&idtt ^^^nb^abt, bem ©l^araöer ber
?ßerfonen unb Situationen im allgemeinen geredet mirb, fe^r
ftimmgemäß für ben (Sefang unb ätoedEmäßig für ba« Ord^efter
fefei S33a^ man fd^mer öermijst, ift bie Originalität ber ffir*
finbung. 3c^ entftnne mid^ leine« einzigen I^ema« in ben
„Flüchtlingen'', bag mir ate neu, padfenb, geiftreid^ aufgefatten
möre. (Sbenfomenig bietet ber bramatifc^e !(ui$brudC ober bie
©truftur ber mufifalifd^en Sormen irgenb einen neuen, \xap^
panten gug. S)ie ©nfemblenummern, bte einen breiter au«««
170 €b. ^anslid.
gefül^rtcn öau erl^cifc^cn, ftnb größtcntl^citö ouf ßor^mgfd&en
©d^aMottcn jugcfd^nittcn. 3)a8 gicbt bcr aRuftl ein ctloa^ öcr*
ftoubtcg Slugfcl^cn, bcnn bei aßet SSoriicbe für Sorfeing f d^cint
e§ mir bod^ bebenlfid^, fünfsig S^^re mä) bem ^®jar unb
Simmerntann" Sor|ingifci^ ju fd^rcibcn. @S fe^It aber ber
3Rufif äRaberS nid^t bloß bie Originalität, t^ fep i^r aud^
an Ieni^)cramcnt. Sßon einem jungen Kom|)onifien l^crrül^renb,
Hingt bicfc ÜRufil bod& gar nid^t jugcnblid^. SSSie fd^iüunglog
nnb urnftänblid^ rüdft fic in ftetg gicid&em öicrtaftigen SR^^tl^*
ntuiJ öor, iüie jagl^aft im Äomifd^cn, iüic flau in ber Siebe!
SBie ffebt ha$ alleg ol^ne innere mufifalifd^c Iriebiraft an bem
monotonen 3Retrum be8 SejteS 1 @S ift nid&tg gerabeju fd^Iedöt
ober l^öfelid^ in ber $ßartitur, nid^t« une^rlid^, gefünftelt ober
gel^eud^elt; aber e§ ift alle§ — ni(^tS. SBcnn id^ einige furje
Konöerfationi^ftellen, h)ie j. ©. bag erfte Stuftreten ber beiben
3Mäbd^en, auiJnel^me, unb l&in unb mieber einen gelungenen
Slnfang, tok ben bed Sad^tcrjett^, fo bin id^ faft am ®nbe mit
ber Slufjö^Iung ber Sid^tblide. SSießeid^t n)äre nod^ Sinjelned
]^ert)orju]^eben, aber ber Stempel beg Drbinären unb ©eiftlofen,
ber bem (Sangen aufgebrüdft ift, mad^t e^ mir beim beften
SBiHen unmöglid^, tiefer ing 3)ctail einjuge^en«
/
.^tHxmxfiit §ümxmipct^*^ („Carallerla rustlcana^^)
(üon ^ietro 3Äa§cagni. 1891).
3tt Qftafien fommen aüjä^riid^ 30 big 40 neue Opttn gut
^rften Sluffül^rung, im öorigeti gal^rc (1890) gab e^ beren
fogor 54! 3)ie meiften Dort il^nen roüeti laullog in ein @cf*
lod^ bcr H^eotcrftatiftif, um nie lieber an§ Sid&t ju fommen.
?teu§erft feiten ereignet e§ fid^, bafe bie SrftlingiSoper cineg
unbefannten ®om^)oniften aud^ nur im eigenen SSaterlanbe feinen
Sftul^m begrünbet. 3)ie bcbeutenbften Sonfe^er l^aben fid^ burc^
mißlungene ober l^albgelungene D|)ernöerfud^e erft ju i^ren
aWeiftertoerfen burd^taften muffen, „^k erften §unbe unb bie
erften Qptxn mirft man in^ SBaffer/' pflegte Äarl 2Raria S33ebet
}u fagen. Slber mel^r aU eine Seltenl^eit, tin gerabeju un*
erl&örteg (Sreignig ift e^, bajs ber erfte bramatifd^e SSerfud^
eineg iungen gtalienerg ni^t nur in ganj Stauen afö SReifter^
totxt gefeiert, fonbern fofort aud^ auf ben größten beutfd^en
S3ü^nen in beutfd^er @|)ra^e gegeben roitb. 3)ie „Cavalleria
rnsticana" t)on 2Ra§cagni ift in ber SRufifgef^id^te baS erfte
Seif^)iel eineg fo rafd^en, faft augenbtidEKc^cn internationalen
®rfoIge§. SBie lange mußten bie berfi^mteften italienifd^en
SO^cifter auf biefe @^re märten! Sloffini l^atte ein 3)ufeenb
ßpem gefi^rieben, bebor fein ^^lancreb" über bie Sltpen brang.
172 €b. fjanslirf.
Ätö SäcIUnt btttd^ feinen „$ßtraten", S)onijctti burd^
^Slnna Solcna", SSerbi burd^ ben ^©mani'' in S)cntf(i^Ianb^
bcfannt njutbe, ftanben fte Kngft in ^o^cm Anfeilen bei il^rea
ßonb^Ieuten. Dbenbrein waren i^re D|)em bnrd^ bie italienifc^en.
©tagioncg in SBien immer anf bentfc^em ©oben fc^on ein*
gefül^rt nnb expxobi, el^e fie in beutfd^cr Sprache fönnlic^eg
Säürgerrcd^t bei un^ erlangten. S)cr „Cavalleria rusticana**'
toar allerbingS ber Umftanb fel^r förberlid^, ba§ fie bei einer
^ßrei^öertl^eilung über jtebjig aSitbemerber gefiegt l^at. S)ra*
matifc^e ?ßreigaugf^reibungen treiben meifient^eifö nnt SRittet
gut an bie Dbexpd^e; fc^on begl^alb, meil anerlannte aWeifter
fid^ lieber fernhalten, iüä^renb aOe ©tieffinber be§ Olüdeg
nnb öe^ lalenteg i^re fi|engebliebenen $ßartitnren bei biefer
(Selegenl^eit n^ieber offeriren, @^ toar eine nene originelle
Sbee be^ SKailanbet äRnfilöerlegerg ©onjogno, nur fold^e
ffonfurrenten jnjnlaffen, iüelc^e nod^ niemals ettoa« für bai^
Sweater gefd^rieben ^aben. $ßietro 3Ka§cagni, ein titva^
leii^tfinniger S3nrfd^e öon 25 g^l^ren, befanb fid^ in bicfem
gaö. Kin grojsmfitl^iger 2Räcen l^atte ben SJödEerfol^n anS-
Siöorno ing aWailänber Äonferöatorinm gebrad^t. ^ßietro lang*
toeilt ba§ trodfene ©tnbinnt ; er gel^t bnrc^, njanbert afe Saptü*
meiftcr einer fliegenben Dptxnixuppt öon Drt ju Drt nnb
bleibt cnblid^ in bem ©tabtd^cn Kerignola ate S)irigent ber
bortigen ©tabtfapelle l^ängen. S)a8 ift toid^tig für feine S5e*
urtl^eilnng. Dl^ne einen töglid^en :praltifd^cn SSerle^r mit ber
©ül^ne nnb bem Drd^efter toavt bie fidlere, effeftfnnbige Icd^nif,
bie fein (grftKngi^toerf anfmeift, nid^t erHörlic^. 8ln8 einem
geitnng^blatt erfäl^rt SRagcagni auföllig öon ber ^eisfanS*
fd^reibnng für bie befte einaltige Dptx. gn jwei SRonaten
\)ai er feine ^artitnr t^oOenbet nnb eingefd^idCt. @ie erl^ött
ben erffcen 5ßrei^ nnb tohb in 8tom im leatro ©onftanja nnler
unbefd^reiblic^em gnbel am 18. 3Kai 1890 anfgeffil^rt. Am
„Stctltantfc^e Bauerndjre". 173
felben äRotgett nod^ ein 9lamenIofec, gel^t fßietro 9Rai^cagnt
afö beräl^mter 9Rann gu ®ett. 9to(i^ finb !aum jel^n fOtoncAt
feit jener erften Äuffül^rung öetffoffcn, unb fd^on ift bic
„Cavalleria rusticana'< ein fefter ScftanWl^eil beiJ curo^iäifii^ett
9ie))ertoirei^.
S)ad ßibretto ber ,,Cavalleria rusticana'^ gel^drt {u ben
©lüdi^fäQen beiS jungen (S^ontponifien. S)ie brantatifd^e ^aft
unb bie aujserorbenUidge $o|)uIarität bed gleid^namigen SSoIIi^«
ftüd^ t)on (Siot)anm SSerga ^aben ber Dptx möd^tig Dorge«
arbeitet. S)iefe ift auc^ begüglid^ bed Xe^e^ ein Unilum. S3on
einem I&nblid^en Singfpiel in einem !(It ern^artet iebermann
eine l^eitcrc ober ib^Kifd&e ^onblung. S)ie „Cavalleria rusti-
cana" ift ein Heiner 2:rauerf<)iel, eine rid^tige S)orftragöbie
mit toilbctt Seibenfd&aften unb blutigem Äui^gang. 3^^ einem
ficilianifd^en S)orfe \)ai ber junge (Safttoirtl^ Xurribbu, e^e er
jtt ben ©olbaten eingereil^t lourbe, ein lofettciS fd&öneö aRäbd^en,
Sola, geliebt. SSom $eer jurüdEgefel^rt, finbct er fie atö bag
993eib be^ 3fu|rmanni$ SUfio unb fu^t 2:roft in ben $(rmen
ber i^n leibenfc^aftlid^ liebenben ©antujja. Sola toei^ iebod^
ben lurribbu toieber in i^re SRefee ju loden. (Sr ftöftt @an^
tujja t)on fid^, bie nun, öon Siferfud^t getrieben, bem Sllfio
ba« fträftid^e »cr^ältnife feinet äBeibeg ju lurribbu öerrät^.
älfio räd^t fid& an bem Släuber feiner (Sl^re, inbem er il^n im
aWefferfampf tobtet. 3)ie^ alleg gefc^iel^t am Dfterfonntag im
SSerlauf beS ®ottei5bienftcg, öor ber Kird^e.
S)ie öon §errn Döfar ©erggrün öerfafete beutfd&e Ucber»*
fe^g gel^ört ju ber fd^Ieuberl^afteften aRar!ttt)aare. Sag fie auäf
^raltifc^ gerabeju unbraud^bar ift, betoeift ber notl^gebrungene äSor«
gang ber D^ernbireltionen t)on Hamburg, 2)regben unb SEBien,
n^eld^e 93erggräniS Ueberfe^ung total umarbeiten mußten. $ier
toirb tl^atfäd^Iic^ ein ganj anberer Xe^t gefungen, atö ber bei^
gebrudCten Sibretto^. $err S9erggrün l^at feine Unf&^igfeit al^
174 €b. f^anslirf.
Ueberfcfecr itxtxi^ an ©amaxag Dptx „Flora mirabilis^'
bctoiefen, tocld&c eine Slütl^cnlcfc, eine toal^xt Flora miserabilis
an @cl^m|em barbietet, ^etm ScrggrünS SKetl&obe ift fe^r
einfad^. ®r mad^t eine ro^c ntetrifd^e Ucbertragung unb fd^reibt
nun TUl^ig ©übe unter SRotc in bie $ßartitur, unbefümmert, ob
bcr mufifalifd^e Slcccnt baju ftimmt ober ntd^t. ®Ieid6 in bcm
allererften SBorte bc^ ©inleitungi^d^org, ^Drangen'*, legt er
auf bie erfte ©übe D ben 9tad^brud(. (Sd mad^t ftc^ reijenb,
tocnn ein ^albbufeenbmal gcfungen iüirb: ^D— rangen buften,
bie Serd^e fingt; jefet ift Qüt für iebcrmann, frö^ßd^ ju fingen
ba« fü§e Sieb!'' (gtnc anbere Haffifd^e SSerggrüniabe ift bcr
Slefrain: ^SRientanb frol^cr fein fann — cid ein toacfrcr
gul^rmann!" ®d^on feine Siteluberfe|ung ^Sänblid^e Sftitter^
lid^feit'' mit^ bem l^ö^Iid^en ©leid^Hang in ber SDKtte bciber
SBörter öenöt^ ben SWangel an mufüalifd^em ®el&ör. 3)a6
eine Ot)emfiberje|ung erftenS gut beutfd^ unb jmeiten^ rid^tig
mufilalifd^ fein mu^, fd^eint ber SWann nie gehört ju l^abcn.
Sum ®IfldE fann ^err ©onjogno, njeld&er bie Sweater jtt)ingt,
bai? Serggrünfdöe ^Seutfd^'' an ber ftaffe ju öerlaufen, nid^t
aud^ bie ftfinftler öerl^alten, eS ju fingen.
?ltt0 ber aWufif jur „Cavalleria" f:prid^t unöerfennbar ein
frifd^e^, energifd&e^ unb e^rlid^cg latent, gn unferer ntufi*
lalifd^ talentamien S^ü lonnte c« nid^t aui^bleiben, ba§ ber
3ubel über biefe neue ©rfd^einung alle S5efinnung öerior unb
nic^t feiten in eine Art SReffiaganbctung augfd^Iug. S)iefe ben
SBiberfprud^ l^eraugforbemben Uebertreibungcn, öon benen ein
Seif^jiel \pättx citirt werben foK , bürfen un8 trofebem nid^t
irremad^en. @in fo allgemeiner unb fpontaner groger @rfo(g
ift niematö o^ne jureid^enben ®runb. 2)ie Sigentl^üntlid^Ieit
äßa^cagnid liege fid^ Dielteid^t am lürjeften bamit bejeidgnen,
bog er burd^aui^ national italienifd^ unb bod^ jugleid^ euro«
p&V\ä) mobem ift. 9tirgenbd t)erleugnet er ben Italiener. S)er
^5i3tliamfd?e ^Sduernet^re". 175
(El^araftet feinet aWelobien, il^r SSorl^errjd^en öor ber ©cgleitung,
bie finnenfäSige Stl^^tJ^mif, bie @c^Iu^l^rafen ber leibenfd^aft«
fieberen Äefängc — allc§ itaficmfd^. ^ingeflen l^errfci&cn in
bet „Cavalleria" ntobcmerc Slnfc^auungctt bcjüglic^ beiS S)ra«
matifc^cn. S)ic äRuft! enttoicicit fid^ jireng fccnifc^, o^ne bie
alte Ärien*@ci&aWone unbbie alten, IäftigenSBorttt)ieber]^oIungen.
S)urc^au^ einl^eitlid^ , aug @inem ®uffe geformt, enthält fie
leine Mofeen Südcnbflfeer , feinen 5ßaff agcn= nnb IriHerauf^Ju^,
leine toiberfinnigen Sffelte. Sic ©armonie mie bie Drd^e*
ftrimng laffen bentfd^en nnb franjöfifd^en Sinflufe bnrd^bliden,
aber !eine birelte Stad^al^ntnng SSagner^; ben ^örer bebrücft
njcbet bie I^rannei ber Scitmotiöe noc^ ber uncnblid^cn äRcIobic.
S)te ®onne ber 9libelnngen ^at auc^ jenfeitS ber Sllpen mand^en
tpagnerifirenben Kontponiften ausgebrütet, ber — wie $aImS
3ngomar nac^ bcm Sln^iprud^c t)on Stöbert $ßtu^ — „lieber
ein Suntp auf ®ric(^ifd^ ift, aU ein l^onettcr leltofage". SRag*
cagni gehört nic^t ju biefcn. ®r ift eine urfprfinglic^e Slatur,
ttjenngleidö fid^ l^cutc, nac^ feinem ©rftlingiJinerf , nod^ nic^t
fagen läßt, er fei ein bal^nbrec^enbcg (Senie, baS eine gefd^id^t*
lic^c gurd^e jiel^t. SBorin fein latent fid^ am ftörlften unb
augenfäKigffcen jeigt, bag ift baS unmittelbare, fiebere treffen
ber Stimmung in ieber ©cene, ruic beS bramatifd^en Äug*
brudtg im einjelnen. Sine ftarle ©innlid^fcit unb leibenf^aft*
lic^eS Temperament burd^glü^en bie ganje Dper, meiere t)on
Anfang bis ju ffinbe nid^t bIo§ intereffirt, fonbem :padft. SBie
bflfter, unl^eimlic^ bro^enb fd^Iei^t bie Fis-moU-ginleitung ju
ber erften @cene {tDifd^en Santu^ja unb Sueia ; toie fc^auertid^
ergreif enb po6)t baS tiefe Es ber ©öf[c bei bem Ausrufe SoIaS :
„D (Sott, baS UnglüdC na§t!''; mie angftk)oa aufgefd^eud^t
fd^mirren bie SSioIinen, ate lurribbu öor feinem lobeSgange
nad^ ber äRutter ruft! ®at mancher trefflid^e 3ug t>on feiner
ober energifd^er Sl^arafterifttf toatt ffitx anpffil^ren. ^a, man
176 <2b. ßanslicf.
fötttttc in btefcr Dptx öortrefflid^ attcö nennen, tt)a§ im weiteren
Sinne ia^ ®ebiet ber mufifalifd^en Äonüerfation ftreift, ntel^r
ber anf geregten Siebe nnb ®egenrebe angel^ört, atö bem
eigentlid^en ©efange. Slein ntufilatifd^ l^ingegen ift mir bie
©rfinbung SKaScagntS jtoar attj'i)red^enb , frifd^, aber leineg*
totQ^ xtiä) ober originell erfd^ienen. SRelobien öon jener
fd^önen, unüertoifd^baren ^ßrägnng, tt)ie fie au^ ben befferen
D^jern bon Seßini, S)oniietti, SSerbi l^erborgtänjen, tt)irb man
in ber „Cavalleria" fd^toerlid^ naml^aft mad^en. SBenn man
ben bromotifd^en ^cifef^jom 9Ka§cagni f^jeciett ate „aWetobien*
fröfu§" feierte, ift mon im erften fRaufd^e jn toeit gegangen.
SRan fel^e fid^ bie äRelobien an, bie atö fold^e in ber D^jer
fclbftänbig auftreten unb toirlen: ba§ (aud^ in ber Dubertöre
öorfommenbe) Andante appassionato @antuäja§ : „Stein,
Surribbu, o bleibe!", bie ©erenabe lurribbuS, ätftoiS Slad^e*
8tttegro in F-moU, ba^ ®ebet „5ßreifen laßt ttn§ ben $erm"
unb Slel^nüd^ei^ — Steu^eit, Driginalitöt tt)irb man il^nen nid^t
nad^rütimen fönnen. ®ie rcijenbfte, jugleid^ einfad^fte unb
natürlic^ftc aRelobie ift ba§ ©tometto ber Sola, ein SSoIfötieb,
n)ie man il^rer t)unbert in Italien ^ren ober in itatienifd^en
aSoIfölicberfammlungcn ftnben fann. 5Rid^t bicl beffer aK mit
biefen ^jatl^etifd^en unb fentimentalen ©efängen ftel^t ej^ mit ben
luftigen — fie entbel^ren ber Originalität, aber aud^ ber Statur*
lid^leit, unb fud^en biefen äWangel (beffen fid^ ber ©oni|3onift
toal^rid^einlic^ ittou^t ift) burd^ eine erjtoungene, fd^arfe ®^a*
raltcrifiif ju oerbedEen. S)ag gul^rmannSlieb mit feiner SRott*
tonart unb ben l^cftig rüdfenben äRobuIattonen ftraft SÖfioi^
SSerfid^erung : „Sd^ bleibe bod^ ftet^ frol^", Sügen ; eg ift nid&t
„frol^", fonbern aufgeregt, toilb, trofeig. Statürlid^en , frtfd&*
qucHenben grol^finn öermiffc id^ aud^ in bem Irinttieb lur*
ribbu^, bag crft im SRefrain burd^ ben pbfd^en ?R^^t^mui^
bon brei ju brei Saften fid^ loirffam auffd^loingt. Unb ber
i
„Sicilianifc^e Baucrncl^re". 177
(Singangdd^or, ati)rmi er tuirftic^ bte nait)e (Sonntagdlufttgfett
bon ^oifbemol^nem ober nid^t t)ie(ntel^r ben glfll^ettben $auc^
einer aufgeregten SBal^Iüerfantntlung?
J)afe ben $örer mand^e äRelobte entjüdft, bie an ftd^ meber
befonberS neu no^ borne^nt ift, fontmt grofeentl^eite auf JRed^«
nung ber tt)irffamen gnftrumentation. STOaScagni ift ein SWeifter
ber Drd^eftrirung ; er übt biefe SReifterf^aft in ber Wegel afö
e^ter ^nftler, nti^raud^t fie aber au^ ^auftg jn rein ntate«
rießen ©ffeften. ®Ieid^ bte Duberlürc gewinnt nnS burd^ t^re
^langfd^önl^eit. Seiber l^at ber Sontf^onift fid^ burd^ aRe^er«
beerg 93eif^)tel (in „^inoxai)") 5U bem falfd^en Sffefte öcrietten
laffen, mitten in ber Duöettüre, l^inter bcm SSorl^ange, In*
tibbu feine ©erenabe fingen ju laffen. S)ie ©erenabe gehört auf
bte 93ü^ne, bor SoIa§ genfter. S)urdö Slongfc^önl^eit entjödtt auc^
ba§ berühmte Drd^efter*3«termej50 , in tt)e(^em ein ntödöttg an«
f(fitt)ettenbeg Unifono ber SSioIinen fid^ mit $atfenafforben unb
Drgeltönen ju einer 8lrt @|)^ärenmufi! öerftöfet. SBortrefflid^ öer*
ftet)t pd^ SRagcagni auf bie Serebfamleit ber einjelnen Snftrumente.
@r bringt ba mitunter aud^ feltenere, öornel^mere ^i^ftrumental*
effelte , tt)omit nic^t gef agt fein f ott , bafe er fie juerft erfunben
t)at. S)ie tt)ieber^oIten leifen ©daläge auf bie grofee Irommel
(im ginate, gleid^ nod^ ber ^erauSforberung) l^at Serbt für
ben 8lu3brudE fd^müler Seflemmung berciti^ in ber Sterbe*
fcene ber J)egbemona bertoenbet, ja frül^er fd^on im „Stigo*
letto". 3)er fd^öne ffiffeft ber öerein^ellen tiefen $arfentöne,
tt)eld^e in bem „^"termejjo" bie S)ominante unb lonifo (g, c)
anf^Iagen, ftammt öon Soito a\x^ bem S)uett gauftg mit
©retd^en. J)ie bebenllid^e ©eite öon SWagcagnii^ ^wp^wwif«*
tirung ift ba§ ®etöfe, ber betäubenbe Särm, in bem er fid^
häufig gefaßt. J)arin ge^t er über SSerbi l^inaug unb ber*
!e^rt länblid^en gro^finn in ben Slufrul^r einer Steüolution^*
@b. ^anSUcf, 9Utg bem Xagebitd^ eines anufiferS. 12
178 €&. ^anslirf.
fcene. Um hai „^ufjxmannüith" ju accontt^agniren, arbeiten
ade Slec^inftrumente , ?ßaufen, große unb Heine Irommet
nnb Seden eifrig jufammen. ©efd^madlod ift bad ^uftge
aSerbo^j^jeln ber ©efanggmelobie burc^ ^ßofaunen, noci^ ge»
f^madttofer bie Stot^jüd^tigung ber ^ßofaunen ju rafc^en, figu*
rirten Stellen, toie in bem erften ®^or nnb in Stlfiog Sieb.
Unfere ^offnnng, SRaiJcagniS öietgerü^mteg reformatorifd^ei^
Serbienft tt)erbe ftc^ and^ in einer SSerebInng unb äKöfeigung
beS nnertrSglid^ angetoad^fenen Drd^efterlärm« äußern, ift ge*
täufd^t tt)orben.
aaSie öer^alt fid^ bie neue £)ptx ju SSerbi? .3n einer
eben erfc^ienenen unb nad^ allen Seiten ^in öerfd^idtten Sro*
fd^üre: „3^^^ (SrHärung ber Cavalleria rusticana" tt)irb jeber
ttiujtlalifd^e 3«fömmen^ang äRagcagnii? mit SScrbi runbtoeg ge*
leugnet. J)er Serf äff er , $err 5ß u b o r , beff en auf föfte jtd^
burd^ einen fe^r ftarfen Ion beg Setbftgefül^te auSjeid^nen,
nennt bie Cavalleria rusticana „ba§ erfteSBerlbemeuen
3eit", „bie erfte mufüalifd^e Offenbarung", „ein
SBerl, bag nod^ bie ganje mufilalif^e SBctt erfd^üt«
tern mirb'M Sin biefe Meinen Sd&meid^eleien fnü|)ft $err 5ßubor
bie Sel^auptung, äRaiJcagni l^abe mit SSerbi gar nic^tg
gemein. S5ei SBerbi fei aüt^ nur „(Sefü^I^raf finement , ®e-
f ül^tö * aienommage , ®efü^fö^eud&elei , feine SRuftl ^jom^jl^aft,
aber tnnerlid^ l^o^t 2C.". Stur iemanb, ber SJerbi nid^t fennt,
!ann fo f^jred^en. SBerbi mar niematö ein ®efü^l§^eu^Ier;
aud^ toa^ un^ in feinen D^jcrn übertrieben unb rol^ er«
fd^eint, l^at er aufrid^tig fo empfunben unb unbefangen ^er*
au^gefagt. Db äRagcagni i^n übertreffen toerbe, baS mögen
feine fünftigen größeren SBerfe bartl^un; in ber „Cavalleria"
erreid^t er feinegtoeg« bie äRetobienfrifd^e, bie Originalität,
bie unerfd&öt)f{i(^e (grfinbung SSerbig. (gr enthält fid^ nur
mand^er ©efd^madtlofigfeiten be« frül^eren SSerbi, unb bie3 öer*
,;5icilianifd?e Öaiieruel^re''. 179
bauft er ber 3^'*/ ^^^ muftlalifd^ öetänbertcn Slnfci^auungen
bcr 3^i^ iw tt)cld6cr er ouftouc^S; er öerbanft e3 jum großen
Steife SScrbt fcttft, bcffen „^ha" unb ,,Otcao" i^re ©puren
in bie „Cavalleria** unöerfennbar eingebrüdtt ^aben. „On est
toujours le fils de quelcun,** fagt Scaumar^atg. Slud^ 9Kag*
cagni ift nici^t bom $immel gefallen, unb aö fein mufifatifd^cr
SSater fann fd^Ied^terbingg nur SSerbi bejeid^net werben. SSon
SSerbi \)at bie italienifd^e D^jer, f^at \ptdtü aJiaScagni bie
(eibenfd^aftlic^e S^jannung, bie mächtigen Steigerungen, bie
aJiufif, „mel^e S5Iut jie^t". SSon bem jungen SSerbi f)at er
bie lobernbe ©innlid^f eit , öon bent aöen bie beclantatorifd^e
Prägung. Unb toit fo manche ntelobifd^e unb ^armonifd^e
S33cnbung baju ! Ätingt nit^t gleich bie ©erenabc in ber Ditöcrs
türe SSerbifc^ ? Sft nid^t luribbuS A-moll-©afe: ,,ßa6 mic^,
©antujja!" mit feinem IrioIengeHo^jfe SSerbifd^? Unb Sllfiog
müt^enbeS F-moll-8lttegro (im ®uett mit ©antujja) , unb bie
banalen Unifono^ in bem S)uett jtDifi^en luribbu unb ©an*
tujja — finb fie nic^t SSerbifc^?
3d^ burfte ni^t öerfd^meigen , bafe bie e|)ibemifd^ fid^ fort»
|)f(an5enbe, fd^ranfenlofe 8ett)unberung ber „Cavalleria** in
Uebertreibungcn öerföttt. S)ag ift fein Unglüdt. a)er aRa§^
cagni*$ßaroji§mu^ ^at ba3 SSerbienft einer ajiebijin gegen ben
SBagner*?ßaroji^mui^. SWagcagni ^at gegen ba§ falfd^e unge*
funbe ^rinjip be^ SBagnerftite ein rid^tigeg unb gefunbeö
tüieber ju g^ren gebrad^t: baß e^ o^ne aWelobie feine SJhifif
giebt, ol^nc gefungene aWelobie feine D^jer. Sei ^öc^ft euer«
gifd^er Slug^jrögung bei? a)ramatifd6en bleibt in ber „Cavalleria"
bod^ ber ©efang ^errfd^enb, unb im ®efang bie jufammen*
l^ängenbe SRelobie. S)a6 biefe Bereinigung möglich, \>ai ge==
fungene äRelobten no^ ergretfenber, al§ becfamirte, )>ai ber
SSoKf(ang t)on Stören unb ©nfembleg bramatifc^ nod^ möc^tiger
ift, aU bag' eigenfinnige SRad^einanber* unb ©iujelfingen, ba§
12*
180 €6. fjanslirf.
mugte baiS $uHifum aüerbingd längft aug 2)on ^mn, Sibelio,
greif d^üft. ®i^ flioubte aber unter bei I^rannei ber 9?tbe*
lungentnufil btefe SBa^r^eit öergeffen ober gar bcfämpfen 5U
ntüffen. gcftt erinnert man fici^ i^rer lieber, glaubt tt)teber
baran. S)tei^ ift bai^ unbeftreitbare Serbienft äRai^cagniö unb
bie l^eitfanifie SBirfung feineg (grfolgeg.
^m htm €mtnifMl
(1885-1891.)
1865.
l^ler Sotiponifl, StfeEaitbcr ©ampfeeß SDiorfengie, geboten
^ts 1817 in ©binbura^, ^at mtfircre 3ot)re in Seutfc^fanb
flubitt, üwd) aii iiigtnblii^er Sßiolinlpirfer im ^ccjogtic^en
Or^efiet ju ©onberg^aufi-n genirlt. @eit 1865 miebei in
feinet iSatetflabt l£6in&utgf| anfäfpg, ift er buic^ eine IRei^e
Bon Sefättgen, ^lauiet» unb Ort^eftetflfiden ba^eitn begebt
geiDOtben — bet etfte ©c^oKe, ber fi(^ biö^er üU gonit>onift
fietöotgetVi'- ^"f beiti Sontinent blieb 9Wadenjie (o gut mie
unbefannt. ^an& diid)Ut, meli^et bie bcibcn engli($en !£on>
bicbtet (Sotoen unb ©tanfotb fütjli(^ bi^r eingeführt, bat
nun ani) ä^oifenjie ben gleichen Siebeäbienft ertoiefeii. Seine
fR^at)fobie, „aiobeit Surne" betitelt, ftettt f4 bie Stufgabe,
ben fc^ottiii^en SRotutbittitet mit iDrc^eftermitteln nocbjubit^ten,
roaä natürtii^ mit einem gtogen Sluftitanbe DOn Sotalfarbe
gefdiie^t. Seit äKenbelöjobn in feinet „gingaKtiä^le",
@obe in feinem „DIfian" unb ber „^oiJ^lonbS=OuBertßre*
fid) Don ben flerooHigen £ünbfd)aftäbilbetn ©ctiottlonbö inf()iiiren
lieBen, ^aben mit DergebenS eimartet, eö metbe bai mufilalii(%e
184 €^. ^anslid.
©roPtitanniett fein SSorred^t auf bicfen ©oben tpcntgften^
naci^ttöglid^ burci^ ä^nlid^e Xottgemälbe bart^un. SRacfenite
l^at e§ getl^an mit tncftr anftrengung aU fd^ö^jfcrifd^cr Drigi*
naiität. ©in mufüaltfd^cr SBalter Scott ift er nid^t geworben,
©ein ^ttai fd^eittt Sifjt ju fein, beffen f5m|)^ottif^e ©id^tungen
tt)m in Sform unb Icnbenj offenbar jum SSorbi(be bienen. SBie
jene, fo ift bie Sum§*9i^a^)fobie 5ßrogramm*aÄuftf, mie jene
befte^t pc au^ brei felbftänbigen, bod^ ol^ne 2lbf(^Iu§ incin*
onber teitenben ©öfeen. ^ü>tm biefer brei Säfte ift eine
®ixopf)t t)on Stöbert fßnxn^ aid fOlotto t)orgebmd(t. 2)aiS erfte
Slöegro fd^itbert bie mifitärifc^en lugenben ber ©d^otten, bie
einft 81. 93ruce geführt — ©ieg ober Job! ^örncrfanfaren
unb fd^riöc Sftötcnpfiffe ntifc^en fid^ in einen ntartiatifd^ ^junf*
tirten SH^^tl^muS ber ©eigen; ba^ ganje, öorjugömeifc auf
molerifd^en unb bramatifd^en ©ffeft abjielenb, jeugt öon toenig
felbftänbiger ©rfinbung. Äu^ ber lärmenben ©iege^cobo ge*
ratzen toir unmittelbar in ein „Andante dolente" in G-moll.
„She's broken her oow, she's broken my heart" foufffirt
un§ bog 3Kotto; alfo eine SiebeSKage. 2)o§ I^emo, ein
fd^lic^tcr ib^Hifd^er ®efang ber ©eigen, bon glöten^affagen
burd^brod^en, ift offenbar fc^ottifd^»nationoI. Dl^ne jebcn Ueber*
gang fd^Iiefet ftd^ ein lebhafter Sauerntonj an, eine fd^ottifd&c
ffiirmeB, mit Stnfföngen öon S)ubeIfadE unb 5ßfeifen. S)ic
SWelobic tt)ie boi^ aWotto: „Johnny is my only jo" beuten
ouf ein loirftic^eg SSott^Iieb. S)ag S5efte an ber gangen ^f^ap^
fobie finb einzelne ^jüante Drc^eftereffefte, mie überhaupt bie
Snftrumentirung eine fe^r gefd^idtte $anb öerrät^. S)ag, toa^
inftrumentirt tt)irb, ift, toie bei fo öielen mobemen ®om^)o*
fitionen, biefeg Sluf|)ufte§ jebenfatt^ bebürftig. ®efunbe, reij*
öotte, jugleid^ neue Ocbanfen öermiffcn mir, unb atte§ mobu*
latorifd^e unb inftrumentale Stafflnement fann fic ung nic^t
erfeften. $err äRadtcnjic ift ein getoanbter led^nifer, toot)t
Kammennuftf. 1 85
auc^ eine ^joetifd^e Sttatur, aber fein im ^ö^eren ©innc ^jro*
bultiöe« lalent ®r beraufd^t fid^ an ber ?ßoefte öon 5)id^*
tungen imb Sanbfd^aften; aber aud^ biefe 2lrt ?Raufc^ fd^toafet
nur aug unb erjtnbet nid^tiS.
^ammermurtk.
Sntereffant toar ung bte Sefanntfd^aft eine§ Dctettg für
©treid^tnftrumente öon ©benbfen. 3)er ©om^jonift, geboren
1840 in ©^riftiania, f)at jtc^ nid^t bloß in ©eutfd^Ianb, fonbern
auc^ in $ari§ unb 9iom bereits Geltung errungen. 2)aiS
Dctett (Op. 3) gel^ört ju ben ©rfttingen ©öenbfeni^ unb ^ä^Ü
me{)r ate fünfjel^n g^^^^« ®^ ift öon felbftänbiger , ni(^t
befonberS iH)^iger ober genialer, aber anmut^iger, ed^t ntufi«
falifd^er ©rjtnbung; fterj^aft, frifc^ em^funben unb burd^auS
organifd^ entmidtelt. 3" bem Streben nad^ ein^eitfid^er @tim*
mung tt)irb ber ©om^onift oft einfeitig, inbent er ju lange an
benfelben SWotiücn unb SH^^t^men Heben bleibt unb e§ öer*
fäumt, burd^ fd^arf lontraftirenbe I^emen unb frei eintretenbe
ffi|)ifoben jU tpirfen. 3« ^^^ ft)ätcren f5nH)t)onifd^en SBerfen
©üeubfend fott oft ba§ Umgefel^rte ber gatt fein. 3)er erftc
©a|, beffen fröftigeS ad^ttaftigeiJ %f)tma öon allen ad^t ^n^
ftruntenten unisono aufgepffauät wirb, erfreut burd^ ^erbe
grifd^e; bag ©c^erjo, ein jtoif^en ©Ifentanj unb SBatpurgig*
nad^t t)in unb l^er wirbeinbeg ättegro, bringt l^übfc^e fflangeffeltc
unb ^untoriftifd^e SBenbungen. ®ine fd^Iid^te Sicbmelobie be*
fierrfc^t baS anbaute, ba§ nur ju gebe^nt unb in ber S)urd^*
fü^rung monoton tüirb. 8tm tüenigften befriebigt ba3 Sfinale
mit feiner jtoeibeutigen Suftigfeit unb fel^r langtpierigen 8lug^
186 €b, Viansluf.
f|)tnnung. 3n btcfcnt SBcrfe öon jugcnblic^cr grifd^c unb
'fflamiat entbetirt bcr ©om^jonift nod^ ju fe^r ber ^crrfd^aft
über bic fontrapunftifc^en unb t)oI^:p^oncn |)ilfdmttlel, burc^
tDcIc^e mon eine bürftige SWcIobic intcrcffantcr, eine ftotfcnbe
®ntmi(fluug Icbcnbiger 5U madfeen öcrmag. Äwc^ mirfen bic
ad^t ^nftrumcnte übertoiegenb burc^ SSerbo))^)lung, atfo burd^
S(angftär!e, unb jefgcn fetten einen reell ac^tftinimigen @a^.
@:pe§ijtfc^ Slorbifd&eg me^t nur tt)ie ein leidster faljiger ^aucft
über bad ©an^e; nid^t etgenfinnig ober aufbringlic^, tute fo
oft bei ®. ®rieg. S'^ 'f^^'^^ J^^ toenig öon ©öenbfen, um
ben Umfang unb bte Sebeutung feinet lalentei^ beurt^eilen
ju fönnen; fein Dctett reid^t aber jebenfattg ^in, um unferc
Dirigenten öon Ord^efter« unb ffammermufifen auf biefen
mobernen (£om))oniften nad^brüd((ic^ aufmerifam 5U machen.
8Hi^ ?ßrimgeiger glänzte im Dctett $err Slrnolb Slofe
burc^ feinen fletö reinen Son, feine unfet)Ibare led^nif imb
forrefte ?luffaffung. S)ag Sinnig«, mag man ^in^umünfc^en
möchte unb mag $err SRofe fic^ nid^t felber geben fann, ift
geuer unb Iem:pcrament, feiner unb lebl^after öibrirenbc Sleröen.
@o öiel ©elaffen^eit bei fo öiel Swö^"^' ®w ®^^^ ^^
^jraftifd^en Seben, aber nid^t immer in ber Äunft. gwngen
Sängerinnen öon fc^öuer ©timme, aber fül&Iem SJortrag, toünfd^t
man gemö^nlic^, fic möchten fid^ balb red^t tüchtig oerlieben.
®ie „gro^e $affion", t)offt man, merbe ben SlugbrudE fc^on
beleben unb ermärmen. S^ meife nic^t, inmiemeit biefeg SRittet
auc^ für junge SSioIinf^jicIer ^probat ift. Dber foHte unfer
trefflicher SRofe bag 3teie|)t bereite gebrandet l^aben? JJann
üerfucöe er^iS mit einer anbetn 9l^)ot^efe.
Concert bcr Sängerin Ctjriftinc ^^ilsfon. 187
®0ttcert ier g^ängmit ©Ijrilitne^tl^rön.
@§ n>ar un§ eine 2trt Slufcrftc^ungöfeier gar lieber ®r*
inneruugen. SSor jtpanjig Sötten bemunberten tüir im $artfer
Söeätre l^rtque jum crftcn SKale bie fc^Ianfe, jugenblid^ fc^öne
®t\iaü ber SRitiSfon. 3Kit äRojartö Xönen bcftricfte ung ju*
erft bie h)cid^e, glodent)ette Stimme biejcr „Königin ber 5Rad^t",
bie in SBa^r^eit einer fiönigin beg Sic^te§ glic^. S)antt fpäter,
öor neun ^al^ren, fam fie nac^ SBien. SBeld^ ibeale, ja ge*
rabegu einzige „O^jl^elia'M S^re Stimme beja§ nid^t me^r hk
öolle erfte gugenbfrifd^e , fie fd^meid^elte fid^ aber mit füfeen,
reinen glötentönen untüiberfte^Iid^ in Di)x unb $erj. S)ie
legten ga^re forberten abermals einen Keinen Iribut: mit
Slnftrengung gel^ori^en bie ^öc^ften Xöne beS Sruftregiftcri^;
bie tiefen geben nidftt jene Slangfüöe, toelc^e bie Sängerin
burd) breiten, offenen 8tnfa| beabfid^tigt. SRur bie Sopfftimme
^ot im $iano unb folorirtem ®efong i^ren frül^eren ^^uber
betüaljrt. S)ie fc^öne 8(u§gleic^ung ber fRegifter, ber reine,
fidlere Xonanfa|, enblid^ bie glänjenbe SSirtuofität — SSor^üge,
tottd^t bie SRitefon ju einer ber erften OefangSfünftlerinnen
ftempeln — !amen in jebem i^rer ©oncertüorträge jur erfreu*
lid^ften ©citung. ^n ber öoßenbct feinen Stuggeftaltung be^
„Sc^mudttjalaerg" au§ gauft ift befanntlic^ bie Sliföfon öon
feiner Sängerin erreid^t Jporben. SÖSer l^ätte i^r ©retd^en,
bieje lic^tumftoffene ©eftalt, öergeffen! grau S«itefon felbft
fd^ien t)on unttjiberftel^lid^er Srinneiung an bie Sütine erfaßt:
fie fang bie 3lrie, i^rer- Soncerttoitette §um Xrofe, mit faft
tl^catralifc^er Stftion unb äRimit. S)ag ift neu unb mu^te
ate ctmo^ im Soncerte ganj Ungetöo^nteg befremben. ^rin*
'S
188 €b. fjatislirf.
ji:piell !ann man faum öerbietcn tpottcn, bafe beim SSottrage
eincg bramatifc^en ©efangftüdtcg nid^t aud^ ba§ aKienenf^Jtel
ber Sängerin eine lebtiofte 9Ritempfinbung tt)iberf|)iegete , eine
unb bie anbete $anbbett)egung unterftüfeenb ^injutrete. Sine
®renje muß jeboc^ befleißen äWifd^en ber loirflid^cn S)arftettung
auf ber Sü^ne unb ber bloß anbcutenben im ©oncertfaate; fie
richtig )u jiel^en unb einjul^alten ift ©ad^e be$ ®efc^mad(§ unb
ber Sefci^eiben^eit be^ SSortragenben. ©tefe feine ©rcnjiinie
tt)urbe t)on grau JRiföfon leiber nid^t eingel^alten. gn bem
SSerbifd^en äRiferere, ba§ Stau Sliföfon mit einem feinge«*
fd^niegelten jungen lenor, 4>^ttn Sjötfften, fang, fonnte
man te^t auffaHenb ma^tne^men, too jene äftl^elifd^e ©tenj*
linie liege. SWitten jmifd^en gtau Slil^fon unb $etrn Sjörfften.
Sieben ber bramatif^ auSmalenben Sängerin ftonb ferjen*
gerabe ber unbetoegli^e lenorift, mit fteif ^erabl^ängenben
Slrmcn unb ööllig leblofer SRiene, gan^ lüie eine ber eleganten
SD?obe})Up^en in ben 8lu§(age!äften unfetet ^ettenfd^neibet.
Stoifd^en biefe beiben ®egenfäfte geftettt, ^ot tpol^l jebet ber
3u]^ötet ftd^ me^t auf Seite ber JRitöfon gefc^Iagen unb i^re
immerl^in ju bramatifc^c SBotttagömanict afö bie übet^cugenbete,
beffete em^jfunben. 3lad) aü ben OlaHjftädten bet SRitefon ift
ung bod^ bag einfad&e fd^toebifc^e SoIKIieb ,,S38etmeIanb'' ha^
liebfte geblieben. S)et B^ubet ed^ten SSoIfötoneg toebte batin
unb eine ftitte SBel^mut^, bie fid^ tief in jcbe^ $etj einbtfidtte.
3tüet föünftlet, ein Sänget unb ein ?ßianift, toitöcn in bem
Eoncett bet SRitefon mit, ot)ne befonbete 8lufmer!fam!eit ju er*
regen. S)er bereite ertoä^nte fd^mcbifd^e Xenorift bel^anbett
fein Keines, nic^t übelgefd^uÜcS Stimmten mit einet ®Ieid^*
gi(tig{eit, atö tDenn eS gat ni^t il^m gel^ötte. (Sin SRec^anifer
in meiner Ställe pa^te ftar! auf , ob- biefer Sänger nid^t rüdE*
tt)ärtg mit einem Sd^Iüffel aufgejogen »erbe. 2)er ^ianift
l^ingegen, |)crr gelij S)reQfd^od(, f^jieft öon felbft, unb
Hubinftcin. 189
ba§ fel^r ftarf. ®r Befi^t eine für ferne Sugenb bebeutenbe
Sraöour, bie aber nod^ ber Mat^eit unb Stulpe, tote be3 feinen
®ef(^tna(fg entbehrt.
Ilubtttlietn.
I.
Sin ton fRubtnftein bot un§ einen Konccrtc^Hng üon
ntd^t toeniget als fieben Slbenben in gan^ neuer fjorm: eine
gef}3tefte Oefd^id^te ber Slaüiermufi! tjon beren Slnfängen bis
auf bie Oegenloart. StuSbrüdEKd^ angefünbigt l^at er biefe
Senbenj feineSloegS; nid^t einmal in bem Xitel, toeld^er ein*
fad^ ;,®^!(us tjon 7 Slaüieröorträgen" lautet. ®urd& biefe
gan^ attgenteine Se^eiddnung n^a^rt fid^ 3tubinftetn bößig freie
^anb, }u f^jielen, toaS unb toie üiel er tt)ttt. ®r l^at fein
„l^iftorifc^eS Koncert" öerf^rod^en, feine iöuftrirte „©ntlotdlung
ber Slaöiercom^jofttion"; fo ift benn aud^ niemonb beredötigt,
aus bicfent ®efid§tS:punfte, ben unS ja 3tubinftein nid^t oftro^irt,
©inloenbungen gegen baS Programm ju ergeben. Oetoi^.
SJber ber gange Qnl^alt unb bie d^ronologifd^e Stnorbnung ber
„Sieben Slaöierbortröge" befennt bod^ unöerblümt, tt)aS biefe
Stuffd^rift öerfd^toeigt: bie le^rljafte, l^iftorifd^e Xenbenj beS
S^fluS. SlubinfteinS „Sieben Slbenbe" foHen ebenfoöielen 5ße*
rioben ber Slaöierntufif entf^jred^en. S)er erfte 8(benb umfaßt
toeitauS ben größten S^ttraum, etloa jn)ei Sa^rl^unbertc, näm*
lid^ üon SBittiam Sirb (geboren 1640) bis SKojart (geboren
1756). @r enthält aud^ bie meiften 5Ramcn: jel^n Sonfefeer
mit 36 ©tüdtcn. 2)aS ift ctloaS öiel. SSäir ptten bie fteifen
©om^ofitionen ber ©nglänber 93irb unb f8uU, bie nur
190 €b. ßmislirf.
3ntercffe für bcn §iftorifcr, nic^t für bag ?ßu6(ifum l^abcn,
übrigeni^ aud^ o^nc @inf(u6 auf btc Vettere ^nftcntmidtlung
marcn, bem Sonccrtgeber gern crlaffcn. SBon bcn intcrcffantcn
©enrcbtlbc^en Sou^jerinS unb Slameaujg ntod^ten tüol^l
gmci big brct genügen, tDö^renb ftc in bent 5ßrogramm jcl^n
Slummern füHten. S33enn übrigeng ?Rubinftein auf bicfe öftere
®ru^)^)e franjöfifd^er Kom^oniften ein befonbereg ®emid^t legen
ttjottte, bann burfte er aud^ ®eorgc SKuffat nid^t öergeffen.
(ginc fo lange SReil^e üon Slaöiercom^ofitionen biefer ?ßeriobe
fann bie Il^eilnal^me eineg großen ®oncert|)ubIi!umg !aum nadö*
l^altig erregen; fte getoä^ren aber, ouf bem l^eutigen 5ßianoforte
gef^ielt, nid^t einmal bie rid^tige Slnf^auung i^reg Original*
dfearafterg. Sie müßten, mie eg @rnft ?ßauer in Sonbon
getl^an, auf ben ^nftntmenten il^rer geit (SBirginal, ©laöic^orb,
®(at)ic^mbel) borgetragen merben, beren lurjer, jirpcnbcr Ion
erft biefe Slrt Slaöierftil begreiffid^ mad^t, morin unauf^örlid^c
SKorbente, ?ßraKtrilIer unb ameifenartig burd^einanberrennenbe
5ßaffagen ben SWongel an fräfttger SBottftimmigfeit unb einfad^
getragenem ®efang 5U erfefeen l^atten. @rft mit ber ba^n^:
bre^enben ©rfinbung, bie Slaöierfaiten burd^ auffd^tagcnbe
$ammerd^en jum Sönen ju bringen, anftatt burd^ riftenbe Äiet
febem ober SRctaH^jIott^en, ift bag moberne Slaöicrfpicl um
bie SRittc beg öorigen Sa^r^unbertg erftanben. S38ag ung atfo
t)on Sirb, SuH 2c. auf einem neuen $ßiano öorgetragen tt)irb,
ift fftoax tl^re Som|)ofition, aber eg war anberg gebadet, l^at
anberg geHungen. SSon bem geiftboHen, öiel ju tt)enig gc*
!annten ®omenico ©carlatti gab ung Slubinftein nur ^toti,
burd^ häufige Soncert^jrobultioncn allgemein belannte ©tüdEe:
bie Safeenfuge unb bie A-dur-@onate. gn ber ©jem^fc^en
auggabe ber ©carlattifd^en Sonaten ftanben SRubinftein ganj
anberc, ungel^obenc S^ä^e ju ®ebote, beren Vortrag bag
5ßublifum ju öiel größerem 3)anf öer|)ftid^tet ^ötte. ©ebaftian
Hubmflctn. 191
33 d& ift mit neun, § ö n b e t mit fcd^S Som^iofitioncn ücr*
treten; getoife nid^t ju üiet für bic S3cbcutung biefer ®roß*
mcifter, wol^I aber §u üiel für ba§ ol^nel^in mafetoS ouggcbel^ntc
^ßrogromm. gcbenfaög l^ätte 83ad&, bcr SJoter, jmei bi§ brei
©tüdc o})fern bürfen ju ®unftcn feinet @o^ne§ Sriebcmann
S3ad^. a)icfcr toa^x^a^t geniole ®eift, ben unferc äRufif*
freunbe l^öd^ftenS aug Srocfiüogete JRoman fennen, burftc in
btcfer Sleil^e fd^Ied^terbingg nid^t fehlen. StRon fel^c fid^ feine
ff 3^ölf ^ßotonaifcn" on. Srfinbungen öon retdöer ?ßI|ontafie
unb energif^em ®effli|t, unb entf^eibe bann, ob nid)t üieleg
barin (5um S9cif))iel 3lr. 4 in D-moll) gerabeju auf Sect«
^ot)en ^intoeift. 3ofe})^ ^a^bn, üon bcm mx 24 ©onaten
befifecn, ift öon 8tubinftein auffoKcnb färgtid^ nur mit einer
$|?artic Variationen bebod^t. SSon SJRojart l^öxten loir bie
C-moll-^^antofic unb bog atonbo ,,alla turca". SWan loeig,
tt)ie löftlid^ atubinftein beibc ©tüdfe fpielt, bie er öffentlich fe^r
oft vorgetragen — aber gerabe beg^alb loar in biefem E^Hug
bic 838a]^I anberer, minber befannter ®om})ofitionen toünfdieng*
ttjert^. SDafe ©cctl^oücn allein einen ganjen Slbenb in 2ln«
fprud^ nimmt, ift nid^t anjufed^ten, loenngtcid^ bag ^intcrein«
onberfpiclen üon a6)t SBeet^oüenf^en ©onaten nur mit einer
öollftänbigen ?lbf|)annung beg ^örerS enben lann. hingegen
bünft eg uns nid^t motiüirt, (i^opin einen ganjen ?lbenb,
olfo ben ftcbcnten S^eil ber gefammten STOufifentmidEIung , ju
toibmen unb i^n übcrbieS no^ am folgcnben Slbenb mit elf
3lummem ju bebenlen. @iner ber genialften unb eigenartig*
ften lonbi^ter, fommt S^o^jin bo^ nie auf eine loefentli^e
Umbilbung feinet ©tilg, er erlebt leine SBanblungen, !eine
einfd^neibenben 5ßl^afen, unb bleibt mel^r ate irgenb ein anberer
®om})onift in bemfelben I|öd)ft fubjeftiöen @m|)finbungg!reife
üerl^arrcn. @inen ganjen Slbenb l^inburd^ au^fd^Iieglid^ biefe
neröög aufregenbe Suft ju at^men, brei^ig ©tüdEe öon ^i)opm
192 €b. ßattsHcf.
— unb tüäxt jebeg für fid^ bag rcijcnbftc — rafd^ nad^ein*
anber in ftd^ aufiunc^mcn, ba^ ift eine ftorfc ^winutl^uno, bic
Mn§ toeber äft^etifd^ gcforbcrt, nod& :()roftif^ üernünftig er-
fd^ctnt. 3^^ beut fünften 5ßrogtamm, ba§ btc 5ßcriobc üon 6(c*
mcntt big Sifgt, ütoa bic legten od^tjtg gal^rc, umfafet, l^öttc
ber trcfffid^c S^itgcnoffc KIcmenttS, S)uffcl, geiptfe ein 5ßlö|*
d^en Derbient, unb Klententi felbft, ber l^od^bebeutenbe, öicl
ju hJenig gefannte ©onatencomponift, einen toeit größeren 5ßla|,
afö i^m JRubinftein mit einer, obenbrein unöoUftänbigcn 5Rum*
ntcr üergönnt. SSon ©(ementi (Sine, öonSifjt neun (£onH)o^
fitionen (Worunter bie befannteften Iran8ffri:()tionen) — ia^
äKifeüer^ältnig ift etitjaS ftarf. SSon lebenben Sonbid^tern ift
gronj Sifjt ber @rfte, bem it)ir in SRubinfteing ^Programm be*
gegnen. (S§ folgen auf biefen am legten Slbenb: 8lnton 8tubin*
ftein felbft, %\&ailotü^t\), aiitngf^^gorfalotD, ©.
®ui, fdaiatixtto, Siobotü — lauter lebenbe ©onH)o*
niften, meift aßemeuften 2)atunig. Unböral^nt^? ®r fel^It
aud^ bieSmoI auf SflubinfteinS $|grograntnt. S33ir l^aben fc^on
früher cinmol bie Slnomalie l^erüorgel^oben , ba^ Slubinftein,
beffen ©oncerte bod^ eine 9Wufter!arte üon Xonbid^tem aller
Seiten unb Stationen barfteHen, nie eine Slote öon Sral^mg
fpielt. Wan mod^te ha^ bomafö, ipunberli^ genug, „(Se*
f^tttadEi§fad)e" nennen, ^n einem l^iftorifd&en ®^!Iug jebod^,
toeld^er alle bebeutenbften Slaüiercomponiften big auf bie neuefte
Seit mit mel^reren SQäerfen repröfentirt , ift bag gellten beg
Stameng Sral^mg eine unbegreiflid^e unb unöcrjei^Iid^c
Untertaffung.
aiubtnftein ift afö ber ®rftc in feiner S^nft längft aner*
fannt, unb id^ ^abe feit breifeig 3^^^en fein Sob fo oft unb
gern gefungen, bafe id^ ben Sefer nid^t abermals mit SBieber*
l^olungen bcl^elligen möd&te. 3n feinem bicgjä^rigen K^Hug ent*
falteten fid^ öieKeidfit im^jofanter aU je bie unüergleid^Iid^en
Subinftem. 198
aSorjüge bicfeS ^ünftler^: bcr tüunbcröoHe ?lnf^Iag, bic un*
fc^IBorc SStrtuofität , bcr niännlid^ feurige (nur manä^mal jur
Ueberl^aftung ncigenbe) SSortrag, baS fabell^oftc ©cbäd^tniß unb
bie ebcnfo fabelliafte Slugbauer. S)ic Stugböuer KubinfteiniS!
aWan möd^tc fie f aft geringer mfinfd^cn. gn feinem crfkn
Eoncert l^at atubinftein 27 ©tfidfe öon fteben öerfd^iebcncn
Sonfe^em rafc^ Ifintereinanbcr gefpielt; erft naä) beut 27. er*
ijob er fi^ für einige äRinuten unb filierte bonn bie gange
jmeite Äbtl^eilung (Smanuel )Bad&, $a^bn, SRojart) lieber in
@inent ^n^t burd^. 3^if<^^tt ben einjelnen Vorträgen läfet er
bent §örer laum S^i* 8" einem Sltl^ernjuge, er toortet feine
gonje ©cfunbe, um baS nöd^fte neue ©tüd ju beginnen, unb
fo gel^t bag burd^ anbert^alb ©tunben fort, um na^ furjer
ataft iüieber ju beginnen. SJiefeö at]^emüerfe|enbe, ru^elofe
Slb^c^cn einer fel^r fangen Sfteil^e öerfd^iebener ©tudte ift eine
©efd^madlofiglcit, um ni^t ju fagen eine ©arbarei. @o fünft*
lerifc^ jcber cingelne SSoitrag JRubinfteini^ für fid^ baftel^t, ber
ganje SSortragSabenb befommt burd^ biefe^ ungebulbige Sluf*
räumen tttoa^ gabrif mäßiges ; benn mögli^ft t)iel ©tüdEe in
fiirgefter Seit ju ejjjebiren, ift 5ßrincip beS g^brifarbeiter^.
SBir toünfc^ten, bafe Sftubinftein lieber einige Stummem
ipeniger \pxtlk unb bafür nad^ jebem ©tüdEe un§ eine für je
9laft gönnte. SRur bann oermöc^ten wir toirflid^ jugeniefeen,
mag mir jefet öerfd^Iingen muffen.
Slubinfteing beif^jieltofe Slujiel^unggfraft ^at ba§ SSäunber
bewirft, bafe für feinen gaujen ©^fluö öon fieben Slbenben ber
große äRufiföerein^faal fofort im Slbonnement auSöerfauft war.
Unb l^ier muffen wir eine^ menfd&Iid^ fd^önen SH^^ ^on
aiubinfteitt erwähnen : er wieberl^olt biefen öottftonbigen ©^f lud
gratig für unbemittelte ff taöierf c^üIer , Setter unb aWufifer.
@g ift bieg ein Slft ed^t fünftlerifd^er ©rogmutl^, bem wir in
bcr ganjen ®cf d^id^tc beg ©onccrtwcfeng jum erftcn SWoIc begegnen.
@t>. ^anSlicf, ^u§ bem Xagebuc^ eines aRuftlerS. 13
194 €b. f^auslirf.
II.
SBog atubittftcin an icbcnt feiner „Sieben Slbenbe'' Iciftete,
ift tttoa^ USf)tx Unerlebted, faft Unbegreiftid^eiS an 9(uSbauer,
,®eba(i^tnil5ftär!c unb SSirtnöfitöt int tueiteften ©innc. 3)er
britte 8lbcnb — ©d^ubert, SSäebcr, äRenbetefo^n — toirfte
jmifd^en ber iBeet^oden» unb ber @ci^umannn-@oiree eigenartig
milb unb friebtid^ bnrd^ bic t^eitö l^eiter , t^eitö fd^toännerif d^
blidenbe, ani^ toitbtx sterlid^e unb glanjüoUe Stomantif ber
brei Xonbid^ter. 2)a^ äReifte badon l^at Stubinftein entjüdEenb
gef})ielt, (SinigeS aber auc^ — onbcr^. Smmer finb c^ bie
jarten, einfad^eren ©tücte, bie SRubinftein am fc^önften öor*
trägt. 2)ic ©uirlanbe ber ©c^ubertfc^en „Moments musicals^^
Mfilfte buftig auf unter Stubinftein^ gingem; Ifingegen üer*
brannte bie „SBanbcrer^j^antofie" in einem maleren ©d^miebe«
fcucr. Sifjt, ber ma^r^aftig fein $ß^Iegmatifer mar, nal^m
bo§ lem^jo biefer 5ß^antafie üiel gemäßigter — wer gebeult
nid^t gern feinet Haffifd^en SSortrage^ im S^ni 18741 9lod^
befrembenber mirfte bie unbegreiffid^e 5ßarf orcejagb , bie
Sftubinftein mit SBebcrg „?tufforberung jum lanje" aufteilte.
„2lufftürmung jur ©d^anje" l^ötte boS oHenfaH^ tfeifeen lönneu.
%üx Stubinftein , ba^ gilt und je^t atö au^gemad^t , giebt eS
fein ällegro, fonbem nur ein ?ßrefto unb 5ßreftiffimo. SBo ber
@^|arafter eined Sonftüäed nid^t blojs burd^ feinen mufilalifd^en
3nI|aÜ, ber ja mitunter ©ontroderfen julögt, fonbem oben*
brein burd^ j^eifeHofe Ueberfd^riftcn feftftel^t, bo toirb jebe
SBergemaltigung beS Stxtmait^ bo)7)}eIt unbegreiflid^. 2)a]^tn
gehören bie „Stufforbcrung jum Xaxiit" unb SBeberS Es-dur-
5ßolonaife, toeld&er aud6 in ber dirtuofeften 8lu«ffi^mng bie
feftlid^ üomel^mc §aÖung ebenfotoenig fehlen barf , toie ber
,,Slufforberung jum lonje" bie anmutl^ig toiegenbe SJetocgung.
Hubinjieiii. 195
gär 3hibinftcind gewalttl^ötigc Scl^anMung btcfcr bcibcn ©tüdc
fuc^en mir hergebend naä^ einem atcd^tferligungggrunbc. ®rjl
fein jattber^aftcr SSortrog üon elf SRcnbdfo^nfc^en ,,Siebem
ol^nc SBorte" tjerrnod^te uitS jenen üblen Sinbrud ju öertoifd^cn.
SKbcr elf „ßieber o^ne SBorte" in @inem gngc — »ären t^rcr
fünf nid^t l^inreic^enb gemefen? SSiel ^errlid^ei^ befc^eerte nnS
bermerte, aui^fc^Iiejslici^ ©d^umann gemibmete 9(benb. äRan
meig au$ Slubinfteind früheren Soncerten, mie unt)erglei(i^li(l^
jart er bic «einen ©tildte „SBomm?", „SSogel ol^ 5ßro|)^et'',
„S)c« abenb^" fpielt, icbem ©änger jnm SSorbilbe. SKan fennt
feinen au^ tiefer, leibenfd^aftli^er Seele ftrömenben SSortrog
bc« @(i^In§fo|eö bcr C-dur-?ß^ontafie. S)ad finb (ginbrüdte
füri^ gan}e Seben. $(ud^ t)on ©c^umannd äKnfif giebt un^
Siubinftetn am fd^önften bie me^müt^igen, tränmerifd^en @tüd(e.
3)a folettirt fein Qmq öon falfc^em SBeÜfd^merj, fein ©enfgen
iinb SBinfeln — aUt^ Hingt wie Qt\pxo(S)tn , mit notürlic^er,
feelenüoKcr Stimme ju nng gef|)rod^en. ffirftounlid^ mirft fein
Spiel in ben ftflrmifc^en 1KIIegrofä|en; fo fd^ön nnb fiber«
geugenb nid^t. Sobalb Stubinftein ein StOegro beginnt, paSi
i^n ber S)ämon ber Sleröojttät (ober S3irtuofität ?) nnb treibt
i^n, 'ta^ Stfid! fo fd^nell gu fpieten, aU äRenfd^en^änbe t^ t)o(l^
bringen lönnen. SRit ben rafc^en Stfldfen in ben „Kreisleriana"
nnb ben „S^mpl^onifd^en Stuben^' ^ot nnS Stubinftein me^r
betrübt als erfreut, mitunter gerabegu entjaubert. 2)a gefeSte
ft^ ju ber Uebertreibung beS Icmpod bie Uebertrcibung bcr
Äraft; e« toar ein loilber Sturm, ber jebem ni^t gang genau
mit ber Sompofition SSertrauten ben Sinn üermirite unb i^m
nid^t fotool^I gu genießen afö gu ratzen gab.
SBenn Sd^umann biefen Slbenb erlebt l^ättc! S)cn Slbenb,
bcr ganj öon i^m erfüllt unb mit einer einzigen Meinen Äui^
na^mc {„^^%A ate ^ropl^et") ber crften, gäl^renben, ieon*'
paulifirenben $ßeriobe feinet Sd^affeniJ gewibmet »ar! S)iefe
13*
196 €>. f^anslirf.
ft) l^d^ft fubjcfttoc, inKmc SWuftf ^at ©c^um ann fclbft gar
nid&t für conccrtfö^ifl gcl^altcn. 3loc| im SDcjcmbcr 1837
fd^rcibt er on Älora fflicrf: „Svm öffcntKci^ ©^)iclcn paßt
toirfßc^ nx6)t§ t)on meinen ©ad^en äffen"; nur „3n ber Siot^t"
unb ,,Iraume8h)irren" nimmt er aui^. Unb bann: „Du l^aft
too^Igetfian , meine ©^mpl^onifd^en Stuben nid^t ju f))ielen;
bad pajst ntd^t fürd ^ublifnm, unb bann tuare eiS laj^m, menn
i^ mid^ l^interbrein bellagen moffte , eiS l^ötte etmai^ nid^t t)tx^
fianben, toa^ filr fold^en 99eifaff nid^t bered^net unb nur um
feiner felbft toiffen ba ift/' Sufe|t führte unS Iftubinftein
in feiner fiebenten $Iat)ier))robu!tion in baiS innere atugfonb^
unb ^olenS. Dhtooijll er am Slbenb t)or]^er au^fd^liejslic^
@om)}ofilionen t)on S]^o))in (30 an ber g^^O 9ef))ielt ^atte,
begann er biedmal mieber mit ber ^leinigfeit ))on elf ^iopin^
fd^en ©tttben, ©ie toaren im ftrengften SBortt)erftanb ber
©lanjpunlt bed Slbenbd: ein glönjenber $unlt inmitten me^r
ober minber trüber ©eftalten. D^ne tSfrage toax jeber ber
früheren 9iubinftetn*?lbenbe ipeit, toeit genufereidjer, afö biefer
lefete, beffen 5ßrogramm me^r bem ruffifc^en ^Patrioten aU bem
aRufiter Stubinftein ®]^re maä^t S)ie @^^o)?infd^en (Stuben 5u
8(nfang glid^en fc^tant aufftrebenben $rot)^Iäen t)or einem ba-
rod^en ®ebäubeIom)7le$ : ber neueften ruffifd^en aRuftf. Wat er«
freultd^ften berührten nod^ brei @om))ofitionen bed alten Slinfa,
pbfd^e, piUntt ©atonftüde, bie freilid^ gegen bie $au))tt]^tig«
feit biefed Q^omponiften , bie bramatijc^e, nic^t fd^n^er in§ &t^
»id^t fallen. Ungefäl^r eine analoge „83öterd^en"*@teHung, toie
S?td&ael ®Iinfa unter ben ruffifd^en aWufilern, bel^auptct SW o *
n i u c 5 f bei ben :()oInif c^en. Slud^ er begrunbcte feinen Slu^m
ate nationaler D))erncom)7onift , fd^uf aber nebenbei man^eS
f^ib\ä)t S(at)ierftüd. S33ir befi|en ))on äRoniucalo ein ^eft
$olonat{en, bie origineffer unb mufilalifd^er finb aU affed, mad
»ir öon Siabo», (Sui, SalaÜrett) unb fi'orfalott) fcimen. ©ein
Hubiiijiciu. 1^7
3?amc l^ättc nid^t fehlen follen in einem norbfIoöif(|cn ?ßro*
graram. KI|o<)in ift ber eingige öon JRubinftein aufgenommene
5ßoIe. aSon ben jüngeren rufftfd^en (£om<3oniften , bereu un^
Shtbinftein ein öoHe« §aI6bu|enb üorfü^rte, ift Ifd^ai^
! m g f 5 getoi^ ber talcntöollfte unb originefffte. Ungemein
probuftiö, f)ai er Dptvn, @^m|)^onien, Dnüertüren, Ouartctte
unb Äladierftüdfe gefdbrieben, in wetd&en ber ruffifcl^»nattonoIe
S^arafter (atterbingg ftarf mit Sifjt'Serliojfc^en ©lemcnten
legirt) eigenartiger unb energifc^cr l^crüortritt, atö bei feinen
Kollegen. SBir lennen Don i^m in SBien nebft einer müften
Duöertüre ju ,,8flomeo" ein rcd^t originelles unb geiftreid^eS
Streichquartett, aufeerbem bag gragiöfe „Sieb ol^ne SBorte" in
F-dur (Op. 1), baS aiubinftcin toieber^olt gef^jiclt ^at. S)icfc
Äleinigfcit, toclc^e in cbicrer Umgebung gerabe fein fonbcr*
Ii^e§ Sluffe^en erregt ^ötte, erfc^ien biciJmal bem $ublifum
mie eine ©rlöfung ; man atl^mete auf, noc^ fo ötel franl^oftem
unb toüftem Stu^ eine natürlid^c, njo^IHingenbe SWetobie ju
^ören. 2)er gflnftige @inbru(f fiel aQerbingS bem to6fü(i^tigen
„Scherzo ä, la Russe" öon Ifd^aifotüS!^ rafd^ jum Opfer.
SBorangegangen maren Sompofitionen öon S^efar ®ui, bem
fleißigen SRufiÜritifer, öonJRimSf^^ffiorfalolounb Snatole
ß i a b U) , mcift Keine ©tttrfe, auS ioeld^en, üerjjerrt mie im
^o^If)}iege{, bte SSorbtIber S^o)?in unb ©d^umann l^eraudfd^auen»
?ltte§ jugleidö unbebeutenb unb raffinirt bi# jum SBiberioörtigen.
©d^abe, bafe SiabotoS Unfclbftanbigfcit nid^t burd^ feine
beiben @:^Hen ,,2lr ab cSfen" unb «Siroulü" ittuftrirt
war; jtoei fo birelte, unverfrorene Slad^bilbungcn ber ^aoibg«
bünblertänge unb bed Sarneüal üon ©d^umann, n)ie fie in
ber ganjen ßiteratur nid^t njieber üorfommen. Der ©d^Iimmfte
in biefer ©erie ift aber §err SJalalireto, beffen Slo^l^eit
unb Unnatur bei unaudgefe|ter ^a^b nad^ ^aarftröubenben
S)iffonanjen, melobifd^en unb r^^t^mifd^en SSerrcnfungen einem
198 <Eb. £?atisltrf.
§01^11 auf bic SKufif glctd^t. Unb ba^ atte« in fo l^atmtofcn
©ujctg, ipic „©d&crjo", ,,aRaptfa", ^Oricntalifd^c ^ß^antofie" !
aWan möd^tc fid^ fragen, ob in bcr ©cclc bicfcS SRanncS über*
^aupt ein ®cfü^I für aWufil niftet. UntDiöIüriid^ erinnern
biefe neurujfifd^en @om))oniften an baiS gegen äiuglanb gefallene
berühmte SBort: „JSföuInijs öor ber Sfteife". 2)en «efd^tufe
machten @omf)ofttionen ber beiben 93rüber Stubinfiein. 9(nton
atubinftein bebarf l^ier nid^t mel^r einer auöfül^rli^en K^arafte«
riftif; mir fennen feine SSorjfige, an^ feine ©c^tüäc^en. SBir
njiffen iniJbefonberc, bafe er aU fi'IaöierconUJonift feine oben
genannten jüngeren Sanbgleute überragt, äud^ feinen Sruber
Slifolaui^, ber feltfamcrtoeifc öon ^au^ au^ für bcn begabteren
Spntponiften galt, mäl^renb Slnton fid^ urf))rünglid^ gang bem
SSirtuofentl^um toibmen toollte. SBa# toir öon SliloIauiS Shtbin*
ftein fennen, finb re^t unbebeutenbe SalonftüdEe, ntel^r bie
öraüour afö bai^ lalent be§ SlntorS öerratl^enb, fd^n^ieriger,
aber farblofer aU bie @!omf)ofitionen SlntonS. 2)a$ ^ublifum,
offenbar ioeniger bef riebigt öon bicfem legten 8iubinftein=9lbcnb,
afö öon ben frül^cren, jeigte fi^ trofebem nid^t minbcr banfbar
gegen ben großen SSirtnofcn, beffen „Sieben 0at)ierborträge"
iebem wnüergejslid^ bleiben nnb in ber ®efd^id^te be§ ©onccrt*
toefeng eine monumentale ©teile einnehmen Jocrben
(
1886-
S)a§ Ic^tc, nur aug Sifjlfd^ctt ©omtJofitionen äufammcn^
gefegte ®efeIIf(^oftgconceTt ^ot bte glüijenbfte 5ßietSt für bcir
aScrftorbcncn mit einer erl^obcncn ®Ieid&giÜigfcit gegen bie
Sebenben glürfftd^ bereinigt, gürtoalir, eine l^artc $ßrüfung,
in rafd^er golge eine f^nt<)]^ottif(i^c S)id^tung, ein Älaüier*
concert, einen großen ^]aim unb eine Ungarifd^e 3t^a<)fobte
öon Sifat nac^einanber ju l^ören. Sluf bad Ie|tc ©tflct, unb
nur auf biefeg, Ratten mir unö eigentlid^ gefreut; Heben toxi
\>od) bie Ungarifd^en 8lI|a<)fobien otö boö Seftc, toa^ Sifjt ge^»
fd^offen. Suftige, glänjcnbe 3nHJrodifotioncn, ju toefd^en ein
natura üd^figeS SBoII ben Stoff unb ßifjt bie reijenbftc StidEeret
geliefert l^at — unb nod^ feine ©pur öon ©efc^id^tS* unb
aieligiongp^ilofop^ie. 2lber bog ©d^idtfal mottte e8 anberg.
2)ie brei t)orauggegangenen Xongetpitter Ratten unS total auf«
gerieben, für aUeS SSäeitere unempfinblid^ gemalt. Slt^emlo^
üerliefeen toir nad^ beut 13. 5ßfatm ben ©oncertfaat Unfere
@i|nac^barn — fie l^atten furj öorl^er bie ^©ur^ant^e" gehört
— f^ienen ben S^^or „SSäir alle tooHen mit bir gc^n" an=*
ftimmen 5U tooHen; fie blieben aber fifeen, entttjeber um iljre
200 €b. £JansItrf.
$|gietatg^)flid^t ober um il|r (£tntritt§gelb ööHtg abjubtenen.
gn bcn ©angcn iebod^ ftrömten un§ galilrctd^c gtud^tgcnoffcn
öon allen ©eiten entgegen, barunter Eoncertlötuen öon ge*
räumtgftem 3Ragen, @d^n)armer für Silber- unb Oebanlenmufif,
ptx\Miä)t greunbe SifitS. ©ie ptten alle gern bte Unga-
rifd^e SR^apfobie nod^ ge^rt, fülilten fid^ aber bi§ auf ble
©nod^en üerbrü^t üon beut fiebenben SBaffer, ba§ burd^ jipei
©tunben ftursipetfe ober in tüdifd^en gaben auf un§ nieber*
gegangen loar. „S)ie Sbeale", eine jener än)ölf f^m^jl^onifd^en
®id^tungen, »eld^e tijeite burd^ liefttge Ueberrafd^ungSf^Iäge,
tlieife burd^ unabfelibare SBieberl^oIungen fid^ ben älnfd^ein
aufeerorbentttd^cn lieffinn^ geben — „bie Sbeale" überfefeen
befanntlid^ ©d^ifferS ©ebid^t in bie Bpxai^t be§ Drd^efter^,
Sifät tl^eilt ba§ 5ßoem in 2lbfd^nitte, giebt biefen eigene Sitel
(toie: ,,2tuffd^n)ung'S ,,®nttäufd^ung^ ,,a3ef^äftigung") unb
fügt f d^Iie^Iid^, ganj ipie in unf eren S3affetten, bie unentbel^r-
lid^e ,,2l})ot]^eofe" l^inju. SBir Sn^xtx fud^en nun enttocber
mit bem 5ßrogramm in ber §anb ©d^iller§ ®eban!en au^
ben Sifjtf^en Sonreil^en l^eraugjuf tauben unb ärgern un§
über bie anmofeenbe ^ilflofigleit ber 2Kufi! — ober mir feigen
Don bem ®ebid^t gönjüd^ ai unb fd^toimmen ,,troftto§ im
toeiten SJReer" einer balb efftatifd^ aufgeftad^elten, balb fraft=
Io§ äufammenfin!enben unb nod^ Slu^brudE ringenben 3Rufif.
Äaum ftnb bie ,,Si>eoIe" entfd^tounben — nid^t bie unferen
— fo po6)i fd^on ein Sifjtfd^eg Slaüierconcert an unfer be*
forgte^ SDf)x. Seiber nid^t ba§ brillante in Es-dur mit feinem
energifd^ l^ömmernben $au:()tmotiü, feinem flangfd^ttjelgerifd^en
Slbagio unb bem lofett ftingelnben Sinale — fonbcrn ba§
gef^tt)ö|ige A-dur-Koncert. §err Sllfreb 9teifenaucr —
Sifjtianer, SBagnerianer, aber, nad^ feiner lieblid^en ^öxptx-
fülle ju urtl^eilen, fein SSegctarianer — 'ipuit e§ glatt, tjtrtuoä,
o^ne fonberlid^ belebcnben Ocift. (£§ folgt ber „13. 5ßfalm"
£if3t»(Jloncert. 201
für Senorfolo, K^or unb Drd^cftcr; eine breite, ti^t Sifetfd^c
SWelange öon ©ird^ett- unb Dpttn^iil Slud^ üon biefer Kont*
^ofttion toirb unS, wie öon bcr ®raner SWeffc, berfid^ert,
Sifjt l^abe fie nld^t ^^corntJonirt", fonbern ,,ge6etet". SBo^I
möglicl^. @§ fommen äRittionen aRenfd^en, iüeld^e anbad^tig
beten fönnen, auf einen, bcr gut comjjonirt. gräulein Souife
3? a m a n n ^ai fiirjlid^ iljrem fd^tüeren biogra^jl^ifd^en Srad^t*
lüagen ein eigene^ ©e:()arotn)ägeId^cn „granj Sifjt alö
$falmenfänger" nad^gefd^idft, worin fie bie Seweifc für
ÖifjtS Uebertegenl^eit über anbere 5ßfotmcomponiften (ßaci),
Raubet, ©d^ubert, aRcnbeföfo^n) aufftapelt unb fdCjIie^Iic^ ben
grogartigen ©afe üerfünbigt: „Unter ben bi^^erigen 5ßfalm*
componiften fte^t Öif^t bem Urbilbe aller 5ßfalmenblc^tung,
ben 5ßfalmen 3)abibg, am näd^ften. Sei il^m bietet fid^
bie äKuftf jum 5ßfalm!" 2tu§ ben Dr afein t)on Srcnbel,
9to^I unb ©onforten toiffen wir bereite, ba§ Öifjt in feiner
„S)ante*©^m^)l^onie" bem 3) ante am näd^ften fte^t, in feinen
,,3beoten" bem ©dritter, in feinem „gauft" bem ©oetl^e,
in feiner „^unnenf d^tad^t" bem Ä a u I b a d^. @inem Stuf fa^e
be^ $errn S. Slbran^i in ^^ßeft entnehmen Wir bie Steuigfeit,
bafe Sifjt „Sieben mufifaüfc^e ^ßorträtä" (für maöier) fertig
t^interlaff en ^at ; Silbniffe ber berühmten Ungarn Satt^^an^i,
®eaf, ®ötöö^, 5ßetöfi, @äed^ent)i, SSöröämart^
unb äKofon^i. ©obalb biefe§ „monumentale SBerf", an
WetdEiem nadE) 2lbrant|ig SSerftc^crung „Öifjt nur bei bem innern
ßic^tc ber ^ßietöt arbeitete", üeröffenttid^t ift, werben Wir o^nc
Zweifel iefen, bag Sifjt aU ^Porträtmaler San ®t|cf unb
Siembranbt am näd^ften gefommen fei. Sitten großen ®id^tern,
$^iIofop^en, SKalern ift Sifjt abwcd^felub „am näd^ftcn ge*
fommen". SBarum nid^t aud^ ben äRufifern ^a^, SKojart,
Sectl^oüen? 3)er 13. 5ßfalm, mit weld^em Sifjt bem ffiJnig
2)aöib fo na^c fommt, ba^ wir ba§ SBeite fud^en mußten,
202 <Eb. fjansitrf,
beginnt mit ben SBorten: ,,SBie lange, ^tn, toillft bu mein
bergcffcn?" S)er Sln^ruf „SBie lange!" burd^jammert in enb^
lofer SBieberl^oIung bie fe^r nmftänblid^e Kompofition. §err
SBinfelmann, ipeld^er ba§ lenorfoto mit einbringlid^er
ffraft üortrug, be^nte babei jebeSmal feinen beneiben^Ujertl^
langen Slftl^em fo inbrünstig au§, ia^ e§ tüie ein (£d6o in ben
3utiörerrei^en nad^feufjte: SBie lange nod^, ipie lange, tt)ie
Ia'a=aange! ^iefeS unb äl^nlid^e Sifjt'3Ronftreconcerte, ipie
fie ein untobeliger SobtenfuItuS je|t aöeripörts organiftrt,
fönnten immerl^in einen guten (Sinffufe l^aben — freilid^ nid^t
benjenigen, toeld^en bie SSeranftoIter tüünfc^cn. ^ä) meine
tücnn bie 3wl|örer eine§ fold^en Eoncerteö jid^ el^rlid^ unb
unbefangen auf ben ©inbrucf be§felben (jrüfen, fo müßten fie
ba§ burd^au^ fterite, getünftelte, äu^erlic^e SBefen biefer
ft|m()^onifd^en S)id^tungen, ^ßfalmen u. f. tt). fid^ bod^ enblic^
eingeftel^en. @§ ift unipal^re, fatfd^e SHufif, beren Eigenheiten
l^anbgreiftid^e @^m()tome be§ SSerfaHe^ unb nid^t Stützen
einer l^öl^eren Sunftorbnung finb. Sifjt toax eine geniale
Statur, bie i^r SefteS in bejaubernber Sße^jrobuütion, in einer
SSirtuofitöt o^ne ©teid^en auSf^jrad^. gür atteg Uebrige befafe
er latente, ®eift, S^rgeij, aber ipeber innere Sammlung,
nod^ fd^ö()ferifd^e§ Oenie. <SoKte ber freie 8Iidf, ber ju
SifjtS Sebjeiten burd^ allerlei SKebien ju ®unften feiner
SBerfe beirrt tüarb, nid^t enblid^ erfennen, ba§ fie ^robufte
einer geiftreid^ combinirenben unb folorirenben ^nt^Jotenj
finb? Stöe „Sifjt-aSereine'', bie fid^ jefet afö 5ßro))aganba
fonftituiren — ein böfe^ Sdiitn für bie eigene Seben§!raft
t)on Sifjt^ Eompofitionen ! — iüerben bie SBal^rl^eit, werben
bie gefunbe ©m^ifinbung be^ 5ßublifum§ nid^t auf bie SDauer
unterbrüdEen. SBen l^aben tüol^I bie jüngft geliörten 2on^
bid^tungen im Qnncrften bercid^ert, erl^oben, beglüdft? Unb
fann eine aRufif, toelc^er fold^e SBirfung üerfagt ift, Slnf^jrud^
Bral^ms' E-moll-Sympl^ome. 203
ouf ©Icid^ftellung mit unfcren großen S'unftfd^ö^jfungcn, Sht-
f^)rud^ auf gortbouer mad&cn? SBie üicic gro^c ©ompofitioncn
t)on Sifjt giebt e^ übn^aupt, totläjt bic bcfd^cibenftc aßet
Slnforberungen erfüllen: nid^t longtüeüig ju fein?
Stod^ eine anbete Sifjtfeier f^jiclt fid^ l^ier gleid^jeitig ab
— auf ätüei fftaöiercn. S)ie getreu Sluguft ©trabal unb
Stuguft ®öUerid^, jtuei junge SSirtuofen, bic ilir grei*
tüittigenjalir unter Sifjt in SBeimar abfolbirt liaben, üer^
anftaltcten äufammen einen 3 Slbenbe umfaffcnben SSortrag
fdmmtlid^er f^m^j^onifd^en ®id^tungen ii|re§ 2Keiftcr§. „(Selben
@ie jebenfaH^ i)m/* xitif) mir nad^ bem erften Slbenb ein
Sifjtf d^tt)ärmer , ,,e§ ift tt^irKid^ unerl^ört, tt)ie biefe beiben
Slugufte jufammen f})ielen — riefen^aft ! S)ag reine 2)onner=
ttietter; man glaubt man^mal, ba§ einem bie fflaöiere um
ben Sopf l^erumffiegen!'' ®ett)i§, tjöd^ft tjerlodfenb. Stber
„unjung unb nid^t me^r ganj gefunb, tt)ie id^ e§ bin ju biefer
©tunb'", fingt ^eine, burfte id^ mid^ einem fo übermenfd^Iid^en
®enu§ leiber nid^t au§fe|en unb fann fomit nur nad^erjaWen,
toa§ ©lüdEtid^ere mir bat)on rül^mten.
Sterte %tn^$ottte in E-moU i>on ^xaf^ms.
Sie l^at feit i^rer erften Sluffül^rung in SReiningcn (25. DI*
tober 1885) bereite eine fleine Sirium^jl^reife l^inter fid^, unb
toer bie entjüctten Serid^te au§ granffurt, ^'6tn, ®tberfelb 2C.
gclefen (ober iper fie aud^ nid^t gelefen ^at), mufete üon
S3ra]^m§' neueftem SBerfc ©rofee^ unb (Eigenartige^ ertt)arten.
SBeld^e ©^m^jl^onie auS ben testen breifeig bi§ bierjig Qal^ren
öermöd^te fid^ ben S3ral|m§fd^en aud^ nur annöl^erung^toeife
5U Dergteid^en ? Unb bod^ werben in jüngfter Stit mel^r
204 €b, JJansIirf.
©^mpl^onicn componirt, afö man gcmciniöfic| glaubt. 2)ic
bonfcnStocrtl^e SRüdEfd^au bcr Sci^jjigcr ,,@ignalc'' üerjcid^nct
nid^t tucnigcr aU neunje^n ©ijin^iionicn, bie im Soufc bc^
vorigen ^Q!f)xt^ jur crften Sluffü^rung gelangt finb. ®^
f(|cmf faft, afö l^ättcn auf bic löngcrc ©torfung, bie nad^
aKcubeföfo^it unb ©d^umonn auf bicfem ®ebtctc gelicrrfd^t,
bic ®rfoIgc SralimS' plö^d^ tüicbcr eine lebenbigere ^ro-
buftion l^erüorgerufcn. Stber nid^t jebcg l^übfd^c latent,
bem einige ÄlabicrftüdEc unb Sieber geglüdft finb, barf fid^
auf biefen Äantpf^jla^ toagcn. 5)ic @t5m})^onie verlangt
öollenbcte SReifterfd^aft ; fie ift ber unerbittlic^ftc 5ßrüfftein
unb bie l^öd^fte SBeil^e beS 3uftruntentaI*KonH3oniften. Sn
ber ©nergie tä^i ftimpl^onifd^er ®rfinbung, in ber fouöeräncn
Se^errfd^ung aller ©e^eimniffe ber ©ontrapunftif, ber ^ax^
monie unb Suftrumentation, in ber ßogif ber SnttoidKung bei
fd^önfter gi^eil^eit ber ^ß^antafie fte^t S3ra^mö gauä einzig
ba. ®iefc Sorpge finben tüir in feiner öierten @^ttt})]^onie
bollftanbig tt)ieber; ja fie frfieinen -- ^toax nid^t in ber melo*
bifd^en ®rfinbung, bod^ jebenfallä in ber Äunft ber 3lu§fü^=^
rung — nod^ ^ö^er cmporgetoad^fen. SnbiöibueHe SSorüebe
mag fid^ mel^r ber einen ober anbern üon Sral^m^^ S^mpl^o-
nien äutoenben; unfer fpecieHer Siebting ift bie britte. STber
tt)ir möd^ten nid^t üerfd^toören, ba§ fie e§ nod^ bleiben tnirb,
tt)enn un§ einmal i^re jüngere ©d^toefter ebenfo bcfannt unb
üertraut geworben. ?luf ben erften SlidE wirb fie feinem
i^ren reid^en Oebanlenfd^a^ erfd^Iie^en, il^re feufd^e ©dEiönl^cit
entpöen ; i^re SReiäe finb nid^t bemofratif d^er Statur. äRänn*
lid^e Äraft, unbeugfame ffonfequenj, ein an§ ^erbe ftreifenbcr
©ruft — biefe ©runbiüge aller größeren SBerfe öon Sral^mS
— treten aud& in feiner neuen ©5m|)]^onie beftimmcnb auf.
©ie fd^affen fid^ l^ier il^re eigene Sorm, i^re eigene ©jjrad^e.
Unabliängig don iebem birecten SSorbilb, öerleugnen fie bod&
Braljms' E-moU-Sympljotiic. 205
nirgcnbä tl^rcn ibcatcn Swfatnmen^ong mit Seetlftoüen; ein
SRomcnt, ba§ bei S3ra:^m§ unglcid^ ftöricr l^ertjovtritt, otö bei
SRenbel^fol^n unb ©d^umann. Sotten toir nun bie neue
@^nH)]^onie f Silbern? ®er Sefer tüirb ipiffen motten, toit
ber ittuftre, nod^ öon feinem SSerieger <)f|otogra:()]^irte ©oft
ungefäl^r ausfielet. 2lbcr fetbft einen anflänbigen ©tedbrief
ttjirb unfere SBortbefd^reibung nirf)t erreid^en, benn tt)er öermog
bie ,,befonberen ^ennjeid^en" einer Kom^jofition aufjuäöl^len,
in ber jieber %alt ein fold^eö ift? S)ie E-moll-S^m^j^onie —
borf) l^alt! jd^on bie SBa!^! ber Sonart gel^ört l^ier ju ben
befonberen ffennjeid^en; benn jeltfamern)eife l^aben toeber
SKojart, S3eet^oüen unb ©d^ubert, nod^ aRenbel^fo^n ober
©dftumann je eine ©^mjjl^onie in E-moll gcjd^rieben. 2(Ifo
bie E-moll-©t|m})]^onie beginnt ol^ne jebe (Einleitung mit einem
fel^r einfad^en, etipa^ nad^benfUd^ ibtjHifc^en Stiema, ba§ fi^
attmäl^tid^ fteigert, entfaltet unb in einem ftrammen, tro^igen
SKotit) feinen ©egenfofe finbet. S)er ©a| (Alla breve, Alle-
gro non assai) fd^Uefet ftarf unb ftürmifdE). S3ei atter gütte
lunftreidEier aSerfd^Iingungen bleibt bo§ ®tnd burd^toegS flar
unb überfid^tlid^ ; ber $örer, fortipäl^renb lebhaft angeregt,
merft gar nid^t unb brandet nid^t ju merfen, ba§ gleid^ ba§
Xliema mit feinen fanft fd^tud^^enben 5Roten fid^ fanonifd^ im
93affe tüieber^ott. 9lod^ tiefer unb unmittelbarer toirft ha^
«bagio (E-dur, ©ed^Sad^tetSaft), ber föftli^fte ©a^ beg
ganzen SBerfe^ unb eine ber fd^önften (SIegieen, bie S3rat|m§
je gefd^rieben. ®§ l^errfd^t barin eine ganj eigene, fü^e,
toarme ©timmung/ ein fc^toärmenber 3ow6er, ber in immer
neuen Sftangfarben ttmnberbar aufblüht, big fd^Iiefelid^ atte§
in fanftem S)ämmerlid^te leife üerl^attt. ®a§ Sl^ema ^eg
©dierjo (AUegro giocoso, C-dur, 2^ti\)mttU%att) tritt fel^r
berb auf — „l^a^nebüd^en" ipürbe ©d^umann fagen — bi§
fein öeripegener §umor burd^ eine jipeite, ettoag atttäglid^
206 €b. ^ansHrf,
fßngenbc aWefobie gejäl^mt toirb. Sine IcbcnööpHc ©cc^S?
icl^ntetgigur ber aSioIinen burd^ft^längclt rcijenb bcrt Sialog
biefcr bciben X^cmcn. 3« i>cn früheren gnftrumenten treten
im ©c^erjo 5ßiccoIo unb Sriangel mit bem ©ffefte fein auf==
gefpartcr Siebter l^inp. DaS ginale (E-dur SreiöierteHaft)
„AUegro energico e passionato" l^ebt itoav fel^r ,,energif(^.^
an, fc^eint unS jebod^ in feinem geiftreic^ combinircnben SBefen
mel^r einen finnenben afe einen ^leibenfd^aftüt^en" S«g h^
^aben. 3um erften äHale in ber ganzen ©^m^jl^onie treten
^ier 5ßofounen anf, gleid^ anfangt mit einer Steige mäd&tiger,
fura abbrec^enber äfforbe. @ie leiten unmittelbar in ba^
Il^ema, bo§, ad^ttaltig, ganj nai) ärt ber alten Chaconne
ober Passecaglia, forttoal^renb öariirt toirb. @^ gefd^ie^t bie§
^ier mit unerfd^öpflid^em ©eftaltungSreic^t^ifm, mit einer
ftaunenSmert^en l^armonifc^en unb fontrapunftifc^en Sunft,
iüelc^e fid^ bod^ nirgenbS atö trodtene ©ele^rfamfeit öorbrängt.
Oanj neu ift biefe gorm für ein grofee^ @^m^l^onie*SinaIe
unb ganj neu jebe§ ®etail barin. ®er lunftreid^fte @a| öon
allen ift biefer lefete, bod^ ber mcnigft populäre, moju aud^
feine breitere -— im SSerl^altnife ju bem melobifd^en ®runb=
ftoffe mol^I ju breite — SluSbel^nung beiträgt, gür ben
äHufiler toüfeten toir fein jtoeiteS moberne§ ©tücf, baS il^m
einen fo ergiebigen ®(i)aii frud^tbaren ©tubiumS erfd^Iöffc.
SBie ein bunfler Srunnen ift biefe§ Sinale; je länger man
l^ineinfc^aut, befto mel^r unb fettere ©terne glänjen unS ent*
gegen.
^ ^r($ePer-ü5utfe „Scenes pittoresques" von 3. 9iafftntt
Sfann e§ jemanbem entgelten, bafe SKaffenet^ ©uite burc^-
au^ opernl^aft ift? Sine fd^toere (äintoenbung gegen ben
ITTaffenet: 0rc^efter»5uite. 207
Drd^eftercom^oniften. SKon möge bcn Segriff Suite \wd) fo
liberal auSbc^nen — tüie e§ ja ^eute öon ben öielen ge=
fc^ie^t, bie S^mpl^oniemofeigeS um jcben 5ßrei^ auftreben, ol^ne
eine ©^mp^onie fc^reibeu ju fönncn — baS aJiaffenetfd^e
Drc^efterluerl öcrfäfft gerabcju bem SSerbad^t, au§ jurücf-
gelegten SReften irgenb einer ©pielo^er äufommengefefet ju
fein. 3)aS „5ßittore§!e" be^felben gel^t fo meit, bafe mir
förmlich bie gemalten Sl^eaterbelorotionen öor unö feigen,
ätuifc^en luelc^en bie einzelnen ©tücfe fic^ abfpielen. 81m
mciften |)altung jeigt nod^ ber einleitenbe ^SKorfc^" ober
richtiger: ber STnfang biefe§ äJiarfc^e^; benn auc^ l^ier t)er==
läuft ba& rec^t l^übfc^e Xl^ema balb in gefud^te ©c^nörfeleien.
Solgt aU jmeiter @afe eine öon ben SSioIonceffS vorgetragene
altdäterifc^ öerjwicfte SRelobie: „Air de Balletts unb l^ier^
auf ein Slnbante, „Slngeluö", im Oefd^madte ber ^^Jrojeffion^^
fcene au^ ben „Hugenotten". SSier |)örner in C unisono
mad^en ba§ fd^mere ©lodEengeläute, baju liefern bie Stöten
unb Dboen in unermüblid^en lerjen^ unb ©ejtengängen bie
frommen Oefü^Ie ber 5ßilger. Die ©cene öerl^afft ))ianiffimo
über einem gebämt)ften Slnbad^tgfd^auer ber ©eigen. SRun
brandet ber richtige I^eatercomjjonift felbftöerftänbüd^ einen
padtenben Sontraft: er fü^rt un§ avL§f ber ffird^e birect inS
SBirtl^S^auS. SRit ber vereinten SBuc^t von vier Srompeten,
vier Hörnern unb brei 5ßofaunen fommt ba§ ginale („Fete
Boheme'^) angeblafen, eine SKajurfa in D-dur, luftig unb
fd^arf r^^tl^mifirt. Slber felbft auf bem lanjboben vermag
SRaffenet nic^t lange natürlid^ ju bleiben; er läfet unS atö
äRittelfafe eine affeftirte Äantilene von gagotten, Säratfc^en
unb SSioIonceH^ unisono Vorbrummen, bi§ fc^Iiefeüc^ tvieber
alle Sörminftrumente unS auf ben Oipfel be§ ffirc^weil^ju^e^
^inauffc^Ieubern. SBir l^aben aud^ für biefe Drd&efternovität
fein anbereS Sob, aU ba§ fd^on ftereot^^ merbenbe einer
208 <2ö. £?anslirf.
pifauten ^armoitiprung unb rafftnirt gefc^idften ^nftrumen-
tatioit. 9lur in bicfen Slccefforien fann man aKoffcnctS „Suite"
einige Originalität juerf enncn ; i^r fubftanäieHer ©el^It reid^t
!anm on ba^ SRiöeau öon S)eUbe^' SSaKetmufif.
®räbener§ ,,8nftf<3icI=Duöertüre" entnjicfelt \xä) ofö ein
t)orne^me§ Sntrigucnftüdt öon nid^t übertriebener Suftigfeit,
iüorin gefc^eite Seute fid^ in gemäl^Item, fd^Iagfertigem Sialog
ergeben unb nur ganj am ©c^Iuffe etliche \tf)x gejmungene
SBi^e mad^en. Die Duöertüre njurbe öufeerft beifällig ouf==
genommen.
SSon ber legten @erien= unb Stummemjiel^ung ber breifeig
ffiretfd^mannfd^en Drd^efterconcerte metfe id^ njeber Xreffer
nod^ Slieten ju berid^ten. ^ein SRenfd^ ^at bie graufame
Slaiöetät, ju glauben, bafe ein äRufiffritifer in SBien aUe
©oncerte befuc^en !ann. ffürjlid^ trieb mid^ aber bod^ bei
JRegen unb ©d^neegeftöber bie SReugierbe l^in, eine Duöertüre
ju ©f)alfpeare§ SRacbet^ öon ^Qnaj SärüII ju l^ören. „S)ag
ift \a, afö ob ein fi'anariöogel ben S)onner nad^mad^en iüoffte!"
rief einft Hebbel au§, al§ id^ il^m öon ®eibelS ?ßlan, eine
Slibelungen-S^ragöbie ju bid^ten, erjäl^Ite. (£§ fann ben
Heben§njürbigen Kom^oniften öom ,,®oIbenen föreuj" unmög=
lid^ beleibigen, njenn man il^n mit bem Sid^ter ber „3uniu§=
lieber" unb feinen SRacbetl^ mit ®eibel§ Särunl^öbe öergleid^t.
Sn einem ?ßunlte l^at SrüII bie ©^affpearefc^e Xragöbie fogar
überholt. Sei @f)aff|)eare bleibt ber an SRacbet^S Xafel er*
fd^einenbe Sanquo allen ®äften unfic^tbar. Sn SJrüK^ Duöer*
türe fielet man ouc^ öon äRacbetl^ nic^t^.
§ipci neue Sonaten von Bratjms. 209
3toei neue l^onafen tion ^ta^ms.
2)ie SStoIoitceII=@onatc in F-dur op. 99 unb btc SSioIiit-
Sonate in A-dur op. 100 crfd^tencn un§ otö (Scgenftücfe, bie
cinanbcr lieben unb crgönjcn. Sn bcr SJioIoncett-Sonatc
Iierrfd^t bic Seibcnfc^aft, feurig bt§ jur |)eftigleit, balb tro^ig
l^erauSforbemb, balb fd^merjüc^ flagenb. S8ie f ul^n fefet gleid^
ba§ erfte 2lffegro=H^ema ein, toit ftürmift^ ftutl^et baS ©d^erjo !
SlHerbing^ befänftigt fid^ bie Seibenfd^aft im Slbagio ju fanftcr
S^rauer unb Hingt öerföl^nt au§ im ginale. Slber ber 5ßutö=
fc^Iag ber früheren ©ä^e gittert bod^ nac^, unb ba^ ^ßatl^oS
bleibt ber entfd&eibenbe pf^d^ologifd^e ©runbjug be^ ganzen
lonftüdfeS. |)örcn n)ir l^icrauf bie neue SStoIin-Sonate, fo
mirb ung ungefdl^r ju SRutl^e, aU fei nad^ t)röd^tig fid^ ent-
labenbem ©eiüittcr bie föftlid^e Stiße eine§ iüürjigen Sommer-
abenbä eingejogen. ©ine l^immüfc^e ^ufriebenl^eit burc^ftrömt
ben erften @a| mit feinem fc^Ud^ten, leife an ba§ 5ßrei^Ueb
in ben ,^3Rcifterfingern" anflingenben Il^ema. ®er folgenbe
©a| ift eigentlid^ Slnbante unb ©d^er50 jugleic^. @in lang-
famer ®cfang in D-dur fc^eint fic^ mol^Iig ju bel^nen unb
ju ftredfen, ba unterbricht il^n ein fc^erjenbeö SSiöace in H-moll;
ba^ Slnbante tritt wieber in ben SSorbergrunb, aber nur mit
einem Srud^ftüdf, njorauf ein fleinfteS SSrud&ftüdfd^en beS
©d^erjo^, ba§ gleid^fam ba^ lefete SBort l^aben n)iff, ben @a|
lalonifd^ abfc^Iiefet. SBie biefer jmeite ©afe l^armonifd^ auä
ber ©timmung be^ erften quillt, fie nur weiter auSfül^rt, fo
auc^ ba§ Sinale, in beffen Säejeid^nung „Andante grazioso
quasi AUegretto" fd^on fein K^arafter angebeutet liegt. ®a^
Oanje ift ein faft ununterbrochene^ ©ingen ber SSioIine. ^d)
njüfete feine jweite ©onatc, bic in fold^em äRafee auf ba§
fd^arfe Kontraftiren ber einjelnen ©äfee öerjid^tet. 3)ie brei
(St). ^anSlicf, 9(u3 bem XaQtbuä^ etneS a^ufiferd. 14
210 <Hö. ^auslief.
Bä^t bUben einen reinen Dreiflang ein^eitlid^ wofiltl^uenber
©tintmungen ; ein fneblid^e^ ©elbftgeniefeen nnb fieitereS 2lu^=
tufien be^ ®emüt^§. 3)aS unterfd^eibet biefe Komjjofition
auffaßcnb öon ber neuen SSiotonceH^Sonate, meldte gerobe
burd^ bie ftarfen ®eqenfä|e fo mäd[)tig ergreift. SSon beiben
ift bie 9SioIin=@onate bie lid^tere, populärere; fie fingt fid^
unmittelbarer inS |)er§ ber ^örer ein, aU bie aSioIonceH-
©onate, beren aufgeregte^ unb mufüalifc^ öerwicfeltereS SBefen
un§ langfamer, aber ebenfo fidler unb nad^l^altig erobert.
5)ie SSra^mgfd^en ©ac^en finb unS ja nid^t alle öon Slnfang
an Heb getoefen — ober gemorben finb fie e§ alle. 9lfö Äunft-
toerfe finb beibe Sonaten fiinber be^felben männlid^ ftarfen,
gefunben ®eifte§, ber in fd^öner SRifd^ung mit innigem, nic^t
aHju ttjei(^em ®emütl^ ben ©runbjug aller fpäteren SBerfe
tjon S5ral^m§ beftimmt unb auöjeic^net. DaS Unöor^ergefel^ene
ber SBenbungen bei ftreng einl^eitlic^em K^arafter bilbet einen
unerfd^öpflid^en Steig biefer neuen Jonbid^tungen. Sehjunbe*
rungSmürbig ift babei bie fnappe gorm. ^un^e ßomponiften,
bie feinen Unterfd^ieb mel^r jtoifd^en einer ©onate unb einer
©^mpl^onie fennen, mögen l^ier erfahren, bafe tiefe ©ebanfen,
Icibenfd^aftUc^e ©mpfinbungen fid^ aud^ in gebrängtem SSortrag,
ofine breite ©efd^möfeigfeit ou^fprec^en laffen. SBortbefd^rei*
bungen finb l^ier freilid^ ganj müfeig. SBoHten mir felbft,
tt)ie bie englifc^en ©oncertprogramme t^un, bie Sl^emen ber
cinjelnen ©onatenfä^e in SRoten l^ier beibrudfcn — toa^ meife
man öon Säral^mS, menn man nur feine nadften Il^emen f ennt ?
3)a§ ^auptmotiö be§ erften unb be^ britten @a^e§ ber neuen
SSioIin*©onate, be^ SinaleS ber SSioIonceff:^©onate, fönnten
fie nic^t faft öon ^a\)bn fein ? SJiöc^ten bie beiben Slloöitäten
red^t balb unb Ijäufig toieber erflingen — ba^ ift ba^ SBic^tigfte.
„^aujls Perbammung" ooii ^. TSerlxo^. 211
€:0tnp|itt0itfu ffir Clf^r unb ®x^tfitx.
S5erUo§ ^at auf feinen Steifen unauf^örlid^ an ber „Dam-
nation de Faust" gearbeitet, manche ber bcften Siummern
in ^ßrag, SBien, 5ßeft fonjijjirt unb ba§ ©anje im §erbft
1846 ju 5ßarig öoHenbet. ®r mar nid^t ber SKann, eine
fertige ?J5artitur lange im 5ßult liegen §u laffen. ©obalb er
ein SBerl öoffenbet ^atte, trieb il^n eine fieberl^afte Ungebulb,
e§ aufjufüfiren. @§ befierrfd^te il^n bann nur ber ®ine ®e*
ban!e, ber Sine SBunfd^, für beffen SSermirflid^ung er alle
SRüfien, Sorgen unb ©elbopfer gering ad^tete. 2)ie Ungebulb,
feine „^auft-Segenbe" gu f)ören, mad^te il^n un)3raftifd^er afe
je unb öermel^rte noc^ bie jal^IIofen @d^tt)ierig!eiten be§ Untere
nel^menS. älber bie 8luffül)rung feiner Slomeo = ©^mpfionie
im Saläre 1832 fiatte il^m einen Keinen 3teingett)inn eingetragen,
unb fo hoffte Serlioj, bie 5ßarifer mürben einem neuen SBerfe
biefer 2lrt l&inreid^enbe Sieugier entgegenbringen, um bie Soften,
bie er jefet o^ne 35eben!en dorgeftredft, reic^Iic^ ju bedfen.
Seiber gefc^af) e^ anber§. „SauftS SSerbammung", in einer
SRatin^e ber Opera ©omique im Stoöember 1846 aufgefüfirt,
öerfammelte nur ein Keinem ?ßubüfum. ®ie 3w^örer der*
l^ielten fid^ tl^eilna^m^Io^, bie ©angcr unbegeiftert, bie ©ritifer
graufam. Serliog empfanb biefen SRifeerfoIg als einen fd^meren
©d^Iag. „SRid^t^" — fd^reibt er in feinen SRemoiren —
„nichts in meiner gangen ffiünftlerlaufbafin l^at mid^ tiefer
öermunbet. ^ä) mar ruinirt unb fd^ulbete eine bebeutenbe
©umme, bie id^ nic^t befafe. 9lad^ jmei S^agcn unbefd^reib-
lid^er ©eelenquafen erblicfte id^ eine 9tettung au§ biefen
14*
.212 €b. BtansM.
SBirrniffcn in einer Steife nad^ SRufelanb." 5)ort fanb Serlioj
in ber %^at Slnertennung unb auc^ materiellen ®en)inn^ ber
für einige S^it öor^ielt. SSon 5ßeter§burg jurücfgefel^rt, ftiefe
er aber in $ari§ mieber auf bie frühere ©leid^giltigfeit unb
©eringfd^ägung. @r ^at in ^ari§ fein SieblingSnjer! feif
Jener unglücflid^en 5ßremiere nie mieber auffül^ren l^ören.
SBie gan§ anberä ^eute! ©in genjaltigerer Umfd^Iag in ber
öffentlid^en SKeinung ift laum irgenbnjo öorgefommen. SSor
•ettDa jefin :Söl^ren begannen bie beiben ßoncert-Dirigenten
Ißa^belou)) unb Kolonne ein förmlid^e^ SBettrennen in SSor-
fül^rung Serlio^fd^er ®om|)ofitionen. 8^^^-, fünfsel^nmal in
@iner Saifon iüurbe ,,gauft§ SSerbammung" gegeben; cbenfo
oft ba§ 9lequiem, öon ben ©^ntjjl^onien unb Dudertüren gar
nid^t ju fpred^en. Unb fo gel^t eS nod^ l^eute fort. S33ie
bie ©timmfü^rer be§ ntufüalifd^en 5ßariS öerfid^ern, mar e§
ber lob 95erIio§' aHein, ber biefen Umfd^njung l^erbeigefü^rt,
bie (Sleid^giltigen in SSegeifterte, bie ©pötter in Sobrebner
t)ertt)anbelt I)at. ®a§ ift nur sunt Steile rid^tig. 9tid^t
^leid) nad^ beut lobe be§ äReifter§ (1869) zeigten fid^ aud^
nur bie erften @^m^)tome biefen |äf)en ©efd^macftoed^fetö.
@g mufete äu beut (Sefül^Ie ber 3teue über ba§ an Serlio^ §u
fül^nenbe Unred^t unb ju bem fortgefd^rittenen mufüatifd^en
9tuffaffung§t)ermögen nod^ ein britte^ mdd^tige§ ©lement ^in§u=:
treten : ha^ naä) bem beutfd^en Kriege fo gemaltig gefteigerte
unb gereifte Stationalgefül^I. S)ie granjofen brandeten Seutfd^-
(anb gegenüber ün grofeeö revolutionäre^ ®enie in ber ^n-
ftrumentalmufi! unb fanben e§ in bem bi^^er mifead^tcten
S3erIio§. @ie feiern i^n ^eute al§ ben franjöfifd^en Seetl^oöen
unb aSagner in ®iner 5ßerfon.
©el^en n)ir, iüie Serlios ^^^ ©oetl^efd^en fjauft auf bie
t)ier Slfte feiner „bramatifd^en Segenbe" üert^eilt l^at. S)er
erfte Sl^eil fjjielt auf einer ungarifd^en (Sitm, iüo Sauft,
„^aufis Perbammung" üoii fj. 53erIio3. 213
eiitfam, fid^ be§ fd^öncn grül^Iing^ntorgen^ freut. SBnrum
i)at if)n ber ©om^jonift gerabe na6) Uitgarn gefül^rt? ©infad^,
um eitteu SSortoanb §ur Slnbringung be§ SRafocj^tttarfd^e^ ju
fiuben. Serlioj gefte^t bte§ offen ju unb öerfid^ert, au^
mufilolifd^en ®rüuben würbe er il^n aui) ttod^ bem fernften
SBinfel ber @rbe derfefet ^oben. Da§ ift ^üenigfteuS auf^
rid^tig. ®§ na^en fid§ Sauern, fingenb unb tanjenb. („®et
©doofer pu^te fid^ §um lanj.") gouft bcncibet i^ren grol^*
finn. ®a erfüHt fid^ bie ®6ene mit friegcrifd^em ©lonje,
bie Ungarn jiel^en gemaffnet in ben Srieg. (Stafocä^marfd^.)
S)er §h)eite I^eil fü^rt un^in gauftg ©tubirftube. I)e^
Seben§ tiberbrüffig, fe|t er bie ©iftfd^ale an bie ßit)pen; ba
i)öxt er fromme (Sefänge („ß^rift ift erftanben!") — bie ®rbc
^at i^n njieber. äRep^ifto tritt auf, lieft unferm @ele{)rten
macfer hm Sejt unb füfirt il^n in Sluerbad^^ ÄeHer. ®ie
3ed^brüber fingen einen 5ßunftf)d^or, bann ba§ Sieb öon ber
blatte, enblid^ tint parobirenbe guge auf baS SSort Slmen,
worauf SRepl^ifto ba§ Sieb öom %lo^ jum beften giebt.
gauft, öon bicfen ©cenen gelangweilt, fliegt mit SRet)^ifto
ah. SBir finben il^n fd^Iafenb an btn Ufern ber @Ibe wieber.
©nomen unb ©^Ijjl^en fingen (,,@d^tt)inbet, if)r bunflen SBöI=
bungen broben!")f ©^IpT^iben umgaufeln il^n. @r fielet im
Sraume ©retd^en. 3Re)3^ifto öerfjjrid^t, il^n §u bem giele
feiner ©el^nfud^t §u führen. 3m ©ebränge fieranlommcnber
©olbaten („95urgen mit l^ol^en SKauern unb Siiinen") unb
ber il^nen mit lateinifd^en Siebern nac^folgenben ©tubenten
wanbcm gauft unb SRep^ifto ber ©tabt ju. ^m britten
26 eile erfd^eint Oretd^cn unb fingt baö Sieb öom „Sönig
in Sl^ule". fjauft l^at fid^ in il^rem gimmer üerftedft; äRe=
pl^ifto, öor bem $aufc t)oftirt, bcfd^wört bie ^rrlid^ter ju
einem für ®retd^en§ Sinne unl^eitoollen Sanj unb ftimmt
bann bie ©erenabe an: „SBa^ mac^ft bu mir öor Siebd^enä
^.
214 €b. Btanslid,
Xl^ür?" ßiebe^fccne jmifd^en gauft unb Oretd^en. ©c^on
ftcl^cn bie 3lad)baxn t^oSl^aft jifc^elnb öor bem |)oufc unb
benod^rid^tigcn bie „2Slixtttx D\>ptnf)txm" , bafe c§ im Innern
nic^t gel^cucr jugel^t. SRcpl^ifto fül^rt ben Sauft om frühen
SKorgcn gewaltfam öon bannen. S)er öicrtel^eil beginnt
mit ©retd^enS Sieb: ;,2Reine 8tu^^ ift l^in." SRan ^ört au§
ber gerne bie ®^öre ber ©tubenten.unb ©olboten. — „SBalb
unb ^ö^te". 3Re»)I|ifto t^eilt bem gauft ba§ Unglücf ber
©eliebten mit unb erbietet fid^, bie jum Sobe SSerurt^eilte
ju retten, toenn gauft fid^ öerbinblid^ mad^t, il^m öon morgen
an ^u bienen. %aii\t uni^rfc^reibt ; fie gaIot)t)iren ,,auf
fc^njarjen ^ferben" öon bannen, @ef^)enfter l^inter i^nen ^er.
Slber ftatt il^n ju ®retd^en ju fül^ren, bringt il^n aKet)l^ifto
ins ,,^anbämonium'', ba§ SReid^ beS ©atanS, n)o ein ^öllifd^er
®6or i^n mit einem S*aubern)älfd^ begrübt („Tradioun marexil,
Trundixe burrudixe" u. f. tt).), ba§ nad^ ©njebenborgS SSer*
fid^erung bie ©prad^e ber Dämonen ift. ®§ folgt nod^ ein
6t)iIog: 2luf ber ®rbe ertönt e§: „2)ie ^öKe öerftummt;
ein fc^recfüd^eS SR^fterium öoffgiel^t fid^ bort." ^in^immel:
ß^or ber ®ngel, tt)eld^e ©retd^en ju fid^ fieranrufen.
95erIio5 öertfjeibigt fid^ in einer SSorrebc eifrig gegen ben
SSortt)urf, ein ®enfmal wie ©oetl^eS gauft öerftümmelt ju
l^aben („d'avoir mutile un monument"). 3)a§ mag ben
granjofen fo öorfommen; jeber ®eutfc^e, ber feinen ©oet^e
fennt unb liebt, mufe tro^bem baS Säerliojfd^e Sibretto aU
eine mitunter barbarifd^e SSerftümmcIung empfinben. SJerlioj
reifet einem t)oetifd^en Organismus eine beliebige Slnjal^I
„effe!tt)oIIer" BiMz auS, ju bem bebenttid^en 3tt>edf, brama*
tifdti ©ebad^teS unb SluSgefül^rteS unbramatifd^ nad^gubilben.
SSenigftenS brei SSiert^eile don SJerlioj' „Öegenbe" finb
©oet^eS gauft mörtlid^ entnommen, baS Uebrige beftel^t auS
mittfürlic^en 3wtl^öten, n)ie gauftS SSerfefeung in bie ©benen
„^Jaiifis Perbammung" von ^. 3erIio3. 215
Ungarn^ unb feine fd^IicfeUd^c |)öffenfa]^rt. ©d^mer begreife
lid^ bleibt e§, bafe Säerlioj itoei ber crgrcifenbften unb muji-
falifd^ öerlodEenbften ©cenen fid^ cntgelien Hefe: ©rctd^cn im
Dome öor bem SRabonnenbUbe unb bie fferferfcene. ^Sauftä
SSerbammung" gel^ört ju jener SRifd^gattung, meiere Serlioj
unter bem Siamen „Sromatifd^e ©^m^l^onie" erfunben fiat.
3n ber bramattfd^en S^m^pl^onie „Slomeo unb 3itKc" ^^^'
fud^te 93erüo5 bie SSerbinbung felbftönbiger großer ©^m^pl^onic'
fä^c (Slbagio, ©d^erjo) mit I^rifc^en ©efängen, tüoäu afe
britte^ Element nod^ rein crjal^Ienbe SRecitatiöe, 5ßroIoge unb
©pitoge l^injutreten — eine gorm, bie, unorganifd^ unb toiber-
fprud^Söoff in fid^, faum eine Swfunft ^at SBie bort auS
bem ©l^affpearefd^en Drama, fo l^at ber ©omponift l^ier auä
bem Ooetl^ejd^en gefd^öt)ft, nur mit bem Unterfd^iebe, bafe er
ba§ epifd^e ©lement bieömal faft gänjlid^ gegen ba§ brama-
tiftfje unb I^rifd^e jurüdEftefft. Drama unb Oratorium, rein
@cenifd^e§ unb blofe ßoncertmdfeige^ merben fo unter einanber
gemifd^t, bafe fid^ ber ©tanb^unft be^ $örer§ fortwdl^renb
öerrüdEt. S3erIio§' „gauft" ift eigentlich eine Iör|)erIofe, ^Dl^an-
taftifc^e Dper, toeld^e bie S3ü^ne öerfd^mäl^t unb fie bod^ nid^t
entbel^ren fann. @egen bie frül^eren ganj ober übertoiegenb
f^m^l^onifd^en SBerfe öon Serlioa — |)aroIb§ 5ßilgerfal^rt,
bie Symphonie phantastique, Slomeo — ftel^t feine Sauft-
Segenbe in bem großen SRac^tl^eile , übermiegenb ®efang§=
comt)ofttion ju fein. Da§ toxU fagen, Serlioj ^at fiier ben
Soben öerlaffen, au^ bem er alle feine Straft jiel^t, ben rein
inftrumentalen, unb fid^ einem il^m ftet§ unheilvollen, njiber-
ftrebenben ©lemente l^ingegeben. ©obalb Serltoj für bie
menfd^Iid^e ©timme fd^reibt, fd^nappt unb jappelt feine SRufif
toie ein Sifd^ auf l^eifeem ©anbe. ©ein 3tingen, bie reine Sn-
ftrumentalmufi! ju beftimmter, gegenftänblid^er Sebeutung ju
fteigem, l^at etwa^ @rofeartige§, feine Slnftrengung l^tngegen,
^
216 €b. fjansHrf.
für bie ctnfad^ftcn SBortc einen entf^rcd^enbcn melobifd^en
2[u§brucf jn finben, ettoa^ 9RitIeiberregenbe§. Db er nun
greube ober ©d^merj au^brücfen toiff, er fommt au§ bem
engen 3ting einer nur il^m eigenen, ebenfo bürftigen aU un*
öerftanblid^en Terminologie be§ ©efü^IS nic^t l^erau^. SRid^tö
in biefen unobfel^baren (Sefang^ftrecfen erblül^t jur fc^önen,
reifen äRelobie. Unfangbarere ?ßartien finb faum gefd^rieben,
Höglic^ere SRelobien feiten erfunben morben, aU bie ®ret(^en§
unb 3auft§, äRe^^ifto§ unb Sranber^. SSon ben brei ^au^jt-
^jerfonen ift relatiö SRejjl^ifto bie gelungenfte ; bie Snftrumen*
tation öerleil^t il^m bie l^anbgreiflic^ biobolifd^e ©^aralteriftil
(ein geller 5ßfiff be§ ^iccolo, begleitet öon einem !ur§en d^ro-
matifd^en ©runjen ber ?J5ofaunen unb gagotte lünbigt il^n an)
unb fein ift ba& einzige Sieb in ber ganjen Kantate, ba§ fid^
gefunber ©lieber rül^men f ann : bie ©erenabe. SBa§ foff man
aber ju bem jmifd^en fünf= unb breitaftigem Sl^^t^muS
taumeinben „Slattenfteb" unb ju bem öerfd^robenen „glo^-
lieb" fagen? Sann jemanb in biefen mufilalifdö l^äfelid^en,
nad^ Driginalität l^afc^enben Siebern njirlüc^ ^umor unb
@eift finben? Un§ bün!en fie, njie bie „2lmen=Suge" auf
ben 3^ob ber "äiattt unb bie gange Sefferfcene, nur mibrig
unb triöial. ßbler, aber geftaltlofer ftel^en biefer Qixuppt
gauft unb ©retd^en gegenüber, bereu ©efang fic^ meiftenS
in einem ®ämmerlid^t träumerifc^en Def(amiren§ beilegt. Qu
einem fertigen Säilbe, baS un^ mit ben rufiigen Slugen ber
©d^ön^eit anblicft, fommt e§ nirgenbg. gft fie nid^t an^^
ftubirt mibematürlic^, biefe SRcIobie jum „Sönig öon Sfiule",
mit i^rem l^infenben Sil^^t^muS unb ben leiernben Söffen?
@ret(^enS äiüeite^ Sieb : „SReine SRu^' ift l^in" njirb nad^ ben
erften Saften immer öerjerrter unb opern^after, fogar fteine
fofette SReli^men bröngen fid^ bor, toie bie auffteigenbe ©cala
auf „feine eble ©eftalt", unb bie paaxtüd^t ^erabl^ü^j^enben
„faufts Perbammung'' von fj. 3erUo3. 217
©ec^jefintel auf „^änbebrudt". 2Bir Italien un^ jeboc^ ntc^t
an fold^c ©injell^citen, fanbcrn on bcn unmufifaüfd^en ß^arofter
be§ SSerlioäfd^ett ©efangcS im affgenteincn unb bcffen ©d^hjanfen
ämijd^ett trocfcner Sllltdglid^feit unb rafenbcr ©jaltatiou. Wan
tann bie§ tec^t bcutlid^ an bem Siebe^buett jnjifc^en gauft
unb (Srctd^en wal^rnel^men, ba§, fo lange e§> mci) ©infac^^cit
unb 3latnxtüa^xf)dt ftrcbt, jmar nid^t o^ne (Smpfinbung, aber
ganj fd^rounglo^ unb gemö^nUd^ Hingt, ©später fteigert fid§
bie Seibenfd^aft, fom^Iicirt \id) bie Situation, SRepfiifto unter*
brid^t bie Siebenben, unb ein ©l^or bog^after 3la6)haxn ruft
hjleberl^olt: „Holiah! mere Oppenheim !*• S)a fe^t nun ber
Komponift alle SRittel in Semegung, bie getoogteften Sll^^t^men
unb aWobuIationen, ben l^eftigften brantatifd^cn 9lu§brudt, Vit
getDaltigften Drd^efterffönge, aber unter beut ©inbrudfe ber
Ueberreijung unb Unnatur ermübet \>a^ Dl^r unb erftarrt
ba§ ^erj.
„Sc^ bebarf fel^r großer SRittel/' äußerte einmal SJerlioj
in rid^tiger ©elbftf enntnife , „um über^au^jt tttoa^ l^eröorju*
bringen." 3)a eS nun mit beften SBiffen unmöglid^ ift, für
Oefönge n)ie ber ,,ffönig öon I^ule" ober „SReine Stul^'
ift ^in" fe^r grofee SRittel in SSe^egung §u fc|en, fo tritt
I)ier bie UJa^rl^aft |)at^oIogifd^e Südte in SSerlioj' Drgani^-
mu§ erfd^redEenb fieröor. SRan brandet fein (Sntl^ufiaft für
(Sounob ju fein, um ju geftel^en, bafe feine ©cenen jiüifc^en
gauft unb ©retd^en in jeber |)infid^t l^oc^ über ben analogen
Stummem be§ Serliojfd^en „Sauft" ftel^en: an ©c^önl^eit
unb Slatürlid^f eit ber SRelobie , an SBärme ber ©mpfinbung,
an mafeöoller Durd^fül^rung unb an bramatifc^en Seben.
©ounob ift feine fo eigentl^ümüd^e, energifc^e ^ßerfönlid^feit
wie SJerlio}, aber eine weit mufifaüfc^ere Slatur; feiner
Smpfinbung ftrömt öon felbft ber natürliche melobifc^e 2lu§brucf
entgegen, wä^renb Scrlioj wie ein laubftummer ringen mu^.
218 €ö. f?anslirf.
um ha^ feine S3ruft fjjrengenbe ©efü^I auä) nur öerftänblid^
ju mad^cn.
SBie in Serlioj' ,,3totttco" , fo finb aud^ in feinem
;,gQuft" bie reinen Snftrumentolftücfe meitau^ bie ^eröor^
ragenbften; leiber finb fie l^ier njeber fo ja^Ireid^ nod^ fo
au^gefü^rt njtc bort. SSon bem glän§enb inftrumentirten
äiofocj^marfd^ njoHen toir lieber nid^t reben; bcr 3ubel, ben
gerabe 'biefe frembc, rl^^t^mifd^ unb melobifd^ urfräftige
SBeife inmitten ber 95erIio§fd^en Siummern überaß erregt,'
bünft uns für ben ßomponiften be§ ,,Söuft" njenig
fd^meid^eltiaft. Slbgefel^en öon biefem Slbojjtiöfinb , finb ber
„3trIid^tertQn§" unb baS ,,@^(p^enbaHet" bie glänjenbften
unb effeftöoCften ©türfe beS SBerfeS. S)er melobifd^c ©toff ift
anmutl^ig, Slnlage unb Steigerung natürlidti unb überfid^tlid^,
bie SPIangtoirfung enblid^, — baS SBefentlic^e an beiben
Stüdten — ein ßabinetftüdf geiftüoHer unb erfinberifd^er
Snftrumentation. SBir muffen un§ ©emalt antl^un, um liier
nid^t über eine tJüHc mer!mürbiger 3)ctaifö, bie n)ir au^
ber ^^Jartitur notirten, rebfelig ju njerben. ^taä) biefen
reinen Drd^efterftüdEcn finb jene ©nfemblenummern be§
SBer!e§ bie gelungenften , in iüeld^en burd^ matenbe Sl^ara!-
terifti! ober finnlid^en ^Iangrei§ bie ^nftrumentirung njenig*
ftenS eine l^eröorragenbe Stoffe fpielt. ®a^in gel^ört ber
bem ,,93affet" öorl^ergel^enbe ©^Ipl^enc^or , ber gefjjenftifc^c
9titt SauftS mit SRe^j^ifto unb anbereS. SSir toürben and)
nod^ bie ^öffenfcene („5ßanbämonium") nennen, märe l^ier
nid^t bie greffe Kfiarafterifti! gemoltfam ju einem Sombaft
öon Särm unb ^äfelid^feit aufgeblatjt, tt)ie er in ber ganjen
mufüalifd&en Siteratur, Serlioj mit eingefc^Ioffen , nid^t
mieber t)or!ommt.
3m ganjen unb großen glauben toir in ,,Söuft§ SScr-
bammung" ein ©infen öon Serlioj^ fd^ö^pfcrifd^er ßraft tDal^r-
„ifaufts Perbammung'' von fj. Scrlt03. 219
junel^nten. ®§ qt^i inxä) ba^ SBer! tüit ein leidster ©d^Iag^
anfaH, ber SSerlioj' feinet, franf{|afte§ laleitt getroffen unb
öon bem e§ fid^ ni(^t njieber erholt ^at SSom ,,Souft" an-
gefangen, ber hod) erft bte S)pu^a^ 24 trägt, fließt SSerlioj'
Ißrobuftioität jel^r f^järlid^ unb ftodEt balb gänjlid^. ©^ bün!t
nn§ fel^r begreiftid^, baß Serliog fid^ nid^t lange Qüi unb
nur mit ber größten Slnfpannung probuftiö erl^alten lonnte.
SSar bod^ gerabe ba§ mujüaUfd^e latent biefeS fo öielfad^
unb {)od6begabten @eifte§ üon |>au§ au§ franfl^aft organifirt,
nämlid^ ganj auf einen ^unft geiüorfen: auf ben Sinn für
inftrumentale ^langeffefte. 2ltle§ um biefen f^prubelnben
Duell l^erum njar gleid^fam bürre^ Sanb, t)on bem nur
einige guß breit mit großer SRul^e urbar gemad^t merben
fonnten. 3n ber S^ftrumentirungöfunft ift SBerfioj nid^t
bIo§ SSirtuofe, er ift barin ?ßoet unb genialer ©rfinber, eine
©pecialität ol^negleitfjen. Slber eine ©jjecialitdt in einem
©ebiete mufüalifd^er Sed^ni! ju fein, mad^t notf) nid^t ben
großen Som^oniften. SRit ber „Siebe^fcene" unb „gee SRab"
in „SRomeo" ftanb SSerlioj auf bem ®ipfet feinet ^önnen^;
„tJauft" beseid^net fd^on ben Slnfang be§ $erabfteigen§, btn
SKoment, njo ajerlio^ felbft mit „fe^r großen SRitteln" wenig
Steuer me^r erjielen fonnte, Ueberbie^ ift SSerüoj' gauft*
Segenbe eine burd^ unb burd^ frangöfifd^e ©d^öt)fung, unb
il^r 3(utor mag füglid^ aU gnjeiter Seetl^oüen öon einer
9iation gefeiert toerben, bie in feinem ®efd^madf§^ unb
©eifte^üernjanbten SS i ! t o r $ u g o • ben größten ®id^ter
affer Briten erblidt.
®em größten Xl^eil unfere^ ^ublifumS tvax „La Dam-
nation de Faust" öoffftönbig neu; ba§ fpiegelte fid^ in ber
gefpannten Sieugierbe be§ ja^Ireid^en Slubitoriumö. ®§ UJar
im Sejember 1866, aU SJerlioj, ouf Sfnregung §erbedE§, in
SBien eintraf, um fein l^ier nod^ unbe!annte§ ^aupttuerf gu
220 <Hb. ^anslxd.
birigircn. ®er SlnblidE be§ SRanneS fd^nitt feinen tJteunben
in§ ^erj. ®r Iiatte in ben legten Sauren erfd^rerfenb ge*
altert. ®ie el^cbem frdftige, elaftifd^e ©eftalt mar öon jJ^^ft-
fd^en unb moralifd^en Seiben gebrod^en; ha^ fonft fo feurige
Slblerauge blicfte ntatt unb refignirt unter bem, grauen $aar=^
roalb ; mit fidötlid^er Slnftrengung birigirte er baS öon ^erbedf
forgfältig vorbereitete, umfangreid^e SBerf. ©ein SlidE erbeute
fidE), al§ braufenber SSeifaff i^n begrüßte. SSMioj l^at an
jenem Slbenb einen Xriumpl^ gefeiert, ber il^n für langjäl^rigc
ba^eim erlittene ©eringfd^a^ung momentan entfd^öbigte unb
aU ein le^ter Sid^tblidE bie brei legten 3a^re feinet SebenS
er^eßte. Slber fo entl^ufiaftifd^ ber SeifaH nad^ /,Sauft§ SSer*
bammung" aud^ Hang, er fd^ien bod^ mel^r ber aufeerorbent*
licöen ?J5erfönIid^feit be§ berül^mten Sonbid^terg ju gelten,
aU bem SBerfe felbft. §ätte fonft biefe^ burd^ ootte 20 3a^re
l^ier unn)ieberf)oIt, ja gänglidti öerfd^offen bleiben fönnen?
SBare ber ©inbrudt biefer SRufi! auf ha^ ^ublilum mirHi^
ün tiefer, beglüdtenber gewefen, baS SSebürfnife, fie lieber
gu ^ören, toürbe fid^ unmiberftel^Iid^ geäußert unb „gauftS
aSerbammung", gleid^ ben frtil^eren SSerfen be^ SReifterS, öon
Seit §u 3rtt immer lieber l^eröorgebrängt l^aben. 3e|t enb^
a^ f)at fi^ bie „©efeHfc^aft ber SRuftIfreunbe" ber gouft=
Segenbe öon SSerlio^ erinnert unb l^at bamit dt^i^i getl^an.
®a§ aSer! ift, bei aß feinen ©d^mad^en unb ©rubitöten, bod^
eigenartig geiftreid^ unb bebeutenb genug, um Slnfprud^ auf
eine SBieberl^oIung gu mad^en.
„Die Mett 20orte'' tioit ib. S (§ ü ^.
„Die fieben SSorte unfereö lieben @rlöfer§ unb @eUg=
mad^erä 3efu ©l^rifti, fo er am ©tamme be§ l^eiügen fiteuje^
„Die fieben Woxte" oon £}. Sd^üfe. 221
gefrrod^en , gonj belüeglid^ gefegt öon |)einrid^ @c^ü$,
furföd^ftfd^em ff o^JcHmeifter. " @o lautet ber Drigitialtitel
einer im S^^te 1623 ju S)regbctt gcbrudftcn ffird^en==
conH)ofttion , meldte jefet in SBien jur erften Sluffül^rung ge*
langt ift. S)em Umftanb, bafe bei ©elegenl^eit beS jlüeil^nnbcrt'
jäl^rigen Subilänmg öon 95ad^ unb |)änbel auc^ an beten großen,
genau l^unbert Saläre öor il^nen geboreneu SSorläufer §einrid^
©d^üfe erinnert mürbe, öerbanlen lüir offenbar biefe 9luf==
fül^rung burd^ bie ©efeüfd^aft ber SRujif freunbe. S)ie ffenntnife
@d)ü^fd^er lonmerfe ift auf ben engen SfreiS eigentlid^er
SRufifl^tftoriler befd^ranft, lüeld^e jum grojsen Il^eile toofjl
erft burd^ SBinterfelb^ unfd^ö^bareg 95ud^ über ^o^ann^^
©abrieli barauf t)ingelenlt mürben. ,,S)ie SRel^rl^eit ber ge-
bilbeten S)eutfd^en bürfte |). ©d^ü$ faum bem 3iamen nad^
fcnnen," fagt @^)itta in feinem geiftöoüen 6ffa^ ,,^dnbel,
^aä) unb @dE)ü^". ©ine fd)mermiegenbe Seftätigung unfere^
— nur Don ööllig Unmiffenben angejmeifelten — 9(u§f<)rud^§ :
erft mit ^änbel unb 95ad) beginne, ma§ öon beutfd^er SWufif
ein tt)irfUd)e§ Seben fül^rt in ber Station. S)a6 mir rüdfmärt^-
büdfenb, in §änbet unb ^aä) bie beiben legten lonbid^ter
®eutfd^Ianb§ treffen, meldEie nod^ öollauf unb ftetig in ber
©egenmort mirfen, ift fo unumftöfelid^, mie bie Il^otfadEie, bafe
ba§ beutfd^e ®rama für unS mit Seffing, ©dEiiller unb ©oetl^e
beginnt, ober bafe in ©nglanb fein SSorgänger @]^aIf<)earcS
mel^r in lebenbigem S^fammenl^ang mit ber Station ftel)t.
SBaS atterbingS nid^t l^inbert, ha^ unter biefen auS unferer
lebenbigen ffunftübung längft l^erau^gefaHenen SSorgöngem
fel^r eigenartige unb bebeutenbe latente ftd^ befinben. |)einrid^
@d^ü| ift mol^I ber merfmürbigfte beutfd^e SRuftfer be§
itebjel^nten ^al^rl^unbert^. 5Rid^t blofe burd^ feine ffunft,
fonbern aud^ burd^ feine Don ben größten <)oIitifd^en ©reigniffen
ummogtc bebeutenbe 5ßerfönlid^!eit. @r l^atte eine fel^r forgfältige
222 €b. ^anslid.
©rjie^utig genoffen, on ber äWarburger Uniöerfität bie fütö^t^
njiffenfd^aft ftubirt unb — äl^nlid^ tt)ie fi)äter 5ß^. ©manuel
95ad^ — eine S^WIang jlüifcfien bem ©elel^rtcn* unb bem
^nftlerberuf gefd^manlt. @r befafe btd^terifd^e^ Xaltni unb
eine SSielfeitigfeit ber Säilbung, tt)ie fie tt)cbcr Sad^ nod^
^anbel erreid^t l^aben. Sd^on 1609 feigen mir @d^ü^ in
SSenebig, wo er bei bem berühmten ^of^annt^ ©abrieli feine
mufifaüfd^e Silbung öoHenbet. @ine (ebenSöoHe, reid^betoegte
Seit, ba ber ^anbetööerfe^r ^tüifd^en S)eutfd)Ianb unb Italien
attmä^Iid^ anä) bie SSeröoIIIonimnung ber SRufif förbcrte.
9Bie e^ebem Jlieberlönber nad^ Stölicn gingen, um bort bie
Kom<)ofition ju leieren, fo begannen nun bie ®eutfd^en l^inju-
manbern, um com<)oniren ju lernen, ^aä^ ®obrieIiS %ob
unternimmt ©d^üfe eine itodtt SReife nad^ Italien, um —
tt)ie er felbft fd^reibt — „nod^ ber inä^ifd^en aufgebrod)ten
neuen SKanier ber SKufif fid^ ju erfunbigen". ffoum jurüdE-
gefeiert, finbet er fein SSaterlanb aU ffriegSfd^au<)Io|. 3m
Saläre 1631 mar ba§ meißenifd^e Sanb öon S:iffi)§ ^rieg^boff
nad^ ber ©rftürmung äRagbeburgä überfd^memmt, im folgenben
Sa^re bur^ SBallenftein ^eimgefud^t. O^üfe, feit 1613 für-
fürftüd^ fäd^fifd^er ^a^jeHmeifter, berliefe ®re§ben, öon ben
fitiegSmirren bebröngt, um eine S^ittang bem bönifd^en Äönig
S^riftian IV., bann bem ^erjog @eorg öon 95raunfc^meig
5u bienen. ®r Hagt in ber SSorrebe jum j^meiten Sfieile
feiner Symphoniae sacrae über „bie erbärmlid^e, im lieben
SSaterlanbe nod^ immer anfialtenbe 3^^, tt)eld)e ber SRuftf
nid^t meniger atö fonft anberen freien fünften mibrig fei",
©d^üfe ftarb in S)re§ben, mol^in er 1645 bleibenb jurüdt*
gefeiert mar, l^od^geel^rt im 88. Seben^jal^re. @S ift bemerfenS==
mertl^, bafe ein fo ed^t beutfd^er unb tief religiöfer äRann mit
©d^ü^ fomol^I nationale aU religiöfe Stnfeinbungen ju beftel^en
fjatte. SSom ^atriotifd^en ©tanb^unfte berargten il^m feine
^Die ftebcii Woüc" üou f). Sd^üfe. 223
öonb^Ieutc bie S3erufung italienifdier Sänger unb bie §tn*
neigiing 511 itoUenifd^er Sutift; afö 5ßroteftanten erbüdftcn fie
in ben fatl^olifd^en Stöliencrn ®egner i^reS ®Ian6en§ unb
bcfd^ulbigten ©d^üfe bcr rcligiöfen (Sleid^giltigfeit.
®ie eigcnt^ümlid^c 95ebeutung be§ Sonbid^ter^ ©d^üfe in
ber 9Kufifgcfd^id^te löfet jid^ auf jmei toefentlidEic äKomente
gurüdfü^rcn. ©inmol auf bie i^m gelungene Ueberleitung
ber öorgefd^rittenen italienifd^en SRufif in bie beutfd^e, fo-
bann auf ba§ Seftreben nad^ beftimmterem 9(u§brudEe, nad^
innigerer ®urd^bringung ber SonH)ofttion burd^ ba^ SBort.
®iefe beiben jielbemufeten Steuerungen führten ©d^üfe ju-
gleid^ 5U einer Sereid^erung unb SSerfeinerung ber bar-
ftellenben Sunftmittel. ©d^on in feinen ,,^falmen" feigen
n)ir ©d^ü^ ben neuen beclamatorifd^en ober recitatiöifd^en
©til, „UJeld^er bi§ dato in S)eutfd^lanb faft unbefaunt" —
auf grofee Sfiormaffen anmenben. ®ie ^jroteftantifd^e föird^en^
mufif banfte ©d)üfe il^re ßoMöfung öon ben Sanben be^
Äird^entiebe^ vlvlO eine ptiere ©ntfaltung auSbrudf^öoffen ,
üon obligaten ^nftrumenten begleiteten ©oIogefange§. SSon
biefem neuen bramatifirenben ©tife geben un^ bie ^©ieben
SBorte'' ha§> anfd^aulid^fte S3cif<)iet. ®in biefberl^eifeenber S^eiin,
ber bermöge einer l^unbertjä^rigen SBeiterentioidffung ju
ber äKad^t ber SSad^fd^en 5ßaffion^mufifen em^orgemac^fen
ift. S)ag eigentUd^e ^ßaffionSbrama ift bei ©d^ü| bon jloei
großen lijrifd^en K^örcn eingerahmt unb t)on biefen burd^
jmei 3nftrumental =* Btt^if^^cwft'ictc (,,©^nH)^onien'') getrennt.
®er §cilanb, ber ©üangelift, bie übrigen 5ßerfonen ber
Seibcn^gefd^ic^te treten rebenb auf; ifir ®efang bemegt fid^
§tt)ifd)en Slecitatib unb geglieberter SRelobie. 5Rur bie Sieben
Sl^rifti werben t)on ©treid^inftrumenten begleitet, alle übrigen
^erfonen fingen jur Drgel. äRan erfennt fd^on au^ biefent
öufeerlid^en Svlq bag ©treben nad^ K^arafteriftif , loeld^e^ in
224 €ö. ^anslxd.
einem anbern ©tüdfe t)on §. @d^ü$ (bie Selcl^rung bc§ 5ßaulu§
biird^ bie Stimme bom ^immcl) nod^ lüeit prägnanter
l^eröortritt.*) S^ibibibuette K^arofteriftif l^errfd^t nod^ nid^t in
ben ©injelgefängen ber „Sieben SBortc", bie in glcid^mö^ig
rutiigem, feierlid^em 3lu§brncf ber ©runbem^finbung öerfiarren.
®em SRufifl^iftorifer offenbart fid^ in biefem fo einl^eitttd^
geftalteten SBerfe bie öoHe Sebeutung be§ Som^oniften; er
wirb bie neuartige Sel^onblung ber ©oli nnb bie beiben t)on
altitatienifd^er SSeife fct)ön beeinftu^ten Sfiöre mit gleid^
lebhaftem Slntl^eil öerfotgen. S)er unbefangene, ungelcl^rte
^örer bürfte fic^ jwar ber fd^tid^ten frommen S^inigfeit bicfer
SKufif nid^t berfd)Ueften, ebenfoft)enig aber ber SSafirnel^mung,
ujetd^' langer SBeg nod^ öon ©d^üfe bi§ ju Sad^S ^ßaffion^-
mufifen unb §änbetö SKeffia^ jurüdEjuIegen war. Stngefid^t^
ber burd^au^ im SSieröierteltaft ftetg in E-moll langfam unb
gfeid^möfeig ba^inftiefeenben ,,@ieben SSorte" nimmt ftd^
@<)itta§ Se^au^tung: „©dE)ü| ift üiet Ieibenfd)aftlid^er aU
S3ad^" gar munbertid^ au§. SSon ber Sutunft l^offt S^jitta
fröftigere Semü^ungen jur SBieberbelebung öon ©c^tt^^ SBerfen,
mad^t aber §ugteid^ ben bemerfenSmert^en 3ufafe, ba^ unfere
Soncertföle nid^t bie Stätte bafür finb. SSielmel^r muffe
eine ©rneuerung unferer Sird^enmufil nad^ 9trt beS fiebjel^nten
unb ad^tjel^nten ^a^^x^nnitti^, ein ,,Srnfd^Iufe an ben ®otte§-
bienft" S^üfe jur ©eltung bringen. 3n ber I^at ift für
feine ©om^jofitionen bie Sfird^e ber redEite 5ßlafe. Unfer Soncert=
<)ubnfum l^at ba§ SBerf mit gef^jannter Stufmerffamfeit, aber
augenfd^einlid^ o^nc tiefere ©rregung angetiört.
*) ^bgebrucft im britten SSanb üon ?Sinterf e(b§ „3o^. ©abrieli"
6. 92.
„norbfcebilber" pon ^. Qubcr. 295-
®er Som^onift ^ai au^ ipetncS gleid^namigcm ®^flu§
ad^t ©ebid^tc für Soli, SRöttnerc^or itnb Drd^cfter btoxiditt,
öon tDeld^en fcd^§ l^ier jitr Sluffül^rung gelangten. SBa^ tt)ir
bi^l^er öon biefem forcirten, in genialifd^er aRafelofigfeit ftd^
gefaHenben ©d^meijer lalente fennen gelernt l^aben, erfüllte
nn§ feine^meg^ mit fel^r freubigen (Sm)artungen. ^n ber
%^ai, biefetbe ©rofemann^fud^t , bie fic^ nid^t begnügt, für
ein ©ebid^t l^omogenen mufifalifd^en 2ln^brucf ju finben,
fonbern ba^felbc unter ben ©turjlüeHen einc§ nnerföttlid^en
®§^rit erbrücft ; bief elbe pom^^afte Sterilität, bie nnS bereite
in ber SSerl^nberung öon ©oetl^e^ „Irilogie ber Seibenfd^oft"
erf d^recf te , l^aben wir in biefen „5Rorbfeebitbern" lüieberge*
funben. Sejeicfinenb für ba§ SBefen eine§ ©om^oniften ift
immer fd^on bie SBol^I feiner Sejte. ®ebid^te ju com^joniren,
tüeld^e bi^l^er öon guten SWufifern für mufifaüfd^ ungeeignet
gel^aften würben, reijt alle Eom<)oniften öom Sd^Iage ^ann^
§uber§. SBie wenig ^eine§ Jlorbfcegebid^tc mit i^ren frei=
fd^Weifenben reimlofen SSerfen unb il^rem swifd^cn Sanbfd^aft§=
maierei unb SReftejion fd^aufelnben ^n^aii fid^ baju eignen,
gefungen ju werben, liegt auf ber ^anb. ®ilt e§ bennod^
einen SSerfud^, fo fann füglid^ nur eine ©oloftimme geeignet
fein, \xä) biefen §eine*fd^ jugef^ifeten, l^öd^ft inbiöibueffen
®m<)finbungen unb 9lef[ejionen anjufdEimiegen. §err |)uber
läfet aber einen Dom raufd^enbften Drd^efter umwogten großen
SRännerd^or SSerfe Wie folgenbe fingen: „SRir war, afe l^ört'
id^ öerfd^oHene ©agen, uralte liebtid^e SRärd^en — ®ie iä)
cinft aU Snabe bon Jlad^barfinbern öernal^m — SBenn wir
am ©ommcrabenb auf ben Xre^^enfteinen ber ipau^tl^ür jum
ftiHen ©r^äl^Ien niebcrfauerten — SRit fleinen l^ord^enben
(Sb. ^anSIicf, $(us bem ^agebudg eines SRufifer§. 15
226 €b. dianslid,
^erjen unb neugierig flugen äugen" u. f. tt). Unb mit
welchem Stad^brucfe lö^t er ben S^or bo§ alle§ fingen! S)ie
aSorte: „SBie ouf bem gelbe bie SSeijenl^almen , fo mad^fen
unb wogen im äKenfd^engcifte bie ©ebanfen" iffuftrirt ein
toütl^enbeS gortijftmo aller Sled^inftrumente unb ber mirbelnben
Raufen, 3n ber ©c^ilberung be§ ©eefturmeS vereinigt ber
©omponift natürlid^ bie nieberfd^metternbften Drcfieftereffefte,
um bem ^einefd^en Silbe „®in Xoü^au^ öon Ionen" @f|re
5u mad^en. Slfe ein ©ffeftftüdf für Drd^efter allein fönnte
man biefen ,,@eefturm'' ebenfalls gelten taffen ; aber niemals
ift un§ bie Slufgabe eine» großen 3Rännerd^or§ unnü^er unb
täd^erlid^er öorgefommen , al§ t)ier. Stuf Tonmalerei unb
raffinirte ®IangmifdE)ungeu ift e§ nid^t nur im ©eefturm,
fonbern in bem gangen S^Hug gunac^ft abgefel^en. 2)a§ ed^t
^einefd^e fentimentale ffo!ettiren mit ben „©ternentl^rönen",
t)on benen „feine Seele überftiefet", njirb burd^ glötengeblinjel,
Ä'larinettroulaben unb Seufzer einer Sotoöioline inter-
pretirt, bie „Slbenbbämmerung" mittetft ©ngüfd^l^orn unb
Viola d'amour gemalt. 6§ ftjäre berlodEenb, an §uber§ „9iorb=
feebilbern" ®iM für StüdE nad^jutoeifen, wie berfetirt ein @e=
bid^t wiebergegeben werben !ann, wenn ber ©om^jonift um
jeben $rei^ Unerl^örte^ unb StiebergWingenbeg l^ineinptegen
trad^tet. ®od^ genug. S)a§ SSerf felbft redEitfertigt nid^t fo
lange 9lebe, unb ber Kom:ponift wäre fid^erlid^ ber Se|te, i^r
fein Df|r ju leiten.
prtu0ren nnt ^öngtr.
S)er SSiotinöirtuofe |)err liöabar 3laä)h^ ^ie§ öor
einigen ^di)xtn nod^ gang einfad^ euro^jaifd^ !It|eobor 3la(S)ti
Oltoabar Had?e3. 227
(recte 3taf (^i^) , lüic and) bie Sängerin (Serfter noc^ im
SSicner ©onfcröatorium bcn nid^t ungetoöl^nlic^cn laufnomcn
SIbele trug, beöor jtc \x(S) oI§ „&ttUa" berütjmt mad^te. Sic
^anbeltcn beibe tot\\t, ber Xiöabor unb bie ©tetia, benn ein
e jotif (^ f langboller 9lame ift tt)ie ein ^räd^tigc^ ®cmonb, in toel*
e^em njir jid^erlid^ beffer aufgenommen toerben, toenn oud^ nid^t
immer beffer entlaffen. ^ebenfoIIS ift un^ ber afiotifd^e $runl
fold^er Jian^en öiel njillf ommener , al§> bie jefet auffommenbe
SKobe fd^elmifd^er ^aug- unb S^ofenamen: bie bieten Xini,
^olbi, 3ri|i, SKi^i auf ben ©oncert* unb I^eaterjetteln.
S)ie eleganteften , nid^t immer jüngften ®amen, meldte um
feinen $rei§ in furjen SlödEIein fid^ ^jrobuciren würben, finben
e^ pbfd^, auf ben großen Slnfd^Iagjetteln in ^ö^d^en ju er:=
fc^einen. S^^ ®IüdE l^aben bie |)erren ber ©d^öpfung fid^
biefer unfäglid^ lö^jpifc^en SKobe nod^ nid^t angefdEitoffen , fo
^er^ig e§ aud^ Hingen mürbe, bafe bie ^ianiften „loni S)oor,
Suferl e:pftein unb SRafei »rütt" ba§ Sa^fdie Irtpelconcert
fpieten werben. „©ann§" für Qo^ann ift biil^er baS einzige
2)iminutit), ba§ in ber männlichen äRufilwelt borfomnlt unb
aud^ f)ot)en älnwert^ geniest. ®§ ift für äKaler, S)id^ter unb
äRufifer unbebingt öort^eil^aft, §ann§ ju l^eifeen; ba§ Hingt
fo altbeutfd^, fo ipann§ ^otbeinifd^, fo meifterftngerl^aft. SSor
breifeig Sö^i^^ii 9^6 e§ in ber föünftlermelt nod^ feinen
offiziellen „^anng" ; wer Sol^ann l^iefe, fül^tte ftd^ etmaS ^rofaif^
gebrüdft unb nannte Jid^ ^tan SSedEer, 3ean S5ott u. f. m.
§err liüabar 3lai)^^ ift ein öirtuofer Sraöourf^ieter,
beffen SSortrag nid^t fo wilb unb bermegen, afö feine äigeu==
nerifd^ bunfle ^l^^ftognomie, fein me^tiifto^^elifdi jugef^i^ter
SdEmurr- unb ^nebelbart bermutl^en liefen. SBenn er im
3ufammenf^iel mit bem ^ianiften Senno ©d^önberger fjinter
biefem rofig angel^aud^ten Süngüng ftel^t, fie^t er an^f, wie
beffen böfer S)ämon. SSa^rf^einli^ ift er bie ®üte felbft. ®ie
15*
228 &' Qaitsücf.
Siolinf ottote (G-dnr) t>on Sra^mS, mit toelc^ ine betben fiunftter
i^r Soncttt erdffneten, tft toenig geeignet, jtoei Sirtuofen
par excellence in ^eOe§ Si^t ju fteOen. 3)a§ Stnd, träumenfc^,
bef^auli^, glei^fam ^alUout in fic^ ^tnetnfingenb, geftottet
fein gldnjenbe^ $ert>ortreten tt)eber be§ äSioIin-, no^ be^
Slat>itt^pitln^. @S Hingt fd^öner im trouliii^en SRufi^immer
t)or einem $rit)atiffimum, aU im großen Soncertfoal üor einem
^$ublitum''. 93on gkoei äSirtnofen dffentli^ gefpielt, erl^alt
bie ©onote faft immer einen 3ufa| t)on obfic^tlic^er ©c^ön^
mod^erei, unb ba§ mar aud) Ie|t]^in ber gf<iS- «^err 9lQ(^e5
bolumcntirte fein ©efü^I bnrd^ öerfc^iebene fentimcntalc ©eufjcr,
bie ntc^t im (S^orafter biefer rul^ig abgeflärten Som^ofition
liegen, toa^renb ^err ©c^önberger, aud^ nic^t tüiHenS, \>it
©d^&n^eiten feines änfc^IagcS unter ben ©c^effel gu fteHen,
einjelnen S'loten mel^r Klangfülle unb Ue|)<)ig!eit gab, atö ber
fd^Itd^te 3ttfammen]^ang crforbert. Seibe cnblid^ t)ereinigten
fic^ JU einem t)iel ju fd^neHen ^citmafe in t>cm Sinalc:
„ Allegro moltomoderato^. hierauf fjjielte ^err Siac^cj
(mit S?lat)terbegleitung) ba§ Fis-moll-®oncert t)on |). 6 r n ft ,
eine ftad^e, geiftlofc Kompofttton, bie mon enblid^ einmal in
ber tt)o]^It)erbienten Slrd^ibrul^e belaffen foHte. ©ruft mar ein
bejaubcmb liebenSmürbtger SSirtuofe, ber ein öormörjltci^eS
Stubitorium allenfalls mit feinen ®om<)ofitionen t)erfö]^nen
fonnte; eigene ©cbanfen l^at er nie gel^abt. ^erm 3laä)e^
gab ha^ Soncertftücf ©elegenl^eit, ungemöl^nlid^e firoft, SluS=
bauer unb gfertigfeit nad^ j[eber SRid^tung ju cntmidEeln. Sin
Oleic^cS leiftete iperr 95enno ©d^önbergermit bem brillanten
Vortrage einer „^ßl^antafie unb Suge" bon 3t äff. 3)ie S3e=
fanntfd^aft mit biefer ®om:pofition ftimmte unS nid^t über-
mäfeig banfbar. äRit großem ^ßatl^oS beginnt SRaff ein freies
^rälubiren, baS unS mit ber bebeutenbften SKiene bon ber
SBelt bod^ eigenttid^ nid^tS fagt; bann jagt er ein Keines
fjermtne Spies. 229
|)üttbd^en öoti gugcntl^ema unabläffig über ©tpcf unb Stein,
o^tie SRitleib mit x^m ober mit un§. S)ag Sral^mSfci^e ©oncert
f^iefte |)err 5Rad^ö§ beffer atö bie ©onate. @r bel^errfd^tc
bo§ überaus fdin)ierige ©tüdf mit großer Sraöour, ©id^erl^eit
unb ©nergie: nur bie t)on i^m eingelegte ©abenj fanb id^
jerriffen, gefd^macftoS unb jebenfaHS ju lang, ©igentlidö märe
^ier jebe ©ytrasßabenj entbel^rlid^, fo reid^ bel&ängt, faft über-
laben ift biefer erfte @a^ mit 95rat)ourfd^.mudE aller STrt.
SSunberlic^ genug fügt \x6) l^ier S5raf|m§ ber veralteten Son^
ceffion, mlä)t bem SSirtuofen geftattet, fein S^Iuföei (oft
öon ber ©röfee eines (SlobuS) in baS 3ieft beS foftbarften
©ingöogefe gu legen, ©cfiabe, bafe Sral^mS nid^t felbft eine
furje Kabenj ju bem SSioIinconcert gefd^rieben ober menig*
ftenS bie SSeröffentlid^ung ber ^oad^imfd^cn öeranlafet l^at.
Sieben bem geiftöollen erften @a^ beS Sral^mSfd^en ©oncerteS
mit feinen fd^ön contraftirenben Il^emen ftel^en SIbagio unb
ginale jurüdE an <)(aftifd^er SBirlung it)ie an melobiöfer
©rfinbung. ®ie ftete SRüdEfid^t auf ben SSirtuofen fd^eint
l^ier baS freie ©d^affen beS lonbid^terS gebunben ju l^aben.-
9Ran ujeife übrigens, tt)ie SebeutenbeS bie l^ol^e ®unft eines
S3ral^mS ani) bei jeitmeilig fd^Iummernber Si^f^jiration ju
fdEiaffen öermag. S)en Sefd^Iufe beS SlbenbS mad^te bie
,/f$o^ieitSmufif" öon SK. Stufen, bie man auS bem bier*
fjänbigen Original ober auS bem öon ®. Saffen beforgten
jujeil^änbigen Slrrongement lennt. fjür biefe gefälligen, aber
burd^auS oberflöd^Iid^en SBeifen ein ganjeS Drd^efter ju in^
fommobiren, bafür f^rad^ faum eine innere 9loti|tt)enbigfeit.
S)ie Kom^ofition ift fo feid^t, ba§ man felbft burd^ bie blenben*
ben Drd^efterfarben l^inburd^ jebeS ©teinc^en auf bem 33oben
jäl^Ien fann.
@ine in ®eutfd^Ianb gefeierte, für SBien neue ©rfd^einung
lernten n)ir in gräulein Termine @ ^) i e S lennen. Selten f)at
230 €b. J?an5lirf.
eine Siebcrfangerin unfer 5ßublifum fo fel&r cntäüdt, fo fd&nett
erobert. Unb bo§ mit ben ed^teften fünftlcrifd^en SKitteln;
ol^ne öirtitofe^ Slenblüerf, ol^ne bie SEBürjc be§ blofe 5ßifanten
ober Sntereffanten. S^r Drgon, ein fräftiger, öollflingenbcr
211t öon eigenartig l^erber grifd^e, nur in ber Siefe ol^ne
red^te^ SRetaH, geprt nid^t ju jenen au^erorbentlid^en Stimmen,
bie (tt)ie manche italienifd^e) fd^on burd^ t^ren finnlid^en
3lei5 gelüonnene? 8<)iel l^oben. Slber bie fünftlerifd^e S3ilbung
biefer Stimme ift öor^üglid^, unb itire Sefeelung burd^ bie
äKöd^te: ©emütl^ unb ©eift mad^t fie unh)iberftel^IidE). ®afe
gräulein @^ie§ bie Untermeifung ©todfl^aufeng geno§,
möd^te faft erratl^en, njer biefen gröbsten unb öielfeitigften
aller Sieberfönger ^äufig gel^ört. S)ie tabellofe SSerbinbung
ber 3legifter; biefe§ fd^öne Sigato; ber lange, fo rid^tig au^^
gef^arte Slttiem; bie immer beutlid^e, forre!te SluSf^rad&e —
bieg allein finb fd^on fd^tnertoiegenbe tec^nifd^e ©rrungenfd^aften.
2lfe bienftbare ©eifter empfangen fie aber erft i^re äKad^t
burd^ ben S^^^^^^ ^^^^^ feltenen ^joetifd^en wie mufüatifd^en
«SnftinftS unb einer leben^öollen 9le<)robuItiongfraft. @oba(b
gröulein @^ie§ Ut erften 2^öne eineä Siebes anfdEiIägt, l^at
man bie ©m^finbung, ba^ fie ©ebid^t unb SKufif böllig erfaßt
unb tief in fid^ aufgenommen ^aht. Qlire Stimme fd;miegt
fidE) mit tjerfdEiiebenem ©lang ben öerfd^iebenen S^onbid^tungen
an, unb in biefen njieber ben dEiarafteriftifdEien einzelnen
SBenbungen be§ ®id^ter§, be§ 2^onfe^er§. SBaS immer fie aud^
finge, |)eitere§ ober ^^?atl^etifdE)e§ , ©dEierj ober SBe^mut^,
SdEiubert ober SralimS — man glaubt ifir aHeS. Scfilid^t,
ergreifenb flang au§ ilirem äKunbe @dE)ubert§ Sieb „SBer
nie fein 33rot mit Il^ränen a^"; „frifd^ unb n)unberl)ell",
tt)ie eS t)on bem raufd^enben Söd^Iein ^ei§t, ba§ „SBo^in?"
au§ ben äKüIIerliebern, bag id^ nur ettt)a§ tt)eniger fd^neU
gemünfd^t ^ätte. gür bie gel^altene @m<)finbung, bie langge^^
3. Caffaüe unb (E. 3Iauipaert. ^31
äogcnen 5ßcriobcn bcr 95ra^m§fd^cn ;,3Kaiennad^t" fanb
gräulein @^te§ ebenfo überjeugcnb bcn Xon tt)tc für bo§
nedfige ®eflotter bon b'2(Ibcrt§ ,,@d^mcttcritng''. ^xaf)m%^
©om^ofttion ber ötcräciligcn „^timh^x^ öoti Ul^Iatib pa^t
fd^on i^rer Sürjc mcgen nid^t für öffentlid^cn SSortrag; ia
mir fd^ctnt ba^ ©cbtd^t ntd^t einmal für SRuftf rcd^t geeignet.
@^ ift njeniger ein ©ebid^t, atö ein l^alb unterbrfidfter Sluf-
fd^rei, ein Stoßgebet, nidEjt Diel länger aU ein 2ltl&emjug;
burd^ jebe Kom<)ofition tt)irb eS auSeinanbergejogen, jur ©cene
überf<)annt. SBenm mir fd^on SRufif baju l^aben foHen, fo
mü^te fie bie affereinfod^fte, allernaibfte fein. ®a^ ift aber
befanntlid^ bie 33ral^m§fd^e nid^t. Um fo erquidfenber Hang
unmittelbar barauf Sral^mS^ ,,SSerge6Ud^e§ ©tönbd^en". |)ier
löfte gröulein @^ie§ mit öollenbetem geingefül^I bie Stufgabe,
ben ®iaIog im Vortrage ju inbiöibualifiren, oljne burd^ affju
bramatifd^e SKccente bie gorm be§ leid^tgefd^ürjten Sieben §u
burd^bred^en. 9lod^ fd)tt)ieriger ift biefe^ äRa^l^alten, nod^
größer bie ®efal)r in ©döumann^ ,,SBaIbe^gef<}räd^" ; auc^
ba fd^ritt bie ©ängerin mit ber ©id^erfieit ongeborenen Saftet
auf ber ®renjfd^eibe jlüifd^en bialogifirtem Siebe unb realer
©cene. 5Rur leife anbeutenb bleibt itir SRienenf^iel unb i^re
ftet§ rul^ige ^örperl^altung. SRit einem SEBorte: in gröulein
@^ie§ öerfd^miljt fünftlerifdEje Silbung mit ber frifd^eften
Slatürlid^feit, unb biefer S^^f^mmenllang nnrft ebenfo unmiber-
fte^Iid^, aU er feiten ift.
@ine feltene gügung tiefe gteid^jeitig jmei au^gejeic^netc
franjöfifd^e Sänger in SBien jufammentreffen: ^tan Saf fatte
bon ber 5ßarifer D^er unb ©mit Stauujaert auS ©raffet,
©teicl) ift beiben bie üoltenbete ©efang^tec^nif , bie fidlere
^errfd^oft über ba§ Snftrument, fobann bie unüergtcid^tid^
forrefte unb beuttic^e SluSf^jrad^e, bie ^unft be§ 3)ectomiren^
im ©ingen. Stuf üerfd^iebenen Gebieten tl^ätig, l&aben bie
232 <Eb. Btanslid.
beiben Sänger cinanber itid^t öerbuiifcüp öielmel^r ftd^ gegen-
fettig baburd^ genügt, ba^ mand^e Stgentl^üntUc^feit, bie an
bem ®lnen unb Slnbem befrembenb auffief, aU eine feinet-
tt)eg§ ^erföntid^e, fonbern nationale erfannt lüurbe. ^a^in
gel^ört bie fel^r breite, gutturale Sonbitbung auf e unb ai
(j'aime, r^ve), fogar in bem Sßlura^Slrtifel les (Lääh desirs)
unb anbereS. S)ie im:pofante ©timmfraft ßaffaHe§ befi^t
SSIautuaert nid^t, fo ausgiebig fein umfangreid^er SSariton
aud^ fßngt; bafür be^errfd^t er^. n)ie e^ bem Soncert- unb
Dratorienfänger jiemt, ein biet toeitere^ •mufi!attfd^e§ gelb:
üon ber teid^ten franjöfifd^en SRomanse bi§ ju ben ©antaten
t)on S5ad^. 2lm fd^arfften unb fiegreid^ften trat bie franjöfifd^e
©igenart l^eröor in S5Iautt)aert§ SSortrag ber SKe^l^ifto*
©crenabe öon SSerliog („Damnation de Faust"). SBeld^
funfeinber ®\pxii burd^gudEte l^ier berujcgen unb bod^ fo an-
mutl^ig bief eg ironifd^e ©tänbd^en ! SBir l^atten ba§f elbe Sind
furj guöor im ©ejettfd^aftSconcerte t)on einem gebiegenen
©änger gel^ört, aber blonb unb norbbeutfd^ gefungen — auS
SlauttJaertg ÜHunb Mang e§ erft glaublüürbig , jo l^in-
reifeenb. 3^^ aiomanjen t)on §uberti — gemö^nlid^er
5ßorifer ©alonftit mit titoa^ Schumann öerfe^t — l^aben un^
infofem enttöufd^t, afö lüir öon biefem un§ bi^l^er fremben
Kom|)oniften ettoaS Ungeiüöl^nlid^eS crroartetcn. ©uftatje Seon
$uberti (geboren 1843 in Srüffel) gilt nämlid^ für einen ber
entfd^iebenften Slnl^önger ber tjlämifd^en äRuftffd^uIe, lüeld^e
unter Sül^rung t)on 5ßeter 99enoit gegen ben franjöfifd^en
©tit reagirt unb neubcutfd^en SSorbilbem, inSbefonbere SRid^arb
3Bagner, nad^eifert. S)at)on ujar in ben beiben Slomanjen
^ubertig nid^tö ju merlen. S5Iautt)aert er^jrobte feine SSiel^
feitigleit unb grünbtid^e mufifalifd^e SSilbung in einer 3lrie
bon ©ebaftian S5 a d^ , einem gragmente auS SBagnerö „SReifter^
fingern", enblid^ in jtoei (beutfd^ vorgetragenen) „SRagellone-
€. Blauwaert. 233
SRomangen" öon Sral^mS. S)tc Slrie beS äRomug au§
©cbaftian SSad^g bramatifd^er S^ammercantatc : „S)er ©treit
ätoif^cn 5ßpbu§ unb ^an" (»ad^-StuSgabe XI.), ^örtc man
in SBien tool^t jum crften SKale. @ic ift ein intereffante^
a3cij'|)tcl, tt)ic bic lonbid^tcr jener S^it bie einmal gett)onncnen
unb Don i^nen mit äReifterft^aft bc^errfd^ten formen überaß
f eftl^ielten , biefetben Slu^brudE^mittel unbefangen für SBelt*
lid^e^ unb ©eiftlic^eg, für fubjeftiöe S^ril unb lel^riiafte Slu§^
fprüd^e öertüenbeten. 2lbgefel^en öon bem Keinen ©d^erje
mit bcr SBieberl^oIung ber erften ©itbe bon „lüadEett", fönnte
biefe S3uffo*9lrie ganj gut in einer feftlid^en Sird^encantate
Sod^g ober in einer Opera seria öon ipänbel [teilen.
1887.
SSir l^örtcn jum erften 3KaIc bie Duöertüre ju ©oetl^e^
,,ipcrmann unb S)orotl^ea" t)on 9iobert ©d^umantt. (£r
fd^rieb fie in feiner legten S)üffdborfer Seit ^mit großer
Suft in mcnigen ©tunbcn". SSon bem (Sefül^Ie großer Suft
ift nid^t^ in bie ©om:pofitton felbft übergefloffen. (£ine§ ber
fd^toäd^ften , unerquidEIic^ften SEBerfe ©d^umonn^, ift fie oben-
brein unbcgrciflid^ in il^rer Sluffaffung cine^ fo burd^ou§
florcn Stoffe^ lüie „©ermann unb S)orot^ea". ©d^umann
räumt in feiner Duöertüre ber SRarf eillaife bie ipau^trotte
ein. SSier- bi§ fünfmal erlüngt fie im ßaufe be§ furjen
@tüdEe§, ftetS in l^effem Dur, in beri luftigen i|oI|en Ionen
ber SWten unb Dboen, f^äter nod^ illuminirt burd^ 2^rom^ete
unb Heine Irommel — wä^renb bie eigentlid^e SbJjUe, bie
öerjen^gefd^id^te öon |)ermann unb Sorotl^ea, fid^ nebenher
in trübem Moll fd^lüunglo^ , matt, öerbriejslid^ burd^fd^Ieid^t.
95ei (Soetl^e öon affebem ba§ gerabe ©egentl^eil. ©ein (äebid^t
ift eine fonnen^cHe Sanbfd^aft, bie boji ben bunften SBoIfen
be§ 2lnfang§ fid& in erquidfenber grifd^e abtiebt unb meiterl^in
^EJcrmann nnb Porott^ca" von Schumann. 235
faum eine ©rinncrung an jene^ ferne <)oIitifd^e ®en)ittcr
auffomnten läfet. 9(m ©d^Iuffe feiner SRomanjc Don ben
,,95eiben ©renabieren" bringt ©d^umann atö geiftreid^e§
mufilalifd^e^ ©itat bie SKarfeillaife — aber erft am ©d^Iuffc,
tt)o bcr ©renabier im ©eifte ben ffaifer über fein ®rab
reiten fie^t. ^n analoger SBeife, glaube id), l^atte in einer
Dnöertüre jn ^^ermann unb S)orotl^ea" bie äRarfeiHaife (njenn
fie überl|au:pt not^menbig mar) nur ju STnfang, brol^enb,
fd^attenl^aft aufjutaud^en unb bann nid^t ujieber. S)amit tt)äre
an bie ©oetl^efd^e ©y^ofition, bie bor ben <)tünbernben granjofen
l^erüberftüd^tenben 9lu§h)anberer , l^inreid^enb erinnert. S)ie
franjöfifd^e 9iet)oIution burfte I)öd^ften8 ber ©intergrunb be^
33itbe§ h)erben; ba§ 93ilb felbft, ein ein^eitftd)e§ Songemälbe
öoH Slnmutl^ unb fd^Ud^ter $erjtid|!cit , ein Slad^flong
be§ beglütfenbften unb üoüenbetften ©ebid^teS, bag ©oetl^e
gefd^ äffen, gür foId)en 3iad)!tang fel^Iten bamatö fd^on ber
gotbenen Seier @dE)umann§ bie ©aiten. S)ie füllte Slufnal^me
ber Duöertüre ju ,,ipermann unb ®orotl^ea" UJürbe @ d^ u m a n n
tnal^rfd^eintid^ ebenfo befrembet l^aben, toit feinerjeit ber
fdE)tt)ad^e ©rfotg feiner Duöertüre 511 ©d^iHer^ „Sraut t)on
SReffina". „^ä) bin baran gemöl^nt," fd^reibt er im
gal^re 1851 an einen greunb, „meine ®om<)ofitionen , bie
befferen unb tieferen §umal, auf bag erfte ^ören öom größten
Sl^eil be§ ^ublifum^ nic^t berftanben ju fe^en. Sei biefer
Duöertüre jeboc^, fo flar unb einfach in ber ©rfinbung, l^ötte
16) fd^neHere^ SSerftäubnife erwartet." ©d&umann überfal^,
ba^ e§ aud^ ©om^jofitionen geben fann, bie, ,,Har unb einfad^",
ben §örem fein ^o^fbred^en mad^en, aber aud& feine greube.
S)ie Dubertüre jur „Sraut bon äReffina" l^at bamal^ falt
getaffen, toit f:päter überall bie Duberturen jum ,,3wliu§
Kafar", jum „SRl^eintoeinlieb" unb je^t bie ju ,,©ermann
unb Sorotl^ea". S)iefen bier legten Duberttiren ©d^umannS
236 €b. f^anslid,
ift ber traurige l^i^j^jofratifd^e Sh gemeinfant, ttjcld^cr bic
le^tc •(&po(i)t biefeS genialen 2Reifter§ fennjcid^nct.
SBenn n)ir fd^on getegentlid^ frül^ercr Kon^jofitionen
®öof afg e^einegteube nannten, in unferer ^jrobuf tionSarmen
unb refleftirten S^it einem fo originellen, naiö unb frö^Iid^
fd^affenben latent ju begegnen, fo füllen wir unS burd^
biefe gmeite S^m^^l^onie (D-moU) barin neuerbingS bcftärft.
®t)of af §eigt fid^ and) l^ier als ein SRann, ber, im ©tubium
unferer beutfd^en Slaffifer l^erangebitbet , auf eigenen güfeen
ftel^t. @§ fe^It ii)m mand^mal an afabemifd^er Ofötte, an
tabetlofem (Sbenmafe aller Steile, aber niemafö an genialen
Einfällen. ®ie jtoeite @t)mpl^onie öerrätl^ mel^r aU einen
Sortfd^ritt gegen bie erfte in D-dur. gl^re SKotiüe, ed^t
f^mpl^onifd^ , atl^men fräftige Urf^^rünglic^feit unb tt)erben in
immer neuen SBanblungen effeftüoH burd^gefül^rt. S)ie§ gilt
namentlid^ öom erften @a^e, beffen büftereS 5ßat]^og juerft burd^
ein fanfteS ®efang§tl^ema fid^ erl^eHt, bann mad^tig anttjäd^ft
unb fd^Iiefelid^ tt)ie ein immer n^eiter jiel^enbeS @en)itter leife
groHenb öerl^aHt. 3Kan fel^e fid^ ben ©d^Iufetl^eil biefeS
Sa^eS an {ütoa öbm „poco accelerando" angefangen) unb
tt)ie bie immer neuen Sid^ter burc§ l^armonifd^e unb rl^^tl^mifd^c
®ern)anblung§funft unb hjed^felnbe fflangfdrbung auf ia^
^au^jtmotit) fallen. 2lm glüdEIi^ften ift ®t)ofaf faft immer
in feinen 2lnf äugen unb ©d^Iüffen; am SluSgange jebeS
@a|e§ toeife er unS tt)enigften§ nocti mit neuen geiftreid^en
SBenbungen ju überrafd^en. ®a§ Slbagio toirlt ttjeniger burd^
fein §arte§, üon ben ^oläbläfern über leifem ?ßijjicato beS
©treid^quartett§ üorgetrageneS Sl^ema, afö burc§ d^arafteriftifd^e
©eitenmotiüe unb einen fel^r ftimmungSöoIlen ©d^tufe. S)a§
©d^erjo, ein rafd^er ©ed^Sdierteltaft in D-moll, ift ein ©tüdf
öon ftro^enber SebenSfraft unb l^inreifeenbem S^^^ ; iebenfalls
baS glänjenbfte ber ©^mp^onie. 3m ginale tobt ein ttJilbeS
,,5vinpl?onie unb Variationen" von Doofaf. 237
ölut unb treibt ein Iranll^aft trübet dtotf) an bic Dberftäd^c.
®ä tüiberföl^rt bcm Kom^joniften nid^t sunt erften SRalc, bafe
er gerabe ba^ finale etnc^ metirfä^tgcn SBerfe^ bwrd^
übertriebenen SJraftaufttjanb (aud^ in ber ^nftruntentirung)
unb burd^ allju l^eftige^ 3KobuIiren fd^öbigt. S)od^ feffett
un^ oud^ biefer ftürmifd^e @a^ fon)o]^I burd^ fein Xem^^erament
tuie burd^ fein contrapunftifc^eS S)etaU. —
S)ie „@^nH3]^onifd^eu SSariationen" t)on Slnton 3) ü o f a ! finb
otö D<)Ug 78 erfc^ienen. Sl^otfäd^Iid^ ift ba§ StüdE aber fd^on
öor jel^n ^al^ren con^jonirt. §at e§ ber ®om:()onift öietlei^t
fo lange jurüdbel^atten, ttjeil er an beffen unmittelbar tjadfen*
ber SBirfung jhjeifelte? 3n SBal^rl^eit hjerben bie @^nt:()]^o=
nifc^en SSariationen jumeift ben SKufiler intereffiren, n^eld^er
bo§ Sl^ema au§ all ben öielgeftaltigen fiebenunb^tüan^ig SSer-
önberungen l^erau^ l^ört unb mit @:()annung beffen rl^^tl^mifd^en
unb l^armonifd^en 3BedE)feIföIIen folgt, ©in grojgeS ^ublifum
bürfte fid^ hjot)! nur an effeftöotte Sinjettieiten {)alten unb
öor allem an bem Stiema fein befonbere§ ©efatten finben.
S)a§felbc ift einem mir nidEit nätjer befannten qec^ifd^en Elftor
„Ja jsem guslar" entnommen, eine eigentl^ümlid^ gebrüdfte,
fd^Ieid^enbe , trodfene 3KeIobte in C-dur, im 9t^t)t!^mu§ don
fieben Xaften. Ueberrafd^t unS fd^on im §n)eiten Saft beS
I^ema^ ba§ fd^arf einfd^neibenbe fis, fo fd^muggelt bie erfte
SSariation nod^ aufeerbem ein red^t übelflingenbe^ b unb as
in bie C - dur - |)armonie. Slel^ntid^e l^armonifd^e |)ärten,
Eiuerftönbe unb ungefd^idEte SSerbo^j^jIungen finben ftc^ nod^
l^äufig im SSerlaufe be§ SBerfe^. ®ennod^ gel^t ein großer
ernfter 3^9 ^^^^ ^^^ ®an§e, eine reidE) unb eigenartig
fd^affenbe 5ß]^antafie, tt)ie fte in ber heutigen, tl^eifö auS S^-
funft^:^, tl^eifö au§ ^a^jeKmeiftermufif beftel^enben 5ßrobuftion
anwerft feiten dorfommt. S)t)of af ift nid^t bIo§ ein glän§en=
be§, er ift ein tä^tt^, urf:()rünglid^e§, naiöeS S^alent. DrigineH
238 €b. B^anslicf.
unb natürlich, lüie tüenige neben i^nt, ^at er felbft in feinen
fd}mäc^eren ßonn^ofitionen ftet§ geniale Einfälle. S^äd^ft
33ral)m§ ift, meinet S)afürt)atten^ , S)üofaf ber begabtcfte
gnftrumental * ßonnjonift ber (Segenttjart. ©einen SBerfen
eignet nid^t bie fiinftlerifc^e SSoHcnbung, nod^ bie ^nfammen*
fialtenbe ^aft unb jhjingenbe SRotl^hjenbigfeit ber SSral^nt^fd^en
SKufif; fie finb finnlid^er, naiöer, »eid^er, »ol^I anö^ ytx-
fal&rener. 2ln Sö^^en fein Süngling ntefir, ift e§ ®üofaf
nod^ immer in feiner 3Rufif; 93ra]^m§ ift immer fräftig, ge-
brungen, mannhaft. 2luf bie „S^mpl^onifd^cn SSariationen''
gurüdEjufommen , fo n^otten fie un§ bei fel^r öorgefd^rittener
contrttpunftifd^er (Settjanbtl^eit boc^ weniger farbenfrifd^ unb
urfprüngüd^ erfd^einen, afö öiele öon ®üof afö frül^eren Eom-
pofitionen. ®enug jebod^, ba§, n^er fie aufmerffam prt, auf
feinen onbern Eom^joniften ratzen tt)ürbc, afö eben auf
5)t)ofaf.
S)a§ fiebente „^l^il^armonifd^e Soncert" h)ar eine
gro^e ßifjt^geier, mit ber „gauft:'©t|m^)^onie" atö §aupt-
unb @ct|Iu§nummer. 3n ber Dper bie beiben 3auft öon
®ounob unb Soito, im Eoncertfaale bie 3fluft=Duöertüre
üon aSagner, gauft öon SSerlios, gauft öon ©d^umann,
Sauft öon Sifät — h)ir geftel^en, mufifalifd^ fauftmübe gu
fein. S33cnn irgenb ettt)a§ un§ ©oetl^eS S)id^tung p öer-
leiben öermöd^te, fo wäre e§ bie unerfättüd^e 5ßaffion ber
©omponiften, biefen l^otjen 3Raft §u erffettern, um il^re eigne
ga^ne barauf §u pffanjen. 2lm unangenel^mften berührt un^
bie pratflerif^ fouöeräne äRiene, mit ttjeld^er Sifjt biefc^
Sunftftüdf probucirt. ®r ^at e§ fid^ freiüct} leidster gemad^t,
ober fagen tt)ir, flüger angeftettt, alg ©d^umann. Slnftatt bie
bunfeln, refleftirenben Sieben, mit benen fid^ ©d^umann ge=
plagt, in ©efang um§utt)anbeln, öerlegt ßif§t bie ©oetl^efd^e
Sragöbie furjhjeg m^ Drctiefter. ^en erften ©a^ feiner
„cfauft^Sympl^oiuc" von £if3t. 239
©i)mp^onie betitelt er ;,5ouft", ia^ Slnbontc ,,@retc^en\ bo§
©c^er5o „äRe^)l^ifto<)f|eIe§". ©el^r einfad^. 3nt ginale
„gauftö SSerflärung" la^t er ficti bie ©elegenl^eit md)t cnt=
gel)en, ein ttjenig Sectl^oöen gu f^jielen unb bie ^xxlt^xt öon
ber „il^re eigene Unjulänglid^feit füf)Ienben unb notl^menbig
5ur SBortfprac^e bröngenben Sttftrumentolniufif" ju ^^rebigen.
2)ie ©d^Iufeöerfe ,,2ltte§ aSergänglid^e" merben gefangen, öon
einem SKännerd^or mit Senorfolo gefungen. SBien f)at fd^on
im Sa^re 1875 bie »efanntfd^aft biefer „gauft=©Qm<)^onie"
gemadjt, totlö^e 5ugleid^ ein glönsenbe^ S)irigentenbebüt
$ann§ älid^terg bilbete. 5)ie geftrige, ebenfalls öon
3flict)ter mit gefteigerter SÖieifterjd^aft geleitete Slnffü^rung
öermod^te mid^ jebod^ bem SSerfe nidfjt ^u befefiren. Siä^t
fpelulirt nid^t unricfjtig barauf, ba§ ber öon ®oett)e§ S)id^=
tung au^ftra^Ienbe ©lorienfd^ein anä) bie SKufif öergolben
tüerbe. SBirflid^ :pftegt ein großer S{)eil be§ 5)JnbIifum§ einer
Drd^eftercom:pofition t)orn{)erein günftiger entgegen jufommen,
menn e§ fid^ gegmungen fielet, fortmä^renb (Sebanfen an
@oett)e§ wSöuft" bomit §u öerbinben. 2Kir tüiberfä^rt (eiber
ba§ ©egentl^eil. SBenn id^ ben erften ®a^ ber Sif§tfdf)en
@t)m<)l^onie {)öre unb mir foge, biefe§ entfe^Iid^e glidfmerf
fott ben „Sttuft" öorfteKen; menn id^ Ui biefen ge^)Iagten
aiccorbfolgen , biefen ftoI:pernben äl^i^t^men, biefen üäglid^en
SPfielobienbrodEen , biefen enblofen SBieberl^oIungen eine§ SKo^
tit)§, ba§ fd^on ©inmal fd^eu^Iid^ ift, an gauft§ erften SKono^^
log ober an ben Dfterfpajiergang benfe, bann berührt mid^
fold^e ajluftf nodf) n)ibertt)örtiger. ^wm ®Iüdf mirfen bie
SSerjerrungen biefeS ®enialitat§fram^)fe§ enblid^ auf bie Sad^=
muffeln. S)er erfte @a^ „Sauft" ift gerabeju !omifd^; ein
üer^jfufd^ter aSerlio^, ber fidf) für (Soet£)e t)ält. 2)a§ „©retd^en"
Sifjt§ betrögt fid^ im Sfnbante aKerbing^ feiner, ^ai 9Äo=
mente ber Slnmut^ unb 3ärtlid)f eit ; aber feine 9?aiöetät ift
240 €b. ^anslid.
bic gctDiffer SRafartfd^cr Äinberbitbcr , auf ttjcld^cn ^alb^
tüüci^figc äRöbd^en un^ mit gefniffcnen 3(ugcn unb bcgetjrttci^
unter öerfürjter Dberli^j^^e üorglönjcnbcn 3^^iten anfd^mad^tcn.
®er mufüatifd^ freunbtid^erc ©inbrud biejcg Sifjt^aRafart'
fd^cn ®rctci^en§ ttjirb alsbalb tobtgcfd^Iagcn bon bcr
nacften ^'ä^liiiMt bcS ©d^crjog ,,3Re<)^ifto^)^etc§". 95oito
ift ein SKo^art bagegen. S33itt man bcn Xeufel übcr]§au^)t
mufifalifd^ batftettcn, fo mufe er fur^tbar ober er mu%
l^umoriftijd^ mirfen. S5ci SJiJjt gelingt i:^m toeber ba^ ®inc
nod^ ba§ Slnbere. S)a fott er aU ber „@eift, ber ftets öer-
neint", auftreten, unb §u biefem Stoed muß ba§ Sd^erjo bie
Sl^emen ber beiben frül^eren @ä|e ,,Sauft" unb ,,®retci^en"
derbrel^en unb öerf:()otten ! S)icfer @a^, hjeld^er am ^anb-
greiflid^ften jeigt, burd) ma§ für bürre SSerftanbe^o^^erationen
Stfjt ,,aKufif" ^erdorbringt , ift bon unbefd^reiblid^er Slbge-
fd^macftl^eit. @r münbet unmittelbar in bie ,,aSerKörung",
ju toeld^er Seierlid)feit au^er bem K^or aud^ bie Drgel afe
©c^Iu^effeft aufgefpart ift. ®ie unmittelbare 8lufeinanber==
folge be§ ©c^umanttfd^en unb beS Sifjtfd^en ,,3öuft"
in biefer Eoncerttüod^e bot un§ öielfad^e Slnregung unb S5e*
lel^rung. Sie l^at unfere ©ijmpatl^ien für ben erfteren ge=
fteigert. ®a§ neben ber l^errli^en britten 2lbtt|eilung be§
©d^umannfd^en ,,Sciuft" bie beiben erften ben (Seift beg S^on-
bid^ter^ nid^t me^r in feiner alten Sraft unb gütte geigen,
l^aben toir gugeftanben. Slber e§ ift bod^ immer ber eble,
feufd^e ®eift unfere§ ©d^umann. SReiften^ grau in ber
garbe, mübe im STu^brudE, ftel^en bod^ bie fc^toöd^ften 5ßortien
feinet ,,t5auft" nod^ immer l^er§gen)innenb unb öornel^m ba
neben Sifjt^ B^^^tbilbern. 95ei ©d^umann überaß ia^ treue,
nur ju bcfd^eibene ©treben, ben Sinn be§ S)id^ter§ rid^tig
ju f äffen unb in jebem SBorte tüieberjugeben ; Überott bie
Sorgfalt, borbringlid^en äleij beg Üftange^ ju öerl^ütten unb
(El^omfon, Sarafate. 241
mit bcn cinfad^ftcn, gciftigftcn aRittcIn ju toirfcn. S)agcgcn
bei Si?ät bie unerjättlid^c ©rofetl^uerei, bic l^ral^Icrifd^e D^n^
maä)t unb tolle garbenöerfditoenbung — an ein 3licf)tö.
Sijjt§ ©^m^jl^onie fanb eine §icmrid^ laue Sluftial^me ;
nacfi bem erfteti unb §tt)citen @a^e flüchtete ba§ ^ßublilum
in tfctten Raufen. S)er angeftrengte 2r:()^3laug ber Snxü&
gebliebenen, bie ba gefontmen maren, um anjubeten, öer-
l^aHte tüirfung^Io^. 3laä) ber legten Slote ftürjten ttjir
3(nberen in§ greie, atl^meten beglücft bie Iräftig milbc ^xiXf)^
lingSluft unb gebadeten be§ überftanbenen Sifätfd^en Sttp-
brücfen^ nur mel^r mit bem Kitat ai\§> SSifd^er^ löftlid^er
„gauft"'^arobie:
S)a§ ^Ibgefd^madteftc
$ier marb eS gcf^mecft,
2)a§ ^Hertjertracftcftc
$icr toar cS bcjtoccft,
3)a§ Unöergei^Iid^c
|)icr fei eS öer^ie^n,
3)aS ctoig Sangtuciltgc
3iei^t un§ bal^in!
gtrtuöfien*
©ine intereffante Srfd^einung ift ber SSioünöirtuofe
Eöfar S^l^omfon, ©ol^n einer nac§ SSelgien überftebelten
fci^n)ebif(i^en Familie unb gegenn)drtig 5ßrofeffor am Konfer-
öatorium ju Süttid^. ®6^tocL(i)ü6) , bla§, mit burd^bol^renb
fc^toarjen Singen unb lang l^erabfattenbem fd^tnarjen §aar,
brauet er nur eine SRönd^^futte, um ben I^<3U^ eine§ mittet^
®b. §anS lief, 9tu§ bem Xagebuc^ eines SWuflfcrS. 16
242 €b. f?anslirf.
altcrü^en SlSfctcn ju öerftnnlid^cn. (£r tritt öor ba^ ^^Subü-
fum tüie (£incr, ber hoffnungslos mit ber SBdt abgefc^Ioffcn
f)atf unb nod^ bcm legten Sogenftrid^ ge^t er mit einer SRiene
ab, atö lauteten fd^on bie OIodEen ju feiner ^inrid^tung.
®abei liegt bod^ n^ieber fo öiel @rnft unb Sefd^eiben^eit in
feinem SBefen, ba§ tüir nid^t an 2lffeftation glauben fönnen.
Il^omfonS Bpitlf offenbar baS 5ßrobuft ungemöl^nlid^en
©tubiumS unb Slei^eS, intereffirt ^au:()tföc^Iid^ auS ted^nifc^em
©efi^tspunft. ®r mac^t Sunftftücfe unb ffiunftgriffe, bie felbft
geübten ©eigern ^u ratzen geben, ^affagen avi§f ber 3^iefe
in bie ^öl^e unb umgefe^rt fü^rt er mittels eines eigentfiüm*
Uctien gingerfa^eS in einer Sage auSunb f^jiett burd^ ätoanjig
bis breifeig Safte polijpl^one @ä^e :pianiffimo, mä^renb boc^
fonft baS gleid&geitige 8ln:padEen aller öier Saiten einen ftarfen
^raftauftüanb forbert. ^auptfäd^Iic^ toaxen eS ^aganiniS
Variationen über ein 3ioffinifdf)eS S^l^ema (Non piü mesta)
unb barin ttjieber feine eigene langfame ^abenj, toomit Slftom-
fon pmeift imponirte unb einen aufeerorbentlid^en @rfoIg er-
rang, ©ein 3^on ift nid^t grofe, auc§ nidf)t fo füfe ein=^
fdfimeid^elnb tok ©arafateS, an n)eld^en Sl^omfon fonft am
meiftcn erinnert. 3n baS 2lbagio legt er nid^t eben tiefe
ober leibenfd^aftlid^e ©m^jfinbung; bie langfame Anleitung
ber ^ßaganinidariationen, tneld^e bod^ fe^r einlabet §u breitem,
auSbrudfSöottem Vortrag, fang er gleid^fam mit l^alber ©timme.
SluS biefem ©runbe öerfagt feinem getüife erftaunlid^en ©^)iele
bie tiefe unb untoiberftetjlicti ergreifenbe SSirfung. Qeben
ffiunftfreunb n)erben S^omfonS Seiftungen intereffiren , jeben
SSioIinfpieler bürften fie belel^ren unb bereid^ern.
3Bie in ber SKarftfcene öon „Lakme" bie ließen ©lödfc^en
beS SöubererS, fo tnirft bei unS ber ©eigenflang ©arafateS.
ätteS SSoH ftrömt tierju unb »ei^t ni^t öom 5ß(afee, beüor
ber Ie|te Ion öerfd^oHen. 3uni SRul^me biefeS SöubererS läßt
Sarafate. 243
jid^ nid^t me^r öiel beitragen, and) öon if)m felbft nid^t.
©arafate l^at in testet S^it mieberfiolt in SBien 9ef:()iclt,
immer bei gteid^em Slnbrang, mit gteid)em ®rfoIg unb aud^
— in berfelben 3Beife. ®ie S'Iangfd^önl^eit jcine§ Soneg
tö^t pd^ fo tüenig befd^reiben, mie bie ^ejenfiinfte feiner
Sedf)nif. Dl^nc grage berul^t bie ©igentpmtid^feit unb ber
Srfolg @arafate§ ^am^tfäd^tidfi auf biefen Sirtuofenfünften,
unb barauö erHdre id^ mir avi(S), n)arum er für mid^ an
SRei^ öerüert, menn id^ il^n oft geprt l^abe. 2ln fd^ö^jferifd^er
^l^antafie, an geiftiger ffraft unb tiefer ©m^jfinbung bleibt
er un§ bod^ einiget fd^ulbig. Sag betneift unter anberm fein
aSortrag be§ SSeet^oöenfd^en ©oncertg, n)omit ©arafate
feine§tt)eg§ bie SSirfung erhielt, mie ^oad^im ober Dnbricef.
©ein gan§ einzig fü^er ©eigenton ftreift öon biefem SBerfe
t>a^ ®ro§e unb S3reite ab unb giel^t e§ inä (Srajiöfe, 9fiieb=
lid^c. aSiel naiver öerttjanbt fü^It er fid^ bem SKenbeU-
fol^nfd^en ©oncert, ba§ er überaus fein unb liebtidfi aug-
fül^rt. Sunt ®d^Iu§ f^jielte er ein neue^ SSirtuofenftüdE,
„Muineira" (bie SJiütterin), öon ©arafate nur für ©arafate
unb feine ®eige gefd^rieben. @g mirb faum einen SSiotin-
fpieler gelüften, i^m biefe§ ©tüdE nad^jugeigen, fo fe^r ift e^
nur baju ba, um feine Sraöour ^u jeigen.
3Rit ber ßtit erfättigt man fid^ jebod^ an ben B^ubereien
ber Sed^nif, menn gteid^jeitig tiefere mufifalifd^e 93efriebi==
gung fel^It unb bie ^unft faum mel^r ju 3Bort fommt
öor lauter ^unftftüdEen. S^ 6in fein befonberer SSerel^rer
t)on 93rud^§ gmeitem SSioIionconcert , aber in ©arafate^
Programm erl^ob fid) baSfelbe toie eine SÄarmorfäuIe au§
einem Raufen ©^jieljeug. ®a§ Srud^f^e ©oncert, beffen
erfter ©afe h)enigften§ ein ebleg $atl^o§ enthjidfelt unb
bie toarme @n<)finbung bei ©^)ieler§ entfeffelt, Jüar bie einjige
Siummer, bie ben Flamen einer ernft^aften ©om^jofition öer^
16*
244 <HÖ. f?ansIicF.
bicnt. 2lHe übrigen ©lüde benügtcn jid^ mit @elegcnl^eit^=
ntod^crci für ©arafated Sraöour: ein Allegro appassio-
nato öon ®. ©uiraub, eine ungarifd^c 9l]^a^)fobie öon
21 u e r, eine SRajurf a öon 3 ^ ^ 5 ^ c f i unb jh^ei Kom^jofitionen
be§ Eoncertgeber§ : „Soüabc'' unb „Jota arragonesa".
SBcnn biefe SSirtuofenftüdc bei aller Dberfläd^Iid^fcit menigften^
Slnniut^ unb grifd^e atl^meten unb l^er^l^ofte Suftigfcit ! «ber
fie alle fränietn an @rfinbung§barre unb jener falfd^en „3nter=
effont^eit", ttjeld^e jebe fliefeenbe SÄelobie flaut, jeben gefunbeu
SRl^^t^ntu^ öerrenft, jebe naturlid^e |)armonie burd^ SSor'^alte
unb SDiffonaujen öerfünftcit. Sluö bcm meland^oUfd^ mirbeln-
ben Sfiüdfentanj ber 3ig^«nermuftf !amen tt)ir biefen Slbenb faft
nid^t l^eraug. 2lud^ ©arafateS neue „SSaüabe'' jigeunert unb
n)irb nid^t ntübe, über beut E-moll-S)reiHang unauf^örlid^
bie Keine @ej)time (d ftatt dis) jammern §u taffen.
S5 ül m § ,,S5eet]^ot)en^eQ!to" gehjöiirt un§ ba§ Vergnügen,
neben ben befannteften SlaöierftüdEen be§ 3Reifter§ aud^ einige
feiten gehörte anjutreffen, tt)eld^e ben ©oncertgebern entn^eber
ju leidet ober p fd^n)er bünfen für öffentlid^en Vortrag. 3n=
bem 93üIotP fein Programm d^ronologifd^ orbnet, betont er
bie lel^rl^afte Slbfid^t be§ Unternel^meng. Sine 2lrt Kollegium
über bie EnttüidEtung Seetl^oöen^ in lauter SRufifbeifpielen.
S)a§ ift fel^r üerbienftüott, n^enngleid^ nid^t ganj unbebenllid^.
Sla^einanber eine tauge Steige üon fi'Iaöier^SoIoftüdfen aix^
berfelben ^eriobe beäfelben 3Reifter§ ju l^ören — unb fo
burd^ öier 2lbenbe — mu§ fd^Iie^Iid^ ermüben. ®egen bie
Sefriebigung unferer Sernbegierbe erl^ebt fid) bod^ attmöfilid)
ia§> SSerlangen beg D^reS nad^ Slbmed^felung. Unb biefe
mar ja, unbefd^abet ber d^ronologifd^en Drbnung unb bc§
bibaftifd^en S^^dfeg, teid^t §u befd^affen: burd^ Einreibung
5öeet^obenfd^er Slaüiertrio^ , SJioIin^ unb Settofonaten in
ba§ Programm.
£^. ü. 23üIom. 245
®a brauste ^^tx^c ö. Süloit) feinen Slugenblidf öom 5ßiono
oufjuftel^en ; mir hjürben il^n in ber Äamntcrmuftf öon neuer
Seite fennen lernen unb il^m für jhjei ober brei ©ompofitionen
öon reld^erer fftangfütte fel^r banfbar fein.
S)er erfte 2lbenb mit ben einfacheren unb ted^nifd^ leichteren
©ompofitionen Seetl^oöcn^ bilbctc gleid^fam eine einleitcnbe
aSorfc^uIe. S)er SSirtuofität eine§ ffiünftlerg wie mioto geben
fie gar ^u menig ju t^un unb ber Sluffoffung be^ ^örer^
aud^ nid^t öiel. ©efbft bie 3üngften im 5ßublifum fpielen l^eute
biefe Seetl^oöenfd^en ©rfttingSmerfe felbft, mcnn aud^ nid^t
fo gut mie 93üIom. ®iefe Älofje öon 3«^örern unb 8elbft=
fpiciern gehjann an^ ber erften S5üIon)=@oir6e ben größten
SRu^en unb geh)iB ^cl^ fd^önfte SSorbilb.
S)er lefete Slbenb öon Süloms »eet^oöen^^E^fte cntfiielt
a(ö feltenfteg unb merftt)ürbigfte§ Stüdf bie 33 Variationen
über ein S)iabettifd^e§ S^^ema. 93üIom ift ber Erfte, n^etd^er
biefe ©ompofition öffentlict} gef^jiett ober — tt)ie ber Seet^oöen*
33iogra:()]^ SB. ö. Seng fid^ au^brüdft — biefe S^l^^nj juerft
fpred^en gemad^t i^at ®a§ 93ilb ift nid^t rictjtig : n)eber bem
Spieler nod^ bem ^örer geben bie SJariationen * unlösbare
3tät^fel auf, fie finb feine Spl^tjuy, UJie bie große B-dur-
Souate, tt)elc^e SSüIoh) am felben Slbenb ejpücirte. SSarum
gerabe bie 33 Variationen ^u einer Seit, ba ber te^te
Seet^oüen längft für ba§ ©oncertrepertoire erobert mar,
t)on aHen Virtuofen ignorirt mürben unb nod^ l^eute gcmieben
finb, mitt un§ nid^t einlcud^ten. SBeber finb fie in il^rer
Sec^nif fo f^mierig, nod^ fo bunfel ober millfürlid^ in il^rer
mufifalifd^en ßogif, mie anbere Spötmerfe be§ SKeifter^.
Sollten bie Soncertfpieler fie nid^t fo^nenb, nid^t anjic^enb
genug gefunben ^aben? Unmöglid^. S)ie S)iabetti= Variationen
gehören nid^t bloß ju ben aUermerfmürbigften Sd^öpfungen
S3eet]^oüen§, fonbern aud^ ju ben ffarften unb anmutl^igften
246 <H^. ^anslid.
feines ©pätl^erbfteS. S)ie S^iefe unb gütte feiner nnerfc^öjjf^
lid^ neubilbenben 5ßl^antafte f^jottet barin jeber SSergteid^ung.
SBitt man aber biefe Offenbarung mit .üerbop^)eItem @enu§
erfennen, fo üergleid^e man bamit, toa^ fünfzig öon 93eet=
^oöenS angefel^enften S^Wgenoffen an^ bemfelben Sl^ema ge=
n)onnen ^aben. ®er SBiener 3Kufi!t)crIeger 2lnton S)iabelli
l^atte befanntlid^ bie ^jüante unb nid^t foftfpieüge Sbee, bie
naml^afteften Eom^joniften ber öfterreid^ifd^en 3Konard^ie
§ur ©infenbung je einer SSariation über baSfelbe SSSaljer-
tl^ema auf§uforbern. @ie fteöten ftd^ ^ünftlid^ ein, unb
S)iabeHi öeröffentlid^te unter bem jo^jpgen Sitel „SSater=
länbifd^er ^ünftlerüerein" biefe§ mufifaüfd^e $idfnidf. 9iur
95eet^oöen erflärte mit fouüeröner Saune, mit ©iner SSaria-
tion gebe er fid^ nirfjt ab: er tüoKe il^rer fed^§ U§f fieben
liefern. 3m SSerlauf intereffirte if)n bie 2lrbeit; l^alb ai\^
®d^er§ begonnen, n)ud^§ biefe SJariationenfette mit jebem
Siing ju größerer Sebeutung, ju ftrengerem @rnft. 9iac^
ber breiunbbrei^igften Variation burfte ber ob fold^er grud^t*
barfeit ftarf beöngftigte SiabeHi ba§ ^eft mitnel^men, n)eld^e§
bann al§ gttjeite felbftänbige Slbt^eilung be§ „SSaterlönbifd^en
ffünftleröereinS" erfd^ien. ®ie erfte bleibt ein feltfameS
^iftorifd^e§ SlftenftüdE. ®er ganje mufifalifc^e 5ßarna§ ber
StPanjiger^Safire t{)ut fid^ tjor un§ auf: neben gran^ ©d^ubert
bie gefeierten ©om^joniften |)ummel, äRofc^eleS, ^onrabin
^reu^er, 3Ka^feber, ffialfbrenner : bie ftrengen ©ontrapunftiften
©ed^ter, Xomafd^ef, SBittaffef, ®ioni)§ SBeber; öornefime
Dilettanten toit ®raf 3Kori^ Dietrid^ftein unb Saron Sanno^ ;
aSirtuofen ttJie SSodEIet, ©äern^, 5JSiji§, SeibeSborf, aSorjifd^ef
unb ber elfjäl^rige Stanj Sifjt, ber fie balb alle öerbunfeln
foüte. Diefe^ .^albl^unbert SSariationen über ein einfältige^
S^fiema burd^^uf^jielen, ift ein mül^feliger, aber letirreid^er x
©pa§. Sfeiner öon ben iHuftern Sünfgig ^eigt in feiner ^t-^
£J. ü. Büloip. 247
arbeitung einen genialen ©infatt, eine inbiüibueHe 5ß]§^ftognoniie.
3)ctfe fie faft aHe bem bamotö unBeftrittenen SJariationen-
begriff eincS brillanten @aIonftncfe§ l^ulbigten, barf und
nic^t n)unbern. Slber ba^ bie 5ßl^antaftc beinal^c jämmtüd^er
©on^^oniften über einen ^amm gefd^oren toax unb bie 3Ke{)r=
jal^Ibiefer SSariationen einanber jtnillingäartig gleid^en, inbem fie
bie öier erften C-dur-3^afte bc§ S^emag, bann bie öier
folgenben in Gr einfach in S^riolen^jaffagen ber redeten ober
ber linfen ^onb anflöjen, ba§ mad^t bod^ einen gar füntmer=
lid^en ©inbrudf. 9lur n^enige l^aben ben aRutl^, bie laftart ober
ben $eriobenbau be§ Sl^ema^ ju üerlaffen; nur jn)ei bis
brei bie ^^r(S)txi, e§ in Moll ju öariiren. Qu le^teren
gel^ören Sranj ©d^ubert, mit einem anwerft einfad^en ge*
müt^Iid^cn Sänbler in C-moU unb ber junge Sif 5t mit einer
leidet in ber ^anb liegenben C-moll-®tube in rafd^en @ed^*
ge^ntetn. S)ie SSeetfiodenfd^en SSariationen l^at Sülow
burd^megS mit Ueberfd^riften öerfefien, bie ttenigftenS bie
Slnerfennung öerbienen, einfact} unb anf^^rud^SloS geh)ä^It gu
fein. „SRarfd^", ,,S)uett", „Presto giocoso'S „Scherzino",
„SbtjHe", „^tage'' — ha§> läßt man fid^ gefallen: nur mit
einem „Sänbler" l^at bie jmeite SSariation feine Sle^nlid^feit
S)a padi ber früher genannte ^err t). Senj bie ©ad^e fd^on
granbiofer an; burd& fein unablciffigeS Oeiftbeftittiren unb
©eiftauSfd^änlen lüirb biefer jhjeifelloS geiftreid^e SKann jur
Äarifatur. 93eet:^oben§ SSariationen fd^müdft er mit liteln
tt)ie: „S)aS SKaftobont unb baS %^tma] Orgelpunftturniere ;
S)a§ 5ßaufenrät^fel ; Sluf bem ®runbe be^ SReereS; S)er aHe
Drgelmanualc f:()ielenbc SBaffertro^jfen ; ©rfteä Oratorium;
3n)eiteS; drittes; ®a§ jüngftc ©erid^t ber ajeränbcrungS=
öorfteHung!" SBeld^ brö^nenbeS ©eläd^ter »eet^oöenS, toürbe
er bie ® eifteSfräm^jf e feiner Jf ommentatoren erlebt l^aben ! S)ie
33 Variationen finb un» übrigen^ mcrtoürbig nid^t bIo§
248 €b. f?ansIicF.
burd^ bic ööttig neue, unerl^ört freie Sluffaffung ber SSaria-
tionenform, fonbem aufeerbem hwci) ifire ftarfc Sintüirfung
auf bie fölaöicrtoerf e öon ©d^umann unb 93ral^m§. SKand^e öon
ben gel^eimnifeöott berüdfenbcn Slängen in ©d^u inann^
jugenbüd^en KonUJofitionen ^ören mir l^ier fd^on anfüngen;
am auffattenbften in ber 20. SJariation. Stuf 93ral^m§'
(Snttoidflung nal^men offenbar ©d^umann unb ber lefete öeet-
l^oöen ben entf^eibenbften ©inftu^. 2ln iencm berauf^ten
il^n bie neuen fölaüiereff ef te , bie m^fteriöfen fflönge, bie
SSottgriff igleit ; öon biefcm überfam er bie SSorüebe für Ut
SSariation im meiteften ©inn, bie aufeerorbentlid^e Sütte
unb SSietfeitigfeit in ber SSeränbcrungSfunft, 93ra^m§' erfte
5ßeriobe tüeift ficben rafd^ aufeianberfotgenbe ^efte ®Iaöier=
Variationen auf, tüeld^e ol^ne ben SSorgang öon Seetl^oöen^
„Sreiunbbreifeig" unbenfbar ftnb.
(&tJms$kM^ltx.
3n ber ?ßarifer D^3er l^atte fid^ 1781 ein Heiner ©fanbaf
ereignet. @^ tonxit 5ßiccinni§ neue D^jer „Iphigenie en
Tauride" gegeben. ®cmoifette Sa®uerre, bie S)arftetterin
ber SitelroIIc, mar fo ftarf angefieitert auf bie Sül^ne ge==
fommen, ba^ fte meber gelten noc§ ftel^en fonnte unb fort=
mäl^renb üon ben fräftigen 5ßriefterinnen ber ^iana geftüfet
merben mufete. Irofebcm öermod^te fie, nad^bem fte in ben
3mifd^ena!ten ben Äo<)f in !alte§ SSSaffer getaud^t, il^re 5ßartie
fel^terfrei ju @nbe ju fingen, aber mit matter, Reiferer
lUarie van gaiibt. 249
©timme, unbctücglid^, fafeeniömmerüd^. SRan bi§!uHrtc toäfirenb
ber gonjen SSorftettung nur über bic Icid^tfinnigc „Iphigenie
en Champagne", toit ia§^ bli^fd)nett öerbreitcte öonmot
lautete, unb l^örte gor nid^t auf bie SÄufif. ^ßiccini mar in
SSerjmeiffuttg. Slber bie E^am^^agner = 3^)l^igenie tarn anä)
nic^t ungeftraft baüon. 2luf Sefel^I beS fi'önigg fül^rte man
jte in ba§ ©cfängnife gort V(BHcc\nt, au§ bem fie ^mei Soge
fpäter auf bie Sü^ne e§fortirt jpurbe, um bie Partie nüchtern
ju tüieberl^olen. 3wnt ®IM mar fie mi^ig genug, um bie
erften SBorte il^rer Stoße ju i^rem SSortl^eit au§junu|en.
„0 jour fatal, que je voulais en vain — Ne pas compter
parmi ceux de ma vie!" begann fie mit einem fo rül^renben
SluSbrudE bußfertiger SReuc, baß baö gan^e $ubli!um in lauten
8(^)<}Iau§ auSbrad^. Sie toar gerettet. Slm ©d^Iuffe be§ erften
Slftg tt)urbe ber S)emoifeHe Sa ®uerre berfünbet, ba§ fie
tt»ieber in greifieit gefegt fei. ©ie fang loie ein @ngel, unb
$iccinni§ Dptx ma6)tt gurore.
gaft biefelbe ©efd^id^te, nur mit einem anbern Schluß,
l^at ficti ^unbert ^al^re \p'ättx in ber 5ßarifer DperaSomique
mieber^olt. Sine l^oc^betiebte junge ffünftlerin, SKarie üan
Sanbt, fang bie Siofine im „Sarbier öon ©ebiöa" — ober
rid^tiger; mottte fie fingen, ©rl^ifet, fd^tnonfenb unb öertuirrt
betrot fie bie 93ül^ne, öerfefilte bie Sinföfee unb fang unju-
fammenl^ängenbeS S^wg- ®ö§ ^ubtifum brad^ in laute ©nt-
rüftung au§ unb ließ bie arme 3tofine nid^t meiter fingen,
greilid^ erflärte SRabemoifette öan 3^iii>t %aQ^ barauf in ben
Sournalen, fie fei nid^t öon K^am^jogner, fonbern nur öon
einer ju ftarfen ®ofi§ SKorp^in hticLubt gemefen, unb ba mir
im Steifet un^ jeberjeit ber milberen 2lu§Iegung anfd^Iießen,
glauben mir i^r gerne auf§ SBort. Slttein bie $arifer moHten
nid^t glauben, unb SRorie öan S^nbt erfd^ien nie mieber in
ber Opexa Somique, bereu Stern fie big ju jenem Slbenb
250 <H^. f^ansIicF.
getDcfen. SBie öicl öerföl^nlid^er unb gemüt^üd^er tüar bod^
ba§ franjöfifd^e 5ßublifum be§ ac^tjel^ntcn Sö^r^unbcrt§! @§
na^m bic ou§ bem ©cfängnife gcl^olte ©ängerin fofort in
®naben tüiebcr auf, tüä^renb ba^ l^eutige ^^Jort§ jene fatale
@ccue nie lieber öergiel^en unb fid^ felbft feiner onntutl^igften
lifünftlerin beraubt l^at. SBie aber jebeS Urtl^eil aud^ fein
®ute» nad^jufd^Ie<)pen l^ffegt, fo l^at ba§ ern^al^nte äRifegefd^itf
bem gräutein t)an 3onbt fd^neß bie allgemeine Slufmerffam-
feit jugetüenbet. ©liebem nur in 5ßari§ gefeiert, erregt fie
je^t aU intereffante Stotabilität überoß bie begierigfte ®r=
hjartung. ©o aud^ bei nn^, im großen SUiuftfdereinäfaal, n)o
fid^ bie vielgenannte ®ame afö ©oncertfängerin l^ören liefe.
©ie begann mit einem SRecitatiö unb @tro^)!^enIieb au§ 3)e=^
übe§' D^jer „Lakme", eine 'SSa^l, bie mel^r ber Sängerin,
aU bem ©omponiften 5um SSortl^eit gebie^. Sine geläufig
perlenbe Seilte, n^eld^e bie l^öd^ften löne mit Seid^tigfeit an-
fdfjlägt, Vermag bamit ju gfänsen; bie Kompofition felbft be^
rü^rt faft unangenehm burd^ bie raffinirte ©raufamfeit, mo^
mit fie un§ in bie öerjtpidften SR^tjtl^men, bie wiberl^aarigen
Intonationen unb bie jammernben SSofafifen orientalifd^er
SDtefobif derftridft. ^n ber D^jer felbft — fie f^jielt in bem
I)eutigen S^bien — entbehrt biefeS „Air de clochettes", mie
eg toegen ber geftimmten ©lödfd^en benannt n)irb, feine^meg^
ber bramatifd^en SKotiüirung. 2luf SSefel^I il^reö SSater^,
eine^ fanatifd^en 95ra^minen unb Sobfeinbe^ ber ©nglönber,
mufe bie fd^öne Safme bei einem SSoIf^fefte auf offenem
SKarfte 'oa§> Sieb fingen, bamit burd^ i^re ©timme ber eng-
lifd^e Dffijier ©eralb l^erbeigelodtt toerbe unb itn S5ral)minen
in bie §änbe faKe. S)ie ©ituation geftattet ber ©öngerin,
in jene abenteuerlid^en Koloraturen bramatifd^e^ Seben,
ined^felnben Slu^brudf ju bringen; Safme fingt immer leiben*
fd^aftlid^er, immer t)er§n)eifelter, je mel^r ber l^eimlic^ (Seliebte
HTaric van ganbt. 251
•
fid^ i^x nafjtxt — i^r unb bem fi^ern Untergang! gräniein
t)an 3<^tibt, meldte befanntü^ bie ?Rottc ber ßafnte mit
an^erorbentlid^em @Iürf freirt tjat, ift in bicfer gcfonglid^ tt)ie
f^anf)3ielerifcl^ gteid^ fd^wierigen ©cene am meiften betüunbert
tüorben. 9Kan mer!t e§ i^r oud^ im Koncertfaal iin, ba§ i£)re
eigcntüdbe ®omane ba» 2^1^eater unb ba§ il^r grajiög be-
n)eglid^e§ @))iel öon i^rem ©efang un^erttennüd^ fei. SBir
fennen fic alfo nur t|a(b. ^i^vt Stimme, ein jarter @o))ran,
ber mü^elog ba§ l^o^e d, es, fogar e anfdilägt unb rein feft=
^äft, tt)ir!t burd§ grofee Siegfamfeit unb ©eläufigfeit. Qn
ben ^o^en ^o))ftönen Hingt bie Stimme reijenb, in ber
SRittellage unb für getragenen ®efang t|at fie gu njenig JJüHe
unb SBol^Haut, fogar einen teid|t näfeinben Seiflang. SBöl^'
renb bie Sängerin in bem- t)aI§bredE|erifdE|en ®tödEd^enIieb ber
Safme fid^ raufd^enben 93eifaH er^tpang, liefe il^r SSortrag
be§ SKignon-Siebe^ öon 2lmbroife S^^oma^ falt. S)iefe ein=
fadjen @tro^5^en tjerlangen, menn aud^ feine grofee, bod^ eine
n^arme, ft)m^5atl^ifd^e Stimme, bie bei bem STuSrufe: „®a^in,
ba^in!" frei au§ öoHer »ruft au^römt. 9Kit bem Sn^alt
be§ Siebet öoHfommen öertraut, öerftanb mon baöon einzelne
SBorte ; bie übrigen 9iummern liegen !aum errat^en, in tneld^er
@))rad^e JJröuIein Dan S^nbt überl)au))t finge, fo unbeutli^
ift i^re 2lu§f^5rad^e. SBa§ für biefe Sängerin f^m^^atl^ifd^
einnimmt, ift gar nid^t il^re Stimme, öiel mel^r fdion il^re
bebeutenbe, wenngteid^ nid|t boHenbete S^e^nif; am meiften
aber ber grajiöfe unb geiftreid^e S^^t ber i^ren SSortrag tnie
ein feiner ^arfüm burd^bringt. g^re Semegungen , i^r
Säd^eln, it|r ©rüfeen — atteS ift öon üebenSmürbiger Slnmutl^
unb Sftobteffe. So intereffant gräulein öan S^ubt im Kon=
cert aud^ mirfte, bebauern muffen mir bod^, bafe fie un^ nid^t
lieber auf ber 93ü^ne, in einer i^rer ©lansrotten, entgegen-
getreten ift.
252 €». BansUa.
•
fKit nnQittobffnii^ct SiKmnimg f^at man boä ct^t Suf^
treten ber Sängerin 9Rarcei(a Sembric^ enooitet. Seit
tttoa a^t ^a^ttn mxh ne in Sonbon, $ari^, ^eterSfotrg
nnb Serün ai^ eine @efang^!ünfilerin erfien ätongeS ge-
anriefen. Xad i\t fte onc^. 9tnr fyit äbereifrige ffttUamt ft^
nic^t begnügt, nne in ber Sembric^ einen Stern onsnfnnbigen,
fte tytx^pxad^ gieic^ eine Sonne, üor ber oQe Sterne erbleichen.
Xer ytad^ti^til folc^er Uebertreibungen bleibt niemals an§,
nnb fo glaubte benn mancher 9Rufi!frennb, ber unter onberen
S3orau§fe|ungen ba^ groge Zaient ber Sentbric^ freubig an-
erfannt l^atte, i^r t^onoerfen gu muffen, ba^ fte gemiffe üir^
tuofe 3)etaite ber ^atti nic^t erreiche. 3^^ ber ^loratur ber
^attt ift aUerbing^ jeber einzelne Zon noc^ feiner unb
fc^ärfer ^erauSgcmeifeelt unb öor- aUeni ber Iritter in bem
genaueren Äbftanbc beiber Sßotcn, in feiner @ldäfyüt unb
Sc^neQigfeit weit DoQfomutener. S)ic Seuibric^ bleibt bem-
ungeachtet eine groge @efang3lünftlerin, bie fogar titoa^ tyox
ber je^igen 5ßatti öorau§ f)ai, bie jugenblic^ere grifd^e unb
fitaft in ben (öon ber ^atti gegenwörtig forgfam öer=
miebcncn) l^öc^ftcn löncu. SBir l^örten bie Sembric^ tokhex-
f)oU ba§ breigeftri^ene Es frei unb fröftig anfd^Iageu, unb
in ber jmeiteu Slrie ber Königin ber 9ta^t bie gefal^rlid^en
<3tattato^ unb Iriolenfctten glönjenb bcttjältigcn. Sluf btefe§
SPunftftüdE legen toir fcineSmegS ben größten SBertl^; ni^t
einmal auf ba§ brillante geucrtüerf, ba§ bie Sembrid^ in ber
aSal^nfinnSfcene ber Sucia fo fiegreid^ lo^brannte. SBa§ il^r fo*
fort unfere Sld^tung unb S^m^jat^ie ernjarb, mar im ®egcn*
tf)eil eine gonj f^mudlofe ©antilenc : ba§ Slnbante, toelc^eS bie
erfte Strie ber Slbira in ben „Puritanern" einleitet. S)a
mirlte ber unbefd^reiblid^ fü&e, toeid^e Stiaug biefer ed^ten
©o|)ranftimme im SSerein mit ber fd^önften lonbilbung unb
DoHenbeten Slobleffe be§ SßortrageS bejaubernb. 9lu^ in ber,
in, Sembvidf, paiiline £ucca. 253
^eute titoa^ üerbla&ten 9(ric bcS @d^äfcr§ Slmtnto au§ SWo^
5art§ 3w9enbo))cr „II Eö pastore" erwie^ fid^ bie ©cmbvid^
ot§ gebiegcne äRojartfättgcrin. 2(u§ il^rent ©efang \pxi(i)t
eine burd^au^ mufilalifd^e 9iotur. Slirgenb^ ein unfc^öne§
Uebertreiben, @c^Ie^)^5en ober 2^remoIiren — nirgenb§ eitle
@ffe!t!^afc^eret unb bo^ überall ber getüiinfd^te ®ffe!t. Se^
!anntüd^ ^at bie ©entbridi aU SSioIinf))ieIerin cjcettirt, bcöor
fie §um ®efang überging. Unb baö tt?irfte, ganj »ie einft
iti K^riftine 9iitöfon, getoife fegen^reid^ auf bie fReinl^eit t^rer
;3ntonation, auf bie feine (£mpfinbli^!eit il^re§ ®el^ör§.
3n bem für ben „S)eutfd^en ^it^^t)txtin" öeran-
ftalteten Koncert ^örten wir öon i^xan Routine Succa
5um erften SRale ein gragment au§ 3W a f f e n e t ^ neuefter Dper
„Le Cid« : bie ©ceue ®^intene§ ju Slnfang beg brüten 2lftg.
©bimene überlädt fid^ barin ifjrem ©d^merj, öon bem
OeUebten, ber ibr ben SSater getöbtet, auf emig getrennt gu
fein. 9iad^ einem flangöott inftrumentirten Dr^efteröorfpiel,
tt)orin bie Klarinette bie SKelobie öorauSnimmt, gelangen
tvix §u einem furjen Slecitatiü unb bem Slriofo ©l^imene^
in H-moll: „Pleurez, pleurez mes yeux!** (£§ ift bie§ ein
ftimmung§t)olIer , anfangt aud^ fdjlid^t melobiöfer ®efang,
ber fid^ aber balb fteigcrt unb §u jenem f^arf beKamirenben,
ejattirtcn ^jJatl^o^ aufftad^elt, an tüeld^cm n)ir bie neufran=
^öftfd^e ©d^ute unb SKaffenet inSbefonbere erfennen. SSerftönb^
ni§ unb öoße SBirfung fann btefe Scene nur im B^^f^mmen*
:^ang mit ber ^anblung, auf ber Sül^ne, ernjerben. Sie
fRoHe ber ®t|imene bürf te ber Succa einen neuen lol^nenben
@))ietraum für i^r eminent bramatifd^eS S^alent eröffnen.
SSon btefer fpecieHen Begabung ber Äünftlertn ^at felbft i^r
©oncertbortrag eine glängenbe $robe geliefert. ^tbt§> SBort
ber troftlofen Ktiimene mar fo einbringlid^ accentuirt, jebe
252 €t>, f^anslirf.
•
ÜRit ungctüöfinlid^cr 8^)annung I)at man ba§ erftc Sluf==
treten ber ©öngerin aRarcella ©embrid^ crtoartet. Seit
etnja a^t ^aljxm it)irb fie in Sonbon, 5|5ari§, Petersburg
unb 93erlin aU eine ©efangäfunftlerin erften 3tonge§ ge*
))riefen. S)a§ ift jie auc^. Slur l^at übereifrige 9lefIome fid^
nid^t begnügt, un§ in ber ©embric^ einen Stern anäufünbigen,
fie i)tx^pxaä) gleich eine ©onne, öor ber alle Sterne erbleid^en.
S)er Sla^tl^eil fofd^er Uebertreibungen bleibt nientafö auS,
unb fo glaubte benn mand^er SKufiffreunb, ber unter anbercn
SSorauSfe^ungen ia^ grojse S^afent ber ©embrid^ freubig an-
erfannt l^ötte, il^r öornjerfen gu muffen, ha^ fie gen^iffe öir==
tuofe ®etaife ber ^atti nid^t erreid^e. 3n ber Koloratur ber
^atti ift aHerbingä jeber einzelne Ion nod^ feiner unb
fc^ärfer l^erauSgemeifeelt unb öor- allem ber 2riIIer in bem
genaueften Slbftanbe beiber 9toten, in feiner ©leid^iieit unb
©d^nettigfeit tt)eit öoHfommener. S)ie ©embric^ bleibt bem*
ungead^tet eine gro^e @efang§!ünftlerin, bie fogar ettnaS t>or
ber je^igen ^atti öorauS ^at, bie jugenblid^ere grifd^e unb
ffiraft in ben (öon ber $atti gegenwärtig forgfam öer*
miebenen) l^öd^ften Ionen. SBir tjörten bie ©embrid^ toitbtx-
^olt ha^ breigeftrid^ene Es frei unb fräftig anfd^Iagen, unb
in ber jweiten SIrie ber S'önigin ber Stad^t bie gefäl^rlid^en
©taffatoS unb Iriolenfetten glönaenb benjöltigen. 2Iuf biefcS
ÄunftftüdE legen wir feineSWegS ben größten SBcrt^; ni^t
einmal auf ha§> brillante JJeuerwerf, ba§ bie ©embrid^ in ber
SQäal^nfinnSfcene ber ßucia fo fiegreid^ loSbrannte. SBaS il^r fo-
fort unfere Std^tung unb ©^m))at^ie erwarb, war im ®egen^
tl^eil eine ganj f^mudlofe Kantilene : ba§ Slnbante, welches bie
crfte Slrie ber ©löira in ben „Puritanern" einleitet. Da
Wirfte ber unbefd^reibfid^ fuße, weid^e Slang biefer ed^ten
©opranftimme im SSerein mit ber fd^önften lonbilbung unb
DoHenbeten Slobleffe be§ SSortrageS bejaubernb. 2lud^ in ber,
in. Scmbrtd?, paiiKne £ucca. 253
l^eutc ütoa^ öerblafeten 9(rtc beS Sd^äfcrö Slntinto au§ 3)?o=
5artg ;3ugenbo))cr „II R§ pastore" ertötet fid^ bic Scmbrid^
ofö gebiegcne äRogartfängerin. Slug tl^rcnt ©efang \pxi(i)i
eine burd^au^ mujilalifci^e Sftatur. 3lirgenb§ ein unjd^öne^
Uebertreiben, ©^Ie<j^)en ober 2^rentoItren — ntrgenb§ eitle
©ffeftl^afd^crei unb bod^ überall ber gctoünjd^te ®ffe!t. Se-
!anntttd^ tiat bie ©embrtd^ atö SSioIinf^^ielerin ejceHirt, bcöor
fic §um ®efang überging. Unb ba§ tt?trfte, ganj »ie einft
bei e^riftine 5Ritöfon, getoife fcgen^rei^ auf bie fRein^eit t^rer
Intonation, auf bie feine (£ntpfinblid^!eit it|re§ ®e^ör§.
3n bem für ben „S)eutfdöen §ilf§öerctn" öeran=^
ftalteten Koncert ^örten tvxx öon grau $auUne Succa
5um erften SRale eingragment au^äWaff enet^ neuefter Dper
„Le Cid« : bie Scene Sl^imcne§ ju Slnfang be^ britten 9lft§.
©bimene überlädt fi^ barin ifjrem @d)merä, öon bem
OeUebten, ber ibr ben SSater getöbtet, auf en)ig getrennt gu
fein. 9iad^ einem Hangöott inftrumentirten Drd^efteröorfpiel,
n)orin hk S'Iarinette bie SKelobie tiorauSnimmt , gelangen
tt)ir ju einem !ur§en Slecitatiü unb bem Slriofo ©l^imene^
in H-moll: „Pleurez, pleurez mes yeux!" @§ ift bie§ ein
ftimmung^öoller , anfangt aud^ fdjlid^t melobiöfer ©efang,
ber fid^ aber balb fteigert unb §u jenem f^arf beflamirenben,
ejaltirten ^ßatl^oS aufftad^elt, an toeld^em toir bie neufran=
^öftfd^e ©d^ule unb 3Koffenet in^befonbere erfennen. SSerftönb*
nife unb öoße SBirfung !ann biefe ©cene nur im B^^f^mmen-
!^ang mit ber ^anblung, auf ber Sül^ne, ertnerben. Sie
fRoHe ber K^imene bürfte ber Succa einen neuen lol^nenben
@))ietraum für i^r eminent bramatifd^eS S^alent eröffnen.
SSon biefer f))ecietten Begabung ber Äünftlerin t)at felbft i^r
©oncertöortrag eine glänjenbe ^robe geliefert. 3cbe§ SBort
ber trofttofen ©^imene tnar fo einbringlid^ accentuirt, jebe
254 €b. fjansltrf.
^^rafe fo leibcnfd^oftUd^ geförbt, ba§ bie 3uf|örer, obglcid^
üon jebem SBcrftönbitife bc§ ^uf^mmentiangö abgefd&nittcn,
jic^ einer tiefen S5cn)egung nic^t emel^ren tonnten. 2)ie
Senbeng, öor allem bramotifc^ gu mirfcn, wirb augerl^alb
ber D^5er leidet gefä^rlidö. Sie mirft ein fd^ielenbcS ßic^t
auf ^xan SuccaS SieberDorträge, Wie ^um a3eif^)iel be§
„SSeilc^en^" öon Sölosart. S)ie ©tro^)^en be§ befd^eibenften
93Iümd^en§ erfüllt grau Succa mit einem fd^merälid^cn ^ßatl^oS,
ha^ Weit über ben !teinen ©toff, weit über ben 8til be§
Siebet ^inauSgreift. So fingt fein SScild^en, fo ftirbt fein
aSeild^en, nid^t einmal eine 2t(oe. ©odte biefer üersweifcinbc
Ion bennod^ bere^tigt erfc^einen, bann müßte er in ben
©d^Iußworten wenigftenS üagenb nad^tönen. grau Succa
laßt aber biefe ed^t wienerifd^en ©d^lufeworte ,/§> war ein
^erjig'g Seilten" — äRojart f)ai fie eigenmä^tig bem
©oet^efc^en ®ebid^t angeflidEt — mit fütiler 9lbftd^tlic^=
feit, faft gfeidögiltig abfallen. Slud^ ^err 91 e i d^ m a n n ,
unfer gefeierter D))ernbariton , ift fein echter Sieberfönger.
®r fc^äbigt ben günftigen SinbrudE, beffen feine flangüotte
Stimme, beutüd^e 8tugf))rad^e unb warme ©m^^finbung überall
fidler ftnb, burd& ein Uebermaß öon t^eatraüfd^er @entimen=
talität. SBenn lefetere fd^on mand^e feiner I^rifd^en Dptxn^
^5artien trübt, Wie ben SBoIfram, ber im ©ängerfrieg fi^ öor
$er5We^ gar nid^t ju faffen weife, fo wirft fie nod^ befrembenber
im Siebe. §err Sleid^mann fingt ©d^umannS „S)u bift wie eine
Slume", ein ^einefc^eS, alfo nic^t fel^r tiefgefühlte^ ©egenö^
Wort, mit bem SIuSbrudE einer ftd^ öerblutenben S^roftlofigfeit.
3n fofc^em 2:on fönnte etwa SuciaS ©bgar, ba§ SReffer im
Seibe, ber SBelt Slbieu fagen. 2tu^ in Söwe§ SaHabc
„Sbwarb", bie fel^r gut angefangen war, glaubte ^err
SReid^mann jebe folgenbe @tro))^e immer t^eatraüfd^er auf-
Hcid^mann. 255
blafen ju muffen. S)a beritten fic^ bie Slnttüorten ©btüarbS
„äRcin .§au§ unb ^of", bann „Safe fte betteln gel^n" 511
einer tragifd^en Ueberf d^njönglic^f eit , bie ^öd^ften^ auf ber
93ü^ne in einem njirflid^en 3)uett jnjif^en äKutter unb @o^n
fic^ motiöiren liefee. ^m SSortrog einer SJadabe, felbft einer
bialogifd^ abgefaßten, barf ber epifd^e ©runbton niemals bi§
auf bie le^te Spux öerloren ge^en.
I88S.
(dttoertüre von 3oa($tttt, %mU von ^rieg.
®ie 6eiben Drd^cfternoöitöten, mit töel^en ^offa))ettmeifter
$onn§ Slid^ter un§ üBerrafd^t l^at, bebeuten ^ulbigungen für
jtüei S)ic^ter. S)ie erfte, eine Dut)crtürc öon Qoa^im, tft
bem SIttbenfen ^einrid^ ö. ^Ieift§, bie onbere, eine „Suite
im alten Stil" öon ©rieg, bem 2tnbenfen ^olbergS ge-
mibmet. SBer nid^t in fe^r finblid^en SSorfteHungen über bie
SlugbrudfSfäl^igfeit ber Sttftrumentalmufif befangen ift, ber
toirb öon feinem biefer beiben Drd^efterftüdfe eine povtväU
getreue ©d^ilberung be^ betreffenben $octen ernjarten. SBeber
^oad^im nod^ @rieg ^aben je öermeint, irgenb ein SKenfd^,
mit bem 2itel biefer SWufifftürfe unbefannt, fönnte beim Sfn-
l^ören juft auf fi'feift ober auf ^olberg verfallen. 3)er 2^on=
bid^ter giebt un§ ^ier glei^fam ^Wd öerf^iebene JJäben in
bie |)anb, bie ©om^jofition unb ben S^itel — biefe fotten n^ir
im ©eifte mit einanber öerfnii))fen. 3)ie ^ß^antäfie be§ einen
|)örer§ njirb fid^ babei tniHfafiriger, gef^äftiger jeigen, al§
bie eines anbern. 3lur wenn voix gar feinen SSereinigungS-
punft für biefe beiben gäben entbeden, gar feine innere S5er=
manbtfc^aft jnjifd^en bem SRufifftüdE unb feinem Jitel, bann
OuDertüre von 3oad^tm, Suite von (Srie^. 257
toerbcn toix fagcn fönncn, ber ©on^jornft f)at einen SRijjgriff
getl^an. S)ie§ ift »eber ^oad^im nod^ ©rieg tt)tbcrfa]^ren.
3)oc^ fd^eint unö legieret glüdKic^ct getoefen ju fein in ber
Sln|)affung feiner SKuft! an bcn gegebenen Stoff: „Stn^ $ot
berg§ Seit", ^m So^re 1884 njaren eä jtoeil^nnbert So^re
feit ber ®eburt Snbmig ^olbergS, beS beften unb erften
Suftf|)ielbid^ter^ S)anentarIS. 5Rietö @abe feierte biefeä
Snbilänm mit einer Drd^efter-Snite „Holbergiana«, ©bn^arb
@rieg mit ber ©uite für ©treid^inftrumente. ©ine feine,
geiftreid^e 9(rbeit, anf^jru^Slofer nnb njeniger ejotifdö, crfö e^
bie ®om))ofitionen biefeS 3lom)eger§ §n fein iJflegen. S)a§
Stltert^ümlid^e erf^eint in ben formen, SRl^^tl^men, SSer^
jierungen gefd^idft getroffen unb bod^ mit mobernem ®eift
crfüHt. 3leijenb ift ba§ „Air" in G^-moU mit feiner toeid^en,
leidet getröfteten ®ä)totxmuti), öod lebenbigen §umor§ baS
bie Suite effeftöott abfd^Iiejsenbe lanjftüdE „ßigaudon". ^n
einem tjortrefflic^en ®ffa^ fagt ®eorg S5ranbeS öon ^olberg:
„SBoS er aud^ l^eröorbringt, er nimmt aHe§ üon ber luftigen
Seite. §ier lommt feiten eine anbere Stimmung afö bie
be§ guten ^umor§ pm SSorfd^ein, anwerft feiten ein 8ug üon
SBel^mutl^, nur ein einjigeS SRal ein Slnftrid^ üom SRül^renben.''
Sin biefe Kliarolteriftil ^olberg^ badeten n)ir bei ber Suite
t)on ©rieg, bie gleid^faüS ba§ Seben leidet nimmt nnb un^
ia§f ®eniej5en leidet mad^t. ^oad^im^ Duüertüre ift eine
ernftere, fc^n^erer toiegenbe Slrbeit, bod^ birgt fie toenig, tt)a§
uns nötl^igen lönnte, fie unter bem @influ§ üon §einric^
t). ffileift ju benfen. SSon biefem lebt nur ber grübeinbe,
meland^olifd^e gug in Soad^imS Dut>ertüre, bie in i^rer trüben,
ujeid^en Stimmung an Sd^umann, nomentlid^ ftar! on beffen
©enoöefa-Duöertüre erinnert. SEBir üermiffen einen öiel ent=
fc^eibenberen Sw* ^^^ leibenfd^aftlic^ Äufflammenbe, ®e=
tüaltige, \a ®etöaltfame, baS ffileift« SBefen fennjeid^net unb
(Sb. $an§(id, 9lue bem Xage^uc^ eines fßlufxUxS. 17
258 <2b. BfansM.
feine Did^tungen prägt. Slbgefel^en öon ber poctifd^en lieber-
einftimmung — meiere, wie gefagt, ebenfofel^r in bem guten
SBiHcn unferer eigenen $^antafte, aU in ber Partitur felbft
liegt — ift 3oac^im§ Äleift-Duüertüre ein ebel gebac^tc^, mit
tüchtiger S'unft au^gefül^rteS lonftüd, tt)ie beren l^eute nid^t
adjuöiele auf ben 9Karft fommcn.
2Scrrt05' Kuvertüre ^u „^cnvenuto (EeCTtni*'.
@in lonftüdE, ju beffen Settjunberung unfere ©oncertbiri-
genten un<^ feit einem SSiertelja^r^unbert ju erjielien bemül^t
finb. 2^ro§bem fd^eint ha^ 5ßublifum bem S)inge nod^ immer
mel^r öerblüfft atö erbaut gegenüberjuftel^en. SBa^ mid^ be=
trifft, fo t|at f^on ju einer Seit, ba ic^ ber SRufif unb ber
feffeinben $erfönli^!eit ^eltor 93erIio§^ nä^er geftanben, mir
bie Sefanntf^aft feiner üier Duöertüren §u „©eßini", ben
„SSe^mrid^tern", ,,2Bott)erIe^" unb bem „Korfar" eine bittere
©nttaufd^ung bereitet. Unb biefe ©nttäufd^ung fteigert fid^
faft jum SBibernjiHen mit jeber neuen Sluffü^rung biefer
SBerle. Sie finb erqualt, ftilto^, unmufüalifd^; in ifiren
©efangftellen triöial unb abftrug in il^ren S)urd^fü]^rungen.
S)e^ Komponiften ber ,,5ee 3Rab" unb ber „Siebe^fcene"
fd^einen fie mir unmürbig. S)ie Duöertüre ju „Sönig Sear"
padEt uns bod^ ftettennjeife burd^ il^r ftar!eS ^atl^oS unb läßt
un§ obenbrein bie JJrei^eit, ob tüir ba§ SSerftörte barin auf
SRed^nung beS ffönig§ Sear ober beS Sonbid^terS fteden
tooHen. S)ie Dubertüre §um „SRömifd^en iSarneöar' toirft
burd^ i^ren feftlid^en ®Ian§ unb eine aufgeregte, aber nid^t
unnatürliche ^Jröl^Iic^feit. ©igent^ümlic^ unb pifant, toic
aHe§ Don Serlio^, ift aud^ bie KeÖini*Dut)ertüre, aber eS
53erlt03' CDuocrtüre 3U „Benoenuto (tcllini". 259
fel^It i^r fc^Iec^terbhtgö bie mufifaüfd^e ©eetc. SBenn man
bic langfame (Sinleitung ^'6xt mit il^rer flägli^en mdobifd)ett
Slrmut^ unb ^armonifd^en Ungefd^idEIic^feit unb bonn ben
aufeer dtanb unb Sonb fal^rcnben ®ä)lu^\pdiaM, fo möd^te
man bo§ einem Stnfänger jnfd^reiBen. Sa felbft Serlioj'
glänjenbfte ©pecialität, feine S^ftrumentirung, glau6t man
^ier nod^ in ben SBinbcIn ju fe^en, fd^medtcn nid^t lieber
anbete ©teilen nod^ ber Ucberreijung blafirten Sllter^. SBenn
t)on manchen Seiten htf)anpkt toirb, erft bie 8u!unft njerbe
biefer unb ben früher genannten Dubertiiren ben öerbienten
S^riumpl^ bringen, fo möd^te id) elier baS ©egentl^eil öer-
mutzen; il^re 3^^^ f^eint mir bereits öorüber. gu ®nbe
ber ©reisiger* unb Slnfang ber SSierjiger-Sal^re ^at ber
jüngere S^^eil be§ 5ßublifum§ unb ber ffritif fid^ baöon
bfenben laffen. |)eute, Wo bie t>on 93erfio§ erfunbenen be*
rürfenben Drc^eftereffefte fo öielfad^ narfigeal^mt, jum Steile
aud^ fd^on überboten finb, erfennen mir — nid^t mel^r be-
ftod^en öon ber garbe — ba§ unfäglid^ dürftige unb
Silettantifd^e ber 3eid)nung. SDtänner öon feinfter mufif alifd^er
Silbung unb @m))finbung, mie SRenbelSfo^n, ^aben bo§
freiließ fd^on in jüngeren Satiren auf ben erften S5IidE er^
fannt. ^n einem ©rief an feinen JJreunb 3gna§ SRofd^eleS
f^reibt aRenbeföfotin im ^a^re 1834 : „SBa§ bu öon »erlios^
Duöertüre fdireibft (Les francs-juges), ift mir red^t au§ ber
Seele gefprod^en; eS ift ein n^üfteS, ^^rofaifd^eS Stüdf, unb
bod^ nod^ eines feiner menfc^Iid^eren. 3Rir !ommt eS immer
öor, aU müjste iä) auS bem gauft babei fingen: Sie !am
oor Slngft am listen 2^ag ber ffü^e angelaufen, jernagt,
jerfra^t baS ganjc ^auS, h)oHt nid^tS i^r SBüt^en nüfeen ; fie
ful^r ^erum, fie ful^r l^erauS unb foff auS aßen ^fü^en.
3)enn feine ^nftrumentirung ift fo entfefelid^ fd^mufeig unb
burd^einanber gefd^miert, bafe man fid^ bie ginger n^afd^en
17*
260 <H^. ^ansM.
mu6, tt)cnn man mal eine ?|5artitur öon il^m in ber ^onb ge^
l^abt l^at. Sa^^^ ift c§ bod^ fd^änblid^, feine SRuftf auö
lanter 3Äorb, 3lotf) unb 3<iwtmer juf ammenjufefeett ; benn
felbft tt)entt'^ gut märe, föme nid^tS SlnbereS barin öor, aU
fold^e Atrocites. ®r f)at mxd) eigentfid^ }u oHererft red^t
metand^olifd^ gemad^t, n^eil er fo Ilng unb talt unb |)affenb
über alle anberen urt^eift, fo gänjlid^ vernünftig ift unb fo
grenjenloS unbemünftige^ 8eug bei ftd^ gor nic^t bemerlt"
Unb bei einer anbem ® elegen^eit : „S'önnte id^'§ nur »enigften^
apaxt finben ober gesagt ober fedE baS ganje SBefen; iii)
finbe e^ Mojs Iangtt)eilig unb gebanfenloS."
^mtxtiiu von ('ütf^ert ,,®mpf^<iks %pinntah'' »Ott %t %ae>ns.
3n frül^erer B^it, toenn ber SSerfu^er an gefeierte Maöier-
öirtuofen l^erantrat unb, fie §um ©om^joniren üerlodfenb, auf
bie Sorbeerl^aine ÜRojartS unb Seetl^oüen^ beutete, ba |)ftegten
jene Ferren feineSn^eg^ „Ap«^g® Satanas" ju rufen. Stber
fie jogen bie SSerfud^ung gleid^fam ju fic^ l^erüber, ouf il^r
eigenfte^ ©runbftüdE, unb com|)onirten befd^eibentlid^ Slaöier^
©tüben, D))ern<j]^antafien, 2:ran§ffri^)tionen. SHfo traten
Dre^fc^odE Sl^alberg, Söller, SBittmerä, felbft Sifjt buri^
t)otte jtöonjig ^a^xt. Der junge b'SlIbert, ^eute »o^t
ber gefeiertefte unb glän§enbfte ISIaöieröirtuofe , trad^tet,
ungenügfam an biefem fRul^m, gleid^faßS nad^ ber l^öl^eren
©eftung be§ fd^affenben Sonlünftler^ ; bod^ föfet er feini^m
fo njittige^ unb banfbare^ Suftrument gönälid^ beifeite unb
tt)enbet fid^ gleich an baS Dri^efter. auf eine @^m|)]^onie,
bie toir mit mäßigem Vergnügen in Sonbon gel^ört, lä^t er
(Duoertüre o. b'^llbert. „0mpl^ales Spinurab" o. St Saens. 261
rafd^ eine grojsc Duöertürc folgen, beten SBirfung im testen
,,^]^tI]^armonifc^en ©oncert" oud^ nid^t üiel berüdfcnber njor.
Urf|)rünglid^ nannte fie ber ®om^)onift „S)ramotif d^e Duoertüre" ;
jefet i)at er jie ,,Dut>crtäre ju ©rillparjcrS ©ft^er"
umgetauft, ©ein erfter ®tnfaH njar ber Kügere. 3)o lonnte
ftd^ ber ^örer afö öerfd^toiegeneg Sujet ein beliebige^
S)rama beuten — SBaßenftcin ober ®appi)Of ®gmont ober
©oriolan — bie SRuft! pa^it jur Sftotl^ auf aUeS, unb ber
®omt)onift behielt immer SRed^t. S^fet i)at er Unred^t, benn
bie ouSbrüdEIic^e Sejiel^ung auf ®riÖ<jarjer§ „ßftl^er'' öer*
mag !ein äßenfd^ l^erau^äufinben, unb bodi nötl^igt un§ b'SKbert
§u biefcr Slnftrengung. @in Fragment »ie „Sft^er", baS
nad^ ber finnigften, liebüd^ften ©jpofition au^gangSlog ai'
brid^t unb unS mit einem großen gragegeid^en entläßt, er*
giebt fid^ am tüenigften ber Umbi^tung in ein abgefd^IoffeneS
großes Drd^efterftiidf. SQäiH b'SlIbert tttoa mit feinem trium*
p^irenben ©d^Iuß, mit feinen Xromptim unb Raufen, ©edfen
unb Triangeln ba§ ®rill))arjerfd^e Fragment auffegen unb
crgänsen? S^tbre^en tt)xx un§ ni^t ben ®opf; t|at bod^ ber
Eomponift, aU er bie Duoertüre fd^rieb, felber nid^t an
(gftiier gebadet. S)a§ ©ntf^eibenbe für un§ bleibt, bafe bie
Duüertüre, mit ober o^ne Stuffd^rift, atö mufüalifd^eS Äunft-
njerf unbefriebigt lägt. S)ie SRotibe finb n^eber bebeutenb
nod^ reijenb, nod^ originell; t^rer ©ntn^idEtung fel^tt bie
organifd^e Iriebfraft, jene innere mufifalifd^e Stot^n^enbigfeit,
tüeld^e uns uberjeugt unb mit fid^ fortreifet. S)ie 3Ket^obc
b^SKbertS fd^medft nad^ JJIidEfd^neiberci: forttoä^renb n^irb ge-
ftüdfeft, ein neuer Sa^j^jen aufgefegt, ein alter obgeriffen.
Unrut|ige§ SEBed^feln ber S^em^ji, 2;aft' unb 2:onarten, con*
traftirenbe ffilangeff ef te , boju einige (üielleid^t unbeft)u§te)
SlnHänge on SBagner unb 93erfioä — ba§ bebeutet offenbar
\)a§f „S)ramatifd^e" in biefem ©tüdEe. 9(n ber Dürftigfeit ber
262 <£b. Qanslicf.
gbeeti; an ber Stx\af)xtnf)tii ber Durd^fü^rung jd^eitcrn aber
aU bie ©ffefte, fd^eitert bie große ted^nifd^e ©etDanbt^eit be§
©ontpottiften in Slebenbingen. SBa§ un§ an b'SlIbert^
Duöertüre (»ie aud^ an feiner @^m))]^onie) erfreulid^ auffiel,
ift ein ernftere§ mufüalif^eS Seftreben, ein Sh ^on ©olibität
im SSergtei^e ju anbeten jungen 9lbe))ten ber neueften ©d^ute,
toeld^e fid^ berufen glauben, Serlioj, Sif jt unb SBagner „fort=
jufefeen", b. ^. ol^ne bereu S^alent bie ©gtraöaganjen biefer
2^onbi^ter nod^ §u überbieten. b^SKbert ge^t nid^t pxaf)tm^6)
barauf au§, un§ burd^ UnerprteS nieberjunjerfen, unb fd^on
biefer, l^eutjutage an einem Stt)anjigiäbrigenfeltene(£^arafterjug
läßt un§ l^offen, er n^erbe un^ mit ber Qdi no^ utand^eä
t>iel ©rfreulid^ere bringen. S)a§ ^ßublifum ließ bie ©ftl^er-
Duöertüre fd^n^eigenb fallen, ermie^ fid^ aber befto freunb^
Ud^er gegen ba§ j|ebenfall§ reijenbere unb effeftDoHerc
Drd^efterftüdE öon @aint*@aenS, „Le rouet d'Omphale*'.
®§ ift ein au§erlefene§ ©tüdf lonmalerei, ein 2;rium))^ ber
geiftreid^en, in 93erIio5^ ©d^ule l^erangebilbeten Dr^eftrirungS-
fünft. @aint'@aen§ n^iH fi^ otterbing§ an biefem ßobe nid^t
geniigen; er öerfid^ert in bem SSorttjort feiner Partitur, ia^
©pinnrab fei il^m nur „un prötexte** unb lebiglid^ njegen
be§ 9il^^t^mu§ unb ber allgemeinen Haltung feiner ©om))o^
fition genjä^It. Seite 19 ber Partitur njerbe man ben an
feinen SSanben öerjmeifelt jerrenben ^erfule^ unb Seite 32
bie i^n öerfpottenbe Dmp^att leibhaft erlennen. Saffen töir
un§, nac^ 93i§mardEg 3lat^, nid^t öerblüffen. S)a$ @))innrab
mit feinem unöergleid^üd^ nad^gea^mten ©d^nurren ift Vit
^auptfad^e in @aint'@aen<^' (Senrebilb unb Dmp^aU nur ber
aSornjanb. SBenn ber ©omponift n^irflid^ bie I)öt|ere Slbfid^t
öerfolgte, ein ©eelengemölbe §u liefern, fo ^at er fie nid^t er=
reid^t. S)ie beiben öon i^m angeftrid^enen SenjeiäfteHen iiber^
£if3ts ^^Pogelprebigt bes l^eiltgctt frait3 v, 2Ifftft". 263
jeugen unS am beftcn, bo§ mit bem ©tittftcl^en bc§ Spinn*
rabcS il^m aud^ fofort ber gaben ausgebt.
£ir5t$ ,ß0^etpuh\^t 5(5 Setfiden SFrana o. 5ip'S für ®r($eRer
@ine innere Stotl^njenbigfeit fd^eint jid^ barin fortjuf|)innen,
ba J3 $err äRottl inftrumentiren mufe, toaS 8 i U t für ÄIat)ier
fe^te, unb $err Stifter auffül^ren muß, toa^ §err SKottl
inftmmentirt l^at. SSom @tanb^)unfte ber |)]^iIl^armonifd^en
©oncerte, ben mir nn8 gern etmaS l^öl^er benfen, l^atten toir
aöe brei Seiftungen für überflüffig gel^alten. S)aS Sifjt
eine 9SogeIgcäh)itf ^er = Stube für§ Slaöier fd^reibt unb fie
feinem eben ernjorbenen Slbbemantel ju Stiren nad^ bem
^eiligen Sranj ö. Slffifi tauft, fann niemanben ernftUd^ an-
fechten. S)aS 3)ing ift überaus feid^t, mod^te aber, t>on einem
Slbbe gef))ielt , ber jugleid^ ber erfte ffifaöieröirtuofe ber
SBelt tüar, feinen ©ffeft gcmad^t l^aben. gür ein fold^e^ Stifts
nad^troglid^ ein ganjeS Drd^efter in 93en)egung §u fe^en, baS
fottte bo^ feinem emft^aften SRufiler einfallen. 3e größere
ajlittel bafür aufgenjenbet njerben, befto finbif^er erfd^eint
e§ un§. 3ö, ba^ SBiberfinnige biefer ganzen (£oncet)tion
tritt burrf) ben Drd^efterprunl no^ auffaöenber ^eröor, afe
in ßifjtS Driginol. 3^ f^nn mir ein l^übfd^eS ©enrebilb
{tttoa öom ©d^n^inb) beuten, n^el^eS bie Segenbe bel^anbelt :
ein öon grü^rotl^ beglönjter Sud^enioalb, barin ber el^mjürbige
SRön^, umfd^n^irrt öon einer ©d^aar jut^unlid^er Söget, bie
anfd^einenb feiner frommen Slnfprad^e taufd^en. S)ie reine
Snftrumentatmufi! jebod^, bie Weber Söget nod^ äWönd^e
maten fann, jeigt in fot^en SBagftüdEen nur i^re Stößen.
264 <Sb. £jansltcf.
^ttt äRottl l^anb^abt natürlid^ ben gattjen S(^^i^^(^pp(^^(i^
bcS Scrüoä == SBagncrfd^cn Drd^cfterä mit bcr Sid^cr^cit einc^
lofd^cnf^iclcrg. gWtcn* unb fflarinctt^SriCcr, baju flatternbe
SSioün^offagen über einigen gerupften |)arfenfoitcn unb fum*
ntcnben Srotfd^en — bog aHcg imitirt baS SJurd^einonber
l)on SSogelftintmen fo gut, ald ed fid^ nur imitiren tö^t.
816er gcrobc bicfer auftcrftc 3leoIi§ntug bcr Snftrumcntirung,
toü(S)cx ber 9latur gaui^ nal^e ju fommen fd^eint unb il^r
bod^ meUcnfcrn bleibt, ftöfet un^ ah. @g fommt jcbod^ nod^
beffer: auf ben ®pa^ folgt ber lieffinn, bie fßtoxal, ba^
SReligiöfe. Sie SSögel ftetten |)löfelid^ il^r ©oncert ein, unb
ein ©olottjalbfiorn beginnt mittete eine§ graöitätifd^en
SRecitotiög ben prebigenben ^eiligen öorjuftetten. 3Rit biefer
SSenbung toixb bie ®efc^id^te fomifd^, unb n)irflid^ mifd^t fid^
in SKotttö aSogelgejnjitfd^er ein unterbrüdEte^ Jtid^ern ber 3U'
l^örer, bo§ njol^I nur aus Slef^jeft für ben l^eiügen granj
ö. äffifi nid^t jum SCu^brud^e fommt. S)urd^gefatten ift bie
Meine SRenagerie bennod^.
QSraSms' (Sottcert für M^ünt tttt5 ^iorottcelT, op. 102.
Sofe^)^ 3oad^im, ber ©eigcriönig, unb ber jüngere,
f aum geringere aSioIoncettüirtuofe Stöbert |)ougmonn ttjaren
jur äfuSfül^rung biefeS SBerleg eigene üon 95erlin ^ierl^er-
gereift unb f^ielten e^ mit jener fouüeränen Se^errfd^ung unb
öottenbeten Sftobleffe, bie h)ir an i^nen ju benjunbern gewol^nt
finb. ®om|)ofition unb SCu^fül^rung fanben aufeerorbentüd^en
Seifatt. (£§ tl^ut mir leib genug, gefte^en ju muffen, bafe
mir |)erfönlid^ bag S)o|)t)eIconcert feinen fo ^ol^en ©enufe ge*
ttJä^rt ^at, ttjie bie früheren großen SBerfe üon Sra^mg.
Sraljms' (Loncext für Pioliue unb Diolonccll. 265
©cbcnfc ic^ feiner @i)mp]§onien, feiner beiben Slaöierconcerte,
feiner ^amntermufifen, fo öermag id^ j|ene§ nid^t in bie erfte
Sleil^e öon Sral^m^' ©d^ö^fungen ju ftetten. ©d^on bie
©attung f)at t)on ^au^ au§ etn)ag 93ebenf(ic6e§. ®o ein
S)oi(jpetconcert gleid^t einem 2)roma, ba^ anstatt eines gelben
beren s^ei befifet, tozti)t, unferc gleiche Il^eilnal^me unb S5e^
n)unbcrung anf^)rcd^enb, einanber nur im SBege ftel^cn. SBenn
man aber öon einer SÄufifform behaupten barf, bafe fie auf
ber Uebermad^t eines fiegreid^en |)elben berul^t, fo ift'S baS
©oncert. ^aben tt)ir nid^t etnjaS Slel^nUc^eS in ber 3RaIerei ?
®ie Äünftter njel^ren fid^ gegen S)o|)^)eIporträtS, mögen nid^t
gern SÄann unb fjrau auf (Siner Seinnjanb öeren)igen. ®Ieid^e
Snftrumente (jnjei aSioUnen, jnjei Sfaüiere) fügen fid^, njie
bie altere äRufüIiteratur unS ^eigt, fd^on leidster ju einem
©oncert, als jtoei ^riuäipalftimmen t)on fo tjerfd^iebener Xon-
l^ö^e, tt)ie SSiotine unb SSiotonceH. 3ft bereits gegen baS
SJioIinconcert t)on 93ra]^mS bie 95emerfung gefaCen, eS fei
barin ber ©ologeige nid^t bie i^r jufommenbe ^errfd^er*
ftettung eingeräumt, fo tjerfd^ärft fid^ nod^ biefer (Sinnjanb
gegen baS 2)o^)petconcert, njorin beibe ©oloinftrumente nid^t
bIo§ t)om Drd^efter, fonbern obenbrein t)on einanber in ben
®i)atkn gebrängt werben. S)aS SJioIoncett ift gegen bie
aSiotine mit einiger SSorUebc bebad^t; bod^ fc^cinen mir l^ier
bem Snftrumente S)inge jugemutl^et, bie t)on SSirtuofen ^toax
auSfül^rbar, aber nid^t in ber eigenften SRatur beS S^ftru-
menteS gelegen finb. S)ic ©oloöioline njirb gleid^ im erften
@a^ t)on ben breifad^ getfieilten ©eigen beS Drd^cfterS, njeld^e
n)ie geuergarben bie Suft burc^fc^neiben, tjerbunfett. Seibe
©ofiften l^aben feine entfd^eibenbe, fül^renbe SRotte in biefer
ganj f^m^l^oniftifd^ bezauberten ®om^)ofition; nur feiten
fd^njingen fie fid^ für längere Sdi fiegreic^ über bie möd^tigc
Drd^efterflutl^, in n)eld^e fie alSbalb njieber untertaud^en. @o
266 €b. ?iansüd,
gleid^t ba§ S)o^)petconccrt mel^r einer ©^mpl^onie, tpeld^c üon
einer ®cige unb einem SSiotonceö mit feinem ^affagentpcrf
au^gefd^mücft \oxxh. Um ein bebeutenbeS Sunftn)er! finb njtr
jebenfaö^ reid^er, ba§ tjerftel^t \xä) bei Sral^mS üon jelbft.
3)iefe§ SPunftn)erf bünft mir jebod^ mel^r bie fjrud^t eineö
großen combinatorifd^en SSerftanbeS ju fein, aU eine unn)iber=
ftel^Iid^e ©ingebung fd^öpferifd^er ^l^antafie nnb @m^)finbnng.
aSir öermiffen baran bie fjrifd^e unb Urf|)rüngfid^feit ber
©rfinbung, ben metobifd^en nnb rl^^tl^mifd^en Sanier. S33ic
geiftreid^ 93ra^m§ jebeS SWotit) ju tücnben, gu tjariiren, au»-
^nnu^en üerftel^t, ift befannt; aud^ in feinem S)o|)peIconcert
ben)unbern n)ir bie ©unft ber 2)urd^fü^rung. Slttein ba§,
toa§> bnrd^gefütirt n)irb, ber tl^ematifd^c ©toff, fd^eint mir für
ein fo großem S58er! nid^t bebeutenb genug, ©o empfangen
toit benn nad^gerabe ben ©inbrudf eines S^eaterftüdEeS, in
njeld^em atte ^erfonen fel^r gefd^eit unb geiftreid^ \pxe6)m,
voo e§ aber ju feiner ^anblung lommen n)itt. 3)ie§ gilt üor-
netimüd) öon ben beiben äußeren ©ä^en. S)er erfte ©afe,
ber funftreid^fte tjon aßen, !ommt an^ ber ^alb tro^igen,
l^otb gcbrüdften Stimmung unb au§ ber A-moll-Ionart nid^t
l^inauS. 5)urd^ feine Dielen SSor^älte, ©^nfopen unb rl^^t^-
mifd^en SRüdEungen, feine übermäßigen unb tjerminberten
^ntertjalle brid^t nur feiten ba§ ^ette XageSlid^t. gaft werben
toit an ©d^umann§ fpätere SRonier erinnert. 2lud^ ba§ Sl^ema
be§ testen @a^e§ ftel^t nid^t auf ber §ö^e öon Sral^mS'
®eniu§; ein Heiner, in engen SRafd^en soppefnbeS SWotit),
me^r öerbrießtid^ aU l^eiter. 5)er §örer ^offt nad^ btefcm
Meinlid^en Slnfang auf eine fräftige, glänjenbe Steigerung;
aber n)o biefe SRiene mad^t, eingufe^en (F-dur, fortiffimo),
erlal^mt ber 9t^^t^mu§ unb bewegt fid^, t)on ben Steifugeln
fd^Werer Xriolen gefeffelt, nur ftodfenb Vorwärts. (£in Sabfal
gwifc^en btefen beiben ©ä^en ift ba§ 9(nbante in D-dur.
Klamerconccrtc. 267
2)ag Il^cmo, eine licbüd^ einfädle aJidobie, öon beibcn Solo-
inftrumeittcn all' ottava gelungen, breitet ein tool^Iige^ 8e=
l^ogen über ©ipieler unb ^örer. ®a§ Impp begrenste ©tüdf
ääl^It jtpar nid^t ju ben bebeutenbften a[nbantefä|en üon
Srol^mS, gewife aber au ben gefööigften; eS bürfte überaß
entfd^eibenb wtxim für ben ©rfolg be^ ganjen SBerle^.
^lümttmttxtt.
grau äRarie 3a eil ^aben tüir feit il^ren legten SBieuer
©oncerten im ^al^re 1883 giemlid^ untjeränbert n)iebergefunben,
unb fomit aud^ unfer Urt^eil üon bamal^. (£S ift nid^t
leidet über grau Qaeff gu fd^reiben. @ie befi^t ®eift unb
eine enorme S^ed^nif, öertoenbet aber beibeg jo ungleich unb
e^centrifd^, bafe man oft fd^ttjonft, ob man il^r Spiel genial
nennen fott ober talentlos. ®igentfid^ beibe§ ^ugleid^ : äufeer*
lid^ genial, innerlid^ tatentto^. ^a^ fie f^Jielt, t)erfd^tt)immt
romantifd^ in einem ununterbrod^enen 5ßebatrauf d^ ; §n)ei
gortcftüdfe üermag man oft faum üon einanber ju unter-
fd^eiben. S)ie ®om^)ofitionen ber grau ^aeU bezeugen me^r
ba^ fd^n)ad^e afe ba^ fd^öne Oefd^led^t. (Sine dttxf)^ Heiner
®^ara!terftüdfe betitelt fie „Prisme, problemes en musique^^
©ie gel^ören, n)ie bie ®om^)oniftin felbft, ju ben probtema^
tifd^en SRaturen in ' ber Sunft , mlä)t jtoar burd^ il^re Un-
genjöl^nlid^fcit momentan intereffiren, aber bod^ tt)eit mel^r
aSernjunberung aU greube erregen, ©in $)ettenftädf, eigent-
lid^ einen mufifalifc^en gelbjug J^at grau ^aeü in 5ßari§ ge-
liefert , n)o fie in einer Serie öon 6 Wbenben fömmtlid^e
268 &' Qansittf.
Sta\>ittft&dt tyon Sd^umann unb in toeiteren 6 äJortragen
farnntttid^e DriginaIcom))oftttonen don Sif jt l^inter einanber
fpielte. yjAdmirable, admirable! . . . le public!'' riefSoc-
queUn, aU er ben jloeiten Xl^eil be§ ©oet^efd^en Sauft im
SBicner SBurgtl^catcr obfotoirt l^otte.
2)a§ &la\>i^x f^ai auger f^rau ^aeti uoä) eine bebeutenbe
©d^aar nteift junger, nod^ unerprobter Äampfer ober beffer
Sfmajonen in§ gelb gefül^rt. S)ie wenigen 5ßianiften öom
ftarfen ®efd^Ied^t t)erfd^tt)anben l^inter bem Aufgebot concer-
tirenber S)amen. SSäie grofe toax bic Säi)t ber Kaüierf^)iekn'
ben ©oncertgeberinnen in ben legten brei SKonaten ? ^ier ift bie
Sifte : SCbele äRanbü!, DIga Segel, Sitti ü. SReumann, ©miüe
Oolbberger, DIga Stofinger, ©IIa 5ßancera, 3ba Sleid^, ©aroüne
ö. »abio, ®ifefo granf I, Seontine SSäinHer, gtta ÄernbL Sfufeer-
bem l^aben in anbern Koncerten nad^ftel^enbe SBiener ^ia-
niftinnen mitgeioirft : ®ifela SSergl, ®ifela ü. ^ßaftl^or^, ®eorgine
^unbl^amnter , ^aula Nürnberger, 8lofa gteifd^mann, Sitti
äWid^ale!, ©ufanne ^il^, SKarie Saunta^er. ©ottte bie Sifte,
n)ie ic^ fürd^te, unöottftänbig fein, fo mögen bie SSergeffenen
mid^ nad^fid^tig entfd^ulbigen — nod^ mel^r bie Ungestörten,
Unbefprod^enen ! ffat^olifd^e SRiffionöre in El^ina finb ^tvav
auf ba§ SluSfunft^mittel üerfatten, eine grofee SKenge t)on
ipeiben jugteid^ mittete Seuerfpri^en ju taufen — bie mufi=
falifd^e ffritif üerfügt leiber über nic^t^ SCel^nüd^eS. @ine
fritifd^e SSäürbigung aCer obengenannten S)amen ift toeber
möglid^ nod^ aud^ bringenb notl^wenbig. @ie fpielen ja —
mel^r ober tomxQtx — atte gut, bag ftel^t ganj außer S^^if^-
SRur bafe gar fo üiele gut fpielen unb begl^alb ffioncerte
geben, bie fid^ fd^Ied^t lol^nen, mad^t unS angftüd^ unb mit
jebem $iaf)xt öngftüd^er. SKöd^te unfere Sifte n)enigften^
ben SWufeen ftiften, ein ober bag anbere 3Räbd^en absu-
l^aüen öon ber SBal^I eine§ 93erufeS, ber in fo erfd^redfen^
Klamerconccrtc. 269
bem äRafec überfüHt unb baburd^ im praüifd^cn fiebert ent-
toertl^ct ift.
5ßarifcr aKufifäeitungcn melben, bafe eben äum ^Beginne
be^ ©d^uQol^re^ nid^t toenigcr afö 220 jung e^ianift innen
fic^ ber Slufnal^me^jrüfung in§ ©onfcrüatoriunt untcrjogcn
tiabcn. 3uwt ®IM ift man bort fo tjemünftig, bie Ucbcr*
flntl^nng mit SIaüiert)irtuofen nid^t nod^ eigene jn bcförbem,
baS Sflaüierfpiel nid^t afe ^aupt^totä cine^ ®onfcrüatorium§
on^ufcl^cn. @S ftnb öon ben 220 SKäbd^en nnr 13 in bie
8lnSbiIbung§Haffc , 17 in bie unteren klaffen aufgenommen
n)orben ; alfo im ganzen bIo§ b r e i § i g. hingegen üerjeid^^
net ber Ie|te Sal^re^berid^t be§ SB i euer Konfert)atorium^
446 fflat)ierfd^üler, ungefäl^r bie ipalftc ber gefammten
©^ülersa^I. SBeld^er «uSblid in bie S^funft! SBel^e Sämpfe
umS S)afein bei fo mäd^tig anfd^n)ettenber ffonhirrenj unb
ftetig abnel^menber Il^eilnal^me beS ^ublüumS! ®ernc fällen
tt)ir obige Saf)Un aU SBarnungStafel öor bie Koncertfäle
aufgepftanjt, n)ü6ten tt)ir nid^t, ba§ t|ier jieber Slatl^ nu^toS
unb jebe SBamung üergebUd^ ift.
1889. ^
„^rti grüpng" betitelt ©olbmarf feine neue Duöertüre.
®te Sluffd^rift ^at un§ l^offnung^öott unb bod^ äugte id& etn)a§
ängfttid^ geftimmt. greuen mußten wir uns, ba§ ©olbmarf,
biefe l^öd^ft patl^etifd^e Statur, einen Stoff gehjal^tt ^dbe,
\otlä)tv atte öerfd^neiten SBonnen be§ ®emüt^e§ unb ber
Sinne lebenbig mad^t. g^eitid^ giebt e§ ©c^ttjarsfel^er unb
©d^njaräfül&Ier, bie il^re SieblingSfarbe aU 93^ronfd^cn aSelt*
fd^merj ober ©d^o^en^auerfd^e ©alligfeit anä) in ben grül^*
üng l^ineintragen. SBirb ©olbmar!, ber gen)altigc ^iffonanjen-
Jtönig, e§ über fid^ getoinnen, beut SRai juliebe feine
fd^neibenbften SHforbe ju öerabfd^ieben? SBirb er ben 3rü^=
ling öer^errtid^en, ol^ne il)m jugteid^ Dp|)ofition §u mad^en?
SBirb er un§ nid^t giftftammenbe Stützen au§ bem Orient
iicrüberbringen unb SRad^tigaHen an^ SSa^reut^ ? So ungefäl^r
ffiifterten unfere 95eforgniffe. ©olbmar! ftat fie auf ba^
Uebensnjürbigfte unb beinal^e öottftanbig befiegt. Dl^ne atteS
5ßrölubiren fefet feine ^^grül^Iing^-Duöertüre" mit einem
jubelnben I^ema in A-dur ein, ba§ nad^ einigen befd^wid^tigen*
ben halten fid^ in As-dur, bann mit aller Sraft in C-dur
0uoertnren von (Solbmarf unb Vfladen^k u. f. m. 271
tpiebcrl^olt, um enblid^ in ein ätücite^ S^ema t)on ib^ttifd^er
|)armIopgfeit einsulenlen. S5eibe I^einen bieten günftige unb
geiftreid^ öerujenbetc SRotitje für bie äiemüd^ umfangreid^e
S)urd^fül^rung ; Sinfenjd^Iag unb Serd^entritter, \ok man fie
natürtid^er nid^t n)ünfd^en faun, tiefern baju ben tieblid^ften
9(ufpu^. ©anj unb gar otfne ^efud^ in ,,9Bal^nfrieb" gel^t
e§ freiließ nid^t ab : SBagnerifd^e Harmonien, anfangt fd^üd^tcrn
unb öereinjelt, ftürjen f^jötcr aU tt)ilbe Sagb öon ben Sergej-
gi^)feln l^ernieber; f^nfopirte d^romatifd^e SejtaHorbe ber
©eigen unb ^oläblöfer, gegen totläjt Söffe unb 5ßofaunen
eine fd^auerlid^c ^rojeffion öon auffteigenben öerminberten
©eptimattorben in§ %üb führen. ®ag ift nid^t ia^ obligate
grü^fing§gen)itter, auf ba§ man gered^net t)atte ; e^er eine
ffeine SSorprobe be§ SBeItuntergange§, wobei gtüffe, SaSötbcr, ®e=
birge burd^einanberpurjetn unb atte§ ©ingemeibe bes ©rbballeS
p pla^tn brot)t. 3iiwt ®tvii gel^t bie ©pifobe f d^nett vorüber ;
nod^ einmal, je^t etn)a§ auSfü^rlid^er unb bequemer, erfd^allt
bo§ ^erjige SSogelconcert, unb iaud^jenb fliegt in ftürmifd^em
Slttegro bag ©anje jum ©d^tuffe. SBir jöl^Ien bie „^xiif)-
üng^^Duöertüre" gu ®otbmar!§ erfreulid^ften Drd^eftercom*
|)ofitionen; nid^t atö ob bie einjelnen Sl^emen gerabe be-
bcutenb n)ären, aber fie finb fo tebenbig in gfufe gebrad^t,
alle§ fo ttjarm empfunben unb fo frifd^ gemalt, ba§ bie
SBir!ung nirgenb§ üerfagen toirb.
Stnfprud^Söotter aU bie ®otbmar!fd^e fü^rt fid^ eine
jweite Stoöität ein: „@t)mpl^onifd^e SSariationen für
großes Drd^efter" öon S- S- Sticobe. (£§ finb i^rer jtoölf *
an ber S(^% nebft ©inteitung unb ginate. @in Programm
in gorm einer fd^ttjütftigen I^rifd^en äil^a^fobie ift bem ©anjen
tjorgebrudft unb aufeerbem in feinen einjelnen Stbfd^nitten ben
betreffenben SSariationen überfd^rieben. 2)a§ „5ßrälubium",
ba§ unter bem tragifd^en 2)onner öon brei 5ßau!en (in h, c, d)
272 €b. ßanslirf.
imb crfd^üttcrnbetn ®ctöfc aller 93Ied^inftrumcntc {id^ ob*
f»)ielt, fül^rt folgenbc auff^rift : ,,m^mn glugcg fc^toing^ bid^
tmpox ju tid^tcn ^öt|en! Slur bort ift beinc Heimat, im
SRcid^c ber ©d^önl^cit, tüo elüig unb l^eiter blül^ct ia^ ®IMI
S)ort !ofte @d^ö))fern)onnen!" SBir tnöd^ten nid^t bc]^oii^)tcn,
ba§ biefcn @(i^ö^)fcrtt)onncn gteiii^ uncrntcfeltd^e ^örertüoniten
auf unferer ©citc cntfprec^cn , aber ia^ bem graufigen
5ßrätubium folgenbe Zf)tma, foloie aud^ bie erften fiebert
aSariationen, bie anmutl^ig erfunben tinb tptrffam inftrumentirt
finb, tnad^en einen günftigen, burd^auS ntufifalifd^en ©inbrudf.
Ueber ber ad^ten SSariation, einem Mo§ öon ben tiefen ©eigen
mit ©orbinen vorgetragenen Slbagio in As-dur, fetien Wir
folgcube Drientirnng^taf el : „SWöd^tiger bod^, ofö ber SKufe
Sodfruf, n)ir!t bie Siebe. SBonnige Xräume! |)immlifd^e
©eelengtoiefljrad^ ! |)öd^fte§ ©ntjüdfen ! aSeltentrüdfen ! Olanj,
Sid^t meiner Seele! 3d^ tebe t)on beinem Sltl^em!" ®g wäre
ottenfaC^ begreiffid^, toenn jemanb nad^ ber Seftüre bicfeö
®efafetö, ba§ ein or'd^eftratcg SRad^ftommeln Sriftan^ nnb
3foIben§ befiird^ten lögt, gleid^ bie fjlud^t ergriffe. 2)er
gläd^tling würbe fid^ inbe§ um einige ber gelungenften SSaria-
tionen be§ ^errn SRicobe gebrad^t l^aben. SefonberS gefielen
ber jörtlid^e ®efang ber neunten unb bie brillanten SSioIin-
^paffagen ber je^nten Variation. Slad^bem Wir l^inreid^enb
lange „tjon ^^x^m STtl^em gelebt" l^aben, wirb un§ nad^ ber
zwölften SSariation Wieberum eine neue ©ouüffentjerftnberung
terfünbigt: „Stoüember! Drangen iff^ !att, brinnen nod^
fölter! Debe bie SBett, ftarre ba& $erj! StKeS einfam,
leer! Qu Slöngen tiefernfter ©l^öre tragen bie ^riefter bie
einftigc öerlorne Hoffnung gu ®rabe !'' ©in SSegröbnißmarfc^
ertiifet fic^ aHmäl^Iid^ bi^ gu einem feurigen SfHegro, weld^eS
feinerfeits wieber in baS t)erjweifelte 5ßat]^o§ beS ?ßrölubium^
(;,@d^wing' bid^ empor!") übergel^t. ffriegerifd^e S^romipeten^
Variationen von Zticobe. 273
faufarcn attormircn bag „didä) bcr ©d^önl^cit", unb — Ucbcr^
rafd^un&cn ol^nc ®nbe — eine gotij furge glötenntelobic mit
|)arfenbegleitung befd^Iicfet ))iamffimo ba^ ®anje. Vorüber
fielet nur ba§ eine rötl^feC^afte SBort: „SlmarantJ^o!"
5)ie „@5nH)]^onifd^en aSoriationen" (baS einzige un§ be^^
fannte SBerf be§ fel^r ^jrobuftitjen S)rc§bener Kont^poniften)
t)errat]^en feine ftorfe Driginalitöt, aber eine fel^r gefd^idft
an^fül^renbe $anb, eine gewiffc (SIeganj, auä) gein^eit be§
©efd^madfeS, wo SRtcobe auf muftfalifd^ reinem 33oben t)er*
l^arrt unb nid^t ben S^rlid^tern feinet |)oetifd^en Programms
nad^jagt. Sefetere^ ^ai unS ein njcnig gegen bie ®om|)ofttion
felbft Voreingenommen. @§ ift genjife ebenfonjenig ju bittigen,
njenn njir ein an fid^ öerftönblid^eä unb gute^ lonftüdf n)egen
feines gefd^madlofen 5ßrogramme§ ablel^nen, ate ttjenn tt)ir
eine üerfel^Ite ©ompofition mit bereu ))oetifd^en aSorfafeen ent^
fdiulbigen, ba§ iieigt un§ nid^t an ba§ t)alten, toa^ ber Xon^
bid^ter ttjirfüd^ giebt, fonbern an ba^, ttjaS er laut Programm
auSjubrüdEen beabfid^tigte. SBeber im ©d^Iimmen nod^ im
©Uten fott man fid^ tjoreinnel^men laffen. Slber, fo fragen
wir, l^at benn ber ®om))onift fid^ nid^t felbft öorbeftimmen, jjer-
leiten, tjerberben laffen burd^ ein Programm, ba§ il^m in
mufüalifd^em ©rfinben unb ©nttoidfeln {eben Slugenblid bie
^änbe binbet ? Unb giebt e§ eine Sorm, bie auf rein mufif a*
lifd^eS, ))rogrammtofeS SSilben me^r angewiefen wäre, ate bie
aSariationenf orm ? ^err SRicobe ift ein ju begabter äRufifer,
ate bag er notl^wenbig l^öttc, für feine ®rfinbungen ©inn unb
3ufammen^ang öon irgenb einem ^oeten p erbetteln. Unb
mit toa^ für SSroden er biefen @inn unb Sufammenl^ang ^er-
fteCt, ba§ weife ber Sefer auS ben „5ßoefien", bie id^ nid^t
ol^ne ©elbftüberWinbung wortgetreu citirt tiabe. S)erlei
©uggefttt)comi(jofitionen berratl^en ieberjett ba§ ®efüt|I un^
jureid^enber mufifalifd^er ffraft unb Älarl^eit unb befommen
(Sb. $anSti(C, 9(uS oem XaQtf>u^ eined 3Rufirer9. 18
274 €b. ^auslief.
immer ein fd^ielenbe^, bitettantifd^eS ?lu§fe]^en. SWögtic^, bajs
einige fd^njötmerifd^e Seelen au§ SRicobeS Oebic^t l^erauS fid^
für feine Variationen begeiftern werben , auf jcben guten
SKuftfer n)irb e§ e^er bie entgegengefe^te S33irfung mad^en.
Sl{§ 9tot)ität erfd^ien eine Duöertüre ju S^afef^jeare^
,,SBo§ i^r njoltf' tjon 91. K. SKadEenjie, bemfetben eng=
lifc^en Kom^joniften, öon bem $ann§ SRid^ter un§ bereits eine
effeltöoff colorirte „Sd^ottifd^e 3l^a^)fobie" unb ein grünbUd^
einfd^IäfernbcS SSioIinenconcert tjorgefü^rt f)at ^n feiner
Dutjertüre pit fid^ SRadEeuäie faft auSfc^üe^tid^ an bie
(omifd^en ©temente be§ ©^afefpearefd^en SuftfpielS : SRatöoUo
unb Sunler XobiaS finb ^^atl)e geftanben. S)er eitle, auf-
geblafene ^auS^ofmeifter erfc^eint „in gelben Strümpfen unb
freujnjeiS gebunbcnen S'niegürteln" gteid^ anfangt in ber lang*
famen ©inleitung: ein graöitätifd^eS gagottfolo, ha^, um
tt)i^ig ju bleiben, njeniger lange bauern bürfte. SWan fönnte
baüon mit SRalöoIio fagen: „@§ mad^t einige (Stodfung im
aSIute, bie§ «inben ber S^niegürtet.'' SRatöoIio tt)äre in
biefem gagottmotit) leidet gu er!ennen, aud^ o^ne bie an^^
brüdftid^e ©rßörung in ber ^ßartitur. 2lnbere feinere S3e=
^iel^ungen würbe man hingegen !aum auS ber SRufif l^erauS-
finben, göbe bie Partitur nid^t gewiffenl^aft bei öieten ©teilen
bie ©cene unb ba§ betreff enbe ©tid^mort an, weld^e ba
iffuftrirt werben. 2)a§ jweite S^ema in F-dur !ann, ate
ba§ einzige fentimentale in bem ©tüdfe, freilid^ nur ein
SiebeSöerl^ättnife bebeuten. ^er Partitur äufolge ift e§ bie
Seibenfd^aft be§ ^erjogS ju Dtiöia; e§ fönnte ebenfogut
bie Steigung DliöiaS für ©ebaftian fein, ober ber SSioIa für
ben ^erjog — wir wären mit allem eintjerftanben, ftedte
nur in ber äRelobie felbft mel^r Seibenfd^aft unb ©ü^igleit.
®a§ Slöegro gel^ört gum größten S^eil ben beibcn lomifd^en
3un!ern %oUa% unb ©l^rifto^))^. SBir burften erwarten, ba§
(Duocrtürc üoii HTarfcnjic. 275
ber Äanon ,;$atf§ äRaut, h\i <Bä)U^iV\ ben fie in ber
flaffifd^en Xrinffccne anfttmmen, l^ier nid^t fehlen toürbe; tüctd^
f)errüd^c ©etegenl^eit für ben ©omponiftcn, einen öolfötl^üm^
lid^en, ^erj^aft luftigen Son on^ufc^Iagen ! Slber nid^t§ öon
attebem. Dbtpo^l 3)?adfen§ie bic ©teile au^brüdfUd^ citirt:
,,@oIIen tüir bie SZad^teuIe mit einem Sfanon aufftören?",
bringt. er leinen fold&en; bafür f^)ater ju 3RaIboIio§ SBorten :
,;9^iemafö t)at mon jemanbem fo abfd^eutid^ mitgefpielt" einen
burd^ bier Stimmen fugirten @a§, njeld^er biet ©etel^rfamfeit,
aber leine @^)ur öon ^umor üerrötl^. Slatürlid^c Saune unb
5röl|tici^!eit, überl^au^jt Slatur ift^§, tüa§ n)ir am meiften tjcr-
miffen in biefer ®om))ofition. ^ebt Sor^ingfd^e Dutjertüre
gäbe eine ^)affenbere Einleitung ju ,,S33a§ iör tt)oöt", aU
biefe§ fd^n)erfallige , öerfünftelte unb unmäßig gebe^nte
DrcfiefterftüdE. ®roße ©etpanbtlieit ift SKadenjie ja nid^t ab-
jufpred^en, fonjol^I in !ontra^un!tifd^er ffunft tok in ber
:3nftrumentirung. 2lud^ bie Verlegungen ber mufüalifd^en
Sogif burd^ l^äufige^ B^t^eifeen be^ g^f^mmenl^angeS unb
ganj unmotibirte ®infd^iebfel beuten mel^r auf ein Stid&tnjoIIen,
als auf ein SRid^tfönnen be§ ©om^oniften. ®er (S^rgeij,
genial unb großartig ju erfd^einen, top e^ bod^ nur gilt,
frifd^ unb fröl^lid^ ju fein, bagu ber ©inftuß \}on Serlioj
unb aSagner (unter toeld^em atterbingg ber ben englifd^en
Kom^)oniften gemeinfamc Untergrunb, äRenbeföfol^n, burd^=
fd^immert), ftemmt SRadEenjie auf ©d^ritt unb Sritt, eine
ei)U, redete SuftflJieloubertüre ju fd^affcn. Sßein, ba§ ift
nidöt bog bielgerüt)mte „Merry old England", e§ ift ba§
heutige ernftl^afte, geleierte, maßleibige @nglanb, beffen jäl^er
?5tei§ unb @l|rgeiä fid^ auf bie 3Rufi! berfd^lagen l^at. Ueber
\>a^ SWibeau öon SRadEeuäie^ „SOSa^ i^r toollt" fd^einen bie
Slefultate biefe§ 33eftrebenS big l^eute nid^t mcrflid^ ju retd^en.
aWadfengieg Duberture fanb eine fel^r fül^le Slufna^me. §at it)re
18*
268 €b. ^ansHcf.
ftlabicrftüdfc üon ©d^umann unb in toeitercn 6 aSorträgcn
fommtüd^c Driginalcom^)ofitionen t)on Stf^t tfinter cinonbcr
f))idtc. „ Admirable, admirable ! . . . le public!" riefßoc-
quctin, atö er bcn^tüeiten I^cil be^ ©oetl^cfd^en 2fauft im
Saäicncr Surgtl^eatcr abfotoirt l^atte.
®a§ ßlaöicr l^at auger grau ^aeU nod^ eine bebeutenbe
©d^aar nteift junger, nod^ unerprobter Kämpfer ober beffer
Slmajonen in§ gelb gefül^rt. 2)ie n)enigen 5ßianiften Dom
ftarfen ©efd^Ied^t oerfd^tt)anben hinter bem 9(ufgebot concer-
tirenber Tanten. S33ie groß njar bie Sdf)l ber ftabierfpielen*
ben ©oncertgeberinnen in ben legten brei SKonaten ? $)ier ift bie
Sifte: «bele aRanblif, DIga Segel, Sitti t). SReumann, emilic
Oolbberger, DIga SRofinger, @öa 5ßancero, 3ba 3teid^, ©aroline
t). »abio, ©ifela granf I, Seontine SBinfler, ©tta Sfernbl. STufeer^
bem l^aben in anbern Koncerten nad^ftel^enbe SBiener ^ia*
niftinnen mitgett)irft : ®ifela Sergl, ®ifela t). ^aftl^or^, Oeorgine
^unbl^ammer, 5ßauta Nürnberger, Stofa gleifd^mann, Silli
äWid^alef, ©ufanne ^ilj, SKarie Saumatier. ©oHte bie Sifte,
tük id) fürd^te, unöottftänbig fein, fo mögen bie SSergeffenen
mid^ nad^fid^tig entfd^ulbigen — nod^ mel^r bie Ungestörten,
Unbef^jrod^enen ! ßat^oUfd^e SRifftonäre in ©^ina finb jnjar
auf bag 2lu§funft§mittel verfallen, eine grofee SKenge t)on
ipeiben jugleid^ mittetö geuerf^ri^en ju taufen — bie mufi-
falifd^e fititif berfügt leiber über ni^t^ Sle^nli^eg. ©ine
fritifd^e SBürbigung aCer obengenannten S)amen ift njeber
möglid^ nod^ ani) bringenb notl^njenbig. @ie f))ielen ja —
mel^r ober njeniger — alle gut, ba§ ftetit gang auger S^^if^^-
Stur bag gar fo öiele gut fpielen unb be^l^alb ©oncerte
geben, bie fid^ fd^Ied^t tol^nen, mad^t unS ängftlid^ unb mit
jebem gal^re ängftüd^er. aJiöd^te unfere Sifte wenigften^
ben SRufeen ftiften, ein ober bag anbere äRöbd^en abju-
l^alten öon ber SBal^I eineS 35erufe§, ber in fo erfd^redfen-
Klaptercortcertc. 269
bem SKofec übcrfüöt unb baburd^ im praüifd^cn Seben cnt-
totxi^tt ift.
^arifcr aKufifjcitungen melbcn, bafe eben jum Scginnc
bc^ ©d^uIjal^reS nid^t tDcniger afö 220 jung c^iantft innen
fid^ bcr Slufnal^meiprüfung in§ ©onfcrtjatoriunt untcrjogcn
tiabcn. 3iJ^ ®tödf ift man bort fo tjcmünftig, bic lieber*
flutl^nng mit Sloüiertirtnofen nid^t nod^ eigene ju bcförbem,
ba^ ftloöierfpiel nid^t afö $om)tjn)edE eines ©onferöatoriumS
onjufel^cn. ®§ finb üon bcn 220 aJiäbd^cn nur 13 in bie
STuSbilbungSllaffe , 17 in bie unteren klaffen aufgenommen
ujorben ; alf o im ganzen blofe b r e i § i g. .g^ingegen der jeid^*
net ber le^te 3at|reSberid^t beS SB i euer KonfertjatoriumS
446 fflaüierf d^üter , ungefäl^r bie ipölfte ber gefammten
©c^üleräa^l. äBel^er Slugblid in bie Sufunft ! SBelc^e kämpfe
umS S)afein bei fo mäd^tig anfd^njettenber Sonlurrenj unb
ftetig abnel^menber Il^eilnal^me beS ^ublüumS! ®erne fä^en
ttjir obige Saf^Un aU SBarnungStafel bor bie ©oncertfale
aufge))flan}t, njüfeten n)ir nid^t, bafe l^ier jeber Slatl^ nufeloS
unb jebe SBamung öergeblid^ ift.
1889. ^
^mextnxm loott ^ofömarR nnb Ma {kennte. ^m^QoniffQe
^ariaftonett von ^tco^e.
„^m Srül^Kng" betitelt ©olbmar! feine neue Duöertüre.
2)tc 2luf)d^rift ^at un§ l^offnungSöott unb bod^ jugte id& etnjag
ängfttid^ geftimmt. gr^i^^n mußten n)tr ung, ba^ ©olbmarf,
btefe l^öd^ft ^jattietifd^e Statur, einen ©toff getoäl^It ^dbt,
\od(i)tx aUe öerfd^neiten SBonnen be§ ©emütl^e^ unb ber
Sinne lebenbig maä)t g^eiltd^ giebt e§ ©d^njaräfc^cr unb
©d^njarjfü^ter, bie il^re SieblingSfarbe afö 93^ronfci^en S33elt=
fd^merj ober ©d^o^jen^auerfd^e ©alligleit aud^ in ben 3rüt|*
ling hineintragen. SBirb ©olbmarf, ber gen)alttge Siffonanjen*
ffönig, e§ über fid^ gen)innen, bem SRai juliebc feine
fd&neibenbften SlHorbe ju tjerabfd^ieben ? SBirb er ben ^xii^-
ling üerl^errlid^en, ol^ne il)m jugleid^ D))i)ofttion ju mad^en?
SBirb er un§ nid^t giftflammenbe SSIütl^en au§ bem Orient
l^erüberbringcn unb Slad^tigattcn au^ SSa^reutl^ ? @o ungeföl^r
pfterten unfere 95eforgniffc. ©olbmar! ^at fie auf baS
lieben^njürbigfte unb beinal^e tJoHftönbig befiegt. Dl^ne atte§
^rälubiren fe^t feine „grüpng^==Dut)ertüre" mit einem
jubelnben S^ema in A-dur ein, ba§ nad^ einigen befd^iüid^tigen^
ben laften ftd^ in As-dur, bann mit aller Sraft in C-dur
0uDertiiren Doii (ßolbmarf uub JXladeu^xe u. f. m. 271
tüicberl^olt, um enblid^ in ein ättjeiteö %i)tma üon ib^Hifd^cr
^armlofigfcit einjulenlen. Scibc Sternen bieten günftige «nb
geiftreid^ üemenbete äKotiöe für bie jiemlid^ umfangreid^c
Surd^fül^rung ; ginfenfd^Iag unb Serd^entriller, n)ic man fie
natürlid^er nid^t njünfd^en faun, liefern baju ben lieblic^ften
2luf))ufe. ©a.nj unb gar of^ne SJefud^ In „SBatinfrieb" gel^t
e§ freiließ nid^t ab : SBagnerifd^e Harmonien, anfangt fd^üd^tern
unb ücreinädt, ftürscn \p'dkx al§ iüilbe 3agb öon ben Sergej-
gi))fcln l^ernieber; ft5nIo))irte d^romatifd^e ©eytaHorbe bcr
©eigen unb öoIjMäfer, gegen meldte Söffe unb $ßofaunen
eine fd^auerlid^e ^ßrojeffion öou auffteigenben öerminberten
©e^jtimafforben in§ Selb führen. S)a§ ift nid^t bag obligate
3ru]^Iing§gen)itter, auf ba§ man gered^net ^atte ; el^er eine
Heine SSor^jrobe be§ SBeltuntergangeS, ttjobei SKffe, SBöIbcr, ®c==
birge burc^einanber^jurjeln unb alle§ ©ingeltjeibe beö ©rbbaöeg
§u <jla^en brol^t. 3^^^ ®Iüdf gel^t bie ®<jifobe fd^neö öorüber ;
nod^ einmal, je^t etn)a§ auSfü^rlid^er unb bequemer, erfd^aöt
bag ^erjige SSogelconcert, unb jaud^jenb fliegt in ftürmifd^em
SlHegro bag ©anje jum ©d^Iuffe. 9Bir jä^Ien bie „gru^-
lingg'Duöertüre" ju ®oIbmarf§ erfreulic^ften Drc^eftercom-
<jofitionen; nid^t afö ob bie einjelnen I^emen gerabe be-
beutenb mären, aber fie jinb fo lebenbig in 3(u§ gebracht,
atteg fo marm em^)funben unb fo frifd^ gemalt, ba§ bie
SBirlung nirgenbs öerfagen mirb.
2(nf<jrud^§öoIIer aU bie ©olbmarffd^e fül^rt fid^ eine
jmeite Sioöitöt ein: „@^m^)]^onifd^e aSariationen für
großem Drd^efter" öon S. S. SRicobö. gg finb il^rer ^mölf
an ber Sa% nebft Einleitung unb Sinale. @in 5ßrogramm
in 3orm einer fd^rtjülftigen Itjrifd^en 9i^a))fobie ift bem ©anjen
öorgebrudEt unb aufecrbem in feinen einzelnen Slbfd^nitten ben
betreffenben Variationen überfd^rieben. ®ag „$ralubium",
ba§ unter bem tragifd^en S)onner öon brei Raulen (in h, c, d)
272 €b. Bianslxd.
unb crfd^üttcmbem ®etöfc aller Slcd^inftrumentc pd^ ab-
fpidt, fü^rt folgenbe «uffd^rift : „Kühnen glugc^ fd^toing' bid^
cittpor 5U lid^ten ^öl^en! 9iur bort ift bcinc ^eimat, im
Slcid^c bcr ©d^ön^cit, mo ctoig unb l^citcr Mül^ct ba§ ®IfidE!
®ort foftc ©d^ö<)fertt)onncn!" SBir tnöd^tcn nid^t it^anpttn,
ba§ biefcn ©d^ö^jfertoonnen glei^ uncrmefelid^c ^örcrtoonncn
auf uufcrcr Seite entf^)red^en , ober bag bem grauftgen
?ßrälubium folgenbe Il^ema, foioie and^ bie erften fieben
SSariatiouen, bie anmut^ig erfunben unb ttjirffom inftrumentirt
finb, ttiad^en einen gunftigen, burd^ou^ mufifalifd^en ©inbrudf.
Heber ber ad^ten SSariation, einem Mo^ öon ben tiefen ©eigen
mit ©orbinen vorgetragenen Slbagio in As-dur, feigen loir
folgenbe Drientirung^tafel: „SKöc^tiger bod^, aU ber 3Kufe
Sodfruf, ttjirft bie Siebe. SBonnige Iraume! ^immlif^e
@eelenjn)ief<)rad^ ! §öd^fte§ @nt§üdf en ! SBeltentrüdEen ! ©lanj,
Sid^t meiner ©eele! ^6) lebe öon beinem Stt^em!" @§ to'dxt
attenfattg begreiflid^, n)enn jemanb nad^ ber Seftüre biefeS
©efafefö, ia§> ein oiTd^eftraleg 9lac^ftammeln 2riftan§ unb
Sfotben§ befürd^ten laßt, gleid^ bie glud^t ergriffe. S)er
Slüd^tling n)urbe fid^ inbe§ um einige ber gelungenften SSaria^^
tionen be§ §errn SRicobe gebrad^t l^aben. Sefonber^ gefielen
ber järtlid^e ©efang ber neunten unb bie brillanten SSioIin-
|)affagen ber je^nten SSariation. SRad^bem n)ir l^inreid^enb
lange „öon ^l^rem Slttiem gelebt" l^aben, mirb un§ nad^ ber
jmölften Variation mieberum eine neue ©ouliffenöerönberung
öerfunbigt: „Sloöember! ©raupen ift'g falt, brinnen nod^
f alter! Debe bie 9BeIt, ftarre bo§ ^erj! Sitten einfam,
leer! gu S^Iängen tiefemfter K^öre tragen bie ?ßriefter bie
einftige verlorne Hoffnung ju ®rabe !" ©in SScgräbnifemarfc^
erl^i^t fid^ aHmäl^Iid^ bi^ ju einem feurigen Slllegro, njeld^eS
feinerfeits ttjieber in ba§ veraloeifelte $at]^o§ be§ 5ßrälubiumg
(,,@d^n)ing' bid^ em^jor!") übcrgel^t. ffriegerifd^e Srom^jeten*
Partatioiien von Hicobe. 273
fanfarcn aöarntircn ba§ „Stcid^ bcr ©d^önl^cit", unb — Ucber^
raj^d^uti&en o^nc @nbc — eine gang furje glötcntnelobic mit
|)arfcnbc8tcitung befd^tiefet ))taniffitno baS ©anjc. darüber
fielet nur ba§ eine rät^fctl^afte SEBort: „Slmarant^a!"
3)ic ,,@^m<j]^onifc^ett SSariationen" (ba§ einäigc un» bc=*
fanntc SBerf beS fe^r |)robuItit)cn S)rc§bcticr ©onnjoniften)
öcrratl^en feine ftarfe Driginalitöt, aber eine fel^r gefc^icft
an^fü^renbe §anb, eine gen)iffe ©leganj, aud^ Scin^eit be«
©efc^madfe^, mo SKicobe auf ntufifalifd^ reinem Soben üer*
l^arrt unb nid^t ben Srrüc^tern feinet ^joetifd^en $ßrogramm«
nad^jlagt. Sefetere^ ^at un§ ein ttjenig gegen bie ©om^)option
felbft voreingenommen. @8 ift gemi^ ebenfon)enig ju billigen,
n)enn tüir ein an pd^ öerftänblid^eS unb gutes SonftüdE ttjegen
feinet gefc^madEIofen ?ßrogvamme§ abtel^nen, aU n)enn toir
eine öerfel^Ite ©ompoption mit beren ^joetifc^en SSorfa^en ent*
fd^ulbigen, baS tieifet un§ nid^t an ba§ galten, toa^ ber Son-
bid^ter n)irfüd^ giebt, fonbern an ba§, toa^ er laut ^Programm
auSjubrüdfen beabfic^tigte. SBeber im ©d^Iimmen nod) im
Outen folt man fid^ öorcinnel^men laffen. Sfber, fo fragen
tt)ir, l^at benn ber Kom^jonift fid^ nid^t fclbft öorbcftimmen, her-
leiten, öerberben laffen burd^ ein ^Programm, ba§ i^m in
mufifalifd^em ©rfinben unb SntmidEetn jeben Slugenblidf bie
4)änbe binbct ? Unb giebt eg eine 3orm, bie auf rein mufif a^^
lifd^eS, ^3rogrammIofe§ Silben mel^r angenjiefen tt)äre, atö bie
SSariationenf orm ? I^err 9licobe ift ein ju begabter SKufifer,
afe ba§ er notl^ttjenbig l^ätte, für feine ffirfinbungen @inn unb
3ufommen]^ang öon irgenb einem $oeten ju erbetteln. Unb
mit tt)aS für S3rodEen er biefen Sinn unb Sufammenl^ang l^er*
ftellt, ba« tt)ei§ ber Sefer ouS ben „$oeften", bie id^ nid^t
ol^ne @etbftübertt)inbung n)ortgetreu citirt Iiabe. S)erlei
@uggeftit)com<)ofitionen öerrat^cn jeberjcit ba§ ®efü^I un=^
jureid^enber mufifalifd^er Äraft unb Klarl^eil unb befommen
@&. ^anSUct, 9(u8 Dem Xagei^uc^ eines a^ufllerS. 18
274 €b. £)auslicf.
immer ein fc^ielenbe^, bilettantifd^eg 3luSfet|en. 3RöQlxä), bafe
einige fd^mätmevifd^e ©celen au§ 9llcobe§ ©ebid^t ^erau^ \\6)
für feine SSariationen begeiftern njerben, auf jeben guten
SKufifer tüirb e§ el^er bie entgegengefefete SBirfung machen.
81I§ Sioöität erfd^ien eine Duöertüre ju ©^alef^jeare^
„2Ba§ i^r tooUV* öon 21. ®. SRadfensie, bemfelben eng=
lifd^en ©om^oniften, öon bem .^ann§ Stid^ter un^ bereits eine
effeltöoll colorirte „©c^ottifd^c 9lt|a^3fobie" unb ein grünblid^
einfc^IäfernbeS SSioIinenconcert öorgefül^rt ^ai. ^n feiner
Duöertüre l^alt fid^ äRadfenjie faft auSfd^IiefeUd^ an bie
lomifd^en Elemente be§ @^afef^)earcfd^en Suftf^jiefö : SKalöoIio
unb Sunfer 2obia§ finb 5ßatl|e geftanben. S)er eitle, auf-
geblafene ^auS^ofmeifter erfd^eint „i^ getben @trüm^)fen unb
txtn^tüti^ gebunbenen S^niegurteln" gleid^ anfangt in ber Iang=
famen ©inleitung: ein graöitätifd^eS Sfagottfolo, ha^, um
tt)ifeig ju bleiben, n)eniger lange bauern bürfte. SRan fönnte
baüon mit Sßalüolio fagen: „@§ mad^t einige ©todfung im
Slute, bie§ »inben ber föniegürtel." äRalöoIio märe in
biefem gagottmotiö leidet ju erfennen, aud^ o^ne bie au§-
brüdflid^e ©rflärung in ber ^^Sartitur. Slnbere feinere S5e=
jiel^ungen mürbe man l^ingegen faum auS ber äJlufil l^erau^-
finben, gäbe bie ?ßartitur nic^t getüiffenl^aft bei öielen ©teilen
bie ©cene unb ba§ betreff enbe ©tid^mort an, njeld^e ba
illuftrirt merben. ®a§ jn)eite S^ema in F-dur fann, aU
ha§> einjige fentimentale in bem ©tüdfe, frcilid^ nur ein
SiebeSöcrl^öItni^ bebeuten. S)er ?ßartitur pfolge ift e§ bie
Seibenfd^aft be§ l^erjogS ju Dliöia; e§ fönnte ebcnfogut
bie Steigung DliöiaS für ©ebaftian fein, ober ber SSioIa für
ben ^erjog — tüir n)ären mit allem cinöerftanben, ftedfte
nur in ber äWelobie felbft me^r Seibcnfd&aft unb ©üfeigfeit.
®aS Slßegro gel^ört jum größten Il^eil ben beiben fomifd^en
Sunfern SobiaS unb ©^rifto))t|. SBir burften ertt)arten, ba^
CDitücrtiire üoii nTacfcn3ic. 275
ber ^anon „^aW^ SRauI, bu ©d^iift!", bcn fie in ber
ffafftfd^en 3;rinffcene anftimmen, ^ier nid^t felilen mürbe; ttctd^
f)errti(^e ©elegen^eit für ben Kom))omftcn, einen öolfötl^üm^
tid^en, ^erjliaft luftigen 2^on an§ufrf)tagen ! ?(ber nid^t§ öon
allebem. Dbtüol^I 9Kadf enjie bic ©teile auSbrüdfüd^ cttirt:
„Sotten mir bie 5read^teule mit einem Jtanon aufftören?",
bringt, er feinen foldöen; bafür fpäter ju SMalöoIio^ SBorten :
„SWiemal^ ^at man jemanbem fo abfc^eutid^ mitgefpielt" einen
bnrd^ öier Stimmen fugirten @a^, meld^er öiet ©elelirfamfeit,
aber feine ©pur öon |)umor öerrätl^. Siatürlid^e Saune unb
gröl^tid^feit, überl^aupt Siatur ift'§, tüo§ mir am meiften öer*
miffen in biefer Kom|)ofttion. ^tht Sorfeingfd^e Dubertüre
gäbe eine paffenbere Einleitung ju „SBaS itir mottt", aU
biefe§ fd^merföttige , berlünftelte unb unmäßig gebel^nte
Drcfjefterftüdf. ©rofee ©emanbt^eit ift SKadEengie ja nid^t ai^
jufpred^en, fomo^I in fontra^junftifd^er ffunft mie in ber
;3nftrumentirung. 2(ud^ bic Verlegungen ber mufifalifd^en
Sogif burc^ ^ufigeS ^nxti^tn be§ ^wf^mmenl^angeg unb
ganj unmotiüirte ©infd^iebfel beuten mel^r auf ein Siid^tmotten,
aU auf ein SKid^tfönnen be§ ©omponiften. 2)er ß^rgeij,
genial unb großartig ju erfd^einen, mo e^ bod^ nur gilt,
frifc^ unb fröl^Iid^ ju fein, baju ber Einfluß öan Serlioj
unb SBogner (unter meld^em atterbing^ ber ben englifd^en
ßomponiften gcmeinfamc Untergrunb, SRenbel^fol^n, burd^-
fd^immert), ftemmt SKadEenjie auf 'Bä)xiii unb Sritt, eine
e^it, redete Suftfpielouöertüre ju fd^affen. 9iein, ba§ ift
nid^t ba§ bielgerü^mte „Merry old England", e§ ift ba§
fieutige ernftfiofte, geleierte, ma^Ieibige ®nglanb, beffen jälöer
glei^ unb S^rgeij fid^ auf bie SRufif öerfd^Iagen l^at. Ueber
ha^ 9Höeau öon SRarfenjie^ „SBa§ if|r mottt" fd^einen bie
üiefultate biefer SSeftreben^ bi§ l^eute nid^t merflid^ ju reid^en.
SKadEenjieg Dubertüre fanb eine f ef|r füfjlc STufnal^me. $at i^re
18*
276 (Eb. ^anslxd,
grage an ha^ SBiener ^ßublifum njirttid^ ^SQ3a» i^v
wollt?" gelautet, fo l^iefe bie Slutlport unjtoeibeutig : ®ttoa^
Stnbere^ !
„^ofita'S ^ratormm pott ibän5ef.
(durfte 9(utfü^vung in SEQien am lO. g?u))cm&er 1889.)
@in |)änbelfd^c§ Drotorium unb „@rfte Sluffül^rung in
SBien"? SBir tüiffen für biefc befrembenbe, ja unbcgreifüd^e
SSerf))ätung Weber öufeere nod^ innere ®rünbc anzugeben.
@§ l^at bamit ein öl^nlid^ röt^fell^afteS S5ett)anbtni§, wie mit
§änbel§ fterrlid^ent Dratoriunt ,,@aul", bag erft 1873
unter Sral^mS' Seitung, unb §änbel§ „S^eobora", bie
1888 unter |)an§ SRid^ter in SBien pr aOererften 8Cuf-
fü^rung gelangt ift. §ätte in SBien ein l^albwegS rege(=
mäßiger §önbetfi'uftu§ Seftanb gewonnen, wie in ©nglonb
ober felbft in 3iorbbeutfd^Ianb, fo würbe ein Sonoriren fold^er
SReifterwerle burd^ öoHe l^unbertunbbreifeig Qa^re eine Un-
möglid^feit gewefen fein. Sür baö ))eriobifd^e, immer erft
nad^ me^rjäl^riger $aufe fto^weife l^eröorbred^enbe .^önbet^
Swtereffe in SBien genügte Jebod^ ein begrenzter Surnu^ öon
Sluffüfirungen , weld^er „@amfon\ „Sepl^ta'', „3Reffia§",
„Jimot^eug", „Selfasar" unb „Suba§ SRaffabäu^" einf^Io^.
®er grofee JReid^tl^um |)änbetfd^er 5ßrobu!tion fonnte in htn
f^jorabifd^en SRufüfeften 2ttt*SBieng nic^t erfd^ö^jft werben, unb
fo war bie SSefanntfd^aft be^ „@aur, be§ „Sofua", ber „Xfieo^
bora" erft bem mufüatifd^ reformirten neuen SBien öorbe-
l^alten. ®a§ Siedet inbiöibueHer Vorliebe unangetaftet, ftc^t
„3of«ö" ol^ne Stage neben §änbetö beften SBerfen. @cd^§
3a^re nad^ bem „aReffiaS" com^jonirt (1747), gehört „3ofua^
ju ben fpöteften ©d^ö^jfungen beö Sßeifter^ — - alfo ju feinen
öottfommenften. 3)ie Steige öon Oratorien, bie i^n unfterblid^
„3ofua", 0ratortum von f^änbel. 277
gemad)t, ^t er alle in öorgerüdEten S^^^^^n gefd^rieBen, barin
®Iudf unb ^a^bn ä^nüd^, iüeld^e i^r ©röjäte^ in einem
9(Iter fd^ufen, in meld^em beut Äünftler fonft nur eine ^aä)^
lefe öergönnt ift. Siid^t bte SBerfe feinet Slfter^, bic feiner
^ugenb finb öeraltct. Ungenießbar nennen toix bie öielen
italienifd^en D^jcrn bcS 3öngling§ unb SKanneg, n)ä]^renb
wir an ben Oratorien be§ ©reifet un§ nod^ lange erbauen
merben. ,,Sofua" ift, n)ie bie große äKetirjal^I ber «'pänbelfd^en
Oratorien, bem Sitten 3;eftantent entnommen. SKöglid^, baß
man in 9Bien nid^t für bringenb erad^tete, ben „Qofua" einem
^ublifum öorjufü^ren, meld^eS ©amfon, Se^j^ta, Selfajar,
:3frael in ©g^pten, ^nha^ SJJaHabäuS !anntc — gerabe megen
ber Slel^nUd^feit biefer altteftamentarifd^en SSorgönge. S)a
toerben regelmäßig bie Qfraetiten einmal gefdjiagen unb
ftimmen Slageüeber an, bann fiegen fie mieber unb preifen
Sefjoöal^. S)ev ®^or medfifeü faft immer jmifd^en biefen beiben
Situationen, unb er, ber K^or, ift ber eigentlid^e $etb, ift
^anpU unb SKitteI))un!t aßer |)anbelfd^en Oratorien. 2)ie
©ologefänge ftefjen baneben in sttjeiter SRei^e. S)ie ©efc^id^te
ber 3uben bot bem 2^onbid)ter große SSoIfSbenjegungen,
munberbore Gegebenheiten, in metd^en ba§ ©d^idEfal ber
9iation mit bem i^rer Reiben fid^ öerfnü^jft. Slußerbem
mod^te bie SSorliebe ber ©nglänber für \>a^ Sllte Seftament
if)n in ber SBat)t biefer «Stoffe beftürft l^aben. ®ie ©nglänber,
bie tjeutc nod^ il^ren d^riftlid^en ffinbern gern altteftamen=
tarifd^c Siamen geben (Sftl^er, Stallet, Sarai)), mad^fen in in*
timer SSertrautlieit mit allen SSegebcntieiten jener SSorjeit auf
unb feigen bie jübifd^en fitiegSftetben 3ofua, Saul zc. fo leben-
big t)or ?fugen, rt)ie mir ctma ben Studier ober SSeHington.
Stud^ ber ^jroteftantifcfie Siorben ift tiefer eingelebt in bie
^erfönlid^feiten be§ Sitten 2^eftament§, aU mir fatffotifd^e
Sübbeutfd^c ober qar bie romanifd^en SSöHer. Iro^bem
278 €^. £?ansltrf.
bürfte allenttialben iüa^rjune^men fein, ba§ jenes Stoffgebiet
in ber SEunft einem ftetig abnel^menben 3ntereffe begegnet.
5ßadfte un§ nid^t §änbcfe gcmattige aRufil, ber ftereottjpc
SBed^fel öon Siegen unb Sticberlagen be§ jübifd^en $eereS
mürbe unS ^eute leibenfd^aftlid^en atnt^eil fanm abgetüinnen.
®iefe ©efd^id^ten finb unS mel^r e^rtüürbig, als intereffant;
mir fül^Ien fie, nnr fc^mad^ mitöibrirenb, mie einen weit ent-
fernten 2on, fe^en fie öielleid^t gar bnrd) bie SSriHe mobemer
Sorfc^nng. $)önbel, ber mit ber Sfnbac^t unerfc^ütterlid^en
©laubenS jn feinem bibüfd^en gelben emporbücfte — ma»
für Singen mürbe er gemod^t ^aben, menn er ein S5ud^ mic
JRenanS öortrefflid^e „Histoire du peuple d'Israel" erlebt
l^atte! SSon feinem frommen Qofua l^eifet eS barin: „^ä)
meife nid^t, ob Sofua mc^r gefd^ic^tlid^c SBirflid^feit l^at, al»
Safob. 3lber gemife mürbe ber fanfte gafob ftd^ em^jört
I|oben, l^ötte er eine SRenge |)anblnngen Sofua^ feigen fönnen,
bie fpöter für ru^möoö galten. 3a!ob foH auf feinem @terbe=
bette ©imeon unb Seöi megen SKiffetl^aten »erfindet l^aben,
bie im SSergleid^ mit SofuaS SroberungSjug als geringfügige
SRefriminationen erfd^einen." SKofeS felbft, ber SSorläufer
unb Sefd^ü^cr SofuaS, ift für 9lenan „idnaf^t ein @g^j)tier"
unb feine Stolle ,,me^r bie eines |)aiH3tlingS ä la Slbb-el^
Äaber, als bie eines DffenbarerS (revelateur) bon ber Slrt
aRotiamebS". SKofeS Srlebni^ auf bem ©inai nennt Slenan
„eine granbiofe Segenbe, meldte in ben folgenben 4^ bis 500
3al^ren gleid^ einer ©eifenblafe anfc^moll, um fo glansenbcr
unb farbiger, je leerer fte ift". ^eutt mu§ ein armes
SRenf d^enlinb , baS öon mobernen SilbungSelementen erfüllt
unb t)on bem Sltl^em einer gemaltigen SBirflid^feit ongeme^t
ift, fic^ felbft einen fanften 3ludE geben, miH eS für bie Ifiaten
SofuaS biefetbe SBörme aufbringen, meldte ^mtbel befeelt Ijot.
3a, baS biblifd^e Oratorium bünft unS eine l^alböerftorbene
i
„3ofuci", (Dxaiothim von £)änbel. 279
S'unftgattimg : il^rc tebcnbigc ^ölftc ift bie SSergangenl^eit,
ift S3ad^ unb ^önbel — ifirc tobte ^ölfte : l^cutc unb morgen.
SBir öerftelicn, toaxnm S5ra^m§ — ber einäige lebenbe
Sonfe^cr, ttjeld^er bie gorm bcS großen Dratorium« ju be-
lüältigen unb beteben öcrmöd^te — baöon tro| aller Stuf-
forberung fern bleibt.
®ie ^anblung öon |)änbel§ „Sofuo" f)at fein Sejtbid^ter
%f)oma^ äRoreH in folgenben ^au|)tiügen geftattet: 3ofua
^at bie Sfi^öriiten eben burd^ bcn Sorbon gefül^rt, unb bo^
SSoII fingt 3e{|oöa^ ein Soblieb. 3crid^o§ Serftörung tüxxh
bnxiS) einen @ngel befolgten unb öon Sofua befd^Ioffen. Unter
bem Sd^aHc feiner ^ofaunen ftürgen bie SKauern öon 3erid^o ;
ber @ieg mirb mit Sobgefdngen gefeiert. ®er ^ieg gegen
bie ©tabt 2li beginnt unglüdEIic^, enbet ober mit @ieg. Slboni-
jebe! n)irb unter bem üon ^o^m ben)ir!ten ©tiHftanbe ber
Sonne gefd^tagen. S)er Jüngling Dt^niel, toeld^er Slc^fal^,
bie Sod^ter be§ ©tammeSfürften ffialeb, liebt, erobert für i^n
bie ©tabt ®ebir unb ermirbt fid^ baburd^ feine SSrout. ©in
®anf* unb ^reislieb mad^t ben ©d^Iufe. ®iefen ©toff fyit
^änbel in bemfelben ©eifte unb in gleid^er Sorm bcl^anbelt
lt)ie feine übrigen Oratorien, b. ^. jum 2^^eit mit genioler
©c^ö^jferfraft unb ßunft, jum S^eit in ber pd^tigcn, bem
Seitgcfd^marf nod^gebenben SKanier, bie öon feiner fabeltiaftcn
Ißrobuftiöität unjertrennlic^ ttjar. SEBer ^eute irgenb ein
,t)änbelfd^eg Oratorium jum erften SRale ju l^ören befommt
(mie je^t bie SBiener ben ,,3ofua")f ber ift fidler, ®ro§e§
unb ©d^önc^ ju erleben. Slber er barf nic^t erlDorten, in
biefem neuen Oratorium aud^ überall SReueg ju l^ören. SSiel-
leidet tüirb er bel^au^ten, e§ fei biefc unb jene 3lrie i^m öor-
l^er fd^on befonnt gemefen, unb bod^ öernimmt er fie tl^at^
föd^üd^ §um erften SRale. ^änbel ttjieber^olt fid^ eben pufig,
er fennt gar nicfit ba^ Sebürfniß, immer etlt)a§ 9leue§ ju
280 €b. £)anslirf,
fagcn. S)iefcI6cn ftercot^^jcn SBctibungcn, giguren, ©dilüffe
feieren immer iüicber. @§ lag in ber Slnfc^auungStueifc bcr
ättcrcn SRciftcr, mit bcr größten Unbcfangcnl^cit Slnlel^cn iti
[xä) felbft (unb oud^ bei anberen) ju mad^en.
S)a§ ©c^lpcrgetuid^t ber 3ofua * Partitur liegt in bcn
ei^ören. §ier finbet |)änbefö Sunft bte reid^ftc Sntfal*
tung, bie öoHfte SStütl^e. 9Bir nennen nur einige baöon, bic,
untereinanber fel^r öerfd^ieben , alle auf gleid^er ^öl^e muft=
latifd^er SReifterfd^aft unb unn)iberfte^Ii(^er SBtrfung ftel^en.
5)a ift juerft ber S^Iaged^or ber gefc^Iagenen Sfraeltten in
E-moU („SBie balb bie ftolje Hoffnung fanf ") , ein ®efang
t)on tieffd^merjlid^em unb hod) ungemein mürbigem SluSbrucf.
Smei Sföten — nur feiten finb fie in bem Dratorium an=
getüenbet — l^auc^en einen eigenartig tt)eid^en, elegifd^en 2on
über biefe rü^renbe SSoIföfcene. ®en ftörfften ®egenfa| baju
bilbet ber berütimte S^rium^l^gefang in ber brüten Slbttieitung :
^©el^t ben ©ieger!" S)ie erfte @tro|)^e tt)irb öon einem brei-
ftimmigen Jfnabend^or gelungen unb blofe Don ber Drget
(„tasto solo^O begleitet, hierauf fingt ein grauend^or, öon
jttjei flöten begleitet, bie jmeite ©tro^jl^e.*) @nblid& fteigert
fid^ ber ©efang im öoHen K^or jur mäd^tigften SBirfung;
bie begteitenben ©treid^inftrumente erhalten eine glönjenbe
SSerftärfung burd^ Dboen, glöten, |)örner unb Raufen. S)iefer
5ßreiggefang, mit bem ba^ SSott ben l^eimfel^renben ©ieger
begrübt, tt)irft burcfi feine ungemeine ©infad^^eit unb SSoIfö^
tpmlid^feit. §änbel l^at ba^ ®iüd \pixttx feinem Dratorium
,,3ubaS SRaKabäu^" einöerteibt; componirt njarb e§ für
,,Sofua^ SRöc^ft bem ^^^aMuja^" an^ bem „3Reffia§'' geniest
n)oI|I fein ©tüdE öon ^önbel eine fold^e $ßo<)uIarität in ©ng-
*) 3" ^er SBiener ?(uffü^rung üermifeten im bit ^nabenftimmen
unb mit bcren {d^arf abftec^enben Timbre ben üon ipftnbel beabfic^tigten
©ontraft.
„3ofua", 0ratorium von ^änöel. 281
9
lonb, aU biefe§ ,,@ct|t ben ©iegcr!", bag bei feftlic^en Sluf^
fütiruitgcn feiten fel^It. @tn ^rad^tftücf ift bcr Sobgefang ber
afraeliten in H-moll („Sramd^t^ger |)err int |)immeföfrei§'Or
beffcn 2^]^cma juerp gojna nad^ STrt eine§ SSorbeter§ intonirt,
um eS Iiierauf bcm ®t|or ju funftöoßfter fontra^unftifd^er Se-
Iianblung ju überantworten. 9Son ®tanj unb ^aftgefüt)!
überftrömt ber K^or „®t|re fei @ott!" 2)er SRittetfafe ,,®ie
aSöIfer beben" bietet ein mcr!mürbige§ Seif^)iel öon Son-
malerei, p njeld^er nid^t bloß bie ^nftrumente, fonbern oucfi
bie ba§ ^^Seben" au^brüdfenben ©ingftimmen l^erangejogen
njerben. @in genialer 3wg mufifalifc^er SRalerei erglänjt
aucfi in bem K^or, mefd^en Sofi^ö^ 2ln§ruf einleitet: „®u
üic^t be§ Soge§, ba§ l^oc^ am |)immel thront, l^emm' beinen
Sauf!" 3laä) einem majeftätifd^en Sluffd^ttJunge be§ Drc^efterS
l^ätt baS SBort 3ofua§ bie Sioünen auf bem l^otien A feft.
@ie bel^au^jten l^artnärfig biefen 2^on; ein jnjeiunbbreifeig*
taftiger DxQdpmttt, inner^otb beffen fid^ eine lange Sleil^c
föm^jfenber 3l!forbe benjegt. SBag bie STrien im „Sofua"
betrifft, fo finb bie meiften mit il^rem fteifen, öom Drd^efter
in gleid^mä^igen Stbftönben unterbrod^enen ©efang unb il^ren
Soloratur^jaffagcn für un§ rettungslos öeraltet.
3n ber SBiener Stuffü^rung finb mel^rere biefer 3lrien
Ujeggebtieben. darüber tröftet unS bie ©rujägung, ba§ fie
nid^t ju ben l^eröorragenbften ber 5ßartitur gel^ören, öielmetjr
5u jenen, bie melir |)änbels Saftur atS §änbels ®enie re=^
^jröfcntiren. 3n feinen Drotorien mifd^en fid^ jmifd^en buftige,
farbenfrifd^e SSIütl^en ^in unb ttjieber öergilbte Slätter. ®er
er^ebenben SBirfung beS ©anjen fd^abet eS nid^t, n)enn man
fie abftreift. SBer fo aufeerorbentlid^ öiet <)robucirte, n)ie
|)önbel, unb ein ganjeS Oratorium gettJöl^nlid^ in brei bis
öier SBod^en fertig mad^te, bcr fonnte unmöglid^ immer 9ieueS
unb DrigineHeS bringen, nod^ bei jeber Siummer ben ©eniuS
282 <2ö. ^auslief.
«
an feiner ©eitc l^aben. SKan mag fid^ fd^meren $erjen§ ^u
^rjiingen entfd^Iießen, aber ba» öffcntlid^e ^nftleben untere
liegt ©eboten öon jtüingenber Sftot^iüenbigfeit, bereu SSer^^
lefeung ftd^ gemeinigüd^ an beut ffunfttüerle felbft rad^t. S)ie
^ietät, ^änbefö Drotorien gonj unüerfürjt aufjufü^ren, lüurbc
fid^ öermut^lid^ bamit belol^nt feigen, baß nur eine ^onböoll
3u]^örer auSl^arren unb aud^ biefe in einer Steige abfteigenber
©tintmungen big pr ©rmattung anlangen mürben — ein
3uftanb, in meld^em man befannttid& fo gut n)ie nid^t§ me^r
l^ört. 3n einem Sluffa^e über „ba§ ©efefe ber ©rgöuäung
in ben Mnften" erjä^It SB. $. SRie^I öon einer öollftanbigen
Sluffül^rung be§ ©d^itterfd^en ,,2)on ®arIo§" in SKünd^en,
tüeld^e t)on 6 Ul^r bi§ nad^ äRitternad^t bauerte unb ber faft
äße Bwfd^auer bi§ ju Snbe treu blieben. @g n)erbe f^on
bie 3^it !ommen, meint JRie^I, tt)o tt)ir aud^ 95ad^§ „äRattl^äu^-
paffion" unb $önbel§ „SKeffia^'' o^ne ^ebe Mrjung l^ören
lüerben unb „n)o ber greunb ber 5ßoefie un§ SKufiffreunbe
beneiben tüirb, totxt tt)ir bann eine fed^S^albftünbige $affiou
l^aben tüerben, unb er nur einen fünf^albftünbigen S)on Korlo^".
9liel)I überfielet gan§, ba§ bie SaffungSiraft be§ Si^f^fl«^^^
im ®rama eine gan^ anbere, auSbauernberc ift, afö bie be§
3u^örer§ im ©oncert. ^m ©d^aufpiel ift unfere SRitt^ätig^
feit eine üiet ruliigere, DerftanbeSmäfeigere, aU bei ber SKufif,
bereu finnüc^e SKad^t ungleid^ aufregenbcr unb tro^ biefer
Slufregung bod^ meit einförmiger, einfeitiger mirft. S)ort
bietet neben bem gef^)rodeenen SBort bie öor unferen Slugen
tJorfd^reitenbe ^anblung, \)a^ farbenbunte Seben ber S)efp=
rationen unb ^oftüme, ba§ d^arafteriftifd^e ©<jiel ber S)ar=
fteHer eine fo reid^e Slbrtjed^felung unb ftetigc Stuffrifd^ung,
ba§ mir einem fünfftünbigcn ®rama öicl leidster big ju
@nbe aufmerffam folgen fönnen, al§ einem breiftünbigen
Oratorium. ®em liegt nid^t Saune nod^ SRobe, nod^ ®e^
(£I^Öre von Duratite, ^adf, Bral^ms. 283
iüol^ntieit 5U ®runbe, fonbcrn ein pfijc^o^jl^^fiotogifd^cg ®efe^,
ba§ \x6) tucber tücgteugncn nod^ f^jotten laßt. @bcnfo bcbenf-
(id^ ift bcr ntotiöirenbe Sn\ai^ Sliel^I^, bag ja ,,fömnttlicl^e
Strien ebensogut gur 5ßaffton gel^ören, tüie fötnnttlid^e ©ccnen
5um ®ott KarloS". ®ie meiften STrien in §änbel§ unb Sad^^
Oratorien finb I^rifd^e 8tu{|e^3unlte , bie ben Fortgang ber
4)anblung nicfit betül^ren, für ben 3ufammen^ang be§ ©onjen
alfo nicfit fd^ted^ttoeg uncntbcl^rüd^ finb. SBir mögen ben
SSegfaH einer 8trie, bie eine allgemeine S3etrad^tung ober eine
rul^enbe @m<)finbnng auSbrücft, aU eine SSerfürjung unfere^
mufifalifd^cn SSergnügenS em))finben, aber feincSmegS aU
einen 9ti§ burd^ ben ganzen Organismus, wie er burd^ bas
©treid^en njid^tiger ©cenen im ®rama entftel^t.
®ie Slnffütirung beS „3ofua" mirb jeber öon unS aU ein
inertl^öoßeS mufifoIifd^eS Sriebnife im @ebö(f|tni§ bettjal^ren,
aU ein S'unftn)erf, \>a^ unS feinen @d)ö<jfer; lücnn oucfi nid^t
t)on einer neuen, bod^ öiclfad^ öon feiner ftärfften Seite ge-
Seigt r}at.
($n|litrl|e Pufik.
®aS „äKagnififat" öon ®urante i^at nid^t fo ftarf ge=
tüirft, n)ie 95 a c^ S ©om^jofttion beSfelben SejteS, bie Wir 1885
ju ^ören befamen. Xro^bem gen)äl)rt eS unS eine befonbere
©cnugtl^uung , ba^ ber Dirigent unfereS ©ingöereinS, §err
^anS Siid^ter, wieber einmal ein StüdE auS bcr großen
itatienifd^en SSofal^eriobe gewählt ^at. ®aS SBenige, waS in
284 €b. ^ansHrf.
SBien an geiftlid^cn Sl^ortuerfen geboten mirb, befd^ränlt fid^
— öon SScctl^oöenS Seftmeffe abgefel^en — eigcnttid^ auf
S3ad^ unb §önbel. gaft l^aben tt)ir t)ergeffen, ba§ Dor unb
neben ber großen proteftantii'd^=beutyd^en @(^ule, bic burd^
©c^üfe, Sacfi unb §änbel re))räfentirt ttjirb, eine gro^e 5J?e*
ttobc itaüenifd^'fatl^oüfd^er Siird^enmufif geblüht f)at, beren
©pi^en gleid^fall^ ju ben unverlierbaren ©d^ä^en bcr ntuft*
laltfd^en SBelt gehören. 2)iefe beiben in fid^ abgefd^Ioffenen
Streife geiftüc^er SRufif bleuen ber religiösen Äunft mit gteid^er
Eingebung, bod^ in gan§ öerfd^iebeucr 2lu§brudf§tt)eife. @^
ift ein anbereS Sunftibeal, ba§ jebem öon i^nen öorfd^tt)cbt.
Sür bie ^jroteftantifd^en ®eutfd)en be§ 17. unb 18. ^a^x^
^unbert§ toax e§ öor allem Siefe unb Snnigfcit be§ 8lu§brud§
inmitten ^öd^fter po\t)pi)onex ßunft, eine bi§ jur §ärtc
ge^enbe Kl^arafteriftif unb an @<ji^finbigfeit grcnjenbe SBort*
au^Iegung; bie mufifalifd^e @d^önt)eit ^atte fid^ bcm unter-
juorbnen. ®ic alten Italiener l^ingegen emöfanben aud^ ben
mufifalifd^en ®otte§bienft aU untrennbar üon Mangfc^öncr
güHe unb ftarer STnfd^auIid^f eit ; i^nen ftanb bie ®^arafte=
riftif, bie Interpretation be§ einzelnen 9Borte§ in ^weiter
SRei^e. ^örcn njir irgenb einen Sad^fd^en ^falm nad^ einer
analogen ®om))ofition an^ ber großen itatienifc^en ^$eriobe,
fo mirb un§ ungefähr p aRut^e, aU ieixad^ttkn vdix neben
einer SRobonna üon Slofael ober Xijian ein SKarienbilb öon
®ürer ober ©ranad^. S)er ©olbglanj ber ^eiügfeit öerflärt
fie beibe, aber in ber öerfd^icbenen Seleud^tung eines norb-
beutfd^eti ober cine§ italienifd^en ^immefö. ®er nationale,
ber reügiöfe, ber mufüalifd^e ©efd^madf be§ ^örerS njirb ft^
mel^r ju ber einen ober bcr anbern Sunft l^ingcjogen finalen.
S)ie 5ßalme pd^fter SKeifterfd^aft rul^t unbeftritten in ben
|)önben S3ad^§ ; bemungead^tet befi^en bic großen italicnifd^en
ffiird^encom))oniften nid^t minbcr leud^tenbe SSorjüge, bie nur
i
(£ljorc von Durante, ^ad^, Bral^ms. 285
iiircr Station eigen. $ßaleftrina, bie größte Qit^iait
unter il^nen, berül^rt un^ l^eute frentb, faft unl^eimlid^ in feiner
bnfteren SKajeftdt. Ungleid^ öem)onbter füllten Wir nn§ ben
SKeiftern ber neapolitanifd^en ©d^ulc, bem n)eici^eren ^arnto-
nifd^en Süife, ber freier entttjidfetten SWelobie il^rer SBerfe.
SSa§ mir SRobernen an i^nen öermiffen, ift Snbiöibualitdt.
SBir tragen nnben)u§t foöiel SKufil ber nea^jolitanifd^cn
©d^ute int Dt)r — SKojart nnb §at)bn ftnb Ja nod^ it)re
8tu§Iönfer — ba§ Sircfienmufifen öon Seo ober ®urante, bie
tüir niemals gel^ört, un^ tro^bem befannt anllingen. Sine
ftar!e gantilienät)nlici^!eit öerfnü:pft obenbrein bie unüber=
fet)bar jal^Ireidien SBcrfe ber neapotitanifd^en ©d^ule. S)u==
ranteö ,,aMagnififat" gel^ört eigentlid^ in bie Sirene nnb be-
barf ber S'ird^e gnr üoHen SBirfung. ®od) aud^ im ©oncert
l^at nn§ ber eble Sau, ber bü aller SSorne^ntl^eit njarme
StuSbrudf, bie burc^fid&tige unb flangfd^öne 5ßoIt)p]^onie biefcr
2^onbid^tung erfreut unb erbaut. S)er ©til ift feierlich unb
gldn^enb, bie @angbar!eit unb jmanglofc gül^rung ber Stimmen
eine SBot)It]^at für ©önger unb |)örer. ^ai) biefer erl|eben=
•ben Sonbic^tung, rtjetd^e in ber ©d^önlieit ber 3flcIigion 5U=
gleid^ bie Sieligion ber ©d^ön^eit feiert, tt)ürbe man nid^t
t)ermut^en, ba§ grangeäfo S)urante im Seben ein abftofeenb
farf aftifd^er , öerbiffener SKcnfd^ gemefen. @o f d^ilbern itin
Beitgenoffen mit bem SSeifügen, ba§ feine ber brei grauen,
mit benen er öerl^eiratliet roax, einen tjöfüc^en, umgängüd^en
äRann auS i!^m ju mad^en öermod^t f)abe.
Sn erftmaligcr Sluffül^rung erfd^ien ein motettenartig auf-
geführter Kl^oral öon S3ad^: „D ^efu K^rift, meinet
Sebeng Sid^t", für ©^or unb »laSinftrumente. ®a§ furje
©tüdf ift für eine S3egrabni§feier com^jonirt, ^öd^ft ttjal^rfd^ein*
üd^ pr Sluffül^ntng auf bem Sriebtjof felbft. SRan fann fic^
babei au^geseid^net begraben laffen. @inem Icbenbigen ©oncert-
286 <S2>. Banslid.
^jublifum mad^t c^ menigcr SScrgnügen. Unter 93ac^^ ^af)U
reichen Eantatenfä^en ift bicfer aUcrbingS, toic ©pitta ^eröor-
ficbt, „eine aKerftt)ürbig!eit" burc^ bie eigenartige Sufammcn-
fteHung ber S3Ia§inftrumente ; im SSerl^öItnife ju 93ad^§
(Sefammtfd^ö<)fung fc^eint er mir bod^ faum in SSetrad^t jn
fommen.
Säral^m^' „Segräbnifegefang" für gemifd^ten ®^or
unb aSIaöinftrumente (op. 13) n^eift jn^ar, tt)ie jener 93 a d^fd^e,
me^r nad^ ber S'ird^e aB nac^ bem ©oncertfaal; er Hingt
jebod) tt)eit mitber unb un§ nä^er t)ertt)anbt burc^ feine an
i)a§> aitt geiftlid^e Solfölieb erinnernbe fc^üd^te ©mpfinbung.
Strenge gortfc^reitung in ben Harmonien, einfad^e§ 9Kit=
Hingen ber 95Ia§inftrumente erl^öl^en ben ernften, fc^einbar
fo funftIo§ erzeugten ©^araHer biefe§ ebten, üiel ju tt)enig
befannten ®efange§. S)ie mit fo einfad^en äRittetn betoirfte
Steigerung bei ben SSorten : „tt)enn ©otteS ^of aun' tt)irb an=
ge^n" ift mufifalifc^ unb ^joetifd^ ebenfo fd^ön, toit bie
äöenbung, baß grauenftimmen ben erften SSerö: „®ie ©eele
lebt o^n' alle ffilag'" intoniren unb bie tiefen SKännerftimmcn
anttt)orten: ,,S)er Seib fd^Iäft bi^ jum testen lag". ®iefer
aSegräbnifed^or an^ S5ra^m§ erfter ^^Jeriobe l^at für un§ nod^
hk befonbere Sebeutung einer üorbereitenben ©tubie §u feinem
„®eutfd^en Slequiem".
Pännerd^fir^e.
9Son |)einrid^ |)ofmann prten mir eine neue ®om<)o=
fition für SBaritonfoIo, 3Rännerd)or unb Drc^efter, betitelt
,,§öralb§ SBrautfa^rt". S)a§ ©ebid^t, ia^ eine fe^r
männcrd?öre. 287
magere 93ege6en^eit mit einem Ucbermafe t)on ©d^ilberimg
umtuidE elt, !ommt ber $f|öntafie be§ Som^^oniften nid^t fonber^
licfi entgegen. @in norbifc^er $elb, $aralb, öerfinft auf
feiner Srautfal^rt im ©eefturm fammt Schiff unb SKannfd^aft.
S)a im ©ebid^te gar nid^tS gefd^iel^t, um un§ biefen 93räutigam
einigermaßen intereffant ju mad^en, fo begreifen lüir nur
fd^ltjer ba§ furd&tbare ©peftafel, meld^e§ ber „®ott ber ©türme''
unb ,,bic Unl^olbe be§ @übmeer§" gegen benfelben lo^faffen^
uoä) bie lange, untröftlid^e Samentation, mit lüelc^er fc^Iieß^
1x6) „bie ©eifter ber @ee" ben Untergang $aralb§ beffagen.
Un» läßt fein ©rtrinfen giemlid^ gleid^giltig. gür ben
ßomponiften mar er im ®runbe aud^ 9?ebenfad^e; ^auptfad^e
finb il^m bie ©d^ilberungen be§ @c^iff§Ieben§ unb be§ See-
fturm^, bie S^öre ber 3Katrofen, ber guten unb ber böfen
SReere^geifter. S)a§ <SiM ift, tt)a§ bie äRaler eine „aKarine"
nennen. Unb ofö SKaler l^at $einrid^ $ofmann in feinem
^aralbbilb eine nid^t aütäglid^e ©emanbt^eit unb ©ffeft-
fenntniß beriefen. @r malt mit breitem ^^infel unb fräftigen
?5arben. 3m gac^e inftrumentaler 9?oturfc^iIberei ^aben ja
o^ne grage unfere mobernen ©om^joniften bie Älaffifer über-
holt. (Segen ben ©eefturm t)on |)einrid^ §ofmonn finb ber
Drfan im „Idomeneo" unb ba§ @ett)ittcr in ber ^ßaftoraU
@^m<)]^onie ffinberfpiel. Unb boc^ mirfen biefe öiel unmittel=
barer, einbringlid^er auf un§, tt)eit fte nid^t afe |)aupt}ad^e
auftreten, nod^ mit ber Slbfid^t eine§ SSirtuofenftürfeS im
Snftrumentiren. ©benfo angemeffen unb n)ir!fom xok ha§>-
Drd^efter bel^anbelt §ofmann bie ©ingftimmen. „§aralb§-
Srautfa^rt" tpirft afebanfbare^ 5ßrobuftion#üd; Originalität
ber ©rfinbung, Siefe unb Sraft be§ ©ebanfen^ muß man
nic^t barin fuc^en. §. |)ofmann ift fein genialer Sonbid^ter,
mol^I aber ein fieserer, gett)anbter ^ßraftifer, tpeld^er Sllltäg^^
lic^eö in gefd^madföoH abgerunbeter gorm öorjutragen tt)eij3-
288 €b. f^anslirf.
®r bctpcgt fid^ in jener ©fala, bie tt>ir \>tn gcbtibeten beut-
fc^en Siebertafelfttl nennen möd^ten. Sie SBelt ntiifete bcrften,
fagte einmal Stöbert ©d^nmann, todüit fie lauter SJeetl^oüen^
hervorbringen. S)er unglüdEüd^e ©eefa^rer ^aralb n)irb au-
ftatt feiner SSraut fic^ menigftenä bie SKdnnergejangüerctne
erobern. SSefonberg, toenn ber ©omponift, toie er e§ I)ier
gettian, fein SBerf ^jerfönlid^ birigirt. ®r l^at fc^on einmal,
1876, mit feiner „grit^jof^S^mpl^onie" in SBien frennblic^c
Slufnal^me gefunben ; fie marb il^m bie^mal in nod^ toärmerem
Orabe §u tl^eil. — gum ©d^Inffe be§ ©oncert^ !am eine
mufüalifdie SRief enf d^Iangc ba^ergetoäljt rSaäillembe^aan^
Kom^jofition ber U^Ianbfd^en »attabe ,,®er Söniggfo^n'', für
@oIi, SRönnerd^or unb Drd^efter. ®ie ©emöd^Iid^feit, mit
uield^er biefe jäl^e SKaffe fid^ in langfamem lem^jo , mono^
tonem 9il^^t^mu§ unb abgegriffenen SReben^arten fortf(^Iep<)t,
ift nid^t gu befd^reiben. S)ie unerfättlid^e SBieber^oIung t)on
©ä^d^en toie „S)ie SJü^e judfen an^ ber Siad^t" ober „SSer-
fd^Iungen ift ber ^önigSfo^n" fteHten fd^on im Slnfange bie
©ebulb be§ ^örerä auf eine l^arte ^robe. S)er Se^Igriff,
ben ein geniater lonbid^ter toit Stöbert ©d^umann mit bem
bramatifc^en Surd^- ober Slugeinanber-Eomponiren biefer
ober anberer U^Ianbfd^er SSallaben gemad^t, foHte füglid^
jeben Stad^folger abmahnen. SBer erjöl^Ienbe ©ebid^te bergen
ftalt/an einzelne bramatifd^e ^ßerfonen öert^eilt, ba§ ®po§
unb S)rama fid^ fortinal^renb in ben paaren liegen, tt)irb
fd^merlic^ ettt)a§ 9lnbere§ hervorbringen, atö üerfrü^jpelte
D^jern, benen baä bramatifd^e Seben unb bie finnlid^e Sin-
fc^aulid^feit fehlen. @o unglüdflid^ bie @ d^ u m a n n fd^e Eom-
pofition beg „SönigSfol^neg" un§ auc^ crfd^eint: in einem
$unft tonnte fie §errn SB. ö. ^aan nod^ immer jum SRufter
bienen. %üx bie cinleitenben üier SSerfe brandet ©d^umann
nur je^n lafte, für bie 8lnttt)ort beS Sönig^fo^ne^ : „®ieb
B. Staücnl^agen, 2Irtt^ur ^Jriebt^cim, 3^avex Sd^ariPcnFa. 289
mir t)on allen ©d^öfecn" u. f. tu. ficbcn laftc. Sei ^ami
bauern fie eine @tt)ig!eit. §err t). $aan, Sapettmeifter in
Sarmftabt, wirb un§ aU ein vortrefflicher Dirigent nnb l^öd^ft
lieben^tpürbiger junger 3Kann gefc^ilbert. SBenn biefe SSor-
jüge l^inreid^en, um eine bie §örer einfd^Iäfernbc, bie ©änger
aufrcibenbe ©ompofition jur Sluffül^rung ju mälzten, bann
f)ai ber 5)irigent Stecfit gehabt, biefen Sönig^fol^n gegen nn§
loSjuIoffen.
^irtuüfen*
23. %t<imn^a^tr\, JIriQur 5Frie59eim, 3cavev l^fQanvenRa.
|)err SSernl^arb ©taöenl^agen, ein junger Sil^üringer,
ift ätt)eifeno§ berufen, einer ber größten Maöierfpieler ju
n)erben. ©ein erfteS Eoncert ^atte nur ein Heiner ^ublHum
l^erbeigetodtt; fein 5n)eite§ fanb üor einem jal^Ireid^en, fein
brütet enbKd^ öor einem bid^tgebrängten Slubitorium ftatt.
©taüen^agen üerfügt über eine öoHenbete, abgerunbete unb
abgeHärte Sec^nü, ber gar nichts 3KaterieIIe^ mefir anhaftet,
©ein 9lnfd^Iag ift mitunter jauberl^aft. @r fingt, fpricf)t, er-
jäl^It, <)Iaubert am Älaöier. SRan fann öon il^m l^unbertertei
Stnfd^IagSarten ^ören; jebe fdieint anber^ ju fein, unb feine
verlangt üom S^Iaüier mel^r, afö e^ leiften fann. S)ie ffunft,
ben Ion fo öerfd^iebenartig ju färben, ju fd^attiren, macht
fein ©piel ungetoö^nlic^ angie^enb unb reijöoH. @ine fo
f^oä) auSgebilbete ©peciaütät birgt aHerbing^ auä) il^re @e=
fahren, ^ä) fann bie SJeforgnife nid^t ganj unterbrüdEen, bafe
ber SReid^tl^um öon Slnfc^Iag^nuancen, burc^ meldten ©taöen^
l^agen bezaubert, öietteid^t i^n felbft irrefül^ren unb herleiten
290 <2b. f^anslirf.
möd^tc, über bcr Slangfd^önl^cit bcr einädnen ^^rafc, ja bcä
cinjclncn Iott§ ben ©l^arafter bc§ ®an§en ju ücrnad^Iäffigcn.
©0 fd^etnt er mir bie ,,SScrfcf)iebung" , ber er fd^öne @ffc!te
entlodt, §u pufig unb anl^altenb ju üertoenben. @r fptelt
— mit SluSnal^me toeniger %atie — ha§> ganje Slbagio ber
Cis-moll-@onate unb ben gangen Des-dur-3KitteIfa| in ®^o*
^)inS Iröuermarfd^ mit SSerfd^iebung ; boburc^ Hingt, toa^
ötl^erifdö begonnen f)ai, om fönbe fränflid^ nnb matt. Sfn
feinem SSortrag ber Seetl^oöenfdien ©onaten rül^men n)ir bie
männüd^e Sluffaffung bei jarteftem 5)etail nnb bie ftrenge
©inl^altung be§ %altt^. ®ennod^ erzeugten mitunter bie S'Iang-
fünfte beS 5ßianiften n)enigften§ ben ©d^ein eine§ abfid^tlid^en
©d^önmad^en^. S)er groge gug ber Sonbid^tung mußte fid^
tjorüberge^enb bod^ bem einzelnen berüdfenben ®Ionge fügen,
©taöenl^agen erfd^eint in fotd^en äRomenten ettoa tou tin
aSaler, ber einer blenbenben garbe julieb, ober toie ein 5ßoet,
ber für einen originellen SReim bie ^het be§ (Sangen gured^t-
rüdft. ftleinere ©türfe üon ©d^umann , ^tjopm, Sifgt fpielt
er mit reigenber 9latürlid^!eit , faft mit Unmittclbarfeit bon
3ni<)rot)ifationen. SWit jauber^after Seid^tigfeit, faft ju rafd^,
lößt er ben S^o^jinfc^en Des-dur-SBaljer an un^ öorüber-
fliegen. Sefrembenb fiel e§ auf, baß ©taöenl^agen eine S^o-
^)infd^e @tübe gang unvermittelt, faft ol^ne bie $anbe üon ber
Slaöiatur gu ^cben, an ben Srauermarfd^ anfügte. SWit be^
fonberem gntereffe hörten wir E^opin§ „Fantaisie-Polonaise",
op. 61. ©ic tt)irb megen il^rer außerorbentlid^en ted^nifd^en
©c^tt)ierig!eiten mie ob i^re§ rötl^fel^aften 3n^alt§ feiten ge-
fpicit. ©taüenl^agen gügelte bie erfteren öoHfommen unb
erl^eHte ba§ öermirrenbe Sunfel be§ lefeteren nac^ 3Rögtid)feit.
@g ift bieg eine ^ßl^antafie im ^jatl^ologifd^en ©innc, baS
5ß]^antafiren eineg gieberfranfen , bem lodEenbe unb tt)üfte
©Über in mirrcr fjlud^t erfd^einen. SJergeben§ fud^t er fte
TS. Staocnt^agcn, 2Irtt^ur fricbl^eim, Xavex Sd^aripenfa. 291
5U beuten, feftju^atten, ju üerBinbcn; feine ©rregung fteigert
\xä) enblid^ bis jur Sobfud^t, aii§ meldier er in tieffte @r*
ntattung l^ilffoS jurücffinft. (Sin ^jf^d^ologifc^ merftnürbigeS,
aber rnnjüalifd^ burdionS nnerfreuIid^eS ©tüdt. SBenn Sif jt,
ber begeifterte SSere^rer ©^opinS, t)on biefer ©ompofition
fagt, jie fte^e ofe ganj patl^ologifd^ aufeerl^db ber S^j^äre
ber ^mft, fo ift bem nid^tö votxttx beizufügen. @S tt)irb er=
5ä^It, ba§ El^opin, als er be§ Slac^tS biefe eben entftanbene
$oIonaife fid^ üorj^jielte, bie %f)üx feinet SiwinterS aufgellen
fal^ unb ein langer Snq polnifc^er ®amen unb ©belfeute in
altcrtfjünilid^er Srad^t an ifim üorbeifd^ritt. S)tefe SSifion
erfüllte i^n mit folc^em ©c^redEen, bafe er gur entgegen=^
gefegten 2pr ^inauSftüd^tete unb jeneS 3iwi^^^ i>c^ 3tad)t^
nid^t mel^r gu betreten tüagte. ©in :poInifd)er SRaler, ütoia"
tott)§!i, l^at biefe SSifion „nad) ©f|o<)in§ eigenen Sfngaben" in
einem Silbe bargefteHt. 3(m fd^önften \pklt ©taöenl^agen
bxe ©ad^en feinet SKeifterS Sifjt. @r ntad^t fie fogar er-
ttöglid^ unb intereffant, benn er f^jielt fie mit ber Ueber*
geugung unb bem ©ntl^ufiaSmuS einer ben?ibenön)ert^en
3ugenb unb fiölt fid^ fern Don bem ^Raffinement unb ber
3lufbringlicf)feit folc^er Sif^i^^elben. 9Kan öergi^t tüiHig bie
finbifc^en Ueberfcf)riften : ,,gran§ öon Slffifi ))rebigt ben
SSögetn", „Stanj be ^^5aula fd^reitet auf ben aSeHen", ttjenn
©taüenfiagen biefe beiben brillanten ©tüben Vortragt. 2)ie
eine afimt ba§ SSogeIgejtt)itfcf)er nac^, bie anbere baS SSäogen*
geräufd^ — alfo in beiben gäHen bod^ dtoa§> $)örbare§. S33a§
foH man aber bo^u fagen, tpenn Sifjt einem Iot)men Slnbante,
ba§ fid^ in eine Dftaöenetübe ftürjt, ben erl^abcnen Sitel
giebt: „II sposalizio; n a d^ Stafael!" ©jiftirt benn
fein unfterbüc^eg &po^ mel^r, fein S)rama, fein SKonument,
fein ^iftoricnbilb , baS fieser tt)are öor SifjtS unfehlbarem
Stad^muficircn ? S)a§ foH an Siafael erinnern? S)aS bie
19»
292 &. ^anslirf.
SSermäl^Iung äRariag mit Sofe^)^ im Icmpel barfteffcn?
9li6)i einmal bie |)od^5eit eine§ Slaöicrfabrifanten mit einer
SSirtuofin. S)ie falfd^e Senben^, fold^e ©d^itberungen ju
componiren, ift gottlob im entfdEiiebenen 9lbfterben; bcr
jtüeifeC^afte ©efd^madf, fie in ©onccrtcn §u fultiüiren, bürfte
and) nidE)t lange anl^alten. 2tuf biefc getrillerten ipeiligen*
legenben unb Slaöiergemälbe „nad) SRafael" loirfte bie
Sigcnnernatnr in öifjtg 12. 3?]^a<)fobie ttja^rl^aft erquidfenb.
@in furiofe^ StüdE ift übrigen^ and^ ber „Valse Caprice"
t)on S i f 5 1. ^einrid^ §eine tt)ürbe barin mit feinem mnnber*
baren „S'Iangbifbertalent" öielfeid&t eine blafirte Stiftöbame
gefd^aut l^aben, bie eine Äa|e auf bem ©d^og unb eine SpieU
nf)v t)or fid^ ^at. 5)ie ©pielu^r bleibt plöfelid^ mit il^rem
SBaljer ftedfen, tt)orauf bie S'a^e il^re ^errin erft ju ftreid^eln,
bann furchtbar ju fragen beginnt, bi^ mit einem Stucf mieber
ber SSäal^er in ber ©Jjielbofc loSgel^t unb bie ®a|c il^rerfeit^
SRu^e giebt. ©ine rec^t fd)öne Unterl^altung.
3lrt]^ur grieb]^eimfpieIteSifätg,,@<)anifd^e 3fll^a<)fobic"
unb brei ©tüdfe t)on©i^o}3in — atte§ mit tobenbem Vortrage
unb unter tobenbem 8r:p<)Iau§. ^ä) öermag beiben nid)t juju*
ftimmen. ©eine öirtuofe led^nidE , unterliegt feinem ß^^ifcl;
i^err griebl^eim ift, toa^ man e^ebem einen „©tarff^jieler''
nannte, ein ©tarff}3ieler öon ftarffter, aber nid^t reinlid^ftcr
©orte. 9Kit feiner öerblüffenben, aber feelenlofen 93rat)our
erftrebt er nur materielle äöirfungen, tt)enigften§ errcid^t er
bIo§ fold^e. ©ein ®pitl, ^äufig unrein, mad^t burd^ Uebcr*
treibung be^ Xtmpo^f ber Sonftärfe, be^ ^ebalgebraud^S
mitunter einen c^aotifd^en ©inbrurf. STIS Sifjt-Sd^üler befi|t
er pd^ften^ bie SSraöour, aber nid^t ben (S^pxii, bie 8ln*
mut^, bie ©m^jfinbung feinet großen SKeifter§. S93enn
Sifat feine „©»janifd^e SRl^a^jfobie'' fpielte, mel^e Sütte
jauberifc^ loed^felnber Sid^ter flog ba über ba§ bijarre ©tücf,
ba§ tüic eine übermütl^ige gntproüifation tüirftc! Unter
|)errn Stiebl^eint^ ^önbcn flang fic reijloS, troden. ®^o*
pin§ As-dur-^olonaife, ein ©lanjftüdt aller au^geieid^neten
5ßtaniften, erlebigte §err Srieb^eim n)ie ein töftige^ 5ßenfum,
mit bent mon ntöglid^ft fdineü unb couragirt fertig ju ttjerben
fud^t. S)ie „Polonaise-Fantaisie", op. 61, üon ®^o:pin, ein
fran!^afte§, unl^eintlic^e^ unb unniufifalifd^e^ ®iM, fd^eint
mir für öffentlid^en SSortrag gar nid^t geeignet; gefd^ie^t e^
bennod), fo mn§ e3 nid^t bloß mit ben gingern gef|)ielt n)erben,
fonbern mit ber ganzen ©eele eine§ mitfü^tenben SRenfdjen.
SBer bag ©tüdf Don ©taüenl^agen gel^ört ^at unb je^t
tjon griebl^eim, ber tt)ei§, tt)ie tief felbft in rein ted^nifcf)er
|)inftd&t ber SSortrag be§ festeren gegen bie Seiftung be^
erfteren jurüdEfte^t. 3d^ bin fein greunb ber aHejeit forreften
8:pieIbof enpianiften ; überfd^äumenbe SSerttjegen^eit ift mir
n)ilI!ommen, tpcnn fie bie natürlicf)e Sleufeerung eines mit ben
©c^tpierigfeiten freubig fpielenben Äraftgefü^IS ift. Slud^
Sifjt ^t im Scuer ber SSegeifterung mitunter baneben ge-
fd^Iagen. SSäol^Igemerft, im geuer ber SSegeifterung. Slber
gerabe biefeS üermiffen toir on §errn griebl^eim; er f^jielt
nüd^tern, unbett)egt, mit einer Slrt gelangmeilter ©leic^giltig-
leit. Seit feinem erften Sluftreten in SBien l^at er fid) feine
genialen langen §aare ftu|en laffen unb fielet mit feinem,
glattrafirten ©efid^te unb ber filbernen S5riHe gar nid^t me^r
l^immelftürmifd) auS. ©teif, tiif)l unb förmlid^ Wie ein eng=
lifc^er Sieöerenb fefet er fid^ an fein ^nflrument, baS i^n
in einen 9lobe§<)ierre unb ha^ er in eine ©uiHotine üer-
toanhdt
@in SJirtuofe, ber fid& ben milbt^ätigen SujuS er*
laubt, ein großem Drc^efterconcert jum 95eften be§ Unter*
ftü^ungSfonbS beS SBiener KonTeröatoriumS ju geben, mufe
noc^ ein anbereS aU bloß mufifaüfc^cä SSermögen befifeen.
294 €b. f^anslirf.
SBir gratultren ^errn Xaücr @d^artücn!a red^t l^erjüci^
ba^u. S)a§ ber ©rtrag jicniüd^ gering auffiel, fd&mälert nid&t ba§
SScrbtcnft bc§ Koncertgcbcr^, tücld^em, entf^jrcd^enb bcn t)on il^m
bcftrittencn Unfoften, ein großartiger 93eifaII ^n t^cil tüurbc.
§err ©c^arlüenfa f^jielte jncrft fein befannteS B-moll-®on*
cert, ba§ er bereite im Saläre 1879 l^ier vorgetragen ^at, unb
l^ierauf einige Soloftüde t)on 3Wenbefefot)n, ©d^umann nnb
Sifgt. S)urd^n)eg§ heroä^xtt er fid^ aU perfefter Sirtnofe
üon tabeltofer Sforre!tl^eit, au^bauernbcr Sraft unb SJraüour.
Sro^bem !^at mtdE) fein ©piel Weniger befriebigt, atö üor
gel^n Salären, ©d^orttjenfa ift feit longe aU ein ausgezeichneter
Älaüier^jäbagoge gefud^t unb berühmt. ®er ^rofeffor fd^eint
in i^m ben 5ßoeten tobtgefd^Iagen ju tiaben. S33aS er fpielt,
Wingt niett)obifd^, abge^irf elt, nüdEitcrn. ®ie frühere Soübität
feinet SSortrageS ift jur ^ebanterie öerfnöd^ert. S33ie fül^t
unb ))oefieIo§ gerietl^en unter ©d^orinenfaS §anb bie genialen
„ÄreiSleriana" öon Sd^umann! Sold^e ©tüdfe tPoHen mit
lebenbigem ®eift unb tief einttmrjetnber ©mpfinbung, h)ie
ettüa§ inbiüibueH ©rIebteS, gef}3ielt fein. Sluf bie Singer be§
SSirtuofen möchten mir ba öergeffen; bei ©d^armenfa Der-
goßen toix auf feine ©eele. 2lud^ fein Slnfd^Iag ift l^ärter unb
fteifer gen)orben ; bie tiortaute ^errfd^af t ber linf en ^anb er-
innerte an ba§ ftrenge S'ommanbo eines DffijierS, ber feine
Som<)agnie in S^aft unb Drbnung erl^ölt. ®en Sefd^Iufe
machte eine ®t^mp^onit in C-moll Don ber Eompofition beS
©oncertgeberS, ttjelc^er felbft birigirte. @ie fud^t burd^ bie
gettjaltigften Intentionen, burd^ baS betäubenbfte ©etöfe, burd^
ungenjö^nlid^e Sänge unb breite ju njirfen. ^n bem Se*
ftreben, etinaS äußerft Seibenfd^aftlid^eS , liefeS unb ©roß-
artiges ju fc^affen, ^at Sd^artoenfa leiber fein 2^alent über*
fc^ä^t. ©d^on ber erfte @a^, eine SSer^errlid^ung beS grim-
migften 5ßeffimiSmuS , ift geeignet, ben §örer öon ber 9leu*
Streid^trio von ino3art. 295
gicrbe naä) bem golgcnbcn gu l^cileti. ^n bcr Sorm faßt
ber @a| l^altlo^ au^einanbcr; bie Sogif f^mpl^omfc^cr ©nt*
toidEIung erjd^eint aböebanft ju ©utiftcn eitic^ fprungl^aften
tnelobramatifd^cn SBefenS. SKan glaubt mitunter eine erregte
bramatifd^e D^jernfcene o^nc Oefang ju l^ören. ®ö mad^t
ftetg einen betrübenben SinbrudE, menn ein liebenSmürbiger
äRann, ber mit feiner SSernunft unb bem Seben auf bem
beften gufee fielet, fid^ ein groge^ tragifd^e^ ©d^idfal an*
bid^tet unb burd^auS für einen $iob, gauft ober Sölanfreb
gelten n)itt.
$itmmermu|tk.
^txx 3unu^SBinfIer,ein äRufif er öoH lemperament
unb Segeifterung , beffen fc^öner, n^armer ©eigenton un*
übergeugenb ju §erjen fprid^t, l^at un§ am legten Stbenb
mit einem merfmürbigen ©tlicf überrafc^t. @g ift ein ©treid^*
trio in Es-dur üon äRojart, baS, 101 3a^r alt, unferem
^ublifum bennod^ ate eine Sioöität entgegenfam. äRan öer*
»edifele eS ja nid^t mit fo mand^en pd^tigen ®elegen^cit«*
compofitionen SDlojart^, n)eld^e nur bie Unter^altung^mufil
ber gebilbeten S)ilettantenfreife feiner Stit bereidiern n)ottten.
Unfer @treicf)trio ift ebelfter SBein an^ einem ber beften
Sa^rgänge, 1788, bem n)ir aud^ bie brei ©qm^jl^onien in
C, Es unb G-moU öerbanlen. Dtto 3^^^, meld^em toir bei
aller fd^ulbigen unb aufrid^tig gefüllten SSerel^rung bod^
mand^mal ein bisd^en mißtrauen, menn er üon gett)iffen ber*
fd^ollenen Slrbeiten SRojartö befonber^ ent^upaftifd^ f<)rid^t
296 <2ö. ^anslirf.
— er f)ai bie^mal öottftänbig Ifitä^i, \>a^ Es-dur-Irio „ein
tt)a^rc§ S'abinett^ftücf bcr ^antmermufi! unb eine ber bc=
tüunbcrungStüürbigftcn Strbcitcit Sölojart^" gu nennen. @§ bc-
fte^t au^ 6 ©ö^en: SlHegro, Slbagio, SRenuett, Sfnbante mit
SSariationen, SKennett, SRonbo. 3eber biefer @ä^e ift breit
angelegt, ungemein forgfältig au^gefü^rt, bei aller ©infad^l^eit
erfinbungSreid^ in ben äRotiöen, ftet§ anregenb burd^ feine
tiarmonifd^e unb fontrapunftifdEie Sel^anblung. SRanc^e
SBieberl^oIungen unb lonbentioneHe SBenbungen trüben laum
öorüberge^enb ben ©enufe biefeS \o fd^Iid^ten unb bod^ t>ox^
nel^men SBerfe^. SBie reijboH unb eigenartig Hingt nid^t baS
STnbante, beffen öolföüebmäfeige^ Sl^ema fid^ in eine SReil^e
fein inbiöibualifirter Variationen auSeinanberlegt ! SSie blü=
^enb, frifd^ unb jart ber §tt)eite SKenuett! Unb über bem
®anjcn biefeS feiige ®enügen, biefe ©emüt^Sreinl^eit, biefe
greube am Seben unb am ©piel. SBie glüdflid^ möd^te man
unn)imürlid& aufrufen, tüie glüdfüd^ mu^te ber äRann ge=
toefcn fein, aU er biefe SDlufif fc^rieb ! SBeit gefel^It. SWojart
mar in jener 3cit l^art bebrängt öon ©elböerlegenl^eitcn, be-
brüdft burdö l^äuglid^e ©orgen, geöngftigt burd^ bie ^anf^eit
feiner Stau. S)ie flel^entlic^en Sittfd^reiben an feinen grcunb
?ßud^berg batiren au§ berfelben 3eit. Slber all ben böfen
Srbenftaub fd^üttelte SKojart üon fid^, tpenn er ju componircn
begann. ®er Jammer be§ 8ltttag§Ieben§ burfte nid^t hinein
in baS OTer^eiligfte feiner ®unft; er behielt i^n ftitt für fid^
unb ad^tete e§ für unerlaubt, mit ben S)iffonanjen feinet
^)erfönKd^cn äRifegefc^idfeS bie ig)örer §u üertoirren, bie ja
il^rer eigenen ?ßlagen bergeffen moHten in einem ©tünbd^en
SKufif . SBie ganj anber§ i^tntt ! Unf ere befferen ©om^joniften
— nod^ lange feine SKojart§ — leben in einer unüergleid^üd^
beüorsugteren fo^ialen ©tettung unb in meit günftigeren SSer*
l^ältniffen, atö ber ©d^öpfer beg ®on Swan; e§ ge^t il^nen
Streidjtrio von Xtlo^att 297
red^t gut, too nid^t öortrcffüd^ , unb boä) — ml^ bitterer
?ßef fimiSmuS , troftlofer Jammer unb ober SebcnSüberbrufe
burd^gie^en il^re ®onH)ofitiouen ! Oetoife überftrömt bie ©runb^*
ftintmung einer bcftimmten Seit in ben einjelnen Sünftler;
fott aber biefer tpirflid^ nur ein SReferöoir fein ber attgenteinen
Unjufrieben^eit unb ein STu^rufer ber eigenen? „S)ie fd^ttere
3lotf) ber Seit, bie Seit ber fd^tteren 9iot^" — ift fte allein
fd^ulb an ber SSerbüfterung unferer SKufil, ober ftnb e^ nid^t
aud^ ein biSc^en bie ©ontponiften felbft? ©ine ntuftlaüfd^*
^)f^d^oIogifd^e Preisfrage.
1890.
®ie „Duöertüre junt ©cfeffelten ^romet^euS bcS
Slcfd^^IoS", eine ber beften, tetfften Eompofittonen ©olbmarfö,
reijt nic^t bIo§ burd^ bie l^ei^e ©nergte be§ STu^brucf^, pe
l^at aud) mufifaUfd^en ®c^alt unb überftd^tlid^e ijorm. @S
gel^t barin tPtrffic^ etn)a§ öor, in mufitalifci^em Sinn,
nid^t in bem ntigüerftänblid^en einer brantatifd^en Slad^malerei.
®ie Dnöertüre beginnt tt)ie feierüd^e SKeereSftiHe mit einem
Slbagio in C-moll ; ba§f elbe bröngt aHmä^Iid^ ju ber l^eftigeren
S3ett)egung, bie in bem SlHegrofa^ (gleidEifallg C-moll) in öoHen
SIu§ gerätl^. STuf bag trofeige, fd^arf mdrürte ^aupttl^ema
folgt ein jtoeiteS in C-dur öon auffaHenb fanftem, foft ib^tti^
fd&em Slu^brudE; eine einzelne Dboe, bann eine Klarinette
intonirt biefe, öon leifen Slfforben getragene SKelobie. SKand^cr
foH STnftofe genommen l^aben an bem friebüd^en Son biefeS
@eitenmotit)§. Di e^ bie Erinnerung an frül^ereS ®füdE ober
bie Hoffnung auf ©rlöfung anhtnttf überlaffe id^ ben SluS^
legefünftlern. SRir aber fd^eint e§ gerabeju ein SSerbienft
be^ ©om^joniften, baß er bie Folterqualen beS angefd^miebetcn
?ßromet]^euS öorübergel^enb unterbricht unb befc^toid^tigt, if)n
,,Prometl^cus»0uüertüre" von (SoIbmarF. 299
unb un§ glcid^fant STt^em fd^ö^jfen läßt. ®iefcr ©ontraft toar
mufüalifd^ nottitDenbig ; in einem Drd^eftcrftücf öerlangen tt)ir
^uerft äRufif unb bann crft Iragöbie, fo meit fie in erfterer
lösbar ift. 95alb brid^t bie ©nergic be§ erften Ificmag tt)icber
^eröor unb fteigert ftd^ p ftürmifd^er @m}3örung. 3Kan be*
mer!e bie öon öier ^ofaunen burd^ eine Dftoöe c^romatifd^
l^eraufgefü^rten öerminberten Septimenafforbe. @in öon allen
©treid^inftrumenten in ftörfftem gortiffinto au^gefül^rteS an*
l^altenbeS Iremolo — ber ^ö^tpnnti ber tragifc^en Situation
— fc^ttjäc^t fidE) alImä£)Ud^ ab; immer langjamer unb leifer
näfiert fid^ ba§ @nbe: ein rut)ige^ Slu^at^men auf einem
langen, üerl^aüenben C-dur-8lfforb. ®ie ^romet£)eu§=Dut)er=
türe bebeutet eine weitere bettjugte S^Iärung öon ©olbmarfö
ftarfem, aber turbulentem latent ; erfreulicf)e Slnjeid^en toaxtn
fd)on in ber ,,Sifü^Iing§=Duöertüre'', folüie in ben neueften
Siebem mal^rjunel^men , ttjeld^e öon bem beclamatorifc^en
$rin§i<) ber mobernen Sieberfunft fel^r merflic^ toieber jum
tKelobifd^en einlenfen. SRan ttjeijg, ha^ ©olbmar! öorjug^-
n)eife tragifc^e Stoffe, teibenfc^oftIid^e§, unöerfö^nte§ JRingen
liebt unb ba§ er im SluSbrudt biefer Siebe nid)t fd^üd^tern
ift. ^ä) fonnte mid^ be^l^alb einiger 93eforgni§ nid^t ern)e^ren,
üU ©olbmar! fid^ gerabe ben „gefeffeften ^romett)eug" au§*
fuc^te. SBirb ber fd^eufelid^e ®eier, ber an ^ßrometl^eu^^ Seber
l^adt, fid^ nid^t ä^gleid^ in unfere D^ren öerbeigen? SBirb
nid^t ftatt be§ Reiben unöerfe^enS fein ©ruber @<)imet]^eu§
auftaud^en unb au§ ber berüd^tigten Siid^fe ber 5ßanbora
alle§ auffliegen mad^en, tt)a§ bie SRufi! an böfen Stechfliegen
befi^t? Siic^tg öon allebem ift gefd^el^en. Xxo^ ber ein==
fd^neibenben, im geuer be§ ftärfften Drd^efter^ l^eifegegfül^ten
^ragif biefer Kompofition t)abe iä^ gerabeju Slbfto^enbeS,
|)ö§Iid^e^ nid^t barin bemerft. SRit reinen ®reiflängen läfet
fid^ freilid^ ein ^rometl^euö ebcnfott)enig machen, toie eine
300 €b. f?ansHrf.
SReDoIution mit Stofetittaffer. Slbcr ®oIbmarf§ SJcrbicnft ift
cS, ba^ er jtd^ nid^t in Heinlid) au^malcnbc§ S)ctail öerioren,
fonbem ftet§ ba^ große ©anje im Slugc bel^altcn unb auS
feinem gefä^rlid^en ©toffe ein mufüaüfd^e^ ^unfttterl ge*
fd^affen ^at Um üoHfommen . ju üerftel^cn, toa^ mit biefen
SBortcn gemeint ift, braud&te man im ^^Sl^ill^armonifd^en Kon*
cert nur noc^ ein SBeild^en na^ ©olbmarf^ Duöertüre fi^en
ju bleiben unb fid^ bie ^^^^ante^S^mpl^onie" üon Sifjt an*
jul^ören.
©rofee SBirfung machte eine Sioöität; @metana§ ft)m*
^)]^onifd)e ®id^tung „Vltava". @o nennt fie ber Slnfd^Iog*
jettel. S^ ^ötte geglaubt, bafe mir in SBien nod^ S)eutf(^
\pxtd)m unb l^ier niemanb üer^jflid^tct fei, ju wiffen, bafe
„Vltava" bie äRoIbau bebeutet. SBal^rfd^einlid^ toar §of*
la^)eIImeifter Stid^ter gleich üielen feiner Svif)'6xtx ber 3Rei*
nung, „Vltava^* fei ber 5Rame irgenb eines unbefannten
großen gelben cjcd^ifd^cr Station. 5)ie erfte ©d^ulb trifft
ben SWufifüerleger, ber auf ber ^ßartitur jmar ben ©efammt-
titel unb fogar aöe SSortragSbejeid^nungen in beutfd^er
Ueberfe^ung beifügt, aber bie für ba§ SSerftänbnife entfd^ei-
benbe Sluffd^rift „Vltava" nic^t. Unb boc^ moKen bie Kjed^en
©metanaS SBerfe auc^ in ganj S)eutfd^Ianb verbreitet roiffen.
3Barum alfo auf bem Sitelblatte ben Flamen „SRoIbau" bcr*
fc^meigen, ben ebenfoöiele SKiHionen Sölenfd&en fennen, aU
etma ^unbertebaS aSort „Vltava^^ SRit fold^en „^jatriotifd^en"
ffinbereien l^aben cjec^ifd^e SSerleger i^ren äRufif^eroen fd^on
mel^r, afö fie glauben, gefd^abet.*) S)ie Eompofttion felbft
*) 3)a§ uon ben ^^ü^armonifern gefpielte ©tücf ift bie gmeite von
fec^S ©t}mp()onif(^cn ^ic^tungen, meictje ©metana unter bem QJefammts
Sympl^onif d^c Dtd^titng von Smetana. 301
tft ba§ SEBerf eine§ ed^ten unb glänjenben latente^. Qn
crfter Sinie SRaturfd^ilbcrung, gciiört fie ju jenen ^xoqxamm^
SRuftfcn, n)eld^e im ©runbe feiner gebrncften Oebraud^^an^^
toeifung bcbürfen unb nirgenb^ über bie (Srenjen bc§ muft*
faüfd^ aSerftänblid^en ober ßulöffigen i|inau§gel)en. SSon
Sifjtg @^m^)^onifd^en ®id^tungen angeregt unb beeinflußt,
ift @metana§ „äRoIbau" bod^ biet einl^eitlic^er gebadet unb
natürlicher entn)idEeIt. ©in |)au^)tgebanf e, eine ©runbftimntung,
beinalie eine S3egteitung§figur bel^errfd^t ba§ gonje (Sind,
Der Slnfang ift reijenb. SBir ftefien am Urf^jrung ber
SHotbau, bie im Söl^mermolb au§ jlüei Duetten entf^jringt.
Sine einjelne glöte melbet fid^ mit einer rafd^en, fd^üd^ternen
SSettenfigur; öerf^jrengte ^ßijjifatotöne ber ©eige unb §orfe
blifeen lt)ie ©onnenftral^Ien barein. S)a§ SBäfferd^en fd^n)ittt
on: ^toti glöten bringen ba§ aSettenmotit) in @ejten, bie
Klarinetten in lernen, enblid^ nimmt ani) ba§ ©treid^quartett
e§ auf. Sluf biefer gteid^möfeig auf- unb nieberlüogenben
Begleitung erl^ebt fic^ in ben c^oljbläfern ba§ eigentlid&e
Iljema, eine öolfötpmlid&e, rul^ige Sieblüeife in E-moll. S)a
ertönen SBalbl^örner ; eine ^a^h jiel^t vorüber, n)äi|renb bie
SBettenbegleitung unter gli|emben2riangelf längen rul^ig n)eiter^
flutl^et. Slttmal^Iic^ öerliatten bie Körner, bie ^aqh entfernt
fid^ ; i^r folgt , jtoif d^en 9Karf d^ unb ^olta f d^n)ebenb , eine
lönblid^e ^od^jeit^mufif. SRad^ bem SSerfd^n)inben ber Säuern*
l^od^jeit taud^t bie itjogenbe Segleitung^figur n)ieber auf, bie^-
mal bIo§ in ben glöten unb Klarinetten. S)ie ©eigen, mit
©orbinen, führen baju eine fanfte, getragene äRelobie, bereu
Slbfd^nitte furje ^arfenar^jeggien marfiren. „äRonbfd^ein,
titel „m^in ^attxianb" öeröffentlid)t ^at. g^re 5tuffd^rifteu tauten :
1. 3St)fcöe6rab. 2. S)ic SKoIbau. 3. 6c^arfa (^JJome ber ^Imojonens
fü^rerin unb eine§ St^oIeS bei ^rag). 4. §lu§ SBö^menS gfur unb
^ain. 5. ^abor. 6. SBIanif.
302 €J). fjanslirf.
SR^ttt^jl^enreigctt" l^eifet e§ in ber Partitur — ein glcid^mö^ig
bic äRalcrei toic bie ^ocfic ftrcifenber SSortourf, ber l^icr mit
cd^t tttufifalifd^cn SKitteln reisenb au^gefüiirt ift. SlUntöl^Iid^
befd^Ieunigt fic^ ber SBogentonj, immer lauter unb tüilber
fd^öumen bie SBäffer: lt)ir finb in bie „@t. Sotianni^-Strom-
fcfmeHen" gerotiien. S)a§ gaitje Ord^efter mit SSecfen unb
großer Srommel gerötli in Slufrul^r unb öoüfüiirt ein potrio*
tifc^ übertreibenbe§ ®etöfe, ba§ ben äRoIbaunjirbel für einen
jttjeiten SRiagarafaH ausgeben möd^te. S)urc^ bie Strom*
fd^neHen gelangen n)ir in bie breitefte Strömung be§ äRoIbau-
fluffeg, ber nun majeftötifd^ am gufee be^ SB^fd^el^rab ba^in-
fliegt. 2)a§ erfte Il^ema ertönt nun in l^ettem E-dur, bie
S5egleitung§figur n)irb ruljiger, möd^tiger, unb ba§ ©anje
fd^Iiefet in ftoljer, öielteid^t nur ju lärmenber ^^Jrad^t. ©metana^
„SRoIbau" ift ein fd^ön gebadetes, ein^eitlidE) unb bod^ ol^ne
äRonotonie burd^gefül^rte^ StüdE, ba§ ein originelle^ Salcnt
unb in ber S^ftrumentirung einen ber eminenteften ©d^üler
SifjtS unb SSerliog' öerröt^. 9luf einen tiefen mufifalifd^en
Qbeengel^alt, auf polt^p^ont unb fontra^junftifd^e ffunft in
Verarbeitung ber aWotiöe mad^t e§ feinen Slnfprud^ ; e§ ttjirft
burdE) liebmä^ige (nid^t ^^unenblid^e") SRelobie, burd^ flare,
f^mmetrifd^e gorm unb reigöotten Slang. 8tfö Srtaturfd^ilbe*
rung i)ai ©rnetana^ „äRoIbau" ben SSorjug, ber ^^antafic
nur ganj t^pifd^e Silber öorgugaubern, bie feine» betaiKirten
5ßrogramm§ bebürfen unb ben ©om^oniften nirgenbS ju ge*
fd^madEIofer ©renjüberfd^reitung nötl^igen.
Sriebrid^ ©metana ift 1824 in Seitomifd^I geboren. (£r
leitete anfangt eine SKufiffd^uIe in 5ßrag, folgte bann einem
3?uf nad) ©ot^enburg in ©d^njeben al§ äRufifbirector, feierte
nad^ je^n S^^^en in feine §eimat^ gurüdf unb übernal^m
bafelbft 1866 bie Äapettmeifterfteße am cged^ifd^en Slational«
tl^eater. @r l^atte ba§ Unglüdf, bie legten jel^n ^cfs/tt feinet
SYtnpl^ontfd^e Did^tung von Smetana. 303
Scben§ in öoUftönbigcr %anbf)txt ju öerbringen unb fd^Iiefelii^
in SBa^nfinn §n verfallen, ©metana ift 1884 im ^rogcr
Strenl^anfe gcftorben. 9lä^ere§ über feine SBerfe unb bie
atter übrigen großen unb Keinen Sterne be§ 5ßrager äRufit
l^immetö erfahren tüir ou§ einer bei Urbanef in 5ßrag er*
fd^ienenen Srofd^üre : ,,®in Sierteljalir^unbert böl^mifd&er
äßufif" t)on ©ntanuel ©l^öala. .SRac^bem ber SSerf affer
mit liebenSttJürbiger Slufrid^tigfeit felbft gcfte^t, baß „unter
bem ®inbrudE ber frifd^en Il^aten ein ober baS anbere
©rgebniß überfd^ä^t njerben fonnte", fo erfd^eint e^
ratl^fam, ®]^öala§ entfjufiaftifd^e Urtl^eile ttjie ben 5ßart
einer B-SIarinette, nämlid^ um einen ganjen Ion tiefer, ju
lefen. ®{)t)oIa botirt bie böfimifc^e äRufif erft „öon bem
rafd^en Slufblül^en be§ nationalen ©eifteä nadE) bem ©rfd^einen
be^ Oftober-Siplom^''. Srtac^ biefer, aber aud^ nur biefer
Zeitrechnung barf er aßerbingS ©metana ben „erften bö^*
mifd^en lonfünftler unb Segrünber ber böl^mifd^en äWufif''
nennen, ffiin SSetounberer öon ©metanaS ©t^mpiionifd^en
S)id^tungen, fteßt ®£)tjala bod^ jul^öd^ft beffen Dpern unb
bejeid^net überiiaupt bie bramatifd^e äRufif aU baSjenige
®ebiet, in loeld^em feine £anb§Ieute ^^auf ber §ö^e ber geit*
genöffifd^en Sunft" ftelien. SReineSt^eifö finbe ic^ bie beften
©rjeugniffe ber cjec^ifd^en äWufif loeit mefjr in ber ^nftru-
mentatmufif, atö in ber Dper. 2lHerbing§ öerrat^en jnjei
Heinere fomifd^e Dpern au§ ©metanaS frül^erer Qdi —
„S)er S'u§" unb „S)ie öerfaufte Sraut" — ein ed6te§, meto*
biöfeS unb d^arafteriftifdöeä lalent, bag ficf) glüdflid^ mit
bem ®eift ber SSblfötoeifen befrud^tet l^at. Qu biefen ©ing-
ft)ielen toar ©metana noc^ nait), melobiöS unb national,
©ie entjüdfen ^eute noc^ bie cjed^ifd^e Seöölferung 5ßragö.
Sluf fremben Sühnen bürften fie aber ebenfonjenig ^eimifd^
»erben, aU ®t)of afg in äl^nlid^em ©til gel^altene fomifcfte
304 €b. ^anslicf.
©ingfpicic „®er Sauer at§ ©cficlttt" unb „Sicffc^öbel".
©päter ^at ©metana als Dj^crncom^jonift 3ttd^arb SBagncr
nad^gcftrebt. ^n feiner großen tragifd^en D^jcr ^^Sibuffa"
(bic ici^ in 5ßrag gel^ört) öermifete id^ bic frühere Slaitoetat
unb Srtatürlid^feit ©metanaö unb fanb i^n, fetner beftcn
©igcnart beraubt, ate W)tpten beg fpötn^agnerifd^en ©tite.
S)ie berül^mten brantatifd&en unb beclamatorifd^en gein^etten in
ber „Sibuffa" öerntag natürtid^ nur ein genauer ffenner bcS
cjed^ifcfien SbiontS ju n)ürbigen; rein mufifalifd^ mad)tt
mit bie D^jer, lüie alle SSäagner^Slad^bilbungen, ben ©inbrui
be§ Ungefunben, ©rgrübelten unb peinlid^ ©rmübenben. ©ie
rei(f)t, meines ©rad^tenS, an ©metanaS ,,aRoIbau", an fein
©treid^quortett unb feine „Suftf^jielouöertüre" ebenfottjenig
l^inan, al§ S) t) o f a f § gro^e Opern „5)mitri", unb „S^fobin", an
beff en DrdEiefter* unb ßamntercompofitionen. SluS ©metana unb
S)öofaf fönnen unfere ^l^ill^armonifer nod& ntand^eS fel^r
njirffame unb intereffante ®tM für i^r 3tepertoire getoinnen.
3n Sejug auf bie Sitel njünfd^en ttjir bann nid^t fd^Ied^ter
bel^anbelt ju fein, aU bie Dber^SanbeSgerid^tSrätl^e in 5ßrag,
bie nadE) bem neueften SluSgleid^ au(^ nid^t mel^r alle ©jed^ifd^
ffU öerftel^en braud&en.
®rc8«(!«r-Sttife (Ir. 2 in G-moll) oo« ^0x1% ^os^k^msku
gür biefe SBa^I entfd^ieb too\)l n)eniger ber SBert^ ber
eotttpofttion, afö ber ©rfolg ber erften aRogjfotoSüfd^ett
©uite, n)eld^e i|ier bor brei Salären fo ftürmifd^en Sipplau«
entfeffelt l^at. ®iefe toax ein flott erfunbeneS, briHant
inftrumentirteS ©tüdE, ba§ tro^ ber geringen Siefe unb
Originalität feiner ®eban!en ©ffeft mad^en ntufete. 5Rid&t
ebenfo bie neue ©uite. gtoar ntarfd^irt anä) ^itx ein flattje«
0rd?efter=5utte von ITTorife inos3foiPsfi. 305
@litcfor^3§ bott Drc^eftereffeften qegen ben Si^^örer Io§, fogar
unter äRit^iffe ber Drgel; tro|beni fü^It man \x6) fd&Iic^Iid^
ermübet, ja gelangtüeilt öon bicfer breit aufgelegten bunten
©cenenrei^e. 8tn gefälligen, ^jifanten ©türfen unb ©tüdfd^en
fef)It e^ natürlid^ bei SKogjfotüöfi nid^t; tüo er fid^ begnügt,
in fna^j^jeren formen ®§prit unb ©rajie njalten ju laffen,
n)ie in beni „Sd^ergo'' unb „Suterme^so'', ba ift er auf^
rid^tigen S5eifatt§ fidler. S)ie beiben langfamen ©ö^e:
„^rätubium" unb „Sarg^etto'', beiinen fid^ in einer Slrt un-
unenblid^er äRelobie unb fteigern biefelbe mit SBagnerfd^en
äRitteln bi§ jur „^ö#en ®ntrüdEt^eit'^ Slm ©d^Iufe beS
erften @a^e§ ereignet fid^ ettoag Ungeal^nteö: bie §arfe be-
ginnt ^)tü^tid^ ganj allein fid^ in langer öirtuofer Saben^ ^n
ergeben. ©dE)on fürd^ten n)ir nac^ biefem ^arfenconcert
Sucia t)on Sammermoor heraustreten 5U fe^en; eä fommt
aber etfbaS nod^ S33unberbarere§ : ein Drgelfolo öon ad^t
Saften. ®aran fd^Iiefet fid^ eine elegante Drd^efterfuge, bereu"
langet, in ©ed^jel^nteln rafd^ ^ingleitenbeS Il^ema ju effeft-
öoüen SSerfled^tungen ber ©aiten- unb S3Ia§inftrumente ge-
eigneten ©toff giebt. S)ie Drgel ^at nad^ il^ren ^jaar prälu=
birenben 3lfforben bi§ ganj jum ©d^Iuffe ber Suge gefd^n)iegen,
I)ier faßt fie, Iiau^jtfäd^tid^ Ujegen ^erftettung eine§ langen
Drgel^junfteS auf bem ®ontra-D, njieber ein unb ^at fortan
in ber gangen ©uite njeiter nichts ju tf)un. ©§ fd^eint
mir bod^ ettüa§ refpeftlo^v einen großen §erm toit bie Drgel
ju fold^er ttjingigen Siebenrolle §u infommobiren. ^mmer^in
ftnb bie fünf erften ©ä^e lüeit intereffanter, afö ber fed^fte
unb Ie|te, ein „SRarfc^", ber mit fettem ®etöfe bie fläglid^e
äRagerfeit ber ©rfinbung gu öerptten bemüht ift. Unter
baS ginale feiner erften ©uite, jenes ^agelartig nieber-
t)raffelnbe Perpetuum mobile aller SSioIiueu, fonnte 2RoS§-
fon)Sfi ein „finis coronat opus" fd^reiben; ber ©d^Iufefa^ ber
(£b. $au$(l(f, $(u§ bem Xagebucf) eines äl^uftferS. 20
306 €b. ^anslid.
neuen Suite ift fein frönenber unb fein ÄrönungSmarfc^,
el^er eine feierii(|e Slbbifation mit ZxompeUn unb Jßoufcn.
SBol^rfd^einlii^ um bie beiben für 3Rog^gfott)§fi beigeftettten
Warfen nod^ einmal ju benu^en, Ȋ^Ite $err ^onS Slid^ter
äJienbeUfol^nS Duöertüre ju „Slt^alia", eine ®om*
t)ofition, ttjeld^e unä bie ^6)toad}t, ttjeid^Iid^e unb conöentionette
©cite biefe^ äReifterS jufel^rt unb jeber feiner übrigen Duöer*
türen nad^ftel^t.
drifte %^mpi0nk (D-moU) oon ^rucfiner«
@^ ift biefelbe, bie 1877 unter ber Seitung beS (iompo-
niften geft)ielt n)orben ift. Srucfner unterzog bag SBerf f|)ätcr
einer Umarbeitung, in ttjelc^er e§ jefet in Partitur unb
Stimmen bei S^. Slättig in SBien erfd&ienen unb Don bcn
^l^ül^armonifem gefpielt tüorben ift. ®iefe SReubearbeitung
unterfd^eibet fid^ nicfit toefentlid^ öon ber erften Soffung.
©ie toeift einzelne fteine ©trid^e auf unb an manchen ®ttfltn
Stenberungen in ben öerbrämenben SSioIinpaffagen. @incn
einzigen ausgiebigen ©trid^ bemerfen toir im ^inalt] ber*
felbe xoax aber fdE)on in ber erften SluSgabe burd^ ein „Vide"
bem einfid^tgöoüen Dirigenten nal^egelegt toorben. Siur bie
©d^Iufepartie beg legten ©a|eS I|at ber ©omponift grünbüd^
geönbert. ®cr befte @o^ ift iebcnfaßS bo§ ©dEierjo, ein
rafd^ fortftrömenber 3)reitjierteltaft, öon einer bei SrudEner
feltenen Konfiftenj ber gorm. 8luc^ bem gefangöotten Slbogio
in Es-dur fönnen toir eine geraume 3cit mit SSergnügcn
folgen, fo lange eS fid^ flar unb ol^nc unmotiöirte greße ab-
ft)rünge enttoidEelt. S)iefe bleiben fpöter niä)t au§ unb
trüben, gufammen mit ber unleiblidEien SluSbel^nung beS ©a^c^,
ben guten ©inbrudE ber erften ^alfte. ®cr erfte ©a|, in
Dritte Sympl^onte von BrudPner. 307
toctd^cm fid^ SWad^Kängc aug ber Sicuntcn S^ntpl^ottic mit
cttidöctt aSenuSbergmotiöen freujen, bonn baä lärmenbc
ginalc fittb ©tüde, bie fid& in loutcr folfd^en ©ontraftcn bc=
loc'gctt unb jcrf^jlittcrn. @te iiaben mir benfdben unfiinft==
Icrif(f)cn ©inbrudf gemod^t, ttjie bie übrigen in SBicn gel^örlen
©ompofttionen öon SrudEner, in toeld^en gciftreid^e, fü^nc
nnb origincttc ©injel^eiten mit fd^toer begreiflid^cn @cmcin=
ptä^tn, leeren, trodfenen, aud^ brutalen ©teilen, oft ol^ne er-
fennboren ä^fammeniiang toed^fetn. SBie l^ette S3Iifee leud^ten
l^ier t)ier, bort ad^t Safte in eigenartiger ©d^önl^eit auf ; ba-
jtoifd^en liegt toieber öertoirrenbeS S)unfel, mübe 8tbfpannung
unb fieberhafte Ueberreigung. Unb aüe^ ju einer Sönge
ouSgebel^nt, toeld^e bem gebulbigften ©emütl^ jur Dual tt)irb.
3n S5rudner§ Sompofitionen öermiffen wir baS logifd^e
S)enfen, ben geläuterten ©d^ön^eitöfinn , ben fidEitenben unb
überfd^auenben Äunftöerftonb. Sa§ bie D-moll-@^m^)]^onie
lebl^aften Seifall fanb, toöre öiel gu toenig gefagt. ®§ tonxit
geftamt)ft, getobt, gefd^rien; nad^ jebem ©a^e mufetc ber
®omt)onift n)ieber unb lieber banfenb öortreten.
Slud^ ein ©treidEiquartett Don Srudfner (F-dur) toirb öon
ber SBagnergemeinbe grenjenloS betounbert unb aU SReifter^^
totvt gepriefen. Srudfner ift neueftenS äRobe gen)orben, tt)a§
id^ bem jjal^relang unbead^tet gebliebenen befc^eibenen ffiünftler
l^erjlid^ gönne, wenn id^ aud^ bie SRobe nid^t felbft mitmad^en
fann. ®§ bleibt ein ^)f^d^oIogifdE)e§ 3tät^fel, wie biefer
fanftefte unb friebfertigfte aller SKeufd^en — ju ben jüngften
gel^ört er aud^ nid^t mel^r — im SKoment beS ©omponirenS
5um 8lnard)iften wirb, ber unbarml^erjig atteg opfert, toa^
fiogif unb fflarl^eit ber ©utwidEIung, ©inl^eit ber gorm unb
ber Sonalitöt l^eifet. SBie eine unförmlid^e glül^enbe 8laud^==
faule fteigt feine äRufif auf, balb biefe, balb jene gtoteSfe
©eftalt annel^menb. Sin genialen gunfen fel^tt eg nid^t, felbft
20*
308 (£b. ^anslxd,
nid)t an längeren fd^önen ©teilen. Slbcr man rei§e an^ bcm
dorntet unb Sönig Seor bie tiefftnnigften ©ebanfen l^erou^,
meinettoegen nod^ einige au§ %au\t baju unb bringe fie in
ben tüittf ürüd^ften Sufamnten^ang ntit allerlei platten, fonfufin,
enbloS langen Sieben, unb frage fid^ bann, ob ba^ ein S'unft^
ttjerf giebt. Soft gteid^jeitig mit bem bei ^etme^berger entl^u*
fiaftifd^ applaubirten F-dur-Duintett öon SrudEner ift ein
neues 93ud^ öon Subtoig 9t o 1^1: „Sie gefd^id^tüd^e ®ntn)idEIung
ber Sammermufü", erfd^ienen, baS feiir mcritüürbig ift.
Sticht titoa burd^ irgenb eine neue Sorfd^ung ober ^itt —
!eine§tt)egS — too^I aber burd^ bie tragifomifc^e Stellung, in
toeld^c ber Sfutor ^ier gu feinem ©egenftanbe gerätl^. SRol^te
Spezialität ift befanntlid^ bie SEBagneromanie ; er fann über
feinen nod^ fo entlegenen Stoff fdftreiben, ol^ne plö^Iid^ in ein
^aüünidf) auf SBagner (unb Sif^t) auszubrechen, n)orauf er
erleid^tert n)ieber in fein §auSd^en gurüdEfel&rt. 9tun fott ber
Slermfte über Sammermufif fd^reiben ! SBagner unb Sifzt l^abcn
leine Duartette componirt, fomit fann felbft SRol^I nid^t au^-
rufen, i^re Duartette feien bie fd^önften. SSergebenS tt)arteten
toix beim ®urd^blattern feineS neuen ^ni^t^ auf ben 9lugen=
büdE, tt)o er ben üblid^en SBagner-Sfutfturz befommen toerbe.
3lof)t muß fid^ bamit begnügen, allerlei SluSfprüd^e öon SBagner
über Seet^oben in entjüdftem Sone ju citiren. 9ladE)bem er
in feinen früi^eren ©d^riften ben attmäd^tigen ®influ§ SBagnerS
auf alle ©ebiete ber S'unft, auf bie ^olitif, bie ^l^ilofopl^ie,
bie 3teIigion nad^getoiefen — öor ber Äammermufif ftodft bicfe
©enjeiSfü^rung ; biSl^er toax bie ©ammermufif öon SBagner
unberü{)rt geblieben. SBir fönnen |)errn Stölzl Reifen: er
fe^e fld^ 53 rudfnerS Quintett an. S)a finbet er ben reinen
SBagner-Stit auf fünf ©treid^inftrumente abgezogen, bie un*
enblid^c äRelobie, bie Emanzipation öon atten natürlid^en
SKobuIationSgefe^en, baS 5ßat^oS SBotanS, ben irrlid^terircnbcn
Hequiem von f^. Berltos. 309
^untor aKtntc§ unb bie in unerföttUd^cn Steigerungen ftd^
öerjel^renbe ©fftafe Sfolbens. SBag ^erm SRol^I fo. fi^ntetäüd^
gefel^It, e§ ift gefunben, unb eine jn^eite Sluflage feiner „(SnU
ttjidflung ber ffarnntermufif" fann baS ©d^Iufefa^jitel in jener
aSerHörung erglänzen laffen, ol^ne toei6:)t ja bocf) ©nttoicHung
unb ^antmermufif nur „SBal^n" bleiben ttJürben.
@ine anbre ©gnipiionie öon Srudner (in E-dur) ^ai im
Saläre 1886 benfelben tuutultuarifc^en ©rfolg errungen. Sür
bie SBagnerianer ift Srudner einfad^ ,,ber jn^eite Seetl^otien".
SRir erfd^eint biefe äRufif franfl^aft, unnatürlid^ aufgeblafen,
öerberblid^. SBie {ebeS größere SBerf S5rudEnerg, entl^ält oud^
bie E-dur-@t)nip]^onie geniale ©inföHe, intereffante, ja fd^öne
©teilen — l^icr fedEiS, bort ad^t Safte — ätoifd^en biefen
SBIi^en bel^nt fid^ aber unabfcl^bareS S)unfel, bfeieme Öange^
toeile unb fieberhafte Ucberreigung. @iner ber gead^tetften
äRufifer SeutfdE)Ianb§ bejeid^net (in einem ©riefe an mid^)
ajrudfnerg ©^m^jl^onie aU „htn tt)üften Sraum eines burd^
jttjanjig „Iriftan"- groben überreizten Drd^eftermufüerS".
Sa§ fd^eint mir bünbig unb treffenb.
föiner ber erften unb feurigften Slnl^önger öon SSerttoj
toar ber unglüdEIid^e Dr. 2llfrcb 85 e d^ e r in SBien. ^n einem
langen ®ffa^ öerl^errlid^te er (1846) S5erüoä atö baS
mufifalifd^e ®enie, tt)eIdE)e§ alle (Seiftet' unb Oemüt^gfräfte
in l^öd^fter Sülle bereinige. Srtur ein einziger äRangel fei
il^m an Serlio^ aufgefallen. ,,3d^ glaube/' fagt SJedEier, „t^
fel^It il^m bag religio fe Oefül^I. S^^ar öermag ajerlioj
bie grömmigfeit in anberen töufd^enb njieber jugeben, aber fie
810 €^. f^ansltrf.
Hingt nic^t tote f elbftempfunben. Slud6 lücid^t er ii|r oft au^,
tt)o bod6 ber poetifc^e ©ebonfcngtüatig fie foft notl^tücnbig bc=
bingte." S)iefc§ öon Sedier juerft unb allein crl^obenc Se*
bcnfen, ,,ber äRangel an religiöfem ©efül^I", ift fcl^r ftc-
nterfen§n)crt]^. §ötte Br. Sedier baS SRequicm gefannt
unb bie SSeröffcntlid^nng ber SKemoiren erlebt, e§ tt)ürben
ii|m an^ beiben Duellen neue SelüeiSgrünbe für feine Slnfid^t
jugefloffen fein, ^n ben 2Remoiren erjälilt Serüoj felbft,
ba§ er trüben S^genberlebniffen einen bleibenben tiefen
SBibern)itten gegen atteS ^rd^Iid&e öerbanfe. ©ein Slequiem
aber jeigt unter allen befannten Siontüerfen biefeS 9tamen§
bie aüergeringfte ©pur öon religiöfem ©inn. SKit fouöeräner
SSiüfür unb S33eltlid^fcit Verarbeitet Serlioä ben alte^rn)ürbigen
ffird^ente^t ju einer Strt pliantaftifd^em ®ranta. SBaö er
barin nid^t ju uneriiörten Slangeffeften öertoenben fann, baS
Iä§t il^n gleidigiltig unb gelangtüeilt ; er bel^anbelt e§ audE)
gleid^giltig unb langweilig. Saffen tüir jebod^ bie religiöfe
.grage bößig beifeite unb ftetten un§ ganj auf ben ©tanb*
pnntt be§ freien Sünftler§. äRag i^n in ber ,,2obtenmeffe"
imnterl^in nur bie ftarfe, attgentein menfd^Iid^c S^rif unb öor
aüem ba§ brantatifd^e Element angelodft l^aben. Slber gerabc
Dom muftfalifd^en ©tanbpunft crfd^eint mir biefeS angeblid^e
SReiftertüer! be§ ^ranjofen aU beffen unjulänglid^fte unb bc*
benfüd^fte Strbeit. S)er Sefer fennt meine lebl^afte Empfang-
lid^feit für bie ja^Ireid^en ^ol^en @d)önl^eiten ber „Sinfonie
fantastique^S ber „3tomeo"^ unb ber ,,§araIb"'@^mp]^onic;
l^abe id^ bod^ ba§ ^ublifum fd)on in jener Urzeit bafür ju
genjinnen öerfud^t, ate man nod^ ^öuflg Serlioä mit
SSeriot bertüed^felte. Sin eine S^ritif be§ SlequiemS jebod^
gel^c id& nur mit peinbotten ©mpfinbungen. ®§ galant barin
eine troftlofe Seere unb Sbeenarmutl^ , meldte burd^ eine
SIrtnec öon öärminftrumenten ebetifotoenig öerbedEt werben
Hequiem von ^. Berlioj. 311
lann, toie bic grofee ted^nifd^c Unbcl^otfcnl^cit bc§ ©ont^jonifteti.
S)a§ SRequiem gel^ört ju Serlioä^ Sugenbiperien ; bic Sunft
be§ mufifaüfdien @a|c§ im tüeiteftcn Sinn, bie jeitlcbenS
feine fd^tüad^e Seite geblieben — fie ftedft liier nod^ in ben
^nberfc^u^en. ©d^n^erlic^ ftöfet man in irgcnb einer großen
geiftlid^en ®om^)ofition auf ä^nlic^e Unfäl^igfeit, ein Il^ema
JU tnttoiddn, einen öierftimmigen ©l^orfa^ §u fü{)ren, ein
äRotit) contrapunftifd^ ju öernjert^en unb n)a§ fonft nod^ ben
äRufifer mad^t. Qeben StugenbüdE mu§, ttjie in einer
italienifd^en Dptx, ber ?iot]^be{)eIf be§ Unifono*@ingen§ l^er*
Italien; jeben SlugenblidE jerbrödEelt bie gorm, ftolpert unb
überfd^Iägt fid) ber melobifd^e gortgang. Serlioj mu§ nie
äuöor ein E^orwer! öon S3ad^ ftubirt ^aben, gefd^toeige benn
öon 5ßaleftrina, beffen 9lut)m er ja einen fd^Ied^ten @pa§
nennt. ®a^ finb aber bie eljernen gunbamente aller geiftlid^en
äRufü. SBo nid^t feine oft blenbenb geiftreidjen, oft aud^ nur
tounberltd^ barodEen Sffangeffelte unfer Qntereffe erregen,
erfc^Iafft biefeS ; benn nirgenb^ entjüdft, nirgenbS erl^ebt un§
bie @d)öni|eit tim^^ ausgereiften mufitaüfd^en ®eban!enö.
SBie matt unb ftodEenb beginnt nid^t ia^ „Dies irae", rt)o ber
©omponift bod| mit ganzer, erfdEiütternber ^aft einjufelen
l^at! S)iefer „Xag beS gorneS'' fd^eint für SJerliog ein %a^
tt)ie jeber anbere ju fein. Slber ba§ ift nur eine bi^jlomatifd^e
ginte. aSerlioa Witt fid^ ben ©ontraft einer ur^)Iö|Iid^ :^erein^
bred^enben gewaltigen (Eruption für ba^ „Tuba mirum**
offen iialten, unb biefer foloffale @(^atteffe!t ift'S im ©runbe,
ttjaS fein 3lequiem berüfjmt gemad^t ^at. SSierunbjWaniig
?ßofaunen, jwölf §örner unb jioölf Sirompeten ftürjen fid^
gleichzeitig mit brö^nenbem gortiffimo auf unS, baju lärmen
SedEen, Samtam, gro^e Srommel unb fed^je^n Raufen! 3ft
e§ ein SBunber, bafe ber B^^flörer förmlid^ nicbergeworfen
Wirb? 3ft c^ eine l^unft, mit fo brutalen SRitteln eine be*
312 <2J). ^ansHrf.
öngftigenb erf d^üttembe SBirf ung ju erjielen ? 3wr 3cit frei*
üc^, atö Scriioj biefcn muftfalifi^ett aKaffcnmorb ouSfül^rte,
gcl^örtc bcr äRut^ cincö litanen baju; l^eute mad^t bag ein
gefd^idfter Slegitttentöfapcttmeifter. aScrlioä l^at befanntUc^
über SRojart gef^jottet, ber baS „Tuba mirum^^ Don einer (!)
^ofaune intoniren läfet. ®aS toar für§ erfte ganj forreft,
ba ber fird^üd^e Sejt nur öon einer „tuba" fprid^t; fobann
ober gab aKojort biefer einen ein großartig einf ad^eS äRotiö,
\>a§> uns fftüax nid^t im buc^ftäblid^en ©inne ju Soben
fd^teubert, tok Serliog^ ^ofaunend^or, aber nnöergleid^üd^
tiefer ergreift. S5ei äRojart: äftl^etifd^e SBirf ung, beiSerlioj:
pl^tififd^e ®malt Ser S'Iang ber 5ßofaune ift an ftd^ fd^auer*
Kd^, marferfd^ütternb, toit fein anberer; ber junge SRojart
fiel babei in D^nmad^t. Unfere ^n^örer beriefen ftörfere
Sterben; fie brad^en nad^ bem erften ©d^redE in nid^t enben*
wottenben 3ubel au§. SBaiirfd^einßc^ toaxtn feine SRojartS
unter i^nen. SRit bem „Tuba mirum<< unb bem „Rex
tremendae majestatis" finb bei SSerlioj gleid^fam alle Scuer*
garben be§ SSuIf anS auSgefd^üttet ; e§ folgt tt)ieber mufif auf d^e
SlfdEie unb SunfeC^eit. ©iebt e§ etnjag Släglid^ereg, atö ben
Kl^or „Quid sum miser" ober ba§ Dffertorium in D-moU,
tt)o bie Stimmen ber SSerbammten im gegefeuer öon 8lnfang
bis ju ®nbe auf jttJei Ionen, a unb b, loinfeln? Unb ber
©l^or „Quaerens me" mit feiner abfd^redfenben Stimm*
fül^mng — ift er nid^t ein äRufterbeifpiel für angel^enbe
©ottUJoniften, toit man nid^t „a capella^* fd^reiben fott?
©d^Iießüd^ bie jum Ueberbruß ttjieberl^olte äRelobie „Lacry-
mosa", im Unifono öon ©o^jran unb lenor — toirft fic
nid^t er^eiternb? @ie erinnert fo pbf(^ an italienifc^e Dpern,
fpegiett an bie ©teHe an§> ©onijettis „Sucia", n)o ber (jum
SluSgelad^tiüerben) „beftimmte Sröutigam'' fid^ ben ^aöalieren
unb S)amen beS ©d^IoffeS öorfteßt. SBenn man biefe Xxityia^
Hcquiem pon ^. Bcrlioj. 318
ütöt l^ört, fo möd^tc man 3toffini gleid^ oßcS •abbitten,
tt)a§ man je gegen feine ffird^enmufif eingetoenbet l^at.
JRoffinig SBeltlid^feit n)ar bod^ ftet§ in ©d^ön^eit gctaud^t,
aug feinem ©d^önl^eitSbebürfnife geboren. SBo finbet ntan
aber in Serlioä' Slequient eine fangbare SRelobie, bic nid^t
ganj orbinär n)äre?
Sefrembenb n)ie baS ganje Slequient njar ntir aud^
bie jubelnbe S5ereittt)iIIigfeit, mit toeld^er ba§ SBiener ^ubli-
fnm fid^ biefem SIenbtoerfe l^ingab. Da^felbe ^ublifnm,
ba§ fo oft erhoben, entjüdEt bem „3tequiem" bon äRojart,
Don ei^erubini, bon Sral^m^ gelanfd^t l^at! ©elbft
aS erbig Slequiem n)äd^ft, gegen ba§ SJerlioäfd^e gel^atten,
jn einem mnfifalifd^en SKeifterftüdE. Unb nod) an ein anbereS,
befd^eibenereö SSerf biefer ®attnng möchte id^ erinnern: an
©d^nmannö atequiem. 9lu§ bem S^jätl^erbfte be§ äJieifterS
ftammenb, ftel^t e§ jiemlid^ nnbead^tet im ©d^atten feiner
frül^eren SBer!e. Unb tro^bem, n)ie ttjal^r unb gefammelt,
tt)ie menfd^Iid^ fd^ön fprid^t e§ ju nn§! S)a§ ein SBerl öon
ber SBerü^mtl^eit be§ Serliojfd^en 9lequiem§ ben SBienem
nid^t öorentlialten bleiben burfte, ftel^t an^er Srage. ®a§
feine geiftreid^en ©injell^citen ben ipörer intereffiren, feine
nnerl^örten ^langcombinationen überrafd^en unb blenben muffen,
ift ebenfo begreiftid^. Slber bie ©rnüd^terung, badeten toxv,
tt)ürbe fd^nett auf ben Slaufd^ folgen, fo fc^nett, bafe ein aß*
gemeines S3eburfni§ nad^ einer §tt)eiten unb britten Sluffül^rung
faum jur ©prad^e !äme. Unb bod^ lefen tt)ir, bafe bereite
eine bierte, obenbrein mit nod^ öerftärftem Drc^efter, ^tplani
fei. ®S toäre traurig, mnn bie „©efettfc^aft ber 2RufiI*
freunbe", biefeS einjige Slf^I großer Haffifd^er äJiufif in SBien,
baS Serliojfd^e ©t)eftafeIftüdE in i^re regelmäßig wieber*
lel^renben Sttuffül^rungen einreil^en njoßte. S)er ©oncertc^HuS
ber ,,®efeBfd^aft'' ift eng begrenzt unb jeber gu^reit biefer
314 €b. f^ansltrf.
fd^tnatcif 8trca foftbar. SSäir ^aitn Scriioj' Slequicnt tyox
feiner erften STuffüiirung oI§ einen intereffanten bcrül^mten
grembling gaftfrennbltd^ begrübt, bafe aber biefer „tobte ©aft"
fid^ bleibenb l^ier anfiebte, fönnen toir im Sntereffe beS äftt^e*
tifd^en Oefd^madfS unb be§ mufilalifd^ guten 9lufc§ ber SBiener
unntöglid^ n)ünfd^en.
©in lt)a^re§ Sujs- unb gaften^jrograntm ba^ be§ legten
©efellfd^aft^concertg ! 3« Einfang l^eifet un§ SRenbcUfoiin
ben ®ott ber S^ben aufleimen um Segen für ba^ ^an^^ Sfrael
unb ha^ ^au§ Slaron, bann §erfd^mettern un§ in Sral^mS'
,,$ar^enlieb" bie graufamen (Sötter ber Reiben, jule^t njirb
unö in S3ad^§ 9Rotette „Komm' gefu, fomm'" ba§ prote*
ftantifd^e SieblingSt^ema, ba§ SScrgnügen am Sterben, ein*
geprägt unb bie Sel^nfud&t, au^ biefer Sünbenn^elt fo balb
aU möglid^ fortjufommen. SRad^ biefen brei unmittelbar auf
einanber folgenben ®^ortt)er!en maren bie ®emütt)er ber 3u=
l^örer fo erloeic^t unb jerfd^fagen, bafe einige auf ber Stelle
beid^ten ge^en ttJoHten, anbere tt)ieber nad^ irgenb einem
Segräbnife augfpö^ten, bem fie aU Seibtragenbe auf ben
Äirc^^of folgen tonnten. 3ebe§ biefer brei SReiftcrmerfc für
fid^ tt)ürbe man anböd^tig unb banfbar aufgenommen l^aben,
i£)re ununterbrodiene 3teiI|enfoIge brad^te aber eine fold&e
Summe nieberbrüdfenber (Smpfinbungen juioege, ba^ un§ gar
fromm unb elcnb ju äRut^ tt)urbe. gür ben ©oncertfaal l^eifet
e§ nid^t bIo§: bie rechten SBerfe finben, fonbem anä) i^nen
ben redeten $Ia^ bereiten. SRenbelöfol^ng 115. $falm toax
feltfamerttJeife in SBien nie juöor aufgefül^rt. 3tüifc^en einem
(£l^ore von IHenbelsfoljn, ^ad^ unb Braljms. 316
Iräftigcn, lebl^aft figurirten (Singong^d^or unb einem ntäd^tigen
©d^Iußd^or, tüeld^er baö crfte Sl^ema in öeränbertet Saftart
toieber aufnimmt, Iiören toxx ein Suctt unb ein Slriofo'für
Sariton — ttJol^Ifüngenbe, bod^ ütoa^^ meid^Iid^e ©efängc-
Sin mnfifalifd^er ffnnft fielet biefer ^folrn hinter ben übrigen
beS SKeifter^ !aum jurüdE, tüol^I aber an Originalität unb
grifd^e ber Sorben. S)ie fo oft geprten äRenbel^fol^ufd^en
äßelobien* unb |)annonienfoIgen Hingen l^eute ben ©örern
fc^on attgu befannt, aud^ ertoedft ber leyt nid^t fo lebl^afte
Xl^eilnaljme, toie bie übrigen bon äRenbel^fo^n com^jonirten
5ßfalmen. @o liefe benn baSStüdE im ganzen fü^I. Sral^mS'
„(Sefang ber ^ßarsen" betounbern n)ir aU ein Sfunftioerf öon
großartiger ®once^)tion unb einfd^neibenber ©ewalt be§ 2lu§*
brurfg. aSoüfommen öerftänblid^ mirb e§ einem größeren
^ublifum feiten, gefd^n)eige benn f^mpat^ifd^. Sa§ ®ebic^t
toitL in 2Rufif nid^t rein oufgel^en unb ilidt un§, aug bem
©oetbefd^en S)rama l^erauögeriffen, mit ben röt^fel^aft bro^en=
ben Slugen einer ®p^\nic on. S3ad^§ jmeid^örige äRotette
„Äomm' 3efu, fomm'" (mit bem ©l^oral am ©nbe) bietet bem
SRufifer ein unerfd^ö^)flid^e§ ©tubium unb ben öon feiner S5e=
gleitung unterftü^ten ©angem eine breifad^e geuer^jrobe für
bie reine Intonation, ben präcifen (£info| unb bie Seilten*
fertigfeit. @anj anber§ atö im Soncertfaale müßte bie Wo^
tctte in ber ffiirdie tt)irfen, wo eine gerfnirfd^te ©emeinbe in
bem ttjonneöoüen ©ebanfen an ein balbige§ Slbleben über==
einftimmt. Sltö ®egenfa| ju bem öielgetabelten „Seben unb
Sebenlaffen'' unferer fatl^olifc^en ®om^)oniften fönnte man über
f8a6)^ Äird^enmufif en ba§ SRotto fe|en : Sterben unb Sterben-
laffen. S)ie äRotettc „®omm' 3efu" gehört ^u ben bemunbernä*
toürbigftcn äReifterftüdfen l^armonifd^er unb contra^junftifd^er
Shinft. eine glüdfli^ere SBal^I tt)äre jebod^ S3ac^^ Sttrd^en*
cantate „S)u toal^rer @ott unb ®aöib^ ©ol^n" geioefen, jene
316 €b. fjanslirf.
Iierrüd^c, jcbeS ®cmöt^ ergreifenbc lonbid^tung, toeld^e tüir
in SBicn nur in bcr fclir ungcnügcnbcn ^robuftion cinc^
anbeten SSerein^ f ennen gelernt l^aben. Seetl^oöen^,, äluinen
t)on Srtlien" befd^Ioffen ba§ Soncert. ®iefeg ©elegenl^eits*
feftfpiel entölt befanntüd^ jh)ei tierrüd^e Sftummern: ben
2)erh)tfd^cl^or unb ben geftmarfd^; h)ir I|ören fie lieber allein,
afö in mtnbertt)ertl|iger Stad^barfd^aft unb atö Seftanbt^eite
eine^ ®onjen, bag un^ ja ftofflid^ faum mel^r intereffiren fann.
^ummertnuftk.
3tof6^ Duartettgefellfd^aft brad^te gteid^ in i^rer erften
^robuftion ein neue^, nod^ ungebrucEte^ ©treid^quintett
(mit 5tt)ei Sratfd^en) t)on 3o^onne§ Sralim^. 3Ran fann
nid^t beffer anfangen.* S)a§ neue SBerf ift t)on jener fußen,
Haren 3teife, meldte nur bie Bereinigung öoHenbeter SKeifter*
fd^aft unb ungefd^h)äd^ter ©rfinbung mit einer ^armonifd^
abgeftärten Sebenäanfd^auung l^eröorbringt. 3n Stimmung
unb ©el^att fd^Iießt e^ fid^ Sra^mg' jüngften S'ammermufifen
an, benen h)ir fo gern bie fd^öne, marml^erjige lüd^tigfeit be§
3n]^altg, bie S'ontinuität ber Stimmung unb bie betounberungS-
tüürbige ^nappl^eit ber gorm nad^rül^men. Smmer me^r
fd^eint fid^ Sral^mä ju f onjentriren ; immer beh)u§ter finbet
er feine ©tärfe im STu^brudE gefunber, öer^ältnifemäßig ein*
fad^er ©efül^Ie. @in reid^eS Seelenleben toebt barin, ol^ne
Ueber^ebung, o^ne Ueberfpannung. 2)a ift nid^t^ t)on ber
fclbftgefälligen B^^iff^n^eit, ber m^fteriöfen lonmalerei unb
Heue Quintetten pon Bral^ms unb Doofaf. 317
bcn ,,bramatifd^en" Sd^ilberungen, momit anfprud^SöoHc
^atbgenieS un§ l^eute avai) in ber reinen ^nftrumentalrnnfif
l^cintfud^en. ®ie ©d^ön^eit, bie \iä) ja mit bem ©erben h)te
mit bem Seibenfd^aftUd^en verträgt, tritt bei SSra^mS immer
bett)ufeter, immer reiner in ben SSorbergrunb. 2)arin bilbet
er ben ©egenfa^ ju ber Sif^t==SBagnerifd^en, fammt ber iung=
ruffifd^en unb norh)egifc^en ©d^ule, auf bie ein trejfenbeS
SSort über bie ,,Siwp^^ffioniften" in ber SRalerei pafet: fie
fürd^ten forth)ätnenb, eth)a§ ®d)önt^ ju mad^en. S5ra^m§'
Sammermujüen au^^ ben legten ge^n big fünfje^n Satiren
maf)nen mid^ in i^rer SBirfung öielfad^ an ben S5eett)ot)en
ber §h)eiten ^eriobe; bie Slel^nlid^feit liegt nid^t in ©injcl-
jügen, fonbern in bem ©efammtd^arafter, in ber gangen
Sltmof^pre, meld&e mit fo tüol^Itl^uenb milber ^raft un§ bar-
au§ antt)et)t. 3n biefem ©timmungSfrei^ bürfte SSral^mg nad^
aller SSorau^fid^t aud^ bel^arren. @r ift ben umge!el^rten
S33eg öon SSeettioöen gegangen : öom Sturm §um ^rieben, öon
9tad)t jum Sid^t. 2lfö 93eetf)oöen feine legten Quartette fd^rieb,
biefe granbiofen ®ramen beS SßeffimiSmug unb be§ unöer-
föl^nten ©umorg, tüar er gerabe fo alt, mie ber SSral^mS öon
l^eute. SSelc^e (Segenfä^e bei unleugbarer innerer SSerh)anbt=
fdiaft! SSielleid^t ift e§ nur inbiöibueße SSorliebe, bie auf
SlHgemeingiltigfeit feinen 3lnf^rud^ mad^t, ba§ mir 93rat)m§
ftet§ am öoöfommenften erfd^ien in feiner Sfammermufif.
Smmer abgefetien öom „®eutfd^en ^Requiem", ba§ ganj obenan
unb für fic^ allein ftet)t, finbe id^ SSral^mS al§ erfinbenbe unb
au^fü^renbe Sraft, afö innigfte SSerfd^meljung eigenartigen unb
bod^ allgemein menfd^Iidien ^n^aü^ mit fd^öner gorm, am gtüdE*
lid^ften in feinem B-dur-@ejtett, feinen ©treid^quartetten unb
S'Iaöierquartetten, bem F-dur-Ouintett, ben SSiöIinfomiten. gu
ben SBerfen, in meldten id^ nid^t ben origineüften unb fül^nften,
aber gleid^tool^I ben beften 93ra]^m§ erblicEe, jäl^It anä) baä neue
318 (Eb. f^ansltcf.
Duiittctt. ©anj l^crrlid^ ift bcr crftc @a^, ein „ Allegro con brio"
in Q-dur, Sfleunad^teltaft. SBic ficgcSfreubig fd^toingt ftd^ ba§
Xl^ema au§ bcm SSioIonccH l^erüor unter bem raufd^cnben
Iremolo ber ©eigen! hierauf bie füfee aRelobie be§ Seiten*
fa^eg, t)on beiben Sratfd^en gelungen, unb bie änttoort ber
SSioIinen, biefe^ anmut^ige Steigen unb Sengen in bie grofee
®tpümt l^erab! SBie finb bie SRotiöe unb äßotiöd^en bc§
erften 2:^eile§ fo funftöott unb bod^ fo aioangloS öerioertl^et
in ber ©urd^fül^rung ; faft immer überrafc^enb unb bo^ mieber,
afö fonnte e§ gar nid^t anber§ fommen! Sanft unb innig
flagt bag Slbagio, ein fd^mermütl^iger, tt\t)a§> flaöifd^ an*
gel^aud^ter ®efang in D-moU. (£§ folgt ein SlHegretto
in Q^-moU, mit einem lieblid^ miegenben Srio in G-dur-,
nad^ 2lrt ber meiften SSra^m^fd^en ©d^erjoS nicfit eigentüd^
fd^ergenb ober luftig, fonbem in be^aglid^em $umor fd^Ien*
bemb, gleid^fam öor fid^ l^infingenb. 2)ag ginale, ba§ an^
einem leidet öerf^Ieierten H-moU fid^ rafd^ jur ^aupttonart
G-dur emporarbeitet, ift ein fd^arf rl^^t^mifirter 3h>cit)iertettaft
t)on leidet ungarifd^er Färbung. @^ h)irft loeniger bur^ bie
Sebeutung feiner S^emen, afö burd^ fein Temperament, baS
in fröfilid^er, jule^t ganj üolföt^ümn^ auSHingenber Suft
atte§ mit fid^ fortreißt.
@§ fügte fid^ fd^ön, ba§ jloei Sage nad^ bem SSral^mSfd^en
Strei^quintett ein neueg ^laöierquintett (A-dur, op. 81)
üon 2lnton S) ö o f a ! jur STuffül^rung gelangte. 2)ie Snftru*
mentalmufif üon l^eute mu§ fid^ oft genug al§ unprobuftiö
freiten laffen, aber eine B^W, bie jloei neue SBerfe, toie ba§
Duintett öon S5raf)m§ unb jenes öon S)öofaf, gleid^jcitig
l^eröorbringt unb attjäl^rfid^ l^eröorbringt , ift tpal^rUd^ nid^t
arm ju nennen. ®er ;3üngere öon ben beiben arbeitet nid^t
f gleid^mäfeig unb fcrupulög loie Sral^mS ; er bringt jtoifd^cn
®utem unb SSorjügüd^em gelegentü^ anä) ©cringereS, inS*
Zteue (Quintetten oon Bral^ms unb Doofaf. 319
befonbcrc on Sicbcm unb S'Ioöicrftüdfen, gleid^fam eine ^lad)'
Icfe ;,jn)ifcl^en ben ®arben". 2)a§ neue Duintctt gehört aber
ju feinen fd^önften ©tüdfen. @§ ift ein ed^ter 2)öofaf:
originell, unmittelbar entpfunben unb frifc^ tierau^gefungen.
SSon bem toilben Ungeftüm unb btn unöerntittelten grellen
Sontraften feiner „Slaöifd^en Sll^äpfobien" ,^at er fid^ längft
loSgefagt; ebenfo öon bem übertriebenen SSoranbrängen be^
flaöifd^eu K^arafter^. ©eine neueren SSSerfe, barunter ba^
A-dur-Duintett, §eigen bei aller greil^eit ber ^^antafie logifd^e
@nttt)idEIung ber ®eban!en, ©inl^eit ber gorm, fd^Iie^Iid^ einen
ti)t internationalen ©til, ber nur burd^ ftüd^tige, reijenbe
Slnflänge* an ba§ |)cimatl|lanb be§ ©omponiften malint.
®t)of afö Sompofitionen finb o^ne Srage mel^r aUgemeingiltig,
attgemeinmenfd^Iid^, aU bie feiner ruffifc^en unb norioegifc^cn
Sollegen. 3)ie beutf^e Schule, au§ ber fie ja aUe l^eröor*
gegangen, öerleugnet er am toenigften. SSeet^oöen,
©d^ubert, 93ra^m§ finb feine einzigen SSorbilber. ®er
®eift be^ Se^tgenannten rinnt gleid^fam unterirbif^ burd^
S)öof ate fpätere SBcrle, ol^ne itirer ©igenart Slbbrud^ ju t^un.
©ein S'Iaöierquintett begrüßen toir aU eine ber buftigften
neuen a3tüt^en am Saum unferer ffammermufif. @§ öerliert
fi^ I|in unb h)ieber eth)a§ in bie Sreite, aber bie tyidtti
reijenben Einfälle, toeld^e biefen ©omponiften faft niematö im
©tic^e laffen, Italien unfer S^tereffe ftet§ lebenbig. ®a§
erfte Sldegro bringt fräftige, gefangöolle Stjemen öon langem
Slt^em. 2)a§ Slbagio in Fis-moll, eine h)el^mütt)ige ©legie
(„Dumka") mit einem föftlid^ fingenben SRittelfa^e in D-dur,
fd^eint unS ber bebeutenbfte öon ben öier ©ä^en. 2)a§
©c^erjo, in toddjtm eine pd^tige ©d)ubert*3temini^cen5 nid^t
ftört, unb ba^ ginale loirfen me^r burd^ ben rafd^ l^in-
ftrömenben S«g i^ter gröl^Iidifeit, aU burd^ abfolute SReul^eit
ber ©rfinbung. 3m ginale jeigt fid^ 2)öofof nebenbei atö
/
)
320 €b. £Janslicf.
tapferer ©ontrapunftift, ol^ne trocEen ober loitgioeilig ju merbeu.
2)ag gattje SBerf trägt ben @tenH)eI ber ©cfunbl^eit unb Ur-
ft)rünglic^feit.
Mamertrto op. 8 oon I3ra§in$.
aSir toerben mit einer gan§ mertoürbigen Sioöitöt über*
rafd^t: einer alten ®onH)ojition öon SSral^mg, bie boc^ ganj
unb gar eine neue geworben. 3d^ meine ba§ Slaöiertrio op. 8,
ba§ ben ©om^oniften nun an bie brei^ig Saläre lanp toie ein
boSl^after Sobolb öerfolgte, il^m juraunenb : Sieber ^a^a, 3)u
l^ätteft toa^ Seffereg au§ mir mad^en fönnen! 2)a§ $ubli*
fum mar niemars fo fc^Ied^t barauf gu ft)red^en, h)ie SJra^mS
felbft; e^ f)at ba§ Srio -bei ber erften 2lufful^rung burd^
2) r (1870) aufeerorbentfid^ marm aufgenommen. „Sra^rnS/'
fo fd^rieb id^ nad) jener 5ßremiere, „l^at feit^er fein Salent
geflärt, feine SJunft verfeinert, öielleid^t urtl^eilt er je^t felbft
ftrenge über biefeS ^robuft unauggereifter Sünftlerfd^aft —
e§ bleibt tro^bem ein lebenSöoHeS, burd) unb burd^ poetifd^eS
2:onn)er!/' @§ ftedfte eben 3ugenb barin, unb 3ugenb ift
ein fd^öneS 2)ing. 9tun l^at SSral^mS, ben Snf^ii^ötioncn
feiner Süngting^seit liebeöott on^öngenb unb bod^ gleid^jeitig
geärgert öon beren ted^nifd^en äKängeln, boä S^rio mit Sei-
bel^alt ber Xl^emen fo öottftänbig umgearbeit, ba§ e^ at^ ein
ein^eita^eS neue^ SBerf baftel^t. STuc^ ba^ fd^ärffte STugc
wirb !eine Spm öon SlicEarbeit baran bemerfen. Slad^bem
ber erfte @a^ fein Ieud)tcnbe§ ^au^ttl^ema l^ingeftettt, bringt
er ein ganj neues ©eitent^ema, breitet fic^ in grofeortiger
®urd)fül^rung auS unb nimmt erft in ben attcrle^tcn Soften
ben SRüdEtoeg jum Original. ®o§ Sugato, öon bem id^
bamatö fagte, eS tt)irfe mie ein lateinifd^eS ©d^utcitat in
«
^
53. Stapenljagen. 321
einem SiebeSgebid^t, ift üerfc^tpunben, unb mand^e leere ©teile
baju. 2lm tücnigften aSerdnberung f)at ba^ ©d^erjo erfal&ren,
beffen einI|eitUcf)er inappex Sau einer Stad^l^itfe nid^t be=
burfte. 2)od^ aud^ t)ier überrafc^t un^ ein neuer @d^Iu§ öon
gtönjenberer SBirfung. SSom Slbagio finb nur bie crften
Safte geblieben, nid^tg toeiter. S)a§ urf^jrünglid^e jtoeite
Il&ema, ba^ an ©d^ubert^ „8tm äReere" erinnerte, l^at einem
anbern äRotiö 5ßla| gemad^t; fein Slllegro unterbrid^t mel^r
ben eblen Stufe biefe^ @a|e§, ber nun ebenfo tod^et)oli fc^üefet,
atö er angefangen. 2)a^ ginale \^at ein ganj neues, ener=
gifd^eS ©eitent^ema in D-dur erfjalten, öon beffen Eintritt
aHeg golgenbe neu erfunben ift bi§ jum ©d^Iufe. SBieöiet
geuer unb Seibenfdiaft brauft je^t in biefem ginale ! SSon ben
fleinen S)etailg, bie Sral^mS gednbert ober angefügt ^at, fann
l^ier nic^t erja^It werben; fie finb für ben äRufifer faum
minber intereffant, als bie Steubilbungen im großen. S^ingc
©om^jonifteri mögen eine SSergleid^ung beS DriginaltrioS
op. 8 mit ber neuen SRebaftion ni(^t öerfaumen. SRan lernt
barauS, tt)ie tin SKeifter niemals auftjört ju lernen.
28. I^taven^agen, (&, Iraner, 2K. ^oftnt^al
$err S5ernt)arb ©taöenl^agen ^at jmei Koncerte
unter gewaltigem Slnbrange beS ^^ublifumS unb mit außer-
orbentüd^cm ©rfolge gegeben. SBunberlid^ genug, bafe et,
ber Sif5t'©^ieler par excellence, feine ^robuftionen mit
Seet^oöenS B-dur-Koncert 3lx, 2 eröffnete. @S toirb noc^
(£b. $anSU(f , 8(ud bem Xage6u(^ eines IDhifiteTg. 21
l
322 <26. f^anslicf.
fcitcncr 9eft)ielt, aU ba§ erftc in C-dur, alfo etöentttd^ gar
ntd^t. SStr l^aben c§ jc^t jum crften WtaU öffcntU^ gcl^ört.
©tabetttiagen fpteltc ba§ Soncert, bcffcn ©d^tüierigfcitctt l^eutc
icber üorgcfd^rtttenc ©d^üler bctüöltigt, fd^ön unb burc^au^
getreu; e§ mag ii}n ©elbftöerleugnung gefoftet l^aben, bem
bünnen Slaüierfa^e nid^t burd) üerftärfenbe Dftaöen ober
öoUftimmtgere Slfforbe ftellenmetfe aufzuhelfen. 3)a§ B-dur-
.©oncert (op. 19) ift nad^ 93eetI)oüen§ eigner Eingabe früher
conH)onirt, aU ha'a mit 3lv. 1 bcjeid^nete in C-dur (op. 15).
@§ !önntc beinal^e für ein 3Rojartfd^e§ gelten, fo Har,
natürlich unb felbftgenügfam fliegt e§ batiin. Sebeutenb nac^
Seetl^oüenfd^em SRofeftabe ift e§ in feinem ber brei @ö|e,
aber auc^ xr\ feinem langiüeilig. .t)err ©taöentiagen moKte
unö tt)af)rfd^einUd^ bie äufeerften muftfatifd^en ®ren5t)unfte
imfere^ 3a]^rf)unbert§ aufzeigen, inbem er auf ba§ befd^eibene
©oncert be§ jungen 93eett|ot)en Sif^t^ „Ipbtentan^''
folgen liefe. 2)a§ ift mirflid^ unb in jebem ©inn „fin du
si^cle". Sifjt ^at eg unternommen, einen ber berühmten
„Xobtentönse", mie bie 5pf|antafie ber alten beutfd^en 9KaIer
fie gefd^affen, mufifalifd^ nad^^ubilben in einer 9leif)e üon
Maöteröariationen mit SSegteitung be§ Drd^efter§. S)er
fc^redtlid^e ©enfenmann tt)irb burd^ eine angeblid^ au§ bem
fed^ften gal^rfjunbert ftammenbe S^ird)enmeIobie (Dies irae)
ftjmbolifirt , njeld^e marferfd^ütternb angeblafen fommt unb
hk ^^5erfonen be§ Sobtentauäe^, bie Variationen ndmlid^, öor
fid6 tiertreibt. ®ie 9Sariationenform ift ol^ne Srage glüdtüc^
getuäl^It für biefen Sormurf, bie 2lu§fü^rung iebod^ fel^r
materialiftifc^. SRid^arb ^^Jo^I, ber litterarifd^e Sorreiter jebeS
incognito reifenben lieffinneS, öerfid^ert, er fet)e beutfid^ in
jeber btefer Variationen einen anbern ©^arafter: „ben ernften
9Rann, ben leic^tfinnigen Jüngling, ben l^ötinenben 3tt)eifler,
ben betenben 9Wön^, bie lieblid^e Jungfrau" u. f. h). 3c^
\
erblidte nur lauter ^laöieröirtuof en , bie nad) einanber t^rc
Sfunftftüde pxoiixtn, ber eine in trillern, ber anbete in
Dftaüen, ber britte in S^jrüngen, ber öierte in 8lf!orben —
aöe aber fo unbeläftigt t)on Sobe§gebanfen mie etma ifirc
Suf)örer. ©oute ber „Xobtentan^" mirflid^ ben beabftd^tigten
^p^ontaftifrfi^d^auerüd^en ©inbrucE mad^en, fo burfte eine
concertmdfeig \iä) öorbrängenbe Slaüier^artie gar nid)t brein=
reben. S)er Stoff l^ötte t)on einem gett)altigen ernften
©l^m^^onifer in grofeem Stil betianbelt h)erbett muffen,
ober mit ber fein ironifrfien ©ra^ie öon ©aint-SaenS'
„Danse macabre^S toeld^e ©eringereg anftrebt unb boc^
t)iel me^r erreid^t, afö Sifgt^ Sobtentan^. S)iefer Äingt
tt)atfärf|Iid^ tt)ie eine gelungene geiftreid^e ^erfiftage öon Sif^t^
eomt)ofition§ftiI. §err 9t. $o^I fagt mit Unred^t, Sifjt^^
lobtentan^ fei „fein unter^altenbeg StüdE". Stein, biefe in
lauter Purzelbäumen üom (Sr^abenen in§ Söd^erlid^e fid^
überfd^Iagenbe äRufi! ift unterl^attenb , ift fe^r unter=
Ijaltenb, S^^^Q^ beffen bie gal^treid^en Jßl^^fiognomien im
©oncert; bie alle öon mu{)fam jurüdEgebröngter |)eiterleit h)etter^
leud^teten. • Stad^bem |)err ©taüenfiagen noc^ in Sifgt^ A-dur-
©oncert afe großer SSirtuofe geglönjt f)atte, trat er jum erften
SRal aud^ aU ©onnjonift ^eröor. @r t|at einen langen 9Kono=
log au§ bem ®rama „Suleüa" t)on Saftru^^ für eine
Sopranftimme mit Drd^efterbegleitung gefegt, ©uleifa ft)ric^t
t)on itirer Siebe §u ^uffuff ; SBonne unb ^^rtlidöleit, ©d^mer^
unb aSer§n)eifIung , ©elbftöormürfe unb gtül^enbe ©el^nfud^t
nad^ bem ®eUebten löfen einanber ab. 2)er ©om^onift l^at
biefe SSäanblungen in eine SRei^e t)on ®efangftü|fd^en umge==
fe|t, bie mufifalifd^ bürftig unb ifoürt, eigentlid^ nur burc^
ben ??aben ber S)ic^tung jufammenl^ängen. 5)a§ ®anje — eS
ift eben fein ©onjeg ~ entläßt un^ ol^ne beftimmten IotaI=
einbrucE. ®er @til ift ber rl^a^fobifd^ bedamatorifd^e, liber-
al*
324 €b. f^ansltcf.
fc^wänglid^c öon Iriftan unb Sfolbe. ®a§ Drd^cftcr in
feiner mobernftcn äRa^tfütte fü^rt ia^ grofee SBort unb fott
uns burd^ garbenejfefte für ben SRangel an mufifalifc^en
Sbeen entfd^äbigcn. SBir tt)ürben beS Kom^joniften grofee ©c*
toanbt^eit im 3nftruntentiren loben, menn biefcS Sob ^eutju-
tage nod^ öiel ju bebeuten ptte. SBann merben unfere Ion*
btd^ter aufhören, für einen go^jf ju galten, toaS eine ewige
SBal^r^eit, ein Urgefe| ift: ba§ bie aRelobie ber obcr)tc
SSille fein mu§ in iebem ©cfangftüdE! ®ie junge fd^öne
©attin beS Komponiften , grau Signet @taöenl|agen,
fang bie „Suleifa" unb im gleiten Koncert nod^ brei
Sieber il^reS SRanneS mit IiellKingenber, angenehmer @ot)ran*
ftimme, reiner Intonation unb beutlid^er ^u§>\pxaä)t, im
SluSbrucEe jeboci^ eigenttjümüd^ ftarr unb unfrei. ®ie Sieber
felbft finb öon ber SIrt be§ jefeigen jungen 3)eutf d^Ianb : ein
jiemtid^ p^^fiognomielofer ©efang, unter h)etd^em eine tneit^
griffige, com^jßcirte Slaöierfigur fic^ eigenfinnig fortwälzt.
®a§ britte Sieb: „2)eine meinen Siüenfinger" , ift gerabeju
eine unberfälfd^te Slaöieretübe mit entbel^rlirfier ©efangö-
begleitung. Unfere jungen com^jonirenben ©eelenmalcr wiffen
für jebe Sftuance einer ^^fterifd^en SBaHung hk entf^red^en*
hm garbentöne ju finben; nur toa^ ein Sieb ift, wirb man
balb nid^t me^r tniffen. Qu ©taöen^agenä jmeitem ©oncert,
bag oline Drc^efter ftattfanb, öermod^te man bie gein^eiten
feinet ©^iefe nod^ beffer ju mürbigen. (£r ift ja am be-
beutenbften aU äRiniaturmaler. ®ie Sfunft ber 8tnfc^IagS*
nuancen, afe ein befonbereS ©tubium, batirt erft an^ neuerer
Seit. 3n biefer Sunft, bem fflaöier bie mannigfaltigften
Klangfarben abjugetoinnen, I|at ©taöenl^agen leinen Sliöaten.
Slttein meine SSefürd^tung öom öorigcn ^af)xt, ©taüenliagcn
fönnte bie SluSbilbung biefer ©^jeciafität auf eine gefä^rüd^e
©<)ifee treiben, toar nid^t grunbloS. SBirHid^ verleitet i^n
3. Stapentjagcn. 325
fein ateid^t^um an STnfd^Iaggnuanccn ntand^ntat baju, über
bic befonbere SIangfd^önt)cit einer einzelnen ^^rafc ben
ntuftfalifd^en Stiarafter be§ ©anjen ju öernad^Iaffigcn. S^
oft unb antialtenb benu^t er bie „SSerfd^iebung" , fo 5. 85.
burd^ ba^ gan^e Dur-Xrio beö H-moll-9Kenuett§ üon @ d^ u b e r t.
5E)iefe, tüie bur^ Jtam^ferfalbe {)ert)org€fünftelte Stoffe gerftört
ba§ fd^öne notürlid^e SBangenrotf) ber ©d^ubertfd^en SKelobie.
3)o§feIbe ©d^ön^eit^mtttel „una corda" gebrandet Staöen^
Öagen für bie F-dur-9locturne öon ©l^o^in (op. 15); baju
fpielt er ben (au^brücEtid^ mit „sempre legato" bc^eid^neten)
95ofe im allerf^t^igften ©toccato! SBorbei toar eä mit ber
fiolben 3nnig!eit biefer SRelobie, fie marb ge§irpt anftatt ge-
fungen. @§ gefiel eben unferm Slangfünftler , ha§> öoK-
tönenbe Slaöier in eine armfeUge 3itf)er §n üerh)anbe(n. S)ic
„Polonaise-Fantaisie** üon ©fjopin f)ot unS ©tatjen^agen
bereite im öorigen ^a^xt gefpiett; tt)ir {)ätten biefer fieber*
franfen 9l^aJ)fobie iebenfaHS \)ie HangöoIIe As-dur-$oIonaife,
op. 53, üorgejogen. S i f 5 1 § H-moll-@onate l^aben h)ir bis*
I)er nur öön 89 ü loh) geprt; fie befam unter ©taüenl^agenS
gingern mel^r gorbe unb finnlic^en 3tei§. ©in^etne Partien,
§umal bie elegifd^en, troten boburd^ in eine günftigere Se*
Teud^tung ; \>a^ abftrufe ©anje ift freilid^ nid^t ju retten. @S
bürften üielleid)t nur menige t)on ben Serel^rern SifjtS ein
93ud^ fennen, baS 1847 in äKailanb unter bem Xitel erfd^ienen
ift: „Etüde phrönologique sur le caract^re originel
et actuel de Mr. Fran^ois Liszt.*^ S)er SSerfaffer, eitt
engüfd^er 2)oftor ber SRebi^in, SRr. ©aftle, erfjieft in einem
anwerft liebenSmürbigen a3riefe öon Sifjt hie ©rlaubni^,
feinen ,,me^r ober minber bucEIigen ©c^äbel" gu unterfud^en.
3ugleid^ giebt il^m öifjt bie SSerfid^erung, er tt)erbe nid^t bic
leifefte (£mpfinblicf)feit geigen, felbft h)enn ber ^l^renolog Dr=
gane beS 2)ieb§ftnne§ unb ber SRorbluft an il^m entbedfen
326 €b. f^ansltcf.
foHtc. 3n bem citirtcn furd^tbar rangtücUigcn Sud^e ^at SKr.
ffiaftle bic 3tefultate feiner Unterfud^ung au^fül^rüd^ mitgct^eilt
unb in einer langen %dbtüt überfid^tüd^ gemad^t. ®anj
rid^tig finbet er an SifjtS ©d^öbel im Iiöd^ften ®robe onS^
geprägt: Sntelligcnj, Siebe, grennbfd^aft, ©ro^mut^, ©nt^u-
fia^mug, ®^rgei5 u. f. tt). 9lur eine ©igenfd^aft Sifjt§ be*
jeid^net Kaftfe al§ minber l^eröorragenb : fein KonH)ofitionS==
talent, h)elc^e§ offenbar burd^ feine ntdd^tige SleprobuftionS*
gäbe („la puissance d'execution artistique") jurüdEgebrängt
unb cjc^emmt fei. 9Rr. ffiaftle f)atit e^ fieilid^ leidet, ba«
atte^ an bem ©d^äbel SifjtS ju „entbedfen'' , ba er ja öor
ber Unterfud^ung über ben großen äßenfd^en unb S'ünftler
ijoUftönbig im Haren ttjor.
@mil ©auer. ®er noc^ fe^r junge SRann fpielte
^enfeltS Jflaöierconcert in F-moU mit großer Sirtuofität,
fd^önem 8lnf(f)Iag unb toarmer, faft mäbd^en^aft jarter (£m*
^)finbung. ©eine im fc^önften Sßianifftmo l^inge^aud^ten Staffagen
unb aSerjierungen erregten Sluffe^en. $err ©auer !ann fic^
eines entfc^iebenen ©rfoIgeS rühmen. ®a§ ©enfeltfd^c ffioncert,
loetd^eS me^r ^art^eit aU S^aft unb Mtin^eit verlangt, fam
feiner ©^jietoeife fel^r günftig entgegen. 2)ie Komt)ofttion
felbft h)irft nur burd) fd^öne ©injef^eiten ; ein großem ©anje^
ju formen, lag ni^t in ber äRad^t ^enfeltS, biefeS feinen
poetifd^en SIeinmalerS. ©eine ©tüben übertreffen an fd^öner
(Sigenart unb mufifalifd^em ©el^alt ha§> große Koncert; fie
bleiben immerbar |)enfeltg äKeiftermerf. äRit Unred^t h)erben
fie jefet üon ben Äfaöieröirtuofen öööig ignorirt: t)öc^ftenä,
baß l^in unb lieber noc^ bag „SSöglein" gef<)ielt ober öietme^r
burd^ ein finnlofe^ Zmpo ju lobe gel^efet h)irb. ^enfeltS
(Stuben ftnb burd^ i^re glänjenbe lec^nif toie burd^ i^re
poetifd^e ®m^)finbung ungemein banfbar für ben ©<)ieler,
tt)enn fie i^m au^ nid^t bie äRöglid^feit bieten, au bemonftriren,
N
€. Sauer, HT. Hofentl^al. 327
h)ic ein l^eittger Sranj über ble SBette f^ajiert itnb ein onberer
l^eiliger granj ben SSögeln t)rebi9t.
@^)äter t)ot ^err @auer nod^ in öier Koncerten ein über*
aus öielfeitigeS Programm allein bewältigt unb fic^ afe
Mnftler erften 9lange§ beh)ö^rt. ©länjenb unb fraftüoH in
otten Slufgoben energifd^er SSraöour, toirfte er bod^ am
»fd^önften in ben jarten, finnigen ^oefien öon ©d^untonn unb
®^o^)in. S)a ift Sauer em tt)al)rer Iroubabour beg fflaöierS.
^err 3t o f e n t ^ a I, ben tüir fd^on bei feinem erften 8luftreten
(1884) einen SSirtuofen erften 9lange§ nennen mußten, bürfte
gegenh)örtig an ted^nifd^em Spönnen bie meiften feiner be-
rühmten Kollegen übertreffen. 2)amit foH feine§tt)eg§ gefagt
fein, baß er hit 83eften auc^ in otten übrigen SSorjügen er*
reidEie unb an Siefe ber mufifalifd^en @m^)finbnng, an SBörmc
unb Slbel be§ SSortrageö nid)t§ ju h)ünfc^en laffe. Stofen*
tl^afö (Spiel ^at bi^fjer feine blenbenbfte unb öottftänbigfte
SSirfung im SSortrag Sif^töfd^er Sompofitionen gefunben.
SBal^rfd^einlid) n^ottte er fid^ bie§mal öon einer neuen Süit
jeigen, inbem er feinem langen Programm ein einjige^ ®ind
t)on Sifjt, obenbrein ein 9lrrangement, einfügte: bie SBill^elm
Sett^Duüertüre. Sie mor ber ©lanjpunlt be§ ganjen Slbenb^
unb bi§ auf ben fel^r unfauber gefpielten @d^Iu§ eine erftaun-
lid^e SSraüourleiftung. S)ie Ueberh)inbung ted^nlfd^er ©d^mierig*
feiten fd)eint ^errn fRofentl^al aud^ in fold^en Sonbid^tungen
jumeift anjulodfen, bie neben ber Sroöour nod^ ettoaS ganj
8(nbere§, ©öl^ere^ verlangen. SBo bie Singer nid^t üottauf
5u t^un finben, ba toixh fRofentl^al enth)eber gleid^giltig, fü^I,
ober er fud^t bie innere Xfieilnal^mSlofigfeit burd^ Häufung
fentimentaler Slu^brudEömittel , h)ö fie nid^t ^inge^ören, ju
öerbedEen. S)aö öirtuofe (Clement, tno e§ it|m banfbar ent=
gegenfommt, übertreibt er mieberum gern in <8cUnia§ unb
fi^aftaufh)anb. ®ie A-moll-Drgelfuge öon 93 ac^ tt)ar gut
328 <Hb. ^anslid.
begonnen, geriet)^ aber gegen ben 8d^ru§ in lobfnd^t. S)ie
©carlattifd^e ®igne in G-dur nnb bic (in Xerjen ge*
fpielte) Ci8-moll-®tübe t)on © ^ o p i n flogen f aft ol^ne rl^^tl^'
ntifd^e Slccentnirnng fo blifefd^nell bal^in, ba§ man bie ©tücfe
gcnan fennen mufete, nm baran^ fing §n Werben. SRoientl^afö
SBortrag ber finblid^ einfarfien A-moll-SKajnrfa (op. 57) nnb
ber fd^tt)ärnterifd^en Des-dur-9toctnrne (op. 27) öon K^opin
zeigten nnö bie fatalften SKanieren • ber Sifjtf^nle h)ie im
|)of)If:piegeI : l^t)fterifd^e§ Tempo rubalo, grellem Selend^tcn
einzelner Safte, neben meldten ba§ Uebrige nebell^aft öer»
fd^ttjamm, mittfürlid^e^ 9Ser§erren beg SR^^tl^mnS, B^i^trenncn
ber gebnnbenen Sßelobie in einzelne SRoten — nnb toa^
fold^er SBunberfalben mel^r finb. 5)er SRangel an feelifd^er
SBärme nnb eminent mnfifalifc^em ®eift berütirte nn^ am
empfinblid^ften in ©d^nmann^ C-dur-$^antafie, einer ber
Ijöd^ften — nid^t bloB ber fdEimierigften — 2(nfgaben für
ben ret)robucirenben ®ünftler. 2)er breit l^inflntl^enbe grofee
Sng be§ erften @a^e§ jerbrödEelte nnter SRofentl^atö §änbett
in öirtuofenl^afte§ ©tüdEmerf; tt)eggen)ifd^t tt)ar ber nnbe*
fd^reibtid^ §arte, tröumerifd^e $and^ über ben langfamen
©ci^en, üerl^efet nnb öerpanft ber energifdic SRittelfa^ in
Es-dur. Un§ ttjarb jn SKntl^e, aU fa^en mir ©d^nmann^
®eift auf ber glnd^t öor bem il^n öerfolgenben SSirtnofcn.
©d^umonn toirb nur t)on jenen gut gef^jielt, bie, il^re
SSirtuofenglorie öergeffenb, fid& mit Siebe nnb reifem SSer*
ftänbnife in i^n eingelebt l^aben. 3d^ toeife nid^t, ob ba^,
tt)o§ |)erm SRofcntl^al bajn fe^It, fid^ nad^trögtid^ nod^ er-
ttjerben laffe. ®IüdEIid^erh)eife t)at $err Stofentl^al ein gelb,
auf bem er fouöerön maltet : bag grofee ®ebiet ber SBirtnofität
par excellence. ;3ti^befonbere aU Sifjtf^jieler h)irb er überall
cl^rüd^e Irinm^l^e feiern nnb jebe^ ^nblifum entjüdten.
i
2ince Barbt. 329
2lug bem mufifaltfdieTt ©etümmcl bcr legten ^dtixt feigen
mir eine neue, öorne^me ®eftoIt enH)orragen: bie ©öngerin
Sllice Sarbi. Unfer $u6ü!um ^ai fie gleid^ bei il^rem
crften ©rfd^einen (1889) mit rafd^em 93ficEe erfannt unb lieb*
gewonnen. gräulein Sarbi öerfügt über eine todi^t,
^tjm\)aii)i\ä)e, nid^t fe^r umfangreid^e 9Re§5ofopranftintme, bie
fie mit großer ffunft be^anbelt. S)a§ biefe Stimme nid^t
mcl^r in ber eirften Slüt^e, bafür entfc^äbigt un^ bie golbcne
grud^t il^rer fünftlerifd^en SSoIIenbung. 3n ben ganj fd^mudf^
tofen tragif d^en 8lrien öon 81 ft o r g a unb Slleff anbro @ c a r -
latti offenbarte Sräulein Sorbi bie ©d^ä^e einer faft üer*
toren gegangenen Haffifd^en ®efang§(unft : eine rul^ige eblc
lonbilbung, unöergleid^IidEie Defonomie beg Sltl^emö, ba§
fd^önfte ^ortamento im Sfnf^toeHen unb Slbnel^men beS XoneS,
t)or allem eine fc^üd^te ©roßl^eit be§ SSortrage§, ol^ne Ut
jene älteren Strien nid£|t benfbar ober bod^ faum genießbar
ftnb. SBic ben patl^etifd&en 9lu§brudE, fo l^at fie aud^ ben
l^eiteren, fd^ergl^aften in i^rer ©ettjalt. ^a*i fie IIo^ Sieb
,.La Zingarella^S au§ bem un§ bie ganje naiüe ScbenSfüIIe
bcr nea^olitanifc^en SRufif anlad^t, lann man nid^t fd^öner
l^ören. S)ie SSarbi ift ba in ber %i}ai „la Zingarella gra-
ziosa, accorta e bella'*, ttjie e§ in bem Siebd^en l^eißt.
®abei l^ätt fie aud^ bergleidben ©d^erälieber fern öon allem
t)ulgären Seigefd^macE, mie benn über^au^jt bie Stobteffe be^
SSortrage^, in jeber ©tilgattung, un^ befonber^ d^arafteriftifd^
erf^eint für i^re ^nbiöibualität. ©albara^ STrie „Come raggio
330 &. ^anslxd.
di soll", Don bcr Sorbi gefungen, toirb jcbcm unöergcßßd^
bleiben. Selten Iiaben mir fo ed^te, tiefe $erjen§töne, fo
ftarlen unb boc^ ntaßöollen bromatifc^en STnöbrurf, eine fo
öottfommene lonbilbung unb langgezogenes eMe§ ^ortamento
geliört. 2)ie fd^önften Irabitionen ber italienifd^en ©efangS-
fünft großen @til§ fc^ienen aufzuleben. S)er alte Slntonio
Salbara, ber öon 1715 big 1736 aU ^offapettmeifter unb
Sefirer SorlS VI. in SBien lebte unb in ber ©tep^anSKrci^e
begraben liegt, mirb feine Slrie fd^toerüd^ fd^öner gel^ört
l^aben. 9Kit gleid^er ted^nifd^er SSottenbung unb einbringen*
beut SSerftänbnife fang Sraulein Sarbi einige jierlid^c
SRomanjen Don äßonfignij unb Si^et, bonn beutfd^e Sieber
t)on SKojart, ©d^ubert unb ©d^umann. 3n Ic^teren mod^tc
gerabe bie ausgeprägte 2)eutUd^feit unb Äorreftl^eit ber STuS-
fprad^e ettoaS frembartig berühren : offen auSgeft)rod^ene SSofale,
hk toix bunfler förben, accentuirte Snbftiben, bie mir abäu==
fd^Ieifen t)f(egen, unb bergleid^en. Slber Dortrefflid^, ja er*
greifenb flangen aud^ biefe unS fo mo^Ibefannten Sieber au^
Sfräulein SarbiS äKunbe. äRaffenetS SRomanje „Les
enfants^S eigentlid^ nur eine fein jugel^adEte S)ecIamation oline
ntufifalifdEieS Sleifd^ unb S5Iut, erfreute lebiglid^ burd^ bie
finnige Interpretation ber Sarbi unb ben SReij il^rer fran*
jöfifc^en SluSfprad^e. SKufifalifd^er ift eine Sijetfd^e
SRomanje, ed^t fran^öfifd^eS ©alonprobuft mit einem Keinen
arabifc^en 2lnf|ängfel: „Les Adieux de Thotesse Arabe.*'
8lud^ ju biefem ©efangftüdfe gab eigentlid^ Sllice SSarbi Ut
©eele l^er. 3^r unüergleid^lid^ marmer, unmittelbar em-
pfunbener SSortrag fd&ien biefe Slbfd^iebSfcene beinal^e in
eigenes ©riebnife ber Sängerin ju öermanbeln. äRufete man fid^
nac^ biefem Vortrage nic^t fagen, ba§ an ber ©arbi eine
große bramatifd^e Sängerin üerlorcn gegangen ift?
I)en ®amen ajiarianne a3ranbt unb Sllice S3arbi
/
Xdarianne Branbt. 331
öerbanfen iDir je einen crtjebenbcn mufifQüfd^en Hbenb; wir
öerbanfen il^nen ha§f lang entbehrte grofjgcfül^I, bo§ eS noc^
©ängcri'nncn giebt, bie 5ßoefie, ®eift «nb ©mpfinbung mit
öottcnbctcr Icd^ni! vereinigen, greilid^ finb bie wenigen
alfo gcfd^ulten Stimmen t^eilS im Slbwelfen, tl^eit^ weit in
ber grembe unb nur Qfe 3ugt)ögel SBien berü^renb. Um
fo fd^öner brad^te ber 3«f<itt S^jei SReifterinnen ^ier gu-
fommen, bie bei aller SSerfdiiebenl^eit bod) baS eine gemein*
fam iiaben, bafe fie ben ®efang als ernfte Siinft bel^anbeln
unb i^r Snflrument fo meifterlid^ bel^errf d^en, wie irgenb
ein grofeer SSirtuofe baS feinige. 3e üppiger auf ber Dpern*
bü^ne ber StaturaliSmuS tvnd^txi, bie ^errfd&aft ungefd^ulter
l^übfd^er Stimmen unb ber blofee ^nftinft ftillofen Vortrags,
befto freubiger begrüben Wir baS SJeifpiel öon S?ünftlerinnen
Wie bie S3ranbt unb bie S3arbi. äKöd^ten bod^ aöe unferc
jüngeren ©angerinnen an il^nen ftubiren unb öon it)nen
lernen — toa^^ eben gelernt werben fann. 2)cn 3un!en,
Weld^er bie tobte led^nif erft jur göttlid^en flamme entfad^t,
ben müßten fie aÖerbingS jur Seftion fd^on mitbringen,
gröulein SSranbt, bie man bei ber Slafd^Iebigfeit unferer
Opemmenfd^en wol^I fd^on ju ben äJeteraninnen jaulen barf —
fie f^at eine fünfunbjwanjigjä^rige rufimöotte 93ülinencarriöre
hinter fid^ — wirb ^eute Weber burd^ il^re ©timme, noc^
burd^ i^r SteufeereS einen |)örer befted^en, unb bennod^ laufdE)ten
wir ifiren Vorträgen mit nic^t ermübenber Eingabe unb S5e*^
wunberung. UnöergegüdE) bleiben unS ifire bromatifc^en
©d^öpfungen: if|r gibelio, i^r ©ejtuS, i^re nie wieber er*
reid^te SibeS. Slnftatt bie öorbringlid^en ©tackeln biefer an
Sfarrifatur ftreifenben 5ßartie nod^ l^erauSjuf eieren , wie ia^
um beS ®ffefteS willen meift gefd^ie^t, ^at fie biefelben über*
all gemilbert, öer^üüt, um befto fräftiger ^eröorjul^eben, toa^
irgenb gut unb ed^t ift in biefer 3Rufif. Su»i crften äRale
332 €b. f^ansltrf.
begegneten tt)ir je^t graulein Sranbt im ©oncertfaal, atö
Sieberfängerin. S)a ermieS fic fid^ iebem ©til, jeber ©mpfin-
bnng geredet; überatt ^atte fie bie S3cbeutung beS @cbi(f|teS
tief in fid^ aufgenommen, bi§ in^ einzelne S33ort ftubirt,
o^ne baS einjelnc SBort mit t^eatrattfd^em Jlad^brurf ju
unterftreid^en. 9lm öottenbetften erfc^ien mir i^r SSortrag in
ber t)on @d)ubert componirten Sfopftodffd^en Dbe „5)em
Unenblic^en". SBie plaftifd^ trat ha jeber @a|, jebe ^eriobe
l^eraug, ttJeldfte SBei^e rul^iger Segeifterung lag über bem
©anjen! 9Kit ftarfer ßeibenfc^aft fogtc fie ha§^ n)ilb aufftür*
menbe Sieb öon S r a 1^ m S ,,aBeit über ba§ gelb". 5)iefc8
felir feiten gefiörte Sieb ftet)t in ein unb bemfelbcn $eft
(op. 3) mit bem fo ^jo^jular geworbenen „Siebe^treu" unb
— auffattenb genug — in berfetben Sonart, Es-moll.
9llice S3arbi entjürfte am meiften n)ieber mit ben
italienifc^en ®efang§ftüdfen öon ©albara, @Iudf, ©al-
öator 9to-fa unb ber „gingareöa'' öon Somelli. 3^re
rufiige, fd^öne Xonbilbung, ü}t unöergleic^Iid^e^ ^ortamento,
il^r ebleS ^att)o§ t)oben aud^ bie Seet^oöenfd^c Strie „Ah
perfido" 5u einer SBirfung, h)e(d^e biefeS ©tüdE nur bei ganj
öollenbeter SSortragSfunft gu erreid^en pflegt. SBie bie S raubt
in ben erften Saften ber ©d^ubertfd^en ^^mne, fo entfaltete
Sllice S a r b i gleid^ in bem 9tecitatit) ber $erfibo=2rrie ben ganzen
Stbel ber @efang§Iunft. ®^ ift ein öielöerbreiteter gtrt^um, bie
/,gro§e ®efang§Iünft(erin" nur in ber öirtuofen Koloratur ju
fud^en unb ju erfennen. SBeber bie 93ranbt nod^ bie Sarbi fiatten
in il^rem Programm eine Sraöonr-Slrie, beibe »irften burd&
bie öollenbete Sonbilbung unb ben großen ®til, »omit fie
einfad^ftc getragene SRelobie öortrugen. ®in paar 8tnfangS*
tafte, mie bie frül^er ernjöl^nten, öon ©d^ubert unb Seetl^oöen
— unb njir n^iffen, mit njem wir e^ ju tl^un fiaben, unb
5iet)en ben $ut. (Segen gräulein 93ranbt ftef)t bie ©arbi
i
2llice 23arbi. 333
übrigen^ im Ißort^cit burd) htn nod| unocrfümmcrtcn 9tcij
i^rcr Stimme unb ifirer ©rfc^einutig. äWan ^ört eine
©angerin nic^t blofe mit bem SSerftanbe unb ber nad^^elfen^
ben ^^S^antafie; bie lebenbigen Sinne ergeben i^re Slnfprüc^e
in jeber Sunft, unb barum bleibt immer nod^ ein Unterfd^ieb
jmifd^en bettJunbernbem STnerfennen unb öoöem, reinem @e*
niefeen. S)ie föunft be§ ©ängerS öermag bie Sinie, bi§ gu
»eld^er mir auf ben finnlid^en SBol^IIIang ber Stimme oer-
jid^ten fönnen, oft er^eblic^ auSjubefinen, aber fd^Iießlid^
fommt fie boc^ on einer ©renje an, too bie ©raufamfeit ber
Statur nid^t Weiter mit fid| unterfianbeln lägt. Unter ben
beutfd^en Siebern, bie fjröulein Sarbi mit einer für eine
Italienerin ungen)öf|nlidE)en Sel^errfd^ung ber ©prad^e vortrug,
machten bie 93raf)mgfc^en („äKöbd^enlieb'', „äKeine Sieb'
ift grün'', „SSergeblidEieS Stänbd^en'O bie befte SBirfung.
2)en Sd^ubertfd^en Siebern fiaftete für un^ bod^ etnjaS
iJrembartigeS an. ®in fo lang öerfiattenbeS ^ßianiffimo , fo
fein auSgefparte Sonfd^attirungen, njie fjräufcin 93arbi fie in
ber „Sieben gärbe" anbringt, übermalen gerabe bie un^ liebe
iJarbe biefeS Siebet, mifd^en i^r ettoa§> SSerf einerteS , föünft*
tid^eS bei, ba§ ttJeber in falfd^cr Sluffaffung nod^ in eitler
©d^önt^uerei feinen @runb ^at, fonbern einzig in bem fremben
SRationalgeift. S)er S)eutfd^e fielet im Siebe melir auf bie
einheitliche SBärme unb Statürlid^feit beg SSortroge^, al^ auf
f einfte SRuancen ; er bürf te beSl^alb für ©c^ubert ben f c^lidE)teren
8lu§brud eines ©uftaö SBalter ober einer Termine ©picS
oorjie^en.
©d^ubcrtS „Doppelgänger" eignet fid^ fd^on burc^ ben
Sn^olt nid^t red^t für eine fjrauenftimme ; ia^ bie ©angerin,
lebljaftem SSeifaÖe nadbgebenb, bag Sieb obenbrein ttJieberl^olte,
ftimmt nod^ weniger mit meiner ©mpfinbung. S)ie gefpenftifd^
beflemmenbe Iragi! biefeS ©tüdfeS vertragt feine SBieber*
334 €5. f^aiislicf.
l^olung. Ueberl^oupt pflegt jebeä Da capo ben erften ©ittbruc!
nid)t fotoo^I ju ftcigern, aU db^n\d)tüä6^tn. S)ie ftärffte, na(S)'
l^altigftc SBirlung erhielte 9Kicc 99orbi mit fcci^§ Siebcm öon
S5rat)m§. „3>^nicr feifer mirb mein ©d^Iummcr" ift mol^I
nod^ nie fo crgretfenb unb bei aller fd^merjlid^en ^nnigfeit
jugleid^ fo einfad^ gefangen morben.
2)ie 93arbi ju ^ören treibt un§ nid^t etttJa „äKobe'', fonbern
ba^ tiefe S3ebürfni§ nad^ bem S33at)ren unb ©d^önen. S)er
geplagtefte Sritifer, bcr fonft nur feufjenb bie Slnfünbigungen
öon wieber einem tialben S)u^enb „öieberabenben" lieft, freut
ftd^ (»enn id& nad^ mir urtl^eilen borf) auf jebeS Sluftreten
ber Sarbi unb möd^te !eine§ öerabfäumen. Seit ber Ofenn^
S i n b , bie freiüd^ nebenbei aU öoöenbetfte Soloraturföngerin
glänzte, Iiat fein Sieberöortrag mid^ in bem @rabe erfreut
unb fange nad^ttingenb erfüllt, njie ber bon Sllice Sorbi.
©0 öerfd^ieben bie beiben aud^ ttjaren in STu^fel^en unb Sem*
pcrament — öerfd^iebcn tt)ie eben fd6tt)ebifd&e unb italienifd^e
Sanbfd^aft — fie glid^en einanber in ber SSerfd^meljung öon
ebelfter ®efang§ted^nif mit unmittelbar feelenöottem, getftigem
HuSbrucf. 2)er Heinfte Vortrag ber Sarbi ben)eift, ba§ tiefet
©tubium it)m öorau^gegangen , ein SSerfenlen unb ©inleben
in bie ©timmung be§ ©anjen, bann in jebe ©injell^eit beS
©ebid^teS »ie ber Eompofttion. Dfine emfte Slrbeit ftnb
fold^e Seiftungen, aud^ bie fd^einbar leid^teften, nid^t mögüd^.
Stber bie ©pur biefer Slrbeit unb jeber ^aud^ öon Hbfid^tlid^*
feit ift öerfd^munben , fobalb ha^^ Sieb, toit ein eigene^ ©r-
lebniß, au§ ber 93ruft ber ©öngerin ftrömt.
j
189U
3)tc „$ecr O^nf betitelte Drd^efterjuite öon ®rteg
tft ntd^t in biefer Sorm unb Stbpd^t entftanben. Urfprüng^
lid^ tl^eotralifd^em S^^cdEe bienftbar, fottte fie — tüie Seet*
l^oöenS @gniont:= unb SBcberS ^ßrögiofamufi! — ba^ brama-
tifd^e ©cbid^t öon ^Wn, „$ecr ®^nt", ittuftriren. ©ine
Su^nenanffu^rung btefe^ im ®runbe unmögUd^en S)rantaö
foH in ©tjriftiania ober Sopenl^agen tt)irHtd^ öerfud^t ttJorben
fein. ®rieg t)at fid^ red^tjeitig beeilt, feine SRnfi! burd^ eine
©oncertbearbeitung öor bem öorauSfid^tlid^en ©d^idffal be§
©tüdfe^ ju retten. 2)ie SRufif lennt nid^t ben anftönbigen
©d^eintob eine§ „Sud^brama^"; eine 5ßartitur, bie bto§ ge-
lefen nnb nirgenb^ aufgefüfirt to'xxh, ift unb bleibt n^irlttd^
tobt. aSiclIcid^t mirb in nid^t langer Qtxt JJbfenS ,,$eer
@^nt" nur nod^ in ber ©riegfd^en ©ompofition fortleben, bie
nad^ meiner ©mpfinbung in \eitm il^rer @a|e mel^r 5ßoefie
unb SunftüerftQub birgt, Qtö ba§ ganje fünfaltigc Ungel^euer
Sbfcn^. es ift bieS eines ber abfto^enbftcn ȟnbniffc, baS
pl^antaftifd^ QuSfd^mcifenbe SBiÖfür mit innerer ^erjcnSlöIte,
mobernfter 5ßeffimiSmu§ mit abergläubiger SK^fti! gefd^Ioffen
336 €b. f^ansltrf.
f)abtn, SBcr ift 5ßeer (5ßctcr) @^nt? 3u änfang bcS @tudc§
ein jluanjigia^rigcr nortücgifd^er Sauernjungc, ber burd^ SScr*
logen^eit unb Staufluft feine alte äKutter ju lobe fränft,
überaß Unfriebcn unb ©d^reden verbreitet, fo bag im S)orfc
otte§ fd^eu öor i^m au^n^eid^t. Ungebeten brängt er fid^ jur
ipod^jeitsfeier ber fd^önen S^gtib, bie einen foliberen fjreier
ifim öorgejogen, bentäd^tigt fid^ gettJaltfam ber 93raut unb
trägt fie „mie ein ^aW eiligft über ik Serge. 9iac^ einer
njilben ^od^jeit^nad^t mit i^r öerftöfet er bie Sötnmernbe
^o^nladEienb. ©in anbcre§ SKäbdEien, ©olöeig, ia^ if)n tro|
feiner SSerroilberung liebt, öerläfet er gleid^fattS, nad^bem er
eine auf ber Strafte aufgelefene „SroÖ^^ßrinjeffin" oerfül^rt
t|at. 8luf einem ttjüben @ber reitet er mit biefer in bie
^öl^le i^re§ SSater^, mo bie ©nomen unb ©rbmännd^en allerlei
l^ciftfid^en 8lbern)i| mit if|m treiben unb il^n fcf)IieJ5ttd& jur
4)ö]^Ie ^inau§^)rügeln. ®o wed^feln SBirflid^Ieit unb SKärd^en*
fpu! unauff)örUd& in gbfen^ ©tüdf. ^eer @^nt, ber nad^
bem 3eugniffe ber eigenen SKutter „nur Sügen fpann, mo er
ging unb ftanb, ber niematö ein tauglid^ SBerf öoöenbet",
t|at bloft eineg im ffiopf: jur l^öd^ften äKad^t ju gelangen.
(Sr Witt Soifer werben, „ffaifer ber ganzen SBelt^ ! SSon ?lor*
wegen öerfe^t un§ ber 2)id^ter ganj ^)Iö|lTdö an bie ffüfte —
öon SKaroffo. |)ier fe^en wir unferen 5l5eter ate einen
„^übfd^en 4)errn öon mittlerem 8llter, elegant geHeibet, eine
golbene Sorgnette auf ber 93ruft". @r giebt ein S)iner im
^ßatmenl^ain ; ein Sranjofe, SKonfieur SaÖou, ein S)eutfd|er,
$err ö. ©berlopf, ein ®nglänber, äRr. ©otton, unb ein
©d^webe, Irumt)eterftrale, finb feine Softe — Wiftlofe Äari:=
!aturen ber öier Stationen. 5ßeer @t|nt, ber |)tö^Iid^ auS
bem 9iaturburfd|en ein blafirter moberner Spefulant ge*
worben ift unb über atte§ mit naferüm^)fenber Sronie ab*
urt^eilt, ^at burd^ ©flaöen^anbel Sleid^t^ümer gewonnen.
[/
„peer (Synt" von (Srieg. 337
(£r plant neue fd^änbltd^e Unternel^ntungen unb öcrtrout fie
feinen öter fjreunben. ®iefc l^aben nid^t^ ©iltgereS 5U t^un,
ate l^eimlid^ mit feinem ©d^iff unb feinem Selbe Qbjufegeln.
$ecr ®^nt bleibt arm unb ^ilfloS allein. 2luf einem Saume
fämpft er mit njilben Slffen. 2)ann ftie^It er ein 5ßferb unb
ein türfifd^eS geftgemanb unb f^)ielt fid^ bor ben Slrabern
auf ben $ro^)^eten auf. S)ie Siod^ter eine^ Sebuinenl&aupt'
Iing§, Slnitra, erregt fein SBo^Igefatten unb, tt)ie e§ fd^eint,
feine Siteraturfenntnife, benn er citirt in beutfd^er ®pxai)t
®oet^e§ SSer^ üom ©njig^SBeiblid^en. Slnitra reitet mit i^m
auf bemfelben ©d^immel burd^ bie S33üfte; fie fd^meid^elt il^m
feine Äoftbarfeiten unb SBaffen ab unb jagt mit feinem Slofe
baöon. 5Run fann ber überliftete 5ßeter njieber einen langen
peffimiftifd^en SRonoIog tialten. 9lm Stil, njo bie SKemnon^-
faule ifjm eine ©tropl^e öorfingt — „SSergangenl^eit^mufif",
tt)ie er in fein lafd^enbud^ notirt — begrüßt i^n ber S)irector
eine^ S^enl^aufe^ |)err Segriffenfelb, fü^rt il^n in feine
Sfnftalt unb \pexxt i^n ein. SRan mad^t fid^ feine SSorftettung
t)on ber breiten iDi^Iofen Slbgefd^madtt^eit biefer ©cene, in
meld^er ber berrüdtte S)irector bie §egelfd^e 5ß^iIofo^)l^ie ptt\u
flirt unb ein SBal^nfinniger bie nationalen „©prad^ftreber" in
Stormegen. ®ie näd^ften ©cenen f^)ielen auf einem ©eefd^iffe;
ein furd^tbarer ©türm brid^t Io§, 5ßeter ®^nt rettet fid^ auf
einem Stadien, öon bem er einen armen leufel l^erabgeftofeen,
unb lanbet afö ad^tjigiäl^riger ©reis in 5Rorn)egen. S)ie treue
©olöeig erwartet if)n in berfelben ^ütte, ioo er fie oor fed^jig
3a{)ren fd^nöbe öerlaffen, unb fd^Iummert i^n mit einem
SBiegenliebe ein. SBafirfd^einfid^ bebeutet baS 5ßeter§ lob,
benn ba§ ©tüdf ift l^ier ju ®nbe.
StnfangS eine Slrt böuerlid^er ©iegfrieb ol^ne freie Reiter-
feit, bann ein ®iM SRanfreb ofjne geiftige SRad^t, ein ®t&d
S)on 3uan, ol^ne 5ßoefie unb ©d^ön^eitsftnn , ein ©tüdf
eb. !&an§lt(t, SluS bcm Xaflcöu* eine» SWurtferS. 22
338 €^. ^anslicf.
aRcpIlifto o^ne ©urnor, fd^üe^Iid^ ein crbdrmltd^cr mobemcr
©elbmenfc^ ol^nc einen gunfen t)on ©entütl^ — bas ift ber
|)elb ber größten bramatifd^en S)ic^tung QbfenS. Um biefen
S!Ritte^)unft ber ^anblung, todä^t un§ bie golgcn beS „Ucber*
ma§e§ bon 5ßl^antafie" bcranfd^aulid^en fott, mirbeln toit
för^)erIofe ©d^necflodten eine äRenge unöerftänblid^er giguren
unb groteg!er ©pifoben ^in unb iier. 2)er Scfer greift ftd^
jeitttJeilig an ben Äopf, ob er öerrüdEt gettJorben fei. S)er
beutfd^e Ueberfe^er, S. ^ßaffarge, ber nod^ in ber SSorrebe
5ur erften Sluflage über bie unlösbaren Slät^fel biefeS ©tücfeS
geflagt, erjötilt jur jtoeiten Sluflage, erft fieben Qal^re fpöter
t)abe 3bfen felbfl it|m einige biefer Slat^fel aufgelöfl, t)or
allem baS n)i(i^tigfte: „5ßeer @^nt ift ber 9teprafen =
tant beS norn)egifd^en SSoüeS!" @in angenel^meS
S)ramo, ba§ fold^ autfientifd^er SluMegungen bebarf, unb ein
fd^öne§ Kompliment für baS nornjegifd^e SSoIf. ®an§ merf*
njürbig ift bie SSerfd^iebenlieit be§ ,,$eer @^nt" öon ben
übrigen be!annten ©tücfen 3bfenS. SBö^renb biefe eine faft
pebantifd^e @inf)eit öon 3^it unb Drt einl^alten unb fid^ nid^t
aus ben öier SBönben beS bürgerlid^en SebenS ^erauSttJagen,
treiben im „5ßeer ®t|nt" bie Sötjrjel^nte unb bie aSeltt^eile
^)]^antaftifd^ burd^einanber. 3n allen jur 8luffüf)rung ge=
langten ©d^aufpielen SbfenS l^errfd^t ber fd^arfe, unbarm=
tierjig logifd^e SSerftanb, n)eld^en ber S)id^ter toit einen ©pur*
l^unb auSfd^idft, um l^erauSjuttJittern, tt)o irgenb eine Salfd^-
l^eit, SSernjorfenl^eit, Süge unb göulniß vergraben liegt. Ofm
„5ßeer ®^nt" ^at biefer ftrenge, orbnenbe SSerftanb ju ©unften
einer jügellofen SBiÖfür abbicirt unb gleid^t einem ber ffeinen
SuftbaHonS, bem man au§ Spafe ben 3aben abgefd^nitten
l^at. 2)ie ©d^Iuftmorat bleibt freilid^ immer biefelbe: tt)aS
befielet, ift njert^, bafe eS ju ®mnbe gel^t. ©eorgöranbeS,
ber geiftüotte Siteratur^iftorÜer unb gemife befte ©enner feinet
Sympljonte von Doofaf. 339
SSolfcg, fügt einmal : ,,S)ie Sänifd^en ©d^riftftettcr ^abcn in
bcr Siegel ben SSor§ug, bie Slu^f^meifungeu b€§ ©efd^madf^
unb ber ^ßl^antafie ju öermeiben, in ttJeld^e bie beutfd^en
flöufig verfallen. Sie fiaben baS ©id^er^eit^gefü^l, totl6)e^
angeborenes ©leid^getoid^t unb angeborene^ ^l^Iegnta öerleil^en ;
fie finb niemafe öerttJegen, c^nifd^, rebettifd^, tt)ilb pl^antaftifd^,
rein abftra!t ober rein finnlid^ ; fie ftürmen nie ben §immel,
fie fallen nie in einen Srunnen. S)ag iff §, toa^ fie bei i^rer
Station fo po^juWr mad^t." SSon attebem ift 3bfen§ „5ßeer
©l^nt" ba§ gerabe ©egent^eil. SKon fielet, mie öieleS fid^
aud^ im ®^ara!ter ber bönifd^en Siteratur berönbert i)at
3tun ju OriegS aWufü. @ie befielt auS öier 2;an5=^
ftüdEen unb je einem SSorfpiel ju ben fünf 8l!ten be§ S)rama§.
3m $^ilf|armonifdE)en ©oncert befamen h)ir nur öier bon
bicfen neun ©tüdfen ^u l^ören. 1. S)a§ 9SorfpieI jum öierten
9Ht, „SKorgenftimmung", eine freunblid^e Sbi^He, mit tanjen-
ben Sid^tern öon gfötentriöern auf ber leidEjten, gleid^mä^igen
SBettenbenjegung. 2. S)er jierlid^e %ani ber fd^Ianfen Sebuinen*
todE)ter STnitra; reijenb in ber ©rfinbung unb ^auber^aft in=
flrumentirt. 3. Sin mel^müttiig ftiÖeS Slbagio in A-moll auf.
ben 3^ob öon $eer ®t|nt§ äRutter; bie fd^Iid^te, liebmäfeige
aSeife burd^ einige geiftreid^e |)armonien gehoben, ©nblid^
4. ber ungemein d^aratteriftifd^e , fd^merfättig barode 3^anj
ber ättJerge in ber |)ö]^Ie ber „Srott^^ßrinjeffin". S)ie übri-
gen ©tüdte, bie burd^auS intereffant, bod^ übertt)iegenb öon
jerriffener gorm finb (tt)ie ber „©eeflurm"', bie ©cene jttJifdEien
ber flel^enben ^nqxib unb bem unerbittüd^en 5ßeer @^nt, baä
aSorft)ieI jum „|)od^äeitS]^of'0, ^at man, ate für fid^ fd^n^er
öerftänblid^, t)on ber Soncertauffül^rung auSgefd^Ioffen.
S)ie 3ul^örer l^atten fid^ für ©rieg an Seifatt fo öer^^
fd^ttJenberifd^ ausgegeben, ba§ unS für bag ©d^idffal ber barauf-
folgenben SRobitat, einer @^mt)^onie bon S)t)ofaf,
29*
340 <£^. Vtanslid,
bemalte bang iuurbe. %tö le^te stummer auf ben gefa^rlid^ften
$Ia| gefteQt, f^ai fie tro^bem mit ben ed^teften SDlttteln geftegt.
2)a§ äSerl, t)on Anfang btd jum Snbe unt)erfenn6arer 2) t) o r a f ,
ift bod^ grunboerfd^ieben Don feinen beiben erften, in SSiien
befonnten @^nH)]^onien. Sie Hingt freunbli^cr, ftorer, ^)0}}u*
lärer aU bic erftc, }}at^etifd&e in D-dur unb bie jmcite tnifb«
romantifd^e in D-moll. J)ie (noc^ ungcbrudftc) neue @^m*
Päonie, op. 88, fielet in G-dur; ber ^örer bürfte füglid^ QU^
G-moU fagen, benn in biejcr lonort beginnt ber erftc ©Qfe
(AUegro con brio) unb üerttJeilt barin üotte fed^jel^n Softe
lang; bann erft intonirt bie gfötc ba§ atterliebfte I^ema in
G-dur. Unb bod^ finb jene fed^je^n SKoHsSaftc wieber me^r,
aU eine blofee ^i^trobuftion, fie bilben ein gefangüolleg I^cnta
für fid^, ba^ na^ bem ©eitentl^ema in H-moU öottftänbig
mieberfe^rt. J)t)ofaf liebt ei^, mit üielen aWotiöen ju arbeiten,
toa^ eine gütte öon Qbeen, aber l^äufig aud^ eine eigent^üm*
lid^e Unruhe in feine ®tndt bringt. S)a§ crfte Ättegro, fomic
bag abagio feiner neuen @5m^)^onie fliegen jtoar in einem
3ug ol^ne laft* ober lentpomed^fcl ba^in, l^abcn aber trofe*
bem burd^ ben SBed^fel öerfd^iebenartigcr @m|)finbungen et\m^
8t^a^)fobifd^ei8. Originell toit ber erfte @a^ in feiner jugenblid^en
grifd^c ift anö^ bag Slbagio in feiner fanften Sefd^aulid^feit.
Stud^ l^ier giebt e§ für ben ^örer tttoa§ ju ratl^en. J)ai?
Stbagio beginnt mit einer äRelobie in Es-dur, bereu ®nbc
erft in bie ^au^)ttonart C-raoU einbiegt; übermiegenb beloegt
fid^ aber bag BtM in C-dur unb fc^Kegt auc^ fo. Sletjenb
ttjirft ba§ jloeite I^ema, eine getragene äRelobie ber glöte,
meldte burd& bie ©eigen in rafd^ abfteigenben ©ejtafforben
staccato begleiten. ®ann werben bie SioIIen getocd^felt: bie
SSioIincn bringen ben ©efang, glöten unb Klarinetten bie bc«»
gicitcnbe ©taccatofigur. ^m ©c^erjo, einem Slttegretto in
G-moll, l^crrfc^t weniger grol^finn ober ^umor, ate öielme^r
4
Sympljonie »ort Dootaf. 34 1
Die ruhige ©rajic bc5 SWcnuctt^. 3la(f^ bcm %xxo toxxb l^cr*
fömmlt^ertDeife ba^ ©d^erjo mteber^olt, aber anftatt bamit ju
f daliegen, ftürjt [xd) ber ®oni})omft — „bcr SBcnjcI fommt!"
— lofifüber in einen )}otIaartigen berben Sanemtanj. St)of af
ffSiitt Dielteid^t n^ol^Igetl^an , biefe überjlüffige Soba, bie mel^r
bö^mifd^ atd fd^ön x% gana au unterbrüden. 2)er einl^eitlid^fte
unb miilfamfte ®a| ift ba^ finale. SSon einem Xromt)eten'
fignal angeffinbigt, ba^ gleid^fam $abt Sld^t! ruft, tritt ein
onntutl^igcS, gebunbeneg Sl^cma Quf ben 5ßIon, eine liebartige
SRelobie in jtoei ad^ttoftigcn Il^eilen, bercn jeber vtptüxt toirb.
aWan nterft, bag e« auf SSariattonen abgefefien ift, unb in ber
Xl^at folgen folc^e in gleid^em f^mmetrifd^en Stammen. 2)a9
Secuta, in bcn brei Ionen bc^ G-dur-S)reifIong^ auffteigenb,
ift aui^ beut ^au))tmotit) bei^ erften @a^e§ gebilbet. STlit
raufd^enbcm Subel bridbt e^ jeitnjetlig im gortiffimo beS
ganjen Drd^eftcr« lo^, eine Strt gläujenbeg „Tutti^^ öon
padtcnber ©ewalt. 3)oS ganje finale ift trofe feiner feinen
^armonifd^en contra)}unftifd^en Slrbeit t)on unmittelbarer
äBirfung. Ueber^aut)t (ögt ftc^ auc^ biefem SBerle 2)t)ofafö,
bad 5U ieinen aQerbeften jäl^tt, nad^tü^men, bag ed nirgenbd
))ebantifd^ ift unb bod^ in feiner Ungebunbenl^eit nid^td weniger
aU naturaliftifc^. 2)t)of al ift ein ernft^after ^finftler, ber t)iel
gelernt l^at unb bod^ über bem ©elernten feiner SRoiöctät
unb grifd^e nic^t üerluftig gemorbcn ifi ?tug feinen SBerfen
ff)ri^t eine originelle ^erfünlic^feit, unb aud biefer ^erfdnli^^
feit n^el^t ber erfrifd^enbe Stirem bei$ UnDerbraud^ten unb Ur«
ft)rfing(id^en. ®ie finb balb üppi^tx, balb unfd^einbarer, ba(b
l^ö^er, ba(b niebriger gen^ad^fen, aber gen^ad^fen finb fie aQe.
Unb biefei^ natürlid^e blfl^enbe äOSad^dtl^um ift td, toaS in
unferer Qtit ber bor^errf^enben 8flef(e^on und rafc^ gewinnt
unb ttjitlig feft^ält.
342 €b. fjanslirf. •
„Sinfonie fantastique" oott 23er f 105.
S)tc „Suftf}}ictDut)crtürc'' üon gticbrid^ ©mctana ift
ibentifd^ mit bcr Dutjcrtürc jur lomifd^cn Dper „Prodana
faevesta" (btc ücrfauftc Staut), wclci^c in ^rag 1866 i^rc
er ftc «uf fül^rung, im Saläre 1 886 fd^on i^rc 1 50. erlebt ^ot. Sieben
SmetanaS „Sufe" (Hubicka), ber nid^t, toxt ber S)ocji?(^c,
an einem ^)t|ontaflifd^ f|)anifd^en $)of, fonbern anf einem bö^=
mifd^en Sorfe f^)ielt, bc]^am)tet jic^ bie „uerloufte 95raut^ aö
bog betiebtefte ©tüdt bei^ national^cjec^ifd^en D|)ernre^)ertoireS.
S)ic Duöertüre büifte i^re 5ßo})ttIaritat nid^t auf eigene %avi\t,
fonbern erft mit unb burd^ bie D^jer felbft ertt^orben l^aben,
benn fie ftjenbet fid& me^r an ein mufüalifc^eg ®Iitefor^)§, afö
üxi ba§ ;,gro6e'' 5ßublifum. J)ag |)feilfd^nett toit über ein
SSäel^r l^erabftürjenbe Säiolintl^ema mirft ungemein belebenb
unb tt)irb contra|)unftifd^ trefflic^ verarbeitet. Sin leicht na«
tionaler 8lnflug ftreift nur ba^ ©eitenmotiö. SDie Duöertürc
ift ein breit auiSgefü^rteg, organifd^ enttpidfeßei^ SRufif ftüdt, fein
5ßott)ourri. Sie fönnte mit S^ren jebcg ®^afef|)earefd^e ßuft*
f^)iel einleiten. Sei feiner, üorne^mer Spaltung fjjrül^t fie bod^
Seben unb Suftigleit. ÖQerbingS bie Suftigfeit eine« geiftreic^en
äKenfc^en . . .
3n ber S3rat)our=Slrie „SWartern aller arten" aug ber
,,@ntfü]^rung" l^aben wir me^r bie ©efangiJöirtuofität ber Silli
S e 1^ m a n n bemunbert, ate bie Som^jofition SKojart«. S)arauf
l^atte er felbft e« ja abgefel^en. SRit ber il^m eigenen liebend*
njürbigen gügfamleit in ^)erfönlid^e unb lolale Slnf^jrüc^e forgte
er l^ier für bie Sraüourfängerin ©aualieri, meldte bie füge,
freunbtid^e ®tmf)x(f)tii be« (^lönjeng aud^ an un)}affenber
©teile nic^t aufgeben fonnte. Unb un}jaffenb, n)iberf|)red^enb
fte^t biefe im ^jatl^etifd^en 5ßrunlftif ber Opera seria gefd^rie«
i
A
2Irie ber <£onftan3e. „Sinfonie fautastique" von Bcrlioj. 343
benc Slrtc mitten in SWojart^ l^citcrcm bcutWen @in9ft)tcr.
S)a 5U bicfcm inneren SBiberf^)rud^ fid^ obenbrcin ber äWongel
Qn Sängerinnen gefeilt, ttjcld^e bergleic^en o^ne Sebenggefal^r
ausführen fönnen, fo tt)irb bic SWarter^Slrie faft überott in
ber Dptx njeggefaffen. 3^^t ^at grau Sel^mann ftc mit großem
©rfolg in ben Koncertfaal t)txp^an^t, too^'m dn Sraöour*
ftüd biefer ^rt jebcnfaög beffer pa^t Slud^ nod^ anbere
StüdEc in ber „(Sntfül^rung" öerratl^en, baß SKojart nod^ mit
einem gu§ in ber italientjc^en SRufif ftonb, atö er baS crfte
Sunftmerf beg beutfc^en ©ingfpiete fd^uf. ®iefe S^^i^ft^öltig*
feit im Stile ber ,,(Sntfü§rung'', bie un§ burd^ i^ren beutfc^en
§umor entjüdEt, burc^ i^ren veralteten ttjälfc^en 5ßu^ abftöjgt,
fann man nur befragen, ©ic l^at in ben 83rat)our*Slrien ber „^ü^
nigin ber SRad^t" nod^ ein ftjeitereSSeitenftüdbefommcnunbfomit
bopptittm ®emic^t bie ftilgemäge gntnjidEfung ber beutfd^en
fomijd^en Dptx um ^a\)xt jurüdEgefialten . . »
@ine außerorbentlic^e Sciftung be§ Jj^il^armonifc^en Dr*
C^efterg ift bie „Sinfonie fantastique'* Don SSerltOJ.
SebeSmal, ftjenn id^ fie nad^ längerer S^i^ toieber f)öre,
fü^te td^ mid^ einige Stufen ober Sre<j|)enabfä^e l^erabftürjen
üon meiner einftigen S^geubfc^mörmerei. (£§ tröftet mid^,
\>a^ e^ bamit anberen genau fo ge^t. SDen befriebigenbftcn
©inbrudt machen nod^ immer burd^ i^re gefc^Ioffene Sorm ber
„93att" unb ber „ipinrid^tunggmarfc^". gm erftcn Safee, mic
im Slbagio njtrfcn tt)ie e^emafö einzelne Steßen von burd^*
bol^renbem ®Ianj ober ttje^müttger ^nnigfeit — aber bie ^attlofc
gerfal^renl^eit biefer Sä^e, bic bürftige Slu^fül^rung i^rer nid^tS
weniger aU bebeutenben I^emen bei fo unoer^äftniSmäßiger
Slu^betinung faßt un§ um fo betrübenber auf. Ser Ie|te,
fünfte Sa| ift einfad^ l^äglic^, mit einem ftar!cn StidE) ing
Säc^erlic^e. Serlioj felbft l^atte feine Sebenlen bagegen; er
brachte in SBien unb anfangt aud^ in 5ßra0 nur bie erften uicr
344 €^. ^anslirf.
@ä^e ber S^mt^^onte jur Sluffü^ntng. Srft afö ber l^od^ge^
ftiegene ^tl^ufia^niud ber fraget i^n gegen iebe ®efa]^r feite,
ga6 93erlt05 in einet ff)ätcren SBteberl^oIung avtä) ha^ berüd^*
tigte ginoTc. 8luf einem Sinkflüge nac^ SBien begriffen, mußte
ic& jenei^ benfmürbige ©oncert o^jfern. S)a toar Seriioj fo
(iebendmürbig, mtd^ über biefe^ SSerfäumnig mit eitttgen ^umo«
riftifc^en S^Wcn ju tröftcn. ®r fd^rieb mir ouiJ 5ßrog om 5.
8l^)ril 1846: „Henri IV öcrivait: Pends toi Crillon, nous
avons vaincu ä Arques et tu n'y etais pas! Notre Sab-
bat a etö ex^cutö mardi dernier; cependant je ne yous
engage pas ä yous pendre, car il peut allez beaucoup mieux.
Mille amities, et revenez nous Yite!*^ S)ie jüngfte 9(uffit^«
rung unter |)onn^ {Richter, n^elc^e äSerlioj gemig ni^t „beau-
coup mieux* < gelDünfd^t l^ötte, rief mir fc^öne S^genbtage,
aber aui) bie Ueberjeugung jurüdt, ba§ ber ^^cgenfabbat^"
am beften mirft, toenn man il^n — njegläfet.
23 r a § ttt $' D-moll-Öottcert.
Stur feiten njagt fid^ ein Älaöierbiertuofe an Sra^m^'
D-moll-ffioncert, bag mir nod^ langer ßtii tüieber einmal bei
ben 5ß^iIt)armonifern ju l^örcn bc!amen. S)ie ©d^n^ierigfeitcn
biefc^ aSerfeS, äußere unb innere, geben nidfet bem @|)ieler
aöein, fonbern aud^ bem ^örer ju fc^affen. 3c^ gefte^e, \)a^
mir ba^ D-moll-®oncert trofe feiner unDeifennbaren (Genialität
anfangt h)eit mebr abme^renb aU angiel^enb gegenüberftanb.
©eine genjitterfd^tt^üle, öerfengenbe Seibenfd^oft unb Irofe«
gen^att fc^eint ba^ ®emät]^ bei^ $örerd mie ein 2)ämon bed
5ßcffimi3mug ju bebrol^en, ttJäl^renb unfer mufifalifd&e^ S)enlen
ftc^ glei^^eitig an ber Söfung feiner contra^^unttifc^en ©el^etm?
%
Braljms' ü-moll-(Loncert. 345
nvffc abarbeitet. 3Ratt muft biefe^ möd&tiflc lonftüdt lieber*
l^ott t|dren unb gut l^ören, um feine eigenartige unb l^erbe
©c^ön^eit ganj ju erfaffen unb ju genießen. S^ Sra^m^'
^toeitem Soncert, bai^ nur ^u erflingen braud^t, um ju fiegen,
öer^ätt jid^ biefe« crfte ungefäl^r toit feine erfte &t)mpi)omt
^ur jmciten. Slic^t nur in i^rem finfteren , milben ©d^mcrj*
gefü^l, aud^ in ben änHängen an Seetl^ooeniJ „Slcunte"
berül^ren ftd^ Sra^mg' D-moU-Eoncert unb bie jtoanjig ^Qf)xt
\pakxt C-moll-@5nt^)^onic. SRie juDor toar ein ftlaüicrconccrt
mit fo emfter, ftrenger Siebe aufgetreten, fo burc^auiJ f5m}}]^o^
nifd^ unb allet bloß gtöngenben SBirfung abgemenbet. äBie
merfroürbig, baßSralömgbaS D-moll-Soncert, einSQäerf gereifter
äRannl^eit unb SWeifterf d^aft, al^ Süngling gefd&rieben unb üor mel^r
afö brcißig Sauren fd^on in Ztip^XQ öffentlich gef^jielt l^at!
äBer ba^ @tfld Don iBra^md felbft ober Don 93üIom
einmal gel^ört, ber mod^te an bem SSortragc be^ $erm
Seonarb 83 ortoi dt gar öieleiJ üermiffen. @« fe^tt bem
jungen SKanne nod^ an aui^reid^enber Sraft, geiftiger ttjie
^jl^Jjfifd^er, gerabe für biefc Stufgabe. $err ^oxtoxd jiel^t
mcnig SEon an^ bem Slaöicr; fein Slnfd^Iag ift flac^ in ben
©efangfteHen, l^art unb bod^ unauSgiebig im gorte. Sorreft
ipar aQeg toicbergcgeben — wag aDcrbingi^ fd^on eine be*
beutenbe Icd^nil beioeift — aber bie liefe' unb Seibenfd^aft,
bie brennenben garben fel^Itcn. 3n bicfcr fül^lett, rcinlid^cn,
unanfiögigen SSortrag^wcife fam mir $crr 8ortt)idf beinahe
Dor tt)ie ein englifc^er ©entleman, roag er aud^ ttJirfUc^ ift.
J)a3 lefete ^©efellfc^aftgconcert" war, ganj im Vertrauen
gefagt, eigcntli^ langweilig. Sft «^ möglid^? SBerfc Don
»-« « * s
346 €b. ^anslirf.
^aljbn, @d&ubcrt, SBognet ncbft einer Sloüitöt öon ^erj
ärnolb ffirug? 3a, eg giebt eben Sangmeile t)on öcrfd^iebeai*
artiger gf^^i^be, ©törle unb Stu^bel^nung. 9}ian lann fid^ ))ie^ät«
öoQ ober rücffid&töloS langmeilcn, bußfertig ober müt^ciib,
öoruberge^enb ober unüergeBIid^. S)te B-dur-S^mp^onie be«
19jö§rigen ©d&ubert, bag mar bie gemütl^Iid^e Songmctie;
man fonnte babei nid^t bö§ merben. Sie fpielt ftd& ol^ne jcg*
lic^e Ueberrafc^ung unb ?lufrcgung, fo bürgerlich bequem unb
fetlftuerftänblic^ ab, bog mir ben @d&öt)fcr ber fpäteren großen
C-dur-S^mp^onie laum erfennen. greitid^ liegen ^mölf ^a\^xt
jmifc^cn beiben — für Schuberts munberbor fc^neöeS SBac^g*
tl^um ein l^albeS ga^r^iunbert. Sßur bag ©d^erjo in G-moU
uerrät^ unfern Sranj ©d^ubert, inbem e§ an fpätere, beffcre
©c^er^og Don i^m anflingt; öorübergc^enb auc^ bag Anbaute,
mo e§ uac^ bem Stbfd^Iufe beg ^auptfaje§ in Es-dur unüer*
mittelt ben E-dur-9lf!orb pait unb einige fd^üc^terne roman*
tif(^e fö(änge anfc^Iägt. SlßeS Uebrige, jumal ber ganje erfte
unb le^te ©a^, fd^medt mie ein fc^mac^er 3lbguß t)on ^a^bn
unb äWojart. 3Kan meiß immer je t)ier Safte üorou^, o^ne
ben Dier tiorl^ergegangenen gerabe nac^jumeinen. 2)ai^ ®e-
l^eimniß ber mufifalifc^en S33ir!ung befielt aber im ®runbe
barin, bafe in ber Kompofition aßeg fo fommt, mie e§ lommen
muß, unb bod^ ganj anberö, als mir ermarteten . . . „'S)tx
©türm" üon ^al^bn, ein befannteS S^orftüdt, baS el^ebem
im SSSiener ©oncertteben eine große 3totte gefpielt ^at, ift für
Sonbon im gal^re 1792 componirt. ©eit biefen 99 S^^ren
^aben mir gan^ anbere „©türme" erlebt, in ber SRufü, in
ber 5ßoefie, in ber SBeltgefc^ic^te, im eigenen ©eelenleben.
SBenn ^o^bn nac^ bem furjen ©emitter bie ©itte „Komm'
bod^ mieber, fanfte Stu^'" unjö^Iige äRale (ang audbe^nenb
mieberl^oft, bann beginnt ganj fanft bie ,, fanfte 3tuy in
fanfte ßangmeile ju gerinnen .... S)er „©l^m^j^onifd^e ^Järolog
<£ompoftttonen von 5d?ubcrt, Bayön, IDagucr u. 21. Krug. 347
ju ©l^afefpcarc« Dtl^cHo" öon Slrnolb Srug ift burd^oui^
niobcm unb bcmgcmä^ auä) unferc Sangtpcilc eine moberne,
gereijte, nerööfe. SBeber bie finfter brütenbe ©micitung, noc^
baS ausgebrütete C-moll-9ltIegro, mit Dtl^ettoS ©iferfuc^t unb
bem contraflirenben S)eSbemona*3Kotiü — einem auf Warfen*
or^jeggien fd^toimmcnben Dboefolo — gewinnen übergeugenbe
SRad^t über ben ^örer. S)a6 bcr ©omponift fd&IieBti^ jum
®rbroffeIn bei' atmen S)egbemono breimal foüict 3^** wnb
Änftrengung üerbraud^t, oB Dt^eHo felbft, baS mag i^m bag
gequälte D<)fer üerjei^en — mir fönnen'i^ nic^t. SSor brei
Sauren brachten bie (Sefeüfc^aftäconcerte eine f(eine ©antote
üon Srug: „S)ie äRaien-föönigin", ber man jmar leine origi*
neuen S^^een, aber boc^ gute fölangmirfung unb eine gemiffe
gefällige Si^rif nac^rü^men fonnte. ®er „@t|mp^onifc^e 5ßroIog
5u Dt^ießo" (fonft nannte man ba« einfach eine Duöertüre)
f d&eitert an ber gewaltigen tragifc^en Slufgabe, meldte bie föraft
bei^ Somt)oniften übcrfteigt imb mit aufgeregten ^^rafen unb
billigen Drc^eftereffeften nic^t ju erlebigen ift. Swm ©d^Iuff e :
bie „®ralgfeier" au« SÖäagncrS „^arfifal". 3m Sa^rcut^cr
X^eater ^at fie gemi§ noc^ niemanben gelangmeilt, im ©oncert^
faale nimmt fie fid^. biefe grei^eit. 3)ort bemunbern mir an
bem ©tücfe bie unerfc^ö^jflic^e malerifc^e 5ß^antafie, bie ii)^a»
tralifc^e Snft)iration SSäagnerS, meldte in jebem öül^nenmerfe
immer neue feffeinbe öitber 5U fd^affen mcife.*) S)er ganj
*) (äJuftaö gre^tog er^ft^It in feiner eben erfrf)ienenen ©elbft*
biograp^ie, wie i^m SSagncr im ^af^xt 1848 ^uerft mitget^eilt ^abe,
bofe i^n bie 3bee ju einer großen Oper befcl)(iftige, bie in ber germa*
nifc^en ©ötterioelt jpielen fotlte. 3)er Sn^alt ftanb i^m nodft nid)t feft,
aber moS i()n für bie 3bec begeifterte, wax ein dijox ber SBoIfüren, bie
auf it)ren 9?offen burd) bie iiujt reiten. S)iefe SSirfung fcftilberte er
mit grofeem geuer. 3)a§ ©c^meben in ber fiuft unb ber ©efong ouS
ber ^'6t)t \mx für if>n gerabe boS ßorfenbe, iüa§ i^m bie ©toffe au§
348 €6. fjaiislitf.
cigenaittge, imt)ofante Stnbrud bicfcr ®raKfctcr ^aftct aber
unablöjJbar an bcm fccnif^cn SSorgangc. 3nbcm man bicfc
@cene in bcn (Soncertjaal überträgt, n^o fie farb(oS, finnlo^,
unbcrftänblid) unb crntflbcnb ift, Iciftct man mcber bcm SSScrfe,
nod& bcffcn Utl^cbcr einen 3)tenft, fonbern ^öd^ftcn^ ber 9teu-
gierbc be^ ^ßuMifum^. 3)iefc ^at bereite bnrd^ ein @ral*
concert unter Q, Sticktet (1887) i^r Dt)fer crl^alten; jebc
SSieberl^oIung lann ben ^i^^^^i^tii i^icfer S3er))jlan2ung unb SSer«
Irü))pelung be^ Originale nur nod^ auffäQiger mad^en.
©ac^g ftirc^encantate „3^^^ l^attc öicl ©efümmernife" ift
eine ber foftbarften perlen aus bem und nur unöoHftänbig
erhaltenen unb trofebem faft unüberfc^baren ©c^afe öon ffiird^en*
cantaten, ttjeld^e ber arbeitSfrol^e unb gotteSffird^tige SKcifter im
Saufe ber gal^re aufget^ürmt ^ai. S)ie Slnfangömorte: „^ä)
l^atte öiel ©efümmerni^ in meinem ^erjcn, aber beine
Iröfiungen erquidtcn meine ©eele", preffen ben ganzen ^ni)aii
beS SBerfeg mie in eine %i)t[\^ jufammen, toelc^c bann in
jebcr i^rer beiben §ölftcn, ber betrübten unb ber getröfteten,
mit bem mä^tigften iperienSantl^eit ausgeführt ttjirb. 3)ic
Kantate beftel^t an^ einer Drt^cftereinleitung (Sinfonia) unb
ac^t SSoIalfä^eu. 9Son ben @oIogefängen gebührt n^o^I
bie 5ßalme ber t>on einer Dboe umranftcn @o<)ran«?tric in
tiefer ©ötterwelt ^uerft üertraulicft mad^te. „9^un ift" — fc^Iiefet grret)*
tag — /ffür einen ©d^affenben nichts fo cftarofteriftifc^, alS baS (i\,
aus loelcftem fein SSogel herausfliegt. 3)ie grcube an unerhörten 2)e!ü*
rationStoirfungen ift mir immer qIS ber ®runbjug unb baS ftiffe Seits
motiü feines ©c^offenS crfd^icnen."
9
Cantaten von ^adi unb fjänbel. 349
C-moll. @ic l^at (tüic ouc^ btc jmcttc lenur^Äric in F-dur)
eine Süfee unb SugenMic^Iett ber SRelobie, \ok mir fie bei
^a6) feiten antreffen; tnir möd&ten, fo uncr^ebfi^ fonft bie
Scil^rei^ringe gerabe bei ^aä) finb , ber frfi^en @ntfte^uttg$jeit
(1714) elmag öon biefem Sletje guf (^reiben. 3)ie Ienor»?tric
in F-moll, „Säc^e Don gefallenen 8äi)xtn*\ mit i^rem fo er*
greifcnben begleiteten Slecitattt) ift ein merfmürbige^ Silb raft-
Io8 tDü^Ienbcn ©d^merjeS. Ungteidt) fc^möd^eren , faft be*
frembenben SinbrudE mad^t baiS breit ani^gefponnene 3)uett
jtüifd^en ©opran nnb 8a§. S)ie „gWnbige ©cele", eine
ftereot^pe Srfd^einnn^ in ber ölteren ))i:oteftantifd^en Sird^en«
mnfif, tritt l^ier in unmittelbaren SEBcd^felgefang mit bcm §eiIonb.
S)ie t)ietiftifd&e ©üBIic^fcit biefe« ©tüdteg toerftimmt un§ unb
bie unerfattli(^ micber^olten ®egenreben : ;,ffomm', mein gefu,
unb erquidte — 3a, id& fommc unb erquidte'' — „Stein, ai^
nein, S)u l^affeft mid^ — 3^, cid^ ia, i^ liebe S)id^!'' üerfefeen
und au$ ber ^irc^e in bie D))er, 'äl^ ici) t)or etma brei^ig
3al^ren btefeS Sebenlen gegen bad 2)uett ünd\pxa6), mürbe id^
t)on einem ber ®encral^ä(^ter bed Sad^futtud gel^örig abge»
fanjelt. @d erreid^t mid^ je^t bie befonbere (Senugtl^uung, ba§
ber gelel^rtefte aller S3ad^t)cre{|rer, 5ß^iIiW ©pitta, in feiner
Kaffifc^en ^xogtapi)xt bad S)uett „einen gerabCju munben
^ßunft" ber S^antate nennt, „ein ©tüdt, baS überall bcn ®in*
brudf eined reijenben SiebcdbuetteS mctd^en mufe". „Äffe
Äirc^enmufif," fagt ©pitta, „l^ört auf, fobalb jmei 5ßerfönlid^*
leiten berma^en fid^ in Slufforberung unb ©emäl^tung, in
SBiberf<)ru(^ unb Suftimmung mit einanber ju t^un machen,
mie ed l^icr gefd^ie^t. S)a§ S)uett ift, mag Sird^enmufif nie^»
mate fein borf, bramatifd^. ^aä^ l^at, ed mu^ leibcr gefagt
mcrben, nic^t nur nichts getrau, um bad SSerfel^Ite ber 2)ic^tung
5u milbern, fonbern eiJ burd^ feine Se^anblung no^ gefteigert."
©otc^e Unbef angenl^eit bed Urt^eild ift ©))itta ^od^ angured^nen ;
350 &. £?aiisltrf.
fic I)at i^n gcmiß» einige Ueberlüinbung gefoftet. SBer mit ber
ganjen (gnergie feir.cr Siebe unb Sertjunberung an einem S^on=»
bii^ter l^ängt, in aufopfernber, jal^relangcr Sltbeit beffen Seben
erforfc^t unb barftettt, bem gefi^iel^t c^ unöerfe^en^, ba§ ber
4)elb feinet ©ud^c^ i^m fd^Iecfitmeg aU ba§ ^beal erfd^cint,
i^m ba^ SRaB aßer S)ingc ipirb. ^d) glaube, unferc beiben
berühmten SRufifforfc^er @t)itta unb S^rljfanbet njütben
aufrid^tige Siebe für ^ai^ unb Raubet nod^ üicl me^r geförbert
unb gefeftigt l^abcn, n)enn fie ^in unb n?ieber, toie in öor^
liegenbem gaß, n)irf(id^ gefagt l^ätten, „toa^ leibet gefagt
n?erben mu§". Unter anberm aud^ über bie fd^rcdflit^en
^jietiftifd^en 5ßoefien öon ©alomon grandE unb ä^nli^er S)id^ter,
bie 83ad^ mit SSorltebe „unb nid^t bIo§ auf ^ö^eren SSSunfd^"
in SKufif fefete. S)ie attju milbe Seurtl^eilung biefer ^fingen-
ben edangelifd^en ©d^n^anen'' mai^t un^ üerbrieglid^, Ujic biefe
^oefien felbft. 33on ben Stören ber Santatc tuirb man
balb bicfen, balb jenen aU ben fcfiönften benjunbern, je nad^bem
man abmec^felnb fic^ barin öertieft. 8luf bem ©oben, ben ber
erfte S^or fd^tic^t unb fräftig öorbercitet, erl^ebt • fid^ ber Kl&or :
„SBa§ betrübft S)u S)ic^, meine ©cele'' ju rieflger ^ö^e, ftarrenb
im Sleic^t^um poIl)t)^oner Sunft, unerf(^öt)f{id^ in immer neuen
SQSenbungeri, äKenbeföfol^ng Som^jofition berfelben 5ßfalm^
tt)orte ftel^t in i^rer mobernen ©anftmutf) tok ein Sinb ba^
neben, ^m j^citen S^tieil ift ber Sl^or: ^@ei nur iDieber
jufricben" (K^oral mit guge) öon überlDöItigenber Kraft unb
(gr^aben^eit; bie 5ßoI^<)]^onie njirft l^ier in itirem eigenften
SIement, mit einer nur öad& erreichbaren greil^cit ber Se«
megung. (g§ toax eine öottreffti^e 3*^ee ©eridei^, bie S^orat*
melobie („SBer nur ben lieben ®ott ta^t »alten") t)on jel^n
oben auf ber Drgelgalerie t)oftirten Knaben fingen ju laffen,
moburc^ biefer ftimmenumftod^tene Cantus firmus gleic^fam
ffir Slug' unb Dl^r <)Iaftifd^ l^eröortrat. SUlit einer bei ^aä)
5ympl]onie»0be von ^^an Kouis ITicobe. 351
fcitcncn, befto nte^r an §änbcl mo^ncnbcn ©onncnHarl^cit
itttonirt bcr ©(^lufec^or unter ItonH)ctenöcfc6mcttcr ein auf
ben 3ntert)aQen beö C-dur-S)rciHan9ei^ mac^töoö auffleigcnbeiJ
I^ema, bag im SScriauf ben ©d&mud reii^ftcr giguration fieg*
teid& burc^bringt.
3)iefe ^o^^eitgfontatc öon ^änbcl ift eigentlich eine ®om«
bination aug ben beiben „Wedding-Anthems*^, bie fid^ im
36. ©anb ber großen |)önbel*?luggabe befinben. SBer bie
tt)ic^tigftcn ©ad^en bon §änbel lennt, ber mirb in biefen beiben
^oc^jeitiSlantaten nid^t t>xd 92eue^ erlebt l^aben. %xtxlxä^, menn
|)änbel einen jubelnben Kl^or in D-dur mit Irompeten unb
^ßaufen entfeffcU, bann i\i bie SEBirfung jebegmol fid&cr unb
ftarl, mag fic aud^ noc^ fo fe^r an Stel^nlid^eS t)on biefem
SReifter erinnern, gn ben brei Strien („Selig ift ber äKann,
ber fanb ein treuem S33eib", ^^(Sin gut' SBeib ift eine gute
©abe" unb „Sraft unb ß^re finb il^re ©d^üfeer'') l^crrfc^t ein
biebcrer ©ratulation^ton unb etmoS nüchterne geftftimmung.
SBietiiel l^at boc^ ipänbel angenommen Dom engUfc^en SSotfö«
c^arafterl ^n biefen ^oc^jciti^muftlen buften bie „Wedding-
cakes" unb f(^allen bie englifc^en 2;ooft»9leben öon ber Sic*
rebtfamleit ber 2;enor*8lrie, in njeld^er bie SBortc „fie toirb fic^
freuen, fid^ freuen" ad^tunbbreifeigmal njieber^olt werben.
.^"^a» «Sleet^S !&t$m:))Qonie-®5e für Süänn^rtOor, ®r(§e|f(r nnb ®rg(f
tiott 3ean £om$ »Rico 5 e.
S)urd& i^re ©ejcid^nung afö „©^m^j^onie^Dbe", burd^ i^ren
tonmolerifc^en ©toff unb bie ?lbh)ec^felung öon rein inftrumen*
taten mit S^orföfeen erinnert SWicobej^ „SReer" an bie
;,SBüfte" bon geticien S)at)ib, ol^ne icbod& — um bieS gteid^
ju fagen — bereu tiebenSmürbige grifd^e unb JRatflrtiAfeit
352 €b. BtansVxd.
}u crrcid^cn. ?Bir l^abcn $crrn SRicobe öor jtüci Solaren 51
erftcnmal a(d Som))ontficn t)on jmdlf „@t|tn)7^onifc^en SSartl
tionen'' Icnnen gelernt, in meldten bie öirhtofc äßad^e oöei
bingd ben eigentlid^ fd^d)7feri{d^en $em übermog, imtnerM
aber gügc eined feinen unb fieberen mnfifalifd&en lolcntel
aufn^ieiS. %>a^ nene SBerf jeigt und ben S)regbener Som»
poniften nod^ weiter Dorgefd^ritten in ber ^Bereitung aßeiil
erbenftic^en filangeffclte , aber cbenfofe^r jurüdgegangen t
bem fubfianjieQen ntufilalifd^en @el^alt, in ber originellen @r«
flnbung. ffflit ÄnSnal^me jmeier refleftirenber ©tcHen, bie
etmad gemaltfant in bie Slaturfd^ilberung ^tneinget)reBt unb
t)om @^omponiften ju gan} unDer^altnidmägiger Streite aus«
gebe^nt finb — ben ©d^IugöeriJ öon ^ßbbe unb gluil^'' unb
bad ©^tempore „^a^ ift bie Siebe!'' — gel^t bie ganje ©onir
pofition in Sionmalerei auf. S)afür erft^einen bie S)inien^
fioncn ber ?ßartitur öiel ju grog. 3Ran !ann mit SSergnügcn
fteben @tunben @eefa]^rt auSl^alten, nid^t aber fteben lange
©ä^c mufifalifd^ er ©ecmalerei. S)ie ©efal^r ber SRonotonte
fud^t SWicobe burc^ einen Stufmanb btcnbenber ffilangeffeftc
unb burd^ einen conH)Iicirten 3nftrunientena<)<)arat ju be*
fiegen, mie er in fold^er SWaffe unb ?lufbringlid^feit im
Koncertfaal nod^ nii^t erlebt tt)orben ift. gn beut ungemöl^nlid^
ftarf befefeten Drd^efter arbeiteten unter anberm 4 ?ßofaunen
unb 5 Siuben, 2 5ßaar 5ßaufcn, Siriangel, Sedfcn, lamtam,
groge Irommel, ein ®IodEcnf<)ieI , baju ^arfe unb bie große
Drgel ! SBag ba für abcnteuerlid^e Sffelte einanber Jagen,
ift ni(^t ju befd^reiben : geftot)fte Srompetentöne , d&rontatifc^e
©ejtenläufe ber §oIjbIäfer, ®eigen<)i}5ifato§, anl^oltenbcr
Il^eaterbonner auf ber großen Irommel, ©ellirre ber Sedfen
mittete ©d^Iögel, ©clngerc^or l^inter ber ©cene, ?ßofaunen(^or
au^ ber gerne, einmal „bei gefd^Ioffener", bann bei „offener
I^ür" ($ßartitur ©eitc 79, 117) unb fo weiter. S)ieiJ atteg Iic|e
\
i
Quartett oon &. (Srieg. 353
^or ^" jt fic]^ nod& cntf d^ulbigen, tücnn unter bief cm aufgekauften mufilafo
:DniAiiiifa; j^j^^n ^nbianerf d^mutf ein tüol^Igebilbcteg , lebenbigeg ©efd^öpf^
Jirhipff Uäi ^en ftedtc, ein gefunber niufifalifd&cr DrganigntuS. S)at)Ott ift
öbmwiji, 15 aber laum etma« ju entbccf en. Sin ber blinf enbe Menbenbc 5ßu^
^nkmi töuf^t nientanbcn über bie »ürftigfeit ber (Srftnbung, bie «r^
1» frf?te mutl^ an ausgereiften ntufifalifd^en 3becn, ben aRangel an
)er ftrdöa innerer , nic^t Wo§ burd^ ba^ ^5ßrograntm^ angetäufd^tcr
0i^c Sogif. S)ic fc^mmbelnbc ^öl^e, iDetc^e bie gnftruntentirung«*
^?r oriyfe fünft feit ©erlioj, SiSjt unb SOSagner ctreid^t l^at, fic ift mir
fi^r 6/dIc nie juöor in fo grauenl^aft bcbro^Iid^er ®eftalt erfc^ienen, wie
hmtsß^. in 3tkoW^ „SWeer". S)iefeSunft ift ein ^ampt)x getoorben, toel-
jfger gm d^er ber f c^iJ^jferifd^en ^aft unferer lonbic^ter ba§ SJIut auffangt.
unb gij'
hit^m'. -
len litti:
er fifk : ^itmmermufik.
bcrJ^r
fr te:.'
.. G-dur-@ttartdt (op. 27) pott Ö5. (Stieg.
ing/*: S)<^^ ®^ö* W ^^¥ ungünftig öon ®riegg Drc^efterfuitc
tmgjiP^.. „Peer Gynt" abgeftod^en. Sebeutenb luoren jlpar aud^ bie
4 fc Sbeen bief er Suite nit^t; too^I ober anmutl^ig, d&araöeriftifc^
n Ir ^^^ öo« bejaubember Älangmirfung. ®a8 Q--dur-Duortett
ib h{ .: gefaßt fid^ bagegen in gierigem ^af c^cn nad§ melobifd^ unb
innere l^armonifd^ Sigarrem, nac^ öcrrenften SD^^tl^men unb falfd6en
t^c: ©ontraften. S)er Komponift öerrätl^ ein tpa^r^aft finbifd^eg
^ SSergntigen an aöem, tüaS pfefid^ ftingt, unb l^at er einmal
^^f^ einen red^t faftigen äRigflang auSge^edtt, fo läfet er i^n nid^t
fo balb los. 2BaS aber fd^eu|fi(^ Hingt, baS mirb nid^t beffer,
inbem man eS unS für „normegifc^'' auSgiebt. S)aS gefunbe
menfc^Iid^e Dl^r ift tüol^l aud& in ©lanbinaöien nicöt anbcrS
eö. $a TIS lief, $lu§ bcm Xqqcöuc^ clncS aRu[ifctö. 23
¥■■■
ti „!^
354 €b. ^anslid.
organiftrt; nur giebt eiS bort mel^r al^ aniex^too 2)ic^ter unb
lottfcfecr, bcren Sunft im ^anll^Qftcn niftet ©d^abc um ein
lolcttt toic ©ticg. gebcr ©ofe fcinc§ DuartcttS ift öoll
ßcbcn unb Scttjcgung, bic im lieblid&ftcn SSoII^ton gcl^aüenc
^^Äomanjc" fogar fo rcigcnb , bog njir fcttft il^ren unförmlich
ttjilben SRittcIfafe mit in ben Sauf nehmen. ?tbcr bo^ ©anje
(übctbicg ein STOufter Don unquartettmäBiBcm^ @o^) bleibt ein
unerfreulid&c« SEBcrf . Qit\pklt tourbc eS mit glänjcnber SSirtuo*
fität. §crr 5Rofe ^attc ftarfc Äürjungcn barin öorgenommcn,
ein SSerfal^rcn, bad grunbfa^Iid^ nid^t 5U billigen ift. (Sinen
©ontponiftcn, ber fein Anfänger me^r ift, mu^ man für bai^,
toa^ er fd^reibt, felbcr einfte^cn laffen, toenn man e^ überhaupt
aup^rt. 3m öorliegenbcn galle mögen freilid& bie Äm^JU*
tationen bem allgemeinen @inbmd nfi^Iic^ gemefen fein. Sudg
belamcn toir eine ber ;,8corbeitungen" ju ^ören, ft)el(^e @. ® rieg
t)ier ajtojartfd^en @onaten angetl^an l^at. @r fügt }U
bem unöeränberten Original eine ;,frei l^injucomponirte öe*
gleitung'' tint^ jn)eiten Slaöier^. ©tue äRojartfd^e ©onate
bebarf aber feines jmeiten ®to(Ih)crfeS öon frember $anb,
noc^ öerträgt fie eines. S)ie ©ad^e liegt nicfit fo plan, toit
bei bem C-dur-5ßräIubium üon Sac^, über meld^cS ®ounob
eine getragene 3ÄcIobie tt)ölben fonnte, benn gerabc bicfeS
?ßralubium fann ol^ne gragc auS bem ®efid^tS^)unfte einer 8e*
gIcitungSfigur betrachtet h)erben. SBie berb unb mojarttDibrig
aber ® r i e g öerf äl^rt, bctocift gleid^ ber ?lnf ang ber belanntcn
l^errlic^en C-moll-5ß]^antafie, ju bereu erften fünf lalten unfcr
Slormegcr einen Drgclpunit auf C forttüirbeln lägt! SBo fo
Iraffe SScrbre^ungcn öon äRojartS SBillen nic^t angelten, mu§
fic^ ®rieg mit überpffigen 9Serbo))))eIungcn, eingeftreuten S^ti*
tationen unb ä^nlic^em mol^Ifeilen Sel^elf begnügen. ®riegS
eigene Som)7ofitionen lönnten burd^ einige äRojartfc^e ipar«
monien l^äufig genjinnen, aber nic^t umgefel^rt.
mke Barbi. 355
guitxübtnit.
,,ßiebcrabcnbc" unb fein gnbc! SBftl^rcnb t» nod& ju
»ect^oöenjl unb ©c^ubcttg Scbicitcn für unfd^ttflid^ galt, in
einem Eoncert anä^ nur ein cinjigcjl Sieb mit Älaöier*
Begleitung öotjutragcn , bilbcn ^eutc bic Siebctabcnbe, an
jtüanjig ^mmtm ftarf, bic aWoiotität unfcrer ©oncertc. §itt<
gegen ift bic Sttic, tücld^c cl^cbem allein für concertfä^ig
galt, ööHig öon bem 5ßrogramm öerfd&tounbcn. SBol^I mit
Unred^t, benn gerabc jcfet, jur Qtxt ber StUcin^errfd^aft beiJ
Siebe«, mürbe eine Strie bie äRonotonic bed 5ßrogamm« glüd*
lid^ untcrbrcd^en. SBir befifeen au« l^alböergeffenen Opttn ber
ttafjtfc^en h)ie ber romantifd^en ^poä^t beutfci^e, franjöftfd^e,
italienifd^c Äricn genug, todä)t, öon ber ©ccnc nid^t fc^Ied^t^in
abl^ängig, l^eutc ein ncuci^ Sntereffe erregen tüürben. gteilid^,
mie mcnigc ©önger üerflcl^en l^eutc eine teiblic^ öerjierte Strie
}U fingen! 2)ie Sicberabenbe beginnen bereit«, toie ade« Sin«*
feitige unb StUjul^auftge, bem ?ßublilum unbequem ju werben.
9tatürli(^ bann nid^t, tüenn ®efanggfünftler tbie Alice 8a rbi,
©d^eibcmantel unb ®ura bie SSortragenben finb. S)iefe
brei SRamen öerlicl^en ber lefetcn SBod^c i^re mufifalifc^e Sig-
natur. 9lUce Sarbi gab unS ©d^umonn« Sieberfrei«
„S)id^terliebe'', ^attc jebod^ ben guten ©efc^madt, il^n nid&t öoB*
ftönbig, fonbern mit ^inlpcgtaffung öon ad^t Slummem öor*
jutragen. S)a« unöerfürjte S)ur(^fingen eine« fogcnannten
„Sieberc^flu«'' l^at auä) bann fein Scbcnflic^e«, tücnn e« [xä) um
einen h)irffic^cn ©^flu«, ein öom S)ic^ter felbft al« jufammen*
l^öngenb gebac^tc« ©anje l^anbelt, toie bic „©d^öne äRüQerin''
23*
356 €ö- £?ansltcf.
ober btc „SBintcrrcife". SBo bic« nid^t bcr gatt , ba ftcigcrt
fic^ bic Scbcnllic^Ieit unb entfallt jebe innere SRöt^igung.
©d^umann ^at an^ ^einei^ ^SBud^ ber Sieber" fed^jel^n öon
Siebe l^anbelnbc ®ebtd^tc anSgemä^It unb unter bem Xitel
„S)i(^terltebe" ju einem ©traufe gebunben, bem einen untrenn^
baren Swfommenl^ang ju öinbiciren bem S)id^ter nic^t bei«
gefallen toöre. S)a§fefbe gilt öon ©c^umanniS Sieberfammlung
„SR^rtl^en'', feinem „eid^enborffjd&en Sieberlrei«" u. a. Sie
geigen cbenfotoenig eine tpHä^t ober bramatifd^e SnttoidHung,
finb ebcnfotoenig „Si^Hen^ im Sinne not^menbigen ^ufammcn*
l^angg, njie bie „äRageöonelieber" öon SJral^mS, bereu öoH*
ftänbigeg S)urd^fingen oud^ bereits in S)eutf(^Ianb SRobe toirb,
eine folfc^e, mifeöerftönblid^e SRobe. Unmittelbar noc^ ber
Sarbi l^at §err ®ura unb gleid^ nac^ biefem §crr Xl^ielc
bie ^S)ic^terliebe" öollftänbig gefungen. SBarum nid^t
lieber jene ßieber augf treiben, bie mufifalifd^ unbebeutenber
finb unb burd^ bie ©lei^artigfeit ber Stimmung fid& faft lüie
Doublettcn ausnehmen? 3)iefe leibige SSoöftänbigfeit mad^t
ben ©onger unb ben gul^örer ju S^ränenttjeiben. ©ed^jcl^n
Iiebeg!ran!e ©ebid^te nad& einanber, unb gerabe biefe ®e*
bid&te! gür meine ®mt)finbung finb fie |)etnlid^ burd^ i^r \m^
erfättlic^e« heraushängen beS jerriffenen ^erjenS, beS über«
großen SBel^eS, ber bitteren Sl^ränen, lurg beS ganjen ©d&merjen*
appaxaitd, an ben man bei §eine, ber fo gern mit fid^ felbft
Iragöbie \pxt\k, nie rec^t glauben fann. ®er Herausgeber
ber HebbeI«Sorreft)onben} , gdij Bamberg, erioä^nt barin,
Heine l^abe i^m toieber^olt öerfid^ert, ^^bafe baS innere ütitn
bes 3)id^terS mit feiner 5ßoefieburc^ aus nid^tS ju fd^affen
^ai\ S)ie r^rif^en ©ebid^tc ®oet^eS, ©d^iOcrS, Urlaub«
ftel^en als lebenbiger 5ßroteft gegen biefe I^eorie — auf
Heine felbft pa%t fie öortrefflid^. S)er toifeige,' ironifd^e, fati*
rifd^e Heine ift ebenfo ttja^r, überjeugenb unb untoiberftepd^,
Sd^eibemantcL 357
tote bcr ;,fd&mer85criffcne ntit bcm großen bergen " lolctt unb
ocriogcn. Alice fßaxU oerriet^ ein fetneg SSerftönbntfe in bem,
toag fie avi^ ber ^S)i(^terUebe" auslief, darunter toax freilid^
ctneiJ ber aUerbeften ßieber: „^6^ grotte nid^t"; aber bie
©öngcrin füllte ganj richtig, bafe tl^rc Sfnbioibualität bagcgen
rcogirte. Äug bemfclbcn ®runbc ^ättc fie füglic^ auc^ ha^
le^te Sieb — üon bent ^eibclberger ^a% baö ^einc für feine
großen ©d^merjcn bcnöt^igt — wcgioffcn lönnen; für ben
bnrfd^ifofen §umor be^fetben pa^i nur eine aRönnerftimme,
njib eine ret^t „aufbcgel^rcnbc'' obenbrein. öroud^t noc^ gefagt
ju toerben, baß bie SJorbi bie Sc^nmannfd^en Sieber mit
Sart^eit nnb SBärme oortrug? SBcIc^ edjter ©d^merj Hang
ong ben ©t^Iußöerfen : „^oä^ tvtnn bu ft)ric^ft: ic^ liebe S)ici^!
fo muß iä^ meinen bitterlit^." SBenn man fic^ erinnert, baß
$eine juerft „freubigltd^" gefd^ricben l^at, beoor il^m ba§
„bitterlicfi" beffer gefiel, fo barf man h)o]^I fagen, bie S3arbi
l^abe in biefen Siebern mel^r nja^re @mt)finbung gezeigt, afö
$eine felbft. 3" i^^c« fd&iJnften Vorträgen gehörten aud^ oier
©c^ubertfd^e Sieber. S^^i f^ft unmerflid^e feine güge
fielen mir auf. 3m „SHeugierigen" ber SSerg: „ba^ anbre
l^eißct Stein'', bann in ber Ungebulb: „unb fie merft nid^tg
t)on Ott bem bangen Ireiben" — bo jog eine leidste SBoIfe
öngftlic^ über il^ren Sion, über if)r ©efid^t, um fd^nett lieber
ju üerfd^minben.
©err ©d^cibemantel errang aö Sieberfänger einen
großen unb öerbienten ©rfolg. S33ir lennen biefen Sünftler,
bei bem ein ttjol^lgefc^utte^ jugenblic^e^ Organ fit^ mit 9Ser»
ftanb unb ©mpfinbung ju fc^önem ©inHang öerbinben, bcrcitjl
t)om §ofot)ernt^eater l^er. S)ort fd^ien er mir nod^ un*
mittelbarer ju ttjirlen, oieHcic^t h)eil bie bcrüdtenbe {Romantil
cineg ^eifing ober S^mpa ben ©önger mit einem ftarfen §aud^
t)on $ßoefie umgiebt, ber im ©oncertfaal öerfc^minbct. Scheibe»
368 €b. Ejanslirf.
mantcfö Sicbcröortrogc ftcl^en auf bcr ^öl^c feiner öottrcfftid^ett
©efattgSted^nil, bei ftetö rtd^tigcr Stuffajfung unb toaxmtm Slu«*
brucf. §inrei§enb möd^tc iä) fie faunt nennen. S)oi5 mag an
bem etiüaS trodencn Slang feiner tieferen unb mittleren löne
liegen, tücld^e ja im bcutfcl^ett Siebe öor ben l^od^ßegenbcn
®fonjfteßcn öoriüiegen. Äud^ fd^ien mir bic feinfte ©lütl^c
ber ^oefie, ein le^ter belebenber ^an6) Don Xem))erament ju
feblen. ©d^eibemantefö SSortrog l^at, entf<)rec^enb feiner 5ßer*
fönlid^feit, ctlDag folib Serftänbigeg, ru^ig ©efafeteg. S)ag fel^r
feiten gel^örte Sectl^oöenfd^c Sieb „^tx Sufe", bafe ein
fd^erjl^afteg ®ebi(^tlein ju einer altmobifd&en Slrie au^be^nt,
intetpretirte §err ©c^eibemantel mit guter Saune. S)ag !öft*
lic^e, fo oft ^jatl^etifc^ mi^öcrftanbene Sieb „©el^eime^'' öon
® d^ u b e r t fang er, mie e§ fein f oß, mit leid^tbetoegter f d^oll*
l^after ?lnmut^. „@ei mir gegrüßt'' öcriiert in tieferer
Stimmlage ben urft)runglici^en unerfefelid^en ©c^melj. S)ennoci^
lonnte ©d&eibcmantel bamit jcbermann öoöauf befricbigen, bem
nid^t, toie mir, ber SSortrag S33 a 1 1 e r g tief in Dl^r unb $erj
eingeprägt ift. ?ln SBalter^ „@ei mir gegrüSt" reicht für
meine ©ntpfinbung lein jioeiter Sänger l^eran.
S)em erften Sariton ber 3)regbener €)ptx folgte fd^neU
ate ©oncertgeber fein College öom äRüni^ener ^oft^eatcr,
$err @ugen @ura. ©eltfam, ba§ biefer feit einem SSiertel*
ja^rl^unbert in ganj 2)eutfd^ranb befannte unb ^od^gefd^ä|te
Äünftler — ein ©eutfd^böl^me öon ®eburt — niemate in
SBien gefungen l^at. Sttö Süngling lebte er eine Seit lang l^icr,
um fid^ an ber älfabemie jum 9RaIer auSgubilben. S)ann jog
er nad^ SRünc^en an bie aWalerfd^uIe, loo er bereite Slufmcrf*
feit ju erregen begann, ate feine fd^öne Stimme t)löilid^ bei
Äünftlerfeften entbedtt lourbe. 6§ ift nid^t unbenfbar, ba§
fein materifc^eg lalcnt i^m für ben mufilalifc^en garbenreid^*»
tl^um JU ftatten lam, ben er im SSortrag ber Sötoefd^en
<^uQen (Sura. 359
»oüabcn entfaltet. Sluf btefem ©ebiet ift ®ura SWeifter, ja
ber größte, bcn lüir fcnncn. ®ag ^ot er glcid^ in fetner crften
SSortrag^nummcr „(gblDarb" ben?iefen, einer ber fd^önften
iBaüaben SömeS, jugleid^ einer ber fd^n)ierigften Slufgaben für
ben ©änger. Stbgefel^en öon bem nngenjöl^nlid^cn ©tintmunt^
fang unb ber SluSbauer; bie fie verlangt, erforbert baS fd^arfc
Sluöeinanberl^alten ber beiben {Rollen (SDlutter unb ©ol^n),
bann bie rei^enb anfd^njeüenbc brantatifd^e Steigerung einen
©änger crften 3longeg. 3Kit gtcid^er Sunft ber Sluffaffung,
ber S)arfteIIung , ber Slu^fprad^e Iie§ ®ura „S)er SBirtl^in
löc^terlcin'', ben ^©rlfönig" unb bag ©oetl^efd^e „^oc^jeit^*
lieb" Don Sari ßöme folgen. S)er epifd^c ©efang, ber Sattaben*
öortrag bilbet ol^ne gragc in bem tt)citen SRing ber Sicberlunft
ba^ienige ©ebiet, meld^ei^ öor§ug§njeife ber Sa^« unb Sariton=»
ftimnte jufättt. 2luc^ im SSortrog ber ©d^umannfc^en
„®i(^terliebe" — $err ®ura fang in einem Svlq alle fet^je^n
Sieber — erlüieS er ftd^ al§ benfenber unb marmfül^Ienbcr
Sünftter; bie SBirfung mar aber lange nid^t fo unmittelbar
unb l^inreigenb, toie bie ber Sattaben. S)ie 8t\t raubt ben Sa^*
unb Saritonftimmen öiel frül^er ben limbre atö bie Sraft —
unb ®ura ift fein Süngling mel^r. ©eine ©timme flingt ftarl
unb üoll, lä^t aber im 5ßiano, in anl^altcnb fcntimentalem ®e*
fang, SÖäeic^^eit unb ©d^melj öermiffen. S)arum fingt aud&
®ura meiftcn^ ftarf, ntd^t jum SSortl^eil ber eigentpmlid^
bämmernben, l^alböerfc^teiertcn (Sntpfinbung ber ©d^umann*
fc^en ^eine^Sieber. S)q§u tritt nod§ ber früher bcrül^rte
Uebelftanb, ba§ bie meiftcn für lenor ober ©ot)ran gefd^riebenen
SiebeSlicber burd^ Sran§t)onirung für tiefe 3Kännerftimmen
an Sleij üerlieren. SSon unbefd^reiblic^er SEBirfung toax ®ura^
Vortrag be§ „Slrd^ibalb 3)ougIa§" unb „^riuj @ugcn", biefen
perlen au§ Sötoeg Sattabcufd^afe. Äarl Söme — ein 3eit^
genoff e beg nur je^n 3a^re älteren S. äW. SBeber — ftel^t l^eute
360 €b. BiansM,
no(^ unerreicht in ber S)aOabencom))ofition. Stuf biefe^ Gebiet
blieb feine §errfc^aft begrenjt. SBie unferen großen S^rifem
Urlaub unb §eine fein Xroma gelingen mottte, fo finb aud^
Söwe^ D^jcrn unb Drotorien crfoIgloiJ geblieben. 6r l^ot
faum ein rein t^rifd^ed Sieb gefd^rieben, baS fid^ mit @d^ubert
meffcn lönnte, unb feinen einjigen S^or, ber mit SRenbelefol^tts
fd^en öergleic^bar. ©eine SaHoben hingegen »erben un^
immer greube mad^cn, gcift* unb <)]^antafiereid^en Sängern
immer ©rfolge bereiten. @ie tierlangen fein glänjenbeS Organ,
ja man fönnte faft be^au})ten, bag eine geringere ©timme fid^
beffer bafür eigne, afö eine öoße, finntid^ blenbenbe; jene
braud^t aUerl^anb getoagte ©teßen nur anjubeuten, lüetd^c biefc,
gum 3laä)tfftit be^ (Sebid^te^, mit gesättigten ^^arben t)oK au^*
jufä^ren trad^tet. 3fd^ erinnere an bie ftimmgetoaltigen
Saritong Sutfe unb Sleid^mann. ßöme felbft, ber mit
bem äSortrag feiner 9)allaben aUed entgfidte, ^atte mentg
Stimme, unb ate er jute|t (1844) in SÖäien fang, eigentlich
gar feine. „Sl^r l^errlid^en SBiencr,'' fc^rcibt er banfbar bc^
n^egt, „i^r ^abt tion mir nur nod^ einen 92ad§flang tier«
gangener Sage ..." $crrn ®ura^ Vorträge ttjurben öon ^erm
?ßrofeffor ©iel^rl fel^r forgfältig begleitet. §err ®iel^rl gilt in
äRünd^cn für einen ber öorgügfic^ftcn Slaüierlc^rer. ©offent*
lid^ beginnt er feinen Unterrid^t mit bem Slat^, bie ©d^üler
mögen ja nid^t fomet 5ßebat nel^men, toie er felbft. iR^ein*
berger§„Ioccata'' unb aflubinfteingC-dur-®tübe(op. 23)
f<)ielte er mit au^reic^enber Sraft unb ©etöuftgfeit, menngleid^
mit etmaS l^artcm Stnfd^Iag — aber mag ba Sitten mit* unb
burd^cinanber f(ang bei ftetg gehobener ®äm<)fung! ?ln SJei*
faß l^at es §errn ©iel^rl nic^t gefel^It, ebenfottjenig mie jungft
^errn öon Sofe, unter bcffen l^öflid&en Seipjiger ^änben
fogar (l^opin^ geniate F-moll-$^antofie fangttjeilig tourbe.
SBir finb nur leiber ettoai^ öerttjöl^nt.
tt» 9£^'f4< eiu^bc (8ipt>ert ft (Eo.), Staumburg a/®.
3m Perlage bes Mqemdnm Perein« fnv Seutft^e Cttteroto in
Berlin jinb erfc^tenen unb burc^ jebe Suc^tjanMung 3U bejteljen :
Krtttf en unö Stuöten pon fbnatb <$aii5tidL
Hennte anfinge»
(Dctav, 22 Sogen. €Iegant in ^albfranj gebunben 6 HTarf.
(i)er „^jotemen ©p^r" jw^iter ®treü.)
Don
^ßnfte ^nflitse.
0ctao. 23 ^oQtn. (Elegant in ^albfran3 Qehnnben 6 XRarf.
(©jw: „iSÄJOternen ©p^r" dritter ©IfBÜ*) *
Zteue KriMen unö Stuöten pon §biiatb ^an^tiA»
iritte aufläge.
(Dctav. 2^ Bogen. €Iegant in Qalbfran3 ^thviXibtxi 6 IRarf,
IV.
(J3er „ÜJObern^n ®pjer" vierter ®^eiU)
Zleue Kritifen unö Sc^tlöerungen pon
Jnieite ^nflitoe.
(Dctao. 22 Bogen. (Elegant in f^albfranj ^thmihtn 6 XRarf..
V.
3lttt|tkalifd)ej0 unb ütterarifdiejö.
OOtv „üöbjenuen ©per" fünfter ^titlL)
Kritif en nnb Sc^tlberungen pon §biiatb <$ail5(id.
Irltte ^ufla^e. <Ddav. 23 Bogen. €Ieg, in Qalbf. geb. 6 HT.
VI-
Concerte, Ol^ompomptett unb Utrtuofen
ber le^en 15 Safrre. 1870—1885-
Krtttfen pon fbnatb <$ail5(id.
Jiveite Auflage* 0ctao. 28 Bogen. (Eleg. in ^albf. geb. 8 XR.
^^1lat?^ 1&anöU(fö geiftfprüljenbe Sd?riften über ^^ie Wiobtmt
(Dper^' traben ftd; ipeit über bie (5ren5en Deutfc^IanSs t^inaus 6er
aügemeinjien 2(nerf ennung feitens aller IHufiffreunbe ju erfreuen,
jie fin6 gleid^fam ein litterarifc^es <5cmeingut bes mufifalifcben
Cljeiles ber beutfd^en Hation gemorben nn^ }:iaben bem Derfaffer
»nbefhittene (Seltung als erfier un6 oorneljmfter HTufiffritifer ber
(Segenipart ermorben. lX>ären Wefe feinen un6 3ugleid? fd^arfen
Kritifen, bie geiftooUen Sd^ilbcrungcn aus bem muftfalifd^en ieven
ber (SegeniDart auc^ weiter nid^ts als auf ben 21ugenblicf bered?nete
fritifc^e IDürbigungen oorübergetjenber €rfdjeinungen bes Cages,
fle würben troftbem immer bes IDieberlefens mertl] fein. Diefe
Sd^riften aber entt^alten weitaus mefjr : fie entwickeln 3ugleic^ eine
Jpüüe ber trefflid?ften, allgemein gültigen Kunftan fiepten, aus benen
fid? eine |jan3e 2leftl^etif ber (Eonfutift 3ufammenflellen liege, pe
bieten gleichseitig ein fo reiches unb wertl^ooUes funftl^ifiorifc^cs
HTaterial, ba^ fic^ oor ben 2lugen bes £efcrs allmäl|lid? glcid^fam
ein (Sefammtbilb ber „ganseii mobernen (Dper" entrollt.
IDer bas (£oncertleben, (£omponiften unb Dirtuofen ber neueren
geit grünblic^ fennen lernen, wer bie intcreffanteften (£apitel ber
HTufifgejd^id^te ber (Segenwart, wie fic fid? in ben (£oncertfälen
ttjatfä^lid? fpiegdten, in geiftig anregenber IDeife mitburd?lebcn
wilJ, ber wirb, gleidjoiel ob IHufif er oon ^ad?, ob£aie, in bemXberfe
»<£oncerte, (£omponijieniinb Dirtuofen'' reicijfte Befriebigung ftnben.
2lusfüljrlid)C Profpecte ftel^en jeberseit gratis unb franco ju
Dienften. Bei birecter €infenbung bes Betrages an bie unter*
3eid?nete Derlagsbud^l^anblung werben bie Züerfe aud? birect franco
per pop gefanbt.
»erlin W., Stegliöerprage 90.
Ttttgem. Herein für llentfd^e £itteratnr.
Dr. ^ermann paetel.
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I
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