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Full text of "Aus Leben und Nachlass;"

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Aus 

N Pettmann' Leben 
4 und 


Nachlass. 


Herausgegeben 


von dem Verfaſſer des Lebens-Abrißes Friedrich 
Ludwig Zacharias Werners. 


1 Zweiter Theil. 


Mit vier Steindrüffen und Mufit. 


EUER ERW 


Einen Wunſch nur vernimm, freundlich gewähre mir ihn: 
Laß' nicht ungerühmt mich zu den Schatten hinabgeh'n! 
Nur die Muſe gewährt einiges Leben dem Tod. 
Göthe, Euphroſyne, 


Berlin, ER 
bel Ferdinand Duͤmmler. 


1823. 
77220 1 
1617. 


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Siebenter Abſchnitt. 
Berlin 1807 — 1808. 


— - 2 m u 


Etwa im Juli 1807 traf Hoffmann in Ber⸗ 
lin ein. Das Jahr, welches er jetzt daſelbſt 
zubrachte, mag leicht das ungluͤcklichſte ſeines 
Lebens genannt werden. Alles, was er ſelbſt 
anfing, oder, was wohlwollende Freunde fuͤr 
ihn unternahmen, mißlang. Er hatte Zeich⸗ 
nungen mitgebracht: es wollte ſich Niemand 
damit befaſſen; er ſuchte Gelegenheit zur 
Portraitmalerei; es fand ſich keiner, der ihm 
zu ſitzen Luſt hatte; man gab ſich Muͤhe, eine 
Verbindung mit Iffland herbeizufuͤhren, und 
Hoffmann erklaͤrte ſich bereit, ſich von dieſem 
Aufgaben ſtellen zu laſſen, um ſeine Anlagen 
zur dramatiſch⸗muſikaliſchen Compoſition zu 
prüfen; es war nichts zu erreichen, obgleich 


Iffland's beſte Freunde ſich in der Sache 
A 


2 Siebenter Abſchnitt. 


thaͤtig zeigten; für feine fertige Muſik war 
kein Verleger aufzutreiben. Dazu kam, daß, 
bald nach ſeiner Ankunft, ihm in dem Gaſt⸗ 
hofe, wo er wohnte, waͤhrend der Mittags⸗ 
eſſenszeit, mittelſt Durchfägung der Hinter⸗ 
wand des Secretairs, in welchem er ſeine 
kleinen Habſeligkeiten hatte, der Reſt ſeiner 
Baarſchaft, 6 Friedrichsd'or, entwandt wur⸗ 
de. Er gerieth nun in die druͤckendſte Geld⸗ 
verlegenheit; der Muͤßiggang peinigte ihn; 
von den Seinigen in Poſen erhielt er die 
traurigſten Nachrichten ); er ſchien faſt zu 
erliegen, bis ihm der Gedanke kam, durch 
eine Bekanntmachung im Reichs⸗Anzeiger, die 
Stelle eines Muſik⸗ Directors bei irgend ei⸗ 
nem Theater nachzuſuchen. Hitzig, der ihn 
kannte, wußte wohl, daß nur ein wirklicher 
Schritt zur Verfolgung irgend eines ſichtba⸗ 
ren Zieles, die Folge haben könnte, den Freund 
zu beruhigen, und beſorgte das Roͤthige, wor⸗ 
auf denn auch endlich der gewuͤnſchte Erfolg 
eintrat, und, auf das durch den Anzeiger 
verbreitete Inſerat, Vorſchlaͤge von der da⸗ 
maligen, unter den Auſpicien des Grafen 


) Asſter Brief. 


Berlin 1807 — 1808. 3 


von Soden ſtehenden, Verwaltung des Thea⸗ 
ters zu Bamberg, eingingen, die Hoffmann 
aufforderten, vom 1ſten September 1808, 
bei dem erwaͤhnten Theater, als Muſik⸗Di⸗ 
rector einzutreten. Beigefügt war eine freund: 
liche Einladung des Grafen ſelbſt, ſchon im 
Frühjahr 1808, auf ſein Gut Saſſanfarth, 3 
Stunden von Bamberg, zu kommen, und 
die Zeit bis zum Antritt ſeines Amts dort 
zuzubringen. a 

Wer war froher, als Hoffmann, ber, 
ungeachtet des wenig Lockenden der aͤußern 
Bedingungen, ſich nun, mit einem male, in 
die Sphaͤre verſetzt ſah, von welcher er, ſeit 
ſeiner fruͤheſten Jugend, allein ſein Gluͤck 
erwartet hatte; in eine Kuͤnſtlerlaufbahn! 
Er componirte, zu feiner Legitimation, vom 
23ſten Januar 1808 an, eine Oper des Gra⸗ 
fen von Soden: der Trank der Unſterblich⸗ 
keit, in 4 Akten, und ſandte die fertige Par⸗ 
kitur ) ſchon am 27ſten Februar nach Bam⸗ 
berg ab; | 


8 


D Diete in BON ländig in feindin Rachloſe hör: 
handen. 


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4 Sxiebenter Abſchnitt. 


Außerdem gelang es ihm, in dieſer Pe⸗ 
riode, nur, bei Verlegern unterzubringen, — 
zwei Sonaten und ein Harfenquintett, die 
Naͤgeli in Zuͤrich nahm, und eine Reihe von 
Zeichnungen polniſcher Uniformen, die bei 
Graͤff in Leipzig erſchienen ſind. 

Mit der freudigſten Hoffnung verließ er 
Berlin, holte ſeine Frau von Poſen ab, und 
kam im Sommer 1808 mit ihr in Bam⸗ 
berg an. 


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48. 


An Hitzig. 
Verlin den 22ſten Auguſt 1807. 


Mein lieber theuerſter Freund! 
Sie fanden mich bei Ihrem letzten Hierſeyn ») in 
einer etwas fatalen Stimmung, — indeßen muͤßen 
Sie dieſe dem aͤußerſten Druck der Umſtaͤnde zu⸗ 
ſchreiben, — ich bin in einer Lage, uͤber die ich 
ſelbſt erſchrecke, und die heutigen Nachrichten aus 
Poſen ſind nicht von der Art mich zu troͤſten. — 
Meine kleine Ceeilia iſt geſtorben, und meine Frau 
iſt dem Tode nahe! — Aus einem dumpfen Hin⸗ 
bruͤten bin ich denn nun wieder ſo weit erwacht, 
um daran denken zu koͤnnen, was ich thun muß, 
um nicht in bona pace zu verderben; — am lieb⸗ 
ſten wuͤnſchte ich ein Unterkommen als Muſik⸗Di⸗ 
rector bei irgend einem Theater, und da wäre es 
wohl auch erſprießlich, mich im Reichs⸗- Anzeiger 


) Hitzig lebte damals, für einige Zeit, in der Nähe 
von Berlin. 


8 Siebenter Abſchnitt, 


anzubieten, — wo kommt der Reichs ⸗ Anzeiger her⸗ 
aus, was muß man thun, um das Einrücken zu 
bewirken? — Geben Sie mir, beſter Freund, hier⸗ 
über Auskunft, und ſagen Sie mir, ob die anlie- 
gende Anzeige genuͤgt, oder was noch mehr zu ſa⸗ 
gen oder wegzulaßen ſeyn würde? Wie ſoll ich die 
Adreße bezeichnen? u. f. w. Darf ich Sie bald in 
— befuchen? — Wie mwohlthätig würde mir Ihre 
Geſellſchaft jetzt ſeyn! u. ſ. w. 0 

Geſtern Morgen glaubte K. ich wuͤrde ſterben, 
ich bin aber am Leben geblieben. Bleiben Sie der 
Freund 51 . 

Ibres 


. 


—— . = 


Beilage zum 48ten Brief. 


| Anzeige. 
Jemand, der in dem theoretiſchen und prakti⸗ 
ſchen Theil der Muſik vollkommen unterrichtet iſt, 
ſelbſt fuͤr das Theater bedeutende Compoſitionen 
geliefert, und ciner bedeutenden muſikaliſchen An⸗ 
ſtalt als Director mit Beifall vorgeſtanden hat, 
wuͤnſcht als Muſtk⸗Director bei einem, wo möglich 
ſtehenden, Theater unterzukommen. Außer den ge⸗ 


Berlin 1807 — 1808, 9 


nannten Kenntnißen, iſt er mit dem Theaterweſen 
und ſeinen Erfordernißen voͤllig vertraut, verſteh't 
ſich auf die Anordnung der Dekorationen und des 
Coſtums, und iſt, außer der deutſchen, auch der fran⸗ 
zöfifchen und italieniſchen Sprache gewachſen. Sollte 


der Unternehmer irgend eines Theaters, eines ſol⸗ 


chen Subjekts benoͤthigt ſeyn, ſo bittet man ihn 
ſich in poſtfreien Briefen an — — — — — — 
zu wenden, wo der die naͤheren Bedingungen, welche 
auf jeden Fall billig ſeyn werden, erfahren kann. 


* 


Achter Abſchultt. 
Bamberg 1808 — 1813. 


In Bamberg fand ſich Hoffmann auf das 
Unangenehmſte getaͤuſcht; indem die Verhaͤlt⸗ 
niſſe bei'm Theater ganz anders erſchienen, 
als er es, nach den Briefen des Grafen 
Soden, erwartet hatte. Von dieſem war 
nämlich nicht nur die Regie, ſondern die 
ganze Entrepriſe des Theaters, einem gewiſ⸗ 
fen Heinrich Cuno übertragen worden, und 
er ſelbſt hatte ſich nach Wuͤrzburg zuruͤckgezo⸗ 
gen. Der Entrepreneur, von welchem Hoff: 
mann nicht die vortheilhafteſte Schilderung 
entwirft, war aber, bei der Organiſation 
des Theaters, ſo uͤbereilt zu Werke gegangen, 
daß es ſich zu Ende des Jahres 1808 ſchon 
feiner Auflöfung naͤherte. „Wie ſchlecht ich 
unter ſolchen Umſtaͤnden“, — ſchreibt er un⸗ 


Bamberg 1808 — 1813. 11 


ter'm Aften Januar 1809 dem Herausgeber, — 
„mit meinem Enthuſiasmus fuͤr die wahre 
Kunſt, und mit meinen Vorſchlaͤgen und 
Plaͤnen, das Ganze nur zu irgend einem 
Grade der Vollkommenheit zu erheben, an⸗ 
gekommen bin, koͤnnen Sie ſich wohl denken. 
Dies hat denn auch zur Folge gehabt, daß 
ich bereits ſeit zwei Monaten mein Muſik⸗ 
Directorat gaͤnzlich aufgegeben, und mich nur 
dazu verſtanden habe, die etwa vorkommen⸗ 
den Gelegenheits⸗Stuͤcke, z. B. Maͤrſche, 
Choͤre in Schauſpielen u. dgl. zu componiren, 
wofür ich monatlich 30 Gulden erhalten ſoll, 
aber nicht erhalte, weil die Theaterkaſſe, bei 
der grenzenloſen Unordnung des Directors, 
fortwaͤhrend in den erbaͤrmlichſten Umſtaͤnden 
iſt. Um ſo unangenehmer ſind mir jene 
Theaterverhaͤltniſſe, als es hier ein Publikum 
giebt, wie es ſich nur ein Schauſpiel-Direc⸗ 
tor, der wahre Ausbildung mit Geſchmack 
und Talent verbindet, wuͤnſchen kann. 3. B. 
die luſtigen Muſikanten, gut gegeben, wuͤr⸗ 
den hier recht ſehr gefallen; doch davon nach- 
her ein mehreres. — Das war das ſchlechte, 
nun zu angenehmern Dingen. — Ich ſtand, 
da Soden in Wuͤrzburg iſt, und der einzige 


12 | Achter Abſchnitt. 


an den ich ſonſt empfohlen war, der Praͤſi⸗ 
dent Graf von Seckendorf, ſich gar nicht 
um mich bekuͤmmert hat, ganz allein hier; 
indeſſen ein gluͤcklicher Zufall wollte es, daß 
ich ſchon im zweiten Monate dem beſten 
Theil des Publikums bekannt wurde. An 
der Spitze dieſes Publikums ſteht der Ge⸗ 
neral-Commiſſar Freiherr von Stengel, ein 
aͤußerſt humaner, und in der Kunſt ganz 
ausgebildeter Mann. Sie koͤnnen denken, 
wie ich erſtaunte, als er, bei der erſten Vi⸗ 
ſite, die ich ihm machte, ſo tief in die Theorie 
der Muſik hineingerieth, daß ich glaubte, mit 
einem tuͤchtigen Kapellmeiſter zu fprechen; 
nun gelang es mir bald, meine muſikaliſchen 
Kenntniſſe geltend zu machen, und ich erhielt 
in den erſten Haͤuſern als Singemelſter Zu⸗ 
teitt, fo daß meine Exiſtenz wenigſtens ge⸗ 
ſichert iſt, indem ich uͤberall gut und prompt 
bezahlt werde. — Recht erfreulich iſt es mir 
geweſen, hier im ſuͤdlichen Deutſchland fo 
viel Empfaͤnglichkeit für das wahre Schöne 
zu finden. Ueberall, wo ich hinkomme, iſt 
Tiek ein gefeierter Name, auch unſer Freund 
Werner hat hier ſein Publikum; im graͤflich 
Rothenhanſchen Hauſe, wo ich fünf Com- 


Bamberg 1808 — 1813. 13 


teſſen im Geſange unterrichte, habe ich (mit 
welchen ſonderbaren Empfindungen, koͤnnen 
Sie ſich denken) den Attila geſehen, und als 
ich meiner Verhaͤltniſſe mit Werner erwaͤhnte, 
mußte ich erzaͤhlen, was ich nur wußte aus 
ſeinem fruͤhern Leben, und von dem Gange, 
den ſeine Ausbildung genommen hat. Den 
andern Tag rollte ich ſein Crayon-Bild aus⸗ 
einander ), und ſagte: fo ſieht er aus. Das 
Bild wurde gleich in Beſchlag genommen, 
und eben jetzt copirt es Graͤfin Gabriele, ein 
recht liebenswuͤrdiges ſechszehnjaͤhriges Maͤd⸗ 
chen. — Hoͤrt das Theater nun hier ganz 
auf, ſo erwerbe ich doch durch Unterricht 
und Componiren mein nothduͤrftiges Brod, 
und werde das ſchoͤne Bamberg nicht ver— 
laſſen, bis ich etwa ein fixirtes Unterkommen 
bei einer fuͤrſtlichen, oder Koͤniglichen, Kapelle 
finde, wozu ſich vielleicht, nach den Verſiche— 
rungen meiner hieſigen Goͤnner, eine Ausſicht 


oͤffnen koͤnnte. Unter andern (lachen Sie 


mich tuͤchtig aus, liebſter Freund!) habe ich 


** 


) Dies von Hoffmann gezeichnete, ſehr aͤhn⸗ 
liche, Bild, befindet ſich in den Haͤnden des Her⸗ 
ausgebers. 


14 Achter Abſchnitt. 


auch fuͤr's hieſige Theater Verſe gemacht. Es 
hatte mit ihnen folgende Bewandniß. Die 
Tochter des hier reſidirenden Herzogs von 
Baiern, Prinzeſſin von Neufchatel, deren 
Gemahl bekanntlich in Spanien iſt, iſt hier. 
Herr Cuno beſchloß, ihren Namenstag im 
Theater zu feiern, und uͤbertrug mir die 
Ausarbeitung eines Prolog's. Ich warf ſo 
ein recht gemein- ſentimentales Ding zuſam⸗ 
men, componirte eben ſolche empfindſame 
Muſik dazu, — es wurde gegeben, — Lichter, 
Hörner, Echo's, Berge, Fluͤſſe, Brücken, 
Baͤume, eingeſchnittene Namen, Blumen, 
Kraͤnze, nicht geſpart; es gefiel ungemein, 
und ich erhielt, mit ſehr gnaͤdigen Ausdrücken, 
von der Prinzeſſin Mutter, fuͤr die ver⸗ 
ſchaffte Ruͤhrung, 30 Carolin, die ges 
rade hinreichten, mich hier ſo ziemlich auf 
reinen Fuß zu ſetzen. — Bei einer gewiſſen 
Stelle im Prolog: „Ich ging — ich flog — 
ich ſtuͤtzt' in ihre Arme!“ (ein ungemein 
ſchoͤner Climax) umarmten ſich in der her⸗ 
zoglichen Loge, weinend, Mutter und Tochter; 
nun hatte der Prolog auch dem Publikum 
gefallen, und wurde fuͤr den andern Tag be⸗ 
gehrt. Die herzoglichen Perſonen erſchienen 


Bamberg 1808 — 1813. 15 


in der Loge, und umarmten ſich richtig, wei⸗ 
nend, wieder bei jener Stelle, woruͤber das 
Publikum, viel in die Haͤnde klatſchend, ſeine 
Zufriedenheit aͤußerte. Mir ſchien es, als 
ob dadurch ſich das Ganze, Theater und 
Publikum, auf eine hoͤchſt vortreffliche Weiſe 
zu einer Action verband, und ſo das fatale 
Verhaͤltniß zwiſchen Darſtellen und Zuſehen 
ganz aufgehoben wurde; mir lachte das Herz 
im Leibe u. ſ. w.“ 

Die Theater-Entreprife ſchleppte ſich, von 
der Zeit, wo dieſer Brief geſchrieben iſt, an, 
noch einige Wochen fort; aber „ſchon im 
„Februar“, — ſo meldet Hoffmann ſeinem 
Freunde ferner unter'm 25ten May 1809, — 
„erklaͤrte Herr Cuno mit einem male der 
„ganzen Geſellſchaft, daß er inſolvent ſei, und 
„das Theater abgeben muͤße; den Regißeur 
„des Schauſpiels, Herr Opel, an der Spitze, 
„movirte ſich die Geſellſchaft gegen dies Ver— 
„fahren, und es kam zu gerichtlichen Verhand: 
„lungen, die den ſaubern Herrn Director noͤ⸗ 
„thigten, die Vorſtellungen fortzuſetzen und 
„die Adminiſtration der Kaſſe einem aus der 
„Geſellſchaft gewählten Committe zu überla- 
„ßen. Daß hiebei auch nicht viel geſcheutes 


16 Achter Abſchnltt 


30 erauskam, koͤnnen Sie Sich denken, — das 
„Ganze kam wieder ſeiner völligen Auflöͤſung 
„ganz nahe, und nun traten die drei Haupt⸗ 
„gläubiger des Herrn Cuno auf, und ſpra⸗ 
„chen alſo: wir muͤßen, koſte was es wolle, 
„Herrn Cuno und ſein Theater erhalten, denn 
„nur auf dieſe Weiſe können, wir noch zu un 
„ſerm Gelde kommen, wir uͤbernehmen daher 
„die Direction, und garantiren die Gagen den 
„Sommer uͤber mit 30 Procent Abzug. Die 
„armen Schauſpieler, und Ihr Freund, der 
„Muſik⸗Director, in dieſer ungluͤcklichen Zeit, 
„wo die großen Opern mit obligaten Kanonen 
„Alles uͤbertaͤuben, ſagten ja, und das Ding 
„ging auf's neue los. Die neuen Directoren 
„zeigten ſich indeſſen bald dem ganz getreu, 
„was ſie ſind, knauſerten und knickten, mach⸗ 
„ten tolle Streiche, wurden grob; ſo daß, 
„wer noch auf eine andere Art ein Stuͤck 
„Brod erwerben konnte, das Theater ganz 
„verließ, wie ich es denn auch that, ſo daß 
„mein Contrakt, in dem gluͤcklicherweiſe ſechs⸗ 
„woͤchentliche Aufkuͤndigung bedungen war, 
„vorigen Montag ſein Ende erreicht hat, und 
„ich nichts weiter von meinem Amte übrig 
„behalte, als den Titel Muſi k Director, den 

ich 


* 


* 


Bamberg 1808 — 1813. 17 


„ich für kuͤnftige Faͤlle conſerbiren will, Die 
„neue Direction befteht aus einem Zucker⸗ 
„baͤcker, einem Liqueurſieder und einem juͤdiſchen 
„Seidenhaͤndler!! — Und damit Sie einen 
„Begriff von dem Geiſte des neu organiſirten 
„Theaters bekommen, lege ich Ihnen ein Stuͤck 
„Komddienzettel bey, mit der Szenerie von 
„der Teufelsmühle, 3 


PEN 


= Die Beilage lautet wörtlich ſo: 


Verwandlung. 


iter Akt. 1. Scene. Herrberge an der Erik 
des Wienerbergs. 9. Se. Gemach auf Staufen⸗ 
burg, zuletzt ſieht man einem ſchwarzen hellbeleuch⸗ 
teten Saal, mitten liegt auf einen Baradebett Ag⸗ 
nes von Boodheim todt; uͤber ſie ſchwebt ein tob⸗ 
ten Genius. 

2ter Akt. 1. Seene. Zimmer im Wiethsbauſe 
am Wienerberge. 8. Se. Gemach auf der Feſte 
Staufenburg. 13. Se. Wald. Nacht. Mondſchein. 
15. Se. das innere der Teufelsmuͤhle, wo ſich alle 
Geiſter in der 12ten Stunde verſammeln, der Tiſch, 
worauf Kaſperle ſitzt, verwandelt ſich in einen Muͤl⸗ 
lereſel. Kaſperle reitet unter ſchrecklichen Gepolter 
durch's Fenſter. 

gter Akt. 1. Scene. Herrberge am Wiener⸗ 
wald. 10. Se. Gemach in der Herberge, 14. Se. 
Burgverließ, in der Mitte. hängt eine brennende 


B 


18 Aahter Abſchnitt. 


Ungeachtet dieſes traurigen | 

fo lange erfehnten Kuͤnſtlerlaufbahn, und, o 
gleich die Wirkungen des Krieges bemals im 

der Nähe von Bamberg grade ſehr fühlba 
waren, mehrere der erſten dortigen Familie 
den Ort verlaſſen hatten, woher ein von 
Hoffmann zu unternehmendes Sing 
tuts, wozu er bereits die obrigkeitliche 
laubniß erhalten, nicht zu Stande tam, und 
er mehrere Schuͤler verlor; obſchon endlich 
er ſein Einkommen vom Theater ganz einge⸗ 
buͤßt hatte, und es ihm ſchwer wurde, ſich 
nur von einem Tage zum andern hinüber zu 
friſten; ruft er doch, in den ſchon erwähnten 
Briefe, freudig aus: „es muß e es 


Lampe. Verwandelt ſich dann im aut wo 
Otto bleibt. 

Ater Akt. 1. Scene. Serbe wie oben. 4. 
Se. Gemach auf der Staufenburg. 6 S. Herr⸗ 
berge. 8. Se. Wald mit Einſiedlerbütte. 10: Se. 
unterirrdiſche Höhle. 13. Se. Ländliche Gegend 
mit Häus und Brunnen, der Blitz zerſchlagt den 
Müller, der Brunnen ſtuͤrzt mit ihm ein. Zum 
Schluß verwandelt ſich die Bühne in ein Wolken⸗ 
theater. Ein Regenbogen im Hintergrund, in einer 
Schleierwolfe Iriel, alles verſammelt. 


Bamberg 1808 — 1813. 19 


„geh't auch, da ich nun und nimmermehr 
„Relatio ex actis u. ſ. w. ſchreiben darf, 
„und ſo die eigentliche Quelle alles Uebels 
„verſiegt iſt!“ 

Hauptſächlich erzeugte aber dieſe heitere 
Stimmung, die Muße, die ihm jetzt ſeine 
gaͤnzliche Entfernung vom Theater und deſſen 
Geſchaͤften, geſtattete, und die er zu feinen 
erſten artiſtiſch⸗ literariſchen Verſuchen be⸗ 
nutzte, aus denen ſpaͤterhin, zum Theil, die 
Fantaſieſtuͤcke in Callsts Manier zuſammen⸗ 
geſetzt worden find; 

Er hatte nämlich in dieſer geit, an Roch⸗ 
lit in Leipzig, den damaligen Herausgeber 
der trefflichen muſi ikaliſchen Zeitung, *) einen 
Brief in feiner launigen Manier gefchtieben, 
um eine Verbindung mit ihm und ſeinem In⸗ 
ſtitute anzuknuͤpfen, und ſich dadurch einen 
Weg in das Publicum zu bahnen. Er er⸗ 
zählte darin feine Geſchichte, dann feine letzten 
Fata, und, auf eine ſehr luſtige Weiſe, ſeine 
gegenwaͤrtige Lage; wie er eben gar nichts 


9 Vergl. dieſe Zeitung 1822. No. 41., vom 
gten Oktober, woraus nachſtehendes wörtlich ent⸗ 
lehnt iſt. 


B 2 


20 Achter Abfchnik. 


ſey⸗ gar nichts habe, aber alles wolle, er wiſſe 
nur nicht, was. Das hoffe er denn nun von 
feinem neuen Correſpondenten erfahren; aber 
es muͤße, wenn irgend moͤglich, ſogleich ge⸗ 
ſchehen, denn Hunger thue ihm weh', wenn 
auch nicht ſeiner, doch der ſeiner Frau, und 
nur Eines, das er etwa zu befahren, 
ihm noch weher thun; — Geld zu 50 
a0 ohne Arbeit. Arbeiten wolle er; müge 
es ſeyn, ſelbſt ſchreiben; — entweder in dem 
Fache, welches das Volk „dummes Zeug” 
nenne, oder auch in muſikaliſchen Angelegen⸗ 
heiten, die, am Ende, denn auch wenigſtens 
daran graͤnzten. Zum Beweiſe, daß er im 
letztern etwas vermoͤge, legte er ein Requiem 
bei, welches er, nachdem er Mozarts Requiem 
auf das genaueſte ſich zu eigen gemacht, bloß 
zu ſeiner weitern Bildung, Uebung und Be⸗ 
feſtigung, in früherer Zeit componirt hatte. 0 


) Rochlitz urtheilt darüber a. a. O.: 

Es iſt faſt fo lang, als das Mozartſche, in aͤhn⸗ 
lichem Sinne gedacht, und, ſo weit dieſes Hoffmann 
vermochte, in aͤhnlichem Style verfaßt. 

Wie nahe es auch an das Vorbild erinnert, 
nach welchem es gearbeitet worden, ſo fehlt es ihm 
doch nicht an Originalitaͤt der Erfindung, und 


Bamberg 1808. — 1813. 21 


Es wurde ihm ſogleich geantwortet. 
Man drang in ihn, zu ſchreiben, wie er ſei⸗ 
nen Brief geſchrieben habe; man bot ihn 
zur Bekanntmachung die muſikaliſche Zeitung, 
und, von dem Verleger, was moͤglich, an; 
man that ihm, um ſein Verlangen genauer 
zu erfuͤllen, und auch, um ihn ſelbſt von ver⸗ 
ſchiedenen Seiten kennen und beurtheilen zu 
lernen, folgende beſtimmtere Vorſchlaͤge: eine 
Erzaͤhlung oder Characterſchilderung von ei⸗ 
nem Muſiker auszuarbeiten, der, in ſpaͤten 
Jahren, ungefaͤhr bis auf den Grad, wohin 
es der tiefſinnige Friedemann Bach gebracht, 
verruͤckt, dabei aber in ſeiner Kunſt, wie eben 
jener auch, zwar verworren und launenhaft, 
aber groß und kuͤhn, und nun durch die fixe 
Idee in ſeiner Einbildung, er ſey Mozart 
oder Haͤndel, oder ſolch' ein Heros, theils 
gluͤcklich, und naͤher individualiſirt waͤre, 
theils gewißermaßen komiſch, und uͤberhaupt 
den Leſern intereßanter wuͤrde. Zugleich 


noch weniger an Innigkeit und Kraft des Aus⸗ 
drucks; die Ausfuͤhrung des Techniſchen aber, — 
bedenkt man, daß es eines Dilettanten erſtes Pro⸗ 
beſtuͤck in dieſem Style if, — muß man bewun⸗ 
dern. | | 


* 
— * 


22 Achter Abſchnitt. 


— 


ſandte man ihm die, eben in den Händen 
der Notenſtecher befindliche, große, herrliche 
Symphonie von Beethoven, aus C moll, in 
Partitur, mit dem Geſuch, daruber zu ſchrei⸗ 
ben; moͤchte es nun eine eigentliche Rezen⸗ 
ſion werden, — deren es aber bei ſolch' ei⸗ 
nem Werke und ſolch' einem Meiſter kaum 
beduͤrfe oder eine Betrachtung darüber, eine 
Fantaſie über die Fantaſie, ein Kunſtwerk 
über das Kunſtwerk, u. ſ. w. In zehn Ta⸗ 
gen ſchon ging beides ein; — Johannes 
Kreisler u. ſ. w., und der Auffag über Beet 
hovens Inſtrumental⸗ Muſik ). 

So war denn nun Hoffmann mit einem 
male auf der Bahn, auf welcher er bald 
ganz Deutſchland bekannt und werth werden 
ſollte, und freudig ſchreibt er ſelbſt in ſein 


beginnen zu wollen. 2 Von nun an lebt 
und webt er auch ganz in der Ausübung 
aller Kunſt. Er ſingt in den Herzoglichen 
Concerten, und in der Kirche in Haydnuſchen 
Meſſen, componirt bald ein Miſerere für 


n 


9 Siehe Fountaſſeſläche in Callots Manier. 
Bd. 1. in beiden Ausgaben. 


Bamberg 1808 — 1813. 23 


Theater, auf Beſtellung des Entrepreneurs, 
die Kotzebueſche Oper: das Geſpenſt ), bald 
die Geſaͤnge zur Genoveva des Maler Muͤl⸗ 
4 ein Melodram des Grafen Soden; 

Dirna ), ein Trio aus E dur, und Can⸗ 
zonetten fuͤr Naͤgeli u. ſ. w.; er macht flei⸗ 
ßig Recenſionen fuͤr die muſt kaliſche Zeitung, 
von Witts Symphonien ), Fioravanti's 
Virtuosi ambulanti, Romberg's Pater no- 
ster, Puſtkuchen's Choraͤlen u. ſ. w.; ſchreibt 
die Theaterartikel aus Bamberg fuͤr die Zei⸗ 
tung fuͤr die elegante Welt, zeichnet Grup⸗ 


*) „Was foll und was will ich nicht alles! 
Rur Muth und Ausdauer!“ ruft er, bei dieſer 
Gelegenheit, in ſeinem Diarium aus. uebrigens 
bemerkt er ſpaͤter: „Das Geſpenſt aufgeführt, — 
total mißrathene an — gem an 
nahe.“ 

) Dies wurde am 11ten October 1809 he 
führt, und fand fo großen Beifall, daß das Pu⸗ 
blikum, nach beendigter Vorſtellung, den Componi⸗ 
ſten herausrief. Er zeigte ſich im Orcheſter, auf 
der Erhoͤhung des Directors, und dankte mit einer 
Verbeugung. 


ae „Opus 1. dieſer Art,“ heißt es im Tage⸗ 
buch; „es ging beſſer, als ich gedacht hatte.“ 


24 * Achter Abſchnitt. 

pen des dortigen Buͤrgermilitalrs, und malt 
große Familienbilder, in Haͤuſern, in welchen 
ihn der Muſikunterricht bekannt gemacht hatte. 
Dieſen ertheilte er mit großem Beifall, — 
im Geſange und auf dem Fortepiano, — 
man ergoͤtzte ſich dabei an ſeiner pikanten 
Individualitaͤt; wie z. B. Frau von RMedt⸗ 
witz, eine ſehr geiſtreiche Dame, gegenwaͤrtig 
Oberhofmeiſterin der Kronprinzeſſin von Bais 
ern, einſt aͤußerte: er verdiene, daß man 
ihm, neben dem Honorar für feine Lectionen, 
eben fo viel für ſeine Unterhaltung zahle. 
Doch fehlte es auch nicht an Steinen des 
Anſtoßes für ihn auf dieſer Bahn, Die Bes 
ſchaͤftigung mit talentloſen Schülerinnen war 
ihm ein Graͤuel, und er pflegte von einem 
Hauſe zu erzaͤhlen, daß, wenn er zur geſetz⸗ 
ten Stunde vor deſſen Pforte trete, und 
ſchon im Begriff ſey, die Glocke zu faſſen, 
es ihn krampfhaft packe, und gewaltſam zu⸗ 
ruͤckzſehe indem ihm alle Qualen deutlich 
por die Seele traͤten, die der Unterricht der 
ſtumpfen und geiſtloſen Kiader in dieſer Fa⸗ 
milie ihm verurſache. 


So verſtrich ihm das Jahr 1509. 


Bamberg 1808 1813. 25 


In dem folgenden, 1810, begann fuͤr 
ihn eine neue Thaͤtigkeit. Holbein, ſein alter 


Bekannter aus Glogau ), kam nach Bam⸗ 


berg, um die Leitung des Theaters zu übers 
nehmen. Sein Perſonal, ſowohl fuͤr das 
Schauſpiel, als für die Oper, war vorzuͤglich. 
Es genuͤgt z. B., die Renner, die damals 
noch in ihrer Bluͤthe ſtand, und unter den 
Saͤngern, Bader, jetzt in Berlin, Roͤckel, 
und Madame Koͤhl, zu nennen. Was konnte 
dem neuen Unternehmer erwuͤnſchter ſeyn, als 
einen Gehuͤlfen in den Directions-Geſchaͤften, 
wie Hoffmann, zu finden! Holbein ſelbſt, 
ein ſehr geſchickter Maſchiniſt, unterrichtete 
ihn in den Geheimniſſen dieſer Kunſt prac⸗ 
tiſch, waͤhrend Hoffmann, aus allen Buͤchern, 
die er nur zuſammenbringen konnte, die Theo⸗ 
rie, mit dem Feuereifer, den man an ihm 
ſchon kennt, ſtudirte, und ſo war er bald 
bei der neu organiſirten Bamberger Buͤhne, 
Theater⸗Componiſt, Decorateur und Archi— 
tect “), wobei ihm noch ein großer Theil der 


— 


*) Siehe 2ter Abſchnitt. Th. 1. S. 137. 


% Von der Fülle feiner. Compoſitionen für 
das Theater iſt ſchon geſprochen worden; aber, auch 


26 Achter Abſchnitt. 


Laſt der oͤkonomiſchen Einrichtung, und der 
Leitung in Beziehung auf das Repertoir, zus 
fiel. Doch dies Alles, weit entfernt, ihn zu 
erdruͤcken, gab ihm einen Schwung, wie er 
ihn bis dahin noch nicht genommen. Wirklich 
begann auch, mit Holbein's Erſcheinen, eine 
wahrhaft glaͤnzende Periode fuͤr das Theater 
zu Bamberg. Alle claſſiſche Opern, — 
ders Mozartiſche, ſetzte man in Scene, und 

in dem rezitirenden Schauſpiel wurde bald 
gewagt, wovon man ſich fraue e ee 
etwas traͤumen laſſen. 


Es hatte ſich naͤmlich eine Art bun duk 
verein gebildet, welcher an Hoffmann, dem 
Director Marcus, Profeffor Klein, Profeſſor 
Lichtenthaler, Doctor Weiß, Doctor von 


4 


— 


von feiner Thaͤtigkeit als Architect und Decorateur 
finden ſich in feinem Nachlaß die ſchoͤnſten Spuren 
vor. Uebungen in der Perſpective, um ſich in die⸗ 
ſer ſchweren Kunſt feſtzuſetzen, und ſauber in Far⸗ 
ben ausgeführte Entwürfe zu Decorationen, von 
denen er, hauptſaͤchlich zu Kleiſt's Kaͤchchen von 
Heilbronn, Calderon's Andacht zum Kreuß, zum 
ſtandhaften Prinzen, der Bruͤcke von Mantible u. 
ſ. w., ausgezeichnet ſchoͤne, ausgeführt hat. | 


Bamberg 1808 — 4813. 27 


Erzdorff ⸗Kupfer, Buchhändler, Kunz) 


u. ſ. w., ſehr thaͤtige und einſichtsvolle Mit⸗ 
—— beſaß, und auf das Urtheil des Pu⸗ 
blikums ſehr guͤnſtig einwirkte. Dieſer Ver⸗ 
ein wußte Holbein dazu zu beſtimmen, die 
Calderonſchen Stuͤcke zu einer Zeit auf die 
Buͤhne zu bringen, wo man nur erſt in Wei⸗ 
mar, mit dem ſtandhaften Prinzen, einen 
ſolchen Verſuch aach hatte, 


0 Dad ſehr gebildete Freund aller Kunſt, 
zugleich Wein⸗ und Buchhändler, hat für Hoff 
mann, waͤhrend der Zeit ſeines Aufenthalts zu Bam⸗ 
berg, ungemein viel gethan, und wurde auch Ver⸗ 
leger ſeiner fruͤheſten Geiſteserzeugniſſe, der Fan⸗ 
taſieſtüͤcke in Callot's Manier, die jetzt Brockhaus 
in Leipzig an ſich gekauft hat. 

Hierdurch iſt derſelbe mit dem Contraet, den 
Hoffmann und Kunz uͤber jenes Werk geſchloſſen, 
bekannt geworden „ und hat ſich veranlaßt geſehen, 
denſelben dem Publikum in Nro. 1. des Literar. 
Gonverfations - Blattes für 1823, als einen Beitrag 
zur Characteriſtik Hofmann’ 8, mitzutheilen. 

Da er dies unſtreitig iſt/ und zeigt, wie jener 
auch dem trockenſten Geſchaͤfte eigenthuͤmliches Le⸗ 
ben einzuhauchen verſtand, fo mogen Eingang und 
Schluß des Vertrages hier dem Andenken aufbe⸗ 
wahrt werden. 


28 IT Achter N Abſchnitt- i 
Das neue Beginnen gelang uͤber alle Er⸗ 


. und durch die ausgezeichneten Leis 


ſtungen des vorzuͤglichen Schaufpieler 


und uad Holbein 5 durch 1 n 8 a ieſ au 


Nr es hat fich begeben, daß £ Herr Kunz, nachde ) 
er für die Verbreitung der Literatur auf mehrf he 
Weiſe geſorgt, mit 1958 Ni de jedes Lite 
raͤriſche Geſchaͤft, ſich auch entſchloſſen, e 
lagswerke an's Licht zu ſtellen, a — 
Director Hoffmann, der eigentlich nur Noten fchrei- 
ben ſollte, ſich auch nicht ohne Gluck auf mannig⸗ 
fache Art, in das literariſche Feld gewagt. Beide, 
in Freundſchaft ſtehend, wollen ſich nun, in ihren 
literariſchen Bemühungen, moͤglichſt unterſtüͤtzen, da⸗ 
mit das fernere Gedeihen ihnen Freude bringe, und 
haben die naͤhere Art und Weiſe ihres literariſchen 
Bundes in folgenden Punkten unwiederußich ſeſtge⸗ 
ſtellt. 
(Hier folgen, in 6 Paragraphen, die Befim- 
mungen Über den Verlag der 4 erſten Werke 
Hoffmann's, — der nachmaligen 4 Baͤnde der 
Fantaſieſtuͤcke; — dann der Schluß:; 
In dem feſtiglichen Glauben, daß dem ge⸗ 
ſchloſſenen Bunde Gutes entſprießen werde, haben 
die Contrahenten, in Fröhlichkeit und gutem Willen, 
den Contrakt, ſo wie folgend, durch ihre Namens⸗ 
Unterfchrift, vollzogen und abgefchloffen. So ge⸗ 
ſchehen Bamberg den 1Sten Marz 1813. 
Hoffmann Muſik director. Kunz. 


Bamberg 1808 — 1813. 29 


Hoffmann in neuen Dekorationen, Maſchine⸗ 
rien, Muſikbegleitungen, vorbereitet hatten, ſo 
wie durch die Aufmunterungen des Kunſtver⸗ 
eines, wurde erreicht, daß jene Calderonſche 
Stuͤcke, namentlich die Andacht zum Kreuz, 
oft bei überfülltem Haufe, und mit dem hoͤch⸗ 
ſten Beifall, gegeben werden konnten.“) 

Auch das geſellige Leben Hoffmann's ge⸗ 
ſtaltete ſich, in dieſem Abſchnitte ſeines Bam⸗ 
berger Aufenthalts, auf das Angenehmſte. 
In der Roſe, einem Gaſthauſe, worin das 
Theater, verſammelte ſich jeden Abend, nach 
dem Schauſpiele, ein ſehr intereſſanter Kreis 
vorzuͤglicher Maͤnner, worunter Holbein, Ba⸗ 
der, Brandt, Dittmaier, Bode, u. a. Es wurde 
über Kunſtgegenſtaͤnde geſprochen, man ergoͤtzte 
ſich durch Muſik und Geſang, gab oft Sou⸗ 


) Hoffmann hat von dieſem Erfolge in einem 
kurzen Aufſatze: Ueber die Aufführung der Schau: 
ſpiele des Calderon de la Barca auf dem Theater 
in Bamberg, Rechenſchaft abgelegt. Dieſer iſt zwar 
in den Muſen fuͤr 1812 ſchon einmal abgedruckt, 
aber dort nicht mehr zugaͤnglich, und der Herausge⸗ 
ber hat es darum fuͤr zweckmaͤßig erachtet, ihn, als 
Beilage zu dieſem Abſchnitt, der Vergeßenheit zu 
entreißen. 


30 Aahter Abſchnitt. 


pes, an denen ausgezeichnete Künſtler, z. B. 
die vortreffliche Sängerin Köhl, Theil nah⸗ 
men. Die Seele dieſer Geſellſchaft war abet 
Hoffmann, ſtets uͤberſprudelnd von Geiſt, Witz 
und Laune, Alles erheiternd und belebend. 
Häufig wurden auch Land-Parthien, befon 
nach dem beliebten Luſtort Buch, unternom⸗ 
men: Hoffmann fehlte nirgends, und Buch 
ſah ihn faſt jeden Tag. 

Das folgende Jahr 1811 verſtrich ihm 
auf gleiche Weiſe in kuͤnſtleriſcher Thaͤtigkeit 
aller Art. Was feine äußere Stellung be 
traf, fo war er nunmehr von Holbein, als 
wirklicher Theater⸗Architect, mit 50 Gulden 
monatlichen Gehalts, in Sold genommen und 
dadurch ſeine Lage firirt worden; an voll⸗ 
ſtaͤndigen Compoſitionen lieferte er in dieſen 
Jahre, eine Oper Aurora, vom Grafen von 
Soden, und deſſen Melodrama, Saul; außer⸗ 
dem eine betraͤchtliche Zahl von einzelnen Mu⸗ 
ſikſtuͤcken zu Schauſpielen und Balletten, die 
im Theater gegeben wurden. Ferner entwarf 
er die Cartons zur Ausmahlung eines Thurms, 
in der von dem Director Marcus erkauften, 
bei Bamberg gelegenen, herrlichen Altenburg, 
eine Vorbereitung zu einer Arbeit, die er ſpaͤ⸗ 


Bamberg 1808 — 1813. 31 


terhin mit Liebe ausfuͤhrte. Nichts deſtowe⸗ 
niger war ſeine Lage von manchem Druͤcken⸗ 
den nicht frei. Er konnte, bei ſeinem maͤßi⸗ 
gen Einkommen, und, da ſowohl er, als ſeine 
Frau, oͤfters von Kraͤnklichkeit heimgeſucht 
wurden, es nicht vermeiden, Schulden zu ma⸗ 
chen, und es mochte ihm wohl nichts Er⸗ 
wuͤnſchteres haben begegnen koͤnnen, als daß 
er, am Schluſſe des Jahres, die Nachricht er⸗ 
hielt, daß der in Koͤnigsberg verſtorbene, aus 
dem erſten Abſchnitte wohl bekannte, Onkel 
Otto, der Juſtiz Rath, ihn zum Univerfal-Er; 
ben eingeſetzt, und dieſer Nachricht, auf Ab: 
ſchlag der Erbſchaft, bald ein Wechſel uͤber 
300 Thaler folgte, der ihm die Mittel gab, 
ſich feiner Verbindlichkeiten gegen feine Glaͤu⸗ 
biger zu entledigen. | 
Für die Geſchichte feines Herzens iſt 
aber der März des Jahres 1811 von beſon— 
derer Wichtigkeit. Am Item lernte er in 
Bamberg Marla von Weber kennen, der bis 
an fein Ende fein Freund geblieben iſt, ſpaͤ⸗ 
ter ſeine Undine in der allgemeinen muſikali⸗ 
ſchen Zeitung liebevoll gewuͤrdiget, und mit Hoff⸗ 
mann wohl zuletzt zuſammen getroffen iſt, 
als er, im Jahre 1821, ſeinen Freiſchuͤtz den 


32 Achter Abſchnitt. 


entzuͤckten Berlinern brachte; — am Zoten 
Maͤrz aber beſuchte er Jean a0 Ka 

reuth, der ihn freundlich empfing, und in 
deſſen Gattin er eine alte Bekannte, 7 
Familie feines Oheims in Berlin *) ſeht nah 
geſtanden, wiederfand. g 

Das naͤchſtfolgende Jahr 1812 kündig 
ſich, in Hoffmann's Tagebüchern, als ein ſehr 
buntes an. 

Bald zu Anfange deſſelben, wurde er zu 
einem Feſtmahle bei den Capuzinern geladen, 
wo ihn die Erſcheinung des Priors, eines 
intereßanten Mannes, der lange in Rom 
gelebt, anregte, und er ſich durch die reli⸗ 
gioͤſe Umgebung, — fo ſagt er ER 
PETER „in 


») Siehe den zweiten und 150 e 

Wie Jean Paul, Hoffmann, durch die herrliche 
Vorrede zu den Fantaſieſtücken, dem deutſchen Les 
fepublicum auffuͤhrte, iſt bekannt. Er hat ihn auch 
ſpaͤter nicht aus den Augen verloren, und, was er 
dem Herausgeber, im Herbſt 1822, in Bayreuth, 
über ihn ſagte, war dieſem aus der Seele geſpro⸗ 
chen; bewundern mußte er insbeſondre, wie unendlich 
richtig der wahrhaft große Seher ſich den Men⸗ 
ſchen Hoffmann, den er nur ſo wenig geſehen, aus 
feinen Büchern conſtruirt hatte, 


Bamberg 1808 — 1813. 33 


in eine gemuͤthlich exaltirte Stimmung,” 
verſetzt ſah. Er hat, wie er dem Herausge⸗ 
ber ſpaͤter oft erzählte, die hier erhalt nen 
Eindrücke, in den Elixieren des Teufels, und 
im Kater Murr, bei den Schilderungen aus 
der Kloſterwelt, zum Grunde gelegt. *) 
Nachdem er ferner in dieſem Winter 
viel — getanzt, was, weder früher noch ſpaͤ⸗ 
ter, ſonderlich ſein Fall war, machte er im 
März, über Erlangen, eine Reiſe nach Nuͤrn⸗ 
berg, deren Spuren im Meiſter Martin und 
ſeinen Geſellen ), u. a. a. O. leicht wieder 
zu finden find. 

Auch die Jagd fing an, ihn zu beſchaͤf⸗ 
tigen. Er blieb hier, wie uͤberall, kein Stuͤmper, 
und triumphirend verzeichnet er am 25ten 
Oktober in ſeinem Diarium: „ein Reh ge⸗ 
ſchoſſen, und mich gefreut.“ 

Im Juny zog er fuͤr einige Zeit auf die 
herrliche Altenburg, und das Eremitenleben in 


) Im Tagebuch ſteh't, bei einer ſolchen Veran⸗ 
laſſung: „herrliche, patriarchaliſche Köpfe der Ca⸗ 
puziner. Wanduhr: mors certa, hora incerta, una 
ex his. Fantaſieen; aber auf der Redoute ganz 
aus dieſer Stimmung herausgekommen!“ 


*) Serapions⸗Bruͤder Bd. 2. S. 381. 
C 


34 Aaäahter Abſchnitt. 


dieſer reizenden Umgebung wäre ihm noch ber 
haglicher geweſen, wenn ihn nicht das Aae 
Wetter hinauf verfolgt hätte. 
Im July nahm es mit ſeinem Schickſal 
von neuem eine traurige Wendung. Holbein 
entſagte dem Theater, und dadurch verlor auch 
Hoffmann ſein feſtes Einkommen. Die Erb⸗ 
regulirung in Koͤnigsberg zog ſich in die 
Laͤnge, und es blieb die erwartete Huͤlfe von 
dort aus; die fruͤhere Geldnoth trat bald wie⸗ 
der ein, und ſtieg, Schritt vor Schritt, bis 
auf einen ſo hohen Grad, daß ſich unter'm 
26ten November das betruͤbte Notat findet: „den 
alten Rock verkauft, um nur eſſen zu koͤn⸗ 
nen.“ In all' dieſem Druck, erſcheint die Thaͤ⸗ 
tigkeit Hoffmann's um fo bewundernswürdi⸗ 
ger. Außer der, nicht erhaltenen, Compoſition 
einer Oper, mehrerer Arien, ) Duettinen, eines 
großen Harfenquintetts u. ſ. w., lieferte er 
bedeutende Rezenſionen fuͤr die allgemeine mu⸗ 
ſikaliſchen Zeitung, z. B. von Beethoven's 


) Zwei davon: prendi, l’acciar ti rendo und 
mi lagnerö tacendo, die Duettinen, und das Quin⸗ 
tett, finden ſich im Nachlaß handſchriftlich vor. 


Bamberg 1808 — 1813. 35 


Trio's und Meſſe, der Chasse von Mehul, 
u. ſ. w., ſchrieb im Juni; Johannes Kreis⸗ 
ler's Gedanken uͤber den hohen Werth der 
Muſik, und im September, den Don Juan *), 
uͤbernahm, fuͤr den Verlag von Breitkopf 
und Haͤrtel, die ſchwierige Ueberſetzung einer, 
damals neuen, franzoͤſiſchen Violinſchule, die, 
nach ſeinem Urtheil, neben vielem Guten, 
viel Widerſinniges enthaͤlt, und malte, vor 
allen Dingen, eine Unzahl der heterogenſten 
Gegenſtaͤnde, z. B., einen aͤgyptiſchen Tempel, 
17 Fuß hoch, zur Verzierung des Caſino's, 
bei einer feierlichen Gelegenheit, und mehrere 
Familienbilder, die Kinder ſeiner Freunde 
vorſtellend; die Decorationen zur Entdeckung 
von Amerika, — wahrſcheinlich Klingemann's 
Columbus, — einen Genius der Kunſt, fuͤr 
den Vorhang des Theaters zu Wuͤrzburg; 
einen Saal im Hauſe des Director Marcus, 
u. dergl. mehr. Dieſe letztere Arbeit, ver⸗ 
bunden mit einer Wandzeichnung, auf wel— 
cher ſich alle merkwuͤrdige Figuren Bamberg's 
praͤſentiren, ſo wie der fruͤher erwaͤhnte Thurm 


) Beides in dem erſten Bande der Fantaſieſtuͤcke 
in beiden Ausgaben. 
C 2 


36 Achter Abſchnitt. 


in der Altenburg, in welchem die Geſchichte 
der Gefangennehmung des Grafen Adalbert 
von Babenberg dargeſtellt iſt, und wo man 
ihn ſelbſt unter der Zahl der den Gefangenen 
umgebenden Ritter leicht erkennt, ſind jetzt 
noch wohl erhalten. Auch beſchaͤftigte er ſich 
um dieſe Zeit ernſtlich mit dem Entwurfe zu 
den, mehrmals im Meßkatalog, unter den 
künftig zu erwartenden Schriften, angekün⸗ 
digten, „lichten Stunden eines wahnſinnigen 
Muſikers,“ in welchen er ſeine Anſichten der 
Muſik, vorzuͤglich aber, der inneru Structur 
der Tonſtuͤcke, auszuſprechen beabſichtigte. 
Eben ſo war es in dieſem Jahre, im Julius, 
wo er, auf der Altenburg, von der Idee 
erfaßt wurde, daß in der Fouqusſchen Un⸗ 
dine ein herrlicher Stoff zu einer Oper lie⸗ 
gen muͤſſe. Er ſchrieb deshalb an ſeinen 
Freund Hitzig in Berlin, und forderte deſſen 
Meinung. Dieſer antwortete, vollkommen 
ſeiner Anſicht beipflichtend, und, mit umge⸗ 
hender Poft, erfolgte, mit Hoffmann ' ſcher Haft, 
die Aufforderung: „ſollte ſich denn unter Ih⸗ 
ren gemuͤthvollen poetiſchen Freunden nicht 
einer finden, der zu uͤberreden waͤre, die Be⸗ 
arbeitung der Undine für mich zu uͤberneh⸗ 


A 
ers 
t 


u See Sie Se 


Bamberg 1808 — 1813. 37 
men? Meine Ideen wuͤrde ich ſchriftlich in 


extenso mittheilen, ohne den Dichter im 
mindeſten zu geniren; aber, ich muͤßte nicht 


gar zu lange auf den Text warten duͤrfen. 
In Gedanken componire ich jetzt nichts, wie 


die Undine. Der kraͤftige, wunderbare, war— 


nende Oheim Kuͤhleborn iſt keine uͤble Baß⸗ 
parthie; ſo wie der alte Fiſcher ſich, bei der 


Expoſition, in einer ganz gemuͤthlichen Ro⸗ 


manze vernehmen laͤßt. Sie kennen mich, 
wie ſehr mich eine Idee ergteifen und * 
1 kann.“ 

Hitzig, dem Fouqué ſeit lange als ein 
90805 nahe ſtand, war es leicht, 
dieſen ſelbſt, zur Bearbeitung des Operntextes, 
zu bewegen. Das hatte Hoffmann nicht zu 
erwarten gewagt; ſein Entzuͤcken daruͤber war 
unausſprechlich. „Ihr letzter Brief,“ ſchreibt 


er an den Vermittler, „Ihre Nachrichten von 


Fouqué und Undine, haben mir eine wahr: 
haft kindiſche Freude verurſacht. Zu allen 
meinen Freunden bin ich gelaufen, mit Ih⸗ 
rem Briefe in der Taſche, und in dem edel⸗ 
ſten Rheinwein hat Freund K. mir die Ver⸗ 
einigung mit Fouqué zu einem Kunſtprodukt 
zugetrunken. — Mach' ich keine geſcheute 


38 Achter Abſchnitt. 7 


Compoſition, ſo bin ich ein Eſel, und es ſoll 
forthin nicht mehr von mir die Rede ſeyn 
unter gemüthlichen Menſchen und Freunden. 
— Wie ſehr, wie gar ſehr, habe ich Ihnen, 
mein lieber, theuerſter Freund, fuͤr Ihre Be⸗ 
muͤhungen zu danken; ich fühle es ganz, 
welch’ ſeltenes Gluͤck mir dadurch beſchieden, 
daß ein Dichter, wie Fouqus, fur meine 
Noten arbeitet! — Ich ſchicke Ihnen den 
offnen Brief an ihn, nebſt Opernplan. Ha⸗ 
ben Sie die Güte, ihm, (dem ꝛc. Fouqué 
nämlich, nicht dem Opernplan,) zu inſinuiren, 
daß vorzüglich gedraͤngte Kürze bei Opernſu⸗ 
jets noͤthig ſey; ich habe nichts ſagen mögen, 
um nicht anmaßend zu ſcheinen. Seine Verſe 
find übrigens fo muſikaliſch, daß ich nicht 
die mindeſte Sorge fuͤr's Componiren trage; 
hat er Bedenken Ruͤckſichts der Terzette, 
Quartette ꝛc., fo iſt jedes Schikanederſche 
Opernbuch zum Orientiren am beſten, weil 
gerade dieſer homuncio das für den Compo⸗ 
niſten Vortheilhafte in der Form am beſten 
weg hat.“ un 
Im October fandte ihm der Dichter die 
orſten Proben feiner Arbeit. Wie zufrieden 
Hoffmann damit wat, geh't aus einem Briefe 


Bamberg 1808 — 1813. 39 


an Hitzig hervor ). „Das Fouqué, meinem 
Plane entgegen, mit einem Terzett anfaͤngt, 
iſt mir darum ganz recht, weil es ſo kurz 
und rund gehalten iſt, daß es der groͤßern 
muſikaliſchen Maſſe, die ſich mit dem An⸗ 
fange des Unwetters bildet, keinen Abbruch 
thut; dagegen iſt es mir, wie Sie wohl den⸗ 
ken koͤnnen, auf eine uͤberraſchende Art an⸗ 
genehm geweſen, Fouqué's Verſe fo ganz 
zur Compoſition geeignet, ſo ganz ſich in 
die Formen der Muſik ſchmiegend, zu finden. 
So wie ich das Terzett las, habe ich es ge⸗ 
ſungen und geſetzt.“ 

Im November ging das vollſtaͤndige 
Manuſcript zur Oper Undine in Bamberg 
ein. „Die Undine erhalten,” ſchreibt Hoff: 
mann, unterm 14ten, in ſein Tagebuch, — 


) Der Herausgeber hat ſich zur Aufnahme 
dieſer Stellen veranlaßt geſehen, weil gerade der 
Anfang der Oper mit einem Terzett, am meiſten 
getadelt worden iſt, und man auch, bei deren naͤch⸗ 
ſtens zu erwartenden, Wiederbelebung auf der Ber⸗ 
liner Buͤhne, ſo viel ihm bekannt, 1 eine Ab⸗ 
änderung getroffen hat. 


40 Achter Abſchnitt. 


„böchft vortreffliches Meiſterwerk; fie den 
Freunden vorgeleſen; hoͤchſt elle Stim⸗ 
mung !!“ 

Leider hielt dieſe, in der geatbehm aͤu⸗ 
ßern Lage, in welcher er ſich damals befand, 
nicht vor. In der Sylveſter-Nacht macht 
er den traurigen Vermerk: „ekel, ſchaal und 
oberflächlich.” 

So ſchleppte es ſich in das naͤchſtfol⸗ 

gende Jahr hinuͤber. 

Der erſte Januar 1813 belangt mit Dem 
Ausruf: „unter den ſchlechteſten Auſpicien, 
im hoͤchſten Druck der Umſtaͤnde, iſt das 
neue Jahr angegangen; — wie wird das 
werden!“ f 

Bald aber wird die Luft bene Hoff⸗ 
mann moͤge mit eigenen Worten berichten. 


„ten Januar. Seit lange der erſte 
frohe Tag; naͤmlich 36 Rthl. Honorar aus 
Leipzig erhalten.“ 

„loten Februar. Neue Anregung durch 
den Titus, deſſen Auffuͤhrung ich beige⸗ 
wohnt. Chöre. Selbſtgefuͤhl: anch“ io son 
pittore!” 


Bamberg 1808 — 1813. 41 


„Iten Februar. Mit Gluck am sen 
ganza ) gearbeitet.“ * 


eee Februar. Endlich ganz unerwar⸗ 


tet aus Koͤnigsberg 485 Mehl, ſaͤchſi ſch be⸗ 


kommen. Aller Kummer ein Ende. Abends 
auf dem Maskenball als due in dem 
Zuge des Don Juan“. 

„27ſten Februar. Ganz unerwartet Brief 
von Leipzig erhalten, worin mir Joſeph Se⸗ 
conda die Muſi Kanu Stelle in Ores⸗ 
den anbietet ). | 

„täten März. Brief aus Leipzig von 
Rochlitz, der meinen Entſchluß, Muſik⸗Di⸗ 
rector bei Seconda zu werden, beſtimmt “ 

„Ilten Maͤrz. Den Brief erhalten, der 
meine Anſtellung bei 3 rn - 


Große u 8 


7 Nachricht von bi neueſten Schickſalen des 
Hundes n Fantaſieſtuͤcke Bd. 1., in der 
zweiten; Bd. 2. in der erſten Ausgabe. 


RR Nach dem mehrerwaͤhnten Auffatze von 
Rochlitz in der allgemeinen muſi kaliſchen Zeitung, 
hatten Hoffmann's Bekannte in Leipzig es wohl⸗ 
wollend eingeleitet, daß Seconda's Wahl auf ihn 
fiel, und, Statt feiner, einen betraͤchtlichern Ge⸗ 
halt unterhandelt, als er ſelbſt verlangte. 


42 Achter Abſchnitt. 


Nur bis zum 21ſten April blieb er noch 
in Bee alten Berhältniffen; an Tage 
mn er Bamberg. 

Wirft man nun einen Rückblie RR ſeiu 
Men Leben, deſſen äußere Umriſſe bisher 
gegeben worden, ſo wird manches in der 
Eutſtehungsgeſchichte ſeiner erſten ſchriftſtelle⸗ 
riſchen Verſuche deutlich; zur vollen Klarheit 
gelangt man jedoch daruͤber nur, wenn man 
eine heftige Gemuͤths⸗-Anregung, die er, in 
den letzten Jahren ſeines Bamberger Aufent⸗ 
halts, dort gefunden, naͤher in's Auge faßt. 
Dies war eine, ob wahre, ob eingebil⸗ 
bildete, — wer ſollte dies zu entſcheiden wa⸗ 
gen, da er es ſelbſt nicht vermochte, — un⸗ 
widerſtehliche, Leidenſchaft fuͤr eine ſeiner 
Schuͤlerinnen im Geſange, die er in ſeinem 
Aufſatze, ombra adorata, in dem Berganza, 
und an mehreren Orten, als Caͤzilie u. ſ. w.), ſich 
zu verherrlichen bemuͤht hat. Das intereſſante 
Maͤdchen wurde einem, ihrer durchaus un⸗ 
würdigen, Gatten zu Theil, und dies, indem 
es ſeine Neigung mit Eiferſucht, — bei ſei⸗ 


) Siehe Kriterien und Berganza. dane, 
taſieſtücke, a. d. a. O. 


re 
8 


Bamberg 1808 — 1813. 43 


nem Character ein doppelt freſſendes Gift, 
— verſetzte, fachte die Glut in ſeinem In⸗ 
nern zu einer wahren Hoͤlle an. Seine Ta⸗ 
gebuͤcher ſind voll der extravaganteſten Selbſt⸗ 
anſchauungen und Selbſtquaͤlereien aus die⸗ 
ſer Zeit; vorzuͤglich ſchien er, in manchen 


Augenblicken, ſich ſelbſt voͤllig objectiv ge⸗ 


worden, das Laͤcherliche tief zu fühlen, wel⸗ 
ches in dem Contraſte ſeiner ganzen Erſchei⸗ 
nung, mit der Rolle eines unerhoͤrt ſchmach⸗ 
tenden Anbeters einer Schoͤnheit im erſten 
jugendlichen Alter, liegen mußte. Faſt alle 
ſeine Notaten aus dieſer Periode beweiſen, 
wie ſchwer er an dem Joche trug, welches 
ihm eine, ihm ſonſt ſo verhaßte, Sentimen⸗ 
talität auflegte; z. B.: „ſehr komiſche Stim⸗ 
mung; Ironie, uͤber mich ſelbſt, ungefaͤhr, 
wie im Shakeſpear, wo die Menſchen um 
ihr offenes Grab tanzen.“ — „Am Aiten 
März, Punkt 84 Uhr, war ich ein Eſel;“ — 
ganz ſchrecklich geſtimmt, weil ich mich zu 
überzeugen glaubte, daß ich am 21ſten, 26ſten, 
28ſten, 30ſten, 31ſten und 1ſten ein großer 
Affe gewefen;” — „ich fühle mich kindiſch 
und eſelhaft, und das von Rechts wegen; 
— „goͤttliche Ironie, herrliches Mittel, Ber: 


44 Achter Abfchnirt, 


ruͤcktheit zu bemaͤnteln und zu vertreiben, 
fiehe mir bei! Jetzt wird es Zeit, in litteris 
zu arbeiten!“ — „Abends mich mit Muͤhe 
heraufgeſchraubt durch Wein und Punſch; es 
iſt merkwuͤrdig, daß beſtaͤndig ſich K. und 
Muſik im Kopfe drehen.“ — „Wenn ich mich 
ſelbſt fantasmatiſire, fo hat Niemand was 
drein zu reden.“ — „Innerer Wurmfraß 
u. ſ. w. — „Exaltirte Stimmung — Ahn⸗ 
dungen ſeltſamer Ereigniſſe, die dem Leben 
eine Richtung geben, oder — es enden. In⸗ 
eruſtirter Gedanke, — eine Piſtole.“ (dieſe iſt 
dabei gezeichnet). — Ich habe Urſache, mit 
mir zufrieden zu ſeyn, indem ich planmäßig, 
mit Ueberlegung, gegen eine Stimmung an⸗ 
kaͤmpfe, die nichts als aan n, 
foren kann, u. ſ. w.“ K 
Ob dies nun Alles fo tief e oder 
uicht, daruͤber moͤge dem Urtheil der Leſer 
nicht vorgegriffen werden; die Acten, aus 
denen ſie es zu ſprechen haben, urn SAlgemde 
Selten des Diariunne. LITE 
Am Berlobungstage: Di „in ar € 


5 Dieſe Bemerkungen, ſtehen im Tagebuch, 
in italienischer Sprache, wörtlich fe, wie fi hier 
mitgetheilt werden. 


Bamberg 1808 — 1813. 45 


fatto! Ella & diventata la spoca di questo 
maledetto M., e mi pare, che tutta la 
mia vita musicale e poetica ésmorzata; bi- 
uomo, com’ io credoessere; questo era 
un giorno del diavolo!” ) 1 
Am naͤchſtfolgenden Tage. „Mit den 
Verlobten geweſen. Heitere Stimmung. E 
gia passato, ed’ io credo, che Fimmagina- 
zione fece molto.” **) | 
Am dritten Tage. „Herrlicher Brief von 
Hitzig. Fouqus ſelbſt bearbeitet Undine. 
Künftlerifchzeraltirte Stimmung” 
Am vierten Tage. Mit den Verlobten. 
„Die Stimmung iſt in ein decrescendo über? 
gegangen, und ich ſehe ein, daß ein großes 
Fantasma mich taͤuſchte.“ 
Vier Monate nachher. „—'s Hochzeits⸗ 
tag. Mittags⸗Monats⸗Diner in der Roſe; 
ſich bechampagnert un poco mit H. — 
) Es iſt geſchehen. Sie iſt die Braut des ver⸗ 
wuͤnſchten — geworden, und dadurch ſcheint mir 
mein ganzes muſikaliſches und poetiſches Leben aus⸗ 


elöͤſcht. Jetzt koͤmmt es darauf an, einen Ent- 
ſchluß zu faſſen, würdig eines Menſchen, wie ich 


einer zu ſeyn glaube. Das war ein teufliſcher Tag! 


Es iſt ſchon voruͤber, und ich glaube, die 
Einbildung hat viel gethan. . 0 9 “ 


46 Achter Abſchnitt. 


Abends in der Roſe geblieben; ma senza 
exaltazione! Die alberne Periode in Ruͤck⸗ 
ſicht — s iſt ganz vorüber.” 

Acht Jahre nachher ). — an 
hat von der graͤnzenlos ungluͤcklichen, damals 
in der Auflöfung begriffenen, Ehe —'s ge: 
hoͤrt, und ſchreibt an einen Freund, der Hoff⸗ 
nung hatte, ſie zu ſehen: „ſagen Sie ihr in 
einem Augenblick des heitern Sonnenſchein's, 
daß ihr Andenken in mir lebt; darf man 
das naͤmlich nur Andenken nennen, wovon 

das Innere erfüllt iſt, was, im geheimnißvol⸗ 
len Regen des hoͤher'n Geiſtes, uns die ſchoͤ⸗ 
nen Traͤume bringt von dem Entzuͤcken, dem 
Gluͤck, das keine Arme von Fleiſch und Bein 
zu erfaſſen, feſtzuhalten, vermögen. Sagen 
Sie ihr, daß das Engelsbild aller Herzens⸗ 
guͤte, aller Himmelsanmuth wahrhaft weibli⸗ 
chen Sinn's, kindlicher Tugend, das mir auf⸗ 
ſtrahlte in jener Ungluͤckszeit acherontiſcher 
Finſterniß, mich nicht verlaſſen kann, bei'm 
letzten Hauch der Lebens; ja, daß dann erſt 
die entfaltete Pſyche jenes Weſen, das ihre 
Sehnſucht war, ihre Hoffnung und ihr Troſt, 
recht erſchauen wird im wahrhaftigen Seyn!” 


) Zwei Jahre vor feinem Tode. 


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Ueber die Aufführung der Schauſpiele 
des Calderon de la Barca auf dem 
Theater in Bamberg. 


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Als die Schaufpiele des Calderon de In Barca 
durch die meiſterhafte Schlegelfche Ueberſetzung 
in Deutſchland bekannter wurden, erregten ſie eine 
nicht geringe Senſation, wiewohl in ihre tiefe Ro⸗ 
mantik nur die wenigen eingehen konnten, welche 
mit wahrhaft poetiſchem Gemuͤth ſich zu der un⸗ 
ſichtbaren Kirche bekennen, die mit goͤttlicher Ge⸗ 
walt gegen das Gemeine, wie gegen den Erbfeind, 
kaͤmpft und die triumphirende ſeyn und bleiben 
wird. Die mehrſten und vorzuͤglich die Anhaͤnger 
des jetzt herrſchenden Buͤhnengeſchmacks, konnten 
zwar den gewaltigen Geiſt, der in den Calderonſchen 
Schauſpielen mit grauenerregendem Contraſt ſich 
ihrer Kleinlichkeit entgegenſtellte, nicht weg demon⸗ 
ſtriren, betrachteten fie aber als eine Rarität aus 
D 


50 Achter Abſchnitt. 


der Zeit, wo, nach ihren Begriffen, die Schauſpiel⸗ 
kunſt noch in der Wiege lag, und, um ſo weniger iſt 
es zu bewundern, daß kein Buͤhnendirektor die Be⸗ 
reicherung des Repertoirs durch Schlegels Meifter- 
werk auch nur ahndete. — Die Weimarer Bühne, 
die ſchon ſeit geraumer Zeit es ſich recht ernſtlich 
angelegen ſeyn laͤßt, unſer Theater aus der tiefen 
Erniedrigung, in die es verſunken, zu erheben, und 
ſchon oft die Möglichkeit und Wirkung irgend 
einer ſcheinbar ganz außer der Sphaͤre unſer's 
Theaters liegenden Produktion, den in Sinn und 
Geiſt beengten Directoren größerer Bühnen praf- 
tiſch bewieſen hat, gab bekanntlich zuerſt den ſtand⸗ 
baften Prinzen mit Beifall, und, nicht lange dar⸗ 
auf, wagte es die noch kleinere Buͤhne in Bam⸗ 
berg mit der Andacht zum Kreuz, und dann auch 
mit dem ſtandhaften Prinzen und der Bruͤcke 
von Mantible hervorzutreten. Unter kenntnißrei⸗ 
chen gemuͤthvollen Freunden des Theaters in Bam 
berg, wurde, als die Auffuͤhrung der Calderon 
ſchen Schauſpiele im Werke war, lange die Frage 
debattirt: ob man wohl auf ihre Einwirkung auf 
das Publikum rechnen koͤnne, und welches von 
jenen Schauſpielen am mehrſten dazu geeignet 
fei. Gerade die Andacht zum Kreuz, welche be⸗ 
ſtimmt war, zuerſt auf die Bühne gebracht zu 


Bamberg 1808 — 1813. 51 


werden, erregte den groͤßten Zweifel, und gerade 
dieſes ſprach in der Folge das große Pnblikum, 
von dem doch bei dem urtheil über Theatereffekt 
nur die Rede iſt, am mehrſten an. — Ein Pu⸗ 
blikum, das Schauſpiele, wie die des Calderon, in 
ihrer vollen Schoͤnheit und Staͤrke auffaßt, das 
in das Ganze und Einzelne tief eingeht, durfte 
wohl nicht fo leicht gefunden werden, indeſſen 
möchte doch eins vor dem andern faͤhiger und wil⸗ 
liger ſeyn, die Idee, die Tendenz des Stuͤcks zu bes 
greifen, und ſich von der Gewalt der Sprache, 
von dem Fluge der kuͤhnen, phantaſtiſchen Bilder 
fortreißen zu laſſen; und eben dieſe größere Faͤhig⸗ 
keit, vorzüglich aber den beſſern Willen, glaubte 
man bei dem Bamberger Publikum vorausſetzen zu 
konnen, weil es nicht verbildet, von dem theatra⸗ 
liſchen Genuß noch nicht uͤberſaͤttigt, und, — ka⸗ 
tholiſch fromu iſt. Eben dieſes letztere, der in 
Bamberg herrſchende Katholizism, war die urſache, 
daß die Gallerie, eben ſo gut wie Logen und Par⸗ 
terre, gleich bei der Expoſition, vorzuͤglich nach der 
Herz und Gemuͤth gewaltſam ergreifenden Erzaͤh⸗ 
lung des Euſebio von den Wundern des Kreuzes, 
die der Andacht zum Kreuz zum Grunde liegende 
aͤchtkatholiſche Idee verſtand, und mit ſteigendem 
Intereſſe den Faden des Stuͤcks lich entwickeln ſah⸗ 
D 2 


52 Aaäahter Abſchnitt. 


Unter dem Kreuze wurden Eufeblo und Julie ge 
boren, das Kreuz fleh'te die Mutter in der angſtvol⸗ 
len Stunde der Geburt um Huͤlfe an, und ſichtbar 
empfingen ſie das Zeichen der Gnade in der Geſtalt 
des blutrothen Kreuzes auf der Bruſt. Nun war 
das Leben mit feinen feindſeeligen Verwicklungen 
nur der finſtere Weg zu der Sonnenhelle, die ihnen 
entgegen leuchtete. Vergebens kaͤmpfte der Feind 
und ſtuͤrzte fie uͤberall in Noth und Gefahr; dem 
Kreuze blieben ſie treu und ihre Verklaͤrung aus 
allem Tod und Leiden war der Sieg, der Triumph 
des Kreuzes. Iſt dieſe Idee des Stuͤcks verſtanden, 
ſo tritt auch dem großen Publikum ſeine Einheit, 
fein innerer Zufammenhang, und fein hohes hiſtori⸗ 
ſches Intereſſe, lebhaft hervor, und es behauptet 
auch in dieſer Hinſicht feinen, uber fo manches mo- 
derne Machwerk, das vor lauter Effekt effektlos 
wird, fo hoch erhabenen Rang. Um den Schau⸗ 
ſpiel einen deſto gewißeren Eingang zu verſchaffen, 
mußte für aͤußern Schmuck geſorgt werden, der je⸗ 
ner Idee, in der ſich das ganze Stuͤck konzentrirt / 
nicht allein angemeſſen ſeyn, ſondern dieſelbe auch 
noch mehr berausheben folte. Wie beſchraͤnkt kleine 
Theater ſind, wo der Platz und das Geld ſo zu 
Mathe gehalten werden muß, weiß wohl jeder Ken⸗ 
ner der Bühne, indeſſen erreicht das Anſtaͤndige, 


Bamberg 1808 — 1813. 53 


wodurch jede Stoͤrung der Illuſion vermieden wird, 
und manche ſinnige Einrichtung, oft mehr den Zweck 
der theatraliſchen Erhebung und Taͤuſchung bei dem 
Zuſchauer, als praͤchtige Dekorationen und Maſchi⸗ 
nerien, die nicht am Orte ſtehen, oder der Tendenz 
des Stuͤck's nicht entſprechen. — Auf jene Weiſe 
wurde der Tod des Euſebio, ſeine Beichte und Ab⸗ 
ſolution, ſo wie ſeine und Julia's Verklaͤrung, dem 
Zuſchauer durch folgende Einrichtung verſinnlicht. 
Euſebio erſcheint in der rauhen felſigten Gegend, 
zu deren Muſter dem Dekorateur eine Partie aus 
der Sierra Morena gedient hatte, von den Land⸗ 
leuten verfolgt, auf der Spitze eines Felſen, der im 
Mittelgrunde des Theaters angebracht, beinahe deſ⸗ 
ſen Hoͤhe erreichte, und ſtuͤrzt hinab. Die Land⸗ 
leute finden den zerſchmetterten Leichnam, und be⸗ 
graben ihn unter dichten Zweigen, aus denen das 
dumpfe angſtvolle: „Alberto!“ hervortoͤnt. — Als 
Alberto die Zweige weggenommen, richtete ſich mit⸗ 
telſt einer durchaus nicht bemerkbaren Maſchinerie 
Euſebio langſam in die Hbhe, und ſank eben ſo, 
nachdem er die Abſolution erhalten, in ſein Gvab 
zuruͤck. Die Wirkung dieſer einfachen Idee war, 
nach der tiefen Todtenſtille, die jedesmal im Thea⸗ 
ter bei dieſer uͤbrigens ſtummen Szene herrſchte, 
zu berechnen. — Als Julia zuletzt das Kreuz, wel⸗ 


54 Achter Abſchnitt. 


ches in dem Hintergrunde des Theaters angebracht 
war, umfaßte, verſchwand ihr maͤnnlicher Anzug, 
und man fahr fie in Nonnentracht an dem Kreuze 
Enicen, das ſich mit ihr in die Lüfte erhob. Die 
Wolken theilten ſich, und wie in einer Strahlen⸗ 
glorie erſchien Euſebio mit ſehnſuchtsvoll nach Ju⸗ 
lig ausgeſtreckten Armen. um fg zweckmaͤßiger und 
fo wirkungsvoller war dieſe im Schauſpiel nicht 
angedeutete Einrichtung, als der eigentliche Schluß 
deſſelben, nehmlich Euſebio's und Julig's Verklaͤ⸗ 
rung als ein Mirakel ſinnlich dargeſtellt wurde, 
und es ganz in dem Geiſt des Katholizism liegt, 
die Sinne bei der ſymboliſchen Darſtellung des Ue⸗ 
berſinnlichen in Anſpruch zu nehmen. — Merk⸗ 
wuͤrdig war es gewiß, wie der Ruf von dem hei⸗ 
ligen Schauſpiel ſich nach jeder Aufführung mehr 
verbreitete, und ein Publikum in das Theater zog, 
das man ſonſt nie darin geſehen hatte. Alte Bür- 
ger mit ihren Frauen, die es ſonſt für fündlich ge⸗ 
achtet haͤtten, das Theater zu beſuchen, entſchloſſen 
ſich, bineinzugehen, wobei ſie nicht vergaßen, den 
Roſenkranz mitzunehmen, und mehrere Baͤnke des 
Parterr's waren oft mit Geiſtlichen beſetzt. Ueber⸗ 
haupt fand bei jeder Aufführung eine ſichtbare Ruͤh⸗ 
rung und Erhebung ſtatt, und, um ſo mehr iſt dies 
nur dem Schauſpiel, und nicht vielleicht der glanz⸗ 


Bamberg 1808 — 1813. 55 


vollen Darſtellung der Schauſpieler zuzuſchreiben, 
als, außer dem Euſebio, der trefflich ausgefuͤhrt 
wurde, die übrigen Parthieen, vorzuͤglich der Gil, 
gar viel zu wünfchen übrig ließen. Kurz, die An⸗ 
dacht zum Kreuz erregte eine wahre Andacht, und 
dies moͤchte zur Zeit wohl eine ſeltene Erſcheinung 
im Theater ſeyn. Unter den neuen ſogenannten 
gangbaren Stuͤcken, findet dieſes Schauſpiel gar 
keinen Maaßſtab, nach dem es gemeſſen werden 
konnte: die Perſonen find nicht mit Stand und 
Charakter individualifirt, und erhalten dadurch eine 
gewiſſe Allgemeinheit; um ſo weniger wird aber 
der Zuſchauer zerſtreut, und von der Haupttendenz 
zur Betrachtung des Einzelnen hingezogen. Dar⸗ 
in mag es eben liegen, daß die Tendenz des ſtand⸗ 
haften Prinzen nicht ſo allgemein, nicht ſo klar, 
von dem großen Publikum aufgefaßt wurde. Hier 
erſcheinen Fuͤrſten, Koͤnige ꝛc.; — der Zuſchauer (es 
iſt immer von der Maſſe des Publikums die Re⸗ 
de,) denkt an ein Ritterſtuͤck, und ſein Urtheil iſt 
befangen. Manche fanden es fuͤr einen Prinzen 
und Helden wie Don Fernando, nicht anſtaͤndig, ſich 
ſo tief vor dem Koͤnige zu erniedrigen, und bewie⸗ 
ſen dadurch, daß ſie die Idee des Stuͤcks, das 
Maͤrtyrerthum Don Fernando's, der, ſtandhaft im 
Glauben jede Schmach erduldet, nicht aufgefaßt 


56 Achter Abfchmicts 


hatten. Uebrigens fand indeſſen auch dieſes Schau⸗ 
ſpiel bei dem Publikum den beſten Eingang, und 
wurde mehrmals bei beſetztem Hauſe wiederholt. 
Dekorationen und Mafchinerieen, die im Stuͤcke 
nicht vorgeſchrieben, aber im Geiſt des Ganzen an⸗ 
geordnet waren, dienten den Zuſchauer zum beſſern 
Verſtaͤndniß, denn auch hier wurde Don Fernando's 
Verklaͤrung ſinnlich dargeſtellt. Dem Sarg ent⸗ 
ſchwebte, ſo bald er, von den Mauern von Tanger 
herabgelaſſen, ſich in den Händen der Chriſten be⸗ 
findet, Fernando's Luftgeſtalt: gleich darauf roͤthet 
ſich der Himmel, und man ſieh't die Geſtalt des auf 
Wolken thronenden Chriſtus, vor dem Fernando 
Inieet. Dieſe Erſcheinung war ganz luftig und 
durchſichtig, fo daß man die Gegenſtaͤnde hinter ihr 
(Mauern, Thuͤrme sc. von Tanger,) wie im Nebel, 
gewahr wurde, und ſo ſchien das Ganze nur der 
Reflex eines himmliſchen Schauſpiels, das die Moh⸗ 
ren zu Boden ſchlug, von den Chriſten aber in knie⸗ 
ender Anbetung betrachtet wurde. So wie bei Ju⸗ 
lia's Emporſteigen mit dem Kreuze, ertoͤnten auch 
hier feierliche Akkorde aus weiter Ferne. Weniger 
intereſſirte die Bruͤcke von Mantible, und das wohl 
aus dem Grunde, weil der Geiſt der Chevalerie, 
den dieſes Schauſpiel athmet, dem großen Publi⸗ 
kum ganz entfremdet iſt. Unſere Buͤhnenritter, die 


Bamberg 1808 — 1813. 57 
ſich gar unziemlich gebehrden, find wohl nichts we⸗ 


niger als jene romantiſche Chevaliers, die ſich fo 


keck und muthig in Liebe und Krieg bewegen, und 
der Ritterzug Kaiſer Karls gegen den prahlenden 
Mohren Fierabras, der gruͤne Fluß, die magiſche 


Bruͤcke, alles kommt dem Zuſchauer vor, wie es 


wirklich iſt, nemlich — ſpaniſch. Dieſes herrliche 
romantiſche Schauſpiel, mit ſeinen Maſchinen und 
Dekorationen, erfordert ein großes Theater, aber 
hier duͤrfte es ſeinen Effekt nicht verfehlen. Selbſt 
auf der kleineren Buͤhne in Bamberg, wirkte, un⸗ 
erachtet des beſchraͤnkten Raumes, die entſtehende 


und verſchwindende Bruͤcke, die Erſcheinung des 


rieſenhaften Fierabras in dem Kaſtell, das auf dem 
ungeheuern Kopf eines bronzenen Zwerges aus dem 
Waſſer hervorragt, und den Schluß der Bruͤcke 
macht, impoſant, und duͤrfte im Großen nachge⸗ 
ahmt zu werden verdienen. 

Die Bahn iſt nun einmal gebrochen, und es 
waͤre ein verſtocktes Beharren bei dem gewoͤhnlichen 
Theaterſchlendrian, wenn mehrere Buͤhnen ſich nicht 
entſchließen ſollten, den in Bamberg mitgl uͤcklichem 
Erfolg gemachten Verſuch zu wiederholen. Jedes 
kleinere Theater, dem auch nicht außerordentliche 
Kraͤfte zu Gebote ſteh'n, wird die Andacht zum Kreuz 
mit Gluͤck ausfuͤhren koͤnnen, ſo bald es nur dahin 


58 Achter Abſchnitt. 


gebracht wird, daß die Schauſpieler ihre Rollen 
nicht converſationsmaͤßig, ſondern mit Verſtand, 
Gemuͤth, und Beachtung des rythmiſchen Verhalt's, 
ſprechen; daß die ganze Darſtellung ineinander greift, 
und daß der dufere Schmuck des Stuͤcks anſtaͤndig 
und ſinnig angeordnet iſt. Der ſtandhafte Prinz 
iſt fuͤr das Perſonal offenbar eine ſchwerere Aufgabe, 
und die Bruͤcke von Mantible erfordert ein Publi⸗ 
kum, dem die hohere Ausbildung, die Aneignung 
des romantiſchen Geſchmacks, ein Auffaſſen des 
Geiſtes der Chevalerie das erſetzt, was, bei den 
fruͤher genannten Schauſpielen, in einem katholi⸗ 
ſchen Publikum, ſchon die Erziehung und der Glau⸗ 
be von ſelbſt hervorbringt. Eben deshalb duͤrfte 
ſich die Brucke von Mantible für das Theater ei⸗ 
ner großen Stadt eignen, welches, ſtatt mancher 
ſinnloſen Mißgeburt, fuͤr die Neugierde des Volks 
erfunden, dieſes geniale Meiſterwerk als Spekta⸗ 
kelſtuͤck geben, und fo den Kenner und das Volk 
befriedigen, und ſich um die Verbeſſerung des Buͤh⸗ 
nengeſchmacks verdient machen konnte. In Bam⸗ 
berg wurde bei dem Schluß des Schauſpiels, nach 
der Beſiegung des Fierabras, die durch hölliſche Kuͤn⸗ 
fie gebau'te Brucke geſprengt, und dies iſt nachzu⸗ 
ahmen, denn mancher geh't vielleicht bloß dieſer Ex⸗ 
ploſion zu Ehren in das Theater, und bekommt ne⸗ 


— 


Bamberg 1808 — 1813. 59 


benher Dinge zu hoͤren und zu ſehen, die ihn am 
Ende anſprechen und erfreuen, ſo wie manche gei⸗ 
ſtig Erſtarrte, bei fortdauernder ſchoͤner Muſik, aus 
ihrer Erſtarrung erwachen. 


er — = 


Randbemerkungen 
aus den Tagebüchern für 1809 und 1810, 


1809. 

Sonderbarer Einfall auf dem Ball vom böten. 
Ich denke mir mein Ich durch ein Vervielfaͤltigungs⸗ 
Glas; — alle Geſtalten, die ſich um mich herum 
bewegen, ſind Ich's, und ich aͤrgere mich uͤber ihr 
Thun und Laßen x. ꝛc. ꝛc. ; 


— u 


1809. 
Merkwuͤrdige Arten des Wahnſinns. 

1. Ein wahnſinniger Menſch ſaß Tag und 
Nacht am Hauſe meines Schwiegervaters, und 
klopfte mit einem Stein auf den andern, — nichts 
konnte dies Geſchaͤft unterbrechen, — der dumpfe 
Ton, den dies Klopfen in der Nacht verurſachte, 
hatte etwas ſchauerliches, ſchreckbares. 

2. Ein wahnſinniger Menſch in Poſen bil⸗ 
dete ſich ein, er ſey die Sonne. — Auf dem Ge 
länder der Fontaine auf dem Markte ſtand er, und 


60 Acahter Abſchnitt 


ſchien. Er machte ſich oft den Spaß, die Leute 
zu blenden, und wenn manche, die feinen Wahn⸗ 
ſinn kannten, fo thaten, als träfen fie wirklich 
Sonnenſtrahlen, ſo laͤchelte er zufrieden, und wand⸗ 
te ſich nach einer andern Seite. Oft bildete er 
ſich des Nachts ein, er ſey der Mond, und ſchien 
eben ſo, als am Tage als Sonne. f 


Es müßte ſpaßhaft ſeyn, Anekdoten zu erfinden, 
und ihnen den Anſtrich boͤchſter Authentizität, durch 
Citaten u. ſ. w., zu geben, die, durch Zuſammenſtel⸗ 
lung von Perſonen, die Jahrhunderte aus einander 
lebten, oder ganz heterogener Vorfälle gleich ſich 
als erlogen ausweiſen; — denn mehrere wurden 
übertölpelt werden, und wenigſtens einige Augen⸗ 
blicke an die Wahrheit glauben. — Gaͤbe man ih⸗ 
nen einen Stachel, deſto beßer, z. B. eine, (oh⸗ 
ne Stachel,) waͤre folgende. 

Als Friedrich, der große König, * dem Ab⸗ 
ſchluß des Hubertsburger Friedens, nach Potsdam 
zuruͤckgekehrt war, bemerkte er, aus den Fenſtern 
des Schloſſes, einen zerlumpten Jungen, der auf 
ein Stuͤck Schiefer aͤmſig ſchrieb, und dann das 
geſchriebene, mit lauter Stimme und lebhafter Ge⸗ 
ſtikulation, deklamirte. — Er ſchickte ſeinen Leib⸗ 


Bamberg 1808 — 1813. 61 


pagen hinunter, der dem Koͤnige die Schiefertafel 
hinaufbrachte, — weinend und ſchreiend lief ihm 
der Bube bis in's Zimmer des Koͤnigs nach. Der 
König las zu feinem Erſtaunen wohl geordnete 
poetiſche Verſe, und es fand ſich, daß der Bube 
ein Kuͤchenjunge des ſpaniſchen Geſandten war. 
Von Stunde an, ſchickte der Koͤnig den Jungen 
nach Berlin in's Joachimthalſche Gymnaſium, wo er 


auf Königliche Koſten Unterricht erhielt, dann auf 


der Univerſitaͤt Halle ſtudirte, und endlich ſchon in 
feinem zwanzigſten Jahre Juſtiz⸗Buͤrgermeiſter in 


Stargard in Pommern wurde, und ſich die Lie⸗ 


be ſeiner Mitbuͤrger, ſo wie das Vertrauen des 
ihm vorgeſetzten Collegiums, erwarb. Seiner Amts⸗ 
geſchaͤfte ohnerachtet, ſetzte er doch das Studium 
der Dichtkunſt fort, und vorzuͤglich beſchaͤftigte er 
ſich mit der Ausarbeitung von Theaterſtuͤcken, die 
auch von der Doͤbbelinſchen Geſellſchaft, mit Bei⸗ 
fall des Publikums, aufgefuͤhrt wurde. Ein Ver⸗ 


wandter in Madrid ſtarb, und hinterließ ihm fein 


Vermoͤgen, und, nachdem er ſich vom Großkanzler 
einen dreimonathlichen Urlaub ausgebeten hatte, 
ging er nach Spanien. — Hier wartete aber ſeiner 
eine andere Carriere, denn, als er nunmehr in ſei⸗ 
ner Mutterſprache dichtete, und ein Stuͤck auf's 
Theater brachte, erweckte er den Enthuſiasmus der 


62 Achter Abſchnitt. 


Spanier fo ſehr, daß fie ibn nicht mehr loßließen. 
— Jahre lang bat er das Theater mit den herr⸗ 
lichſten Stuͤcken bereichert, und niemand anders 
war unſer Juſtiz⸗Buͤrgermeiſter, als der berühmte 
Calderon, den die Spanier vergöttern, und der auf 
dieſe Weiſe feine Ausbildung dem großen Könige 
von Preußen zu danken hat. 

Siehe Meybom's Brandenburgiſche Annalen. 
Th. 2. Seite 63. 


2 n 


1810. 
Warum denke ich ſchlafend oder wachend ſo oft 
an den Wahnſinn? — Ich meine, geiflige Auslee⸗ 
rungen koͤnnten wie ein Aderlaß wirken. 


Neunter Abſchnitt. 
Dresden und Leipzig 1813 — 1814. 


Die Reiſe Hoffmann's von Bamberg nach 
Dresden war nicht ohne Abentheuer. In 
Reichenbach, in Wieſe, und an noch einigen 
andern Orten, mußten er und die Frau, mit 
Koſacken und Kalmuͤcken, auf einer Streu 


übernachten. Am 25ften April 1813 kam er 


in Dresden an. Er fand Seconda nicht; 
fein Geld war ihm auf der Reiſe ausgegen- 
gen, die truͤb'ſte Stimmung bemaͤchtigte ſich 
ſeiner; da ging er am naͤchſtfolgenden Mor— 
gen in die katholiſche Kirche, und ein herr- 
liches Requiem von Haſſe gab ihm neuen 
Muth; am Nachmittage aber fuͤhrte ihn ſein 
Gluͤcksſtern in das Link'ſche Bad, wo er, 
mit dem Geheimen Staatsrath von Staͤge— 
mann aus Berlin, ganz unerwartet ſeinen | 


64 Naeunter Abſchnitt. 


Hippel, nun als Staatsrath, beide in Be⸗ 
gleitung des Staatskanzlers von Hardenberg, 
fand. Sein Entzücken iſt leicht zu ermeſſen. 
Im Umgange ſo trefflicher Freunde, zu 
denen ſich auch Bartholdy *) geſellte, ver 
floſſen ihm ein Paar der gluͤcklichſten Tage. 
Am Aften Mai erhielt er einen Brief von 
Seconda, der ihn nach Leipzig beſchied; er 
zoͤgerte, auf Hippels Rath, wegen der Kriegs⸗ 
unruhen und der Unſicherheit der Straßen, 
mit ſeiner Abreiſe, und, ſchon am ten Mai 
ſah' er ſich auf die unangenehmſte Weiſe von 
dem kaum wiedergefundenen Freunde ſeiner 
Jugend von neuem getrennt. Am Morgen 
dieſes Tages naͤmlich, hatte ein Geſchaͤft Hip⸗ 
peln von der Neuftadt, — Hoffmann wohnte 
in der Altſtadt, — entfernt, und geſtattete 
ihm erſt in der Nacht die Ruͤckkehr. Am 
Sten wollten beide Freunde zu einander eilen; 
allein die Bruͤcke war nur für Truppenzuͤge 
noch zugaͤnglich, für Fußgaͤnger geſperrt. 
Hippel folgte dem Staatskanzler, und Hoff⸗ 
mann ſah' ihn, fuͤr jetzt, nicht wieder. Von 
nun an, bis zum 19 ten, enthalten die Tage⸗ 

buͤcher 


) S. Th. 1. S. 292 und 319. 


Dresd. u. Leipzig 41813— 1814, 65 


bücher des Letztern die bunteſten Kriegsſcenen; 
er war uberall, wo es etwas zu ſehen gab, 
mitten inne, und wäre am gten, dicht am 
Schloßthor, wo fuͤnf bis ſechs Kugeln zi⸗ 
ſchend an die Mauer anprallten, und wieder 
zuruͤckſchlugen, beinahe getödtet worden. Mit⸗ 
unter arbeitete er auch, z. B. die Rezenſion 


einer Wilmſchen Symphonie, für die allge⸗ 


meine muſikaliſche Zeitung. Am A9ten fruͤh 
erhielt er endlich das laͤngſt erwartete Reiſe⸗ 
geld von Seconda. Er machte ſogleich An⸗ 
ſtalten zur Abreiſe, packte ein, ſah' Abends 
einen ſeiner Dresdner Freunde bei ſich, und, 
— ſo beweglich war nur Hoffmann, — ſchrieb 
noch den Anfang ſeines Magnetiſeurs , wie 
es in den Notaten für dieſen Tag heißt, „mit 
großem Gluͤck.“ 

Am 20ſten früh reiſte er von Dresden, 
mit der Leipziger Poſtkutſche, in der gemuͤth⸗ 
lichſten Stimmung ab, ohne Ahndung von 


4 


+) Santafieftüce Th. 2. in beiden Ausgaben. Die erſte 
egung dazu mochte er in Bamberg erhalten haben. 
Am 21ſten December 1812 hat er in ſeinem dorti⸗ 
gen Tagebuche verzeichnet: „sum erſtenmal im Hos⸗ 
vital eine Somnambuͤle geſehen. Zweifel!“ 
J E 


66 Neunter W 


dem entſetzlichen Schauſpiel, deſſen Zeuge er 
bald werden ſollte. Auf dem Wagen befand 
fi) nämlich, nebſt mehreren frangdfifchen 
Offizieren, ein neuvermaͤhltes Ehepaar, Appel: 
lations-Rath Graf F., mit ſeiner jungen 
Gemahlin, die nach ihrem, bei Meißen bele: 
genen, Gute reiſten. Sie hatten die Poſt 
gewaͤhlt, weil ſie fuͤr ihre eigenen Pferde, bei 
den ſtreifenden Truppen, Gefahr fuͤrchteten, und 
ſcherzten noch mit einander, uͤber die in ihrem 
Stande ſo ungewoͤhnliche Art, eine Reiſe 
von einigen Meilen zu machen. Die Geſell⸗ 
ſchaft unterhielt ſich eben auf das Heiterſte, 
als die Poſtkutſche, kur, vor Meißen, von 
einem Hinderniſſe gehemmt, umſchlug; die 
Paſſagiere, mehr oder minder ſchwer verwun⸗ 
det, krochen muͤhſam unter den Poſtſtuͤcken, 
die ber fie hingeſtürzt waren, hervor; nur 
die junge Graͤfin fehlte, und es waͤhrte nicht 
lange, ſo entdeckte man ihren zerſchmetterten 
Leichnam, nachdem man eine große Kiſte da⸗ 
von hinweggewaͤlzt hatte. Dieſe furchtbare 
Begebenheit würde, ohne Zweifel, einen noch 
tiefern Eindruck auf Hoffmann's reizbares 
Gemuͤth gemacht haben, als es der Fall war, 
haͤtte ihn nicht eine ihm noch naͤher liegende 


1 


Dresd. u. Leipzig 1813 — 1814. 67 


Sorge zuruͤckgedraͤngt; ſeine Frau hatte naͤm⸗ 
lich eine tiefe Kopfwunde erhalten, und 
ſchien, im erſten Augenblicke, toͤdtlich verwun⸗ 


det. Man holte eine Portechaiſe aus dem 


ganz nahe gelegenen Meißen, wo ſie eine, 
ihnen voͤllig fremde, Familie, die des Sena⸗ 
tors Goldberg, freundlich aufnahm, und mit 
Wein erquickte; — Hoffmann ſelbſt war, 
wenn gleich nicht verwundet, doch am gan⸗ 
zen Koͤrper zerſchlagen; — er fuͤhrte ſodann 
ſeine Frau in einem Tragſeſſel in den Gaſthof 
zur Sonne, und hier wurde ihr der erſte 
chirurgiſche Verband angelegt. „Was werd' 
ich noch alles erleben!“ ſchreibt er am Abend 
dieſes Tages in ſein Journal: „Gott ſey nur 
Dank, daß meine Frau lebt und außer Ge⸗ 
fahr iſt, wie mir die Chirurgen verſichern. “ 

Nach einem Aufenthalt von einigen Ta⸗ 
gen in Meißen, wurde die Reiſe nach Leip⸗ 
zig fortgeſetzt. 

Hoffmann traf, mit der noch immer ſehr 
den Frau, am 23ſten Mai, Nachmittags 
um 3 Uhr, dort ein, und am 24ſten fruͤh 
hält er ſchon am Flügel die erſte, am 25ſten 
aber, die Orcheſter-Probe einer neuen Oper, 
und iſt voͤllig als Muſik⸗ Director des ihm 

E 2 


68 Neunter Abſchnitt. 


ganz fremden Theaters eingerichtet. Doch 
will es mit der Seconda'ſchen Entrepriſe in 
Leipzig jetzt nicht fort, der Director ſieht ſich 
genoͤthigt, die Erlaubniß nachzuſuchen, nach 
Dresden zuruͤckzukehren, um auf dem dortigen 
Hoftheater zu ſpielen; er erhaͤlt ſie, und vier 
Wochen ſpaͤter, am 24ſten Juni, ſitzt Hoff⸗ 
mann ſchon wieder auf einem elenden Leiter⸗ 
wagen, um nach Dresden zurückzukehren. 
Dort angekommen, miethete er ſich in der 
Allee ein, kaͤmpfte von neuem mit großer 
Geldnoth, troͤſtete ſich, was ihm nie fehl⸗ 
ſchlug, indem er Hand an ein neues Werk 
legte, nuͤmlich am ſten Juli die Compoſi⸗ 
tion der Undine anfing, und ging ſo der gro⸗ 
ßen Kataſtrophe entgegen, die, in den letzten 
Tagen des Auguſt, uͤber Dresden hereinbrach. 
Es iſt nur noͤthig geweſen, dies Alles 
in flüchtigen Strichen aus feinem Tagebuche 
anzudeuten, da ſich ein Brief aus dem Juli 
an Doctor Speyer in Bamberg vorfindet, 
der, mit liebenswuͤrdiger Laune, ein ausge 
geführteres Gemälde dieſes wi Lebensab⸗ 
ſchnittes giebt. 
„So wie Sie in Bamberg“ — ſchreibt 
er dem Freunde — — „im tiefſten Frieden le⸗ 


Dresd. u. Leipzig 1813— 1814. 69 


„ben, ſo habe ich in Leipzig, wie mitten im 
„Kriege ſelbſt, jetzt, waͤhrend des Waffenſtill⸗ 
„ſtandes, gelebt, und zum erſten Male in 
„meinem Leben ein nicht unbedeutendes bluti⸗ 
„ges Gefecht, aus geringer Entfernung, ver⸗ 
„trauend auf meine Schnellfuͤßigkeit, angeſe⸗ 
„hen; es war die Affaire, welche am Iten Juni, 
„Vormittags 9 Uhr, vor den Thoren von Leip⸗ 
„zig Statt fand. Die ſpaͤteren Auftritte, zwi⸗ 
„chen den Preußen und Franzoſen, die durch 
„ganz eigene Mißverſtaͤndniſſe erzeugt wurden, 
„Leipzig's Belagerungszuſtand u. ſ. w., uͤber⸗ 
„gehe ich, da ſie aus den Zeitungen bekannt 
»ſeyn werden. — Ich komme zu meinen 
„Dienſtverhaͤltniſſen. — Den Seconda habe 
»ich ganz ſo gefunden, wie ihn mir Rochlitz 
„ſchilderte — ein lieber, ehrlicher, dummer 
„Mann, der 25 Jahre hindurch die Maſchine 
„gedreht hat, wie der Eſel die Walkmuͤhle; er 
„ftrich feine 4 bis 5000 Rthl. monatlich ein, 
„und gab fie wieder aus; — fo wie aber das 
„Ding etwas aus dem Gleiſe kommt, verliert 
„ee den Kopf, und weiß ſich nicht zu helfen. 
— In jener ſo unruhigen Zeit blieb natuͤrli⸗ 
W das Theater leer, ja wir konnten 
„nicht einmal ſpielen, da oft plötzlich, vor der 


70 Neunter Abſchnitt. 

„Theaterzeit, der Generalmarſch geſchlagen, 
„und die Thore geſperrt wurden. Herr Se⸗ 
„conda erklärte daher am Sten Juli ganz kalt: 
„bluͤtig: er muͤſſe das Theater ſchließen, und 
„wir koͤnnten alle hingehen, wohin wir woll⸗ 
„ten. Sie koͤnnen denken, daß uns alle dies 
„wie ein Donnerſchlag aus heiterer Luft traf, 
„da wir überzeugt waren, daß es fo weit 
„durchaus nicht mit dem Theater gekommen 
„war, und ſich allerdings Auswege finden 
„müßten, die boͤſe Zeit zu uͤberſtehen, und die 
„Sache zu erhalten; alle Vorſtellungen, ja 
„telbft das durch die Vermittelung unſeres 
„Komikers, Herrn Kellers, — eines in Leipzig 
„durchaus geſchaͤtzten Mannes, — von einem 
„Kaufmann angebotene Darlehn von 1000 
„Fthl., fruchteten nichts. Herr Seconda blieb 
„bei ſeinem Vorhaben. — Nun trat die Ge⸗ 
»ſellſchaft zuſammen, und beſchloß, nach moͤg⸗ 
„lichfter Verringerung des Ausgabe, Etats, 
„wenigſtens 14 Tage hindurch auf eigene Rech⸗ 
„nung zu ſpielen, und Herrn Seconda die 
„Buchfuͤhrung über Einnahme und Ausgabe 
„zu uͤberlaſſen. Der Leipziger Rath erlaubte 
„dies nicht nur, ſondern war fo billig, die 
„Miethe des Hauſes merklich herabzuſetzen. 


* . 


Dresd. u. Leipzig 1813 — 1814. 71 


„Die hohen Gagen wurden beinahe auf die 
„Haͤlfte reducirt, und ſo fingen wir getroſt 
„an; in der Hoffnung, uns vielleicht den Som⸗ 
„mer durchzubringen, da gar keine Ausſicht 
„vorhanden, im Linffchen Bade in Dresden, 
„außerhalb der Verſchanzungen, ſpielen zu koͤn⸗ 
„nen. — Das Gluͤck wollte uns wohl; denn 
„mit den beiden, nichts weniger als neuen, 


„Opern: Sargines und Figaro, die aber ex— 


„zellent gingen, und mit rauſchendem Beifall 
„aufgenommen wurden, ſo daß jede dreimal 
„bei vollem Hauſe wiederholt werden konnte, 
„nahmen wir ſo viel ein, daß alle Ausgaben, 
„— dieſe betragen, nach der Herabſetzung, 
„jeden Tag 123 Rthl.!! — beſtritten, und 
„unſere herabgeſetzten Gagen ohne weitern 
„Abzug gezahlt werden konnten. — Schon 
„präparirten wir uns auf die Fortſetzung un: 
„ſeres Unternehmens, und gedachten keck und 
„kuͤhn die Veſtalin einzuſtudiren, als Herrn 
„Seconda ganz unerwartet ein Gluͤcksſtern 
„aufgegangen war. Durch die Vermittelung 
„feines Bruders Franz, hatte er nämlich die 
„Erxlaubniß erhalten, in Dresden auf dem 
„Hoftheater, und zwar auch Sonntags, 
„ſpielen zu dürfen; — etwas in Dresden ganz 


72 Neunter Abſchnitt. 


„unerhoͤrtes, und nur ſeit der Zeit moͤglich, 
„da der — — — einen großen Hut 
„mit Federbuſch und Sturmband traͤgt. Nun 
„übernahm Herr Seconda natuͤrlicherweiſe das 
„Steuer wieder in die Hand, und wir richte⸗ 
„ten unſern Lauf am 24ſten Juni in neun 
„Halbwagen gen Dresden. — Eine laͤcherliche 
„Reife, die mir Stoff zu der humoriſtiſchſten 
„Erzaͤhlung geben wuͤrde. — Vorzuͤglich war 
„ein Hamburger Stuhlwagen, auf dem ſich 
„der Unterſtab, nebſt überflüffigen Maͤgden, 
„Kindern und Thieren, befand, mir ſo merk⸗ 
„würdig, daß ich nie verfäumte, mich bei m 
„Eins und Ausladen gegenwaͤrtig zu finden. 
„Nach richtiger Schaͤtzung und Zaͤhlung, be⸗ 
„fanden ſich darauf: ein TheatersFrifeur, zwei 
„Theater⸗Gehuͤlfen, fünf Maͤgde, neun Kinder, 
„worunter zwei neugeborene, und drei annoch 
„ſaͤugende; ein Papagey, der unaufhoͤrlich und 
„ſehr paſſend ſchimpfte, fünf Hunde, worun⸗ 
„ter drei abgelebte Moͤpſe, vier Meerſchwein⸗ 
schen, und ein Eichhorn. — Ich hatte mit 
„meiner Frau einen Halbwagen fuͤr mich, den 
„mir Herr Seconda, meiner verwundeten Frau 
„wegen, großmuͤthiger Weiſe gemiethet, und 
„war immer weit voraus, konnte aber nicht 


Dresd. u. Leipzig 1813 — 1814. 73 


„unterlaſſen, an jedem Fruͤhſtuͤcks⸗ und Mit; 
„tagsort, auf die Caravane zu warten. In 
„Oſchatz wurde uͤbernachtet, und, da es, Gott 
„ſey es gedankt! bei unſerer Geſellſchaft recht 
„gebildete, und dabei joviale, Menſchen giebt, 
„die von dem Comoͤdiantentik nicht heimge⸗ 
„ſucht werden, fo können Sie denken, daß 
„der Abend recht angenehm zugebracht wurde; 
„ih ſchlug vor, ob es nicht raͤthlich ſey, des 
„augenblicklichen Imponirens wegen, eine Art 
„Triumphzug zu veranſtalten, worin jener 
„Hamburger Stuhlwagen die Hauptrolle ſpie⸗ 
„len ſollte; das wurde mit großem Beifall 
„aufgenommen, und die Rollenvertheilung gab 
„Anlaß zu manchem Scherz. Herr Seconda 
„ſelbſt, — er war nicht zugegen, ſondern ſchon 
„in feine Stube gekrochen, — ſollte in roͤmi⸗ 
„ſcher Tracht; — er iſt ein kleiner alter ge⸗ 
„bückter Mann, mit einem entſetzlich dicken 
„Kopfe und hervorſtehenden Glasaugen, — 
„als Triumphator auf dem Bode feines Halb— 
„wagens ſtehen, und, durch eine von den Thea⸗ 
„tergehülfen zu beſorgende kuͤnſtliche Vorrich— 
»tung, der Papagey über feinem Kopfe ſchwe— 
„ben, wie der Adler über dem Germanicus. 
„Möͤpſe und Meerſchweinchen ſollten, wie aus 


. Neunter Abſchnitt. 


„fernen Landen mitgebracht; ſeltene Thiere, 
„mit koͤſtlichen Blumen geſchmuͤckt, von den 
„Mohrenſclaven aus dem Axur nachgetragen 
„werden, als Präfent an den König fur die 
„erhaltene Erlaubniß, u. ſ. w. Genug von 
„dieſen Allotriis !!“ 

„Herr Seconda hat nun nicht allein das 
„Hoftheater, ſondern auch den freien Gebrauch 
„der Dekorationen, Requiſiten, und der Kb: 
„niglichen Garderobe; Sie können daher den- 
„ken, liebſter Doctor! daß es unſern Darſtel⸗ 
„lungen an aͤußerm Glanz nicht fehlt. Wir 
„haben bis jetzt Don Juan, den Waſſertraͤ⸗ 
„ger, Iphigenia in Tauris, die Entführung 
„aus dem Serail, Joſeph, Cendrillon, Helene 
„von Mehul, Sargino gegeben. Vorzuͤglich 
„waren die Dekorationen zum Joſeph in dem 
»edelſten Styl, und, obwohl nicht dazu be: 
„ſonders beſtimmt, ſehr paſſend, da ſich ein 
„ganz herrlicher aͤgyptiſcher Saal vorfand, der 
„vielleicht 15 Jahre alt, und, wie mir der 
„Hof⸗ Dekorateur Winkler ſagte, hoͤchſtens 
„zweimal gebraucht worden iſt. Die Chöre 
„werden von dreißig Choriſten und Kreuzſchuͤ⸗ 
„lern gar rein und feſt geſungen, und, daß 
„das Orcheſter ſehr brav iſt, koͤnnen Sie wohl 


Dresd. u. Leipzig 1813 — 1814. 75 


„wohl denken, wiewohl mir, was inſonder⸗ 
„heit die Violinen betrifft, das Leipziger Dr: 
„cheſter beſſer gefällt. In Leipzig giebt es 
„aber auch bei der erſten Violine die gefeier- 
„ten Namen: Campagnoli, Matthaͤi, Lange 
„ic. Wir wechſeln mit den Italienern, die 
„zweimal ſpielen, ab, und nur dann und 
„wann läßt der Kaiſer von feinen Schauſpie⸗ 
„lern, — Talma, die Georges ꝛc. find hier, — 
„für ſich und die eingeladenen Zuſchauer eine 
„Vorſtellung geben. Bei den Italienern has 
„ben wir, ſo wie ſie bei uns, freien Zutritt, 
„und bei den Franzoſen öffnet ſich auch dem 
„artiste allemand die Theaterthuͤre. — Ich 
„habe die Phaͤdra und den Barbier von Se: 
„villa geſehen; — um mich daruͤber auszuſpre⸗ 
„chen, müßte ich den Brief zur Broſchuͤre, 
„und Ihnen Langeweile machen; nur ſo viel, 
„daß im Barhier von Sevilla der Kaiſer oft, 
„und recht innig, gelacht hat. Unſere Vor— 
„ſtellungen werden mehr beſucht, wie die der 
„Italiener, welches darin liegt, daß dieſe mit 
„vier, hoͤchſtens fuͤnf, Opern beſtaͤndig wech⸗ 
„ſeln, und wir immer Neues auftiſchen. Das 
„richtige Urtheil des franzoͤſiſchen und italie— 
„niſchen Publikums iſt, daß bei den Italie⸗ 


76 Neunter Abſchnitt. 


„nern im Einzelnen beſſer geſungen wuͤrde, 
„bei uns hingegen Choͤre und Enſembles, 
„worauf die Italiener weniger Fleiß verwen⸗ 
„den, beſſer gingen. Wir leben uͤberhaupt 
„mit den Italienern auf einem freundſchaftli⸗ 
„chen Fuß, und ſeit der Zeit, daß die San⸗ 
„drini mit Benelli ein kleines Duett von mir 
„gefungen hat, — in der Scelta dello Sposo, 
„— hat ſich Morlachi in den Kopf geſetzt, 
„eine deutſche Arie fuͤr unſern Krahmer zu 
„componiren, welches er nimmermehr zu 
„Stande bringt, da er ſo gut deutſch verſteht, 
„wie ich chineſiſch, und ſich bei Gerardi aus⸗ 
‚lachen läßt, wenn er ein: „„Klasken ſuͤß⸗ 
„kemaktes Brandewein,“ trinken will. Es 
„iſt mir nicht wenig merkwuͤrdig, daß ich hier 
„den Sargines an demſelben Platz, auf dem⸗ 
„ſelben rothbeſchlagenen Lehnſtuhl, vor dem; 
„ſelben Pianoforte, dirigirt habe, wo Paer 
„ihn, als er zum erſten Mal gegeben wurde, 
„Dieigirte , . 


r n r | > ne mr 


„— —— — — Sceconda's Geſell⸗ 
„ſchaft war vor meiner Ankunft ſehr brav, 
„hat aber durch den Abgang von drei Saͤn⸗ 
„gerinnen, von denen ſich zwei in Leipzig an 


Dresd. u. Leipzig 1813 — 1814. 77 


„Kaufleute verheiratheten, und die dritte eine 
„ehrbare Organiſtenfrau wurde; (Schneider's 
„Frau), einen bedeutenden Stoß erlitten. 
„Unſere prima donna, Mad. Krahmer, haͤlt 
„das Mittel zwiſchen der Koͤhl und der Heu⸗ 
„niſch. Die zweite Saͤngerin ſingt, mit ei⸗ 
„ner duͤnnen Stimme, und ohne alles Ge⸗ 
„fuͤhl, wie ein Haubenſtock, alles, auch das 
„ſchwierigſte, prima vista, vom Blatt, ſpielt 
„aus der Partitur u. ſ. w., und iſt, von 16 
„Jahren und bei ziemlich huͤbſcher Bildung, 
„mir doch hoͤchſt odioͤs; die uͤbrigen helfen 
Haus. — Mit zwei ganz beſonders guten, 
„ja vortrefflichen, Tenoriſten, ſo wie mit ei⸗ 
„nem ganz herrlichen Baſſiſten, hat uns der 
„Heiland geſegnet, und unter den uͤbrigen 
„giebt es nur zwei, die nur ſchwach muſika⸗ 
„fh ſind; ſonſt wird gut und fertig vom 
„Blatt geſungen, und Sie koͤnnen daher den⸗ 
„ken, daß mein Amt eben nicht ſchwer iſt. 
„Der Umſtand, daß wir bis jetzt nur ſchon 
„einſtudirte Opern geben, ſetzt uns in den 
„Stand, merklich vorzuarbeiten, und fuͤr 
„den Herbſt und Winter ein ganz neues Re⸗ 
„pertoir zu ſchaffen. — Auch dies habe ich 


78 Neunter Abſchnitt. 


„alles genau ſo gefunden, wie Rochlitz mir 
„es ſchrieb! — Zu andern Dingen!” — 
„Sie haben in der That Recht, liebſter 
„Doctor! daß ich aus dem ſtillen friedlichen 
„Lande in Tumult und Krieg gezogen, und 
„in gewiſſer Art damit geeilt, ja mich, auf 
„den erſten Blick, uͤbereilt habe. Allein ſo 
„froh, ſo gemuͤthlich, ich mich in manchem 
„gluͤcklichen Augenblick unter meinen lieben 
„Freunden befand, ſo ſelten ich mich an ir⸗ 
„gend einem andern Orte auf dieſe herzliche, 
„innige Weiſe angeſprochen fühlte, fo war 
„ich doch im Junerſten uͤberzeugt, um nicht 
„auf immer verloren zu ſeyn, Bamberg, ſo 
„ſchnell, als möglich, verlaſſen zu muͤſſen. — 
„Erinnern Sie ſich nur lebhaft an mein Le⸗ 
„ben in Bamberg, vom erſten Augenblicke 
„meiner Ankunft, und Sie werden geſtehen, 
„daß alles, wie eine feindliche daͤmoniſche 
„Kraft, wirkte, mich von der Tendenz, oder 
„beſſer, von der Kunſt, der ich nun einmal 
„mein ganzes Daſeyn, mein Ich, in allem 
„Regen und Beſtreben, geweiht habe, ge- 
„waltſam wegzureißen. — Meine Lage bei 
„Cuno, ſelbſt das aufgedrungene fremde Fach 
„bei Holbein, welches noch dazu ſo viel Ver⸗ 


Dresd. u. Leipzig 1813 — 1814. 79 


„führerifches hatte, aber vorzüglich, die nie 
„zu vergeſſenden und zu verwindenden Auf— 
„tritte mit —, die armſeligen duͤmmlichen 
„Plattituͤden des alten Mannes; in anderer 
„Hinſicht, aber doch verderblich wirkend, die 
„fatalen Auftritte mit —, und ganz zuletzt 
„mit dem —, der mir wie ein ganz neuge⸗ 
„backenes, aber mißrathenes Teufelchen 
„vorkam; — kurz, die ganze Oppoſition ges 
„gen alles beſſere Thun, Wirken und Treiben 
„in dem hoͤhern Leben, wo der Menſch ſich 
„mit regem Fittig uͤber den ſtinkenden Pfuhl 
„feines armſeligen Brodbettellebens erhebt, 
„erzeugte in mir eine innere Entzweiung, ei⸗ 
„nen inneren Krieg, der mich viel eher ver— 
„nichten konnte, als jeder Tumult um mich 
„von außen her. — Jede unverdiente harte 
„Kraͤnkung, die ich erleiden mußte, vermehrte 
„meinen innern Groll, und, indem ich, mich 
„immer und immer mehr an Wein, als Reiz— 
„mittel, gewoͤhnend, das Feuer nachſchuͤrte, 
„damit es luſtiger brenne, achtete ich das 
„nicht, daß auf dicſe Art nur aus dem Un⸗ 
„tergange das Heil erſprießen koͤnne. Mögen 
„Sie in dieſen wenigen Worten, in dieſer 
„Andeutung, den Schluͤſſel zu manchem fin— 


80 Neunter Abſchnitt. 


„den, was Ihnen, wo nicht raͤthſelhaft, doch 
„widerſprechend, ſchien! — c e tran- 
„seant cum caeteris!” — 

„Eine größere Antipolarität in wiſſen⸗ 
„ſchaftlicher und kuͤnſtleriſcher Hinſicht, als 
„Bamberg und Leipzig, kann es wohl in der 
„Welt nicht geben. Ja, ich moͤchte ſagen: 
„iſt in Bamberg des Guten zu wenig, ſo iſt 
„in Leipzig beinahe des Guten zu viel. Aber 
„ſo viel iſt doch gewiß, daß man ſich wie 
„ein Fiſch im Waſſer, im rechten Elemente, 
„froh und frei bewegen kann. Mein Empfang 
„war uͤberall, uͤber alle Maßen, herzlich und 
»gemüͤthlich; Rochlitz und Haͤrtel begruͤßten 
„mich wie einen alten Freund, und die Her⸗ 
„ten des Orcheſters behandelten mich mit eis 
„ner Artigkeit, ja mit einer Art von Sub⸗ 
„miſſion, die mich in gewiſſer Art verlegen 
„machte. Ich ſah' wohl ein, daß das kleine 
„Saamenkorn, was ich geſtreuet, (ich meine 
„in der muſikaliſchen Zeitung,) hier aufge, 
„ſchoſſen und gebluͤht hat. — Die ganz eis 
„gene Empfindung hierbei, kann ich nicht be⸗ 
yſchreiben, da mir alle Eſeleyen in Bamberg 
„einfielen. — Das Leben in Leipzig iſt ſehr 
„angenehm, und gar nicht ſo theuer, wie man 

ves 


Dresd. u. Leipzig 1813 — 1814. 81 


„es ausgeſchrieen. Man wuͤrde noch wohlfei⸗ 
„ler leben, wenn nicht eine ganz fatale Ein⸗ 
„richtung Statt faͤnde, die manchen Gulden 
„koſtet. Auf dem Markte, und in der Peters⸗ 
„Trage, giebt es nämlich ſogenannte italieni⸗ 
„ſche Keller: Mainoni, Treiber, Roſſi u. 
„a. m. Geht man nun voruͤber, ſo iſt die 
„Straße vor der Thuͤre ſo abſchuͤſſig, daß 
„man ganz unverſehens die Treppe hinunter⸗ 
„ſtolpert; iſt man unten, fo befindet man ſich 
„zwar in einem ſehr artig meublirten Zimmer, 
„ aber die verdammte Kellerluft; — gegen 
„dieſe muß man ein Glas Biſchof oder Bur⸗ 
„gunder trinken, und einen Sardellen Sallat, 
„mit Muſcheln, Cervelat-Wurſt, Oliven, Ka⸗ 
„pern, Luccheſeroͤl u. ſ. w. eſſen; ja, dieſe 
„Einrichtung koſtet manchen Gulden!“ 

„In Dresden wohne ich, auf dem Lande! 
„d. h. vor dem ſchwarzen Thore, auf dem 
„Sande, in einer Allee, die nach dem Linki⸗ 
„ſchen Bade fuͤhrt. Aus meinem, mit Wein⸗ 
„laub umrankten, Fenſter überfehe ich einen 
„großen Theil der herrlichen Elbgegend, d. h. 
„jenſeits des freundlichen Stroms, einen 
„Theil der ſaͤchſiſchen Schweiz, Koͤnigſtein, 
„Lilienſtein a. ſ. w. Gehe ich nur zwanzig 

f F 


32 Neunter Abſchnitt. 


„Schritte von der Thuͤre fort, welches ich, 
„ſo oft ich will, in Muͤtze und Pantoffeln, 
„mit der Pfeife im Munde, thun kann, ſo 
„liegt das herrliche Dresden mit ſeinen Kup⸗ 
„peln und Thuͤrmen vor mir ausgebreitet, 
„und über denſelben ragen die fernen Felſen 
„des Erzgebirges hervor. Will ich weiter ge⸗ 
„hen, ſo wende ich mich nach der bretternen 
„Saloppe, der ſtillen Muſik, dem luſtigen 
„Winzer, dem ſpaniſchen Kragen; lauter 
„poſſirliche Namen von nahgelegenen Wein⸗ 
„bergen an der Elbe, wo man Erfriſchungen 
„bekommt, und Geſellſchaft findet. Dieſe 
„große Annehmlichkeit muß ich mit der Be⸗ 
„ſchwerde erkaufen, woͤchentlich dreimal eine 
„Meile, und viermal eine halbe Meile, zu 
„wandern, denn ſo weit habe ich hin und 
„her zur Vorſtellung, nämlich 1 Stunde je⸗ 
„der Gang. Das thue ich aber gern, es iſt 
„geſund, und Eſſen, und das Glas Land⸗ 
„wein, ſchmecken trefflich. — Das Bier iſt 
„ſeit einiger Zeit nicht mehr trinkbar, da, 
„läge ein Froſch darin, Sie ihn unmöglich 
„entdecken wurden.“ — a 

„Erſt hier in Dresden iſt die bedeutende 
„Kopfwunde meiner Frau zugeheilt; ſehr 


Dresd. u. Leipzig 1813 — 1814. 83 


„lange wird ſie aber wohl eine ſchmerzliche 
„Empfindung, und lebenslang die Narbe be⸗ 
„halten. Uebrigens iſt ſie ſehr heiter und 
„froh.“ 

„Fur Kunz lege ich ein Brieſchen nebſt 
„Manuſcript bei. Es iſt die erſte Abtheilung 
„einer Erzaͤhlung, betitelt: der Magnetiſeur. 
„— Wie ich glaube, wird Ihnen dieſer Auf⸗ 
„ſatz nicht unintereſſant ſeyn, da er eine noch 
„unberuͤhrte neue Seite des Magnetismus 
Hentwickeln ſoll; wenn Sie wollen, fo leſen 
„Sie das Manuſcript, u. ſ. w.“ — 

Am 22ſten Auguſt bezog Hoffmann ein Lo⸗ 
gis in der Stadt, weil außerhalb derſelben keine 
Sicherheit mehr war; ſchon vom 18ten an 
aber, hatte er angefangen, unter dem Ti: 
tel: „drei verhaͤngnißvolle Monate!“ Aus⸗ 
zuͤge aus ſeinen Tagebuͤchern, fuͤr ſeine Freunde, 
zuſammenzuſtellen, die woͤrtlich hier folgen 
moͤgen, leider aber nur bis zum 29ſten Au⸗ 
guſt reichen. 

„Dresden, den 15 Auguſt 1813. Schon 
„ieit der Feyer des Napoleons-Feſtes, am 
„loten, waren täglich Truppen und Geſchuͤtz 
„herausgegangen, heute verließ der Kaiſer 
„mit den Garden die Stadt, und zog fort 

F 2 


84 Neunter Abſchnitt. 


„auf der Straße nach Schleſien, man ſpricht 
„von einer nahen entſcheidenden Schlacht.“ 
„16, 17, 18, 19. Gaͤnzliche Todtenſtille. 
„— Man ſpricht ganz heimlich, daß Oeſter⸗ 
„reich den Verbuͤndeten beigetreten.“ 
„20. Es follen ſich Preußen und Ruſ⸗ 
„fen der Stadt nähern.” 

„21. Augenſcheinliche Retirade der Fran⸗ 
„zoſen von der ſchleſiſchen Seite her; eine 
„zahlloſe Menge Verwundeter auf Wagen, — 

„Cavallerie ohne Pferde, — — Infanteriſten ohne 
„Gewehr ꝛc. ꝛc. i 

„22. Fruͤhmorgens ein ungewöhnliches 
„Hin- und Hertreiben in der Stadt, — das 
„Militair iſt in voller Bewegung, — und 
„mit Muͤhe gelang es, die ſchwierige Haupt⸗ 
„probe der Iphigenia in Tauris, die den Abend 
„gegeben werden ſollte, zu beendigen; denn, 
„waͤhrend derſelben, kam die Nachricht, daß 
„Thore und Schlaͤge geſperrt ſind, weil die 
„Ruſſen und Preußen ganz in der Nähe fie 
„hen. Pohlniſche Offiziere, die des Morgens 
„in einem Kaffeehauſe, dicht vor dem Frey⸗ 
„berger Thore, Billard ſpielten, wurden von 
„Koſacken überfallen, und gefangen abgeführt. 
„Gegen Abend wurde es ruhiger, und Iphi⸗ 


Dresd. u. Leipzig 1813— 1814. 85 


„genia wurde wirklich gegeben. — Uebrigens 
„zog ich in aller Eil vom Sande hinein auf 
„die Moritzſtraße.“ 

„23. Größere Unruhe als geſtern. Man 
„hört ganz in der Nähe Kanonendonner, und 
„vor dem Sandthor ganz deutlich das Tirail⸗ 
„leurfeuer. Auf den Straßen ſieht man Ver⸗ 
„wundete, noch unverbunden, blutig zuruͤck⸗ 
„kommen. Zum Theil werden ſie auf Schub⸗ 
„karren hineingebracht; in dieſer Art begeg⸗ 
„nete ich auf der Seegaſſe einem Offizier, 
„dem beide Augen ausgeſchoſſen waren.“ 

„24. Die Unruhe ſteigt; Kanonen, Pul⸗ 
„vetwagen, werden im Galopp zu den Tho⸗ 
„ten hinausgefuͤhrt, immerwaͤhrendes Schie⸗ 
„ßen; das ſchwarze Thor war offen, und ich 
„eilte nach dem Link'ſchen Bade, wo man die 
„franzoͤſiſche und feindliche Batterien, von 
„Pirna, ganz deutlich arbeiten ſehen konnte. 
„— Abends wurde in der Stadt, vom Walle 
„bei dem Theater, Victoria geſchoſſen, des 
„Sieges bei Loͤwenberg wegen, den auch ein 
„oͤffentlicher Anſchlag verkuͤndete. Es hieß 
„darin: die Cavallerie habe ſehr ſchoͤne An⸗ 
„griffe gemacht.“ 

„28. Vormittag alles ganz ſtill' und 


86 Neunter Abſchnitt. 


„ruhig. Nachmittag hoͤrte man ſehr nahe 
„tirailliren; ich ging mit dem Schauſpieler 
„Keller zum Pirnaer Schlage heraus, der ge⸗ 
„öffnet war, und fo weit, daß die Linie der 
„franzoͤſiſchen Tirailleurs nur 50 Schritt vor 
„uns ſtand. 300 Schritt weiter, ritten 
„einzelne Koſacken ganz ruhig hin und her, 
„und nahmen gar keine Notiz von den Plaͤn⸗ 
„kern der Franzoſen. Ich ſah', wie einer ab⸗ 
„ftieg, und deu Gurt des Pferdes feſter 
„ſchnallte. Ploͤtzlich brachen ruſſiſche Tirail⸗ 
„leurs aus einem Gebuͤſch hervor, und nun 
„wurde das Plaͤnkern hitziger und hitziger, — 
„viele Franzoſen fielen todt, und andere ka⸗ 
„men blutig und ſchreiend zuruck. Franzöoͤſi⸗ 
„Iche Bataillone formirten ſich, und es wur⸗ 
„de eine Batterie von vier Kanonen aufge⸗ 
„ſtellt; noch ehe dieſe anfing zu fpielen, ka⸗ 
„men aber ſchon feindliche Kugeln, von einer 
„Batterie, die ich nicht bemerkt hatte, und 
„nun ſah' ich auch, wie eine ſchwarze Linie 
„ſich von deu Bergen herabbewegte. Da die 
„Kugeln bis dicht vor den Schlag niederfie⸗ 
„len, hielten wir es fuͤr rathſam, mit vieler 
„Schnelligkeit durch das Wilsdruffer Thor zu 
„Haufe zu eilen. — Die Nacht hat dem 


Dresd. u. Leipzig 1843 — 1814. 87 


„Gefecht (dem erſten das ich fo in der Nähe 
„angefehen) ein Ende gemacht. Die Franzo⸗ 
„ſen meinen; es ſey nur ein Streifkorps, das 
„ſich Dresden genaͤhert, das iſt aber nicht 
„wahr, denn von dem Boden des hohen Ne- 
„benhauſes, auf den ich ſtieg, ſieht man rings⸗ 
„umher eine unzaͤhlige Menge Wachtfeuer, 
„auf jeden Fall iſt es alſo eine ſtarke Armee, 
„die Dresden umſchließt.“ 

„26. Fruͤhmorgens 7 Uhr wurde ich 
„durch den Donner der Kanonen geweckt; 
„ich eilte ſogleich auf den Boden des Neben- 
„hauſes, und ſah', wie die Franzoſen, in ge⸗ 
„ringer Entfernung, vor den Schanzen meh⸗ 
„rere Batterien aufgeſtellt hatten, die mit 
„feindlichen Batterien, welche am Fuße der 
„Berge ſtanden, auf das heftigſte enpagirt 
„waren. Mit Huͤlfe eines ſehr guten Gla⸗ 
„ſes, konnte ich bemerken, daß ſehr ſtarke 
„ruſſiſche und beſterreichiſche Colonnen, (an 
„der weißen Uniform ſehr kenntlich, ) ſich von 
„den Bergen herab bewegten. Eine Batteric 
„nach der andern ruͤckte naͤher, die Franzoſen 
„retirirten bis in die Schanzen, und nun 
„wurde ſogar von den Stadtwaͤllen aus gro⸗ 
„ben Geſchuͤtz gefeuert; der Kanonendonner 


88 Neunter Abſchnitt. 


„wurde ſo heftig, daß die Erde bebte, und 
„die Fenſter zitterten. Die Ruſſen hatten 
„den großen Garten erftürmt, fo wie die 
„Preußen die Schanzen von der Friedrichs⸗ 
„ſtadt, — erſteres konnte ich ſehen. Die 
„Nachricht kam, daß der Kaiſer eintreffen 
„würde, ich eilte daher auf die Terraße des 
„Bruͤhl'ſchen Gartens, an der großen Bruͤcke. 
„Um 11 Uhr kam der Kaiſer, auf einem klei⸗ 
„nen falben Pferde, über die Bruͤcke ſchnell 
„geritten, — es war eine dumpfe Stille im 
„Volk, — er warf ſeinen Kopf heftig hin 
„und her, und hatte ein gewiſſes Weſen, 
„was ich noch nie an ihm bemerkte, — er 
„titt bis vor's Schloß, flieg aber nur weni⸗ 
„ge Secunden ab, und ritt wieder an die 
„Elbbruͤcke, wo er, umgeben von mehreren 
„Marſchaͤllen, ſtill hielt, — die Adjutanten 
„ſprengten ab und zu, und holten Ordres, 
„die er allemal in kurzen Worten, aber ſehr 
„laut, ertheilte, — er nahm ſehr haͤufig Ta⸗ 
„back, und ſchaute noch haͤufiger durch ein 
„kleines Taſchenperſpektiv die Elbe herab. 
„Die Garden kamen mit Doppelſchritt über 
„die Bruͤcke, und eilten, nachdem ſie eine 
stehe kurze Zeit auf dem Platz vor dem Kais 


Dresd. u. Leipzig 1813 — 1814. 89 


„fer gehalten, zu den Thoren heraus. Ich 
„mußte fort, weil der Bruͤhl ſche Garten be⸗ 
„ſetzt wurde, und ging wieder auf mein Ob⸗ 
„ſervatorium. Zwiſchen 4 und 5 Uhr don⸗ 


„nerten die Kanonen am heftigſten, — Schlag 


„auf Schlag, — man konnte die Kugeln ſau⸗ 
„ſen hoͤren, ich bemerkte es zuerſt, man wollte 
„mir es aber nicht glauben, gleich darauf 
„ſtuͤrzte aber, in einer Entfernung von hoͤch⸗ 
„ſtens 25 Schritt, eine Feuermauer, von ei⸗ 
„ner Kugel getroffen, ein, und nun war es 
„klar, daß Geſchuͤtz auf die Stadt gerichtet 
„worden. — Wir gingen herab, da unſer 
„Aufenthalt oben jetzt Lebensgefaͤhrlich wurde. 
„Eben wollte ich in meine Hausthuͤre treten, 
„als ziſchend und praßelnd uͤber meinen Kopf 
„eine Granate wegfuhr, und, nur 15 Schritte 
„weiter, vor der Wohnung des General Gou— 
„vion St. Cyr, zwiſchen vier gefuͤllten 
„Pulverwagen, die eben zur Abfahrt be⸗ 
„reit ſtanden, niederfiel und ſprang, ſo daß 
„die Pferde baͤumend Reißaus nahmen. — 
„Wenigſtens dreißig Perſonen ſtanden dane— 
„ben auf der Gaße, und, außerdem daß 
„die Pulverwagen verſchont blie⸗ 
„ben, deren Exploſlon das ganze Stadtvier⸗ 


99 Neunter Abſchnitt. 


„tel vernichtet hätte, wurde kein Menſch, 
„kein Pferd beſchaͤdigt, es iſt unbegreif⸗ 
„lich, wo die Stuͤcke der Granate geblieben 
„iind, da in unſerm Haufe nur ein ganz un⸗ 
„betraͤchtliches gefunden wurde, welches die 
„Fenſterladen des untern Stock's zerſchlagen , 
„und in ein unbewohntes Zimmer gefallen 
„war. Wenige Minuten darauf, kam eine 
„zweite Granate, und riß ein Stück vom 
„Dache des gegenüberftehenden Cagiorgi⸗ 
„ſchen Hauſes weg, und druͤckte drei Kenfter 
„der Mezzane zuſammen, daß das Holz⸗ 
„werk und die Ziegelſteine praßelnd auf die 
„Gaße ſtuͤrzten, — bald darauf fiel eine 
„dritte in der Neben-Gaſſe in ein Haus, und 
„es war mir klar, daß eine Batterie gerade 
„auf unſer Stadtviertel ſpielte. — Alle Be⸗ 
„wohner des Hauſes, — Frauen, — Maͤn⸗ 
„ner, — Kinder, verſammelten ſich auf der 
„gewoͤlbten ſteinernen Treppe des erſten 
„Stock's, die aus der Richtung der Fenſter 
„lag! — Da gab es bei jeder Exploſion der 
„jetzt haufigen, doch in großer Entfernung 
„hineinfallenden, Granaten, ein Jammern und 
„Wehklagen! — Nicht einmal ein Tropfen 
„Wein oder Rum zur Herzſtaͤrkung, — ein 


Dresd. u. Leipzig 1813 — 1814. 91 


„verdammt aͤngſtlicher Aufenthalt, — ich 
„ſchlich leiſe zur Hinterthuͤr heraus, und durch 
„ein Hintergaͤßchen zum Schauſpieler Keller, der 
„auf dem Neumarkt wohnt, — wir ſahen 
„ganz gemuͤthlich, mit einem Glaſe Wein in 
„der Hand, zum Fenſter heraus, als eine 
„Granate mitten auf dem Markte niederfiel 


Hund platzte; — in demſelben Augenblick fiel 


„ein Weſtphaͤliſcher Soldat, der eben Waſſer 
„pumpen wollte, mit zerſchmettertem Kopfe 
„todt nieder, — und, ziemlich weit davon, 
„ein anſtaͤndig gekleideter Buͤrger; — dieſer 
„ſchien ſich aufraffen zu wollen, — aber der 
„Leib war ihm aufgeriſſen, die Gedaͤrme hin⸗ 
„gen heraus, er fiel todt nieder,) — noch 
„drei Menſchen wurden an der Frauenkirche 
„von derſelben Granate hart verwundet, — 
„der Schauſpieler Keller ließ fein Glas fal- 
„len, — ich trank das meinige aus, und rief: 
„was iſt das Leben! Nicht das bischen glü- 
„hend Eiſen ertragen zu koͤnnen, ſchwach iſt 
„die menſchliche Ratur! — Gott erhalte mir 
„die Ruhe und den Muth in Lebensgefahr, 


2 r din bemerfen: fünf Minuten pater rt der 
„Kaiſer über den Neumarkt, gerade wo der Bürger 
„getroffen, nach dem Pirnaer Thor.) 


92 Neunter Abſchnitt. 


„ſo überfteh’t ſich alles beßer! — Es gelang 
„mir, den Kaufmann Schmidt aus ſeinem 
„verſchloſſenen Gemach hervorzutreiben, der 
„belud mich mit Wein und Rum für mich 
„und meine Hausgenoſſen. Ich trat wieder 
„ein, wie eine Erſcheinung des Troſtes und 
„der Beruhigung. — Eine der Frauen (Mad. 
„Stein) die gerade im oberſten Stock wohn⸗ 
„te, hatte den Muth gehabt, allerlei nützliche 
„Lebensmittel herabzubringen. — Das war 
„alles bonum commune, und uns Allen, die 
„wir keinen Mittag gegeſſen, ſchmeckte es im 
„Bivouacg auf der Treppe herrlich, das Kelch⸗ 
„glas ging fleißig herum, und unter dem Don⸗ 
„ner der Kanonen, unter dem Praſſeln der 
„Granaten, ging uns allen ein fröhlich guter 
„Humor auf, der immer der Nachklang einer 
„durch Gefahr exaltirten Stimmung iſt. Erſt 
„als es ganz finſter war, ließ das Schießen 
„nach. Die Garden hatten, wie man nun 
„erfuhr, die genommene Schanzen wieder er⸗ 
„ftürmt, und die verbuͤndete Armee ſich auf 
„die Höhen zurückgezogen. — Das Kammer: 
„maͤdchen der Graͤfin Breza trat vor die 
„Hausthüre, vor welcher der Wagen ſtand 
„der die Graͤfin in Sicherheit, in ein anderes 


Dresd. u. Leipzig 1813 — 1814. 93 


„Stadtviertel bringen ſollte, in eben demſel⸗ 
„ben Augenblicke wurde ſie aber von einer 
„Granate, im ſtrengſten Sinn des Worts, 
„zerrißen. Einer Hebamme auf der Pir⸗ 
„naer Vorſtadt, wurde, als fie zum Fenſter 
„hinausſchaute, der Kopf weggeriſſen; eben 
„ſo verlohr ein Handlungs-Commis, der im 
„Comtoir ſaß, den Arm. Noch mehrere Buͤr⸗ 
„ger find theils verwundet, theils getödtet.” 

„27. Die Nacht verging ruhig. Erſt 
„um 8 Uhr Morgens ging eine lebhafte Ka⸗ 
„nonade an, daß die Fenſter bebten, — es 
„fiel unaufhoͤrlich Regen, man konnte daher 
„nicht viel bemerken. Nachmittags entfernte 
„fh das Schießen, und man erfuhr, daß 
„die ruſſiſche und oͤſterreichiſche Armee 5 Stun⸗ 
„den weit zuruͤckgedraͤngt worden. Abends 
„kamen ungefaͤhr 2 bis 300 ruſſiſche und 
„preußifche, und wohl an 10000 oͤſterreichi⸗ 
„Ihe Gefangene, wie auch 4 oͤſterreichiſche 
„Fahnen und 6 Kanonen.“ 

„28. Die Ruſſen und Oeſterreicher ſte⸗ 
„hen auf den Höhen von Keſſelsdorf, man 
„hört ſehr deutlich Kanonen⸗ und Peloton⸗ 
„feuer. Ueber die Elbbrücke bemerkte ich ei- 
ne augenſcheinliche Retirade der Franzoſen, 


94 Neunter Abſchnitt. 


„und die Nachricht, daß bei Berlin die Fran⸗ 
„zoſen geſchlagen find, iſt daher wahr.“ — 
, d. Heute ging ich vor den Moszyns⸗ 
„kiſchen Garten, und ſah' zum erſtenmal in 
„meinem Leben ein Schlachtfeld. — Erſt 
„heute hatte man angefangen aufzuraͤumen, 
„und zwar wurden, wie ich bemerkte, zuerſt 
„die gebliebenen Franzoſen nackt ausgezogen, 
„und in große Gruben zu 20, 30, verſcharrt. 
„— Hier hatten die ruſſiſchen Jaͤger unter 
„dem wuͤthenden Feuer der franzoͤſiſchen Ka; 
„nonen geſtuͤrmt. Das Feld war daher be⸗ 
„deckt mit Ruſſen, zum Theil auf die ſchreck⸗ 
„lichſte Weiſe verſtuͤmmelt und zerrißen. — 
„So 3. B. fah’ ich einen, dem gerade die 
„Hälfte des Kopfs weggerißen, — ein ſcheuß⸗ 
„licher Anblick, — Pferde, — Menſchen, — 
„daneben Gewehre, — Saͤbel, — geſprengte 
„Pulverwagen, — Tſchako's, — Patronta⸗ 
„ſchen, — alles in wilder Unordnung durch 
„einander geworfen. — Auf manchem unver⸗ 
„ftümmelten Geſicht ſah' man noch die Wuth, 
„ den Grimm des Kampfes; — einer hatte 
„gerade in die Patrontaſche gegriffen, um 
„friſch zu laden, und fo hatte ihn der Tod 
„getroffen. — Ein ruſſiſcher Offizier, ein 


Dresd. u. Leipzig 1813 — 1814. 95 


„herrlicher, ſchoͤner Juͤngling, (hoͤchſtens 28. 
„Jahr) hielt noch den Saͤbel, uͤber den Kopf 
„geſchwungen, in der rechten Hand, und war 
„ſo zum Tode erſtarrt. — Eine Kanonenku⸗ 
„gel hatte ihn gerade auf der Bruſt, am lin⸗ 
„ken Arm, getroffen, dieſen weggerißen, und 
„die Bruſt zerſchmettert, — ſein Tod war 
„leicht! — Mir ſchien es, als bewege ſich 
„etwas im Graſe, in einiger Entfernung; ich 
„theilte es meinem Begleiter, dem Advokaten 
„Conradi, mit, wir gingen darauf zu; und 
„ſiehe da, ein Ruſſe, dem beide Fuͤße auf das 
„Jämmerlichſte zerſchoſſen waren, fo daß alles 
„von geronnenem Blute klebte, ſaß ganz ge⸗ 
„muͤthlich aufrecht, und zehrte an einem Stuͤck 
„Stuͤck Kommisbrod. So lag der Menſch 
„ſeit dem 26ſten Au guſt Nachmittags, 
„und war, der ſtarken Verwundung unerach⸗ 
„tet, friſch und munter. Er zeigte uns ſeine 
„leere Feldflaſche, und Conradi eilte, ſie mit 
„Waſſer zu fuͤllen. 77 

Aus Hoffmann's Tagebuche iſt naͤchſt 
dieſem noch folgendes zu bemerken. 

„Den SOften. Fortdauernde dumpfe 
„Stille. Dem Kaiſer begegnet; mit einem 
„furchtbaren Tyrannenblick und Loͤwenſtimme 


96 Neunter Abſchnitt. 


„brülfte er: Voyons! einem ihn begleitenden 
„Adjutanten zu.“ 

„Den 22ſten October. Der Kaiſer if 
„geſchlagen, und retirirt nach Erfurt u. ſ. w. 
„So habe ich gegruͤndete Hoffnung zum be⸗ 
„ſten, froͤhlichſten Leben in der Kunſt, und 
„alle Noth wird geendet ſeyn.“ 

„Den 22ſten November. Heut Nachmit⸗ 
„tag einen Öfterreichifchen und ruſſiſchen Offi⸗ 
„zier in vollem Galla geſehen; ganz eig'nes 
„herrliches Gefuͤhl. Ja, es iſt wahr, — 
„Freiheit!“ 

Endlich dient zum Ueberblick, folgende 
nicht unintereſſante Stelle aus einem Briefe an 
Hitzig, datirt: Dresden, 21. December 1813: 

, Hier habe ich nun alles erlebt, was 
„man ih der naͤchſten Nähe des Krieges er⸗ 

„leben kann; ich habe Scharmüßel, eine be⸗ 
„dektende Schlacht (am 26ſten Auguſt) deut⸗ 
„lich angeſehen, habe das Schlachtfeld be⸗ 
„ſucht; kurz, meine Erfahrungen find in die⸗ 
„ſer Art nur zu ſehr bereichert worden. Hun⸗ 
„gersnoth, und eine Art Peſt (die zum Theil 
„noch herrſcht, und nur noch vorige Woche 
„280 Perſonen buͤrgerlichen Standes wegge⸗ 
„rafft hat,) mußte ich auch ausſtehen, aber 

5 1 4 


Dresd. u. Leipzig 1813— 1814. 97 


„unerachtet aller in der That entſetzlichen Er⸗ 
„eigniſſe, von denen Sie wahrſcheinlich ſchon 
„durch die oͤffentlichen Blaͤtter unterrich⸗ 
„tet ſeyn werden, habe ich nie den Muth 
„verloren; ja, als die Kanonen rings um 
Dresden donnerten, ſo daß der Boden bebte 
„ und die Fenſter zitterten, iſt mir ein beſon⸗ 
„deres vorahnendes Gefuͤhl gekommen, daß 
„der ſo lange erſehnte Augenblick der wieder⸗ 
„erlangten Freiheit nicht mehr fern ſeyn 
„konne! — Schon am I1ten Oktober hatte 
„ich die Freude, mit eig'nen Augen, ziemlich 
„nahe (ich konnte es nicht laſſen, hinaus zu 
„laufen, und mich auf einen Huͤgel zu ſtellen) 
„zu ſehen, wie die Franzoſen aus ihrem ver⸗ 
„ſchanzten Lager dicht vor den weißen Schan⸗ 
„zen von Dresden herausgetrieben wurden, 
„ihre Baracken anzuͤndeten, und mit einer 
„Schnelligkeit davon liefen, die ich der Nation 
„immer zutraute. Ein gleiches Schauſpiel 
„erfreute mich am 13ten Oktober, 16ten DE 
„tober und ſpaͤter am 6ten November, wo 
„ich, mittelſt eines ſehr guten Glaſes, vom 
„Thurm der Kreuzkirche, ſah', wie der Herr 
„Graf von der Lobau, der ſich mit 12 bis 
„15,000 Mann nach Torgau durchſchlagen 
ö G 


98 Neunter Abſchnitt. 


„wollte, von den Boksdorfer Höhen herab, 
zund bis unter die Kanonen von Dresden, 
„getrieben wurde. — Die Anſtalten waren 
„übrigens ſeit dem Aten November von der 
„Art, daß man haͤtte glauben ſollen, die 
„Franzoſen würden jede Straße vertheidigen, 
„und ſich bis auf den letzten Mann wehren. 
„Denn, nachdem ſie die aͤußeren Schanzen ver⸗ 
„laſſen müffen, ſperrten fie die Schläge und 
„Thore, und verſchanzten die Hauptſtraßen 
„der Vorſtaͤdte hauptſaͤchlich mittelſt mit Sand 
„gefuͤllter Kiſten und Tonnen. Um fo drük⸗ 
„kender war uns Einwohnern das alles, weil 
„wir, trotz aller Vorſicht der franzoͤſiſchen 
„Behoͤrden, von den glorreichen herrlichen 
„Siegen bei Leipzig und Erfurt ſehr gut un⸗ 
„terrichtet waren. — Schon am 10ten er⸗ 
„fuhren wir den Abſchluß der Capitulation, 
„und mein Gefuͤhl war wirklich unbeſchreib⸗ 
„lich, als ich die ſtolzen, uͤbermuͤthigen Fran⸗ 
„zoſen ſchmachvoll ohne Waffen abziehen ſah'! 
„— Wie die — — — das herrliche Dres⸗ 
„den auf wirklich ſinnreiche Weiſe verwüuͤſtet 
„und ruinirt haben, davon haben Sie keine 
„Idee. Beinahe alle Luftdrter (der große 
„Garten, der Moſzynski'ſche Garten, das 


Dresd. u. Leipzig 1813— 1814. 99 


„Feldſchloͤßchen u. ſ. w.) find bis auf den 
„Grund verwuͤſtet, und zwar meiſtens ohne 
„Noth, die herrlichen Alleen meiſtens um⸗ 
„gehauen u. ſ. w. — Jetzt, theurer Freund, 
„athmet man wieder frei, und ich denke, die 
„beſſere Zeit liegt uns ganz nahe! — Naͤchſt 
„der Compoſition und meinem Treiben in der 
„Muſik, bewege ich mich auch fleißig in lit- 
„teris, das heißt: es iſt ſo ein Stuͤck Autor 
„aus mir geworden; es iſt naͤmlich zum An⸗ 
„fange ein kleines Werk, sub titulo: Fanta⸗ 
„ſieſtuͤcke in Callots Manier, wozu Jean 
„Paul Friedrich Richter eine Vorrede geſchrie⸗ 
„ben, von Kunz verlegt worden; bekommen 
„Sie es zur Hand, ſo bin ich auf Ihr Ur⸗ 
„theil begierig. Naͤchſt manchen ſchon in der 
„muſikaliſchen Zeitung abgedruckten, enthaͤlt 
„es zwei Aufſaͤtze, die vielleicht Ihr Inte⸗ 
„reſſe erwecken werden, naͤmlich: Nachricht 
„von den neueſten Schickſalen des Hundes 
„Berganza, und der Magnetiſeur. Bis zur 
„Oſtermeſſe ſollen noch zwei Baͤndchen er⸗ 
„ſcheinen. — Undine iſt vollendet ), und 


) Man erinnere ſich, daß ſie, vor noch nicht 6 
Monaten, am tiſten Juli, erſt angefangen war. 
Siehe oben S. 68. 

G 2 


100 Neunter Abſchnitt. 


„ich warte nur den guͤnſtigen Augenblick ab, 
„fie würdig auf die Bühne zu bringen; ich 
„thue mir auf dieſe Oper etwas zu Gute, 
„und glaube vorzuͤglich, in der Undine felbft, 
„und dem praͤchtigen Kuͤhleborn, den Sinn 
„des herrlichen Dichters getroffen zu haben.“ 

Am Iten December 1813 ging Hoffmann, 
mit Seconda und der Truppe, nach Leipzig 
zuruck. Die erſte Arbeit, die dieſer dort un⸗ 
ternahm, war die Viſion auf dem Schlacht⸗ 
felde bei Dresden ), und, am Siften Decem- 
ber, in der Sylveſternacht, beendete er die 
Abſchrift des goldenen Topfes. „Von neuem 
„gefunden, daß es gut iſt,“ — ſchreibt er in 
ſein Tagebuch, und: — „ſo haͤtt' ich denn ein 
„hoͤchſt merkwuͤrdiges „Jahr beſchloſſen; — 
„was wird das Neue bringen? Ich will hof⸗ 
„fen, Gutes!!!“ | 

Doch fing es unter trüben Auſpicien an. 


) Erſchien Bamberg 1814. Waͤhrend des Ka⸗ 
nonendonners batte er in Dresden das ſchöͤne Ge⸗ 
ſpraͤch: „der Dichter und der Componiſt,' Sera⸗ 
pionsbruͤder ir Bd. S. 168., geſchrieben, ſo wie 
„den goldenen Topf,“ Fantaſieſtücke Bd. 2. der 
neuen, Bd. 3. der aͤltern Ausgabe, angefangen. 


Dresd. u. Leipzig 1813 — 1814. 101 


Am Neufahrstage erkrankte er an einer 
Bruſtentzuͤndung und gichtiſchen Anfällen, den 
Folgen einer ungeheuren Erkaͤltung im Thea⸗ 
ter, und quaͤlte ſich, oft, dem Tode nahe, 
bis zum Frühjahr, mit dieſen Uebeln. Mit: 
ten in der Krankheit verließ ihn aber nicht 
die Luſt zur angeſtrengteſten und vielſeitigſten 
Thaͤtigkeit ). Er ſchrieb im Januar, Milo's 


„) Rochlitz erzählt, in Bezug hierauf, folgendes, 
in dem mehrerwaͤhnten Aufſatz uͤber Hoffmann, in 
der allgemeinen muſikaliſchen Zeitung: 

„Waͤhrend ſeiner Krankheit ſuchte ihn einer 
„ſeiner Freunde auf. Er fand ihn in einem der 
„geringſten Zimmer eines der geringſten Gaſthoͤfe, 
„auf einem ſchlechten Bette ſitzend, wenig gegen 
„die Kaͤlte verwahrt, die Fuͤße von Gicht krumm 
„gezogen. Er hatte ein Brett vor ſich liegen, und 
„darauf ſchien er beſchaͤftigt. Mein Gott, rief je⸗ 
„ner, was machen Sie denn? Karikaturen, ſagte 
„Hoffmann lachend, Karikaturen auf die verwuͤnſch⸗ 
„ten Franzoſen. Ich erfinde, zeichne und colorire 
„ſie. Und wirklich ſind die meiſt geiſtvollen, ſehr 
„poſſirlichen, Blaͤtter, die damals geſtochen erſchie⸗ 
„nen, von ihm. Guten Muthes, und mit den 
„ſchnurrigſten Einfaͤllen geſpickt, gab er nun die 
„Erzählung zum Beſten, wie es ihm in den letzten 
„Wochen ergangen; es war eine Geſchichte, welche 


102 Neunter Abſchnitt. 


Brief und die Automate ); am 24ſten feierte 
er ſeinen Geburtstag mit ſeiner Frau allein. 
„Gemuͤthlicher Abend,“ ſteht in ſeinem Tage⸗ 
buch: „ſich in eig'ner Glorie geſonnt, und 
„was auf ſich gehalten.“ Im Februar wurde 
ihm die Muſikdirectorſtelle in Koͤnigsberg an, 
getragen, die er aber ablehnte. Am 25ſten 
Maͤrz fing er die Elixiere des Teufels an, 
und am 22ſten April hatte er ſchon das Ma⸗ 
nuſcript zum Aften Bande vollendet. Dabei 
rezenſirte er unaufhoͤrlich fuͤr die allgemeine 
muſikaliſche Zeitung, und zeichnete ſehr geiſt⸗ 
reiche Karikaturen, fuͤr Baumgaͤrtner und 
Joachim, die ihm pro Stuͤck mit 4 und 5 
Rthl. bezahlt wurden ). Im Mai verfaßte 


„in dem Innern des Zuhdrers Bewunderung und 
„Mitleid, Schmerz und Freude, nicht ſowohl wech⸗ 
„ſelsweiſe, als miteinander, erregen mußte. Es 
„wurde, fo gut es damals möglich, das Noͤthigſte 
„für ihn gethan: er ließ es geſchehen, ohne eben 
„viel daraus zu machen, was denn auch ganz fol⸗ 
„gerecht war.“ 

) Fantaſieſtuͤcke Bd. 2. der neuen, und Bd. 
A. der altern Ausgabe: „Nachricht von einem ge⸗ 
bildeten jungen Manne,“ und Scrapions⸗Bruͤder 
Bd. 2. 

) Drei von diefen liegen dem Herausgeber 


Dresd. u. Leipzig 1813 — 1814. 103 


er die Blandine und den Ignatz Denner 9). 
Vom Sten bis 10ten componirte er auf Be⸗ 


vor. Eine in Querfolio, mit der Unterſchrift: 
„Feierliche Leichenbeſtattung der Univerſalmonar⸗ 
chie“ (bei Joachim), ſtellt Napoleon dar, von ſei⸗ 
nen Marſchaͤllen begleitet, wie er dem Sarge, der 
die Reſte der Univerſalmonarchie birgt, und von 
Soldaten der verbuͤndeten Armeen zu Grabe getra⸗ 
gen wird, folgt u. ſ. w. Die beiden andern ſind 
in Quartformat. Die erſte mit der Unterſchrift: „die 
Dame Gallia bezahlt, nachdem ſie wieder geneſen, 
ihren Aerzten die Rechnung,“ zeigt Oeſterreichiſche, 
Preußiſche, Ruſſiſche und Engliſche Krieger, denen 
von der ſtattlichen Gahia ganze Körbe voll Geſchuͤtz 
und Feſtungen angewieſen werden, die fie frohlok⸗ 
kend einpacken, (der Englaͤnder hat auch ein Li⸗ 
nienſchiff mit der dreifarbigen Flagge unter dem 
Arm); auf der dritten endlich: „die Exoreiſten,“ 
wird der Teufel, welcher die Dame Gallia ſo lange 
beſeſſen, (Napoleon in voller Uniform, mit Flü- 
geln, Pferdefuͤßen, Pferdeſchweif, und Hoͤrnern auf 
dem Hut,) durch verbuͤndete Kraft, (Soldaten der 
Alliirten, die ſehr handgreiflich manipuliren,) end- 
lich ausgetrieben, und faͤhrt in die Gergeſener 
Heerde, (Saͤue, mit franzoͤſiſchen Sturmhuͤten, die 
im Sturmſchritt vom Schauplatz rennen.) Sie 
ſind allerliebſt ausgefuͤhrt. 


) Fantaſieſtuͤcke Bd. 4. der aͤltern Ausgabe: 
„Kreisler's muſikaliſch ⸗poetiſcher Klubb: Prinzeſſin 


104 Neunter Abſchnitt. 


ſtellung für Baumgärtner, — ein. großes 
Mufikftüc: „die Schlacht bei Leipzig,“ unter 
dem angenommenen Namen Arnulph Boll: 
weiler, u. ſ. w. 

Mit allem dieſen konnte er jedoch einer 
gewiſſen Unluſt an dieſen Beſchaͤftigungen 
nicht entgegen arbeiten, die ihn vorzuͤglich zu 
Ende des Auguſt gedruckt zu haben ſcheint. 
„Unthaͤtigkeit,“ regiſtrirt er einmal in fein 
Tagebuch: „entſtanden aus ſeltſamen Traͤu⸗ 
„men; der innere Poet arbeitet, und uͤberfluͤ⸗ 
„gelt den Criticus und aͤußern Bildner.“ 

Auch war es nur das Bedürfniß, das 
ihn darauf hingewieſen. Denn, durch ſeine 
Krankheit, und durch einen unangenehmen 
Vorfall mit Seconda, der Hoffmann das 
Subordinirte in ſeiner Stellung zu dieſem, 
als Director ganz unfaͤhigen, Manne, fuͤhl⸗ 
bar machte, bewogen, hatte Letzterer Hoff⸗ 
mann ſchon am 26ſten Februar feine Stelle 
aufgekündiget, worauf dieſer denn augenblick⸗ 
lich vom Theater abging, und nun mit einem 


Blandine. In die neue hat er die Blandine, als 
ein mißlungenes Werk, nicht wieder aufgenommen. 
Der Ignatz Denner ſteht in den Nachtſtücken. 


Dresd. u. Leipzig 1813 — 1814. 105 


male wieder ſo ganz ohne allen aͤußern Halt 
da ſtand, als nur jemals fruͤher. 

Recht wie ein Engel des Troſtes fuͤr 
ihn, erſchien daher am ten Juli ſein Hip⸗ 
pel, auf einer Durchreiſe, in Leipzig. „Er 
»„iſt noch immer der Alte, er ſagte mir eine 
„Anſtellung in Berlin augenblicklich zu; er 
„ſchenkte mir feine goldene Repetiruhr, u. ſ. w. 
ſteht, mit Ausrufungszeichen des Entzuͤckens, 
im Tagebuch. | | 

Wirklich bot Hippel auch, gleich nach 
ſeiner Ruͤckkunft nach Berlin, Alles auf, um 
ſeinem Freunde eine Wiederanſtellung in Preu⸗ 
ßiſchen Staatsdienſten zu verſchaffen. Theils 
Beſcheidenheit, da er ſich, nach fo langer Un⸗ 
terbrechung, nicht mehr faͤhig glaubte zu an⸗ 
dern, als ſubalternen, Geſchaͤften; theils die 
Ruͤckſicht, nicht in zu viel Dienſtarbeiten ver⸗ 
ſtrickt zu werden, um Zeit zu behalten, fuͤr 
die Kunſt fortwährend zu wirken, ließen Hoff⸗ 
mann den Wunſch naͤhren, ein Unterkommen 
als Expedient bei irgend einem Miniſterio zu 
finden; eine Lage, in welcher man ſich, bei 
mäßiger Arbeit, völliger Verantwortungslo⸗ 
ſigkeit erfreut; aber es wollte ihm nicht ge⸗ 
lingen. Vielmehr wurde ihm, von Seiten 


106 Neunter Abſchnitt. 


des Juſtizminiſterii, die Propoſition gemacht, 
auf ein halbes Jahr, ohne Gehalt, bei'm 
Kammergericht in Berlin zu arbeiten, um 
ſich mit den Fortſchritten der Legislation in 
der Zeit, in welcher er vom Dienſt entfernt 
geweſen war, bekannt zu machen, demnaͤchſt 
aber wiederum, nach ſeiner Anciennitaͤt als 
Rath, einzuruͤcken; — und, wie er jetzt ſtand, 
durfte er kein Bedenken tragen, jedes Aner⸗ 
bieten anzunehmen, das ihm einigermaßen 
Aus ſichten für eine geſicherte Zukunft eroͤff⸗ 
nete. Er erklaͤrte ſich daher beifaͤllig, und 
reiſte, gegen Ende des September 1814, von 
Leipzig nach Berlin, wo er am 27ſten ankam. 


Zehnter Abſchnitt. | 
Berlin 1814 — 1822. 


Keinen, ihm näher ſtehenden, Freund fand 
Hoffmann jetzt in Berlin, als Hitzig, den, 
wunderbar genug, ſein Schickſal ganz einen 
Ähnlichen Weg, wie ihn, gefuͤhrt. Durch 
die Kataſtrophe in Warſchau feiner Anſtel⸗ 
lung bei der Regierung beraubt, wie jener; 
von nem unwiderſtehlichem Hange zu einem 
literariſchem Treiben gezogen, wie Hoffmann 
zu einem kuͤnſtleriſchen, hatte er, im Jahre 
1808, als Hoffmann die Muſikdirectorſtelle 
in Bamberg annahm, eine Buchhandlung in 
Berlin errichtet, ſie mit großen Gluͤck in den 
Schwung gebracht; aber, durch ein ſchmerzli⸗ 
ches Ereigniß, welches ihn im Fruͤhling 
1814 betraf, dem Verluſt ſeiner Gattin, be⸗ 
wogen, den Entſchluß gefaßt, ſeine Handlung 


108 Zehnter Abſchnitt. 


aufzugeben, und, nach jetzt beendetem Kriege, 
wo ſich neue Ausfichten im Staats dienſt er⸗ 
oͤffneten, zu demſelben zuruͤck zu kehren. Es 
war ihm, von dem Juſtizminiſterio, die glei⸗ 
che Bedingung dabei geſtellt worden, als 
Hoffmann; naͤmlich, fuͤr einen Zeitraum von 
6 Monaten, als Huͤlfs-Arbeiter bei'm Kam: 
mer⸗Gericht einzutreten, und beide Freunde, 
die eine gewiſſe Scheu, einander wechſelſeitig 
als wankelmuͤthig zu erſcheinen, verhindert 
hatte, ſich fruͤher von der veraͤnderten Rich⸗ 
tung ihrer aͤußeren Verhaͤltniße in Kenntniß 
zu ſetzen, ſahen ſich nun, nach acht Erfahrungs⸗ 
ſchweren Jahren, am Gerichtsſitzungstiſche, 
einander wieder als Collegen gegenuͤber ſitzen, wie 
ehedem in Warſchau. Daß dies fie noch en; 
ger an einander knuͤpfen mußte, liegt in der 
Natur der Sache, und wirklich lebte Hoff⸗ 
mann, in der erſten Zeit ſeines jetzigen Au⸗ 
fenthalt's in Berlin, nur fuͤr den engſten 
Kreis ſeines alten Freundes. Zu dieſem ge⸗ 
hörten Fouqué, Chamiſſo, der nachmalige 
Weltumſegler, Conteßa, der Dichter des Raͤth⸗ 
ſels, u. ſ. w., und alle dieſe gaben ſich Hoff⸗ 
mann mit der Liebe hin, die er damals im 
vollſten Maaße verdiente. Er war, durch 


Berlin 1814 — 1822. 109 


die mannigfaltigen Leiden der vergangenen 
Jahre, milder geworden, als je, in hohem 
Grade beſcheiden, mittheilend, und von einer 
Gemuͤthlichkeit, daß die Kinder Hitzig's ſich 
des neu angekommenen Freundes ihres Va⸗ 
ters nicht genug erfreuen konnten. So leb⸗ 
ten ſie z. B., damals grade in der Hoffnung, 
ihren Liebling, Undine, mit leiblichen Augen, 
auf der Buͤhne zu ſehen, und Hoffmann, um 
ihnen einen Vorſchmack von dieſer Seeligkeit 
zu geben, mahlte ihnen zum Weihnachts⸗ 
Abend mit der groͤßten Sorgfalt, die Burg 
Ringſtetten, bau'te fie ihnen auf, und erleuch⸗ 
tete ſie prachtvoll von innen; fuͤr ſie ſchrieb 
er ferner die Märchen Nußknacker und Maͤuſekd⸗ 
nig, in denen ſie, zu ihrer hoͤchſten Freude, unter 
ihren Namen erſchienen, und, das fremde Kind; 
— in ſeinem Tagebuche aber bemerkte er, 
ſich eines ſo reinen Lebens bewußt, nichts; 
als: „froͤhlich und guter Dinge.“ Fuͤr die 
Abende hatte Hitzig, der wohl wußte, daß es 
Hoffmann, wenn er den Tag uͤber gearbeitet 
hatte, — und das that er redlich, — unmoͤg⸗ 
lich war, ſie zu Hauſe zuzubringen, und daß 
er dann nirgends lieber ſeyn mochte, als an 
einem Öffentlichen Orte, wo er unaufhoͤrlich 


110 Zehnter Abſchnitt. 


Neues bemerkte, ein anſpruchloſes Kaffeehaus 
gewaͤhlt, das den Vorzug gewaͤhrte, ſich da⸗ 
rin von den Gaͤſten, mit denen man keinen 
naͤhern Verkehr wuͤnſchte, abſondern zu koͤn⸗ 
nen, und hier bildete ſich bald um Hoffmann 
und ſeine naͤchſten Freunde, als Centrum, 
ein größerer, lebendiger, und in ſich höchft 
zufriedener, Zirkel, deſſen ſpaͤtere Aufloͤſung 
keiner der dazu gehoͤrigen Theilnehmer mit 
Gleichguͤltigkeit trug. 

In ſeiner Amtsfuͤhrung hatte Hoffmann 
dabei bald die Aufmerkſamkeit auf ſich zu 
ziehen gewußt. Man ſchien es erſt nicht zu 
begreifen, daß der Mann, welcher, noch vor 
kurzem, die Battute im Orcheſter gefuͤhrt, 
jetzt, in dem ernſten Criminal⸗Gericht, dem 
er als Mitglied zugetheilt worden, ſeinen 
Platz vollſtaͤndig ausfuͤllen, und die Feder, 
der die Fantaſieſtuͤcke in Callots Manier ent⸗ 
floſſen, die regelrechteſten Relationen ſchrei⸗ 
ben koͤnne, und doch mußte ſelbſt der Neid 
zugeſteh'n, daß ſeine juriſtiſchen Arbeiten auch 
nicht eine Spur der ſchoͤngeiſteriſchen Halb⸗ 
bildung an ſich trugen, die Schwaͤchlinge ſo 
gern überall durchblicken laſſen, um zu zei⸗ 
gen, daß ſie hoͤher ſtehen, als Andere; ſon⸗ 


x 
4 

* 

* 


Berlin 1814 — 1822. 111 


dern daß fie vielmehr, wie Alles wahrhaft Gedie- 
gene, ganz einfach und ſchmucklos auftraten.“) 

An ſchriftſtelleriſchen Arbeiten lieferte 
Hoffmann, bis zu Ende des Jahr's 1815, 


„) Nur in einzelnen Gattungen feiner erimina⸗ 
liſtiſchen Arbeiten, mag Hoffmann vielleicht der 
Vorwurf treffen, von ſeiner Individualitaͤt auf Irr⸗ 
wege geleitet worden zu ſeyn, z. B. in Sachen, 
wo es auf einen Beweis durch kuͤnſtlich ineinander⸗ 
greifende Anzeigen von Verbrechen, oder auf Be⸗ 
urtheilung zweifelhafter Gemuͤthszuſtaͤnde, ankam. 
Dort gefiel er ſich, hin und wieder, in Combinatio⸗ 
nen, die mehr von Scharfſinn, und zugleich von 
Fantaſie, als von ruhiger Ueherlegung, zeigten; — 
hier, in Erörterungen, die nur in das Gebiet der 
pſychiſchen Arzeneikunſt, und nicht in das der Rechts⸗ 
wiſſenſchaft, gehoͤrten. Seine Darſtellungen der 
Thatſachen waren aber immer untadelich, und von 
einer nicht genug zu lobenden Praͤeiſion. Ein 
Beiſpiel ſeiner Art zu referiren, moͤge das, in der 
erſten Beilage zu dieſem Abſchnitt, abgedruckte Gut⸗ 
achten, geben. Der Herausgeber hat es zu dieſem 
Zwecke mit Vorbedacht ausgewaͤhlt, und mehrere 
viel glaͤnzendere Ausfuͤhrungen zuruͤckgelegt, weil, 
bei einem Geiſte, wie Hoffmann's, die Faͤhigkeit, ſo 
natürlich Maaß zu halten, offenbar bewunderungs⸗ 


3 if, als die nen. en des Vor⸗ 
ags 


112 Zehnter Abſchnitt. 


1815, den zweiten Band der Elixiere des 
Teufels, ein Werk, auf das er ſelbſt keinen 
Werth legte. Er war, zwiſchen der Ausar⸗ 
beitung des erſten und zweiten Theils, durch 
die Veraͤnderung ſeiner Lage, aus dem Zu⸗ 
ſammenhang gekommen, den er kuͤnſtlich wie⸗ 
der herzuſtellen ſuchte, und das wollte ihm 
immer nicht gelingen. 

Ferner ſchrieb er in dieſer Zeit, fuͤr den 
vierten Theil der Fantaſieſtucke: die Aben⸗ 
theuer der Sylveſternacht, angeregt durch 
Chamiſſo's Peter Schlemihl, und die Be⸗ 
kanntſchaft mit dem Dichter den er darin 
ſelbſt ſehr treffend dargeſtellt hat; ferner die 
Correſpondenz des Kapellmeiſter Kreisler mit 
dem Baron Wallborn, oder Kreisleriana Nr. 
1 2 

Dieſer letztere Aufſatz verdankt einem anmu⸗ 
thigen Ereigniffe feine Entſtehung. Zu Hitzig's 
Bekannten gehoͤrte naͤmlich ein Schweſtern⸗ 
paar ausgezeichneter Saͤngerinnen, „zwei im 

Wett⸗ 


) Beides in den Fantaſteſtuͤcken in Callot's 
Manier; er Bd. in der zweiten, und ar Bd. in 
der erſten Ausgabe. | 


Berlin 1814 — 1822. 113 


Wettgefang kaͤmpfende Nachtigallen, aus de; 
ren tiefſter Bruſt hell und glänzend die herr: 
lichſten Töne auffunkelten, ) wie Kreisler 
fie Wallborn ſchildert. Nichts war natuͤrli⸗ 

cher, als daß Hitzig wuͤnſchte, ſeinem Freun⸗ 

de bald den Genuß zu verſchaffen, die Schwe⸗ 
ſtern zu hoͤren; aber, bei ihrer großen Be⸗ 
ſcheidenheit, wuͤrden ſie es nicht gewagt ha⸗ 
ben, ſich vor dem Dichter der Fautaſieſtuͤcke 
zu produciren, die damals in allen mufifalifchen 
Kreiſen Berlins von ſich ſprechen machten. 
Hoffmann wurde daher dem eben von ſeinen 
Gütern angekommenen Fouqus, als ein gleich- 
gültiger Doctor Schulz aus Rathenow, bei: 
geordnet, und ſo gelang es, die Schweſtern 
an das Inſtrument zu bringen *); aber, kaum 
hatte der Geſang begonnen, er mit ſeinen klugen 
Augen darein geſchaut, und ſein Wort dazu 
gegeben, als es einer der Saͤngerinnen auf⸗ 


* 


* Kreisleriana Nr. IX. 


) „Man hatte mich heute Abend anders vorge⸗ 
zeichnet; ich hieß naͤmlich Doctor Schulz aus Ra⸗ 
thenow, weil ich, nur unter dieſer Vorzeichnung, 
dicht am Fluͤgel ſtehend, den Geſang zweier Schwe⸗ 
ſtern anhören durfte.“ a. a. O. 


8 


114 Zehnter Abſchnitt. 


ging, wen ſie vor ſich habe, und es nun 
nicht mehr verborgen werden konnte, — je 
doch ohne ſtoͤrenden Erfolg; „man hatte des 
Kreisler's tollen Spleen geſcheut; aber der 
Doctor Schulz war in dem muſikaliſchen 
Eden, das ihm die Schweſtern erſchloſſen, 
mild und weich und voll En tzuͤcken, und die 
Schweſtern waren verſoͤhnt mit dem Kreis⸗ 
ler, als in ihn ſich der Doctor Schulz plög- 
lich umgeftaltete.” “) 

So verging das Jahr 1815 für Hoff 
mann auf eine, im Ganzen hoͤchſt angenehme, 
Weiſe; jedoch auch nicht ohne druͤckende Sor⸗ 
gen, indem ſich noch immer keine Gelegenheit 
zu ſeiner Anſtellung mit einem fixen Gehalt, 
fand. Aber eben dieſe Sorge war, wie dies 
ſchon aus den fruͤhern Abſchnitten klar ge⸗ 
worden ſeyn wird, die nothwendige Bedin⸗ 
gung, ihn in dem Gleiſe eines maͤßigen, und, 
wie ſehr er oft das Gegentheil zu glauben 
ſchien, ſeinem Koͤrper und Geiſte allein 
zutraͤglichen, Lebens, zu erhalten. 

Das folgende Jahr 1816 fuͤhrt zwei ſehr 
Einflußreiche Exeigniſſe für ihn herbei, die, 


) 4. a. O. 


Berlin 1814 — 1822, 415 


wie fie auf der einen Seite fein aͤußeres Gluͤck 
befoͤrderten, auf der andern, ſein inneres 
allmaͤhlig zu untergraben dienten. Am 1ſten 
Mai naͤmlich ruͤckte er, bei einer im Kammer⸗ 
getichte entſtehenden Vacanz, als Rath, nach 
ſeiner bedeutenden Anciennetaͤt, in dies Col⸗ 
legium ein, welches Verhaͤltniß, verbunden 
mit den anſehnlichen Honoraren, die er nun 
ſchon erhielt, ihm, der, außer fuͤr ſich, nur 
fuͤr die Beduͤrfniſſe einer, in ihren Anſpruͤchen, 
uͤber alle Begriffe beſcheidenen Frau, zu ſor⸗ 
gen hatte, die Mittel gab, mehr als gemaͤch⸗ 

lich zu leben; und, im naͤmlichen Sommer 
noch, wurde ſeine Undine, mit großer Pracht, 
auf die Berliner Buͤhne gebracht, und mit 
Beifall aufgenommen, wodurch er eine Local⸗ 
Celebritaͤt, und mit ihr Einladungen uͤber 
Einladungen in Berliner Geſellſchaftskreiſe, 
erhielt. 

Geld aber, uͤber ſeinen Nothbedarf, und 
geſellſchaftlicher Wirrwar, waren die zwei 
Klippen, die Hoffmann nie zu umſchiffen ver⸗ 
ſtand. Durch erſteres ließ er ſich, zu allen 
Zeiten, zur Schwelgerei, namentlich im Trunk, 
durch letzteren, zur Umkehrung aller Regel im 
Leben, verleiten; ſo daß er aus Tag, Nacht, 

92 


116 Zehnter Abſchnitt. 


und aus der Nacht, Tag machte. In dieſen 
zwel Verkehrtheiten, die zuletzt in eine große 
zuſammenfloſſen, iſt die Quelle von Hoff⸗ 
mann's nachmaligem koͤrperlichem, und leider 
auch geiſtigem, Verfall zu ſuchen, und darum 
erforderlich, etwas ausführlicher über dieſen 
Gegenſtand zu ſeyn, wobei einige Worte über 
eine Spielart des ſocialen Verkehrs in Ber⸗ 
lin nicht am unrechten Orte ſteh'n moͤgen. Es 
leuchtet hierbei zuvoͤrderſt ein, daß, in der 
angegebenen Beziehung, von den Geſellſchaf⸗ 
ten nicht die Rede ſeyn kann, die aus Leuten 
beſtehen, welche zuſammenkommen, um zu 
eſſen, zu trinken, und, in Ruhe, ihre Parthie 
Whiſt zu ſpielen. Dieſe ſehen ſich aller Or⸗ 
ten gleich, und zu ſolchen laͤd't man auch 
keine Dichter, wenigſtens nicht in dieſer Qua⸗ 
lität, ein. e a 
Es handelt ſich vielmehr von gewiſſen, 
ſogenannten gebildeten, Kreiſen, deren Rich⸗ 
tung es iſt, Alles, was ſich in irgend einer 
Gattung Ausgezeichnetes darbietet, an ſich 
zu zieh'n, um ſagen zu koͤnnen, daß man es 
auch bei ſich gehabt habe, für welches 
haben denn, nach advenant, wie der 
Wandsbecker Bote ſagt, der Ehrenſold in 


Berlin 1814 — 1822. 417 


Thee und Butterbrod, bis hinauf zu Auſtern 
und Rheinwein, bezahlt wird. Dieſer Unter⸗ 
ſchied muß ausdrücklich hervorgehoben wer⸗ 
den, denn es iſt der einzig weſentliche; — 
abgeſehen davon, und von dem, was genau 
damit zuſammenhaͤngt; naͤmlich, beſcheidenes 
Boudoir, oder Enfilade von Zimmern, eine 
Magd in Putz, oder Lakaien in Livree, alt⸗ 
teſtamentariſche oder altadeliche Wirthe, Talg⸗ 
lichter oder Wachskerzen, (wachsplattirte lie⸗ 
gen in der Mitte,) u. ſ. w., — ſieht eine 
dieſer Geſellſchaften, auf ein Haar, der an⸗ 
dern ähnlich; man koͤmmt naͤmlich zuſammen, 
um, entweder Muſik zu machen, oder zu an⸗ 
dern Kunſtleiſtungen, hoͤchſtens in einer Voll⸗ 
kommenheit, wie man ſie an oͤffentlichen Or⸗ 
ten fuͤr Geld mit Leichtigkeit finden kann; 
oder zu einem laulichen Hin- und Herreden 
uͤber Theater, neue ſchoͤne Literatur, u. dergl.; 
— public spirit fehlt in Berlin in der an⸗ 
geblich beſſern Societaͤt gaͤnzlich, daher ge 
deih't dort kein tieferes Geſpraͤch uͤber Ange⸗ 
legenheiten der Welt, oder des Vaterlandes, 
wogegen freilich alles Perſoͤnliche, als in das 
Gebiet der Maͤnnerklaͤtſcherei gehoͤrig, ſeine 
Stelle findet. Kommt nun ein Fremder an, 


118 Zehnter Abſchnitt. 


den man in die beſchriebenen Kreiſe zieh't, fo 
iſt er entweder intereſſant, oder nicht; iſt er 
es, ſo kann er Kuͤnſte machen, ſpielen, ſin⸗ 
gen, dichten, und dann wird er eingeladen, 
um ſich hoͤren und ſehen zu laſſen; iſt er es 
nicht, fo ſoll er da ſeyn, um zu hören und 
zu ſehen, und in der Stadt zu erzaͤhlen, daß 
er, da und dort, den und den, gehoͤrt und 
geſeh'n, damit nicht verborgen bleibe, daß 
auch der und der, den und den, bei ſich 
gehabt habe. 

Hoffmann ſchien nun für Zirkel dieſer 
Gattung ein unerhoͤrter Fund. Was konnte 
der Mann nicht Alles! — Buͤcher ſchreiben, 
die ganz Deutſchland von ſich reden machten, 
auf dem Piano fantaſiren, Opern componi⸗ 
ren, Karikaturen zeichnen, Witz ſprudeln, wie 
er den Mund oͤffnete; der Ruf war ihm vor⸗ 
angegangen, und mit Recht erwartete man 
nun von ihm, daß er, dankbar für die guͤti⸗ 
gen Einladungen, erſt der Geſellſchaft ein 
noch ungedrucktes Manuſcript vorleſen, dann 
die Tochter vom Hauſe accompagniren, dann 
eine alte Großmutter, oder einen vornehmen 
Beſchuͤtzer der Künfte, mit ſchoͤnen Redens⸗ 
arten unterhalten werde, u. ſ. w., worauf 


Berlin 1814 — 1822. 119 


man Gäfte genug gebeten und vorbereitet 
hatte. — Aber wie ſah' man ſich getaͤuſcht, 
wenn er die furchtbarſten Geſichter zu ſchnei⸗ 
den anfing, ſobald er ſich langweilte, und 
dies geſchah' immer, wenn ſich nicht wenig⸗ 
ſtens ein ihn anregendes Prinzip in der Geſell⸗ 
ſchaft entdecken ließ; wenn er laut zu ſpre⸗ 
chen begann, waͤhrend man ſich mit Muſik⸗ 
ſtuͤcken abquaͤlte, die man ſorgfaͤltig ausge⸗ 
ſucht, weil er ſich in ſeinen Schriften daruͤber 
aus geſprochen, wenn er endlich plotzlich und 
abſichtlich das unſinnigſte Zeug redete, ſo wie 
er merkte, daß man es darauf angelegt, et⸗ 
was von ihm abzubekommen. 

Wie mochte es aber, bei einer Natur wie 
Hoffmann's, ſich auch anders geſtalten! Um 
mit dem Strome eines ſo nichtigen Treibens, 
als das dargeſtellte, ſchwimmen zu koͤnnen, 
muß man entweder eine ſehr kleinliche Eitel⸗ 
keit, die mit Weihrauch jeglicher Gattung zu⸗ 
frieden iſt, oder eine Art von Gutmuͤthig⸗ 
keit beſitzen, die ſich an einigem guten Willen, 
der doch hie und da nicht fehlt, genuͤgen 
läßt, und, bei der einem, indem man ſieh't, 
daß man Wohlgefallen um ſich verbreitet, 
ſelbſt am Ende wohl, und bis auf einen ge⸗ 


120 Zehnter Abſchnitt. 


wißen Punkt gemuͤthlich, wird. Von beiden, 
ſowohl von jener Eitelkeit der kleinen Sorte, 

als von der beſchriebenen Gutmüͤthigkeit, 
war aber Niemand ferner, als eben Hoff⸗ 
mann. Wie alles, ſo war auch die Eitelkeit, 
bei ihm in großen Styl; er ſtrebte überall, 
wo es Genuß galt, — und Eitelkeit gab ihm 
den hoͤchſten, — nach dem Vollen, Ganzen; 
abgeſtandene Beifallsphrafen, wie fie die feine 
Societaͤt, heute uͤber einen neuen Taͤnzer, 
morgen über das neueſte Werk von Gothe, 
und übermorgen etwa über: den blutigen 
Kampf einer unterdruͤckten Nation, aus ei⸗ 
nem Beutel auszugeben pflegt, konnten ihm 
keine Freude machen; dabei forderte er, wenn 
er unterhalten ſollte, daß man ſich von nichts 
anderm unterhalten laſſen ſollte, als von ihm, 
und, daß man ihm nicht allein ausſchließlich zuhoͤ⸗ 
ren, ſondern mit Geiſt zubören follte, und zwar 
nicht nur mit eig nem Geiſt, ſondern mit ſeinem 
Geiſt, das heißt, mit einem, der entweder fan⸗ 
taſtiſch fliegen, oder witzig nachſpringen konnte, 
wie er, mit der Taktrolle des ſchnell dahin⸗ 
ſprudelnden Wortes, den Ton angab. Welche 
Anſpruͤche an einen armen Berliner Thee! 
Und war dieſer nur wenigfiens nicht an Al⸗ 


Berlin 1814 — 1822. 121 
lem arm; fand ſich irgend etwas, was ihn 
ſchadlos halten konnte; zwar dumme Maͤn⸗ 
ner, aber huͤbſche Frauen; oder dumme Mäns 
ner und haͤßliche Frauen, aber ausgeſuchter 
Wein; ungemuͤthliche Stimmung der Geſell⸗ 
ſchaft, aber eine frazzenhafte Erſcheinung, die 
ihn Stoff zu irgend einer poetiſchen Figur 


gab; ſo ging es noch an mit ihm; fehlte es 


aber an alle dem, und hielt ſich das Ganze 
in den Graͤnzen der gewoͤhnlichen Mittelmaͤ⸗ 
ßigkeit von der die Meiſten eben meinen: 
je ne demande pas mieux, ſo war es mit 
ſeiner Laune nicht auszuhalten. Hier erſchien 
denn auch der Mangel an geſelliger Gutmuͤ⸗ 


thigkeit, von welchem oben geſprochen wor— 


den, im vollſten Lichte. War einmal, durch 


das Alltaͤgliche, der Daͤmon der Langeweile, 


— fuͤr ihn die furchtbarſte der Plagen, — 
in ihm erwacht, ſo bemeiſterte ſich ſeiner, 
ohne alle Uebertreibung geſprochen, eine wahre 
Wuth, die characteriſtiſch in feinen Geſichts⸗ 
muskeln ſpielte, und die er, wenn er nicht 
die Gelegenheit fand, ihr, in der Geſellſchaft 
noch, Luft zu machen, entweder durch einige gall⸗ 
bittere Sarkasmen, oder durch Aeußerungen, die 
er wie Wahnwitz geſtaltete, um verlegene Geſich⸗ 


122 Zehnter Abſchnitt. 


ter um ſich her zu ſehen, auch ſelbſt dann 
nicht verlaͤugnen konnte, wenn er ſchon wie⸗ 
der heimgekehrt war, wo er in ſein Tage⸗ 
buch niederzuſchreiben pflegte: „ſchaͤndlich en⸗ 
nuyirt,“ u. dergl.; ja, die ihn oft nach meh⸗ 
reren Tagen noch erfaßte, wenn er ſeinen 
Freunden die ausgeſtandene Qual ſchilderte. 
Einmal auf dieſem Wege, konnte er nicht 
zuruͤckgebracht werden, mochten Wirth und 
Wirthin, oder Gaͤſte mit feinem Blick, aus 


dem beſten Herzen, Alles aufbieten, ihn um⸗ 


zuſtimmen; vielmehr reizte jeder Verſuch, ihn 
in die allgemeine Froͤhlichkeit hineinzuziehen, 
wenn ſich eine ſolche entwickelt hatte, zu groͤ⸗ 
ßer'm Unmuth, und, in der Regel, wandte 
er ſich dann nicht zu Einem, der ihn freundlich 
angeredet, ſondern zu einem Dritten, um 
dieſem eine Art von Antwort auf die Frage 
des Anredenden zu ſagen. 

Daß nun die zahme Societaͤt, wo ſolche 


Erſcheinungen nicht häufig vorgekommen ſeyn 


mochten, und in der jeder ſeine Rechnung 
fuͤr einen verlorenen Abend vollſtaͤndig ſaldirt 
zu haben glaubt, wenn es ihm verſtattet ge⸗ 
weſen, die Langeweile, welche er empfunden, 
mit der, die von ihm ausgegangen, zu be⸗ 


V 


Berlin 1814 — 1822. 123 


zahlen, wenig Behagen an einem ſo ſtache⸗ 
lichen Mitgliede fand, iſt leicht zu begreifen, 
und, nur ſehr ſelten iſt der Fall vorgekommen, 
daß Hoffmann mehr als ein, hoͤchſtens einige 
mal, in dieſe Art von anſtaͤndigen Theege⸗ 
ſellſchaften gebeten wurde. | 
Nunmehr diefer Art der gerſtreuung le⸗ 
dig waͤre er vielleicht gern in den beſcheide⸗ 
nen Kreis ſeiner alten Freunde zuruͤckgekehrt, 
die, an ein haͤusliches, zuruͤckgezogenes, Leben 
gewoͤhnt, doch Jahr aus, Jahr ein, in einem 
lebendigen und gedeihlichen geiſtigen Verkehr 
ſtanden; der eine, ergaͤnzend, wo es dem 
Andern fehlte, und der andere, dankbar da⸗ 
für, und liebevoll⸗empfaͤnglich. Aber, — 
mochte es ſeyn, daß die Freunde ſich verletzt 
fuͤhlten, durch die Leichtigkeit, mit welcher 
Hoffmann fie, auf die erſte Lockung der Welt; 
eitelkeit der eiteln Welt, verlaſſen; oder, ſey 
es, daß er blos aus dem Gleiſe gekommen; 
oder endlich, daß ihm, bei gluͤcklich veraͤn⸗ 
derten aͤußern Umſtaͤnden, die fruͤhern maͤßi⸗ 
gen Genüffe mit den Freunden nicht mehr 
ausreichend ſchienen; — kurz, es machte ſich 
nicht mehr, wie ſonſt, und, Freund aller 
Extreme, ging er aus der Geſellſchaft wohl— 


1 


124 Zehnter Abſchnitt. 


erzogener Leute, welche, Kraͤmer in Kunſt 
und Leben, beide in kleinen Portionen ver⸗ 
treiben, recta unter die Schaar der Groß⸗ 
haͤndler, die, auf die Gefahr des Bankerott's 
hin, den Genuß des Lebens⸗Capitals allein in 
deſſen moͤglichſt ſchnellem Umſchwung fuchen, — 
aus den Theeſalons, in das Weinhaus, wo er ſein 
Hauptquartier definitiv aufſchlug, ſich den Grund⸗ 
ſatz aufſtellend, daß, wenn man Kunſtgenuͤſſe 
haben wolle, man fie an oͤffeutlichen Orten 
für fein Geld beſſer finde, als in Privatzir⸗ 
keln für beſchwerliche Kratzfuͤße, und, daß 
die Geſellſchaft in der Weinſtube vor allen 
übrigen den Vorzug habe, daß, wenn ſie ei⸗ 
nem nicht gefiele, man weggehen koͤnne, wenn 
man wolle, ohne daß es der Wirth übel 
nehme; — Argumente, gegen welche, wenn 
man an eine gewiſſe Freiheit gewoͤhnt iſt, 
wirklich eben nicht viel möchte zu erinnern ſeyn. 

So waͤre denn der Punkt bezeichnet, von 
welchem aus Hoffmann's Verſinken begann, 
und, nach den mechaniſchen Geſetzen des Kal- 
les, am Ende leider mit furchtbarer Schnelle. 
Es darf ein Dritter dies unverholen ausſpre⸗ 
chen, denn er ſelbſt hat es auf ſeinem Ster⸗ 
bebette, nicht allein mit der Klarheit, mit der 


Berlin 1814— 1822. 125 


er Alles durchſchaute, eingeſeh'n, ſondern 
auch in die Hand des Herausgebers freiwillig 
und feierlich das Verſprechen niedergelegt, 
ſein ganzes Leben aͤndern zu wollen, wenn 
Gott ihm die Geſundheit wiederſchenkte. Es 
hat nicht ſeyn ſollen; aber ſchon der Vorſatz 
dient ihm zur Ehre! | 

/ Seine Lebensordnung in den letzten ſechs 
Jahren, von 1816 bis 1822, war die. Am 
Montage und Donnerſtage brachte er die Vor⸗ 
mittage in den Sitzungen des Kammerge⸗ 
richts, an den andern Tagen, zu Hauſe, ar⸗ 
beitend, die Nachmittage in der Regel ſchla⸗ 
fend, im Sommer auch ſpazierengehend, zu; 
die Abende und Nächte in dem Weinhauſe. 
War er, was haͤufig, in manchen Perioden 
taͤglich, geſchah, Mittags oder Abends, oder 
Mittags und Abends, in Geſellſchaft, — 
denn nicht aus aller Geſellſchaft, bloß aus 
der ſeiner Freunde und aus den feinern Thee's, 
war er geſchieden; dagegen unter Maͤnnern 
und bei Trinkgelagen, immer ein willkomme⸗ 
ner Gaſt, — oft Abends in zwei Cirkeln, 
von ſieben bis neun, und von neun bis zwoͤlf, 
geweſen ); ſo ging er, es mochte ſo ſpaͤt 
— nn 


) „Von ſteben bis acht,» ſchrieb er einmal 


126 Zehnter Abſchnitt. 


ſeyn, als es wollte, wenn alle andere ſich 
nach Hauſe begeben, noch in das Weinhaus, 
um dort den Morgen zu erwarten; früher 
in ſeine Wohnung zuruͤckzukehren, war ihm 
nicht gut möglich. van 

Man denke hiebei aber nicht etwa an 
einen gemeinen Trinker, der trinkt und trinkt, 
aus Wohlgeſchmack, bis er lallt und ſchlaͤft; 
gerade das Umgekehrte war Hoffmann's Fall. 
Er trank, um ſich zu montiren; dazu gehörte 
Anfangs, wie er noch kraͤftig war, weniger; 
ſpaͤter, natürlich mehr; — aber, war er ein⸗ 
mal montirt; wie er es nannte, in exotiſcher 
Stimmung, die, oft bei einer halben Flaſche 
Wein, auch nur ein gemuͤthlicher Zuhoͤrer 
hervorrufen konnte, fo gab es nichts Inter 
reſſanteres, als das Feuerwerk von Witz und 
Glut der Fantaſie, das er dann unaufhalt⸗ 
ſam, oft fünf, ſechs Stunden hintereinander, 
vor der entzuͤckten Umgebung aufſteigen ließ. 


— 


dem Herausgeber, „bin ich bei * geweſen, wo ver⸗ 
nünftige Leute Thee mit Rum tranken, und von 
acht bis eilf, bei **, wo wieder vernünftige Leute 
Rum mit Thee tranken,“ — und, beide Kreiſe wa⸗ 
ren hiedurch vollkommen characteriſirt. 


Berlin 1814 — 1822. 127 


War aber auch ſeine Stimmung nicht exal⸗ 
tirt, ſo war er im Weinhauſe nie muͤßig, wie 
man ſo viele ſitzen ſieht, die nichts thun, als 
nippen und gaͤhnen; er ſchau'te vielmehr mit 
ſeinen Falkenaugen uͤberall umher; was er 
an Laͤcherlichkeiten, Auffallenheiten, ſelbſt an 
ruͤhrenden Eigenheiten, bei den Weingaͤſten, 
bemerkte, wurde ihm zur Studie für feine 
Werke, oder er warf es mit fertiger Feder 
auf das Papier ); kurz, er ſprach ſelten 
ſeine Freunde, ohne daß er ihnen neue und 
pikante Cuxioſa aus dieſer ſeiner Welt zu er⸗ 
zaͤhlen wußte. 

Unter ſolchen Umſtaͤnden haͤtten auch, die es 
am beſten mit ihm meinten, ihm dieſe Erho⸗ 
lung gern goͤnnen koͤnnen, — oft war der 
geiſtreichſte Kreis um ihm verſammelt, und 
Fremde, die nach Berlin kamen und ihm gern 
ſehen wollten, ſuchten ihn, da ſeine Lebens⸗ 


Die Weinhandlung von Lutter und Wege⸗ 
ner in Berlin, — Hoffmann beſuchte nur dieſe ei⸗ 
ne, — beſitzt noch ein ganzes Portefeuille voll die⸗ 
ſer, zum Theil ſehr charaeteriſtiſchen, Blätter eine 
Art von Stammbuch, wo die Carikaturgaͤſte, un⸗ 
freiwillig und unbemerkt, eingeſchrieben wurden. 


128 Zehnter Abſchnitt. 


weiſe bekannt war, immer in ſeinem Wein⸗ 
hauſe auf, — wäre nur der zerftdrliche Einfluß 
zu beſeitigen geweſen, den das unausgeſetzte 
Nachtſchwaͤrmen, verbunden mit geiſtiger An, 
ſtrengung aller Art, am Tage, — da er mit ſei⸗ 
nen Dienſtarbeiten nie im Ruͤckſtande blieb, 
und Bücher über Bücher ſchrieb, — unaus bleib⸗ 
lich auf ſeine Geſundheit aͤußern mußte. 
Auch iſt nicht zu laͤugnen, daß der immer⸗ 
waͤhrende Umgang mit einer Geſellſchaft, 
wie ſie ſich in oͤffentlichen Haͤuſern zuſammen 
zu finden pflegt, nach und nach die Faͤhigkeit in 
ihm untergrub, ſich, unter edleren Umgebungen, 
wuͤrdig zu benehmen, und ein gewißer Cy⸗ 
nismus aus ſeinem Betragen hervorblickte, 
der ſolche, die ihn nicht genauer kannten und 
wußten, welchen Kern die oft rauhe Schaale 
berge, leicht von ihm abzuſtoßen geeignet 
war. Endlich hatte das geſteigerte Beduͤrf⸗ 
niß des Weines, vielen Weines, des beſten 
und allerbeſten Weines, die Folge, daß er 
leichteren Erwerb vorzog, und Lieblings plaͤne, 
die er ſein ganzes Leben hindurch in ſich ge⸗ 
tragen hatte, unausgeführt ließ, ſie immer 
auf beſſere Zeiten verſchiebend. So wollte 
er, nach der beifaͤlligen Aufnahme der 

Un⸗ 


Berlin 1814 — 1822. 129 


Undine, noch eine leichte, an's Komiſche ſtrei⸗ 
fende, jedoch ſich in einem romantiſchen Ge⸗ 
biete bewegende, Oper componiren. Hitzig 
hatte ihm, zu dieſem Ende, das Sujet des 
Calderonſchen galan fantasma, als, alle jene 
Bedingungen etrfuͤllend, empfohlen; er ergriff, 
nachdem er mit dem Inhalt bekannt gemacht 
worden, — er ſelbſt verſtand nicht ſpaniſch, 
und damals exiſtirte noch keine Ueberſetzung, 
— auf das bloße, ihm mitgetheilte, Scena⸗ 
tium, die Idee mit einer ſolchen Liebe, daß 
er Conteſſa, der die Bearbeitung des Textes 
uͤbernommen hatte, und, dem die Loͤſung die⸗ 
ſer Aufgabe wundervoll gelungen iſt, nicht 
genug antreiben konnte, die Oper zu vollen⸗ 
den; aber, als ſie fertig war, hat er, in 
„Jahren, nichts daraus geſetzt, als ein 
paar Lieder. Dies Werk ſollte ſein hoͤchſtes 
ſeyn, und dabei blieb es. Eben ſo ging es 
mit dem mehrerwaͤhnten Werke von tiefer In⸗ 
tention: lichte Stunden eines wahnſinnigen 
Muſikers; dem dritten Bande des Kater 
Murr, zu dem der Plan auf das Grandioſeſte 
angelegt war, und den er im Kopfe ſchon 
ausgearbeitet hatte; ſo daß es nur des Nieder⸗ 
ſchreibens bedurfte, u. a. m. Dann kamen aber 
25 


130 Zehnter Abſchnitt. 


immer Beſtellungen von Taſchenbuchs⸗Erzaͤh⸗ 
lungen, mit Anerbietungen von ſechs, acht, 
zehn Friedrichsd'or, fuͤr den Bogen; das gab 
Aus ſichten auf neue, gute Weinerndten; ein⸗ 
mal lief ſelbſt fuͤr die Scuderi, von den 
Gebruͤdern Wilmans in Frankfurt am Mayn, 
naͤchſt dem Honorar, als Captatio benevo- 
lentiae für folgende Jahre, eine große Kiſte 
koͤſtlicher Weine in natura ein; und ſo, durch 
die vorherrſchende Neigung, uͤberall verſtrickt 
in ſclaviſche Bande, ging die freie Thaͤtigkeit 
eines ſo herrlichen Geiſtes allmaͤhlig unter. 

Eine Oaſe voll duftender Blumen tauch⸗ 
ten, in den erſten Jahren des wuͤſten Wein⸗ 
haus lebens, die Serapions⸗Abende aus dem⸗ 
felben auf. Hitzig nämlich, dem es am we⸗ 
heſten that, Hoffmann ſeinen wahren Freun⸗ 
den, um des Umgangs mit Zechbruͤdern wil⸗ 
len, ganz entfremdet zu ſehen, hatte die Ein⸗ 
richtung begründet, daß man einmal in der 
Woche in Hoffmann's Wohnung zuſammen 
kam, um ſich mit einander zu beſprechen, und 
das etwa Gearbeitete mitzutheilen, wobei, 
um den Charakter dieſer Geſellſchaft nicht zu 
verletzen, die hoͤchſte Maͤßigkeit als Hauptge⸗ 
ſetz angenommen war, ein Grundſatz, von 


Berlin 1814 — 1822. 131 


welchem auch, ſo lange jene Zuſammenkuͤnfte 
beſtanden, nicht abgewichen wurde. 
Die Grundpfeiler dieſes Vereins bilde⸗ 
ten, naͤchſt Hoffmann, Conteſſa, Koreff, ein 
ausgezeichneter Arzt, ) und Hitzig. Ein, vor⸗ 
trefflicher in einander greifendes Quatuor, 
mochte nicht leicht zu finden ſeyn. Koreff 
war der einzige Menſch, dem Hoffmann ge⸗ 
duldig zuhoͤrte, weil er ihn in der Unterhal⸗ 
tung, an ſprudelndem lebendigem Witze oft, 
und an Kenntnißen immer, uͤberbot, auch da⸗ 
bei gutmuͤthig genug war, ihn reden zu laſſen, 
ſo oft er wollte; Conteſſa, ſelbſt wenig redend, 
horchte auf Alles, was die Freunde an Witz 
ausgeh'n ließen, mit dem beredteſten Beifalls⸗ 
laͤcheln, das ihm unaufhoͤrlich um die Mund⸗ 
winkel ſpielte, von Zeit zu Zeit ein kleines, 
aber entſcheidendes, Woͤrtchen zugebend, und 
Hitzig, der mit Conteſſa das Publikum bil⸗ 
dete, und alle drei uͤbrigen, laͤnger und beßer, 
als fie ſich unter einander, kannte, verſtand 
darum die Kunſt, Luͤcken im Geſpraͤch auszu⸗ 


Sen 


) Sprechend find beide gezeichnet, Serapions⸗ 
Brüder Band 2. Conteſſa, als Sylveſter S. A., und 
Koreff, als Vinzenz, S. 6. 

32 


132 Zehnter Abſchnitt. 


fuͤllen, und wo es matt wurde, es wieder an⸗ 
zuregen, ſich willig jedes Anſpruch's auf So⸗ 
loparthieen be gebend. 
Am Abende eines Tages, der, nach dem von 
Hoffmann's Gattin, hetbeigebrachten polni⸗ 
ſchen Kalender, den Namen des heiligen Se⸗ 
rapion fuͤhrte, wurde die Geſellſchaft einge⸗ 
weih't, nach jenem Heiligen benannt, und ge⸗ 
dieh Fröhlich, bis fie durch den Umſtand, daß 
Conteſſa ſeinen Wohnort von Berlin verleg⸗ 
te, und in Koreffs Perſon begründete Hin⸗ 
derniße, zum großen Leidweſen Aller, ihr Ende 
erreichte; denn wirklich wurde in einer ſol⸗ 
chen Zuſammenkunft eine Maße von Witz 
und Geiſt conſumirt, daß ein gewoͤhnlicher 
Thee, durch die ganze Lebenszeit des Theegebers, 
davon haͤtte beſteh'n, und noch auf ſeine Er⸗ 
ben ein gutes Theil übergeben koͤnnen. 
Auch an erfreulichen Beſuchen fehlte es 
den Serapions⸗Bruͤdern nicht. Ein richtiger 
Tact ſagte den Mitgliedern ſchon, wen ſie 
mitbringen durften, wen aber nicht, und ge⸗ 


) Man vergleiche mit diefer ganzen Erzählung 
Seravions⸗Bruͤder Bd. 1. ©. 20. 140. 222. u. g. g. O. 


Berlin 1814 1822. 133 


wiß iſt keiner der Zugezogenen unbefriedigt 
aus dem heitern Kreiſe geſchieden. ) 
Kehren wir nun, nach dieſer langen Ab⸗ 
ſchweifung uͤber Hoffmann's geſelligen Ver⸗ 
kehr, zu den Ereignißen ſeines Lebens und 
ſeinen literariſchen Arbeiten zuruͤck, ſo findet 
ſich, von dem Jahre 1816, zuvoͤrderſt nur 
ſeine Bekanntſchaft mit Oehlenſchlaͤger, ) 


) Der Herausgeber erinnert, unter andern, 
Herrn General von Pfuel in Coblenz, an den Abend, 
wo die Verſuche gemacht wurden, einen Ring durch 
die Willenskraft in Bewegung zu ſetzen, und Herrn 
Baron v. H., in Coͤln, an die Ausfuͤhrung ſeiner 
neugriechiſchen Lieder; — ſeine ſchwache Stimme mit 
Göthe's entſcheidender, (S. Über Kunſt und Alter⸗ 
thum. Vierten Bandes, erſtes Heft. S. 168.) zu 
der Bitte vereinend, jene herrlichen Lieder dem Pu⸗ 
blikum nicht langer vorzuenthalten. 


%) Wie freundlich ſich Oehlenſchlaͤger, fuäter, 
noch jener Bekanntſchaft erinnert, möge nachfichen- 
der Empfehlungs⸗Brief beweiſen: 

Kopenhagen den 26ten März 1621. 


Hochzuverehrender Freund! 
„Ich labe mich noch immer in der Erinnerung an 
„den herrlichen Cardinal, den Ew. Ehrwuͤrden mit 
„eig’ner gelehrter Hand verfertigten, und den die 


134 Zehnter Abſchnitt. 


und ein ſeltſamer Beſuch ſeines Neffen, ei⸗ 
nes Sohnes ſeines oben erwaͤhnten Bru⸗ 
ders “) nachzutragen, woruͤber ſich das Frag⸗ 
ment eines Briefes an dieſen ſeinen Bruder 
vorgefunden hat, das zu characteriſtiſch iſt, 
a der 1 men zu koͤnnen, 


24 Fr an 


„dichterische Tria ER uno 11 ge⸗ 
„noſſen, wodurch unſre Seelen, Gedanken, Phanta⸗ 
„fien, Klugheiten und Tollheiten, zuſammen floſſen, 
„und einen vollſtaͤndigen Pa b ſt aus machten. en 
„Vergeben Sie meinen Styl, ich bin der bu: 
„moriſtiſchen und deutſchen Sprache an ſo ge- 
„wohnt wie Sie.“ a. nen 
„Hier ſchicke ich Ihnen einen jungen, gelehr⸗ 
„ten, ſehr gutmuͤthigen und beſcheid· nen Dänen, 
„der bei euch Fremden Mores u. ſ. w. lernen ſoll.· 
„Tunken Sie ihn auch ein wenig in die Zau⸗ 
„berfee Ihrer Laune, mein Wertheſter! Und lehren 
„Sie ihn, wie man im ironiſchen Tollhausmantel 
„ein Philoſoph und Weltweiſer ſeyn kann; und 
„was mehr iſt, ein ſehr liebenswuͤrdiger Mann. 
„Der ich ewig verharre ihr wahrer Freund 
„und Verehrer 


„A. Oehlenſchlaͤger 
„Serapions⸗ ruder. 1. 


N Nämlich er, Souaue und Hoffmann. 
5) Th. 1. S. 2. 


Berlin 1814 — 1822. 135 


es in den Beilagen mitzutheilen. Von ſei⸗ 
nen Werken iſt keines mit der Jahreszahl 
1816 bezeichnet, doch ſchrieb er in dieſem 
Jahre mehreres, was in dem erſten Band 
der Serapions⸗Bruͤder aufgenommen wurde. 
In dem naͤchſtfolgenden, 1817, erſchie⸗ 
nen die Nachtſtuͤcke. Von dieſem ſind in 
Berlin gearbeitet: der Sandmann und das 
Majorat, in denen Koͤnigsbergſche Figuren, 
nach den in der erſten Jugendzeit erhaltenen 
Eindrücken aufgefaßt, auftreten; die Jeſuiter⸗ 
kirche und das ſteinerne Herz, in denen Glo⸗ 
gauiſche Erinnerungen verarbeitet ſind; fer⸗ 
ner, das Geluͤbde, nach einer Geſchichte, die 
Hoffmann's Frau ihm aus ihrer Vaterſtadt, 
Poſen, erzaͤhlte; endlich das Sanctus, und 
das oͤde Haus. Zu dem erſtern hatte ihm 
das Ereigniß die Veranlaßung gegeben, daß 
eine der oben“) erwähnten Sängerinnen, nach: 
dem ſie in der Kirche geſungen, ploͤtzlich, un⸗ 
ter den in der Erzählung angegebenen, wirk— 
lich merkwuͤrdigen, Umſtaͤnden, fuͤr einige Zeit 
die herrliche Stimme verlor, und Hoff⸗ 
mann neckend behauptete, es ſey die Strafe 


) Th. 2. S. 112. 


136 Zehnter Abſchnitt. 


dafuͤr, weil fie beim Sanctus die Kirche ver⸗ 
laßen; zu letzterem aber der Eindruck, den ein, 
unter den Linden belegenes, Haus auf ihn 
machte, deſſen Fenſter nach vorn hinaus nie 
geöffnet erſchienen, und hinter denen ſeine 
Fantaſie ihm allerlei Spukhaftes ſehen ließ. 
Zu dem, vor ſeinen letzten Aufenthalt in 
Berlin geſchriebenen Ignatz Denner, hatte er 
den Stoff in Bamberg erhalten. 

1818 erſchien von ihm kein groͤßeres 
Werk; 1819 aber, zuerſt der Dialog: ſeltſame 
Leiden eines Theater⸗Directors, ſodann: klein 
Zaches. Die Entſtehungs⸗Geſchichte des er⸗ 
ſtern, erzaͤhlt er auf eine allerliebſte Weiſe, 
in der dem Leſer des gegenwaͤrtigen Buches 
wohl erſt vollkommen verſtaͤndlichen Vorrede, 
folgendergeſtalt. f Ber 

„Vor etwa zwölf Jahren, ging es dem 
Herausgeber dieſer Blaͤtter, beinahe eben ſo, 
wie dem bekannten Zuſchauer Herr Gruͤnhelm, 
in Tiek's verkehrten Welt. Das duͤſtere Ver⸗ 
haͤngniß jener Ereignißreichen Zeit, draͤngte 
ihm mit Gewalt heraus aus dem Parterr, 
wo er ſeinen bequemen, behaglichen, Platz 
gefunden, und noͤthigte ihn, einen Sprung zu 
wagen, der zwar nicht bis auf's Theater, 


Berlin 1814 — 1322. 137 


wohl aber bis in's Orcheſter, auf den Platz 
des Muſik⸗Directors, reichte. 

Auf dieſem Platz ſchaute er nun das 
ſeltſame Treiben der wunderlichen kleinen 
Welt, die ſich hinter Couliß' und Gardine 
regt und bewegt, recht in der Naͤhe an, und 
dieſe Anſchauung, vorzuͤglich aber die Her⸗ 
zensergießungen eines ſehr wackern Theater- 
Directors, deſſen Bekanntſchaft er im ſuͤdli⸗ 
chen Deutſchland machte, gab Stoff zu dem 
Geſpraͤch zweier Theater⸗Directoren, das er 
ſchon damals aufſchrieb, als er noch nicht 
in das Parterre zuruͤckgeſprungen war, wie 
er es in der Folge denn wirklich that, u. ſ. w.“ 

Klein Zaches iſt eines von Hoffmann's 
Werken, welches ihm die meiſten Mißdeutun- 
gen zugezogen, und doch gab es nichts un⸗ 
ſchuldigeres, als die Art, wie dies Maͤrchen 
entſtanden. 

Im Fruͤhjahr 1819 war er naͤmlich ſchwer 
erkrankt, an einem Unterleibsuͤbel mit gich- 
tiſchen Zufaͤllen. Hitzig beſuchte ihn taͤglich, 
und mußte dann immer zuerſt hoͤren, welche 
Fantaſien des Fiebers, die Hoffmann's Kopf je⸗ 
derzeit mit neuen Bildern fuͤllten, zunaͤchſt die 
Oberhand bei ihm gewonnen. So kam er 


138 Zehnter Abſchnitt. 


eines Nachmitttags, und Hoffmann, ihm die 
glühende Hand vom Krankenlager herüber⸗ 
reichend, und noch im heftigſten Fieberanfalle, 
rief ihm gleich, in kurzen raſchen Abfägen, 
wie ſte die Hitze ausftößt, entgegen: „Denken 
Sie, was fuͤr ein paar verwünſchte Ideen 
mir eben gekommen ſind. Ein haͤßlicher, dum⸗ 
mer kleiner Kerl, — faͤngt alles verkehrt an, 
— und wie was Apartes geſchieht, hat er's 
gethan. — Wird z. B. ein fehdnes Gedicht 
in einer Geſellſchaft von einem Andern ver⸗ 
leſen, — er wird als Verfaſſer geehrt, und 
empfaͤngt dafuͤr das Lob, und ſo durchweg. 
— Dann wieder ein Andrer, der einen Rock 
hat, — wenn er ihn anzieht, — werden die 
Aermel zu kurz, — und die Schoͤße zu lang. 
— Sobald ich wieder geſund werde, muß 
aus den Kerls ein Maͤrchen gemacht werden.“ 
Hitzig konnte nicht umhin, den Gedanken 
drollig zu finden, und, bei Hoffmann's be; 
fluͤgelter Eil, war er auch kaum wieder auf 
den Beinen, als der kleine Zaches ſchon fer⸗ 
tig da lag, den er vielleicht in nicht 14 Tas 
gen gearbeitet. Hatte er nun darin eine im 
Orte bekannte Karikaturgeſtalt dem Leſer vor 
die Augen geſtellt, wie er es nicht unterlaſſen 


Berlin 1814 — 1822. 139 


konnte, im Weinhauſe jede laͤcherliche Fi- 
gur auf das Papier zu werfen, oder in 
der Geſellſchaft Alles, was in das Ge 
biet des Komiſchen fiel, laut zu bemerken; 
ſo lag darin eben ſo wenig eine praͤmeditirte 
Bosheit, die ihm oft zur Laſt gelegt worden 
if, als darin eine ſtrafbare politifche Geſin⸗ 
nung, wenn er in ſeinem letzten Werke die 
Erzaͤhlung mit Ausdruͤcken ſtaffirte, die er 
aus, mit Recht, geheim gehaltenen, ihm nur 
durch ſein Amt zugaͤnglich gewordenen, Acten 
geſchoͤpft; vielmehr war, in dem einen und 
dem andern Falle, nichts eben das Motiv ſeines 
Handelns, als eine voͤllige Ruͤckſichtsloſigkeit 
in Beziehung auf die Folgen, wenn es galt, 
einem witzigen Einfalle Luft zu machen. Daß 
mit dieſer Bemerkung der Vorwurf des Fei- 
nesweges zu billigenden Leichtſinns, der dort 
den Menſchen, hier den Geſchaͤftsmann, trifft, 
nicht zu beſeitigen iſt, verſteht ſich, ohne wei⸗ 
tere Ausfuͤhrung. 

Uebrigens iſt ſowohl der Umſchlag zum 
kleinen Zaches, ſo wie zu ſeinen ſpaͤtern Wer⸗ 
ken, den beiden Baͤnden des Katers Murr, 
und des Meiſter Floh, von Hoffmann ſelbſt 
erfunden und gezeichnet. Er war durch Hikig- 


140 Zehnter Abſchnitt. 


auf Henſel's ahnliche Arbeiten, auf dem Ein 
bande der Arndt'ſchen Maͤrchen, aufmerkſam 
gemacht worden, hatte Wohlgefallen daran 
gefunden, und die Idee gleich in e eee 
benutzt. 

Im Sommer 1819 mache en 
auf Verordnung feines Arztes, eine Reiſe in 
die ſchleſiſchen Baͤder, die ihm ungemein 
wohl bekam. Er traf dort mit Conteſſa zu⸗ 
ſammen, machte die Bekanntſchaft von Schall, 
Weisflog, und andern geiſtreichen Leuten, und 
kehrte fo geſtaͤrkt und heiter zuruck, als ihn 
ſeine Freunde lange nicht geſehen. Nie wird 
der Herausgeber, der, während feiner Abwe⸗ 
fenheit, die Correktur des erſten Bandes vom 
Kater Murr beſorgt hatte, die Gemuͤthlichkeit 
vergeſſen, mit welcher Hoffmann, am fruͤhen 
Morgen nach ſeiner Ruͤckkunft, in ſeinem 
Hauſe erſchien, und ihm einen kryſtallenen 
Prachtpokal feierlich uͤberreichte, in welchen 
er den Kater, nach einer ſehr gelungenen, 
von ihm in Warmbrunn entworfenen, Zeich⸗ 
nung hatte ſchneiden laſſen, mit der Umſchrift: 
„Der junge Autor ſeinem an Eon 
rektor.“ 


Bald nachher wurde Shfnäns in ein ihm 


Berlin 1814 — 1822. 141 


wieder ganz neues Feld der Thaͤtigkeit beru— 
fen, naͤmlich zum Mitgliede einer Immediat⸗ 
Unterſuchungs⸗Commiſſion zur Ermittelung 
geheimer, Staatsgefaͤhrlicher, Verbindungen 
ernannt, und ſoll auch hier ſehr brauchbare, 
und vorzuͤglich elegant . Arbeiten ge⸗ 
liefert haben. 

Endlich gab er, bis zum Schluſſe dieſes 
für ihn, in fo vielfältiger Beziehung, reichen 
Jahres, den erſten und zweiten Band der Se⸗ 
rapionsbrüder heraus, deren dritter 1820, 
und vierter 1821, erſchien. 

Der Verleger dieſes Werkes hatte ihn 
naͤmlich, wie er in der Vorrede zu demſelben 
berichtet, aufgefordert, ſeine, in Journalen 
und Taſchenbuͤchern verſtreuten, Erzaͤhlungen 
und Maͤrchen zu ſammeln, und mit neuen zu 
vermehren, und hierdurch, ſo wie durch den 
Umſtand, — ſo bemerkt er ferner, — daß 
er mit ſeinen herzgeliebten Freunden, nach 
langer Trennung, (durch die unternommene 
Schleſiſche Reiſe,) an einem Serapionstage 
wirklich wieder zuſammentrat, war er be— 
ſtimmt worden, jener Aufforderung Raum zu 
geben. Man findet hiernach in dem genann⸗ 
ten Buche, theils jene Erzaͤhlungen, theils 


142 Zehnter Abſchnitt. 


einen fortlaufenden, zur Vereinigung derſel⸗ 
ben in ein Ganzes dienenden, Dialog, in 
welchem er ſich vorgeſetzt, ein moͤglichſt treues 
Bild des Zuſammenſeyns der gleichgeſinnten 
Serapionsbräder aufzuſtellen, wie ſie fic) 
einander die Schoͤpfungen ihres Geiftes mit- 
theilen, und ihr Urtheil daruͤber ausſprechen. 
Inm Fruͤhjahr des naͤchſtfolgenden Jahres 
1820 hatte Hoffmann eine große Freude. 
Ein Reiſender brachte ihm einen herzlichen 
Brief von Beethoven *). nem lane 


Er möge, in feiner großartigen eue, 
hier von: 
Wien den 23ten März 1820. 


„Ja ergreife die Gelegenheit, durch Herrn N. mich 
„einem fo geiſtreichen Manne, wie Sie find, zu nd- 
„bern. Auch über meine Wenigkeit haben Sie ge 
„ſchrieben, auch unſer Herr R. N. zeigte mir in 
„ſeinem Stammbuche einige Zeilen von Ihnen uͤber 
„mich. Sie nehmen alſo, wie ich glauben muß, 
„einigen Antheil an mir. Erlauben Sie mir, zu 
„ſagen, daß dieſes von einem, mit ſo ausg ic 
„ten Eigenſchaften begabten Manne Ibhresgleichen 
„mir ſehr wohl thut. Ich wuͤnſche a alles 
„Schöne und Gute, und bit * 
„Ew. Woblgeboren 
„mit Hochachtung ergebenfler 
„Beethoven.“ 


Berlin 1844 — 1822. 143 


Verehrung dieſes Meiſters gekannt haben, um 
beurtheilen zu koͤnnen, wie dieſer Gruß aus 
der Ferne auf ihn wirkte. 

Im Sommer dieſes Jahres kam Spon⸗ 
tini, nach Berlin gerufen, dort an. Auch 
dieſen Componiſten achtete Hoffmann im hoͤch⸗ 
ſten Grade. Er fand ſich veranlaßt, ihn in 
der Zeitung mit einem Willkommen zu begruͤ⸗ 
ßen, ein Schritt, der ihm, wie manche an⸗ 
dere ſpaͤtere Annaͤherung an den intereſſanten 
Mann, vielfaͤltig verargt worden iſt, weil 
man darin eine ſeiner unwuͤrdige Kriecherei 
zu finden meinte. Von keinem Fehler war 
er aber wohl mehr entfernt, als von dieſem. 
Leicht kann es ſeyn, daß die große Auszeich⸗ 
nung, die Spontini ihm, als einem der ge⸗ 
wandteſten Schriftſteller, dem er alſo mit 
Recht einen Einfluß auf die öffentliche Mei- 
nung zutrauen durfte, bewies, ſeiner Eitelkeit 
ſchmeichelte, und ihn auch geneigt machte, die 
Ueberſetzung des urſpruͤnglich franzoͤſiſchen 
Textes der Olympia, — eine Arbeit, die 
ſonſt nicht ganz paſſend für ihn war, — zu 
übernehmen; aber es iſt in die Augen fallend, 
wie verſchieden dies Motiv, ſelbſt wenn man 
es vorausſetzen koͤnnte, und das ſoll keines⸗ 


144 Zehnter Abſchnitt. 


weges behauptet werden, von einer Schmei⸗ 
chelei wider beſſere Ueberzeugung, ſeyn wurde. 
Soviel iſt gewiß, daß er die Bearbeitung 
der Olympia mit der größten" Luft betrieb, 
und von der Schoͤnheit und Wirkung dieſer 
Muſik ſeinen Freunden nicht genug zu . 
men wußte. * * 
Endlich erſchien 1820 che be a 

der Lebens anſichten des Kater Murr, dem 1822 
der zweite folgte und der, mit dem dritten, lei⸗ 
der auf dem Papier nicht angefangenen, aber 
im Kopfe ſchon ganz vollendeten, ſchließen 
ſollte. Zu der aͤußern Form dieſes Buches 
war Hoffmann durch einen ausgezeichnet ſchoͤ⸗ 
nen Kater veranlaßt worden, den er auferzo⸗ 
gen hatte, und der ihm wirklich mehr als 
gewöhnlichen Thierverſtand zu haben ſchien; 
wenigſtens war er unerfchöpflich in Erzaͤhlun⸗ 
gen von den Klugheiten, welche von dieſem 
Liebling, der in der Regel in dem Schubka⸗ 
ſten des Schreibtiſches ſeines Herrn, den er 
ſich mit den Pfoten ſelbſt aufzog, und auf deſ⸗ 
ſen Papieren, ruhte, ausgegangen ſeyn ſollten. 
Der Held der Dichtung, Johannes Kreisler, 
ſchon aus den Fantaſieſtuͤcken der leſenden 
Welt bekannt und werth geworden, war aber 

eine 


Berlin 1814— 1822. 145 


eine Perſonificirung feines humoriſtiſchen Ich's, 
weshalb auch in keinem ſeiner Werke ſo viel, 
auf Wahrheit gegruͤndete, Beziehungen auf 
ſein eigenes Leben, zu finden ſind, als in die⸗ 
ſem. Der dritte Band ſollte Kreislern bis 
zu der Periode fuͤhren, wo ihn die erfahrnen 
Taͤuſchungen wahnſinnig gemacht, und, unmit⸗ 
telbar an dieſen Band ſich die, ſchon mehr⸗ 
mals erwaͤhnten, lichten Stunden eines wahn⸗ 
ſinnigen Muſikers anſchließen *). 


** 


) Hiezu hat ſich folgender Croquis im Nach⸗ 
laß vorgefunden: 


Lichte Stunden eines wahnſi innigen Muſi kers. 
Ein Buch für Kenner. 


Die Liebe des Kuͤnſtlers. 

Der kuͤhle Augenblick. 

Klang aus dem Norden. 

Klang aus dem Suͤden. 

Myſtik der Inſtrumente. 

Muſikaliſches Helldunkel. 

Ton⸗Arten. 

Zerſtreutheit des Kuͤnſtlers (grade entgegenge⸗ 
feht) (nach dem Takt gehn — Rollen der Räder — 
Anekdoten.) 

Ahnungen der Muſik des E 

Die Noten. 

K 


146 Zehnter Abſchnitt. 


Auf den Kater Murr legte Hoffmann, 
faſt unter allen feinen Werken, den höoͤchſten 
Werth, und in dem letzten Theile deſſelben 
glaubte er zu leiſten, was er fruher noch 

nicht vermocht. 

f Zu ſeinem Geburtstage in dieſem Jahre 
hatte ihm Koreff übrigens ein Heft mit äch- 
ten Callotſchen Blättern geſchenkt. Dieſe 
gaben ihm die Idee zu der Prinzeſſin Bram⸗ 
billa, die im naͤchſtfolgenden, 1821, erſchien, 
und zu der er mehrere jener Blaͤtter, mit Ge⸗ 
genſtaͤnden, die in den Gang der Handlung 
eingreifen, abbilden ließ. 

In der Vorrede bezeichnet er ſeinen 
Zweck bei dieſem Maͤrchen dahin, daß es eine 


Das Geheimniß der Fuge. (Frage und Ant⸗ 
wort. Zwey Worte, oder die Herberge im Walde). 

Piano — forte — crescendo fortissimo — 
decrescendo — ritardando — dolce a tempo — 
smorzando. 

Bewuſtloſes Empfangen — unerachtet der Com⸗ 
poniſt zur klaren Erkenntniß gekommen — er macht 
ſo ſelbſt ſeinen Critiker — zertheilt in zwey gei⸗ 
ſtige Prinzipe, die der Moment ſcheidet. 

Mozart als Kind erinnere mich daran, daß 
ich den Hörnern recht viel zu thun gebe. 


0 
= 
x 
7 
77 
= 
5 
5 


Berlin 1814 — 1822. 147 


aus einer philoſophiſchen Anſicht des Lebens 
geſchoͤpfte Hauptidee berſinnlichen follte, und 
die hier zum Grunde liegende war, die Ver⸗ 
bindung des Humors mit der Fantaſie. Er 
glaubte das Werk gelungen, und uͤbergab es, 
wie ſeine fruͤheren, ſeinem Freunde Hitzig, 
deſſen Urtheil darüber fordernd. Dieſer, der 
ihn ſtets mit der groͤßten Offenheit behandelte, 
verhehlte ihm nicht, daß er ihn hier auf ei⸗ 
nem ſchon oft, aber noch nie ſo entſchieden, 
betretenen Abwege zu erblicken glaube, naͤm⸗ 
lich dem des Nebelns und Schwebelus, mit 
leeren Schatten, auf einem Schauplatz ohne 
Boden und ohne Hintergrund, und empfahl 


ihm, um ihm zu zeigen, was bei dem Pu⸗ 


blikum jetzt mit Recht anfange, das hoͤchſte 
Gluͤck zu machen, etwas von Walter Scott 
zu leſen, — (denn ohne aus druͤcklich darauf 
hingewieſen zu werden, las Hoffmann nichts 
neues;) — unmaßgeblich den Aſtrologen. 

Schon am naͤchſten Morgen erhielt er 
folgende Antwort, die eine ſehr merkwuͤrdige 
Selbſtanſchauung enthaͤlt. 

„Geſtern Abend war Koreff bei mir, und 
„hatte die Guͤte, mir auf mein Bitten noch 
„ganz ſpaͤt den Aſtrolog zu ſchicken, den ich 

K 2 


148 Zehnter Abſchnitt. 


„mächftens leſen werde, da ich ihn in dieſem 
ra — verfhlinge, Ein ganz treffli⸗ 
— treffliches Buch, in der größten Ein⸗ 
— reges lebendiges Leben und kraͤftige 
„Wahrheit! — Aber! — fern von mir liegt 
„dieſer Geiſt, und ich wuͤrde ſehr übel thun, 
„eine Ruhe erkuͤnſteln zu wollen, die mir, 
„wenigſtens zur Zeit noch, durchaus gar nicht 
„gegeben iſt. Was ich jetzt bin und ſeyn 
„kann, wird pro primo det Kater, dann 
„aber, will's Gott, auf andere Weiſe noch, 
„der Jacobus Schnellpfeffer, der viel⸗ 
„leicht erſt 1822 erſcheinen dürfte, zeigen.“ — 
Der Fruͤhherbſt dieſes Jahres 1821 führte 
zwei ſehr angenehme Ereigniſſe für Hoffmann 
herbei. Sein geliebteſter Jugendfreund Hip⸗ 
pel erſchien wieder für langere Zeit in Ber 
lin, und ferner, ruͤckte er, bei feiner Ancien⸗ 
netaͤt, und, nachdem ſich unlaͤngſt fein Gehalt 
auch noch bedeutend vermehrt hatte, in den 
Ober ⸗Appellations⸗Senat des Kammerge⸗ 
richts, als Mitglied ein. vr 
Dieſe Lage hatte er laͤngſt dd PP 
denn ſie befreit von allen juriſtiſchen Geſchaͤf⸗ 
ten außer dem Hauſe, und beſchraͤnkt dieſe bloß 
auf das Anfertigen ſchriftlicher Relationen, 


* 


Berlin 1814 — 1822. 149 


die dann, wenn ſie nach Muße fertig gemacht 
worden, an einem beſtimmten Tage in der 
Woche, vorzutragen ſind. Dies paßte vor⸗ 


trefflich zu Hoffmann's ſchriftſtelleriſchen Be 
ſchaͤftigungen, in denen er, durch ſeine fruͤhe⸗ 


re Situation, die es mit ſich brachte, daß er 
wenigſtens zweimal woͤchentlich in die Ge⸗ 
richtsſitzung erſcheinen, und vorher Arbeiten 
machen mußte, die an dieſen Sitzungstagen 
zum Vortrag kamen, ſich haͤufig unterbrochen 
ſah. Er nannte ſein jetziges Leben treffend 
ein doppeltes Autorleben, indem er, in ſeinem 
Geſchaͤfts⸗Verhaͤltniße, nur Manuſcript fuͤr 
die Regiſtratur, wie als Dichter, Manufeript 
fuͤr die Preße, zu liefern haͤtte. Dazu war 
ſein Finanz⸗Zuſtand, durch die Gehalts⸗Ver⸗ 
mehrung, dergeſtalt verbeſſert, daß er daran 
dachte, ſich in jeder Art mehr auszudehnen, 
einige Zimmer zu ſeinem Quartier zumiethete, 
um in dem einen, eine, ſich nach und nach anzu⸗ 
ſchaffende, Bibliothek aufzuſtellen, in dem andern 
aber, nur die Arbeiten, die zu ſeiner Erho⸗ 


lung dienten, vorzunehmen, u. dergl. mehr; 


kurz man konnte keinen, mit groͤßerer Freu⸗ 
digkeit in die Zukunft blickenden Mann ſe⸗ 
hen, als Hoffmann im Oktober 1821. 


150 Zehnter Abſchnitt. 


Aber, wie es oft im Leben zu geſchehen 
pflegt, daß die Gewitterſchwangere Wolke dem 
ſchon über dem Haupte ſteht, der ſie nicht 
erſchaut, weil er den Blick nicht von der 
Erde hebt, ſo ſollte es auch mit dem armen 
Hoffmann ſeyn. Nur noch Monate lang fol- 
te er das, ihm nun in jeder Beziehung ſo 
theuer gewordene, Leben, fortſetzen durfen, 
und, — welch ein Leben! N 

Der erſte Vorbote der Leiden, die ihm 
bevorſtanden, war, — man lache nicht, — 
der Tod ſeines Katers. d 

Am 30ten November 1821, erhielt der 
Herausgeber, früh am Morgen, folgende 
Karte: n 34.480 

„In der Nacht vom 2Iften zum Zoten 

„November entſchlief, nach kurzem, aber 

»ſchwerem, Leiden, zu einem beſſern Da⸗ 

»ſeyn, mein geliebter Zoͤgling, der Kater 

„Murr, im vierten Jahre ſeines hoff⸗ 

„nungsvollen Alters, welches ich theil— 

„nehmenden Goͤnnern und Freunden ganz 

»ergebenſt anzuzeigen nicht ermang'le. 

„Wer den verewigten Juͤngling kannte, 

„wird meinen tiefen Schmerz gerecht fin- 

„den, und ihn — durch Schweigen ehren.” 

„Hoffmann“ 


Berlin 1814 — 1822. 151 


Dieſer Spaß konnte dem auffallen, der 
Hoffmann nicht kannte; nicht ahndete, wie 
nahe oft bei ihm Scherz an Schmerz zu graͤn⸗ 
zen pflegte.) Der Herausgeber wußte, wie 
er es zu nehmen hatte. Am Abende fuͤhrte 
ihn ein Geſchaͤft aus ſeinem Hauſe, und, an 
der Weinſtube vorbei, in welcher Hoffmann 
ſeinen Wohnſitz aufgeſchlagen. Wenige 
Schritte davon, gewahrte er dieſen, langſam, 
und gebuͤckten Hauptes, einhergehend. Hoff⸗ 
mann ward auch ſeiner im Augenblicke anſich⸗ 
tig, und: „haben Sie meine Karte erhalten?“ 
fragte er mit Heftigkeit. Es wurde bejah't. 
„Nun, ſo thun Sie mir die einzige Liebe,“ 
ſo fuhr er fort, und treten mit mir in dies 
Kaffeehaus, (vor dem ſie eben ſtanden) wir 
koͤnnen da ungeſtoͤrt mit einander fprechen.” 
Es geſchah, wie er geſagt, er riß den Freund 
mit Ungeſtuͤm in ein Hinter⸗Zimmer, ſah' ſich 
um, ob ſie auch allein waͤren, und nun be⸗ 
gann er, mit vorausgeſchickter Bitte, ihn 
nicht zu verkennen; aber es ſey doch nun ein⸗ 
mal ſo, — das Bekenntniß, wie ihn der 


) Vergl. Th. 1. S. 261. die Rote 


152 Zehnter Abſchnitt. 


Tod des Thieres ergriffen, (welches zu retten, 
er Aerzte aus der Thierarzneiſchule hatte ho⸗ 
len laßen,) zugleich aber auch eine Schilde⸗ 
rung der Qual des Sterbens, daß ſich dem 
entſetzten Zuhörer die Haare in die Höhe 
richteten. „In der Nacht,“ ſo erzaͤhlte er 
unter andern, „winſelte der Murr gar zu er⸗ 
baͤrmlich, meine Frau ſchlief feſt; ich ſtand 
ſachte von ihrer Seite auf, ſchlich in die 
Kammer, wo er lag, hob die Decke auf, die 
über ihn gebreitet war, und nun ſah' er mich 
an, mit ordentlich menſchlichen Blicken, wie bit⸗ 
tend, daß ich ihm doch das Leben ſchenken 
moͤchte, und hoͤrte fuͤr einen Augenblick auf, 
zu jammern, als ob er Troſt in meinen Mie⸗ 
nen laͤſe. Da konnte ich es nun nicht laͤn⸗ 
ger ertragen, ließ das Tuch wieder über ihn 
hinfallen, und kroch in's Bett zuruͤck. Gegen 
Morgen ſtarb er, und nun iſt mir das Haus 
ſo leer, und auch meiner Frau. Ich wollte 
heute fruͤh gleich zu Flocati, und ihr einen 
ſprechenden Papagei kaufen; aber ſie will kei⸗ 
nen Erſatz, und ich auch nicht. Nicht wahr, 
Freund, Sie halten auch nichts von Surro⸗ 
gaten fuͤr geliebte Gegenſtaͤnde? u. ſ. w.“ 
Der Freund war ſo ergriffen von der 


Berlin 1814 — 1822. 153 


Stimmung, in welcher er Hoffmann fand, 
und ſo geruͤhrt von ſeinem Vertrauen, da er, 
der jeden Anſtrich von Sentimentalitaͤt auf 
das hoͤchſte ſcheute, ſich gewiß nur gegen ihn, 
den ſeit langen Jahren mit ſeinen innerſten 
Gefühlen Bekannten, fo auszuſprechen wagte, 
daß er ſeine Hand ergriff, und ihm ſagte: 
„Ihre Karte liegt ſchon bei den Papieren, 
die ich über Sie geſammelt, und auch dieſe 
Herzens ⸗Ergießung ſoll unvergeſſen ſeyn. 
Wenn ich Sie uͤberlebe, ſo ſchreib' ich Ihre 
Biographie, und beides ſoll darin nicht feh⸗ 
len.“ „„Ach! Sie werden mich gewiß uͤber⸗ 
leben,“ erwiederte er wehmuͤthig, und tief 
erſchuͤttert ſchieden die Freunde. 

Wie hätte es aber der Ueberlebende da— 
mals ahnden ſollen, daß er ſein Verſprechen 
ſo bald werde zu loͤſen haben! Noch ſtand 
Hoffmann in völliger Kraft der Geſundheit 
vor ihm; aber bald darauf befiel ihn die 
Krankheit, die, eine gaͤnzliche Erſchoͤpfung der 
Lebenskraft, und zuletzt eine Laͤhmung der 
Extremitäten herbeifuͤhrend, ihn, in dem reif- 
ſten Mannesalter, unerbittlich dahinraffte. 

Vor deren Ausbruch hatte er noch ſein 
letztes Werk, Meiſter Floh, geſchrieben. 


154 Zehnter Abſchnitt. 


Eine Aufforderung der Buchhandlung 
‚Gebrüder Wilmans, in Frankfurt am Main, 
die ihm, ſeit den großen Erfolg, den die 
Scuderi ihrem Taſchenbuch fuͤr Liebe und 
Freundſchaft gegeben, unaufhoͤrlich anlag, ein 
Werk fuͤr ihren Verlag zu ſchreiben, und ihn 
durch die glaͤnzendſten Anerbietungen, in Hin⸗ 
ſicht des Honorars, koͤderte, mag ihm die 
Veranlaſſung gegeben haben, dies Maͤrchen, 
aus laͤngſt verbrauchten Materialien, im Laufe 
von wenigen Wochen, zuſammenzuwuͤrfeln; 
aus irgend einem innern Antrieb iſt es, wie 
man auf den erſten Blick gewahrt, nicht her⸗ 
vorgegangen. Auch die, durch die bekannte 
Berftimmelung deßelben, daraus verſchwun⸗ 
denen Epiſode, würde ihm keinen ‚erhöhten 
Reiz gegeben haben. Sie enthielt Anſpielun⸗ 
gen, die nur ein ſehr bedingtes, zum Theil 
lokales, Intereße hatten, und, waͤre Hoffmann 
nicht ſo unvorſichtig geweſen, vorher davon zu 
ſprechen, daß er dies und jenes in dem Buche 
perſiffliren wollen, ſo würde kein Leſer, bei 
der Ungruͤndlichkeit des Publikums, das ſolche 
Schriften lieſt, gemerkt haben, wohinaus er 
gezielt. Übrigens war es, wie ſchon oben, bei 
Gelegenheit des kleinen Zaches, erwähnt wor⸗ 


Berlin 1814 — 1822. 155 


den, unpaßlich, daß er Laͤcherlichkeiten, zu de⸗ 
ren Kenntniß er auf amtlichem Wege gelangt, 
in ſeinem Maͤrchen dem Publikum Preis gab; 
aber es war ihm einmal unmoͤglich, Dinge, 
welche ihm aus dieſem Geſichtspunkte erſchie⸗ 
nen, am Wege liegen zu laßen, er mochte ſie 
finden, wo er wollte. 
Naͤchſt dem Meiſter Floh, beſchaͤftigte 
ihn, in dieſer Zeit, der Gedanke einer Fort⸗ 
ſetzung von Tieks merkwuͤrdiger Lebensge⸗ 
ſchichte des Abraham Tonelli im achten Bande 
der Straußfedern.) Was ſich davon im 
Nachlaße vorgefunden, wird, unter den Bei⸗ 
lagen zu dieſem Abſchnitte, nicht unwillkom⸗ 
men ſeyn. 
Hoffmann's letzter Geburtstag, der 24te 
Januar 1822, war von den bedeutendſten Au⸗ 
ſpizien fuͤr ihn begleitet. Was ſeit den Juͤng⸗ 
lings⸗Jahren nicht der Fall geweſen; er konnte 
ihn mit ſeinem aͤlteſten Freunde Hippel, der 


Wie Tiek, im Herbſte 1822, dem Herausge⸗ 
ber ſagte, hat er die Abſicht, die koͤſtliche Geſchichte 
in der Fortſetzung des Phantaſus wieder zu geben. 
Er moͤge dieſes Verſprechens eingedenk ſeyn, da die 
Strauß federn faſt vergeſſen ſind. 


De 


1565 Zehnter Abſchnitt. 


noch in Berlin verweilte, feiern, und, von ſei⸗ 
nen ſpaͤteren, liebſten Freunden, fehlte auch 
kein einziger, als Conteſſa, der ſich auf dem 
Lande befand. Aber ſchon hatte die ſich ent⸗ 
wickelnde Krankheit ihm die Fluͤgel gelaͤhmt. 
Er trank Selterſer Waſſer, waͤhrend er ſeiner 
Geſellſchaft die koͤſtlichſten Weine vorgeſetzt, 
und, wenn er ſonſt, bei ſolchen Gelegenheiten, 
mit der unermuͤdlichſten Beweglichkeit, den 
Tiſch umkreiſte, um einzuſchenken, und die Un⸗ 
terhaltung anzufachen, wo ſie ſtockte, ſo ſaß 
er heute, den ganzen Abend, an ſeinen Lehn⸗ 
ſtuhl gefeſſelt. Nach Tiſche nahm die Unter⸗ 
haltung zwiſchen Hippel und Hoffmann eine 
Wendung, die, wie ſie Erinnerungen aus ih⸗ 
rer Jugendzeit herbeirief, auch des Todes und 
Sterbens erwähnen ließ. Der Herausgeber, 
mit unter den Geladenen, warf, vielleicht ihm 
ſelbſt unbewußt, ein Wort dazwiſchen, deßen 
Sinn ungefähr das bekannte, „das Leben iſt 
der Güter hoͤchſtes nicht,“ war; aber Hoff⸗ 
mann fuhr ihm, mit einer Heftigkeit, die fo 
den ganzen Abend nicht zum Ausbruch gekom⸗ 
men war, entgegen: „Nein, nein, leben, le⸗ 
ben, nur leben, — unter welcher Bedingung 
es auch ſeyn möge!” Es lag etwas Entſetz⸗ 


„Berlin 1814 — 1822. 157 


liches in der Art, wie er dieſe Worte heraus⸗ 
ſtieß, und ſein Wunſch iſt ſpaͤter auf eine 
furchtbare Weiſe in Erfuͤllung gegangen. 
Denn, er lebte zwar, von da ab, wirklich 
noch fünf Monate; — aber, unter welchen 
Bedingungen! Mit jedem Tage, moͤchte man 
ſagen, verſagte ein oder das andere Glied 
ſeines Koͤrpers mehr und mehr den Dienſt; 
Füße und Hände, Folge der ſich ausbilden⸗ 
den Ruͤckenmarksdarre, (tabes dorsalis) ſtar⸗ 
ben ganz ab, eben ſo einzelne Theile des in⸗ 
nern Organismus, und, den Tag vor ſeinem 
Tode, wo die Laͤhmung bis hinauf an den 
Hals getreten war, glaubte er ſich völlig ge 
neſen, weil er nirgend Schmerz mehr fuͤhlte. 
In dieſem, uͤber allen Begriff jammer⸗ 
vollen, Zuſtande, der jedem, der ihn ſah, durch 
die Seele ging, verlaͤugneten ſich bei ihm keinen 
Augenblick die hoͤchſte Liebe zu dem Leben, der 
unerſchuͤtterliche Glaube, daß es ihn nicht 
laßen könne, und eine, in Vergleichung mit 
ſeinen geſunden Tagen, faſt noch geſteigerte, 
Heiterkeit, ja groſſentheils Ausgelaſſenheit. 
Der ernſte Richter, der es ihm zum Verbre⸗ 
chen machen mag, daß er uͤber manche Staats⸗ 
Einrichtungen, oder ähnliche Gegenſtaͤnde, 


158 Zehnter Abſchnitt. 


feinem Scherz freien Lauf gelaßſen, hätte nur 
einmal Zeuge ſeyn ſollen, welch“ eine uner⸗ 
ſchoͤpfliche Quelle der launigſten Einfaͤlle er 
ſich ſelbſt in ſeiner Huͤlfsloſigkeit wurde. Daß 
ſein Stiefelputzer ihn mit nervigten Faͤuſten 
in's Bad warf, wie man ein Stuck Holz in's 
Waſſer ſchleudert; daß eine ſorgſame Magd 
ihn dann, wenn er wieder angekleidet, — was 
leider bei feiner Zuſammengeſchrumpſtheit leicht 
moͤglich war, — oft, wie ein Kind, auf die 
Arme nahm und ihn in's Bette trug, und tau⸗ 
ſend kleine Ereigniſſe dieſer Gattung, wurden 
ihm zu Feſten, und er fuͤhlte ſich gluͤcklich, 
wenn er ſeinen Freunden taͤglich Neues in die⸗ 
ſem Geſchmack erzaͤhlen und ausmahlen konn⸗ 
te.) Alle feine Umgebungen trugen beſon⸗ 


) Eine ſolche Geſchichte hat er auch, noch im 
letzten Monate ſeines Lebens, in der Berliner Zeit⸗ 
ſchrift: der Zuſchauer: No. 71. von 13ten Juny, 
abdrucken laßen. Sie lautet folgendergeſtalt: 


Naivet ät. 


Ein Kranker, der an einer beharrlichen Schlaf⸗ 
loſigkeit litt, ſah ſich gendthigt, jede Nacht Jeman⸗ 
den um ſich haben, mit dem er nicht allein ſpre⸗ 
chen konnte, ſondern der ihm auch in ſeinem ge⸗ 


Berlin 1814 — 4822. 159 


dere Namen; ſein Abſchreiber z. B. hieß der 
Domicellar, weil er mit einem ſolchen, den er 
in Bamberg gekannt, Ahnlichkeit hatte, u. ſ. w. 

Eines Tages im Maͤrz erfuhr der Her⸗ 
ausgeber, daß Hoffmann am fruͤhen Morgen 


laͤhmten Zuſtande die ndͤthige Huͤlfe leiſtete. So 
ſollte ein junger Mann bei dem Kranken wachen. 
Statt aber zu wachen, verfiel derſelbe in einen 
Schlaf, aus dem er nicht zu erwecken. Der Kranke 
war in dieſer Nacht von einem beſondern Geiſt 
fröhlicher, und zwar muftfalifcher, Laune ergriffen 
beſann ſich auf alle moͤgliche Canzonen und Canzo⸗ 
netten, die er ſonſt geſungen, und fang fe mit 
heller Stimme ab. Endlich, als er in das ſchla⸗ 
fende Antlitz ſeines Waͤchter ſchaute, kam ihm daſſel⸗ 
be, ſo wie die ganze Situation, gar zu drollig vor. 
Er rief ſeinen Waͤchter laut bei Namen, und frag⸗ 
te, als dieſer ſich aus dem Schlafe ruͤttelte, ob ihn 
vielleicht das Singen in ſeiner Ruhe ſtoͤre? 

„Ach Gott!“ erwiederte der junge wachſame 
Mann ganz naiv und trocken, indem er ſich dehnte, 
„ach Gott! nicht im Mindeſten. Singen Sie doch 
in Gottes Namen, Herr Rath; ich habe einen 
feſten, geſunden Schlaf!“ Und damit ſchlief er wie⸗ 
der ein, indem der Kranke mit heller Kehle an⸗ 
ſtimmte: 


Sul margine d'un rio etc. 


Hffman. 


460 Zehnter Abſchnitt. 


eine Deputation begehrt, um ſein Teſtament 
zu errichten. De er hierin eine Ueberzeugung 
von der Verſchlimmerung des Zuſtandes des 
Kranken zu erblicken glaubte, ſo eilte er zu 
ihm, fand ihn aber ganz froͤhlich, und ließ 
ſich erzaͤhlen, wie er nur teſtirt habe, weil 
die Gefahr gewiß vorüber ſey, und er es 
doch nicht darauf ankommen laſſen wolle, viel⸗ 
leicht wieder in eine ſolche Lage zu kommen, 
daß er dann nicht mehr letztwillig verfügen 
koͤnne. Es wäre ja aber auch leicht möglich, 
daß ſeine Frau vor ihm ſterbe, und dann 
beuge das wechſelſeitige Teſtament allen Wei⸗ 
terungen mit ihren Verwandten vor. So raiſon⸗ 
nirte er auch ſpaͤter uͤber ſich, als die Freunde 
den Tod ihm ſchon auf den Lippen ſitzen ſa⸗ 
hen. Das Teſtament uͤbrigens, da deſſen 
Faſſung Hoffmann gewiß Ehre macht, ſcheint 
der Aufbewahrung nicht unwuͤrdig, und iſt 
darum in den Beilagen mit abgedruckt worden. 

In der Mitte des April traf ihn ein har⸗ 
ter Schlag. Hippel, der, wie Hitzig, faſt 
keinen Tag voruͤbergehen ließ, ohne ihn zu 
ſehen, — (ſeine Weinhausgenoſſen hatten ihn 
zum Theil verlaſſen, ſeitdem er an das Krau⸗ 


kenlager geheftet war; zum Theil waren ſie ihm 
zu⸗ 


Berlin 1814—1822. 161 


zuwider geworden, und er hatte, wie bereits 
fruͤher bemerkt, freiwillig gelobt, den ſchlech⸗ 
ten Umgang zu meiden, ſobald er wieder ge⸗ 
neſen,) — Hippel war genoͤthigt, in ſeine 
Heimath zuruͤckzukehren. Schon mehrere 
Abende hintereinander, hatte er Hoffmann be⸗ 
ſucht, um ihn mit der Naͤhe des Scheidens 
bekannt zu machen, aber nicht den Muth dazu 
faſſen koͤnnen. Seine Mißſtimmung war dem 
Kranken aufgefallen, und faſt jeden Abend der 
Gegenſtand ſeines Tadels geweſen; am meiſten 
den letzten, vor der Abreiſe, den 14ten April 1822. 
Hippel konnte Hoffmann die Wahrheit nun 
nicht laͤnger verbergen. Er gerieth darüber 
außer ſich. Es ſchien, als ob der Schmerz 
ihm die laͤngſt verlorenen Kräfte wiedergege⸗ 
ben. Krampfhaft warf er ſich im Bette hin 
und her, mit dem Ausruf: „nein, nein, es 
kann nicht ſeyn, Du kannſt nicht reiſen, Du 
kannſt mich nicht verlaffen!” und dabei ver; 
weigerte er die ſchon halb erſtorbene Hand 
zum Abſchiede. Endlich gelang es Hippel, 
ihn von der Nothwendigkeit ſeiner Reiſe zu 
überzeugen; Hoffmann ward ruhiger, reichte ihm 
die Hand, ſprach von Wiederſehen, weinte, — 
was bei ihm eine ſeltene Erſcheinung, — 
L 


162 Zehnter Abſchnitt. 
bitterlich, und Hippel ging, — um n 


nie wieder zu umarmen. 

Bald nach dieſem, für un fo — 
chen, Ereigniſſe, richtete ſich Hoffmann jedoch, 
an der Kraft des eigenen Geiſtes, wieder auf. 
Er fing naͤmlich an, die vielen Stunden, die 
er ohne Geſellſchaft, und zum Theil in der 
Nacht ohne Schlaf, zubringen mußte, damit 
auszufüllen, daß er einem Schreiber, der 
zugleich Krankenwaͤrterdienſte verſah, und des⸗ 
halb immer um ihn war, dictirte, da nun 
eine totale Laͤhmung der Haͤnde ſich ein⸗ 
gefunden hatte; und dieſe Beſchaͤftigung er⸗ 
gögte ihn fo ſehr, daß er eines Tages ges 
gen Hitzig aͤußerte: „er wolle es ſich ſchon 
gern gefallen laſſen, daß er an Haͤnden und 
Füßen gelaͤhmt bliebe, — wenn er nur die Faͤ⸗ 
higkeit behielte, fort und fort dictando zu ars 
beiten.“ So wie etwas vollendet war, wurde 
es dem erwaͤhnten Freunde zur Durchſicht 
übergeben, und, wenn dieſer es loben mußte, 
triumphirte der arme Kranke darüber, daß 
noch ein ſo kraͤftiger Geiſt in dem Scherben 
von Koͤrper wohne, und ſchoͤpfte aus der Ge⸗ 
ſundheit des einen, neue Hoffuung auch für 
die Geneſung des andern. 


Berlin 1814— 1822. 163 


Was Hoffmann uͤbrigens in den letzten 
Monaten und Wochen dictirt, iſt, zuerſt: 
Meiſter Wacht ), ſodann: des Vetters Eck⸗ 
fenſter *), ferner: die Geneſung ); end⸗ 
lich: den Feind, — Fragment; + da er faſt 
im Dictiren dieſer Novelle geſtorben. 
Dieſe Produkte moͤgen ſelbſt für die Gei⸗ 
ſteskraft ihres Verfaſſers reden. Rach dem 


) Dies Charactergemaͤlde, voll von Ruͤcker⸗ 
innerungen aus dem Bamberger Leben des Dich⸗ 
ters, wird in Breslau bei Max und Comp., in ck 
ner Sammlung von Erzaͤhlungen und Maͤrchen, 
von Tiek, Steffens u. a. erſcheinen. Hoffmann hatte 
es dieſem Verleger noch ſelbſt uͤberlaßen, und wollte 
ihm den Feind (f. u.) dazu geben, um n Band 
zu bilden. 

9) In den Beilagen. 

9) Desgleichen. Zu dieſer Erzaͤhlung: die Ge⸗ 
neſung, hatte Hoffmann die unbeſchreibliche Sehn⸗ 
ſucht veranlaßt, die er nach dem Gruͤnen, was ihm 
in gefunden Tagen ziemlich gleichgültig war, em⸗ 
pfand, und, in dem Monate feines Todes einige⸗ 
mal befriedigte. Ganz entzuͤckt kehrte er immer von 
dieſen Jammerfahrten, wobei vier Menſchen ihn 
in den Wagen tragen mußten, und er oft die hef⸗ 
tigſten Schmerzen litt, heim. 

10 Eine koͤſtliche — mie * anderweitig er⸗ 
ſcheinen wird. 


L 2 


164 Zehnter Abſchnitt. 


Ermeſſen des Herausgebers, gehoͤrt einiges 
darunter zu dem Beſten, was ne ſe 
2 | 

Einen noch niet Beweis ſei⸗ 
ner nicht zu erſchoͤpfenden Seelenſtaͤrke, e 
gen aber folgende Umſtaͤnde geben. X gm 

Etwa vier Wochen vor feinem — 
are: der entſetzliche Verſuch gemacht, ob 
nicht durch das Brennen mit dem gluͤhenden 
Eiſen, an beiden Seiten des Ruͤckgrats her⸗ 
unter, die Lebenskraft wieder zu erwecken waͤ⸗ 
re. Hitzig, durch unabwendbare Geſchaͤfte 
verhindert, der Operation beizuwohnen, eilte, 
nach deren Beendigung, voller Angſt zu dem 
Patienten, und kam etwa eine halbe Stunde 
nachher an. „Riechen Sie nicht noch den 
Braten» Geruch?” rief ihm Hoffmann entge⸗ 
gen, erzählte, mit der umſtaͤndlichſten Genau⸗ 
igkeit, die fuͤrchterliche Procedur, fand es ganz 
natürlich, daß, bei einem fo exotiſchen Sub⸗ 
jecte wie er, die Aerzte auch die exotiſcheſten 
Mittel verſuchten, und ſetzte hinzu: „waͤhrend 
des Brennens ſey ihm eingefallen, daß der 
ihn plombiren laße, damit er nicht als 
Contrebande durchſchluͤpfe. 

Noch ſpaͤter, in den allerletzten Wochen 


Berlin 1814 — 1822. 165 


feines Lebens, hatte die Schlefingerfche Mu⸗ 
ſikhandlung, auf Veranlaſſung eines in Wien, 
von einem gewiſſen Leidesdorff, veranſtalteten 
Klavier⸗Auszuges aus dem Weberſchen Frei⸗ 
ſchuͤtzen, ſeine Vernehmung als Sachverſtaͤn⸗ 
diger über die Frage in Antrag gebracht, „ob 
jener Klavier-Auszug als ein Nachdruck der 
Schleſingerſchen Original-Ausgabe zu betrach⸗ 
ten fey,” und das Kammer⸗Gericht hatte Hoff⸗ 
mann's Freunde, Hitzig, deſſen Abhoͤrung uͤber⸗ 
tragen. Dieſer, der ſeinen, zu Zeiten ſchon der 
Agonie aͤhnlichen, Zuſtand am beſten kannte, 
wollte ihn mit der Sache verſchonen, erzaͤhlte 
ihm aber Geſpraͤchsweiſe von der Berufung 
auf ſein Gutachten. Er ergriff den Gegen⸗ 
ſtand mit vollem Eifer, erklaͤrte, daß er fein: 
Zeugniß nicht verſagen möge, und gab fein 
Urtheil uͤber die zweifelhafte Rechtsfrage mit 
einer Beſonnenheit ab, wie ſie ihm in den ge⸗ 
ſuͤndeſten Tagen eigen war. Zum Beweiſe 
deſſen, und, da die Frage an und fuͤr ſich In⸗ 
tereſſe hat, iſt es nicht fuͤr unangemeſſen er⸗ 
achtet worden, einen Auszug aus dem betref⸗ 
fenden Protokolle, in den Beilagen, beizufuͤgen. 

Etwa den 20ten oder 21ten Juny zeig⸗ 
ten ſich die Vorboten des nahen Todes, in 


166 Zehnter Abſchnitt. 


der Unfähigkeit, etwas zu genießen, einer 
größeren Neigung zum Schlaf, als früher 
Statt gefunden, und einer Unluſt an den ge⸗ 
wohnten Beſchaͤftigungen. Am 24ten Abends, 
war er, wie fruͤher bereits erwaͤhnt, ſchon er⸗ 
ſtarrt bis zum Halſe, und fühlte, bis in dieſe 
Region des Koͤrpers, keinen Schmerz mehr. 
„Run werde ich wohl bald durch ſeyn, rief 
er dem ihn beſuchenden Arzte entgegen; „mir 
thut nichts mehr weh.“ „„Ja wohl,“ ers 
wiederte ihm jener, mit anderer Deutung, 
„vnun werden Sie bald durch ſeyn!““ 
Am frühen Morgen des 25ten Juny fin 
gen die Wunden ſeines zerfleiſchten Ruͤckens 
an, heftig zu bluten. Seine Umgebungen 
ahndeten, was bevorſtehe. Er rief den Schrei⸗ 
ber und Waͤrter, und ſagte ihm etwas, was 
dieſer nicht mehr verſtand. Darauf trat die 
Frau an das Bette; er forderte, daß ſie ihm 
die gelaͤhmten Haͤnde in einander legen ſollte, 
und ſie will ihn dabei die Blicke gen Him⸗ 
mel richten geſehen, und gehoͤrt haben, daß 
er die Worte geſprochen: „man muß doch auch 
an Gott denken!“ Alles erwartete jetzt ſeine 
Aufloͤſung; aber noch einmal flammteu die Les 
bensgeiſter auf; er ſagte ſpaͤter noch, er fuͤhle ſich 


Berlin 1814 — 1822. 167 


wohl, wolle heut Abend an der Erzaͤhlung, der 
Feind, weiter dictiren, was er ſeit mehreren Tagen 
nicht gethan, und verlangte, man ſolle ihm die 
Stelle vorleſen, wo er ſteh'n geblieben. 

Seine Frau ſuchte es ihm auszureden, 
er ließ ſich im Bette umdrehen, mit dem Ge⸗ 
ſicht gegen die Wand gekehrt, verfiel in To⸗ 
desröcheln, und, als zwiſchen 10 und 11 Uhr 
Morgens nach Hitzig geſchickt wurde, der ſich 
in der Gerichtsſitzung befand, und dieſer her⸗ 
beiſtuͤrzte, — fand er ſchen den Freund nicht 
. 


Hoffmann's ſterbliche Reſte ruhen auf 
dem neuen Kirchhofe vor dem Halliſchen Thor 
zu Berlin. Die Staͤtte bezeichnet ein einfa⸗ 
ches, aber geſchmackvolles, Denkmal, mit der 
Aufſchrift: 


168 Zehnter Abſchnitt. 


E. T. W. Hoffmann 


geb. Königsberg den Alten Januar 1776 
geſt. Berlin den 25ten Juny 1822 


Kammer⸗Gerichts⸗Rath 


Ausgezeichnet 
im Amte 
als Dichter 
als Tonkünſtler 
als Maler 


Von ſeinen Freunden 


Beilagen 
— gn 0 
zehnten Abſchnite. 


Ein, im Namen des Kammer⸗Gerichts zu 
Berlin, von Hoffmann entworfenes 
Gutachten in der Unterſuchungs⸗Sa⸗ 
che, wider den Kaufmann S., wegen 
verſuchter Vergiftung ſeiner Ehegattin. 

(Zu Seite 111.) 


Wußem S. , Sohn des in B.. verſtorbenen 
Juſtiz⸗ und Polizei⸗Buͤrgermeiſters S... 37 Jahr 
alt, katholiſcher Religion, erlernte die Handlung, 
heirathete vor eilf Jahren in D... die Agathe 
H.. / welche jetzt 39 Jahr alt if, und etablirte 
dort einen Kramladen. Er wurde indeſſen in der 
Folge gendthigt, ſich mit feinen Glaͤubigern außer⸗ 
gerichtlich zu ſetzen, und die mit einem Billard ver⸗ 
bundene Handlung dem Kaufmann P... zu uͤber⸗ 
laſſen, deſſen Gehuͤlfe er wurde. So geſchah es, 
daß P... mit den S. . ſchen Eheleuten in einem 
Hauſe zuſammen lebte, und gewoͤhnlich Nachmittags 
mit ihnen Kaffee trank, zu welchem Zweck er denn 


172 Zehnter Abſchnitt. 


auch am 12ten December v. J. Nachmittags halb 
vier Uhr in ihre Wohnſtube kam. Er fand den 
Kaffeetifch bereitet, die S... ſchenkte ein, und der 
©... faf, den Kopf in die Hand geſtuͤtzt, in nach⸗ 
denkender Stellung am Fenſter. Mn: „ nachdem er 
zwei Taſſen Kaffee getrunken, ging in die Bilard⸗ 
ſtube, um ſeine Tabackspfelfe u bölen, d *. | 
S. „ begal ſich nach der Küche, um Waſſe 
elufgiefen zu beforgen. Als P. e ne 

die ©... auch wieder da und trank eben aus der 
Untertaſſe Kaffee. Bei dem zweiten Schluck, den fie 
nehmen wollte, klagte ſie aber, daß der Kaffee ihr 
den Mund zuſammenziehe, und ſpuckte ihn mit mut 
lichen Gebehrden wieder aus. Sie empfand 
keiten, ſo wie Schmerzen in der Bruſt, und trank, 
Verdacht ſchoͤpfend, daß fie etwas ſchaͤdliches genoſ⸗ 
ſen, Milch, um die Wirkung zu hindern. Bruſt⸗ 
ſchmerzen und Kraͤmpfe fanden ſich noch den fol⸗ 
genden Tag ein, ließen aber bald nach, ſo daß ſie 
ſich den vierten Tag, ohne weitere aͤrztliche Hülfe, 
völlig wohl befand. — In dem Augenblicke, als 
die ©... den genoſſenen Kaffee wegſpie, ſprang der 
S... auf, nahm ihr mit den Worten: „Liebes 
Kind, was haft du vor, in dem Kaffee iſt nichts,“ 
die Untertaſſe aus der Hand, rührte den Kaſſee um, 
und goß ihn in den Spucknapf aus. Er verſicherte, 


Berlin 1814 — 1822. 173 


daß er aus Verſehen Tabacksaſche in die Taſſe ge⸗ 
ſchůttet habe, Pe und die S.., bemerkten indeſ⸗ 
ſen etwas ſchwärzliches auf dem Boden der unter⸗ 
taſſe; P... nahm ſie daher fort und verſchloß fie 
in ſeinen Pult. Spaͤter, und zwar am dritten Ta⸗ 
ge, fand es ſich unter umſtaͤnden, die weiter unten 
naher erörtert werden ſollen, daß der S... Gruͤn⸗ 
ſpan beſeſſen und fortzubringen geſucht hatte; eben auch 
für Gruͤnſpan erkannte der Apotheker H... die Ma⸗ 
terie, womit die untertaſſe beſchmiert war, und dies 
veranlaßte den P..., jenen Vorgang dem Polizei⸗ 
Magiſtrate anzuzeigen, zugleich auch die aufbewahrte 
Taſſe, ſo wie den aufgefundenen Gruͤnſpan, einzu⸗ 
reichen. Das Stadtgericht in D. . leitete dann 
die foͤrmliche unterſuchung ein, welche von dem Cri⸗ 
minalgericht in M... fortgeführt und beendigt wurde. 

Gegen die Form der Unterſuchung laßt ſich 
manches erinnern. Des dem Angeſchuldigten zur 
Laſt gelegte Vergehen, und ſeine Strafbarkeit mußte 
nach §. 865. Theil 2. Titel 20. des allg. Land⸗ 
Rechts beurtheilt werden, es war daher von zehet⸗ 
jähriger bis lebens wieriger Feſtungs⸗ oder Zucht⸗ 
bhausſtrafe die Rede; demunerachtet iſt kein artikulir⸗ 
tes Verhoͤr abgehalten, das hier, wie es ſich zeigen 
wird, bei den vagen Ausfluͤchten des Angeſchuldig⸗ 
ten, beſonders noͤthiggeweſen wäre: — Criminalord⸗ 


e 


174 Zehnter Abſchnitt. 


nung 8. 423. 427. — und eben ſo wenig iſt die 
Verzichtleiſtung auf die Zuordnung eines Vertheidi⸗ 
gers in der Form, wie eee der Crimi⸗ 
nalordnung vorſchreibt, geſchehen. em 

Dier Criminal⸗Senat des Ba von W. en 
hat wider den Angeſchuldigten auf ſechsjaͤhrigen Fe⸗ 
ftungsarrefi erkannt, nach unſerer ſpaͤter zu entwickeln⸗ 
den Anſicht der Sache, wuͤrde wider den Angeſchuldig⸗ 
ten auf die ordentliche Strafe des Verbrechens zu 
erkennen, mithin jene Entſagung der Vertheidigung 
gar nicht zuläffig geweſen ſeyn; wir wuͤrden indeſ⸗ 
fen, da übrigens der Angeſchuldigte auf alle Mo⸗ 
mente, die zur Sprache kamen, gebdrig aufmerkſam 
gemacht worden iſt, doch die Sache durch Nachho⸗ 
lung des zu berichtigenden ang vr 
länger aufhalten. | 

Es kommt zuvorderſt darauf a, in wie a in 
dem Kaffee, den die ©... am teten December 
v. J. in Gegenwart des Angeſchuldigten und des 
P. . trank, wirklich eine der Geſundheit und dem 
Leben gefaͤhrliche Subſtanz enthalten war. 

Beide, der Kaufmann P.. unerachtet er An⸗ 
geber, die S. unerachtet fie. die Gattin des 
Angeſchuldigten iſt, find, nach dem Verhaͤltniß, worin 
fie ſich mit dem Angeſchuldigten, Ruͤckſichts der ihm 
angeſchuldigten That, befinden, als völlig glaubwür⸗ 


Berlin 1814 — 1822. 175 


dig zu betrachten, welches bei der ſchwer beleidigten 
Ehefrau um ſo weniger Zweifel leidet, da die Akten 
deutliche Spuren enthalten, daß es dem Manne, nach 
ſeiner Verhaftung gelungen iſt, ihr Mitleid rege zu 
machen. Auf ihrer Ausſage beruht der oben erzaͤhlte 
Hergang der Sache, P.. überlieferte die Taſſe, 
woraus die S.. getrunken hatte, dem Magiſtrat, 
der Magiſtrat dem Stadtgerichte, dieſes dem Crimi⸗ 
nalgerichte zu M... jedesmal geſchah die Ueberlie⸗ 
ferung wohl verſiegelt, der Angeſchuldigte hat ſelbſt 
die Taſſe vor dem Criminalgericht für dieſelbe an⸗ 
erkannt, die ihm in D... vorgezeigt worden, und 
hiernach iſt es nicht zu bezweifeln, daß die Taſſe, 
woraus die S... den Kaffee genoſſen, dieſelbe iſt, 
welche von dem Inquirenten wohlverfiegelt dem 
Doctor R... und dem Apotheker S... zur chemi⸗ 
ſchen Prüfung überliefert wurde. Der Gruͤnſpan 
iſt als gewöhnliche Mahlerfarbe, Thon nach dem aͤu⸗ 
ßeren Anſehen, auch vielen in der Chemie ganz un⸗ 
erfahrenen bekannt; um fo weniger konnte daher der 
Apotheker H. in D. ſich taͤuſchen, der nach 
der Anzeige des P.. das, womit die Taſſe be⸗ 
ſchmiert war, ſogleich fuͤr Gruͤnſpan erkannte. Bei 
der ſorgfaͤltigen chemiſchen Unterſuchung ergab ſich 
denn auch mit entſcheidender Gewißheit der Ku⸗ 
pfergehalt der grünlichen, noch an der Untertaſſe 


176 Zehnter Abſchnitt. 


klebenden, Materie, welche, nach der Verſicherung der 
oben genannten Sachverſtandigen, Grünſpan, mithin 
ein aͤtzendes mineraliſches Gift, war, auf deſſen Ge⸗ 
nuß, auch nur in geringer Quantität, häufiges Er⸗ 
brechen, heftiger Leibſchmerz, Entzuͤndung des Ma⸗ 
gens und des Darmkanals, und endlich der Brand 
und der Tod, erfolgt. Mit dieſem Urtheil über den 
Charakter und die Wirkung des Gruͤnſpans ſtimmt 
auch Metzger überein, der die Kupferkalche, wozu 
der Gruͤnſpan gehoͤrt, zur erſten Klaſſe der aͤtzenden 
oder freſſenden Gifte (venena acria, inflammato- 
ria, cbrrosiva,) zählt, die im erſten Grade genoffen, 
den Vergifteten in 6 bis 24 Stunden, unter den 
beftigſten Symptomen; im zweiten Grade, unter 
minder heftigen Symptomen, in 5 bis 9 Tagen, 
toͤdten; aber im dritten Grade auch ſchon Kolik 
und Nervenzufälle verurſachen, deren Heilung je⸗ 
doch moͤglich, wiewohl meiſtens vergeblich iſt, indem 
wenigſtens außer der Schwaͤche leicht Hautausſchlaͤ⸗ 
ge und andere Hautuͤbel zuruͤckbleiben. 
Metzger Syſtem der gerichtlichen Arzneiwiſ⸗ 
ſenſchaft Abſchnitt II. Cap. VII. 5. 215 u. f. 
Die ©... hat, nach dem eben erzaͤhlten Ver⸗ 
lauf der Sache, nur aͤußerſt wenig von dem Gift 
genoſſen, da ſie nur einen Schluck Kaffee nahm, 
den zweiten wegſpie und noch Kaffee in der Taſſe 
blieb, 


Berlin 1814 — 1822. 177 


blieb, welchen Angeſchuldigter umrührte, und in 
den Spucknapf ausgoß. Nur der geringen Maſſe 
des Giftes, die die S. . verſchluckte, fo wie auch 
wohl dem ſchnellen Genuse der Milch, iſt es zuzu⸗ 
ſchreiben, daß die S.. nur an voruͤbergehenden 
Leibſchmerzen, Uebelkeiten und Kraͤmpfen, eben den 
Folgen, wie die Sachverſtaͤndigen und mit ihnen 
Metzger ſie feſtſtellen, litt, und nach vier Tagen 
vollkommen geneſen war. Als vollig feſtgeſtellt iſt 
daher anzunehmen: 
daß in der mit Kaffee angefuͤllten Untertaſſe, 
aus der am teten December v. J. die ©... 
trank, ſich Gruͤnſpan, mithin ein aͤtzendes 
Gift erſter Klaſſe befand, welches der ©... 
aber nur eine voruͤbergehende Kraͤnklichkeit 
verurſachte. 
In dem Gefaͤß, woraus der Kaffee in die Taſſen 
gegoſſen wurde, konnte nichts Schaͤdliches enthalten 
fein, denn P... hatte ſchon Kaffee getrunken, ohne 
üble Folgen zu ſpuͤren; eben fo wenig war in dem 
Gefäß, worin das Waſſer zum Aufbruͤhen des Kaf⸗ 
fees gekocht wurde, etwas Schaͤdliches; denn ehe die 
3. „ hinausging, hatte fie. ſich ſchon die Taſſe 
eingeſchen't, und zwar fo, daß fich in der Unter⸗ 
und Obertaſſe Kaffee befand. Die Obertaſſe trank 
ſie nachher aus, ohne ae Widriges zu ſpuͤren, 
* 


178 Zehnter Abſchnitt. - 


nur der Kaffee in der Untertaſſe, den fie für ſich 
eingeſchenkt hatte, zog ihr den Mund zuſammen 
und erregte ihr Leibſchmerzen und Uebelleiten; in 
der Untertaſſe war alſo allein das Gift befindlich. 
Daß ſchon vorher, ehe ſie ſich den Kaffee ein⸗ 
ſchenkte, in diefer Untertaffe Grünfpan befindlich 
geweſen ſeyn ſollte, iſt unmoglich, da die S..., 
bei der auffallenden Farbe des Gruͤnſpans, es be⸗ 
merkt haben muͤßte, und Gruͤnſpan mit andern un⸗ 
ſchaͤdlichen Dingen, die man wohl in den Kaffee 
thut, wie z. B. weißer Arſenik mit geſtoßenem 
Zucker, nicht verwechſelt werden kann. Hieraus folgt: 
daß in der Zwiſchenzeit, als P... und die 
S. . . das Zimmer verlaſſen hatten, der An⸗ 
geſchuldigte aber allein zuruͤckblieb, der Gruͤn⸗ 
ſpan in die Taſſe der ©... gekommen ſeyn 

muß. 

Es iſt nicht zu laͤugnen, daß ſchon nach dem, 
was über die That und die Zeit, in der fie verübt 
worden, feſtſteht, der Angeſchuldigte verdächtig wird. 
Er bat ſich ſo ſchwankend ausgelaſſen, daß es jetzt, 
wo es darauf ankommt, die Beziehung des Thaͤ⸗ 

ters zur feſtſtehenden That zu beſtimmen, zweckmaͤ⸗ 
ßig iſt, den Inhalt feiner Vernehmungen wörtlich 

2 7 17 
er zuerſt durch en Stadtrichter Yu. 7 


Berlin 1808 — 1813. 179 


mit Zugiehung zweier vereideter Schöppen, vernom⸗ 
men werden ſollte, fing er heftig zu weinen an, 
und aͤußerte eine innige Reue uͤber ſeine That, und 
die Beleidigung gegen ſeine Frau. Nachdem er 
uͤber ſein eheliches Verhaͤltniß uͤberhaupt geſprochen, 
ſagte er: . i 

„was nun die letzte von mir gegen meine 
Frau veruͤbte Handlung anbetrifft, ſo muß ich, bei 
aller forgfältiger Prüfung, die ich deshalb angeſtellt, 
gewiſſenhaft verſichern, daß ich nicht zu erklaͤren 
weiß, wie ich dazu gekommen, warum ich es that, 
und wie ich gerade das Mittel waͤhlte. Ich war 
eben auf dem Billard geweſen, und hatte ein Glas 
Rum getrunken, welches mir nicht diente. Ich 
ging daher herunter in mein Vorſtuͤbchen, und 
wollte etwas ſchlafen, ich konnte es aber nicht, und 
weiß meinen Zuſtand nicht anders, als den eines 
Berauſchten, zu erklären, Erſt den andern Tag er⸗ 
innerte ich mich lebhaft deſſen, was ich gethan, 
doch wußte ich nicht, daß P... die Taſſe verwahrt, 
und was ich eigentlich gemacht hatte. An dem 
Tage, wo die Vermiſchung des Gruͤnſpans mit dem 
Kaffee geſchah', hatte ich 3 oder 4 Glaͤſer Rum ge⸗ 
trunken, und da ich nicht viel vertragen kann: ſo 
hatten mich dieſe berauſcht, ſo daß ich, wie ſchon 
geſagt, nicht im Stande bin, uͤber die Umſtaͤnde, 

M 2 


180 Zehnter Abſchnitt. 


die vor, bei und nach der Vermiſchung des Gruͤn⸗ 
ſpans mit dem Kaffee, geſchehen, eine zuſammenhaͤn ⸗ 
gende Erzählung zu machen: ich weiß nicht, wie 
ich den Gruͤnſpan vermiſchte, ob geſtoßen oder ganz; 
kurz, ich weiß gar nicht, wie ich dazu gekommen. 
— Ich kann mich, wie ich bereits geſagt, nicht 
auf die Art und Weiſe erinnern, wie ich die Ver⸗ 
miſchung des Gruͤnſpans mit dem Kaffee gemacht; 
daß es geſchehen iſt, iſt wohl klar, aber ſonſt weiß 
ich auch daruͤber gar nichts zu ſagen. — Ob meine 
Frau mir Vorwuͤrfe gemacht, daß ich ſie habe ver⸗ 
giften wollen, erinnere ich mich nicht; nur ſoviel 
ſtand mir den Tag darauf lebendig vor Augen, daß 
ich die That begangen hatte. Nie iſt mir gegen ſie 
ein boͤſer Gedanke in den Sinn gekommen, und ich 
kann es nicht begreifen, und es blos dem trunke⸗ 
nen Zuſtande, in dem ich an dem Tage war, bei⸗ 
meſſen, mich einer Handlung ſchuldig gemacht zu 
haben, die ich bei vollem Bewußtſein auch nicht zu 
denken gewagt habe. Dieſem Zuſtande muß ich, 
einzig und allein, den ganzen Vorgang beimeſſen, 
und einzig iſt dies meine Entſchuldigung. “ — Bei 
feiner Vernehmung in M.. ſagte der Angeſchul⸗ 
digte, nachdem er Anfangs verſichert hatte, ſeiner! f 
fruͤhern Außlaſſung nichts hinzufügen zu koͤnnen 
noch beſonder : re 


Berlin 1814 — 1822. 181 


Lich betheu're, daß ich noch niemals vorher 
daran gedacht hatte, daß ich meiner Ehefrau Gruͤn⸗ 
ſpan, oder ſonſt was Schaͤdliches beibringen wollte. 
Am 12ten d. M., wo dieſes geſchehen iſt, bin ich 
im berauſchten, meiner Sinne gar nicht maͤchtigen, 
Zuſtande geweſen. Ich hatte vier Glaͤſer Rum 
kurz hintereinander getrunken, der Marqueur wird 
dies bezeugen, ich bin aber nur ſchwaͤchlich, kann 
nicht viel vertragen, und erlitt einen Rauſch. Kurz 
ich war in einem Zuſtande, von welchem ich ſelbſt 
nicht Rechenſchaft zu geben weiß. Ich weiß mich 
nur durch nachheriges, anhaltendes Nachdenken, zu 
entſinnen, daß ich in jenem Zuſtande, mit meiner 
Frau und dem P.. , Nachmittag in der Stube 
ſaß, und Kaffee trank. Alles uͤbrige, was dort 
vorgegangen iſt, (der Angeſchuldigte wiederholt den 
erzaͤhlten Hergang der Sache) weiß ich durchaus 
nicht aus eigener Kenntniß, nicht aus eigener Er⸗ 
innerung, ſondern lediglich nur daher, daß meine 
Ehefrau und der P. . „ alles dieſes, als geſchehen 
mir am folgenden Tage vorhielten.“ Nachdem An⸗ 
geſchuldigter die Umſtaͤnde, Ruͤckſichts des noch im 
Kramladen aufbewahrten Gruͤnſpans, deren weiter 
unten noch gedacht werden ſoll, erwaͤhnt hat, ſagt 
er: „ich hatte den Gruͤnſpan aber manchmal, wenn 
ich etwas ſuchte, wieder zu Geſicht bekommen. In 


1822 Zehnter Abſchnitt. 


jener unglücklichen Geiſtesabweſenheit muß mir 
dies in die Gedanken gekommen ſeyn, und ich ihn 
aus dem Kram geholt haben.“ — Auch in der fol⸗ 
genden und in letzten Vernehmung, blieb der An⸗ 
geſchuldigte bei dieſen Angaben, ungeachtet aller 
Vorhaltungen des Richters, uͤber ihre Unwahrſchein⸗ 
7 ſtehen, ſie konzentriren ſich in der Behauptung: 
ich kann weder zugeſtehen, noch ablaͤugnen, 
daß ich, in böſer Abſicht, Gruͤnſpan in den 
Kaffee meiner Frau geſchuͤttet habe, weil ich 
mich zu der Zeit, als meine Frau und der 
P. . . Kaffee tranken, in einer, durch Trunk 
veranlaßten, Bewußtloſigkeit befand, und kei⸗ 
ner Wahrnehmung eigener, oder fremder, 
Handlungen fähig war. Den ganzen Vor⸗ 
gang habe ich erſt nachher, durch meine Frau 
und den P.. erfahren. 

Liegt daher auch in den Worten des Angeſchul⸗ 
digten, vorzüglich bei feiner erſten Vernehmung, al⸗ 
lerdings ein Geſtaͤndniß der That, ſo fuͤgt er doch 
dieſem Geſtaͤndniß eine Beſtimmung hinzu, die die 
Eigenſchaft des Verbrechens ganz aufhebt, indem 
er wahrend der Zeit, als es geſchah, ſich in völlig 
bewußtloſem Zuſtande, der jede Zurechnung irgend 
einer That ausſchließt, befunden haben will. Es 
kommt darauf an, was über jenen vorgeſchuͤtzten 


Berlin 1814 — 1822. 183 


Zuſtand ansgemittelt worden iſt. — Criminal⸗Ord⸗ 
nung S. 373. — 

3 der Angeſchuldigte wider ſeine Gewohnheit 
mehrere Glaͤſer Rum getrunken hat, iſt möglich, 
daß er aber davon bis zur Bewußtloſigkeit trunken 
geworden ſein ſollte, ganz unbedingt gelogen. 

Der Friedrich S.. als Marqueur bei dem P.. 
in Dienſten, fo wie die G.. , ebenfalls bei dem 
P. . in Dienſten, befanden ſich an dem Tage der 
That mehrentheils im Billardzimmer, wo die ſpiri⸗ 
tudſen Getraͤnke aufbewahrt wurden, und beide ha⸗ 
ben, nach ihrer eidlichen Ausſage, nicht bemerkt, 
daß der Angeſchuldigte mehrere Glaͤſer Rum trank. 
Der Angeſchuldigte ſucht dem zu begegnen, indem 
er anfuͤhrt, daß es ihm erlaubt geweſen ſey, ſich 
ſelbſt Rum einzuſchenken, und, wie ſchon geſagt, 
wäre es allerdings möglich, daß er unbemerkt doch 
mehrere Glaͤſer ſchnell hinuntergeſtuͤrzt haben koͤnn⸗ 
te; aller phyſiſchen und pſychiſchen Erfahrung zuwi⸗ 
der iſt es aber, daß eine bis zur gaͤnzlichen Bewußt⸗ 
loſigkeit geſteigerte Trunkenheit unbemerkt bleiben 
ſollte. Saͤmmtliche Perſonen, die ſich an gedachtem 
Tage in feiner Nähe befanden, der S./ die G.. 
die W.., der P.., die S. bekunden indeſſen 
einſtimmig, daß fie auch nicht im mindeſteu an dem 
Angeſchuldigten irgend einen eraltirten Zuſtand 


184 Zehnter Abſchnitt. 


wahrnahmen. Sein Betragen vor, bel und nach x 
der That, als er feiner Frau die Taſſe aus der 
Hand nahm, den Kaffee weggoß, als er den Gruͤn⸗ 
ſpan aus dem Kram fortzuſchaffen ſuchte, wie es 
welter unten näher eroͤrtert werden foll, zeugt von 
vollkommener Beſonnenhelt. Eine Viertelſtunde 
nach dem Vorfall ſpielte der Angeſchuldigte auch, 
wie der P... und die G... bezeugen, eine Par⸗ 
thie Billard mit aller ihm eigenen Beurtheilungs⸗ 
kraft, und war ganz ruhig und vergnügt. 

Alles dies widerlegt das Vorgeben des An⸗ 
geſchuldtgten, Ruͤckſichts der Trunkenheit, hinlaͤng⸗ 
lich; der Zuſtand, in dem ſich der Angeſchuldigte 
zur Zeit des Kaffeetrinkens befunden haben will, 
würde, wie er ihn beſchreibt, auch mehr dem eines 
ſonnambulen Nachtwandlers gleichen, der Dinge unter⸗ 
nimmt, die ueberlegung und Geſchicklichteit im 
Handgriff erfordern, und von denen er bei dem Er⸗ 
wachen doch nichts weiß, ſo daß ſelbſt Verbrechen, 
die er in jenem Zuſtande beging, ihm nicht zuge⸗ 
rechnet werden können. (Kleins Gr. d. p. R. ß. 
133.) Aber auch dieſer Zuſtand hat ſolche aufal- 
lende aͤußere Kennzeichen, indem er Blick, Gang, 
Stellung und Sprache gaͤnzlich Ändert, daß er je⸗ 
dem, auch nicht Sachverſtaͤndigen, Beobachter nicht 
entgehen kann, und fo würden P... und die S. 


Berlin 1814 — 1822. 135 


ihn unbedenklich wahrgenommen haben. Behaup⸗ 
tet der Angeſchuldigte, unerachtet es ihm nachge⸗ 
wieſen iſt, daß er vor und gleich nach der That 
vollig beſonnen war, dennoch, daß er von dem, was 
in dem Augenblick der Vermiſchung des Gruͤnſpans 
mit dem Kaffee geſchah, nichts weiß, ſo ſtellt er 
dadurch die Thatſache auf: i 
| daß er in dem Augenblick, als ihn der . 
und die S. .. verlaſſen hatten, in einen 2 
fand verfiel, der die Wahrnehmung eigener 
Handlungen aufhob, und daraus, als die ge: 
nannten Perſonen wiederkehrten, ſofort wieder 
erwachte. 
Das völlig Unglaubliche und hanfänmactte diefer 
Behauptung faͤllt in die Augen und bedarf keiner 
Widerlegung. Iſt hiernach der von dem Inkulpaten 
behauptete Zuſtand als ein falſches Vorgeben dar⸗ 
gethan, ſo giebt es keinen Grund, warum der An⸗ 
geſchuldigte das, was waͤhrend des Kaffeetrinkens, 
und vorzuͤglich in dem Augenblick, als er ſich al- 
lein im Zimmer befand, geſchah, und ſogar eigene 
Handlungen wahrzunehmen, nicht im Stande gewe⸗ 
ſen ſein ſollte, und warum er die ihm angeſchul⸗ 
digte That, nehmlich dag er es war, der den Gruͤn⸗ 
fan in die Untertaſſe, die ſeine Frau für ſich einge⸗ 
ſchenkt hatte, ſchuͤttete, falls er ſich unſchuldig, oder 


186 Zehnter Abſchnitt. 


vielmehr frei von jedem boͤſen Vorſatz wider feine 
Frau fühlt, nicht geradezu abzulaugnen vermag. 
Schon deshalb wuͤrde der Angeſchuldigte beinahe 
für überführt zu achten ſeyn; es find aber noch 
durch die Unterſuchung Umſtaͤnde ausgemittelt, die 
in ihrem Zuſammenhange mit der dem Angeſchul⸗ 
digten zur Laſt gelegten That auf das überzen- 
gendſte wider ihn ſprechen. 

1) Bis zur völligen Gewißheit iſt dargethan, 
daß der Angeſchuldigte wirklich Grünſpan beſaß. 
Den andern Tag nach dem Vorfall ſah die W. , 
als fie den Deckel der im Hofe eingegrabenen 
Tonne abhob, um das Waſſer auszuſchbpfen, ein 
Tuͤtchen oben aufſchwimmen, welches ſie mit dem 
eiſernen Haken der Peede herauslangte, und deſſen 
Inhalt fie für Kraftmehl hielt. Der Ang eſchul⸗ 
digte, dem ſie es zeigte, nahm es ihr weg, und 
ging damit in den Stall. Auf Veranlaſſung des 
P. . „ ſuchte die W... im Stalle nach, fand zuerſt 
ein kleines Tütchen, dann das Papier, welches fie 
aus dem Waſſer gelangt hatte, und brachte beides 
dem P. .., der es dem Magiſtrat übergab, von 
dem es, gleich der Taſſe, dem Stadtgericht, von 
dieſem dem Criminalgericht in M.., und dann 
den Sachverſtaͤndigen, zur chemiſchen Pruͤfung des 
Inhaltes, zugeſendet wurde, der ſich ganz unbezwei⸗ 


Berlin 1814 — 1822. 187 


felt als Gruͤnſpan darthat. Der Angeſchuldigte ge⸗ 
ſteht ausdrücklich ein, daß in einem unteren Schub⸗ 
laden im Kram, noch aus der Zeit, als er die 
Handlung beſeſſen hatte, ungefaͤhr zwei Loth Gruͤn⸗ 
ſpan lagen, die er dem P.. bei der Uebernahme 
der Handlung nicht mit uͤbergab, oder verkaufte, 
weil es, nach ſeinem Ausdruck, eine Kleinigkeit 
war. Ruͤckſichts des von der W... aufgefundenen, 
in drei Paͤckchen befindlichen, Gruͤnſpans, wovon 
eins, das augenſcheinlich im Waſſer gelegen hatte, 
mit der Handſchrift des Angeſchuldigten beſchrieben 
war, ſagt der Angeſchuldigte: 
dasjenige Papier mit meiner Handſchrift iſt 
mit dem Gruͤnſpan gleich am 12ten Decem⸗ 
ber, naͤmlich an demſelben Tage des Vorfalls 
beim Kaffeetrinken, und gleich nach dieſem, 
von mir in die Waſſertonne auf dem Hofe 
geworfen worden. Ich weiß mich jedoch 
nicht mehr zu beſinnen, woſelbſt ich jenes 
oben erwaͤhnte Papier mit Gruͤnſpan damals, 
als ich es in die Tonne warf, gehabt, na⸗ 
mentlich nicht, ob ich ſolches in meiner 
Taſche gehabt habe. Als nun aber am dar⸗ 
auf folgenden Tage durch die Magd jenes 
Papier mit Grünfpan in der Waſſertonne ge⸗ 
funden wurde, und ich ihr ſolchen abgenom⸗ 


188 Zehnter Abſchnitt. 


men hatte, da beſchloß ich, auch den übri⸗ 
gen, noch im Kram befindlichen, Grünspan, 
zugleich mit jenem aus der Tonne, fortzu⸗ 
ſchaffen. Ich bolte ihn aus dem Kram, und 
warf ihn zuſammen in den Blindbrunnen, 
daher denn zwei Papierchen mit Gruͤnſpan 
nicht im Waſſer gelegen haben. ch 2 
Die Identitat des aufgefundenen, chemiſch 
gepruͤften, Gruͤnſpans mit dem, den der Angeſchul⸗ 
digte im Kram aufbewahrt batte, iſt daher keinem 
Zweifel unterworfen. e 
2) Ferner iſt das Verhaͤltniß des Angeſchuldig⸗ 
ten mit ſeiner Frau in der Art ausgemittelt, daß 
ſich daraus das Motiv zum Verbrechen mit hoher 
Wahrſcheinlichkeit entnehmen laßt. Nach der Be⸗ 
hauptung des Angeſchuldigten, hat ſich ſeine Frau 
durch ein Wochenbette einen unheilbaren Krebs⸗ 
ſchaden zugezogen, der Warnung der Aerzte uner⸗ 
achtet, Befriedigung verlangt, und dadurch iſt ein 
Widerwille gegen ſie in dem Angeſchuldigten ange- 
regt worden. Darin ſtimmen beide, der Angeſchul⸗ 
digte und ſeine Frau, uͤberein, daß oftmals Zaͤn⸗ 
kereien unter ihnen vorfielen, die in Thaͤtlichkeiten 
ausarteten, weshalb auch die Frau, wenige Wochen 
vor der That, bei dem Stadtgericht auf Scheidung 
klagte. Der Grund jener Zaͤukerelen lag haupt⸗ 


Berlin 1814 — 1822, 189 


ſaͤchlich in der gegründeten Eiferſucht der Frau, 
die das vertrauliche Verhaͤltniß ihres Mannes mit 
der N. . nicht dulden wollte. Dieſe N... iſt eine 
Frau von 34 Jahren, an den Buͤrger und Hoͤker 
N. .. in D. .. verheirathet, und Mutter mehrerer 
Kinder. Nach ihrer Verſicherung hat fie der ©... 
mit Liebesantraͤgen verfolgt, die ſie erſt ſtandhaft 
abwies; zuletzt gerieth ſie aber doch mit ihm in ein 
Verhaͤltniß, das, nach ihrem eigenen Ausdruck, 
vertrauter war, als es ſich fuͤr eine verheirathete 
Frau paßt. Der Angeſchuldigte geſteht auch ſelhſt 
ein, daß er mit der N... in einem Liebesverkehr 
geſtanden hat, das bis zu einem gewiſſen Grade 
von Vertraulichkeit gediehen war; beide, der An⸗ 
geſchuldigte und die N..., behaupten indeſſen, daß 
nie etwas, wirklich ſtrafbares, unter ihnen vorge, 
fallen ſey. Nach der Schilderung der N..., war 
die Neigung des Angeſchuldigten zu ihr bis zur 
boͤchſten Leidenſchaft gediehen, und hierin ſtimmt 
ihr auch die verwittwete K... bei, in deren Haufe 
die N.. ſchen Eheleute wohnen, und in deren 
Zimmer die Frau mit dem Angeſchuldigten zuwei⸗ 
len zuſammen kam. So wie fie — die K.. — 
erzählt, hatte ſich der ©... um die N. . zuweilen 
wie närriſch, die ihn dann ermahnte, ſich vernuͤnf⸗ 
tig zu betragen, und ihren umgang zu meiden: 


190 Zehnter Abſchnitt. 


Immer wußte aber der S... das Verhältniß wie 
der anzuknuͤpfen, und ſtellte ſich zuweilen, als 
wenn er abweſend im Geiſte ſey. Als die K.. 
einſt mit der N.. . an der Weichſel ſpazleren ging, 
ſaß S. .. auf dem ſteilen Ufer, mit den Füßen im 
Waſſer haͤngend, und weinte. Er ſchien Luſt zu 
haben, ſich zu erſaͤufen. Es hat ferner die N.. 
zwei Briefe überreicht, die der Angeſchuldigte ge⸗ 
ſtaͤndlich an fie ſchrieb, und die feine uͤberſpannte 
Leidenſchaft in hohem Grade darthun. Er erſcheint 
darin, trotz feiner Jahre, wie ein unreifer, von 
romanhaften Ideen erhitzter, Juͤngling. Im erſten 
Briefe nennt ſich der Angeſchuldigte den von allem 
verlaſſenen, ungluͤcklichſten Menſchen, weil die 
N. . ihn nicht gegrüßt babe, ihr Haß daher aufs 
neue ihn treffe. Er erklaͤrt: niemals von ihr laſſen 
zu konnen, unerachtet er leider ein Weib habe, an 
die er, Umſtaͤnde wegen, nicht halten könne. Im 
zweiten Briefe wird die N... mit dem vertrauli⸗ 
chen Du angeredet, und ihr verſichert, daß Wil⸗ 
beim ihr ewig gut ſeyn, und an keine Trennung 
denken würde. Bei dieſer Tendenz des Angeſchul⸗ 
digten, ja ſelbſt bei der Wahrheit des Umſtandes, 
— die K... unterſtuͤtzt ihn, — daß der Angeſchul⸗ 
digte Ruͤckſichts des letzten Genuſſes unbefriedigt 
blieb, und daß die N... ihn wiederholt, wegen 


Berlin 1814— 1822. 191 


feines Verhaͤltniſſes als Mann einer Andern, zus 
ruͤckwies, draͤngt ſich der Gedanke von ſelbſt auf, 
daß der Angeſchuldigte, von toller Leidenſchaft ge⸗ 
trieben, wohl den Entſchluß faſſen konnte, auf ver⸗ 
brecheriſche Art ſich von dem Bande loszumachen, 
das ihn von dem bis zum Wahnſinn geliebten Ge⸗ 
genſtande zuruͤckzog. — Sehr eingreifend iſt endlich 
3) das Benehmen des Angeſchuldigten vorher 
und nachher, als ſeine Frau den vergifteten Kaffee 
genoſſen hatte, welches durch die eidliche Ausſage 
der daruͤber vernommenen Zeugen ansgemittelt iſt. 
Als P. .. hineintrat, ſaß der Angeſchuldigte am 
Fenſter, den Kopf in die Hand geſtuͤtzt, in nach⸗ 
denkender Stellung, mithin wie jemand, deſſen 
Inneres irgend ein Gedanke von Wichtigkeit erfuͤllt. 
Als die Frau über den Geſchmack des Kaffees 
und uͤber Uebelkeiten klagte, ſprang er ſchnell auf, 
nahm ihr die Taſſe mit den Worten aus der Hand: 
„Liebes Kind, was haſt Du vor? im Kaffee 
iſt nichts. 
oder, wie der P.. ſpaͤter ſagt: 
„Liebes Kind, wo wird Gift in dem Kaffee 
ſeyn! — es iſt Tabacksaſche, die, durch das 
Ausklopfen meiner Pfeife, in die Taſſe ge⸗ 
fallen iſt, 
ruͤhrte den in der Untertaſſe noch befindlichen Kaffee 


192 Zehnter Abfchnitt. 


um, und goß ihn in den Spucknapf aus. Ein Tüt⸗ 
chen mit Grünſpan wirft er gleich darauf in die 
Waſſertonne. Dann iſt er ganz heiter, und ſpielt 
mit aller Beurtheilungskraft und Beſonnenheit 
eine Parthie Billard. Den andern Tag findet die 
W.. in der Waſſertonne ein Tuͤtchen mit Grun ⸗ 
ſpan, und zeigt es dem Angeſchuldigten, der nimmt 
es ihr aber weg, ſprechend: 
„was ſuchſt du hervor; du weißt 10 die 
Frau iſt ſo empfindlich,“ s 
und befiehlt ihr, die Schuͤrze, woran, beim Ab⸗ 
wiſchen der Haͤnde, etwas gruͤnes kleben geblieben, 
abzunehmen und auszuſpuͤlen. Als dies nicht ge⸗ 
ben will, legt fie die Schürze in den Gang, und 
findet ſie nicht wieder. Der Angeſchuldigte ver⸗ 
birgt nun allen, noch im Kram befindlichen, Gruͤn⸗ 
ſpan im Stalle. Als die W.. den Grünſpan im 
Stall aufgefunden, und dem P... übergeben hat, 
droht ihr der Angeſchuldigte: 
„du Schinderkröte, was haft du geredet, 
wenn du es noch einmal thuſt, ſo breche ich 
dir die Knochen im Leibe morſch entzwei. 
Ueberhaupt iſt er jetzt unruhig, auf alles auf⸗ 
merkſam; er will es nicht leiden, daß die Dienſt⸗ 
boten unter einander ſprechen; er geht im Zimmer 
umher / ſeuftt, fügt den Kopf in die Hand; er ers 
greift 


Berlin 1814 — 1822. 193 


greift endlich Abends eine Flinte, und geht damit 
fort geſtaͤndlich, um ſich zu erſchießen, kehrt aber 
wieder zuruck. Als nach 10 uhr der Stadtwacht⸗ 
meiſter kommt, um ihn zu bewachen, ruft er: 
„was habt ihr mit mir vor, was will der Mann 
da? ich weiß ja von nichts! — Den Tag darauf 
läßt er den P... rufen; er geſteht fein Unrecht ge⸗ 
gen ſeine Frau ein, er bittet, ihm Rettungsmittel 
an die Hand zu geben, er liebkoſt ſeiner Frau, er 
verſichert, bitterlich weinend, Treue und Aende⸗ 
rung ſeines Betragens. Insbeſondere beſchwoͤrt er 
den P. .., ihm die Taſſe zuruͤckzugeben, damit er 
ſie von dem darin befindlichen Gifte ſaͤubern, und 
fie dem 9... gereinigt wieder zuſtellen koͤnne. Er 
ſagte: 

„erbarmet euch, und macht mich nicht un⸗ 

gluͤcklich; ich kann es nicht laͤugnen, es ge⸗ 

than zu haben, es iſt nun einmal nicht zu 

aͤndern. Gebt mir die Taſſe heraus, daß 

ich ſie reinigen kann, ihr koͤnnt ja hernach 

ſagen, daß ihr euch geirrt habt.“ 
P. , an des Angeſchuldigten Verhaͤltniß mit der 
N. , denkend, ſagte: 

„ſeht da, wohin Euch der Umgang mit 

einem ſolchen Weibe, wie die N.. iſt, ge⸗ 
führt hat,” 
N 


194 Zehnter Abſchnitt. 


und er entgegnete darauf: 
„ia, jetzt ſehe ich es ein; es iſt aber nicht 
mehr Zeit, dieſe Sache zu redreffiven. Ja, 
das Weib iſt Schuld an Allem. Wenn ich 
nur diesmal gerettet werden könnte, würde 
ich gewiß nicht mehr mit ihr verkehren.“ 


Sowohl dem P. „ als feiner Frau, geſtand er die 
gegen dieſe wenigſtens gelaͤugnete That ein, als 
ſie zur Kenntniß der Obrigkelt gekommen war. 


Merkwuͤrdig iſt auch der Brief, den er am 
17ten December um 8 Uhr dem Stadtrichtet P. 
zuſchickte, und in welchem es heißt: 


„die Gefuͤhle meines Herzens halten mir 
ſtets die Greuelthat, zu der mich Abweſen⸗ 
beit meiner ſelbſt, ich möchte beinahe fagen, 
Wahnſinn, verleitete, vor Augen, und mar⸗ 
tern mich auf das ſchrecklichſte je. Den Vor⸗ 
ſatz zu dem Uebel, welches ich beging, ge⸗ 

bar eine totale Zerruͤttung meines Gehirns 
ic.; ich war ſehr weit davon entfernt, in 
meinen gefunden Tagen ihr, — der Frau, — 
den Tod zu wuͤnſchen, noch weniger, ihr 
das Leben zu nehmen ꝛc.; meine bife That 
iſt vor den Augen der Richter und der Belt 
entdeckt ꝛc. 


Berlin 1814 — 1822. 195 


Bei den Vernehmungen vor Gericht, fagt 
Inkulpat ferner ſelbſt: 

Halles, was bei dem Auffinden des Gruͤn⸗ 
ſpans geſchah, ſchwebt mir nicht ganz klar 
vor Augen, da ich immer wie berauſcht, und 
meiner nicht bewußt war. Ich ſchreibe die⸗ 
fen Zuſtand der Gewiſſensangſt zu ꝛc.; ich 

faßte am folgenden Tage, nämlich am 13ten 
December, den Entſchluß, mich zu erſchie⸗ 
ßen, weil ich uͤber das, was ich, nach der 
Erzählung meiner Frau und des P. .., ge⸗ 
than hatte, in großer Gewiſſensangſt war. 
Ich hatte aber kein Herz dazu, die That 
auszufuͤhren ꝛc.“ 

Aus allem dieſem ergiebt ſich hinlaͤnglich: 
daß der Angeſchuldigte mit Beſonnenheit erſt 
alles zu vertilgen ſuchte, was als Beweis 
des von ihm begangenen Verbrechens dienen 
konnte; daß er aber dann, als ihm dies nicht 

gelungen war, von Angſt und Furcht vor 
Strafe, ſichtlich gefoltert wurde. 

Um nun alles das, was wider den Angeſchul⸗ 
digten feſtſteht, zu einem Reſultat zuſammen zu 
faſſen, iſt es noͤthig, alle, durch die Unterſuchung 
ausgemittelten Umſtaͤnde, in ſo fern ſie wieder ei⸗ 
gene Reſultate geben, zu wiederholen. 

N 2 


196 Zehnter Abſchnit. 


Es ſtebt demnach feſt: 

1. daß in dem Kaffee, den die S... amn 12ten 
December v. J., aus der Untertaſſe, die fie für fich 
eingeſchenkt hatte, trank, Gruͤnſpan befindlich war. 

2. Die Vermiſchung des Gruͤnſpans mit dem 
Kaffee geſchah in der Zeit, als der Angeſchuldigte 
ſich allein im Zimmer befand. 

3. In den verſchiedenen Auslaſſungen des An⸗ 
geſchuldigten liegt das Geſtaͤndniß der That; der 
Umſtand, welcher die Kraft dieſes Geſtaͤndniſſes 
aufheben. fol, nehmlich der bewußtloſe Zuſtand 
des Angeſchuldigten, der ihn verhindert, von eigenen 
Handlungen aus eigener Wahrnehmung zu ſprechen, 
iſt als falſch widerlegt. (Crim. Ord. $. 373.) 

4. Alle uͤbrigen Umſtaͤnde ſtehen in genauer 
Verbindung mit der, dem Angeſchuldigten, ange⸗ 
ſchuldigten That, und zwar: 

a, beſaß der Angeſchuldigte eben ſolches Gift, 

wie es in der Untertaſſe befindlich war, 

b. iſt das Motiv zur That, bis zur höchſten 
Wahrſcheinlichkeit, ausgemittelt, 

e, characteriſirt das Benehmen des Angeſchul⸗ 
digten nach der That, ihn, als den von Ge⸗ 
wiſſensbiſſen und Furcht vor Strafe geängfe- 
ten Berbrecher. 

Hat der Angeſchuldigte wirklich Grünſpan in 


Berlin 1814 — 1822. 197 


den Kaffee, von dem er vorausſetzen konnte daß 
ihn feine Frau trinken würde, gefchüttet, fo iſt ſei⸗ 
ne böfe Abſicht um fo mehr klar, als man den 
Sachverſtaͤndigen Recht geben muß, die noch die 
Entwickelung des Kupferkalches in der Untertaſſe 
wahrnehmen, und daraus ſchließen, daß „da die 
©... einen Schluck genommen, und der Angeſchul⸗ 
digte das uͤbrige weggegoſſen hatte, uͤberhaupt ſo 
viel Granſpan in der Taſſe geweſen ſeyn muß, daß 
die S. . „ hätte fie allen Kaffee genoſſen, geſtorben, 
oder Fan kent in eine gefaͤhrliche Krankheit gefal⸗ 
len wäre. 
Nach allem dieſem iſt, unſer's Ermeſſens: 
der Angeſchuldigte, der ihm angeſchuldigten 
That, fuͤr uͤberfuͤhrt zu achten, und der 
Thatbeſtand des Verbrechens dahin als feſt⸗ 
ſtehend wider ihn anzunehmen, daß er in 
boͤſer Abſicht feiner Ehegattin Gift beige⸗ 
bracht, dieſes Gift aber nur eine voruͤber⸗ 
gehende heilbare Krankheit verurſacht hat, 
wodurch die Anwendung des §. 865. Theil 2. Ti⸗ 
tel 20. des Allg. Landrechts unbedenklich wird, der 
das vom Angeſchuldigten begangene Verbrechen 
mit zehnjaͤhriger bis lebenswieriger Zuchthaus⸗ oder 
Feſtungsſtrafe ahndet. Die Krankheit der S 
war unbedeutend, ſie wurde in kurzer Zeit ganz 


198 Zehnter Abſchnitt. 


bergeſtellt, und dies wuͤrde den niedrigſten Grad 
der, in der angefuͤhrten Gefehflelle beftimmten, 
Strafe motiviren, wenn es nicht die Ehegattin des 
Angeſchuldigten wäre, die er zu vergiften verſuchte, 
weshalb ihn eine härtere Strafe treffen muß. 
Wir ſind daher der rechtlichen Meinung: 
daß der Angeſchuldigte, wegen verſuchter Ver⸗ 
giftung feiner Ehegattin, mit zwölfjahrigem 
Feſtungs⸗ Arreſt zu belegen, auch ſaͤmmtliche 
Kaoſten der Unterſuchung zu tragen ſchuldig. 


(Zu Seite 134.) 


Berlin, Taubenſtraße Nr. 31, den 10. Juli 1817. 


Geliebteſter Bruder! 
Dein Brief vom eiſten Junius d. J. überraschte 
mich auf ganz beſondere Art, weil ich Dich — fuͤr 
todt hielt, und Deinen Verluſt auf das innigſie 
betrauert hatte. — Das hängt nämlich fo zuſam⸗ 
men. Im Anfang des vorigen Winters erſchien bei 
mir ein junger Menſch von etwa 17, 18 Jahren, 
von ziemlichem Anſehen, balb milttairiſch gekleidet, 


Berlin 1814 — 1822. 199 


welcher mich ſogleich aden Weiſe anredete: 
„Ich bin Ihres Bruders Sohn!“ (Ich bin Deines 
Vaters Geiſt! — wie im Hamlet.) Du kannſt es 
denken, daß ich ſogleich nach Dir frug, was Du 
machteſt, wo Du lebteſt, wie es Dir ginge, u. ſ. w. 
Darauf ſprach der junge Menſch mit geſenkter 
Stimme, indem er mit einem Taſchentuch ſich 'was 
weniges über die Augen fuhr: „Mein armer Va⸗ 
ter iſt geſtorben!» — Nun kannſt Du es Dir wie⸗ 
der denken, daß mich dieſe Nachricht um ſo mehr 
erſchuͤtterte, als ich mir Vorwuͤrfe machte, mich 
nicht mehr nach Deinem Aufenthalt erkundigt, und 
ſo wenigſtens noch einige Worte von Dir erhalten 
zu haben. Ich brach daher das Geſpraͤch kurz ab, 
indem ich es dem jungen Menſchen freiſtellte, mich 
ferner zu beſuchen. Dies that er denn auch, in⸗ 
deſſen zu unbequemen Stunden, in denen er mich 
nicht ſprechen konnte. Endlich wandte er ſich ſchrift⸗ 
lich an mich, ſprach mich um Geld an, und legte, 
wie er ſagte, zu ſeiner Legitimation, ein Portrait 
von mir bei, auf eine Spielmarke gemalt, mit 
grünen Haaren, und etwas dem Kaiſer Hadrian 
ahnlich, das ich aber, wie ich mich erinnere, ſelbſt 
vor langer Zeit verfertigt. Bedeutende Unterſtuͤ⸗ 
gungen zu reichen, das. läßt meine Lage durchaus 
nicht zu; indeſſen packte ich einige Thaler ein, 


200 Zehnter Abſchnitt. 


und ſchrieb ihm zugleich, daß ich berelt Wr; für 
ſein Unterfommen auf irgend eine Weiſe zu ſorgen, 
nur muͤſſe er ſich uͤber fein. bisheriges Wohlverhal⸗ 
ten durch glaubhafte Atteſte legitimiren. — Selt 
der Zeit hat er nichts mehr von ſich hören laſßen. 
Er nannte ſich Ferdinand Hoffmann, und 
Du wirft vieleicht am beſten den näheren wahren 
Zuſammenhang der Sache wiſſen, oder N 
errathen konnen. f 

Es iſt wahr, liebſter Bruder! daß, Jahre Bine 
durch, uns das Schickſal ganz auseinander geworfen 
bat, und es ſcheint auch, als wenn Dir meine 
Denkungsart ganz fremd geworden iſt, denn ſonſt 
wuͤrdeſt Du nicht von dem Mantel des Hochmuths 
ſprechen, den ich mir umgehaͤngt haben ſoll, und 
der, wie ich wohl verſichern kann, nach meiner 
Art zu ſeyn, mir ein durchaus unbeguemes unge⸗ 
wohntes Kleidungsstück ſeyn würde, in dem ich mich 
nicht zu regen und zu bewegen wüßte. Ferner, 
liebſter Bruder! wuͤrdeſt Du irren, wenn Du glaub⸗ 
teſt, daß ich, durch die Beerbung meiner Erzieher, 
in irgend eine günftigere Lage, als fie ſich gerade 
aus meinen Dienfiverhältmiffen ergiebt, gekommen 
ſeyn ſollte. Vielleicht wäre dies der Fall geweſen, 
wenn nicht der unglüͤckſelige Krieg mich im Jahre 
1806 dienſilos gemacht hätte. Ich weiß nicht, ob 


Berlin 1814 — 1822. 201 


es Die bekannt iſt, daß ich ſeit dem Jahre 1807 
mich im ſuͤdlichen Deutſchland, in Bamberg, als 
Theater = Mufit = Direktor nothduͤrftig naͤhrte; 
daß ich dieſelbe Stelle ſpaͤter in Dresden hatte, 
auch hier alles Elend des Krieges uͤberſtehen 
mußte, und erſt im Jahre 1815 wieder eintreten 
konnte in das Kammergericht, wiewohl nach der 
Aneiennetaͤt, die mir mein Rathspatent vom 2ten 
Februar 1802 gab, welches denn nun wohl gar 
keine Entſchaͤdigung ſeyn kann. Das bis zum Tode 
des ſehr wackern, uns wohl bekannten, Juſtizraths, 
bis zur Unbedeutenheit geſchmolzene Vermoͤgen, das 
noch überdies mancherlei Legate zerſplitterten, reich⸗ 
te gerade hin, mich hier anderthalb Jahre hin⸗ 
durch, die ich ohne Gehalt hinbringen mußte, 
zu ernaͤhren, und mich dann haͤuslich einzurichten. 
Jetzt lebe ich in dem uͤbertheuern Berlin lediglich 
von meinem Gehalt und dem, was ich ſonſt etwa 
durch Schriftſtellerei verdiene. — Vielleicht iſt der 
literariſche Ruf des Verfaſſers der Fantaſieſtuͤcke in 
Callot's Manier, der Elixiere des Teufels, der 
Nachtſtücke u. ſ. w., bis nach B., oder gar bis 
nach C. gedrungen, und es iſt vielleicht ſogar moͤg⸗ 
lich, daß man wenigſtens in B. von dem Compo⸗ 
niſten der Fouqus'ſchen Oper: Undine, die mit 
vorzüglicher Pracht (Dekorationen und Cofum #0- 


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LM; MN ATE LEE ARE 


A* 202 Zehnter Abſchnitt. 


ſteten gegen 12,000 Rthl.) auf dem hieſigen Thea⸗ 
ter ſeit Jahresfriſt oft gegeben wurde, etwas 
weiß. Solch ein Verfaſſer und Componiſt bin 
ich nun ſelbſt, und Du ſiehſt, liebſter Bruder, daß 
ich, trotz der finſtern und ſattſam langweiligen Ju⸗ 
rifterei, auch meine kuͤnſtleriſchen Anlagen tüchtig 
zu kultiviren nicht unterlaſſe. Das Dichten iſt be⸗ 
kanntlich Familienfünde wäterlicher Seits; aber in 
der Muſik haben, ſo viel ich weiß, unſere Altvor⸗ 
dern nicht ſonderlich viel geleiſtet. So viel ich mich 
eringere, ſpielte Papa Viola di Gamba, worüber 
ich einmal, als drei- oder vierjaͤhriger Knabe, in 
ein entſetzliches Weinen ausbrach, und nicht zu be⸗ 
ſchwichtigen war, nisi durch einen ſchicklichen Pfef⸗ 
ferkuchen. Papa hatte aber keinen Takt, und böfe 
Verlaͤumdung behauptete, er habe einmal eine Me⸗ 
nuett nach einer Polonoiſe getanzt, die der ſchlaue 
Juſtizrath auf dem wohlbekannten rothlakirten Fluͤ⸗ 
gel ſpielte, den wir, wenn Du Dich noch daran 
erinnerſt, in ſpaͤterer Zeit einmal mit dem hohen 


g Büchers, Klelder⸗, Stiefel ⸗ꝛc. Schrank des Ju⸗ 


ſtizraths, den wir umſtuͤlpten, un eingeſchmiſ⸗ 
fen hätten. 
(Hier endet der Brief, der nicht fact um 


Mai worden zu From fheint.) 
un 


Berlin 1814 — 1822. 203 
Neueſte Schickſale 


eines abentheuerlichen Mannes. 
Re Mitgetheilt von 


E. T. A. Hoffmann. 
Zu Seite 155.) 


Vorwort. 


Nicht gar zu lange iſt es her, als in dem hieſi⸗ 
gen Gaſthofe, das Hotel de Brandenhourg gehei⸗ 
ßen, ein Fremder eingekehrt war, der, Ruͤckſichts 
ſeines Außern, ſeines ganzen Betragens, mit Recht 
ein wenig ſeltſam zu nennen. — Sehr klein, und 
dabei beinahe magerer als mager, die Knie merk⸗ 
lich einwaͤrts gebogen, ging oder huͤpfte er vielmehr, 
mit einer kurioſen, man möchte ſagen unangeneh⸗ 
men, Geſchwindigkeit, durch die Straßen, und trug 
Kleider von auffallender Farbe wie Keiner; z. B. 
Lilas, Zeiſiggruͤn ꝛc., die aber, ſeiner Magerkeit un⸗ 
erachtet, ihm viel zu knapp zugeſchnitten, und dazu 
ſaß ihm ein kleines rundes Huͤtchen mit einer blin⸗ 
kenden Stahlſchnalle ganz ſchief nach dem linken 
Ohr zu auf der Friſur. Friſiren und pudern ließ 
ſich der Kleine nehmlich jeden Tag auf das ſchoͤnſte, 
und einen amdnen Studentenzopf aus den Neun⸗ 
ziger Jahren einbinden, von dem Genre, das auf- 


e 
e 


204 Zehnter Abſchnitt. 


ſtrebende Genies bezeichnet. (man ſehe: Lichtenberg 
über Studentenzöpfe und ꝛc.) Der Kleine war fer⸗ 
ner ein ganz außerordentlicher Schmecker; er lleß 
ſich die leckerſten Schuͤſſeln bereiten, und aß und 
trank mit dem ungemeſſenſten Appetit. Hatte er 
ſich dann ſatt gegeſſen und getrunken, ſo ging ihm 
der Mund wie eine Windmühle, oder wie ein Feu⸗ 
errad. In einem Athem ſchwatzte er von Natur⸗ 
philoſophle, ſeltnen Affen, Theater, Magnetismus, 
neu erfundnen Haubenſtöcken, Poeſtie, Compreßions⸗ 
Maſchinen, Politik und tauſend andern Dingen, 
ſo daß man wohl bald merkte, wie er ein ſattſam 
gebildeter Mann ſeyn, und in literariſch aͤſthetiſchen 
Thees hinlaͤnglich geglaͤnzt haben muͤſſe. — Ueber⸗ 
haupt verſtand ſich der Fremde ganz ungemein auf 
das, was man feine Converſation nennt, und hatte 
er ein Gläschhen Muskat, (ein Wein, den er allen 
übrigen vorzog) mehr getrunken als dienlich, fo ließ 
er eln liebes herrliches Gemuͤth verſpuͤren, und 
auch erstaunlich viel deutſchen Sinn, wiewohl er 
verſicherte, ſich derwegen etwas cachiren zu muſſen, 
wegen China, wo er voriges Jahr eln Paar Stie⸗ 
feln fiehen laſſen, das er mit Artigfeit wieder zu 
erlangen hoffe: Wollte er auch ſonſt nicht recht 
mit der Sprache heraus, wes Glaubens, Namens 
und Standes er eigentlich ſey, ſo entſchluͤpfte ihm 


Berlin 1814 — 1822. 205 


doch in ſolch' gemäthlicher Laune manch’ bedeutſa⸗ 
mes Wort, das freilich nun wieder unaufloͤslichen 
Räthieln anzugehbren ſchien. Er gab nehmlich zu 
verſtehen, daß er ſonſt als bedeutender Kuͤnſtler ſich 
reichlich genaͤhrt, dann aber auf geheimnißvolle 
Weiſe zu einem ſehr hohen Stande gelangt, der 
jedem weit mehr gewaͤhre als das liebe taͤgliche 
Brodt. — Dabei fuhr er mit beiden Aermen aus⸗ 
einander, welche Pantomime, die beinahe anzuſehen, 
als wolle er jemanden das Maaß nehmen, er uͤber⸗ 
haupt ſehr liebte und oͤfters wiederholte, und zeigte 
dann mit geheimnißvollem Laͤcheln in die Mohren⸗ 
ſtraße hinein, meinend, wenn man da ſo hinabgin⸗ 
ge, und ſo immer fort und fort, ſo wuͤrde man 
doch wohl endlich in den kleinen, von beiden Sei⸗ 
ten mit Brombeerſtrauch eingefaßten Feldweg kom⸗ 
men, der gleich hinter Cochinchina, links ab wei⸗ 
ter auf die große Wieſe fuͤhre, uͤber die hinweg 
man in ein großes, ganz propres Reich gelange. 
Und er wiſſe wohl, wer dort zu ſeiner Zeit als ein 
berühmter Kaiſer geherrſcht und prächtige Goldſtuͤcke 
habe ſchlagen laßen. Dabei klapperte der Fremde 
mit Goldſtuͤcken in der Taſche, und ſah fo ganz be- 
ſonders pfiffig aus, daß man auf den Gedanken ge⸗ 
rathen mußte, jener Kaiſer hinter der großen Wieſe 
ſey am Ende niemand anders geweſen als er, der 
kleine Fremde ſelbſt. 


* 4 h 


206 Zehnter Abſchnitt. 


Wahr iſt es, fein Geſicht, das ſonſt gewohnlich 
zuſammengeſchrumpft, wie ein naß gewordener 
Handſchuh, konnte ſich manchmal ausglaͤtten zu hel⸗ 
lem Sonnenſchein, und er hatte dann den gewiſſen 
gnädigen Blick, mit dem hohe Herrſchaften df- 
ters ein ganzes Rudel armer Leute ſatt fuͤttern 
lange Zeit hindurch, und mit den Goldſtücken, die 
er in Hülle und Fülle beſaß, hatte es auch eine 
ganz eigne Bewandniß. Das Gepraͤge war nehm⸗ 
lich von der Art, daß die Stucke durchaus in keine 
Rubrik alles nur erdenklichen fremden Geldes zu 
bringen. Auf der einen Seite ſtand eine Inſchrift, 
die beinahe Chineſiſch ſchien. Auf der Kehrſeite 
befand ſich aber in dem, mit einer Turban aͤhnli⸗ 
chen Krone bedeckten, Wappenſchilde, ein kleiner, 
niedlicher geflügelter Eſel. — Der Wirth des Hau⸗ 
ſes wollte daher auch dieſe, gaͤnzlich unbekannte, 
Muͤnze nicht eher in Zahlung nehmen, bis auf Be⸗ 
fragen der General⸗Muͤnz⸗Wardein Loos ihm ver⸗ 
ſichert, wie das Gold beſagter Stuͤcke ſo uͤberaus 
fein fen, daß es ordentlicher Uebermuth geweſen, 
daraus Geld zu prägen. 

Wollte man aber nun auch wirlich ahnen, 
daß der wunderliche Kleine ein Inkognito reiſen⸗ 
der aſiatiſcher Potentet, fo ſtand damit wieder man⸗ 
ches in feinem Betragen in dem grellſten Wider⸗ 


Berlin 1814 — 1822. 207 


ſpruch. Mit hoher kreiſchender Stimme pflegte er 
nehmlich öfters Lieder zu fingen, die eben nicht in 
der vornehmen Welt vorzukommen pflegen, wie 
3. B. Am Sonnabend, am Sonnabend, da iſt die 
Woch' zu Ende, oder: In Berlin, in Berlin, wo 
die ſchoͤnen Linden blüh n, oder: der Are e 
nach Pankow ſchnell heraus ꝛc. ꝛc. 

Dann hatte er auch einen unwiderſtehlichen 
Drang, gewiſſe Tanzboͤden zu beſuchen, wo ſich das 
Handwerk zu vergnügen pflegt mit ſattſam geputz⸗ 
ten Maͤgden. Gewöhnlich wurde er mit Schimpf 
und Schande herausgeworfen, weil er im Dreher 
nicht in den Takt kommen konnte, und der gewand⸗ 
teſten Köchin den Eiergelben Schnuͤrſtiefel aus der 
Facon trat. Was aber eigentlich jeder guten Mei⸗ 
nung von ihm den Hals brach, war, daß er auf 
dem Gensd'armes Markt, gerade an einem Markt⸗ 
morgen, plotzlich wie vom boͤſen Teufel erfaßt, in 
eine Heringstonne griff und den ergriffenen Salz- 
mann, auf einem Beine tanzend, verzehrte. Half's, 
daß er das tobende Weib mit einem geflügelten 
Eſel großartig belohnte? — Jeder ſchalt ihn ei⸗ 
nen ſittenloſen Menſchen, der Gott nicht vor Aut: 
gen. Hin war die gute Meinung, und die rettet 
fein Eſeli. — 

Wenige Tage darauf hatte auch der wunderliche 


208 Schnier Abfinit, 


Fremdling Berlin verlaſſen. Zu nicht geringem 
Erſtaunen der Wirthsleute und aller derer, die ge- 
rade aus den Fenſtern guckten, war er in einer 
ganz und gar ſilbernen Kutſche davon gefahren im 
brauſenden Trott. 
Vor wenigen Tagen war an der Wirthstafel 
im Hotel de Brandenbourg die Rede von dieſem 
ſeltſamen Manne, und Herr Krauſe erwaͤhnte, daß 
man auf dem Sekretair in der Stube, die er ber 
wohnt, ein Röllchen beſchriebenes Papier gefun⸗ 
den, das er aufbewahre. Auf Verlangen erhielt ich 
dieſes Roͤllchen. Wer ſchildert aber mein Erſtau⸗ 
nen, meine Freude, mein Entzuͤcken, als ich, auf 
den erſten Blick in's Manufkript, wahrnahm, daß 
der Fremde niemand anders geweſen, als der be⸗ 
ruͤhmte, zum Kaiſer von Aromata avancirte, Schnei⸗ 
dergeſelle Abraham Tonelli, deſſen merkwürdige Les 
bensgeſchichte vor mehreren Jahren, in dem achten 
Bande der Strauß federn, der Leſewelt mitgetheilt 
wurde. — Merkwürdig genug ſcheint es, daß ge⸗ | 
genwaͤrtige Memoires gerade da, wo jene Lebens⸗ 
geſchichte ſchließt, anfangen, und ſich daher derſel⸗ 
ben ziemlich genau anreihen. Es iſt möglich, daß 
Tonell in Berlin den Redacteur ſeiner früheren 
Lebensgeſchichte (Ludwig Tiek) fuchte- und nicht 
fand. Hat mir aber nun einmal das Schickſal To⸗ 
nelli's 


Berlin 1814 — 1822. 209 


nes ferneres Manuſkript in die Hände geſpilelt, 
ſo finde ich darin einen Beruf, mich ſogleich der 
Redaktion deſſelben zu unterziehen, und weder 
Herr Abraham Tonelli, noch Herr Ludwig Tiek koͤn⸗ 
nen dies unguͤtig aufnehmen. 


) Den geneigten Leſern, die etwa den achten Vand 
der zuerſt von Mufäus herausgegebenen Strausfedern, eines 
Buchs, das ſich ſehr ſelten gemacht hat, nicht gleich zur 
Hand haben ſollten, dient folgendes zur kürzlichen Nachricht. 
A. Tonelli, von armen Schneidereltern geboren, ſelbſt zu die⸗ 
ſer Profeſſion erzogen, aber Hohes im Sinne tragend, begiebt 
ſich auf die Wanderſchaft, verirrt ſich, entrinnt mit Mühe 
Räubern, die er aus dem Walde heraus vexirt, und kommt, 
nachdem er viel Elend erlitten, endlich zu einem polniſchen 
Baron. Dieſer lehrt ihn die Kunſt, ſich, mittelſt einer Wur⸗ 
zel, in alle nur mögliche Thiere zu verwandeln, welches ihm 
viel Vergnügen macht. Er läuft indeſſen davon, als der 
Baron ihn, der ſich gerade in einen kleinen Hund verwan⸗ 
delt hat, als Elephant derb abgeprügelt, und kommt, von 
einem ungeheuren Vogel als Maus über's Meer getragen, 
zum König von Perfien, dann aber zum türkiſchen Kaiſer, 
der, vor Freude über den ſeltnen Künſtler, ſich kreuzigt und 
ſegnet, und ihn leben läßt in Pracht und Freude. Argli⸗ 
ſtige Diener rauben ihm indeſſen die Zauberwurzel, und er 
wird, da er ſich nun nicht mehr verwandeln kann, von dem 
Kaiſer mit Schimpf und Schande fortgejagt. Er bettelt fich 
durch bie nach Siberien, wo ihn in der Schlafkammer ei⸗ 
nes Wirthshauſes eine verwünſchte Katze beſucht, und ihn 


O 


210 Zehnter Abſchnitt. 
dier it alſo die 


| Fortſchung von Abraham Tonellis e 
Lebensgeſchichte. 


Vierte Abtheilung. 
1 1. 


Lagen iſt ein großes Lafler, bauptſaͤchlich deshalb, 
weil es der Wahrheit entgegen, die eine große Tu⸗ 


um ihre Befreiung bittet, wogegen fie ihn zu einem Schatz 
verhelfen will. Endlich, nach langem Widerspruch, giebt er 

den Bitten und Thränen der Katze nach, läßt ſich von ihr 
die Hand reichen, und faßt Zutrauen, als ſie ihn nicht kratzt. 
Er erhält den Schatz, und einen Stein, deſſen Eigenſchaſt, 
den Teufel ihm unterwürfig zu machen, er erſt dann ent⸗ 
decke, als alles Gold verſchwunden, und er auf's neue in 
Noth und Elend gerathen iſt. Er zwingt nun den Teufel, 
ihm fo viel Schätze zuzutragen, als er nur mag, gewinnt 
die Gunſt des Königs von Monopolis, durch einen Schmaus, 
den er ihm in dem Gaſthoſe giebt, baut ein Schloß, Tunes 
lenburg genannt, und helrathet die Tochter eines Kaufmanns, 
Diefe ſtirbt, das Schloß brennt ab, der Stein it verloren, 
und Tonellt wird, als Herenmeiſter, aus dem Lande gejagt. 
Er muß aufs neue ſich durchbetteln, trifft auf zwei Beine 
weber, kehrt mit ihnen in ein Wirthehaus ein, wo der 
Wirth ihnen ein Zimmer einräumt, das von Voltergeifiern 
heimgeſucht werden ſoll. Als fie ſpielen und zechen, kommt 
aus Jußboden und Decke eine ganze Geſeliſchaft Geiſter, 


Berlin 1814 — 1822. 211 


gend. Hab' auch nimmer gelogen, als wenn's mein 
Vortheil. Poſſedir' uͤberhaupt ein paſſabel ſtarkes 


die ſich an eine Tafel ſetzen und auf das köſtlichſte ſchmau⸗ 
ſen. Die beiden Leinweber, die zum Mittrinken gezwungen 
werden, fallen todt um. Als Tonelli trinken fol, ruft er 
in der Verzweiflung: Pereat dem Teufel, vivat Gott dem 
Herrn! Sogleich verſchwindet die ganze Geſellſchaft, und es 
erſcheint ein Geiſt in der Geſtalt eines ſchönen großen Vo⸗ 
gels, dem Tonelli fein Compliment macht und ihn um Verzei⸗ 
n hung bittet wegen des unhöflichen Gebets, das ihm in der 
Angſt entfahren. Der Vogel erwiedert, das habe nichts zu 
fagen, und rathet ihm, von den Koſtbarkeiten auf den Tiſch 
einen Pokal und eine Perle zu nehmen, die alles in Gold 
zu verwandeln vermag. Tonelli thut es, und darauf bringt 
ihn ein geflügelter Eſel nach dem Lande Aromata. Er ge, 
winnt durch feine Goldmacherei dic Gunſt des Kaiſers, der 
ihm, nachdem er als ein tapfrer Feldherr die Feinde des 
Landes befiegt, gegen Auslieferung der Perle, ſeine Tochter 
zur Gemahlin girt, und dem er in der Regierung folgt. 
Am Schluſſe heißt es: „Bin jetzt alt und grau und immer 
„noch glücklich, ſchreibe aus Zeitvertreib, und weil ich nicht 
„weiß, was ich thun ſoll, dieſe meine wahrhafte Geſchichte, 
„um der Welt zu zeigen, daß man gewiß und wahrhaftig, 
„durchſetzt, was man ſich ernſthaft vorgeſetzt hat. Habe 
„Gottlob! noch guten Appetit, und hoffe, ihn bis an mein 

o ſetliges Ende zu behalten. Die idealiſchen Träume meiner 

„Kinderfähre find an mir in Erfüllung gegangen: das erle⸗ 
„ben nur wenige Menſchen!“ — 

O 2 


212 Zehnter Abſchnitt. 


Gewiſſen, das mich zuweilen derb in den Rüden 
fibgt. Treibt auch jetzt mich an, zu geſtehen, daß 
gelogen, als der Welt ſchrieb, wie ich alt und grau, 
und doch immer gluͤcklich, und wle die idealiſchen 
Traͤume meiner Jugend in Erfüllung gegangen. 
War, als das ſchrieb, noch ein junger hübſcher 
Mann mit rothen Backen, batte mich aber ſtark 
pudern laſſen. Aß gerade einen boͤhmiſchen Faſan 
mit Apfelmuß und trank Muskatwein dazu. Hielt 
das fuͤr die idealiſchen Traͤume meiner Jugend. 
Wollte mich damit brüſten, daß alles durchgeſetzt, 
was mir vorgenommen, und nun glücklich bis an 
mein Lebensende. Hatte mein ganzes bischen alte 
Geſchichte verſchwitzt. Dachte nicht an Erdſus, 
war überhaupt ein eingebildeter Narr, und, wie ge⸗ 
ſagt, alles erlogen, bis auf den guten Appetit, den 
ich noch beute verſpüre. Erlitt auch bald nachher, 
als ich alſo gelogen, großes Ungluͤck, Noth und 
Pein, worüber ich meine ganze Herrlichkeit im 
Stich laſſen und vergeſſen mußte. O wie muß 
ſich doch der irdiſche Menſch hienteden beugen den 
vernichtenden Launen eines ſtets wankenden Schick⸗ 
ſals! — O täufchender Glanz des Gluͤck s, wie ver⸗ 
bleichſt du fo ſchnell, fo plotzlich vor dem Gift⸗ 
hauch des Mißgeſchicks! — Iſt einmal ſo her 
anders in der Welt! — 


Berlin 1814 — 1822, 213 


2. 

Hatte, als Kaiſer von Aromata, eine überaus 
ſchoͤne vortreffliche Kaiferin. War auch ein En⸗ 
gel dabei, und konnte ſingen und ſpielen, daß ei⸗ 
nem das Herz im Leibe lachte. Tanzte auch huͤbſch. 
Dachte, als die Flitterwochen vorüber, daran, daß 
es wohl nun zu meiner, Part gehöre, die koſtbare 
Perl' aufzubewahren, bat mir ſie daher aus von der 
Gemahlin. Schlug's mir aber ſchnippiſch ab. 
Thaͤt' den Aerger verbeißen und meinte, die Ge⸗ 
mahlin ſolle, aus großer Liebe zu mir, meinem 
Willen nicht entgegen ſeyn. Die Gemahlin ſchlug 
es mir aber nochmals rund ab, wurde zornig, und 
blickte mich an mit funkelnden Augen. Hatte noch 
niemals ſolche Augen bei einer Weibsperſon geſe⸗ 
ben, und mußte an die ſchwarze Katze denken. Ließ 
drei Tage das Maul haͤngen, und pergoß eines 
Mittags, als die Kaiſerin gerade ein gebratenes 
Spannferkel anſchnitt, das zu ſehr gepfeffert, bittre 
Thränen des Unmuths. Das rührte die Gemab- 
lin, und ſie ſagte, ich ſolle mir den Verluſt der 
Perl' nicht ſo zu Herzen nehmen, haͤtte doch das 
unſchaͤtzbarſte Kleinod auf Erden dafür eingetauſcht 
und wolle ſie manchmal. die Perl' mir zum Spielen 
geben. — War doch ein ſchoͤnes ehrliches Gemüth, 
die Kalſerin! — Mehr iſt nicht vorhanden.) 


214 Zehnter Abſchnitt. 


Hoffmanns Teſtament. 
Gu Seite 160.) 


Wir; nehmlich ic, der Kammergerichts- Rath 
Ernſt Theodor Wilhelm Hoffmann, und ich, Maria 
Tekla Michaeline geborne Rohrer, haben nun be⸗ 
reits, ſeit zwanzig Jahren, in einer fortdauernd 
gluͤcklichen, wahrhaft zufriedenen, Ehe gelebt. Gott 
hat uns keine Kinder am Leben erhalten, aber ſonſt 
uns manche Freude geſchenkt, doch uns auch mit 
ſehr ſchweren harten Leiden gepruͤft, die wir mit 
ſtandhaftem Muth ertragen haben. Einer iſt im⸗ 
mer des andern Stuͤtze geweſen, wie das denn Ehe⸗ 
leute ſind, die ſich, ſo wie wir, recht aus den treu⸗ 
ſten Herzen lieben und ehren. 

Sollte es nun Gott gefallen, unſer'n Bund zu 
trennen, und einen ober den andern, aus dieſer 
Zeitlichkeit abzurufen, ſo verordnen wir hiemit, letzt⸗ 
willig und wechſelſeitig, daß dem uͤberlebenden Ehe⸗ 
gatten der Nachlaß des Verſtorbenen, nicht das 
mindeſte davon ausgenommen, als vollkommnes freies, 
uneingefchränftes Eigenthum, woruͤber er nach 
Wilkühr verfugen kann, ohne jemanden darüber 
Reed und Antwort zu geben, erblich zufallen fol. 

Ich, der Ehegatte, habe dieſe wechſelſeitige letzte 
Verfügung ſelbſt geſchrieben, ich, die Ehegattin, 


Berlin 1814— 1822. 215 


dieſelbe mehrmals durchgeleſen, beide bekraͤftigen 
und vollziehen wir aber dieſen unſern ausgeſproche⸗ 
nen letzten Willen, durch unſere eigenhaͤndige Na⸗ 
mens⸗Unterſchrift und Beidruͤckung unſeres n 
lichen Siegels. 

Berlin den Sechs und lat März, Ein 
Tauſend Achthundert und Zwei und Zwanzig. 


Ernſt Theod. Wilh. Hoffmann 
Koͤniglicher Kammergerichts⸗Rath. 
| e 
Maria Tekla Michageling Roter 
verehlichte Hoffmann. 
Gnade 


Bene Vetters Eckfenſter. 


Mitgetheilt von 
E. T. A. Hoffmann. 


Meinen armen Vetter trifft gleiches Schicksal mit 
dem bekannten Scarron. So wie dieſer, hat mein 
Vetter durch eine hartnaͤckige Krankheit den Ge⸗ 
brauch ſeiner Fuͤße gaͤnzlich verloren, und es thut 
Noth, daß er ſich, mit Hülfe ſtandhafter Kruͤcken, 


216 Zehnter Abſchnitt. 


und des nervigten Arms eines graͤmlichen Invali⸗ 
den, der nach Belieben den Krankenwaͤrter macht, 
aus dem Bette in den mit Kiſſen bepackten Lehn⸗ 
ſtuhl, und aus dem Lehnſtuhl in das Bette ſchro⸗ 
tet. Aber noch eine Aehnlichkeit traͤgt mein Vetter 
mit jenem Franzoſen, den eine beſondere, aus dem 
gewöhnlichen Gleiſe des franzdfifchen Witzes aus⸗ 
weichende, Art des Humors, trotz der Sparſam⸗ 
keit feiner Erzeugniſſe, in der franzböſiſchen Litera⸗ 
tur feſtſtellte. So wie Scarron, ſchriftſtellert mein 
Vetter; ſo wie Scarron, iſt er mit beſonderer le⸗ 
bendiger Laune begabt, und treibt wunderlichen 
bumoriſtiſchen Scherz auf ſeine eigene Weiſe. Doch 
zum Ruhme des deutſchen Schriftſtellers ſey es be⸗ 
merkt, daß er niemals fuͤr noͤthig achtete, ſeine 
kleinen pikanten Schuͤſſeln mit Aſa fötida zu wuͤr⸗ 
zen, um die Gaumen ſeiner deutſchen Leſer, die 
dergleichen nicht wohl vertragen, zu kitzeln. Es 
genügt ihm das edle Gewuͤrz, welches, indem es 
reizt, auch ſtaͤrtt. Die Leute leſen gerne, was er 
ſchreibt; es ſoll gut ſeyn und ergöhlich; ich ver⸗ 
ſtehe mich nicht darauf. Mich erlabte ſonſt des 
Vetters Unterhaltung, und es ſchien mir gemuͤth⸗ 
licher, ihn zu hoͤren, als ihn zu leſen. Doch eben 
dieſer unbeſiegbare Hang zur Schriftfiellerei hat 
ſchwarzes Unheil uͤber meinen armen Vetter ge⸗ 


Berlin 18141822. 247 


bracht; die ſchwerſte Krankheit vermochte nicht den 
raſchen Naͤdergang der Fantafie zu hemmen, der 
in ſeinem Innern fortarbeitete, ſtets Neues und 
Neues erzeugend. So kam es, daß er mir aller⸗ 
lei anmuthige Geſchichten erzaͤhlte, die er, des 
mannigfachen Weh's, das er duldete, unerachtet, 
erſonnen. Aber den Weg, den der Gedanke verfol⸗ 
gen mußte, um auf dem Papiere geſtaltet zu er⸗ 
ſcheinen, hatte der boͤſe Daͤmon der Krankheit ver⸗ 
ſperrt. So wie mein Vetter etwas aufſchreiben 
wollte, verſagten ihm nicht allein die Finger den 
Dienſt, ſondern der Gedanke ſelbſt war verſtoben 
und verflogen. Darüber verfiel mein Vetter in 
die ſchwaͤrzeſte Melancholie. „Vetter!“ ſprach zer 
eines Tages zu mir, mit einem Ton, der mich er⸗ 
ſchreckte, „Vetter, mit mir iſt es aus! Ich kom⸗ 
me mir vor, wie jener alte, vom Wahnſinn zer⸗ 
ruͤttete, Maler, der Tage lang vor einer in den 
Rahmen geſpannten grundirten Leinewand fa, und 
allen, die zu ihm kamen, die mannigfachen Schoͤn⸗ 
heiten des reichen, herrlichen Gemaͤldes anpries, 
das er ſo eben vollendet; — ich geb's auf, das 
wirkende, ſchaffende Leben, welches, zur aͤußern 
Form geſtaltet, aus mir ſelbſt hinaus tritt, ſich mit 
der Welt befreundend! — Mein Geiſt zieht ſich 
in feine Klauſe zurück!“ Seit der Zeit ließ ſich 


218 Zehnter Abſchnitt. 


mein Vetter, weder vor mir, noch vor irgend ei⸗ 
nem andern Menfchen, ſehen. Der alte graͤmliche 
Invalide wies uns murrend und keifend von der 
Thuͤre weg, wie ein beißiger Haushund. — 

Es if noͤthig zu ſagen, daß mein Vetter ziem⸗ 
lich hoch in kleinen niedrigen Zimmern wohnt. 
Das if nun Schriftſteller⸗ und Dichter Sitte. 
Was thut die niedrige Stubendecke? die Fantaſie 
fliegt empor, und baut ſich ein hohes, luſtiges 
Gewölbe bis in den blauen glaͤnzenden Himmel bin- 
ein. So iſt des Dichters enges Gemach, wie je⸗ 
ner zwiſchen vier Mauern eingeſchloſſene zehn Fuß 
in's Gevierte große Garten, zwar nicht breit und 
lang, hat aber ſtets eine ſchoͤne Höhe. Dabei liegt 
aber meines Vetters Logis in dem ſchoͤnſten Theile 
der Hauptfiadt, nämlich auf dem großen Markte, 
der von Prachtgebaͤuden umſchloſſen iſt, und in 
deſſen Mitte das koloſſal und genial gedachte Thea⸗ 
tergebaͤude prangt. Es iſt ein Eckhaus, was mein 
Vetter bewohnt, und aus dem Fenſter eines kleinen 
Kabinets uͤberſieht er mit einem Blick das ganze 
Panorama des grandiofen Platzes ). 

Es war gerade Markttag, als ich, mich durch 
das Volksgewuͤhl durchdraͤngend, die Straße hinab 
kam, wo man ſchon aus weiter Ferne meines Vet⸗ 


„) Treue Schilderung von Hoffmann's Wohnzimmer. 


Berlin 1814 — 1822. 219 


ters Eckfenſter erblickt. Nicht wenig erſtaunte ich, 
als mir aus dieſem Fenſter das wohlbekannte rothe 
Muͤtzchen entgegen leuchtete, welches mein Vetter 
in guten Tagen zu tragen pflegte. Noch mehr! 
Als ich naͤher kam, gewahrte ich, daß mein Vetter 
ſeinen ſtattlichen Warſchauer Schlafrock angelegt, 
und aus der tuͤrkiſchen Sonntagspfeife Taback 
rauchte. — Ich winkte ihm zu, ich wehte mit 
dem Schnupftuch hinauf; es gelang mir, ſeine 
Aufmerkſamkeit auf mich zu ziehen, er nickte freund⸗ 
lich. Was für Hoffnungen! — Mit Blitzesſchnelle 
eilte ich die Treppe hinauf. Der Invalide oͤffnete 
die Thuͤre; ſein Geſicht, das ſonſt runzlicht und 
faltig, einem naßgewordenen Handſchuh glich, hatte 
wirklich einiger Sonnenſchein zur paſſabeln Fratze 
ausgeglaͤttet. Er meinte, der Herr ſaͤße im Lehn⸗ 
ſtuhl, und ſey zu ſprechen. Das Zimmer war rein 
gemacht, und an dem Bettſchirm ein Bogen Pa⸗ 
pier befeſtigt, auf dem mit großen Buchſtaben die 
Worte ſtanden: 70 
Et si male nunc, non olim sie erit. 

Alles deutete auf wiedergekehrte Hoffnung, auf 
neuerweckte Lebenskraft. — „Ei,“ rief mir der 
Vetter entgegen, als ich in das Kabinet trat, „ei 
kommſt du endlich, Vetter; weißt du wohl, daß 
ich rechte Sehnſucht nach dir empfunden? Denn, 


220 Zehnter Abſchnitt. 


unerachtet du den Henker was nach meinen unſlerb⸗ 
lichen Werken fraͤgſt, ſo babe ich dich doch lieb, 
weil du ein munterer Geiſt biſt, und dane 
wenn auch gerade nicht amuͤſant.“ 

Ich fuͤhlte, daß mir bei dem Compliment mei⸗ 
nes aufrichtigen Vetters das Blut in's Geſicht ſtieg. 

„Du glaubst,» fuhr der Vetter fort, ohne auf 
meine Bewegung zu achten, „du glaubſt mich ge⸗ 
wiß in voller Beſſerung, oder gar von meinem 
Uebel hergeſtellt. Dem iſt bei Leibe nicht fo. Meine 
Beine ſind durchaus ungetreue Vaſallen, die dem 
Haupt des Herrſchers abtruͤnnig geworden, und 
mit meinem uͤbrigen werthen Leichnam nichts mehr 
zu ſchaffen haben wollen. Das heißt, ich kann 
mich nicht aus der Stelle rühren, und karre mich 
in dieſem Raͤderſtuhl hin und ber auf anmuthige 
Weiſe, wozu mein alter Invalide die melodiöfeften 
Maͤrſche aus feinen Kriegsjahren pfeift. Aber dies 
Fenſter iſt mein Troſt; bier iſt mir das bunte Le⸗ 
ben aufs Neue aufgegangen, und ich fuͤhle mich 
befreundet mit feinem niemals raſtenden Treiben. 
Komm, Vetter, ſchau hinaus!“ | 

Ich ſetzte mich, dem Vetter gegenüber, auf 
ein kleines Tabouret, das gerade noch im Fenſter⸗ 
raum Platz hatte. Der Anblick war in der That 
ſeltſam und überraschend. Der ganze Markt ſchlen 


Berlin 1814 — 1822. 221 


eine einzige, dicht zuſammengedraͤngte Volksmaſſe, 
ſo daß man glauben mußte, ein dazwiſchen ge⸗ 
worfener Apfel koͤnne niemals zur Erde gelangen. 
Die verſchiedenſten Farben glaͤnzten im Sonnen⸗ 
ſchein, und zwar in ganz kleinen Flecken; auf mich 
machte dies den Eindruck eines großen, vom Winde 
bewegten, hin und her wogenden Tulpenbeets, und 
ich mußte mir geſtehen, daß der Anblick zwar recht 
artig, aber auf die Laͤnge ermuͤdend ſey, ja wohl 
gar aufgereizten Perſonen einen kleinen Schwindel 
verurſachen koͤnne, der dem nicht unangenehmen 
Deliriren des nahen Traums gliche; darin ſuchte 
ich das Vergnuͤgen, das das Eckfenſter dem Vetter 
gewaͤhre, und aͤußerte ihm dieſes ganz unverhohlen. 

Der Vetter ſchlug aber die Haͤnde uͤber den 
Kopf zuſammen, und es entſpann ſich zwiſchen uns 
folgendes Geſpraͤch. 

Der Vetter. Vetter, Vetter! nun ſehe ich 
wohl, daß auch nicht das kleinſte Fuͤnkchen von 
Schriftſtellertalent in dir gluͤht. Das erſte Erfor⸗ 
derniß fehlt dir dazu, um jemals in die Fußſtapfen 
deines würdigen lahmen Vetters zu treten; naͤm⸗ 
lich ein Auge, welches wirklich ſchaut. Jener 
Markt bietet dir nichts dar, als den Anblick eines 
fehedigten, Sinnverwirrenden Gewuͤhls des in be⸗ 
deutungsloſer Thaͤtigkeit bewegten Volks. Hoho, 


222 Zehnter Abſchnitt. 


mein Freund! mir entwickelt ſich daraus die man⸗ 
nigfachſte Scenerie des bürgerlichen Lebens, und 
mein Geiſt, ein wackerer Callot, oder moderner 
Chodowiecki, entwirft eine Skizze nach der andern, 
deren Umriſſe oft keck genug ſind. Auf, Vet⸗ 
ter! ich will fehen, ob ich dir nicht wenigſtens 
die Primitien der Kunſt zu ſchauen beibrin⸗ 
gen kann. Sieh einmal gerade vor dich herab 
in die Straße; hier haſt du mein Glas, bemerkſt 
du wohl die etwas fremdartig gekleidete Perſon 
mit dem großen Marktkorbe am Arm, die, mit ei⸗ 
nem Buͤrſtenbinder in tiefem Geſpraͤche begriffen, 
ganz geſchwinde andere Domeſtiea abzumachen ſcheint 
als die des Leibes Nahrung betrefiei? 

Ich. Ich babe fie gefaßt. Sie hat ein grell 
eitromenfarbiges Tuch, nach franzdfifcher Art, Tur⸗ 
banaͤhnlich um den Kopf gewunden, und ihr Ge 
ſicht, ſo wie ihr ganzes Weſen, zeigt deutlich die 
Franzoͤſin. Wahrſcheinlich eine Reſtantin aus dem 
letzten Kriege, die ihr Schaͤfchen yn is Ban 
gebracht. 

Der Vetter. Nicht uͤbel gerathen. Ich 
wette, der Mann verdankt irgend einem Zweige 
frangöfifcher Induſtrie ein huͤbſches Auskommen, fo 
daß feine Frau ihren Marktkorb mit ganz guten 
Dingen reichlich fünen kann. Jetzt ſtürzt fie ſich 


Berlin 1814 — 1822. 223 


ins Gewuͤbl. Verſuche, Vetter, ob du ihren Lauf 
in den verſchiedenſten Kruͤmmungen verfolgen kannſt, 
ohne ſie aus dem Auge zu algen das gelbe 
Tuch leuchtet dir vor. 
Ich. Ei, wie der brennende gelbe Punkt die 
Maſſe durchſchneidet. Jetzt iſt ſie ſchon der Kirche 
nah — jetzt feilſcht ſie um etwas bei den Buden 
— jetzt iſt fie fort — o weh! ich habe fie, verloren 
— nein, dort am Ende duckt ſie wieder auf — 
dort bei dem Gefluͤgel — ſie ergreift eine gerupfte 
Gans — fie betaſtet fie mit kenneriſchen Fingern. 
Der Vetter. Gut Vetter, das Fixiren des 
Blicks erzeugt das deutliche Schauen. Doch, ſtatt 
dich auf langweilige Weiſe in einer Kunſt unter⸗ 
richten zu wollen, die kaum zu erlernen, laß mich 
lieber dich auf allerlei Ergoͤtzliches aufmerkſam ma⸗ 
chen, welches ſich vor unſern Augen aufthut. Be⸗ 
merkſt du wohl jenes Frauenzimmer, die ſich an 
der Ecke dort, unerachtet das Gedraͤnge gar nicht 
zu groß, mit beiden ſpitzen Ellenbogen Platz macht? 
Ich. Was fuͤr eine tolle Figur, — ein ſeid⸗ 
ner Hut, der in caprizidſer Formloſigkeit ſtets jeder 
Mode Trotz geboten, mit bunten in den Lüften we⸗ 
henden Federn, — ein kurzer ſeidner Ueberwurf, 
deſſen Farbe in das urſpruͤngliche Nichts zuruͤckge⸗ 
lehrt, — darüber ein ziemlich honetter Shawl, — 


224 Zehnter Abſchnitt. 


der Florbeſatz des gelb kattunenen Kleides reicht bis 
an die Kndchel, — blaugraue Strümpfe, — Schnüre 
ſtiefeln, — hinter ihr eine ſtattliche Magd mit weh 
Marktkörben, einem Fiſchnetz, einem Mehlſat. — — 
Gott ſey bei uns! was die ſeidene Perſon für wü⸗ 
thende Blicke um ſich wirft, mit welcher Wuth ſie 
eindringt in die dickſten Haufen, — wie ſie alles 
angreift, Gemuͤſe, Obſt, Fleiſch u. ſ. w.; wie ſie 
alles beäugelt, betaſtet, um alles feilſcht und * 
erhandelt. — 

Der Vetter. Ich nenne dieſe person, die 
keinen Markttag fehlt, die rabiate Hausfrau. Es 
kommt mir vor, als muͤſſe fie die Tochter eines 
reichen Bürgers, vielleicht eines wohlhabenden Sei⸗ 
fenſieders ſeyn, deren Hand, nebſt annexis, ein 
kleiner Geheim- Seeretair nicht ohne Anfirengung 
erworben. Mit Schönheit und Grazie hat ſie der 
Himmel nicht ausgeſtattet, dagegen galt ſie bei al⸗ 
len Nachbaren für das haͤuslichſte, wirthſchaftlichſte 
Madchen, und in der That fie if auch ſo wirth⸗ 
ſchaftlich, und wirthſchaftet jeden Tag, vom Mor- 
gen bis in den Abend, auf ſolche entſetzliche Weiſe, 
daß dem armen Geheim⸗Seeretair darüber Hören 
und Sehen vergeht, und er ſich dorthin wuͤnſcht, 

wo der Pfeffer wäͤchſt. Stets find alle Pauken⸗ und 
Trompetenregiſter der Einkäufe, der Beſcuungen, 
des 


Berlin 1814 — 1822. 225 


des Kleinbandels und der mannigfachen Beduͤrf⸗ 
niſſe des Hausweſens gezogen, und ſo gleicht des 
Geheim Secretairs Wirſchaft einem Gehaͤuſe, in dem 
ein aufgezogenes Uhrwerk ewig eine tolle Sinfonie, 
die der Teufel ſelbſt komponirt hat, fortſpielt; un 
gefahr jeden vierten Markttag, wird ſie von einer 
andern Magd begleitet. — 

Sapienti sat! — Bemerkſt du wohl — doch 
nein, nein, dieſe Gruppe, die ſo eben ſich bildet, 
waͤre wuͤrdig von dem Crayon eines Hogarth's ver⸗ 
ewigt zu werden. Schau doch nur hin, Vetter, in 
die dritte Thuͤroͤffnung des Theaters! 

Ich. Ein Paar alte Weiber auf niedrigen 
Stuͤhlen ſitzend, — ihr ganzer Kram in einem maͤ⸗ 
igen Korbe vor ſich ausgebreitet, — die eine haͤlt 
bunte Tuͤcher feil, ſogenannte Vexierwaare, auf den 
Effect für blöde Augen berechnet, — die andere 
hält eine Niederlage von blauen und grauen Strüm⸗ 
pfen, Strickwolle u. f. w. Sie haben ſich zu einan⸗ 
der gebeugt, — ſie ziſcheln ſich in die Ohren, — die 
eine genießt ein Schaͤlchen Kaffee; die andere ſcheint, 
ganz hingeriſſen von dem Stoff der Unterhaltung, 

das Schnaͤpschen zu vergeſſen, das fie eben hinabglei⸗ 
ten lasen wollte; in der That ein Paar auffallende 
Dhnfiognomien welches daͤmoniſche Lächeln, — wel: 
che Geſiikulation mit den duͤrren Knochenaͤrmen! — 
P 


226 Zehnter Abſchnitt. 


Der Vetter. Dieſe beiden Weiber ſitzen be⸗ 
ſtaͤndig zuſammen, und unerachtet die Verſchieden⸗ 
beit ihres Handels keine Colliſton, und alſo keinen 
eigentlichen Brotneid zulaßt, ſo haben ſie ſich doch 
bis heute ſtets mit feindſeligen Blicken angeſchielt, 
und ſich, darf ich meiner geuͤbten Phyſiognomik 
trauen, diverſe hoͤhniſche Redensarten zugeworfen. 
O! ſieh', ſieh' Vetter, immer mehr werden fie ein 
Herz und eine Seele. Die Tuchvertauferin theilt 
der Strumpfhaͤndlerin ein Schaͤlchen Kaffee mit. 
Was hat das zu bedeuten? Ich weiß es! Vor we⸗ 
nigen Minuten trat ein junges Mädchen von höch⸗ 
ſtens ſechszehn Jahren, huͤbſch wie der Tag, deren 
ganzem Aeußern, deren ganzem Betragen man 
Sitte und verſchaͤmte Duͤrftigkeit anſah, angelockt 
von der Vexierware, an den Korb. Ihr Sinn war 
auf ein weißes Tuch mit bunter Borte gerichtet / 
deſſen ſie vielleicht eben ſehr bedurfte. Sie feilſchte 
darum, die Alte wandte alle Kuͤnſte merkantiliſcher 
Schlaubeit an, indem ſie das Tuch ansbreitete, und 
die grellen Farben im Sonnenſchein ſchimmern ließ. 
Sie wurden Handels einig. Als nun aber die Ar⸗ 
me aus dem Schnupftuchzipfel die kleine Kaffe ent⸗ 
wickelte, reichte die Baarſchaft nicht hin zu ſolcher 
Ausgabe. Mit hochglühenden Wangen, helle Thrd- 
nen in den Augen, entfernte ſich das Madchen ſo 


Berlin 1814— 1822. 227 


ſchnell fie konnte, während die Alte, hoͤhniſch auf⸗ 
lachend, das Tuch zuſammenfaltete und in den 
Korb zuruͤckwarf. Artige Redensarten mag es da⸗ 
bei gegeben haben. Aber nun kennt der andere 
Satan die Kleine, und weiß die traurige Geſchichte 


einer verarmten Familie aufzutiſchen, als eine ſkan⸗ 


daldfe Chronik von Leichtſinn und vielleicht gar 


Verbrechen, zur Gemuͤthsergoͤtzlichkeit der getaͤuſchten 


Kraͤmerin. Mit der Taſſe Kaffee wurde gewiß eine 


derbe, fauſtdicke Verlaͤumdung belohnt. — 


a 


Ich. Von allem, was du da herauscombinirſt, 
lieber Vetter, mag kein Woͤrtchen wahr ſeyn, aber 
indem ich die Weiber anſchaue, iſt mir, Dank ſey 
es deiner lebendigen Darſtellung, alles ſo plauſibel, 
daß ich daran e muß, ich mag wollen oder 


Der Vetter. Ehe wir uns von der Thea⸗ 


terwand abwenden, laß uns noch einen Blick auf 


die dicke gemuͤthliche Frau, mit vor Geſundheit 
ſtrotzenden Wangen werfen, die, in fioifcher Ruhe 


und Gelaſſenheit, die Haͤnde unter die weiße Schuͤr⸗ 


ze geſteckt, auf einem Rohrſtuhle ſitt, und vor ſich 

einen reichen Kram von hellpolirten Loͤffeln, Meſ⸗ 

ſern und Gabeln, Fayence, porzellanenen Tellern 

und Terrinen von verjaͤhrter Form, Theetaſſen, 

Kaſſcekannen, Strumpfwaare, und was weiß ich 
8 2 


228 Zehnter Abſchnitt. 


ſonſt, auf weißen Tuͤchern ausgebreitet hat, ſo daß 
ihr Vorrath, wahrſcheinlich aus kleinen Auktionen 
zuſammengeſtuͤmpert, einen wahren Orbis pietus 
bildet. Ohne ſonderlich eine Miene zu verziehen, 
hört fie das Gebot des Feilſchenden, ſorglos, ob 
aus dem Handel was wird oder nicht; ſchlaͤgt zu, 
ſtreckt die eine Hand unter der Schuͤrze hervor, um 
eben nur das Geld vom Käufer zu empfangen, den 
fie die erkaufte Waare ſelbſt nehmen laßt. Das iſt 
eine ruhige, beſonnene Handelsfrau, die was vor 
ſich bringen wird. Vor vier Wochen beſtand ihr 
ganzer Kram in ungefähr einem halben Dutzend 
feiner baumwollener Strümpfe, und eben ſo viel 
Trinkglaͤſern. Ihr Handel ſteigt mit jedem Markt, 
und da ſie keinen beſſern Stuhl mitbringt, die Haͤn⸗ 
de auch noch eben fo unter die Schuͤrze ſteckt, wie 
ſonſt, ſo zeigt das, daß ſie Gleichmuth des Geiſtes 
beſitzt, und ſich durch das Gluͤck nicht zu Stolz 
und Uebermuth verleiten läßt. Wie kommt mir 
doch plötzlich die ſcurrile Idee zu Sinn! Ich 
denke mir in dieſem Augenblick ein ganz kleines 
ſchaden frohes Teufelchen, das, wie auf jenem Ho⸗ 
garthiſchen Blatt unter den Stuhl der Betſchwe⸗ 
ſter / hier unter den Seſſel der Kraͤmerfrau gekrochen 
iſt, und, neidiſch auf ihr Gluͤck, heimtuͤckiſcher Wei⸗ 
fe die Stuhlbeine wegfägt. Plump! fänt fie in ihr 


Berlin 1814 — 1322. 229 


Glas und Porcellan, und mit dem ganzen Handel 
iſt es aus. Das waͤre denn doch ein Falliſſement 
im eigentlichſten Sinne des Worts. — 
Ich. Wahrhaftig, lieber Vetter! du Haft mich 
jetzt ſchon beſſer ſchauen gelehrt. Indem ich mei⸗ 
nen Blick in dem bunten Gewuͤhl der wogenden 
Menge umherſchweifen laſſe, fallen mir hin und 
wieder junge Maͤdchen in die Augen, die, von ſau⸗ 
ber angezogenen Koͤchinnen, welche geraͤumige, glaͤn⸗ 
zende Marktkoͤrbe am Arme tragen, begleitet, den 
Markt durchſtreifen, und um Hausbeduͤrfniſſe, wie 
fie der Markt darbietet, feilſchen. Der Mädchen 
modeſter Anzug, ihr ganzer Anſtand, laͤßt nicht da⸗ 
ran zweifeln, daß fie wenigſtens vornehmen buͤrger⸗ 
lichen Standes ſind. Wie kommen dieſe auf den 
Markt? 

Der Vetter. Beicht erklaͤrlich. Seit einigen 
f alen iſt es Sitte geworden, daß ſelbſt die Tochter 
höherer Staatsbeamten auf den Markt geſchickt 
werden, um den Theil der Hauswirthſchaft, was 
den Einkauf der Lebensmittel betrifft, praktiſch zu 
erlernen. | 
Ich. In der That eine loͤbliche Sitte, die, 
nücht dem praktiſchen Nutzen, zu haͤuslicher Geſin⸗ 
nung fuͤhren muß. 

Der Vetter. Meinſt du, Vetter! ich fuͤr 


230 Zehnter Abſchnitt. 


mein Theil glaube das Gegentheil. Was kann der 
Selbſteinkauf für andere Zwecke haben, als fich von 
der Guͤte der Waare, und von den wirklichen Markt⸗ 
preiſen zu uͤberzeugen? Die Eigenſchaften, das An⸗ 
ſehn, die Kennzeichen eines guten Gemüfes, eines 
guten Fleiſches u. ſ. w., lernt die angehende Haus⸗ 


frau ſehr leicht auf andere Weiſe erkennen, und 


das kleine Erſparniß der ſogenannten Schwenzel⸗ 
pfennige, das nicht einmal Statt findet, da die be⸗ 
gleitende Koͤchin mit den Verkaͤufern ſich unbedenk⸗ 
lich insgeheim verſteh't, wiegt den Nachtheil nicht 


auf, den der Beſuch des Markts ſehr leicht herbei⸗ 
fuͤhren kann. Niemals wuͤrde ich, um den Preis 
von etlichen Pfennigen, meine Tochter der Gefahr 
ausſetzen, eingedraͤngt in den Kreis des niedrigſten 
Volk's, eine Zote zu hören, oder irgend eine loſe 


Rede eines brutalen Weibes oder Kerls einſchlucken 
zu muͤſſen. — Und dann, was gewiſſe Spekulatio⸗ 
nen liebeſeufzender Juͤnglinge in blauen Rocken, zu 
Pferde, oder in gelben Flauſchen mit ſchwaczen Kra⸗ 
gen zu Fuß, betrifft, ſo iſt der Markt — — Doch 
ſieh', ſieh', Vetter! wie gefaͤllt dir das Mädchen, 
das fo eben dort an der Pumpe, von der aͤltlichen 
Köchin begleitet, daher kommt? Nimm mein Glas, 
nimm mein Glas, Vetter! i 

Ich. Ha, was für ein Geſchoͤpf, die Anmuth, 


Berlin 1814 — 1822. 231 


die Liebenswuͤrdigkeit ſelbſt, — aber ſie ſchlaͤgt die 
Augen verſchaͤmt nieder, — jeder ihrer Schritte iſt 
furchtſam, — wankend, — ſchuͤchtern haͤlt ſie ſich 
an ihre Begleitrin, die ihr mit forcirtem Angriff 
den Weg ins Gedraͤnge bahnt, — ich verfolge ſie, 
— da ſteht die Köchin ſtill vor den Gemuͤſekoͤrben, 
— ſie feilſcht, — fie zieht die Kleine heran, die 
mit halbweggewandtem Geſicht ganz geſchwinde, 
geſchwinde, Geld aus dem Beutelchen nimmt und 
es hinreicht, froh, nur wieder los zu kommen, — 
ich kaun ſie nicht verlieren, Dank ſey es dem rothen 
Shawl, — ſie ſcheinen etwas vergeblich zu ſuchen, 
— endlich endlich; dort weilen fie bei einer Frau, 
die in zierlichen Koͤrben feines Gemuͤſe feil bietet. 
— der holden Kleinen ganze Aufmerkſamkeit feſſelt 
ein Korb mit dem ſchoͤnſten Blumenkohl, — das 
Mädchen ſelbſt waͤhlt einen Kopf und legt ihn der 
Köchin in den Korb, — wie, die Unverſchaͤmte! — 
ohne Weiteres nimmt fie den Kopf aus dem Korbe 
heraus, legt ihn in den Korb der Verkaͤuferin zu⸗ 
rück, und waͤhlt einen andern, indem ihr heftiges 
Schutteln mit dem gewichtigen Kantenhaubenge⸗ 
ſchmückten Haupte noch dazu bemerken laͤßt, daß 
ſie die arme Kleine, welche zum Erſtenmale ſelbſt⸗ 
ſtaͤndig ſeyn wollte, mit Vorwuͤrfen überhäuft. 
Der Vetter. Wie denk'ſt du dir die Ge⸗ 


232 Zehnter Abſchnitt. 


fuͤhle dieſes Maͤdchens, der man eine Haͤuslichkeit 
aufdringen will, welche ihrem zarten Sinn gaͤnz⸗ 
lich widerſtrebt? Ich kenne die holde Kleine; es 
iſt die Tochter eines Geheimen ⸗Oberſinanzraths, 
ein natuͤrliches, von jeder Ziererei entferntes, We⸗ 
ſen, von aͤchtem weiblichen Sinn beſeelt, und mit 
jenem jedesmal richtig treffenden Verſtande und 
feinem Takt begabt, der Weibern dieſer Art ſtets 
eigen. = Hoho, Vetter! das nenn ich gluͤckliches 
Zuſammentreffen. Hier um die Ecke kommt das 
Gegenſtuͤck zu jenem Bilde. Wie ten das 
Maͤdchen, Vetter? 

Ich. Ei, welch eine niedliche, ſälnke Ge 
ſtalt! — Jung — leichtfuͤßig — mit keckem, unbe⸗ 
fangenem Blick in die Welt hinein ſchauend — am 
Himmel ſtets Sonnenglanz — in den Lüften ſtets 
luſtige Muſik — wie dreiſt, wie ſorglos ſie dem 
dicken Haufen entgegenhuͤpft — die Servante, die 
ihr mit dem Marktkorde folgt, ſcheint eben nicht 
älter, als fie, und zwiſchen Beiden eine gewiſſe 
Cordialitaͤt zu herrſchen — die Mamſell hat gar 
huͤbſche Sachen an, der Shawl iſt modern — der 
Hut paſſend zur Morgentracht, ſo wie das Kleid 
von geſchmackvollem Muſter — alles huͤbſch und 
anſtaͤndig — o weh! was erblicke ich, die Mamſell 
traͤgt weißſeidene Schuhe. Aus rangirte Ballchauſ⸗ 


Berlin 1814 — 1822. 233 


ſuͤre auf dem Markt! — Ueberhaupt, je laͤnger ich 
das Maͤdchen beobachte, deſto mehr faͤllt mir eine 
gewiſſe Eigenthuͤmlichkeit auf, die ich mit Worten 
nicht ausdruͤcken kann. — Es iſt wahr, fie macht, 
ſo wie es ſcheint, mit ſorglicher Emſigkeit ihre 
Einkaͤufe, waͤhlt und waͤhlt, feilſcht und feilſcht, 
ſpricht, geſtikulirt, alles mit einem lebendigen We⸗ 
ſen, das beinahe bis zur Spannung geht; mir iſt 
aber, als wolle ſie noch etwas anderes, als eben 
Hausbeduͤrfniſſe, einkaufen. — 

Der Vetter. Bravo, bravo, Vetter! dein 
Blick ſchaͤrft ſich, wie ich merke. Sieh nur, mein 
Liebſter, trotz der modeſten Kleidung haͤtten dir, — 
die Leichtfuͤßigkeit des ganzen Weſens abgerechnet, 
— ſchon die weißſeidenen Schuhe auf dem Markt 
verrathen muͤſſen, daß die kleine Mamſell dem Bal- 
let, oder uͤberhaupt dem Theater, angehoͤrt. Was 
ſie ſonſt noch will, duͤrfte ſich vielleicht bald ent⸗ 
wickeln — ha getroffen! Schau doch, lieber Vetter, 
ein wenig rechts die Straße hinauf, und ſage mir, 
wen du auf dem Buͤrgerſteig, vor dem Hotel, wo 
es ziemlich einſam iſt, erblickſt? 

Ich. Ich erblicke einen großen, ſchlank ge⸗ 
wachſenen Juͤngling, im gelben kurzgeſchnittenen 
Flauſch mit ſchwarzem Kragen und Stahlfnöpfen. 
Er traͤgt ein kleines rothes ſilbergeſticktes Muͤtzchen, 


234 Zehnter Abſchnitt. 


unter dem ſchoͤne ſchwarze Locken, beinahe zu uͤp⸗ 
pig, hervorquillen. Den Ausdruck des blaſſen, 
männlich ſchoͤn geformten Geſichts, erhöht nicht 
wenig das kleine ſchwarze Stutzbaͤrtchen auf der 
Oberlippe. Er hat eine Mappe unter dem Arm, 
— unbedenklich ein Student, der im Begriff ſtand, 
ein Collegium zu beſuchen; — aber fell eingewur⸗ 
zelt ſteht er da, den Blick unverwandt nach dem 
Markt gerichtet, und ſcheint Sn und alles 
um fich her zu vergeſſen. — 

Der Vetter. So iſt es, lieber Better Sein 
ganzer Sinn ift auf unſere kleine Comddiantin ge⸗ 
richtet. Der Zeitpunkt iſt gekommen; er naht ſich 
der großen Obſtbude, in der die ſchoͤnſte Waare 
 appetitlich aufgethürmt iſt, und ſcheint nach Fruch⸗ 
ten zu fragen, die eben nicht zur Hand ſind. Es 
iſt ganz unmoglich, daß ein guter Mittagstiſch ohne 
Deſert von Obſt beſtehen kann; unſere kleine Co- 
mödiantin muß daher ihre Einkaͤufe für den Tiſch 
des Hauſes an der Obſtoöude beſchließen. Ein run⸗ 
der rothbaͤckiger Apfel entſchluͤpft ſchalkhaft den 
Heinen Fingern — der Gelbe büdt ſich darnach, 
hebt ihn auf — ein leichter anmuthiger Knix der 
kleinen Theaterfee — das Geſpraͤch iſt im Gange 
— wechſelſeitiger Rath und Beiſtand bei einer ſatt⸗ 
ſam ſchwierigen Apfelſinen⸗Wahl vollendet die ge⸗ 


* 


Berlin 1814 — 1822. 235 


wiß bereits früher angeknuͤpfte Bekanntſchaft, in 
dem ſich zugleich das anmuthige Rendezvous geſtal⸗ 
tet, welches gewiß auf — Weiſe wieder⸗ 
holt und variirt wird. 

Ich. Mag der Muſenſohn liebeln und Apfel⸗ 
finen wählen, fo viel er will; mich intereſſirt das 
nicht, und zwar um ſo weniger, da mir dort an 
der Ecke der Hauptfronte des Theaters, wo die 
Blumenverkaͤuferinnen ihre Waare feil bieten, das 
Engelskind, die allerliebſte Geheimeraths⸗ Tochter, 
von Neuem aufgeſtoßen iſt. 

Der Vetter. Nach den Blumen dort ſchau ! 
ich nicht gerne hin, lieber Vetter; es hat damit 
eine eigene Bewandniß. Die Verkaͤuferin, welche 
der Regel nach den ſchoͤnſten Blumenflor ausge⸗ 
ſuchter Nelken, Roſen und anderer ſeltener Ge⸗ 
wächfe hält, iſt ein ganz huͤbſches, artiges Maͤd⸗ 
chen, ſtrebend nach hoͤherer Kultur des Geiſtes; 
denn, ſo wie ſie der Handel nicht beſchaͤftigt, lieſ't 
fie emſig in Büchern, deren Uniform zeigt, daß 
fie zur großen Kralowski'ſchen aͤſthetiſchen 
Hauptarmee gehören, welche bis in die entfern- 
teſten Winkel der Reſidenz ſiegend das Licht der 
Geiſtesbildung verbreitet. Ein leſendes Blumen⸗ 
maͤdchen iſt für einen belletriſtiſchen Schriftſtel⸗ 
ler ein unwiderſtehlicher Anblick. So kam er, 


236 Zehnter Abſchnitt. 


daß, als vor langer Zeit mich der Weg bei den 
Blumen vorbeifuͤhrte, — auch an andern Tagen 
ſtehen die Blumen zum Verkauf, — ich das leſende 
Blumenmaͤdchen gewahrend, uͤberraſcht ſtehen blieb. 
Sie ſaß, wie in einer dichten Laube von blühen⸗ 
den Geranien, und hatte das Buch aufgeſchlagen 
auf dem Schooße, den Kopf in die Hand geſtüͤtzt. 
Der Held mußte gerade in augenſcheinlicher Ge⸗ 
fahr, oder ſonſt ein wichtiger Moment der Hand⸗ 
lung eingetreten ſeyn; denn Höher: gluͤhten des 
Maͤdchens Wangen, ihre Lippen bebten, ſie ſchien 
ihrer umgebung ganz entruͤckt. Vetter, ich will 
dir die ſeltſame Schwaͤche eines Schriftſtellers ganz 
ohne Ruͤckſicht geſtehen. Ich war wie feſtgebannt 
an die Stelle — ich trippelte hin und her; was 
mag das Mädchen leſen? Dieſer Gedanke befchäf- 
tigte meine ganze Seele. Der Geift der Schrift⸗ 
ſtellereitelkeit regte ſich, und kitzelte mich mit der 
Ahnung, daß es eins meiner eigenen Werke ſey, 
was eben jetzt das Maͤdchen in die phantaſtiſche 
Welt meiner Traͤumereien verſetze. Endlich faßte 
ich ein Herz trat binan, und fragte nach dem 
Preiſe eines Nelkenſtocks, der in einer entfernten 
Reihe ſtand. Während daß das Maͤdchen den Nel⸗ 
kenſtock herbeiholte, nahm ich mit den Worten: 
„was leſen Sie denn da, mein fhönes Kind“ das 


Berlin 1814 — 1822, 237 


aufgeklappte Buch zur Hand. O! all ihr Himmel, es 

war wirklich ein Werklein von mir, und zwar ***. 
Das Maͤdchen brachte die Blumen herbei, und gab 
zugleich den maͤßigen Preis an. Was Blumen, 
was Nelkenſtock; das Maͤdchen war mir in dieſem 
Augenblick ein viel ſchaͤtzenswertheres Publikum, 
als die ganze elegante Welt der Reſidenz. Aufge⸗ 
regt, ganz entflammt von den ſuͤßeſten Autorgefuͤh⸗ 
len, fragte ich mit anſcheinender Gleichguͤltigkeit, 
wie denn dem Mädchen das Buch gefalle. „J, 
mein lieber Herr,“ erwiederte das Maͤdchen, „das 
iſt ein gar ſchnackiſches Buch. Anfangs wird einem 
ein wenig wirrig im Kopfe; aber dann iſt es ſo, 
als wenn man mitten darin ſaͤße.“ Zu meinem 
nicht geringen Erſtaunen erzaͤhlte mir das Maͤd⸗ 
chen den Inhalt des kleinen Maͤrchens ganz klar 
und deutlich, ſo daß ich wohl einſah, wie ſie es 
ſchon mehrmals geleſen haben mußte; ſie wieder⸗ 
holte, es ſey ein gar ſchnackiſches Buch, ſie habe 
bald herzlich lachen muͤſſen, bald ſey ihr ganz wei⸗ 
nerlich zu Muthe geworden; ſie gab mir den Rath, 
falls ich das Buch noch nicht geleſen haben ſollte, 
es mir Nachmittags von Herrn Kralowski zu 
holen, denn ſie wechſele eben Nachmittags Buͤcher. 
— Nun ſollte der große Schlag geſchehen. Mit 
niedergeſchlagenen Augen, mit einer Stimme, die 


238 Zehnter Abſchnitt. 


an Suͤßigkeit dem Honig von Hybla zu vergleichen, 
mit dem ſeligen Laͤcheln des wonneerfuͤllten Autors, 
liſpelte ich: „hier, mein füßer Engel, hier ſteht 
der Autor des Buchs, welches Sie mit ſolchem 
Vergnuͤgen erfuͤllt hat, vor Ihnen in leibhaftiger 
Perſon.“ Das Mädchen fiarrte mich ſprachlos an, 
mit großen Augen und offenem Munde. Das galt 
mir für den Ausdruck der hoͤchſten Verwunderung, 
ja eines freudigen Schrecks, daß das ſublime Ge⸗ 
nie, deſſen ſchaffende Kraft ſolch ein Werk erzeugt, 
ſo ploͤtzlich bei den Geranien erſchienen. Vielleicht, 
dachte ich, als des Mädchens Miene unverändert 
blieb, vielleicht glaubt ſie auch gar nicht an den 
gluͤcklichen Zufall, der den beruͤhmten Verfaſſer des 
„in ihre Nähe bringt. Ich ſuchte nun ihr auf 
alle mögliche Weiſe meine Identitaͤt mit jenem 
Verfaſſer darzuthun, aber es war, als ſey ſie ver⸗ 
ſteinert, und nichts entſchluͤpfte ihren Lippen, als: 
bm — ſo — J das waͤre — wie — Doch was ſoll 
ich dir die tiefe Schmach, welche mich in dieſem 
Augenblicke traf, erſt weitlaͤuftig beſchreiben. Etz 
fand ſich, daß das Maͤdchen niemals daran gedacht, 
daß die Buͤcher, welche ſie leſe, vorher gedichtet 
werden mußten. Der Begriff eines Schriftſtellert, 
eines Dichters, war ihr gaͤnzlich fremd, und ich 
glaube wahrhaftig, bei näherer Nachfrage wäre der 


Berlin 1814 — 1822. 239 


fromme kindliche Glaube an's Licht gekommen, 
daß der liebe Gott die Buͤcher wachſen ließe, wie 
die Pilze. 
Ganz kleinlaut fragte ich noche nach dem 
Preiſe des Nelkenſtocks. Unterdeſſen mußte eine 
| ganz andere dunkle Idee von dem Verfertigen der 
Buͤcher dem Maͤdchen aufgeſtiegen ſeyn; denn, da 
ich das Geld aufzaͤhlte, fragte ſie ganz naiv und 
unbefangen: ob ich denn alle Bücher be'm Herrn 
Kralowski mache? — pfeilſchnell ſchoß ich mit 
meinem Nelkenſtock von dannen. 

Ich. Vetter, Vetter, das nenne ich geſtrafte 
Autoreitelkeit; doch, waͤhrend du mir deine tragi⸗ 
ſche Geſchichte erzaͤhlſt, verwandte ich kein Auge 
von meiner Lieblingin. Bei den Blumen allein 
ließ der uͤbermuͤthige Kuͤchendaͤmon ihr volle Frei⸗ 
heit. Die graͤmliche Kuͤchengouvernante hatte den 
ſchweren Marktkorb an die Erde geſetzt, und uͤber⸗ 
ließ ſich, indem ſie die feiſten Arme bald uͤberein⸗ 
anderſchlug, bald, wie es der aͤußere rhetoriſche 
Ausdruck der Rede zu erfordern ſchien, in die Sei⸗ 
ten ſtemmte, mit drei Colleginnen der unbeſchreib⸗ 
lichen Freude des Geſprächs, und ihre Rede war, 
der Bibel entgegen, gewiß viel mehr, als ja, ja, 
und nein, nein. Sieh nur, welch einen herrlichen, 
herrlichen Blumenflor ſich der holde Engel ausge: 


240 Zehnter Abſchnitt. 


wählt hat, und von einem rüſtigen Burfchen nach f 
tragen läßt. Wie? Nein, das will mir nicht ganz 
gefallen, daß ſie im Wandeln Kirſchen aus dem , 
kleinen Körbchen naſcht; wie wird das feine Battiſt⸗ 
tuch, das wahrſcheinlich darin befindlich, ſich mit 
dem Obſt befreunden? 8 
Der Vetter. Der jugendliche Appetit des 
Augenblicks fraͤgt nicht nach Kirſchſlecken, für die 
es Kleeſalz und andere probate Hausmittel giebt. 
und das iſt eben die wahrhaft kindliche Unbefan⸗ 
genheit, daß die Kleine nun von den „Drangſalen 
des boͤſen Markt's ſich in wiedererlangter Freiheit 
ganz gehen laͤßt. — 2 
Der Vetter. (Das Geſpräch beben) Doch 
ſchon lange iſt mir jener Mann aufgefallen, und ein 
unauflösbares Raͤthſel geblieben, der eben jetzt dort 
an der zweiten entfernten Pumpe an dem Wagen 
fieht, auf dem ein Bauerweib aus einem großen 
Saß, um ein Billiges, Pflaumenmuß verſpendet. ä 
Furs erſte, lieber Vetter, bewundere die Agilität 
des Weibes, das, mit einem langen hölzernen Löf⸗ 
fel bewaffnet, erſt die großen Verkaufe zu viertel, 
halben und ganzen Pfunden befeitigt, und dann den 
gierigen Raͤſchern, die ihre Papierchen, mitunter 
auch wohl ibre Pelzmütze hinhalten, mit Blitzes ⸗ 
ſchnelle das gewuͤnſchte Dreierkleckschen zuwirft, 
wel⸗ 


Berlin 1814 — 1822, 241 


welches fie ſogleich als ſtattlichen Morgeninbiß 
wohlgefallig verebren — Caviar des Volks! Bel 
dem geſchickten Vertheilen des Pflaumenmußes, 
mittelſt des geſchwenkten Löffels, falt mir ein, daß 
ich einmal in meiner Kindheit hoͤrte, es ſei auf ei⸗ 
ner reichen Bauernhochzeit fo ſplendid hergegangen, 
daß der delicate, mit einer dicken Kruſte von Zimmt, 
Zucker und Nelken uͤberhaͤutete Reisbrei, mittelſt 
eines Dreſchflegels, vertheilt worden. Jeder der 
werthen Gaͤſte durfte nur ganz gemuͤthlich das 
Maul aufſperren, um die gehoͤrige Portion zu be⸗ 
kommen, und es ging auf dieſe Weiſe recht zu, wie 
im Schlaraffenland. Doch, Vetter, haſt du den 
Mann ins Auge gefaßt? | 
Ich. Allerdings! — Wes Geiſteskind iſt die 
tolle abenteuerliche Figur? Ein wenigſtens ſechs 
Fuß hoher, windduͤrrer Mann, der noch dazu ker⸗ 
zengrade mit eingebogenem Ruͤcken da ſteht! un⸗ 
ter dem kleinen dreieckigen, zuſammengequetſchten 
Huͤtchen ſtarrt hinten die Kokarde eines Haarbeu⸗ 
tels hervor, der ſich dann in voller Breite dem 
Rüden ſanft anſchmiegt. Der graue, nach laͤngſt 
verjährter Sitte zugeſchnittene Rock, ſchließt ſich, 
vorne von oben bis unten zugeknoͤpft, enge an den 
Leib an, ohne eine einzige Falte zu werfen, und 
ſchon erfi, als er an den Wagen schritt, konnte ich 
L B 


242 Zehnter Abſchnitt. 


bemerken, daß, er ſchwarze Beinkleſer, schwarze 
Strümpfe, und mächtige sinerne Schnallen in den 
Schuhen tragt. Was mag er nur in dem viereckl⸗ 
gen Kaſten haben, den er fo ſorglich unter dem lin⸗ 
fen Arme trägt, und der beinahe dem Kaflen eines 
Tabulettkraͤmers gleicht? —- 

Der Vetter. Das wirſt du gleich erfahren, 
ſchan nur aufmerkſam bin. 

Ich. Er ſchlaͤgt den Deckel des Kaſtens aus 
rück — die Sonne ſcheint hinein — ſtrablende Re⸗ 
fliege — der Kaſten iſt mit Blech gefüttert — er 
macht der Pflaumenmußfrau, indem er das Hütchen 
vom Kopfe zieht, eine beinahe ebrfurchtsvolte Ver⸗ 
veugung. — Was fuͤr ein originelles, augdruds- 
volles Geſicht — feingeſchloſſene Lippen — — eine 
Habichtsnafe — große, ſchwarze Augen — bochſte⸗ 
bende ſtarke Augenbraunen — eine bobe Stirn — 
ſchwarzes Haar — das Toupé en coeur friſirt, mit 
kleinen ſteifen Loͤckchen über den Obren. — Er 
reicht den Kaſten der Bauerfrau auf den Wagen, 
die ihn ohne Weiteres mit Pfaumenmuß fult, 
und, ihm freundlich nikkend, wieder u üdreicht.— — 
Mit einer zweiten Verbeugung e e fh der 
Mann — er windet ſich binan an die Heringstone 
ne — er liebt ein Schubfach des Ka eng. bervon, 
legt einige etbandelte Salzmaͤnner nein, und 


Berlin 1814 — 1822. 243 


| ſchiebt das Fach wieder zu — ein drittes Schubfach 
if, wie ich ſehe, au Peterſilie und anderem Wur⸗ 
zelwerk beſtimmt. — Nun durchſchneidet er mit 
langen, gravitaͤtiſchen Schritten den Markt in ver⸗ 
ſchiedenen Richtungen, bis ihn der reiche, auf ei⸗ 
nem Tiſch ausgebreitete, Vorrath von gerupftem 
Geflügel feſthaͤlt. So wie überall, macht er auch 
hier, ehe er zu feilſchen beginnt, einige tiefe Ver⸗ 
beugungen — er ſpricht viel und lange mit der 


Frau, die ihn mit beſonders freundlicher Miene an⸗ 


bort — er ſetzt den Kaſten bebutſam auf den Bo⸗ 
den nieder, und ergreift zwei Enten, die er gang 
bequem in die weite Rocktaſche ſchiebt. — Him⸗ 
mel! es folgt noch eine Gans — den Puter ſchaut 
er blos an mit liebaͤugelnden Blicken — er kann 
doch nicht unterlaſſen, ihn wenigſtens mit dem Zei⸗ 
ge⸗ und Mittelfinger liebkoſend zu berühren —; 
ſchnell hebt er ſeinen Kaſten auf, verbeugt ſich ge⸗ 
gen das Weib ungemein verbindlich, und ſchreitet, 
ſich mit Gewalt losreißend von dem verfuͤhreriſchen 
Gegenſtand feiner Begierde, von dannen — er ſteu⸗ 
ert geradezu los auf die Fleiſcherbuden — iſt der 
Menſch ein Koch, der für ein Gaſtmahl zu ſorgen 
bat? — er erhandelt eine Kalbskeule, die er noch 
in eine ſeiner Rieſentaſchen gleiten läßt. — Nun 
it er fertig mit feinen Einkauf; er geht die Char⸗ 
Q 2 


244 Zehnter Abſchnitt. 


lottenſtraße herauf, mit ſolchem ganz feltfamen An⸗ 
ſtand und Weſen, daß er aus irgend einem frem⸗ 
den Lande hinabgeſchneit zu ſeyn ſcheint. 

f Der Vetter. Genug babe ich mir ſchon über 
dieſe etotiſche Figur den Kopf zerbrochen. — Was 
denkſt du, Vetter, zu meiner Hypotheſe? Dieſer 
Menſch iſt ein alter Zeichenmeiſter, der in mittel⸗ 
mäßigen Schulanſtalten ſein Weſen getrieben bat, 
und vielleicht noch treibt. Durch allerlei indufiribfe 
Unternehmungen bat er viel Geld erworben; er iſt 
geizig, mißtrauiſch, Cyniter bis zum Ekelhaften, 
Hageſtol — nur einem Gott opfert er — dem 
Bauche; — ſeine ganze Luſt iſt, gut zu eſſen/ ver⸗ 
ſteht ſich allein auf ſeinem Zimmer; — er iſt durch⸗ 
aus ohne alle Bedienung, er beſorgt alles ſelbſt — 
on Markttagen bolt er, wie du geſeben baſt, feine 
Lebensbeduͤrfniſſe für die halbe Woche, und bereitet 
in einer kleinen Küche, die dicht bei ſeinem armſe⸗ 
ligen Stäbchen belegen, ſelbſt feine Speiſen, die er 
dann, da der Koch es ſtets dem Gaumen des Herrn 
zu Dank macht, mit gierigem, ja vielleicht tbieri⸗ 
ſchen, Appetit verzehrt. Wie geſchickt und zweck⸗ 
mäßig er einen alten Mahlkaſten zum Marktkorbe 
aptirt hat, auch das haſt du bemerkt, lleber Vetter. 
Ich. Weg von dem widrigen Menſchen. 

Der Vetter. Warum widrig? Es muß auch 


Berlin 1814 — 1822. 245 


ſolche Kaͤuze geben, ſagt eln welterfahrner Mann, 
und er hat Recht, denn die Varietaͤt kann nie bunt 
genug ſeyn. Doch mißfänt dir der Mann ſo ſehr/ 
lieber Vetter, fo kaun ich dir darüber, was er iſt, 
thut und treibt, noch eine andere Hypotheſe auf⸗ 
ſtellen. Vier Franzoſen, und zwar fämmtlich Pa⸗ 
riſer, ein Sprachmeiſter / ein Fechtmeiſter, ein Tanz⸗ 
meiſter und ein Paſteten bäcker, kamen in ihren Ju⸗ 
gendjahren gleichzeitig nach Berlin/ und fanden, 
wie es damals (gegen das Ende des vorigen Jahr⸗ 
hunderts) gar nicht fehlen konnte, ihr reichliches 
Brot. Seit dem Augenblick, als die Diligenee ſie 
vereinigte, ſchloſſen ſie den engſten Freundſchafts⸗ 
bund, blieben ein Herz und eine Seele, und ver⸗ 
lebten jeden Abend nach vollbrachter Arbeit zuſam⸗ 
men, als echt alte Franzoſen, in lebhafter Conver⸗ 
ſation, bei feugalem Abendeffen. Des Tanzmeiſters 
Beine waren ſtumpf geworden des Fechtmeiſters 
Arme durch das Alter entnervt, dem Sprachmei⸗ 
ſter Rivale, die ſich der neueſten pariſer Mundart 
rühmten über den Kopf geſtiegen, und die ſchlauen 
Erfindungen des Paſtetenbaͤckers uͤberboten juͤngere 
Gaumenkitzler, von den eigenſinnigſten Gaſtrono⸗ 
men in Paris ausgebildet. 
Aber jeder des treu verbundenen Quatuors 
hatte indeſſen fein Schaͤſchen ins Trockne gebracht. 


246 Zehnter Abſchnitt. 


Sie zogen zuſammen in elne geraume, ganz artige, 
jedoch entlegene, Wohnung, gaben ihre Geſchaͤfte 
auf, und lebten zuſammen, alt franzbſiſcher Sitte 
getreu, ganz luſtig und ſorgenfrei, da ſie ſelbſt den 
Bekümmerniſſen und Laſten der unglücklichen Zeit 
geſchickt zu entgehen wußten. Jeder hat ein be⸗ 
ſonderes Gefchäft, wodurch der Nutzen und das 
Vergnuͤgen der Sozietät befoͤrdert wird. Der Tanz⸗ 
meiſter und der Fechtmeiſter beſuchen ihre alten 
Scholaren, ausgediente Offiziers von höherm Ran⸗ 
ge, Kammerherren, Hofmarſchaͤlle u. ſ. w.; denn fie 
batten die vornehmſte Praxis, und ſammeln die 
Neuigkeiten des Tages zum Stoff fuͤr ihre Unter⸗ 
haltung, der nie ausgeben darf. Der Sprachmei⸗ 
fer durchwuͤhlt die Läden. der Antiquare, um im⸗ 
mer mehr franzbſiſche Werke auszumitteln, deren 
Sprache die Akademie gebilligt hat. Der Paſteten⸗ 
baͤcker forgt für die Küche; er kauft eben fo gut 
ſelbſt ein, als er die Speiſen ebenfalls ſelbſt berei⸗ 
tet, worin ihm ein alter franzdſiſcher Hausknecht 
beiſteht. Außer dieſem beſorgt für jetzt, da eine 
alte zahnloſe Franzdſin, die ſich von der franzöfi- 
ſchen Gouvernante bis zur Aufwaſchmagd bherun⸗ 
tergedient hatte, geſtorben, ein pausbaͤckiger Junge, 
den die Vier von den Orphelins frangois zu ſich 
genommen, die Bedienung. — Dort geht der kleine 


Berlin 1844 — 1822. 247 


Himmelblaue, an einem Arm einen Korb mit 
Mundſemmeln, an dem andern einen Korb, in dem 
der Salat hoch aufgethürmt iſt. — So babe ich 
den widrigen eyniſchen deutſchen Zeichenmeiſter au⸗ 
genblicklich zum gemuͤthlichen franzbſtſchen Yafteten- 
baͤcker umgeſchaffen, und ich glaube, daß ſein Aeu⸗ 
‚Bere, jein ganzes Weſen, recht gut dazu paßt. 
Ich. Dieſe Erfindung macht deinem Schrift⸗ 
ſtellertalent Ebre, lieber Vetter. Doch mir leuch⸗ 
ten ſchon ſeit ein Paar Minuten dort jene hohen 
weißen Schwungfedern in die Augen, die ſich aus 
dem dickſten Gedränge des Volkes empor heben. 
Endlich tritt die Geſtalt dicht bei der Pumpe her⸗ 
vor — ein großes, ſchlankgewachſenes Frauenzim⸗ 
mer von gar nicht uͤblem Anſehen — der ueberrock 
von roſarothem ſchwerem Seidenzeuge if funkelna⸗ 
gelnen — der Hut von der neueſten Fagon, der 
daran befeſtigte Schleier von ſchoͤnen Spitzen — 
weiße Glags-Handſchuhe. — Was nothigte die ele⸗ 
gante, wahrſcheinlich zu einem Dejeuner eingela⸗ 
dene, Dame, ſich durch das Gewuͤhl des Marktes zu 
draͤngen? Doch wie, auch ſie gehoͤrt zu den Ein⸗ 
kaͤuferinnen? Sie ſteht ſtill, und winkt einem alten, 
ſchmutzigen, zerlumpten Weibe, die ihr, ein lebhaf⸗ 
tes Bild der Miſere im Hefen des Volks, mit ei⸗ 
nem halbzerbrochenen Marktkorbe am Arm, muͤh⸗ 


248 Zehnter Abſchnitt. 


ſam nachbinkt. Die geputzte Dame winkt an der 
Ecke des Tbeatergebäudes, um dem erblindeten 
Landwehrmann⸗ der dort an die Mauer gelehnt 
ſtebt, ein Almoſen zu geben. Sie zieht mit Muͤhe 
den Handſchub von der rechten Hand — hilf Him⸗ 
mel! eine blutrothe, noch dazu ziemlich mannbaft 
gebaute, Fauſt kommt zum Vorſchein. Doch ohne 
lange zu ſuchen und zu wählen, druckt fie dem 
Blinden raſch ein Stuck Geld in die Hand, laͤuft 
raſch bis in die Mitte der Cbarlottenſtraße, und 
ſetzt ſich dann in einen majeſtaͤtiſchen Promenaden⸗ 
ſchritt, mit dem ſie, ohne ſich weiter um ihre zer⸗ 
lumpte Begleiterin zu kümmern, die Charlotten- 
ſtraße hinauf nach den Linden wandelt. 

Der Vetter. Das Weib hat, um ſich aus⸗ 
zuruhen, den Korb an die Erde geſetzt / und du 
kannſt mit einem Blick den ganzen Einkauf der 
eleganten Dame überfehen. 

Ich. Der iſt in der That wunderlich genug. — 
Ein Koblkopf — viele Kartoffeln — einige Aepfel — 
ein kleines Brot — einige Heringe in Papier ge⸗ 
wickelt — ein Schaafkaͤſe, nicht von der appetitlich⸗ 
ſten Farbe — eine Hammelleber — ein kleiner Roſen⸗ 
ſtock — ein Paar Pantoffeln — ein ene, 
Was in aller Welt — 
Der Vetter. Stil, gil, Better, genug ben 


Bain 1814 — 182. 249 


der Roſenrsthen! — Betrachte aufmetkſam jenen 

Blinden, dem das leichtſt innige Kind der Verderb⸗ 
niß Almoſen ſpendete. Giebt es ein ruͤhrenderes 
Bild unverdienten menſchlichen Elends, und from⸗ 
mer in Gott und Schickſal ergebener Refignation ? 
Mit dem Ruͤcken an die Mauer des Theaters ge» 
lehnt, beide abgeduͤrrte Knochenhaͤnde auf einen 
Stab geſtuͤtzt, den er einen Schritt vorgefchoben, 
damit das unvernuͤnftige Volk ihm nicht uber die 
Fuͤße laufe, das leichenblaſſe Antlitz emporgehoben, 
das Landwehrmuͤtzchen in die Augen gedruͤckt, ſteht 
er regungslos vom frühen Morgen bis zum Schluß 
des Markt's an derſelben Stelle. — 

Ich. Er bettelt, und doch iſt für die erhlin⸗ 
deten Krieger ſo gut geſorgt. 

Der Vetter, Du biſt in gar großem Irr⸗ 
thum, lieber Vetter. Dieſer arme Menſch macht 
den Knecht eines Weibes, welches Gemüfe feil haͤlt, 
und die zu der niedrigeren Klaſſe dieſer Verkaͤufe⸗ 
rinnen gehoͤrt, da die vornehmere das Gemuͤſe in, 
uf Wagen gepackten, Koͤrben herbeifahren laͤßt. 
Dieſer Blinde kommt naͤmlich jeden Morgen, mit 
vollen Gemuͤſekörben bepackt, wie ein Laſtthier, fo 
daß ihn die Buͤrde beinahe zu Boden druͤckt, und 
er ſich nur mit Mühe im wankenden Schritt mit⸗ 
telſt des Stabes aufrecht erhalt, herbei. Eine große, 


250 Sehater Abſchnitt. 


robuſte RR in deren Dienſte er ſteht, oder die 
ihn vielleicht nur eben zum Hinſchaffen des ‚Gemi- 
fes auf den Markt gebraucht, giebt ſich, wenn nun 
ſcine Kraͤfte beinahe ganz erſchbpft find, kaum die 
Mühe, ihn beim Arm zu ergreifen, und weiter an 
Ort und Stele, namlich eben an dem Platz, den 
er jetzt einnimmt, hin zu helfen. Hier nimmt fie 
ihm die Körbe vom Ruͤcken, die ſie ſelbſt hinuͤber⸗ 
trägt, und läßt ihn ſtehen, ohne ſich im mindeſten 
um ihn eher zu bekuͤmmern, als bis der Markt ge⸗ 
endet iſt, und fie ihm die gang, oder nur zum Thel 
geleerten Körbe wieder aufpadt. N 
Ich. Es iſt doch merkwürdig , daß man die 
Blindheit, ſollten auch die Augen nicht verſchloſſen 
ſeyn, oder ſolte auch kein anderer ſi chtbarer Fehler 
den Mangel des Geſichts verrathen, dennoch an der 
emporgerichteten Stellung des Hauptes, die den Er⸗ 
blindeten eigenthuͤmlich, ſogleich erkennt; es ſcheint 
darin ein fortwaͤhrendes Streben zu liegen, etwas 
in der Nacht, die den Blinden umſchließt, zu er⸗ 
ſchauen. 1 15 
Der Vetter. Es giebt für mich keinen ruͤh⸗ 
rendern Anblick, als wenn ich einen ſolchen Blinden 
ſehe, der mit emporgerichtetem Haupt in die weite 
Ferne zu ſchauen ſcheint. untergegangen iſt für 
den Armen die 2 des Lebens, aber ſein in⸗ 


* 


Berlin 1814, 1822. 25⁵⁴ 


neres Auge ſtrebt ſchon das ewige Licht zu erblicken, 

das ihm in dem Jenſeits voll Troſt, Hoffnung und 
Seligkeit leuchtet. — Doch ich werde zu ernſt. — 

Der blinde Landwehrmann bietet mir jeden Markt⸗ 
tag einen Schatz von Bemerkungen dar. Du ge⸗ 
wahrſt, lieber Vetter, wie ſich bei dieſem armen 
Menſchen die Mildthaͤtigkeit der Berliner recht leb⸗ 
haft ausſpricht. Oft ziehen ganze Reihen bei ihm 
voruͤber, und Keiner daraus verfehlt ihm ein Almo⸗ 
ſen zu reichen. Aber die Art und Weiſe, wie die⸗ 
ſes gereicht wird, hierin liegt Alles. Schau einmal 
lieber Vetter, eine Zeitlang a und ſag' mir, was 

du gewahrt. | 

Ich. Eben kommen drei, vier, fünf ſattli⸗ 

che derbe Hausmaͤgde; die, mit zum Theil ſchwer 

ins Gewicht fallenden Waaren uͤbermaͤßig vollge⸗ 

packten Körbe ſchneiden ihnen beinahe die nervig⸗ 

ten blau aufgelaufenen Arme wund; fie haben Ur⸗ 

ſache zu eilen, um ihre Laſt los zu werden, und 

doch weilt jede einen Augenblick, greift ſchnell in 
den Marktkorb, und druͤckt dem Blinden ein Stuck 
Geld, ohne ihn einmal anzuſehen, in die Hand. 

Die Ausgabe ſteht als nothwendig und uncrlaͤßlich 
auf dem Etat des Markttages. Das iſt Recht! 
Da kommt eine Frau, deren Anzuge, deren ganzes 
Weſen man die Behaglichkeit und Wohlhabenheit 


252 Zehnter Abſchnitt. 


deutlich anmerkt, — fie bleibt vor dem Invaliden 
ſtehen, zieht ein Beutelchen hervor, und ſucht und 
ſucht, und kein Stuͤck Geld ſcheint ihr klein genug 
zum Akt der Wohltätigkeit, den fie zu vollführen 
gedenkt, — fie ruft ihre Köchin zu, — es finder 
ſich, daß auch dieſer die kleine Münze ausgegangen, 
— fie muß erſt bei den Gemuͤſeweibern wechſeln, 
— endlich iſt der zu verſchenkende Dreier herbeige⸗ 
ſchafft, — nun klopfte ſie den Blinden auf der 
Hand, damit er ja merke, daß er etwas empfangen 
werde, — er öffnet den Handteller, — die wohl⸗ 
thätige Dame druͤckt ihm das Geldſtüͤck hinein, und 
ſchließt ihm die Fauſt, damit die ſplendide Gabe ja 
nicht verloren gehe. — Warum trippelt die kleine 
niedliche Mamfell fo hin und her, und nähert ſich 
immer mehr und mehr dem Blinden? Ha, im Vor⸗ 
beihuſchen hat fie ſchnell, daß es gewiß Niemand 
als ich, der ich ſie auf dem Kern meines Glaſes 
habe, bemerkte, dem Blinden ein Stuck Geld in 
die Hand gefledt, — das war gewiß kein Dreier. 
Der glaue, wohlgemaͤſtete Mann im braunen Rocke, 
der dort ſo gemuͤthlich daher geſchritten kommt, iſt 
gewiß ein ſehr reicher Burger. Auch er bleibt vor 
dem Blinden ſtehen, und laͤßt ſich in ein langes 
Geſprach mit ihm ein, indem er den ubrigen Leu⸗ 
ten ben Weg verſperrt und ſie hindert, dem Blin⸗ 


Berlin 1814 — 1822. 253 


den Almoſen zu ſpenden; — endlich, endlich zieht 
er eine mächtige gruͤne Geldboͤrſe aus der Tafche, 
entknuͤpft fie. nicht ohne Muͤhe, und wuͤhlt ſo ent⸗ 
ſezlich im Gelde, daß ich glaube; es bis bieher klap⸗ 
pern zu hören. — Parturiunt montes! — Doch 
will ich wirklich glauben, daß der edle Menſchen⸗ 
freund, vom Bilde des Jammers hingeriſſen, ſich 
bis zum ſchlechten Groſchen verſtieg. — Bei allem 
dem meine ich doch, daß der Blinde an den Markt⸗ 
tagen nach ſeiner Art keine geringe Einnahme macht, 
und mich wundert, daß er alles ohne das mindeſte 
Zeichen von Dankbarkeit annimmt; nur eine leiſe 
Bewegung der Lippen, die ich wahrzunehmen glau⸗ 
be, zeigt, daß er etwas ſpricht, was wohl Dank 
ſeyn mag, — doch auch dieſe, Bewegung bemerke 
ich nur zuweilen. 

Der Vetter. Da haſt du den entſchiedenen 
Ausdruck vollkommen abgeſchloſſener Reſignation: 
was if ihm das Geld, er kann es nicht nutzen; 
erſt in der Hand eines Andern, dem er ſich ruͤck⸗ 
ſichtslos anbertrauen muß, erhaͤlt es ſeinen Werth, 

— ich kann mich ſehr irren; aber mir ſcheint, als 
wenn das Weib, deren Gemüfeförbe er trägt, eine 
fatale böfe Sieben ſei, die den Armen ſchlecht hält, 
unerachtet ſie hoͤchſt wahrſcheinlich alles Geld, was 
er empfängt, in Beſchlag nimmt. Jedesmal, wenn 


254 Zehnter Abſchnitt. 

ſie die Körbe zuruͤckbringt, keift ſie mit dem Bun- 
den, und zwar in dem Grade mehr oder weniger, 
als ſie einen beſſern oder ſchlechtern Markt gemacht 
hat. Schon das leichenblaſſe Geſi cht, die abgehun⸗ 
gerte Geſlalt, die zerlumpte Kleidung des Blinden, 
laͤßt vermuthen, daß ſeine Lage ſchlimm genug if, 
und es wäre die Sache eines tbaͤtigen Menſchen⸗ 
freundes, dieſem Verhältniß naͤher nachzuforſchen. 

Ich. Indem ich den ganzen Markt überfchaue, 
bemerke ich, daß die Mehlwagen dort, über die 
Tücher wie Zelte aufgeſpannt find, deshalb einen 
maleriſchen Anblick gewähren, weil fie | dem Auge 
ein Stuͤtzpunkt find, um den fi ch die bunte Mae 
zu deutlichen Gruppen bildet. 

Der Vetter. Von den weißen Meblwagen 
und den mehlbeſtaubten Muͤhlknappen und Müller- 
mädchen mit roſenrothen Wangen, jede eine bella 
‚molinara, kenne ich gerade auch etwas Entgegen⸗ 
gefehtes. Mit Schmerz vermiſſe ich nämlich eine 
Köhlerfamille, die ſonſt ihre Waare gerade über 
meinem Fenſter am Theater feil bot, und jetzt 
binübergewieſen ſeyn ſoll auf die andere Seite. 
Dieſe Familie beſteht aus einem großen robuſen 
Mann mit ausdrucksvollem Geſicht, markigen 36. 
gen, beftig, beinahe gewaltſam in ſeinen Bewe⸗ 
gungen, genug, ganz treues Abbild der Köhler, 


Berlin 1814 — 1822. E 
wie fie in Romanen vorzukommen fegen. Ju der 
That, begegnete ich diefem Manne einſam im 
Walde, es würde mich ein wenig froͤſteln, und 

feine freundſchaftliche Geſi innung wuͤrde mir in 
dem Augenblicke die liebſie auf Erden ſeyn. Die⸗ 
ſem Manne ſteht als zweites Glied der Familie 
im ſchneidenſten Contraſt, ein kaum vier Fuß ho⸗ 
her, feltfam verwachſener, Kerl entgegen, der die 
Poſſirlichkeit ſelbſt iſt. Du weißt, lieber Vetter, 
daß es Leute giebt von gar ſeltſamem Bau; auf 
den erſten Blick muß man ſie fuͤr bucklig erkennen, 
und doch vermag man, bei naͤherer Betrachtung, 
durchaus nicht anzugeben, wo ihnen denn eigent⸗ 
lich der Buckel ſitzt. 

Ich. Ich erinnere mich hiebei des naiven 
Ausſpruchs eines geiſtreichen Militairs, der mit 
einem ſolchen Naturſpiel in Geſchaͤften viel zu 
thun hatte, und dem das Unergruͤndliche des wun⸗ 
derlichen Baues ein Anſtoß war. „Einen Buckel,“ 
ſagte er, „einen Buckel hat der Menſch; aber wo 
ihm der Buckel ſitzt, das weiß der Teufel!“ — 

Der Vetter. Die Natur hatte im Sinn, 
aus meinem kleinen Kohlenbrenner eine rieſenhafte 
Sigur bon etwa fieben Fuß zu bilden, denn dieses 
zeigen die koloſſalen Hände und Füße, beinahe 
die größten, die ich in meinem Leben geſehen. 


256 Zehnter Abſchnitt. 


Diefer kleine Kerl, mit einem großkragigen Maͤn⸗ 
telchen bekleidet, eine wunderliche Pelzmütze auf 
dem Haupte, iſt in fieter raſtloſer unruhe mit el⸗ 
ner mangenebmen Beweglichkeit büpft ı trip⸗ 
pelt er hin und her, iſt bald bier, bald dort, und 
muͤbt ſich, den Liebenswuͤrdigen, den Scharmanten, 
den primo amoroso des Markts, zu ſpielen. 

Frauenzimmer, gehört ſie nicht geradehin zum vor⸗ 
nehmern Stande, laͤßt er voruͤbergehn, obne ihm 
nachzutrippeln, und mit ganz unnachahmlichen 
Stellungen, Geberden und Grimaſſen, Süßigkeiten 
auszuſtoßen, die nun freilich im Geſchmack der 
Koblenbrenner ſeyn mögen. Zuwellen treibt er die 
Galanterie fo weit, daß er im Geſpraͤch den Arm 
fanft um die Hüften des Mädchens ſchlingt, und, 
die Muͤtze in der Hand, der Schönheit buldigt, 
oder ihr ſeine Ritterdienſte anbletet. Merkwürdig 
genug, daß die Mädchen ſich nicht allein das ge⸗ 
fallen laſſen, ſondern uͤberdem dem kleinen Unge- 
thüm freundlich zunicken, und feine Galanterien 
uͤberbaupt gar gerne zu haben ſcheinen. Dieſer 
kleine Kerl if gewiß mit einer reichen Doſis von 
natürlichem Mutterwitz, dem entſchledenen Talent, 
fürs Poſſirliche, und der Kraft, es darzufielen, 
begabt. Er ii der Pagliaßo, der Taufendfafa,, der 
Alerweltsterl in der ganzen Gegend, die den EB 


Berlin 1814 — 1822. 257 


umschließt wo er hauſet; ohne ihn kann keine 
Kindtaufe, fein Hochzeitsſchmaus, Fein Tanz im 
Kruge⸗ kein Gelag beſtehen; man freuet ſich auf 
ſeine Späße, und belacht ſie das ganze Jahr hin⸗ 
durch. Der Reſt der Familie beſteht, da die Kin⸗ 
der und etwanigen Maͤgde zu Hauſe gelaſſen wer⸗ 
den, nur noch aus zwei Weibern von robuſtem 
Bau und finſterm, muͤrriſchem Anſehen, wozu 
freilich der Kohlenſtaub, der ſich in den Falten des 
Geſichts feſtſetzt, viel beiträgt. Die zaͤrtliche Ans 
haͤnglichkeit eines großen Spitzes, mit dem die Fa⸗ 
milie jeden Biſſen theilt, den ſie waͤhrend des 
Marktes ſelbſt genießt, zeigte mir uͤbrigens, daß 
es in der Koͤhlerhuͤtte recht ehrlich und patriarcha⸗ 
liſch zugehen mag. Der Kleine hat uͤbrigens Rie⸗ 
ſenkraͤfte, weshalb die Familie ihn dazu braucht, 
die verkauften Kohlenſaͤcke den Käufern in's Haus 
zu ſchaffen. Ich ſah oft, ihn von den Weibern 
mit wohl zehn großen Koͤrben bepacken, die ſie 
hoch uͤbereinander auf ſeinen Ruͤcken haͤuften, und 
er huͤpfte damit fort, als fuͤhle er keine Laſt. Von 
hinten ſah nun die Figur fo toll und abentheuer⸗ 
lich aus, als man nur etwas ſehen kann. Natuͤr⸗ 
licherweiſe gewahrte man von der werthen Figur 
des Kleinen auch nicht das allermindeſte, ſondern 
bloß einen ungeheuren Kohlenſack, dem unten ein 
R 


258 Zehnter Abſchnitt. 


Paar Fuͤßchen angewachſen waren. Es ſchien ein 
fabelhaftes Thier, eine Art maͤrchenhaftes n 
über den Markt zu huͤpfen. 

Ich. Sieh, Kb; Vetter! dort an der Kirche 
entſteht Lärm. Zwei Gemuͤſeweiber find wahr ⸗ 
ſcheinlich über das leidige Meum und Tuum in 
heftigen Streit gerathen, und ſcheinen, die Faͤuſte 
in die Seiten geſtemmt, ſich mit feinen Redens⸗ 
arten zu bedienen. Das Volk laͤuft zuſammen — 
ein dichter Kreis umſchließt die Zankenden — im⸗ 
mer ſtaͤrker und gellender erheben ſich die Stim⸗ 

— immer heftiger fechten ſie mit den Haͤnden 
durch die Luͤfte — immer naͤher ruͤcken ſie ſich auf 
den Leib — gleich wird es zum Fauſtkampf kom⸗ 
men — die Polizei macht ſich Platz — wie? Plöotz⸗ 
lich erblicke ich eine Menge Glanzhuͤte zwiſchen 
den Zornigen — im Augenblick gelingt es den Ge⸗ 
vatterinnen, die erhitzten Gemuͤther zu beſaͤnftigen 
— aus iſt der Streit — ohne Huͤlfe der Polizei — 
ruhig kehren die Weiber zu ihren Gemüſekbrben 
zuruck — das Volk, welches nur einige Mal, 
wahrſcheinlich bei beſonders draſtiſchen Momenten 
des Streits, durch lautes Aufjauchzen feinen Bei⸗ 
fall zu erkennen gab, lauft auseinander. — 

Der Vetter. Du bemerkſt, lieber Vetter, 
daß dieſes während der ganzen langen Zeit, die 


Berlin 1814 — 1822. 259 


wir hier am Fenſter zugebracht, der einzige Zank 
war, der ſich auf dem Markte entſpann, und der 
lediglich durch das Volk ſelbſt beſchwichtigt wurde. 
Selbſt ein ernſterer, bedrohlicherer Zank wird ge⸗ 
meinhin von dem Volke ſelbſt auf dieſe Weiſe ge⸗ 
daͤmpft, daß ſich Alles zwiſchen die Streitenden 
draͤngt, und ſie auseinanderbringt. Am vorigen 
Markttage ſtand zwiſchen den Fleiſch⸗ und Obſtbu⸗ 

den ein großer, abgelumpter Kerl, von frechem, 
wildem Anſehen, der mit dem vorübergehenden 
Fleiſcherknecht plotzlich in Streit gerieth; er führte 
ohne Weiteres mit dem furchtbaren Knittel, den 
er wie ein Gewehr uͤber die Schulter gelehnt trug, 
einen Schlag gegen den Knecht, der dieſen unfehl⸗ 
bar zu Boden geſtreckt haben wuͤrde, waͤre er nicht 
geſchickt ausgewichen, und in ſeine Bude geſprun⸗ 
gen. Hier bewaffnete er ſich aber mit einer gewal⸗ 
tigen Fleiſcherart, und wollte dem Kerl zu Leibe. 
Alle Afpekten waren dazu da, daß das Ding ſich 
mit Mord und Todſchlag endigen, und das Kri⸗ 
minalgericht in Thaͤtigkeit geſetzt werden wuͤrde. 
Die Obſtfrauen, lauter kraͤftige und wohlgenaͤhrte 
Geſtalten, fanden ſich aber verpflichtet, den Flei⸗ 
ſcherknecht ſo liebreich und feſt zu umarmen, daß 
er ſich nicht aus der Stelle zu ruͤhren vermochte; 
er ſtand da mit hoch emporgeſchwungener Waffe, 

R 2 


260 Zehnter Abſchnitt. 


wie es in jener W Rede vom 3 
Pyrrhus heißt: 

wie ein gemalter Wuͤthrich, und 5 yartheb 

los zwiſchen Kraft und Willen, that nichts. 
Unterdeſſen hatten andere Welber, Buͤrſtenbinder, 
Stiefelknechtverkaͤufer u. ſ. w, den Kerl umrin⸗ 
gend, der Polizei Zeit gegoͤnnt, heran zu kommen, 
und ſich ſeiner, der mir ein freigelaſſener Straͤf⸗ 
ling ſchien, zu bemächtigen- 

Ich. Alſo herrſcht in der That im Volk ein 
Sinn fuͤr die zu erhaltende Ordnung, der nicht 
anders, als für Alle ſehr erſprießlich wirken kann. 

Der Vetter. Ueberhaupt, mein lieber Vet⸗ 
ter, haben mich meine Beobachtungen des Mark⸗ 
tes in der Meinung beſtaͤrkt, daß mit dem Berliner 
Volk, ſeit jener Ungluͤcksperiode, als ein frecher, 
uͤbermuͤthiger Feind das Land uͤberſchwemmte, und 
ſich vergebens muͤhte, den Geiſt zu unterdruͤcken, 
der bald wie eine gewaltſam zuſammengedruͤckte 
Spiralfeder mit erneuter Kraft emporſprang, eine 
merkwürdige Veränderung vorgegangen if. Mit 
Einem Wort: das Volk hat an aͤußerer Sittlichkeit 
gewonnen; und wenn du dich einmal an einem 
ſchoͤnen Sommertage gleich Nachmittags nach den 
Zelten bemuͤhſt, und die Geſellſchaften beobachteſt, 
welche ſich nach Moabit einſchiffen laſſen, ſo wirſt 


du ſelbſt unter gemeinen Maͤgden und Tageloͤhnern 
ein Streben nach einer gewiſſen Courtoiſie bemer⸗ 
ken, das ganz ergoͤtzlich iſt. Es iſt der Maſſe ſo 
gegangen, wie dem Einzelnen, der viel Neues ge⸗ 
ſehn, viel Ungewoͤhnliches erfahren, und der mit 
dem Nil admirari die Geſchmeidigkeit der aͤußern 
Sitte gewonnen. Sonſt war das Berliner Volk roh 
und brutal; man durfte z. B. als Fremder, kaum 
nach einer Straße, oder nach einem Hauſe, oder 
ſonſt nach etwas fragen, ohne eine grobe, oder 
verhöhnende Antwort zu erhalten, oder durch fal⸗ 
ſchen Beſcheid gefoppt zu werden. Der Berliner 
Straßen junge, der den kleinſten Anlaß, einen et⸗ 
was auffallenden Anzug, einen laͤcherlichen Unfall, 
der Jemanden geſchah, zu dem abſcheulichſten Fre⸗ 
vel benutzte, exiſtirt nicht mehr. Denn jene Ci⸗ 
garrenjungen vor den Thoren, die „den fidelen 
Hamburger avec du feu“ ausbieten, dieſe Gal⸗ 
genſtricke, welche ihr Leben in Spandau, oder 
Str außberg, oder, wie noch kürzlich einer von ihrer 
Rage, auf dem Schaffot endigen, find keineswegs 
das, was der eigentliche Berliner Straßenjunge 
war, der nicht Vagabond, ſondern gewoͤhnlich 
Lehrburſche bei einem Meiſter, — es iſt laͤcherlich 
zu ſagen, — bei aller Gottloſigkeit und Verderb⸗ 
niß, doch ein gewiſſes Point d Honneur beſaß, 


262 Zehnter Abſchnitt. 


und dem et an gar drolligem een . 
mangelte. 

Ich. O, lieber Vetter, laß mich dir in aller 
Geſchwindigkeit ſagen, wie neulich mich ein ſolcher 
fataler Volkswitz tief beſchaͤmt hat. Ich gehe vor's 
Brandenburger Thor, und werde von Charlotten⸗ 
burger Fuhrleuten verfolgt, die mich zum Aufſitzen 
einladen; einer von ihnen, ein hoͤchſtens ſechs zehn, 
ſiebzehnjaͤhriger Junge, trieb die Unverſchaͤmtheit 
ſo weit, daß er mich mit ſeiner ſchmutzigen Fauſt 
beim Arm packte. „Will er mich wohl nicht an⸗ 
faſſen!“ fahre ich ihn zornig an. „Nun, Herr,“ 
erwiederte der Junge ganz gelaſſen, indem er mich 
mit feinem ſtieren Augen anglotzte, „nun, Herr, 
warum ſoll ich Ihnen denn nicht anfallen; er 
Sie vielleicht nicht ehrlich ?” 

Der Vetter. Haha! dieſer Witz iſt wirklich 
einer, aber recht aus der ſtinkenden Grube der tief⸗ 
ſten Depravation geſtiegen. — Die Witzwoͤrter der 
Berliner Obſtweiber u. a. waren ſonſt weltberuͤhmt, 
und man that ihnen ſogar die Ehre an, ſie Sha⸗ 
keßpeareſch zu nennen, unerachtet bei näherer Be⸗ 
leuchtung ihre Energie und Originalitaͤt nur vor⸗ 
zuͤglich in der ſchamloſen Frechheit beſtand, womit 
fie den niedertraͤchtigſten Schmutz als pikante 
Schuͤſſel auftiſchten. — Sonſt war der Markt der 


Berlin 1814 — 1822. 263 


Tummelplatz des Zanfs, der Pruͤgeleien, des Be 
trugs, des Diebſtahls, und keine honette Frau durfte 
es wagen, ihren Einkauf ſelbſt beſorgen zu wollen, 
ohne ſich der größten Unbill auszuſetzen. Denn 
nicht allein, daß das Hoͤckervolk gegen ſich ſelbſt 
und alle Welt zu Felde zog, ſo gingen noch Men⸗ 
ſchen ausdruͤcklich aus, Unruhe zu erregen, um da⸗ 


dei im Truͤben zu fifchen, wie z. B. das aus allen 


Ecken und Enden der Welt zuſammengeworbene 
Geſindel, welches damals in den Regimentern ſteck⸗ 
te. Sieh, lieber Vetter, wie jetzt dagegen der 
Markt das anmuthige Bild der Wohlbehaglichkeit 
und des ſittlichen Friedens darbietet. Ich weiß, 
enthuſiaſtiſche Rigoriſten, hyperpatriotiſche Aszetiker 
eifern grimmig gegen dieſen vermehrten aͤußern 
Anſtand des Volks, indem ſie meinen, daß mit die⸗ 
ſer Abgeſchliffenheit der Sitte auch das Volksthuͤm⸗ 
liche abgeſchliffen werde und verloren gehe. Ich 
meines Theils bin der feſten, innigſten Ueberzeu⸗ 
gung, daß ein Volk, das ſowohl den Einheimiſchen, 
als den Fremden, nicht mit Grobheit oder boͤhni⸗ 
ſcher Verachtung, ſondern mit hoͤflicher Sitte be⸗ 
handelt, dadurch unmoglich feinen Karakter einbüͤ⸗ 
ßen kann. Mit einem ſehr auffallenden Beiſpiel, 
welches die Wahrheit meiner Behauptung darthut, 


264 Zehnter Abſchnitt. 


wuͤrde ich bel jenen Rigoriſten gar übel * 
kommen. 


Immer mehr hatte ſich das Gedraͤnge vermin⸗ 
dert; immer leerer und leerer war der Markt wor⸗ 
den. Die Gemüfeverfäuferinnen packten ihre Körbe 
zum Theil auf berbeigekommene Wagen, zum Theil 
ſchleppten fie fie ſelbſt fort — die Mehlwagen fuh⸗ 
ren ab — die Gaͤrtnerinnen ſchafften den übrig ge⸗ 
bliebenen Blumenvorrath auf großen Schiebkarren 
fort — geſchaͤftiger zeigte ſich die Polizel, Alles, 
und vorzuͤglich die Wagenreihe, in gehoriger Ord⸗ 
nung zu erhalten; dieſe Ordnung waͤre auch nicht 
geſtoͤrt, wenn es nicht hin und wieder einem ſchis⸗ 
matiſchen Bauerjungen eingefallen wäre, queer uͤber 
den Platz, ſeine eigene neue Behringsſtraße zu ent⸗ 
decken, zu verfolgen, und ſeinen kuͤhnen Lauf mit: 
ten durch die Obſtbuden, gradezu nach der Thuͤre 
der deutſchen Kirche, zu richten. Das gab denn 
viel Geſchrel und viel Ungemach des zu genialen 
Wagenlenkers. „Dieſer Markt,“ ſprach der Vetter, 
»iſt auch jetzt ein treues Abbild des ewig wechſeln⸗ 
den Lebens. Rege Thaͤtigkeit, das Beduͤrfniß des 
Augenblicks, trieb die Menſchenmaſſe zuſammen; 
in wenigen Augenblicken iſt Alles verbdet, die 
Stimmen, welche im wirren Getöfe durcheinander 


Berlin 1814 — 1822. 265 


ſtrömten, find verklungen, und jede verlaſſene Stelle 
ſpricht das ſchauerliche: es war! nur zu lebhaft 
aus.“ — Es ſchlug Ein Uhr, der graͤmliche In⸗ 
valide trat ins Kabinet, und meinte mit verzo⸗ 
genem Geſicht: der Herr moͤge doch nun endlich 
das Fenſter verlaſſen und eſſen, da ſonſt die aufge⸗ 
tragenen Speiſen wieder kalt wuͤrden. „Alſo haſt 
du doch Appetit, lieber Vetter?“ fragte ich. „O 
ja,“ erwiederte der Vetter mit ſchmerzlichem Laͤ⸗ 
cheln, „du wirft es gleich fehen.” 

Der Invalide rollte ihn ins Zimmer. Die auf⸗ 
getragenen Speiſen beſtanden in einem maͤßigen 
mit Fleiſchbruͤhe gefuͤllten Suppenteller, einem in 
Salz aufrecht geſtellten weichgeſottenen Ei, und eis 
ner halben Mundſemmel. 

„Ein einziger Biſſen mehr,“ ſprach der Vetter 
leiſe und wehmuͤthig, indem er meine Hand druͤck⸗ 
te, „das kleinſte Stuͤckchen des verdaulichſten Flei⸗ 
ſches, verurſacht mir die entſetzlichſten Schmerzen, 
und raubt mir allen Lebensmuth und das letzte 
Fuͤnkchen von guter Laune, das noch hin und wie⸗ 
der aufglimmen will“.) 

Ich wies nach dem am Bettſchirm befeſtigten 
Blatt, indem ich mich dem Vetter an die Bruſt 
warf und ihn heftig an mich druͤckte. 


— — — 


*) Hoffmaun's damaliger Zuſtand, treu aufgefaßt. 


206 Zehnter Abſchnitt. 


„Ja, Vetter!“ rief er mit einer Stimme, die 
mein Innerſtes durchdrang, und es mit herzzer⸗ 
ſchneidender Wehmuth erfuͤllte, „ja Vetter: 

Et si male nunc, non olim sie exit!“ 
Armer Vetter! 


Die Genefungm 0 


Fragment aus einem noch ungebrudten Werke. 
Von E. T. A. oeffnen n. 


Sc begab mich in den entlegenen, W 
ſenen Theil des Waldes, wo ich den wunderlichen 
Baum mit feinen halb verdorrten, halb grünen 
Aeſten, und ſeinen mahleriſchen Laubgruppen ange⸗ 
troffen hatte, um ihn ſo wie er leibt und lebt, in 
mein Malerbuch einzutragen. Schon hatte ich 
meine Mappe zurechtgelegt, den Crayon geſpltzt, 
und mich in die gehörige Poſitur geſetzt, als durch 
das dicke Gebuͤſch ein herrſchaftlicher Wagen ra⸗ 
ſchelte. Mit Muͤhe bahnten ſich die Pferde Schritt 
vor Schritt einen Weg durch das wilde Geſtruͤpp, 
und es ſchien in der That ein ſeltſamer Einfall der 
Fahrenden, gerade außer Weg und Steg den von 
hundert anmutbigen Wegen durchſchnittenen Wald 
aufs Neue ohne Noth durchbrechen zu wollen. 


Berlin 1814— 1822. 267 


Endlich, als die Pferde weder vor noch ruͤck⸗ 
waͤrts kommen zu koͤnnen ſchienen, hielt der Was 
gen — der Schlag oͤffnete ſich, und hinaus flieg 
ein junger, ſauber in Schwarz gekleideter Mann, 
den ich, als er aus dem dicken Geſtruͤpp heraus⸗ 
trat, für den jungen Doktor O... erkannte. 

Er ſah aufmerkſam umher, und ſchien offenbar 
ſich uͤberzeugen zu wollen, daß Niemand in der 
Naͤhe ſey. Es wollte mich beduͤnken, als habe ſein 
Weſen etwas beſonders Aengſtliches, als ſey ſein 
Blick ſeltſam, wirr und unſtaͤt. Ich ſchaͤme mich 
jetzt meiner Thorheit; der unheimliche Schauer ir⸗ 
gend einer Unthat, deren ich in dem Augenblick 
den guten, harmloſen Doktor O.. fuͤr fähig 
hielt, durchdrang mich, und ich kam mir ſtolzer 
Weiſe mit ſamt meinem Malerbuch voll verfehl- 
ter Skizzen vor, wie die raͤchende Nemeſis, die 
im Finſtern ſchleicht, gleich mir hier unter den 
dickbelaubten Baͤumen. 

Doktor O... ging zum Wagen zuruͤck — der 
Schlag wurde aufs Neue geoͤffnet, und hinaus 
ſchluͤpfte eine junge Dame, fo ſchoͤn, fo ſchlank, fo 
anmuthig, ſo maleriſch in einen Shawl gewickelt, 
als nur jemals eine junge Dame in dem zierlich⸗ 
ſten, rührendſten Roman in der Einſamkeit aus 
dem Wagen geſchluͤpft, und die Lunte eines raſſeln⸗ 


268 Zehnter Abſchnitt. 


den, ziſchenden, knal enden Feuerwerks von hundert 
wunderbaren Abenteuern entzündet hat. Du kannſt 
denken, wie ich in der hoͤchſten Spannung durch 
das dicke Gebuͤſch ſchlich, um dem Paare naͤher zu 
kommen, und mir von ihrem Beginnen nicht das 
Mindeſte entgehen zu laſſen. Ich hatte mich hin⸗ 
ter ihren Ruͤcken mandvrirt, und hörte jetzt den 
Doktor ſagen: „Ich habe hier einen Platz ausge⸗ 
mittelt, der zu unſern Zwecken nicht guͤnſtiger ſeyn 
kann. Es ſteht hier ein wunderbarer Baum, deſ⸗ 
ſen Fuß Raſen umgeben; ich ſelbſt habe ſchon ge⸗ 
ſtern einige Raſenſtuͤcke ausgeſtochen, und eine ganz 
ſtattliche Raſenbank zu Stande gebracht. Die aus 
gehoͤhlte Stelle iſt einem Grabe gleich, und fo 
iſt ſchon ſymboliſch angedentet, was wir hier be⸗ 
ginnen wollen: Tod und Auferſtehung “ 

„„Ja,“ wiederholte die Dame mit herzzer⸗ 
ſchneidender Wehmuth, indem ſie des Doktors Hand 
ergriff, der fie feurig an die Lippen druckte, „„a, 
Tod und Auferſtehung!““ — 

Mir ſtarrte das Blut in den Adern — unwill⸗ 
rübrlich entfloh mir ein leiſes Ach! Der Satan 
batte fein Spiel — die Dame drehte ſich um — 
meine werthe Figur ſtand dicht vor ihr! Vor Er⸗ 
ſtaunen haͤtte ich in die Erde ſinken mögen — 
Niemand anders war die Dame, als das liebens⸗ 


Berlin 1814 — 1822. 269 


wuͤrdigſte Mädchen in B. „das Fraͤulein Wil⸗ 
helmine von S.. Auch ſie ſchien vor Schreck 
und Staunen ſich kaum aufrecht halten zu Finnen — 
ſie ſchlug die Haͤnde zuſammen, und rief ganz zer⸗ 
knirſcht: „Um Gott! o mein Leben! wo kommen 
Sie hierher, Theodor, an dieſen ungelegenen Ort, 
zu dieſer ungelegenen Stunde! 

Die raͤchende Nemeſis mit der Malermappe 
fiel mir wieder ein, und ich ſprach mit einem ge⸗ 
wichtigen Ton, wie ungefaͤhr Minos oder Rhada⸗ 
mantus ihre Spruͤche verkuͤnden moͤgen: „„es 
kann ſeyn, mein ſehr werthes, und bis zu dieſer 
Minute hochgeachtetes Fraͤulein, daß ich Ihnen 
ſehr ungelegen komme; doch vielleicht ſind es die 
Schickſalsmaͤchte ſelbſt, die mich hierher brachten, 
um irgend eine ruchlof — 

Der Doktor ließ mich nicht vollenden, ſondern 
fiel mir zuͤrnend in die Rede, indem feine Wangen 
ſich entflammten: „Du bewaͤhrſt Dich wieder heute 
in Deiner alten Rolle, nämlich als Eulenſpiegel.“ 

Damit nahm er das Fraͤulein bei der Hand, 
und fuͤhrte ſie zu dem Wagen zuruͤck, an deſſen ge⸗ 
Öffnetem Schlage fie ſtehen blieb. 

Der Doktor kehrte zu mir, der ich ganz ver⸗ 
bluͤfft da ſtand, und nicht wußte, was ich ſagen, 
was ich denken ſollte, wieder zuruck, indem er 


2710 Zehnter Abſchnitt. 


ſprach: „Laß uns dort auf jenem abgehauenen 


Baumſtamm Platz nehmen, denn es ſind mehr als 
zwei Worte, die ich dir zu ſagen habe. 

„Du biſt ja in dem Haufe des Geheimraths 
von S.. bekannt. Du beſuchſt ſeine großen 
Thees, wo ſich hundert Perſonen die Köpfe zerſſo⸗ 
ßen, hin und her rennend, ohne daß ein Einziger 
weiß, was er eigentlich will, in denen ein langwel⸗ 


liges, infivides Geſprach, kaum genährt von den 


kaͤrgſten Mitteln, durchhilft, bis es doch am Ende, 
nachdem die ungluͤcklichen Bedienten, von allen 
Seiten gedrängt, mehrere honette Perſonen mit 
Wein begoſſen, und diverſe Torten dagegen unver⸗ 
ſehrt die Runde gemacht haben, green en 
ſchmaͤblichen Todes ſtirbt. | 

„Bart, “ unterbrach ich den Doktor, „„wart, 
daß Dich Laͤſterzunge die Frau von H... nicht 
boͤrt, und Dich aus Rache, weil ſie ſelbſt an ihre 
Thees denken muß, bei der Frau von ©... ver 
klagt, die ſofort den Bann über Dich ausſprechen, 


und Dich von ihren Thees gänzlich erkludiren wuͤr⸗ 


de. Und wer eilt denn, als hinge das Glück des 
Lebens davon ab, zu jedem dieſer inſipiden Thees? 
Wer benutzt ſorglich jede Gelegenheit, das S. ſche 


Haus zu beſuchen? — Ei, ei, mein 3 rw 


merke was, die ſchoͤne Wilhelmine — 


emen 


Berlin 1814 — 1822. 271 


»Laſſen wir das,” ſprach der Doktor, „und 
bemerken wir, daß dort im Wagen ſich Perſonen 
befinden, die auf das Ende unſers Geſpraͤchs nur zu 
begierig warten. Mit zwei Worten, die Familie des 
Geheimenraths von S. . iſt feit undenklicher Zeit 
eine durchaus hochadelige; kein einziges Glied vor⸗ 
zuͤglich männlicher Seits, war aus der Art gefchla- 
gen. Um ſo entſetzlicher mußte es dem Vater des 
Herrn Geheimenraths von S. .. ſeyn, als fein juͤng⸗ 
ſter Sohn, Siegfried geheißen, wirklich der Erſte 
war, der aus der Art ſchlug. Alles kuͤnſtliche ue⸗ 
berbauen half nicht; ein tiefes, herrliches Gemuͤth 
machte ſich Platz, ſelbſt unter den hochadeligen Ge⸗ 
muͤthern. Man ſpricht allerlei. Viele ſagen, Sieg⸗ 
fried habe wirklich an einer Geiſteskrankheit gelit⸗ 


ten; ich kann es nicht glauben. — Genug, der 
Vater hielt ihn eingeſperrt, und nur des Tyrannen 
Tod gab ihm die Freiheit. r 


„Dies iſt nun der Onkel Siegfried, den Du 
in der Geſellſchaft bemerkt haben mußt, wie er 
mit dieſem, oder jenem Gelehrten, den er aufge⸗ 
ſucht und gefunden, geiſtreiche Worte wechſelt. 
Die vornehmen Herren behandeln ihn zuweilen ſicht⸗ 
lich als blos tolerirt, welches er ihnen in ſolch' 
reichlichem Maaße erwiedert, daß ſie beſſer thaͤten, 
davon abzuſtehen. Wahr iſt es, daß er ſich zuwei⸗ 


272 Zehnter Abſchnitt. 


len, vorzüglich wenn fein Geiſt auf Dinge gerieth, 
in denen man gut thut, die alte Mönchs⸗Philoſo⸗ 
phie zu befolgen, nach welcher es rathſam, die 
Welt gehen zu laſſen, wie ſie geht, und von dem 
Herrn Prior nichts zu reden, als Gutes, viel zu 
ſehr von dem Feuer wahrhaftiger Ueberzeugung hin⸗ 
reißen laßt, fo daß die diplomatiſchen Herren nicht 
ſelten mit angekniffenen Ohren und zugebrüd- 
ten Augen erſchrocken in die entfernteſten Winkel 
des Saales fliehen. Niemand, als Fräulein Wil⸗ 
helmine, wußte ihn dann ſo geſchickt zu umkreiſen, 
daß er ſich ſtets nur bei den vertrauteſten Freunden 
befand, und ſehr bald den Saal verlief. 

„Vor einigen Monaten wurde der arme alte 
Onkel Siegfried von einer ſchweren Nervenkrank⸗ 
heit befallen, aus der ihm eine fire Idee zuruͤck⸗ 
blieb, die, da fie feſtſteht, nachdem der Körper ge⸗ 
ſund iſt, in wirklichen Wahnſinn ausgeartet. Er 
bildete ſich nämlich ein, die Natur, erzürnt über 
den Leichtſinn der Menſchen, die ihre tiefere Er⸗ 
kenntniß verſchmaͤhten, die ihre wunderbaren, ge⸗ 
heimnißvollen Arbeiten nur für ein reges Spiel zu 
kindiſcher Luft auf dem armſeligen Tummelplatz ih⸗ 
rer Lüfte hielten, habe ihnen zur Strafe das Grün 
genommen. In ewige ſchwarze Nacht ſey nun den 
ſanfte Schmuck des Fruͤhlings, die ſehnſuͤchtige 

Hoff⸗ 


Berlin 1814 — 1822. 273 
Hoffnung der Liebe, das Vertrauen der wunden 
Bruſt, wenn der junge Sonnengott die zarten 
Keime aus ihren Wiegen lockt, daß fie als fröhliche 
Kinder emporſproſſen und grünen — grüne Buͤſche 
und Bäume werden, im Fluͤſtern und Rauſchen die 
Liebe der Mutter, die ſie ſelbſt an ihrer Bruſt 
naͤhrt und pflegt, mit füßer Stimme preiſend. 
„Dahin iſt das Grun, dahin die Hoffnung, 
dahin alle Seligkeit der Erde; denn verſchmachtend, 
weinend, verſchwimmt das Blau, das Alles mit Lie: 
benden Armen umſchloß. Alle Mittel, dieſer Idee 
zu widerſtehen, blieben vergebens, und Du kannst 
denken, daß der Alte der troßloſen, verderblichen 
Hypochondrie, welche natürlicher Weiſe dieſe Idee 
mit ſich bringt, zu erliegen drohte. Ich gerieth 
auf den Gedanken, auf ganz eigene Weiſe, zur 
Heilung des Wahnſinnigen, den Magnetismus an⸗ 
iuwenden. 
„Fraͤulein Wilbelmine iſt des Alten Herzblatt, 
und ihr allein gelang es, in ſchlaffoſen Naͤch⸗ 
ten dadurch einigen Troſt in ſeine Seele zu 
bringen, daß ſie, wenn er im halben Schlum⸗ 
mer lag, leiſe — leiſe, von grünen Bäumen und 
Büͤſchen ſprach, und auch wohl fang. Es waren 
vorzüglich jene ſchöͤnen Worte Calderon's, womit, 
in der Blume und Schaͤrpe, Liſida das Gruͤn preiſt, 
S 


274 Zehnter Abſchnitt. 


und welche eln kunſtfertiger, fein empfindender 
Freund in Muſik geſetzt hat. Du kennſt das Lied: 
In der grünen Farbe glanzen, 
Iſt die erſte Wahl der Welt, | 
und was lieblich dar ſich ſteut! — 
Grün it ja die Tracht des Lenzen, 
und man ſieht, um ihn zu kränzen, 
Keimend aus der Erde Grüſten, 
Ohne Stimmen, doch in Düften 
Athmend, in den grünen Wiegen 
Buntgefärbte Blumen liegen, 
Weiche Sterne find den Lüften. 


„Die Methode, das dem Schlafe vorhergehende 
Delirium, das ſchon an und für ſich ſelbſt dem 
magnetiſchen Halbſchlafe ſehr nahe verwandt / dazu 
anzuwenden, in die Seele des beunrubigten Kran⸗ 
ken beſchwichtigende Ideen zu bringen, iſt nicht 
neu. Irr' ich nicht, fo bediente ſich ſchon Puyſe⸗ 
gur ibrer. Du wirft aber nun gleich fehen, von 
welchem Hauptſchlag meiner Kunſt ich die völlige 
Geneſung des Alten zu erlangen hoffe.“ — 

Der Doktor ſtand auf, ſchritt auf Fraͤulein 
Wilhelmine zu, und ſprach ein Paar Worte. Dann 
folgte ich dem Doktor, und ſchwer mußte es mir in 
der That nicht fallen, mich mit der feltfamen Un⸗ 
gewöhnlichkeit des Auftritts darüber zu entſchuldi⸗ 
gen, daß ich geblieben, und in gewiſſer Art den 
Lauſcher gemacht. AN 


Berlin 1814 — 1822. 275 


Wir gingen nun an den Kutſchenſchlag — ein 
junger Mann ſtieg aus, und bald trug dieſer, mit 
Huͤlfe des Doktors und des mitgekommenen Jaͤ⸗ 
gers, den ſchlummernden Alten zu dem ſeltſamen 
Baume in der Mitte des Platzes, und legten ihn 
ſanft in bequemer Stellung auf die Raſenbank, die, 
wie der geneigte Leſer es weiß, der Doktor mit 
eigner kunſtgeübter Hand errichtet hatte. 

Deer Alte bot durchaus einen ruͤhrenden, herz⸗ 
erhebenden, Anblick dar. Seine große, ſchoͤne Ge⸗ 
ſtalt war in einen langen Ueberrock von filber, 
grauem, leichtem Sommerzeuge gekleidet, und er 
trug ein Muͤtzchen von demſelben Zeuge auf dem 
Haupte, unter dem nur ſparſam ein Paar weiße 
Loͤckchen hervorblickten. Sein Geſicht, unerachtet 
die Augen geſchloſſen, hatte einen unbeſchreihlichen 
Ausdruck der tiefſten Wehmuth, und doch war es, 
als ſey er in ſeligen Hoffnungstraͤumen entſchlum⸗ 
mert. f 

Fraͤulein Wilhelmine ſetzte ſich an das Haupt⸗ 
ende der Raſenbank, ſo daß, wenn ſie ſich uͤber 


das Antlitz des Alten beugte, ihr Athem ſeine Lip⸗ 


pen beruͤhrte. Der Doktor nahm Platz auf einem 

mitgebrachten Feldſtuhl vor dem Alten, ſo wie es 

die magnetiſche Operation zu erfordern ſchien. Waͤh⸗ 

rend nun der Doktor ſich muͤhte, den Alten auf 
S 2 


276 Zehnter Abſchnitt. 


die ſanfteſte Weiſe aus dem Schlafe zu bringen, 
fang das Fräulein Wilhelmine leiſ :? 
In der grünen Farbe glänzen, 
Iſt die ſchönſte Wahl der Welt te. 
Der Alte ſchien den Duft des Geſtraͤuchs, der 
Bäume, der vorzüglich ſtark war, da die Linden 
in voller Bluͤte ſtanden, mit unendlicher Wonne 
einzuathmen. Endlich ſchlug er mit einem tiefen 
Seufzer die Augen auf, und ſtarrte um ſich, doch, 
wie es ſchien, ohne einen Gegenſtand deutlich in's 
Auge faſſen zu konnen. Der Doktor zog ſich leiſe 
zur Seite. Das Fraͤulein ſchwieg. om ns 
kaum verſtaͤndlich: „Grün!” m... 

Da ließ es die ewige Macht des 3 ge 
coeben, daß eine beſondere anmuthige Gunſt des 
Schickſals die Liebe des Fraͤuleins lohnte, und die 
Bemühungen des guten Doktors unterſtuͤtzte. In 
dem Augenblick, als der Onkel das Wort: „Grün!“ 
lallte, fuhr nämlich ein Vogel tirilirend durch die 
Aeſte des Baums, und von dem Flattern ſeines 
Geſieders brach ein bluͤhender Zweig, und fiel dem 
Alten auf die Bruſt. mag Ai 
Da erwachte die Röthe des geben auf dem 
Antlitze des Alten. Er erhob ſich, und rief begei⸗ 
ſtert mit emporgerichteten Augen: „pdimmelsbote, 
ſeliger Himmelsbote, bringſt du mir den Oelzweig 


Berlin 1814 — 1822. 277 


des Friedens, bringſt du mir das Gruͤn, bringſt 
du mir die Hoffnung ſelbſt! Sey gegruͤßt, du 
Hoffnung; ſtroͤme uͤber in ſehnſuͤchtiger Luſt, blu⸗ 
tendes Herz!» — 
| Ploͤtzlich ſchwaͤcher werdend, lispelte er kaum 
hörbar: „Das iſt der Tod,» und ſank auf die Ra⸗ 
ſenbank, von der er ſich zur ſitzenden Stellung 
kraͤftig erhoben, wieder zuruͤck. Der junge Gehüͤlfe 
des Doktors flößte ihm etwas Aether ein, und waͤh⸗ 
rend Fraͤulein Wilhelmine auf's Neue ſang: 

In der grünen ıc. 
ſchlug der Alte die Augen auf, und ſchaute nun 
mit beſtimmtem Blick in der Gegend umher. „Hayn | 
ſprach er dann mit ungewiſſer Stimme, „in der 
That, dieſer Traum neckt mich auf beſondere 
Weiſe.“ 

Es lag etwas von bitterm Hohn in den Wor⸗ 
ten des Alten, der, nach dem, was vorausgegan⸗ 
gen, um ſo entſetzlicher erſchien. Tief ergriffen, 
ſtürzte Fräulein Wihelmine bei der Raſenbank nie⸗ 
der, faßte beide Haͤnde des Alten, benetzte ſie mit 
Thränen, und rief mit der ſchmerzlichſten Weh⸗ 
muth: „O! mein theuerſter, beſter Onkel, nicht 
jetzt neckt Sie ein Traum, nein, ein boͤſes — bd⸗ 
ſes Geſpenſt hielt Sie in entſetzlichen Träumen, 
wie in ſchweren Ketten gefangen. O! Himmels⸗ 


278 Zehnter Abſchnitt. 


freude, die Ketten ſind geſprengt — Sie haben, 
beſter, theuerſter Vater, Ihre Freiheit wieder; o! 
glauben, glauben Sie daran, das heitere, rege 
Leben lacht Sie an, mit aller ſuͤßen Hoffnung, im 
ſchoͤnſten Schmelz des Gruͤns! “ 

Gruͤn!“ rief der Alte mit dröbnender Stim⸗ 
me, indem er ſtarrer um ſich ſchaute. Nach und 
nach ſchlen er die Gegenſtaͤnde beſtimmter zu un⸗ 
terſcheiden, und feinen Blick befonders auf gewiſſe 
Baͤume und Buͤſche zu heften. 

„Onkel Siegfried hat,“ lispelte mir der Dok⸗ 
tor ins Ohr, „Onkel Siegfried hat dieſen Ort 
ſchon ſeit vielen Jahren beſonders geliebt, und in 
tiefer Einſamkeit befucht. Vorzuͤglich mag der wun⸗ 
derbare Baum auch ſeinen Hang zu wunderlichen 
Combinationen naturhiſtoriſcher Erſcheinungen ges 
weckt, und ihn dieſer romantiſche Platz auch von 
der Seite beſonders intereſſirt haben.“ 

Noch immer ſaß der Alte, um ſich ſchauend; 
doch immer weicher und weicher und wehmuͤthiger 
wurde ſein Blick, bis ein Thraͤnenſtrom ihm aus 
den Augen ſtuͤrzte. Er faßte mit der Rechten Wil⸗ 
helminens, mit der Linken des Doktors Hand, und 
zog fie heftig neben ſich auf die Raſenbank nieder. 

„Seyd Ihr es, Kinder!” rief er dann mit die 
ner Stimme, deren Seltſamkeit beinahe Schauer 


Berlin 1814 — 1822. 279 


erregend, ein unheimlich verſtoͤrtes Gemuͤth zu ver⸗ 
künden fehlen, welches ſich ſelbſt bekämpft und zu 
ſammeln verſucht: AN Ihr * wirklich, meine 
Kinder?“ f 

„„O! mein befter, gütigſter Onkel,“ “ ſprach 
Wilhelmine beſchwichtigend, „„ich halte Sie ja in 
meinen Armen — Sie ſind ja hier an einem Platz 
des Waldes, den Sie ſtets ſo liehten — Sie ſitzen 
ja unter dem ſelt — “ 

Auf einem Wink des Doktors ſtockte Wilhel⸗ 
mine, und fuhr dann nach beinahe unmerklicher 
Pauſe fort, den Lindenzweig erhebend: „„und 
dieſes Zeichen des Friedens, halten Sie es jetzt 
nicht in Händen, theuerſter Onkel?“ “ 

Der Alte druͤckte den Zweig an feine Bruſt, 
und ſchaute mit Blicken umher, die jetzt erſt Le⸗ 
benskraft, und eine gewiſſe unnennbare, verklaͤrte 
Heiterkeit zeigten. Der Kopf ſank ihm auf die 
Bruſt, und er ſprach viele leiſe Worte, die jedem 
der Umſtehenden unverſtaͤndlich blieben. Dann aber 
ſprang er mit wilder Vehemenz von der Raſen⸗ 
bank auf, breitete beide Arme aus, und rlef, daß 
der Wald von dem Tone ſeiner Stimme wieder⸗ 
hallte:; 

| „gerechte ewige Macht des Himmels, biſt du 
es ſelbſt, die mich an ihre Bruſt ruft? Ja, es iſt 


280; Zehnter Abfepnien 


das herrliche, rege Leben, das mich umglebt, das 
meiner Bruſt zuſtroͤmt, ſo daß alle Poren ſich die 
nen, und Raum geben dem ſeligſten Entzücken! 

„O! Kinder/ Kinder, welche Zunge ſingt das 
Lob, den Preis der Mutter wuͤrdig genug; O! 
Grün, Grün! mein muͤtterliches Grün! Nein, ich 
allein war es, der troſtlos vor dem Throne des 
Höchſten lag — nie haft du der Menſchheit gezuͤrnt! 
Nimm mich auf in deine Arme!“ 5 

Es war, als wollte der Alte raſch vorwaͤrts 
ſchreiten, doch knickte er im jaͤhen Krampf zuſam⸗ 
men, und ſank leblos nieder. Alle erſchraken hef⸗ 
tig; keiner aber wohl mehr, als der Doktor, der 
befuͤrchten mußte, daß ſeine gewagte Kur auf ent⸗ 
ſetzliche Weiſe mißlingen koͤnne. Doch nur wenige 
Secunden war der Alte mit Naphta und Aether 
bedient worden, als er die Augen wieder aufſchlug. 
Und nun begab ſich das Merkwuͤrdigſte, was Nie⸗ 
mand, und am allerwenigſten der Doktor, hatte ver⸗ 
muthen konnen. 

Von Wilbelminen und dem Dotter umfaßt, 
ließ der Alte ſich auf dem ſchoͤnen Platze herumfüh⸗ 
ren, und immer rubiger, immer heiterer, wurde fein 
Antlitz fein ganzes Benehmen, und es war herr⸗ 
lich, wie eine klare Phantaſie, ein heller Beide, 
immer mehr fiegend hervorbrach. 2 


ae 


Berlin 1814— 1822. 281 


Auch mich bemerkte der Baron, und zog mich 
ins Geſpräch. Endlich fand der Baron, daß für 
die erſte Ausfahrt nach ſo langer Nervenkrankheit 
nun genug Zeit vergangen, und man begab ſich auf 
den Ruͤckweg. g | 

„Es wird ſchwer halten, ſprach der Doktor 
leiſe zu mir, „den Schlaf von ihm abzuwehren; 
aber ich werde Alles anwenden, zu verhuͤten, daß er 
um des Himmels Willen nicht ſchlafe. Wie leicht 
konnte dieſer Schlaf einen feindſeligen Karakter an⸗ 
nehmen, und dem Alten Alles, was er ſah und em⸗ 
pfand, wiederum als Traum verſchwimmen Taffen.” 


cr 2 


Einige Zeit nachher hatte ſich im Hauſe des 
Geheimenraths von ©... eine große Veränderung 
zugetragen. Onkel Siegfried war vollig von feinen 
Krankheit geneſen, und ſeltſam genug ſchien es, daß 
er zu gleicher Zeit weicher und kraͤftiger geworden. 

Er verließ die Reſidenz, zur Freude des lie⸗ 
benden Bruders, und bezog feine ſchoͤnen Güter, 
deren Verwaltung der Doktor O..., feinen Dok 
torhut an den Nagel haͤngend, uͤbernahm. Die 
dringende Fuͤrſprache einer edlen Prinzeſſin bewirkte 
ef, daß der ſtolze Geheimerath von ©... die Hand 
ſeiner Tochter Wilhelmine dem Doktor Der. nicht 
länger verweigerte. 


——ů 


282 Zehnter Abſchnitt. 


Auszug aus der protokollariſchen Verhand⸗ 
lung vom 2ten Juny 1822. 
(Zu Seite 165.) 


Ga bin aufgefordert worden, meine Meinung Über 
die vorliegende Rechtsfrage, nämlich: 
ob der Leidesdorffſche in Wien erſchienene Kla⸗ 
vierauszug des Weberſchen Freiſchuͤtzen nach dem 
bei Schleſinger erſchienenen Original bearbeitet, 
unnd als ein Nachdruck deſſelben zu betrachten ſey? 
auszuſprechen. 

Hier muß ich aber zuvörderſt den Grundſatz 
aufſtellen, daß, nach meiner Anſicht, wenn von dem 
Nachdruck eines muſikaliſchen Werkes die Rede iſt, 
die geſetzlichen Beſtimmungen $. 1028 und 26. Tit. 
II. Th. 1. des A. L. R., welche von Auszuͤgen aus 
Druckſchriften handeln, nicht zur Anwendung ge⸗ 
bracht werden konnen, da es unmöglich iſt, muſika⸗ 
kaliſche Compoſitionen auf die Weiſe zu extrahiren, 
wie dies bei Büchern geſchieht. Ein Nachdruck ei⸗ 
ner Compoſition würde nur in fo fern ſtatt finden, - 
als eine vorliegende grade ſo nachgeſtochen oder 
nachgedruckt wuͤrde, daß ſie identiſch mit dem Ori⸗ 
ginal erſchiene; wo eig'ne Geiſtesthaͤtigkeit des Be⸗ 


Berlin 1814 — 1822. 283 


arbeiters eintritt, kann von Nachdruck oder Nach- 
ſtich nicht mehr die Rede ſeyn. Ein Beiſpiel aus 
der bildenden Kunſt wird dies naͤher erlaͤutern. | 
Wenn ein Kunfiverleger ein Bild in Kupfer 
ſtechen laͤßt, und ein andrer gleichzeitig einen Kup⸗ 


ferſtich nach dem gleichen Original herausgiebt, bei⸗ 


den Stichen aber verſchiedne Zeichnungen zum Grun⸗ 
de liegen, ſo kann der zweite zwar den erſten durch 
ſeine Unternehmung in Schaden ſetzen; nicht aber 


kann man von ihm ſagen, daß er deſſen Rechte 


durch einen Nachſtich gekraͤnkt habe. Ganz an⸗ 
ders verhaͤlt es ſich dagegen in dem Falle, wo der 
Stich vom dem zweiten Verleger nach einer Zeich⸗ 
nung bewirkt wird, die etwa durch einen Abdruck, 
oder mittelſt Durchzeichnens der erſten, entnom⸗ 
men iſt. f 

Hier kam es nicht darauf an, daß der zweite 


Zeichner ſelbſt von ſeiner Kunſt Gebrauch machte, 


ſondern bloß durch mechaniſche Anſtrengung er- 
zeugte er die Copie des Originals. 

Dies, auf die in Rede ſtehende Frage angewandt, 
ergiebt es ſich ſchon bei dem erſten Anblick des Wie⸗ 
ner, ſogenannten Klavier-Auszuges, daß derſelbe 
nichts weniger als ein Nachdruck des Schlefinger- 
ſchen iſt, ja daß letzterer erſteren nicht einmal hat 
zum Grunde gelegt werden koͤnnen, ſondern daß der 


284 Zehnter Abſchnitt. 


Verfaſſer nothwendiger Weiſe SE ſelbſt 1 
vor Augen haben muͤſſen. 

Schon die Ouverture, von der man b eunefln 
zen koͤnnte, daß fie in beiden Klavierauszuͤgen gleich 
waͤre, wenn der eine auch nur einigermaßen als ein 
Nachdruck des andern ſollte betrachtet werden kon⸗ 
nen, zeigt eine durchaus verſchiedene Behandlungs⸗ 
art; die Weberſche Art, Klavierauszuͤge zu machen, 
hat nehmlich Etwas ganz Eigenthuͤmliches und Ge⸗ 
niales, wogegen der Wiener Auszug ganz nach dem 
gewöhnlichen Schlendrian gearbeitet iſt. 

Was die Oper ſelbſt betrifft, fo koͤnnte die Be⸗ 
zeichnung auf dem Titel: „Vollſtaͤndige Ansgabe, mit 
„Hinweglaſſung der Worte,“ einen, der nicht Sach⸗ 
kenner if, vielleicht verleiten, anzunehmen, daß auch 
ſaͤmmtliche Singeſtimmen geliefert, und nur einzig 
und allein die Worte weggelaſſen waͤren, — und 
dies würde freilich ein Nachdruck ſeyn; indeſſen ein 
ſolcher möchte wohl keine Käufer finden, indem er 
nur ein ſehr mageres Vergnuͤgen gewaͤhren wuͤrde. 
— Der gegenwaͤrtige Wiener Klavierauszug hat 
aber nicht allein eine ganz andere Tendenz, als der 
Schleſingerſche, ſondern iſt auch nach ganz andern 
Grundſaͤtzen gearbeitet. Seine Beſtimmung if 
nehmlich, von Muſikliebhabern, die keine Stimme 
haben, am Inſtrumcute geſpielt zu werden, wobei 


Berlin 1814— 1822. 285 


ſie nicht die Melodien zu ſingen brauchen, ſondern 
fie auf dem Klavier hoͤren. um dieſen Zweck zu 
erreichen, muß aber von dem Bearbeiter einer Par⸗ 
titur zum Klavierauszuge, die Singeſtimme in die 
Oberſtimme verlegt werden, welches eine durchaus 
andre Bearbeitung vorausſetzt. e 

Angenommen nun, daß der Verfaſſer des Wie⸗ 
ner Klavierauszuges, der ſich Leidesdorff nennt, die 
Abſicht gehabt haͤtte, ſich des Schleſingerſchen zu 
ſeinen Vorhaben zu bedienen, ſo wuͤrde er, wie ſchon 
oben erwähnt, ihn dazu keinesweges haben gebrauchen 
koͤnnen, ſondern er muß durchaus im Beſitz der 
Partitur geweſen ſeyn, es ſei denn, daß er ſein 
Werk aus einzelnen Drchefter- und Singe ⸗Par⸗ 
thicen muͤhſam zuſammengeſtellt hatte. Ob er es 
auf die eine oder andere Weiſe zu Stande gebracht, 
und ob er dadurch, daß er ſich in den Beſitz der Par⸗ 
titur geſetzt, die Rechte des urſpruͤnglichen Verle⸗ 
gers des Freiſchuͤtzen verletzt habe? — dies find an⸗ 
dre Fragen; zu deren Entſcheidung alle Data feh⸗ 
len; in jeden Fal aber, würde, durch einen ſolchen 
Mißbrauch der Partitur oder der Stimmen, der 
Thatbeſtand eines andren Vergehens, als das des 


286 Zehnter Abſchnitt. 


Einiges aus Hoffmann's Notatenbuch für 
das letzte Jahr ſeines Lebens. 


10 


Kammer: Gerichts- Kath ubde, in den vierziger 
Jahren in Berlin, Componiſt und Sänger, Ger⸗ 
ber's altes Kuͤnſtlerlexicon. Th. 2. S. 696. 


Wie ein Arzt glaubte, die Leiden ſeines Patien⸗ 
ten ruͤhrten von einem Wurm her, den er im Leibe 
trage, und darauf los kurirte, bis der Wurm wirk⸗ 
lich abging. Es war eine total neue Species, ein 
graͤuliches Ungeheuer; vielfuͤßig u. ſ. w. und er⸗ 
hielt einen neuen Namen; jenem Arzt als Entdek⸗ 
ker zu Ehren, wurde er wie er geheißen. Am Ende 
entdeckte es ſich jedoch, daß der Wurm, — ein un⸗ 
verdauter Roſinenſtengel war. 


Zu machen: der Nachtwaͤchter, eine vd 
volle Perſon, die naͤchtliche Abentheuer rab. 
(diable boiteux ?) 


Traum. Die Polizei nimmt alle uhren von 
den Thuͤrmen herab, und conſiszirt alle Uhren, weil 
die Zeit conſiszirt werden fol. Die Polizei bedenkt 
aber nicht, daß fie ſelbſt nur in der Zeit exiſtirt. 


Berlin 1814 — 1822 287 


Fabel. Jedermann hat einen Beutel vor ſich 
haͤngen, in welchen er die Fehler feines Nachbars 
ſteckt, und einen andern hinter ſich, in welchem fei- 
ne eignen find. 


Die Hunde bellen den Mond an, aus Mißgunſt 
wie man ſagt. urſache davon? (Zu erfinden.) 


Cardant merkwuͤrdige Schilderung von ſich 
ſelbſt. Bayle. Verglichen damit Diderots Schilde⸗ 
rung von Ramcau's Neffen. 


Berliner Bauordnung vom Zoten November 
1641. Darin wird den Bauern unterſagt, Sau⸗ 
fälle auf off ner Straße anzulegen. 


— ER 


Jean Paul Komet. Magnetiſch heilende Kraft 
des Körpers? — Gegenſtuͤck. Der Arzt reitet durch 
die Straße, und, von beiden Seiten » ſtecken, aus 
dem obern Stock der Haͤuſer, die Patienten die 
Zungen heraus. 


Elation eines glücklichen Autors. Er führt 
in einem kleinen Einſpaͤnner nach der Leipziger 


288 Zehnter Abſchnitt. 


Meſſe; hinter ihm folgen aber 6 bis s ungeheure 
Safiwagen mit Ballen; es find feine ſanmllichen 
Werke. 

Aus Acten. Man wollte nicht glauben, daß 
der Inculpat fo. viel Geld mitgebracht; da zeigte 
er das Faͤßchen, worin die Papiere geweſen, 
— und Alles glaubte daran. 


— 


Roßtzuſcher / — einer der mit Rosen täuſcht. 


Jemand, dem der Concertſaal im neuen Schau⸗ 
ſpielhauſe gezeigt wird, meint, der Orpheus ſey 
ein Aushaͤngeſchild für wilde Thiere, die darin in 
ſehen. 


S n en Era 


a 2 — 


Eine Frau, die in der Todesnoth dem Manne 
geſteht, daß ſie ihm untreu geweſen. Darauf der 
Mann: ein Vertrauen iſt des andern werth; eben 
weil du mir untreu geweſen, darum ſtirbſt du an 
dem Gift, das du von mir r 1 


* 


Die bekannte Anekdote von dem e 
der Flohpulber verkaufte und dem Bauer, (Hauch 


gut,) iſt noch ſehr gut zu benutzen, um daraus, 5 


wie 


Berlin 1814 — 1822. 289 


wie es in den gestis romanorum heißt, eine vor⸗ 
treffliche Moralisatio zu ziehen; z. B. was du auf 
kurzem, ſicherm, Wege erlangen kannſt, ſollſt du 
nicht auf weitem, unſicherm ſuchen. 


N. b. Die beiden ſich umarmenden Juden, die 
Lichtenberg in Erz gegoſſen wuͤnſchte zum ewigen 
Denkmal. 


Ein ſehr ſchoͤnes Bild iſt von den ſogenannten 
deformirten Gemaͤlden herzunehmen. Es ſind, z. 
B., auf einer Tapete, verſchiedene Theile, Zuͤge 
eines Bildes, verſtreut, ſo daß man nichts Deutli⸗ 
ches wahrnimmt; aber ein beſonders dazu geſchlif⸗ 
fenes Glas vereinigt die verſtreuten Zuͤge, und, 
durch daſſelbe ſchauend, erblickt man das Bild. 
(Wiegleb's Magie.) 


Ein alter Muſikmeiſter ſagte von einem Fraͤu⸗ 
lein, die, bei großer Fertigkeit, das Fortepiano 
Geiſt, und Seelenlos ſpielte: Gott, wenn der 
Gnaͤdigſten doch ein Paar Hände in die Handſchuh' 
wüchſen, womit fie über die Taſten herfährt. 


Vom zu Buche tragen des Witzes. Lichtenberg's, 
Hippel's, Voltaire 's Nachlaß. 


T 


290 Zehnter Abſchnitt. 


Es giebt Künfiler, die dem Bajazzo gleichen, 
wenn er einen gewaltigen Anlauf nimmt, und 
dann pldtzlich ſtehen bleibt, ohne den Sprung zu 
wagen. Das ſind die Schauſpieler ohne wahrhaf⸗ 
tes Genie, im Innern hohl, nur aͤußern Prunk 
borgend vom maͤchtigern Gotte. Der Anlauf (das 
Vortheilchen, nach Iffland's weltbekannter Aneldote) 
läßt ſich allenfalls erlernen; die Kraft zum Sprunge 
ſelbſt verleiht allein die Natur, deshalb bleibt es 
bei jenen Schauſpielern denn immer . au 
zum Sprunge. | 


Hogarth's Quadſalber in der Sd nach der 

Mode hat eine ſehr komplizirte Maſchine gebaut, 
mit kuͤnſtlichen Hebeln, Gewichten, Raͤdern, Wel⸗ 
lenzuͤgen, Schwanzſchrauben u. ſ. w., um — einen 
Pfropf aus der Flaſche zu ziehen. Eher wird aber 
die arme in die Maſchine eingeklemmte Bouteille 
in tauſend Stucke zerbrechen, als der Pfropf ſich 
nur um ein Haar breit heben. — Manche Kunſt⸗ 
leiſtungen gleichen dieſer Maſchine. — Mit dem 
Aufwand aller reichen Kräfte die ſich darbleten, 
werden ungeheuere Anſtalten gemacht, die aber, 
fiatt die einfache Wirkung, welche beabſichtigt, her⸗ 
vorzubringen, nur das Ganze rettungslos zerfibren- 


(4 


Berlin 1814 — 1822. 291 


Die wunderbaren Sprünge und Capriolen un- 
ſerer jetzigen Taͤnzer erinnern ſehr lebhaft an die 
ſinnreiche Art, wie die Araber ihre Kameele tanzen 
lehren. Beſagte Kameele werden nämlich auf el⸗ 
nen Boden von Blech "geführt, unter dem ein 
Feuer angezuͤndet. So wie das Blech mehr und 
mehr ergluͤht, heben die Thiere die zierlichen 
Pfötchen Höher und Höher, und immer höher und 
konfuſer, ſo wie die Glut ſteigt, ſo daß ſie zuletzt 
beinahe mit allen Vieren in den Lüften ſchweben! 
— Das iſt denn recht artig anzuſehen, und man⸗ 
cher europaiſche Balletmeiſter mag bei dem Anblick 
dieſer reinen Natur in ihrer vollen Anmuth und 
Kraft, zur Erfindung ganz neuer abſonderlicher 
Pas begeiſtert worden ſeyn. Man merkt's an den 
8388 der ee Gattung. 


Die bantemimiſchen chen des monoto⸗ 
nen oder ganz tonloſen Schauſpielers, koͤnnte man, 
da der Krampf ſich vorzuͤglich in den Haͤnden zeigt, 
billiger Weiſe, Haͤndegeſchrei nennen. Der 
Zuſchauer wird dabei in den beaͤngſtigenden Zuſtand 
des Tauben verſetzt, der die Worte blos ſieht, 
4 2 zu hören, oder wenigſtens zu verſteh en. 


Bel der Anpreiſung des Kaleidoskop's wurde, 
T 2 


292 Zehnter Abſchnitt. 


Rückſichts der ſchöͤnen Verbindung des Angeneh⸗ 
men mit dem Nützlichen, vorzüglich geruͤhmt, daß 
es die Fantaſie der Kattundrucker und Weſtenfabri⸗ 
kanten zu den unerhdrtefien Muſtern beflügeln könne. 
Sollte ein munterer Kopf von Mechanikus nicht 
leichtlich ein Kaleidoskop für preßhafte Dichter zu 
erfinden vermdgen? Die kleinſten, ordinairſten, 
miſerabelſten, laͤppiſchſten Gedanken dürften nur 
bineingeworfen werden, um ſich, gehbrig gerüttelt 
und geſchuͤttelt, zu den ſonderbarſten Bildern zu 
fuͤgen. Wuͤrde der Dichter nicht in frohem Stau⸗ 
nen, in heller Begeisterung, auf Gedanken gera- 
then, an die er in der That ſelbſt gar nicht ge⸗ 
dacht? — Doch, es ſpukt ja wobl ſchon viel ka⸗ 
leidoskopiſches Weſen auf den Bühnen? 


Die verſchledenen Richtungen der Dichter, die 
ſie nach dem Uebergewicht dieſer oder jener ihnen 
einwohnenden Kraft nehmen, könnte man mittelſt 
einer förmlichen Windroſe bezeichnen. Die entge⸗ 
gengeſetzten Pole, Nord und Suͤd, bezeichnen Ver⸗ 
ſtand und Fantafie, Of und Weſt, Geiſt und Hu⸗ 
mor. Nun ſchaffen ſich dann die abweichenden 
Grade, wie in der Schißsroſe, von ſelbſt. Z. B. 
wie Nordweſt, Nord Nordweſt, Nordweſt Nord, 
Verſtand Humor, Verſtand Verſtand Humor, Geiſt 


Berlin 1814 — 1822. 295 


Humor Geift ꝛc. Das Schlimmſte für die Seefah⸗ 
rer möchte hier das Beſte ſeyn, wenn naͤmlich der 
Wind aus allen vier Ecken blaͤſt. Uebrigens paßt 
dieſe Windroſe nur für Dichter, die wirklich fe- 
geln, oder, zu Lande, nach dem bekannten Spruch 
Goͤthe's Über die den Reiter verfolgenden Klaͤffer, 
wirklich reiten. Bei den andern möchte es ſchwer 
ſeyn, die Pole zu finden, die nur allein irgend 
eine Richtung beſtimmen koͤnnen. 


Unumfiöglicher Beweis, daß der Baumeiſter 
N. ein frommer, gottesfuͤrchtiger, deutſchbiederer, 
geiſtreicher, patriotiſch geſinnter, der edlen Turn⸗ 
kunſt ergebener, fuͤr die Vervollkommung der Me⸗ 
dizin und Chirurgie portirter, Mann, von großem 
Verſtande und Anſehen, ift. ) 

1) Er iſt fromm und gottesfuͤrchtig, denn er ehrt 
das Alter und mag ſogar alte Mauern nicht 
antaſten, find fie auch noch fo ſchwaͤchlich. 
2) Er iſt deutſchbieder, denn er verlaͤßt ſich auf 
ein ehrliches Ausſehen und baut darauf mit 
vollem Vertrauen. 


— 


) Hatte für Verlin in der mündlichen Tradition Lo⸗ 
tal · Intereſt. | 


294 Zehnter Abſchnitt. 


3) Er iſt geiſtreich, denn ihm . jeden He 
blick was ein. 
) Er iſt patriotiſch geſinnt, eis: feine Einfäte 

treffen nicht Mitbürger fondern nur Fremde. 

5) Er iſt der edlen Turnkunſt ergeben, denn ſeine 
Einfälle veranlaßen die gewagteſten Sprünge. 

6) Er iſt muſikaliſch ausgebildet, denn er verſteht 
ſich ganz beſonders auf das richtige Einfallen. 

7) Er iſt auf die Vervollkommnung der Arzenel⸗ 
Wiſſenſchaft und Chirurgie bedacht, denn er 
ſorgt durch feine Einfälle dafür, daß es der 
Pepiniere nie an merkwürdigen innerlich 
oder Auferlich Beſchädigten fehlt, un ihre 
Kunft daran zu üben. ii 

8) Er iſt von großem Verſtande, denn, wenn er 
für etwas ſteht, hat er ſich ademabl v ver⸗ 
ſtand en. 

9) Er iſt von großem Anſehen, denn Br, ſaͤmt⸗ 
lichen Obern haben ihn immer für einen 
tuͤchtigen Baumeiſter angeſehen. a 


Zum Katzenbuch. Till Eulenſpiegel war ver⸗ 
gnuͤgt, wenn er Berg auf ſtieg, weil er ſich darauf 
freute, wenn es wieder Berg ab gehen wuͤrde und 
traurig, wenn es Berg ab ging, weil er das Auf⸗ 
ſteigen fürchtete. Was wird mir Schlimmes begeg⸗ 


Berlin 1814 — 1822. 295 


nen, da ich heute im Gemuͤth fo heiter bin; wel⸗ 
che Freude ſteht mir bevor, da mich Traurigkeit ſo 
mederdrückt? — | 

Iſt es Katzenmoͤglich! 


Jakobus Snellpfeffers Flitterwochen vor der Hochzeit. * 

(Einfchiebfel. Dazu kann das Bild eines Spa⸗ 
zierganges durch einen Garten gebraucht werden. 
Rechts und links giebts da: — Schmollwinkel⸗ 
chen, — Lauben — Dornbuͤſche u. ſ. w.; z. B. 
Jesminlaube für Liebende; — Dornbuſch für Re⸗ 
zenſenten „eingebildete Autoren u. ſ. w. — Ob 
Schnellpfeffer nicht im Hefte, ſtatt im Kapitel, ge⸗ 
theilt werden koͤnnte?) 

Einen merkwuͤrdigen Charakter koͤnnte der Bru⸗ 
der geben. Erziehung. Rector Wannowski nicht 
zu vergeſſen **)- 

Geheimniße. Jacobus ſchrieb als Knabe ſeine 
Geheimniße auf; z. B. daß er in Nachbars Tin⸗ 
chen verliebt iſt, daß er es war, der dem Porzel⸗ 
lannapf zerbrach, u. ſ. w. — und verſi egelte das 
Blatt. 

Die einzige vornehme Perſon, die zugleich als 


) Th. II. S. 148. 
) Th. I. S. 8. 


296 Zehnter Abſchnitt. 


eine moraliſche gelten konnte, mit der er verwandt, 
war die Kanzlei (Kanzleiverwandter). 

Solofuͤrſten und Figuranten⸗Fuͤrſten, wie So⸗ 
lotaͤnzer und Figuranten. 


In der Krankheit, bei ſchon gelähmten Händen, dictirt. 


Nicht zu vergeßen: Krankheits⸗ Periode vom 
Januar, Februar, Maͤrz, April.) 

Nicht zu vergefien: für ein aͤrztliches Journal: 
beſondere Gefuͤhle eines ſich ſelbſt ſcharf beobach⸗ 
tenden Kranken. 

Anekdote. Authentiſch. Ein robuſter Kerl laßt 
ſich in der Charité das linke Bein abnehmen, bleibt 
bei der Operation ganz munter, und jubelt laut, 
als man ihm das abgenommene Bein zeigt; bin ich 
die verwuͤnſchte Pfote los! Als man ihm den Ver⸗ 
band angelegt hatte, ſpricht er zu *: Lieber Herr * * 
Chirurgus, Sie haben ſich fo viele Mühe mit mei⸗ 
nem linken Bein gegeben; am rechten ſind mir die 
Naͤgel ſo lang gewachſen; wollen Sie mir die 
nicht auch gleich abſchneiden? 


* Zwei Monate fpäter war er nicht mehr. 


Einzelne Züge zur Characteriſtik Hoffmann's. 


Heimen war von ſehr kleiner Statur, 
hatte eine gelbliche Geſichtsfarbe, dunkles, 
beinahe ſchwarzes, Haar, das ihm tief bis in 
die Stirn gewachſen war, graue Augen, die 
nichts beſonderes auszeichneten, wenn er ru⸗ 
hig vor ſich hinblickte; die aber, wenn er, 
wie er oft zu thun pflegte, damit blinzelte, 
einen ungemein liſtigen Ausdruck annahmen. 
Die Naſe war fein und gebogen, der Mund 
feſt geſchloſſen. 

Sein Koͤrper ſchien, ungeachtet ſeiner 
Behendigkeit, dauerhaft, denn er hatte, fuͤr 
feine Groͤße, eine hohe Bruſt und breite 
Schultern. 

Sein Anzug war, in früheren Zeiten ſei⸗ 
nes Lebens, ziemlich elegant, ohne irgend in's 


298 Zu Hoffmann’s _ 


Geſuchte zu verfallen. Nur auf den Bakken⸗ 
bart hielt er große Stücke, und ließ ihn ſorg⸗ 
faͤltig gegen die Mundwinkel hinziehen. Spaͤ⸗ 
ter erregte ihm ſeine Uniform, in welcher er 
etwa wie ein franzoͤſiſcher oder italieniſcher 
General ausſah, inniges Wohlgefallen. 

In ſeiner ganzen aͤußern Erſcheinung 
fiel am meiſten eine außerordentliche Beweg⸗ 
lichkeit auf, die auf das Hoͤchſte geſteigert 
wurde, wenn er erzählte. Seine Begrußun⸗ 
gen bei'm Empfang und Abſchied, mit wie⸗ 
derholten ganz kurzen, ſchnellen Beugungen 
des Nakkens, ohne daß der Kopf ſich dabei 
bewegte, hatten etwas Frazzenhaftes und konn⸗ 
ten leicht als Ironie erſcheinen, wenn der 
Eindruck, den die ſeltſame Geberde mach⸗ 
te, nicht durch ſein ſehr freundliches Weſen 
bei ſolchen Veranlaſſungen gemildert worden 
waͤre. 

Er ſprach mit unglaublicher Schnelle 
und mit einer etwas heiſern Stimme, ſo daß 
er, vorzüglich in den letzten Jahren feines 
Lebens, wo er einige Vorderzaͤhne verloren 
hatte, ſehr ſchwer zu verſtehen war. Wenn er 
erzählte, war es immer in ganz kurzen Saͤ⸗ 
tzen; nur, wenn die Rede auf Kunſtſachen 


Characteriſtik. 299 


kam und er in Begeiſterung gerieth, ein Zu⸗ 
ſtand, vor dem er ſich aber zu huͤten ſchien, 
bildete er lange, ſchoͤne, gerundete Perioden. 
Wenn er Arbeiten von ſich vorlas, Schrift⸗ 
ſtelleriſche oder amtliche, ſo eilte er uͤber das 
Unbedeutendere dergeſtalt hinweg, daß der 
Zuhoͤrer kaum zu folgen vermochte; die 
Stellen aber, die man im Gemälde die Druk⸗ 
ker nennt, betonte er mit einem faſt komiſchen 
Pathos, ſpitzte dazu den Mund, ſchaute um 
ſich, ob ſie auch faſſten, und brachte dadurch 
oft ſich ſelbſt und ſein Publikum aus der 
Tramontane. Er fuͤhlte, daß er, um dieſer 
Angewohnheit willen, nicht gut las, und hatte 
es ungemein gern, wenn ein Anderer ihm 
dies Geſchaͤft abnahm; aber das war kitzlich 
genug, beſonders wenn von handſchriftlichen 
Yuffagen, die Rede; denn jedes falſch gele⸗ 
ſene Wort, oder auch nur ein zoͤgernder Blick 
auf ein ſolches, um es richtig zu leſen, war 

ihm ein Dolchſtich, und er wußte dies nicht 
zu verbergen. Als Saͤnger hatte er eine 
ſchöne, kraftige Bruſtſtimme, Tenor. 


| Es war ſchwer, in Bekanntſchaft mit 
ihm zu kommen. Er ſelbſt blieb lange ver⸗ 


300 Zu Hoffmann's 


ſchloſſen, und hoͤrte auch wenig auf Men⸗ 
ſchen, die er erſt kennen lernte, wenn ſie nicht 
ganz beſonders intereßant waren. Alte Ber 
kannte gingen ihm über Alles; er fühlte ſich 
bequem mit ihnen, und mehr verlangte er 
nicht. „Wie mag doch Hoffmann mit dem 
und dem umgehen können ?”- diefe Frage, 
die man ſo oft machte, beantwortete ſich am 
beſten dahin: „weil er den und den ſchon ſo 
und ſo lange kannte.“ Eine gleiche Geſin⸗ 
nung forderte er aber auch gebieteriſch von 
ſeinen Freunden. Sie ſollten keinen Gott 
haben neben ihm; er betrachtete es als eine 
Felonie, wenn ſie ſich verheiratheten, mit ih⸗ 
ren Kindern lebten, u. ſ. w. — Den Umgang 
mit Frauen liebte er eben nicht. Konnte er, 
(dies war die Regel, von der allerdings ei⸗ 
nige Ausnahmen Statt fanden,) ſie nicht 
myſtifiziren, oder ſie in die abentheuerlichen 
Kreiſe ſeiner Fantaſien ziehen, oder entdeckte 
er in ihnen nicht etwa entſchiedenen Sinn 
fuͤr das Komiſche, ſo zog er den Verkehr mit 
Maͤnnern, bei denen ſich die letzte Eigenſchaft 
viel haͤufiger entwickelt findet, bei weitem 
vor. Denn das Fragzzenhafte, wie das Ver⸗ 
borgenfte in der menſchlichen Natur, zogen 


Characteriſtik. 301 


ihn am meiſten an, und auch uͤber dieſe 
Tiefen konnte er vorzugsweiſe nur mit Maͤn⸗ 
nern ſprechen. Mehr als reifere Frauen, in⸗ 
tereſſirten ihn noch junge Mädchen, die, be⸗ 
ſonders, wenn ſie huͤbſch waren, einen unge⸗ 
meinen Zauber uͤber ihn uͤbten; doch, haupt⸗ 
ſaͤchlich durch den Reitz, den ihr Anblick ihm 
gewaͤhrte, nicht durch die Entfaltung ihres 
Innern, wozu der Schlüffel ihm fehlte. Da⸗ 
gegen mißlang es ihm nicht, Kinder, in de⸗ 
nen er Empfänglichkeit für das Scurrile oder 
Fantaſtiſche fand, wenn er ſich mit ihnen ab⸗ 
gab, an ſich zu feſſeln. Unter allen Erſchei⸗ 
nungen in der Geſellſchaft, war ihm die 
gelehrter Frauen am gruͤndlichſten zuwider. 
Legte es eine ſolche auf ihn an, und ließ es 
ſich, wie auch wohl vorgekommen iſt, gar bei⸗ 
gehen, in einer Art von Pairſchaft, ihm na⸗ 
he zu treten, — etwa bei Tiſche, — ihren 
Platz neben ihm aufzuſchlagen, ſo war er im 
Stande, ſein Couvert aufzunehmen, und da⸗ 
mit in die weite Welt zu fliehen, bis er an 
einem entfernten Ende ſich unbemerkt irgend⸗ 
wo einbürgen konnte.“) Kuͤnſtlerinnen jeder 
— 


Wie könnte die unmilde, mit welcher Hoff⸗ 
mann hier, wie uberall, fein Misfallen außerte, 


302 Zu Hoffmanns 


Art, ohne ihren gewöhnlichen Tif, waren ihm 
ge Fuͤr “auge Würde des Men 


ri 71 


wohl gerechtfertiget werden wollen? 928 · 2 este 0 
0 ff aber; — wer möchte ihm Jen 
fer. mehr, 


Schon finden die beſten Bücher keine 
weil faſt alle Leſer unter die Schreiber 8 
ſind, und, wenn, bis vor wenigen Jahrzehende 
die Empfaͤnglichkeit fuͤr das, was andere gcdach 
und empfunden, wenigſtens noch bei ne an⸗ 
zutreffen war, ſo mindert ſich deren Zahl auch von 
Tage zu Tage, weil die der Schreiberin den * 
wie der Sand am Meere. Daß bi durch die 
toren offenbar beeintraͤchtiget werden, die ſonſt e 
fchönften Kraͤnze von den Frauen erwarteten und 
daß die Fluth mittelmaͤßiger Bucher, auch durch 
die Schindelſchen Schaaren immer mehr angeſchwellt, 
am Ende die Literatur zu verſchlingen drohen wird, 
iſt noch der geringſte Nachtheil gegen den, daß der 
fchönfte Schmuck des Weibes, die Weiblichkeit, bei 
dem gerügten unweſen, mehr und mehr in die 
Brüche geht. Es ſoll hiermit gerade nicht über 
die Rezenſentinnen, Kunſt⸗Correſvondentinnen, Cri⸗ 
minal-Richterinnen oder Vertheidigerinnen, Myſſi⸗ 
kerinnen u. ſ. w. insbeſondere, der Stab gebrochen 
werden; (eben ſo wenig aber auch iſt es au ihre, 
Apologie abgeſehen,) ſondern es ſind alle Schri 
ſtellerinnen, als ſolche, gemeint, die den ſtillen Heim 
ihres weiblichen Berufs (worunter nicht der Koch⸗ 


Characteriſtik. 303 


ſchen aͤußerte er, durch die Wahl ſeines Um⸗ 
ae, wenig Sinn. Geſinnung t ihm in 


herd verſtanden wird,) TER um fi 0 öfkent⸗ 
lich vor der Welt, mit ihren Gedanken, Empfin⸗ 
dungen, ( Stärken und Schwächen, zu produciren. In 
dieſer Oeffentlichkeit liegt das uebel. Waͤre 
es nicht grauſam und ungerecht, von einem Wei be, 
dem der Himmelsfunke der Dichtkunſt geſchenkt iſt, 

zu fordern, ſie ſolle ihn erſticken, und ſich und an⸗ 
905 nicht an ihrem Feuer waͤrmen? Aber, — daß cine 
heutige Dichterin kein noch ſo heiliges Gefühl. in 
ihrem Buſen hegen darf, ohne es Morgenblatt und 
Abendzeitung bruͤhwarm anzuvertrauen, daß Kla gen 
um ihre verlohrnen Lieben, wie um ihre verkalinte 
Treue, in allen Kaffeehaͤuſern auf den Tiſchen um⸗ 
her liegen, und von den Gaͤſten zu den Cigarren 
eingenommen werden muͤßen; daß manche eher Leine 
Ruhe findet, als bis ſelbſt Alles das, was ſich ein 
wirkliches Weib kaum recht zu geſtehen wagt, ſchwarz 
auf weiß vor ihr daliegt, um an irgend eine Redartion 
zum Druck abgeſandt zu werden; — ſolches Treiben 
hätten die Frauen unſrer Zeit billig den Männern, 
die es freilich auch nicht beſſer machen, von benen 
man indeßen auch weniger Zartheit zu fordern 
berechtiget iſt, uͤberlaſſen ſollen. Das, und dann 
die beliebte Univerſalitaͤt in dem Streben literari⸗ 
ſchen Frauen, die ſelbſt den Caſanova in den Kreis 
ihres Urtheils ziehen zu muͤſſen meinen, — weil es 


304 Zu Hoffmann's 


geſelliger Beziehung nichts. Als höchfte Ems 
pfehlung diente bei ihm die Faͤhigkeit, ſich 
bdaurch 


ein Buch iſt, giebt aber dem Manne, dem Weib⸗ 
lichkeit im Weibe uber Alles geht, in der Regel den 
Abfchen vor der Zunft der Schrelberinnen; nicht 
etwa Reid oder Monopolgeiſt, wie Thörinnen hie 
und dort wohl gemeint haben. „Wenn du beteſt, 
fo geh' in dein Kaͤmmerlein, ſchließ' die Thür zu, 
und bete zu deinem Vater im Verborgenen, hat 
unſer Heiland geſagt; es ſoll gewiß mit dem Tief⸗ 
ſten, was die Menſchenbruſt bewegt, ſeyn, wie mit 
dem Gebet. Frauen, die ewig gedruckt lieben und 
weinen, gleichen aber denen, „die da gerne ſtehen 
und beten an den Ecken und auf den Gaſſen, auf 
daß ſie von den Leuten geſehen werden.“ Auch ſie 
haben ihren Lohn dahin; fie werden eitirt und kri⸗ 
tiſirt, und wenn's hoch kommt, panegyriſirt, wie 
die Maͤnner; man laͤßt ihrer techniſchen Fertigkeit 
im Dichten, (in welcher ja jeder Schulknabe es jetzt 
zu einem gewißen Grade gebracht haben muß,) 
Gerechtigkeit widerfahren, u. dergl.; aber — 
lieb haben oder gar heimfuͤhren, wird ſie kein 
maͤnnlicher Mann; Vorzuͤge, deren ſie, wie proſaiſch 
man fie auch die Ehe oft ſchelten hort, ſich doch 
auch gar nicht gern begeben zu mögen ſcheinen. — 
Siehe — eilf Zwölftel aller Frauen» Romane jegli⸗ 
cher Meſſe, in denen das Grundthema ein, mit 
Recht verfehlt genanntes, Leben iſt. = : 

e 


Charakteriſtik. 305 


durch ihn anſprechen zu laßen; (er hatte ſich 
gegen ſeine Freunde geſezt, wie etwa ein 


Eine ruͤhrende Geſchichte wird deutlicher ma⸗ 
cheu, was der Herausgeber meint. Vor einigen 
Jahren ſtarb eine ſeiner geachteteſten Freundinnen, 
in der Bluͤthe ihres ſchoͤnen Lebens. Nach ihrem 
Tode fand ihr Gatte, in ihrem Pulte, ein wunder⸗ 
herrliches Gedicht, welches ein Vorgefuͤhl des Hin⸗ 
ſcheidens enthaͤlt, und uͤberſandte davon dem Freun⸗ 
de eine Abſchrift, mit dem Bemerken, daß ſeine 
Frau es wahrſcheinlich ſelbſt gedichtet habe. 
Alſo, ſelbſt der Mann wußte nichts von der Faͤ⸗ 
higkeit der Gattin, ihre reinen Gefuͤhle ſo meiſter⸗ 
haft auszuſprechen. Auch Sophie Naubert (Verfaſſe⸗ 
rin des Walter von Montbarry, Herrmann von 
Unna u. ſ. w. — eine der objektivſten Schriftſtel⸗ 
lerinnen Deutſchlands, die wirklich Buͤcher, und 
nicht ihre Thee⸗Zirkel, ſchrieb) ſey unvergeßen, der, 
wie ſie dem Herausgeber ſelbſt erzaͤhlte, ihr Verlob⸗ 
ter zur Hochzeit ihre eigenen Werke in ſauberen Ma⸗ 
roguinbaͤnden ſchenkte, weil er eine Neigung zur 
Lecture hiſtoriſcher Schriften in ihr bemerkt, und 
ſich ſelbſt zu den Buͤchern ſeiner nachmaligen Braut, 
als deren Schoͤpferin er ſie natuͤrlich nicht kannte, 
vorzugsweiſe hingezogen gefuͤhlt hatte. 

Dieſe Beiſpiele zeugen von aͤchter Weiblichkeit; 
— iſt es doch aber eine Erfahrung, ſo alt als die 
Welt, daß man ſich büdt, um das Veilchen zu 
yfluͤcken, während man die Sonnenblume ſtehen 
laßt, wie breit ſie ſich auch am Wege mache. 

u 


306 Zu Hoffmann’s 


Buch, wenn man es ſich perſoniſizirt daͤchte, 
gegen ſeine Leſer;) hierauf folgte die, ihn zu 
amuͤſiren, was nur durch ſchlagenden, nicht 
viel Raum einnehmenden, Witz, oder eine 
Fuͤlle gut, und vor allen Dingen kurz und 
ſchnell, vorgetragener Anekdoten, und dergl., ge⸗ 
ſchehen konnte; endlich der Beſitz irgend einer 
Eigenſchaft, die ihm imponirte, z. B. eines 
ausgezeichneten Muthes, oder der moraliſchen 
Kraft, den Lockungen mit Bewußtſeyn, Wi⸗ 
derſtand zu leiſten, die ihn unwiderſtehlich 
mit ſich fortriſſen. Wer ihn nicht auf irgend 
eine dieſer Arten anzog, der war ihm gleich⸗ 
gültig; und durfte nur eine Blöße geben, 
um Gegenſtand ſeines ſcharfen Spott's oder 
Tadels zu werden, mit welchem er nur ſeine 
wenigen, wahren, Freunde verſchonte. 

Im geſelligen Zirkel bei ſich war Hoff⸗ 
mann am Liebenswuͤrdigſten. Die Heiligkeit 
des Gaſtrechts ließ ihn manches geduldig er⸗ 
tragen, was ihm in der innerſten Natur zu⸗ 
wider war, und, genügte ihm der Geiſt nicht, 
der ſich in ſeiner Geſellſchaft entwickelte, ſo 
ſuchte er ſich durch die Sorge fuͤr die leibli⸗ 
che Nahrung derſelben zu zerſtreuen, er nahm 
ſeiner Frau das Geſchaͤft ab, den Salat, Car⸗ 


Characteriſtik. 307 


dinal oder Punſch zu machen, was er uͤbri⸗ 
gens Alles meiſterhaft verſtand; — mit an⸗ 
dern Worten, wollten ihm ſeine Gaͤſte nicht 
recht ſchmecken, ſo freute er ſich wenigſtens 
daran, wenn es ihnen recht ſchmeckte. Da⸗ 
gegen war er, wie ſchon oben bemerkt wor⸗ 
den, im hoͤchſten Grade unertraͤglich, wenn er 
da Langeweile fand, wohin man ihn einge⸗ 
laden. Er ſchien es dann immer nicht ver⸗ 
ſchmerzen zu koͤnnen, daß er einen Abend ver⸗ 
löͤre, den er ſonſt, bei feinen Lieblingsarbei⸗ 
ten, oder in der Umgebung, in der es ihm 
nun einmal gemuͤthlich war, zugebracht ha⸗ 
ben wuͤrde. Vieles kam dabei auch darauf 
an, wie er eben an einem oder dem andern 
Tage geſtimmt war. Es konnte ihn heute 
aͤrgern, woruͤber er geſtern gelacht, oder ſich 
gefreut haben wuͤrde. Niemand wußte beßer, 
als er ſelbſt, wie ſehr er unter der Herrſchaft 
der Laune fand, Er hat in feinen Tagebuͤ⸗ 
chern eine ganze Scala der Stimmungen hin⸗ 
terlaßen, durch die er die eben verfloſſenen 
Tage bezeichnete; z. B., Stimmung zum 
tomantifch »religiöfen; exaltirt-humoriſtiſche 
Stimmung, geſpannt bis zu Ideen des Wahn⸗ 
ſinns, die mir oft kommen; humoriſtiſch⸗ aͤr⸗ 
u 2 


308 Zu Hoſſmann's 


gerliche; muſikaliſch⸗exaltirte; gemüthliche aber 
indifferente; unangenehm ⸗exaltirte romanes⸗ 
ke, Stimmung; böchft aͤrgerliche Stimmung, 
bis zum Exceß romantiſch und capriccids; 
ganz exotiſche Verſtimmung, ſehr exaltirte, 
aber poetifch reine, hoͤchſt comfortable, ſchrof⸗ 
fe, ironiſche, geſpannte, hoͤchſt moroſe, ganz 
caduͤke, exotiſche aber miſerable, exaltirt⸗poe⸗ 
tiſche Stimmung, in der ich eine tiefe Ehr⸗ 
furcht vor mir empfand und mich ſelbſt un⸗ 
mäßig lobte; senza entusiasmo, senza exal- 
tazione, ſchlecht und recht; — un poco exal- 
tato, senza poetica; fehr frölich, ma senza 
furere ed un poco smorfia u. ſ. W. 
Kannte ihn nun ein Freund ganz ge⸗ 
nau, wie z. B. der Herausgeber, ſo wußte er 
gleich bei Hoffmann's Eintritt in's Zimmer, 
in welchem Sternbilde eben ſeine Laune 
ſtand, und, wie man ihn heute zu nehmen 
habe, um Eruptionen zu vermeiden, r um 
Gewitterwolken drohten; behandelte man ihn 
falſch, ſo fuͤhlte man augenblicklich die Fol, 
gen. Verſtellung war ihm durchaus fremd; 
man wußte immer, woran man mit ihm war; 
wer ihn langweilte, den gaͤhnte er an, und, 


Characteriſtik. 309 


wer ihm Aergerniß gab, dem wies er die 
Zaͤhne. ö | 


Wollte man nun aus Allem dieſem den 
Schluß ziehen, daß Hoffmann ohne alle na⸗ 
tuͤrliche Gutmuͤthigkeit geweſen; ſo wuͤrde 
man ihm Unrecht thun. Vielmehr gab er 
häufig davon Beweiſe. Aber andere hervor— 
ſtechende Eigenthuͤmlichkeiten ſeines Charac⸗ 
ters vermiſchten ſich ſo wunderlich mit ſeinen 
Aeußerungen von Bonhommie, daß, wer ihn 
nicht durch und durch kannte, ganz irre an 
ihm werden mußte. Ein Beiſpiel wird dies 
erläutern, 

An einem Herbſtmorgen kam er zum 
Herausgeber, und erzaͤhlte ihm, noch ganz 
erfuͤllt von dem Erlebten: als er eben uͤber 
dem Gend'armes⸗Markt gegangen, habe er 
Folgendes mit angeſehn. Ein allerliebſtes 
kleines Maͤdchen aus der unterſten Volks⸗ 
klaſſe, waͤre vor die Bude einer Hoͤkerin ge⸗ 
treten, und habe von dem Obſte, das jene 
feil bot, etwas verlangt. Mit rauher Stim⸗ 
me habe das Weib ſie angefahren, ſie ſolle 
ihr zeigen, wie viel Geld ſie daran wenden 
koͤnne, und, als das Kind nun mit der freu⸗ 


310 Zu Hoſſmann's 


digſten Unſchuld, feinen Dreier hervorgeholt, 
ſey er ihm mit den Worten zuruͤckgeſtoßen wor⸗ 
den: daß es dafuͤr nichts gaͤbe. Zum Tode 
betruͤbt waͤre die Kleine abgezogen. Da, — 
ſo fuhr Hoffmann fort, — naͤherte ich mich 
dem alten Weibe, die wohl bemerkt, daß ich 
Zeuge der ganzen Scene geweſen, und ſteckte 
ihr ein Viergroſchenſtuͤck in die Hand. Ei⸗ 
lends rief fie nun das Kind zuruͤck, und füllte 
die kleine Schürze mit den allerſchönſten 
Pflaumen. Sie koͤnnen ihn ſich wohl aus⸗ 
mahlen, dieſen Wechſel der höchften Betruͤb⸗ 
niß und der unausſprechlichſten Freude. 
Bis ſo weit ſieh't die Geſchichte Jedermann 
aͤhnlich, der, mit wohlwollendem Herzen, eine 
Liebesgabe gereicht hat. Aber nun, — erzählte 
er weiter, und das war der ganze Hoff⸗ 
mann, — hat mich auf dem Wege zu Ih⸗ 
nen der Gedanke ſchon zermartert, und ich 
kann ihn nicht los werden, daß das Kind ſich 
an den Pflaumen die Ruhr an den Hals 
eſſen, und ſo die Luſt, die ich ihm bereitet, die 
Urſache ſeines Todes werden wird. 
Was dieſe Beſorgniß veranlaßte, war 
nichts anders, als die zum feſten Grundſatz 
bei ihm gewordene Idee, daß, wo dem Men⸗ 


Characteriftif, 311 
ſchen Gutes widerfahre, auch das Boͤſe im⸗ 


mer im Hinterhalte laure; „daß, wie er 
es in ſeiner Redeweiſe energiſch auszudruͤcken 
pflegte, „der Teufel auf Alles ſeinen Schwanz 
legen muͤſſe.“ Dies Wort fuͤhrte er, bei jeder 
paſſenden Veranlaſſung, im Munde, und es 
wird, wie es dem Herausgeber ſcheint, 
durch dieſen Glauben, Vieles in ſeinen Schrif⸗ 
ten klar. Immer verfolgte ihn die Ahndung 
geheimer Schreckniſſe, die in ſein Leben tre⸗ 
ten würden; Doppeltgänger, Schauergeſtal⸗ 
ten aller Art, wenn er ſie ſchrieb, ſah er 
wirklich um ſich, und deshalb, wenn er in 
der Nacht arbeitete, weckte er die ſchon ſchla⸗ 
fende Frau, die, ihn kennend und liebend, 
willig das Bette verließ, ſich ankleidete, mit 
dem Strickſtrumpf an ſeinen Schreibtiſch 
ſetzte, und ihm Geſellſchaft leiſtete, bis er 
fertig war. Daher das ſo ergreifend Wahre 
ſeiner Schilderungen in dieſer Gattung, wie 
es denn überhaupt wohl wenige Dichter ger 
geben haben mag, die mehr identiſch mit ih⸗ 
ren Werken geweſen, als Hoffmann mit den 
ſeinigen. Wenn man ihm oͤfters Manier 
vorgeworfen, ſo trifft dieſer Vorwurf nicht 
die Art, wie er ſeine Charactere zeichnete 


312 Zu Hoffmann’s 


ſondern wie er ſelbſt im großen Buche der 
Schoͤpfung gezeichnet war. Naͤchſt dem Schau⸗ 
ervollen, war das Scurrile das ihm ganz 
eigenthuͤmliche Element. Zwiſchen beiden gab 
es fuͤr ihn keine gemuͤthliche Mitte; von ſei⸗ 
nen Schrecken ruhte er bei'm Anſchau'n der 
Poſſenſplele aus, die feine Fantaſie ihm in 
den Erholungsſtunden vorgaukelte. Auch hier 
iſt, was er geſchrieben, ganz ſubjectiv, und 
man kann ſagen, daß diejenigen ſeiner Er⸗ 
zaͤhlungen, die ein objectives Gepräge haben, 
weil nichts Graͤßliches und nichts Frazzen⸗ 
haftes darin vorkommt, wie z. B. Meiſter 
Martin, von einem Hoffmann herrühren, 
der ſich in dem eigentlichen Hoffmann kaum 
nachweiſen ließ. 

Daher iſt auch die conſtante Erſcheinung 
zu erklaren, daß er, in dem Maafe, in wel⸗ 
chem ſeine Dichtungen ſich von ſeiner Sub⸗ 
jectivität entfernten, fie nicht liebte; ja ders 
geſtalt an der Moͤglichkeit zweifelte, daß ſie 
dem Publikum gefallen koͤnnten / daß nur 
Hitzig's Urtheil, den er, als geweſenen Buch⸗ 
haͤndler, fuͤr vertraut mit dem Geſchmack der 
Menge hielt, in der Regel, 95 daruͤber zu 
beruhigen vermochte. 


Characteriſtik. 313 
Dagegen hegte er eine blinde Vorliebe 
fuͤr diejenigen ſeiner Werke, in denen ſich 
ſeine Eigenthuͤmlichkeit, auf die, ſeinen Leſern 
am wenigſten angenehmſteWeiſ. e, entwickelt hatte, 
die entweder die ſchaudervollſten Schilderungen 
des Wahnſinns, oder die geiſterhafteſten Zerr⸗ 
bilder, wie z. B. die Brambilla, aufſtellten. 
Auch war dieſe Richtung ſeines Geiſtes 
die Urſache, weshalb er, außer den groͤßten 
Dichtern, und oft den trockenſten Buͤchern, 
in denen er Data fand, die er auf ſeine 
Weiſe in ſich verarbeitete, — ſich damit im⸗ 
praͤgnirte, — wie er es gern nannte, eben 
nichts leſen mochte, weil nichts ſo leicht die 
Extreme beruͤhrte, bei denen er ſich allein be⸗ 
haglich fand. 


Wie im Intellectuellen, das immer bei 
Hoffmann vorherrſchte, ſo auch im Phyſi⸗ 
ſchen. Im Eſſen war er ſehr maͤßig, weil 
ſich dieſem Genuß keine geiſtige Seite abge⸗ 
winnen laͤßt; nur das Feinſte reizte ihn, und 
oft mehr der Idee willen, daß es das Lek⸗ 
kerſte ſey, als um des Wohlgeſchmacks. Aber 
auch im Trinken ſuchte er Anfangs, ehe es 
ihm Gewohnheit und Beduͤrfniß geworden, 


314 Zu Hoffmann's 


nur Steigerung des geiſtigen Vermögens, wie 
ihm denn wirklich die Rede zu allen Zeiten 
am beſten floß, wenn er durch Wein aufge⸗ 
regt war. Ein ſchmutziger Saͤufer iſt er nie 
geweſen, was auch die Verlaͤumdung — 
u haben magagg. 
Ni un n 
Bon der — — war Hoffmann 
nie ein beſonderer Freund. Der Menſch, 
Mittheilung mit, Beobachtungen uͤber, das 
bloße Sehen von Menſchen, galt ihm mehr, 
als Alles. Ging er im Sommer fpazieren, 
was, bei ſchoͤnem Wetter, taͤglich, egen 
Abend, geſchah, ſo war es immer nur, um 
zu offentlichen Orten zu gelangen, wo er 
Menſchen antraf. Auch unterweges fand ſich 
nicht leicht ein Weinhaus, ein Conditorladen, 
wo er nicht eingeſprochen, um zu ſehen, ob, 
und welche, Menſchen da ſeyen. Man leſe 
das in den Wochen ſeiner Todesnoth dictirte 
Eckfenſter, um ſich zu uͤberzeugen, welche Zer⸗ 
fireuung es ihm gewaͤhrte, noch mit halbge⸗ 
brochenen Augen, auf das Gewüuhl eines 
Menſchenerfüllten Marktes zu ſchauenn. 
Bei ‚feiner Entfernung von der Natur, 
war es um ſo ruͤhrender, wie, kurz vor ſei⸗ 


Characteriſtik. 1 


nem Ende, die Sehnſucht nach dem Grünen 
in ihm erwachte. „Gott, es ſoll Sommer 
ſeyn, jammerte er, „und ich habe noch kei⸗ 
nen gruͤnen Baum geſehen.“ Und als er zum 
erſten Mal hinauskam in's Freie, entſtuͤrzten 
ihm die hellen Thraͤnen, und er wurde ohn⸗ 
maͤchtig vor der Gewalt des Eindrucks. Nach 
ſeiner Heimkehr faßte er den Plan zu der 
mitgetheilten kleinen Erzaͤhlung: die Wann 
fung, M er enge dictirte. 1108 


Eigentliche ee hatte Hoffmann 
nicht. Der Beſitz eines huͤbſchen Ameuble⸗ 
ments, im weiteſten Sinne des Worts, moͤchte 
allein dafuͤr gelten koͤnnen. Fuͤr die, auf 
dem Krankenbette intendirte, Einrichtung ſei⸗ 
nes neuen Quartiers, hatte er allerlei Plaͤne 
gemacht. Unter andern wollte er eine Stube 
mit Hausgeraͤth in altdeutſchem Geſchmack, 
meubliren, und ſelbſt die Zeichnungen dazu 
entwerfen. Auch Buͤcher waren ihm nicht un⸗ 
lieb; doch hat er es, bei ſeiner großen Un⸗ 
ordnung in ſolchen Dingen, nie auch nur zu 
der allerkleinſten Bibliothek gebracht. Nicht 
einmal ſeine eigenen Schriften beſaß er voll⸗ 


316 Zu Hoffmann’s 


ſtaͤndig. Er hatte fie verliehen; ve zu wiſ⸗ 
fen, an wen, u. ſ. wn 


Eben fo leicht ging er mit dem Gelde 

um, das er zuletzt in großen Maſſen ein⸗ 
nahm. Er gab es erſt ſeiner Frau, und 
nahm es ihr dann wieder ab, um es zu 
laſſen, er wußte nicht wo. Mit dieſer 
Frau übrigens lebte er in dem beſten eheli⸗ 
chen Verhaͤltniſſe. Sie war die Nachgiebig⸗ 
keit ſelbſt, und er hat nie ein Geheimniß vor 
ihr gehabt. Seine Tagebuͤcher, die das Be⸗ 
kenntniß aller ſeiner Schwaͤchen enthalten, 
ruhten immer in ihren Haͤnden, und aus ih⸗ 
nen hat ſie der Herausgeber zur ee 
empfangen. 


Keine Spur von der erwaͤhnten Unord⸗ 
nung in Geld- und aͤhnlichen Sachen, war 
aber in Hoffmann's Amtsarbeiten zu finden. 
Nie fehlte ihm eine Vortragsnummer, oder 
dergl. Ueberhaupt wußte er den Mann im 
Staatsdienſte, von dem im Privatleben, auf 
eine Weiſe zu ſcheiden, die feinem praktiſchen 
Sinne zur hoͤchſten Ehre geeichte. 


Characteriſtik. 347 


In ſeinem ſchriftſtelleriſchen Verkehr war 
ſchon weniger Ordnungsliebe. Wollte er ei⸗ 
nem Freunde aus einem Manuſcripte, oder 
etwa einen erhaltenen Brief, vorleſen, ſo 
konnte er, was er ſuchte, gewiß nicht finden, 
wenn nicht die Frau helfend in's Mittel trat. 
Er band ſich an keine beſtimmte Arbeitsſtun⸗ 
den u. ſ. w. Doch hatte er zuletzt, als er 
faſt nichts, als Erzählungen für Taſchenbuͤ⸗ 
cher, ſchrieb, eine gewiſſe Reihenfolge in der 
Ablieferung, nach dem Alter der Beſtellun⸗ 
gen der Verleger, eingefuͤhrt, an welcher er 
gewiſſenhaft hielt. Da er ſelbſt in den letz⸗ 
ten Tagen ſeiner Krankheit, an nichts weni⸗ 
ger, als an feinen Tod, dachte, fo ergoͤtzte 
es ihn, davon zu ſprechen, auf wie viele Jahre 
hinaus dieſe Beſtellungen ſchon reichten. 

Die Stoffe zu ſeinen Geſchichten nahm 
er uͤbrigens entweder rein aus der Phantaſie; 
aus dem wirklichen Leben, das ihm, bei ſei⸗ 
nem unaufhoͤrlichen Verkehr an Menſchener⸗ 
füllten Orten immer neue Charactere darbot, 
oder aus Chroniken u. ſ. w., die er in dieſer 
Beziehung durchſah; und die Staffage mahlte 
er aus, nachdem er ſich durch die Einſicht 


318 Zu Hoffmann's 


bon Werten, die ihm Sachverſtändige Freunde 


zu dieſem Zwecke vorſchlagen mußten, von 
dem darzuſtellenden Gegenſtande eine ober⸗ 
flaͤchliche Kenntniß verſchafft. Es iſt bewun⸗ 
derungswuͤrdig, mit welcher Leichtigkeit er ſich 
Anſchauungen aus der Gewerbswelt, und 
Kunſtausdrücke ihm ganz fremder Wiſſen⸗ 


ſchaften, wenn er ſie gebrauchte, dergeſtalt an⸗ 


zueignen wußte; daß der Leſer glauben muß, 
er ſey dabei groß geworden; wobei ihm frei⸗ 
lich zu Statten kam, daß es im Leben nicht 
leicht etwas ah, worin er ſich nicht wache 
hätte. V Nein 

Gegen die öffentliche Kritik ener Sthriſ⸗ 
ten war er gleichguͤltig. Wie uͤberhaupt nichts 
Neues, ſo las er auch keine Zeitſchriften, 


und, wenn man ihm von der Rezenſion eines 


ſeiner Werke ſagte, ſie mochte lobend oder ta⸗ 
delnd ſeyn, ſo bezeigte er nicht die geringſte 
Luſt, ſie zu ſehen. Dagegen freute er ſich 
ſehr, wenn Freunden, auf deren Einſicht er et⸗ 
was gab, ſeine Sachen gefielen. Von dieſen 
nahm er auch mißbilligende Meinungen an, 
wenn er nur wußte, daß fie ihn überhaupt 
verſtanden. Hitzig, der, als ſein Ältefier Be⸗ 


Characteriſtik. 319 
kannter in Berlin, in dieſer Beziehung am 
offenſten mit ihm war, hat er nie ein Ur⸗ 
theil übel genommen. Freilich wollte er ſich 
oft nicht fügen, wenn fein Intereſſe für das 
eben erſchienene neueſte Werk noch in voller 
Friſche; aber er kam dann wohl ein halbes 
Jahr nachher, und ſagte: „Sie haben Recht, 
und ich werde es jetzt beſſer machen.“ So 
bekannte er in der letzten Woche ſeines Le⸗ 
bens, er ſehe ein, wie ſehr er ſeinem Autor⸗ 
ruf, durch einige ſeiner damals erſchienenen 
Erzaͤhlungen (in dem Berliniſchen Taſchenka⸗ 
lender, in dem Gleditſch'ſchen Taſchenbuch zum 
geſelligen Vergnuͤgen u. ſ. w.,) geſchadet haben 
muͤße, und wolle er in dem dritten Theile 
des Murr u. ſ. w. dem Publikum Satisfac⸗ 
tion zu geben ſuchen. Es war zu ſpaͤt, wie 
uͤberall mit ſeinen guten Vorſaͤtzen. 


„Hoffmann war ein Kind ſeiner Zeit, 
in wie fern dieſe liebt, nach den verſchieden⸗ 
ſten Seiten hin, ein Aeußerſtes anzuſtreben. 
Dieſe leitete ihn, dieſer gab er ſich hin, dieſe 
hat dafuͤr ihn gehoben, getragen und aufge⸗ 


320 Zu Hoffmann’s 


rieben.“ — Mit dieſem eben fo wahren, als 
ſchoͤn ausgeſprochenen, Gedanken endigt Roch⸗ 
litz ſeinen trefflichen Aufſatz uͤber ihn, und 
auch der Herausgeber weiß, zum Schluße, 
nichts zu ſagen, was durchgreifender waͤre. 


An⸗ 


Sor wort. 


Dem Herausgeber kam es darauf an, ne⸗ 
ben dem, was er uͤber ſeinen verſtorbenen 
Freund geliefert, auch noch ein mehr objecti⸗ 
ves Urtheil uͤber ihn als Dichter und Muſiker 
mitzutheilen, als er es, bei der genauen Be⸗ 
kanntſchaft mit Hoffmann's Individualitaͤt, 
zu geben im Stande war. Er wandte ſich 
deshalb an zwei junge Freunde, denen Hoff⸗ 
mann im Leben ganz fern geſtanden, und die 
ihre Anſichten daher rein aus den ihnen vor- 
gelegten Werken deſſelben geſchoͤpft. Der Ver⸗ 
faſſer des erſten Aufſatzes iſt dem Publikum 
ſchon durch ſeine gehaltvollen Kritiken im 
Hermes und in den Wiener Jahrbuͤchern auf 
das ruͤhmlichſte bekannt, und dem des zweiten, 
einem tuͤchtigen Practiker in der Muſtk, wird 
es gewiß auch nicht fehlen, ſich eine ehren⸗ 
volle Stelle unter den Autoren uͤber ſeine 
K 2 


BE ie 4 
N ae. 


324 Vorwort. 


Kunſt, ein Feld, in welchem noch viel Lorbee⸗ 
ren zu ſammeln ſeyn ſollen, zu erwerben. 
Das Urtheil Maria von Weber's über 
Hoffmann, den Eomp.niften, (entlehnt aus 
dem Aufſatz: uͤber die Oper Undine, von 
Carl Maria von Weber. Allg. muſik. Zei⸗ 
tung vom 19. März 1817) möge endlich 
ſchließen; damit, wie Jean Paul dem Dich⸗ 
ter die Taufrede hielt, es auch nicht an ei 
nem hochgefeierten Munde fehle, den Muſi⸗ 
ker mit der Parentation zu ehren. — 


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ER sen. pofknann⸗ 5. 
1 als Dichten 


rr. 


Den Mann, deſſen ausgezelchnetes Wirken und 
noch bedeutenderes Streben im Gebiete der poeti⸗ 
ſchen Literatur ich hier anzudeuten verſuchen will, 
babe ich im Leben, wie nahe mich auch die oͤrtli⸗ 
chen Verhaͤltniſſe mit ihm zuſammenfuͤhrten, kaum 

einmal geſehen, und eben deshalb ward mir von 
dem Freunde des Verewigten, welcher ihm dies 
biographiſche Denkmal ſetzet, der ehrenvolle Auf⸗ 
trag, demſelben eine Charakteriſtik des S Ichriftſtel⸗ 


a 2 lers binzuzufuͤgen. Frei von jeder perſenlichen 
1 Rüdficht und Verpflichtung, kann der Fremde ſich 


ganz in den, in feinen Schriften vor ihm ſtehen⸗ 
den, Autor bineinverſetzen, ihn unpartheliſch in 
ſeiner Eigenthuͤmlichkeit darſtellen und beurthei⸗ 
len. Zwar ſagt das Geſetz der Sitte: de mortuis 
nil nisi bonum; wo es aber auf keinen Panegr⸗ 


326 Hoffmann 


rieus, ſondern auf die Würdigung eines bedeuten⸗ 
den Mannes abgeſehen iſt, muß jene Regel dem 
Geſetze, wie uberall vor dem Richterſtuhle die Re 
gel der Billigkeit dem rechtlichen Geſetze, welchen. 
Ja, es würde ſogar eine Ungerechtigkeit gegen den 
Verewigten ſeyn, wenn wir, von der mildern An⸗ 
ſicht ausgehend, nur das Gute lobten, und das 
Verwerfliche uͤbergingen. Bei unbedeutendern Geis 
ſtern mag dies das rechte Verfahren ſeyn; wer 
aber, wie Hoffmann, mit Adlerſittigen aufwärts 
flog, kann eine ernſtere Betrachtung und ſtrengere 
Würdigung verlangen, da, je hoͤher er flieg, um 
ſo mehr Augen ſeinen Flug verfolgen mußten. Der 
geniale Geiſt lebt mehr in feinen Entwürfen, als 
in der Ausführung derſelben; ſomit iſt es ihm auch 
lieber, wenn man den Werth jener anerkennt, und 
den Erfolg tadelt, als wenn man jenes ganze 
Streben verwirft, und dagegen das einzelne Gute 
in der Ausführung, gleichſam als Beſchönigung 
der Verirrung in der Idee, lobpreiſet. Wie aber 
ein Genius im Leben wuͤnſcht betrachtet zu wer⸗ 
den, fo muß es auch nach feinem irdiſchen Hin⸗ 
ſchelden geſchehen, denn der Genius lebt immer, 
und wenn man bier Ruͤckſichten nehmen will, iſt 
der Genlus nicht mehr Genius. So alſo möge 
der verewigte Hoffmann ſeinen Freunden vergeben, 
wenn in ſeinem Ehrengedaͤchtuiß vieleicht der 
Quantität nach die tadelnde Kritik die lobpreiſende 
überwiegt. Noch bemerke ich, daß hier nicht von 
einer ausführlichen Kritik der Werke Hoffmann's, 
welche andern Orten muß vorbehalten bleiben, ſon⸗ 


als Dichter. 327. 


dern nue vom Verſuch elner Darſtellung und Ent⸗ 
wickelung des Geiſtes, welcher ſich in denſelben 
ausſpricht, die Rede ſeyn kann. 

Es iſt wohl die erſte Pflicht, unſere Betruͤb⸗ 
niß uͤber Hoffmann's fruͤhes Hinſcheiden auszuſpre⸗ 
chen. Verſchiedene Leute bedauerten einſt Kotze⸗ 
bues Tod aus keinem andern Grunde, als weil 
er noch recht viel unterhaltende Komddien hätte 
verfertigen koͤnnen! Bei unſerer Trauer ſtellen 
wir uns nicht auf dieſen Standpunkt, obgleich 
Hoffmann, noch bei weitem reicher, als jener, der 
Erzaͤhlungen und Romane, ohne in Gefahr zu ge⸗ 
rathen, daß er nur Altes zum Vorſchein bringe, 
recht viele und unterhaltende haͤtte dichten koͤnnen. 
Kotzebue würde, fo viele Neuigkeiten auch feine 
unerſchoͤpfliche productive Kraft noch liefern konnte, 
doch nichts Neues hervorgebracht haben. — Wir 
bedauern mit tiefem Schmerz Hoffmann's fruͤhen 
Tod, weil er mitten auf ſeiner Bahn geſtorben 
iſt. Hoffmann war im Fortſchreiten, und, wenn 
auch augenblicklich ſeine herrliche Kraft zerſplittert, 
und zu Production werthloſer Spielereien vergeu⸗ 
det ſchien, — ſo beſaß er doch noch wirklich die 
Kraft, und haͤtte unter andern Umſtaͤnden, vielleicht 
angeregt durch irgend ein erſchuͤtterndes Ereigniß, 
vielleicht ſelbſt durch die Krankheit, welche ihm 
bei ungeſchwaͤchten Seelenkraͤften den Tod brachte, 
die große Bahn aufwaͤrts, zu welcher er berufen 
war, wieder betreten können). Wäre er aber 


Dion der Richtigkeit diefes urtheuls zeugen feine letz⸗ 
ten Arbeiten. A. d. H. 


328 Hoffmann 


zum Ziele gelangt, ſo müßte er eine der erſten 
Stellen unter den Heroen unſerer Poeſie einneh⸗ 
men, und es bebürfte keiner Charakteriſilk, indem 
er, ſtatt, wie jetzt, raͤthſelhaft zu erſcheinen, in 
freundlicher Klarheit, jedes poetiſche Gemüth bis in 
die ſpaͤteſten Zeiten würde angeſprochen haben. Ehe 
wir darzuſtellen verſuchen, wohinaus er ſeinen Flug 
richtete? und dann die Urſachen aufſuchen, welche 
feine Fluͤgel hemmten? muͤſſen mir mit wenigen 
Worten ſeine Erſcheinung betrachten. 

Es ließ ſich vor kurzem eine bewundernde 
Stimme vernehmen, welche Hoffmann 's Wirkungs⸗ 
kreis mit dem Walter Scott's verglich. Die Ver⸗ 
gleichung iſt jedoch ſeltſam, wenn man rw 
Schriftſteller nimmt, wie er aufgetreten iſt, und 
nicht etwa, wie wir beabſichtigen, ſeine mögliche 
Zukunft zu verfolgen ). Die unbeſtrittene Wahr⸗ 
beit, daß Walter Scott allein im Gebiete der kla⸗ 
ren Wirklichkeit, Hoffmann dagegen in dem der 
wildeſten Phantaſtik lebt, verbietet jede Verglei⸗ 
chung; dagegen ſteht Hoffmann's Erſcheinung in 
merkwuͤrdiger Parallele mit der Lord Byron s. Wenn 
auch der letztere ſich eine ſcheinbar wirklichere Welt 
gebildet bat, fo bat fie doch eigentlich nur in ſei⸗ 
nem Geiſte ihre Exifienz, und ſchweiſt oft in das 
wild — aus. Aber Mirko rde 


9 duch in kr We Wie —.— ſelbſt 
über dieſen Wergleich gedacht Gaben würde, das kann man, 
nach feiner oben, S. 143, 9 Aecußerung beuw 
shell. 2 A, d. H., 


als Dichter. 329 


it von noch geiſtigerer Art. Waͤhrend Walter 
Welt in ſich abgefchlöffen erſcheint, waͤh⸗ 

rend er mit ſich ſelbſt und dem Leben in Frleden 

i, — treten Byron und Hoffmann, erſterer als 


j Ber; dieſer unbefriedigt von ihrer Erſcheinung, 
ſu 


chtsvoll nach einer beſſern, welche er in ei⸗ 


nem Taumel und Rauſch durch ſchwelgenden Kunſt⸗ 


genuß zu finden ſucht, auf. Beide ſind unbefrie⸗ 


digt und unzufrieden; nur läßt Byron dieſe Unzu⸗ 


friedenheit aus durch bittern Spott, Hoffmann 
durch humoriſtiſche Jronie. Beide wollen einen 
beſſeren Zuſtand, jener weiß ihn aber gar nicht zu 
finden, dieſer ſucht ihn im potenzirten Genuß der 
Kunſt. Wie wir auch von der Zauberkraft in der 
Darſtellung beider Dichter mit fortgeriſſen werden, 
wie ſie uns auch einen ſtillfriedlichen, gluͤcklichen 
Zuſtand malen, wir fuͤhlen zuletzt doch, daß es 
nur ein gemalter Zuſtand geweſen iſt, daß mit den 
kuͤnſtlichen Teppichen, welche mit friſchem Grün 
und bunten Blumen uns anlachen, nur ein gaͤh⸗ 
nender Abgrund, oder doch wenigſtens ein unſiche⸗ 


rer Moraſtgrund bedeckt wird. Byron's Dichtun⸗ 


gen hoͤren immer mit einer Diſſonanz auf, auch 


g Hoffmanns Werke ſchließen felten befriedigend; oft 


ſind es auch überhaupt nur Fragmente, weil der 
Dichter fuͤhlte, daß der Schlußſtein ſeinem Ge⸗ 
bäude fehle, daß die befriedigende Löfung der Zwei⸗ 
kel ſeines Helden ihm noch ein Problem ſey. So 

Hoffmann's Hauptcharakter, der Kapell⸗ 
meiſter Kreisler, nur hruchſtuͤcksweiſe, und wir 
erfahren nirgends ſein Ende, d. h. die Befriedi⸗ 


A er 


330 Hoffmann 


gung feines Gelſtes ). Daher iſt auch fein Hu⸗ 
mor, von welchem wir unten ſprechen wollen, nicht 
der reine Humor, welcher, auf einer feſten Grund⸗ 
lage ruhend, mit den Gegenſtaͤnden ſpielen kann, 
weil er ſelbſt nicht außerhalb dem Bereich dieſes 
Humors ſteht, wie etwa der Shakespear'ſche Hu⸗ 
moriſt. Hoffmann iſt ſelbſt befangen, — ſeine Per⸗ 
ſonen ſind mit ſich ſelbſt uneinig, ihr feindlicher 
Humor trifft daher die Umwelt ſo gut, als ſie 
ſelbſt. Ruͤh rung, Empfindſamkeit, Zweifel, miſchen 
ſich in die aufjauchzende, uͤbermuͤthige Luft, und 
kein Ausdruck würde unpaſſender für dieſen activen 
Gemuͤthszuſtand ſeyn, als das ehemals für Humor 
gebrauchte deutſche Wort Laune. Wie dieſe Diſſo⸗ 
nanz ſich in Hoffmann's Dichtungen offenbare, dar⸗ 
auf werden wir noch zuruͤckkommen, wenn wir die 
Gruͤnde betrachten, welche ihn auf ſeiner Bahn 
feſſelten, oder zurückzogen; bier aber müfen wir 
noch bemerken, daß, trotz dieſer Verwandtſchaft des 
daͤmoniſchen Principes, der ſkeptiſchen Weltanſicht, 
der Verhöhnung beſtehender Formen, Hoffmann 
weit häufiger die reine Welt feliger Zufriedenheit 
ahnen laͤßt, als Byron, und daß endlich ſeinem 
Unmuthe wahres Gemuͤth zum Grunde liegt, die 
Kunſt aber, welcher er beſtaͤndig huldigt, eine weit 


ze 


„) Darauf war auch der nicht erfchienene dritte Theil 
ded Kater Murr, der Kreicter's Leben enthalt, nicht anges 
legt. Es ſollte mit Kreisler's Wahnſiun, eben aus Man⸗ 
gel innerer Befriedigung erzeugt, (lieben A. d. H. 


als Dichter. 331 


ſicherere Leiterin zur Liebe iſt, als Byron's Ver⸗ 
trauen auf eigene Kraft. 

Hoffmann's poetiſches Streben ſpricht ſich zwie⸗ 
fach in feinen Dichtungen aus. Beide Tendenzen 
ſind in ihrem Urſprunge nahe mit einander ver⸗ 
wandt, trennen ſich aber vollig im weitern Fort⸗ 
gange; ja, muͤſſen ſich zuletzt ganz feindlich gegen⸗ 
uͤberſtehen. Hoffmann hat bis in ſeinen letzten 
Werken treu bei den beiden feſtgehalten, ſo daß 
er hierdurch auch gewiſſermaßen geiſtig den Dop⸗ 
peltgaͤnger geſpielt hat, welchen er, geſpenſtiſch, 
faſt in allen Dichtungen ſpuken laͤßt. Dieſes dop⸗ 
pelte Beſtreben iſt: „das enthuſiaſtiſche Sehnen 
nach einem beſſern Zuſtande, welchen er ſpeeiell 
im Vollgenuß der einen Kunſt und gaͤnzlicher Hin⸗ 
gebung aller Koͤrper⸗ und Seelenkraͤfte an dieſelbe 
ſucht,“ — und: „die Erweckung zur wahren Na⸗ 
turreligion, das heißt, die Gemuͤther empfaͤnglich 
gegen die Stimme der Natur zu erhalten, in wel⸗ 
cher Empfaͤnglichkeit allein die wahre Poeſie liegt.“ 
Es iſt klar, daß dieſe Stimmung, welche wir Na⸗ 
turreligion nannten, mit dem Enthuſiasmus für 
alle Erſcheinungen in der Natur anfangen muß; 
denn dem Begreifen geht die ſtaunende Bewunde⸗ 
rung voran. Zugleich aber ergiebt ſich eben fo 
klar, daß dieſer Enthuſiasmus nicht fuͤr alle Er⸗ 
ſcheinungen immer fortdauern darf, wenn das Ge⸗ 
müth für alle Stimmen der Natur empfänglich 
bleiben und werden ſoll. Der menſchliche Geiſt iſt 
nicht ſo reich, um flammenden Enthuſiasmus fuͤr 
alle Erſcheinungen zugleich hegen zu koͤnnen; es 


e, 
5 Be ri. 1780 va 2 
7 


332 Hoffmann 


gebört aber auch zu der innigen Liebe, daß fie nach 
dem Sturme des Staunens zur freundlichen Ruhe 
der Betrachtung gekommen iſt. 

Giebt es fuͤr den Dichter ein ſchdneres Stre⸗ 
ben, als das, in ſich die Empfänglichkeit für alles 
"Schöne ewig rege zu erhalten, und fle auch in An⸗ 
dern zu erwecken Die Begriffe von Leben und Poe⸗ 


fie find an ſich innig verbunden. Aber darin beficht - 


der Kampf zwiſchen dem ſogenannten Leben und der 
Poeſie, daß im vegetirenden Fortſchreiten des erſtern 
die letztere ſtirbt. Daher ſagt man: die Poeſie if 
ein Kind göttlicher Abkunft und verträgt desh 
nicht das Leben auf der Erde. Aber 0 

doch auf Erden, ſie hat vom ülanfang ber Walt 
gelebt und wird und muß immerfort leben! — Der 
Sethum liegt in der falſchen Anſicht des Lebens. 
Man verwechſelt Leben mit Vegetiren. Leben 
beißt: friſch, geſund und ſeiner bewußt, ſich orga⸗ 
niſch entwickeln. Vegetiren heißt ein feiner ſelbſt 
unbewußtes, gegen die Erſcheinungen der Natur 
gleichguͤltiges, geiſtig todtes Daſein ‚führen. Dieſes 
ſogenannte Leben trennt ſich dadurch von dem wah⸗ 
ren Leben und von der Pocfie, daß der entſetzlichſte 


aller boͤſen Geiſter in jenem regiert, der Geiſt der 


Gleichguͤltigkeit. Unſer Erbübel aber iſt, daß jener 


durch tauſend Thore ſeinen Eingang in das Leben 


findet! Weniger gefährlich iſt der Zuſtand der Roh⸗ 
heit als der einer halben Bildung. Wo die Befrie⸗ 
digung des Beduͤrfniſſes die einzige Sorge der Men⸗ 
ſchen iſt, kommt wohl zuweilen mit der Befr 

gung ein Lichtblick, der den erfreuten 


als Dichter. 333 


Walken einer hoheren Liebe in der umgebenden Na⸗ 
tur ahnen laßt. Seltner wird er dem erſcheinen, 
der nur den Gewinn ſucht. Dem Kaufmann glaͤnzt 
ſein todtes Gold mehr als alle Geſtirne am Him⸗ 


mel, als der Thau an der Pflanze, als der Bach 


wenn die Morgenſonne ihn beſcheint. Wenn auch 


eine edlere Bildung den ernſten Geſchaͤftsmann em⸗ 
pfänglicher für die Sprache der Natur machen ſoll⸗ 


te, — ſo miſcht ſich doch immer ſeinem regern Ge⸗ 


fühle ein anderes Gefühl bet, welches ihn jenes 
unterdrücken laͤßt. Er nennt es Pflichtgefuͤhl, im 


Grunde genommen tft es aber immer wieder ein ge⸗ 


wiſſer Dunkel. Er glaubt, auf feiner Thaͤtigkeit 
beim Geſchaͤfte ruhe das Wohl der Welt, wenn er 


ſich dieſem nur etwas entziehe, leide das Ganze. 
So aber wird er, indem er ſich ganz dem todten 
Dienſte widmet, untreu der Natur, in welcher ſich 
die Liebe immer neu offenbart. Am allerſchlimm⸗ 
ſten iſt aber die Vornehmheit in allen ihren Er⸗ 
ſcheinungen. Sowohl die auf Vorzuͤge des Geiſtes 
als die erbaͤrmlichere auf niedrigere Guͤter, zieht, wie 
ein Magnet, die Gleichguͤltigkeit gegen Alles was 
unten ſteht, gegen Alles was neben ſteht, an. Die 


x Idealisten, welche ſich von der boͤchſten Poeſie er: 


griffen glauben, ſind am allerweiteſten abgeirrt 


von der wahren Poeſie, weil fie gleichguͤltig gewor⸗ 
den find gegen die Offenbarungen in der Natur / und 


nur auf ihre eigenen Offenbarungen hören. — Lift 
aber das Lehen als Leben und nicht als Vege⸗ 


tiren auf, fo laßt ſich fo leicht die Poeſſe damit ver⸗ 


binden. Wie welt fie verbreitet, ſo falſch iſt auch 


334 Hoffmann 


die Anſicht, daß Geſchaͤftsleben und Poeſie vdllig 
unvereinbar find. Wenn der Geſchaͤftsmann⸗ 
wenn der Kaufmann bei ihrem Denken und Tre 
ben ſtets die umgebende Natur lebendig ſein laſſen, 
das heißt, wenn ſie auſſer ihrem Ich auch noch die 
lebendige Exiſtenz der ganzen Umwelt anerkennen, 
fo muͤſſen fie, auch unter allen ſcheinbar geiſttödten 
den Beſchaͤftigungen, zu einer gewiſſen Ehrfurcht ge⸗ 
gen dieſelbe kommen, aus der Ehrfurcht wird aber 
Bewunderung und Liebe und aus ihnen Poeſie. 
Nur der Egoismus, — ſei es unter welcher ſeiner 
tauſend Geſtalten er erſcheine, — ſchließt die Poe⸗ 
ſie aus. — Was anders iſt aber endlich der Inbe⸗ 
griff der Poeſie, was namentlich der aller roman⸗ 
tiſchen Poeſie, als die Vertreibung der Gleichguͤl⸗ 
tigkeit und des Egoismus aus dem Leben und die 
Erweckung der ſcheinbar todten Natur? In der Ro⸗ 
mantik ſprechen die Baͤume und die Quellen und 
die Vögel in den Lüften, und des Dichters Beſtre⸗ 
ben iſt, in ihren verſchiedenen Gefängen die Har⸗ 
monie des großen Lobgeſanges auf den Schoͤpfer 
aufzufinden. 

unſerer Zeit und unſerm Volke wird, befonders 
von Ausländern, die wieder erwachte Vorliebe für 
alles Romantiſche zugeſchrieben. Dennoch bedarf es 
von allen Seiten der Aufregung zu einer liebevollen 
Auffaſſung der Natur und ihrer Wunder. Die kurz 
vergangene idealiſche Periode ſpukt noch allzuſehr 
bervor. Der Hochmuth laͤßt ſich in mancherlei Ge⸗ 
ſtalten immerfort blicken. Es iſt immer nur noch 
Herablaſſung, wenn ein Idealiſt ſich buͤckt, um auf 


als Dichter. 335 


die Stimme zu hören, welche ihm von den niedrigen 
Gegenſtaͤnden zug efluͤſtert werden. Daher iſt Hoff⸗ 
mann's Streben ſo ſchoͤn als verdienſtlich, wenn er 
uͤberall aufruft zur Verehrung der Natur, und wenn 
er aufmerkſam macht auf die Stimme, welche aus 
allen lebloſen Dingen dem poetiſchen Gemuͤthe ent⸗ 
gegen toͤnen. Allen ſeinen Maͤhrchen, vom golde⸗ 
nen Topfe bis zu ſeiner letzten Arbeit, dem Meiſter 
Floh, liegt die Verherrlichung des Lebens in der 
Poeſie zum Grunde. Der wahrhaft empfaͤngliche, 
der geborne Dichter, hört aus allen ſtöͤrenden umge⸗ 
bungen, aus dem Misklang aller Inſtrumente, die 
Geiſterſtimmen, die Harmonie der Natur heraus. 
Die Geiſter der Poeſie, meiſt in ſeltſam karikirten 
Gefialten auf der Erde wandelnd, rufen ihn zu ſich 
in ihr ſeeliges Land, und er folgt ihnen, wenn er 
allen Anfechtungen der Welt und der Daͤmoniſchen 
Geſtalten, welche ſie in ihrer Verzerrung regieren, 
widerſtanden hat. 

Bei dieſem Streben, die Empfaͤnglichkeit fuͤr 
den geheimen Ruf der Natur, fuͤr die angeborene 
Stimme, wach zu erhalten, und, wo ſie im Drang 
des Lebens eingeſchlummert iſt, ſie wieder zu erwe⸗ 
cken, kann Hoffmann nicht umhin, mit der Geiſſel 
des Witzes, alle die hart zu treffen, welche gefliſ⸗ 
ſentlich ſich in ihren beſchraͤnkten Wirkungskreis 
immer feſter bannen und endlich aus Angſt oder 
aus Stolz weder hinaustreten noch blicken konnen. 
Alle wahren Philiſter, d. h. eben ſolche, welche nur 
auf der einen beſchraͤnkten Bahn, ſei es auf welcher es 
wolle, — gehen konnen, und nicht einmal ihre Augen 


336 Hoffmann 


auf andere Wege warfen, geiſſelt er ſchonungslos. 
Ebenſo die, welche mit Sttenſchweiß ringen, alles 
Philiſirbſe von ſich abzuwerfen um genlal zu ſchel⸗ 
nen, aber eben dadurch zu den — — 

werden, indem fie die Umwelt in ihrer > 


lichkeit nicht erkennen und ehren, und 
Philister ausſchreien, weil ihre Erſchelnung nicht 
der Subjectivitaͤt der genialen Richter entſpricht. 
Er zerrt dieſe peinlichen Geſtalten aus ihrem en⸗ 
gen Geleiſe heraus, und ſchleudert ſie in die wun⸗ 
derbarſten phantaſtiſchen Kreiſe, ohne ihnen Zeit zu 
laſſen ſich im geringſten angemeſſen dieſer m 
Geſellſchaft anzuziehen. Hierdurch ent ; 
merkwuͤrdigſen Gegenſaͤtze, die — a 
tritte. Maͤnner in Peruͤcken und Pudermaͤnteln 
gerathen in ‚Gonfliet mit aͤtheriſchen Genien oder 
ein ſolcher Geiſt hat ſelbſt den Schlafrock eines Re⸗ 
giſtrators angezogen, wuͤhlt in Akten und lebt ſlatt 
in magiſchen Duͤften in dem Staube 

Den Kindern iſt die Stimme der Natur ne 
ſiaͤndlich, wie auch ſinſtere Magiſter, in daa 
Geſtalten, ihnen die Obren vollſchreien. Die Holz⸗ 
puppen treten zu ihnen ins Leben und eröffnen ihrer 
Pbantaſie den romantiſchen Zauberkrets. Aber alle 
Accorde im Himmel und auf Erden des poetiſchen 
Landes ſchlagen an, wenn ein Jüngling oder Mann 
durch die Verſuchungsiahre der Verſtand = 
bindurch unüberwoaltige gegangen i, und — wie, 
Glauben, Liebe und Hoffnung in tiefer 
Bruſt gerettet hat. ein e n 


als Dichter. 337 


Wie ſchoͤn dies Streben aber auch des Dichters 
Sinn fuͤr die Poeſie bekundet, und wie verdienſt⸗ 
lich ſein poetiſcher Aufruf auch erſcheint, ſo hat der 
Erfolg doch nicht ſeiner Abſicht entſprochen und die 
Schuld liegt, wie uns duͤnkt, in der Ausfuͤhrung. 
Mir find mehrere, für geiſtigen Einfluß empfaͤngli⸗ 
che Kinder vorgekommen, welche nach ihrer Verſi⸗ 
cherung ein Hoffmannſches Kindermaͤhrchen mit Luſt 
ergriffen hatten weil es Maͤhrchen hieß, es aber 
nachher unbefriedigt fortlegten, weil es doch kein 
Maͤhrchen war. Die tiefere Bedeutung dieſer Maͤhr⸗ 
chen koͤnnen die Kinder nicht verſtehen, den Zauber 
des Wunderbaren wollen ſie aber nicht ſo ganz in 
ihrer Nähe finden, ſondern ihn in weitere Ferne 
verlegt wiſſen. Wenn die Amme dem kaum ent⸗ 
wohnten Säuglinge, Geſchichten vom Spielzeuge 
und den hölzernen Soldaten erzählt, fo geſchieht 
dies mehr zur Beſchwichtigung ihrer ungeſtuͤmen 
Natur, Ähnlich einem Wiegenliede, deſſen Töne nur 
ſchlafbringende Kraft ausuͤben ſollen, als um ihre 
Aufmerkſamkeit zu reizen. Soll dies letztere geſche⸗ 
hen, fo erzählt fie den ſchon Erwachſnern von Rie⸗ 
fen, Feen und Kobolden, von See- und Landun⸗ 
geheuern, von deren Exiſtenz das Kind nichts Ver⸗ 
wandtes in der Naͤhe erblickt. So ſagte mir ein 
Kind einſt: Maͤhrchen find wo Zauberei und Kb- 
nige vorkommen, aber nicht das gewoͤhnliche Spiel⸗ 
zeug. Dieſe Anſicht iſt auch ganz in der Natur be⸗ 
gründet. Das Kind, gleich jedem wachen Menſchen, 
zieht eine Sehnſucht nach dem Fernen, nach dem 
Unbeſtimmten hin. Vbllige Befriedigung wird Fei- 
a D 


338 Hoffmann 


nem Sterblichen zu Theil eben weil er ſterblich ist. 
Wenn wir auch mit voller Liebe die umwelt betrach- 
ten, und in jeder Erſcheinung den göttlichen Keim 
aufſuchen, ſo bleibt uns doch mindeſtens die 
Sehnſucht nach Aufklaͤrung uͤber das Einverſtaͤnd⸗ 
nis aler Dinge. Wie viel größer muß aber dieſe 
Sehnſucht bei dem Kinde ſein, da der von ihm be⸗ 
griffene Kreis ſo enge iſt? Das Kind will Zauberer 
und Könige ſehen, Geſtalten welche es gar nicht 
geben ſoll, oder welche in einer weit hoͤhern Sphaͤre, 
die dem Kinde ſelbſt ſchon zauberartig erſcheint, um⸗ 
herwandeln. Aber das Fremde und Großartige fol 
auch in andern Weiſen als denen, welche es aus 
der Kinderſtube erblickt, auftreten. Der Eichwald 
im Sonnenſcheine, Silberbaͤche auf Blumenwieſen, 
roſige Feengaͤrten, oder Kriſtallpallaͤſte, auch das 
pbantaſtiſch Wunderbar in Pfefferfuchenhäufern ꝛe. 
oder, umgekehrt, ſchreckliche Abgründe mit Schlan⸗ 
gen und Flammen, verhexte Schloͤſſer und Thuͤrme 
muͤſſen die Seenerie bilden um auf die kindlichen 
Gemüuͤther zu wirken, und ich kann hierin nur den 
wohlthaͤtigen Natureinffuß erblicken, welcher auf 
den reinen Sinn ſo wirkte, daß dieſer im innern 
die Wunder verarbeitet, und ſie verherrlicht und ver⸗ 
größert wieder von ſich giebt. 

Was den Kindern die Maͤhrchen zu Richtmihr 
chen macht, widerſteht auch oft den Erwach ſenen 
in feinen größern Erzählungen, und durfte leider 
auch Hoffmanns Dichtungen den claſſiſchen Charak⸗ 
ter, d. h. die Ueberlieferung auf die Nachwelt, ſtrei⸗ 
tig machen: Wir erkennen zwar den Contraſt als 


als Dichter. 339 


ein Salz der Poeſie, und ſogar als ein Element der 
romantiſchen an, wir können auch nicht die ſchrof⸗ 
fen Uebergaͤnge tadeln, denn Schmerz und Scherz 
reimt ſich, wie in der Sprache, ſo im Leben ) und 
vor das ernſieſte Gemüth trit vielleicht im Augen⸗ 
blicke tiefen Nachdenkens irgend ein gaukelndes Phan 
taſiebild, weil der Menſch immer Menſch bleibt, dies 
aber rechtfertigt nicht den grellen Contraſt, welchen 
Hoffmann vorzugsweiſe liebt, und auf den er mei⸗ 
ſtentheils den komiſchen Effekt ſeiner Seenen baut. 
Abgerechnet davon, daß wir durch ihn ſelbſt ſchon 
an dieſen Wechſel gewohnt ſind, und er uns daher 
nicht mehr uͤberraſchen kann, ſo wird er uns oft 
auch deshalb widrig, weil durch ſeine Art des grel⸗ 
len Herausreiſſens aus der Wirklichkeit vor unſern 
Sinnen Alles zu ſchwindeln beginnt und kein Ver⸗ 
haͤltnis, kein Leben mehr feſt und in ſich gefchlof- 
fen erſcheint. Ueberall iſt man zweifelhaft ob man 
mit der ſcheinbar wirklichen Perſon oder ihrem 
phantaſtiſchen Doppelgaͤnger zu thun hat. Ich weiß 
ſehr wohl, daß in dieſem Zweifel alle Ironie be⸗ 
gründet iſt, daß ja ſelbſt in allen Erſcheinungen, 
in allen unſern Stimmungen und Gefühlen ein 
Zwieſpalt iſt, und wir uns fo oft taͤuſchen, indem 
wir uns ein Gefuͤhl als edel anrechnen, was im 
Grunde auf irgend einer egoiſtiſchen Abſicht baſirt 
4 r 990 Zweifel beherrſcht uns doch N 


* 


* mals gan besonders in Hoff man's, dazu euthalt 
dies Buch mannigfaltige Beläge, A. d. H. 
9 2 


340 Hoffmann 


knmerwͤbrend, der abttliche Laar wird oft in 
uns zum Lichtſchein und wir Mine dr ah: 
‚Aber in allen Hoſſmannſchen Maͤhrchen, waltet dies 
Doppelweſen vor, und zwar meift nicht auf heitere, 
ſondern zerſtbrende Weiſe, die Zerſtbrung iſt aber un⸗ 

ausbleiblich, wenn die entgegengeſetzten Pole zu einan⸗ 
der geſtellt werden, ohne daß ein anderes Mittel ihrer 
1 als der Gedanke angegeben 

begegnen ſich Geſtalten aus der erbaͤrmlichſten Wirk 

keit mit koͤrper⸗ und zeit⸗loſen Weſen böberer 
Regionen. Ihr Conftiet endet ſich in einer wahn⸗ 
ſinnartigen Ertbdtung alles Geiſtes, in den gebrech⸗ 
lichen Leibern der erſteren, well fie zu ſchwac 
um das Licht der letzteren in ſich einſtrdmen z. laſ⸗ 
fen, oder in einer Myſtißcation. Aber die Harmo⸗ 
nie entflieht dadurch, und ohne dieſe in der Natur 
zu zeigen, wird es auch ſchwer ſein, ein poetiſches 
Gemüth zu erwecken. Nur durch die poetiſch liebe⸗ 
volle Schöpfung einer neuen Welt, oder durch eine 
dergleichen umſchaffung der wirklichen, erhält das 
jugendliche Gemuͤth ein Gebiet, in welches es mit 
ſeinen poetiſchen Gefühlen einbuͤrgern kann, um 
nun ſelbſt, auf feſtem Grunde ſeinen Gedanken und 
Stimmungen zu folgen. Ich nenne hier nur etwa 
Tick, in feinen Elfen, wo jeden, irgend für die 
Poeſie empfaͤnglichen, Sinn der Zauber einer neu 
vom Dichter geſchaffenen Welt anſpricht, und Walter 
Scotts Dichtungen, in welchen ſelbſt ganz und gar 
nicht poctiſchen Gemuͤthern heimlich und wohl wird 
weil er die romantiſche Seite der wirklichen Welt 
hervorzuheben verſtanden hat. Aber in beiden ſteht 


Be 


als Dichter. 341 


eine feſte Welt vor uns, und die uns darin er⸗ 
ſcheinenden Geſtalten koͤnnen wir, wenn ihr Auf⸗ 
treten auch uͤberraſchend iſt, doch aus der Sphäre, 
die wir kennen, uns erklaͤren. Man koͤnnte nun 
zwar ſagen: Auch Hoffmann habe ſich eine ſolche 
feſte Welt ſchon gebildet, deren Charakter eben in 
den Verwandlungen und der Miſchung des Phan⸗ 
taſtiſchen mit dem Wirklichen, was uns an jeder 
Ecke aufftößt, laͤge; aber eben in der zu grellen Mi⸗ 
ſchung liegt der Grund, weshalb wir mit unſern 
menſchlichen Gefuͤhlen und Gedanken uns ſelten 
hineinverſetzen, aber noch weniger einbuͤrgern und hei⸗ 
miſch machen koͤnnen in der hyperphantaſtiſchen Welt, 
welche in genialem Uebermuthe „die wohl geordne⸗ 
ten Dinge“ in uͤbel geordnete verwandelt hat, und 
daß wir auch nur ſelten einen reinen Genuß, wel⸗ 
chen uns die Poeſie ſonſt darbietet, bei ieee 
dieſer kecken Misgeburten empfinden. ”) | 
Hoffmann iſt aber zweitens auch Enthufinft. 


Er betrat als ſolcher feine literariſche Laufbahn, 


und ſchwang das Panier der Kunſt. Er verſenkte 
ſich mit Sinn und Gedanken, wie ein entbrannter 
Liebender, in die tiefe Bedeutung, in den hohen 
Genuß der Kunſt, bis er, berauſcht von ihr, in 

feiner a Na fie den Laien vredigte „ oben 


Vergl. was oben über den Kreis We if, 
in Hoffmann durch ſeine Individualität gebannt 


war. Diefe gerechten Vorwürfe treffen nicht den, Schrifts 
keller willen, fondern den Menſchen; — in ſofern Sören fe 
aber Auf, Vorwürfe zu seyn. A, d. Kae 


342 Hoffmann 


fie, durch ironiſches Lob der gemeinen Anſicht, wel⸗ 
che nur den Nutzen und die Erheiterung betrach⸗ 
tet, noch höher ſtellte. Er ſchien ſich ganz der eis 
nen, der Muſik, zu widmen, und indem er auf 
den ernſten und beiligen, bimmelwärts ſteigenden, 
Tönen ſich ſelbſt in eine ſelige Höhe erhob, blickte 
er, 'unbeachtend die conventionelle Welt, auf die 
Entwürdigungen der Kunſt zur Aufheiterung, zum 
Nutzen, zum Prunk, verachtungsvoll herab. Seine 
Satyre wird namentlich bitter, wenn man, die 
Kunſt mit politiſch⸗blonomiſchen Augen betrachtend, 
ihre Freiheit beengt und ihr irgend einen Character 
ertheilt, außer den, welchen ihr der freie Schwung 
des Kuͤnſtlers ſelbſt verliehen hat. Daher ſpricht 
ſich uberall der von fo vielen getadelte und miß⸗ 
verſtandene Sinn aus: „Nur die, welche mit unge⸗ 
theilter Liebe und Begeiſterung ihrer Goͤttin ſich 
hingeben, find Kuͤnſtler; nur dieſen erſcheint die 
wahre Kunſt!“ Daher auch die häufige Erwähnung 
von Kuͤnſtlern, welche in ihrem beiligen Berufe 
ſo mit Koͤrper⸗ und Geiſteskraͤften leben, daß bei 
der boͤchſten Spannung der Seelenkraͤfte auch die 
des Körpers angefirengt werden, und der Künfiler 
mit den vollen Accorden, welche er begeiſtert hat 
aus ſtrömen laſſen, ſelbſt den Geiſt aushaucht. Das 
ber denn auch, — während er nur die Heroen der 
Kunſt gelten läßt, — Verachtung und Spott allen 
Spielereien und Künfieleien, welche vom bböch ſten 
Wege in der Kunſt abziehen. Wenig Ergötzlicheres 
kann es geben, als die Zeichnung der muſikaliſchen 
und declamatoriſchen Thee⸗ und andern Geſellſchaf⸗ 


als Dichter. 343 


ten in den Fantaſieſtuͤcken, wo die wunderlichften 
und doch wahren Geſtalten ſich abquaͤlen, zum 
Zeitvertreib und um zu glaͤnzen, die Kunſt auf ihre 
Art zu behandeln. Es war natürlich, daß Hoff⸗ 
mann, der von heiliger Liebe fuͤr die Muſik ent⸗ 
flammt war, der unter ihrer Leitung hoͤher und bd⸗ 
ber in das Reich, wo alles Aeußerliche vergeſſen 
wird, ſteigen wollte, daß Hoffmann mit Unwillen 
den vielfachen Mißbrauch, die unendliche Spielerei 
mit feiner Göttin anſehen mußte. Wir wuͤßten 
keinen, der eine fo. reine reelle Begeiſterung für 
eine Kunſt in Worten ausgeſprochen haͤtte, und 
Kenner verſichern, daß nur von Wenigen ſo tref⸗ 
lich das Weſen der Muſik aufgefaßt worden J. 
Von einem ſolchen hohen Standpunkte rechtfertigt 
ſich um ſo mehr Hoffmann's Anſicht, da es uͤberall 
eine doppelte von jeder Kunſt geben muß. Wir 
verwerfen übrigens keinesweges die, welche von 
dem emollit mores ausgeht. Auch dieſe Bedeu⸗ 
tung hat ja hiſtoriſch die Kunſt; warum ſollte ſie 
denn nicht auch ausgeſprochen werden? Auch die 
Erheiterung gehört dahin, und die Geiſter der 
Menſchen ſind nicht nach einer Norm; ſo mag 
die Mehrzahl immer das als Erheiterung nehmen, 
was der geniale Sinn nur fuͤr die Begeiſterung 
will aufgeſpart wiſſen. Aber im vorliegenden Falle 
iſt Hoffmann's Unwillen, welcher ihn gegen die 
Muſikkuͤnſteleien zu allem Spotte reizte, mehr als 
gerechtfertigt. Nicht allein die 60 k, ſondern auch 
K 4 
u) Eiche den burden Huf, * | 4. b. 5. 


344 Hoffmann: 


der Sinn für alle Poeſie wurde und wird durch 
den Mißbrauch mit jener ertöͤdtet. Wo ſonſt ein 
poetiſches Gemüth auflebte, und ſich der ſchonen 
Welt und derer, welche ihre Schönheit und Har⸗ 
monie in Gefängen prleſen, erfreute, — wird es 
jetzt von der die Sinne weit mehr ergreifenden 
Mufit in Befchlag genommen. Jede wehmuͤthige, 
ernſie, jede frohe Stimmung wird am Klaviere 
weggeklimpert, waͤhrend ſie, ohne dieſen Nothhelf, 
vielleicht zur ernſten Beſchauung oder zur freudi- 
gen Ergießung in ein wahres Gedicht, welches 
dem Dichtenden in fpäterer Zeit noch zur Geſchichte 
eines Geiſtes gedient hätte, wurde veranlaßt ha⸗ 
ben. Das flüchtige Fantafiren auf dem Inſtru⸗ 
mente verhallt obne andere Wirkung, als daß der 
Spielende die Zeit, in welcher die Stimmung —— 
übermannte, „ gluͤcklich voruͤbergebracht bat, und 
nun ganz wie vorher daſteht. Dieſe verfehlte Bil⸗ 
dung „ oder dies Vertreiben aller tiefern Bildung, 
eint um fo mehr, und befonders in den Höher 
Saen, Eingang gefunden zu haben, da man, 
nachdem die ideale Bildung aus der Mode gekom⸗ 
men if, ſich noch nicht recht entſchließen kann zur 
Betrachtung der gemeinen Dinge, wie fie find, 
berabzuſteigen, auch die Muſik, wle man fie bes 
treibt, eine Kunſt iſt, welche ſich gelegentlich, ohne 
viel Studium darauf zu verwenden, und Dabei doch 
recht hörbar treiben läßt. Hoffmann's Herzens⸗ 
ergüͤſſe gaben nur neuen Stoff zur Kunſtunterhal⸗ 
tung in den Theezirkeln, und da man, ſtatt zur 
poetischen Anſchauung zurückzukehren, es vorzog / 


als Dichter. 345 


lieber das Taͤndeln mit der Muſik hohe Begeiſte⸗ 
rung fuͤr dieſelbe zu nennen, ſo hoͤrte Hoffmann 
ſelbſt bald auf die Muſik zum Hauptthema feiner 
Dichtungen zu erwählen. 

Der Enthuſtasmus iſt eine herrliche Erſcheinung 
in der menſchlichen Natur. Aber der Menſch kann 
nicht immer Enthufiaft bleiben. Der Enthuſtas⸗ 
mus gehort dem Juͤnglingsalter an, oder uͤber⸗ 
haupt der Zeit, wo der Menſch zuerſt eine 
Kunſt ergreift. Die Kunſt iſt innig verwandt mit 
dem Schönen. Das Schöne aber laßt ſich nur in 
einem Zuſtande der Ruhe denken. Der Enthuſſaſt 
hat aber nur einmal durch die Wolken das Schöne 
erblickt, Ahnung und Sehnſucht ſpornen ihn nun 
weiter, will er aber zum Schonen hin gelangen, 
muß er erſt das wilde Feuer in ſich verdampfen 
laſſen, bis es zur belebenden Wärme wird, in def- 
ſen Region nur das Schöne gedeihen kann. Das 
Schöne entſteht erſt aus der organiſchen Ausbildung 
verwandter Elemente. Will ein Geiſt das Schoͤne 
erblicken, muß er zuvor die Elemente verſtehen 
und lleben. Der Enthufiaft liebt aber nicht dieſes 
allmalige Fortſchreiten; er will mit Inbrunſt ſo⸗ 
gleich das Schoͤne ſelbſt umfaſſen, und verachtet 
deshalb alles, was ihm nicht würdig feines Ideg⸗ 
les erſcheint, oft daher auch die noch rohen Ele⸗ 
mente, aus welchen ſeinen Augen das Schone ſich 
entwickeln ſoll. Wer aber die Sproſſen einer Lei⸗ 
ter überſpringen will, fallt, ſtatt das höchſte Ziel 
zu erreichen. Der Enthuſtaſt darf aber nicht En⸗ 
thuſtaſt bleiben, wenn er aus dem vollen Quell 


340 Hoff mann 


der Poeſie, in welcher alles Schlne ſich ſpiegelt, 
trinken will. Er muß die Begeiſterung, mit wel⸗ 
cher er den einen Gegenſtand umſchlungen halt, 
auf alle Gegenſtaͤnde der Schöpfung übertragen; 
wenn aber das Feuer nicht für Alle ausreicht, wird 
es zur Wärme — zur Liebe. Und Liebe if das 
Element der Poeſie. 

Leider fuͤhlte Hoffmann bis zuletzt noch en 
vlel Kraft in ſich, um vom Enthuſiaſten zum Be⸗ 
trachter und liebevollen Bewunderer der ganzen 
Natur Üüberzugeben. Seine Fantaſie wollte ſich lie⸗ 
ber die ideale Schönheit ſelbſt erſchaffen, als daß 
er die Schönheit, welche ſich aus der genauern 
Betrachtung der verſchiedenen Dinge erglebt, 2 
ſuchte. Dazu kam der berauſchende Beifall, wel⸗ 
chen fein erſtes Erſcheinen als Enthuſiaſt ihm ver⸗ 
ſchaffte. Er verſchmaͤhte den ihm von Freunden 
und Kritikern angerathenen Weg der ruhig darſtel⸗ 
lenden Erzählung mit einem feſten, poetifch oder 
pragmatiſch wirklichen, Hintergrunde ), und wollte, 
ſo lange ihn Fantaſie und Humor nicht verlaſſen 
wurden, ein Enthufiaft bleiben. Aber leider ent⸗ 
ging auch er nicht, trotz der herrlichen Kraft, dem 
gewöhnlichen Abwege von Ueberkraft ſprudelnder 
Genies, — er wurde zuletzt, ſtatt Wen e 


9 Was er auf Freundes rath uwiedert, — . ia der u 
erwähnten Erklarung, S. 148. Kritiken las er nicht;; vielleicht 
weil er fühlte, daß er aus feiner Haut nicht heraus konne; 
vielleicht, weil er ſich, mit Bewußtſeyn, nicht andern 


mochte. AR u. db. H. 


1 
ng — 


als Dichter. 347 


ſten, ein bloßer Fantaſt. Humor und Fantaſie ſind 
auch dem beſten Herren nicht ſo treu, daß ſie ihn 
uͤberall hinbegleiteten. Es giebt Zeiten, es giebt 
Orte, wo ſie durchaus nicht bingebdren, und von 

wo ſie ein maͤchtigerer Zauberer, als der Wille ih⸗ 
res Herrn, zuruͤckſcheucht. Da hilft kein Zwang, 
und wenn der Herr den Humor und die Fantaſie 
mit Gewalt mitgezogen zu haben meint, iſt es ir⸗ 


gend ein Trugbild, welches er in ſeinem leiden, 


schaftlichen Wahn. für die gewöhnlichen Begleiter 
feiner Schritte anſieht. So ging, es auch Hoff⸗ 
mann. Er war voller Fantaſie, er war voller Hu⸗ 
mor, uberall aber reichten beide Gaben nicht aus, 
dann ſollten fie kuͤnſtlich erſetzt werden, oder er 
wollte wohl gar die eigene wahre Fantaſie uͤberbie⸗ 
ten; daher die allerfantaſtiſchſten Ausſchweifungen 
der Gedanken, daher umgekehrt Hervorhebung der 
gemeinſten Incidentpunkte, wenn fie nur lächerlich 
erſcheinen konnten; daher endlich die immer wie⸗ 


derkehrende Erſcheinung des böfen Daͤmons und die 


Bildung aller der wunderlichen Puppen und Ko⸗ 
boldsgeſtalten, wie ſie nur im Gehirn eines Men⸗ 
ſchen können ausgeſonnen werden. Er ſpielte mit 
den Geiſtern ), aber es iſt ein gefaͤhrliches Spiel 
mit ihnen, und der Zauberlehrling, wie Goͤthe 
ſingt, kann ſie wohl rufen, aber weiß ſie nicht zu 
bannen. So mochten auch oft die von ihm her⸗ 


aufgezauberten Geſtalten den Di umwirren 


Rn 1 


J oder damehe fie mit ihm. Siehe S. 311 u. a. 
8. O. * 


ni. 


348 Hoffmann 


und ſchwirren, bis er die Dichtung den W 
Sinn, und ſich ſelbſt vergaaf. 

Aber ſelbſt in den verwilderten, von jcher 
Form entbundenen, fantaſtiſchen Dichtungen, wo 
die Fantaſie in Stucke zerriſſen iſt, und der Hu, 
mor wie ein Gebirgsbach, den eben ein Platzregen 
überfüllt aber auch zugleich ganz getrübt bat, in 
einem ununterbrochenen Waſſerfall daherſtürzt, — 
auch bier bewundern wir des Dichters Kraft, fein 
Genie, ſeinen beſſern Geiſt, der uͤberall hervor- 
blickt, feinen ſprudelnden Witz und die liebenswür⸗ 
digſte Gewandtheit der Darſtellung; alles Eigen⸗ 
ſchaften/ welche in ſeinen beſſern Dichtungen die 
größte und freundlichſte Wirkung hervorbringen. 
Aber bei dieſer herrlichen Kraft muͤſſen wir um fo 
tiefer bedauern, daß Hoffmann es verſchmaͤht bat, 
den ihm angerathenen Weg einzufchlagen. 

Auch außer ſeinen trefflichern Fantaſiebildern 
bat er uns einige Dichtungen binterlaſſen, welche 
zu den gelungenſten in ihrer Art gehbren, und uns 
die ſicherſte Buͤrgſchaft dafuͤr abgeben, daß, wenn 
er einmal zur Ueberzeugung gelangt wäre: „der 
Weg des Studiums der Natur ſey dem der Aus⸗ 
bildung einer ungezuͤgelten Fantaſie vorzuziehen, 
— auch Hoffmann ein wirklich elajfifcher, vielleicht 
der erſte elaſſiſche Romanendichter der Deutſchen 
geworden wäre. Wir berufen uns bier auf die 
Novellen; Fräulein Scuderi, das Majorat 
(in den Nachtſtücken), der Küfer Martin und 
feine Geſellen, welche zur Zeit ihres Erſchei⸗ 
nens allgemeines Aufſehen erregten, und, ein Zeil⸗ 


45 als Dichter. 349 


chen ihres innern Werthes, auch noch jetzt als 
Meiſterſtuͤcke im Gedaͤchtniſſ u derer leben, welche 
ſie geleſen haben. In dieſen Erzählungen hat ſich 
Hoffmann ſelbſt überwunden, d. h. feine wilde 
Kraft bezwungen ). Die ausſchweifende Phantaſie, 
der ungezuͤgelte Humor ſind dienſtbar geworden 
einer hoͤhern Anordnung der Dinge. Wir finden 
dagegen eine klare Auffaſſung und Verarbeitung des 
Gegenſtandes, und die Novellen ſind in ſich ſo ge⸗ 
ruͤndet und abgeſchloſſen, wie wir die Kraft dazu 
dem Dichter der Fantaſieſtuͤcke kaum zutrauten. Die 
Darſtellung iſt ein Meiſterwerk der reinen unpar⸗ 
theiifchen Relation, und man bemerkt mit Freuden, 
welchen guͤnſtigen Einfluß juriſtiſche Anſicht und 
Prapis hierin auf den Dichter ausuͤbten; auch die 
Sprache iſt ein Muſter der Gewandtheit und Ele⸗ 
ganz. Die Charactere ſind mit wenigen Strichen 
trefflich angedeutet und individualiſirt, auch durch 
die ganze Erzählung gehalten. Selbſt ihr Aeußeres 
iſt ſo eigenthuͤmlich, daß, wenn man die Geſtalt 
einmal erblickt hat, ſie nicht wieder aus dem Ge⸗ 
daͤchtniß verſchwinden kann. Man erkennt und be⸗ 
wundert im Dichter den genauen Beobachter des 
aͤußern Menſchen und den Maler zugleich. Endlich 

ert auch die Scenerie, der leicht hingeworfene, 
oder mit Vorliebe ausgemalte Hintergrund, an ei⸗ 
nen ausgezeichneten Kuͤnſtler. Im Kuͤfer Martin 
gleicht die Seene, welche das reichſtaͤdtiſche, reiche 
und bunte Leben Ruͤrnberg's treffend darſtellt, ei⸗ 


8 N 


2 Vergl. die Bemerkung S. 312. 


350 | Hoffmann 


nem altdeutſchen Gemaͤlde, wo der zuͤnſt 
mel und Erde, auf welcher die Perſonen erſch 
mit allem Fleiße vergoldet bat, In der E 
iſt das für jr Poefie fo trüb ausfehende 3 
ter Ludwigs XIV. von einer voctiſchen Seite au 
gefaßt, wie es ule bisher geſchehen iſt. im 
forate weht uns die kalte Seeluft vom Euriß 
Haf entgegen, die traurigſte Sandküſte g gewinnt 
durch die Pocſie Leben; doch die Gestalten 
mehr als lebendig, aber nur der Natur entnomme 

Doch auch Phantaſie und r ſind nich 
entflohen. Aber die Phantaſie iſt aus der Datfiel- 
lung in die Empfindung zuruͤckgetrete 7 
iſt nicht wild herausgeſchoſſen in die 
Blaͤtter, ſondern in Stamm und Wurzel | 
aus welchem dann naturgemäß BE 
bervorfpriegen muß. Humor und Ironie lich 
wuchern nicht in der Darſtelung, in den Neſlet 
nen des Dichters, ſondern in der Individu 
der Perſonen ſelbſt. Hatte doch namentlich Hoff⸗ 
mann mehr ſolche Charaktere, als der Juſtitiarlus | 
V.. im Majorate zu bilden verſucht! ) Auſſer 
in Sbakesprarſchen Charakteren, erinnere mich 
keiner von einem Dichter erſchaffenen Perſon, wo 
mir der trockene Humor beſſer sufagte, @ als in die 


ann! 


85 f 


9 er bat ihn nicht gebildet, U . b 
Das war ſein glückliches xy der re. | 
ten Individualitaten. A. d. 


i a 
x We, 


als Dichter. 351 


fem Greiſe, der wie ein Held im Schlafrock er⸗ 
ſcheint, und, ohne ſeiner freundlichen Wuͤrde zu ver⸗ 
geben, die Ironie walten läßt. Der Humor iſt aber 
auf einer feſten Grundlage baſirt, auf einem feſten 
mit ſich eins gewordenem Gemuͤthe. Hoffmann ſoll 
dem eigenen Oheim, einem Advocaten in Königs- 
berg, in dieſem Juſtitiarius ein Denkmal, ohne zu 
ſchmeicheln, geſetzt haben.) e 
Haͤtte Hofmann länger gelebt, fo zweifeln wir 
nicht, daß fein ſubjektives Feuer endlich in eine ob⸗ 
jeftive Wärme uͤbergegangen wäre. Die letzten noch 
ungedruckten Erzählungen, welche er auf dem Kran⸗ 
kenlager diktirte, Meiſter Wacht und der 
Feind, “) ſollen ganz im Stile der trefflichen No⸗ 
vellen, welche wir eben beruͤhrt haben; gedichtet 
und ausgefuͤhrt ſein. Fragt man vielleicht: Aber was 
hinderte ihn im Leben, daß er nicht auf der Bahn, 
welche ſeinen Kraͤften gemaͤß zu vollendetern Dich⸗ 
tungen geführt hätte, fortgeſchritten iſt? — ſo muͤſ⸗ 
ſen wir die Antwort aus dem ſchon angefuͤhrten 
Umfiende entnommen: Er war zuerſt als Enthu⸗ 
ſiaſt aufgetreten, und feine Phantaſieſtuͤcke erregten 
einen weit lautern Beifall, als ſeine ſpaͤtern in 
ſich vollendeten Erzaͤhlungen. Dann aber hielt er 
es auch unter ſeiner Wuͤrde bei noch ungeſchwaͤch⸗ 


1 —— 


— 


®) Dies in richtig. Vergl. Th. I. S. 7. dieses Puch 
Der gegenwärtige Aufſatz iſt viel früher geſchrieben, als die 
Biographie. A. d. H. ah 


) Th. U. S. 16. A. b. 5. 


352 Hoffmann 


tem Geiſt den Flug der Phantaſte, den er allein 
durch feine Kraft regierte, zu verlaſſen, um auf der 
Erde zu gehen, wo ja auch fo viele andere, minder 
Begabte, mit Gluck einherſchreiten. Es bedarf feis 
ner weitern Anfuͤhrung, wie ſchr ver verfehlte 
ſicht zu bedauern iſt. ) N 7 
Ebenſowenig rechtfertigt co der Zweifel : Ob 
Hoffmann, weil er tuͤchtige Rovellen zu dichten ver⸗ 
ſtanden, darum auch faͤhig geweſen, ganze Romane 
zu vollenden, da feine größeren den Romanen aͤhn⸗ 
liche Dichtungen, meiſtentheils nur verworrene Phan⸗ 
taſiegebilde waren? — Wenn Hoffmann keine Ro⸗ 
mane in der Art ſeiner erwaͤhnten Novellen geſchrie⸗ 
ben hat, ſo liegt ebenfalls die Hauptſchuld in dem 
Misverſtehen ſeiner Kraft und ſeines Berufes. Er 
wollte wohl, gleichſam zum Spiel, kleinere Erzaͤh⸗ 
lungen als Referent vortragen, in den groͤßern Dich⸗ 
tungen aber ohne Beſchraͤnkung fliegen, obgleich 
eben bei dieſem Fluge Spielerei ſich oft ſeiner be⸗ 
mächtigte. Hierzu kam noch ein doppelter freiwilll⸗ 
ger Zwang von auſſen, d h. er verehrte, und wollte 
gefaͤlig ſein. Die Verehrung Jean Pauls ließ nicht 
zu, daß er feinen eingefchlagenen Weg — Aue 
unrichtigen erkannte. Zugleich aber wie er durch 
ſein erſtes Werk ein Liebling des Leſepublikums ge⸗ 


* 3 
) Die Individualität wäre ihm, wenn er ſich auch 
bätte anſtrengen wollen, ein Anderer zu fein, doch immer, bis 
auf einen gewiſſen Punkt, in den Weg getreten. Natu- 
ram expellas furca etc. . 8 


* 


als Dichter. 353 


worden, und da er nicht aufhoͤren wollte es zu fein, 

2 er ſich genoͤthigt dem immer ſchlechter werden⸗ 
den Geſchmacke in unſerer Novellenlitteratur zu 
froͤhnen, und endlich ſogar Localſtuͤcke, welche die 

Menge mit Gier aufgriff, zu dichten „). Haͤtte er 
aber feine ungemeine Phantaſie eoncentrirt zur Er⸗ 
findung von Romanen, **) und den Plan mit der 
Klarheit ſeiner Darſtellung, mit dem Zaubes ſeiner 
Sprache, mit Humor, Innigkeit und Witz, ohne Ue⸗ 
bereilung ausgeführt und ausgeſchmuͤckt, fo wuͤrde — 
wir koͤnnen es dreiſt wiederholen — Hoffmann als 
ein Licht erſter Groͤße in unſerer Romanenlitteratur 
daſtehn. 

Nur mit wenigen Worten wollen wir hier N 
ſeine wirklichen Productionen auffuͤhren. Er trat 
zuerſt mit den Phantaſieſtuͤcken auf. Be 
geiſterung und Unwillen, beide mit gleichem Feuer 
aufgetragen, erwarben dieſen Dichtungen, (rich⸗ 
tiger zu ſprechen müßten wir ſagen, dieſen ly⸗ 
riſchen Erguͤſſen, wie trefflich auch die plaſtiſche 
Darſtellung manche Scenen gelungen iſt) den vers 
dienten Beifall. uns ſpricht am meiſten darin an, 
die Nachricht von den neuſten Schickſalen des Hun⸗ 


„) Die Buchhändler haben viel Schuld an dem Un⸗ 
weſen, welches er mit ſeinen Talenten getrieben. Sie 
überboten ſich im Honorar, wie bei Auctionen, und forder⸗ 
ten nur kurze Waare, und ſchleunigſte Ablieferung. N. d. H. 


) Das verſchob er immer auf beſſere Zeiten. Siehe 
Th. II. S. 148. u. a. d. O. 
3 


354 Hoffmann 


des Berganza und der goldene Topf. In beiden 
eoncentrirt ſich das doppelte Streben des Dichters, 
im erſteren verſpottet der Enthuſtaſt die erbarmli⸗ 
chen Spielereien, welche mit ſeiner hohen Göttin 
getrieben werden, und fordert von ihren Prieſtern 
unbedingte Ergebung, im zweiten iſt das Leben in 
der Poeſie — die Gbttlichkeit des poetiſchen Gemuͤ⸗ 
thes gefeiert, — leider treten aber auch ſchon hier 
alle die Schnörfeleien vor, welche die ſpaͤteren Maͤhr⸗ 
chen dieſer Art entſtellen. In der Begebenheit der 
SylveſterRacht erſcheint uns das Spiegelbild als 
eine ganz verfehlte parodirende Nachbildung von 
Chamiſſo's trefflichem Peter Schlemihl. Die ob⸗ 
jeetive Darſtellung, der heitere Witz mit welchem 
das Graͤßliche im letztern umgangen wird, iſt im 
Spiegelbilde, in eine phantaſtiſche und hier nicht 
hergehoͤrende ironiſche Auffaſſung, verwandelt. Statt 
des Friedens und der Beruhigung am Schluſſe muͤſ⸗ 
fer wir lachen, aber das Gelaͤchter tönt nicht aus 
einer beruhigten Bruſt. — Bald nach den Phan⸗ 
taſieſtuͤcken erſcheinen die Nacht ſtuͤcke, welche zu 
wenig bekannt wurden, obgleich fie die trefflichſte 
aller Erzaͤhlungen, das Majorat, enthalten. Auch 
die Erzählung Ignaz Denner iſt eine der vorzügli⸗ 
chern. Im Sandmann muß man — wie uberhaupt 
faſt in allen dieſen Nachtſtuͤcken — die reine Dar⸗ 
ſtellung bewundern und wuͤnſchen, daß einige böchft 
originelle Ideen, in einer minder gräslichen und 
wlderlichen Dichtung erſchlenen wären, um das 
Ganze mit Vergnuͤgen noch einmal leſen zu kön⸗ 
nen. — Des Teufels Eligtre, den erſten zu⸗ 


als Dichter. 355 


ſammenhaͤngenden Roman, erkannte Hoffmann ſelbſt 
als eine gefaͤhrliche Dichtung an, dennoch bekundet 
er den reichen Geiſt, den Genius des Dichters. 
um ſich zu ergoͤtzen, um den Dichter lieben zu ler⸗ 
nen, würde ich Niemanden ihn zu leſen anratben, 
wer aber den Dichter, oder uͤberhaupt die Geſchichte 
der Poeſie ſtudiren will, der muß dieſes Gemaͤlde 
einer uͤppigen Phantaſie durchleſen, um darin die 
göttlichen Funken, neben einer verworfenen Anwen⸗ 
dung zu bewundern. In den ſeltſamen Leiden 
eines Theater⸗Directors ſtellt Hoffmann eben fo 
klar als geiſtreich das Unweſen, welches in mancherlei 
Geſtalt unſere Bühne jetzt beherrſcht, dar. Das 
Geſpraͤch enthaͤlt wenig Neues, aber dafuͤr deſto 
beherzigungswerthere Wahrheiten. Es ſollte in 
Stereotypen gedruckt, und von jedem Schauſpieler, 
mindeſtens jedem Director einer Buͤhne, in der 
Taſche getragen werden. — Das Maͤhrchen Klein 
Zaches, obgleich es feine Entſtehung einer Local⸗ 
ſatyre verdankt ), gehört doch zu den ergoͤtzlichſten 
unter Hoffmann's Dichtungen, weil die heitere 
Laune von Anfang bis zu Ende ungetruͤbt erſcheint. 
Im leider nicht vollendeten Kater Murr ſoll 
ſich die Handlung theilen in die Geſchichte des Ka⸗ 
ters und die dazwiſchen geſtreuten Makulaturblaͤtter; 
das Intereſſe bleibt hauptſaͤchlich bei dem Inhalt 
der letztern. Im Kater Murr 8 d. h. in der 
— —— 
Dies war der allgemeine Glaube in Berlin. Die 
water Enktehungsgefihichte, ſiehe Th. 2. S. 137 u. f. w. 
A. b. 8. 
32 


356 Hoffmann 


Kapengeſchichte, führt er uns dagegen ſehr ergötz⸗ 
lich einen wirklichen Philiſter (nicht einen in der 
Studenten ſprache) vor, der, ohne Genie, alles 
thut, um auf irgend eine Weiſe was die Leute 
ein Genie nennen zu werden, dem es indeſſen 
überall mißgluͤckt, da die Natur ſich nun einmal 
nicht zwingen, und aus beſchraͤnkter Erbarmlichkeit 
ſich auch mit allem Fleiße kein Weltgeiſt entwik⸗ 
keln laßt. Die Makulaturblaͤtter entfalten uns die 
reine, von ſeiner Kunſt geleitete, aber auch unbe⸗ 
friedigte Sehnſucht einer tiefen Seele, des Hoff⸗ 
mannſchen Lieblingshelden, des Kapellmeifters Kreis 
ler), eines Geiſtesverwandten des Jean Paul 'ſchen 
Schoppe. Es iſt eben ſo zu bedauern, daß es nicht 
geſchehen iſt, als zu bezweifeln, ob es in Hoffe 
mann's Macht geſtanden hätte, dies Werk zu voll⸗ 
enden, und die geiſtige Entwickelung eines Kreis⸗ 
ler zu geben *). In den Serapionsbrüdern 
ſammelte Hoffmann ſeine zerſtreuten Novellen, und 
bier erſchienen die vollendetſten, welche wir von 
ihm beſitzen. Der verbindende Dialog zeigt den 
geiſtreichen Denker. Eines der neueſten Werke iſt 
die Brambilla. Wenn wir ihr auch nicht den 


) Es in ſchon oben bemerkt worden, daß Hoffmann 
fein humoriſtiſches Ich im Kreisler perfonificive bat. 
A. d. 5. 


*) Auch das if ſchon geſagt, daß der dritte Band 
des Kater Murr Kreisler nicht auf die Stufe vollendeter geiſtiger 
Entwickelung geleiten, ſondern vielmehr ihn in Wahnsinn 
enden laſſeu folite, u. d. H. 


als Dichter. 357 


Werth beilegen koͤnnen, welchen einige junge Freunde 
des Verewigten ihr zuſchrieben, welche von natur⸗ 
philoſophiſchen Anfichten ausgehend, mehr in Hoff⸗ 
mann's Dichtungen ſuchten, als der Dichter je darin nie⸗ 
derzulegen geträumt hatte, — fo muͤſſen wir doch anerken⸗ 
nen, daß es eines der launigſten und ein hoͤchſt zartdar⸗ 
geſtelltes Maͤhrchen in niederer Region, und bei wei- 
tem dem letzten Produkte des Dichters, dem Mei⸗ 
ſter Floh, vorzuziehen iſt. Dieſer, welcher vor 
feiner Erſcheinung ein ungluͤckliches Aufſehen er⸗ 
regte, ſpricht eigentlich nur unter wenigen Modifi- 
cationen die im goldnen Topfe ſchon dargelegte 
Idee aus. Die Ausfuͤhrung, und namentlich die 
Seenerie, iſt weniger anſprechend; aber die ſchoͤne 
Idee muß immer jedes reine Gemuͤth begeiſtern. 


Willibald Alexis. 


ene 


Zur 
Beurtheilung Hoffmanns 
| ‚als a 


.nununs Mi: 


Wer in ſeinem Fache etwas Neues geleiſtet, oder 
ſein Ziel auf einem neuen Wege verfolgt hat, mag 
nur von einem Standpunkte richtig beurtheilt wer⸗ 
den, von welchem aus ſein neues und das bishe⸗ 
rige Streben uͤberſehen werden können. In Bezug 
auf Leiſtungen fuͤr die Theorie der Muſik, iſt dies 
wohl ſeit einer beträchtlichen Zeit weniger noͤthig 
geweſen; ſeit ſo lange naͤmlich, als man ſich faſt 
ausſchließlich mit der Ausbildung des Ramcau'ſchen 
und Kirnbergerſchen Syſtems beſchaͤftigte. So wich⸗ 
tige Reſultate dieſer Periode verdankt werden, fo 
hat doch ihr an ſich ſo achtungswerthes, ja im 
Gange der Wiſſenſchaft nothwendiges Beſtreben 
um den ſyſtematiſchen Bau der Tonwiſſenſchaft auf 


15 


7 
BE. 
N 
nr 


als Muſiker. 359 


phyſikaliſcher und mathematiſcher Grundlage von 
ſteter und tiefer Beobachtung der Muſik, wie ſie 
erſcheint, nicht wenig abgeleitet, und mehr oder 
minder der Kunſt die Stuͤtze einer begleitenden Wiſ⸗ 
ſenſchaft, dieſer die Nahrung aus dem fortgeſetzten 
Leben der Kunſt, entzogen. Zu fruͤh mag wohl hin 
und wieder angenommen worden ſeyn, daß die 
Tonwiſſenſchaft ſyſtematiſch feſtbegruͤndet, die Ton⸗ 
kunſt in ihren bisherigen und allen nachfolgenden 
Werken, aus den ſchon anfgehellien erg 
jener zu beurtheilen ſenr. 

Eine ſolche Anſichtsweiſe muß besonders in 95 
nem Zeitpunkte ungenuͤgend erſcheinen, wo faſt in 
allen Wiſſenſchaften, aus neuen und tiefen Beobach⸗ 
tungen, neue und wichtige Reſultate gewonnen 
werden, und wo die Tonkunſt unverkennbar eine 
weit hoͤhere Stufe der Entwickelung und Meng 
erreicht hat. 

Vor allem haben wohl die Künſler gefühlt, 
wie ſehr die Theorie der Muſik der Kunſt gleichſam ſich 
entfremdete, und wie wenig fie gleichwohl die Beo⸗ 
bachtung, welche man die wahre Kunſtſchule nen⸗ 
nen kann, entbehrlich machte. Allein wie ſelten iſt 
ein Tonkuͤnſtler faͤhig und willig, etwas Anderes, 
als Noten, zu ſchreiben! Wie ſelten jemand bereit, 
ſich der Beobachtung eines ſo vielfach zuſammenge⸗ 
ſetzten Ganzen, wie Muſik iſt, auf die Gefahr zu 
widmen, wahrſcheinlich nicht zu dem letzten Ziele, 
zu allgemeinen wiſſenſchaftlichen Reſultaten zu ge⸗ 
langen! und wie hinderlich muͤſſen einem ſolchen 
die oben beruͤhrten thepretiſchen Beſtrebungen ſeyn, 


360 Hoffmann 


welche dahin gerichtet ſcheinen, das Syſtem ab⸗ 
und damit fernere Beobachtung als unndthig aus⸗ 
zuſchließen, welche oft aus Vorausſetzungen, die 
nur ſcheinbar feſtſtehen, über ganze Reiben von 
Beobachtungen gleichſam im Voraus den Stab bre⸗ 
chen, weil fie mit jenen nicht uͤbereinſtimmen! 
Auf dieſem Felde nun begegnen wir unſerm 
Hoſſmann, der es unter den neuern faſt allein be⸗ 
treten und ſich uͤber jede Furcht der Mißdeutung, 
der Geringſchaͤtzung von Seiten derer, welche in 
dem bisherigen Syſtem ihr Ein und Alles finden, 
zu erheben vermocht hat. Die Kuͤhnheit, mit wel- 
cher er von ſeinen Beobachtungen ſelbſt diejenigen 
Faͤcher (wir werden deren bezeichnen) nicht aus⸗ 
ſchloß, die von den Syſtemen ganz unbeachtet 
gelaſſen, ja geradehin von theoretiſcher Betrachtung 
ausgeſchloſſen und in eine Art von wiſſenſchaftli⸗ 
chem Verruf gethan find, ſtellt ihn als Vorgaͤnger 
derer hin, von denen weitere Behandlung derſelben 
zu erwarten ſeyn mag. wa | 
Den Geiſt, die ſcharfe Beobachtungs-, Auf⸗ 
faſſungs⸗ und Darſtellungsgabe, die feurige Phan⸗ 
taſie, welche Hoffmann überhaupt in feinen Werken 
beurkundet. hat, vereinigt mit einer unwandel⸗ 
baren Liebe fuͤr die Muſik, wendete Hoffmann die⸗ 
ſer Kunſt mit einem ſo ernſten und ſteten Eifer zu, 
wie es ſich von feiner Energie wohl erwarten, gleich⸗ 
wohl in keiner andern Beziehung fo leicht nachwei⸗ 
ſen laͤft. Das Streben, ſich fir dieſe Kunſt ganz 
auszubilden, hielt ihn ſogar bei Bemühungen feſt, 
die ſeinem nach Ungebundenheit verlangenden, oft 


— — — 


als Muſiker. 361 


gern in das Fantaſtiſche ſich verlierenden, Gei⸗ 
ſte an ſich widerſtrebend ſein mußten. So finden 
ſich in ſeinem Nachlaße viele bald mehr, bald weni⸗ 
ger ausgefuͤhrte Kompoſitionen im doppelten Kon⸗ 
trapunkt und alle ſeine Arbeiten zeigen das Stre⸗ 
ben, das einmahl ergriffene Thema feſtzuhalten und 
durchzufuͤhren, oft ſogar ſtaͤrker, als vielleicht nöthig 
war. Demungeachtet — iſt es ihm moͤglich gewe⸗ 
ſen, die Muſik nicht zu ſeiner ausſchließlichen Be⸗ 
ſchaͤftigung zu machen. | a | 

Es würde gleichmäßig ungerecht fein, wenn man 
ihm deshalb den Beruf zur Kunſt geradehin abſpre⸗ 
chen, oder wenn man ihm Willensſchwaͤche Schuld 
geben wollte. Beide Anklagen würden fich in ſei⸗ 
nem Leben und ſeinen Leiſtungen widerlegt finden. 
Wer, in untergeordneten, beſchraͤnkteren Verhaͤltniſſen 
geboren, die eines Kuͤnſtlers, wie ſie ſich auch, guͤn⸗ 
ſtig oder unguͤnſtig, geſtalten, angemeſſen finden 
kann; wer, der Sohn eines Muſikers, von Kind⸗ 
heit an den Stand ſeines Vaters als den ihm 
naͤchſtliegenden anſehen muß; wer endlich vom 
Gluck der Sorge für feine aͤuſſern Verhaͤltniſſe 
uͤberhoben iſt, kennt nicht den ſchweren Kampf, den 
eine vorherrſchende, von den Verhaͤltniſſen unbe⸗ 
günſtigte Neigung zu beſtehen hat, wenn ihretwe⸗ 
gen guͤnſtige und gewohnte aufgehoben werden fol- 
len. Aus einem ſolchen Kampfe geht gewohnlich 
nur der ſiegreich hervor, der nicht bloß Liebe und 
Talent zu ſeinem Fache, zu ſeiner Kunſt, als einem 
Außeren, hat, ſondern dem dieſe Alles, der, moͤchte 
ich ſagen, mit ihr eins geworden iſt, und nicht an⸗ 


362 Hoffmann 


ders, als in ihr beſtehen kann. Beethoven, Mozart, 


Haͤndel, Sebaſtian Bach waͤren unter jedem Ver⸗ 
baͤltniſſe Muſiker geworden (wenn auch nicht Kavell⸗ 


meiſter u. dergl.) aber von dem größten Theile der 


bier nicht genannten Muſiker möchte ich dies nicht 
behaupten, jo vortreffliches auch viele von ihnen ge» 
leiſtet und ſo berrlich ſie ihr Talent eee 
haben. 

Dies darf auf Hoffmann see ee 
wenn man eben fo weit von Ueber- als Nichtſchaͤ⸗ 
tung entfernt bleiben will. Und in der That, 
Hoffmann bedarf, damit er in feiner Sphäre er⸗ 
kannt und benutzt, und ſein Andenken befeſtigt 


werde, ſo wenig des Erſtern, als er das Letztere zu 


- fürchten hat. Sein Eifer für Muſik (der uns ſelbſt 
als ein Beweis feines Talents gilt) unterſtuͤtzt von 
jenen Kräften, die er überall bewährte, konnte nicht 
anders, als zu ſehr erheblichen Reſultaten ‚führen. 
Demungeachtet iſt auch ihm, wie der großen Mehr⸗ 
zahl der Kuͤnſtler, Muſik ein Aeußeres geblieben; 
ſo lebendig er ſie geſchaut hat, ſo tief er in ihr 
Weſen eingedrungen iſt, fo iſt doch dieſes nicht mit 
dem Seinigen eins geworden; die Vielſeitigteit ſei⸗ 
ner Geiſtesanlagen ſelbſt hat den ruhigen Gang 
5 Allein der Menſch darf von dem 

die Natur ihm in ſeinen Anlagen anden 
ungeſtraft weichen. Wir irren vieleicht nicht, wenn 
wir die Spuren von Unzufriedenheit mit den Ver⸗ 
haͤltniſſen und — bei dem Bewußtſein einer Kraft, 
die dem Mißgeſchicke zu trotzen vermag — Gering⸗ 
ſchaͤbung derſelben, die Hoffmann verrath, als die 


* 


als Mufiker. 363 


Erzeugniſſe dieſes meiſt innern Zwieſpalts der Nei⸗ 
gung und der von ihr abziehenden fremdartigen An⸗ 
lagen, wie der Verhaͤltniſſe, anſehen. 

Hiermit glaube ich die Charakteristik des mu⸗ 
ſkaliſchen Schriftſtellers begründet, zu haben: ſchar⸗ 
fe, tiefe Beobachtung deſſen, was Kunſt und Kuͤnſt⸗ | 
ler bis zu ſeiner Zeit dargeboten haben, geſtoͤrt 
bisweilen durch eine gewiſſe Herbe, bisweilen durch 

Ueberreizung, wie ſie aus dem oben angedeuteten 
Innen Swieſpalte hervorgehen mußten. 

Ich uͤbergehe alle Aufſaͤtze, welche mit der größ⸗ 
ten Wahrheit und einer höͤchſt ergöͤtzlichen Laune 
das gewöhnliche muſikaliſche Treiben ſchildern und 
waͤhle vor allen „Kreislers muſikaliſch poetiſchen 
Klubb,' ») der ein bei vielen Muſikgelehrten ge⸗ 
wiſſermaßen verrufenes Thema hat (die Charakte⸗ 
riſtik der Töne) zum Belag für die Vorurtheilsfrei⸗ 
heit, welche Hoffmann in der Behandlung der Mu⸗ 
fit bewahrte. 

Es iſt mit dieſem Gegenstande, wie mit der Phy⸗ 
ſtognomik gegangen. Man hat ſie gelaͤugnet und 
wieder gelaͤugnet, und — im Grunde nicht aufge⸗ 
hoͤrt, auf fie zu achten und an ſie zu glauben. 
Kein Gegner Lavater's würde ſich leicht Holbein's 
Judas fuͤr einen Chriſtuskopf, einen Faun fuͤr den 
Apoll verkaufen laſſen. So wuͤrde gewiß kein Mu⸗ 
ſiker ſo leicht ein Lied der Liebe in Asdur, oder ei⸗ 
nen Grabgeſang in G, A dur ſetzen. Doch tragen 


ER 
J Sankaſteflcke u. Theil II. Se 04. 2te Muss. 


304 Hoffmann 


oft dieſelben Perſonen kein Bedenken, den Grund⸗ 
ſatz, daß dieſe Tone einen wann, Ebarakter 
haben, zu beſtreiten. 

Ich darf mir eine durchgeführte Bertheibigung 
der Hoffmannſchen Anſicht, zu der auch ich mich 
bekenne, hier nicht erlauben. Waͤre der Grund der 
Characterverſchiedenheit der Toͤne auch noch nicht 
nachzuweiſen, fo erkennt das allgemeine Gefühl fie 
doch an, und die größten Kuͤnſtler haben deſſen 
Stimme nicht uͤberhört — wenn fie ſich auch feines 
Einfluſſes nicht immer klar bewußt geweſen ſein 
mögen. Es iſt nicht Zufall, daß Beethoven feine ſie⸗ 
bente Symphonie in A dur, ſeine Eroica in Es dur 
und feine fünfte in Cmoll geſetzt hat ). Hoffmann 
hat eben fo wenig bei dieſen als bei andern Aufſä⸗ 
tzen die Abſicht gehabt, ſein Thema wiſſenſchaftlich 
und erſchoͤpfend abzuhandeln. Wie der Gegenſtand 
ſeiner Phantaſie erſchienen war, ſo gab er ihn meiſt 
wieder, und hatte vielleicht die Anſicht, daß, wenn 
einmal uͤber Muſik geſprochen werden ſolle, man 


) Won dem Sharakter vieler Töne anden ſich Herrliche 
muſitaliſche Bilder in Sebaſtian Bachs temperirtem Klavier. 
Ich zeichne, indem ich der Aus gabe von Peters folge, aus 
dem erſten Theile Präludium und Fuge No. 1. 3. 5. 15. 
16. 17. 22., aus dem zweiten Theile Praeludium und Fuge 
5. 6. 12. 20, Fuge No. 15. und 16. beiſpielsweiſe an; 
muß auch bei dieſer Gelegenheit dem weit verbreiteten Vorur⸗ 
theile widerſorechen, daß in Bach nichts zu finden ſet, als Contra: 
punkt; eine Anſicht, dei der man nicht begreift, wie er in 
die Reihe der größten Künftier kommt. 


als Muſiker. 365 


nur als Dichter reden könne; eine Anſicht, die dem 
Kuͤnſler am naͤchſten liegt. — Im vorliegenden 
Aufſatze bedient ſich Hoffmann der Charaktere eini⸗ 
ger Töne als Farben, aus denen er das Gemaͤlde 
einer zuſammenhaͤngenden Reihe von Gemuͤthszuſtaͤn⸗ 
den fertigt. Er hat ſich erlaubt, auch andere Farben 
zuzumiſchen; wie wir das, was Hoffmann bei dem 
E dur Sexrten⸗Accorde und dem Terz⸗quarten⸗Accor⸗ 
de, auf d ſagt, nur vom Character dieſer Accorde 
und feine Vergleichung des Baur mit der kleinen 
Septime nur auf den Ausdruck dieſer letztern bezie⸗ 
hen mögen. Baur ſelbſt und F dur koͤnnen nicht 
wohl in treffendern Bildern dargeſtellt werden, als 
hier von Hoffmann. Ich darf Jedem uͤberlaſſen, ſich 
in dieſe Charakter = Phantaſte hineinzuhoͤren und zu 
fuͤhlen, und, was in ihr vielleicht nur Schaͤrfe und 
Ueberreizung des Dichters war, zu ſondern. Daß 
uͤbrigens Hoffmann der Charakter Aller (nicht 
blos der im genannten Aufſatze geſchilderten) Ton⸗ 
verhaͤltniſſe klar vor Augen fand, zeigen einzelne in 
ſeinen Schriften verhreitete Andeutungen. Wenn 
zum Beiſpiel Kreisler ſich mit einer uͤbermaͤßigen 
Quinte erdolchen will *) fo wird jeder, der zum le⸗ 
bendigen Gefuͤhl dieſes Tonverhaͤltniſſes gekommen 
ſt, die Wahrheit, welche dieſer ſchauerlich-ſſkurrilen 
Aeuſſerung (um mit Hoffmanns Worten zu reden) 
zum Grunde liegt, anerkennen. . 
Ich bin ungewiß, ob ich nicht hier ein zweites 


0 Santaßteſtücke Thei II. S. 288. 


366 Hoffmann 


Thema berührt habe (den Character der Tonver⸗ 
haͤltniſſe) das einer Vertheidigung bedarf. Wenige 
ſtens findet ſich in neuern Compoſitionen oft fo we⸗ 
nig Spur von einer Erkenntniß dieſes Charakters, 
oft ein, ich darf wohl ſagen, fo leichtſinniges Spiel 
mit allen Tonverhältniſſen und Accorden, daß mein 
Zweifel nicht ungegründet erſcheint. Wie indeß 
dieſe bedenkliche Richtung einiger Künfller aus Ef⸗ 
fektſucherei und beſonders unter dem Einfluffe des 
Fortepianoſpiels hervorgegangen iſt, ſo kann das 
laute Zeugniß aller Compoſitionen, in denen nach 
Wahrheit geſtrebt iſt, als Entgegung genügen. Gern 
ſaͤhe ich auch, was Hoffmann uͤber das Haſchen nach 
Effekt allgemein ſagt “) hier auf das N ui an 
gewendet! 

Es liegt nicht in der Beſtimmung dieses auf⸗ 


. | ſatzes, Hoffmann's Anfichten, wie fie in feinen all⸗ 


gemein bekannten Werken, am reichſten aber in den 
Fantaſieſtuͤcken Theil I. uber Beethovens Inſtru⸗ 
mental Muſik, uͤber Don Juan; Theil II. über einen 
Ausſpruch Sacchin's; im erſten Bande der Sera⸗ 
pionsbruͤder, in der Erzählung der Dichter und der 
Componiſt, — niedergelegt ſind, zu kommentiren 
oder auch nur zuſammenzuſtellen. Hoffmann's Schrif⸗ 
ten halten ſeine muſikaliſchen Anſichten auf einer 
Stufe der Geiſtesentwickelung feſt, wo die Wege des 
Kuͤnſtlers und des Denkers von einander ſcheiden. 
Bei jenem wird die Anſchauung als Kunſtwerk, 


I 
E 


) Fantaſſeſtücke Theil II. S. 349. 351, UAA 


als Muſiker 367 


bey dieſem als abgezogener Gedanke, hervortreten. 
Der erſtere wird in Hoffmann's Schriften lebendige 
Bilder des aͤußern und innern Kunſt⸗ und Kuͤnſt⸗ 
lerlebens und Anregung finden, in das Weſen der 
Kunſt einzudringen; ein Gewinn, den ihm nur das 
eigene Leſen gewaͤhren und kein Auszug erſetzen 
kann. Der letztere wird mannigfachen Stoff zum 
Nachdenken und zur Unterſtuͤtzung eigener Erfah⸗ 
rung eine Reihe treffender Bemerkungen und weit 
ausgebreiteter Beobachtungen finden. In ſeiner 
Richtung vorzuarbeiten, verbietet hier der geringe 

Nur einen jener Aufſaͤtze, den uͤber Don Juan, 
kann ich nicht uͤbergehen, ohne Folgendes zu be⸗ 
merken. Man hoͤrt ziemlich allgemein den Don 
Juan Mozarts Meiſterſtuͤck nennen, und es 
ſcheint durch dieſen Namen meiſt nur der tiefere 
Eindruck auf das Gemuͤth, den Don Juan hinter⸗ 
laͤßt, gemeint zu ſeyn. Es wäre in der That nicht 
Mozart’s, ſondern hoͤchſtens des Dichters Verdienſt, 
wenn Don Juan das Herz tiefer traͤfe, als Figaro, 
Cosi fan tutte u. ſ. w.; — wiewohl ich meines⸗ 
theils keiner von allen dieſen Opern einen abſoluten 
Vorrang zugeſtehen kann, da jede in ihrer, und 
zwar einer beſondern, Art vollendet iſt. Ja, wenn 
man ſich einmal zu einem gegenfeitigen Abmeſſen 
von Geiſteswerken verſtehen wollte, ſo waͤre die 
Frage, ob nicht Idomeneus in vielen einzelnen Si⸗ 
tuationen unſer Gemuͤth tiefer und ſtaͤrker ergrif⸗ 
fe, als Don Juan. Welcher Vorzug zeichnet alſo 
dieſen zu Mozart's ſogenanntem Meiſterſtuͤcke? Was 


368 Hoffmann 


iſt es in ihm, das einen ſtaͤrkern Eindruck bei uns 
hinterlaͤßt, als alle übrige Mozartſche Opern? 

Es iſt die Einheit aller einzelnen Charactere 
und des Ganzen. Es iſt die treue Abſpiegelung 
des Lebens, eines Lebens, von dem wir umfangen 
find, die Darſtellung einer Nemeſis, die wir an⸗ 
erkennen und fodern muͤſſen; die Einführung einer 
Geiſterwelt, an die der Glaube allen Menſchen 
eingeboren ſcheint, mag er auch auf einer gewiſſen 
Stufe der Bildung verbannt, oder — t 
werden. 

Dieſe dramatische Schbpfung ik nicht des Dich 
ters, ſondern Mozart's Werk. Wer meinen Aus- 
foruch und Hoffmann's Aufſatz, ſtatt mit der Mu⸗ 
ſik, mit dem Gedichte zuſammenhielte, würde beide 
unbegründet finden; allein er würde Hoffmann und 
mir Unrecht thun. Hoffmann hat ein Bild des 
Don Juan niedergelegt, von dem man mit Wahr⸗ 
beit ſagen kann: es iſt Mozart's Don Juan 8 
Gedicht. Was die Muſik ahnen laßt, bat er, in 
beſtimmten Zügen feſtgehalten, hingeſtellt, und fo 
bewieſen, wie maͤchtig und vernehmbar die Muſik 
ſich auszuſprechen vermag. Doch ſuche man ja nicht 
in ihm eine Analpſe der Compoſition oder des gan⸗ 
zen Drama nach allen ſeinen Beſtandtheilen. Wenn 
von Gegenftänden der Kunſt die Rede iſt, fo giebt 
es zwei Beweisformen; die wiſſenſchaftliche, oder 
philoſophiſche, die ich nicht weiter zu beſchreiben 
habe; und — wenn der Ausdruck erlaubt iſt — den 
Kuͤnſtler⸗ oder Anſchauungs⸗Beweis. Er ſetzt eine 
luͤnſtleriſche Wiedergeburt des Kunſtwerkes . 

[4 


| 


als Muſiker. 8 


Seele des Beweiſenden voraus, der uns von ihm 
das Bild, wie er es ſchaute, giebt, und erwartet, 
ob wir darauf eingehen koͤnnen und wollen. Hoff⸗ 
mann hat vom Gedichte, von dem Plan abgeſehen, 
der auch nicht Eigenthum des Mozartſchen Dich⸗ 
ters iſt, nur ein Paar Zeilen für feine Beweisfuͤh⸗ 
rung benutzt; deſto reicher aber die Compoſttion, 
die aͤußere Erſcheinung, ja die Kleidung der Per⸗ 
ſonen und die umgebung, wie alles ihm erſchien. 
Es iſt unerfreulich, daß gerade die Schauſpieler, 
welchen dieſe Beweisfuͤhrung am einleuchtendſten 
ſeyn ſollte, in den Darſtellungen des Don Juan fo 
wenig zeigen, daß ſie Hoffmann's Don Juan gele⸗ 
leſen, geſchaut und durchdacht haben. 
Ich habe nun noch von Hoffmann's Kompoſi⸗ 
tionen Nachricht zu geben. Ohne in das Einzelne 
dieſer Werke einzugehen, die dem Publikum noch 
nicht zur Pruͤfung vorliegen, werde ich mich be⸗ 
gnuͤgen, Hoffmann's Charakteriſtik in einer allge⸗ 
meinen Darſtellung ſeiner Kompoſitionen und ſeiner 
Kompoſitionsweiſe fortzuſetzen, und das Vorzuͤg⸗ 
lichſte für Fünftige Bekanntmachung auszuzeichnen. 
Erwaͤgt man die vielfachen anderweitigen Be⸗ 
ſchaͤftigungen , denen Hoffmann ſich unterzogen hat, 
fo muß fein großer Fleiß in der Kompoſition um 
fo mehr anerkannt werden. Außer einer anſehnli⸗ 
chen Menge kleinerer Piecen für eine und mehrere 
Stimmen, Scenen, Sonaten, einem Trio, Din 
tuor, einer Symphonie und Ouvertüre, — finden 
ſich unter feinen nachgelaſſenen Papieren folgende 
9 A a 


370 Hoffmann 


größere Werke, ſaͤmmtlich in Partitur für großes 
Orcheſter und die betreffenden Stimmen. 

1) Ein vollſtaͤndiges Miferere, 

2) ein ſolches Requiem, 

3) vouſtaͤndige Mufit zu Werner's Kreuz an der 
Oſtſee, 

A) der Trank der Unſterblichkeit, romantiſche 
Oper in 4 Aeten vom Reichsgrafen von 
Soden, 

5) Liebe und Eiferſucht, Oper in 3 Aten, . 

6) der Kanonikus von Mailand, . un. 
ſpiel in einem Aete, 

7) Arleguin, ein Ballet, 

8) Muſik zum erſten Acte des Jules Sabinus, 
von Soden, nebſt Daene vom ert 
ten Acte, 

endlich — 

9) die durch die 3 in Berlin ı am 1 * 
ſten bekannte Undine, Oper in 3 auftägen, 
von Fonque. 

Sie zeigt am klarſten Hoffmann's Kraft und 
was ihm zum vollendeten Muſiker abging. Wer 
dies ganz iſt, dem erſcheint alles muſikaliſch; feine 
eigene Empfindung iſt Muſik, ja, auch feine An⸗ 
ſchauungen, auch Gedanken, die an ſich mehr nach 
Plaſtik als Mufit neigen, wollen ſich eine muſika⸗ 
liſche Form erringen. Wenn dem Joſeph Haydn 
nicht der Naturgefang der Vogel, die Stimmen 
der Thiere, der Regen, der Sturm, der Blitz, die 
ganze ſichtbare und hoͤrbare Natur, wie einem in 
ſuͤßer Verwirrung der Vorſtellungen traͤumenden 


als Muſiker. 371 


Kinde wirklich als Muſik erſchienen wäre, wie 
haͤtte er das alles im reinſten Einklang und Erguß 
ſeiner Kompoſitionen ſchreiben koͤnnen? Wenn Mo⸗ 
zart eine andere Sprache, als Muſik, gehoͤrt haͤtte, 
was waͤre aus der Zauberfloͤte, ja aus allen ſei⸗ 
nen Opern geworden? Und was konnte er an⸗ 
ders, als Mufif reden? Nicht fo bei Hoffmann. 
Man kann nicht umhin, in ſeinen Werken das zu 
ſcheiden, was ihm muſikaliſch erſchienen iſt, von 
dem, was er in die Muſikſprache zu uͤberſetzen ſtrebte. 

So darf ich bey Undine alle Geiſterſeenen von 
allen uͤbrigen ſcheiden. Jene geſtatten wohl eher, 
daß der Komponiſt einen aͤuſſern Standpunkt (den 
des von der Geiſterfurcht, dem Grauen u. ſ. w. 
ergriffenen Menſchen) einnimmt, und dieſem ent- 
ſprach Hoffmann's Organiſation fuͤr Muſik (wie 
ſie oben angedeutet iſt) eben ſo ſehr als ſeine 
Vorliebe fuͤr das Fantaſtiſche. Jene Seenen ſind 
durchgaͤngig vortrefflich. Nie leſe ich ſie in Par⸗ 
titur, oder fuͤhre ſie am Piano aus, ohne daß 
ſie Schauer uͤber mich ergieſſen. Hoͤre ich da⸗ 
gegen in Undine und den uͤbrigen Opern (4. 5. 6.) 
nach ſeinen uͤbrigen Perſonen, ſo ſind meiſt ſie es 
nicht, die reden, ſondern Hoffmann, der von ihnen 
und ihren Empfindungen ſpricht. Es ſcheint nicht 
durchgängig dahin gekommen zu ſeyn, daß er Un⸗ 
dine, Huldbrand und ſo fort, geworden iſt, wie er 
ſelbſt von Komponiſten verlangt, ) oder, wie ich 
die Foderung lieber fielen moͤtche, daß er ſie ſelbſt 


J Sentaſteſtücke Th. 2. S. 350. 
Aa 2 ı 


372 Hoffmann 


gehört hat; er bat fich (ſo darf man die meiſten 
Seenen charaeteriſiren) bloß vorgeſtellt, wie fie em» 
pfinden und ſich duffern muͤßten, und dies iſt da 
Inhalt feiner Mufit. 

Ich muß mich jedes Beweiſes für meine Be 
bauptung begeben, da die Kompofitionen, von des 
nen ich rede, noch nicht gedruckt und feit längerer 
Zeit nicht aufgeführt find ). Ja, wenn ich neben 
meiner obigen Anſicht gern und aus voller Ueber⸗ 
zeugung zugeſtehe, wie viel Schönes ich demun⸗ 
geachtet in jener Reihe Hoſfmann'ſcher Schbpfungen 
gefunden habe, fo wird mancher darin eine Zurück⸗ 
nahme meines Ausſpruches ſehen; und doch iſt das 
nicht der Fall. Kann nicht der (muſikaliſche) Be⸗ 
richt von einem Gegenſtande, von einer Perſon, 
recht viel Gutes, Wahres, Schönes, recht leben⸗ 
dige Züge, wiedergeben? Die meiſten Kunſtwerke — 
man kann es ohne Ungerechtigkeit ſagen — ſind 
nichts, als ein ſolcher Bericht, 
bung, ein Abbild. Aber welch 29 
einem lebenden, durch die Kunſt lebendig geſchaſſe⸗ 
nen, in ſich in organiſirten Weſen! Gluck's Jphi⸗ 
genia, Sacechini's Oedip, Haͤndel's Sila in Saul, 
Mozart 's Anna und Juan, find nicht Bilder dieſer 
Perſonen, fie find nicht ihnen ähnlich, ſondern fie 
ſelbſt. Man halte dagegen einen Paerſchen, einen 
Nighiniſchen Charakter, und wird meinem Schei⸗ 
dungsgrundſatze beiſtimmen, ohne den Schöpfungen 
der letzteren Kuͤnſtler viele Schönheiten abzuſprechen. 


„) Zu Undinens baldiger Wiederaufführung im Ausſicht. 


als. Mufifer. 373 


So wird auch Hoffmann's oben bezielten Schoͤp⸗ 
fungen das Loos fallen, und iſt es ſchon zum Theil. 
Ich hoͤre, daß unter andern die Romanze des alten 
Fiſchers im erſten, und die Undinens im zweiten 
Acte der Oper Undine, Lieblinge eines großen Theils 
des Publicums geworden ſind. — | 

Eine guͤnſtige Aufgabe nach dem obigen Ge⸗ 
ſichtspunkte war fuͤr Hoffmann die Kompoſition 
zu dem Kreuz an der Oſtſee. Es galt hier, die wil⸗ 
den, rohen, ſtarren Ur⸗Preußen, in ihrer Kraft, 
mit ihrem unzaͤhmbaren, unbeugſamen Sinne, der 
ſelbſt die Religion und die Goͤtter als Selavenbande 
ſcheut, hinzuſtellen. Ich weiß keinen Dichter und 
keinen Komponiſten, dem die Darſtellung dieſer — 
Menſchenthiere (möchte ich ſagen) fo gelungen waͤ⸗ 
re, als Wernern und Hoffmann. Die Sprache ringt 
noch nach dem genuͤgenden Ausdrucke, die Modula⸗ 
tion der Stimme muͤht ſich noch, Sprache zu wer⸗ 
den, oder zu erſetzen, und ich ſehe den Wilden, wie 
er mit Ton, Blick und Geberde das mangelnde 
Wort, die fehlende Beugung zu erſetzen, der unge⸗ 
fuͤgen Konſtruktion nachzuhelfen ſtrebt. Ich habe 
einen dieſer Geſaͤnge (No. 1.) im I . 9 
nicht etwa als den gelungenſten, ſondern blos als 
den kuͤrzeſten abdrucken laſſen. Mir erſcheint er fo 
lebendig, daß ich verſucht bin, Eins (den Anfang: 


9 Er ik für ein Chor von Männerſtimmen mit Be: 
gleitung von 4 Hörnern und anderen Blas inſtrumenten kom⸗ 
vonirt. 


374 Hoffmann 


den Keul) fuͤr Geberde, ein Anderes für Miene, ein 
Anderes für Tonmalerei zu halten; denn Wort, 
Ton, ſelbſt thieriſcher Laut, Miene und Geberde, 
das find ja wol die Ingredienzien der Wilden ⸗ 
Sprache? 

um denen, welche dieſer Geſang zu hart 
anklingen möchte, die den wilden Preußen keine 
ſtaͤrkere Sprache, als im Opferfeſt den Peruanern, 
oder in Iphigenia den Seythen, zulaſſen wollen, Hoff⸗ 
mann's Muſik von einer mildern Seite bekannt zu 
machen, habe ich ein Szuͤck ) aus feinem Miſerere 
beigefuͤgt, einer Kompoſition, die mehr Anſpruch auf 
Bekanntmachung hat, als viele laͤngſt gedruckte. 
Die Beilage aus ihm (No. 2.) möge ſtatt feiner 
Characteriſtik ſein. Ich habe hierbei noch eine 
zweite Abſicht. Wenn ich die Muſik zum Kreuz 
an der Oſtſee als Hoffmann's eigenthuͤmlichſte und 
vorzuͤglichſte Kompoſition angeben muß, fo konnte 
eben ihre Eigenthuͤmlichkeit, ihre kunſtvolle Robbeit, 
die tief gedachte Verſchmaͤhung mancher beſonders 
mildernder und verſchmelzender Ausdrucksmittel, das 
Auge von der techniſchen Ausbildung, die Hoffmann 
ſich errungen und die ich anderwaͤrts erwähnt ha⸗ 
be, ablenken. Das kleine Stuck aus dem Miſerere 
mbge auf eine wohlthuende Weiſe daran erinnern. 
So unbedeutend übrigens in kontrapunktiſcher 


) Vis zum tutti Slos von Salteninſtrumenten, (Baß, 
2 Cello, 2 Violinen und Viola) begleitet, im tutti von 


als Muſiker. 375 


Hinſicht die Nachahmung zwiſchen Ober⸗ und un⸗ 
terſtimmen iſt, ſo hat mich doch die edle Einfalt 
und Froͤmmigkeit des Ganzen beſtimmt, dieſe An⸗ 
deutung der harmoniſchen und kontrapunktiſchen 
Ausbildung Hoffmann's mancher gruͤndlich gearbei⸗ 
teten Fuge, die ſtatt der Andeutung Beweis haͤtte 
geben koͤnnen, vorzuziehen. So uͤberlaſſe ich Hoff⸗ 
mann ſelbſt den freundlichen und beguͤtigenden Epi⸗ 
log zu ſeinem muſikaliſchen Leben. 


A. B. Marr. 


Carl Maria von Weber 
über 


Hoffmann. 


— — In dem Text der Oper Undine hätte wohl 
mancher innere Zuſammenhang beſtimmter und kla⸗ 
rer verdeutlicht werden koͤnnen. 

Deſto deutlicher und klarer, in beſtimmten Far- 
ben und Umrißen, hat der Componiſt die Oper in's 
Leben treten laßen. Sie iſt wirklich ein Guß, 
und Ref. erinnert ſich, bei oftmaligem Anhören, 
keiner einzigen Stelle, die ihn nur einen Augen⸗ 
blick dem magiſchen Bilderkreiſe, den der Tondich⸗ 
ter in feiner Seele hervorrief, entrückt hatte. Ja 
er erregt ſo gewaltig, von Anfang bis zu Ende, das 
Intereße fuͤr die muſikaliſche Entwickelung, daß 
man, nach dem erſten Anhören, wirklich das Ganze 
erfaßt hat, und das Einzelne in wahrer Kunſt⸗Un⸗ 
ſchuld und Beſcheidenheit verſchwindet. 

Mit einer ſeltenen Entſagung, deren Größe 
nur derjenige ganz zu würdigen verſteht, der weiß, 
was es heißt, die Glorie des momentanen Beyfalls 
zu opfern, hat Hr. Hoffmann es verſchmaͤhet, ein⸗ 
zelne Tonſtuͤcke auf Unkoſten der übrigen zu berel⸗ 
chern, welches ſo leicht iſt, wenn man die Aufmerk⸗ 


P 


Carl Maria von Weber 377 


amkeit auf ſie lenkt durch breitere Ausfuͤhrung und 
Ausſpinnen, als es ihnen eigentlich als Gliedern 
des Kunſtkoͤrpers zukommt. Unaufhaltſam ſchreitet 
er fort, von dem ſichtbaren Streben geleitet, nur 
immer wahr zu ſein und das dramatiſche Leben 
zu erhoͤhen, ſtatt es in ſeinem raſchen Gange auf⸗ 
zuhalten, oder zu feſſeln. So verſchieden und tref⸗ 
fend bezeichnet, die mannigfaltigen Charaktere der 
handelnden Perſonen erſcheinen, ſo umgiebt ſie, 
oder ergiebt ſich vielmehr doch aus allem, jenes ge⸗ 
ſpenſterhafte, fabelnde Leben, deſſen ſuͤße Schauer⸗ 
Erregungen das Eigenthuͤmliche des Maͤrchenhaften 
ſind. — Am maͤchtigſten ſpringt Kuͤhleborn hervor, 
(Ref. ſetzt die Bekanntſchaft mit dem Märchen 
voraus) durch Melodien Wahl und Inſtrumentation, 
die, ihm ſtets treu bleibend, ſeine unheimliche Naͤhe 
verkuͤndet. Da er, wo nicht als das Schickſal ſelbſt, 
doch als deſſen naͤchſter Willens⸗Vorſtrecker, er⸗ 
ſcheint, ſo iſt dies auch ſehr richtig. Naͤchſt ihm, 
das liebliche Wellenkind Undine, deren Tonwellen 
bald lieblich gaukeln und kraͤuſeln, bald auch maͤch⸗ 
tig gebietend ihre Herrſcherkraft kuͤnden. Hoͤchſt 
gelungen, und ihren ganzen Charakter umfaſſend, 
duͤnkt Ref. die Arie im 2tem Akt, die fo ungemein 
lieblich und geiſtvoll behandelt iſt u. ſ. w. — Der 
feurig wogende, ſchwankende, jedem Liebeszuge ſich 
binneigende Huldbrand, und der fromme, einfache 
Geiſlliche, mit feiner ernſten Choral⸗Melodie, find 
dann am bedeutendſten. Mehr in den Hintergrund 
treten Bertalda, Fiſcher und Fiſcherin, Herzog und 
Herzogin. Die Chöre des Gefolges athmen heite⸗ 


378 über Hoffmann. 


res, reges Leben, das ſich in einigen Gtäden zu 
ungemein wohlthuender Friſche und Luſt erhebt 
und entfaltet, im Gegenſatze zu den ſchauerlichen 
Choͤren der Erd- und Waſſer⸗Geiſter in gedraͤngten, 
ſeltſamen Fortſchreitungen. 

Am gelungenſten und wuͤrklich groß gedacht er⸗ 
ſcheint Ref. der Schluß der Oper, wo der Compo⸗ 
niſt noch als Krone und Schluß⸗Stein alle Harmo⸗ 
niefuͤlle rein achtſtimmig im Doppelchore ausbreitet, 
und die Worte „gute Nacht aller Erdenſorg' und 
Pracht“, mit gewiſſer Große und ſuͤſſer Wehmuth 
erfuͤllten Melodie ausgeſprochen hat, wodurch der 
eigentlich tragiſche Schluß doch eine ſo herrliche 
Beruhigung zuruͤcklaͤßt. Ouverture und Schluß⸗ 
chor geben ſich hier, das Werk umſchließend, die 
Hände. Erſterer erreget und eröffnet die Wunder⸗ 
welt, ruhig beginnend, im wachſenden Drängen, 
dann feurig einherſtürmend, und hierauf gleich un⸗ 
mittelbar, ohne gänzlich abzuſchlleſſen, in die Hand⸗ 
lung eingreifend, letzterer beruhiget und befriedigt 
vollkommen Das ganze Werk if eines der geiſt⸗ 
vollſten, uns die neuere Zeit geſchenkt hat. Es 
iſt das fchöne Reſultat der vollkommenſten Ver⸗ 
trautheit und Erfaſſung des Gegenſtandes, voll⸗ 
bracht durch tief uͤberlegten Ideengang und Be⸗ 
rechnung der Wirkungen alles Kunſt Materials, 
zum Werke der fchönen Kunſt geſtempelt durch ſchöne 
und innig gedachte Melodien u. ſ. w. 


Geſchrieben Berlin im Januar 1817. 
Carl Maria von Weber. 


Druckfehler. 379 


Es wird gebeten, die hierunter verzeichneten Sinnzer⸗ 
ſtörenden Druckfehler vor dem Leſen zu verbeſſern. 
Uebrigens ſind eine Menge minder erheblicher ſtehen 
geblieben, deren Berichtigung der eignen Aufmerkſamkeit des 
Leſers überlaſſen wird. Namentlich haben die Setzer, ſich 
als ächte Berliner bewährend, keine Gelegenheit vorübergehen 
laſſen, Dativ und Accuſativ zu verwechſeln, immer ihm 
oder ſeinem zu ſetzen, wo es ihn oder ſeinen heißen 
ſoll, und umgekehrt, u. dergl. mehr. Die angeſtrengteſte 
Mühe des Herausgebers hat nicht alle dieſe Sünden tilgen 
können, und er hofft, daß kein Rezenſent fo grauſam ſeyn 
wird, fie ihm aufzubürden. 


BIER ie. 


4 8 


4 Sinnzerſtoͤrende Druckfehler. 

Theil 1. 

Seite 34 Z. 12 v. o. I. dir für idr. 

136 — 14 — 1 im Spiel für wie Spiel. 

223 — 16 — 1. Rehberg für Rohberg. 

247 — 15 — iſt viel vor vielfältiger zu ſtreichen. 

261 — 15 — l. fein für feinem. 

270 — 13 — I. meinen muſikaliſchen für meine 
muſikaliſche. 

(Dieſe Beiſpiele mögen hinreichen, den oben gerüg⸗ 

ten Berolinismus der Herren Setzer zu beweiſen. 

Sie wiederholen ſich unzählig oft, und legen wenig⸗ 

ſtens für die Conſequenz ihrer Urheber Zeugniß ab.) 

— 290 — 15 — if hinter ſolche, und vor geflißent⸗ 

5 lich, nicht, zu ſetzen; — ſolche 
nicht geflißentlich. 

310 — 10 — l. Wernerſchen Trauerſpiel für Mo⸗ 
zartſchen Trauerſpiel. 


Theil 2. 


Bach 


I» 


Sie 46 3. 1 v. o, I, sposa für spoea. 
Er. — 3 — find & und smorzata zu trennen. 
Ebd. — 5 — desgleichen credo und essere. 


— 107 — 9 v. o. I. einen für einem. 
— 154 — 16 — l. verſchwundene für verſchwundenen. 
— 301 letzte Zeile v. u. I. einbürgern für einbürgen. 


380 


„ir 


Auf die Anfragen mehrerer Freunde bemerkt | 
der Herausgeber, daß fein 10 hi 

Lebens Abri Friedrich kubwig Za⸗ 

charias Werners | 
zu Ende Map's oder Anfange Junp's d. J., im 
Verlage der Sander ſchen Buchen hieſelbſt, 
erſcheinen wird. I 


Im April 1823. 


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— 


Gedruckt bei Johann Friedrich Starcke. 


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