Google
This is a digital copy of a book that was preserved for generations on library shelves before it was carefully scanned by Google as part of a project
to make the world’s books discoverable online.
It has survived long enough for the copyright to expire and the book to enter the public domain. A public domain book is one that was never subject
to copyright or whose legal copyright term has expired. Whether a book is in the public domain may vary country to country. Public domain books
are our gateways to {he past, representing a wealth of history, culture and knowledge that’s often difficult to discover.
Marks, notations and other marginalia present in the original volume will appear in this file - a reminder of this book’s long journey from the
publisher to a library and finally to you.
Usage guidelines
Google is proud to partner with libraries to digitize public domain materials and make them widely accessible. Public domain books belong to the
public and we are merely their custodians. Nevertheless, this work is expensive, so in order to keep providing this resource, we have taken steps to
prevent abuse by commercial parties, including placing technical restrictions on automated querying.
‘We also ask that you:
+ Make non-commercial use of the files We designed Google Book Search for use by individual
personal, non-commercial purposes.
and we request that you use these files for
+ Refrain from automated querying Do not send automated queries of any sort to Google’s system: If you are conducting research on machine
translation, optical character recognition or other areas where access to a large amount of text is helpful, please contact us. We encourage the
use of public domain materials for these purposes and may be able to help.
+ Maintain attribution The Google “watermark” you see on each file is essential for informing people about this project and helping them find
additional materials through Google Book Search. Please do not remove it.
+ Keep it legal Whatever your use, remember that you are responsible for ensuring that what you are doing is legal. Do not assume that just
because we believe a book is in the public domain for users in the United States, that the work is also in the public domain for users in other
countries. Whether a book is still in copyright varies from country to country, and we can’t offer guidance on whether any specific use of
any specific book is allowed. Please do not assume that a book’s appearance in Google Book Search means it can be used in any manner
anywhere in the world. Copyright infringement liability can be quite severe.
About Google Book Search
Google’s mission is to organize the world’s information and to make it universally accessible and useful. Google Book Search helps readers
discover the world’s books while helping authors and publishers reach new audiences. You can search through the full text of this book on the web
alkttp: /7sooks. google. com/]
Google
Über dieses Buch
Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Regalen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im
Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfügbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde.
Das Buch hat das Urheberrecht überdauert und kann nun öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch,
das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann
von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles
und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist.
Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei — eine Erin-
nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat.
Nutzungsrichtlinien
Google ist stolz, mit Bibliotheken in partnerschaftlicher Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse
zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nichtsdestotrotz ist diese
Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch
kommerzielle Parteien zu verhindern. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen.
Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien:
+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche für Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese
Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden.
+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen
über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen
nützlich ist, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials für diese Zwecke und können Ihnen
unter Umständen helfen.
+ Beibehaltung von Google-Markenelementen Das "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über
dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sie das Wasserzeichen nicht.
+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein,
sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA
öffentlich zugänglich ist, auch für Nutzer in anderen Ländern öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist
von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig
ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und überall auf der
Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben.
Über Google Buchsuche
Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google
Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser Welt zu entdecken, und unterstützt Autoren und Verleger dabei, neue Zielgruppen zu erreichen.
Den gesamten Buchtext können Sie im Internet unter|'http: //books .google.comldurchsuchen.
STANFORD
UNIVERSITY
LIBRARIES
DER ZZ
—R——
—B N
ER RER
— WIN A * X Y
——
—V N
EEE
——
—————
M. ©. Zaphir's Schriften.
— INKATSSHIE—
Cabinet3 - Ausgabe
in zehn Bänden.
Ausgewählte Schriften.
Don
AM. G. Vi
Dritte Auflage.
Fünfter Band,
Brünn und Wien.
Berlag von Fr. Karafiat.
1865.
har
PTz ws
DC
IYcF
u 5%
Drud von Georg Safll in Brünn.
Humoriſtiſche Borlefungen.
M. 6. Suphirs Schriften,
—INKESHIE——
Cabinet3 - Ansgabe
in zehn Bänden.
Ausgewählte Schriften.
Don
3.6 J
Dritte Auflage.
Fünfter Band.
Brünn und Wien.
Berlag von Fr. Karafiat.
1865.
N --, ”
; uf
‚ "AV
12
große Wahrheit annehmen, alle unfere Liebhaber fpefuliren
entweder auf der Börfe oder auf die Börfe. Die Börfe-
liebhaber und die Mädchenliebhaber unterjcheiden fich in
manchen Dingen. Die Börfeliebhaber laſſen erft zurück—
gehen und bleiben dann aus, die Mädchenliebhaber bleiben
erft aus, und laſſen dann zurüdgehen.
Ein Mädchenliebhaberift wie ein kurzer Athem, wenn
er einmal ausgeblieben ift, jo kommt er nicht wieder; ein
DBörfeliebhaber ift wie das viertägige Wieber, wenn man
auch glaubt, er ift ausgeblieben, am dritten Tage fommt er
wieder, es beutelt ihn ein Bischen, damit ift’8 aus.
Man jagt: Die Liebe ift eine Himmelsleiter, es
ift möglich, aber dann ift die Ehe auch eine Himmels-
Leiter; auf der einen Leiter fteigt man zum Himmel hin-
auf, auf der andern fteigt man vom Himmel herunter.
Die Liebe ift eine Himmelsblume, ja wohl, darum ift
fie eine fremde, eine exotifche Blume, und wird auf Erden
nur durch künſtliche Wärme getrieben.
Die erfte Liebe ift der einzige Schlüfjel zum weib-
lichen Herzen, aber e8 gibt viele Nachſchlüſſel und falfche
Sclüffel dazu. Die Frauenzimmer wiſſen gar nicht, welche
große Unvorfichtigkeit fie begehen, wenn fie fagen: das
ift meine erfte Liebe! In der Schöpfungs-Gefchichte heißt
e8: „und e8 ward Abend und e8 ward Morgen, ein Tag!“
und nicht „der erfte Tag”, denn wo noch fein Zweites ift,
fann fein erftes fein. Wenn aljo ein Mädchen jagt: das ift
meine erfte Tiebe, fo muß fchon im Geiſte eine Zweite da=
neben laufen. Die erfte Liebe ift wie der erfte Schnee, er
13
bleibt gewöhnlich nicht lange liegen; wenn er auch nicht
weggefchaufelt wird, jo geht er von felbft weg. Ueberhaupt
trägt die erfte Tiebe im weiblichen Herzen entweder Tanz-
ſchuh oder Schlittfchuh, das heißt, fie folgt gewöhnlich
denen, die fie zum Lanze oder auf's Eis führen, und nie
denen, die fie nad) Haus führen.
Die Liebe ift der Schlüfjel zun weiblichen Herzen,
aber der Geliebte vergißt oft, daß Herz hinter ſich zuzu-
Schließen, und fo bleibt e8 dann für Jedermann offen.
Die Liebe ift der Schlüffel zum weiblichen Herzen,
aber ein Schlüffel paßt eben nur zu der oder jener Thür;
die Eitelfeit ift der Dietrich zum weiblichen Herzen,
fie fchließt alle Herzen auf.
Ein weibliches Herz ift darum leicht zu erfchließen,
weil es blos von der Convenienz, von außen ver-
Tchloffen ift. Die Männerherzen aber werden vom Egois-
mus verfchloffen. Der Egoismus aber wohnt inwendig,
und [chiebt von innen große eiferne Riegel vor, und fein
Schlüſſel erfchliegt das egoiftifche Herz der Männer. Die
Männer fchliegen ihr Herz nur darum fo forgfältig zu,
damit Niemand fehe, daß nichts darinnen ift.
Das Herz der Männer ift wie ein guter Keller, in
ihrem Srühling und in ihrem Sommer ift es kalt darin, und
in ihrem Herbft ift es lau. In einem weiblichen Herzen fteht
in der Mitte ein Heiner Zoilettetifc) mit Spiegel und davor
figt zuerft die Selbftliebe, und fieht ſich wohlgefällig an.
An der Wand ftehen einige gepolfterte Seffel, da klopft es
an, und hereintreten verfchiedene Herzensfreundinnen, die
14
Gefallfucht, die Eitelkeit, die Koketterie, die Flatterhaftig-
Veit u. ſ. w., und nehmen alle Pläte ein, endlich kommt die
Liebe mit zagendem Schritt, mit gefenftem Auge, mit Lieb-
lichen Antlig, mit Hopfendem Herzen, um den Mund ein
Lächeln der Wehmuth, in den Augen eine Thräne der Sehn-
fudht, auf der Stirne den Ernft der Ewigkeit, und auf den
Wangen die Vifitfarte der füßeften Empfindung, das Er-
röthen, und die gefchämige Tiebe bleibt ſchüchtern an der
Thür ftehen, und Gefallſucht und Koketterie, und Eitelkeit
und Ylatterhaftigfeit fpringen von ihren Sefjeln auf und
wollen fie umarmen, und die rofigen Lippen ihr küſſen,
allein die Liebe lispelt: „Sch will allein mit Dir fein!" Da
entfliehen Gefallfucht, Kofetterie, Eitelkeit und Slatterhaftig-
feit vor der Gegenwart der rofigen Liebe, und die Liebe
fpricht zur Selbftliebe: „Du bift die Selbftliebe, ich bin die
Liebe ſelbſt.“ Ziehft Du Dein Selbſt der Liebe vor, dann
fann Liebe nicht bei Dir verweilen! Da verläßt die Selbft-
fuht im weiblichen Herzen ihr Selbft, nmfaßt die Liebe,
und wird mit ihr eins, und füllt ihr ganzes Herz aus!
Im männlichen Herzen Hingegen fteht vor Allem ein
großer’ breiter Divan, und darauf wälzt fich bequem der
Egoismus herum, auf den plumpen Lehnftühlen rings her-
um liegen mehr, als fien: Die rohe Begier, der entartete
Unglaube an alle weibliche Tugend u. f. w., da kommt die
Liebe herein, Niemand fteht von feinem Plage auf, um ihn
der Liebe anzubieten. Die rohe Begier will fich täppiſch an⸗
fafjen, die Trunkſucht will fie beraufchen, die Reitfucht will
fie wie ein Pferd dreffiren u. f. w., da ſchaudert die Liebe
15
zufammen, ihr Wefen empört fich, fie entflieht auf ewig, und
bringtihren Schweitern: Scham, Tugend, Sitte und Grazie
die Nachricht, dag in dem Herzen, wo für Liebe nidjt
Platz iſt, auch für fie ſchwerlich ſich ein Plätschen finden laſſe.
Darum ift die Liebe weiblichen Geſchlechts, und das
eigentliche Element der Frauen.
Es gibt andere Leute, welche fagen: „Der Wit ift
mein Element!” Auch fein übles Element! Das Element
Wis Hat großes Elementarunglüd angerichtet. Mit dem
Element Witz iſt's wie mit dem Element Waffer. Waffer-
noth ift fo gut zu viel Waffer, als zu wenig Wafjer, und
Witznoth ift ein Unglück ſowohl durch zu viel Wit als durch
zu wenig Wig. — Es gibt fo viele Gattungen Wige als
Waſſer: Brunnen-Wite, füge Wie, Fluß-Witze und
Mineral-Wige. Es gibt Leute, welche die Wig-Cur machen,
wie man Waffer-Curen macht; fie nehmen zum Beifpiel
einen lahmen Gichtkranken, und gießen ihm fo viel und fo
lange ihre Wie ein, bis er frifch und raſch aufipringt und
davon Läuft!
Der menfchliche Geift hat viele Werkzeuge in feiner
Werkſtatt. Der Verftand ift der Bohrer, der bohrt feinen
Gegenftand an; die Klugheit ift der Hammer, der trifft den
Nagel auf den Kopf; der Scharffinn ift der Pfropfenzieher,
er bringt Alles auf gewundenem Wege heraus; die prak—⸗
tiſche Bernunft ift das Stemmeifen, wenn fie ſich anſtemmt,
bringt fie Alles zuwege; der Wit ift die Zunge, der feinen
Gegenftand von verfchiedenen Seiten fo lange beim Schopf
faßt, bis ex felbft beim Schopf genommen wird.
16
Der Wit läßt nichts gelten, er fragt den Geift und
das Herz: was ift Dein? und entreißt es ihnen! Aud) darin
gleicht das Wit-Element den andern vier Elementen, denn
alle vier Elemente fragen mit Hohn und Spott den Menfchen;
„Was ift Dein?“
Diefer Jahrhunderte alte Thurm? Ich Erde fchüttle
mid, und er ift hin! Was ift Dein? Diefer große Palaft?
Ic Teuer umarme ihn, und er ift dahin! Was ift Dein?
dieſer Damm ? diefe fühngewölbte Brüde? Ich Waſſer küffe
fie, und fie find dahin! Was ift Dein? Diefe Schiffe, diefe
Boote, diefe Flotten? Ich Luft verſchnaube mic, und fie
find dahin!
Das ift die große Elementar-Schule des Lebens, das
ift der große Elementar-Unterricht des Schickſals! Nur aus
der Elementar-Schule des Unglücks geht der Menſch über
in die hohe Schule der Weisheit! und nur in diefen Ele-
mentar-Schulen wird der Menjd) weichgehämmert zur
Dehnbarkeit für die lange Schulbank des Dafeins.
Ja, nur unter den Hammerftreichen des jchweren
Schidfals erkennt man den Menſchen, ob fein Wefen aus
edlem oder gemeinem Metalle ift. Je gemeiner dieſes Metall,
defto lauter ächzt er unter diefen Hammerſchlägen; je edler,
je goldhaltiger fein Wefen, defto leifer und fanfter find feine
faum hörbaren Seufzer unter den Hammerfchlägen!
Monditorei des Fokus.
Die Organe des Bich- Gehirnes.
Eine Earnevalsichwant- Borlefung über die Schädellehre ber
Schafe und Ochſen.
Gu diefem Faſchingéſpaß Hatte der Berfaffer in einer Abendunterhaltung
bei ſich einen Ochfen- und einen Schafstopf ganz nach Gall's Schäbellehre
eingetheili und zu beiden Seiten während feiner Vorlefung um fich ftehen.)
„Ich ſei, gewährt mir die Bitte,
In eurem Bunde der Dritte‘"
Devor Sie, meine freundliden Hörer und Hörerinnen,
über uns drei Köpfe den Kopf ſchütteln, erlauben Sie mir
die ganze Sache überhaupt beim Kopf anzufangen.
Warum, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, jagt
man „überhaupt“ und nicht „überkopf“? Wo liegt
der Unterfchied zwischen Haupt und Kopf? Warum fagt
man: „id) muß das behaupten,” und niht: „id muß
das beföpfen?" Warum fagt man „köpfen“ und „ent
haupten“, und nicht auch: „der ift gehäuptet worden
oder entköpft?“ Warum forfcht man bei allen Dingen
nad der Haupt-Urſache und nie nad) der Kopf-Urſache?
Warum, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, ging
ohne Haupt Rom und Sparta zu Grunde, und warum geht
ohne Kopf Eipeldau nicht zu Grunde? Warum hat das
kleinſte Land feine Hauptftadt und das größte Land Feine
Kopfftadt? Warum befommt in der Ehe blos die Frau
M. ©. Saphirs Schriften. V. Br. 2
18
den Kopffchmud, der Mann aber einen Hauptſchmuck?
Warum madht mau oft fopflos ein Hauptglüd? Nicht
jeder Hauptmann ift ein Kopfmann, ein Haupt-
quartier ift noch fein RK’ op fquartier, und wenn der Teldherr
denn Kopf verliert, jo wird er aufs Haupt geſchlagen!
In jeder Straße findet man eine Hauptniederlage, aber
nirgends findet man eine Kopfniederlage; begehrt man von
irgend einer Anftalt ein „Hauptſtück“, jo befommt man
ein „Kopfſtück“. Beinahe jedes Land treibt eine Kopf—
fteuer ein, um irgend einen Hauptzwed zu erreichen,
wo treibt man aber eine Hauptfteuer ein, um einen
Kopfzweck zu erreichen?
Jedoch ich fürchte, meine freundlichen Hörer und Höre-
rinnen, daß Sie von diefer Sprach-Hauptjagd bald Kopf-
weh befommen könnten, und ftürze mid) nun über Hals und
Kopf in mein Hauptthema über die Kopfvariationen zurüd.
Ich habe die Ehre, Ihnen hiermit, meine freundlichen
Hörer und Hörerinnen, die Vieh-Schädel-Lehre in „zwei
Haupt-Abſchnitten“ vorzuführen. Eins, zwei, ich zähl'
die Häupter meiner Lieben und fieh’, mir fehlt fein theures
Haupt!
Hier habe ich die Ehre, Ihnen die Büfte eines Ochſen
vorzuftellen, der in feinem Leben viel in dem Acer des Herrn
gearbeitet hat, ein Mann, ein Ochs will ich fagen, der in
dem Felde, das ihm angewiefen war, das Gras wachſen
hörte, ein Ochs, der fein Joch ertrug, wie nur irgend ein
ehrlicher Menfch, ein Ochs, der nie mit einem fremden
Kalbe pflügte, ein Ochs von Gewicht; allein erſt nach feinem
19
Tode wußte man ihn ganz zu ſchätzen, es war ein Gentle⸗
man von fiebenhundert Pfund Leibrenten!
Woran diefer Ochs geftorben ift? An einer Ge⸗
müthskrankheit, denn er ftarb an den Folgen gänzlicher
Niedergejhlagenpeit! Und wollt Ihr wiffen, für wen
er ift geftorben? Für mich ift er geftorben! Er ftarb unter
meiner Hand, als ich eben nah Gall's Anweifung fein
kleines Gehirn und die Breite feines Nadens unterfuchte,
allwo nad) Gall „die Geſellſchaftsliebe“ Liegt, welches
ich aud) beftätigt fand, denn er war Gründer einer Gejell-
Schaft unter dem Titel:
Die Theater-Recenjenten, oder die gehörnten
Brüder in der Kunft, auf Gemeinplägen zu
weiden und immer dasſelbe wiederzufäuen.
Als er ftarb, fagte er mir: „Fahre in deinen Unter-
fuchungen fort, du mußt auf ochfige Entdedungen ftoßen,
ich gebe dir meinen Kopf zum Pfand!” Damit gab er feinen
Geiſt auf und ging den Weg alles Fleiſches durch die
Bant —!
Diejes, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, ift
nun des Theuren zurüdgebliebenes Pfand.
Öeftehen Sie ınir, es ift ein rührendes t&ete-A-tete!
Und Hier, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen,
diefer finnige Schafskopf! Nicht jo groß wie jener, aber
Doch ausgezeichnet in feinem Fache.
Die Schafe, meine freundlichen Hörer und Höre—
rinnen, find eben fo vielen Fatalitäten und Krankheiten
ansgefegt, als die Schriftfteller: Salzmangel, Wollmangel,
2*
20
Schwindel, Durchfall, Drehkrankheit, Leſer dürre, und
trockener Schwind! Die Schafe ſind eben ſo zu benützen,
wie die Schriftſteller, man kann ſie ſcheren, man kann ſie
melken, und aus ihren Gedärmen und Eingeweiden
werden die Saiten gemacht, welche mit ihrem Ton die Welt
entzücken, aber dann müſſen Schafe und Schriftſteller die
Bruſt erſt zerſchlitzt haben!
Die Schafzucht, meine freundlichen Hörer und
Hörerinnen, kommt gleid) vor der Menſchenzucht, dar-
um haben wir fo viele Anftalten zur Beredlung der
Schafe, und fo wenig Anftalten zur Veredlung der
Menſchen. Die Schafe werden veredelt, damit fein Mangel
an feinem Tuche fei, die Menfchen werden nic) t veredelt,
damit Fein Mangel an grobem Tuche fei.
Die Engländer erziehen ihre Schafe und ihre Men-
chen blos für die Kammmollfabrifen. Schaf und
Menſch gilt bei ihnen nur das, was fein Wollproduft ift.
England zieht vierzig Millionen Schafe, und von ihren
Schafstöpfen fiedeln fich die nur auf dem Zeftlande an, die
nicht recht in der Wolle figen!
Die deutfhen Schafe und die deutfchen Mienfchen
werden aud) erzogen, aber blos zum Krempeln. Es ift
fonderbar, in Deutſchland fteht die Schafzudht mit der
Sprache in genauer Wechjelbeziehung, wo das veinfte
Deutfch gefprodyen wird, find die beften Schafe.
Was die Menfchen vor den Schafen voraus haben,
ift die Schur. Die Schafe find entweder einfchurig oder
zweifchurig, je nachdem fie einmal oder zweimal im
21
Jahre gefchoren werden; der Menfch allein hat deshalb
Bernunft und Sprache vom Lieben Gott befommen, da-
mit er alle Tage gefchoren werden kann, der Menfch allein
ift ein ſtetsſchuriges Schaf. |
. Die Liebe, die Sanftmuth, die Geduld, meine freund-
lichen Hörer und Hörerinnen, find lauter Schafstugen-
den! Haben Sie fhon ein rachſüchtiges Schaf, einen
wißgigen Schöps, ein fatyrifhes Tamm, einen
Humoriftifhen Hammel gefehen? Warum heißt man
die glüdlich Tiebenden: Schäfer? Weil, wer glücklich
Lieben will, fein Schaf immer hüten muß. Die eigent-
lichen Schäferftunden find jet auf jene Stunden reducirt,
in welden man fein Schäfchenins Trodene bringt.
Die Menſchen können veden, die Schafe blöden,
und das iſt's, was die Schafe voraus haben, denn der
Menſch kann fid) um den Kopf reden, aber fein Schaf
kann fih um den Kopf blöden!
Sprade und Bernunft, meine freundlichen
Hörer und Hörerinnen, wit diefen beiden Himmelsgaben ift
es fonderbar beftellt. Im Sprechen ſpricht die Ber-
nunft nicht an, und für die Bernunft ift mır das
Schweigen ein ſprechender Beweis.
Um aber wieder auf meinen Kopf zurückzukommen,
ich meine auf diefen Schafskopf, jo muß ich durchaus auf
meinem Kopfe beftehen, um die Gall'ſche Schädellehre in
turzen Sätzen auf diefe meine beiden Köpfe anzumenden,
Denn: „Wenn folhe Köpfe feiern, welch ein Verluft für
mein Jahrhundert!“
22
Tie Shädellchre beruht aufleeren Shäteln,
und darf ſich deshalb einer großen Zerbreitung e:trenen.
Tie Schädellehre beruht auf den Organen des Schirme,
das Gehirn ift aber bei dem Menichen jetzt fein Organ
mehr, fondern man genießt es nur von Tieren, ein Ochĩen⸗
hin, ein Schafhirn u. ſ. w. Folglich ift die Lehre von den
Gehirnorganen nur nody bei diefen Weſen zu finden.
Es gibt eine Heine Welt, meine freundlichen Hörer
und Hörerinnen, und e8 gibt eine große Welt; es gikt ein
Heines Gehirn und es gibt ein großes Gehirn. Es wäre
alfo interefiant, zu unterjudyen, ob die große Welt das
große Gehirn, und die Heine Welt das kleine Gehirn hat,
oder umgefehrt.
Im feinen Gehirn fiegt nad) Gall das Genie, im
Heinen Gehirn ift der Sig der Zcele! Tie Seele ift ım-
fterblih, und das ıft ein Süd, fonft müßte das kleinc
Gehirn mit dem großen Genie Hungers fterben!
Die Heinen und großen Erhabenheiten an den äußern
Schädelmaffen bilden die verſchiedenen Sinne, ale: Ort⸗
finn, Zeitfinn, Geldfinn u. ſ. w.
Hier diefen Ochſenkopf Habe ich ganz nach dieſem
Syſteme eingetheilt.
Hier, meine freundlichen Hörer und Hörerimmen,
Tiegt die Kuhliebe, die Kälberlicebe, bie Mitochſen—
Liebe, bei den Menſchen Geſchlechtsliebe, Kindes—
liebe, Rädftenliebegenannt. Warum die „Frauen⸗
liebe” fo ganz im Naden Liegt, mag daher kommen, weil
e8 dabei gleid) um den Kragen geht.
23
Die Liebe fängt da an, wo der Kopf aufhört; bei
der Liebe hat der Kopf nichts mitzureden, fie ift wie eine
gute Singlehrerin, fie kann die Kopfftimme nicht Leiden.
Die Liebe liegt, nad) Gall, rüdwärts vom Kopfe. Darum
fagt man: Die Liebeverdreht Einem den Kopf, das
heißt, der Kopf wird zurüd auf die Liebe gedreht. Wenn
man dann den ©egenftand feiner Tiebe heirathet, fo dreht
diefe den Kopf wieder zurüd, und man fagt dann: Die
rau hat ihm den Kopf zurecht geſetzt.
Um die Augen herum, meine freundlichen Hörer
und Hörerinnen, liegen die meiften Organe, um die
Augen ift der Sammelplag der meiften finnlicdhen Ein-
drüde; die Stirn ift der Sig der Erhabenheit und des Hel-
denmuthes.
Der „Runftfinn“, meine freundlichen Hörer und
Hörerinnen, drüdt fi hier durch eine eigene Erhöhung
oder Öewölbe aus. Es geht bei vielen Menſchen mit diefem
Kunftfinn und feinem fogenannten Gewölbe wie mit
den neueftien Modegewölben, inder Auslageift Alles,
im Gewölbe drinnen ift gar nichts! Beiden Ochfen
liegt der KRunftfinn gerade unter den Hörnern, denn die
Ochſen haben nur für jene Kunft Sinn, von der man ihnen
recht ins Horn ftößt!
Der Sachſinn, der Ortfinn und der Er-
ziehungsſinn liegen an der Nafenwurzel.
Darum, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen,
wenn Iemand feine Nafe in Alles ftedt, jo ift das nichts
als angewandter Sachſinn, undwertaufend Sachen
21
in Sinn bat, den muß man auf jede einzelne Sache mit
der Nafe floßen.
Der Ortfinn liegt an der Nafe, darum, wenn
Einer ein Frauenzimmer bei der Nafe berumführt, jo ift
das blos eine Probeihres Ortſinnes, darum liegen Einem
die Naſen fehr im Sim, die man höhern Orts befommt,
und weil der Ortfinn an der Nafe liegt, muß .der, welcher
von einem Ortdurdhgehen will, einefeine Nafehaben.
Der Wit offenbart ſich durch zwei fanfte Er—⸗
hbebungen über den Augen.
Es ift eine feltene Sache, daß fid) der Wit durd)
Erhebung, und nungar durch eine fanfte Erhebung,
. anzeigt. Ich glaube, der gute Gall hat blog die Stirn von
wigigen Menſchen unterfucht, die ji die Stirn ange-
ſtoßen Haben, und er Hat die unjanften Beulen für
fanfte Erhebungen gehalten!
Dom Wig rechts Liegt die „Öutmüthi gteit« und
inte der „Diebsfinn”, das ift eine gefährliche Nachbar-
ſchaft. Das zeigt an, daß das Publikum auch geftohlene
Wie gutmütbig für originelle annimmt!
Der Witz, fagt Jean Paul, ift eine heilfame Tebens-
gabe der Natur, das heißt, went die Natur diefe Gabe gibt,
der hat fein ganzes Leben daran zu heilen!
Können Sie fid) denfen, meine freundlichen Hörer
und Hörerinnen, daß gerade über dem Wit das „Dar-
ftellungs-Bermögen“ liegt? Das ift ein Troft für alle
Darfteller, wenn fie witige Kritiken lefen müſſen, daß ihre
Kunft höher liegt, als der Wit. Sie werden es aljo natürlich
23
finden, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, daß
Hier in diefem Kreis, wo Künftlerinnen von ſolchem
Darftellungsvermögen find, mein Wig ganz unter-
liegen muß!
Bei vielen Kritikern ift e8 mit dem Darftellungs-
vermögen fonderbar; fie kritifiren eine Darftellende Perſon,
man meint, fie zielen auf ihre Darftellung, fie zielen aber
blos auf ihr Vermögen.
Der „Zahlenfinn“, meine freundlichen Hörer und
Hörerinnen, liegt ganz im Augenwintel, darum, wenn Einer
bezahlen fol, fucht er einen Winkel, in welchem ihn
fein Auge erblidt.
Hierliegtder „Sewisfenhaftigleitsfinn,“ und
weil ich dabei bin, jo will ich gewifjenhaft genug fein, Sie
nicht länger zu langweilen, fondern meinen Kopf und diefe
Beiden bei Zeiten zurüd zu ziehen.
Man fagt: „Biel Köpfe viel Sinn“ ; hier waren nur
Drei Köpfe und doch viel Sinne,
Wir bitten gemeinfchaftlicd um Nachficht, zwei
von uns find ſchon vor den Kopf gefchlagen, und was den
Dritten betrifft, jo verfichert er, daß von diefem Augen-
blide an Ihnen mehr fein Kopf nicht weh thun foll.
- Angelnene Bariationen anf die vier Weh (W) des
Kebens: Wein, Weiber, Witz nnd Wahrheit.
17 mögen ungefähr ſechs Jahre fein, daß ich über das—
felbe Thema: über Wein, Weiber, Wahrheit und
Wir eine Vorlefung gehalten habe; allein ich Habe feit-
dem fo viele neue alte Weine getrunfen, fo viel alte junge
Weiber geliebt, jo viel ſchlechten Wig von mir gegeben, und
fo viele gute Wahrheiten in mir behalten, daß ich über diefe
vier Weh ein nagelneues Wehgefchrei erheben Fann.
Der Wig liebt die Weiber, denn woraus befteht der
Wis? Der Witz befteht in der Eigenfchaft, die Achnlichkeit
an den fich widerfprechenden Dingen aufzufinden. Darum
ſucht der Wig die Weiber, fie find die Aechnlichkeit des
Widerſpruches, es widerſpricht fi) Eine wie die Andere,
und das ift der Wis!
Der Wit holt fi feinen Mann aus Hunderten her»
aus und nimmt ihn mit, darum lieben die Weiber den Wiß,
vielleicht holt er auch ihren Mann aus Hunderten heraus
und nimmt ihn mit.
Es gibt ftarfe Weine, ſtarke Weiber, ftarfe Wie und
ftarfe Wahrheiten! Starke Weine legen ſich ins Blut, ftarfe
Weiber legen fid) in den Magen, ſtarke Wite legen ſich in
q
die Rippen, und ftarfe Wahrheiten legen fich aufs Gefäng⸗
niß. Es gibt viel ftarfe Menfchen, die viel ſchwache Stun»
den für ftarfe Weine haben; e8 gibt viel Schwache Menſchen,
die viel ftarfe Stunden für ſchwache Weiber haben; aber
es ift ein ſtarker Beweis für die Schwäche unferer Zeit,
daß fie den ſchwächſten Witz über eine ſtarke Wahrheit nicht
ertragen kann.
Mit der Wahrheit kommt man weit, fagt das Sprich⸗
wort, das glaub’ ich, mit der Wahrheit wird man überall
fortgejchict, fo fommt man weit. Wie weit fommt man aber
mit der Wahrheit? Bis zum Wein; im Weine bleibt fie
fiegen, darum finden wir alle unfere Wahrheitsfreunde nur
in den Weinhäufern liegen; da liegt die Wahrheit im Wein
fo lange auf dem Tiſch, biß der Wein im Wahrheitsfreund
unter dem Tifch Liegt. Einem ſolchen Wahrheitstrinker Tiegt
die Wahrheit ftetS auf der Zunge, allein zum Unglüd für
die Welt nimmt fie eine verkehrte Richtung, anftatt daß er
am Ende den Wein verfchluden und die Wahrheit von fich
geben fol, verjchludt er die Wahrheit und gibt den Wein
von fidh!
Es gibt Tifchfreunde, Tiſchwahrheiten, Tifchweiber
und Tiſchwitze; der Tifchfreund ift wie ein Tiſchwein, wenn
der Tiſch aufgehoben wird, hebt fich die Freundſchaft aud)
auf; ein Tiſchwitz ift wie der Tifchwein, man kann fo viel
davon genießen, als man will, man fpürt doc) nichts im
Kopf.
Es gibt gute Weinjahre, Jahre, in denen der Wein
außerordentlich gerathen ift? Hört man aber je fagen:
28
„Heuer iſt ein gutes Weiberjahr! Heuer iſt ein gutes
Witzjahr!“
Warum kommt nicht einmal ein Komet, der ein gutes
Frauenjahr bringt? Man hört oft einen Mann ausrufen:
„Ich hab' aber zu Haus einen Elfer oder einen Sechziger;“
wie ſchön wär's, wenn man ſagen könnte: „Ich hab’ zu
Haus eine Elferin!“ Da wüßte Yeder, die ift von dem
Jahre, wo die Frauen fo gerathen find. Ia, man genirt ſich
ordentlich zu jagen: „Zu Haus hab’ ich cine Sechzigerin!“
Die Liebe zum Wein ift viel glüdlicher, als die Liebe
zu den Frauen; wer ein Mädchen hoffnungslos liebt, findet
Troft im alten Weine; wer aber den Wein hoffnungslos
liebt, findet feinen Troft in einem.alten Mädchen! Wer ein
Mädchen Liebt, und von feinem Gegenſtande ganz voll ift,
ift verfchloffen und. ftößt die ganze Welt zurüd; wer den
Wein liebt, und von feinem Gegenftande ganz voll ift, der
fließt über, und die ganze Welt gehört ihm. Es gibt Men-
fchen, die heimlich trinken und öffentlich befoffen find; Men⸗
ſchen, die heimlich Lieben und öffentlich närrifch thun;
Menſchen, die heimlich Witze ftehlen und fie öffentlich drucken
laſſen; Menſchen, die Öffentlich Wahrheit lehren und hein-
lich getäufcht werden.
Der Menfch fol nichts Lieben, als fich, meine lieben
Lefer, denn da kann er fiher auf Gegenliebe rechnen;
nur die Dichter find unglüdlich, wenn fie fid) jelbft lieben,
denn fie können fich felbft fchwer erhalten!
Die Dichter find mit der Liebe übel dran, fie können
nicht Lieben, ohne zu fingen, ſie können nicht fingen, ohne erft
zu trinken, fie haben aber nidjts zu trinken, bis fie nicht
früher gefungen haben; fie müſſen alfo lieben, fingen und
trinten auf einmal, fie müfjen immer ein Tintenglas, ein
Augenglas und ein Weinglas in der Hand haben; daher
ihre Confufion, daher vertrinken fie die Liebe, und verlieben
ih in Trunk, und verfingen Beides.
Die eigentliche Liebe, die wahre Liebe kann auch nicht
ſprechen. Die Frau verhüllt ihre Kiebe in Schweigen, der
Mann in Gefang. Das Herz des liebenden Weibes ift ein
Sabinets-Courier des Himmels, e8 trägt feine Sendung
unter heiligem Siegel verfchlofjen mit fich, kaum fich feines
fügen Inhaltes ſelbſt bewußt. Der Mann fingt von feiner
Liebe, denn auf der Erde findet er nichts, mit dem er ſich
vergleichen könnte, und zum Himmel kann nur der Gefang
empor, um feine Vergleiche und feine Sterne zu holen. Die
Liebe der Frauen ift der Aether, Geſänge diefer Liebe find
die Blumen, und taufend Blumen trinken Thau aus einem
Aether, und taufend Blumen faugen taufend verfchiedene
Farben aus dieſem einerlei Aether. Der ſchweigſamſte Mann
wird beredt, wenn er liebt, die fprachfeligfte Frau wird
fchweigfam, wenn fie liebt. Im Herzen des Mannes ift die
Liebe eine Erzählung, Dichtung und Wahrheit, eine Novelle
mit Fortfegungen und Unterbredjungen; im Herzen der
rauen ift die Liebe ein englifcher Gruß, ein Bater Unfer,
und ihr ganzes Leben ift dann nichts, als einlanges, frommes
Amen diefer Empfindung.
Die Liebe ift wie eine Brenneffel; der Dann fat fie
mit keckem Finger und hart an, und fic verlegt ihn nicht;
30
die Frauen erfaſſen ſie zagend, leiſe, mit Zucken, und ſie
fühlen das brennende Gift.
Man ſagt „unglückliche Liebe!“ Es gibt keine
unglückliche Liebe, meine lieben Leſer, wer wahrhaft liebt,
ift glücklich, und trodnet die Hand der Tiebe auch nicht feine
Thräne, und tönt feinem Liebesflang auch kein Liebeston
entgegen, er ift dennoch glüdlich, denn wer trodnet die
Thräne der Roſe, wer erwiedert das Lied der Nachtigall, wer
gießt Gegenliebe in die Bruft der unruhigen Sonnenblume?
Und doch fragt fie, fo jagt die Hofe: die Thränen find mein
Gläck, und die Nachtigall; mein Schmerzlied ift meine Wonne,
und die Sonnenblume: meine Unruhe ift mein einzig Heil.
Die glüdliche Liebe Hat nur Erinnerungen, die un⸗
glüdliche Liebe Hat Hoffnungen, und wo die glüdliche Liebe
ihre Erinnerungen ablegt, da geftaltet unglückliche Liebe ihre
Hoffnungen zu Erinnerungen. Glüdliche Liebe ift eine
Jugendkrankheit, in der man aus Altersſchwäche ftirbt;
unglüdliche Liebe ift eine zur Ruhe gefetste Wehmuth, fie
lebt von dem Önadengehalte der Erinnerung, und jede
Erinnerung, aud) die Schmerzlichfte, ift wie ein alter, wieder
aufgefundener Brief von vor langen Jahren; wir gehen mit
ihm bis zu feinem Datum zurüd, und die abgeblaßten
Züge rufen rofige Züge aus unferer Jugendzeit zurüd.
Es gibt nur eine glüdliche Liebe, wenn man den
Gegenftand feiner Liebe zu feinem Glüd nicht kriegt!
Die jetige Liebe ift wie die Mondfinfterniß, wenn
man jagt: „fie ift durch ganz Europa ſichtbar,“ fo heißt
dad: „man fieht gar nichts.“
31
Die Claſſiker, die Alten ſagten einſt: „Liebe regiert
die Welt!“ — Das ſagen die Alten auch jetzt noch, aber
die Jungen ſagen's nicht mehr.
Da ſind wir, meine lieben Leſer, auf ein fünftes
Weh gekommen: Welt! Die Welt iſt der Inbegriff aller
Erſcheinungen, in unſerer Welt erſcheint aber gar nichts
mehr; wo iſt in unſerer Welt alſo die Welt? Die ſchöne
Welt iſt häßlich, die große Welt iſt klein, die feine Welt iſt
grob, und die ganze Welt iſt nur eine halbe Welt, — wo
iſt die andere halbe Welt?
Kennen Sie, meine lieben Leſer, unſer Weltſyſtem?
Die ſchöne Welt kommt ſyſtematiſch zuſammen, und ſetzt ſich
in einen Kreis: das iſt der Weltkreis; die jungen Herren
ſegeln um die Frauenwelt herum, das ſind die Weltum—
ſegler, die auch das Schickſal aller Weltumſegler haben,
Daß fie nie in den ſtillen Ocean gelangen können.
Zuerft dreht fich das Geſpräch der ganzen Welt ums
Theater, das ift die Weltachſe; dann erzählt man ſich
Geſchichten aus der Stadt, das ift die Weltgeſchichte;
die älteften Bonmots werden neuerdings erzählt, das ift die
alte und neue Welt; um das goldene Haupt der
jungen Mädchen bilden die filbernen Köpfe der reife
eine eherne Mauer, und erproben ihre eiferne Geduld,
das find die vier Weltalter; dann fragt man ſich: haben
Sie gehört, was für ein Gerücht verlautet? das ift das
Weltgericht; dann ſetzt man fid) an den Spieltifch, das
find die Weltfarten; dann taufcht man feine Neuigkeiten
aus, das ift der Welthandel; dann erfäuft man ſich in
32
ein Meer von Gemeinplägen, das ift dad Weltmeer;
dann kommt ein Schriftfteller, bringt die Gefellfchaft der
ſchönen Welt zur öffentlichen Kunde, das ift die Welt-
Funde; und zulegt madjt das Schidfal einen Strid) durch
die Weltkunde, das endlich ift der Weltftrich. Sehen Sie,
das ift das neue Weltgebände.
Die ganze Welt fagt: die Welt muß zu Grund gehen;
die Welt ift aber fo grundlos, daß fie nicht zu Grund gehen
kann, und man kann wirklich fagen: daß die Welt zu Grund
gehen fol, dazu ift fein Grund vorhanden.
Durch Wein, Weiber, Wit und Wahrheit wird die
Welt curios zu Grunde gerichtet, aber eine zu Grund
gerichtete Welt mit Wein und Weibern hat die ganze
Welt im Grund doch noch lieber, als eine nicht zu Grund
gerichtete Welt ohne Wein und Weiber.
Die Bühne, mein lieber Lefer, die Schaubühne, das:
find „die Breter, die die Welt bedeuten.” — Da aber die:
Welt jett nichts bedeutet, fo bedeuten die Breter auch nichts.
Ta, man kann fagen: auf den Bretern, die die Welt bedeuten,
da ift die Welt bedeutend mit Bretern verfchlagen.
Auf diefer Welt, auf diefer Breterwelt find die vier
Weh: Wein, Weiber, Wit und Wahrheit fehr wehleidig!!
Unfere Theaterdichter bringen nichts als alte Witze
und junge Weiber auf die Bühne, und anftatt reinen Wein
ſchenken fie unreine Wahrheit ein. Die Wahrheit ift aber,
daß fie beim Wein fchlechte Wite über die Werber machen,
und dann diefe ihre ſchlechte Aufführung durch eine gute-
Aufführung in die Welt ſchmuggeln. Unfere Theaterbichter
33
gehen mit Weiber, Wig und Wahrheit in ihren Theater-
ftüden fonderbar um ; anftatt daß fie gefuchte Weiber, feinen
Bort-Wig, und blanke Wahrheit haben follen, haben
fie blante Weiber, gefuhten Wit und fein Wort
Wahrheit! Anftatt daß fie die Weiber dem Leben abftehlen
und ganz neue Wige hervorbringen follen, bringen fie neue
Weiber hervor, und ftehlen den Wit von den Lebenden; und
das ift die ganze Wahrheit bei der Sache!
Der Wig, meine lieben Lefer, ift jegt die Hauptfache,
von Handlung und Charakter ift gar feine Rede. Blos
wie der Dichter um fein Honorar Handelt, dag ift die einzige
Handlung, und wie ihm manche Direktoren ganz harafter-
[08 davon abziehen, das ift der einzige Charalterzug.
Der Wit wird in der ganzen Welt zur Thür Hin-
ausgemworfen, er muß alfo auf der Straße liegen; es hat
fi alfo aller Wis in die Straßenjungen gefchlagen, und
diefer gefchlagene Wit fommt jet aufs Theater.
Unfere Dichter können mehr als der Himmel; der
Himmel hat blos aus Nichts die Welt erfchaffen, die
Theaterdichter erfchaffen aber fogar aus einem Taugenichts
ihre Welt, und fo ein Taugenichts ift noch lang fein Nichts,
fo ein Taugenichts braucht erft einen Pariſer Dichter, einen
deutfchen Ueberfeßer, ein Theater, und eine fehr gelungene
Darftellung, bis er vollfommen Nichts ift!
In einer Hinſicht veredeln die Dichter die Straßen
jungen, nämlich: auf dem Theater fehen wir fie in vier
langen, zerriffenen Aufzügen, die wirklichen Straßenjungen
erfcheinen gewöhnlich nur in einen zerriffenen Aufzug!
M. ©. Saphir's Schriften. V. DB». 3
3
Ein anderer Mebelftand aber entſteht der Kunft durch
die. Aufführung diefer Straßenjungen. Es ift nämlich eine
Wahrheit, jo alt, wie die Choriftinnen des ***theaters,
und doch fo neu, wie der alte Wein bei ***: daß fein
Menſch [ich ſelbſt beurtheilen kann — wie jollen aljo
unſere Recenfenten diefe Straßenjungen beurtheilen ?
- Man könnte freilich jagen: die Straßenjungen ſind
unter der Kritik! Das kann aber nicht fein, denn die Kritik
ift ja ter den Straßenjungen! Man kann alfo im wört-
lichen Sinne ſagen: Straßenjungen und Kritif haben es
unter fi felbft auszumachen!
Sie fehen, meine lieben Leſer, daß, fo oft andy im
Leben über gute Wahrheiten Schlechte Witte gemacht werden,
fo trifft fi) doch, dag man mauchmal einen guten Wit
über eine fchlechte Wahrheit machen Tann.
Ich nenne aus Befcheidenheit meinen Wig gemach⸗
ten Wit Denn die vier Weh thuen Einem auch verfchieden
weh: Die nachgemachten Weine, die davon gemachten Weiber,
die abgemachten Wige und die. ausgeniachten Wahrheiten
thuen Einem im Leben fehr weh.
" Bei Wein und Weiber ift der Unterfchied: wir koften
den Wein, und die Weiber foften ung; bei Wit und Weiber
ift das der Unterfchied, dag wir traurig find, weun unfer
Witz ausgeht, daß wir aber froh find, wenn unfere Weiber ein
Bischen ausgehen; bei Wahrheit und Weiber ift der Unter»
fchied, daß fich taufend Wahrheiten, aber nicht zmei Weiber
miteinander vertragen; bei Wig und Werber ift der Unters
ſchied: bei dem Wit Liegt die Anſchauung in dem Berftand,
3
bei den Weibern liegt der Berftand in der Anſchauung;
der Witz ift Meifter im Zufammenfeßen, die Weiber find
Meifter im Auseinanderfegen. — Wie glüdlich ift der
Menſch, bei dem ein Wig den andern jagt; wie unglüd-
lich ift der Menſch, bei dem cin Weib das andere jagt. —
Da ich aber befürchte, dag mein Wi nicht wieder einen
Wit, fondern die Leſer jagen könnte, fo will ic) von Wig,
Wein, Weiber und Wahrheit abbrechen, damit Sie gar
kein Weh mehr. haben.
Die sarptifde Sinfterniß bei Gasbeleuchtung und
der. Ochs in Der Katerne,
Gine pumorififge Olla Potrida.
G. gibt viele alte Berühmtheiten, die, wenn fie in ber
jeßigen Zeit eriftirt hätten, nie berühmt geworden wären.
Zum Beifpiel die „egyptifche Finſterniß“, die mag
zu ihrer Zeit berühmt gewefen fein, aber jett finden wir
ſolche Finfterniffe auf der Gaffe; wenn jet eine egyptifche
Finſterniß käme, man würde fie gar nicht fehen; fo finfter
wie eine egyptifche Finſterniß iſt's jet, Gottlob, wenn der
ſchönſte Sommertag iſt!
So auch die berühmten „ſieben Weiſen Grie—
chen lands“, wenn ſie jetzt lebten, fie wären die „ſie ben
Narren Deutſchlands!“
Diogenes war ein Weiſer, weil er mit der Laterne
herumging, um einen Menſchen zu ſuchen; jetzt gibt's gar
keinen ſolchen Narren mehr, der einen Menſchen ſucht.
Bei dieſer Gelegenheit drängt ſich mir eine ſehr
wichtige Frage auf; hat Diogenes in einem Weinfaſſe
oder in einem Bierfaffe gewohnt? Diefe Frage ift von
größerer Wichtigkeit, al8 man glaubt, denn hat Diogenes
in einem Bierfafje gewohnt, fo hat es in Griechenland
Bier gegeben.
37
Wer von Ihnen, Liebe Lejer, kann mir eines der
zarteften Geheimnifje ber Natur, eines ber finnigften Räthſel
des menfchlichen Geiſtes entgüllen, nämlih: „Warum
fallen die vom Bier Betrunfenen aufden Rü—
den, und die vom Wein Betrunkenen auf die
Naſe?“
An dieſe zarte Lebensfrage knüpft ſich noch eine dritte
Frage an: „Wenn die Bierbetrunkenen auf den Rü-
den, und die Weinbetrunlenen auf die Naſe fallen,
wohin fallen die von Liebe Trunkenen?“ — Die Antwort
aufdiefezweite Frage ift ganz leicht: die von Liebe Trunkenen
fallen jegt ganz auf die Seite. — Früher war man
von der Liebe trunken, weil man über das Maß geliebt
hat; jegt bleiben wir in der Liebe gleich beim erſten Pfiff
ftehen, wo fol da die Zrunfenheit herfommen ?
Was hat der PHilofoph Diogenes in feinem Faſſe
voraus gehabt vor allen unjern PHilojophen? Er war
wenigftens faßlich! — Unfere Philofophen find umgekehrte
Diogeneſſe, anftatt daß fie wie Diogenes fich in ein Wein-
faß ziehen, ziehen fie ein Faß Wein in fich, und werden
Pbilofophen per fas et ne-fas! — Darum ftndirt man
drei Jahre Philofophie; das erfte Jahr den Heurigen,
das zweite Jahr den Borjährigen, und das dritte Jahr
wird blos repetirt!
Eine eben fo abgeſchmackte Berühmtheit war der große
Roscius, ber erfte römische Künftler. Er war gewiß ein
gewaltiger Eoulifjenreißer. Ueberhaupt, wie kann Roscius
ein großer Künftler gewefen fein, er hat ja gar nie in Berlin
38
geſpielt! Sa, noch mehr, der Kerl hat ja gar Feine reine
deutſche Ausſprache gehabt!
Nun aber, liebe Leſer, ſehen Sie nicht ein, wie ich
mit allen dieſen Abwegen und Abſprüngen wieder auf den
Titel meines Auffages zurückkommen will? Das fehen Sie
nicht? Das jehen Sie nicht? Sehen Sie, da 8 ift eben die
egyptifche Finfternig, daß Sie es nicht fehen! das ift ja
eben der ſichtbare Segen der Finfterniß, daß man die Leute
ftundenlang herumführt, und daß fie dann wieder dort find,
wo fie ausgegangen find! Ich habe Ihnen in diefer Yinfter-
niß einen Mann mit einer Laterne mitgegeben, und dod)
haben Site nicht gefehen, wo ich Site hinführe, geftehen Sie
nur, daß mar eine folche Finfterniß nicht alle Tage fieht!
Die egyptiſche Finſterniß ift die einzige egyptifche
Mumie, die fi) ganz unverfehrt bis anf unfere Zeit er-
halten hat.
Die Egyptier haben es verftanden, ihre Finfternif
einzubalfamiren, bei uns ift diefe Kunſt ganz verloren ges
gangen, denn für unfere Finfterniß gibt c8 feinen Balfanı.
Damit wir aber diefe egyptifche Finfterniß allgemein
jehen können, haben wir die Gasbeleuchtung erfunden, und,
beim Licht beobachtet, ift die Finfterniß ein wahres lumen
mundi. Zur Beleuchtung unferer Finfterniß aber kann Fein
anderes Licht fein, als Gas, denn die erſte Gas-Art ift
fire Luft, und in unferer Finſterniß muß man froh fein,
wenn man wenigftens ein Bicchen freie Luft firirt Hat.
Wenn man alfo die Finſterniß beleuchtet, fo fieht
man, wie glüdlicd) die Leute find, die nicht fehen.
Die „LKiebe*, die „Gerechtigkeit“ und das
„Gläück“, find drei glückliche Wefen, die nicht fehen; bie
Liebe ift blind, das Glück ift blind, und die Gerechtigkeit
ift blind. Wenn diefe drei Blinden fehen würden, jo würden
fie Dinge fehen, daß ihnen Hören und Sehen verginge.
Daß die Gerechtigkeit blind ift, ift längſt befannt.
Die Tiebe, meine guten Leferinnen, ift auch blind,
und das Gläck iſt auch blind! Es ift ein wahres Glüd,
daß die Liebe blind ift, und es ift mir Lieb, daß das Glück
blind ift. Wäre die Liebe allein blind und das Glüd nicht,
fo würde das Glück fehen, daß diefe Liebe keine Liebe ift;
wäre das Glüd allein blind und die Liebe nicht, fo würde
die Liebe fehen, daß diefes Glück kein Gläck iſt!
In der egyptifchen Finfternig waren lauter glüdlich
Liebende, denn die Liebe ift nie glüclicher, als wenn fie nicht
ſieht.
Der Menſch ſoll über ſeinen Zorn die Sonne nicht
untergehen laſſen; und der Menſch ſoll über ſeine Liebe
die Sonne nie aufgehen laſſen. Man muß nicht nur nicht
in den Tag hinein reden, ſondern auch nicht in
den Tag hinein lieben!
Die Liebenden ſind ganz andere Menſchen, als andere
Menſchen. Andere Menſchen, wenn ſie genug gelebt haben,
vertauſchen fie das Zeitliche mit dem Ewigen. Die
Liebenden ſchwören ſich erſt ewige Treue, ſehen ſich dann
zeitlich nach einem Andern um, und bevor Eins von ihnen
noch das Zeitliche mit dem Ewigen vertauſcht, ver-
tauſchen ſie einigemal das Ewige mit dem Zeitlichen!
40
Die Liebe ift blind, darum find die Verliebten
ftodblind, die Berheiratheten aber blos ftaber[blind!
Der Tag ift ein Mann, die Nacht ift ein Weib, in
der Liebe aber ift das Weib der Dann!
Der Zag und die Nacht, das ift ein feltenes Ehepaar,
wie glücklich leben fie feit ewigen Zeiten, das ift auch Feine
Kunft, wenn der Tag kommt, geht die Nacht fort, und wenn
die Nacht fommt, ift der Tag über alle Berge!
Bei diefem Ehepaar, Tag und Nacht, ift im Winter
die Frau Nadıt glüdlich, denn da hält fie ihren Dann kurz,
und im Sommer ift der Dann Tag vergnügt, denn er fieht,
wie feine Frau alle Tage mehr abnimmt.
Nur einmal kommen fie fich gleich unaußftehlich vor,
wenn Tag- und Nachtgleiche ift, und um diefe Zeit
weiß man, gibt’8 auch die gefährlichiten Stürme.
Die Liebe hat Augen, abernichtzum Sehen, fondern
zum Weinen, die Liebe hat eine Zunge, aber nicht zum
Reden, fondern zum Singen, und fie hat eine Wange,
nicht um zu blühen, fondern um zu erröthen. Die Liebe
trägt das Gehör auf den Wangen, das Wort im Auge und
den Blick im Herzen!
Das menfchliche Herz hat drei Natur-Reime: Das
Herz der Fröhlichen auf Scherz, das Herz der
Liebenden auf Schmerz und das Herz der Vor—
nehmen auf Erz. Wir Wiener haben noch einen vierten
Lofal-Reim: Wir haben ein Herz wie ein Sterz, das
ift aber ein Faſten⸗Reim, und ein Wiener Herz hat eine
Faſten.
4
Der gute Appetit der Wiener gegen den ber Berliner,
hat mir einen wichtigen Auffchluß über den Sprachunter⸗
fchied diefer beiden Völker gegeben.
Der Oeſterreicher ſpricht Alles in der längſt⸗
vergangenen Zeit. Der Preuße Alles in der jüngft-
vergangenen. Der Oefterreicher jagt: „id bin jpa=
zieren gegangen.“ Der Breuße jagt: „ih ging
Tpazieren!" Der Oefterreider fagt: „Die hab’ ich
angegudt!® Der Preuße fagt: „Ic gudte fie
an!“ Woher kommt diejer Unterfchied ? Der kommt vom
Appetit her.
Wenn der Wiener Mittags einen Faſan gegeſſen hat,
Abends fcheint e8 ihm ſchon fo lang, daß er feinen Faſan
gegeflen hat, daß er in der Längftvergangenen Zeit fagt:
„3 hab’ einen Faſan gegeſſen!“ — Wenn der
Berliner einen Faſanflügel ift, jo ift ihm vierzehn Tage
nachher noch jo, als Hätte er ihn eben erft gegeifen, und
er jagt in der jüngftvergangenen Zeit: „Ich aß
ein Faſanſlügelchen!“
So fpricht des Wieners Herz Alles in der längftver-
gangenen Zeit. Wenn er in der Yrüh geliebt hat, fo jagt
er Abends: „Ich hab’ geliebt gehabt!“
Aber in der Liebe, verehrte Xefer, gibt e8 jet über-
haupt nur eine längftvergangene Zeit, das heißt, die
Zeit, wo man geliebt Hat, ift lLängft vergangen!” —
Wenn mir Jemand feine Geliebte vorftellt und fagt: „Das
ift meine Zukünftige;“ fo denke ic) mir immer: das ift
feine zufünftig vergangene Zeit!
42
Die Liebe ift blind, die Herzen der Männer aber
find fo hbarmherzig, daß jedes Herz feine eigene Blinden-
Anftalt hat!
Die Liebe ift blind, und doch fagt man: ‚Die Liebe
und die Zigeuner ſehen im Finſtern.“ — Warum ſehen die
Zigeuner im Finſtern? weil ſie von der egyptiſchen
Finſterniß herſtammen. Die Finſterniß iſt alſo das Per⸗
ſpektiv der Liebe. Da wir jetzt eine doppelte Finſterniß
haben, die egyptiſche und die europäiſche, fo Hat unfere
Liebe ein ganz modernes ‘Doppel Perfpeftiv!
Nun fehen Sie, da find wir fchon wieder bei unſerm
Titel, bei der egyptifhen Finſterniß, und was den
Ochſen betrifft, verlaffen Sie ſich nur auf mich. Laffen
Sie mid) nur ein Bischen zu mir fommen, und wir werben
gleich bein Ochſen fein. Die Egyptier haben befanntlid
einen Ochſen angebetet; wir weichen etwas davon ab, und
beten blos zumeilen eine Kuh an.
Mein Gott! wie viel Mädchen beten nicht einen
golden Dehfen, und wie viel Männer eine goldne Gans
an? Am Ende nimmt ber goldne Ochs die goldne Gang,
und fie feiern die goldne Hochzeit; denn es ift ihnen
jogleih, ald hätten fie fchon fünfzig Jahre zufammen
gelebt! —
In der Liebe vergeht ein Jahr wie ein Tag,
in der Ehe vergeht ein Tag wie ein Jahr, darnm rüfte
fi) jeder Ehemann an jedem Sonntage zum fieben-
jährigen Krieg, und an jedem Erften des Monats
zum Dreißigjährigen Krieg! |
u
43
Jedes Jahr, das man mit einer Frau zu leben hat,
iſt ein Streich des Schickſals; wer die filberne Hochzeit
feiert, der Hat feine fünf und zwanzig glücklich überftanden,
und wer die goldene dodzeit feiert, der hat fünfzig
befommen!
Warum zündet man bei einer Hochzeit am hellen,
lichten Tage, Hochzeitsfadeln an? Weil man ſchon bei der
Hochzeit anfängt, finftere Oefichter zu machen? Wiederum
eine Finſterniß, die noch älter ift, al8 die egyptifche! —
Die Egpptier in ihrer Finſterniß hatten Recht, die Ochfen
anzubeten, denn ein Ochs ift ein unfehlbares Mittel zur
Aufflärung und Fichtverbreitung.-
Sie fehen mich erftaunt an? D ich bitte Sie, be-
trachten Sie die Ochſen aus einem freundlichern Geſichts⸗
punkte!
Die Ochſen ſind reſpektabler, als die Menſchen: kein
Ochs pflügt mit einem fremden Kalbe; jeder Ochs trägt
redlich ſeine Haut zu Markte, und wenn der Ochs einmal
vor den Kopf geſchlagen iſt, ſo iſt er genießbarer,
als wenn der Menſch vor den Kopf geſchlagen iſt!
Gibt's nicht ausgezeichnete Künftler unter den Ochfen,
zum Beifpiel, große Horniften? Sind die Ochſen nicht
ausgezeichnete Redacteurs, wiederfäuen fie ihre Artikel
nicht immer und emfig! Die wirklichen Ochfen kann man
fochen und braten, die menſchlichen Dchfen muß man roh
genießen !
Wie man nun mit einem Ochſen die Finſterniß be-
leuchten kann? Nichts Leichter, ald das. Man fchlägt den
44
Dchfen todt, man zapft ihm das Fett ab, man läßt das
Bett aus, man macht aus dem Fette Lichter, man ftedt das
Licht in die Laterne, jo ftedt der Ochs in der Laterne, und
beleuchtet fein Sahrhundert !
Man verjuche aber einmal, und laſſe unſere menfch=
lichen Ochſen aus — und wir haben viel ausgelaffene
Ochſen — allein ihr Fett taugt nicht zum Lichtermachen,
und könnte man aud) Lichter daraus machen, ſo wären es
doch keine gezogenen.
Ich glaube alſo ganz beſtimmt, daß Diogenes in
der egyptiſchen Finſterniß gelebt hat, daß er in ſeiner Laterne
einen Ochſen herumgetragen hat, daß er eigentlich unter
den Menſchen einen ſolchen Ochſen geſucht hat, den er auch
als Licht in die Laterne ſtecken könnte, und daß er keiuen
gefunden hat.
Somit wäre die egyptifche Finfterniß, und der Ochs
in Ihrer Gunft gerechtfertigt, und:
Ih fei, gewährt mir die Bitte,
In ihrem Bunde der Dritte,
Dorlefung eines Aurker-Rohres über den gänzlichen
Mangel aller Romantik, gehalten in einer Geſellſchaft
von jungen Runkel-Rüben,
Meine ehrenwerthen Freunde und Runfel- Rüben!
Ihr Geſchlecht fängt an, ſich nicht nur unter die ganze
Erde, ſondern auch über die ganze Erde zu verbreiten!
Sie tragen mit dazu bei, alle Romantik auszurotten und
eine induſtrielle, nüchterne Proſa an ihrer Stelle zu ſub⸗
ſtituiren!
Wenn die Natur Runfel-Rüben-Zuder haben will,
fo bat fie fi) mit der Geburt von Chriftopg Columbus
lächerlich gemacht, und Ludwig Auguft Frankl hat Uns
recht gehabt, einen Mann zu befingen, den die Elcinfte von
Ihnen, meine ehrenmwerthen Damen, entbehrlid) macht!
Fa, Sie, Sie geben der romantischen Licht-Seite
des Lebens den legten Gnadenſtoß!
Die Aufklärung, die Reformen, die allgemeine Er-
findungs-, Entdeckungs- und Erfparungs-Wuth hat allen
Schimmer, alle Illuſionen von den Yittigen der Zeit ab—
geftreift, und die Ä
allgemeine europäiſche Civiliſation
46
bat die fonft romantifch-bunte, malerifche, poetifche, phan⸗
taftifche, ideale Berfchiedenheit der Welt in eine einzige,
große, einförmige, afchgraue Livree geftedt, mit blanken
Knöpfen, auf denen der monoforme Namend- Zug der
modernen Alltäglichfeit ausgeprägt ift!
Die Mythologie haben wir längft verfcherzt und die
Götter Griechenlands; die Drcaden, Dryaden und Hama⸗
dryaden haben wir zu Schiffsballen und Kanalſchleußen
entgöttert; die Önomen haben wir zu Steinfohlenjungen
gemacht; Daphne's Loden flattern in Wildpret-Sancen, und
Bulkans Athem ſchnaubt aus Dawpfröhren uns entgegen.
Aber es blieben unſerer Phantafle noch ſchöne, große
Domänen; unſerer Romantik blieb der ſchöne Wiweuſitz:
Drient, diejes Land der Wunder und Yabeln. Uns blicben
die Schönen Sultaninnen mit langen Schleiern über lange
Wimpern; uns blieben die Houris, Peris, Odalisten aller
fernen Zonen! Uns blieb das fabelhafte Indien, die locken⸗
den Bayaderen; unferer Intuition blieb Afrifa, die Kaſ⸗
fauben, die Dafen, die glühenden Obalisten- Augen, die
brülleuden Löwen, die bethürmten Kameele, die Hngen
Elephanten u. ſ. w.
Alle diefe Güter im Reiche der Einbildungskraft hat
uns die allgemeine Kivilifation geraubt, geplündert, ver⸗
wüftet! Nicht ein baarbreit phantaftifchen Boden Hat fie
unjerer IUufion überlaffen!
Die alte, zahnlofe, prüde, pedantijche, fleife, Eluge,
aber abgefchmadte Gouvernante Europa hat die andern
Welttheile an den Feufchen, aber dürren Bufen genommen,
4
hat fie zu klugen, artigen, gefitteten Iumgens herangezogen
unb. herangebilbet, und da ſtehen fie nun, die drei europäi-
firten großen Bengel, fteif, uniformirt, höflich, kalt, fad,
umd bis zur Abgefchmadtheit unterrichtet und civilifirt!
Aus allen drei Welttgeilen ift fein einziger Tropfen
Romantik nieht zu prefien, Alles ift jo alltäglich civil ge=
worden, jo durchaus europäiſch proſaiſch und farblos, daß
ſie kaum mehr Eoftünt- Ausbeute für einen Theater-Coftümier
abwerfen!
Der Turban macht dem Czako Platz, der Schleier
dem Bibi, die Mandarinen tragen Acdjelbänder, und an
der Stelle der ſchönen Scherezade mit den fügen Märchen
liest Madame La Bim-baſcha den unfterblichen Paul
de Kol! Aus den Boudoirs in Algier wird wie aus denen
zu Paris gejchrieben:
” „Madame Fetscha-Bumba prie Mr. Pinca-Rauka
de lui faire 'honneur de prendre le th& etc. ete.*
Der Enkel von D'ſchingis⸗Chan verbietet da8 Opium
tu Folge eines Mäßigkeitsvereins; das Opium, diefen phan-
tasmagorifchen Zauberer, der den fiebenten Himmel mit
feinen Houris, Drama und Wifchnu vor die Seele zaubert!
Der Nimbus der Bayaderen zerfließt im Saal VBentabour!
Die Löwen Afrika's empfangen Beſuche von den Parifer
Grifetten, die Arra's, Lory’8 und Papageien fagen: „bon
jour!* Der Elephant apportirt und macht den aimablen.
Ale Affen und Mandrills, und all die bizarren Menfchen-
Incunables der Schöpfung haben ihren Bürgerpalaft im
jardin des plantes!
48
Wo fol da die Romantik noch ihre Rekruten her-
nehmen? Woher die Bhantafte ihre Bilder fouragiren?!
Die Univerfalbildung hat die Romantik aufgegeffen,
die ſporadiſche Eivilifation ift eine epibemifche
geworben, hat alle Romantik mit Haut und Haar ver-
fhlungen, wie der Veſuv den Empedofles, und hat nichts
von ihr übrig gelaffen, als aud) nur den ledernen Bantoffell
Ich, das Zuckerrohr, ich ftehe nur allein noch als
ber legte romantifche Mohilan da; meine Lpden flattern
wie die Trauerweiden Babylons an den Ufern des Dceans,
und ich jchüttle weinend mein Haupt herüber auf das von
Runkel-Rüben-Proſa durchaderte Europa!
Ich, meine ehrenwerthen Runtel-Rüben, ich Zuder-
Rohr bin ein Edel der Mythologie! Die ſchöne Syrinr
wurde von Ban verfolgt, fie flehte bei ihrem Vater, Majorats⸗
herr eines mächtigen Waffergottes, um Rettung, wurde in
ein Rohr verwandelt, und diefes Rohr bin ih! In mir
liegt romantifch = dramatifcher Stoff: Liebe, Verfolgung,
Baterfluch, die Peripetie zu Zucker, und endlich die füße und
verfühnende Auflöfung! Allein wo ift eine Mythe, welche
bie Runfel-Rübe verfchönt, und wo ift die moralifche Ten-
denz des Runfel-Rüben-Stoffes wie die in mir: wenn bie
Mädchen von Liebe verfolgt werden, jo verwandeln
fie ſich!?
Welches Mädchen würde wünschen, in eine Runtfel-
Rübe verwandelt zu werben?
Mic, brauchen die Poeten zu ihren fchönften Meta-
phern: ſchlank wie Zuder- Rohr! Allein zu welchem
Rn
49
Bilde kann man die Rıinfel-Rüben, diefe Calibans unter
den Pflanzen, gebrauhen? Kein Poet wird von einer
Schönen fagen: „Ihr Wuchs war wie eine Runtel-
Rübe!*
Kotzebue's „armer Poet“ ift in meinem Schatten
entftanden! Lorenz Kindlein gedieh unter den Schatten der
Zuder-Röhre, unter diefen Hohen Rohrmäldern wuchs jene
Liebe, aus jenen fchlanfen Zeugen ihrer Tiebe fchrieb fie
jenes: „ich folgeDir, fobald ic kann!“ welches all’
jenen rührenden Zauber um Lorenz Kindlein legt, der nöthig
ift, um empfindungsvolle Theater-Befucherinnen in Thränen
zu wafchen und zu baden! Glauben Sie, daß ſolch ein Werk
der Liebe, der reinften Liebe, der totalen Hingebung aud in
der Atmofphäre des rothen Mangold, der Dick- und Fütter⸗
Rübe hätte gedeihen können?
Und nun gar Kotzebue's „Negerfflaven.” Was
wären die ohne Zuder-Rohr! Seßen Sie ftatt „Planta=
gen“ Runfel- Rübenfelder, und der dramatifche Effect
ift beim Henker! denn Seufzer, Thränen und Plantagen,
das ift die natürliche oftindische Compagnie, die fid für
den Erfolg diefes Stückes verbürgt; allein ſetzen fie, Seufzer-
und Rummel-Rübe“ oder „Thränen- und Rungfels
Rüben-Zucker-Fabrik“ und alle elegifche Stimmung
ift im Keime erftict!
Ic) fehe die Zeit fommen, wo ſich alle Rüben der
Erde zu Zuder emancipiren werden!
Bor dem Gefeß find alle Rüben gleich! wird die
Gufel-Rübe jagen! — Warum, foll gerade aus dem
M. G. Saphir's Schriften. V. Rd. 4
50
Kainshaupte der rothen Rübe Zuder geprekt werden,
warum nicht aud) aus meinem blonden,langgelodtenHaupte?
fo wird die gelbe Rübe fragen. Dann fommt das ganze
Geſchlecht der Kohl-Rüben, der Mohr-Rüben, der Wafler-
Rüben, der Sted-Rüben, der Teller-Rüben, und die ganze
weitverbreitete Samilie der Rapunzeln, und alle werden
wollen Zuder geben, und alle werden fchreien: „anch’ io
son pittore!“ Alle werden fagen: Preßt nur, preßt,
unter der Prefje gibt Kraut und Rüben aud) Zuder!
Ale Rübenbaner werden bei ihrer Saat deflamiren:
„zen dunflen Schooß der heiligen Erde
Bertrauen wir die Rübenjaat,
Ind Hoffen, daß fie erftehen werde,
Als Zuderrohr von beſſer'm Grad!"
Selbſt dic HleineTeltower-Rübe wird aus den Palmen-
Wäldern um Berlin aus der Erde fteigen wie ein kleiner
Gnom, wird nad) Berlin gehen zu Herrn Rellftab oder
Häring, und wird fagen: „Ihr findet in jeder Natur-
Rübe Stoff zudiden Romanen- und Teihbibliothefen- Zuder:
warum nicht aud) in mir!" — |
Seid nicht ftolz darauf, meine fonft chrenwerthen
Runkel-Rüben, daß ein Centner von euch ein Pfund Zuder
gibt, denn aus welchen Dingen wird jegt nicht Zuder ge=
zogen? AusAehren und Mais; ja, ſogar aus Maculatur!
Maculatur-Zuder!
Welch ein Troſt, welch cine Ausficht für die Pflanzer
der literarifchen Negerfllaven: für die Buchhändler!
Zuerſt preſſen fie den Schriftfteller, dann da8 Werk, daun
al
die Leer, daun das Maculatur! Wie muß ihnen der Kaffee
nit ſolchem Zuder ſchmecken?!
E8 wird eine Zeit fommen, wo man in diefem Macu—
Latur = Zuder fo beivandert fein wird, daß man bei jeder
Taſſe Kaffee, die man trinkt, den Schriftfteller heraus-
fchmeden wird, aus deſſen Maculatur er gezudert ift!
Die Empfindfanen werden Novellen » Zuder, die
NRomantischen Gcorge - Sand » Zuder u. j. w. haben.
Allein, das Alles wird vergehen! Alle andern Zuder
werden zerfließen, alle Prätendenten dieſes ſüßen Throns
werden ihr Ende ereilen, ich allein, das legitime Zucker—
Rohr, werde beſtehen, und in fo viel Zungen ſich auch
die Menschheit theilen möge, c8 wird fein Menſch die
Doppelzüngtigfeit fo weit treiben, um Zuder - Wohr-
Zuder = Runfel - Rüben = Zuder zu adjten!
Und fomit ende ich meine Betradhtung über diefen
Gegenſtand; mögen Sie mir, meine chremverthen Adoptiv-
Zucker-Stief-Kinder and) Hinter dem Rüden ein Rübchen
Schaben, mid) entfchädigt mein innerer Schalt! Ehre, den
Ehre gebührt:
Boll Saft mag wohl die Runkel-Rübe fein,
Tod Zuder wohnt im Zuder-Rohr allein!“
4*
Rokettir-Novellen.
Die Fenſter Linie.
nd es war wieder eine Blondine! Eine wahre
Solififchette, würde ich jagen, wenn id) nicht lie=
Sie wänfchte, meine ehrſamen Leferinnen hätten
den neuen Amadis nicht gelefen.
Zange, fehr Lange, ſeidenweiche Locken fielen un beide
Wangen üppig dicht herab, als wollten fie die Roſen diejer
Wangen fchügen und einhüllen vor jedem Sonnenftrahl,
vor jedem nafchenden Blid. Ein dramatifches Lächeln wohnte
um den zartgeforınten Mund, und der ganze Ausdrud des
Gefichtes war Charakter und entfchiedener Wille.
Sie wohnte mir fchräg, etwas ftark ſchräg gegen-
über, im vierten Stode, id) im zweiten.
Empfindfame Mädchen find leicht auszumittern. Ihre
Fenſter find ihre Charakter - Zeichen.
Siehft Du, mein freundlicher Lefer, an einen Fenſter
einen Blumentopf oder zwei, und daneben einen Käfig mit
einent Bogel, fo fannft Du getroft fchliegen: „Hier wohnt
ein Herz, das noch feinen Vogel im Käfig hat.“
56
Liegt ein Heiner Hund dazwifchen, fo ganz düfter
und halbverfchlafen, ein Mops mit einem überwadhten
Auscultator-Geficht, oder ein fogenannter Pintſch mit der
jtet8 beforglichen Miene, wie ein Induftrie-Papier- Spefu-
lant, fo jei gewiß, hier wohnt eine ſehnende Witwe oder
eine überfpielte Mamfell, die zwifchen Hoffnung und Refi-
gnation noch hin und her getrieben wird, wie eine Sängerin,
die feine Stimme mehr hat, zwifchen der Sehnſucht nad)
getragenem Geſang und dem Erheben in den Triumph der
bloßen Schule.
Sa, bei fortgefegter Forfchluft und etwas Praktik,
fann man aus den Blumen- und Bogel-Arten fo ziemlich
auf den Stand der Eigenthümerin oder ihren fonftigen
Charakter ſchließen.
Eine rothe Pimpinel-Rofe und ein munterer Stieg=-
lit in einem netten Käfig vor dem Tenfter, läßt faft immer
auf eine Nähterin, Marchande de Modes-Gehilfin, Ein-
fafjerin und Faltlerin ſchließen. E8 liegt etwas von den
Anfangsbuchftaben des Liedes: „Freut Euch des Lebens,
weil noch das Flämmchen glüht,“ in den Blättern der
Pimpinell-Roſe, und ein Stieglig ift ja nichts als ein
moderner Ged vom Wafferglaci® oder vom Bolfsgarten,
ins Stiegligifche übertragen, er hüpft und zwitfchert; fein
buntes Kleid, fein Halskrägelchen und fein Schöpfchen iſt
fein Alles |
Auf andere Infaffen aber läßt ein Kanarienvogel
Schließen, neben welchem ein einfames Reſeda-Töpfchen
feinen ftillen Duft wie pia desideria in die Lüfte verhaucht.
a‘
57
Da wohnen DOfficier-Witwen- Töchter, Töchter herunterge-
fommener Rentiers, und das große Heer der Mädchen,
denen das Schidfal die Anweifung nicht einlöste, mit welcher
es fie in das Leben fendete. Ein Kanarienvogel erinnert
immer an die Töne:
„Dorthin möcht' ich ziehen!“
und Reſeda ift verhaltener Wunfch mit ftiller Ergebung.
Wo ein feifter Gimpel im mefjingenen Käfig, ein
rothwangiger Cactus oder eine bunte Belargonie am Fenſter
prangen, da ift gut anfragen und werben, da wohnt die
ausſteuerbekommende, ſtets bei gutem Appetit fich befindende,
und immer etwas zu Efjen im Arbeitstifch ftehen habende
Tochter einesreichen Fabrikanten, Brofefjioniften, gewefenen
Lieferanten u. f. w.
Genug, man kann nad) und nad) eine Gewißheit in
dieſes Syftem bringen, welches, weiter auszuführen, nicht
in den Plan diefes Kleinen Abenteuers paßt.
Alfo, e8 war ein Kanarienvogel und ein Refeda-
Töpfchen, welche am Fenfter prangten, und ich ſchloß mit
großer Gelehrſamkeit auf die Infaffin, welche jedoch lange,
und Tage lange nicht ans Tenfter kam.
Auch als fie ſchon erfchten, und das geſchah dann
immer in den Abendftunden zwifchen fünf und ſechs, be⸗
merkte fie mich lange nicht, welches ich ganz unbegreiflich
fand:
Ich machte die ganze Schule der Kofetterie durch.
Denn die Koketterie ift ein großes Studium, und
man glaube nicht, daß die Natur allein ein Talent dazu
58
ausbildet. Es gibt wohl hie und da Naturfofettirer,
wie e8 Naturdichter gibt, allein es ift auch bei diefen
wie bei jenen nur Halbheit. Die Kofettirfunft ift eine
Mathematik, fie beruht auf Evidenz, und ihre Schlüße
find untrüglid). Ste gewährt wie die Mathematik jene
Sicherheit in ihren Schlüßen, welche den Berftand eben fo
erhöht, als die Werkthätigkeit befriedigt.
Die Grundbafis der Kofetterie ift die Geometrie
und Trigonometrie. Manmuß die ehren von den geraden
Winkeln und frummen Winkeln, von den fpitigen und
ftumpfen Winkeln, von den Scheitel: und Wechjel-Winfeln
genau fennen. Man muß das Berhältniß der eingefchloffenen
Flächen, des Kreifes, des Kegels und des Cylinders inne
haben. Kurz, die mathbematifche Lehre des Lichtes
und de8 Sehens, der Natur von allen geraden, ge=
brochenen und zurüdgeworfenen Strahlen, die Kenntniß
der Lichtrichtung und der Sehwinkel, die Theorie
der Gefichtsfelder und die der Schatten muß man
vollfommen inne haben, um mit Glüd, un mit unbezwei-
felbarer Gewißheit zu kokettiren, und die Koketterie—
Schlußfolge mit Klarheit und Gewißheit ziehen zu
können.
Man lernt nie aus, ſelbſt ich, der ich die „Kunſt
zu Fofettiren“ feit zwanzig Jahren in ben größten euro=
päifchen Schaufpielhäufern gelernt habe, finde immer noch
Etwas zuzulernen!
Die zwei Haupt-Poftulate der Kokettir-Mathematik
ind:
59
Erſtens: Man fann alle Frauenzimmer der Welt
zwingen, mit uns zu fofettiren; notabene wenn fie nicht
blind find, denn in diefem Falle gibt e8 hie und da Aus-
nahmen.
Zweitens: Manmuß fo kokettiren, daß die betreffende Per:
fon eine vollkommene Gewißheit bekomme, daß es ihr
gelte, dag man alſo auf feinen Fall lächerlich werden kann.
Jedoch ic) will meine Geheimniffe nicht zu früh ver-
rathen, da ich eine „angewandte Lehre der Kofet-
tirkunſt“ herauszugeben gedenfe.
Ich verfuchte nit meinen jchrägen vis-A-vis die erften
Elemente meiner Xehre, aber erft jpät wurde es aufınerffam
und feste ſich mit mir in Wechjelwirfung.
Sie lächelte endlich einmal ganz holdfelig! Ach! das
erfte Lächeln, welches aus einer folchen vis-a-vis-Anfdyanung
entgegen blüht, ift nicht zu befchreiben! So muß Columbus
zu Muthe gewejen fein, al8 ev zum erften Male „Land!“
rufen hörte.
Daß ich diefes erfte Lächeln, diefes jüße Früh- und
Schnee - Glödchen de8 Abenteuer » Frühlings, mit aller
Wonne eines beglücten Seladons, mit meinen Augen von
ihrem würzigen Munde pflücte, läßt fic) denken, und ich
wendete nım die weitern Geſetze des Kokettirens an. Zuerft
leifes Lächelns, dann Nicken mit den Kopfe, dann Spielen mit
Blumen, oder eine Blume zerpflüden und die Blätter
fpielend hinüberhaucdhen, dann Buchſtaben an die Tenfter-
fheiben malen, dann ein Briefchen zwifchen dem Daumen
und den Meittelfinger Ereifen laſſen u. f. w.
60
Die Holde am Yenfter fam nun regelmäßig alle
Abend ans Fenfter, und ihre Blicke wurden immer beredter,
und endlich gejellte fich dazu ein Lächeln und ein Niden mit
dem holden Köpfchen, daß die blonden Schlangen fid) um
das liebliche Antlig Füßten, und dann nod) ein Winfen mit
der Hand, welches ich zwar mir nicht ſogleich deuten konnte,
welches ich aber doch mit Niden, Winken und Deuten er⸗
wiederte, und fo ziemlich alle Geftikulationen einer ähnli-
hen Situation durchmachte. Darauf lachte die Holde wieder
laut, und fchlug in die Händchen, das blieb mir zwar etwas
unklar, allein id) hoffte bald Licht zu haben. Ich war ganz
glüdlicd über den glüdlichen Erfolg meiner Senfterlinien-
Correſpondenz, und wünjchte nichts, als die Theure einmal
ſprechen zu fönnen, welches id) ihr aud) mit Zeichen deutlich
zu verftehengab, alleinfiefchiendarauffeineAntwortzugeben.
Und dennoch, dennoch !
Welch ein Entzüden durchbebte mic, als fie eines
Abends am Fenfter erfchien, mit dem Heinen Strohhütchen
auf den Haupte, zum Ausgehen angezogen, und mit fchnellem
Winken herüber nidte, mit dem Finger hinunter zeigte auf
die Straße, nod) einmal Hold lächelte und das Yenfter
zumadhte.
Ich verftand den Wink, hinunter zu kommen, griff
Schnell nah meinem Hute und im Nu ftand ich auf der
Straße, vor ihrem Haufe.
Ich mochte faum zwei oder drei Minuten geftanden
haben, da fam fie herab, die Reizende! Ich hatte nun ihre
ganze Seftalt gefehen, und war wonnig überrafcht, eine
61
junonifche Schlalt, mit den ebenmäßigften Formen und ans
muthigften Gliedmaßen zu fehen.
Allein, welch ein Schreden. Eine bejahrte Mlatrone,
eine Diutter oder eine Tante ging ihr zur Seite!
O Mißgeſchick!
Keinen Blid ließ fie auf mid) fallen. Keine Miene
verrieth, daß fie mich bemerkt, daß fie mic) erwartet, daß
fie mich hieher befchied! die Fleine, doc) nur zu liebenswür-
dige Heuchlerin!
Ic ging ihr lange nach ; nicht die leifefte Bewegung
des Kopfes, nicht das leiſeſte Regen der Hand, ließ mich wiffen
oder ahnen, was vorgegangen tft, und ob fie mich bemerfte.
Ungewißheit, Zorn, Mißmuth, und auf der andern
Seite Entjhuldigung und Sinnen über ihr Benehmen
theilten fich in meinem Gemüthe. Ste gingen irgendwohin
zum Beſuch; felbft am Haufe angefommen, fah fie fich nicht
um, machte fein Zeichen, und verfchwand!
Was mußte vorgegangen fein? War fie böfe? Hab’
ich etwas begangen? Wer follte mir diefe Zweifel löjen!
Ich war feft entfchloffen, mich an der Berrätherin zu
rächen, und am andern Tagegarnichtamfenfter zuerfcheinen.
Uber:
„Was find Pläne, was find Entwürfe,
Tie der Menſch, der vergängliche, baut!”
Kaum ſchlug e8 am andern Nachmittage fünf Uhr,
fo ftand ich ſchon am Fenſter, die fchräge Linie zum Fenſter
vis-&-vis hinauffchauend, und mit Sehnfucht harrend,
„bis die Liebliche fich zeigte!"
6?
Ich mochte kaum zehn Minuten vol Hangen und
Bangen geftanden haben, als fich ihr Wenfter öffnete, und
fie an demfelben erfchien.
Die Falſche! Die Heuchlerin!
Da war wieder das freundliche, holdfelige, bezau—
bernde Lächeln! da war wieder die Miene voll Offenheit und
Zutrauen! Da war wieder das Lächeln voll dramatifcher
Fülle! Da war wieder der Blid vol Hiftorifeher Erinne-
rungen! Das war wieder das Kopfniden voll draftifcher
Wirfung!
Keine Miene von dem geftrigen Exnft, fein Zug der
geftrigen Kälte, feine Spur der geftrigen Apathie!
Alles nichts als lauter Liebe-Leben, lauter Zuthun-
lichkeit! Wieder Nicken und Winken, wieder Tächeln uud in
die Hände Schlagen !
Ich machte allerlei Zeichen der Yrage, der Ver—
wunderung, de8 Verdrußes, des Zornes 2c., id) geftikulirte
tie ein verrüdter Telegraph, ſie aber lachte ſchalkhaft, ja,
lachte immer mehr, und ſchlug in die Händchen vor Luft
und Freude! Die Schadenfrohe!
Mir aber ward das Ding doch gar zu arg! Schon
wollte ich ein drohendes Zeichen geben, da — da erſcholl
aus einem Wenfter neben mir, wo ein Iuftiger Student
wohnte, ein ſchallendes Gelächter! Ich ſah mich um, und
ansfordernd ihm ins Antlit; da aber erſcholl auch von mir
gerade vis-A-vis am Fenſter, ebenfalls ein fchallendes Ge-
lächter; id) war wie von Donner gerührt! Faſt aus allen
Feuſtern der Nachbarſchaft erſcholl cin lautes Lachen!
63
Was war’s?
Ic war ein Narr, meine Kokettir-Mathematik
Hatte fid) um eine Venfterlinte verrechnet. Gerade über
meinem Kopfe, im dritten Stode de8 Hauſes, in welchen
ich wohnte, befand fi) aud) ein Fenſter, und in diefen:
Fenſter befand fich eine Frenndin meiner Holden, fchräger
vis-&-vis! Ihr galten alle die Zeichen, ihr galt das Lächeln,
das Winken, das in die Hand fehlagen und das Hinunter-
zeigen geftern, daß fie ausgehen wird.
Die beiden Freundinnen hatten cine eigene Zeichen—
ſprache, und erft jpäter entdedten fie felbft mid) und meinen
Irrthum und machten ſich nicht wenig über meine Theater—
Actionen und Geberben Luftig.
Auch meine Nebenfenfter und die Fenſter vis-A-vis
gewahrten diefen Irethum bald und hatten fich ſchon einige
Tage an meinen Geftifulationen und an meinen Mienen=,
Augen- und Fingerfpiel hoch ergötzt!
Beihämt und erzürnt ſchlug id) das Fenſter zu,
mit dem feften Entſchluße, fünftig meine Kofettirlehre mit
cinem Kapitel:
„Meber die Senfterlinien“
zu bereichern.
Bluetten aus meiner Reife- und Sammel- Mappe.
Liebe und Zahnweh.
iebe und Zahnweh! Zwei unſägliche Schmerzen für die,
welche ſie empfinden; zwei unbedeutende Dinge für die, welche
fie nicht empfinden. „Was fehlt dem oder der?“ — „Sie
lieben — fie haben Zahnmweh." — „Nun, wenn's weiter
nichts ift, das Hat nichts zn bedeuten!“
Das find die gewöhnlichen Anfichten von Liebe und
Zahnmeh. |
Leidet Jemand in einem Haufe an Liebe oder an
Zahnmweh, weiß jedes Mitglied der Familie ein anderes
Mittel, welches untrüglich hilft. Der Papa fagt: es ift
Rheumatismus, der gibt fid) von ſelbſt. Ein Onkel fagt:
es ift ein Fluß, warm halten. Eine Gouvernante jagt: gar
nicht d’ran denken ift das befte. Eine Baſe jagt: laß dir
den herausreißen, und feß’ dir einen andern ein. Ein
weifer Nachbar fagt: verftopfen Sie ſich die Ohren, das
hilft gewiß.
Kurz, e8 gibt feinen fo dummen Kerl auf der Welt,
der nicht ein probates Mittel gegen Liebe und, Zahnweh
müßte.
65
Am meiften Mittel gegen Liebe und Zahnweh wiffen
alte Matronen und Sünder, die aus lauter verlornen Zähnen
und verlorner Liebe felbft feinen Zahn mehr im Munde,
und fein Herz mehr im Leibe Haben.
Alle jene Menfchen, die ihre Zähne durch Süßigfeit
und Unachtſamkeit, und ihr Herz durch Schwelgerei und
Wolluft verloren und hohl haben, glauben nicht an Zahn:
weh guter Zähne, nicht an Herz-Weh guter Herzen, und
das natürlich, denn fie können fich felbft eben jo wenig auf
das Herz als auf den Zahn fühlen.
Liebe und Zahnweh haben auch das mit einander
gemein, daß ihr Schmerz uns am meiften in der Nacht
überfällt, daß wir dann wie wahnfinnig herumwandeln,
und wie die Mondfüchtigen an den fteilen Wänden hinauf:
Hettern möchten.
Aber was ift ftärker: Liebe oder Zahnweh?
Wenn beide zugleich einen Menfchen anfallen, welche
Empfindung ift ftärfer ?
Voyons!
An der Friedrich- und Behren - Straßen - Ede in
Berlin, im erften Stode, wohnte ein verliebter Schriftiteller,
und der war id).
Sie war eine verliebte Juftizrathstochter. Das ift
Alles, was ich dem Leſer von unfern perfönlichen Berhält-
niffen verrathen kann.
Ic darf nur noch fo viel jagen, daß fie ſehr puß=
ſüchtig und ſehr eiferfüchtig war; denn das ift Hiftorique
und gehört zur Geſchichte.
M. G. Saphir's Schriften V Br. 5
66
Die Putzſucht fchlägt in die Finanzkammer, die Eifer-
ſucht aber in die Herzlammer. Die Pußfucht ift ein Pfau,
te älter fie wird, defto ſchwächer; die Eiferfucht aber ift ein
Krokodil, je älter fie wird, defto ftärker.
Was ift aber ftärker, Butfucht oder Eiferfucht, wenn
fie bei einem Individuum zufammenfchlägt ?
Voyons!
Meinen Wenfter gegenüber, an der andern Strafen-
Ede, lebten alle Theaterzettel und Concertzettel.
Sie ging nun gewöhnlich mit ihrer Mutter des
Morgens un zehn Uhr von der Charlottenftraße nach den
Linden, und Beide blicben an der Ede ftchen, die Theater-
zettel zu leſen.
Wenn fie nun fo that, al8 wollte fie der Mutter etwas
auf den Zettel zeigen, und mit dem Finger auf die Stelle
zeigte:
„Anfang Sieben Uhr,“
fo wußte ich, der ich mit dem Fernglas hinter den Jalouſien
meines Fenſters ftand, daß die beftinmte Stunde — fieben
—- war. Wenn fie dabei mit der andern Hand einen Finger,
wie ganz abfichtslos, in die Höhe hob, fo wußte ich, daß
ein Stündchen dazu fam, und daß acht Uhr die be-
ftinnmte Etunde ſei u. |. w. Das war an den Fingern ab-
zunehmen. Die Tiebe macht erfinderiſch! Franklin Hat nur
einen Dlitableiter erfunden, die Liebe erfindet alle Augen=
blid einen andern Blitz- und Hagelableiter u. |. w.
Es war acht Uhr, ich ftand an dem bewußten Orte,
— aufrichtig gefagt, c8 war unter den Bäumen an der
67
Börfe, wo jett die Granit-Vaſe fteht, — und wartete. Ich
wartete, fie kam nicht, ich wartete nod), fie fam nicht, ich
würde vielleicht noch warten, wenn nicht ein Neiner Junge
— es war der Laufburjche des Juſtizrathes — mit nod)
einigen Collegen an mir vorbei gelärmt wäre, mit einem
Dlid auf mid) eine Nuß zu weinen Füßen niederrollen lieh,
und verfchwand. Ich hob fie auf, e8 war eine hohle Nuß,
aber feine taube Nuß, denn ein Zettelchen lag in ihr:
„Id kann nicht fommen! Die berühmte Anatole (jo
Hieß die erfte Putzmacherin) ift heute aus Paris gekommen,
und ich muß noch Abends Hin, bevor Alles von Andern
ausgeklaubt worden ift. Xeb’ wohl, mein Süßer!“ |
Ich war gewiß nicht ſüß! In diefem Augenblid ge-
wiß nicht!
Indeflen: „Öegen Marchandes de modes kämpft die
Liebe felbft vergebens!“ Ic) Süßer fchnitt ſaure Gefichter,
und ging bitter nach Haufe.
Zwei Tage darauf Hatte ich den unbänbdigften Zahn-
ſchmerz; ed wüthete in mir, wie mit Dolchen. Die Wange
war aufgeſchwollen und überdedte mein linfes Auge; id)
fah aus, wie ein ungeheurer Borftorfer-Apfel mit einer
brandrothen Seite. Da ging fie vorüber, legte den Finger
auf die Stelle:
„Anfang Sieben Uhr,“
tupfte noch einmal, wie zur Beftätigung, mit dem Heinen
Fingerchen darauf, und zog nut der lieben Frau Mama
weiter. |
5%
68
Ic ließ ſogleich meinen Arzt holen, und fagte: ein
Geſchäft, ein unauffchiebbares, nöthige mich zum Ausgehen.
Er meinte, ich dürfte durchaus nicht in die Luft, fonft be—
kame ich dic Gefichtsrofe.
Ih war in einer ftarfen Verzweiflung, und in
einer gelinden Transpiration. Ich entſchloß wid, ihr zu
ſchreiben.
Ich ſchilderte ihr meinen doppelten Schmerz, und
meine einfache Verzweiflung, mit den feurigſten Farben
ſchilderte ich ihr das Feuer meiner Liebe und meiner linken
Wange, und bat um Verzeihung, und ſendete meinen kleinen
Berliner-Courier mit dem kleinen Briefchen ihr zu.
Es war die Scheidungsacte! — Ich war verloren!
— Ich hätte doch gehen ſollen! Meine geſchwollene Wange
hätte ich ihr zu Füßen legen müſſen, mein verſchwollenes
Auge hätte ich in ihre Hand legen müſſen, die Geſichtsroſe
hätte ich meiner Roſe ins Geſicht zeigen müſſen, ich hätte
kommen müſſen, hätte ich auch todt zurückgehen müſſen!
Am andern Tage brachte der Heine Juſtiz-Laufburſche
ein Zettelchen und ein Fläſchchen!
„Gefühlvoller Dichter!
„Gewiß, Zahnweh iſt ſtärker als Liebe! Was iſt eine
brennende Sehnſucht gegen eine brennende Wange? Was
iſt ein entzündetes Herz gegen eine entzündete Lippe? Wenn
man ſo liebt, und ſo an Zahnweh leidet, muß man auf
Alles reſigniren, nur nicht auf gegenwärtigen Balſam,
den ich Ihnen ſchicke, und von dem ich wünſche, daß er alle
69
Ihre Leiden Heilen möge. Binden Sie ihn, auf Ihren Tiebes-
brief geträufelt, um Ihre Wange, und bleiben Sie ewig
»erbunden Ihrer achtungsvollen Freundin
MN.“
— Bir fahen uns nicht wieder.
Das ift Liebe und Zahnmweh!
Der zweidentige Regenſchirm.
Ein Abenteuer mit naffem Anfange und trodenem Enbe.
G⸗ war einer unſerer ſchönſten Sommertage, mir klapperten
die Glieder in den kalten Zimmern; ich hüllte mich in einen
leichten Sommerpelz, und zog durch die Straßen Wiens.
Ich habe ſchon oben geſagt: es war einer unſerer
ſchönſten Sommertage, es fing alſo auch ſogleich zu regnen an.
Ich trage ſeit langer Zeit keinen Regenſchirm mehr,
erſtens weil ich feinen habe, zweitens, — denn es gibt Men⸗
ſchen, die mit dem gründlichften Grund nicht zufrieden find
— und zweitens weil ich nicht gerne der Diener meines
Regenſchirmes bin, der fi, wenn e8 nur ein Bischen
Schlechtes Wetter ift, von mir tragen läßt, — Sobald ein
Regenſchirm erfunden werden wird, der bei ſchmutzigem
Wetter mich tragen wird, fchaffe ich mir aud) gleich einen
an. — Der Regen fing an dermaßen in Strömen herab»
zuftürzen, daß ich genöthigt war, in ein Hausthor zu treten,
und mich, wie man hier fagt: unterzuftellen.
Daß Regen und Sturm, Donner und Blig der Tiebe
günftig find, ift eine befannte Sache. Wie hieß nur gleich
die da? Didol richtig! |
Sogar das proſaiſchſte Ding im Leben fann einem
Liebesgenie zum glüdlichen Behelf werden; Zeuge defien:
71
der Mantel, den Leicefler über den Moraſt legte, damit
Elifabeth darüber fpaziere; Herr Loth ift feiner Frau los
geworden, weil fie fic) nad) einem Feuer-Regen umjah;
kurz, das Grollen der Elemente ift der Liebe günftig, jo auch
mir diefer Plagregen, diefer Regen und diefer Plag.
E8 war in der — Gaſſe, der Leſer kann nicht fehlen,
denn gerade über dem Haufe ftcht alle Abend, wenn der
Himmel mit Wollen umzogen ift, das Sternbild: die
Spila.
Id ftand im Thor und fah zum Himmel empor, denn
der Menfch richtet Leider nur dann erft feinen Blick zum
Himmel, wenn Sturm und Ungemitter ihm droht. Da er=
blick' ich plöglich, auf dem Wege zwifchen mir und dem
Himmel, ein Tenfter vis-A-vis, und an dem Fenſter — ad)!
an dem Fenſter! — Nun meint der Leſer gewiß, es
wird heißen: „und an dem Venfter ein weibliche
Wefenn. f. w.?“ nicht wahr, da8 meint der Xefer ?
Es ift auch wahr, und an dem Fenſter ein weibliches
Weſen. Ein weibliches Wefen, wie fol ic) es gleich ſchildern?
Lieber Leſer, fchildere fie dir felbft, nach eigenen Belieben,
ich bin mit Allem zufrieden. — Wie du fie fchilderft, fo foll
fie gewefen fein.
Sie faß am Fenfter und — las? Nein! Begoß
die Blumen? Nein! Zändelte mit der Nachtigall?
Kein! — Ich will die Lefer nicht täufchen. Ich bin in diefem
Augenblide Hiftorifer und nicht Romantifer! Ich
gebe hiftorifche Wahrheit! Sie faß am Fenfter und fpitte
ſich die Nägel.
72
Ic jah hinauf, fie fah herab, es war richtig; wir
ſahen ung, wir liebten uns, wir ſchwuren und ewige Treue!
Alles durch Phyfiognomit!
Die Scheibe! die Fenfterfcheibe! die verdammte gen.
fterfcheibe genirte mich gewaltig. Der Menſch traue nie einer
Senfterfcheibe! Ein Dlädchen Hinter der Fenfterfcheibe ift ein
ganz anderes Wefen, als ohne die Fenfterfcheibe. Die Glaſer⸗
meifter haben die größten Illuſionen im Leben hervorge⸗
bradt. Ein Mädchenkopf hinter einem Yenfterglas bringt
die größte optifche Täufchung hervor! Prima regula Juris
est: Man verliebe fich nie, bevor ſie das Fen⸗—
fter aufgemadt Hat!
Sie machte das Fenfter auf! Ach, welche Schönheit!
Sie war ſchön wie, wie, fiehe meine gefammelten und noch
ungejammelten Schriften, Seite 17,39, 44, 67, 120, 201,
304, 506 und fo weiter, und wähle ein Muſter — Honora=
tioren zahlen dafür nad) Belieben.
Sie fah zum Himmel empor und dann zu mir! Ich
war ja aud) ihr Himmel! — Dann machte fie da8 Yenfter
wieder zul Warum machte fie das Fenfter wieder zu?
Weil e8 vegnete! Richtig! Die Leſer wiffen jett gleich Alles,
man fann fie gar nicht mehr überrafchen!
Sie fah wieder herab, auf einmal fprang fie auf, eilte
vom Venfter weg, blieb einige Minuten weg, kam dann
zurüd und lächelte. In diefem Augenblick fam die beflügelte .
JIris oder, um deutlicher zu fein, ihr Stubenmäddjen, über
die Straße gehüpft, bradjte mir einen Regenſchirm und
fagte: „Das gnädige Fräulein fendet Ihnen hiermit einen
73
Regenſchirm!“ — Sagt’8 und verfchwand, indem ich ihr
noch nachrief: „Ich werde die Ehre haben, den Schirm mit
meinem Dank dem Fräulein felbft zu überbringen.‘
Man fage, was man will, die Frauen find liebens-
würdiger, als die Männer, aud) fogar wie ich! Und fie
wiffen mit folchem Anftand uns Gelegenheit zu geben, mit
ihnen befannt zu werden, daß wir Herren der Schöpfung
wahre Zölpel der Schöpfung dagegen find.
Am andern Tage, e8 war gerade gleich den Tag
darauf, e8 war fehr jchönes Wetter, ging ich zu ihr.
Welch ein Unterschied: geftern und heute! Geftern
ging ich im Regen ohne Regenfchirm, heute im Sonnen⸗
fchein mit einem Regenſchirm! Die Natur ift reich an ſolchen
finnigen Contraverfen!
Ic) ging hinauf, Tegte mein Herz an die Thüre, es
klopfte; „Herein!“ rief eine flötenweiche Stimme, und ich
trat hinein. Sie ſaß am Fenſter — ich nahte mid), das
Pfand der Liebe auf dem Arın, den Regenschirm.
„Fräulein!“ fagte ich, und corrigirte mid) ſogleich:
„Holdes Träulein! Im Leben gewährt der Mann den
Frauen Shut, und die Frauen den Männern Schirm!“
Hier wartete ich, um den Effect diefer brillanten Intro—
duction abzuwarten. Ste machte feinen Effect. Aha, dachte
ich, zieh’ den witigen Bramfegel cin, und pflanze den fenti=-
mentalen Fockmaſt auf! Ich begann alfo wieder:
„BerehrtefteHolbe! wieglüdklich, wer nachXebensflurm
und aus des Dafeins Wolfenhimmel fich auf die glüdliche
Sonnenterraffe eines empfindenden Herzens flüchten Tann!“
14
Ich endete wieder, um die Wirkung diefes empfind-
famen Böllers zu beobadjten. Er verhallte wirkungslos!
Kurz, meine Schöne blieb kalt, jchroff, unzugänglid).
Diefe Heuchelei verdroß mih! Mir den Regenſchirm zu
ſchicken, mir fo zu fagen auf gut regenſchirmeriſch anzu=
deuten: „Komm mit ihm wieder!” und nun fo die Spröde
zu fpielen!
Ich verfuchte noch einige Anläufe, Alles vergebens.
Sie fagte: „Ic bitte Ste jehr, mic) zu verjchonen.“
Das war zu arg! Ich entfchuldigte meine Kühnheit
nit der Heftigfeit meiner Leidenschaft, und ging endlich fo
weit, ihr zu jagen: „Die Güte, mit welcher Sie mir den
Regenschirm ſchickten, nahm id) für eine mid) beglüdende
Einladung, mid) dann felbft bei Ihnen vorzuftellen!“
Sie ſprang auf, eine edle Röthe überflammte das
holde Angeficht, und fie ſprach: „D ihr eitlen Männer!
So wiſſen Sie denn, Ihr Anblid und Ihr Gegenüberftehen
war mir fo unleidlich, jo zuwider, daß ich e8 vorzog, Ihnen
je eher je lieber den Regenschirm zu fenden, um Sie nur
recht bald von da drüben los zu werden!“
Daß ich bei diefer Anrede ein verteufelt dummes
Geſicht gemacht haben muß, wird man mir leicht glauben,
doc) rafite ich nod) alle meine Ironie zufammen, um zu
fragen: „Aber, mein holdes Fräulein! was hat Sie denn
genöthigt, am Tenfter zu bleiben, wenn Ihnen mein vis-A-vis
jo verhaßt war?” — Sie niachte einen fpöttifchen Kniks,
und fagte lachend: „Und wie, mein genialer Herr! wenn id)
nun meinen wirklichen ®eliebten erwartet hätte? Ich empfehle
u
75
mich Ihnen!“ und damit ſchlüpfte ſie in ein Nebenzimmer.
Ich machte Rechtsum und zog ab, indem ich den zweideutigen
Regenſchirm auf den Tiſch legte. Darauf ſchrieb ich dieſe
erbauliche Hiſtoria nieder, zur eigenen, öffentlichen Selbſt⸗
geißelung, und zum moraliſchen Exempel für die Eitelkeit
und Eigenliebe ſämmtlicher Mannsperſonenwelt.
Die Brieftanbe.
6; war eine Blondine.
Gewiß ift es, ich muß in einer blonden Stunde geboren
worden fein; entweder wenn die goldene Aurora ihr Gold-
haar mit goldenem Kamın in die blauen Lüfte hereinfämmt,
oder wenn Hesper feinen blonden Rundfamm um die rofigen
Wangen der abenddämmernden Gebirge frifirt; und zu
meiner Wiege trat eine blonde Fee, blond wie Luna, wenn
fie mit aufgelösten Flatterlocken um die Erde wandelt, um
ihren langweiligen, fchläferigen Liebhaber aufzufuchen, und
fie fegnete mic) und ſprach:
„Dein Fuß ftraudjle ftetS in blonde Netze, und das
große Narrenfeil, welches man Liebe nennt, werde Dir ſtets
aus goldenen, dünnen, weichen, volligen, elfigen, fonnigen
Löckchen und Locken gedreht!“
Und fo geſchah's!
Ich will damit nicht gefagt haben, daß nicht hie und
da, dann und wann, hier und dort, aud) ein fchwarzes,
braunes, dunkles, oder Kendree-Haar mit in das fogenannte
Seil eingeflochten wurde} aber die Grund-Couleur blieb
— blond!
Blond in allen Miſchungen, Färbungen und Ab-
ftufungen, von jenem gelbgelben Senimel-BIond, welches
die Leibfarbe der Fadheit ift, bi8 zu jenem Hoch blond,
77
welches fich mit Feuerroth ſchweſterlich duzt und feine
eigenthümlichen Reize befist. Alle Arten von blaß-, tief-,
dunkel⸗, licht=, ſtroh⸗, marillen- und Herbftlaub=blond durch,
die ganze Wefenleiter der Blondheit hinauf und hinab!
Das ift nun nicht mehr Geſchmacksſache, oder
Gufto, oder Wahl, es it Fatum, Geſchick, Prä-
beftination, ich habe nunmehr einmal ein blondes
Schickſal, fo wie manche Menjchen ein ſchwarzes
Schidfal haben.
Alfo, e8 war eine Blondine. |
Und es begab fich zur Zeit, ald die Theater leer
werden, die Herrichaften, Banquiers und Eigenthümer alle
aus der Reſidenz entfliehen, und Niemand ins Theater geht,
als „Nachtigall und Grille, die fich der Nachtluft freuen,“
das heißt, als Freibillete und Recenjenten; um diefe Zeit
find die Togen nicht mit ihren Urbewohnern befett, fondern
plombirt und wattirt mit Freunden, Belannten, Kammer⸗
mädchen, Zofen und jonftigen Stellvertreterinnen der eigent=
lichen Xogenbevölferung.
Zu jener Zeit, wo die Hiße ſehr groß und das Pu—
blikum ſehr klein iſt, im Theater nämlich, die Stücke ſehr
lau und die Kunſt ſehr kühl, zu jener Zeit ſaß ich im Theater,
ich weiß nicht, warum ich im Theater ſaß, gewiß aber
geſchah es nicht zu meinem Vergnügen, vielleicht ſpielte ein
„Gaſt“ aus jener Welt, der noch nicht recenſirt wurde, oder
es wurde ein ſranzöſiſches Luſtſpiel ins Ueberſetzeriſche
übertragen, kurz, ich ſaß im Theater und ließ die Blicke umher⸗
Tchweifen auf alle meine Teidensgenofjen und Mitgefangenen
18
in dem Blocke der Sperrfiße und in dem Bajazeth⸗ Käfig
der Logen.
Da ſaß ſie! blond! blond! blond wie mein Schickſal,
zum Sprechen ähnlich! Aber keine Locken, keine Schlangen,
keine Maccaroni, keine Bretzeln, auch keine Flechten, keine
„accrochc-coeur*, feine Semikolons „(;)“ um die Schläfe,
fondern glatt gefämmt und in zwei einfachen Ringen um
das Silber-Plateau der Schläfe gelegt, und aufdemScheitel-
punkt ein gordifcher Knoten, in dem ſchon ein gold’nes
Alerander-Schwert angebracht war. Und ein paar Augen,
blau, verfteht fic) blau, blau wie, wie fag’ ich nur gleich,
nicht wie Berliner-Blau, denn das ift offectirt und
blaufäuerlich, aber wie Wiener-Blau! Ach, mein holder
Lejer, Du kennft das Augen Wiener-Blau der Wiene-
rinnen! In diefem Blau tummeln fi) die Augenfternlein
jo gefhäftig und zuthunlich und wohlig herum, wie bie
Sternlein in-dem Blau einer frifchen Juni-Nacht!
Alfo Wiener-blaue Augen waren es! Und diefe
Augen hatten einen Blick, einen Blid, fo tröftend und Hoff-
nunggebend wie die Gerechtigkeit, wenn fie durch die Finger
ficht, und dieje Augen waren befchattet von Wimpern, ach,
Wimpern, die, lange majeftätifche Garden, den Augentempel
bewachten, und wenn auch diefe Garden mit ihren langen
Lanzen zu Jagen fchienen:
„La garde meurt, mais ne se rend 2 paet
fo wohnte gleich neben oder vielmehr bald unter diefen Gar-
den ein Lächeln in dem rofigen, anmuthigen Kinngrübchen,
welches zu jagen fchien:
79
„Tentare licet“,
oder:
„Der Menih muß an nichts verzweifeln.”
Ich bin ein Menſch, das heißt: in jenen lichten Augen»
dliden, in denen ich kein Recenſent bin, und folche lichte
Augenblide habe ich: gerade im Theater recht viele, denn da
fehe ich, e8 am beften ein, daß ein Menfch dem Menſchen
immer nod) mehr nüßen kann, als ein Recenfent!
Ich fah fie an, fie lachte gerade über den Peter in
„Menſchenhaß und Reue“, und aus der gejprungenen
Oranitblüthe ihres Mundes lachte mir eine Fülle weißer
Zähne zu, wie die weißen Körner einer angefchnittenen
rothen Zudermelone.
Ich fegnete den Peter, und zum erften Male fand ich
an feinen albernen Späßen Vergnügen.
Dei dem großen, riefengroßen Wit Peters:
„Pfeifen für uns!“
Lachte fie unbändig und ihr Blid fiel auf mich, und ich lachte
gewaltig mit, und dieſes Mitlachen jchlug cine fliegende
Brüde von mir zu ihr!
Mir ift viel Lieber, wenn ein Mädchen über Peters
Dummheit lacht, als wenn fie über Eulalia’8 Neue weint!
Ueberhaupt ift ein Bischen Dummheit bei Frauen⸗
zimmern fo pifant, wie der große haut-gout beim Wildpret!
Mir fagte ein geiftveicher Dichter in Paris:
„Parbleu, je suis degoute de ces feınmes d’esprit,
des ces faiseurs d’esprit, je m’en veis faire la cour & uno
imbeeille !*
80
Der Mann hat nit ganz Unrecht!
Unfere geiftreichen Frauen find vor lauter Geift ent=
feglid) dumm!
Unfere dummen Frauenzimmer dagegen, das find
noch die Einzigen, mit denen man ein vernünftiges Wort
ſprechen Tann!
Alfo, fie lachte über Peters Dummheiten, ic) lachte
mit, der Bund war geſchloſſen.
Ich will den Leſer mit dem weitern Verlauf der
Kokettirgeſchichte verſchonen, und um den dramatiſchen
Gang der Sache nicht zu hemmen, zur Kataſtrophe
ſchreiten.
Bald wußte ich ihren Namen, wo ſie wohnte, und
daß fie nicht böfe wäre, wenn ein Zettelchen, welches ich
zwifchen meinen Fingern drehte, fi) bald aud) zwiſchen
ihren Fingern befände.
Es heißt alſo einen Liebesbrief ſchreiben! „Geſegnet
ſei der Mann, der Schrift und Siegel für ein armes Liebes—
paar erfand!”
Ein Liebesbrief!
Ach! und warum: ach? deshalb, weil der Menſch aı an
nichts fo fehr merkt, daß er alt wird, als an feinen Liebes⸗
briefen; nicht an den grünen Erbſen, die er nicht mehr ſo
gern ißt, als in ſeiner Jugend; nicht an den Stiefeln, die
er gerne immer weiter und breiter trägt; nicht daran, daß
man nad) und nad) immer mehr Treund von Suppen wird,
fondern daß man immer weniger Talent verfpürt, Liebe s—
briefe zu ſchreiben!
—
8
In der Jugend ſchreibt man zehn Liebesbricfe an
einem Tage, und alle athmen glühende Leidenschaft und
jeder ift eine DBrandfadel, gefchleudert in eine Pulver>
tonne!
Welch ein Vorrath von Brand- und Feuer-Material!
Sie fangen alle an:
„Könnte ich meine Feder in die Sonne tauchen!“
oder: „Was der Thau der lechzenden Roſe, das Licht dem
im Finftern Wandelnden, das war der Anblick u. ſ. w.“
oder: „Ihr Sterne da oben, du leuchtende Sonne, leiht mir
eure Strahlen,“ oder: „Wenn Sie zürnen, ſo zürnen Sie
über die Allmacht Ihrer Reize,” oder: „Ich habe lange ge—
fämpft; aber hinweg nagende Geier, hinweg blutgierige
Gedanken!" u. |. w., u. ſ. w.
Aber wenn man einmal die Linie paſſirt, die Mittags:
linie des Lebens, das heißt, wenn man einmal über die
Pebenshälfte hinaus ift, und bei dem fchönen Gefchlechte
ſchon die „Favoriten-Linie“ Hinter fich hat, da fomnten
Einem die Liebesbriefe blutfauer an!
Indeſſen die Praxis muß aushelfen! die erfte Be—
dingung eines Liebesbriefes iſt: Unleferlichfeit! Ye
weniger die Schöne von Briefe lefen kann, defto mehr Ein-
druck macht er auf fie! Die zweite Bedingung ift: Keinen
Nefpect- Rand! Nur feinen weißen Rand an einen Liebes-
brief! Weder oben nod) unten! die obere Hälfte der Anfangs-
zeile und die untere Hälfte der lebten Zeile müſſen, wo
möglich, nod) auf dem Tiſche gefchrieben fein! Die dritte
Dedingung ift: Wenigftens Ein Kies! Ein Kleks ift eine
M. G. Saphir'sé Schriften. V. Bd. 6
82
Licentia erotica! Ein Kleks in einen Xiebesbriefe, c'est
de rigeur!
\ Wenn die Geliebte von den ganzen Brief auch nichts
leſen kann, als den Kleks, fo ift das fchon genug! Ein Kleks
ift nichts, als das Symbol überftrönmender Empfindung;
die Klekſe gehören zu den Privilegien der Liebe. Man fehe
einmal die Archive der Liebe durch, die letzten Briefe, die
man von der Öeliebten befommt, find immer ärmer an
Empfindungen und an Klekſen, und die Weltgefchichte hat
fein Beifptel, daß ein Abjchieds- und Abſage-Brief je einen
Kleks aufzumeifen hat! Die vierte und Hauptbedingung tft
es endlich: er muß gefhmuggelt werden! Ein Liebes-
brief, der auf geradem Poſtwege, und ein Xiebhaber, der zur
offenen Thüre hereinfommt, find nicht halb fo pifant, als ein
Brief, der auf Schleich- und Winkel- Wegen, und ein Lieb-
haber, der zum Yenfter hereinfommt.
Ich ſchrieb ihr alfo einen Brief, in welchem ic) eine
kleine Veufterfarte von Klekſen anbrachte, die ihre Wirkung
nicht verfehlen konnten.
Mit diefem Hatti-Scherif ausgerüftet, Tief ich von
Stapel und lavirte lange vor ihrem Haufe herum, um eine
günftige Schiuugglerfährte für meinen Brief auszufinden.
Da erfchien mir die erfehnte Brieftaube in der Geftalt
des Hausmeifters!
Die Hausmeifter, Hansmeifterinnen und Hausmeifter- ⸗
Töchter ſpielen in der Geſchichte der Herzen eine große Rolle,
fie ſind oft das Medium zwiſchen Subject und Object, und
die dritte Perſon anzeigender Art zwiſchen der
—
8
erſten und der zweiten Perſon in dem unregelmäßigen
Zeitwort der Liebe!
Da ſtand er im Thorweg, behaglich, wie ein reicher
Emir, in die Welt hineinſchauend, wie ein Fruchthändler
bei langer und anhaltender Dürre.
Ich nahte mich ihm, wie einem Mläcen, nahm meine
freundlichſte Miene aus. meiner Wintergarderobe hervor
und fagte fanft: y
„Guten Morgen, mein lieber Herr Hausmeifter!“
Gravitätiſch und falt antwortete er:
„Suten Morgen!”
Es entftand eine Kleine Converſations-Pauſe, ich
taffte aber all meinen Muth zuſammen und fteuerte mit
vollen Segeln meiner Abficht zu.
„Sie könnten mir eine Gefälligkeit thun, wofür ich
Ihnen fehr dankbar fein würde — (hier ließ ich in einer
Hand die Gefälligkeit in Geſtalt eines Briefchens und in
der andern Hand die Dankbarkeit in Geftalt eines Zwei—
guldenftüds cin lebendes Bild zu meiner Deklamation dar-
ftellen) — wenn Sie dieſes Zettelchen gefälligft beftellen
wollten.“
Dabei fchilderte ich ihm die Perfon, die er aud) fo-
gleich erkannte, und ich bemerkte mit vieler Pietät, das
Briefchen käme von einer ihrer Freundinnen, und das Ganze
fet auf eine Ueberrafchung abgejehen, die ihren Vater zuge
dacht ift, und von der er aljo nicht früher Wind befommen
dürfte.
6*
81
- Die hausmeifterliche Brieftaube fchien Anfangs nicht
Luft zu bezeugen, doch bald befann er ſich eines Beflern,
nahm mit fchlauem Lächeln Brief und Geldftüd, und ver-
fprach feine Sache gut zu machen.
„Wiſſen Sie was, Euer Önaden,“ fagte er endlich,
„ich werde Ihnen was verrathen. Sie fährt jetzt um eilf
Uhr nad) Döbling zu ihrer Zante, fegen fie fich auf der
Freiung in den erften Wagen, dort ift ihr Platz fchon be=
ftellt, und Sie haben die befte Gelegenheit, Sie zu ſprechen!“
O edle Seele des Hausmeifters! Wie entzüdteft Du
mid) ! |
Ic Ließ noch ein Guldenſtück in feine Hand rollen,
mir Alles noch einmal erklären, eilte dem erften Döblinger
Stellwagen auf der Freiung zu, bezahlte meinen Pla& und
jeßte mich in den Taubenſchlag. Bald war es eilf Uhr.
Kommt fie oder nicht? da8 war die Frage. Endlich fam fie,
fie felbft, der Hausmeifter, mit einem Kleinen Badet ihr zur
Seite, erſchien auch, um ihr dieſes Padet bis an den Wagen
zu bringen. Wie pochte mein Herz!
Sie ftieg ein, gerade mir vis-a-vis, ich bebte vor
Freude!
Als fie ſaß, ſtieg auch der Hausmeiſter ein, ich madjt:
große Augen. Er fette ſich ihr zur Seite, id) war ganz ver—
wirrt. Er fchien fich einige Zeit an meiner Lage zu ergögen,
endlich jprach er, indem er mir meinen Brief und meine
Geldſtücke Hinreichte: „Mein Herr, Sie wollten dem Vater
diefes Mädchens eine Ueberraſchung machen, er macht
Ihnen aus Danf aud) eine. Ic) bin ihr Vater, dem es gar:
BR.
8
nicht leid ift, vor einer Stunde gerade wie ein Hausmeifter
ausgejehen zu haben. Nehmen Sie Ihre beiden mir anver⸗
trauten Güter zurüd, und halten Sie in Zukunft nicht
Jeden, der im Thorweg fteht, für den Hausmeifter!*
Was ich bei diefer Anrede für ein Geſicht machte,
was fie für eines machte, ic) weiß es nicht, mein Lieber
Lefer. Der Wagen wollte gerade zum Schottenthor hinaus,
ich war in ber gräßlichften Verlegenheit.
„Halt! rief ic einem mir ganz unbefannten Bor-
übergehenden zu, „halt, ich habe mit Ihnen zu reden!“ Tief
den Wagen halten, fprang aus, bat dann den Mann um
Bergebung, daß ich mic) verfannt hatte, und lief nad) Haufe,
um über die verunglüdte Brieftaubenpoft ein Flägliches
Nachdenken zu halten.
Volksthümliche Reden und Aushängfcilder.
I.
„Bur [hönen Seele”
Putz⸗ und Modewaaren » Handlung ber Frau Befcheidenheit.
ommen Sie, meine liebenswürdigen, meine fittfa-
Rs smen Mädchen, kommen Sie einmal mit mir in
die reiche und herrliche Pußwaaren - Handlung:
„gur ſchönen Seele.”
Wenn Sie genug gefehen und bewundert haben alle
die niedlichen, reizenden, ſchillernden, gefchmadvollen
„Dingelden,
Ringelchen,
Sächelchen,
Fächelchen,
Miederchen,
Fliederchen,
Schlenderchen,
Bänderchen,
Mantillchen
Und Häubchen,
Kriſpinchen
Und Leibchen“
in den wirklichen Modehandlungen, dann treten Sie einen
Augenblidi in die Putzhandlung der Frau Befcheidenpheit:
„zur [hönen Seele“
90
Sehen Sie, meine Verehrten, es wohnen viel Leiden⸗
ſchaften im menfchlichen Herzen, die defto Hungriger werden,
je mehr man ihnen Nahrung gibt, und die defto ſatter
werden, je mehr man fie aushungert, und zu diefen Teiden-
ſchaften gehört auch nun am allermeiften: die Putzſucht.
Manche böfe Gelüfte find wie manche böfe Thiere
nur durch Hunger zahm zu machen, und zu diefen wilden
Hausthieren gehört auch: die Bugfudt!
Ich will nicht fagen, meine Holden, daß Ihr Euch
"nicht nett, nicht geſchmackvoll, nicht reizend Heiden follet,
denn eben weil nur der Unfichtbare im Hinmel in das Herz
der Menfchen fchaut, fol der Menſch für den Menfchen,
der nur das Aeußere fchaut, auch etwas Angenehmes zur
Schau legen, aber Ihr folt Euch ſchmücken und nit
pugßen, Ihr folt Euch Fleiden und niht maskiren,
Ihr folt geſchmackvoll angezogen, aber nit bunt
behängt fein, Ihr follt nad) der Mode gefleidet
geh’n, aber die Mode follniht nad Eud ge-
fleidet gehn!
Wie reich ift dic gütige Natur, wie reich ift das Herz
im Menfchen an Zierden und Zierath, an Schmuck und
Berfchönerung, an Reizverleihung und Schönheitserhöhun-
gen für die weibliche Welt! Wie wenig braucht die Natur
die Kammerdienerin Kunft !
Seht die Sonne an, meine Theuern, fie fteht des
Morgens auf, bevor Ihr noch daran denkt, fie zieht die
Borhänglein der Nacht zurüd vom Himmelsfenfter, fie
wäfcht fic) die muntern Yeuglein Har im großen Wajchbeden
91
des Weltmeeres, ſie ſchlägt das flatternde Strahlen—
haar ſchlicht zuſammen, hüllt ſich in das Rofa-Morgen-
Neglige ihrer einfachen Sammerfrau Aurora, und wandelt
munter und leicht ihrer Tagesbahn entgegen! Sie läßt ihre
Perlen und Inwelen hängen an Bäumen und Gefträuchen,
ſie läßt ihre Spiten und Schleier flattern in Nebeln und
Wolken, fie läßt ihre Shawls und Bänder wallen in Bächen
und Strömen, und geht, mit nichts geſchmückt, als mit dem
Lichte ihrer eigenen Schönheit, in nichts gehüllt, als in den
Glanz ihrer Reinheit, mit nichts behängt, als mit den
Strahlen ihres innern Werthes, durch den großen, blauen,
unendlichen Himmelsfaal!
Unter den Mädchen und unter den Tauben, meine
reizenden Leferinnen, find das die Schlimmften und die am
wenigften für den freundlichen, häuslichen Taubenſchlag
taugen, die ihre bunten Halsfedern am meiften auffäcdhern,
und mit ihnen fchillern und prunken.
Ein jeder neue Mode-Artikel, den ein Mädchen an-
zieht, ift ein neues Tenfter, wodurch da8 Mädchen in die
Welt fehen und von der Welt gefehen fein will; ein Frauen—
zimmer und ein Zimmer aber, das viele Tenfter Hat, ift gut
zum müßigen Hinausgaffen auf die Straße, aber e8 ift nicht
wohnlich. Wo viele Fenfter in einem Herzen find, da ift
wenig folide Wand, da ift wenig Raum für die nöthigen
Möbel des häuslichen Glüdes, der Tiebe, der Tugend, der
Zufriedenheit.
Ein Mädchen fol fein, wie ein Beilchen, man foll es
sicht früher fehen, bi8 man es auffucht, bis man fid) tief
92
bückt, um e8 zu pflüden; aber ein Mädchen, das alle Far-
ben anzieht, um alle Augen anzuziehen, ift wie die duft-
und herzloſe Zulpe, die mit ihrem Sammt- und Farben⸗
blatte koketirt, fid) felbft gefällt, und die bewundert,
belächelt, aber nie in Liebe gepflüdt wird.
Einfachheit! Das ift der erfte, faft einzige Artikel,
in der Puswaaren = Handlung: 2.
‚Zur ſchönen Seele.“ .
Der Geſchmack, meine lieben Leſerinnen, ift nichts
als das Augenmaß der Seele; ift die Seele gefund,
hat fie Elare, Hellfehende Augen, fo ift ihr Augenmaß richtig,
und fie wird nie gef hmadlos fein, und nur das Ein-
fahe ift geſchmackvoll.
Ein Mädchen, das viel Farben auf fi ch trägt, trägt
gar feine Farbe in fich. Ein Mädchen, das hochrothe Rofen
in Haar oder im Hute trägt, macht cine Satyre auf die
Rofen feiner Wangen. Ein Mädchen, das goldne Franfen
und goldne Stidereten auf feine Kleider nimmt, madıt ein
Pasquill auf das Gold feiner Gefinnung. Ein Mädchen,
das, wenn e8 ausgeht, durch) die Buntheit feiner Kleider die
Augen der Menge auf fich zieht, tritt mit jedem Schritt
feinen guten Ruf, feine befcheidene Individualität in die Erde.
Man fagt: „das Kleid macht den Mann!“ Richtiger
ift e8: „das Kleid madht das Mädchen!“
Ic will in jeder Gefellfchaft den Hauptcharakter
jedes Mädchens aus feinem Anzuge erkennen. Die Einfachfte
iſt die Schägenswerthefte; die Buntefte, die Ueberladendſte
ift — gelinde gefagt — die Bemitleidenswerthefte! —
-
93
Wenn Ihr wüßtet, meine theuren Mädchen, wie die
Männer und Frauen über jede Nadel in Eurer Toilette,
über jeden Ring Eurer Ketten berfallen, und von diefem
auf Euch felbft, auf Euren Charafter, auf Eure Häuslichkeit,
ja, auf die Berhältniffe Eurer Aeltern übergehen, und all
diefen Ueberfluß, den fie an Euch bemerken, mit einem
Mangelin Euch ausgleichen, dann, ja dann würdet Ihr
von Euch werfen all den in die Augen ftechenden, die Blicke
mit „Halloh“ und „Hurrah” auf fich zichenden Tand
und Slitter, der Euch für den Augenblid einen eitlen Glanz
verleiht, aber den Ölauben an Eure innere Bollfommenheit
gewaltig erfchüttert.
Wenn ihr wüßtet, daß man von der Schäßung des
bunten Kranzes um Eure Toden, von dem Flitterwerf auf
Euren Mantillen, Tüchern, Krifpinen u. f. w. direct zur
Schätzung Eures Berftandes, Eures Gemüthes, Eurer
MWünfche, ja, zur Schägung der Vermögensumftände Eurer
Bamilten, und zur Schätzung der Zufunft Eurer fünftigen
Männer übergeht, dann, ja dann würdet Ihr von Eud)
werfen all diefen auffallenden, blidauffichreißgenden, feuer-
fchreienden, Lärmfchlagenden, bunten Kleiderfram, und Euch
einfach geſchmackvoll Kleiden, züchtiglich reizend, und Alles
würde von Eud) jagen: die ift gefleidet aus der wahren,
hinreißenden, unnachahmlichen Pußwaaren » Handlung:
„Zur ſchönen Seele!“
LI.
Bu den drei Laufern: „Ingend, Schönheit und Liebe.”
Spezerei- und Deflfateffenwaaren-Hanblung bes Lebens.
Ja, mein lieber Leſer, das ſind die drei Laufer des Lebens:
Jugend, Schönheit und Liebe! Sie tanzen mit be—
flügeltem Schritt vor dem Wagen des Lebens daher; ſie
laufen im Mai unſerer Tage um die Wette nach dem preis⸗
geſchmückten Ziele, unter dem Zujauchzen all unſerer Sinne,
unter dem Zulauf all unſerer Gefühle, unter dem Poſaunen⸗
ſtoß und Flötenklang all unſerer heftigen und zarten Leiden⸗
ſchaften; und fie fallen oft einen Schritt vor dem Ziele,
oder ſchon am Ziele, oder aud) ſchon mit dem errungenen
Preis in der Hand, athemlos, leblos, entjeelt zu Boden!
Es ift ein Inftiges, Teichtfertiges, athemloſes Klce-
blatt, da8 Laufer-Kleeblatt: Jugend, Schönheit und
Liebe!
In der Spezerei- und Delikateſſenwaaren-Handlung
zu dieſen „drei Laufern“ ſind die tauſend ſüßen und
gewürzten Sachen, die tauſend Näſchereien und eingeſottenen
Früchte alle friſch, herrlich und auserleſen! Die fünf Sinne
ſind die flinken, ſtets willigen, bereiten, gehorſamen Laden⸗
diener; das Herz hält ſtets offenes Buch; alle Hoffnuugen,
%
alle Wünfche, alle Träume, alle Luftfchlöffer Haben unbe-
gränzten Credit!
Die „Jugend“ bietet Euch den beften Champagne
mousseux der Kräfte, den feurigen Ungarwein der Begeifte-
| rung, die üppigen, vollen Knacknandeln und Granatfrüchte
der That, den Aalfifch der Gefchmeidigfeit, das feine Tafelöl
zur VBerfüßung aller fauern Lebend-Salate, die frifchen
Auftern von der ftroßenden Gefühlsbank in dem tiefen
Meere unferes Herzens, die Piftazien und Pignolli aller
Wünfche und Hoffnungen für die Zukunft u. f. w., u. f. w.
Die „Schönheit“ bietet uns ihren weißen Kandis⸗
Zuder der Lilienhaut, die Rofen-Bonbons auf den Wangen,
die Sultanin- und Malaga-Rofinen auf den Xippen, den
fügen Eypro in den Bliden, und das Citronat und das
Damenbrot und den Miuscatlunelund alldie pikanten Glaces
und Sulze des Lebens vollauf in großen und kleinen Gaben |
Die „Liebe“ bietet uns die fügen Orangen von dem
glühenden Baume des Lebens; den Zwieback, der zwei Herzen
beglüdt ; den Moſt der Empfindung mit dent Lieblichen Wer-
muth einer fteten Beforgung gemiſcht; den Ausbrud) der
Zärtlichkeit und die Effenz aller Seligfeit!
D, Ihr Alle, die Ihr gerne einfauft und Euern Bedarf
holt bei den „drei Laufern“: Jugend, Schönheit um
Liebe, kauft vafch, kauft fchnell, denn der Laden ift nur
kurze Zeit offen, und gar zu bald wird er gejperrt, und
das Schild wird eingezogen und herabgenommnten !
- Kauft vafch, kauft fehnell, aber kauft und genießt
befonnen, und mit Auswahl, und mit Mäpigung!
96
Diefe „drei Laufer”, meine Tieben LXefer, hält der
ewige, gütige, große Hausherr des Himmels und der Erde
allen Menjchen ohne Unterfchied | Diefe „drei Laufer“ tanzen
nicht nur vor dem goldgejchirrten Prachtgeſpann des Bevor—
zugten einher, fondern fie Hüpfen eben fo fröhlich, eben fo
luftig vor dem Einfpänner, als vor dem Laftwagen und
vor dem Karren! | j
Die „Jugend“ tanzt glühender, rafcher, glieder—
gelenfer vor dem arınen Fußgänger einher, ald vor dem
auf elaftifchen Federn fich ſchaukelnden Glückbegabten; die
fromme Schwalbe „Schönheit“ baut ihr Liebliches Neft
eben jo an der einfamen Hütte der Arınuth, wie an den
“ Stuffaturen und Gefimfen hoher Paläfte, und die „Liebe“,
diefer Nimmerfatt des Lebens, wohnt, wie der wirkliche
Nimmerfatt, in dem niederftehenden Schilf und Rohr des
Dafeins eben fo, wie in den hohen Pradjtgärten, Wäldern.
und Iururiöfen Treibhäufern!
Kauft raſch, Fauft ſchnell, das Schild wird bald
eingezogen |
Die „Jugend“ Läuft! Sie läuft, und wenn fie noch
int fchnellen Laufe wie Atalanta die goldenen Genufäpfel
alle auflefen will, welche das Leben ihr verführerifc) in den
Weg wirft, verfäumt fie Zeit und Ziel! Darum kauft raſch,
was fie bereitet. Aber feid nicht grändlich, wenn Ihr fie
jeht, Teichtgefchürzt, fröhlich, muthwillig; mißgönnt ihr
die flatterınden Freuden nicht; blickt nicht feheel zu ihren
bebänderten Tanz; greift nicht finfter, ftörrig, mißgünftig
in den Lauf der unforglichen, Iebensfrohen Jugend; denn
97
die „Jugend“ ift das Morgenroth des Lebens, laßt ihr
den kurzen Schimmer, und die momentanen Strahlen, und
das flatternde Fichtgewand, und die glänzenden Glasperlen
und bie flimmernden Lichttropfen-Juwelen, denn fie ver⸗
ſchwindet bald, und macht dem heißen Tage, der brüdenden
Schmüle, den brennenden Stunden Plat! Ihr Alle, denen
die „Jugend“ fchon entlaufen ift, feid nicht grämlich beim
Anblid der fröhlichen Jugend! Krittelt nicht und neftelt
nicht und Häfelt nicht und tappt nicht lieblos und grämlich
an und zu, wenn die Jugend ihren Yeentanz und ihren
Zauberfreis und ihr buntes Tarbentheater vor Euch auf»
ſchlägt! —
Die „Schönheit“ läuft! Sie läuft, und im fchnellen
Laufe fällt ihr eine Zitter- und FlittereNadel nad) der
andern aus den aufgelösten Locken; jede Minute zerdrüdt
eine Berle aus der Perlenfchnur ihrer Reize; jede Secunde
zieht ein Blatt aus der gefüllten Zimmtrofe ihrer Wangen;
jede Stunde fett einen Makel an die Blüte ihres Lebens,
und bis die Schönheit am Ziele ift, hat oft die graufame
Pfänderin Zeit ihr al ihr Bischen Schmud und all ihre
reiches Natur-Mitgift ab» und ausgezogen und gepfändet!
Darum, ja eben darum, weil die Schönheit ift wie
die Roſe am Morgen, weil fie ift wie eine Blume, gemalt
in den Sand, weil fie ift wie eine Eisblume, gehaudt an
die Scheibe, weil fie ift wie ein Laut, gewiegt in der Luft,
weil fie ift wie eine Wolfe, dahinzichend am Himmel, weil
fie ift wie der Beſuch einer Tee, weil fie ift wie bie Welt
eines Traumes, darum kauft fchnell, fauft rafch, aber kauft
M. ©. Saphir's Schriften. V. Bd. 7
—
98
mit Mäßigung ihre Gaben! Jedoch feid nicht grämlich,
feid nicht Heinmeifterlich, feid nicht grillenfängeriſch, ſeid
nicht mafelfuchend und fehlerflaubend, wenn die Schönheit
vor Euch aufthut ihre Himmelsfendung, wenn die Schön-
heit vor Euch dafteht in der Slorie ihrer Sendung, das
Haupt geſchmückt mit des Himmels offenbarer Begünftigung!
Wenn an Eurer Wiege nicht gelächelt Hat die Mutter
Natur, wenn fie Euer Antlig nicht berührt hat mit: dem
Kuße von Lilien und Rofen, wenn fie EuerAuge nicht gefüllt
hat mit Aether und Sternenfchein, wenn fie Euch gerade nicht
herausgepußt hat mit dem Hermelin und Purpur der Wan⸗
gen mit dem Königsbau der Glieder und mit den taufend
Zierathen und Zierden des Leibes, fo [haut darum nicht
neidvoll oder verftimmt an das auserlefene Haupt, um melches
günftige Götter geflochten den Kranz der irdiſchen Schön-
heit! Freut Euch des Anblicks der Schönheit, fie ift be-
glückt, IHr feid die Befeligten! Seid nicht verdrießlich
beim Anblid der Schönheit; zerrt nicht und zupft nicht und
reißt nicht und bohrt nicht finfter und mißgönnend an ber
Prachtdecke der Schönheit, wenn fie der Himmel über ein
irdifch Wefen geworfen! Gönnt der Schönheit ihr Bischen
Selbftliebe, ihre kurze Eitelkeit, ihr Bischen Gefallſucht,
ihre Heinen Künfte, ihre unfchuldigen Manöver; bedenkt,
daß jede Stunde der Schönheit ihre Sterbeftunde ift oder
fein Tann, und greift nicht nach bittern Bemerkungen, mit
Höhnifchen Seitenbliden, mit morofen Worten, mit fäuer-
lichen Deoralfprüchen in die kurze Lebens und Sterbens-
ftunde der Schönheit, die doch, wie ein Ticht, mehr da ift,
—
99
um Euer Auge zu ergötzen, als um ſich zu leuchten, und
die fi ch aufzehrt, indem fie Euch das Leben erhellt! —
- Die „Liebe“ Läuft! Sie läuft, und in ihrem Laufe
wirft da8 Gefihid einen Stein nad) dem andern in ihren
Weg, aus Blumenwegen werden Dornenfelder, Abgründe
thun fich auf und Kobolde und Wurzelmännden lauern am
Wege, und taufend Klippen henmen ihren kurzen Lauf!
Darum fauft raſch, fauft ſchnell! Aber ſeid nicht böfe eifter
in dem Leben ber Liebe, feid nicht Störenfriede in dem Still-
leben der Liebe, feid feine Bohrwürmer am der Roſe der
Liebe! - |
Denn eben darum, weil die Liebe ift wie eine Waife
im Waiſenhauſe des Lebens; weil fie ift wie ein Gruß der
Geifter von Jenſeits an diefe Welt; weil fie ift wie ein
Seufzer der Unendlichkeit, hingeweht in die Acolsharfe in
unferm Herzen; weil fie ift wie die Alpenblume auf den
Höhen der Empfindung; weil fie ift wie ein Kuß von un-
fihtbaren Lippen; weil fie ift wie cine Pilgerin durd) die
Wüſte des Dafeins; weil fie ift wie eine Rofe, deren Thräne
Niemand trodnct; weil fie ift wie eine einfam Sterbende,
. mit weldjer Niemand betet, darunı, darum, habt Ehrfurdjt
vor der Erfcheinung der. Liebe! Greift nicht mit roher Hand
in ihre Regenbogenfarben ; zerfchlagt nicht mit ungefchlachter
Fauſt ihre Thauperlen, ihre Thränen, ihre Seifenblafen !
Commentirt nit mit Gaſſenliedern ihre ftillen Seufzer, ihre
Tchmerzzerftücdten Töne! Wägt nicht auf Eurer Heu-Wage
ihre Träume, ihre Phantafien, ihre Klagen, ihre Hoff-
nungen! |
7*
»
mit Mäfigung ihre Gaben! Jedoch ſeid nicht grämlich,
feid nicht kleinmeiſterlich, feid nicht grillenfängeriſch, feid
nicht mafeljudyend und fehlerflanbend, wenn die Schönheit
vor Euch aufthut ihre Himmelsjendung, wenn die Schön-
heit vor Euch daſteht in der Glorie ihrer Sendung, das
Haupt gef hmüdtmitdes Himmels offenbarer Begünftigung!
Wenn an Eurer Wiege nicht gelächelt Hat die Mutter
Natur, wenn fie Euer Antlig nicht berührt at mit dem
Kuße von Lilien und Rofen, wenn fie Euer Auge nicht gefällt
hat mit Aether und Sternenfchein, wenn fie Euch gerade nicht
herausgepußt hat mit dem Hermelin und Burpur ber Wan-
gen mit dem Königebau der Glieder und mit ben taufenb
Zierathen und Zierden des Leibes, fo ſchaut darum nicht
neidvoll oder verftiimmt an das auserleſene Haupt, umwelches
günftige Götter geflochten den Kranz ber 33 Sqen⸗
heit! Freut End) des 2
glüdt, Iprfeiddie®
beim Anblid der Schönheit
»
um Euer Auge zu ergögen, als um ſich zu feuchten, und
die ſich aufzehrt, indem fie Euch das Leben erhellt!
Die „Liebe“ läuft! Sie läuft, und in ihrem Laufe
wirft da8 Geſchick einen Stein nad) dem andern in ihren
Weg, aus Blumenwegen werden Dornenfelder, Abgrlnde
thun ſich auf und Kobolde und Wurzelmännden lauern am
Wege, und taufend Klippen hemmen ihren furzen Yauf!
Darum lauft raſch, fauft ſchnell! Aber ſeid nicht böfe Geiſter
in bem Leben der Liebe, feib nicht Störenfriebe in bem Still⸗
leben ber Liebe, feib feine Bohrwürmer au ber Hofe der
Liebe! .
J Denn eben darum, weil Die Liebe ii wie eine Waiſe
im Weiſenhauſe des Lebens; weil fie iR wie ein Gruß der
Biker von Senfeits en Bicje Belt; weil fe ip wie cin
100
Und ihr Alle, denen nie beglücte Liebe wie der Be
fuch eines Engels an die Herzens-Thüre geflopft, und Ihr
Alle, denen nie unglüdliche Liebe wie ein großer, aber reini=
gender Schmerz durch das Leben gegangen; o [chüttelt nicht
mit plumpen Händen an dem Tempel der Liebe; horcht nicht
mit entweihten oder tauben Ohren auf die Jubel» oder
Klagelieder der Liebel Kragt nicht mit den kurzen Dachs⸗
füßen einer ftunpfen Empfindung an dem Götterbau der
Liebe und mischt Euere taubftumme Seele nicht in das ‘Duo
zweier harmonifcher Herzen!
III.
„Mädchenherz, Mädchenſtub' und Mädthenſchrein,
Müſſen aufgereimt all’ dreie fein.“
Erlauben Sie mir, meine lieben Mädchen, daß ich dieſes
Sprichwort ein Bischen auslege. Ihr Herz. Ihre Stube
und Ihr Schrein, follen ſtets aufgeräumt fein!
Ach Sott, wie erfährt man das aber? Wer fieht den
MädheninsHerz hinein? Kaum einmal durchs Schlüffel-
loch: durd) die Redel Und nun gar in den Schrein! Da
gudt ein Mann gar nie hinein! Aber beim Himmel, es ift
wahr! Tat mic) einmal einem Mädchen in ihren Schrein,
in ihren Schrant, in ihren Schreibtifc) Hineinfchauen,
und ic will euch auf ein Haar fagen, wie e8 in feinem
Herzen ausfieht.
Aufgeräumt!das ift ein Schönes Wort! Gut auf-
geräumt! Was heißt aufgeräumt? Wenn Alles in
Zimmer am rehten Drte fteht, wenn nichts herum
fteHt, nichts ſchief Hängt, nichts im Wege liegt, nichts
überladen ift, nichts zu leer ift, dann ift die Stube
aufgeräumt! Eben fo ift es im Herzen; wenn in dem
Herzen Alles am rechten Drt fteht, nichts [chief und nichts
verſchoben ift, wenn weder ein Mangelnoch einlleber-
fluß an bem nöthigen Herzensgeräth da ift, dann ift dag
Herz aufgeräumt!
102
Wenn in dem Schrein die Tagskleider nicht unter
den Nachtkleidern, die Galaſachen nicht zwifchen den All=
tagsdingen liegen; wenn der Feiertagsſtaat nicht unter den
Sclafröden herumfährt ; wenn alle Bänder, Ketten, Scyleier
ihren beftimmten Bla haben, und nicht verwirrt durchein—
ander geworfen find; wenn man auch im Finſtern Alles
finden kann, weil man weiß, was in jedem Winfelchen wohl-
geordnet liegt; wenn man alle Abend hübſch wieder. nac)-
ſieht, ob Alles in Ordnung ift, damit man Morgens beim
Erwachen wieder Alles in Ordnung finde, dann iſt der
Schrein aufgeräumt!
| Wenn indem Mädchenherzen diefleißigen Tages—
gedanken nicht ſchon unter den Abenderholungsgedanten her=
umfahren ; wenn die edlen, feierlichen Gefühle der Weiblich-
keit nicht unter die Alltags- Empfindungen des frivolen Augen⸗
blicks gemiſcht ſind; wenn jedes Band ſeinen gehörigen
Ort ausfüllt, das Band der Häuslichkeit, der Liebe, der
Freundſchaft, der Zärtlichkeit, und keine Verwirrung unter
ihnen ſelbſt iſt; wenn alle güldnen Ketten des Familien—
lebens, der züchtigen Jungfräulichkeit, der ſtillen Beſcheiden—
heit in freundlicher Ordnung, blank und lachend liegen;
wenn in jedem Herzenswinkel das liegt, was da liegen ſoll,
von allen den ſpielenden Pflichten und tauſenderlei ſinnigen,
koſtbaren Zierden der Jungfräulichkeit; wenn ſo ein Mäd⸗
chenherz auch in den dunkeln Fällen des Lebens, aus
Inſtinkt, aus natürlicher Sittſamkeit und Tugend Alles zu
finden weiß, was einem Mädchenherzen noth thut, dann iſt
das Mädchenherz aufgeräumt.
103
Ein Mädchen, wenn es Morgens die Augen auf-
macht; eine Stube, wenn fie Dlorgens die Benfter aufs
madt; ein Schrein, wenn Morgens feine Thüre anfges
macht wird, müſſen fogleid) auf: und zufammen- geräumt
fein und werden, fonft find Mädchen, Stube und
Schrein nicht fonderlich Tiebenswürdig!
Ein Deädchen muß fein wie eine Rofe, die gleich
beim erjten Erwachen ihr einfaches Kleid für den ganzen .
lieben Zag anzieht, und nicht wie in Sumpf-Salamans
der, der fich bis Mittag in der alten Haut ſchlammig wälzt,
und ſich erjt gegen Mittag häutet. Ein Mädchen fol fein
wie eine Frühlerche, fie muß gleich) Morgens fingend und
heiter fich zum Himmel erhebei, im Morgengebet, und dann
immer trillernd und heiter fich niederfenfen in die grünen
Aechren. der vollen Tagesſaat.
Ein Mädchen fol fein wie das muntere Böglein,
beim Erwachen ſoll fie mit den Iuftigen, unfchuldigen Aeug—
Lein erft heiter in die Höhe Schauen, im Waffer ſich wafchen,
und das Haupt jhlichten wie das Huge Vöglein, und dann
munter in feinem Häuschen von einer Pflichtfproffe auf die
andere hüpfen, und ftet8 freundlic) und munter ſchauen!
Glauben Sie mir, meine holden Mädchen, je öfter
ein Mädchen fich anzieht, defto feltener zieht e8 Andere
an. Ein einziger niedergetretener Schub, mitdem .
ein junges Weibchen den halben Tag herumgeht, hat bei
dem jungen Dann die ganze liebe niedergetreten! Die
nachläſſige Brofchüre, in welcher die Mädchen oft einen’
halben Tag lang erfcheinen, verlöfcht den Eindrud ganz,
98
mit Mäßigung ihre Gaben! Jedoch feid nicht grämlich,
feid nicht Fleinmeifterlich, ſeid nicht grillenfängerifch, ſeid
nicht mafelfuchend und fehlerflaubend, wenn die Schönheit
vor Euch auftgut ihre Himmelsfendung, wenn die Schön=
heit vor Euch dafteht in der Glorie ihrer Sendung, das
Haupt geſchmückt mit des Himmels offenbarer Begünftigung!
Wenn an Eurer Wiege nicht gelächelt hat die Mutter
Natur, wenn fie Euer Antlig nicht berührt hat mit: den
Rufe von Lilien und Rofen, wenn fie Euer Auge nicht gefüllt
hat mit Aether und Sternenfchein, wenn fie Eud) gerade nicht
herausgepugt Hat mit dem Hermelin und Purpur der Wan⸗
‚gen mit dem Königsbau der Glieder und mit den taufend
Zierathen und Zierden des Leibes, fo ſchaut darum nidjt
neidvoll oder verftimmt an das auserlefene Haupt, ummelches
günftige Götter geflochten den Kranz der irdischen Schön-
heit! Freut Euch des Anblids der Schönheit, fie ift be—
glüdt, Ihr feid die Befeligten! Seid nicht verdrießlich
beim Anblid der Schönheit; zerrt nicht und zupft nicht und
reißt nicht und bohrt nicht finfter und mißgönnend an der
Prachtdecke der Schönheit, wenn fie der Himmel über ein
irdifch Wefen geworfen! Gönnt der Schönheit ihr Bischen
Selbftliebe, ihre kurze Eitelfeit, ihr Bischen Gefallfudht,
ihre Heinen Künfte, ihre unfchuldigen Manöver; bedenkt,
daß jede Stunde der Schönheit ihre Sterbeftunde ift oder
jein kann, und greift nicht nach bittern Bemerkungen, mit
höhniſchen Seitenbliden, mit moroſen Worten, mit fäner-
lichen Deoralfprüchen in die kurze Lebens- und Sterbens-
ftunde der Schönheit, die doch, wie ein Licht, mehr da ift,
99
um Euer Auge zu ergößen, als um fich zu leuchten, und
die ſich aufzehrt, indem fie Euch das Leben erhellt! —
Die „Liebe“ Läuft! Sie läuft, und in ihrem Taufe
wirft das Gefchid einen Stein nad) dem andern in ihren
Weg, aus Blumenwegen werden Dornenfelder, Abgründe
thun fich auf und Kobolde und Wurzelmännchen lauern am
Wege, und taufend Klippen henmen ihren furzen Lauf!
Darum fauft rafch, fauft ſchnell! Aber ferd nicht böfe Geifter
in dem Leben der Liebe, feid nicht Störcnfriede in dem Still-
leben der Liebe, feid feine Bohrwürmer an der Roſe der
Liebe! |
Denn eben darum, weil die Liebe ift wie eine Waife
im Waifenhaufe des Lebens; weil fie ift wie ein Gruß der =
Geiſter von Jenſeits an diefe Welt; weil fie ift wie ein
Seufzer der Unendlichkeit, hingeweht in die Aeolsharfe in
unferm Herzen; weil fie ift wie die Alpenblume auf den
Höhen der Empfindung; weil fie ift wie ein Ruß von un= |
fihtbaren Lippen; weil fie ift wie eine Pilgerin durd) die
MWüfte des Dafeins; weil fie ift wie eine Rofe, deren Thräne
Niemand trodnet; weil fie ift wie eine einfam Sterbende,
. mit weldher Niemand betet, darum, darum, habt Ehrfurdht
vor der Erfcheinung der. Liebe! Greift nicht mit roher Hand
inihre Regenbogenfarben ; zerfchlagt nicht mit ungefchlachter
Fauſt ihre Thauperlen, ihre Thränen, ihre Seifenblafen !
Commentirt nicht mit Gaſſenliedern ihre ftillen Seufzer, ihre
ſchmerzzerſtückten Töne! Wägt nicht auf Eurer Heu-Wage
ihre Träume, ihre Phantafien, ihre Klagen, ihre Hoff«
nungen! | |
7*
IV.
„Da müßt’ es gar viel. Kleiſter geben,
Wollt’ man aller Tente Maul verkleben!
„La calomnie en veut toujours aux gens d’esprit.“
j Bouileau.
Die Verleumdung und der Blitz ſuchen ſich am lieb—
ſten die Höhen aus, meine freundlichen Leſerinnen; wo
etwas recht hoch ſteht, da ſchlägt der Verleumdungs⸗
Blitz drein, und noch obendrein oft blig-bumm!
Meine freundlichen Leferinnen, was ift gegen Ver—
leumdung zu thun? Nichts! Gegen Berleumdung und
rafende Thiere gibt es nur ein Mittel: Dian legt fid) ftill,
wie maustodt auf die Erde, hält den Athem an, und läßt
fie über fich weglaufen. Denn die Verleumdung befänipfen ?
„Damüßt’esgarvielKleiftergeben, wollt’man
aller Leute Maul verkleben!“
Früher, meine lichen Leferinnen, hat das weibliche
Geſchlecht ein ausfchliegliches Privilegtum gehabt, — nicht
zu verleumden — aber — zu medifiren;da ging es nod)
an, Die Frauenzimmer find immer gnädig und milde; wenn
fie jo einen guten Namen zur Richtftätte führen, fo machen
fie doch wenigftens ein mitleidiges Geficht dazu! — Während
‚ fie fo einer ehrlichen, abwefenden Seele bie Gurgel abfchnei-
107
ben, verdrehen fie die füßen Acuglein und fagen: „Gott fei
ihr gnädig.“ |
Allein jebt, wo die verkehrte Welt ift, feitden die
Frauen reiten und ſchreiben, feitdem fie die Federn
vom Kopf in die Hand überpflanzten, und anftatt der
Zügel des Haufes den des Pferdes ergreifen, jeitdem find
die Männer Frauen geworden: fie fchminfen fich, fie
ſchnüren fich, fie verleumden!!! |
Beiden Frauen ift das Berleumden eine Erholung,
eine Uebung. Man kommt zufamnen, es wird ein halbes
Stündchen Kaffee getrunken, dann ein halbes Stündchen
muficirt, dann cin halbes Stündchen gefpielt, dann ein
halbes Stündchen verleumdet u. |. w. Bei unfern jegigen
Männern ift das Berleumden ein Gefchäft, ein Amt,
eine Anftellung!
Was meine holden Leferinnen, ift zu thun? Wollen
Sie fid) wehren ? Widerlegen? „Da müßt’ es garpiel
Kleifter geben, um aller Leute Maul zu ver=
leben!“
Wo wird verleumdet? Ueberall! Wann wird ver:
leumdet ? In Einem fort!Wer wird verleumdet? Feder
Mann, jede Frau, jedes Mädchen, Jeder, der etwas
iſt, Jeder, der etwas hat! Warum wird verleumdet! Aus
Müßiggang, aus Rohheit, aus Mangelangeifti-
ger und Herzens-Bildung. | |
Ä Kommen Sie mit, freundliche Leferinnen, ein wenig
durch die Höhlen der VBerleumdung und durch die Gemächer
des fogenannten Leutausrichtens, aber halten Sie ſich
108
ſtill, machen fie nicht den leifeften Berfuch, Jemand oder
Etwas zu widerlegen, denn: Da müßt’ es gar viel
Kleifter geben, wollt’ man aller Leute Maul
verfleben!“
Da find wir in einen Kaffee - Zimmer. Ein paar
Grauen aus dem Mittelalter, mit altdeutfchen Zungen, mit
Zartichens Zungen, ein paar Mädchen, drei, vier Töchter
des Haufes, die den Zipfel ihres Tebensfrühlings in die
Männerwelt hineinflattern Iaffen, wie ein Noth = Signal
von einer Feſtung, die fich auf Gnad und Ungnad ergeben
will, ein paar Freundinnen, ein paar fchöne Freundinnen,
die man zwar wegen ihrer Schönheit nicht leiden Tann,
die man aber doch an ſich zieht, weil fie Diefer und Jener
gerne fieht, und man Diejen und Ienen gern bei fid) jehen
möchte — —; und ein paar Ölact Männer, Bal-Männer,
echte Jaquemar'ſche-Männer, gefchmeidig, dehnbar, zäh und
— am Ende ftet8 Ledern. Nun geht’8 los, die Frauen
reden erft von allen Leuten Gutes; nichts als Gutes!
Allein dann kommt das: — „Aber! —
So ein „Aber“ fchlägt zehntaufend Tybalts todt!“
Es ift ein Kleines Wort, died „Aber“, aber die Grauen
tehrendarauf um, wie ein gefhidter Kutfcher auf einer
Suppenſchüſſel! Aber ift der gefelige Schnappgalgen,
darauf zappelt ſich die ehrlichfte Reputation zu Tode! Aber
ift der Wendepunft des Krebſes, von diefem „Aber“ an
geht alles Gute, was man von Einem gejagt hat, zurüd,
und wird zu lauter Scheren, die den lieben guten Nanıen
zerfchneiden und zerzwiden!
109
Auf einem „Aber“ Schlagen die lärgften Weiber-
zungen einen Kreifel! Weh dem ehrlichen Menschen, über
den ein gewifjes Weiber-Aber Hinfährt, er iſt gerädert
auf fein Lebelang! — Aber diejes „Aber“ ift Honig und
Milch gegen die „Wenns“ der Männer!
Dei gewifjen Frauen ift das „Aber“ romantiſch, fie
reden Schlechtes von den unfchuldigften Menfchen, aber fie
hüllen e8 ins Fabelhafte, fie ftellen fich, als wenn fie nicht
dran glaubten, fie ungeben e8 miteinem: „ih fann’sgar
nihtglauben,” — „[owilldieböfe Weltfagen,”
— „esiftgewißübertrieben,* u. f. w. Kurz, gewiffe
Frauen verlenmden romantisch, e8 ift ein Nibelungen»
lied, eine Tradition; aber viele Männer betreiben es
hiſtoriſch, fie verleumden geſchichtlich! gründlich!
klafſiſch! Sie haben Alles ſelbſt erforſcht, ergründet, fie
geben die Quellen an, ſie haben darüber nachgedacht, ſie
verleumden wie die Tacituſſe. Kurz, aber bündig! Wenn
der gute Name bei jener Romantik blos mit einigen
blauen, Iyrifchen Flecken davon kam, fo macht ihm dieſe
gediegene Klafficität den Garaus! Wollen Sie gegen
diefe Romantiker, gegen diefe Klaſſiker anfämpfen? „Da
müßt’ es gar viel Kleifter geben, wollt’ man
aller Leute Maul verkleben!“
Drängen wir uns in einen „Lleinen freund—
ihaftlichen Zirkel.“ |
In den freundfchaftlihen Zirleln, da wird das
tod gar zu rund! Da ift das freundliche se laisser aller,
man läßt fich fo gehen, daß man die Welt nich t gehen läßt!
110
Da wird die Verleumdung in Neglige betreten! Da
geht die Medijance mit Flappernden Pantoffeln herum! Da
wird im engen Nathe guter Auf hingerichtet. Intime
Hausfreunde, Öouvernanten, Haushälterinnen,
Klavier-Lehrer u. ſ. w. „Es ift ein Kleines Stiergefedht,
wo das Thier blos wird gehetzt!“ Da überläßt man fi
feiner Phantafie! Man richtet Schuldige und Unfchuldige
bin, man köpft, man rädert, man erdroffelt, man verurtheilt
gute Namen; unter Freunden nimmt man’s nicht fo genau!
Was wollen Sie zu den freundfchaftlichen Zirkeln ſagen?
Wollen Sie dagegen Freundfchaftlid) proteftiren? „Da
müßt es gar viel Kleifter geben, wollt! man
aller Leute Maul verfleben!“
Drängen wir uns jegt wieder ein Bischen in ein
„Berleumdungs-PBidnid“, das ift einwohlfeiles,
unfchuldiges Bergnügen. Es fonımt Einem nicht
gar zur hoch! Jeder bringt eine zugerichtete, eine gut
zugericdhtete Berleumdung mit; und dann verzehrt
man Alles durdjeinander! Es ift ein liebenswürdiger Spaß!
Der Eine bringt einen heigabgefocdhten Ehemann, gejpidt
mit erfundenen Schändlichkeiten, mit erdichteten Liebſchaften;
der Andere bringt eine Hübfche junge Frau, recht in der
Brühe von Berleumdung, mit allen Pfefferlörnern der
Thändlichften Anfchuldigungen ; wieder ein Anderer bringt
ein junges, zartes Mädchen, delicat gebraten am Spiefie
der Berdächtigung, mürb gebraten auf den gelinden Kohlen,
die man auf ihr zu ſchönes Haupt fammelte; der Vierte
bringt ein pikantes Scandal von einem feiner Bufenfreunde,
111
mit dampfenden Trüffeln aus feiner eigenen Küche; der
Fünfte bringt einen fricaffirten Dichter berühmten Namens,
in den albernften Broccoli eingemadht, mit fieben Bräuten
belegt, und mit dem Obersfaum alles edlen Geifers abge-
quirlt; der Sechöte bringt einen italienischen Salat, von
taufend Heinen Tritfchtratjchereien, Reputations- Aalen und
guten Namens-Häringen, Heingefchnitten, mit Anefdoten-
und Scandal-Dliven verfehen, und dann ſetzt man ſich
herum und haut ungenirt ein; es geht nichts über die kleinen,
harmloſen Bergnügungen des Lebens! Was wollen Sie
dagegen thun? „Da müßt’ es gar viel Kleiſter
geben, wollt’ man aller leute Maul verfleben!“
Sie werden fragen, meine holden Xeferinnen, woher
jet da8 Berleumden der jungen Männer fo über-
hand nimmt? So muß ich Ihnen erwiedern, aus dem gänz-
Iihen Mangel au Bildung! Aus dem Mangel, den
der größte Theil unferer männlichen Iugend an geiftiger
und moralifher Nahrung befam, aus ihrem Unver—⸗
mögen, fonft cine Konverfation zu führen, aus der bejam-
mernswerthen Verlegenheit, in welche fie gerathen, wenn fie
in einer gebildeten, geiftigreichen Gefelfchaft mit an dem
geößen Triebrad der allgemeinen Gefelligfeit treten ſollen,
aus der bemitleidenswerthen Aengftlichfeit, die fie befällt,
wenn fie ein fittjames, wohlgezogenes, feingebildetes Mäd⸗
chen nur fünf Minuten unterhalten ſollen, ohne vom letzten
Ball, vom vorletzten Cotillon, und von ihrem eigenen Reit—
pferd zu ſprechen; aus der totalen Unmöglichkeit, einem
Frauenzimmer gegenüber, welches Sinn hatfür den geiſtigen
112
Kern der Eonverfation, für die edlern Beitandtheile des
Geſprächs, für einen heitern und inhaltsvollen Ideen⸗
austaufc im gejelligen Kreife ſich auch nur eine Viertel«
ftunde lang interefjant erhalten zu können. Aus diefer innern
geiftigen Hohlheit und aus diefer moralifchen Wäfferigkeit
ihres Ichs entfpringt das inſtinktmäßige Bedürfniß, ſich
doch auf irgend eine Weiſe geltend zu machen, auf irgend
eine Weiſe mit beizutragen zur Geſellſchaft, und da ſie aus
eigenem Geiſt- und Herz-Sädel gar nichts liefern können,
fo ſpießen fie gute Namen auf die EConverjations-Nadel,
um fie entweder zum Spaße dir Geſellſchaft zappeln zu
lafjen, oder um fich einen Werth geben zu wollen. Was fol
man dagegen thun? Dan fchweigt und lächelt, denn: „Da
müßt’ es gar viel Kleifter geben, wollt! man
aller Teute Maul verfleben!“ |
V.
„Oſt oder Weſt, Ball oder Feſt, |
Daheim in den Wef, if’s Mädchen am Beſt'!“
Satomon der Weife fagt: „Die Ehre der Königs:
tochter beftcht in ihrer Häuslichkeit.“ — Was
die EHre betrifft, meine holden Leferinnen, fo ift jedes
Mädchen eine Königstochter, jedes Mädchen hat von
der Natur den Hermelin der Unschuld erhalten, und die
Krone der weiblichen Tugend macht jedes Mädchenhaupt
zum fürftlichen, und jeden weiblichen Augapfel zum Reichs—
apfel, und felbft die eiferne Krone des ärnften Mädchen
hauptes zum goldenen Diadem-Keif!
Alſo: „die Ehre der Königstochter befteht
in ihrer Häuslichkeit!“
Das heimatliche Haus ift da8 geheime Cabinet
der Mädchen; das Haus ift der ſchützende Glasfturz
über die zarte Blume der Mädchen; das Haus ift die
Velängerjelieber-Laube der Mädchenhaftigkeit; das
Haus ift der Groß-Siegelbewahrer aller Mädchen-
würde; da8 Haus ijt die keuſche Muſchel, welche die
reine Perle der Mädchenhaftigkeit jo lange verfchliekt, bis
der Taucher in den ftillen Ocean der Ehe fie heraushoft ;
das Haus ift da8 grüne Gemach, in welchem die unent-
weihte Knospe der Jungfräulichkeit Heilig jchlummert; das
M. G. Saphir's Schriften. V. Bd. 8
114
Haus ift die Stiftshütte aller weiblichen Tugenden;
darum, meine holden LXeferinnen, Oſt oder Welt, Ball
oder Vet, daheim in dem Neft, ift’8 Mädchen
am Beft’!“
Wir Männer jagen: Mädchen und Lerchen müffen,
aus dem heimischen Nefte genommen werden, wenn fie in
unſerm Haufe nad) und nad) heimiſch und Lieb und ange-
nehm fein follen, und nit von Oft und Welt, nicht
von Ball und Felt!
Wir Männer fagen: Mädchen und edles Obſt
müffen zu Haufe, beim Gärtner geholt werden, wenn
wir recht Bortreffliches und Auserlefenes haben wollen, aber
nicht auf dem Obft- und Wochenmarkte, niht von Oft und
Weſt, niht von Ball und Fe! — Mädchen und
Tauben find im Schlage am fchönften; ihr Gefieder
ſchillert am lieblicäften, wenn fie gefchäftig im Schlage ſich
bewegen; wer einen guten Schlag von Mädchen und Zau-
ben für fic) Haben will, muß fie wieder in dem Schlage
fuchen, und nicht unter den wilden, wandernden
Tauben, niht „von Oft und Welt, nit von Ball
und Felt!“
Liebe Mädchen, Ihr feid Königinnen in Eurem
Haufe, und Ihr werdet Stlavinnen außer Eurem Haufe,
in Oſt und Weft, bei Ball und Feft! Ihr habt ein
ſchönes Land zuregieren: Euch felbft! Ihr habt
zwei Kammern, zwei Herzenskammern; o regiert
Euch fo, daß die Stimmen in dem Haufe der gemeinen
Leidenjchaften nicht die Stimmen in der Kammer der Edlen
115
überftimmen. Ihr habt fünf Minifter: die fünf Siune,
Laßt fie nicht die Herrfchaft über Euch gewinnen; Ihr habt
viel Berwaltung- Zweige: viel Pflihten, fteht ihnen fo
vor, daß die Bilance ftet8 richtig bleibt; erhaltet den Fries
denin Eurem Reiche, befünmert Eud) wenig um die
auswärtigen Angelegenheiten, und wenig darumı, was
die Weltgejchichte von Euch jagt, denn: „Bon Mädchen
und von Staaten waren ſtets das die beften und glüd-
Lichften, von denen nich t8 die Blätter der Gefchichte füllt!“
Mädchen find am anbetenswertheften, wenn man nichts
von ihnen weiß, nihts in Oft und Weſt, nichts bei
Ball und Feft!
Kommt Ihr aber nad) „Oft und Weft,* zu „Ball
und Feſt,“ meine holden Mädchen, dann ſeid Ihr Stla-
vinnen; Ihr werdet tarirt und gefchägt von den ge—
felligen Menfchenhändlern; Euer guter Ruf, Euer
innerfte8 Ich wird verkauft und verhandelt von den tau—
fend Namen- und Menſchen-Mäklern, die fi) auf dem
dffentlihen Menſchenmarkt des Lebens herumtreiben !
In „Oft und Wet,“ bei „Ball und Feft“ wird
man in Euern Herzen blättern, ohne drein’ zu lejen;
man wird auf dem Klavier Eurer Empfindungen herum-
ftürmen, ohne harmoniſch darauf zu [pielen; manmwird
Euch beurteilen, ohne Eud) zu fennen; manwird den
Schimmerftaub von Eurem Seelen-Fittig abftreifen,
ohne Euch die Seele be= oder gerührt zu haben; man
wird Euern Leib Hundertinal zum Tanz auffordern, und
Euern Geift ftets figen laffen; man wird an Euer
8*
116
erwärmtes Herz anklopfen, und bei der Nachbarin:
erhigte Phantafie, eintreten; man wird Eurer Eitel-
feitden Huldigungs- Eid leiften, während den man
gefehäftig fein wird, Euch eine Perle nad) der andern aus
der Krone Eurer Veiblichleit zu ziehen, um fie zu
zermürben; fo wird es Euch gehen in „Oft und Weit,“
bei „Ball und Feſt!“ |
Daheim in dem Neft, iſt's Mädchen am
Beſt'!“ Ya, zu Haufe, da ift die Arche in der Sündfluth
unſers gejelligen Lebens, dahin kehret die Taube und das
Mädchen immer wieder zurüd, weil fie fonft feinen Boden
findet, den reinen Yuß darauf zu ſetzen; das Haus ift der
wahre Iſisſchleier über das Bild der Yungfräulichkeit; im
Haufe gilt das Mädchen das, was e8 ift, in „Oft und,
Weft,” bi Ballund Feft“ gilt es das, was esſcheint
und da lernt e8 feheinen, was e8 nicht ift! Zu Haufe gilt
das Mädchen nad) feinem innern Werth; in „Oft und
Weſt,“ bei „Ball und Feſt“ gilt e8 nad) feinem Ge—
präge;in „Oftund Weſt,“ bei „Ballund Feft“ geht
das Gepräge aber bald verloren, e8 wird verwiſcht, und
das Mädchen gilt dann gar nichts mehr in „Oft und
Wet,” bei Ball und Feſt,“ und hat auch fchon für
das Haus an innerm Inhalt verloren!
„Daheim in dem Neft, iſt's Mädchen am
Beft’!" Ins Neft regnet e8 feine Zmeideutigfeiten, wie in
„Oſt und Weft,” und bei „Ball und Feſt;“ ins Neft
ſchlägt der Hagel und der Janhagel der Berleumdung nidjt
hinein, wiein „Oft und Weft," und wie bei „Ballund
117
Feſt;“ im Neft Hängen fi) die Raupen und Kletten nicht
an, wiein „Oſt und Weſt,“ wie bei „Ball und Feft;“
im Neft frißt nicht das ätzende Gift chlechter Geſellſchaft
an dem edlen Stoffe felbft an, wie in „Oft und Weſt,“
wie bet „Ball und Felt!"
Liebe Mädchen, meidet Schlechte Gejellfchaft in „DO ft
und Weft,” bei „Ball und Feſt!“ Der reinfte Engel
fiel in Gefelfchaft der Teufel! Die Nähe von fhlechter
Geſellſchaft ift nicht nur contagiös, nicht nur miasmatiſch
auftedend, jondern fympathetifch; ein Engel, der durchs
Teuer geht, verfengt fich den Fittig! die veinfte Roſe, die
in Dornen fällt, rigt ihr Blatt, und der veine Tropfen in
ihrer Bruft wird erſchüttert; ganz unverfehrt bringt Fein
Mädchen feine hohe Gemüths-Einfalt zurüd aus der Ge—
meinfhaft mitdem Gemeinen; je zarter der Stoff des
weiblichen Wefens ift, defto cher nimmt er Flecken au bei
der Berührung des Böfen; der Huf eines Mädchens aber
ift aus Seidenftoff, in undelicater Gefellfchaft bekommt ex
gleid) Flecken, und bringt man es aud) dahin, daß der
Fleck verfchwindet, der Stoff hat da doch feinen ange:
ftammten Glanz auf immer verloren! Darum, liebe
Mädchen, iſt's und bleibt’8 wahr: „Dft oder Weft,
Balloder Felt, daheim in den Neſt, iſt s Mäd—
hen am Beſt'!“
— — — — —
VI.
Nach Regen folgt Sonnenſthein.
In dieſem einzigen Sprüchlein, meine freundlichen Leſer
liegt eine große Wahrheit, eine große Weisheit, eine große
Freude und ein tiefer Schmerz!
Ach jal Nach Regen folgt Sonnenſchein,
allein oftmals regnet es den ganzen lieben Lebenstag,
wir ſehen aus unſern Augenfenſtern hinaus in die dunkle,
wolkenverhängte Welt, wir warten den kühlen Morgen des
Lebens und hoffen, Mittag wird die Sonne ſcheinen; der
Mittag kommt, es regnet! Da hoffen wir, Nachmittag wird
die Sonne ſcheinen; es kommt der heiße Nachmittag, es
regnet! Wir vertröſten uns auf einen heitern Abend, voll
milden Sonnenſcheins; es kommt der Abend, es regnet!
Wir hoffen noch immer, der Regen muß aufhören! Er hört
auch auf, allein indeſſen iſt es ſpäͤt Abends geworden, Nacht!
Aus dem Sonnenſchein wird mattes Mondlicht, das zu
kühl iſt, um unſere Hoffnungen zu zeitigen, unſere Wünſche
zu röthen, unſere Thränen zu trocknen, das aber gerade hell
genug iſt, um über die durch den Regen abgeſtreiften Blumen
und Blüten ein trauriges Gruftlicht zu werfen.
Nach Regen folgt Sonnenſchein! Wieder eine
Anweiſung der Gegenwart auf die Zukunft, die von dieſer
119
felten acceptirt wird! Ift denn unfer ganzes Dafein etwas
Anderes, als eine fortlaufende Reihe prolongirter Wechfel,
die ftets fällig find und nie bezahlt werden? Die Kinder-
jahre ftellen den Wechfel auf die Jugendjahre aus, die
Yugendjahre auf die vollen Kraftjahre, die Kraftjahre auf
die Altersjahre, und wenn wir endlicd) nod) im hohen Alter
biejen Wechfel an das Schidjal zum Eincaffiren bringen,
fo girirt ihr das Schidfal auf — jener Seite!
Nach Regen folgt Sonnenfhein! Mit diefem
goldnen Kügelchen plombiren wir den hohlen Zahn unferes
Lebens! Der Menſch thut fiebzig Jahre nichts, als bei der
Zukunft Schulden machen, um die Gegenwart zu bezahlen;
immerfort madjt er Loch auf, Loch zu, fchlägt die Zinfen
zum Kapital, bezahlt Zins von Zinfen, befommt von der
Zukunft ftatt baares Geld wieder Hofinungs-Wechjel, Er-
wartungs-Scheine, Bertröftungs-Waare und’ fo fort, bis
fein Grabftein fein TFallitenftein wird!
NahRegen folgt Sonnenfhein! Der Regen
aber Hat unfern Ader überſchwemmt, unfere Saaten ver⸗
nichtet, unfere Heerden erfäuft; der Menſch Hat im Regen
feine Jugendjahre, feine heigeften Wünfche, feine Freude,
feine Liebe, fein Alles begraben, dann kommt der Sonnen=
fein und beleuchtet den Friedhof feines Glüdes!
Nach Regen folgt Sonnenfdein! Das ift
eine Eintrittsfarte zum Glüds-Concert, welche erft am
Ende giltig ift! Das ift der Schlüffel zu einem Schage, ber
erſt auffchliegt, wenn wir den Schag nicht mehr heben
Finnen! Das ift ein ftetes Tifchdeden und ein ewiges Faften.
129
Das iſt ein „ſchöner guter Morgen“ für die
fpäte Nacht!
Nach Regen folgt Sonnenſchein! Das tft dag
„Ringjudhen“ im Pfündertpiel des Lebens; der Ring
wandert, von Einem zum Andern, bis wir an Den fommen,
der ihn hat, ift er Icon wieder weiter gemandert! Das Leben
‘geht mit und um, wie mit Pfänderfpielern, wie mit Kindern !
Das Leben zeigt uns Menfchen- Kindern alle feine Schüge,
feine reellen Güter und feine Spielereien, und wenn wir
darnach hafchen, fo fagt das Leben: „Später, mein Kind!
Morgen,übermorgen! EsgehörtAllesdir, aber
ich werde es dir aufheben!” Das Leben zieht ung auf
feinen Schooß wie ein Kind, wir müfjen buchſtabiren lernen,
und zufammenlefen im A BC⸗Vüchlein des Dafeins, alle
moralifchen Sprüdjlein und alle Abmagerungs-Sentenzen.
Die Schläge und die Püffe befommen wir fogleich auf die
Hand, die verjprochenen Bonbons, und die lebzelternen
Reiter und die güldnen Lämmlein aber nur in der Perfpec-
tive, Alles nur nachher!
Nachher, wenn die Lection vorüber ift, und immer
ſtets eine nene beginnt, mit eben benfelben baaren und
prompten deftrafungen, mit eben denjelben hinau s⸗
gefchobenen, auf die lange Bank gezogenen Be-
lohnungen!
Nach Regen folgt Sonnenſchein! Während
es aber geregnet hat, iſt durch das Regenwaſſer das Tuch
unſeres Lebens um bie Hälfte eingegangen, und dann
kommt der Sonnenschein, und wir fehen, daß unfer Leben
121
fein Kleid mehr gibt, weder für den Sommer, noch für den
Winter!
Nach Regen folgt Sounenfhein! Man frage
aber einmal alle unfere Parapluiemacher, um wie viel
mehr Regenfchirmegebraudt werden, als Sonnen—
ſchirme! Man frage die Naturforſcher, ob es in der Welt
mehr Regenwürmer oder mehr Sonnenblumen gibt!
Nach Regenfolgt Sonnenschein! Aber wieviel
Abwechslungen und liebensmürdige Bariationen hat
nicht das Leben in feinem Regen, und wie einförmig ift
fein Sonnenfhein! Das Leben hat Land-, Staub-,
Strich und Plag- Regen! Daskebenhat Nebel- und
Gewitter-Regen! Das Leben hat Blut-, Froſch-,
Feuer-, Hagel- und Schwefel-Regen! aber das Leben
Hat nur einer Sonnenfchein, ift er matt, fo trocknet er den
Negen nicht auf, und ift er ftark, fo dürfen wir und können
wir ihm nicht einmal recht ins Auge fchauen!
Und dennoch, und dennoch liegt eine große Tröftung,
eine heilige Beihwichtigung in dem Ausdrude: Nach
Regen folgt Sonnenschein!
Nach Regenfolgt Sonnenjdein! Schen Sie,
meine freundlichen Lefer, es ift März, der Himntel hat feine
Regenflagge eingezogen ; die Berge fchlagen ihre Regenkappe
zurüd; die Ströme ſchnüren ihr Eismieder auf, daß ihr
Bufen frei den füßenden Sonnenftrahl entgegenwalle; die
tleinen, weißen, zerftreuten Borfrühlings: Wölkchen hüpfen
ſchon wie junge Lämmer durd) die blaue Himmelswiefe;
und auf den hHöchften Höhen der Berge wandeln ſchon Leichte
122
Frühlings-Geifter und rufen in die Thäler herab: Nach
Regen folgt Sonnenfdein!
Der Menfc fängt ſchon an die Fenſter aufzumadhen,
dann bie Thüren, bann die Herzen, um ben Sonnenfchein
einziehen zu laffen; den Sonnenfchein, diefen Senneſchal
des Frühlings; und die Menfchen ſchlüpfen aus ben Häufern
und bie Gefühle aus dem Bufen ; und wir gehen dem Sonnen
fchein entgegen und erzählen ihm und Klagen ihm fo viel
von dem vergangenen Winter, von den eingefcharrten Hoff-
nungen und erftarrten Blüten und frofttodten Liebesblunten,
und der Sonnenfchein lächelt ung an, und zeigt mit dem
Strahlenfinger auf die abgelaubten Sträuche, Gebüfche
und Bäume, die alle am Wege ftehen und warten, bis der
Frühling einzieht, und die alle bald daftehen werden mit den
wiedergefundenen Blättern und wiedererrungenen Blüten,
und die alle dem einziehenden Herrn entgegenrufen werden:
Nach Regen folgt Sonnenjdein!
VII.
Die KRunſt des Stchmollens.
Jaßt ſiegrollen, laßtfietollen, wie fie wollen,
nur nit [hmollen!
Die Engländer find nie glüdlicher, als wenn fie un⸗
glücklich find; die Irländer find nie friedlicher, als wenn fie
Krieg haben; die Ruſſen find zu Haufe, wenn fie ſich auf
Reifen befinden; die Deutfchen find nie durftiger, als wenn
fie trinfen; die Franzoſen find nie unwiffender, als wenn fie
Alles gelernt haben, und die Frauenzimmer — dieje ganz
eigene Nation — haben nie ausgefproden, als da, wo
man vergebens denkt, daß fie ausſprechen follen!
In der großen Waffen- und Rüftlammer der weib⸗
lichen, häuslichen Kriegs- und Zeughäufer, von ben leichten
Lanzen, Stoßdegen und Dolchen der Worte nnd Reden, bis
zum ſchweren Gefchüt der vier und zwanzig Thränen-Pfün-
der und Ohnmachten, ift feine Waffe fo unheilbringend, als
jene Art Gefhüß, welche man in den frühern Kriegen
„Kammergeſchütz“ nannte, und weldes in dem Zweis
kampf der Fiebe oder Ehe „Schmollen“ genannt wird.
Weinen und mit den niedlichen Füßchen ftrampfen,
find blos das Ober- und Unter- Gewehr ber Frauen.
124
Schreien, Zanfen, in die Haare fahren u. |. w., das ıft dag
Heine Belagerungs-Gefhüt. Krämpfe, Ohnmachten, Mi-
gränes, das find die Maucerbrecher, Feldichlangen und
Karthaunen, aber „Schmollen”, Schmollen, das
ift die Aushungerung des Yeindes!
Man HatRegenfhirme, Lichtſchirme, Sonnenſchirme,
MWetterableiter, Hagelableiter, Feuerverficherungsanftalten,
aber man hat feinen Schmoll - Schirm, feinen Schmoll-
Ableiter, Feine Schmoll - Berficherungs - Anftalten!
Ein ſchmollendes Frauenzinmer ift eine immerwäh-
rende Dachtraufe, welche endlich den härteften Geduldftein
aushöhlt.
Ein jedes Frauenzimmer fpricht andere, ein jedes
Frauenzimmer zanft anders, ein jedes Frauenzimmer
fchmeichelt anders, aber alle Franenzimmer ſchmollen auf
gleiche Weife! Das Schmollen ift die einzige Univerfal-
ſprache von den Irokeſinnen bis zu den Pariſerinnen, von
dem Thron bis zur Hütte.
Wenn eine rau, eine Geliebte zankt, fo zankt fie
blos mit dem Mann, mit dem Gelichten. Wenn eine
Frau, wenn eine Geliebte aber ſchmollt, fo ſchmollt fie
nicht blos mit dem im Schmollen ftehenden Mann oder
Geliebten, fondern dieſes Schmollen erftredt ſich auf alle
leb⸗ und eınpfindungslofen Gegenftände und Umgebungen
desjelben. Sie fchmollen mit feinem Hund, mit feinem
Keitpferd, mit feinem Pfeifenfopf, mit feinem Schreibzeug,
mit feinem Schlafrod, mit feinem Lieblingsgericht, mit
feinen Pantoffeln,; wenn er ein Künftler ift, fchmollen fie
125
mit feinen Gemälden, mit feinen Büften, mit feinen Rollen,
mit feinen Gedichten u. |. w.
Sie ſchmollen nicht nur mit ihm, fie ſchmollen mit
feinem verftorbenen Großvater, mit feinem Jugendlehrer,
mit feinem Raſirer, mit feinem Hühneraugenarzt. Der ſchäd⸗
liche Einfluß diefes Schmollens erftredt fi vom Zenith
des Mannes: von feiner Schlafmüte, bis zu feinem Nadir:
bis zu feinen Fußſocken! |
Wenn die Frau gewöhnlich um neun Uhr den Kopf
aus den Yedern, und um zwölf Uhr die Federn aus dem
Kopfe bringt, fo fteht fie an großen Schmolltagen wie an
großen Wafchtagen um fieben Uhr auf, um nur vccht zeit-
li ſchon zu ſchmollen.
Wenn eine Frau in die Wochen kommt, fo trägt ge=
wöhnlich das ganze weibliche Hausgefinde den Kopf un
eine Spanne höher; auch wenn die Frau blitt, das Heißt,
wenn fie laut zankt, fo wetterleuchtet da8 Stubenmädchen,
und die Köchin fühlt ſich wie cin ferner Horizont ab: wenn
aber die Frau fchmollt, jo bläfelt und näjelt aud) das
Stubenmädchen Alles unter der Nafe und zwifchen den
Zähnen durd), und auch die Köchin fpricht und antwortet
blos in Anfangsbuchftaben und Abbreviaturen. Ja, fogar
der Mops fcheint im magnetifchen Schmoll-Rapport mit
der Frau zu ftehen, und Inurrt Halb unverftändlich wie ohne
Souffleur.
Zum Reden haben die Frauen doch nur ſech 8 Sprad) =
Werkzeuge: Kehle, Gaumen, Zunge, Zähne, Lippen und
Vingerfpigen; allein zum Schmollen haben fie hundert
126
Sprady- Werkzeuge. Sie fchmollen vermittelft der Nafen-
ſpitze, indem fie fie Hängen lafjen, vermittelft des Ellen-
bogeng, indem fie ihn aufſtemmen, vermittelft der Füße,
indem fie fie in abgetretene Schuhe fteden, vermittelft der
Haare, indem fie fie nicht glatt kämmen, und vermittelft
anderer unzähliger Symptome von Staub und Unordnung
an und in allen Dingen!
Zanken und Schreien muß ein Ende nehmen, die
ftärkfte Lunge wird müde, und der raftlofefte Mund erfchöpft
fi, aber zum Schmollen braudyt man weder Mund nod)
Zuüge, ſchmollen fann man immerfort.
Im heftigften Streit, im wüthendften Wortwechel,
wenn der Mann plößlich niest, jo jagt die Frau doc), gleich-
fam unwillfürlid: „Zur Geneſung!“ Aber während die
rau fchmollt. darf der Mann niefen zum Zerplaten, die
rau ſchmollt und jagt nie: „Zur Genefung!“
Eine Frau, die mit ihrem Manne zankt, und wenn
fie nod) fo laut donnert und tobt, fie läuft inzwifchen doch
in die Küche und fieht, daß das Kraut mit den Hleinen Knack⸗
twürften, die er fo gern it, nicht verderben, und diefe Lucida⸗
Intervalla fühlen die Atmofphäre ab. Allein eine Frau, die
ſchmollt, vergißt die zarteften Bande der Natur, welche fie
an die Küche binden, fie vernachläffigt Gerichte, die fie unter
Schmerzen geboren, und wo die Frau fchmollt, da raucht
die Suppe, das Zugemüfe brandelt und der Braten leidet
an vollfommenem Mangel an Zartheit und Empfindung.
Einer Frau, die fchreit, kann man in die Rede fallen,
man kann fich die Ohren zuhalten; allein wie will mar
127
einer Frau ins Schmollen fallen und fid) vor ihr die Ohren
zuhalten ?
Eine Frau, die fchreit, die fann man, wenn aud) nicht
überzeugen, doch überfchreien; allein wie kann man
eine ſchmollende Frau überfhmollen?
Wenn die Frau fchreit und lärmt, fo finden wir
Zroft darin, daß ſolche Erfchütterungen die Luft reinigen,
und daß die Nachbarn, die diefen ewigen Lärm hören, Mit-
leid mit ung haben; allein wenn die Frau ſchmollt, fo fegnen
die Nachbarn die liebe, ftille, friedliche Trau, während der
Mann unter diefer gänzlihen Windftille wie ein Schiff auf
dent Meere auf einem Tlede zappelt!. |
Kurz, Schmollen ift der fchredlichite der Schreden.
Drum fage ih: „Xaßt fie grollen, laßt fie tollen,
wie fie wollen, nur nit ſchmollen!“ '
VIII.
KRälbernes mit Champignous.
E⸗ iſt eine ſtille Uebereinkunft unter allen Speiſezettel⸗
Autoren: an der Spitze des „Eingemachtes“ prangt
das „KKälbernes mit Champignons”. Es iſt eine
fchweigend anerkannte Würdigung. Ein Ehrenplag, dem
wahren Berdienfte angewiefen. Hier ift fein Rangftreit, es
ift eine ftabile Berehrung: den Vortritt hat das Kälberne
mit Champignons!
Es ift ein edles, ein beliebtes, ein gejuchtes Eſſen:
Kälbernes mit Champignons! Nicht das Kälberne
ift. die Delicatefje, aber die Champignons! Die Champignons
machen die Civilifation des Kälbernen; ein Kälbernes ohne
Champignond wäre das, was ein Menfc ohne Franzöſiſch
ift, e8 märe für die Gefelfchaft verloren. Die Champignons
verleihen dem Kälbernen den Reiz, die Anmuth, die Pikan—
terie. Kälbernes ohne Champignons wäre das, was ein
Mädchen ohne Mitgift ift, e8 würde nicht gefucht werden,
und wäre e8 an und für fich noch fo vortrefflich. Die Cham-
pignong find die Ausftener des Kälbernen ; die Champignons
find die Toilette des Kälbernen; die Champignons find die
Flitterwochen der Kälbernes-Saifon ; die Champignons find
129
die geiftigen Reize, ohne welche fein ſchönes Kälbernes ge-
fallen fann; hors des champignons point de Kälbernest
Man komme aber einmal in unfere Gaſthöfe und
Speifehäufer, man lefe die Speijezettel, diefe natürlichen
Kinder der Orthographie, und wenn man durd) diefe neuen
Schöpfungen von Dingen, erfinderifchen Kellnern in einem ’
fühnen Zrog gegen alle Rechtfchreibung entronnen, bis zu
dem „Küälbernen nıit Champignons” gelangt ift, da weilt
da8 Auge mit Wohlgefallen auf diefen Zügen. — Nachdem
man zuerft gelefen hat: „Hudibras mit Kameleon,*
oder: „Elternhand und Lümmelkind,“ oder: „Ya=
fontaine mit Crebillon,“ oder: „Fieberzelt mit
Chinarinde,“ oder: „Xiebesftoff mit Kamillen-
thee“ u. f. w., bringt man es endlich durd) eine füße
Ahnung heraus, indem aus unferer Jugend eine Heine Er⸗
innerung rege wird, daß es,Kälbernes“ heißt, „Kälbernes
mit Champignons.”
Alſo! Man ruft den Kellner, und fagt mit dem Flehen
der Sehnſucht: „Rälbernes mit Champignons!*
Worauf der Kellner fagt: „GOl eich, Euer Gnaden!”
Und wenn die Jahrszeit günftig ift, feine Yequinoctials '
flürme eintreten, aud) fonft fein Elementar-Hinderniß vor⸗
fällt, erhält man nod) in demfelben Jahre: „Kälbernes mit
Champignons!“
Sagte ich, man befommt Kälbernes mit Ch ame
pignons? — Berzeihe, lieber Lefer, ic) habe gelogen, aber
ich bin doch Fein Betrüger, ich bin blos, wie Nathan der
Weife jagt: ein betrogener Betrüger!
M. ©. Saphir's Schriften. V. Bd. 9
130
Man befommt fein: Kälbernes mit Cham—
pignons! Man befonımt mehrere Duadern von dem Groß⸗
vater eines Centauren, der fich einbildete, ein Jüngling zu
fein; einige Ziegel von der fogenannten „jeune Kalbſchaft“
Liegen vor uns, fte liegen in einer Brühe, in einer Sauce,
"in einem Bade, ineiner Sole, in electrifirtem Gewitterregen;
man weiß fo eigentlich nicht, in welcher „Humoriſtik“, das
beißt, in welcher Feuchtig keit fie liegen. Man fällt nun
mit ſtillem Entzücken her, um die Champignons zu fuchen,
denn man hat fich ja das Kälberne blos der Champignons
halber geben lafjen, man fängt an, die Champignons zu
fuchen. Man dreht das erfte Stüd Kälberne um, feine
Champignons! Man. dreht das zweite Stüd um, feine
Champignons! Mit Zagen, und ſchwebend zwifchen Angft
und Hoffnung, dreht man das legte um — feine Cham-
pignons! Hier nicht und dort nicht! Man nimmt einen
Löffel und rührt die unbelannten Fluthen auf, ob der ge-
heimnißvolle Grund vielleicht einen Champignon birgt —
auch nicht! Sp weit die Gabel meines Tiſches reicht, fo
weit der Löffel feine Schifffahrt jendet, feine Champignons!
„Und der Tag der Alles findet, |
Die Champignons, die find't er nicht!”
Nur am äußerften Rande des Tellers entdeckt man
in der Gegend der atlantifchen Sauce ein fabelhaftes Wefen,
eine dünne Scheibe, wie der Schatten eines Champignons,
wie der Geiſt einer Fiſch-Suppe, durchſichtig, dünn, elfen=
artig, e8 gelingt uns, diejes entkörperte Ding zu fafjen, es
äft ganz ätherifch, und man entdedt, daß es mit Recht zu
n %
131
den Beftandtheilen eines wirklichen Champignons gezählt
werdenkönnte! Dasnenntman: „RälbernesmitChanı-
pignong!“
Ein folder Speiszettel, meine lieben Leer, ift
das Leben! — Wie oft ftreben wir nad) Etwas, blos um
feiner Champignons wegen, und wenn wir es erlangen,
fohabenwirblosKälbernes undleineChampignong!
Der Menfch fol fich anf garnichts freuen, der Menſch
joU nie etwas erwarten, dev Menſch ſoll der Erfüllung eines
Wunſches nie entgegen fehen, ohne zu denken „KRälbernes
nit Champignons!“
„Kälbernes mit Champignons! voilä ma devise!“
Was iſt das Leben ohne Liebesglanz? Alfo Leben
mit Liebe; Und wir leben! Wir leben in fteter Erwartung
der Liebe; wir drehen die ungeniegbaren Zeitquadern des
Lebens um, wir wühlen in den Wogen der Zeit, wir fuchen
Liebe, Menfchenliebe, Nächftenliebe, Chriftenliebe, treue
Liebe, wir ſuchen und fuchen, wir fegen ein Stüd von unferem
Leben um das andere dran, wir ſchiffen abwärts in den
Steom der Zeit, es bleicht fich die Wange, es krümmt ſich
der Rüden; e8 wird Abend, die Inmwohner des Menſchen
machen Nacht, die Ohren fangen an zuzufchliegen, die
Augen machen nad) und nad) die Tädchen zu, und wir haben
feine Liebe gefunden! — Leben mit Liebe = „Käl—
dernes mit Champignons?“
Was ift Liebe ohne Gegenliebe? Alfo Liebe mit
© egenliebe! Und wir fegen unfer Alles an einen Gegen⸗
Stand! Wir wideln die Geliebte ein mit den innigſten
9*
132
Gedanken an fie, wir umzäunen fie mit den fchönften Regen=
bogen unferer Phantofie, wir hängen all unfer Fühlen, al
unfer Denten, al unfer Athmen, wie eine Rojenguirlande
um ihre Bruft; wir opfern ihr allunfer Streben und Wirken,
und wollen nichts als Gegenliebe — und fie liebt erft ſich,
dann fi, dann noch lange fi), dann wiederum anhaltend
und lange fi), dann liebt fie ihre Toilette, dann einen Hut,
dann eine Robe, dann einen Kanarienvogel, dann einen
Ball, dann eine Soiree, dann die Huldigung von Seder-
mann, und wir fuchen in ihrem Herzen, und wir ergründen
die tiefen Wellen ihrer Empfindung, und fiehe da, am äußer-
ften Rande der nördlichen Spige befindet ſich ein Heiner
Anflug von Gegenliebe, „wenn Zeit und Umftände es er-
lauben,* dasiftliebemit®egenliebe— „Kälbernes
mit Champignons!"
Was ift das Leben ohne Ruhm? Alfo Leben mit
Ruhm! Und wir jagen dem Schattenbilde nach, und wir
hafchen nad) Sonnenftäubchen, und wir faſſen das Wolfen-
gebild, und wir greifen in den Regenbogenfchinmer, und.
am Ende ift’8 eine papierne Trompete, eine Seifenblafen-
Slorie, eine Schaum Krone, ein Nebel-König ; nichts bleibt,
blos in einem elenden Converfations »Lerifon flickt irgend
ein befoldeter Schuft unfere Unfterblichkeit zufammen —
das ift leben mit Ruhm — „KälbernesmitCham-
pignons!“
Was ift das Leben ohne Ehre? Alfo Leben mit
Ehre! Was ift diefe Ehre, die uns jeder rauben Tann, der
feine hat? Was ift diefe Ehre, die man nur aus Büdlingen
133
nachweiſen kann? Was ift diefe Ehre, die ein jeder Tauge⸗
nichts in mir zerftören fann? Was ift endlich dieje Ehre,
die ich durch den Anfall eines Betrunfenen verlieren, und
die ich wie ein Taſchenſpieler durch einen Piſtolenſchuß
wieder gewinnen kann ? Wieviel von den Teuten haben Ehre,
denen man Alles aufs Ehrenwort glauben muß? Das ift
das Leben mit Ehre — „Kälbernes mit Cham-
pignons!*
Was find Zeitfchriften ohne Geift? Alfo Zeit-
ſchriften mit Geiſt! Laßt uns ſuchen in allen den
Blättern „von Geiſt“ — „für Geiſt“ — „zur Bil-
dung des Geiſtes“ — „zur geiftigen Erheite-
rung“ u. ſ. w. Finden wir andern Geift, als den Geift
der Kleinlichkeit, der Intrigue, der Selbftfuht? Sie haben
nicht um einen Kreuzer Geift, und erfcheinen doch für
einige Gulden ein paar hundertmal des Jahres — das find
Zeitfhriftenmit®ecift— „KälbernesmitCham-
pignong!“ | |
„KRälbernesmitChampignons!“ Daran denke
jeder Menfch bei jeder Gelegenheit, und er wird ein großer
Philofoph fein, er wird nichts wünfchen, nichts hoffen, nichts
erwarten, auf nicht8 harren, auf nichts bauen, auf nichts
fpefuliren, er wird alfo auch nie getäufcht werden, denn die
mächtige Devife feines Lebens hieß:
„Rälbernes mit Champignons!“
IX.
Rennton und Eonverfation in den Tornlitäten der
weiblichen Herzen.
Meine lieben, freundlichen Mädchen! Die Zeit kommt
heran, wo „fich die Straßeneden befleiden neu”, wo „die
Bälle wieder fpriegen und die Adern milder fließen“,
die Zeit der Bälle, Reunions, Converfations, Walzer,
Galops u. f. w. Taufend Localitäten öffnen ſich, Zimmer,
Säle, Salons, Stuben, Tanzböden. Walzer werden aus
den Comp oniften herauswimmeln, wie Granitferne; Titel
werden fie haben, wie die Berrüdten in China; und unfere
Zeitungen werden ausfehen wie eine Himmelgleiter aus
lanter Ball- und TZanz- Ankündigungen, und diefe Stridleiter
wird Euch, meine Theuern, einladen, geradezu auf ihr in
den Himmel der irdiſchen Seligkeit hinaufzufteigen.
Meine Liebften, thenerften Mädchen, ich will Eud)
auch ganz höflich einladen zu einem Balle, zu einer Reunion,
zu einer Converfation, zu einen Walzer, in einer Tofalität,
die Ihr vielleicht noch gar nicht kennt, in die Ihr nod) nie
gefehen habt: in Eurem Herzen!
Gewiß meine Theuerften, Ihr fürchtet Euch nit,
da hinein zu fehauen, da hinein zu gehen, da drin eine
Zeitlang Euch zu unterhalten. In Eurem Herzen gibt es
—
135
eine ſchönere Beleuchtung, als in der Redoute, eine innigere
Mufik, als im Concertfaale eine auserlefenere Geſellſchaft,
als auf Bällen, hHerrlichere Erguidungen, als in den
Soireen, eine erhebendere Berfammlung, als in den
Reunionen, und ein traulicheres Geſpräch, als in den Con⸗
verfationen.
Kommt mit mir ein Bischen auf die „Unterhals
tungin Eurem Herzen“, Ihr lieben Mädchen, die Ihr
die Unterhaltung überall fucht, wo fie Alle fuchen, wo fie
Vederzufindenglaubt,Riemand wirklich findet,
und am Ende Feder noch verloren zu haben glaubt,
kommt mit mir in Euer Herz, und fuchet, welcher Stoff ba
ift, für Kopf und Geift, für Liebe und Seele, wie viel
Abwechslung, weld) ein Tumult, weld) ein Gedränge von
Empfindungen, welch ein Gemiſch von Gefühlen!
Die Eintrittsfarte in mein Herz heißt: „reines
Gewisfen“; mit diefer Karte könnt Ihr getroft eintreten,
Ihr werdet willkommen fein und Euch gut unterhalten. —
Herein! Seht Ihr den fchönen, rothen Saal, er ift beleuchtet
nit dem reinen Fichte der Unfchuld, das ift ein Licht,
das nicht gepußt zu werden braucht; ein Licht, das nicht
herunter brennt, jondern in die Höhe; ein Licht, das
nicht ſchmilzt; ein Licht, das an der Dede keinen ſchwarzen
led abfegt! — Der Boden diefes Saales ift ausgelegt
mit dem echten Teppich der Sittfamkeit, der auf
beiden Seiten gleid) ift; die Wände find ausgefchlagen mit
den Tapeten der einfachen Freude und Fröhlich—
feit. Inmitten dieſes Herz-Saales aber fpringt der
136
Springbrunneudesungetrübten Bewußtfeing;
aus der Lautern Tiefe quillt er empor, und kehrt wieder
lauter in feine eigene Tiefe zurüd.
Die Muſik aber diefes Herz: Salons wird dirigirt
von dem Kapellmeifter: Zartfinn, und er dirigirt mit
dem Zactirftode des weiblichen, angebornen Tactes, und er
mäßigt und befchleunigt die Tempos nad) einer unbewußten,
aber untrüglichen Eingabe, und e8 ertönen die Injtrumente
der Empfindungen, die Yeol&harfeder Religion, die
ihre Saiten verfnüpfend ausfpannt zwischen dem Irdifchen
und Himmliſchen, und lieblich ertönt, wenn dieleifen Seufzer
im Gebete fich durchbrechen; dann die Harmonika der
Liebe, die, mit Blumenfingern berührt, die zarteften Klänge
austönt; dann die Zauberflöte der Tugend, deren
fanftes Gelispel die wilden Sinnes-Thiere bändigt; dann
das Forte und Piano des Mitleids; die fchmerz-
ftillende Harfe der Hoffnung, und noch mandje andere
Liebliche Mufil- und Stimm= Führer im weiblichen Herzen.
: Wenn Ihr aber, meine freundlichenLeferinnen, glau⸗
ben und fürchten folltet, es fänden fich in biefem Herzenslofale
feine Männergefellfchaften, keine Conrmacher, feine Tänzer
für Euch, fo muß ic Eud), meine anmuthigen Leferinnen,
beruhigen. Es finden fi) da Gefellfchaften, edler, finniger
und Eud) angemefjener, al in den meiften Sälen. Da im
Herzensſaale geſellt ſich zu Euch „Rer Glaube“, ein ernſter,
ſinniger, tiefer Geſellſchafter, der Euch nicht blos zu einer
Tour ausbittet und Euch dann verläßt, nein, ein Tänzer,
der feſthält, bis der Ball des Lebens zu Ende iſt. Da iſt
137
aud) „der Anftand“ — „der Geiſt“ — „der Edel:
muth“ — „der feine Ton” — „der Sinn fürs
Edle“ u. f. w., lauter ſchätzenswerthe, vortreffliche Gefell-
Ichafter und ausdauernde Tänzer in dem Wechfelball des
Dafeins!
"Die Erquidungen und Erfrifchungen aber, die in dem
Xofale des ved)t arrangirten weiblichen Herzens angeboten
werden, find angenehm und ſüß für Zungen, die nicht vers
wöhnt, für Gaumen, die von den Leckereien der Eitelfeit und
Sinnlichkeit nicht abgeftumpft find. Ein warmes, heißes
Gefühl für das Schöne, ein frifher Trunfaus
der Duelle des fittlih Edlen, die Mandelmild
aus dem wahren Borne des Lebens, aus bem Borneder
Empfindung,undeinlauterer Zug aus dem Borne
der Liebe und des Mitgefühls. Gewiß, meine lieben
und ſinnigen Leſerinnen, wenn Ihr Euch nur ein paarmal
gewöhnen würdet, dieſen Ball in Eurem eigenen Herzen zu
beſuchen, da zu lauſchen auf die eigenen Töne, welche die
liebe Vorſehung in jedes reingeſtimmte Herz gelegt, auf-
zuhorchen auf die Haren, wahren Stimmen, weld)e Gott
und die Tugend aus jedem unverdorbenen Herzen reden
läßt; wenn Ihr Hand in Hand gehen wolltet mit den
vollen Empfindungen, mit den einfachen, aber lautern
Gedanken, mit dem beicheidenen, aber wohlthuenden Be-
wußtfein, welche in jedem zartgeformten Herzen auf- und
abgehen, und es mit ftiller Freude und mit inniger Ruhe
erfüllen, dann — dann würdet Ihr weniger Euch fehnen,
nach dem leeren Schellengeläute der gewöhnlichen Ball= und
138
Tanz⸗Lokale, nad) einem Schellengeläute, welches die feier-
lichen Glockentöne eines jungfräulichen Herzens bald über-
tönen und unhörbar machen; dann werdet Ihr Eud) weni⸗
ger drängen, zu fein, wie die Schaubrote und Schaugerichte
an öffentlichen Zafeln; dann würdet Ihr nicht fein die
narürliden Nachfolger jeder öffentlihen Ball-
anfündigung, nicht die Willenvollftreder jeder Einladung
zu Zanz und Ball, wo man Euch hinſetzt ald Leimruthen,
als Lockpfeifen, als Deforationsftücde, als Wandbilder, als
Drangerie-Stüde, als lebende Buffets! — dann würde es
nicht da8 Sinnen Eurer Tage, und das Träumen eurer
Nächte fein, mit wen Ihr rechts walzen und links hopfen
werdet, wer euch zum Eotillon wie die Domino⸗Steine er⸗
fehen wird, und von wen Ihr im Redovak wie die willen-
Iofen Schubfarren im Saale vor⸗ und zurüd, und hin- und
hergejchoben werdet werden! —
Ya, meine Theuerften, gewöhnt Eud) an das Lokale
Eures Herzens; Ihr glaubt gar nicht, wie beglücdt man ift,
wie ftilvergnügt, wenn man in feinem Herzen heimifc) tft;
wenn man fich jo recht bequem und wohnlich und comfor=-
table in feinem Herzen findet!
Verſucht ed nur redht oft, meine edlen Leferinnen,
und Ihr werdet Euch recht wohl befinden.
X,
Srühlings- -Cur der Sommerfproffen, für deu Herbſt
und Winter des Lebens.
Schon wieder eine große Akademie gegeben, ſchon wieder
eine Praterfahrt vorüber, ſchon wieder das große Loos
nicht gewonnen, ſchon wieder einige Hoffnungen in den erſten
April geſchickt, ſchon wieder Frühling und ſchon wieder ein
Hundewetter!
Bravo! Braviſſimo!
War das der Mühe werth, ein Jahr älter zu werden,
ſechshundert Gulden Miethe zu bezahlen, Schuh, Stiefel
und Kleider zu zerreißen ?
D Ledernheit, Altgebadenheit, Afchfärbigkeit, Salz⸗
Lofigfeit und Rückenmarkdörrigkeit der alten Leier!
Alfo Frühling! Der Kalender ſagt's und ich will's
glauben. Bin ich beffer wie eine Straßenlaterne? Die
Straßenlaterne glaubt dem Kalender, daß Mondſchein ift,
ich glaub’ ihm, daß Frühling ift, und ziehe einen Frack an;
daß ich unter dem rad zwei Hemden und ein Flanellkleid
trage, das geht den Kalender nichts an, das find meine
140
Brivatnedereien mit dem Frühling. Der Frühling felbft Hat
fi) auch im vorigen Jahre am erften Mai im Augarten
verfühlt, hat das Gliederreigen befommen, und geht jett
felbft in lauter Futterbarchent!
Alfo der Frühling ift entfchuldigt, aber mit dem
Sommer will ich furchtbar zu Gericht gehen Er geht vor
uni nicht aus, und doc) friert er, und ihm klappern die
Zähne!
Und was das Schlimmfte ift, das Unbegreiflichfte,
die Sommer nehmen ab, aber die Sommerfproffen
nehmen zu!
Wo kommen alfo die Sommerfproffen ohne Sommer
her? E8 geht den Menfchen mit den Sommerfprofjen wie
mit den Liebesliedern, die Liebe ift dahin, die Kieder nehmen
gräßlich überhand!
Aber meine holden Leferinnen, glauben Sie ja nicht,
daß die Sommerſproſſen im Sommer entftehen! Beileibe!
Sie entftehen alle im Frühling. Sie follten alfo Frübh-
lings-Sprofjen heißen, fo wie eigentlich auch unjere
Alters-Shwähen aus Jugend-Schwächen her-
ftammen!
Ia, meine holden Mädchen, im Frühlinge, in
Eurem und in dem Jahres- Frühling, da hütet Euch
vor Sprofien und Yleden !
Eure Haut und Euren Ruf bewahrt im Früh-
linge Eures Dafeind. Dann werden fie im Sommer,
Herbft und Winter keine Sproffen und Feine Fleden
haben!
141
Die zarte Haut der Mädchen befonmt leicht Som⸗
merfproffen und LXeberfleden. Der zarte Ruf der Mäbd-
hen befommt noch leichter Promenade-Sproffen und
Salon-Fleden!
Der Ruf eines Mädchens ift wieihre Haut, und wie
fie felbft, je mehr fie and Sonnenlicht fommen und gehen,
defto mehr Sommer- Sproffen befommen alle drei!
Der Ruf eines Mädchens ift zart, wie die zartefte
Barbe, fie Schießen Beide ab, wenn fie viel ans Tagslicht
fommen!
Die Mädchen find wie die Kerzen, je mehr fie in die
Luft kommen, defto leichter [ch melzen fie, defto früher find
fie ausgebrannt. Die Mädchen find wie die Kerzen, je
öfter fie gepußt werden müſſen, defto weniger find fie nuß,
und je öfter fie ausgehen, defto weniger taugen fie fürs
Haus!
Die Haut und der Ruf eines Mädchens befom-
men leicht Sleden, aber fie gehen ſchwer oder nie auß;
und bringt man aud) mit Mühe nad) langer Zeit jo einen -
Fleck aus, fo geht es wie mit einem Fleden in Sammt,
bringt man auch den Fleck weg, der Glanz diejes Punktes
ıft auf ewig dahin!
Wiſſet Ihr denn, meine theuern Mädchen, wie die
Sommerfprofjen entftehen? Gerade wie die Sproffen und
Flecken im guten Ruf!
Zuerft bilden fichinder reizbaren Haut Heine Schweiß
tröpfchen, in diefen Tröpfchen, die nicht zufammenfließen,
werden die Sonnenftrahlen, wie durd) ein converes Glas,
142
in einen Brennpunkt vereinigt, der Brennpunkt fällt auf die
Malpighifche Netzhaut und der dadurch gejäuerte Kohlen-
ftoff bringt diefe Sproffen hervor.
So iſt's aud) mit dem guten Ruf; wenn fich zuerft
auch nur ein Kleines Tröpfchen daran anfekt, die Sonnen
ftrahlen aus allen Bliden und Torgnetten der Welt ver-
einigen fich in diefem Brennpunkte, und finden da Kohlen
ftoff genug zum Anſchwarzen und Sauerjehen, und verder⸗
ben den guten Ruf auf ewig!
Gegen die Sonmerfproffen der Haut, meine lies
ben Leferinnen, gibt e8 viele bewährte Mittel, die alle
nichts helfen, zum Beispiel Wafchwafler, Molken, Seife,
Rahm u. f. w., aber gegen die Sproſſen und Flecken im
guten Auf eines Mädchens, gibt es kein Waſchwaſſer und
fein Reinigungspniver ; nicht einmal die zu ſpät vergofjenen
Thränen wajchen diefe Sproffen weg, nicht einmal der Höls
lenftein der zu fpäten Reue ätt diefe Fleden auf!
Es gibt Frauenzimmer, deren Haut, mit Sommer-
ſproſſen überfäet, und fie find dennoch ſchön, liebenswürdig,
gefucht, geliebt, gejhätt; aber ein Mädchen, welches Som⸗
merfproffen im Hufe hat, ift häßlich wie die Sünde, und
wär’ es fo fchön wie ein Engel; e8 ift efelhaft wie eine
Spinne, und wär’ es fo appetitlich wie ein Blumenftrauß;
e8 wird von ehreliebenden Männern geflohen, und wenn fie
es auch) liebten wie ihr Selbft!
Gegen die Sommerfproffen in der Haut hat man
Fächer, Hut und Sonnenſchirm, gegen die Sommer-
fproffen in dem Rufe gibt es feinen Fächer und feinen
143
andern Schirm, als den Schirm der jungfräulichen Sitte,
und die Schirmpgötter des ftillen, väterlichen Hauſes.
Wehe dem Manne, wehe dem Jüngling, der fein Herz
an ein Mädchen hängt, das nicht Acht gibt, daß ihr Auf
feine Sommerfprofjen befomme, denn fie befommt die
Sommerfproffen und er muß fein Geficht zu wafchen geben !
Alfo, meine lieben Mädchen, im Frühling, da be-
wahrt Haut und Ruf vor Sommerfproffen! Hütet Euch
vor zuviel Sonnenlicht, vor zu viel Zugluft, die zu viel
zieht, vorden Brennftrahlen der Lorgnetten u. ſ. w.,u. ſ. w.
XI.
„Anſer Herrgott grüßt alle Angenblik, kein Menſch
dankt ihm!“
Ha iſt eben wieder der erſte, ſüße, heilige, milde Grup.
Gottes niedergefloffen vom blauen Himmel, der erfte Früh-
lingöftrahl ftieg von den in durchſichtigem Flor gehüllten
Bergen nieder zu den Menſchen, und weht fie an mit dem
unendlichen Gruße des emigen Schöpfers, und fein Menſch
danft ihm!
Höchſtens werden cin paar Frühlingsdichter kommen,
und werden fingen von dem alten „Yenz” mit feinen „Lenz=
tänzen” und „Blumenkränzen“ und „Nachtigallen”, die
da „ſchallen“ u. |. w. Heißt das Dank? das heißt Un—
danf!! —
— Da fteht ein feines, armes Mädchen an der Brüde,
e8 bettelt nicht, aber es hält euch ein Kleines Blümchen ent-
gegen. Das erfte Kind der verjüngten Erde duftet fo lieblich,
die Farbe ift fo zart, und das Blümlein ift ein ftiller Dol-
metfch des armen Kindes, und es bittet mit feinen Farben
für das Mädchen, welches auch ift eine Blume, abgeriffen
vom Schooße feiner Mutter und hingetragen in eine fremde
graufame Welt, und in diefen erften Blumen des Jahres
grüßt wieder unfer Herrgott mit feiner alten Liebe, die
145
immer wieder Alles auferftehen läßt, und der die verwaiste
Erde wie den verwaisten Menfchen immer wieder mit neuen
Gaben und Blüten bedenft und befchenkt, und er grüßt
lächelnd und herziunig und väterlic) aus diefem zarten Blüm⸗
fein; aber fein Menſch dankt ihm! und die meiften gehen
vorüber, und gar manche ftoßen noch ganz unſanft Kind
und Blümlein von ſich! —
— Ihr ſteht auf der Baſtei, und ſchaut hinüber in
den Strom, der, blau und ſchillernd, wie ein gewäſſertes
Atlasband dahinflattert, und der den Saum der Stadt
munter küßt und die alte Fußwaſchung hält an den beleb⸗
ten Ufern, ſeht, da hat unſer Herrgott wieder gegrüßt,
der der Flußnymphe das Mieder von Eis ausgezogen und
ſanft aufgethaut hat die Froſtrinde um ihren Buſen, daß
ſie nicht überſchwemme Euer Gut und Euch kein Leid zufüge,
wie zuweilen in Gottes Zorn und gerechtem Grimm; habt
Ihr daran gedacht und von dem Waſſerhimmel unten einen
dankenden Blick emporgeſchickt zu dem Himmel oben? Ja,
ja, unſer Herrgott grüßt alle Augenblick, und kein Menſch
dankt ihm! — |
— Da flattert ex hin, der Heine Schmetterling, der
erfte warme Liebeshauch der Sonne hat ihn aus feinem
Raupenhaus herausgelodt, und er ift einer der erfien An⸗
beter in der verjüngten Natur, und die furze Zeit feines
Lebens flattert er um Euch, und auch in diefem Erftge-
bornen der jungen Sonne grüßt Eud) der liebe Gott, der
aus Nacht und engen Leben die Seele befreit am Tage des
Lichtes, daf fie ſich aufſchwinge, jung, unfterblich, und die
M. G. Saphir's Schriften. V. Br. 10
146
lichtgefticten Schwingen emportrage zum Hinmel; aber
denkt Ihr je beim Anblide eines Schmetterlings an die Güte
und Gnade des Herrn, der aus den Erdenraupen einft her-
vorbrechen Läßt den Auroravogel de8 ewigen Morgens ?
Ya, ja, unfer Herrgott grüßt alle Augenblid, und fein
Menfch dankt ihm! —
— Da ift Lißt, der Orlando furioso des Klaviers,
und da ift Ernft, der Oſſian und Fingal der Violine, fie
ent= und verzüden Euch, fic verdrehen Eud) Herz und Kopf,
und Ihr feid durch und durd) aufgelöst in Wonne und Ju—
bel, und Ihr wißt Euren Empfindungen nicht Worte zu
geben u. ſ. w.; aber fällt e8 Euch dabei ein, an denjenigen
Gran maestro zu denen, der folchen Wohlklang gelegt in
ein Feines Ding von Holz, der folche Laute des Weh’s und
der Tuft gelegt hat in dünne Saiten, und der den ſchwachen
Geiſt des vergänglichen Menſchen hat unterrichtet in der
Kunft, die ſchlafenden Töne zu weden, und die in todten
Inftrumenten eingemanerten und begrabenen Götter zu er-
wecen und aufftehen zu heißen, daß fie Euch in Herz und
Seele tönen und klingen und Euch erregen zu Thränen der
Luft und der Wehmuth? Ja, ja, unfer Herrgott grüßt alle
Augenblid, und fein Menſch dankt ihm! —
— Ihr effet alle Tage Erdäpfel in anderer Geftalt,
und halb Europa würde Hungers fterben, wenn diefe Frucht
nicht wäre, und fie ift die erfte und größte Wohlthäterin
der Menfchheit, und Ihr ſchaut fie mit Gleichgiltigkeit an,
und wißt nicht, daß auch in diefer Frucht einer der herz»
lichften Grüße Gottes Liegt! Habet Ihr bedacht, mit welchem
147
riefengroßen Weltgedanten Gott die Bruft eines fterblichen
Menſchen füllen mußte, mit welchem Aufwande von Geift,
unfterblichen Erfindungen diefe Frucht für Eud) entdedt
werden mußte? Welche Opfer fie gefoftet, und welche Ge-
heimniffe der menschliche Geift erft der Natur und der
Schöpfung mit Gottes Beiftand entreißen mußte, ehe Ihr
einen Erdapfel zu effen befamt? Ja, ja, unfer Herrgott
grüßt alle Augenblick‘, aber kein Menſch dankt ihm! —
— a, ja, mein lieber Leſer, Gott grüßt alle Augen-
bli&! Der Sang der Nachtigall und die Stimme des Echo,
fie find nichts als Gottesgrüße! Sturm und Zephyr, Badhes-
riefeln und Wafjerfallgebraufe find nichts als Gottesgrüße!
Morgemröthen und Abendröthen, Blumen und Blüten, find
nichts als Gottesgrüße! Jede Nacht ift Gottes Gruß und
jedes Sternlein ein Zroft in diefem Gottesgruß! Jeder
Tag ift ein Gruß Gottes und jeder Strahl eine Beleuchtung
diefes Grußes! Das ganze Leben ift ein Gruß des gütigen
Scöpfers, und felbft der Zod ift ein ftiller Scheidegruß
Gottes mit dem Ausruf: „Auf Wiederjehen!“
. 10?
Xu.
„Ruf nicht eher „Fiſch, Fifdy!“ als biser anfdemZifd.“
Is weiß, mein lieber Tejer, daß das Afchenbrödel: Ernſt
ein unwilllommener Saft ift, allein ein Bischen wollen wir
uns doch einäfchern und nad) den Tagen desleeren Taumels,
des herz⸗ und beutelausfaugenden Carnevals ein finnigeres
Wörtchen fprechen, als immer und ewig von den Walzern
von Strauß und Lanner, von den Maskeraden und Re-
douten, von Concerten und finnlofen Muſiken, von Tafchen-
fpielern und Automaten, von Statiftinnen und von duelliren-
den Flöhen, von Amerika im Elifium und von der Quadrille,
und von all dem leeren, fchalen, hirn=, faftlofen, herz⸗ und
gemüthentledigten, Läppifchen und täppischen, faden, wider
lichen, bis zum Efel abgedrofdjenen Brimborium, und von
al dem Firlefanz und Plunder unferer gewöhnlichen Tags⸗
Erfheinungen, unferer Tagsnovitäten und unjeres Neuig-
keits- und Referirungs - Tritfch = Tratfh !!
Sage mir, mein freundlicher, befonnener Leſer, wächst
dir nicht aus diefem Gewäſche ſchon eine Brunnenfrefje bei
den Ohren heraus? Bift du noch nicht durch und durd)
windelweich durchgejchrieben und in Fafern zerflojfen von
dent ewig wiederkehrenden, immergleichen, fich ſelbſt wieder-
gebärenden, monotonenMahlmühlengeklapper unferee Jour⸗
nalismus? Sage, freundlicher Leſer, efelt es dich noch nicht
149
an, wenn wir tagtäglich und ftundftündlich vor deine Thüre
fommen mit unferm Novitäten-Werkel und mit unfern:
Notizleterfaften und div von Morgen bis Abend immer
wieder vorleiern
„Das alte Lied, das alte Lied,
Bon dem verjoffenen Nagelſchmied!?“
Bäumen fich, mein geliebter Leſer, alle deine Nerven
und Muskeln nod) nicht im Ekelkrampfe auf und zuſammen,
"wenn du immer und ewig wieder das alte Schiboleth vor
deinem Ange findeft; wenn du uns immer drefchen flehft das
taufendmal ausgedrofchene Stroh; wenn du uns immer
wieder gadern und gludjen hörft über diefelben dotterlofen
Windeter; wenn du uns immer wieder herumflöppeln fiehft
auf dem albernen Holz: und Stroh- Inftruntent; wenn wir
immer dasfelbe bis zum Verzweifeln abgeſchmackte „und
wieder ein Sträufchen“ vor dir produeiren, und wenn wir
immer wieder Luft füen und Wind ernten und Schatten
fechjen und Seifenblafen fällen und Sardellen mit einem
Aufwande von Kraft trandhiren, als wenn es lauter Hai⸗
fiſche wären, und auf Milben reiten mit einem Peitfchen-
gefnalle, als ob e8 lauter Bucephale wären, und abgehülste
Linſen zu Markte bringen mit einer Doktormiene, als ob wir
ſybilliniſche Blätter verfauften, und die Blähungen von
einigen trommeljüchtigen Minuten mit einer Wichtigkeit
ausrufen und ausfchneiden, als ob wir die Riefengeburten
einer zufunftfchwangeren Zeit zu Wehen brächten ?!
Sage, freundlicher, Tangmüthiger, geduldiger Leſer,
warn wirft du und endlich mit Fug und Recht zur Thür
150
hinauswerfen, wenn wir immer wieder fommen mit den
abgeftumpften Hafenfchwänzen und Biberohren der platten,
feichten Alltäglichkeit, mit dem Schmankerlbecher der nich»
tigften, loderften und geifflofeften Zeit- und TZags- Notizen ?
Mir, mir, mein freundlicher Lefer, ift e8 zum Efel,
und ich bin bis zum oberften Ohrzipfel überfüllt mit inner
lichem Widerwillen, mich immer wieder in das Tretrad
derfelben Schreibmühle einſpannen zu laffen, und dir immer
wieder vorzuerzählen, „das alte Lied, das alte Lied,“ von
wandernden Mufilanten, Komödianten, Schnurranten, von
Kränzen und Beifällen, von aufgelaufenen Primadonnen
und durchgegangenen Helden, von fürftlich belohnten Pi-
ronetten, und von dungernden wahren Talenten u.f.m.u.f.w.!
Ich bin fo durd) und durch matt und efelmüde, daß ich nicht
weiß, ob du ſchuld biſt, mein freundlicher Xefer, daß wir fo
zu jchreiben genöthigt find, oder ob wir ſchuld find, daß du
fo zu lefen gewohnt bift!
Sage mir, lieber, freundlicher Leſer, und ſei auch
nicht ein Bischen böfe, wenn ich mit altdeutfchen Schreibe-
fäuften und Kraftwörtern darein fchlage, fage mir, bift du
denn von Natur, von deiner primitiven Wefenheit fo ver-
flacht, fo geiftesfindifch, jo finn- und herzblöde, daß du
nichts willft, al8 den ewigen Abhub des Augenblids, abge-
hoben mit dem hölzernen Schaumlöffel der Notizelei? daß
dich nichts ergött, ald was du wie einen Zahnftocher ge=
brauchen und Lefen kannſt zwischen Effen und Verdauen, in
nichts dentender Behaglichkeit ? daß dich nichts angenehm
und ſympathiſch berührt, als die journaliftifchen Korkftöpfel,
151
die hübſch auf der Oberfläche des geiftigen Meeres herum⸗
treiben, nichts als der Neffelausfchlag der Literatur, der
mit einigen bunten Pünktchen faum die Haut des intellec-
tuellen Lebens eintüpfelt, und in ſechs und dreißig Stunden
wie verſchwunden iſt? daß du nur Gefallen findeft an dem
Iiterarifchen Kürbis des Propheten Jonas, der über Nacht
ward und über Nacht verging? Oder, was ich eher glauben
fan, mag und will, oder find wir Fournaliften nicht
vielmehr die unwürbigen Kindsmweiber und Journal-Ammen,
die dich feit einem Bierteljahrhundert aufgezogen haben bei
dem Zuderwafjer der Tlachheit, bei dem Kindskoch und
Brei der allerſchwächſten Koft, bei der zähen Bertrams-
wurzelnichtigerStadtbaferei, bei dem geſchmackloſen Panadel
von artiftifchem und gefelligem Tritſch-Tratſch? Sind wir
es nicht vielmehr, wir Sournaliften, mit unferem Ein-
tagsfliegengedächtniß, mit unjerer Schmetterlings - Aus-
dauer, mit unferer Maulwurfsicharffichtigfeit, mit unferem
Eichhörndhenernft, mit unferer Wafferlinfengründlichteit,
die wir die Beredjamfeit eines Staars verbinden mit der
Abwechslung eines drejfirten Raben, die wir die Tiefe eines
Regenmafjerfees verbinden mit der Schärfe eines Schaf-
käſes, die dich, mein lieber, freundlicher Leſer, fo dazu groß=-
gezogen haben ? Wir Journaliſten, die mit Pope's Friſeur
die Lode in den großen Dcean tauchen, und die Hühner-
augen der Zeit ausjchneiden mit einge Grimafje, als ob
wir dem Weltengeift die Glieder einrichten wollten; wir,
die wir Rechenfchaft Halten uud ablegen über die abge-
ſchabenen und abgefchnittenen Nägel des Augenblids, und
152
dabei Phraſen zupfen und mit den Nüftern dawpfen, als
ob wir eine große Jufanft heramsichnitten aus dem auf-
getriebenen Leibe der Gegenwart! Bir, diewir eine Theater⸗
notiz einbaljamiren wie einen egyptijchen König; wir, die
wir einen Triller im Triumph herumtragen wie eine eroberte
Fahne; wir, die wir eine Pironette einjchlagen in Zorbeern
and Unfterblichleit ; wir, die wir einen Klavierlauf überbauen
mit Regenbogen und Sonnenftrahlen; wir, die wir dem
unfterblichen Erfinder eines Piccicato den Cãſarſtuhl hin⸗
fegen neben den großen Bären; wir, die wir ein zerrifjenes
und wieder ganz gemadhtes Taſchentuch heute mit eben jenem
füßen Bahnfinn vergöttern, mit dem wir geftern den Sän-
ger der Ilias vergötterten;; wir, die wir einem Affen Mam⸗
mof denjelben Wortkranz und diefelbe Roſenkrone aufjegen,
die wir geftern einem Retter des Baterlandes aufſetzten;
wir, die wir in Gottes Zorn über einen Kamm ſcheren
den Löwen und das Schaf, den Apollo und den Harlefin,
die Meffiade und den Gafjenhauer, die Götterlehre und die
Miligkerzen, die Kunft und die Bierhalle, den Batriotismus
und das Obrenfaufen, die Kritif und die Todtenliſte, den
Humor und die neuen Häringe, die Literatur und die An⸗
zeige vom frifchen Rattenpulver!
Ad, mein lieber, freundlicher Lejer, unfere Scale
fintt, wir find die Berführer, du der Berführte, wir
find die irrigen Wegweifer, du der irrige Nachfolger!
Jedoch wozu das Alles? Nũützt es etwas? Wird es
nägen? Kann e8 nũtzen? Soll es nügen? Es wird mir mit
diefer Rede gehen, wie mit der Rede eines frommen Redner 8
153
an die Fiſche! Du kennſt doc diefe Sage? Nicht? um,
weil mein Motto gerade ein Fiſch-Motto ift, jo höre, was
du gewiß fchon oft gehört Haft!
Die Rede an die Fiſche.
Ein frommer Redner ftand
An eines Ufers Rand,
Ting an die Wort! zu mijchen,
Sprach rührend zu den Fifchen!
Die Fiihe kamen all’ herbei,
Es fam der Hecht, es fam der Schlei,
Der Karpfen kam, es famen ohne laufen
Die Huchen und die Haufen.
Der Stodfiih kam, gar fett und did,
Es fan der Stör, es kam der Til,
Und in dem Salz der Welle
Kam Häring und Sardelle.
Die Fröfche kamen alle nod),
Es kam der Hai, es fam der Noch‘,
Es kam mit langen Scheren
Der Krebs aus allen Meeren.
Die Rede hörten ftumm fie an,
Und alle dachten in fi) dann:
„Der kann zu Herzen reden,
Das befiert einen Jeden!“
Sie hörten mit geftredtem Ohr
Aus ihrem Waſſer hoch empor,
Der Karpfen, mit bemoostem Haupte,
Sah aus, als ob er’s glaubte!
13
Der Hecht auch fchien gar jehr erbaut,
Der Stodfiih ſchluchzte tief und laut,
Man fand die Fröſch' und Unken
In Thränen ganz verfunten!
Der Haifiſch fah gar fromm herauf,
Als ob ihn reut' jein Lebenslauf,
Der Krebs ſchien fi) e8 vorgenommen,
Als wollt! er vorwärts fommen!
Die Red’_war aus, die Red’ war all,
Da rührte ſich's im Waſſerſchwall,
Die Fifche, wie gefommen,
So waren fie verſchwommen!
Der Hecht, der war faum fortgereist,
als er ſchon friſch ein Karpflein fpeist;
Der Hai, fo ganz uud gar durchdrungen,
Hat d’rauf den Hecht verjchlungen !
Der Stockfiſch, der geftredt fein Ohr,
Blieb g’rad’ fo dumm, al® wie zuvor,
Die Fröfche, die Hallunfen,
Sie quadten wie die Unten!
Sardellen auch nun allemeil,
Sie bfieben alle wieder geil,
Und rüdwärts zu deu andern,
Sah man die Krebfe wandern!
Benn je ein Menſch zum Bolke ſpricht,
Bergeſſe er beileibe nicht,
Die Rede zu den Fifchen,
Im Geiſt fih aufzuſriſchen! —
155
Ya, mein lieber, freundlicher Leſer, e8 ift Zeit, daß
wir unfer journaliftifches Ringelfpiel ein Bischen renoviren,
reformiren und veredeln! Nicht immer der Ritter von der
traurigen ©eftalt, der immer wieder hohle Novitätenfchäbdel
auffpießt, nicht immer derfelbe zahme Türke, der ſtets nad)
dem Dreheifen fticht, und nie den rechten Punkt trifft; nicht
immer dasjelbe hölzerne Pferd mit dem buntangeftrichenen
ledernen Gurt; nicht immer wieder einen großen Trompeten
ftoß und eine Cinellenmufif, wenn fid) ein Kindlein oder
fonft ein Reiter aufjegt auf den hölzernen Schlitten, um die
Runde zu machen, die fie feit Jahren und Jahren zehntau-
fendmal gemacht haben, die wir Alle mit den gleichen Trom-
petenftoße und mit derfelben Cinellenmuſik empfangen haben !
Aud) wir Yournaliften rufen fo oft im voraus, eh’
Tiſch gededt ift: „Fiſch! Fisch!” und wenn die Tafel ange-
richtet wird, fo ift es nicht Fisch und nicht Tleifch, und der
Lejer wicht fi) den Mund ab!
„Ruf nicht eher: „Fiſch, Fiſch!“ als bis
er auf dem Tiſch!“ Das follte auf jedem Journale als
"Motto prangen! Denn was find wir Iournaliften jett
Anderes, als die Vorreiter jeder Gaufler-Erfeheinung, mit
der großen Pofaune im Munde, und wir reiten durd) die
Zeilengaffen mit Wortfchellen behängt und blafen und
rufen die Menge an: „Hier ift zu fehen ein großes Welt-
wunder u. |. mw.“ und das Volk verfanmelt fich, und Läuft
zuſammen, und hinterher kommt oft nichts, ala das Gelüfte
einer großen Erwartung! Darum rufe man nicht cher
„Fiſch! Fiſch!“ als bis er auf den Tiſch!
156
Und ift e8 denn nicht in allen Dingen des menjd)-
lichen Lebens jo, mein lieber, freundlicher Leſer!? Das Herz,
der Geift, der Mund fchreien oft „Fiſch! Fiſch!“ umd
auf den Tiſch fommen nichts, al8 Gräten und Floßfedern
und Schwanzſtücke!
„Fiſch! Fiſch!“ rufen dramatiſche Dichter und
ihre Freunde, wenn ein neues Stück kommen ſoll; es iſt ein
Goldfiſch, ſagt der Eine, ein Leviathan, ſagt der Andere, ein
fliegender Fifch, fagt der Dritte. Da fammelt fich die fiſch⸗
liebende Welt, und bringt einen Hunger mit für einen Le⸗
viathan, und wenn der Tiſch angerichtet ift, da kommt ein:
ganz gewöhnlicher Fiſch, ein Badfifch, ein Fifch, wie jeder
Fiſch, ein Fisch, der fo das juste-milieu zwifchen Sarbelle
und Wallfiſch ift, und die Gäfte warten ſtets auf den Le⸗
viathan, aufden Goldfifch, aufden fliegenden Fifch! Darum,
mein lieber, freundlicher Leſer, ruf' nicht eher: „Sifch!
Fiſch!“ als bis er auf dem Tisch!
Da ift ein Wunderfnabe, ein Knabe, der herrlid)
Klavier, Geige, Horn, Baßgeige, Flöte, Klarinette u.f. w.
fpielt; da fommen die Tanten und Bafen, die Nachbarinnen
und Gevatterinnen und ſchreien: „Fisch! Fiſch!“ und die
Tante jagt: es ift ein Fifch mit Schuppen aus Unfterblich-
feit und mit Floßfedern aus natürlichen Lorbeern, und die
Andere fagt: aus feinem Roggen wird das Glüd der Zu—
kunft gefchnitten, und die Andere fagt: aus feiner Milch
wird die Nachwelt ihr Heil bereiten u. |. w., und das Fiſch⸗
lein wächst und wächst, und das Fifchlein wird älter, und
aus dem Goldfifchlein wird höchſtens ein Gareißel, und aus
157
dem Silberfifchlein ein Weißfifch, und dieBafen und Tanten
haben das Fifchlein mit der Fiſchbrühe ganz ausgegoſſen!
Darum ruf nicht eher: „Fish! Fiſch!“ als bis er auf
dem Tiſch!
Das Karneval kommt, die Mädchen fchreien: „Fiſch!
Fiſch!“ welches fo viel heißt, ald: „Mann! Mann!“
und wenn fie ein Mann auf dem Balle eine Biertelftunde
lang mit einigen faden Complimenten fervirt, die er von
der Pique auf, vom Küchenmädchen, Stubenmädchen, bis
zum Fräulein auf, dienen ließ, fo fchreit das Mädchen:
„Stich! Fiſch!“ und wenn fie Jemand zweimal zur Qua⸗
drille engagirt, -eben weil mit ihr zu tanzen die leichtefte
Arbeit ift, jo fchreit das Mädchen wieder: „Fiſchl Fiſch!“
Und wenn ein Fant und Roue zu fo einem Mädchen
wieder jagt:
„Wann kommen wir uns wieder entgegen ?
Im Sturm, im Wind oder im Regen?“
und fie flehet, auf die Baftei zu kommen, oder fonft wohin,
da fchreit das Mädchen: „Fiſch! Fiſch!“ welches immer
fo viel heißt, als: „Mann! Mann!” und wenn das Car-
neval vorüber ift und die eigentliche Fiſchzeit da fein
jollte, da find feine andern Fische da, als faule Fiſche,
und an der Fiſchangel ift nichts hängen geblieben, als ein
Stückchen von dem guten Auf des Mädchens, und an allen
Straßeneden rufen alte Weiber ein Volkslied aus:
„Bon den zwölftaufend Jungfern, die alle in
dem Faſching fein übri blieben und wie der.
Qupido über fie wane thut!“
158
Darum ruft nicht eher: „Fiſch! Fisch!“ als bis er auf
dem Tisch! |
Wiederum, nein lieber, freundlicher Leſer, macht fich
Jemand ein Ideal, und er fucht unter den zwölftaufend
thörichten Mädchen und findet eine, die wie ein Paradies
vogel die irdifchen Füße eingezogen Hat, und da fticht er
fein Fdeal auf diefen Silbertoque der Wirklichkeit und ruft:
„Fiſch! Fiſch!“ und er erhebt diefen Fifch gleich zu dem
Sternbilde der Fiſche am Himmel; allein wie lange danert
e8, da fallen dem Fiſch und ihm die Schuppen von den
Augen, er gedachte zu fifchen, und er krebste, es ift ein Fiſch
wie alle Fifche find, nicht befjer und fchlechter, als alle Fluß⸗
fifche, mit denfelben Kiemen und demfelben Blut, und der
gute Ideal-Fiſcher fürzt von feinen Himmelsfiſchen
herab in den gewöhnlichen Fifchbehälter irdifcher Fifche!
Darum: rufe nicht eher „Fiſch! Fiſch!“ als bis er auf
dem Tiſch! —
Ja, mein lieber, freundlicher Leſer, Alles im Leben:
Hoffnung, Glück, Liebe, Freundſchaft, das Leben ſelbſt iſt
nichts, als ein ewiges Rufen: „Fiſch! Fiſch!“ und gar
nichts auf dem Tiſch! Die Hoffnung ruft immer und ewig:
„Fiſch! Fiſch!“ und kommt niezum Anrichten! Die Liebe,
die Freundſchaft, der Enthufiasmus u. ſ. w. find
nichts ale Fifche: in drei Tagen find fie übel-
riechend!!!
Das ganze Leben, mein lieber, freundlicher Leſer, iſt
nichts, als ein permanentes Rufen: „Fiſch! Fiſch!“ An
der Wiege fängt der Menſch an zu rufen: „Fiſch! Fiſch!“
159
Die Kindheit ſchickt ihn zu der Jugend un Fische, die Ju—⸗
gend ſchickt ihn zum gefetten Alter um Fiſche, das geſetzte
Alter ſchickt ihn zum Greifenalter um Fische, fo rufen ſich
alle Menjchenalter zu: „Fiſch! Fiſch!“ bis der große
Fiſch-Geier Tod kommt mit feinem Fifchmeffer und uns
und alle unfere Zuftfifche in die große Pfanne haut; und
aud) indem wir hineingehen in den dunklen Behälter, wo
Hecht und Stocdfifh, Sardelle und Haififch ruhig neben>
einander in der ſchwarzen Erdenfauce liegen, auch da rufen
wir noch: „Fisch! Fiſch!“ und hoffen, wie der Talmud
fagt, dort zu effen von dem großen Teviathan, der ein
Fiſch ift ohne Gräten und ohne Schuppen, und der da
fhmedt nad) allen Delicateffen der beiden Welten, und
deffen Roggen gebraten wird an dem Urquell alles Lichtes
und alles Lebens!
Lieber, freundlicher Leſer, guten Appetit !
Genre- Bilder,
Jokoſes und Sentimentales.
M. ®. Saphir's Schriften. V. My.
11
Die Whiftparthie mit vier Houneurs, drei Rindern,
zwei Möpfen und einer Kichtfchere,
h war in einer jehr böfen Laune. E8 ftedte mir
etwas in allen Gliedern, entweder eine Heine Krank⸗
m oder eine große Dummheit, und ich wußte nicht,
follte ich zum Arzt, oder zum Schreibtifch gehen.
Woher die böfe Laune fam? Das muß man eine
fchöne Frau, einen reichen Dann und einen armen Redac-
teur nie fragen. Diefe drei Naturreiche in dem Menfchen-
reihe — wozu fogar der Natur-Arm.e: der Redacteur,
gehört — find fo eigentlich dazu gemacht, ftetS böſe Yaune
zu haben. Die fchönen Frauen, weil ein fchöner Himmel
nie fchöner ift, al8 wenn er ein Bischen bligt und donnert,
und weil bunte Tauben nie fchöner find, al8 wenn fie zürnend
das bunte Gefieder auffächern. Neiche Leute überhaupt,
weil fie an der goldnen Ader leiden. Arme Redactenrs
endlich find die wahren Effigmütter, Schwaben-Nefter und
Rattenkönige der üblen Laune. Erftens ſchon darum, weil
jeder Redacteur auch ein fie, ein Femininum in fi
11*
164
einfchließt: die Redaction nämlich, und alfo ſchon an und
für fi) Yaunen, diefe Bandwürmer des fchönen Ge—
fchlechtes, in fid) beherbergen muß. Drittens endlich — ebeır
aus übler Laune fag’ ich nicht, wie ich follte: zweitens —
drittens endlich, ja, drittens endlich bin ich jest in böfer
Laune, daß ich mid) felbft genöthigt Habe, unerklärliche
Dinge — böfe Launen nämlid, erflären zu wollen.
Genug — id) war in böfer Laune und hatte feft be-
fchloffen, mit ihr heute Abend allein und zu Haufe zu bleiben,
denn mit böfen Launen und mit böjfen Frauen muß man
nicht unter Menfchen gehen, wenn nıan nicht zu diefen Böfen
noch ausgelacht fein will.
Ic, fagte alfo zu meinem Joſeph: „Heute Abend
bleib’ ich zu Haufe, du wirft Thee, Erdäpfel mit Butter
und Häring bereiten, mir einen „Wegmweifer durd
Wien,” eine „Karte vom Rhein,” und den „Katalog
der Düffeldorfer Gallerie* aufden Tifch legen, und
einen Strid zum etwaigen Aufhängen an die Mauer hän-
gen;“ ich wollte nämlich den Spleen ein englifches Feft
geben, er follte glauben, ich bin ein reifender Engländer,
und ich wollte mid) eigentlic) in diefe dickſichtige, trägblutige,
zähgeiftige, dichtnebelige Gemüthsverfaflung eindachjen und
einbibern. | |
Es war jchon Alles jo ſchön eingeleitet, da kam ein
Brief. Wenn ich ſage: ein Brief, fo verftehe ich darunter ein
papiernes Sechseck, in ſich zuſammengekrümmt, gefnittert,
gefaltet, und ineinandergefchoben wie ein gordifcher Knoten,
und auf dem Goldblättchen, welches diefe Blattzwiebel
a
165
zufammengefiegelt hielt, fprang ein Pferd über eine Barriere
mit der Umfchrift: „Hinderniffe muß man überwinden.“
Die Sendung fam von der Alfervorftadt, von der
„Frau Randhoferin, vermwitwete Barticulirerin.*
Der Brief enthielt nichts, als eine dringende Ein—
dadung zu einer Parthie Whift.
Frau Randhoferin war fucceffive Witwe zweier
Männer geworden, und hatte aus diefem Succeffiv- Krieg
nichts gerettet, al8 das, was jeder Sieger aus jedem Kriege
rettet: die Tuft zu fernen Kriegen und Siegen. Siegerin
aber blieb fie in beiden Kriegen, das heißt, fie blieb auf dem
Plate, während die zmei Männer das Feld und das Leben
ränmten! — ‘
Ihr erſter Mann war ein zurücigelegter „Zwetſchken—
Fabrikant“, wie fie ihn gerne und mit Selbftgefälligfeit
nannte, weil fie e8 war, die ihn vermochte, zuerft feinen
aufblühenden Zwetfchfenhandel und dann ſich felbft an den
Nagel zu hängen, das heißt, an fie, die ein Nagel zu feinem
Sarge wurde. Sie hatte von diefem, den fie abwechſelnd:
„mein feliger Erfter,” und: „mein feliger Zurüds
gelegter“ nannte, zwei Hinterlafjene Zwetſchken: Binchen
(Sabine) und Röschen, zwei Zwetſchken, auf denen noch
der frifche Sugendreif lag und deren Kern aus feligen zu=
rückgelegten zehntaufend Gulden Heirathsgut per Zwetſchke
beftand.
Der zweite Mann der FrauRand hoferin war einer
jener Glücklichen, die das befte Gefchäft Haben: gar feines,
und den nnantaftbarften Charakter: feinen; wenn man zu
166
diejen beiden Eigenfchaften ein ficheres Kapital von zehn-
taufend Gulden Conventions-Münze miſcht, und Alles bei
einer gelinden Yaulheit und einer mäßigen Selbftliebe auf -
tochen läßt, fo hat man in kurzer Zeit einen fubftanziöfen
„Privatier”. Ein folder Privatier Hat nichts zu thun,
als zu liegen und zu effen, er liegt nämlid auf
feinem Kapital und ift feine Intereffen. Ein
folcher Glüdlicher war ihr zweiter Dann, den fie ftets nur:
„mein feliger Zweiter,” oder: „mein feliger Pri-
vatınann,“ oder aud) brevi manu: „mein Privatfeli-
ger“ nannte. Auch diefer Zweite machte fic zeitig von
hinnen, fegnete dieſes und alles Zeitliche und ging ein
zu feinen Vätern, wovon der Eine nod) lebte und Groß⸗
händler war. Auch diefer „ſelige Zweite” hinterließ der
Frau Randhoferin zwei Töchter als Coupons feines
Privatlebens, Johanna und Dore, mit der Teftaments-
Haujel, daß die Nutznießung des Kapitals ihr bleibe, bis
die beiden Töchter geholt werden, und zwar von fitt-
famen, gewerbetreibenden Männern.
Es Tag alfo im Intereffe der Frau Randhoferin,
um dieje zwei hinterlaſſenen Schagfäftlein von ihrem feligen
Zweiten lauter Männer zu verfammeln, die fein Gewerbe
treiben, zum Beifpiele Muſikanten, Dichter, Schaufpieler,
Redacteure und anderes zweideutiges Volk.
Für die Contumaz⸗ und Heirath8-Abjperrung der
beiden Töchter forgte Frau Randhoferin; allein fie jelbft
war nod) ſehr geneigt, ihre eigenen förperlichen Nefte, und
Die ihres „erften Seligen” und „zweiten Seligen“ dazu, an
167
einen „dritten Unfeligen* an Hymens Altare hinzugeben.
Sie meinte erftend: „Aller guten Dinge find drei,*
ob fie num unter diefen „guten Dingen” die Männer .
felbft oder den Tod diejer Männer verftand, fteht mir und
uns nicht zu, zu beurtheilen; denn aud) ein Humorift darf
wie ein Eivil-Richter feinen animus Injuriandi fupponiren.
Zweitens dachte fie: „Einmal ift feinmal,“ fagt das
Sprichwort, folglich ift: „„weimaleinmal,“ und nody
folglicher aud) „zweimal einmal,” und einmal muß
man doch heirathen! Dritteng, und, wie mir fcheint,
ber triftigfte Anlaß und die ratio sufficiens ihres Ent-
ſchlußes war ein juridifcher Scrupel über das jenfeitige
Gericht, eine anticipirte Gewiffenhaftigkeit und Fürforge
für ihre einftigen Richter dorten.
Denn gefegt, wenn ihre beiden Seligen dorten befragt
würden? „Wie war Frau Randhoferin als Gattin im
Leben?” fo könnte e8 doch fein, daß eine Getheiltheit der
Stimmen eintreten könnte, und wie follte da entfchieden
werden? Alfo tres faciunt Collegium; fie müßte alſo auch
einen dritten Seligen bei Gericht figen haben, um dem
ſchwankenden Pol den Ausfchlag zu geben.
Frau Randhoferinmwarnod) inden beften Jahren,
denn die Witwen nennen ftet8 die Sabre, die zwischen den
beiden Ehen liegen, die beften, fo wie fie es für beide Männer,
für den vergangenen, al8 aud) für den futur conditionel
wirklich) auch find.
Was die perfönliche Schönheit und Geſtalt ber Frau
Randhoferin betraf, fo erfegte die Duantitätdie Qualität
168
auf jeden Fall. Wenn fie zuweilen das Grab eines ihrer
Seligen bejuchte, und das gefchah immer bei jenem, deſſen
Töchter fie eben mißhandelte, fo glaubte man von ferne,
es wäre die Pyramide des Orabmales. Sie war in Hinfiht
ihrer irdischen Conftitution eine Conſervative mit zeit-
weiligen Neuerungen!
Es ift anzunehmen, daß — wenn fie den Gram um
zwei geftorbene Gatten nicht gehabt hätte — fie ganz mager
geblieben wäre. Allein, da fie jelbft ganz und gar ein Gram
war, da fie biefen Gram ftetS nährte, und Alles, was man
nährt, did wird, fo ift e8 fein Wunder, daß diefe Witwe
in specie, fo wie die Witwen in genere, eine Anlage zum
Dickwerden Hatte.
Bei allen den: konnte man nicht fagen, daß fie das
Haupt hoch trägt, denn es liegt vielmehr fo tief zwifchen
den beiden Spedfchultern, wie eine halbe Mandel in der
Fleiſchpaſtete.
Uebrigens iſt es eine bekannte Sache, daß jedes und
auch das häßlichſte Frauenzimmer alle Gaben und Zuthaten,
und ſo zu ſagen dasſelbe ganze Specereigewölbe an Schön⸗
heitsmitteln beſitzt, wie das allerſchönſte, nur ſind ſie
nicht am rechten Orte placirt. Zum Beiſpiel ſchwarze
Haare, blaue Augen, rothe Lippen, weiße Zähne,
lange Wimpern, eine gebogene Naſe, rundes
Kinn, ſpitze Finger, breite Schultern, ſchmale
Füße u. ſ. w. find fo die einzelnen Medicamente zu der
Hausapothefe Schönheit. Nun aber finden fid) bei den Häß⸗
Lichften alle diefe Formen, Farben und Größen, nur find fie
169
nicht am rechten Orte, und die Natur hat in aller Eile eine
fleine Verwirrung angerichtet; daraus entftanden nun:
ſchwarze Zähne, blaue Lippen, rothe Augen,
weiße Haare, runde Naſe, ſpitzes Kinn, ſchmale
Schultern, breite Füße u. f. mw.
Es wäre aljo Unrecht, eine Berfon häßlich zu nennen,
die alle Zeichen der Schönheit befißt, wenn diefe aud) nicht
geographifch und topographifch richtig angefiedelt find.
Die hinterlafjenen Werke des „jeligen Zweiten“,
Fohanna und Dore, waren ſich ſehr unähnlich, und nie
find zwei, an Inhalt und Einband jo entgegengefegte Exem—
plare aus einer Berlagshandlung in die Welt getreten, als
diefe zwei Schweftern. Johanna war fchön, fanft, Hug,
und hatte echt Humoriftifche Augen, das heißt, Augen,
in denen himmelblaue ®emüthlichkeit und zuweilen eine ganze
Herzensweltgefchichte aufleuchtete; und Dore war weder
ſchön, noch fanft, noch Klug, fie hatte nicht nur feine hu mo⸗
riftifhen Augen, fondern der oberflähliche Beſchauer
hätte fogar an die Eriftenz ihrer Augen ganz und gar ges
zweifelt, fo in fich verfunfen, zogen fie fich aus den Wirren
und Irren dieſes Lebens in ihre Höhlen zurüd.
Ih war ein alter Belannter und Hausfreund des
„leligen Zweiten“, fannte die beiden Mädchen noch
in ihren: Flügelkleide, und nie ift Einem eine lange Be—
kanntſchaft nachtheiliger, al8 die, welche man bei Mädchen
aus fo früher Zeit Datirt.
Indeſſen befuchte ich, in: meiner frommen Ge—
müthlichfeit, die befugt, Witwen und Waifen zu lieben,
170
die Frau Randhoferin und ihre zwei Töchter von Zeit
zu Zeit.
Die Frau Randhoferin befaß eine einzige Schöne
heit: eine ſchöne Hand; diefe Hand und die des Schick⸗
ſals lagen zwar lange und ſchwer auf den zwei vorausge⸗
ſchickten Relais-Männern, allein fie hatte doch noch wenig
von ihrer angebornen Schönheit eingebüßt, und fie fpielte
aljo eine Hauptrolle bei der Frau Randhoferin.
Wenn id) kam, küßte ich ftets ihr und Johannen die
Hände, Hände von zwei ganz verfchiedenen Jahrgängen.
Sie, die Mutter, ließ ihre Hand, das einzige Ver-
mächtniß ihrer gütigen Miftter Natur, lange in oder auf
der Hand des Küffenden ruhen, und überhaupt war es immer
die Hand, welche ſich ftet8 mit in die Converfation mifchte,
entweder mit Tichtpugen oder mit Tifchabftauben oder mit
Lodenzurechtfchiebung, oder am liebſten mit und beim
Kartenſpiel.
Beim Whiſtſpiel, da hat die Hand freie Hand, ſich
zu produciren, beim Abheben, Miſchen, Tailliren, Stiche⸗
decken, Karten zuſammen nehmen u. ſ. w.
Außer Karten geben wußte aber auch dieſe Hand
vom Geben gar nichts, am wenigſten vom Tafel geben,
oder vom Souper geben.
Wenn alſo eine Einladung zu Frau Randhoferin
zu einer Wiſtparthie kam, ſo ſtand in meiner Phantaſie ein
vierhändiger Abend da, mit zwei alten und zwei jungen
Händen, aber die nichts mitbringen und nicht8 in die unferen
legen, als fich feldft, und eine Whiſtparthie mit noch zwei
171
Sibyllen aus der Alfervorftadt, und fonft nichts, nichts,
gar nichts für Hunger und Durft und für fonftige uner-
läßliche Leidenschaften des menſchlichen Lebens.
Blos Johanna ftand mit ihren blauen Augen in
dem Hintergrunde diefes Bildes und ſprach:
„Zwei Blumen blühen für den weifen Finder, fie
heißen Hoffnung und Genuß, genießen mußt du
nichts, aber hoffe, hoffe!“
Und ich ging und hoffte.
Das Sefelfchaftszimmer der Frau Randhoferin
war beleuchtet, das heißt, auf zwei Leuchtern, die zwifchen
Padfong und Meffing ein gelblichtes juste milieu hielten,
brannten zwei Lichter, wovon das eine fchon geftern fein
Licht Hatte Leuchten laſſen müſſen, und fo zu jagen, ſchon
etwas abgeftumpft war, und das andere eben erft aus
der Lichter-Erziehungsanſtalt in die Welt trat, und zum
erften Mal an der atmofphärifchen Luft ſich entzündete. Da
in jeder Gefellfchaft fich große und Heine Lichter befinden
müffen, fo liebe ich es vorzüglich, wenn eine lange Kerze
und ein furzes Stümpfchen nebeneinander auf dem Tiſche
ftehen. |
Die lange Kerze fommt mir dann immer wie eine
Lange franzöfifche Gouvernante vor, die ihr Heines Püppchen
bewacht, und dabei fich felbft im eigenen Feuer verzehrt und
zerrinnend herabfchmilzt.
Ich fügte die Randhoferiſche Hand, welche weiter
unten, wo die Hand an den VBorderarm anfchließt, ſchon ei=
nige Heine Randzeichnungen des großen Faltenwurfzeichners:
172
„Bierzigftes Jahr!“ an fi) trug, und dachte dabei
an die Hand Johanna's, die mir eben einen Seffel
zwifchen fi) und die Mutter Hinfchob, den ich auch ſogleich
einnahm.
„Wir haben ſchon auf Sie gewartet, * fprad) Madame
Randhoferin, „hier Herr Gröbel und Madame Rigin-
ger.“ Ic machte mein Antrittscompliment und die Parthie
Whiſt begann.
Herr Gröbel war einer jener auscerlefenen Men⸗
ſchen, die davon leben, daß fie Einem die Haut abziehen und
den Andern damit befleiden, das heißt, er war ein Kürfchner.
Er hatte manchem Affen einen Bären auf den Kragen ge-
jeßt, und manchen Hafen in Fuchspelz gehüllt. Er war ein
fehr dider Mann mit ganz Heinen, ftunpfen, fetten Fin-
gerchen, und mit dem Sprichworte: „Ei du mein 30-
beichen!“
Madame Riginger war eine Quartiervermietherin,
und hatte weiter feine Kennzeichen, al8 daß fie etwas hart
hörte und fehr laut fchrie.
Mich jelbft kennt der Lefer, und fo kennt der Teer
die ganze Whiftparthie mit allen ihren Reizen und Ans
nehmlichfeiten.
Tür Lefer aber, Bie mich nicht kennen, füge ich das
Nöthigfte über mich hier bei, nämlich: daß ich die Gewohn⸗
beit habe, beim Whiftfpiel alle Karten laut zu nenneu, jo=
wohl die, welche ich fpiele, al8 auch die, welche die Andern
fpielen. Eine Gewohnheit, die eben nicht zu den Anuehmlich⸗
feiten des Whiſtſpielens gehört.
173 >
Wir faßen fo:
Johanna
3
RERERERRERERR
Gröbel & + Wandhoferin
KRERERERRERRR
Nihinger
Dieſer viereckige Tiſch war die Quadratur unſeres
kleinen Zirkels. Der Tiſch war ein rechtwinkliges
Viereck. Für mich aber war der Winkel, wo Johanna
zwiſchen mir und Herrn Gröbel — wie Figura zeigt —
wie ein Vergißmeinnicht zwiſchen einer Bohnenſtange und
einem Wolfspelz ſaß, der wahre, rechte und allerrechteſte
Winkel.
An beiden Enden des Tiſches ſtanden die zwei Kerzen,
an meiner Seite Pipin der Kurze und vis-A-vis Philipp
der Lange.
Die Karten wurden gebradjt, und Madame Rand-
hoferin bemächtigte ſich des Gefchäfts, fie zu mischen, um
dabei ihre Hand mit im Spiele zu haben. Diefes Gefchäft
war aber nicht fo leicht abgemacht, al8 man glaubt. Die
Karten nämlich, welche nicht von unten hinauf, fondern
von oben herab dienten, brachten den Frühling ihrer Tage,
und fo zu fagen ihre goldne Jugend, in einem Kaffehaufe
zu. Bon da gingen fie, wie ein bereit8 gefanntes Bonmot,
in das populäre Teben eines Weinhaufes über, aus diefem
Getümmel der Welt gingen auc) fie nicht ohne irdiſche
Flecken heraus, als fie von da, durch die dritte Hand in
die der Randhoferin Famen.
174
Diefe Karten aber Hatten in dem Taufe ihres wechjel-
vollen Dafeins und eben dadurd) eine folche gegenfeitige An-
hänglichfeit an einander gefaßt, daß man fie nur mit Mühe
trennen fonnte, und e8 dauerte oft eine ganze Weile, bis fich
Carreau-Bube von der Herz.’ Dame losriß. Vom Schickſal
mürbe gemacht, verloren fie auch viel von der angebornen
Feſtigkeit ihres Charakters, und nahmen eine Gemüthsweich⸗
heit und Schlaffheit an, melche beim Geben und Mifchen
bedeutende Hemmungen hervorbrachte.
Mit Zeit, Geduld, und mit einer Nachbarin, wie
Johanna, überwindet man Manches!
Endlich war das Miſchen überſtanden und das Spiel
begann. Vorher noch ein Streit.
Madame Ritzinger. Wie hoch ſpielen wir?
Ich. Wie es gefällig iſt.
Madame Ritzinger. Es iſt mir Alles Eins.
Herr Gröbel. EidumeinZobelchen! Wie Siewollen.
Madame Randhoferin. Nein, ſagen Sie!
Ich. Ich hab' gar nichts zu fagen.
Madame Ritzinger. Man ſpielt ja nicht, um
zu gewinnen.
Herr Gröbel (lacht bedeutend).
Madame Randhoferin. Nicht gar zu hoch.
IH. Nein, nicht gar zu had).
Madame Riginger. So fagen Sie.
Ich. Ich? DO, ich überlaffe es Ihnen.
MadameNRandhoferin. Was meinen Sie, Herr
Gröbel?
175
Herr Gröbel. IH? Ei du mein Zobelchen! ich
meine, was Sie meinen.
Madame Randhoferin. Was meinen Gie,
Madame Riginger.
Madame Riginger. Ich? Sch meine, was der
Herr Saphir meint? Ä
Madame Randhoferin Was meinen Sie, Herr
Saphir? |
Ih. O, Ich meine, was die Damen meinen.
Madame Randhoferin. Nicht zu Hoch.
Madame Riginger. Nein, nicht zu Ho.
Madame Randhoferin. Ich meine, den Fifch um
einen ſchwarzen Groſchen. Was meinen Sie, Herr Saphir?
Ih. O ja, ic) meine, das ift ein ſehr frugales Aus—
kommen, o ja, ein ſchwarzer Groſchen um den Fiſch, will ich
Sagen, den Schwarzen Fifch um einen Grofchen, nein, den Fiſch
um einen ſchwarzen Grofchen, ganz recht, vortrefflich, richtig.
Auch das war alſo abgemacht, und das Spiel begann.
Inzwifchen hatten fic) von Herrn Gröbel zwei junge
Zobelchens, ein Junge von adjt und ein anderer von
neun Iahren, und ein Mädchen der Madame Riginger,
ein Kind von fieben Fahren, eingefunden, und hatten an den
andern drei Tiſch-Ecken Poſto gefaßt, und in ihrer Beglei—⸗
tung famen ihre zwei Hausmöpſe: „Billi“ und „Fidel“,
mit, welche fich auf dem Schooße der Madame Ritinger
und des Herrn Oröbel anfiedelten, und mit den Vorder⸗
füßen auf den Tiſch Hinauffprangen, als wollten fie auf dem
Tiſch um einen Schwarzen Grofchen mitfpielen.
176
Es ift noch zu wiffen nöthig, daß Madame Rand-
hoferin kurzfichtig war, und zuerft jedesmal fragte: „Was
ift gefpielt worden ?* dann die gefpielte Karte vom Tiſche
nahnı, fie vor die Augen führte, fie laut benannte und wieder
niederlegte.
Wenn der Lefer nun den ganzen Schanplaß, bie zwei⸗
und vierfüßigen Helden der Whiftparthie, die Kinder und
die Kerzen kennen gelernt hat, fo bleibt ihm nichts übrig,
als auch noch die Lichtſchere in Augenfchein zu nehmen,
welche diefen Kerzen beigegeben wurde. Wenn man behaupten
wollte, fiewar aus Silber, fowürde der Eifenhändler
mit Recht auf böswillige Kritik Hagen, den uuftreitig waren
ihre Beftandtheile aus dem eifernen Zeitalter, obwohl fie
ſchon die filberne Hochzeit mit dem einen Leuchter gefeiert
bat. Ich fage: die Hochzeit, denn ſie war mit einer eifernen
Kette an den Leuchter angefettet, fo daß man ftets, wenn
man das zweite Licht pugen wollte, den Leuchter mitſammt
der Kichtichere zu diefem verwickelten Gefchäfte Hinüber-
führen mußte.
Durch) das lange und undankbare Gefchäft etwas zur:
Aufklärung beitragen zu wollen, war befagie Lichtfchere mit
ihrem Gewiſſen felbft zerfallen, fie fand in fich felbft keinen
moralifchen Halt mehr, und fiel in einen Zwieſpalt ausein⸗
ander, fo daß, wenn man das Licht pußte, die Schnuppe
entweder auf das Licht, oder auf den Tifch fiel, und man
dann noch immerdie Natur-Lichtfchere: diezwei Fin
ger, zu Hilfe nehmen mußte, um diefe Schnuppe in ihr
eigentliches Gemach wieder einzuführen. Dabei hatte fie in
177
irgend einer Affaire einen Fuß verloren, und der eine Fin-
ger des Pugenden fand feinen Anhalt an der einbeinigen
Lichtfchere. Und nun ift der Lejer in vollen Lichte über die
ganze Scene!
Das Spielbegann. Ich hatte die Vorhand. Ich fpielte
Treff Drei aus. und rief nach meiner Gewohnheit laut dabei
ans: „Lreff Drei!’ Madame Randhoferin fragte zu—
gleih: „Was jpielen Sie?" nahm die Karte vor die Augen
und rief: „Lreff Dreil* Madame Riginger rief: „Was
jagt Madame Randhoferin?” Ich fehrie: „Sie fagt:
Treff Drei!" — „Treff Drei?“ wiederholte Madame
Ritinger und gab Treff Neun, worauf ich laut fagte:
„Treff Neun!“ Herr Gröbel aber lachte: „DO du mein
Zobelhen! Treff Neun?“ und gab Treffdame, worauf ich
fagte:„Zreffdame?"MadameRandhoferinfragte: „Was
ist gefpielt worden ? Treff Neun? Wer gab Treff Neun?
Wer hat denn ausgefpielt? Darauf nahm fie alle drei
Karten vor die Augen und fragte: „Ift die Dame zu
nehmen?" Ich fragte ironiſch, indem ih Johanna die
Hand drüdte: „Welhe Dame?" Madame Ritzinger
fragte: „Was fagt Madame Randhoferin?“ Ichfchrie.
„Db die Dame zu nehmen tft?" — Ob die Dame zu
nehmen ift? Freilich ift die Dame zu nehmen!“ Darauf
warf Madame Randhoferin Trefflönig zu, und wollte die
Karten einziehen, allein auch die Heine Ritzinger wollte
die Karten einziehen, wogegen aber feinerfeitS der Mops
Einſpruch that, der aud) ſchon feine Pfoten nad) der Levée
ausftredte. Endlicd) zog Madame Riginger die Levée an
M. G. Saphir's Schriften. V. Bd. 12
178
fi, nachdem fie ihrem Keinen Ebenbilde einen ftarfen und
dem Mopfe einen zarten Klaps angehängt hatte.
So ging die Unterhaltung lebhaft und angenehm vor
fih. Jede Levee wurde zuerft einzeln ausgerufen, bejprochen,
hin und her gezogen, ein Kind oder eine Hand mifchte fich
darein, und ein Klaps endigte die intereffante Debatte.
Bon Zeit zu Zeit rief Madame Randhoferin mir
„Putzen Sie das Licht, ich bitt' Sie!" Das war leicht
gefagt, aber ſchwer erfüllt; ich mußte dazu meine Karten
aus der Hand legen, den Teuchter zum andern führen, die
unanfaßbare Tichtfchere mit Lift und Gewalt bei einem Ende
erwifchen, und dann erft mit einem pfiffigen Manöver mid),
die Lichtjchere und die gefallene Schnuppe aus der Affaire
ziehen. Herr Gröbel machte, wenn e8 ihm zu dunkel wurde,
Berfuche in der Experimental Phyfik der Natur-Tichtfchere,
pugte das Ticht mit den Fingern, wovon oft ein ſchwar—⸗
zer Verdacht fodann auf die von ihm ausgeſpielte Karte
überging.
Id) fah den Moment kommen, ‚wo er mit feinen
Stumpffingern das Licht auslöfchen wird, und hatie auf
diejen Tall eine Haupt- und Staatsaction vorbereitet.
Richtig. Madame Randhoferin hatte eben den
Herzlönig mit dem Herzbuben eingeftochen, al8 Herr Grö—
bel das Ticht pußte und es auslöfchte; in diefem Momente
hatte ich auch das meinige gelöfcht, und die ganze edle und
liebenswürdige Parthie ſaß im Stodfinftern.
Mit Bergnügen bemerkte ich durch mein Gehörorgen,
daß alle meine Mitjpieler zuerft darauf bedadjt waren,
179
ihre Kaffe in Sicherheit zu bringen, und mit der einen Hand
fie zu bededen! Indem ich mich damit befchäftigte, meiner
Herzdame zur Linken eine füße Levée von den Tippen zu
pflücden, riefen alle einftimmig: „Licht! Licht!“ Die Kin⸗
der fingen zu fichern an, zwidten die Mlöpfe, diefe heulten,
der Lärm dauerte eine Minute, bis Johanna, auf Befehl,
Licht bringen mußte, und Kinder, Möpfe, Karten und Kaffe
wieder in Ordnung gebradjt wurden.
Wir hatten von halb fieben bis zehn Uhr richtig ganze
zwei Robber gefpielt! Die große Zufammenrechnung kam,
ich Hatte dreizehn Schwarze Srofchen an Madame Rand-
hoferin, und Herr Gröbel neun Dito an Madame _
Ritzinger zu bezahlen, woraus erfichtlich ift, daß Kürfch-
ner und Poeten Yebensart haben und galant gegen Frauen ,
zimmer find.
Indeffen hatten die drei Kindlein in meinem Hute
gekocht! Sie hatten nämlich mitunter auch Küche gefpielt,
Brotkrumen, Waffer u. dgl. genommen, und meinen Hut
zur Küche gemacht. Die Möpfe wollten auch) an Aufmerk—
ſamkeit nicht zurücbleiben, und zernagten meine Handfchuh,
die aus dem Hute auslogirtund auf die Erde geworfen wurden.
Madame Randhoferin tröftete mich über den Ver-
luſt von dreizehn ſchwarzen Grofchen, und fagte mit bedeu-
tungsvollen, hoffnunggebenden Mienen:
„Unglüd im Spiel, Glüd in der Liebe!“
„Ach!“ jagte ich neu belebt, „glauben Sie, daß ich
mir in der Liebe dreizehn ſchwarze Groſchen hereinbringen
werde?
12*
180
Unterdefjen war e8 fpät geworden, ich mußte dreizehn
ſchwarze Groſchen, fünf graue Stunden und zwei blaue
Augen im Stiche lafien, um Madame Ritzinger nad)
Haufe zu begleiten. E8 war ein Kagenfprung! von der
Alfervorftadt bis nach der St. Marrer - Linie!
Ic wollte einen Wagen nehmen, das litt fie durdh-
aus nicht, es käme ihr gerade recht, eine Feine Bewegung
zu machen, und fie wüßte, ich bin fehr galant!
Das find Folgen eines guten Rufes!
Ich brachte fie wohlbehalten in ihre Heimat und ver⸗
ſprach ihr, fie recht oft zu befuchen, denn fie meinte: „es fei
cin Heiner Spaziergang!”
Maturgefihichte der Mädchenjahre.
1. Die Luftfchlöfferiahre.— 2. Die Kartenhäuferiahre.— 3. Die Ber:
forgungsbausiahre. — 4. Die Strohhüttenjahre. — 5. Die Berzweif:
Iungsjahre. — 6. Die „Hol's der Teufel!“s Jahre,
1. Die Luftſchlöſſerjahre.
Bis zum fechzchuten Jahre find ale Mädchen Engel. Bon
dem Lichte, welches Umgebung und änßere VBerhältniffe in
ihnen und um fie verbreiten, hüngt e8 ab, ob fie Engel des
Lichtes oder Engel der Finfterniß werden.
Ein Dann hat um diefe Zeit feine Flegeljahre,
allein bei dent weiblichen Gejchlechte verfchmelzen diefe Jahre
in einen Gemüthszuftand von Dämmerung, in ein Nebeln
und Schwebeln, und das Herz eines Mädchens in diejem
Zeitraum gleicht unfern Iyrifchen Produkten, in welchen
Gefühl und Unfinn, hyſteriſche Bläffe und roſafarbne Dun:
felhaftigfeit neben einander wohnen.
Erſt mit dent fechzehnten Jahre tritt das weibliche
Herz aus der Stiftshütte von Träumen, und aus dent
Spinnhauſe nicht verftandener Gefühlsfäden in die Schule
des Lebens, in eine Schule, in welcher leider das Eramen
erft dann vor fich geht, wenn das Leben fein Diplom und
keine Preife mehr zu vertheilen Hat.
182
Mit dem jcchzehnten Jahre der Tochter füngt die
eitelfte und gefallfüdhtigfte Mutter, fo gerne fie erft felbft
für nicht viel über fechzehn Jahre gelten möchte, doch an,
einzugeftehen, daß „das Kind erftaunlid, groß und unbes
greiflich früh reif“ wird.
Bon diefen Augenblide treten die Mädchen ihre
Luftſchlöſſerwelt an, und, indem fie von Phantafie und
Einbildung große Summen aufnehmen, fangen. fie ihren
Bau an, und bauen, wie die meiften Bauherren, größten
theils anf eine Muffe von Einwohnern, bie theil8 neben=,
theils nach einander diefe Schlöffer bewohnen follen.
Jedes Ruhelifjen, auf das fie ihr nachdenkliches
Köpfchen hinlegen, wird zum erften Stockwerke diefer him—
melanfteigenden Schlöffer, und jeder Held aus dem eben
gelefenen Roman macht die geflügelte Beſatzung diejer
Schlöſſer aus.
Vom fehzehnten bis zum neunzehnten Jahre
find die Luftfchlöfferjahre. Wehe den Mann, der fich
den Bauenden naht, wenn er nicht Demanten als Ziegel-
fteine, Rang und Würden als Stuffatur, glänzende Aus-
fichten als Fenfterfcheiben, und Ruhm, Größe, Glanz als
pompejanifche Wandgemälde zu biefen Luftſchlöſſern liefern
fann!
Am aufgethürnten, fchwindelhohen Kuftfchloffe fitt
die fchöne, junge, hoffnungsblühende Erbauerin, und prä—
Iudirt und fingt:
„sn meinem Schlößlein iſt's gar fein,
Komm’ Nitter, Fehr’ bei mir ein.
183
Aber, ach, wir Haben feine Ritter mehr, wir haben
blos Reiter; und diefe irrenden Ritter ſpringen höchſtens
über eine zwei Fuß hohe Barriere, aber nicht über die Bar-
rieren der Convenienz, und daher kommt es, daß kein Reiters
Ritter in das Luftſchloß fprengt, und es von feinem Wolken⸗
gudguds-Heim in die wirkliche Welt herüberbaut, und die
Erbauerin mit demfelben. So bleiben denn die fchönften
Luftfchlöffer unbewohnt, und, meine lieben Lejerinnen, in
einem Xuftfchloffe ift e8 kalt und öde und unheimlich
zu wohnen, befonder8 für ein junges Mädchen, und
ganz allein!
Nie oft werden in diefen drei Jahren die Luftfchlöffer
umgeändert, überbaut, mit andern Pfeilern und Säulen ver⸗
ziert und in andere Yuftregionen verpflanzt, aber nirgends
will der Schloßherr aus der Erde fpringen, und feine Wirk⸗
lichkeit macht das Phantom bewohnbar! Endlich mit dem
neunzehnten Jahre fängt die Phantafie an, nad) etwas
Haltbarerem, als Yu ft- Baumaterialien zu greifen, und e8
beginnen
2. Die Kartenhäuferjahre.
Diefe Häufer werden doc) nicht ganz auf Nichts ge-
baut, wenn fie auch nicht auf feften Grund und Boden
aufgeführt werden, fo ift es dod) ein dichter Gegenftand,
auf dem fie errichtet werden. Die Mädchen fangen an, mehr
in die Breite, als in die Höhe zu bauen; fie fehen fchon
mehr auf den Platz, den fie brauchen, al& auf den
Raum, den fie einnehmen möchten Man fügt fid
184
etwas williger dem Stoffe, der Einen zu Gebote ſteht. Man
gibt Hier zu, und läßt dort nad). Es ftürzt ein Kartenhaus
nad) dem andern ein; wenn die gejchäftige Baumeifterin zu
hoch Hinaus will, fo hält es nicht, da8 ganze Gebäude
fällt ineinander, und e8 müſſen andere Karten zu einem
_ folidern Haufe geholt werden. Da lernen die Mädchen be-
hutfamer bauen; fie jehen, daß man nirgends anſtoßen,
nit ungeheuer von ſich blafen, und recht fachte
und obachtſam zu Werke gehen muß, wenn man ein jolches
Kartenhaus aufführen will! Sie laſſen ſich die Mühe nicht
verdrießen, einen Bauplan zehn- und zwanzigmal zu er⸗
neuen, wenn ein Windftoß, ein böfer Yuftzug den Bau zehn-
und zwanzigmal über den Haufen geworfen hat. So ein
Kartenhaus ift freilich folider und wohnlicher, als ein Yuft-
ſchloß, allein es find doch nur Kartenhäufer, wenig
Männer werden verfucht, ihr ganzes Leben in einem Karten-
haufe zu wohnen! Da ift wohl Glätte von augen, und
buntes Bildwerk von innen, aber es ift nicht feft ge-
fügt, nicht hHub- und heb=feft, nichts auf feften Grund, die
Männer verweilen lachend einen Augenblid bei der noch
immer ſchönen Erbauerin folder Kartenhäufer, aber fie
werden feine Einwohner bekommen, dag dreiund-
zwanzigfte Jahr kommt heran, und mit ihm:
3. Die Hausmannsjahre.
Die Tuftfchlöffer waren bei der undantbaren Welt
nicht affecurirt, und die Kartenhäufer waren auf Sand ge—
baut; das Leben wird aber immer forglidher, die Jahre
185
fälter, die Gefinnung [hwalbenmäßiger, häuslich, in den
flatternden Zipfel der Jugend ift nur noch ein Stückchen
Frühling mit ſparſamen rothen Fäden eingemerkt, und Alles
ruft aus dem Mädchenherzen: „Ehe, kehr' ein, denn
es will Abend werden!“ und da, auf dieſem Wende-
punkt des Krebfes, fangen die Mädchen an, fi) blos Ber-
ſorgungshäuſer zu bauen.
Die Beforgung über die Berforgung fängt an, und
die Bauwuth ift von der fchwindelnden, bunten Höhe der
Luftichlöffer bis in die mausfarbene Region eines kleinen
häuslichen Lebens verjunfen, wo eigener Herd und Küche
den Grundriß ausmachen.
In dieſen Jahren von fünfundzwanzig bis achtund⸗
zwanzig, da fangen die Paradiesvögel, die vom Thau der
Hoffnung lebten, und ohne Füße zwiſchen Himmel und Erde
flatterten, allmälig an, die zarten Füßchen auszuſtrecken,
um auf der lieben, proſaiſchen Erde, wo die Männer wachſen,
feſten Boden zu faſſen. Leider fangen in dieſen Jahren ſchon
an, die Freierſchwalben ſich zum Abzug aus den herbſtlichen
Tagen zu rüſten; die Männer, die eine häusliche Verſorgung
lieben, tragen Bedenken, ob Weſen, die einige Jahre in Luft-
Ichlöffern und einige Jahre in Kartenhäufern, möblirt mit
dem foftbaren Gerätheihrer Einbildung, zu wohnen gewohnt
waren, lange und reell zufrieden bleiben würden in dem ein-
achen Berforgungshaufe eines bejcheidenen Looſes, und fo
nahet denn oft das achtundzwanzigſte Jahr unter Zagen
und Bangen, unter Harren und Hoffen, unter Sehnen und
Täufchen heran, und da beginnen:
186
4. Die Strohhüttenjahre,
Bom ahtundzwanzigften bis zum einund-
dreißigften Jahre find die drei parforce-romanti-
ſchen Jahre, wo die Mädchen endlich auf Luftſchloß,
Kartenhaus und Berforgung verzichten, aus der
Noth eine Tugend, und aus der Heirathfudht eine
bloße Lieb-, Schmacht- und Sehn-Sucht madhen! Sie
wollen nichts, als ein liebendes Herz und eine „Stroh—
hütte!”
In frühern Zeiten fanden ſich bei den Mädchen diefe
Stroghütten-Phantafien nın im Barorismus des frühen
Sugendfiebers ein. Da waren e8 blos die Schneeglöd-
chen unter den Mädchen, die zarten Mägdlein, welche vor
den Frühling aus der Gefühlsdede in die romantische Welt
hineinwuchfen, die, großgezogen an Fouqué's blauflämm-
licher Deinne, an Lafontaine's taubenfütterndem Infichfeh-
nen, und an Clauren's butterflüßiger Dahingebung, diefes
Sehnen und Drängen nad) dein Lande, wo die Strohhütten
blühen, in fich verfpürten.
Jetzt aber finden wir diefe Strohhütten nicht mehr
am Eingange in die Mädchenjugend, jondern am Aus—
gange, und die Mädchen flüchten fid) nur dann hinein,
wenn fie ſchon zu lange leeres Stroh gedrojchen haben.
Dann werden blos Herz, Gefühl, Liebe, Austaufd) der
Gefühle, inniges Erkennen u. f. w. als die reellen Güter
der Ehe betradjtet, und man will ja weiter nichts, als ein
fiebendes Herz, um fih an-, und eine Strob-
hütte, um fi einzufchließen!
187
Aber, ad), du mein lieber Himmel! Strohhütten findet
man zu adtundzwanzig Jahren wohl im Nothfalle noch
manchmal, aber liebende Herzen find in diefer Gegend fehr
felten! Die „Liebenden Herzen“ befommt man blos am
Morgen des Lebens auf dem Wochenmarkt der Männer!
Liebende Herzen muß man zum Oabelfrühftüd nehmen, und
nicht zur Abendfuppe! Und fo kommt benn das einunb-
dreißigfte Jahr und mit ihm: '
5. Die Verzweiflungsjahre.
Das Schredlichfte der Schreden ift ein Mädchen, -
das ſchon daran verzweifelt, ob es einen Mann bekommt
und doch & tout prix einen haben will! Wie jeder Menſch
fürdhterlich ift, der von Menfchen oder vom Schidfal bis
zur Berzweiflung getrieben wird.
Sn diefen Berzweiflungsjahren muß man ihnen
aus dem Wege gehen, wenn man nicht angefallen fein will.
Da find fie fürdhterlich, da gilt Gewalt und Fauſtrecht und
Ueberfall! „Ein Dann!“ ift die Loſung, das Feldgejchrei;
was er ift, wer er ift, wie er ift, was er hat, ob er was hat,
das thut Alles nichts zur Sache. Bon den Hilfözeitwörtern
„Sein“ und „Haben“ ift es ihnen genug, wenn er nur
iſt und fie ihn nur Hat.
Ich rathe allen Männern, den Mädchen in den
Berzweiflungsjahren nicht nahe zu kommen, denn
anf jeden Yal fett 8 einen harten Kampf!
Diefe VBerzweiflungsjahre dauern bis ins ſechsund—
dbreißigfte, dann an diefem Edftein, an diefer falten,
fteinernen, eckigen Grenzſäule aller Hoffnungen beginnen:
180
Unterdefien war e8 fpät geworden, ich mußte dreizehn
ſchwarze Grofchen, fünf graue Stunden und zwei blaue
Augen im Stiche laffen, um Madame Ritzinger nad)
Haufe zu begleiten. E8 war ein Kagenfprung! von der
Alfervorftadt bis nad) der St. Marrer - Linie!
Ic wollte einen Wagen nehmen, das litt fie durdh-
aus nicht, es käme ihr gerade redjt, eine Kleine Bewegung
zu machen, und ſie wüßte, ich bin ſehr galant!
Das ſind Folgen eines guten Rufes!
Ich brachte fie wohlbehalten in ihre Heimat und ver-
ſprach ihr, fie recht: oft zu befuchen, denn fie meinte: „es ſei
ein Heiner Spaziergang !"
MAaturgefhichte der Mädchenjahre.
1. Die Luftfchlöfferiahre. — 2. Die Kartenhäuferiahre.— 3. Die Ber:
forgungshausiahre. — A. Die Strohhüttenjahre. — 5. Die Berzweif:
Iungsiahre. — 6. Die „Sol's der Teufel!” s Jahre.
1. Die Luftſchlöſſerjahre.
Bis zum fechzehnten Jahre find alle Mädchen Engel. Bon
dem Lichte, welches Umgebung und äußere Verhältniffe in
ihnen und um fie verbreiten, hängt es ab, ob fie Eugel des
Lichtes oder Engel der Finfterniß werden.
Ein Mann hat um diefe Zeit feine Slegeljahre,
allein bei den weiblichen Geſchlechte verfchmelzen diefe Jahre
in einen Gemüthszuftand von Dämmerung, in ein Nebeln
und Schwebeln, und das Herz eines Mädchens in diefem
Zeitraum gleicht unfern Igrifchen Produkten, in welden
Gefühl und Unfinn, hyſteriſche Bläffe und rofafarbnne Dun-
felhaftigfeit neben einander wohnen.
Erſt mit den fechzehuten Jahre tritt das weibliche
Herz aus der Stiftshütte von Träumen, und aus dem
Spinnhaufe nicht verftandener Gefühlsfäden in die Schule
des Lebens, in eine Schule, in welcher Leider da8 Eramen
erft dann vor fi) geht, wenn das Teben fein Diplom und
keine Preife mehr zu vertheilen hat.
Meine Leiden durch die Weibertren von Weinsberg.
Is hätte mein Lebtag nicht gedacht, daß mich die „Weiber
von Weinsberg” je beunruhigen werden! Allein wenn
ein Herz einmal vom Fatum beftimmt ift, durd) Frauen zu
leiden, fo fteht die legte Gefallene aus dem Mägdekrieg auf,
und die fromme Aehrenleferin Ruth fteigt aus ihrem Grabe,
um und zu peinigen.
Ich denke, dev Menſch ift zu dem ewigen Umgang
mit Frauen geboren, denn es heißt: „Der Menſch ift zum
Leiden geboren!“ Die Frauen find alfo wie die Dichtkunft:
man muß dazu geboren fein!
„Ein Kind, im Februar geboren,” — fo heißt es in
der „Karten= und Monats-Sibylle“ — „hat ein unruhiges
Geblüt, wird durd) Frauenvolk viel erprobt, befommt fünf
Frauen, und erreicht Alles, was er wünfcht, anı Ende." —
Ich bin ein Kind im Februar geboren, und wenn ich vier
Frauen befommen fol, fo muß fid) das Schidfal fehr
tummeln; allein für das Glüd, daß ich Alles, was ic)
wünjche, am"Ende erreiche, küß' ic) der Frau Sibylle
die Hand! Heift das an meinem Ende, oder am Ende
des Wunſches?
Aber daß ich durch „Frauenvolk“ viel erprobt wurde,
ift notorifche, Hiftorifche Wahrheit. Kommen jetzt fogar noch
191
die Frauen vonder, Weibertreu“ zu Weinsberg, und rütteln
an dem eiſernen Schlafrocke meines winterlichen Herzens!
Die Geſchichte iſt ſo:
Ich ſaß, und dachte an gar nichts, und ob ſich nicht
ein gutes Luſtſpiel aus dieſem Stoff machen ließe. Am aller—
wenigften aber dachte ich an irgend eine Fabel oder an die
„Weibertreu". Da fällt mir ein Zeitungsblatt in die
Hand, in welchem mitgetheilt wird, daß ſich ein Frauen-
verein gebildet hat, um den Frauen für Weibertreu in Weins-
berg ein Monument zu fegen: dabei ftand noc eine Art
Bemerkung: „Daß wir vielleicht einft mehrere ftrumpf-
ſtrickende Schriftftelerinnen in Stein ausgehauen und
verewigt fehen werden.“
Ich, in meiner reinen, ſchuldloſen Seele, denke daran,
daß es wirklich Verdienft ift, manche Schriftjtellerinnen
auszubauen, ob nun in Stein oder Papier, das kommt
darauf an, welches Material man cben hat, und in diefer
patriarchalifchen Einfalt meines Herzens nehme id) meinen
theuren Collegen, den Rothftift, den General-Redigirer
und Herausgeber aller modernen Journale, — ftreiche diejen
Artikel auf beiden Seiten die Wangen roth, ein röthlicher
Fingerzeig an meinen Seger, diefen Artikel, vermöge des
magnetifchen Rapport8 und redigirenden Handauflegeng,
von jener Zeitung in meine Zeitung überzuzaubern; und
vermittelft diefer einfachen Vorrichtung, die vielfache Nad)-
ahmung findet, befand ſich jener Artifel Tags darauf im
„Humoriften” Nr. 132, im „Bunterlei”, wo id) ihn mit
Bergnügen felbft wieder als eine Neuigfeit las.
192
Id) glaubte nun der „Weibertreu“ genug gethan
zu haben. Ich dachte des fchönen Auguſt-Tages, an welchen
ich mit gar holden Schwäbinnen auf dem Tchönen Berge zu
Weinsberg herummandelte, und den herrlichen Nekarkreis
überfah, und meine Lippen flogen über von Weibertreu und
Huldigungen, und wie die liebenswürdige KR... aus Heil-
bronn jelbft einen leifen Zweifel über die etwaige Möglich-
feit einer ſolchen That in unserer Zeit ausfprach, und dachte
fo fort da — da — da —
Da bekam ich an einem ſchönen Morgen ſpät Abends
folgendes Schreiben von weiblicher Hand, mit dem Bemer-
fen: „Zur Aufnahme im Humoriften.“
„Mein Herr Redacteur!
„E8 mag ein wahres Glück für die Geſchichte geweſen
fein, daß Sie in den Zeiten, Tagen und Augenbliden, als
fih) die Weiber von Weinsberg fo treu bewährten, nicht in
Weinsberg vermählt lebten; — faft fürchte ich, daß bie
Frauen-Vereine von Württemberg nun feinen Anlaß gehabt
hätten, der Treue ein Monument zu bauen, — wenigftens
würde den die Geißel der Satyre über unfer Geſchlecht
Ihonungslos Schwingenden Keine für das Koftbarfte ange»
jehen haben. — Dies als kurze Erwiderung für die ungefällige
Aufnahme der unfer Gefchleht fo fehr mißhandelnden Zeilen
in Nr. 132 des „Humoriften”, Seite 528 des „Bunterlei”,
und zwar um jo mehr, da es Ihnen weder an Zartheit des
Gefühle, noch an Unterjcheidungskraft fehlt, und Sie uns
bald in den Himmel erheben, bald in den Staub werfen,
je nachdem Ihre Laune die Handlungen Ihrer Geliebten
beurtheift.
Eine für Alle”
195
Lieber Lefer! Setze dich in meine Stellung, un beur⸗
theile meine Lage! Mir das zu ſagen!
Ich könnte, wenn ich nicht gar ſo zartfühlend wäre,
die unbekannte Schreiberin ſehr beſchämen, wenn ich ihr auf⸗
richtig geſtehen wollte, daß ich eigentlich ſelbſt einer der
Männer war, welchen die Weinsberger Weiber aus der
Feſtung trugen. Ich erinnere mich noch recht gut, es war
eine liebe Frau, blaue Augen, blonde Haare, und ich ſaß
recht gut auf ihren lieben, weichen, runden, alabaſternen
Schultern. Als fie mid) zum Stadtthore hinaustrug, fagte
fie: „Gib Acht, Lieber Moriz, daß du dir den Kopf nicht
anftoßeft,“ worauf ich ihr erwiederte: „Sei ruhig, Tiebe
Afra, du weißt, e8 muß Alles nad) deinem Kopfe gehen.“
— Neben mir trug die Tran des Redacteurs der dazumar
Ligen „Weinsberger Damen- Zeitung” ihren Mann auf dem
Rüden; meine Frau fragte fie: „Wie geht’8 dir?“ und fie
antwortete, indem fie ihtem Manne nad) dem Kopfe griff:
„Schlimm, id) fühle gar feinen Kopf mehr!” Ich erzähle
diefe Details blos deshalb, um meine ungenannte Eiferin
von der Wahrheit meiner Ausfage zu überzeugen. .
Sehen Sie, meine werthgefchätte Unbelannte, ich,
der ich doch dabei geweſen bin, mir ſcheint noch immer, es
war ein Feiner Mißgriff in der ganzen Sache; denn id)
glaube mich erinnern zu können, daß mic) nicht meine
Tran, fondern die Frau meines Nachbars, des Weinsberger
Lotto⸗Collecteurs, auf die Schultern padte, und daß ich im
Gedränge meine Frau fah, die den Lotto-Collecteur aufgefteckt
hatte. Sehen Sie, fo ging’8 vielleicht mit Allen! Allein
M. ©. Saphir’s Schriften. v. Br. 13
194
ich will nichts gefagt haben! Irren ift menſchlich! O, meine
theure Unbefannte, ich könnte Ihnen noch einige Züge aus
jener Geſchichte mittheilen, die ich al8 Augenzeuge mit an-
ſah. Nur Eins wiffen Sie, hören Sie! — Ich ſaß gerade
beim „güldenen Spägle* inder „Sulmgaſſe“, «8
war 1140 um 3 Uhr Nachmittag.
Dazumal reiste Theophraftus Paracelfus gerade
durch unjere Stadt, mit dem Arcanum für die Weibertreu.
Es beftand in einem einzigen großen Schlüffel, welcher eine
zweifache Wirkung hervorbradjte: Wenn die Frau außer
dem Haufe war, und der Mann inwendig zufperrte, fo
tonnte ee im Haufe ruhig fein; wenn die rau im
Haufe war, und er auswendig zujperrte, fo konnte er
außer dem Haufe ruhig fein. — Diefes einfache
Mittel ift jegt leider verloren gegangen. — Wir faßen aljo
und tranken einen leichten Kannftädter. Da läßt Kaifer
Konrad der Dritte in die Stadt hinein jagen: „Er wolle
die Weiber ausziehen laffen, aus der Stadt nämlich, und
jede Frau dürfte ihr Thenerftes auf dem Rüden mitnehmen.“
Ich hielt fogleich eine Anrede: „Ihenre Freunde!
Laſſen wir in Gottesnamen die Frauen aus der Stadt ziehen,
dann find wir „freie Bürger und Herren diefes Bo-
dens!“ — Allein mein Patriotisnus fand fein Gehör!
Alles lief durcheinander; da fagte Paracelfus: „Wit ihr
was, nehmt Jeder das legte neue Kleid, den legten modernen
But von eurer Frau, laft ihn um keinen Preis aus ber
Hand, und die Frauen müſſen alfo, um ihr Theuerſtes zur
zetten, euch felbft mittragen.“
195
„Und diefes Rathes Herrlichkeit entrig ung Konrad’
verfolgenden Dragonern!”
| Ein jeder Mann mwidelte fich den toftbarften Shanl,
die Tieblingdgewänder feiner Frau um den Leib, und ließ
nicht von ihnen, und jo mußten fich alle Frauen entfchließen,
die Männer felbft mitzutragen!
D, ic) könnte noch Anekdoten von der „Weinsberger
Weibertreu“ erzählen, allein ich bin ein ruhiges Blut, id)
lehne mic) nie gegen alte Weltgefchichten und gegen alte
Weltweiber auf, denn die haben die Zungen von Jahrhun⸗
derten für ſich!
Die geiftreiche Einfenderin möge alſo erfehen, daß
ich, Gottlob, nicht in Weinsberg zurüdgeblieben bin.
Wenn ich gegen die Errichtung eines Monumentes für
die „Weibertreu“ bin, jo gejchieht das aus Achtung des
weiblichen Geſchlechtes, und ich werde jchon wieder verkannt!
Wem feht man ein Dentmal? Dem Auferorbent-
fihen! Dem ungeheuer Seltenen! Man jegt Schiller ein.
Denkmal, weil e8 feinen mehr gibt! Soll mander „Weiber>
treu” ein Denkmal fegen, weil es feine mehr gibt? Iſt denn
wirklich die Treue der Frauen fo felten geworden, daß man
einem Beifpiel von Treue ein Monument fegen muß? —
Diefe Trage ift völliger Ernft! Es liegt in der Erridh-
tung jenes Monumentes eine wahre Anklage, eine fteinerne
Berleumdung! Es ift erftaunlich, wie aus dem zarten Sinne
zarter Yrauen eine ſolche Idee hervorgehen kann!
Seit wann feßt man der Erfüllung einer Pflicht ein
Denkmal? Seit wann wird einer That ein Dentmalerrichtet,
| 13*
196
deren Unterlaffung die Menfchheit als eine Schändung ihres
Götteradels zu betrachten ein Recht hat?
Am Ende wird man jedem Menfchen, dem «8 aus
befonderer Großmuth beliebig fein wird, eines ber zehn
Gebote nicht zu übertreten, ein Denkmal fegen!
„Die Zeit ift aus ihren Fugen getreten, wehe mir,
daß ich geboren bin, fie einzurichten.“
Fürchten Sie nichts, meine Unbekannte, id) fann die
Zeit leider nit einrichten, ich muß mich begnügen, fie
blos auszurichten. — Sie werden alfo aus dem Ganzen
erjehen, daß ich im Scherze wohl gerne und oft das weib-
liche Gefchlecht mit meiner Satyre heimfuche, allein, daß,
wo es den geharnijchten Exnft gilt, Niemand mehr Achtung.
und Verehrung vor dem weiblichen Öefchlechte hat, als eben
ic), und, ich fchmeichle mir, wenn wir heute einen Weins⸗
berger Tall erlebten, Sie, ja, Sie felbft würden mich Huke—
put auf dem Rüden davon tragen, und austufen: „Gott⸗
lob, ich hab' ihn im Rücken!“ —
Daß Sie mir ſagen, ich ſchreibe gerade ſo, wie meine
Laune die Handlungen meiner Geliebten beurtheilt, iſt hart;
denn meine Geliebte iſt nicht von der Handlung!
Sie unterzeichnen: „Eine für Alle,“ aber den⸗
noch werde ich nie Alle für Eine vergöttern, oder Alle
für Eine verletzen.
Leben Sie wohl, und wenn Sie mir im Namen desgan--
zen nöd chlechts wieder was zu fagen haben, fo fchreiben Sie:
Hlle für Einen.
— 0. — —
a’
Va-banque, der Visite de reconnaissance!
Nie hat die Sitte — wir wollen einmal einen Gebrauch
ſo nennen — etwas Abgeſchmackteres erfunden, als die
„Visite de reconnaissance!®
Wie überfegt man das? Ein Erkenntlichkeits—
Beſuch? eine Dankabſtattung? ein Wirdererten-
nungs-Beſuch? |
Wenn man Fein Efier von Profeſſion, fein Trinker
von Paſſion, kein Spieler von Herzen, und fein Tänzer von
Metier ift, wozu joll man nod) eine Visite de reconngis-
sance machen ? |
Man wird eingeladen, um Abends zu Mittag zu
efjen. Das foftet erft ein Paar Handſchuh, einen Wagen,
und — entfeglicher Gedanke! — wenigftens vier Stunben
Zeit! Bier Stunden Zeit! Was das für ein Kapital ift,
das weiß nur der, welcher nichts befigt, als die Zeit, und
den deshalb die Zeit nie lang wird, als nur dann, wenn
man fie ihm ums Himmelswillen verfürzen will!
Bier Stunden Zeit ! und wie find fie ausgefüllt und
wattirt diefe vier Stunden! Alle Augenblick etwas Anderes
für den Magen, und nie etwas Anderes für den Geift!
Man wechſelt alle Beinuten die Teller und alle Stunde
198
einen Gedanken ans! Wil man den Mund aufmachen, um
Etwas zu reden, fo nimmt Einen der Bediente fchnell dag
Etwas zum Eſſen fort. Will man rechts fein Ohr auf ein
Geſpräch neigen, jo muß man links das Salz hinreichen.
Will man links ein trauliches Wörtchen fprechen, jo muß
man rechts das Glas anfüllen. Will man gar nichts reden,
fo frägt die Hausfrau um Neues, um Theater, um Concerte
und um alle Hausunterhaltungen, die Statt gehabt haben
und haben werden. Will man ja einmal etwas Zufammen-
hängendes fprechen, fo wird man alle Angenblide von einem
„Eſſen Sie doch!” — „Schenken Sie do ein!” — „IH
bitte um die Moutarbdiere!” unterbrochen. Spricht man viel,
fo fann man nichts effen und gilt für einen Schwäger, ſpricht
man nichts, fo gilt man für einen faden Batron. Wenn's
had) fommt, hat man das Glüd, ein Glas rothen Wein
umzuftoßen, oder einen Xöffelvoll rothe Rüben auf das
Tiſchtuch fallen zu laſſen, der Nachbarin mit dem Ellen-
bogen die Gabel in die Zunge zu treiben, einen Schlud
Wein unrecht in die Kehle zu befommen, eine Gräte zu
fhluden und andere taufend Heine Tafelunfälle zu erleben,
die man & la Camera brevi manu abmacht, die aber an
großen Zafeln zu den allervertracteften Unglüdsfällen des
Lebens gehören! Hat nıan endlich drei Stunden geſeſſen
‚und den Repetir- Magen erprobt, jo fteht man auf und
macht dreißig oder vierzig tiefere oder flachere Berbeugun-
gen, lehnt ſich an eine Thürpfofte und verdaut in die Geſell—
Tchaft hinein, dann macht man wieder einige Berbeugungen,
empfiehlt fich deutſch oder Franzöfifch, fteckt mehreren Dienern
19
und Hadelträgern die Belohnung für das Amufement in die
Hand, und zeichnet ſich wie Hamlet in feine Schreibtafelein:
„Nächſten Sonntag muß ich da eine
Visite de reconnaissance machen.“
Dafür, daß ich vier Stunden Zeit mid) zum Möbel
gebrauchen ließ, daß ich dem Wirth und der Wirthin helfen
mußte, ihre Gäſte zu unterhalten, denn eigentlich werden
alle Säfte doc) nur wieder für die Gäfte gebeten, dafür
muß ich einen Beſuch machen, um mid) zu bedanten!
Und dennoch gibt e8 Menfchen, deren Lebenslauf
nichts ift, als eine Abwechslung von einer „ Visite d’appetit*
und einer „Visite de reconnaissance !“
Aber einen unendlichen Vortheil bringt biefe Sitte
der Visite de reconnaissance: Wenn man fie nämlich ein- .
mal verfäumt, wird man nicht mehr eingeladen! O himm—
liſche Folge irdifcher Geſittung!
Ich jehe aber eine Zeit fommen, wo befonders Men-
chen von Geiſt und Kunft ſich fattfan und hoch genug
Ihäten werden, um das Recht ihrer geiftigen Exftgeburt
nicht un eine Schüffel Linfen hinzugeben ; wo der Austaufch-
handel: „Gib mir Geift und Kunſt, und ich gebe dir
Pudding und fteirifchen Kapaun!” nicht angenommen
werden wird; wo Menſchen, die nichts Haben, als ihr Talent
und ihren Genius, diefe nicht als Flötenuhren und Spiel»
auffäte hinftellen werden unter die Reihe von Fafanen und
Zrüffeln und anderen Wildpretmarkt - Delicatefjen; dann,
dann, ja dann wird das goldne Zeitalter fommen, wo man
200
dafür, dag man fid) einladen lief, eine Visite de recon-
naissance befommen muß und befommen wird!
Allein jo lange es nod) Würdenträger des Geiftes,
der Kunft und des Talentes gibt, die ihren Genius gerne
hinaustreiben auf den Nafchmarkt der Socistt; die ihre
Söttergabe als Tafelſtückchen und Bänkelfängerei und
Schaubrote loslegen und produciren für ein pat6 de foie
und für eine mit Wachs beleuchtete Puppengeſellſchaft, fo
lange diefe Selbftentwürdigung noch graffirt unter ben
Genius-Begabten, fo lange wird die „ Visite d’appetit“ und
die „Visite de reconnaissance* ihren lächerlichen Scepter
nod) ſchwingen. Ich aber rufe aus:
„ Va-banque, der Visite de reconnaissance !*
Va-banque, Stammbuc und Album!
Stammbuch! Album!
Das Album iſt das moderne Stammbud) : das
Stammbud; ift das antife Album!
Jetzt ift die Zeit der Albums! Muftkalifche, thea⸗
traliſche, graphikaliſche Albums!
Eine ganze Sündflut von Albums bricht über uns
herein!
Schiller's Album!
Was heißt: Schiller's Album? Ein Papier⸗
Schiff, in welchem ſich kleine Dichter an den Rockſchoß
eines großen Dichters anhängen, um mit ihm in die Zus
funft hineingefchleppt zu werden!
Schillers Album! Eine gedrudte Ausrede der
lebendigen Eitelfeit, um unter dem Reſpect, welchen man
den Todten fchuldig ift, waflerdicht und feuerficher in die
Lefewelt hineinzukutſchiren.
Schillers Album! Ein Leichenſchmaus für Lite-
rarifche Würmer, die fich auf diefem Feſte zu Tiſche Laden.
Weg mit den Albuns, weg mit den Stammbüchern!
— Va-banque!
Ein Stammbud!
Ich befomme Itervenzufälle, wenn ich da8 Wort höre!
„WollenSie fich nicht inmein Stammbuch [hreiben ?“
202
Das war einmal die Wuthfrage aller jentimentalen
Mädchen, aller Gefellfchafterinnen, aller gebildeten Commis,
aller Gejchäftsreifenden. "
Wenn man wohin fam, wurde das Stammbud) aus=
gepadt.
Da ftand die Freundin, die Coufine, die Lehrerin,
die Oroßtante, die Klaviermeifterin, der Spraclehrer,
ein Hausfreund, ein Xeibdichter, ein Acteur, eine Mufter-
ftiderin u, |. w.
Da las man:
„Wandle auf Rojen und Vergißmeinnicht.“
„Wenn's auch über's Kreuz ſollt' ſein,
Mein Name muß in's Stammbuch 'nein!“
„Dieſes Stammbuch iſt ein ſchöner Baum,
Gib mir als ein Blatt darauf auch Raum!“
„Wenn die Sonne vom Himmel geriffen,
Wirft Du meine Freundichaft vermiffen!”
„Die Maus in der alle,
Die Kuh in dem Stalle,
Das Schaf auf der Wiefe
Blödt freudig: Louifel”
„Un Coeur qui soupire,
N’a pas ce qu’il desire.“ .
„Adore un dieu, s0is sage et aime - moi!“
„Sii felice
Il cuor me lo dice.*
Und taufend andere ſolche Kraftſprüche.
203
Wenn man nur einen Namen fo groß hat wie eine
Haſelnuß, fo hat man keine Kuh, bis man aud) feine Kakel⸗
füße in das feidne Namens-Faulbett hineingeftedt Hat.
Und nun jetzt gar die Albums!
Ein Sharlatan und Farceur, ein Bauchredner erbeutet
fich niit Feuer und Schwert ein Album mit dem Namen
berühmter Notabilitäten, läßt e8 dann drucken, und wird
ein berühmter Schriftſteller!
Muſikaliſches Album! Literariſches Album!
Schrecken der Muſiker, Geißel der Literaten! — Wer
Teufel hat alle Augenblicke ein Sonett, ein Madrigal, ein
Impromptu bei der Hand? Wer Teufel kann Witz und Ein⸗
fälle aus dem Aermel ſchütteln? Ein Schriftſteller kann
jetzt ohne ſolchen Vorrath gar nicht unter die Leute gehen!
Wer Teufel hat ſtets eine muſikaliſche Boutade, ein
melodiſches Epigramm, ein ſingbares Variatiönchen, ein
tönendes Gedankchen, ein harmoniſches Sentenzchen in den
Schreibfingern? Ohne dieſen Tajchen-Compofitions-Appa-
rat darf ein Componiſt gar nicht mehr in Geſellſchaft gehen!
Da liegt man in einem ſolchen Album, wie ein melan⸗
cholifcher Häring, man liegt wer weiß neben went, wer
weiß nit went!
Va-banque, Stammbuch! — Va-bangque,
Album!
Va-banque, den Chränen!
G⸗ gab eine ſchöne Zeit, eine himmliſche Zeit, eine Zeit,
wo ih an Märchen, an Knecht Ruprecht, an Liebestreu
und an Thränen glaubte! Nur Thränen, Thränen waren mir
die Beglaubigungs - Urkunde der Wahrheit, die beeidigten
Zeugen der Empfindung, die Nechtsbeiftände jedes edlen
Gefühls!
Ach, ich wußte dazumal nicht, was Thränen ſind; ich
glaubte, fie feien ein Borzug des wahren Schmerzes, des
heiligen Unglücks, der innigen Liebe; ich glaubte, fie ftrömten
gerade aus dem Herzen in die Augenwinkel; ich war ein
Ignorant! Jetzt weiß ich aber, daß die Thränen blos aus
der Mündung der Thränen- Röhrchen kommen, daß fie ine
Auge treten durch Verftopfung des Thränenkanals; jetzt
weiß ich, daß auch die Hyäne und der Schafal Thränen
vergießen, und die Heuchelei auch, und die Bosheit aud),
und der Neid aud), und der Wahnwig aud), und daß die
Thränen nichts find, als willige, ftet8 dienftfertige Augen
dienerinnen und Allerwelts = Gefchäftsträger !
Va-banque,den Thränen!
Und kennt denn der Menſch, und fieht er denn jene
Thränen, welche die echten Boten des zerdrücten Herzens,
der eingeſunkeneu Bruft, der zermalmten Empfindung, der
zu Grabe getragenen Hoffnungen, der ausgebrannten
—
208
MWiünfche, der betrogenen Hingebungen und des vernichteten
Schamgefühls find ?! Kennt er denn und fieht er denn jene
Thränen, die in finfterer Nacht auf dem verfchwiegenen
Kiffen vergoffen werden? Jene heißen, äßenden Thränen,
die ftehender Gramı mit der hohlen Hand verhüllt?! Jene
falzreichen Thränen, welche oft beim vollen Becher mit
Champagnerfchaum heimlich gefchlürft werden? Jene Thrä-
nen, die ein edler, aufbäumender Stolz im gezwungenen
Aufgeben diejes Stolzes in der Wimper zerdrüdt? Jene
Thränen, welche in Berborgenen die Wangen von taufend
und abermal taufend in ihren edelften Empfindungen Ge⸗
täufchten die blaffen Wangen furchen?
Nein, diefe Thränen fieht und kennt der Menſch nicht!
Er kennt nur die Thränen, welche Leidenſchaft und Auf⸗
regung, naſſer Jammer und all die offenen Schäden des
Schickſals auf dem lauten Markte des Lebens vergießen!
Weil der Menſch aber die wahren Thränen nicht ſieht,
und die Thränen, die er ſieht, nicht wahr ſind, darum:
| Va-banque, den Thränen!
Da ift ein bligendes Auge, ein Feuerrad im flammen⸗
den Umſchwung, es füllt ſich mit Thränen, fie ftrömen über
das Schöne Antlig in rollenden Perlen herab! Das fchöne
Weib weint, Sie weint entſetzlich! Sie weint unftillbart
Warum weint fie? Der Herr Gemahl ift ein Tyrann! Er
mißhandelt fie? Wie mißhandelt er fie? Er will ihr zu
Weihnachten den Hut um neunzig Gulden nicht kaufen! -
Da wiederum rinnen große Thränen über ein blühen-
des Angeficht; die Haren Tropfen ftrömen fletd don Neuem
206
aus der unverfiegbaren Duelle? Weld ein Unglüd traf
diefes lieblidye Haupt? weldy ein Jammer drüdt dieſe
enpfindfame Bruft? Der Bater will nit, daß fie einen
Ball befuche, auf den einige leichtfertige Säfte die fchlichte
Zugend zum Tanz aufziehen. |
Da perlen große Tropfen über cin erglühtes Ant-
lie! Es find Thränen der Freude über den Korb, den eine
Freundin erhielt!
Da weint ein ernftr Mann, ein bejahrter Dann
weint und knirſcht mit den Zähnen! Welch ein Unglüd muß
dieſes Haupt ergriffen haben?! Sein Freund erhielt das
Amt, um welches er fid) gleichzeitig beworben !
Hier vergießt eine Theaterprinzeffin Thränen, ganze
Bäche rollen auf ein Zeitungsblatt in ihrer Hand herab,
cs find „Ihränen der Wonne!* in diefem Blatte fteht:
„Sie übertraf ſich felbft” — „Site errang die hödhfte
Stufe" — „Sie ift die Priefterin der Diufe* u, |. w. —
Wicderum vergießt fie Thränen, ganze Bäche rollen
auf ein Zeitungsblatt in ihrer Hand, es find „Ihränen des
unſäglichen Schmerzes!" in diefem Zeitungsblatte ftand:
ihre Kunftfchwefter „errang die Palmel* u. f. w.
Da fließen die gefalzenften Thränen auf den riefigften
Knoten der reizendften Eravate des eleganteften Fünglings |
Welch einen Schmerz hat diefe Bruft erfahren ? Die Köni-
gin des Balles Hat einem andern Füngling, mit einem andern
Knoten an einer andern Cravate den Borzug gegeben!
Da geht gebüdt ein graues Haupt, eine langentbehrte
Thräne preßt fi) aus feinen tiefen Augenwinkel! was mag
\
207
Diejes greife Haar für Sammer erfahren haben? Die Tän⸗
zerin, die geftern im Ballete ſolche reizende Birouettes machte,
Hat den jchmachtenden Schäfer von ihrer Thüre gewieſen!
Va-banque, den Thränen!
Es gibt nichts jo Kleinliches, nichts fo Geringfügiges,
nichts jo Albernes, nichts jo Heuchlerifches, nichts fo Un⸗
würdiges, worüber nicht Schon alle Menſchen, zu allen Zeiten,
allerlei Thränen vergofjen haben und noch vergießen!
Es ift nichts auf Erden jo gemißbraudht, fo fchänd-
lich gemißbraucht worden, als eben die Thränen! Nichts
auf Erden ift jo gleich und fo gerne und fo vollauf bereit,
Falſchheit und Bosheit und jede leife Regung des Herzens
mit falſchem Zeugniß zu unterftügen, al8 eben dieThränen !
Va-banque, den Thränen!
Mit erheuchelten Thränen.wird das Herz des Mäch⸗
tigen unter Waffer gefeßt; mit echeuchelten Thränen wird
ein großes Publitum zur Rührung geftimmt; mit erheuchel-
ten Thränen wird das eiferne Herz, die eiferne Tugend er-
ſchüttert; mit erheuchelten Thränen wird Bergebung und
Berföhnung erwinfelt; mit erheuchelten Thränen wird Ent-
ſagung und Aufopferung vorgelogen; mit erheuchelten
Thränen wird Treue und Liebe erfäuft; mit erheuchelten
Thränen werden Herzen und Legate gewonnen!
Va-banque, den Thränen!
Geht von mir, ihr Botenläufer und Lohnlakais aus
allen Safthöfen und Schlupfwinteln der menschlichen Leiden⸗
ſchaften! Geht von mir, ihr Tarventräger und Komödian⸗
tinnen aus dem Luſt- und Trauerjpiel des Lebens! Geht
208
von mir, ihr Glasperlen und bunte Kügelchen aus der
großen Salanterie- und Duingquaillerie - Handlung der
menſchlichen Kunftempfindungen, ihr täuſcht mich nicht
mehr, ich kenne euch, ich durchſchaue euch !
Va-.banque, den Thränen!
Der deutſche Kiteratur - Wald.
Der Wald ift did, der Wald ift groß,
Er hegt gar viel in feinem Schooß,
In feinen großen Räumen,
Bon Thieren ind von Bäumen,
Bon Bögeln und Gefträuchen,
Nur wenig Töw'n und Eichen!
Im Walde wird gar viel gebrummt,
Im Walde wird gar viel gejummt,
Bon Aeften und von Zweigen
Will Alles laut fid) zeigen,
Und mindeftens dünkt Jeder
So hoch ſich wie die Zeder!
Es raufht und braust und wirb nicht matt,
Es raufht im Stamm, es raufcht im Blatt,
Ein jedes Sträuchlein flüftert,
Wenn's heil ift und wenn's düftert,
Und glaubt in feinem Dichten
Sei herrlich e8 wie Fichten!
Das Moos, das an dem Boben Freut,
Mit dünnem Sang den Wald durchkeucht,
Singt lyriſch und pathetiſch,
Und epiſch und auch) ethifch,
Und zählt fi zu den Mannen,
Gewachſen wie die Tannen!
M. G. Saphir's Echriften. V. Bd. 14
210
Sein Haupt erhebt der ihlaffe Schwamm,
Den Mund nimmt voll er aus dem Schlamm,
Singt Lieder und Gonette
Mit Kiedgras um die Wette,
Und glaubt, er dufte Grazie,
Wie Morgens die Akazie!
Das Schilf feufzt ohne Unterlaß,
Das Auge hat's vom Regen naß,
Es hüftelt von Empfindung,
Bon Schmerz- und Herz - Entbindung,
Und wagt e8, fi) zu meſſen
Mit klagenden Cypreſſen!
Der Haſelſtrauch ereifert ſich
Und hümmt fi gar erbärmlich,
Und fpeit aus Mund und Naſen
Die windgefüllten Phrafen,
Um fi} hinauf zu winden
Zum Gipfel ſchlanker Linden!
Der Ampfer fieht gar jauer d'rein,
Er möcht’ gar gern empfindfam fein,
Er finget unabläſſig
Bon feinem Liebes - Eifig,
Bon Than und Thränen - Perlen,
Als wär er Fürft der Erlen!
Die Brombeer predigt gar Moral,
Direct wächst fie im Himmels - Saal,
Sie will mit weijen Lehren
Die Welt ringsum beebren,
Möcht' fih in Würde Heiden,
Wie graues Haupt der Weiden!
211
Das Holz mit faulem Angeficht,
Es dünfet fi) ein echtes Licht,
Weil immer, wenn e8 dunfelt,
Sein fauler Leib erfunfelt,
Will e8 empor fih qualmen
Zum Glanze edler Palmen!
Und jchweigt das Moo8- und Pilz⸗-Geſchlecht,
Dann hört man erft die Beftien recht,
Es fingen, dichten, blafen,
Die Dachfe, Biber, Hafen,
Es fingen ohn' Ermatten
Die Mäufe und die Ratten!
Das Wiefel fchreibt die Epopö',
Der Bud befinget Lieb’ und Eh,
Der Hamſter ſchreibt ſatyriſch,
Der Iltis wird gar lyriſch,
Der Maulwurf, ſonſt fo myſtiſch,
Wird plötzlich Humoriftifch!
Und ift aud) dies Geſchrei verpufft,
Dann fängt es an aus heiler Luft,
Es ſchweigt num aud nicht Tänger
Das wilde Heer der Sänger;
Es ftimmen ihre Leier
Der Oimpel und der Geier!
Der Sudgud fingt: „ic bin! ih bin!“
Der Kiebik fingt, die Kiebigin,
Der Spat dann & la Heine
Singt: „Süße Spätzin meine!“
Und Rab’ mit Heif’rer Kehle
Beipöttelt Philomele!
14 *
212
D'rum weil's ſo iſt, und weil's ſo war,
. Sind in dem Wald die Eichen rar,
D’rum laffen fie fich fuchen,
Die Cedern, Palmen, Buden,
Weil fie nicht gern gedeihen,
Wo Pilze fteh’n in Reihen!
D’rum weil's jo war, und weil’s fo if,
Die Nachtigall verſtummt zur Friſt,
D’rum werden aud) ftet8 rarer
Die Lerhen und Canarer,
Weil fie nicht wollen weilen,
Bo Bär und Uhu heulen!
Soll man zu früh oder zu fpät in Geſellſchaft gehen?
Eine Lebensfrage.
„Man verfammelt ſich um — Uhr.” Das ift leicht |
gejagt, aber eine diplomatische Note ift nicht fo unbeftimmt
und läßt nicht fo viel Raum zu allenfallfigen Deutimgen,
Erweiterungen, Reftrictionen und Refervationen, als dieſes
„Manverfammeltfih um — Uhr!“
Sefest, die angegebene Berfammlungsftunde fei
„acht Uhr”, warn iſt's dann Bonton, gentlemanlike, in die
Geſellſchaft zu gehen? Iſt es beffer, die erfte Schwalbe zu
fein, die noch feinen Sommer macht, aber doch das Gefühl
erwedt: „Aha, die Schwalben kommen ſchon, nun wird’8
bald hei werden!“ oder ift e8 rathfamer, ein nachzügeln-
der Kranich zu fein, der einige Zeit nad) dem großen Kranich⸗
zug geflogen fommt, und der unbemerfbar, aber auch unge-
nirter feinen Streifzug vollenden kann? |
„Man verfammelt fid um acht Uhr.“ Nun
aber verfammelt ſich eine echte Gentlemanlife-Gefelfichaft
fortwährend, fie fängt an, um acht Uhr fi) zu verfammeln,
und verfammelt fich ununterbrochen bis zwölf Uhr, fie ver-
jammelt fic) fo lange zufammen, bi8 fie bereits wieder
anfängt, fi) auseinander zu fammeln. Der Letzte,
214
der in die Berfammlung geht, ftößt auf der Treppe ſchon
auf einen Dann, der aus der Berfammlung kommt; was
Heißt alfo: „Manverfammelt fih umadt Uhr?*
Ein wahrer, echter Gentlemanliker, — man erlaube
mir, diefes Wort zu machen, — ein Öentlemanliter comme
il faut, fommt immer eine Biertelftunde, nachdem er weg⸗
gegangen ift, und entfernt ſich eine Biertelftunde, bevor er
gekommen ift.
Was ift aber überhaupt ein Gentlemanliter? Wie
muß ein deutfcher Gentlemanliker befchaffen fein? Welches
find die Zeichen, die uns fagen, ob ex ein Gentlemanliler
von Halbblut, Vollblut u. ſ. w. ift?
Ein deutfcher Gentlemanliter muß zu Fuß gehen, als
ob er reite; reiten, als ob er ſchwimme; im Wagen fiten, als
ob er tanze; tanzen, als ob er eben in Gefellfchaft fäße, und
in Geſellſchaft figen, als ob er fich eben aufs Bett ftreden
wollte.
Ein deutfcher Gentlemanliter ſpricht englifch wie
franzöftfch, franzöſiſch wie italienisch, italienifch wie deutſch,
und deutfch wie ſpaniſch!
Ein dentſcher Gentlemanliker riecht vom Fuß big
zum Knie nad) feinem Hund, vom Knie bis zur Bruft nad)
feinem Pferde, von der Bruft bis zur Nafe nach feiner
Pfeife, von der Nafe bis fiber die Ohren nad) feiner Amour,
und von den Ohren bis über’8 Gehirn nad) gar nichts]
Ein deutfcher Gentlemanliter hat immer eine Reit»
gerte in der Hand, ein Lorgnon im Auge, eine Fadaiſe im
Munde, fein Geld im Kopf und feinen Kopf in der Tafche.
nn
215
Ein deutfcher Gentlemanliker fpricht mit Gelehrſam⸗
feit von feiner Eigarre, mit Selbftbewußtfein von feinem
Salonftod, mit Salbung von feinem Schneider, und
mit Geringſchätzung von Allem, wozu man Berfiand
braudt. .
Ein deutfcher Gentlemanliker zieht nie einen neuen
Rod am Feiertage an, trägt nie ein Parapluie, und gibt
nie dem Bedienten Etwas fürs Hinableudhten.
Ein deutjcher Gentlemanlifer trägt immer einen zer⸗
Initterten Hut, und einen abgefchabten Mantel, und ſchenkt
nie einen alten Rod an arme Lente!
Ein deutfcher Gentlemanliker fpielt in Gefellfchaft
nur, um auszuhelfen, tanzt nur, wenn ihn was befonders
intereffirt, und fpricht nur, wenn er gerade nicht weiß, was
er fagen ſoll.
Ein deutfcher Gentlemanlifer ift nie artig gegen
Damen, bietet nie einer Dame oder einem alten Manne
feinen Plag an, wenn fie ftehen müffen, kommt ins Theater
immer während des Actes, ftochert fic bei der Suppe ſchon
die Zähne, geht fich felbft alle Tage zwei Stunden um den
Bart, gibt nie einem Armen auf der Gaſſe Etwas, weil e8
nicht gentlemanlife ift, auf der Straße in die Tafche zu
greifen, Spricht von allen Künften, und verfteht gar keine,
ift überall zu Haufe, und nur bei fich zu Haufe fremd, ift
nie hungrig, und ſpeist immer fort, ift ein Mäcen von allen
Künftlerinnen, und mißhandelt feine Domeftiten.
Wenn man alfo ein Gentlemanliker fein will, wann
muß man in Gefellfchaft gehen ?
216
Kommt man früh, jo zuden die Bedienten im Vor-
gimmer die Achſel, und ſtecken Einem mit einem halben
Lächeln die Öarderobenummer „Nr. 1“ in die Hand. Zu
welchen Leutfeligfeiten führt diefes „Nr. 1”! Erſtens dient
dann unfer Oberrod. oder Mantel als Unterlage zu einem
Chimboraſſo von nachher darauf aufgethürmten Kleidern,
und feine grämlichen Falten jagen uns noch lange nachher,
in welchem Drude er gelebt hat. Zweitens, poenn man dann
etwas früher. ſich entfernen will, und man gibt. dem Be-
dienten die Marque „Nr. 1”, erbleicht er, fieht uns mit
einem erröthenden Blid an, denn wie fol er nun dieſe Num⸗
mer. von allen auf fie aufgethürmten Röden, Manteln,
Pelzen u. ſ. w. befreien!
Nach dieſer Unannehmlichkeit kommt die, daß, wenn
man früh kommt, uns im Hineingehen ein Bedienter mit
einem Tiſch entgegenläuft und anſtoßt, ein zweiter nach
einem Kandelaber greift, und uns auf den Fuß tritt, ein
dritter noch mit dem Lichtanzunden herumwandelt, und uns
auf den Kopf tröpfelt u. |. w. In den noch leeren Zimmern
überfällt es uns unheimlich, der Hauswirth ift nod) damit
befchäftigt, die Blumen zurecht zu ftellen, die Hauswirthin
hat nod) an ihrem Boudoir zu nefteln, und nun müffen fich
Beide ausschließlich — mit dem Neuangelommenen beichäf-
tigen! Die Verlegenheit drüdt fich in allen drei Gefichtern
deutlich aus. Dieſe Verlegenheit wird mit: jedem Neuein⸗
tretenden vermehrt! Denn fo lange die Gefellfchaft Hein ift,
muß man vom Wirth oder von der Wirthin gegenfeitig
vorgeftellt werden, und jede neue Borſtellung ift eine neue
217
Unbequemlichkeit. Und ſodann in der Converſation und im .
Schachſpiele find die erften Züge die langweiligften, die
nichtsfagendften! Da muß man aus allen Kräften arbeiten,
um das liebe Gefprächsfchifflein vom Stapel laufen zu
Laffen. Ueberdies nehmen fich eine Perſon oder zwei, drei,
in einem großen beleuchteten Saale fehr matt und fehr
nüchtern aus!
Auf der andern Seite aber, weldde Fatalitäten, wenn
man ſpät in die Geſellſchaft fomnıt!
Im Borzimmer wimmelt e8 von Bedienten, und felbft
diefe Domeftifen machen ſchon ihre Gloſſen; ja, einige
zifheln: „der kommt blos zum Eſſen!“ die Hausbedienten
find fchon in den Zimmern befchäftigt, faum kann man
feinen Rod unterbringen, und erfährt nur mit Mühe die
Stunde, wann der Wagen zu beftellen ift. Zritt man in den
vollen Salon, da wenden fich plöglich Hundert Augen, mit
und ohne Brillen, nach dem neuen Opfer der gejelligen
Suada. Da fteden fie die Köpfe zufammen:
„er ift denn das wieder? — Ich Fenne ihn nicht.
— Aha, ift der au da? — Nun ift’8 complet!” — Und
nun füllen fie die große Lücke ihrer Unterhaltung mit der
Charpie aus dem zerzupften Hereingetretenen aus. Das ift
aber nur der Anfang der Verlegenheit. In dem erften
Zimmer kennt man Niemand, man fucht den Hauswirth,
um ihn zu grüßen, wer weiß, wo der ift! Man will ſich der
Dame vom Haufe vorftellen, die fit im fechsten Zimmer
auf einem Sopha, umfchanzt von einem drei = vier - fachen
Frauenzinmer-Berhau. Zuerft die alte Garde, dann die
218
. Gallerie des Mittelalters, dann erft die frifchen, jüng-
ften Ausgaben der reizenden Mädchenwelt.
Eine Regimentsfahne aus der Mitte einer feindlichen
Schwadron zu Holen, ift nichts gegen die Aufgabe, durch
diefe lebendigen Jericho-Mauern duch, der Dame vom
Haufe ein anftändiges Compliment zu appliciren!
Endlich ift e8 uns gelungen! Wir haben eine Kleine
Brefche benügt, und haben unfere Verbeugung auf Schuf-
weite angebracht; da ftredt die Jugend die Hälfe lang, das
Mittelalter fieht uns inquifitorifch an, und die alte Garde
frägt manchmal ganz laut: „qui est-il done?!“
Das ift noch nicht Alles! Wir finden in den Kreife
der Damen eine Belannte, wir machen ihr eine ſtumme Ber-
beugung, die ganze Serie der Damen neben und hinter diefer
Dame glaubt, man grüßt fie, erwiedert e8 entweder freund=
lic) oder vornehm verwundert, man muß nun aud) diefe
Damen grüßen, die wieder Nachbarinnen haben, und fo ins
Unendlicdhe,
Iſt man endlich fertig und hat feine ftummen Com—
plimente alle abgefeßt, fo weiß man nicht, wa8 anzufangen,
alle Spieltifche find ſchon befett, alle Frauenzimmer abon-
nirt! der Bediente bringt uns Thee, er ift fchon kalt; wir
ftellen uns an einen Spieltifh, um zuzufehen, die Dame
befonmt ſchlechte Karten, man bringt Unglüd, man ent-
fernt ſich! |
Kurz, Leid und Freud ift faft immer glei), man mag
zu früh, man mag zu ſpät in Gefellfchaft gehen!
Höchfrührender, nichts deſto minder höchſt menſchlicher,
nnd nichts deſto minder höchſt einleuchtender Vorſchlag,
Plan und Baurif zu einem
„Gegen: Thierguülerei - Verein”,
wie er fein foll im ganzen Umfange der idenlififden
Dollkommenheit.
Die vorwärtseilende Bildung beſchäftigt ſich nun haupt-
fächlich mit dem „Wohl der Thierwelt!“ Das iſt ein
gewaltiger Bildungsschritt! Denn e8 zeugt von einer um⸗
faffenden und geiftreichen Ein= und Anficht der Dinge, daß
fid) unfere Zeit nicht mehr mit dem „Wohle der Men-
ſchenwelt“ befchäftigt, und daß die 3 't ihre Zeit nicht
vergeblich verſchwendet.
„Man fol kein armes Thier quälen!" Diefer Sprud)
jollte zwar von Eheherren gegen ihre Frau, von Frauen
gegen ihre Stubenmädchen, von Directoren gegen ihr Kunft-
perfonal und Andere gelten. Allein wir wollen von diefer
Barmherzigkeit nur bei wirklichen Thieren, nicht bei dem
„animal bipes implume“ Gebrauch machen, und da die
Zeit da ift, in welcher die Männer ihren Pferden mehr Tiebe
fhenten, al8 ihren Grauen, ihren Hunden mehr Sorgfalt
und Menfchlichkeit angedeihenlafjen, als ihren Dienern, und
Kunftdirectoren an Pferde, Affen, Elephanten mehr ver-
fchwenden, als an Künftler und Künftlerinnen, fo ift ein
„Segen-ThiergnälereisBerein“
3%:
das zeitgemäßefte Unternehmen. Ich habe einige Statuten
zu einem ſolchen Verein in feiner ausgedehnteften, ume
faffendften Bedeutung, in feiner idealiftifhen Vollkom⸗
menheit entworfen, und theile einige der Hauptparagrappe
bier mit:
1. Bor Allem, und um bei der „Thierquälerei“
im engen Familienfreife anzufangen, müffen wir unfere
Sorgfalt auf jene Heinen Thiere richten, die ung am näch—
ften gehen, und welche oft ein defto graufameres Schidfal
erleiden müffen, je mehr diefe Dual in den geheimften
alten der mefchlichen Berhältniffe vor ſich geht!
Wir reden hiervon jenen Heinen, gemüthlichen Wefen,
welche in neuefter Zeit zuerft durd) Nicolai’3 „Reife
in Italien“ zu einer Bedeutung gelangten, dann durch
Goethes „Flohlehre“ berühmt, und durch Bertolotti
endlid Mitglieder aller philofophifchen und wifjenfchaft-
lichen Fakultäten wurden, von den — Flöhen nämlid).
Welchen Qualen diefe Geſchöpfe ausgefett find,
welch einen graufamen Zod fie fterben müffen, und oft gerade
durch jene Weſen, welche das weichfte Herz haben follten,
ift weltbefannt! Iett, da durch die Homöopathie die Blut⸗
egel zu Hyänen und die Ylöhe zu Blutegeln promovirt
werden, jegt nehmen diefe Dunkel» Männer eine höhere
Stellung ein, und müſſen in den Rechten der Menfchheit
befchütt werden!
Der „Segen Thierquälerei-Berein“ wird alſo
bejonders fein Augenmerk auf die „Flöhe“ richten, und zu
dieſem Behufe beſondere
u
221
„Floh-Vögte“
| anſtellen, welche in allen Familien darauf zu ſehen haben,
daß die häuslichen Flöhe nicht über die Maßen gepeinigt
werden, welche dem weiblichen Perſonale moraliſche Vor⸗
ſtellungen zu machen haben, daß Strafe zwar ſein muß,
daß aber alle Folter- und Marter-Prozeſſe abgeſchafft find,
die Hinrichtung der Flöhe alfo, wenn fie auf frifcher That
ertappt worden find, ohne alle Gnade ftattfinden muß, alles
Hegen, Treiben und langſam Tödten aber verboten ift.
Auch ift bei jedem Floh der animus injuriandi erſt
zu beweiſen, in Fällen, wo die zarte Jugend, oder die Un⸗
zurechenbarkeit der Flöhe erwieſen iſt, oder andere erleich—
ternde Nebenumſtände eintreten, muß die peine capitale,
oder die Todesſtrafe gemildert, zum Beiſpiel in Verban⸗
nung.u. ſ. w. umgeändert werden. Auch werden fie Jedem,
der fich das jus gladii eines ſolchen Gefchöpfes heraus—
nimmt, einſchärfen, den Flöhen vor ihrem Tode fo viel Zeit
zu gönnen, um ihre Samitienangelegenfeiten zu ordnen.
2. In Hinficht der.
„Mäufe und Ratten” |
hat der Berein darauf zu Jehen, daß die Methode, fie durch
Hunger zum Geftändniß oder zum Tode zu bringen,
gänzlich abgejchafjt werde. Auc) das „Abfonderungs-
Syſtem“ ift graufam; die Menjchlichkeit- erfordert, daß
jeder Maus oder Hatte ein gejundes, Iuftiges, lichtfreies,
Lokal angewiefen werde. Die Mäuſefallen müffen vom
„Vereine“ unterfucht werden, ob fie feine Spigen, Nägel
oder andere fchmerzverurfachende Dinge in fic) Haben, damit
222
das unfchuldige Gefchöpf nicht gequält werde. Rattengift
ift durchaus gegen das Gefe der Milde und des Mitleids,
und es ift jedem Hausgeſinde durch moralische Borftellungen
einzuflößen, jede Maus oder Ratte im Betretungsfalle an
eine feidene Schnur anzubinden, fie ins Freie zu führen,
wenn nicht zu fchlechtes Wetter ift, und ihnen die Frei—
heit zu ſchenken.
3. Ein befonderes Gefeß erheifcht die
„Bliegenwelt!“
Das Denkmal der Barbarei: die, Fliegenklatſche“,
muß ganz abgeſchafft werden, und auch der Gebrauch des
etwas menſchlichern Fliegenwedels nur in beſondern
Fällen, bei Kranken u. ſ. w. geftattet werden. Das foge-
nannte Fliegenfangen mit der Hand darf nur in Glace⸗
handſchuhen ftattfinden. Gegen Leimruthen jedoch fpricht
dic Menjchlichfeit ganz laut. Die Fliegen find durch Ver⸗
nunfts Gründe und annehmbare Vorftellungen zu
Raiſon zu bringen, und wenn einige unter ihnen fid) hals⸗
ftärrig und verftodt zeigen, find fie angewiefen, nad) Nord»
Amerika auszuwandern,und zu diefemBehufe wird der, Ver⸗
ein” ftets ein fegelfertige8 Schiff in Hamburg liegen haben.
4. Bejondere Rüdficht und Liebe verdienen die
„Hunde!“
beſonders aber die „tollen Hunde!“ dieſe ſind nicht mehr
todtzuſchlagen, ſondern der „Verein“ gründet ein
„Irrenhaus für Hunde“,
wo jeder Hund pfychifch behandelt wird; wo erft unter-
fuht wird, an welcher Gemüthskrankheit der Hund
223
leidet; ob er toll aus Liebe, aus Eiferfudht, aus Zorn
— verrüdt wurde, ob der Hund wirklich toll oder blos
dichterifch ift, ob er melancholiſch, Hyfterifch u. f.w.
ift. Auch das Einfangen der herrenlofen Hunde ift gegen
das Zartgefühl aller ältern Mamfells, die mit Hunden auf
der Straße gehen. Anftatt des Einfangens wird der „Ber
ein” ein Mittel ausfindig machen, durch Redensarten, durch
fanfte Muſik, durd) fchöne Zeichnungen die Aufmerkſam⸗
keit der herrenlofen Hunde auf fich zu ziehen, und fie der-
geftalt dem gefelligen Berbande wiederzugeben.
Auch wird der, „Berein“ darauf fehen, daß alle
Möpfe, Spige, Bintfcher u. f. w., welche bei alten Mam-
ſells Herz und Polfter ausfüllen, nicht gar zu fehr durch
ihre Liebkofungen und Küſſe gemartert und des Lebens über-
drüßig werden; aud) wird der „Verein“ dafür forgen,
jedem „Schooßhund“, den das graufame Gefchid trifft, auf
dürren und fpießfpitigen Knien ruhen zu müfjen, ein weiches
Kiffen anzufchaffen.
Dei „Recenfenten - Hunden” wird der „Berein“
darauf fehen, daß fie ftets ein Halsband mit dem Namen
der Redaction darauf tragen, daß aber diefes Halsband
elaſtiſch fei, da diefe Gattung Hunde einen immer weitern
Hals befommt.
5. In Hinficht der
„Wanzen-Bertilgung”
wird der „Verein“ bejonders auf das Prinzip der reinen
Menfchlichkeit jehen, und jenes Rachegefpenft, welches mit
Feuer und Flammen ganzfanatifch gegen diefe Blutfauger
224
minorum gentium zu Felde zieht, ganz zu vertilgen
fuchen! Scheiterhaufen und auto-da-fe find nicht mehr an
der Zeit, und aud) die Wanzen find der großen Emanci-
pation des Herzens theilhaftig. Man fuche jede einzelne
Wanze von der Immoralität und unäfthetijchen Befchaffen-
. heit ihres Tebenswandels zu überzeugen, und fie zu einem
nützlichen Mitgliede der Menſchheit zu machen, wozu ber
Berein einen Preis von fünfzig Dufaten auf die Beant-
wortung der Preisfrage ausfegt:
„Die find die Wanzen von den Berirrungen ihres
Geſchmackes und ihres Kebenswandels zurüdzubringen,
und zu nüglichen, ehrfamen und gebildeten Weſen ir in der
Kette der Weſen umzuſchaffen?“
6. In Hinſicht der
„Krebfenfohung“
hat der „Verein“ befondere Mittel ergriffen. Das Leben⸗
dig⸗Sieden iſt grauſam und empört die menſchliche Natur.
Es iſt daher den Krebſen vor dieſer Procedur ein betäuben⸗
des Mittel zu geben, oder ſie ſind zuerſt in kaltem Waſſer
zu erſäufen, welches ihre Schmerzen mildert. |
7. Infonders aber wird der „Brrein“ ein mitleidig-
menschliches Augenmerk auf die gequälten
| „Scähriftftellerthiere*
haben. Den Buchhändlern wird alles Schinden derfelben
mit zärtlichen VBorftellungen unterfagt, und den Nachdruckern
wird das Sefeß der Blutfauger, der Vampyre u. . w.
alle Tage dreimal vorgelefen.
Die Kunſt, einzufchlafen, oder: Die Runf, fi ſelbſt
Cangeweile zu machen.
Os gibt eine große Kunft: fi) gut auszufchlafen;
aber e8 gibt eine nod) größere, noch fchwierigere Kunft:
einzufdlafen! | |
Dasift eine Kunſt, die man, im buchftäblichen Sinne
des Wortes, nur in Schlafe lernen kann, und wenn man
über diefe Kunft ganze Nächte lang wacht, fo lernt man fie
erſt nicht! j
Die Kunft, einzuſchlafen, ift eigentlich nichts,
als die:
Kunſt, [ich felbft Langeweile zu machen!
Es gibt feinen größern Beweis von der Eigenliebe
und von der Eitelkeit der Menfchen, als wenn fie fagen:
ihfannbeiNadhtnihteinfhlafen!Dasift nichts,
als ein Beweis, wie gut fie fich mit fich felbft unterhalten,
wie amufant und geiftreich jie ihre eigenen Gedanken finden.
. Wenn man in großer Gefelfchaft ift, fo läuft man
oft alle Augenblick Gefahr, ſogleich einzufchlafen; ift man
aber allein, Abends, im Bette, mit Niemandem befchäftigt,
als mit fich, hört man nichts, als das, was man fich ſelbſt
fagt, in Gedanken oder in Monologen, da ift man entfeg-
li) wach uud munter! O unbegreifliche Selbftliebe und
Selbftgefallung!
M. ©. Suphirs Schriften. v. Bd. | 15
226
Im Schlafe gehen die Gefchäfte des Herzens und der
Lunge nad) wie vor fort; das Herz mag alfo des Tages
über gute oder ſchlechte Gefchäfte gemacht Haben, der Schlaf
ändert nichts, und dennoch kann ein bewegtes Herz e8 ſchwer
zum Einfchlafen bringen! Allein ein ganz gefundes Herz
ſchläft gar nicht — es ſchnarcht nur zuweilen!
Alſo die Kunft, einzufchlafen, erfordert: Er-
ftens,. daß man fein Herz habe, das Herz ift die Un-
ruhe im Menfchen, und mit Unruhe in ſich kann man nidjt
einschlafen. Zweitens, daß man nicht8 denke; denn den-
fen ift ein Andrang von lebensschädlichen und organismus-
zerftörenden, böfen Einflüßen nad) dem Kopfe, und zum
Leicht und bald Einjchlafen gehört eine bequente, der geifti-
gen und leiblichen Ruhe zuträglicheLeerheit des Kopfes.
Drittens, daß man nichts befite, daß man weder im
Herzen, noch im Kopfe, noch in dem Koffer etwas Habe,
überhaupt, daß man in der ganzen Welt nichts befige; denn
der Beſitz, jeder Belig, es fei nun der eines Dufatens,
oder eines Haufe, oder eines Herzens, oder auch nur eines
Talentes — diefes gefährliche Schieß- und Mordgewehr
— hebt die freie Wirkfamfeit der Seele nad) Innen auf, .
richtet fie auf die Außenwelt und zerftört allen Schlaf.
Un zu jeder Zeit leicht und fchnell einschlafen zu -
fönnen, gehört vor Allem, daß man gar fein Vermögen,
weder in barem Geld, noch in Grundftüden habe, und dod)
auch Fein Börfefpefulant fei; daß man nichts und Nienand
auf der ganzen Welt liebe, für Niemand Sorge trage und
fih um keines Menfchen Wohl und Weh zu befünmern
Rn
227
Habe; daß man fid) gar feines Talentes bewußt fei, daß
man die ſichere Ucberzengung habe: „Morgen Früh, wenn
ich aufftche, bin ich ein fo dummer Kerl und ein fo talent-
loſes Wefen, wie c8 nur eines unter der lieben Sonne geben
kann,“ wenn man bei allem diefen nichtS gegeffen hat, blos
ein Glas Zuderwafjer trank, fic leicht bedeckt, eine weiche
Matrage hat, und — nicht leſen kann, dann fann man
fi) der Hoffnung überlaffen, leicht einzufchlafen.
Die viel Mittel gibt c8 nicht, und zählt nicht Scan
Paul her, um ſchnell einzufchlafen! Die Fenfterfcheiben
zählen, das Einmaleins lernen; die Punkte in den Tape-
ten berechnen, eine gewiffe Melodie jo lange immer von
Neuem fummen, mit dem Finger um das Antlik herums
fahren, u. f. w. u. f. w. |
Aber c8 geht diefen Mitteln wie allen Hausmitteln:
fie find alle recht gut, aber fie nügen alle nichts!
Es ıft ein großes Unglüd, daß ſich die Menfchen jo
gut mit fich felbft nuterhalten! Man ift fo feelenvergnügt,
wenn man feinen andern Zuhörer hat, ale das — Kopf:
fiffen! Das Kopffiffen gähnt uns nicht ind Angeficht,
das Kopffiffen Hört uns geduldig zu, und wer am beften
zuhört, ift der befte Gefellfchafter!
Bon was fpricht der Menfc mit dem Kopftifien ?
Bon fi! Bon fih! Bon fih! Kann man bet einem jo
intereffanten Geſpräche einfchlafen? Das wäre eine Belei—
dignng an fi, und fich ſelbſt beleidigt Fein Menſch fobald!
Ich kenne Schriftfteller, die mit dem Vorlefen ihrer
Schriften ganze Geſellſchaften eingefchläfert haben; fie
15*
228
lefen fich ihre Werfe aber felbft alle Nacht vor, und es
kommt ihnen fein Schlummer in die Augen! Ich kenne
Andere, die eine Sucht zum Anecdotenerzählen haben: wenn
fie diefelben in Geſellſchaften erzählen, jo ſchlummert der
‚auftragende Bediente im Gehen plöglidh ein, die Natur
felbft fängt zu gähmen an, und Todesſchlaf Herrfcht rings⸗
um, diefelben wiederholen fich diefe Anechoten alle Nacht
allein im Bette und unterhalten fid) dabei jo koſtlich, daß
ſie nicht einzuſchlafen im Stande ſind!
Ich komme alfo darauf zurück, daß die leidige Selbft=-
liebe der Feind iſt, warum viele Menſchen nicht einjchlafen
fönnen.
Ic kenne Menfchen, die, wenn man ihnen auf der
Straße begegnet, eine folche narkfotifche Einwirkung machen,
daß man ſich an das erfte befte Haus anlehnen und [chlum-
mern muß, bis fie vorüber find, und diefe Menjchen Hagen
auch, daß fie nicht einfchlafen können! Sie müflen
alfo nothwendiger Weife Nachts ganz aus ſich heraustreten
und ſich für ein anderes Individuum halten.
Man ſagt, um bald einzuſchlafen, müſſe man das
Licht auslöſchen; Unſinn! In Gegenden, wo gar kein Licht
herrſcht, hört man auch die Klage: „Ic kann gar nicht
einfchlafen;* das Licht ift Fein Hindernig des Schlafes,
denn der erfte Menſch ift fogleich nad) Erſchaffung des
großen und des Heinen Lichtes eingefchlafen! Daß aber
der erſte Menſch fo bald und fo Leicht einfchlief, it ein
Beweis für meinen Ausſpruch: Man muß gar fein Ver—
mögen befigen, Niemand lieben, nichts wifjen, nicht Tefen
229
fönnen, und — unverheirathet fein, um bald und fchnell
einzufchlafen. '
Daß aber das Licht am Einfchlafen nicht ſchadet,
beweist der Umftand, daß manche Menschen gerade in der
Geſellſchaft der größten Lichter am eheften einjchlafen !
Sa, daß das Licht durchaus dem Einfchlafen zuträglidh
ift, geht aud) daraus hervor, daß man taufend und taufend
Dinge, Proceſſe, Unterfuchungen u. f. w., je eher einfchlafen
läßt, je greller das Licht ift, in welchem fie erfcheinen!
Ic) glaube, gerade im Finftern kann man gar nicht
einschlafen, denn ſchlafen heißt die Sinnesempfindungen
unterbrechen, aufhören machen; und gerade im Finſtern
werden die Sinnesempfindungen am meiften wach gehalten.
Ich, für meinen Theil, ich finde nie mehr Luft, zu
Irhlafen, als bei einer Illumination, bei einem Feuer⸗
werfe, und die Feuerfprigen find an manchen Orten nie von
einem tiefern Schlaf befallen, als bei einem hellen Brande!
Ein Betrunfener fchläft fogleich ein, und der ift doc)
lichterloh illuminirt!
Je leichter die Phantafie ded Menſchen tjt, defto eher
ſchläft er ein, je farblofer fie ift, defto weniger, darum fchläft
die Jugend viel das Alter wenig! Ich weiß, das ift eine
falfche Anwendung, allein ich rede jeßt aus den — Schlaf
und will verfuchen, mich — in den Schlaf zu reden,
denn ich fchreibe diefen Auffag nämlich im Bett. — Ich
glaube, man fühlt es ihm an — daß id; nicht Schlafen kann!
Ic habe doc nichts, weder Dufaten nod) Xiebe,
befige auch Fein Talent, bin unverheirathet, kurz, ich bin
230
Eigenthümer aller Erforderniffe zum Schlaf, und — kann
doc nicht ſchlafen!!
Wie? Sollte ic) aud) Wohlgefallen an meiner eigenen
Geſellſchaft finden? Nicht möglich! Ich habe mir etwas
aus meinen Schriften vorgelefen und bin doc) nicht einge=
Ichlafen! Da dacht’ ich, das find alte Sachen, die wirken
nicht fo, friſche Mittel find wirkſamer, und fchreibe mir
friſch dieſes Opiat. Allein, ſchon find alle Lefer um mid)
eingefchlafen, und ich bin noch fo munter, fo wad)! Es
ift entjeglich! Dreimal hab’ ich mir das Gefchriebene ſchon
vorgelefen und fein Schlaf fommt in mein Auge! Ich bin
nicht im Stande, mir Langeweile zu machen. Sch muß heute
Naht Schon durchwachen, Du aber, lieber Lefer, eins
gefchlafen bift Du fchon, ſchlaf' alfo gut aus!
Seifen- Gedanken während des Rafırens.
UN iprend des Raſirens hat man, wenn auch nicht die
beften, doch gewiß die wahrften Gedanken; denn man
{ft nur danı wahr, wenn einem das Meſſer an der
Kehle figt!
* *
*
Nicht nur das Herz hat fein Bewußtſein, fondern
aud) der Kopf. Gute Gedanken wie gute Thaten, wenn fie
aud) nichtanerfannt werden, geben ein herrliches Bewußtfein.
* *
*
Jeder Wunſch, den der Menſch hat, iſt ein Flügel
an ſeinem Herzen, er trägt ihn entweder aufwärts zum
Himmel, oder abwärts zur Hölle. Das Unglück im Leben
iſt, daß die Gimpel ſich Adlerflügel wachſen laſſen.
**
*
Jean Paul ſagt: „Witz iſt der angeſchaute Verſtand,
darum ſind jetzt alle unſere Journaliſten witzig; denn einen
232
ſchnellen Berftand kann man nicht anfchauen, den Jour⸗
naliſten aber bleibt der Verſtand alle Augenblicke ſtehen, da
können fie ihn recht anſchauen!!
* *
%*
Wenn man früher große Reifen machte, fo brachte
man einen leeren Beutel und einen. vollen Kopf zurüd. Durch
unfere Eifenbahnen wird man von der größten Reife einen
vollen Beutel und einen leeren Kopf zurüdbringen.
%* *
*
Ein Lotterielos iſt die Exercirſchule der Hoffnung
und des Heirathens; jeder Einzelne glaubt, ſeine Nummer
wird doch nicht immer ungezogen bleiben.
%
*
Große Manner, hohe Ideen und hohe Berge ſind
ſich darin gleich, daß, wenn wir ſie erſtiegen haben, wir
erſt ſehen, daß ſie oben flach ſind.
* *
*
Wenn man ein Kalb alle Tage ein paar Stunden
lang auf den Schultern trägt, und damit alle Tage fort-
fährt, fo kann man zurlett den ganzen Ochfen auch tragen;
daher ift es begreiflich, wie fo mancher Erzieher feinen
Zögling nod) als Mann ertragen kann.
* *
*
233
Wit und Berftand find Blutsverwandte, anfcheinlich
Halten fie zufammen, im Stillen verfolgen fie ſich.
* *
*
Unter den Mädchen ſind gewöhnlich die Engelsköpf⸗
chen am flatterhafteſten, ſie haben die Flügel nicht einmal
an den Schultern, fondern ſogleich hart an den Engels⸗
töpfchen.
* %*
*
Unfere Fournaliften haben neben dem Tintenfaß nod)
ein Weinfaß oder Bierfaß ftehen, aus dem Tintenfaß klekt
ihnen Alles, aus dem Bierfaß klekt ihnen gar nichts. Die
Wahrheit jchöpfen fie aus dem Zintenfaß wie aus dem
Bierfaß, immer nur eine — Halbe.
* %*
*
Bon den Todten foll man nichts als Gutes fagen.
Den Scriftftelern gönnt man nur darum Unfterblichkeit,
um ihnen nie etwas Gutes nachſagen zu müſſen.
* *
*
Kleine Seelen fterben an den Wunden, die ihnen
das Schickſal Schlägt, große Seelen fterben an denNarben
diefer Wunden, und find denn nicht am Ende die vollften
und die füßeften Herzen, wie die vollften Traubenkörner
am zerrifjeniten ?
* *
*
234
. Wenn bei einer Ehefrau Teuer im Dache ift, das
heißt im Kopfe, jo find alle Bernunftgründe dagegen wie
die Löjcheimer, fie fommen vol an und gehen leer zurüd.
* *
*
Die Menſchen find wie die Zeitungen: wenn eine
ſchlechte That gefchieht, ein Frevel, eine ſchauderhafte That,
davon reden fie lange und ausführlich; wenn eine gute That
gejchieht, jo wird fie faum erwähnt.
* *
*
Das Licht iſt die Schweſter des Verſtandes, die
Finſterniß die Gebieterin der Sinne, und die Dämme—
rung die Vertraute des Herzens.
* *
*
In der Ehe hat der Mann nur einen dreiſpitzigen
weiblichen Seufzer-Reim:
Schneider!
Kleider!
Leider!
Uud die Frau einen Dito männlichen Seufzer-
Reim:
Ihm ift nur Werth,
Cigarre oder Pferd
Und — — was ihm nicht gehört!
* *
*
235
Die Satyre gehört ind Schreibzimmer, die
Laune ins Speifezimmer, die Höflichkeit ind Be-
fuhzimmer, der Witz ins Gefellfhaftszimmer,
und die Wahrheit — ins Schlafzimmer!
%* *
*
Kein Menſch lebt davon, daß der Andere etwas
weiß, viel Taufende leben davon, daß die Andern nichts
wiffen: wenn man alfo die Unwiffenheitbefördert,
jo ift da8 nichts, als reine Nächftenliebe und Sorgfalt für
einen großen Nahrungszweig.
* *
*
„Die Falten auf der Stirne ſind Särge ohne Deckel,“
ſagt ein genialer Humoriſt. Ja, in jeder ſolchen Falte liegen
theuere Todte begraben; allein die ganz kleinen Sorgen⸗
ſtiche, die ganz dünnen, dünnen Linien, aus dem Bauriſſe
des Grames, auf dem menſchlichen Antlitz, erfüllen uns
mit mehr Wehmuth, als die tiefen Furchen und Einſchnitte,
fo wie der Anblick eines Kinderſarges uns mit mehr Weh-
muth erfüllt, als die großen Särge der Erwachſenen.
u Ey
Ende des fünften Bandes.
Inhalt
des fünften Bandes,
Eeite.
m an
Aumorififche Vorleſungen.
Luft, Feuer, Waffer, Erde, oder: die vier Erben-Elemente.
nnd noch ein Himmelstanfend-Element . . . . .
Konditorei des Folus. Die Organe des Vieh⸗Gehirnes.
Eine Carnevalsſchwank⸗Vorleſung über die Schäbel-
lehre der Schafe und Odfen - - » 2 2 2202.
Nagelnene Bariationen auf die vier Weh (W) bes Lebens:
Wein, Weiber, Wis und Wahrheit... . . .
Die egyptifche Finfterni bei Gasbelenchtung und der
Ochs in der Laterne. Eine humoriftifche Olla Potrida
Borlefung eines Zuder-Rohres über den gänzlichen Mangel
aler Romantif, gehalten in einer Gefellichaft von:
jungen RAunfel-NRübn . ». . 2: 220000.
Rokettir - Novellen,
Die Fenſter-Linie.... were.
Bluetten aus meiner Reife und Sanmel- Mappe. Liebe
und Zahnweh . . . 2»: 2 2 el. ren
Der zweideutige Regenſchirm. Ein Abenteuer mit naffem
Anfange und trodenem Ende -. » 2200.
Die Brieftanbe > 2 220 mern.
Volksthümlicdye Reden und Aushäugfdilder.
I. „Zur ſchönen Seele.” Putz- und Modewaaren-
Handlung der Frau Beiheidendeit . - - .- - -
17
238
Seite.
Run ut
II. Zu den drei Laufern: „Sugend, Schönheit und
Liebe.” Specerei- und Delifateffeniwaaren - = Hand=
Yung des Lebens -. . 2 2 nl. 94
III. Mädchenherz, Mädchenftub’ und Mädchenfchrein,
müfjen aufgeräumt aM’ dreie fein! . 2.2... 101
- IV. Da müßt! e8 gar viel Kleifter geben, wollt! man
aller Leute Maul verlieben! . » . 2.000. 106
V. Oft oder Welt, Ball oder Feft, daheim in dem Neft,
iſt's Mädchen am Belt!. .. .. ren 113
VI. Nach Regen folgt Sonnenidein . »- 2... 118
VD. Die Kunft des Shmolen . . 2.2 2.0. .1%3
VII. Käfbernes mit Champignons . . . 220... 128
IX. Reunion und Converfation in den Lofalitäten Des
weiblichen Herzend - » 2: 2 2 onen 134
X. Frühlings-Eur der Sonmerfproffen, für den Herbft
und Winter des lebend . :- :: 220. 139
XI. Unfer Herrgott grüßt alle Augeublid, fein Menſch
dankt ibm! . 2 2: Er nnn . 144
XII. Ruf nit eher „Si Fiſch!“ als bis er auf dem
Tiſch............... . 148
Genre-Bilder, Iokofes und Sentimentales.
Die Whiftparthie mit vier Honneurs, drei Kindern, zwei
Möpfen und einer Fihtihere . . - » 2.2.2 .. 163
Naturgeihichte der Mädchenjahre.
1. Die Luftichlöfferjahre. . . - . ...... 181
2. Die Kartenhäuſerjahr.. 183
3. Die Sausmannsjahte . - 2 2200. 184
4. Die Strohütteniahte - - - - : > 2 220 .. 186
5. Die Berzweiflungsiabre. - - -» 2200. 187
6. Die „Hol's der Teufel!“ Bahre . . . . 2... 188
Meine Leiden durch die Weibertreu von Weinsberg . . . 190
Va-banque, der Visite de reconnaissance. . . » 2. . 197
239
Seile.
Va-banque, Stammbudh und Album . - ». 2.22 .. 201
Va-banque, ben Thränen . >: 220 204
Der deutſche Titeratur- Wa . ... . Kernen 209
Soll man zu früh oder zu fpät in Geſellſchaft gehen?
Eine Lebensfrage » >» > 2 213
Höchſt rührender, nichts defto minder höchſt menſchlicher,
und nichts defto minder höchſt einleuchtender Vor-
ſchlag, Plan und Bauriß zu einem „egen-Thier-
quälereisBerein”, wie er fein fol, im ganzen Umfange
der idealiftiichen Bollfommenheit - -. - » 2... 219
Die Knnſt, einzufchlafen, oder: Die Kunft, ſich jelbft Lange-
weile zu mahen - 2 2 CE 225
Seifengedanfen während des Rafirend . . 22.2... 231
M. 6. Zaphir's Schriften.
ö— HE HWETIH
Eabinet3 » Ausgabe
in zehn Bänden.
Ausgewühlte Schriften.
Von
A. G. Saphir.
Dritte Auflage.
Sechsſster Band.
Brünn und Wien.
Verlag von Fr Karafiat.
1865.
Drud von Georg Buftl in Brünn.
Genre-Bilder,
Jokoſes und Sentimentales.
Zafden-Eoder und Spruchbüchlein eines ſihlichten
Draktikers.
ei jeden Augenblid bereit, alle Menfchen auszu-
lachen; denn fei überzeugt, ale Menfchen find jeden
——— bereit, dich auszulachen, und da alle
Menſchen um viel Menſchen mehr ſind, als du, ſo
ſteh' alle Tage ein paar Stunden vor Tags auf, um alle
Menſchen auszulachen.
* *
*
Wenn dir ein vornehmer Mann etwas verſpricht, ſo
lerne ein Handwerk und verlaß dich d'rauf.
* *
*
Wenn du ſchön biſt, fo ſchau' alle Tage viermal in
den Spiegel, zweimal dir zu Liebe, einmal, um zu ſehen, wie
du ausſiehſt, wenn du in den Spiegel ſiehſt, und einmal,
8
weil jeder Menſch doc) einmal des Tages in den Spiegel
fehen fol ; bift du aber häßlich, fo ſchau' alle Tage fünfs
mal in den Spiegel, zweimal aus Buße, einmal, damit
du nicht vergefien follft, wie du ausftehft, und wieder zwei⸗
mal, damit du ja nicht in VBerfuchung fommft, zu glauben,
ein Trauenzimmer liebe dic) deines Gciftes wegen.
* *
*
Wenn an einer Table d’höte die Schüffel an dic)
fommt, fo genire dich nicht, und fuche, fo lange dur’ kannſt,
nach dem beften Biffen; denn fei verfichert, wenn die Schüffel
an den Nachbar kommt, fo fucht er fich gewiß den beften
Biſſen aus.
* *
*
| Wenn du viel gearbeitet haft, und fehr ermüdet bift,
fo geh’ Abends nicht ins Theater; denn fei verfichert, du
wirft ohnehin fchlafen.
*
Wenn deine Frau dir ſchmeichelt, ſo greife ſchnell in
die Taſche; denn ſei verſichert, ſie will etwas.
A
*
Wenn ein Mann dir ſchmeichelt, ſo verzeih' ihm nur
gleich im Stillen; denn ſei verſichert, er will dich betrügen
oder er hat dich betrogen.
* *
*
9
Wenn ein Befannter dir begegnet und laut ausruft:
„Ad, mein Theuerfter !* fo komm' ihm nur gleich mit der
Frage entgegen: „Ich bitt! Sie, haben Sie nidt
fünf Gulden bei ſich? denn. jet verfichert, er wollte
dic) um dasſelbe fragen. Ä
* *
%
Denn du von einem Recenfenten gelobt fein willſt,
fo mache ihm ein Gefchent; denn ſei verfichert, jo was
hilft immter.
% *
*
Wenn du einem Recenſenten etwas ſchenkſt, ſo ſchenke
ihm baares Geld; denn ſei verſichert, da triffſt du ſeinen
Guſto gewiß! |
* *
*
Wenn du einen Künſtler lobſt, ſo lob' ihn nie auf
Credit; denn ſei verſichert, wenn er einmal gelobt iſt, ver⸗
gißt er dich!
* *
*
Wenn du den Kopf zum Fenſter hinaus ſteckſt, fo
thue e8 nie, ohne die Obrigkeit zu preifen; denn fei ver-
fichert, wer über dir wohnt, würde dir, wenn feine Aufficht
wäre, gewiß gerne einen Topf Waſſer über den Kopf gießen,
auch wenn er gar nicht weiß, wer und was du bift.
* *
*
10
Im Theater folettire immer mit fünfundzwanzig
Brauenzimmern auf Einmal; denn fei verfichert, zehn koket⸗
tiren mit dir, um ſich über dich Iuftig zu machen; fünf, um
ihre Nachbarin auf den ‚eingebildeten Laffen“ aufmerkſam
zu machen, fünf aus Eitelkeit, zwei aus Dummheit und drei
aus Inftinkt, alle fünfundzwanzig aber noch einmal aus
Langeweile, und alleweil bleibt doch etwas Kleben!
* *
*
Trau' der ganzen Welt ſo wie dir; denn ſei verſichert,
der Menſch ſoll ſich ſelbſt nicht trauen.
* *
*
Wenn du in der Gunſt des Publikums ſteigſt, ſo
denke an Eulenſpiegel und weine; denn ſei verſichert, du
wirſt wieder herunterſteigen.
* *
*
Wenn dir ein Frauenzimmer ſagt: „Du haſt mein
Herz erſchüttert!“ ſo glaub's und — bau' nicht darauf;
denn ſei verſichert, auf einem Boden, der einmal erſchüt—
tert iſt, ſoll man nicht bauen.
* *
*
Wenn du alle Augenblicke erinnert wirſt, daß du
eine Frau haſt, ſo thut ſie dir weh; denn ſei verſichert, man
wird nur an jene Gliedmaßen von ſelbſt erinnert, die Einem
weh thun!
* *
*
11
Ein gutes Gewiffen fchläft auch auf einem Baums
ſtrunk! D’rum fchaff’ dir Feine Baumftrunfhandlung an;
denn fei verfichert, fie bleiben dir über den Hals!
*
Kaufe nie Etwas zu einem „feſtgeſetzten Preis“;
denn fei verfichert, wenn der Preis ehrlich wäre, hätte
man ihn nicht feftgejegt.
* %
*
Wenn du einem Trauenzimmer unter den Hut fehen
willſt, und es fentt den Kopf, als ob e8 Etwas auf der Erbe
ſuche, fo grüble nicht weiter; denn fei verfichert, wenn es
ſchön wäre, e8 würde zum Himmel hinaufgefehen haben,
ob e8 nicht vegnet.
Taſchengedanken und Gedankentafdhen-Spielerei.
Die Kunſt, zu leben, iſt nichts, als die Kunſt der Taſchen—
ſpielerei: die Kunſt, aus andern Taſchen in ſeine zu
ſpielen; die Kunſt, die Leute in den Sack und ihr Geld
in die Taſche zu ſtecken.
Die Taſchen des Menſchen ſind ſeine Laſter. Bei den
Spartanern wurde nichts geſtohlen, und warum? Weil ſie
feine Taſchen in ihren Kleidern hatten. Wenn die Sparta⸗
ner, wie wir, zwei Weftentafchen, zwei Hofentafchen, drei
Fradtafchen und fünf Oberrodtafchen gehabt Hätten, fie
hätten auch mehr geftohlen. Einejede Tasche ift ein genähtes
Fragezeichen anden Schneider: „Wozu haſt du mich ge-
macht?" ein Ausrufungszeichen an den Befiter: „Ad
Gott!“ und ein großer Gedankenſtrich an das Schidfal,
welcher fagt: „Das Mebrige fannft du dir denten!”
Eine jede leere Taſche ift nichts, al8 das zueignende Für-
wort: „Mein“ mit Leinwand überzogen, und jede volle
Taſche ift nichts, als ein großes Bewußtfein in Tafchen-
format!
Mit den meiften Taſchen ift e8 wie mit dem Mond,
fie find ale Monat einmal voll, einmal leer, und wenn
13
gar fein Geld, keine Münze und fein Schein in der Tafche
ift, das find die Mondesfinfternifie, aber die fichtbaren!
Mit den vielen Taſchen geht’8 ung jettt wie mit den
vielen Wörterbüchern: je mehr wir haben, defto weniger
finden wir den Artikel d’rin, den wir eigentlich fuchen.
Ein Menfd) mit allen feinen Tafchen jeßt ift wie das Con⸗
verfations-Lerifon. Sucht man das Geld in der Weſten⸗
tasche, jagt fie: fiehe „Brufttafche*, kommt man zur Bruft-
tafche, fagt fie: fiehe „Brieftafche“, kommt man zur Bricf-
tafche, fo heißt's: „ein Weiteres über diefen Gegenftand
fchlage man im Münzweſen nad)!“ Wir haben alle Hände
voll zu thun, um die leeren Tafchen auszufüllen, mit den
leeren Händen nämlich. oo.
Warum trägt der reiche Mann feine Hand in der
Taſche, und warum der arme Mann?.Bei dem reichen
Mann bittet da8 Geld in der Taſche, e8 nicht hinauszu⸗
ftogen in die Welt unter Arme und Hilflofe, und da gibt
der reiche Mann gerne die Hand daranf; — bei dem
armen Mann bittet das fein Geld um Berfchwiegenheit
und der arme Man ift fo gut und Hält’s unter der
Hand! —
Es tft eine homdopathifche Eur, wenn man einer
leeren Tafche eine leere Hand einzunehmen gibt.
Aber in den Tafchen feldft, welch' ein Unterfchied,
welche Abftufungen von der Brufttafche bis zur Patron
tafche, von der Uhrtafche bis zur Maultaſche!
Die Brufttafche trägt der Menſch auf der linken
Seite, gerade über dem Herzen! Wenn nur die Taſche auf
14
der Bruft recht voll ift, fo darf die Bruft unter der Taſche
recht leer fein, man darf doch von der Bruft weg reden!
das ift dann ein Leichtes Keben, wenn Einem da fo recht f chwer
auf der Bruft ift! In der Brufttafche ift’8 gerade wie in
der Bruft felbft! Wie vielen Menjchen liegt das Herz mehr
in der Brufttafche, als in der Bruft felbft; man könnte fagen,
das Herz ift ihnen aus der Bruft in die Taſche gefallen.
Das Geld wohnt in eben fo verfchiedenen Weifen in der
Taſche des Menfchen, als die Gefühle in der Bruſt der
Menſchen.
Bei manchen Menſchen zum Beiſpiel ſteht die Liebe
als Schildwache in der Bruſt, und wartet ſehnlichſt auf
Ablöſung, bei Andern liegt ſie als feſte Garniſon, und bei
noch Andern ſteckt ſie blos als Baugefangene in den tiefſten
Kaſematten; fo iſt es auch mit dem Geld in der Bruft-
tafche: bei manchen Menfchen ift’8 al8 Tafchenfpielftüd da,
fie find Künftler darin, das Geld Schnell verfhmwinden
zu laffen, und bei Andern ift e8 blos lebensläng—
licher Arreftant! In der Bruft des Menſchen, der fein
Herz in der Brufttafche Hat, Liegt eine große Vorliebe zu
Bruftftüden, aber fie müflen von gekrönten Häuptern und
auf Metall geprägt fein!
Der Menſch liebt den Menfchen überhaupt mehr als
Bruftftüd, denn in Lebensgröße, d’rum wenn die
Männer ein weibliches Herz gewinnen wollen, jo madjen
fie ſich ſelbſt zu Bruchſtücken, indem fie niederfnien und fo
die Füße einziehen. Die Frauenzimmer glauben dann, fie
hätten gar keine Füße, und könnten ihnen nicht davon laufen.
u
15
Allein die Männer knien blos deshalb lange, um dann aus⸗
geruhte Füße zum Davonlaufen zu haben.
Das Erfte, was die Frauenzimmer wiffen, ift, wie
ſchön fie find; das Erſte, was fie lernen, wie ſtark fie find;
das Erfte, was fie erfahren, wie ſchwach fie find; das Erſte,
woran fie vergeffen, wie alt fie find, und das Erfte, worauf
fie fi) wieder erinnern, ift, daß fie das vergeflen haben!
Und doc wohnen alle edlern, fanftern Gefühle nur
im Frauenherzen; bei den Frauen ift die Liebe die Ruhe
des Herzens, bei den Männern die Robot des Herzens!
die männliche Wange wird nur roth durch das Wort, die
weibliche fchon durch den Gedanden! die Frau fucht in der
Liebe nad) Worten für ihre Empfindung, der Mann ſucht
nad Empfindungen für feine Worte; die Frau befigt ihr
Herz blos Einmal, und der Dann befommt das Original.
Jeder Mann hingegen betrachtet fein Herz wie ein Memorial,
er hat ftet8 ein Duplicat davon vorräthig. Selbft der Sturm
des Hafjes zerftört nur Männerherzen, fo wie jeder Sturm
blos in Wäldern Berheerungen anrichtet, nie aber in Blumen.
Wenn der Mann feine Frau nicht liebt, fo mißhandelt er
ihren Kanarienvogel! wenn aber die rau den Mann noch
jo jehr haft, fo fann fie e8 doch nicht verfchmerzen, wenn
er den Kaffee kalt werden läßt.
Ueberhaupt ift der Rüdjchritt von Zorn und Haß,
fo wie von jeder Verflimmung des Herzens zur reinen
Stimmung blos bei den Frauen leicht, nicht aber bei dem
Männern, fo wie eine Flöte leicht zu ſtimmen iſt, aber eine
Pauke jchwer.
16
Betrachten wir den Umftand, wie viele Zafchen ein
Mann in jede Gefellfchaft mitbringt, und daß die Frauen
feine mitbringen, fo find in der Converfation, fo zu fagen,
die Männer fchon vom Schneider angewiefen, mehr ein-
zufteden, als die Frauen.
Welches war in der Welt die erfte Taſche? Gewiß
die Plaudertafche; denn diefe Taſche eriftirte Schon im
Baradiefe, alfo noch bevor e8 gar Kleider gegeben hat.
Hätte Eva mit der Schlange nicht geplaudert, hätte ihr die
Schlange feinen Apfel geboten, und wir wären noch Alle
im Paradiefe.
Die Blaudertafchen und die Bofttafchen haben
durch nichts fo verloren, als durch die Eifenbahnen;
wenn man früher mit fo einer Plaudertafche von Wien nad)
Brünn reiste, hatte fie Zeit und Muße genug, uns ihre
ganze Lebensgefchichte zu erzählen; jeßt, auf der Eijen-
bahn, kommt fie faum dazu, uns von ihren Kinderjahren
zu erzählen!
Dian fagt, das Leben ift eine Reife; ja wohl, früher
lebte und reiste man lange, jegt reist und lebt man fchnell.
E8 wäre recht gut, wenn das Leber eine Reife wäre, aber
jede Frau müßte eine Boftmeifterin fein, denn dann wohnten
fie alle eine Station aus einander, und dann wäre Ruh im
Leben. Es gibt Dienfchen, die blos Poſtillons find, fie gehen
nie einen Schritt weiter, als die zwei oder drei Meilen, die
fie zu machen gepohnt find, dann gehen ſie immer wieder
zurüd und blafen immer wieder dasfelbe Stüd! Jeder
Menſch ift fein ganzes Leben lang ein Poftillon; er führt
u
17
fi) felbft von einer Station bes Lebens zur andern, von
einer Tiebe zur andern, von einem Wunſch zum andern, von
einer Hoffnung zur andern; er fährt immer voll aus und
reitet immer leer zurüd! Er verfpricht fich ſelbſt ein Trink⸗
geld und fagt zu fi: „Schwager, fahr’ gut!” Auf der
Station vertrinkt er’8 und bringt nichts mit zurüd!
M. G. Saphir's Schriften. vi. Bo. 2
Weihnathtabend.
Es iſt ein ſchöner, rührender, heiliger Abend!
Die Menſchen begehen ein Feſt der Liebe! Die Men⸗
ſchen gönnen fich Heute gegenfeitig rende, fie überrafchen
fich mit Freude, mit Zärtlichkeit, mit Gaben der Liebe, der
Freundſchaft, der Imnigkeit! |
Der liebe Bater oben hat die ganze Welt dem Men-
[chen gegeben zu einem einzigen, flebzigjährigen Weihnachts⸗
feſte! Er Hat ihnen das Leben reich befegt, wie einen Weih-
nadıtstifch. Er hat am Himmel angezündet den unendlichen
Ehriftbaum mit goldnen Lichtern, und von dieſem flammen⸗
den Chriftbaum flattern herab ale®nadenbänder des Lebens:
Liebe, Glaube, Hoffnung! Er hat den Menſchen befchert
einen ganzen Tisch voll bunter Gaben: Abendröthen, Mor:
genröthen, Frühlinge, Nachtigallen, Dichtungen, Thränen,
Liebe, Freundſchaft, Neligion, Kunft, Wohlthätigkeit und
taufend andere Dinge, die uns beglüden fünnen! Er hat
den Meenfchen befchert eine große Herzſchachtel vol eitel
Spielzeug, vol güldenem Schnitzwerk, voll flatternden
Wünſchen, vol fladernden Träumen, voll gedrechfelten
19
Hoffnungen, kurz, der ewige Bater des großen Erden-
Waifen - Haufes hat das ganze Menfchen Leben zu einem
einzigen jchönen, heiligen, rührenden Weihnachtsfeſte machen
wollen, zu einem einzigen Tiebeöfefte, zu einer einzigen lauen,
Lieblihen, magifchen, wunderfam gemüthlichen Dämmer-
ftunde zwifchen dem Sonnenuntergange des dies.
feitigen, und dem Sonnenaufgange bes jenjfei-
tigen Lebens! . |
Der Menſch aber hat diejes einzige große Feſtge⸗
ſchenk des Lebens, wie ein Kind, zerbrochen und abgetheilt
in fiebzig Feine, ausgemefjene, vorherberechnete Fefttage! —
Er hat das Geſchenk der unendlichen, ewigen, lebensläng⸗
lichen Liebe zerfpaltet in Kleine Theilchen, in fiebzig Theil⸗
chen, und feiert alle Jahre eine kalte Decembernacht der
Liebe, und findet fic) ab mit den Mebenmenjchen, mit den
Hreunden, mit den Kindern, mit allen Empfindungen, und
vertröftet fie und fich und fein Herz und alle feine Gefühle
auf diefe einzige, Kleine, abgemefjene Liebesſtunde!
Zwiſchen diejen fiebzig buntangeftrichenen, einzeln
ftehenden, auseinandergerifjenen Wegweijern in das heilige
Land der Liebe, in die verödeten Zwifchenräume diejer fiebzig
Zubelninuten ſäet der Menfd) das’ ganze Fahr die Neſſel⸗
faat des Hafjes, die Stechäpfel der Lieblofigkeit, den Schier-
ling ded Neides und taufend andere Giftpflanzen, die das
Glück des Nebenmenſchen zerftören, aufreiben, vergiften.
Dann, wenn er dieſen Raum ausgefüllt hat mit Haß, Ber-
Tolgung, Lieblofigfeit, Stumpfheit, Zerftörung aller andern
Freuden, Berhöhnung aller edlern Empfindung, dann, dann
2%
20
gelangt er alle Jahre einmal an den alten, herfömmlichen,
feit Ewigkeit Hervorgeftedten Pfahl und Wegweifer der Liebe,
und hängt feine Laterne daran, mit feinem Augenblidslicht,
und ftreicht diefen einzelnen Wegweifer an mit Farben und
bunterlei Zeug, und das nennt der Menſch: den Weih—
nachtsabend feiern!
Vergib ihnen, Vater im Himmel! Sie wiſſen nicht,
was ſie thun! Sie gehen wie Blinde durch den ewigen Licht⸗
ranım deiner Huld, fie gehen wie Taube an dem unendlichen
Steomfall deiner Gnade, fie gehen wie Stumme neben dem
ewigen Jubelchor deiner Schöpfung, fie gehen mit einge-
drücter Bruft, mit kurzem Odem durd) deine hochgemwölbte,
ätherflare Welt!
Ic will mich wegwenden von jenen Zifchen, an denen
die berechnende Liebe mit einer ſüßen Weihnadt:
Stunde ihren Nebenmenfchen ein langes, bitteres
Jahr verfüßen will; an denen Herzlofigteit, mit einem
goldnen Geſchenke, feiner Umgebung ein langes, bleiernes
Bahr übergolden will; an denen ein egoiftifche® Herz mit
einem bunten Tand ein da® ganze Fahr hindurch von ihm
graufam zerdrüdtes Gemüth entfchädigen will 1! — — IH
will mich wegwenden von allen jenen Tiſchen, an denen die
wahre Liebe zum Schaugericht, die echte Aelternzärtlichfeit
zum Wlitterfchein, die wahrhaftige Nächftenliebe zum ab-
tropfenden Kerzenflimmer, und felbft die innige Frömmig⸗
feit nur zum vergehenden Parorismus des Augenblides wird.
Ich will hinausgehen und Laufchen an den Tenftern
der Armuth, wo nichts aufbaut, als die Xiebe, wo fein anderer
21
Baum blüht, als der bittere Brotbaum des Elendes, wo
feine andern Kichter brennen, als die brennenden Thränen!
Id) will nein Ohr legen an die Thüre der Waiſen⸗
häuſer, wo die Kinder find ohne Bater und Mutter, ohne
goldene Bejcherungen, ohne gepußte Chriftbäume, ohne
Geſchenke der Zärtlichkeit, der Herzlichkeit! Ich will Hin-
ausgehen in die falten Straßen, und will die armen, kalten,
zitternden Kinder aufjuchen, die um Brot bitten, und die
mit weinenden Augen hineinfchauen in die erleuchteten Säle,
wo die glüdlihen Kinder ſchwimmen im Lichtftrome, und
tanzen um reichbehängte Bäume und mit den glüdlichen
Händchen jubelnd zufammenfchlagen !
Ich will alle jene Tauſende auffuchen, die heute, am
heiligen, frohen, rührenden Weihnachtabend, allein figen,
allein, verlaffen und ungeliebt! Ich will alle Jene auffuchen,
die mit geröthetem Auge und mit blaffen Wangen einfam
figen und weinen! Id} will Jene auffuchen, denen das Glück
nichts gab, gar nichts, und die ihren Lieben, ihren Herz⸗
liebjten, ihren Kindern nichts geben können an diefem heili-
gen Abende, gar nichts! Ich will alle Jene auffuchen, die
bei einem Herzen voll Liebe, voll Sehnſucht, doch ungeliebt
durch’8 Xeben gehen, die heute am heiligen Abend nicht das
fleinfte Zeichen der Liebe erhalten, nichts, gar nichts! Ich
will alle Jene auffuchen, die fern von dem ©egenftande
ihrer Liebe fehnend figen, und ihm nicht zulommen laſſen
fönnen am heiligen Abend, fein Zeichen der Liebe, Fein Wort
der Treue, kein Blümchen, kein Papierftreifchen, nichts,
gar nichts!
22
Ih will alle Jene auffucchen, die den Chriftbaun
und die goldnen Tichter nur für Todte anzuzünden haben,
die alles Theuere da unten haben im Schooße ber Erbe,
und oben im Schoofe des Lichts nichts, gar nichts!
Ale diefe möchte ich aufjuchen und fie mit mir
nehmen, und an mein Herz legen und ihnen fagen: „Kommt
mit mir, ich bin arım wie ihr, allein wie ihr, ungeliebt: wie
ihr, ich habe da unten theure Schäße wie ihr, und oben fo
wenig, ach, fo wenig; ich habe mein Brot mit Thränen ge-
gefien wie ihr; id) Habe meinen Wein. mit Zähren vermifcht
wie ihr; ich bin fchmerzlich und tief verlegt worden wie ihr;
ich trage ein brennendes Sehnen im Herzen wie ihr; ich bin
einfam wie ihr, und abgefchieden von meines Tebens Inhalt
wie ihr; kommt mit mir, ich bin-arm, recht arın, doch bin
ich nicht jo arm, daß ich euch nicht zu Tiſche laden könnte,
zu dem Tiſche meines Herzens, der reich ift, fehr reich an
Liebe, an inniger, herzlicher wahrer Liebe, ber fehr reich ift
an Mitgefühl, ein warmes, Lebenquellendes, lauteres Mit-
gefühl! Und aud) einen Ehriftbaum kann ich euch zeigen,
einen großen, herrlichen, unendlichen Chriftbaum, der euch
Alle tröften, erheben, erfreuen, ermuthigen wird !
Seht ihr da oben am blauen Himmel den großen,
weitgezweigten, goldenblätterigenSternen» Ehriftbaum ? den
hat unſer allgütiger Vater da oben allein für uns, ganz
allein für uns errichtet; ganz allein für uns, die wir heute
nicht figen unter blintenden Girandoles und demantnen
Bäumen, jondern unter diefem großen, myriadenflammigen
Ehriftbaum des ewigen Vaters. Zwiſchen diefen einzelnen
2
Sternen⸗Lampen fchaut der himmliſche Vater mildlächelnd
zu feinen Kindern herunter, und mir hat er vor Bielen
befchert das offene Auge, daß ich durch dieſe güldnen
Zweige durch erblide die halboffene Thürfpalte des befferen
Lebens, und durchſchaue und fehe und höre im ©eifte alle
die flatternden Sonnen» und Freudenklänge und Engel»
züge und Regenbogen und Rofenlauben und wallenden
Geiſter! |
Und diefen leuchtenden, glänzenden, fternenvollen
Chriſtbaum hat Gott an den Himmel gepflanzt, gerade nur
für die, fo einfam und allein zu dem Himmel emporfchanen;
und diefe taufend und abermaltaufend Weihnachtlerzen fun⸗
teln und flimmern gerade nur für den, dem fonft fein anderes
Freudenfeuer im Leben glüht, kein anderes Liebeslicht im
Dajein brennt, und diefeTichter will ich eud) näher bringen,
und ihre Strahlen deuten und euch jagen, wie fie herein
ſchauen in das Leben, wie rettende Götter, wie Friedens-
Engel, wie leuchtende Bürgen ewiger Freuden!
Da oben hoch im Blauen,
Da fteht der große Baum,
Und gold’ne Zweige ſchauen
Herab durch dunklen Raum.
Er breitet feine Aefte
Durch's ganze Himmelhans,
Und Bängt zum heiligen Feſte
Biel taufend Lampen ans.
E
Der Gärtner bleibt im Dunkeln,
Der diefen Baum une gab,
Doch feine Blätter funteln
Mit füßem Licht herab,
Er bat des Baumes Hallen
Mit Lichtern voll beſchwert,
Den Erbenlindern allen
Hat er den Baum beichert.
Denn taufend Gaben drängen
Sid in der Zweige Raum,
Denn taufend Lichter hängen
Herunter von dem Baum.
Der erfte Stern entbrennet
Ganz hoch in feiner Kron'!
Wiſſ't ihr, wie man ihn nennet?
Den Stern der Religion!
Aus diefes Lichtes Reinheit
Erbfüht in unf'rer Bruft
Der Glaube und die Einheit
Und aller Tugend Luft!
Ein zweiter Stern glühet
Am Baume, lieblich friich,
Der Stern der Liebe blühet
Am Sternen »- Weihnachts - Tiih!
—2
Aus dieſem Strahlenkerne
Wird uns das fühe Licht,
Das in dem Angenfterne
Nur mit dem Tode bricht!
Ein dritter Stern funtelt,
Der Hoffuungs- Stern genannt,
Der, wenn das Glück verdunfelt,
Doch tröftend ift entbrannt.
Und diefes Licht der Gnade, .
Das nie verblühen kann,
Berleiht die ew’ge Gnade
Auf Erden jedem Mann!
Ein vierter Stern aud) leuchtet,
Wie Mädchen - Angeficht,
Wie Rofe, thaubefeudhtet,
Die aus dem Neke bricht:
Der Stern der Unſchuld glänzet,
Erglühet wie die Braut,
Wenn fie, das Haupt befränzet,
Dem Bräut’gam fidh vertraut.
Und taufend and’re Sterne
Erblühen beilig da,
Und fcheinen fie auch ferne,
So find fie uns doch nah‘.
26
Denn wo nur eine Waiſe
Berlafien, einfam feht,
Wo auf der Lebens Reife
Ein Herz ganz einfam geht:
Wo nur ein Herz fih fammelt
Und traut dem Sternen- Schein,
Und wo ein Mund nur ftammelt:
„Ad, Bater! dente mein!”
Da werden fie vertreten
Bon ihren Sternen fon,
Und ihre Sterne beten
Kür fie an Gottes Thron!
Die falfıe Freundin
Dos man fich auf die Freunde nicht verlaflen kann, ift
eine betannte Sache. Mit einem Freunde darf man ed nicht
genan nehmen; mit einem Freunde macht man keine Um⸗
ftände; ein Freund nimmt nichts übel; unter Freunden
herriht kein Zwang; und noch andere gute Sprücheldhen
geben unfern Freunden ein Recht, mit uns grob, unver
ſchämt, wortbrüdig, fahrläffig, geringfchägig zu verfahren.
Die Menfchen Haben alle Höflichkeit, Artigleit, Liebens⸗
würdigkeit nur für ihre Feinde, mit den Freunden ift man
grob, kalt, nachläffig u. ſ. w.; denn, mein Gott, es find ja
gute Freunde!
Wil man Etwas ganz ficher beſtellt wiſſen, ſo laſſe
man es nur durch keinen Freund beſtellen, denn der beſtellt
es gewiß nicht; weil er weiß, wir ſind blos ſein guter Freund,
was ſchadet's, wenn er's vergißt! — Will man ſich Geld
ausborgen, nur von keinem Freund, denn der hat den Grund⸗
ſatz: meinen Freunden leih' ich fein Geld, das macht Miß-
helligkeit! — Will man wo zu Mittag fpeifen, nur bei
feinem Freund, denn der hat den Grundfag: ein guter
Freund muß mit Wenigem vorlieb nehmen! — Will men
Jemandem Etwas anvertrauen, nur feinem Freund, denn
28
aus lauter Freundfchaft fährt ihm das Geheimniß aus der
Lippe! — Will man einen fleigigen Mitarbeiter, nur feinen
Freund, denn ber gibt Andern das Gute und uns das
Schlechte, denn wir nehmen’s ja auch ſchon aus Freund⸗
ſchaft auf. —
Kurz, es gibt nichts, was uns im Leben mehr genirt,
als die ſogenannten Freunde!
Aber daß man ſich auf eine Freundin nicht ver-
laſſen kann, das iſt neu, das iſt unerhört, das iſt zum ver⸗
zweifeln. Das weibliche Geſchlecht hat unter verſchiedenen
Tugenden, die es vor dem männlichen voraus hat, gewiß
aud) einen innigeren Sinn für Freundschaft voraus.
“ Ein Frauenzimmer von Geift und Herz ift eine treuere, be=
währtere Freundin, fie bringt mehr Opfer, fie fühlt mit
und aufrihtiger und anhaltender, als cin Mann. Die
Männer find in der Freundſchaft, wie im der Liebe, vor-
fihtig, die Frauen find in beiden nad fichtig. Wenn id)
fage Frauen-Freundfchaft, fo verftche ich darunter Freund⸗
{haft zwifchen zwei Frauenzimmern; denn von der
Treundichaft zwifhen Männern und Frauen hab’ id)
feine große Idee; da ift die Freundſchaft ſtets auf dem
Sprung, denn von der Freundfchaft zur Liebe ift nur ein
Sprung. In der Natur gibt e8 zwar feinen Sprung, jagen
die Naturforfcher, welche jetzt alle Jahr felbit einen Sprung
machen; allein der Sprung von Freundſchaft zur Liebe ifl
felbft Natur! Es gibt in diefer Natur einen Borfprung
und einen Rückſprung; ber Sprung von ber Freundjchaft
zur Liebe ift ein Borfprung, der Sprung von der Liebe zur
7
29
Treundfchaft ift ein Rückſprung. Die Männer find geborne
Springer, fie fpringen vor und zurüd, fie find wahre
Gymnaſtiker; die Frauenzimmer überfpringen mehr, fie
fpringen felten in bie Freundſchaft zurüd, ſondern über
ſie hinüber — zum Haß!
Alſo, ich empfehle Jedem eher eine Freundin, als
einen Freund!
Und doch! — und doch! — doch hat ſie mich getäuſcht,
verlaffen, in der Noth verlaſſen! —
Ich habe ſeit langer Zeit eine theure, werthe Freun⸗
din, eine liebenswürdige Freundin, und jetzt, heute, heute
verläßt ſie mich zum erſten Male!
O, fie iſt ſchön, und reich, und jung! Zu ſchön für
eine reiche Freundin, zu reich für eine fchöne Freundin, und
zu jung für Beides!
Es ift die Morgenftundel die Freundin der
Diufen!
Morgenftunde hat Gold im Munde ! Meine Morgen-
ftunde hat ein ganz Kleines Mündchen, das ift eine Schöne
heit! Sie half mir immer, wenn id) mid) in ihren Arm warf;
fie half mir arbeiten, fie weinte, fie lachte, fie fcherzte mit
mir! Kurz, e8 war meine Kaffeeſchweſter! — Cest
tout dit! —
Wenn ich Abends zu Bette ging, und nicht wußte,
wie ich übermorgen mein Blatt druden laſſen follte, fo ver-
ließ ic) mich auf meine Freundin, die mir morgen mit dem
Zeitlichften ſchon Helfen wird; und fie half immer.
Und jegt, und jett!
30
.. Sch wollte, der Leſer könnte mich jet fehen, mich,
meine Schlafmüge und die Morgenſtunde, wie wir da figen
and Maulaffen feil haben! |
IH brauche große Schrift für den Humoriften, fage
ich der Morgenftunde;; fie reißt da8 Maul auf — es ift fein
Gold darin, fie gähnt! — zur Genefung!
„Freundin!! Aurora!! Musis amica!!!: Hitf, jteh’
mir bei!“
„Kann diefer Aufſatz Wien nicht erreichen,
So muß der Humoriſt mir erbleichen!“
„Nur dieſes Mal gebt mir ein Maulvoll Mufen-
freundichaft!”
WVergebens! Die Morgenſtunde macht ein Schafs⸗
geſicht! Iſt das Freundſchaft?!
| Ic ſchenke der Morgenſtunde nun fchen die vierte
Taſſe Kaffee ein, ich füttere fie mit den frifcheften Butter-
bemmchen, fie ſchweigt, fie jpricht nicht, fie hat heute Fein
Bischen Freundſchaft für mich!
Auch du, meine Freundin Aurora ?!“
Ic habe fo ſchöne Auffäge angefangen:
„Ueber die Kunft, fich aus der Ferne redt
nah’ zu geh'n.“ — „Wann find die erftien Maul-
würfe nad) Deutfchland gekommen?“ — „Was
wird mit Büſchings Erdbeſchreibung gefchehen,
wenn die Welt zu Grund geht?" — „Wenn eine
Frau ftumm ift, wie widerfpridt fie ihrem
Manne?" — „Ift das Cis von „Cis-cis-beo“, oder
31
das gis von „ghin-gis-chan* von größerm Ein:
fluß auf bie Harmonie in der Ehe?“ u. f. w.
Aber alle mußte ich vor der Hand unbemerkt Laffen,
denn meine Freundin ift falſch und verläßt mid)!
Ich muß alfo alle jene ſchönen Sachen ein anderes
Mal zu Ende fchreiben; ob du dich aber darauf verlaffen
fannft, mein Lieber Leſer, weiß ich nicht, denn ich bin dein
Freund!
Frühling und HJerbſt.
D. ſchöne Stern Mars liebte, er liebte das Sternbild:
die Venus. |
Er liebte wie die Götter lieben, aber fte liebte wie
die Menſchen lieben, menfchlich, mit allen menfchlichen Lei-
‚den und Yreuden. |
Sie Iuftwandelten duch den unendlichen Raum, und
er führte fie von Geftirn zu Geftirn, und die Gluth und das
Teuer diefer Geftirne machte ihn ftolz und ſchwellte feine
Bruſt. Sie aber ſehnte fich nad) einem mildern Wefen, das
nicht lodert und nicht brennt, und das die Thräne in ihrem
Auge nit aufſaugt mit heißen Strahlen. Und fie bat den
Mars, daß er in einem Kleinen Plätzchen des Aethers ein
Geſtirn hervorbringe: ein Öeftirn, das blos Licht empfängt,
wo es milde ift, wo die Luft nicht fo dünn, und wo die
Elemente in weicher Miſchung regieren. Und Mars ſchuf
im unendlihen Raume eine große Kugel, und nannte fie:
Erde, und gab fie ihr zum Brautgefchent. Und die Benus
freute fi innig, ald die junge Erde zu ihren Füßen hin-
rollte, und als fie ihr in mildern Strahlen wiedergab ven
Strahl der Sonne; und Venus lächelte der Erde zu, und
auf diefes Lächeln wurde es Frühling auf der Erde; und
Benus träumte bunte Dinge von ihrem Brantgefchenfe,
33
Erde, und diefe Träume wurden zu Blumen, und ſchmückten
die Erde; und Venus lispelte fofende Worte aud dem
Schafe, und die kofenden Worte wurden zu Nachtigallen
und zu Lerchen und zu flatternden Schmetterlingen, und
als fie erwachte und die Erde ſah mit ihrem Frühling, mit
ihren Blumen, mit ihren Nachtigallen, da füllte ſich ihr
Auge mit einer himmlifchen Thräne, und die Thräne fiel
herab, und vermifchte fi) mit einem Körnchen Erde, und
daraus wurde der Menſch. Und Venus kam wieder zu
Mars, und zeigte ihm das fonderbare Wefen, mit einem
Bart um das Kinn, mit hoher Stirne, mit ftarlen Schultern,
und Mars warf einen Funken aus feiner Bruft herab, und
er fiel in die Bruft des Menfchen, und da wurde ein rother
Quell, ein glühender, ein Hopfender!
Und Benus ſah, wie der Menſch umherirrte aufihrem
beblümten Brautgefchent, und wie er einft jaß am hellen
Bade und fich in der Fluth fah, und nicht begreifen fonnte,
wie dies gejchehe und was es jet, und wie er fid) immer
ſehnte nad) feinem Schatten Ich. Da fann die Schöne Venus
nad), und blicte freundlich nieder auf die Erde und fah fid)
jelber im Aether ſpiegeln, und fehuf ein zweites Wefen nad)
ihrem eigenen Yether-Spiegelbild, ein ſchwaches, kränkliches
Geſchöpfchen, ein füßes, ſchwaches Wefen, und als ber
Menfd) entfchlief, legte fie das Liebliche Püppchen ihm zur
Seite nieder. Da neigten fi) die Blumen neugierig über
das Haupt der neugebornen Schläferin, und das junge
Roth der Rofe, und der Schnee der Lilie blieb an ihren
Wangen hängen ; und das Blau vom Bergigmeinnidht ftahl
M. ©. Saphir's Schriften. VI. Pr. 3
34
fich durch die gefchlofjenen Wimpern; und dev Zephyr Fam,
um das neue Gefchöpf zu begrüßen, und fein zartefter Haud)
ftahl ſich als Seufzer in ihre Bruſt; und die Nachtigall
kam, um fie zu begrüßen, und die Sehnfucht diefer Töne
fenfte fich in ihr Herz ;und allefleinen Erdgeiſter wimmelten
hervor, um ihr Haupt, und füllten e8 mit Wünfchen, Hoff-
nungen, Begehrungen, Tändeleien, mit eitlen Gedanken,
und mit Narrenpoffen, mit Grillen und mit Zartheiten,
mit Lächeln und mit Thränen, und fie erwachte als
das Weib! | |
Der Menſch umfchlang fie, und als er den erſten
Laut von ihren Lippen hörte, den erften, menjchlichen Laut
don einer andern Xippe, da ſuchte feine Lippe diefe Lippe
und — fo ward der erfte Kuß!
Die Benus aber freute fic) über ihre beiden Puppen,
und fie fagte: „liebt euch!” Da fingen fie an zu weinen,
zu lachen, zu plaudern, zu ſchweigen, zu ſeufzen, zu träumen,
närrifches Zeug zu Sprechen, zu fingen, fich zu fuchen, fid)
zu fliehen, mit fich felbft zu reden, in den Mond zu Schauen,
finftere Zaubgänge zu fuchen, und, mit dem Kopf auf die
Hand geftütt, den Nachtigallen zu lauſchen; erzürnte, wenn
fie tanzte, fie ſchmollte, wenn er fang; fie neckten fich, flohen
fi), verfühnten ſich — und weinten die erfte Thräne!
das war die Tiebe, und das war der Frühling!
| Mars aber fah diefes Glüd des Mannes, und die
Venus das Glüd der Frau, und fie wurden eiferfüd-
tig; denn die Götter und die Geſtirne Tieben ohne Thränen,
ohne Seufzer, ohne Sehnfucht, fie lieben ohne Eiferfudht,
Rn.
35
ohne Bitterkeit, und e8 ift Liebesſüßigkeit ohne viebesbit—
terfeit. Da fchlenderte Mars einen zweiten Funken in die
Bruft des Menfchen, und der rothe Quell fing zu fochen
an. Das Blut in diefer Lebens - Cifterne brodelte und
wallte, in den Adern ram e8 glühend Heiß; die Sehnjucht
wurde zur Begierde, der Scufzer zum Wunſch, und der
Wunſch zur Begehrung; die zwei erften Weſen fanfen auf
filberweiße Blumen hin, und als der Vorhang der Nacht
von dem Blumenbeete wegflog, eriwachte da8 Weib, das
brennende Roth war von ihren Wangen entwichen, und
hatte fich in die Blumen gezogen, auf denen fie ruhten, und
fo ward die erfte — brennende Liebe!
Die himmliſche und reine Venus aber fah herab auf
ihre Puppen, und fah daß fie fie gebrechlich ſchuf, und daß
der Gdttertraum der Liebe von den Menſchen nicht weiter
geträumt werden fönne, daß die Natur der Menfchenlicbe
zu Schön ift, un cwig zu fein, und daß fie ftirbt den aroma-
tifchen Tod durch den füßeften Duft der eigenen Blume;
und fie trauerte tief und zog die Blumen wieder von .der
Druft der Erde, und fchüttelte die Bäume, daß die fallen»
den Blätter das fchambededte Antlit der Erde verdeden,
und hieß die Nachtigallen verfiummen und weiter ziehen,
und das war der erfte Herbft!l
Alljährlich aber erinnert ſich Venus ihrer kleinen
Spielfugel, der Erde, und fie wirft einen Liebenden Blid
anf fie, und eine Thräne ber Erinnerung an die Iugenbzeit
der Erde und an den Göttertraum der Menfchenliebe fällt
auf die Erde und aus biefer Tiebeserneuerung gieft fich ein
3%
36
feliges Leben über die Erde aus. Die Blumen jauchzen her=
vor, die Nachtigallen jubeln, die Bäume haudyen in ſüßem
Blüthenfchaume ihre Wonne aus, die Ströme und Bäche
jagen wie luftige Kinder durd) die Fluren. Schmetterlinge
und Zephyre gaufeln um die entfefjelte Bruft, und die Dien=
chen jagen dann: Es ift wieder Frühling! Und ein
Liebesfrühling geht auf in den Herzen, in den Augen, in
den Blumen, in den Nachtigallen und in den Liederklängen!
. Das erfie Concert-Beilden,
Gin Dampf-Tubelgefhreizum Beginn der Goncerte
Si gegrüßt, o du November,
Die Eoncerte machſt du flott;
Das entzüdt den Magyar Ember, .
Das entzüdt den Hottentott!
Du beginnft den großen Reigen,
Heut‘ in dulei jubilo!
Flöte, Horn, Piano, Geigen,
Harfe, Haddret, Holz und Stroh!
Chor.
Gaudeamus Wunderfinder!
Gaudeamus Kraftgenie!
Gaudeamus Geigenſchinder!
Gaudeamus Kikeriki!
Seid gegrüßt, ihr Muſikanten!
Sei gegrüßt, Concert-Billet!
Morgens reißen Dilettanten
Zeitlid) uns fhon aus dem Bett!
Und auf einem blauen Zettel
Stehen dreizehn Muſikſtuck',
‘Leder fpielt den eig'nen Vettel,
Und verachtet Mozart, Gluck!
234
Wenn bei einer Ehefrau Teuer im Dache ift, das
heißt im Kopfe, fo find alle Bernunftgründe dagegen wie
die Töfcheimer, fie kommen voll an und gehen leer zurüd.
* *
*
Die Menfchen find wie die Zeitung n: wenn eine
ſchlechte That gefchieht, ein Frevel, eine ſchauderhafte That,
davon reden fie lange und ausführlich; wenn eine gute That
gefchieht, fo wird fie faum ermähnt.
* *
*
Das Licht ift die Schwefter des Berftandes, die
Sinfterniß die Gebieterin der Sinne, und die Dämme-
rung die Bertraute de8 Herzens.
* *
*
Sm der Ehe hat dr Mann nur einen dreiſpitzigen
weiblichen Seufzer-Reim:
Schneiderl
Kleider!
Leider!
Uud die Frau einen Dito männlichen Seufzer—
Reim:
| Ihm ift nur Werth,
Cigarre oder Pferd
Und — — mas ihm nicht gehört!
* *
*
235
Die Satyre gehört ins Schreibzimmer, die
Laune ins Speifezimmer, die Höflichkeit ind Be-
fuhzimmer, der Wis ins Gefellfchaftszimmer,
und die Wahrheit — ins Schlafzimmer!
* *
*
Kein Menſch lebt davon, daß der Andere etwas
weiß, viel Tauſende leben davon, daß die Andern nichts
wiffen: wenn man alfo die Unmwifjenhetitbefördert,
jo ift das nichts, als reine Näcjftenliebe und Sorgfalt für
einen großen Nahrungsziveig.
* *
*
„Die Falten aufder Stirne find Särge ohne Dedel,*
fagt ein genialer Humorift. Ya, in jeder ſolchen Falte liegen
theuere Zodte begraben; allein die ganz Fleinen Sorgen
ftiche, die ganz dünnen, dünnen Linien, aus dem Bauriffe
des Grames, auf dem menfchlichen Antlig, erfüllen ung
mit mehr Wehmuth, als die tiefen Furchen und Einfchnitte,
fo wie der Anblid eines Kinderfarges ung mit mehr Weh-
muth erfüllt, als die großen Särge der Erwachſenen.
a aa 7 7 Du u vn
Ende bes fünften Vandes.
Inhalt
des fünften Bandes.
Seite.
m Aw⸗
Humoxiſtiſche Vorleſungen.
Luft, Feuer, Waſſer, Erde, oder: die vier Erden⸗Elemente
und noch ein Himmelstaufend-Element . . . . .
Konditorei des Jokus. Die Organe des Bieh-Gehirnes.
Eine Carnevalsſchwank-Vorleſung über die Schädel-
lehre der Schafe und Odhien - - » .» 2.22. .
Nagelneue Variationen auf die vier Web (W) des Lebens:
Wein, Weiber, Wi und Wahrheit... ... -
Die egyptiſche Finfterniß bei Gasbeleuchtung und der
Ochs in der Laterne. Eine humoriſtiſche Olla Potrida
Vorlefung eines Zuder-Rohres über den gänzlichen Mangel
aller Romantik, gehalten in einer Gefellfehaft von
jungen Runkel-Rüben.
Rokettir - Wovellen,
Die Fenſter-Linie.
Bluetten aus meiner Reife- und Sammel- Mappe. Liebe
und Zahnweh - . 2 2 2 een.
Der zmweideutige Regenſchirm. Ein Abenteuer mit naffem
Anfange und trodenem Ende . . . 222.0.
Die Brieftaube > 2 oa oo rn
Volksthümlicye Reden nnd Anshängfdilder.
I. „Zur fohönen Seele.” Put- und Modewaaren-
Handlung der Frau Beicheidenheit . . x»... -
238
Seite.
Yu
. II Zu den drei Faufern: „Sugend, Schönheit und
Liebe.“ Specerei- und Delifateffenwanren - Hand»
lung des Lebens . . 2 2 2 20. 94
II. Mädchenherz, Mädcenftiub und Mädchenſchrein,
müffen aufgeräumt al’ dreie fein! . .. 2... 101
- IV, Da müßt! e8 gar viel Kleifter geben, wollt! man
aller Leute Maul verkieben! . -. ». 2. 2 2 22... 106
V. Oft oder Welt, Ball oder Feſt, daheim in dem Neft,
is Mädchen am Bell!. ..... en 113
VL Nach Regen folgt Sonnenfhein . ». .» ..... 118
VD. Die Kunſt des Shmollen® . ... 2: 2... 1%3
VII. Käfbernes mit Champignons . . . 2: 220... 128
IX. Reunion und Converfation in den Lofalitäten des
weiblichen Herzens : - 2 2 2 en 134
X. Frühlings-Eur der Sommerjproffen, für den Herbft
und Winter des lebens . - : : 2 2 000. 139
XI. Unfer Herrgott grüßt alle Augenblid, kein Menſch
baut Ähm! » > 22 Ko Er nne 144
XII. Ruf’ nicht eber -Fiſch, Fiſch!“ als bis er auf dem
Tiſch....... . 148
Geure-Bilder, Iokofes und Sentimentales.
Die Whiftparthie mit vier Honneurs, drei Kindern, zwei
Möpfen und einer Fihtihere-. . - - 22... 163
Naturgeſchichte der Mädchenjahre,
1. Die Luftfchlöfferiahte. . - - . .» FE 181
2. Die Kartenhäuferjahre - - - 2 20. 183
3. Die Sausmannsjahte - - -» >» > 2200. 184
4. Die Strohütteniahte - - - - : 2 222. 186
5. Die Berzweiflungsiahre- - - - > 2000. 187
6. Die „Hol's der Zeufel!"»- Jahre... .... 188
Deine Leiden durch die Weibertreu von Weinsberg . . . 190
Va-banque, der Visite de reconnaissance. . . .. . . 197
239
Seite
Va-banque, Stammbud) und Album . -: ».. 2... 201
Va-banque, ben Thräuen . ». » 222 220. 204
Der deutfche Literatur-Waldd. 209
Sol man zu früh oder zu fpät in Gefellihaft gehen?
Eine Lebensfrag.... 213
Höchſt rührender, nichts defto minder höchſt menfchlicher,
und nichts defto minder höchſt einleuchtender Vor—⸗
ihlag, Blan und Bauriß zu einem „Gegen-Thier-
quälereisBerein“, wie er fein fol, im ganzen Umfange
der idealiftiichen VBollfonmenheit - » - ... . . 219
Die Knnſt, einzufchlafen, oder: Die Kunft, fich ſelbſt Zange-
weile zu mahen -. - 2: 2: 202 225
Seifengedanfen während des NRafirend . -» 2»... 231
M. ©. Suphirs Schriften.
ö—— ů;
Cabinets⸗Ausgabe
in zehn Banden.
Ausgewählte Schriften.
Don
M. G. Saphir.
Dritte Auflage.
Schöter Band,
Brünn und Wien,
Berlag von Fr. Karafiat.
1865.
Druck von Georg Guftl in Brünn.
Genre-Bilder,
Jokoſes und Sentimentales.
Taſchen Coder und Spruchbüchlein eines ſihlichten
Praktikers.
et jeden Augenblick bereit, alle Menſchen auszu⸗
lachen; denn ſei überzeugt, ale Menfchen find jeden
——— bereit, dich auszulachen, und da alle
Menſchen um viel Menſchen mehr ſind, als du, ſo
ſteh' alle Tage ein paar Stunden vor Tags auf, um alle
Menjchen auszulachen.
* *
*
Wenn dir ein vornehmer Mann etwas verſpricht, ſo
lerne ein Handwerk und verlaß dich d'rauf.
* *
*
Wenn du ſchön biſt, ſo ſchau' alle Tage viermal in
den Spiegel, zweimal dir zu Liebe, einmal, um zu ſehen, wie
du ausſiehſt, wenn du in den Spiegel ſiehſt, und einmal,
8
weil jeder Menſch doch einmal des Tages in den Spiegel
fehen ſoll; bift du aber häßlich, fo ſchau' alle Zage fünf
mal in den Spiegel, zweimal aus Buße, einmal, damit
du nicht vergefien follft, wie du ausfiehft, und wieder zwei⸗
mal, damit du ja nicht in Verſuchung kommſt, zu glauben,
ein Frauenzimmer liebe dich deines Gciftes wegen.
% %
*
Wenn an einer Table d’höte die Schüſſel an did)
fommt, fo genire dich nicht, und ſuche, To Lange dur’ Fannft,
nach dem beften Biffen; denn fei verfichert, wenn die Schüffel
an den Nachbar kommt, fo fucht er fi) gewiß den beften
Biflen aus.
% *
*
Wenn du viel gearbeitet haſt, und ſehr ermüdet biſt,
ſo geh' Abends nicht ins Theater; denn ſei verſichert, du
wirſt ohnehin ſchlafen.
*
Wenn deine Frau dir ſchmeichelt, ſo greife ſchnell in
die Taſche; denn ſei verſichert, ſie will etwas.
%° %
*
Wenn ein Mann dir ſchmeichelt, ſo verzeih' ihm nur
gleich im Stillen; denn ſei verſichert, er will dich betrügen
oder er hat dich betrogen.
* *
*
J
Wenn ein Bekannter dir begegnet und laut ausruft:
„Ach, mein Theuerſter!“ ſo komm' ihm nur gleich mit der
Frage entgegen: „Ich bitt' Sie, haben Sie nicht
fünf Gulden bei ſich? denn ſei verſichert, er wollte
dich um dasſelbe fragen.
* *
*
Wenn du von einem Recenſenten gelobt ſein willſt,
ſo mache ihm ein Geſchenk; denn ſei verſichert, ſo was
hilft immer.
* *
*
Wenn du einem Recenſenten etwas ſchenkſt, ſo ſchenke
ihm baares Geld; denn ſei verſichert, da triffſt du ſeinen
Guſto gewiß! |
* *
*
Wenn du einen Künſtler lobſt, ſo lob' ihn nie auf
Credit; denn ſei verſichert, wenn er einmal gelobt iſt, ver⸗
gißt er dich!
* * *
Wenn du den Kopf zum Fenſter hinaus ſteckſt, ſo
thue es nie, ohne die Obrigkeit zu preiſen; denn ſei ver-
fihert, wer über dir wohnt, würde dir, wenn feine Aufficht
wäre, gewiß gerne einen Topf Waffer über den Kopf gießen,
auc wenn er gar nicht weiß, wer und was du bift.
* *
*
10
Im Theater kokettire immer mit fünfundzwanzig
Brauenzimmern auf Einmal; denn ſei verfichert, zehn koket—
tiren mit dir, um fic über dich Iuftig zu machen; fünf, um
ihre Nachbarin auf den „eingebildeten Laffen“ aufmerffan
zu machen, fünf aus Eitelfeit, zwei aus Dummheit und drei
aus Inftinft, alle fünfundzwanzig aber nod) einmal aus
Langeweile, und alleweil bleibt doc) etwas Kleben!
* *
*
Trau' der ganzen Welt ſo wie dir; denn ſei verſichert,
der Menſch ſoll ſich ſelbſt nicht trauen.
* *
*
Wenn du in der Gunſt des Publikums ſteigſt, ſo
denke an Eulenſpiegel und weine; denn ſei verſichert, du
wirſt wieder herunterſteigen.
* *
*
Wenn dir ein Frauenzimmer ſagt: „Du haſt mein
Herz erſchüttert!“ ſo glaub's und — bau' nicht darauf;
denn ſei verſichert, auf einem Boden, der einmal erſchüt—
tert iſt, ſoll man nicht bauen.
* *
*
Wenn du alle Augenblicke erinnert wirſt, daß du
eine Frau haſt, ſo thut ſie dir weh; denn ſei verſichert, man
wird nur an jene Gliedmaßen von ſelbſt erinnert, die Einem
weh thun!
* *
*
11
Ein gutes Gewiſſen fchläft auch auf einem Baums
ſtrunk! D’rum ſchaff' dir feine Baumftrunfgandlung an;
denn ſei verfichert, fie bleiben dir über den Hals!
* %*
*
Kaufe nie Etwas zu einem „feitgefeßten Preis“;
denn fei verfichert, wenn der Preis ehrlich wäre, hätte
man ihn nicht feftgefegt.
*
*
Wenn du einem Trauenzimmer unter den Hut fehen
willft, und e8 fenft den Kopf, als ob e8 Etwas auf der Erde
ſuche, fo grüble nicht weiter; denn fei verfichert, wenn es
ſchön wäre, e8 würde zum Himmel hinaufgefehen haben,
ob e8 nicht vegnet.
Tafıhengedanken- und Gedankentafcyen-Spielerei.
Die Kunſt, zu leben, iſt nichts, als die Kunſt der Taſchen—
ſpielerei: die Kunſt, aus andern Taſchen in ſeine zu
ſpielen; die Kunſt, die Leute in den Sack und ihr Geld
in die Taſche zu ſtecken.
Diie Taſchen des Menſchen find feine Laſter. Bei den
Spartanern wurde nichts geftohlen, und warum? Weil fie
feine Tafchen in ihren Kleidern hatten. Wenn die Sparta
ner, wie wir, zwei Weftentafchen, zwei Hofentafchen, drei
Bradtafchen und fünf Oberrodtafchen gehabt hätten, fie
hätten auch mehr geftohlen. Eine jede Taſche ift ein genähtes
Fragezeichen anden Schneider: „Wozu haftdumich ge-
macht?” ein Ausrufungszeichen an den Befiger: „Ach
Gott!“ und ein großer Gedankenſtrich an das Schidfal,
welcher fagt: „Das Mebrige fannft du dir denken!“
Eine jede lecre Taſche ift nichts, als das zueignende Für-
“ wort: „Mein“ mit Leinwand überzogen, und jede volle
Taſche ift nichts, als ein großes Bewußtfein in Tafchen-
format!
Mit den meiften Tafchen ift e8 wie mit dem Mond,
fie find ale Monat einmal voll, einmal leer, und wenn
n 1
13
gar fein Geld, feine Münze und kein Schein in der Taſche
iſt, das ſind die Mondesfinſterniſſe, aber die ſicht baren!
Mit den vielen Taſchen geht's uns jetzt wie mit den
vielen Wörterbüchern: je mehr wir haben, deſto weniger
finden wir den Artikel d'rin, den wir eigentlich ſuchen.
Ein Menſch mit allen feinen Taſchen jetzt iſt wie das Con⸗
verſations-Lexikon. Sucht man das Geld in der Weſten⸗
taſche, ſagt fie: ſiehe „Bruſttaſche“, kommt man zur Bruſt⸗
taſche, ſagt ſie: ſiehe „Brieftaſche“, kommt man zur Brief⸗
taſche, ſo heißt's: „ein Weiteres über dieſen Gegenſtand
ſchlage man im Münzweſen nad!“ Wir haben alle Hände
voll zu thun, um die leeren Taſchen auszufüllen, mit den
leeren Händen nämlich.
Warum trägt der reiche Mann ſeine Hand in der
Taſche, und warum der arme Mann?.Bei dem reichen
Mann bittet da8 Geld in der Tafche, es nicht hinauszu-
ftoßen in die Welt unter Arne und.Hilflofe, und da gibt
der reiche Dann gerne die Hand darauf; — bei dem
armen Mann bittet da8 fein Geld um Berfchwiegenheit
und der arme Man ift fo gut und hält's unter der
Hand! —
Es ift eine homöopathiſche Eur, wenn man einer
leeren Tafche eine leere Hand einzunehmen gibt.
Aber in den Taſchen felbft, welch’ ein Unterfchied,
weldye Abftufungen von der Brufttafche bis zur Patron-
tafche, von der Uhrtaſche bis zur Maultaſche!
Die Brufttafche trägt der Menſch auf der linken
Seite, gerade über dem Herzen! Wenn nur die Taſche auf
14
der Bruft recht voll ift, fo darf die Bruft unter der Taſche
recht Icer fein, man darf doch von der Bruft weg reden!
das ift dann ein leichtes Leben, wenn Einem da fo recht ſchwer
auf der Bruft ift! In der Brufttafche iſt's gerade wie in
der Bruft felbft! Wie vielen Menſchen liegt das Herz mehr
in der Bruſttaſche, als in der Bruft ſelbſt; man könnte jagen,
das Herz ift ihnen aus der Bruft in die Taſche gefallen.
Das Geld wohnt in eben fo verfchiedenen Weifen in ber
Taſche des Menfchen, als die Gefühle in der Bruſt der
Menſchen.
Bei manchen Menſchen zum Beiſpiel ſteht die Liebe
als Schildwache in der Bruſt, und wartet ſehnlichſt auf
Ablöſung, bei Andern liegt ſie als feſte Garniſon, und bei
noch Andern ſteckt ſie blos als Baugefangene in den tiefſten
Kafematten; fo iſt es auch mit dem Geld in ber Bruſt⸗
taſche: bei manchen Menfchen ift’8 als Zafchenfpielftüd da,
fie find Rünftler darin, da8 Geld Schnell verſchwinden
zu lafjen, und bei Undern ift es blos lebensläng—
licher Arreftant! In der Bruft des Dtenfchen, der fein
Herz in der Brufttafche Hat, Liegt eine große Vorliebe zu
Bruftftüden, aber fie müfjen von gekrönten Häuptern und
auf Metall geprägt fein!
Der Menſch liebt den Menfchen überhaupt mehr ale
Bruftftüd, denn in Lebensgröße, d’rum wenn die
Männer ein weibliches Herz gewinnen wollen, fo machen
fie ſich felbft zu Bruchſtücken, indem fie niederfnien und jo
die Füße einziehen. Die Frauenzimmer glauben dann, fie
hätten gar feine Füße, und fönnten ihnen nicht davon laufen.
15
Allein die Männer Enten blos deshalb lange, um dann aus⸗
geruhte Füße zum Davonlaufen zu haben.
Das Erfte, was die Frauenzimmer wiſſen, ift, wie
ſchön fie find; das Erfte, was fie lernen, wie ſtark fie find;
das Erfte, was fie erfahren, wie ſchwach fie find; das Erfte,
woran fie vergefien, wie alt fie find, und das Erfte, worauf
fie fid) wieder erinnern, ift, daß fie das vergefien haben!
Und dod) wohnen alle edlern, fanftern Gefühle nur
im Frauenherzen; bei den Frauen ift die Liebe die Ruhe
des Herzens, bei den Männern die Robot des Herzens!
die männliche Wange wird nur roth durd) das Wort, die
weibliche ſchon durd) den Gedanden! die Frau fucht in der
Liebe nad) Worten für ihre Empfindung, der Mann ſucht
nad) Empfindungen für feine Worte; die Frau befitt ihr
Herz blos Einmal, und der Mann befommt das Original,
Jeder Mann hingegen betrachtet fein Herz wie ein Memorial,
er hat ftet8 ein Duplicat davon vorräthig. Selbft der Sturm
des Hafjes zerftört nur Mlännerherzen, fo wie jeder Sturm
blos in Wäldern Verheerungen anrichtet, nie aber in Blumen.
Denn der Mann feine Srau nicht liebt, fo mißhanbelt er
ihren Kanarienvogel! wenn aber die Frau den Mann noch
jo jehr haft, jo kann fie e8 doch nicht verfchmerzen, wenn
er den Kaffee kalt werden läßt.
Ueberhaupt ift der Rüdjchritt von Zorn und Haß,
jo wie von jeder Verſtimmung des Herzens zur reinen
Stimmung blos bei den Frauen leicht, nicht aber bei dem
Männern, jo wie eine Flöte Leicht zu ſtimmen ift, aber eine
Pauke fchwer.
16
Betrachten wir den Umftand, wie viele Zafchen ein
Mann in jede Gefellfehaft mitbringt, und daß die Frauen
feine mitbringen, fo find in der Converfation, fo zu fagen,
die Männer ſchon vom Schneider angewiejen, mehr ein-
zufteden, als die Frauen.
Welches war in ber Welt die erfte Taſche? Gewiß
die Plaudertafche; denn diefe Taſche eriftirte fchon im
Baradiefe, alfo noch bevor e8 gar Kleider gegeben hat.
Hätte Eva mit der Schlange nicht geplaudert, hätte ihr die
Scjlange feinen Apfel geboten, und wir wären nod) Alle
im PBaradiefe.
Die Plaudertafchen und die Bofttafchen haben
durch nichts fo verloren, als durch die Eifenbahnen;
wenn man früher mit fo einer Plaudertafche von Wien nad)
Brünn reiste, hatte fie Zeit und Muße genug, und ihre
ganze Lebensgefchichte zu erzählen; jetzt, auf der Eifen-
bahn, kommt fie faum dazu, und von ihren Kinderjahren
zu erzählen! |
Dian fagt, das. Leben ift eine Reife; ja wohl, früher
lebte und reiste man lange, jegt reist und lebt man fchnell.
Es wäre recht gut, wenn das Leben eine Reife wäre, aber
jede Frau müßte eine Poftmeifterin fein, denn dann wohnten
fie alle eine Station aus einander, und dann wäre Ruh im
Leben. Es gibt Menfchen, die blos Poſtillons find, fie gehen
nie einen Schritt weiter, als die zwei oder drei Meilen, die
fie zu machen gepohnt find; dann gehen fie immer wieder
zurüd und blafen immer wieder dasjelbe Stüd! Jeder
Menſch ift fein ganzes Leben lang ein Poftillon; er führt
17
ſich felbft von einer Station bes Lebens zur andern, von
einer Liebe zur andern, von einem Wunſch zum andern, von
einer Hoffnung zur andern; er fährt immer voll aus und
reitet immer leer zurüd! Er verfpricht fich ſelbſt ein Trink⸗
geld und fagt zu fi: „Schwager, fahr’ gut!” Auf der
Station vertrinkt er's und bringt nichts mit zurüd!
M. G. Saphir's Schriften. VI. Br. 2
Weihnadtabend.
6, ift ein fchöner, rührender, heiliger Abend!
Die Menfchen begehen ein Feft der Liebe! Die Dien-
fchen gönnen fich heute gegemfeitig Freude, fie überrafchen
fich mit Freude, mit Zärtlichfeit, mit Gaben der Liebe, der
Vreundfchaft, der Innigkeit!
Der Liebe Vater oben hat die ganze Welt dem Men⸗
ſchen gegeben zu einem einzigen, flebzigjährigen Weihnachts⸗
feſte! Er Hat ihnen das Leben reich befegt, wie einen Weih-
nachtstiſch. Er hat am Himmel angezündet den unendlichen
EHriftbaum mit goldnen Lichtern, und von diefem flammen⸗
den Chriftbaum flattern herab ale®nadenbänder des Lebens:
Liebe, Glaube, Hoffnung! Er Hat den Menfchen befchert
einen ganzen Tiſch voll bunter Gaben: Abendröthen, Mor⸗
genröthen, Frühlinge, Nachtigallen, Dichtungen, Thränen,
Liebe, Freundſchaft, Religion, Kunft, Wohlthätigkeit und
taufend andere Dinge, die uns beglüden fünnen! Er hat
den Menfchen befchert eine große Herzichachtel voll eitel
Spielzeug, voll güldenem Schnigwerf, voll flatternden
Wünfchen, voll fladernden Träumen, vol gedrechjelten
19
Hoffnungen, kurz, der ewige Bater des großen Erden-
Waiſen-Hauſes hat da8 ganze Menfchen-Leben zu einem
einzigen fchönen, heiligen, rührenden Weihnachtsfefte machen
wollen, zu einem einzigen Liebesfefte, zu einer einzigen lauen,
Lieblichen, magifchen, wunderfam gemüthlichen Dämmer-
ftunde zwifchen dem Sonnenuntergange des dies
feitigen, und dem Sonnenaufgange des jenfei-
tigen Lebens! .
Der Menjdy aber hat diejes einzige große Feſtge⸗
fchent des Lebens, wie ein Kind, zerbrochen und abgetheilt
in fiebzig Feine, ausgemefjene, vorherberechnete Fefttagel —
Er hat das Geſchenk der unendlichen, ewigen, Tebensläng-
lichen Liebe zerfpaltet in Kleine Theilchen, in fiebzig Theil⸗
chen, und feiert alle Jahre eine kalte Decembernadht der
Liebe, und findet fic) ab mit den Mebenmenfchen, mit den
Hreunden, mit den Kindern, mit allen Empfindungen, und
vertröftet fie und fich und fein Herz und alle feine Gefühle
auf diefe einzige, Heine, abgemefjene Liebesſtunde!
Zwifchen diefen fiebzig buntangeftricyenen, einzeln-
ftehenden, auseinandergerifjenen Wegweifern in das Heilige
Land der Xiebe, in die verödeten Zwifchenränme diefer fiebzig
Zubelninuten fäet der Mienfc das’ ganze Jahr die Nefjel-
faat des Hafjes, die Stechäpfel der Lieblofigfeit, den Schier-
ling des Neides und taufend andere Giftpflanzen, die das
Glück des Nebenmenſchen zerftören, aufreiben, vergiften.
Dann, wenn er diefen Raum ausgefüllt hat mit Haß, Ver⸗
folgung, Lieblofigfeit, Stumpfheit, Zerftörung aller andern
Freuden, Berhöhnung aller edlern Empfindung, dann, dann
2%
20
gelangt er alle Jahre einmal an ben alten, herfömmlichen,
feit Ewigkeit hervorgeftedten Pfahl und Wegweifer der Liebe,
und hängt feine Laterne daran, mit feinem Augenblidslicht,
und ftreicht biefen einzelnen Wegweifer an mit Farben und
bunterlei Zeug, und das nennt der Menſch: den Weih-
nahtsabend feiern!
Bergib ihnen, Bater im Himmel! Sie wifjen nidht,
was fie tun! Sie gehen wie Blinde durch den ewigen Licht⸗
raum deiner Huld, fle gehen wie Tanbe an dem unendlichen
Stromfall deiner Gnade, fie gehen wie Stumme neben dem
ewigen Subelchor deiner Schöpfung, fie gehen mit einge-
drüdter Bruft, mit kurzem Odem durd) deine hochgewölbte,
ätherflare Welt! |
Ich will mich wegwenden von jenen Tifchen, an denen
die berechuende Tiebe mit einer ſüßen Weihnadt:
Stunde ihren Nebenmenfhen ein langes, bitteres
Fahr verfühen will; an denen Herzlofigleit, mit einem
goldnen Geſchenke, feiner Umgebung ein langes, bleiernes
Jahr übergolden will; an denen ein egoiftifche® Herz mit
einem bunten Zand ein da® ganze Yahr hindurch von ihm
graufam zerbrüdtes Gemüth entjchädigen will II — — Id)
will mich wegwenden von allen jenen Tischen, an denen die
wahre Liebe zum Schaugericht, die echte Aelternzärtlichkeit
zum Flitterfchein, die wahrhaftige Nächftenliebe zum ab-
tropfenden Kerzenflimmer, und jelbft die innige Frömmig⸗
feit nur zum vergehenden Parorismus des Augenblides wird.
Ich will hinausgehen und laufchen an den Fenſtern
der Armuth, wo nichts aufbaut, ala die Xiebe, wo kein anderer
21
Baun blüht, als der bittere Brotbaum des Elendes, wo
feine andern Lichter brennen, als die brennenden Thränen!
Ich will mein Ohr legen an die Thüre der Waifen-
häuſer, wo die Kinder find ohne Bater und Mutter, ohne
goldene Befcherungen, ohne geputte EChriftbäume, ohne
Geſchenke der Zärtlichkeit, der Herzlichkeit! Ich will hin⸗
ausgehen in die kalten Straßen, und will die armen, kalten,
zitternden Kinder aufjuchen, die um Brot bitten, und die
mit weinenden Augen hineinſchauen in die erleuchteten Säle,
wo die glüdlihen Kinder ſchwimmen im Lichtftrome, und
tanzen um rveichbehängte Bäume und mit den gküdlichen
Händchen jubelnd zuſammenſchlagen!
Id will alle jene Tausende auffuchen, die heute, am
heiligen, frohen, rührenden Weihnachtabend, allein ſitzen,
allein, verlaffen und ungeliebt! Ich will alle Jene auffuchen,
die mit geröthetem Auge und mit blaffen Wangen einfam
figen und weinen! Ich will Iene auffuchen, denen das Glück
nichts gab, gar nichts, und die ihren Tieben, ihren Herz⸗
liebjten, ihren Kindern nichts geben können an diefem heili-
gen Abende, gar nichts! Ich will alle Jene aufſuchen, die
bei einem Herzen voll Liebe, vol Sehnſucht, doch ungeliebt
durch’8 Leben gehen, die heute am heiligen Abend nicht das
kleinſte Zeichen der Liebe erhalten, nichts, gar nichts! Ich
will alle Jene aufjuchen, die fern von dem Gegenftande
ihrer Liebe fehnend figen, und ihm nicht zulommen laſſen
können am heiligen Abend, kein Zeichen ber Liebe, fein Wort
der Treue, fein Blamchen, kein Papierſtreifchen, nichts,
gar nichts!
22
Ich will alle Jene auffuchen, die den Chriftbaum
und die goldnen Lichter nur für Todte anzuzünden haben,
die alles Theuere da unten haben im Schooße der Erde,
und oben. im Schooße des Lichts nichts, gar nichts!
Ale diefe möchte ich auffuchen und fie mit mir
nehmen, und an mein Herz legen und ihnen fagen: „Kommt
mit mir, ich bin arm wie ihr, allein wie ihr, ungeliebt wie
ihr, ich habe da unten theure Schäße wie ihr, und oben fo
wenig, ach, fo wenig; id) habe mein Brot mit Thränen ge-
gefien wie ihr; ich Habe meinen Wein. mit Zähren vermischt
wie ihr; ich bin fchmerzlich und tief verlegt worden wie ihr;
ich trage ein brennendes Sehnen im Herzen wie ihr; ich bin
einfam wie ihr, und abgefchieden von meines Lebens Inhalt
wie ihr; kommt mit mir, ich bin arm, recht arın, doch bin
ich nicht fo arm, daß ich euch nicht zu Tische laden fünnte,
zu dem Tifche meines Herzens, der reich ift, jehr reich an
Liebe, an inniger, herzlicher wahrer Liebe, der fehr veich ift
an Mitgefühl, ein warmes, lebenquellendes, lauteres Mit-
gefühl! Und aud) einen Ehriftbaum kann ich euch zeigen,
einen großen, herrlichen, unendlichen Chriftbaum, der euc)
Alle tröften, erheben, erfreuen, ermuthigen wird!
Seht ihr da oben am blauen Himmel den großen,
weitgezweigten, goldenblätterigenSternen-Chriftbaum ? den
hat unfer allgütiger Vater da oben allein für uns, ganz
allein für uns errichtet; ganz allein für uns, die wir heute
nicht figen unter blintenden Girandoles und demantnen
Bäumen, fondern unter biefem großen, myriadenflammigen
Ehriftbaum des ewigen Vaters. Zwiſchen diefen einzelnen
2
Sternen⸗Lampen fchaut der himmliſche Bater mildlächelnd
zu feinen Kindern herunter, und mir hat er vor Vielen
befchert das offene Auge, daß ich durch diefe güldnen
Zweige durch erblicke die Halboffene Thürfpaltedes befferen
Lebens, und durchſchaue und fehe und höre im Geifte alle
die flatternden Sonnen» und Freudenklänge und Engel-
züge und Kegenbogen und Rofenlauben und wallenden
Geiſter!
Und dieſen leuchtenden, glänzenden, ſternenvollen
Chriſtbaum hat Gott an den Himmel gepflanzt, gerade nur
für die, ſo einſam und allein zu dem Himmel emporſchauen;
und dieſe tauſend und abermal tauſend Weihnachtkerzen fun⸗
keln und flimmern gerade nur für den, dem ſonſt kein anderes
Frenudenfeuer im Leben glüht, kein anderes Liebeslicht im
Daſein brennt, und dieſe Lichter will ich euch näher bringen,
und ihre Strahlen deuten und euch ſagen, wie ſie herein⸗
ſchauen in das Leben, wie rettende Götter, wie Friedens⸗
Engel, wie leuchtende Bürgen ewiger Freuden!
Da oben hoch im Blauen,
Da fteht der große Baum,
Und gold’ne Zweige ſchauen
Herab durch dunklen Raum.
Er breitet feine Aeſte
Durch's ganze Himmelhans,
Und Hängt zum heiligen Feſte
Biel taufend Lampen an.
A
Der Gärtner bleibt im Dunteln,
Der diefen Baum une gab,
Dod feine Blätter funteln
Mit füßem Licht herab.
Er hat des Baumes Hallen
Mit Lichtern voll beſchwert,
Den Erdenlindern allen
Hat er den Baum bejcert.
Denn taufend Gaben drängen
Sid in der Zweige Raum,
Denn tanfend Lichter hängen
Serunter von bem Baum.
Der erfte Stern entbrennet
Ganz body in feiner Kron’!
Wifft ihr, wie man ihn nennet?
Den Stern der Religion!
Aus diefes Lichtes Reinheit
Erblüht in unfrer Bruſt
Der Glaube und die Einheit
Und aller Tugend Luft!
Ein zweiter Stern glühet
Am Baume, lieblich frifch,
Der Stern der Liebe blühet
Am Sternen »-Weibnadts- Tiich!
—2
Aus dieſem Strahlenkerne
Wird uns das ſüße Licht,
Das in dem Angenfterne
Nur mit dem Tode bricht!
Ein dritter Stern funtelt,
Der Hoffnungs⸗Stern genannt,
Der, wenn das Glüd verdunfelt,
Doch tröftend if entbrannt.
Und diefes Licht der Gnade, .
Das nie verblüden kann,
Berleiht die ew'ge Gnade
Auf Erden jedem Mann!
Ein vierter Stern auch leuchtet,
Wie Mädchen- Angeficht,
Die Rofe, thaubefeucdhtet,
Die aus dem Nebe bricht:
Der Stern der Unfhuld glänget,
Erglühet wie die Braut,
Wenn fie, das Haupt befränzet,
Dem Bräut’gam ſich vertraut.
Und taufend and’re Sterne
Erbfühen Heilig da,
Und fcheinen fie aud) ferne,
So find fie uns doch nah‘.
%
Denn wo nur eine Waiſe
Berlaflen, einfam ſteht,
Wo auf der Lebens⸗Reiſe
Ein Herz ganz einfam geht:
Wo nur ein Herz fi) fammelt
Und traut dem Sternen - Scein,
Und wo ein Mund nur ftammelt:'
„Ach, Vater! denke mein!”
Da werden fie vertreten
Bon ihren Sternen ſchon,
Und ihre Sterne beten
Für fie an Gottes Thron!
Die falſche Freundin
Dos man fich auf die Freunde nicht verlafien kann, ift
eine befannte Sache. Mit einem Freunde darf man es nicht
genan nehmen; mit einem Freunde macht man Feine Um⸗
ftände; ein Freund nimmt nichts übel; unter Freunden
herrfcht fein Zwang; und noch andere gute Sprücdhelchen
geben unfern Freunden ein Recht, mit und grob, unver»
ſchämt, wortbrüdig, fahrläfftg, geringfchätig zu verfahren.
Die Menſchen haben alle Höflichkeit, Artigkeit, Liebens⸗
würdigfeit nur für ihre Feinde, mit den Freunden ift man
grob, kalt, nachläſſig u. |. w.; denn, mein Gott, es find j ja
gute Freunde!
Will man Etwas ganz ficher beſtellt wiſſen, fo laſſe
man es nur durch keinen Freund beſtellen, denn der beſtellt
es gewiß nicht; weil er weiß, wir ſind blos ſein guter Freund,
was ſchadet's, wenn er's vergißt! — Will man ſich Geld
ausborgen, nur von feinem Freund, dennder hat ben Grund⸗
fag: meinen Freunden leih' ich fein Geld, das macht Miß⸗
helligkeit! — Will man wo zu Mittag fpeifen, nur bei
feinem Freund, denn der hat den Grundfag: ein guter
Freund muß mit Wenigem vorlieb nehmen! — Will mon
Jemandem Etwas anvertrauen, nur feinem Freund, denn
28
aus lauter Freundfchaft führt ihm das Geheimniß aus der
Lippe! — Will man einen fleigigen Mitarbeiter, nur feinen
Breund, denn der gibt Andern das Gute und uns das
Schlechte, denn wir nehmen's ja auch ſchon aus Freund⸗
haft auf. —
Kurz, e8 gibt nichts, was ung im Leben mehr genirt,
al8 die fogenannten Freunde!
Aber dag man fich auf eine Freundin nidht ver-
laſſen kann, das ift neu, das iſt unerhört, das ift zum ver⸗
zweifeln. Das.weibliche Gefchlecht hat unter verfchiedenen
Tugenden, die es vor dem männlichen voraus hat, gewiß
aud) einen innigeren Sinn für Freundschaft voraus.
Ein FFrauenzimmer von Geift und Herz ift eine treuere, be-
währtere Freundin, fie bringt mehr Opfer, fie fühlt mit
und aufrichtiger und anhaltender, als cin Mann, Die
Männer find in der Freundſchaft, wie in der Liebe, vor-
fichtig, die Frauen find in beiden nad) fichtig. Wenn id)
fage Frauen-Freundfchaft, fo verftche ich darunter Freund-
{haft zwifchen zwei Fraueuzimmern; denn von der
Freundſchaft zwifchen Männern und Frauen hab’ id)
feine große Idee; da ift die Freundſchaft ſtets auf dem
Sprung, denn von der Freundfchaft zur Liebe ift nur ein
Sprung. In der Natur gibt e8 zwar keinen Sprung, jagen
die Naturforscher, welche jet alle Fahr jelbft einen Sprung
machen; allein dev Sprung von Freundſchaft zur Liebe ift
felbft Natur! Es gibt in diefer Natur einen Borfprung
und einen Rückſprung; der Sprung von der Freundfchaft
zur Siebe ift ein Borfprung, der Sprung von der Liebe zur
29
Freundſchaft ift ein Rüdfprung. Die Männer find geborne
Springer, fie fpringen vor und zuräd, fie find wahre
Gymnaftiker; die Brauenzimmer überfpringen mehr, fie
fpringen felten in die Freundſchaft zurüdh ſondern über
ſie hinüber — zum Haß!
Alſo, ich empfehle Jedem eher eine Freundin, als
einen Freund!
Und doch! — und doch! — doch hat ſie mich getäuſcht,
verlaſſen, in der Noth verlaſſen! —
Ich habe ſeit langer Zeit eine theure, werthe Freun⸗
din, eine liebenswürdige Freundin, und jetzt, heute, heute
verläßt ſie mich zum erſten Male!
O, ſie iſt ſchön, und reich, und jung! Zu ſchön für
eine reiche Freundin, zu reich für eine ſchöne Freundin, ı und
zu jung für Beides!
Es iſt die Morgenftundel die Freundin der
Dufen!
Morgenftunde hat Gold im Mundet Meine Morgen⸗
ſtunde hat ein ganz kleines Mündchen, das iſt eine Schön⸗
heit! Sie half mir immer, wenn ich mich in ihren Arm warf;
ſie half mir arbeiten, ſie weinte, ſie lachte, ſie ſcherzte mit
mir! Kurz, es war meine Kaffeeſchw eſter! — Cest
tout dit! —
Wenn ich Abends zu Bette ging, und nit wußte, -
wie ich übermorgen mein Blatt druden laffen follte, fo ver-
ließ ich mich auf meine Freundin, die mir morgen mit dem
Zeitlichften ſchon Helfen wird; und fie half immer.
Und jetzt, und jetzt!
3
Ich wollte, der Leſer könnte nrich jett fehen, mich,
meine Schlafmüge und die Dlorgenftunde, wie wir da ſitzen
und Maulaffen feil haben!
Ich brauche große Schrift für den Humoriften, fage
ich der Morgenſtunde; fie reißt das Maul auf — es ift kein
Gold darin, fie gähnt! — zur Geneſung!
„Freundin!! Aurora!! Musis amica!!!: Si fteb’
mir bei!“
„Kann diefer Aufſatz Wien nicht erreichen,
So muß der Humorift mir erbleihen!”
„Nur diefed Mal gebt mir ein Maulvoll Muſen⸗
freundfchaft!”
‘ Bergebens! Die Morgenftunde macht ein Schafs-
geficht! It das Freundſchaft?!
Ich ſchenke der Veorgenftunde nun fchen die vierte
Taſſe Kaffee ein, ich füttere fie mit den frifcheften Butter-
bemmchen, fte ſchweigt, fie fpricht nicht, fie hat Heute kein
Bischen Freundſchaft für mich |
Auch du, meine Freundin Aurora ?!“
Ich habe fo fchöne Aufſätze angefangen:
„Meber die Kunft, fih aus der Ferne recht
nah’ zu geh'n.“ — „Wann find die erfien Maul:
würfe nad Deutfchhland gelommen?" — „Was
wird mit Büſchings Erdbefchreibung geſchehen,
wenn die Welt zu Grund geht?" — „Wenn eine
Frau ftumm ift, wie widerfpridt fie ihrem
Manne?* — „It das Cis von „Cis-cis-beo*, oder
31
das gis von „ghin-gis-chan“ von größerm Ein—⸗
fluß auf die Harmonie in der Ehe?“ u. ſ. w.
Aber alle mußte ich vor der Hand unbemerkt Laffen,
denn meine Freundin ift falſch und verläßt mid)!
Ich muß alfo alle jene Schönen Sachen ein anderes
Mal zu Ende fchreiben ; ob du dich aber darauf verlaffen
fannft, mein lieber Lefer, weiß ich uicht, denn ich bin dein
Freund!
Srühling und Herb.
BD. ſchöne Stern Mars liebte, ex liebte das Sternbild :
die Benus.
Er liebte wie die Götter lieben, aber fie Tiebte wie
die Menſchen lieben, menſchlich, mit allen menfchlichen Lei-
den und Yreuden.
Sie Iuftwandelten durch den unendlichen Raum, und
er führte fie von Geſtirn zu Geftirn, und bie Gluth und das
Teuer biefer Geftirne machte ihn ftolz und fchwellte feine
Bruſt. Sie aber jehnte ſich nach einem mildern Weſen, das
nicht lodert und nicht brennt, und das die Thräne in ihrem
Auge nicht auffaugt mit heigen Strahlen. Und fie bat den
Mars, daß er in einem Heinen Pläschen des Aethers ein
Geſtirn Hervorbringe: ein Geftirn, das blos Licht empfängt,
wo e8 milde ift, wo die Luft nicht fo dünn, und mo die
Elemente in weicher Mifchung regieren. Und Mars fchuf
im unendlichen Raume eine große Kugel, und nannte fie:
Erde, und gab fie ihr zum Brautigefchent. Und die Benus
freute fi inuig, als die junge Erde zu ihren Füßen hin-
rollte, und als fie ihr in mildern Strahlen wiedergab den
Strahl der Sonne; und Venus lächelte der Erde zu, und
auf diefes Lächeln wurde es Frühling auf der Erde; und
Venus träumte bunte Dinge von ihrem Brautgefchente,
33
Erde, und diefe Träume wurden zu Blumen, und ſchmückten
die Erde; und Venus Lispelte koſende Worte aus dem
Schlafe, und die fofenden Worte wurden zu Nachtigallen
und zu Lerchen und zu flatternden Schmetterlingen, und
al8 fie erwachte und die Erde fah mit ihrem Frühling, mit
ihren Blumen, mit ihren Nadıtigallen, da füllte ſich ihr
Auge mit einer Himmlifchen Thräne, und die Thräne fiel
herab, und vermifchte fi) mit einen Köruchen Erde, und
daraus wurde der Menfch. Und Benus kam wieder zu
Mars, und zeigte ihm das fonderbare Wefen, mit einem
Bart um das Kinn, nit hoher Stirne, mit ſtarken Schultern,
und Mars warf einen Funken aus feiner Bruft herab, und
er fiel in die Bruft des Mienfchen, und da wurde ein rother
Duell, ein glühender, ein klopfender!
Und Benus fah, wie der Menfch umherirrte aufihrem
beblümten Brautgefchent, und wie er einft faß am hellen
Bache und ſich in der Fluth fah, und nicht begreifen konnte,
wie dies gefchehe und was es fei, und wie er fid) immer
jehnte nad) feinem Schatten Ich. Da fann die ſchöne Venus
nad), und blickte freundlich nieder auf die Erde und ſah fid)
jelber im Aether fpiegeln, und ſchuf ein zweites Wefen nad)
ihren: eigenen Yether-Spiegelbild, ein ſchwaches, kränkliches
Geſchöpfchen, ein füßes, ſchwaches Wefen, und als ber
Menſch entſchlief, legte fie das Liebliche Püppchen ihm zur
Seite nieder. Da neigten fi) die Blumen neugierig über
das Haupt der neugebornen Scjläferin, und das junge
Roth der Rofe, und der Schnee der Lilie blieb an ihren
Wangen hängen ; und das Blau vom Bergigmeinnicht ftahl
M. ©. Saphir's Schriften. VI. Pr. 3
34
fich durch die gefchloffenen Wimpern; und der Zephyr kam,
um das nene Gefchöpf zu begrüßen, und fein zartefter Haud)
ſtahl fi) als Seufzer in ihre Bruſt; und die Nachtigall
kam, um fie zu begrüßen, und die Sehnſucht diefer Töne
fenfte ſich in ihr Herz ;und alleleinen Exrdgeifter wimmelten
hervor, um ihr Haupt, und füllten es mit Wiünfchen, Hoff-
nungen, Begehrungen, Tändeleien, mit eitlen Gedanken,
und mit Narrenpofjen, mit Grillen und mit Zartheiten,
mit Lächeln und mit Thränen, und fie erwachte ale
das Weib! |
Der Menſch umfchlang fie, und als er den erſten
Laut von ihren Lippen hörte, den erften, menfchlichen Laut
von einer andern Lippe, da ſuchte feine Lippe diefe Lippe
und — fo ward der erfte Kuß!
Die Benus aber frente fi) über ihre beiden Puppen,
und fie fagte: „liebt euch!” Da fingen fie an zu weinen,
zu lachen, zu plaudern, zu fchweigen, zu feufzen, zuträunten,
närrifches Zeug zu fprechen, zu fingen, fich zu fuchen, ſich
zu fliehen, mit fich felbft zu reden, in den Mond zu Schauen,
finftere Laubgänge zu fuchen, und, mit dem Kopf auf die
Hand geftütt, den Nachtigallen zu laufchen; er zürnte, wenn
fie tanzte, fie ſchmollte, wenn er fang; fie nedten fich, flohen
fi, verjöhnten fi) — und weinten die erfte Thräne!
das war die Liebe, und das war der Frühling!
| Mars aber jah diefes Glüd des Mannes, und die
Venus das Glüd der Frau, und fie wurden eiferfücd-
tig; denn die Götter und die Geſtirne lieben ohne Thränen,
ohne Seufzer, ohne Sehnſucht, fie lieben ohne Eiferfudht,
35
ohne Bitterfeit, und e8 ift Liebesſüßigkeit ohne Yiebesbit-
terfeit. Da fchleuderte Mars einen zweiten Funken in die
Bruſt des Menfchen, und der rothe Quell fing zu fochen
an. Das Blut in diefer Lebens - Cifterne brodelte und
wallte, in den Adern rann e8 glühend heiß; die Sehnfucht
wurde zur Begierde, der Seufzer zum Wunſch, und der
Wunſch zur Begehrung; die zwei erften Wefen fanfen auf
filberweige Blumen hin, und al8 der Vorhang der Radıt
von dem Blumenbeete wegflog, erwachte das Weib, das
brennende Roth war von ihren Wangen entwichen, und
hatte fic in die Blumen gezogen, auf denen fie vuhten, und
fo ward die erfte — brennende Liebe!
Die himmliſche und veine Benus aber jah herab auf
ihre Puppen, und fah daß fie fie gebrechlich ſchuf, und daß
der Ödttertraum der Liebe von den Menjchen nicht weiter
geträumt werden könne, daß die Natur der Menfchenliche
zu Schön ift, un cwig zu fein, und daß fie ftirbt den aroma⸗
tiſchen Zod durch den füReften Duft der eigenen Blume;
und fie trauerte tief und z0g die Blumen wieder von ‚der
Bruft der Erde, und fchüttelte die Bäume, daß die fallen»
den Blätter das fchambededte Antlig der Erde verdeden,
und hieß die Nachtigallen verfiummen und weiter ziehen, _
und das war der erfte Herbft!
Alljährlich aber erinnert ſich Benus ihrer Fleinen
Spielfugel, der Erde, und fie wirft einen Liebenden Blick
auf fie, und eine Thräne der Erinnerung an die Jugendzeit
der Erde und an den Göttertraum der Menfchenliebe fällt
auf die Erde und aus dieſer Liebesernenerung gießt fich ein
3%
16
Betrachten wir den Umftand, wie viele Zafchen ein
Mann in jede Geſellſchaft mitbringt, und daß die rauen
feine mitbringen, fo find in der Konverfation, fo zu fagen,
die Männer ſchon vom Schneider angewiefen, mehr ein-
zufteden, als die Frauen.
Welches war in der Welt die erfte Taſche? Gewiß
die BPlaudertafche; denn diefe Zafche eriftirte ſchon im
Paradiefe, alfo noch bevor es gar Kleider gegeben hat.
Hätte Eva mit der Schlange nicht geplaudert, hätte ihr die
Schlange feinen Apfel geboten, und wir wären noch Alle
im Paradiefe.
Die Plaudertafchen und die Pofttafchen haben
durch nichts fo verloren, als durd) die Eifenbahnen;
wenn man früher mit fo einer Plaudertaſche von Wien nach
Brünn veiste, hatte fie Zeit und Muße genug, uns ihre
ganze Lebensgeſchichte zu erzählen; jett, auf der Eifen-
bahn, kommt fie faum dazu, uns von ihren Kinderjahren
zu erzählen!
Dean jagt, das Leben ift eine Reife; ja wohl, früher
lebte und reiste man Lange, jett reist und lebt man fchnell.
Es wäre recht gut, wenn das Leben eine Neife wäre, aber
jede rau müßte eine Poftmeifterin fein, denn dann wohnten
fie alle eine Station aus einander, und dann wäre Ruh im
Leben. Es gibt Menfchen, die blos Poftillons find, fie gehen
nie einen Schritt weiter, als die zwei oder drei Meilen, die
fie zu machen gewohnt find; dann gehen fie immer wieder
zurüd und blafen immer wieder dasjelbe Stüd! Jeder
Menſch ift fein ganzes Leben lang ein Boftillon; er führt
17
fi) felbft von einer Station bes Lebens zur andern, von
einer Xiebe zur andern, von einem Wunſch zum andern, von
einer Hoffnung zur andern; er fährt immer voll aus und
reitet immer leer zurüd! Er verfpricht fich felbft ein Trink⸗
geld und fagt zu fi: „Schwager, fahr’ gut!” Auf der
Station vertrinft er's und bringt nichts mit zurüd!
M. ©. Saphir’ Schriften. VI. Bo. 7
38
Chor.
Gaudeamus Componiſten!
Gaudeamns Notenpult!
Gaudeamus Harfeniſten!
Gaudeamus Roßgeduld!
Weinend kommt die gute Mutter:
„Heute ſpielt mein Söhnchen mit;
Iſt noch zart wie Maienbutter,
.Iſt fein erſter Künſtlerſchritt!
Hat noch gar nicht alle Zähne,
Hat auch gar noch nicht gefleckt,
Doch, es ſagen's die Mäcene,
Daß ein Künſtler in ihm ſteckt!“
Chor.
Gaudeamus Vettern, Baſen!
Gaudeamus Tantentratſch!
Gaudeamus Tabak⸗Naſen!
Gaudeamus großer Klatſch!
„Eine Heine Tochter hätt! ih,” —
— Fängt ein Bater darauf an. — —
„Declamirt al8 wie die Nettich,
Keiner ficht’8 dem Frazzen an!" --
Und mein eign’er Stiefelputßer,
Sagt: „Ih hab’ ein Kind zu Haus,
Hat 'ne Stimm’ al® wie die Lutzer,
In's Koncert muß es hinaus!"
39
Chor.
Saudeamus declanmiren!
Gaudeamus Frazzendyor!
Gaudeamus fiſtuliren!
Gandeamus Kalbstenor!
Wie ſie alle applaudiren!
Ich erkenn' dich: Freibillet!
Und entzückt auf allen Vieren
Sind ſie Alle um die Wett'!
Welch' ein Stürmen, wie die Bora!
Und ein Stampfen wie im Stall!
„Außa! Anßa! Fuora! Fuora!
„Dreimal 'raus auf jeden Fall!!“
Chor.
Gaudeamus Händzerreißer!
Gaudeamus Auferei!
Gaudeamns Kränzverfchleiger!
Gaudeamus „Big!“ Gefchrei'
— — en u.
Tags darauf papier'ne Befen
Fegen in die Leſ'welt 'nein,
Wie das Alles gut geweſen,
Wie man fang fo zart und rein!
Und die großen Kritifafter
Drüden ihren Stempel d’rauf;
Legen ſchnell ihr Honigpflafter
Jedem Gickſer freundlich auf.
49
Chor.
Gaudeamus Lügenfchnabel!
Gaudeamus Necenfion!
Gaudeamus altes Babel!
Gaudeamus Klefslegion!
\
Humoriſtiſch-ſatyriſcher Bilderkaften
und
Minne-Geridte,
— — — — -
I.
Junker Stolpernfuß von Duzenmeruns,
| der Buellfreffer,
unfer Stolpernfuß von Duzenmeruns, der
Duellfreffer, weiß Alles, kann Alles und ftols
pert über Alles ; und gibt es zufällig Etwas, was
Junker Stolpernfuß no nicht weiß, noch nicht
kann, und worüber er noch nicht geftolpert ift, fo ift das
nicht feine Schuld, fondern es liegt daran, daß es ihm noch
nicht in den Weg gekommen ift; würde es ihm in den Weg
gefommen fein, jo würde er es fchon gewußt haben, ſchon
gefannt haben, und fchon darüber geftolpert fein.
Das Stolpern an und für fich ift fein-Unglüd, denn
unter uns, mein lieber Leſer, ein gutes Pferd ftolpert auch,
und wenn ein gutes Pferd aud) ftolpert, fo ift fein Grund
vorhanden, warum Junker Stolpernfuß nicht aud) ftol-
pern foll.
Allein ein gutes Pferd ftolpert wohl einmal, aber ein
ganzer Stall ftolpert nicht; ein gutes Pferd ftolpert wohl
44
auch einmal, aber ein gutes Pferd ftolpert nicht allemal.
Aber ein Menſch muß doch vor einen Pferd mas voraus
haben, und darum ftolpert ein gutes Pferd einmal, Junker
Stolpernfuß aber ftolpert allemal.Voilä la difference!
Der Menſch, mein lieber Leſer, kann aber ftolpern,
und dennoch ein guter Bürger ein redlicher Gatte und Vater
fein; le stolpern n’empöche pas le sentiment! Alfo ift
Junker Stolpernfuß troß feines GStolpernd ein vor-
treffliher Mann.
Man beflagt fich, daß er zuweilen in ſeinen Kreuz⸗
und Querſtolperungen hie und da einen Spiegel einſchlägt,
eine Etagère umſtürzt, einen Ofen zertrümmert, einen Tiſch
mit Porzellan umwirft, allein iſt es die Schuld des Stol⸗
perers oder des Stolperns? Behüte, da iſt der Spiegel,
der Tiſch und der Ofen ſchuld, wer heißt ſie ſich gerade
. dorthin ftellen, wo Junker Stolpernfuß ſtolpert? Es
ift eine ausgemachte Malice von dem Dfen, daß er mit
dem Junker Stolpernfuß Händel anfängt.
Der Ofen aber fann froh fein, daß er mit einem
blauen Auge davon gekommen ift, es hätte ihm mit dem
Sunfer Stolpernfuß auf Duzenmeruns, der Duell-
freffer genannt, auf zweierlei Weife noch ſchlimmer
gehen fönnen ; denn Junker Stolpernfuß hat drei Leiden-
fchaften: er ftolpert gerne, er duzt fich gerne mit der halben
Welt, und duellirt gern mit der andern halben Welt; zunı
Süd für ihn und für die Menfchheit duzt er ſich blos
gerne mit der Icbendigen Welt, und duellirt er fich blos
mit der geftorbenen Welt.
45
Die böfe Welt — wenn ich fage: die böfe Welt, fo
meine ich mich und Alle, die den Junker Stolpernfuß
fennen; denn die Welt, die ihn nicht kennt, ift in diefem
Punkte die befte Welt, — alfo die böje Welt behauptet,
der Sunfer Stolpernfuß babe jchon beim Duzen, bei
Wein und Bier mehr Hiebe zuwege gebradjt, als beim
Duell. Denn Junker Stolpernfuß ift zwar fehr unvor⸗
fihtig mit dem Duzen, allein ſehr vorfichtig mit dem Duell,
er fordert Niemand, von dem er nicht überzeugt ift, er ift
geftorbei, over er liege im Sterben. Einmal ging e8 Junker
Stolpernfuß ganz fonderbar. Er Hört, Herr So und
So fei plötzlich geftorben; ex läuft nad) Haufe und fdhidt
igm fogleich eine Ausforderung. Man denke fi) den
Schhreden des Junker Stolpernfuß, als er am andern .
Tage hört: Herr So und So war nur [heintodt! Herr
So und So ſucht feinen Mann auf, allein diefer ftolpert
ihn aus dem Wege. Herr Junker Stolpernfuß hat
entjchiedenes Pech mit feinen Eifenfreffereien! Denn die
Menfchen find wiel weniger fubtil, wenn fie fich denken:
„mit wem und warum fol ich mich duzen?“ als wenn
fie fi fragen: „mit wem und worüber fol ich mid)
Schlagen?" — 0
Da aber auf die Erklärungen des Heren Junker
Stolpernfuß nit viel zu geben ift, nicht etwa, weil er
ein Feind der Wahrheit ift, behüthe! fondern weil er ein
ſchwärmeriſcher Berehrer der Lüge ift, ſo weiß die Welt
ſchon, was daran ift, wenn Junker Stolpernfuß feine
Ehrenhändel erzählt!
46
Wenn man fagt: Junker Stolpernfuß ift ein
Lügner, fo thut man ihm Höchft urhrecht; cr ftolpert blos
über alle Tügen. Es ift ein eigenes Malheur! Wenn Stols
pernfuß zum Schottenthor hinausgeht, und es führt ein
Bierwagen beim Stubenthor herein, fo ftolpert er über
diefen Bierwagen, und wenn eine Rüge in der Teopoldftadt
herumläuft, und Junker Stolpernfuß an der Hunds-
thurmer Linie fpazieren geht, fo ftolpert er über jene Lüge,
hebt fie auf, trinkt Bruderfchaft mit ihr, verräth fie dann
jogleich, als ob fie einer feiner Freunde wäre, mit dem er
Bruderfchaft getrunfen hat.
Herr Stolpernfuß aber ift dabei edel, ev macht
e8 Andern gerade fo, wie ſich jelbft; denn er lügt ſich
jelbft eben fo an, Er, Junker Stolpernfuß, zum Beis
ſpiel ift ein großer Freund von anonymen Briefen, er [chreibt
anonyme Briefe an den Kellner, wo er ift, an die Köchin,
wo er eingeladen ift, an die Frau feines Freundes, an die
Geliebte feiner Belannten, anden Theater-Souffleur u. ſ. w.
natürlich handelt es fid) bei anonyınen Briefen nit um
Wahrheit, im Gegentheil blos um Lüge, Heuchelei und Ber
läumdung, drei Dinge, mit denen ih Stolpernfuß jchon
Lange duzt. Allein er macht's mit fich felber auch nicht beffer.
unter Stolpernfuß fchreibt an ſich felbft inn Namen
einer ungenannten Schönen ein leidenfchaftliches Billet,
und beftellt fi) da und dort Hin. Er ſchickt fid) den Brief,
er kommt nach Haufe, findet. den Brief, liest ihn. „Bon
wen: kann der Brief fein?” fragt cr fid) jelbft. „AH, gewiß
von der Mamſell So und Sol” ruft er aus; denn er ift feft
47
überzeugt, daß jedes Frauenzimmer, mit dent er einmal
fpricht, in ihn verliebt ift; und da er Alles, wovon er über-
zengt ift, mit allerhand Erfindungen vermehrt, fogleic Allen
feinen Duzbrüdern insgeheim öffentlich mittheilt, und da
feine Duzbrüder find fo viele wie Kellner in Paris, fo
wüßten diefe Alle die Gefchichte, wenn fie nicht zugleich
auch wüßten, daß fie erlogen ift. Alfo Junker Stolpern-
fuß fchreibt ſich ſelbſt Antwort auf feine anonyme Liebes⸗
erflärung, und da man fchriftlich Logifcher lügen fann, fo
jchreibt er fich Repliken, Duplifen, Alles felbft, und da es
feinen Lügner auf der Welt gibt, dem nicht ein Menſch
einmal etwas glaubt, fo glaubt fih Junker Stolpernfuß
jelbft am Ende, daß er ein anonymes Billet-doux erhalten
hat, und läßt e8, wenn er bei irgend andern Frauenzimmern
ift, aus der Tafche fallen. Dieſe heben’s auf, Tefen’s, er ziert
ſich Anfangs, endlich erzählt er: „es ſei wahrfcheinlich dieje
und jene, cin Yränlein von ausgezeichnetem Stand, aber
dumm u. f. w.“ Denn Junker Stolpernfuß vereinigt
alle edlen Eigenfchaften, er geht von feinem Frauenzimmer,
dem er noch fo gehuldigt, weg, ohne fie auszulachen, fie zu
verleumden, und ihr nachzumachen; damit will ev aber bei-
feibe nichts Böſes gemeint haben, im Gegenteil, er will
ihr damit eine Schmeichelei machen, und ihr dadurch be-
weifen, daß er fie wie feine intimften Freunde behandelt.
So ftolpert Junker Stolpernfuß auf Duzen>
merung, genanntber Duellfrefjer, dennangenehm und
fröhlich durch's Leben! Er befitt das „Zalent der Fifche”,
nämlich, ev hält fid) in jedem Haufe höchſtens zwei Tage,
48
dann fängt er ſchon au, anrüdjig za werden. Im Anfange
glaubt man, er ftolpert aus Kindlichkeit, duzt Alle aus
Naivete, wie ein Tyroler, und lügt aus Liebe zum Roman-
tifhen. Nach und nad aber ziehen ſich Alle von Junker
Stolpernfuß zurüd; denn einmal ftolpern, ift amüfant,
aber toujours ftolpern! fic) mit einigen duzen, ift recht, aber
die Menjchheit umzingeln und fie duzen, ift zweidentig;
jeine Ehre bewahren, ift ehrenwerth, aber Stänfereien ſuchen
und zurüdftolpern ift abgejchmadt; Lügen ift zuweilen ein
fhönes Talent beim Märchenerzäplen u.f. w., allein lügen
aus reiner Luft an Lüge, verleumden aus Wohlgefallen an
Verleumdung, alle Aufrichtigkeit und Treue in Falſchheit
und Heuchelei umkehren, blos aus Naturell zum Windfpiel,
das wollen do am Ende die wenigften Menſchen, und fq
ftolpert denn Junker Stolpernfuß von Duzenmerung,
genannt der Duellfreffer, immer einfamer auf der ftol-
perigen Bahn des Dafeins!
II.
Dr. Henſchel, das Mannfcript- Skelet.
A. Henſchel hat Medicin ftudirt, das heißt, er war
immer der Erfte, der die Zweite bekam, und Einer der Letzten,
die am erften wieder repetirten. Er war aud) nicht ein ein
ziges Dial gegenwärtig, wenn er eine Abfenz befam, und
war einer der Fleißigſten, fobald die Ferien angingen,
Durch Geduld und Zeit aber überwindet man Alles,
Alles begreift auch zweite Elafjen, Abfenzen und Repeti-
tionen in fih. Dr. Henſchel überwand alfo Alles, ging
nad) Pavia, bejah die Lanze Roland in der Domkirche,
badete in dem Ticino, und da Carl der Große gerade zu-
fällig jo gütig war, dafelbft eine Univerfität ad usum pri-
vatum des Herren Dr. Henſchel zu ftiften, fo machte diefer
in der Gejchwindigfeit, in der man nicht viel gefragt
wird und noch weniger viel, oder noch viel weniger
zu antworten braudit, fein Rigorofum.
v Herr Dr. Henſchel kehrte alfo, zur Freude und
zum Augentroft Aller, die eine ftarfe Zuneigung zu Abfenzen
und eine ftarfe Abneigung zu Frequenzen haben, als gra-
duirter Doctor von Pavia zurüd.
Zum Unglüd für den Herrn Dr. Henschel pflegen
die gefunden Menfchen keinen Arzt zu rufen, und die Kran⸗
fen haben gefunden Menfchenverftand genug, um fich
M. G. Saphir's Schriften. vI. Bd. 4 |
50
Aerzte zu vufen, die mehr berühmt durch ihr Wiffen, als
berücdhtigt durch ihre Abfenzen und bekannt als Reifende
nad) Pavia find. |
Herr Dr. Henſchel fing alſo feine Praris bei eini-
gen Patienten an, an welchen ſchon Viele mit Unglüd labo-
rirten, nämlich bei den Muſen!
Er ſah den Franken Zuftand unferer Mufen, und
bejchloß, fie zu curiren! Kurz, Dr. Henſchel wurde ein
Dichter! Der Himmel fteh’ uns bei!
Er ſchrieb lange Gedichte auf Concept⸗ und Recept⸗
Papier Zum Beiſpiel:
R. (Kann heißen „Recept“ oderaud) „Romanze.“)
Alſo: R. Schmerz und Herz Dr. jj.
Luft, Bruft Dr. j.
Röthe, Flöte Une. A.
Solv. in acq. laery. Nad) Bericht.
Dr. 9.
Solche Recepte bringen zwar nie einen Menfchen
um, aber fie bringen zuweilen, wie der Wiener fagt, ein
Vieh um!
Bei einem Berfifer kommt es faft noch mehr auf die
Praxis an, als bei einem Arzt. Wenn ein foldyer Verje-
Spekulant einmal fünfzig folche Recepte gefchrieben Hat,
jo geht das dann im buchſtäblichen Sinne des Wortes:
wie gefchmiert.
Herr Dr. Henſchel gehörte zu jenen ehrwürdigen
Aerzten, die gar nichts gegen ein Conſilium haben, und fo-
gar felbft dazu auffordern.
u.
51
Die Muſen ſchienen dem Herrn Dr. Henſchel be—
deutend krank, und er verſchrieb ihnen nicht das kleinſte
„Wiener Trankel“ ohne Conſilium! Leider war ich immer
derjenige, welchen er zu Rathe zog, und dem er alle ſeine
Recepte vorlas, und ſeitdem ich das Unglück habe, auch
„Apotheker“ zu ſein, das heißt, Redacteur eines
Blattes, in dem er ſeine Recepte gerne machen ließe, bin
ich der ewige und alleinige Conſulent bei ſeinen incurablen
Patienten!
Wenn ich nicht gerade den Schnupfen habe, ſo beſitze
ich eine feine, wenn auch breite Naſe. Juchten und
Manufcripte rieche ich auf zwanzig Ellen weit! und fo
viech’ ich den Heren Dr. Henschel Schon, wenn er nod) auf
der Treppe ift; denn Dr. Henfchel ift nicht ein Menſch,
der ein Manuſcript mit ſich bringt; aud) nicht ein Menſch,
der vielleicht zwei Manufcripte in der Taſche Hat; und
auch fein Menſch, der verjfchiedene Manufcripte
bei fich trägt; fondern Dr. Henſchel ift ein fürmliches
Manufcripten-Stelet; ein Yormular von einem
Menfchen, mit Manufcripten befleifcht; Alles an ihm ift
Manufcript: Fleiſch, Haut, Adern, Sehnen,
Nervenu.f.w.
Wenn er fic bewegt, Eniftert’8 wie altes Pergament;
wenn er fich niederfegt, Tnittert e8 wie eine Papyrusrolle;
und wenn er fich bückt, fo kracht's und knackt's um alle feine
Glieder!
Zu allererft nimmt er ein Manuſcript aus dem
Hut; es find Berfuche aus früherer Zeit, über die
4%
52
ex meinen Rath wünfcht; dann kommt ein Dianufcript aus
der Brufttafche: „Lyrifche Tändeleien,“ über die ich meine
Anficht fagen fol; dann kommt aus der Hintern Rockſchoß⸗
tafche ein Manufcript: „Entwurf eines Yuftfpiels,*
worüber ich meine Meinung abgeben fol; dann kommt ein
Manufcript aus der andern ähnlichen Taſche: „Dritter
Sefang eines Epos;“ dann kommt ein Manufcript
aus der Weftentafche, dann ein Manufcript aus der Uhr-
tajche, dann fommt die Brieftafche und aus ihr ein Manu-
feript: „Epigrammatifcdye Haarnadeleien,“ und fo
zaubert Herr Dr. Henfchel wie ein zweiter Bosco Manu—
feripte aus fich, aus feinen TZafchen, und aus feinen Manu—
feripten felbft wieder andere Manufcripte heraus. Mir
ſchwindelt! Wie der Beſen von Goethe’8 Zauberlehrling,
holt er immerfort Manufceripte um mich her; mir flimmert's
vor den Augen, ich erwarte, daß er ein Manufcript aus
dem Nafenloche zieht, ein Manufcript aus den hohlen
Zähnen, ein Manufcript aus den Ohrgängen u. |. w.
Dabei lächelt Dr. Henſchel felig und fagt nichts,
als: „Nur noch diefe Kleinigkeit!"
111.
Die Bunfl geht nach ſechs Semmeln. Oder: Nidts als
zehn kleine Rälbernes.
Heine Kunft ift eine ſolche durftige Veidenfchaft, als die
darftellende dramatifche. Melpomene und Thalia waren
von jeher als mit großen und durftigen Xebern verfehene
Perfonen bekannt. Eine noch durftigere Leidenſchaft ift die
Muſik! Der Notenfchlüffel und der Kellerfchlüffel gehen
Hand in Hand, und je mehr die mufikalifchen Inſtrumente
auswendig vor aller Feuchtigkeit bewahrt werden müffen,
defto zuträglicher dünkt diefe Feuchtigkeit dem Inſtrumen⸗
taliften zu fein.
Diedramatifche Kunft beruht Hauptfächlicd) auf Nach⸗
bildung der Natur, und der Durft ift, wie Galen behauptet,
die eıfte Stimme der Natur!
Starte Muskelbewegung erregt den Durft, daher
aud) die Helden, vulgo Couliſſenreißer, mehr Durft haben,
als die zärtlichen Alten u. f. w., obwohl man auch Beis
fpiele hat, daß legtere Gatturig Bedentendes im Durftfache
leiftete. Der dramatische Durft erftredt fi) von Bier, Wein
und Branntwein bis auf Lob und Lobfalm.
Alle tragischen Rollen find eigentlich nichts, als perio-
difche, hitzige Leberfranktheiten. Die Sympathie
zwifchen Xeber und Gehirn ift befannt. Je mehr eine
54
Role ftudirt wird, defto angegriffener wird die Leber. Man
kann alfo an der Bogenzahl der Rolle, die Seitelzahl des
Getränkes ermitteln, die zu ihr aufgebraucht wird. Eines
der erften Symptome einer folchen dramatifchen Reberent-
zündung ift, wie bei der wirklichen, ein ftarkes Stechen in
den Schultern, wodurch das heftige Arm- und Schulter>
fpiel herfommt, fo aud) das ſtarke Athemholen, in der Kunft-
ſprache: „Mufengeheul“ genannt, und das Herumwerfen
von der rechten auf die linke Seite und umgekehrt.
Seltner ift der Hunger bei der dramatischen Kunft,
und er übertrifft felten den eines fimplen Menſchen, defjen
Magen und Nerven nicht fo veizbar find, als die der
. Kunftwelt.
Indefjen gibt e8 Individuen, die vor, nach und in
der dramatifchen Thätigkeit, mit folcher Nerventraft nad
ihrem Magen-OÖbject verlangen, daß diefe in Heißhun—⸗
ger, Hundeshunger oder Bulimie übergeht. Diefer
Heißhunger ift fo ftark, daß er zuweilen dem Rollenhun-
ger gleich kommt.
Herr Bartolomeo Dampffiger ift ein folcher
Künftler, er frißt zuerft alle Rollen, verfchludt dann erft
alle Endfilben der ganzen Rolle, frißt den Souffleur mit
den Ohren auf, und geht erft dann in das Gaſthaus zum
„filbernen Bonzen*, um etwas zu efjen.
Allein was ißt Herr Bartolomeo Dampffiger?
Es ift nicht der Mühe werth, davon zu reden! Nichts als
ein „kleines Kälbernes”, das ift: eine halbe Portion
Kalbfleifch!
55
Was ift ein „FleinesKälbernes* für einen großen
Schaufpieler? Er tritt auf und es ift geweſen! Er läßt
fi) alfo nad) fünf Minuten vom Kellner des „filbernen
Bonzen“ nod) ein „Eleines Kälberües“ geben, mit einer
„refhen Semmel“. Allein was find zwei „kleine Käl-
bernes* für einen Künftler, dem erft ein ganzes Kälbernes
und ein ganzes Stüd im Magen, und eine Rolle von adht
Bogen im Rüden liegen? Nichts? Aflavit et dissipati
sunt!
Herr Bartolomeo Dampffiger entſchließt ſich alfo,
den Kellner nod) einmal zu rufen und ihm zu fagen:
„Sch weiß nicht, ich habe heute gar feinen rechten
Appetit, ich werde es verfuchen, bringen Sie mir ein „Eleines
Kälbernes”, aber ohne Saft und mit Exrdäpfeln.“
Drei „Kleine Kälbernes“ zählen wirklich gar nichts
in den Annalen der Kunft, und Herr Bartolonıeo Dampf-
iger fühlt fich zu Größrem berufen! Er ruft den Kellner
und ſpricht:
„Ohne Saft ift das Ding dod) nicht zu genichen,
alfo bitt’ ic) Sie, geben Sie mir ein „Eleines Kälbernes“
mit Saft und ein Bischen geröftete Erdäpfeln dazu.“
Inzwifchen hat Herr Bartolomeo feine Rolle von
morgen aus der Taſche gezogen, und ift das vierte „Kleine
Kälbernes“ mit Saft, geröfteten Erdäpfeln und Rollen-
Scnitten.
In jeinem Berufsgefchäft ganz vertieft, ruft er, halb
wie im Somnambulismus, den Kellner, und fagt im zer-
ftreuten Ton, wie aus dem Schlafe:
56
„Bringen Sie mir einmal fo ein — ad), wie heißt
ed doch — ja, bringen Sie mir einmal fo ein „Lleines
Kälbernes“, aber vom Anfchnitt, etwas braun, mit
Eſſigkren.“ |
In den „Kleinfälbernen - Zwifchenacten“ verzehrt
Herr Bartolomeo einige vazirende Semmel; aber weiß er,
daß er Semmel it? Bewahre! Er ift die Semmel nicht!
Die Kunft in ihm ißt alle diefe Semmel, er ift ja ganz zer=
freut. In der Hitze feiner Aufgabe hat fich auch das „braune
Meines Kälbernes* in den Magen hineinmemorirt, und
einmal im Zuge, dem Fluge der entbrannten Phantafie
folgend, ruft er den Kellner und fagt:
„Run möcht’ ich doch einmal ein recht weiches „Fleine8
Kälbernes", aber mit Meinen Gurken, die reizen den
Magen ein wenig.“
Während dem diefes weiche „Eleines Kälbernes“
von ihm verzehrt wird, deklamirt er mit der Tinten
Hand, und fcheint ganz bewußtlos. Endlich ruft er dem
Kellner:
„Haben Sie mir denn fchon ein weiches „Lleines
Kälbernes“ mit Gurken gebracht?"
Der Kellner bejaht es, worauf er ganz erjtaunt
ausruft:
„Das muß ich in Gedanken gegefien Haben! Es ift
auch eine gar zu fchwierige Rolle! Man vergigt ganz aufs
Effen. Seien Sie fo gut und bringen Sie mir ein „Eleines
Kälbernes“ ohne etwas dazu, aber fo etwas mit Knor⸗
pelwerf.“
\
57
Dem fiebenten „Eleines Kälberncs" folgt ein
achtes und ein neuntes, und die ſechſte Semmel ift dazu
abgefchlachtet.
Nachdem Herr Bartolomeo für jede Mufe ein „klei—
nes Kälbernes“ gegefien hat, denft er: Apollo will doch
auch nicht vernacdhläfftgt fein, ruft den Kellner und jagt:
„Es ift curios, mir fchmedt heute das „Lleines
Kälbernes“ nicht recht, und ich eſſe es doch fonft jo gerne.
Sagen Sie dod) der Köchin, fie möchte mir doc) ein recht
appetitliches, wohlfchmedendes „Kleines Kälbernes“
fchiden, ich kann dod) mit dem leeren Magen nicht ins Bett
gehen, inſonders nad) einer folchen Vieharbeit.“ Dabei zeigt
er auf feine Rolle. |
Der Kellner fommt, ein zehntes „Kleines Kälber-
nes“ wandelt den Weg aller „Eleinen Kälbernes“ in
die große Familiengruft des Künftlermagens hinein. Es ift
Mitternadht, die Gäfte find ſchon alle nach Haufe gegangen,
da fieht er fih um und ruft verwundert aus: „Schon fo
fpät?! Wie die Zeit beim Studiren vergeht! Kellner! be=
zahlen! Zehn Heine Kälbernes, ſechs Semmel u. ſ. w. Ic)
muß doc) etwas für den Magen einnehmen! Gute Nacht!“
Am andern Abend figt Bartolomeo Dampffiger
nach dem Theater wieder beim „filbernen Bonzen”, ftudirt
feine Rolle und legt nichts in fich hinein, als ſechs Sem-
mel und zehn „Kleine Kälbernes!“ |
— — — —
IV.
Bie unbegreifliche Gaſtfreundſchaft.
Es⸗ war in einer jener nord⸗deutſchen Städte, wo die Natur
fehr viel Sand und ſehr wenig Gemüth gedeihen ließ, und
wo daher auch die Mohr, weißen, Waſſer⸗ und Sted-Rüben
beffer und häufiger gepflegt wurden, als Herzlichkeit, Innig⸗
feit, Freigebigkeit und Gaftfreundfchaft.
In diefer Stadt Hatte der Liebe Himmel den Ban⸗
quier X. gefegnet mit Geld und Gut, und damit er in feinem
irdischen Glücke nicht übermüthig werbe, fegnete er ihn auch
mit einer Frau und fieben Töchtern.
Töchter haben, ift an und für ſich ein geborner
Hang zur Schwermuth, fieben Töchter haben, ift ein natür=
licher Beruf zur incurablen Melancholie.
Indefien: die Töchter waren fchön, der Vater reic)
und die Mutter Furzfichtig, drei Umftände, weldye ganz ge—
eignet waren, den Beſuch in diefem Haufe zur dem ange—
nehmften zu machen, und fo fanden fi) denn immer junge
Schäfer genug ein, welche die fieben fetten Kühe auf die
große Weide des Cour-Machens austrieben und mit ihnen
abweideten die ganze Wieje der Galanterie.
Unter diefen Schäfern war aud) ich; nicht etwa um
eine jener Kühe am Abende des Courmachens heimzutreiben
in meinen Stall, denn ich hatte feinen eigenen Stall, und
RR
59
auch fonft gar nichts von jenen fetten Heu- und Gras-
Gaben der Natur, die nöthig find, um mid) für eine appetit-
liche Ehe-Wiefe zu halten; allein der Winter im Norden
ift ſehr kalt, das Holz fehr theuer, in dem Geſellſchafts⸗
und Speife - Zimmer des Banquier X. war e8 immer fo
ſchön warm, und in der Gefellfchaft diefes Siebengeftirng
befand man fi) immer in einer Art von angenehmer und
der Gefundheit zuträglicher Transfpiration. |
Es ift befannt, daß die Mufen viel Rojen und Ber-
gigmeinnicht, aber wenig Brennholz abwerfen, und daß die
Mufenjöhne die heieften Herzen und die fälteften Füße
haben.
| Da ic) von dem Speife- und Geſellſchafts—
Zimmer des Banquiers &. fprad), jo muß ich dabei be-
merken, daß das identische Begriffe und diefelben Perfonen
waren, man fpeiste im Gefelfchafts- Zimmer, und gejell=
Ichaftete im Speije- Zimmer.
Wenn ich fagte „man fpeiste“, jo muß ie wieder
dabei bemerken, daß ich nicht aus Hiftorifchen Quellen
ſchöpfte, ſondern aus Traditionen, aus Sagen, bie fid)
mündlich im Publikum fortpflanzten. Augenzeuge war nie
Jemand, ob bei dem Herrn Banquier X. je gegeflen wurde,
und was gegefjen wurde. Die Familie betrieb diefes Geſchäft
im Geheimen, gehüllt im tiefften Schleier, nie war eine
freinde Perfon Zeuge diefes Schaufpiel®, nie wurde ein
Uneingeweihter zu diefen Myfterien zugelaffen.
Was das ift, „einen Gaſt zu Tiſche bitten,“ kannte
die Familie nur dem Hörenfagen nad). Herr &. hatte.ben
60
Grundſatz: „nur der ift gaftfrei, der frei von allen
Gäſten ift!“
Herr und Madame &., fieben Töchter, vier Söhne
und eine alte Tante, welche zugleic, Erzieherin der fetten
Plejaden war, fie festen fi) ewig und immer ganz allein
an den Eßtiſch, und fo lange der Mond die gehörnte Sichel
in den glänzenden Scheiben der diden Wangen der fleben
Töchter abjpiegelte, hat kein fremder Mund fich in ihr ftilles
Geſchäft am Tische gemiſcht.
Ih war immer willfommen im Haufe, denn die
Mutter hielt mich für ganz ungefährlich, die Töchter wollten
ſich immer zu Tod lachen über meine poffirlichen Einfälle,
- und der Vater, glaube ich immer, duldete mich gerade diefes
letten Umftandes halber.
Ich kam immer eine Stunde vor Tiſche, ent-
weder Abends oder Mittags, nie, nie fagte Jemand zu mir:
„Bleiben Sie zum Efjen da.“ Je näher die große Abfütte-
rungs-Stunde kam, defto beforglicher wurden alle Mienen.
Herr und Madame X. fcharrten mit den Füßen, wie Schweis
zer⸗Vieh, wenn ein Gewitter in den Firnen ftedt. Die fieben
Töchter gingen unruhig im Kreiſe herum, als ob fie Kolik
hätten. Die Luft felbft wurde ſchwül, bis ich mich erhob,
um zu gehen, und wenn ich fagte: „Sie wollen wohl efjen?
jett geh’ ich!“ glänzte das Antlig des Herrn X., wie ein
Seidenhut nad) dem Regen. Madame X.lächelte freundlich,
wie eine gefnidte Schmalzblume, und die fieben Töchter
wimmelten felig untereinander, wie fieben Del - Tettaugen
auf einem Eifigfalat.
61
Zwei Jahre nacheinander befuchte ich die fieben
Töchter des Herrn X. ich wurde dadurd) nicht fetter, und
fie nicht magerer, nie wurde ich zum Effen eingeladen, und
wenn mich nicht zuweilen am Abend, wenn ich hinkam, ein
Zugemüfeduft, der noch von dem geheimen Mittagsopfer
im Zimmer herumzog, wie eine Weihrauchwolfe, und ein
Nachglanz auf den vierzehn Wangen der Töchter, der lieb-
lich leuchtete, wie der belohnte Hunger, überzeugt hätten,
daß hier gegeffen wurde, gegeflen mit Frakturzähnen, fo
würde ich immer mehr geglaubt haben, daß man in diefem
Haufe gar nicht an die Eriftenz de8 Magens glaube.
Id kam zulegt auf den Gedanken, diefe Familie effe
gar nicht mit dem Munde. Bielleicht, dachte ich bei mir,
gab ihnen die Natur andere Aufjaugungs: und Einfaugungs-
Theile. Die Bäume efjfen mit den Blättern, die Blumen
aud) mit den Staubfäden, vielleicht fpeist diefe Familie
mit den Poren, mit den Augen=-Brauen, mit dem Ohr⸗
Läppchen; wer kennt alle Capricen der in ihren Schöpfuns=
gen fo bizarren Natur?! Falſche Scham hält diefe Familie
zurüd, je vor andern Leuten zu eſſen! So dachte id).
Eines Tages, e8 war im Jahre 1826, am 15. Decem⸗
ber, fam id) wie gewöhnlid) um zwölf Uhr Mittag. Ich
blieb immer, bi8 ſich dieder Abfütterung vorgehenden Symp⸗
tome einzuftellen pflegten, nämlid) allgemeine Bewegung,
auf die Uhr fehen, in die Ohren zifcheln u. |. w. Heute fam
nichts von allem dem. Eine befondere Zuthunlicjkeit der
ganzen Familie drängte fid) an mich, fie war nie fo freunde
lich geweſen; die ficben Zöchter ſchwammen um mich herum
62
wie fieben Karpfen um einen Semmelbroden. Die Mutter
blinzelte mit den Aeırglein wie eine Eidechfe, wenn man ihr
auf den Schwanz tritt, und Herr X. ſah fo fchlau aus wie
eine Charade, welcher die Auflöfung vorgedrudt ift.
Mir wurde unheimlich; ich ahnte, daß was Unge—⸗
wöhnliches vorgehe; ich griff eilig nad) dem Hut, darauf
fagte ich mein Troſtſprüchlein auf:
„Sie wollen wohl eſſen? Jetzt geh’ ich.“ Allein
Himmel! Welche Begebenheit! Das Unerhörtefte ift geſche⸗
hen! Nicht möglich und doch gefchehen! Herr &. fuhr auf
nich zu: „Wollen Sie nicht einen Löffel Suppe mit uns
eſſen?“ — Ich blieb ſprachlos ftehen. Hatt’ ich recht gehört ?
„Eifen?" „Miteffen?" „Mit uns effen?“
Es mußte etwas Ungeheueres vorgegangen fein!
Ich war ftarr vor Erftaunen und konnte fein Wort
bervorbringen. Madame X. angelte mit der Hand nad) mir
wie eine Angel nach einem Weißfiſch. „Ad ja, Sie find
heute unfer Gaſt!“ — Ich rieb mir die Augen, die Ohren,
die Nafe, ic) wußte nicht, ob ic) träume, wache. Die fieben
Töchter unwingten mid) auch und aus allen Sieben ertönte
ed auf einmal wie aus fieben Bierflafchen, von denen der
Stöpfel zu gleicher Zeit losging: „Ach ja, Sie eſſen Heute
Mittag bei uns!“
Dabei nahm man mir Hut, Stod und Handichuh
aus der Hand, und ich blieb faft willenlos. Gewiß, es lag
eine große Urfache, ein unerforfchliches®eheimniß zu Grunde,
und id) befchloß, e8 zu erforfchen, und wenn ed mein Leben
koſten follte.
63
Man fpeisie, man fpeiste gut, mit Fleiß und Aus-
dauer, mit aller deutfchen Biederfeit und jener gelehrten,
zähen Unermüdlichfeit, die man an deutjcher Philofophie
und Efluft gewohnt ift. Die Familie aß wie alle Menfchen,
nirgends eine Abnormität! Die fieben Töchter, freilich die
aßen jedes Gericht dreimal: erſt verfchlangen fie e8 mit den
Augen, dann verfchlangen fie e8 mit der Nafe, und dann
erft mit dem Munde; dafür gejchah diefes Letzte aber aud)
fo Schnell, dafür wurde das Gericht mit einer folchen Bliges-
jchnelle von der Zunge zum Magen übergeführt, daß es
nicht einmal Zeit hatte, ein kleines Legat an die Zähne
auszuwerfen. Dies Effen war zu Ende, Alles in Ordnung,
man war fröhlich und guter Dinge, nirgends konnte id) die
Urſache diefer unerhörten Safteinladung erforfchen.
Ich nahın gerührt Abjchied von der ganzen Familie,
jie war freundlich und lieb bis zum legten Augenblide.
Ic ging, in Gedanken damit befchäftigt, die Urfache
diefer außerordentlichen Erfcheinung aufzufpüren.
Im Vorzimmer gab mir das Stubenmädchen meinen
Mantel unt.
Diefer Moment war immer einer der intereffanteften
bei dem Banquier X. Es war ein allerliebftes Wefen, und
jo konnte fein Lebendes Weſen den Mantel nach den Wind’
und um die Schultern hängen, als fie. Da ich ihr beim
MWeggehen ftet8 entweder die Hand felbft, oder etwas in die
Hand drüdte, welches Kette mehr Eindruck auf fie zu
machen jehien, war fte mir fehr gewogen, und fchüttete
mandjes Familien-Geheimniß in meinen Bufen und in
64
meinen Mantel aus. Heute lächelte dieſes Stubenmädchen
ein Lächeln, in welchem viel „Drolliges“ lag, aber Drolliges
friſch und luſtig, nicht alt und abgeſchmackt.
Ic gewahrte das, drüdte ihr die Hand beträchtlich
und etwas Beträchtliches in die Hand.
Meine Drudkoften wurden reichlich belohnt. „Wiffen
Sie, Herr Doctor,” fagte fie, „warum Sie heute hier
jpeisten ?" — „Ad, Engel! fage e8 mir doch!” erwiederte
ih. — „Nun,“ fagte fie, „die alte Tante ift Frank, und
konnte nicht zu Tiſche kommen. Die Familie ift ungeheuer
abergläubig, ohne die Tante wären fie dreizehn bei Zifche
geweſen, und, ihrer Meinung nach, hätte Jemand von ihnen
- fterben müffen, Sie mußten alfo den Bierzehnten machen !”
— — — ——
v.
Dr. Eifenkorn, das Zanfendfapperment- Talent.
Talentvolle Menſchen haben gewöhnlich nur zu Dieſem
oder Jenem Talent. Niemand hat zu Allem Talent. Es gibt
aber Menſchen ohne alles Talent, die zu Allem Talent zu
haben glauben, die ſich an Alles wagen, in Allem verſuchen,
in jedem Genre zu jeder Zeit für Jedermann zu arbeiten
bereit find; kurz, es gibt Menſchen mit einem Tanfend-
fapperments - Talent.
Dr. Eifentorn ift ein folches Univerſal-Talent.
Er arbeitet mit jedem der zehn Finger für eine andere Un—
fterblichkeit! Er fchligt fich wie ein Pelikan die Bruft auf,
und tränkt mit feiner Herztinte alle feine literariſchen Kin—
der. Er ift Mitarbeiter an allen beftchenden Zeitfchriften,
Correſpondent in allen Journalen, intim mit allen Schrift-
ftellern, in genauer Berbindung mit den ausgezeichnetften
Zeitgenoffen, Bertrauter und NRathgeber aller Kunft- und
Theater=Divectionen, unzertrennlicher Geführte und Haus-
freund aller Künftler, Sänger, Tänzer, Tänzerinnen u. ſ. w.
Wenn er auffteht, fo raucht er eine Cigarre, und
ichreibt eine Dde an das Morgenroth; dann frühftüdt er,
und fchreibt eine Humoresfe über den Kaffee; dann wäfcht
er das Geficht mit der linken Hand, und fchreibt mit der
rechten eine Satyre; dann wäfcht er das Geficht mit der
M. ©. Saphir's Schriften. vi. Mb. 5
66
rechten Hand, und jchreibt mit der linfen ein Sonett; dann
Itest er die Theaterzettel, und fcehreibt ein Trauerfpiel; dann
läßt er fich rafiren, und dictirt cine Novelette; dann zieht
er feinen Schlafrod an, und fchreibt ein Epigramm; dann
geht er auf und ab, und fehreibt eine Charade; dann wirft
er ſich in den Schreibfefjel, und fchreibt Tiebeslieder; dann
ftopft ex ſich eine Pfeife, und fchreibt eine Ballade, kurz, er
ſchreibt Alles für Alle, an Alle, auf Alle; dann ſchickt er
die Charade an jene Redaction, die Ballade an eine zweite,
die Dde an eine dritte, das Sonett an eine vierte u. |. w.
Dann fliegen die Briefe nah Oſt, Weft, Süd, Nord, und
immer heißt e8: „Zwar fann ich meine Zeit nur felten zu
literariſchen Werken verwenden, allein den Heinen Raub
an meiner Zeit bin id) fo frei u. |. wm.”
Daranf geht Dr. Eiſenkorn aus.
Die Thätigfeit und Bielfeitigkeit, die er in feinem
Zimmer à la camera entfaltete, ift nichts, ift ein einfeitiges
Ding gegen die ungeheure, raftlofe und alle Gegenftände
umfafjende Rüftigfeit und Allfeitigkeit, die er nicht nur in
den Befuchen zı allen Redactionen, Directionen, Ambitionen,
Hiftrionen u. |. w. entwidelt, fondern aud) in den frucht-
baren Streifzügen, die er auf der Straße, im Gehen, en
passant zu Wege bringt!
Auf dem Hauptplage begegnet er einem Redacteur:
„Ad, mein Liebfter! für Sie hab! ich ein Föftliches Auf-
ſätzchen! Nicht gar groß, fo in zehn, zwölf Yortfegungen
Herr N. N., Redacteur des So und So, wollt’ es haben,
allein Sie wiffen, ich geb’ es lieber in Ihr Blatt u. ſ. w.“
67
Zehn Schritte weiter begegnet ihm N. N., der Redac⸗
teur des So und So, er umarmt ihn: „So eben dacht’ ich
an Sie, mein edler Freund, ic) hab’ für Sie ein köſtliches
Auffäschen! Ein epifches Gedicht in ganz neuer Form, noch
gar nicht dagewefen ! Nicht groß, gar nieht groß, fünfund-
zwanzig zwölfzeilige Stangen, Herr P. P., Redacteur von
So und So, hat’8 zufällig bei mir gefehen, und wollt’ e8
mit Gewalt einfteden, allein ich hab's einmal Ihnen be⸗
ftinımt: ich mag dem PB. P. nichts geben u. f. w.“
Um die Ede herum, ftößt er auf P. P., ſchüttelt ihm
die Hand: „Grad redht, mein Theurer, für Sie hab’ ich
was, ein Föftliches Auffäschen! „Humoriftifche Lebens
gefchichte einer Lederbirne,“ nicht gar zu groß, fechzehn Heine
Kapitelhen. Ich hab's geftern in einer Geſellſchaft gelefen,
wo auh 3. 3., der Kedacteur de8 So und So, war;
der hätt’ mic) bald infultirt, daß ich es ihm nicht geben
wollte u. |. w.“
In der nächſten Gaſſe ftoßt er auf den Balletmeifter
der großen Oper: „Zu Ihnen wollte ich eben, mein Ver⸗
ehrter, ich habe ein Föftliches Progranım zu einem roman⸗
tischen Ballete: „Terpſichorens Triumph,” oder:
„Die geheilte Xeberverhärtung.” Das ift ein
höchſt romantiſches Sujet; ich Habe darin eine Gruppe
von Allopathen und Homöopathen tanzen laſſen, die außer⸗
ordentlich pittoresk ift u. ſ. w.“
Der Balletmeifter empfiehlt fi) danfend und Dr.
Eiſenkorn jegt feinen Zug fort; da fommt ihn der Kapell⸗
meifter der großen Oper in den Wurf: „Ad, guten Morgen
5 *
68
ein gutes Vorzeichen! Hören Sie, mein Hochgeſchätz⸗
ter, für Sie habe id) einen köſtlichen Operntert! heroifch-
romantisch:
„Mutter und Elephant,* oder: „Wahre Liebe
überwältigt Beſtien.“
Da find Gemüths-Scenen! Affecte! Abwechslung!
Sie mit Ihrem Talente und diefer Text, ohne mir zu
fchmeicheln, da8 wird was ganz Neues u. f. w.“
Kaum hat fich der beglückte Kapellmeifter aus feinen
Armen gerifjen, fo führt der boshafte Gott des Zufalls ihm
einen Director eines Bolfstheaters zu: „Ach, himmlifch !
mein Berehrtefter! heute Hätte ich Sie auf jeden Fall noch
gefprochen! Ich Habe etwas Köftliches für Sie! Noch gar
nie da gewejen! Eine ganz neue Idee, eine neue Seftaltung
der Lokalpoſſe, ein Stüd in drei Acten, mit einem Vorjpiel,
zwei Nachfpielen, und drei Zwifchen - Act- Spielen, unter
dem Titel: |
„Hi⸗Hi! — Mi-Mi! — Bi-Bi! lauter Allegorie!”
oder: „Das bezauberte Grieszweckerl.“
Eine nichtparodirende Barade-Parodie, in willfür-
lichen Aufzügen. Das macht Ihnen wenigftens ein paar
. Hundert volle Häufer, ohne alle Ausftattung, blos das
Stüd, blog das Stüd u. f. w.“
Der Director umarmtihn ganz erfchroden, empfiehlt
ſich, und ftehe da, Herr Eiſenkorn hängt ſchon wieder an
einem berühmten Schauspieler: „Guten Morgen, mein
Befter, ich dachte eben an Sie, ich höre, Sie wollten im
69
nächſten Soncert deflamiren? Da hab’ ich was Köftliches
- für Siel Eine Ballade, voll Effect! |
„Die große Baufe der Natur nad) dem Unter-
gange der Welt!“
Da haben Sie Gelegenheit, Gefühl, Herz und Runge
zu zeigen! Da find Stellen, Stellen, wo ich zerjprungene
Geuerberge vedend einführe, und wo das ausgetrodnete
Weltmeer nah einem Tropfen Wafler lechzt, das muß
Furore maden u. f. w.“
Kaum wendet fi) der betroffene Schaufpieler zum
Abſchiede un, jo Hat Herr Eiſenkorn ſchon wieder einen
Theater-Director erwifcht: „Ergebenfter Diener! Für Sie
hab’ ich was Köftliches! Da hab’ ich diefe Woche in einer
müßigen Stunde fünfundfedyzig neue Stüde aus dem
Franzöſiſchen überſetzt, eigentlich nicht überfegt, ich über-
jege nicht, bearbeitet, frei bearbeitet; eigentlich nicht be=
arbeitet, blo8 mitgetheilt, mitgeteilt; eigentlich nicht
mitgetheilt, ich mittheile nicht, fondern blo8 nach der
Idee, nad) der Idee, nad fünfundſechzig Ideen f
Sie werden alle gewiß fehr gefallen u. f. w.“
Noch bei dem legten Worte ſtürzt Herr Eiſenkorn
auf einen andern Mann zu, es ift ein Lieder⸗Compoſiteur:
„Ach, nein Charmanteſter, für Sie hab’ ich was Köſtliches!
ganz für die Muſik! ganz Igrifch, echt muſikaliſch:
„Schnupfen und Seufzer, eine Serenade im.
Schneegeftöber.*
Id ſag' Ihnen, das ſingt ſich von jelbft; das werben Sie
bimmlifch componiren! u. f. w.
70
Kurz, Dr. Eiſenkorn iſt überall zu leſen, zu finden,
zu ſehen, gedruckt in großen, kleinen und mittlern Lettern,
über und unter ſeinen Aufſätzen, mit deutſchen, lateiniſchen
und gothiſchen Buchſtaben; er ſchreibt „Geſammeltes“
— „Gefundenes“ — „Erbeutetes“ — „Aufge—
ſchnapptes“ — „Fuſammengetragenes“ — „Frem⸗
des und Eigenes“ — „Steinchen“ — „Buntes“
— „Scherben — „Späne“ — „Splitter" —
„Zahnſtocher“ — „Curioſa“ — „Körner" —
„Pillen“ — „Fidibus“ u. ſ. w. und unter jedem Worte
breit und Har: Dr. Eiſenkorn.
Er jchreibt als Anekdote:
„Berthold Schwarz Hat das Pulver erfunden.“
Dr. Eifentorn.
As Miscelle:
„Horaz bat gejagt, man ſoll erſt nad neun
Jahren fein Werk druden laffen.“
Dr. Eifenforn.
Als Aphorisme:
„Hamlet fagt: Sein oder nicht fein, das ift die
Fragel“ Dr. Eiſenkorn.
Als Gedankenkäſtlein:
„Bevor Dr. Jenner das Impfen entdeckte, gab es
mehr Menſchen mit Blatternarben, als jetzt.“
Dr. Eiſenkorn.
Als Eingeholtes:
„Shakeſpeare iſt alt und doch neu!“
Dr. Eiſenkorn.
21
als Nüffe für [höne Zähne:
Räthjel: „Wo Haben die erften Menjchen den
Löffel angefaßt?“
Auflöfung: „Beim Stiel! Ha! ha! ha!
Dr. Eifenforn.
Und dennod), dennoch), — o unbegreifliches Wunder
der Lefewelt! — bleibt Dr. Eiſenkorn der Leſewelt un=-
befannt!
Es ift ein Unglüd, ein Talent zu Allem, ein Unte
verfals Talent zu haben!
VL
Herr Schuiffelfeld, der Naturforfder.
Der: Scniffelfeld pflegt mich zumeilen zu befucchen.
Wenn ich fage, er pflegt mich zu befuchen, jo verftche ich
darunter, daß er zumeilen alle meine Mobilien, meine Bil-
der, meine Bücher, meine Büften, meine Porte-Bijour u. |. w.
unterfucht, ergründet, und die Naturgefchichte aller meiner
liegenden, hängenden und herumfahrenden Effecten ftudirt !
Herr Schniffelfeld kommt ind Zimmer; mit dem
erften Entrechat fagt er: „AH, guten Morgen, wie geht’8?*
und nit dem zweiten Schritte ift er an meinem Mitteltiſche,
ergreift ein da liegendes Manufeript, fchlägt den Titel auf,
und nun beginnt die Naturforjcheret:
Er. Bon wen ift dies Luftfpiel?
Id. Ja! von einem Ungenannten.
Er. Wird e8 aufgeführt werden ?
Ih. Kann fein.
Er. Iſt das des Berfaffers Handjchrift?
Ih. Ich weiß wahrlich nicht.
Er. Hübſch gefchrieben.
IH. Recht hübſch.
Er. Und ſchönes Papier.
Ich. Recht Schön, u. ſ. w.
73
Nach diefer Unterfuchung ftürzt fi) Herr Schniffel-
Teld auf einen ausgeftopften Nußhäher, der eine Feder im
Munde hat. Er fängt die Naturforjcherei an: „Das tft
ein Nußhäher!“ Ich nide fchweigend: Ja. — „Die
Augen find eingefegt.‘ Id) nide fchweigend: Ja. —
„Die Feder ift recht hübſch angebracht!” Ich lächle
Holdfelig. — „Eine gute Idee!’ Ich fage: Pafjirt! Er
fährt fort: „Sie ftopfen jeßt recht gut aus!“ und
Hat fchon mein Siegel in der Hand: „Hübfch geftochen!“
Da id) daraufnichts erwiedere, drückt indefjen Herr Schnif-
felfeld an meine Zündmafcjine und fagt: „Sie geht
recht gut! das ift mit Phosphor!” Dann zündet er
meinen Wahsftod an, nicht ohne dabei zu fagen: „Ein
tüchtiger Kerlvoneinem Wachsſtock!“ nimmt mein
Siegellad, liest darauf: „Patent-Lack,“ reibt e8 am Tuch-
Aermel, dann ninmt er Papier, läßt das Siegelwachs
Schmelzen, drückt mein Siegel darauf, führt e8 an die Augen
und fagt: „Das drückt ſich rehtdeutlid aus!” —
Kaum ift Herr Schniffelfeld mit diefen Erperiment
fertig, fo ſtürzt fich feine naturforfchende Wißbegier von der
Wappenfunde auf die Blumiſtik. Er ergreift ein Glas mit
Blumen, das auf meinem Zijche fteht, führt es mit einem
genialen Schwunge an die Naſe und fagt: „Vortrefflich
trieben fie!” Dann reibt er eine Reſede zwiſchen feinen
Vingern, und führt diefe wieder an feine Nafe, indem er
felbftzufrieden, Lächelnd fagt: „Die Blumen haben ger
wiß was zu bedeuten!“ Ich lächle ganz aufgelöst. In»
deſſen geht die unermüdliche Unterfuchungsluft des Herrn
74
Schniffelfeld von der Blumiftif wieder zur Mineralogie
über. Er ergreift meine Uhrkette mit den Petfchaften, dreht
fie Hin und her, haucht fie an, läßt fie im Lichte fpielen und -
ruft aus: „Das ift ein Rubin pald, und das ein
Carneol.“ Darauf liest er, was auf ihnen geftochen ift:
„Rehtfinnig! Stiefind ein Vocativus!“ Ich lächle
wicder wie nad) einer Ramillen = Infufion. „Der Carneol
ift nicht ganz rein! Ich Habe auch einen, der ift hübſcher!“
— und, bums! auf einmal ift er über meinen Wandforb
gerathen! — „Der ſcheint gehäfelt zu fein? oder
tambourirt? Ich glaube, e8 ift Seiden-Toque; die Idee iſt
nicht übel: ich möchte wiffen, 06 es ſelbſt gemacht, oder ob
e8 gefauft iſt?“ — Ich geftehe meine Unwifjenheit, und Herr
Schniffelfeld ftürzt fich auf die Fiſchtunde, er macht
ſich über mein Glas mit Goldfiſchen, nimmt das kleine Netz
und fährt hinein: „Ach, die lieben Thierchen! da iſt
ein geflecktes! Die müſſen alle Tage Waſſer bekommen?
Haben Sie ſie geſchenkt bekommen? gekauft? Halten ſie ſich
lange? Wie lange haben Sie fie ſchon?“ Er hört aber meine
Antwort gar nicht an, fondern er hat ſich ichon meines Per=
fpective8 bemächtigt, zieht e8 aus, macht das Fenſter auf,
und verſucht es: „Das ift ein gutes Glas. Ich hab’ auch
eins; aber auf diefem jeh’ ich beſſer. Es hat keine Farben—⸗
Ränder. Ein gutes Glas ift ein Glück! Da drauf fehen
Sie die Schaufpieler durch und durch!“ Darauf lacht er
ungeheuer naturforfcherlich, und ic) begleite dieſes Gelächter
mit einem discreten weinfäuerlichen Lächeln. Plöglich dreht.
ſich Herr Schniffelfeld zu meinem Büſten-⸗Schrank, und
75
ruft aus: „Oyps!“ dann faßt er Goethe beim Hals, Schiller
bei der Nafe, Mozart läßt er auf der freien Hand ftchen,
Haydn trägt er zum Wenfter hin, dem Sopholles gudt er
von unten in die Luftröhre hinein, und dem Apollo vom
Belvedere bläst er den Staub aus den Augenwinfeln. Uns
glüdlicher Weife hängt auf dem Kopfe einer bronzenen Niobe
ein nettes, blaues Käppchen, und — hier ift Stoff zu Unter-
fuchungen, zu Forfchungen, zu Meinungen! ‚Ein allerlieb-
ftes Räppchen! blau und weiß! Ha, Treue und Unfchuld?
Ha ha ha! Und auf der Niobe! Das hat was zu bedeuten!
Ja, bei Ihnen ift Alles mit Beziehung! Niobe! Ein Käpp-
hen! Ein Käppchen auf der Niobe! Eine bronzene Niobe
mit einem blauen Käppchen! Curios! recht curios! Warum
grad’ auf der Niobe! ſonderbar!“ Herr Schniffelfeld
wäre noch nicht fertig, wenn nicht plöglich ein geftictes Ta⸗
bleau mit der Unterfchrift: „Die Masfe,am8, Februar,“
feinen Eifer und feine Wißbegier aufgeregt Hätte! ‚Die
Maske? die Maste? Welche Maste? Aha, eine Maske!
am 8. Februar? Was ift denn am 8. Februar? Wiffen
Sie, von wen e8 ift? Wann haben Sie’8 befommen? Was
ftellt e8 eigentlich vor? Die Maske! Am 8. Februar! Hum!
curios! Ber Ihnen fieht man curiofe Sachen!“ — Darauf
greift er nach meinem Hut, nimmt die Handfchuh heraus,
dreht fie um, und liest: „Iaquemar! Ya, Daquemar! Ic)
trag’ auch Jaquemar! — Aha, da find fle aufgeriffen; Sie
müſſen erft hinein blafen, bevor Sie fie anziehen, jehen Sie,
fo — nun bläst er in die Handfchuh, wirft fie dann weg,
un nad) meinem Stode zu greifen: „Ein fpanifches Rohr!
76
ein hübſcher Stod! der Knopf oben recht Hübfch! echtes
Gold oder vergoldet? recht maffiv! Etwas ſchwer! aber
recht ftattlich!" Darauf gibt er fic wieder eine fühne Wen-
dung an meinen Schreibtifch, ergreift das Federmeſſer und
jagt: „Eineechtenglifche Klinge! Schneidet fie gut?” Dann
nimmt er eine Feder und probirt es; plöglich Fällt ihm ein:
„SH muß doch jehen, ob ich mit Ihren Federn fchreiben
kann!“ Er nimmt meine Feder, ſetzt fid) in meinen Arbeits-
jeffel, ergreift meine Feder, und ſchreibt, nachdem er erft
da8 Papier unterfuht Hat, und fand, daß es Whatmann
fei, auf mein Papier einigemal feinen Namen, und dann:
„Komm, weiße Dame, komm, weiße Dame, fonını, weiße
Dame!* Dann lacht er, und jagt: „Ihre Federn find zu
fpit! zu ſpitz! zu ſpitz!“ Ungeheures Gelächter von
- feiner Seite, ein fanftfeliges Lächeln von meiner Seite.
Zum guten Glüd meldet mein Diener einen Beſuch,
Herr Schniffelfeld empfiehlt fich, indem er im Abgehen
nod) ſchnell den bei der Thür ftehenden Regenſchirm in die
Höhe hebt, anfchaut, biegt uud fagt: „Recht fein, recht leicht,
aber etwas Hein, nur für eine Perfon! Verſtehen Sie mid) ?
Nur für eine Perfon!! Ha! Ha!
v2.
Winter- Opfer und Gefellfcyafts - Geißeln.
Der tanzende Nachtlöhner. n
dAenn man ein Bischen darüber nachdenkt, woher es
kommt, daß zuweilen die ſittſamſten Mädchen in ſchlechten
Ruf kommen, daß die unſchuldigſte Frau in üble Nachrede
geräth, ſo kommt man auf eine der Haupturſachen: ſchlecht
gewählte, leichtſinnige Geſellſchaft, und der Hang zu dieſen
hirnloſen und geiſtloſen Geſellſchaften entſteht aus den drei
Suchten der weiblichen Welt: Putzſucht, Gefallſucht,
Tanzſucht, das ift der Poſitiv, Comparativ und Super-
lativ de8 Zugrundegehens aller bejjern Frauen-Natur.
Ich brauche zu meinen heutigen Bilde nur die Tanz—
ſucht aleın.
Viele Acltern leiden an einem einfachen Uebel,
an einer Tochter, die fie gerne verheirathen möchten, oder
an einem doppelten Uebel, an zwei Töchtern, oder an einem
dreifachen, an drei Töchtern u. ſ. w. Ä
Segen diefes Heirathsübel werden, wie .gegen alle
Örtliche Uebel, gegen Gicht u. |. w., Badecuren umd
Schweißcuren gebraudt. — Im Sommer geht man auf
Badeorte, Karlsbad, Pyrmont, Aachen u. f. w., vielleicht
18
gießt ein unfchuldiger Freier das Bad mit dem fchönen
Kinde aus, und Heirathet es; im Winter aber braucht man
Schweißcuren, die fogenannten Jourfir, oder Hausbälle,
oder Picknicks, wo die armen Kandidatinnen des Eheftandes
ſich im Schweiße ihres Angefichtes einen Dann ertanzen
follen. Zum SHeirathen gehören aber Freier, zum Tanzen
Tänzer! Die Mädchen können ſich nicht untereinander hei-
rathen, die Mädchen können nicht untereinander tanzen !
Die Tänzer find aber jett fo rar, wie die Freier!
Den Hof wollen die Männer jett den Mädchen machen,
aber fein Haus machen fie ihnen dazu; aufziehen thun
fie die Mädchen fleißig, aber nicht zum Tanz!
„Tänzer! Tänzer! Im Gotteswillen Tän-
zer!“ Das ift der Noth- und Hilferuf aller albernen Mütter!
Der Mann jammert: „Kann ich Tänzer aus der
Erde ftampfen? Wächst mir ein Tanz - Anführer in der
flachen Hand?" Aber das Schredlichfte der Schreden ift
eine Mutter in ihrem Wahn!
„Zänzer! der gute Auf meiner Töchter für einen
Tänzer!”
| Jeder Bekannte wird alfo auf Tänzer- Raub aus-
gefhict. Ein Feder darf einen Tänzer bringen; ob diefer
Tänzer nun veich oder arm, Flug oder dumm, gefittet oder
lafterhaft, geachtet oder verrufen ift, das gilt gleich, ift er
doch ein Tänzer!
Diefe Hausfreunde zerftreuen ſich nun in Kaffee—
häuſern, in Bierkneipen, an Straßeneden, in Theatern, und
rufen: „Iſt kein Tänzer unter Euch?“ Iſt einer da, fo
79
wird er gefragt: „Tanzen Ste? Tanzen Sie viel?* Dann
“wird mit dem armen Schlachtopfer ein Pact gefchloffen, er
wird ale Nachtlöhner gemiethet, ev muß Alles tanzen,
mit Allen tanzen, die ganze Nacht tanzen!
Das tanzende Opferlamm wird Abends ſchwarz an=
gezogen, eine Rofe in fein Knopfloch geftedt, gelbe Hand-
ſchuhe befommt er, und nun wird er in die Gefellfchaft, die
er nicht, die ihm nicht Fennt, geführt. Er präfentirt fein
Creditiv al8 Tänzer, und weder Mutter noch Tochter,
noch die eilfhundert thörichten Sungfrauen, die eingeladen
find, fragen: „Wer ift das, was ift er?” Mag es der uns
geſchlachteſte Bengel, der Hirnlojefte Sant, der fittenlofefte
Roue fein, was thut da8? Er ift ein Tänzer!
„Dies eine Wort erfchlägt zehntaufend Rückſichten!“
Über dafür muß der arme Mann aud) arbeiten! Wie
ein Laftthier Feucht er unter feinem unfterblichen Beruf!
Er muß die Paare ftellen, den Kotillon anführen, die
Zouren arrangivren u. |. io. ; feinen Augenblick darf der Arme
raften, er muß ein perpetuum mobile feitt.
Will er einen Augenblic figen, fo kommt die Haus-
frau: „Ach, ich bitte Sie, tanzen Sie doch mit der dien
Frau 3. ein Bischen, es fordert fie Niemand auf!“ und
der arme tanzende Nachtlöhner geht hin und fordert daß
lebendige Rondeau auf, und
„Zanzet herauf, und tanzet hernieder,
Bis ihm Inaden die zerbrochenen Glieder!“
Erſchöpft lehnt er fid) an eine Stuhllehne, da kommt
Das Hausfräulein: „Ic bitte Sie, Fiebfter, ziehen Sie dod)
80
das kleine Fräulein dort ein Bischen zum Tanze auf, ſie
iſt ſchon beleidigt.“ Mit ſchmerzlicher Reſignation geht das
Opferlamm hin, zieht das kleine Fräulein auf, und walzt
wieder wie eine Windsbraut um den Saal herum, läßt ſie
dann in ihren Seſſel hineinfallen, und lehnt ſich athemlos
in die Fenſtervertiefung; allein, nein, noch iſt dir keine Ruhe
beſchieden, du weiſes, thätiges, menſchenfreundliches Haupt!
Die Frau kommt wieder: „Das Fräulein X. will eine
Mazurka tanzen, Sie thuen mir die Freundſchaft!“
Und der tanzende Nachtlöhner rafft ſich zuſammen,
und rafft eine Mazurka zuſammen, und gekocht wie ein
Krebs, aber deshalb nicht minder roh, hat er vollendet!
In einer ſeligen Minute will er ſeinen heißen Gram
an dem Buſen eines Gefrornen ausſchütten, da wird zum
Cotillon geblaſen!
Auf, auf, mein Tänzer, zu Pferd, zu Pferd!”
Da fteht er wieder, verlaffen hat er fein Eis, feine
Mandelmild), und neuerdings tanzt er eine Stunde herab.
Wenn die Nacht zu Ende if, wenn die Tichter aus—
gebrannt find, die Mädchen blaß, die Friſuren zerriffen, und
Alles geht, ftreicht der lendenlahme, abgehette Nachtlöhner
feinen Danf ein und erhäft die dringende Einladung, ja
zum nädjften Tanz wieder zu kommen. Wie er fort ift, frägt
man fich: „Wer ift denn das?“ Kein Menfch weiß es. Die
Hausfrau fragt: „Wer hat ihn denn gebradt?” Es ift
faum zu ermitteln.
Ein paar Tage fpäter geht ein liebes, fittfanes, uns
Schuldiges Mädchen über die Straße; ein verrufener, als
Bin
81
ſittenlos bekannter junger Mann grüßt fie ganz vertraulich;
die Leute, die e8 bemerken, zuden die Achfel, — und er
fagt zu feinem Begleiter: „Mit der fteh’ ich auf einem
curioſen Fuß!“
Das Mädchen war auf jenem Hausball, und der
Begrüßende war der tanzende Nachtlöhner!
„Das ift der Fluch der böfen That, daß fie fortzeugend
innmer Böfes muß gebären!“
M. G. Saphir's Schriften. VI. Bd. 6
VIII.
Ein Löffel Polenta!
Herr Hummerfutterer hat nur eine Leidenſchaft, er
ladet ſich gerne manchmal einen Freund auf einen Löffel
Polenta“ ein. Frau Hummerfutterer hat aud) nur
eine Leidenfchaft, fie gibt nicht gerne Femanden einen Löffel
Polenta, und Fräulein Migi Hummerfutterer hat
auch nur eine Leidenschaft, fie ißt nämlich felbft gar zu gerne
einen Töffel Polenta, aber immer denjenigen Löffel,
den ein Anderer befommen fol.
Ich war dazıı beftimmt, zwifchen diefen dreier fich
freuzenden Löffel-Teidenfchaften graufan in die Mitte ge-
worfen zu werden.
„Eilen Sie doh Mittwoch einen Löffel Polenta
bei mir!“ fagte Herr Hummerfutterer, und ich fagte:
„Ja!“ — Mittwod) Früh erfchien der Bebiente von Herrn
Hummerfutterer mit einer Empfehlung der Yrau von
Hummerfutterer, und es thäte ihr ſehr leid, aber fie
habe fich geftern Abends erfältigt, Tiegeim Bette, und würde
fi) da8 Vergnügen ein Andermal erbitten, Zwei Stunden
darauf traf ich Frauvon HummerfuttereraufderSeiler-
ſtatt, wo ſie einen Sack Polenta-Mehl einkaufte. Sie ſah
33
mid) nicht; aus Malice ging ich auf fie zu: „Ich ſchätze
mich glücklich gnädige Fran! Sie ſchon außer Bett zu fehen ;
wie geht's, meine Verehrte?“ — „Ach,“ erwiderte fie, „ich
habe mid) gewaltfam aus dem Bette geriffen, und muß mich
gleich wieder niederlegen; wie ſehr bedaure ich. Aber ver»
jprechen Sie mir, daß Sie nädjften Diontag einen „Xöffel
Polenta“ mit uns effen!“ — Ich verfpradh e3.
Montag Früh Fam der Bediente des Herrn von
Hummerfutterer, „fein Herr fühle fi) ganz unglüd-
lich, allein Fräulein Hummerfutterer habe plößlich zu
einer todtkranfer Freundin nad) Baden müffen, und fie wollte
das Vergnügen meiner Gefellfchaft doc) auch genießen!” —
Ic bedauerte fehr.
Nachmittag ging ich zu Guerra's, und kam gerade
neben Frau und Fräulein von Hummerfutterer zufigen.
„Stellen Sie fich vor,” fagte Frauvon Hummerfutterer,
„eben wollte ſich meine Mitt auf den Wagen fegen, da be-
fommen wir die Nachricht, daß ihre Freundin, dem Himmel
ſei's geklagt, geftorben ift! — Ich habe doppelt bedauert!
Allein jetzt verfprechen Sie mir, daß Sie fünftigen Frei—
tag ficher auf einen „Xöffel Polenta“ kommen!“ — Id
verſprach.
Donnerstag Abends erhielt ic) folgende Zeilen
von Herrn von Hummerfutterer: „Es ift wirflich tra⸗
gifh! Zum dritten Mal muß ich mit Xeidwefen auf Ihre
Öegenwart verzichten. — Meine Frau hat vergefien,
daß wir fchon feit vierzehn Lagen auf Morgen eingeladen
find, u. f. wm." —
6*
81
Am Freitag Morgens begab ich mid) zufällig felbft
auf den Wildpretmarkt, weil ich zu einem vorgenommenen
Pidnid zwei Faſanen zu faufen hatte. Als id) in den La—
den eintrat, fteht, mit bem Rücken zu mir gewendet, Herr
Hummerfutterer, weldher einige Schnüre „Feine Bögerl*
in der Hand wiegt, und zu der Wildprethändlerin fagt:
„Aber Sie müſſen fie mir fogleich ſchicken, denn wir brauchen
fie zur Polenta, und wir eſſen ſchon um Ein Uhr!“
Ich Lopfte dem Herrn Hummerfutterer ſachte
auf die Schulter: „Suten Morgen, liebfter Herr von
Hummerfutterer! wie befinden fie ſich? Kaufen fie
„Keine Vögerl?“
„3a, ” ftammelteer ganz blaß, „MeineBögerl bloß." —
— „Über zur Polenta wahrſcheinlich?“ —
— „Sa wohl, aber, aber blos für meine Kinder; ich
und meine Trau find bei ***, — Was fagen Sie zu meinem
Unglüd! Aber nächſten Dienstag entgehen Sie mir nicht
mehr. Da eſſen Sie einmal einen „Löffel Bolenta* bei
mir. Geben Sie mir ihr Ehrenwort!“
Ic wendete mich darauf zur Wildprethändlerin, und
fagte ihr ganz laut: Schiden Sie mir dod) nächſten Diens⸗
tag Früh ein Paar Krammetsvögel zu mir, ich will fie
Mittags eſſen.“ — Und mit einem derben Händedrud, in
dem eine ganze Refignation aller Bolenta lag, trennte id)
mid) von Herrn Hummerfutterer.
Der verhängnißvolle Dienstag kam; ed wurde acht,
neun, zehn, eiff, zwölf Uhr, kein Diener und kein Brief fam,
welche bedauerten.
nn"
85
Es follte alfo endlid) einmal realifirt werden, das
große Unternehmen, ich follte bei Hummerfutterers.
einen „Xöffel Bolenta” efjen!
Ic) fand den Tiſch ſchon gededt, die Familie Hum-
merfutterer fchon fchlagfertig. Die Frau kam mir jogleich
entgegen, und fagte, ic) müßte vorlieb nehmen, es fei fein
Diner, blos eine „Wurzelfuppe“, blos cin „Löffel Po-
Lenta.” — Wir fegten uns zu Tifche, e8 waren noch zwei
junge Hummerfutterer da, Knaben von adjt bis zehn
Jahren. Die Wurzelfuppe fam. Frau von Hummerfut-
terer gab mir zuerft; allein fie verfuhr fo oberflächlid),
wie eine Kinder-Örammatil. Sie ließ die Wurzelmwörter
alle fallen, und gab mir nur die Derivativa, die abgeleitete
Suppe, die zwar ein lauteres Gewiſſeu befaß, aber fid)
fonft weder durch Färbung des Stils, nod) buch Kraft
des Ausdrucks auszeichnete! Defto tiefer aber drang ſodann
Fränlein Migi in die Wurzehvelt cin! Sie fuhr nit den
Löffel in die Schüffel, al8 wollte fie felbe entwurgeln! Auch
die zwei fleinen Hummerfutterer befamen ihre Portion,
daß fie da fagen wie die Wurzelmännchen. Ic) dankte der
Hausfrau für die ungemeine Klarheit ihrer Mittheilung,
indem ich ihr verficherte, daß das Andenken daran in nreinem
Innern fortwurzeln wird. Fräulein Mitzi hatte indeffen
folhe botanifche Biffen gemacht, daß ihr aufgefchnittener
Magen gewiß ein wohlafjortirtes Line'ſches Kräutermaga—
zin abgegeben hätte. Ich neigte mich zuihr und fagte: „Mein
holdes Fräulein, Sie ſcheinen eine Vorliebe für das Pfau
zenfyften zu haben?“
86
„Ad, ja,“ fagte fie ganz unbefangen, „es ift eine
Biutreinigung, befördert die Ausdünftung und fäubert den
Körper!”
Ich war entzüdt über diefe delicate, naive Natur |
Inzwiſchen warenFifche gekommen. Es waren junge Forellen
von einen Gareißen und einem Weißfifch, in einer Butter:
fauce von Baumöl. Es waren blos Köpfe und Schweif-
ftüde. Ich fagte zu Herrin Hummerfutterer: „joldhe
Fiſche find doch gerade wie Dichter, blos Kopf, und
es ıft merkwürdig, wie fie fid) fo ohne ale Mittel
erhalten !
Frau von Hummterfutterer hatte mir indefjen
einen Kopf auf den Zeller gelegt, allein fie ließ ihn über
den Zeller ihres Mannes die Reife machen, und gerade in
dem Scheitelpunfte diefes Tellers verlor der Kopf feinen
ganzen Anhang aus der Fifchwelt, und zu mir gelangte nur
die äufßerfte Spitze diefes Kopfes. Ich machte dem Herrn
Dummerfutterer wieder dieBemerfung, daß mein Fiſch
eine gute Haut jei, die noch obendrein es gewiß nicht
fauftdied hinter den Ohren hat. —
Da id) nichts Anderes zu beifen hatte, jo machte ich
beigende Bemerkungen. Mißi hatte indeffen auf ihren Teller
die ausgezeichnetften Köpfe ihrer Zeit verfammelt. Nach
dieſer Wurzeljuppe, nachdem fie, jo zu fagen, fo fehr ins
Gras gebifien hat, hätte ich nicht gedacht, daß fie noch fo
viel beißen wird. Ich war begierig, aus welchen Gefund-
heitögründen fie Fifche effe, und welche officinelle Kraft
diefelben hätten.
8
„Mein holdes Fräulein, fcheinen eine Vorliebe für
das Fiſch-Syſtem zu haben?” —
„Ad ja, fie verdünnen die Säfte, und machen feinen
Schleim!" —
$c wendete mid) zu meinem Kopfe, indem id) dachte:
„wenn folche Köpfe feiern, welch ein Berluft für mein Jahr»
Hundert!”
Kurſchsplzcher! — Mitzi Hatte eine Gräte gejchludt.
— Kochtsratſcher! — „ER ein Stüdchen Rinde!” jagte
die Mutter, und reichte ihr einen halben Laib Brot Hin.
Migi war indefjen an mein Herz gejunfen und röchelte.
Da fprang der Herr Hummerfutterer auf, verfegte ihr
plößlid) einen folchen Puff in den Rüden, daß die gefchludte
Sräte einen Salto Mortale in die Höhe machte, und mir
gerade auf meinen Teller ſprang. E8 war eine ganze Hirn
ſchale! Mitzi nahm auf diefen Schreden noch einige
obligate Köpfe zu fich, und der Kern der Mahlzeit, die Po-
lenta, fam!
Es war ein Kleiner, gelber Berg, in welchem „die
feinen Vögerl“ als Poftmeifter aufgeftellt waren, denn fie
wohnten alle wenigftens eine Poftftation auseinander. _
Hear Hummerfutterer begann vor Freude zu
wetterleuchten, und Mitzi zu bligen; die jungen Hummer-
futterers donnerten, und die Frau von Hummerfut-
terer flug mit großem Gekrache ein! — Der Löffel fiel
wie ein DBlisftrahl auf den Bolenta = Berg!
Die Schlacht begann! Löffel in Arm! Marſch! Vor—
wärts! Haut ein!
88
Es war einefurchtbare Schlacht! Es lösten ſich alle
Bande der Natur! Die kindliche Ehrfurdht wid; Mutter-
liebe wurde zur Megäre, und der Hausfreund war vergefien!
Herr von Hummerfutterer hatte fi) eine Heine
Brühl aus Polenta auf feinem Teller angelegt und auf
der Spige einen Kleinen Hußarentempel. — Mir legte Frau
von Hummerfutterer eine Heine Bortion vor, indem fie
fagte: „Ich weiß, fie eſſen jo was nicht gerne, und nur une
zu Liebe.“ Auch die Schatten einiger feinen Bögerl ſchwebten
über meinen Zeller, aber fie felbft Ließen fich, wie die Wachtel
in der MWüfte, auf Mitzi's Teller nieder.
Meine Wißbegierde wurde wieder wach), und ich
fonnte dem Drange nicht widerfiehen, zu erfahren, aus
welchen diätetifchen Gründen Fräulein Migi ganze Po-
lenta⸗Berge ebnet.
„Mein holdes Fräulein fcheinen eine Vorliebe des
Polenta-Syftems zu haben?" —
— „Ah ja, fie nähret fehr, und erweichet die
Gedärme.“
Ic bewunderte die angewandte Zartheit ihrer prak⸗
tischen Arznei-Seelenlehre, und fah mit ftiller Ehrfurcht
dem unermüdfichen Yleiße der Polenta-Enthufiaften zu:
" „Hünf Löffel fieht man ab und auf
In Eine Schüffel fteigen,
Und ſchwebt der Eine voll herauf,
Muß fih der And're neigen.
Sie wandern raftlos hin umd ber,
Abmwechjelnd voll und wieder leer,
8
Und trägt Einer diefen an den Mund,
Stedt jener in der Schüffel Grund,
Doc wollen fie mit ihren Gaben
Den Saft allein nur gar nidjt laben.“
Ich Hatte bald keine Bolenta, und indem ich meinen
Löffel beobachtete, der allein ruhte, wo Alles arbeitete, wußte
ich nicht, ob ich Herr Hummerfutterer auf einen
„Löffel Bolenta”,oder auf einen „Bolenta-Löffel“
eingeladen hatte, und wäre faft verfucht geweſen, ihn
einzufteden.
Endlich war das große Werk gethan, ringsum war
nichts mehr zu ſehen; da fagte Frau von Hummer:
futterer: „Sie haben aber gar nichts gegefjen!“
Ic) aber fagte: „Ach, gnäbige Frau, ich hab’ wirklich
genug!”
Herr Hummerfutterer fand ganz vergnügt auf,
Tchüttelte mirdie Hand, und fagte: „Nun, Freunden, wann
möchten Ste wieder einmal bei mir einen „Xöffel Po—
lenta“, efjen!“ |
Ich Hätte ihm auch gerne erwiedert: „Am liebften
jogleih!" —
Ich empfahl mich, Frau von Hummerfutterer
bat mich, e8 nicht übel zu nehmen, wenn die Polenta nicht
nad) meinem Wunfche gewefen ift; ich ging und fagte:
„Polenti non fit injuria!*
Beantwortungen bon Minnegerichts - Fragen.
J.
Beantwortung der Frage: „Wer hat wahrhafter
geliebt, der durch Die Liebe ein Weiſer, oder der
durch Die Liebe ein Narr geworden if!"
Omnia vincit amor, et nos cedamus amoti.
Virgil. Eclog. 10, 69.
Die Liebe beſiegt Alles, ſogar Metalliques! Die Liebe über-
windet Alles, ſogar Hausbälle! Die Liebe bezwingt Alles,
ſogar Recenſenten! Die Liebe begeiſtert Alles, die Liebe
humaniſirt Alles! |
Und foll ich weiter reden von der Liebe? und von
welcher Liebe? Bon der ſpor adiſchen, wie fie in einzelnen
Fallen vorlommt, und Menfchen, das heißt Unmenfchen,
das heißt Verliebte, Hinrafft? Dder von der epidemi-
ſchen, afiatifchen, wie fie in unferer Zeit graffirt, und
Zaufende im Xeben, das heißt in der Fabel, das heißt in
Romanen und in Romans Köpfen niederwürgt ?
Was ift Kiebe? Was Heift Liebe? Wo wohnt die
Liebe?
Fragt den Millionär, und er wird Euch fagen: „Da,
wo ſich die Fingerfpigen mit dem Gelde an der atmoſphäri—
chen Luft verbinden.” Fragt den Naturforfcher, und er wird
9
Euch jagen: „Wo fich das organiſche und fortpflanzende
Leben entzündet.“ Fragt den Schwärmer, und er wird Eud)
jagen: „Da, wo der Mondftrapl die fenfzende Knospe küßt.“
Fragt den Luftfpieldichter, und er wird Eud) jagen: „Da,
wo der Knoten, zur Ueberraſchung des Publitums, ganz
anders gelöst wird, als der geſunde Menjchenverftand es
erwartet.” Fragt einen unferer Formenſchmiede und fubjec-
tiven Lyriker, und er wird eud) fagen: „Es ift
— — Entfagen nur und Trauern
Und ein verlornes ®rollen (?) und Bedauern.“
Fragt unfere Jünglinge, und fie werden Euch fagen: „Sie
wohnt in der Nothwendigkeit, eine reiche Partie zu machen.“
ragt unfere jungen Mädchen, und fie werden Euch jagen:
„Sie wohnt da, wo fich die Eitelkeit in die Verjorgungs-
jucht ergießt.“ Fragt endlich mich, undich werde Euch jagen:
„Sie wohnt in dem Herzen, das für eine Perfon zu enge
ift und. nur für zwei Perfonen weit genug ift!“
Liebe hat aber nicht nur ihren Drt, jondern aud)
ihre Zeit. Bei Pflanzen und Menjchen ift die Jugend
die Zeit der Liebe! | |
Blumen und Herzen haben ihre Flitterwochen ; nad)
den Flitterwochen hört die Blume auf zu bligen, das Herz
zu glühen, die Zweige ſchweigen, der Schmetterling ſenkt
den Fittig, das Leuchtfäferchen verliert feinen Phosphor !
Nur feltene Menfchen und feltene Herzen haben einen
langen Frühling und eine lange Jugend! Aber jene
. jeltenen Blumen und jene jeltenen Herzen wurzeln zwar in
der Erdenmelt, allein fie trinken Leben aus den Aether des
92
Himmels und das Einathmen des Ueberirdijchen macht fie
zum lieblichften, heiligften Wunder der Natur!
Was die Kunft für die äußern Sinne ift, das
ift die Lie be fürdeninnerenSinn: eine Sehnſucht nad)
dem Idealen, nad) der Urfchönheit, die in einem endlichen
Weſen ihm taufendftrahlig aftgegen leuchtet!
Liebe, Du begeifternde Improvifation eines liebetrun⸗
fenen Herzens, Du kühne Muſik einer enflammten Empfin-
dung, id) fage von Dir, was ein großer Dichter von einem
andern Gegenſtande fagt:
„Das ich ohne Dich wäre, ic) weiß es nicht, aber
mir graut, feh’ ich, was Laufende ohne Di find!“
Ach Gott! ja, mir ſchaudert die Haut und dieSeele,
feh’ ich das Gefchlecht der menſchlichen Mollusten und
Polypen, die ohne Liebe leben, ihnen fehlt die Entwidlung
ihres Wefens, ihnen fehlt die Entfaltung ihres Seins; fie
vernehmen nichts von der Harmonie der Schöpfung, die
nur in der Liebe ihr Maifeft auf Erden feiert; fie jehen
nichts von dem Widerfchein des Göttlichen, das aus dem
Spiegel der Liebe zurüdftrahlt: fie ahnen den aufgehenden
Frühling nicht, der zwei Herzen überbaut mit den zu
Dlumen gewordenen Mythen der Sympathie; fie wandeln
lihtlo8 unter dem Strahlen- und Funkenfalle des allbeleben-
den, allerwärmenden, allbefeligenden Centralfeuers!
Ach, faget nicht, daß der Tiebende fid) täufche! “Die
Liebe täufcht fi fo wenig, wie die Poefte, die Poeſie fo
wenig, wie die Kunft! Es ift Götterwahrheit in jeder
Liebe, in jeder Poeſie, in jeder Kunft; und wie die Wahrheit
un.
93
in ber wahren Kunft, fo liegt die Oeliebtenliebe in jeder
wahren Liebe, fo ift jede Täuſchung der Liebe unmöglich!
Und foldh eine Empfindung follte den Menfchen zum
Narren machen? Eine ſolche Empfindung follte die menfch-
lihe Natur nicht zur Bervolllommnung emportragen?
Eine folche Empfindung ſollte den Geift nicht verklären,
den Sinn nicht veredeln, das Herz nicht heiligen und den
Berftand nicht erhöhen und nicht Läutern?
Wer nad) feiner glüdlichen oder unglüdlichen Liebe
ein Narr ift, der ift Feiner geworden, der ift einer
geblieben, mit erhöhtem Charafter. M
II.
Beantwortung der Frage: „Kann ein geiſtreicher
Mann ein geiſtloſes Frogenzimmer, nud kann ein
geiftreihhes Frauenzimmer reinen geiflofen Mann
innig und dauernd lieben?"
WMar die Statue geiſtreich, in die ſich Pygmalion ver-
liebte? — War der ſchlafende Endimion geiftreic,
in den Diana fich verliebte? — War der Stier geiftreich,
von dem fich die Prinzeffin Europa entführen lieg? —
Alfo die Mythologie ift gegen den Geift!
Wenn wir alle Xiebesbriefe der BVerliebten Lefen,
fo ergibt fi, daß auch die Orthographie gegen den
Geiſt ift!
Und die Weltgefhichte? Die Weltgefchichte jagt
mit tanfend Beifpiel- Zungen, daß die geiftreichften Männer
die dümmſten Frauen geheirathet, und die geiftreichften
Mädchen die dümmſten Männer geliebt haben. —
Wie foll ich nun gegen die Mythologie, gegen die
Drthographie, und gegen die Weltgefchichte ſtromauf
fhwimmen ?
Was heit Geift, geiftreich? Welchen Einfluß übt
der Geiſt aufden Mann, welchen aufdas Frauenzimmer aus?
Unter zwanzig geiftreihen Männern gibt es neunzehn
gemüthliche, durch ben Geiſt veredelte, durch den
9.
Geift geläuterte,durd) den Öeift geftählte und
erprobte Herzen. — Unter zwanzig geiftreihen Frauen⸗
zimmern find neunzehn Kantipen, neunzehn durch
den Geiftzerftüdelte, Durch den Geiſt entmweib-
lichte, durch den Geiftentfärbte Herzen.
Der Geift bei dem Manne ift ein zweiſchneidiges
blanfes Schwert, mit dem er für Necht und Wahrheit, für
feine Lleberzeugung ficht, mit dem er gegen die Unholde des
Lebens, gegen die Drachen, die den Schat des Daſeins
neidifch überwachen, zu Felde zieht. Der Geift bei den
Vrauenzimmern ift eine Batent-Gartenfchere, mit welcher
fie die Blüten des Gemüthes, die Nofen der Empfindung,
und jegliche Blume der Weiblichkeit aus ihrem und unferm
Lebensgarten ausfchneiden. |
Nur in den Schriften der mittelmäßigen Schrift-
ſtellerinnen fliegt Milch, Meth und Honig; in den Schriften
der wirflich geiftrei cd) en Schriftftellerinnen rinnt Hyänen-
Blut durch die Zeilenadern, ftrömt kochendes Gift, ätende
Schärfe, freffende Lauge, verheerende, verfengende Lava!
Die Frau wurde aus der Rippe des Mannes ge-
macht, und nicht aus feinem Ohr noch aus feiner Stirne;
die Gegend des Herzens ift ihr Geburtsort, und nicht
die Gegend des Kopfes; fie fol dem Mann zum Her-
zen gehen, wie fie ihm vom Herzen ging. Das Herz aber
bedarf feines Geiftes, e8 bedarf des Gemüthes; das Herz
ift kein Salongefchöpf, e8 braucht keine Räthfel und Cha-
raden aufzugeben, e8 braucht feine Cirkel zu unterhalten, es
braucht feine jeux d’esprit zu arrangiren, es braucht feine
%
wigigen Repliquen zu geben, und keine. leuchtenden Worte
fpiele zu machen. Wenn zwei Herzen zufamnıenfommen, fo
fprechen fie nicht vom Theater, nicht von der romantischen
Schule, nicht von den neueften Mufen-Almanadjen, nit
von der Cachucha, und nicht von Stadt-Begebenheiten.
Was fucht der Mann beim Frauenzimmer?
Der geiftlofe Mann fuht brillante Eigen-
ſchaften, aber gerade der geiftreiche Mann ſucht ftille
Eigenfchaften. Der geiftlofe Mann wird bei einem
Frauenzimmer das Radfchlagen und die Pfauen - Augen
eines jchillernden Geiftes, die Kuallerbjen eines Converſa⸗
tions⸗Feuerwerkes, den Zickzack eines flammenden Geiſtes⸗
Nordlichts lieben, er wird ſich darin gefallen, ſich wie ein
kleiner Junge unter dieſe Geiſt-Cascade mit ihren hohlen
Waſſerperlen zu ſtellen, ſich von ihr überſtäuben zu lafſen,
und zu denken: er glänze in dieſem leeren Waſſerſtaub-Fall!
— Der geiftlofe Mann, weil ihn jelbft geiftig friert,
fucht er fremde Wärme, Strohfener, Colophoniumblige;
weil bei ihm in feinem Geiftesftübchen kein Feuerofen ift,
fo ſucht er die Meißner'ſche Luftheizung des weiblichen
Geiftes auf. Der geiftreiche Mann hingegen, der fi) am
eigenen Strahle wärmt, dem die Flamme im eigenen Geift
[odert, der fucht bei dem weiblichen Wejen Kühle, Schat⸗
ten, Zabung. — Der geiftreihe Mann jucht bei der
Frau gefunden Verftand, gefundes Herz, gefundes Blut.
Klingt das profaifc ? Das kann fein, aber es ift wahr.
Der gefunde Berftand wird die Sprache des Geiftes
verftehen, ohne fie felbft zu jprechen, und das ift gerade
5%
97
genug für den geiftreichen Mann; das gefunde Herz wird
bald verkünden, ob e8 den geiftreihhen Mann blos feines
Geiftes halber, oder feines eigenen Ichs halber Liebt, und
darnad) feine Liebe erwiedern; und das gefunde Blut wird
in feiner Rojenfarbe, durch eine gleichförmige Circulation
das gefunde Herz ſtets in jener jchönen, gleichförmigen
Walung lafjen, die zu einem gleichförmigen, ftillen Herzens⸗
glücke nöthig ift.
Der geiftreihe Mann ſucht im Frauenzimmer eine
Dlume, die er fi) ans Herz Heftet, und feine farbige Ko—
farde, um fie auf den Hut zu fteden; er jucht den Au 8-
taufch der Empfindung, und nicht den Austauſch
geiftiger Intereffen; fie jo feinen Geift begreifen,
ihn achten, zu ihm emporfchauen, wie der Epheu zu der
Baunıfrone; aber fie braucht nur bis an fein Herz zu reichen
und ihn da wie Ephen, fanft und feſt und für inumer zu
umſchlingen.
Anders iſt es mit dem Frauenzimmer, das einen
Mann liebt! Die Weltgeſchichte erzählt von vielen Frauen,
die dumme Männer geliebt haben. — — Ja, aber die Welt-
geſchichte jagt nicht, was aus foldyer Liebe, aus jolcher Ehe
geworden; fie enthält nur die Anzeige, aber nicht die
Geſchichte diefer Liebe, die Folgen nid.
Wo eine geiftreiche rau einen dummen Mann heis
vathet, wird entweder fie unglüdlich, oder er läch er—
lich; und es kann für eine wahrhaft geiftreiche Frau fein
größeres Unglüd geben, als einen lächerlichen Mann zu
haben. — Se kleiner fein Geiſt neben dem ihrigen erjcheint,
N. G. Saphir's Schriften. VI. Bd. 7
98
defto größer ift die moralifche Berdächtigung, die fie, und
ihren Entſchluß, ihn zu heirathen, trifft!
Es gibt Frauen, die dumme Männer fuchen, um fie
dann zu beherrfchen; von folchen moralifchen Mißgeburten
ſpricht man nicht, fie find der Verachtung der Welt, und
der Nichtigkeit ihres eigenen Gemüthes verfallen.
Aber ein Frauenzimmer, das mit hellem ©eifte ein
unverdorb’nes Herz verbindet, wird und kann nur jenen
Mann innig und dauernd lieben, der durch Geift
und Bildung hoch über ihr fteht, wenn feine moralifche
Beichaffenheit feinem Geiſte gleichen Rang hält. — Das
wahrhaft gebildete Frauenzimmer will den Mann nicht nur
lieben, es will ihn hochachten, verehren, es lebt und
athmet gerne in dem Doppelſtrahl des Geiſtes und des
Gemüthes, in den Schweſterflammen von Kopf und Herz.
Der Geiſt des Mannes ganz allein iſt der Geiſt, in dem die
Liebe des Weibes ewig jung erhalten wird; er iſt die ver—
jüngende Gaſtein⸗-⸗Quelle, in welcher die Roſe der Neigung
nie verblüht ; der Geift allein bewirkt durch fein magiſches
Handanflegen, daß die blinden Herzen fehend werden, und
die gelähmte Empfindung regfam wird und bleibt; der Geift
des Mannes ift der kryſtallene Glasfturz über den geflocd)-
tenen Blumenftrauß der Liebe, über den geheiligten Kranz
der Ehe; der Geift de8 Mannes allein heißt den wandeln-
den Mond weiblicher Neigung feft ftehen, und die Sonne
der Treue nicht finfen; der Geift des Mannes allein ift der
Gärtner, der die Rebe der Liebe ins weibliche Herz pflanzt,
der Thau, der fie mit Süßigkeit füllt, die Sonne, die fie
99
veift, der Winzer, der fie feltert, und das güld’ne Gefäß, in
dem fich die gefelterte Gluth und Süßigkeit erhält, und mit
der Zeit edler, milder, ftärfer und wohltguender wird!
Ihr lächelt? Sch bemitleide Euch, daß Ihr nicht
glaubt an die befjere Richtung, an die fchönere Empfindung,
an das höhere Fühlen der weiblichen Herzen! Ich bemit-
leide Euch, daß Ihr in dem täglichen Berfchlemmen in ver-
fälfchten, gemachten und verkünftelten Wirthshausweinen,
den Glauben au die Eriftenz des echten, edlern, reinen
Göttertrankes nicht mehr glaubt! Ich bemitleide Euch, daß
Euer Sinn fo verflacht, Euer Geift jo ausgeblafen, Euer
Herz fo ausgeblättert, Euer Denken jo entwürdigt, und Euer
Empfinden fo entadelt ift, daß Ihr in dem weiblichen Ges
Schlechte nichts fehet, als einen Taſchenſpiegel, aus dem Euch
Euer eigenes, hohles, nichtsfagendes, nichtsfühlendes und
nichts bedeutendes Narciffen-Geficht geiftig leer und mora⸗
liſch matt entgegenlächelt!
70
11I.
Beantwortung der Frage: „Was if ſchmerzlicher: Die
gegebenen Geſchenke unferer kiebe zurück zu erhalten,
sder die empfangenen Geſthenke der Liebe yurürk-
gefordert zu ſehen ?“
Die Witterung, mein IuftigerXefer, ift der Beantwortung
diefer Trage ſehr ungünftig! Wenn ich fage Witterung, fo
verftehe ich daunter die Zeit, und unter der Zeit verfteh
ihdas Carneval! — Im Carneval von Liebehandeln,
heißt mit einem Tollen von Kant's „Kritik der reinen Ver⸗
nunft“ ſprechen!
Unſere meiſten Frauenzimmer kennen in dieſer Zeit
leinen andern „Amor“, als höchſtens den auf dem Graben,
der ftatt Pfeil und Bogen, Band und Shaw! im Schilde
füßrt; feine andere Sehnſucht, ald nad) Lannoi, Polborn
und Reichmann, dem Kleeblatt der heißeften Frauen⸗Liebe;
feinen andern Zug, als zu Beer, und finden wir ja eine
„Srifeldis”, jo ift fie die auf der Freiung!
Unfere meiften Frauenzimmer lieben im Frühling fich
und die Zandparthien, im Sommer fid) und die Badereifen,
in Herbfte fi) und die Winterftoffe, und im Winter fi
und die Moden: Handlungen!
101
Liebe!? Pudelnärrifches Ding! Keine Erfindung
unferer Satyriler! Hampelmann für Teihbibliothefen-Lejer |
Romantifher Krampus!
Liebe? — Wo wohnt fie? wer hat fie gefehen? wer
weiß, bei wem fie fi) aufhält?
Wenn wir fie austrommeln laffen, wenn wir ihr
Stedbriefe nachſchicken, wenn wir einen Preis auf ihren
Kopf fegen, fie ift nicht ausfindig zu machen!
Liebe ift keine europätfche Leidenſchaft mehr! Sucht
fie am Dronofo, wo feine Romane gedrudt werden; ſucht
fie am Ohio, wo keine Afterbildung ift; fucht fie am Miffi-
fippi, wo feine Hausbälle find ; fucht fie am Ganges, wo
feine Putzhandlungen find; fucht fie am Cap Caleimer, wo
feine Equipagen blühen!
Hatfich ja ein Bischen Liebe in einen Winkel Europa’8
gerettet, fo fucht fie in Ketfchlemet und in Debregzin, aber
jelten in der Stadt, felten in der Refidenz!
Wie hätten wir hier Zeit, zu lieben! Wir müffen uns
den ganzen Tag anziehen, um den ganzen Abend modern
angezogen zu fein; wir müſſen ftets in den Spiegel fehen,
um unfer Selbft nicht zu hefchauen; wir müflen in alle
Unterhaltungen gehen, nur um nicht in uns zu geben; wir
müſſen den ganzen Abend matt zubringen, um die ganze
Nacht müde zu fein; wir müffen den albernen Geſprächen
nnferer Stußer horchen, um unfere innere Stimme nieht zu
hören; wir müffen unfer Herz betäuben, um feine Leere
nicht zu fühlen; wir müffen tanzen, bis fi Alles um uns
dreht, damit wir nicht gewahr werden, daß wir uns flet6
102
um Nichts drehen; wir müffen uns behängen mit Stoffen,
‚ Gefchmeiden und Geweben, damit man unſere Stofjlofig-
keit und unfer nichtiges innere Gewebe nicht gewahre!
Wie kann bei diefer claffifchen Beſchäftigung der
Mehrzahl unferer Frauenzimmer Zeit zu Lieben bleiben?!
Lieben und Neujahrwünſchen, das läßt man jeßt den
Domeftifen über. Unfer Leben ift die Enthebungstarte für
unfer Lieben!
Ein Frauenzimmer hat jet zwar taufend Gründe, zu
lieben: Langeweile, Eitelkeit, Neugier, Uebermuth u. ſ. w.—
Allein da die Frauenzimmer nie das thun, wozu fie Gründe
haben, fo ift da8 Grund genug, daß fie aus Gründen nicht
lieben!
Ich bin überzeugt, wir würden mehr Liebe finden,
wenn die „Liebe“ in einer Pushandlung zu faufen wäre.
Da würde die Tochter nach Haufe fomnıen, und die Mutter
quälen: „Liebe Mutter, auf dem Graben, bei der Jungfrau
von Orleans hängt eine fo prächtige Tiebe heraus, weiß ge-
füttert, mitRofafchleifen, kauf’ mir dieſe Liebe!“ Sie würde
diefer Liebe doch menigftens eine Zeit lang treu fein, fle in
Gefellfchaft mitnehmen u. ſ. w.
Ih kann e8 mir ordentlich denken, wenn man
die Tiebe fo in Sammt und Atlas hätte, die Frauen⸗
zimmer würden dann eine Liebe faft eben fo lange tragen,
als. jet !
Und wo follen nad) allem dem „Geſchenke der
Liebe“ herkommen? Höchftens fagt Eines zum Andern:
„Ich hen! Dir Deine Liebe!“
103
Geſchenke derfiebezurüdgeben!zurüdenpfans
gen! Was Heift das? Was bezeichnet das? Was foll das
bedeuten ?!
Was die Liebe, die wahre Tiebe gegeben hat, das
fann nihtzurüdgenommen, nit zurüdgegeben
werden! Heißt den Strom rüdwärts fließen ; jagt der Sonne,
fie fol die Bahn nicht gemacht haben, die fie gemacht Hat;
befehlt der Wolfe, fie fol die Luft nicht gefurcht haben, die
fie durchſchiffte; ſagt dem Geftern, daß es zurüdffehre in den
Scooß der Zeit; heißt dem gedachten Gedanken, daß er
zurüdwandere in die Werkftätte des Denkens; wenn ihr das
könnt, dann, dann Könnt ihr zurüdfordern, zurüds
geben, was die Liebe gab, was die Liebe empfing!
Wenn ihr eine Raute zurüdfordert, die ihr mir ge=
ſchenkt Habt, könnt ihr die füßen Töne zurüdfordern, die ich
ihr entlodt, und mit.denen fie meine Stunden beglüdte?
Wenn ihr eine Blume zurüdfordert, dieihr für mich gepflüdt,
könnt ihr den balfamifchen Duft zurüdfordern, mit dem fie
im füßen Athmen ihres Lebens mich beglückte?
Wenn ihr mir eine Nachtigall gebt und fie zurüde
begehrt, könnt ihr die füßen Lieder alle zurüdfordern, die
fie mir mit Wonne und Wehmuth fang?
Und Liebe follte zurüctnehmen fönnen ihre Liebesboten,
die find wie Laute, Rofe und Nachtigall, die ausgeftrahlt
und ausgeduftet und ausgetönt haben für mid) die himm⸗
Lifchen Töne und den füßeften Weihrauch und die heimlich-
ften Lieder der Erinnerung, der Sehnſucht, des Angedenkens
und der heimlichen Sympathie?
104
Kann Liebe den namenlojen Zauber des erften Blickes
zurädnehmen, der wie Than aus Maienhimmel uns in die
Seele fiel? Kann Liebe die magnetiſche Süßigfeit des erften
Handdrudes zurücknehmen, der uns durchbebte in wonniger
Magie? Kaun Liebe die Süßigkeit des erfien Kufſes zurüd-
nehmen, die von ihren Lippen in unfer Weſen träufelte?
Kaum Liebe den verbebendgn, zitternden, vergehenden Ton
des erften Geſtändniſſes zurücknehmen, der unfer Ohr be-
ſchlich wie Engelgruß, und fortbebt in uns fo lange wir
eben ? Kann Liebe zurüdnchmen alledie Heinen Süßigkeiten
und Wonnen und Zwifchenfälle von Seufzern und Thränen,
von Zerfall und Wiederfinden, von Gehen und Scheiben
und Kommen, von Krieg und Berföhnung, von Berjagen
und Gewähren, von Beiprechen und Berathen, von Hoffen
und Sehnen, von Berftändnig und Errathen, und alle die
taufend und abermal taufend befeligenden Ab- und Zufälle,
Spielereien, Räthfel und wonnigen Kinderſpiele der Liebe ?
Wenn fie das nicht Tann, fo Laßt fie zurüdnehmen
und zurüdgeben alle Geſchenke und Sächelchen und Dingel-
hen, laßt fie zurüdnehmen den goldgeftidten Frühling und
die feidnen Bergigmeinnichte, und die Todenfchlangen und
alle Heinen Symbole des heiligen Tempeldienftes. Der
Tempel im Herzen bleibt doch, und das Götterbild im
Tempel Tann nicht entführt werden, und der Frühling in
unferer Bruft, der Frühling, den der Erinnerungshaud,
fchafft, bleibt doc, und das VBergigmeinnicht im Herzen
behält fein ewiges Blau, und die Ewigfeit der wahren Liebe
legt ihren Schlangenreif um unfer ganzes Dafein!
IV.
Beantwortung der Frage: „Iſt grünzenloſes Vertrauen
oder grünzenloſe Eiferſucht mehr Beweis von Ciebe %*
2 in einem Herzen ein Romeo Platz genommen
at, da ftelle man nur fogleich einen Seflel 4. thello
in. — Kein Menſch acceptire eine Liebe, wenn ſie auf
der andern Seite nicht von der Eiferfucht girirt iſt.
Saphir.
Die Eiferſucht geht als Morgenſtern vor dem Tag der
Liebe, die Eiferſucht geht als Abendſtern vor der Nacht der
Liebe her, und den ganzen Tag der Liebe über wandelt ſie
mit ihr, durch den Himmel ihrer Bahn, durch den tiefen
Aether, durch die klingenden Wolken, durch ‘die fliegenden
Stürme, durd) die flammenden Blige, durd) den grollenden
Donner!
Eiferfucht ift das Salz in dem Dcean der Liebe;
Eiferfucht ift der Weder in dem Schlummer der Tiebe;
Eiferſucht ift die Pulsader der Liebe; Eiferfucht ift die
Waſſer- und Teuerprobe der Liebe!
Bertrauen? Ift denn Vertrauen der Gegenſatz
zu Eiferſucht? Hebt Vertrauen Eiferfucht auf? Nein, nicht
im Geringften. — Man kann unbegränzte Achtung vor
feiner Geliebten haben, man kann felfenfeftes Vertrauen auf
1086
ihre Tugend, auf ihren Character fegen, und dennoch eifer=
ſüchtig, namenlos eiferſüchtig, raſend eiferfüchtig fein!
Gränzenloſes Vertrauen heißt nichts, als überzeugt
ſein, meine Geliebte iſt keiner Untreue fähig. Ihr nennt
Eiferſucht Egoismus? — Iſt dieſes gränzenloſe
Vertrauen nicht mehr, nicht größerer, nicht gem ei—
nerer Egoismus?
Wo der Gedanke an eine Untreue in uns leben kann,
da iſt keine Eiferſucht mehr, denn da hört die Liebe auf!
Auf ein Weſen, von dem wir nur im Entfernteſten den Ver⸗
dacht einer wirklichen Untreue faſſen koͤnnen, find wir nicht
mehr eiferfüchtig, denn wir reißen es mit allen feinen Wur⸗
zelfafern und Widerhafen aus unfern Herzen heraus, und
fönnen wir das nicht, fo verbluten wir, aber das Weſen
felbft ift für uns todt, rein todt.
Allein gerade wenn wir ein Wefen lieben, das wir
achten, von defien Sittenreinheit, hoher Tugend wir ganz
durchdrungen find, wo alfo die Liebe, vereint mit der höchſten
Achtung, ihre Gewalt über uns ausübt, da beginnt die Eifer=-
ſucht ihr dornenvolles, ihr flürmifches, ihr ftachelvolles
Reich. Je volllommener der Öegenftand unferer Liebe, defto
gränzenlofer ift unfere Eiferfucdht!
Je höher wir die Geliebte beiten in da8 Grahams⸗
bett unferer Berehrung, je erhabener wir ihr Bild empor⸗
tragen zu dem fledenlojen Himmel, defto ängftlicher bewachen
wir fie vor jedem Erdenftäubchen, defto ſchmerzlicher möchten
wir jede Communicationebrüde zwifchen ihr und andern
Sterblichen abbrechen.
107
Eiferfucht allein ift Beweis von Liebe, und die Eifer-
fucht ber Liebe hat feine Gränzen, wie die Tiebe ſelbſt feine
Gränzen bat.
Die Eiferfucht reißt den werdenden Gedanken der
Geliebten aus der Wiege des Denkens; die Eiferfucht ver⸗
folgt den Pfeil ihres Bliddes, wenn er vom Bogen des Auges
ſchnellt; die Eiferſucht fragt ihr Leifeftes Rächeln: woher?
und ihre leifefte Lippenbewegung: wohin? Die Eiferfucht
fieht, wie fich der Gedanke auf der Stirne der Geliebten
bildet; fie hört den Blick wachfen unter dem bededenden
Liede; fie kennt die Richtung ihres Fühlens im voraus,
wenn es erft als Schaumbläschen in ihrem Innern ſich
bildet; fie gräbt den Traum der Geliebten aus feinem Grabe,
um Rechenschaft von ihm ihm zu fordern; fie ftellt die Zer-
ftreuung der Geliebten vor ein Gottesgericht; fie zerſetzt
das Rofenroth ihrer Freude in feine Beftandtheile, und
wiegt das Körnchen ihres Unmuthes auf der großen Wage
bes Argwohns; und diefes Alles nur aus Liebe! Nur
allein aus Tiebe, aus wahrer, inniger, unbegräuzter Liebe!
Die Perjon, die wir lieben und die uns liebt, die ge-
hört ung, fie ift unfer Selbft, unfer eigenes Ich, und unfer
Ic ſoll nichts denken, nichts fühlen, als uns. Iſt diefes
Egoismus,fo ift e8 Egoismus für unjer IS, das ſi ie iſt,
nicht für unſer Ich, das wir ſind!
Ich bin eiferſüchtig auf den Vater, der ſie küßt, auf
die Schweſter, die ſie umarmt, auf die Freundin, die ſie herzt,
auf das Kind, welches ſie liebkoſet, auf die Roſe, die ſie
pflückt auf den Zephyr, der ſie umweht, auf die Welle,
108
die fie umfpielt, auf die Muſik, die ihr Ohr entzüdt, auf
die Farbe, bie ihrem Auge fchmeichelt, auf den Einfall, der
fie lächeln macht, auf die Thräne, die ihr Auge befchleicht,
anf den Traum, der fie umfängt, auf den Spiegel, der ihr
fhmeichelt, auf die Hoffnung, die fie wiegt, auf das Gedicht,
das ihr gefällt, auf dieLandfchaft, die fie mit Wohlgefallen
betrachtet, furz auf Alles, was ihr Freude macht; aber
nicht aus Egoismus, nicht aus dem Grunde, als follte fie
feine andere Freude haben, als mid), fondern darum, weil
es mir fchmerzlich ift, daß ich nicht felbft ihr alle diefe
Freude gewähren kann; daß ich nicht felbft zugleich auch
bin Freundin, Rofe, Wolke, Traum, Landfchaft, Lied und
Zephyr, um felbft ihr alle diefe Freuden zu fchaffen. Es
ift Eiferfucht, aber edle, wehmüthige Eiferfucht, Eiferfucht
der Beicheidenheit, Eiferfucht des Bewußtſeins, dag man
jo wenig ift, um die Geliebte zu beglüden, und daß es fo
viele Dinge gibt, die fie erfreuen, ohne mein Zuthun! Der
wahrhaft Liebende möchte, daß alle Freuden der Geliebten
nur von ihm ausgingen, daß er allein ihr öffnen könnte
alle Freudenporen der bejeelten und unbefeelten Schöpfung,
und daß jeder erquidende Zug, den fie aus dem Kelche des
Lebens trinkt, ihr fredenzt werde von der Hand feiner liebe!
Das ift Eiferfucht, und ift diefe Eiferfucht nicht der
alleinige Beweis von wahrer Liebe ?1
Wir können unfere Geliebte mit gränzenloſem Ber-
trauen in die größte Gefellfchaft gehen laſſen, und mit dabei
fein, und unbejorgt fröhlich fein, aus Vertrauen; ift das
ein Beweis von Liebe? Aber, wenn wir, felbft mit diefem
109
Bertrauen, jene Geſellſchaft fliehen, weil wir wiffen, daß
wir dennod) mit taufend und abermal taufend brennenden
Qualen gemartert werden, und daß eine ewige Hyder in
unferm Herzen nagt, wenn wir fie in Gefellichaft fehen,
und lieber wegbleiben, um uns diefe Dual zu erfparen : das
ift Eiferſucht, Eiferfucht mit Vertrauen, das ift ein Beweis
von wahrer Liebe!
Wer lieben fann ohne Eiferfudt, der kann auch
leben ohne Liebe, Beides ift gleich. Eiferfucht ift die Bürg-
ſchaft für die Unfterblichkeit der Liebe ; wenn die Liebe [ch ein-
todtift, die Eiferfucht erwedt fie, und felbft wenn fieganz
todtift, fo figt noch) die Eiferfucht auf ihrem Grabe, und
weint ihr lange nad).
Ic Hätte gränzenlofes Vertrauen in meine Geliebte,
wenn fie gränzenlos eiferfüchtig wäre, und wäre gränzenlo®
eiferfüchtig, wenn fie gränzenlojes Vertrauen zu mir hätte.
Didnskalien
und
Kritiſcher Sektions-Saal.
Mer Selbfiguäler.
Shuraftergemälde von C. v. Bauernfelb.
=, babe mich nie fo fehr gefreut, daß ich budhfta=
Sn und leſen kann, als heute. Denn hätte ich
nicht leſen Tönnen, jo Hätte ich auf dem Zettel
> nicht leſen Finnen: „Charaftergemälde,” und
ich) Hätte in meiner Dummheit glauben können, e8 müffe
ein Quftfpiel fein, oder ich hätte mich an einen gro=
Ben Selehrten halten müflen, der mir mit eben fo vieler
Weisheit als unergründlicher Selbftgefälligfeit gefagt hätte,
das heißt: „Charaftergemälde,“ der mid) unmwifjenden
Menſchen mit fingerdider Naivetät aufmerkſam gemacht
hätte, was eigentlich ein „Charaftergemälde* ift. Frei—
lich könnte man mic) fragen: Wie, du weißt nicht, was ein
Charaktergemälde ift, du, der du nach Iffland lebft ?
Hat nit Herr Bauernfeld felbft ſchon „Charakter⸗
gemälde” gefchrieben, die das Publikum gütig aufgenommen
M. ©. Saphir's Schriften. VI. Bd. 8
114
bat, zum Beifpiel „Helene“, „der Bater” u. f. w.? —
Das Alles wäre der Fall, wenn ich nicht Lefen könnte;
da ich aber, leider, ja lejen kann, und noch leiderer, wirklich
feldft leje, und am leiderften, fogar felbft Lefen muß,
fo fallen alle obigen Plattituden fort. Ich fagte mir felbft,
als id) die Ankündigung las: „Charakftergemälde,“
das ift fein Yuftjpiel, fondern ein Charakftergemälde, wie
fie Iffland, Kotzebue und viele Andere gefchrieben
haben, und es wunderte mich nicht ein Bischen, denn Herr
Bauernfeld ift ein Dann von Talent, und bewegt fich
in verfchicdenem Genre mit Gefchie. Ich hätte gewiß nicht
nur „Komiſches“ geſucht, fondern tiefe Beziehung, Blicke
ins menfchliche Herz, große Humanitätslehren; ich Hätte
nicht geglaubt, ich) werde blos „Herzlich Lächeln“, denn
e8 gibt fein herzliches Lächeln, fondern nur ein herzliches
Lachen. Ich brauchte mich gar nicht im Voraus zu bear-
beiten, und mir den Standpunft von einem Freund oder
Gevatter anweiſen zu laflen, von dem aus ich in ein Cha—
raftergemälde zu gehen habe, das ift der Triumph der
Kunft, jelbft lefen zu fönnen!!
Wenn der Leſer fragen follte: Wozu diefer Introitus?
Wozu diefe VBor-Intrada ? fo Habe ich die Ehre, zu erwie>
dern, daß ic) einige Furcht und einige Augft über den Erfolg
meiner erſt nachzukommenden Kritik habe, und ich bin alfo
zu mir felbft, al8 zu meinem beften Freund gekommen, und
ich gebe als mein befter Freund dent geehrten Lefer den
Standpunft an, von dem aus er meine Beurtheilung zu
beurtheilen Habe; denn ich Habe eine neue Gattung Kritik
115
geſchaffen: eine Charafter-Kritif. Ich bitte von dieſem
Geſichtspunkte aus in meine Kritif zu gehen, und id) fage
im Boraus, lachen wird Nientand in diefer Kritik, aber
es ift Charakter in ihr, Wahrheit, und was nod) mehr ift:
Gedachtes! |
Id) kann dem Leſer Feine Auszüge machen, und and)
den Inhalt kann ich nicht erzählen, denn es ift ein Cha-
raftergemälde, ein Charakter aber läßt fich nicht ab-
fchreiben, und ein Gemälde nicht erzählen.
Herr von Malrepos ift ein Selbftquäler. Das ift
die Dido-Haut, weldje, in Kleinen Streifen ausgejchnitten,
das Erdreich von drei Acten, und die Bevölkerung derfel-
ben, nicht bedeckt, aber doch einfaßt, umgibt Er
heirathet Annette, quält fie bald mit Zorn, bald mit Liebe,
bald mit Zollheit und Unfinn, fie aber ift nachgiebig, befänf-
tigt ihn, und als er endlich fo weit geht, ſich von ihr ſcheiden
zu wollen, weil er, wie er jagt, weiß, daß er ihrer unwür—
dig ift, befänftigt fie ihn durch unendliche Nachfichtigkeit,
er nimmt fie an, fagt: „Stark ift der Haß, doch ftärfer ift
die Liebe!“ umarmt fie, und der Borhang fällt.
Ich habe mid) felbft ‚geprüff, und gefragt, und auf
die Folter eines Selbft-Inguifitoriums gelegt, und mich
ausgeholt, ob Vorurtheile mein Urtheil beftechen. Ic war
lange ein Selbftquäler, id) bin, was id) nie that, zu
der zweiten Borflellung noch einmal ins Theater gegan⸗
gen, ich habe meinem Urteil vierundzwanzig Stumden Zeit
gegeben, fich zu. bedenken, und nad) allen diefem kann ich
mit vollem Bewußtfein meine Ueberzeugung,
8+
116
meine reine, fritifhe Anſicht, mein in mir zur
Klarheit gereiftes Urtheit fällen.
Dieſer Selbftquäler ift durchaus fein neuer, ift
durchaus gar fein Charakter, und das Ganze ift fein
ChHaraftergemälde, fondern ein Charakter-Genrebild-
chen, flüchtig gezricdhnet, ohne einen Kern, ohne Lebens⸗
wahrheit, ohne in fi bedingte Zeitigung und Beendigung.
Wir fehen Herren Malrepos im erften Acte zürnen über
einen Verwalter, der um dreißig Kreuzer mehr auffchrribt,
einen groben Wirth zum Fenſter Hinausmwerfen, einen Be-
dienten Dummktopf heißen u. f. w.; das find lauter Dinge,
mit welchen er Andere quält, und nicht fich jelbft. Er
will Geline heirathen, weil er Annette liebt. Da er aber
hört, ein Anderer wollte Annette heirathen, jo heirathet er
fie felbft! Nun aber geht er mit ſich zu Rathe, wie feine
rau nad) der Hochzeit zu behandeln ſei, und befchliegt:
fie zu prüfen! Ein Percival mit einer Allonge= Perrüde,
beſchließt er, fie mit Liebe und Härte jo lange zu quälen,
„talt und fremd” zu thun, dann, wenn fie nun noch
duldfam ift, will er „zärtliher”, doch nicht „zu zärt⸗
Lich” werden, denn fie foll nur „ahnen, nie wiſſen“,
daß er fie liebe! — Iſt das Selbftquälerei? Das ift
Menfhenguälerei, an fein Sheuerftes, an fein Weib
ausgeübt! Ift das ein Charakterzug? Das ift ein
Karilaturzug, da ift feine Wahrheit darin! Gäbe es
einen folchen Dienfdyen, fo wäre er zu bejammern, als
ein Geiftesirrer zu beweinen! Im ganzen zweiten Acte
ift feine Selbftquälerei, fondern blos Gattinquälerei:
117
ift fie unnmuthig, jo nimmt er es für Widerwillen, ift fie
zuvorkomniend, hält er es für Heuchelei. Wo ift da Selbſt—
qual? Wir fehen nur die Frau gequält: Er ſchmäht
fiel Im dritten Acte kommt die Reue gerade auf diefelbe
Weife, wie jie im erften gegen den Wirth fam. Er befchließt
nun, ein Selbftquälerzu werden! Er will fi) beftra-
fen, er will fi) von Annetten trennen. Sie aber will nidht,
fie will feinen Schmerz theilen, fie will feine Magd fein,
und er läßt fich befchwichtigen, und ſchließt fiein feine Arme,
In diefem ganzen Manne liegt gar fein Charafter.
Diefer „Selbflquäler“ leidet an allen Mängeln feines Urbil-
0.8: d08 „Mifantrope* von Molitre, ohne feine Schön-
heiten zu theilen. Die Handlung ift monoton, die vorkom⸗
menden Berfonen find unnöthig, befonders der Marquis
und die Marquifin, welche wahre Kogebue’fche Kleinftädtler-
Figuren in den Zeitungen Ludwigs XIV. find, und die endliche
Auflöfung läßt den Zufchauer nicht nur Falt, fondern ganz
unbefriedigt; denn wir nehmen die volllommene Ueber—
zeugung mit, daß, wenn jet der Vorhang zu einem -
vierten Acte in die Höhe gezogen würde — Herr Malrepos
feine Oattin gewiß wieder neuerdings quälen und ſinnreich
martern würdel
Malrepos ift durchaus kein Ennftorganifches Gan-
zes. Es ift feine Ruhe in der Anlage, welches in Kunft
und Natur die höchfte Spike ift. Es ift Fein Bordringen
des Ganzen zur Höhe und Mitte, ein Bordringen, welches
wie das Licht die Natur durchftrömt, auch jedes Kunftpro=
dukt durchdringen muß, und durch diefe Durdjdringung des
118
Genüthes und des Momentes, eine Geftalt rund und feft,
und doch Mar und durchſichtig Hervorbringt. We ift in
diefem Stüde die Eoncntration auf einen Punkt, worin fi}
da8 Spiel des Lebens und der Secle abgefpiegelt zeigt?
Wo ift der natürliche Ein= und Zwifchenwurf, in den ſich
die getrennten, fonderbaren, abftoßenden Elemente und
Atome diejes Charakters zufammenfügen? Was bleibt von
dem pfychofogifchen Charafterffelet übrig, wenn wir den
lebendigen Leib des komiſchen ?Fleifches und die friſche
Hant des Spiels abziehen? Wohin endlich geht tie, in
einem jeden Charaktergemälde jo nothwendig von Innern
auf Zeit und Sitte übergehende Anwendung und Beifpiel=
Gebung? Molière's „Zartuffe* fand taufend Abbilder
im Leben; fein „Mifantrope” hatte im Schaufpielhaufe
manches Spiegelbild, feine „pr&cieuses ridieules“ faßen in
Logen und Gittern, fein „Avare* gudte von der Gallerie
herab, fein „Etourdi* (orgnettirte in Parquet u. f. w.
Wo im weiten Weltall aber findet fid) ein Jemand, der
durch den Anblid dieſes Selbftgquälers ſich getroffen
fühlt? Die Menfchheit hat, in ihrem gefunden Zuftande,
fein ſolches Weſen; und wo dag Urbild fehlt, da kann fein
Porträt oder jedes ähnlich und gut gefunden werden. Ein
Luftfpiel fann auch vorübergehende Tächerlichkeiten,
auch unmwahrfcheinlihelebertreibungen, convere Cya-
raftere und concave fchildern, aber ein Charalter-
gemälde muß nad) der Natur copiren, ed muß den phy-
fiognomifchen Zug der reinen Wahrheit, des mienfchlichen
Normal-Charakters an fi) tragen! Diefr Malrepos
119
aber findet fein Original im Leben, und eben deshalb kann
und wird er nie — wie wohl die Moliere’fchen Charak⸗
tere ale — ein Bild abwerfen von feiner Zeit, von ihren
Sitten und Gebredhen, denn er trägt feinen Stempel irgend
einer Zeit, irgend einer Sitte an fich, weil ihm der Stem-
pel der menfchlichen Naturmahrheit fehlt.
Es ift mir daher aud) unbegreiflic, was den Ber-
faffer bewog, die Handlung in die Zeiten der Reifröcke und
Marchal= Frifuren zu verlegen! Gab es dazumal ſolche
Menſchen, und jett nicht? dann hätte dazumal ein folches
Gemälde gefchrieben werden follen. Der Theaterdichter fol
feine Zeit, feine Menschen fhildern, damit er nicht nur
jeßt unterhalte und beffere, fondern dem künftigen For—
[cher zur Belehrung, zum lebendigen Spiegel feiner Zeit
diene! Wenn jener Zeithintergrund gewählt worden ift, um
über Moliere eben das zu jagen, was er über fi in
feiner befannten Selbftkritif fagt, fo war das für eine
©eringfügigfeit zu viel geopfert. Ach Gott, wir wiſſen es
ja ohnehin, daß wir keinen Molidre haben; man gebe
uns nur unfere Moliedre’s, und die Anerfenung, und
bie belohnenden Fürften werden wahrhaftig nicht ausbleiben.
Dos Stüd iſt in Berfen, von denen manche recht
flüßig, manche recht holprig, mandje recht ſchön, manche
recht mittelmäßig find. Sie erheben fich zuweilen ins Beffere,
nie ins Poctifche, nie ind Sublime, Ic will von dem,
was die Journale ſchon als Mufter ausgezogen, wieder
einige Stellen ausziehen, das ift gewiß nicht böswillig und
geſucht. |
120
Annette jagt hier:
„Wenn Du mit ihr zum Abendmahl Ti ſetzeſt,
Gleich hungrig zum Effen wie zum Reden, —
Das ift ein Anderes — nicht? -- Du denfft au Weiteres,
Doc, wie ihr Männer feid, nicht an’s Nöthige.
Dir fehlt das Winterfleid zur rechten Zeit,
Du ißt und trinfft, was Dir fohaden kann,
Du ſcheueſt weder Froft noch Sonnengluth —
Nun wirſt Du krank, wer aber ſoll Dich pflegen?
Ihr könnt wohl Bücher ſchreiben, Schlachten liefern
Wollt für die Welt, für das Jahrhundert wirken,
Doch And're warten, das verſteht ihr nicht!
Es haßt der Mann den Mann am Krankenbette.
Du lächelſt? Iſt's nicht wahr? Du denkſt an Dubois,
Der ſchon in folder Page Dir zuwider,
Ja, unerträglid war. Werde nur krank —
Dann folft Du mich erft feinen lernen,“ u. |. w.
Das ift ungefähr, was die Prinzeffin von Taſſo fagt,
aber wie anders, wie ganz anders! Und hören wir e8 gern,
wenn ein Weib uns jagt, wie e8 Annette vom Wanne jagt:
„Er braucht auch Aeußeres, mehr, als man glaubt.
Wir Weiber aber find fürs Aeußerliche.“?!
Veberhaupt paßt die Diction ganz wenig für den
Rahmen der Zeit und des Ortes, in denen diefes Gemälde
eingerahmt ift. Es mangelt die Grazie, die rojenrothe
Farbe, die chevaleresfe Galanterie, der hohe Auftand und
vor Allem der durchlaufende, aber Tiebenswürdige Sarkas⸗
mus, in welchem jene Periode, wie in ihrem Yuftelemente
ſchwamm. Wir fehen von dem geiftigen Fluidum jener Zeit
nichts, nichts als die Reifröcde und die Allongen. Eine eben
121
jo überflüßige Figur ft der Diener Dubois, ein Nachbild
der Moliere’fchen Diener. Aber er hat weder Springfedern
an der Sohle, nod) an der Seele. Er ift mehr ein Ueber-
bein, eine Figur, die blos kommt, weil eben niemand
Anderer fommt, und die bios ſpricht, damit die Andern
ſich verfchnauben können.
Der einzige ganze, durchgebildete Charakter iſt
Annette, — fie ift Etwas, fie thut Etwas, fie ſpricht. Sie
allein weiß, was fie will, warum fie e8 will, wodurch fie
cs will. Sie ift ein zartes, edles, liebevolles Mädchen, ein
zartes, edles, liebevolles Weib, feft, fich jelber und ihrem
Gefühle treu, ganz Weiblichkeit, füße, innige, milde Weib-
lichkeit. Ich fage e8 zur Ehre unferer Zeit, und zur Ehre
dc8 Herrn Bauernfeld, cr mag im Leben eher ein fol»
ches Weib wie Annette, ale einen ſolchen Mann wie
Malrepos gefunden haben, und darum hat er jene mit
Wahrheit, mit Liebe, mit aller Kraft feines Talents begabt;
und er hat gezeigt, mit welcher Schönheit und mit welcher
Wahrheit er zu zeichnen verfteht, wo fein Gegenftand
Wahrheit ift. So prägt fid) in dieſem Stüde, jo entjchieden
ic) mic) auch gegen die Genrefärbung desjelben ausſprechen
muß, doch wieder das feltne Talent des Herrn Bauern-
Teld aus, die Beherrſchung feines Stoffes, die Gewandt-
heit, den dünnen Faden fo fein auszufpinnen, einzelne
herrliche Zwiſchenfälle von echt draftifchen Momenten, und
zuweilen eine faft poetifche Elevation der Gefinnung.
Auge und Ohr.
Quftfpielin drei Aufzügen.
Die Zeit hat ihre Epochen, die politifche, die literariſche,
die ſittliche. Alles, was ſich in der Peripherie dieſer Epochen,
das heißt einer Epoche bewegt, trägt einen Charakter,
einen Grundton, eine Grundfarbe, wenn auch in der
Nuancirung verſchieden, und zwar um ſo verſchiedener, je
mehr bei den Einzelnheiten das Superficielle prävalirt. —
Ueber dieſe Epoche hinaus acclimatiſirt ſich fein Kind der—
ſelben in einer andern. Es iſt daher ſehr richtig, daß die
Plagiariuffe nur in einer Epoche mit ihren Plagiate täu—
[chen können; wie fie diefen Zeitraum überfchreiten, trägt
dasfelbe fchon einen jolchen Eontraft mit dem neuen Pflanz=
und Wurzelboden, e8 ftoßt fo an Sitte, Gefinnung und
Gefühlsweiſe an, es fcheint fo altfränkifch, überreif und
ausgelagert, daß es ſich jogleich als das Erzeugniß vor-
zeitlicher Epoche, einer abgetragenen Zeit, einer eingefargs
ten Fühlungsart fekdft zu erfennen gibt, and alſo Niemand
mit dem Anfirich von Neuheit zu täufchen vermag.
Wenn ich es auch nicht wüßte, daß das vor ung lie-
gende Ruftfpiel: „Auge und Ohr,” den Spanifchen in
der Örund- und Haupt-Idee wenigftens nachgebildet ift, —
und zwar dem heroifchen Schaufpiele Mioreto’8: „Lo que
123
puede la aprehension“ (die Gewalt der Einbildungstraft)
— fo würde uns eben die Subtilität, das phantaftifhe
piychologifche Balancirfpiel, die Grund⸗Idee ſogleich gefagt
haben, daß fie einer fremden Epoche, einer uns entrücdten
und unverftändlid) gewordenen Epoche, einer Zeitund einem
Bolfe angehört, welche die zwei zarteften Intereſſen des
Lebens: Ehre und Liebe idealifirten, fublimatifirten,
und ihren dichterifchen und theatralifchen Ehren- und
Liebesdienſt, zu einem Ceremoniell, mit faft Lächerlichen
Ettifeten und Formalitäten und Kleinlichkeitsjägerei ver-
richteten; einem Volke, das bet feinem glühenden und tief-
gefühlten Begriffe von Liebe und Ehre, fie doch oft gleich
einem Gaukelſpiele, gleid) einen Wett- und Wig- Rennen,
gleich einer Gedanken- und Bilder-Fagd, gleich Findifchen
Spielen und zerbrechlichen Filigrain-Dingelchen von ihren
größten und beften Dichtern auf die Bühne gebracht fah.
Der Lefer mag aus der Grund= "dee, die ic) ihn,
ohne Inhalts-Salbaderei, im Ertracte hier mittheile, ent-
nehnten, in wiefern fie ihm oder unferer Zeit und unferer
Sefühlsart zufagt. Es handelt fi) nämlich darum, daß
ein Graf Richard fich in eine Dame: Miß Anna, verliebt,
und zwar durd) das DO Hr, welches, vorläufig gejagt, durch
das Gehör heißen fol. Er verliebt fi) nämlich in ihren _
Geſang. Er Hört fie blos fingen, liebt fie. Als er fie
fieht, weiß er nicht, daß fie die Sängerin ift, fondern er
hält eine Andere dafür, die er deshalb liebt. Miß Anna
liebt ihn, und fie ift nicht zufrieden, daR er feinem Auge,
das heißt feinem Schen eine andere Richtung gibt, fie ift
1224
fo zu fagen auf fid) als gehörte Geliebte und als
gefehene Nidhtgeliebte ciferjüchtig.
Die aus diefem metaphufifchen Luftgebäude hervor
gehenden Irrthünter bilden die Befleiſchung diefes Steletes.
- Man fieht aljo, daß unſer fpanifcher Dichter ſchon
den Keim der Vernichtung in fein Werk legte. Denn die
Idee beruht nicht nur auf einer Spielerei, auf einer aus
unhaltbarer Luft gewobenen Geftaltung, fondern auf einer
phyfifchen, moralifchen und pfgchifhen Unwahrheit. Und
eben weil Jeder fogleich, entweder bewußt oder unbemußt,
die Mare Unwahrheit des Stoffes in fich erfaßt, kann er
unmöglich aud) nur mit dent geringften Glauben den
unmwahrfcheinlichen Folgen einer Unmwahrheit mit Intereſſe
folgen.
Alle, die Lieben und nicht Lieben, werden Richard,
gelinde gejagt, für einen Bhantaften, wo nicht für etwas
Schlimmeres halten, und Richard war eher eine Aufgabe
für einen Gemüthsarzt, als für einen Luftfpieldichter. Man
liebt die Stin:me der ©elichten, o ja, man iſt von ihr
bezaubert, o ja, aber man muß fie erft lieben! Diefe Frage
wäre allenfalls eine Frage fir die Tändeleien einer Cour
d’amour gewefen. Seten wir aber den Fall, e8 verliebte
fi) Jemand in die Stimme, in die abgezogene, in Tüften
fchwebende, auf Sonnenftäubchen tanzende Stimnie, in den
transcendentalen Ton, in den zu einem Gegenſtande gewor-
denen Klang, in die Incarnation des wejenlojen Schalles;
in diefem Falle ift er zurunbegreiflichen geiftigen Anſchauung
dlefer Stimme gelangt; wie ift aber dann denkbar, daß er
125
mit derfelben Person oft und lange fpricht, ohne aud) nur
‚ein einziges Mal von den Ton derfelben ergriffen oder
angenehm berührt zn werden? Ift der Gefang denn etwas
Anderes, als ein Fluß der einzelnen Tontropfen? Kann
ung der Gefang einer Berfon zur höchſten Leidenschaft ent-
flammen, und ihre Sprache, mit denfelben Zönen, mit
denjelben einzelnen und zufammenflingenden Zönen, fo
durchaus unberührt laffen ? — Die Thorheit hat ihre Eon-
ſequenz, der Traum feine Logik, der Wahnfinn feine Methode,
die Totteriezahlen ihre Berechner, das Roulct feine Mar-
tingale, und nur das Wunder der Liebe, das höchfte Wunder
der höchften Empfindung, follte fo in fich felbft ohne Folge,
ohne Uebereinftinnmung mit der eigenen Wunderkraft jein?
Die Macht der Stimme follte im Gefanre das Aller-
außerordentlichfte, und in ber Rede nicht einmal das
Allergewöhnlichfte hervorbringen ?!
| An diefer, von allen Kritifern auf eine kaum begreif-
liche Weife unbemerften Klippe allein fchon, zerjchellt der
Brandungsschaum der ganzen Idee. Man fieht, Richard
iſt krank, fein Gelüfte ift ein frankhaftes, uud aus krank⸗
haften Prämiſſen kann kein gefunder logifcher Sat gefol-
gert werden.
Der ungenannte Bearbeiter fann alfo die Schuld des
Driginal-Berfafjers nicht tragen; höchſtens können wir es
als verfehlt bezeichnen, daß er gleichjam wie ein medicini=
ches Experiment e8 verfuchte, einen Krankheitsftoff der
frühern Zeit an der unferigen zu verfuchen, um zu fehen,
wie ihre Gefundheit ihn ſogleich kräftig ausicheiden wird.
126
Was mir nod, befremdend bleibt, ift der Unıftand, daß der
umſichtliche und verdienftliche Bearbeiter Zeit und Ort fo
untgeftaltete und modernifirte. Eine frühere, vomantifchere
Zeit wäre ein paffenderer Hintergrund geweſen, und ein
Land der Töne und Serenaden, der Mandolinen, Lauten
und Guitarren, wo die Ritter, mit der Zither, im Monden-
flitter, vor dem Gitter, fingen, feufzen, givren, ift ein natür=
licherer Boden für Jemand, der ſich in die Mutter der Echo
verlicht, al8 das Nebel: und Trier- Klima des heifern
Schottlands. Bei dem beften Willen fann id) auch über
den Dialog fein günftiges Urtheil fällen, und auch die
Situationen find gedehnt und zu fehr verworren.
Es drängt fi) mir bet diefer Gelegenheit wiederum
die Frage auf, warum die Kuflfpieldichter nicht unfere
Zeit, unfer Leben, unfere Gefühlsweife in Au-
genſchein nehmen, oder mit einem fpanifchen Dichter zu
veden: „Lanzadles una fuerte mirada,* auf uns und
unfern Verkehr.
Der Lefer mag mir hier eine Kleine Abfchweifung zu
gute halten, die nicht ganz ohne Intereſſe ift. Wer blos
„X heater-Recenfionen* leſen will, für den ift fie hier zu
Ende, und er kann in Gottesnamen wieder nad) einer
andern greifen. — Ein paar ernftere Lefer werden mir noch
einige Minuten fchenten, wenn ich ihmen bei diefer Gele:
genheit eine Stelle aus einem neuen Madrider Blatt über
cin nenes fpanifched Schaufpiel überfege, da es ungefähr
eben dieſe meine Gefinnung ausfpricht. Eines ber neueften
fpanischen Schaufpiele ift: „Los amantes de Teruell“
Rn
127
(en 5 actos en prosa y versos, su autor D. Juan Her-
zembusch). Das „Eco del Commerecio“ nennt es eine
„einfame Blume aufden wüjten Felde unferer Literatur." —
Es kann nichts Schöneres geben, als die Verſe, welche
angeführt werden:
Mi nombre es Diego Marsilla
y cuna Teruel me dio,
ciudad que ayer se fundö
del furia en la fresca orilla,
cuyos muros entre honores
de Guerra atroz levantados etc. etc.
Die „Revista nacional* fagt alio bei diejer Beran-
Laffung wörtlid) überjett Folgendes:
„Aber warum reißen unfere Dichter, welche einer
Societät, die Hinter uns Liegt, die Rinde nehmen, um
das gejunde oder faule Mark des Stammes vor unferen
Augen Hinzuftellen, warum reißen fie nicht unferm Jahr—
Hundert, unferer Societät, unferer Liebe, unferer Ehre,
unferer Sitte die weiße, blendende, heuchleriſche Rinde, ab,
um das zerbrannte, zermorjchte, ſchwarze Innere zu zeigen ?
Der Dichter, der dies im wahrhaftigen Sinne des Wortes
ift, der feine Aufgabe kennt, und den Muth hat, den ftupiden
Bliden des Egoismus zu trogen, ift berufen, nicht um in
der Aſche ausgebrannter Jahrhunderte zu wühlen, fondern
wen der Funke ergriffen hat, höre auf Chronift zu fein,
und werde Prophet! Wir wurden zu dieſer Abfchweifung
veranlaßt ducch den Anblid von Talenten, die mit Hilfe
von Archiven, von verfchollenen Thefen entfernter und ver-
Hungener Zeiten, die Sitten und Ideen der Vorzeit fo
128
emſig umgraben, ohne c8 der Mühe werth zu halten, eim
einziges Blatt des großen Buches, das vor uns aufgefchla-
gen liegt, und deſſen Zeilen wir felbft bilden, zu leſen,
und daraus der hörenden Welt vorzulefen! Und wenn fie
daraus oder darin lefen, fo gefchieht es, un c8 mit inficirten
Worten in diegemeinfte Sprache zu überfegen“ u. ſ. w. u. ſ. w.
In diefen Worten liegt eine große Wahrheit, die
nicht genug zu beherzigen ift, und die, meiner Anficht nach,
hiev nicht am unpaffenden Orte ift.
Chavigo.
Zwiſchen den Iffland'ſchen Thränen-Zwiebeln, den
Kotzebue'ſchen Tugendpilzen, den franzöſiſch-modernen
Sinnpflanzen, den Raupach'ſchen Geſchichtsflechten und
den ſonſtigen neuern Luſtſpiel-Waſſerrüben, die ſich im
Luſt- und Jammer-Thale der alltäglichen Intriguen fo breit
machen, wie die Palmen des Morgenlandes, bleibt ung doch
dann und wann die Zuflucht zu den Schatten der Scil-
ler'ſchen Cedern, und in die Marmorgalerie dev Goſethe'⸗
ſchen blutlofen Drama - Helden.
Es beftätigt ſich täglich, auf allen Bühnen, bei
jedeut Publikum, unter allen Geftaltungen, daß die Schil-
ler'ſchen Dramen felbft beinur halbwegs mundredhter Dar=
ftellung ftet8 ihr Theaterglüd machen; die Goethe'ſchen
hingegen felbft bei vollendeter Aufführung nur theil= und
deflamationsweife gefallen.
Ale Schillerfcher Helden wollen das, was die.
menſchliche Natur, die Folgerichtigkeit des Charakters, nad)
feiner Eigenthümlichkeit erheifchen; fie fiegen oder fie erlicgen
dur) ihren Charakter, dadurd), daß fie das find, was fie
find; die Goethe'ſchen Helden find immer nur Maſchi—
nen von Berhältnifjen, Thermometer von Zu—
ftänden, dramatifche Öleihungen zwifchen ihrem
M. G. Saphir's Schriften. VI Bo 9
130
Charakter und den Kreifen der fie umgebenden
Melt. |
Sie find nit tragifch, weil fie weder mit dem
Schickſal, nod) mit dem Herzen, nod) mit der Tugend
kämpfen, fiegen oder untergehen; fie ftehen nur immer im
Conflicte mit gemachten Zeit: und Familien: Ber-
hältniffen, fie ringen mit Sagungen und Formen,
und das einzige Tragifche ift dabei, daß ein folcher Cha-
rakter in eine Epoche oder eine Krife hineinfällt, wo die
Veränderung der Dinge und der Zuftände mit dem Inhalte
diefes Charakters nicht mehr zufammenftimmt. Ich Habe
ed fchon einmal gejagt, daß „Götz von Berlidingen“ ein
folder Charakter ift. Ein einzelner feudaliſtiſcher Stamm
knöcherner NRitterlichkeit, fteht fein Charakter da, aber um
diefen Stamm Hat ſich der Zuftand des deutschen Reichs—
mwaldes verwandelt, und diefe Verwandlung der Zuftände
um ihn kehrt auch feinen Charakter um.
Egmont ftirbt, woran ftirbt Egmont? Stirbt er für
feinen Charakter ? Nein, er ftirbt, weil er vertraut, weil
er nicht genug weiß, wie fich die Dinge und die Menfchen
und die Berhältnifje geändert haben. Egmont ift Egmont
geblieben, aber die Niederlande find nicht mehr die Nie—
derlande.
In „Taſſo“, in der „natürlichen Tochter”, in den
„Geſchwiſtern“ u.f. w., find es immer und immer Gewalt
der Verhältniſſe, Zweifel und Mafelder Geburt,
Abftufung und fpröde Trennung ber Tebens-
Sphären, welche dent Charakter gegenüber ftehen, und
®
131
immer bleibt die Mittelpunktperfon ftehen, während ſich
das Diorama der Figuren um fie drehet, und fle dadurd)
ihre Stellung als von fi) ausgehend verändert be=
trachtet.
In „Clavigo“ iſt der flüßige Eharakter durchaus zu
keiner dramatiſchen Feſtigkeit gekommen, und das Publikum
würde dieſes Trauerſpiel, ohne die pietätiſche Geduld für
den Namen des Autors, unbedingt in die Reihe jener
haltloſen Charaktergemälde rangiren, in denen eben nichts,
als die Charakterloſigkeit den Inhalt des Charakters
ausmacht.
Clavigo's amphibiſches Weſen, Halb auf dem trode-
nen Boden bürgerlicher Familienſtille fußend, und halb mit
der neuangeſchloſſenen, politiſchen Schwimmhaut in den
unabſehbaren Ocean gränzenloſer Weltenplane einer von
ihm ſelbſt nur geahnten Zukunft hinſegelnd, geht dadurch
zu Grunde, daß er beide Elemente vereinen möchte, im
Grunde aber weder ſchlicht genug für jenes, noch groß
genug für dieſes iſt.
Goethe hat mit beſonderer Vorliebe immer dar—⸗
zuftellen gefucht, wie eigentlich Familienleben, ftille Liebe,
alle edlen, aber ftillen Freuden der Liebe, des häuslichen
Glückes, der Gewalt ſogenannter Weltgefchichte und höhern
Berufungen weichen, und ihr, felbft zu Grunde gehend,
den Borrang einräumen müffen!! So geht auch Egmont
mit feinem Weltgefchiefchritt über Gretchens Liebe, fie
zerknickend, hin, und fo vernichtet Clavigo's leere Schwung-
fucht, der hoffärtige Gedanke, wie ein Schidjal über die
9%
132
Geſchicke gewöhnlicher Menſchenkinder Hinzufchreiten, die
unglüdlihe Marie und das Stil» Leben einer ganzen
Familie.
Es iſt eine perfide Spitzfindigkeit, daß in dem Ster-
ben für das Wohl von Hunderttauſenden Entſchuldigung
für die frevelhafte und nichtswürdige Vernichtung Einzelner
zu finden mwüre.
Bei Clavigo aber gefellt fid) zu der Seıchtswürdigfeit
diefes Sophismus auch noch der faft lächerliche Umftand,
daß alle die Weitgürtel-Gedanken uno Clanzhöhen nur
Heine Fernpunkte, ganz und gar nod) im Nebel der Zukunft
liegende Hoffnungsatome find ; daß alle diefe großen Sorgen
für Welt, Größe, Glück und Menſchheit nur no kaum
ausgebrütete Selbfthoffnungen find, von denen wir aud)
noch nicht den kleinſten Umriß anders entworfen fehen, als
in dem phantasmagorifchen Prophetenfieber des menjchen-
feindlichen Carlos.
Ganz durch und duch und bis ins Tiefſte des Her-
zens muß e8 und mit Grimm und Unwillen erfüllen, daß
der Dichter den Clavigo nicht blos darftellt, als von Carlos
irregeleitet, al8 von einem außer ihm liegenden und anre-
genden Dämon verlodt und angefpornt, Marie zu verlaſſen,
fondern, daß er felbft das alles fühlt, zwar zu ſchwach ift,
fi diefer Fühlung hinzugeben, aber in fich felbft fühlt, -
- daß feine Liebe eine Hemmkette an dem Wagen feiner
himärifchen Plane ift, und fi ihrer gerne entlaftet,
alſo halbwegs ein Zugeftändnig gemacht wird, daß die
Liebe wirklich einer folchen Empfindung fähig ift, und
133
diefes, unter befonderen Umftänden, zu Gunften einiger
zum Glanz Auserkornen nicht fo ganz zu tadeln jeil
Wir fehen endlich Clavigo getödtet am Sarge
Mariens. Seine Sorge um ihren Bruder, feine ausgelaf-
jenen Klagen haben feinen Glauben bei uns, denn wir
ſahen ihn mit eben diefer Zerknirſchung, mit eben dieſem
Ineinanderfturz femer Seele zu Marie zurüdtehren, um
ihre Vergebung auf den Knieen zu erwinfeln, umd eine
Minute darauf gefteht er Carlos, daß ihn in ihren Armen
ein Schauder der Reue ergriff.
Der Degenftoß des Bruders in Clavigo's Herz ift
blos das phyſiſche Hinderniß, daß Clavigo nicht mit eben
diefen elenden Gefinnungen eine Stunde nad) Mariens
. Beerdigung vor ung erfcheint. Wir haben feine Gewähr für
die Echtheit feiner Belehrung beit Marien’s Leichnam.
Marien’s Leichnam aber wird ung nur im vierten
Acte im Conduct vorgeführt, indeffen fie eigentlich ſchon
vom Anfange des Stüdes Leichnam iſt. Marie fommt
gleich im Anfang des Stüdes todt auf die Bühne, und
erft im fünften Acte wird fie begraben, nicht ohne durd)
die vier Acte hindurch einen beträchtlichen Moderduft um
fi) verbreitet zu haben. An und für fich fiech, felbft im
Glücke der Liebe ſchwindſüchtig, wie Carlos fagt, und vom
Angenblide an, als Clavigo fie verließ, mit gebrochenem
Herzen volllommen todt, jo erfcheint fie; und wir fehen,
wie vier Acte hindurch von dem todten Mädchen vermittelft
dramatischer Batterien und theatralifch galvanifcher Säulen,
nod) einige Regungen und Zudungen erpreßt werden.
134
Und wahrhaftig, es ift ihr Glüd, dag wir fie als
eine Todte Betrachten, einer Lebenden hätten wir es nie
verziehen, daß fie einem folchen Verräther vergibt und on
wieder annimmt, denn die Lebende würde dadurch beweifen,
daß fie nicht da8 Glück des Geliebten, fondern nur
das eigene will. Eine innere Stimme muß ihr jagen und
jagt ihr, daß Elavigo ihr feiner Natur nach nicht angehört,
‚und nicht angehören Tann, und nur einer Todten fünnen
wir diefen materialiftiichen Egoismus, mit dem fie nad
ihm hafcht, verzeihen.
Wir finden auch darin, daß Marie fo uninters
effant, fo farblos, fo unliebenswürdig, fo wie ein ganz
gemöhnliches Mädchen gefchildert ift, unfere Anficht noch
mehr beftärkt, daß der Dichter den Treubruch Clavigo's
gerne und gleichſam miteinftimmend befchönigt, und ung
glauben machen möchte, ein gewöhnlihes Mädchen
dürfte verrätherijch zu runde gerichtet werden, wenn
ein Trieb nah) Größe, nah Rang den Geliebten er⸗
füllt. Die moralische, äfthetifche und dramatische Verwerf⸗
lichkeit diefer Herzlofen Refervation braucht nicht erft
nachgewiefen zu werden,
Wenn man nun zu Beaumardais kommt, jo fteht
der Romödienbruder wie er leibt und lebt vor uns, der
fih von jedem andern Komödienbruder nur darin unter⸗
fcheidet, daß er weiß, was ein Komddienbruder ift, und
jagt, er ſei keiner; allein es ift nicht Jeder frei, der
feiner Ketten fpottet, und nicht jeder Betrunfene ift
nüchtern, der fagt, er fei nicht betrunfen. Beaumardhais
135
handelt durchaus ganz wie ein Komödienbruder, aber wie
ein Komödienbruder mit Confequenz. Iſt e8 Liebe zu
feiner Schwefter, die all fein Thun beftimmt? Nein,
denn er bringt die Todte ſchonungslos nocd einmal um;
er ift blos der Rachegeift der Familie, der die Fa⸗
milienſchmach rächen will.
Nur Carlos ganz allein hat die Dichtigkeit in feinem
Charakiergewebe, er ift ein Schachſpieler, ein Kempelen⸗
ſches Automat, alle Menſchen find wie Steine, die man
da und dort Hinfegt, bläst, wegwirft, um einem Ziele:
dem Gewinn der Parthie nachzuſtreben. Die ganze
Gefühlswelt, alles Herzensglüd, die Ehrfurcht vor Men-
ſchenwohl, die Scheu vor Tugend, Liebe, Ehre u. f. w.,
find ihm nichts, fie müffen alle in den Hintergrund treten, -
wenn im Vordergrunde eines glänzenden Lebens eine große
Rolle, eine Magnatur zu fpielen ift, Die Liebe, mit welcher
Goethe gerade dieſen Carlos mit aller rednerifchen Dialektik
und verführerifchen Syllogismen ausftattete, ließe faft wäh⸗
nen, er habe bei Clavigo, dem Genie, welches fich Durch Kraft,
Drang und unabläffiges Streben zu den höchften Höhen
erhob, zuweilen an fich ſelbſt gedacht, und dabei erklären
wollen, wie e8 denn einer Mufe auf folchem Gipfelpunft
gerathen -und rathſam zuzumuthen fei, die Intereffen von
Menfchenglüd und bürgerlicher Wohlfahrt dem höhern
Beruf von Glanz, Würden und Ehrenzeichen unterzuord-
nen. Carlos ſoll dem Clavigo begreiflich machen, daß die
Heinlichen Berhältniffe gewöhnlicher Menſchen, die natur
gemäßen Neigungen, Wünfche, Gefühle der glanzlojen
136
Menge als Hleinlih und unbeahtenswerth erfcheinen
gegen hohe Zwede, gegen Plane von irbifcher
Größe, deren Erlangung als das einzig Bünf chenswerthe
im Leben daſteht!!! —
So würde Clavigo, wenn er am Leben geblieben
und Staatsmann und Schriftſteller zugleich geworden wäre,
jenen literariſchen Machiavellismus in ſeinen Schriften vor⸗
getragen haben, und die Sache der Menſchheit ſtets kalt
und berechnend den Rückſichten der Stellung und der Zwecke
aufgeopfert haben! Darum ſehen wir den Carlos weder
als Böfewicht, noch als Intriguant geſchildert, ſondern als
einen klugen, warmen, wahrhaften Freund Clavigo's! Wir
ſollen ihm recht geben. Schon Tieck ſagt in ſeinen drama—
turgiſchen Blättern, daß Carlos kein Intriguant iſt, ſondern
ein enthuſiaſtiſcher Freund Clavigo's.
In dem endlichen Ausgange des Stückes, in dem
dramatiſchen Schlußgericht ſehen wir offenbar der Sache
eines gewaltſamen und aufgebauſchten Hanges nach eitler
Größe, ein höheres Recht eingeräumt, als der Sache des
menschlichen Rechtes, der gemißhandelten Herzen, der ges
mordeten Xiebe. Der Tod Clavigo's ift cin Lohn, das
Lebenbleiben Beaumarchais' ift eine Strafe! Cla—
vigo geht gefühnt aus der Welt, während Beau—
marchais verdammt in ihr bleibt! Ein Berliner Kri-
tifer, ich glaube Franz Horn, fagte: „Die Raheder
Tamilietreffeam Ende nur Carlos, der felbft
Beaumarchais, weldher feinen Freund tödtete,
retten muß.“
137
Es ift kaum glaublich, daß eine ſolche Oberflädhlich-
feit gefagt werden kann! Ift denn Beaumarchais gerettet?
Was nennt man gerettet? Daß ihn vor unfern Augen
nicht die Häfcher ergreifen und aufs Blutgerüft fchleppen ?
Heißt da8 gerettet, daß er, als halbwegs Urſache an
dem Tod der Schwefter — fo befhuldigt ihn wenigſtens
Sophie Guilbert — und als ganzer Mörder Clavigo's
entrinnen kann, mit allen Gewiffenspfeilen im eiternden
Bufen, mit dem Donnerruf: „Zwiefaher Mörder!”
in den zerfleifchten Ohren? Seine Rettung tft eine grau
fame, lebenslängliche, peinliche Folter, eriift, wie die früheren
Verbrecher, an den gehetten Hirſch feines jagenden Gewif-
ſens gefchmiedet, welcher ihn durch alle Dornen und Klippen
feines feruern Leben fchaudererregend fchleift!
Wie beneidenswerth ift dagegen Clavigo's Ende, der
auf dem Sarge feiner Geliebten fein Leben, durch feinen
Tod gefühnt, aushaucht, und fo mit ihr vereint da erfchei-
nen fann, wo fie Beaumarchais, der gerettete Mörder,
nie erreichen kann.
Wir erfehen alfo am Ende die Nothwendigkeit ber
. weltlichen Macht und die Verbrechen ihrer Größe ſiegend
hervorgehen über die zertretenen Rechte des bürgerlichen
Familienlebens, und die geheiligten der Menſchheit und
der Liebe.
Burükfetung.
Schaufpiel in vier Aufzügen. Bon Dr. C. Töpfer.
«
Dieſes Stück heißt im Franzöſiſchen: „Preférence d'une
möre,“ von Madame Ancelot. Herr Dr. Töpfer gibt
nie an, daß feine Stücke Ueberjegungen find, welches am
Ende doch jedes Kind in der Literarifchstheatralifchen Welt
weiß. Ich würde aud) nichts darüber jagen, allein ich bin
genöthigt, e8 zu thun, um dadurch anzuzeigen, daß ich
e8 bei meinem Urtheile über dieſes Stüd durchaus nicht
mit Heren Dr. Töpfer, fondern mit dem franzöſiſchen
Berfaffer des Driginals zu thun habe und haben will.
Es gibt viele Meberjeger, die am Ende glauben, das
überjette Stüd fei wirklich von ihnen verfaßt! Sie neh-
men fich den oft gerechten Tadel des Stüdes fo and adoptiv⸗
väterliche Herz, find fo troftlos über die Rügen, die man
dem Kindlein macht, als hätten fie das Kindlein nicht aus
dem Dietionnaire, jondern aus dem Gehirne geboren,
und befchuldigen oft die Kritif der perfönlichen Parteilich⸗
feit gegen fich, da der Kritiker im Grunde e8 doch nur
einzig und allein mit dem Erfinder des Stüdes, mit
dem wahren Berfaffer, mit dem franzöfifhen
Autor zu thun hat. Dixi et salvavi!
139
Eine Tochter, die von ihrer Mutter nicht geliebt,
und gegen eine jüngere, geliebtere zurüdgefegt wird, des⸗
halb dem Tode entgegenfiecht, endlich durch einen Ontel,
welcher ſich darein mifcht, zum Glauben gebracht wird,
die Mutter fei ihre Stiefmutter, und eben dadurd), daß fie
nun der Mutter fi) als eine Fremde gegenüberftellt, die
Liebe diefer Mutter gewinnt, und auch den Dann, den fie
fiebte, aber ihrer Schwefter aufopferte, glüdlich heirathet,
und vom Grabesrand wieder frifch und gefund zurückkehrt,
das ift der Bruſtkern dieſes franzöfifhen Luſt- oder
Schau-Spiels, |
Als Affietten und hors d’oeuvres find nod) da: eine
jüngere Schwefter, welche fehr luftig und Braut des Gelieb⸗
ten der ältern, melancholiſchen Schwefter ift, und ein alter
Zunggefelle, welcher die traurige Helden des Stüdes heira-
then foll, und am Ende leer abzieht.
Die Mipliebigkeit des ganzen Stüdes hat der fran-
zöfifche Autor ſchon durch die unangenehme, abftogende
Unnatur der Mutter, Frau von Lobek, in das Stüd ein-
geimpft, und an diefem Hauptgebrechen fiecht e8 feine bit-
terfüße Eriftenz durchaus hin.
Die Spartaner, glaub’ ich, hatten kein Geſetz über
Batermord, denn ihrer Meinung nad, kann diefes Ver⸗
brechen natürlicherweije nicht begangen werden. Die dra«
matifche Kunft ſollte billigerweife folche ſpartaniſche Geſetze
haben. Für entartete, widernatürliche Mütter, die ihr Kind,
das Kind ihres Herzens, ihrer Zärtlichkeit, das Kind, das
fie mit Thränen und Wonnen aufgezogen, das Kind, das
140
noch obendrein Ichön, reizend, tugendhaft, liebreicdh, kurz,
ein Engel, und noch obendrein ein weiblicher Engel, eine
Tochter if, nicht liebt, ja ji mit Widerwillen davon
abgeitogen fühlte, für jolche Abnormitäten der menfchlicdhen
Natur jollte das Drama fein Forum haben, und es nie
und nimmer aus dem Reiche einer erfinderifchen Unphantafie
zur Beſchauung an das moralifche Tageslicht ziehen.
Eine Rindesmödrderin iſt eine entfegliche, unge-
heure Berbredherin, die Natur empört fi, Erde und
Hinmel zürnen und donnern über dem Haupte der unfelt-
gen Ihäterin, und wenn es denn jein muß, fo mag der
dramatische Dichter fammt der Erde und Himmel zürnen
und donnern! Eine Kindesquälerin aber ift eine wider-
liche, verädhtlicdhe Creatur, Erde und Himmel wenden fidh
mit Widerwillen ab, und mit ihnen der dramatische Dichter,
der rühren, erheben, erſchüttern will, aber nicht
abftoßen, Haß erregen! — Frau von Lobek Haft
ihr Kind ohne Urfache, fie ift aber tefto unheilbarer,
da fie, wie Schuldner, die fich ſelbſt ſtets mahnen, nie
bezahlen, ftets jich jelbft Vorwürfe mad, und die Heilige
Schuld an ihr Kind doch nie bezahlt! Durch drei lange
Acte jehen wir ein junges Mädchen moraliſch erdunger n,
weil ihın die Mutter die einzige Nahrung! Liebe,
nach der es lechzt, nicht reicht, und dabei immer weint,
da fie ihr diefe Nahrung nicht reicht! Unſer Herz wird
nicht gerührt, nicht zum Mitleid beiwogen, jondern es
wird unwillig, fajt erbost, und der Eindrud wird ein
peinlicher.
141
Ein nit minder unwahrer Charalter ift Clara,
die zurüdigefeßte. Krank ift fie, das kann fein, aber ein
Drama wird nicht für Aerzte gefchrieben. Gewiß ift e8 ein
Tchmerzliches, ein ungeheuer ſchmerzliches Gefühl, ſich von
einer Mutter nicht geliebt zu wiflen, und der Kummer
darüber ift ein ganz natürlicher, Allein fterben thut man
nit daran! Vollkommen unmwahr ift diefes krankhafte,
frampfhafte Spielen mit Tod und Grab und Bermwefung.
Vollkommen unwahr ift diefe mondfcheinhafte Zerflofjenheit,
diefe jenfeitsfüchtige Hinfälligkeit, diefes Wehmuthsgeſäuſel
und diefe Teichentraumphantafien, diejes ewige, haltlofe,
ſchweigſame Aufopfern und aufopfernde Schweigen.
Wenn wir und nun zum Wendepunkt des Krebſes
diefer Drama-Welt begeben, fo ftoßen wir auf eine foge-
nannte Kataftrophe oder Beripetie, die das Ding nicht durch
ein natürliches Mittel zu Ende führt, fondern durch ein
gewagtes, glüdlicherweife aber gelungenes Kunftftüd!
Es ift alfo blos ein glüdlicher Zufall, der die Kataftrophe
ausmadıt. Der Onkel, Herr von Lobek, un Clara zu retten,
macht ihr glauben, ihre Mutter fei ihre Stiefmutter.
Dadurch wird Clara froh und gejund, denn nun hat fie
eine Mutter im Himmel, die fie liebt. Sie nimmt von der
Stiefmutter Abjchied, wie von einer Fremden, dadurd)
ſpringt plöglid) die Eisrinde von dem Herzen der Mutter,
und rinnt in aufgelösten Thränenbächen über das Haupt
des auf einmal heißgeliebten Kindes hin! Clara, von diefem
in heißen Zähren aufgethauten Gletſcher, erfährt, daß es
doch ihre Mutter ift, daß fie nun Mutterliebe empfängt,
142
und ift glüdlich, indem fie noch als Schmerzensgeld und
Prozeßkoſten den Geliebten ihrer Seele zum Manne bekommt.
Diefe Krifis, welche Madame Ancelot ſehr fcharfs
finnig herbeiführt, ift gelungen und glücklich g erathen,
aber nur darum, weil Madame Ancelot als Verfaſſerin des
Stüdes, und als inwohnende Natur ihrer Patienten, diefe
Kriſis zur materia medicatrix machen konnte. Allein es
wäre gefährlich, diefes Mittel bei jedem ähnlichen Tal
anzuwenden, wo die Natur der Kranken nicht von dent
dramatischen Selbftwillen der Madame Ancelot abhängt! —
Wir haben letthin in einer medicinifchen Zeitung gelefen,
dag ein Nervenkranker, den alle Aerzte aufgegeben, in feiner
Raferei vom dritten Stode auf die Straße fprang, und —
das Nervenfieber war curirt. Würde deshalb ein Arzt fei-
nem Nervenkranken als letztes Mittel verordnen: vom
dritten Stode auf die Straße zu fpringen? Was aber in
einem dramatischen Werke als Beweggrund, als morali-
ches Heilmittel u. j. w. angebracht wird, muß auf allges
meine Wirkung berechnet fein, muß auf jeden Fall,
für jedes Individuum ein Specificum fein, fonft ift
es ein casus fortuitus, ein individueller Fall, und gehört
in die Reihe der Curtofitäten und Raritäten, aber
nicht in die allgemein moralifche Heilkunde!
Noch unwahrfcheinlicher, als daß Clara durch diefen
Wahn fo ganz und gar plötlich heiter und geſund wird,
ift das, daß die Mutter gerade dadurd), daß ihr Kind fie
wie eine Fremde behandelt, plötzlich in Liebe zu ihr zerfließt!
Das ift plötzliche Mutterliebe aus Luft am Widerfpruch !
143
Meutterliebe aus Caprice, aus Bizarrerie! Wer bürgt und
für die Dauer, für die Haltbarkeit und Echtheit einer Mut⸗
terliebe, die zwanzig Jahre in einem Todesſchlummer lag,
plöglic) von einem Erdbeben erweckt wird, die Augen gewaltig
groß aufreißt und ausruft: „Ich bin Mutterliebe?* Wird
ſich diefer bleierne Schlaf nicht der gewaltfam aufgerifjenen
Augenlieder wieder bemäcdhtigen? Wird bei einem folchen
Nature, wie diefe Mutter entwidelte, fein Recidiv⸗Fall
eintreten, da das Mittel ein Gewalt- und Momentans,
aber fein Radical» und Präfervativ-Mittel war ?
Ich weiß e8 nicht, aber eben weilich es nicht weiß, kann
ic Mutter und Tochter nicht für curirt halten, und fie als
vollfommen geneſen aus diejer Alienation-Anftalt entlaffen.
Ic Habe mic mehr bei diefen zwei Perfonen aufge-
halten, weil fie eigentlich die beiden Strebepfeiler find, auf
denen das ganze Gebäude beruht. — Die zweite Schweſter,
Mathilde, fol ein Contraſt gegen Clara fein, ift aber
nicht8 weniger, als das. Sie fol ein heiteres, unbefangenes,
herzliches Geſchöpf fein, ıft aber nichts, als eine geift- und
Herzlofe Kofette, oder, um den Ausfpruc zu mildern: „eine
moderne Ruftfpielgeftalt!“
In diefer Mathilde jehen wir wieder einen Typus
von weiblichen Geftalten, wie fie ung unfere Luftfpieldichter
als Normalgeftalten der Jetztzeit aufbringen wollen; Icer,
nichtig, oberflächlich, mit der Empfindung witelnd, das
Gefühl an ein Bonmot verkaufend, die Liebe ald eine Mode
an ſich bringend, und die Ehre als eine chose convenue
mitmachend!
144
Mathilde iſt Braut von Baron von Heeren, und als
der Onkel ihr ſagt: „Der Baron liebe Clara und würde
auch Clara heirathen,“ lacht ſie und ſagt: „Ich habe ihn ſo
nicht geliebt, und habe ihn blos deshalb heirathen wollen,
weil ich glaubte, die Leute hätten von uns geſagt: „das
ift ein ſchönes Paar!“
Und das will man und als einen. C harakter
verkaufen 7
Ich bitte, meine Leſer, darauf aufmerkſam zu ſein,
wie alle unſere Luſtſpieldichter die Baſis ihrer Frauengeſtal⸗
ten auf gänzliche Entadeligung des weiblichen Weſens
gründen, daß ſie als Salon-Ton, als moderne Ge—
fühlsweiſe das darzuſtellen ſuchen, was im Grunde
nichts iſt, als gänzliche Blaſirtheit und durchgehende Fäden⸗
ſcheinigkeit einer zerriſſenen und zerzupften Ver- und Hyper⸗
Bildung!
Sie überſetzen die Roue's aus den Spielſälen Fras—
cati's und die Gefühlsſpötter aus den Wein-⸗ und Kaffee—
häufern ins Weibliche, und nennen fie: moderne weib-
liche Charaktere! Sie laffen ihre Mädchen und Frauen
mit Empfindungen fchalen Witz treiben, fic) über die hei—
ligften Gefühle moquiren, jede zarte Regung über die Klinge
eines Bonmots fpringen und fagen: „hier hab’ ich einen
modernen weiblichen Charakter gefchaffen!“
Wenn die modernen Frauen fo wären, wie fie die
modernen Dichter fchildern, fo wollen wir in Gottesnamen
Antiquen lieben, und unfere Frauen aus den Gräbern und
Glyptotheken holen!
145
Auch der Baron von Heeren ift ein dubiofer Charaf-
ter; liebt Clara, verliebt fi) in Mathilde, kehrt zu Clara
zurüd, wird abgewiefen, verlobt fich darauf mit Mathilde
und heirathet am Ende Clara! Wahrlich, Pietro Bono
macht ſolche Vor- und Rüdjprünge faum auf dem Seile,
die ber Herr Baron auf dem dünnen Faden der Liebe madıt.
Der alte Onkel und der alte Götze find ſchon dagemwefene
Charaktere, und bringen nichts Neues mit.
Uebrigens ift das Stüd echt franzöfifch, wirkſam,
hat frappante Situationen, ift voll Effect und gefchidt
gebaut und gegliedert, ſowohl die Tafchentücher als das
Zwerchfell finden in bdiefer echten Comédie larmoyante
vollauf Beichäftigung, und e8 erfreute fich in diefer Hinficht
mit Recht einer entſchieden günftigen Aufnahme.
M. ©. Saphir's Schriften. vi. Br. 10
Weh' dem, der lügt.
Luſtſpiel in fünf Aufzügen. Don Franz Grillparzer.
Motto:
„Wehe dem, der Lüge!“ Luftfpiel.
„Wehe dem, der die Wasrcheit fagt!" Trauerſpiel.
„Wohl dem, ber ſchweigen kann!““ Bantomime.
WMie eine weiße Taube unter Krähen, wie ein Schwan
unter Waſſerenten, wie ein Veilchen unter Brunnenkreſſe,
wie Ambra unter Nießpulver, wie Liebeslied unter Unkenruf,
fo erfcheint Grillparzer in dem Schiboleth unferer Luſt⸗
Ipiel = Scheune!
Bon der disharmonifchften Zeit zum harmonifchiten
Geſchäfte angeregt; von dem Falten, anfechtenden Gefchlecht
zur heißeften, edelften Anfchauung impulfixt; von der ver-
nichtenden Nüchternheit der allgemeinen Bildung zur höchften
abgejchloffenenBegeifterung zurüdgedrängt; vondem hohlen,
oberflächlichen und gefchäumigen Zeitgefhmad zurüdge-
ſchreckt in fein tiefftes, poetifches Selbft; von der Hohlheit,
Zerfallenheit und leeren Parteifchwindelet feiner Zeit, wie
die zarteSenfitive krampfhaft feine geiftige Blume zufammen-
ſchließend; zugleich aber auch von eigener VBerftimmung
und felbftgefchaffenemn Mißmuth widernatürlich umftridt,
fo fehen wir diefe edle Trauerweide unferer Literatur, das
grüne Haupt in den Bach der Zeit ſenken, um fchmeigend
und finnend in ihm ſich und feine Trauer wieder zu erbliden ;
147
darum flieht diefer Geift die frifchen Geftalten, welche die
Settwelt ihm bietet, um mit der Vorwelt Schatten um=
zugehen, und fie zu fich zu bringen; darum zieht er gerne
die wirklichen, vahren Lehren der Menſchheit und
des Lebens ausdem Dunkel-und Dämmer-Reich der
Träume und des phantaftifchen Gewebes aus Ge—
ſchichtlichem und Fabelhaftem.
Die Poeſie iſt ſo ganz und gar, ſo mit Haut und
Haar, ſo ohne Raſt und Ziel, ſo mit Stumpf und Stiel
aus dem Reiche des Luſtſpiels gewichen, daß ſchon der
Verſuch eines Grillparzer, ein Luſtſpiel zu ſchreiben,
ein neues poetiſches Roth auf das freudig überraſchte Antlitz
Thaliens aufblühen macht.
Sehen wir alle unſere Luſtſpiele an, ſie haben Alle,
Alle eine große Familien-Aehnlichkeit, es iſt eine einzige
große Kalmüken-Familie, Alle mit derſelben plattgedrückten
Nafe, Alle dieſelben Kleinen, blinzelnden Liebesäuglein, Alle
diefelben aufgeworfenen, hervorbrechenden, finnlichen Lip-
pen, Alle dasselbe fraufe, wollige, rollige, ftruppigeDialogen=
haar, Alle die glatte, aber ſchweißige Haut, tätowirt mit
denfelben ‘Blattituden, mit denjelben Equivoquen, mit den=
felben Gemeinplägen, mit demfelben Häffel und Quäkſel
von Redensarten, mit demjelben Alltags - Gatel, Oefrage
und ©eantworte.
Bei der erften Scene aller unferer Luftfpiele fieht
jeder Menſch ſchon durch den langen Corridor der Handlung
das Ende hereinfpazieren; alle Berfonen find durchfichtig,
man gudt ihnen fogleic) durch alle Rippen durch, und wer
10*
148
nur zweimal in einem Salon von ber volee financiere war,
der weiß immer ſchon voraus, was A zu Bfagenund Can D
antwortenwirb. Nirgends iſt die Gegenwart des Geiſtes,
nirgends Erhebung der Seele, nirgends Beredlung
der Anſchauung! Gewöhnliche Intriguen ins Unerträg«
liche ausgefponnen, geledte und gefchniegelte, aber immerhin
Iofe Form, alles Inhaltes entbehrend, alle Idealität im. der
Materie erftidend, und alle Poefte mit buntem Spaß nieder⸗
haltend, da8 ungefähr ift der Staturpaß unferer modernen
Thalia!
Sn diefer Zeit, wo allen unfern Ruftfpielen
der äußerliche Mittelpunkt in der Haupthband-
fung, und allen unferen Luftfpiel- Characteren ber in-
nerliche Mittelpunkt ihres Dafeins fehlt, und das
Poetifheund Geiſtvolle foganz vondem fonnigen Ge⸗
biete der heiteren Muſe ausgefchloffen ift, ift e8 eine wahre
Wohlthat, wenn ein wahrer Dichter, wie®rillparzer,
diefen Boden betritt, und den fruchtbaren Samen in das
empfängliche, aber mißbearbeitete Erdreich ftrent.
Ein Ruftfpielift nur dann etwas werth, wenn
das Ganze eine Schönheit für fid) enthält. Eine Schön-
heit in der Idee, eine Schönheit im Gedanken, eine Schön-
heit in der Tendenz. Diefe Schönheit mit poetifchem Geifte
zu befruchten, fie mit Wig und Annehmlichkeit zu befeelen,
ift die untergeordnete, aber auch Höchft wichtige Anforderung.
Da aber nur das ſchön erfcheint, was im moraliſchen
Sinne vollfommen ift, fo ift die ſittliche Tendenz
das einzige Eriterium eines Luſtſpiels.
a
149
Alle diefe Abgefchmadtheiten von Liebesintriguen,
von Berfennungen, von Berwechslungen, von Mißverftänd-
niffen, von Belenntniffen, von Ertappungen, von Abenteuern,
mit dem ganzen Brimborium der Zofen, Diener, der Ver⸗
kleidungen, Irrungen, Behorchungen u. |. w. find efelhaft,
albern, wiberlich, weil fie auf ihren hohlgehenden Wogen,
die von dem matten Odem des Alltagslebens gekräuſelt find,
nicht eine edle Öefinnung, nicht eine erhebende Empfin⸗
dung, nicht eime lautere Anficht, nicht einen ftärkenden,
tröftenden, wohlthätigen Gedanken oder Ausſpruch an den
Zuſchauerſtrand hinfpülen.
Einem Grillparzer aber ift die höch ſte Schön-
heit der Idee fo zur Natur geworden, wie dem Mandel-
baum feine Blüte, wie der fülligen Granate ihr innerfter
Kern; und die Poefte, die Duftigleit des Geiftes, die Lieb-
lichkeit der Empfindung befeelt und durchgeiftert feine Idee
jo durch und duch, und diefe Idee ift jo ganz in Poeſie
and Begeifterung verſenkt, wie die Biene in den geöfjneten
Duftkelch der Roſe ſich einſenkt und einbaut.
Dieſe Idee: die Schönheit der Wahrheit, mit
allen ihren Schwierigkeiten und Gefahrniffen darzuftellen,
äft geroiß der edelfte Vorwurf der Muſe, und gewiß aud)
der Luftfpiels Mufe; denn Alles, was mit unferer geiftigen
Erregbarkeit harmonirt, erwedt in uns ein Gerast von
Luſt und geiftiger Freude.
Das Erlennen einer moralifden Größe —
wie bier zum Beifpiel das Erkennen des Werthes der
Wahrheit — erwedt in ung eine ſüße Empfindung. Diefe
150
füße Empfindung ift an und für ſich angenehm, allein fie
erhält einen höhern, einen gediegenern Werth dadurch, daß
fie zu einem Begehren wird, zu einem Begehren dar-.
nad; in dem Begehren darnad Liegt unfere innere Vers.
edlung, unfere moralifche Beflerung, und in dem Allen liegt
die glüdlichfte Löfung, das feligfte Endziel des höheren
Luftipiels, des Luſtſpiels wie es fein fol. |
Grillparzer hat dem Publitum einen andern
Standpunkt angemwiefen, er traut ihm zu, nicht blos über
Lappalien von Liebeleien, überGamilien-Abgefchmadtheiten,
über Meinliche Collifionen, beifällig, abfällig, oder kopf⸗
fhüttelnd abzuurtheilen, fondern er traut dem Publikum
das Höchſte zu, das Richteramt in den feinften
moraliichen Schwankungen, das höchfte Unterfcheidungs=
Bermögen in den Collifionsfällen von Wahrheit, Wahr⸗
haftigfeit, Unwahrheit, Züge, Nothlüge und allen den
Zwifchenfällen, in welche ung der Widerpart der gebieteri=
chen und tyrannifchen Lebensverhältniffe gegen die lauterftert
und alleredelften Bebungen und Entjchlüße, fo oft und fo
zweifchnetdig entjcheidend, bringt.
Das Wohlgefallen an der Wahrheit ift doppel⸗
artig, denn jede Wahrheit fann Doppeltes. enthalten,
entweder eine Lehre oder eine Schönheit; im erften
Valle wirkt fie auf das moralifche, im zweiten Yalle
auf das äfthetifche Gefühl, und fo ift das Wohlge-
fallen und die Luft, die aus dem Kampfe und Sieg der
Wahrheit hervorgeht, eine moralifche oder äfthetifche
Freude.
151
Diefe Betrachtungen mögen darthun, daß das be-
denfliche und fuperfluge Kopfwiegen und mit weifer Miene
ausrufen: „Wehe dem,der lügt?“ Wie kann das ein
Luftfpiel fein?” eine Oberflächlichfeit ift, die unter dem
Strahle der eindringenderen Kritik wie Butter zerfließt.
Die Aufgabe, die fich der finnige Dichter ftellte,
war vortrefflich, die Idee eben fo erhaben als reich an
Stoff für Gemüth, und zugleich an Stoff für die Heiter>
feit. Aber von der Konception der Idee bis zum Aufzug
des Vorhangs ift ein langer, langer und breiter Weg! E8
kann die glüdlichfte, finnigfte Idee, ald Minerva mit der
Aegis gerüftet, aus dem fchöpferifchen Geifte eines großen
Dichters entfpringen, und fie kann dod) als ganz ſchwaches
Mütterhen auf Stelzen und Krüden über den ſchmalen
Abgrund zwifchen Podium und PBarterre zu uns herüber-
hinten.
Wenn Heine Geifter ivren und das Moosgeſchlecht
der gewöhnlichen Dichter auf Abwege geräth, fo ift nichts
daran zu bedauern, nichts daran zu verwundern; wenn
große Dichter irren, fo ift in diefem Irrthum felbft eine
Erhabenheit des Anblids; wenn einem Grillparzer
Etwas nicht geräth, fo bleibt Allen dabei noch etwas zu
lernen, zu erlernen!
Grillparzer, in feiner edlen dichteriſchen Offen⸗
heit, hat den Maskenſtreich verſchmäht, ſein Luſtſpiel
ein „Charactergemälde“ zu nennen, welches vielleicht
eine andere Erwartung, als man billigerweiſe mitbrachte,
hervorgebracht hätte. Erſtens ſchon darum, weil er weiß,
152
daß, wenn man von einem dDramatifchen Werke jagt: „C H.a=
ractergemälde”, diefes ein folcher Unfinn ift, als wenn
man von Muſik jagen wollte: TZon-Mufil, oder von
einem Gemälde: Farbengemälde, oder von einem
Menſchen: Gliedermenſch! Gibt es Muſik ohne Ton,
ein Gemälde ohne Farben, einen Menſchenohne
Glieder, und gibt e8 ein dramatifhes Wert, in
dem Fein Character gemalt ift, das heißt in dem
eigentlich fein Character gemalt fein follte? Das ift ja
eben der Fluch unferer Zuftfpiele, da fie nicht find, wie fie
fein müßten: „Charactergemälde!" Wiefehr ſchätzens⸗
werth und liebenswürdig zeigt ſich wieder die klare, poetifche
Individualität unferes Grillparzer darin, daß er den
nnmwürdigen Hebel an die öffentliche Meinung nicht voraus
anlegte, und nicht von mattblafenden Vorreitern erft aus⸗
trompeten ließ: „diefen neuen Weg hab’ ich eingejchlagen,
ich bitte, meine Herren, habt Acht, daß diefer Weg wicht
jener Weg ift! habt Nachſicht u. |. w.’ Ein®rillparzer
braucht weder eine Vor-Entſchuldigung, noch eime
Bor-Empfehlung; nnfer Publikum des Hofburgthea-
ters ift vollkommen äfthetifch-reif, und weiß feinen beften
Dichter zu ſchätzen; das beweist der allgemeine Beifall, den
die Allufionen, welche im Prologe auf ihn anfpielten, im
ganzen Haufe erregten; und wie fehr erhöht e8 die liebens⸗
würdige Befcheidenheit diefes edlen Sängers, daß er ſich
fo ohne Widerftreben bei biefem ihn liebenden Publikum
anempfehlen und um Nachſicht anfuchen ließ. Das ift die
Demuth der wahren Dichterfeele. — Im Voraus waren
153
wir mit Liebe in das Stüd gegangen, wir brachten jene
gute Stimmung mit, welche die Mufe Grillparzers
bei uns ftet8 vorausfegen darf; und wenn auch der Erfolg
diefe Stimmung bedeutend dämpfte, wenn man bei aller
Borliebe für den Dichter ſich unverhohlen geftand, daß die
Erwartung getäufcht wurde, fo kann man dod) behaupten,
daß eine wohlthätige Erfchütterung in dem allgemeinen
Krankpeitszuftande der Luftfpielmufe hervorgebracht wurde,
und da8 allein ift fhon Gewinn! Eine Krifis war nöthig |
Grillparzer fah den bald ſtheniſchen und bald afthe-
nifchen Zuftand der rettungslos erkrankten Thalia, und
pflanzte die Erregungs- Theorie von der Natur: Philofophie
und Humoral-Pathologie in diedramaturgifche Klinik über!
Die Natur heilt keine Krankheit, fondern die Berändes
rung des Berhältniffes der Reize; die Reize
des Tuftfpiels, feine Erregungen mußten in ein ander
res Verhältniß gebracht werden. Eine totale Umftim-
mung der Nerven ift ihm vor Allem nöthig, und das
tonnte nur durch den Verſuch, das Luſtſpiel auf einen ganz
andern Boden überzupflanzen, bewerfftelligt werden.
Grillparzer hat alfo den Verſuch gemadjt, es aus
dem ſchlammigen Sumpfe der volllommenen Degeneration,
in welcher es jegt fortlaicht, auf einmal, ohne Leber-
gang, auf die höchfte Spige einer rein moralifchen —
Subtilität hinaufzuftimmen.
Diefer umgekehrte leufadifche Sprung von dem Ab-
grund auf die Höhe, den der Dichter feine, von alten
Liebeleien und Intriguen lebensmüdeSappho- Thalia machen
154
ließ, fo edel er im Beweggrund, fo nothwendig bedingt im
der moralifchen Opportunität, fo heilfam er aud) für die
künftige Tebenszeit derfelben jein mag, mußte aber
vor unfern Augen um fo unglüdlicher ausfallen, als wir.
leider eben nichts, als den Beweggrund bes Spruns
ges, die Schnellfraft des Entfhlußes, und dem
freien, muthigen Anlauf zum Sprunge jelbft zu
loben haben, und die Höhe, auf die der Sprung führen
follte; die Ausführung felbft aber, die That, der
Sprung felbft fo mißlich ausfiel, daß die nnglüdliche
Sappho⸗Thalia im Sprunge ſelbſt fich einigemal unglüdlidy
überfchlug, oben köpflings zu fallen fam, und von der
Höhe auß gerade den auf den Kopf geftellten, ver=
kehrten Anfhauungspunft gewährt!
Da uns fein Manufecript früher zu Inhaltsanzeigen
und Auszügen zu Gebote ftand und fteht, ich es aud) nicht
liebe, dem Lefer die verdichtete Gallerte de8 Inhalts zäh
auszufochen, fo mag zur Berftändlichung meiner Anficht
in Kurzem nur Folgendes mitgetheilt werden.
Der Domvogt von Chalons, defjen Neffe Attalus
als Geißel bei den Heiden ift, hat einen Küchenjungen,
Leon. Diefer will diefen Neffen befreien. Der Domvogt
erlaubt es, gibt ihm aber die Warnung mit: „Weh' dem,
der lügt.“ Alfo ohne Lüge, ohne Trug, ohne Täuſchung
foll Leon die Befreiung bewerkftelligen. Diefe beginnt nun
fogleich damit, daß Leon einem Pilger, der bis zu dem
Rheingrafen Kattwald geht — bei dem Attalus gefangen
ift — fi felber ſchenkt, mit dem Beding, daß er ihn
155
als Koch an Kattwald verkaufe. Dies gefchieht; und nun
beginnt cine Reihe von Refervationen, Subtilitäten, Halb-
lügen, Ausflüchten u. ſ. w., e8 geht ohne Hehl, ohne Täu⸗
ſchung durchaus nicht; endlich entführt Leon den Attalus.
Die Tochter Kattwalds, Edrita, die den Halblügen und
Pfiffen und Beſchönigungen Leons unter die Arme greift,
halb Blödheit und halb Naturphilofophin ift, wird mit
entführt, oder vielmehr fie entführt ſich jelbft; die Flücht⸗
linge werden vor den Thoren von Metz, welches in den
Händen der Heiden ift, eingeholt, allein e8 kommt der Deus
ex machina, die Thore Öffnen fich, und der Domvogt Gre⸗
gor tritt Heraus, in der Nacht wurde Me von den Ehriften
genommen; Edrita wird Chriftin, und heirathet den Küchen-
jungen Leon.
Wie aus dieſer Begebenheit das „Weh' dem, der .
fügt,“ als Endrefultat und Bruftfaft herausgeholt wer«
den fol, wird nicht leicht Kar.
Wir fehen weder einen Menfchen, welcher dadurch,
daß er gelogen hat, beftraft wird, noch viel weniger
einen Menfchen, der dadurch, daß er durchaus wahr gewes
fen ift, eingeht in den Tempel der Berflärung. Leon beginnt
feine Bahn mit einer Lüge: er ſchenkt fich dem Pilger, daß
er ihn als Koch verfaufe; das ift eine Spikfindigfeit, ein
Kniff, der eben einen folchen Grundgefchmad hat, wie die
Lüge. AU fein Thun und Treiben bei Kattwald ift ein
Gewebe von faft talmudifhen Dredfeleien, fi nur
mit fein Lügen wort zu verfangen, während fein Sinn
durchaus Lügenhaft ift. Die Lüge aber befteht nicht blos im
156
Werke, und eine reservatio mentalis ift — vor dem dra=
matifchen und moralifchen Richtſtuhl — aud) eine Lüge,
und faft eine böfere Lüge, weil fie noch heuchleriſcher ift.
Leon würzt die Speifen und die Sulze, damit die Schloß
Bewohner Durft befommen, fid) einen Rauſch trinfen, dann
will er dem fchlafenden Kattwald den Thorſchlüſſel ftehlen.
Ic fragte: ift das nicht doppelte Lüge, und Lüge in
ihrer häßlichſten Geftalt? Wenn ich Jemanden eine Lüge
ins Geficht fage, welcher feiner Sinne mächtig, fo ift zum
wenigften Muth dabei, wenn er Hug ift, fann er merken,
es iſt eine Rüge; wenn ich ihn aber erft wehrlos made,
wenn ich ihmi feine Fünf Sinne erft ftehle, und ihn
dann mit einer Lüge überfalle, heit e8 da nicht: „Weh'
dem, der Lügt?” Freilich, als Kattwald erwacht, befennt
er ihm fein Berfahren, weil er fich erinnert: „Weh’ dem,
der lügt!“ Allein, fo wie die Not hläge feine Lüge ift,
fo ift die Nothwahrheit feine Wahrheit; fo wie es
nur der unglaubliche Stumpffinn Katwalds begreiflich
macht, daß fich diefer wieder beruhigt jchlafen legt, ohne
zu fragen: was war der Zweck?
Nehme man aber audy an, Leon habe Alles, Alles
durch reine Wahrheit, durch Wahrheit, von feinem Hauch
befledt, vollbracht; woher geht der Sieg dieſer Wahrheit
hervor, da diefe weder in ber Peripetie der Charactere be=
dingt ift, noch weniger aber aus der Kraft und der ſegens⸗
zeichen Folge der Wahrheit felbft als Wahrheit hervor⸗
geht, fondern Lediglich und ganz allein durd; einen
Zufall, durch den Theatercoup, daß Meg bei Nacht
en‘
157
eingenommen wurde, bewerkftelligt wird! DieferHieb zerhaut
freilich den materiellen Knoten, aber der moralifche, oder
beffer: metaphufifche Knoten bleibt ungelöst und unzer-
fhnitten, und wir wiffen am Ende nicht, ob wir darüber
mit der menfchlichen Beftimmung hadern follen, daß fie
entweder die Lüge als Erftgeborne in uns immer fo fituirt,
daß fie den Zwillingsbruder Wahrheit bei der Ferſe faßt,
und ihm den Bortritt ftreitig macht, oder ob wir und am
Ende der vernichtenden Troftlofigfeit anheimgeben
müfjen, weil Nichts und Niemand ohne Lüge und
Trug beftehen Tann! Die Ausführung des Ganzen fteht
alfo mit der Tendenz — infoferne ich fie zu erkennen
glaube — im Harften Widerfprud). Denn unmöglid) kann
der finnige Dichter uns haben jagen wollen, daß der
Menſch gerade da mit Beirrung, Selbfttäufhung
und Begriffflauberei zufammenfällt, wo er fidh feft
vornimmt, durchaus wahr zu fein! Ein foldes anato-
mifh-dramatifhesPräparatdesmenfchlichenGrund«
und Erb⸗Uebels, oder der menschlichen Beftimmungs-Gebre-
hen, gehört wie gewiffe Wachspräparate von heimlichen
Naturgefchäften, in das Dunkel der verborgenften Unter-
fuhung, Hinter den geheiligten Schleier, den nur Wenige
lüften follen; aber nicht auf das Bretergerüfte der öffents
lichen Befchauung, denn der allgemeine Sinn lernt nicht
die Heilkunde daraus, fondern die troftlofe Verzweiflung
an dein eigenen Zuftand, an der Organifation des menſch⸗
lichen pfychifchen Lebens, und an der Harmonie feines inner=
ften Weſens.
158
Ic) kenne gar nichts, was mid) fo heruntergeftürzt
hätte in den Pfuhl einer apathifchen Gleichgiltigkeit gegen
Tüge und Wahrheit, als die legten Worte des Domvogts:
„Alle vedeten wahr, und doch logen Alle!“
Das ift das unbarmberzigfte Profruftes - Bett, in
welches je ein decapitirter und amputirter Grundſatz einges
zwängt wurde! Diefe letzte Rede des Domvogts löst das
Ganzevollflommeninzerftäubende Atome auf!
Leider mag es eine juridifche Wahrheit fein, daß der
ftarreRechtsbegriff von Wahrheit vor dem Unterſuchungs⸗
richter der wirklichen Kriminal-Juſtiz nicht ohne Zahnfpur
der Tügenfchlangen befunden wird ; allein wir Menfchen, die
wir weder Unterfuchungs- nod) Strafrichter find, uns follte
man den Ölauben an eine unbefledte Wahrheit nicht rauben,
ung follte man die Einfeitigfeit diefer ſchöͤnen Tugend nit
begreiflich machen wollen, uns ſollte man die ungetheilte
Freude in dem Anblid der Wahrheitsroje nicht dadurch
verleiden, daß man ihre Blätter vor uns metaphufifch aus-
preßt, und uns zeigt, daß in ihr Honig- und G©ifttheile
wohnen, und daß die Gifttheile wie die Honigtheile eben
die Totalität der Roſe ausmachen. Wie leicht flürzt nicht
der leichtfinnige Hörer den Sag:
„Alle redeten wahr, und doc logen Alle“
um, und citirt in halber Vergeßlichkeit:
„Alle Togen, und redeten doch wahr?“
Da es fid) bei der Beurtheilung diefes Stüdes mehr
denn je um Wahrheit, auc) in der Kritik, Handelt, da der
Leſer jeden Augenblid mir zurufen kann:
„Wehe bem, der Lügt!“
m %
159
werbe ich noch weiter gehen, und aus den Worten felbft zu
entnehmen trachten, welchen BegriffvonWahrheit der
hochgeehrte Berfaffer vorführte,
Gleich in dem erften Monologe hören wir:
„Wahr ift der Wolf, der brüllt (?), eh’ er verfchlingt,
Wahr ift der Donner, drohend, wenn es blitt,
Wahr ift bie Flamme, die fhon von ferne fengt.
Wahr find fie, weil fie find — weil Dafein Wahrheit,“
Wie ift aber die Natter, die nicht droht, wenn fie
fticht; der Arfenik, der gerade jo ausfieht wie Zuder, wenn
er tödtet, fie find Lüge — find fie wahr, weil fie da find ?
Ihr Dafein ift Wahrheit, aber fie find nit wahr!
Eriftenz ift phyfifches Sein, phyſiſche Wahrheit aber ift
von der moralifchen weit verfchieden!
In demfelben Monolog heißt e8:
„Ein Teufel bift du, der allein ift Lügner,
Und du ein Teufel, infofern du Tügft!”
Wenn aber Dafein Wahrheit ift, der Teufel
aber aud) da ift, folglich wäre der Teufel Wahrheit!
Es ergibt fich alſo ſchon aus diefem Monolog, daß
wir die. Wahrheit aus ihrem Standpunkt verrüdt haben!
Gehe ich nun von der Wahrheit der Wahrheits-
Darftellung auf die Wahrheit der einzelnen Charaf-
tere über, da fteht denn wieder das Wort vor mir:
„Beh dem, der lügt!”
und ich muß den meiften Charafteren, zu meinem größten
Teidwefen, die Wahrheit ihres eigenen Charakters
abfprechen.
16
Leon, der Küchenjunge, ift durchaus unwahr, in=
fofern unwahr, als feine Worte mit feinem Eharalier in
feiner Harmonie find. Wir finden diefen Leon ungeſchlacht,
Täppifch, grob, roh, kurz ein Küchenjunge di primo eartello.
Er führt aber zuweilen neben dem albernfien Geſchwätz
hohe, metaphufiihe Reden: „Braben ift ein abelig Ge⸗
ſchäft“ u. f. w., und wirft die feinften Philofophien von
fi). Ueberhaupt fehe ich die Nothwendigkeit nicht ein,
warum gerade ein Kücjenjunge zum Scildträger der
Wahrheit auserforen wurde?
Id kann und mag e8 durchaus nidht leiden, wenn
man, ohne innere Nothwendigkeit, bie äfthetifchen
Würbenträger und die dramatiſch-moraliſchen Prioritäten
in der Schurzfell- Sociste des Lebens ſucht. Das ift die
kränkelnde Bizarrerie der franzöfifchen Romantiker; allein
in Frankreich wollen die Dichter dadurch eine gewifle Sym⸗
pathierege machen und Anflänge erweden, die bei unsGottlob
weber eriftiren, nohAnflang finden. Ich kann mir nun einmal
einen Straßenjungen nidt ala Adler denken, den
Jupiter mit dem Blig feiner Tugend unter die Menfchen
fendet, und ich kann mir feinen Kühenjungen denken, den
Zeus zum Ganymed beſtellte, um durch ihn Wahrheits-
Nektar tredenzen zu lafien. Champagner muß man
nicht ohne befonderes, tieferliegendes Motiv aus
ledernen Schläuchen trinken laffen; eine Perle bleibt zwar
immer Perle, aber fie fit im Golde beffer denn im plumpen
Blei. Was nöthigte unfern gefeierten Dichter, gerade eine
Küchenjungen zum Lichtträger feiner Idee zu machen?
a
161
Wahrheitsliebe ift eine Tugend, und zwar eine
ethiſche; ethifche Tugend kann nur da ftattfinden,
wo eine volllommene, freie Thätigfeit der Ber-
nunft waltet; die Vernunft, die ausgebildete, zum Unter-
fheidungs-Bermödgen gelangte Vernunft, muß den
reinen, innern Werth der Wahrheit erfennen, fie ale
unerläßlich zur Harnionie der Seele begehren. Dietiebe
zur Tugend ift von dee Furcht vor dem after him-
melmweit unterfchieden, und ein Knecht, der nicht ‚net
weil ftet3 die Drohung feines Herrn:
„Weh' dem, der lügt!“
und nicht einmal: „Wohl dem, der die Wahrheit
ſagt!“ ihm vor Augen fchwebt, iſt und kann durchaus
kein Träger der Wahrheits-Apotheoſe ſein! Leon iſt nicht
die Muſchel, in welche die Wahrheit wie ein Himmels⸗
tropfen fiel, und fic) da abrundete, und kernig zur ‘Perle
ausbildete, fondern es ift ein zufällig aufgelöstes Futteral,
in welchem fein Gebieter die Berle aufbewahrt; das Futte-
vol fteht mit der Perle, und Leon wit der Wahrheit in
gleicher Cohäſion.
Wenn daher am Ende Leon die blöde Grafentochter
als Siegestrophäe heimführt, ſo iſt dieſes ein großmüthi—
ges, willkürliches Geſchenk des Dichters, aber keine dra-
matifche Geredtigfeit, es ift durchaus Feine ihm
gebührende Trophäe, denn wenn man klar und befonnen
unterfucht, wie Leon die Wahrheit aufnimmt, wie fid)
ftets feine Bernunft, feine Anficht und fein Begeh-
ven gegen die Wahrheit fträubt, wie er vom Domvogt ftet3
M. ©. Saphir's Schriften. VI. Br. 11
162
eine Lügen-Permiſſion erhandeln will, fo liegt eher eine
Art Aberglaube in feinem phyfifchen Erfchreden, wenn
er fi) an die Drohung feines Herren: „Weh’ dem, der
Lügt!” erinnert, al8 innere Neberzeugung, als gött-
liche, freiwillige Hinneigung zur Wahrheit! Es Liegt durch⸗
aus etwas Knechtifches in feinem Reſpect vor der Wahrheit,
es ift Furcht vor der Strafe Kurz, Leon ift eine
SKapjel, in welche der Domvogt die Wahrheit einſchloß,
und weil die Kapfel ihre Schuldigkfeit gethan hat, Heirathet
fie eine Gräfin Edrita!
Ganz unrichtig ift der Charakter des Attalus; ftör-
riſch, unwerth, undankbar, faul, verdroſſen ift er, des
Aufhebens unmwerth, da8 man für und über ihn macht, und
auch bei ihm ift es nicht abzufehen, wozu ihn der Dichter
jo gezeichnet, und in welcher Contraſtirung er etwa erfchei-
nen fol? Soll er vielleicht etwa blos daftchen, um den
Abſtand der bevorzugten Welt von der gewöhnlichen zu
zeigen? Wozu das? Und wie fol das ein Mitbehelf zu
unferem dramatifchen Zwede fein?
Edrita ift Halb ein blödfinniges, halb ein begeiftertes
Weſen! Bald wie eine Stumpffühlende bricht fie in ein
blödes Gelächter aus, wenn ihr Bräutigam mit der
Brücke in die Tiefe ftürzt, bald träufeln ihre Tippen Honig
von dem Hymet der höchften Weisheit und des höchften
Edelmuthes. Selbft am Ende ift Ihr Eingang ins Licht
nicht recht Har, fie fagt, einen Grund verfchweige fie, aber
man kann denken: weil ihr der Rückzug abgejperrt ift, weil
fie Leon liebt, bleibt fie, and das fchmälert die Berherrlichung
163
- der Idee am Ende bedeutend. Mit dem dummen Galomir
weiß ich nun vollends nichts anzufangen! Er ift ein Eretin,
. der aber weder durch pofjenhaftes Element, noch durd)
geifterhafte Unheimlichkeit irgend einen Effect machen fann.
Er verhält fi zum Shakeſpeare'ſchen Caliban, wie
Kaspar Haufer zu Droll und Pud, und zu den ironifchen,
tieffinnigen und tollbedeutfamen Gnomen und Elfen allen,
die, ausgerüftet mit dem .höchften Sarkasmus und der
finnigften Naivetät, in jenen Wundergärten zwifchen den
poetifchen Geſtalten gaufeln und jurren.
Das Poffenhafte in diefem Luftfpiele ift nicht wie
bei Calderon, Shafefpeare,ein Humoriftifcher Gegen—
fchlag, ein hineingeworfener Lebens-Schlagfchatten, als
Contraft zu den hellen Tichtern, weder ein ſub- noch ein
coordinirtes Element, fondern e8 ſchwimmt fo wie einzelne
Stüde Treibeis in dem abrinnenden Handlungsftrom. Selbft
in der Diction hat der Dichter fich zurüdgehalten, und nur
felten erkennen wir unfern edlen, poetifchen, geläuterten
Sänger des „Sappho“ ; nur felten den energifchen, glü-
henden, kraftftroßenden Dichter von „Traum ein Xeben“.
Auch den Wit, diefen erften und alleinigen dienftthuenden
Rammerheren des Luſtſpiels, verfchmähte er, als ob ber
Wit das äfthetifche Gebiet nicht Hand in Hand mit der
Wahrheit durchwandeln könnte. Ya, e8 jagt, glaub’ ich, ein .
großer Denker, oder hat e8 gejagt, oder könnte es fagen,
gerade der Wit beweist, daß die Wahrheit verfchieden-
artig reizen kann, und noch anders als die mathematifche -
Wahrheit, als die logarithmifche. Der Wit beweist, daß,
11?
164
die Wahrheit Hand in Hand mit Schönheit gehen muß,
dag fich die Wahrheit erft reizend vor uns verfleden muß,
um a8 Schönes, Erhabeucs, oder wenigftens als etwas
UVeberrafhendes und zu gefallen und zu gewinnen!
Wenn es aljo vollflommen in der verfehlten Aus⸗
führung der herrlichen Idee lag, daß das Stüd jenen
Eindruck nicht madjte, den man fi) von dem beliebten
Namen Grillparzer madıte, jo wird der gefeierte Dichter
daraus erfchen, weldye Erwartungen das Publitum von
feinem gefeierten Liebling hatte. An die hohe Kraft legt
man den hohen Maßſtab an.
Ein weiblidhes Her.
Dramatijches Gedicht in fünf Aufzügen. Bon Theodor Stamm.
His Zuftfpiel, nicht Schaufpiel, nit Trauer—
fpiel, niht Drama, fondern dramatiſches Gedicht.
Wenn die Dichter ſich in allerlei Titel fteden, um
der Kritik e& Schwer zu machen, den rechten Mafftab an
das Stüd zu legen, fo muß fid) die Kritik am Ende aud)
eine Zitulatur erfinden, die zugleich auf Kritik ud Nicht-
Kritik, auf Urtheil und bloßen Ausſpruch, auf Er-
faffen des Gegenftandes und auf bloßes Balan-
ciren hindeutet. Warum follten wir nicht: „kritiſches
Gedicht,” oder „poetifche Kritik,“ oder „Iyrifche
Recenfion,* oder „Fentimentales Urtheils-Ge—
mälde” und dergleichen erfinden und fchreiben? Warum
nicht einen Kritiktitel erfinden, der den Boden für ſich
vindicirt, aber die Rechtſame und Obligationen,
die auf dem Boden ruhen, durch eine fpißfindige Benen-
nung der Yurisdiction entzieht?
Es waltet ein. eigenes Berhängniß über die deutſche
Dramatif! Sie mar lange Zeit eine Zufammenfchüttlung
166
der drei dramatifchen Ingredienzien des fpanifchen, engli⸗
ſchen und franzöfiichen Theaters. Bis zu Goethe’ und
Schil ler's Zeiten waren es bald Calderon'ſche Maximen⸗
Motive und ſpaniſche Gloſſen-Aufgaben mit dem ewigen
weichen Refrain, oder Shakeſpeare'ſche dunkelblutige,
ſelbſtverſtrickeriſche Schickſalsſtücke in einem gerechtern
Sinn, als in dem griechiſchen, oder endlich franzöfifche
Salculftüde mit dem Ariftoteliichen Kubikfuß von Furcht
und rauen. Mit Goethe und Schiller begann die
eigentliche National - Dramatif Deutjchlauds, diefen folgte
der lange Zroß von Nachahmern, die das Kind mit dem
Bade ausjchütteten, danıı famen die Gräuelmänner, die
aus dem Schidfalsfaden einen Galgenftrid machten, aus
Mißmuth Lebenselend, aus Zweifeln Sußangeln, und aus
dramatifcher Gerechtigkeit ein hochnothpeinliches Hals- und
Standgeridt.
Die ganz neue Zeit ift ganz abgejprungen, eine gewiſſe
Subtilitäts- Dramatik ift Mode geworben, Igrifcher Frieſel
begleitet und erſchwert die dramatijche Kriſe; eine Kränk⸗
lichleit, eine blafje Selbftquälerei wird allen Helden ange
hüftelt, anſtatt des Allgemeinen wirddas Individuun
zum Ausgangspunkt der ganzen Handlung!
Früher war e8 die Epik, welche in die Dramaturgie
hineinwudjerte und fie mit ihren breiten Aeften erdrüdte,
jetzt ift e8 die Tyrif, ein poetifches Teid- und Schmerz-
thunı, welches fie umftridt, verfüßlicht und entnervt. Es
gilt darıım von der neuern Tragödie, was von der neuern
Lyrik zu fagen ift: fie ift eine Yeibeigeneder Subjettivität,
167
des Concret-Öültigen; fie hat alles Gemein-®ül-
tige, Objective aufgegeben, und fo alle Bollgültigfeit,
alle Erfolgsherrſchaft verloren!
Lange Zeit hat fi) die Dramaturgie inihrem Gebiete
behauptet, hat fie ihre Weſenheit gerettet, ihre Geſetzgebung
erhalten. Nun bat fie fi) aber emancipirt, und damit
leider nichtE gewonnen, als einen größeren Raum, aber was
fie an Raum zur Architeltonif im Drama gewann, das
verlor fie an der Entfeelung der Form, an geiftigem Mark,
an der Gültigkeit der Idee.
E8 ift ducchaus Fein Brennpunkt mehr in den neuen
Tragödien, aus welchem die Ausftrahlungen der menſch—
lichen Natur, der innerfien Wefenheit des Menfchen, der
Zeit, der Jahrhunderte, dev Gefchichte erleuchten, entflams
men und entzünden: fie ftellen nicht mehr die wichtigften
Aufgaben des Herzens, der Seele, der Menfchheit, der
Bölfer und ihr gegenfeitige® Verhältnig dar, nein, man
löst fic von allen diefen Feſtlanden [o8, um wie ein Paras
diespogel mit eingezogenen Füßen in der Tuft zu vagabon-
diren; die Bagantin fegt fi anftatt Adlersſchwingen
Schmetterlingsdeden an, fpielt mit Sonnenftäubchen, badet
den jchillernden Hals in Flimmer und Schimmer, ergeht
fi) in Subtilitäten, Contraften, Antithefen, Tiebesftrahlen
und jentimentalen Spisfindigfeiten. Ein Herz anatomiſch
auf der Folterbank der Eiferſucht, ein anderes zappelnd an
dem Schwebebalfen des Ehrgeizes, eine Nachtigall, die
unter einem Erdbeben flötet, eine Turteltaube, die unter
dem Gewitter girrt, zwei ſchnäbelnde Spagen unter einem
168
brennenden Dache, eine Abzehrung unter Lerchengefang, ein
MWahnfinniger mit Sc)halmeibegleitung, ein gebrochenes Herz
nit Igrifchem Roſaband, das find die Aufgaben der neuern
Tragödie.
Menfhennatur und Menfhengefgie, diefe
zwei ftamefifchen Zmilling-Seelen des Drama’s, haben die
neuern Dramatiker zu Schwefelhölzchen ausgezündelt, als
Menfhencapricen und Menfheneigenheiten mit
fentimentalem Krimskram ummidelt, mit Thränen und
Sentenzen eingefalgen, und fo die Schnörfel des Men—
ſchenherzens als fein Fundament behandelt.
Wir werden fogleich fehen, daß das jett in Rede
ftehende Trauerfpiel, nein, „dramatifche Gedicht,“
eben auch an der Verſchwimmung aller Tendenzen, an der
Iururiöfen Ueberfülle des Wortes, des Gedankens und der
Reflerion leidet, und dadurch undramatifch, breit, verworren
und ermüdend wird.
Seit Müllners fataler Fatum-,Schuld“ gab es
ſchwerlich ein Stück, bei dem eine Inhaltsanzeige ſo ſchwer,
fo laſtend auf dem Erſtatter liegt, als in dieſem Stüde.
Die Expoſition kommt ſtückweiſe, in jedem Acte, nach und
nach, und Dolores holt noch im fünften Acte einen Theil
nach. Don Cäſar Lara hat einmal eine ſchöne Jüdin,
Rebekka, geliebt, und dadurch hat er feinem Bruder Fer⸗—
nando, der ihm von feinem Vater zur Obhut anvertraut
war, allein gelafjen, und diefer ift von Corfaren geraubt
worden, worüber ihm fein Bater fluchte — und ftarb.
Das ift eine Schuld. Dann hat er noch ein Mädchen
169
geliebt, wir kennen fie als Dolores und erfahren im fünften
Acte, daß fie die Tochter feines Wafjenträgers Geronimo-
ift. Er verließ fie; zweite Schuld. Im Kriege gegen die
Mauren gerät) er an den Vazyr Abdallah von Malaga
und entführt ihm feine Schwefter Zaida und bringt fie bei
einem caftilifchen Juden Cleazar, unter. Diefer Jude ift
ein zweiter Nebentreffer im Stüde. Er ift ein Yandesver-
räther, indem er Caſtilien an Abdallah verräth, und zwar
durd) feinen Sohn Adar. Er ift auch Arzt, veradjtet und
geſchimpft, gerade wie Shylof, mit dem er alle Familien
ähnlichkeit hat. Adar aber, fo erklärt es fich endlich, ift
nicht fein Sohn, fondern der von den Corfaren geraubte
Hernando Lara, den Eleazar von den Corfaren kaufte, um
fi) an deffen Bruder Cäſar zu rächen, denn.er ift Rebekka's
Bater, welche ein Opfer von Cäſars Liebe war. Unterdeffen
erfährt der König von Eaftilien die ganze Gefchichte, Cäfar
wird befchuldigt, im Kriege gefehlt, eine Zauberin bei
einem Buben untergebracht zu haben, und fie zu Tieben.
Er wird verbannt, und der Iude hingerichtet, welcher
Cäſar entdect, dag Adar fein Bruder ift. Nun ſtürmt das
Volk die Hütte des Juden, Adar und Zaida find in der=
felben, allein Dolores, der Genius der Liebe, überall
fihtbar, fommt, nöthigt fie zur Flucht und bleibt, in Zaida's
Schleier gehüllt, an ihrer Statt zurüd, wird aber fpäter
wieder von Geronimo auch befreit. Nun finden wir Cäſar
auf der Flucht, in Verbannung, er findet, wie Belifar,
einen Haufen Räuber, macht fie zu Soldaten, befiegt den
eben hereinbrechenden Abdallah, und wird von feinem König
170
wieder begnadigt. Seine Rache kehrt fid) gegen Abdallah,
er greift ihn an, und wird von ihm erftochen. Dolores
fommt dazu, er erkennt feine ehemalige Geliebte, welche
Untreue, Kummer und Alles vergaß, um nur ihn glücklich
zu fehen, und ftirbt lang und renig. Dolores wird vom
Schmerz überwältigt, und ftirbt auf Eäjars Teiche. Zaida
kommt, verföhnt fi) mit ihrem Bruder, nachdem Käfer
fterbend ihm fagte: „du erhältft fie rein aus meiner Hand
zurüd,“ worauf Zaida im Abgehen fagt: „ich heiße nun
Dolores, mein Name ift Schmerz“ u. ſ. w. und der Bor-
bang fällt.
Der Lefer fieht aus diefem Ertract, daß der Dichter
in dem erjten Drganisınus des Stücdes ſchon das ver—
fehlte, was freilic) die ſchwerſte Kunft ift: die Kunft
der Fabelbefhränfung. Der Dichter hat zu viel
erfunden, die Dinge ftoßen ſich aneinander, ohne ausein=
ander zu folgen. Die Handlung ift zerftüdt, eine Perſon
handelt neben der andern, und feine Einzige durch bie
andere. Ein Hauptgebrechen ift e8, daß feine Charaktere
da find, fondern blos Individualitäten. Bei dem trüben
Lichte der Reflerion ſehen wir den Mangel aller plaftifchen
Naturwahrheit um. defto deutlicher. Wer ift Cäfar ? weldye
Kraft, welche Größe, welche Natur ift in ihm? In wie
ferne nimmt er unfer Interefje in Anfprud) ? gar nicht. Er
leidet nidjt, weil er etwas gethan, gehandelt hat,
fein Shidfal ift nicht die Srudht feiner Thaten,
wie dies die erfte Bedingung des höhern Drama’s ift,
jondern er thut und handelt etwas, weil er leidet, feine
171
Thaten find die Früchte feines Schickſals. Er ges
räth in einen Strudel von Thatfächlichkeiten hinein, die ihn
nöthigen, etwas zu thun. Sein Charakter ift matt, farblos,
unmännlich, er entführt eine Heidin, bringt fie bei einem
Juden unter, und zum Dank nöthigt er den Bruder des
Mädchens zu einem Duelle. Er ift ein echter Alltagsmenſch
und nichts als ein guter Soldat. Er intereffirt und gar
nicht, und dennoch bedauern wir ihn, daß er für nichts
ftirbt. Was ift feine Schuld, daß er fterben muß? Daß
er ein Mädchen geliebt und verlaffen? daß ihm Corfaren
den Bruder geraubt? Wo ift da die tiefe, blutige, nur durd)
den Tod zu fühnende ungeheure tragifche Schuld ? Und wo
ift in diefent Tode Die Sühne, die Hellwerdung der Tinfter-
niß, der Eingang aus Kampf und Schmerz zu Sieg und
Wonne? Ä
Und nun Dolores? Zaide? „Ein weiblides
Herz” ift der Titel, welche von beiden befigt dieſes ver-
meinte weibliche Herz? Wahrfcheinlich Dolores. Zaide
zerfällt in ihrer moralifhen und äfthetifchen Nihilation.
Wie Corona von Saluzzo aus einer Amozone zur Schäfer
rin verwandelt, den wilden Hornfchnabel der Kriegerin in
das Zurteltanbengejchnäbel nmwandelnd, entläuft fie ihrem
Bruder, abenteuert mit Cäfar herum, und fagt zulett wieder
zu dem guten alten Komödienbruder : ich gehe wieder mit
dir,“ denn Cäſar ift todt. Im ganzen Stüde fehen wir fie
als ein unwirſches, übermüthiges, verzogenes Geſchöpf,
welches felbft nicht weiß, was c8 will, bald eine Gurli,
bald eine Johanna ift, und deffen weibliches Herz“ feinen
172
Funken Adel, keinen unten jener hohen, himmlifchen
Weiblichkeit in und an fid) trägt, die auch einem heid-
nifhen Herzen poetifch nicht zu entwinden ift!
Es muß alfo Dolores die Befiterin des angegebenen
„weiblichen Herzens“ fein, und allerdings befigt fie
ein gutes, trenes, liebevolles und aufopferndes den Aber
was heißt das:
„Ein weibliches Serz⸗⸗
doch nichts Anderes, als: So iſt das weibliche Herz, ſo
fühlt es, ſo ſchwärmt es, ſo handelt es, ſo ſind ſeine
Schläge, ſo pocht es, ſo ſtürmt es, ſo ſchwelgt es, und
ſo — bricht es. Dieſes weibliche Herz zu erkennen,
ſeine Kraft und ſeine Schwächen, ſeine Fehler und ſeine
Tugenden, feine Schwäche und ſeine Rieſigkeit, feine Selig—
keit und ſeine Zerriſſenheit, ſeine Unbändigkeit und ſeine
Hingebung, ſeine Starrheit und ſeine Zerſchloſſenheit, ſeine
SBöllen⸗ und Himmelſichtigkeit, feine. Ueppigkeit und feine
Dedigkeit, feine irdifche Menfchlichkeit und feine überirdifche
Söttlichkeit, dazu müßte und die ganze Entftehung 8-
gefhichte eines liebenden, beglüdten und wün—
ſchenden, kämpfenden, unterliegenden, fih auf—
richtenden und endlich im völligen Untergang
verklärten weiblichen Herzens gegeben werden, ein
Herz, das in allen Phaſen des Glückes und des Elendes,
in allen Regungen der Schwäche und der Tugend, in allen
Zuckungen der Seligkeit und der Verdammniß, in allen
Strahlen der glorreichen Erhebungen und Sühnungen vor
173
uns da liegt und auseinander geht, und das zwar durd)
mächtige Gefchide, dur) ungeheure Schmerz» und Wonne-
griffe des Schickſals in ihr zart- und reichbefaitetes Leben.
Diefe Dolores aber ift nichts, als der Scylußpunft des
weiblichen Lebens, der ſchmale Saum eines weiblichen
Herzens, fie ift nur der Refrain einer Empfindung, nichts
als ein Endreim eines verflungenen Gedichtes, nichts als
der Zipfel, der thränennaffe Zipfel eines Herzens, das wir
fonft nicht kennen. Das Leben eines weiblichen Herzen
gibt uns ein Bild des Herzens, aber nicht fein Ster-
ben; nicht aus dem Abend wird der Tag erkannt, nicht
ans dem legten Vermächtniß der Charakter des
Lebens.
Dolores iſt ein edles Weſen, ein Weſen, wie es
wenige gibt, ſie vergibt dem Treuloſen, ſie wacht für ſeine
Liebe, ſie opfert ſich für ſeine Geliebte, das iſt Alles recht
ſchön, aber es iſt noch nicht das Prototyp des weiblichen
Herzens, das iſt noch nicht die Trägerin einer großen Idee,
noch nicht die Grundidee einer tragiſchen Welt!
Es iſt in dieſer Dolores recht viel Glaube, Liebe,
Hoffnung, Fühlen, Sehnen, Schwärmen, Wogen, Wallen,
allein der Gedanke fehlt, der tiefe Schmerz, die hohe
Freude, es iſt viel Luft, ſchöne Luft, warme, ſchwüle
Luft, Lichtſtreifen in dieſer Luft, aber oben fehlt der
Himmel, und unten fehlt die Erde. Das Bild iſt da,
aber der Lebensſpiegel nicht, in dem es ſich rückſpiegelt,
es iſt ein Meer von Empfindungen, aber die Wellen
fehlen, die einzelnen greifbaren Wellen; ſie geht in dieſen
174
Meere unter, aber wer bezeichnet die Welle, die ihr noth-
wendig den Tod gab?
Jedoch ich, vergefie, daß ich blos ein Urtheil abges
ben, und kein Brotofoll aufnehmen will. In der Kürze
nur noch fo viel, daß auch die anderen Charaktere zu Feiner
Beftimmtheit, zu feiner Tüchtigkeit famen. Adar ift ein
guter Knabe, mehr nit; Don Iuan von Caftilien ein
echter Fürft aus Hamlets „Mäufefalle”. Eleazar kaun uns
nicht intereffiren. Die Klagen diefer Nation find ſchon zu
oft über die Breter gegangen, und am Ende kann td) die
offene, wenn auch hündifche Graufamfeit eines Shylof
mit feinem Nationalhaß zum Kleinen Theil natürlich finden,
und einige Theilnahme für ihn verfpüren, aber nie und
nimmermehr mic, für einen Verrät her intereffiren, für
einen Spionvater, nie für den, der das allerabfcheulichfte
Gewerbe treibt.
Das Refultat des Geſammten geht aljo dahin: daß
das Dramatifche an dem „Dramatifchen Gedicht“
gänzlich verfehlt ift, und alfo keine Wirkung machen konnte.
- Wenn wir und hingegen zu dem „Gcdicht” in dem
„Bramatifchen Gedichte“ wenden, thut es uns wohl,
dem bei allen Mängeln dennoch jo fichtlich talentvollen
Autor auch einige vecht Herzliche und frifche Blumen winden
zu können, um den leider und durch Wahrheit und
Beruf aufgenöthigten Dornenbüfchel des Tadels. Dichter—⸗
kraft ift fo viel in dem Stüde, daß es die Dramakraft
überwuchert und erftidt. Reichtum an Bildern, Glanz
der Sprache, fchöne Phantafie, edle Diction, eine wahryaft
175
poetifche Sefinnung athmet in vielen und vielen Stellen
und oft veißt ein wahrhaft Igrifcher Schwung zur Bewun⸗
derung bin. Ganz unbejchreiblich ſchön ift die Scene
zwifchen Cäſar und Zaide in Eleazars Hütte, und fo
mehrere Scenen, die vortrefflich find. Leider hat die Fülle
von Diction den Autor in ein ſolches Wortfnäul hinein-
geftrickt, daR er fich oft verwidelt, aud) in fcenifcher Hinficht
wird oft ein recht geſchickter Tact fichtbar;; fo ift der Schluß
des vierten Actes vortvefflich, meifterhaft; allein
wir find an feiner Bildung fo reich, wir find fo über-
gefittet, daß cin unigefallener Lanzenknopf uns in eine
fo Fröhliche Laune bringt, daß wir darüber Drt, Situation,
Dichtung und Alles vergeflen, um und einem veizenden
Gelächter zu überlafjen! Ein Statift, der ftolpert, ift
unferem geiftreichen und aufmerffamen Sinn genug, um
den Eindrud der fchönften Scene zu verwifchen. Ja, wir
nehmen an gründlicher Stegreifbeurtheilung jo zu, und
werden fo.improvifatorifch urtheilfeft, daß eine Couliſſe,
die fchief fteht, eine Wolke, die in das Zimmer hereinhängt,
ung genügt, unfere Aufmerkſamkeit vom Stüd aufdie große
Begebenheit zu lenken, und wir. haben fo in Sitte und
Anftand zugenommen, daß wir fo überzeugt find, eine
mißglücte Comparferie fei hinreichend, um das Schidfal
einer Scene zu entfcheiden, daß wir lachen und unanftändig
poltern, wo weniger ©ebildete und Raffinirte fich Höchftens
mit einem — anftändigen Stillſchweigen begnügten.
Ber diefer Art und Weife, fein Mißfallen zu er-
kennen zu geben, bleibt nichts zu bedanern, als der Unftand,
176
daß unfer Theater-Benehnen immer ruder und frivoler
wird, und dag ein erfier Berfud, der, wenn aud
mangelhaft, do von überwiegendem Talente
zeugt, mit einer Lieblofigleit behandelt wird, die den mit
Hecht verftinnmten Autor von jedem feruern Verſuch, der
gewiß befier würde, abhält.
— . — nn — —
Teichtfinn und feine Folgen.
Schaufpiel In fünfAufzügen. Aus dem Trauzöfitchen des Alexander Dumas.
S cribe ift der Großmarſchall des franzöfifchen Luftipiels,
Hugo der Groß - Septembrifeur der dramatifchen Tragö—
die, Dumas der Siegelbewahrer des Drama's vom
Boulevard,
Sein Weg von „Tour de Nesle” über „An-
gelo“ u. ſ. w. bis zu diefer „Mademoifelle de Belle-
Isle“ ift mit theatralifchen Siegen und Porte St. Mar-
tinsLorbeern überfäet. Aber er hat vielleicht von feinem
„Saligula” gelernt, allen fittlichen und moralijchen
Principien mit einem Effectmefjer alle Köpfe auf einmal
abzubauen, und zu dem Tempel Plutu’3 und Pluto’8 durd)
die pontinifchen Sümpfe der Demoralifation und Sitten=
verderbniß zu gehen.
Alerander Dumas ift geiftreich, aber Herzarın,
äfthetifch corrupt, aber dramatiſch gental, feine Stüde find
leer von aller und jeder Sittlichfeit, aber fie find voll von
ſchlagenden Effecten und hinreigenden Situationen.
Die Franzofen haben alle Empfindungen, alle Tugen—
den, alle Moralgrößen nivellirt; fie find von der Lauheit
für die Tugend zur Kälte, von der Kälte zur Erftarrung
M. ©. Saphir Echriften. vi Bd. 12
178
übergegangen; fie haben mit der Senfe der fcharfen Ver—
nunft, gejchliffen am Steine des Egoismus, aus dem
Herzen weggemäht die Rofe mit der Nefjel, die Aehre mit
dem Dünkel, die Sonnenblume mit der Diftel, die wahre
Empfindung mit der Affectation, den Glauben mit dem
Unglauben, die Tugend mit der Hcuchelei, die Liebe mit
der Begierde, die Moralität mit der Prüberie. Sie haben
nicht8 mehr, was fie gefund macht, entweder Ueberreiz
oder Erſchlaffung, Stupor oder Parorysmus, Lahmung
oder epileptiſche Zuckung.
Unter der zerlegenden und zerſetzenden Beobachtung
und Unterſuchung des Egoismus, unter der tödtenden Manie,
alle politiſche, moraliſche und ſentimentale Weſenheit in
ihre Urbeſtandtheile und Endtheile aufzulöſen, alle Conglo-
merate des Herzens und des Geiftes in ihre legten Grund⸗
lagen zu zerlegen, und unter dem vernichtenden Grundſatz,
dag nichts in Xeben, nichts von allen Pflichten und Redh-
ten in der Ewigkeit und Nothwendigkeit des Daſeins be-
gründet ift, mußten uatürlich viele Ideen und Begriffe, die
das Heiligfte im Leben ausmachen, als: Glaube, Liebe,
Ehe, Geſetz, Sittlichfeit u. f. mw. aufgefafert und locker
gezupft werden. Darum fehen wir in Frankreich das Con-
tagium aus dem Leben in das Drama übergetragen, und
von da wieder zurüd ins Leben eingreifen.
Im franzöftfchen Drama fchreiten wir nach und nad)
vom Unäfthetifchen zum Widernatürlichen, vom Unmorali-
Shen zum Sittlih-Verwerflichen, vom Berwerflichen zum
Berdamnilichen, vom Berdanmlichen zum Häfßlichen, vom
%
179.
Häßlichen zum Scändlichen! Im franzöfifchen Dranıa
- schreiten wir vom Spieltifch zum Selbftmord, vom Selbft-
mord zur Morgue, von der Morgue in die Yolterfammer!
Im franzöfifhen Drama zündet man eine Kirche an, um
ein Ei mit Effect daran zu braten; man deftituirt eine
Gottheit, um an ihrem Pla eine Hohnparodie vorzuneh—
wen; man begeht einen Mord, um einen wirkſamen Ausruf
dabei anzubringen, und man beißt aller Schain den Kopf
ab, um dabei eine erfchütternde Grimaſſe fchneiden zu
fönnen. Die Franzoſen fehen das an, fie drängen ſich dazu,
fie hören Gebet und Blasphemie, Sentenz und Täfterung
nur aus dem UÜrtheildpunft an: Wie wird es gefagt? Iſt
es geiftreich, pilant, erfchütternd, ergreifend, fo
ift das, wie es gedacht und gefchehen ift, Nebenfache.
Der Franzoſe ftatuirt blos aus gewiffen Cultur-
principien verſchiedene Satzungen der Liebe, der Ehe,
der Religion, der Politik, der Moral, des focialen Lebens,
der Raufmannswelt, der literarifchen Kreife u, f. w., aber
fie dünfen ihm Alle blos nothwendige Polizei» und Vor-
ſichts-Maßregeln, aber von ihrer Harmonie im Wejen der
Sefammtheit, von ihrem ewigen Zuſammenhange mit der
Wahrheit und den Götterfinn, von ihrer geheiligten Com⸗
bination unter fich zum unfterblichen Ganzen will er feine
Idee Haben, und daher fieht er der Proftitution aller diefer
einzelnen Rechts- und Zugendbegriffe aufder Bühne miteben
der Sleichgiltigkeit zu, mit welcher ex die „Perruques“ und
„Mayeux*, das „ancien regime“ und die Friſur „Ala mare-
chal!“ parodirt, perfifflirt und auf die Bühne gebracht fieht.
12*
180
Anders aber geftaltet fid) Gottlob die Sache bei ung
Deutſchen, oder doch wenigftens bei einem großen Theile
von un!
Wir hafjen nun einmal jede Nudität, ſowohl die
phyſiſche, als die geiftige und moralifche. So wie ein
* Schweigen über dem germanifchen Urwald liegt, jo liegt
über dem Gemüth des Deutfchen ein Schweigen über gewiffe
Gegenſtände des Lebens, und über gewiſſe Tiefen in feinem
Herzen, ein Schweigen, welches er nicht gerne durch rai-
fonnirendes Grübeln und heraushegendes Anfprechen
unterbrechen läßt,
Es ift von anerkannter und ausgefprochener Wahr-
heit, daß dem deutjchen Volke nichts fo im Grunde feiner
Wefenheit zuwider ift, als jede Enthüllung des weib-
lichen Wefens, des Weſens der Liebe und der Ehe, und
des Weſens feiner fittlichen Keujchheit überhaupt. Diefe
Züdhtigfeit des deutſchen Charakters, die ſich faft zu pedan=
tifch) von dem Verhüllten auf das Berhüllende und von der
dee auf das Symbol ’erftredt, follten unfere dramatischen
Dichter — von den Novelliften will ich hier gar nicht
reden, obwohl auch fie reif find — ehren, und nicht es mit
den fescennifchen Tönen und Liedern aus der laren Eultur=
Zotalität Frankreichs unterbredjen.
Unfere dramatiſche Muſe — wenn man fie fo nennen
kann — läuft das ganze Jahr alle Tage auf den Parifer
Wochenmarkt, un die deutjche Küche zu beftelen. Die
Tranzofen find feine Narren. Sie haben aus der deutichen
Literatur PHilofophie, Idealität, Tiefe und Erhabenheit
181
geholt. Wir holen zum Austaufch frivole Baudevilles,
fteinzermalmende Tragödien, und lare, inhaltlofe, unfitte
liche Dramen!
- Wir wollen einen Augenblid bei der Mamfell von
Belle - Isle verweilen.
Zergliedern wir diefes Schauspiel, fo finden wir
außer einigen einzelnen Scenen, die blos theatralifch,
aber nicht einmal dramatifch find, gar nichts, was uns
für die Srivolität des Stüdes entfchädigen könnte, wenn
wir aud) zugeben wollten, was wir aber nicht können, daß
irgend eine Bortrefflichleit der Ausführung aud
nur im Mindeften die Wahl des Stoffes entfchuldigen kann.
Wir haben die Anefoote, die diefem Drama zu
Grunde liegt, ſowohl die Wette, als das Würfelduell,
in irgend einer der chroniques scandaleuses von Frankreich
gelefen, fönnen aber nicht mehr fagen, ob in den vielen Memoi⸗
ren von alten Cottillons, ob in den Schartelen des Oeil
de Boeuf, oder fonft in den volumindfen Unfterblichfeits-
behältern franzöfifcher Sittenlofigfeit. Ein Mann wettet,
mir nichts dir nichts, ohne alle Motivirung, und bei den
Haaren herbeigezogen, daß er von jedem weiblichen fremden
Wefen, Frau oder Mädchen, binnen vierundzwanzig Stun-
den ein Rendez-vous befommt. Der Herzog glaubt das
Rendezvous erhalten zu haben, wirft einen Zettel aus ihrem
Tenfter, um dem Bräutigam des Mädchens zu beweifen,
dar er fpät Abends in ihrem Zimmer ift.
Die Marguife von St. Prie, die frühere Geliebte
des Herzogs, weiß fid) felbft an die Stelle des Mädchens
182
(Mademoifelle Belle: Isle) zu bringen, empfängt den Herzog
und er ift und bleibt in den Wahn, er habe ein Rendezvous
mit der Belle⸗Isle gehabt. Abgefehen von der fingerdiden
Unwahrfcheinlichfeit einer folcdyen Täufchung, Liegt in dent
Detragen der Marquife, wenn wir alle Ruchloſigkeit der
ganzen Entreprife überfeben wollen, etwas Widerliches,
welches die innerfte Seele empört. Der Herzog felbft, ein
Roue, wie felbft fein entadelfes Zeitalter Leinen gejehen
bat, ift wohl Liftig genug, um zu ahnen, daß die Marquiſe
das Rendezvous Billet ſchrieb, ift aber nachher fo einfältig
und fo arglos, daß er bei allem Befremdlichen und bei
allen Schwüren Belle-Isle's nicht auf den jo ganz nahe
liegenden Gedanken kommt, die von ihm gefränfte, verlafjene
und intriguante Marquiſe könnte ihm einen Poſſen gefpielt
haben. Nach dem zweiten Acte beginnt die Sache langweilig
zu werden. Die hereingewürfelte alte. Würfelduellgefchichte
bringt nur eine matte, momentane Aufregung in die ſchlep—
pende Handlung, und endlic) fommt ein wahrer Komddien-
Coup, ein deus ex machina, eine plögliche Minifterverhafe
tung, der den Knoten ſtramm zerhaut, und die Sache hübſch
ausgleicht, nicht al8 ob es fich um das Lebensglüd des
d'Aubigny, oder un die Eriftenz von niehreren Menfchen
gehandelt hätte, fondern als ob eine Salon» Tracafferie,
oder eine Schmoll- und Maul-Scene gut zu machen ge=
weſen wäre. |
Das Stüd ift gut gemacht in feinen Einzelnheiten,
aber e8 fteht durchaus nicht gegliedert da, es ift feine
Seele des Ganzen, es fchlottert aneinander, und nur der
183
fünfte Act ift ergreifend, erfchütternd, durch die Scene
zwifchen Belle-Isle und dD’Aubigny, und im Oanzen find
wohl hie und da Funken von Geiſt und Spuren eines
großen glänzenden Talentes.
Das Ding erfchüttert, ja! Es ſpannt unfer Intereffe,
ja! Wir folgen mit offenem Munde und aufgerifjenem
Auge, ja! Wir halten den Athem an und werden über-
vafcht, durchzuckt, ja!
Aber wie? wodurch? Es ift nicht alles Eins, ob
man von einer ſchönen Empfindung erjchüttert wird, oder
von einer Pulver-Erplofion! Es ift nicht gleich, wie man
erhoben wird, ob von einer großen Idee, oder von einem
Salgen! Es ift nicht dasſelbe Refultat, wie man uns
Thränen entlodt, ob durch eine rührende Nede, oder durch
fünfundzwanzig Stodprügel! Es ift nicht gleich, wie wir
geſpannt werden, ob durd) die Regung des Herzens oder
durch die Dehnleiter!
In dieſem Stücke iſt keine Handlung, denn es ge⸗
ſchieht blos Alles; es iſt eine Geſchichte, die ſich Kaffee⸗
ſchweſtern, und nur die älteſten, ganz ſachte und leiſe
in die Ohren ziſcheln. Von Character iſt keine Spur da;
der Herzog, dieſer Frauen-Nimrod, dieſer Unwiderſtehliche,
dem kein Herz zu feſt, und keine Tugend zu unzugänglich
fein fol, durch welche Gaben hat ihn der Verfaſſer aus-
geftattet, um diefen Zauber zu rechtfertigen ?! Weder Geift
noch Tiebenswürdigfeit, weder Adel der Gefinnung, wenn
auch nur erheuchelt, nod) des Wites und der Nede- Zauber;
nichts ift an ihm, als ein reichgeftictes Kleid, und der
184
offene, unverhohlen zur Schau getragene Unglaube an
Unschuld und Tugend und Trauenehre! Ift das ein Cha—
rafter? Und die Marguife von St. Prie? Eine Herzlofe
Kokette, die fogar alles weiblichen Stolzes bar ift, jenes
Stolzes, der jelbft in dem vermworfenften Weibe wohnen
muß, wenn fie nicht äfthetifch efelhaft fein fol. Sie
gebraucht eine Intrigue, um ſich die größte Erniebrigung
jelbft zuzufügen, ihr ganzes Selbft der eigenen Verachtung
preiszugeben, und zu welchem Zwede ? dasiſt nicht befannt!
Was wäre denn nun daraus erfolgt, wenn die Sachen eine
andere Wendung genommen hätten? Wie wäre der Herzog
beftraft? Und Demoifelle Belle-Isle? Ift fie ein Charak-
ter? Nein! Sie ift ein ganz gewöhnliches Mädchen, ein
tugendhaftes zwar, aber ein paffives, an ihrer Tugend
ift nichts Dramatifches, fie leidet, weint, weint und
leidet, und heirathet endlich! Und H’Aubigny? If das
ein Charakter? Nun ja, er ift nicht charalterlos, aber
mehr aud nicht um ein Haar. Ein Bräutigam, der
wähnt, daß Iemand von feiner Braut ein Rendezvous
erhalten und fie verläßt, ift eine Alltagserfcheinung, der
fi) deshalb mit feinem vermeinten Nebenbuhler ſchlägt
oder fchlagen will, ift eben fo Rococo. Die Würfel-
geichichte Scheint harafteriftifch zu fein, ift aber
ein bloßer Theater- Coup, denn der Begriff von wahrer
Ehre verträgt ſich mit diefem Streich nicht, die Ehre
ift fein Goldftüd, das man auf Würfel fest, und ein
point d’honneur ift fein point, das mit einem Paſch
abgemacht wird.
185
Und das will man ung als „Xeichtfinn“ verfaufen?
Teihtfinn,wennderÖlaubeanweiblihetugend,
diefer Grundpfeiler aller foctalen Seligfeit, in völlige Ne—
gation geftellt wird? Leichtfinn, wenn mit Frauen—
tugend, mit Brautglüd, mit den heiligften Gefühlen
des Dafeins, ein frevelhaftes, entwürdigendes Spiel getrie-
ben wird? Leichtſinn, wenn der Herzog den Ruf und
die Tugend eines Mädchens um fünfhundert Ducaten ver=.
wettet? Leichtſinn, wenn ein Weib die edelfte Empfin-
dung: die Liebe einer Tochter zu ihrem Vater, zu ihrem
Frevel mißbraucht, und dann noch ausruft: „Es tft doch
hön, eineedle Thatzubegehen!?" Wahrlich, wenn
das Alles „Leichtſinn“ ift, fo hat die Entartung der Natur
nichts in ihrem Reich, was dagegen mit dem Ausdrud:
Rafter belegt werden kann! und wo find die abfchredenden
„Bolgen* diefes „Leichtſinnes“? Es geht ja Alles fo,
wie man ein Haar aus der Milch zieht, Alles fo gut und
felig am Ende, daß der Herr Herzog die Erfahrung mit:
nehmen kann, folche Streiche gleicht das Schickſal gutmüthig
und ohne alle böfen Folgen aus!
Im Dialog ift weder Schönheit des Ausdruds noch
Fülle des Gedanfens, feine einzige Rede, in welcher irgend
einer Empfindung oder einer Erhebung, oder auch nur einer
Erheiterung das Wort geredet würde.
So viel zu Alerander Dumas als deutfcher Kri=-
tifer zun franzöfifchen Dramenfabrifanten.
Die Bearbeitung für die hiefige Bühne ift gefchidt,
zeigt von einer bühnenfundigen Hand, und läßt jehen, daß
186
auch die Abänderungen mit tiefer Einfiht und mit glüd-
lichem Erfolge gefchehen find. Das Stüd erfreute fi) am
Ende langen und lauten Beifalls.
Geſpielt wurde vortrefflih. Wir nennen zuerft
Demoifele Peche, welche herrlich deutſch fpielte,
und Demoifele Müller, welche Herrlich franzöſiſch
jpielte.
Man erlaube ung bei diefer Gelegenheit, eine Bemer—
fung zu madjen, die vieleicht nicht ganz ohne Grund ifl.
Unſere deutfchen Schaufpieler ſpielen ganz anders in einem
deutfhen Stüde und ganz anders in einem franzö-
fifhen Stüde.
Im deutſchen Stüde hat der Darfteller blos feine
Individualität zu verleugnen, die Darftellerin hat blos
zu fehen, daß fie eine Gräfin, eine Baronin, eine Herzogin
darftelle. Im franzöfifchen Stüd muß die darftellende Per—
fon fi) zweimal verleugnen, erftens ihre Indivi—
dualität, zweitens ihre Nationalität, fie muß nicht
nur einen Örafen oder eine Gräfin, fondern fogar einen
franzöſiſchen ©rafen und eine franzöſiſche Gräfin
vorftellen u. |. w. —
Wenn nun unfer Darfteller einen deut ſchen Mit-
menschen darftellen ſoll, fo reflectirt er über ihn, abftra=
hirt und addirt von feinem Mitmenfchen nach Belieben,
und gibt feinem Charakter am Ende eine Art von allge
meiner®eltung, hilft fi) in befondern Verlegenheiten
mit dem Gefühl der Gleichheit, mit welcher die ihm von
Geburt aus verfnüpften Naturen neben an ftchen, und
187
bringt, jelbft wenn im Galop Hineingefpielt wird, eine
Figur zufammen, die in Ton=, Gang- und Haltweife fo
ziemlich) dem beabfichtigten Driginale gleich ficht oder
ähnelt.
Unders aber wird e8, wenn die deutfchen Darftelfer
franzöfifche Perfönlichkeiten präfentiven ſollen. Da fängt
bei den meiften die mue-turtle-Suppe an! E8 gilt nicht
nur, einen andern Charakter, fondern einen andeın Typus,
ein anderes Naturell anzunehmen! Da haben die Män—
ner befjev Spiel. Wir fennen fie in Deutſchland zum Theil
perjönlich, die faubern Helden des franzöfifchen Drama's!
Sie find feit 1793 bis 1840 genug zu ung gekommen
und haben genug unter uns ſich felbft geſpielt. Da
fonnten unfere Schaufpieler ftudiren, Modelle abreigen
und die franzöfifhe Schauſpielkunſt lernen, näm—
lid) die Kunft, mit ein Bischen naiver oder drafti=-
ſcher Perfönlichfeit al die Anforderungen des Publi-
fums in Parterre, Stalles und Togen zu bezahlen. Aber
unfere Schaufpielerinnen, wo lernen fie all die
frivolen Grifettes, all die blafirten Salon - Damen, und
all das radfchlagende Manege der taufend bonnes enfants
und enfants perdues zu erfafjen, zu ergründen und dar=
zuftelen? Wie fie e8 auch anftellen, es bleibt immer
ein fremder Accent in der Darftelung. Der Schwer:
punkt, den der franzöfifche Darfteller franzöfifcher Cha—
raftere. in fich ſelbſt findet, ift nicht da, und wo
diefer fehlt, überftürzt fi) die Darftelung entweder
ins Geſpreizte, oder ins Ercentrifche! Was dort
188
Beweglichkeit ift, wird bier ein Herummerfen,
was dort Entwidelung ift, wird hier eine in Eden
und Winfel geworfene Unnatur, und was dort Effect,
-Schlaglidt ift, wird hie Grimaſſe, Uebertrei—
bung, Lamentoſo, Dolorofo, Jammerſchrei.
Ein mildes Urtheil,
Trauerfpiel in fünf Aufzügen. Don Friedrich Halm. .
Dautt! Blut! Das ift die Loſung des Trauerſpieles. Blut
ift Leben, Blut ift der Menſch und Blut ift das eigentliche
ZTrauerfpiel! Es gibt Menfchen, die fein Blut fehen fünnen,
die find zum Soldaten und zum Zrauerfpieldichter verdor-
ben. Allein, ift alles Blut tragifch ? Und ift wirklich Blut,
und Blut allein dasunerläßliche Lebenseliriv der Tragödie,
oder ift e8 nicht ein eben folches albernes, ſchändliches
Borurtheil, al8 das, daß die Juden zum Ofterfeft Chri-
ftenblut brauchen ?
Wir müſſen alfo in der Tragödie vorzüglich) und
hauptſächlich darauf fehen, daß fein Blut vergebens ver-
gofjen werde; die weiſe Kritik fagt, wie die weife Portia
im „Kaufmann von Benedig” zu dem tragifchen Shylof:
„Da fchneide dein Pfund Fleiſch aus, aber vergieße feinen
Tropfen Blut, der dir nicht verfchrieben ift.”
Wir verlangen von allem Dramatifhen — ob
Drama oder Trauerfpiel Alles Eins — daß ein erhabe-
ner, ein erfhütternder Gedanke mitdurdgreis-
fender Nothwendigkeit als allgemeines Geſetz
über die ganze Entwidlung, über den Ausgang,
— ob auf dem naffen Blutweg oder nicht, Alles Eins —
und über die Sühnung fid) ausdehne.
1%
Die einzige große Aufgabe der Tragödie ift es,
die Menſchennatur, welche im Fieber- oder Leidenſchaftwahn
fich felbft mit Untergang und Vernichtung bedroht, mit,
und in ſich felbjt auszugleichen, zu verföhnen, und zwar
nicht auf eine Weife, die vom Menfchen felbft oder gar
vom Autor oder Zufall abhängt, fondern aus einem
andern, höhern runde, aus dem Grunde der ewigen
Gerechtigkeit nämlich), vor welcher alle ſub- und objectiven
Intereſſen und Tendenzen zerftieben und ganz aufgehen.
Fehlt diefer höhere Grund, fehlt, ic) möchte jagen,
die Religion, der höchſte Glaube, das Erfennen und
Heraufführen des reinften- Lichtes über diefe Erden- und
Zeidenfchaftsfinfterniffe, fo fann die Tragödie alle Mittel
aufbieten, fie fann alles das, was die Menfchennatur und
das Leben glaubt, Hofjt, wünjcht, liebt, haft, anbetet,
verabjcheut, zu Kämpfern und Bermittlern, zu Siegern und
zu Befiegten hinab= oder heraufbejchwören, fie wird immer
nur eine Kriſis hervorbringen, aber in diefer Krifis wird
das Leben mit dem Tode ringen, untergehen, das Leben
wird enden, die Leidenſchaft verſtummen, das Blut aus—
rinnen und erftarren, die Tragödie wird zu Ende, aber
das erwünfchte tragifche Ziel wird doch nicht erreicht
fein! Der Stoff haucht feine Scele in dem Arnıe der Tra—
gik aus, aber an dem Sterbebette desjelben fteht neben dent
Todesengel fein Lichtengel, und es thut fid) blos die Erde
zu einer ©rablegung, und nicht der Himmel zu einer
Himmelfahrt auf, wie c8 doc das Ende der Tragödie
haben will.
191
Sehen wir, ob das vorliegende Trauerſpiel den
vorangefchieten Betrachtungen entſpricht.
Editha wird von ihrem Gemal Godwin, Than auf
MWedmor, bei einem Rendezvous, nächtlich im Garten, mit
Grafen Elmar überrafcht. Er läßt den Verräther entfliehen,
fagt: „Milde foll mein Urtheil fein“ und bringt
Editha, welche verfichert, „unverlegt fer ihre Ehre," zu
ihrem Vater Osbert zurüd, indem er fagt: „Der®edante
ift fo viel mwiedie That!“ Elmar, Neffe des Königs,
und heimlicher Rebell gegen denfelben, hat, ohne Wiſſen
Godwins, früher einen Verräther des Königs heimlich mit
Hilfe Editha’8 in Godwins Schloß verftedt. Der König
hält Godwin, den er ohnehin haft, für fehuldig, und will
ihn verurtheilen. Und num beginnen die Dual- und Marter-
prozefje Editha's.
In tiefer Reue über ihre Schuld, von ihm verftoßen,
begibt fie fi) zum König, um ihren Mann zu retten, und
fi) al8 die Schuldige anzugeben. König Edmund ift ein
wilder, unwirfcher Mann, der eigentlich nicht weiß, was er
will, fie fol „ihre Schuld tragen” und will, „Godwin fol
fie zurücknehmen.“ Er traut Godwin durchaus nicht, er
traut auch Elmar nicht, allein er thut gar nichts, um die
Gefahr von fich abzuwenden, obfchon er gewarnt ift. Editha,
welche fieht, daß der König Argwohn gegen Elmar hat,
fchreibt diefem, cr fol entfliehen, aber dadurd) wird Elmar
zum Verrath angefpornt, und Godwin, da er Editha nicht
zurüdnehmen will, wird vom König nad) Wedmor verbannt
und geächtet. Editha Hat alfo wieder Alles verjchlimmert,
192
ftatt gutgemacht. Nun ift fie bei ihrem Bater, und Godwin
auf Wedmor. Elmar ift offener Nebel, fengt und brennt,
überfält aucd) Osberts Schloß und findet Editha. Sie
fürdhtet, er ziehe gegen Wedmor und wolle Godwin erinorden.
Diefes abzuwenden, fügt fie ſich anjcheinlicd) in Elmars
Wünſche, ihn zu lieben und fein zu werden, verjpricht,
ihn durch einen nur ihr befannten unterivdifchen Gang
ins Schloß Wedmor zu führen, und ihm dasfelbe fo in die
Hände zu fpielen, Dies gefchieht. Im Schlofje Wedmor
angekommen, verlöfcht fie die Lampe, ſperrt Elmar ein,
eilt hinaus, fchlägt Lärnı. Die Truppen oder die Befagung
Wedmors — e8 ift nicht recht klar, woher die Hilfe fommt
— werden von ihr gegen den einbrechenden Feind geführt
und fo wird Wedimor gerettet. Indeſſen ift Godwin ins
Zimmer gedrungen, wo Elmar eingefperrt ift, fieht den
heimlichen Gang offen, zweifelt feine Minute, dag Editha
auch diefen Berrath, beging, und, nachdem er Elmar im
Kampfe erftochen, fpricht er einen gräßlichen Fluch aus!
Allein, da fommt die Befaßung, es wird klar, daß Editha
die Ketterin war; fie ıft im Gefecht verwundet worden,
wird hereingebracht, Godwin ruft aus: „Set wieder nıein
Weib!“ allein fie ftirbt in den Armen Godwins und ihres
Vaters. |
Das Erfte, was fid) uns zur kritifchen Reflexion
aufdrängt, iſt: welche Grundidee hat der Berfafler in
diefer Tragödie verherrlichen wollen? dann: wie ift fie ins
dramatiiche Leben gebracht worden? und dann: wie ift fie
uud ihre Berherrlichung manifeftirt worden; wie ift durch
19
tragifche Vernichtung und Sühnung die Harmonie in ber
zerriffenen Menfchennatur wieder hergeftellt worden ?
Unbedingt fcheint es uns blos, der Dichter wollte
darthun, da, wie [yon Schiller fagt: „das der Fluch
der böfen That ift, daß fie fortzeugend immer
Böfes muß gebären!” Wenigftens jagt Osbert feiner
Tochter diejelben Worte in einem vierzeiligen Vers, den
wir wörtlich nicht behalten haben. Allein unfer Dichter ift
weiter gegangen, er jagt: „das ift der Fluch dcs böfen
Gedankens, daß er fortzeugend immer Böfes muß gebä-
renl“ und das ift ein gräßlicher Ausfpruch, ein Ausspruch,
der ein Recht gäbe, mit der ewigen Vorfehung zu hadern!
Zwiſchen der „Schuld” und der „That“ Hat der Autor ein
Drittes gebracht und ein Viertes: „die Schuld des Ge-
dankens“ und „ven Öcdanfen der That”. Editha ift,
fo fagt fie, fo fagt Godwin, nur eine Gedankenſchuldige,
denn wie viel vom Gedanken That geworden ift, oder wie
viel davon That geworden wäre, wenn Godwin nicht
dazwifchen trat, das wiffen wir nicht, und darin liegt cben
der fatale Umftand, dag wir nicht Far wilfen, ob Editha
ſchuldig ift oder nicht.
Nun fragen wir aber, wenn eine Gedanken—
ſchuldige jo gequält, fo gefoltert, fo vom Bater verftoßen
und verflucht, fo vom Manne verftoßen und verflucht, fo
langjanı gemartert wird, und am Ende, ohne höhere Juſtiz,
gemordet wird, welche Strafe, welche Buße, welches Ende ift
der vollendeten Verbrecherin, der Thatfchuldigen
aufbewahrt ? und wenn folche Leiden, ein ſolches fortlaufendes
M. G. Saphir's Schriften. VI. Bd. 13
194
Gewebe von Meartern, welche Editha fünf lange Acte
hindurch erduldet, ein „mildes Urtheil“ ift, wie hätte ein
„hartes Urtheil“ beichaffen fein müflen? Welch ein
Ürtheil kann ein Mann über die Schuld des Gedankens
feiner Frau fallen, welches Härter, graufamer und unmenſch⸗
licher wäre, als dieſes?! Dder, ich will alle Fälle erfchöpfen,
bezieht fi) das „milde Urtheil* nicht auf Editha, fon
dern auf Elmar, fo dringt fi) uns eine andere Frage auf:
inwiefern findet diejeg „milde Urtheil”, nämlich: den
Dann, den ich bei meiner Frau nächtlich im Garten bei
einem Rendezvous ertappe, ungeftraft entkommen zu laffen,
die äfthetifche und dramatifche Sympathie? Ein folches,
vielleicht durch das Alter Godwins allein zur erflärende,
phlegmatifche Urtheil verdient alles Xob im bürgerlichen
Geſetzwege, aber es ift durchaus auf dem Theater, im
Gefühlsleben, im Wege des Herzens und der Empfindungen
nicht halt- und nit brauchbar.
Wir wollen aber noch weiter gehen und aud) da nod)
nachjehen, wir wollen aus der höhern Sphäre kritifcher An—
forderung herunterfteigen und uns fo verftändlich machen,
daß ung die Kinder begreifen können. Geſetzt alfo, das
wäre wirflid ein „mildes Urtheil“, was follen wir
alfo daraus lernen: fol man milde urtheilen oder nicht ?
Denn aus diefen milden Urtheil find lauter unheilvolle
Thaten entiprungen. Hätte Godwin den Elmar nieder-
geftochen, jo wäre keine Revolution, feine Berheerung gewe—
fen, und Editha lebte noch; oder wäre Godwin ftrenger mit
Editha geweſen, hätte er fie in fagranti erftochen, oder in
u’
195
das tieffte Burgverließ Webmors gebracht, e8 wäre ihr
und Allen ebenfalls befjer gewefen! Es ift alfo nicht
ar, warum diefes ein mildes Urteil ift, und noch
weniger, ob man daraus mild oder ftreng zu urtheilen ler:
nen fol. |
Wenn wir und zu Godwin wenden, fo fragen wir:
wie unterfcheidet fi) Godwin von Meinau in „Menfchen-
haß und Reue”, vom „Arzt feiner Ehre” und vom Manne
in „geheime Rache für geheimen Schimpf” (scgreta ven-
ganza y segreto aggravio)? Obſchon in Veranlaffung und
That und Schuld verfchieden, ift doch das Grundprincip
dasselbe, und wenn wir die fpanifche Subtilität im Punkte
der Ehre mit der zu jener Zeit in England herrfchenden
Sitte vergleichen und in Abſchlag bringen, fo ift es dod)
immer das Element „verlegter Ehre durch Treulofig-
feit feiner Tran. Wir begreifen nicht, wie Kotzebue
Hat feine Eulalia leben laſſen fünnen, und nicht, wie der
Autor diefes Stüdes — Editha hat fterben laſſen können.
Freilich Spricht für Kotzebue, daß Eulalia Kinder hat,
denen man die Mutter nicht rauben kann. Ueberhaupt ift die
„Reue“ eben fo wenig eine dramatiſche Tugend, als
der „Menſchenhaß“. Die Reue ift die Reconvales—
cenz der Tugend, dramatifch aber ſind nur Laſter
oder Tugend, da, wo ſie wirkend, handelnd, er—
haben oder abſcheulich auftreten.
Spüren wir unſerm vorangeſchickten Augenmerkweiter
nad, jo zerfällt hier auch die Idee: „Das Böſe muß
Böfesgebären,” im ſich. Denn beide ſchlimme Folgen,
13*
196
erftend: daß der König Godwin verbannt, weil er Editha
nicht zurüdnehmen will, und zweitens: daß Elmar gerade
durch Editha's Ermahnung zur Flucht erft recht zum Auf-
ruhr gereizt wird, alles Beides find Folgen der Unfinnigfeit,
der unbegreiflichen Wildheit und Rohheit des Königs und
Elmars, fie entfpringen aber niht nothwendig aus
Editha's Benehmen, noch weniger aus ihrer Unschuld,
wenn aud) eine foldye angenommen werden fünnte. Ueber-
haupt ift der König blos da, un noch als cin Folterwerk⸗
zeug Editha's da zu fein, denn er greift weder unmittelbar
noch mittelbar mit in den Organismus des Ganzen ein,
e8 gejchieht weder etwas durch ihn, noch mit ihm.
Wenn wir die Editha näher betrachten, fo hat fie
etwas von der Grijeldis an ſich; fie leidet durch eine fire
„dee des Mannes; fie wird gequält, der Dichter häuft alle
Erfindungen der Situation, ja ale Launen des Zufalls
zufammen, um fie recht zu peinigen. Wie Grifeldis, darf
auch fie nicht in die Arme des Gemals zurüdkehren, nur
mag es bei Grifeldis weniger weh thun, weil wir fo zu
fagen von Anfang an mit dem Dichter einverftanden find,
und glauben, daß e8 gut endet. Hier aber werden wir mit
ihr gequält. Wir fönnen den fo talentvollen und reichbegab>
ten Dichter nicht genug darauf aufmerffam machen, daf
diefes tragifche Quälen eines weiblichen Gemüths, blos
um eine Flinifche Praktik zu erproben oder zu befunden, ein
großer Irrſchritt iſt. Die Tragödie verhängt Leiden,
Schmerzen, Duldung, Untergang, aber nicht
Quälerei, Peinigung, Stachelei und Tödtung!
&
%
197
Ic) berufe mich auf die Natur des Menfchen, dem
fittlichen, dem äfthetifchen, dein empfindfamen Xeben gegen-
über, und dann erft auf die Berechtigung der dramatifchen
Kunft, ob e8 dramatifch erlaubt ift, in entjeglicher Stufen
folge ein weibliches Herz mit dem Gräßlichiten zu belaften,
blo8 um zu fehen, wie e8 ſich dabei benimmt!! Mancher
fönnte vielleicht noch weiter gehen und jagen: Editha's Tod
fei fein dramatifcher, er ſei zufällig, indem fie im Gefecht
geblieben fet, allein diefer Vorwurf wäre nicht haltbar. In
der Welt der Tragödie, in der Negion des höheren Welt-
gerichts gibt es feinen Zufall, der Zufall ift eben nur
die Form, in welche fi dasinnerlih Nothwendige
hüllt. So ift auch Edmund's Tod im „Lear“, obſchon er
blos im Zweifampf fällt, nicht zufällig, fondern noth-
wendig, und hier tritt der Zweikampf als Gottes-
urtheil auf. So ift auch der Tod Johanna's in der
„Jungfrau von Drleans“, obwohl durch die Schlacht, doch
nothwendige Strafe ihres momentanen Abfalles vom
Himmlifchen. In dem großen Gefchide der tragifchen Welt-
ordnung tritt faft jede einzelne That im Gewande des
Zufalles an die äußere Erfcheinung.
| Bon Elmar nur fo viel, daß er durchaus fein In-
tereffe erregt, indem es ein ganz alltäglicher, wahrer
Ritter-Komoödien-Böſewicht ift, der am Ende zum Jubel
der Maſſen niedergedolcht wird.
Wenn wir nun das Ganze überfchauen, fo fehlt ung
bei diefen Bemerfungen über die Grundidee, und vielleicht
eben deshalb auch noc der durchgehende Nero des
198
Organismus, kurz, jene hochwallende, entzündende, energifch
waltende Anerkennung der göttlichen Energie, welche bie
Unschuld zum beginnenden Kampfe, vom Kampfe zur völ-
figen Sicherheit des Ausganges, und von der völligen
und nothwendigen Sicherheit des Ausganges zur poetifchen
und göttlichen Gerechtigkeit, Beruhigung und in ihren
Schauern jo füße als wehmüthige Sühnung führt.
Wenn wir unfere Meinung fo unummwunden ausge=
fprochen haben, jo. dürften wir es mit defto größerer Unbe-
fangenheit, als die geehrten Leſer ſich zu erinnern wiffen,
welche volle Anerkennung wir dem reichen und blühenden
Talente diefes verdienten vaterländifchen Dichters haben
angedeihen laffen, mit welcher Fülle von Freudigfeit wir
anderfeitige Broducte desfelben empfingen, empfanden und
beurtheilten, und eben diefe Achtung vor einem foldhen
eminenten Talente legt uns Wahrheit als doppelte Pflicht
auf. Auch in diefem Stüde ift ein hervorragendes Talent
unverfennbar. Die erften drei Acte find reich an herrlichen
Situationen, an höchſt wirffamen Momenten, manche
Stellen erheben ſich, troß der trochäifchen Versart, zu
Igrifchen Figuren, und überall fprudelt dichterifche Fülle
empor. Die legten zwei Acte find etwas zu ritterftüdartig,
die deshalb aud) den Schlußeffect vermindert haben.
u’
- Dis verhängnißvolle Faſchingsnacht.
Lokalpoſſe in drei Aufzügen.
‚Schon zu lang hab’ ich gefhwiegen, fie follen
meine Stimme hören."
Ballenftein.
Von dem Erhabenen zum Läherlichen ift nur ein
Sprung: die meiften unferer früheren Lokal- und Bolfs-
pofjens Dichter waren ſtets auf diefem Sprung vom Erha=
benen zum Lächerlichen, — in welchem eigentlich der
Wirkungskreis der parodiftifchen Poſſe liegt — und es
gelang ihnen meift Alles oder Vieles. |
Die meiften jetigen fogenannten Volfsdichter find
auf dem Rückſprunge, fie wollen nämlich von dem Lächer—
lichen auf das Erhabene fpringen, und das ift eine
phyſiſche und geiftige Unmöglichkeit.
Tragödie und Poſſe, dag find die zwei End-
ſchwerkugeln an der dramatifchen Baguette. Wer vermag
es, den Stab zum Ring zu biegen und die Pole zu einen?
Wohl läßt fi) manchmal der Goldfafan der Tra—
gödie hie und da mit den Erdäpfelſchnitten des Niedrig-
fomifchen ausfüllen und ſpicken, aber nicht umgekehrt.
Eine völlige und gänzliche Berfennung und Mißfen-
nung des Wefens der Lofalpofje und der Bolksftüde ſpricht
fi in der Mehrzahl aller neuen Producte diefer Gattung
aus, und die Lokalmuſe ift eine Witwe von drei Männern,
200
ein Dann ift ihr geftorben: Raimund, und zwei Män«
ner haben fie verlaffen: Bäuerle und Meist.
Ich werde fpäter darauf zurückkommen, wie eigentlich
Bäuerle mit feinem entfehiedenen Talente für dieſes Fach,
nit feiner ewig frifchen, ftroßenden Laune, an der Spite
aller Bolksdichter ftand; wie Meislihm an KedHeit der
Laune und an Gliedergelenfigfeit des Spaſſes und der der-
ber Komik nachſtand, ihn aber an innerer Confequenz, on
Planbildung und Kenntniß überflügelte, und wie Rai—
mund, diefe jchöne, fchlanfe Bappel anı Iuftigen Teich der
Lokalpoſſe, die fich Leider einvedete, eine Trauerweide an
einem Thränenſee zu fein, diefe gezwiefpaltete Natur, die
von einer Sehnfucht überwältigt wurde, der Feine Stilung
folgen konnte, weil die Kraft den Sehnen nicht Wage hielt,
diefes edle, friſchgrüne Gemüth, das nach) Liebe und Poefie
rang, und feinen befriedigenden Gegenklang fand, und an
der großen Diffonanz, die das Leben feinen Beruf wieders
gab, Hinüberfchlummerte, wie dieſes herrliche Talent fich,
das Leben, die Tiebe, feinen eigenen Genius und den der
Boltsmufe verfennend, den erften Wegweifer zur Ver—
irrung und Abirrung aller, ihm Feuchend und ohnmächtig
nachringenden Bolksdichter (!) machte.
Unter den meiften jegigen Erzeugern der Volksbühnen⸗
Producte fteht Neftroy da, wie ein Maibaum zwiſchen
Hopfenftangen. Neftroy ift weder Volksdichter, noch
Tofalpofjendichter, er ift eine eigene Öattung, er
ift der einzige: Primo Buffo assoluto der draſtiſchen
Bollsnatur-Didter.
20
Es kann fid) Niemand von den jegigen Volksſtück—
Fabrikanten mit ihm meſſen; es ift gar fein Berhältniß
zwifchen ihnen, fie gleichen fich in gar nichts. Das ſchlech—
tefte Neftroy’fche Stüd verfchlingt noch, wie Pharao's
magere Kuh, fieben der fetteften und beften Stüde vieler
anderer feiner gleichzeitigen Rivalen.
Schon der Grad der Willkür, mit welcher Neftroy
feinen Stoff behandelt, und wie er in diefer zügellofen, oft
‚zu tadelnden Willfür dennoch Herr und Meifter feines
unbändigen Renners bleibt, gibt ihm das Zeugniß einer
fougeufen, kecken, kräftigen Keiter-Natur, vie ich fie liebe,
und wie fie allein nur, felbft in ihren Abwegen, Tüchtiges
Ichaffen kann.
Sch liebe Neftroy deshalb fo fehr, weil er ſich gibt,
wie er ift, und feine Gefichter bei feinen Producten fchnei-
det — ich Yede immer nur vom Verfaſſer und nie vom
Darfteller— er fehneidetnieein vornehmes Geſicht,
wenn er uns das Gemein-Komifche darftellt; er will
nie die höchſten Wolken reiten, wenn er uns in die Arena
der Thorheiten führt; er affectirt nie eine hüftelnde, frö-
ftelnde Ideenſucht, wo er nichts will, als das Keinlächer-
liche, und er zieht feinem ergöglichen Charivari und feinen
drolligen Karikaturen feine Shafesfpeare'fhen Ten-
denz-Perrüden, keine Goethe’fchen Lebens- und Jenſeits⸗
Tioreen an, mit poetifchen Treffen und mit fententiöfen
Rauſchgoldkragen!
Daß neben fo vielen Vorzügen auch Schatten ang
Licht treten, werde ich weiter unten darthun, denn jet will
202
ich nur mit wenigen Worten diefe „verhängnißvolle
Faſchingsnacht“ erwähnen.
Zergliedern und eingehen mag id) nicht in die Ein=
zelheiten, e8 wird meinen verehrten Lefern genügen, wenn
ih fage, daß feit Iahren fein Stüd in diefem. Genre
erfchien, welches fich einer folchen gefunden Conftruction,
eines fo ſchönen Baues, einer fo gerundeten Haltung erfreut,
und feit langen Jahren feines, welches fo üppig komiſch,
jo gefpicdt mit Ferngefunden, rothwangigen, lippenfrifchen
und perlzähnigen Witen, Späffen, Einfällen, Drolerien
ausgefüllt ift, und welches fo frei von allen nicht genug zu
verdammlichen Frirolitäten tft, als dieſes.
Es kann feinen ſchlagendern Beweis für die Leicht-
fertigfeit unferer Kritik geben, al8 wenn man . vielleicht
gerade aus dem, worin Neftroy in diefem Stüde fein unge
heures Talent entwidelte, einen Tadel marhen wollte!.
Gerade darin, daß er aus dem tragifchen Borbild (Hole
tei's „Zrauerfpiel in Berlin“) ein Stüd fchuf, welches
beidlebig in dem Elemente der Rührung und des Scherzes
lebt, daß er befonders im Schluße des zweiten Actes den
faft nicht zu vermeidenden Ueberjchlag in das Tragifche mit
jo feinem Tacte umging, gerade in dem meifterhaften
Gewebe aus dunklen und hellen Täden, gerade in dem
Talente, da8 Herz und das Zwerchfell zu erſchüt—
tern, hat Neſtroy in diefem Stüde einen Riejfenfchritt
gemacht und gezeigt, daß er nicht nur producirendes
Talent, fondern aud) ein Haves, anfchauungsreihes Au f-
faffungstalent befigt, und vollfommen Herr und Meifter
203
im Empfang, im Berbrauh und im Berfmez feines
Stoffes ift! —
Das eben ift auch eine große Kunft, an ein Gege-
benes fih anzufchmiegen, an dem Angefchmiegten
aber dennoch als ein volllommen Selbſiſtändiges und
Anderes zu erſcheinen!
Die einzige Stelle, in welcher Neſtroy als Lorenz
darüber lamentirt, daß er von „halb Acht bis Viertel
auf Eins” vergebens auf die Sepherl wartete, ſchlägt
fünfzig unferer neueften Lofalftüde todt. Da ift mehr als
Spaß, da ift großartiger, tiefer Spaßhumor darin! Eben
jo find vigle einzelne Einfälle ganze Bände von Ironie und
Satyre.
Noch ein Verdienſt mag dieſes Stück haben, daß es
uns den Scholz in einer andern Geſtalt, als in der eines
ewigen Bedienten und Thäddädl vorführt, und ihm Gele—
genheit gibt, zu zeigen, daß er auch in Charakterzeichnung
komiſch und wahr ſein kann. Bei dieſer Gelegenheit iſt es
dem Verdienſte des Herrn Neſtroy, freilich willenlos,
zuzuſchreiben, daß er ein halbſchlummerndes Talent zum
völligen Erwachen brachte, nämlich das der Demoifelle
Condoruſſi. Ich glaube, die Gelegenheit lernt uns
oft erſt die wahre Richtung eines Talentes erkennen. Ich
war freudig überraſcht von dem plötzlichen Hervorbrechen
eines ſolchen glücklichen und gedrungenen Talentes, wie es
Demoiſelle Condoruſſi hier auf einmal entwickelte. Es
dürfte ſchwerlich eine Darſtellerin auf den Vorſtadttheatern
geben, oder, meines Wiſſens, gegeben haben, die
204
diefe Rolle fo zu fpielen vermöchte. Wahrheit, Innigfeit,
Ausdrud und Kraft machten diefe Leiftung in diefer Mit-
telfärbung, vom Hochtragifchen zum Einfahrührenden,
zu einer der vorzüglichften, und wenn Demoifelle Condo—
ruſſi fo fortfährt, und nun vielleicht erft die eigentliche
Richtung ihres Strebens erkennt und ausbildet, fo dürfen
‘wir der Bühne zu einer foldhen Erfcheinung Glück wünfchen.
Würde man unfere Experimental = Kritiker fragen:
„Was ift denn eigentlich „Poſſe“ überhaupt, und
„Lokal-Poſſe“ insbefondere ?“
fo würden die Antworten vielleicht Stoff zu einer Lokal—
poſſe geben, und höchſtens würden fie zwifchen Sulzer
und Kaltfchmidt warfen, denn der Erfte führt die Poffe
nur im verächtlichen Sinne und der Zweite nur in dem
edelften Sinne an; beide Bedeutungen find nicht er—
Thöpfend, ja faum richtig.
Eben fo unerfchöpfend und nur das bereit8 Ange-
deutete wiederholend fpricht das
„Aeſthetiſche Lexikon“
in dem Artikel: „Poſſe.“ Das „äſthetiſche Lexikon“
ſagt: „Poſſe iſt ein derber bis an die Grenze, ja beinahe
bis an das Gebiet des Gemeinen ſtreifender Scherz,“ und
meint damit ganz gewiß nur, daß die Poſſe zwar faſt immer
das Gemeine zum Gegenſtand ihres Muthwillens
nimmt, aber nie felbft gemein wird. Eben fo meint das
„äſthetiſche Lexikon“: „Eine zu einer ganzen Handlung
verbundene Reihe ſolcher derbfomifcher Scherze bildet im
©egenfage des feinern Luſtſpiels die Poffe, Farce.“ Nun
m
205
will das „äfthetifche Lexikon“ gewiß beiweitem nicht Jagen:
„daß eine Reihe verbundener Derbfcherze” ſchon eine Poſſe
ausmacht, denn felbft die Bofje darf nur zum Schein die
innere Folgegeredhtigfeit an Handlung, Situation und Cha⸗
rakter verlegen, und die Derbſcherze ſind nur die Gewürze
des dramatiſchen Körpers, der ſelbſt in der Poſſe — die
nicht gleichbedeutend mit Farce iſt — anatomiſche Ganz—
heit haben muß.
Man muß von der Poſſe in der Natur auf die Poſſe
in der Kunſt übergehen.
Die Natur iſt erhaben und dennoch zuweilen eine
Poſſenreißerin, zum Beiſpiel:
„Der Affe gar poſſierlich iſt, IF
Zumal, —* Fass ft dp Fe
Das iſt eine Boffe der Natur; fo auch, wenn wir
Eichhörnchen, wie die Menſchen, an Nüſſen knabbern ſehen,
wenn Kaninchen, Haſen u. ſ. w. aufrecht ſitzen und uns wie
Perſonen anſchauen, das nennen wir poſſierlich, pof-
ſenhaft, und ſo Alles, was in der Aeußerung der Thiere
an die der Menſchen erinnert und ihr gleich kommt.
Aber das Natur-Poſſenartige muß frei fein, will:
fürlih, ungezwungen, fonft hört es auf, lächerlich
zu fein. Bei einem Affen- und Hunde» Theater, diejen
Thierpoffen, fommt unsnur das poffterlich und
lächerlich vor, wenn die Affen und Hunde, gegen den
Willen ihres Abrichters, der freien Entwicklung ihrer poffier-
lichen Natur nad) Handeln, den Teller fallen laſſen, das Eſſen
ſelbſt aufefjen u. ſ. w. kurz der Gegenſatz der thieriſchen
206
Willkür zum dirigirenden Tyrannen macht das Lächer-
liche aus,
So äußert fich auch der angeborne Hang zum Poffen=
haften im Menſchen, fein Naturtrieb zum Burlesken, in der
derben, aber freien Entwidlung feiner Spradye, feiner
©efinnung, feiner Geberden, und von den fomifchen Tänzen
der Wilden, alle Nationalfefte, Bachanalien, Orgien,
Mummereien, Efelsfefte durch, bis zu unferm Thaddädl,
äußert fi) nichts als das Poſſige oder Putzige der
fich alles Zwanges eutbindenden Scherz= und Lad: Natur
der Menfchen. |
Die eigentliche Bofje in der Kunft, das Poffen-
fpiel inder Schaufpielfunft, dag Quodlibet in
der Muſik, die Karikatur inder Malerei, ift eine
jede Fünftlerifche Darftellung des Nicdrig-
Stomifchen.
Allein in allen diefen Künften zerfällt die Poſſe in
eine äfthetifche und unäfthetifche, in eine feine und
gemeine, dann wird das Poffenfpiel zum Farce—
und Zoten-Stüd, das Duodlibetzum Charivari,
die Karikatur zur Frazze, der Mimiker zum Gri—
macier, der Komiker zum Hanswurftund Boffen-
reißer! —
Nun fällt die Poſſe in das Gebiet der Dichtkunft, Der
Lyriker wird zum Schwänkeſchmied, der Epifer
zum Schnurrenfchreiber, und der Dramatiker zum
Poffen- Dichter; die Lyrik fallt in Die Hände der
Parodie, die Epifin die Hände der Traveſtie, und
Lo
207
Die Dramatif in die Hände des fatyrifch - fomifchen
Hofnarren der dramatifchen Deufe: des Poſſenſpiel—
Dichters, |
Die Bosse alfo im engen Wortfinne ift die drama⸗
tische Darftelung lächerlider Sitten, Handlungen, Thor⸗
Heiten, Charaktere, Situationen, Dialekte, aus der Sphäre
des niedern und gemeinen Volkslebens aufgefaßt, und
mit freier Laune, mit willfürlicher Weberfchreitung aller
Grenzen des Xuftfpiels, alle Zäune und Pferchftäbe der
fonftigen geregelten Dramatik überfpringend, ja fogar fie
höhnend, fie verlahend, fie verwundend.
Wo fid) aber die Poſſe anders geftaltet, wo fie die
ihr gejtellte Sreiheit zur Frechheit, die ihr zugeftandene
Willkür zum widerfinnigen Kunterbunter umwandelt,
da verſinkt fie in das Täppifche, Widerliche, Frazzenhefte,
Ekelhafte, Verwerfliche.
Die Lokalpoſſe iſt nun nichts weiter alse ein Poſſen⸗
ſpiel, welches die beabſichtigte, willkürliche und freie Lächer—
lichmachung der Thorheiten oder Zeitunbilde, in der Sphäre
eines Ort-Dialektes, in den Sitten und Eigenheiten eines
beftimmten Ausjchnittes aus dem großen Geſelligkeitszirkel
beſchränkt, und feine Sphäre nur auf die Abfpieglung feiner
Umgebung ausdehnt.
Einer der erften und gravirendften Fehler aller un-
feree Boffendichter ift die Ausdehnung, welche fie dem
Umfange ihrer Producte geben, indem fie diefen über den
Des Tuftfpieles erweitern, und nicht bedenken, daß das Fein⸗
komiſche lang ergött, das blos Lächerliche aber feiner
208
Natur und Wefenheit nach, nur kurzes Teben in uns anregt
und in der Länge ermüdet,
Ein zweites Unglüd aller Poſſendichter — und Hier
will ic) auch Herrn Neftroy im Auge haben — ift, daß
fie ihren Geſchmack nicht genug bilden.
Schon Home jagt mit Recht: „Das Talent zum
Läherlichen ift felten mit Gefhmad und Delika—
tefje verbunden.”
Bon Home bis zu uns aber hat fic jo Manches ge-
ändert, und gerade das Talent zum Lächerlichen hat
fi des Geſchmackes: diefes Augenmaßes des Gei-
ſtes — volllommen bemeiftert, und eben die angeftrengte
Scarffichtigfeit, mit welcher e8 die Contraſte aufdedt, die
Widerjpiele auffucht, die Unanftändigkeiten auffängt, Hat
diefes Augenmaß geübt, geftärft.
Nur bei den Boffendichtern veriniffen wir faft durch—
gehende Gefhmad und Delifateffe.
Es gibt Schöne Frauen, elegante Männer, die fi}
jtet8 ganz nad) der neueften Mode Heiden, aber ihnen fehlt
das Augenmaßdes Gciftes: „der Geſchmack“; es lebt
nichts an ihnen, fie find gepußt und nicht gekleidet,
ausgestattet und nit angezogen, fie willen ſich
nahderModezurichten, aber fie bringen es nie dahin,
die Mode zugleich nad ſich zu richten. So ift e8-
mit vielen Poſſendichtern, wenn fie auch) Talent zum
Läherlihen, Wiß, Spaß, Anſchauung, Drolligkeit u. ſ. w.
befigen; e8 fehlt ihnen der Geſchmack, fid) darin zu kleiden,
furz, fie haben, fo was man fagt: feinen Kleider-Leib.
a)
209
Sie hängen ſich Alles um und auf, aber fie find nicht
volllommen ftattlicd) equipirt, fie find nicht ganz zeit-
gefhmadvoll.
Aus diefer Erbjünde unferer Kachtalente entfteht nun,
folgerecht nicht nur, fondern nothwendig, der Geburts-
fehler und das Tebensgebrechen der Pofjen, nämlih: daß
das Lächerliche inihr diefittlihe Wefenheitdes
Menſchenund desLebens verletzt, und dadurch nicht
nur das lautere Luſtgefühl in uns aufgehoben, ſondern
unſer Geſchmack verletzt wird, und ſich alſo unſere beſſere
Natur dabei in ihr innerſtes Schneckenhaus zurückzieht.
M. G. Saphir's Schriften. VI. Bd. 14
Die Todter des Waldes.
Original-Schauſpiel in vier Arten, Bon Otto Prechtler.
Gegen wir in den Wald! Broden wir Natur! Gehen
wir auf allen Bieren! Grafen wir Natur!
Süße, Heilige Natur!
Laff uns geh'n auf deiner Spur!
Leite uns an deiner Patſche
In vier Acten Mitjche-Matiche!
Die „Lochter des Waldes”! Das beginnt wie ein
Kindermärchen, fährt fort wie eine Ammengefchichte und
endet wie ein Heiraths-Bureau!
Man könnte aud) als „Kritifer des Waldes" erzäh-
len: Es war einmal ein Wald, der Wald heirathete eine
Waldin und zeugte mit ihr männliche und weibliche Wald-
lein, Rehlein und Waldtöchterlein. Jedoch wir wollen
heute den Kritiker ganz abftreifen, wir wollen ganz Sohn
der Zahmheit fein, nicht Fritifiren, nicht urtheilen, blos
erzählen, erzählen, was aus dem Wald zu und heraus
und von und in den Wald hinein hallt.
Es ift unferer Zeit Hier fchade um jedes Wort
„Urtheil“ —, Vernunft“ — „Anficht“ — „Gedanke“ u. ſ. w.
Jammerſchade! Alſo erzählen wir blos, was in der „Tochter
211
des Waldes” vorgeht, was gejchieht, gejagt, gethan
wird; gibt e8 noch aufmerkſame Lefer, fo werden fie aus der
Erzählungsmeife fich ihr und unfer Urtheil herausbilden.
Die Tochter des Waldes heit Maly. Maly Hat
neben dem Papa Wald nod) einen Bater, einen Paftor-
bruder ; diefer Vater gibt feine Tochter dem Paftor Eſchen—
born zur Erziehung nad) Gleichenrhein in Thüringen.
Sm erften Act find wir im „Papa“, das heißt im
Wald. Der Revierjäger Wolfgang erwifcht einen Wild-
ſchütz und fpricht ihn in feiner Baterfprache, das heißt
in der Waldfpradhe an: „Du altes Waldwetter! Du
Scyandfled nıeines Waldes! Du Aas!“ Herr Wolfgang ift
auch bilderreich und moraliſch, er jagt dem Wildſchütz
einen Fluch: „Der Schweiß der gemordeten Rehmütter
fol Dir vonder Schläfe bluten und die trauernden Augen
des verendenden Edelhirfches follen Dich anglogen!" —
Huldem Wildfhüg wird gruslig! Da fonınıt la fille du
Wald: Mally, mit dem Paftor; fie jagt zu Wolfgang.
„Laß ihn los!“ Er fagt: „Du mwillft es?" und läßt
ihn los. — Ich weiß nicht, ob der Leſer mich nicht für zu
jpisfindig hält, wenn ich aus diefer Scene fchließe, der
Wolfgang habe ein Auge auf die Tochter von feinem
Hausherren, dem Wald.
Der Wildfchütz will danken, aber die Mally fagt:
er riecht nach) Mord! denn „er hat den braunen
Kindern des Waldesihre Mutter erfchoffen!“
Ich weiß nicht, ob mich der Leſer für zu fpigfindig
hält, wenn id) glaube, die „braunen Kinder“ find Rehlein
14*
212
und Hirj chlein, und ihre Mutter ift Madame la Rehin oder
Madame la Hirſchin.
Sie gibt dem Wildſchütz ein Geldſtück und fagt:
„Thu' meinen Kindern nichts mehr zu Leide!” — Ich weiß
nicht, ob mid) die Xefer für zu fpikfindig Halten, wenn ich
meine, fie meint unter „meinen Kindern” aud) die Rehelein
und Hirfchelein, die fie, da ihre Mutter erfhoffen
worden, an Kindesftatt annimmt, denn ich habe doch
nicht Urfache, zu glauben, daß Mally andere „meine
Kinder” hat. Das ift blos Waldfpracdhe, find blos vier=-
füßige Naturlaute.
Der Paftor riecht Lunte, nämlich, daß Wolfgang die
Mutter ihrer gemeinfchaftlichen braunen Kinder liebt. Er
merkt aud), daß das Waldtöchterlein etwas im Herzen
fteden hat; fie will allein bleiben, ev geht, fie jagt „mecha-
nifch, doch mild": „Leb' wohl!“ Eine einfache Wald-
mechanik. — Da fie allein fein will, fommt Alfons; fie
fagt, ihn erfennend, im höchſten Entzüden: „Alfons!* —
er fagt: „Wir müfjen ſcheiden!“ Er erzählt ihr, er ift ein
Sohn einer vornehmen Frau und diefe wird wahrfcheinlich
nicht einwilligen. Darauf ftürzt fi) Mally in Verzweif-
lung — an feine Bruft. Da ficht Wolfgang vom Yelfen
oben zu und geht in den Wald, — Ich weiß nicht, ob mich
der Leſer für fpisfindig hält, wenn id) glaube, der Wolfe
gang hat „was gefpannt” und wird noch verjchiedene
Wolfsgänge in dem Stüd gehen.
Alfons beftimmt Maly zu einer geheimen Heirath
mit Einwilligung ihres Onfels. Er befitt ein einfames
a:
213
-
Schloß, natürlich Alles im Wald, dort führt er fie, feine
Frau, hin, hin, und fie verfpricht, unter Feiner Bedingung
etwas davon zu fagen. |
Im zweiten Acte befinden wir uns in dem Schloſſe
der Alfons-Mutter, der Reichsgräfin von Haldenruf. Da
find niehrere Savaliere, die und und das Stüd nicht im
geringften geniven; fie haben zwar nichts zu thun, allein,
lieber Leſer, können wir einer Reichsgräfin vorfchreiben,
wen fie auf ihr Schloß einladen fol?
Als ein ganz ausgezeichnetes Gewächs muß ich Dir,
lieber Lefer, den Herrn v. Düftele vorftellen; es ift ein
rares Eremplar, eigentlich eine Spidfigur, welche durd) das
Stüc als komischer Sped geht. Ich will Dir, Lieber Leſer,
über diefe hHumoriftifche Geſtalt nichts fagen, ich bin nei—
difch, ein mißgünftiger Kerl auf alle Leute, die wigiger und
amufanter fein wollen, als ich! Diefes Gift kann ich ein—
mal nicht aus mir herausbringen, und ich ſage über Herrn
v. Düftele nichts aus Brotneid!
Die Reichsgräfin kommt mit Alfone und enthüllt
ih, daß ſoeben feine ihm beftimmte Braut Florence an—
fommt. Alfons jucht fich zu faffen. Herr v. Düftele kommt
und läßt feine zwei Teibwige los: „Stern, „Erbärmliche
Erde!“ Florence kommt, von Robert geführt. Robert ift
der Bruder von Alfons.
Robert führt Florence in die Arme feiner Mutter
und fagt: „Du haft den Bruder wohl lieber als mich — —“
Ich weiß nicht, ob der Leer mich für zu fpikfindig halten
wird, wenn ich hier über. die Idee ftolpere, daß Robert die
214
Vlorenze „heuern” wird, und fo dem Lefer die Heberra-
{hung vor der Naſe wegftolpere!
Alfons und Robert bleiben allein. Der Humor Dü-
ftele jagt noch): „Die erbärmliche Erde“ und düftelt ab.
Alfons gefteht Robert, daß er — Alfons — Florence nicht
liebe; fondern daß er — Robert — fie liebe, und läßt
Robert allein. Da kommt der Wolf des Ganges, Wolf-
gang, gegangen den Gang des Wolfes, und hält Robert
für den, welchen er im Walde ſah mit Mally, und begleitet
fie zurüd, unbefchädigt und uneruirt. Er jagt, fie ift ein -
herrlicher Charakter, nur „kennt fie die Welt nicht”, — fo
find ale Herrlichen Charaktere! Es klärt fid) endlich
anf, Robert nimmt Wolfgang das Verſprechen ab, nichts
zu thun und fich auf ihn zu verlaffen. Da fonımt der Haus⸗
hofmeifter der Reichsgräfin und ladet den Robert zu einer
Ueberraſchung ein. Sie ſchenkt nämlicd, das Waldſchloß
Roberts, wo die Waldtochter in der Einſamkeit als Alfonfin
wohnt, an Florence. Es ift fonderbar, daß Alfons feine
wirfliche eheimfrau' auf fein Waldſchloß führt, welches
feine Mama, ihn überrafchend, verfchenkt. Da gerade Schluß
des Actes ift, fo können wir über diefe fonderbare Bege-
benheit nachdenten. N
Im dritten Acte find wir im Waldſchloß. Mally,
die Frau Mlfons’, lebt da als Witwe Doris und als
„Burgfrau-Stellvertreterin*, eineeigend von Herrn
Prechtler zu dramatifchen Zweden creirte Stelle. Mally
ſchmückt das Haus mit Blumen, mit Kränzen, mit Fahnen,
denn er fol ja kommen, er! Die Töchter des Waldes
Bi
215
haben auch ihre „Er“! wie die fefcheften Stadtmamſels!
Die Schloßleute helfen ihr mit Freuden, und der Schaffner
Walpurgis fagt: „Es ift ja eine Braut, die fommt!”
und der Sartenjunge fragt, ob fie mit den Blumen zufrieden
ift, fie fagt: „Und wiel” darauf „feufzt er und geht ab.“
Warum der Gartenjunge abgeht, das kann ic) mir
denken: einmal muß er ja abgehen, aljo was der Menjd)
thun muß, fol er gleich thun, — aber warum er „feufzt“,
das krieg’ ich nicht Heraus. Schilt mic) deshalb nicht dumm,
lieber Leſer, vielleicht fällt's mir noch ein, dann fchreib’ ic)
Dir extra.
Mally bleibt fo lange allein, als fie braudjt, um
fi) zu fafen, dann kommt er, Alfons Er fagt ihr
„bewegt”: „Meine Mutter fommt mit einer Braut.” Hier
wäre jede andere Tochter etwas frappirt geweſen, aber
eine Tochter des Waldes ift naturfräftig und hält einen
Schickſalspuff phlegmatifch aus. Sie fragt, ob fie ſchön
ift, die Brant, Alfons jagt: „Haft wie Du,” darauf jagt
fie „ſchelmiſch entſchieden“: „Dann muß ich fie jehen!“
So find fie, die Töchter Eva’8 und des Waldes!
Alfons ift ein rarer Gefel! Er möcht, fie fol ſich
verjteden; fie fagt aber „feft und begeiftert”: „Schweiß,
daß ich Dein Weib bin!’ Nun, fie muß das aud) am beften
wiffen! Sie will al8 Dienerin fich ber Geſellfchaft zeigen!
Alfons, der rare Dann, gibt das auch ohne viel Herz= und
Gewiſſensſkrupel zu und die Tochter bes Waldes geht „auf
ihren Poſten“. Der ganze Brautzug fommt, auch unfer
lieber Düftele! |
216
Die Reihsgräfin fragt: „Wer ift die Frau dort ?*
(Mally.) Alfons, der eine ftarke Natur hat, jagt: „Das
ift Doris, die Beſchließerin.“ Die Reichsgräfin fagt:
„Ste, Beſchließerin, werden der Florence die Schlüffel
des Haufes überreichen.“ Die Beſchließerin befchließt zu
gehorchen. Darauf fol Mally der Florence die Hand Füßen,
fie thut's, Alfons fieht zu, zwar „er beherrſcht fich ſchwer“,
aber er beherrjcht fich doch und läßt höchſt dramatifch feine
Frau Dienftboten-Gefchäfte verrichten. Auch ein feſcher
Sharafter! Sie gehen Alle ab, denn von der Waldfeite
fonımt wieder der Lupusgang in fabula, der Wolfgang.
Er jagt, er weiß nicht, was er thun fol, darum geht „er
in die Schänfe, da hört fich immer was, das man brauchen
kann!“ Auch ein fefcher Charakter! Er geht auf einen:
andern Waldweg ab, er fam blos, um uns zu jagen, daß
man in der Schänfe immer was hört, das man brauchen
kann! Wir werden und dahin begeben, um etwas zu hören,
was wir fehr brauchen, nämlich Nachricht, was die ganze
Baftete ift: mo die Handlung ift, die Neuheit des Gedan⸗
fens, die Idee, die Diction, die Moral, wo da ein Charakter
ift, eine Situation u. f. w.
Alfons und Robert fommen. Die Brüder erflären
ſich gegenfeitig. Alfons klopft auf den Buſch, der Buſch ift
Roberts Herz; er Hopft auf den Buſch, ob Florence nicht
herausfommt. Sie gehen ab, denn Florence und Mally
kommen.
Florence trägt ein „Album“! Ich bin ſchon er—
ſchrocken, ich fürchtete jeden Augenblick, Florence kommt
217
und fagt: „Schreiben Ste mir was in mein Album!“ Aber
fo arg ift’8 nicht, fie fett fich blos zum Zeichnen, fie will
für Alfons das Schloß, das Portal und die „Befchließerin“
zeichnen. Ausgezeichnet! — Mally wird geſprächig und
ſchwärmt der Florence einen Auszug vor don dem, was
fi) ihr Vater, der Wald, erzählt; fie erinnert fich wieder
ihrer „braunen Kinder”, der Nehe, fie „kennt fie alle“,
und die „Rehe kennen fie”. Die Tochter des Waldes fpricht
epiſch-lyriſch-matthiſſoniſch, Florence fommt auch in eine
Dictiond-Transipiration, endlich fchildert fich das einfache
Waldtöchterchen und nennt ſich eine „Lerche, fo die Flügel
brach und ſich im Graſe verblutet“. Sie will fortftürzen,
da fommen fie Alle, Alle, auch unfer lieber Düftele.. Mally
„faßt fi gewaltfam und ſchnell, ihre Ruhe bald
wieder gewinnend.“
Es foll ein Feft gegeben werden und Mally fol ein
„Waldmärchen” vorteagen. Gut ausgefonnen; wenn das
nicht padt, dann hat Alfons ein ledernes Herz, — er hat
e8 auch und Sagt: „Ich bittel” und Mally „fpricht in
ſich und zu fich“ uud nicht im Tone des „Vortrags für
Andere”, allein ein Kritiker ift ein indiscreter Patron, er
hört fo oft die Deflamatricen blos „in fi) und zu ſich“
fprechen und muß es doch hören. Mally erzählt, daß ein
Kind, „geboren im Wald“, oft gefchlafen hat „in der
Rehmutter Schooß“. Romantifchedramatifche Schlaf-
ftelel Die Bögel haben das Kind fingen gelehrt, e8 Hat
dem Wald Treu’ gefchworen, aber e8 wurde treulos —
das Kind, — na ch Yahren „Lam’s heim“ — das Kind, — .
218
„da lag im Sterben das Reh“ — o weh!” — Nur „zwis
hen den Stämmen ift eine Öeftalt!” — Hier ift
die Effectfpige: während Mally von der „Seftalt zwi-
jhenden Stämmen” fpridht, zeigt fic) der Wolfgang,
der ſtämmige Wolfgang, zwifchen den Stämmen des Wal-
des! — Hi! Schauderlih! — Mally finkt ſchon, Alfons
will ihr beiftehen, die Reichsgräfin Hält ihn feſt: „Mein
Sohn?” worauf der Borhang fällt.
Nachdem wir und von der großen, wunderfamen
Emotion und abfonderlich von den tiefen Erfchütterun:
gen diefer Albums-Situation erholt Haben, beginnt der
vierte Act.
Ich bitte den Lefer, er möge mich nicht für zu fpik-
findig Halten, wenn ich meine, muthmaßlichft glauben zu
dürfen, daß das nicht des Wolfgangs letter Gang war,
und daß wir ihn nod) im vierten Acte zu ſehen bekommen
werden, welches um fo mehr Wahrjcheinlichkeit erhält, da
fein fünfter Act kommt.
Florence und Robert fprechen ein Geſpräch, woraus
wir weniger erfahren, al8 aus den angezeigten Bewegun-
gen: er einmal: „heiter und lächelnd“, fie: „ihreBewegung
durd) den Ton verbergend” und „mild und weid) und zart“,
dann er: „innig und ernſt“, fie: „Tanft ohne alle Koketterie“,
er: „feine Bewegung niederfämpfend”. Dann geht er durch
„die Mittelthüre” ab und fie „rechts“ — und ich glaube,
der Leſer wird mich nicht für zu fpisfindig halten, wenn
ic) muthmaße: wer jetzt fommt, kommt durch die Thüre
lint8,
u
219
Richtig! Ich bin ein Mordkerl! Die Reichsgräfin
unt der Kaftellan, — dann — dann Wolfgang! Er erzählt
ihr Alles: Alfons hat fie verführt! Er will fie zurüd haben.
Sie verſpricht ihm, die „Sache auszufpähen”.
Nun kommt Afons. Mutter und Sohn erklären fich,
Die Mutter jpricht Hohe Worte und will, er ſoll ſich mit
denn Mädchen abfinden! Er geht „ruhig ab“. Da fommt
Maly; nun gibt’8 eine Scene, und die Reichsgräfin genirt
fi) nicht, in Gegenwart von beinahe 1500 Perfonen zu
jagen: fie will fie ausftatten reichlich, fie fol, was gefchehen
ift, vergeffen und den wadern BurfchenWolfgang)heirathen.
Mally will nicht, die Reichsgräfin wird jehr unangenehm,
da fommt Alfons, fchlingt feinen Arm um „Mally's Nacken“
und zieht fie an fein Herz. A tempo kommt Robert und
Ülorence, — e8 ift wunderbar, wie Alles fonımt! — Flo—
rence „legt Maly in Alfons’. Arm”, was gewiß gut
angelegt ift, und gleich darauf fagt fie: „Ach Robert, mein
Robert!” — Der Saphir hat’8 gleich gefagt! —
Alfons und Mally treten zur Mutter! Sic vergibt,
verzeiht, doch kann fie nicht vergefjen! Die dramatifche
Gerechtigkeit fonımt mit einer ganz neuen Crinoline: fie
verurtheilt die Beiden „in die Einſamkeit“!! morauf
der Vorhang über eine „entſprechende Gruppe“ fällt,
und wir gehen in die Schänke, um fo Manches zu hören,
zum Beifpiel: Warum „Zocdhter des Waldes”? Könnte
fie nit eben fo gut eine Tochter des Meierhofes, eine
Tochter des Gemüfeladıns fein? Was Hat der Wald mit
der Sache zu fchaffen wegen der paar braunen Rehelein ?
220
Dann möchten wir aud) hören, was die Idee ift? Dann
haupt fächlichft möchten wir hören, wo unfer lieber Wolf-
gang bleibt, und was mit ihm gefchehen ift? Ich Bitte
den Lefer, mic nicht für zu fpisfindig zu halten, wenn
ich glaube, der Wolfgang wird an dem Wildſchütz fein
Müthchen Fühlen, den er am Anfang des Stüdes 1o8-
gelaffen hat! Einer muß das Bad ausgießen.
a DS
Endedeg fehsten Bandes
Inhalt .
des jechsten Bandes,
Genre-Bilder, Jokoſes und Sentimentales,
Zajhen-Eoder und Spruchbüchlein eines fhlichten Praf-
tikers...
Taſchengedanken- und Gedankentaſchen-Spielerei. . . .
Weihnachtabendd..
Die falſche Freundin... Hrn
Frühling und Herbſt. rennen.
Das erfte Concert Beilden. Ein Dampf Jubelgefchrei
zum Beginn der Eoncerte. . » 2 22000
Humoxiſtiſch -Jatyrifcher Bilderkaften und
Minne- Gerichte.
1. Junker Stolpernfuß von Duzenmerung, der Duell-
freier - > 2 2 0 nen een
H. Dr. Henſchel, da8 Manufcript-Stelet. . . . . .
IH. Die Kunft geht nad) ſechs Semmeln, oder: Nichts
als zehn Heine Kälbernes. . . 2
IV. Die unbegreiflihe Oaftfreundihaft - -. - » ...»
V. Dr. Eifentorn, da8 Taufendfapperment- Talent. .
VI. Herr Schniffelfeld, der Naturforfcher . . - . . .
VO. Winter-Opfer und Gefellihafts-Geißeln. Der tan-
zende Nachtlöhner... 2 nenn
VII. Ein Löffel Bolenta ». 2 2 2200.
Eeite.
m u)
222
Seite.
— |
I. Beantwortung der Frage: „Wer hat wahrhafter
geliebt, der durch die Liebe ein Weiler, oder ber
durch die Liebe ein Narr geworben iſt?“ . . . 90
II. Beantwortung der Frage: „Kann ein geiſtreicher
Mann ein geiſtloſes Frauenzimmer, und kann ein
geiſtreiches Frauenzimmer einen geiſtloſen Mann
innig und dauernd lieben?“.... 222.0. 94
III. Beantwortung der Frage: „Was ift fchmerzlicher:
die gegebenen Geſchenke unferer Liebe zurüd zu
erhalten, oder die empfangenen Geſchenke der Liebe
zurüdgefordert zu jehen?" . 2.2. 2 2220. 100
IV. Beantwortung der Frage: „Iſt gränzenlofes Ber-
trauen oder gränzenloje Eiferfuht mehr Beweis
von ehe?" 2. 2 on 105
Didaskalien und Kritiſcher Sektions -Saal.
Der Selbftquäler - : >: 22 rn 113
Auge und Ohr . > > 22 ren 122
Mavigo > > 2 129
Zurückſetzung... 138
Weh' dem, ber lügt..... en nen ... 146
Ein weiblihes Ser 22. 165
Leichtfinn und feine Folgen. . » > 2 2: en nen 177
Ein mildes Urtheill - 2 2 Co onen 189
Die verhängnißvolle Falhingsnadtt. -. . - -» 2... 199
Die Tocher des Waldess.. .. 210
N
N ID
— ———
Stanford University Libraries
Stanford, California
Return this book on or before date due,