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r.u/iv^ (itZii. -
Baruch de Spinoza:
^llmtliche philosophische Werice.
Herausgegeben von
Q. Baensch, A. Buchenau, O. Gebhardt,
J. H. V. Kirchmann, C. Schaarschmidt.
Zweiter Band:
1. Prinzipien der Philosopliie von Descartes.
2. Verbesserung des Verstandes nnd politische Abhandlung.
3. Briefwechsel.
LEIPZIG.
YEBLAQ DEK DÜRR'SCHEN BUCHHANDLUNG.
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Philosophische Bibliothek
Band 94.
Baruch de Spinoza.
I. Descartes' Prinzipien der Philosophie auf
geometrische Weise begründet
II. Anhang, enthaltend metaphysische
Gedanken.
Dritte Auflage.
Neu übersetzt und herausgegeben
von
Dr. Artur Bnehenau.
^
Leipzig.
Verlag der Dürr'schen Buchhandlung.
1907.
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Druck voD C. Orambftch in Leipzig.
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Einleitung.
Nicht weit tmi dem hoUändischen Flecken Ehde-
geest» in dem einst Descartes seine Prinzipien aofi-
gearbeitet, liegt das ansehnliche Dorf Rijnsburg, in
das sich Spinoza im Jahre 1660 zurückzog. Hier,
,,nnt» armen Handwerkern nnd Banem, fröhlichen,
flachshaarigen Kindern lund ernsten HSnnern hanste
der stille, bleiche Denker fast drei Jahre*^. Während
Spinoza sich so vor der Welt Terschlofl, entfaltete er
eine rege schriftstellerische Tätigkeit Es entstand zu-
nächst der kürze Traktat ,,Von Gott, dem Menschen
und dessen Glückseligkeit^, auch scheint sich ge-
rade in dieser Zeit die Vorliebe Spinozas für die
geometrische Methode ansgebildet za haben. So ist
er nm die Mitte des Jahres 1661 damit beschäftigt,
das zweite Kapitel des ersten Baches dw kurzen Ethik
in .die Form der Euklidischen Geometrie zu kleiden.
Im folgenden Jahre begann er mit der Ethik (& d. Ein-
leitung zu der Übersetzung von Baensch. Ph. B.
Bd. 92), deren erstes Buch er im Jahre 1663 im
Manuskript an seine Freunde sandte. Indessen fand
^ dieses große Werk seinen Abschluß erst im Jahre 1675.
^ In Rijnsburg .entstand auch die unten folgende
O Schrift^ die einzige, die unser Philosoph mit voller
^ Neinnung seines Namens herausgegeben hat Diese
X Schrift ging aus dem Unterricht hervor, den Spi-
Qfs TkoiA damals einem jungen Theologen namens Johannes
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IV Einleitung.
Casearius erteilte (s. das Nähere in Anm. 4). Dem
unreifen Jüngling glaubte Spinoza seine eigene Lehre
vorenthalten zu müssen, und so boten sich ihm in
seinem Unterrichte zwei andere Gedankenkreise dar,
welche die Grundlagen der philosophischen Bildung
der damaligen Zeit bildeten: die jüngere Scholastik
und die Philosophie von Descartes. ,,Die erstere war
... in dieser Zeit keineswegs aus den Schulen der
Niederlande geschwunden. Seit den dreißiger Jahren
aber mußte sie die Herrschaft mit der cartesianischen
Philosophie teilen. Diese gewann von Jahr zu Jahr
immer zahlreichere Anhänger, freilich unter erbitt^ter
Gegenwehr der um Sein oder Nichtsein kämpfenden
Scholastik. Während man auf der einen Seite Des-
cartes zu den Sternen hob, ward er auf der anderen
für einen der geföhrlichsten Feinde des Staates
und der Religion erklärt . . . Die heftigen, unauf-
hörlich erneuten Angriffe blieben nicht wirkungslos,
sondern veranlaßten wiederholte Verbote der angeb-
lich religionsfeindlichen Lehre. Im Jahre 1642 unter-
sagte der Senat der Utrechter Universität, im Jahre
1648 das Kuratorium der Leidener Hochschule das
Studium Descartes'. Diesen Verboten folgte im Jahre
1656 ein Edikt der Staaten von Holland, durch welches
der Unterricht in der cartesianischen Philosophie ver-
boten wurde.'' So drang denn die Scholastik auch da
wieder ein, wo man sie zuvor vertrieben und durch
die modernen Lehren, insbesondere die Descartes',
ersetzt hatte. So stand es um die Philosophie in den
Niederlanden ums Jahr 1661, als Spinoza begann,
seinem Hausgenossen und Schüler Casearius Unter-
richt in der Philosophie zu geben. „Er lehrte ihn
die grundlegenden Teile der Philosophie kennen, d. h.
Metaphysik und Naturphilosophie, die Descartes selbst
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Binlaitimg. V
als Wurzel und Stamm der Philosophie bezeichnet
hatte. Hierbei folg^ er dem im benachbarten Lieiden
geltenden System des philoeophisch^i Unterrichts und
lehrte Metaphysik im Anschluß an die Formen der
Scholastik, Physik dagegen völlig nach Anleitung Des-
cartee." Spinoza hielt es für geraten, sich bei der
Darstellung der Metaphysik nicht so sehr an Des-
cartes, als an die jüngeren Scholastiker zu halten,
z. B. an Suarez» Martini, Scheibler, Burgersdijk. „Da-
durch erhielt er auch Gelegenheit, dem Schüler mit der
Bedeutung wichtiger Schulbegriffe bekannt zu machen,
über die man bei Descartes, wie man diesem in
der Tat zum Vorwurf machte, keine Belehrung fand.^
Indessen ist es dabei sein Bestreben, von allen scho-
lastischen Spitzfindigkeiten und unnützen Klopf-
fechtereien abzusehen und an die Schulbegriffe selbst
Untersuchungen anzuknüpfen, die ganz in der Rich-
tung der Lehren Descartes' liegen. Die eigenen An-
schauungen glaubte er zwar zurückdrängen zu müssen,
abear „es konnte nicht fehlen, daß er des öfteren,
bald in leisen Winken, bald in verständlichen An-
deutungen, auf seine eigenen Lehren hinwies und
damit sich ebensoweit von Descartes, wie von der
Scholastik entfernte'^ In der Darstellung der Physik
(Teil II und III) hielt Spinoza sich ganz an Descartes'
Prinzipien, wie er denn überhaupt auf diesem Gebiete
wenig Selbständigkeit zeigt (s. unten Anm. 65 und 76).
Spinoza würde diese Schrift vielleicht niemals
veröffentlicht haben, wenn ihn nicht seine Freunde
zur Herausgabe gedrängt hätten. „Die meisten von
ihnen waren Anhänger des Cartesianismus, aber An-
hänger, die ihm nicht blindlings ergeben waren,
sondern mit ihm spinozische Gedanken zu verbinden
wußten. Darum mußte ein Lehrbuch der cartesia-
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VI Einleitong.
nischen Metaphysik und Physik in geometrischer Form,
wie es von Spinoza geschaffen war, ihnen und allen
Gleichgesinnten höchst willkommen sein. Zugleich
konnte es zur Rechtfertigung Spinozas und zur Ab-
wehr der Angriffe dienen, die von den orthodoxen
Anhängern Descartes' gegen ihn gerichtet wurden . . .
Daß man derartiges von der Herausgabe der Prin-
cipia und Cogitata erhoffte, hebt einer der Bio-
graphen Spinozas hervor/' Spinoza erklärte sich mit
der Absicht seiner Freunde einverstanden, verlangte
aber, daD einer von diesen den Stil der Schrift glätten
und eine Einleitung dazu schreiben solle. Diesem
doppelten Wunsche kam sein Freund, der Arzt Ludwig
Meyer, nach (s. unten Anm. 1). „Spinoza selbst unter-
warf die früher abgefaßten Teile der Schrift einer
Durchsicht, verbesserte und ergänzte manches und
schloß durch Verweisung^ von den metaphysischen
Gedanken auf die Prinzipien und von diesen auf jene
die ursprünglich getrennten Teile des Werkes fest
an einander. Die in der üblichen Form philosophischer
Schriften abgefaßten metaphysischen Gedanken wurden
nun, besonders infolge des hohen Wertes, den
man der geometrischen Form der Prinzipien zuer-
kannte, aus ihrer bevorzugten Stellung verdrängt und
nur als Anhang dem Ganzen beigefügt So er-
schien denn das Werk im Jahre 1663 zu Amsterdam
im Verlage des wackeren Rieuwertsz unter dem Titel:
Renati des Cartes principiorum philosophiae Pars I
et II, More Geometrico demonstratae per Benedictum
de Spinoza Amstelodamensem. Accesserunt Ejusdem
Cogitata metaphysica.^
Spinoza selbst hat der Schrift, und zwar, wie mir
scheint, mit Recht» nur wenig Wert beigelegt. Sie
sollte ihm wohl nur den Weg zu anderen Veröffent-
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EinleikiDg. VII
lichungen bahnen. Das in der Originalausgabe la-
teinisch geschriebene Werk wurde im folgenden Jahre
(1664) ins Holländische übersetzt. Da sich nicht fest-
stellen lieD, inwieweit die Abweichungen in dieser
Übersetzung von Spinoza selbst herrühren, so habe
ich bei meiner Übersetzimg nur den lateinischen Text
zugrunde gelegt Benutzt habe ich dabei die beiden
Teztausgaben von van Vloten und Land (Opera Bene-
dicti de Spinoza rec. J. van Vloten et J. P. Land.
Editio altera. Tomus tertius Hagae 1895 pag.
105 — 234) und von Ginsberg (Spinozae Opera philo-
fiophica voL IV. Heidelberg 1882. XXIV und 131 S.).
Die erstere Ausgabe ist in kritischer Beziehung vor-
zuziehen, enthalt aber eine Reihe störender Drude-
fehler. Von der Eirchmannschen Übertragung ist nicht
viel stehen geblieben, da ich mich gerade bei den
wichtigsten metaphysischen und physikalischen Be-
griffen gezwungen gesehen habe, die Terminologie
gänzlich zu ändern. Ich habe versucht, konsequent
dasselbe lateinische Wort durch denselben Aus-
druck im Deutschen wiederzugeben und den Haupt-
wert auf Klarheit und Durchsichtigkeit des gedank-
lichen Zusammenhangs gelegt In stilistischer Be-
ziehung ist die Schrift auch im lateinischen Urtext
wenig hervorragend. Das erklärt sich ohne weiteres
ans der Kürze der Abfassungszeit (s. u. Anm.'l) und
aus dem geringen Wert» den Spinoza selbst ihr beilegte.
Bei der obigen Einleitung und den Anmerkungen
habe ich mich hauptsächlich auf die Untersuchungen
Freudenthals gestützt (s. betreffs der Spinoza-Literatur
Baenschs Ausgabe der Ethik S. VIII), aus dessen
Werk: Spinoza, sein Leben und seine Lehre. Erster
Band. Das Leben Spinozas (Fünftee Kapitel) ich die
obigen Zitate mit Genehmigung des Autors entnommen
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VIU Einleitang.
habe. Da dem Texte ein ausführliches Inhaltsver-
zeichnis hinzugefügt ist^ so glaubte ich auf ein Sach-
register verzichten zu dürfen.
Wenngleich die vorliegende Schrift heute nur
noch geringen sachlichen Wert besitzt, so ist sie
doch für denjenigen nicht ohne historisches Interesse,
der sich über die Beziehungen zwischen Descartes
und Spinoza und über die Nachwirkungen der Scho-
lastik im 17. Jahrhundert klar zu werden sucht, und
so darf sie wohl in einer Ausgabe der Werke Spi-
nozas nicht fehlen.
Zum Schluß erübrigt es mir noch, Herrn Ge-
heimrat Professor Dr. Freudenthal in Breslau meinen
herzlichsten Dank für die Liebenswürdigkeit auszu-
sprechen, mit der er mir erlaubt hat, mich bei der
vorliegenden Ausgabe der gesicherten Ergebnisse
seiner langjährigen Studien über Spinoza zu bedienen.
Darmstadt, im Dezember 1906.
Artur Buehenau.
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Den genelg^ten Leser
grüßt
Ludwig Meyer/)
Daß die mathematische Methode» bei der ane
Definitioiieni Postulaten und Grundsätzen die Schlul}-
folgen abgeleitet werden, bei der Erforschung und
Oberlieferung der Wissenschaften der beste und
sicherste Weg zur Auffindung und Mitteilung der
Wahrheit ist, gilt als die einstimmige Ansicht all
derer, die mit üirem Wissen über der großen Menge 10
stehen wollen. Und zwar mit vollem Recht; denn da
alle sichere und feste Kenntnis eines unbekannten
Gegenstandes nur aus etwas zuvor sicher Erkanntem
geschöpft und abgeleitet werden kann, so wird dieses
notwendig vorher von unten her als unerschütterliche
Grundlage zu legen sein, damit dann das ganze Ge-
bäude der menschlichen Erkenntnis darauf so aufgebaut
werde, daß es nicht von selbst zusammenbricht, noch
auch durch den geringsten Anstoß zugrunde geht.
Daß nun das, was insgemein die Mathematiker als 20
Definitionen, Postulate und Axiome zu bezeichnen
pflegen, derart beschaffen ist, wird niemandem zweifel-
haft erscheinen, wenn er auch die edle Wissenschaft
der Mathematik nur flüchtig kennen gelernt hat. Denn
die Definitionen sind nichts anderes als die möglichst
deutlichen Elrklärungen der Zeichen und Namen, mit
denen die betreffenden Gegenstände belegt werden;
die Postulate aber und die Grundsätze, oder die Allge-
meinbegriffe des Geistes sind derart klare und deut-
liche Aussagen, daß niemand, der nur den Sinn der SO
SpiaosA, Prinzipien ron BetoartM. 1
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2 Voirede.
Worte richtig versteht, ihnen seine ZnBtimmnng über-
haupt verweigern kann.
Wenngleich indessen sich dies so verhält, so findet
man doch, mit Ausnahme der Mathematik, fast keine
andere Wissenschaft nach dieser Methode behandelt,
sondern nach einer himmelweit verschiedenen, wenn
man sie mit derjenigen vergleicht^ wobei durch De-
finitionen und Einteilungen, die unter sich stetig
verknüpft und hie und da mit Aufgaben und Er-
10 klärungen untermischt sind, das ganze Geschäft er-
ledigt wird. Denn früher waren beinahe alle, und
jetzt sind noch viele von denen, die Wissenschaften
aufzustellen und darzustellen unternahmen, der An-
sicht, jene Methode sei eine Eigentümlichkeit der
mathematischen Wissenschaften, derart, daß sie bei
allen anderen Wissenschaften abzuweisen und zu
verachten sei. Daher kommt es, daß sie ihre Be-
hauptungen durch keine schlagenden Gründe beweisen,
sondern nur versuchen, sie durch wahrscheinliche und
ao scheinbare Gründe zu unterstützen. So bringen sie
einen Haufen dicker Bücher zustande, in denen nichts
Festgegründetes und Gewisses zu finden ist, die viel-
mehr von Streit und Zwiespalt voll sind. Was von dem
einen mit schwachen Gründen halbwegs befestigt wor-
den, wird bald darauf von dem anderen widerlegt
und mit denselben Waffen umgestürzt und wegge-
fegt So sieht der nach der xmabänderlichen Wahr-
heit verlangende Geiste statt für sein Streben ein
ruhiges Fahrwasser zu finden, wo er sicher und glück-
80 lieh überfahren und demnächst in den erwünschten
Hafen der Erkenntnis gelangen kann, sich schwan-
kend und ohne Ende in dem stürmischen Meere
der Meinungen umhergeechleudert, umgeben von den
Stürmen der Streitigkeiten und überspült von den
Wellen der Ungewißheit^ ohne Hoffnung, ihnen jemals
entkommen zu können.
Es gab wohl Männer, die hierüber anders dachten
und aus MiÜeid über dieses elende Schicksal der
Philosophie jenen gemeinen und von allen ausgetrete-
40 nen Weg der Behandlung der Wissenschaften verließen
und einen neuen, allerdings steilen und mit vielen
Schwierigkeiten erfüllten Weg betraten, um neben der
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Vorrodtt. 8
Mathematik der Nachwelt auch die übrigen Teile der
PhQofiophie in mathematischer Weise nnd Sicherheit
begründet zu hinterlassen. Einige von diesen behan-
delten in dieser Weise die geltende und in den Schulen
grelehrte Philosophie, andere eine neue, durch eigne
Kraft gefundene Philosophie und übergaben sie der
wissenschaftlichen Welt Lange wurde diese Arbeit
von vielen ohne Erfolg verhöhnt, bis endlich jenes
glänzendste Licht unseres Jahrhunderts, Ren6 Des-
oartes, sich erhob, der, zunächst in der Mathematik, 10
das, was die Alten nie hatten erreichen können, und
was seine Zeitgenossen nur verlangen konnten, durch
eine neue Methode jaus dar Finsternis an das Licht
sog und sodann die unerschütterlichen Grundlagen der
Pli^osophie ermittelte und durch seine eigne Tat zeigte,
daß eine Beihe von Wahrheiten mit mathematischer
Ordnung und Gewißheit darauf errichtet werden kann,
was allen so klar wie die Sonne einleuchtete^ die sich
Beinen nie genug zu rühmenden Schriften mit Fleiß
zuwandten. *) 20
Indes befolgen die philosophischen Schriften dieses
edlen und unvergleichlichen Mannes zwar die in der
Mathematik übliche Beweisart und Ordnung, aber sie
sind doch nicht in jener, in den Elementen des Euklid
und der übrigen Geometer gebräuchlichen Methode
ausgearbeitet, wobei die Qefinitionen, Postulate und
Grundsätze vorausgeschickt werden, und dann die Lehr-
sätze mit ihren Beweisen folgen; vielmehr ist seine
Methode davon sehr verschieden, die er selbst als den
wahren und besten Weg für die Mitteilung bezeichnet 30
and die er die analytische nennt Denn am Ende seiner
„Ebrwiderung auf die zweite Beihe von Einwürfen^'
erkennt er an, daß es zwei Arten des überzeugenden
Beweises gebe; eine analytische, „die den wahren Weg
zeigt, auf dem der Gegenstand methodisch und gleich-
sam a priori gefunden worden ist,^ die andere sei
die qrnthetische, „die sich einer langen Beihe von
Definitionen, Postulaten, Axiomen, Theoremen und
Problemen bedient, sodaJ} sie, wenn man ihr irgend-
welche Xonsequenzen bestreitet, sogleich zu zeigen 40
vermag, daß ^ese im Vorhergehenden enthalten smd,
wodurch sie von dem Leeer trotz seines Wider-
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4 Voirede.
BtrebeoB und seiner Hartnäckigkeit die Zustimmung
erpreßt''»)
Indes wenn auch in diesen beiden Arten der
Begründung die über allen Zweifel erhobene Crewiß-
heit enthalten ist, so sind sie doch nicht für jedermtann
Sleich zweckmäßig und passend. Den meisten sind
ie mathematischen Wissenschaften fremd, und sie
kennen daher weder die synthetische Methode, in der
sie dargestellt werden, noch die analytische, durch die
10 sie entdeckt worden sind; deshalb können sie die in
diesen Büchern behandelten und überzeugend bewiese-
nen Dinge weder selbst verstehn, noch auch anderen
mitteilen. Daher kommt es, daß viele, von blindem Eifer
getrieben oder durch das Ansehen anderer bestimmt^
sich an den Namen von Descartes gehalten und seine
Ansichten und Lehren nur dem Gedächtnis eingeprägt
haben, aber, wenn darauf die Rede kommt^ nur reden
und mancherlei schwatzen, ohne imstande zu sein,
etwas zu beweisen; gerade so, wie das ehedem gescfalah,
20 und wie es noch heute bei den Anhängern der peri-
patetischen Philosophie üblich ist. Um diesen Leuten
etwas zu Hilfe zu kommen, habe ich oft gewünscht,
ein Mann, der in der analytischen und synthetischen
Methode erfahren und in den Schriften des Des-
cartes bewandert und mit seiner Philosophio vertraut
wäre, mochte die Hand ans Werk legen und das, was
jener in analytischer Weise dargestellt, in die synthe-
tische umarbeiten und in der gebräuchlichen geometri-
schen Art begründen. Ich selbst habe, obgleich ich
30 meine Unfähigkeit kannte und wußte, daß ich einem
solchen Unternehmen nicht gewachsen war, doch die
Absicht gehabt, diese Arbeit zu unternehmen und
sogar damit einen Anfang gemacht; indessen haben
andere zerstreuende Geschäfte mich an der Port-
setzung dieses Unternehmens gehindert.
Es war mir deshalb erfreulich» als ich hörte, daß
unser Verfasser einem seiner Schüler^), als er ^esen
in der Philosophie des Descartes unterrichtete, den
ganzen zweiten und einiges von dem dritten Teile der
40 Prinzipien in der Form geometrischer Beweise und
ebenso einige der wichtigsten und schwierigsten Fragen
der Metaphysik, die Descartes noch nicht erlemgt
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Yonede. 6
hatie^ diktiert habo, und daß er auf Bitten und Drän-
gen seiner Freunde gestattet habe, diese Diktate mit
seinen Verbesserungen und Zusätzen zu veroffent-
lichen. Deshalb stimmte auch ich bei und bot gern
meine Hilfe an, soweit es deren bei der Herau»-
gal>e bedürfen sollte. Auch redete ich dem Verfasser
sa und bat ihn, den ersten Teil der Prinzipien ebenso
zu. behandeln und voranzustellen, damit das Ganze
von Anfang an, so geordnet, besser verstanden werden
und mehr Gefallen finden möchte. Da er das Triftige
dieser Grunde einsah, so wollte er den Bitten der
Freunde wie dem Vorteil der Leser nicht entgegen-
treten und übergab mir die Sorge für den Druck und
die Herausgabe, da er selbst fern von der Stadt auf
dem Lande lebte und sich so damit nicht abgeben
konnte.
Dies ist es, geneig^ Leser, was ich dir in diesem
Buche übergebe; nämlich den ersten und zweiten Teil
und ein Stück des dritten von Descartes' Prinzipien ^
der Philosophie^ denen ich als Anhang die ,Meta-
physischen Gedanken' unseres Verfassers beigefügt
habe. Indes mochte ich das, was ich hier und ai3 dem
Titel verspreche, in Bezug auf den ersten Teil der Philo-
sophie nicht so verstanden haben, als wenn alles
darin von Deecartes Gesagte hier in geometrischen
Beweisen wiedergegeben wurde; vielmehr ist dieser
Ausdruck nur von dem Wichtigeren entlehnt, und es
ist ^ur das Bedeutendere, was die Metaphysik betrifft
und was Descartes in seinen Meditationen behandelt
hat» daraus auf genommei^ alles andere aber, was die SO
Logik betrifft (^er nur historisch erzählt und erwähnt
wird, weggelassen worden.
Um ^es leichter auszuführen, hat der V^fasser
hi^ fast alles das wörtlich aufgenommen, was Des-
cartes gegen Ende meiner „Antwort auf die zweiten
Einwürfe" in geometrischer Form sagt; es sind also alle
seine Definitionen vorausgeschickt und die Lehrsätze
denen des Verfassers eingefügt worden. Nur die
Grundsätze sind nicht fortwährend den Definitionen
angehängt worden, sondern erst nach dem vierten 80
Lehrsatz eingeschoben, und ihre Ordnung ist der bessern
Begründung halber geändert, auch ist einiges Über-
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6 Vorrede.
flüssige weggelassen worden. Obgleich diese Grund-
sätze (wie es ;auch bei Descartes selbst in seinem
7. Postulat geschieht) wie Lehrsätze hätten bewiesen
und besser unter dem Namen von Lehrsätzen hätten
aufgeführt werden können, und unserm Verfasser dies
wohl bekannt war und ich ihn darum gebeten hatte,
so konnte er doch bei den wichtigeren Arbeiten, mit
denen er sich beschäftigt, nur die Muße von zwei
Wochen hierzu verwenden, in welcher Frist er das
10 Werk vollenden mußte. Deshalb konnte er weder
seinen noch meinen Wünschen nachkommen, sondern
er fügte nur eine kurze Erläuterung bei, welche die
Stelle des Beweises vertreten kann, und verschob die
weitere auf das Ganze sich erstreckende Arbeit auf
eine spätere Zeit. Sollte nach Absatz dieser Auflage
eine neue nötig werden, so will ich mich darum l^
mühen, daß er sie vermehrt, und daß er den ganzen
dritten Teil über die sichtbare Welt vollendet, von
dem ich hier nur ein Stück beigefü^ habe, da der
20 Verfasser hier aufhören mußte, und ich dieees doch,
so klein es auch is^ den Lesern nicht vorenthalten
möchte. Damit dies in der richtigen Weise geschehe,
wird im zweiten Teile hie und da einiges über die
Natur und die Eigenschaften des Flüssigen einzufügen
sein, und ich werde nach Kräften dafür sorgen, daß
der Verfasser dies dann nachholt
Indessen weicht unser Verfasser nicht nur in der
Aufstellung und Erläuterung der Grundsätze, sondern
auch in dem Beweise der Lehrsätze und der übrigen
80 Folgesätze recht oft von Descartes ab und bedient
sich einer Beweisführung, die von der des letzt^en
sehr verschieden ist Msm fasse dies nicht so aui^ als
hätte er jenen berühmten Mann hierin verbessern
wollen; vielmehr ist dies nur zu dem Zwecke ge-
schehen, um die einmal angenommene Ordnung besser
aufrechterhalten zu können, ohne die Zahl der Grund-
sätze zu sehr zu vermehren. Deshalb mußte er auch
vieles, was Descartes ohne allen Beweis hingestellt
hat, beweisen und anderes, was jener ganz fiber-
40 gangen hat, hinzufügen.
Jedoch möchte ich vor allem darauf aufmerksam
machen, daß der Verfasser in allen folgenden Aus-
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YonedA. 7
fSfanm^en, nimlich im enten und zwehen TeQe der
Prinapien und in dem Bmchstflck des dritten Teilei»
sowie in seinen metaphvsiBchen Gedanken, die reinen
Ansichten Descartes' mit ihren Beweis» yorgetraffen
hat» so wie sie in dessen Schrift«! sich finden
oder wie sie ans dm von ihm gelegten Grundlagen
sich durch richtige Folgemngen notwendig ablmen
Keßen. Denn da er seinem Schaler Yersprochen hatte^
die Philosophie Descartes' za lehren, so war es fflr ihn
Gewissenssache^ von dessen Ansichten nicht eine Linie 10
brat absQweichen oder etwas za diktieren, was seiner
Ldire nicht entspräche oäfft gar widerspräche^ Man
darf deshalb nicht voranssetien, er spreche hier etwa
seine eignen Ansichten oder die des Descartes nnr, so-
weit er sie billigt» ans. Denn wenngleich er manches
iron des Descartes Lehre für wahr hält nnd^ wie er
ohne weiteres zugibt» manches von dem Seinigen hin-
zngeffigt hajt, so steht darin doch auch vieles, was er als
fabch verwirft, nnd worin er einer ganz verschiedenen
Ansicht huldigt Beispiele davon sind nnter anderem, SO
om nur ^es nnter vielen anzuführen, was sich über
den Willen in dem Zusatz zn Lehrsatz 16, T. L der Pru^
zipien und Eap. 12, T. n. des Anhangs findet; obgleich
hier die Beweise mit großer Anstrengung und mit
großem Aufwände geführt sind. Denn nach seiner
denen Ansicht ist der WiUe vom Verstände nicht ver*
schieden und noch weniger mit einer solchen Freiheit
bes^t Bei diesen ^tzen nimmt nämlich Des-
cartes, wie aus seiner Abhandlung über die Methode
(vierter Teil) und aus seiner zweiten Meditation und 80
anderen Stellen erhellt, ohne den Beweis dafür zu
bringen, an, die menschliche Seele sei eine unbedingt
denkende Substanz» während unser Verfasser zwar zu-
gibt^ daß es in der Welt eine denkende Substanz
gibt» allein bestreite^ daß sie das Wesen der mensch-
fichen Seele bilde; vielmehr nimmt er an, daß, so wie
die Ausdehnung durch keine Grenzen beschränkt ist^
auch das Denken durch keine Grenzen beschränkt sei;
so wie daher der menschliche Körper keine unbedingte
Ausdehnung ist» sondern eine in bestimmter Weise, 40
nach den Gesetzen der ausgedehnten Natur durch Be-
wegung und Buhe begrenzte» so, schließt er, ist auch
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8 Vorrede.
der Geist oder die Seele des Menschen nicht ein unbe-
dingtes, sondern ein nach den Gesetzen der denken-
den Natur durch Vorstellungen (ideae) in bestimmter
Weise begrenztes Denken, das, wie er schließt, not-
wendig gegeben ist, sobald der menschliche Körper zu
existieren beginnt Aus dieser Definition ist, wie er
glaubt, leicht zu beweisen, daß sich der Wille von
dem Verstände nicht unterscheidet und daß er noch
weniger die ihm von Descartes zugeschriebene Frei-
10 heit besitzt; selbst sein Vermögen, zu bejahen und zu
verneinen, ist nach ihm rein eingebildet; denn das Be-
jahen und Verneinen ist nichts Besonderes neben den
Vorstellungen, und die übrigen Vermögen, wie der Ver-
stand, die Begierde u.8. w., sind seiner Ansicht nach
zu den Einbildungen oder zu den Begriffen zu zahlen,
welche die Menschen durch Abstraktion gebildet haben,
wie z. B. der Begriff der Menschheit, der Steinheit
und andere derselben Art
Ich kann auch nicht unerwähnt lassen, daß der
20 an einigen Stellen vorkommende Ausdruck „dies oder
jenes übersteigt die menschliche Fassungskraft'* eben-
dahin gehört, d. h. daß er nur im Sinn des Descartes
gebraucht wird, und man darf dies nicht so verstehen,
als wenn der Verfasser dies als seine eigne Ansicht
ausspräche. Nach seiner Meinung kann vielmehr dies
alles und noch mehr und Höheres und Feineres nicht
bloß deutlich und klar von uns begriffen, sondern
auch ohne Schwierigkeit erklärt werden, wenn nur
der menschliche Verstand auf einem anderen als dem
80 von Descartes eröffneten und gebahnten Wege zur
Erforschung der Wahrheit und Erkenntnis der Din^e
geführt wird. Deshalb genügen nach seiner Ansicht
die von Descartes gele^n Grundlagen der Wissen-
schaften und das, was er darauf errichtet hat, nicht, um
alle schwierigen, in der Metaphysik auf tretenden Fra-
gen zu entwirren und zu lösen, sondern es bedarf
dazu noch anderer, wenn man seinen Verstand auf die
Höhe dieser Erkenntnis hinaufführen will.
Endlich (um mit dieser Vorrede zu Ende zu kom-
40 men) mögen die Leser nicht übersehen, daß alle diese
Untersuchungen nur zu dem Zwecke veröffentlicht wer-
den, um die Wahrheit zu finden, zu verbreiten und die
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Voirede. 9
Henschen zum Studium der wahrra und echten Philo-
sophie anzuregen. Ich bitte deshalb alle, bevor sie an
das Buch gehen, um die reichen Früchte daraus za ent-
nehmen, die ich ihnen von Herzen wünsche, vorher
einige Auslassungen nachzutragen und die einge-
schlichenen Druckfehler sorg^tig zu berichtigen^), da
sie zum TeU derart sind, daß sie einen Riegel gegen das
Verständnis der Beweise und der Meinung des Ver-
fassers bilden, wie man sich davon aus dem Verzeich-
nis leicht überzeugen kann.*)
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Die
Prinzipien der Philosophie
auf
geometriBche WelM begrtlndet.
Erster TeiLO
Einleitung.
Ehe ich mich zu den Lehrsätzen und deren Be-
weisen wende, scheint es mir passend, vorher knrs
darzolegen, weshalb Descartes an allem gezweifelt
hat» atS welchem sichern Wege er die Grundlagen 10
der Wissenschaften ermittelt, und mit welchen Mitteln
er sich endlich von allen Zweifeln befreit hat Ich
hatte dies alles in mathematische Form gebracht;
allein die hierzu nötige Ausführlichkeit wurde, nach
mriner Ansicht, vielmehr die richtige Elrkenntnis hier
gehindert haben, wo alles mit einem Blicls^ wie bei
einem Gemälde, überschaut werden muß. ^)
Descartes hat also, um möglichst vorsichtig
bei der Erkenntnis der Dinge vorzugehen, versucht:
1. alle Vorurteile abzulegen; 90
2. die Grundlagen zu findein, auf denen alles zu
errichten ist;
3. die Ursache des Irrtums zu entdecken;
4 alles klar und deutlich einzusehen.
Um nun zu dem Ersten, Zweiten und Dritten
hiervon zu gelangen, beginnt er alles zu bezweifeln;
indes nicht wie ein Skeptiker, der sich kein anderes
Sei, als zu zw^eln, vorsetzt» sondern um seinen Geist
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IS Prinsipien. Enter Teil
auf diese Weise von allen Vorurteilen zu befreien und
so endlich die festen und unerschütterlichen Grund-
lagen der Wissenschaften aufzufinden, die, wenn es
deren ^bt, ihm auf diese Weise nicht entgehen können.
Denn die wahren Prin^pien der Wissenschaften müssen
so klar und gewiß sein, daß sie keines weiteren Be-
weises bedürfen, daß sie der Gefahr des Zweifels
ganz entrückt sind, und daß ohne sie nichts bewiesen
werden kann. Auch fand er sie nach langem Zweifeln,
10 und nachdem dies geschehen, war es ihm nicht mehr
schwer, das Falsche vom Wahren zu unterscheiden und
die Ursachen des Irrtums zu entdecken. So schützte er
sich davor, daß er etwas Falsches oder Zweifelhaftes
für wahr und gewiß annähme.
Um nun aber das Vi^te und Letzte sich zu ver-
schaffen, d. h. alles klar und deutlich einzusehen,
galt es ihm als Hauptregel, alle einfachen Ideen, aus
denen sich die übrigen zusammensetzen, aufzuzählen
und jede einzeln zu prüfen. Denn — so dachte er —
20 wenn er erst die ein&chen Ideen klar und deutlich ein-
sehen könnte, so würde er unzweifelhaft auch alle
übrigen, die sich aus diesen ein&chen zusammensetzen,
ebenso klar und deutlich einsehen. Nachdem ich dies
vorausgeschickt, will ich kurz auseinandersetzen, wie
er alles in Zweifel ges&ogen, wie er die wahren Prin-
zipien der Wissensc&f t gefunden und wie er sich aus
allen Verwickelungen des Zweifels befreit hat.
Der Zweifel an aUem. Er stellt sich zunächst alles
das vor Augen, was er von den Sinnen empfangen
30 hatte; also den Himmel, die Erde und ähnliches; auch
seinen eignen Körper, was alles er bisher für wirk-
lich angenommen hatte. Er zweifelt nun an deren Ge-
wißheit, weil er entdeckt hatte, daß die Sinne ihn
mitunter getauscht hatten und er in seinen Träumen
oft überzeugt gewesen war, daß vieles außer ihm
wirklich bestände, das sich nachher als Täuschung
erwies, und weil er schließlich selbst von Wachenden
gehört hatte, daß sie sich über Schmerzen in längst
ihnen fehlenden Gliedern beklagten. Deshalb konnte
40 er nicht ohne Grund sogar an der Exiatenz seines
Korpers zweifln und aus alledem mit Becht folgern,
daß die Sinne nicht jene feste Grundlage sind, auf
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18
der sich die gaase Wissenflchaf t errichten Uflt (denn eie
können bezweifelt werden); daß vielmehr die Gewiß-
heit yon anderen für m» gewisseren Prinzipien ab-
hängt Um nun w^terhin derartige aofsospüren, stellt
er sich zweitens alle jene Gemeinbegriffe vor, wie
die körperliche Natur im allgemeineot ihre Aiuadeh-
nung» Gestalt, Größe o. s. w.; ebenso alle mathe-
matuchen WaJirheiten. Obgleich ihm diese gewisser
erschienen als alles, was er den Sinnen entlehnt hatte,
so fand er doch aoch hiw einen Grnnd, an ihnen zu 10
zweifeln, weil nämlich auch andere sich hierbei ge-
irrt haben und vorzüglich, weil seinem Gmste eme
alte Meinung eingeprägt war, daß es einen Gott gebe,
der alles vermöge, von dem er, so wie er sei, ge-
schaffen worden, und der deshalb es vielleicht so ein-
gerichtet habe^ daß er auch in dem sich tausche,
was ihm am klarsten erschiene. Auf diese Weise hat
er alles in Zweifel gezogen.*)
Die Auffindung der Qnmälage für aUee Wiiaen. Um
nun die wahren Prinzipien der Wissenschaften zu 20
finden, forschte Descartes weiter, ob alles, was er
sich vorstellen könnei, in Zweifel gezogen w^den könne,
um so zu entdecken, ob nicht vielleicht etwas übrig
bliebe, an dem er noch niemals gezweifelt habe.
Sollte er bei diesen Zweifeln etwas finden, was weder ge-
mäß dem Vorhergehenden» noch sonst auf eine, andere
Weise in Zweifel gezogen werden könnte, so urteilte
er mit Recht, daß dies ihm als die Grundlage selten
müsse, auf der er all seine Erkenntnis aufbauen
könne. Und obglMch er, wie es schien, schon an so
allem geeeweifelt hatte, da er sowohl das aus den
Stmen Geschöpfte^ als das durch den Uoßen Ver-
stand Erkannte bezweifelt hatte^ so blieb doch etwas
SU erforschen übrig, nämlich das Selbst desjenigen,
der so zwdfelte; allerdings nicht soweit ihm ein Kopf,
Hände und andere Glie^ zukommen, da er dies ja
schon bezweifelt hatte, sondern nur sofern er zweifelte,
dachte u. s. w. Dabei bemerkte er nun nach genauer
Untersuchung, daß er hieran aus keinem der JMheren
Gründe zweifeln könne. D^n w^on er auch träumend 40
oder wachend denke, so denke er doch und sei; und
wemi auch andere und er selbst in anderen Dingen sich
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14 Prinnpien. Bnter Teil.
geirrt hätten, so waren sie doch, weil sie irrten. Auch
vermochte er sich keinen Schöpfer seiner Nator so
listig za denken, daß er ihn hierin lauschen könnte;
denn man mtisse immer einräumen, daß der Denkende
sei, selbst wenn er getäuscht würde. Endlich könne
kein irgend deiücbarer Zweifelsgrund angeführt werden,
der ihm nicht zugleich volle Gewißheit über sein Dasein
gebe; vielmehr würden, je mehr Zweifelsgründe her-
beigebracht würden, damit auch ebenso viele Gründe
10 beigebracht, die ihn von seinem Dasein überzeugten.
So sah er sich, wohin er auch mit seinen Zweifeln,
sich wandte, dennoch zuletzt gezwungen, in die Worte
auszubrechen: Ich jmmfle, ich denk^ also hin icik.^^)
Mit Entdeckung dieser Wahrheit fand es auch
zugleich die Grundk^e aller Wissenschaften und das
Maß und die Regel für alle übrigen Wahrheiten, näm-
lich: AUes, was 80 klar und deutlich eingesehen wird, wie
dieser Satz, ist wahr.^^)
Daß es keine andere Grundlage für die Wissen-
20 Schäften als nur diese geben kann, erhellt zur Genüge
aus dem Vorhergeheiäen; denn alles andere kann
mit liCichtigkeit von una bezweifelt werden, nur dieses
niemals. Indes ist bei dieser Grundlage vor allen
Dingen anzumerken, daß der Satz: Ich zweifle, ich
denke, also hin ich, kein Schluß ist^ zu dem der Ober-
satz fehlt Denn wäre er dies, so müßten seine Vorder-
sätze klarer und bekannter sein als der Schluß auf das:
Ich hin, und deshalb wäre dieses Ich hin nicht die
erste Grundlage aller Erkenntnis. Auch wäre es kein
80 gewisser Schluß, da seine Wahrheit von den voraus-
gehenden Allgemeinbegriffen abhinge, die der V^-
fasser bereits in Zweifel gezogen lätte. Deshalb ist
dies: Ich denke, also hin ich, ein einziger Satz (unica
propositio), der mit dem anderen: Ich hin denkend, gleich-
bedeutend ist
Man muß f em^, um spätren Verwirrungen vor-
zubeugen, wissen (denn die Sache muß klar und deut-
lich eingesehen werden), was wir sind. Ist dies klar
und deutlich erkannt, so werden wir unser Dasein nicht
40 mehr mit anderem vermengen. Um also dies aus dem
Vorgehenden abzuleiten, fUirt unser Verfasser fol-
gendermaßen fort:
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Kinleitawg, 15
Alles» was er früher über sich gedacht ha^ raft
er sich ins Gedächtnis zurück; z. B., daß seine Seele
etwas Feines sei, was wie ein Wind oder Feuer oder
Äther in seinen gröberen Körperteilen verbreitet sei;
nnd daß sein Körper ihm bekannter sei als seine
Seele^ und jener deutlicher und klarer aufgefaßt werde.
Er braierkt nun, daß dies alles offenbar dem wider-
spricht, was er hier erkannt hatte; denn über seinen
Körper konnte er Zweifel haben, aber nicht über sein
Wesen, sofern er dachte. Dazu kam, daß er jenes 10
weder klar noch deutlich erfaßte und deshalb nach der
Vorschrift seiner Methode als falsch verwerfen mußte.
Da mithin dergleichen, soweit er sich selbst bis jetzt er-
kannt hatte^ nicht zu ihm gehören konnte, so fuhr
er fort, zu erforschen, was eigentlich so zu seinem
Wesen gehöre, daß er es nicht in Zweifel zu ziehen ver*
möchte, und woraus er deshalb sein Dasein zu folgern
genötigt seL Dazu gehört nun: ,tda8$ er «us% ffegm
TämBdmng schütsen gewoüt; daß er gewümcht, vides xu
ventdken; daß er an aüem^ was er nicht ru verstehen ver- SN)
moeki, getweifdt; daß er bi$ hierher nur Eines h^aht;
daß er aüee andere gdengnet und ait faitch beiseite ge-
worfen; daß er sieh vides, auch wider seinen Wiüen, in
der EinbUÄmg vorgesteOt, und daß er endtidi vieles so
aufgefaßt hat, als komme es von den Sinnen" Da er
nun aus diesem allen sein Dasein ebenso überzeugend
folgern und nichts davon zu dem Bezweifelten ^hlen
könne, und da endlich dies alles unter einem und
demselben Attribut befaßt werden könne, so folge,
daß dies alles wahr sei und zu seiner Nator gehöre. 80
Indem er also gesagt hatte: I<^ denke, waren damit
alle diese Zustände, nämlich das Zweifeln, das Ein-
* sehen, das Behaupten und Vemeinin, das WoUen, das
Nid^t-Woüen, das Einbilden und das Wahrnehmen als
Arten des Denkens begriffen. ^)
bisbesondere ist hier etwas zu bemerken, was
für das Folgende^ wo von dem Unterschied zwischen
Körper und Geist gehandelt werden soll, sich als sehr
nütdich erweisen wird, nämlich: 1. daß diese Arten
des Denkens ohne das übrige, was noch bezweifelt 40
wird, klar und deutlich erkannt werden können; 2. daß
der klare und deutliche Begriff, den wir davon haben,
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16 PriDzipien. Enter Teil.
dunkel und verworren wird, wenn man dieeen Zu-
standen etwas von dem, was noch bezweifelt wird»
zusetzen will.
Die Befreiung van allen Zweifeln. Um nun Über das
alles, was er in Zweifel gezogen hatte, Gewißheit zu
erlangen und allen Zweifel zu beseitigen, fahrt er
fort, die Natur des vollkommensten Wesens zu unter-
suchen, und zu forschen, ob es ein solches gibt Denn
sollte es gelingen, festzustellen, daß dieses voUkom-
10 menste Wesen existiert, durch dessen Kraft alles her-
vorgebracht und erhalten wird, und daß es dessen Natur
widerspricht, zu betrügen, dann wird jener Zweifels-
grund beseitigt, der daher kam, daß der Verfasser
seine eigene Ursache nicht kannte. Dann wird er
nämlich wissen, daß das Vermögen, Wahres vom
Falschen zu unterscheiden, ihm von dem allgütigen
und wahrhaften Gotte nicht, um ihn zu tauschen, ge-
geben worden, und so können dann die mathematischen
Wahrheiten und alles, waa ihm ganz evident erscheint»
02 nicht mehr verdächtig sein. Er geht dann weiter,
um auch die übrigen Ursachen des Zweifels zu be-
seitigen, und untersucht^ woher es denn kommt, daß
wir bisweilen irren. Sobald er nun fand, daß dies daher
kommt, daß wir unsern frmen Willen gebrauchen,
um auch dem beizustimmen, was wir nur verworren
erfaßt haben, konnte er ohne weiteres schließen, daß
er in Zukunft vor dem Irrtume sich schützen könne,
wenn er nur dem klar und deutlich Erkannten zu-
stimme. Jeder kann dies leicht erreichen, weil er die
80 Macht hat, seinen Willen zurückzuhalten und so zu
bewirken, daß er innerhalb der dem Verstände ge-
zogenen Grenzen bleibi^^) Allein da man in der
Jugend viele Vorurteile angenommen hat, von denen
man sich nicht so leicht b^eit, so fährt er fort, um
sich davon zu befreien und nur dem, was er klar
ui^ deutlich erfaßt, beizustimmen, die einfachen Be-
griffe und Ideen, aus denen alle unsere Gedanken
sich zusammensetzen, aufzuzählen und einzeln zu
prüfen, um zu sehen, was in ihnen klar und was
40 dunkel ist. Auf diese Weise wird er leicht das Klare
vom Dunkeln unterscheiden und klare und deutliche
Gedanken bilden und damit leicht den wirklichou Unter-
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Einleitang. 17
schied zwischen Seele und Körper finden können;
ebenso das, was in dem von den Sinnen Empfangenen
k]ar nnd was dunkel ist, und wie endlich sich der
Traum vom Wachen unterscheidet Nachdem dies ge-
schehen, konnte er nicht mehr an seinem Wachen
zweifeln und von seinen Sinnen nicht weiter getauscht
werden, und so befreite er sich von allen oben an-
geführten Zweifeln.
Indes muß, ehe ich hiermit schließe^ nioch denen
genügt werden, die folgendermaßen schließen: Da 10
das Dasein Grottes uns nicht durch sich selbst be-
kamit ist, so scheint es, daß wir über keine Sache
]e Gewißheit erlangen können; daß aber Grott existiert^
wird sich von uns niemals nachweisen lassen, da aus
ungewissen Vordersätzen (da wir ja alles für zweifel-
haft erklärt, solange wir unseren eigenen Ursprung
nicht kennen) nichts Gewisses gefolgert werden kann.
Um diese Schwierigkeit zu beseitigen, antwortet
Descartes in folgender Weise: Wir können deshalb,
weil uns noch unbekannt ist, ob der Urheber unseres 20
Daseins uns nicht vielleicht so geschaffen hat^ daß
wir getauscht werden, keineswegs in den Dingen, die
nns als das Gewisseste erscheinen, in Bezug auf
das zweifeln, was wir klar und deutlich an sich oder
durch Beweise, solange wir auf diese achthaben, er-
kennen; vielmehr können wir nur an dem zweifeln,
was wir früher als wahr bewiesen haben, und was
wieder in das Gedächtnis eintreten kann, ohne daß
wir nochmals auf die Gründe achten, aus denen es
abgeleitet worden, die wir also vergessen haben. Ob- 80
gleich also Gottes Dasein nicht durch sich, sondern
nur durch andres bekannt werden kann, so kann
man doch zu der sicheren Oberzeugung von dem Dar
sein Grottes gelangen, wenn man nur auf alle Vorder-
sätze, aus denen man es gefolgert hat^ ganz genau
achthat. Man vgl. T. 1 dar Prinzipien und die Ant-
^oori auf die gweiten Einwürfe Nr, 3 und das Ende der
fünften Meditation.
Da indes diese Antwort manchen nicht genügt^
so will ich noch eine andere geben. ^) Wir haben im 40
Obigen gesehen, wo von der Gewißheit und Bvidenz
unseres Daseins gesprochen worden, daß wir diese
Spinoift, Trlnsipien Ton DMOArte«. 2
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18 Prinzipien. Enter Teil.
daraufi gefolgert haben, daß, wohin wir auch die
Schärfe unseres Verstandes wandten, wir keinem
Zweifelsgrund begegneten, der nicht gerade da-
durch uns von diesem Dasein überzeugte, mochten
wir dabei nur auf unsere eigene Natur achthaben, oder
annehmen, der Urheber unserer Natur sei ein listiger
Betrüger, oder mochten wir schließlich irgend einen
anderen außer uns gelegenen Zweifelsgrund herbei-
2dehen; ein Fall, dem wir :noch bei keinem anderen
10 Gegenstand bisher begegnet waren. Denn man wird
allerdings, wenn man auf die Natur des Dreiecks
achtet, zu dem Schlusse genötigt, daß seine drei
Winkel gleich zwei rechten sind, allein man kann
doch diesen Schluß nicht daraus ableiten, daß man
von dem Urheber uns^er Natur vielleicht getäuscht
wird, wenngleich wir daraus unser eigenes Dasein
mit höchster Gewißheit gefolgert haben. Deshalb wird
man, wohin man auch die Schärfe seines Verstandes
wendet, keineswegs zu dem Schluß genötigt^ daß drei
20 Winkel des Dreiecks gleich zwei rechten seien; sondo-n
man findet vielmehr einen Anlaß zum Zweifel, weil
man keine solche Idee von Gott hat, die einen solchen
Einfluß hat, daß es unmöglich ist, Gott für einen Be-
trüger zu halten. Denn demjenigen, welchem die wahre
Idee Gottes mangelt» wie wir das von uns selbst
vorausgesetzt haben, ist es ebenso leicht^ zu denken,
daß sein Urheber ein Betrüger sei, als daß er es
nicht sei; genau wie der, welcher keine Idee von
dem Dreieck hat, ebenso leicht denken kann, daß
80 dessen drei Winkel zwei rechten gleich, wie nicht
gleich seien. Ich gebe deshalb zu, daß man von
keiner Sache, unser Dasein ausgenommen, trotz aller
Aufmerksamkeit auf ihren Beweis, unbedingte Gewiß-
heit hab^i könne, solange man keinen klaren und
deutlichen Begriff von Gott hat, der uns behaupten
läßt, daß Gott im höchsten Grade wahrhaftig sei,
so wie die Idee, die wir von dem Dreieck haben,
uns zu folgern zwingt, daß dessen drei Winkel gleich
zwei rechten seien. Allein ich bestreite, daß man des-
40 halb zur Erkenntnis keines einigen Gegenstandes ge-
langen könne. Denn wie sich aus all dem Gesagten
ergibt^ liegt der Angelpunkt der ganzen Sache darin,
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EinleitiiDg. 19
dafi wir uns einen derartigen Begriff von Gott za bil-
den vermögen, der uns so bestimm^ daß es uns nicht
gleich leicht ist, zu denken, er sei ein Betrüger» als er
sei 86 nicht; sondern der uns zwingt zu behaupten, Gott
sei im höchsten Grade wahrhaftig. Sobald wir näm-
Uch eine solche Idee gebildet haben, wird jener Grund
zur Bezweiflung der mathematischen Wahrheiten weg-
fallen. Denn mögen wir alsdann die Scharfe unseres
Verstandes richten, wohin wir wollen, um auf einen
Grand, an ihnen zu zweifeln, zu stoßen, so werden 10
wir dennoch nichts finden, woraus wir nichts ebenso
wie das hei unseren Dasein der Fall gewesen, folgern
mußten, daß ihre Wahrheit durchaus gewiß sei. Wenn
wir z. B., nachdem die Idee Gottes einmal gefunden,
auf die Natur dea Dreiecks achten, so wird uns dessen
Idee zu der Behauptung zwingen, daß seine drei
Winkel gleich zwei rechten seien; und wenn wir auf
die Idee Gottes achten, so wird uns diese zu der
Behauptung zwingen, daß er höchst wahrhaftig und
der Urheber unserer Natur und ihr immerwährender 20
Erhalter sei, und daß er deshalb uns m Bezug auf
]ene Idee nicht täusche. Ebensowenig werden wir,
wenn wir auf die Idee Gottes achthaben (deren ge-
schehene Auffindung hier vorausgesetzt ist), denken
können, daß er ein Betrüger sei, als wir bei der
Idee des Dreiecks denken können, daß dessen drei
Winkel nicht gleich zwei rechten seien. Und, so
wie wir eine solche Idee des Dreiecks bilden können,
obgleich wir nicht wissen, ob der Urheber unserer
Natur uns täuscht, so, können wir auch die Idee Gottes dO
uns deutlich machen und vor Augen steilen, wenn
wir auch noch zweifeln, ob nicht der Urheber unserer
Natur uns in allem tauscht. Und wenn wir nur diese
Idee haben, gleichviel auf welche Weise wir sie et-
langt haben, so wird sie, wie gezeigt, genügen, um
alle Zweifel zu beseitigen. Nach diesen Vorbemer-
kungen antworte ich auf das vorgebrachte Bedenken:
daß wir allerdings über nichts gewiH sein können, aber
nicht, solange das Dasein Gottes uns unbekannt ist
(denn davon ist jetzt nicht die Rede), sondern solange 40
wir keiue klare und deutliche Idee von ihm haben.
Will also l^nand mir entgegentreten, so muß sein
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20 Prinzipien. EreW Teil.
Beweis folgender sein: Wir können über nichts Ge-
wißheit haben, ehe wir nicht die klare und deut-
liche Idee Gottes besitzen; allein eine solche können
wir nicht besitzen, solange wir nicht wissen, ob der
Urheber unserer Natur uns nicht täuscht; folglich
können wir über nichts Gewißheit habeUi solange wir
nicht wissen, ob uns der Urheber unserer Natur nicht
täuscht u. 8. w. Hierauf antworte ich mit Einräu-
mung des Obersatzes und mit Bestreitung des Unter-
10 Satzes; denn wir haben eine klare und deutliche Idee
des Dreiecks, wenngleich wir nicht wissen, ob der
Urheber unserer Natur uns nicht vielleicht täuscht,
und wenn wir nun eine solche Idee auch von Gott
haben, wie oben ausführlich gezeigt, so werden wir
weder wegen seines Daseins noch wegen irgend einer
mathematischen Wahrheit mehr in Zweifel sein
können.
Dies vorausgeschickt**), gehe ich nun an die
Sache selbst
^ Definitionen.
I. Hit dem Worte Detiken befasse ich alles
das, was so in uns ist, daß wir uns seiner un-
mittelbar bewußt werden. *<^)
Deshalb sind alle Tätigkeiten des Willens, des
Verstandes, der Einbildungskraft und der Sinne ein
Denken. Ich habe aber zugesetzt: unmittelbar, um
das auszuschließen, was daraus erst folgt; so hat
eine freiwillige Bewegung zwar im Denken ihren Ur-
sprung, ist aber trotzdem nicht selbst ein Denken.
80 II. Unter einer Idee verstehe ich die Form
irgend eines Gedankens, durch 4&r&n unmit-
telbares Erfassen ich desselben Gedankensmir
bewußt bin.
Ich kann deshalb nichts mit Worten ausdrücken,
vorausgesetzt, daß ich das, was ich spreche, verstehe,
ohne daß dadurch schon gewiß ist, daß in mir eine
Idee von dem vorhanden ist, was durch jene Worte
bezeichnet wird. Deshalb nenne ich nicht nur die
in der Einbildungskraft abgemalten Bildw Ideen; ja,
40 ich nenne sie selbst Jceineswegs Ideen, sofern sie in
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Definitioneiu 21
der körperlichen Einbildung, d. h. in irgend einem
Teile des Gehin» abgebildet sind, sondern nur in-
soweit, als sie die auf diesen Teil des Gehirns ge-
richtete Seele unterrichten.
ni. Unter objektiver Bealiläi einer Idee verstehe
ich das Wesen (entitas) der durch die Idee
vorgestellten Sache, soweit dies Wesen in
der Idee ist.")
Ebenso kann man von objektiver Vollkommen-
heit oder von einem objektiven Kunstwerk u. s. w. 10
sprechen. Denn alles, was man als in den Objekten
der Ideen enthalten auffaßt, das ist in den Ideen
selbst objektiv.
IV. Von eben demselben sagt man, daß es
formal in den Gegenständen der Ideen sich be-
findet, wenn es derart darin ist, wie man es
erfaßt; und man sagt, daß es in eminenter Weise
in den Gegenständen ist, wenn es zwar nicht
derart darin ist, aber doch in einer Größe,
daß es die Stelle von jenem vertreten kann. 20
Wenn ich sage, die Ursache enthalte die Voll-
kommenheiten ihrer Wirkung in eminenter Weise, so
will ich damit andeuten, daß die Ursache die Voll-
kommenheiten der Wirkung in höherem Grade als die
Wirkung selbst enthält. Vgl. auch Grundsatz 8. *«)
V. Jedes Ding, dem unmittelbar, als einem
Subjekt, etwas innewohnt, oder durch das
etwas existiert, was man vorstellt, d. h. eine
Eigenschaft oder eine Beschaffenheit oder
ein Attribut, dessen wirkliche Idee in uns ist, 30
heißt 8vhstanzA9)
Denn von der Substanz haben wir, genau ge-
nommen, keine andere Idee, als .daß sie ein Ding
ist, worin formal oder eminent jenes Etwas besteht,
was wir auffassen, oder was gegenständlich in einer
unserer Ideen ist.
VI. Die Substanz, der unmittelbar das Den-
ken innewohnt, heißt Geist.
Ich sage hier lieber Geist (mens) als Seele {an%fna\
weil letzteres V7ort zweideutig ist und oft eine körper- 40
liehe Sache bezeichnet
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23 Prinzipien. Enter TeiL
VII. Die Substanz, welche das unmittelbare
Subjekt der Ausdehnung und der Accidenzen
ist, welche die Ausdehnung voraussetzen, wie
die Gestalt, die Lage, die Ortsbewegung u. s. w.,
nenne ich Körper.
Ob das nun ein und dieselbe Substanz ist, die
Geist und die Körper heißt, oder aber zwei ver-
schiedene Substanzen, soll später ermittelt werden.
VIII. Die Substanz, von der wir einsehen,
10 daD sie höchst vollkommen ist, und unter der
wir nichts vorstellen, was einen Mangel oder
eine Schranke der Vollkommenheit enthält,
heißt Gott.
IX. Wenn ich sage, daß etwas in der Natur
oder im Begriffe eines Dinges enthalten sei,
so ist das dasselbe, wie wenn ich sage, dies
sei von dem Dinge wahr oder könne wahrhaft
von ihm ausgesagt werden.
X. Zwei Substanzen werden als wirklich
20 verschieden bezeichnet, wenn jede derselben
ohne die andere existieren kann.^^)
Die Postulate'O ^^^ Descartes habe ich wegge-
lassen, weil daraus im Folgenden nichts abgeleitet
wird, doch bitte ich den Leser ernstlich, sie durch-
zulesen und aufmerksam zu erwägen.
Grundsätze.
I. Zur Erkenntnis und Gewißheit einer unbe-
kannten Sache gelangt man nur durch die Erkenntnis
und Gewißheit einer anderen, die an Gewißheit und
80 Erkenntnis jener vorangeht
IL Es gibt Gründe, die uns an dem Dasein
unseres Körpers zweifeln lassen.
Es ist dies in der Erläuterung darfi^elegt; deshalb
wird es hier als Grundsatz aufgestellt.
III. Wenn sich uns etwas anderes als der Greist
und der Körper darbietet^ so ist dies uns jedenfalls
weniger bekamt als der Geist und der Körper.
Diese Grundsätze behaupten nichts von Dingen
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Lehnats I, n, III. 38
außerhalb onserer selbet» sondern beziehen sich nur
auf das, das wir in uns, sofern wir ein denkendes
Wesen sind, antreffen.
Lehrsati L
Whr können Über nichts unbedingt gewiß sein, solange
wir fUeht wissen, ob wkr existieren. **)
Beweis. Dieser Lehrsatz ist selbstverständlich;
denn wer unbedingt nicht weiß, ob er ist, weiß auch
nicht, ob «r ein solcher ist, der bejaht oder ver-
neinl^ d. h. ob er mit Gewißheit bejaht oder verneint 10
Allerdings behauptet and beetreitet man vieles
mit großer Gewißheit» ohne dabei darauf, ob man
existiert, achtzuhaben; allein wenn dies dabei nicht
als unzweifelhaft vorausgesetzt würde, so würde alles
in Zweifel gezogen werden können.
Lehrsatz II.
Das Ich hin muß dureh sieh sdbst bekannt sein.
Beweis. Wenn -man dies bestreitet» so konnte
es uns nur durch ein anderes bekannt werden, dessen
Erkenntnis und Gewißheit (nach Gr. 1) dann diesem 20
Ausspruche: Ich bin, in uns vorhergehen müßte.
Allein das ist (nach dem Vorstehenden) widersinnig;
deshalb muß dieser Ausspruch durch sich selbst be-
kannt sein. W. z. b. w.
Lehrsatz III.
Der Satz: fJLehf als ein aus einem Körper bestehendes
Ding, bin^, ist nicht das Erste und nicht durch sich selbst
bekannt.^
Beweis. Manches läßt uns an dem Dasein unseres
Korpers zweifeln (nach Gr. 2); deshalb können wir 80
hierüber nur Gewißheit erlangen (nach Gr. 1) durch
die Erkenntnis und Gewißheit eines anderen Dinges,
die jener an Erkenntnis und Gewißheit vorhergeht.
Folglich ist der Ausspruch: „Ich, als ein aus einem
Körper bestehendes Ding, bin'', nicht das Erste und
nicht durch sich selbst bekannt. W. z. b. w.
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S4 Prinzipiell. Enter Teil.
Lehrsatz IT.
Der Satz: ff Ich bin**f kann nur insofern ein zt^erst
ErJcannteB sein, als vnr denken.
Beweis. Der Aussprach: Ich bin ein körperliches
Ding oder bestehe aus einem Körper, kann nicht
ein zuerst Erkanntes sein (nach Liehrs. 3), auch bin
ich meines Daseins, soweit ich aus etwas anderem,
als aus Geist und Körper bestehe, nicht gewiß. Denn
sofern wir aus etwaa^ anderem, von dem Geist und dem
10 Körper Verschiedenen bestehen, ist uns dies weniger
als der Körper bekannt (nach Gr. 8); deshalb ksmn
der Ausspruch: Ich bin, nur sofern wir denken, ein
zuerst Erkanntes sein. W. z. b. w.
Zusatz. Hieraus erhellt, daß der Geist oder das
denkende Wesen bekannter ist als der Körper.*^)
Indessen lese num zur weiteren VerdeidUehung §11
und 12 von T, I der Prinzipien noßh,
ErlinteniBf.
Jedermann erfaßt auf das gewisseste, daß er
20 bejaht, verneint, zweifelt, einsieht^ etwas in der
Einbildung hat u. s. w., oder daß er als ein Zwei-
felnder, Einsehender, Bejsüiender u. s. w. existiert,
oder mit einem Worte, als ein Denkender, und er
kann dies nicht in Zweifel ziehen. Deshalb ist
dieser Ausspruch: Ich denke, oder: Ich bin ein Den-
kender, die einzige und gewisseste Grundlage der
Philosophie (nach Lehrs. 1). Und da in den Wissen-
schaften, um über die Dinge volle Gewißheit zu er-
langen, nichts weiter gesucht und verlangt werden
dO kann, als daß alles aus den zuverlässigsten Prin-
zipien abgeleitet und ebenso klar und deutlich wie
die Prinzipien, aus denen es abgeleitet worden, er-
kannt wird, so folgt klar, daß alles, was für uns
ebenso gewiß (evidens) ist, und was wir ebenso klar
und deutlich wie unser Prinzip erfassen, und alles, was
mit diesem Prinzip so übereinstimmt und derart davon
abhängt, daß, wenn man daran zweifeln wollte, man
auch das Prinzip selbst bezweifeln müßte, für das
allerwahrste gelten muß. Um indes bei dieser Auf-
40 Zählung mit aller Vorsicht vorzugehen, will ich an-
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Eriäutening ni LehnaU I— IV. 96
f&ngß nur das für gleich gewiß und für ebenso klar
and deutlich von uns erfaßt annehmen, was jedermann
in sich, sofern er ^ Denkender ist, bcHnerkt; wie z. B.,
daß er dies oder jenes will, daß er gewisse Ideen
solcherart hat, daß die eine Idee mehr Realität
und Vollkommenheit in sieh enthält als die andere;
daß also die Idee, welche das Sein und die Voll-
kommenheit der Substanz objektiv enthält, weit voll-
kommener ist als die, welche nur die objektive Voll-
kommenheit irgend eines Accidenz enthält^ und daß 10
endlich die Idee die vollkommenste von allen ist»
welche die eines höchst vollkommenen Wesens ist
Dies, sage ich, erfassen wir nicht allein gleich gewiß
und gleich klar, sondern vielleicht noch deutlicher;
denn wir behaupten dann nicht bloß» daß wir denken,
sondern auch wie wir denken. Ferner sage ich, daß
auch dasjenige mit diesem Prinzip übereinstimmt^ was
nicht bezweifelt werden kann, ohne zugleich diese
unsere unerschütterliche Grundlage mit in den Zweifel
hineinzuziehen. So könnte^ wenn z, B. jemand den ao
Satz bezweifeln wollte, daß aus nichts niemals etwas
werden könne, er zugleich bezweifeln, ob wir sind,
solange wir denken. Dran wenn ich von dem Nichts
etwas behaupten kann, nämlich daß es die Ursache
eines Dinges sein könne, so werde ich auch mit dem-
selben Bechte mir eine bestimmte Vorstellung (cogitatio)
von dem Nichts machen und sagen können, daß ich
nichts bin, solange ich denke. Da mir dies aber un-
möglich ist, so ^nn ich auch nicht denken, daß aus
nichts etwas werde. In Anbetracht dessen habe ich be- 80
schlössen, das, was uns gegenwärtig, um weiter fort-
fahren zu können, nötig erscheint, hier der Reihe
nach vor Augen zu stellen und zu den bereits ange-
führten Grundsätzen hinzuzufügen; zumal sie von Des-
cartes am Ende seiner Antwort auf die zweiten Ein-
würfe wie Grundsätze hingestellt worden sind und
ich nicht genauer wie er selbst sein mag. Um indes
von der begonnenen Ordnung nicht abzuweichen, will
ich versuchen^ sie möglichst klar zu machen und zu
zeigen, wie eines von dem anderen und wie sie alle 40
von dem Prinzip: ,j€h bin denkend** abhängen oder mit
diesem in Gewißheit und Begründung übereinstimmen.
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96 PrinzipiBii. Enter TeiL
Die Ton Descartes übernommenen OrandBätze-
Or . 4. Es gibt verschiedene Grade der Realität oder
des Seins; denn die Substanz hat mehr Realität als
das Accidenz und der Zustand (modus); ebenso die
unendliche Substanz mehr als die endliche. Deshalb
ist auch in der Idee der Substanz mehr objektive
Realität als in der des Accidenz, und in der Idee einer
unendlichen Substanz mehr als in der einer endlichen
Substanz. ^6)
10 Dieser Grundsatz ergibt sich aus der bloßen Be-
trachtung unserer Ideen, über deren Dasein wir Ge-
wißheit haben, weil sie nur Zustände des Denkens sind;
denn wir wissen, wie viel Realität oder Vollkommenheit
die Idee der Substanz .von der Substanz behauptet^
und wie viel dagegen die Idee des Zustandes von
dem Zustande. Ist dies so, dann erkennen wir auch
notwendig, daß die Idee der Substanz mehr objektive
Realität enthält, als die Idee irgend eines Accidenz»
u. S. W. Vgl. die Erläuterung zu Lehre. 4.
20 Or. 5. Das denkende Ding wird, wenn es gewisse
Vollkommenheiten kennen lernt, die ihm fehlen, sich
diese sofort geben, wenn das in seiner Macht steht ^<^)
Dies bemerkt jedermann in sich, soweit er ein
denkendes Ding ist; deshalb sind wir dessen (nach
d. Erl. zu Lehrs. 4) völlig gewiß, und aus demsdben
Grunde sind wir auch des folgenden Grundsatzes nicht
minder gewiß, nämlich:
Or. 6. In der Idee oder dem Begriffe jedes
Dinges ist das mögliche oder notwendige Dasein ent-
30 halten (vgl. Grunds. 10 '0 hei Descartes).
Das notwendige Dasein ist in dem Begriffe Gottes
oder des vollkommensten Wesens enthalten; denn sonst
würde er unvollkommen vorgestellt, was gegen die
Voraussetzung geht; das zufällige oder mögliche Da^
sein ist dagegen in dem Begriffe eines berchränkten
Dinges enthalten.
Or. 7. Kein Ding und keine wirklich vorhandene
Vollkommenheit eines Dinges kann das Nichts oder ein
nicht-seiendes Ding zur Ursache seiner Existenz
40 haben. 2«)
In der Erl. zu Jjehrs. 4 habe ich gezeigt, daß
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Die von Deecaites übernommonen Gkiinds&tze. 27
dieser Grundsatz ebenso klar ist» als der: ,,lch hm
demkendr
6r. 8. Alles, was an Realität oder Vollkommen-
heit in einem Dinge ist, ist formal oder eminent in
seiner ersten und zureichenden (adaequata) Ursache. ^)
Unter »eminenf verstehe ich den Fall, wo die
Ursache alle Realität der Wirkung vollkommener in
sich enthält^ als die Wirkung; unter , formal' den
Fall» wo die Ursache die Realität gleich vollkommen
enthalt 10
Dieser Grundsatz hängt voq dem vorhergehenden
ab; denn wenn man annehmen wollte, daB nichts
oder weniger in der Ursache sei, als in der Wirkung,
so wäre ein Nichts in der Ursache die Ursache der
Wirkung. Das ist aber widersinnig (nach dem vor-
stehenden Grundsatz), deshalb kann nicht ]edes be-
liebige Ding die Ursache einer bestimmten Wirkung
sein, sondern genau nur dasjenige, in dem eminent
oder zum mindesten formal alle Vollkommenheit vor-
handen ist, die in der Wirkung enthalten ist 20
Chr. 9. Die objektive Realität unserer Ideen er-
fordert eine Ursache, in der ebendieselbe Realität
nicht bloß objektiv, sondern formal oder eminent ent-
halten ist^)
Dieser Grundsatz wird, obwohl man viel Mil}-
brauch damit getrieben hat^ doch von allen anerkannt
Wenn nämlich jemand etwas Neues vorstellt, so fragt
jedermann nach der Ursache eines solchen Begriffs
oder einer solchen Idee, und man beruhigt sich eirsi,
wenn man ^e angeben kann, die formal oder eminent 30
ebensoviel Realität enthält, als objektiv in jenem
Begriffe enthalten ist Dieser Satz wird durch das
von Descartes in § 17 T. I der Prinzipien beigebrachte
Beispiel einer Maschine genügend erläutert Auch
wenn jemand fragte woher der Mensch die Idee seines
Bewußtseins (cogitatio) und seines Körpers hat, so sieht
jedermann, daß er sie aus sich selbst hat» da er selbst
formal alles enthält was die Idee objektiv enthält
Sollte daher der Mensch eine Idee haben, die mehr
objektive als er selbst formale Realität enthält» so 40
würden wir notwendig, durch das natürliche Licht
getrieben, nach einer anderen Ursache außerhalb des
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28 Prinzipien. Erster TeiL
Henflchen selbst snchen, welche alle diese Realil&t for-
mal oder eminent in sich enthielte. Auch hat niemand
je eine andere Ursache außer dieser angeben können,
die er ebenso klar und deutlich begriffen hätte. Was
femer die Wahrheit dieses Grundsatzes betriff^ so er-
gibt sie sich aus dem Vorgehenden. Denn es gibt (nach
Gr. 4) in den Ideen verschiedene Grade der Realität
oder des Seins, und deshalb erfordern sie nach dem
Grade ihrer Vollkommenheit auch eine vollkommenere
10 Ursache. (Nach Gr. 8). Allein da die Grade der
Realität *), die man in den Ideen bemerkt^ nicht darin
sind, sofern sie als Zustände des Denkens betrachtet
werden, sondern sofern die eine eine Substanz, die
andere aber nur einen Zustand der Substanz vorstellt^
oder mit einem Worte, sofern sie als Bilder der Dinge
betrachtet werden, so ergibt sich klar, daß es für die
Ideen keine andere erste Ursache geben kann, als
die, welche alle, wie oben gezeigt, durch ihr natür-
liches Licht klar und deutlich einsehen, nämlich die,
20 in der dieselbe Realität, welche die Ideen objektiv
enthalten, formal oder eminent enthalten ist Damit
man diese Folgerung deutlicher einsehe, will ich sie
durch einige Beispiele erläutern. Wenn z. B. jemand
zwei Bücher (und zwar eines von einem ausgezeich-
neten Philosophen, das andere von irgend einem
SchmLtzer) mit derselben Handschrift geschrieben vor
sich sieht und dabei nicht auf den Sinn der Worte (d. h.
nicht, soweit diese gleichsam Bilder sind), sondern bloß
auf die Schriftzüge und Folge der Buchstaben achtet^
30 so wird er zwischen beiden keine Ungleichheit be-
merken, die ihn nötigt, nach verschiedenen Ursachen zu
suchen, vielmehr werden ihm beide Bücher als aus der-
selben Ursache in gleicher Weise hervorgegangen gel-
ten. Gibt er aber auf den Sinn der Worte und der Rede
acht, so wird er einen großen Unterschied zwischen
ihnen finden und demnach folgern, daß die erste Ur-
sache des einen Buches von der ersten Ursache des
zweiten recht verschieden und die eine im Verhältnis zu
*) Auch dessen sind wir gewiß, weil wir es in uns ala
Denkendon bemerken. Man sehe die vorhergehende Er-
läuterung. (A. V. Sp.)
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Die Ton Descartei übernommenen Grunds&tze. 29
der anderen in Wahrheit um soviel vollkommener ge-
wesen sein mnß, als der Sinn der Rede in beiden
Bachern, oder als die Worte, sofern man sie gleichsam
als Bildeir betrachtet^ sich als voneinander verschieden
ergeben. Ich spreche indes hier von der ersten Ur-
sache der Bücher, die es nämlich notwendig geben mnC^
obgleich ich zugebe, ja voraussetze, daß ein Buch
von einem anderen abgeschrieben werden kann, wie
das ]a ohne weiteres klar ist Dasselbe kann man auch
an dem Beispiele des Bildnisses, etwa eines Fürsten, 10
klar darlegen. Gibt man nur auf den Stoff des Bild-
nisses acht, so wird man keine Ungleichheit mit
anderen Bildern bemerken, welche einen zu der Auf-
suchung verschiedener Ursachen notigt, ja, man kann
sehr wohl denken, daß dieses Bildnis nach einem anderen
gefertigt ist und letzteres wieder nach einem anderen
und so fort ohne Enda Denn man erkennt zur Gronüge,
daß zu seiner Aufzeichnung keine andere Ursache
erforderlich ist Gibt man £igegen auf das Bild als
Bild acht, so ist man sofort zur Aufsuchung der 20
ersten Ursache genötigt, die formal oder eminent das
enthält, was jenes BUd in vorstellender Weise (rc-
praeaentative) enthält Ich wüßte nicht, was man mehr
zur Bestätigung und Erläuterung dieses Grundsatzes
verlangen wollte.
Gr. 10. Es bedarf zur Erhaltung eines Dinges
keiner geringeren Ursache, als zur ersten Hervor-
bringung desselben. '0
Daraus, daß wir jetzt denken, folgt nicht not-
wendig, daß wir auch nachher denken werden. Denn 80
der B^riff, den wir von unserem Denken haben,
schließt nicht ein oder enthält nicht das notwendige
Basein des Denkens; denn ich kann das Denken*), auch
wenn ich annehme, daß es nicht existiert, klar und
deutlich vorstellen. Da nun aber die Natur jeder
Ursache in sich die Vollkommenheit ihrer Wirkung
enthalten oder einschließen muß (nach Gr. 8), so
ergibt sich klar, daß es etwas in uns oder außer uns,
was wir noch nicht kennen, notwendig geben muß,
*) Dies erfiLhrt jeder an sich selbst, sofera er ein
denkendes Weeen ist (A. r. Sp.)
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30 Prinzipien. Erster Teil.
dessen Begriff oder Natur auch das Dasein einschließt,
und das die Ursache ist, daß unser Denken angefangen
hat, zu existieren, und auch daß es fortfährt» zu
existieren. Denn wenngleich unser Denken zu
existieren angefangen hat» so schließt doch seine Natur
und sein Wesen sein notwendiges Dasein jetzt eben-
sowenig ein, als zur Zeit, wo es noch nicht da war,
und es bedarf daher derselben Kraft zur Fortdauer
seines Daseins, deren es zu dem Beginn seines Da-
10 seins bedarf. Was ich hier von dem Denken gesagt
habe, gilt auch von jedem anderen Gegenstand, dessen
Wesen nicht sein notwendiges Dasein einschließt.
Gr. 11. Kein Ding existiert, von dem man nicht
fragen kann, welches die Ursache (oder der Grund)
seines Daseins ist Man aehe Gr. 1 hei Descartes.
Da das Dasein etwas Positives ist» so kann man
nicht sagen, es habe das Nichts zur Ursache (nach
Gr. 7), deshalb muß man irgend eine positive Ursache
oder einen positiven Grund für sein Dasein angeben;
20 sei das nun ein äußerlicher, d. h. ein solcher, der
außerhalb des Dinges selbst, oder ein innerliche,
d. h. ein solcher, der in der Natur und der Definition
des daseienden Dinges selbst enthalten ist
Die nun folgenden vier Lehrsätze sind aus Des-
cartes entlehnt:
Lehrsati T.
Das Dasein Ghttes wird aus der bloßen Betrachtung
seiner Natur erkannt.
Beweis. Es ist dasselbe, wenn man sagt, es sei
30 etwas in der Natur oder in dem Begriffe eines Gegen-
standes enthalten, wie wenn man sagt» es sei von
dem Gegenstande wahr (nach Def. 9). Nun ist aber
das notwendige Dasein in dem Begriffe Gottes ent-
halten (nach Gr. 6); deshalb ist es wahr, wenn man
von Gott sagt, es sei das notwendige Dasein in
ihm enthalten, oder er existiere.**)
Erliatenmir.
Aus diesem Lehrsatz ergeben sich viele be-
deutende Folgerungen; ja, davon allein, daß zu Gottes
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Lehnatz V lud VL 81
Natur das Dasein gehört» oder daß der Begriff Gottes
sein notwendiges Dasein ebenso entiiält, wie der Be-
griff des Dreiecks den Satz, daß seine drei Winkel
zwM rechten gleich sind; oder daß sein Dasein ebenso,
wie sein Wesen eine ewige Wahrheit ist» hangt bei-
nahe die ganze Ek'kenntnis seiner Attribute ab, durch
die wir zur Liebe Gottes oder zur höchsten Seligkeit
gelltet werden. Es ist deshalb sehr zu wünschen,
daß das Menschengeschlecht dies endlich mit uns
erfasse. Allerdings gibt es gewisse Vorurteile*), die 10
es verhindern, daß dieser Satz ohne Schwierigkeit er-
kannt wird; wenn aber jemand mit gutem Willen
und nur aus Liebe zur Wahrheit und seinem wahren
Nutzen die Sache prüft und das bei sich erwägt,
was in der fünften Meditation und am Ende aer
Antworten auf die ersten Einwürfe gesagt ist und
zugleich das, was ich in Kap. 1 T. II des Anhanges
in betreff der Ewigkeit darlege, so wird er unzweifel-
haft die Sache ganz deutlich einsehen, und niemand
wird noch daran zweifeln können, ob ep die Idee 20
Gottes hat (was allerdings die erste Grundlage der
menschlichen Seligkeit ist). Denn er wird zugleich
sehen, daß die Idee Gottes ganzlich von den Ideen
der übrigen Dinge verschieden ist; sofern er nämlich
erkennt, daß Gott seinem Wesen und seinem Dasein
nach von den übrigen Dingen schlechthin (toto genere)
verschieden ist Es ist deshalb nicht nötig, den Leser
hiermit länger aufzuhalten.
Lelinatz Tl.
Das Dasein Gottes wird schon aüein daraus, daß die 80
Idee Gottes in uns ist^ a posteriori bewiesen.
Beweis. Die objektive Realität jeder unserer
Ideen erfordert eine Ursache, in der dieselbe Realität
nicht bloß objektiv, sondern formal oder eminent
enthalten ist (nach Gr. 8). Nun haben wir die Idee
Gottes (nach Del 2 und 8), und die objektive Realität
dieser Idee ist weder formal noch eminent in uns
*) Vgl. Art 16 des I. Teilt der Prinsipien (A. v. 8p.)
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89 Prinzipien. Erster Teil.
enthalten (nach Gr. 4) und kann auch in keinem
anderen, sondern nur in Gott enthalten sein (nach
Del 8). Demnach verlangt die Idee Gottes in uns
Gott selbst zu ihrer Ursache, und deshalb existiert
Gott (nach Gr. 7). «)
Erlinterungr.
Manche bestreiten, daß sie eine Idee von Gott
haben, obgleich sie ihn, wie sie selbst sagen, ver-
ehren und lieben. Wenn man diesen Leuten auch
10 die Definition und die Attribute Gottes vor Augen
halt, so wird man doch damit ebensowenig etwas
erreichen, als wenn man einen blindgeborenen Men-
schen über die Unterschiede der Farben, wie wir sie
sehen, belehren wollte. Indes kann man auf die Worte
solcher Leute wenig geben, sondern man möchte sie
für eine neue Art von Tieren halten, die zwischen
den Menschen und den unvernünftigen Tieren in der
Mitte stehen. Denn ich frage, wie anders soll man
die Idee einer Sache aufzeigen, als durch Mitteilung
20 ihrer Definition und Erklärung ihrer Attribute? Da
dies hier in Bezug auf die Idee Gottes geleistet
wird, so brauchen uns die Worte derer nicht bedenklich
zu machen, welche die Idee Gottes nur bestreiten,
weil sie sich in ihrem Gehirn kein Bild von ihm
machen können.
Es ist femer zu erwähnen, daß Descartes bei
Heranziehung des Grundsatzes 4 zur Darlegung, daß die
objektive Realität der Idee Gottes weder formal noch
eminent in uns enthalten sei, voraussetzt, jeder
30 wisse, daß er keine unendliche Substanz, d. h. weder
allwissend noch allmächtig u. s. w. sei. Das kann er
voraussetzen, da jeder, welcher weiß, daß er denkt,
auch weiß, daß er an vielem zweifelt und daß er
nicht alles klar und deutlich einsieht
Femer ist zu bemerken, daß aus Def. 8 auch
klar folgt, daß es nicht mehrere Götter geben
kann, sondem nur einen, wie ich in Lehrsatz 11
hier und im Kap. 2 T. II meines Anhanges klar
beweise.
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Lehrsais Ytl. 83
Lehrsatz TIL
Das Dasein Gattes ergibt sich atuh daraus, daß lotr
ndbst, die wir seine Idee haben, existieren, ^)
Erlitttenuiir*
Zum Beweis dieses Lehrsatzes benutzt Descartes
zwei Grundsätze; nämlich: „i. Was das Größere oder
Sehtcerere bewirken kann, kann auch das Geringere bewirken.^)
2. Es ist mehr, eine Substanz, als Attribute oder Eigen-
sdtaften der Substanz zu schaffen bezw. (s. Chr, 10)
zu erhalten",^) Ich weiß nicht, was er damit sagen will. 10
Denn was nennt er l^cht und schwer? Nichts ist un-
bedingt*) leicht oder schwer, sondern nur in Bezag
auf seine Ursache. Ein mid dieselbe Sache kann
daher zu gleicher Zeit, je nach dem Unterschied der
Ursachen, leicht imd schwer genannt werden. Wenn
aber Descartes das schww nennt, was mit vieler
Mühe^ und das leicht, was mit geringer Mühe von der-
selben Ursache vollbracht werden kann, z. B. daß,
wer 50 Pfund heben könne, nur mit halb so viel
Mühe 25 Pfund heben könne, so ist dieser Grund- 20
satz nicht unbedingt wahr; auch kann er daraus nicht
das, was er will, beweisen. Denn wenn er sagt:
,Mtte ich die Kraft, mich selbst zu erhalten, so hätte ich
awh die Kraft, mir aüe die VoUkommenheiten zu geben,
die mir fehlen*'^'') (weil sie nämlich keine so große
Macht erfordern), so kann ich ihm wohl zugeben,
daß die Kraft, die ich auf meine Erhaltung verwende,
auch vieles andere leichter vollbringen konnte, wenn
ich ihrer nicht zu meiner Erhaltung bedurft hätte;
allein solange ich sie zu meiner Erhaltung verwende, 80
bestreite ich, daß ich sie auf anderes verwenden
kann, wenn das Betreffende auch leichter ist, wie
aus meinem Beispiele deutlich zu s^en ist Auch hebt
*) Um nicht nach weiteren Beispielen za snchen, nehme
man das Beispiel einer Spinne, die ihr Netz mit Leichtig-
keit ^innt, wfthrend die Menschen es nur mit der größten
Schwierigkeit TermOchten; da^^egen vollbringen die Men-
schen mit Leichtigkeit vieles, was Tielleicht den Engeln nn-
sKVgUoh ist (A. v. Sp.)
8plnOBft,PrinsipI«i TonDctoAitM. 8
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84 Prinzipiexi. Enter Teil.
es die Schwierigkeit nicht auf, wenn man sagt^ daß, da
ich ein denkendes Wesen sei, ich auch notwendig
wissen müsse, ob ich alle meine Kräfte zu meiner
Erhaltung verwende, und ob das die Ursache sei,
weshalb ich mir keine weiteren Vollkommenheiten
verschaffe. Denn (abgesehen davon, daß hier nicht
über die Sache selbst gestritten werden soll, sondern
nur darüber, wie aus diesem Grundsatze die Not-
wendigkeit des Lehrsatzes folgt) wenn ich dies wüßte,
10 so wäre ich mehr und brauchte vielleicht mehr Eraft^
als ich habe, um mich in jener höheren Vollkommen-
heit zu erhalten. Ferner weiß ich nichts ob es mehr
Mühe erfordert, eine Substanz, als ein Attribut zu
schaffen (oder zu erhalten), d. h. um deutlicher und
mehr philosophisch zu sprechen, ich weiß nicht, ob
die Substanz nicht all ihrer Kraft und ihres Wesens,
womit sie sich erhält, zur Erhaltung ihrer Attribute
bedarf. Doch ich lasse dies für jetzt beiseite und er-
mittle weiter, was unser verehrter Verfasser hier will,
20 d. h. was er unter leicht und schwer versteht Ich
glaube nicht und kann nicht annehmen, daß er unter
„schwer" das Unmögliche (von dem deshalb in keiner
Weise vorgestellt werden kann, wie es geschehen
könne) und unter „leicht'' nur das versteht» was
keinen Widerspruch enthält (und von dem deshalb
leicht vorgestellt werden kann, wie es geschieht).
Allerdings scheint er in der dritten Meditation
auf den ersten Blick das zu wollen, wenn er sagt:
„Äiich darf ich nu^t glauben, das mir Mangelnde möchte
30 etwa schwieriger zu erwerben sein, als das, was ich jetzt
besitze; vielmehr muss es offenbar viel schwerer gewesen
sein, daß ich, d. h. ein Ding oder eine Substanz, die
denkt, aus nichts auf taufte, als u. s, w"^) Denn dies
würde weder mit den Worten des Verfassers noch
mit seiner ganzen Denkart übereinstimmen. Denn,
um von dem Ersteren abzusehen, so gibt es zwischen
Möglichem und Unmöglichem oder zwischen Denk'
barem und Undenkbarem kein Verhältnis, so wenig
wie zwischen Etwas und Nichts. Deshalb paßt die
40 Macht so wenig zu dem Unmöglichen^ wie die Er-
schaffung und Erzeugung zu dem Nich^Seienden, und
beide können deshalb nicht miteinander verglichen
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Eriintoniiig ni Lehmti VIL 85
werden. Daza kommt» daß ich nur das mit einander
vergleichen und nnr deeeen Verhältnis ^kennen kann,
woYcm ich einen klaren und deutlichen Begriff habe.
Ich bestreite daher die Richtigkeit des Schlosses, daß,
wer das Unmögliche bewirken kann, anch das Mögliche
bewirken kann. Denn was wäre das ffir ein Schluß:
Wenn jemand ein^i viereckigen Kreis machon kann,
so wird er auch einen Kreis machen können, dessen
sämtliche Halbmesser gleich sind, oder: Wer machen
kann, daß das Nichts etwas erleidet» oder wer sich 10
des Nichts wie eines Stoffes bedienen kann, aus dem
er etwas fertig^ d^ wird auch die Macht haben,
ans einer Sache etwas su machen. Denn unter der«
gleichen best^t» wie gesagt» keine Obereinstimmung,
keine Ähnlichkeit, keine Vergleichung, noch sonst
irgend ein Verhaltnk. Jedermann kann dies einsehen,
wenn er nur ein wenig darauf achtet Deshalb halte
ich dies der Denkweise Descartes' für ganz entgegen.
Betrachte ich indessen den zweiten der beiden er-
wähnten Grundsätze, so scheint es, daß Descartes 90
unter dem Größeren und Schwereren das Vollkom-
menere verstanden haben will und unter dem Ge-
ringer«! und Leichteren das Unvollkommen^e. Aber
auch dann bleibt die Sache sehr dunkel Denn es
bleibt auch hier die obige Schwierigkeit bestehen,
da ich, wie vorh«>, bestreite, daß der, welcher das
Große kann, auch zugleich und mit dersriben Muhe,
wie in dem Lehrsatz angenommen werden muß, das
Geringere machen könnte.
Wenn er fem^ sagt: „Dm Ergdiaffen oder ErhaUen 80
der Substanz ist mehr als das der Attribute"*, 80 kann er
sicherlich unter den Attributen nicht das verstehen,
was in der Substanz formal enthalten ist und von
der Substanz selbst nur im Denken unterschieden
wird, da alsdann das Erschaffen d^ Substanz und
der Attribute dasselbe ist Aus demselben Grunde
kann er auch nicht diejenigen Eigenschaften der Sub-
stanz meinen, welche aus dem Wesen und der De-
finition der Substanz notwendig folgen. Noch viel
weniger können aber darunter, obgleich dies seine 40
Meinung zu son scheint, die Eigenschaften und At-
tribute einer andren Substanz verstanden werdon;
8*
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86 PiiDzipien. Enter Teil.
denn wenn ich z, B. sage, daß ich die Macht habe,
mich selbst, d h. eine endliche denkende Substanz
zu erhalten, so kann ich deshalb nicht auch sagen,
daß ich die Macht habe^ mir auch die Vollkommen-
heiten einer unendlichen Substanz zu verleihen, die
]a ihrem ganzen Wesen nach von mir verschieden ist
Denn die Kraft*) oder das Wesen, wodurch ich mich
in meinem Sein erhalte, ist schlechthin (toto genere)
von der Kraft oder dem Wesen verschieden, wodurch
10 eine unbedingt unendliche Substanz sich erhält^ von
welcher deren Kräfte und Eigenschaften nur im Den-
ken unterschieden werden. Wollte ich daher an-
nehmen (selbst vorausgesetzt, daß ich mich selbst
erhielte), daß ich mir die Vollkommenheiten einer
unbedingt unendlichen Substanz verleihen könnte^ eo
wäre dies ebenso, als wenn ich annähme, ich könnte
mein ganzes Wesen vernichten und von neuem eine
unendliche Substanz erschaffen. Dies wäre offenbar
weit mehr, als bloß anzunehmen, ich könnte mich als
20 eine endliche Substanz erhalten. Wenn sonach nichts
hiervon unter den Attributen oder Eigenschaften ver-
standen werden kann, so bleiben nur die Beschaffen-
heiten (qualitates) Übrig, welche die eigene Substanz
enthält (wie z. B. diese oder jene Gedanken im Geiste,
von denen ich klar bemerke, daß sie mir fehlen), nicht
aber die^ welche eine andere Substanz eminent ent-
hält (wie z. B. diese oder jene räumliche Bewegung;
denn dergleichen Vollkommenheiten sind für mich, als
denkendes Wesen, keine Vollkommenheiten, und ihr
80 Fehlen bedeutet für mich keinen Mangel). Aber dann
kann das, was Deecartes beweisen will, auf keine
Weise aus diesem Grundsatz abgeleitet werden; näm-
lich daß, wenn ich mich erhalte, ich auch die Macht
habe, mir alle die Vollkommenheiten zu geben, die
ich« ab zu dem vollkommensten Wesen gehörend, klar
erkenne, wie aus dem eben Gesagten zur Genüge
*) Man bemerke, daß die Kraft, wodurch die Substanz
rieh erhftlt, niohts andres ist, als ihr Wesen und nur dem
Worte nach von jener sich unterscheidet. Dies wird vor-
zflglioh da Anwendung finden, wo ich im Anhange von
GK>ttes Macht handeln werde. (A. ▼. Sp.)
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Lefasnti L 87
erhellt Um indes die Sache nicht unbewiesen zu
lassen, nnd um jede Verwirrung zu vermeiden, schien
es mir gut, zunächst einmal die Meenden liehnsätze
zu beweisen und dann darauf den beweis des oben-
stehenden siebenten liehrsatzes zu errichten.
Lehnsatz !•
«Tis voOkommener eine Sache ihrer Natur nach w^, ein
um 90 größeres und natwendigeree Dasein sehließt sie ein;
und umgekehrt f ein um so notwendigeres Dasein eine Sache
ihrer Natur nach einsehUeßt, desto voükommener ist sie, 10
Beweis. In der Idee oder dem Begriffe jeder
Sache ist das Dasein enthalten. (Nach Gr. 6). Man
nehme also an, daß A eine Sache ist^ welche 10 Grade
der Vollkommenheit hat Ich sage nun, daß ihr Be-
griff mehr Dasdn einschließt^ als wenn man ange-
nommen hätten »e enthielte nur 5 Grade der Voll-
kommenheit Denn da man von dem Nichts kein
Dasein behaupten kann (vgl ErL zu Lehrs. 4), so
verneint man an ihr ebensoviel von ihrer Möglichkeit zu
seii^ als man ihrw Vollkommenheit im Gedanken 90
abnimmt und als man sie daher mehr und mehr an
dem Nichts teilnehmen laßt Wenn man sich des-
halb denkt, daß ihre Grade der Vollkommenheit sich
ohne Ende bis zu 0 oder zur Null vermindern» so
wird sie alsdann kein Dasein oder ein unbedingt un-
mögliches Dasein enthalten. Wenn man dagegen ihre
Grade ohne Ende vermehrt so wird man sie als das
höchste und folglich als das notwendigste Dasein
enthaltend denken. Dies war das erste. — Da ferner
diese beiden Bestimmungen auf keine Welse getrennt 80
werden können (wie aus Gr. 6 und dem ganzen ersten
Teil hier erhellt), so ergibt sich auch das klar, was
an zweiterstelle als zu beweisen aufgestellt worden ist
Anm. 1. Von vielem wird behauptet daß es not-
wendig existiere, bloß deshalb, weil es eine bestimmte
Ursache zu seiner Hervorbringung gibt; allein davon
spreche ich nicht; sondern nur von derjenigen Not-
wendigkeit und Möglichkeit die aus der bloßen Be-
trachtung d^ Natur oder des W*eeens der Sache ohne
Rückricht auf die Ursache folgt 40
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88 Prinripien. Bntor Teil.
Anm. 2. Ich spreche hier nicht von der Schön-
heit und den anderen Vollkommenheiten, welche die
Menschen ans Aberglauben oder Unwissenheit als Voll-
kommenheiten aufgestellt haben; sondern ich verstehe
unter Vollkommenheit nur die Realität oder das Sein.
So bemerke ich z. B., daß in der Substanz mehr
Realität als in ihren Zuständen oder Accidenzien ent-
halten ist» und erkenne daher klar, daß sie auch
ein notwendigeres und vollkommeneres Dasein als die
10 Accidenzien enthalt» wie aus Gr. 4 und 6 zur Genüge
erhellt
Zusatz. Hieraus folgt» daß, was ein notwendiges
Dasein einschließt» das vollkommenste Wesen oder
Gott ist.
Lehnsatz IL
Wer die Macht hat, 9ich gu erhalten, dessen Natur ent-
häÜ das notfoendige Dasein.
Beweis. Wer die Kraft hat, sich zu erhalten,
hat auch die, sich zu erschaffen (nach Gr. 10), d. h.
20 (wie man leicht einräumen wird) er bedarf keiner
äußeren Ursache zu seinem Dasein, vielmehr wird
seine eigene Natur die hinreichende Ursache sein,
daß er entweder möglicherweise oder notwendiger-
weise existiert Allein »möglicherweise' ist nicht stott-
haft; denn (nach dem, was ich bei Gr. 10 dargelegt)
dann würde daraus, daß er schon existiert, nicht
folgen, daß er auch später existieren wird (was
gegen die Annahme geht). Deshalb muß er notwendig
existieren, d. h. seine Natur enthält das notwendige
80 Dasein. W. z. b. w.
Der Beweis für den siebenten Lehrsatz.
Wenn ich die Kraft hatte, mich selbst zu erhalten,
so wäre meine Natur derart, daß ich ein notwendiges
Dasein enthielte (nach Lehns. 2), und deshalb wüjnie
dann (nach d. Zus. zu Lehns. 1) meine Natur alle Voll-
kommenheiten enthalten. Nun finde ich aber in mir,
als denkendem Wesen, viele Unvollkommenheiten, z. B.
daß ich zweifle, daß ich begehre u. s. w., und zwar
solche, deren ich (nach Erl. zu Lehrs.4) gewiß bin;
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Lehnmti IL »
also habe ich keine Kraft» mich va erhalten. Aach
darf ich nicht sagen, daß ich deshalb jene Voll-
kommemheiten entt^hre, weil ich sie mir |etst vw-
weigern will; denn dies würde offenbar d^n ersten
Liel^satz und dem, was ich in mir deutlich erkenne
(nach Gr. 5), widersprechen.
Femer kann ich, solange ich existiere^ nicht
existieren, ohne daO ich erhalten werde, sei es von
mir selbsi wenn ich die Kraft dazu habe, sei es von
«nem anderen, der diese Kraft hat (nach Gr. 10 10
mid 11). Nun existiere ich (nach Erl. za Lehrs. 4),
nnd doch habe ich nicht die Kraft, mich selbst zu
erhalten, wie schon bewiesen worden. Deshalb werde
ich von einem anderen erhalten; aber nicht von einem
solchen, der nicht die Kraft, sich zu erhalten, hat
(aus demselben Grunde^ aus dem ich selbst» wie ich
gezdgt, mich nicht erhalten kann), also von jemand,
der £e Kraft hat» sich zu erhalten, d. h. (nach Lfohn-
satz 2), dessen Natur das notwendige Dasein ein-
schließt d. h. (nach Zusatz zu Lohns. 1) der alle 20
die Vollkommenheiten enthalt» die, wie ich klar er-
kenne^ zu dem vollkommensten Wesen gehören. Des-
halb existiert ein vollkommenstes Wesen, d. h. Gott
W. z. b. w.
Zusatz. Gott kann aües das hewirkm^ toas wir klar
und deutUeh vorstdlm, und zwar so, wie wir es vorstdUn.
Beweis. Dies alles ergibt sich klar aus dem
vorgehenden Lehrsatz. Da ist bewiesen, daß Gott des-
halb existiert, weil jemand existieren muß, in dem
alle die Vollkommenheiten enthalten sind, von denen BO
die Idee in uns ist Wir haben aber in uns die Idee
einer so großen Macht jemandes, daß von ihm allein,
der diese Macht besitzt, der Himmel, die Erde und
auch alles andere, was ich als möglich einsehe, ge-
macht werden kann. Deshalb ist mit dem Dasein
Gottes auch dies alles von ihm bewiesen.
Lehrsatz TUI.
Geiit und Körper sind wirkUch verschieden.
Beweis. Was wir klar vorstellen, kann von Gott
so bewirkt werden, wie wir es vorstellen (nach dem 40
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40 Prinzipien. Enter Teil.
vorgehenden Zus.). Nim stellen wir uns klar den
Geist vor, d. h. (nach Def. 6) eine ohne Körper,
d. h. (nach Def. 7) eine ohne ausgedehnte Substanz
denkende Substanz (nach Lehrs. 3 und 4), und ebenso
umgekehrt den Körper ohne den Geist (wie jeder-
mann leicht einräumt). Deshalb kann zum wenigsten
durch göttlichen Machtspruch der Geist ohne Körper
und der Körper ohne Geist sein. ^^)
Nun sind Substanzen, von denen eine ohne die
10 andere sein kann, wirklich verschieden (nach Def. 10);
der Geist und der Körp^ aber sind Substanzen (nach
den Deff. 5, 6, 7), von denen die eine ohne die andere
sein kann, also sind der Geist und der Körper
wirklich verschieden.
Man sehe Lehrs. 4 bei Descartes am Ende seiner
Antwort auf die zweiten Einwürfe und das § 22 — 29,
T. I der Prinzipien Gesagte, da ich es hier anza-
führen nicht für nötig halte.
Lehrsatz IX.
20 Ghtt ist aUiüissend (attmme inteüigensj, ^)
Beweis. Wenn man dies bestreite^ so weiß
Gott entweder nichts oder nicht alles, sondern nur
einiges. Allein das Wissen von einigem und das Nicht-
wissen des übrigen setzt einen begrenzten und un-
vollkommenen Verstand voraus, den Gott zuzuschreiben
widersinnig ist (nach Def. 8). Sollte aber Gott nichts
wissen, so zeigt dies entweder bei Gott einen Mangel
des Wissens an, wie bei den Menschen, wenn sie
nichts wissen, und enthalt alsdann eine UnvoQkommen-
80 heit, welche in Gott nicht sein kann (nach Del 8),
oder es zeigt an, daß es Gottes Vollkommenheit wider-
spricht, daß er etwas wisse. Allein wenn so das Wissen
bei ihm völlig verneint wird, so wird ec auch kein
Wissen schaffen können (nach Gr. 8). Da wir aber
das Wissen klar und deutlich vorstellen, so kann
Gott dessen Ursache sein (nach Zus. zu Lehrs. 17).
Daher ist es durchaus nicht der Fall, daß es der
Vollkommenheit Gottes widersprich^ etwas zu wissen»
und deshalb wird er allwissend s^n. W. z. b. w.
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. Lehnati IX, X/ XI. 41
Erlintenmr«
Wenn man gleich einräumen muß, daß Gott
onkörperlich ist, wie in Lehrs. 16 bewiesen wird, so
ist dies doch nicht so zu verstehen, als wenn alle
Vollkommenheiten der Ausdehnung von ihm fernge-
halten werden müßten; vielmehr ist dies nur so weit
nötig, als die Natur und die Eigenschaften der Aus-
dehnung eine Unvollkommenheit enthalten. Dies rilt
auch von dem Wissen Gottes, wie alle, die sich über
die g^neine Menge der Philosophen erheben wollen, 10
zugestehen und wie in meinem Anhange T. 2, Kap. 7
ausführlich dargelegt werden wird.
Lehrsati X*
Aüe VollkommenkeU, die in Gott angetroffen wird, stammt
90» Gott.
Beweis. Will man dies nicht zugeben, so würde
damit in Gott eine Vollkommenheit sein, die nicht von
ihm stammt; sie wird dann in ihm sein, entweder
von sich selbst oder von etwas, was von Gott ver-
schieden ist Ist sie von sich selbst, so hat sie ein 20
notwendiges oder ein anim mindesten mögliches Dasein
(nach Lohns. 2 su Lehrs. 7), und sie wird daher (nach
Zus. zu Lohns. 1 dess. Liehrs.) etwas höchst Voll-
komlmenes sein, also (nach Def. 8) Gott selbst. Sagt
man also, daß etwas in Gott sei, was von sich selbst
ist, so sagt man damit zugleich, daß es von Gott ist;
w. z. b. w. Stammt es dagegen von etwas von Gott Ver-
schiedenem, so kann dann Gott gegen DeL 8 nicht
durch sich allein als das Vollkommenste vorgestellt
werden. Deshalb ist alles, was an Vollkommenheit 80
in Gott angetroffen wird, von Gott W. z. b. w.
Lehrsatz XI.
E9 gibt nicht mehrere Qütter.
Beweis. Wenn man dies bestreitet, so stelle
man sich, wenn es möglich ist, mehrere Götter, z. B.
A und B, vor. Dann werden notwendig (nach Lehrs. 9)
sowohl A wie B allwissend sein, d. h. A weiß alles,
also sich selbst und B, und umgekehrt weiß B sich
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49 Primdpien. Enter Teil
und A. Allein da A und B notwendig existieren
(nach Lehrs. 5), so ist B selbst die Ursache der Wahr-
heit und Notwendigkeit seiner Idee in A; und umg^e-
kehrt ist A selbst die Ursache der Wahrheit und
Notwendigkeit seiner Idee in B. Somit wird in A
eine Vollkommenheit sein, die nicht von ihm selbst
ist, und eine in B, die nicht von B ist, und
deshalb werden beide (nach dem vorigen liehrs.) nicht
Gott sein. Somit gibt es nicht mehrere Götter.
10 W. z. b. w. ")
Man merke, wie daraas aüein, daß ein Ding in sich
selbst sein notwendiges Dasein einschließt , wie dies hei Gott
der Faü ist^ notwendig folgt, daß dieses Ding einzig ist.
Jeder wird dies 5et aufmerksamem Nachdenken von selbst
bemerken, and ick häite es hier aach beweisen können, aber
freilich nicht auf eine so- allgemein verständliche Weise, wie
es in diesem Lehrsatz geschehen ist
Lehrsatz XII«
ARe» Existierende wird nar durch die Kraft Gattes
20 erhalten.
Beweis. Man nehme, wenn man dies bestreitet,
an, daß etwas sich selbst erhalt; dann enthält (nach
Lehns. 2 zu Lehrs. 7) seine Natur ein notwendiges Da>
sein, und es muX3 deshalb (nach Zus. zu Lehns. 1 zu
Lehrs. 7) Gott sein, und es gäbe dann, mehrere Gotter,
was widersinnig ist (nach Lehrs. 11). Also wird alles
nur durch Gottes Kraft erhalten. W. z. b. w. ")
2^atz 1, Ghtt ist der Schopfer aüer Dinge.
Beweis. Gott erhält (nach Lehrs. 12) alles, d. h.
80 (nach Gr. 10) er hat alles, was existi^t, geschaffen
und schafft es n9ch unaufhörlich von neuem.
Zusatz 2, Die Dinge haben aas sich heraas kein Wesen,
das die Ursache von Gottes Erkenntnis sein konnte; vidmekr
ist Gott aach mit Bezug auf ihr Wesen die Ursache der Dinge.
Beweis. Da in Gott keine Vollkommenheit ange-
troffen wird, die nicht von ihm stammt (nach Lehrs. 10),
so können die Dinge aus sich heraus kein Wesen haben,
das die Ursache von Gottes Erkenntnis wäre. Viel-
mehr folgt, da Gott alles nicht aus einem anderen er-
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Lehiwte Xn, XHI. 48
zeugt» sondern gänzlich geschaffen hat (nach Lehn. 12
mit ZoB.), und da die Tätigkeit des Schaffens keine
andere Ursache als die wirkende gestattet^) (denn so
definiere ich das Schaffen), die Gott ist> daß die Dinge
vor ihrer Erschaffung durchaus nichts gewesen sind,
und daß mithin Gott auch die Ursache ihres Wesens
ist W. z. b. w.
Dieser Zusatz ergibt sich daraus, daß Gott aller
Dinge Ursache oder Schöpfer ist (nach Zus. 1), und
daß die Ursache alle Vollkommenheiten der Wirkung 10
in sich enthalten muß (nach Gr. 8), wie jedermann
leicht bemerken kann.^)
ZuBotz 3, Hieraus folgt klar, daß Qott nicht empfindet
ynd nicht eigentUch wahrnimmt (percipere); denn »ein Ver-
stand wird vfm keinem äußeren Qegemtand benimmt, sondern
aües geht aus ihm selbst hervor,
Zusatz l. Chtt ist, der ürsaehliehkeit nach, vor dem
Wesen und dem Dasein der Dinge, wie sich klar aus Zus, 1
und 2 dieses Lehrsatzes ergibt.
Lelinatz XIU. 20
Qott ist höchst wahrhaft und kann WMnöglich ein Be-
trüger sein.
Beweis. Man kann Gott (nach Def. 8) nichts
beilegen, was eine UnvoUkommenheit enthält^ und da
jeder Betrug (wie selbstverständlich ist)*) oder jede
Absicht zu tauschen nur aus Bosheit oder Furcht her*
vorgeht, die Furcht aber eine verminderte Mach^ und
die Bosheit einen Mangel an Güte voraussetzt, so
kann man Gott» als dem mächtigsten und besten Wesen,
einen Betrug oder eine Absicht zu tauschen nicht zu- 80
*) Ich habe diesen Satz nicht unter die Gmnds&tce
aufgenommen, weü das nicht nötig war. Denn ich bedurfte
seiner nur zum Beweis dieses Lehrsatzes, and aach weil ich,
solange ich Gottes Dasein noch nicht kannte, nur das als
wahr behaupten wollte, was ich aus der ersten Erkenntnis:
Ich bin, ableiten konnte, wie ich in der Erläatemng zu
Lehrsatz 4 erinnert habe. Femer habe ich die Definitionen
der Furcht und der Bosheit ebenfalls nicht oben unter die
Definitionen gestellt, weil jedermann de kennt, nnd ich ihrer
nur zu diesem Lehrsätze bedari (A. v. Sp.)
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44 PriDsipien. Erster TeiL
schreiben; vielmehr muß er ab höchst wahrhaft und
als kein Betrüger gelten, w. z. b. w. Man sehe die Ant^
wort von Descartes auf die zweiten Einwürfe Nr. 4. **)
Lehrsatz XIY.
ÄUes, was man klar und deidlidi auffaßt ist wahr, *^
Die Fähigkeit, das Wahre vom Falschen zu unter-
scheiden, die (wie jeder in sich selbst findet und aus
allem bisher Bewiesenen ersichtlich ist) in uns besteht^
ist von Gott geschaffen und wird stetig von ihm
10 erhalten (nach Lehrs. 12 mit Zus.), d. h, (nach Lehr-
satz 18) von einem höchst wahrhaften und keines-
wegs betrügerischen Wesen, und er hat uns kein
Vermögen gegeben (wie jeder in sich bemerkt), ans
dessen zu enthalten und demjenigen nicht zuzustim-
men, was wir klar und deutlich auffassen; wenn wir
also hierbei getäuscht würden, so würden wir unter
allen Umstanden von Gott getäuscht, und Gott wäre
ein Betrüger, was (nach Lehrs. 13) widersinnig ist.
Daher ist das, was wir klar und deutlich auffassen,
go wahr. W, z. b. w.
Erliaterung.
Da dasjenige, dem wir notwendig zustimmen
müssen, wenn es von uns klar und deutlich aufgefafit
worden ist^ notwendig wahr sein muß, und da wir
das Vermögen haben, dem Dunklen oder Zweifel-
haften oder dem, was nicht aus den sichersten Prin-
zipien abgeleitet ist, nicht beizustimmen, wie jeder
in sich bemerkt, so können wir uns offenbar stets
hüten, daß wir nicht in Irrtum geraten, und daß wir
30 niemals getäuscht werden (was auch aus dem Folgen-
den sich noch klarer ergeben wird), sobald wir nur
uns fest vornehmen, nichts als walir zu behaupten,
was wir nicht klar und deutlich auffassen, oder was
nicht aus an sich klaren und deutlichen Prinzipien
abgeleitet ist. *')
Lehrsatz XY.
Der Irrtum ist nichts Positives.
Beweis. Wäre der Irrtum etwas Positives, so
hätte er Gott allein zur Ursache und müßte fort-
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Lehrsatz XIV und XV mit Erlftaterungon. 45
wahrend von ihm erschaffen werden (nach Lehrs. 12).
Allein dies ist widersinnig (nach Lelurs. 13); also ist
der Irrtum nichts Positives. W. z. b. w.
ErlinteniBf«
Wemi der Irrtum nichts Positives im Henschra
ist, so kann er nur eine Beraubung des rechten
Gebrauchs der Freiheit sein (nach der ErL za
Lehrs. 4), also nur in dem Sinne, wie wir die
Abwesenheit der Sonne als die Ursache der Rnster-
nis bezeichnen, oder wie Gott» weil er ein £ind mit 10
Ausnahme des Sehens den anderen £indem gleich
gemacht hat, als die Ursache von dessen Blindheit
gut So heiät auch Gott die Ursache des Irrtums,
weil er uns nur einen auf weniges sich erstreckenden
Verstand gegeben hat Um nun dies deutlich ein-
zusehen, und zugleich auch, wie der Irrtum von dem
bloßen Mißbrauch unseres Willens abhängt und schließ-
lich, wie wir uns von dem Irrtum schätzen können,
will ich die verschiedenen Arten des Denkens (modi
eogitandi) ins Gedächtnis zurückrufen, d. h. alle Arten 20
des Vorstellens (modi percipiendi) (wie die Wahrneh-
mung, die Einbildungskraft und das reine Erkennen)
und des Wollens (wie das Begehren, das Abweisen, das
Bejahen, das Verneinen und das Zweifeln); denn sie
alle lassen sich auf diese beiden Arten zurückföhren.
Dabei habe ich nur zu bemerken: 1. daß der Geist
sowdt er etwas klar und deutlich einsieht und dem
beistimmt, sich nicht täuschen kann (nach Lehrs. 14);
ebensowenig kann er dies da, wo er etwas nur vor-
stellt ohne dem Betreffenden beizustimmen. Denn 80
wenn ich mir jetzt auch ein geflügeltes Pferd vor-
stelle, so enthält doch diese Vorstellung (perceptio)
nichts Falsches, solange ich nicht als wahr annehme,
daß es ein geflügeltes Pferd gibt, und solange ich
auch noch nicht im Zweifel darüber bin, ob es ein
solches gebe. Da nun das Zustimmen nichts als eine
Bestimmung des Willens ist so erhellt^ daß der Irr-
tum bloß von d^n Gebrauch des Willens abhängt
Damit dies noch klarer werde, ist 2. anzumerken,
daß wir die Macht hab^ nicht bloß dem beizu- 40
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46 PrinsipieD. Enter Teil.
stimmeii, was wir klar und deatlich auffassen, sondern
auch dem, was wir auf irgend eine andere Weise vor-
stellen; denn unser Wille ist durch k^erlei Schranken
eingeengt. Jedermann kann dies klar einsah^ wenn
er nur bedenkt, daß, wenn Gott uns eine unbeschränkte
Kraft der Einsicht hatte geben wollen, er nicht nötig
gehabt hätte, uns eine größere Kraft der Zustimmung
zu verleihen, als wir sie schon haben, um allem Ein-
gesehenen zustinmien su können; vielmehr würde die
10 Kraft^ wie wir sie jetzt haben, genügen, um unendlich
vielem beizustimmeiL Auch erfahren wir tatsächlich,
daß wir vielem zustimmen, was wir nicht aus ge-
wissen Grundsätzen abgeleitet haben. Hieraus ^hellt
nun, daß, wenn der Verstand sich ebensoweit wie
die Willenskraft erstreckte, oder wenn die letztere
sich nicht weiter als der Verstand zu erstrecken ver-
möchte, oder schließlich, wenn wir die Willenskraft
innerhalb der Grenzen des Verstandes einhalten könn-
ten, wir nie in Irrtum verfallen würden (nach Lehr-
20 satz 14).
Nun fehlt uns aber die Macht zur Erfüllung
der beiden ersten Erfordernisse; denn dazu würde
gehören, daß der Wille nicht unbeschränkt sei, oder
daß der erschaffene Verstand unbeschränkt seL Ea bleibt
also nur das Dritte zu erwägen, d. h. ob wir die Macht
haben, unser Willensvermögen innerhalb der Schran-
ken unseres Verstandes zu halten. Nun ist aber uns»
Wille in der Bestimmung seiner selbst frei, also haben
wir die Macht, das Vermögen der Zustimmung inner-
80 halb der Schranken unseres Verstandes zu halten und
so uns vor dem Irrtum zu schützen. Daraus erhellt
aufs klarste, daß es bloß auf den Gebrauch unseres
Willens ankommt, um jederzeit gegen den Irrtum ge-
schützt zu sein. Die Freiheit unseres Willens ist aber
§ 89 T. I der Prinzipien und in der vierten Meditation
und von mir selbst im letzten Kapitel des Anhanges
ausführlich dargelegt Und wenn wir auch, im Fall
wir etwas klar und deutlich erfassen, dem beistinunen
müssen, so hängt doch diese notwendige Zustimmung
40 nicht von der Schwäche unseres WoUens, sondern bloß
von seiner Freiheit und Vollkommenheit ab. Denn das
Zustimmen ist in Wahrheit eine Vollkommenheit in
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Erlftnterang so Lehrmti XY. 47
uns (wie «elbstverstandlich), und der Wille ist nie-
maJfl YoUkommener und freier, als wenn er ginslich
sich aelbfit beetimmt Da dies nur eintreten kann,
wenn der Geist etwas klar und dentUch einsieht» so
wird er sich notwendig sofort diese Vollkommenheit
geben (nach Gr. 6). Deshalb dürf^ wir durchaus
ans nicht für weniger frei halten, weil wir bei der
Erfassung des Wa&en uns keineswegs gleichgültig
verhalten, vielmehr darf als eewiß gelten, daii wir
um so weniger fr^ sind, je mehr wir uns gleichgültig 10
verhalten.
Es bleibt also hier nur noch zu erklären, wie der
Irrtum in Bezug auf den Menschen nur eine Be-
raubung, in Bezug auf Gott aber eine reine Ver-
neinung ist Man wird dies leicht einsehen, wenn
man zuvor erwägt, daß wir deshaU), weil wir neben
dem klar Elrkannten noch vieles andere erfassen, voll-
kommener sind, als wenn letzteres nicht stattfände.
Dies ergibt sich deutlich daraus, daß, wenn wir gar
nichts Uar und deutlich, sondern alles nur verworren 20
erfassen könnten, wir nichts Vollkommeneres besitzen
würden, als diese verworrene Auffassung, und daß
für unsere Natur dann nichts weiter verlangt werden
konnte. Femer ist das Zustimmen zu etwas wenn
auch Verworrenem, insofern es seine Tätigkeit ist, ^e
Vollkommenheit Das wurde jedermann klar werden,
w&OR er, wie oben geschehen, annähme, daß das klare
und deutliche Auffassen der menschlichen Natur wider-
spräche; dann ergäbe sich klar, daß es für den
Menschen weit besser wäre, dem wenn auch Ver- so
worrenen bmustimmen, um dabei seine Freiheit zu
üben, als immer gleichgültig, d. h. (wie gezeigt worden)
in dem niedrigsten Grade der Freiheit zu verharren.
Auch wird sich dies als durchaus notwendig ergeben,
wenn man auf das Zweckmäßige imd Nützliche im
menschlichen Leben achtet, wie die tägliche Erfahrung
jeden zur Genüge lehrt
Wenn sonach alle unsere einzelnen Arten des
Denkens, an sich betrachtet, vollkommen sind, so
k^hinen sie insofern nicht das enthalten, was die Form 40
des Irrtums ^^) ausmacht Gibt man aber auf die ver-
Bchiedenen Arten zu wollen acht» so zeigt sich die
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48 PrinnpicD. Erster Teil.
eine vbllkommener als die andere; je nachdem die
eine mehr als die andere den Willen weniger gleich-
galtig» d. h. freier macht Femer sieht man, daß,
solai^e man dem verworren Vorgestellten zostimmty
man bewirkt, daß unser Geist weniger geschickt ist»
das Wahre vom Falschen zu unterscheiden, und man
deshalb des höchsten Grades der Freiheit noch ent-
behrt Deshalb enthält die Zustimmung zu verworrenen
Vorstellungen, sofern sie etwas Positives ist, noch
10 keine Unvollkommenheit und keine Form des Irrtums,
sondern nur sofern man sich dadurch der besten Frei-
heit, die zu unserer Natur gehört und in unserer
Macht steht, beraubt Die ganze Unvollkommenheit
des Irrtums wird also in der bloßen Beraubung des
höchsten Grades der Freiheit bestehen, und diese nennt
man Irrtum. Beraubung aber heiOt sie, weil wir da-
durch einer Vollkommenheit, die unserer Natur zu-
kommt beraubt werden, und Irrtum, weil wir durch
unsere Schuld diese Vollkommenheit entbehren, in-
30 sofern wir, obgleich wir es könnten, den Willen nicht
innerhalb der Schranken des Verstandes halten. Wenn
sonach der Irrtum rücksichtlich des Menschen nur
eine Beraubung des vollkommenen oder rechten Ge-
brauchs seiner Freiheit ist so folgt, daß diese in
keinem Vermögen, das der Mensch von Gott hat,
und in keiner Wirksamkeit von Vermögen, soweit
eine solche von Gott abhängt, enthalten ist Auch
darf man nicht sagen, daß Gott uns des größeren
Verstandes, den er uns hätte geben können, beraubt
30 und deshalb gemacht habe, daß wir in den Irr-
tum geraten können. Denn die Natur keines Dinges
kann außer dem, was Gottes Wille ihm hat verleihen
wollen, noch etwas von Gott verlangen; noch gehört
etwas weiteres zu dem Dinge, da vor Gottes Willen
nichts vorher existiert hat ^och überhaupt vorffe-
stellt werden kann (wie ausführlich im untenstehenden
Anhange Kap. 7 und 8 dargelegt wird). Deshalb hat uns
Gott ebensowenig eines größeren Verstandes oder eines
vollkommeneren Vermögens der Einsicht beraubt» wie
40 er den Kreis der Eigenschaften einer Kugel oder die
Peripherie der Eigenschaften einer Hohlkugel be-
raubt hat
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LebnaU XVI, XVIL 49
Da sonach keines unserer Vermögen, wie man
sie auch betrachtet^ eine UnvoUkommenheit in Gott
anzeigen kann, so folgt klar, daß die UnvoUkommen-
heit, in der die Form des Irrtums besteht^ nur in
Bezug auf den Menschen eine Beraubung ist, daß
sie dagegen auf Gott als Ursache bezogen nicht eine
Beraubung, sondern nur eine Verneinung genannt
werden kann.
Lehrsatz XTL
Goit ist unkörperUch, 10
Beweis. Der Körp^ ist das unmittelbare Sub-
jekt der Ortsbewegung (nach Def. 7); wäre also Gott
körperlich, so könnte er in Teile geteilt werden. Da
das nun eine UnvoUkommenheit enthält, wäre es
widersinnig, es von Gott anzunehmen (nach Def. 3).
Ein anderer Beweis« Wäre Gott körperlich,
80 könnte er inTeUe geteilt werden (nach Def. 7)* Nun
könnte ein jeder dieser TeUe entweder für sich be-
stehen oder nicht; im letzteren Falle gliche er dem
übrigen, was von Gott geschaffen ist, und würde des- 20
halb, wie jedes geschaffene Ding, durch dieselbe Macht
Gottes forterschaffen werden (nach Lehrs. 10 und
Gr. 11), und er würde deshalb nicht mehr, wie die
übrigen erschaffenen Dinge, zu Gottes Natur gehören,
was widersinnig ist (nach Lehrs. 6). Existiert aber
jeder Teil für sich, so muß auch jeder sein not-
wendiges Dasein einschließen (nach Lehns. 2 zu
Lehrs. 7), und jeder Teil wäre deshalb ein höchst voll-
kommenes Ding (nach Zusatz zu Lehns. 2 zu Lehrs. 7).
Das ist aber auch widersinnig (nach Lehrs. 11), also 30
ist Gott unkörperlich. W. z. b. w. w)
Lehrsatz XTII.
OoU ist das einfachtte Wesen.
Beweis. Wenn Gott aus TeUen besl^nde, so
müßten diese Teile (wie jedermann leicht zugestehen
wird) wenigstens der Natur Gottes vorhergehen, was
widersinnig ist (nach Zus. 4 zu Lehrs. 12); Gott ist
also das einfachste Wesen. W. z, b. w.
SpinoBft» Prinzipien Ton Deieartos. 4
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60 Priniipien. Enter TeiL
Zusatz. Hieraus folgt, daß sich Gottes Einsicht
und Wille, oder sein Beschluß und 'seine Macht nur
dem Gesichtspunkt der Betrachtung nach (ratione) von
seinem Wesen unterscheiden.
Lehrsatz XYIII.
Gott ist ufweränderUch.
Beweis. Wäre Gott veränderlich, so könnte er
nicht bloß teilweise, sondern müßte seinem ganzen
Wesen nach sich verändern (nach Lehrs. 7). Allein
10 das Wesen Gottes existiert mit Notwendigkeit (nach
Lfohrs. 5, 6 und 7), also ist Gott unveränderlich.
W. z. b. w.
Lehrsatz XIX.
Gott igt ewig.
Beweis. Gott ist das höchst vollkommene Wesen
(nach der 8. Def.), und daraus folgt (nach Lehrs. 5),
daß er notwendig existiert. Schreibt man ihm aber
ein beschränktes Dasein zu, so müssen notwendig die
Schranken seines Daseins, wenn auch nicht von uns,
20 so doch von Gott erkannt werden (nach Lehrs. 9), weil
er allweise ist Somit würde Gott erkennen, daß er,
der doch (nach Def. 8) ein höchst vollkommenes
Wesen ist, über diese Sctoranken hinaus nicht existiert,
was widersinnig ist (nach Lehrs. 5); deshalb hat Gott
kein beschränktes, sondern ein unbeschränktes (in-
finitam) Dasein, das man als Ewigkeit bezeichnet (Vgl.
Kap. 1, T. II meines Anhangs.) Gott ist demnach
ewig. W. z. b. w.
Lehrsatz XX.
80 Gott hat von Ewigkeit her alles im voraus geordnet,^^)
Beweis. Da Gott ewig ist (nach Lehrs. 19), so
wird auch seine Einsicht ewig sein; denn sie gehört
zu seinem ewigen Wesen. (Nach Zus. zu Lehrs. 17.)
Nun ist seine Einsicht von seinem Willen oder Beschluß
der Sache nach nicht verschieden (nach Zus. zu Lehr-
satz 17); wenn man also sagt, Gott habe von Ewig-
keit her alle Dinge erkannt, so sagt man zugleichi
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L^imti xvni-xxr. tu
daß er von Ewigkeit her alle Dinge gewollt oder be-
ficUoflsen habe. W. z, b. w.
Zusatz. HieraoB folgte daß Gott in seinen Wer-
ken höchst beständig ist
Lehrsats XXI.
E8 eanttiert in WahrheU eine Substang, die in die Länge^
Brrite und Tiefe awgedehit ist, und wir eind mit einem TeU
derselben vereint.^
Das ausgedehnte Ding gehört^ wie wir klar und
deutlich einsehen, nicht zur Natur Gottes (nach Lehr- 10
aatz 10); aber es kann von Gott geschaffen werden
(nach Zusatz zu Lehrs. 7 und nach Lehrs. S). Femer
sehen wir khir und deutlich ein (wie jeder in sich«
insofern er denkt» bemerken wird), daß die ausge-
dehnte Substanz die zureichende Ursache ist, um
in uns den Kitzel, den Schmerz und ähnliche Ideen
od« Empfindungen h^vorzubringen, die fortwährend
in uns, auch ohne unser Zutun, hervorgetoacht
werden. Wollten wir uns außer dieser ausgedehnten
Substanz eine andere Ursache unserer Empfindungen, ao
etwa Gott oder einen Engel denken, so würden wir
sofort den klaren und deutlichen Begriff, den wir
haben, zerstören. Wenn*) wir daher auf unsere Vor-
stellungen recht lushthaben und nichts gelten lassen,
als was wir klar imd deutlich vorgestellt haben, so
werden wir völlig geneigt oder nicht im geringsten
gleichgültig dagegen sein, zuzugeben, daß die aus-
gedehnte Substanz die alleinige Ursache unserer Emp-
findungen sei und demnach zu behaupten, daß ein
ausgedehntes, von Gott geschaffenes Ding existiert 80
Und hierin können wir allerdings nicht irren (nach
Lehrs. 14 mit Zus.); deshalb l^auptet man wahr-
heitsgemäß, daß es eine in die Länge, Breite und
Tiefe ausgedehnte Substanz gibt. Dies war das Erste.
Wir bemerken femer unter unseren Empfin-
dungen, die in uns (wie oben gezeigt) von der aus-
gedehnten Substanz hervorgebracht werden müssen.
*) Man sehe den Beweis von Lehrs. 14 und den Zusntz
la Lehre. 15. (A. v. Sp.)
4«
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62 Prinnpien« Enter Teil.
einen großen Unterschied; bo, wenn ich sage, ich
sehe oder nehme einen Baum wahr, oder wenn ich
sage, ich habe Durst oder Schmerzen, u« s. w. Die
Ursache des Unterschieds kann ich, wie ich klar sehe,
nicht eher verstehen, als bis ich erkenne^ daß ich
mit einem Teile des Stoffes innig vereint bin und mit
anderen Teilen desselben nicht ebenso. Da ich dies
nun klar und deutlich einsehe, und es mir in keiner
anderen Weise vorstellen kann, so ist es F^hr
10 (nach Lehrs. 14 mit Zus.), daß ich mit ein^n Teile
des Stoffes vereint bin. Das war das Zweite; damit
ist bewiesen, w. z. b. w.
Anmerkung. Wenn der Leser sich hier nicht als ein
bloß denkendes Ding betrachtet, das keinen Körper hat, und
wenn er nicht aüe seine früheren Qründe für die Annahme,
daß ein Körper existiert, als Vorurteile von sich abweist, wird
er sieh vergeblich bemühen, diesen Beweis zu verstehen.
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Die
Prinzipien der Philosophie
auf
geometrlsclie Weise begrUndet
Zweiter Teil/*)
Postulat'')
Eb wild hier nur gefordert, daß jeder auf seine
Vorstelinngen möglichst genau achtgebe, um das Klare
von dem Dunkeln unterscheiden zu können.
Definitionen.'*) lo
I. Ättsdehnung ist das, was aus drei Richtungen
besteht; aber ich verstehe darunter weder den Akt
des Sich-Ausdehnens, noch etwas von der Größe (quan-
Utas) Verschiedenes.
IL Unter Substanz verstehe ich das, was zu
seinem Dasein nur der Beihilfe Gottes bedarf.
IIL Atom ist ein seiner Natur nach unteilbarer
Tea des Stoffes.
IV. ünbegrenMt (indefinitum) ist das, dessen Gren-
zen (wenn es deren hat), vom menschlichen Ver- 20
Stande nicht erforscht w^den können«
V. Das Leere ist die Ausdehnung ohne körper-
liche Substanz.
VL Der Baum wird nur im Denken (ratUme) von
der Ausdehnung unterschieden, ohne der Sache nach
etwas Verschiedenes zu sein. (Man sehe § 10 T. II
der Prinzipien.)
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54 Prinzipien* Zweiter Teil.
VIL Was im Denken geteilt werden kann^ das
ist, wenigstens der Möglichkeit nach (poteniia), teübar.
VIII. Die Ortsbewegung ist die Überführung eines
Teils der Materie oder eines Korpers ans der Nachbar-
schaft der Körper, die ihn unmittelbar berühren^ nnd
die als ruhend angenommen werden, in die Nachbar-
schaft anderer.
Deseartes bedient sich dieser Definition, «m die Ortsbewe-
gung zu erldären» Um sie recht zu verstehen, ist tu beachten:
10 i. d(iß er unter Teil der Materie (pars materiae) aües
versteht, was auf einmal fortbewegt wird, wenn es aud^
selbst wiederum aus vielen Teilen bestehen hann;
2, daß er zur Vermeidung von TenoffTuti^ in dieser
Definition nur von dem spricht, was beständig in der bewege
liehen Sache ist, d. h. in der Überführung, damit es niekt^
wit öfters von manchen geschehen ist, mit der Kraft oder
Handlung verwechselt wird^ wekhe die Übertragung bewirkt.
Man meint gemeinhin ^ daß diese Kraft oder Handlung nur
zur Bewegung notig sei, aber nicht zur Buhe; indes ist man
20 hier im Irrtum. Denn seUbstverständUeh ist die gleiche Kraft
nötig, um einem ruhenden Korper gewisse Qrade der Be-
wegung beizubringen, als um ihm diese Qrade wieder zu nehmen
und somit ihn zur Ruhe zu bringen. Auch die Erfahrung
lehrt das; denn es ist beinahe die gleiche Kraft nötig, um
ein in einem stillen Wasser liegendes Fahrzeug zur Bewegung
zu bringen j als um das beiregte sofort zum Stillstand zu
bringen; beide Kräfte wären sicherlich einander gleich, wenn
die eine Kraft nicht von der Schwere und Trägheit des von
dem Fahrzeug gehobenen Wassers in dem Aufhalten dessdben
30 unterstützt würde;
3. daß er sagt, die Überführung geschehe aus der Nach-
barschaft anstoßender Körper in die NachJbarsthaft anderer,
nicht aber von einem Orte zu einem anderen. DiBnn der
Ort (wie er selbst § 13, T. II erläutert) ist nichts Gegen-
ständluhes, sondern besteht nur in unserem Denken, weshalb
man von demselben Körper sagen kann^ daß er zugleich den
Ort verändert und nicht verändert. Aber man kann nidU
ebenso sagen, daß er zugleich aus der Nachbarschaft eines
anstoßenden Körpers übergeführt und nicht übergeführt wird,
40 da in demselben Zeitpunkte nur ein und dersdbe Körper den*
sdben beweglichen Körper berühren kann;
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Definitionen. 66
4. daß er nicht schledUerdings sagt, die Überführung
gaduke am der NaMair9chaft angrenzender Körper, mmdem
imr eololer, die als ruhend gelten. Denn damit der Körper
Ä von dem reihenden Körper B übergeführt wird, igt dii9dhe
Kraft foon der einen wie von der anderen Seite nötig, was
deuäich aus dem Faü erheOt, wo ein Kahn in dem Sehlamm
oder Sand auf dem Gründe des Wassers hängen bleibt, da, um
diesen Kahn fortzubewegen, die gleiche Kraß sowohl gegen
den Boden, wie gegen den Kahn anzuwendien ist. Deshalb
wird die Kraft, mit der der Körper bewegt werden soü, 10
d>enso auf den bewegten wie auf den ruhenden verwendet.
Die Fortfährung aber ist wechsdseitig ; denn wenn der Kahn
von dem Sande getrennt wird^ wird auch der Sand von dem
KahngetremU. Wenn wir ako den Körpern, die von dnander,
der eine in dieser Biehtung, der andere in jener Biehtung,
getrennt werden, gleiche Bewegungen zuteilen und den einen
nidU als rtthend auffassen woüen, und zwar bloß deswegen,
weU dieselbe Tätigk^ in dem einen, wie in dem anderen vor-
handen ist, so muß man auch den Körpern, die von jeder-
mann für ruhend angesehen werden, z, B. dem Sande, von 20
dem der Kahn getrennt worden, ebensovid Bewegung zu-
schreiben wie den bewegten Körpern, da, wie ich gezeigt habe,
dieselbe Eandkmg von der einen wie von der anderen Seite
erfordertteh und die Fortschaffung wechselseitig ist. Indes
würde dies von der gewöhnlichen Ausdrudesweise zu sehr
abweichen. Wenn indes auch die Körper, von denen andere
getrennt werden, als ruhend angesehen und so bezeidinä
werden, so müssen wir doch immer eingedenk sdnf daß
alles, was in dem bewegten Körper ist, und weshalb man
ihn als ,bewegf bezeichnet, auch in dem ruhenden Körper 80
enthäuten ist.
5. Endiich erhdU auch klar aus der Definition, daß jeder
Körper nur eine ihm eigentumliche Bewegung hat, da er
nur von ein und densdben anstoßenden und ruhenden Körpern
sich entfernen kann. Ist indes der bewegte Körper dn Be-
standteil anderer Körper, die dne andere Bewegung haben,
so sieht man Idar dn, daß auch er an unzähligen anderen
Bewegungen teilndimen kann. Da es indes schwer ist, so
vide Bewegungen zugleidi zu erkennen, und auch nicht alle
erkannt werden können, so wird es genügen, nur die eine, 4/0
uddte jedem Körper dgentümUdt ist, an ihm zu bär achten,
(Man sehe § 31, T. II der PinzipienJ.
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56 Prinzipien, Zweiter Teil.
IX. Unter dem Kreis der bewegten Körper wird bloß
verstanden, daß der letzte Körper, welcher auf den
Anstoß eines anderen sich bewegt^ den zuerst be-
wegten unmittelbar berührt, wenn auch die Linie,
welche von allen Körpern durch den Anstoß dieser
einen Bewegung beschrieben wird, sehr krumm ist
(S. unten die Figur zu Grundsatz XXI.) ^)
[Grundsätze/')
I. Das Nichts hat keine Eigenschaften«
10 IL Was ohne Verletzung der Sache von ihr weg-
genommen werden kann, bildet nicht ihr Wesen; was
dagegen durch seine Wegnahme die Sache aufhebt,
bildet ihr Wesen.
IIL Von der Härte gibt uns die Empfindung keine
andere Kunde, und wir haben keine andere klare
und deutliche Vorstellung davon, als daß die Teile
des harten Körpers der Bewegung unserer Hände
Widerstand leisten.
IV. Nähern sich zwei Körp^ einander, oder ent>
20 fernen sie sich voneinander, so werden sie darum
keinen größten oder geringeren Baum einnehmen.
V. Ein Stoffteil verliert weder durch sein Nach-
geben, noch durch seinen Widerstand die Natur eines
Körpers.
VI. Bewegung, Buhe, Gestalt und dergleichen
kann ohne Ausdehnung nicht vorgestellt werden.
VII. Über die wahrnehmbaren Eigenschaften
hinaus bleibt im Körper nur die Ausdehnung; mit ihren
Beschaffenheiten (affectiones), wie eie T. I der Prin-
80 zipien aufgeführt sind.
VIII. Derselbe Baum oder dieselbe Ausdehnung
kann nicht das eine Mal größer als das andere
Mal sein.
IX. Alle Au^ehnung ist teilbar, wenigstens in
Gedanken.
Über die Wahrheit dieses Qmndsatzes wird memandj
der nur die Elemente der Mathematik gelemt hai^ in Ztceifei
sein. So kann der Baum zunschen dem Kreis und seiner
Tangente durch unendlich vieU^ immer größere Kreise geteüt
40 werden. Dasselbe erhellt auch aus den Asymptoten der Myperbel,
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Gronds&tEe. 57
X. Niemand kann sich die Grenzen einer Atuh
delmnng oder mnes Raumes vorstellen, ohne sich Zu-
gloch darüber hinaus einen anderen Baum, der un-
mittelbar daran stoflt, vorzostellen.
XI. Ist der Stoff mannigfaltig und berührt ein
Stoffteilchen nicht unmittelbar das andere» so ist jedes
notwendig in Grenzen eingeschlossen, jenseits deren
kein Sto& vorhanden ist^)
XIL Die kleinsten Körper weichen leicht der Be-
rührung unserer Hände. 10
XIIL Ein Raum durchdringt nicht den anderen
und ist nicht das eine Mal größer als das andere Mal
XIV. Ist ein Kanal A so lang wie der Kanal C,
und C doppelt so breit als A, und geht ein flüssiger
Stoff doppelt so schnell durch Kanal A als ein
gleicher Stoff durch den Kanal G, so geht in gleicher
Zeit eine gleiche Menge Stoff durch den Kanal A wie
durch den Kanal C; und wenn durch A dieselbe Menge
wie durch G hindurchgeht^ so muß sie in A sich
noch einmal so schnell bewegen wie in G. ^*) 20
XV. Dinge, die mit einem dritten Dinge über-
einstimmen, stimmen auch unter einander überein, und
wenn sie das Doppelte des dritten Dinges sind, so
smd sie einander gleich. ^^)
XVL Wenn ein Stoff sich auf verschiedene Weise
(diverrimode) bewegt, SO hat er wenigstens so viel
tatsächlich (actu) getrennte Teile, als verschiedene
Grade der Geschwindigkeit zugleich in ihm vor-
lianden sind.
XVII. Die Gerade ist die kürzeste Verbindung 30
zweier Punkte.
XVm. Der von G ^^^^ ^i
nach B bewegte Körper ^)r
A wird, wenn er durch ^"^
einen Gegenstoß zurückgeworfen wird, auf derselben
Linie sich nach G bewegen.
XIX. Wenn Körper mit entgegengesetzten Be-
wegungen sich begegnen, so müssen entweder beide,
oder wenigstens einer eine gewisse Veränderung er-
leiden. 40
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58 PriDxipidii. Zweiter Teil
XX. Die Veränderung ih einem Dinge geht von
der stärkeren Kraft aus.
XXL Wenn der Körper 1
sich gegen Körper 2 bewegt
und ihn stößt, und der Körper 8
durch diesen Stoß sich nach 1
bewegt, so können die Körper
1, 2, 3 u. 8. w. sich in keiner
geraden Linie befinden, sondern
10 müssen mit 8 einschließlich
einen vollständigen Kreis bilden. Man sehe Det IX.
Lehnsatz L«)
Wo es eine AiMdehnung oder einen Baum gibt, da gibt
eB auch notwendig eine Substanz,
Beweis. Die Ausdehnung oder der Raum kann
nicht ein reines Nichts sein (nach Gr. 1), folglich
ist er ein Attribut^ das notwendig einer Sache zuge-
teilt werden muß, die indessen nicht Gott sein kann
(nach Lehrs. 16 T. I). Also kann sie nur einer Sache
20 zugeteilt werden, die der Beihilfe Gottes zu ihrem
Dasein bedarf (nach Lehrs. 12 T. I), d. h. (nach Def. II
ebda.) einer Substanz. W. z. b. w.
Lehnsatz U.
Verdiinnung und Verdichtung werden klar und deutUch
von uns vorgestellt^ obgleich wir nicht einräumen, daß die
Körper im Zustande der Verdünnung einen größeren Saum
einnehmen ais hei ihrer Verdichtung,
Beweis. Sie können nämlich schon dadurch klar
und deutlich vorgestellt werden, daß die Teile eines
30 Körpers von einander zurückweichen oder sich ein-
ander nähern. Sie werden also deshalb (nach Gr^ 4)
keinen größeren oder ^kleineren Raum einnehmen.
Denn wenn die Teile eines Körpers, z. B. eines
Schwammes, dadurch, daß sie sich einander nähern,
die ihre Zwischenräume ausfüllenden Körper aus-
treiben, so wird schon dadurch der Körper dichter,
und seine Teile werden darum keinen kleineren Raum
als vorher einnehmen (nach Gr. 4). Und wenn sie
dann sich wieder von einander entfernen und die
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Lehnsats I, n und Lehnatz I, IL 59
Zwischengange von anderen Körpern aüBgefülIt wer-
den, jBO wird eine Vendünnong entstehe, ohne daß
die teile einen größeren Raum einnehmen werden.
Was man hier fei dem Schwämme mit den Sinnen
dentUch wahniimmt^ kann man sich bei allen Körpern
mit dem bloßen Verstände vorstellen, wenngleich deren
Zwischenräume für die menschlichen Sinne nicht wahr-
nehmbar sind. Somit wird die Verdünnung and Ver-
dichtung von uns klar nnd deutlich vorgestellt u. s. w.
W. z. h. w. 10
Dies vorcntszwchieken, »chien ndHg, damit der VenUmd
9%ch der fäkehen VorsteOwngen über Bäumt VerdümMng «. e.w,
entiMage und so mr EvneuM des Folgenden geschickt ge-
maM werde,
Lehrsats L
Wenn auch die Härte ^ das Chwicht und die übrigen
sinnlichen Eigenschaften von einem Korper abgetrennt werden
so wird doch die Natur des Körpers trotzdem unversehrt bleiben.
Beweis. Von der Härte, z. B. dieses Steines,
zeigt uns die EmpjBndung nichts weiter an, und wir 20
sehen nichts weiter davon klar und deutlich ein, als
daß die Teile des harten Körpers der Bewegung
unserer Hände Widerstand leisten (nach Gr. 3); des-
halb wird auch die Härte (nach Lehrs. 14 T. I) nichts
weiter sein. Wird sJber solch ein Körper in seine
kleinsten Teilchen zerstoßen, so werden seine Teile
leicht nachgeben (nach Gr. 12) und doch die Natur
eines Korpus nicht verlieren. (Nach Gr. 6.) W. z. b. w.
Eb^iso geschieiit der Beweis für das Gewicht und
die übrigen sinnlichen Bigenschaften. 80
Lehrsatz U.
Die Natur des Körpers oder des Stoffes (maieria) be-
steht Uoß in der Ausdehnung.
Beweis. Die Natur eines Körpers wird durch
die Aufhebung seiner sinnlichen Eigenschaften nicht
aufgehoben (nach Lehrs. 1 oben), folglich bilden sie
auch nicht sein Wesen (nach Gr. 2). ^ bleibt nur die
Ausdehnung und deren Beschaffenheiten (affectiones)
(nach Gr. 7). Wenn man also auch sie beseitigt, so
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00 PrinEipien. Zweiter Teil.
wird nichts bleiben, was zur Natur dee Körpers ge-
hört, sondern er wird damit gänzlich beseitigt^ es be-
steht also (nach Gr. 2) die Natur eines Korpers
bloß in seiner Ausdehnung. W. z. b. w.
Zusatz. Raum und Körper sind der Sache
nach nicht verschieden.
Beweis. Der Körper und die Ausdehnung sind
der Sache nach nicht verschieden (nach dem vor-
stehenden Lehrs.); ebenso sind der Raum und die Aus-
10 dehnung der Sache nach nicht verschieden (nach
Def. VI), also Bind auch (nach Gr.; 15) Raum mnd Körper
der Sache nach nicht verschieden. W. z. b. w.
Erläatemng.
Wenn ich auch sage*), daß Gott überall ist,
so gebe ich doch damit nicht zu, daß Gott aus-
gedehnt ist, d. h. (nach Lehrsatz 2) körperlich;
denn das Überall-Sein bezieht sich bloß auf die
Macht Gottes und seine Beihilfe, durch die er alle
Dinge erhält. Deshalb bezieht sich die Allgegenwart
20 Gottes ebensowenig auf die Ausdehnung <xler einen
Körper, wie auf die Engel und auf die menschlichen
Seelen. Wenn ich jedoch sage, daß seine Macht überall
ist, so soll damit sein Wesen nicht ausgeschlossen
werden, denn da» wo seine Macht, ist auch sein Wesen
(Zus. zu Lehrs. 17, T. I), vielmehr soll nur die Körper-
lichkeit ausgeschlossen werden, d. h. Gott ist nicht
durch eine körperliche Macht überall, sondern nur
durch eine göttliche Macht und Wesenheit, welche ge-
meinsam die Ausdehnung und die denkenden Dinge er-
80 halten (Lehrs. 17 T. I), und die er in Wahrheit nicht
würde erhalten können, wenn seine Macht, d. h. sein
Wesen, körperlich wäre.
Lehrsatz IIL
Das Leere ist ein in sich widersprucJavoUer Begriff,
Beweis. Unter dem Leeren versteht man eine
Ausdehnung ohne körperliche Substanz (nach Del V),
*) Man sehe das Geoanere hierüber im Anhang, T. 2,
K. 8 und 9. (A. v. Sp.)
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Lehrsatz m, IV. 61
d. L (nach Lehrs. 2 oben) einen Körper ohne Korper,
was widersinnig ist
Zwr voUständigm Erklärung und zwr BeseUigwng der
fäbchm VorsteOungm Über das Leere lese man § 17 und 18,
T. II der Prinzipien, wo besonders JieroorgeKöben wird, daß
ESrper, ewiscken denen sich nichts befindet, sieh notwendig
gegenseitig berühren, und femer, daß dem Nichts keine Eigen-
schaften zukommen.
Lehrsatz IT.
Ein Körperteil nimmt das eine Mal nicht mehr Raum 10
^ als da» andere Mal, und umgekehrt enthält derselbe Baum
das eine Mal nicht mehr an Körpern als das andere Mal.
Beweis. Raum und Körper sind der Sache
nach nicht verschieden (Zusatz zu Lehrs. 2). Wenn
ich also sage, daß das eine Mal ein Raum nicht größer
ist als das andere Mal (nach Gr. 13), so sage ich
damit zugleich, daß der Körper das eine Mal nicht
größer sein, d. h. nicht einen größeren Raum ein-
nehmen kann als das andere Mal; dies war das Erste.
Femer folgt aus unserem Satze, daß Körper und 20
Raum der Sache nach nicht verschieden sind, daß,
wenn wir sagen, derselbe Körper könne das eine
Mal nicht meb* Raum einnehmen als das andere Mal,
wir zugleich sagen, daß derselbe Raum das eine Mal
nicht mehr an Körpern enthalten kann als das andere
Mal W. z. b. w.
Zusatz. Körper, die einen gleichen Raum
einnehmen, z. B. Gold oder Luft, enthalten
auch gleich viel Stoff oder körperliche Sub-
stanz. 30
Beweis. Die körperliche Substanz besteht nicht
in der Harte, & B. des Goldes, noch in der Weichheit,
z> B. der Luft, noch in anderen sinnlichen Eigen-
schaften (nach Lehrs. 1, T. II), sondern allein in der
Ausdehnung (nach Lehrs. 2, T. II). Da nun (nach der
Amiahme) in dem einen so viel Raum oder (nach
Del VI) so viel Ausdehnung wie in dem anderen ist,
80 ist auch in jedem gleichviel körperliche Substanz,
w. z. b. w.
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62 Prinzipien. Zweiter TeiL
Lehrsatz Y.
Es gibt keine Atome.
Beweis. Die Atome sind Stoffteile, die ihrer
Natur nach unteilbar sind (nach Del III), allein da die
Natur des Stoffes in der Ausdehnung besteht (nach
Lehrs. 2, T. II), die ihrer Natur nach, auch wenn sie
noch so klein ist, teilbar ist (nach Gr. 9 und Del VII),
so ist also jeder noch so kleine Teil des Stoffes seiner
Natur nach teilbar, d. h. es gibt keine Atome oder
10 keine von Natur unteilbaren Teile des Stoffes, w. z. b. w.
Erliutenuig.*')
Die Fragen ob es Atome gibt, ist immer von
großer Bedeutung und Schwierigkeit geweeen. Manche
behaupten, daß es Atome gebe, weil ein Unendliches
nicht gröJ3er als das andere sein könne^ und wenn
zwei Größen, z. B. A und 2A, ohne Ende teilbar
wären, so könnten sie auch durch die Macht (lOttes»
der ihre unendlichen Teile mit einem Blick durch-
schaut, tatsachlich (actu) in unendlich viele Teile ge-
20 teilt werden. Wenn nun, wie gesagt^ das eine Un-
endliche nicht größer sein kann ala das andere, so
mre die Größe A gleich 2A, was doch widersinnig
ist Ferner wirft man die Frage auf, ob die Hälfte
einer unendlichen Zahl auch unendlich sei, und ob
sie gerade oder ungerade sei und mehr derart Des-
cartes antwortet aiS alles das, daß man das unserem
Verstand Erfaßbare und deshalb klar und deutlich
Vorgestellte nicht wegen anderem verwerfen solle,
was unseren Verstand und unsere Fassungskraft über-
80 schreitet und deshalb von uns gar nicht oder nur
sehr ungenügend erfaßt wird. Das Unendliche tmd
seine Eigenschaften überschreiten aber den seiner
Natur nach endlichen menschlichen Verstand, und es
wäre deshalb töricht, das, was wir klar und deut-
lich in Betreff des Baumes vorstellen, als falsch zu
verwerfen oder es zu bezweifehi, bloß weil wir das
Unendliche nicht begreifen können. Deshalb bezeich-
net Descartes das, woran wir keine Grenze bemerken,
wie die Ausdehnung der Welt, die Teilbarkeit der
40 Teile des Stoffes u. s. w., als indefinit Man sehe
darüber Prinzipien § 26, T. I.
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LefanatE VI.
LeliTsatz Tl.
Der Stoff ut ohne Ende (indefinite) amgedehni, und
der Stoff de» Bimmels und der Erde ist ein und deredbe.^^
Beweis des ersten Teiles. Man kann sich
von der Ausdehnung, d.h. (nach hebxs, 2, T. II) von
dem Stoffe keine Grenzen vorstellen, ohne zugleich
über sie hinaus andere unmittelbar anstoßende ^ume
(nach Gr. 10) d. L (nach Def. VI) ^e Ausdehnung
oder einen Stoff sich vorzustellen, und zwar ohne
Ende. Dies war das Erste. 10
Beweis des zweiten Teils. Das Wesen des
Stoffes besteht in der Ausdehnung (nach Lehrs. 2, T. II),
und zwar einer endlosen (nach dem ersten Teil), d. h.
(nach Del IV) einer solchen, die vom menschlichen
Verstand nicht begrenzt vorgestellt werden kann; des-
halb ist er nicht mannigfach verschieden (nach Gr. 11),
sondern überall ein und derselbe. Dies war das Zweite.
Erlftatemng*
Bis hierher habe ich über die Natur oder
das Wesen der Ausdehnung gehandelt Daß nun 20
aber eine solche, so wie wir sie vorstellen, von
Grott geschaffen ist und existiert, ist durch den
letzten Lehrsatz in Teil I dargetan worden, und aus
Lehrs. 12, T. I foljg^ daß diese Ausdehnung durch die-
selbe Macht, die sie geschaffen hat, auch erhalten wird.
Ferner habe ich durch den letzten Lehrsatz in Teil I
bewiesen, daß wir als denkende Dinge mit einem Teile
dieses Stoffes vereint sind und mit dessen Hilfe wahr-
nehjnen, und daß wirklich alle ]ene mancherlei Unter-
schiede bestehen, deren der Stoff, wie wir aus seiner 80
Betrachtung wissen, fähig ist, wie die Teilbarkeit^
die Ortsbewegung oder die Wanderung eines Teiles
des Stoffes von einem Ort an einen anderen, die man
deutlich und klar erkennt, sobald man nur einsieht»
daß andere Stoffteile an Stelle der wandernden nach-
folgen. Diese Teilung und Bewegung wird von uns
auf anendlich viele Weisen vorgestellt, und deshalb
kann man sich auch unendlich viele Verschiedenheiten
des Stoffes vorstellen. Ich sage, daß dies klar und
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64 Prinzipien. Zweiter Teil.
deutlich geechieht, solange man sie selbst als Arten der
Ausdehnung und nicht ab Dinge vorstellt» die von der
Ausdehnung sachlich (realiter) verschieden sind, wie
in Teil I der Prinäpien ausführlich dargelegt ist Aller-
dings haben die Philosophen sich noch viele andere
Arten der Bewegung ausgedacht» allein ich kann nur
das klar und deutlich Vorgestellte asulassen, weil man
klar und deutlich einsieht» daß nur diese ortliche Be-
wegung der Ausdehnung fähig ist Auch kann, da
10 keine andere Bewegnmg unter unsere Einbildung fallt»
nur die örtliche zugelassen werden.
Allerdings sagt man von Zeno, daß er die Orts-
bewegung aus verschiedenen Gründen geleugnet habe.
Der Cyniker Diogenes widerlegte sie in seiner Weise,
indem er in der Schule^ wo Zeno dies lehrte^ aof-
und abging und die Zuhörer desselben dadurch störte.
Als er aber merkte, daß ein Zuhörer ihn festhielt^
um ihn an dem Auf- und Abgehen zu hindern, da
schalt er ihn, indem er sagte: ,, Wie kannst du es wagen,
20 so die Gründe deines Lehrers zu widerlegen^'? Indes
möge sich niemand durch die Gründe des Zeno tau-
schen lassen und glauben, die Sinne zeigten uns etwas,
nämlich die Bewegung, was dem Verstände wider^
spricht, sodaß also der Geist selbst bei dem, was
er mit Hilfe des Verstandes klar und deutlich erfaßt,
getauscht werde. Ich will zu dem Ende Zenos
Hauptargumente hier anführen und zeigen, daß sie
nur auf falschen Vorurteilen beruhen, weil ihm näm-
lich der richtige Begriff des Stoffes gefehlt hat
80 Erstens soll er gesagt haben, daß^ wenn es eine
Ortsbewegung gäbe, so würde die möglichst schnelle
Kreisbewegung eines Körpers sich von der Buhe nicht
unterscheiden.^) Allein dies ist widersinnig;, folglich
auch jenes, wie sich folgendermaßen zeigen läßt Der-
jenige Körper ruht nämlich, dessen sämtliche Punkte
beständig an derselben Stelle bleiben; nun bleiben aber
alle Punkte eines Körpers, der mit der höchsten Ge-
schwindigkeit sich im Kreise dreht» an derselben St^le;
also u. 6. w. Zeno soll dies selbst an dem Beiroiel
40 eines Rades erlaut^ haben. Dieses Rad sei ABG.
Wird dasselbe mit einer gewissen Geschwindigkeit
um seinen Mittelpunkt gedreht, so wird der Punkt A
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Iirlftatening sn Lehnali VI. 65
seinen Umlauf durch B und G schneller vollenden,
als wenn es langsamer gedreht würde. Uan nehme
also z. B. an, daß der Funkt A bei einer langsamen Be-
wegüDg nach Ablauf einer
Stimde wieder da sei, von wo
er ausgegangen ist Nimmt
man aber an, die Bewegung
sei doppelt so schnell, so wird
er in einer halben Stunde
seine erste Stelle wieder er- ^ \ /^^^^ / J 10
reicht haben; und ist die
Bewegung viermal so schnell,
in einer Viertelstunde. Nimmt
man aber eine unendlich ver-
mehrte Geschwindigkeit an, so vermindert sich diese
Zeit bis auf einen Augenblick. Der Punkt A wird dann
bei dieser höchsten Geschwindigkeit zu allen Zeit-
punkten, also immer, an derselben Stelle sein, und was
man hier von dem Punkt A einsieht, sieht man auch
von aUen anderen Punkten dieses Rades ein; mithin 20
bleiben alle Punkte desselben bei dieser höchsten Ge-
schwindigkeit an derselben Stelle.
Indes gilt, um darauf zu antworten, dieeer Grund
mehr gegen die höchste Geechwindigkeit der Bewegung
als gegen die Bewegung selbst; doch will ich nicht
prüfen, ob Zeno seinen Beweis richtig geführt hat,
sondern ich will vielmehr dieee Vorurteile, auf denen
die ganze Begründung beruht, soweit er damit die
Bewegung angreifen will, aufdecken. Zunächst nimmt
Zeno an, man könne sich eine so schnelle Bewegung 80
des Körpers vorstellen, daß eine noch schnellere
nicht möglich sei. Sodann nimmt er an, die Zeit setze
sich aus Zeitpunkten zusammen, so wie andere von der
GröJBe angenommen haben, sie eetze sich aus un-
teilbaren Punkten zusammen. Aber beides ist falsch.
Man kann sich nie eine Bewegung so schnell vorstellen,
daß man nicht eine noch schnellere annehmen könnte;
ee widerstrebt unserem Verstände, eine Bewegung,
wenn sie auch nur eine kleine Linie beschreibt, so
schnell vorzoatellen, daß es keine schnellere geben 40
könne. Dasselbe gilt auch für die Langsamkeit; man
kaxm nicht eine so langsame Bewegung sich vorstellen,
SpinoBft, Prinzipien ron Dsioarte«. 5
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66 PrinsipieD. Zweiter TeiL
daß 66 keine noch langsamere geben konnte. Daa-
selbe behaupte ich von der ZeiC die das Maß dar
Bewegung iBt; auch hier widerstrebt es unserem Ver-
stände» sich eine allerkürzeste Zeit vorzostell^L Um
dies alles zu beweisen, folge ich den Schritten des
Zena Man nehme also mit ihm an, daß ein Bad ABC
sich so schnell um seinen Mittelpunkt dreht, daß der
Punkt A in allen Zeitmomenten sich an der Stelle A
befindet, von der er ausgeht Ich sage nun, daß ich
10 mir deutlich eine Geschwindigkeit vorstelle^ die noch
grenzenlos (indefinite) großer als jene isi und wo
also auch die Zeitpunkte noch unendlich viel kleiner
sind. Denn man nehme an, daß^ während das Rad ABC
sich um seinen Mittelpunkt bewegt^ es mit Hilfe eines
Seiles H bewirkt, daß auch ein anderes Rad DEP
(das ich nur halb so groß annehme) sich um seinen
Mittelpunkt dreht. Da nun das Rad DEF nur halb
so groß als das Rad ABC angenommen ist, so dreht
es sich offenbar noch einmal so schnell als jenes,
ao und der Punkt D ist desllalb in den einzelnen
halben Zeitpunkten wieder an derselben Stelle, von
wo er ausgegangen, und gibt man dem Rade ABC
die Bewegung von DEF, so wird sich dieses vier-
mal so schnell bewegen wie zuvor, und läßt man
wieder das Rad ABC sich mit dieser Geschwindigkeit
bewegen, so wird sich das Rad DEF achtmal so schnell
bewegen und so fort ohne Ende. Dies erhellt nun
auf das klarste aus dem bloßen Begriffe des Stoffes,
da das Wesen des Stoffes, wie ich gezeigt habe, in der
30 Ausdehnung oder in dem immerfort teilbaren Räume
besteht, und es keine Bewegung ohne Raum gibt. Auch
habe ich bewiesen, daß ein bestimmter Stoffteil nicht
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Erl&aterang zu Lehrmts VI. «7
zugleich zwei Orte einnehmen kann; d^in dies wäre
ebeoBo, wie wenn ich sagte, daß ein Stoffteil dem
doppelt 80 großen gleich eei, wie aus dem früher
Dargelegten erhellt Bewegt sich also ein Stoffteil,
80 bewegt er sich durch einen Banm, und weam auch
dieser Baum und folglich auch die Zeit, durch welche
die Bewegung gemessen wird, noch so klein ange-
nommen weiden, so ist doch dieser Baum teilbar,
und also ist auch die Dauer dieser Bewegung, d. h.
die Zeit^ teilbar, und 2war ohne Ende. W. z. b. w. ^) 10
Ich gehe jetzt über zu einem anderen sophistischen
Grund, den Zeno benutzt haben soll, nämlich wenn
ein Körper sich bewegt, so bewegt er sich entweder
an der Stelle, wo er ist, od^ wo er nicht ist; ersteres
kann nicht sein, denn wenn er irgendwo ist, so ruht
er notwendig. Aber ebensowenig kann er sich an
einem Orte bewegen, wo er nicht ist^ und mithin
bewegt sich der Körper überhaupt nicht. Diese Be-
kundung ist der vorigen ganz ähnlich; auch hier wird
eine allerkürzeste Zeit angenommen. Denn wenn man 90
antwortet, daß der Körper sich nicht an einer Stelle
bewege, sondern von der Stelle, wo ^ ist, zu einer,
wo er nicht ist, so wird Zeno fragen, ob er nicht in den
Zwischenstellen gewesen sei. Antwortet man so, daß
man unter diesem ^gewesen sei'' das ,,geruht haben^
versteht, so bestreite ich, daß d^ Körper irgendwo
gewesen ist, solange er sich bewegt hat; versteht
man aber unter dem ,,gew6sen sei% daß er existiert
hat^ so sage ich, daß dW Körper notwendig, solange
er sieh bewegte, auch existiert hat Zeno wird nun 80
wieder frag^, wo er denn während seiner Bewegung
gewesen sei. Will er nun -mit diesem „wo er ge-
wesen sei'' fragen, welchen Ort er eingenommen habe,
solange er sich bewegte, so sage ich, daß er keinen
Ort eingenommen hat; soll es aber heißen: welchen
Ort er gewechselt hat, so sage ich, alle Orte, die man
nur in diesem von dem Körper durchlaufenen Baume
angeben kann, f^hrt Zeno dann fort zu fragen, ob der
Körper zu demselben Zeitpunkte habe einen Ort ein- ''.
nehmen und wechseln können, so unterscheide ich auch 40
hi« und antworte;, dsß^ wenn er unter Zeilpunkt
eine solche Zeit verstehe^ über die hinaus es keine
6*
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68 Prinsipien. Zweiter Teil.
kleinere gebe> er nach einer unfaßbaren Sache frage^
wie ich l^reits dargelegt habe, man also darauf nicht
zn antworten brauche; verstehe er aber die Zeit in
dem oben erläuterten, d. h. in ihrem wahren Sinne,
so antworte ich, daß man niemals eine so kleine
Zeit angeben könne, in der, wenn sie auch noch so
klein angenommen werde^ der Körper nicht einen Ort
annehmen und verändern konnte, wie jedem Aufmerk-
samen einleuchtet Hieraus erhellt» wie ich oben an-
10 gegeben, daß Zeno die Annahme einer allerkleinsten
Zeit macht und daß er deshalb auch hier nichts su
beweisen vermag.
Außer diesen beiden Gründen ist bisweilen noch
von einem anderen die Rede, den man samt seiner
Widerlegung im vorletzten Briefe Descartes' in
Band I nachlesen kann.
Ich möchte hier aber meine Leser daran erinnern,
daß ich den Gründen des Zeno meine eigenen Gründe
entgegengestellt, also ihn mittels Vernunftgründe widei^
20 legt habe und nicht durch den Augenschein, wie Dio-
genes es getan hat Denn die Sinne können d^n nach
Wahrheit Forschenden nur Erscheinungen der Natur
bieten, welche ihn bestimmen, ihre Ursachen aufzu-
suchen; aber sie können niemals das, was der V^-
stand klar und deutlich als wahr erkannt hat» als
falsch darlegen. Dies ist meine Ansicht und mein
Verfahren; ich will die Dinge, die ich behandle» durch
Gründe, die der Verstand klar und deutlich eingesehen
hat» beweisen, ohne auf das, was die Sinne ^tgegen
80 angeben, zu achten; denn die Sinne können, wie ge-
sa^ den Verstand nur bestimmen, eher dies als jenes
zu untersuchen, aber sie können das klar und deut-
lich Erkannte nicht als falsch darlegen.
Iiehrsatz YII.
Kein Körper tritt an die Stelle eines anderen, wenn mdU
gugleieh dieser an die Stelle wieder eines anderen KSrpers tritt.
Beweis. (Man sehe die Figur zu Lehrs. 8.) Be-
streitet man dies, so setze man, wenn es möglich ist»
der Körper A nehme die Stelle des Körpers B ein,
40 welchen B ich als mit A gleich annehme, und der von
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1 B'l
Lehnais \U, YHL 69
seinem Orte niclit weicht Mithin wird der Baum,
der Im äaidn nur B enthielt» jetzt (nach der An-
nahme) A und B, also das Doppelte an körperlicher
Substanz gegen vorher enthalten, was (nach liohr-
satz 4, II) widersinnig ist Deshalb tritt kein Körper
an die Stelle eines anderen ohne tl s. w. W. z. b. w.
Lehrsatz YIIL
Wenn an Körper an die Stelle anee anderen tritt, so
wird gldchzeUig »eine van ihm verlassene Stelle von dnem
anderen Körper eingenommen, der ihn unmittelbar berührt. 10
Beweis. Wenn der Körper B sich nach D be-
wegt, so werden gleichzeitig die
Körper A und C sich dnander
nahem und ^tweder einander be-
rühren oder nicht Geschieht erste-
res, so wird das damit Gesagte an- .„ ,
erkannt Nähern sie sich einander L..!Ü1. J
nicht, und liegt der ganze vonB — g—
verlassene Raum zwischen A und
G, so liegt ein dem B gleicher Körper (nach Zus. zu 20
Lehrs. 2, 11 und Zus. zu Lehrs. 4, II) dazwischen.
Aber (nach der Annahme) nicht derselbe B; also ein
anderer Körper, der in demselben Augenblick seine
Stelle einnimmt und da dieses Einnehmen in dem-
selben Augenblick erfolgt, so kann dies nur ein den
B berührender Körper sein; nach ErL zu Lehrs. 6, 11,
wo ich gezeigt habe, daß es keine Bewegung von
einem Orte nach einem anderen gibt, die nicht eine
Zeit erfordert welche niemals die allerkürzeste ist
Daraus folgte daß der Kaum des Körpers B nur von 80
einem solchen gleichzeitig eingenonmien werden kann,
der sich zu dem Behuf durch keinen Baum zu bewegen
braucht ehe er diese Stelle einnehmen kann. Also
kann nur ein den B unmittelbar berührender Körper
gleichzeitig dessen Stelle einnehmen. W. z. b. w.
ErlEutenmg.
Da die Stoffteile sich wirklich von einander unter-
scheiden (nach § 61, T. I der Prinzipien), so kann
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70 PrinsipieD. Zweiter Teil.
der eine ohne den anderen existieren (nach Zns. sa
Lehrs.?, I), und sie hängen nicht von einander ab.
Deshalb sind alle jene Erdichtungen über Sjanpathi^i
und Antipathien als falsch zu verwerfen. Femer muj]
die Ursache einer Wirkung immer etwas Positives
sein (nach 6r. 8, T. I), und man kann deshalb nie-
mals sagen, daß ^in Körper sich bloß deshalb be-
wegt, damit kein Leeres entsteht; vielmehr bedarf
es dazu des Stoßes durch einen anderen.®^)
10 Zusatz. Bei jeder Bewegung bewegt sich
gleichzeitig ein ganzer Kreis von Körpern.
Beweis. Zu der Zeit^ wo der Körper 1 die Stelle
von Körper 2 einnimmt^ muß
dieser an die Stelle eines an-
deren, etwa S, eintreten und so
fort (nach Lehrs. 7, II). Femer
^i^ ^^**^*^^ °^^ ^ demselben Zei^unkt, wo
der Körper I die Stelle des Kör-
pers 2 einnimmt, die vom Kör-
20 ^**— i--*-^ per 1 verlassene Stelle von einem
anderen eingenommen werden
(nach Lehrs. 8, II), etwa von Körper 8 oder einem
anderen, der den Körper 1 unmittelbar berührt. Da
dies nun nur durch den Stoß eines andere Körpers
geschehen kann (nach der vorstehenden Ek*lauterung),
als welcher hier Körper 1 angenommen wird, so könn^i
diese sämtlich bewegten Körper sich nicht in ein^
geraden Linie befinden (nach Gr. 21), sondern be-
schreiben (nach Def. 9) eine vollständige in sich zu-
80 rückkehrende Linie.
LekrsatB IX.
Wenn der Kanal ABC mit Waaaer angefüttt ist und
er bei A viermal breiter aU hei B iit^ so wird m der-
selben Zeit, ioo jenes Wasser (oder eine andere Flüssigkeit),
was bei A ist, sieh nach B gu bewegen beginnt^ das bei B
befindliche Wasser sieh viermal schneller bewegen.
Beweis. Wenn sich das ganze Wasser bei A
nach B bewegt, so muß gleichzeitig ebensoviel Wasser
von G aus, das A unmittelbar b^ührt, seine Stelle
40 einnehmen (nach Lehrs. 8, II), und aus B muß ebeur
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LehnatB IX, X.
71
soviel Wasser die Stelle G einnehmen (nach dein-
Belbeo Lehrsatz), folglich maß es sich bei B vi^-
mal so schnell bew^en
(nach Gr. 14). W. %.
b. w.
Was hier von einem
kreifinmden Kanal ge-
sagt ist^ gilt auch von
allen ungleichen Räu-
mai, durch welche die
sich gleichzeitig be-
wegenden Körper hin-
dnrcl^ehen sollen; der
Beweis hierfür bleibt im
übrigen derselbe.^)
LehMats.
Wenn zwei Halbkreise um denselben Mittelpunkt
beschrieben werden, wie A und B, so bleibt der Kaum
zwischen beiden Peripherien sich überall gleich; werden
äe aber um verschiedene Mittelpunkte beschrieben, 20
wie C und D, so ist dieser Raum zwischen beiden
Peripherien überall ungleicL
Der Beweis ergibt sich aus d^ bloßen Definition
des Kreises.
Lehrsatz X.
Min/t Flüssigkeit, die eich durch den Kanal ABC (in
der Figur tu Lehn, 9) bewegt, nimmt unendlich viele ver-
Mchiedene Geednicindigkeitegrade an.
Beweis. Der Baum zwischen A und B ist überall
ungleich (nach dem vorstehenden Lehnsatz); deshalb 80
wird (nach Lehrs. 9, II) die Geschwindigkeit^ mit
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72 Prinzipien. Zweiter TeiL
der sich die Flüssigkeit durch den Eanal ABC
bewegt, überall ungleich seuL Da man ferner zwischen
A uä B sich unendlich viele kleinere und größte
Baume vorstellen kann (nach Lehrs. 6, II), so stellt
man sich auch die räumlichen Ungleichheiten überall in
unendlicher AnsÄl vor, und deshalb werden der Grade
der Geschwindigkeit (nach Lehrs. 9, II) unendlich viele
sein. W. z. b. w.
Lehrsatz XL
10 In dem durdi den Kanal ABC (Figur zu Lehrs. 9)
fließenden Stoffe gibt es eine Teüung in unendlich vide Teüe,
Beweis. Der durch den Kanal ABC fließende
Stoff erlangt gleichzeitig unendlich viele Grade dear
Geschwindigkeit (nach Lehrs. 10, II), also hat er (nach
Gr. 16) unendlich viele wirklich verschiedene Teile.
W. z. b. w. Man sehe § 34 und 35, T. II der Prin-
zipien. •«)
Erlftutemng.
20 Bis hierher habe ich von der Natur der Be-
wegung gehandelt Ich muß nun deren Ursache unter-
suchen, die zwiefach ist; nämlich eine erste oder
allgemeine, welche die Ursache aller in der Welt vor-
handenen Bewefinmgen ist und eine besondere, durch
welche die einzem^i Stoffteile Bewegungen empfangen,
die sie früher nicht gehabt haben. Da man (nach
Lehrs. 14, I und Erl. zu Lehrs. 17, I) nur das klar
und deutUch Erfaßte zulassen kann, so kann man
offenbar als allgemeine Ursache nur Gott annehmen,
30 da keine andere Ursache außer ihm (als dem Schöpfer
des Stoffes) klar und deutlich eingesehen werden
kann, und was ich hier von der Sewegung sage^
gilt auch für die Ruha
Lehrsatz XJl.
Ghtt ist die Qrundursadie (causa prineipaUs) der Be-
wegung,
Beweis. Man sehe die vorstehende Erläu-
terung.
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Lehnati XHI, XIV. 78
L«linati Xm.
Dieselbe Menge (quaiMas) v<m Bewegung und Buhe, die
€Mt dem Stoffe einmal verliehen hat, erhäU OM auch durch
seinen Beistand,
Beweis. Da Gott die Ursache der Bewegmg und
Buhe ist (nach Lehrs. 12, II), so erhalt er sie auch
durch dieselbe ICacht, durch die er sie erschaffen hat
(nach Gr. 10, I), und zwar in derselben Menge, in
der er sie anfinglich erschaffen hat (nach Zus. zu
Liehrs. 20, I). W. z. b. w. 10
Erllntenuiir 1.
Obgleich es in der Theologie heißt^ daß Gott
vieles nach seinem Belieben tue, um seine Macht den
Menschen zu zeigen, so kann doch das, was nur von
seinem Belieben abhangt, allein durch die göttliche
Offenbarung bekannt werden, und deshalb &rf dies
in der Phik«K>phie^ wo nur das, was die Vernunft lehrt,
erforscht wird, nicht zugelassen werden, damit nicht
die Philosophie mit der Theologie vermengt wird.
Erlftuternng 2. 20
Obgleich die Bewegung an dem bewegten Stoffe
nur ein Zustand ist, so hat sie doch eine feste und
bestimmte Menge, und es wird sich im folgenden
zeigen, wie dies zu verstehen ist Man sehe § 36,
T. n der Prinzipien.
Lehrsatz XIT*
Jedes Ding, sofern es einfach und ungeteilt ist und an
sich alldn betrachtet wird, verharrt, sofern an ihm Uegt,
immer in demselben Zustande. ^)
Dieser Satz gilt bei vielen als ein Grundsatz; ich 80
will ihn aber beweisen.
Beweis. Da alles in einem bestimmten Zustande
nur durch Gottes Beihilfe sein kum (nach Lehrs. 12,
I), und Gott in seinen Werken höchst beständig ist
(nach Zus. zu Lehrs. 20, I), so muß man zugeben,
wenn man auf keine äußeren, d. h. besonderen Ur-
sachen achtet, sondern das Ding nur an sich selbst
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74 Prinripion. Zweiter Teil.
betrachtet, daß ee an Bich selbst in deinem gegen-
wärtigen Zustand immer verharren wird. W. z. b. w.
Zusatz. Ein Körper, der einmal in Be-
wegung ist, wird in seiner Bewegung immer
fortfahren, wenn nicht äußere Ursachen ihn
aufhalten.
Beweis. Dies erhellt aus dem vorstehenden Lehr-
satz. Um indes falsche Vorstellungen über die Be-
wegung zu berichtigen, lese man § 37, 88, T. II der
10 Prinzipien nach.
Lehrsatz XY.
Jeder bewegte Körper hat an sich das Bestrehen, sich
in gerader Linie und nicht in einer Kurve zu bewegen, ^*)
Man könnte diesen Satz zu den Grundsätzen rechnen,
indes will ich ihn aus dem Vorhergehenden beweisen:
Beweis. Da die Bewegung (nach Lehrs. 12, H)
nur Gott zur Ursache hat, so hat sie aus sich selbst
keine Kraft, zu existieren (nach Gr. 10, I), sondern
wird in jedem Augenblick von Gott gleichsam neu
20 geschaffen (nach dem bei dem erwähnten Grundsatz
Bewiesenen). Solange man daher auf die bloße Natur
der Bewegung achüiaty wird man ihr nie eine solche
Dauer, ab ihr von Natur zukommend, zuschreiben
können, die größer als eine andere vorgestellt wer-
den kann. Sagt man aber, es gehöre zur Natur eines
bewegten Körpers, daß er eine Kurve in seiner Be»
wegung beschreibt, so würde man der Natur seiner
Bewegung eine längere Dauer zuteilen, als wenn man
annimmt, es gehöre zur Natur eines bewegten Kör-
80 pers» daß er sich in gerader Linie zu bewegen strebt
(nach Gr. 17). Da man nun (wie bewiesen) eine solche
Dauer der Natur der Bewegung nicht zuschreiben
kann, so kann man es auch nicht als zur Natur der
Bewegung gehörig ansehen, daß er in irgend einer
Kurve sich bewegt sondern er kann sich demnach nur
in gerader Linie bewegen. W. z. b. w.
Erlftutenuig«
Dies« Beweis scheint für manche vielleicht eben-
sowenig zu beweisen« daß zur Natur der Bewegung
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Lefanatc XV, XVI. 75
die kromme wie die geradlinig Richtung gehöre,
und zwBF deshalb, weil man keine gerade Linie an-
geben kann, über die hinaua ea kmne kleinere gerade
oder kromme geben kann, nnd ebenso keine Kurve,
ober die hinaus es nicht eine kleinere Kurve geben
kann. Allein selbst in Anbetracht dessen halte ich
doch den Beweis für richtig geführt» da er bloß ans
dem allgemeinen Wesen (esutuiat oder ans dem wesent-
lichen unterschied der Linien das za Beweisende
fo^ert nnd nidit ans der Größe oder dem sofilligen 10
Unterschied derselben. Um indes die an sich hinli^-
üch klare Sache dnrch den Beweis nicht dunkler sa
machen, verweise ich den Leser bloß auf die De^
finition der Bewegung, die von derselben nur aus-
sagt, daß ein Stoff teil aus der Nachbarschaft u. s. w.
in die Nachbarschaft anderer u. s. w. übergeführt
werde. Fassen wir nun diese Überführung nicht in der
ein&chsten Weise auf, d. h. so, daß sie geradlinig
geschieht, so setzt man der Bewegung etwas hinzu,
was in ihrer Definition oder ihrem Wesen nicht eair 20
halten ist und daher auch nicht zu ihrer Natur
gehört
Zusatz. Aus diesem Lehrsatz folgt» daß jeder
in einer Kurve sich bewegende Körper fortwährend
von der Linie» in der er sich an und für sich weiter-
bewegen würde, abweicht^ und zwar durch die Kraft
irgend einer äußeren Ursache. (Nach Lehrs. 14, IL)
LehnatB XTI.
Jedar KSrper, der m^ im Krem bewegt, wU z, B, der
8Um t» der Sehimder, wird fortwahrend hettmmt, ftdk in 30
der BkMvmg der Tangente forieubewegen.
Beweis. Ein im Kreise bewegter Körper wird
immer durch eine äußere Kraft gehindert^ mch in
gerader Linie weiterzubewegen (nach dem vor-
gehenden Zusats), und hört diese Kraft auf, so be-
ginnt der Körp^ von selbst sich geradeaus fortzu-
bewegen (nach Lehrs. 16). Ich sage femer, daß ein
im &e]se bewegter Körper durch eine äuß^e Ur-
sache bestimmt wird, sich in der Bichtung der Tangente
weiterznbewegen. Wenn man dies bestreitet^ so setze 40
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76
Prinsipien. Zweiter TeiL
man, daß z. B. der Stein in B von der Schleuder nicht in
der Richtung der Tangente BD bestimmt werde, sondern
nach einer anderen Richtung, welche von diesem
Punkte aus innerhalb oder außerhalb des Kreises vor-
gestellt wird, z. B. nach BF, wenn die Schleuder
aus dem Teile L nach B gehend vorgestellt wird,
oder nach B6 (von der ich annehme, daß sie mit
der Linie BH, die von dem Mittelpunkt durch den
Halbkreis gesogen wird und diesen in B schneidet,
10 einen Winkel bildet, der dem Winkel FBH gleich
ist), wenn umgekehrt langenommen wird, daß die
Schleuder von dem Teil G nach B gelangt Wird
nun angenommen, daß der Stein im Punkte B an
der Schleuder, die von L nach B sich im Kreise be-
wegt, bestimmt wird, sich nach F fortzubewegen,
so muß notwendig (nach Gr. 18), wenn die Schleuder
in umgekehrter Richtung von G nach B sich bewegt^
der Stein in einer der Linie B F entgegengesetzt^!
Richtung sich zu bewegen fortfahren und wird des-
20 halb nach K und nicht nach G hintreiben, was gegen
die Annahme geht Da nun*) keine Linie mit Aus-
nahme der Tangente durch den Punkt B geführt werden
kann, welche mit der Linie BH auf beiden Seiten
*) Dies erhellt aus Lehnate 18 und 19, Baoh III der Ele-
mente Yon Euklid. (A. v. Sp.)
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Lehnats XVI. 77
gleiche Winkel, wie DBH und ABH bildet» so ist
die Tangente allein imstande^ dn und deraelben An-
nahme nicht sawiderzohandeln, mag nun die Schleudw
sich von L nach B oder von G nach d bewegen, und man
kann deshalb nur die Tangente als die Linie sa-
bssen, in welcher der Stein sich f ortsabewegen. strebt
W. s. b. w.
Ein anderer Beweis. ^0 IC&i^ nehme statt eines
Kreises ein Sechseck, das in den Kreis ABH einge-
zeichnet ist, und der Körper G soll auf der einen 10
Seite AB in Buhe sich befinden; sodann stelle man
sich ein Lineal D B £ vor (dessen eines Ende im
Mittelpunkt D fest ist^ und dessen anderes beweg-
lich ist), das sich um den Mittelpunkt D bewegt und
dabei die Linie AB fortwahrend durchschneidet Hier
erhellt^ daß, wenn das Lineal D B E ach so fortbewegt,
es den Körper G su dem Zeitpunkte treffen wird, wo
es die Linie AB unter den rechten Winkeln durch-
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78 FrinzipieD. Zweiter Teil.
schneidet, und daß es den Körper G durch seinen
Stoß bestimmen wird, in der geraden Linie FBAG
sich nach G zu bewegen, d. h. nach der ins Un-
endliche verlängerten Seite AB. Wir haben aber hier das
Sechseck nur ganz beliebig angenommen, und dasselbe
wird auch von jed» anderen Figur gelt^ die man
sich als in diesen Kreis eingezeicbiet vorstellen kann;
nämlich daß, wenn der Körper C, der auf einer Seite
der Figur in Buhe ist, von dem Uneal DHE zu der
10 Zeit gestoßen wird, wo es diese Seite im rechten
Winkel schneidet, der Körper von dem Lineal bestimmt
werden wird, sich nach der Richtung dieser ins un-
endliche verlängerten Seite weiterzubewegen. Man
stelle sich daher statt eines Sechsecks eine gerad-
linige Figur von unendlich vielen Seiten vor (i h.
einen Kreis nach der Definition des Archimedes), so
erhellt, daß das Lineal DHE den Körper C, wo es
ihn auch treffe wird, immer zu der Zeit treffen
wird, wo es eine Seite einer solchen Figur recht-
20 winkelig durchschneidet Somit wird es den Körper C
nie treffen, ohne ihn nicht zugleich zu bestimmen,
daß er fortfahre, sich in der Richtung der ins Un-
endliche verlängerten Linie fortzubewegen. Da nun
jede nach beiden Richtungen verlängerte Seite immer
außerhalb der Figur fallen muß, so wird eine solche
unbestimmt verlängerte Seite die Tangente einer Figiir
von unendlich vielen Seiten, d. h. eines Kreises sein.
Stellt man sich nun statt eines Lineals eine im Kreise
sich bewegende Schleuder vor, so wird sie den Stein
30 fortwährend bestimmen, sich in der Richtung d^
Tangente fortzubewegen. W. z. b. w.
Man bemerke, daß beide Beweise sich jeder beliebigen
krummlinigen Figur anpassen lassen.
Lehrsate XTII.
Jeder im Kreise bewegte Körper strebt da/nach, sich v<m
dem MUtdpunkt des Kreises, den er beschreibt, zu entfernen.
Beweis. Solange ein Körper sich im Kreise be-
wegt, wird er von einer äußeren Ursache getrieben,
mit deren Aufhören er sich in der Richtung der TaiH
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LehreaU XVII, XVin.
79
geate zu bewegen fortßhrt (nach dem vorhergehendeD
Lehrsatz), von der alle Pimkte big auf den, wo sie
dffli Kreis berührt, außerhalb des Ereisee fallen
(nach Lehrs. 16, Buch 8 der
Eaemente von Euklid), und
deshalb von dem Kreise
weiter abstehen« Deshalb
strebt der in der Schleuder
£A befindliche im Kreise
bewegte Stein, wenn er im
Punkt A ist, sich in
der Geraden fortzube-
wegen, deren Punkte sämt-
lich von dem Mittelpunkte
E weiter abstehezi, als
alle Punkte iear Peripherie
LAB, d. L er strebt da-
nach, sich von dem Mittel-
punkte des Kreises, den
er beschreibt, zu entfernen.
W. z. b. w.
Lehrsatz XYIII.
Wenn sich ein Körper, etwa A, gegen einen ruhenden
Körper B bewegt, wnd B trotz des Stoßes dwrch A nichts
von seiner Buht verliertj so wird auch A nichts von seiner
Bewegung verlieren, sondern dieselbe Bewegwngsquantität
(qi»amtitas nwtus), die er früher hatte, ganz behalten. ''>)
Beweis. Wenn man dies bestreitet» so nehme
man an, der Körper A verliere etwas von seiner
Bewegung, ohne die verlorene Bewegung auf einen 80
anderen Körper, etwa B, zu übertragen; dwm wird
es in der rfatur, wenn dies geschieht, eine ge-
ringere Bewegungsquantität als vorher geben, was
widersinnig ist (nach Lehrs. 13, II). Ebenso geschieht
der Beweis mit Bezug auf die Buhe in dem
Körper B; deshalb wird, wenn keiner von beiden
etwas von sich auf den anderen überträgt, B seine
ganze Ruhe und A seine ganze Bewegung behalten.
W. z. b. w.
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80 Prinzipien. Zweiter Teil.
Lehrsatz XIX«
Die Bewegung igt, an vnd für sich hdraehUt, vcn ihrer
JRiMung tuu^ einem hestinwUen Ort hin verschieden , und
es ist nicht nötig, daß ein Korper deshalb, weil er in der
entgegengesetzten BicMung sich bewegen oder zwriUkgestofien
werden sollt eine Zeitlang rtM.
Beweis. Man setze, wie vorstehend, daß der
Körper A sich in gerader Linie gegen den Körper
B bewegt und von B an der weiteren Bewegung ge-
10 hindert wird; dabei wird er (nach dem Vorstehenden)
seine ganze Bewegung behalten nnd keinen Augen-
blick ruhen; allem bei seiner fortgesetzten Be-
wegung kflorn er nicht die frühere Richtung einlialten,
da angenommen wurde, daß er hierin von B gehemmt
werde; also wird er, olme daß seine Bewegung an sich
abnimmt, nur mit Verlust der früheren Richtung sich in
der entgegengesetzten Richtung bewegen (nach dem
in Kap. 2 der Dioptrik Gesagten); deshalb gehört
(nach Gr. 2) die Richtung nicht zu dem Wesen der
20 Bewegung, sondern ist davon verschieden, und der be-
wegte Körper ruht, wenn er in dieser Weise zurück-
gestoßen wird, keinen Augenblick. W. z. b. w.
Zusatz. Hieraus folgt, daß keine Bewegung einer
anderen Bewegung widerspricht.
Lehrsatz XX.
Wenn der ESrper Ä dem Körper B begegnet und ihn
miit sich fährt, so toird Ä so viel von seiner Bewegung ver-
lieren, ais B bei dieser Begegnung mU A von düesem erhäU.
Beweis. Wenn man dies bestreitet^ so nimmt
80 man damit an, daß B mehr oder weniger erhalt, als
A verliert; dann muß dieser ganze Unterschied der
Bewegungsquantität der gesamten Natur zuwachsen
oder abgehen, was (nach Lehrs. 13, II) widersinnig ist
Kann also der Körper B weder mehr noch weniger er-
halten, so kann er nur so viel erhalten, als A .ver-
liert W. z. b. w.
Lehrsatz XXI.
Ist A dqppdt so groß als B, und bewegt es sich ebenso
schnell, so wird A auch noch einmal so viel Bewegung als
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Ldhnati XXI, XXII. 81
B haben oder Aoeft einmal $o vid Kraft, um die gUieke
Qt9ckwindigkeU mit B emtsiihaUen,
Beweis. Man setze z.B. statt A zweimal B, d. L
(nach der Annahine) ein in zwei Teile geteiltes A,
80 wird jedes dieser beiden B die Kraft haben, in
demselben Zustande za verharren, in dem es sich be-
findet (nach Lehrs. 14, II), und diese Kraft ist in
beiden B gleich (nach der Annahme). Werd«i nun
diese beiden B verbunden, während sie ihre Greechwin-
digkeit behalten, so entsteht damit ein A, dessen Kraft tO
mä Menge den beiden B s^leich oder das Doppelte
eines B sein wird« W. z. b. w.
Übrigens folgt dies auch aus der bloßen Definition der
Bewegung. Je größer nämlich der bewegte Körper ist, desto
mehr Stoff kann sich von dem anderen abtrennen, aiso gibt
es mehr Trennung, d, h. (nach Def, VIII) mehr Bewegung.
Man sehe, was ich unter Nr. 4 über die Definition der Bc"
wegung gesagt habe.
Lehrsati XXU.
Ist der Körper A dem Körper B gkich, und bewegt 20
sieh A noch einmal so schneü als B, so ist die Kraft oder
Bewegung in A noch einmal so groß ab die in B.
Beweis. Man setze, daß der Körper B, als er
sich zuerst in Bewegung setzte, vier Greschwii^igkeits-
grade erhalten hat Kommt nun nichts hinzu, so
wird er fortfahren, sich zu bewegen (nach Lebr-
satz 14, II) und in seinem Zustand zu verharren.
Nun nehme man an, daß er durch einen fkeuen,
dem ersten gleichen Stoß eine neue Kraft hinzu
erlangt, so wird er zu den vier ersten Graden neue do
vier Grade Geschwindigkeit erlangen, die er auch
(nach demselben Lehrsatz) beibehalten wird; d. h.
er wird sich noch einmal so schnell, d. h. gleich
schnell wie A bewegen und zugleich die doppelte
Kraft gegen seine frühere, d. h. eine dem A gleiche
Kraft, habeu. Also ist die Bewegung in A die dop-
pelte von der in B. W. z. b. w.
Man bemerke^ daß ich hier unter Kraft in den be-
wegten Körpern die Menge der Bewegung verstehe, welche
Menge in gleich großen Körpern mit der Geschwindigkeit der 40
Spinosa, Prlnslpieii Ton Besoartea. 6
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62 Prinzipien. Zweiter Teil.
Bewegung wachsen muß, insofern, ai$ durch diese GeschtoMUg-
keit gleich große Körper »ich von den sie uwmitUlbar he-
rührenden Körpern in gleicher Zeit mehr trennen, ak4fienn
sie sich langsamer bewegten^ und deshalb (naef^ Def. VIII)
haben sie auch mehr Bewegung, Dagegen verstehe ich hei
ruhenden Körpern unter der Kraft des Widerstandes die
Menge der Buhe. Hieraus ergibt sich:
Zueatz 1. Je langsamer die Körper sich
bewegen, desto mehr haben sie teil an der
10 Buhe; denn sie widersteh^i den sich schneller be-
wegenden und ihnen begegnende Körpern, die eine
geringere Kraft als sie säbst haben, mehr und trennen
sich auch weniger von den sie unmittelbar berührenden
Körpern.
Zusatz 2. Bewegt sich A doppelt so. schnell
als B, und ist B doppelt so groß als A, so ist
ebensoviel Bewegung in dem großen B als in
dem kleinen A, also die Kraft in beiden
gleich.'»)
20 Beweis. Wenn B doppelt so groß als A ist, und
A sich doppelt so schnell als B bewegt, und wenn
femer G nur halb so groß ist als B und nur halb
so schnell als A sich bewegt, so wird B (nach Lehr-
satz 21, II) eine noch einmal so große Bewegung und
A (nach Lahrs. 22, II) desgleichen eine noch einmal
so große Bewegung als C haben, also werden A
und B (nach Gr. 16) eine gleiche Bewegung haben,
da beider Bewegung die doppelte von G ist W. z. b. w.
Zusatz 8. Hieraus ergibt sich, daß die Be-
80 wegung von der Geschwindigkeit verschieden
ist; denn man sieht ein, daß von Körpern, die gleiche
Geschwindigkeit haben, der eine mehr Bewegung als
der andere haben kann (nach Lehrs. 21, II), und daß
umgekehrt Körper mit ungleicher Geschwindigkeit eine
gleiche Bewegung haben können (nach Zus. 2). Dies
ergibt sich übrigens auch aus der bloßen Definition
der Bewegung, da sie nur eine Überführung einee
Körpers aus der Nachbarschaft u. s. w. ist
Es ist indes hier zu bemerken, daß dieser Zusatz 3 dem
40 Zusatz 1 nicht widerspricht; denn man kann die Oesdwnndig-
keit auf zweierlei Art auffassen, entweder danach, wie ein
Körper sich mehr oder weniger in gleicher Zeit von dem ihn
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LehnaU XXU, XXUI, XXIV. 88
unmitteB>ar berührenden Körper trennt und demnach mehr
oder weniger an der Beweffttng oder Buhe teilnimmt, oder
d^ui^, wie der Körper in gleicher Zeit eine größere oder
Ueinere Linie heechreibt %tnd insofern eich vo» der Bewegung
unterscheidet.
Ich hätte hier noch andere Lehnsätze kineufügen können,
um den Lehrs. 14, II weiter zu erklären und die Kräfte der
Dinge in jedem Zustande, so wie es hier in Bezug auf die
Bewegung geschehen, zu erläutern; äüein es wird genügen,
wenn man hier § 43, T, II der Prvnzipen durchJliest, und 10
wenn ich hier nur noch einen Lehrsatz anfüge^ der zum Ver-
stänänis des Folgenden erforderlich ist,
Lehnatz XXUI.
Wenn die Zustände (modi) eines Körpers eine Ver-
änderung zu erleiden genötigt werden, so wird diese Ver-
änderung immer die kUinstmögUehe sein."^*)
Beweis. Dieser Lehrsatz ergibt sich hinläng-
lich klar ans L^s. 14, 11.
Lehrsati XXIT.
Erste Begeh Wenn zwei Körper, z. B, A und B, an- 20
ander vollständig gleich sind und sich gegen einander genau
gleich schneä bewegen, so wird bei ihrer Begegnung jeder ohne
Verlust an seiner Geschwindigkeit nach der entgegengesetzten
Bichtung zurüdtpraüen.
Bei dieser Annahme ist klar, daß zur Aufhebung
des Gregensatzes dieser beiden Körper entweder beide
in entgegengesetzter Bichtung zurückweichen müssen»
oder daß einer den anderen mit sich fortreißen muß»
da sie einander nicht in Bezu^ auf die Bewegung,
sondern nur in Bezug auf deren Kichtung (determinatio) $0
entgegengesetzt sind.
Beweis. Wenn A und B auf einander treffen, so
müssen sie eine Veränderung erleiden (nach Gr. 19);
nun ist aber die Bewegung nicht der Bewegung
entge^oigesetzt (nach Zus. zu Lehrs. 19, II), und des-
halb brauchen sie von ihrer Bewegung nichts ein-
zubüßen (nach Gr. 19). Also wird die Veränderung
nur die Bichtung betreffen; aber man kann sich
6*
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84 PrinzipieD. Zweiter Teil.
nicht vorstellen, daß die Bichtimg bloß eines
dieser Körper, etwa die von B, sich ändert, wenn
nicht A, von dem sie die Verandernng' erleiden müßt^
als starker angenommen wird (nach Gr. 20). Dies
ginge aber gegen die Voraussetzung; wenn sonach
die Änderung der Bichtung bei einem allein nicht
erfolgen kann, so wird Sie bei beiden geschehen, in-
dem A und B in entgegengesetzter Bichtung zurück-
weichen (nach dem in der Dioptrik Eap. 2 Gresagten),
10 aber dabei ihre Bewegung unvermindert beibehalten.
W. z. b. w. '*)
Lehrsatz XXY.
Zweite BegeL Wenn die beiden Körper in ihrer Masse
ungleich sind, nämUeh B größer ah A^ im <Ü)rigen aÜes
andere so vne frOher angenommen wird, so wird A aUein
gwrUekpraüen, und beide Körper werden mit derselben Ge^
seihwindigheit sieh zu bewegen fortfahren, ^*)
Beweis. Da A kleiner als B angenommen wird,
so hat es auch (nach Lehrs. 21, II) eine geringere
20 Kraft als B; da nun bei dieser Annahme ebenso wie
bei der vorhergehenden d^ Gregensatz bloß in den
Sichtungen liegt und daher, wie im vorhergehenden
LfChrsatz gezeigt worden, die Veränderung nur die
Bichtung treffen kann, so wird eine solche nur in A
und nicht in B erfolgen (nach Gr. 20), also wird
bloß A von dem stärkeren B in die entgegengesetzte
Bichtung zurückgestoßen werden, ohne j^och dabei
an seiner Gleschwindigkeit etwas einzubüßen. W. z. b. w.
Lehrsatz XXYI.
80 Sind die Körper sowohl ihrer Masse wie ihrer Otsehwin--
digkeit nach verschieden, nänUieh B nod^ einmal so groß
als Af die Bewegung von A noch einmal so sehneü als die
von B, im übrigen aber aües wie vorher, so werden beide
Körper in entgegengesetzter Richtung zwriJ^kpraJUen und jeder
die Q^sehwindigkeit, die er hatte, behalten, "")
Beweis. Da A und B nach der Annahme sich
gegen einander bewegen, so ist in dem einen so viel
Bewegung als in dem anderen (nach Zus. 2 zu Lehrs.
22, IT). Deshalb steht die Bewegung des einen zu der
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Lehwate XXV, XXVI, XXVII. 85
des anderen nicht im Gregensats (nach Zus. sa Lehrs.
19, II), und die Kräfte beider sind gleich (nach Zus.
2, Lehrs. 22, II). Daher ist diese Annahme der An-
nahme in Lehrs. 24 ganz ähnlich, und deshalb werden
gemäß dem obigen Beweis A und B in entgegen-
gesetzter Richtung zurückprallen, und es wird dabei
jeder seine gajize Geschwindigkeit behalten. W. z. b. w.
Zusatz. Aus diesen drei vorhergehenden Lehr-
sätzen erhellt, daß die Richtung eines Körpers zu
ihrer Veränderung ebensoviel Kraft erfordert als 10
die Veränderung seiner Bewegung. Hieraus folgte daß
ein Körper, der mehr als die Hälfte seinw Richtung
und mehr als die Hälfte seiner Bewegung verlier^
eine größere Veränderung erleidet als der, welcher
seine ganze Richtung verliert
Lehrsatz XXTIL
Dritte Regel, Sind beide Körper der Masse ruu^ ein-
ander gleich, aber bewegt sieh B ein wenig schneller als Ä,
so unrd nicM aüHn A in der entgegengesetzten Bichtting
zurückweichen, sondern B wird auch die Hälfte seines Mehr 20
an G^esehwindigkeit auf A übertragen, und beide werden dann
mit gleicher Geschwindigkeit sich in der gleichen Biehtung
fortbewegen.
Beweis. A ist (nach der Annahme) dem B nicht
bloß in der Richtung, sondern auch in der Langsamkeit
entgegengesetzt, insoweit diese an der Ruhe teilhat
(nach Zus. zu Lehrs. 22, II). Deshalb wird durch
das bloße Zurückweichen des A in der entgegenge-
setzten Richtung A nur in der Richtung verändert
und daher dadurch nicht aller Gegensatz oeider Kör- 80
per aufgehoben. Deshalb muß (nach Gr. 19) die Ver-
änderung sowohl in der Richtung als in der Be-
wegung eintreten, und da B nach der Annahme sich
sclmeller als A bewegt, so ist B (nach Lehrs. 22, II)
stärker als A, und deshalb wird (nach Gr. 20) die
Veränderung in A durch B geschehen und A durch
B in die entgegengesetzte Richtung zurückgetrieben
werden. Dies ist das Erste.
Femer ist A, solange es sich langsamer als B
bewegt, diesem entgegengesetzt (nach Zus. 1 zu Lehr- 40
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86 PrinzipieD. Zweiter Teil.
satz 22, II), es moO also solange eine Verandwung
eintreten (nach Gr. 19), bis A sich nicht mehr lang-
samer als B bewegt Daß nun A sich schnelle als
B bewegte^ dazu wird A bei dieser Annahme von kräer
hinreichend starken Ursache genötigt; wenn also A
nicht langsamer als B sich bewegen kann, weil 6b
von B angestoßen wird, noch auch schneller als B,
so muß A sich ebenso schnell wie B bewegen. Wenn
nun B weniger als die Hälfte seines Mehr an Ge-
10 sohwindigkeit auf A übertrüge^ so würde A sich lang-
samer als B zu bewegen fortfahren; und wenn B
mehr als die Hälfte seines Mehr an Geschwindigkeit
auf A übertrüge, so würde A sich schneller als B be-
wegen; beides ist aber, wie bereits gezeigt» wider-
sinnig; deshalb wird die Veränderung nur so lange
eintreten, bis B die Hälfte seiner größeren Geschwin-
digkeit auf A übertragen hat, die B verlieren muß
(nach Lehrs. 20, II), und folglich werden beide mit
gleicher Geschwindigkeit in derselben Bichtung ohne
20 jeden Gegensatz sich zu bewegen fortfahren. W. z. b. w.
Zusatz. Hieraus folgt» daß ein Körper, je schnel-
ler er sich bewegt, um so mehr geneigt (detenninatum)
ist, in der Bichtung, in der er sich bewegt, sich weiter-
zubewegen, und daß umgekehrt, je langsamer er sich
bewegt, er um so weniger dazu geneigt ist.
ErUnternngr«
Damit die Leeer hier nicht die Kraft der Richtung
mit der Kraft der Bewegung vermengen, will ich
einiges beifügen, wodurch der Unterschied beider deut-
80 lieber wird. Nimmt man also an, daß die Körper A
und C gleich groß sind und sich mit gleicher Ge-
schwindigkeit geradeaus gegen einander bewegen, so
werden beide (nach Lehrs. 24, II) in der entgegen-
gesetzten Richtung, mit Beibehaltung ihrer ganzen
Bewegung, zurückweichen. Ist aber der Körper C in
B, und bewegt er sich schief gegen A, so erhellt»
daß er schon weniger geneigt ist» sich in der Rich-
tung BD oder CA zu bewegen; er hat deshalb zwar
gleiche Bewegung mit A, aber die Kraft der Richtung
40 von 0, wenn es sich geradeaus gegen B bewegt, und
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Erl&Qtenmg xa Lehnati XXVII.
87
die dann gleich ist mit der Kraft der Bichtong von Ä,
ist groOer als die Kraft der Richtung des G, wenn
es sich von B gegeai A bewegt, und swar um so viel
gröüety als die I^nie BA größer ist» als CA« Denn
je großer die Linie CA ist, desto mehr Zeit (wenn
namUch B und A sich, wie hier angenommen worden,
gleich schnell bewegen) verlangt B» um sich in der
Richtung BD oder CA zu bewegen, durch die es der
Richtung des Korpers A geradezu entgegen ist Kommt
also C dem A von B aus schief entgegen, so wird es 10
80 bestimmt werden, als wenn es in der Richtung A B
nach B sich zu bewegen fortführe, was ich annehme.
wenn C in dem Punkte ist, wo die Linie A B die ver-
längerte Linie BC schneide^ und welcher Punkt ebenso-
weit von G absteht, wie G von B. Dagegen behalt A
seine ganze Bewegung und Richtung und wird fort-
fahren, sich nach G zu bewegen und den Körper B
mit sich nehmen, da B, weil es in seiner Bewegung
die Richtung in der Diagonale AB hat, mehr Zeit
braucht als A, um einen Teil der Linie AG mit 20
seiner Bewegung zu durchlaufen und nur so weit
der Richtung des Körpers A, die starker ist, ent-
gegentritt Aber da die Kraft der Richtung von G,
das sich von B aus gegen A bewegt, soweit es an
der Linie GA teilhat, gleich ist mit der Kraft der
Richtung von G, wenn es sich geradeaus gegen A
bewegt (oder nach der Annahme mit der i&aft von
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88 Friozipien. Zweiter Teil.
A selbst), so maß notwendig B so viel Grade der Be-
wegung mehr als A haben, als die Linie BA größer
ist als die Linie CA, tmd deshalb wird, wenn C
dem A schief begegnet, A in die entgegengesetzte
Riohtimg nach A' und B nach B' zurückprallen, wo-
bei jeder Körper seine gesamte Bewegung behält
Ist aber das Mehr von B über A größer als das Mehr
der Linie BA über die CA, so wird B den Körper A
nach A' zurückstoßen und ihm so viel von seiner Be-
10 wegung mitteilen, bis die Bewegung von B sich zur
Bewegung von A verhält, wie <Ue Linie BA zu CA,
und B wird so viel Bewegung, als es auf A übertragen
hat, verlieren und mit dem Best sich in der früher
eingenommenen Richtung zu bewegen fortfahr^L Ver-
hält sich z. B. die Linie A G zu A B wie 1 zu 2 und
die Bewegung des Körpers A zur Bewegung des Kör-
pers B wie 1 zu 6, so wird B einen Grad seiner Be-
wegung auf A übertragen und ihn in der entgegen-
Sesetzten Richtung zurückstoßen, und B wird mit
en übrigen vier Graden fortfahren, sich in derselben
Richtung wie vorher zu bewegen.
Lehrsatz XXYIIL
Vierte BegeL Wenn der Körper Ä ganz ruht und etwas
größer iat ah B^ so wird B, mag seine Gesdimndigkeit so
groß sein, als sie wiüy doch den Körper A nie in Bewegung
setzen, sondern B wird von ihm in der entgegengesetzten
Sichtung zurückgetrieben werden und dabei seine Bewegung
unverändert beibehalten. '«)
Man bemerke, daß der Gegensatz zwischen diesen Kör-
80 pem auf drei Arten gehoben werden kann; entweder so, daß
ein Körper den anderen mit fortreißt und beide dann mit
gleicher Geschwindigkeit nach einer Richtung sich bewegen;
oder so, daß der eine Körper in der entgegengesetzten Rich-
tung zuriickpraUt und der andere seine ganze Ruhe behält;
oder so, daß der eine in der entgegengesetzten Richtung
zurückweicht, aber etwas von seiner Bewegung auf den
anderen überträgt. Einen vierten Faü gibt es nicht (nach
Lehrs, 13, II); ich habe oho (nach Lehrs, 23, II) zu be-
weisen, daß diese Körper bei meiner Annahme die geringste
40 Veränderung erleiden.
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Lehmts XXYUI, XXIX. 89
Beweis. Wenn B den Eotper A bewegte^ bis sie
beide mit gleicher GeBohwindigkeit sich bewegten, so
müßte B (nach LiehrB. 20, II) eo vid von seiner Be-
wegung auf A übertragen» als A erwirbt und (nach
Lehrs. 21, II) demnach mehr als die Hälfte von seiner
Bewegung verlieren, folglich auch (nach Zus. m Lehrs.
27, IQ mehr als die Hälfte seiner Richtung verlieren.
Somit wurde er (nach Zus. zu Lehrs. 26, U) mehr Ver-
änderung erleiden, als wenn er nur seine Richtung
einbüßte; und wenn A etwas von seiner Richtung 10
verlöre, aber nicht so viel, daß es zuletast sich in
gleicher Geschwindigkeit mit B su bewegen fortführe,
so würde der Gegensatz zwischen beiden Körpern
nicht beseitigt werden, da A durch seine Langsam-
keit, soweit sie an der Ruhe teilhat (nach Zus. 1 zu
Lehrs. 22, II), der Geschwindigkeit des B entgegen-
stehen würde^ also B auch in der entgegengesehen
Richtung zurückstoßen müßte, mithin B seine ganze
Richtung und den auf A übertragenen Teil seiner Be-
wegung verlieren würde; welche Veränderung eben- 20
falte großer ist, als wenn es bloß seine Richtung ver-
löre. Deshalb wird die nach meiner Voraussetzung
angenommene Veränderung, da. sie bloß die Richtung
betrifft, die kleinste bei diesem Körper mögliche sein,
und demnach kann keine andere (nach Lehrs. 23, II)
geschehen. W. z. b. w.
Man bemerke an dem Beweise dieses Lehrsatzes, daß
dasselbe auch bei anderen stattfindet; ich habe nämlich nicht
den Lehrsatz 19, II angefahrt^ in dem bewiesen toird, „daß
die ganze Richtung sieh ändern hann^ ohne daß die Be^ 80
itegung selbst etwas verliert". Man muß indes hierauf acht
haben, um die Kraft des Beweises richtig zu erfassen. Denn
ich habe in Lehrs, 23, II nicht gesagt, „daß die Veränderung
immer unbedingt die Ideinste sein werde, sondern nur die
Ueinstmägliche*'. Daß es aber eine Veränderung in der Rich-
tung aBein geben kann, wie in diesem Beweise vorausgesetzt
worden, ergibt sich aus Lehrs, 18 und 19, II mit Zusatz.
Lehnatz XXIX.
Fünfte Regel. Wenn der ruhende Körper A kleiner
als B ist, so wird B, mag es sich auch noch so langsam 40
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90 Prinzipien. Zweiter Teil.
gegen A bewegen, A mit sich n^men, indem es einen Teil
seiner Bewegung OMf A überträgt^ und zwar so viel, daß
beide nachher sich gleich schnell bewegen. (Man sehe § 50,
T. II der Prinzipien.)
Bei dieser Begd können^ wie im vorhergehenden Falle,
auch f¥ur drei Fälle vorgestellt werden, in denen der vor-
liegende Gegensatz sich aufhebt; ich werde aber zeigen^ daß
6ei meiner Annahme die geringste Veränderung in den Kör-
pern vorgeht, und daß sie deshalb (nach Lehrs. 23, II) sich
10 auch auf diese Weise verändern müssen.
Beweis. Nach meiner Annahme überträgt B auf
A (nach Lehrs. 21, II) wenige als die Hälfte seiner
Bewegung und (nach Zus. zu Lehrs. 17, II) weniger
als die Hälfte seiner Richtung. Wenn B nun A nicht
mit sich fortnähme^ sondern nach der entgegenge-
setzten Richtung zurückprallte, so würde es seine
ganze Richtung einbüßen, und die Veränderung würde
großer sein (nach Zus. zu Lehrs. 26, II), und zwar bei
weitem größer, wenn B seine ganze Richtung verlöre
20 und dazu noch einen Teil seiner Bewegung, wie im
dritten Falle angenommen wird. Deshalb ist die von
mir angenommene Veränderung die kleinste. W. z. b. w.
Lehrsatz XXX.
Sechste Begeh Ist der ruhende Körper A dem sich
gegen ihn bewegenden Körper B genau gleich, so wird er
teils von ihm fortgeeto en werden, teils wird B von A in
der entgegengesetzten Bichtwng zurückgestoßen werden.
Auch hier kann man, wie im vorhergehenden
Falle, sich nur drei Möglichkeiten ausdenken, und ich
80 habe daher zu beweisen, daß hier bei meiner An-
nahme die möglichst kleine Veränderung gesetzt ist
Beweis. Wenn der Körper B den Körper A mit
sich reißt, bis beide sich gleich schnell bewegen, so
wird dann in dem einen so viel Bewegung wie in dem
anderen sein (nach Lehrs. 22, II), und (nach Zus. zu
Lehrs. 27, II) B würde deshalb in diesem Fklle die
Hälfte seiner Richtung und auch (nach Lehrs. 20, II)
die Hälfte seiner Bewegung einbüßen müssen. Wird
dagegen B von A in der entgegengesetzten Rioh-
40 tung zurückgestoßen, so wird es seine ganze Rich-
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Lehrsats XXX, XXXI. 91
taug einbüßen, aber seine ganze Bewegung beibehalten
(nach Liehrs. 18, II); diese Veränderung aber ist der
vorigen gleich (nach Zus. 2U Lehrs. 26, II). Allein
keines von beidem kann eintreten; denn wenn A seinen
Zufitand behielte und die Richtung von B verändern
könnte^ so müßte A (nach Gr. 20) stärker als B sein,
was gegen die Annahme wäre. Und wenn B den
Körper A mit sich fortnähme, bis beide sich gleich
schnell bewegten, so wäre B stärker als A, was eben-
falls gegen die Annahme ist Da sonach keines von 10
beidem statthaben kann, so bleibt nur das dritte übrig,
nämlich, daß B den Körper A ein wenig weiterstößt
and ein wenig von A zurückgestoßen wird. W. z. b. w.
Man sehe § 51 T. II der Prinzipien.
Lehrsatz XXXI.
Siehente Regel. Wenn sich B und Ä nach einer Rich-
tung beioegen, A langsamer und B ihm nachfolgend und
tchneUer, sodaß der Körper B A zuletzt einholt^ und wenn dabei
A großer ah Bist^ aber der Überschuß an Oeschunndigkeii in
B großer ist als der Überschuß der Größe in A, so wird dann 20
B so vid von seiner Bewegung auf A Übertragen, daß beide
darauf gleich schnell und in dersdben Richtung sich bewegen.
Wäre aber das Mehr an Große in A größer als das Mehr
an Geschwindigkeit in B^ so würde B nach der entgegen-
gesetzten Richtung von A zurückgestoßen werden^ aber B
dabei seine Bewegung ganz behalten.
Man lese § 52 T. II der Prinzipien. Auch hier
kann man, wie bei dem Vorgehenden, nur drei Fälle
annehmen.
Beweis des ersten Teiles. B kann von A 30
nicht in entgegenfi^esetzter Richtung zurückgestoßen
werden, da B stärker als A angenommen wird (nach
Lehrs. 21 und 22, II und Gr. 20), also wird B, da
es stärker ist, A mit sich fortführen, und zwar
so, daß beide sich in gleicher Geschwindigkeit fort-
bewegen. Denn dann wird die kleinstmögliche Ver-
änderung eintreten, wie sich aus dem Obigen ohne
weiteres ergibt
Beweis des zweiten Teiles. B kann hier A
nicht fortstoßen, weil es (nach Lehrs. 21 und 22, II) 40
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92 Prinzipien. Zweiter Teil.
als schwächer angenommen wird (nach Gr. 20); und es
kann ihm auch von seiner Bewegung nichts mitteilen;
deshalb wird B (nach Zus. zu hohrs. 14, II) s^ne
ganze Bewegung behalten, aber nicht in derselben
Richtung, da angenommen wird, daß es daran von A
gehindert wird« Also wird B (nach dem im zweiten
Kapitel der Dioptrik Gesagten) in der entgegenge-
setzten Richtung zurückprallen, aber dabei seine ganze
Bewegung behalten (nach Lehrs. 18, IQ. W. z. b. w.
10 Man bemerke, daß ich hier und bei den vorhergehenden
Lehrsätzen als ertoiesen angenommen habe, daß jeder Körper,
der in gerader Linie auf einen anderen trifft, der ihn un-
bedingt hindert, in dersdben Bichtwig weiter fortzugehen, in
der entgegengesetzten und in keiner anderen Sichtung sich
zurückbewegen muß. Um das einzusehen, lese man Kap. 2
der Dioptrik na/ch.
Erläuterung. '^^)
Bisher habe ich zur Erklärung der Verände-
rungen, die Körper durch gegenseitigen Stoß erleiden,
20 nur zwei Körper in Betracht gezogen, als ob sie von
allen anderen getrennt wären, und ich habe auf die
sie umgebenden Körper keine Rücksicht genommen.
Nunmehr will ich ihren Zustand und ihre Verände-
rung untersuchen unter Berücksichtigung der Körper,
die sie rings umgeben.
Lehrsatz XXXH.
Wenn der Körper B ringsum von kleinen sich bewegen-
den Körpern umgeben ist, die ihn nach aüen Eichtungen mit
gleicher Kraft stoßen, so wird er solange unbewegt an ein
30 und derseiben SteUe bleiben, als nicht noch eine andere Ur-
sache hinzuikommt,^^)
Beweis. Dieser Liehrsatz ist ohne weiteres ein-
leuchtend; denn würde B durch den Stoß der von
einer Seite kommenden Körperchen in der einen Rich-
tung bewegt, so müßten die hier antreibenden Kör-
perchen mit stärkerer Kraft stoßen als die, welche
ihn gleichzeitig in der anderen Richtung stoßen, und
die in ihrer Wirkung nicht nachlassen können (nach
Gr. 20); was gegen die Annahme wäre.
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Lehrsatz XXXII, XXXlIf, XXXIV. 98
Lehrsatz XXXUI.
Der Körper B kann unter solchen Umstanden dwrch
die geringe hinzukommende Kraft in jeder beliebigen Eich-
tung bewegt werden.
Beweis. Alle B unmittelbar berührenden Körper
werden, weil sie (nach der Annahme) bewe^ sind,
aber B (nach Lehrs. 32) unbewegt bleibt, so-
fort bei der Berührung des B ohne Verlust ihrer Be-
wegung nach der anderen Seite zurückprallen (nach
Lehrs. 28, II); somit wird B fortwährend von den 10
Körpern, die ihn unmittelbar berühren, von selbst
verlassen, und es ist, so groD man auch B annimmt,
keine Kraft nötig, um ihn von den ihn unmittelbar
berührenden Körpern zu trennen (nach dem zu Nr. 4 bei
Del VIII Bemerkten). Deshalb wird selbst die kleinste
äußere Kraft, die ihn trifft, stets größer sein als
die, mit der B an seiner Stelle zu bleiben strebt (denn
ich habe bereits gezeigt, daß ihm sMbst keine Kraft
innewohnt, vermöge deren er sich etwa an die ihn un-
mittelbar berührenden Körper anhangen könnte), und 20
mithin auch unter Hinzunahme der ihn in derselben
Richtung stoßenden Körperchen größer als die
Kraft der anderen Körperchen, die B nach der ent-
gegengesetzten Richtung stoßen (da die Elraft jener
als diesen gleich angenommen wird, wenn keine äußere
Kraft hinzukommt); also wird (nach Gr. 20) der Körper
B von dieser äußeren Kraft, wenn sie auch noch
80 klein ist^ nach jeder beliebigen Richtung bewegt
werden. W. z. b. w.
Lehrsatz XXXIY. 30
Der Körper B kann sich unter diesen Umständen nicht
schneller bewegen, als er von der äußeren Kraft getrieben
^rel^ u}enn auch die ihn umgebenden KÖrperteUchen sich viel
9ehndler bewegen.^^)
Beweis. Die Körperchen, welche zugleich mit
der äußeren Kraft den Körper B nach derselben Rich-
timg stoßen, werden, wenn sie sich auch viel schneller
bewegen, als die äußere Kraft B zu bewegen vermag,
doch (nach der Annahme) keine größere Kraft haben
als die Körperchen, welche B nach der entgegen- 40
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94 Prinzipien. Zweiter TeiL
gesetzten Richtung stoDen, und ihre ganze Kraft wird
deshalb zum Widerstände gegen diese verbraucht, ohne
daü sie auf B (nach Lehrs. 32, II) von ihrer Ge-
schwindigkeit etwas übertragen könnten. Da nun andere
Umstände oder Ursachen nicht vorausgesetzt worden
sind, so wird B nur von jener äußeren Ursache seine
Geschwindigkeit erhalten, und es wird sich d^nnach
(nach Gr. o, I) nicht schneller bewegen, als es von
der äußeren Kraft gestoßen worden ist. W. z. b. w.
10 Lehrsatz XXXY.
Wenn der Körper B in dieser angegebenen Weise von
einem äußeren Anstoß bewegt wird, so erhalt er den größten
Teil seiner Bewegimg von den ihn stets umgebenden Körper-
chen und nicht von der äußeren Kraft, •*)
Beweis. Selbst wenn B noch so groß angenom-
men wird, so wird es doch von dem kleinsten Anstoß
in Bewegung gesetzt werden (nach Lehrs. 33, II).
Nun setze man, daß B viermal so groß ist ala der
äußere Körper, durch dessen Kraft es gestoßen wird,
20 dann werden (nach dem Vorhergehenden) beide sich
gleich schnell bewegen, und in B wird viermal mehr
Bewegung als in dem äußeren Körper sein, von dem
es gestoßen wird (nach Lehrs. 21, II); also erhält
es den hauptsächlichen Teil seiner Kraft (nach Gr. 8, 1)
nicht von der äußeren Kraft Da nun außer dieser
keine anderen Ursachen als die ihn umgebenden Kör-
per angenommen werden (da B selbst als unbewegt
angenommen worden ist), so erhält es also (nach
Gr. 7, I) allein von den es umgebenden Körperchen den
30 hauptsächlichen Teil seiner Bewegung und nicht von
der äußeren Kraft W. z. b. w.
Ich hemerkef daß ich hier nicht, wie oben, sagen kann,
daß die Bewegung der von einer Richtung kommenden Teil-
chen zu dem Widerstände gegen die von der anderen Bich-
twng kommenden nötig ist; denn die (wie hier atigenommen
wird) mit gleicher Bewegung gegen einander gehenden Korper
sind einander der Richtung*), aber nicht der Bewegung
^ Man sehe Lehrs. 24, II, wo gezeigt worden, daß zwei
Körper, die einander Widerstand leisten, ihre Richtung, aber
nicht ihre Bewegung darauf verwenden. (A. v. Sp.)
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Lehrsatz XXXV, XXXVI. 95
nach entgegengesetzt. (Nach Zus. zu Lehrs. 9, IL) Des-
halb verwenden sie nur ihre Richtung auf ihren gegen-
seitigen Widerstand^ nicht aber ihre Bewegung, und demnach
kann der Körper B nichts von seiner BiMwng und folglich
(nach Zus. zu lA^rs. 27, II) auch nichts von seiner Ge-
9eihiunndigieit, sofern sie von der Bewegung tmtersehieden wird,
von den ihn umgebenden Körpern erhalten, wohl aber seine
Bewegung; ja, er muß, wenn eine fremde Ursache hinzukommt,
notwendig von ihnen bewegt werden, wie ich hier gezeigt habe,
und wie aus der Art, wie ich den Lehrsatz 33 bewiesen habe, 10
kUvr zu entnehmen ist.
Lehrsatz XXXTI.
Wenn ein Körper, z. B. unsere Hand, sich nach jeder
Richtung mit gleicher Bewegung bewegen hönnte, ohne anderen
Kjörpem irgendwie zu widerstehen, und ohne daß andere Kör-
per ihr widerstehen, so werden notwendig in dem Baume, durch
den sie sich bewegt, ebensovieie Körper sich nach der einen
Biehtung wie nach jeder beliebigen anderen mit gleicher Kraft
der Geschwindigkeit unter sich wie mit der Sand bewegen.
Beweis. Ein Körper kann sich durch keinen 20
Raum bewegen, der nicht voll von Körpern ist (Nach
Lehrs. 3, IL) Ich sage deshalb, daß der Raum, durch
den unsere Hand sich so bewegen kann, von Körpern
angefüllt ist, die sich nach den angegebenen Be-
dingungen bewegen werden. Bestreitet man dies, so
wollen wir annehmen, daß si3 ruhen oder in anderer
Art sich bewegen. Ruhen sie, so werden sie not-
wendig der Bewegung der Hand so lange Widerstand
leisten (nach Lehrs. 14, II), bis deren Bewegung sich
ihnen mitteilt und sie mit ihr nach derselben Rieh- 80
tung mit gl^cher Geschwindigkeit sich bew^en. (Nach
Lehrs. 20, II.) Allein wir hatten angenommen,, daß sie
keinen Widerstand leisten, also bewegen sich diese
Körper. Dies war das Erste.
Femer müssen sie sich nach allen Richtungen
bew^en. Bestreitet man dies, so wollen wir annehmen,
daß sie nach einer Richtung, etwa von A nach B,
sich nicht bewegen. Wenn sich also die Hand von
A nach B bewegt, so wird sie notwendig bewegten
Körpern (nach Teil I dieses Beweises), und zwar, wie 40
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0
96 Prinzipien. Zweiter Teil.
wir angenommen, in anderer Richtung bewegten Kor-
pern, als die Hand sich bewegt, begegnen; deshalb
werden sie ihr (nach Lehrs. 14, II) so lange Wider-
stand leisten, bis sie in gleicher Richtung mit der
Hand sich bew^en (nach Lehrs. 24 und nach ErL
zu Lehrs. 27, II). Nun leisten sie aber (der Annahme
nach) der Hand keinen Widerstand, also werd^i de
sich nach allen Richtungen bewegen. Das war das
Zweite.
10 Femer werden diese Eörper mit gleicher Ge-
schwindigkeit unter einander sich nach jeder Rich-
tung hin bewegen; dann nehme man
an, dies geschehe nicht mit gleicher
Geschwindigkeit, so setzt man damit^
daß die von A nach B sich nicht mit
solcher Kraft der Geschwindigkeit
B bewegen, wie die von A nach G.
Wenn sich daher die Hand mit der-
selben Geschwindigkeit (denn es wird angenommen, daß
20 sie mit gleicher Bewegung sich ohne Widerstand nach
allen Richtungen bewegen kann), wie die Körper sich
von A nach G bewegen, von A nach B bewegte, so
würden die von A nach B bewegten Körper so lange
der Hand Widerstand leisten (nach Lehrs. 14, IQ,
bis sie sich in gleicher Greschwindigkeit mit der Hand
bewegen (nach Lehrs. 31, II). Allein dies läuft wider
die Annahme; deshalb werden die Körper sich mit
gleicher Kraft und Geschwindigkeit in allen Richtungen
bewegen; dies war das Dritte.
30 Wenn sich endlich die Körper nicht in gleicher
Kraft der Geschwindigkeit mit der Hand bewegten,
so müßte die Hand sich entweder langsamer, d. h.
mit geringerer Kraft der GeschwincUgkeit, oder
schneller, d. h. mit größerer Kraft der Geschwindig-
keit, bewegen als die Körper. Ist ersteres der FaU,
so wird die Hand den Körpern Widerstand leisten,
die ihr in derselben Richtung folgen (nach Lehrs. 31,
II). Ist letzteres der Fall, so werden die Körper,
denen die Hand folgt, und mit denen sie in gleicher
40 Richtung sich bewegt^ ihr widerstehen (na<ä dem-
selben Lehrs.); welch beides gegen die Voraussetzung
verstößt Wenn sonach die Hand sich weder lang-
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Lehnatz XXXYI, XXXVIL 97
noch schneller bewegen kann, so mnß sie sich
in gleicher Kraft der Geschwindigkeit mit den Kör-
pern bewegen. W. z. b. w.
Wmm man fragt, weshalb mA ,mU gleicher Er oft der
G^e»dMndigkeW tage und nicht einfach ,mü gleicher Ge-
sekuMUgkeit, »o kee man die Erläiäerung zum Zusatz zu
Lehrs. 27, IL Und wenn man fragt, weshalb die Hand,
wenn sie sich z. B, von A nach B bewegt, nicht den Körpern
widersteht, die sich gleichzeitig von B nach A mit gleicher
Kraft bewegen^ so lese man Lehrs. 33, II, woraus man er- 10
sehen wird, daß die Kraft dieser Körper sich ausgleicht mit
der Kraft der Körper (denn diese Kraft ist nach T. 3 dieses
Lehrsatzes jener gleich), die sich gleichzeitig mit der Hand
vim A nach B bewegen.
Lehrsata XXXYIL
Wenn ein Körper, etwa A, von jeder noch so kleinen
Kraft in jeder Richtung bewegt werden kann, so muß er not-
wendig von Körpern umgeben sein, die sich mit gleicher ge-
genseitiger Geschwindigkeit bewegen.
Beweis. Der Körper A muß von allen Seiten 90
von Körpern umgeben sein (nach Lehrs. 6, II), die
sich nach allen Richtungen gleichmaßig bewegen.
Denn wenn sie ruhten, so könnte A nicht von jeder
noch so kleinen Kraft nach jeder Richtung (wie an-
g^iommen ist) bewegt werden, vielmehr müßte dann
die Kraft wenigstens so groß sein, daß sie die den
Körper A unmittelbar berührenden Körper mit sich
bewegen könnte (nach Gr. 20, II). Wenn femer die
den A umgebenden Körper in d^ einen Richtung
sbh mit ^ßerer Kraft 80
als nach der anderen be- /OJD B
wegten, etwa von B nach v^^
C mit stärkerer als von G
nach B» da er von allen Seiten mit Körpern umgeben
ist (wie bereits bewiesen), so werden notwendig (nach
dem zu Lehrs. 33 BewieeaiOT) die von B nach C
bewegten Körper den Körper A in derselben Rich-
timg mit sich nehmen, und es wird idso nicht jede
noch so kleine Kraft genügen, um A gegen B zu be-
wegen, vielmehr nur eine solche, die genau so groß 40
Splaosft, Prinslplm tob DaieMtM. 7
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98 Primdpien. Zweiter TeiL
ist, däB Bio den ÜberschüJD der ron 6 nach C be-
wegten Körper ergänzt (nach Gr. 20). Deshalb müssen
sich die Körper nach allen Richtungen mit gleicher
Eiaft bewegen, w. z. b. w.
Erlftatemng.
Da dies bei sogenannten flüssigen Körpern vor
sich geht, so folgt, daß flüssige Körper solche sind,
welche in viele Ideine T^e geteilt sind, die sich mit
gleicher Kraft nach allen Richtungen bewegen. Oh-
io gleich diese Teile selbst von dem schärfsten Auge
nicht erkannt werden können, so kann man dies doch
nicht bestreiten, da ich es oben klar bewiesen habe.
Denn aus den Lehrsätzen 10 und 11 ergibt sich eine
solche Feinheit (subtüitas) der Natur, daß sie (ge-
schweige durch die Sinne) durch keine Vorstellung
bestimmt oder erfaßt werden kann« Da ferner aus
drai Vorstehenden zur Grenüge erhellt» daß die Körper
durch ihre bloße Ruhe anderen Körpern Widerstand
leisten, und da man bei der von den Sinnen aage-
80 zeigten Härte nur wahrnimmt, daß die Teile solcher
harten Körper der Bewegung der Hände Widerstand
leisten, so kann man offenbar schließen, daß diejenigen
Körper^ deren Teilchen alle neben einander in Ruhe
sind, die harten sind. Man sehe §§ 54, 55, 56, T. 2
der Prinzipien.®*)
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Die
Prinzipien der Philosophie
auf
geometrische Weise hegrfindet.
Dritter Teil.
Nachdem ich so die allgemeinsten Grundsätze über
die natürlichen Dinge auseinandergesetzt habe, gehe
ich nun zur Erläuterung dessen über, was sich daraus
er^^t Allein da die Folgen dieser Grundsätze zahl-
reicher sind, als unser Verstand je im Denken durch- 10
zugehen vermag, und man hierbei nicht zur Betrach-
tung gewisser bestimmter Folgen mehr als zur
Betrachtung anderer veranlaßt wird, so ist zunächst
eine kurze anschauliche Schilderung der Erscheinungen
zu geben, deren Ursachen ich hier verfolgen will ^)
Diese findet sich indes von § 5 bis § 16, T- 3 der
Prinzipien, und von § 20 bis § 34 daselbst wird eine
Annahme vorgetragen, die nach Descartee sich am
besten eignet, um die Himmelserscheinungen nicht
bloß zu verstehen, sondern auch deren natürliche Ur- 20
Sachen zu erforschen.
Da ferner der beste Weg zur Erkenntnis der
Natur der Pflanzen oder des Menschen der ist» daß
man beobachtet» wie sie allmählich aus dem Samen
^tstehen und erzeugt werden, so hat man solche
Grundsätze sich auszudenken, die möglichst einfach
und leicht verständlich sind, und aus den^ man,
wie aus den Samen, die Entstehung der Sterne, der
Erde und überhaupt von allem, was man in der sieht-
372864A
100 , Frindpien. Dritter TeU.
tMuren Welt antrifft, ableiten kann, wenn man auch
niemalB erweisbar maohen kann, daß sie so entstanden
sind. Denn auf diese Weise wird man deren Natur
weit besser erklär^ als wenn man sie bloß nach
ihrem jetzigen Zustande beschriebe.^)
Ich sage^ daß ich die einfachsten und am leich-
testen erkennbaren Grundsätze suche; nur solcher be-
darf ich; denn ich schrdbe den Dingen nur deshalb
einen Samen zu, damit ihre Natur leicht» wkairnt
10 wird, und damit ich nach der Weise der Mathe-
matiker von dem Bekanntesten zu dem Unbekannten
und von dem Einfachsten zu dem Verwickelt^en vor-
wärtsschreite.
Femer bemerke ich, daß ich solche Grundsätze
suche, aus denen man den Ursprung der Gestirne, der
Erde u. s. w. ableiten kann. Solche Ursachen, die
nur hinreichen, um die Himmelserscheinungen sn er-
klären, wie sie die Astronomen hie und da ge-
brauchen, suche ich nicht, sondern solche, die auch
20 zur Erkenntnis der Dinge auf der Erde führen (da alle
Ereignisse, die wir auf der Erde beobachten, mräier
Ansicht nach zu den Naturerscheinungen zu rechnen
sind). ^) Um solche zu finden, ist für eine gute Hypo-
these das Folgende im Auge zu behalten:
I. Sie darf (an sich betrachtet) k^nen Wider-
spruch enthalten.
n. Sie muß so einfach als nur möglich sein.
III. Aus dem letzten Satze folgt, diSi sie möglichst
leicht erfaßbar sein muß.
80 IV. Alles, was in der ganzen Natur beobachtet
wird, muß aus ihr abgelötet werden können.
Ich habe endlich gesagt, daß es gestattet sein
müsse, eine Hypothese aufzustellen, aus der man die
Naturerscheinungen wie aus ihrer Ursache (Um^mm
OD causa) ableiten könne, wenn man auch bestümnt
wisse^ daß die Natur nicht so entstanden ist Um dies
zu verstehen, nehme ich folgendes Beispiel: Wenn
jemand auf raiem Bogen Papier eine krumme^ Parabel
fifenannte, Ldnie verzeichnet findet und ihre Nator er-
40 forschen will, so ist es gleich, ob er annimmt^ daß
diese Linie zunächst aus einem Kegel ausgeschnitten
und dann auf das Papier abgedrüdct wordoi, oder
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Pottulat 101
dafl sie aoB der Bewegung asweier geraden Ldnien
oder Bonstwie entstanden sei, wenn er nur ans der
von ihm angenommenen Eintotehnngsart alle Eigen-
flohaften der Parabel beweisen kann. Ja, selbst wenn er
welQy daß diese Linie durch den Abdruck eines Kegel-
schnitts entstanden ist^ kann er doch, um alle Eigen-
schaften der Parabel zu erklären, beliebig eine andere
Ursache annehmen, wie sie ihm gerade am bequemsten
scheint i3>en80 kann ich auch sur Erklärung der Ge-
stalten der Natur nach Belieben irgend eine Hypo- lo
these aubtellen, wenn ich nur alle Naturerscheinungen
daraus in mathematischer Beweisform abzuleiten ver-
mag. Ja, was noch merkwSrdiger ist^ ich werde kaum
irgend eine Hypothese aufstellen können, aus der
nicht dieselben Wirkungen vermittels der oben er-
klarten Naturgesetze, wenn auch vielleicht umständ-
licher, abgeleitet werden, können. Denn da der Stoff
mit Hilfe jener Gesetze alle Formen, deren er fähis;
ist, nach und nach annimmt, so werde ich, wenn ich
diese Formen der Beihe nach betrachte^ endlich auch 20
zu der Form, welche die Form dieser Welt ist, ge-
langen. Deshalb ist kein Irrtum infolge einer falschen
Hypothese zu befürchten.*^)
Postulat
Man verlangt das Zugeständnis, erstens, dafl aller
Stof( aus dem die achtbare Welt besteht, im An-
fange von Gott in Teilchen getrennt worden, die ein-
ander möglichst gleich waren, ohne kugelartig zu
sein, da mehrere solcher Eügelchen verbunden nicht
allen Baum ausfflllen; vielmehr sind diese Teile anders 80
gestaltet und von mittlerer Größe gewesen oder haben
die Mitte gehalten zwischen allen denen, aus denen
]etzt die Himmel und die Gestirne bestehen; und zwei-
tens, dafl sie nur so viel Bewegung besessen haben, wie
jetzt in der Welt angetroffen wird, und drittens^ dafl sie
gleiche Bewegung gehabt haben, nämlich einmal die
einzelnen eine Bewegung um ihren Hittelpunkt und
gegenseitig von einander getrennt, sodafl sie einen
flüssigen Körper bildeten, wie man den Hinmiel fär
einen solchen hält; und sodann eine gemeinsame Be- 40
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102 Prinzipien. Dritter Teü.
wegung mehrerer tun gewisse aaidere Punkte, äie
so von ilrnen entfernt und so verteilt waren» wie ee
jetzt die Mittelpunkte der Fixsterne sind; und ferner
eine Bewegung auch um andere, etwas zahlreichere
Punkte, die der Zahl der Planeten gleich kommen.
Somit bildeten diese Teilchen so viele verschiedene
Wirbel, als es jetzt Geetinie in der Welt gibt Man
sehe die Figur zu § 47, T. 3 der Prinzipien. ^)
Diese Hypothese enthalt, an und für sich be-
10 trachtet, keinen Widerspruch; denn sie spricht dem
Stoffe nur die Teilbarkeit und die Bewegung zu. Diese
Zustände sind, wie oben bewiesen, an dem Stoffe
wirklich vorhanden; und da ich den Stoff als un-
endlich und als denselben für den Himmel und die
Erde nachgewiesen habe, so kann man ohne Bedenken
vor irgend einem Widerspruch annehmen, daß diese
Zustände für den ganzen Stoff bestanden haben.
Femer ist diese Hypothese die einfachst^ weil
sie weder eine Ungleichheit noch eine Unähnlichkeit
20 b^ den Teilchen annimmt, in die im Anfange der
Stoff geteilt war, und ebensowenig dies für ihre Be-
wegung geschieht. Deshalb ist diese Hypothese auch
die am leichtesten verständliche. Dies erhellt auch
daraus, daß diese Hypothese nur das am Stoffe voraus-
setzt, wae jedermann aus dem Begriffe dee Stoffes
von selbst einleuchtet, nämlich die Teilbarkeit und die
örtliche Bewegung.
Daß aber alle Naturerscheinungen daraus abge-
leitet werden können, will ich soweit, als möghch
30 durch die Tat zu zeigen suchen, und zwar in fol-
gender Ordnung. Zuerst werde ich die flüssige Natur
der Himmel aus ihr ableiten und erklären, wieso diese
die Ursache des Lichtes ist Sodann will ich zur Natur
der Sonne übergehen und zugleich zu dem, was man
an den Fixsternen beobachtet. Alsdann werde ich über
die Kometen und zuletzt über die Planeten und deren
Erscheinungen sprechen.
Deflnitfonen.
I. Unter der EUiptik verstehe ich den Teil
40 des Wirbels, der, während er sich um die Achse dreht,
einen größten Kreis beschreibt
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IL Unter im Pol^ yerstohe iqh di» Teile dee
Wirbeb, die von der Ekliptik am weiteeten entfenit
sind, oder di€^ welche die UeiiisteB Kreide beachreibeii.
m. Uater dem Streben MW BewegUing (conatu9 ad
meium) verstehe ich keine Art des Denkens, sondern
nnr, daiß ein Stoffteil so gelegen und mr Bewegwu;:
geneigt (inoiißta) ist, daß er wirklich sich wohin be-
wegen wfirde, wenn ihn nicht eine andere Ursache
daran verhinderte.
IV. Unter einer Ecke verstehe ich jede Server- 10
ra^^g eines Körpers über die Kugelgestalt hinaus.
I. Mehrere mit einander verbundene Kügelchen
können einen Baum nicht stetig ausfüllen.
IL Ein Stück einer in eckige Teile verteilten
Uaterie braucht mehr Raum, wenn seine Teile sich
um ihre eigenen Mittelpunkte drehen, als wenn alle
seine Teile ruhen und alle Seiten derselben sich un-
mittelbar berühren.
IIL Je kleiner ein Stück Materie ist, desto leichter 20
wird es von ein und derselben Kraft getrennt
rV. Materielle Teile, die sich nach em und der-
selben Richtung bewegen imd hierbei sich von ein-
ander nicht entfernen, sind nicht wirkUch (aetu) geteilt
Lehrsatz L
Die Teile der Materie, in die $ie xuerut geteilt war, uHuren
nickt rund, iondem eckig.
Beweis. Die ganze Materie war im Beginne in
gleiche und ähnliche Teile getrennt (nach dem Postu-
lat), deshalb waren diese Teile (nach Gr. I und Lehr- 80
satz 2, n) nicht rund, mithin (nach Del IV) eckig.
W. z. b. w.
Lehrsatz ü.
Diejenige Kraft, wdche bewirkte, daß die materieUm
TeUd^en iick um ihre eigenen Mittelpunkte drekten, bewirkte
auek, daß die Edcen der einzelnen Teilchen bei ihrer gegen-
•eiHgen Begegnung sich abrid>en.
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104 Frinnpien. Dritter Teil
Beweis. Die ganze Materie war im BegmoB in
gleiche (nach dem Festolat) und eckige (nacn Lehr-
satz 1, ni) Teile geeondert Hätten sich also, als
sie sich am ihre Mittelpunkte zu drehen begannen,
ihre Ecken nicht abgerieben, so hatte notwendig
(nach Gr. II) der ganze Stoff einen größten Ranm
einnehmen müssen als bei seiner Rahe; dies ist aber
widersinnig (nach Lehrs. 4, U); also haben ihre
Ecken sich abgerieben, sobald sie sich za drehen be-
10 gannen. W. z. d. w.
Das Ueibrige fehlt
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Anhang,
enthaltoDd
metaphysische Gredanken«*')
Sie erörtern in Kurze die schwierigeren Fragen,
die in den metaphysischen Schriften , sowohl im
allgemeinen wie im speziellen Teile, in Betreff des
Seins und seiner Bestimmungen, Gottes und seiner
Attribute, sowie des Menschengeistes, sich finden.
VerfaOt
von
Benedict von SpiHoia
AUS
Amsterdam.
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Des
Anhanges metaphysischer Gedanken
Erster Teil,
in dem die wichtigsten Punkte des allgemeinen Teils
der Metaphysik in Betreff des Seienden nnd seiner
Bestimmcmgen (affectiones) kurz erläutert werden.
Erstes KapiteL
Ol^r die wlriOlAhen^ die eingel^Udetev und die
GedankeB^Onge.
Ich sage nichts über die Definition dieser Wissen- lo
Schaft oder über ihre Gegenstände, sondern ich will
hier nur die dunkleren l^mkte, die hin und wieder
von denen behandelt werden, die über Metaphysik
schreiben, kurz erläutern.
^^^^ Ich beginne daher mit dem Dinge
^^ (Wesen, eni), worunter ich äOes das ver-
stehe, von dem, indem man es. Jdar und
deutlidt vorstellt, man findet, daß es notwendig eoBigÜert
oder wenigstens existieren kann,^)
Die cktmäy. ^^ dieser Definition oder, wenn man ao
da» i^diMtu lieber will, aus dieser Beschreibung folg^
Ding und diu daß die Chimäre, das erdichtete Ding imd
^'•^jj'^'^jv das Gedankending in keiner Weise zu dem
'^'^^J^'jJTjl^ Seienden gerechnet werden können. Denn
die Chimäre ''0 kann ihrer Natur nach
*) Man halte ÜMt, daß nnter der „Ofaimftre^ hier nnd
im Folgettden das Tentanden wird, deaten Natur einen
offenbaren Widerspruch einschließt, wie in Kapitel 8 aos-
ftbrlicher dargelegt werden wird. (A. y. Sp.)
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106 Anhang. TeU I. Kmp. 1.
nicht existieren; dagecen lißt das erdUkUU Dk^g keine
klare und deatSche YorBteDnng so, weil der Ibnaeh
hier aus bloßer Willkfir md nicht nnwiaaend wie
bm dem IrrtBmUchen, sondwn absichtlich nnd wissend
das verbindet» was er verbinden will, und trennt»
was er trennen will Das OedankeihDing ist nur ein
Zustand des Denkens, der dem besseren Bdbatten, Br-
läutern nnd Var$ieUen der eingesehenen Dinge dieet
Unter einem ».Zustand des Denkens"* (modut cogtUmdi)
10 verstehe ich das, was ich sdion in &lftat sa Lehrs. 4, 1
erklirt habe^ d. h. alle Bewnßtseinsarten (eogüaiumU
affeeHonei)^ also den Verstand, die Rrende^ die Ein-
bUdnng n. s. w.
Daß es aber gewisse Zustande dea
Dmnhwdtk§ Denkens gibt, welche dam dienen, die
Dinge fester nnd leichter mu Uhdlim und
DfafviMor* 81^ wenn man will, wieder in das Ge-
dMdnü MUBc dächtnis norfieksomfen oder dem Geiste
wiedw gegenwartig sa machen, ist allen
SO bekannt, wdche die so bekannte Gedächtnisregel be-
natien, wonach sa dem Behalten and Einprägen eines
neuen Ge^nstandes man einen anderen bduumten
zu Hilfe mmmt, der entweder im Namen oder in der
Sache mit jenem übereinstimmt Auf diese Weise haben
die Philosophen alle naturlichen Dinge auf gewisse
Klassen surfickgeführt^ die sie Oüthmgem und Artm
u. s. w. nennen, und auf die sie surfickgehen, wenn
ihnen etwas Neues entgegentritt
Ebenso haben wir auch Zustände des
SO ^^„y^ D^ikens sur Erldänmg der Dinge^ indem
iTwfrwi «o» SU ^^^^^^Boi sie durch Vergleichung mit anderen
Dm99trtdärt, bestimmt Die Zustände des Denkens,
durch die man dies bewirk^ beißen die
Zeit, die ^oM, das Maß, wosu vielleicht noch einige
andere kommen. Davon dient die Zeit »ir Erklärung
der Dauer, die Zahl sur Erklärung der diskreten
Menge und das Maß sur Erklärung der stetigen Größe.
Durch wtidf Endlich ist man gewohnt, allem, was
skuuM»im man einsieht, entsprechende Bilder in
4D DmiumMmm^ti^ ungerer Binbildungskraft su geben, und
sKnMMMipvor. dahcT kommt es, daß man auch das
tum, Nicht-Seiende sich positiv, wie etwas
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WüUidM and mngMiMi$ Gcdukmdiiigtt. IM
Srieadei^ t» der EiMUkmg vorHM. Dfinn da der
Verstand, für sich allein betrachtet» als dodcendes
Ding m dem Bejahen keine grfißere Kraft hat
als n dem Verneinen, und da das büdliche Vorstellen
nnr in raiem Empfinden der Spuren besteht^ die in
dem Gehirn durch die Bewefi^ung der Lebensgeister,
die in den Sinnen von den Gegenständen angeregt
werdoi» sich bilden, so kann eine solche Empfmdung
nnr eine verworrene bejahende VorsteUtmg sein. Da-
her konunt es, daß alle Weisen, deren der Verstand 10
sich zum Verndnen bedient» wie z. B. Blindheit,
lußeretee oAer Ende, Grenze, Finetemie o. S. W., als
seiende Dinge vorgestellt werden.
^ ^ Daraus ergibt sich klar, daß diese
7Sig9 Zustände des Denkens keine Ideen wirk-
mwirk- lieber Dinge sind und in keiner Weise
^^^IaLIS^ dasu gOTechnet werden dürfen; deshalb
JlMtaT^M^ gibt es auch bei ihnen kein Vor|^estelltes
(ideatum)^ das notwendig existiert oder
ezistiereo kann. Die Ursache aber, weshalb diese Zu- 90
sfinde des Doikens für Ideen von Dingen cpehalten
werden, ist» daß sie aus Ideen wirklich Dinge so
unmittelbar hervorgehen und entstehen, daß sfe der
Unaufmerksame leicht mit solchen verwechselt Des-
halb haben sie auch Namen erhalten, als sollten
damit Dinge beseichnet werden, die außerhalb
des Verstandes existieren, und man hat deshalb
diese Dinge oder vielmehr diese Nicht-Dinge Ge-
danken-Dinge genannt
Hieraus erhellt» wie verkehrt die aa
^*l^^^^^^ Einteilung derselben in wirkliche und
eJSÜlMm'iHmgB Gedankou-Dinge ist; denn man teilt da-
M mw«cm. bei die Dinge in Dinge und Nicht-Dinge
ein odw in Dmge und in Zusttnde des
Denkens. Indes wundere ich mich nicht, daß Philo-
sophen, die bloß an die Worte und Sprachformen
sich halteu, in solche Irrtümer geraten sind, weil sie
die Dinge nach ihren Namen uid nicht die Namen
nach den Dingen beurteilen.
^^ Ebenso verkehrt sprechen die- 40
MmtaTiMii^ lenigen, welche behaupten, das Ge-
9t» nituB iikkt9 danken-Ding sei kein reines Nichts.
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110 Anhang. TeÜ L Kap. 1.
*??_*"^C!? •• Denn wenn sie das, was mit diesem
Namen bezeichnet wird, außerhalb de«
Verstandes suchen, so werden sie fin-
den, daß es ein reines Nichts ist; ver-
stehen sie aber darunter nur Zustande des Denkens,
so sind sie wirkliche Dinge. Denn wenn ich
frage, was eine iiH ist, so frage ich damit nur
nach der Natur dieses Zustandes des Denkens, der
in Wahrheit ein Seiendes ist und sich von anderen
10 Zuständen des Denkens unterscheidet. Indessen können
diese Zustände des Denkens nicht als Ideen bezeichnet,
noch auch für wahr oder falsch erklärt werden, eben-
sowenig wie dies bei der Liebe zulässig ist, die nur
entweder gut oder schlecht ist So hat Plato, als er
den Menschen für ein zweifüßiges Tier ohne Federn
erklarte, sich nicht mehr geirrt als die, welche den
Menschen für ein vernünftiges Tier erklärten, da
Plato, ebenso wie die anderen, wußte, daß der Mensch
ein vernünftiges Tier ist; er brachte nur auf sdne
20 Weise den Menschen unter eine g^ewisse Klasse, um,
wenn er über den Menschen nachdenken wollte, durch
Zurückgehen auf diese Klasse, welcher er sich leicht
erinnern konnte, sogleich auf die Vorstellung des
Menschen zu kommen. Vielmehr war Aristoteles in
dem größte Irrtume^ wenn er glaubte, durch seine
Definition das Wesen des Menschen zureichend er-
klärt zu haben. Ob aber Plato mit seiner Erklärung
gut getan hat, das konnte man wohl fragen; doch ge-
hört dies nicht hierher.
80 Bddm- ^^9 allem vorstehend Gesagten er-
Xrfondmng d«r hellt, daß zwischeu den wirklichen
^^l^^f!! Dingen und den Gedanken-Dingen keine
**tlS?iiSd«r tJbereinstimmung besteht. Daraus ist
Qtdankm^ lolcht abzunehmen, wie sehr man sich in-
DingtH V9rm«ngt acht ZU nehmen hat, daß man bei der E5r-
•**'**^ f orschung der Dinge nicht die wirklichen
Dinge mit den Gedanken-Dingen vermengt Denn das
Erforschen der Natur der Dmge ist verschieden von
dem Erforschen der Zustände, durch welche die Dinge
40 von uns vorgestellt werden. Vermengt man beides»
so kann man weder diese Zustände des Vorstellens,
noch die wirkliche Natur erkennen, vielmehr gerät
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WirUiclie «nd eiDgalrildeto Gedaokeadiiige. 111
man, was £e Hauptsache ist, dadnrcli in grofle Irr-
tSmer, wie*^ ▼ielen. bisher ergangen ist
Viele vermengen anch dieGedanken-
JWejfa» da« Dinge mit den erdichteten Dkgen; sie
^T" 'Sü! «^ halten letztere ebenfalls für G^anken-
SaaJe!^ Di^ ^hig^» weil sie außerhalb des Verstandes
»»«»rMMdee. keine Existenz haben. Allein wenn man
anf die oben gegebenin Definitionen des
Gedanken-Dinges nnd des erdichteten Dinges genan
achfhaty 80 wird man einen großen Unterschied zwischen 10
beiden Klassen sowohl bezüglich ihrer Ursache, als
ihrer Natnr selbst» abgesehen von der Ursache, be-
merken. Das erdichtete Ding habe ich nämlich nnr
für die rein willkürliche Verbindung zweier Ausdrüdce
(iennini) erklärt, WOZU die Vernunft keine Anleitung
gibt; deshalb kann das erdichtete Ding durch ZufaU
auch einmal wahr sein. Dagegen hängt das Gedanken-
Ding nicht von dem bloßen Belieben ab und besteht
nicht aus der Verbindung irgend welcher Ausdrücke,
wie sich aus seiner De&iition ergibt Wenn daher 20
jemand fragt, ob das erdichtete Ding entweder ein
wirkliches INng oder ein Gedanken-Dins sei, so braucht
man nur das von mir Gesagte zu wiederholen und zu er-
widern, nämlich daß die Einteilung der Dinge in wirk-
liche und Gedanken-Dinge schlecht ist, und deshaB> mit
sohlechtem Grunde gefragt wird, ob das erdichtete
Ding entweder ein wirkUches oder ein Gedanken-
Ding sei; denn man setzt dabei fälschlich voraus,
daß alle Dinge sich in wirkliche und Gedanken-Dinge
einteilen lassen. 80
DU Mnftflit ^^^ kehre indes zu meiner Aufgabe
ut j>img^ zurück, von der ich schon etwas ab-
gekommen bin. Ans der Definition, oder,
wenn man lieber will, aus der Beschreibung, die ich
oben von dem Dinge gegeben habe, kann man leicht
ersehen, daß die Dinge einzuteilen sind in Dinee^
die vermöge ihrer Natnr notwendig existieren, oder
deren Wesenheit das Dasein einschließt, und in Dinge,
deren Wesenheit das Dasein nur als möglich ein-
schließt Letztere tdlen sich in Substanzen und in 40
Zustände, deren Definitionen T. I § 61, 62 und 66 der
Printipien der Philosophie gegeben sind, weshalb ich
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112 Anhang. Teil L K^»« 1- 2-
sie hier nicht za wiederholen brauche, loh will über
diese EinteOung nur so viel bemerken, daß ich aus-
drücklich sage, die Dinge teilen sich in Substanxen
und Zustande, nicht aber in Substanaen und Ajc-
cidenzien; denn das Accidenz ist nur ein Zustand des
Denkens, da es nichts als eine Beziehung ausdruckt
Wenn ich z. B. sage, daß ein Dreieck sich bewegt, so ist
die Bewegung nicM ein Zustand des Dreiecks, sondern
des bewegten Körpers; deshalb heißt die Bewegung
10 rücksichtlich des Dreiecks zufällig (aeddens), allein
mit Bezug auf den Körper ist sie ein wirkliches Ding
oder ein Zustand; denn eine Bewegung kann ohne
Körper nicht vorgestellt werden, wem aber ohne
Dreieck, »i)
Femer will ich, damit man das Bisherige und
das Folgende besser verstehe, zu erklären versuchen,
was unter ,ßein des Wesens" (esse essentiae), ,J3ein des
Daseins** (esse existentiae), ,ßein der Idee^ (esse ideae)
und endlich unter »ßein der Möglichkeit" (esse potentiae)
20 zu verstehen ist Dazu veranlaßt mich auch die Un-
wissenheit manche, die zwischen Wesen und Dasein
keinen Unterschied anerkennen, oder wenn sie es tun,
das Sein des Wesens mit dem Sein der Idee oder dem
Sein der MögUMceit vermengen. Um diesen und der
Sache möglichst zu genügen^ will ich d^i Gegen-
stand im folgenden so t^ostimmt» als ich vermag,
erkl&ren.
Zweites Kapitel»)
Was unter den Sein des Wesens, den Sein des Daseins,
80 4en Sein der Idee und dem Sein der MOgliehkeit zu
verstehen Ist.
Um klar zu verstehen, was mit diesen vier Aus-
drücken gemeint ist, braucht man sich nur das vor
Augen zu halten, was ich über die unerschaf fene Sub-
stanz oder über Gott gesagt habe, nämlich:
iMe «tacMüft ^* ^^ ^^** '^ eminentoT Weise das
HmäimTmimmdm' enthält, was formal in den eeschaf-
W€iM im o<tu, fenen Dingen angetroffen wird, d. h.
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Sein def WaMoi, DaMioi, 6m Idee il 4tr MOglicbkeit 118
dafi Gott eolcke Attribute ktA, in denea alle my
sobaffeneH Duge in eminenter Weise entfa&iteoi
mä. Daiiber sehe man T. I, Gr. 8, und Zus. 1 zu
I^hirs. 12. £!o stellt man sich z. R die Ausdehnung
deutKoh c^hne alles Dasein vor, und da sie somit
dnreh sich seS>st keine Kraft nun Dasein hat, so ist
sie^ wie ieh geseigt habe^ von Gott erschaffen worden.
(Letzter Lehrsnts, T. L) Da nun in der Ursache min-
destens ebensoyi^ an Vollkommenfaeit enthalten sein
mnfi, wie in der Wiricung ist^ so folgt, daß alle Voll- 10
kommenheiten der Ausdehnung in Gett enthalten sind.
Indes haben wir q)äter gesehen, daß eine ausgedehnte
Sache ihrer Natur nach teilbar ist, d. h. eine Un-
veHkommenheit enthält, deshalb haben wir Gott diese
Unvc^ommenheit nicht zuteilen können (Lehrs. 16, I)
und waren somit zu -dem Anerkenntnis genügt» daß
in Gott ein Attribat enthalten ist, das alle VoHkommen-
heiten des Stoffes in eaunentem Ibße enthalt (ErL
zn Lehrs. 9, I), und das die Stelle des Stoffes ver-
treten kann. 90
2. daß Gott sich selbst und alles andere kennt,
d. h. daß er alles gegenständlich in sich hat (Lehr-
satz 9, X.)
3. daß Gott die Ursache aUer Dinge ist; und
daß er aus unbedingter WiUenafreibeit handelt.
WMMiifcrtoi Hieraus ist klar zu ersehen, was
Am dm TTwuii^ uuter diesou Tier Bestimmungen zu ver-
im iktseimß, Ut Stehen ist Zunächst ist das Sein des
f^^T^J*^ Wesens nur der Zustand, vermöge
^Hl^üü^^ dessen die geschaffenen Dinge in Gottes 80
Attributen befaßt werden; dius Sein der
Idee heißt, daß alles gegenständlich in der Idee
Gölte enthalten ist» und das Sein der Meglichkeit
bedeutet nur die Hadit Gottes, vermöge deren er alles
noch nicht Vorhandene aus seiner unbedingten Wil-
lensfreiheit erschaffen konnte; endlich ist das Sein
des Daseins das Wesen der Dinge außerhalb Gottes
und an sich betrachtet; es wird den Dingra zage-
sdirieben, nachdem sie von Gott geschaffen sind.
Hieraus ergibt dch klar, daß diese 40
r«iTi«jiiiwjiii ^^ Bestimmungen sich nur in den ge-
munOiMm sohaffensn Dingen, aber keineewegt in
SplAOB», ftiMlpl«A TM INMMtM. 8
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114 AiUmDg. TedL Kqp.8.
«fafcMM^«» am Gott, imtecsclieidaL Denn von Gott kann
rfaii!fTm '^''^^ "^ ^'^^^ vorstdien, daO er der
düZim-. Möglidikeit nach in einem anderen g^
Wesen sei, imd ran Dasein und sein
Denken ist von seinem Wesen nidit veraehieden.
Hieniach kann ieh leicht auf FVagen,
;j^^T^"^ die hin und wieder über das Wesen auf-
ü^BMrJ^Z geworfen werden, antworten. Es sind
We9eiu. die folgoiden: Ob das Wesm ndk von
10 dem Dasein wUeretheidet, und^ wetm dies
der Fall, ob es etwas wm der Idee Versckiedtmes ist, «nut»
foenn dies der Faü, ob es alsdann ein ßein außerhalb
des Verstandes hat; welches letztere man allerdings zu-
gestehen maß. Auf die erste Fräse antworte ich
mit einer Unt^scheidong; nämlich bei Gott ist das
Wesen vom Dasein nicht verschieden, da sein Wesen
ohne Dasein nicht gedacht werden kann; di^egen
miterscheidet sich in den Rurigen Dingen das Wesen
vom Dasein; denn es kann <^e letsteres vorgestellt
20 werden. Axd die zweite Frage antworte ich, uß die
Dinge, welche außerhalb des Verstandes klar nnd
denttich oder wahrhaft vorgestellt werden, etwas von
der Idee Verschiedenes sind. Indes fragt man hier
von nenem, ob dieses Sein außerhalb des Verstandes durdi
sich selbst oder von Oott geschaffen ist Hierauf antworte
ich, daß das formale Wesen nicht durch sich
ist und auch nicht geschaffen ist; denn beides würde
das wirkliche Dasein des Dinges voraussetzen; viel-
mehr hangt es bloß von dem göttlichen Wesen ab, in
80 dem alles enthalten ist; in diesem Sinne stimme ich
denen bei, die sagen, das Wesen der Dinge sei ewig.
Man könnte ferner fragen, wie unr vor der Erkenntnis
der Natur Gottes das Wesen der Dinge erkennen kSwnen,
da sie doch, wie ich eben gesagt^ nur von Gottes
Natur abhängen. Hierauf antworte ich, daß dies dar
her kommty daß die Dinge schon geschaffen sind;
wären sie noch nicht geschaffen, so gebe ich voU-
ständi^ zu, daß ihre Erkenntnis erst nach der
zureichenden Erkenntnis Gottes möglich wäre, ebenso
40 wie es unmöglich ist» ja noch unmöglicher, aus der
noch nicht erkannten Natur der Parabel die Natur
ihrer Abscissen und Ordinaten zu erkennen.
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Was notwendig, unmöglich, möglich vu zuftllig ist. 115
W9ähmib itr Ich bemerke ferner, daß allerdings
J^^^^JJ^^ das Wesen der noch nicht existierenden
«iat wmm» auf Zustande in ihren Substanzen begriffen
disAUHkvu ist, und daß das Sein des Wesens dieser
^'^'^«VT**" Zustände in ihren Substanzen enthalten
^^' ist; indes habe ich doch auf Gott zu-
rückgehen wollen, um das Wesen der Zusfönde und
der Substanzen überhaupt zu erklären, und weil das
Wesen der Zustände erst nach der Erschaffung ihrer
Substanzen in diesen enthalten ist^ ich aber nach lO
dem ewigen 8&in des Wesens geforscht habe.
wtoudb dm- Hiemach halte ich es nicht für der
F«r/a«Mr<u« Müho wort^ die Schriftsteller, welche
T>9fimtion wm anderer Ansicht sind, zu widerlegen und
MdiT^f^rt. *^'® Definitionen und Beschreibungen des
auffwtn. ^Qg^ng ,jjj^ ^iQg Daseins zu prüfen. Ich
würde damit eine klare Sache nur verdunkeln; denn
was kann man deufUcher einsehen als das, was Wesen
und Dasein ist; kann man doch keine Definition einer
Sache geben, ohne zugleich ihr Wesen zu erklären. 20
wst dm- uMm-' SoUte ein Philosoph noch zweifeln,
•oded jwiMAm ob bei den geschaffenen Dingen das
iTcMM un4 Da- Woseu vom Dasdu verschieden ist, so
Min leichjMu braucht er sich zur Hebung seines
^*^'* Zweifels nicht viel mit Definitionen von
beiden zu bemühen; er braucht nur zu irgend einem
Bildhauer oder Holzschneider zu gehen; diese werden
ihm zeigen, wie sie eine noch nicht existierende Bild-
^ule in bestimmter Ordnung sich vorstellen, und nach-
her werden sie ihm die daseiende vorhalten. 30
Drittes Kapitel.*»)
Über das, was notwendig, nnmöglieh, möglieh und
znflOligist.
WMunurdiete» Nachdem ich somit die Natur des
***?T*^ Dinges als solchen erklärt habe, wende
' ich mich zu der Erklärung emiger seiner
Beetimmungen. Ich verstehe ibrigens unter Bestim-
mungen (affectiones) das, was Descartes anderwärts
8*
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116 Anhang. Teil L Kap. 8.
in § 62 T. I seiner Prin^ien mit Ättrünäen be-
zeicnnet hat Denn das Ding als solches und für sich
allein, als Subetanzy affiziert uns nicht; deshalb mnß es
durch ein Attribut erklärt werden, von dem es selbst
indessen nur d^n Gesichtspunkt des Denkens nach ver-
schieden ist. Ich kann mich deshalb nicht genug über
den übertriebenen Scharfsinn derer wundem, die^ nicht
ohne grollen Nachteil für die Wahrheit, nach einem
Mittleren zwischen Din^ und Nichts gesucht luiben«
10 Indes will ich mich mit der Widerlegung ihrer Irrtümer
nicht aufhalten, da sie selbst bei il^en Versuchen,
eine Definition solcher Zustande zu geben, in ihre
eigenen öden Spitzfindigkeiten sich ganz verlieren.
DeAnUion dm- ^^^ "^'^^^ daher uur meine Ansicht
B^Smmungm. ^^^ ^^^ Sage, daß uutor ^Bestimmungen,
des Dinges* gewisse Attribute zu verstehen
sind, unter denen man das Wesen oder Dasein eines Dinges
auffaßt, die aber doch nur dem Oesiehtspuhkt des Denkens neu^
von ihm unterschieden werden. Ich will versuchen, einige
20 davon (denn ich unternehme nicht, sie alle zu ^-
örtem) hier zu erklaren und von Benennungen, die
keine Zustande des Dinges bezeichnen, zu sondern«
Zunächst will ich über das Notwendige und Unmögliche
handeln.
Auf «oM viäu 'f ^ ^^^^ Weisen heißt eine Sache not-
TPaifftnCTfigfgffn- woudig uud uumSgUch: entweder in Be-
tutnd notwmtdig zug auf ihr Wesen oder in Bezug auf ihre
und ^nts^h Ursache. In Bezug auf das Wesen wissen
^anw «oanton ^j^,^ j^ q^^^ notwendig existiert; denn
80 sein Wesen kann ohne sein Dasein nicht
begriffen werden; dagegen ist eine Chimäre we^en des
Widerspruchs in ihrem Wesen nicht fähig zu existieren.
In Bezug auf ihre Ursache heißen Dinge^ z. B. kör-
perliche, unmöglich oder notwendig; denn achtet man
nur auf ihr Wesen, so kann man dieses klar und deut-
lich ohne ihr Dasein begreifen; deshalb können sie nie-
mals durch die Kraft oder Notwendigkeit ihres Wesens
bestehen, sondern nur durch die Kraft ihrer Ursache,
d. h. Gottes, als des Schöpfers aller Dinge. liegt es
40 also in dem göttlichen Beschluß, daß ein Sisiche
existiert, so existiert sie notwendig; wo nicht, so ist es
unmöglich, daß sie existiert Denn es ist selbstverständ-
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Wm notwendig, «naiOglioli, möglich ti. mflülig ist ll7
]icht daß da8p was weder eine innere noch Mne inßere
ürsaohe für nein Daaein hat^ unmöglich existieren
kann; nun wird aber die Sache in diesem sweiten Falle
80 angenommen, daß sie weder kraft ihres Wesens,
nnter dem ich ihre innere Ursache verstehe^ noch
vermöge gottlichen Beschlusses, als der einzigen äuße-
ren Ursache aller Dinge, existieren kann, woraus
folgt, daß die in diesem zweiten Falle von mir ange-
nommenen Dinge unmöglich existieren können.
Deshalb kann man 1. sehr wohl 10
2J'Jj2iri«>« ^^ Chimäre, da sie weder dem Ver-
vM-iHmf Stande noch der Einbildungskraft ange-
hört, ein Wort-Ding nennen, da sie nur
durch Worte ausg^ückt werden kann.
So spricht man z. B. wohl in Worten von einem vier-
eckigen Er^e^ aber man kann ihn sich nicht vor-
stellen, noch weniger ihn erkennen. Deshalb ist die
Chimäre nur ein Wort, und so kann die Unmöglich-
keit nicht zu den Bestimmungen eines Dinges gerech-
net werden, da sie eine reine Vemräiung ist 20
i>M«rMk«f«»en ^ *** *^ bemerken, daß nicht bloß
2>J^Mfvl!r ^^ Dasein der geschaffene Dinge,
otm» wm^ wu sondern, wie ich später im zweiten Teile
ikrtm Damin j^ar boweiseu werde, auch ihr Wesen
"^ ;2r '^d ihre Natur bloß von Gottes Beschluß
abhängt Eieraus erhellt, daß die ge-
schaffenen Dinge an sich selbst keine Notwendigkeit
haben; denn sie haben von sich selbst weder ihr
Wesen noch ihr Dasein.
j}u 3. bemerke ich, daß die, vermöge 80
Natwmdigkiit, der Urssche^ in den Dingen enthaltene
j2Lr** ^^mJT Notwendigkeit sich entweder auf ihr
Mr^^i7^*Jdül Wesen oder auf ihr Dasein bezieht, da
iwMwi, umäkt dies beides in den geschaffenen Dingen
riA€ntw$derauf verschieden ist; denn jenes hängt von
^ o^Td^' ^^ ewigen Gesetzen der Natur ab, dieses
Aer uiQßttiät aber von der Reihe und Ordnung der
nicht Ursachen. Dagegen ist in Gott Wesen
und Dasein nicht verschieden und des-
halb auch die Notwen<ügkeit seines Wesens nicht von iO
der seines Daseins verschieden. Könnten wir daher die
ganze Ordnung der Natur erfassen, so würden wir
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118 AnhaDg. Teil L Kh>. 3.
fmden, daß vieles, dessen Natur wir klar und deuflich
auffassen, d. h. dessen Wesen notwendig derart ist»
in keiner Weise Dasein haben kann; denn wir würd^i
finden, daß das Dasein solcher Dinge in dBt Natur
ebenso unmöglich ist, als wir es für unmöglich
halten, daß ein groß^ Elefant durch ein Nadelohr
gehen kann, obgleich wir die Natur beider deutlich
erkennen. Also würde das Dasein solcher Dinge
nur eine Chimäre sein, die wir weder uns ausdenken,
10 noch erkennen könnten.
Dm MögUdu ^^ ^®^ ^^^ Notwendigkeit und Un-
und zufätu^ möglichkeit Ich füge einiges über das
iind Mm Zufällige und Mögliche hinzu, da manche
^^*'T**Jf* sie für Bestimmungen der Dinge halten,
^^*^ während sie in Wahrheit nur ein
Mangel unseres Verstandes sind. Ich will das klar
darlegen, nachdem ich erklärt habe, was unter beidem
zu verstehen ist
WatuiUerdem EJn jQ^^ h^ißt möglidk, wmn man
^ ^^v^htTd^m^ ^"'^'* '**** twrÄfemfo Vrsackt lunnt, aber nkht
Zufoaiffm Mu toeiß, ob diese ürsadhe vollständig bestimmt
venuK§n M. (determinota) ist Deshalb kani\ man auch
es selbst nur als möglich, aber nicht als notwendig
oder unmöglich ansehen. Sieht man aber einfach nur
auf das Wesen eines Dinges und ni^ht auf seine Ursache, so
wird man es zufäüig nennen, d.h. man wird es sozu-
sagen als ein Mittelding zwischein Gott und der Chimäre
ansehen, weil man von selten seines Wee^ut keine Not-
wendigkeit des Daseins in ihm antrifft, wie bei dem
30 göttlichen Wesen, noch auch einen Widerspruch oder
eine Unmöglichkeit, wie bei der Chimäre. Will man
das, was ich möglich n^me, zufällig, und das, was ich
zufäüig nenne, möglich nennen, so will ich dem nicht
entgegentreten, da ich nicht gern um Worte streite.
Es genügt mir, wenn man zugesteht, daß beides nur
ein Mangel unserer Einsicht, ab^ nichts Wirkliches ist
j^ Wer dies bestreiten will, dem kann
Mögiiciu %ma sein Irrtum leicht nachgewiesen werden.
zufsoig* Ui Mir Gibt er nämlich auf die Natur, und wie
fW ^J^^^^^ sie von Gott abhängt, acht, so wird er
nichts Zufälliges an den Dingen finden,
d. h. nichts, was der Sache nach existieren oder nicht
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Wm notwendig, immOglioh, mOgliob n. tnfUlig üt. 119
ezisiieren kam, oder was nach dem gewöhnlichm
Anadrnek ein wtrJdidM Zufdüige^ (ctmtm^m rmSU) M.
Bb tfgibt sich diee leicht au Gr. 10, T. I, wo ich
l^eieigt^ daß ebensoviel Kraft zur Erschaffung eines
Dinses wie so dessen Eitaltang nötig ist Deshalb
voUBringt kräi erschaffenes Ding etwas durch eigene
Kraft, so wenig, wie ein ers^Aaffeues Ding durch
sräie dgene ZjniX m existieren binnen hat Daraus
folgt, daß alles nur durch die Kn^ der alles er-
zeugenden Ursache, d. h. Gottes, geschieht» der durch 10
seine Mitwirkung in den einielnen Zeitpunkten alles
fortgesetzt erzeugt Wenn also alles nur Termöge
der göttlichen ICacht geschieh^ so ist lacht einzu-
wkü&kj daß aUes» was geschieht» nur kraft des
Beschlusses und Willens Gottes geschieht Da nun
in Gott keine Unbeständigkeit und kein Wechsel vor-
handen ist, so muß er nach Lehrs. 18 und Zus. zu
Lehrs. 20, I alles, was er hervorbringt» von Ewig-
keit her beschlossen haben hervorzubringen, und da
für kein Ding ein in höherem Grade notwendiger SK)
Grund für seine Existenz gilt, als daß Gott seine
kommende Existenz beschlossen hat, so folgt, daß in
allen erschaffenen Dingen die Notwendigkeit ihres
Daseins von Ewi|^keit vorhanden gewesen ist Auch
kann man sie mcht zufällig nranen, weil Gott es
anders habe beschließen können; denn in der Ewig-
keit gibt es kein Wann und kein Vor und Nach, noch
irgend eine Bestimmung der Zeit» und daraus folgt,
diu} Gott vor diesen Beschlüssen nicht existiert hat,
sodaß er es anders hatte beschließen können. 80
Was aber d^ mensohliohen Willen
^mvmn^^ anlangt» den ich frei genannt habe, so
ymmTwA ^'d auch dieser nach Zus. zu Lehrs. 16,
im Yorhmu- T. I duTch Gottes Mitwirkung erhalten,
*'*"**"'222r ™* ^'^ Mensch will oder wirkt etwas,
i^^Z!^SSa^ ^®^ *®"^ ^^^ Gott von Ewigkeit her be-
v«rte«id. schlössen hat» daß er es so wolle und
tue. Wie dies i^r ohne Aufhebung der
menschlichen Freiheit möglich ist, überschreitet unser
Fassungsvermögen; doch darf man deshalb das» was 40
man klar einsieht» nicht wegen dessen, was man nicht
weißt, verwerfen; denn wenn man auf seine Natnr
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lao Anhang* TcU L Km^S.4.
aabOfti wo erkemt bmu klar mid deiiilieii^ dafl mn
kl seiBen HMidhmgeii frei Ist^ «ad daß maoi tides
ttierlagt; bk)ß weil maa ea iriD, und wenn man nuf
Goties N&tor acktha^ ao erkennt man auok, wia kk
eben gezeigt» Uar uid damflich, daß alles von ihm
ahhangt^ od daß aUea mir verhanden ist^ weil es
so von Ewigkeit her vou Gott beaohloBsen wosden
ist Aber wie der mensehfiohe Wille toh Gott in den
wagehiflfn ZeitpiodLien so weitererschaffen wird, daß
10 er frei bleUit» das weiß man nicht; denn es gibt
▼iedea» was unsere nummgakraft ftberateigt, nnd ¥oa
dem man dock weiß^ daß Gott es getan bat^ wie
a B. iene wirkliche TeilEBg des Stoifes in unendlich
viele Teilchen völlig nbeneagead von mir, Lahrs. 11^ U,
bewiesen wcvden lat^ obgleich man nicht weifl^ wie
sie möglich ist Wenn man daker an Strile der be-
kannten Sache zwei Be^ff e, das MöglUhe und das 3Sm-
f4üig9, aonimmty so beaMchnen dieae nur dnen liaagel
unserea Wiasens rncksichtUch der Existenz der Sacae.
20 Viertes EapiteL
Über die Ewigkeit, ite Hauer und die 2Sett.*«)
Indem ich oben die Dinge in aolohe eingeteilt
habe, deren Wesen daa Dasein eineckließt» und in
Bolehe^ deren Wesen nur ihr mögliches Dasein ein*
schließ^ entateht daraus der Unterschied Ewischen
Ewigkeit und Dauer. Über die Ewigkeit werde ich
spater ausMkrlioher sprechen.
w^m0 Hiar sage loh nur, daß aie das
aiti^tid; «MM Si« AiMbut ist^ unter dem idi dae unmdHeke
80 J^»mrum€Me Dasein €hUe8 begreif e, dagegen ist die Dauer
^«* ^' ^ae Attribut, untler dem iek daa Dasein der
enehaffenm Dinge, $o wie sie in ihrer WirklidUeeit he-
hMTreUf begreife. Daraus folgt klar, daß die Dauer von
dem ganzen Dasein eines Dinges nur dem Gesicbts-
pvnkt des Denkens nach antoroehiedeii wird^ da man
das, was man der Dauer eines Diivges absieht, auch
seinem Dasein abziehen muß. Um dies an bestimmen»
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Von dem 6<egeimts, der Ordnnikg n. s. w. Ifll
vergleicht maa eB mit der Dauer der Dinge, die
eine feste und bestimmte Bewegung habein, und nennt
diese Vergleidkumg die Zeit. Da£»r Iflt die Zeit keine
Bestimmung der Dinge, sondern nur eine Art, sie
jBt denkM, d. h. wie ich gesagt^ mk Gedanken*
Ding; sie ist eine Art zu denken» die mr firkfimn^
der Daner dient Ich b^nerke hier, was spftter bei
der Beqpreohimg der Ewigkeit von Nataen sein Wird,
dafi die Dauer gröBer und kleiner und gletchaam aus
Trikn bestdiend vorgestellt wird^ und «ß die Dauer 10
nur ein Attribut des Dasdns, aber nicht des Wesens ist
Fünftes Kapitel.
Ton den Ctogeiiaats, der Ordmuig u. i. w."*)
Aus der Vergleichung der Dinge entstehen einige
Begriffe, die jedoch außerhalb der Dinge selbst nichts
sind als Zustände des Denkens. Dies ergibt sich
daraus, dafl^ wenn man sie als außerhalb des Denkens
bestehende Dinge betrachten wollte, man den klaren
Begriff, den man von ihnen hat, sofort zu einem ver-^
worrenea machen würde. 20
wagdärovn^' Dergleichen Begriffe sind: Gegen-
aaU,äUOr»mng, gaU, Ordnung, Übereinstimmung, üniereekied,
*• '^•^•**' Subjekt, Prädikat, und etwaige ähnBche
MndZd,dM mehr. Diese Begriffe werden von uns
subjM, da» deutlich vorgestellt, solange wir sie nicht
jvMfta««.«.«r. als otwas auffewsen, was von dem Wesen
*^ der entgegengesetzten oder geordneten
Dinge u. s. w. verschieden ist, sondern wenn wir sie nur
als Zustände des Denkens nehmen, mittels deren wir
die Dinge leichter behaJten oder vorstellen. Ich halte so
es deshalb nicht für nötig, hierüber noch weiter zu
st>rechen, sondern Ich gehe zu den sogenannten trans-
scenden^en Ausdrücken über.
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122 Anhang. Teil I. Kap. 6.
Sechstes Kapitel •<)
filber 4m Elme, Walire ud Gate.
Dieae Aasdrficke werden beinahe von allen Meta-
physikem für die allgemeinsten Beschaffenheiten des
Seienden gehalten: sie sagen» daß jedes Ding eines»
wahr und gut sei, auch wenn niemand es denkt Indes
werden wir sehen, was man daranter za YerBtehen
hat, wenil ich jeden dieser Ausdrücke ffir sich unter-
snoht haben werda
^^ DU jMüMi ^^ beginne mit dem erstra, d. h.
mit dem Einen. Man sagt, dieser Aus-
druck bezeichne etwas Wirkliches aoQ^halb des Den-
kens; allein man kann nicht angeben, was er za dem
Dinge hinzufügt Dies zeigt deuüich, daß man hier ein
Gedanken-Ding mit einem wirklichen Dinge vermenget,
und dadurch wird das, was man klar einsieht, ver-
worren gemacht Ich behaupte dagegen, daß die Ein-
heit in keiner Weise von dem Dinge selbst verschieden
ist^ oder daß sie dem Dinge nichts hinzufügt, sondern
20 daß sie nur eine Art des Denkens ist, wodurch man
die Dinge von einander sondert, die einander ähn-
lich sind, oder die mit einander in gewisser Weise
übereinstimmen.
Der Einheit ist die. Vielheit entgegen-
iMM^m^ött gösetzjj, die ebenfalls den Dingen nichts
äu^aitrcunua) hinzufügt Und nur eine Art des Denkens
und imufUfem ist, wlo man klar und deutlich erkennt.
rZt^ihü!^ Auch sehe ich nicht, was über einen
nHwri^kMii. ^^ klaren Gegenstand noch zu sagen
30 ' wäre; nur bemerke ich noch, daß Oott,
sofern man ihn von anderen Dingen sonder^ einer
genannt werden kann; daß er sher, sofern man er-
kennt» daß nicht mehrere gleichen Wesens bestehen
können, eimig genannt werden kann. WoUte man
aber die Sache genauer prüfen, so könnte ich vielleicht
zeigen, daß Grott nur uneigentlich Einer und 'Ein-
ziger genannt wkd; indes ist diese Frage für die,
welche nur um die Sache und nicht um Worte sich
kümmern, nicht von großer, ja, von gar keiner Er-
40 heblichkeit Ich übergehe dies daher und wende mich
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Das Eioe, Wthre nnd Ghite. 183
zu dem zweiten Ausdrack, von dem ich mit ffleioher
Sorgfalt das» was daran falsch ist» angeben wÜL
Um die beiden Ausdrücke» da» Wahre
^5J22Sä« ^^ ^^ Falsche, richtig za Verstehen»
„looJbr- und will ich mit der Wortbedeutung beginnen»
JaUA'* hei der woraus sich ergeben wird» daß sie nur
^•~^~^^ äußerliche Bezeichnungen der Gegen-
^,^^1^^ Blande sind und d^ Dingen nur in red-
nerischer Weise beigelegt werden. Allein
da die Hen^e zuerst die Worte eilundenhat» die nach- 10
her der Philosoph geraucht, so ist es für den» der
nach der ersten Bedeutung eines Wortes sucht» von
Interesse» zu ermitteln» was das Wort zunächst bei
der Menge bezeichnet; besonders wenn andere Gründe
fehlen» die zur Ermittelung dieses Sinnes aus der
Natur der Sprache entnommen werden konnten. Die
erste Bedeutung von wahr und falsch scheint bei Ge-
legenheit der Erzählungen entstanden zu sein; die-
jenige Erzählung wurde wahr genannt» welche eine
Tatsache betraf» die sich wirklich ereignet hatte» und ao
diejenige war falsch» die eine Tatsache betraf die
sich nirgends zugetragen hatte. Allein die Philosophen
b^iutzten diese Bedeutung nachher zur Bezeichnung
dw Übereinstimmung der Idee mit ihrem Gegenstände
und umgekehrt; deshalb heißt diejenige Idee wahr»
welche uns die Sache so zeigt» wie sie an sich ist»
und falsch die, welche uns die Sache anders darstellt»
als sie wirklich ist; denn die Ideen sind eben nur
geistige Erzählungen oder Geschichten der Natur. Von
hier sind dann £e Worte bildlich auf die stummen ao
Gregenstände übertragen worden; so nennt man das
Grold wahr (echt) oder falsch» gleich als ob das
von uns vorgestellte Geld etwas von sich selbst er-
zählte» was an sich ist oder was nicht ist.
Deshalb sind die im Irrtum» die den
^"iJ taA^*" Ausdruck „wahr'* für transscendental oder
tranBeemdentaUr ^^ ^^^^ Bestimmung dss Gegenstandes
AtudrudB. ansehen; vielmehr kann er von den
Dingen selbst nur uneigentlich» oder»
wenn man lieber will» nur rhetorisch gebraucht werden. iO
über dm Wenn man ferner fragt» was die
Unhr$eMed der Wahrheit abgesehen von der wahren Idee
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Id4 Anhing. Teil I. Kap. 6.
wäkrMiwmämr sei, SO frage man auch, was daa Weiße
wihtrm läM. Qjjjjg j^jj weißen Körper sei; denn beide
verhalten sich hier zu eisiander in gleicher Art und
Weise.
Ober die Ursache des Wahren und Falschen habe
ich schon oben gehandelt, ich habe deahalb nichts
weiter darüber su bemerken, und selbst das hier Ge-
sagte wäre nicht nötig gewesen, wenn nicht die Schrift-
steller in dergleichen Spielereien sich so verwickelt
10 hätten, daß sie sich nicht wieder herauswinden konnten
und nutsdos Schwierigkäten suchten.
^^^ Die Eigenschaften der Wahrheit
»igm^pmA^r ^^ ^^ Wahren Vorstellung sind, 1. daß
wahrhäL sio klar und deutlich ist; 2. daß sie
DU QewfMBhäi allen Zweifel beseitigt oder, mit einem
XÄSa^ Worte, daß sie gewiß ist Wenn man
die Gewißheit in den Dingen suchte
täuscht man sich ebenso, als wenn man die Wahrheit
in ihnen sucht Man sagt allerdings: die Sache Ut nodk
^ungewiß; allein man nimmt dann rednerisch das Vor-
gestellte für die Idee, wie man auch eine Sache für
zweifelhaft erklärt; ausgenommen, daß man hier unter
Ungewißheit auch die Zufälligkeit versteht oder eine
Saäe, die in uns den Zweifel oder die Ungewißheit
erweckt Ich brauche mich nicht länger hierbei auf-
zuhalten, sondern gehe zu dem dritten Ausdruck
über, wo ich auch erklaren will, was unter seinem
Gegenteil 2u verstehen ist
Ein Ding für sich betrachtet, heißt
dO>^^^^^ weder gut noch böse, sondern nur in
ntatiw^Begriffe, Bücksicht auf ein anderes, dem es Idlft,
das, was es liebt, zu erlangen oder um-
gekehrt; deshalb kann ein und dieselbe Sache ]e
nach verschiedenen Rücksichten gut und böse ge-
nannt werden. Wenn z. B. der dem Absalon von
Ahitophel gegebene Bat in der Bibel gut genannt
wird, so war er doch für David der schlechteste^
da er seinen Untergang beabsichtigte. Auch gibt es
viele Güter, die nicht für jedermann Güter sind; so ist
40 das Heil für die Menschen gpit, aber für die unver-
nünftigen Tiere und Pflanzen weder gut noch schlecht,
da es sich auf diese gar nicht bezieht Gott h^ßt der
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Dm Bine, Wahrt und Ghite. 196
höchste CMe, weil er allra hilft, mdem er durch seine
Mitwirkimg einem jeden sein Dasein erhält, was jedon
das Liebste ist Dagegen gibt es kein unbedingtes
Böse^ wie selbstverständlich ist.
Verlan^^ man aber nach einem
^y^^ff* metaphysischen Guten, das frei tob
tmehmoSTver' jeder Benehung ist, so steckt man in
Im«« habm, einer falschen Voranssetssong, indem
man den Unterschied im Denken mit dem
wirklichen und zoständlichen Unterschiede verwech- 10
seit Man nnterschddet zwip.chen der Sache selbst
imd dem in jeder Sache enthaltenen Bestreben, ihr
Dasem za erhalten, obgleich man nicht weiß, was
man unter „Bestreben'' versteht. Beide Begriffe sind
swar im Denken oder vielmehr den Worten nach
verschieden, was hauptsächlich irre geführt hat, aber
keineswegs in der Ssushe.
Um dies klar zu machen, will ich
D^^ dM ^^ Beispiel einor höchst einfachen Sache
^Tltir^^ hier vorführen. Die Bewegxmg hat die 20
dermibm^ m* in Kraft, iu ihrem Zustande zu beharren;
ormZiMtofMii aber diese Kraft ist in Wahrheit nur
7f,.T!jif^n»f!r *ö Bewegung seU)st, d. h. die Be-
ffftridan wegung ist von Natur so beschaffen.
Wenn ich nämlich sage, daß in diesem
Korper A nur eine gewisse Menge von Bewegung
enthalten ist, so folgt klar, daß^ so lange ich auf
diesen Körper achtgebe, ich immer sagen muß^ daß
er sich bewegt Denn wenn ich sage, er verli^e
seine Kraft, sich zu bewegen, aus sich sdbst, so er- dO
teile ich ihm notwendig etwas Weiteres zu dem in
der Voraussetzung Angenommenen, und dadurch ver-
liert er seine Natur. Sollte dieser Grund noch nicht
klar genug sein, so setze man, daß sein Bestreben,
sich zu bewegen, etwas Besonderes neben den Ge-
setzen und der Natur der Bewegung seL Wenn man
nun dieses Streben für ein metaphysisches Gutes hält,
80 wird auch entsprechend dieses Bestreben ein Be-
streben haben, in seinem Sein zu beharren, und dieses
Bestreben wird wieder ein anderes haben, und so fort 40
ohne Ende, was zu dem Widersinnigsten führt, was
man sich nur denken kann. Der Grimd, weshalb man
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126 Anhang. Teil L Kap. 6.
dies Bestreben des Dinges von ihm selbst unterschieden
hat, ist^ daß man in sich selbst das Verlangen findet»
sich za erhalten, und ein solches Verlangen in jeder
Sache voraussetzt
Nun stellt man die Frage, ob Gott
oh€hfU w>r dmr vor ErschaKung der Dinge gut genannt
^^xSCJT^f^ werden kann. Aus meiner Definition
uawH2twwden schoint ZU folgen, daß Gott ein solches
iMtm, Attribut nicht gehabt hat, da ich se-
10 sagt habe^ daß ein Ding, an sich be-
trachtet» weder gut noch schlecht genannt werden
kann. Dies schrät vielen widersinnig, obgleich ich
nicht weiß, warum. Denn man gibt Gott viele At-
tribute solcher Art, die ihm vor Erschaffung der Welt
nur der Möglichkeit nach zukamen; so z. B. nennt
man Gott den Schöpfer, den Richter, mitlddig u. s. w.
Deshalb brauchen derartige Einwendungen uns keine
Sorge zu machen.
In wdchvm Ebenso wie das Gute und Schlechte
^ 5«ii«»6 dot Foir- 1^^ beziehungsweise ausgesagt wird,
homm/nM rabrfjv Steht OS auch uut der VoUkommenheit,
uNd w wuhtm außer wenn sie für das Wesen der
^J^TU!T Sache selbst genommen wird, in welchem
Sinne ich oben gesagt habe, daß Gott
eine unendliche Wes^iheit oder daß er unendlich ist
Mehr will ich hier nicht hinzufägen, da ich das,
was sonst noch zu dem allgemeinen Teil der Meta-
physik gehört, für hinlänglich bekannt halte und es
deshalb nicht der Mühe verlohnt dies noch weiter zu
30 erörtern.
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Des
Anbanges metaphysischer Gedanken
Zweiter Teil,
in dem hauptsachlich das kurz erläutert wird, was
in dem besonderen Teile der Metaphysik über Gott,
seine Attribute und den menschlichen Geist gewöhn-
lich gelehrt wird «0
Erstes Kapitel
Ülber die Ewigkeit Gottes.
Bimushmg der Ich habe schon oben gezeigt» daß 10
***'*'*'*^ es in der Natur der Dinge nur SuIh
stanzen und Zustande derselben g^bt; man darf
dedialb hier nicht erwarten, daß ich etwas über
die substantiellen Formen und die wirklichen Ac-
cidenzien sagen werde; denn dies und anderes dies^
Art sind törichte Vorstellungen. Femer habe ich
die Substanzen in zwm Hauptgattungen eingeteilt,
nämlich in die Ausdeihnung (eoetemio) und in das Denken
(cogitaiio)^ und das letztere in das erschaffene Denken
oder m den menschlichen Geist und in das uner- 90
schaffene Denken oder Gott Das Dasein dieses habe
ich mehr als zur Genüge dargelegt; teils a posteriori,
d. h. aus der Idee, die wir von ihm haben^ teils a priori,
d. h. von seinem Wesen her, als der Ursache vom
Dasein Gottes. Indes habe ich manche seiner At-
tribute kürzer behandelt, als es die Wichtigkeit des
G^enstandes erfordert, und deshalb will ich dies hier
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1S8 JLnhang. Teil 11. E*p. 1.
nachholen nnd ansführlicher ^klären und dabei einige
andere Fragen zur Lösung bringen.
GiM itommt ^^ vomehmste Attribut, das vor
Mim Dauer «u. Mem ZU betrachte ist, ist die Ewigkeit
Gottes, womit wir dessen Dauer aus-
drücken; oder wir nennen vielmehr Gott ewig, um
ihm keine Dauer zuzuteilen. Denn die Dauer ist^ wie
ich im ersten Teil bemerkt habe, ein dem Dasein,
aber nicht dem Wesen der Dinge zukommender Zu-
10 stamd; man kann deshalb Gott, dessen Dasdn von
seinem Wesen kommt, keine Dauer zusprechen. Wer
dies tut, trennt sein Dasein vou seinem Wesen. Den-
noch stellt man die Frages ob Gott jetzt nicht eine
größere Zeit lang existiert als damals, wo er
Adam erschaffen hat; man halt dies für ge-
nügend klar und meint deshalb, es dürfe Gott
auf keine Weise die Dauer abgesprochen w^en.
Allein das ist eine unbegründete Voraussetzung, in-
dem man dabei annimmt, daß Gottes Wesen von seinem
20 Dasein verschieden ist Denn man fragt, ob Gott»
der bis zu Adam existiert hat, nicht von da ab
bis zu unserer Zeit noch langer existiert hat So-
mit gibt man Gott mit den einzelnen Tagen eine
längere Dauer und nimmt an, er werde gleichsam
von sich selbst fortwahrend geschaffen. Sonderte
man aber das Dasein Gottes nicht von seinen Wesen,
so würde man Gott keine Dauer beilegen, da
dem Wesen der Dinge in keiner Weise Dauer zu-
kommen kann; denn niemand wird je behaupten, daß
80 das Wesen des Kreises oder Dreiecks, insofern es
eiae ewige Wahrheit is^ jetzt länger als zu Adams
Zeit existiert hat. Femer ist die Dauer langer oder
kürz^, oder man stellt sie sich gleichsam aus Teilen
bestehend vor; hieraus folgt klar, daß man sie Gott
nicht beilegen kann; denn sein Wesen ist ewig, d. h.
es gibt darin kein Früher oder Später, und deshalb
kann man ihm niemals eine Dauer beilegen, ohne
gleichzeitig den wahren Begri^ den man von
Gott hat, zu zerstören, d.iL ohne das seiner
40 Natur nach Unendliche und nur als un^kdUch Voi>
stellbare in Teile zu sondern, d. L ifam eine Dauer
beizulegen.
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Die Ewigkeit Gottes. 129
iKc Gründe, Der Gruiid zu dieeem Irrtume der
^'^^H'^l^'' SchriftsteUer ist: 1. daß sie, ohne auf
mgeadirubeniud, ^^^^ ^^ achten, die Ewigkeit zu er-
klären versucht haben; als wenn die
Ewigkeit ohne die Betrachtung des göttlichen Wesens
erkannt werden konnte, oder als wenn sie etwas
Besonderes neben dem göttlichen Wesen wäre. Und
das ist wieder daher gekommen, daß man aus
Mangel an Worten sich daran gewöhnt hat, die
Ewigkeit auch solchen Dingen, deren Wesen von ihrem 10
Dasein verschieden ist> zuzusprechen (so wenn man
sagty es sei kein Widerspruch, daß die Welt von
Ewigkeit existiert hat) und folglich auch dem Wesen
solcher Dingei^ wenngleich man sie noch nicht als
seiend vorstellt; denn man nennt sie auch dann ewig.
2. weil man die Dauer nur insofern den Dingen zu-
spricht, als man annimmt, daß sie einem beständigen
Wechsel unterliegen, und nicht insofern, wie es von
mir geschieht, i£r Wesen von ihrem Dasein unter-
schieden wird. 3. weil man Gottes Wesen ebenso wie 20
das der erschaffenen Dinge von seinem Dasein ge-
trennt hat Diese Irrtümer waren der Anlaß zu jenem.
Denn der erste Irrtum, der die weiteren veranlaßte,
war, daß man nicht erkannte, was die Ewigkeit ist,
sondern diese selbst als eine Art von Dauer betrach-
tete. Der zweite Irrtum war, daß man nur schwer
einen Unterschied zwischen der Dauer der erschaf-
fenen Dinge und der Eiwigkeit Gottes auffinden konnte.
Der letzte Irrtum endlich war, daß man, obgleich
die Dauer nur ein Zustand des Daseins ist, Gottes 80
Dasein von seinem Wesen trennte und Gott, wie
gesagt» eine Dauer zuteilte.
D9r Begriff ^^ voA^ boGser einzusohen, was
aw ^^Mi, ^^ Ewigkeit ist» und wie sie ohne das
göttliche Wesen nicht begriffen werden
kann, muß man bedenken, wie ich schon oben ge-
sagt, daß die erschaffenen Dinge, d. h. alles außer
Gott, inuner nur durch die bloße Kraft oder durch
das Wesen Gottes bestehen und nicht aus eigener
Kraft Daraus folgt» daß das gegenwärtige Sein dieser 40
Dins^e nicht die Ursache ihres künftigen Seins ist,
sondern daß die Ursache nur in der Unveränderlich-
Spinoift, Pziiuipien Ton Deioartei. 9
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180 Anhang. Teil II. Kap. 1. 2.
keit Gottes Hegt Deshalb müssen wir sagen, daß
Gott, nachdem er zuerst ein Ding erscha&en hat^
es auch nachher stetig erhalten wird, oder daß er
diese Tat des Erschaffens ohne Unterlaß fortsetzen
wird. Daraus folgere ich, 1. daß man von dem ge-
schaffenen Dinge sagen kann, es erfreue sich (frui)
des Daseins; weil näi^ich sein Dasein nicht aus seinem
Wesen stammt Dagegen kann man von Gott nicht
sagen, er erfreue sich des Daseins» denn das Da-
10 sein Gottes ist Gott selbst, ebenso wie sein Wesen;
demnach erfreuen sich zwar die geschaffenen Dinge,
aber niemals Gott des Daseins. 2. daß alle ersch^-
fenen Dinge, während sie an der gegenwartigen
Dauer und dem Dasein teilnehmen, diese Dauer für
die kommende S^eit entbehren, weil diese ihnen un-
unterbrochen zugeteilt werden muß Von ihrem Wesen
aber kann man nicht das Gleiche sagen. Dagegen
kann man Gott, weil sein Dasein von seinem Wesen
kommt, kein zukünftiges Dasein zuteilen; denn dieses
20 Dasein, das er dann haben würde, ist ihm auch wirklich
zuzuerteilen, oder, um mich richtiger auszudrücken,
das wirkliche unendliche Dasein gebührt Gott in
gleicher Weise, wie ihm wirklich ein unendlicher
Verstand zukommt Dieses unendliche Dasein nenne
ich Etoigkeit; diese kann nur Grott zugeteilt werden,
aber keinem erschaffenen Dinge^, seltet dann nicht»
wenn dessen Dauer nach beiden Seit^i kein Ende
hat — So viel über die Ewigkdt Von der Not-
wendigkeit Gottes sage ich nichts, weil, nachdem ich
90 dessen Dasein aus seinem Wesen bewiesen habe, dies
nicht nötig ist. Ich gehe deshalb zur Einheit üb^.
Zweites Kapitel. 9»)
Über die Einheit Gottes.
Ich habe mich oft über die hohlen Gründe ge-
wundert, durch welche die Schriftsteller die Einheit
Gottes zu begründen suchen; z. B: ,,Wmn Einer die
Weit «rtckaffen konnte^ so ioaren die Übrigen nicht nöti^* ;
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Die ünermemichkeik Gottes. 131
oder „Wenn aües noeft demsdben Zide Hrebif wo iti e$
van einem Begründer ausgegangen'*; und dergleichen, das
man ans änfl^lichen B^ehungen oder Worten ab-
geleitet hat Ich will deshalb dies alles beiseite
lassMi und meinen Bew^ hier so klar nnd kors ab
möglich in folgend« Weise an&tellen:
00« M eUufa ^^ ^^ Attributen Gottes habe ich
^'^' die höchste Einsicht gwechnet und hin-
sagefügt» daQ Gott all seine Vollkommenheit von
si(UL nnd nicht von etwas anderen hat Soll es nnn 10
mehrere Götter oder höchst yollkommene Wesen
gfben^ so müssen sie alle höchst einsichtig sein,
und daza genügt nichts daß jedes nur sich s^bst
erkennt, viehnehr muß es alles erkennen, also so-
wohl sich als auch die übrigen Götter; daraus würde
aber folgen, daß die VolBcommenheit eines jeden
teils Yon ihm selbst teils von einem anderen ablunge.
Es könnte also dann nicht jedes ein höchst vollkommenes
Wesen sein, d. L, wie ich eben bemerkt ein Wesen,
das all seine Vollkommenheit von sich nnd nicht 20
von einem anderen hat; während ich doch eben be-
wiesen habe, daß Gott das vollkommenste Wesen ist»
and daß er existiert Daraus kann man also schließen,
daß nur ein Gott existiert; denn wären deren mehrere,
so müßte das vollkommenste Wesen eine ünvollkom-
menheit an sich haben, was widersinnig ist So viel
über die Einheit Gottes.
Drittes Kapitel**)
Über die UnermeAliehkeit Gottes.
inwUf^m Gou Ich habe oben gezeigt daß ^n 80
au ummuuich, oudliches Und unvoukommenes Ding^
^lü^llaidk ft^ d. h, ein solches, das an dem Nichts teü-
"^ll^M wir± ^^ ^^^^^ vorgestellt werden kann, wenn
man nicht vorher auf das vollkommene
und unendliche Wesen achtet^ d. h. auf Gott Des-
halb kann nur Gott allein unendlich genannt werden,
insofern man nämlich findet, daß er in Wahr-
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182 Anhang. Teil IL Kap. 8.
heit in unendlicher Vollkommenheit existiert. Indes
kann Gott unermeßlich oder unbegrenzbar auch in-
sofern genannt werden, als man bedenkt» daß es kein
Wesen gibt, durch das die Vollkommenheit Gottes
beschränkt werden konnte. Hieraus folgt, daß die
ünencUidikeH (inftnitas) Gottes, trotz des negativen Aus-
drucks, etwas höchst Positives ist. Denn man nennt
ihn nur insofern unendlich, als man auf sein Wesen
oder auf seine höchste Vollkommenheit achtet. Da-
10 gegen wird die ünermeßlichJceit (immensitas) Gott nur
beziehungsweise zuerkannt» denn sie gehört zu Gott
nicht, insofern er an sich als das vollkommenste
Wesen betrachtet wird, sondern sofern er als erste
Ursache gilt, die, wenn sie auch nur in Bezug auf
die untergeordneten Dinge die vollkommenste wäre,
dennoch unermeßlich sein würde, da es kein Ding
gäbe, folglich auch keines als vollkommener wie jene
Ursache vorgestellt werden könnte, durch das sie
begrenzt oder gemessen werden könnte. (Man sehe
20 das Nähere hierüber Gr. 9, T. I.)
Indes scheinen die Schriftsteller,
^^^o^'tfM wenn sie von der Unermeßlickkeit Gottes
unermeßiiehkeu Sprechen, mitunter Gott eine Größe
verdehi. (quantitas) beizulegen; denn sie wollen
aus diesem Attribut folgern, daß Gott
überall gegenwärtig sein müsse, wie wenn sie sagen
wollten, wenn Gott in einem Orte nicht wäre, so würde
seine Größe beschränkt sein. Dies erhellt noch mehr aus
einem anderen, von ihnen beigebrachten Grunde, durch
80 den sie zeigen, daß Gott unendlich oder unermeßlich
ist (denn dieses beides verwechseln sie mit einander),
sodaß er also auch überall ist. Wenn Gott, sagen
sie, reine Tätigkeit ist, wie es der Fall ist, so ist er
notwendig überall und unendlich; denn wäre er nicht
überall, so könnte er nicht überall, wo ^r will, sein,
oder er müßte notwendig (NB.) sich bewegen —
hieraus ergibt sich klar, &ß sie Gott die Unermeßlich'
keii beilegen, insofern sie ihn als eine Qröße (quantum)
ansehen; denn sie entnehmen aus den Eigenschaften
40 der Ausdehnung diese ihre Gründe für die Besfötigung
der ÜnermeßlichJceit Gottes, was durchaus wider-
sinnig ist
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Die ünermemiohkeit Gottet. 188
Dtr Bewu, daß Fragt man mich, woher ich be-
Gcu üb0raü mc. weisen will, daß Gott überaU sei, 80 ant-
worte ich, daß ich dies schon genügend
und hinreichend dargetan habe, als ich gezeigt» daß
kein Ding auch nur einen Augenblick existieren kann,
ohne nicht in den einzelnen Augenblicken von Gott
weitererschaffen zu werden.
Die AUffegmufoH Um indos die ÄUgegenwart Gottes
QciUa icann mtM oder Seine Gegenwart in den einzelnen
eruari uferdtm, j)ingen richtig ZU erkennen, müßte die 10
innerste Natur des göttlichen Willens durchschaut
werden, mittels deren er die Dinge erschaffen hat
und stetig forterschafft Dies ütorsteigt aber die
menschliche Fassungskraft, und deshalb kann nicht
erklart werden, wieso Gott überall ist
Manche nehmen eine dreifache Un-
iGf Unredu ermeßlichkeit Gottes an, die des Wesens,
dl^iSJJSr *®^ *^^* ™* schließlich der Gegen-
T^frmtiniehfrfit Wart; allein sie treiben ein leeres Spiel,
fikrfie» ange- da sio Offenbar zwischen dem Wesen 20
nommen, xmi der Macht Gottes einen Unterschied
annehmen.
Dasselbe haben andere offener aus-
i^*t^ jS^ gesprochen, indem sie sagen, Grott sei
W9»^Jduw^ überall, vermöge seiner Macht, nicht
aehiedmk. vormögo seluos Wesous; aJs wenn die
Macht Gottes von aU seinen Attributen
oder von seinem unendlichen Wesen verschieden wäre,
da sie doch nur ein und dasselbe ist Wäre dies nicht
so, so wäre die Macht entweder etwas Erschaffenes, 30
oder ein dem göttlichen Wesen nebenbei Zukommendes,
ohne welches das Wesen begriffen werden könnte;
was beides widersinnig ist Denn wäre sie etwas
Erschaffenes, so müßte die Macht Gottes von etwas
anderem erhalten werden, und dies würde zu einer
Reihe ohne Ende führen; wäre sie nur ein Nebenbei-
Seiendes, so wäre Gott, gegen das oben Erwiesene,
kein im höchsten Grade einfaches Wesen.
Diu gm auch EudUch wollen sie auch mit der
tfo» Mkur Vnermeßlickkeit der Gegenwart etwas 40
AQ^tftiMooH. laideres als das Wesen Gottes bezeich-
nen, durch das die Dinge geschaffen sind und
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184 Anhug. Teü IL Kap. 4.
stetig erhalten werden. Dies ist indes ein groBer
Widersinn, in den sie dadurch geraten sind, daß
sie den Verstand Gottes mit dem menschUchen
verwechselten und seine Macht oft mit der Macht von
Königen verglichen.
Viertes Kapitel, i^o)
Über die Unveribiderlielikeit Gottes.
jhb Begrifft Unter Veränderung verstehe ich hier
ätr vtTäfiAenuig jeden Wechsol, der in einem Dinge vor-
^^ J!l!!4i^ rZTii»- ^0°"*^®"^ isam, während seine Snbstans
forwSiL)!^^ unvermindert bleibt Gewohnlich ist die
Bedeutung weiter und umfaDt auch das
Verderben eines Dinges, das nicht vollständig ist,
sondern zugleich eine dem Verderben nachfolgende
Erzeugung enthält; z. B. wenn man sagt, daß der
Torf sich in Asche verändwt und die Menschen in
wilde Tiere. Die Philosophen benutzen indessen zur
Bezeichnung dieses Vorganges das Wort: üfnyHmd-
lung; hier spreche ich jedoch nur von der Ver-
20 änderung, bei der keine Umwandlung des Dinges
statthat, wie man z. B. sagt: Peter hat die Farbe
oder seine Gemütsart verändert
Es fragt sich nun, ob in Gott solche
'*lJSIicS?* Veränderungen statthaben. Über die
wandiwngmniehi Umwandlung brauche ich nämlich nichts
atau. ZU sagen, nachdem ich gezeigt^ daß
Gott notwendig existiert, d. h. cbß Gott
nicht aufhören kann, zu sein, oder sich nicht in einen
anderen Gott umwandeln kann, da er dann sowohl
80 aufhören würde zu existieren, als auch es dann
mehrere Götter zugleich geben würde, was beides,
wie gezeigt, widersinnig ist
Um das, was hier noch zu sagen
t^r^X^f^der ^^ bestimmter einzugehen, erwäge man,
vartfMi«nHi9«n. daß jodo Veränderufig entweder von
äußeren Ursachen ausgeht, ohne Rück-
sicht darauf, ob das betroffene Ding will oder nicht,
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Die UnTerftnderliohkeit Gottes. 185
oder von einer inneren Ursache und von einer Wahl des
Dinges. So kommt das Schwarzwerdein» das Erkranken,
das Wachsen des Menschen u. s. w. von äußeren
Ursachen, dort gegesi den Willen, hier nach dem
Wunsche des Menschen; dagegen kommt der Wille,
KU ^ehen, sich zornig zu zeigen u. s. w., von inneren
Ursachen.
Die erste Art von Veränderungen, die
^^^Mere ^^^ äußeren Ursachen ausgehen, finden
varündJ^. hei Gott nicht statt; denn er ist die 10
alleinige Ursache aller Dinge und leidet
von nichts. Dazu kommt, daß kein erschaffenes Ding
in sich gelbst die Kraft zu existieren hat, also noch
viel weniger die Kraft, etwas außerhalb seiner selbst
oder gegen seine Ursache zu bewirken. Allerdings
findet man in der Bibel oft erwähnt, daß Gott über die
Sünden der Menschen erzürnt und betrübt gewesen,
und dergleichen; allein hier wird die Wirkung für die
Ursache genommen, so wie man auch sagl^ die Sonne
sei im Sommer stärker und höher als im Winter, 20
obgleich sie weder ihren Ort yerändert, noch ihre
Kräfte wieder erlangt hat. Daß d^gleichen auch in
der heiligen Schrift oft gelehrt wird, ergibt sich
aus Jesaias, der in v. 2, Kap. 69 dem Volke vor-
hält: „Eure Schlechtigkeit trennt euch von eurem Ootte.**
xbmuowmig Ich gehe also weiter und unter-
^sne innere sucho;, ob in Gott durch Gott selbst
(a M ^p»o;. irgend eine Veränderung statthat Dies
kann ich nun nicht zugestehen, sondern bestreite es
durchaus; denn jede von dem Willen abhängende Ver- 30
änderung geschieh^ damit das Wesen seinen Zustand
bessert, was bei einem höchst vollkommenen Wesen
nicht möglich ist. Femer geschieht eine solche Ver-
änderung nur, wenn ein Übel vermieden oder ein
fehlendes Gut erlangt werden soll, was beides bei
Gott nicht stattfinden kann. Hieraus folgere ich, daß
Gott ein unveränderliches Wesen ist.
Ich bemerke;, daß ich die gewöhnlichen Ein-
teilungen der Veränderung hier al^ächtlich nicht er-
wähnt habe^ obgleich ich sie in gewisser Hinsicht 40
mit einbegriffen habe, da es nicht nötig war, sie
einzeln zurückzuweisen, weil ich Lehrs. 16, I be-
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186 Anhang. Teil II. Kap. 5.
wiesen habe, daß Gott unkorperlich ist; während jene
gewöhnlichen Einteilungen der Veränderung nur dia
Veränderungen des Stoffes betreffen.
Fünftes Kapitel.
Über die Einfaehheit Gottes.
B» gm einen ^^^ ^^^® ^^^ ESufachheit Gottes
dreifaehenunier- ül>^r. Um dioses Attribut Gottes recht
»chied unter den ZU Verstehen, hat man sich an das zu
jMngen, nändich erinnern, was Deecartes § 48, 49, T. I
^^ deJ^^^' sö"^^r Prinzipien der Philosophie sagt,
und dem bloßen nämllch daß es in der Welt nur Sub-
Denken nach, stanzen und deren Zustände gibt; er
leitet daraus in § 60, 61 und 62 räien
dreifachen Unterschied ab, nämlich einen wirklichen,
einen den Zustand betreffenden und einen im Denken,
Wirklich heißt der Unteürschied, durch den zwei Sub-
stanzen unterschieden sind, mögen sie nun ver-
schiedene oder dieselben Attribute haben; z. B. das
Denken und die Ausdehnung, oder die Teile des Stoffes.
20 Dies ergibt sich auch daraus, daß jedes ohne
des anderen Hilfe vorgestellt werden und also
existieren kann. Der auf den Zustand bezügliche Unter-
schied ist ein zwiefacher: einmal der zwiscben der
Substanz selbst und ihrem Zustande und dann der
zwischen zwei Zuständen derselben Substanz. Letj&-
teren Unterschied erkennt man daraus, daß zwar
jeder Zustand ohne den anderen vorgestellt werden
kann, aber keiner ohne die Hilfe der Substanz^ d^en
Zustände sie sind. Jenen Unterschied erkennt man
80 dagegen daraus, daß zwar die Substanz ohne ihren
Zustand vorgestellt werden kann, aber nicht der Zu-
stand ebne die Substanz. Der Unterschied im Denken ist
der, welcher zwischen der Substanz und ihrem At-
tribute entsteht, z. B. wenn die Dauer von der Aus-
dehnung unterschieden wird. Man erkennt ihn auch
daraus, daß eine solche Substanz nicht ohne dieses
Attribut erkannt werden kann.
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* Die Einfkohhoit Qottes. 187
worau» Aus diesen drei Unterschieden ent-
"'^LiSw*'!^ steht alle Verbindung (compositio). Die
^mevieifadiHeiai. ^Fste Verbindung ist die, welche sich aus
aswei oder mehreren Substanzen mit dem-
selben Attribut bildet^ z. B. jede Verbindung von
zwei oder mehr Körpern; oder aus Substanzen
mit verschiedenen Attributen, wie bei den Menschen.
Die zweite Verbindung erfolgt durch die Vereinigung
verschiedener Zustande. Die (kitte wird nicht, sondern
man stellt sich deren Werden nur vor, um die Sache lo
besser einzusehen. Was nicht nach einer der beiden
ersten Arten zusammengesetzt ist^ ist einfach zu
nennen.
Ich habe also zu zeigen, daß Gott
•o^M^adMa ^^^ Zusammengesetztes ist, woraus man
^^. dann den Schlui] ziehen kann, daß er
das einfachste Wesen ist Dies wird
leicht geschehen können, denn es ist an sich klar,
daß die Teile einer Zusammensetzung ihrer Natur
nach mindestens früher sind als die zusammen- 20
gesetzte Sache; mithin müßten die Substanzen, aus
deren Verbindung und Vereinigung Gott entsteht, von
Natur vor Gott selbst .sein, und jede könnte für
sich vorgestellt werden, ohne daß man sie Gott zu-
zuteilen brauchte. Da nun jene Substanzen notwendig
unter sich verschieden sind, so muß auch jede für
sich ohne Hilfe der anderen existieren können. Somit
könnte es, wie ich eben gesagt, so viel Götter geben
als Substanzen, aus denen Gott zusammengesetzt vor-
gestellt wird. Denn da jede durch sich existieren so
könnte, so müßte sie auch durch sich existieren,
und sie würde deshalb aucli die Kraft haben, sich
alle jene Vollkommenheiten zu geben, welche, wie
gezeigt, Gott einwohnen, u. s. w.; wie ich schon bei
Gelegenheit des Beweises von dem Dasein Gottes
in I^hrs. 7, Teil I ausführlich dargelegt habe. Da
man nun nichts Widersinnigeres ailCstellen kann, so
folgt, daß Gott nicht aus einer Verbindung und Ver-
einigung von Substanzen zusammengesetzt sein kann.
Ebenso kann es in Gott keine Zusammensetzung ver- 40
sohiedener Zustande geben, wie sich daraus zur Ge-
nüge ergibt, daß es in Gott überhaupt keine Zu-
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188 Anhang. Teil IL Kap. 6. %
sVknie gibt; denn diese entstehen ans einer Ver-
änderung der Subetanz. Man sehe § 66, Teil I der
Prinzipien« Will endlich jemand noch eine andere
Verbindung zwischen dem Wesen und dem Dasein
der Dinge sich ausdenken, so trete ich dem nicht
entgegen; allein er möge bedenk^i, daß ich schon
zur C^nüge bewiesen habe, daß in Gott beides nicht
verschieden ist
Hieraus kann ich nun klar folgern,
10 oottM AUrihuf daß alle Unterschiede, die man zwischen
o^ridJ^iMdu ^^^ Attributen Gottes macht, nur Unter-
DmSmufMeh schiodo im Denken sind, denen kein
versoMedm.' wirkücher Unterschied entspricht; ich
meine solche Unterschiede im Denken,
wie ich sie eben erörtert habe; nämlich die daraus
erkannt werden, daß eine solche Substanz nicht ohne
ein solches Attribut bestehen kann. Sonüt schließe
ich, daß Gott das einfachste Wesen ist Im übrigeB
kann ich mich um den Mischmasch der Unterschiede^
20 welche von den Peripatetikern aufgestellt werden, nicht
kümmern und wende mich zu dem Leben Gottes. ^^^)
Sechstes Kapitel
Ton dem Leben Gottes.
Um dieses Attribut, nämlich das
i J^voN ^^^ Gottes recht zu verstehen, muß
dJÜ^PhOot^^ ich im allgemeinen erklären, was in
unitr »£«»Mi'' jodom Dinge überhaupt mit dessen Leben
«er«ton<i«n «cird. bezeichnet wird. Ich will 1. die An-
sicht i&t Peripatetiker prüfen, welche
unter Leben das Einwohnen der ernährenden 8eeU nUt
der Wärme verstehen. Man sehe Aristoteles, Buch I,
Kap. 8: „Ober das Atemjiolen'^ Da diese Leute drei
Seelen annehmen, die ernährende, die wahrnehmende
und die denkende, welche sie so den Pflanzen, den
Tieren und den Menschen zuspreche so sind,
nach ihrer eigenen Angabe, die übrigen Dinge ohne
Leben. Indes wagten sie nicht zu sagen, daß die
Seelen und Gott des Lebens entbehren; wahrscheinlich
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Von dem Leben Gottei. 189
fürchteten ne, damit in das Gegenteil za geraten,
nämlich daß dieee;, wenn sie kein Leben hatten, dem
Tode verfallen seien. Deshalb sibt Aristoteles in
seiner Metaphysik Buch 11, Kap. Y noch eine andere
Definition vom Leben, wie es nor der Seele eigen-
tümlich ist; danach ist da$ Leben die TäUgkHt des
Verstandes (inteüeetus operatio vUa est), und in diesem
Siime spricht er Gott das Leben so, da Gott einsieht
und reine Tätigkeit ist Ich will mich nut Wider-
legong dieser Behauptungen nicht aufhalten; denn 10
in B^g auf jene drei den Pflanzen, Tieren und
Menschen zugeschriebenen Seelen habe ich schon
genügend dargetan, daß dies nur Geschöpfe der
l^bildungskraft sind; denn ich habe gezeigt» daß
es in dem Stoffe nichts als mechanische Ge-
webe und Tätigkeiten gibt. Was aber das Leben
Gottes anlangt, so sehe ich nicht ein, weshalb die
Verstaadestätigkeit bei ihm mehr aJs die des Willens
und ähnlicher Kräfte Tätigkeit sein soll. Da ich
indes hierauf keine Antwort erwarte, so wende ich 20
mich, wie versprochen, zur Erklärung dessen, was
Lieben ist
Allerdings wird dieses Wort mittels
^SäTxSS** bildlicher Übsrtragung oft zur Bezeich-
s%Jd&lihmikann. i^uug dos Verhaltens eines Menschen be-
nutzt; indes will ich nur das kurz er-
klären, was man in der Philosophie darunter versteht
Wenn das Leben auch den körperlichen Dingen zu-
gesprochen wird, so ist nichts ohne Leben; wird
es aber nur bei denen angenommen, mit deren Körper so
eine Seele verbunden ist, so kann das Leben nur
den Menschen und vielleicht auch den Tieren zu-
gesprochen werden; dber nicht der Seele allein, oder
Gott Allein gewöhnlich hat das Wort „Leben'' einen
weiteren Sinn, und deshalb muß es unzweifelhaft auch
den körperlichen Dingen, die mit keiner Seele ver-
bunden sind, und den vom Körper getrennten Seelen
zugesprochen werden.
Deshalb verstehe ich unter Leben
^VLa^L^S^ die Kraft, durch welche die Dinge in ihrem 40
JinMv^ fi«n beharren. Da diese Kraft von den
hanäem UL Dingen selbst verschieden ist so sagt
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140 Anhang. Teil IE. Kap. 6. 7.
man passend, dal} die Dinge selbst Leben haben.
Dagegen ist die Kraft, mit der Gott in seinem
Sein beharrt, nur sein eigenes Wesen, und des-
halb drücken sich die am besten aus, welche
Gott das Leben nennen. Deshalb haben nach An-
sicht mancher Theologen die Juden bei ihrem Schworen
gesagt Chaj Jehovah, d. h. beim lebendigen Jehovah,
weil Gott das Leben ist und von dem Leben nicht
verschieden ist; und sie haben dabei nicht gesagt
10 Che Jehovah, d. h. beim Leben Jehovahs. Auch Joseph
sagte^ als er bei dem Leben Pharaos schwur. Che
Pharao, d. h. beim Leben Pharaos.
Siebentes Kapitel. ^<'')
Über den Terstand (intellectns) Gottes.
ocit Zu den Attributen Gottes habe ich
i»i Mwu$end, obou die Allwisseaiheit gerechnet, die be-
kanntlich Gott zukommt, weil das Wissen
an sich eine VoUkommenhdit enthält und Gott als
das vollkommenste Wesen keine Yollkommenheit ent-
20 bohren darf; demnach mui3 Gott das Wissen im
höchsten MaX)e zugeteilt werden, d. h. ein solches,
welches keine Unwissenheit oder keine Beraubung
des Wissens im voraus setzt oder annimmt; denn dann
gäbe es eine UnvoUkommenheit in dem Attribute,
und damit in Gott. Daraus erhellt, daß Gott niemals
nur dem Vermögen nach (poteniia) Einsicht gehabt
hat, und daß er auch nichts durch Schlüsse folgert.
Es folgt femer aus der VoUkommen-
Der Gegenstand heit Gottes ÄUch, daß seluo Hoen nicht,
^ ^tind^i^dL*** ^^® ^® unsrigen, durch die Gegenstände
nk!ge*au߀rhaib außerhalb Gottes begrenzt weisen, viel-
GifUea, mehr werden die von Gott außerhalb
seiner erschaffenen Dinge durch seinen
Verstand bestimmt*); denn sonst würden die Gegen-
*) HiorauB ergibt sich klar, dafi der Verstand Goites,
mit dem er die geschaffenen Dinpe erkennt und sein Wüle
and seine Macht, wodurch er sie bestimmt hat, ein und
dasselbe sind. (A. v. Sp.)
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über den Verjtond Gottes. 141
Stande durch sich selbst ihre Natur und ihr Wesen
besitzen und damit der göttlichen Einsicht, wenigstens
der Natur nach, vorhergehen^ was widersinnig ist
Da dies manche nicht gehörig beachtet haben, so
sind sie in große Irrtümer geraten. Denn manche
nehmen an, es gebe neben Gott den Stoff, der gleich
ewig sei, wie Gott, der von sich selbst existier^ und
den Gott nach Einigen nur vermöge seines Verstandes
in Ordnung gebracht hat, während er ihm nach anderen
noch außerdem die Form aufgedrückt hat Andere 10
haben dann angenommen, daß die Dinge ihrer Natur
nach entweder notwendig oder unmöglich oder zu-
föllig sind, und daß deshalb Gott die zufalligen
auch nur als solche wisse, mithin durchaus nicht
wissen ob sie existieren oder nicht Endlich haben
andere gesa^ daß Gott das Zufallige aus den
Umstanden wisse^ vielleicht vermöge seiner langen Er-
fahrung. Ich könnte außer diesen noch mehr Irr-
tümer der Art anführen, wenn es nicht überflüssig
wäre, da aus dem oben Gesagten sich deren Falsch- 20
heit ganz von selbst ergibt
Ich kehre deshalb zu meinem Vor-
J^J^J^^^ haben zurück und stelle fest, daß es
deMmn»^ außer Gott keinen Gegenstand seines
Wissens gibt, sondern daß er selbst der
Gregenstand seines Wissens, ]a sein Wissen selbst ist.
Die, welche die Welt auch für einen Gegenstand des
Wissens Gottes halten, sind weniger verständig als
die, welche ein von einem ausgezeichneten Bau-
meister hingestelltes Gebäude zum Gegenstand seines, 80
d. h. des Baumeisters, Wissen machen wollen; denn
der Erbauer muß wenigstens außerhalb seiner selbst
den passenden Stoff suchen, während Grott keinen Stoff
außerhalb seiner selbst gesucht^ sondern die Dinge
nach ihrem Wesen und ihrem Dasein durch seinen
Verstand oder seinen Willen hergestellt hat
wieao Gcu ein ^^ fragt such, ob Gott das Böse
wi$9en VOM der oAbt die Sündou und die Gedanken-Dinge
aiinde,dmhiofin und dergleichen wisse. Ich antworte,
^'^^M^hot'^ daß Gott das, dessen Ursache er ist, not- 40
^^' * wendig kennen muß, zumal es nicht einen
Augenblick ohne Beihilfe der göttlichen Erhaltung
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142 Anhang. Teil 11. Kap. 7.
bestehen könnte. Nun sind aber das B5se und
die Sünden nichts in den Dingen, sondern sie be-
stehen nur innerhalb der menschlichen Seele, welche die
Dinge mit einander vergleicht, und deshalb kann Gott
sie außerhalb der menschlichen Seelen nicht kennen.
Die Gedanken-Dinge habe ich als bloße Zustande des
Denkens aufgezeigt und in diesem Sinne muß Gott
sie kennen, d. h. insofern wir wissen, daß er die
menschliche Seele, wie sie ^uch beschaffen ist, er-
10 hält und fortgesetzt erzeugt; aber nicht in dem Sinne,
daß Gott solche Zustände des Denkens in sich selbst
hat, um das, was er einsieh^ leichter zu behalten.
Gegen dieses Wenige, was ich hier gesag^ wird
man, wenn man recht darauf achthat, hinsichtlich
der Einsicht Gottes nichts vorbringen können, was
nicht sehr leicht gelöst werden könnte.
Doch darf ich deshalb den Irrtum
i^^f^^f^ mancher nicht übergehen, welche an-
und die AKflre- i^^hmeu, Gott kenne nur die ewigen
20 meindinffe Jcmni. Dinge, also z. B. die Engel und die
Himmel, von welchen sie sich eingebildet;
daß sie ihrer Natur nach unerzeugbar und unvergäng-
lich seien; dagegen wisse Gott nichts von dieser
Welt, mit Ausnahme der Arten, die auch als uner-
zeugbar und unvergänglich anzusehen seien. Es
scheint fürwahr, daß diese Männer gleichsam ab-
sichtlich haben irren und sich das Widersinnigste
ausdenken wollen. Denn was ist widersinniger, als
das Wissen Gottes von dem Einzelnen, was ohne
30 Gottes Beihilfe auch nicht einen Augenblick bestehen
kann, fem zu halten I Ferner nehmen sie an, daß
Gott die wirklichen Dinge nicht kennt, dagegen legen
sie ihm die Kenntnis der Allgemeinbegriffe bei, cUe
kein Sein und außerhalb der einzelnen Dinge kein
Wesen haben. Ich dagegen schreibe Gott die Kenntnis
des Einzelnen zu und bestreite sie bei dra Allge-
meinbegriffen, außer sofern er Einsicht in den mensch-
lichen Geist hat.
Ehe ich diesen Gegenstand verlasse,
^ Il^f^!! ^^ ich noch die Frage zu beantworten,
(una) und twar OD m Gott mehrere Ideen oder nur eme
«me€inf«uheide€. Und die einfachste vorhanden sind. Hier-
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über den Yentand Gottes. 148
auf antworte ich, daß Gottes Idee, vermöge d^en
er allwissend heißt, einzig und die einfachste ist;
denn Gott wird in WtSirheit nur deshalb all-
wissend genannt, weil er die Idee seiner selbst
bat, wdche Idee oder Erkenntnis immer zugleich
mit Gott bestanden hat; denn es gibt nichts außer
seinem Wesen, und dieses hat nicht in anderer Weise
sein können.
Dagegen kann die Kenntnis Gottes
wh^to!!lien ^^^ ^^^ erschaffenen Dingen nicht so 10
^!^!au^!^ eigentlich auf das Wissen Gottes bezogen
Dingm, werdou; denn wenn Gott gewollt hatte,
so würden die erschaffenen Dinge ein
anderes Wesen gehabt haben, welches keine Stelle
in der Kenntnis einnimmt^ die Grott von sich selbst
hat Indes wird man fragen, ob jene eigentlich oder
aneigentlich sogenannte Kenntnis der erschaffenen
Dinge vidfach oder einfach sei Da kann ich nun
hier nur antworten, daß diese Frage dieselbe ist wie
die, ob die Entschlüsse und das Wollen Gottes mehr* 20
fach oder nicht sind, und ob die Allgegenwart Gottes
oder die Mitwirkung, durch die Gott die einzelnen
Dinge erhalt, nur eine und dieselbe in allen ist,
worüber, wie schon gesagt, wir keine bestimmte Er-
kenntnis haben können. Aber trotzdem wissen wir
genau, daß in derselben Weise, wie Gottes Mitwirkung
in Bezug auf die Allmacht Gottes einzig sein muJ^
obgleich sie sich in dem Bewirkten verschiedenartig
kundgibt, so auch das Wollen und die Beschlüsse
Gottes (denn so möchte ich seine Kenntnis der ein- 80
zelnen Dinge nennen), in Gott betrachtet, nicht ein
Mehrfaches sind, obgleich sie durch die erschaffenen
Dinjge oder besser in den erschaffenen Dingen ver-
schiedenartig ausgedrückt sind. Betrachtet man end-
lich die Ähnlichkeit der ganzen Natur, so kann man
sie wie ein Ding ansehen, und folglich wird auch
die Vorstellung oder der B^chluß Gottes über die er-
zeugte Natur nur einer sein.
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144 Anhang. Teil II. Kap. 8.
Achtes Kapitel.
Über den Willen Gottes.
wh-wiuennichi ^®^ Wille Gottes, mit d^n er sich
wu€Mte»weMM lieben will, folgt notwendig aus seinem
und «Mf» unendlichen Verstand, womit er sich er-
Verstand, womü kennt Aber die Kenntnis, wie dieee
Z^d\Jnm&, drei, nämlich sein Wesen und sein Ver-
wmUeraiek Stand, womit BT sich erkennt, und sein
liebt, «i(^ untere Wille, woHÜt er sich lieben will, sich
10 *<*«<^' unterscheiden, gehört zu den unerreich-
baren Wünschen. Mir ist das Wort (näm-
lich die Persönlichkeit) nicht unbekannt, das die Theo-
logen mitunter zur Erklärung hiervon benutzen; allein
wenn ich auch das Wort kenne, so kenne ich doch
seine Bedeutung nicht und kann mir keinen klaren
und deutlichen Begriff davon machen, obgleich ich
fest glaube^ daß in dem seligen Anschauen Gottee,
das den Ftommen verheißen isC Gott dies den Seinigen
offenbaren wird.
20 j^ ^^ ^^ Der WiUe und die Macht Gottes unter-
du Madu ouua scheldeu sich in Bezug auf das Äußere
unteradteid«» uicht vou Gottos Verstand, wie schon
BichinBeMugauf aus dom Vorhergehenden sich zur Ge-
^ wiÜm F^ nüge ergibt; denn ich habe gezeigt, daß
$tande, Gott uicht bloß das Dasein der Dinge
beschlossen hat, sondern auch ihr Dasein
mit einer solchen Natur. Das heißt ihr Wesen und ihr
Dasein hat von dem Willen und der Macht Gottes
abhängen sollen, und daraus erk^men wir klar und
80 deutlich, daß der Verstand und die Macht und der
Wille Gottes, wodurch er die erschaffenen Dinge er-
schaffen und eingesehen hat und erhält oder liebt,
sich in keiner Weise unter sich, sondern nur in Be-
zug auf unser Denken unterscheiden.
y ^.. . Wenn man aber sairt. daß Gott
kann man »agen, mauches haßt uud manchcB hebt, so
daß Gou Einigt» wird dics in demselben Sinne gesi^ in
^^'uJbt^^ dem die Bibel si^ die Erde werde die
Menschen ausspeien und ähnliches. Daß
40 aber Gott auf niemand erzürnt ist und die Dinge
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über den Willen Gottes. 145
nicht so liebt, wie die Menge sich einredet, kann man
zur Genüge aus der Schrift entnehmen; denn es sagen
Jeaaias nnd noch deutlicher der Apostel Kap. 9,
Brief an die Römer: „Obgleich sie (nändich die Söhne
Isaaks) noch nickt gdforen waren wid weder Gutes noch
BSges 9chan getan hatten, ist ihm doch, damit der Beschluß
Oüites noi^ seiner Wahl bleibe, nicht aus den Werken, son-
dem aus Gottes Berufung gesagt worden, daß der Ältere dem
Jüngeren dienen werde"' u.b.w. Und weiterhin: „Deshalb
erbarmt er sixk Dieses und verhärtet den Anderen, iHe er 10
leiff. *Du wirfst mir daher sagen: Was bMagt man sich
nodi, denn wer kaHn Gottes Wiüen widerstehen? Aber du,
0 liensdi, wer bist du, daß du mit Gott rechtest? Spricht
wM das Werk zu seinem Meister: Weshalb hast du mich so
gemacht? Hat nicht ein Töpfer Macht Ober den Ton, daß er
au» derselben Masse, aus dem einen ein Geßß tu Ehren und
mu dem anderen zu Unehren mache?" u, s. w.
Fragt man aber, weshalb Gott die
''jS^Ä^tr^ Menschen ermahnt, so ist darauf leicht
mahnt, vforum er ssu antworten. Gott hat nämlich von 20
aUniduoktuSr- Ewigkeit beschlossen, zu dieser Zeit die-
ZSr*^ *^**S i^^^S®^ Menschen zu ermahnen, daß sie
jjJ^JJ^ sich ihm zuwendeten, welche er erretten
h€$traflu>er䀻. wollto. Fragt man aber, ob Gott nicht
auch ohne jene Ermahnung sie habe er-
retten können, so antworte ich: Ja. Aber warum er-
rettet er sie denn nicht? fragt man vielleicht weiter.
Darauf will ich antworten, wenn man mir erst ge-
sagt haben wird, weshalb Gott das rote Meer nicht
ohne den Morgenwind durchschreitbar gemacht habe, 80
nnd weshalb er alle einzelnen Bewegungen nicht ohne
andere vollzieht, und anderes Zähllose, was Gott durch
Mittel-Ursachen bewirkt. Man kann von neuem fragen,
weshalb dann die Gottlosen bestraft werden, da sie
doch nach ihrer Natur und nach dem göttlichen Rat-
schlaß handeln. Darauf antworte ich, daß auch ihre
Strafe infolge göttlichen Ratschlusses erfolgt Wenn
nur die, von denen wir uns einbilden, daß sie aus
Freiheit sündigen, gestraft werden sollten, weshalb
bestreben «eh da die Menschen, die giftigen Schlangen 40
m vertilgen? Denn diese sündigen auch nur nach
ihrer Natur und können nicht anders.
SpinosA, Prinstpiea toa DotcarU«. 10
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146 Anhang. Teil U. Kap. 8. 9.
DUBMgeSckHß Wenn endlich in der Heiligen Schrift
^flffiWrtffftlT ^^^ manches andere Bedenkliche vor-
F«rmM/i wider- kommt, SO ist hier nicht der Ort, es sa
vridd, erklären; denn die Untersnchnng geht
hier nur aof das, was mit der nator-
lichen Vemonft in voller Gewißheit erreicht werden
kann, und es genügt^ dies klar za erweisen, da*
mit wir wissen, &fl aach die Heilige Schrift
dasselbe lehren muß; denn die Wahrheit steht nicht
10 mit der Wahrheit in Widerspruch, und die Schrift
kann keine Torheiten, wie das die Menge sich ein-
bildet^ lehren. Sollten wir in ihr etwas finden, was
dem natürlichen Licht widerspräche^ so würden wir
es mit derselben Freiheit widerlegen, mit der man
den Alkoran und den Talmud widerlegt Indes sei
es ferne von mir, zu meinen, daß in der Heilirai
Schrift sich etwas findet^ was mit dem natürlichen
Licht in Widerspruch stände.
Neuntes EapiteL
30 Ober die Macht Gottes«
wu die ^^^ ^^^ allmächtig ist, habe ich
Äümaehi Gotut bereits zur Genüge bewiesen. Hier will
«u««rfto^iiM. ich nur kurz erklären, wie dieses At-
tribut zu verstehen isi da viele nicht
fromm genu^; und nicht nach der Wahrheit darüber
sprechen. Sie sagen nämlich, manche Dinge seien
durch ihre Natur und nicht durch den Beschluß Gottes
möglich und andere unmöglich und andere endlich
notwendig; deshaJb habe die Allmacht Gottes nur bei
80 den möglichen Dingen Platz. ^^'O Ich habe indes bereits
gezeigt, daß alles unbedingt von Gott abhängt^ und
sage deshalb, daß Gott allmächtig ist Nachdem man
aber erkannt hat, daß Gott manches aus der reinen
Freiheit seines Willens beschlossen hat, und daß ei
unveränderlich ist, so sagt man, daß Gott gegen
seine Beschlüsse nichts vornehmen könne; ösb sei
unmöglich, bloß deshalb, weil es mit der VollkommeQr
heit Gottes sich nicht vertrage.
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über die Macht Gottei. 147
Att€» iM not- Allein es dürfte sich nicht beweisen
JT^*2^2J2 lassen, daß man das Notwendige nur
oattm, mimm'!Z findet, wcnn man auf Gottes Beschlol}
mdgttmmtuh^ achtot Und das Entgegengesetste nur,
•••**^ "J*^ wenn man darauf nicht achtet; t. B. dafl
'"^^JJJjJT^ Josia die Gebeine der Götzendiener auf
dem Altar Jerobeams verbrannte. Gibt
man nur auf den Willen Josias hierbei acht^ so
erscheint die Sache als eine mögliche, und man
wird sie in keiner Weise als eine notwendig ein- 10
tretende erklären, ausgenommen, daß der Prophet
diee nach Gottes Beschluß vorausgesagt hatte; da-
gegen daß die drei Winkel eines Dreiecks zwei rechten
gleich sind, ergibt die Sache selbst Indes bildet
man sich nur durch eigene Unwissenheit Unterschiede
in den Dingen ein. Wenn die Menschen die ganze
Ordnung der Natur klar erkennen könnten, so würden
sie alles ebenso notwendig finden wie das, was in der
Mathematik gelehrt wird; allein da dies die mensch-
liche Einsicht überschreitet» so hält man einiges 20
für möglich, anderes für notwendig. Deshalb muß .
man entweder sagen, daß Gott nichts vermag, weil
in Wahrheit alles notwendig ist, oder daß Gott alles
vermag, und daß die Notwendigkeit^ die man in den
Dingen trifft^ nur aus Gottes Ratschluß hervorge-
gangen ist
Wenn man nun fragt, ob, wwm
M^M^rdL- ^^ ^ anders beschlossen gehabt und
Dingt ^MNoew, das, was jotzt Wahr ist, zu dem Falschen
M MMfo tr tu» gemacht hätte, wir nicht dennoch jenes 80
«uZ^yürwLnd ^^ ^*® allein Wahre anerkennen würden,
gthon wfltiiiii. 80 antworte ich: Gewiß» wenn Gott uns
die jetzt gegebene Natur belassen hätte;
aber auch dann hätte er, wenn er gewollt, uns eine
solche Natur geben können, wie er jetzt getan hat»
wodurch wir die Natur und die Gesetze der Dinge^
wie sie von Gott bestimmt worden, erkennen; ja, wenn
man Gottes Wahrhaftigkeit bedenkt, so mußte er
dies tun. Dies erhellt auch aus dem, was ich oben
gesagt» nämlich daß die ganze erschaffene Natur 40
nur ein einziges Ding ist Deshalb muß der Mensch
ein Teil dieser Natur sein, der mit den übrigen zu-
10*
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148 Anhang. Teil IL Kap. 9.
sammenhängt; deshalb würde aus der Einfachheit des
göttlichen Beschlusses auch folgen» daß^ wenn Grott
die Dinge anders geschaffen hätte, er zugleich unsere
Natur so eingerichtet haben würde, &ß wir die
Dinge so erkennten^ wie sie Gott geschaffen hätte.
Deshalb will ich die UnterscheiduDg in der Macht
Gottes, welche die Philosophen gewöhnlich aufstellen,
gern beibehalten, aber ich muß sie anders auslegen.
wuviafaeh Ich teile daher die Macht Gottes in
10 Gcttu Maehi id, ^ine geordnete und in eine unbedingte ein.
Wo» unter dem Unbedingt nenne ich die Macht
unbedingim und Gottos, wenu mau seiue Allmacht ohne
wäer dem Rücksicht auf Seine Beschlüsse betrach-
Otordnelen, was . . , . • i. •
unier der ^^f geordnet nenne ich sie, wenn man
ordeniHehen und auf diose Beschlüsse Rücksicht nimmt
unter der außer- Femor gibt es eine ordentliche und
M^ÜfZ-- ^^^^ außerordentliche Macht Gottes. Die
aieKen ieL ordentlich erhält die Welt in einer ge-
wissen Orcbiung; die außerordenÜi<Ae ist
20 die, wobei Gott etwas außerhalb der
Ordnung der Natur tut, z. B. alle Wunder, wie das
Sprechen der Eselin, die Erscheinung der Engel und
dergleichen, obgleich man über diese Erscheinung billig
in Zweifel sein könnte, da es ein größeres Wunder
sein dürftet, wenn Gott die Welt immer nach einer
und derselben festen und unveränderlichen Ordnung
Gottes regiert, als wenn er die Gesetze, die er für
die Natur als die besten und aus reiner jEVeiheit ge-
geben hat (was nur von einem ganz Verblendeten
80 geleugnet werden kann), wegen der Torheit der
Menschen aufhöbe. Doch hierüber überlasse ich den
Theologen die Entscheidung. ^^^)
Die sonstigen Fragen, die. man in Bezug auf
die Macht Gottes zu stellen pflegt, wie: oh diese Madit
eich auch auf Vergangenes erstrecke; ob Ch)tt das, was er
getan, besser machen könne; ob er noch mehr tun könne, als
er getan habe, lasse ich beiseite, ^^^) da sie nach dem
Obigen leicht beantwortet werden können.
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Ober die SchOpfong. 149
Zehntes Kapitel.
Über die SchSpAmgr. >««)
Schon oben ist Gott als der Schöpfer aller Dinge
erklärt worden; hier will ich versuchen, su erklären,
was unter Schöpfung su verstehen ist Dann werde
ich nach Kräften untersuchen, was über die Schöpfung
gewöhnlich gelehrt wird. Ich beginne mit ersterem.
Waa du ^^^ ®**^ ^^^' ^** Sfköpfung ist eine
sdapfung iff. Tätigkeit, wobei keine anderen Vrsachen
neben der wirkenden mit eintreten (oon- 10
currere), oder: eine erschaffene Stiche ist die, welche außer
Gott nichts zu ihrem DcLsein voraussetzt.
Ich bemerke hier: erstens dai3 ich die
Äiijjj^,^ Worte vermeide, welche die Philosophen
sdißppmg wird gewöhnlich gebrauchen, nämlich: aus
«MrfldkyncPMMi». nichts, als weuu das Nichts der Stoff
gewesen wäre, aus dem die Dinge her-
vorgebracht worden. Man spricht so, weil man, wo
Dinge erzeugt werden, gewohnt ist, etwas vor ihnen
anzunehmen, aus dem sie entstehen, und deshalb konnte flo
man auch bei der Schöpfung dieses Wörtchen „aus''
nicht weglassen. Dasselbe begegnete ihnen bei der
Materie; sie sahen, dafl alle Körper an einem Orte sind
und wieder von anderen Körpern umgeben sind, und
deshalb fragten sie sich, wo der ganze Stoff sich
befinde, und antworteten: in einem imaginären Räume.
Deshalb ist es klar, daß jene das Nichts nicht als eine
Verneinung aller Realität angesehen, sondern es selbst
sich als etwas Wirkliches gedacht oder eingebildet
haben. 80
wAehM Zweitens sage ich, daß bei der
du rieMigt iti. Schöpfuug neben der wirkenden Ursache
keine anderen mit eintreten. Ich hätte
zwar sagen können, daß die Schöpfung alle anderen
Ursachen, neben der wirkenden, verneine oder aus-
schließe. Ich habe aber das Wort: mit eintreten vor*
gezogen, damit ich denen nicht zu antworten
brauche, welche fragen, ob Gott sich bei der
Schöpfung nicht ein Ziel vorgesetzt habe, weshalb er
die Dinge geschaffen habe. Ich habe femer, um die 40
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160 Anhftng. Teil II. Kap. 10.
Sache besser zu erläutern, die zweite Defmition bei-
gefügt, nämlich, daß das erschaffene Ding nichts
anßer Gott voraussetzt Denn hat Gott sich ein Ziel
vorgesetzt, so ist dasselbe keinesfalls außerhalb Gottes
gewesen; denn es gibt nichts außerhalb Gottes, von
dem er zum Handdn bestimmt werden könnte.
Drittens folgt aus dieser Definition
z^^ä!^u^t^) ^^^ Genüge, daß es keine Schöpfung der
uwdm wicht Accidentien und Zustände pbt Denn
10 ffuehaffen. sio haben neben Gott noch eme erschaf-
fene Substanz zur Voraussetzung.
Viertens können wir uns vor der
« rZr ^^ Schöpfung keine Zeit und keine Dauer
^^S!ut^ vorstellen; vielmehr hat diese erst mit
Dauer gegebm, dou Diugeu begonnen. Denn die Zeit ist
das Maß der Dauer, oder sie ist vielmehr
nur ein Zustand des Denkens. Sie setzt deshalb nicht
nur irgend eine erschaffene Sachei, sondern auch
denkende Menschen voraus. Die Dauer hört aber auf,
20 wenn die geschaffenen Dinge aufhören zu sein, und
sie beginnt, wenn die erschaffenen Dinge zu existiereai
an&ngen; ich sage: dU ersduiffenen Dinge; denn Gott
kommt keine Dauer zu, sondern nur die Ewigkeit,
wie ich bereits zur Genüge dargelegt habe. Deshalb
müssen erschaffene Dinge der Dauer vorausgehen oder
wenigstens zugleich mit ihr angenommen werden. Wer
dagegen sich einbildet» es sei die Dauer und die Zeit
den erschaffenen Dingen vorgegangen, der leidet an
demselben Vorurteil wie die, welche einen Raum
30 außerhalb der Materie sich einbilden, wie sich klar
von selbst ergibt So viel über die Definition der
Schöpfung.
Ich brauche femer nicht das zu
^^^*;^ Gr. 10, I Bewiesene zu wiederholen,
be» d«r jy. nämlich, daß zur Erschaffung eines
•ehaffungwuui Diuges ebcusoviel Eraft wie zu dessen
der ^Mtung Erhaltung erforderlich ist, d. h. daß
tÜT' die6eU)e Wirksamkeit Gottes die Welt
erschafft und erhalt "0
40 Nach diesen Bemerkungen gehe ich zum zweiten
Punkt über. 1. habe ich also zu untersuchen, was
geschaffen und was ungeschaffen ist; 2. ob das,
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Ober die SchOpftiDg. 151
was ffesch&ffen ist, von Ewigkeit her hätte geachaffen
sein KonneiL
üh4r äu M. ^^ ^^ ersten Punkt antworte ich
mikafm^jHngt. ^^"^ ^^ ^^^ ^^ geschaffen Ist, deaseQ
Wesen klar ohne irgend ein Dasein vor-
geetellt wird, und das doch durch sich selbst vor-
Jestellt wird, z. B. die Materie, deren klaren und
entliehen B^rriff wir haben, da man ihn unter dem
Attribute der Ausdehnung auffaßt und ihn also klar
und deutlich vorstellen kann, mag ihm nun Existenz 10
zukommen oder nicht
iMwitfmjt <MfM Vielleicht sagt jemand, daß man ja
Art tm dmtkm das Denken klar und deutlich ohne Da-
(eogiuMo) von sein vorstcUt und es dennoch Gott zu-
*^ *^JJ2Sr "*" *®^^ Indes ist hierauf zu antworten,
daß man Gott nicht ein solches Denken
wie das unsrige zuteil^ d. h. ein leidendes, das von
dex Natur der Gegenstände begrenzt wird, sondern
ein solches, das eine Tätigkeit ist, und das des-
halb das Dasein enthält wie ich oben ausführlich dar- 20
gelegt habe. Denn ich habe gezeigt, daß Gottes Ver-
stand und Wille von seiner Macht und seinem Wesen,
welches das Dasein einschließt sich nicht unter-
scheiden.
Außtrhäib Qotua Wann sonach alles, dessen Wesen
tibi « mddäs, sein Dasein nicht einschließt zu seinem
dM in gtäOim- Bestehen notwendig von Gott hat er-
^•'••JJ^*^*^ schaffen weidon müssen und von dem
^' Schöpfer, wie ich vielfach erklärt stetig
erhalten w^den muß, so brauche ich mich bei der 80
Widerlegung der Ansicht nicht aufzuhalten, welche
die Welt oder das Chaos oder den von aller Form
losgelösten Stoff als mit Gott gleich ewig und gleich
unabhängig annimmt Ich gehe deshalb zu dem zweiten
Punkt und zu d^ Frage über, ob das, was erschaffen
ist von Ewigkeit her hätte erschaffen werden können.^^)
Um diese Frage richtig zu verstehen,
^A^^kZik^ ist auf den Ausdruck: van Ewigkeit zu
,«0» Emigk^ tu schton. Man will damit hier etwas ganz
' ««nMbM M. anderes bezeichnen als das oben Erklärte, 40
wo ich von der Ewigkeit gesprochen
habe. Hier wird darunter nur eine Dauer ohne An-
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152 Anhang. Teil U. Kap. 10.
fang verstanden, aber eine eolche Dauer, die man,
wenn man sie auch um viele Jahre oder tausende
von Jaliren vervielfachen wollte, und wenn man dieses
Produkt wieder mit tausenden vervielfachte, doch
durch keine Zahl, sei sie auch noch so groß^ aus-
drücken könnte.
Daß es eine solche Dauer nicht
^^*E^ak^ geben kann, erhellt deutlich; denn wenn
gw(Ziff!^toerd0n die Welt vou diesem Punkte wiederum
10 kann, zuTÜckschritte^ 80 könnte sie niemals
solche Dauer haben« und daher hätte
auch die Welt von einem solchen An&nge aus nie
bis zu diesem Punkte gelangen können. Man sagt
vielleicht, daß Gott nichts unmöglich sei; da er all-
mächtig sei, werde er auch eine Dauer bewirken
können, über die hinaus es keine größere gebe. Ich
antworte, daß Gott, gerade weil er allmächtig ist,
niemals eine Dauer schaffen kann, über die hinaus
er nicht eine größere erschaffen könnte. Denn die
20 Natur der Dauer ist derart, daß immer eine größere
oder kleinere, als die gegebene, gedacht werden kann,
wie bei der Zahl. Man kann vielleicht geltend machen,
daß Gott von Ewigkeit existiert, mithin bis zur
Gegenwart gedauert habe, und daß es daher bei ihm
eine Dauer gebe, über die keine längere gedacht
werden könne. Allein auf diese Weise erteilt man
Gott eine aus Teilen bestehende Dauer, die schon
übergenug von mir widerlegt worden is^ indem ich
gezeigt» daß Gott nicht die Dauer, sondern nur die
30 Ewigkeit zukommt. Hätte man das nur immer ge-
hörig betrachtet, so hätte man sich aus vielen Be-
weisführungen und Verkehrtheiten leicht herausziehen
können, und man würde mit dem größten Genuß
in der seligsten Betrachtung dieses Wesens verweilt
haben.
Indes gehe ich weiter zur Widerlegung der
Gründe, die von manchem vorgebracht werden, und
mit denen man die Möglichkeit einer solchen unend-
lichen Dauer direkt beweisen, will.
40 j^^^^^ dafiQoU ^^^ ^^ zuerst^ „daß die hervor-
^g'iH/foi^ gebrachte Sache der Zeit nach zugleich mit
nicht, daß auch Uhrer Ursache sein könne. Da nun Chtt wm
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über die SchOpfang. 158
MNM WMoHigen Ewigkeit gewesen sei, so hätten auch seine
VOM XwigUü A«r Wirkungen wm Ewigkeit herwrgebracht sein
Mim kfhmm. ]cönnen:* Und das beetatigt man überdem
durch das Beispiel von dem Sohne Chttes,
der von Ewigkeit von dem Vater hervorgebracht sei. Indes
kann man nach dem früher Gesagten leicht sehen,
daß dabei die Ewigkeit mit der Dauer verwechselt nnd
Gott nnr eine Dauer von Ewigkeit her zugeteilt wird»
wie auch aus dem angeführten Beispiel klar erhellt,
da die Gegner annehmein, daß dieselbe Ewigkeit, die 10
sie dem Sohne zuteil^ auch für die Geschöpfe mög-
lich sei. Sodann bUden sie sich ein, daß die Zeit
und die Dauer vor der Welt vorhanden gewesen sei,
und sie nehmen eine Dauer ohne geschaffene Dinge
an, wie andere eine Ewigkeit außerhalb Gottes, was
beides von der Wahrheit weit abliegt. Ich antworte
also, daß es durchaus falsch ist, anzunehmen, Gott
könne seine Ewigkeit den Geschöpfen mitteilen, und
daß der Sohn Gottes nicht geschaffen, sondern ewig
wie der Vater ist Sagt man also, der Vater habe 20
den Sohn von Eiwigkeit her erzeugt, so will man
damit nur sagen, daß der Vater dem Sohne seine
E}wigkeit immer mitgeteilt hat.
Wenn octt au$ ^^® behaupten zweitens, daß Gott,
Noi^BtHdigiteU ^^^ ^ f^^ handle, nicht geringer an Macht
iwuUUs, »o u^ sei, als wenn er notwendig handle. Wenn
$äße er ab^r Gott aus Notwendigkeit handle, so hätte
***%ij^**** ^' ^ ^ t*«end/wÄe Tugend besitze, die
Welt von Ewigkeit her ersdiaffen müssen.
Indes kann auf diese Ausführung leicht geantwortet 80
werden, wenn man auf ihre Grundlage achtet Diese
guten Leute nehmen an, daß sie verschiedene Ideen
von einem Wesen von unendlicher Tugend haben
können; denn sie fassen Gott sowohl, wenn er aus der
Notwendigkeit seiner Natur handelt, wie wenn er frei
handelt, als mit xmendlicher Tugend begabt aul Ich
bestreite aber, daß Gott, wenn er aus der Notwendig-
keit seiner Natur handelt, eine unendliche Tugend be-
sitzt, was ich nicht bloß bestreiten darf, sondern
was auch jene Männer mir zugeben müssen, wenn ich 40
bewiesen habe, daß das vollkom;menste Wesen frei
handelt und nur als ein einziges aufgefaßt werden
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154 Anhang. Teil 11. Kap. 10.
kaim. Wenn jene erwidern, daß man doch, wenn es
auch munSglich sei, annehmen könne, daß Gott» wenn
er aus der Notwendigkeit seiner Natur handle^ un-
endliche Tugenden haSen könne, so antworte ich, daß
dies ebensowenig zulässig ist als die Annahme eines
viereckigen Kreises, um daraus zu folgern, daß nicht
aUe von dem Mittelpunkt nach dem Unuring gezogenen
Ldnien einander gleich sind. Und dies steht nach dem
oben Gesagten hinlänglich fest; ich brauche also das
10 früher Gesagte nicht noch einmal zu vriederholen.
Ich habe eben gezei^ daß es keine Dauer gibt,
über die man nicht eine noch einmal so lange oder
eine sonst längere oder kürzere sich vorstellen kann,
und deshalb lutnn sie von Gott, der in seiner unrad-
liehen Tugend frei handelt, immer größ^ oder kleiner
als die gegebenen vorgestellt werden. Handelte aber
Gott der Notwendigkeit seiner Natur gemäß, so würde
dies keineswegs folgen; denn dann konnte er nur die
Dauer, welche aus seiner Natur sich ergabt hervor-
20 bringen, aber nicht zahllose andere größere. Um
dies also kurz zusammenzufassen: wenn Gott die größte
Dauer erschüfe, über die hinaus er eine noch größere
nicht erschaffen könnte, so verminderte er damit not-
wendig seine Natur. Von diesem Satze ist aber der
letzte Teil falsch, da Gottes Macht nicht von seinem
Wesen verschieden ist Also u. s. w. — Wenn femer
Gott aus der Notwendigkeit seiner Natur handelte,
so müßte er eine Dauer erschaffen, über die hinaus er
selbst eine größere nicht ^schaffen könnte; aber wenn
'80 Gott eine solche Dauer erschüfe^ wäre er nicht von
unendlicher Machtvollkommenheit» da wir immer eine
noch größere als die gegebene Dauer vorstellen
können. Handelte also Gott aus der Notwendigkeit
seiner Natur, so wäre er nicht von unendlicher Macht-
vollkommenheit
wohsrufirdtn Weon jemand hier das Bedenken
BegHf «tnm- hätte, wohor wir, da die Welt vor 6000
gröfimrm Dauer, und einigen Jahren geschaffen word^i
*ir^iSr^*^ ist (wenn die Rechnung der Zettkun-
40 ' digen richtig ist), dennoch uns eine
größere Dauer vorstellen können, da ich doch be-
hauptet habe, daß die Dauer nicht ohne erschaffene
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Ober die Mitwirkang Gottes. 1^
Dinge vorgestellt werden könne, so läßt sich dieses
Bedenken leicht heben, wenn man festhält, daß ich
diese Dauer nicht bloß aus den Betrachtungen der er-
schaffenen Dinge, sondern aus der Betrachtung von
Gottes unendlicher Macht zu schaffen erkenne. Denn
Greschöpfe können nicht als für sich, sondern nur als
durch die unendliche Macht Gottes existierend oder
fortdauernd vorgestellt werden, von der allein sie
ihre Dauer haben. Man sehe Lehrs. 12, 1 mit Zusatz.
Damit ich schließlich mit der Beantwortung ver- 10
kehrter Gründe nicht unnütz Zeit verschwende, möge
man nur folgendes festhalten, nämlich den Unter-
schied zwischen E/wigkeit und Dauer, und daß die
Dauer ohne erschaffene Dinge und die Ewigkeit ohne
Gott auf keine Weise erkennbar sind. Hat man das
richtig erfaßt, so kann man leicht auf alle diese
Einwände antworten, und ich brauche mich nicht
weiter damit aufzuhalten.
Elftes Eapitel.
Über die Mitwirkung Gottes. 20
Über dieses Attribut bleibt wenig oder nichts
zu sagen übrig, nachdem ich gezeigt habe, daß Gott
in den einzelnen Zeitpunkten ohne Unterlaß die Dinge
gleichsam von neuem erschafft Ich habe daraus
abgeleitet, daß die Dinge durch sich selbst keine
Msusht haben, etwas zu wirken oder sich zu einer
Handlimg zu bestimmen, und daß dies nicht bloß bei
den Dingen außerhalb des Menschen, sondern auch
bei dem menschlichen Willen stattfindet Ich ant-
worte femer auf einige hierauf bezügliche Eänwen- do
dungenj denn wenngleich man noch viele andere
beizubringen pflegt, so will ich doch diese mir er-
sparen, da sie hauptsächlich zur Theologie gehören.
Indessen lassen viele zwar eine Mitwirkung Gottes
zu, aber in einem ganz anderen als dem von mir
angenommenen Sinne; man beachte deshalb, um deren
Irrtum am leichtesten aufzudecken, das, was ich vor-
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156 Anhang. Teil IL Kap. 11.
her dargelegt, nämlich, daß die gegenwärtige Zeit
mit der kommenden keine Verbindung hat (Gr. 10,
Teil I), und daß man dies klar und deutlich erkennt
Wenn man hieran nur gehörig festhält, wird man ohne
Schwierigkeit alle Gründe, welche jene nur aus der
Philosophie entnehmen mögen, zurückweisen können.
wieeMmUder ^^ ^^^ ^^®^ Frage uicht vep-
srhauung durch g^bens berührt zu haben, will ich neben-
ooUtuht,umäie bei auf die Frage antworten, „ob gu der
IQ Dingt Mur f^Q^ Qqh ausgehenden Erhaltung etwas hin-
^^**tHmmen ^* zutritt, wenn er das Ding zum Handeln
hestimmV*, Da, WO ich von der Bewegung
gesprochen, habe ich die Antwort hierauf schon be*
rührt Ich habe dort gesagt, daß Gott die gleiche
Menge Bewegung in der Natur erhält Beachtet man
daher die ganze Natur der Materie, so tritt zu ihr
nichts Neues hinzu; dagegen kann in Beziehung auf
die einzelnen Dinge gewissermaßen gesagt werden,
daß zu ihnen etwas Neues hinzutritt Daß dies auch
20 bei den spirituellen Dingen statthat, scheint nicht
der Fall zu sein, da sie nicht derart von einander ab-
hängig zu sein scheinen. Da endlich die Teile der Dauer
unter sich keine Verbindung haJ[>en, kann ich sagen,
daß Gott die Dinge nicht sowohl erhält» als fort-
erzeugt; ist daher die Freiheit des Mensche schon
zu einer Handlung bestimmt, so muß man sagen,
daß Gott ihn zu dieser Zeit so geschaffen habe. Dem
steht nicht entgegen, daß der menschliche Wille erst
von äußeren Dingen bestimmt wird, und daß alles
80 in der Natur wechselseitig zur Wirkung auf einander
bestimmt wird; denn auch 'das ist so von Gott be-
stimmt; denn kein Ding kann den Willen bestimmen
und ebenso kein Wille bestimmt werden, als nur
durch die Macht Gottes. Wie dies aber sich mit der
menschlichen Freiheit verträgt, oder wie Gott dies
mit Bewahrung der menschlichen Freiheit bewirken
kann, das gestehe ich nicht zu wissen, wie ich schon
mehrfach gesagt habe.
Dies ist es, was ich über die At-
^^ ^EiJ^^^^ tribute Gottes sagen wollte, von denen
ÄUrQn^&cü^ ^^h bishor noch keine Einteilung ge-
M nuhr eint geben habe. Jena von den Schriftstel-
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Ober den monscblichcn Geist 167
Wort- au «MM lern hin und wieder geschehene Ein-
sach^Einuäung. teüung in Attribute Gottes, welche
nicht mi'tteilbar sind, und in mitteilbare, scheint
mir, wie ich gestehen muß, mehr eine Wort- als
Sach- Einteilung zu sein. Denn die Wissenschaft
Gottes stimmt ebensowenig mit der Wissenschaft des
Ifenschen überein, wie das Sternbild des Hundes mit
dem Hunde als bellendem Tier, ja vielleicht ist der
Unterschied noch größer.
DU EinteUu ^^^ mache folgende Einteilung: Ein- 10
deaverfasm, 11^ ^^ ^tt Attribute^ die sein tatiges
Wesen ausdrücken, und dann hat er
solche, welche nichts von Tätigkeit, sondern seinen
Zustand des Daseins ausdrücken; dazu gehört die Ein-
heit, die Ewigkeit^ die Notwendigkeit u. s. w.; zu
jenen gehören die Einsicht^ der Wille, das Leben,
die Allmacht u. s. w. Diese Einteilung ist klar und
VOTsländlich und umfaßt alle Attribute Gottes.
Zwölftes Kapitel.
Ober den menschllelien Geist.
20
Ich gehe nun zu der erschaffenen Substanz über,
die ich in die ausgedehnte und in die denkende ein-
geteilt habe. Unter der ausgedehnt^i verstehe ich
die Materie oder die körperliche Substanz, unter der
denkenden nur den menschlichen Geist
Die Engd Allerdings gehören auch die Engel
gtkär*» nidu int ZU den erschaffenen Wesen; allein sie
GtkiH dm- Meto- gind durch das natürliche Licht nicht zu
'^^%^^^!ll^ erkennen und gehören deshalb nicht in
^***^' die Metaphysik; ihr Wesen und ihr Da- so
sein ist nur durch Offenbarung bekannt; sie gehören
deshalb nur zur Theologie, deren Erkenntnisart eine
ganz andere ist, die ihrer ganzen Art nach von der
natürlichen Erkenntnis verschieden ist und deshalb
mit letzterer nicht vermengt w^en darl Deshalb
erwarte niemand» daß ich etwas über die Engel sagen
werde.
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158 Anhang. Teü 11. Kap. 12.
DermmitaixMu Ich kehre daher zum menschlichen
n<Sf*du!Sf*A6- ^®^®* zurück, über den ich noch einiges
Mv>eigung,90Hdern 2u Sagen habe; doch erinnere ich, SblH
i^vonooug^- ich Über die Zeit der Erschaffung dea
!**^^J "2i menschlichen Geistes nichts gesagthabe»
"**I^n» IT ^®*^ ^^^^^ genügend feststeht, zu welcher
gfcHaffwk «Fjrd. Zeit Gott ihn erschafft, da er ohne Kör-
per existieren kann. So viel steht fest,
daß er nicht durch Abzweigung entsteht, da diese
10 nur bei Dingen statthat, welche erzeugt werden, also
bei den Zustanden einer Substanss, während die Sub-
stanz selbst nicht erzeugt werden kann, wie ich oben
zur Genüge bewiesen habe. ^®»)
Um über die Unsterblichkeit der
^lir^l^^!!!Md!! ^®®'® etwas beizufügen, so ist ee sicher,
8*Ai (anima) ^^ ^au vou kduom Dinge sagen kann,
tim-hueh M. seine Natur enthalte, daß ee von der
Macht Gottes zerstört werde; denn w^
die Macht gehabt hat, ein Ding zu erschaffen, hat
20 auch die Msicht, es zu zerstören. Auch habe ich
bereits hinlänglich dargelegt, daß lein erschaffenes
Ding seiner Natur nach auch nur einen Augenblick
existieren kann, sondern daß ee ohne Unterlaß von
Gott forterschaffen wird.
intoAch^siMu Wenn indes auch die Sache sich so
"uiMfarftjwfcr** verhält, so sieht man doch klar und deut-
lich, daß man keine Idee von dem Unter-
gange einer Substanz in der Weise hat, wie man die
Ideen von dem Verderben und dem Erzeugen der Zu-
80 stände hat Denn wenn man den Bau des menschlichen
Körpers betrachtet, so hat man die klare Vorstellung,
daß ein solcher Bau zerstört werden kann; aber dies
ist nicht dtonso bei der körperlichen Substanz der
Fall, wo man nicht in gleicher Weise sich deren Ver-
nichtung vorstellen ksmn. Endlich fragt der Philo-
soph nicht nach dem, was Gott in seiner Allmacht
tun kann, sondern er urteilt über die Natur der Dingp
nach den Gesetzen, die Gott ihncm gegeben hat Des-
halb hält er das für fest und richtig, was er als
40 fest und richtig aus diesen Gesetzen folgern kann;
aber dabei bestreitet er nicht, daß Gott diese Ge-
setze und alles Übrige verändern kann. Deshalb frage
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über den mensohlicben Geist 150
ich auch bei Besprechung der Seele nicht danach, was
Gott machen kann, sondern nur, was aus den Ge-
setzen der Natur folgt
Da nun aus diesem sich klar ergibt»
Vn^iSSLkktu ^^ ^^^® Substanz weder durch sich,
wwd fttiritiün. i^o<^b durch eine andere erschaffene zer-
stört werden kann, wie ich schon frühef,
wenn ich nicht irre, genügend dargelegt habe^ so
muß man annehmen, daß nach den Naturgesetzen die
menschliche Seele unsterblich ist Will man die Sache 10
noch genauer betrachten, so wird man auf das über-
zeugendste beweisen können, daß sie unsterblich ist;
denn dies folgt, wie ich eben gezeigt habe, klar aus
den Naturgesetzen. Diese Naturgesetze sind aber die
durch das natürliche Licht onenbarten Beschlüsse
Gottes, wie auch aus dem Obigen sich klar ergibt.
Nun sind die Beschlüsse Gottes unabänderlich, vrie
ich schon gezeigt habe, und daraus ergibt mch klar,
dbBiß Grott seinen unabänderlichen WiUen in Bezug
auf die Dauer der Menschenseelen nicht bloß durch 20
Offenbarung, sondern auch durch das natürliche licht
kundgetan hat
Man kann auch nicht einwenden, daß
^**'**jj^^ Gott diese Naturgesetze mitunter behufs
^!S!^Lm M <a»m' Bewirkung von Wundem vernichte; denn
9U ^rhahmi was die meisten der einsichtigen Theologen
doirmAmr nach erkennen an, daß Gott nichts gegen die
fü^T^J^" Natur tut, i^ondern nur über die Natur,
«MtoM if«. ' d. h., daß Gott, wie ich es erkläre, auch
viele Gesetze des Wirkens hat, welche so
er dem menschlichen Verstände nicht mitgeteilt hat
\^u:e dies geschehen, so würden sie uns ebenso natür-
lich vorkommen, wie die übrigen.
Daher steht es auf das ül^rzeugendste fest, daß
die Seelen unsterblich sind, und ich sehe nichts was
über die menschliche Seele im allgemeinen hier noch
zu sagen wäre. Auch über ihre besonderen Verrich-
tungen wäre hier nichts Besonderes zu sagen üt»4^,
wenn nicht die Gründe gewisser Scbriftstell^, mit
denen sie bevrirken wollen, daß sie das, was sie sehen 40
und fühlen, nicht sehen und nicht fühlen, mich darauf
zu antworten nötigten.
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160 Anhang. Teil IL Esp. 12.
Warum manehe Einige meinen, zeigen zu können,
J^'J^'^ daß 4er Wille nicht frei ist, sondern
ttreuen, immer .von etwas bestimmt wird. Sie
behaupte dies deshalb, weil sie unt^
Willen etwas von der Seele Verschiedenes ver-
stehen, was sie als eine Substanz betrachten, deren
Natur nur darin besteht, daß sie sich gleich-
gültig verhält Um indes alle Verwirrung zu be-
seitigen, will ich die Sache vorher ^läutern; dann
10 wird das Irreführende ihrer Gründe sich leichter
zeigen lassen.
woMderwmeui, ^^^ ^^^ ^®^ monschlichen Geist
^ ein d^vkendes Ding genannt Daraus
folgt, daß er vermöge seiner Natur allein, an sich
bedachtet, ^twas zu tun vermag, nämlich zu denken,
d. h. zu bejahen und zu verneinen. Diese Gedanken
werden entweder von den Dingen außerhalb des
Geistes oder von ihm allein bestimmt, da er selbst
eine Substanz ist, aus deren denkendem Wesen viele
20 denkende Tätigkeiten folgen können und müssen. Die-
jenigen von diesen denkenden Tätigkeiten, welche nur
den menschlichen Geist als ihre Ursache anerkennen,
heißen das Wollen, und der menschliche Geist, in-
sofern er als die zureichende Ursache zur Hervor-
bringung solcher Tätigkeiten aufge&ßt wird, heißt
Wille.
Bä giH ein^n ^*^ ^^^ ^® ^^^® ®"^® SOlcheMscht
wmm. ^}f ohno daß sie von äußren Gegen-
ständen bestimmt wird, kann am besten
80 an dem Beispiel des Buridanschen Esels erklärt
werden. Setzt man statt des Esels einen Menschen
in ein solches Gleichgewicht, so wäre der Mensch kein
denkendes Wesen, sondern der schlechteste Esel, wenn
er vor Hunger oder Durst umkäme. Auch ergibt
sich dies daraus, daß wir, wie früher bemerkt worden,
an allen Dingen zweifeln können und nicht Uoß das
Zweifelhafte als solches betrachten, sondern auch als
solches verwerfen könn^. Man sehe § 39 des L Teiles
der Prinzipien von Deecartes.
40 p^ipm^ i^ fy.^ Femer bemerke ich, daß^ wenn auch
' die Seele von äußeren Dingen zu einem
Bejahen oder Verneinen bestimmt wird, dies doch
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über den menBohliohen Geitt 161
nicht 80 geschieht, ab ob sie von den änOeren
Dingen geswon^en würde; vielmehr bleibt sie immer
frei, da kein Ding die Macht hat; ihr Wesen sa ser-
8tor«[L Was sie wier bejaht oder vramein^ geschieht
immer freiwillig von ihr, wie in der vierten Me-
ditation graügend dargelegt ist Fragt also jemand,
weshalb die Seele dies oder jenes woUe^ nnd dies oder
jenes nicht wollen so antworte ich, weil äe ein den-
kendes Wesen ist, d. h. ein Wesen, das nach seiner
Natur die Macht hat, za wollen und nicht zu wollen, 10
Ml bejahen nnd za verneinen; denn dies heißt es» m
denkendes Wesen zu sein.
i>m wnuiM ^^h diesen Voraosbemerkungen will
mtUMmädtmBt^ ich die Gründe der Gegner betrachten.
^*~Jir^ ^^ ^^^ Grund ist: „Wmm der Wük
" gegm da» hUie Chbot du VtrskmdßB wolUn
tätmitt, wmm «r da» dmm ChUem Enig»gmge»»tfU hejahm
iSmmti^ wo» mm dmm UiMitm Chbote ds» VersUmde» verwarf m
wird, «0 kihmh er da» Sekieekte hegtkrem^ tmd »war ai»
SchUdUe»; die» i»i aber widertimUg; folgUek auok da» 20
Sreier Aus diesem Einwand ist klar zu ersehen, daßi
die Gegner selbst nicht wissen, was der WiUe ist
Sie verweehsehi ihn mit dem Begehren, das die Seele
hat, wen sie etwas bejaht oder venimit hat; rie
haben dies von ihren Lehrern gelernt» die den Willen
als All Begehren um de» Outen wiüen definiert haben,
loh aber sage, daß der Wille da» Bejahen ist, daß »twa»
gut oder nühi gut »ei; ich habe dies schon frfiher voll-
ständig in Bezug auf die Ursache des Irrtums aus-
einandergesetzt; von dem ich geimgt habe, daß er so
daraus entsteht» daß der Wille sich weiter als der
Verstand erstreckt Hätte aber der Geist vermöge
seiner Freiheit etwas nicht für gut behauptet, so
wfirde er auch nichts begehren. In Antwort auf diesen
j^wand räume ich also ein, daß der Geist gegen das
letzte Gdbot des Verstandes nichts vwmag, d. h. daß
er nichts wollen kann, soweit er als nicht wollend
vorausgesetzt wird, wie hier geschieht, wo man sagt,
daß er eine Sache für schlecht erklart hat, d. h.
etwas nicht gewollt hat Dagegen bestreite ich, daß 40
der Geist untediut nicht imstande gewesen wäre^ das
zu wollen, was schlecht ist; d. h. es für gut halten;
Sptaoaa, VsfaslfliB tob I>«Mutot. 11
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162 Anbang. Teil IL Kap. 12.
denn dies stritte selbst gegen die Erfahrung, da
man vieles, was schlecht ist, für gut, und umgekehrti
was gut ist, für schlecht halt
BriHniou» ^^^ 35weite, oder, wenn man will,
änderet, als der der erste Gruud (da ja der vorige keiner
VeretoMd eObti war) istl „Wenn der WiUe von dem letzten
imms ipaa). praktischen ürteü des Verstandes zum WoUen
nicht bestimmt tüird, so muß er also «cÄ selbst bestimmen;
aber dies geschieht nicht, weil er an sich und vermöge seiner
10 Natur sich gleichgültig verhält:* Von hier aus fahren
sie in ihrem Beweise so fort: „Wenn der Wille an sich
und seiner Natur nach unbestimmt ist in Bezug auf Wollen
oder Nicht-Wollen, so kann er sich nicht selbst zum WoUen
bestimmen; denn das Bestimmende muß d}enso bestimmt
sein, une das Sich^Bestimmenlassende unbestimmt ist. Allein
der Wille, wenn er als sich selbst bestimmend betrachtet
wird, ist so unbestimmt, wie wenn er als bestimmt be-
trachtet wird. Denn die Gegner setzten in den bestimmenden
Willen nur dasselbe, was in dem zu bestimmenden oder
20 bestimmtefi Wülen ist, und es kann hier nichts anderes
gesetzt werden. Deshalb kann sich der WUle nicht selbst
zum Wollen bestimmen, und wenn dies so ist, so muß er
von anderwärts her dazu bestimmt werden.** Dies sind die
eigenen Worte des Professors Heerebord"®) zu Leyden,
womit er zeigt, daß er unter dem Willen nicht
den Verstand selbst versteht, sondern etwas außer-
halb oder innerhalb des Verstandes, was wie eine abge-
wischte Tafel alles Denkens entbehrt und fähig ist,
jedes Bild aufzunehmen; oder was vielmehr, gleich
80 einer im Gleichgewicht befindlichen Last, von jedem
hinzukommenden Gewicht auf eine Seite getrieben
wird, je nachdem dies hinzukommende Gewicht gerich-
tet ist; oder daß er unter Willen etwas versteht, was
weder der Herr Professor selbst, noch ein anderer
Sterblicher durch irgend ein Denken erfassen kann.
Ich habe dagegen gesagt und klar erwiesen, daß der
Wille nur der denkende, d. h. der bejahende oder ver-
neinende Verstand selbst ist; hieraus folgere ich klar,
daß er die Macht zu bejahen und zu verneinen hat;
40 wozu braucht man da noch nach Ursachen von außer-
halb zur Bewirkung dessen zu suchen, was schon aus
der Natur der Sache folgt? Allein man sagt vielleicht,
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Ober den me&schliofaen Gkist. 16S
daß der Verstand selbst nicht mehr za dem Bejahen
wie za dem Verneinen bestimmt sei, und man folgert
dann, daß man notwendig nach ein^ Ursache, suchen
müsse, wodurch er bestinmit wird. Ich sage aber,
daß, wenn der Verstand nach sich und nach seiner
Natur nur zur Bejahung bestimmt wäre (obgleich
man sich dies nicht vorstellen kann, solange man
ihn sich als ein denkendes Wesen denkt), er dann nach
seiner Natur auch nur bejahen würde und niemals
verneinen könnte, wenn auch noch so viele Ursachen 10
dafür einträte; und wäre er weder zu dem Bejahen
noch zu dem Verneinen bestimmt^ so würde er auch
keines von beiden tun können. Wenn er aber, wie
eben gezeigt, die Biacht zu beidem hat, so wird es
auch beides durch seine Natur allein bewirken können,
ohne daß eine andere Ursache mithilft Dies wird
allen denen klar sein, die ein denkendes Wesen als
Denkendes ansehen^ d. h. die das Attribut des Denkens
von dem denkenden Wesen, von dem es nur im Ver-
stände unterschieden wird, durchaus nicht trennen, 20
wie die Gegner tun, welche das denkende Wesen alles
Denkens entkleiden und es in ihren Erdichtungen
zu jenem ersten Stoff der Peripatetiker machen. Ich
antworte deshalb auf jenen Beweisgrund, und zwar
auf den bedeutenderen, so: Wenn man unter Willen
ein von allem Denken losgelöstes Etwas versteht, so
gestehe ich, daß der Wille seiner Natur nach un-
bestimmt ist Allein ich bestreite, daß der Wille etwas
von allem Denken Losgelöstes ist, behaupte vielmehr,
daß er das Denken ist, d. h. die Fähigkeit zu 80
beidem, zum Bejahen und zum Verneinen, worunter
sicherlich nichts anderes verstanden werden kann,
als eine zu beidem hinreichende Ursache. Femer
bestreite ich auch, daß, wenn der Wille unbe-
stimmt, d. h. wenn er alles Denkens beraubt wäre,
eine andere hinzukommende Ursache, ausgenonmien
Gott und seine unendliche Macht zu erschaffen, ihn
bestimmen könnte. Denn ein denkendes Wesen ohne
Denken vorstellen, ist ebenso, wie wenn man ein aus-
gedehntes Ding ohne Ausdehnung vorstellen wollte. 40
Warum Me Um mir endlich hier die Auf^Kihlung
i%iu»opheH den anderer Einwendungen zu ersparen, er-
11*
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164 Anhang. Teil IL Kap. 12.
MiImIi dm innere ich nur daran, daß die Gegner den
^**^P*J^J[J?^ Geist mit den körperliehen Dingen ver-
'^^'^m!!!!!!^'^ mengt haben, weil sie den Willen nicht
erkannt und keinen klaren und deutlichen
Begriff von dem Geiste gehabt habeiL Dies ist daher
gekommen, daß sie Worte, welche für körperliche
Dinge gebraucht zu werd^i pflege zur Bezeichnung
feistiger Dinge, die sie nicht kannten, benutzten,
ie waren gewohnt; Körper, die von gleich starken,
10 äußeren und einander ganz entgegengesetzten Ur-
sachen nach entgegengesetzten Richtungen gestoßen
werden, und die deshalb im Gleichgewicht sind, un-
bestimmt zu nennen. Indem sie nun den Willen als
unbestimmt annahmen, schienen sie ihn auch wie einen
im Gleichgewicht befindlichen Körper au&ufassen, und
da jene Körper nur das in sich haben, was sie von
den äußeren Ursachen «npfangen haben (woraus folgt,
daß sie inuner von einer äuueren Ursache bestimmt
werden müssen), so meinten sie, daß dasselbe auch
20 bei dem Willen stattfinde. Wie sich indes die Sache
verhälly habe ich schon zur Genüge erklärt, wes-
halb ich hier schließe.
Was aber die ausgedehnte Substanz betrifft, so
habe ich schon oben zur Genüge über sie gehandelt,
und außer diesen beiden erkenne ich keine andere
Substanzen an. Was die realen Accidenaen und
andere Qualitäten aneeht» so sind sie schon zur Ge-
nüge beseitigt, und icn brauche meine Zeit daher nicht
auf ihre Widerlegung zu verwenden und hebe deshalb
80 meine Hand von der Tafel hinweg. ^^)
Ende.
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Anmerkungen.
I. Zm den „Frlnzlplen der PUlosopMe toh Deseartes^.
1) Lodewijk (Ludwig) Meyer ynr ein gelehrter und
vielseitig ioteresnerter Amsterdamer Ant Er war etwas
ftlter als Spinoza und war von diesem in seinem Charakter
recht verschieden, trotEdem ffthlte er sich zn Spinoza hin«
gezogen nnd blieb ihm in treuer Freundschaft, ergeben. Auf
sein nnd seiner Freunde Zareden hat sich Spinoza ent-
schlossen, die Schrift über die Prinzipien Descartes* herans-
zngeben. Spinoza schreibt darfiber in dem dreizehnten
(firüher neunten) an Oldenburg gerichteten Briefe vom 17./27.
Juli 1668: «Dort (d. h. in Amsterdam) baten mich einige
Freunde, ihnen die Abschrift eines Traktats anzufertigen.
Er enthält den zweiten Teil der Cartesisohen Prinzipien,
nach der Beweisart der Geometer, und zudem eine kurze
Darstellung der Grundlinien der Metaphysik, die ich kurze
Zeit vorher einem jungen Manne diktiert hatte, den ich
meine eigenen Ansichten nicht offen lehren wollte. So*
dann baten mich meine Freunde, ich möchte doch sobald
als möglich auch den ersten Teil nach derselben Methode
bearbeiten, um mich meinen Freunden gefiülig zu erweisen,
s(^uritt ich sofort damit zur Ausftihrung, war in zwei Wochen
damit fertig und übergab es den Freunden, die mich schließ-
lich noch baten, dies alles veröffentlichen zu dürfen. Das
gestattete ich gerne, unter der Bedingung jedoch, daß einer
von ihnen in meiner Gegenwart den otü eleganter feile
nnd ein Vorwort hinzufüge. In diesem sollte er die Leser
darauf aufinerkssm machen, daß ich nicht alles, was der
Traktat enthftlt, als meine Ansicht gelten lasse, da ich
mancherlei darin geechrieben, dessen völliges Gegenteil ich
selbst für richtig halte. Das sollte der Betreffende dann an
dem einen oder anderen Beispiel aufzeigen. Dies alles sagte
mir ein Freund zu, der die Herausgabe des Schriftchens
übernahm." Dieser Freund ist Ludwig Meyer, der hierbei
vielleicht von Jelles, einem anderen Freunde von Spinoza
(s. Freudenthal a. a. O. S. 90 f.), unterstützt wurde.
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166 Anmerkniigeii.
2) Meyer denkt wohl zanftchst an die Geometrie Ton
Descartes, in der suerst die den Alten nnbekanute analytisohe
Methode in der höheren Geometrie begrtlndet wurde.
8) Ludwig Meyer vergißt hier ausdrücklich zu er-
wähnen, daß Descartes sich von der synthetischen Methode
in der Philosophie nicht viel versprach; „denn", so bemerkt
Descartes in den von Meyer angefiihrton Erwiderangen auf
die zweiten Einw&nde im Anhang: „die Synthesis iSßt sich
auf diese metaphysischen Gegenstände nicht so recht an-
wenden^ und weiter: „Der Unterschied ist der, daß bei
der Mathematik jeder die Grundbegriffe und -sätze zugibt,
während bei metaphysischen Gegenständen nichts so srofie
Mühe macht, als die ersten Begriffe klar und distinkt au
erfassen. ** Descartes würde also mit der Darstellung seiner
„Prinzipien** in geometrischer Form durch Spinoza nur
wenig zufrieden gewesen sein, und in der Tat ist der rein
philosophische Gehalt der Schrift recht gering, wenngleich
zuzugeben ist, daß sie nicht ohne historisches Interesse ist,
da sie zeigt, wie Spinoza sich in der Naturphilosophie ganz
an Descartes anschließt, während er in der Metaphysik schon
frühe eigene Bahnen geht, insbesondere unter dem Einflüsse
der jüngeren Scholastik (s. oben die Einleitung und unten
die Anmerkungen zu den „Metaphysischen Gedanken**).
4) Dieser Schüler war ein junger Theologe namens
Johannes Casearius. Dieser, wohl um 1642 geboren, ist ini
Mai 1661 in das Album der Leidener Universität als Student
eingetragen worden. Freudenthal schreibt über ihn (S. 116 f.) :
„Nicht zu flüchtigem Besuche, sondern zu längerem Aufent-
halte kam Casearius von Leiden nach Rijnsburg, wo er Spi-
nozas Hausgenosse und Schüler wurde. Nur äußere, uns
Ifänzlich unbekannte Gründe können Spinoza veranlaßt haben,
ihn in seiner unmittelbaren Nähe zu dulden; denn er war
ihm in Wirklichkeit unleidlich . . Als er (d. h. Casearius)
in Bijnsbnrg war, wünschte er oder die Seinigen, daß Spi-
noza ihn mit den Lehren der neuen Philosophie bekannt
mache, und Spinoza willfahrte diesem Wunsdie. Seine eigene
Lehre aber durfte er dem unreifen Jünglinge nicht mit-
teilen.** So blieb denn nur die jüngere Scholastik und die
Philosophie Descartes' übrig, und da^inoza beide Lehren gut
kannte, bot er ihre Grundzüge seinem Schüler dar. „Er (Sp.)
lehrte ihn (C.) die grundlegenden Teile der Philosophie
kennen, d. h. Metaphysik und Naturphilosophie. Hierbei
lehrte er . . . Metaphysik im Anschluß an die Formen der
Scholastik, Physik dagegen völlig nach Anleitung Descartes'*'.
Dabei ist Spinoza von der Nichtigkeit der scholastischen
Aufstellunffen fest überzeugt, aber er entnimmt ihnen „das
Fachwerk'' und erfüllt es mit dem Geiste der Philosophie
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ADmerkiugeiL 167
Deseartea'. Indewen auch an diesen schließt er sich keines-
wegs skUnsch »n, sondern er deatet, bald nnr leise, bald
denüiiiher yerst&ndlich, seine eigenen Abweichangen an. So
entsteht eine Verbindonff von scholastlBchen Formen und
moderner Philosophie, die (darauf macht Freudentbal mit
Recht aufmerksam) damals nichts Ungewöhnliches war, and
die für Oasearios sicherlich von pftdagogischem Werte ge-
wesen ist
5) Diese Druckfehler sind selbstrerst&ndlioh bei den
späteren Ausgaben berichtigt worden.
6) Es folgt hier im lateinischen Text ein etwas schwül-
stiges Gedicht, das nach der Antrabe von ▼. Yloten und Land
J. Bresser Dr. med. mm Verfasser hat. Ich gebe es in wort-
getreuer Obertragung wieder: „An das Buch. — Soll ich
nun sagen. Du seiest aus einem besseren Geiste entsprungen,
oder sollst Du dahingehen, wiedergeboren aus der Quelle
Descartes, so ist doch, kleines Buch, was Du verbreitest,
Dein Verdienst allein; kein Vorbild hat Dir Dein Lob
^ebnet. Mag ich nun den Geist, der Dich erfüllt, oder die
in Dir enthaltenen Lehrs&tse betrachten, so muß ich Deinen
Verfasser lobend zu den Sternen erheben. Bisher hat es an
einem Beispiel gefehlt, was er zu leisten yermöchte, möge
es Dir, kleines Buch, an einem Beispiele nicht fehlen ; damit
soviel als Descartes dem einen Spinoza verdankt, so viel
Spinosa sich selbst verdanken möge.**
J. B(re8ser), M(edicinae). D(octor).
7) Dieeer erste Teil der „Prinzipien*' ist nach dem
zweiten geschrieben; denn als Spinozas Freunde erfahren
hatten, &ß er fflr Casearius (s. o.) den zweiten Teil von
Descartes' Prinzipien nach geometrischer Art dargestellt
habe, baten sie ihu, auch den ersten Teil in ähnlicher Weise
zu bearbeiten. Diesem Wunsche gab Spinoza nach, und als
er im April 1668 nach Amsterdam kam, machte er sich daran,
diesen Abschnitt der Schrift auszuarbeiten. Daböi benutzte
er außer den Prinzipien (s. Phil. Bibl. Bd. 28) Descartes^
Meditationen und die dazugehörigen „Einw&nde und Er-
widerungen** (s. das N&here in betreff dieser S. 80 f. meiner
deutschen Ausgabe. Phil. Bibl. Bd. 27). Um diesen ersten
Abschnitt der „Prinzipien** zu vollenden, gebrauchte er nicht
mehr als vierzehn Tage.
8) Dies ist ein bedenkliches Zumt&ndnis gegen die
Vortre£Flichkeit der mathematischen Methode bei philo-
sophischen Geff enständen ; Spinoza ftlhlte also doch selbst,
daifl hier für den Anfang und insbesondere bei den ersten
methodischen Erörterungen die mathematische Methode nicht
anwendbar sei.
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168 AnmerkimgeiL
0) Vgl. bei Detcartes die ente Meditation und § 1—7
dee ersten Teilet der ^Prinzipiell der Philosophie^.
10) Diesen Amrfflhmpgen entspricht bei Desoertes die
jEweite Meditation.
11) Vgl. die dritte Meditation.
12) Vgl. die sweite Meditation § 14 und die dritte
Meditation § 2.
18) Vgl. die vierte Meditatson und die „Prinaipien der
Pfaflosophia«' Teü I § 31--44.
14) Spinoxa ist hier mit dem aUerdings fehlertiaften
Beweise Desoartes^ nioht einverstanden and sacht ihn daher
za verbessern. Dabei fließen schon deaUich die eigenen
Prinzipien Spinozas ans der nEthik** ein.
15) Diese Vorbemerkon^en Spinozas vermögen keines»
wegs einen Ersatz fftr das Stadium der Quellen selbst za
bieten. Es dflrfte sich f&r den Leser dieser Schrift empfehlen,
die entsprechenden Ausfübrongen Descartes' in den „Medi-
tationen'' niid den „Prinzipien" genau nachzulesen.
16) Diese Definition ist aus dem Anhange zu den
Meditationen entnommen. VgL auch Descartes' Prinzipien
Teü I § 9.
17) Auch diese Defittition ist dem erwähnten Anhang
wörtlich entnommen. Die Aosdracksweise Descartes' ist
hier ganz scholastiBch. Vgl. die Ausführungen darflber bei
P. Natorp. Descartes* Erkenntnistheorie S. 56 £. Bemerkens-
wert ist, daß diese Ausdrücke bei Spinoza zwar in der
„Abhandlung über die Verbesserung des Verstandes'', aber
nicht mehr in der j^Ethik" vorkommen.
18) Diese vierte Definition stammt aus derselben QueUe;
nur die Erl&uterung ist von Sp. zugesetzt, und man kann
nicht sagen, daß sie besonders glfickhch ist, da rie den Be-
griff der realitas eminens ebenso dunkel läßt, wie es die
Definition selbst tut, mit der sie nicht einmal genau über-
einstimmt
19) Auch diese Definition mit Erl&uterung ist wörtlich
aus der fünften Definition des Anhanges von Descartes über-
nommen. — Vergleicht man damit Spinozas eigeno Definition
(Ethik Teil I, dritte Definition), so sieht man, daß zwar der
Ausdruck, nicht aber der Sinn ge&ndert ist VgL auch
Descartes^ Prinzipien Teil I, § 51.
20) Auch diese Definitionen sind wörtlich aus dem
Anhang entnommen.
21) Diese Postulats befinden sich im Anhange von
Descartes hinter den Definitionen.
22) Dieser Lehrsatz findet sich in dieser Form nicht
bei Descartes; er h&tte, da er sich nicht eigentlich beweisen
läßt, von Sp. auch zu den Qrnnds&tzen gez&hlt werden können.
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AnmerkoDgeD» 169
28) YgL Teil II, § 1 der .Prinripien«'.
34) Vf^L auch hier die „Prinsipieo'' § 8.
25) Dieter Ghnndaats ist wörtlich ans Grundsatz 6 dee
Anhanges von Deicartee übernommen. Die Nr. 4 ist die
Fortaetcnng der 8. 22 von Spinoza angestellten Gmndsfttze.
26) Dieser Satz ist wörtlich ans Grandsatz 7 des An-
hanges übernommen» doch hat Spinoza den Vordersatz weg-
ffelassen. Dieser lautet: „Der Wille des denkenden Wesens
bestimmt sich zwar freiwillig, aber dennoch nntrfiglicb zu
dem von ihm als gut Erkannton.*' Es iet aui&Uend, dafi
Spinosa gerade dies weggelassen hat, da sich Descartes bei
dem zweiten Teile des Satzes darauf stützt.
27) Diesem ist der yorstehende Grundsatz ziemlich
wörtlich entlehnt
28) Dieser Grundsatz 7 ist aus Grundsatz 8 des An-
hanges Yon Descartes entnommen.
29) Dieser Grundsatz ist ans Grundsatz 4 des Anhanges
entnommen. Es ist dies ein wichtiger Satz in der Philo-
sophie Descartes', der auf diesen Gegenstand in der dritten
Meditation (§ 19) zurückkommt.
80) Dieser Grundsatz ist aus Grundsatz 5 des Anhanges
entlehnt. Er bildet die Grundlage für Descartes' Beweis
Ton dem Dasein Gk>tte8. Auch hier ist Descartes* dritte
Meditation zu vergleichen. Auch Spinoza fühlt die Wichtig-
keit des Satzes und fBgt zwei neue Beispiele hinzu, die aller-
dings wenip^ glücklich sind.
31) Dieser Satz ist entnommen aus Grundsatz 2 und 9
des Aühacges von Descartes und aus § 21 des ersten Teils
der Prinzipieo. Descartes selbst hat den Satz nicht bei-
behalten; so stellt er § 86 f. des zweiten Teils der Prinzipien
die stete Fortdauer einer einmal vorhandenen Bewegung als
Grundgesetz der Mechanik auf. Hier heÜlt es: „Das erste
Gesetz der Natur ist, daß jedes Ding in dem Zustand ver-
bleibt^ in dem es ist, solange keine YerÜndemng eintritt . .
So, wenn ein Körper in Ruhe ist, ßLngt er von sich aus
nicht an, sich zu bewegen, aber wenn er einmal angefangen
hat, eich zu bewegen, so haben wir auch gar keinen Gk-und,
anzunehmen, daß er mit seiner Bewegung aufhört, solange
er nicht auf einen anderen Körper trifit, der seine Bewegung
verzögert oder aufhält Hat also ein Körper einmal ange-
&ngen, sich zu bewegen, so müssen wir schließen, daß er
alsdann fortfiUirt sich zu bewegen, und daß er von sich aus
niemals stillsteht*^ (§ 87).
82) Dieser Lehrsatz und Beweis ist wörtlich aus dem
Anhange von Descartes, Lehrsatz 1 entiehnt. Es liegt hier
im wesentlichen der bekannte ontologische Beweis Anselms
vor, auf den sich die anderen Gottesbeweise sftmtlich zori^-
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170 .ADmerkaDgen.
föhren lassen and dessen Nichtigkeit erst endgültig von Kant
in seiner „Kritik der reinen Vernunft*' bewiesen worden ist.
83) Dieser Lehrsatz mit Beweis ist wörtlich ans Lehr-
satz 2 des Anhanges von Descartes entnommen. Vgl. die
dritte Meditation.
84) Vgl. die dritte Meditation, besonders § 42 und den
Lehrsatz 3 des Anhanges von Descartes.
86) Bei Descartes Grundsatz 8.
86) Vgl. die Grunds&tze 9 und 10 bei Descartes.
87) Diese Worte stehen in dem Beweise zu Lehrsatz 8
des Anhanges.
88) 8. dritte Meditation § 85.
89) Dieser Lehrsatz mit seinem Beweise ist wOrtUch
aus Lehrsatz 4 des Anhanges von Descartes entnommen.
Spinoza geht hier ganz andere Wege, da er überhaupt nur
eine Substanz anerkennt» deren At&ibute Denken und Aus-
dehnung sind. Trotz dieser grundsätzlichen Abweichungen
folgt hier Sp. genau Descartes und verzichtet auf jede Kritik,
da er es noch nicht filr angebracht hielt, mit seinen eigenen
Ansichten über diese wichtige Frage offen hervorzutreten.
40) Dieser Lehrsatz findet sich so nirgendwo bei Des-
cartes; Spinoza hat ihn als eine Folgerung des ontologischen
Beweises hinzugesetzt. Dasselbe gilt von dem zehnten
Lehrsatz.
41) Auch dieser Lehrsatz mit seinem Beweis kommt
bei Descartes nicht vor. Vgl. dagegen Spinoza, Ethik, Teil I,
Lehrsatz 18 und 14 und den Folgesatz 1 zu dem letzteren
Lehrsatz.
42) Vgl. Descartes' Prinzipien, Teil 1, .§ 21 und § 24.
48) Nach dem Vorgang des Aristoteles unterschieden
die Scholastiker vier Arten von Ursachen, nämlich 1. den
Stoff {vXfj; causa materialis), 2. die Form {eid<K; causa for-
malis), 3. die wirkende Ursache (6^ev 17 xiyrjoic] causa e£Fi-
ciens) und 4. den Zweck (06 hexa; causa finalis). Die obige
Stelle bezieht sich auf diese Unterscheidung.
44) Dieser Zusatz 2 kommt bei Descartes nicht vor;
überhaupt benutzt Descartes den Begriff des Wesens (essentia)
nur höchst selten, während er bei Spinoza, wie in der
jüngeren Scholastik, eine bedeutende B.olle spielt. Der Sache
nach enthält § 28, Teil I. von Descartes' Prinzipien unge&hr
das, was Spinoza hier in Zusatz 2 ausführt, indes nicht so
bestimmt und ausführlich. Dieser Zusatz hatte deshalb für
Spinoza größere Bedeutung als für Descartes, weil dieser
sich überhaupt mit der Entwicklung der einzelnen Eigen-
schaften Gottes in seiner Philosophie mcht weiter beschäftigte;
er begnüflrte sich mit der Darlegung und Vervollständigung
des ontologischen Beweises vom Dasein Gtottes; im übrigen
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.Anmerkungen. 171
würde er hier wohl auf die Theologie verwiesen haben, der,
nach Deacartes* Ansicht, solche Dinge eher als der Philo-
sophie angehörten. Spinoza mnßte hier eine ganz tfndere
SteÜnng einnehmen; denn der Begriff Gottes hatte sich in
seiner Lehre ganz von dem religiösen Begriffe entfernt.
Vgl. das L, II. and Y. Bach von Spinozas Ethik.
45) Vgl. Desoartee' Prinzipien, Teil I § 29 and die
dritte Meditation.
46) Vgl. die dritte Meditation § 4 and meine Er-
l&atemngen dazu S. 150 f. S. aach Ernst Cassirer, Das
Erkenntnisproblem S. 484 ff.
47) S. die vierte Meditation and die Prinzipien, Teil I,
§ 32 and 38.
48) Vgl. hierza die ganze vierte Meditation and meine
Erl&aterangen daza; ferner Prinzipien, Teil I, §§ 85ff.
49) Unter der „Form des Irrtums" ist das Wesen oder
der Begriff des Irrtums zu verstehen. Diese Ausdrucks weise
ist Ariatotolisch und wird von Descartes für gewöhnlich
Vermieden.
50) Dieser Lehrsatz mit seinem Beweis findet sich bei
Descartes nicht; ebensowenig die folp;enden (L. 18 und 19).
Die eigene Ansicht Spinozas ist hier von Descartes ab-
weicbend. Vgl. Ethik Teil I, Lehrsatz 13.
51) Bei Descartes findet sich dieser Satz § 41 des
ersten Teils der Prinzipien; allein es fehlt dort der strenge
Beweis, den Spinoza hier anfügt. Dieser Beweis (einschließ-
lich des Zusatzes) geht über Descartes hinaus und darauf
aus, den fireien Willen Gottes in die Notwendigkeit seines
Wesens umzuwandeln, wie dies in Lehrsatz 17 und 21 des
L Teüs der Ethik weiter ausgeführt wird.
52) Dieser Lehrsatz findet sich bei Descartes im Anhang
als Lehrsatz 4 und ausftihrlicher in der sechsten Meditation
§ 7, 17, 44.
53) Dieser zweite Teil entspricht dem zweiten Teile der
„Prinzipien** Descartes^ und handelt also von den Prinzipien
der körperlichen Dinge.
54) Dasselbe Postulat findet sich bei Descartes, Prinzi-
pien I. Teil § 43.
55) V^. zu den Definitionen die von Descartes; femer
Prinzipien Teü II, § 16; 20; 25; 26f.; 28—31.
56) Dieser Satz ist aus § 23, Teil U der Prinzipien ent-
nommen. Spinoza behandelt diesen Satz als eine Definition;
Descartes dagegen gibt ihn als Lehrsatz und fügt deshalb
einen Beweis hinzu. Dies letztere ist offenbar richtiger;
denn es handelt sich hier ja nicht nur um eine bloße be-
griffliche Bestimmung, sondern um die Feststellung des Ge-
setzes, das jede Bewegung eines bestimmten Körpers regelt.
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172 Anmerkungen.
67) Man vgl. Deioartea' Prinzipien Teü H, §§ 4, le,
201, 281
58) Die Grnndfiftlze 11—18 hat Deeoartes nicht.
59) y^l. Frincipien Teil II, § 83.
60) Diesen Satz hat Spinoxa aus Euklids Elementen
übernommen, bei Descartes findet er sich nicht aasdrficklich
ausgesprochen, wenn er von ihm auch vorausgesetct wird.
61) Dieser Satz mit Beweis ist yon Spinoza zugesetzt,
Descartes hat ihn nicht
62) Man vgl. § 85 des zweiten Teils der Prinzipien.
68) Vgl. ebenda die §§ 21 und 22.
64) Vgl. die Physik des Aristoteles Buch VI, Kap. 2.
Einen solchen Beweis, wie Spinoza hier annimmt, hat Zeno
gar nicht aufgestellt. Vielleicht h&It sidi Spinoza hier an
Ausföhrungen von Scholastikem, die selbst nicht unmittelbar
aus den Quellen geschöpft haben.
65) Über dieZenonischen Beweise gegen die Realitftt
der Bewegung vgl. AristotelesPhys. VI 2p. 288 a, 21 und 9;
p. 289 b, 5 ff. und die Kommentatoren des Aristoteles (Ber-
liner Akademie-Ausgabe). Diese Beweise sind sowohl in
älterer, wie in neuerer Zeit von nicht unbeträchtlichem Ein-
fluß auf die Entwicklung der Metaphysik gewesen. Sie be-
ruhen sämtlich auf der Unmöglichkeit, sich das Unendliche
als in sich abgeschlossen Existierendes vorzustellen, oder
sich die Teilung einer endlichen GrOfie in unendhch viele
kleinste Teile als tatsächlich vollzogen zu denken. Ob die
Aristotelischen Antworten auf die Zenonischen Arpfumente
genügen, ist recht zweifelhaft; zu widerlegen war Zeno im
Grunde nur vermittels des modernen Beweguuffsbegrifib ,
,bei dem die Bewegung im bewußten Gegensatz zur Extension
als inextensive, infinitesimale Realität aufgefaßt wird.
66) Dieser Zusatz richtet sich gegen die Lehre der
Scholastiker, wonach den Körpern gewisse Sympathien
sageschrieben wurden, die sie innerlich antreiben, sich mit
anderen zu verbinden, und ebenso Antipathien, die von innen
heraus sie zur Trennung antreiben. Auch dem Leeren gab
man eine Art anziehender Kraft, vermöge deren es sich selbst
stets mit Körpern erftOlte. Solche Annahmen mit ihrer Will-
kür und Grundlosigkeit widersprechen indessen den Ghrund-
gesetzen der Mechanik und sind deshalb schon von Des-
cartes beseitigt worden.
67) Vgl. Descartes' Prinzipien Teil II, § 88.
68) Vgl. ebenda die §§ 88—86.
69) Vgl. ebenda § 87.
70) Vgl. ebenda § 89.
71) Dieser Beweis ist eine Zutat von Spinoza.
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Anmerkuifiren. 178
72) Hier beginnen die Sioflregeln, die bei Deeoartee von
§40, Teil n der Prinzipieniib behiuidelt werden. Bemerkens-
wert iet, dȟ Spinosa yon dem Begriff der absolnten Hftrte
g^üizfich abiehen zu dfirfen glaubt, obgleich dieser doch eine
nneri&Oliche Voranssetzung ffir Descartes' Stoßregeln bildet
78) Das heißt allgemein, daß die BewegnngsgrOße gleich
dem Produkt aus Masse und Geschwindigkeit des be-
wegten Körpers ist
74) Man ygl. § 48. des zweiten Teiles der Prinzipien.
75) An diesem und den folgenden Beweisen zeigt sich
recht deutlich die ünzul&nfirlichkeit des von Spinoza se-
wiblten Beweisyerfahrens. Er bleibt g&nzlich in bloßen fie-
griffen stecken , anstatt diese auf die reine, r¨iche An-
sehanung zu beziehen.
76) Man sehe § 47 des zweiten Teils der Priniipien.
Vgl. Leibnizens Kritik in den „Bemerkungen zu den Oarte-
■ischen Prinzipien*' (Leibniz, Hauptsohriften zur Grund-
legung der Philosophie Bd. I. S. 8201), die so recht deut-
liä zeigt, welch gewaltiger unterschied zwischen dem Carte-
sianismus eines Spinoza und eines Leibniz yorhanden ist.
Dieser stützt sich bei seinen kritischen Bemerkungen vor
allem auf das fruchtbare Prinzip der Kontinuit&t, dM er an
einer SteUe (a. a. 0. S. 84) folgendermaßen ausspricht: „Wenn
in der Reihe der gegebenen Größen zwei F&Ue sich stetig
einander n&hem, sodaß schließlich der eine in den anderen
abereeht, so muß notwendig in der entsprechenden Reihe
der abgeleiteten oder abhängigen Größen, die gesucht werden,
dasselbe eintreten." Denkt man sich demgemäß die Un-
gleichheit oder den Überschuß yon B über A stetig verringert,
bis völlige Gleichheit eintritt, so wird auch das Resultat sich
dem Resultate, das bei der Gleichheit beider Körper vor-
banden ist, stetiff n&hem müssen. „Nimmt man also an, der
Überschuß des B über A sei zunächst so groß, daß B trotz
des Gegenstoßes seine Bewegung fortsetzt, so muß doch
notwendig, wenn B allmählich abnimmt auch sein Fort-
schreiten sioh stetig verringern, bis . . B vollkommen zum
Stillstand kommt Bei weiterer Abnahme wird B endlich
rar entgegengesetzt gerichteten, allmählich wachsenden Be-
wegung übergehen, bis man, nachdem die Ungleichheit
swischen B und A ganz geschwunden ist ^^ die Regel fftr
die Gleichheit kommt ... Es kann daher diese zweite
Gartesische Re^ nicht in Rechte bestehen. Denn nach
ihr bleiben, wie sehr man auch B vermindern mag, um es
der Größe von A anzunähern, . . die Ergebnisse für das
Verhältnis der Gleichheit und der Ungleichheit dennoch
stets im höchsten Grade verschieden und nähern sidi ein-
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174 AnmerkuDgeii.
ander Dicht aUmfthlich, da B stets in derselben Richtung
mit derselben Geschwindigkeit «eine Bewegung fortsetst,
solange es auch nur ganz wenig grOOer ist als A."
77) YgL die Prinzipien Teil II, § 52, aus denen dieser
Lehrsatz wenigstens mittelbar folgt.
78) Vgl. ebenda § 49.
79) Vgl. § 45 und § 58 des zweiten Teils der Prinzipien.
80) Vgl. ebenda § 56.
81) Dieser Lehrsatz stimmt mit § 58, Teil II der Prin-
zipien, allein nicht sein Beweis; vielmehr widerstreitet
dieser nicht bloO Descartes* Auffassung, sondern auch dem
folgenden Lehrsatz 85, wonach B den größten Teil seiner
Bewegung von den ihn umgebenden EOrperchen eihalten soll.
82) Vgl. ebenda § 59.
88) Vgl. zu dem ganzen „Zweiten Teil" Ernst Gassirer,
Descartes' Kritik der mathematischen und naturwissenschaft-
lichen Erkenntnis. Diss. BerUn 1899. Kapitel 11.
84) Dieser Anfang des dritten Teiles ist aus Teil m,
§ 4 der Prinzipien entlehnt.
85) Vgl. ebenda § 45.
86) Vgl. ebenda § 42.
87) Diese Bechtfertigung der Hypothesen ist ein Zusatz
von Spinoza, dessen Bemerkungen hier ein feines mathe-
matisches Verst&ndnis bekunden.
88) Dieser Abschnitt ist ziemlich wörtlioh aus § 46
(oicht 47)t m der Prinzipien entlehnt; vgl. ffir das Folgende
ebenda Teil 11, § 20—23.
IL Zu dem ^Anhang, enthalteiid metaphyaiselie
aedanken^*
89) Spinoza ist in diesem „Anhang**, wie von Freuden-
thal („Spinoza und die Scholastik** in den „Philosophischen
Au&&tzen, Eduard Zeller zu seinem 50j&hngen Doktoijubi-
Iftum gewidmet*', Berlin 1887, S. 8d£) flberzeugend nach-
gewiesen worden ist, abgesehen von Deecartes, besonders
von der jüngeren Scholastik abhftngig. Die filtere Ansicht
Kuno Fischers, daß diese Schrift dazu dienen solle, die
Differenzen zwisdien dem eigenen und dem Standpunkte
Descartes* zu verdeutlichen, ist nicht haltbar, wie sich aus
den Worten Ludwig Meyers in der Vorrede ergibt. M. Jodl
in seiner Schrift „Zor Genesis der Lehre Spinozas" hat hier*
über folgende Auffassung vertreten: „Die metaphysischen
Gedanken** — so heifit es hier (S. 47) — „haben überiiaupt
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AnmerkuDgen. 175
einen eigentOmlicheD Charakter, den ich dahin beeünimen sn
mfiBBen glaube, daß er in ihnen die Lesefrfich te ans jQdischen
PhiloBophCD, natfirlich mit selbständigem Geiste, dasn ver-
wendet, am innerhalb des Gartesianisohen Systems solche
Fraf^en za lösen , die bei Gartesins entweder gar nicht oder
doch nur kurz berflhrt sind**. Auch dieser Versuch, die
jüdische Religionsphilosophie als Hauptqaelle der Schrift
nachsnweiseu, zeigt sich als undurchföhrbar. Die gaoze An-
lage und die Terminologie der Schrift verbieten eine solche
Annahme. Die Quelle rar sie ist also die christliche Scho-
lastik, insbesondere die jüngere Entwicklung derselben, doch
zeigt sich auch ihr gegenüber Spinoza recht selbständig, indem
er alle bloßen Spitzfindigkeiten und Wortklaubereien sorg-
ftlüg vermeidet und mit seiner Untersuchung nur da einsetzt,
wo wirklich metaphysische Probleme verboten liegen. Br
bemüht sich ferner mit G^chick, die alten Formen mit dem
neuen Geiste und mit Gartesianischer Denkweise zu erfftUen.
90) Spinoza eröffnet die „Gkdankeo'' mit einer Er-
klärung des Wortes „ens^S wobei er den namhaftesten Scho-
lastikern folgt, denen, ebenso wie dem Aristoteles, Meta-
physik mit Ontologie gleichbedeutend war. Vgl. Thomas
zu Arist Metaph. I, lY Anf.; Suarez, Disp. I p. 8;
Üartini, Ezerc. I p. 49 ; Burgersdijck, Inst, metic. l[
Ol) Ähnliche Untersuchungen pflegen hier in der
jüngeren Scholastik des sechszehnten und siebzehnten Jahr-
hunderts zu erfolgen. „Sie waren von großer Wichtigkeit
für die Philosophie, welche das Problem, das die Erkenntnis
der üniversalien bildet, vom Mittelalter geerbt hatte und noch
immer als eins der wichtigsten anzusehen gewohnt war.'*
(S. 107). Auch bei Suarez fehlt eine Abhandlung über
diesen Gegenstand nicht.
99) Vgl. Freudenthal a. a. O. S. 108. AhnUche Unter-
suchungen wie hier bei Spinoza finden sich bei Suarez,
Disp. XXXI p. 156f.; Scheibler, Met Ic. ISund 14p. 818f.
Heereboord, Melet p. 1343.
08) Den Erörterungen des Begriffes „ens'^ gleich „Ding*'
oder „ Wesen'* folgen bei den Metaphydkem Erörterungen
Aber die verschiedenen Bestimmungen des Seienden, über
Notwendigkeit und Möglichkeit, Ewigkeit, Zeit und Dsoer,
Gfegensatz und Ordnung, Verschiedenheit und Oberein-
stämmung, Ganzes und Teil und anderes. Vgl. Suarez,
Disp. lU; Scheibier a. a. O. I. c. 8fil; Burgersdijck,
Inst met. I c. lOff. Spinoza begnügt sich mit der Erörterung
der wichtigsten dieser Bestimmungen.
94) „Ober die Ewigkeit'' fehlt in dem lateinischeo
Texte von v. Vloten und Land.
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176 lAnmerkongeii.
95) Hier n&hert noh Spinoza am entieliiedeiisten
Bnrgersdijok, von dem die hier anfgeztUiIten Bestim-
mungen in den Inst. log. c. 19—28 beaprochen worden sind.
96) Aach hier, bei der Erörterung der sogenannten
transHcendentalen Bestimmungen des „ens" seigt sich Spinosa
▼on Thomas und Ton Suarez abh&Dgig.
97) Auch hier folgt Spioosa der jüngeren Thomisti-
sohen Richtang, besonders bei der Behandlung der Attribute
Gottes.
98) 8. Frendenthal a. a. 0. S. 111.
99) Spinoza wiederholt hier zum Teil wOrÜioh die Ans-
nihrungen Borgersdijcks (a. a. 0. 8. 111).
100)yer&nderlichkeit wird Gott von Spinoza abgesprochen,
weil Gott weder durch &ußeie Ursachen, noch durch eine
innere Ursache yer&odert werden könne. Dieselbe Unter-
scheidung zur Abwehr des Begriffes der Ver&oderliohkeit
findet sich schon bei Piato Bep. II 380 D, femer bei Thomas
8. th. qu. 9 art 2, und noch n&her kommt Heereboord
Melet p. lB4f:
101) Vgl. Freudenthal a. a. 0. S. 113.
102) In diesem Kapitel behandelt Spinoza Themata,
die von Philosophen der verschiedenen Religionsparteien
des Öfteren erörtert worden sind. Fragen wie die | 2 und
4 erwfthnten weisen auf die christliche Scholastik hin, die
derartiges bis sum Obermaß erwogen hat Vgl. Lombardus
Id. 88 und 89 und seine Kommentatoren; Thomas S. th. I
qu. 14. Suarez, Disp. XXX s. 15 u. a.
108) Hierzu yg}. Thomas, de potent qu. 1 art 3. 7.;
Summa theol. I qa. 25 art. 3f; Suarez, Disp. XXX S. 17;
Heereboord, Melet. p. 847 f.
104) Vgl. Freudenthal a. a. 0. S. 114.
105) Den Wortlaut dieser Fragen entnimmt Spinoza
seinem Liandsmanne Heereboord (Melet. p. 854 — 857). Er
weiß indessen aus den Schriften anderer, daß diese Fragen
selbst viel älteren Ursprungs sind. In der Tat begegnen sie
bei fast allen Metaphysikern« seit sie Petrus Lombardus und
Thomas behandelt hatten, ja, sie finden sich schon im Neu-
platonismus und in der Patristik.
106) Spinoza behandelt den SobOpfungsbegriff und die
Begriffe der Erschaffung und der Brh^tang nach dem Muster
der jüngeren Scholastiker (Freuden thal a. a. 0. 8. 115).
107) Der Bogriff der Erhaltung ist» wie Freudenthal
im Ghegensatz zu Sigwart (Kurzer !h*ktat 8. 168, zweite
Auflage) feststellt, nicht Giordano Bftino entlehnt, sondern
weit verbreitete Lehre der Scholastiker. So heißt es, um
nur ein Beispiel anzuffthron, bei Tkomas (& th. 1 qu. 104
art 1 und 9): .Dwrett dteeelbe Tätigkeit wie er S<diOpfer,
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AnmerknDgen. 177
iat Gott auch der Erbalter der Dinge. " Joäl hebt in seiner
Schrift „Zar Genesis der Lehre Spinozai*' (S. 48) hervor,
daß dieser Gedanke der Identität von Schöpfung und Er-
haltung sich auch bei jüdischen Religionsphüosophen findet.
108) Vgl. die von Freudenthal (a. a. 0. S. 115) an-
gefahrten Stellen, welche die Obereinstimmnng Spinoaas
mit Pereira und Hcereboord zeifren.
109) Vgl. Freudenthal a. a. 0. S. 116.
110) Die Quelle fflr diese Ausführungen ist, wie von
Trendelenburg (Beitr. III S. 817 £.) nachgewiesen worden,
Heereboord, Melet. p. 713.
111) „Aufidllig ist, dafi Spinoza seine Gogitata mit einer
Bemerkung über accidentia realia, die in keinem Zusammen-
hang mit dem vorau%eschickten Gegenstand steht, abschliefit
Es erkl&rt sich aus dem Umstände, daß die meisten Meta-
physiker, dem Aristotelischen Schema der Kategorien folgend,
eine Erörterung der Accidenzien der Untersuchung über die
Substanz foleen ließen. Der Frage nach den accidentia
realia aber legte die christliche Scholastik eine große Be-
deutung wegen der Lehre von der Transsubstantiation bei**
(Freuden thal ebenda S. 117).
Spin Ol», Prliuipleii ron DeMartes. 12
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Inhalteübersicht
der in den ^Prinzipien der Philosophie Descartes*' und in
den „MetaphysiBchen Gedanken** enthaltenen Definitionen,
GIrundflfttse, Lehrs&tze und Lehnsfttze.
Seite
Vorrede von Ludwig Meyer 1
Bie Prinzipiell der Philosophie auf greometrlsehe
Weise Degründet. Erster Teil 11
Einleitung ... * 11
Definitionen 20
G^mnds&tKe 22
Lehr 8. I. Wir können über nichts unbedingt gewifi
sein, solange wir nicht wissen, ob wir existieren . 28
Lehrs. II. Das Ich bin muß durch sich selbst be-
kannt sein 28
Lehrs. III. Der Satz: ,,Ich, als ein aus einem Körper
bestehendes Ding, bin**, ist nicht das Erste und
nicht durch sich selbst bekannt 28
Lehrs. IV. Der Satz: n^^^ bin**, kann nur insoiem
ein zuerst Erkanntes sein, als wir denken ... 24
Die von Descartes übernommenen Ghrunds&tze .... 26
Lehrs. V. Das Dasein Gottes wird aus der bloßen Be-
trachtung seiner Natur erkannt 80
Lepirs. VL Das Dasein Gottes wird schon allein dar-
aus, daß die Idee Gottes in uns ist, a posteriori
bewiesen * 31
Lehre. VII. Das Dasein Gottes embt sich auch daraus,
daß wir selbst, die wir seine Hee haben, existieren 88
Lehne. L Je vollkommener eine Sache ihrer
Natur nach ist, ein um so größeres und notwendigeres
Dasein schließt sie ein; und umgekehrt, ein um so
notwendigeres Dasein eine Sache ihrer Natur nach
einschlief desto vollkommener ist sie 87
Lohns. IL Wer die Macht hat, sich zu er-
halten, dessen Natur enthftlt das notwendige Dasein 88
Der Beweis fObr den siebenten Lehrsatz 88
12*
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180 Inhaltsübersicht
Seite
Lehrs. VIII. Geist and Körper sind wirklich ver-
schieden 39
Lehrs. IK. Gott ist allwissend 40
Lehrs. X. Alle Vollkommenheit, die in Gott ange-
troffen wird, stammt von Gott 41
Lehrs. XL Es gfibt nicht mehrere Götter .... 41
Lehrs. XII. Alles Existierende wird nnr durch die
Kraft Gottes erhalten 42
Lehrs. XIII. Gott ist höchst wahrhaft and kann un-
möglich ein Betrfiger sein 43
Lehrs. XIV. Alles, was man klar und deatlioh auf-
faßt, ist wahr 44
Lehrs. XV. Der Irrtum ist nichts Positives ... 44
Lehrs. XVL Gott ist unkörperlich 49
Lehrs. XVII. Gott ist das einfachste Wesen ... 49
Lehrs. XVm. Gott ist unveränderlich 60
Lehrs. XIX. Gott ist ewig 50
Lehrs. XX. Gott hat von Ewigkeit her alles im vor-
aus geordnet 50
Lehrs. XXL Es existiert in Wahrheit eine Substanz,
die in die Länge, Breite und Tiefe ausgedehnt ist,
und wir sind mit einem Teil derselben vereint . . 51
Die Prinzipien der Philosophie auf geometrische
Weise begrttndet. Zweiter Teil 53
Postulat 53
Definitionen 58
Grundsatze 56
Lehns. I. Wo es eine Ausdehnung oder einen
Raum gibt, da gibt es auch notwendig eine Substanz 58
L 6 h n s. IL. Verdünnung und Verdichtung werden
klar und deutlich von uns vorgestellt, obgleich wir
nicht einräumen, daß die Körper im Zustande der
Verdünnung einen größeren Raum einnehmen als
bei ihrer Vedichtung 58
Lehrs. L Wenn auch die Härte, das Gewicht und die
tüi)rigen sinnlichen Eigenschaften von einem Eöiper
abgetrennt werden, so wird doch die Natur des
Körpers trotzdem unversehrt bleiben 59
Lehrs. ll. Die Natur des Körpers oder der Materie
besteht blofi in der Ausdehnung 59
Lehrs. III. Das Leere ist ein in sich widerspruchs-
voller Begriff 60
Lehrs. IV. Ein Körperteil nimmt das eine Mal nicht
mehr Raum ein als das andere Mal, und umgekehrt
enihtit derselbe Raum das eine Mal nicht mehr an
Körpern als das aodere Mal 61
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InhaltBfibersicht. 161
S«lt«
Lehr 8. V. Es gibt keine Atome 62
Lehre. VL Der Stoff ist ohne Ende (indefinite) aus-
gedehnt, und der Stoff des Himmels und der Erde
ist ein nnd derselbe 68
Lehre. VIL Kein KOrper tritt an die Stelle eines
anderen, wenn nicht zugleich dieser an die Stelle
wieder eines anderen Körpers tritt 68
Lehre. VUI. Wenn ein Körper an die Stelle eines
anderen tritt, so wird gleichzeitig seine von ihm
Terlassene Stelle von einem anderen Körper ein-
genommen, der ihn unmittelbar berflhrt .... 69
Lehre. IX. Wenn der Kanal ABC mit Wasser an-
geföUt ist und er bei A viermal breiter als bei B
ist, so wird zu derselben Zeit, wo jenes Wasser
(oder eine andere Flüssigkeit), was bei A ist, sich
nach B zu bewegen beginnt, das bei B befindliche
Wasser sich viermal schneller bewegen .... 70
Lehne. Wenn zwei Halbkreise um denselben
Mittelpunkt beschrieben werden, wie A und B, so
bleibt der Raum zwischen beiden Peripherien sich
flberall gleich; werden sie aber um verschiedene
Mittelpunkte beschrieben, wie C und D, so ist dieser
JEtanm zwischen beiden Peripherien überall ungleich 71
Lehre. X. Eine Flüssigkeit, die sich durch den Kanal
ABC bewegt, nimmt unendlich viele verschiedene
Geechwindigkeitsgrade an 71
Lehre. XI. In dem durch den Kanal ABC fließenden
Stoffe gibt es eine Teilung in unendlich viele
Teile 72
Lehre. Xu. Gott ist die Grundursache (causa princi-
paus) der Bewe^npr 72
Lehrs. XIII. Dieselbe Menge (quantitas) von Bewegung
und Ruhe, die Gott dem Stoffe einmal verliehen
hat, erhält Gott auch durch seinen Beistand . . 78
Lehrs. XEV. Jedes Ding, sofern es einfach und unge-
teilt ist und an sich allein betrachtet wird, verharrt,
sofern an ihm liegt» immer in demselben Znstande 78
Lehrs. XY. Jeder bewegte Körper hat an sich das
Bestreben, sich in gerader Linie und nicht in einer
Kurve zu bewegen 74
Lehrs. XYI. Jeder Körper, der sich im Kreise be-
wegt, wie z. B. der Stein in der Schleuder, wird
fortwährend bestimmt, sich in der Richtung der
Tangente fortzubewegen 75
Lehrs. XYU. Jeder im Kreise bewegte Körper strebt
danach, sich von dem Mittelpunkt des Kreises, den
er beschreibt, zu entfernen 78
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182 InhaltsCLbenicht.
Seit«
Lehjs. XVm. Wenn sich ein Körper, etwa A, gegen
einen rahenden Körper B bewegt, und B trots
des Stoßes durch A nichts von seiner Buhe verliert,
so wird aach A nichts von seiner Bewegung ver-
lieren, sondern dieselbe Bewegongsqnantit&t (qaan-
titas motas), die er früher hatte » ganz behalten • 79
Lehrs. XIX. Die Bewegung ist, an and fflr sich be-
trachtet, von ihrer Bichtung nach einem bestimmten
Ort hin vorschieden, und es ist nicht nötig, daß
ein Körper deshalb, weil er in der entgegengesetzten
Bichtang sich bewegen oder surfickgeetoßen werden
soll, eine Zeitlang ruht 80
Lehrs. XX. Wenn der Körper A dem Körper B be-
gegnet und ihn mit sich fährt, so wird A so viel
von seiner Bewegung verlieren, als B bei dieser
Begegnung mit A von diesem erhftlt 80
Lehrs. XXI. Ist A doppelt so groß als B und be-
wegt es sich ebenso schnell, so wird A auch noch
einmal so viel Bewegung als B haben oder noch
einmal so viel Kraft, um die gleiche Geschwindig-
keit mit B einzuhalten 81
Lehrs. XXIL Ist der Körper A dem Körper B gleich
und bewegt sich A noch einmal so schnell als B,
so ist die Kraft oder Bewegung in A noch einmal
so groß als die in B 81
Lehrs. XXIIL Wenn die Zustftnde (modi) eines Körpers
eine Veränderung zu erleiden genötigt werden, so wird
diese Veränderung immer die kleinstmögliche sein 88
Lehrs. XXIV. Erste Regel. Wenn zwei Körper, z. B.
A und B einander vollständig gleich sind und
sich gegen einander genau gleich schnell bewegen,
so wird bei ihrer Begegnung jeder ohne Verlust an
seiner Geschwindigkeit nach der entgegengesetzten
Richtung zurückprallen 83
Lehrs. XXV. Zweite Regel. Wenn die beiden Körper
in ihrer Masse ungleich sind, nämlich B größer als
A, im übrigen alles andere so wie früher ange-
nommen wird, so wird A allein zar&ckprallen, und
beide Körper werden mit derselben Geschwindigkeit
sich zu bewegen fortfahren 84
Lehrs. XX VL Sind die Körper sowohl ihrer Masse
wie ihrer Geschindigkeit nach verschieden, nämlich
B noch einmal so groß als A, die Bewegung von
A noch einmal so schnell als die von B, im übrigen
aber alles wie vorher, so werden beide Körper in
entgegengesetzter Richtung zurückprallen und jeder
die Geschwindigkeit, die er hatte, beibehalten . . 84
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Inhalttfibenioht. 183
Lehre. XXYIL Dritte BegeL Sind beide Körper der
Masse nach einander gleich^ aber bewegt noh B
ein wenig schneller als A, so wird nicht allein A
in der entgeg^ngeseteten Richtong rarfickweichen,
sondern B wird auch die Hftlfte seines Mehr an
Geschwindigkeit auf A übertra^n, und beide wer-
den dann mit gleicher Geschwindigkeit sich in der
gleichen Bichtong fortbewegen 85
Lehrs. XXVIII. Vierte Begel. Wenn der Körper A
gans ruht and etwas größer ist als B, so wird B,
mag seine Geschwind^keit so groß sein, als sie
will, doch den Körper A nie in Bewegung setien«
sondern B wird von ihm in der entgegensesetsten
Bichtong surfickgetrieben weiden nnd dabei seine
Bewegung nnyer&ndert beibehalten 88
Lehrs. XXIX. Fünfte Be^eL Wenn der rahende
Körper A kleiner als B ist, so wird B, mag es sich
aach noch so langsam gegen A bewegen, A mit
sieh nehmen, indem es einen Teil seiner Bewegung
auf A flbertr>, und zwar so viel, daß beide nach-
her sich gleich schnell bewegen. (Man sehe § 50,
T. n der Prinzipien) 90
Lehrs. XXX. Sechste Begel. Ist der rahende Körper
A dem sich gegen ihn bewegenden Körper B genaa
gleich, so wird er teils von ihm fortgestoßen werden,
teils wird B von A in der entgegengesetzten Bichtong
snrflckgestoßen werden 90
Lehrs. XXXL Siebente BegeL Wenn sich B und A
nach einer Bichtong bewegen, A langsamer und B
ihm nachfolgend und- schneller, aodSi der Körper
B A zuletzt einholt, und wenn dabei A größer als
B ist, aber der Oberschuß an Geschwindigkeit in
B größer ist als der Überschuß der Größe in A, so
wi^ dann B so viel von seiner Bewegung aof A
flbertragen, daß beide darauf gleich sclmell und in
derselben Bichtung sich bewegen. W&re aber das
Mehr an Größe in A größer als das Mehr an Ge*
schwindigkeit in B, so würde B nach der entgegen-
gesetzten Bichtong von A zurückgestoßen werden,
aber B dabei seine Bewegung ganz behalten . . 91
Lehrs. XXXQ. Wenn der Körper B ringsum von
kleinen sich bewegenden Körpern umgeben ist,
die ihn nach allen Bichtungen mit gleicher Kraft
stoßen, so wird er solange unbewegt an ein und
derselben Stelle bleiben, als nicht noch eine an-
dere Ursache hinzukommt 92
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184 Inhaltaubenicht
Belto
Lehrs. XXKIII. Der KOrper B kann unter solohen
Umst&nden durch die geringite binrakommende
Slraft in jeder beliebigen Riohtang bewegt werden 93
Lehr 8. XXXIV. Der Körper B kann sich unter diesen
ümstftnden nicht schneller bewegen, als er von der
äußeren Kraft getrieben wird, wenn auch die ihn um-
gebenden Körperteilchen sich viel schneller bewegen 93
Lehr 8. XXXV. Wenn der Körper B in dieser ange-
gebenen Weise von einem äußeren Anstoß bewegt
wird, so erhält er den größten Teil seiner Be-
wegung von den ihn stets umgebenden Körperchen
und nicht von der äußeren Straft 94
Lehrs. XXXVL Wenn ein Körper, z. B. unsere Hand,
sich nach jeder Richtung mit gleicher Bewegung
bewegen könnte, ohne anderen Körpern irgendwie
zu widerstehen, und ohne daß andere Körper ihr
widerstehen, so werden notwendig in dem Kaume,
durch den sie sich bewegt, ebensoviele Körper sich
nach der einen Richtung wie nach jeder belie-
bigen anderen mit gleicher Kraft der Geschwin-
digkeit unter sich wie mit der Hand bewegen . 95
Lehrs. XXXVTI. Wenn ein Körper, etwa A, von
jeder noch so kleinen Kraft in jeder Richtung be-
wegt werden kann, so muß er notwendig von
Körpern umgeben sein, die sich mit gleicher ge-
genseitiger Geschwindigkeit bewegen 97
Die Prinzipien der Philosophie auf geometrisehe
Weise begründet. Dritter Teil 99
Postulat 101
Definitionen 102
Grundsätze 108
Lehrs. I. Die Teile der Materie, in die sie zuerst ge-
teilt war, waren nicht rund, sondern eckig . . lOS
Lehrs. 11. Diejenige Kraft, welche bewirkte, daß die
materiellen Teilchen sich um ihre eigenen Mittel-
ponkte drehten, bewirkte auch, daß Sie Ecken der
einzelnen Teilchen bei ihrer gegenseitigen Be-
gegnung sich abrieben 108
Anhang, enthaltend metaphysische Gedanken. Sie er-
örtern in Kürze die schwierigeren Fragen, die in
den metaphysischen Schriften, sowohl im ali^re-
meinen wie im speziellen Teile, in Betreff des Seins
und seiner Bestimmungen, Gottes und seiner Attri-
bute, sowie des Menschengeistes, sich finden. Ver-
faßt von Benedict von Spinoza ans Amsterdam 105
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Inhaltsübersicht. 185
Seit«
DesAnhaiiges metaphysiflcherGedanken erster
Teil, in dem die wichtigsten Punkte des allge-
meinen Teils der Metaphysik in Betreff des Seienden
nnd seiner Bestimmungen (affectiones) knrc er-
läutert werden 107
Erstes Kapitel. Ober die wirklichen, die einge-
bildeten und die Qedankendinge 107
Die Definition des Dii:^es 107
Die Chimäre, das erdichtete Ding und das Ge-
dankending sind keine seienden Dinge . . 107
Durch welche Zustände des Denkens man die
Dinge im Gedächtnis behält 108
Durch welche Zustände des Denkens man die
Dinge erklärt 108
Durch welche Zustände des Denkens man sich die
Dinge in der Einbildung vorstellt .... 108
Weshalb die Gedanken-Dinge keine Ideen wirk*
lieber Dinge sind und doch dafiär gehalten
werden 109
Die Einteilung in wirkliche und Gedanken-Dinge
ist schlecht 109
Inwiefern das Gedanken-Ding ein reines Nichts
und inwiefern es ein wirkliches Ding genannt
werden kann 109
Bei der Erforschung der Dinge dürfen die wirk-
lichen Dinge nicht mit den Gedanken-Dingen
vermengt werden 110
Wie sich das Gedanken-Ding von dem erdichteten
Dinge unterscheidet 111
Die Einteilung der Dinge 111
Zweites Kapitel. Was unter dem Sein des Wesens,
dem Sein des Daseins, dem Sein der Idee und dem
Sein der Möglichkeit zu verstehen ist 112
Die Geschöpfe sind in eminenter Weise in Gott 112
Was unter dem Sein des Wesens, des Daseins, der
Idee und der Möglichkeit zu verstehen ist . 118
Diese vier Bestimmungen unterscheiden sich nur
in den geschaffenen Dingen von einander 118
Antwort auf einige Fragen in Betreff des Wesens 114
Weshalb der Verfasser bei der Definition des
Wesens auf die Attribute Gottes zurückgeht 115
Weshalb der Verfasser die Definition von anderen
hier nicht auffthrt 116
Wie der Unterschied zwischen Wesen und Dasein
leicht zu fassen ist 115
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186 Inhaltsübersicht
Seite
Drittes Kapitel. Ober das, was notwendig, on-
mOgliob, möglich and zafUlig ist 115
Was unter diesen Bestimmangen zu verstehen ist 115
Definition der Bestimmungen 116
Auf wie viele Weisen ein Gegenstand notwendig
und unmöglich genannt werden kann . . . 116
Ohim&ren können sehr wohl Wort-Dinge genannt
werden 117
Die erschaffenen Dinge hängen ihrem Wesen wie
ihrem Dasein nach von Gott ab 117
Die Notwendigkeit, die bei den geschaffenen Dingen
von der Ursadie kommt, bezieht sich entweder
auf ihr Wesen oder auf ihr Dasein; aber bei
Gott ist dies beides nicht verschieden • . . 117
Das Mögliche und Zof&llige sind keine Bestim-
mungen der Dinge 118
Was das Mögliche und das ZufiÜlige ist ... 118
Das Mögliche und das ZaftLllige ist nur ein Mangel
unserer Einsicht 118
Die Vereinigung unseres freien Willens mit der
Yorherbestimmung Gottes überschreitet den
menschlichen Verstand 119
Viertes Kapitel. Ober die Ewigkeit, die Dauer und
die Zeit 120
Was die Ewigkeit, was die Dauer und die Zeit ist 120
Fünftes Kapitel. Von dem Gegensatz, der Ordnung
U.8. w • ^21
Was der Gegensatz, die Ordnung, die Oberein-
stimmung, der Unterschied, das Subjekt, das
Prädikat u. s. w. ist 121
Sechstes Kapitel. Ober das Eine, Wahre und Gute 122
Die Einheit 122
Die Vielheit. Inwiefern Gott als einer (unus) und
inwiefern er als einzig (unicus) bezeichnet
werden kann 122
Die Bedeutung der Ausdrücke «wahr* und ,falsch*
bei der gemeinen Menge und bei den Philo-
sophen 128
Das ,Wahre' ist kein transscendentaler Ausdruck 123
Ober den Unterschied der Wahrheit von der
wahren Idee 124
Ober die Eigenschaften der Ws^rheit Die Ge-
wißheit Uegt nicht in den Gegenständen . • 124
,Gut' und ,bOse' sind relative Begriffe .... 124
Weshalb einige ein metaphysisches Gute verliutgt
haben 125
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Inhaltflübenicht 187
Balte
Wie flieh die Diage und das Bestreben derselben,
sich in ihrem Zustande zu erhalten, von
einander unterscheiden 125
Ob Gott yor der Schöpfung der Dinge gut ge-
nannt werden kann 126
In welchem Sinne das Vollkommene relaÜT und
in welchem es absolut ausgesagt wird . . . 126
Des Anhanges metaphysischer Gedankenswei-
ter Teil, in dem hauptsächlich das knrs erl&utert
wird, was in dem besonderen Teile der Meta-
physik über Gott, seine Attribute und den
menschlichen Geist gewöhnlich gelehrt wird . . 127
Erstes Kapitel. Ober die Ewigkeit Gottes ... 127
Einteilung der Substanzen 127
Gott kommt keine Dauer zu 128
Die Gründe, aus denen man Gott Dauer zuge-
schrieben hat 129
Der Begriff der Ewigkeit 129
Zweites Kapitel Über die Einheit Gottes ... 130
Gott ist einzig 181
Drittes Kapitel. Ober die UnermeOlichkeit Gh>ttes 131
Inwiefern Gott als unendlich, inwiefern er als un-
ermeßlich bezeichnet wird 181
Was man insgemein unter Gottes ünermefilichkeit
versteht 132
Der Beweis, daß Gott überall ist 133
Die AUgegenwart Gottes kann nicht orklftrt werden 133
Mit Unrecht wird bisweilen eine dreifache Dner-
meOUcULeit Gottes angenommen 138
Gbttes Macht ist von seinem Wesen nicht ver-
schieden 133
Dies gilt auch von seiner Allgegenwart .... 133
Viertes Kapitel. Ober die ünveränderlichkeit
Gottes 134
Die Begriffe der Verftnderung und der Um-
wandlung (transformatio) 134
In Gott finden solche Umwandlungen nicht statt 134
Ober die Ursachen der Veränderungen .... 134
Gott erf&hrt keine äußere Veränderung .... 135
Ebensowenig eine innere (a se ipso) 185
Fünftes Kapitel. Ober die Ein&chheit Gottes . . 136
Es gibt einen drei&chcn Unterschied unter den
Dingen, nämlich der Wirklichkeit, dem Zn-
stande und dem bloßen Denken nach . . . 136
Woraus alle Verbindung entsteht und wievielfaoh
sie ist 137
y Google
188 Inhaltsübersicht.
8«ito
Qott ist das allereinfachste Wesen 137
Gkittes Attribute sind nur dem GFesichtspnnkt des
Denkens nach yersohieden 188
Sechstes Kapitel. Von dem Leben Gottes . . . 188
Was insgemein von den Philosophen nnter „Leben*'
verstanden wird 138
Welchen Dingen man Leben snschreiben kann 139
Was das Leben ist und inwiefern es in Gott vor-
handen ist 139
Siebentes Kapitel. Über den Verstand (intellectus)
Gottes 140
Gh>tt ist allwissend 140
Der Gegenstand von Gottes Wissen sind nicht
die Dinge aufierbalb Gottes 140
Gott ist sich selbst Gegenstand des Wissens . . 141
Wieso Gott ein Wissen von der Sünde, den bloßen
Vernunft-Dingen u. dgl. hat 141
Inwiefern Gott (0e Einzeldinge und die Allge-
meindinge kennt 149
In Gott gibt es nur eine einzige (una) und zwar
eine einfache Idee 149
Über Gottes Wissen von den geschaffenen Dingen 143
Achtes Kapitel. Über den Willen Gottes .... 144
Wir wissen nicht, wie Gottes Wesen und sein
Verstand, womit er sich erkennt und sein
Wille, womit er sich liebt, sich unter-
scheiden 144
Der Wille und die Macht Gottes unterscheiden
sich in Bezug auf das Äußere nicht von seinem
Verstände 144
Nur uneigentlich kann man sagen, daß Gott Siniges
haßt, anderes liebt 144
Warum Gott die Menschen ermahnt, warum er sie
nicht ohne Ermahnung rettet, und warum die
Bnchlosen bestraft werden 146
Die Heilige Schrift lehrt nichts, was der natürlichen
Vernunft widerspricht 146
Neuntes Kapitel. Über die Macht Gottes ... 146
Wie die Allmacht Gottes zu verstehen ist . . . 146
Alles ist notwendig mit Bezug auf den Beschluß
Gottes, nicht aber einiges an sich, anderes
mit Bezug auf seinen Beschluß . . . .1 1. 147
H&tte Gott eine andere Natur der Dinge gemacht,
so hätte er uns auch einen anderen Verstand
geben müssen 147
Wievielfach Gottes Macht ist 148
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Inhaltsfibenicht. 189
Seit«
Wm anier dem Unbedingten and nnter dem G«'*
ordneten, was nnter der ordentlichen nnd
nnter der außerordentlichen Macht sn ver-
stehen ist 148
lehnte» Kapitel. Ober die SchOpfdng 149
Was die Schöpfung ist 149
Die gewöhnliche Definition der Schöpfung wird
zurückgewiesen 149
Welches die richtige ist 149
Accidenzien nnd Zustände (modi) werden nicht
geschaffen IbO
Vor der Schöpfung hat es weder Zeit noch Daner
gegeben 150
Dieselbe Wirksamkeit Gottes ist bei der Erschaffung
wie bei der Erhaltung der Welt vorhanden 150
Über die geschaffenen Dinge 151
Inwiefern Gottes Art zu denken (cogitatio) von
der unseren abweicht 151
Außerhalb Gottes gibt es nichts, das in gleicher
Weise wie er ewig wftre 151
Was unter dem Ausdruck: ,von Ewigkeit' zu ver-
stehen ist 151
Beweis, daß nichts von Ewigkeit geschaffen werden
kann 152
Daraus, daß Gott ewig ist, folgt nicht, daß auch
seine Wirkungen von Ewigkeit her sein können 153
Wenn Gott aus Notwendigkeit handelte, so be-
säße er keine unendliche Tugend 158
Woher wir den Begriff einer größeren Dauer, als
die unserer Welt, haben 154
Elftes Kapitel. Über die Mitwirkung Gottes . . 155
Wie es mit der Erhaltung durch Gott steht, um
die Dinge zur Tätigkeit zu bestimmen ... 156
Die gewöhnliche Einteüung der Attribute Gottes
ist mehr eine Wort- als eine Sach-Einteilung 156
Die Einteilung des Verfassers 157
Zwölftes Kapitel. Über den menschlichen Geist 157
Die Engel gehören nicht ins Gebiet der Meta-
physik, sondern in das der Theologie . . . 157
Der menschliche Geist entsteht nicht durch Ab-
zweigung, sondern ist von Gott geschaffen,
nnd niemand weiß, wann er geschaffen wird 158
In welchem Sinne die menschliche Seele (anima)
sterblich ist 158
In welchem Sinne unsterblich 158
Ihre Unsterblichkeit wird bewiesen 159
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190 Inhaltsfibenicht.
Gott handelt nicht gegen die Nator, sondern ist
Aber sie erhaben; was darunter nach unserem
Verfasser za verstehen ist 159
Warom manche die Freiheit des Willens bestreiten 160
Was der Wille ist 160
Es gibt einen Willen 160
Der Wille ist frei 160
Der Wille ist nicht mit dem Begebren zu rer-
wechseln 161
Es ist nichts anderes, als der Verstand selbst
(mens ipsa) 16S
Warum die Philosophen den (ieist mit den kör-
perlichen Dingen vermengt haben • • . • 164
Anmerkungen 166
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Philosophische Bibliothek
Band 95.
Baruch de Spinoza.
^ Abhandlung Ober die Verbesserung des
Verstandes.
Abhandlung vom Staate.
Dritte Auflage.
übertragen und eingeleitet
nebst Anmerkungen und Begister
▼on
Carl Gebtaardt
Leipzig.
Verlag der Dttrr'schen Baobhandlang.
1907.
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Orack Ton 0. Gmmbaoh ia Laipaig.
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Inhalt
Saite
Einicitang V
Abhandlung über die VerbeBsernng des Ver-
standes 1
Einleitung: Das Ziel der Philosophie .... 8
Die Lehre von den Erkenntnisarten 9
Die Lehre von der intellectio 13
Die Lehre von der imaginatio 28
Die Lehre von der Definition 48
Abhandlung Tom Staate 53
1. Kapitel. Einleitung 65
a. Kapitel. Vom Naturrecht 59
a Kapitel. Vom Recht des Staates 71
4. Kapitel. Vom Recht der Obrigkeit .... 82
5. Kapitel. Vom Zweck des Staates ..... 87
6. Kapitel. Von der Monarchie. AUgemeines . 91
7. ELapiteL Von der Monarchie. Besonderes . . 107
8. KapiteL Von der Aristokratie mit einer Haupt-
stadt ISO
9. KapiteL Von der Aristokratie mit mehreren
gleichberechtigten Städten 160
10. Kapitel. Garantien der Aristokratie .... 170
11. KapiteL Von der Demokratie 178
Anmerinmgen 182
Zur Abhandlung Aber die Verbesserung des Ver^
Standes 182
Zur Abhandlung Tom Staate 189
Kamen- und Sachregister 201
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Einleitung.
Der vorliegende Band der Philosophisohen BiMio-
thek umfaßt in nener Übertragang die beiden unvoll-
endeten Abhandlungen Spinoasas» die Abhandlang
über die Verbesaerang des Verstandes (trac-
tatus de intellectofi emen£itione) nnd die Abhand-
lang vom Staate (tractatos politicos), die erste
Schrift, in welcher der Philosoph die Gedanken
seiner Lehre der Welt mitteilen wollte and zu-
gleich das letzte Werk, das ihm zu schreiben ver-
gönnt war. Zwischen ihnen liegt die Abfassung der
beiden großen Hauptwerke seines Lebens, der Ethik
imd des Theologisch-politischen Traktats. Unsere
Abhandlungen stehen zu ihnen nicht im Verhältnis
von philosophischen Nebenwerken; vielmehr treten
sie ihnen als gleichberechtigte Teile eines Gresamt-
werks ergänzend zur Seite. Es ist ein Gedanke, der
die beiden zeitlich auseinanderliegenden Schriften zu-
sammenschließt» ind^Qi er sie einer höheren Einheit
unterordnet, der Gedanke, den seine Philosophie ge-
lehrt, sein Leben verkörpert hat Es ist der Gedauce
vom wahren Glück des Menschen, vom Glück der
freien Persönliclikeit
Über die Entstehung der Abhandlung über
die Verbesserung des Verstandes haben wir
zwei Zeugnisse der Frexmde Spinozas. In der Vorrede
der Opera posfhuma (1677), in denen die beiden Ab-
handlungen zuerst erschienen sind, heißt es: „Die
Abhandlung über die Verbesserung des Verstandes
gehört zu den früheren Werken unseres Philosophen,
wie ihr Stil und ihr Inhalt bezeugen. Die Bedeutung
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VI Einleitung.
des behandelten Gegenstandes and der große Nutsen,
den er sich darin zum Ziele setzte, nämlich dem
Verstände den leichtesten nnd ebensten Weg zur
wahren Eärkenntnis der Dinge zu bahnen, haben ihn
inmier angespornt» die Abhandlung zu vollenden.
Allein die schwierige Arbeit» das tiefe Nachdenken
und die umfassende Sachkenntnis, die zu ihrer Voll-
endung erforderlich waren, ließen sie nur langsam
vorrücken, wie sie denn auch mit der Grund waren,
weshalb sie nicht beendigt wurde und weshalb hie
und da etwas fehlt Denn in den Anmerkungen, die
er selbst hinzufügte, weist der Autor öfters darauf
hin, daß etwas» das er gerade behandelt, genauer
darzulegen oder ausführlicher auseinanderzusetzen sei,
entweder in seiner Philosophie oder an anderem Orte.''
Der Abhandlung selbst ist dann noch eine admonitio
ad lectorem vorausgeschickt, die folgendermaßen
lautet: „Die Abhandlung über die Verbesserung dee
Verstandes u. s. w., die wir dem geneigten Leeer
hiermit unvollendet übergeben, war bereits vor vielen
Jahren vom Verfasser feschrieben. Er hatte stets
die Absicht, sie zu vollenden; aber durch andere
Arbeiten abgehalten und schließlich vom Tode weg-
gerafft, konnte er sie nicht zum erwünschten Ende
führen. Da sie aber viele herrliche und nützliche
Gedanken enthält, die jedem, der aufrichtig die Wahr-
heit sucht, ohne Zweifel von nicht geringem Nutzen
sein werden, so wollten wir sie dem Leser mcht
vorenthalten. Wir wollten aber auf jene Umstände
hinweisen, damit man die dunklen, unausgearbeitetem
und ungefeilten Stellen der Schrift, die sich aus
den angegebenen Gründen darin find^ entschuldige.^'
Wir können jedoch die Entstehung unserer Ab-
handlung noch genauer zeitlich fixieren, seit wir
den erst in neuerer Zeit au^ef undenen Schluß eines
Briefes Spinozas an den deutschen in Englan4 lebenden
Akademiker Oldenburg kennen. Dort heißt es: „Was
Ihre neue Frage anlangt, wie nämlich die Dinge zu
sein angefangen haben und durch welches Band sie
von der ersten Ursache abhangen, so habe ich über
diesen Gegenstand und auch über die Verbesse-
rung des Verstandes ein ganzes Werkchen ver-
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Eioleitung. YII
fallt, mit dessen Aofzeichniing nnd Verbeeserung ich
beechaftiji bin. Aber ich stehe bisweilen von dem
Werke ab, weil ich noch keinen bestinunten Plan
über seine Herausffabe habe. Ich fürchte natürlich,
daß sich die Theologen unserer Zeit verletzt fühlen
und mich, der ich die Zankereien aufs äoOerste scheue,
mit ihrem gewohnten Hasse verfolgen. Ich erwarte
hierüber D^en Rat, und damit Sie wissen, was in
diesem meinen Werke enthalten ist» das den Kaniel-
rednem ein Anstoß sein könnte, so sage ich, daß ich
viele Attribute, die von ihnen und von allen, wenigstens
von d^en, die ich kenne, Gott zugeschrieben werden»
bloß als Schöpfungen betrachte^ während ich dagegen
von anderen Dingen, die sie infolge ihrer Vorurteile
als Schöpfungen ansehen, behaupte daß es Attribute
Gottes seien, und daß sie diese mißverstanden hatten;
femw daß ich Gott von der Natur nicht so trenne,
wie es alle, von denen ich Kenntnis habe, getan.*^
Der Brief, in dem* diese Stelle sich findet, ist in
der ersten Hälfte des Jahres 1662 geschrieben, und
es kann kein Zweifel sein, daß sich Spinoza zu dieser
Zeit mit der Ab&ssung der Abhandlung über die Ver-
besserung des Verstandes beschäftigt hat
Wichtiger ist aber noch eine andere Erkenntnis»
die wir dieew Briefstelle verdanken. Die Abhandlung
ist nicht als eine selbständige Schrift gedacht ge-
wesen, sondern als Teil eines umfassenderen Werkes.
Das bezeug sie auch schon selbst, indem sie es
vermeidet» ihren Ausführungen die tiefste Begründung
zu geben oder sie bis zur letzten Konsequenz durch-
zufSiren; anstatt dessen verweist sie immer auf den
nachfolgenden, offenbar größeren und bedeutenderen
Teil des Werkes. Dieser Teil oder, genauer gesagt,
das Material, aus dem er gebildet werden soUte^ ist
eben&Us auf uns gekommen: es ist eiae Jugend-
schrift Spinozas» die erst um die Hitte des vorigen
Jahrhunderts aldigefundene und nur in holländischer
Übersetzung erhaltene kurze Abhandlung von Gott,
dem Menschen und dessen Glückseligkeit (tractatus
brevis). Die Hinweise der angeführten Briebtelle
lassen sich, wie ich an anderer Stelle bewiesen zu
haben glaube, in ihrer Bestimmtheit auf keine andere
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Vm Einleitung.
Schrift Spinozas beeiehen, and zudem zeigt die kurze
Abhandlung, die in den beiden überkommenen Hand-
schriften eine zwie&ohe Redaktion des Textes er-
kennen laßt, in der jüngeren Redaktion deutlich die
Spuren einer Überarbeitung, deren Hinzuffigunffen
ganz in der Gedankenrichtung der Abhandlung üoer
die VerbessOTung des Verstandes liegen und nur in
derselben Zeit wie diese entstanden sein können. In
der Tat schließt sich unsere Schrift sehr eng an
die ältere an, indem sie gewisse Partien aus ihr mit
leichter Umarbeitung übernimmt, und wir dürfen wohl
glauben, daß Spinoza in gleiche Weise auch die
übrigen Teile der Kurzen Abhandlung aus der Un-
fertigkeit des Entwurfs zu einer systematisch^i Dar-
stellung seiner Lehre umzuarbeiten die Absicht hatte.
Vergleichen wir jedoch die Grundbegriffe der
Kurzen Abhandlung und der Abhandlung über die
Verbesserung des Verstandes miteinander, so werden
wir in einem entscheidenden Punkte einem wesent-
lichen Unterschied begegnen. In der Kurzen Ab-
handlung ist das Erkennen ein Leiden: die Objekte
machen, daß wir sie wahrnehmen; wir bejahen oder
verneinen niemals etwas von einer Sache, sondern die
Sache bejaht oder verneint etwas von sich in uns.
In der Abhandlung über die Verbesserung des Ver-
standes hingegen ist das Erkennen ein Tun: vermSge
seiner angeborenen Kraft bringt der Verstand die
Ideen als seine Greisteswerke hervor; diese erkennen
nicht mehr ein Objekt als ihre Ursache an, sondern
hängen allein von dem Vermögen und der Natur des
Verstandes ab; die Seele ist, wie Spinozas charakte-
ristischer Ausdruck lautet, rein als ein geistiger Auto-
mat gefaßt. Mit der Lehre vom Erkennen hat sich
notwendig auch die Lehre vom Irrtum gewandelt
In der Kurzen Abhandlung liegt die Ursache des
Irrtums in den Objekten, die uns nur partiell af-
ficieren, während wir die Affektion aufs Ganze be-
ziehen. In der späteren Abhandlung liegt der Grund
in uns, in der Begrenztheit unserer Vernunft» die
nur ein Teil ist von jener Universalvemunft, mit der
das All sich selbst begreift.
Diese Wandlung in der Lehre vom Erkennen er-
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Sinleitung. IX
hielt für die WeiterbildiuLg der c^inonAtiBchen Philo-
sophie eine geradesa entscheidende Bedentung. Die
senanaliBtische Konsequenz einer in ihrem Hotiv durch-'
ans idealistisch gerichteten Brkenntnislheorie bedrohte
in der Folge die Möglichkeit einer von der ErEahmng
unabhänjgigen Erkenntnis überhaupt, und Spinoia
maßte in der Kurzen Abhandlung selbst bekennen:
das Verstehen ist ein Gewahrweraen der Wesenheit
und Efadstenz der Dinge in der Seele. In einem der
wichtigsten ZuKltze zu dieser Schrift aus der Zeit der
Abhai^uzig über die Verbesserung des Verstandes
zeigt es sich, wie er sich dieser Gefahr bewußt wird.
Den Ideen, wie sie die Objekte durch eine Affektion
der Sinne in uns bewirken, wird hier der Erkenntni»-
wert ausdrücklich abgesprochen. Die Seele, die als
die Idee ihres Körpers gefaßt ist, kann noch nicht
einmal von ihrem Körper einen kburen Begriff haben,
weil sie nur einen begrenzten Modus des universalen
Denkens bildet; nur in diesem, in der denkenden
Sache, welche allein die ganze Natur ist, sind alle
adäquaten Ideen enthalten. Damit ist aber die Auf-
gabe gegeben, die d^ Verstand erfüllen muß, um
wirkliche Erkenntnis zu erlangen: er Inuß das, was
in der denkenden Sache enthalten ist, in sein eigenes
Denken aufnehmen, oder er muß, um völlig ein Ab-
bild der Natur zu sein, alle seine Ideen aus der Idee
herleiten, die den Ursprung und die Quelle der ge-
samten Natur darstellt, so daß diese auch die Quelle der
übrigen Ideen ist Der ursprünglich mystische Gedanke
der Kurzen Abhandlung von dem Versenken der Seele
in Gott wird in jenen rationalistischen umgesetzt,
daß die Seele Gott als Denkinhalt in sich aufzu-
nehmen habe. Die metaphysische Lehre von der
Identität der Körperwelt und der Geisterwelt wird,
in die ESbene der Erkenaitnistheorie projiciert, zu jenem
anderen Identitatsgedanken: die Ordnu2ig und Ver-
knüpfung der Ideen ist dieselbe wie die Ordnung und
Verknüpfung der Dinge.
Diese innere Entwicklung, die von der Kurzen
Abhandlung zur Abhandlung über die Verbesserung
des Verstandes führt, ward aber auch für die Dar-
stellung der Lehre entscheidend. Das Hervorgehen
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X Einleitung.
der Dinge ans Gott, das in d^oi Hervorgehen der
Ideen ans der Idee Gottes sein SptegeÜHld finden soll,
kann nicht als eine zeitliche F<dge gedacht werden,
denn sonst würde es ja den Verstand wiederum tos
der Eärfahrung abhangig machen; es kann nnr eine
zeitlose Folge sein. Es steht nicht unter dem Ge-
sichtspunkt der Dauer (sub duratione), sondern in
gewissem Sinne unter dem Gesicht^unkt der Ewig-
keit (sub quadam c^ecie aetemitatis). Wie in der
Natur des Raumes die Gesetze liegen, von d^ien alle
geometrischen flguren /abhängig sind, so liegen in
Gott die Gesetze aller existierenden Dinge. Zwar
sind die JEiinzeldinge in ihrer Individuation aus der
Idee Gottes ^ wenig zu begreifen, wie die Zufillig-
keit dieses oder jenes Dreiecks aus der Idee des
Baumes; die Gesetze aber, die jedes Ding konstituieren,
folgen gerade so aus der Natur Gottes, wie das Ge-
setz über die Winkelsumme im Dreieck aus der Natur
des Raumes folgt Soll also die Au:^be, welche die
Abhandlung stell^ erfüllt werden, soQen wirklich die
Dinge, soweit sie Gegenstand philosophischer Er-
kenntnis sein können, aus der Idee Gottes hwgeleitet
werden, so kann es nur geschehen in dem bewußten
Fortschreiten von Grund zu Folge^ d. h. in der Form
der Mathematik. Sobald Spinoza sich in seiner Ab-
handlung über die Tragweite seines Erkenntnigge-
dankens klar geworden war, konnte er sich nicht
mehr mit der fortlaufenden systematischen Dar-
stellung der Kurzen Abhandlung begnügen; er mußte
sein Vorhaben au^eben, sie mit jener zu einem Werke
zu verbinden, und anstatt dessen jenen großartigen
Versuch unternehmen, die Erkenntnis der Dinge in
geometrischer Ordnung aus der Idee Gottes zu ent-
wickeln. Anfang 1663, also kein volles Jahr, nach-
dem er noch den Gedanken jenes zusammengesetzten
Werkes gehegt hatte, haben seine Amsterdamer
Freunde bereits das erste Buch seiner Ethik in Händen.
Die Abhandlung über die Verbesserung des Vwstandes
ist die Quelle für die Entstehung der Ethik geworden.
Spinoza hat, wie uns schon seine freunde be-
zeugen, die Vollendung der Abhandlung nie au'
geben, und die Meinung, daß sie durch die
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Einleitung. XI
überflüssig geworden sei, ist nicht richtig. 1666 hat
er in einem Briefe, durch eine Anfrage veranlaßt»
kurz den Grundgedanken seiner Mefhodenlehre in
völliger Übereinstimmung mit seiner Schrift dargelegt,
und noch in den letzten Jahren seines Lebens hat er
mit dem deutschen Philosophen Tschimhaus von ihr
gesprochen, zwar mit einer gewissen Zurückhaltung,
aber doch in einer Weise, die uns über die Absicht
einer späteren Herausgabe nicht im Zweifel laßt
Die Umarbeitung, die zu diesem Zwecke nötig gewesen
wäre, hat er nicht vorgenommen; er hat bloß eine
Stelle gestrichen, die nicht mehr am Platze war, so-
bald er die Abhandlung als selbständige Schrift heraus-
zugeben gedachte. Vielleicht trägt der Zwiespalt
zwischen der Absicht, gemeinverständlich zu reden,
und der Notwendigkeit, auf die letzten Begriffe seiner
Philosophie sich zu beziehen, ein Zwiespalt, der die
Schwierigkeit und zugleich den Hangel der Schrift
bildet, die Schuld daran, daß er sie nicht vollendet
hat In der Ethik selbst aber hat er an einer Stelle
auf sie Bezug genommen, indem er ihr die Eärorterung
gewisser metiiMlologischer Fragen zuwies. Aber noch
mehr — die Ethik setzt geradezu die Abhandlung
über die Verbesserung des Verstandes als ihre Ein-
leitung voraus. Wenn Spinoza in seinem Hauptwerk
die Grundbegriffe seiner Lehre scheinbar so unver-
mittelt und unbewiesen vor uns hinstellt» so durfte
er es tun, weil er sich den Leser schon durch die
einleitende Abhandlung genügend vorbereitet dachte.
Die Einleitung der Schrift, die alles Wahrheits-
forscl^n dem einen Zwecke, dem Zwecke des wahren
Glücks dienstbar macht und die uns in die Tiefen
seines Denkens führt, ist nicht als die Einleitung
seiner Hethodenlehre, sondern als die Einführung
in sein System gedacht Die Aufgabe, welche die At^
handlung stellt, hat die Ethik gelost Wie es die Ab-
handlung fordert, unternimmt es die Ethik, die Welt
zu erkennen und zu erklären in der höchsten Er-
kenntnisart, im intuitiven Wissra; wie es die Ab-
handlung begründet, schreitet die Ethik fort von
Folgerung zu Folgerung in der Selbstgewißheit der
Wahrheit, die sich erleuchtet und den Irrtum. Die
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XU EiDleltaDg.
Abhandlung will, daß die Erkenntnis alles Seienden
ans der Idee des Wesens hergeleitet werde, das die
Ursache alles Seienden bildet, nnd die Ethik stdlt
den BegriJEf der göttlichen Substanz an ihre Spitse;
die Abhandlung fordert von der Definition dieses
unerschaffenen Dinges^ daß sie jede Ursache aus-
schließe, keinen Zweifel an seiner Existenz möglich
mache und alle Eigenschaften aus sich erschließen
lasse, und die Ethik beginnt mit dem Satze: per
causam sui inteUigo id, cuius essentia involvit ezisten-
tiam. In der Ab&ndluns^ über die Verbesserung des
Verstandes liegt der Schlüssel zum Verständnis der
Ethik.
Auf eines der Motive, die bei der Abfassung
der Abhandlung wirksam gewesen sind, darf noch
besonders hingewiesen werden. Spinoza hat von sich
selbst gesagt: „Es ist nicht meine Art, die Irrtümer
der anderen atifzudecken'^ und in der Tat finden wir
in seinen Werken äußerst wenig Stellen, an deoea
er direkt gegen andere Philosophen polemisiert Trotz-
dem konnte er es nicht vermeiden, schon um selbst
zur vollen Klarheit zu gelangen, sich mit den LfOhren
seiner Zeit auseinanderzusetzen. Die Spuren davon
finden wir, auch wenn sie nicht immer zu Tage lieg^
noch jetzt in seinen Schriften. In diesem Sinne ent-
hält unsere Abhandlung Spinozas Auseinandersetzung
mit Bacon.
Die Bedeutung, welche die Philosophie seit Kant
der Erkenntnistheorie für die Begründung jeder
wissenschaftlichen Erkenntnis gab, hat die dogmatische
Philosophie des 17. Jahrhunderts der Methodenlehre
beigelegt Descartes sowohl wie Bacon haben ihr
philosophisches Werk mit einer Methodenlehre be-
gonnen, und Spinoza folgt darin ihrem Beispiel. Es
liegt auf der Hand, daß er sich dabei an ihren
Schriften orientiert hat Der Einfluß Descartes* frei-
lich, der in der Kurzen Abhandluiur noch so stark war,
daß er die völlig unorganische Übernahme cartesia-
nischer Lehren veranlassen konnte, ist nunmehr sehr
zurückgetreten und macht sich vielleicht nur noch
in der Lehre vom Erkenntnisvermögen und vom Vor-
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Einleitang. XIII
stellungsvermdgen erneut geltend. Demgemäß finden
wir eine polemische Bezognahme auf Descartee eigent-
lich nur an zwei Stellen, an denen vom Trs^um und
vom deuB deceptor die Rede ist Anders ist es mit
Bacon. In der Kurzen Abhandlung findet sich noch
keine Spi^ davon, daß Spinoza ihn gekannt hat.
Als Oldenburg den Philosophen an An£mg 1661 in
Rhilnsburg besuchte, sprachen sie über die Prin-
cipien der Philosophie Bacons miteinander, und in
einem Briefe an Oldenburg aus demselben Jahre prä-
oiaiert Spinoaa njoch einmal die Kritik, die er an
ihnen geübt Offenbar hat er nicht lange vorher erst
Bacons Schrift^ kennen gelernt Die Abhandlung
über die Verbesserung des Verstandes, die selbst
ihren Titel der baconischen Terminologie entlehnt,
beweist es in zahlreichen, unverkennbar an Bacon
anklingenden Wendungen, daß sie unter dem frischen
und unmittelbaren Sindruck des Neuen Orsfanon ent-
standen ist, und noch später scheint sich ^inoza,
wie er in seinem Briefwechsel auf die Hethodenlehre
zu sprechen ]commt jenes Einflusses erinnert zu haben.
Die zweite Brkenntnisart der Abhandlung trägt die
Züge der baconischen Methode, und in einer Rand-
bemerkung nimmt Spinoza sich ausdrücklich vor, an
ihr eingehender .Kritik zu üben. In dem großen
Kampfe Bacons gegen den aristotelisch-scholastischen
Syllogismus hat sich Spinoza mit Bewußtsein auf die
Seite der .alten Philosophen gestellt, während er sich
freilich in )den empirischen Wissenschaften als An-
hanger der induktiven Methode bekennt Da nun die
Kurze Abhandlung das Problem der deduktiven Me-
thode bei weitem noch nicht mit dieser Klarheit er-
faßt hat, darf man wohl annehmen, daß gerade die
baconische Methodenlehre Spinoza vor die Ftage: In-
duktion oder Deduktion? fi^estellt und ihn bestimmt
hat^ in der Abhandlung über die Verbesserung des
Verstandes die Forderxm^ der deduktiven Methode
mit solcher Schärfe zu formulieren. So betrachtet
eDTscheint Bacona Neues Organen als ein wichtiges
Ferment in fiec Gedankenbildung Spinozas.
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XIV Binleitaog.
Über die Entstehung der Abhandlung vom
Staate haben 4ie Heranflgeber der Opera posthnma
in der Vorrede berichtet: ,,Die Abhandlung vom. Staate
hat nnser Autor kurz vor sdoiem Hingang verfaßt
Ihre Gedanken Bind aosgereifl^ ihr Stil ist klar. Seine
Meinung setzt er darin wohlbegründet aufeinander,
ohne auf die Ansichten der vielen Politiker einzugehen,
und folgerichtig laßt ex sie überall aus den Voraus-
setzungen hervorgehen. In den fünf ersten Kapiteln
handelt er von aer Staatslehre im allgemein^ im
sechsten und siebenten von der Monarchie, im achten,
neunten und zehnten von der Aristokratie, das elfte
endlich enthält den Anfang der demokratischen Be-
gierung. Sein vorzeitiger Tod aber war schuld daran,
daß er die Abhandlung nicht vollendete und daß er
weder von den Gesetzen noch von vwschiedenen
die Staatslehre betreffenden Fragen gehandelt hat,
wie es aus einem der Abhandlung vom Staate voran-
gestellten Briefe des Autors an einen Freund su er-
sehen ist^ Dieser Brie^ der vielleicht an den ein^i
Herausgeber der Opera posthuma, Jarig Jelles, ge-
richtet ist, welcher sich schon früher einmal mit einer
Anfrage über die Staatslehre an ihn gewendet hatte,
lautet so: „Lieber fVeundl Ihren lieben Brief habe
ich gest^n erhalten. Herzlichen Dank für die un-
ermüdliche Sorge, die Sie um mich tragen. Ich hätte
diese Gelegenheit u. s. w. nicht vorübergehen lassen,
wenn ich nicht mit einer Sache beschäftigt wäre, die
ich für nützlicher halte und die Ihnen, wie ich glaube,
noch mehr Freude machen wird, nämlich mit der Ab-
fassung einer Abhandlung über den Staat, die ich vor
einiger Zeit auf Ihre Ajuregune hin begonnen habe.
Von dieser Abhandlung sind bereits sechs Kapitel
fertig. Das erste enthält gewissermaßen die Einleitung
zu dem Werke selbst^ das zweite handelt vom Natur-
recht, das dritte vom Recht der höchsten Gewalten,
das vierte von den Staatsgeschäften, die zum Ver-
waltungskreis der höchsten Gewalten gehören, das
fünfte davon, was das Letzte und Höchste ist,
das die Gesellschaft ins Auffe fassen muß, und
das sechste, wie eine monarchische Regierung ein-
gerichtet werden muß, damit sie nicht in Tyrannei
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Einleitung. XV
verfallt Gegenwärtig behandle ich das siebente
Kapitel, in dem ich alle Teile des vorhergehenden
sechsten E^apitels, die sich auf die Ordnung einer
wohleingerichteten Monarchie beziehen, methodisch
darlege. Sodann werde ich zur aristokratischen und
zur Volksregierung, schließlich zu den Gesetzen und
anderen -{qpeciellen Fragen der Staatslehre übergehen.
Und nun leben Sie wohl u. s. w.^ Die Herausgeber
fügen diesem Brief noch die Bemerkung bei: ,,Darau8
geht das Ziel des Verfassers hervor; aber durch
Krankheit verhindert und vom Tode weggerafft, ver-
mochte er das Werk nicht weiter als bis zum Ehide
der Aristokratie zu führen, wie der Leser selbst
sehen wird.^ Wir dürfen die Entstehung der Ab-
handlung vom Staate wohl in die beiden letzton Lebens-
]ahre Spinozas, 1675 — 1677, verlegen. Sie setzt die
1675 abgeschlossene Ethik voraus, und andrerseits
weist die Ethik an der Stelle, wo sie von der Bildung
der Gesellschaft spricht, schon auf sie hin. Ist der
angeführte Brief wirklich an Jarig Jelles gerichtet,
so dürfto dieser ein gewisses Verdienst um die Ehit-
stehung der Abhandlung beanspruchen.
Die Staatslehre Spinozas wurzelt in seiner philo-
sophischen Überzeugung; die neue Weltauffassung hat
einen neuen Staatsgedanken geboren. Nicht mehr in
dem Traum eines Jenseits, sondern in der Wirklichkeit
des Diesseits liegen die Werte des Lebens. „Der
freie Mensch denkt an nichts weniger denn an den
Tod, und seine Weisheit ist nicht ein Nachsinnen
über den Tod, sondern ein Nachsinnen über das
Leben.'' Nicht in den Gütern der Welt, nur in uns
selbst liegt das Glück, hatte schon die Abhandlung
über die Verbesserung des Verstandes gelehrt. Alles,
was ist^ will im Dasein beharren, ist die Lehre der
Ethik, die freie Entfaltung seines Wesens ist seine
Tugend. Die Aufgabe des Staates kann deshalb nur
dann bestehen, dem Einzelnen die Möglichkeit zu ge-
wahrleisten, seine Individualität in voUer Freihat zu
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XYI Einleitung.
eoitwickeliL Daa hat Spinoza mit ienen ewig gültigen
Worten des Theologiflch-politischen Traktats ange-
sprochen: ,,Der letzte Zweck des Staates ist nichts
zu herrschen, noch die Menschen in Furcht zu halten
oder sie fremder Gewalt zu unterwerfen, sondern
vielmehr den Einzelnen von der Furcht zu befreien,
damit er so sicher als möglich leben und sein natür-
liches Recht, zu sein und zu wirken, ohne Schaden
für sich und andere vollkommen behaupten kann.
Es ist nicht der Zweck des Staates, die Menschen
aus vernünftigen Wesen zu Tieren oder Automaten
zu machen, sondern vielmehr, zu bewirken, daß ihr
Geist und ihr Körper ungefährdet seine Kräfte ent-
fidten kann, daß sie selbst frei ihre Vernunft ge-
brauchen und daß sie nicht mit Zorn, Haß und Hinter-
list sich bekämpfen, noch feindselig gegeneinander
gesinnt sind. Der Zweck des Staates ist in Wahr-
heit die Freiheit.'' Diesen Zweck kann iex Staat nur
erfüllen, indem er die Bedingungen schafft» unter
denen sich der Einzelne frei zu entwickeh vermag,
und indem er ihn gegen jede Störung sichert. Die
Freiheit der Persönlichkeit, gewährleistet vom Staat
— das drückt die Abhandlung vom Staate mit den
Worten aus: „Geistesfreiheit oder Geisteskraft sind
die Tugenden des Einzelnen, die Tugend des Staates
ist die Sicherheit Es ist schwer zu verstehen, wie
man zwischen diesem Ausspruch und jenen Sätzen
des Theologisch-politischen Traktates einen Wider-
spruch hat finden können und wie man hat meinen
können, in der späteren Schrift habe das Interesse
der Sicherheit die Idee der fVeiheit zurückgedrängt
Auch in der Abhandlung vom Staate verstellt Spinoza
„unter menschlichem Leben nicht bloß den Kreislauf
des Blutes und die übrigen allen Lebewesen gemein-
samen Funktionen, sondern in erster Linie Vernunft
wahre Tüchtigkeit und wahres Leben des Geistes^.
Wenn der Theologisch-politische Traktat dem Staate
die Freiheit als letztes Ziel setzt und wenn die Ab-
lumdlung vom Staate Frieden und Sicherheit als seine
Zwecke bestimmt, so sind diese Urteile nicht ein-
ander entgegengesetzt, sondern richtig verstanden
identisch, weil sie den notwendigen Ausdruck dneft und
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Binldtmig. XVII
deflseüben ethiBchen Ideals bildea. Als dieses Ideal,
seines rationalistischeii Charakters entkleidet und be-
reichert um die Bfldnng eines inhaltvollen Jahrhunderts,
zmn Eultorideal einer ganzen Zeit erhoben war, wurde
auch der Staatsgedanke Spinozas wieder gedacht, und
ganz in seinem Sinne hat es Wilhelm vom Humboldt
unternommen, die Grenzen der Wirksamkeit des Staats
zu bestimmen.
Schon früh ist man darauf aufmerksam geworden,
daß die Staatslehre Spinozas in genauen Beziehungen
SU der Staatslehre von Hobbes steht Die Theorie
des ESnglanders ist auch in den Niederlanden bald zur
HerrschjEtft gelangt, und es ist natürlich, daß sich
Spinozas Gedanken vom Staate unter ihrem Einfluß
oder vielleicht mehr noch im Gegensatz zu ihr ge-
staltet haben. Man kann es geradezu als eine Ten-
denz der Abhandlung vom Staate bezeichnen, sich
mit den Lehren von Hobbes auseinanderzusetzen. Sein
Name wird freilich nie genannt, aber den Zeitgenossen
war auch eine solche verdeckte Polemik verständlich.
In seinem Ausgangspunkt stimmt Spinoza mit
Hobbes völlig überein. Auch bei jenem wird unter-
schieden zwischen einer Regierung, die durch Ge-
walt erworben wird, und einer solchen, die ein Volk
b^^ründet; nur um die letztere handelt es sich. Der
vorstaatlicbe Zustand der Menschen ist der Natur-
zustand. Sein Maß ist der Nutzen, sein Recht ist die
Macht Aber schon auf dieser Stufe besteht ein Gegen-
satz zwischen Spinoza und Hobbes. Dieser hatte, ent-
sprechend seinem transscendenten Gottesbegriff, die
Geltung der Moralgesetze schon für den Natur-
zustand postuliert; er nennt sie Naturgesetze und
identificiert sie mit den Geboten der Vernunft. Für
den immanenten Gottesbegriff Spinozas können Natur-
gesetze nur die unverbrüchlichen Gesetze alles Welt-
geschehens sein; der Mensch steht nicht in der Natur
wie ein Staat im Staate.
Der Naturzustand, lehrt Hobbes weiter, und
Spinoza folgt ihm hierin, ist höchst elend Weil jeder
S p i n o ■ ft , Abhaadlg. IIb. d. T«rb«M«rg. d. V«r«taadM. B
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XVIII Einleitung.
ein Recht auf alles hat, so hat in Wahrheit keiner
ein Recht Daher rät die Vernunft» den Kampf aller
gegen alle zu beendigen; die Furoht wird der Ur-
sprung der Greeellschaft Da die Einzelnen doch nicht
im Naturzustande für sich bestehen könnten, so
schließen sie sich zusammen und übertragen in einem
Vertrage all ihre Rechte auf den Staat» um sie dann
von diesem, gehörig verteilt und in ihrem Bestände
gewährleistet, wieder zu Lehen zu empfangen. Erst
von da an gibt es Mein und Dein, Gerecht und Un-
gerecht, Gut und Böse. Die Nachteile des Staats-
lebens kommen nicht in Betracht gegenüber dem Elend
des Naturzustandes. Für die Unterwerfung hat jeder
die Sicherheit eingetauscht Auf dieser Stufe ist der
Gegensatz zwischen Hobbes und Spinoza ein grund-
sätzlicher. Während bei Hobbes Naturzustand und
Staatsleben principiell verschieden sind, bei Spinoza
sind sie es nicht Bei Hobbes ist der Naturzustand
im Staatsleben aufgehoben, bei Spinoza ist er darin
nur reguliert Das Staatsleben ist bei ihm eigent-
lich nichts anderes als ein vernünftig geordneter
Naturzustand. Dem entspricht es nun auch, daß in
seiner I/ehre der Vertrag durchaus nicht die centrale
Stelle einnimmt wie bei Hobbes. Wohl erscheint er
noch als die Form, unter welcher der eine Zu-
stand in den anderen übergeht, aber er ist weit
davon entfernt, das Staatsleben zu konstituieren.
Schon im Theologisch-politischen Traktat in den
Hintergrund gedrängt, ist er der Abhandlung vom
Staate womöglich noch gleichgülti^r geworden.
Spinoza hat sich selbst über <Sesen Gegensatz in
einem Briefe vom Jahre 1674 g^ußert: „Was die
Staatslehre betrifft, so besteH der Unterschied zwischen
mir und Hobbes, nach dem Sie mich fragen, darin,
daß ich das Naturrecht unangetastet lasse und daß
ich der höchsten Obrigkeit in einer jeden Stadt nur
so viel Recht den Untertanen gegenüber zuerkenne, als
dem Maße von Macht entspricht» um das sie den
Untertan überrag als welches immer im Natur-
zustande der Fall ist''
Auch in der Lehre vom Staate selbst stimmt
Späioza in vielem noch mit Hobbes überein. Der
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Einleitung. YIY
Wille der Gesamtheit hat für den erklärten Willen
einee jeden asa gelten. Der Staat steht nicht unter
dem bürgerlichen Recht; er allein darf die Ge-
setze auslegen. Nur dem Inhaber iet Begierungs-
gewalt steht das Recht der Beamtenwahl und der Be-
gnadigung zu. Die Staaten verhalten sich zueinander
wie die Snzelnen im Naturzustand. Allein auf dieser
Stufe übarwi^ der Gegensatz die Übereinatimmung^
und dieser Gegensatz ist der tiefiste, weil er ein per-
sönlichor ist Bei Hobbee gründen die Menschen den
Staat, um ihr Leben zu smern, bei Spinoza gründen
sie ihn, um „ihr Leben zu sichern xmd ihren Geist
auszubilden''. .Dieses Mehr ist entscheidend. Hobbes
kennt nur einen Zweck des socialen Lebens, die Sicher-
heit, und nur ein Mittel dazu, die Omnipotenz des
Staates, die jede Willkür, aber auch jede Freiheit
des Einzelnen vernichtet Ihm gegenüber statuiert
Spinoza das Recht der Persönlichkeit Darum ist ihm
die höchste, die ideale Staatsform die, in der das
Recht der Persönlichkeit am vollkommensten gewahrt
bleibt, die Demokratie; die übrigen Staatsformen sind
nur durch Entartung aus ihr hervorgegangen. Für
Hobbes ist die höchste und ursjprünglichste Staatsform
die absolute Monarchie, weil in ihr die Staatsgewalt
alles Recht, der Untertan keines hat Die Snheit
des Staates liegt für Hobbes in der Einheit des
Herrschers, für Spinoza in der Einheit der Gesinnung
und der Gesittung. Für ihn ist die unumschränkte Re-
gierung die Volksherrschaft, in der Herrscher und
Beherrschte eines sind; für jenen ist es die absolute
Monarchie, in der der Wille des Königs das Gesetz
der Untertanen ist Der Staat Spinozas hütet sich,
in die Sphäre des EinzelnoU einzugreifen, er gewährt
Lehrfreiheit, Redefreiheit und Gewissensfreiheit; der
Staat des Hobbes hat die Censur der Meinungen, und die
Universitäten sind seine Organe. Zwei Staatsgedanken
stehen sich hier gegenüber, an die man nicht mit
formal-logischem .Maßstab herantreten darf, wenn man
ihnen gerecht werden will. Die Weltgeschichte hat
über sie entschieden.
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XX Einleitimg.
Die großen Staatstheorien sind aus der Zeit her-
vorgegangen. Im Bewnütsein ihrer Würde unter-
nimmt es die Philosophie, in die Geschicke der
Volker einzugreifen und die bewegenden Fragen der
Zeit vor ihrem Richterstuhle zur Entscheidung zu
bringen. Der Denker wird zum tpilöoofpos ßaadevg.
Als Spinoza seine Abhandlung vom Staate schrieb,
standen die Geschicke der Niederlande vor ihrer
Ehitscheidung. Das niederländische Volk hatte zwar
den Zwang einer ausländischen Herrschaft und eines
iiettAen Glaubens von sich geworfen, aber einen
Staat zu gründen hatte es nicht vermocht Die Union
von Utrecht, die gerade genügt hatte, um die Pro-
vinzen zum Kampfe gegen Spanien zusammenzu-
schließen, war unzulänglich als Grundlage eines
Staatswesens. So sind die Niederlande ein loses Ge-
füge von sieben Provinzen oder richtiger von 56
Stadtrepubliken geblieben. Die Souveränität war bei
den aristokratischen Regenten dieser Städte^ den
Vroedschappen; summum imp^ium penes cuiusque
nationis primores, erklärt Grotius. Die Organe der
Provinzen wie der Generalität setzten sich aus ihren
Delegierten zusammen. Allein der Macht dieser 2000
Souveräne stand eine andere gegenüber, die Macht
des Statthalters. Seitdem Wilhelm I. jenen Kampf
begonnen hatte, der den Niederlanden die Freiheit
bringen sollte, waren die Oranier die geborenen Feld-
herren der Republik. Durch die partiku&ristische Eifer-
sucht Hollands gehemmt, vermochten sie aber nicht»
an die Stelle der alten Grafen zu treten, und mußten
sich begnügen, die ersten Beamten der Greneralität zu
bleiben, und ßo zieht sich durch das ganze 17. Jahr-
hundert der Gregensatz von zwei Parteien, der Re-
gentenpartei und der Statthalterpartei, oder der Staats-
gezinden und der Stadhoudersgezinden. Den Regenten
stand der .unerschöpfliche Reichtum der Handels- und
Kolonialmacht zur Verfügung, während die Oranier
sich auf .das Heer und auf di&s niedere Volk stützen
konnten. Das Jahr 1650 hatte eine vorläufige Ent-
scheidung gebracht Wilhelm II. hatte den Kampf
gegen die Regenten offen aufgenommen, aber ehe
dieser noch entschieden war, beraubte sein vorzeitiger
Digitized by VjOOQIC
Einleitung. XXI
Tod (er liinterliei} nur einen nachgeborenen Sohn)
seine Partei 4^8 Führers. Die Herrschaft fiel nun un-
bestritten den Regenten zu, und Jan de Witt, der große
Ratspensionär von JSoUand, trat für naheeu zwanzig
Jahre an die Spitze der Republik. So glänzend die
Politik dieses bewunderungswürdigen Staatsmanns auch
äußerlich war, so krankte sie doch an dem Fehler
eines jeden aristokratischen Regimes: es fehlte ihr
die Fiihlung mit dem Volke, und zudem mußte sie,
um ihre Position zu stärken, das den Oraniern er-
gebene Heer schwächen. Dies wurde ihr Verhängnis.
Der Angriff Ludwigs XIV. fand 1672 das Land
waffenlos, und der Ruf „Holland in Not'' wurde bald
von dem anderen übertönt: „Oranie bovenl^' Der
junge Wilhelm IIL, der Sohn Wilhelms IL, den Jan
de Witt von der Regierung ferngehalten hatte, wurde
zufa Statthalter und zum Generalkapitän ernannt; der
Ratspensionär fiel, durch die Feigheit seiner Partei
im Stiche gelassen, der Volkswut zum Opfer. Da-
mals zweifelte niemand mehr, daß der Prinz von
Oranien nach der Souveränität trachten werde, und
diese Meinung war dadurch noch nicht aus der Welt
geschafft, daß die Staaten ihre Verbreitung bei Todes-
strafe verboten. Sie selbst hatten dem Prinaan, indem
sie ihm die Ernennung der Behörden bei einem sehr
beschränkten Präsentationsrecht der Städte über-
ließen, eine Macht in die Hand gegeben, die der eines
Souveräns fast gleichkam, und er hatte schon durch
das sogenannte Regierungsreglement von 1674 die
drei Provinzen Utrecht, Geldern und Overijssel in seine
Gewalt gebracht und 600 seiner Anhänger in die
Stadträte eingeführt Noch waren die Dinge in der
Schwebe; erst nach der Beendigung des Krieges mit
Frankreich mußte es sich entscheiden, wer künftig
die Leitung der Republik in Händen haben werde. In
jenen Jahren ist die Abhandlung vom Staate ent-
standen.
Welche Stellung hat Spinoza gegenüber den
Fragen seiner Zeit eingenommen? Die allgemein
herrschende Ansicht darüber ist: Spinoza war ur-
sprünglich ein Anhänger der Demokratie und hat
diese im Theologisch-politischen Traktat für die beste
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XXII Einleitung.
Staatsform erklärt; allein die Ereigniflse des Jahres
1672 haben ihm die Angen über die Grefahren der
Volksherrschaft geöffnet, so daß er in der Abhandlung
vom Staate die Aristokratie als die vorzüglichste
Staatsform empfiehlt Diese Anffassnng wird aber,
so verbreitet sie auch ist, weder den politischen Er-
eignissen der Niederlande, noch den Überzeugungen
Spinozas gerecht
Es kann kein Zweifel sein, daß der Theologisch-
politische Traktat die Demokratie sowohl ihrer Ent-
stehung als ihrem Werte nach für die erste Staats-
form erklärt Spinoza will, wie er es selbst ausspricht,
von den anderen Staatsformen absehen, weif ihm die
Demokratie als das Urphänomen des Staates erscheint
Sie steht dem Naturzustand am nächsten, weil jeder
die Macht, die er dem Staate überträgt, als Inhaber
der Staatsgewalt wieder selbst ausübt Sie ist der
Freiheit am günstigsten, weil es bei der Identitöt
von Herrscher und Beherrschten nicht zur Unter-
drückung des einen Teiles durch den anderen kommen
kann. Dem Theologisch-politischen Traktate, der ja
das Recht der Persönlichkeit gegenüber dem Staate
zu wahren unternimmt, mußte sie — und dies betont
Spinoza ausdrücklich — als die natürlich gegebene
Verfassung erscheinen. Ganz anders ist die Aufgabe
der Abhandlung vom Staate. Die theoretische Frage
nach der an sich besten Staatsform liegt ihr fern, sie
will nur die tauglichste Form der empirisch gegebnen
Verfassungen aufweisen. Daher kann es uns nicht
wundern, wenn hier die Demokratie in gleicher Linie
mit der Monarchie und der Aristokratie zum Gegen-
stand der Untersuchung gemacht wird« Gerade wie
in der älteren Schrift läßt er sie wieder in einer
gelegentlichen geschichtsphilosophischen Betrachtung
den beiden anderen Staatsformen zeitlich voraufgehen.
Nu:n hat man aber gemeint, in dem Urteil, 'das
Spinoza in der späteren Schrift über die richtig be-
gründete Aristokratie föllt, liege eine Desavouierung
seiner früheren Ansichten. Er sagt nämlich von ihr:
„Wenn irgend ein Staat, so muß dieser von ewiger
Dauer sein, und nicht durch eigene Schuld, nur
durch ein unabwendbares Greschick kann er zu Grunde
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Einleitung. XXIII
gehen''. Die Meinung, daß er damit der AriBtokratie
den Vorzug vor der Demokratie habe geben wollen,
wäre in der Tat unwiderleglich, wenn es erlaubt wäre,
im Sinne Spinozas ohne weiteres die Dauer einer Ver-
fassung als Maßstab für ihren Wert zu nehmen. Dem
hat er aber selbst widersprochen: „Kein Reich hat
so lange ohne alle merkliche Veränderung bestanden
wie das türkische, und im Gegenteil war keines ver-
gänglicher als Volksstaaten und Demokratien und
nirgends so viel Empörungen wie in ihnen. Wenn
ab^* Sklavere^ Barbarei und Einöde Frieden heißen
sollen, dann gibt es für die Menschen nichts Erbärm-
licheres als den Frieden^. Es ist Spinoza nie in den
Sinn gekommen, die Türkei über Athen zu stellen.
Sein Urteil über die lange Dauer der Aristokratie
ist in der Greschichte des Staates, den er vor Augen
hatte, sehr wohl begründet» aber es hat nichts zu
tun mit seinem UrteU über den Wert dieser Staats-
form unter einem höheren Gesichtspunkt Im An-
fang des letzten Kapitels der Abhandlung vom Staate,
in welchem er die Demokratie behandeln wollte, be-
streitet er sogar ausdrücklich den Vorzug der Aristo-
kratie. Wenn die Menschen so beschaffen wären,
daß sie mit dem Eintritt ins Staatsleben ihre Leiden-
schaften ablegten, so wäre nichts dagegen zu sagen,
wenn man die Regjierung den Besten von ihnen über-
trüge. Allein an £e Möglichkeit einer solchen Aristo-
kratie des Creistes hat er nicht geglaubt Weil die
Menschen bleiben wie sie sind, weil infolgedessen,
wie die Erfahrung lehrt» jede Aristokratie zu einer
Eastenherrschaft entartei der Staat aber nicht das
Objekt begrifflicher Spekulation, sondern ein Gegen-
stand der Erfahrung ist, darum kann man unmöglich
der Aristokratie den Vorzug vor der Demokratie
geben. Dieser Stellungnahme gegenüber noch an eine
Wandlung in der Staatslehre Spinozas zu glauben,
erscheint mir unmöglich. Als Philosoph ist Spinoza
immer Anhänger der Demokratie geblieben.
Diese Tatsache ist indes noch nicht gleich-
bedeutend damit, daß er nun auch in seinem Vater-
lande die demokratische Staatsform hätte zur Herr-
schaft bringen wollen. Dem widerstreitet ein anderes
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XXIV Einleifcimg.
Motiv seines Denkens. Schon im Theologisch-poli-
tischen Traktat erklärt er, daß jeder Staat seine
Kegierongsform hotwendig beibehalten müsse, da sie
nnr unter Grefahr des ganzlichen Unterganges ge-
ändert werden könne. Daher vernrteUt er selbst die
englische Revolution, die, wie er meint, nur einen
Tyrannen an die Stelle eines anderen gesetzt habe,
als sei es ein bloßer Streit um den Titel gewesen.
Dieses Urteil, dessen feine Ironie man bewundert
hat^ ist falBch, denn 1649 ist ein Princip dekapitiert
worden; aber es ist lehrreich für das Denken Spi-
nozas. Hätte er unter einer Monarchie gelebt^ so vrare
er antirepublikanisch gewesen. Da er unter einer
Republik lebte, ;ist er antimonarchisch. „Wer die
Schäden im Staat beseitigen will^, erklärt er in der
Abhandlung vom Staate, „der muß Gegenmittel an-
wenden, die mit der Natur des Staates im Einklang
stehen und aus seinen Grundlagen hergeleitet werden
können, sonst fällt er in die Scylla, indem er die
Charybdis vermeiden will." Spinoza ist kein Re-
volutionär. Als Holländer ist er in diesem Sinne nie
Demokrat gewesen.
Von diesem Standpunkt aus wird es nun auch
klar, wie er sich zu den politischen Bewegungen seines
Vaterlandes verhalten mußte. Der Weise, den seine
Ethik lehrt, besitzt ein Vaterland, darin ungleich
seinem Vorbild im Altertum, dem kosmopolitischen
Weisen der Stoa. „Der von der Vernunft geleitete
Mensch ist freier im Staate, wo er nach gemeinsamem
Beschlüsse lebt» als in der Einsamkeit, wo er nur sich
selbst gehorcht.'' Spinoza war Holländer. Das Wort
hat freilich einen anderen Klang, als wenn wir sagen:
Piaton war Grieche. Aber man darf es nicht vergessen:
Es liegt etwas Großes in der Geschichte einer Nation,
deren Schiffe mit dem Besen am Mastbaum durch
die Meeresstraßen fahren, und deren Flotte einem
abreisenden Philologen salutiert gleich ein^n Fürsten.
Es ist dasselbe Volk, das Rembrandt hervorgebracht
und Spinoza möglich gemacht hat.
Er war antimonarchisch, also war er antioranisch,
also stand er auf der Seite der Regentenpartei Seine
jüdischen Stanmiesgenoesen sind durchweg auf d^
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Emleiiang. XXV
Seite der oranischen Partei gestanden — auch darin
ist er Holländer. Eb ist eine bedeutsame Tatsache,
daß den größten Philosophen der Zeit, der in Holland
lebte, und den größten Staatsmann, den Holland be-
sessen, nicht nur die Gemeinsamkeit politischer Ober-
seogung, sondern auch das engere Band persönlicher
Freundschaft verbunden hat Die Politik, die Jan
de Witt in seiner Ordre |egens de vermenginge van
de ^Theologie met de Philosophie vertrat» hat Spi-
noza in seinem Theologisch-politischen Traktat ver-
teidigt, und die Schnähschriften haben sicherlich
Grund gehabt, dem Staatsmann vorssuwerfen, daß der
Traktat, durch den abtrünnigen Juden zusammen mit
dem Teufel in der Hölle geschmiedet» mit seinen
Wissen herausgegeben worden sei Ich glaube, daß
in der Abhandlung vom Staate sich kein Gedanke
findet, der dem Denken de Witts fremd war. Beide
sind antimonarchisch: de Witts Abendgebet war: de
furore monarcharum libera nos. Domine. Beide sind
antiklerikal: die Kirche hat sich nicht einzumischen
in die Angelegenheiten des Staates, aber der Staat
beaufsichtigt die Kirche. Beide sind an tir evolutionär:
auch Jan de Witt hat die englische Revolution ver-
dammt» ja er hat das Princip seines eigenen Staates
negiert» indem er erklärte, daß er den Kampf gegen
Spanien nicht begonnen hätte.
Noch in einer anderen Beziehung äußert sich
das enge Verhältnis, in dem Spinoza zu de Witt stand.
Im achten Kapitel der Abhandlung beruft er sich
mit überraschend warmer Anerkennung auf die Ar-
gumente, die V. H. gegen das Königtum vorgebracht
habe. Wenn man schon früher diesem Hinweis des
flelten Citierenden nachgegangen wäre, hätte man
sicher die Bedeutung der Scl^rEt besser verstanden.
Dieser V. H. ist Pieter van Hove (Pierre de la Court),
der Freund de Witts und der publicistische Vertreter
seiner Politik. Ich habe in den Anmerkungen meiner
Übersetzung darauf hingewiesen, daß Spinoza nicht
nur die Argumentation gegen die Monarchie aus
van Hoves Polityke Weegpschaal entnommen hat,
sondern daß er auch die Darstellung der Republik
Venedig, die |ener nach Blaaw, Gianotti und Gas-
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XXVI Einleitiing.
paro Contarini gibt, seiner eigenen Schilderung der
besten aristokratischen VerfaBSimg za Grunde gelegt
hat Wenn die Abhandlang vom Staate als philo-
sophische Staatslehre neben Hobbes' Liemthan steht»
so steht sie gleichzeitig auch als holländische Staats-
schrift neben van Hoves Polityke WeegschaaL Der
Schneidepunkt dieser beiden Koordinaten ist ihr
intelligibler Ort. Aus jenem interessanten Buche, das
die Varzüge und Nachteile der verschiedenen Re-
gierungsformen g^eneinander abwägen wül, lernen
wir auch das politische Programm de Witts kennen,
das er zu seinem Unheil freilich nicht in die
Praxis umgesetzt hat: es ist» kurz gesagt, die
Demokratisierung der Aristokratie. Dies ist auch
das Programm Spinozas. Van Hove hat die erste
Ausgabe seines Buches mit einer allgemeinen Be-
trachtung geschlossen, in der er dartat» daß die Volks-
regierung die beste Staatsform sei. In der dritten
Auflage hat er dem Buche noch einige Kapitel hin-
zugefügt, in welchen er die Xonsequenzen seiner An-
schauung in bezug auf die Begierungsform seines
Landes zieht Jan de Witt hat es wohl gewußt, daß
sein persönliches Regiment sich nur auf eine nu-
merisch schwache und keineswegs zuverlässige Oli-
garchie stütze. Aber mit demselben Mute, mit dem
er sich im Kriege gegen die Engländer an das Steuer-
ruder des Admiralschiffes stellte, hat er auch das
Ruder seines Staates geführt Van Hove erklärt nun
eine Aristokratie, die der Volksregierung am nächsten
komme, für die beste Regierungsform, und er fordert
für die Niederlande, daß ihre Aristokratie auf eine
volkstümliche Grundlage gestellt werde. Die Zahl
der Regenten soll auf 5000 erhöht werden, und der
Zutritt zu den Vroedschappen soll nicht länger das
Privileg einiger Patrizierfamilien bleiben. Die gleichen
Forderungen erhebt Spinoza. Wie er mit tiefer po-
litischer Einsicht erkannt hat, daß das Lebensprincip
seines Staates die avaritia, die Erwerbegier ist so h^t
er auch dessen Schwäche begriffen und ist sich klar
darüber gewesen, welches Mittel ihn allein retten
könne. Am Ende des zehnten Kapitels seiner Ab-
handlung hat er das richtigste Urteil über die Ver-
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Einleitang. XXYII
iasBnng Hollands gefallt» das überhaupt gedacht
werden kann. Seit der Vertreibung der Grafen von
Holland, d. h. seit der Absetzung PUlipps H., hat dem
Staate die aoureriuie Gentralgewalt gefehlt, fäne
solche will Spinoza in der Staaten-Versanunlung
schaffen, deren Macht nicht mehr durch das liberum
Veto der vertretenen Städte lahmgelegt werden kann
und deren Hitglieder nicht mehr durch dae imperative
Mandat ihrer Auftraggeber die Hände gebunden haben
sollen. Das Heer soll aufhören, ein Instrument in
der Hand der Oranier zu sein, und in die Gewalt seiner
Betaalsheeren, der Regenten, übersehen; nur mit
diesen sind die oberen Kommandostellen zu besetzen.
Ebenso soll die Landeskirche den Regenten, denen
Vorurteilslosigkeit zur Pflicht gemacht wird, ausge-
liefert werden, damit nicht mehr von den Kanzeln
herab der Aufruhr gepredigt werden kann. Vor allem
aber, und dies ist die entscheidende Forderung, muß
das Patriziat selbst erneut und der Zugang zu ihm
geöffnet werden, damit jene unheilvolle Kluft zwischen
Volk und Regierung verschwindet Das neunte Kapitel
der Abhandlung vom Staate, ergänzt durch die ent-
sprechenden Bestimmungen des achten, enthält das
Reformprogramm der holländischen Regentenpartei
Nunmehr ist es auch Idar, warum die Ereig-
nisse des Jahres 1672 unmöglich die vermeintliche
Wandlung in den politischen Ansichten Spinozas haben
hervorbringen können. Wenn er nicht vorher schon
ein Anhänger der de Wittschen Politik gewesen wäre,
durch ihre Katastrophe wäre er es sicher nicht ge-
worden. Das aber hat man behauptet Zudem war
die Bewegung, der sein Freund zum Opfer fiel, gar
keine demokratische, sondern eine monarchistische;
me konnte ihn nicht gegen die Demokratie, sondern
nur gegen eine Monarchie einnefamen, die mit
solchen Mitteln arbeitete. Mächtige Gegner haben
der zu schwachen Regierungspartei entgegenge-
arbeitet, erklärt er in seiner Abhandlung, sie haben
sie gestürzt und den Untergang der Republik herbei-
geführt So tief ihn die Untat an der Gevangenenpoort
erregt hat, er wußte sehr wohl, daß die Schuld
daran nicht das Volk, sondern die oranischen Agenten
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XXVIII fiinleitang.
tragen. Vergleicht man das Urteil, das er in seiner
leiten Schrift über den Pöbel gefällt hat, mit seinen
früheren im Theologisch-politischen Traktat und in
der Ethik, so wird man finden, daß es bei weitem das
mfldeste und gerechteste ist Die Emponmg des ersten
Tages über die nltimi barbarorum ist der besonnenen
Eii^cht in die Ursachen der Vorgänge gewichen.
Die Erkenntnis von der politischen Bedeutung
des einen Verfassungsentwurfes wird uns nun auch
den anderen verstehen lehren. Spinoza hat in seiner
Darstellung der Monarchie nicht etwa ein Muster
aufstellen wollen, nach dem die schon monarchisch
regierten Völker ihre Verfassung hätten umgestalten
können. ,',Ein Volk, das schon an eine andere Re-
gierungsform gewöhnt ist, wird nicht ohne große
Gefahr eines Umsturzes des gesamten Staates die be-
stehenden Grundlagen aufreißen und das ganze Staats-
gebäude umändern können.'' Wenn er die Grund-
lagen der besten Monarchie darlegt, so hat er, wie
er selbst erklärt, „eine monarchische Regierung im
Sinne, die ein freies Volk begründet» denn nur einem
solchen können sie von Nutzen sein''. Ein solches freies
Volk, das eine Monarchie zu begründen die Absicht
hatte, hat es damals und für absehbare Zeit nur
ein einziges in der Welt gegeben — das nieder-
ländische. Wenn die genauen Verfassungsbestim-
mungen der Monarchie, die Spinoza gibt» überhaupt
etwas anderes sein sollen, als müßige Spekulationen,
so kann ihr Sinn nur der sein, daß sie dem nieder-
ländischen Volke zeigen sollen, wie es seine Mon-
archie einzurichten habe. Darum werden wir uns
auch nicht wundern, wenn sein Parlament bis in die
Einzelheiten die Züge der Staaten von Holland trägt
Es wird verständlich, warum er, der die Monarchie
ganz mit demokratischem Geiste erfüllen wollte und
der die eine Grundforderung des Liberalismus, die-
jenige des Volks in Waffen, zum ersten Male auf-
gestellt hat, nicht auch jene andere von der Wahl
des Parlamentes durchs Volk vertreten hat Sie wäre
in den Niederlanden aussichtslos gewesen, während
die Ernennung der vorgeschlagenen Vertreter durch
das Staatsoberhaupt dem alten Brauche entsprach. Spi-
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Sinleitiing. XXIX
nooa hat mit seinar lateinisch geechriebenen Abhand-
limg natorlich nicht direkt auf das Volk zu wirken be-
abrichtigt. Daß er aber den g^ebildeten und denkenden
Teil seiner Nation zum Nachdenken hat anregen
wollen, ehe dieser sich bedingungslos dem Qranier
auslieferte, glaube ich allerdings. Das sechste und
siebente Kapitel der Abhandlung enthalten eine Kon-
stitution der niederländischen Monarchie.
In einer Lehre vom Staate — denn das ist die
Abhandlung bei all ihrer politischen Tendenz — durfte
auch eine Betrachtung des demokratischen Staates
nicht fehlen. Wir können vermuten, daß sich Spinoza
dabei, da er der Erfahrung folgen wollte, gerade
so an die Schilderung des athenischen Staates in der
Polityken Weegschaal .gehalten hatte, wie er sich bei
der Behandlung .der Aristokratie an die dort gegebene
Darstellung der venezianischen Republik hielt. Wenn
der Titel seiner Schrift wirklich von ihm selbst her-
rührt, so scheint es, daß er die demokratische Staats-
form auch äußerlich etwas nebensächlich hat be-
handeln wollen.
Als Piaton den Gedanken des lakedaimonischen
Staates mit den Ideen Utopiens verband, wollte er
seinem todgeweihten Lande das Mittel geben, durch
das es gesunden könne. Der gleiche Wille hat Spi-
noza beseelt» als er seine Abhandlung vom Staate
schrieb. Ob es der aristokratischen Partei, die zwar
gestürzt, aber keineswegs vernichtet war und die in
Amsterdam von neuem ihr Haupt erhob, noch einmal
wie zu Reiten Wilhelms IL gelingen werde, ihre
Herrschaft aufzurichten und die Oranier zurückzu-
drängen, ob Wilhelm III., glücklicher als sein Vater,
die Macht der Regenten vollends brechen und, auf
das Volk sich stützend, seine Monarchie errichten
könne, war eine Frage der Macht» keine Frage der
Vemimf t Wie aber die Verfassung des neugestalteten
Staates» mochte sie nun monarchisch oder aristo-
kratisch sein, „einzurichten sei, damit er nicht der
Tyrannei verfalle und damit Friede und Freiheit der
Bürger unangetastet blieben^, dies zu zeigen ist die
bewußte Aufgabe der Abhandlung vom Staate.
Die Entscheidung, die Spinoza nicht mehr erlebt
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XXJt Einleitimg.
hat^ ist eine klägliche gewesen. Der Oranier hat es
nicht vermocht, eine demokratische Monarchie zu
gründen, und die Regenten ha^n es versäumt,
ihrem überlebten Regime frisches Blut zuzuführen:
eine kleinliche Rivalität wurde in Permanenz erklärt
Anstatt nach der Krone der Niederlande griff
Wilhelm IIL nach der Krone Englands. Als dann
der Tod des kinderlosen Königs f& lange Zeit eine
neue statthalterlose Periode eröffnete, lebte eine
Oligarchie, die von nichts mehr wußte als von dem
nackten Interesse ihrer Kaste. In einem anderen Sinne,
als es gemeint war, ist Spinozas Wort vom Unter-
gang des Staates wahr gewesen. Am Grab der Re-
publik ist ^r gestanden.
Übersetzungen. . Die erste Übersetzung der
Abhandlung über die Verbesserung des Verstandes
ist gleichzeitig mit der ersten Übersetzung der Ab-
hanifiung vom Staate erschienen: Benedict von Spi-
noza, Zwei Abhandlungen über die Kultur des mensch-
lichen Verstandes und über die Aristokratie und Demo-
kratie. Herausgegeben und mit einer Vorrede begleitet
von S(chack) H(eirmann) Ewald, HerzogL Sachsen-
gothaischen Sekretärs, Lieipzig 1785. Die Übersetzung
ist im allgemeinen gut, wenn sie auch natürlich noch
jeder Textkritik entbehrt Die Übersetzungen der
beiden Abhandlungen in Berthoid Auerbachs B. v. Spi-
nozas samtliche ^Werke, Stuttgart 1841 (2. AufL eb.
1871) lehnen sich möglichst eng an das lateinische
Original an und sind dadurch schwerfallig und nicht
immer leicht verstandlich. Die Kirchmannsche Über-
setzung, die wieder die beiden Abhandlungen zu einem
Bande zusammenschließt (in der Philosophischen
Bibliothek, Berlin J.871), ist mehr willkürlich als frei.
Die neuesten Übertragungen von J. Stern, Abhandlung
über die Vervollkommnung des Verstandes, Leipzig
Reclam 1887 und Der politische Traktat» ebend. 1906,
sind zwar sprachgewandt, aber reich an Fehlem und
Auslassungen.
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Einleitang. XXXI
Unter den ausländischen Übersetzungen sind vor
allem hervorzuheben 4i6 sehr sorgfältigen und sach-
kundigen holländischen von Willem Meijer: Vertoog
over het zuivere Denken, Amsterdam 1897 und Staat-
kundig Vertoog, ebend. 1901. Ins Französische sind
die beiden Abhandlungen übertragen in Emile Saissets
Oeuvres de Spinoza, Paris 1861 (r6forme de l'enten-
dement zuerst abend. 1842). Die Abhandlung vom
Staate ist besonders übersetzt von J. G. Prat ins
Französische (Traitö politique, Paris 1860) und von
William Maccall ins Englische (A treatise on poU-
tics, London 1854). Beide Abhandlungen sind auf*
genommen in jdie englische Übersetzung der Chief
Works of Spinoza von E. H. M. Elwes (1883—1884).
Zuletzt hat der Übersetzer der Ethik, W. Haie White,
auch die Abhandlung über die Verbesserung des Ver-
standes ins Englische übertragen (1895).
Litteratur. Zur Abhandlung über die Ver-
besserung des Verstandes: Sigwart, Spinozas neu-
entdeckter Traktat von Gott, dem Menschen und dessen
Glückseligkeit, Gotha ^866, S. 153—158; Trendelen-
burg, Historische Beiträge zur Philosophie, Berlin
1867, in, S. 360 ff.; Avenarius, Über die beiden ersten
Phasen des Spinozischen Pantheismus; Anhang: Über
Reihenfolge und Abfassungszeit der älteren Schriften
Spinozas, Leipzig 1868, S. 85 — 105; Böhmer, Spi-
nozana IV, in der Zeitschr. f. Ph. Bd. 57, 1870,
S. 252 — 256; Baltzer, Spinozas Entwicklungsgang,
Kiel 1888, S. 80—100; Busse, Beiträge zur Entwick-
lungsgeschichte Spinozas, in der Zeitschr. f. Ph. Bd. 90,
1887, S. 75—81; Elbogen, Der Tractatus de intellectus
emendatione und seine Stellung in der Philosophie Spi-
nozas, Breslau 1898; Eühnemann, Über die Grund-
lagen der Lehre des Spinoza, in Philosophische Ab-
handlungen dem Andenken Rudolf Hayms gewidmet,
Halle 1902, S. 203—272; Gebhardt, Spinozas Ab-
handlung über die Verbesserung des Verstandes,
Heidelberg- 1905.
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XXXn Einleitung.
Zur Abhandlung vom Staate: H. C. W. von
Sigwart, Vergleichung der Rechts- und Staats-
Theorien des B. Spinoza und des Th. Hobbes, Tübingen
1842; Kyin, de iuris notione Spinozae^ Berlin 1846;
Hörn, Spinozas Staatslehre, Dessau 1851 (2. Aufl.
Dresden 1863); Hartenstein, de notionum iuris et
civitatis, quas Ben. Spinoza et Thomas Hobbesius pro-
ponunt, similitudine et dissimilitudine, Leipzig 1856
und 57 (wiederabgedruckt in Historisch-philosophische
Abhandlungen, Leipzig 1870, S. 216 — 240);Laspeyre8,
Geschichte der volkswirtschaftlichen Anschauungen
der Niederländer und ihrer Litteratur zur Zeit der
Republik, Leip^g 1863; Assarson, Om Spinoza's stats-
lära och dess förhillande teil Hobbee och Rousseau,
Lund 1864; Dessauer, Spinoza und Hobbes, Breslau
1868; Gaspary, Spinoza und Hobbes, Berlin 1873;
Eriegsmann, Die Rechts- und Staatstheorie des B.
von Spinoza, Wandsbek 1878; Salinger, Spinozas
Lehre von der Selbsterhaltung, Berlin 1881; Hoff,
Die Staatslehre Spinozas, Berlin 1895; Otto, Zur Be-
urteilung und Würdigung der Staatslehre Spinozas,
Darmstadt 1897; Menzel, Wandlungen in der Staats-
lehre Spinozas, in Festschrift zum 70. Geburtstage
Ungers, Stuttgart 1898; Meijer, Wie sich Spinoza zu
den Collegianten verhielt, in Arch. f. Gesch. d. Phil.,
Bd. XV, 1902, S. 1—31; Menzel, Spinoza und die
Collegianten, in Arch. 1 Gesch. d. Phil. Bd. XV, 1902,
S. 277 — 298; Meijer, Spinozas demokratische Ge-
sin;nung und sein Verhältnis zum Christentum, in
Arch. f. Gesch. d. Phil., B. XVI, 1903, S. 455—485;
Duff, Spinoza's political a,nd ethical philosophy,
Glasgow 1903; Worm, Spinozas Naturrecht, in Axch.
f. Gesch. d. PhiL, Bd. XVH, 1904, S. 500—515.
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Abhandlung
über die
Verbesserung des Verstandes
und über den Weg,
auf dem er am besten zur wahren Erkenntnis
der Dinge geleitet wird.
Splaoift, Abh*iid]g.ftb.d.y«rbM««rg.d.V«ntoBdM. 1
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JNachdem die EMahning mich gelehrt hat, daß
alles, was im gewöhnlichen Leben sich häufig uns
bietet, eitel um wertlos ist, da ich sah, daß alles,
was und vor welchem ich mich fürchtete^ nur insofern
Gutes oder Schlimmes in sich enthielt, als die Seele
davon bewegt wurde, so beschloß ich endlich nach-
zuforschen, ob es irgend etwas gebe^ das ein wahres
Gut sei, dessen man teilhaft werden könne, und von
dem allein, mit Ausschluß alles Übrigen, die Seele
ergriffen werde^ ja ob es etwas gebe^ durch das ich, 10
wenn ich es gefunden und erlangt, eine bestandige
und vollkommene Freude auf immerdar genießen
könne. (2) Ich sage: ich beschloß endlich; denn auf
den ersten Blick schien es nicht ratsam, für etwas
noch Ungewisses das Gewisse aufsugeben. Ich sah
nämlich die Vort^Ie^ die man durch Ehre und Reich-
tum erlangt, und ich sah, daß ich es anheben müsse,
nach ihnen zu trachttti, wenn ich mich ernstlich
um ein Anderes, Neues bemühen wollte. Und wenn
doch vielleicht das höchste Glück in ihnen läge, so 20
sah ich wohl, daß ich seiner verlustig gehen müßte;
wenn es aber nicht darin läge, und ich mich doch
nur um diese Dinge bemühte, so müßte ich eben-
falls das höchste Glück entbehren. (S) Ich überlegte
also, ob es wohl möglich wäre, su einer neuen Lebens-
einrichtung oder wenigstens zu einer Gewißheit hier-
über zu gelangen, ohne die Ordnung und Gewohnheit
meines Lebens zu ändern, was ich oft vergebens ver-
sucht habe. Dasjenige nämlich, worum es sich im
Leben am meisten handelt und was die Menschen, 80
wie ihre Taten zeigen, als höchstes Gut ansehen,
[Opp. poctb. 867. Vloten 3. Bruder §§ 1^8.]
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4 Abhandlang Aber die Verbesserang det Yentandet.
läflt sich auf diese dreie zurückführen: nämlich aaf
Reichtum, Ehre und Sinnenlust Durch diese drei
wird der Geist so sehr in Anspruch genommen, daI3
er an ein andres Gut nicht denken kann. (4) Denn
was die Sinnenlust angeht, so wird die Seele
so von ihr umstrickt, ab sei es ein wirkliches
Gut, in dem sie ruhe^ und dadurch wird sie voll-
kommen verhindert, an etwas anderes zu denken.
Aber auf ihren Grenuß folg^ die größte Unlust^ die
10 den Geist wenn nicht vernichtet so doch verwirrt
und abstumpft Durch das Streben nach Ehre und
Reichtum wird der Geist nicht weniger eingraommen,
zumal wenn sie um ihrer selbst willen gesucht
werden^), denn dann gelten sie als das höchste Gut.
(5) Durch die Ehrsucht wird der Geist nocb viel mdir
eingenommen, denn die Ehre gilt inuner als Gut an
sich und als letzter Zweck, nach dem sich alles richtet
Sodann haben diese nicht wie die Sinnenlust die Reue
im Gefolge; vielmehr steigert sich die Freude daran«
20 je mehr man davon besitz^ und so werden wir immer
mehr und mehr verlockt^ beides Besitz und Freude
zu vermehren. Wenn wir uns aber einmal in unsren
Hoffnimgeu getäuscht sehen, dann entsteht daraus
die größte Unlust Schließlich ist die Ehrsucht darum
ein großes Hemmnis, weil wir, um sie zu befriedigen,
unser Leben notwendig nach den B^;riffen der Men-
schen richten müssen, meiden, was sie in der Regel
meiden, und suchen, was sie suchen*
(6) Da ich also sah, daß dieses alles dem Streben
SO nach einer neuen Lebenseinrichtung im Wege stehe.
Ja daß es ihm so sehr entgegengesetzt sei, daß man
notwendig auf das eine oder auf das andere ver-
1) Dies hfttte weitläufiger und anafahrlicher eriftntert
werden können durch Untenoheidong des Reichtoms, je
nachdem er um seiner selbst willen oder ans Ehrsucht oder
um der Sinnenlust willen oder wegen der Gesundheit und
zur Forderung der KUnste und WisscDSchsüen erstrebt wird.
Doch mOge es auf die passende Stelle aufgespart bleiben,
weil hier der Ort nicht ist^ all das so eingehend sn unter-
suchen.
[Opp. posth. 857—858. Vloten 8—4. Bmder §§ 8—6.]
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EinleitaDg: das 2Sel der Philosophie. 5
ziehten müsse, so war ich gezwungen, zu nntersnchen,
was für mich das Nützlichere wäre; denn ich schien
ja» wie gesagt, ein gewisses Gut für ein Ungewisses
aufgeben zu wollen. Nachdem ich aber ein wenig
über diese Sache nachgedacht^ fand ich zunächst:
wenn ich auf jene Dinge verzichten und zu einer
neuen Lebenseinrichtung greifen wollte, so würde ich
ein seiner Natur nach ungewisses Gut — wie wir aus
dem Gesagten klar entnelmien können — aufgeben für
ein ebenfalls ungewisses Guty aber ungewU} nicht 10
sriner Natur nach — denn ich suchte ja ein dauerndes
Gut — , uneewiß nur, ob es zu erlangen wäre.
(7) Durch anhaltendes Nachdenken kam ich aber zu der
Einsicht^ daß ich dann — sofern ich es nur gründlich
zu erwägen vermöchte — gewisse Übel für ein ge-
wisses Gut aufgeben würde. Ich sah nämlich, daß
ich mich in der größten Gefahr befand und deshalb
gezwungen war, ein wenn auch ungewisses Heilmittel
mit aller Kraft zu suchen; wie ein Todkranker, der
seinen gewissen Tod voraussieht, wenn nicht ein Heil- 20
mittel angewandt wird, nach diesem wenn auch Un-
gewissen Mittel mit aller Kraft suchen muß, denn
auf ihm beruht seine ganze Hoffnung. Alle jene Dinge
aber, denen die Menge nachgeht^ bieten nicht nur
kdn Mittel zur Erhaltung unseres Seins, sondern hin-
dern äe sogar. Und häufig sind sie die Ursache des
Untergangs derer, die sie besitzen^), — wenn man
es so nennen darf — immer aber die Ursache des
Untergangs derer, die von ihnen besessen w^den.
(8) & gibt ja viele Beispiele von Menschen, die 80
um ihres Reichtums willen Verfolgung bis zum Tod
erlitten haben, und auch von solchen, die, um Schätze
zu erwerben, sich so vielen Gefahren ausgesetzt haben,
daß sie schließlich ihre Torheit mit dem Leben büßen
mußten. Nicht minder häufig sind die Beispiele von
solchen, die, um Ehre zu erringen oder zu behaupten,
das Schlimmste erduldet haben. Zahllos sind endlich
die Beispiele derer, die durch allzu große Sinnenlüst
1) Dies ist eingehender darzatan.
[Opp. posth. 858—859. Yloten 4—5. Brader §§ 6—8.]
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6 Abhandlang Aber die YerbeMerong des Ventandes.
sich einen vorzeitigen Tod bereitet haben. (9) DieBe
Übel schienen mir femer daraus entstanden zu sein,
daß alles Glück oder Unglück allein in dw Beschaffen-
heit des Gegenstandes liegt, dem wir in liebe an-
hangen. Denn Über das, was man nicht liebt» wird
niemals ein Streit entstehen; keine Traner wird sein,
wenn es zagrunde geht, kein Neid, wenn es ein anderer
besitzt, keine Furcht^ kein Hal3, mit einem Wort
keinerlei Erregungen der Seele; denn all das findet
10 sich nur bei der Liebe zu solchen Dingen, die za-
grunde gehen können, wie es die alle sind, von denen
wir eben gesprochen haben. (10) Aber die Liebe za
einem ewigen und unendlichen Ding nährt die Seele
mit reiner Freude und ist frei von aller Unlust, was
sehr zu erwünschen und mit aller Kraft zu erstreben
ist Aber ich habe nicht ohne Grund die Worte ge-
braucht: sofern ich es nur gründlich zu erwäeen ver-
möchte. Denn obwohl ich es im Geiste so klar er-
kannte, konnte ich doch nicht von mir abthun alle
20 Habgier, Sinnenl'ust und Ehrsucht.
(11) Das eine erfuhr ich, daß der Geist, solange
er mit diesem Gedanken sich beschäftigte, von jenen
Dingen ^ich abwandte und ernstlich (wer eine neue
Lebenseinrichtung nachdachte. Das gereichte mir zu
großem Tröste, denn ich sah, daß jene Übel nicht
derart wären, daß sie keinen Gegenmitteln weichen
wollten. Wohl waren anfangs diese Pausen selten
und von sehr kurzer Dauer; nachdem mir aber das
wahre Gut mehr und mehr bekannt wurde, waren
80 sie häufiger und länger. Namentlich geschah dies,
nachdem ich eingesehen hatte, daß der Erwerb des
Geldes oder Sinnenlust und Ehre so lange schädlich
seien, als sie ihrer selbst wegen, nicht sds Mittel zu
anderen ^wecken erstrebt würden. Denn sobald sie
bloß als Mittel erstrebt werden, werden sie ein Maß
innehalten und durchaus nicht schaden; im Gegenteil
werden sie den Zweck, um dessentwillen sie erstrebt
werden, beträchtlich fördern, wie ich an gehöriger
Stelle zeigen werde.
40 (12) Hier will ich nur kurz sagen, was ich unter
[Opp. poBth. 869—800. Vloten 6. Brader §§ 8— IS.]
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Binleüang: das Ziel der Philoeophie. 7
dem wahren Gut versMie^ und zugleich, was das
höchste Gut (sommum bonum) ist Zorn richtigen
Verständnis ist zu bemerken, daß die Begriffe gut
und schlecht nur eine beziehunnweise Bedeutung
haben, so daß ein und dasselbe Ding je nach den
verschiedenen Bücksichten gut und schlecht heißen
kann, gerade wie es mit den Begriffen vollkommen
und unvollkommen geht Denn nichts kann, seiner
Natur nach betrachtet, vollkommen oder unvollkommen
heißen, namentlich wenn wir wissen, daß alles, was 10
geschieht, nach ewiger Ordnung und nach bestimmten
Naturgesetzen geschieht (13) Allein der Mensch in
seiner Schwäche kann jene Ordnung mit seinem Denken
nicht erfassen, und inzwischen erdenkt er sich eine
menschliche Natur viel stärker als die seinige; er sieht
kein Hindernis, eine solche Natur zu erlangen, und
wird dadurch angetrieben, die Mittel zu suchen, die
ihn zu einer solchen Vollkommenheit führ^i können.
Alles was zum Mittel dienen kann, um zu diesem Ziele
zu gelangen, heißt ein wahres Gut Das höchste Gut 20
aber ist es, dahin zu gelangen, daß man womöglich
mit anderen Individuen einer solchen Natur teilhaft
werde. Welcher Art aber diese Natur sei, werden
wir an gehöriger Stelle zeigen, nämlich daß es die
Erkenntnis der Einheit sei, die den Geist mit
der gesamten Natur verbindet^). (14) Dies ist
also das Ziel, nach dem ich strebe: eine solche Natur
zu erlangen und zu suchen, daß. viele sie mit mir er-
langen; d. h. es gehört auch zu meinem eigenen
Glücke, mir Mühe zu geben, daß viele andere dieselbe SO
fSrkenntnis haben wie ich und daß ihr Erkennen und
Wollen mit meinem E«rkennen und Wollen völlig über-
einstimmt Zu diesem Zwecke*) muß man so viel von
der Natur verstehen, als nötig isty um eine solche
Natur zu erlangen. Sodann muß man eine solche Ge-
>) Dies wird an gehöriger Stelle anefthrlioher erklärt
>) £■ ift lu bemerken, daO ee mir hier nur darauf an-
kommt, die SU unterem Zwecke nötigen WiMenechaften
mnfiMnihlen, ohne mich um ihre Beiheofolge in bekümmern.
[Opp. poeth. aeo— sei. Vloten 5—6. Bruder §§ 12—14.]
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8 Abhandlung Aber die Verbeosemng des Yentandeti
Seilschaft bilden, wie sie erforderlich ist» damit mög-
lichst viele Menschen so leicht und sicher als möglich
dahin gelangen. (16) Femer hat man sich der Moral-
philosophie und der Erziehungslehre zu be-
fleißigen. Da die Gesundheit kein geringes Mittel ist^
jenes Ziel zu erreichen, so ist eine volls&ndige Heil-
kunde auszubilden. Da man durch die Kunst vieles
Schwierige leicht machen und viel Zeit und Mühe im
Leben sparen kann, so darf die Mechanik in keiner
10 Weise vernachlässigt werden. (16) Vor allem aber
muß ein Mittel erdacht werden, den Verstand zn
heilen, und ihn, so viel es im Anfange möglich ist»
zu reinigen, damit er die Dinge glücklich, ohne Irr-
tum und möglichst vollkommen erkenne. Hieraus kann
schon jeder sehen, daß ich alle Wissenschaften auf
einen Zweck und auf ein Ziel hinleiten will^), nämlich
darauf, jene höchste menschliche Vollkommenheit» von
der wir gesprochen haben, zu erreichen. Und so werden
wir all daisjenige in den Wissenschaften, das uns
90 unserem Ziele nicht näher bringt» als unnütz verwerfen
müssen; d. L um es mit einem Wort zu sagen: wir
müssen all unsere Handlungen und Gedanken auf
jenes Ziel richten. (17) Da wir aber, während wir
jenem Ziele zustreben und uns bemühen, den Verstand
auf den richtigen Weg zu leiten, doch leben müssen»
so müssen wir vor allem gewisse Lebensregeln als
gut im voraus feststellen. Es sind die folgenden:
1. Man rede nach der Fassungskraft der Menge
und tue alles, was nicht an der Erreichung des Zides
80 hindert Denn wir können nicht wenig Vorteil von
der Menge erlangen, wenn wir so weit als möglich
ihrer Fassungskraft Rechnung tragen. Dazu kommt»
daß man die Menschen dadurch geneigt macht» der
Wahrheit ein williges Ohr zu leihen.
2. Vergnügen genieße man in dem Maße» als es
zur Erhaltung der Gesundheit ausreicht.
^) Alle WisBenschaften haben nur einen Zweck, auf
den sie hinznleiten sind.
[Opp. postii. 861. Vloten 6—7. Bruder §§ 14—17.]
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Die Lehre tod den ErkenntniMurten. 9
S. Man suche endlich nur so viel Geld oder, andere
Dinge zu erwerben, als erforderlich isty am Leben nnd
Gesundheit zu erhalten nnd die Landeesitten, sofern
sie onserem Ziele nicht widerstreiten, zu beobachte.
(18) Nach diesen Sätzen will ich zum ersten, was
vor allem geschehen moQ, schreiten, nämlich dazu, den
Verstand zu verbessern und ihn geschickt zu machen,
die Dinge so zu erkennen, wie es zur Eirreichung
unseres Zieles nötig ist Damit dies geschehe, ver-
langt die natürliche Ordnung, daß ich hier alle Arten 10
des Erkennens (modi percipiendi) aufführe, die ich
bislang gehabt habe, um etwas zweifellos zu bejahen
oder zu verneinen, um dann die beste von allen aus-
zuwählen und damit zugleich meine Kräfte und die
Natur, die ich zu vervollkommnen strebe, kennen
zu lernen.
(19) Wenn ich genau aufmerke, können sie alle
in der Hauptsache auf vier zurückgeführt werden.
1. Es gibt ein Wissen (perceptio), das wir durch
Hörensagen (ex au^tu), oder durch irgend ein 20
sogenanntes beliebiges Zeichen erhalten haben.
2. Es gibt ein Wissen, das wir durch eine un-
bestimmte Erfahrung (experientia vaga) erhalten
haben, d. h. durch eine Erfahrung, die nicht vom
Verstände bestimmt wird. Man nennt sie aber doch
Erfahrung, weil sie von Ungefähr so sich bietet^ und
weil wir kein anderes Erfahrungsmoment haben, das
ihr widerstreitet; deshalb gilt sie uns gleichsam als
unerschütterlich.
3. Bb gibt ein Wissen, bei dem das Wesen einer 80
Sache aus einer anderen Sache erschlossen wird,
aber nicht auf adäquate Weise. Das ist der 1^11,
wenn man entweder von einer Wirkung (effectus)
auf die Ursache schließt^), oder wenn man einen
') Wenn dies geechieht, erkeonen vir aufier dem,
WM wir in der Wirkung beobschten, uooh niohtf von der
[Opp. poeth. 861—862. Vloten 7—8. Bruder §§ 17—19.]
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10 Abhandlung Aber die YerbeMerong det Ventandet.
Schluß zieht aud etwas Allgemeinem, das stets von
einer Eigenschaft begleitet erscheint
4. Endlich gibt ee ein Wissen, bei dem die Sache
blofl aus ihrem Wesen, oder durch die Erkennt-
nis ihrer nächsten Ursache begriffen wird.
(20) Das alles will ich durch Beispiele erlautem.
Nur durch Hörensagen weifl ich meinen Geburts-
tag und dal3 ich die und die Eltern hatte und ähn-
liches, woran ich nie gezweifelt habe. — Durch un-
10 bestimmte Erfahrung weiß ich, daß ich sterben
werde. Das behaupte ich deshalb, weil ich andere
mir ähnliche Wesen sterben sah, obwohl nicht alle
gleich lange Zeit lebten, noch auch an der gleichen
Krankheit starben. Dann weiß ich durch unbestimmte
Erfahrung, daß Ol ein geeignetes Mittel ist» die Flamme
zu nähren, und daß das Wasser sie löscht Ich weiß
auch, daß der Hund ein bellendes und der Mensch
ein vernunftbegabtes Geschöpf ist. Und so kenne ich
fast alles, was zum Gebrauche des Lebens gehört
20 — (21) Aus einer anderen Sache aber schließen
wir so: Nachdem wir klar begriffen haben, daß wir
einen solchen und keinen anderen Körper empfinden,
dann, sage ich, schließen wir daraus, daß die Seele
mit dem Körper vereinigt ist^), eine Vereinigung, die
die Ursache unserer Empfindung bildet Aber welcher
Ursache. Das geht offenbar daraus schon hervor, daO man
dann die Ursache nur mit sehr allgemeinen Aosdrftoken
erklärt, wie: „also gibt es etwas*, „also gibt es eine
Kraft* usw. Oder auch daraas, daO man die Ursache negativ
ausdruckt: „also gibt es das oder jenes nicht* usw. Gunsten-
falls wird der Ursache etwas sageschrieben wegen der Wir-
kung, was klar zu erkennen ist, wie ich an einem Beispiele
zeigen werde; aber es betrifft nur Eigenschaften, nicht das
eigentAmliohe Wesen einer Sache,
^) Aus diesem Beispiel ist klar zu ersehen, was loh eben
bemerkt habe. Denn unter jener Vereinigunff verstehen wir
nichts als die Empfindung selbst, n&mlich die Empfindung
einer Wirkung, aus der wir auf die Ursache, von der wir
nichts erkennen, schlössen.
[Opp. posth. 862—868. Vloten 8. Bruder §§ 19— Sl.]
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Die Lehre yon den Erkenntnuarten. 11
Art diese Empfmdang und Vereinigung ist^), können
wir schlechterdings daraus nicht erkennen. Oder nach-
dem ich das Wesen des Sehens erkannt habe und
seine Eigenschaft kenne, dal3 eine und dieselbe Sache
auf grofle Entfernung hin kleiner erscheint als in
der Nähe, so schliefe ich daraus, daß die Sonne
gröiter ist als sie erscheint und dergleichen mehr.
— (22) Endlich wird eine Sache bloA aus ihrem
Wesen heraus begriffen, wenn ich daraus, daß
ich irgend etwas kenne, weiß, was es heißt: etwas 10
kennen; oder wenn ich daraas, daß ich das Wesen
der Seele kenne, weiß, daß sie mit dem Körper ver-
einigt ist. Durch dieselbe Erkenntnis wissen wir,
daß zwei und drei fünf sind, oder daß zwei Linien,
die einer dritten parallel sind, auch untereinander
parallel sind, u. s. w. Doch war das, was ich bisher
durch diese E^rkenntnisart verstehen konnte, sehr
wenig.
(23) Um das alles verständlicher zu machen, will
ich nur ein einziges Beispiel nehmen. Es sind drei 20
Zahlen gegeben, und es wird nun die vierte gesucht^
die sich zur dritten verhalten soll, wie die zweite
zur ersten. Kaufleute pflegen in diesem Falle zu sagen,
sie wußten, was zu tun sei, um die vierte ZaU zu
finden; denn sie haben das Verfahren noch im Ge-
dächtnis, das sie nur als solches ohne Beweis von
ihren Lehrern gehört haben. — Andere aber bilden
aus der Erfahrung, die sie mit einfachen Zahlen
1) Ein solcher Schlaß ist sswar gewiß, aber doch nicht
genflgend suverl&Btig, wenn man nicht änitont vorsichtig
ist; sonst wird man sogleich in Irrtflmer v^idlen. Denn
sobald man die Dinge so abstrakt, nicht ihrem wahren
Wesen nach begreift, werden sie sofort von der Einbilduoffs-
kraft yerwirrt Denn was an sich eines ist, stellen sich die
Menschen als vielfach vor. Denn was sie abstrakt, gesondert
nnd yerwirrt aoffiissen, dem legen sie Namen bei, die sie
sonst zur Beseichnung anderer £nen gelftufigerer Dinge ge-
brauchen. Daher kommt es dann, dafi sie jene Dinge ebenso
▼orstellen wie die, denen sie zuerst diese Namen beigelegt
haben.
[Opp. posth. 868->864. VIoten 8—9. Brader §§ 21^28.]
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12 AbhandluDg Aber die VerbeBsenug des Yentandes.
machen, einen allgemeinen Sats, voransgeaetst daO
sich die vierte Zahl von selbst ergibt^ wie bei den
Zahlen 2, 4, 3, 6. Dabei finden sie^ daß die zweite
mit der dritten multipliziert und das Produkt durch
die erste dividiert als Quotienten 6 ergibt Da sie
also sehen, daß dieselbe Zahl herauskommt^ die sie
ohne dieses Verfahren als die Proportionalzahl kannten,
so schließen sie daraus, daß das Verfahren gut sei,
um immer die vierte Proportionalzahl zu finden. —
10 (24) Die Mathematiker aber wissen gemäß dem Be-
weise von Lehrsatz 19 Buch 7 des Euklid, welche Zah-
len untereinander proportional sind, nämlich aus dem
Wesen der Proportion und aus ihrer Eigenschalt, daß
das Produkt der ersten und vierten dem der zweiten
und dritten Zsibl gleich ist. Aber dennoch sehen sie
nicht die Proportionalität der gegrtenen Zahlen ad-
äquaty und wenn sie sie sähen, so sehen sie sie doch
nicht vermöge jenes Lehrsatzes, sondern intuitiv, ohne
ein Verfahren anzuwenden. (25) Um nun aus diesen
SO Arten des Erkennens die beste auszuwählen, ist es
erforderlich, die zur Erreichung unseres Zweckes not-
wendigen Mittel kurz aufzuzählen. Es sind die fol-
genden:
1. Wir müssen unsere Natur, die wir zu vervoll-
kommnen streben, genau kennen, und zugleich auch
so viel von der Natur der Dinge, als notwendig ist.
2. Daraus haben wir die Üntwschiede, Überein-
stimmungen und Gegensätze der Dinge richtig hersu-
leiten.
80 3. Daraus müssen wir richtig erkenn^ was die
Dinge erleiden können und was nicht
4 Dies muß mit der Natur und dem V^mogen
des Menschen verglichen werden. Daraus wird sich
leicht ergeben, bis zu welcher Stufe der Vollkommen-
heit der Mensch gelangen kann.
(26) Nach diesen Betrachtungen wollen wir sehen,
welche Art des Erkennens wir zu wählen haben.
Was die erste Art anbelangt^ so ist an sich
klar, daß wir vom Hörensagen, abgesehen davon,
40 daß die Sache sehr ungewiß bleibt^ nie ihr Wesen
[Opp. poeüi. 864. Vloten 9—10. Brader §§ 28—26.]
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Die Lehre tob den Erkenntnisarten. 13
erkenneiiy wie das ja ans unserem Beispiel hervorgeht
Da man das eigentümliche Dasein (existentia) einer
Sache nicht erkennt» wie spater geseigt wird^ wenn
man ihr Wesen (essentia) nicht erkennt» so ziehen
wir daraus den bihidigen Schloß» daß jede Gewißheit»
die wir nur vom Hörensagen haben, von der Wissen-
schaft anszoschließen ist Denn das bloße Hören-
sagen» ohne daß ihm ein eigenes Verstehen voraus-
ging» wird auf niemanden £ändrnck machen.
(27) Was die zweite Art anbelangt^)» so kann 10
man auch von ihr nicht sagen» daß sie dne Idee von
jener gesuchten Proportion gebe. Abgesehen davon»
daß sie eine sehr ungewisse Sache ist und keinen
Abschluß hat» wird niemand auf diese Art in Dingen
der Natur etwas anderes als Accidenzen begreifen.
Klar erkannt werden sie nur» wenn man ihr Wesen
zuvor erkannt hat Daher ist auch diese Art aus-
zuschließen.
(28) Von der dritten Art kann man in gewisser
Weise sagen» daß sie die Idee einer Sache gebe» und 20
daß man ohne Gefahr eines Irrtums Schlüsse ziehen
könne. Dennoch wird sie an sich kein Mittel sein»
unsere Vollkommenheit zu erlangen.
(29) Bloß die vierte Art erfaßt das adäquate
Wesen (essentia adaequata) einer Sache ohne die Ge-
fahr eines Irrtums. Deshalb müssen wir sie vorzugs-
weise gebrauchen. Wie man sie anzuwenden hat» um
durch diese E«rkenntnisart unbekannte Dinge zu er-
kennen» und zugleich wie es möglichst bündig ge-
schieht» will ich mich bemühen auseinanderzusetzen, so
(30) Nachdem wir gesehen, welche Erkenntnisart
(cognitio) uns nötig ist» muß der Weg und die Me-
thode angegeben werden» um die zu erkennenden
^) Hier werde ich etwas ausf^lhrlicher von der Erfahrung
handeln und die Methode der Empiriker nnd der nenereo
Philotophen prüfen.
[Opp. posth. 864—865. Vloten 10. Bruder §§ 26—80.]
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14 Abhandliiiig Aber die Verbf einug des Yentandes.
Dinge yermdge dieser KkenntniBart n erkennen. Zu
diesem Zwecke ist zaerst in Betracht sa sehen, daß
es sich nicht tun eine Untersnchnng ins Unendliche
handeln wird. Denn nm die beste Methode sor &*
forschnng der Wahrhdt za finden, ist keine andere
Methode nötig, um die Methode zur Erforschung der
Wahrheit selbst zu erforschen; nnd zur Ekforschmig
der zweiten ist keine dritte nötig o. s. 1 ins Unend-
liche. Denn auf diese Weise würde man niemals zur
10 Erkenntnis der Wahrheit geh&ngen, vielmehr würde
man überhaupt zu keiner Erkenntnis gelangen. Da-
mit verhält es sich gerade so wie mit den konkreten
Werkzeugen, bei denen man in gleicher Weise ar-
gumentieren könnte. Denn um Eksen zu schmieden,
ist ein Hammer vonnöten, und um dnen Hammer zu
erhalten, muß man ihn vorher verfertigen. Dazu
braucht man einen anderen Hammer und andere Werk-
zeuge, und auch um diese zu bekommen, sind wieder
andere Werkzeuge nötig, und so fort ins Unendliche.
90 Und so könnte jemand — freilich ohne Erfolg —
zu beweisen versuchen, daß die Menschen nicht die
Macht hätten, ESsen zu schmieden. (Sl) Die Menschen
haben vielmehr im Anfang mit ihren angeborenen
Werkzeugen gewisse sdir leichte Dinge, wenn auch
mit Mühe und unvollkommen, zustande gebracht
Hatten sie diese verfertigt, dann machten sie schon
schwierigere mit geringerer Mühe und vollkommener,
und so ging es stufenweise von den einfachsten Ar-
beiten zu Werkzeugen, und von den Werkzeugen wieder
80 zu anderen Arbeiten und Werkzeugen, bis sie es
schließlich dazu brachten, daß sie so viele schwi^ige
Dinge mit geringer Mühe fertig bringen. In der
gleichen Weise bildet sich auch der Verstand ver-
möge seiner angeborenen Kraft ^) Verstandeswerk«
zeuge, durch die er wieder andere Kräfte zu neuen
>) Unter aoffeborener Kraft verstehe ich dsa, waa nicht
in uns durch ftoSere Umchen bewirkt wird; ieh werde et
spftter in meiner Philosophie erklftren.
[Opp. potih. 866—806. Vloten 10—11. Bruder §§ 80—81.
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Die Lehre Ton der intelleeiio. 15
Verstaodeswerken ^) erlangti und aus diesen Werken
wiederum andere Werkzeuge oder daa Vermögen,
weiter zu forschen, und so schreitet er von Stufe
zu Stufe weiter, bis er auf dem Gipfel der Weisheit
steht (32) Daß es sich wirklich mit dem Verstände
se YOThält, ist leicht einzusehen, wenn man weiß,
worin die Methode der Erforschung der Wahrheit
besteht, und welcher Art jene angeborenen Wwk-
zeuge sind, die man allein braucht, um andere Werk-
zeuge zum weiteren Fortschreiten mit ihnen zu ver- 10
fertigen. Um dies darzutun, fahre ich so fort:
(38) Die wahre Idee*) — denn wir haben eine
wahre Idee — ist verschieden von ihrem Gegenstande
(ideatum). Denn ein andres ist der Kreis, ein anderes
die Idee des Kreises. Denn die Idee des Kreises ist
nicht etwas, das eine Peripherie und einen Mittel-
punkt hat wie der Kr^ selbst. Da die Idee also
etwas von ihrem Gegenstände Verschiedenes ist, so
wird sie auch etwas an sich Erkennbares sein; d. h.
die Idee hinsichtlich ihres formalen Seins kann den 20
Gegenstand eines anderen objektiven Seins bilden,
und dieses andere objektive Sein wiederum ist an
sich betrachtet ebenfalls etwas WirkUchee und Er-
kennbares und so ins Unendliche. (34) Peter z. B.
ist etwas Wirkliches. Die wahre Idee von Peter
ist aber das objektive Sein (essentia obiectiva) des
Peter und an sich etwas Wirkliches und von Peter
selbst völlig verschieden. Da also die Idee des
Peter etwas Wirkliches ist^ das sein eigent&mliches
Sein hat, so wird sie auch etwas Brkranbares sein, so
also der Gegenstand einer anderen Idee und zwar
einer Idee, die objektiv all das in sich schließt, was
die Idee des Peter formal hat Und wiederum hat
') Hier nenne ich rie Werke; in meiner Philoiophie
werde ieh erklftreo, wm sie sind.
^ Es i«t sn bemerken, dafi ich nicht nur das eben
Geesgle dartnn will, sondern aneh zeigen will, daO wir bis
hierher fichtig voigogangen find, ond lugleich noch manches
andere, das sa wiMen sehr notwendig ist
[Opp. postb. 866. Vloten 11—12. Bnider 6§ 81—84.]
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16 Abhandliing Aber die YerbesseruDg des Yentandet.
diese Idee von der Idee dee Peter ihr Sein (essentia),
das ebenfalls Gegenstand einer anderen Idee sein kann,
und so ins Unendliche. Das kann jeder an sich selbst
erfahren, indem er bemerkt, daß er weiß, was Peter
ist, und daß er weiß es zu wissen, und wiederum
weiß, daß er weiß es zu wissen u. s. w. Eb ergibt
sich darans, daß es, um das Wesen des Peter zu er-
kennen, nicht nötig ist» die Idee des Peter selbst
zu erkennen und noch viel weniger die Idee von der
10 Idee des Peter. Das ist dasselbe^ als w^m ich sagte,
es sei nicht nötig, daß ich weiß, ich wisse, und noch
viel weniger, daß ich weiß, ich wisse, daß ich weiß.
Das ist gerade so wenig nötig, als man, um das Wesen
des Dreiecks zuerkennen, das Wesen deeEreises kennen
muß.0 Aber bei jenen Ideen ist das Gegenteil der
Fall. Denn um zu wissen, daß ich weiß, muß ich
notwendig vorher wissen. (36) Daraus geht klar her-
vor, daß die Gewißheit nichts anderes ist» als das
objektive Sein selbst; d. h. die Art, wie wir das
SO formale Sein (essentia formalis) empfinden, ist
die Gewißheit selbst Daraus geht wiederum her-
vor, daß es zur Gewißheit über die Wahrheit keines
anderen Kennzeichens bedarf, als daß man die wahre
Idee hat Denn wie ich gezeigt habe, ist es nicht
nötig, daß ich weiß, ich wisse, daß ich weiß. Daraus
geht wiederum hervor, daß niemand wissen kann,
was die völlige Gewißheit ist, es sei denn, daß er
die adäquate Idee oder das objektive Sein einer Sache
besitzt; denn Gewißheit und objektives Sein sind ja
80 dasselbe. (36) Wenn also die Wahrheit keines Kenn-
zeichens bedarf, sondern wenn es genügt^ das ob-
jektive Sein der Dinge oder, was düsselbe ist, ihre
Ideen zu haben, um jeden Zweifel zu heben; so folgt
^) Eb ist zu bemerken, daß wir hier nicht ontemchen,
in weloher Weiae uns du erste objektive Sein angeboren
ist Denn das gehört aur ErfQrschuo^ der Nator, woselbst
es aoflf&hrlioher erkl&rt und wo Englevsh gezeigt wird, daß
ee außer der Idee weder, eine Bejahong noch eine Ver-
neinung und anch keinen Willen gibt
[Opp. posth. 866—867. Yloten 12. Bruder §§ 84—86.]
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Die Lehre tod der intelleotio. 17
daraus, daß die wahre Methode nicht darin bestehen
kann, nachdem man die Ideen erlangt hat» noch nach
einem Kennzeichen der Wahrheit zu suchen, sondern
daß die wahre Methode vielmehr der Weg ist» die
Wahrheit selbst oder das objektive Sein der Dinge
oder ihre Ideen (denn all das bezeichnet ja ein
und dasselbe) in gehöriger Ordnung au&nsuchen ^).
(37) Wiederum muß die Methode notwendig von dem
Folgerungsverfahren (ratiocinatio) und demBrkeimtni^
vermögen (intellectio) reden; d. h. die Methode ist nicht 10
das Folgern selbst, um die Ursachen der Dinge zu
erkennen, geschweige denn das Erkennen i&c Ur-
sachen der Dinge. Sie ist vielmehr nur das Erkennen
dessen, was die wahre Idee ist» indem sie diese von
den übrigen Vorstellungen (perceptiones) unterscheidet
und ihre Natur erforscht» damit wir dann unser Er-
kenntnisvermögen kennen und den Geist dazu anhalten,
daß er nach jener Norm alles erkennt» was zu er-
kennen ist, indem sie als HüUsmittel gewisse Regeln
gibt und auch dafür sorgt» daß der Greist nicht durch ao
unnütze Dinge ermüdet wird. (38) Daraus ergibt sich»
daß die Methode nichts anderes ist als die reflektierte
(ins Bewußtsein erhobene) Erkenntnis oder die Idee
von der Idee. Und da es keine Idee von der Idee
geben kann, wenn es nicht vorher räie Idee gibt»
so wird es keine Methode geben, ohne daß vorher
eine Idee gegeben ist Daher wird das die richtige
Methode sein, welche zeigt» wie der Geist nach der
Norm der gegebenen wallen Idee zu leiten ist
Da fem^ das Verhältnis, das zwischen zwei Ideen 80
besteht dasselbe ist wie das Verhältnis zwischen
dem formalen Sdn jener Ideen, so folgt daraus» daß
die reflektierte &kenntnis von der Idee des voll-
kommensten Wesens vorzüglicher sein wird als die
reflektierte Erkenntnis der übrigen Ideen. Das heißt:
die vollkommenste Methode wird die sein, die zeigt,
wie der Geist nach der Norm der gegebenen Idee des
^) Was 68 heifit ^in der Seele raohen^, wird in meiner
Philosophie erklärt.
[Opp. poeth. 867—868. Vloten 12*18. Bnider §§ 86—88.]
B p i n o B ft , Abliaadlg. IIb. d. VerbMMrg. d. Ventand««. 2
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18 Abhandlung fiber die Verbesserung des Verstandes,
vollkommenfiten Wesens zu leiten ist (39) Daraus ist
leicht zu ersehen, wie der Geist» indem er mehr er-
kennt» zugleich weitere Werkzeuge erlangt, mit daran
Hülfe er in der Folge leichter erkennen kann. Denn
wie man aus dem Gresagten entnehmen kann, muß
vor allem in uns die wa^e Idee vorhanden sein wie
ein angeborenes Werkzeug; hat man sie erkannt, dann
erkennt man zugleich den Unterschied, der zwischen
einer solchen Vorstellung (perceptio) und allen übrigen
10 besteht Darin besteht der eine Teil der Meth^e.
Und da es sich von selbst versteht^ daß der Geist
sich um so besser erkennt, je mehr er von der Natur
erkennt, so erhellt daraus, daß dieser Teil der Methode
um so vollkommener sein wird, je mehr der Geist er-
kennt, und daß er dann am vollkommensten sein wird,
wenn der Geist auf die Eirkenntnis des vollkommensten
Wesens sich richtet oder dazu sich zurückwendet.
(40) Je mehr femer der Geist weiß, desto besser er-
kennt er auch seine Kräfte und die Ordnung der Natur.
20 Je besser er aber seine Kräfte erkennt, desto leichter
kann er sich selbst leiten und sich Regeln setzen.
Und je besser er die Ordnung der Natur erkennt,
desto leichter kann er sich vor unnützen Dingen
hüten. Darin besteht^ wie gesagt» die ganze Methode.
(41) Dazu kommt n9ch, d^ die Idee sich gerade so
objektiv verhält wie ihr Gegenstand realiter. Wenn
es also in der Natur irgend etwas gäbe, das gar keine
Gemeinschaft mit andern Dingen hätte, und wenn sein
objektives Sein gegeben wäre, das ja durchaus mit dem
80 formalen Sein übereinstimmen müßte, dann hätte auch
dieses keine Gemeinschaft mit den anderen Ideen ^),
d. h.^ wir könnten nichts daraus schließen. Andrer-
seits werden die Dinge, die mit anderen Dingen Ge-
meinschaft haben, wie alles, was in i&r Natur existiert^
erkannt werden, und auch ihr objektives Sein wird
dieselbe Gemeinschaft haben, d. h. andere Ideen
werden aus ihnen hergeleitet werden, die ihrerseits
') Gemeinschafl mit anderen Dingen haben heifit: von
andern hervorgebracht werden oder andere hervorbringen«
[Opp. posth. 868. Vloten 18—14, Bruder §§ 88~41J
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Die Lehre von der intellectio. 19
wieder Gemeinschaft mit anderen haben, xmd 80 werden .
die Werkzeuge zum weiteren Fortschreiten wachsen.
Das war es, was ich zu beweisen versuchte. (42) Aus
dem zuletzt Gesagten, daß nämlich eine Idee durch-
aus mit ihrem formalen Sein übereinstimmen müsse,
ergibt sich femer wiederum, daß unser Geist, um
völlig ein Abbild der Natur zu sein, alle seine Ideen
aus der Idee herleiten muß, die den Ursprung xmd
die Quelle der gesamten Natur darstellt^ so daß diese
auch die Quelle der übrigen Ideen ist 10
(43) Hier wird man sich vielleicht wundern, daß
wir unsere Behauptung, die gute Methode sei die,
welche zeigt, wie der Geist nach der Norm der ge-
gebenen wahren Idee zu leiten sei, durch Folge-
rungen beweisen wollen. Denn das scheint doch zu
zeigen, daß es niöht schon von selbst bekannt ist
und man könnte sogar fragen, ob wir richtig ge-
schlossen haben. Denn wenn wir richtig schließen,
müssen wir mit der gegebenen Idee beginnen, xmd
da, um mit der gegebenen Idee zu beginnen, es eines 20
Beweises bedarf, müßten wir unseren Schluß wiederxmi
beweisen und dann wieder jenen anderen und so bis
ins Unendliche. (44) Was ich darauf zu erwidern habe,
ist dieses. Wenn jemand zufällig so vorgegangen wäre,
die Natur zu erforschen, daß er nach der Norm der
gegebenen wahren Idee in gehöriger Ordnung andere
Ideen erlangt hatte, dann würde er niemals an der
Wahrheit des Gefundenen zweifeln ^), weil ja die Wahr-
heit, wie wir gezeigt haben, sich selbst offenbart;
es würde ihm auch von selbst alles zugeflossen sein, do
Weil dies aber nie oder doch nur selten der Fall ist,
war ich genötigt, jenes so ins Licht zu stellen, damit
wir das, was wir durch Zufall nicht zu erlangen ver-
mögen, doch nach vorbedachtem Plane erlangen. Da-
mit sollte zugleich gezeigt werden, daß wir zum Be-
weise der Wahrheit und zu einer richtigen Folgerung
kein weiteres Werkzeug brauchen als eben die Wahr-
heit und die richtige Folgerung. Denn die Bichtigkeit
^) So wenig wie wir hier an unserer Wahrheit zweifein.
[Opp. porth. 869. Vloten 14. Bnider §§ 41—44.]
2*
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20 Abhandlung über die Verbesserang des Verstandes.
der Folgerung habe ich durch richtiges Folgern be-
wiesen und suche sie noch zu beweisen. (45) Dasu
kommt noch, daß auf diese Weise die Menschen an
inneres Nachdenken gewöhnt werden. Der Grund aber,
weshalb es sich bei der Erforschung der Natur so
selten trifft> daß nach gehöriger Ordnung verfahren
wird, liegt in den Vorurteilen, deren Ursachen ich
nachher in meiner Philosophie erklären werde. Bin
weiterer Grund liegt darin, daß es einer weitg^enden
10 und genauen Unterscheidung bedarf, wie ich später
zeigen werde, was sehr mühsam ist Ehdlich liegt
es an der Beschaffenheit der menschlichen Natur,
die, wie schon gezeigt, durchaus veränderlich ist.
Eß gibt noch weitere Gründe, auf die ich aber nicht
eingehen will.
(46) Nun fragt vielleicht jemand: warum ich nicht
selbst sogleich und vor allem anderen die Wahrheiten
der Natur nach jener Ordnung dargetan habe, da doch
die Wahrheit sich selSst offenbart? Ihm antworte ich:
20
und zugleich warne ich ihn, daß er nicht wegen hie
und da vorkommender paradoxer Sätze alles als &lsch
verwerfen wolle: er möge vorher die Ordnung, in der
wir alles beweisen, einer Betrachtung unt^zieben,
dann wird er die Gewißheit erlangen, daß wir die
Wahrheit getroffen haben. Das war also die Ursache,
warum ich jenes vorausschickte.
30 (47) Wenn nachher vielleicht ein Skeptiker üb^
die erste Wahrheit selbst und über alles, was wir
nach ihrer Norm ableiten, noch Zweifel hegt, dann
würde er sicherlich gegen sein besswes Wissen reden,
oder wir müßten gestehen, daß es Menschen gibt^
die auch innerlich, im Geiste mit Blindheit geschissen
sind, sei es von der Geburt an oder durch Vorurteile,
also durch irgend einen äußeren Zufall. Derart Leute
wissen von sich selbst nichts. Wenn sie etwas be-
haupten oder bezweifeln, wissen sie nich^ daß sie
40 behaupten oder bezweifeln. Sie sagen, sie wüßt^i
[Opp. potih. 869—870. Vloten 14—16. Bruder §§ 44— 47.]
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Die Lehre tod der intellectio. 21
nichtB, und selbst dafi sie nichts wissen, sa^en sie,
wußten sie nicht Und selbst das sagen sie nicht mit
Bestimmtheit, denn sie fürchten zuzugeben, dafi sie
existieren, solange sie nichts wIbsml Daher müssen
sie endlich schweige um nicht doch vielleicht ei^as
vorauszusetzen, was nach einer Wahrheit riecht
(48) Mit diesen Menschen kann man überhaupt nicht
über Wissenschaft reden. Im Leben xmd im gesell-
schaftlichen Verkehr zwingt sie freilich die Not dazu,
vorauszusetzen, dafi sie existieren, und ihren Vorteil 10
zu suchen und mit Eädschwur vieles zu bejahen und
zu verneinen. Wenn man ihnen aber etwas beweisen
will, dann wissen sie nicht, ob die Beweisführung
richtig oder mangelhaft ist Wenn sie verneinen,
zugeben oder bestreiten, wissen sie nichts daß sie
verneinen, zugeben oder bestreiten. Daher mufi man
sie als Automaten ansehen, denen der Geist ganz und
gar abgeht
(49) Fassen wir nun unsere Aufgabe zusammen.
Wir haben biaher 20
L das Ziel gefunden, auf das wir alle unsere
Gedanken richten wollen,
n. haben wir die beste Erkenntnisart (perceptio)
kennen gelernt, mit deren Hilfe wir zu unserer Voll-
kommenheit gelangen können,
m haben wir den ersten Weg gefunden, auf dem
der Geist verharren mufi, um richtig anzufangen; er
besteht darin, dafi er nach der Norm irgend einer
gegebenen wahren Idee fortfährt, sicheren Gesetzen
gemäfi zu forschen. Damit dies richtig geschieht, mufi 30
die Methode folgendes leisten:
1. mufi sie die wahre Idee von den übrigen Vor-
stellungen (perceptiones) unterscheiden und den
Geist vor diesen bewahren,
2. mufi sie die Regeln an die Hand geben, die un-
bekannten Dinge nach dieser Norm zu begreifen,
3. mufi sie eine Ordnung festsetzen, damit wir uns
nicht durch unnütze Dinge ermüden.
[Opp. porth. 870—871. Vloten 15—16. Bruder §§ 47—49.]
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22 Abhandlung über die Yerbessening des Verstandes.
Haben wir diese Methode kennen gelernt, dann
haben wir
IV. gesehen, daß sie die vollkommenste sein wird,
wenn wir die Idee des vollkommensten Wesens haben
werden. Daher wird in erster Linie darauf haupt-
sächlich zu achten sein, daß wir sobald als möglich
zur Erkenntnis eines solchen Wesens gelangen.
(50) Beginnen wir also mit dem ersten Teil der
Methode, der wie gesagt darin besteht, die wahre
10 Idee von den übrigen Vorstellungen (perceptio-
nes) zu unterscheiden und zu trennen, und den
Geist davor zu bewahren, falsche, fingierte und zweifel-
hafte Ideen mit wahren zu vermengen. Ich will es hier
so ausführlich wie möglich auseinandersetzen, um die
Leeer bei der Betrachtung einer so wichtigen Sache
festzuhalten, und auch deshalb, weil es viele g^bty
die selbst an dem Wahren zweifeln, weil sie nicht
den Unterschied beachten, der zwischen der wahren
Vorstellung und allen anderen besteht Sie gleichen
20 daher den Menschen, die während ihres Wachens nicht
zweifelten, daß sie wachten; nachdem sie aber einmal
im Traume, wie es oft geschieht, geglaubt haben
wirklich zu wachen und das nachher als falsch er-
fanden, zweifeln sie nun sogar an ihrem wachen Zu-
stand, was daher kommt, daß sie den Unterschied
zwischen Schlaf und Wachen nicht kennen. (51) In-
dessen erinnere ich daran, daß ich hier das Wesen
einer jeden Vorstellung und zwar durch ihre nächste
Ursache nicht erklären werde> weil das zur Philosophie
80 gehört Vielmehr will ich bloß auseinandersetzen, was
die Methode erfordert, tiämlich das, worum es sich
bei fingierten, falschen und zweifelhaften Vorstel-
lungen handelt, und wie wir von aUen diesen frei
werden. Die erste Untersuchung richtet sich daher
auf die fingierte Idee.
(52) Da alles Vorstellen (perceptio) entweder eine
Sache betrifft die als existierend betrachtet wird,
[Opp. poBth. 871. Vloten 16. Brnder §§ 49—62.]
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Die Lehre ron der imaginatio. 2B
oder bloß ihr Weeen (esBentia), und da Aktionen häu-
figer Yorkommen bei Dingen, die als existierend be-
trachtet werden, so werde ich zuerst von den Aktionen
sprechen, bei denen bloß die Existenz fingiert wird,
wahrend die Sache selbst, der ein solcher Zustand
angedichtet wird, erkannt ist oder als erkannt vor-
ausgesetzt wird. Ich fingiere z. B., Peter, den ich
kenne^ gehe nach Hause, besuche mich und ähn-
liches. ^) Ich frage |iun: worauf bezieht sich diese
Idee? Ich sehe, daß sie sich nur auf mögliche Dinge 10
bezieht, aber nicht auf notwendige und auch nicht
auf unmögliche. (53) Unmöglich nenne ich eine Sache,
deren Natur einen Widerspruch gegen ihr Dasein
enthält; notwendig, deren Natur einen Widerspruch
gegen ihr Nicht-Dasein enthält; möglich, deren
Existenz ihrer Natur nach weder einen Widerspruch
gegen ihr Dasein noch ihr Nicht-Dasein enthält, bei
der vielmehr die Notwendigkeit oder Unmöglichkeit
ihrer Ebdstenz von uns unbekannten Ursachen ab-
hangt, indes wir ihre Existenz nur fingieren; wenn ^
uns eben ihre Notwendigkeit oder Unmöglichkeit zu
existieren, die von äußeren Ursachen abhäng^ be-
kannt wäre, könnten wir nichts über sie fingieren.
(54) Daraus folgt, wenn es irgend einen Gott oder
irgend ein allwissendes Wesen gibt, daß dieses un-
möglich etwas fingieren könne. Denn, was uns be-
tritt, wenn ich weiß, daß ich existiere^), kann ich
nicht fingieren, daß ich existiere oder nicht existiere.
Ich kann auch nicht fingieren, daß ein Eüefant durch
ein Nadelöhr geht Wenn ich die Natur Gottes kenne, 80
^) Siehe weiter unten, was ich fiber Hypothesen be-
merken werde, die von dds klar erkannt werden. Aber
darin liegt die Fiktion, daß wir sagen, sie existierten als
solche auf den Himmelskörpern,
^ Weil die Sache, wenn man sie nur begriffen hat,
sich selbst offenbart, so braachen wir bloß ein Beispiel, aber
keinen weiteren Beweis. Das gleiche wird der Fall sein
bei ihrem Gegensate, den man nur ra uitersnohen brancht,
un ihn als falsch an erweisen, wie es sich sogleich zeigen
wird, wenn wir von der Fiktion in betreff des Seins reden.
[Opp. poeth. 371—872. Vloten lö— 17. Bruder §§ 62—64.]
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24 Abhandlung über die Verbeflserang des Verstandes.
kann ich nicht seine Existenz oder NichtrExistenz
fingieren. ^) Dasselbe versteht sich von der Chimäre,
deren Nator einen Widerspruch gegen die Einstens
enthalt
Hieraus geht hervor, was ich sagte, daß die
Fiktion, von der wir hier reden, ewige Wahrheiten
nicht betreffen kann. >) (66) Bevor ich jedoch weiter
gehe, will ich hier nur gelegentlich bemerken, daß der-
selbe Unterschied, der zwischen dem Wesen der ein^i
10 und dem Wesen der anderen Sache besteht» auch
zwischen der Wirklichkeit (actualitas) oder Existenz der
einen und der Wirklichkeit oder Existenz der anderen
Sache besteht Wenn wir beispielsweise die Existenz
des Adam bloß durch die allgemeine Existenz begreifen
wollten, so wäre es dasselbe, als wollten wir, um
Adams Wesen zu erfassen, die. Natur des Seienden über-
haupt ins Auge fassen, um endlich zu definieren: Adam
sei ein Seiendes. Je allgemeiner also die EIxistenz vor-
gestellt wird, desto verworrener wird sie auch vor-
20 gestellt und kann um so leichter einer jeden Sache
zugeschrieben werden; und umgekehrt, je besonderer
sie vorgestellt wird, desto schwer» wird es sein,
indem wir die Ordnung der Natur nicht beachten, sie
einem anderen als der Sache selbst zuzuschreiben. Dies
ist wohl zu beachten.
(66) Wir müssen nun jene Dinge betrachten, von
denen man gewöhnlich sagt daß sie fingiert werden.
>) Es ist sn bemerken, daß zwar viele sagen, sie sweifel-
tOD, ob GK>tt existiere, dafi sie aber nur einen Namen haben
oder etwas fingieren, das sie Gott nennen, das aber mit der
Natur Qottes nicht übereinstimmt wie ich weiter unten am
geeigneten Orte zeigen werde.
') Ich werde auch sogleich zeigen, daß es Aber ewige
Wahrheiten keine Fiktion geben kann. Unter ewiger Wal^
heit verstehe ich eine solche, die, wenn sie blähend ist,
niemals verneint werden kann. So ist es die erste ewige
Wahrheit, daß Qott ist, aber es ist keine ewiffe Wahrheit,
daß Adam denkt. Daß es keine Ohimftre gibt, ist eine
ewige Wahrheit, aber daß Adam nicht denkt, ist keine.
[Opp. posth. 872—878. Vloten 17—18. Bruder §§ 5i— 66.]
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Die Lehre von der imaginatio. 25
obschon wir wohl wissen, dafi die Sache sich nichl
so verhält, wie wir sie fingieren. Obwohl ich z, B.
weil}, daß die Erde rund \at, steht nichts im Wege,
daß ich zu jemandem sage, die Erde sei eine Halb-
kugel und wie eine halbe Orange auf einem TeUw;
oder die Sonne bewege sich um die Erde und ähn-
liches. Wenn wir unsere Aufmerksamkeit darauf rich-
ten, werden wir nichts sehen, was nicht mit dem schon
Gesagten zusammenhinge. Nur müssen wir zuvor be-
merken, daß wir einmal haben irren können und jetzt 10
uns dieser Irrtümer bewußt sind; und femer, daß wir
fingieren oder wenigst^is glauben können, daß andere
Menschen in demselben Irrtum sein oder in ihn ver-
fallen könnten wie wir früher. Das, sage ich, können
wir so lange fingieren, als wir keine Unmöglichkeit
und keine Notwendigkeit sehen. Wenn ich also
jemandem sage, die Erde sei nicht rund und der-
gleichen, so tue ich damit nichts anderes, als daß
ich einen Irrtum ins Gredächtnis zurückrufe, den ich
vielleicht einmal gehabt habe oder in den ich doch 20
hätte verfallen können, und nachher fingiere oder
glaube ich, der, dem ich es sage, sei noch in diesem
Irrtum oder könne In ihn verfsdlen« Das fingiere ich
wie gesagt, solange ich keine Unmöglichkeit und keine
Notwendigkeit sehe. Hätte ich sie aber gesehen,
dann hätte ich nichts fingieren können, und dann
hatte man nur sagen können, daß ich etwas getan
habe.
(57) Es erübrigt nun noch, auch die Annahmen
zu erwähnen, die man bei der Erörterung von Streit- dxy
fragen aufstellt und die bisweilen auch Unmögliches
zum Gegenstand haben. So beispielsweise» wenn wir
sagen: angenommen, diese brennende Kerie brenne
jetzt nicht, oder angenommen, sie brenne in irgend
einem eingebildeten Räume, oder da, wo es keine
Körper gibt Derartige Annahmen werden wohl ge-
macht, obwohl das letztere offenbar unmöglich ist
Aber wenn es geschieht, wird doch damit nichts
fingiert Denn im ersten Falle habe ich nichts anderes
getan, als daß ich eine nicht brennende Kerze ins Ge- 40
[Opp. posth. 873—874. Vloten 18. Bruder §§ 56—67.]
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26 Abhandlmig fiber die Verbeflserang des Verstandes.
dächtnis zurückrief ^) (oder mir eben jene Kerze ohne
Flamme vorstellte), und was ich von dieser Kerze denke»
das denke ich auch von jener, solange ich nicht auf
die Flamme achte. Im zweiten Falle geschieht weiter
nichts, als dal3 man die Gedanken von den umgebenden
Körpern fernhält damit der Geist ausschließlich der
Kerze für sich betrachtet seine Aufmerksamkeit
widmen kann; dann schließt er, die Kerze enthalte
keine Ursache zu ihrer eigenen Zerstörung in sich, so
10 daß diese Kerze und auch die Flamme imveränd^^t
blieben, wenn die umgebenden Körper nicht wären,
oder ähnliches mehr. Das sind also keine Fiktionon,
sondern wahre und klare Behauptungen. >)
(58) Gehen wir nun zu den Fiktionen über, die
das Wesen allein betreffen, oder das Wesen zugleich
mit einer Wirklichkeit oder Eizistenz. Bei ihnen kommt
hauptsachlich in Betracht^ daß der Geist eine um so
größere Möglichkeit zu Fiktionen hat^ je weniger er
erkennt und je mehr er doch wahrnimmt, und daß
^) Später, wenn wir von den Fiktionen in betreff dos
Seins sprechen, wird sich klar ergeben, dafi eine Fiktion
niemals etwas Neues soha£F)b oder dem Geiste darbietet,
sondern daß sie nur das im Gehirn oder in dem Vor-
stellungsvei mögen schon VorhandeDe wieder ins Gedftchtnis
ruft nnd daß dabei der Geist auf alles zugleich, aber ver-
worren seine Aufinerksamkeit lenkt Man ruft sich s. B. das
Reden und einen Baum ins Gedächtnis; und wenn sich non
der Geist, ohne zwischen beiden zu nnterscheiden, aof beide«
richtet, dann meint man, der Baum rede. Dasselbe gilt
Überhaupt von der Existenz, zumal wenn sie wie gesagt
ganz allgemein als Sein erfaßt wird; denn dann kann aie
leicht allen Dingen beigelegt werden, die zn gleicher Zeit
im Gedächtnis auftauchen. Dies ist sehr wohl zn beachten.
^) Dasselbe f^ilt auch von den Hypothesen, die m»ii
auÜBtellt, nm gewisse Bewegungen zu erklären, die mit den
Erscheinungen der Himmelskörper übereiiiptimmen. Nur
darf man nicht aus ihnen, wenn man sie auf die Bewegungen
der Himmelskörper anwendet, auch auf die Natur derselben
schließen. Denn diese kann doch eine andere sein, zumal
da zur Erklärung dieser Bewegungen yiele andere Ursachen
angenommen werden können.
[Opp. posth. 874. Vlot«n 18—19. Bruder §§ 67—68.]
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Die Lehre ron der ixnagiDatio. 27
jene Möglichkeit immer geringer wird, je mehr er
erkennt Ebenso wie wir beispielsweise oben sahen,
daß wir, solange wir denken, nicht fingieren können,
wir dachten oder wir dachten nicht; ebenso können
wir, nachdem wir die Natnr des Körpers erkannt haben,
nicht mehr fingieren, daß eine Fliege unendlich ist;
oder nachdem wir die Natur der Seele ^) erkannt haben,
können wir nicht mehr fingieren, sie sei viereckig,
obwohl wir ja mit Worten alles sagen können. Aber
wie gessLgt, je weniger die Menschen die Natur kennen, 10
deBto leichter können sie vieles fingieren; 2. B. dafi
Menschen im Nu in Steine oder in Quellen verwandelt
werden, daß Greister in Spiegeln erscheinen, daß aus
nichts etwas wird, auch daß sich Götter in Tiere und
Menschen verwandeln und unzahlige andere Dinge von
dieser Art
(59) Vielleicht wird jemand meinen, daß die Fiktion
von der Fiktion und nicht vom Erkennen (intellectio)
eingeschränkt wird; d. h. nachdem ich etwas fingiert
und damit durch eine Art von freiem Entschluß an- 20
erkannt habe, daß es so in der Wirklichkeit existiere,
so werde dadurch bewirkt, daß wir es nachher nicht
mehr anders denken können. Nachdem ich beispiels-
weise „fingiert"' habe, um mit diesen Leuten zu reden,
daß ein Körper die und die Natur habe, und nach-
dem ich aus freiem Entschluß der Überzeugung ge-
worden bin, daß die Natur des Körpers wirklich so
existiert, dann steht es mir nicht länger frei, z. B.
eine Mücke als unendlich zu fingieren; und nachdem
ich das Wesen der Seele fingiert habe, kann ich sie so
^) Eb kommt h&afig ▼er, daß sich jemand dieses Wort
„Seele*' ins Oedftchtnis raft nnd sich dabei ein körperliches
Bild macht. Wenn er aber diese beiden Vorstellungen
gleichseitig hat, dann 'wird er leicht za dem Glauben ver-
leitet, daß er sich eine körperliche Seele vorstelle und
fingiere. Denn er macht zwischen dem Namen und der
Sache selbst keinen Unterschied. Hier verlange ich, daß
die Leser dies nicht voreilig verwerfen mögen, was sie, wie
ich hoffe, nicht tan werden, wenn sie auf die Beispiele nnd
zugleich aaf das, was folgt, recht genau achten.
[Opp. posth. 374—876. Vloten 18—20. Bmder §§ 68—59.1
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28 Abhandlung fiber die Verbesserung des Verstandes.
nicht mehr viereckig vorstellen u. s. w. (60) Das
müssen wir indes prüfen. ElrsteDB verneinen entweder
jene» daß eine Erkenntnis möglich sei, oder sie geben
es zu. Geben sie es zu, dann muß notwendig das,
was sie von der Fiktion sagen, auch vom Ehrkenntnis-
vermögen gelten. Lfougnen sie es aber, dann wollen
wir, die wir wissen etwas zu wissen, einmal zoseihen,
was sie eigentlich sagen. Sie sagen nämlich, die Seele
könne empfinden (sentire) und auf vielerlei Weise
10 wahrnehmen (percipere) nicht sich selbst noch die
existierenden Dinge, sondern einzig das, was weder
an sich noch irgendwo vorhanden ist Das hußt,
die Seele könne allein durch ihre eigene Kraft Empfin-
dungen (sensationee) oder Ideen schaffen, die aber
nicht die Empfindungen oder Ideen der Dinge sind.
Sie betrachten die Seele also teilweise wie Gott Weiter-
hin sagen sie, wir oder unsere Seele habe eine der-
artige Freiheit daß sie uns oder sich oder sogar
ihre eigene Freiheit zwingen könne. Denn nachdem
20 sie einmal etwas fingiert und ihre Zustimmung zu
ihrer Fiktion gegeben habe, könne sie es auf keine
andere Weise denken oder fingieren und werde ge-
radezu durch ihre Fiktion gezwungen, nur auf diese
Weise zu denken, jim mit der ersten f^tion nicht
in Widerspruch zu geraten; wie sie auch hier genötigt
sind, das Absurde, das ich eben zu beurteilen im Be-
griffe bin, ihrer Fiktion zuliebe zuzulassen. Wir wollen
uns aber mit keinen Beweisen weiter bemühen, um es
zu widerlegen.
30 (61) Wir wollen sie ihrem Unsinn überlassen xmd
wollen nur dafür sorgen, daß wir aus den Worten,
die wir mit ihnen gewechselt haben, etwas Wahres
für unserem Gegenstand schöpfen. Es ist dies^): Wenn
^) Weil ich das aas der Erfahnmg su sohliefien scheine
und jemand sagen könnte, das sei nichts, weil der Beweis
fehlt, so stehe er fflr den, der ihn verlangt, hier: Es Jcann
in der Natur nichts geben, das ihren Gesetzen widerstreitet,
alles geschieht nach ihren bestimmten Oesetaen, derart, dafi
alles nach bestimmten Gesetzen seine bestimmten Wirkungen
[Opp. postfa. 875. Vloten 20. Bruder §§ 59—61.]
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Die Lehre yod der imaginatio. 29
sich der Geifii einer fingierten und ihrer Natnr nach
üüflchen Sache zuwende^ um über sie nachasadenken^
sie za erkennen und in richtiger Ordnung ans ihr
die nötigen Schlüsse asa ziehen, dann wird er leicht
das Falsche an ihr entdecken. Wenn aber die fingierte
Sache ihrer Natur nach wahr ist, dann wird der Geist,
wenn er sich ihr zuwendet» um sie zu erkennen, nnd
anfangt» in richtiger Ordnung aus ihr abzuleiten» was
aus il^ folgt» dann wird er glücklich und ohne Unter-
brechung fortfahren; so wie wir gesehen haben» daß 10
bei der eben angeführten falschen Fiktion der Ver-
stand sofort bereit war, ihre Absurdität und alle daraus
sich ergebende aufzuweisen.
(62) Wir brauchen daher keineswees zu befürch-
ten» daß wir etwas nur fingieren» sobald wir eine
Sache klar und deutlich benreifen. Denn wenn wir
vielleicht sagen, daß Menschen im Nu in Tiere ver-
wandelt werden» so wird das in sehr allgemeiner Weise
gesagt Dabei haben wir aber im Geiste keinen Be-
griff, d. h. keine Idee oder V^bindung von Subjekt 20
und Prädikat Denn wäre ein solche Begriff vor-
handen» so würde der Geist zugleich auch das Mittel
und die Ursachen sehen, wodurch und warum etwas
derartiges geschehen ist Sodann wird dabei weder
die Natur des Subjekts noch des Prädikats beachtet
(63) Femer wird, sobald einmal die wste Idee nicht
fmgiert ist, und alle übrigen Ideen aus ihr hergeleitet
werden, allmalig das voreilige Fingiwen verschwin-
den. Da weiter eine erdichtete Idee nicht klar und
deutlich sein kann, sondern nur verworren» und 80
da alle Verwirrung nur daher kommt daß der Geist
die gesamte oder aus vielem zusammengesetzte Sache
nur in einem Teile kennt und das Bekiumte vom Un-
bekannten nicht unterscheidet» und außerdem auch
daher» daß er auf das Viele, das in jeder Sache ent-
in unserreißbarer Verkettung heryorbrini^; daraus folgt, daß
die Seele, wenn sie ein Ding wahrhaft begreift, foräUirt
objektiv dieselben Wirkanffen m bilden. Siehe weiter unten,
wo ich von der falschen Liee spreche.
[Opp. potth. 875—876. Vloten 20—21. Brader §§ 61—68.]
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80 Abhandlung über die YerbesBerang des Verstandes.
halten ist» zugleich und ohne jede Unterscheidung sein
Augenmerk richtet, so folgt daraus: 1. daß die Idee
einer einfachen Sache nicht anders als klau und deut-
lich wird sein können; denn jene Sache wird nicht
in einem Teile, sondern nur ganz oder gar nicht er-
kannt werden können. (64) 2. folgt daraus, daß man
eine Sache, die sich aus Vielem zusammensetzt, nur
in alle ihre einfachsten Teile im Denken zu zerl^en
und jeden Teil für sich zu betrachten braucht, um
10 alle Verwirrung zu beseitigen. 3. folgt daraus, daß
eine Fiktion nicht einfacher Art sein kaoui, sondern
daß sie aus der Zusammensetzung verschiedener ver-
worrener Ideen entsteht, die verschiedene in der
Natur existierende Dinge und Handlungen betreffen,
oder besser gesagt daraus, daß man derartige ver-
schiedene Ideen zugleich betrachtet^), ohne jedoch
beizustimmen. Denn wäre die Fiktion einfacher Art,
dann wäre sie auch klar und deutlich und infolge-
dessen auch wahr. Wäre sie aus der Zusammensetzung
20 von deutlichen Ideen hervorgegangen, dann wäre auch
ihre Zusammensetzung klar und deutlich und somit
wahr. Habe ich z. B. die Natur des Kreises und auch
die Natur des Vierecks erkannt, dann kann ich die
beiden nicht länger verbinden und den Kreis zum
Viereck machen oder die Seele zu einem Viereck
u. ähnl. (65) Wir können also wiederum kurzerhand
den Schluß ziehen und sehen, daß wir nicht zu fürchten
brauchen, eine Fiktion mit wahren Ideen zu vermengen.
Denn was die erste Art von Fiktionen anbetrifft,
80 von der wir zuerst gesprochen haben, bei der näm-
lich die Sache klar erfaßt wird, so haben wir ge-
sehen, daß wir über eine solche Sache gar nichts
^) NB. nnterscheidet sich die Fiktion an sich betrachtet
nicht sehr vom Tranme, aaßer daß im Traume die Ursachen
sich nicht zeigen, die sich den Wachenden mit Hilfe der
Sinne darbieten, und woraus sie schließen, daß diese Er-
scheinuDfifen in diesem Augenblick nicht von äußeren Dingen
herrühron. Der Irrtum aber ist, wie sich sogleich seilen
wird, ein waches Tr&umen; wenn er stark hervortritt, heifit
er Irrsinn.
[Opp. posth. 876—377. Vloten 21—22. Bruder §§ 68—65.]
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Die Lehre ▼on der imaginatio. 81
werden fingieren können, wenn diese klar erfaßte
Sache and anch ihre Existenz an sich eine ewige
Wahrheit ist Ist aber die Existenz der gedachten
Sache keine ewige Wahrheit, dann braucht man bloJD
die Existenz der Sache mit ihrem Wesen zu vergleichen,
und zugleich auf die Ordnung der Natur zu achten.
Was die zweite Art von Fiktionen betrifft, die wie
gesagt die Betrachtung verschiedener verworrener
Ideen von in der Natur wirklich existierenden Dingen
und Handlungen ist, ohne daß man sie jedoch aner- 10
kennt, so haben wir gleichfalls gesehen, daß eine ganz
einfache Sache nicht fingiert, sondern nur erkannt
werden kann, und ebenso eine zusammengesetzte Sache,
sobald wir auf ihre einfachsten Bestandteile achten,
ia daß wir sogar aus ihnen selbst keine Handlungen,
£e nicht wahr sind, fingieren können; denn wir müßten
uns zugleich darüber klar werden, wie und warum dies
geschieht
(66) Nachdem wir dies eingesehen, wollen wir
jetzt zur Untersuchung der falschen Idee übergehen, 20
um zu sehen, wobei sie vorkommt und wie wir uns
hüten können, in falsche Vorstellungen (perceptiones)
zu geraten. Beides wird uns, nachdem wir die fingierte
Idee untersucht haben, nicht mehr schwer fallen,
denn es gibt keinen anderen Unterschied zwischen
ihnen, als daß die falsche Idee noch die Anerkennung
voraussetzt, d. h. wie bereits bemerkt, daß während
sich einem die Vorstellungen (repraesentamina) dar-
bieten, keine Ursachen sich zeigen, aus denen man wie
bei der Fiktion entnehmen könnte, daß sie nicht von 30
äußeren Dingen sich herleiten; daß jene also kaum
etwas anderes ist als nüt offenen Augen oder im
Wachen zu träumen. Die falsche Idee kommt also
vor oder, um mich besser auszudrücken, bezieht sich
entweder auf die Existenz einer Sache, deren Wesen
man erkannt, oder aber auf das Wesen einer Sache,
gerade so wie die fingierte Idee. (67) Bezieht ^ie sich
auf die Existens^ dann wird sie gerade so berich-
tigt wie die fiktion. Denn wenn die Natur einer be-
kannten Sache ihre Existenz als notwendig voraus- 40
[Opp. posth. 877. Vloten 22. Bruder §§ 66—67.]
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82 Abhandlung über die Verbesserung des Verstandes.
setzte, so ist es unmöglich, daß wir uns über ihre
Exüaienz ^täuschen. Ist aber die Existenz keine ewige
Wahrheit^ wie es ihr Wesen ist, hängt vielmehr die
Notwendigkeit oder Unmöglichkeit ihrer Existenz von
äußeren .Ursachen ab, dann nehme man alles in der-
selben Weise, wie angegeben wurde, als von der
Fiktion die Rede war: denn ebenso wird auch die falsche
Idee berichtigt (68) Was die andere Art d^ fal-
schen Idee betrifft, die sich auf das Wesen oder auf
10 Handlungen bezieht, so sind derartige Vorstellungen
notwendig immer verworren, zusammengesetzt aus ver-
schiedenen verworrenen Vorstellungen von Dingen,
die in der Natur existieren, so wenn sich die Men-
schen überreden lassen, in Wäldern, in Bildern, in
Tieren und dergleichen wohnten Gottheiten; es gebe
Körper, aus deren bloßer Zusammensetzung schon
der Verstand entstehe; Gestorbene könnten denken,
umgehen, reden; Gott könne getäuscht werden und
ähnliches. Aber Ideen, die klar und deutlich sind,
20 können niemals falsch sein« Denn die Ideen der Din^e,
die klar und deutlich begriffen werden, sind ^it-
weder ganz einfach, oder aas einfachen Ideen zu-
sammengesetzt, ,d. h. von ganz einfachen Ideen her-
geleitet. Daß aber eine ganz einfache Idee nicht
]^lsch sein kann, wird jeder einsehen können, wenn
er nur weiß, was wahr und was Erkenntnis und zu-
gleich was falsch heißt
(69) Denn was das betrifft, was die Form des
Wahren ausmacht, so unterscheidet sich sicherlich das
80 wahre Denken vom fsJschen nicht bloß durch die
äußere Bezeichnung, sondern hauptsächlich durch die
innere. Denn wenn ein Baumeister sich ein Gebäude
richtig ausdenkt, so ist doch sein Gedanke, auch
wenn ein solches Gebäude nie existiert hat und nie
existieren wird, nichtsdestoweniger richtig, und der
Gedanke bleibt derselbe, ob nun das Gebäude existiert
oder nicht. Wenn ds^egen einer behauptet^ daß z. B.
Peter existiere, ohne jedoch zu wissen, daß er existiert,
so ist der Gedanke in Ansehung dessen, der es sagt,
40 falsch, oder wenn man lieber will, er ist nicht wahr,
[Opp. posth. 377—378. Vloten 22—23. Bruder §§ 67—69.]
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Die Lehre yon der imagiiuttio. 3S
selbst wenn Peter in der Tat existiert Wahr ist die
Aussage: Peter existiert nur in Ansehung dessen»
der gewiß weiJB, daß Peter existiert. (70) Daraus
folgt, ,daß es etwas Reales in den Ideen gibt, wo*
durch sich die wahren von den falschen unterscheiden.
Das eben müssen wir jetzt untersuchen, um die beste
Norm der Wahrheit zu finden — denn es wurde
ja festgestellt, daß wir unsere Gedanken nach der
gegebenen Norm der wahren Idee richten müssen
und daß die Methode eine reflexive Erkenntnis sei 10
— und ferner, um die Eigenschaften des Verstandes
kennen zu lernen. Man darf aber nicht sagen, jener
Unterschied entstehe daraus, daß der wahre Gedanke
in der Erkenntnis der Dinge aus ihren ersten Ur-
sachen bestehe, worin er sich gewiß von den falschen
sehr unterscheiden würde, wie ich oben erklärt habe.
Denn ein wahrer Gedanke heißt auch der, der das
Wesen eines Princips objektiv einschließt, das keine
Ursache hat und durch und in sich erkannt wird.
(71) Daher muß die Form des wahren Gedankens in 20
diesem Gedanken selbst liegen ohne Beziehung auf
andere; sie erkennt kein Objekt als ihre Ursache an,
sondern ^uß von dem Vermögen und der Natur des
Verstandes selbst iJ>hangen. Denn n^imen wir an,
der Verstand habe irgend ein neues Wesen begriffen,
das noch nicht existiert hat, wie sich manche den
Verstand Grottes vor der Schöpfung vorstellen (ein Be-
greifen, das sicher von keinem Objekt herrühren
konnte) und leite aus diesem Begriffe andere folge-
richtig ab, dann wären alle diese Gedanken wahr 80
und von keinem äußeren Objekt bestimmt^ sondern
hingen bloß von dem Vermögen und der Natur des
Verstandes ab. Darum muß man das, was die Form
des wahren Gedankens ausmacht, in diesem Gedanken
selbst suchen und aus der Natur des Verstandes her-
leit^L (J2) Um nun dies zu erforschen, müssen wir
irgend eine wahre Idee ins Auge fassen, deren Ob-
jekt, wie wir vollkommen sicher wissen, von unserem
Denkvermögen abhangt und die kein Objekt in der
Natur hat Denn bei einer derartigen Idee werden 40
[Opp. posth. 378—879. Vloten 28—24. Bruder §§ 69—72.]
8 p i n 0 ■ R , Abhmndlg. ab. d. Verbesserg. d. Verstandes. 8
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34 Abhandlung Aber die Yerbesserang des Yentandes.
wir, wie schon ans dem Geeagten hervorgeht^ leichter
das, was wir wollen, erforschen können. Um mir s. B.
einen Begriff von einer Kugel zu machen, fingiere
ich eine beliebige Ursache, nämlich daß ein Halb-
kreis um seinen Mittelpunkt roti^e und daß aus seiner
Drehung gleichsam eine Eugel entstehe. Diese Idee
ist sicher wahr, und obwohl wir wissen, daß in der
Natur niemals eine Eugel auf diesem Wege entstanden
ist, ist es doch eine wahre Vorstellung und die leich-
10 teste Art, um sich den Begriff einer Eugel zu bilden.
Dabei ist nur zu beachten, daß diese Vorstellung
die Rotation des Halbkreises bejaht^ eine Bejahung,
die falsch wärcs wenn sie nicht mit dem Begriff der
Eugel, also mit der Ursache^ die eine solche Be-
wegung bestimmt, verbunden wäre, oder allgemein
ge«igt, wenn diese Bejahung nackt für sich dastünde.
Denn dann würde der Geist bloß darauf ausgehen,
einzig die Bewegung des Halbkreises zu bejahen, was
weder in dem Begriff des Halbkreises entiialten ist»
ao noch aus dem Begriff einer die Bewegung bestim-
menden Ursache hervorgeht Daher besteht das
Falsche einzig darin, daß etwas von einer Sache be-
jaht wird, das in dem Begriff, den wir uns von eben
dieser Sache gebildet haben, nicht enthalten ist, wie
Bewegung oder Ruhe beim Halbkreis. Daraus folgt,
daß ein&che Gedanken nicht anders als wahr sein
können, wie die einfache Idee des Halbkr^es, der Be-
wegung, der Quantität u. s. f. Was diese Ideen an
Bejahung enthalten, entspricht ihrem Begriffe und
80 geht nicht darüber hinaus; daher dürfen wir nach
Belieben und ohne Besorgnis, uns zu irren, einfache
Ideen bilden. (73) Bb bleibt also nur noch zu unter-
suchen übrig, mit welchem Vermögen unser Greist sie
bilden kann und wie weit dieses Vermögen geht Denn
haben wir das gefunden, dann werden wir leicht die
höchste Erkenntnis sehen, bis zu der wir gelang^i
können. Denn sicher ist es, daß dieses Vermögen
nicht ins Unendliche geht Denn wenn wir etwas
von einer Sache bejahen, das in dem Begriff, den wir
40 uns von ihr bilden, nicht enthalten ist, so zeigt das
[Opp. posth. 879—880. Vloten 24. Brader §§ 72—78.]
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Die Lehre von der imaginfttio. 86
einen Mangel unseres Wahmehmens an odw, daß wir
flozosagen yerstommelte oder zerstückelte Gedanken
oder Ideen haben. Denn wir haben ]a gesehen, daß
die Bewegimg des Halbkreises falsch ist^ wenn sie
allein für sich im Geiste ist^ daß sie aber wahr ist,
wenn sie mit dem Begriff einer Engel verbnnd^i
wird, oder mit dem Begriff irgend einer anderen eine
derartige Bewegung bestimmeuden Ursache. Wenn
es also in der Natur eines denkenden Wesens li^gt»
wie es auf den ersten Blick scheint, wahre oder Si- 10
aquate Gedanken zu bilden, so ist es sicher, daß in-
adäquate Ideen nur darum in uns entstehen können,
weil wir ein Teil sind eines denkenden Wesens, von
dessen Gedanken manche vollständig, manche nur zum
Teil unseren Geist ausmachen.
(74) Dazu ist aber noch eines zu beachten, was
bei der Fiktion zu bemerken nicht der Mühe wert
war und wobei die größte Täuschung statt hat: das
ist der Fall, wenn etwas, das im Vorstellungsvermögen
sich darbietet, auch im Verstände ist» d. h. daß es 20
klar und deutlich begriffen wird; dann wird, solange
das Deutliche nicht vom Verworrenen unt^schieden
wird, die Gewißheit, d. h. die wahre Idee mit un-
deutlichen vermengt So hatten beispielsweise einige
Stoiker beiläufig den Namen der Seele gehört und
auch, daß sie unsterblich sei, was sie sich aber nur
verworren vorstellten; sie hatten auch eine Vorstellung
davon und zugleich die ESrkeantnis, daß die feinsten
Körper alle anderen durchdringen, aber von keinen
durchdrungen werden. Indem sie nun dies alles zu- 80
gleich vorstellten, verbunden mit der Gewißheit dieses
Axioms, waren sie sogleich vollkommen überzeugt,
der Geist bestehe aus ]enen feinsten Körpern, jene
feinsten Körper könnten nicht geteilt werden u. s. w.
(75) Aber auch davon befreien wir uns, wenn wir
danach streben, alle unsere Vorstellungen nach der
Norm der gegebenen wahren Idee zu prüfen und uns
dabei, wie anfangs bemerkt^ vor jenen hüten, die wir
nur vom Hörensagen oder aus unbestimmter Erfah-
rung haben. Fernerhin entsteht eine derartige Tau- 40
[Opp. posth. 880. Vloten 24—25. Bruder §§ 78—75.]
3*
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36 Abhandlang über die Verbesserang des Verstandes.
schung daraus, daß man die Dinge zu abstrakt auffaßt.
Denn es ist ja an sich klar genug, daß ich das, was
ich an seinen wahren Objekt wahrnehme, nicht auf
ein anderes anwenden kann. Endlich entsteht die
Täuschung auch daraus, daß man die ersten Elemente
der ganzen Natur nicht versteht, weshalb man dann
ohne Ordnung vorgeht, die Natur mit abstrakten, wenn
auch wahren Axiomen vermengt, und so sich selbst
in Verwirrung bringt und die Ordnung der Natur
10 verkehrt Wir aber brauchen auf keine Weise der-
artige Täuschungen zu fürchten, wenn wir so wenig
als möglich abstrakt ver&hren, uimI mit den ersten
Elementen, d. h. am Quell und Ursprung der Natur,
so früh als möglich beginnen. (76) Was aber die
Kenntnis vom Ursprung der Natur betrifft, so brauchen
wir durchaus nicht zu befürchten, daß wir sie mit
Abstraktem vermengen. Denn wenn man etwas ab-
strakt bereift, wie es bei allen Allgemeinbegriffen
der Fall ist, so faßt man sie immer im Verstände
20 in einem weiteren Sinne, als die zugehörigen Einzel-
dinge tatsächlich in der Natur vorhanden sein können.
Da es femer in der Natur viele Dinge gibt, deren
Unterschied so gering ist, daß er fast dem Verstand
entgeht, so kann es bei abstraktem Auffassen leicht
vorkommen, daß sie miteinander verwechselt werden«
Da aber der Ursprung der Natur, wie wir nachher
sehen werden, weder abstrakt noch allgemein begriffen
werden kann, und auch nicht weiter im Verstände aus-
gedehnt werden kann, als er in Wirklichkeit ist, und
30 da er auch gar keine Ähnlichkeit mit veränderlichen
Dingen hat, so ist bei seiner Idee keine Verwirrung
zu jbefürchten, wenn wir nur die Norm der Wahrheit,
die wir bereits angegeben haben, besitzen. Eß ist näm-
lich dieses Wesen einzig, unendlich^), d. h. es ist
alles Sein^) und aul3er ihm gibt es kein Sein.
^) Das sind keine Attribate Gottes, die sein Wesen
anseifiren, wie ich in der Philosophie zeigen werde.
') Das ist schon oben bewiesen worden. Denn wenn
ein solches Wesen nicht existierte, könnte ee niemals vor-
[Opp. posth. 880—881. Vloten 25—26. Bruder §§ 76—76.]
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Die Lehre von der imagiiiatio. 87
(77) Soweit von der falschen Idea Nun bleibt
noch die zweifelhafte Idee zu untersuchen, d. h.
ee bleibt zu untersuchen, was es eigentlich ist, das
uns in Zweifel zu setzen vermag, und zugleich auch,
wie dieser Zweifel zu heben ist Ich rede vom wirk-
lichen Zweifeln im Geiste und nicht von jenem, das
wir hier und da finden und bei dem ^einer bloß mit
Worten sagt, er zweifle^ obwohl er im Geiste gar nicht
zweifelt Es ist la nicht Aufgabe der Methode, das
zu berichtigen, vielmehr gehört das zur Untersuchung 10
über den Sgensinn und seine Berichtigung. (78) 1^
gibt also keinen Zweifel im Geiste durch die Sache
selbst, an der man zweifelt; d. h. wenn bloß eine
einzige Idee im Geiste ist, mag sie nun wahr oder
falsch sein, dann gibt es keinen Zweifel, aber auch
keine Gewißheit, sondern nur eine derartige Empfin^
dang. Denn an sich ist die Idee nichts anderes als
eine derartige Eknpfindung. Der Zweifel wird aber
durch eine andere Idee entstehen, die nicht so klar
und deutlich ist, daß wir aus ihr etwas Gewisses be- 20
treffs der Sache, an der wir zweifeln, schließen
konnten; d. h. eine Idee, die uns in Zweifel setzt, ist
nicht klar und deutlich. Wenn z. B. jemand niemals
über die Täuschung der Sinne nachgedacht hat, sei
es mit Hülfe der Erfahrung, sei es auf welche Art auch
immer, dann wird er niemals darüber Zweifel empfinden,
ob die Sonne größer oder kleiner ist, als sie erscheint
Daher wundern sich die Bauern manchmal, wenn sie
hören, daß die Sonne viel größ^ ist als die Erdkugel
Aber durch das Nachdenken über die Täuschung der 80
Sinne entsteht der Zweifel^); und wenn einer nach
dem Zweifel zu einer wahren Erkenntnis der Sinne
gelangt ist und weiß, wie durch ihre Organe sich
gestellt werden; so konnte dann der Oeist mehr erkennen,
als die Natur leisten kann, was, wie oben dargetan,
fftlsch ist.
') D. h. er weifi, dafi die Sinne ihn manchmal getftnsoht
haben, aber er weiß es doch nur verworren; denn er weiß
niohty auf welche Weise die Sinne täuschen.
[Opp. posth. 881-882. Vloten 26—27. Bruder §§ 77—78.]
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88 Abhandlung Aber di6 Yerbesserang des Veratandet.
die Dinge in der E/ntfernnng darstellen, dann wird
der Zweifel wiederum geboten. (79) Daraus folgt,
daß wir wahre Ideen nicht deshalb in Zweifel ziehen
können, weil vielleicht irgend ein betrügwischer Gott
existiert^ der nns sogar über die allergewissesten
Dinge tiLnscht, auDer solange wir noch k^e klare
nnd deutliche Idee von Gott haben; d. h. wenn wir
auf die Erkenntnis achten, die wir vom Ursprung aller
Dinge haben, und nichts finden, was uns lehrte daß
10 er kein Betrüger sei vermöge ebenderselben Elrkamt-
nis, mit der wir, die Natur des Dreiecks ins Auge
fassend, finden, daß seine drei Winkel gleich sw^
Rechten sind. Aber wenn wir eine solche Elrkenntma
von Gott haben, wie wir sie vom Dreieck haben, dann
wird jeder Zweifel behoben. Und auf dieselbe Weise^
wie wir zu einer solchen &kenntnis vom Drdeck
gelangen können, obechon wir nicht sicher wissen,
ob es nicht ein höchstes Wesen gibt, das uns tauscht;
auf eben diese Weise können wir auch zu einer solchen
20 Erkenntnis von Gott gelangen, obschon wir nicht sicher
wissen, ob es nicht ein höchstes Wesen gibt» das
uns tauscht Und wenn wir die Erkenntnis haben, so
wird sie hinreichen, um wie gesagt jeden Zweifel sa
beheben, den wir über klare und deutliche Ideen haben
können. (80) Wenn man ferner richtig verfahrt bei
der Erforschung dessen, was zuvor erforscht werden
muß, ohne die Verkettung der Dinge zu unterbrechen,
und wenn man weiß, wie die Fragen zu bestimmen sind,
ehe man zu ihrer Lösung schreitet, so wird man nie
80 etwas anderes als die gewissesten, d. h. klare und
deutliche Ideen erhalten. Denn der Zweifel ist nichts
anderes als die Zurückhaltung des Geistes in Bel^eiff
einer Bejahung oder Verneinung; er würde bejahen
oder verneinen, wenn nicht etwas im Wege stunde^
das er nicht kennt und ohne das seine ErkamtniB
jener Sache unvollkommen sein muß. Daraus ergibt
sich, daß der Zweifel immer daraus entsteht, daß man
die Dinee nicht der Ordnung nach erforscht
(81) Das ist es, was ich im ersten Teil der Me-
40 thode zu behandeln versprach. Um aber nichts, was
rOpp. poith. 882. Vloten 27. Brader §§ 78—81.]
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Die Lehre von der imaginatio. 39
ZOT Erkenntnis des Verstandes tind seiner Kräfte
führen kann, aoJQw acht zu lassen, will ich auch einiges
nber Gedächtnis und Vergessen sagen. Bsim
ist vor allem za beachten, daß das Gedächtnis sowohl
mit Hülfe des Verstandes als auch ohne diese erstarkt
Was das erstere betrifft^ so wird eine Sache um so
leichter behalten, je leichter sie za verstehen ist, und
umgekehrt um so leichter vergessen, je schwerer sie
XU verstehen ist Wenn ich z. B. iemandem eine Beihe
unzusammenhängender Wort» aufgebe, so wird er 10
sie viel schwerer behalten, als wenn ich ihm dieselben
Worter in Form einer Er^hlung geba (82) Das Ge-
dächtnis erstarkt aber auch ohne Hülfe des Verstandes»
und zwar durch die Stärke^ mit der das Vorstellungs-
vermogen oder der sogenannte allgemeine Sinn von
irgend einer einzehien körperlichen Sache afficiert wird.
Ich sage von einer einzelnen, denn das Vorstellungs-
vermögen wird immer nur von einzehien Dingen af-
ficiert Wenn jemand z. B. nur ein Liebesschauspiel ge-
lesen hat, so wird er es vorzüglich behalten, solange <w 20
kein anderes von derselben Art liest^ weil es dann
ganz allein in seiner Einbildung lebendig ist Kennt
er aber mehrere von derselben Art» dann werden sie
alle zugleich vorgestellt und leicht miteinander ver-
mischt Ich sage femer: von einer körperlichen
Sache^ denn bloß von körperlichen Dingen wird das
Vorstellungsvermögen afiiciert Da also £s Gedächtnis
durch den Verstand und auch ohne den Verstand er-
starkt ao folgt daraus, daß es etwas vom Verstand
Verschiedenes sein muß und daß es für den Verstand, 80
rein an sich betrachtet^ weder Gedächtnis noch Ver-
gessen gibt (83) Was wird also das Gedächtnis sein?
Nichts anderes als die Empfindung der Eindrücke des
Gehirns verbunden mit dem Gedanken an eine be-
stimmte Dauert) dieser Empfindung, was auch die
^) Ist jedoch die Dauer unbestimmt so ist die Erinne-
mng an die Sache rnivoUkommen, was jeder aus der Er-
fahrung wohl gelernt haben wird. Denn oft firagen wir, um
jemandem das, was er uns sagt, eher zu glauben, wann nnd
[Opp. posth 388. Vloten 27—28. Bruder §§ 81—83.]
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40 Abhandlung über die Verbesserung des Verstandes.
Erinnerung zeigt Denn hierbei denkt der Geist an
jene Empfindung, aber ohne ihre ununtertMrochene
Dauer. Dah» ist die Idee jener Eknpfindung nicht
die Dauer der Empfindung selbst, d. h. nicht das Gre-
dächtnis selbst. Ob aber die Ideen selbst eine Fäl-
schung erleiden können, werden wir in der Philosophie
sehen. Sollte dies jemandem sehr absurd erschien,
so genügt es für unseren Zweck zu bedenken,
daß eine Sache um so leichter behalten wird, je
10 einzigartiger sie ist, wie sich aus dem oben beige-
brachten Beispiel von der Komödie ergibt Ferner,
daß eine Sache um so leichter behalten wird, je besser
sie verstanden wird. Daher wird uns eine im höchsten
Grade einzigartige Sache, vorausgesetzt^ daß sie
zu verstehen ist unmöglich aus dem Gedächtnis
schwinden.
(84) So haben wir also den Unterschied zwischen
der wahren Idee und den übrigen Vorstellungen fest-
gestellt und dsurgetan,^ daß die fingierten, die falschen
20 Ideen u. s. w. ihren Ursprung im Vorstellungsver-
mögen haben, d. h. in gewissen zufälligen — um
mich dieses Ausdrucks zu bedienen — und losen
Empfindungen, die nicht aus dem Vermögen des Geistes
seilest hervorgegangen sind, sondern aus äußeren Ur-
sachen, je nach den verschiedenen Anregung^ die
der Körper im Träumen oder im Wachen empfängt.
Oder meinethalben verstehe man unter Vorstellungs-
vermögen irgend etwas Beliebiges, wenn es nur vom
Verstimde verschieden ist und den Geist in ein leidendes
80 Verhältnis bringt Denn es ist gleich, was man dar-
unter versteht, wenn wir nur wissen, daß es etwas
Unbestimmtes ist, durch das der Geist leiden muß,
und wenn wir zugleich wissen, auf welche Weise
wo es sich zugetragen habe. Obsohon auch die Vorstellungen
selbst ihre Dauer im Geiste haben, so sind wir doch gewollt,
die Dauer nach dem Maße einer Bewegung su bestimmen,
was auch mit Hülfe des VorstellungsvermOgens geschieht,
ipid darum beobachten wir bisher noch kein Gedftchinia,
das dem reinen Geiste angehörte.
[Opp. posth. 888—884. Vloten 28. Bruder §§ 88—84.]
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Die Lehre tod der imaginatio. 41
wir uns mit Hülfe des Verstandes von ihr befreien.
Daher darf sich auch niemand wundern, daß ich hier
noch nicht beweise, daß es einen Körper gibt und
andere notwendige Dinge, und dabei dennoch vom Vor-
stellungsvermögen, vom Körper und seiner Beschaffen-
heit r^e. Denn wie gesagt, es ist gleich, was ich
darunter verstehe, wenn ich nur weiß, daß sie etwas
Unbestimmtes ist u. s. w.
(85) Wir haben aber gezeigt, daß die wahre Idee
einfach oder aus einfachen zusammengesetist ist^ daß 10
sie zeigt, wie und warum etwas ist oder geschehen
ist, und daß ihre objektiven Wirkungen in der Seele
vor sich gehen nach dem Verhältnis der Formalität
des Objektes selbst Das ist dasselbe, was die Alten
sagten, daß die wahre Wissenschaft von der Ursache
zu den Wirkungen fortschreite; nur haben sie nie,
soviel ich weiß, wie wir hier angenommen, daß die
Seele nach bestimmten Gresetzen handele und sozusage^i
ein geistiger Automat sei. (86) Daraus haben wir,
soweit es im Anfang möglich war, die Kenntnis von 20
unserem Verstand erlangt und zugleich eine solche
Norm der wahren Idee, daß wir nicht mehr zu fürchten
brauchen, das Walure mit Falschem oder Elrdichtetem
zu vermengen. Wir w^den uns auch nicht darüber
vTundem, warum wir manches verstehen, das in keiner
Weise unter das Vorstellungsvermögen fällt^ und daß
wiederum anderes in ihm sich findet, das dem Ver-
stand geradezu widerstreitet, während endlich anderes
mit ihm übereinstimmt. Denn wir wissen ja, daß jene
Op^tionen, durch welche die Vorstellungsbilder (imagi- 80
nationes) hervorgebracht werden, nach anderen Ge-
setzen sich vollziehen, die gänzlich verschieden sind
von den Gesetzen des Verstandes, und daß der
Geist, wo es sich um das VorsteUungsvermögen handelt,
sich bloß leidend verhält (87) Daraus geht hervor,
wie leicht diejenigen in große Irrtümer verfallen
können, die keinen genauen Unterschied zwischen Vor-
stellungs- und Ehrkenntnisvermögen (inteUectio) machen.
Dahin gehört z. B., daß die Ausdehnung an einem
Orte sein, daß sie begrenzt sein müsse, daß ihre Teile 40
[Opp. potth. 384--d85. Vloten 28—29. Bruder §§ 84—87.]
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42 Abhandlnng ftber di6 YerbesseruDj; des Verstandes.
sich gegezifieitig realitor unterschieden, daß sie das
erste und einzige Fondament aller Dinge sei nnd sa
einer Zeit einen größeren Baum einnehme als zu
einer anderen, nnd vieles andere von derselben Art^
was alles der Wahrheit vollkommen widerstreitet» wie
wir am gehörigen Orte zeigen werden.
(88) Da femer die Worte einen Teil des Vor-
atellungsvermögens ausmachen, d.h. da wir viele
Begriffe fingieren, je nachdem wir die Worte unbe-
10 stimmt nach irgend einem Zustande des Körpers im Ge-
dächtnis verbinden, so ist nicht daran zu zweifeln, daß
auch Wort^ gerade so wie das VorsteUungsvermogeo,
die Ursache vieler und großer Irrtümer werden können,
wenn wir uns nicht sehr vor ihnen in acht nehmen.
(89) Dazu konmit noch, daß sie willkürlich nach der
Fassungskraft des Volkes gebildet sind, so daß sie
nichts sind als Zeichen für die Dinge, wie sie im Vor-
stellungsvermögen, aber nicht wie sie im Verstände
sind. Das geht schon offenbar daraus hervor, daß man
SO alles, was nur im Verstände und nicht im Vorstellungs-
vermögen ist, mit häufig negativen Namen bezeichnet,
wie: unkörperlich, unendlich u. s. w., und daß man
ebenso vieles, was in der Tat affirmativ ist, negativ auch
drückt und umgekehrt wie: unerschaffen, unabhängig,
unendlich, unsterblich u. s. w.; denn wir könn«i uns
deren Grundsätze weit leichter vorstellen, weshalb
sie auch den ersten Menschen sich eher darboten
und die positiven Benennungen annahmen. Wir be-
jahen und vemein^i vieles, weil die Natur der Worte
30 eine solche Bejahung und Verneinung zuläßt, aber
nicht die Natur der Dinge. Wenn wir dies nicht
wüßten, könnten wir leicht etwas Falsches für wahr
annehmen.
(90) Wir haben außerdem noch eine andere große
Ursache der Verwirrung zu vermeiden, die schuld
daran ist, daß der Verstand nicht auf sich selbst re-
flektiert Wenn wir nämlich nicht zwischen Vorst^-
lungs- und Erkenntnisvermögen unterscheiden, dann
glauben wir, das, was wir uns leichter vorstellen, sei
40 uns auch klarer, und glauben das zu erkennen, was
[Opp. posth. 885. Vloten 29—80. Bruder §§ 87—89.]
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Die Lehre von der Definition. 48
Wir uns nur vorstellen. Damm setasen wir das voran,
was nachgesetst werden muß, und verkehren so die
richtige Ordnung des Vwfahrens; infolgedessen kommt
keine richtige Folgenmg znstandeu
(91)^) Um endlich auf den zweiten Teil dieser
Methode sa kommen, will ich ssaerst unseren Zweck
bei dieser Methode aoüstellen, und dann die Mittel
zeigen, durch die er zu erreichen ist Der Zweck ist
also, klare und deutliche Ideen zu haben, nämlich
solche, die rein aus dem Geiste und nicht aus zu- 10
fälligen Erregungen des Korpers entstanden sind. Um
sodann alle Ideen auf eine zurückzuführen, werden
wir Tersuchen, sie auf solche Weise zu verketten und
zu ordnen, damit unser Geist soweit als möglich ob-
jektiv die Formalität der Natur sowohl im Ganzen
als in ihren Teilen wied^gibt
(92) Was das erste anbetrifft, so ist, wie bereits
bemerk^ für unseren letzten Zweck erforderlich, daß
eine Sache entweder bloß aus ihrem Wesen oder durch
ihre nächste Ursache begriffen wird. Wenn nämlich 90
eine Sache an und für sich besteht oder, wie man
gemeinhin sagt, wenn sie Ursache ihrer selbst ist,
dann muß sie bloß aus ihrem Wesen erkannt werden.
Wenn aber eine Sache nicht an und für sich besteht,
sondern eine Ursache erfordert, um zu existieren,
dxan muß sie durch ihre nächste Ursache erkannt
werden. Denn in der Tat ist die Erkenntnis einer
Wirkung nichts anderes, als daß man eine voUkom-
^) Die Hauptregel dieses Teils ist, wie sich ans dem
ersten Teil ergibt, alle Ideen zu prüfen, die wir als
aus dem reinen Verstände hervorgehend in uns
finden, nm sie von denen, die wir uns Torstellen, zu unter-
scheiden; was ans den ESgensohaften der beiden, des Vor-
stellnngs- und des Erkenntnisvermögens ra ermitteln ist.
[Opp. posth. 386—886. Vloten SO— 31. Bmder §§ 90—92.1
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44 Abhandlang Aber die Yerbesserang des Yentandee.
menere KenntniB der Ursache erwirbt^) (93) Des-
halb dürfen wir niemals» solange wir uns mit der Er-
forschnng der Dinee beschäftigen, aus abstrakten Be-
griffen einen Schluß ziehen; wir müssen uns sehr
hüten, das, was bloß in unserem Verstände ist^ mit
dem, was in der Wirklichkeit ist, zu vermeng^i.
Den besten Schluß wird man aber von irgend einer
bescheren affirvnativen Wesenheit oder von einer
wahren und richtigen Definition herleiten. Denn von
10 bloßen, allgemeinen Axiomen kann der Verstand nicht
zum Besonderen herabsteigen, weil sich die Axiome
über Unendliches verbraten und den Verstand nicht
mehi zur Betrachtung des einen Besonderen als sor
Betrachtung des anderen bestimmen. (94) Daher ist
der richtige Weg zum Forschen der, daß wir aus
einer gegebenen Definition Gedankt bilden. Das wird
um so glücklicher und leichter geschehen, ]e besser
wir eine Sache definieren. Der Angelpunkt dieses
ganzen zweiten Teiles der Methode besteht in
20 diesem einen, nämlich in der Erkenntnis der Be-
dingungen für eine gute Definition und dann
in der Art und Weise, solche zu finden. Deshalb
werde ich zuerst die Bedingungen für eine Definition
behandeln.
(95) Damit eine Definition vollkommen genannt
werden kann, muß sie das innerste Wesen einer Sache
ausdrücken und verhüten, daß wir nicht gewisse Eigen-
schaften für die Sache selbst nehmen. Zur Erklärung
will ich, um andere Beispiele zu übergehen, durch
30 die ich den Anschein erwecken könnte, als wolle
ich die Irrtümer anderer aufdecken, bloß das Beispiel
einer abstrakten Sache nehmen, bei der es gleich ist»
wie sie definiert wird, nämlich das Beispiel des Kreises.
Wenn man ihn so definiert: er sei eine Figur, bei der
die Linien vom Ccmtrum nach der Peripherie gleich
sind, dann sieht jeder, daß eine solche Definition
^) Es ist zu bemerken, daß hieraus hervorgeht^ daß wir
nichts von der Natur erkennen können, ohne zugleich unsere
Kenntnis von der ersten Ursache oder von Gott sa erweitern.
[Opp, posth. 386—387. Vioten 31. Bruder §§ 92—96.)
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Die Lehre Ton der Definition. 46
das Wesen des Kreises keineswegs aasdrückt, sondern
bloß eine seiner Eigenschaften. Und obwohl dies,
wie gesagt, bei den Figuren and den anderen Go*
daakenwesen wenig aasmacht, so macht es doch sehr
viel aus bei den physischen und realen Wesen, weil
man nämlich die Eigenschaften der Dinge nicht er-
kennen kann, solange man ihr Wesen nicht kennt
Wenn wir aber das Wesen übergehen, so kehren wir
notwendig die Verkettung des Verstandes, die der
Verkettung der Natur entsprechen mufl^ um und irren 10
von unserem Zwecke vollkommen ab. (96) Um sich
also von diesem Fehler frei zu halten, hat man bei
der Definition folgendes zu beachten.
I. Handelt es sich um ein erschaffenes Ding,
dann muD die Definition wie gesagt die nächste Ur-
sache in sich begreifen. So wäre z. B. nach diesem
Gesetz der Kreis so zu definieren: er ist eine Figur,
^e von einer beliebigen Linie beschrieben wird, bei
der das eine Ende fest, das andere beweglich ist
Diese Definition begreift klar die nächste Ursache 20
in sich.
n. Es wird ein solcher Begriff oder eine solche
Definition des Dinges verlangt, daß alle seine Eigen-
schaften, wenn man es allein und nicht in Verbindung
mit anderen betrachtet, aus ihr erschlossen werden
können, wie man es an dieser Definition des Kreises
sehen kann. Denn aus ihr geht klar h^vor, daß
alle Linien vom Gentrum nach der Peripherie gleich
sind. Daß dies ein notwendiges Elrfordemis einer
Definition is^ ist für jeden Denkenden an sich so dO
klar, daß es nicht der Mühe wert scheint^ sich bei
dem Beweise dafür aufzuhalten, und ebensowenig
an diesem zweiten Eärfordernis zu zeigen, daß jede
Definition affirmativ sein muß. Ich rede von der Be-
jahung im Verstände und kümmere mich wenig um
den sprachlichen Ausdruck, der wegen Wortmangels
manchmal negativ sein kann, auch wenn der Sinn
affirmativ ist
(97) Die Erfordernisse einer Definition bei einem
nicht erschaffenen Dinge sind folgende. 40
[Opp. poith. 887. Vloten 31—32. Bruder §§ 96—97.]
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46 Abhandlung Aber die Verbeesening des Yeratandee.
L Sie muß jede Ursache ausschließen, d. L das
Objekt bedarf sa seiner Erklärung nichts anderes als
das eigene Sein.
n. Ist dnmal die Definition dieses Dinges ge-
geben, so darf kein Raum mehr sein ffir die Frage^
ob das Ding seL
nL Sie darf in bezag auf den G^t keine Sub-
stantiva enthalten, die zu Adjektiven gemacht werden
können, d. h. sie darf nicht durch irgendwelche ab-
10 strakten Begriffe erklart werden.
IV. Schließlich ist erforderlich — obwohl es nicht
sehr nötig ist, das zu bemerken — ^ daß. aus der De-
finition sich alle ISgenschaften erschließen lassen.
Alles dieses wird dem Aufmerksamen völlig einleuch-
tend sein.
(98) Ich habe auch gesag^ daß der beste Schluß
aus einem besonderen affirmativen Wesen herzuleiten
ist: denn je spedeller eine Idee ist, desto deutlicher
und folglich desto klarer ist sie. Dahw müssen wir
20 soviel sIs möglich nach der Erkenntnis der Besonder-
heiten streben.
(99) In Hinsicht auf die Ordnung aber und tun
alle unsere Vorstellungen (perceptiones) zu ordnen und
zu vereinigen, ist es erforderlich, daß wir, sobald es
geschehen kann und die Vernunft es erheischt» danach
forschen, ob es ein Wesen gibt und von welcher Art
es ist, das die Ursache aUer Dinge bildet, so daß
sein objektives Sein auch die Ursache aller unserer
Ideen ist Dann wird unser Geist wie gesagt die
80 Natur 80 vollkommen als möglich wiedergeben. Denn
dann wird er sowohl ihr Wesen als auch ihre Ord-
nung als auch ihre Einheit objektiv enthalten. Hier-
aus können wir sehen, daß es vor allem nur not-
wendig ist, alle unsere Ideen immer von physischen
Dingen oder von realen Wesen abzuleiten, indem wir
dabei soviel als möglich nach der Reihenfolge der
Ursachen von einem realen Wesen zu einem andern
fortschreiten, so zwar, daß wir nicht auf abstrakte
und allgemeine Dinge übergehen, daß wir also weder
[Opp. posth. 887— 388. Vloten 82— 33. Broder §§ 97— 100.]
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Die Lehre von der Definition. 47
aus solchen etwas Reales folgern noch sie selber
ans einem Realen ableiten; denn beides onterbricht
den richtigen Fortschritt des Verstandes. (100) Es
ist aber zu beachten, daß ich anter der Reihenfolge
der Ursachen and der realen Wesen nicht die Reihen-
folge der veränderlichen Eänzeldinge verstehe, son-
dern nar die Reihenfolge der festen and ewigen
Dinge. Denn die Reihenfolge der veränderlichen
Einzeldinge vollständig zn verfolgen, dürfte für die
menschliche Schwachheit anmöglich sein, sowohl wegen 10
ihrer jede Zahl übersteigenden Menge^ als wegen der
anendlichen Umstände bei einer and derselben Sache,
von denen ein jeder die Ursache des Daseins oder
Nichtseins dieser Sache sein kann. Denn ihre Existenz
steht in keinem Zosammenhang mit ihrem Wesen,
oder, wie schon gesagt, sie ist keine ewige Wahrheit.
(101) Es ist ]a aber aach gar nicht notig, daß wir
ihre Reihenfolge kennezi, denn das Wesen der ver-
änderlichen Binzeldinge ist doch nicht herzuleiten aus
der Reihenfolge oder Ordnung, in der sie existieren; 2a
denn diese bietet uns ja nichts anderes als äußerliche
Bezeichnungen, Beziehungen oder höchstens Neben-
umstände, was alles weit entfernt ist vom inneren
Wesen der Sache. Das ist vielmehr nur aus den festen
and ewigen Dingen herzuleiten und zugleich aus den
Gesetzen, die in jenen Dingen als in ihren wahren
Gesetzbüchern eingeschrieben sind, und nach welchen
alles Einzelne sowohl geschieht als geordnet wird.
Ja, diese veränderlichen Einzeldinge hangen so innig
und wesentlich (um mich so auszudrücken) von jenen 80
festen ab, daß sie ohne dieselben weder sein noch
begriffen werden können. Daher werden diese festen
und ewigen Dinge, obwohl sie einzelne sind, dennoch
wegen ihrer Allgegenwart und ihrer weitgehendsten
Macht für uns wie Allgemeinheiten oder wie Gat-
tungen der Definitionen der veränderlichen Einzeldinge
und die nächsten Ursachen aller Dinge sein.
(102) Da es sich damit so verMlt, so scheint es
mit nicht geringer Schwierigkeit verbunden, zur Er-
kenntnis dieser Binzeldinge zu gelangen; denn 40
[Opp. posth. 888—889. Vloten 38. Bruder §§ 99—102.]
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48 Abhandlaog über die VerbeBseniDg des Ventandes.
alle auf einmal zu begreifen ist etwas, das die Kräfte
des menschlichen Verstandes bei weiten übersteigt
Die Ordnung aber, daß eines vor dem and^m er-
kannt wird, ist wie gesagt nicht aus der Reihen-
folge ihrer Existenz noch aus den ewigen Dingen
herzuleiten. Denn da sind alle diese Dinge von Natur
zugleich. Daher müssen wir notwendig noch and^^e
Hil&mittel suchen außer jenen, dwen wir uns be-
dienen, um die ewigen Dinge und ihre Gesetze zu
10 erkennen. Jedoch ist hier nicht der richtige Ort sie
anzugeben, und es ist auch nicht eher nötig, als
bis wir eine ausreichende Kenntnis der ewigen Dinge
und ihrer unfehlbaren Gesetze erlangt haben, und
die Natur unserer Sinne uns bekannt geworden ist.
(103) Bevor wir uns zur Erkenntnis der Einzel-
dinge anschicken, wird es Zeit sein, jene Hülfsmittel
zu besprechen, die alle den Zweck haben, daß wir
wissen, unsere Sinne zu gebrauchen und nach be-
stimmten Gesetzen und in richtiger Ordnung EIx-
30 perimente zu machen, die hinreichend sind, um die
untersuchte Sache zu bestimmen; damit wir endlich
aus ihnen den Schluß ziehen können, nach welchen Ge-
setzen der ewigen Dinge jene Sache geworden ist
und damit ihre innerste Natur uns bekannt werde,
wie ich am gehörigen Ort zeigen werde. Hier will
ich nur, um zu unserer Aufgabe zurückzukehren, das-
jenige anzugeben versuchen, was erforderlich schwnt;
um zur Erkenntnis der ewigen Dinge zu gelangen und
ihre Definitionen nach den oben angegebenen Be-
30 dingungen zu bilden.
(104) Zu diesem Zwecke müssen wir uns das
oben Gesagte ins Gedächtnis zurückrufen, daß näm-
lich der Geist, wenn er sich auf einen Gedanken rich-
tet, um ihn zu erwägen und in richtiger Ordnung
aus ihm zu folgern, was daraus zu folgern ist, das
Falsche dieses Gedankens, wenn er falsch ist^ ent-
deckt; daß er aber, wenn er wahr ist, glücklich
fortfährt, ohne irgend eine Unterbrechung Wahres
daraus abzuleiten. Das, sage ich, ist zu unserem
40 Gegenstand erforderlich. Denn ohne daß es eine
[Opp. poBtb, 889— 890. Vloten 83— 84. Bruder §§ 108— 104.]
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Die Lehre Ton der Definition« 49
Grundlage ribt^ können nngere Gedanken nicht be-
stimmt werden. (105) Wenn wir alao das wste von
allen Dingen erforschen wollen, so muß es irgend
eine Grundlage geben, welche unsere Gedank«i imAxt
hinleitet Weil femer die Methode die reflektierte Er-
kenntnis selbst ist^ so kann diese Grundlage^ die unsere
Gedanken leiten soll, keine andere sein, als die Er-
kenntnis dessen, was die Form der Wahrheit ausmacht,
und die Erkenntnis des Verstandes und seiner Eigen-
schaften und Kräfte. Denn haben wir diese erlimgt^ 10
dann haben wir eine Grundlage, von der wir unsere
Gredanken und von der wir den Weg ableiten können,
auf dem der Verstand, soweit seine Fassungskraft es
erlaubt, zur Erkenntnis der ewigen Dinee gelangen
kann, nämlich nach Haßgabe seiner Kräfte.
(106) Wenn es aber zur Natur des Denkens ge-
hört, wahre Ideen zu bilden, wie es im ersten Teil
gezeigt wurde, so ist nun zu untersuchen, was wir
unter Kräfte und Vermögen des Verstandes zu ver-
stehen haben. Weil es aber der Hauptteil unserer 90
Methode ist^ die Kräfte des Verstuides und seine
Natnr gründlich kennen zu lernen, so sehen wir uns,
gemäß dem, was ich in diesem zweiten Teil der Me-
äode dargetan habe, notwendig gezwungen, es aus der
Definition des Denkens und des Verstandes
selbst herzuleiten. (107) Aber bisher haben wir noch
keine Regeln gehabt^ um Definitionen zu finden, und
da wir solche nicht aufstellen können, ohne daß wir
zuvor die Natur oder Definition des Verstandes und
sein Vermögen kennen gelernt^ so folgt daraus, daß 80
entweder die Definition des Verstandes an sich klar
sein muß oder daß wir gar nichts davon erkennen
können. Jene ist aber an sich nicht absolut klar.
Weil wir jedoch seine Eigenschaften wie alles, was
wir aus dem Verstände haben, nicht klar und deut-
lich begreifen können, ohne deren Natur erkannt zu
haben, so wird die Definition des Verstandes von selbst
dnleuchten, wenn wir seine Eigenschaften, die wir
klar und deutlich erkennen, ins Auge fassen. Daher
wollen wir hier die Eigenschaften des Verstandes auf- 40
[Opp. posth. 890. Vloten 84—85. Brader §§ 104—107.]
S p i n o a ft , AbhAiidlg. ttb. d. VarbeMerg. d . VentandM. 4
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50 Abhandlung über die Verbesserang des Verstandes.
^hlen und sie erwägen nnd beginnen, von unseren
angeborenen Werkzeugen^) zu handeln.
(108) Die Eigenschaften des Verstandes, die ich
hauptsachlich bemerkt habe und klar erkenne^ sind
folgende:
L Der Verstand schlieDt die Gewißheit in sich,
d. h. er weiß, daß die Sachen sich formal so ver-
halten, wie sie objektiv in ihm enthalten sind.
IL E2r begreift manches oder bildet manche Ideen
10 absolut, manche Ideen bildet er aus anderen. So
bildet er die Idee der Quantität absolut, ohne dabei
auf andere Gedanken zu sehen; hingegen die Ideen
der Bewegung bildet er nur, indem er dabd die Idee
der Quantität in Betracht mehi
ni. Die Ideen, die er absolut bildet, drücken Un-
endlichkeit aus; die begrenzten Ideen bildet er aus
anderen. So die Idee der Quantität; wenn er sie durch
die Ursache begreift, denkt er die Quantität begrenzt;
so z. B. wenn er aus der Bewegung einer Fläche
ao einen Körper, aus der Bewegung einer Linie eine
Fläche und schließlich aus der Bewegung eines Punktee
eine Linie sich hervorgehen denkt Diese Begriffe
dienen jedoch nicht zum Verständnis, sondern nur
zur Bestimmung der Quantität Das geht daraus
hervor, daß wir sie gewissermaßen als aus der
Bewegung entstehend denken, während doch die Be-
wegung nur zu begreifen ist, wenn schon die Quan-
tität begriffen ist Ebenso können wir auch die Be-
wegung zur Bildung einer Linie uns ins Unendliche
80 fortgesetzt denken, was unmöglich wäre, wenn wir
nicht die Idee einer unendlichen Quantität hätten.
rv. Der Verstand bildet positive Ideen früher
als negative.
V. Der Verstand nimmt die Dinge wahr nicht so
sehr unter dem Gesichtspunkte einer Dauer, als ge-
wissermaßen unter dem Gesichtspunkte der ESwigkeit
1) Siebe oben S. 18, Uff.
[Opp. posth. 390—391. Vloten 86—86. Bruder §§ 107—108.]
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Die Lehre von der Definition. 61
und der unbegrenzten Zahl. Oder vielmehr er achtet^
um die Dinge zu begreifen, weder auf die Zahl noch
auf die Dauer. Wenn er aber die Dinge sich vorstellty
dann begreift er sie nnter einer gewissen Zahl, einer
bestimmten Dauer und Quantität
VL Die Ideen, die wir klar und deutlich bilden,
scheinen so sehr aus der bloßen Notwendigkeit unserer
Natur zu folgen, daß sie absolut bloß von xmserem
Vermögen abzuhängen scheinen. Von den verworrenen
Ideen gilt das Gegenteil; sie bilden sich oft gegen la
unseren Willen.
Vn. Die Ideen von Dingen, die der Verstand
aus anderen bilde^ kann der Geist auf mancherlei Weise
bestimmen. So fingiert er z. B., um eine elliptische
Fläche zu bestimmen, daß sich ein Stifte der an einer
Schnur hangt, um zwei Mittelpunkte bewege, oder er
denkt sich unendlich viele Punkte^ die immer das-
selbe bestimmte Verhältnis zu einer gegebenen ge-
raden Linie haben, oder einen Kegel, der von einer
schrägen Ebene so durchschnitten ist^ daß der Nei- 20
gxmgswinkel größer ist als der Winkel der Kegel-
spitze, oder auf unendlich viele andere Weisen.
Vm Ideen sind um so vollkommener, je mehr
Vollkommenheit eines Objekts sie ausdrücken. Denn
einen Baumeister, der ein gewöhnliches Haus ent-
worfen hat, bewundem wir nicht so sehr als den, der
einen herrlichen Tempel entwarf.
(109) Bei dem übrigen, was sich noch auf das
Denken bezieht, wie Liebe, Freude u. s. w., will ich
mich nicht aufhalten, denn sie haben mit unserem 80
Vorhaben nichts zu schaffen und können auch nicht
begriffen werden, ohne daß der Verstand begriffen
ist, Denn wenn die Vorstellung (perceptio) gänzlich
aufgehoben ist, werden sie auch aufgehoben.
(110) Falsche und fingierte Ideen haben, wie zur
Genüge gezeigt wurde, nichts Positives, wegen dessen
sie aJs falsch oder fingiert bezeichnet werden; bloß
wegen ihres mangelnden Erkenntniswertes werden sie
als solche betrachtet. Daher können uns falsche und
fOpp. posth. 391—302. Vloten 36. Bruder §§ 108—110.]
4*
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59 Abhuidliing von der Verbessenuig des Ventandes.
fingierte Ideen als solche nichts über das Wesen dea
Denkens lehren. Dieses maß vielmehr ans den eben
dargelegten positiven Eigenschaften abgeleitet werden,
d. L es mujQ etwas Gemeinschaftliches gefanden
werden, aas dem diese ESgenschaften notwendig folgen,
oder mit dessen Gegebensein sie auch notwendig ge-
geben sind and mit dessen Aafhebang sie alle aofge-
hoben werden.
Das Übrige fehlt
[Opp. poflth. 9&2. Vloten 86. Bruder § 110.]
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Abhandlung vom Staate,
in der gezeigt wird^ wie eine Gesellschaft
mit monarchischer Begierung und wie eine
solche mit aristokratischer Begierung ein-
zurichten ist, damit sie nicht der Tyrannei
verfällt und damit Friede und Freiheit der
Bürger unangetastet bleiben.
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Erstes Kapitel.
§1.
Die Affekte^ mit denen wir zu kämpfen haben,
werden von den Philosophen als Fehler angesehen,
in welche die Menschen durch eigene Schuld verfallen.
Dalier pflegen sie sie zu belachen, zu beweinen, zu
tadeln oder, mit noch größerer Scheinheiligkeit^ zu
verabscheuen. Damit glauben sie nämlich etwas Er-
habenes getan und den Gipfel der Weisheit erreicht
zu haben, wenn sie die menschliche Natur, wie sie 10
nirgends existiert, auf alle Weise zu loben, da-
gegen wie sie wirklich ist, herunterzureden ver-
stehen. Sie nehmen ja die Menschen nicht, wie sie
sind, sondern wie sie sie haben möchten, und so ist
es gekommen, daß sie meistens statt einer ESthik eine
Satire geschrieben und niemals eine brauchbare Staats-
lehre entworfen haben; immer nur eine^ die als Chi-
märe gelten muß oder die man nur in Utopien oder
im goldenen Zeitalter der Dichter, wo sie am wenigsten
notig wäre, in die Wirklichkeit hätte umsetzen können. 20
Da man nun bei allen angewandten Wissenschaften,
am meisten aber bei der Staatslehre^ Theorie und
Praxis im Widerspruch glaubt, so hält man auch die
Theoretiker oder Philosophen für die allerungeeig-
netsten, um einen Staat zu regieren.
§2.
Die Staatsmänner dagegen sollen, wie man meint,
die Menschen mehr hintergehen, als daß sie für sie
sorgten; sie gelten eher für schlau als für weise.
Die Erfahrung hat sie ja gelehrt, daß es Fehler 80
Sibt, so lange es Menschen gibt. Daher suchen sie
er menschlichen Schlechtigkeit entgegenzuwirken und
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56 Abhandlang vom Staate.
zwar mit den Mitteln, die sie in langbewahrtM* Eir-
fahrnng kennen und die die Menschen mehr ans Forcht
als der Vernunft gemäD zu beobachten pflegen« Schein-
bar setzen sie sich aber damit in Widerspruch mit der
Religion und namentlich mit den Theologen« die der
Meinung sind, die höchsten Gewalten seien in der
Führung der StaatsReechäfte an dieselben Begehi der
Frömmigkeit gebunden, denen der Privatmann xmter-
worfen ist Zweifellos haben aber gerade die Staats-
10 männer viel treffender über Staatslehre geschrieben
als die Philosophen, denn weil sie die Elrfahrung zur
Lehrmeisterin hatten, haben sie nichts gelehrt, was
mit der Praxis nicht im Einklang gestanden wäre.
§3.
Ich bin auch völlig überzeugt, daß die Elrfahrung
bereits alle denkbaren, das einträchtige Leben der
Menschen bezweckenden Arten von Staate aufgezeigt
haty zugleich auch alle Mittel, durch welche die Masse
gelenkt oder in gewissen Grenzen gehalten werden
20 muß. Ich halte es daher für ausgeschlossen, daß
wir etwas mit Erfahrung und Praxis Zusammen-
gehendes ausdenken könnten, das nicht schon erfahroi
und erprobt wäre. Denn die Menschen sind so be-
schaffen, daß sie außerhalb einer Rechtsgemeinschaft
nicht leben können; die gemeinsamen Rechte und
öffentlichen Geschäfte sind aber von äußerst scharf-
sinnigen, schlauen oder verschlagenen Männern ein-
gerichtet und gehandhabt worden. Daher ist es kaum
anzunehmen, daß wir etwas die Gesellschaft F5r-
80 demdes ausdenken könnten, was uns Gelegenheit oder
Zufall nicht schon dargeboten oder was die Menschen,
mit den gemeinsamen Angelegenheiten beschäftigt und
auf ihre Wohlfahrt bedacht, nicht schon bemerkt haben
sollten.
§4.
Als ich mich daher mit der Staatslehre zu be-
schäftigen anfing, war es nicht meine Absicht^ etwas
Neues und Unerhörtes zu geben; ich wollte nur das
mit der Praxis am meisten Obereinstimmende auf
40 sichere und unanfechtbare Weise darstellen oder es
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1. Kapitel. Einleitang. 57
aus der Beschaffenheit der menschlichen Natur selbst
herleiten. Um das Gebiet dieser Wissenschaft mit
ebensolcher Unbefangenheit za durchforschen wie das
der Mathematik, habe ich mich sorglich bemüht^ die
menschlichen Etandlungen nicht zu verlachen, nicht
zvL beklagen, auch nicht zu verabscheuen, senden
zu verstehen. Ich habe deshalb die menschlichen
Affekte, als da sind liebe, Haß, Zorn, Neid, Ruhm-
sucht, ICtldd und die übrigen Gemütsbewegungen
nicht als Fehler der menschlichen Natur betrachtet, 10
sondern als ihre Eigenschaften, die ihr gwade so
gut zu eigen sind, wie der Natur der Luft die
Hitze, die Kälte, der Sturm, der Donner und der-
gleichen; mögen sie auch unbequem sein, notwendig
sind sie doch und sie haben ihre bestimmten Ursachen,
aus denen wir ihre Natur, zu erkennen suchen, und der
Geist ergötzt sich an ihrer wahren Betrachtung ge-
rade so wie an der* Erkenntnis dessen, was den Sinnen
angenehm ist
§ 5. 20
Das ist aber gewiß und in meiner Ethik habe ich
es als wahr bewiesen, daß die Menschen notwendig
den Affekten unterworfen sind und von solcher Geistes-
art, daß sie die Unglücklichen bemitleiden und die
Glücklichen beneiden, daß sie zur Rache mehr als zum
Mitleid neigen, und daß außerdem jeder danach trach-
tet, daß die anderen nach seinem Sinne leben, billigen,
was er billigt, und verwerfen, was er verwirft So
kommt es, daß alle in dem Bestreben, die ersten zu sein,
miteinander in Streit geraten und sich nach Kräften SO
gegenseitig zu unterdrücken suchen. Wer als Sieger
daraus hervorgeht, rühmt sich mehr des fremden
Schadens als des eigenen Nutzens. Obwohl alle über-
zeugt sind, daß die Religion das Gegenteil lehrt> daß
jeder seinen Nächsten lieben solle wie sich selbst,
das heißt, daß er das Recht des anderen wie sein
eigenes wahrnehme, so hat doch, wie ich gezeigt habe,
diese Überzeugung über die Affekte keine Gewalt Sie
macht sich iSlei^ings auf dem Sterbebett geltend,
wenn schon die Knmkheit über die Lieidenschaftein Herr 40
geworden ist und der Mensch kraftlos darniederliegt.
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58 Abhandlung vom Staate.
oder in den Kirchen, wo die Menschen ohne Be-
ziehungen zu einander sind» aber nicht im mindesten
vor Gericht oder am Hofe^ wo es am nötigsten wäre.
Ich habe femer gezeigt, daD die Vernunft in der ESn-
schränknng und Mäßigung der Affekte zwar viel
vermag, aber zugleich haben wir gesehen, daß
die Straße, die die Vernunft weist^ überaus steil
ist Wer mein^ die Masse oder die durch Staats^
geschäfte in Anspruch Genommenen könnten dahin
10 gebracht werden, allein nach der Vorschrift der Ver-
nunft zu leben, der träumt vom goldenen Zeitalter
der Poeten oder von einem Märchen.
§6.
Ein Staatswesen, dessen Heil von der Gewissen-
haftigkeit eines Menschen abhängt und dessen Gre-
schäfte nur dann gehörig besorgt werden können,
wenn die, denen sie obliegen, gewissenhaft handeln,
ein solches Staatswesen ksmn nicht von Bestand sein.
Seine öffentlichen Angelegenheiten müssen vielmehr,
20 damit es bestehen kann, so geordnet sein, daß die
mit ihrer Verwaltung Betrauten überhaupt nicht in
die Lage kommen können, gewissenlos zu sein oder
schlecht zu handeln« ganz einerlei, ob sie der Ver-
nunft oder dem Affekte folgen. Die Sicherheit
des Staates wird nicht davon berührt, welche €re-
sinnung die Menschen zur richtigen Verwaltung an-
hält, sofern nur die Verwaltung' richtig ist Denn
Geistesfreiheit oder Geisteskraft sind Privat-
tugenden, Sicherheit ist die Tugend des
80 Staates.
§7.
Weil endlich alle Menschen, die civilisierten so
gut wie die uncivilisierten, in Verbindung mit einander
treten und irgend einen staatlichen Zustand herstellen,
so darf man die Ursachen und natürlichen Grund-
lagen des Staatswesens nicht aus den Ltehrsätzen der
Vernunft ableiten wollen, sondern muß sie aus der
allgemeinen Natur und Beschaffenheit der Menschen
entnehmen, wie ich es im folgenden Kapitel tun will.
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Zweites Kapitel.
In meinem theologisch-politischen Traktat
habe ich vom Natorrecht und vom bürgerlichen Rechte
gehandelt, und in meiner Ethik habe ich erklärt^ was
Sünde, Verdienst^ Gerechtigkeit^ Ungwechtigkeit und
endlich was die menschliche Freiheit ist Damit aber
die Leser dieser Abhandlung das hauptsächlich hier-
her Gehörige nicht anderswo zu suchen brauchen,
will ich es auch an dieser Stelle erklären und un- 10
widerleglich beweisen.
§2.
Jedes natürliche Ding kann adäquat begriffen
werden, mag es nun existieren oder nicht Daher kann
der Beginn der Existenz natürlicher Dinge und ebenso
ihr Fortbestehen aus ihrer Definition nicht erschlossen
werden. Denn ihr gedankliches Wesen bleibt das-
selbe, nach dem Beginn ihrer Existenz so gut wie
vorher. Wie also der Beginn ihrer Existenz aus ihrem
Wesen nicht hergeleitet werden kann, so auch ihr 20
Fortbestehen nicht; dieselbe Macht, die sie zum
Eintritt ins Dasein nötig haben, brauchen sie auch,
um darin zu verharren. Daraus folgt, daD die
Macht, durch welche die natürlichen Dinge existieren
und durch die sie folglich auch wirken, keine
andere sein kann als die ewige Macht Gottes selbst
Denn wenn es eine andere nur geschaffene Macht
wäre, so vermöchte sie ja nicht sich selbst und folg-
lich auch nicht die natürlichen Dinge zu erhalten;
sie würde vielmehr dieselbe Macht, der sie ihre 30
Schöpfung verdankte, auch zu ihrem Fortbestehen
brauchen.
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60 Abhandlung yom Staate.
§3.
Von diesen Punkte ans, daD nämlich die Uacht
in den natürlichen Dingen, durch die sie sind nnd
wirken, Gottes Macht selbst ist» von hier ans ist es
leicht zu verstehen, was Naturrecht ist Denn da
Gott ein Recht zu allem hat und da das Recht Gottes
nichts anderes ist als die Uacht Gottes selbst^ so-
fern sie als vollkonunen frei betrachtet wird, so
folgt daraus, daß jedes natürliche Ding von Na-
10 tur so viel Recht hat, als es zum Sein und
Wirken Macht hat Die Macht in ein^n }ed^i
natürlichen Ding, durch die es ist und wirkt» ist ]a
nichts anderes als die absolut freie Macht Gottes
selbst
§4.
Unter Naturrecht verstehe ich somit die
Naturgesetze selbst oder die Regeln, nach denen
alles geschieht, d. h. eben die Macht der Natur. Da-
nach erstreckt sich also das natürliche Recht
20 der gesamten Natur und folglick auch jedes
einzelnen Individuums so weit wie seine Macht
Was demnach der einzelne den Gesetzen seiner Natur
zufolge tut, das tut er mit dem vollsten Naturrecht;
seine Rechtssphäre in der Natur ist so groD wie seine
Machtsphäre.
§5.
Wäre es also mit der menschlichen Natur so
bestellt, daß die Menschen bloß dem Gebot der Ver-
nunft gehorchten, ohne nach anderem zu trachten,
80 dann würde das Naturrecht, soweit es als dem Men-
schengeschlecht eigen zu betrachten ist, nur durch
die Macht der Vernunft bestimmt In Wahrheit stehen
die Menschen aber vielmehr als unter der Herrschaft
der Vernunft unter der der blinden Begierde; daber
muß die Naturmacht der Menschen oder ihr Natur-
recht nicht durch die Vernunft, sondern durch jeden
Trieb bestimmt werden, der sie zum Handeln tr^bt
und durch den sie sich zu erhalten suchen. Ich ge-
stehe zwar, daß jene Begierden, die nicht aus der
40 Vernunft entspringen, nicht menschliche Handlungen,
sondern menschliche Leidenschaften sind. Weil wir
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2. Kapitel. Vom Natarrecht. 61
aber hier von der Macht oder dem Recht der Natur
im allgraieinen handeln, konnm wir an dieser Stelle
keinen Unterschied anerkennen zwischen Begierden,
die ans der Vernunft und solchen, die aus anderen
Qaellen in uns entspringen: diese wie jene sind eine
Wirkung der Natur und ein Ausdruck der natur-
lichen Kraft, mit d^ der Mensch in 'seinen Sein su
verharren strebt Denn der Mensch, ob Weiser oder
Tor, ist ein T^ der Natur; und alles, was den einzelnen
zum Handeln treibt, muß zur Macht der Natur ge- 10
rechnet werden, insofern diese nämlich als die Natur
dieses oder jenes Menschen bestimmt werden kann.
Denn der Mensch, mag er unter der Herrschaft der
Vernunft oder der bloßen Begierde stehen, handelt
stets nach den Gesetzen und Begeln der Natur, d. h.
(nach § 4 d. Kap.) dem Naturrechte gemäß.
§6.
Meist glaubt man, daß die Toren die Ordnung
der Natur eher verwirren als befolgen, und man
meinte der Mensch sei in der Natur wie ein Staat im 90
Staate. Denn man behauptet^ der menschliche G^t
verdanke seine Entstehung nicht irgendwelchen natür-
lichen Ursachen, sondern einer unmittelbaren Schöpfung
GotteSy durch die er von den übrigen Dingen so un-
abhängig sei, daß er eine unbedingte Macht zur Selbst-
bestimmung und zum richtigen Gebrauch der Ver-
nunft besitze. Aber die Erfahrung lehrt zur Genüge,
daß es ebenso wenig in unserer Ge?ralt steht» einen
gesunden Geist wie einen gesunden Körper zu haben.
Da femer ein jedes Ding, so viel an ihm ist^ sein 80
Sein zu erhalten strebt^ so würden wir zweifellos der
Leitung der Vernunft folgen und unser Leben ver-
ständig einrichten, wenn es in gleichem Maße in
unserer Hand läge, nach den Vorschriften der Ver-
nunft zu leben, wie der blinden Begierde zu folgen.
Es geschieht aber nicht Jeglichen reißt seine Lust fort
Die Theologen schaffen diese Schwierigkeit auch
nicht aus der Welt, wenn sie behaupten, die Ursache
dieser Schwäche sei ein Fehler oder eine Sünde in
der menschlichen Natur, die sich vom Sündenfall des 40
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62 Abhandlung yom Staate.
Urahnen herschreibe. Denn wenn es auch in d» Ge-
walt des ersten Menschen lag, zu stehen und zu fallen,
und wenn er seines Geistes machtig war und von
unverdorbener Natur, wie konnte es geschehen, daJ3
er, wissend und weise, dennoch fiel? Aber, entgegnen
sie, er wurde ja vom Teufel betrogen. Ja, wer war es
aber, der den Teufel selbst betrog? Wer, frage ich,
konnte ihn, das erste aller vernünftigen Geschöpfe,
so wahnsinnig machen, daO er mehr sein wollte als
10 Gott? Sicher nicht er selbst, da er bei gesundem
Verstand war und sein Sein, so viel bei ihm stand,
zu erhalten strebte. Wie konnte es femer geschehen,
daO eben der erste Mensch, der seines Geistes mach-
tig und Herr seines Willens war, sich verfuhren und
seinen Geist verwirren liej}? Denn wenn er die Macht
hatte^ richtigen Gebrauch von seiner Vernunft zu
machen, konnte er nicht betrogen werden: er hätte,
30 viel an ihm Is^, bestrebt sein müssen, sein Sein
und seinen gesunden Verstand sich zu erhalten. Nun
20 wird vorausgesetzt, es habe in seiner Macht gelegen:
so hat er sich also seinen Geist unversehrt erhalten
und konnte nicht der Täuschung erliegen. Das ist
aber, wie seine Geschichte zeigt, falsch. Man muß
deshalb einräumen, daß es nicht in der Gewalt des
ersten Menschen stand, richtigen Gebrauch von sein^
Vernunft zu machen; er war vielmehr gerade so wie
wir den Leidenschaften unterworfen.
§7.
Es kann aber niemand leugnen, daß der Mensch
80 gerade so wie die übrigen Wesen, so viel an ihm liegt^
sein Sein zu erhalten strebt. Denn wenn sich in diesem
Punkte ein Unterschied denken ließe» so könnte er
nur daher kommen, daß der Mensch einen fireien
Willen hätte. Je freier wir uns aber den Menschen
denken, um so mehr müssen wir annehmen, daß er
notwendig sich selbst erhalten und seines Geistes
mächtig sein müsse. Jeder, der Freiheit und ZuGLllig-
keit nicht miteinander verwechselt, wird mir das
zugeben. Denn Freiheit ist Tüchtigkeit oder Voll-
40 kommenheit: was daher den Menschen eines Unver-
mögens zeiht, kann nicht Ausfluß seiner Freiheit sein.
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3. Kapitel Vom Natnrrecht 68
Daher kann der Mensch durchaus nicht insofern frei
genannt werden, als er nicht sein oder die Vernunft
nicht gebrauchen kann, sondern nur soweit» als er die
liacht hat zu existieren und zu wirken gemäß den
Gesetzen der menschlichen Natur. Je me& wir also
den Menschen als frei betrachten, desto w^iiger J^önnen
wir Yon ihm sagen, daß er von der Vernunft keinen
Gebrauch machen imd dem Schlechten den Vorzug vor
dem Guten geben könne. Und Gott, der als absolut
frei existier^ denkt und handelt, muß ebenfalls not- 10
wendig, d. h. aus der Notwendigkeit seiner Natur her-
aus existieren, denken und handeln. Denn ohne Zweifel
handelt Gott mit derselben Freiheit, mit der er
existiert: wie er nun aus der Notwendigkeit seiner
Natur heraus existiert, so handelt er auch nach der
Notwendigkeit seiner Natur, d. h. er handelt schlecht-
hin frei.
§8.
Wir ziehen daraus den Schluß, daß es nicht in
der Gewalt eines jeden Menschen steht, immer von ao
seiner Vernunft Gebrauch zu machen und auf dem
höchsten Gipfel menschlicher Freiheit zu stehen. Und
dennoch strebt jeder, so viel an ihm liegt, sein Sein
zu erhalten, und weil jeder so viel Recht hat» wie er
Macht besitzt, so wird jeder, ob Weiser oder Tor,
was er auch versucht und tut, mit vollem Rechte der
Natur versuchen und tun. Daraus folgt, daß Recht
und Gesetz der Natur, unter dem alle Menschen ge-
boren werden und in der Hauptsache leben, nichts
verbietet als das, was niemand will und niemand kann, 80
daß es aber nicht den Streit» nicht den Haß, nicht
den Zorn, nicht den Schmerz, überhaupt nichts, zu
dem ein Trieb uns rät, verwirft Das ist kein Wunder.
Denn die Natur ist nicht unter die Gesetze der mensch-
lichen Vernunft gebannt, die nur den wahren Nutzen
und die Erhaltung der Menschen bezwecken; vielmehr
unter unendliche andere, die die ewige Ordnung der
gesamten Natur betreffen, von der der Mensch nur
ein Teilchen ist und deren Notwendigkeit allein allen
Wesen ihr Sein und Handeln bestimmt Wenn uns 40
daher irgend etwas in der Natur als lächerlich, wider-
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64 Abhandlang vom Staate.
smnig oder schlecht erscheint» so ist es nur, weil
unsere Kenntnis von den Dingen Stückwerk ist, weil
uns die Ordnung und der Zusammenhang der ganzen
Natur zum größten Teil unbekannt bleibt und weil
wir alles nach der Vorschrift unserer Vernunft ge-
leitet sehen wollen. ^ Wahrheit ist aber, was die
Vernunft für schlecht erklärt» nicht schlecht im Hinr
blick auf die Ordnung und die Gesetze der gesamten
Natur, sondern nur im Hinblick allein auf die Ge-
10 setze unserer Natur.
§9.
Außerdem ergibt sich daraus, daß jeder so lange
unter dem Recht eines anderen st^t, so lange er
unter der Macht des anderen steht, und daß er in-
soweit unter eigenem Recht ist, als er jede Gewalt
zurückweiaen, einen ihm zugefügten Schaden nach
Gutdünken vergelten und überhaupt» soweit er nach
eigenem Sinne leben kann.
§10.
20 Einen anderen in seiner Gewalt hat derjenige,
der ihn gefesselt hält oder ihm die Waffen und die
Mittel zur Verteidigung oder zur Flucht genommen
hat oder ihm Furcht eingeflößt oder ihn durch Be-
lohnung so verpflichtet hat, daß er lieber ihm ab
sich willfahren und lieber nach jenes als nach seinem
Gutdünken leben will. Wer auf die erste oder zweite
Art jemanden in der Gewalt hat» besitzt nur seinen
Körper, nicht seinen Geist Bei der dritten und vierten
Art aber hat er den Geist sowohl als den Körper
30 seinem Rechte unterworfen, aber nur, solange Furcht
oder Hoffnung währt; ist es damit zu Ende, so bleibt
jener unter eigenem Rechte.
§11.
Auch die Urteilsfähigkeit kann so weit unter
fremdes Recht geraten, als der Geist von Wkem
anderen getäuscht werden kann. I^straus folgt» d&D
der Geist überhaupt nur so weit unter eigenem Rechte
ist, als er richtigen Gebrauch von der Vernunft machen
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2. Kapitel. Vom Natnrreohi. 65
kann. Ja, weil die Macht des Menschen weniger nach
seiner Eörperstarke, als nach seiner Geisteskraft sich
bemißty so sind diejenigen am meisten unter eigenem
Recht, die am meisten Vernunft beeitBen und am
meisten ihr folgen. Insofern nenne ich den Menschen
überhaupt frei, als er der Vernunft folgte weil er
nur dann yon Ursachen, die sich bloß aus seiner
Natur heraus adäquat begreifen lassen, zum Handeln
bestimmt wird, wenn er auch von ihnen mit Not-
wendigkeit zum Handeln bestimmt wird. Denn Frei- 10
heit hebt (nach § 7 d. Kap.) die Notwendigkeit
nicht auf; sondern setzt sie voraus.
§12.
Das einem anderen nur mündlich gegebene Ver-
sprechen, dies und jenes zu tun, was man nach eigenem
Recht hätte unterlassen können, oder umgekehrt» bleibt
nur so lange in Kraft, als sich dw Wüle des Ver-
sprechenden nicht ändert Denn wer die Macht hat,
Bein Versprechen aufzuheben, hat sich in Wahrheit
seines Rechtes nicht begeben, sondern hat bloß Worte 30
hergegeben. Sobald er, sein eigener Richter nach
dem Rechte der Natur, urteilt^ ob mit Recht oder
Unrecht — denn irren ist menschlich — ^ daß ihm
aus dem Versprechen mehr Schaden als Nutzen er-
wachse, dann entscheidet er nach eigenem Ermessen,
daß das Versprechen aufzuheben sei, und &c hebt es
auf nach dem Rechte der Natur (nach § 9 d. Kap.).
§13.
Wenn zweie übereinkommen und ihre Kräfte ver-
einigen, so vermögen sie mehr und haben folglich 80
mehr Recht auf die Natur, als jeder von ihnen für
sich, und je m^ir sich so zu einer Verbindung zu-
sammenschließen, desto mehr Recht werden alle luiben.
§14
So sehr die Menschen von Zorn, Neid oder einem
Affekt des Hasses heimgesucht werden, so sehr werden
sie auch nach verschiedotien Richtongen hin gerissen
und treten sich feindlich entgegen und um so mehr sind
8 p i n o B », Abhandlg. flb. d. Verb«8Mrg. d. VentaadM. 5
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•6 Abhandlung vom Staate.
sie zu fürchten, weil sie mehr vermögen und schlauer
und verchlagener sind als die übrigen Wesen. W^l
die Menschen in der Begel (nach § 5 vor. Eap.) diesen
Affekten von Natur unterworf m sind, so sind die
Menschen von Natur Feindei Denn der ist mesn
ärgster Feind, den ich am meisten fürchten und vor
dem ich am meisten auf der Hut sein muß.
§15.
Da aber im Naturzustand (nach § 9 d. Eap.) jeder
10 so lange unter eigenem Recht ist^ als er sich vor
der Unterdrückung durch einen anderen bewahren
kann, und da einer allein sich vergebens vor allen
zu wahren strebte, so ist das natürliche Recht des
Einzelnen, solange es nur das des Einzelnen ist und
durch seine Macht bestimmt wird, gleich Null. Weil
es keine Sicherheit seiner Ek-haltung gibt^ führt es
seine Existenz mehr in der Einbildung als in der
Wirklichkeit Und sicherlich hat einer um so weniger
Macht und damit um so weniger Rechte je mehr er
20 Grund zur Furcht hat Dazu kommt^ daß die Menschen
kaum ohne gegenseitige Hülfe ihr Leben fristen und
ihren Geist ausbilden können.
Wir schließen daraus, daß von Naturrecht als
dem Menschengeschlecht eigen doch eig^itUch nur
da die Rede sein kann, wo (Ue Menschen gemeinsame
Rechte haben, wo sie zugleich das Land, das sie be-
wohnen und bebauen können, für sich sichern, wo
sie sich schützen und alle Grewalt zurückweisen und
nach dem gemeinsamen Willen der Gesamtheit leben
ao können. Denn (nach § 13 d. Eap.) je mehr sich so
vereinigen, desto mehr Recht haben sie insgesamt.
Wenn die Scholastiker aus diesem Grund, weil die
Menschen im Naturzustand kaum eigenes Recht haben
können, den Menschen ein geselliges Tier nennen
wollen, so habe ich nichts dagegen.
§16.
Wo die Menschen gemeinsame Rechte haben und
alle sozusagen einem Geiste folgen, da hat sicher
(nach § 18 d. Eap.) der einzelne um so weniger Recht,
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2. Kapitel. Vom Natorrecht 67
als die ührigem iDsgeeamt ihm an Macht überlegen
sind, d. k er hat in Wahrheit nur so viel Recht auf
die Natur, ab das gemeinaame Hecht ihm Kageeteht
Im übrigen ist er gehalten, das auszuführen, was ihm
der überdnstimmende Wille der Gesamtheit gebietet,
oder er kann (nach § 4 d. Kap.) durch das Recht
dazu gezwungen werden.
§17.
Dieses Recht, das durch die Macht der Menge be-
stimmt wird, nennt man gewöhnlich Regierung. Der- 10
jenige hat sie vollkommen in Händen, der nach dem
übereinstimmenden Willen der Gesamtheit die Sorge
um das Gemeinwesen hat, nämlich das Recht, Gesetze
zu geben, auszulegen und abzuschaffen, Städte zu
befestigen, über Krieg und Frieden zu entscheiden
u. 8. w. liegt diese Sorge einer Versammlung ob,
die aus dem gesamten Volke zusammengesetzt wird,
80 nennt man die Regierung Demokratie; besteht
sie bloß aus ^nigen Auserwählten, so nennt man sie
Aristokratie, mMi wenn die Sorge für das Gemein- 20
wesen und demnach die Regierung einem anvertraut
ist, Monarchie.
§18.
Aus dem in diesem Kapitel Dargelegten wird es
uns klar, daß es im Naturzustande keine Sünde geben
kann, oder wenn einer sündigt, so tut er es gegen
sich, nicht gegen einen anderen. Bs ist ja nach dem
Naturrechte niemand gehalten, wenn er nicht will,
einem anderen zu wiU&hren und etwas für gut oder
schlecht zu halten, als was er nach seinem eigenen 30
Sinne für gut oder schlecht erkennt. Das Naturrecht
verbietet absolut nichts als das, was man nicht kann
(b. §§ 5 und 8 d. Kap.). Sünde ist aber eine Hand-
lung, die nicht mit Recht geschehen kann. Wären
die Menschen durch Naturgesetz gehalten, der Ver-
nunft zu folgen, so würden eben alle notwendig der
Vernunft folgen. Denn Naturgesetze sind Gesetze
Gottes (nach §§ 2 und 3 d. Kap.), die Gott mit der-
selben Freiheit gesetzt hat, mit der ^ existiert, die
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68 AbhaDdliinir Tom StMte.
also aus der Notwendigkeit der götUichen Natur
folgen (s. § 7 d. Kap.) und demnach ewig sind und
nicnt vierletzt werden können. Die Menschen folgen
aber meistens der Begierde und nicht der Vemanft,
ohne jedoch die Ordnung der Natur za stören, sondern
sie mit Notwendigkeit erfüllend. Bin dummer tmd
geistesschwacher Mensch ist daher durch das Nator-
recht so wenig verpflichtet^ sein Leben weise einza-
richten, wie ein Kranker verpflichtet isty einen ge-
10 sunden Körper zu haben.
§19.
Sünde ist deshalb nur im Staate denkbar, wo
das gemeinsame Recht des ganzen Staates über gut
und Döse entscheidet, und wo niemand (nach § 16
d. Kap.) etwas mit Recht tut, außer was er auf Be-
schluß oder mit Zustimmung der Gesamtheit tut Denn
das ist (nach dem vor. §) Sünde, was nicht mit Recht
geschehen kann oder was das Recht verbietet Gro-
borsam aber ist der bestandige Wille, das auszuführen,
20 was dem Rechte nach gut ist und was auf Beschluß
der Gesamtheit geschehen muß.
§20.
Wir pflege aber auch das Sünde zu n^meo, was
gegen das Gebot der gesunden Vernunft geschieht,
und Gehorsam den beständigen Willen, die Bmerden
nach der Vorschrift der Vernunft zu zügeln. Ich hätte
schon nichts dagegen, w^n die m^ischliche Freikeit
in der Zügelloaigkeit der Begierden und Unfreiheit in
der Herrschaft der Vernunft bestünde. WeU aber die
80 m^Mchliohe Freiheit um so größer ist» je mehr der
Mensch von der Vernunft sidi leiten iäßt und seine
Begierden zügebi kann, so können wir nur sehr un-
eigenäich daa vernunftgemäße Leben Gehfirsam neimen
mä Sünde das, was in Wahrheit eine SchwSdie des
Geistes ist, aber keine Zügellosigkeit^ und m An-
sehung dessen der Mensch eher unfrei aJa frei ge-
nannt werden kann (s. §§ 7 und 11 d. Kap.).
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2. K^iitel. Vom Nstarrecht 69
§21.
Da aber die Vernunft uns lehrt, Frömmigkeit z\x
üben und ruhigen und guten Sinnes zu sein, was eben
nur im Staate möglich isty und da außerdem nur
dann die Menge gleichsam einem Greiste folgt, wie es
der Staat erfordert^ wenn sie Gesetae hat^ die nach
der Vorschrift der Vernunft verordnet sind, so haben
die Menschen, gewohnt im Staate zu leben, gar nicht
so nneig^tlich das Sünde genannt, was gegen
das Grebot der Venunft geschieht^ denn die Gesetze 10
des besten Staates müssen |a (s. § 18 d. Kap.) nach
iem Gebote der Vernunft verordnet sein. Den Grund
aber, warum ich sagen konnte (§ 18 d. Kap.), der
Mensch sündige Im Naturzustand gegen sich, wenn er
sündige, darüber vgl. Kap. 4 §§ 4 und 5, wo gezeigt
wird, in welchem Sinne wir sagen könn^ derjenige,
der die Regierungsgewalt innehat und das Natur-
recht auf seiner Seite, werde durch Gesetze gebunden
und könne sündigen.
§ 22. 90
Was die Religion betrifft, so ist es ebenfalls
gewiß, daß der Mensch um so frei^ und am meisten
mit sich einig ist, je mehr er Gott liebt und ihn lauteren
Sinnes verehrt Achten wir aber nicht auf die uns
unbekannte Ordnung der Natur, sondern bloß auf
die Gebote der Vernunft, die die Religion betreffen,
und bedenken wir dabei, daß Gott sie offenbart gleich-
sam in uns selbst redend oder daß er sie den Pro-
pheten wie Gesetze offenbart hat, dann werden wir,
um nach menschlicher Weise zu reden, sagen: der 30
Mensch sei Gott gehorsam, wenn er ihn mit ganzer
Seele liebt, er süiäige aber, wenn er der blinden Be-
gierde folgt Wir dürfen aber dabei nie vergessen,
daß wir in Gottes Macht stehen, wie der Ton in der
Macht des Töpfers, der aus derselben Masse Gefäße
zu Ehre und Unehre bildet, und daß der Mensch dem-
nach wohl den Ratschlüssen Gottes entgegenhandeln
kann, wie sie in unserem oder der Propheten Geiste
gleich Gesetzen eingeschrieben sind, aber niemals
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70 AbhaDdluDg Tom Staate.
dem ewigen Ratschluß Gottes» der der gesamten Natur
eingeschrieben ist und für die Ordnxmg der ganzen
Natur gilt
§23.
Wie also streng genommen von Sünde and Ge-
horsam» so kann auch von Gerechtigkeit und Unge-
rechtigkeit nnr im Staate die Rede sein. Denn in
der Natur gibt es nichts, von dem man mit Recht
sagen konnte, es g^öre diesem und nicht dnem
10 anderen; vielmehr gehört alles allen, wenn sie näm-
lich die Macht haben, es für sich in Anspruch zu
nehmen. Im Staate aber, wo es sich nach dem ge-
meinsamen Recht entscheidet, was diesem und was
jenem eigen wird, da heißt gerecht» wer den be-
standigen Willen hat, jedem das Seine zukommen zu
lassen, ungerecht dagegen, wer das einem anderen
Gehörende sich zu eigen zu machen sucht
§24
Übrigens habe ich in meiner Bthik auseinander-
20 gesetzt, daß Lob und Tadel Affekte der Lust und
Unlust sind, begleitet von der Idee der menschlichen
Tüchtigkeit oder Schwäche als ihrer Ursache.
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Drittes Kapitel.
Die Form eines jeden politischen Verbandes (im-
perium) bezeichnet man als Staatsverfassung (Sta-
tus civilis), den Gesamtkörper des Verbandes als Staat
(civitas); die gemeinsamen Regiernngs^eschäfte» die
von der Leitung des Inhabers der Regierungsgewalt
abhangen, heilten Gemeinwesen. Die Menschen so-
dann heißen, soweit sie nach dem bürgerlichen Recht
alle Vorteile des Staates genießen, Bürger; Unter- 10
tanen heißen sie, soweit sie gehalten sind, den ESn-
richtongen und Gesetzen des Staates zu gehorchen.
Staatsverfassungen schließlich gibt es nacn § 17 d.
vor. Kap. dreie: die demokratische,, die aristokratische
und die monarchische. Ehe ich nun über jede ins-
besondere lEU handeln beginne, will ich erst das aus-
einandersetzen, was zur Staatsverfassung im allge-
meinen gehört Vor allem kommt hier das höchste
Recht des Staates oder der höchsten Gewal-
ten in Betracht 20
§2.
Nach § 15 d. vor. Kap. ist das Recht der Regie-
rung oder der höchsten Gewalten nichts anderes als
das Naturrecht selbst das durch die Macht nicht
eines einzelnen, sondern der wie von einem Greiste
geleiteten Menge bestimmt wird, d. h. wie der
einzelne im Naturzustande, so besitzt auch der Körper
und der Geist einer ganzen Regierung so viel Recht
wie er Macht hat Der einzelne Bürger oder Unter-
tan hat um so viel weniger Recht, als der Staat ihm an. ao
Macht überlegen ist (s. § 16 d. vor. Kap.); folglich
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72 Abhandlosg vom Staate.
tut und besitzt jeder Bürger nur das mit Recht, was
er auf Grund gemeinsamen Staatsbesclüusses verant-
worten kann.
§3.
Wenn der Staat einem das Recht und folglich
auch die Macht einräumt — denn sonst hat er ihm
nach § 12 d. vor. Kap. bloß Worte gegeben — nach
seinem Sinne zu leben, so be^bt er sich damit seinoB
Rechtes und überträgt es auf jenen, dem er eine solche
10 Macht gab. Hat er aber zweien oder mehreren diese
Macht gegeben, daß jeder von ihnen nach seinem
Sinne lebe, dann hat er damit die Regierung geteilt
Wenn er endlich jedem Bürger diese Macht gab, so
hat er damit sich selbst zerstört und bleibt kein Staat
mehr. Vielmehr kdirt dann alles in den Natur-
zustand zurück, wie ganz offenbar aus dem Obigen
hervorgeht
D^alb ist es auf keine Weise denkbar, daß es
nach dem Staatsgrundgeeetz einem jeden Bürger er-
20 laubt wär^ nach seinem eigenen Sinn zu leben, and
folglich hört das Naturrecht^ nach dem jeder sein
eigener Richter ist, im Staatsleben notwendig auf. Ich
sage ausdrücklich „nach dem Staatsgrundgeset«*', denn
das Naturrecht des einzelnen hört richtig bedacht im
Staatsleben nicht auf. Der Mensch handelt im natür-
lichen wie im staatlichen Zustand nach den Gesetesen
seiner Natur und ist auf seinen Vorteil bedacht Im
einen wie im anderen Zustande wird der Mensch von
Hoffnung oder Furcht geleitet, dies zu tun oder jenes
80 zu unterlassen. Der Hauptunterschied zwischen den
beiden Zuständen besteht aber darin, daß im Staats-
leben alle denselben Gegenstand der Furcht haben
und alle ein und denselben Grund der Sicherheit und
eine und dieselbe Liebensweise^ was gewiß nicht die
Urteilsfähigkeit des einzelnen aufhebt Denn wer sich
vorgenommen hat, allen Geboten des Staates zu ge-
horchen, sei es aus Furcht vor seiner Macht oder aus
Liebe zur Ruhe, der ist doch wahrhaftig auf seine
Sicherheit und seinen Vorteil nach seinem Sinne be-
40 dacht
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3. Kapitel. Vom Recht des Staaten. 78
§4.
Undenkbar ist es ferner, daß es jedem Bürger
frei stünde, die Beschlüsse und Gesetze des Staates
zu interpretieren. Denn wenn das einem jeden er-
laubt wäre, so wäre er ja damit sein eigene Richter.
Dann könnte jeder mühelos seine H»idlnngen mit
einem Schein des Rechtes entschuldigen oder be-
schönigen und könnte dadurch swi Leben nach seinem
Sinne einrichten, was (nach d. vor. §) widersinnig ist.
§5. 10
Wir ersehen daraus: Jeder Bürger steht nicht
unter seinem eigenen, sondern unter dem Rechte des
Staates, dessen Gebote er gehalten ist zu befolgen.
Eh* hat kein Recht, darüber zu entscheiden, was billig
und unbillig, was recht und unrecht ist Weil viel-
mehr der Staatskörper wie von einem Geiste geleitet
werden muß und weil deshalb der Wille des Staates
für den Willen aller zu gelten hat, so muß das, was
der Staat als gerecht und gut befindet, anges^en
werden, als habe jeder einzelne es so befunden. Da- 20
her ist der Untertan gehalten, wenn er auch die Be-
schlüsse des Staates unbillig findet, sie nichtsdesto-
weniger auszuführen.
§6.
Man kann dagegen einwenden: ist es nicht gegen
das Gebot der Vernunft, sich vollständig dem Urteil
eines anderen zu unterwerfen, und widwstreitet des-
halb nicht das Staatsleben der Vernunft? Daraus
wäre zu folgern, daß das Staatsleben unvernünftig
sei und daß nur Menschen, die der Vernunft bar seien, 80
es schaffen könnten, keinesfalls solche, die der Ver-
nunft folgten. Weil aber die Vernunft nichts Wider-
natürliches lehrt, so kann die gesunde Vernunft nicht
vorschreiben, daß jeder sein eigenes Recht behaupten
solle, solange die Menschen den Leidenschaften unter-
worfen sind (nach § 15 d. vor. Kap.), d. h. (nach
Kap. 1 § 5) die Vernunft erklärt es für unmöglich.
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74 Abhandlang vom Staate.
Zudem lehrt überhaupt die Vernunft» den Frieden zu
suchen, der sich freilich nur aufrecht halten laßt,
wenn die gemeinsamen Rechte des Staates unverletzt
bleiben. Je mehr daher ein Mensch i&c Vernunft fol^
d. h. (nach § 11 d. vor. Kap.) je fraer er ist, desto
fester wird er die Rechte des Staates beobachten und
die Gebote der höchsten Gewalt, deren Untertan er
ist, befolgen. Dazu kommt noch, daß das Staats-
leben seiner Natur nach begründet wird, um die ge-
10 meinsame Furcht zu beseitigen und das gemeinsame
Übel abzuwehren. Dah^ ist sein Hauptzweck nichts
anderes, als was auch der einzelne von der Vernunft
geleitet im Naturzustände^ freilich vergebens, ver-
suchen würde (nach § 16 d. vor. Kap.). Wenn daher
einmal ein von der Vernunft geleiteter Mensch auf
das Gebot des Staates hin etwas tun muß, was er ids
widervemünftig erkennt, so wird dieser Schaden bei
weitem durch das Gnte aufgewogen, das gerade aus
dem Staatsleben hervorgeht. Es ist ]a doch auch ein
20 Gesetz der Vernunft» daß man von zwei Übeln das
kleinere wählen solle. Daher dürfen wir schon den
Schluß ziehen, daß man nichts gegen die Vorschrift
der Vernunft tut, wenn man das tat, was man nach
dem Recht des Staates tun muß. Das wird mir jeder
zugeben, wenn ich erklärt habe^ wie weit die Macht
und damit das Recht des Staates geht
§7.
Denn in erster Linie kommt in Betracht, daß ge-
rade so wie im Naturzustande (nach § 11 d. vor.
30 Kap.) derjenige Mensch am meisten vermag und am
meisten sein Recht behauptet, der sich von der Ver-
nunft leiten läßt, daß ebenso der Staat am meisten
Macht haben und am meisten sein Recht behaupten
wird^ der mit Vernunft begründet und mit Vernunft
geleitet wird. Denn das Recht des Staates bestimmt
sich nach der Macht der Menge, die wie von einem
Geiste geleitet wird. Diese geistige Eiinhdt ist aber
nur denkbar, wenn der Staat das am meisten bezweckt»
was die gesunde Vernunft allen Menschen als nütz-
40 lieh empfiehlt
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3. Kapitel. Vom Beoht des Sfawtes. 75
§8.
Weiter kommt in Betracht, daß die Untertanen
80 weit nicht unter eigenem, sondern unter dem Rechte
des Staates stehen, als sie seine Macht oder seine
Drohungen fürchten oder als sie das Staatsleben
lieben (nach § 10 d. vor. Kap.). Infolgedessen gehört
alles, wozu man weder durch Belohnungen noch durch
Drohungen gebracht werden kann, nicht in die Rechts-
sphare des Staates. So kann z. B. sich niemand seines
Urteilsvermögens begeben. Denn welche Belohnungen 10
oder Drohungen können einen Menschen zum Glauben
bringen, daß das Ganze nicht größer sei als sein Teil,
oder daß Gott nicht existiere, odw daß ein Körper,
den er begrenzt sieht, ein unendliches Wesen sei,
mit einem Wort, daß er etwas seinem Eimpfinden oder
Denken Widerstreitendes annimmt? ESbenso durch
welche Belohnungen oder Drohungen kann ein Mensch
dahin gebracht werden, zu licmn, wen er haßt,
und zu hassen, wen er liebt? Hierher gehört auch,
was die menschliche Natur so verabscheut, daß es 20
ihr schlimmer gilt als jedes Übel, nämlich daß ein
Mensch Zeugnis wider sich ablegt, daß er sich martert,
seine Eltern ermordet, dem Tod nicht za entgehen
sucht und ähnliches, wozu sich nie ein Mensch durch
Belohnungen oder Drohungen bewegen läßt Wollten
wir trotzdem sagen, der Staat habe das Recht oder die
MacJit, derartiges zu befehlen, so wäre es nur in dem
Sinne denkbar, in dem man sagen könnte, der Mensch
habe das Recht, verrückt zu sein und zu rasen. Denn
was wäre ein Recht» an das niemand gebunden sein 30
kann, anders als WaJmsinn?
Ich rede hier ausdrücklich von dem, was nicht
in die Rechtssphäre des Staates fallen kann und was
die menschliche Natur zumeist verabscheut. Denn
weil ein Tor oder ein Narr durch keine Belohnungen
und Drohungen dazu gebracht werden kann, die Ge-
setze zu befolgen, und weil der eine oder andere als
Anhänger dieser oder jener Sekte die Rechte des
Staates für schlimmer als jedes Übel hält» so sind
diese Rechte des Staates deshalb doch nicht ungültig; 40
denn die meisten Bürger halten sich ja durch sie ge-
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76 Abhandlung vom Staate.
blinden. Weil demnach jene, die nichts fürchten und
nichts hoffen, darin ihr eigenes Recht behaupten (nach
§ 10 d. vor. Kap.)» deahalb sind sie (nach § 14 d. vor.
Kap.) Feinde des Staates und dürfen mit Recht im
Zaum gehalten werden.
§9.
Schließlich kommt in Betracht^ daß zum Recht
des Staates das am wenigsten gehören kann, was
die Mehrzahl mit Unwillen erfüllt Denn sicherlich
10 liegt es in der Natur der Menschen, sich zu ver-
schwören, entweder aus gemeinsamer Furcht oder in
dem Wunsche, eine gemeinsam erlittene Unbill zu
rächen. Weil sich das Recht des Staates nach der
gcfflieinsamen Macht der Menge bestimmt^ so ver-
mindert sich sicher die Macht und das Recht des
Staates in dem Maße, in dem er Veranlassung gibt,
daß sich viele verschworen. Der Staat hat gewiß
manches für sich zu fürchten, und gerade wie der
einzelne Bürger oder der Mensch im Naturzustande,
20 so ist auch der Staat um so weniger im Besitze seines
eigenen Rechtes, als er Grund zur Furcht hat
Soviel vom Recht der höchsten Gewalten gegen
die Untertanen. Ehe ich von ihrem Rechte gegen
andere spreche, muß wohl noch die lYage beantwortet
werden, die sich über die Religion zu erheben pflegt
§ 10.
Man könnte mir nämlich einwerfen, ob nicht das
Staatsleben und der, wie ich zeigte, im Staatsleben
von den Untertanen verlangte Gehorsam die Religion
80 aufhebe, die von uns die Verehrung Gottes fordert
Erwägen wir aber die Sache an sich, so werden wir
nichts finden, das uns Bedenken einflöß^i könnte.
Denn der Geist, sofern er die Vernunft gebraucht^
ist nicht unter dem Recht der höchsten Gewalten,
sondern unter eigenem Recht (nach § 11 d. vor. Kap.).
Somit kann die wahre Bekenntnis Gottes und die Liebe
zu ihm niemandes Herrschaft unterworfen werden
und ebensowenig die Nächstenliebe (nach § 8 d. Kap.).
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8. Kapitel. Vom Reohl des Staates. 77
Ziehen wir noch in Betracht, daß die höchste Übung
der Liebe in dem besteht, was man zum Schutze des
Friedens und zur Herstellung der Eintracht tut, dann
werden wir nicht daran zweifeln, daß der wahrhaft
seine Pflicht erfüllt, der jedem so viel Beistand leistet,
als die Rechte des Staates, d. h. fSntracht und Ruhe
es gestatten.
Was den äußeren Kult angeht, so kann er sicher
für die wahre EIrkenntnis Gottes und die daraus fol-
gende Liebe weder von Nutzen noch von Schaden sein, 10
und er kann nicht von solcher Bedeutung sein, daß
seinetwegen es sich verlohnte, Frieden und Ruhe des
Staates zu stören. Übrigens Ist es gewiß, daß ich nach
dem Rechte der Natur, d. h. (nach § 3 d. vor. Kap.)
nach göttlichem Ratschluß kein Verfechter der Re-
ligion bin, denn mir ward nicht wie einst den Jüngern
Christi die Macht, unreine Geister auszutreiben und
Wunder zu tun, und dieser Macht bedarf es doch für-
wahr, um die Religion dort zu verbreiten, wo sie ver-
boten ist, soll nichts wie man sagt, Hopfen und Malz 20
verloren sein, ja soll nicht obendrein noch gar viel
Unheil daraus erwachsen, wovon alle Jahrhunderte
die traurigsten Beispiele sahen. Jeder kann, wo er
auch sei, Gott in wahrer Religion verehren und für
sich sorgen, wie es eines Privatmannes Pflicht ist.
Im übrigen soll man die Sorge für die Ausbreitung
der Religion Gott überlassen oder den höchsten Ge-
walten, denen allein die Sorge für daa Gemeinwesen
obliegt Doch nun kehre ich zu meiner Aufgabe
zurück. 80
§11.
Nach der Auseinandersetzung über das Recht der
höchsten Gewalten gegenüber den Bürgern und über
die Pflicht der Untertanen bleibt noch das Recht
jener in den übrigen Beziehungen zu betrachten, das
sich aus dem Gesagten leicht erkennen läßt. Denn
weil (nach § 2 d. &tp.) das Recht der höchsten Ge-
walt eben das Naturrecht ist, so haben folglich zwei
Begiemngen eine analoge Stellung gegeneinander wie
zwei Menschen im Naturzustand. Der einzige Unter- 40
schied besteht darin, daß der Staat sich vor der Unter-
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78 AbbftDdluDg vom Staate.
drückung durch einen andern hüten kann, was dem
Menschen im Naturzustände nicht möglich ist; denn
ihn beschwert ]a taglich der Schlaf, oft Krankheit und
Kmnmemis, am Ende das Alter, und noch andwesi
Beschwerden ist er unterworfen, vor denen der Staat
sich sichern kann.
§12.
Der Staat ist also so weit unter eigenem Recht,
als er für sich sorgen und sich vor der Unterdrückung
10 durch einen anderen Staat hüten kann (nach §§ 9
und 15 d. vor. Kap.). Er ist (nach §§ 10 und 16 d.
vor. Kap.) so weit dem Rechte eines anderen unter-
worfen, als er die Macht eines anderen Staates zn
fürchten hat oder als er von diesem an der Aus-
führung seines Willens gehindert wird, oder endlich,
soweit er dessen Hülfe zu seiner Erhaltung oder Meh-
rung bedarl Denn ganz zweifellos werden zwei
Staaten, die sich wechselseitig ihren Beistand leihen
wollen, zusanmien mehr vermögen und folglich mehr
20 Recht haben, als der eine oder der andwe für sich
allein (s. § 18 d. vor. Kap.).
§13.
Das wird noch klarer, wenn man bedenkt; daß
zwei Staaten von Natur Feinde sind. Denn die Men-
schen sind (nach § 14 d. vor. Kap.) im Naturzustand
Feinde. Diejenigen also, die außerhalb des Staates
das Naturrecht beibehalten, bleiben Feinde. Wenn
daher der eine Staat gegen den anderen Krieg führen
und die äußersten Mittel anwenden will, um ihn
80 seinem Rechte zu unterwerfen, so hat er das Recht
dazu, es zu versuchen, denn zum Kriegführen genügt
es, wenn er den Willen dazu hat Über den Mieden
hingegen kann er nichts bestimmen, wenn nicht der
WiUe des anderen Staates darin einstinmit Das Recht
zum Kriege liegt folglich in d^ Hand jedes einzelnen
Staates, das Recht über den Frieden aber steht nicht
bei einem, sondern mindest^is bei zwei Staaten,, die
deshalb verbündet heißen.
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3. Kapitel. Vom Recht des Staates. 79
§14.
Di€66B Bündnis bleibt 80 lange feBt, als der Ver-
bindungsgrund, die Furcht vor Schaden oder die Hoff-
nong ani Gewinn besteht Kommt aber die eine oder
die andere für einen der beiden Staaten in Wegfall,
dajm bleibt er .unter eigenem Becht (nach § 10 d. vor.
I^p.) und das Band» das die Staaten miteinander
verknüpfte» lost sich von selbst. Danach hat jeder
Staat das volle Jtecht, ein Bündnis nach Belieben zu
lösen, und man kann ihm nicht Hinterlist oder Treu- lO
lofiigkeit vorwerfen, wenn er seine Verpflichtung auf-
hebt» sobald der Grund zu Furcht oder Hoffnung weg-
gefallen ist Denn 4i6se Bedingung galt ja in gleicher
Weise für die beiden Vertragschließenden» daß der-
jenige» der zuerst außer Furcht sein könne» wieder
dem eigenen Recht unterstellt sein solle und davon
nach Gutdünken Gebrauch machen dürfe. Außerdem
geht man eine Verpflichtung für die Zukunft nur
unter der Voraussetzung ein» daß die vorangehenden
Umstände bestehen bleiben. Ändern sie sich» dann 20
ändert sich das ganze Verhältnis. Deshalb behält
sich jeder der verbündeten Staaten das Recht vor,
seinen Vorteil wahrzunehmen, und jeder sucht nach
Kräften frei von Furcht und dadurch unter eigenem
Recht zu bleiben .und zu verhindern» daß der andere
mächtiger wird. Beklagt sich also ein Staat, er sei
betrogen worden» dann Saxt er wirklich nicht der Treu-
losigkeit des Verbündeten» (Sondem nur der eigenen
Dummheit die Schuld geben» daß er sein Heil einem
anderen anvertraut haty der unter eigenem Recht 30
steht und dem das Heil seiner Regierung höchstes
Gesetz sein muß.
§15.
Staaten» die Frieden .miteinander geschlossen
haben» steht das Recht zu» Streitfragen zu schlichten»
die aus den fViedensbedingungen oder aus Gesetzen,
zu denen sie ^ich gegenseitig verpflichtet haben» er-
wachsen können. Denn das Recht über den Frieden
steht nicht bei einem Staate» sondern bei den Ver-
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80 AbfaADdliing vom Staate.
tragschließenden in gleicher Weise (nach § 13 d.
£ap.)* Können sie sich über diese Fragen nicht einigen,
dann kehren sie eben in den Kriegszostand zorück.
§16.
Je mehr Staaten .zugleich Frieden vweinbaren,
um so weniger haben sie v<hi dem einzelnen Staat zu
fürchten oder um so weniger hat der einzelne die Ifacht,
Ejrieg za beginnen; im &dgenteil mnß er um so mehr
die Bedingungen aufrecht halten, d. L (nach § 13 d.
10 Kap.) er ist um so weniger untw eigenem Recht und
muJQ sich um so mehr dem gemeinsamen Willen
der Verbündeten anpassen.
§17.
Übrigens wird die Treue, die die gesunde Ver-
nunft und die Religion zu wahren lehrt» hindurch in
keiner Weise aufgehoben. Weder die Vernunft, noch
die Schrift lehrt, daß man jedes gegebene Versprechen
nalten müsse. Denn habe ich z. B. jemandem ver-
sprochen, Geld, das er mir heimlich zum Aufheben
20 gab, zu bewahren, so bin ich nicht an mein Versprechen
gebunden, sobald ich erfahren habe oder zu wissen
glaube, daß er mir gestohlenes Gut zum Aufbewahren
gab; dann werde ich richtiger handeln, wenn ich mir
Mühe gebe, es den Eigentümern zurückzuerstatten.
Eibenso wenn die höchste Gewalt einem anderen etwas
versprochen hat, wovon später Zeit oder Überlegung
lehrte oder zu lehren schien, daß es dem gemein-
samen Wohl der Untertanen zuwider sei, dann ist sie
gewiß verpflichtet, ihr Versprechen aufzuhebeiL Da
dO nun die Schrift nur im allgemeinen lehrt, Treue
zu wahren und die besonderen Ausnahmefälle dem
Urteil des einzelnen überläßt, so widerstreitet das
eben Dargelegte nicht ihrer Lehre.
§18.
Damit ich aber den Faden der Ausführung moht
so oft unterbrechen muß^ um in der Folge ähnliche
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3. KapiteL Vom Reeht des Staates. 81
Emwürfe ans dem Wege sa iBumen, so will ich dann
erinnem, daß ich hier alles ans der Notwendigkeit
der menschlichen Natur, wie man sie auch betrachte,
nachgewiesen habe, nämlich ans dem allgemeinen
Selbsterhaltangstrieb der Menschen, der ihnen allen,
Weisen wie Toren, innewohnt Daher bleibt es
das gleiche, wie wir die Menschen betrachten, ob als
von der Leidenschaft oder als von der Vernunft ge-
Idtet, denn der Beweis ist wie gesagt allgemein
gültig, 10
9 p 1 n o s a, Abluwdlg. ab. d. YwbeMerg. d. YentiuMtM. ^
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Viertes Kapitel.
§1.
Im vorigen Kapitel haben wir das Recht der
höchsten Gewalten, das sich nach ihrer Macht be-
stimmt, dafgetan und dabei gesehen, wie es haupt-
sächlich darin besteht, daß es gleichsam einen Geist
der Regierung gibt, dem alle folgen müssen, daß dem-
nach aUein jene Gewalten das Recht der ESatBcheidimg
haben, was gut und böse, was gerecht und ungerecht
10 ist, d. h. was die einzelnen, oder alle insgesamt zu
tun oder zu lassen haben. Wir haben also gesehen,
daß ihnen allein das Recht zusteht, Gesetze zu geben
und sie» falls ein Streit darüber entsteht, im Einzel-
fall auszulegen und zu entscheiden, ob ein gegebener
Fall den Gesetzen gemäß oder zuwider ist (s. §§ 8, 4,
5 d. vor. Kap.); ferner das Recht, Krieg zu beginnen,
Friedensbedingungen zu bestimmen, anzubietra oder
angebotene anzunehmen (s. §§ 12 und 13 d. vor. Kap.).
§2.
20 Da dies alles mit den zur Ausführung erforder-
lichen Mitteln Geschäfte sind, die den gesamt» Re-
gierungskörper, d. h. die das Gem^wesen ang^en,
so wird folglich das Gemeinwesen von der Leitung
dessen abhängen, der der Inhaber der höchsten Re-
gierungsgewalt ist Daraus folgt weiter, daß allein
der höchsten Gewalt das Recht zusteht, über die Hand-
lungen des einzelnen zu richten, über die Handlungen
eines jeden Rechenschaft zu fordern, die Fehlenden
zur Strafe zu ziehen, Rechtsstreitigkeiten der Bürger
30 zu schlichten oder Gesetzeskundige zu bestellen, die
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4. Kapitel Vom Recht der Obrigkeit. 83
es an ihrer Stelle beeorgen. Ferner hat sie das Recht,
alle Mittel für Krieg und Frieden za handhaben und
in Anafühnmg zu bringen, nämlich Städte za gründen
imd za befestigen, Söldner anzuwerben, die mili-
tärischen Ämter zu vergeben, was sie getan wissen
will, zu befehlen, Friedepegeeandte abzuschicken und
anzuhören und endlich, die Kosten für das alles zu er-
heben.
§3.
Da also allein der höchsten Gewalt das Recht zu- 10
steht» die Staatsgeschäfte zu betreiben oder Beamte
didür auszuwählen, so ist es folglich eine Anmaßung
der Regierungsgewalt» wenn ein Untertan bloß nach
seinem Ermessen, ohne Wissen des höchsten Rates
an irgend ein Staatsgeschäft herantritt» mag &c immer-
hin geglaubt haben, daß» was er zu tun beabsichtigte,
dem Staat von höchstem Nutzen sein werde.
§4.
Man wirft gewöhnlich die Frage auf, ob die
höchste Gewalt an Gesetze gebunden sei und ob sie 20
demnach sich vergehen könne. Da aber die Worte
Gesetz und Vergehen nicht bloß auf die Rechte des
Staates, sondern auf die gemeingültigen Regeln aller
natürlichen Dinse^ in erster Linie auf die der Ver-
nunft gewöhnlich bezogen werden, so darf man nicht
schlechthin sagen, der Staat sei an keine Gesetze ge-
bunden und könne sich nicht vergeh«[L Denn wran
der Staat nicht an Gesetze oder Regeln gebunden '
wäre, ohne die er eben nicht Staat wäre, dami müßte
man ihn nicht für ein natürliches Ding, sondern für 30
eine Chimäre halten. Der Staat vergeht sich abo,
wenn er tut oder geschehen läßt» was die Ursache
seines Untergangs sein kann. Das nennen wir dann
in demselben Sinne vergehen, in dem die Philosophen
oder Mediziner von der Natur sagen, sie fehle. In
diesem Sinne können wir vom Staat sagen, daß er
sich vergeht, wenn er etwas gegen das Gebot der
Vernunft tut Denn der Staat ist dann am meisten
Herr seines Rechtes, wenn ex nach dem Gebot der
Vernunft handelt (nach § 7 d. vor. Kap.). Sofern er 40
6*
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64 Abhandlung vom Staute.
also gegen die Vernunft handelt, wird er sich selbst
aniren und vergeht sich.
Das wird noch klarer, wenn wir folgendes in Be-
tracht ziehen: sagen wir, es könne ein^ über eine
Sache, die in seiner Gewalt ist» verfügen, wie er
wolle^ so wird diese Macht nicht nur durch das Ver-
mögen des handelnden, sondern auch durch die Fähig-
keit des leidenden Teils bestimmt. Sage ich z. B., ich
habe das Becht^ mit diesem Tisch zu machen» was ich
10 will, so meine ich doch weiß Gott nicht» daß ich das
Becht habe, zu machen, daß der Tisch Gras frißt
Ebenso ist es, wenn wir sagen, die Menschen stünden
nicht unter eigenem Bech^ sondern unt^ dem des
Staates. Damit meinen wir nicht, daß die Menschen
ihre Menschennatur verlieren und eine andere an-
nehmen, und daß daher der Staat machen dürfe»
daß die Menschen fliegen oder, was gerade so un-
möglich ist, daß sie das mit E2hrfurcnt betrachten,
was Lachen oder Ekel erregt Wir meinen vielmehr,
20 daß es gewisse Umstände gibt, deren Vorhandensein
Achtung und Furcht der Untertanen gegen den Staat
begründet und deren Fehlen Furcht und Achtung
und mit ihnen den Staat selbst unmöglich. macht
Der Staat ist also, um sein Becht zu behaupten»
genötigt, die Ursachen der Furcht und d^ Achtung
aufrecht zu erhalten, sonst hört er auf, Staat zu sein.
Denn die oder der Inhaber der Begierunrag^ewalt kann
unmöglich betrunken oder nackt mit Dirnen durch
die Straßen ziehen, den Schauspieler machen, die von
30 ihm selbst gegebenen Gesetze öffentlich verletsen und
verachten und doch dabei die Würde bewahren. Das
ist gerade so unmöglich, wie es wäre^ zugleich zu
sein und nicht zu sein. Sodann, Untertans morden,
ausplündern, Jungfrauen entführen und ähnliches, wan-
delt Furcht in lUmpörung und macht in d^ Folge
den staatlichen Zustand zu einem Zustand der Feind-
schaft
§5.
Wir sehen also, in welchem Sinne wir sagen
40 dürfen, daß der Staat an Gesetze gebundm sei und
daß er sich vergehen könne. Verstehen wir aber
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4. Kapitel Vom Recht der Obrigkeit. 85
unter Gesetz das bürgerliche Becht, das eben durch
das bfirgerliche Becht aufrecht erhalten werden kann,
and unter Vergehen, was das bürgerliche Recht ver-
bietet, nehmen wir also diese Worte im ursprüng-
lichen Sinn, dann können wir in keiner Weise sagen,
daß der Staat an Gesetze gebunden sei oder sich ver-
gehen könne. D^n die Regeln und Gründe für Furcht
und Achtung, die der Staat um seiner selbst willen
za erhalten genötigt ist, g^ören nicht ins Gebiet
desT bürgerlichen Rechtes, sondern ins Gebiet des lo
Naturrecnts, weil sie (nach d. vor. §) nicht durch
das bürgerliche Rechte sondern nur durch das Recht
des Krieges aufrecht erhalten werden können und
weil der Staat aus keinem anderen Grunde an sie ge-
bunden ist, als wie der Mensch im Naturzustand, um
Herr seines Rechtes und nicht sein eigener Feind zu
sein, sich nicht selbst den Tod breiten darf. Diese
Vorsicht ist aber kein Gehorsam, sondern die Frei-
heit der menschlichen Natur. Die bürgerlichen Ge-
setze hingegen hangen bloß von dem Entschluß des 20
Staates ab und dieser braucht, um frei zu bleiben,
sich in seinem Verhalten nach niemandem zu rich-
ten als nach sich selbst und nichts für gut und
schlecht zu halten, als was er bei sich für gut und
schlecht erkennt Er hat also nicht bloß das Recht,
sich zu schützen, Gesetze zu geben und zu inter-
pretieren, sondern auch sie abzuschaffen und jeden
Schuldigen aus seiner Machtvollkommenheit zu be-
gnadigen.
§ 6. 30
Es kann kein Zweifel darüber obwalten, daß die
Verträge oder Gesetze, durch die die Menge ihr Recht
auf eine Ratsversammlung oder auf einen einzigen
Menschen überträgt, gebrochen werden müssen, so-
bald es das Gemeinwohl erheischt Das Urteil dar-
über aber, ob das Gemeinwohl es verlangt oder nicht,
steht von Rechts wegen keinem Privatmanne zu, son-
dern nur dem InhaSer der Regierungsgewalt (nach
§ 8 d. Kap.). Daher bleibt nach bürgerlichem Recht
der Inhaber der Regierungsgewalt allein der Aus- 40
leger jener Gesetze. Dazu kommt, daß kein Privat-
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86 AbhAndlnng vom Staate.
mann das Kecht hat, sie zu wahren, daß sie folglich
den Inhaber der ReRierungsgewalt faktisch nicht ver-
pflichten. Sind sie u>er ihrem, Wesen nach derart^ dafi
ihre Verletzung notwendig zagleich eine Schwächung
der Kraft des Staates bedeutet, d. h. daß sie die ge-
meinsame Furcht der meisten Borger in Eknpörong
wandelt, dann löst sich eben damit der Staat aui.
der Vertrag fällt, der ja nicht nach bfirgwlicbem
Recht, sondern nach dem Recht des Krieges galt.
10 Daher ist der Inhaber dw Regierungsgewät durch
keinen anderen Grund verpflichtet, die Bedingungen
des Vertrages zu halten, als wie der Mensch im Natur^
zustand^ um nicht sein eigener Feind zu sein, sich
nicht selbst den Tod bereiten darf (vgl. d. vor. §).
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Fünftes Kapitel.
§1-
In Kap. 2, § 11 haben wir gezeigt, daß der Mensch
dann am meisten unter eigenem Rechte steht, wenn
er am meisten der Leitimg seiner Vemnnft folgt
nnd daß demnach (nach Eap. 8, § 7) der Staat am
machtigsten ist nnd am meisten unter eigenrai Rechte,
der mit Vernunft begründet und geleitet wird. Da
aber die beste Lebensweise, um sich nach Möglich-
keit zu erhalten, die ist, die der Vorschrift der Ver- 10
nunft ^tsprichl^ so ist folglich das Beste, was der
Mensch oder der Staat tut, sQles, wobei er am meisten
sein eigenes Recht bewahrt Denn ich behaupte nicht,
daß alles, von dem sich sagen laßt, daß es recht-
maßig geschehe, so auch am besten geschieht: ein
anderes ist es, einen Acker rechtmäßig anbauen, ein
anderes, ihn auf die beste Weise bebauen; ein anderes,
sage ich, sich rechtmäßig verteidigen, erhalten, ein
Urteil fällen, und ein anderes, eich auf die beste Weise
verteidigen, erhalten und das beste Urteil su fillen; 20
ein anderes ist folglich von Rechts wegen zu befehlen
und für das Gemeinwesen zu sorgen, ein anderes auf
die beste Weise zu befehlen und das Gremeinweeen auf
die beste Weise zu verwalten.
Nachdem wir so über das Recht eines jeden Staates
im allgemeinen gehandelt haben, ist es nun Zeit^ von
der b^ten Form einer jeden Regierung zu handeln.
§2.
Von welcher Beschaffenheit aber die beste Form
emer jeden Regierung sein soll, ist leicht aus dem so
Zweck des Staatslebens zu ersehen: er ist kein
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88 Abhandlang vom Staate.
anderer als Frieden und Sicherheit des Lebens.
Die Regierung ist also die beste» unter der die
Menschen in Sntracht leben und deren Gesetze an-
verletzt gehalten werden. Denn sicherlich sind Bm-
porungra, Eri^e» Gesetzesverachtung oder -Ver-
letzung weniger der Schlechtigkeit der Untertanen
als dem schlechten Zustand der Regierung zuzuschrei-
ben. Denn die Menschen werden nicht als Staats-
bürger geboren, sie werden erst dazu gemacht Die
10 natürlichen Affekte der Menschen sind zudem überall
dieselben. Wenn daher in einem Staate die Schlechtig-
keit mehr herrscht und mehr Verbrechen begangen
wcurden als in einem anderen, so kommt das sich»
daher, daß dieser Staat nicht genügend für die Eän-
^acht gesorgt hat, daß er seine Rechte nicht weise
genug angeordnet hat, daß er folglich kein voll-
kommenes Staatsrecht erhalten hat Denn ein Staats-
leben, aus dem die Ursachen von Empörungen nicht
verbannt sind, in dem beständig Krieg zu befürchten
20 ist und in dem endlich die Gesetoe oft verletzt
werden, ist nicht viel vom eigentliche Naturzustande
verschieden, wo jeder Einzelne nach seinem Sinne
lebt und unter großer Gefahr für sein Leben.
§8.
Wie aber die Fehler d^ Untwtanen, ihre allzu
große Freiheit und ihre Widerspenstigkrit dem Staate
zur Last fall^ so muß im Gregenteil auch ihre Tüch-
tigkeit und ihre beharrliche Gesetzestreue in erster
Linie der Tüchtigkeit des Staates und seinem voll-
30 kommenen Rechte zugerechnet werden (gemäß Eap. 2,
§ 16). Demgemäß schreibt man es verdientermaßen
der unvergleichlichen Tüchtigkeit des Hannibal zu,
daß in seinem Heere nie eine Eimpörung ausbrach.
§4.
Von einem Staate, dessen Untertanen aus Furcht
nicht zu den Waffen greifen, kann man eher sagen,
daß er ohne Krieg als daß er im Friedenszustand sei.
Denn Friede ist nicht Freisein von Krieg, sondern
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5. Kapitel. Vom Zweck des SUatca. 89
eine Tüchtigkeit, die auB der Seelenstarke hervor-
geiht; Gehorsam ist nämlich (nach Kap. 2, § 19) der
beständige Wille, auszuführen, was nach dem für
alle geltenden Staatsbeschlosse za geschehen hat
Übrigens kann man einen Staat» dessen Friedens-
zoatand von der Feigheit der Untertanen abhängt,
die sich wie Vi^ leiten lassen, um bloß dienen zu
lernen, mit größerem Recht Einöde als Staat nennen.
§5.
Wenn ich also sage, die Regierung sei die beste, 10
unter der cUe Menschen in Eintracht leben, so ver-
stdie ich unter menschlichen Leben nicht bloß den
Kreislauf des Blutes und die übrigen allen Lebe-
wesen gemeinsamen Funktionen, sondern in erster
Lbue^ was man Vernunft, wahre Tüchtigkeit und
wahres Leben des Geistee nennt
§6.
Es muß aber noch bemerkt werden, daß ich
unter einer Regierung, die wie gesagt zu diesem
Zwecke eingesetzt ist^ nur eine solche verstehe, die 20
ein freies Volk eingesetzt hat^ aber nicht eine solche,
die man durch Eriegsrecht über ein Volk erwirbt
Denn ein freies Volk wird mehr durch Hoffnung als
durch Furcht, ein unterworfenes mehr durch Furcht
als dTQPoih Hoffnung geleitet; jenes will das Leben ge-
nießen, dieses sucht nur dem Tode zu entgehen; jenes,
sage ich, will für sich leben, dieses muß dem Si^er
angehören, weshalb wir dieses dienstbar, jenes frei
nennen. Der Zweck einer Regierung also, deren
sich jemand durch Eriegsrecht bemächtigt, ist» zu 30
herrschen und lieber Sklaven als Untertanen zu haben.
Und obwohl zwischen der Regierung, die von einem
freien Volke geschaffen wird, und jener, die durch
Eriegsrecht erworben wird, wenn man ihr Recht im
allgemeinen in Betracht zieht, kein wesentlicher Unter-
scmed besteht, so zeigen sie wie gesagt doch in
ihrem Endzweck und daneben in den Mitteln, die sie
SQ ihr^ Eirhaltung bedürfen, eine große Ver-
schiedenheit
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90 Abhandlmig Tom Staate.
§7.
Welche Mittel aber ein Fürst, der bloß von
Herrschbegierde getrieben wird, anwenden muß, nm
seine Regierung zu befestigen und za erhalten, hat
der höchst scimrfsinnige Macchiavelli ausführlich
gezeigt, zn welchem Zweck, scheint nicht ganz fest-
ziiBtehen. Hatte er jedoch einen guten, wie man es
von einem weisen Manne annehmen muß, so wollte
er allem Anschein nach zeigen, wie unklug viele
10 handeln, indem sie einen Tyrannen aus dem Wege su
räumen versuchen, ohne daß sie doch die Ursachen,
die einen Fürsten zum Tyrannen machen, beseitige
könnten; im Gegenteil, sie bestehen um so mehr, je
mehr der Fürst Grund erhält, sich 2u fürchten, und
das geschieht, wenn das Volk an einem Fürsten ein
Exempel statuiert hat und sich des Fürstenmordes
als einer guten Tat berühmt. Vielleicht wollte er
außerdem zeigen, wie sehr sich ein freies Volk davor
hüten müsse, seine Wohlfahrt rückhaltlos einem ESn-
20 zigen anzuvertrauen^ der, falls er nicht eitel ist und
allen gefallen zu können glaubt, taglich vor Nach-
stellungen sich fürchten muß und sich deshalb ge-
nötigt sieht, mehr für sich auf der Hut zu sein und
seinerseits der Menge nachzustellen, als für sie zu
sorgen. Ich fühle mich um so eher bewogen, dies von
jenem sehr einsichtsvollen Manne anzun^imen, als er
bekanntlich für die Freiheit war, zu deren Schutz
er auch die heilsamsten Ratschläge gegeben hat.
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Sechstes Kapitel.
§1.
Weil die MeuBchen, wie gesagt, sich mehr vom
Affekt als von der Vernunft leiten lassen, so se-
schieht es natorgemäß nicht durch die Leitung der
Vernunft, sondern durch irgend einen allgemeinen
Affekt, wenn die Menge übereinkommt und gleichsam
von einem Geiste geleitet sein will; nämlich (ffen&äß
Kap. 3, § 9) entweder durch gemeinsame Honnung
od^ Furcht oder den Wunsch, eine gemeinsam er- 10
littene Unbill zu rächen. Da aber die Furcht vor der
Vereinzelung allen Menschen innewohnt und da
niemand in der Vereinzelung die Kräfte besitet, sich
zn verteidigen und sich die Lebensbedürfnisse zu ver-
schaffen, so streben die Menschen nach dem Staats-
leben und unmöglich können sie es jemals vollständig
aufheben.
§2.
Alle Zwietracht und Empörung, die sich oft im
Staate erhebt, bewirkt doch nie, daß die Bürger den 20
Staat auflösen, wie es bei anderen gesellschaftlichen
Verbindungen häufig geschieht; vieUnehr ändern sie
dann nur seine Form, wenn sich nämlich die Streitig-
keiten nicht unter Erhaltung der äußeren Gestalt des
Staates beilegen lassen. Daher verstehe ich unter
den Mitteln, die ich zur Erhaltung der Regierung er-
forderlich nannte^ jene, die notwendig sind, die Be-
gierungsform ohne merkliche Veränderung zu erhalten.
§3.
Wäre es mit der menschlichen Natur so be- 80
schaffen, daß die Menschen das Nützlichste auch am
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92 AbhandlaDg yom Stmate.
meisten begehrten, dann bedurfte es keiner Kunst;
Eintracht und Treue zu erhalten. Weil es aber be-
kanntlich ganz anders mit der menschlichen Natur
bestellt ist, deshalb muß die Regierung notwendig bo
eingerichtet werden, daß alle, Regierende wie Re-
gierte, mögen sie wollen oder nicht» dasjenige tun,
was das Gemeinwohl fordert, d. h. daß alle aus freien
Stücken oder durch Gewalt oder Notwendigkeit ge-
zwungen nach der Vorschrift der Vernunft Idben. 'Das
10 ist der Fall, wenn die Regierungsangelegenheiten so
geordnet sind, daß nichts, was das Gemeinwohl be-
rührty der Treue irgend eines Menschen rückhaltlos
anvertraut wird. Denn niemand ist so wachsam, daß
er nicht bisweilen schliefe^ und niemand ist von so
starkem und unantastbarem Charakter, daß er nicht
einmal und gerade dann, wenn er am meisten der
Charakterstärke bedürfte, wankend würde und sich
besiegen ließe. Uiul Torheit wäre es wahrlich, von
einem anderen zu verlangen, was niemand von sich
2Q erreichen kann, nämlich für einen anderen wachsamer
zu sein als für sicl^ nicht habgierig zu sein, nicht
neidisch^ nicht ehrgeizig u. s. w., zumal wenn er täg-
lich den Versuchungen zu diesen Leidenschaft«! aus-
gesetzt ist.
§4.
' Dagegen scheint die Erfahrung zu lehren, daß
es im Interesse des Friedens und der ESntracht ge-
legen sei, alle Gewalt einem Einzigen zu übertragen.
Denn kein Reich hat so lange ohne alle merkliche
SO Veränderung bestanden als £s türkische, und im
Gegenteil war keines vergänglicher, als Volksstaaten
und Demokratien, und nirgends so viel Ekiporungen
wie in ihnen. Wenn aber Sklaverei, Barbarei und Eon-
öde Frieden heißen sollen, dann gibt es für die
Menschen nichts Erbärmlicheres als den FMeden. In
der Tat gibt es gewöhnlich mehr und heftigere Streitig-
keiten zwischen Eltern und Kindern als zwischen
Herren und Knechten, und doch liegt es nicht im
Interesse des Haushalts, das väterliche Recht in Herr-
40 Schaft umzuwandeln und damit die Kinder als Sklaven
zu behandeln. Die Sklaverei, nicht der Friede fordert
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6. KapiteL Von der Monmrohie« 98
also, alle Gewalt einem sa übertragen: denn der Friede
beBteht wie gesagt nicht in mem Verschontsein yon
Krieg, sondern in der ESnignng und Eintracht der
Geeinnnng.
§5.
Und wahrlich, wer da glaubt^ daß einer allein
das höchste Recht des Staates besitasen könne, ist
sehr im Irrtum. Denn das Recht bestimmt sich bloß
nach der Macht, wie ich im 2. Kap. gezeigt. Die Macht
eines einzigen Maischen aber ist einer solchen Last 10
nicht im entferntesten gewachsen. Die Folge davon
ist, daß der yom Volk sam König Gewählte sich Be-
fehlshaber sucht oder Rate oder Vertraute, denen
er das eigene und das Wohl der Gesamtheit über-
tragt, so daß das Reich, das als absolute Monarchie
gilC in der Praxis tatsächlich eine Aristokratie ist,
allerdings keine offene^ sondern nur eine versteckte
und darum die allerschlechteste. Dasu kommt, daß
der König, wenn er ein Kind oder wenn er krank
oder vom Alter beschwert ist^ nur zum Schein König 20
ist; in Wahrheit haben diejenigen die höchste Gewalt
inne^ die die höchsten Regierungsämter verwalten oder
die dem König am nächsten stehen. Gans asu ge-
scbweigen davon, wenn der König, den Lüsten unter-
worfen, alles nach den Gelüsten dieser und jener
Maitresse oder dieses und jenes Günstlings regiert
„Ich habe gehört,'' sagt Orsines, „daß in Asien einst
Frauen regiert haben; das aber ist neu, daß ein Kastrat
regiert'' (Curtius, Buch X, Kap. 1).
§ 6. 30
Zudem ist sicher, daß ein Staat immer mehr wegen
seiner Bürger als wegen seiner Feinde in Gefahr ist:
deüik die guten Bürger sind selten. Folglich wird d^,
dem das ganze Recht des Staates übertragen isl,
immer me& die Bürger als die Feinde fürchten und
infolgedessen suchen, sich zu wahren und den Unter-
tanen nachzustellen, anstatt für sie zu sorgen, vor
allem denen, die durch Weisheit angesehen oder durch
Reichtum zu mächtig sind.
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04 AbhandlHDg Yom Staate.
§7.
Dazu kommt noch, daß die Könige ihre Söhne
mehr fürchten als lieben, um so mehr, je mehr diese
von den Wissenschaften des Friedens und des Krieges
verstehen und wegen ihrer Vorzüge bei den Unter-
tanen beliebt sind. Deshalb suchen sie ihre Söhne
so zu erziehen, daß der Grund d^ Befürchtung weg-
fällt Hierin gehorchen die Hofbeamten dem König
aufs pünktlicliite und werden sich die größte Mühe
10 geben, einen ungebildeten Thronfolger zu haben, den
sie geschickt zu lenken vermögen.
§8.
Aus alledem folgt, daß der König um so weniger
seines Rechtes machtig ist und daß die Lage der
Untertanen um so unglücklicher ist, ]e unbeschränkter
das Recht des Staates auf einen übertragen wird.
Daher ist es zur gehörigen Befestigung einer mon-
archischen Regierung notwendig, feste Grundlagen zu
legen, auf denen der Bau errichtet werden kann, da-
20 mit Sicherheit für den Monarchen und Friede für das
Volk daraus folgt, und damit demnach der Monarch
dann am meisten sein Recht behauptet» wenn er am
meisten für das Wohl des Volkes sorgt Welches
aber diese Grundlagen der monarchischen Re-
gierung sind^ will ich zuerst kurz aufweisen und
dann in gehöriger Folge darlegen.
§9.
Man muß eine oder mehrte Städte erbauen
und befestigen, deren Bürger insgesamt, mögen sie
30 iimerhalb der Mauern oder des Ackerbaues wegen
außerhalb wohnen, gleiches Bürgerrecht genießen,
unter der Bedingung jedoch, daß jede Stadt eine be-
stimmte Anzahl Bürger zu ihrer eigenen und zur ge-
meinsamen Verteidigung hat Eine Stadt aber, die
das nicht leisten kann, steht unter andren Be-
dingungen und hat als abhängig zu gelten.
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6. EApitel. Von der Monarchie. 95
§ 10.
Die Miliz ist bloß aus den Bürgern und niemandem
sonBt zu bilden und keiner ist ausgenommen. Sonach
sollen alle gehalten sein, die Waffen zu führen, und
niemand darf in die Zahl der Bürger aufgenommen
w^den, bevor er den Mililardienst erlernt und ver-
sprochen hat, ihn zu bestimmten Zeiten des Jahres
atiszuüben. Dann, wenn die Eriegsmannschaff aus
allen Familien in Kompagnien und Begimenter einge-
teilt ist, soll als Führer einer Kompagnie nur ein 10
Mann gewählt werden, der die Kriegsbaukunst ver-
steht Sodann sind die Anführer der Kompagnien und
R^imenter auf Lebenszeit zu wählen. Der Befehls-
haber eines gesamten Familienverbandes aber ist nur
im Kriege zu wählen und dann soll er den Oberbefehl
nur auf ein Jahr haben, sein Kommando soll nicht
verlängert und er soll danach nicht wiedergewählt
werden können. Diese Befehlshaber müssen aus den
Raten des Königs (über die §§ 16 ff. zu sprechen ist)
oder aus ehemaligen Räten gewählt werden. 20
§11.
Alle Stadt- und Landbewohner, d. h. alle Bürger
sind in Familienverbände zu teilen, die sich durch
Namen und Abzeichen unterscheiden, und alle, die
in einem solchen Familienverbande geboren werden,
sollen in die Zahl der Bürger aufgenommen und ihre
Namen in die Liste ihres Verbandes eingetragen werden,
bis sie das Alter erreichen, um Waffen zu tragen und
ihren Dienst zu verstehen. Ausgenommen sind nur
solche Personen, die wegen eines Verbrechens ehrlos, 30
oder die stumm oder geisteskrank sind oder in
dienender Stellung durch knechtische Verrichtung
ihren Unterhalt erwwben.
§12.
Die Äcker und aller Grund und Boden und wo-
möglich auch die Häuser müssen öffentliches Eigen-
tum sein, d. h. sie müssen dem gehören, der das Recht
des Staates hat und werden von ihm gegen eine ]ähr-
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96 AbhandloDg Tom Staate.
liehe Abgabe an die Bärger, die S^ter und Land-
bewohner verpachtet Davon abgesehen sollen in
Friedenszeiten alle jeder Abgabe enthoben oder steuer-
frei sein. Von dieser Pacht ist ein Teil für die Be-
festigungswerke des Staates, der andere fdr den
königlichen Haushalt sa verwenden. Denn in lYiedeiifi-
zeiten muB man die Slädte als zum Kriege befestigen
und auBerdem Schiffe und die übrigen Eriegswerk-
zeuge bereit halten.
10 § 13.
Ist ein £onig aus einem Familienverband gewählt,
so haben nur die Descendenten eines Königs ab adli^
zu gelten; sie unterscheiden sich deshalb durch die
königlichen Abzeichen von ihrem und von den übrigen
Familienverbanden.
§14.
Die adligen männlichen Blutsverwandten eines
Königs, die mit dem Regenten im dritten oder vierten
Grade verwandt sind, sollen nicht heiraten dürfen.
20 Erzeugen sie Kinder, so sollen diese für illegitim gelten
und unfähig, eine staatiiche Würde zu bekleiden und
sie sollen nicht als Erben ihrer Eltern anerkannt
werden; deren Güter sollen vielmehr an den König
zurückfallen.
§15.
Die Bäte des Königs, die ilnn am nächsten,
ako in der Würde an zweiter Stelle stehen, müssen
zahlreich sein. Sie dürfen nur aus den Bürgern ge-
wählt werden, nämlich aus jedem Familienverband zu-
30 nächst drei oder vier oder fünf, wenn es nicht mehr
als sechshundert Familien sind. Diese bilden zusammen
ein Glied jenes Rates, aber nicht auf Lebenszeit, son-
dern nur auf drei, vier oder fünf Jahre derart, daß
in jedem Jahre der dritte, vierte oder fünfte Teil
von ihnen neu gewählt wird. Bei dieser Wahl ist aber
in erster Linie darauf zu achten, daß aus jedem Fa-
milienverband mindestens ein ;recht8kundiger Rat ge-
wählt wird.
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6. KapiteL Von der Monarchie. 97
§16.
Diese Wahl hat dnrch den König selbst zu ge-
schehen. Zu einer bestimmten Zeit des Jahres, näm-
lich wenn die neuen Käte gewählt werden sollen, hat
ihm jeder Familienverband die Namen aller seiner
Mitglieder vorzulegen, die das fünfzigste Lebensjahr
erreicht haben und i>rdnungsgemäß zu Kandidaten
dieses Amtes befördert wurden. Aus diesen soll der
Konig wählen, welchen er wilL In dem Jahre aber,
in dem ein Bechtskundiger irgend eines FamilienYer- 10
bandes einem anderen folgen soll, sollen bloß die
Namen der Rechtskundigen dem Könige vorgelegt
werden. Wer die festgesetzte Zeit dieses Amt eines
Kates bekleidet hat, dem kann es nicht verlängert
werden und er kann auch während fünf Jahren oder
länger nicht auf die Liste der zu Wählenden gesetzt
werden. Der Grund aber, warum jedes Jahr einer
aus jedem Familienverband gewählt werden, mufi, liegt
darin, daß die Batsversanmihmg nicht bald nur aus
unerfahrenen Neulingen, bald nur aus Alterfahrenen 20
und Sachkundigen sich zucfammensetzen soll, was not-
wendig der Fall wäre, wenn alle zugleich zurücktreten
Tmd neue an ihre Stelle treten würden. Wenn aber
in jedem Jahr ^us jedem Familienverband einer ge-
wählt wird, dann wird nur der fünfte^ vierte oder
höchstens dritte Teil aus Neulingen bestehen. Ist
übrigens der König durch anderweitige Geschäfte in
Anspruch genommen oder aus einem anderen Grunde
eine Zeitlang nicht imstande, sich mit der Wahl zu
be&ssen, dann sollen die Räte selber zeitweilig andere 80
wählen, bis der König entweder selbst andere wählt
oder die von der Körperschaft Grewählten bestätigt
§17.
Die Hauptaufgabe dieses Rates soll sein, die
Staatsgrundgesetze zu verteidigen, über die laufenden
Geschäfte Rat zu erteilen, damit der König weiß,
welcher Entscheid im öffentlichen Interesse zu treffen
is^ 80 zwar, daß der König in keiner Sache etwas
beschließen darf, ohne vorher die Meinung des Rates
S p i n o s • , Abhaadlg. üb. d. Verbenarg. d. Ventendei. 7
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98 AbhandlaDg vom Staate.
vernommen zu haben. Wenn aber der Eat» wie es
meistens der Fall sein wird, nicht eines Sinnes ist,
sondern wenn auch nach zwei- bis dreimaliger Er-
wägung derselben Sache verschiedene Meinungen be-
stehen, dann ist die Sache nicht langer hinzuziehen,
sondern die entgegenstehenden Meinungen sind dem
Könige vorzulegen, wie wir § 25 d. Kap. zeigen werd^i.
§18.
Die Aufgabe des Rates soll auJBerdem sein, die
10 Anordnungen oder Verfügungen des Königs ^ ver-
öffentlichen, alles, was über das Gemeinwesen be-
schlossen wurde, durchzuführen und für die ganze
Staatsverwaltung als Stellvertreter des Königs Sorge
zu tragen.
§19.
Den Bürgern soll kein Zugang zum König offen
stehen als durch den Rat; ihm sind *alle Petitionen
oder Bittschriften zu übergeben, damit sie dem König
vorgelegt werden. Auch die Gesandten fremder
20 Staaten sollen nur durch Vermittlung dieses Ratee
die Erlaubnis erhalten, den König zu sprechen. Außer-
dem müssen die Briefe, die von auswärts an den König
eingehen, ihm vom Rate übergeben werden. Über-
haupt ist der König als der Geist des Staates, der Rat
aber als die äußeren Sinne dieses Gastes oder als
der Körper des Staates zu betrachten, durch den der
Geist den Zustand des Staates erfährt und durch den
er ausführt, was er für das Beste erkennt.
§20.
80 Auch die Sorge für die Erziehung der Prinzen
liegt dem Rate ob, ferner die VormuiKlschaft^ wenn
der König gestorben ist und ein Kind oder einen
Knaben als Nachfolger hinterlassen hat Damit aber
der Rat in der Zwischenzeit nicht ohne König ist,
soll aus dem Adel des Staates ein Ältester gewählt
werden, der die Stelle des Königs vertritt, bis der
gesetzliche Nachfolger das Alter erreicht hat, in dem
er imstande ist, die Last der Regierung zu tragen.
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6. KapiteL Von der Monarchie. 99
§21.
Kandidaten dee Batee aoUen diejenigen ßein, die
die Begierungsform, die Grandlagen und den Zustand
oder die Verfassung des Staates, dessen Untertanen
sie sind, kennen. Wer aber die Stelle eines Bechts-
kimdigen einnehmen will, der muß außer seines
eigenen Staates auch die Begierungsform und Ver-
fassung derjenigen kennen, mit denen jener in Be-
ziehungen steht Aber nur die, welche ohne eines
Verbrechens überführt zu sein das fünfzigste Lebens- 10
jähr erreicht haben, dürfen auf die Liste der Wähl-
baren gesetzt werden.
§22.
In diesem Bäte darf nur bei Anwesenheit aller
seiner Mitglieder über Begierungsangelegenheiten ein
Beschluß gefaßt werden. Ist einer durch Krankheit
oder eine andere Ursache verhindert, anwesend zu
sein, so muß er an seiner Statt einen anderen schicken,
der schon dasselbe Amt bekleidet hat oder der auf
der Liste der Wählbaren steht. Hat er es nicht getan 20
und war der Bat wegen seiner Abwesenheit genötigt,
die Beratung einer &u^he zu vertagen, so soll er um
eine empfindliche Geldsumme gestriSt werden. Es ver-
steht sich das aber nur in dem Falle, wenn es sich
um eine deti ganzen Staat betreffende Frage handelt,
nämlich über Krieg und Frieden, über Schi^ung oder
Abschaffung eines Bechts, über den Handel u. s. w.
Handelt es sich aber nur um eine Sache, die die eine
oder andere Stadt betrifft^ um Bittschriften u. dergl.,
so wird die Anwesenheit des größeren Teiles des 80
Rates genügen.
§23.
Damit unter den einzebien Familienverbänden eine
durchgängige Gleichheit und Ordnung im Sitzen, sowie
in den Anträgen und Beden statthat, muß ein bestimmter
Wechsel gewahrt werden, derart, daß die einzelnen Ver-
bände bei den einzelnen Sitzungen den Vorsitz führen,
und daß der Verband, der in dieser Sitzung an erster
7*
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100 Abhandlung vom Staate.
Stelle war, in der folgenden an der letzten ist Unter
den Angehörigen deeselben Familienverbandes soll der
Erstgewählte an erster Stelle sein.
§24.
Dieser Rat soll mindestens viermal im Jahre ein-
berufen werden, um von den Staatsdienem über die
Staatsverwaltung Rechenschaft zu fordern, den Stand
der Angelegenheiten kennen zu lernen und zu sehea,
ob außerdem eine Ehitscheidung zu treffen ist. Denn
10 es ist nicht wohl möglich, daß sich eine so große An-
zahl Bürger bestandig den Staatsgeschäften widmet
Weil aber die Staatsgeschäfte mittlerweile nichts-
destoweniger besorgt werden müssen, sind aus diesem
Rate fünMg oder mehr zu erwählen, die, wenn er
auseinandergegangen ist, an seine Stelle treten sollen
und die sich taghch an einem der königlichen Woh-
nung nahe gelegenen Orte zu versammem haben und
so täglich das I^nzwesen, die städtische Angelegen-
heiten, das Festungswesen, die Ersaehung des Thron-
20 folgers, überhaupt all die erwähnten Aufgaben des
großen Rates besorgen sollen, allein abgesehen davon,
daß sie über Neues, worüber noch nichts beschlossen
ist, nicht beraten können.
§25.
Ist der Rat zusammengetreten, dann sollen, ehe
ihm eine Vorlage unterbreitet wird, fünf, sechs oder
mehr Rechtskundige aus den Familienverbänden, die
in der betreffenden Sitzung die erste Stelle haben,
sich zum Eömg begeben, um ihm die Bittschriften
80 oder Briefe, die sie gerade haben, zu übergeben, ihm
den Stand der Dinge anzuzeigen und endlich, von
ihm Befehle über ^, was seinem Rate vorgelegt
werden soll, entgegenzunehmen. Nach empfangenem
Bescheid sollen sie wieder die Versammlung aufsuchen
und derjenige, an dem die Reihe ist^ den Vorsitz za
führen, soll die Verhandlung eröffnen. Über eineSache^
die einigen von Bedeutung scheint» soll nicht sogleich
die Abstimmung vorgenommen werden, sondern sie
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6. Kapitel. Ton der Monarchie. 101
ist so lange aofssoschieben, als es die Dringlichkeit
der Sache erlaubt
Wenn sich nun die Versammlung bis zu dieser
bestimmten Zeit vertagt hat» werden mittlerweile die
Batsmitglieder der einzelnen Familienverbände unter
sich darüber beraten können und auch, wenn ihnen die
Sache sehr wichtig erscheint^ andere, die dasselbe
Amt bekleidet hab^n oder die Kandidaten für den-
selben Eat sind, hinzuziehen. Wenn sie innerhalb der
festgesetzten Zeit nicht miteinander übereinkommen 10
können, so wird der betreffende EEunilienverband keine
Stimme haben, denn jeder Verband kann bloß eine
Stimme abgeben. Im anderen Falle wird der Rechts-
kundige des FamilienYerbandes angewiesen, die An-
sicht, die man als die beste erkannt^ im Rate selbst
vorzutragen, und in der gleichen Weise auch die
übrigen.
Wenn aber nach Anhörung der Gründe für alle
Ansichten die Majorität es für gut halt, die Sache
nochmals zu überlegen, so soll der Rat abermals für 20
eine bestimmte Zeit vertagt werden, nach welcher
jeder Familienverband seine endgültige Ansicht kund-
geben wird, und dann erst soll in Anwesenheit des ge-
samten Rates die Abstimmung vorgenommen werden.
Die Ansicht soll als nichtig gelten, die nicht wenigstens
hundert Stimmen auf sich vereinigt; die übrigen aber
sollen von allen Rechtskundigen, die im Rate waren,
dem König vorgelegt werden, damit er nach Kenntnis-
nahme der Gründe jeder Partei sich nach Gutdünken
für eine Ansicht entscheide. Von da kehren sie wieder 80
in die Versammlung zurück, woselbst alle den König
zu einer von ihm festgesetzten Zeit erwarten, damit
sie alle hören, für welche von den vorgetragenen An-
sichten er sich entschieden hat und was nach seiner
Entscheidung zu tun ist.
§26.
Für die Justizverwaltung ist ein anderer Rat
bloß aus Rechtskundigen zu bilden, deren Aufgabe es
sein soll, Rechtsstreit zu schlichten und Gesetzesüber-
treter zu strafen. Jedoch müssen alle von ihnen ge- 40
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102 Abhandlung vom Staate.
fiUlten Urteile von den Stellvertretern des großen
Rats gebilligt werden, ob sie auch anter gehöriger Be-
obachtung der Gerichtsordnung und ohne Parteilichkeit
abgegeben sind. Kann die im Prozeß unterlegene
Partei den Nachweis erbringen, daß ein Richter vom
Gegner durch ein Geschenk bestochen ist oder einen
anderen gewöhnlichen Grund zur Freundschaft gegen
jenen oder zum Haß gegen ihn selbst hat oder endlich,
daß die allgemeine Gerichtsordnung nicht beobachtet
10 worden ist, so muß das Urteil kapert werden. Das
kann aber wohl nicht von denen beobachtet werden,
die bei der Untersuchung über ein Verbrechen den
Angeklagten nicht durch Beweise^ sondern durch die
Folter zu überfuhren pflegen. Ich nehme aber hier
keine andere Gerichtsordnung an, als die mit der
besten Regierungsart eines Staates in ESnklang steht
§27.
Die Zahl dieser Richter muß auch eine große
und ungerade sein, nämlich einundsechzig oder min-
20 destens einundfünfzig. Aus Jedem Familienverband ist
nur einer zu wählen, aber nicht auf Lebenszeit, son-
dern so, daß auch hier jährlich ein bestimmter Teil
ausscheidet und ebensoviel andere gewählt werden,
die anderen Familienverbänden angehören und das
vierzigste Lebensjahr erreicht haben.
§28.
In dieser Körperschaft soll nur in Gegenwart aller
Richter ein Erkenntnis gefällt werden. Kann einer
wegen Krankheit oder aus einem anderen Grunde lange
30 dem Rate nicht beiwohnen, so muß für diese Zeit ein
anderer als sein Stellvertreter erwählt werden. Bei
der Abstimmung soll der einzelne seine Stimme nicht
öffentlich abgeben, sondern mittels Stimmsteinen.
§29.
Ihre Einkünfte sollen die Mitglieder dieser und der
vorigen Körperschaft zunächst aus dem Besitz derer er-
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6. Kapitel Von der Monarchie. 103
halten, die yoii ihnen zn Tod verurteilt wurden, sowie
von denen, die mit einer Geldbuße bestraft werden.
Dann sollen sie bei jedem Urteil in Civilsachen von
der unterlegenen Partei einen bestimmten Prozentsatz
der Streitsomme erhalten, der den beiden Kollegien
zognte kommt
§30.
Diesen Raten sollen in jeder Stadt andere unter-
geordnet sein, deren Hitglieder ebenfalls nicht auf
Lebenszeit gewählt werden dürfen, sondern von denen 10
jährlich ein Teil bloß aus den in der Stadt ansässigen
Familienverbänden zu wählen ist Es ist jedoch nicht
nötig, weitläufiger darauf einzugehen.
§31.
Die Miliz soll in Friedenszeiten keinen Sold er-
halten, in Kriegszeiten aber soll man bloß denen
einen täglichen Sold geben, die von ihrer täglichen
Arbeit leben. Die Anführer und die übrigen Offiziere
der Truppen sollen keine anderen Vorteile aus dem
Kriege zu erwarten haben als die dem Feinde ge- 20
nommene Beute.
§32.
Hat ein Ausländer die Tochter eines Bürgers
geheiratet so sollen seine Kinder als Bürger gelten
und in die Loste des mütterlichen Familienverbands
eingetragen werden. Denjenigen aber, die von aus-
ländischen Eltern im Staate selbst geboren und er-
zogen sind, soll es gestattet sein, für einen festge-
setzten Preis von den Vorstehern jedes Familienver-
bandee sich das Bürgerrecht zu kaufen, und dann sollen 30
sie in die Liste dieses Verbandes eingetragen werden.
Wenn auch die Vorsteher des Gewinnes wegen einen
Ausländer unter dem festgesetzten Preise in die Zahl
ihrer Bürger aufnehmen sollten, so kann dem Staate
daraus ja kein Schaden entstehen. Im Gegenteil sollte
man auf Mittel bedacht sein, wodurch die Zahl der
Bürger leichter vermehrt werden kann und es einen
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104 Abhandlang vom Staate.
großen Zusammenstrom von Menschen gibt Eb ist je-
doch billig, daß die in die Bürgerliste nicht EHnge-
tragenen in Kriegszeiten wenigstens ihre Buhe durch
Arbeit oder irgend eine Steuer bezahlen.
§33.
Die Gesandten, die in Friedenszeiten an andere
Staaten geschickt werden müssen, um Frieden zu ver-
einbaren oder zu erhalten, sind bloß aus den Adligen
zu wählen. Die Kosten sind ihnen aus der Staatsks^e
10 zu ersetzen, nicht aus der Privatschatulle des Königs.
Es sind aber auch Spione zu wählen, wie sie der
König für erfahren erachten wird.
§34
Die Hofleute und Diener des Königs und die er
aus seiner Privatschatulle besoldet, sind von Staats-
dienst und Staatsamt gänzlich auszuschließen. Ich
sage ausdrücklich, die der König aus seiner Privat-
schatulle besoldet, um die Leibwache davon auszu-
nehmen. Denn die Leibwache dürfen nur die Bürger
20 der Residenzstadt bilden, die wechselsweise vor den
Türen des Königs Wache halten sollen.
§35.
Krieg soll nur um des Friedens willen begonnen
werden in dem Sinne, daß nach seinem Einde alle
Waffengewalt aufhört Sind daher durch das Recht
des Krieges Städte eingenommen und ist derTeind
unterworfen worden, dann sind die Friedensbe-
dingungen so zu stellen, daß die genommenen Städte
nicht durch Besatzungen gehalten werden müssen,
80 sondern daß dem Feinde, wenn er den Friedensvertrag
annimmt, die Möglichkeit zugestanden wird, sie um
irgend einen Preis wieder einzulösen; oder aber, wenn
aiä diese Weise wegen der bedrohlichen Lage des Ortes
immer eine Furcht im Rücken bliebe, dann sind eben
Jene Städte gänzlich zu zerstören und die Eänwohner
anderswohin zu führen.
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6. KmpiteL Von der Mooftrohie. 105
§36.
Der König darf keine Ausländerin zu seiner Gattin
machen, er difff nur eine aus dem Kreise seiner Bluts-
verwandten oder der Bürger heiraten. Heiratet er eine
Bürgerliche, dann aber nur unter der Bedingung, daß
die nächsten Blutsverwandte seiner Gattin kein Staats-
amt bekleiden können.
§37.
Die Regierung muß unteilbar sein. Wenn also
der König mehrere Kinder zeugt, so ist der Älteste 10
von Rechts wegen sein Nachfolger. Es darf aber durch-
aus nicht gestattet werden, daß die Regierung unter
sie geteilt wird oder daß sie ungeteilt allen oder
einigen von ihnen übertn^en wii^ und noch viel
weniger, daß ein Teil des Reiches einer Tochter zur
Mitgift gegeben wird. Denn daß Töchter durch Erb-
schaft zur Regierung gelangen, darf in keiner Weise
zugegeben werden.
§38.
Ist der König ohne männliche Nachkommen ge- 20
sterben, so hat sein nächster Blutsverwandter als Erbe
der Regierung zu gelten, wenn er nicht gerade eine
Ausländerin zur fVau hat, von der er sich nicht
scheiden will.
§39.
Was die Bürger betrifft, so geht aus Kap. 3,
§ 6 hervor, daß jeder von ihnen allen Geboten des
Königs oder den vom großen Rat bekanntgegebenen
Verordnungen (über diese Bedingung vgl §§ 18 und
19 d. Kap.) gehorchen muß, auch wenn er sie für 80
höchst widersinnig hält^ oder er muß von Rechts
wegen dazu gezwungen werden.
Dies sind die Grundlagen einer monarchischen Re-
gierung, auf denen sie erbaut werden muß, um von
Bestand zu sein, wie wir im folgenden Kapitel zeigen
werden.
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106 Abhandlung vom Staate.
40.
Was die Beligion betrifft» so sollen durchaus
keine Kirchen auf Kosten der Städte erbaut w^den»
noch sollen Gesetze über Meinungen gegeben werden,
falls diese nicht aufrührerisch sind und die Grundlagen
des Staates umstürzen. Diejenigen also, denen die
öffentliche Ausübung der Beligion gestattet wird,
mögen sich, wenn sie wollen, eine Kirche auf eigene
10 Kosten bauen. Der Könie aber soll zur Ausübung
der Religion, zu der er sich bekennt» eine eigene Hof-
kirche haben.
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Siebentes Kapitel.
§1.
Nachdem ich die Grundlagen einer monarchischen
Regierung anseinandergesetst» habe ich nun vor, sie
hier ordnungsgemäß zu begründen. Dabei ist vor allem
zu bemerken, daß es keineswegs mit der Praxis im
Widerspruch stehl^ die Rechte so festzulegen^ daß
sie selbst vom König nicht aufgehoben werden können.
Denn die Perser pflegten ihre Könige gleich den
Göttern zu verehren und doch hatten eben diese 10
Könige nicht die Macht, einmal eingesetzte Rechte
zu widerrufen, wie aus Daniel, Elap. 6, hervorgeht
Nirgends wird, soviel ich weiß, ein Monarch unum-
schränkt und ohne ausdrückliche Bedingungen erwählt
Das widerstreitet ]a gar nicht weder der Vernunft
noch dem unbeschränkten Gehorsam, den man dem
Könige schuldet Denn die Grundlagen der Regierung
sind als die unabänderlichen Beschlüsse des Königs
anzusehen, und seine Minister sind ihm durchaus ge-
horsam, wenn sie sich weigern, sdne Befehle aus- 20
zuführen, sobald er etwas befiehlt, was sich mit den
Grundlagen des Staates nicht verträgt
Das können wir an dem Beispiel des Odysseus
deutlich zeigen. Denn die Gefährten des Odysseus
fahrten seinen Befehl aus, als sie sich weigerten, ihn
loszubinden, da er am Schiffsmaste angebunden und
durch den Sirenengesang bezaubert war, obwohl er es
ihnen unter vielfachen Drohungen befahl, und es wird
ihm als Weisheit angerechnet, daß er später seinen
Gefährten Dank dafür wußte, daß sie ihm nach seiner 30
ersten Willensmeinung gehorsam gewesen. Nach
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108 Abhandlnng Tom Staate.
dieeem Beispiele des Odyssens pflegen auch die Könige
die Richter anzuweisen, daß sie Gerechtigkeit üben
sollen, ohne auf jemsmden Rücksicht sa nehmen und
wäre es selbst der König, wenn er in einem besondren
Falle etwas gebieten sollte, was sie als d^n ein-
fesetzten Recht widerstreitend erkennten. Denn die
Könige sind keine Götter, sondern Menschen, die oft
vom Sirenengesang bezaubert werden. Wenn daher
alles von dem unbeständigen Willen eines einzelnen
10 abhinge, dann gäbe es nichts Feststehendes. Daher
muß die monarchische Regierung, um Bestand zu
haben, so eingerichtet werden, daß zwar alles dem
Beschlüsse des Königs gemäß geschieht^ d. h. daß
alles Recht der erkl^te Wille des Königs ist, sber
nicht daß jeder Wille des Königs auch Recht ist;
s. hierüber §§ 3, 6 und 6 d. vor. Kap.
§2.
Zu bemerken ist femer, daß man bei d^ Fest-
setzung der Grundlagen hauptsächlich die menschlichen
20 Affekte im Auge haben miiß. Es genügt nichts wenn
man gezeigt hat, was geschehen muß; vor allem
soll gezeigt werden, wie es möglich ist^ daß die
Menschen, mögen sie nun dem Aifekt oder der
Vernunft folgen, dennoch gültige und feststdiende
Rechte haben. Denn wenn sich die Rechte des Staates
oder die öffentliche Freiheit nur auf die ohnmächtige
Hülfe der Gesetze stützen, dann fehlt den Bürgern
nicht nur die Sicherheit, sie aufrecht zu erhalteoi,
wie wir im vor. Kap. § 3 zeigten; vielmehr droht
80 ihnen daraus das Verderben. Denn sicherlich ist keine
Verfassung schlechter als die selbst des besten Staates,
sobald sie ins Wanken gerät; es sei denn, daß sie
mit einem Male und einem Schlage zusammenstürzt
und in Sklaverei verfällt, was freilich unmöglich
scheint Die Untertanen hätten deshalb mehr davon,
wenn sie ihr Recht unumschränkt auf einen übw-
trügen, als wenn sie ungewisse, nichtige oder un-
gültige Freiheitsbedingungen festsetzen und damit den
Nachkommen den Weg zur grausamsten Sklaverei be-
40 reiten.
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7. Kapitel. Von der Monarchie. 109
Habe ich aber gezeigt, daß die im vorigen Ka-
pitel aufgestellten GninSagen einer monarchiachen
Regierung fest sind und daß ein Versuch, sie zu zer-
stören, die Entrüstung des größten Teiles des be-
waffneten Volkes hervorrufen würde und daß aus
ihnen für König und Volk Friede und Sicherheit folgte
habe ich das aus ihrem allgemeinen Wesen nachge-
wiesen, dann wird niemand mehr; daran zweifeln können,
daß sie die besten und die wahren sind, wie aus Kap. 3,
§ 9 und aus §§ 3 und 8 d. vor. Kap. hervorgeht Daß 10
sie aber diesen Charakter haben, will ich so kurz als
möglich zeigen.
§3.
Jeder muß zugestehen, daß der Inhaber der Re-
gierangsgewalt die Pflicht hat, stets über den Zu-
stand und die Verfassung der Regierung unterrichtet
zu sein, über das Gemeinwohl zu wachen und alles
ins Werk zu setzen, was für die Mehrheit der Unter-
tanen von Nutzen ist. Nun aber kann einer allein
nicht alles überblicken, nicht immer seinen Geist in 20
IStigkeit und aufs Nachdenken g^chtet halten; häufig
hindern ihn Krankheit oder Alter oder andere Gründe,
sich mit den öffentlichen Angelegenheiten zu beschäf-
tigen. Da ist es also notwendig, daß der Monarch
Rate hat, denen der Stand der Dinge bekannt ist^ die
den König mit Rat unterstützen und häufig seine
Stelle vertreten. Dann mag es geschehen, daß die
Regierung oder der Staat immer von ein und dem-
selben Geiste beseelt ist.
§ 4 30
Weil es aber mit der menschlichen Natur so be-
stellt ist, daß jeder seinen Privatvorteil mit allw
Leidenschaft sucht und diejenigen Rechte für die bil-
ligsten häll^ die ihm bei der Erhaltung und Ver-
mehrung seines Besitzes notwendig scheinen, und weil
ein jeder die Sache eines anderen nur so weit ver-
teidigt, als er damit seine eigene zu sichern glaubt^ so
müssen folglich solche Räte gewählt werden, deren
Privatbesitz und -vorteil von der allgemeinen Wohl-
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110 Abhandluiig vom Staate.
fahrt und dem Frieden der Geeamtheit abhangt Da-
nach wird es offenbar für die Mehrheit der Untertanen
von Nutzen sein, wenn aus jeder Gattung oder Elaase
von Bürgern einige gewählt werden, weil sie dann
die meisten Stimmen in diesem Kate hat Und ob-
wohl diese Körperschaft^ aus einer sehr großen Zahl
von Bürgern zusammengesetzt, notwendig auch viele
ziemlich ungebildete in sich schließen muß, so ist es
doch sicher, daß jeder in Geschäften, die er lan^^e
10 mit großem Eifer betrieben, hinreichend erfahren und
gewitzigt ist. Wenn daher nur solche gewählt werden,
die bis zu ihrem fünfzigsten Jahre ihr Geschäft in
Ehren betrieben haben, so werden sie ausreichend be-
fähigt sein, Ratschläge, die ihre eigenen Angelegen-
heiten betreffen, zu geben, zumal wran ihn^i bei
Sachen von größerem Gewicht eine Bedenkzeit ein-
geräumt wird. Dazu konmit noch, daß ein aus nnr
wenigen bestehender Rat deshalb durchaus noch nicht
aus anderen Elementen sich zusammensetzt. Im Gegen-
20 teil wird der größte Teil davon aus. gerade solchen
Leuten bestehen,, denn jeder wird dahin streben, ein-
fältige Menschen zu Kollegen zu haben, die an seinen
Lippen hängen, was in großen Versammlungen nicht
statthaben kann.
§5.
Außerdem ist es sicher, daß jeder lieber regieren
als regiert werden will Denn niemand üb^läßt frei-
willig einem andern die Herrschaft, wie Sallust in
der ersten Rede an Cäsar sagt. Danach ist es klar,
80 daß ein ganzes Volk niemals sein Recht auf w^ge
oder auf einen übertragen würde, wenn es unter sich
eins werden könnte, oSrq von Streitigkeiten, wie sie
meist in den großen Versammlungen entstehen, in
Aufruhr überzugehen. Daher überträgt das Volk aus
freiem Entschlüsse nur das auf den König, was es
ohne diese Beschränkung nicht in seiner Grewalt haben
kann, nämlich die Schlichtung von Streitfällen und
die Ausführung der Eintscheidungen.
Freilich kommt es auch häufig vor, daß ein König
40 des Kriegs wegen gewählt wird, weil nämlich Kri^^
mit größerem infolge von Königen geführt werdoL
Digitized by VjOOQIC
7. Kapitel Von der Monarchie. 111
Unverstand ist es aber, Sklaverei im Frieden zu woUeiiy
nm mehr Erfolg im Kriege za haben. Wenn überhaupt
bei einem Staate an Frieden zu denken ist, dessen
höchste Gewalt bloß um des Krieges willen einem über-
tragen ist! Denn der kann ja seine Tüchtigkeit tmd
das, was alle an ihm allein besitzen, hauptsächlich nur
im Kriege an den Tag legen, während im Gegenteil
der .Vorzug der demola^atischen Regierung eben darin
besteht, daß ihr Wert viel mehr im Frieden, als im
Kriege zur Greltung kommt 10
Aber aus welchem Grunde auch der König gewählt
wird, er allein kann wie gesagt nicht wissen, was
dem Staate nützlich ist; dazu ist es, wie wir im vor. §
zagten, notwendig, daß er eine Anzahl Bürger zu
Räten hat Weil es undenkbar ist, daß sich bei einer
zur Beratung stehenden Sache etwas ersinnen ließe,
was einer so großen Zahl von Menschen entgangen
sein könnte, so läßt sich, folglich außer den sämtlichen
Ansichten dieses Rates, die dem König vorgelegt
werden, keine dem Volkswohl dienende weiter denken. 20
Weil nun des Volkes Wohl höchstes Gresetz oder des
Königs höchstes Recht iat, folglich hat der König das
Recht, aus den vorgelegten Ansichten des Rates eine
auszuwählen, aber nich^ gegen den Süm des ganzen
Rates einen Ehitscheid zu J^Uen oder seine Stimme
abzugeben (s. § 25 d. vor. Kap.). Wenn jedoch alle
im Rate abgegebenen Ansichten dem Könige vorzulegen
wären, dann könnte es geschehen, daß dieser regel-
mäßig die kleineren Städte, die: die wenigsten Stinmien
haben, begünstigte. Denn wenn auch die Geschäfte- 30
Ordnung des Rates bestimmt, daß die Ansichten ohne
Angabe ihrer Urheber vorzulegen sind, so wird es
sich doch nicht ganz verhüten lassen, daß es nicht
auf irgend eine Weise an die Öffentlichkeit kommt
Deshalb ist die Bestimmung nötig, daß eine Ansicht,
die nicht mindestens hundert Stimmen auf sich ver-
einigt, für ungültig anzusehen ist, ein Recht, das die
größeren Städte mit aller Entschiedenheit werden ver-
teidigen müssen.
§ 6. 40
Hier würde ich nun, wenn ich nicht nach Kürze
strebte, die anderweitigen großen Vorteile dieses Rates
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112 AbhandloBg Tom Staate.
darlegeiL Einen jedoch^ der mir yom größte Ge-
wicht zu sein scheint, will ich anführeuL Eis ist der,
daß es keinen größeren Anreiz sor Tüchtigkeit geben
kann, als die allgemeine Aussicht^ diese höchste Qireii-
stelle zu erreichen. Denn durch den ElhrgMZ werden
wir alle am meisten geleitet^ wie ich in meiner Ethik
ausführlich gezeigt haba
§7.
Daß die Majorilat dieses Rates niemals Lust zum
10 Eriegführen, sondern große Neigung und liebe zum
Frieden haben wird, ist zweifellos. Denn vom Kriege
müssen sie fürchten, Gut und Freiheit zu verlieren;
dazu erfordert der Krieg neue Ausgaben, für die sie
aufkommen müssen, und auch ihre Kinder und An-
verwandten, die sonst die Sorge für das Hauswesen
tragen, sind gezwungen, ihren Eäfer dem Kriegshand-
werk zu widmen und ius Feld zu äehen, „von wo sie
weiter nichts als unbelohnte Narben nach Hause
bringen könnend Denn, wie wir in § 31 d. vor. Kap.
20 sagten, wird der Miliz kein Sold gezahlt und nach
§ 11 dess. Kap. ist sie bloß aus Bürgern und aus
niemandem sonst zu formieren.
§8.
Noch ein anderes, ebenfalls von großer Bedeu-
tung, kommt hinzu, um Frieden und Eintracht zu er-
halten: daß nämlich kein Bürger unbewegliches Eigen-
tum besitzen soll (s. § 12 d. vor. Kap.). Daher ist die
aus einem Kriege drohende Gefahr für alle fast gldch;
denn alle werden genöthigt sein, um Greld zu ver-
80 dienen, Handel zu treiben oder untereinander Geld
auszuleihen, wenn es, wie einst bei den Athenern, ein
Gesetz gibt, das verbietet^ anderen als den Eänhei-
mischen sein Geld auf Zinsen zu geben. So werden
sie also Geschäfte betreiben müssen, die entweder
untereinander zusammenhängen oder die zu ihrem Fort-
gange dieselben Mittel erfordern. Deshalb wird der
größte Teil dieses Rates in bezug auf die gemeinsamen
Angelegenheiten und die Künste des Friedens meist
eines Sinnes sein, denn, wie wir § 4 d. £[ap. gesagt^
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7. Kapitel. Von der Monarchie. 113
jeder verteidigt die Sache einee anderen so weit^ ak
efT damit die eigene za sichern glaubt
§9.
Zweifellos wird es nie jemandem in den Sinn
kommen, diesen Rat durch Geschenke zu bestechen.
Denn wenn jemand auch einen od^r dmi anderen ans
einer so großen Zahl von Menschen für sich gewinnen
ktente» so wird er damit doch nichts erreichen, ietat
wie gesagt ist die Ansicht, die nicht zum mindesten
hnndert Stimmen auf sich vereinigt, ungültig. 10
§10.
Daß zudem die Mil^Iiederzahl dieses einmal ein-
gesetzten Bates sich nicht wird herabsetzen lasseOt
ist leicht einzusehen, wenn man die allen Menschen
gemeinsamen Affekte ins Auge faßt Denn alle lassen
sich in erster Linie vom El^geiz leiten, und es gibt
keinen gesunden Menschen, der sein Leben nicht auf
ein hohes Alter zu bringen hoffte. Berechnen wir nun
die Zahl derer, die wirklich das fünfzigste oder sech-
zigste Jahr erreichen, und snehen wir außerdem die 20
große Zahl der jährlich zu mhlenden Ratsmitglieder
in Betracht» dann werden wir bald sehen, daß es
unter den Waffenfähigen kaum einen geben kann, der
sich nicht große Ho&iung machte, zu dieser Würde
emporzusteigen. Daher wwden alle das Recht des
Rates nach Kräften verteidigen. Denn es ist zu be-
achten, daß man einer Verschlechterung, auXier wenn
sie sich aiknählich einschleicht, leicht vorbeugen kann.
Weil es aber das Vwständlichere ist und weniger
Mißgunst erregt, wenn aus allen Familienverbänden, 80
als wenn aus nur wenigen eine geringere Zahl ge-
wählt oder der eine oder andere Verband ganz ausge-
schlossen wird, deshalb kann (nach § 16 o. vor. Kap.)
die Zahl der Ratsmitglieder nur vermindert werden,
wenn man gleich ein Drittel, Viertel oder Fünftel
wegnimmt, und eine derartige Veränderung ist doch
wahrhaftig sehr einschneidend und empfiehlt sich des-
halb ganz und gar nicht zum allgemeinen Gebrauch.
Auch ein Verzug oder eine Nachlässigkdt bei der
Spin o B ft, Abhftndlg. ftb. d. Verbeuerg. d. Verftandes. 8
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114 Abhandlimg vom Staate.
Wahl ist nicht zu befürchten, weil in diesem Falle
der Rat selbst ergänzend eintritt (s. § 16 d. vor. Kap.).
§11.
Der König wird also entweder ans Forcht vor
dem Volke oder um die Majorität des bewaffneten
Volkes an sich zu fesseln oder wohlgesinnt in der
Sorge für das allgemeine Beste immer diejenige An-
sicht bestätigen, die die meisten Stimmen auf sich
vereinigt, d. L (nach § 5 d. Kap.) die für die Mdir-
10 heit des Staates die nützlichere ist^ und er wird trach-
ten, die ihm vorgelegten widerstreitenden Ansichten
wo möglich zu versöhnen, um unter Aufbietung seiner
ganzen Kraft alle an sich zu ziehen, und damit aQe
im frieden wie im Krieg einsehen, was sie an ihm,
dem Einen, haben. Dann wird er also am meisten im
Besitz seines eignen Rechtes sein und die Herrschaft
am meisten in Händen haben, wenn er am meisten für
das allgemeine Wohl des Volkes Sorge trägt
§12.
20 Denn der König allein vermag es nicht, alle durch
Furcht im Zaume zu halten, sondern seine Macht stützt
sich wie gesagt nur auf die Zahl der Soldaten nnd
in erster Linie auf ihre Tüchtigkeit und Treue, die
unter den Menschen stets nur so lange von Bestand
sein wird, als ein Bedürfnis» sei es ehrenhafte oder
schimpflicher Art, sie zusammenhält Daher kommt
es, daß Könige die Soldaten häufiger aufzureizen als
im Zaume zu halten und ihre schlechten noch mehr
als ihre g^ten Seiten zu übersehen pflegen, und daß
ao sie meistens die besten unterdrücken, die untüchtigen
und durch Schwelgerei verderbten au&uchen, sie an-
erkennen, sie mit Geld und Gunst unterstütze!^ „ihnen
die Hände drücken, Küsse zuwerfen und für die Herr-
schaft idles Sklavenwürdige thun''.
Damit also die Bürger vor allen vom König ge^
würdigt werden und damit sie, soweit es Staatsleben
oder Billigkeit gestattet, ihr eigenes Recht bewahren,
dazu ist es nötig, daß sich die Miliz bloß aus Bürgern
zusammensetzt und daß eben diese auch den Rat
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7. Kapitel. Von der Monarchie. 115
bilden. Im anderen Falle aber sind sie völlig nnter-
jocht und legen die Grundlage zu einem beständigen
Krieg, sobald sie dulden, daß Hülfstruppen in ^Id
genommen werden, deren Gewerbe der Krieg ist und
die bei Zwietracht und £<mpörungen die Übermacht
haben.
§13.
Daß die Rate des Königs nicht auf Lebenszeit zu
wählen sind, sondern nur aui drei, vier, höchstens fünf
Jahre, geht sowohl aus §10 d.Kap. wie aus dem in 10
L9 d. E^ap. Gesagten hervor. Denn wurden sie auf
^benszeit gewählt, dann könnte sich zunächst der
größte Teil der Bürger kaum Hoffnung darauf machen,
zu dieser Ehre zu gelangen. Daraus würde dann unter
den Bürgern eine große Ungleichheit entstehen und
mit ihr Mißgunst, beständige Unzufriedenheit und
schließlich offene Empörung, die sicherlich herrsch-
süchtigen Königen nicht unwillkommen wäre. Aoß^-
dem wäre bei den Ratsmitgliedem selbst^ wenn die
Furcht vor den Nachfolgern in Wegfall käme, die 20
Folge eine große WillkürUchkeit in allen Beziehungen,
welcher der König nicht im geringsten entgegentreten
würde. Denn ]e verhaßter sie bei den Bürgern sind,
desto mehr werden sie sich an den König anschließen
und geneigt sein, ihm zu schmeicheln. Ja, ein Zeit-
raum von fünf Jahren ist vielleicht noch zu groß, weil
ee doch in dieser Zeit nicht ganz unmöglich scheint,
einen sehr großen Teil des Rates, wie groß er auch
sein mag, durch Geschenke oder Gunstb^igungen zu
beetechen. Deshalb wird es weit sicherer sein, wenn 80
jährlich zwei aus jedem Familienverband ausscheiden
und ebensoviel an ihre Stelle treten, unter der Vor-
aussetzung, daß fünf Ratsmitglieder aus jedem Fa-
milienverband vorhanden sein müssen, außw in dem
Jahre^ in dem der Rechtskundige eines Familienver-
bfmdes ausscheidet und ein neuer an seine Stelle ge-
wählt wird.
§14
Kein König kann sich überdies eine größere
Sicherheit versprechen als derjenige, der in einem 40
8*
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116 Abhandlung ▼om Staate.
solchen Staate regiert Denn davon abgesehen, daß
derjemge Bchnell zugrunde geht» dem seine Soldaten
nicht wohlgesinnt sind, so droht sicher den Eönigea
die größte Gefahr von selten derer, die ihnen am
nächsten stehen. Je geringer an Zahl and je nich-
tiger infolgedessen die Rate sind, um so mehr droht
dem König von ihnen die Gefahr, daß sie die Herr-
schaft auf einen anderen übertragen. Nichts hat Da-
vid wahrlich mdir erschreckt, als daß sein eigener
10 Rat Achitophel die Partei Absalons ergriffen hatte.
Dazu kommt noch, daß die Gewalt» wenn sie ganz
und unbeschrankt einem übertragen ist» viel leichter
auch von dem einen auf einen anderen übergehen kann.
„Zwei gemeine Soldaten unternahmen es, die Herr-
schaft von Rom zu übertragen und sie volIlNrachten es''
(Tacitus, Hist, Buch I).
Ich übergehe die Kunstgriffe und die listigen
Ränke der Rate, mit denen sie sieh schützen müssen,
um nicht der Mißgunst zum Opfer zu fallen, denn sie
20 sind nur zu wohl bekannt, und vr&c die Geschichte
kennt, muß wissen, daß Treue für Rate meist der
Untergang ist Um sich zu schützen, müssen sie ver-
schlagen, nicht treu sein. Ist hingegen die Zahl der
Rate zu groß, als daß sie sich zu demselben Ver-
brechen vereinigen könnten, und sind sie alle unter-
einander gleich und beträgt ihre Amtsdauer nicht
mehr als vier Jahre, dann können sie dem König nie
furchtbar werden, wenn er ihnen nicht die Fr^heit
zu nehmen trachtet, wodurch er aber alle Bürger
80 in gleiche Weise gegen eich aufbrächte. Denn, wie
Antonio Perez sehr gut bemerkt, eine unumschränkte
Herrschaft haben ist für den Fürsten sehr gefährlich,
den Untertanen sehr verhaßt» den göttlichen wie
menschlichen Einrichtungen zuwider, wie unzahlige Bei-
spiele beweisen.
§15.
Außer diesem habe ich im vorigen Kapitel noch
andere Grundlagen gegeben, aus denen für den König
eine große Sicherheit in der Herrschaft und für die
40 Bürger in der Behauptung der Freiheit und des
Friedens entspringt» wie ich am gehörigen Orte zeigen
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7. KapiteL Von der Monarchie. 117
werde. Denn vor aUem wollte ich nachweisen, wae
sieh auf den höchstoi Rat beäeht nnd was von größter
Wichtigkeit ist; nun will ich das übrige in der Reihen-
folge, in der ich es vorgebracht hab^, weiter ver-
folgea.
§16.
Es unterliegt keinem Zweifel, daß die Bürf^er um
so mächtiger sind und folglich um so mehr im Be-
sitze ihres eignen Rechtes, je großer und ]e besser
befestigt ihre Städte sind. Denn je sicherer der Ort 10
is^ wo sie wohnen, desto besser können sie ihre Frei-
heit behaupten oder desto weniger brauchen sie einen
äußeren oder inneren Feina zu fürchten, und gewiß
sind die Menschen von Natur um so mehr auf ihre
Sicherheit bedacht, ]e mehr Reichtümer sie ihr eigen
nennen. Städte aber, die zu ihrer Erhaltung der Mi^t
eines anderen bedürfen, haben nicht gleiches Recht
wie dieser, sondern stehen so weit unter seinem Rechte^
als sie seine Macht nötig haben. Denn das Recht
wird bloß durch die Macht bestimmt, wie wir im ao
zweiten Kapitel zeigten.
§17.
Eben dieser Grund, daß die Bürger im Besitze
ihres eigenen Rechtes bleiben und ihre Freiheit be-
wahren, eb^i dieser macht es notwendig, daß die Miliz
bloß aus Bürgern ohne eine Ausnahme besteht Denn
der bewaffnete Mensch ist völliger im Besitze seines
Reehtes als der waffenlose (s. § 12 d. £ap.), und die-
ienigen Bürger übertragen ihr Recht unumschränkt
auf einen andern, die ihm Waffen geben und ihm die 80
Festungswerke ihrer Städte anvertrauen. Dazukommt
die menschliche Habsucht, die mehr als alles die
meisten in ihrem Bann hält: unmöglich können Miets-
fioldaten ohne großen Aufwand gehalten werden, und
die Bürger können kaum die Auflagen ertragen, die
der Unterhalt einer müßigen Miliz erfordert
Daß aber der Oberbefehlshaber des fi^anzen Kriegs-
heeres oder eines großen Teils desselben nur unter
d^Bd Drange der Not auf höchstens ein Jahr gewählt
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118 Abhandlang vom Staate.
werden dürfe, das wissen alle, die mit der heiligen
oder der Profangeschichte bekannt sind. Die Vemimft
lehrt ]a nichts mit größerer Deutlichkeit. Denn die
Kraft des Reiches wird doch demjenigen ganz und gar
anvertraut, dem man genug Zeit ^flt^ Kriegsruhm
zu gewinnen und seinen Namen über den des Königs
zu stellen oder sich das Heer durch Willfährigkeit,
Freigiebigkeit und die übrigen Künste ergeben zu
machen, die man bei Feldherren gewohnt ist und durch
10 die sie für andere Knechtschaft und sich selbst die
Herrschaft erstreben. Zur größeren Sicherheit des
ganzen Staates habe ich beigefügt^ daß diese Com-
mandeure der Miliz aus den Räten des Königs oder
aus früheren Räten zu wählen sind, d. h. aus Mannen,
die schon ein Alter erreicht haben, in dem man zu-
meist das sichere Alte dem gefährlichen Neuen
vorzieht
§18.
Ich habe gesagt, daß man die Bürger unter sich
20 in Familienverbände teilen und aus jedem die gleiche
Zahl von Räten wählen müsse, damit die größeren
Städte im Verhältnis ihrer Bürgerzahl mehr Räte haben
und, wie billig, mehr Stimmen abgeben können. Denn
die Macht und folglich das Recht zur Regierung hat
sich nach der An^hl der Bürger zu richten, und ich
glaube nichts daß sich zur Aufrechterhaltung dieser
Gleichheit unter den Bürgern ein geeigneteres Mittel
denken läßt, da es doch bei allen natürlich ist, daß
sie ihrem Geschlechte zugerechnet und der Abstam-
30 mung nach von den anderen unterschieden sein wollen.
§19.
Außerdem kann im Naturzustand der Einz^e
nichts so wenig für sich in Anspruch nehmen und sich
zu eigen machen als den Boden und was in der Weise
mit dem Boden verbunden ist, daß man es nirgends
verbergen und es nicht, wohin man will, wegtragen
kann. Der Boden also und was in der besagten Weise
mit ihm verbunden ist, gehört in erster Linie als Ge-
meineigentum dem Staat, d. h. der Gesamtheit derer,
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7. Kapitel. Von der Monarchie. 119
die ihn mit vereinten Kräften in Anspruch nehmen,
oder demjenigen, dem die Gesamtheit die Macht über-
tragen hat, ihn für sich zu beanspruchen. Folglich
muß der Boden und was mit ilun yerbnndein ist, soviel
Wert bei den Bürgern haben, als sie ihn benotigen,
um einen festen Wohnsitz haben und das gemeinsame
Eecht oder die Freiheit schützen zu können. Übrigens
habe ich die Vorteile, die der Staat daraus riehen
mufl, in § 8 d. Kap. gezeigt
§ 20. 10
Damit die Bürger möglichst gleich sind, was im
Staate in erster Linie nötig ist, dürfen nur Abkömm-
linge eines Königs als Adlige gdten. Wäre es aber
allen Abkömmlingen eines Königs erlaubt^ zu heiraten
oder Kinder zu zeugen, dann würden sie im Laufe
der Zeit zu einer sehr grollen Zahl anwachsen und für
den König und die Gesamtheit nicht nur eine Last»
sondern eine furchtbare Gefahr werden. Denn Men-
schen, die einen Überfluß an* freier Zeit haben, denken
zumeist auf Böses. So kommt es, daß Könige vor allem 90
des Adels wegen sich verleiten lassen, Krieg zu führen,
denn vom Adel umlagert haben sie mehr Sicherheit
und Buhe durch den Krieg als durch den Frieden.
Aber da dies ja hinreichend bekannt ist, lasse ich
es fallen, ebenso wie das §§ 16 — 2fT d. vor. Kap. Ge-
sagte; denn die Hauptsache ist in diesem E^apitel be-
wiesen und das übrige ist von selbst klar.
§21.
Allgemein bekannt ist auch, daß die Zahl der
Richter so groß sein muß, daß eine Bestechung ihrer 80
Mehrheit durch einen Privatmann unmöglich ist,
sowie auch daß die Abstimmung geheim, nicht öffent-
lich sein muß und daß die Bichter für ihre Mühe
eine Vergütung erhalten. Grewöhnlich haben sie über-
all ein jährliches Gehalt, weshalb sie sich nicht sehr
beeilen, die Prozesse zu schlichten und weshalb oft
die Untersuchungen gar kein Ende nehmen. Wo femer
die Gütereinziehung zum Vorteil der Könige erfolgt.
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120 Abhaadlasg Tom Stoate,
da „wird bei den Ekkenntnissen nicht auf Recht und
Wahrheit» sondern auf die Größe dee Vermögens ge-
aehen; Angeberaen allenthalben und gerade die
Beichsten &Uen ihn^ zur Beute, und diese Härten
und Unerträglichkeiten, entschuldigt noch durch die
Notwend^keit dee Krieges, dauern anch im Frieden
forf Singegen wird die Habgier von Richtern» die
nur auf zwei, höchstens drei Js£re eingesetzt werden,
durch die Furcht vor den Nachfolgern in Schranken
10 gehalten; um davon ganz zu schweigen, daß die Richter
keine unbeweglichen Güter haben können, sondern
ihr Geld, um Nutzen daraus zu aehen, ihren Mit-
bürgern ausleihen müßten. Dadurch nnd sie genötigt,
mehr auf deren Vorteil ala auf deren Nachteil bedacht
zu sein, zumal wenn die Zahl der Rieht« selbst wie
gesagt groß ist
§22.
Für die Miliz ist wie gesagt k^ Sold zu be-
stimmen, denn der höchste Lohn für den Eriegs-
20 dienst ist die Freiheit. Im Naturzustande trachtet ja
( leder, bloß um der Freiheit willen sich nach Möglich-
keit zu verteidigen, und für seine kriegerische Tüchtig-
keit erwartet er keinen anderen Lohn, ab daß er eein
eigener Herr seL Im Staatsleben aber sind alle Bürger
gleich dem Menschen im Naturzustand anzusehen:
während sie also für das Staatsleben Kriegsdienst
leisten, schützen sie sich und sind für sich tütig.
Rate dagegen, Richter, Staatsbeamte u. s. f. sind mehr
für andere als für eich tätig, weshalb ihnen billig
80 ein Lohn für ihre Tätigkeit bestimmt wird. Es kommt
hinzu, daß es im Kriege keinen ehrenhafteren und
stärkeren Ansporn zum Siege geben kann, als das
Bild der Freiheit
Wird dagegen ein Teil der Bürger zum Kriegs-
dienst bestimmt, weshalb man ihnen notwendigerweise
auch einen gewissen Sold wird festsetzen müssen,
dann wird sie der König natürlich höher als die
übrigen schätzen, wie ich § 12 d. Kap. zeigtet. Das
gibt dann Menschen, die bloß die Künste des Krieges
40 verstehen, die im Frieden wegen zu vieler müßiger
Zeit durch Schwelgerei verderbt werden, und die end-
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7. Kapitel. Von der Monarchie. 121
lichy vermögensIoB wie sie sind, immer nur an Raub,
Eürgerzwist und Krieg denken. Denmach können wir
getrost behaupten, daß ein monarchisches Reich von
dieser Art in Wahrheit ein Zustand des Krieges sei,
bei dem allein das Kriegsheer die Freiheit genießt,
während alle andren SUavon sind.
§23.
Was ich § 32 d. vor. Kap. über die Aufnahme
von Fremden in die ZaJil der Bürger gesagt habe,
spricht, wie ich glaube, für sich selbst Auch wird 10
meines Erachtens niemand zweifeln, daß die nächsten
Blutsverwandten des Königs ferne von ihm sein und
sich nicht mit den Geschäften des Krieges, sondern
des Friedens befassen müssen, die ihnen selbst Ehre
und dem Staate Ruhe bringen. Dies schien jedoch den
türkischen Herrschern nicht sicher genug, weshalb sie
die unverbrüchliche Sitte haben, alle ihre Brüder um-
zubringen. Kein Wunder, denn je unumschränkter
das Recht der Herrschaft einem übertragen ist, um
60 leichter kann es auch, wie ich § 14 d. Kap. zeigte, 20
von dem einen auf einen anderen übergehen. Der
monarchische Staat aber, wie wir ihn hier fassen, in
dem es nämlich keinen Mietssoldaten gibt, kann in
der angegebenen Weise hinlänglich die Sicherh^t des
Königs garantieren.
§24
Auch über das §§ 34 und 35 d. vor. Kap. Ge-
sagte kann niemand im Ungewissen sein. Daß aber
der König keine Ausländerin zur Frau nehmen darf,
läßt sich leicht begründen. Denn abgesehen davon, ao
daß zwei Staaten, auch wenn sie durch ein Bündnis
miteinander vereinigt sind, doch im Zustand der Feind-
schaft stehen (nach Kap. 3 § 14), so muß es in erster
Linie verhütet werden, daß nicht aus Familien-
angelegenheiten des Königs ein Krieg entsteht
Weil nun Streitigkeiten und Meinungsverschieden-
hräten vor allem aus einer solchen durch Ehebündnis
zustande gekommenen Verbindung erwachsen und weil
die Streitfragen zwischen zwei Staaten gewöhnlich
durch das ]&egsrecht entschieden werden, folglich 40
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122 Abhandlung vom Staate.
ist es verderblich für einen Staat, in eine enge Ver-
bindung mit einem anderen einzutreten.
Ein unseligee Beispiel dafür lesen wir in der
Schrift: nach dem Tode Salomos, der eine Tochter
des Königs von Ägypten geheiratet hatte, führte Beia
Sohn Rehabeam einen höchst anglücklichen Krieg
mit Snsak, dem König von Ägypten, von dem er voll-
ständig unterworfen wurde. Auch die Ehe Lud-
wigs XrV., des Königs von Frankreich, mit der Tochter
10 Philipps IV. wurde die Ursache zu einem Kriege in
unserer Zeit, und auß^ diesen finden sich noch sehr
viele Beispiele in der Geschichte.
§25.
Die äußere Gestalt des Reiches muß eine und die-
selbe bleiben und infolgedessen muß der König einer
sein und aus immer dem gleichen Geschlechte und
die Herrschaft unteilbar. Wenn ich aber sagte, der
älteste Sohn des Königs sei der rechtmäßige Nach-
folger des Vaters oder, wenn keine Kindw da sind,
20 der nächste Blutsverwandte des Königs, so geht das
schon aus § 13 d. vor. Kap. hervor, ebenso auch
daraus, daß die Wahl des Königs, wenn sie einmal
durch das Volk erfolgt, wo möglich eine immer dauernde
sein muß. Andernfalls wäre die notwendige Folge,
daß die höchste Regierungsgewalt oft auf das Volk
überginge, was die größte und darum gefährlichste
Veränderung bedeutet
Wer aber behauptet, der König könne deshalb,
weil er der Herr des Reiches ist und es mit unum-
80 schränkten Rechte besitzt, wenn er wolle, das Reich
übertragen und wen er wolle, zum Nachfolger wählen
und demnach sei der Sohn des Königs der gesetzliche
Erbe der Regierung, der ist sicherlich im Irrtum.
Denn der Wille des Königs hat nur so lange Rechts-
kraft^ als er das Schwert des Staates in Händen hält;
denn das Recht der Regierung bestimmt sich bloß
nach ihrer Macht Der König kann also zwar dw Re-
gierung entsagen, aber einem anderen kann er die
Herrschaft nur übertragen, wenn das Volk oder der
40 stärkere Teil desselben seine Zustimmung gibt.
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7. Kapitel. Von der Moosrchic. 123
Damit das verständliclier werde, ist zu bemerken,
daß die Kinder nicht nach natürlichem, sondern nach
bürgerlichem Rechte die Erben ihrer Eltern sind.
Denn bloß vermöge der Macht des Staates ist der
Einzelne Herr gewisse Güter. Vermöge derselben
Macht oder desselben Rechtee, nach dem der Wille
eines Menschen, mit dem er über seine Güter verfügt,
Gültigkeit hat, vermöge derselben Macht oder des-
selben Rechtes bleibt auch eben dieser Wille selbst
nach seinem Tode in Gültigkeit, so lange wie der 10
Staat besteht Aof diese Weise behält im Staatsleben
jeder das Recht, das er währ^id seines Lebens hatte,
anch nach seinen Tode, weil wie gesagt nicht seine
eigene, sondern des Staates Macht, die ewig ist, es
ihm ermöglicht, über seine Güter eine Verfügung zu
treffen. Ganz anders ist aber das Verhältnis beim
König. Denn der Wille des Königs ist das bürger-
liche Recht selbst^ und der König ist selber der
Staat Ist also der König gestorben, dann hat so-
zusagen auch der Staat geendet, das Staatsleben kehrt 20
zum Naturzustand und folglich auch die höchste Gewalt
ganz natürlich zum Volke zurück, das deshalb das
Recht hat, neue Gesetze zu geben und alte abzu-
schaffen.
Daraus wird es klar, daß nur derjenige recht-
maßiger Nachfolger des Königs ist, den das Volk
zum Nachfolger will, oder, bei einer Theokratie, wie
es einst der Staat der Juden war, wen Gott durch
den Propheten auserwählt hat Außerdem können wir
daraus entnehmen, daß das Schwert des Königs oder 89
sein Recht in Wahrheit der Wille eben des Volkes
oder seines stärkeren Teiles ist, oder wir können
das auch daraus entnehmen, daß vernunftbegabte
Menschen sich niemals so ihres Rechtes entäußern,
daß sie aufhören sollten, Menschen zu sein und sich
wie Vieh behandeln ließen. Aber es ist nicht nötig,
das weiter zu verfolgen.
§26.
Übrigens kann niemand das Recht über Religion
oder Gottesverehrung auf einen andern übertragen. 40
Indes habe ich mich über diesen Gegenstand in den
Digitized by VjOOQIC
124 Abbandlnng vom Staate.
beiden letzten Kapiteln meines theologisch-poli-
tischen Traktates anfiführlich ausgesprochen, so
daß es überflüssig wäre^ es hier sä wiederhoIeiL
Hiermit meine ich die Grundlagen der mon-
archischen Regiernng zwar kurz^ ab^ hinlänglich klar
dargelegt zu haben. Ihren Zusammenhang aber und
die Gleichartigkeit der Re^^erung wird man leicht be-
merken, wenn man sie mit einiger Aufmerksamkeit
betrachten will. Ich habe nur noch daran zu erinnern,
10 daO ich hier eine monarchische Regierung im Sinne
habe^ die ein freies Volk begründet^ denn nur ^em
solchen können sie von Nutzen sein. Denn ein Volk,
das schon an eine andere Regierungsform gewohnt
ist, wird nicht ohne große Gefahr eines Umsturzes
des gesamten Staates die bestehendeui Grundlagen auf-
reißen und das ganze Staatsgebaude umändern können.
§27.
Was ich geschrieben habe, werden vielleicht jene
mit Lächeln aufnehmen, welche die Fehler, die idlen
20 Sterblichen inne wohnen, bloß auf das niedere Volk
beschränken: „beim Pöbel gebe es keine Mäßigung^,
„schrecklich sei er, wenn er nicht fürchte^'; „die Plebs
diene sklavisch oder herrsche übermütig'', „Wahrheit
und Urteil seien ihr fremd'* u. s. w. Abcar die Natur
ist nur eine und allen gemeinsam. Uns betrügen nur
Macht und Bildung, weshalb wir oft sagen, wenn zwei
das gleiche tun: der darf das ungestraft tun, jener
darf es nicht; nicht weil die Sache verschieden wäre,
sondern der sie tut
30 Den Herrschenden ist der Hochmut eigen. Hoch-
mütig sind die Menschen durch eine Ernennung auf
ein Jahr — wie nun gar die Adligen, die für immer
ihre Ehren besitzen I Ihre Anmaßung wird aber durch
Stolz» Luxus, Verschwendung, durch dnen gewissen
Stil in ihren Fehlern und durch eine sozusagen raf-
finierte Albernheit una Eleganz der Verderbtheit so
drapiert, daß ihre Fehler, die, an sich betrachtet und
dadurch so recht hervorstechend, gemein und schlecht
sind« in den Augen der Unerfahrenen und Unwissenden
40 einen Schein des Nobleu und Feinen hab^i.
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7. EftpiteL Von der Monwchie. 125
DaD femer der Pöbel keine Mäßigung kennt nnd
schrecklich yst, wenn er nicht fürchtet — allwdings,
Freiheit nnd EnechtBchaft sind nicht leicht sa ver-
einigen. DaO schließlich nicht Wahrheit noch Urteil
bei dem gemeinen Volke sa finden ist» dajrüber darf
man sich nicht wnndem, wenn die wichtigsten Staats-
geschafte im geheimen vor ihm abgmiacht werden
and es nur ans dem wenigen, was sich nicht verheim-
lichen läßt» seine Schlüsse ziehen darl Denn Zorück-
haltong des Urteils ist eine seltene Tugend. Zu wollen, 10
daß man alles geheim vor den Bürgern verhandle
nnd daß sie doch keine verkehrten Urteile darüber
fällen nnd nicht alles ungünstig auslege ist die
größte Torheit Denn wenn das gemeine Volk sich
mäßigen, über das sa wenig Bekannte sein Urteil
znrückhalten oder sich aus dem wenigen, was es daraus
erfahren, ein richtiges Urteil bilden könnte, daim ver-
diente es wahrhaftig eher za regieren als regiert su
werden.
Aber wie gesagt, die Natur ist bei allen die ao
gleiche. Alle sind übermütig, wran sie herrschen,
sind schrecklich, wenn sie nicht fürchten, und überall
„wird die Wahrheit am meisten verfälscht von den
Erbitterten oder den Sklavenseelen'^ vor allem da,
wo einer oder wenige herrschen, die in ihren Ent-
scheidungen nicht auf Recht und Wahrheit sehen,
sondern auf die Größe des Vermögens.
§28.
Die HietBsoldaten femer, die an Eriegssucht ge-
wöhnt sind und Eälte und Hunger ertragen können, 80
verachten gewöhnlich den Bürgertroß, weil er beim
Erstürmen oder beim Eampf in offener Feldschlacht
weit hinter ihnen zurücksteht Daß aber darum ein
Staat minder glücklich oder von geringerer Dauer sein
sollte, wird kein Mensch von gesundem Verstände
behaupten. Im Gegenteil, kein billiger Beurteiler der
Dinge wird leugnen, daß der Staat dauerhafter als
alle ist, der bloß das Erworbene schützen, aber nicht
Fr^ndes begehren kann, und der deshalb den Krieg
in jeder Weise abzuwenden, den Frieden mit allem 40
Eifer zu erhalten strebt
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126 Abhandlung vom Staate.
§29.
ÜbrigenA gestehe ich, daß es kaum möglich ist,
die Absichten eines solchen Staates gejieim ssa halten.
Es wird mir aber jeder darin recht geben, daß es
viel besser ist, wenn die guten Absichten des Staates
den Feinden bekannt sind, als wenn die schlechten
Greheimnisse der Tyrannen vor den Bürgern verborgen
bleiben. Diejenigen, die die Geschäfte des Staates
im geheimen betreiben können, haben ihn unbeschränkt
10 in ihrer Grewalt und sie stellen den Bürgern im Fried^i
nach wie dem Feind im Erlege. Daß Schweigen für
den Staat oft von Nutzen ist, ksinn niemand bestreiten;
daß aber eben dieser Staat ohne Schweigen nicht be-
stehen könnte, wird nie jemand glaubhaft machen
können. Jemandem hingegen den Staat unbedingt an-
zuvertrauen und dabei zugleich die Freiheit zu be-
wahren, ist ganz unmöglich und Torheit ist es, wenn
man einem geringen Schaden durch das größte Obel
entgehen will. Das ist aber immer dieselbe Leier bei
20 denen, die nach unbeschränkter Herrschaft streben:
das Interesse des Staates fordere es durchaus, daß
seine Geschäfte geheim betrieben würden und anderes
derart, das, je mehr es mit dem Schein der Nützlich-
keit bemäntelt wird, um so mehr mit der drückendsten
Sklaverei endigt
§30.
Obgleich nun meines Wissens nie ein Staat nach
den angegebenen Bedingungen eingerichtet worden ist^
so wären wir doch imstande^ durch die Erfahrung
80 selbst zu zeigen, daß diese Form der monarchischen
Regierung die beste ist, wenn wir nur die Ursachen
der Erhaltung und Vernichtung jedes civilisierten
Staates betrachten wollten. Ich könnte es jedoch nicht,
ohne großen Überdruß beim Lesen zu erwecken, hi^
ausfübren.
Ein merkwürdiges Beispiel will ich aber doch
nicht mit Stillschweigen übergehen. Es ist das Reich
der Arragonesen, die mit einw ganz besonderen
Treue gegen ihre Könige erfüllt waren, mit der
40 gleichen Standhaftigkeit aber auch die Einrichtungen
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7. Kapitel. Von der Monarchie. 127
ihreB Kelches unverletzt bewahrt haben. Sobald sie
das manriflche Sklavenjoch vom Nacken geworfen
hatten^ beschlossen sie, sich einen König sa wählen.
Übeor die Bedingungen dafür konnten sie eich aber
nicht recht einigen und so beschlossen sie, den Papst
darüber um Bat zu fragen. Dieser, der sich dabei
vollkommen als der Stellvertreter Christi benahm,
schalt sie, daß sie sich nicht durch das Beispiel der
Juden warnen ließen und so hartnäckig einen König
haben wollten. Er riet ihnen jedoch, wenn sie ihren 10
Sinn nicht ändern wollten^ sollten sie erst dann zur
Wahl eines Königs schreiten, wenn sie vollkommen
gerechte und mit dem Geist ihres Volkes überein-
stimmende Satzungen festgestellt hatten; vor allem
sollten sie einen höchsten Bat schaffen, der den
Königen wie in Sparta die Ephoran gegenüber stünde
und der das unumschränkte Becht habe, die zwischen
dem König und den Bürgern entstehenden Streitig-
keiten zu schlichten. Diesem Bäte folgten sie und
setzten die Bechte fest, wie sie ihnen am billigsten 20
schienen; ihr höchster Interpret und folglich der
höchste Bichter sollte nicht der König sein, sondern
der Bat, den man „die Siebzehn'' nennt und dessen
Vorsitzender „Justicia'' heißt. Dieser „Justicia'' und
diese „Siebzehn'', die nicht durch Abstimmung, sondern
durch das Los auf Lebenszeit gewählt werden, haben
ein unumschränktes Becht, alle Urteile,, die von anderen
Körperschaften, staatlichen oder kirchlichen, oder vom
König selbst gegen einen Bürger gefällt wurden, zu
wideiTufen und zu verwerfen, so daß jeder Bürger 80
das Becht hat, sogar den König selbst vor diesem
Gericht zu belangen. Außerdem hatten sie auch in
früherer Zeit das Becht, den König zu wählen und
ihn seiner Gewalt zu entsetzen.
Nach Verlauf vieler Jahre brachte es aber der
König Don Pedro, genanut der Dolch, auf dem Wege
der Erschleichung, der Bestechungen und Ver-
sprechungen und durch Gefälligkeiten allerart dahin,
daß dieses Becht aufgehoben wurde — sobald er es
erreicht hatte, schnitt er sich vor aller Augen die 40
Hand mit dem Dolche ab oder, wie ich eher glauben
möchte, er brachte sich eine Wunde daran bei, indem
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128 Abhandlung Yom Staate.
er hinzufügte: nur um den Preis von Eonigsblut solle es
den Untertanen erlaubt sein, einen König zu wählen — ;
unter einer Bedingung aber geschah es: daß sie jetzt
und fortan zu den Waffen greifen könnten gegen jeg-
liche Gewalt, womit einer zu ihrein Schaden sich der
Herrschaft bemächtigen wolle, sogar gegen den König
selbst und gegen den künftig^i Thronerben, wenn sie
auf diese Weise sich ihrer bemächtigen sollten. Durch
diese Bedingung wurde eigentlich jenes frühere Recht
10 weniger aufgehoben als b^ichtigt. Denn wie ich. Kap. 4
§§ 6 und 6 gezeigt, kann der König nicht nach bürger-
lichem Rechte, sondern nur nach dem Rechte des
Krieges seiner Herrschgewalt entsetzt werden, oder
seine Gewalt können die Untertanen auch, nur mit
Gewalt zurückweisen. Außer dieser einen wurden nocli
andere Bedingung^ vereinbart, die ab^ mit unserem
Zweck nichts zu tun hab^L
Mit diesen unter allg^neiner Zustimmung ver-
einbarten Satzungen blieben sie nun eine ungemein
20 lange Zeit hindurch unangefochten, immw l^i der
gleichen Treue des Königs gegen die Untertanen und
der Untertanen gegen den König. Nachdem abn: das
Königreich Castilien durch Erl^haft an Ferdinand
fiel, der zuerst den Namen des Katholische erhielt,
da begannen die Castilianer, auf die Freihmt der Ar-
ragonesen eifersüchtig zu werden und deshalb unauf*
hörlich dem Ferdinand zu raten, jene Rechte aufzu-
heben. Jener aber, an die unumschränkte Herrschaft
noch nicht gewöhnt, wagte keinen Versuch und gab
80 den Ratgebern folgende Antwort: „Abgesehen davon,
daß er das Königreich Arragon unter den ihnen be-
kannten Bedingungen überkommen habe und daß er
aufs feierlichste geschworen habe, sie aufrecht zu ^-
halten, und abgesehen davon, daß es eines Menschen
unwürdig sei, das gegebene Wort zu brechen, abge-
sehen davon hege er die Überzeugung, daß sein König-
reich so lange von Bestand sein werde, als die Rück-
sicht auf die Sicherheit für den König ebenso groß
sei wie für die Untertanen, so daß weder der König
40 über die Untertanen noch die Untertanen übw den
König ein Übergewicht hätten; denn wenn der eine
oder der andere Teil mächtiger werde, dann werde
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7. Kapitel. Von der Monurohie. 129
der schwächere Teil nicht nur die frühere Gleichheit
wiedersagewiimen, sondern ans Schmerz üb« den er-
littenen Schaden ihn dem anderen heinmusahlen suchen,
wovon der Unter^^ang des einen oder beider Teile die
Folge wäre'^ Diese weisen Worte könnte ich gar
nicht genug bewundern, wenn sie ein König gesprochen
hätte, der über Sklaven, nicht über freie Menschen
zu herrschen gewohnt war.
Die Arragonesen behielten also auch nach Fer-
dinand ihre Freiheit, aber dann nicht mehr nach dem 10
Rechte, sondern durch die Gnade übermächtiger Könige,
bis auf Philipp 11., der sie zwar mit größerem Erfolg,
aber mit nicht geringerer Grausamkeit als die Pro-
vinzen der vereinigten Niederlande unterdrückte.
Allerdings scheint Philipp III. alles wieder in den
früheren Stand zurückversetzt zu haben; die Arrago-
neeen aber, von denen die meisten nur den Wunsch
haben, mit den Mächtigeren in Übereinstinunung zu
sein — es ist ja Torheit, wider den Stachel zu locken — ,
während die übrigen sich durch die Furcht einschüch- ao
tem lassen, die Arragonesen haben nichts weiter von
der Freiheit behalten als schöne Worte und leere
Satzungen.
§31.
Wir schließen also, daß sich das Volk aus-
reichende Freiheit unter einem König bewahren kann,-
wenn es nur bewirkt, daß die Iblcht des Königs
einzig durch ^e Macht des Volkes selbst bestimmt
und durch den Schutz des Volkes selbst aufrecht
erhalten wird. Dies war die einzige Regel, der ich so
bei der Festsetzung der Grundlagen fifr die mon-
archische Regierung gefolgt bin.
8 p 1 n o a a , Abhandlg. ab. d. VerbMserg. d. Verstände!. 9
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Achtes Kapitel
Daß die aristokratische Regierung aus
einer großen Zahl von Patrisiern bestehen
muß; von ihren Vorzügen und daß sie eich
mehr der unumschränkten als der monarchi-
schen Regierung nähert und deshalb taug-
licher zur Erhaltung der Freiheit ist
§1-
Soweit von der monarchischen Regierung. Nun
10 will ich angebei^ auf welche Weise die aristo-
kratische räüzarichten ist^ um Dauer za verqkrecheiL
Eine aristokratische Biegierung nannten wir die,
welche nicht einer, sondern einige aus dem Volke
Gewählte in Händen haben, die wir fortan Patrizier
nennen wollen. Ich sage ansdrflddich „die einige
Gewählte in Händen hat^^. Denn darin best^t der
Haaptonterschied zwischen der aristokratiBchen und
der demokratischen Regierung, daß bei der ersteren
das Recht za regieren bloß von «ner Wahl abhängt,
ao bei der letzteren dagegen von einem sososagen ange-
borenen oder durch Glück erworbenen Rechte^ wie
wir am geeigneten Orte erklären werden. Wenn auch
in einem Staate das gesamte Volk in die Zahl der
Patrizier aufgenommen wird, so wird doch, soteini
nur jenes Recht kein erbliches ist und nicht durch
ein allgemeines Gesetz auf andere übergeht^ der Staat
durchaus ein aristokratischer bleiben; denn es werden
]a nur ausdrücklich Gewählte in die Zahl d^ Patrizier
aufgenommen. Wären diese Patrizier aber bloß zweie,
80 dann wird der eine mächtiger zu werden suchen ab
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8. Kapitel. Von der AriBtokratie. 181
der andere, und der Staat wird leicht wegen der za
^oßen Ifacht des einen in zwei Parteien mch flpalten
oder in drei, vier oder fünf, wenn drei, vier oder fünf
ihn beherrschten. Die Parteien werden aber um so
schwächer sein, je größer die Zahl derer, denen die
Regierung übertragen ist Folglich muA man bei einer
aristokratischen Regierung, damit sie von Dauer ist^
das Minimum der Patrisier notwendig unter Berück-
sichtigung der Größe des Staates Seümt festsetsen.
§2. 10
Gesetzt also, bei einem Staate von mäßiger Größe
fenügen hundert auserlesene Männer, denen die
ochste Regierunssgewalt übertragen ist und denen
folglich das Recht sosteht, Patrizier ssu EoDegen
zu wählen, wenn einer ton ihn^ mit dem Tode ab-
geht Sicherlich wird ihr ganzes Streben darauf ge-
richtet sein, daß ihre Kinder oder ihre nächsten Bluts-
verwandten ihnen nachfolgen. Die Folge davon wird
sein, daß die höchste Regierungsgewalt immer in den
Iffinden derer liegen wir(C die das Glück haben. Söhne ao
oder Blutsverwandte von Patriziern zu sein.
Weil man nun unter hundert Menschen, die ihre
Bhrenstellen einem Zufall verdanken, kaum* dreie findet,
die durch Bildung und Klugheit tauglich und tüchtig
smd, so wird wiederum die Folge sein, daß die Re-
gierungsgewalt nioht in den Händen der hundert,
sondern nur in den Händen von sweien oder dreien
liegt, die ihre geistigen Vorzüge dasu be&higen und
die leicht alles an sich ziehen werden, und jeder wird,
wie es die menschliche Begierde mit sich bringt» nach 80
der Monarchie streben und sich den Weg zu ihr bahnen
können. Wollen wir also eine richtige Rechnung er-
halten, dann muß die höchste Reffierungsgewalt» die
nach dem Größenverhältnis hundert Patriser min-
destens forderte, auf mindestens fünftausend über-
tragen werden. Bei diesem Verhältnis kann es gar
nicht fehlen, daß sich hundert geistig hervorragende
Ißnner finden, unter der Voraussetzung eben, daß
sich unter fünfzig, die sich um Ehrenstellen be-
werben und sie erhalten, immer einer findet^ d^ dm 40
9*
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18S Abhandlung Tom Staate.
Besten ebenbürtig iflt^ abgesehen von jenen, die den
Vorzügen der Besten nacheifern und die deshalb eben-
falls würdig sind, zu r^eren.
§8.
Der hanfigere Fall ist der, daß die Patrizier
Bürger einer Stadt sind» die die Hauptstadt eines
ganzen Reiches bildet, in der Art, daß der Staat
oder die Republik ihren Namen trägt, wie frühw der
römische Staat» heute der venezianische, genue-
10 sische u. s. w. Die Republik Holland dagegen hat
ihren Namen von der ganzen Provinz, woher es kommt,
daß die Untertanen dieses Staates eine größere Frei-
heit genießen.
Bevor wir nun die Grundlagen bestimmen können,
auf die sich die aristokratische Regierung stützen
muß, ist der Unterschied anzugeben zwischen der Re-
gierung, die auf Einen, und derjenigen, die auf ein^i
genügend großen Rat übertragen wird. Dieser Unter-
schied ist allerdings sehr groß. Denn zunächst ist
20 die Kraft eines Menschen der Übernahme einer ganzen
Regierung nicht gewachsen, wie wir Kap. ^ § 5 aus-
führten, was ohne offenbaren Widersinn niemand
von einem genügend großen Rate behaupten kann;
denn wer von einem genügend großen Rate spricht^
der erklärt ihn eben der Ubernume der Herrschaft
für gewachsen. Der König braucht also durchaus
Räte, ein derartiger Rat Inraucht sie keineswegs. Fernw
sind Könige sterblich, Ratsversammlungen dau^n. Da-
her kehrt die Regiwungsgewalt, wenn sie einmal einem
do genügend großen Rate übertragen worden ist» niemals
zum Volke zurück, was bei der monarchischen Re-
gierung, wie wir § 25 d. vor. Kap. zeigten, nicht der
Fall ist Drittens ist die Regierung eines Königs
wegen seiner Jugend, seiner Krankheit^ seines Alters
oder aus anderen Gründen oft zweifelhaft; die Ifacht
eines derartigen Rates hingegen bleibt immer eine
und dieselbe. Viertens ist der Wille eines Menschen
sehr wechselnd und unbeständig, und deshalb ist bei
der monarchischen Regierung alles Recht zwar der er-
40 klärte Wille des Königs, wie ich § 1 d. vor. Kap.
sagte, aber nicht aller Wille des Königs darf Recht
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a Kapitel. Von der Aristokratie. 188
sein — vom Willen einee genügend großen Rates kann
man das nicht sagen. Denn da ja gerade die Rats-
versabimlungy wie ich eben zeigte, keine Räte braucht»
so maß notwendig all ihr erklärter Wille Recht sein.
Daraus dürfen wir schließen, daß die einem ge-
nügend großen Rate übertragene Regierung eine
nnumschrlnkte ist oder sich am meisten der unum-
Bchränkten nähert Denn wenn es eine unum-
schränkte Regierung gibt, so ist es in Wahr-
heit die, welche ein ganzes Volk in Händen hat 10
§4.
Insofern jedoch diese aristokratische Regiwung,
wie eben gezeigt niemals zum Volke zurückkehrt und
niemals eine Befragung des Volkes dabei statthat
sondern unbedingt jeglicher Wille dieses Rates Recht
ist 80 ^^ 8ie durchaus als unumschränkt betrachtet
werden. Folglich müssen sich ihre Grundlagen bloß
auf den Willen und das Urteil dieses Rates stützen,
nicht aber auf die Wachsamkeit des Volkes, das ja
von der Beratung wie von der Abstimmung ausge- ao
schlössen ist Die Ursache also, warum in der Praxis
die Regierung keine unumschränkte ist kann nur darin
Hegen, daß das Volk den Herrschenden Furcht ein-
flößt und dadurch eine gewisse Freiheit für sich be-
hält, die es zwar nicht nach ausdrücklichem Gesetz»
aber doch stillschweigend in Anspruch nimmt und be-
hauptet
§5.
Es ergibt sich also, daß der Zustand dieser Re-
gierung dann der beste sein wird, wenn sie so einge- 80
richtet ist, daß sie d^ unumschränkten am nächsten
kommt d. L daß das Volk möglichst wenig zu fürchten
ist und bloß die Freiheit behält, die ihm nach der
Verfassung dieses Staates notwendig zugestanden
werden muß. Diese Freiheit ist dum nicht so sehr
ein Recht des Volkes, sondern des gesamten Staates,
den eben nur die Patrizier für sich beanspruchen und
behaupten. Auf diese Weise wird nämlich die Praxis
am besten mit der Theorie übereinstimmen, wie ans
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184 Abhaadlnng Tom Staate.
dem vor. § hervorsteht nnd auch an sich klar ist Un-
zweifelhaft liegt die Regierung um so weniger in den
Händen der Patrizier» je me& Bechte das Volk für
sich in Anspruch nimmt, wie sie in Niederdeutsch-
land gewohnlich die Handwerksinnungen, gemeinhin
»yGilden"" genannt^ besitzen.
§6.
Daraus» daß die Regierung unumschränkt d^n
Rate übertragen ist^ ist für das Volk noch nicht die
10 Gefahr einer verhaßten KnechtBchaft zu fürchten.
Denn der Wille eines so großen Rates kann nicht so
sehr durch Laune als durch Vernunft bestimmt werdeiL
Durch schlechte Leidenschaften werden ja die Men-
schen nach verschiedenen Seiten hin gezogen, durch
einen Geist sozusagen können sie nur geleitet werden,
wenn das Ziel ihres Strebens ein ehrenhaftes ist oder
wenigstens den Schein des Ehrenhaften hat
Bei der Bestimmung der Grundlagen für eine
20 aristokratische Re^erung ist in erster Linie darauf
zu achten, daß sie sich einzig auf den Willen und
die Macht eben dieses höchsten Rates stützen derart»
daß der Rat nach Möglichkeit im Besitz seines eifi;enen
Rechtes ist und ihm keine Gefahr vom Volke droht.
Um dieee bloß auf dem Willen und der Macht
des höchsten Rates beruhenden Grundlage zu be-
stimmen, wollen wir sehen, welche Friedensgrund-
lagen bloß der Monarchie eig^ dem aristokratischen
Staate aber fremd sind. Denn wenn wir diese durch
80 andere gleichwertige ersetzen, die sich für den aristo-
kratischen Staat eignen, und die übrigen Grundlagen,
wie sie schon festgelegt sind, belassen, dann werden
zweifellos alle Ursachen zu Unruh^i aufgehoben oder
es wird diese Regierung doch nicht weniger sicher sein
als die monarchuche. Im Gegent^ um so viel wird
sie sicherer und ihre Verfassung besser sein, als
sie sieh in höherem Maße als die monarchische ohne
Beeinträchtigung von Frieden und Freiheit (s. §§ 3
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8. Kapital Von der Anttokntie. 186
und 6 d. Kap.) der muunschrankteii Begienmgi nähert
Denn je eroßer das Recht der höchsten Gewalt ist,
nm 80 mehr etimmt die Staatsform mit dem Vemimft-
gebot fiberdn (nach Ki^. 3 | 6) und ist daher ge-
eigneter sor Erhaltung von Frieden and Freiheit. Wir
woIIot also das Kap. 6 § 9 Gesagte dnrchg^ent nm
das dieser Staatsform Frmnde sa entfemoi ond das
ihr Angemessene aa erkenneiL
§8.
Zuerst ist es nötig, eine oder mehrere Städte 10
zu gründen und zu befestigen; darüb« kann kein
Zweifel sein. Diejenige ist aber in erster Linie zu
befestigen, die Hauptetädt des ganzen Reichs wird,
sodann auch die Grenzstädte. IHe Reichshanptstadt,
die das höchste Recht hat^ muß machtiger sein als
alle anderen. Übrigens ist es in diesem Staate völlig
überflüssig, alle Einwohner in Familienverbande ein-
zuteilen.
§9.
Die Miliz betreffend — da in diesem Staate 20
die Gleichheit nicht unter allen, sondern nur unter
den Patriziern zu erstreben ist und vor allem, da
die Macht der Patrizier größer ist als die des Volkes,
80 gehört es sicher nicht zu den Gesetsen oder Grund-
rechten dieses Staates, daß die Miliz nur aus Unter-
tanen gebildet wird. Eines ist aber vor aUem nötig,
daß keiner unter die Patrizier aufgenommen wird,
der nicht das Kriegswesen gehörig versteht. Daß aber
die Untertanen vom Kriegsdienst befreit sein sollen,
wie einige wollen, ist der reine Unverstand. Denn der 80
Sold, der den Untertanen gezahlt wird, bleibt doch
im Lande, wahrend alles, was dem fremden Soldaten
gezahlt wird, ganz und gar verloren geht Dazu kommt
außerdem noch, daß die beste Kraft des Staates da-
durch geschwächt wird. Denn sicherlich kämpfen di»
vorzfigUch mit tapferem Sinne, die für Haus und Herd
kämpfen. Damm sind off^ibar diejenigen nicht
weniger im Irrtum, die Generale, Obersten, Haupt-
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136 Abhandlang vom Staate.
leute 0. s. w. nur aus den Patriziern wählen lassen.
Denn wie sollten wohl die Soldaten tapfer kämpfen,
denen num jede Hoffnung auf Ruhm und Ehren nimmt
Wollte man hingegen durch Gresetzesbegtimmiing
den Patriziern verbietan, nötigenfalls ausländische
Soldaten anzuwerben, sei es zu ihrer Verteidigung, zur
Unterdrückung von Unruhen oder auB irgendwelchen
anderen Gründen, so würde ein solches Verbot^ abge-
sehen davon, daß es unklug wäre^ auch dem höchsten
10 Rechte der Patriäer widwstreiten (s. hierüber §§ 3,
4 und 6 d. Kap.).
Übrigens dEurf der Kommandant eines ArmeecorxiB
oder der gesamten Kriegsmacht nur im Kriege und
zwar bloß aus den Patriziern gewählt werden; er
soll nur ein Jahr lang den Oberbefehl führen, eine
Verlängerung seiner Befugnis und eine Wiederwahl
soll ausgeecUossen sein. Dieses Recht ist in der Mon-
archie, besonders aber im aristokratischen Staate notig.
Denn wenn auch wie gesagt viel leichter die R&-
90 gierungsgewalt von einem Manne auf einen anderen
als von einem freien Rate auf einen Mann übertragen
werden kann, so geschieht es doch oft, daß die Pa-
trizier von ihren Heerführern unterdrückt werden —
zu weit größerem Schaden für den Staat. Denn wird
der Monarch aus dem Wege geräumt» so wechselt nicht
die Regierungsform, sondern nur der Herrscher. Im
aristokratischen Staate kimn es nicht ohne den Um-
sturz der Regierung und den Untergang der hervor-
ragendsten Männer geschehen. Die traurigsten Bd-
80 spiele dafür hat uns Rom geliefert
Übrigens hat der Grund, warum in der Monarchie
das Heer wie gesagt ohne Sold dienen soll, in diesem
Staat nicht statt Denn da die Untertanen von Be-
ratungen und Abstimmungen ausgeschlossen sind, so
haben sie als Fremde zu gelten und dürfen deshalb
nicht unter ungünstigeren Bedingungen als die Frem-
den zum Kriegi^enst geworben werden. Dabei ist auch
nicht zu befürchten, daß der Rat sie in seiner An-
erkennung bevorzugt Es ist sogar rätlicher, daß die
40 Patrizier den Soldaten für ihre Dienste eine bestimmte
Belohnung aussetzen, damit nicht jeder wie gewöhn-
lich seine Leistungen über Grebühr hoch einschätzt.
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8. Kapitel. Von der AriBtokratie. 187
§10.
AuB diesem Grunde^ daß aoOer den Patriziern
alle Fremde sind, ist es ohne Grefährdong des Ge-
samtstaates nicht möglich, daß Äcker, Häuser und
aller Grund und Boden Gromeingut bleiben und den
fiinwohnem nur gegen jährlichen Zins in Pacht ge-
geben werden. Denn die Untertanen, die keinen Teil
an der Regierung haben, würden im Unglück leicht
alle die Städte verlassen, wenn sie ihre Besitztümer
hinbringen konnten, wohin sie wollten. Deshalb sind 10
die Äcker und Grundstücke dieses Staates nicht an
die Untertanen zu verpachten, sondern zu verkaufen,
tmter der Bedingimg jedoch, daß sie vom Jahresertrag
in jedem Jahre eine bestimmte Quote abzugeben haben
n. 8. w., wie es in Holland geschieht.
§11.
Nach diesen Betrachtungen gehe ich weiter zu
den Grundlagen, auf die sich der Höchste Bat
stützen und in denen er Halt finden muß. Ich habe
gezeigt, daß die lütgliederzahl dieses Bates in einem 20
maßig großen Staate gegen fünftausend betragen muß
(§ 2 d. Kap.). Nun ist ein Verfahren zu ermitteln,
welches Gewähr bietet, daß nicht allmählich die Ke*
gierung auf wenigere übergeht, sondern daß sich die
Zahl proportional dem Wachstum des Staates selbst
vermehrt; femer, daß soweit als möglich die Gleich-
heit unter den Patriaern gewahrt bleibt; sodann, daß
in den Batsversammlungen ein schneller Greschäfts-
gang herrscht; daß für das Gemeinwohl gesorgt wird,
und schließlich, daß die Macht der Patrizier oder des 80
Rates größer ist als die des Volkes, doch so, daß das
Volk ^Mlurch keinen Schaden leidet
§12.
Die größte Schwierigkeit, das erste zu erreichen,
entspringt aus dem Neid. Die Menschen sind näm-
Uch wie gesagt von Natur Feinde, und diese Natur
behalte sie auch, wenn sie gleich durch die Gesetze
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188 Abhaadlang vom Staate.
verbunden und zasammengeeehloBsen werden. Daher
kommt es nach meiner Meinung, daß demokratische
Staaten sich in aristokratiBche und diese schließlich
in Monarchien verwandeln.
Denn ich bin fest übersseugt^ daß die meisten
aristokratischen Staaten früher demokratisch gewes^
sind. Denn ein Volk, das neue Wohnsitze suchte, hat
immer, wenn es sie gefunden und angebaut hatten
die Gleichberechtigung zur Regierung unberührt be-
10 wahrt — niemand gSbt freiwillig einem andern die
Herrschgewali Obschon es nun jeder für billig halt^
daß ihm das gleiche Recht) gegen den anderen zusteht^
wie auch dem anderen gegen ihn, so hält er es doch
für unbillig, daß die zuziehenden Fremden das gleiche
Recht wie sie selbst besitzen sollen in einem Staate,
den sie mit Mühe gesucht und unter Einsatz ihres
Blutes in Besitz genommen haben. Damit geben sich
auch die Fremden selbst zufrieden, die ja nicht um
zu herrschen, sondern in Verfolgung ihrer Privat-
20 geschifte eingewandert sind, und die es für eine
genügende Vergünstigung halten, wenn man ihnen
die Freiheit zugesteht i^en Geschäften ungefährdet
nachzugehen. Mittlerweile wächst aber das Volk durch
die Zuwanderung der Fremden, die nach und nach
die Sitten der Einheimischen annehmen, bis sie sich
schließlich nur dadurch noch von diesen unterscheiden,
daß ihnen das Recht auf Ehrenstellen fehlt Während
ihre Zahl von Tag zu Tag steigt» sinkt aus vielen
Gründen die der Bürger. Oft sterben ja Familien aus,
30 andere werden wegen verbrecherischer Handlungen
ausgeschlossen, und die meisten kümmern sich wegen
ihrer knappen Vermögensverhältnisse nicht um das
Staatswesen. Unterdessen denken die Mächtigeren nur
darauf, allein zu herrschen. So kommt nach und nach
die Regierung in die Hände weniger und schließlich
durch Parteiungen in die eines J^nzigen.
Noch andere Ursachen, die solche Staaten zer-
stören, könnte ich diesen hinzufügen; da sie aber
genugsam bekannt sind, will ich sie übergehen und
40 nunmehr der Ordnung nach die Gesetze darlegen,
durch die sich der Staat, von dem wir handein, er-
halten muß.
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8. KftpiieL Von der Aristokratie. 189
§13.
Das oberste Geeetz dieeeB Staates muß das sein»
welches das Verhältnis der Zahl der Patrizier
SU m Volke bestünmi Das Vwhältnis zwischen beiden
moO (nach § 1 d. Eap.) so gehalten werden» daß die
Zahl der Patriaer proportional der Vermehrnng des
Volkes zanimmi Und dieses Verhältnis muß (nach
dem § 2 d. Kap. Gesagten) ungefiihr 1 : 60 s«n» d. h.
die Ungleichheit im V^rh^^tnis der Zahl der Patrizier
som Volke darf nie größer sein« Denn die Zahl der 10
Patrizier kann (nach § 1 d. Eap.) unter Beibehaltung
der Staatsform viel größer sein im Verhältnis zur
Volkszahl. Bloß in ihrer zu geringen Zahl liegt die
Gefahr. Wie man aber dafür sorgen muß^ daß dieses
Gesetz unverletzt bleibt^ will ich bald an geeignete
Stelle zeigen»
§14.
Die Patrizier wwden nur aus gewissen Familien
an bestimmten Orten gewählt Dies aber ausdrück-
lich durch Gesetz festeulegen, ist unheilvoll Denn 20
Familien sterben häufig aus, auch bedeutet die Aus-
schließung für die übrigen stets einen Sehimpi Dasu
kommt außerdem noch, daß die Ek'blichkeit der Pa-
trizierwürde dieser Staatsform widerstreitet (nach § 1
d. Kap.). Auf diese Weise scheint die Regierung
eher eine demokratische zu sein, wie wir sie § 12
d. Kap. beschrieben haben, weil sie in den Händen
von äußerst wenigen Bürgern liegt Eine Uaßregel
aber dagegen, daß die Patrizier ihre Söhne und Bluts-
verwandten wählen und daß folglich das Recht zu 80
regieren in bestimmten Familien bleibt» ist unmög-
lich, )a sie wäre unsinnig, wie ich § 39 d. Kap. zeigen
werde. Sobald sie indes dieses Recht nicht aus-
drücklich durch Gesetz ehalten und die übrigen da^
von ausgeschlossen werden — solche nämlich, die
im Staate geboren sind, die Landessprache reden,
keine Ausländerin zur Frau haben, nicht der Ehren-
redite beraubt sind, nicht in dienender Stellung sind
noch durch knechtische Verrichtung ihren Lebens-
unterhalt verdienen, zu welch letzteren auch die Wein- 40
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140 1 Abhandlosg Tom Staate.
und Bierwirte ssa rechnen sind — , dann wird die
Staatsform nichtedeetoweniger gewahrt und das Yw-
haltnis zwischen Patriziern and Volk kann aufrecht er-
halten bleiben.
§15.
Wenn auJ}erdem das Gesetz bestimmt^ daß keine
jüngeren Leute wählbar sind, dann wird der FVilI
nie eintreten, daß das Recht zu regieren in den Händen
einiger weniger Familien bleibt Daher soll das Ge-
lo'setz bestimmen, daß niemand vor seinem dr^igsten
Jahre in die Liste der Wählbaren aufgenommen
werden kann.
§16.
Drittens ist dann zu bestimmen, daß alle Patrizier
zu gewissen festgesetzten Zeiten sich an einem Orte
der Stadt zu versammeln haben. Wer dieser Ver-
sammlung nicht beiwohnt, es sei denn, daß er durch
Krankheit oder ein Staatsgeschäft daran verhindert
ist, der wird mit einer empfindlichen Geldstrafe be-
20 legt Denn wenn dies nicht geschähe, würden die
meisten über der Sorge um ihr Hauswesen die Sorge
für das Gemeinwesen vernachlässigen.
§17.
Die Aufgabe dieses Kates soll es sein, Gesetze
zu geben und abzuschaffen, sowie ihre patrizischen
Amtsgenossen und alle Staatsbeamten zu wählen. Denn
wer das höchste Recht besitzt» wie es nach unserer
Voraussetzung dieser Rat hat, der kann die Macht;
Gresetze zu geben und abzuschaffen, unmöglich auf
80 einen anderen übertragen, ohne sich damit smes
Rechtes zu begeben und es jenem zu übertragen, dem
er diese Macht verlieL Denn wer auch nur einen
Tag lang die Macht hat, Gesetze zu geben und ab-
zuschaffen, der kann die ganze Staatsform umwandeln.
Die täglichen Regierungsgeschäfte dagegen kann der
Rat unter Wahrung seines höchsten Rechts anderen
zeitweise nach festgestellten Rechtssätzen zur Be-
sorgung übertragen. Zudem, wenn die Staatsbeamten
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8. EapiteL Von der Aristokratie. 141
von einem anderen ab von diesem Rate gewählt
würden, könnten die Mitglieder deeaelben eher Un-
mündige als Patrizier hei&^n.
§18.
Manche pflegen für diesen Rat einen Leiter oder
ein Oberhanpt za wählen, entweder lebenslänglich
wie die Venezianer oder auf Zeit wie die Genuesen,
aber mit so viel Vorsichtsmaßregeln, daß man zur
Genüge sieht, es sei große Gefahr für den Staat dabei.
Ohne Zweifel nähert sich der Staat auf diese Weise 10
der Monarchie. Soviel wir aus der Geschichte dieser
Staaten schließen können, lag der Grand darin, daß
sie vor der Einsetzung dieser l^tsversammlungen unter
Leitern oder Dogen wie unter Königen gestanden
waren. So ist die Wahl eines Leiters zwar ein not-
wendiges Erfordernis dieses Volkes, aber nicht des
aristokratischen Staates an sich.
§19.
Weil aber die höchste Gewalt dieses Staates bei
der Gesamtheit dieses Rates ist, nicht aber bei jedem 20
einzelnen seiner Mitglieder — sonst wäre es ja nur
ein wirrer Volkshaufe — ^ deshalb müssen notwendig
die Patri^er alle so an die Gesetze gebunden sein,
daß sie gleichsam einen Körper bilden, der von
einem Geiste geleitet wird. Die Gesetze sind aber
für sich allein ohnmächtig und werden leicht leebrochen,
wenn ihre Vollstrecker eben diejenigen sind, die sich
auch vergehen können und die si^ gerade an der
Strafe ein Beispiel nehmen und ihre Amtsgenossen
deshalb beetirafen müssen, um die eigene Begierde 80
durch die Furcht vor dieser Strafe zu zügeln, was ein
vollkommener Unsinn wäre. Daher ist ein Mittel zu
suchen, durch welches die Ordnung dieses Höchsten
Rates und die Rechte des Staates unverletzt gewahrt
werden« so jedoch, daß unter den Patriziern die größt-
mögliche Gleichheit herrscht
§20.
Da aber durch einen Leiter oder ein Oberhaupt^
der auch Stimmrecht im Rate hat^ notwendig große
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142 Abhandlung rom Staate.
Ungleichheit entetehen maß, namenüich omi äw Macht
willen, die ihm notwendig zageetanden werd^i muß,
damit er sein Amt mit größerer Sicherheit aosüben
kann, so kann richtig erwogen keine dem Gemeinwohl
nützlichere Einrichtung getroffen w^den, als wenn
man diesem höchsten Ra^ einen anderen ans einigen
Patriziem gebildeten unterordnet, deren Aufgabe nur
darin bestent, darüber 2u wachen, daß die Staatsge-
setze, soweit sie die Ratsversammlungen und die
10 Staatsbeamten betreffen, unverletzt bleiben. Daher
müssen sie die Macht haben, jeden Staatsbeamten, der
sich vergangen, d. h. der gegen die seinen AmtB-
kreis betreffenden Gesetze verstoßen hat^ vor ihr €re-
richt zu laden und nach den best^enden Rechten zu
verurteilen. Diese werden wir im folgenden Syn-
dici nennen.
§21.
Diese sind auf Lebenszeit zu wählen. Denn würden
sie nur auf Zeit gewählt, so daß sie später zu anderen
20 Staatsämtem berufen werden könnten, dann würden
wir ja in den eben in § 19 d« Eap. gezeigten Unsinn
verfallen. Damit sie aber nicht bei sehr langer Amta-
dauer sich zu sehr überheben, sollen nur solche zu
diesem Amte gewählt werden, die das sechzigste Jahr
oder darüb^ erreicht und schon das Amt eines Se-
nators (wovon weiter unten) bekleidet haben.
§22.
Ihre Anzahl werden wir ferner leicht bestimmen
können, wenn wir erwägen, daß diese Syndici sieh
80 zu den Patriaern verhalten, wie die Gesamtheit der
Patrizier zum Volk, welches diese auch nicht regieren
können, w^m ihre Zahl zu gering ist Daher miS^ sich
die Zahl der Syndici zu der Zahl der Patrizier verhalien,
wie deren Zahl zur Yolkszahl, d. h. (nach § 13 d. Kap.)
wie 1 zu 50.
§23.
Damit femer diese Behörde ungefihrdet ihr Amt
ausüben kann, ist ihr ein Teil der Kriegsmacht zur
Verfügung zu stellen, dem sie beliebig Befehle er-
40 teilen kann.
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8. Kapitel. Von der Aristokratie. 148
§24.
Den Syndici wie auch den anderen Staatsbeamten
sollen keine Gehalter ausgesetzt werden, sondern bloß
solche Gefalle» daß sie nur mit großem Schaden für
sich das Gemeinwesen schlecht verwalten, können. Denn
asweif elloB ist es billig, den Beamten dieses Staates
einen Lohn für ihre Tätigkeit auszusetzen; die
Mehrheit in diesem Staate bildet ]a doch die Volks-
maase, über deren Sicherheit die Patrizier wachen,
während sie selbst sich nur um ihre Privatangelegen- lo
heiten und nicht um das Gemeinwohl kümmert, weil
aber kein Mensch (nach Eap. 7 § 4) sich der Inter-
essen eines anderen annimmt, wenn er damit nicht
sein eigenes Interesse zu sichern glaubt, so müssen
die Dinge notwendig so geordnet werden, daß die Be-
amten, denen die Sorge für das Gemeinwesen obliegt,
dann am besten für ihre eigenen Interessen sorgen,
wenn sie am sorgfältigsten üoer das allgemeine Beete
wachen.
§25. 20
Den Sjndici also, deren Aufgabe es wie gesagt
ist, darüber zu wachen, daß die Staatsgesetze unver-
letast gehalten werden, sind folgende Gefälle auszu-
setzen: Jeder im Staate wohnende Familienvater hat
lährlich eine Münze von unbedeutendem Werte, näm-
lich eine Viertelunze Silber, den Syndici zu entrichten,
damit diese daraus die Einwohnerzahl abnehmen können
und zugleich berechnen, welchen Procentsats die Pa-
trizier davon bilden. Sodann soll jed^ neue Patrizier,
sobald er gewählt ist, den Syndici eine große Summe 80
zahlen, z. B. zwanzig oder fünfundzwanzig Pfund Silber.
Außerdem ist das Strafgeld der zu einer einberufenen
Versammlung nicht erschienenen Patrizier für die Syn-
dici bestimmt Zud^n soll ein Teil von dem Vermögen
schuldiger Beamter, die sich ihrem Gerichte stellen
müssen und zu einer bestimmten Geldstrale verur-
teilt werden, oder deren Vermögen eingezogen wird,
ihnen zuerkannt werden — nicht allen zwar, sondern
nur denen, die H^lich Sitzung hab^ und deren Auf-
gabe es ist^ den Rat der Syndici zu berufen (s. hiw- 40
über § 28 d. Kap.).
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144 Abhandlung Tom Staate.
Damit aber der Rat der Syiidici immer ans der
nötigeB Mitgliederzahl bestehe, so ist darüber vor BÜem
andern im Höchsten Rat^ wenn er zur gewohnten Zeit
einberufen ist, eine Untersuchung anzustellen. Wenn
die Syndici das versäumen, so liegt es dem Vorsitzenden
des Senats (über den bald zu reden Gelegenheit sein
wird) ob, den Höchsten Rat daran zu mahnen, von
dem Vorsitzenden der Syndici Auskunft über sein Still-
schweigen zu fordern und den Höchsten Rat nach
10 seiner Meinung darüber zu fragen. Wenn dieser eben-
falls schweigt, so soll der Fall von dem Vorsitzenden
des obersten Gerichtshofes oder, wenn auch dieser
schweigt^ von irgend einem anderen Patrizier auf-
genommen werden, der sowohl von den Syndici, als
vom Senats- und Gerichtspräsidenten Rechenschaft über
ihr Schweigen fordern soll.
Damit schließlich auch jenes Gesetz^ das die
Jüngeren ausschließt, streng beobachtet werde^ ist
die Bestimmung zu treffen, d£üQ alle, die ihr dreißigstes
20 Lebensjahr erreicht haben und die nicht ausdrücklich
durch das Recht von der Regierung ausgeschlossen
sind, dafür sorgen müssen, daß ihr Name im Beisein
der Syndici in eine Loste eingetragen werde und daß
sie irgend ein Zeichen der erlangten Würde für einen
bestimmten Preis von ihnen erhalten, etwa daß sie
einen b^timmten nur ihnen erlaubten Ornat anlegen,
der sie vor den andern untwscheidet und ihnen Re-
spekt verschafft Inzwischen soll eine Gesetzesbestim-
mung verbieten, daß bei den Wahlen ein Patrizier
80 jemanden vorschlägt, wenn sein Name nicht in der
allgemeinen Liste eingetragen ist^ und zwar bei
schwerer Strafe. Außerdem soll niemand einen Dienst
oder ein Amt, zu dem er gewählt wird, ablehnen dürfen.
Endlich soll bestimmt werden, damit alle reinen
Staatsgrundgesetze von ewiger Dauer seien: wenn einer
im Höchsten Rate irgend ein Staatsgrundgesetz in
Frage stellt, z, B. durch Verlängerung der Amtsge-
walt eines Heerführers oder durch Verringerung der
Patrizierzahl u. ähnl, so soll er als Majestatsver-
40 brecher in den Anklagestand vwsetzt und zum Tode
verurteilt und sein Vermögen soll eingezogen werden;
außerdem soll ein öffentliches Denkiiuil dieser Strafe
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8. Elspitel. VoD der Aristokratie. 145
zum ewigen Gedächtnis errichtet werden. Zur Fest-
legung der übrigen allgemeinen Staatsrechte genügt
die ^timmnng, daß ein Gresetz nicht abgeschaSt
IHK} ein nenee nicht gegeben werden darf, ohne daß
vorher der Rat der Syndici und dann drei Viertel
oder vier Fünftel des Höchsten Rates sich darauf ge-
einigt haben.
§26.
Die Einberufung des Höchsten Rates und die
Unterbreitung der zu entscheidenden Fragen ist Sache 10
der Syndici, denen auch die erste Stelle im Rate,
aber ohne Stimmrecht^ einzuräumen ist. Ehe sie aber
ihre Sitze einnehmen, sollen sie beim Wohl jenes
Höchsten Rates und bei der öffentlichen Freiheit
schwören, mit allem Eifer darnach zu trachten, daß
die Gesetze des Vaterlands unverletzt gewahrt und
daß für das Gemeinwohl gesorgt werde. Darauf sollen
sie durch ihren Sekretär die Vorlagen der Reihe nach
eröffnen lassen.
§27. 20
Damit aber bei den Verhandlungen und den Wahlen
dBT Staatsbeamten alle Patrizier die gleiche Uacht
haben und eine schnelle Erledigung gewährleistet wird,
empfiehlt sich die bei den Venezianern eingeführte
Geschäftsordnung. Sie losen nämlich bei der Er-
nennung von Staatsbeamten einige vom Rate aus und
diese schlagen der Reihe nach die zu wählenden Be-
amten vor. Jeder Fatriziw gibt dann durch Stimm-
steine seine Meinung kund, ob er die Wahl des vor-
geschlagenen Beamten gut heißt oder verwirft^ so 80
daß es unbekannt bleibt, wer diese oder jene. Stimme
^^bgegeben hat Der Erfolg is^ daß alle Patrizier bei
den Abstimmungen die gleiche Autorität haben und
daß eia rascher Geech^tsgang gewährleistet wird;
^um aber hat jeder die volle Freih^t^ und darauf
kenunt es bei solchen Vensammlungen vor allem an,
seine Meinung ohne Furcht vor Anfeindung zam Aue-
dmck zu bringen.
S p 1 n o B a , Abhandig. üb. d. Verb«Merg. d. VerttandM. 10
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146 AbhandhiDg vom Staate.
§28.
Auch bei den Versammlungen der Syndici und bei
den übrigen ist dieselbe Greschäftsordnung einzuhalten,
nämlich die Abstimmung durch Steine. Das Recht
der Syndici aber, den Rat einzuberufen und ihm die
Fragen zur Entscheidung zu unterbreiten, muß ihrem
Vorsitzenden zustehen, der täglich mit zehn oder
mehr Syndici Sitzung halten soll, um die Beschwerden
des VoUces gegen die Beamten und die geheimen An-
10 klagen zu vernehmen, die Ankläger nötigenfalls in
Grewahrsam zu halten und den Rat auch vor der
zu den Versanmilungen festgesetzten Zeit einzube-
rufen, wenn nach der Meinung von einem unter ihnen
Gefahr im Verzug ist Dieser Vorsitzende und die,
welche sich täglich mit ihm versammeln, sind vom
Höchsten Rat und zwar aus der Zahl der Syndici zu
wählen, nicht auf Lebenszeit, sondern nur auf sechs
Monate, und sie dürfen erst nach drei oder vier Jahren
wiedergewählt werden. Diesen sollen wie gesagt die
20 eingezogenen Güter, die Strafgelder oder ein Teil
davon zugewiesen werden. Was sonst noch die Syn-
dici betrifft, werde ich an geeigneter Stelle sagen.
§29.
Eine zweite dem Höchsten Rat unterzuordnende
Körperschaft wollen wir Senat nennen. Seine Auf-
^be ist die Ausführung der Staatsgeschäfte, z. B.
die Publikation der staatlichen Gesetze, die gesetze»-
gemaße Ordnung der städtischen Befestigungsweirke,
die Ausfertigung der militärischen Diplome, die Auf-
90 läge und Verwendung der Steuern, die Bescheidung
der auswärtigen Gesandten und der Entscheid dar-
über, wohin Gesandte zu schicken sind. Die Wahl
der Gesandten dagegen ist Aufgabe des Höchsten
Rates. Denn darauf ist vor allem zu sehen, daß
ein Patrizier zu einem Staatsamt nur vom Höchsten
Rate selbst berufen werden kann, damit die Patrizier
nicht die Gunst des Senats zu erhaschen trachten. So-
dann ist alles das vor den Höchsten Rat zu bringen,
was irgendwie die bestehenden Verhältnisse ändert»
40 wie Entscheidungen über Krieg und fYieden. Daher
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8. Kapitel. Von der Aristokratie. 147
bedmfen die EntBcheidongen des SenatB über Krieg
und Frieden, am gültig za sein, der Bestätigung durch
die Antoritat des Höchsten Rates. Aus diesem Grande
halte ich es für richtig, daß die Aailage neuer Steuern
nicht zur Befugnis des Senats, sondern allein sa der
dee Höchsten Rates gehört
§30.
Bei der Bestimmung der Zahl der Senatoren kommt
folgendes in Betracht Zunächst müssen alle Patrizier
gleich große Auseicht haben, die Senatorenwürde zu 10
erlangen. Sodann sollen gleichwohl dieselben Sena-
toren, deren Amtszeit abgelaufen ist^ nach nicht zu
langem Zwischenräume wiedergewählt werden können,
damit auf diese Weise der Staat immer von kundigen
und erfahrenen Männern geleitet wird. Schließuch
sollen unter den Senatoren sich viele finden, die sich
durch Weisheit und Tüchtigkeit auszeichnen.
Damit all diese AnfoKlerungen erfüllt werden,
kann nichts Besseres erdacht werden als die Gesetzes-
bestimmung, daß nur wer das fünfzigste Lebensjahr 20
erreicht hat, in den Senatorenrang aufgenommen
werden kann und daß vierhundert, sSbo ungefähr ein
Zwölftel der Patrizier, auf ein Jahr gewählt werden,
die zwei Jahre nach seinem Ablauf das Amt wieder
bekleiden können. Auf diese Weise wird inmier
ungefähr der zwölfte Teil der Patrizier mit nur
kurser Unterbrechung das Senatorenamt innehaben.
Dieee Zahl wird zusammen mit jener, die die
Syndici ausmachen, nicht viel hint^ der Zahl der
Patrizier zurückbleiben, die das fünfzigste Lebens- 30
jähr erreicht haben. So werden alle Patrizier stets
groDe Aussicht haben, die Würde von Senatoren oder
Syndici zu erlangen, und gleichwohl werden dieselben
Patrizier, mit nur kurzen Unterbrechungen wie gesagt^
den Senatorenrang immw innehaben und im Senate
wird es (nach dem § 2 d. Kap. Gesagten) nie an
vorzüglichen, durch Klugheit und Geschick aiu^gezeioh-
neten Männern fehlen.
Da dieses Gesetz nur gegen den Unwillen vieler
Patrizier gebrochen werden kann, bedarf es zu seiner 40
10*
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14S Abhandlang vom Staate.
Sickerang keiner anderen Garantie, als daß jeder
Pakizie(r, der das bezeichnete Alter erreicht hat^ den
Syndki ein Zeugnis darüber vorweist, worauf dieae
seinen Namen in die Liste der f&r das Seiiatoreiiamt
Vorgemerkten eintragen und im Höchsten Rate ver-
lesen, damit er den Platz, der im Höchsten RaA sdnee-
gleichen eingeräumt ist und dem der Senatoren sa-
nächst liegen soll, mit den übrigen vom gleichen
Range einnimmt
10 § 31.
Die Einkünfte der Senatoren müssen 4^art sein»
daß sie mehr Vorteil vom Frieden als vom Kriege
haben. Deshalb soll ihnen von den exportierten OBd
importierteai Waren em oder zwei Procant bestämmt
werden. Denn so werden sie sweifelloe über den
Frieden nach Kräften wachen und nie den Krieg in
die Länge su dehen suchen. Von diesem Zoll dürfen
selbst unteren, wenn sie Kaufleute sind, nicht be-
freit werden; denn es wird wohl niemand verkennen,
20 daS eine solche Befreiung die größte Schädigung für
den Handel im Gefolge iStte.
Dagegen ist fernw gesetslich festKulegen, daü
ein Sektor, oder wer die Senatorenwürde beUeidet
hat, kein militärisches Amt bekleiden darf und daß
außerdem kein Feldherr od^ Oberst, die naeh § 9
d. Kap. das Heer nur in Kriegszeiten erhalten soll,
aus der Reibe d^er ernannt weäen darf, deren Vater
oder iSroßvater Senator ist oder die S^tor^wirde
im Verlauf von zwei Jahr^ innehatte. Zweifellos
30 werden die nicht dem Senate angehörigen Patt^izLer diese
Rechte energisch verteidigen imd so wird der Friede
immer einträglicher für die Senatoren sein als der
Krieg und sie werden nur, wenn das Staatsinteresse
unbedingt dazu zwingt, zum Kriege raten.
Man kann aber den Einwand gegen ui» erheben,
daß auf diese Weise, wenn nämlich den Syndiei und
Senatoren so große fibrü^ünf te zugewiesen werden, die
aüistokratische Regi^ung für die üntertasMn nicht
minder lastend sein wird wie irgend eme menapchische^
40 Ab^ abgesehen davon, daß l^sagliche Hethaltai^fen
gWifieren Aufwvnd erfordern, deor doch der Siohemng
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8. KapitdL Von der Aristokratie. 149
des Friedeos nicht zugute kommt^ imd daß für den
Frieden kwi Prrä xu hoch isl^ kommt erstens hinzu,
daO alles, was bei der monarchischen Begier ung einem
odear wenigen» bei dieser sehr viel^i zuteil wir£ Dann
traeren die Könige und ihre Minister die Staatslasten
nieht gemeinsam mit den Untertanen — das Gegol-
ten ist bei der aristokratischen Begierung der Fall,
denn die Patrizier, die immer aus den Beicheren ge-
wählt werden, steuern das meiste zur Staatsverwaltmig
beL Schließlich kommen die Lasten der monarchischen 10
Reigierung weniger vom Aufwand 'des Königs her,
als von seinen geheimen AusgaboL Die Staatalasten,
die die Bürger im Interesse des Friedens und der
Freiheit tragen müssmi» werden, auch wenn sie groß
sind, ertragen und inan laßt sie sich gefallen im
Hisblick auf den Nutzen des Friedens. Welches Volk
hat je so viele und so schwere Steu^n zahlen müssen
wie da« holländische? Aber sie haben es nicht er-
schöpft^ vielmehr ist es so wohlhabend geworden,
daß alle es um seinen Beichtum beneiden. Würden 20
ak» die Lasten einer Monarchie nur um des Friedens
willen auferlegt, so würden sich die Bürger durch
sie nicht bedrückt fühlen. Aber jene geheimen Aus-
gaben einer solchen Begierung sind schuld daran,
daß die Untertanen unter der Last erliegen. Denn
die Tüchtigkeit der Könige tritt mehr im Kriege
alB im Frieden hervor und diejenigen, die Allein-
herrscher sein wollen, müssen sehr darauf sehen, daß
ihre Untertanoi arm sind. Von anderem will ich
schweigen, was kürzlich ein sehr verstimdiger Nieder- 80
läader V. H. ausgeführt hat» weil es mit meiner
Aufgabe, bloß die beste Form jeder Begierung an-
zugeben, nicht im Zusammenhang st^i
§32.
Im Senat müssen ^nige vom Höchsten Bat ge-
wählte Syndici Sitz haben, aber ohne Stimmrecht
Ihre Aufgabe ist es» zu wachen, daß die jenen Bat
betreffenden Gesetze richtig beobachtet werden, und
den Höchsten Bat einzuberufen, wenn vom Senat etwas
vor ihn gebracht werden soll. Denn das Becht» den 40
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16Q Abhandlung vom Staate.
Höchsten Rat einzuberufen und ihm Vorlagen sa unter-
breiten, haben, wie erwähnt, die SyndicL Bevor aber
über dergleichen abgestimmt wird, soll der Senate-
Präsident den Sachverhalt and die Ansicht des Se-
nats über die Vorlage nebst ihrer Begründung dar-
legen. Hierauf ist die Abstimmung in der gewohnten
Ordnung vorzunehmen.
Der gesamte Senat braucht eich nicht täglich,
10 sondern wie alle großen Körperschaften nur su be-
stimmten Zeiten zu versammeln. Weil aber in der
Zwischenzeit die Regierungageschäfte besorgt werdra
müssen, muß ein Senatoren-Ausschuß gewählt
werden, der während der Vertagung des Senats seine
Stelle vertritt Seine Aufgabe ist es, den Senat nö-
tigenfalls einzuberufen, seine Entscheidungen über das
Gemeinwesen auszufüluren, die an dext Senat und den
Höchsten Rat gerichteten Zuschriften zu lesen und über
die dem Senat zu unterbreitenden Vorlagen zu beraten.
20 Damit aber dies alles und ^e Ordnung des ganzen
Rates leichter begreiflich wird, will ich die ganze
Sache genauer darstellen.
§34
Die Senatoren sind wie gesagt auf ein Jahr zu
wählen und in vier oder sechs Abteilungen zu tmlen.
Von diesen führt die erste in den ersten drei oder
zwei Monaten im Senat den Vorsitz, nach deren Ver-
lauf die zweite an ihre Stelle tritt, und so wird weiter
in regelmäßigem Wechsel jede Abteilung gleich lang
80 die erste Stelle im Senat haben in der Weise, daß die,
die in den ersten paar Monaten die erste war, in den
zweiten die letzte ist Sodann sollen ebenso viel Präsi-
denten, als es Abteilungen gibt^ und um sie nötig^i-
falls zu vertreten, Vicepräsidenten gewählt werden,
d. h. aus jeder Abteilung zwde, ein Präsident und ein
Vicepräsident Der Präsident der ersten Abteilung
soll in den ersten Monaten auch den Vorsitz im Se-
nat führen, bezw. in seiner Abwesenheit der Vice-
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8. Kapitel. Von der Ariatokratie. 151
Präsident, und so fort auch die übrigen nach der an-
gegebenen Ordnung.
Dann sind durch Los oder AbBtimmung aus der
ersten Abteilung einige zu wählen, die zusammen mit
deren Präsidenten und Vieepräsidenten die Stelle
des Senates nach seiner Vertagung vertrete und
zwar so lange, wie ihrer Abteilung <Ue erste Stelle im
Senat zusteht. Darnach sind aus der zweiten Ab-
teilung wieder ebenso viele durch Los oder Abstim-
mimg zu wählen, die mit ihrem Präsidenten und Vice- 10
Präsidenten die erste in der Stellvertretung des Senats
ablösen und so fort Nicht nötig ist es, daß die
Wahl dieser Männer, die, wie ich sagte, durch das
LjOb oder Abstimmung auf drei oder zwei Monate zu
wählen sind und die ich hinfort Konsuln nennen
werde, durch den Höchsten Rat erfolga Denn der
§ 29 d. Eap. angegebene Grund hat hier nicht statt,
noch viel weniger der von § 17. Es genügt also, wenn
die Wahl vom Senat und den Syndici, in deren An-
wesenheit, vorgenommen wird. 20
§36.
Ihre Zahl aber kann ich nicht so genau bestimmen.
Sicher ist aber das eine: ihre Zahl muß so groß «ein,
daß sie nicht leicht bestochen werden können. Frei-
lich können sie allein nichts über das Gemeinwesen be-
stimmen, aber sie können den Senat hinhalten, oder,
was das Schlimmste wäre, ihn zum besten haben,
indem sie ihm Unwichtiges vorlegen und das Wich-
tige zurückhalten; ganz abgesehen davon, daß bei
zu geringer Zahl die bloße Abwesenheit des einen 30
oder anderen eine Verzögerung der Staatsgeschäfte
mit sich brächte. Da aber diese Konsuln eben des-
halb gewählt werden, weil sich große Körperschaften
nicht täglich mit den Staatsgeechäftea befassen können,
so muß hier ein Mittelweg gesucht werden und die
Garantie, die die Zahl nicht bietet, muß die Kürze
der Amtszeit ersetzen. Wenn also bloß dreißig ohn-
gefähr auf zwei oder drei Monate gewählt werden,
so wird ihre Zahl genügend groß sein, um für einen
so kurzen Zeitraum eine Bestechung unmöglich zu 40
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162 Abhandlung rom Staate.
machen. Aus diesem Grunde habe ich auch darauf
hingewiesen, daß ihre Nachfolger keinesfalls vor der
Zeit gewählt werden dürfen, sn der sie abtreten und
jene ihnen folgen.
§36.
Ihre Aufgabe ist es auch, wie erwähnt, den S^iat
einzuberufen, sobald einige von ihnen, wetm es auch
nur wenige sind, es für nötig erachten; fem^ ihm
die Beratungsgegenstande zu unterlnreiten, den Senat
10 zu vertagen und seine Beschlüsse in Staatsangelegen-
heiten auszuführen. In welcher Ordnung das zu ge-
schehen hat, damit die Dinge nicht durch unnötige Dls-
cussionen in die Länge gezogen werden, will ich jetzt
noch kurz angeben.
Die Konsuln sollen über die dem Senat zu nat&r-
breitenden Materien und über das, was notwendig ge-
schehen muü, sich beraten und nach erlangter Ein-
stimmigkeit den Senat einberufen, ihm die Frage vor-
legen und ihm ihre Ansicht vortragen; dann sollen
20 sie^ ohne auf die Äußerung der Ansicht eines anderen
zu warten, die Abstimmung ordnungsgemäß vor-
nehmen. Waren aber die Ansichten der Konsuln ge-
teilt, ' so wird die Ansicht der Majorilät über die vor-
liegende Frage zuerst vorgetragen werden. Findet
sie nicht die Zustimmung der Majorität des Senates
und der Konsuln, sind vielmehr die Unentschiedenen
und Ablehnenden in der Mehrzahl, was ja die Stimm-
steine wie erwähnt zeigen müssen, dann ist die An-
sicht^ die die nächst geringere Stimmenzahl der Kon-
80 suln auf sich vereinigte, vorzutragen und so fort die
übrigen« Wird keine von iet absoluten Majorität
des Senats angenommen, dann ist der Senat bis
zum folgenden Tag oder auf kurze Zeit zu ver-
tagen, damit die Konsuln inzwischen zus^en, ob
sich andere Mittel finden lassen, die meto Beifall
erhalten können. Vermögen sie es nicht oder werden
die gefundenen Mittel von der Majorität des Senats
abfi^cSehnt^ dann soll die Ansicht eines jeden Senators
gehört werden. Tritt aber die Majorität des Senats
40 keiner bei, dann soll über jede Ansicht wieder eine
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8. Kapitel. Von der Aristokratie. 15S
AbBtimmung vorgenommen werden nnd stwar sollen
dleemal nicht nur die Stimmen der Zustimmenden wie
bislier, sondern auch det Unentschiedenen und Ab-
lefanei^en geeählt werden. Stellt sich heraus» daß die
2^1d der Zustimmenden größer ist als die der Un-
entsohiedenen oder Ablebienden, dann gilt die An-
sicht als angenommen; als v^worfen hingegen, wenn
die Zahl der Ablehnenden die der Unentschiedenen
oder Zustinmienden übersteigl Ist aber bei allen An-
sichten die Zahl der Unentschiedenen größer als die 10
der Ablehnenden oder Zustimmenden^ dann soll der
Rat der S3mdici mit dem Senat zu einer Sitzung zu-
sammentreten und es soll eine gemeinsame Abstim-
mung vorgenommen werden, bei der bloß die zustim-
mefnden oder ablehnenden Stimmen gezählt werden und
die unentschiedenen unberücksichtigt bleiben. Dieselbe
Ordnung gilt für die Dinge, die vom Senat an den
Höchsten Rat zu bringen sind. Soviel über den Senat.
§37.
Was den Gerichtshof betrifft oder das Tri- 20
bunal, so kann dieses nicht auf den gleichen Grund-
lagen beruhen wie das in einer Monarchie, wie
ich es Kap. 6 §§ 26 ff. beschrieben habe. Denn, nach
§ 14 d. Kap., steht es mit den Grundlagen dieser
Regierung in Widerspruch, daß auf Abstammung oder
Familie Rücksicht genommen wird. Weil ferner bloß
Patrizier zu Richtern gewählt werden, kann es leicht
geschehen, daß sie sich durch die Furcht vor ihren
patrizischen Nachfolgern bestimmen lassen, zwar nicht
gegen einen derselboi ein ungerechtes Urteil zu fällen, 30
daß sie aber vielleicht auch nicht wagen, sie nach Ge-
bühr zu bestrafen, während sie sich dem Volk gegen-
über alles erlauben und sich die Begüterten täglich
zur Beute aussuchen.
Ich weiß, daß viele deshalb den Beschluß der
Genuesen loben, die ihre Richter nicht aus den Pa-
triziem, sondern ans den Fremden wähl^i. Mir scheint
das aber, wenn ich die Sache an sich betrachte, eine
wideisinnige Einrichtung, daß Fremde und nicht Pa-
trizier zur Auslegung der Gesetze berufen werden. 40
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154 Abhandlung vom Staate.
Was sind denn Richter anders als Ausleger der Ge-
setze? Ich bin daher überseag^ daß die Genuesen
auch hierin mehr dw Sinnesweise ihres Volkes als
dem Charakter dieser Begierungsform Rechnung |^e-
tragen haben. Wir nun, die wir die Sache an sich
betrachten, müssen auf Mittel und Wege denken, die
dieser Regierongafonn am meisten angemessen sind.
§38.
Was die Zahl der. Richter angeht» so erfordert der
10 Charakter dieser Verfassung nichts Besonderes. Ge-
rade wie in der Monarchie ist auch hier in erster
Linie darauf zu sehen, daß ihre Zahl genügend groß
ist, um eine Bestechung durch einen I^vatmann aus-
zuschließen. Denn ihre Pflicht ist nur, zu verhüten,
daß ein Privatmann einem anderen Unrecht .tut, also
die Streitigkeiten zwischen Privaten, Patriziern wie
Plebejern zu schlichten, und die sich m Vergehen
zu schulden kommen lassen, zu bestrafen, auch Pa-
trizier, Syndici und Senatoren, wenn sie sich gegen
20 das für alle geltende Recht vergangen l^^n.
Streitigkeiten übrigens, die zwischen Städten, die zum
Staat gehören, möglicherweise entstehen, müssen im
Höchsten Rat ihren Austrag finden.
§39.
Hinsichtlich ihrer Amtsdauer ist d^ maßgebende
Gesichtspunkt bei jeder Regierungsform der gleiche,
auch daß jährlich ein Teil von ihnen ausscheidet, und
schließlich, wenn sie auch nicht alle aus verschiedenen
Familien sein müssen, daß doch nicht zwei Blutsver-
80 wandte zu gleicher Zeit die Richterbank einnehmen
dürfen.
Das Gleiche ist auch bei den übrigen Körper-
schaften zu beobachten, ausgenommen den Höchsten
Rat Bei diesem genügt es, wenn bloß hei den Wahlen
durch ein Gesetz dafür gesorgt ist» daß niemand ein^
Verwandten vorschlagen oder, wenn er von einem
anderen vorgeschlagen ist, für ihn stimmen darf,
femer daß bei der Ekrnennung eines Staatsbeamten
nicht zwei Verwandte das Los aus der Urne ziehen.
40 Das genügt bei einer Körperschaft, die sich aus
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8. S^apitel. Von der Aristokratie. 155
einer so großen Zahl von Menschen zosanunen-
setzt und der keine besonderen Einkünfte angewiesen
werden. Der Staat könnte ja keinen Schaden davon
haben, und darum wäre es widersinnig, durch ein
Gesetz die Verwandten aller Patrizier vom Höchsten
Rate auszuschließen (gemäß § 14 d. Kap.).
Daß es widersinnig wäre, ist keine Frage. Denn
jenes Recht könnte nicht von den Patriziern einge-
führt werden, ohne daß sie sich alle in diesem Punkte
ihres Rechtes überhaupt begäben; daher wären die 10
Wächter dieses Rechtes nicht die Patrizier selbst^
sondern das Volk, was in direktem Widerspruch zu
dem in §§ 5 und 6 d. Eap. Gesagten steht Jenes
Staatsgeeetz hingegen, welches bestimmt, daß immer
ein xaA dasselbe Verhältnis in der Zahl der Patrizier
und des Volkes bestehe, bezweckt in erster Linie die
Wahrung des Rechtes und d^ Macht der Patrizier,
damit nämlich ihre Zahl immer groß genug ist, um
das Volk zu beherrschen.
§40. 20
Im übrigen sind die Richter vom Höchsten Rat
aus den Patriziern, d. h. (nach § 17 d. Kap.) aus
den Gesetzgebern selbst zu wählen. Die Entscheid
düngen, die sie in Civil- wie in Strabachen fallen,
werden rechtskräftig sein, wenn sie ordnungsgemäß
und unparteiisch gegeben worden sind. Die Syndici
werden die gesetzliche Befugnis haben, hierüber zu er^
kennen, zu urteilen und zu verfügen.
§41.
Die Bezüge der Richter müssen dieselben sein, 80
wie ich Eap. 6 § 29 angab. Sie sollen nämlich bei
}eder Entscheidung in Civilsachen von der unterlegenen
Partei einen bestimmten Prooentsatz der Streitsumme
erhalten. Bei Entscheidungen in Strafsachen soll ein
Unterschied insofern bestehen, als die von ihnen ein-
gezogenen Güter und die Strafgelder bei geringeren
Vergehen ihnen allein angewiesen werden, jedoch mit
der Bedingung, daß sie niemals jemanden durch die
Folter zu einem Geständnis zwingen dürfen.
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166 Abbaadlung Toa StaaU.
Dadurch ist genügend dafür geeorgt, daß sie
den Leuten aus dem Volk gegenüber nicht ungerecht
sind und daß sie nicht aus Furcht die Patrizier be-
günstigen* Denn einmal wirkt dieser Furcht schon die
Habsucht entgegen, die sich dabei unter d^n schönen
Namen Gerechtigkeit birgt Dazu kommt neoh, daß
sie in größerer 2Sahl sind und ihre Stimmen nicht
öffentlich, sondern mittels Stimmst^nen abgeb^i.
Wollte jemand wegen eines verlorenen Prozesses un-
10 willig werden, so hat er ja k^nen Anhalt, ein^n ein-
zelnen die Schuld zu geben. Außerdem wird auch die
Scheu vor den Syndici sie abhalten, daß sie ein» un-
gerechte oder wenigstens widerspruchavolle Entschei-
dung filUen oder daß einer von ihnen unehrlich handdt»
abgesehen davon, daß sich bei einer so großen SSahl
von Richtern immer der eine oder der andere findet»
den die Ungerechten fürchten.
Für die Leute aus dem Volke wird es ein ge-
nügender Schutz sein, wenn sie das Recht haben, an
20 die Syndici zu appellieren, die wie gesagt die gesetz-
liche Befugnis h£j[>en, in allem, was die Richter an-
geht, zu erkennen, zu urteilen und zu verfügen. Die
Syndici werden sicher den Haß vieler Patrizier nicht
vermeiden können, aber dafür werd^i sie beim Volke
sehr beliebt sein und werden sich Mühe geben, seinen
Beifall, soviel an ihnen liegl^ zu sfewinnen. Zu diesem
Zwecke werden sie gegebenenfalls es sich nicht ent-
gehen lassen, gesetzwi<kige Urteile zu kassieren, jeden
Richter zu überwachen und die ungerechten zu strafen.
30 Denn nichts macht auf den Geist des Volkes einen
tieferen Eindruck. Dag^en spricht auch nicht, daß
solche Fälle sich doch hur selten ereignen können;
im Gegenteil spricht dies dafür. Um den Staat wäre
es ja schlecht best^lt» in dem täglich Bestrafungen
von Verbrechern vorkämen (wie ich Kap 6 § 2 gezagt
habe); das aber muß aicherlich sehr selten s^ was von
der öffentlichen Meinung am höchsten gepriesen wird.
§42.
Diejenigen, die als Regierungsvertreter in die
40 Städte oder Provinzen geschickt werden, müssen der
Klasse der Senatoren entnommen werden, weil es deren
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8. Eoipitel. Von der Aristokratie. 157
Aufgabe ist» ftir die Bef estigtmgswerke/ die Finanzen,
das Heerweeen o. fi. w. asu sorgen. Weil aber die-
jenigen, die in einigermaßen ^itfemte Gegenden ent-
sandt werden, den Senat nicht besnchen konnten, so
sind bloß solche ans dem Senat salbst zu berufen, die
för ^ne im Land gelegene Stadt bestimmt werden.
Die nach entfernteren Orten geschickt werden sollen,
sind ans denen zu entnehmen, die das senatsfähige
Alter haben.
Ich glaube aber, daß der Friede des ganzen Staates 10
nicht hinreichend sicher gestellt ist» wenn die um-
liegenden Nachbarstadte völlig vom Stimmrecht aus-
geschlossen sind; sie müßten denn so ohnmächtig sein,
daß man ihnen unverhohlene Mißachtung bieten dürfte,
was doch undenkbar ist Darum muß man den um-
liegenden Nachbarstödten das Bürgerrecht verleihen
tmd aus jeder zwanzig, dreißig oder vierzig gewählte
Bürger — die Zahl mußi sich nach der Größe der
Stadt richten — unter die Patrizier aufnehmen. Aus
diesen müssen drei, vier oder fünf jährlich für den 20
Senat gemhlt werden und einer zum Syndicus auf
Lebenszeit Und diese nun, die dem Senat angehören,
sollen zusammen mit dem Syndicus als Regierungsver-
treter in die Stadt geschickt werden, aus dw sie ge-
wählt sind.
§48.
Übrigens sind die Richter, die in jeder Stadt
eingesetzt worden müssen, aus den Patriziern dieser
Stadt zu wählen. Ich halte es aber nicht für nötig,
ausführlicher darauf einzugehen, weil es nicht zu den
besonderen Grundlagen dieser Regierungslorm gehört 30
§44.
Die Sekretäre einer jeden Körperschaft und
afidere derartige Beamte sind, weil sie kein Stimm-
recht haben, aus dem Volke zu wählen. Weil diese
aber durch die ständige Geschäftsführung die größte
Sachkenntnis beritzetu, so kommt es häufig v(Nr, daß
man ihrer ESnsicäit mehr übertilßt, als sich gebührt,
und idi der Zustand des ganzen Staates in der Haupt-
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158 Abhandlang vom Staate.
Sache von ihrer Leitung abhängt Dies wurde den
Holländern verhängnisvoll. Denn es kann ]a niclit
ohne den Unwillen vieler Edlen geschehen. Zweifel-
los wird ein Sena^ der seine Elogheit nicht der Ein-
sicht der Senatoren» sondern der Angestellten ver-
dankt, sich hauptsächlich aus Uniähigen susammen-
setzen, und ein solcher Staat wird in nicht viel besswer
Lage sein als eine Monarchie, die von w^gen Bat-
gebem des Königs regiert wird (vgl. hierüber Kap. 6
10 §§ 5, 6 und 7). Indessen wird ein Staat, je nachdem
er gut oder schlecht eingerichtet ist, mehr oder minder
unter diesem Übel leiden. Denn die Freiheit eines
Staates, die nicht fest genug begründet ist» läßt sich
nie ohne Gefahr verteidigen. Die Patrizier, die sich
dieser nicht aussetzen wollen, wählen ehrgeizige Be-
amte aus dem Volke, die sie dann, wenn ein Um-
sturz erfolgt, als Opfer hinschlachten lassen, um
den Zorn derer zu sänftigen, die der Freiheit nach-
stellen. Wo aber die Freiheit genügend fest ge-
20 gründet ist, da werden die Patrizier schon selbst den
Ruhm« sie zu schützen, für sich in Anspruch nehmen
und darnach trachten, daß man die kluge Staats^
leitung bloß ihrer Einsicht zuschreibt.
Diese beiden Gesichtspunkte habe ich bei den
Grundlagen dieser Regierungsform in erster Linie im
Auge gehabt, daß immlich das Volk sowohl von den
Beratungen als auch von den Abstimmungen ausge-
schlossen ist (vgl. §§ 3 und 4 d. Kap.), und (kß
demnach die höcbite Staatsgewalt bei allen Patriziern
80 liegt, die Autorität aber bei den Syndici und beim
Senat und das Recht, den Senat 'einzuberufen und
ihm Vorschläge über das Gemeinwohl zu machen, bei
den Konsuln, die aus dem Senat selbst gewählt werden.
Wird außerdem bestimmt, daß ein Sekretär des Senats
oder einer anderen Körperschaft bloß auf vier oder
höchstens fünf Jahre zu wählen und daß ihm ein
zweiter Sekretär mit gleicher Amtsdauer zur Seite za
stellen ist, der inzwischen einen Teil seiner Arbeit
leistet, oder wenn es im Senat nicht einen, sondern
40 mehrere Sekretäre gibt, die sich in die Geschäfte
teilen, dann wird es nie vorkommen, daß die Macht
der Angestellten irgendwelche Bedeutung gewinnt
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8. Kapitel. Von der Aristokratie. 159
§45.
Die Finanzbeamten sind ebenfalls aus dem
Volke zu nehmen. Sie sind nicht nur dem Senat,
sondern auch den Syndici Rechenschaft schuldig.
§46.
Die Fragen über die Religion habe ich aus-
führlich genug im theologisch-politischen Trak-
tat behielt Einiges jedoch ist dort übergangen,
weil dort nicht der gedgnete Platz war, es zu be-
handeln. Die Patrizier müssen nämlich alle em und 10
derselben Religion angehören und zwar der einfachsten
und allgemeinsten, wie ich sie in jenem Traktat dar-
gestellt habe. Denn vor allem muß es verhütet werden,
daß sich die Patrizier in Sekten teilen und die einen
diese^ die anderen jene begünstigen und daß sie in
ihrem Aberglauben befangen den Untertanen die Frei-
heit zu nehmen suchen, zu sagen, was sie denken.
Zwar muß jedem die Freiheit gewährt werden,
zn sagen, was er denkt; doch sind große Versamm-
lungen untersagt So muß es den Anhängern einer 20
anderen Religion zwar gestattet sein, so viel Kirchen,
als sie wollen, zu bauen, 9ber sie müssen klein, von
einem bestimmten Umfang sein und an einigermaßen
voneinander entfernten Orten. Dagegen sollen die
Kirchen, die der Landesreligion geweiht sind, — und
das ist von Bedeutung — groß und prächtig sein
und beim Gottesdienst sollen bloß Patrizier und Se-
natoren fungieren dürfen. Es sollen also bloß Psr
trizier taufen, Ehen einsegnen, die Hände auflegen
dürfen, überhaupt sollen sie als die Priester der 80
Kirchen und als Wächter und Ausleger der Landes-
religion gelten. Zum Predigen aber und zur Ver-
waltung des Kirchengutes sowie zur Besorgung der
laufenden Groschäfte soll der Senat einige Männer
aus dem Volke wählen, die als seine Stellvertreter
fungieren und ihm daher Rechenschaft schuldig sind.
§47.
Das ist es nun, was die Grundlagen dieser Re-
gierungsform betrifft Ich will noch einiges wenige
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160 Abhandhiiig vom Staate.
hinzufügen, das 2swar nicht bo principiell, aber doch
sehr b^eutongsvoll ist Die Patrizier sollen in einer
eigenen, sie unterscheidenden Grewandung oder Tracht
einhersehen; sie sollen mit einem besonderen Titel
gegrüfft werden; jedermann aus dem Volke soll vor
ihnen zurücktreten. Hat ein Patrizier nachweislich
durch unverschuldetes Unglück sein Vermögen ver-
loren, so wird es ihm aus Staatsmittehi ersetzt Hat
er es aber offenbar durch Verschwendung, durch Luzns^
10 im Spiel oder mit Dirnen vergeudet, oder hat er
mehr Schulden, als er bezahlen kann, dann soll er
sdne Würde verlieren und unwürdig aeia jeder Eüire
und jed^ Amtes. Denn wer sich selbst und seine
Privatangelegenheiten nicht regieren kann, der kann
noch viel weniger für die Staatsangelegenheiten
sorgen.
§48.
Wer vom Gesetz zum Eide gezwungen wird, wird
wdt mehr einen Meineid scheuen, wenn er beim Wohl
20 und der Freiheit des Vaterlandes und hwa Höchsten
Rate, als wenn er bei Gott schworen soll Denn wer
bei Gott schwört^ setzt, ein Privatgut ein, dessen
Schätzung von ihm abhängt; wer aber beim Schwur die
Freiheit und das Wohl des Vaterlandes einsetzt^ der
schwört bei dem gemeinsamen Gute der Gesamtheit»
dessen Schätzung von ihm nicht abhängt Schwört
er falsch, so emärt er sich selbst zum Fieind des
Vaterlandes.
§49.
80 Die auf Staatekosten gegründeten Universitäten
werden weniger zur Ausbildung als zur Emschränkung
der Geister errichtet In einem freien Staate hingegen
werden Künste und Wissenschaften am besten ge-
deihen, wenn jedem, der darum nachsucht, die Er-
laubnis ert^lt wird, öffentlich zu lehren und swar
auf eigene Kosten und mit Gefahr seines Rufes. Dies
und ähnliches will ich aber für einen and»^i Ort
aufsparen. Denn hier ist meine Absicht nur, das zu
behandeln, was bloß auf diearistokratisclia Regierungs-
40 form sich bezieht
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Neuntes Kapitel.
§1.
BiB hierher haben wir einen solchen Staat be-
trachtet, soweit er nach einer einzigen Stadt als der
Hauptstadt des ganzen Staates genannt wird. Nun
ist es Zeit, von dem Staat zu reden, dessen Re-
gierung mehrere Städte innehaben und der nach
meiner Meinung den Vorzug vor dem vorhergehenden
verdient Um aber die Verschiedenheit und ^e Vor-
züge beider kennen zu lernen, müssen wir erst die 10
Grundlagen des ersteren einzeln durchgehen imd
was für den anderen nicht paßt beiseite lassen und
anderes, worauf er sich stützen muß, dafür einsetzen.
§2.
Die Städte, die daa Bürgerrecht genießen, müssen
80 gebaut und befestigt sein, daß zwar keine ohne
die übrigen existieren kann, daß aber auch keine von
den übrigen abfallen kann ohne großen Schaden für
den ganzen Staat Auf diese Weise werden sie nämlich
immer vereinigt bleiben. Dieienigen Städte aber, die 20
weder in der Lage sind, sich zu erhalten noch den
übrigen Furcht einzuflößen, sind nicht unter ihrem
eigenen, sondern vollkommen unter dem Rechte der
übrigen.
§8.
Alles, was ich in §§ 9 und 10 des vor. Eap. ge-
zeigt habe, leitet sich ner aus der allgemeinen Natur
der aristokratischen Regierungsform, so das Ver-
hältnis der Zahl der Patrizier zur Volkszahl, ihr ,
Alter und die sonstigen Bedingungen ihrer Wählbar- 30
Spinoa», Abhandlg. üb. d. Verbou«rg. d. VenUndM. 11
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162 Abhandlung vom Staate.
keii Darin kann also kein Unterschied entsteh^i,
ob nun eine Stadt oder mehrere die Regierung inne-
haben.
Anders liegt die Sache beim Höchsten Rat.
Denn würde eine Stsidt im Reiche zam Versammlungs-
ort dieses Rates bestimmt» so wäre sie faküsch die
Hauptstadt Daher müßte entweder ein Wechsel statt-
finden oder dem Rate müßte ein Ort angewiesen
werden, der das Bürgerrecht nicht besitzt und allen
10 in gleichem Maße gebort Doch ist das eine wie das
andere freilich leicht gesagt &^i^ schww getan, näm-
lich daß sich so viel tausend Menschen häufig außer-
halb der Städte begeben oder daß sie bald hier, bald
dort zusammenkommen sollen.
§4.
Um aber, was hierin geschehen muß und wie
die Körperschaften bei dieser Regierungsform ein-
zurichten sind, aus ihrer Natur und Beschaffenheit
richtig herleiten zu können, ist folgendes in Erwägung
20 zu ziehen. Jede Stadt hat so viel mehr Recht als ein
Privatmann, als sie ihm an Macht überlegen ist (nach
Kap. 2 § 4). Folglich hat jede Stadt in diesem Staate
(s. § 2 d. Kap.) 80 viel Recht innerhalb ihrer Mauern
oder innerhalb der Grenzen ihres Grerichtsbanns, als
sie Macht ausübt Femer sind alle Städte nicht
als Bundesgenossen, sondern als Bestandteile eines
Staates untereinander verbunden una vereinigt so
jedoch, daß jede Stadt um so viel mehr Recht
im Staate hat als die übrigen, als sie die übrigen
80 an Macht überragt Es wäre ja eine unsinnige
Forderung, Gleichheit unter Ungleichen zu ver-
langen. Die Bürger werden freilich mit Recht als
gleich geschätzt, weil die Macht des einzelnen gegen-
über der Macht des ganzen Staates nicht in Betracht
kommt Die Macht einer Stadt aber bildet einen großen
Teil der Macht des ganzen Staates, und zwar einen
um 80 größeren, je größer die Stadt ist Darum
können die Städte nicht alle für gleich gelten; viel-
mehr muß wie ihre Macht so auch ihr Recht nach
40 ihrer Größe geschätzt werden. Die Bande aber, die
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9. Kapitel. Von der Aristokratie. 163
sie 80 aneinanderschließeii müssen, daß sie einen
Staat bilden, sind in erster Linie (nach Kap. 4 § 1)
der Senat und der Gerichtshof. Wie sie aber alle
durch diese Bande so zu vereinigen sind, daß dabei
doch jede Stadt nach Möglichkeit ihr eigenes Recht
bewahrt, das will ich hier in der Kürze zeigen.
§5.
Ich denke mir nämlich, daß die Patrizier einer
jeden Stadt, deren je nach ihrer Größe (nach § 3
d. Elap.) mehr oder weniger sein müssen, das höchste 10
Recht über ihre Stadt haben und daß sie im obersten
Rat derselben die höchste Gewalt haben, Befestigungs-
werke anzulegen, die Mauern zu erweitem, Steuern
aufzuerlegen, Gesetze zu geben und abzuschaffen, über-
haupt alles zu tun, was sie für die Erhaltung und
das Wachstum der Stadt für notwendig erachten.
Zur Führung der allgemeinen Staatsgeschäfte ist
aber ein Senat zu wählen, und zwar genau unter den
im vorigen Kapitel angegebenen Bedingungen. Dieser
Senat wird sich also von jenem anderen nur darin 20
tmterscheiden, daß jener noch die BefugniB liat,
Streitigkeiten zu schlichten, die möglicherweise
zwischen den Städten sich erheben. Denn dies kann
in einem Staate ohne Hauptstadt nicht wie in jenem
durch den Höchsten Bat geschehen (& § 38 d.
vor. Kap.).
§6.
Übrigens soll in diesem Staate der Höchste Bat
nur einberufen werden, wenn eine Beform des Staates
nötig ist, oder in einer schwierigen Angelegenheit, 80
deren Durchführung sich die Senatoren nicht gewach-
sen glauben. Es wird also sehr selten vorkommen,
daß alle Patrizier zum Bäte einberufen werden. Denn
es ist wie gesagt die Hauptaufgabe des Höchsten
Rates (§ 17 d. vor. Kap.), Gesetze zu geben und ab-
zuschaffen und sodann die Staatsbeamten zu wählen.
Aber die Gresetze oder allgemeinen Bechte des Ge-
samtstaates dürfen, einmal festgesetzt^ nicht abge-
ändert werden.
11*
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164 Abhandlung vom Staate.
Wenn aber dennoch Zeit und Umstände die Ein-
fühmng einer neuen Gesetzesbestimmung oder die Ab-
änderung einer bereits bestehenden fordern, so kann
zuvor eine Beratung darüber im Senat stattfinden.
Ist der Senat darül^r einig geworden, dann soll er
Gesandte an die Städte scUcken, um den Patrmem
einer jeden die Ansicht des Senats vorzulegen.
Schlieflt sich die Majorität der Städte dieser An-
sicht an, so ist sie angenommen, andernfalls ver-
10 werfen. Dasselbe Verfahren kann man bei der Wahl
der Heerführer und der auswärtigen Gesandten, ebenso
bei der Entscheidung über Kriegserklärung und der
Annahme von Friedensbedingungen anwenden.
Bei der Wahl der übrigen Staatsbeamten hin-
gegen muß, weil jede Stadt möglichst ihr eigenes
Recht bewahren und im Staate um so mehr Recht
haben muß, als sie den übrigen an Macht überlege
ist» folgende Ordnung beobachtet werden. Die Se-
natoren sind von den Patriziern jeder Stadt zu wählen,
20 indem die Patrizier jeder Stadt in ihrer Versamm-
lung eine bestimmte Zahl Senatoren aus ihren Kol-
legen und Mitbürgern wählen, die zu der Zahl der
Patrizier sich (s. § 30 d. vor. Kap.) wie 1 zu 12 v»-
hält Diese werden sie dann der ersten, zweiten, dritten
u. s. w. Abteilung zuweisen. Ebenso wählen die Par
trizier der übrigen Städte je nach ihrer Zahl mehr
oder weniger Senatoren und teilen sie in so viel Ab-
teilungen ein, wie der Senat nach meiner Angabe
(s. § 34 d. vor. Kap.) haben soll. Auf diese Weise
80 werden in jeder Senatsabteilung die einzelnen Städte
je nach ihrer Größe durch mehr oder weniger Se-
natoren vertreten sein. Die Präsidenten und Vice-
präsidenten der Abteilungen aber, deren Zahl geringer
ist als die Zahl der Städte, werden vom Senat aus
den erwählten Konsuln durch das Los bestimmt
Bei der Wahl der höchsten Richter im Staate
ist dasselbe Verfahren beizubehalten: die Patrizier
jeder Stadt wählen aus ihren Kollegen ihrer Zahl
entsprechend mehr oder weniger Richter.
40 Auf diese Weise wird jede Stadt bei der Wahl
der Beamten nach Möglichkeit ihr eigenes Recht be-
wahren und jede um so mehr Recht im Senat wie
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9. Kapitel. Von der Aristokratie. 165
im Gerichtshof haben, je mächtiger sie ist^ voraus-
geeetzt, daß die Grefichaftsordnang des Senats und
des Gerichtshofs bei den Beschlüssen über Staats-
angelegenheiten und bei der Entscheidung von Streit-
fragen ganz so ist, wie ich sie §§ 33 und 34 d. vor.
Kap. dargestellt habe.
§7.
Die Hauptleute und Obersten müssen ebenfalls aus
den Patriziern gewählt werden. Denn da es billig
ist, daß jede Stsät im Verhältnis zu ihrer Größe eine 10
bestimmte Zahl Soldaten zur gemeinsamen Sicherung
des Gesamtstaates stellen muß, ist es auch billig,
daß sie entsprechend der Zahl der Regimenter, die
sie unterhalten muß, auch so viel Obersten, Haupt-
leute und Fähnriche aus ihren Patriziem wählen darf,
als die Leitung des Truppenteils» den sie dem Staate
stellt, erfordert
§8.
Steuern darf der Senat den Untertanen nicht auf-
erlegen. Zur Bestreitung der Kosten, die der Staats- 20
hatuäalt nach Senatsbeschluß erfordert, sollen nicht
die Untertanen, sondern die Städte vom Senat heran-
gezogen werden. Jede Stadt soll im Verhältnis zu
ihrer Größe einen größeren oder geringeren Teil der
Kosten tragen. Diesen mögen dann die Patrizier der
Stadt von ihren Einwohnern auf beliebigem Wege
erheben, entweder indem sie sie zur Einschätzung her-
anziehen, oder, was weitaus angemessener ist, durch
indirekte Al[)gaben.
§9. 80
Wenn auch nicht alle Städte dieses Staates See-
städte sind und die Senatoren nicht bloß aus den
Seestädten berufen werden, so kann man ihnen doch
dieselben Einkünfte anweisen, von denen ich § 31
d. vor. Kap. sprach. Zu diesem Zwecke kann man je
nach der Staatsverfassung Mittel ausfindig machen,
um die Städte noch enger aneinander zu fessehi.
Im übrigen findet alles, was ich im vor. Kap.
vom Senat, vom Gerichtshof, überhaupt von der ganzen
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166 Abhandlaog yom Staate.
StaatBverwaltung gesagt habe, auch bei dieser Re-
gienmgaform seine Anwendung. Wir sehen also, dafl
in einem Staate^ dessen Regierung mehrere Städte
innehaben, der Höchste Bat nicht zu einer bestinimt^i
Zeit und an einem bestimmten Orte einberufen sa
werden braucht Dem Senat und dem Gerichtshof
dagegen ist ein Dorf oder eine Stadt ohne Stimmrecht
anzuweisen. Nun wende ich mich zu dem zurück,
was die einzelnen Städte betrifft
10 § 10.
Das Verfahren des obersten Rates einer Stadt
bei der Wahl der s^tischen und staatlichen Be-
amten und bei Verhandlungen muß dasselbe sräa,
wie ich es §§ 27 und 36 d. vor. Eap. angegeben habe»
denn hier wie dort sind die Verhaltnisse die gleichen.
Die Korperschaft der Syndici muß diesem städti-
schen Rat untergeordnet sein, denn sie verhalt sich za
ihm, wie die Syndici im vorigen Kapitel zum Rat dee
Gesamtstaates. Ihre Aufgabe soll innerhalb der Grenzen
20 des Gerichtsbannes der Stadt die gleiche sein und
sie sollen dieselben Einkünfte bezidien. Sollte eine
Stadt und damit auch die Zahl der Patrizier so klein
sein, daß sie nur einen oder zwei Syndici wählen kann,
welche zweie doch keine Korperschaft bilden können,
so müssen den Syndici für ihre Entscheidungen, je
nachdem der FbII liegt, vom obersten etadtischen Rat
Richter beigegeben werden oder die Streitfrage ist
dem obersten Rat der Syndici vorzulegen. Denn ans
jeder Stadt sind einige von den Syndici zu dem Ort
80 zu entsenden, wo der Senat seinen Sitz hat^ die dar-
über zu wachen haben, daß die Rechte des Gesamt-
staates unverletzt bleiben, und die Sitz im Senat ohne
Stimmrecht haben sollen.
§11.
Die städtischen Konsuln werden ebenfeiUs
von den Patriziern ihrer Stadt gewählt, um gleichsam
deren Senat zu bilden. Ihre Anzahl kann ich nicht
bestimmt angeben, aber ich halte ee auch nicht für
Digitized by^OOQlC
9« Kapitel. Von der Aristokratie. 167
notig, weil ja doch die wichtigeren Geschäfte der
StaMit von ihrem obersten Rat und, soweit sie den
Gesamtstaat angehen, vom großen Senat erledig
werden. Ist übrigens ihre Zahl klein, so wird es nötig
sein, daß sie t^i ihren Versammlungen offen ab-
stimmen und nicht mittele Stimmsteinen, wie in den
großen Körperschaften. Denn in kleinen Körper-
schaften kann bei geheimer Abstimmung jemand, der
ein wenig schlauer ist, leicht herausbekommen, wer
jede Stinmie abgegeben hat, und die weniger Acht- 10
samen auf vielerlei Art zum Narren halten.
§12.
In jeder Stadt müssen femer die Richter vom
obersten Rate eingesetzt werden. Von ihrer Ent-
scheidung kann jedoch an den obersten Staatsgerichts-
hof appelliert werden, außer wenn der Angeklagte
offen überführt oder der Schuldner geständig ist.
Doch bedarf dies keiner weiteren Auseinandersetzung.
§13.
£s bleibt uns nun noch übrig, von den Städten 20
zu reden, die nicht ihr eigenes Recht haben.
Diese müssen, wenn sie in einer Provinz des Staates
oder in einer zu ihm gehörigen Gegend gelegen sind
und wenn ihre Einwohner gleiche Nationalist und
gleiche Sprache haben, ebenso wie die Dörfer als
Teile der benachbarten Städte angesehen werden, und
jede muß unter der Regierung dieser oder jener selb-
ständigen Stadt stehen. Der Grund dafür liegt darin,
daß die Patrizier nicht vom Höchsten Rate des Staates,
sondern vom obersten Rate jeder Stadt gewählt werden 30
und daß ihre Zahl in einer Stadt sich richtet nach
der Bevölkerungszahl derselben in den Grenzen ihres
Gerichtsbannes (nach § 5 d. Kap.). Dah^ muß die
Bevölkerung einer unselbs&idigen Stadt in den Steuer-
verband einer anderen selbs1»n£gen einbezogen werden
und ihrer Verwaltung unterstellt sein. Die durch
£[riegsrecht eroberten Städte und solche^ die sich
dem Staate angeschlossen haben, müssen als Bundee-
Digitized by V^OOQIC
168 AbhandloDg vom Staate.
genossen des Staates betrachtet und durch Wohltaten
gewonnen und verpflichtet werden, odw es müssen
Kolonien mit Bürgerrecht dorthin geschickt» das Volk
aber anderswohin verpflanzt odw ganz vertilgt werden.
§14.
Das wäre es also, was die Grundlagen eines
solchen Staates betrifft Daß aber seine Verfassung
besser ist als die eines Staates, der nach einer Stadt
allein benannt ist, schließe ich daraus, daß die Pa-
10 trizier einer jeden Stadt^ wie nun die menschlichen
Begierden sind, danach streben werden, ihr Becht
in der Stadt wie im Senate zu behaupten und wo-
möglich zu erweitem. Darum werden sie sich b^
mühen, das Volk möglichst auf ihre Seite zu bringen
und werden folglich ihre Regierung mehr mit Wohl-
taten als mit &$hr6cken zu führen und ihre Anzahl
zu vermehren suchen. Denn je größer ihre Zahl ist,
desto mehr Senatoren werden sie (nach § 6 d. Kap.)
aus ihrer Mitte wählen und desto größer wird also
20 (nach demselben §) ihr Recht innerhalb der Re-
gierung sein.
Dem steht nicht entgegen, daß die einzelnen
Städte, indem jede nur für sich sorgt und auf die
übrigen neidisch ist, häufig in Zwist miteinander ge-
raten und die Zeit mit Streitigkeiten vergeuden. Denn
mag auch, „während die Römer beratschlagen, Sagunt
zu Grunde gehen" — wenn wenige bloß nach ihrer
Leidenschaft alles entscheiden, geht die Freiheit zu
Grunde und das Gemeinwohl. Der menschliche Ver-
80 stand ist zu stumpf, um alles auf einmal durchdringen
zu können; durch Fragen, Hören und Besprechen wird
er aber geschärft, und indem er alle Mittel versucht^
findet er endlich, was er will, was dann alle gut-
heißen und an das doch vorher niemand gedacht
hätte. Wir haben viele Beispiele dafür in Holland.
Wollte jemand dem entgeffenhaiten, daß der hol-
ländische Staat nicht lange ohne einen Grafen odw
einen Statthalter an Stelle des Grafen bestanden hat,
so diene ihm diee zur Antwort Die Holländer haben
40 es für die Erhaltung ihrer Freiheit für genügend er-
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9. Kapitel. Von der Aristokratie. 169
achtet, sich des Grafen zu entledigen und dem Staat»-
körper den Eopf abssuschneiden, ohne weiter an seine
Nengestaltnng zu denken. Sie ließen vielmehr alle
Güeder, wie sie vorher bestanden, nna so blieb die
Gra&chaft Holland ohne Grafen wie ein Körper ohne
Hanpt und die Regierung selbst ohne Namen. Darum
war es nicht zu verwundem, daß die Mehrzahl der
Untertanen gar nicht wußte, in wessen Händen denn
die höchste Begierungsgewalt gelegen sei. Und selbst
wenn das nicht der Fall gewesen wäre, so waren doch 10
die Inhaber der Regierungsgewalt viel zu gering an
Zahl, um das Volk regieren und mächtige Gegnar
niederhalten zu könnw. So kam es» daß £ese ihnen
ungestraft entgegenarbeiten und sie schließlich stürzen
konnten. Der plötzliche Untergang der Republik kam
nicht davon, daß man die Zeit mit unnützen Beratungen
verschwendet hatte, sondern daß die Staatsverfassung
zerrüttet und die Zahl der Regierenden zu klein war.
§15.
Ein weiterer Vorzug dieser aus mehreren Städten 20
gebildeten aristokratischen Begierung gegenüber der
anderen besteht darin, daß bei ihr nicht wie bei
jener Vorsichtsmaßregeln nötig sind, damit nicht der
Enze Höchste Bat durch einen Handstreich anhe-
ben wird, da ja (nach § 9 d. Kap.) Zeit und Ort
für seine Einberufung nicht festgesetzt sind« Überdies
sind in diesem Staate mächtige Bürger weniger zu
fürchten. Denn wo mehrere Städte im Genuß der
Freiheit sind, genügt es für einen, der sich den Weg
zur Herrschaft batmen will, nicht, von einer Stadt 30
Besitz zu ergreifen, um die Herrschaft auch über
die anderen zu gewinnen. Schließlich haben in diesem
Staat mehr an der Freiheit teil. Denn wo nur eine
einzige Stadt herrscht^ dort wird für das Wohl der
übrigen nur so weit gesorgt, als es der herrschenden
Stadt gerade paßt.
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Zehntes Kapitel.
§1.
Nachdem wir die Grundlagen der beiden aristo-
kratischen Regierangsformen dargelegt und erklart
haben, bleibt uns noch übrig zu untersuchen, ob sie
durch eigene Schuld sich auflösen oder in eine andere
Form verwandeln können.
Die Hauptursache, weshalb solche Staaten sich
auflösen, ist eben jene, die der scharfsinnige Floren-
10 tiner in seinen Discorsi über Titus livius, 3. Buch,
1. Kap., angibt: „in einem Staate sammelt sich ge-
rade wie in einem menschlichen Körper laglich etwas
an, was von Zeit zu Zeit eine Eur erfordert Daher
muß bisweilen, sagt er, ein Ereignis eintreten, das
' den Staat wieder zu dem Grundprincip zurückführt,
worauf er im Anfang begründet wurde. Tritt dieses
nicht zur rechten Zeit ein, so werden die Übel bis zu
einer solchen Höhe anwachsen, daß sie nur mit dem
Staate selbst beseitigt werden können. Ein solches
20 Ereignis, fahrt er fort, kann zuBllig eintreten, oder
es wird absichtlich herbeigeführt und zwar durch die
Klugheit der Gesetze oder eines Mannes von hervor-
ragender Tüchtigkeit Zweifellos ist dies von gröOt»
Wichtigkeit, und wo gegen jenen Übelstand keine
Vorsorge getroffen ist, kann ein Staat nicht durch
eigene Tüchtigkeit^ sondern bloß durch günstige Um-
stände Bestand haben. Wird aber jenes Übel durch
ein geeignetes Gegenmittel bekämpft, dann kann der
Staat nicht durch sein Gebrechen, sondern nur durch
30 unabwendbares Geschick fallen, wie ich bald klarer
zeigen werde.
Das erste Gegenmittel gegen dieses Übel bestaxid
darin, alle fünf Jahre einen obersten Dictator auf
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10. Kapitel. Ghurantien der Aristokratie. 171
einen oder zwei Monate zu wählen mit dem Rechte,
über die Handinngen der Senatoren und samtlicher
Staatsbeamten za erkennen, zu nrteilen und zu ver-
fügen und damit den Staat anl sein Grundprincip
zurückzuführen. Wer aber Schaden im Staat beseitigen
innlly der muß Gegenmittel anwenden, die mit der Natur
dee Staates im Einklang stehen und aus seinen Grund-
lagen hergeleitet werden können, sonst fallt er in
die Scylla, indem er die Gharybdis vermeiden wilL
Es ist allerdings wahr, daß alle, Regierende wie 10
fiegierte, durch die Furcht vor Strafe oder Schaden
abgehalten werden müssen, ungestraft od^ gar zu
ihrem Vorteil die Gesetze zu übertreten; aber auch
das ist gewiß: standen die Guten gerade so unter dieser
Furcht wie die Bösen, dann wäre notwendig der Staat
in der «roßten Gefahr. Da ja die dictatorische Gewalt
mramschrankt ist, so muß sie allen furchtbar sein,
besonders wenn, wie verlangt wird, der Dictator zu
einer festgesetzten Zeit gewählt würde; denn dann
strebt jeder Ehrgeizige mit aller Macht nach dieser 20
Ehre. Und sicherlich gilt in Friedenezeiten Reich-
tum mehr als Tüchtigkeit^ so daß gerade die An-
maßendsten am leichtesten zu Ehren kommen.
Vielleicht war das der Grund, daß die Römer
nicht zu bestimmter Zeit^ sondern immer erst, wenn
die Not sie zufällig dazu zwang, einen Dictator auf-
zustellen pflegten. Gleichwohl war der Ruf nach einem
Dictator, um mit Cicero zu reden, den guten Bürgern
ein Ärgernis. Und in der Tat^ diese dictatorische
Gewalt, die ja eine unumschränkte Königsgewalt ist, 80
kann nur mit großer Gefahr für die Republik den
Staat bisweilen in eine Monarchie umwandeln, wenn
es auch für noch so kurze Zeit geschieht Ferner,
wenn für die Wahl eines Dictaters keine bestinmite
Zeit fesi^esetzt wäre, so wäre auch keine Regel ge-
geben für die Zeit, die zwischen zwei Dictaturen liegen
soll und auf deren Einhaltung ich viel "Wert gelegt
habe; damit wäre die ganze Einrichtung so schwan-
kemL daß sie leicht gänzlich vernachlässigt würde.
Wenn also diese dictatorische Gewalt keine dauernde 40
und feste Institution ist und unter Wahrung der Staats-
fonn einem einzelnen nicht übertragen werden kann,
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172 AbhaDcUang vom Staate.
dann wird sie selbst und mit ihr das Wohl, und die
Erhaltung der Republik sehr unsicher sein.
§2.
Eann dagegen unter Wahrung der Staatsform das
Schwert des Dictators zu allen Zeiten und nur den
Bösen ein Schrecken sein, dann können zweifellos
fnach Eap. 6 § 8) die Schäden nie so überhand nehmen,
daß ihre Beseitigung oder Besserung unmöglich wurde.
Um alle diese Bedingungen zu erfüHen, muß wie ge-
10 sagt dem Höchsten Rat ein Rat der Syndici unter-
stellt werden, damit das Schwwt des Dictators zu
allen Zeiten nicht in den Händen einer natürlichen,
sondern einer juristischen Person lieee, die zu viel
Mitglieder hat, als daß sie die Herrschaft untar sich
teilen (nach Eap. 8 §§ 1 und 2) oder daß sie sich
zu einem verbrecherischen Anschlag verständigen
könnten. Dazu kommt noch, daß sie» von der Übernahme
der übrigen Staatsämter ausgeschlossen sind, daß sie
der Miliz keinen Sold zahlen und daß sie schließlich
20 in einem Alter stehen, in dem man die sichere Gegenr
wart der gefahrvollen Neuerung vorzieht Darum, droht
dem Staat von ihnen keine Gefahr und sie können
infolgedessen auch nicht den Guten, sondern nur den
Bösen ein Schrecken sein, und das werden sie auch
tatsächlich sein. Denn wie sie zu schwach sind,
selbst Verbrechen zu begehei^ um so mächtiger sind
sie zur Bändigung der Bosheit Denn abgesdi^i da-
von, daß sie „den Anfängen entgegentreten'' können,
weil ihre Eörperschaft ja ständig ist^ sind sie zudem
80 zahlreich genug, daß sie, ohne den Haß fürchten zu
müssen, es wagen dürfen, einen Mächtigen anzu-
klagen und zu verurteilen; zumal da sie mittels Stimm-
steinen abstimmen und ihr Urteil im Namen der
ganzen Körperschaft verkündet wird.
§3.
In Rom war das Amt der Volkstribunen zwar
auch ein dauerndes, aber sie waren der Aufgabe nicht
gewachsen, die Macht eines Scipio niederzulälten. Zu-
dem mußten sie noch, was sie für heilsam hielten,
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10. Kapitel. Garantien der Aristokratie. 178
dem Senat selbet vorlegen und dieser hielt sie oft
zum besten, indem er es dahin zu bringen wuDte^
daß das Volk demjenigen am meisten seine Gunst
zuwandte, den die Senatoren am wenigsten zu fürchten
hatten. Dazu kommt noch, daß die Autorität der
IMbunen den Patriziern gegenüber sich auf die Gunst
des Volkes stützte und daß sie jedesmal, wenn sie das
Volk zusammenriefen, eher einen Aufruhr zu stiften
als eine Batsversammlung zu berufen schienen. Diese
Mißstände haben natürlich bei der in den beiden 10
vorigen Kapiteln dargestellten Begierungsform nicht
atatt
§4.
Die Autoritöt der Syndici kann aber bloß eine
Bürgschaft dafür bieten, daß die Begierungsform er-
halten bleibt; sie kann verhüten, daß die Gesetze ge-
brochen werden und daß jemand zu seinem Vorteil sich
gegen sie vergeht Das kann sie aber nicht ver-
hüten, daß sich Laster einschleichen, die das Gesetz
nicht verbieten kann, wie diejenigen, zu denen der 20
Müßiggang die Menschen verleitet und die nicht selten
das Verderben des Staates zur Folge haben. Denn die
Menschen werden, so wie sie einmal im Frieden von
der Furcht befreit sind, allmählich aus Wilden und
Barbaren zu civiUsierten und humanen Wesen, daraus
aber verweichlicht und schlaff und suchen sich nicht
mehr durch Tüchtigkeit zu überbieten, sondern durch
Prunk und Luxus. So beginnen sie, auf die heimischen
Sitten herabzusehen und fremde sich anzueignen, das
heißt sich Fremden zu eigen zu geben. 30
§5.
Man hat oft versucht^ diesem Übel durch Ge-
setze gegen den Luxus zu steuern, aber vergebens.
Denn alle Gesetze, die ohne Schaden für einen anderen
verletzt werden können, werden nicht ernst genonmien;
sie legen den Begierden und Lüsten der Menschen
keinen Zügel an, sondern reizen sie im Gegenteil noch,
denn „nach dem Verbotenen trachten wir nur und
begehren Versagtes'^ Müßigen Menschen fehlt es nie
an Einfällen, die Gesetze zu umgehen, welche Dinge 40
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174 Abhandlang vom Staate.
betreffen, die man nicht absolut verbieten kann, als
da sind Gelage, Spiel, Schmuck und dergleichen, bei
denen nur das Übermaß verwerflich ist, das sich
aber nach den Vermögensverhaltnissen eines jeden
bemißt und deshalb nicht durch ein allgemeines Ge-
setz zu bestimmen ist.
§6.
Ich schließe daher, daß jene hier besprochenen
allgemeinen Laster des Friedens niemals direkt,
10 sondern nur indirekt zu verhüten sind, indem näm-
lich der Staat auf solche Grundlagen gestellt wird,
daß danach die meisten zwar nicht weise zu leben
suchen — denn das ist unmöglich — , aber daß sie
sich von solchen Affekten leiten lassen, aus welchen
dem Gemeinwesen ein größerer Nutzen erwächst So
ist dahin zu streben, daß die Reichen zwar nicht geizig,
aber erwerbsgierig seien. Denn ohne Zweifel, wenn
dieser Affekt der Erwerbsgier, allgemein und be-
ständig wie er ist, sich noch mit dem Ehrgeiz ver-
20 bindet, dann werden die meisten alle Erait daran
wenden, ihr Vermögen auf anständige Weise zu ver-
größern, um dadurch zu Ehren zu kommen und der
größten Schande zu entgehen.
§7.
Betrachten wir daraufhin die Grundlagen der
beiden in den zwei vorigen Kapiteln dargelegt^i
aristokratischen Staatsformen, so werden wir sehen,
wie dies eben aus ihnen folgt Denn die Zahl der
Regierenden ist in beiden so groß, daß dem größten
80 Teil der Reichen der Weg zur Regierung und zu dem
staatlichen Würden oflem steht Wird überdies noch,
wie ich Kap. 8 § 47 gesagt habe^ die Bestimmung
getroffen, daß die Patrizier, die mehr Schulden haben,
als sie zahlen können, aus der Ellasse der Patrizier
ausgestoßen werden und daß diejenigen, die durch
Unglück ihr Vermögen verloren haben, Ersatz er-
halten, dann werden zweifellos alle nach Kräften be-
strebt sein, ihr Vermögen zu bewahren. Sie werden
überdies nie nach fremder Sitte Lust bekonunen und
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10. Kapitel. Ghurantien der Aristokratie. 175
auf die heimische herabsehen, wenn ein Gesetz be-
stimmty daß die Patrizier und die Bewerber um Ämter
durch besondere Tracht kenntlich sein müssen (vgl.
hierüber Eap. 8 §§ 25 nnd 47). So kann man anch
außerdem in jedem Staate noch andere Mittel ao»-
sinnen, die mit der Natur des Landes nnd dem Volks-
charakter in Übereinstimmung sind; dabei muß vor
allem darauf gesehen werden, daß die Untertanen
mehr aus freiem Willen als unter dem Zwang der Ge-
setze ihre Pflicht erfüllen. 10
§8.
Denn ein Staat, der nur daran denkt^ die Menschen
durch Furcht zu leiten, wird eher frei von Fehlem
sein, als daß er wirkliche Vorzüge hat Die Menschen
müssen so geleitet werden, daß es ihnen scheint^ sie
würden gar nicht geleitet, sondern lebten nach eigenem
Sinne und eigener freier Entschließung; bloß die Liebe
zur Freiheit, der Wunsch, ihr Vermögen zu vermehren,
und die Hoffnung auf die staatlichen Ehrenstellen
soll sie in Schranken halten. 20
Im übrigen sind Bildsäulen, Triumphe und andere
Anreizungsmittel zur Tugend eher Zeichen der Knecht-
schaft als Zeichen der Freiheit Denn nur dem Knechte,
nicht dem Freien werden Belohnungen für seine
Tüchtigkeit zuerkannt. Ich gebe zwar zu, daß die
Menschen durch solche Reizmittel sehr angespornt
werden. Aber wenn man sie anch im Anfang nur
großen Männern zuspricht, später erhalten sie bei
wachsendem Neide auch Untüchtige und durch großen
Reichtum Aufgeblasene, zum großen Unwillen aller 80
guten Bürger. Femer werden alle^ die mit den
Triumphen und Bildsäulen ihrer Vorfahren Staat
machen, sich für gekränkt halten, wenn man sie nicht
allen übrigen vorzieht Schließlich ist es gewiß, um
von anderem zu schweigen, daß die Gleichheit, mit
deren Verlust auch die allgemeine Freiheit notwendig
zu Grunde geht, sich in keiner Weise aufrecht er-
halten läßt, sobald einem durch Tüchtigkeit hervor-
ragenden Mium durch ein Staatsgesetz besondere Ehren
zuerkannt werden. 40
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176 Abhandlang vom Staate.
§9.
Nachdem wir dies vorausgeschickt haben, wollen
wir sehen, ob solche Staaten durch eigene Schuld
ihren Untergang finden können« Wenn aber irgend
ein Staat ewige Dauer versprechen kann, so mufi
es der sein, dessen Rechte^ einmal richtig festgeseta^
unverletzt bleiben. Denn das Recht ist die Seele des
Staates. Bleibt es erhalten, so bleibt auch der Staat
erhalten. Aber das Recht ist nur dann unzerstörbar,
10 wenn es in der Vernunft und in dem allgemeinen
Affekt der Menschen seine Stütze hat Ist es anders,
stütet 66 sich bloß auf die Hülfe der Vernunft, dann
ist es kraftlos und leicht zu verletzen. Wir haben aber
gezeigt, daß die Grundrechte der beiden aristokra-
tischen Regierungsformen mit der Vernunft und dem
allgemeinen Affekt der Menschen im Einklmg stehen;
darum dürfen wir auch behaupten: wenn irgend ein
Staat, so muß dieser von ewiger Dauer sein, und
nicht durch eigene Schuld, nur durch ein unabwend-
20 bares Geschick kann er zugrunde gehen.
§10.
Nun könnte man uns noch einwerfen, daß doch
die im Vorstehenden dargelegten Rechte des Staates,
wenn sie auch in der Vernunft und in dem allgemeinen
Affekt der Menschen ihre Stütze haben, nichtsdesto-
weniger bisweilen verletzt werden können. Es gibt
ja keinen Affekt, der nicht zuweilen von einem ent-
gegengesetzten stärkeren Affekte überwunden würde.
So sehen wir oft die Todesfurcht von d^ Begierde
30 nach fremdem Besitz besiegt Wer aus Furcht vor
dem Feinde flieht, läßt sich nicht durch die Furcht
vor anderem zurückhalten, sondern stürzt sich in einen
Fluß, rennt ins Feuer, bloß um dem feindlichen
Schwerte zu entgehen. Ein Staatswesen mag noch
so gut geordnet, sein Recht noch so vortrefflich
festgesetzt sein, in der höchsten Not des Staates,
wenn alle, wie es geschieht, von panischem Schrecken
ergriffen werden, dann woUen alle nur das, wozu
die Furcht des Augenblicks ihnen rät, ohne an die
40 Zukunft, ohne an die Gesetze zu denken. Aller Augen
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10. Kapitel. Garantien der Aristokratie. 177
richten sich auf den durch fieine Siege berühmten
Mann, sie entbinden ihn von den Gesetzen, sie ver-
längern — und das ist das allerschlimmste — seine
BefeUsgewalt und vertrauen ihm die ganze Republik
an. Hierdurch ist das römische Reich zu Grunde ge-
gangen.
Auf diesen Einwand antworte ich erstens, daß
in einer wohlbegründeten RepuUik ein solcher
Schrecken überhaupt nicht ausbricht, es sei denn aus
einer triftigen Ursache. Darum kann dieser Schrecken 10
und die daraus entstehende Verwirrung keiner ür^
Sache zugeschrieben werden, die sich durch mensch-
liche Klugheit hätte vermeiden lassen. Sodann ist
zu bemerken, daß es in einer Republik, wie wir sie
im Vorstehenden geschildert haben, gar nicht mög-
lich ist (nach Kap. 8 §§ 9 und 25), daß ein einzehier
durch den Ruf seiner Tüchtigkeit so hervorragt^ daß
sich aller Augen auf ihn richten. Er muß unaus-
bleiblich Nebenbuhler haben, denen wieder andere ihre
Gunst zuwenden. Mag auch in einer Republik durch 20
einen Schrecken eine gewisse Verwirrung entstehen,
so wird doch niemand die Gesetze umgehen und rechts-
widrig jemanden zur Militarherrscnaft vorschlagen
können, ohne daß sofort ein Streit mit den^i ent-
stünde, die andere dafür in Vorschlag bringen. Dieser
Streit wird nicht anders sich entscheiden lassen, als
indem man auf die einmal festgesetzten und von allen
anerkannten Rechte zurückgreift und die Angelegen-
heit in Obereinstimmung mit den bestehenden Staats-
geeetzen ordnet SO
Darum darf ich ohne Einschränkung behaupten,
daß eine Regierung, die eine Stadt^ ganz besonders
aber eine solche, die mehrere Städte in Händen haben,
von ewiger Dauer ist und aus keiner inneren Ursache
aufgelöst oder in eine andere Form umgewandelt
werden kann.
S p i n o B a , Abbaadlg. üb. d. VerbMterg. d. Veritandei. 12
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Elftes Kapitel.
§1-
Ich gehe nun endlich zur dritten, der vollständig
onumschränkten Rederungsform über, die wir Demo-
kratie nennen. Ihr Unterschied von der Aristo-
kratie besteht^ wie wir sagten, in erster Linie darin,
daß es bei der letzteren allein vom Willen und von
der fr^en Wahl des Rates abhängt, ob dieser oder
jener zom Patrizier gewählt wird; niemand hat also
10 ein erbliches Stimmrecht oder ein erbliches Recht auf
Zulassung zu den Staatsämtern und niemand kann
auf ein solches Recht einen rechtlichen Anspruch er-
heben. Dies ist aber der Fall bei der Regierungsk
form, von der wir jetzt handeln. Denn hier ha^n
alle, deren Eltern Bürger waren oder die im Lande
geboren sind, die sich Verdienste um den Staat er-
worben haben oder die aus einem anderen Grunde
nach dem Gesetz das Bürgerrecht erhalten mußten,
alle diese haben einen rechtlichen Anspruch auf das
20 Stimmrecht im Höchsten Rate und auf die Zulassung
zu den Staatsämtern, und dieses Recht darf ihnen
nicht verweigert werden außer wegen eines Ver-
brechens oder wegen Ehrlosigkeit
§2.
Wenn daher auch das Recht bestimmt, daß bloß
die Älteren, von einer gewissen Altersgrenze an, oder
daß bloß die Ers^eborenen, sobald es ihr Alter er-
laubt, oder nur diejenigen, die dem Staate eine be-
stimmte Geldsumme entrichten, das Stimmrecht im
80 Höchsten Rat und das Recht auf die Leitung der
Staatsgeschafte haben sollen, so wird doch eine solche
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11. Kapital. Von der Demokratie. 179
Bmerungsform Demokratie heißen müsaen und daran
ändert es auch nichts, daß möglichenfalls der Höchste
Rat auf diese Weise weniger Bürger zählt als der
Bat der Aristokratie» von dem ich oben gehandelt;
denn hier werden alle zur Leitung des Staates b€>-
stimmten Bürger nicht vom Höctwten Rate als die
Besten erwählt, sondern durch das Gesetz dazu be«
stimmt
Obwohl so derartige Staaten, in denen nicht die
Beeten, sondern die gerade durch einen Glücksbll lo
Reichgewordenen oder die Erstgeborenen zur Re-
gierung bestimmt sind, hinter einem aristokratischen
Staat zurückzustehen scheinen, so kommt es doch,
sobald man die Praxis und das allgemdne Verhalten
der Menschen ins Auge faßt, auf eines hinaus. Denn
den Patriziern erscheinen immer diejenigen als die
Besten, die reich oder die ihnen verwandt oder be-
freundet sind. Wenn es freilich so mit den Patriziern
bestellt wäre, daß sie frei von jeder Leidenschaft und
allein von der Rücksicht auf das Gemeinwohl geleitet 20
ihre patrizischen Kollegen wählten, dann könnte keine
Begierungsform sich mit der aristokratischen vw-
gleichen. Daß aber die Sache sich ganz anders verhält,
hat die Erfahrung übergenug bewiesen, namentlich
in Oligarchien, in denen der Wille der Patrizier aus
Mangd an Nebenbuhlern sich meist an das Gesetz
nicht bindet Denn dort haltw die Patrizier absicht-
lich 'die Besten vom Rate fem und suchen sich nur
solche Kollegen im Rate aus, die ihnen auf den Wink
folgen. In ein^n solchen Staate st^en die Dinge 30
wmt schlechter, weil die Wahl der Patrizier nur von
dem unbeschränkt freien, an kein Gresetz gebundenen
Willen Einzelner abhängt Aber ich kehre zum An-
gefangenen zurück.
§3.
Aus dem im vorigen § Gesagten geht hervor, daß
wir uns verschiedene Arten des demotettischen Staates
denken können. Ich habe aber nicht die Absicht,
jede Art zu behandeln, sondern bloß die, in der ohne
Ausnahme alle, die den LandesgesetzMi allein unter- 40
stehen und dabei unter eigenem Rechte sind und ehr-
12*
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180 Abhandlang vom Staate.
bar leben, das Stunmrecht im Höchsten Rate und das
Recht ani Znlaflsimg zu den Staatsamtern haben.
Ich sage aosdrücklich: ,,die den Landesgesetoen
allein unterstehen^, um die Fremden auszuschließen»
die als anderer Herrschaft angehörig betrachtet
werden. Ich habe ferner hinzugesetzt: ,,außerdrai,
daO sie den Landesgesetzen unterstehen, mußten sie
auch im übrigen unter eigenem Rechte stehen^ um
Frauen und Knechte auszuschließen, die der Gewalt
10 der Männer und Harren unterstellt sind, und ebenso
Kinder und Unmündige^ solange sie unter der Ge-
walt der Eltern und Vormünder steheiL Ich habe
schließlich gesagt: „die ehrbar leben% um vor allem
diejenigen auszuschließen, die wegen eines Ver-
brechens oder wegen schimpflich« Lebensweise ehr-
los sind.
§4.
Man wird vi^eicht fragen, ob die Frauen von
Natur oder nur durch Gesetzesbestimmung unter der
20 Gewalt der Manner stehen. In letzterem Falle gäbe
es keinen Grund, der uns nötigen könnte, die Frauen
von der Regiwuns^ auszuschließen.
Fragen wir aEer die Erfahrung selbst um Bat^
so werden wir sehen, daß dw Grund in ihrer Schwäche
liegt Denn nirgends finden wir, daß Männer und
Frauen zugleich regierten, sondern wo es auf der ESrde
Männer und Frauen ^t, da sehen wir, daß die
Männer regieren und £e Frauen regiert werden und
daß bei diesem Verhältnis die beiden Geschlechter
80 einträchtig zusammen leben. Die Amazonen dagegen,
die einer sagenhaften Überlieferung zufolge einst
geherrscht hwen, duldeten keine Männer in ihrem
Lande, sondern zogen bloß die Madch^ groß und
töteten die Knaben nach der Greburi Wenn nun von
Natur die Frauen den Männern ebenbürtig wären und
wenn sie an Seelenstärke und an Geist, ab in welchen
hauptsächlich die Macht und demnach auch das Recht
des Menschen besteht, ihnen gleichwertig wären» so
müßte es doch unter so vielen und so verschiedenen
40 Völkern wenigstens einige geben, bei denen die b^den
Geschlechter gleichberechtigt nebeneinander regierten,
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11. Kapitel Von der Demokratie. 181
und andere, wo die Uanner von den Frauen regiert
und so erzogen würden, daß sie geistig hinter ihnen
zurückstünden. Da das aber nirgends der Fall ist^
darf man getrost behaupten, daß die Flauen von Natur
nicht gleiches Recht haben wie die Manner, sondern
notweiäig hinter ihnen zurückstehen und daß des-
halb unmöglich beide Geschlechter gleichberechtigt
nebeneinander regieren können, geschweige gar, daß
Männer von Frauen regiert würden.
Ziehen wir zudem noch die menschlichen Affekte 10
in Betracht^ nämlich daß die Liebe der Männer zu den
Frauen meist nur sinnliche Leidenschaft ist und daß
sie ihren Geist und ihre Klugheit nur soweit schätzen,
als sie mit Schönheit vereint sind, fem^ daß die
Männer es sehr schwer ertragen, daß Frauen, die
sie lieben, anderen irgendwie ihre Gunst erweisen,
und anderes derart, dann werden wir leicht einsehen,
daß es ohne großen Nachteil für den Frieden nicht
möglich ist, daß Männer und Frauen gleichberechtigt
uebeneinander regieren. Doch genug davon. 20
Das Übrige fehlt
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Anmerkungen-
Zur Abhuidlmig ttber Akt Yerbeflseriuir ^^s Yentondes.
Seite 8, Zeile 1 ff. Zum ersten Teile der Abhandlung
tractatns brevis U. 5. (Ich zitiere den tract br. im fo](_
den nach der ParagrapheneinteiloDff der Sigwarischen über-
setBung.) Ähnlicher Gedankengang oei Marc Aorel VIII. 1.
4,87. Der Ansdrack propter angmentnm scientiarum et
artinm ist baconisch; vgL de dignitate et angmentis scientiarum
und NoY. Org. I. 81 : nt scientiarom et artinm massa augmentum
obtineat
5, 27. Auf Grund der alten niederlftndischen Obersetsung
der nachgelassenen Werke, die von Glazemaker nach den Manu-
skripten Spinozas gefertigt ist, und die uns daher eine schätzens-
werte Hülfe zur Herstellung eines korrekten Textes bietet, fögt
Leopold (Ad Spinozas Opera posthuma, Hagae 1902, S. 47)
an dieser Stelle ein: „(si &8 est ita loqui)."
6, 1—12. Vgl. tract br. U. 14, 4.
6,40 — 7,26. Diese Stelle ist eine zusammenfassende Be-
arbeitung Yon tract. br. L 10 und 11. 4.
7,20—28. Die Begründung dieses Satzes findet sich
tract. br. 11. 6, 7; vgl. auch IL 26, 8 und Eth. IV. 37.
7,28—26. Der hier bloß angedeutete GFedanke, dafi das
höchste Gut die Vereinigung der ^ele mit der Gottheit durch
die Erkenntnis sei, findet sich auageffthrt traot br. II. 22.
8, 10 — 14. modus medendi inteUeotus ipsumque expurgandi.
Bacon bezeichnet sein Neues Organen als Doctrina de ezpnr-
gatione Intellectns (Nov. Org., distributio operis), und hiemach
hat sicher Spinoza den Titel seiner Schrift gebUdet. Der Aus-
druck expurgare intellectum ist dem Neuen Organon gel&ufig
(z. B. L 115; n. 82); auch corrigere intellectum findet sich
dort (n. 82).
8,28 — 9,4. Man darf hiermit die provisorischen Lebens-
regeln Descartes' im Discours de la M^ode III vergleichen«
8, 28—84. Vgl. tract br. II. 12, 8.
8, 87. Indem Spinoza an dieser SteUe mit ficht baconisoher
Wendung sagt: finis in scientüs est unicus (vgl. z. B. Nov.
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Anmerknngen. 188
3rg. I. 82), will er offenbar ansdräcklioh den GegenBats gegen
Bacon hervorheben.
9, 5 fil Zur Lehre von den Erkenntnunurten vgl. tract br.
I. 1 und 2; femer Eth. IL 40, Anm. 2.
9, 22 — 29. Auch wenn Spinoza nicht ausdrücklich bemerkt
b&tte, daß er bei Gelegenheit der sweiten Brkenntnisart von
der empirischen Methode handeln wolle (18, 84-^86), würde
man in ihr die Methode Bacons wiedererkennen. W&hrend
im tractatns brevis die beiden ersten Erkenntnisarten als Wahn
(opinio oder ima^natio) noch in einer vereinigt sind, wie sie
anch später in der Ethik (11. 40, Anm. 2) als cognitio primi
generis wieder vereinigt werden, treten sie hier auseinander,
um der Kritik Bacons Banm zn geben. Der Ausdruck ezperi-
entia vaga ist dem Neuen Organen entlehnt (I. 100) und auf
die Methode überiiaupt übertagen* das ezperimentum quod
oppugnat ist nichts anderes als die instantia contradictoria.
9, 85. Eirchmann und Stern verbessern das propter id der
editio nrinceps und der Ausgaben in praeter id, und Leopold
(a. a. O. S. 89 und 49) bestfttigt diese Verbesserung auf Grund
der alten niederländischen ÜbersetEung.
10, 80-— 81. Auerbach und Kirchmann haben: „im sweiten
Fall*', Stern: „im anderen Fall'*. Das ist fislsch, denn es handelt
sich in dieser Stelle der Anm. nicht um den Eweiten Fall des
Textes, den SchluO vom Allgemeinen auf das Besondere, sondern
immer noch um den ersten Fall, den Schlufi von der Wirkung
auf die Ursache. Auch kann hier secundus casus gar nicht
„der zweite Fall" heifien, denn wo wäre der dritte? Das
Richtige hat Saisset (Oeuvres de Spinoza n, S. 281).
10,87 — 88. Kirchmann und Stern verheuern ohne Not
effectus in effectum.
14, 11—15, 6. Der Verffleioh ist von Bacon entlehnt. Vgl.
Nov. Oiganon, prae&tio: „Fürwahr, hätten die Menschen cUe
mechanischen Werke mit den bloßen Händen, ohne die Kraft
und Hülfe von Werkzeugen in Angriff genommen, wie sie kein
Bedenken getragen haben, die Verstandeswerke (opera Litelleo-
toalia) mit den blofien Elrtften des Geistes zu unternehmen, so
hüte man nur Gknringes in Bewegung setzen und bewältigen
koxmen*'; femer Nov. Org. I. 2: „weder die blofle Hand noch
der sieh selbst überlassene Verstand vermae viel; durch Werk-
zeuge und Hülftmittel wird die Sache voUbracht; man bedarf
deren nicht weniger für den Verstand als für die Hand. Und
vi« die Werkzeuge die Bewegung der Hand veranlassen und
leiten, so leihen auch die G^eistoswerkzeuge dem Ventande
Unterstützung oder Beistand." Baconisch ist anch der Ausdruck
▼is nativa (vri. de disnitate et augmentis scientiarum V. 5).
14, 86. Afit Recht verbessern Paulus und Bruder: quod in
nobis a causis extemis non causatur, und ihnen folgen hierin
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184 Anmerkiingen.
die Übenetsongen. In der Yloten-LandscheD Ausgabe irt 4iM
übenehen; dort heißt ea nach den Opp. posth«: quod iniu^K«
• oausis extemii oaiuatur. VgL aaoh Leopold (a. a. 0. 8. 42 .
15, 13 — 24. Die Ghnuidlage der UnterBcheidang von eaec-
tia formaÜB und essentia obiectiva bildet der 2. Anhang des
tractatos breviB. Spinosa gebraucht diese eoholastisclian A^
drfloke in Übereinetimmnng mit Deecartes (Meditationet IH):
unter dem formalen Sein verBteht er das Sein der Dinge in d«r
realen Wirklichkeit oder in der ,^ormalitftt der Natur", anter
dem ohjektiyen Sein ihr Sein als Gegenstand, d. h. ihr Sein
in der Welt der Gtedanken.
16,21—24. YgU tract br. IL 15,8.
18, 26—32. Der SatE : Si ergo daretor aliquid usw. ist in
der alten niederlftndisohen ÜbersetEong ansgolasoon (Leopoki
a. a. O. S. 56); aber ich vermag Leopold nicht beianstimmfii,
der ihn lüs flberflüssiges oder Iftstiges Einschiebsel den Heraos-
gebem zoschreiben und streichen möchte.
19, 6. Die Vloten-Landsche Ausgabe und mit ihr Leopold
(a. a. O. S. 56) streichen das überflüssige ex eo, daa aach die
alte niederlftnduohe Obersetaning nicht wiedergibt.
20,4—11. Hier mag Bacons Polemik gegen die Idole,
die dUeser auch praeindida nennt (s. B. Kot. Org, I. 115), von
länfioO gewesen sein. Die versprochene Darlegung findet sieh
im Anhimg zum ersten Teil der Ethik.
20, 20—22. An dieser Stelle aeigt der Text, wie ich glanbe,
eine Lücke. Leopold (a. a. O. 8. 42) möchte die Schwierig-
keit durch Einfügung einer Negation heben: ei non reapondeo,
simulque moneo; doch scheint mir diese Koigektnr, die sieb
nicht auf die Autoritftt der alten niederländischen CbeFsetsong
stützt, logisch wie sprachlich gleich unhaltbar. Offenbar hst
Spinoza ursprünglich den Grund angegeben, warom er erst seine
Methodenlehre geben woUte, ehe er sie in ihrer Anwendong
zeigte. Als er dann aber wirklich erst an die Ausarbeitang
seines Systems ging und die Methodenlehre zurückstelltCi wird
er jene Stelle gestrichen haben.
28, 25. Mit Recht schligt Sigwart (Spinozas neuentdeckter
Tractat S. 156 Anm.) vor, in nihil prorsus nos poase fingere
anstatt noa zu lesen id oder eonu Die Vloten-Limdsche Aus-
gabe folgt ihm, indem sie hoc einsetzt. Die Übersetzungen
folgen dem alten Texte.
24, 8—4. Es wird mit den Opp. posth. zu lesen sein: ooini
natura exiatere implicat, wie auch die Vloten-Landsche Ausgabe
hat, entsprechend der Anm. zu Gog. Metaph. Li, 2: nomine
Ghimaera intelliflatur id, cuius natura apertam involvit contra-
dictionem. Impucare heißt in Spinozas Sprachgebrauch immer
j,einen Widersprach enthalten"; so Gog. Metaph. I. 8« 8: noo
implicat, mundum ab aeterno fuiase: es enth< keinen Wider-
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Anmerkangen. 185
sprach, zu sagen, die Welt sei von Ewigkeit her gewesen;
ebend. 11. 12,4: satis constat, nos de nulla re oreata posse di-
cere, qnod eios natura impiicet, at a potentia Dei destmator:
es steht fest, daß wir yon keinem geschaffenen Düge sagen
können, seine Katar enthalte einen Widersprach dagegen, daß
es durch 6k>ttes Macht zerstört werden könne. Dementsprechend
heißt aach implicantia bei Spinoza immer „Widersprach",
s. z. B. Gog. Metaph. I. 3,8 and 8; ep. XII, Abs. 2 (früher
ep. XXIX, ed. Yloten II. 41). Vgl daza auch Böhmer, Spinozana
n 8. 97 (in der Zeitschrift fttr Philosophie Bd. 42, 1863), wo-
selbst die Ansicht Erdmanns angegeben ist. Lands Anmerkung
(ed. Vloten I. 17) yerwiirt nar die sehr einfache Sachliu^e.
Auerbach hat richtig: „deren Katar dem Daseyn zuwiderlftoft";
Eirchmann verbessert: „deren Katar das Kicht-Dasein ein-
schließt"; Stern übersetzt falsch: „deren Katar die Existenz in
sich begreifen soll*'. Leopold (a. a. O. S. 65 t) hat das
Bichtige erkannt.
27, 17—28, 29. Vgl. traot br. L 1, 7.
28, 28—24. Die Stelle ist sprachlich nachlässig aber dem
Sinne nach klar; die Ergänzung der Vloten-Landschen Aus-
gabe: ut etiam alia tali modo scheint mir nicht unbedingt nötig.
28, Anm. 1. Die Opp. posth. setzen diese Anmerkong
schon nach „um es zu widerlegen*^ (28, 29). Leopold (a. a. 0.
8. 66) gibt ihr auf Grand der alten niederländischen Über-
setzung die richtige Stelle.
88, 29 — 80. Die Yloten-Landsche Ausgabe verbessert mit
Becht deduceret in deducere.
38, 89 — 40. Hier ist zum mindesten der sprachliche Aus-
drack im Lateinischen inkorrekt. Subjekt des zweiten von scimus
abhängigen acousativi cum infinitivo ist nicht cuius obiectum
im ersten, sondern dem Sinne nach ein zu ergänzendes quam,
das sich auf ideam aliquam veram im regierenden Satz bezieht.
Vielleicht da^f man aber verbessern: nee obiectam aliquod in
natura habentem. Auch Me\jer (Vertoog over het zuivere
Denken S. 89) verbessert sinngemäß: „welks vorwerp, naar wij
zeker weten, alleen van ons denkvermogen afhangt, en in de
nataor niet aanwezig is.'*
36, Anm. 1. Eine derartige Darlegung findet sich in der
Ethik nicht, wohl aber tract. br. I. 7 (,,Von den Eigenschaften,
die <^ott nicht zugehören**).
36, Anm. 2. Spinoza bezieht sich hier aof den cartesia-
nischen Gottesbeweis in Übereinstimmung mit tract. br. 1. 1, 3
and Anm* 3, aber im Gegensatz zur Ethik, in der Gott nicht
mehr bewiesen zu werden braucht.
87, Anm. 1. Die idte niederländische Übersetzung nimmt
diese Bandbemerkung in den Text auf, und Leopold (a. a. 0.
S. 52) schlägt vor, är za folgen. Ich vermag es nicht, denn
•
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186 AnmerkungeD.
das Subjekt darin ist doch das qnis im folgenden Sals da(
Textes, dem wir die Anmerkung auf keinen Fiül im Text 'vov
anstellen dürfen.
36,2 — 25. An dieser Stelle wendet sieh Spinös» g«^^
den deus deoeptor oder deoeptor summe potens Descartw'.
38,7. olaram et distinctam ideam Dei ergänzt Leopoib
(a. a. O. S. 49 £) auf Grand der alten niederiändisehen Ül>er
Setzung.
39, 8 — 32. Die Unterscheidung der UnterstfitEung de« G«
d&chtnisses durch den Verstand und durch das VorsteUnng^
vermögen entspricht bei Bacon der ähnlichen Unterm^eidnni
einer unterstfltaung per intellectuale und per sensibile (de digrs
et augm. scient V. 5). Vgl. den Hinweis in ep. 87 (firOher 42}
^, 15. sensus quem rocant commnnem. Der scholastiacxu
Ausdruck, der sich bei Spinoaa nur an dieser Stelle findet, im
schon durch den Zusats quem Yooant als Entlehnung gekenn'
zeichnet Descartes, an den sich Spinoza hier anlehnt, nennj
tatsächlich die potentia imaginatrix als das über den Sinnei
stehende und von ihnen ihr lutenal empfimsende Vermögen des
sensus communis (discours de la möthode Y; meditaüonea U).
40, 17->41, 8. Die Lehre vom VorstellungsvermOgen, dei
imaginatio, findet sich im tractatus brevis noch nicht und kann
sich dort nicht finden, wo das Brkennen noch als Leiden, nicfal
als Tun aufgefafit wird (vgL tract. br. IL 15, 4; 16, 5; 19, Anm. 4).
Sie ist wohl unmittelbar von Descartes enüehnt, worauf auch
der als Citat übernommene Ausdrack sensus communis hinweist
Bei jenem findet sich die gleiche Scheidung zwischen inteUectio
und imaginatio: „das Vorstellui|^vermögen (imaginatio) unter-
scheidet sich von dem reinen ^kenntnisvermögen (inteUectio)
eben darin, daß der GMst, wenn er erkennt (intelligit), sich
gewissermaßen auf sich selbst richtet und eine seiner ihm an-
geborenen Ideen ins Auge £aßt; wenn er aber vorstellt (imagi-
natur), daß er sich dann auf den Körper richtet und etwas im
Körper anschaut, das entweder einer reinen oder einer ainnlich
waluffenommenen Idee konform ist.*' (Meditationes VL) VgL
Eth. IL 49, Anm.
41, 14 — Itt. Wir dürfen wohl annehmen» daß Spinoza die
ständige Polemik Baoons gegen die deduktive Methode der
veteres vor Augen hatte und mit dieser Stelle in gewissem Sinn
ausdrücklich die Partei des Aristoteles gegen Bacon ergreifen
woUte.
^7—33. Das Vorbild dieser Bekämpfung der Worte
war offenbar Bacons Kampf gegen die idola fori im Neuen
Organen. Auch dort heißt es: verba ex captu vnlgi impo-
nuntur (Nov. Org. L 43) oder ex captu vnlgi induntnr (a. a.
O. L 59).
46, 1—15. Dieser Forderung soll in allen Punkten die
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Anmerkungen. 187
rste Definition der Ethik entsprechen; vgl. zum vierten Funkt
p. 63 (froher 78).
46, 7—10. Vgl. traot. br. I. 1, Anm. 4; 8, Anm. 1.
46,24—25. Leopold (a. a. 0. S. 67) eohl> eine Um*
»llung vor: requiritor et ratio poetolat, nt, qaam primam fieri
oteet ....
47,8—87. Diete Stelle gibt den Anlaß zu einer der
ehwierigsten Fragen der Abhandlung, eine Sohwierigkeit, die
DB dem Streben Spinoiaa enteprinfft» in dieser blofi vorberei*
mden Schrift die Gedanken seiner Lehre noch nicht unverhflUt
arznlegen, sondnm sie hinter unbestimmten, allgemeinen Aus-
rucken SU verbergen. Was sind diese res fixae et aetemae?
!rendelenbnrg (Historische Beitri^e zur Fhilosophie HI, S. 888 f.)
ißt die Frage ofien, Böhmer (Spinozana V, Zeitschr. f. Fhil.
(d. 66, 1870, S. 278 f.) vermutet darin die Attribute and ihre
lodi infiniti; Sigwart (Spinozas neuentdeckter Traotat von Gott,
em Menschen und dessen Glückseligkeit, S. 157 f.) erblickt
arin ,^cht8 anderes als die Baconis<men Formen, deren Aui-
Qchun^ seine Methode lehren will"; Follock (Spinoza, his life
nd philosophy, S. 141 — 144) weist Sigwarts ErUftrung zurfick
tnd denkt an die modi infiniti, freilich ohne einen Beweis zu
ersuchen und der eigenen Meinung mißtrauend. Im Ausdruck
rinnem freilich die res fixae et aetemae an Bacons formae
niae sunt aetemae et immobiles, aber daß Spinoza in einer
nage, die doch den innersten Kern seiner Lehre berflhrt, zeit-
reise anem fremden Einflüsse unterlegen sein soUte, ist völlig
nsgeaehlossen. Der tractatns brevis gibt uns die Antwort auf
lie Frage nach den res fixae et aetemae: es sind jene hypo-
itasierten Abstraktionen, die Spinoza später modi infiniti ge-
kannt bat, die aber schon einen Grandbegriff jenes Traktates
bilden (vgL tract. br. L 8,2; L 8; IE. 5,2). Traot br. l. 9, 1
leißt ea: „Was nun die allgemeine natura naturata angeht, oder
Üe Weisen oder Geschöpfe, die unmittelbar von Gott abhängen
Hier geschaffen sind« so kennen vdr von diesen nicht mehr als
Ewei, nämlich die Bewegung in der Materie und den Verstand
in der denkenden Sache. Von welchen wir sap^en, daß sie von
üler Ewigkeit gewesen sind und in alle Ewigkeit unveränder-
lich bleiben werden." Hier haben wir die ewigen und nnver^
inderlichen Dinge. VgL Ethik I. 28 und 28 Anm.; ebend. II. 18,
Uhnsatz 7, Anm.; ünmer ep. 64 (froher 66, an Schuller).
47,24—28. Kfihnemann (Ober die Grundlagen der Lehre
des Spinoza, in Philosophische Abhandlungen dem Andenken
Kadolf Hayms gewidmet, Halle 1902, S. 288), der auf den In-
bslt der res fixae et aeternae nicht eingeht, hat den Vergleich
Dsch meiner Ansicht völlig mißverstanden ; denn nicht die ver-
änderlichen Einzeldinge, sondern eben die ewigen Dinge sind
^6 wahren Gesetzbficher, nach deren Bestimmung alles Natur-
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188 AnflMrkuigeiu
gewdieban nch yoUziehi. Im nneodliebeii VenUnd all
modni infimtiu der intellektuellen Welt nnd in der GorreU
Ton Bewegung nnd Rahe als dem modns infinitna der Kör]
weit liegen die Geeetse, die in jedem psyduechen wie matarie
Oeechehen nett wirksam erweisen nnd die allein den Gt^
■tand der philoBophiachen d. h. apriorischen Ericenntnis
können. Die Qesetse der Geüterwelt hat Spinosa in
Psydiologie und Affektenlehie gegeben; die der Kfl
von denen wir einige in den Lehnsitaen des 2. Bocfas <_
Bthik haben, wollte er in seinem letcten projektierten We^
den Generalia in PhjnoiB (vgL ep. 59, früher 68), darsteUea.
47, 88. „obwohl sie eiiUEelne sind". Spinosa betont setad
Nominalismns, indem er die modi infiniti Ar singnlaria eriüiq
Vg^ traot br. IL 20, 4: „die denkende Sadie ist nv eidi
einzige in der Natnr^'.
47,85. Böhmers Vorschlag (Zeitschzift flr fhllosoph^
Bd. 57, 1870, S. 274), statt potentiam sn lesen patentiam, schal
mir nicht annehmbar, weil dann patentia nur eine abgesehwäclrti
Tautologie für abiqne praesentia wire.
47, 85->86. Vgl. tract. br. L 7, 10: ^e Einseldin^ besteh^
«ydnrch die Eigenschaften (d. h. Attribate), deren Weisen 9|
sind und durch welche, als ihre Gattongsbegriffd, sie begriSE^
werden müssen'*.
48, 15—80. Diese Stelle ist offenbar eine andere Redaktioi
des 47, 88--48, 14 Geeagten. Sie ist von großer Wichtigkaiti
weil sie die einnge ist, die nns über Spinosas Verhalten a
den empirischen Wissenschaften Aofklftrons gibt nnd die ühz
nns dorchans auf dem Boden der baconischen indoktiven fiSe-
thode in der Erforschung der Einzeldinge stehend zeigt.
48, 87. ^cherlich ist anstatt des Drackfehlers der Opp.
posth. „feciliter'' nicht ein unmögliches „fitciliter'' zu lesen, wie
die Vloten-Landsche Ausgabe im Text hat^ sondern »^eliciter'v
denn die Worte „feliciter perget sine nlla intermptione" finden
sich genau so auch 29, 9. Auch die alte niederländische Über-
setzung hat „gelnkkiglijk** (Leopold, a. a. O. S. 88).
48, 40—^, 2. Die Opp. posth. hieben: „nam ez nnllo
fundamento cogitationes nostrae terminari queunt" Die Stalle
ist offenbar so nicht richtig flberliefert. Die alte niederULndiBcfa?
Übersetzung hat: „want onze denkingen können uit geen andere
grondvest bepaalt worden" (Leopold, a. a. 0. S. 68 L). Leo-
pold möchte ihr folgen. Ich vermag es nicht| denn die einzig-
mögliche Grundlage ist doch nicht bereits angegeben, wie die
Verbesserang „ez nullo alio fundamento" Toraossetsen w4rde,
sondern soll erst im folgenden gegeben werden. Offianbar lag
dem niederl&ndisohen Übersetzer derselbe fehlerhafte Text im
Manuskmt vor, den die Opp. posth. bieten, und er achloj^ den-
selben Weg der Verbesserung ein, zu dem unabhlugig vod
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Anmerlnuigeiu 189
bm aach Auerbach gekommen ut. Das Richtige hat nach
aeiner Ansicht Eirchmann getroffen: »,denn wo keine Gnmd-
nge ist, da können unsere Gedanken nicht bestimmt werden/'
3r Tsrbessert also Mqueant'*'in „neqnennt*'.
50,87. In der alten niederländischen Obersetning fehlt
liese Note (ygl. Leopold, a. a. O. 8. 56). Sie ist viäleicht
inr eine HinzufiBgong der Heraasgeber.
Zur Abhandlmig Tom SiMte.
67,22—28. Vgl Ethik UI. 1 und IV. 4.
57,28—25. Vi^ Ethik HL 82 Anm.
57,25—26. Vgl. Ethik lY. Anhang 18.
57, 26—28. Vgl Ethik m. 81 Fo^esats.
57,81—88. Vgl. Ethik IV« 58 Anm.
57,87. Vgl. Ethik IV. 15.
58,4. Vgl Ethik V. 4 Anm.
58,6. Vgl. Ethik V. 42 Anm.
59,8. Th6ol.-poL Tr. Kap. 16: Ober die Grondli^en des
Staates, über das natOrliche nnd bflrfferliche Recht des Emselnen
und über das Recht der höchsten Gewalten.
59, 6. Vgl Ethik IV. 87 Anm. 2.
59, 14—17. Mener (Staatkondig Vertoog S. 7) mOchte
diese Worte als überflüssig ansschalten.
61,86. Trahit sna quemqne voloptas: Oitat aas Veigils
Edogae IL 66.
68,19—64,10. Spinoza bekimpft an dieser Stelle and
ebenso 67, 84 — 68, 10 den Begriff der le^ naturales bei Hobbes,
die dieaer definiert hatte als die diotamina reotae rationis droa
ea, quMB agenda Tel omittenda sunt ad vitae membrommqne
consenrationen, quantum fieri potest, diutumam (de dre IL 1,
ed. Molesworth VoL II, S. 1701.). Nur wer sein Urteils-
TennOgen wahrt, kann die Natumsetae nach Hobbes befolgen
(de dve HL 26, 8. 198), Zorn, Turoht, Begierde, kun alle
Leidenschaften laufen ilmen zuwider und hindern ihre Erfüllung
(de dre m. 26, S. 194; LeTiathan XVII, ed. Molesworth
Vol. m, 8. 127).
68, 27—64, 10. Fast wörtlich übernommen ans TheoL-pol.
Tr. Kap. XVI (ed. pr. 8. 176 £).
66, 82. Animd sodale -» (i^ xoXitut^i Aristotdes. Po-
litik 1258 a und 1278 b* Spinoza besaß eine lateinische Über-
setzung des Aristotdes (vgl. Freudenthd, Leben^geschichte
Spinoza^s 8. 276) und hat ihn ncher auch gelesen. Aus diesem
in Spinozas gewöhnlicher Art ziemlich unbestimmten CÜtat
KhlieAen zu wollen, er habe die aristotelische Politik nicht
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190 Anmerkungen.
gek&nnt, w&re gewagt. Vgl. Ethik IV. 35 Anm. (Übrig«ni
wird es bei Hobbes öfters [de cive V. 5, Leviathau XVII] all
ein Wort des Aristoteles dtiert)
69,84 — 36. Jeremiaa 18,6: Siehe, wie der Ton ist in da
Töpfers Mand, also seid auch ihr vom Hanse Israel in meiaei
Hand. (Stern, politischer Tractat S. 28.) Dort findet anci
ad deciiB nnd ad dedecns seine Erklärung: Ich ging hinab i£
des Töpfers Haas; und siehe, er arbeitete eben ai;3der Scheibe!
Und der Topf, den er aus dem Ton machte, mißriet ihm untd
den Händen. Da machte er wiederum einen anderen Topf dari
aus, wie es ihm gefiel.
70, 14—16. Vgl. Leviathan XV, S. 112, woselbst auch dij
Definition: iustitia est yoluntas constans suum cuique tribuen<£
als in den Schulen üblich angefhhrt wird.
70, 19. Vffl. Ethik III. 29 Anm.
78,16. Van Hotc (Polityke Weegschaal, 1662, S. ^|
citiert eine Stelle aus Tacitns : unum reipublicae corpus, uninsqn^
animo regendum, an die Spinoxa wohl gedacht hat.
75,14. Vielleicht Anspielung auf den Gultus der Hosti^
(Meijer, a. a. 0. S. 28).
75, 25—81. Ein solches durch Strafen erswingbares Rechi
der Obrigkeit, Dinge zu fordern, „die schlimmer sind als del
Tod*^, wie sich selbst su töten, seine Eltern zu ermorden usw^
konstruiert Hobbes (de ci^e VI. 13, S. 226), gegen den siel
Spinoza hier ausdrftcklich wendet. (Vgl. femer de cive IL Id
S. 177—178 und Leriathan XIV, S. 109.)
76, 48. Gemeint sind in erster Linie die Mennoniten.
86, 4. Hartenstein meint (de notione iuris et ciyitatis, quai
Bened. Spinoza et Thom. Hobbes proponunt^ sirnüitadüie d
dissimilitudine in Historisch-philosophische Abfatandlungen S.229{
Anm. 1), der Zusammenhang erfordere, in: Quodii tarnen eia^
naturae sint, ut violari nequeant, nisl simul ciritatis robvr de^
bilitetnr das „violari** in „observari** zu yerbessem. Ich glaube
mit Unrecht. Der erste Teil des §, bis 86,3, will festsetze!^
unter welchen Umständen der Inhaber der RegiemngsgewaK
die Verträge brechen mufi, der letzte Teil dagegen, unter welchen
er sie nicht brechen darf.
87,29. Leopold (a. a. O. S. 81) ergänzt auf Grund dei
alten niederländischen Übersetzung: Qualis autem optimns
ouiuscunque imperii sit status.
88, 32. Me^er verweist auf Justinus (epitoma historiamzn
Philippicarum Pompei Trogi XXXII. 4, 12), woselbst es als
Verdienst der Mäßigung Hiuinibals erklärt wird, dafi &r nie
weder mit Empörungen noch mit Verrat seiner Truppen zu
tun hatte. Die Stelle, die Spinoza im Auge hatte, hat Leopold
nachgewiesen (angefahrt bei Stern, a. a. 0. S. 48): es ist Li-
▼ius XXVm. 12, 2—4.
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Anmerkangen. 191
88,88. Hobbes definiert den Frieden als terapas belio
Tacnnm (LeTiathan XTTT, S. 100).
92, 26» 98, 4. Der § richtet sioh gegen die Staatsaafhssang
des Hobbes, dessen Definition yom frieden wieder zurflck-
gewiesen wird. Daß das Verhältnis swisohen Herrscher und
B^errsohten dasselbe sei wie das swischen Herrn und Sklaven,
daß aber auch das Verhältnis zwischen Eltern and Kindern
kein anderes sei, wird de cive X. 5, S. 268 gelehrt
93, 26. VgL van Hove, Polityke Weegschaal S. 121. Die
mignons Heinrichs Hl. von Frankreich und die Günstlinge
Jakobs I. von England waren damals noch in frischer Erinnerung«
98, 29. Gurtins Bnfas, historia Alexandri magni X. 1, 37.
94,2 — 11. Die gleichen Ausfflhmngen bei van Hove,
a. a 0. S. 48, 68 und 60.
94t 34— 36. Iq einem derartigen Abhängigkeitsverhältnis
zur Union standen im 17. Jahrhundert Staats-Brabant, Staats-
Flandem und Limburg.
95, 10—12. Der Krieg des 17. Jahrhunderts war Festnngskrieg.
95. 23. Es dftrfte sich kaum entscheiden lassen, in welchem
Umfang Spinoza hier den Begriff der familia genommen hat
An die Provinzen der Niederlande, die auch wohl gentes genannt
werden, darf man nicht wohl, wie Meijer (a. a. O. S. 52) meint,
denken, denn das entscheidende Merkmal ist doch (nach 118,
29^80) die Gemeinsamkeit der Abstammung. Vielleicht darf
man darauf hinweisen, daß auch in der Utopia dee Morus die
Familie im weiteren Sinne die staatliche Einheit bildet
95.24. Nach Meiner (a. a. O. S. 53) hatten in den hol-
ländischen Städten die einzelnen Stadtteile rote, weiße, blaue
and orange Fähnlein.
96, 36—88. Jede der 18 Städte, die in den Staaten von
Holluid vertreten waren, stellte ihren Deputierten einen Rechts-
kundi^n, den Pensionaris, zur Seite. (De la Bassecour Oaan,
Sohets van den regeeringsvorm der Nederlandsche Republiek
S. 144.)
97,2—9. Zum Vorbild dieser repräsentativen Körper-
schaft haben, wie einzelne ZUtge beweisen, die Staaten von
Holland gedient Die Präsentation der Volksvertreter durch
die Verbände und die Wahl durch den König hat auch eine
gewisse Analogie in der Verfiassnng der Niederlande; dort
werden die Btirgermeiater, Schöffen nnd höheren Beamten von
den Stadträten dem Statthalter zur Auswahl vorgeschlagen und
▼on diesem ernannt (De la Bassecour Caan, a. a. O. S. 113.)
98,36—31. Auf Betreiben von Jan de Witt wurde die
Ürzielrang dee jungen Wilhelm m. aus den Händen seiner
Kattor genommen und strengen Bepublikanern anvertraut, in-
dem er zum „Kind van Staat** erklärt wurde. (Vgl. L^vre
Pontalis, Jean de Witt I. S. 496—502.)
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192 AmnerknDgen.
100, 5—23. So versammelten sieh die Stulen toh HoUss^
▼iermsl im Jahre und waren in der Zwischenseit dnrdi des
Aosschnß der Oecommitteerden Badmi TcrtreleiL. (De Is Bmmt-
cour Gaan, a. a. O. S. 143 nnd 16a)
100,86—101,17. Diese Bestimmmigen entaprediai den
fifar die Staaten von Holland geltenden. £i ihnen haben eheo-
falls die einseinen Stftdte zwar mdnere Vertreter, aber Uof
eine Stimme; die eigentliche Beratong had bei wichtigen Sadis
nicht in der Staaten- Versammlnnfc sondem schon Torber bä
den Abgeordneten der Stftdte nnd der Bitfeeesohaft unter siek
statt; das Wort för die Abgeordneten der St&dte fUrte da
Rechtskundige (Pensionaris). (De la Basseconr Gaan, ai. a. 0.
S. 143 f.)
102,86. Laod erganst nach der alten niederlftndischec
Obersetanng bona.
104,11—12. Den Sats „Sed tales specnlatores eligendi
sunt» qni regi periti videbuntor**, der in den Opera PoethniM
nnd in den Ausgaben und Übersetzungen fehlt, er^knzt Iioopold
(a. a. O. S. 47) auf Grund der alten niederlftncuschen Über-
setzung.
105, 2—3. Die Heirat Wilhelms IL, des Sohnes dee Statt-
halters Friedrich Heinrich, mit der Tochter Ksrls L von Eng-
land hatte die Politik des Hauses Oranien in Verbindung mit
dem Schicksal der Stuarts gebracht und dadurch in Gegensatz
zur Volksmeinung, die der englischen Parlamentspartei giflnsti^
war. Gerade als Spinoza an der AbhandluDg vom Staate ar-
beitete (1676), bewarb sich der junge SUttbalter Wilhelm 10.
wieder um die Hand einer englischen Prinzessin, nnd viele
fttrchteten den Einfluß der reaktionären und dem KaÜiolizismss
zuneigenden Stuarts auf die inneren Angel^nheiten der Nieder
lande. (Vgl. van Kempen, Geschichte der Niederlande II, S. 272.)
Eine derutige Ehebeschränkuog bestand ftr den Dogen von
Venedig (van Hove, a. a. O. S. 882).
107, 12. Daniel 6 (nicht 5, wie die Opera Posthmas
haben), 16: Aber die M&nner kamen h&nfig zu dem Könige und
?>rachen zu ihm: Du weißt, o König, daß der Meder und
erser Beoht ist, daß alle Gebote und Befehle, so der König
beschlossen hat, sollen unverändert bleiben.
107, 24 £ Homer, Odyssee Xu. 156 ff.
108,26—27. Invalido legnm auxilio: Citat aus SalluBts
Catiiina (angefElhrt bei Peres, Ins Publicum S. 57).
110, 5—24. Hobbes (de cive X. 10, S. 278, Leviatiian
XXV, S. 194) hatte den großen Versammlungen den Vorwurf
mangelnder Sachkenntnis gemacht und ihnen einen ans nnr
wenigen bestehenden Rat Torgezogen. Spinoza verteidig sie
dagegen. Vielleicht hat er schon im Hinblick auf eine an jenen
Stellen von Hobbes erhobene Forderung die Kenntnis von der
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AnmerkiingeD. 193
Reg^erungsform und Beschaffenheit der übrigen Länder fOr die
Rechtskundigen zur VorauBsetKung gemacht (99, 5 — 9).
110, 28--29. Das Gitat entstammt dem ersten der zwei
psendosallustischen Suasorieni Übnngsstficken aus der frontouia-
nisohen RhetorensohulCi dem Briefe de ordinanda r^ublica.
110, 84. Meijer (a. a. O. S. 72) bezweifelt die Kichtiekeit
des aberlieferten ire und schlftgt iret oder irent vor. Man
konnte aber höchstens eat lesen. Ich halte ire fOr riditig, das
von possit abh&ngig ist
112, 6. Vgl. Ethik m. 29.
112,9. Ad summum ist, wie Leopold (a. a. 0. S. 82) auf
Grand der alten niederländischen Übersetzung richtig bemerkt,
shLa sinnlos zu streichen.
112, 17—19. Oitat aus Ourtius Eufhs VIIL 7, 11. (Die
Nachweise der klassischen Oitaie hat meist Leopold a. a. 0.
gegeben.)
114,12—18. Anklang an Terentios, Eunnohus ▼. 812:
Sic adeo digna res est, ubi tu nervös intendere tuos.
114,82 — 84. Prehensare manus, jacere oscula et omnia
servilia pro dominatione agere: Oitat aus Tacitns, Hist. L 86.
115,21. Leopold (a. a. O. S. 2) verbessert mit Recht
sument in snmerent.
116, 8—10. Samuelis IL 16, 31—84.
116, 14—15. Nicht ganz wörtliches Oitat aus Tacitus,
Historiae I. 25 : suscepere dno manipnlares impenum populi Ro-
mani transferendum et transtulerunt; dort wird die Geschichte
des Übergangs der Herrschalt von Galba auf Otho erzfthlt
116,28—80. Bei seinem Staatsstreich von 1660 ließ
Wilhelm 11. sechs Mitglieder der Staaten von Holland ver-
haften.
116, 81. Antonio Perez (1689—1611), der ehemalige Staats-
sekretär Philipps n., später sein Gegner: Xus Publicum, quo
Arcana et Iura Principis ezponuntur, Amsterdam 1657. (? nach
Land.)
120, 1—7. Oitat aus Tacitus, Hist II. 84.
122, 8—8. 1. Könige 14, 26—26; 2. Ohronica 12, 2—9.
122,8-11. Der sog. Devolntionskrieg (1667—1668) um
den Besitz der spanischen Niederlande.
122, 28—128, 88. Diese hier angegriffene Behauptung hat
Hobbes aufgestellt; der unumschränkte KOnig kann, wen er
will, zum Nachfolger wählen (de cive VIL 16, 8. 244, IX. 12,
8. 261, Leviathan XIX, S. 148), er kaun die Regierung bei
Lebzeiten verkaufen oder verschenken (de cive IX. 18, S. 261),
die Bürger sind das Erbe der Herrscher (de cive X. 18, S. 277).
Namentlich die letzte Stelle hat Spinoza im Auge gehsbt,
wenn er gegen die ungeheuerliche Lehre, daß „nicht Geld und
Gut, sondern Leib und Seele der Untertanen das Eigentum der
8 pl n o X a , Abluuidlg. ab. d. YerbMa^rg. d. YentondM. 18
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194 Anmerkungen.
Könige ** seien» erwidert, daO Menschen nie aufhörten, Menadken
KU sein und sich nicht wie Vieh behandein ließen.
128, 18—19. Das „l'ötat c'est moi« Ludwigs XIV.
124,21—22. Citat aus Tacitus, Annales L 29: nüiil iu
vulgo modicum, terrere ni paveant.
124, 22—28. Citat aus Livius XXIV. 25, 8: ea natura muJr
titudinis est: aut servit hnmilitec aut süperbe dominatur.
124, 28—24. Citat aus Tacitus, Historiae I. 82: neqne iflis
iudioium aut veritas.
124,26—29. Citat aus Terentins, Adelph. v. 828:
Duo qnom idem fadunt, saepe ut possis dicere
,Hoc licet inpune facere huic, illi non licet^
Non quo dissimilis res, sed quo is qui ^it
126,28 — 24. Anspielung auf Tacitus, Historiae I. 1: aimiii
veritas pluribus modis infracta primum inscitia rei publieae ec
aHenae, mox libidine adsuetandi aut rursus odio adirersoa domi-
nantes: ita neutris cura posteritatis inter infensos Tel obnozios«
126, 2 — 26. Auch an dieser Stelle yertoidigt Spinoza die
großen Versammlungen gegen einen Vorwurf den fiobbea (de
cive X. 14, S. 275) gegen sie erhoben hatte.
126, 28 — 25. Anlehnung an Tacitus, Annales L 81: spe-
dosa verbis, re inania aut subdola, quantoque maiore lib«r-
tatis imagine tegebaiitur, tanto eruptura ad infecsius serritiiim.
127, 1—19. Die Darstellung von der fiegrOndung- der
arragonesischen Ver&ssung ist nicht historisch, sondern geht aof
eine Legende surflck, die sich zuerst bei dem Prinzen Carlos
▼on Nayarra, einem Schriftsteller des 16. Jahrhunderts, findet:
ein fictives Königreich Sobrarbe, Vorg&nger des Königreichs
Arragon, soll sich seine Ver£Eusung bei Papst Gregor VII. ge-
holt haben« (Schäfer, Geschichte von Spanien lÖ, S. 298 f.)
Spinozas Quelle ist vielleicht — das Werk war mir nicht zu-
gänglich — Diego de Saavedra Fazardo gewesen, dessen Co-
rona gothica, castellana y austriaca politicamente illustrada
(Madrid 1658 — 1678) er, soweit schon erschienen, besessen hat»
127, 85—128, 17. König Pedro IV. von Arragon (el Oere-
monioso) (1886 — 1887), vom Volke el rey del pu&d oder pöre
de punigalet genannt, vernichtetete nach Besiegung einer ^gen
ihn gerichteten Union auf der Reichsversammlung von Zara-
goza (1848) den größten Teil der alten Privilegien. Er aoll
sich bei dieser Gelegenheit, indem er eigenhänd^r mit seinem
kleinen Dolch die Privilegien zerschnitt, an der Hand verwundet
und ausgerufen haben: ein Freiheitsbrief, der so viel Blut ge-
kostet hat, könne nur durch sein Blut vernichtet werden (diio,
que privilegio, que tanto avia costado, no se devia romper sino
derramado su sangre). (Schirrmacher, Geschichte von Spanien VI,
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AnmerknDgen. 195
S. 158.) Spinoza scheint einer anderen als der üblichen Tra-
diÜOQ gefolgt zu sein.
128, 8—8. Das arragoneeische Staatsrecht, das von Pedro IV.
neu formoliert wurde, bestimmte, daß der neue König einen
Sid zu leisten habe, die Rechte, Freiheiten nnd Qebrftuche
Arragons den Untertanen unversehrt zu erhalten, worauf ihm
das Volk Treue schwur; erst dann erfolgte die Krönung.
(Sch&fer, a. a. 0. III, S. 256.)
128, 18—19. Ich lese mit Meijer (a. a. O. S. 96) instructis
anstatt instructi.
129,19. Gitat aus Terentius, Fhormio v. 77:
Venere in mentem mi istaec: *nam quae inscitiast,
Advorsum stimnlum calces!'
130, 15—29. Die Worte von „Ich sage ausdrücklich** bis
„in die Zahl der Patrizier aufgenommen** fehlen in der alten
niederl&ndisohen Übersetzung. Sie sind wahrscheinlich eine
sp&tere HinzufOgung Spinozas aus derselben Zeit, in der er das
11. Kapitel zu schreiben begann und in der ihn die begriffliche
Scheidung der aristokratischen von der demokratischen Be-
gierungsform beschäftigte. (Vgl. Leopold a. a. O. S. 55 f.)
181,85. Auch van Hove wünscht 5000 Patricier, indem
er sich auf die athenische Regierung beruft (a. a. O. S. 664).
188, 8 — 10. Damit stellt sich Spinoza in bewuitten Gegen-
satz zu der Definition von Hobbes (de oive VL 18, S. 224):
Imperium quo maius ab bominibus in hominem transferri non
potest, vocamus absolutum.
185,25. Ich lese hier, wie der Sinn unbedingt erfordert,
anstatt des ex ulhs aliis der Ausgaben: ex nullis aliis. Auch
Meijer (a. a. 0. S. 106) verbessert so.
186,4 — 11. Dieses sehr aufllkllige Recht der Patrizier, zu
ihrer Verteidigung öder zur Unterdrückung von Unruhen nö-
tigenfalls selbst anslftndisohe Truppen anzuwerben, findet seine
Erklärung in den tatsächlichen Verhältnissen der Niederlande,
dnrch die Institution der Waardgelders. Die Regenten der
Städte, die in der antipatrizisch gesinnten Volksmiliz, den
Schutterijen, keine Stfltze hatten nnd die über das staatische
Heer, das unter dem Oberbefehl des Statthalters stand, nicht
verffigen konnten, nahmen in Zeiten der Gefahr eine besondere
nur Uinen vereidete Macht, die sog. Waardgelders, zu ihrem
Schutze in Sold. So geschah es 1586 gegen die Umtriebe
Leicesters und 1617, vor dem Sturze Oldenbarneveldts, gegen
die Partei der Oontraremonstranten und des Statthalters. (Vgl.
Wenzelburger, Geschichte der Niederlande II, S. 605 und 828 ff.)
187, 17—82. Dieser Rat entspricht dem Maggior Con-
siglio von Venedig, abgesehen von der Einschränkung der
18*
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196 AnmerkungeD.
Wählbarkeit durch den libro d^oro, die 139, 19—20 znr&c^-
gewiesen wird.
187,28 — 26. Die gleiche Fordemng bei van Hot«.
a. a. 0. S. 860.
138,36. Leopold (a. a. O. 8. 82) verbessert auf Grund
der alten niederländischen Übersetzung factionem in fsctionea.
189, 12. Mit Hülfe der alten niederlftndisoben ÜberBetzong
stellt Leopold (a. a. O. S. 82) die richtige Lesart pro numero
anstatt munero wieder her.
189,85—40. Ähnliche Ansschlnßbestiinmangen hat Fan
Hove in seinen Beformvorschlftgen (a. a. O. S. 662 f.); nur will
Spinoza, wie es scheint, nicht wie dieser die Handwerker an
sich ausschliefien, sondern blofi sofern sie eine niedrige Be-
schäftigung haben.
139, 38. Das Wort senrire bezeichnet hier wohl nicht ein
HOrigkeits-, sondern ein Abhängigkeitsverhältnis, also nicht
Sklaven, sonder Knechte. In einem interessanten Verfasaungs-
entwurf des 17. Jahrhunderts, dem der Ormidre fCir eine par-
lamentarische Republik Bordeaux (1650), wird auch das all-
gemeine Wahlrecht gefordert, ausgenommen derjenigen, die sich
in dienender Stellung befinden. Bei van Hove (a. a. 0. S. 663) :
„die binnen seekeren t^d van jaaren om een dagloon gewrogt
in iemaads dienst."
141,5—11. Ebenso urteilt van Hove, a. a. O. S. d88£.
142,4 — 16. Die Idee dieser Syndici war in Venedig im
Bäte der Zehn verwirklicht; auf sie weist namentlich auch die
Bestimmung 146,8—11 hin. Vgl. van Hove, a. a. 0. 3. 402
—405, der auch von ihrer diotatoria potestas spricht. Sindici
war der Name von untergeordneten AuMchtsbehörden in Ve-
nedig (eb. S. 406.)
142, 23. Leopold (a. a. O. S. 50) verbessert entsprechend
der alten niederländischen ObersetKuug nimirum in nimiam.
148, 7. Anstatt vocationis ist vacationis zu lesen, wie es
auch 120, 80 richtig heißt. (Vgl. Leopold a. a. O. S. 88.)
143,31. Nach Meijer (a. a. O. S. 119) war ein Pfond
Silber »■ einem Ghilden.
145, 21—88. Nach van Hove, a. a. 0. S. 872—876.
146,25—82. Das Vorbild dieser Körperschaft bot der
Senat von Venedig, der sich zum Gran Oonsiglio gerade so
verhielt, wie hier der Senat zum Höchsten Bat. (Vgl. van
Hove, a. a. 0. S. 889—394.) Analog diesem Verhältnis stand
auch in den Niederlanden den General- Staaten der Staatsrat
als Bzecutivbehörde zur Seite. Er hatte die Befestigungswerke,
die Anstellong von Offizieren, die Werbung und Besoldung
der Truppen und die militärische Disziplinar -Gesetzgebung
unter sich; dabei war er ratgebende Körperschaft in auswärtigen
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AnmerkuDgen. 197
Angelegenheiten (die Wahl der Gesandten war Sache der
Greneralstaaten); auch die Yerwaltang.der Finanzen der Gene-
rsdit&t gehörte zu seiner Kompetenz. (De la Basseconr Caan.
a. a. 0. S. 169—172.)
146,34—147,6. Diese Befugnisse schließt Spinoza hier
ausdräcklich ans, weil sie nach van Hove, a. a. O. S. 890 f. der
venezianische Senat besaß.
147,28—25. Auch die Amtszeit der venezianischen Sena-
toren betrog ein Jahr, doch waren sie sofort wieder wählbar
(van Hove, a. a. O. S. 898.)
149, 27—29. Anders Hobbes, Leviathan XIX, S. 148 und
Perez, a. a. O. S. 86 und 108.
149, 81. Pieter van Hove (1618—1685): Consideratien van
Staat ofto Polityke Weeg-Sohaal, Waar in met veele Reeden en,
Omstandigheden, Exompelen en Fabulen werd ooverwoogen;
Welke forme der Regeeringe, in speoulatie gebond op de prao*
tijck, onder de menschen de beste zy. Beschreven door V. H.
Amsterdam 1661, 1. T. Kap. X— XXXV.
150, 11 — 19. Dieser Senatoren- Ausschuß der Konsuln findet
sein Analogon in den Gecommitteerden Raden der Staaten von
Holland (auch die flbrigen Provinzialstaaten waren durch solche
permanente Ausschfissei die gewöhnlich Gedeputeerde Staten
hießen, vertreten). Sie hatten die Staaten-Versammlungen ein-
zubemfen, gerade so wie hier die Konsuln den Senat; sie haben
ihm die schon vorberatenen Vorlagen zu unterbreiten und seine
Beschlüsse auszuführen. (De la Bassecour Caan, a. a. 0. S. 158.)
150, 26—32. Diese Ordnung entspricht der bei den Sitzungen
der General-Staaten üblichen. (De la Bassecour Caan, a. a. O.
S. 124.)
150, 27. Meijer (a. a. 0. S. 128) verbessert sedeat in prae-
sideat.
152, 15 — 158, 18. Dieser Abstimmungsmodus war im vene-
zianischen Senat eingefiELhrt. Van Hove (a. a. O. S. 889 £) stellt
ihn ausführlich dar und illustriert ihn durch Zeichnungen. Spi-
noza will das in den Niederlanden geltende liberum veto damit
ausschließen.
158, 85—87. Vgl. van Hove, a. a. O. S. 448 und Perez,
a. a. 0. S. 180.
154,38-89. Diese Bestimmung ist dem venezianischen
Wahlver£üiren entnommen (nach van Hove, a. a. 0. S. 873 f.).
157,8. Me^er fügt, wie mir scheint zu Unrecht, bei non
abest ein mnltnm ein.
158,2. Der Umsturz von 1672.
158, 14 — 19. Die Vroedschappen, die suprema concilia der
einzelnen Stftdte, cooptierten sich selbst aus den reichsten und
angesehensten Familien derselben. Was ihnen an Sachkenntnis
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108 AnmerkongeD.
abging, Bachten sie durch Anstellung eines tftchtigen Juristen
SU ersetcen; diese hatten swar kein Stimmrecht in ihnen (inso'
fem gehören sie formell sum Volk, nicht zu den RegenteoX
ihr Gutachten a^er war von maßgebendem Einfluß. Aus diesen
Adrokaten oder Ratspensionftren sind eumeist die leitenden
Staatsmänner der Niederlande herrorgegangen. (VgL Wenzel-
bnrger, a. a. 0. S. 581.) Spinoza hat das Gfeschick Oldenbame-
veldts und Jan de Witts ror Augen, die der oranisohen Partei
geopfert wurden.
159,10^17. Die Orundzüge dieser religio sumpliciBsixDa
et mazime catholica, die auch das Ziel der Collegianten war, hat
Spinoza im 14. Gapitel des theologisch-politischen Tractats dar-
gelegt und in sieben Glaubenssätzen zusammenge£ELßt Übrigens
entfernt sich diese Forderung nicht allzusehr von der Wirk-
lichkeit Die Regenten gehorten meistens zu den sogen. Lib«*-
tinen oder Neutralisten, die das allgemeine Gmndprinoip des
Christentums gegenüber allen dogmatischen Untersoheidon^eE
betonten. (Vgl. Wenzelburger, a. a. O. S. 813.)
169,20— 24. Ein solches Gesetz bestand in den Nieder-
landen. (Meijer, a. a 0. S. 141.)
169,27 — 82. In der Forderung, daß Laien die priester-
lichen Funktionen erfUlen sollen, stimmt Spinoza mit den
OoUegianten überein. (Vgl. Frendenthal, Spinoza I, S. 66.)
161, 6 fil Die VerÜBSBung dieser Republik gleicht im all-
gemeinen der des Stftdtebundes Holland: Patrizier, Senat und
Konsuln entsprechen den Regenten (Vroedschappen), Staaten
und Gecommitteerden Raden. Doch sind auch Zügß aua dem
Staatenbund der Niederlande, dem gewisse Sourerftnitätsrechte
der Bundesglieder übertragen waren, hinsugenommen.
162,4—10. Bis 1698 kamen die General -Staaten ab-
wechselnd an verschiedenen Orten, pnnten van reces genannt,
zusammen, ebenso auch die Staaten von Holland. Danach
wurde der Sitz beider Körperschaften 'sG^venhage, das der
Stadtrechte entbehrte. (De la Bassecour Caan, a. a. O. S. 122, 144.)
162, 37--40. In den Staaten von Holland hatten alle 18
St&dte, das große Amsterdam wie das kleine Edam, nur je eine
Stimme. (De la Bassecour Gaan, a. a. O. S. 148.)
168, 8. Der oberste Staatsgerichtahoi (vgl. 167, 16) war in
den Niederlanden eine Forderung, keine Tatsache.
168, 19 — 26. Auch der Staatsrat der vereinigten Nieder-
lande hatte das Recht, vorkommende Streitigkeiten zwischen den
Gliedern des Staatenbundes zu schlichten. Dazu war er als der
eigentliche Vertreter der Generalität berufen, weil die General-
Staaten gerade wie hier der Höchste Rat die particularen Inter-
essen vertraten. (De la Bassecour Gaan, a. a. O. S. 172.)
164, 6—7. Ahnlich die „notable bezending** in den Niedei^
landen.
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Anmerkimgen. 199
164, 11. Leopold (a. a. 0. S. 88) f> nach der alten nieder-
ländischen Übersetzung bei at circa deoreta ein et hinter nt ein.
165, 8. Die alte niederländische Übersetsnng gibt militiae
tribnni durch „Eolonellen en Eitmeeeters" wieder.
165, 19 — 29. Die Finansen der Union berohten in der
Hauptsache anf Matricnlarbeitrfigen, die der Provinzen auf
indirekten Steuern. (De la Bassecour Caan, a. a. 0. S. 198 L)
168,25 — 26. Dum Romani deliberant, perit Sagunthus.
Dieses Sprichwort, das vieUeioht nach Livius XXI. 7, 1 (dum
ea Romani parant consultantque, iam Saguntum summa vi op-
pngnabatnr) gebildet ist, scheint im 17. Jahrhundert in den
l^^iederlanden hftufig im Sinne der centralistischen Tendenz an-
l^ewandt worden zu sein. Oldenbarneveldt citiert es in einer
Denkpohrift (bei Wenzelburger, a. a. O. S. 721) in der Form:
dum Romae deliberatnr, Saguntum perit
168, 84. Leopold (a. a. O. S. 48) ftigt nach der alten hol-
l&ndiBdien Übersetzung die in den Opera posthuma weggelassenen
Worte „cuins rei in Sollandia multa vidimus ezempS*' ein.
169,1. Der letzte Graf von Holland war Philipp II.
von Spanien.
169, 9—18. Im Kreise Jan de Witts erblickte man in
der zu geringen Zahl der Regenten den Untertanen gegenüber
die Schw&che der holländischen Regierung und sah die Kata-
strophe von 1672 schon zehn Jahre vorher kommen: siehe
die merkwürd%e Stelle bei van Hove, a. a. 0. S. 850.
169. 23. Man kann daran denken, daß der Statthalter
Wilhelm IL 1650 sechs Mitglieder der Staaten von Holland
verhaften ließ, und einen freilich mißglückten Handstreich gegen
Amsterdam unternahm.
170, 10. Macchiavelli, discorsi sopra la prima deca di Tito
Livio, lib. HI. cap. 1: E oosa piü chiara che la luce, che non
si rinnovando questi corpi, non durano. II modo del rinno-
vargli 6 ridurgli versi i principi suoi. . . . E questi dottori di
medicina dicono parlandi de* corpi degli uomini : quod quotidie
aggregatur aliquid, quod quandoque indiget curatione. Questa
riduzione verso il prinoipio, parlando delle repubbliche, si fa
o per acddente estnnseco o per prudenza intrinseca.
171,28. Cicero, epistolae ad Q. fratrum HL. 8,4: rumor
dictatoris iniuoundus bonis, mihi etiam magis etc. Danach ist
das tumor der Opp. posth. in rumor zu verbessern.
172, 28. Ovid, remedia amoris v. 91 : principiis obsta.
172, 86—88. Vgl. van Hove a. a. O. S. 468.
178.24. Auf Ghrund der alten niederländischen Übersetzung
ftgt Leopold (a.^a. O. S. 88) zwischen ferocibns und barbaris
ein et ein.
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200 AnmerkongeD.
178,82^89. Die gleiche Erwftgang bei Perez, a. a. 0.
S. 88 ff.
178, 88—89. Ovid, amores m. 7, 1 :
Nitimor in yetitam semper cnpimnsque negata.
176, 84—177, 5. Die Panik von 1672 hatte die Vemiohtiiiig
des sog. ewigen Edikts ron 1667, wonach nie wieder die
Würde dei Statthalters und des GFeneralkapit&ns vereinigt sein
sollte, aar Folge.
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ITamen- und Sachregister.
A.
»gaben^ exactiones, in Monar-
chien 96, 2—4; indirekte A.,
vectLgaiiia, den Stenem vorzn-
riehen 166, 27—29.
Isalon, EmpOrong des 116, 8
bis 10.
bstrakt; abstrakt anffassen, ab-
stracte conoipere ; Gefahren
davon 86, 1 — ^14; ans abstnüc-
ten Begriffen da^ nichts er-
Bchlosaen werden 44, 1 — 6.
eldtophel, Bat Davids 116, 10.
.dmm, als Beispiel der Existenz
24, 18—18; Sfindenfall 6, 87
bis 7, 27.
idely nobiles, in Monarchien
96, 11—24; steUt einen SteU-
vertreter bei Unmündigkeit des
Königs 98, 38—88; Heirats-
verbot för den A. 96, 17—24,
119, 18—18; seine Gefahren
119, 11—27.
Effekte 9 affectns, nicht Fehler,
sondern Eigenschaften der
menschlichen Natur 67, 7—19;
stärker als die Vernunft 67, 21
bis 68, 12; machen die Men-
schen zu Feinden 66, 36—66, 7 ;
müssen für die Ghrundlagen der
Regierung mal^ebend sein
106,18—26; das Recht muß
auf Vernunft und dem allge-
meinen Affekt begründet sein
176, 9—11.
Ägypten; Susak, König von A.
122, 7.
Allgemeinbegriife, universalia,
werden weiter gefaßt als ihre
zugehörigen Einzeldinge 86, 17
bis 21.
AUwfssendy omniscius; ein all-
wissendes Wesen könnte nichts
fingieren 28, 24—26.
Amazonen 180, 80.
Aristokratie, ihr Wesen 180, 12
bis 29, ihr Vorzug vor der
Monarchie 182, 14—188, 4,
184, 25—186, 8, 148, 85—149,
83; steht der unumschränkten
Regierung nahe 188, 6 — 27;
A. und Volksfreiheit 138, 29
bis 184, 17; verdient nicht den
Vorzug vor der Demokratie
179, 9—88; darf sich nur auf
die Macht ihres Rates stützen
184, 19—24; Lasten der A.
149, 10—26 ; ihr Entstehen und
Vergehen 188, 1—42; ihre
Dauer 176, 2—20, 177, 81—86;
A. mit mehreren gleichberech-
tigten St&dten ist der A. mit
einer regierenden Stadt vor-
zuziehen 168, 6—86, 168, 20
bis 86.
(Aristoteles)^ zitiert unter Scho-
lastiker 66, 82.
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202
Kamon- und Sachregister.
Irragon, Königreich 128, 31.
Arragonesen, Geschichte ihrer
Verfassung 126, 86^129, 23.
Asien 98, 27.
Athener; ihre Geldgesetze 1 1 2, 81
his 38.
Attribut; Attribute Gottes, attri-
buta Dei 36, 86—37.
Attsllnder, peregrini; Stellung
ihrer Kinder in Monarchien
103, 23—104, 1 ; Kriegssteuern
der A. 104, 1—4.
Automat, aatomaton ; Skeptiker
mit Automaten verglichen
21, 16 — 18; Seele ein geistiger
Automat 41, 18-19.
Axiom, axioma; von ihnen kann
nicht auf Besonderes geschlos-
sen werden 44, 9 — 14.
B.
(Baeon), ist unter Empirikern
gemeint 18, 85—36.
Beamte, ministri, in den Städten
166, 11—15; im Staat siehe
Staatsbeamte.
Begierde, capiditas 60, 84.
Bewegung, motus, aus der Quan-
tität zu begreifen 50, 10—81.
Bildsftulen, zu verwerfen 175, 20
bis 46.
Bündnis, foedus, zwischen zwei
Staaten nur bedingt gfiltig
79, 2-32.
Bttrger, civis, ist der Mensch,
soweit er die Vorteile des
Staates genießt 71, 8—10; darf
nicht Gesetze auslegen 78, 2
bis 9; ist nicht eignen Rechtes
78, 11—23; seine Macht be-
stimmt durch die Macht seiner
Stadt 117, 7—16 ; Bttrger haben
untereinander als gleich zu
gelten 162, 82—86.
B&gerliebes Beeht, iua civile,
bindet nicht den Staat 85, 1
bis 17.
C.
Cisar; Sallusts Rede mn CS^
citiert 110, 28.
Castilianer 128, 25.
Castiiien, Königreich 128. i
Christus; Jflnger Christi 77.
bis 17; Stellvertreter C%ziJ
127, 7.
Cieero über die Dictatur 1 71. i
bis 29.
Curtius, Geschichte Alezanii
d Gr. citiert 93, 29, 112, l
bis 19.
D.
Daniel, citiert 107, 12.
David 116, 8—10.
Definition, definitio, G^egenstu
der Methodenlehre 44, 14 — 2i
muß das Wesen der Sache aa
drttcken 44, 24—27; ihre Ao]
gäbe bestimmt 44, 25 — 46, 15
D. eines erschafieneD Dingt
46, 14 — 88: D. eines nicht «
schaffeneu Dinges 45, 39 — U
15.
Demokratie, ihre knne Dane]
92, 30—93, 4; ihr Vorzng voi
der Monarchie 111, 5 — 10; ilu
Wesen 130, 20—22 ; ihre Cm
Wandlung in Aristokratie 138, 1
bis 23; Unterschied von der
Aristokratie 178, 3—179, 8;
steht dieser nicht nach 179, 9
bis 38; Stimmrecht zum Höch-
sten Rat in der D. 179, 86
bis 180, 16.
Denkendes Wesen, ens oogitans;
wir sind Teile eines solchen
86, 8—15.
Dietator, soll den Staat auf sein
Grundprincip zeitweilig au-
rückfthren 170,82—171, 9 ; Ge-
fahren 171, 10—172, 2; bei
den ROmem 171, 24—29; an
seine Stelle sollen die Syndid
treten 172, 4—17.
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Namen- und Sachregister.
203
Dliis>9 i^b; feste and ewige Dinge;
res fixae et aeternae, Gegenstand
der Erkenntnis 47, 3—37; Ein-
zeldinge, res singulares, ihre
Erkenntnis 47, 3—16, 47, 88
bis 48, 30.
Dlseorsi Maochiaveilis ange-
föhrt 170, 8-23.
Doge, duz, bei den Venezianern
und Grennesen früher mit könig-
licher Gewalt bekleidet 141, 11
bis 17.
E.
Ehre 9 honor, gilt als höchstes
Gnt 3, 29—4, 2, 4, 11—13.
4, 16 — 17; nimmt den Geist
Töllig ein 4, 15 — 24; macht
abhängig 4, 24—28; nicht
sch&dlich als Mittel zum Zweck
6, 30—39.
Bkrgelz^ cnpido gloriae, sein
Nutzen im Staatdcben 112, 1
bia 7, 136, 37—136, 3, 174, 17
bis 23.
Eid, iusinranaum 160, 18—28.
Etganen Bechtes, sai iuris, ist,
wer nach seinem Sinne leben
kann 64, 12 — 18 ; wer nicht e.
R. ist 64, 20—32; e. R. ist
nur, wer der Vernunft folgt
65, 1—5; der Staat e. R. 78, 8
bis 21; Städte, die nicht e.
R. sind 167, 20—168, 4.
Empiriker 9 empirioi; Spinoza
will von ihrer Methode han-
deln 13, 85-36.
Ephoren in Sparta 127, 16.
Erbeiiyhaeredes ; Erbrecht 123, 1
bis 16; in Monarchien 122,
28—123, 24.
Erfahnmg. ezperientia; unbe-
stimmte E. , e. Tac^a, die zweite
Erkenntnisart 9, 22—29; Bei-
spiele 10, 9— 19, 11, 27—12,9;
ungewiß und ohne Abschluß
13, 10 — 18; Spinoza verspricht.
anläßlich der zweiten Erkennt-
nisart von der E. zu handeln
13, 85—37; hat schon alle
Arten von Staaten an%ezeigt
56, 15—84.
Erkenntnlsarten, modi perci-
Siendi, sind vier: Wissen aus
[Oren sagen, aus unbestimmter
Erfahning, Wissen, bei dem
das Wesen einer Sache aus
einer anderen erschlossen wird,
und Wissen, bei dem es an
sich oder aus der nächsten
Ursache erkannt wird 9, 17
bis 10, 5; Beispiele dafür 10, 6
bis 12. 19; ihr Wert unter-
sucht 12, 36—13, 30.
ErkenntnlsTermdgen, intellec-
tio, Gegenstand der Methoden^
lehre 17, 8 — 13; kann mit dem
VorstellungsvermOgen den glei-
chen Gegenstand haben 41, 24
bis 35, ist aber von ihm zu
unterscheiden 41, 85 — 38.
Erwerbsgier, avaritia, soll als
dem Staate nützlich gepflegt
werden 174, 8—23.
Erziehniigslehre, doctrina de
pnerorum educatione, ist aus-
zubilden 8, 4 — 5.
Ethik) Ethica, das Hauptwerk
Spinozas, citiert 57, 21, 59, 6,
70, 19, 112, 6.
Euklid, citiert 12, 11.
Ewigkeit, aetemitas; der Ver-
stand begreift die Dinge ge-
wissermaßen unter dem Ge-
sichtspunkt der Ewigkeit, sub
specie aeternitatis 50, 34 — 36.
F,
FamilieiiTerband, &milia, die
staatliche Einheit in Monar-
chien 95, 22—33; jeder F. hat
im Rate des Königs eine Stimme
96, 28—38, 100, 8—17; wählt
einen Richter 102, 20—25.
y Google
204
Namen- und Sachregister.
FerdiBand der Eaiholisohe von
Oaftilien 128, 22—129, S.
FIktloii« fictio, dehe fingierieldee.
Finaasbeamte^ aerarii, in der
Aristokratie 159, 2—4.
Finaazweseiiy aerariam, in
Monarchien 100, 18.
Florentiiier siehe Macchiavelli.
FolgeniBflrsTerfalireii, ratioci-
natio, Gegenstand der Methode
17, 8—12.
Folter, tormenta, soll verboten
sein, in Monarchien 102, 10
bis 16; in Aristokratien 165, 37
bis 89.
Frankreleh; LudwigXIV.,KOnig
von Fr. 122, 9.
Fimaeiiy foeminae, politisch den
Männern nicht gleichberech-
tigt 180, 18—181, 20.
Frei 9 über, wer der Vemanft
folgt 65, 5—16.
Freier Wille, voluntas libera
62, 88—84.
Freiheit, libertas, ist nicht Za-
fldligkeit 62, 87—88, sondern
Tüchtigkeit 62, 89—41; setzt
Notwendigkeit vorans 65, 10
bis 12; nicht Zügellosigkeit
68, 26—29; ist großer, wenn
die Vernunft herrscht 68, 29
bis 82; darf sich nicht anf die
Gesetze stützen 108, 25—40;
F. des Volks in Aristokratien
188, 29—184, 17.
Friede, pax, der Zweck des
StaatBlebens 87, 81—88, 1;
nicht Freisein von Krieg, son-
dern Ttlchtigkeit88, 88—89, 8;
ist Eintracht der Gesinnung
98, 1^4; Friedensverträge
104, 26—86; seine Garantien
in Monarchien 112, 9—118, 2.
Gediehtnis, memoria, stützt sich
auf den Verstand 89, 8—12;
stützt sich auf das VorstellungB-
verm0gen89, 12 — 27; vom Ver-
stand verschieden 89, 27—32;
definiert 89, 88—40, 5.
Ctodanke, cogitatio, siebe Idee.
Gedankenwesen, ens rationii
45, 8—4.
Gegenstand einer Idee, ideatam,
von der Idee verschieden 15, 19
bis 18; wie er sich realiter.
verh&It sich die Idee objeklzT
18, 25—26.
Ctoist, mens, kann sioh besser
erkennen und leiten, je mehr
er von der Natur weiß 18, 11
bis 18, 18, 18—24; mufl, nm
die Natur wiederzugeben, alle
Ideen aus der Idee herleiten,
die den Ursprung der Natur
darstellt 19, 8—10; muß die
Formalität der Natur wieder-
geben 48, 14—16, 46, 29—32;
nur soweit eigenen Rechtes,
als er der Vernunft folgt 64, 34
bis 38.
C^heimiüsfle , arcana, in der
Politik 126, 2—25; geheime
Ausgaben in Monarchienl49, 10
bis 25.
Geld, argentum, darf nur im In-
land auf Zinsen gegeben werden
112, 80—38.
GemeiBseliaft, commercium, der
Dinge «s Gemeinschaft der
Ideen 18, 26—19, 2; definiert
18, 88—39.
Gemeinwesen, res publica 70, 6
bis 8; hängt ab vom Inhaber
der Regierungsgewalt 82, 20
bis 25.
Genaesen, Staat der G. 182, 9;
Dogen der G. 141, 7; Richter
bei den G. 158, 85—154, 5.
Gerechtigkeit, iustiüa, nur im
Staate möglich 70, 5—12; de-
finiert 70, 12—16.
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Namen- und Sachregister.
205
il-erlelitsliof, forum, in der Ariito-
kratde 153, 20—84; in Aristo-
kratien mit gleichberechtigten
Städten 168, 8; sein Sitz 166,
6—8.
sresandte, legati, in Monarchien
104, 6 — 10; in Aristokratien
146. 30—84.
Qesellsehafty societas, ist za
bilden, um die Vollkommen-
heit mit anderen zu erreichen
7, 85—8, 8.
Gesetze, leges; sie zu interpre-
pretieren, ist der Bürger nicht
befiigt 78, 2 — 9; werden von
den höchsten Gewalten ge-
geben und ausgelegt 82, 11—14
und abgeschafiib 85, 25-~29;
können nicht die Freiheit ga-
rantieren 108, 25—40.
CkwAlteiy höchste, summae po-
teetates, soviel wie Eegierung
71, 22—28, 77, 82 Ö;; ihre
Rechte 82, 8—88, 8; ob tde
an Gesetze gebunden 88, 19 ff.
C^wlßhelt, oerütudo, ist nichts
anderes als daa objektive Sein
16, 17-21, 29—80; bedarf
keines ftußeren Kennzeichens
16, 21—88.
GUden in Niederdeutschland
184. 6.
Gleichheit, aequalitas, ist im
Staate zu wahren 118, 25—80,
119, 11-18, 162, 82—35, 175,
84-40.
Gotty deuB, als allwissend konnte
nichts filteren 28, 24—26;
seine Existenz kann, wenn man
seine Natur kennt, nicht be-
zweifelt werden 28, 80—24, 4,
24, 28—82; täuschender
Gott, deus deceptor (bei Des-
cartes) 88, 2—25; durch die
Macht Gottes existieren und
wirken die Dinge 59, 21—32;
er handelt absolut frei und
notwendig 68, 9—17.
Grafen 9 comites, von Holland
168, 86-169, 6.
Grond und Boden, solum, in
Monarchien Staatseigentum
95, 85—96, 9, 118, 82—119, 9;
in der Aristokratie Privateigen-
tum 187, 2—15.
Gnty bonum; g. und schlecht, b.
et malum, sind relative Begriffe
3, 8—6, 7, 2—7; gelten nur
in Hinblick auf die Gesetze
unserer Natur, nicht des Natuiv
ganzen 68, 40—64, 10; höch-
stes G., summum b., im Sinne
der Menschen 8, 29—4, 2; h.
G. ist es, mit anderen zu einer
idealen Vollkommenheit zu ge-
langen 7, 20—28; wahres G.,
verum b., seine Eigenschaften
8, 7—18, 6, 21—80; w. G. ist,
was zu einer idealen Vollkom-
menheit fahrt 7, 17—20.
Hannlbal 88, 82.
Heer, Heerwesen, siehe Miliz.
Heilkniidey medidna, ist auszu-
bilden 8, 5—7.
HOrensairen) ex auditu, Wissen
vom H. die erste Erkenntnis-
art 9, 19—21 ; Beispiele 10, 7
bis 9, 11, 23—27; ungewiß und
von der Wissenschiäl auszu-
schließen 12, 88—18, 9.
Hof leute, quiaulam frequentant,
von Staatsftmtem ausgeschlos-
sen 104, 14—16.
Holland 132, 10—14; Grund-
steuern in U. 137, 15; Steuern
und Reichtum in H. 149, 16
bis 20; die Sekret&re der Kör-
perschaften in H. 158, 1 — 19;
als Beispiel der Aristokratie
mit gleichberechtigten Städten
y Google
206
Namen- und Sachregister.
168, 35; Beorteilong seiner
Verfassung 168, 86—169, 16.
Hypothese, hypothesis, Art der
Fiktion 28, 81—84; H. in der
Astronomie 26, 84—41.
(Idealismus, absoluter), charak-
terisiert und zurückgewiesen
27, 17—28, 29.
Idee, idea ; w a h r e L, i. vera, vom
Gegenstand verschieden 15, 12
bis 18 ; an sich erkennbar 15, 19 ;
kann Gegenstand wieder einer
Idee sein 15, 20—16, 6; gibt
die Gewißheit über die Wahr-
heit 16, 21-80; lehrt als an-
geborenes Werkzeug die üb-
rigen Yorstellangen erkennen
18, 1—10, 22, 2—6; hat kein
Objektais Ursache 88,18 ; hängt
bloß vom Vermögen desVerstan-
desab 88, 14—86; verhält sich
objektiv, wie ihr Gegenstand
realiter 18, 25—26; Verhältnis
zwischen den Ideen wie das
Verhältnis zwischen ihrem for-
malen Sinn 17, 80—82, 41, 9
bis 14; die Ideen müssen aus
der Idee hergeleitet werden,
die den Ursprung der Natur
darstellt 19, 8—10; einfache
Idee, immer wa^r 84, 25 — 27 ;
fingierte I., i. ficta, betrifft
Existenz oder Wesen einer
Sache 22, 86—28, 1; bezieht
sich nor auf mögliche Dinge
28, 7—28; kann nicht Bekann-
tes betreffen 28, 24—24, 4,
24, 26—25, 28; auch nicht
ewige Wahrheiten 24, 5—7,
80, 29—81, 8; hat um so mehr
Spielraum, je geringer die
Kenntnis der Natur 26, 14—27,
16, 81, 8—6; Annahmen sind
uneigentliche Fiktionen 25, 29
bis 26, 18; die f. I. schafft nichts
Neues 26, 20—22, sondern ope-
riert mit bekannten Elementen
26, 28—88; seigt sich durch
ihre Eonseqnenzen als wahr
oder falsch 28, 33—29, 13;
zusammengesetzt aus verschie-
denen verworrenen Ideen 80, 6
bis 22, 31, 7—18; entspringt
aus dem VorstellungavermOgen
40, 19—26; falsche L, i. £a1^
unterscheidet sich von der fin-
gierten nur durch die hinra-
kommende Anerkennung 81, 19
bis 82, 27; entspringt aus dem
VorstellungsvermOgen 40, 19
bis 26; zweifelhafte L, l
dubia, entsteht durch ein an-
klares Moment in einer nicht
ein£BLchen Idee 87, 1—38, 2;
ist Zurückhaltung in Bejahung
und Verneinung 88, 31—36;
entspringt aus dem Vorstel-
lungsvermOgen 40, 19—26.
J.
(Jeremias, Prophet), dtiert 69, 34
bis 36.
Juden, Königtum bei den J.
128, 28, 127, 9.
Jnstielft) der Vorsitzende des
Rates der Siebzehn bei den
Arragonesen 127, 21 — 84.
JuBtizTerwftltaiig, iuatitia ad-
ministranda, in Monarchien
101, 87—108, 18; in Aristo-
kratien s. Gerichtshof.
Klar und deutlieh, dare et dis-
tincte; wenn wir k. u. d. be-
greifen, fingieren wir nicht
29, 14—25; Idee einer einfachen
Sache immer k. u. d. 29, ^
bis 80, 6.
KOnig, res, hat nie allein die
Begierungsgewalt inne 93, 5
bis 29 und ist nirgends unam-
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Namen- und Sachregiater.
207
schränkt 107, 12—22; fürchtet
die Bfirger mehr als die Feinde
93, 81—39; Fnrcht vor dem
Thronfolger 94, 2—11 ; vor den
Blatsverwandten 191, 10—25
muß Räte haben 109, 14-29
wählt seine B&te 97, 2—82.
ist an deren Meinung gebun-
den 97, 84—98, 1, 111, 11—26
and wird dnrch sie vertreten
* 98, 9—14 nnd gedeckt 98, 16
bis 28; wird mit der Mehrheit
gehen 114, 4—18; Verhältnis
zum Heere 114, 20—115, 6;
Verhältnis zu denRäten 115,89
bis 116, 85; ist selbst der Staat
128, 18—19; aUes Recht der
erklärte Wille des Königs
108, 10—16; er darf keine Aus-
länderin heiraten 105, 2 — 7,
121, 27--122, 12. Entstehung
des Königtums 110, 26— 1 11, 10.
Thronfo^ordnung 105, 9—24,
122, 14—128, 87.
Konsolii, consules, in der Aristo-
kratie ein ständiger Ausschuß
des Senats 150, 9—22, 151, 2
bis SO; ihre Zahl 151, 22—152,
4; Verhältnis zum Senat 152, 6
bis 89; in Aristokratien mit
gleichberechtigten Städten
166, 85—167, 11.
Kraft y angeborene, vis nativa,
des Verstandes 14, 84; das,
was in uns nicht durch äußere
Ursachen bewirkt wird 14, 86
bis 88.
Krieg, bellum ; sein Zweck 104, 28
bis 25.
Kult, äußerer, cultus extemus
77, 8—18.
LebenBregeln, vivendi regulae,
provisorische 8, 23 — 9, 4.
(Lehrfreiheit), gefordert 160,
80 bis 86.
LeibwM]ie,corporis cuitodes, des
Königs 104, 18—21.
Leidensehafli passio 60, 41.
Liebe, amor, zu vergänglichen
Dingen bringt Schmerz 6, 1
bis 12; zu einem ewigen und
unendlichen Ding dagegen
Freude 6. 12—16; L. der
Männer meist nur sinnliche
Leidenschaft 181, 10—14.
(Livias), citiert 88, 81-38, 124,
22—28.
Ludwig XiV«, König von Frank-
reich 122, 8—9; citiert 128, 18
bis 19.
Luxusgesetze. legis sumpta-
ariae, ihre Nutzlosigkeit 178.
82—174, 6.
MaeeldaTelli, die Absicht seines
Principe 90, 2 — ^28; seine Dis-
corsi angefahrt 170, 8—28.
(Materialismus) als Beispiel der
falschen Idee 82, 15—17.
Mauren, 127, 2.
Mechanik, mechanica, ist aus-
zubilden 8, 7—10.
Mensch, homo, kann außerhalb
einer kechtsgemeinschaft nicht
leben 56, 28-25; bildet stets
einen staatlichen Zustand 58, 81
bis 88; ist ein geselliges Tier
66, 82—85; den Affekten unter-
worfen 57, 21—58, 12; ist frei,
wenn er nur nach den (besetzen
seiner Natur handelt 68, 1 — 9;
ist ein Teil der Natur 61, 8
bis 16, 68, 88—89; in ihr nicht
wie ein Staat im Staate 61, 17
bis 20. Menschen von Natur
Feinde 66, 2—7 ; können nicht
ohne gegenseitige Hülfe be-
stehen 66, 20—22; ihre Ent-
artung die Ursache des Ver-
falls der Staaten 178, 18—80;
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208
Namen- und Sachregister.
sollen niobt dorch Forcht ge-
leitet werden 175, 12—20.
Methode, methodoa, die beste
M. EQ finden, bedarf ee nicht
selbst wieder einer Methode
14, 1—15, 11; sacht nicht nach
äußeren Kennzeichen derWahr-
heit 17, 1 — 8; ist der Weg, die
wahren Ideen in richtiger Ord-
nung zu suchen 17, 4 — 7, 21, 87
bis & ; handelt vom Folgerungs-
ver&hren und dem Erkenntnis-
vermögen 17, 8—18; unter-
scheidet die wahre Idee Ton
den übrigen Vorstellungen
17, 18—21, 21, 82—84, 22, 8
bis 84; gibt dem Geist die
Norm des Erkennens 17, 17
bis 21, 21, 85—86; ist die Idee
der Idee 17, 21 — 29 oder eine
reflexive Erkenntnis 88, 10;
leitet den Geist nach der Norm
der Idee des vollkommensten
Wesens 17,80—18, 18; braucht
nicht bewiesen 19, 11—88, nur
au%ezeigt SU werden 19,88—20,
15; erkennt die Bedingungen
der Definition 44, 14—24.
Mietssoldaten, milites stipen-
diarii, 125, 29—41.
Milliy militia, in Monarchien 95, 2
bis 20; ihre Anführer 95, 8
bis 20, 117, 87—118, 17; nur
ans Bürgern zu bilden 117, 28
bis 86 ; erhält keine Besoldung
108, 15—21, 120, 18—121, 6;
in der Aristokratie, Zusammen-
setzung 185, 20—186, 8; aus-
ländische Soldaten 186, 4—11;
Kommando 186, 12—80; Be-
soldung 186, 81—42; Kontin-
gentierung in Aristokratien
mit gleicm>erechtigten Städten
165, 8—17.
Minister^ ministri 107, 19.
MOglieh, possibilis, definiert
23, 15-20.
MoüArehte, der Aristokratie
nachstehend 184, 29—135, 1,
148, 85—149, 88; Entstehung
aus der Aristokratie 188, ^
bis 86; Lasten der M. 149, 10
bis 25; s. auch unter König.
Moralpliilosopliie. philosophia
moralis, ist zu pflegen 8, 8-— 5.
M.
NMhbantftdte. urbes circom-
vidnae, der Hauptstadt in Ari-
stokratien ; ihre Verfassung und
ihr Verhältnis zum Staat 157, 10
bis 24.
Natur, natura; eine gewisse
Kenntnis von ihr ist uöüg 7, 33
bis 85, 12, 25—26; ihr Ur-
sprung nicht abstrakt und all-
gemein zu begreifen 86, 14
bis 85; steht nicht unter den
Gesetzen menschlidier Ver-
nunft 68, 84—64, 10; wir
mfissen unsere N. kennen 12, 24
bis 25 und mit der N. der
Dinge vergleichen 12, 27—35;
menschliche N., sehr veränder-
lich 20, 11—18.
Natargeaetse, naturae leges, alles
geschieht nach ihnen in ewiger
Ordnung 7, 10—12; sind Ge-
setze Gottes 67, 87—68, 3.
Xatarreehtylus naturae —»Natur-
gesetze 60, 16—17; N. jedes
Dinges ist gleich dessen Macht
60, 5—25; nicht durch die Ver-
nunft, sondern durch jeden
Trieb bestimmt 60, 27—61, 16;
verbietet nur, was niemand
will oder kann 68, 27—88; N.
des einzelnen im Natonnstand
nichtig 66, 9 — 20; nur in der
Verainigung möglich 66, 28
bis 81 ; hOrt nach Staatsgrund-
gesetz im Staatsleben auf 72, 18
bis 40.
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Namen- und Sachregister.
209
tfatnrziiBtaiid, statui naturalis;
der einzelne im N. machtlos
66, 9^22; im N. gibt es keine
Sflnde 67, 23—68, 10; sein
Gegensatz das Siaatsleben, sta-
tns civilis 72, 26 — 40.
Hlederdeatseliluid, Oermania
inferior 134, 4 — 5.
lotwendigy necessarios, definiert
28, 14—16.
O.
Mysseofl. als Beispiel des weisen
Monarchen 107, 23—108, 1.
Offiziere, officiarii, in der Monar-
chie, ihre Wahl 96, 8—20;
Einkünfte 103, 18—21; O. in
der Aristokratie 136,37—136, 3;
in der Aristokratie mit gleich-
berechtigten St&dten 166, 8
bis 17.
mgareUe 179, 26.
hnines, 98, 27.
;OTld), dtiert 172, 28, 173, 38
bis 39.
F-
Pacht fGLr Grund und Boden 96, 1.
Panischer Sehreeken, terror
panicns, als Ursache des Unter-
gangs von Staaten 176, 22
bis 177, 80.
Papst nnd Arragonesen 127, 6
bis 19.
Patrizier, die Regenten in der
Aristokratie 180, 12—29; ihre
ZaU 180, 29— 132,3; P.-wärde
nicht erblich 139, 18—140, 4;
Gleichheit unter den P. zn
wahren 141, 36—86; müssen
derselben allgemeinen Religion
angehören 159, 10-17; P. als
Priester der Landesreligion
159, 27 — 32 ; haben besondere
Tracht 160, 2—4 nnd beson-
dem Titel 160, 4—6; Ver-
mögensersatz bei unverschul-
detemyerlu8tl60,6— 16, 174,31
bis 38; sollen vor Entartung
bewahrt werden 174, 31—176, 4.
Don Pedro (IV.), König von
Arragon 127, 36-128, 17.
Perez^ Antonio, citiert 116, 31.
Ferser $ ihr Königtum 107,0—12.
Philipp n. von Spanien 129, 12
bis 14.
PMlipp nL von Spanien 129, 16.
Philipp IT. von Spanien 122, 10.
Philosophen, neuere 13, 85—36;
in der Staatslehre 66, 3—26.
PObel, vulgns, Urteil über den
P. 124, 18—126, 28.
Bäte des Königs, regis consi-
liarii, Znsammensetzung 96, 26
bis 38, 109, 33—110, 24; Wahl
97, 2—32; haben beratende
Stimme 97, 84—98,7; sind exe-
kutive 98, 9—14 und vermit-
telnde Behörde 98, 16—28;
erziehen den Thronfolger 98,
30 — 81 und haben die Vormund-
schaft bei Unmündigkeit des
Königs 98, 81—33; Wählbar-
keit zu R. 99, 2—12; Geschäfts-
ordnung 99, 13—100, 3; 100,
26—101, 36; Vorsitz 99, 33 bis
100, 3; Tagung 100, 5—11;
st&ndiger Ausschuß 100, 6 bis
23; Einkünfte 102, 35—103,
6; Wahlperiode 115, 8-37;
ihre Notwendigkeit 109, 14 bis
29; werden den Frieden be-
günstigen 112, 9 — 22 ; sind nicht
zu bestechen 113, 4—10, nicht
zu vermindern 113, 12—114, 2.
Räte in den St&dten, in Mo-
narchien 108, 7—13.
Bat, höchster, concilium supre-
mum, in Aristokratien; Mit-
gliederzahl 137, 17—26; deren
Verhältnis zur Volkszahl 139, 2
bis 16; untere Altersgrenze
S p 1 n o X a , Abhandlg. Ob. d. Verbeuerg. d. Yeratandes. 14
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aio
Kamen- und Sachregister.
der Wählbarkeit 140, 6-~12;
Zwang, den Sitzungen beizu-
wohnen 140, 14—22; hat die
gesetsgebende Gewalt und die
Wahl der Beamten 140, 24
bis 141, 3; ohne Oberhanpt
141, 5—17; Liste der Wähl-
baren 144, 17— dd; wählt die
Gesandten 146, 82—87 ; ist die
Instanz för Streitigkeiten zwi-
schen Städten 154, 21—28;
Verwandte im H. E. 154, 88
bis 155, 18. H. R. in Aristo-
kratien mit gleichberechtigten
Städten, sein Sitz 162, 4—14;
Einbemfdng 168, 28—89.
Oberster R. in den einzelnen
Städten 168, 8—16. H. R. in
der Demokratie, Stimmrecht
179, 36—180, 16.
Reeht, ins, die Seele des Staates
176,7—8; ist auf die Vernnnft
und den Affekt der Menschen
zu gründen 176, 9—13.
Rechtskundiger 9 iuris peritus,
unter den Räten des Köni^
96, 85—88; Wahl 97, 9—18;
Wählbarkeit zum R. 99, 4—12;
in der Justizverwaltung 101, 87
bis 40.
Regierung, imperium, das Recht,
das durch die Macht der Menge
bestimmt wird 67, 9 — 10; wer
sie innehat 67, 10 — 16; ihre
Formen 67, 16—22; ihr Recht
71, 22—72, 8; Stellung der R.
wie die der Menschen im Natur-
zustand 77, 82—78, 6; R. bei
einem freien und einem unter-
worfenen Volke 89, 18—89;
ist so einzurichten, daß sie
nicht von der Treue der Re-
gierenden abhängt 91, 80—92,
24; ist unteilbar 105, 9—16;
weibliche Erbfolge ausgeschlos-
sen 105, 1 6 — 18 ; unumschränkte
R. ist diejenige, die ein ganzes
Volk in Händen hat 133, 8
bis 10.
RegiernngsTertreter, procon-
sules, in den Städten und Pro-
vinzen 156, 89—157, 24.
Rehabeam 122, 6.
Relebtum, divitiae, nimmt den
Geist völlig ein 4, 11—14; gilt
als höchstes Gut 4, 18—14;
seine Gefahren 4, 22—24, 5, 30
bis 35; nicht schädlich als
Mittel zum Zweck 6, 30—39,
9, 1—4.
Religion, religio ; das Recht über
R. ist nicht übertnurbar 123, 39
bis 124, 8; in Monarchien
106, 2—12; IiandeBreligion in
Aristokratien privilegiert 159,18
bis 26; Patrizier als ihre Priester
159, 27—82 ; ihre übrigen Funk-
tionäre 159, 82—86.
Riehter, iudices, in MonarchieD
101, 87—102, 16; ihre Zahl
102, 18-20 und Wahl 102, 20
bis 25; Vollzähligkeit erfordeit
102 , 27—81 ; Abstimmaofr
102, 31—33; fiinkfinfle 102, 85
bis 103, 6, 119, 29—120, 16; in
der Aristokratie, ihre Zahl 154,
9— 20; Amtsdauer 154, 25-27;
Blutsverwandte als R. 154, 2S
bis 31; Wahlfähigkeit 155, 21
bis 23; Kontrolle durch die
Syndici 155, 23—28; Einkflofte
155, 30—39; Garantien ihrer
Rechtiichkeit 156, 1—37; in
den einzelnen Städten 157, 26
bis 30; ihre Wahl in Aristo-
kratien mit gleichberechtigten
Städten 164, 86—39; in den
einzelnen Städten 167, 13—18.
Rttmisehes Reich, imperiom
Romanum, die Ursache seioef
Untergangs 176, 34—177, 6.
Rom 132, 9; 136, 30; 168, 26;
Volkstribunen in Rom 172, 86
bis 178, 12.
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Namen- und Sachregister.
211
8.
Bagunt 168, 26.
Ballast, citiert 106, 26—27,
110, 26.
BaloBO 122, 4.
BeUeelity maliu, a. gnt
Beholaatlker, aoholaatioi 66, 82.
Belpio 172, 8a
Beele, anima, oft fiüachlich mit
der Vorstellnog von etwas Kör-
perlichem yerbunden 27, 81
bis 40; im absoluten Idealis-
mus als schöpferisch angesehen
27, 16; indem sie begreift, bil-
det sie dieselbe Verkettung von
Ursache und Wirkung wie in
der Natur 28, 84—89, 29, 86
bis 89; handelt nach bestimm-
ten Gesetzen 41 , 18 ; ein geistiger
Automat 41, 16—19; Seelen-
lehre der Stoiker 85, 24—84.
BelBy formalesy essentia formap
lifl, der Gegenstand des objek-
tiren Seins 15, 20—21 ; die Art,
wie wir das f. 8. empfinden, ist
die Gewißheit 16, 19—21.
Sein, obJektlTea, obJekttTCs
WeseS) essentia obiectiva, ist
die Idee 15, 26—26; etwas an
sich Wirkliches 15, 26; kann
Gegenstand eines anderen ob-
jektiven Seins bilden 15, 20
bis 24; ist die Gewißheit selbst
16, 17—21.
Sekretäre, qni a secretis sunt,
der Körperschaften in der Ari-
stokratie; Ge&hren ihres Ein-
flasses 157, 82—158, 10; Ver-
hältnis zu den Patrisiem 156, 10
bis 28; Beschr&nkung ihrer
Amtsdaner und ihres Amts-
kreises 158, 84—42.
Belbsteriuiitaogstrleb, oonatus
sese conservandi 68, 28, 61, 5.
Benaty senatus, die exekutive Be-
hörde in der Aristokratie 146, 24
bis 147, 6; Verhältnis sum
Höchsten Rat 150, 2—7; stän-
diger Senatorenausschuß (Eon-
Bubi) 150, 9—22; Abteilungen
mid Prisidenten 150, 24—151,
2; Geschäftsordnung und Ab-
stimmungen 152, 16—158, 18;
in den einselnen Städten 168, 17
bis 26; in Aristokratien mit
gleichberechtigten Städten,
seine Geschältsfährung 164, 1
bis 18; sein Sita 166, 6—6.
Senatoren, senatores, Zahl 147, 6
bis 88; loste der Wählbaren
147, 49-148, 9; Einkünfte
148, 11—21; sind von den
Kommandostellen im Heere aus-
zuschließen 146, 22—84; ihre
Wahl in Aristokratien mit
gleichberechtigten Städten 164,
16—85; Einkünfte 165, 81—87.
Sleherheity securitas, die Tugend
des Staates 56, 29—80.
Siebzehn, die, Rat der Arrago-
oesen 127, 21—84.
Sinne, sensos, ihre Täuschung
87, 28—38, 2; alli^emeiner
Sinn, s. communis 39, 15.
Slnnenlnst. libido, nimmt den
Geist völlig ein 4, 2—6; ihre
Ge&hren 4, 9—11, 5, 87—6, 1;
nicht schädlich als Mittel zum
Zweck 6, 80—89.
Sirenen 107, 27; 106, 6.
Skeptiker, sceptici, charakteri-
siert und zurückgewiesen 20, 80
bis 21, 16; 37, 5—11.
SparU 127, 16.
Spione (speculatores) 104, 1 1—12.
Staat, civitas 70, 6; am mäch-
tigsten, wenn er der Vernunft
folgt 74, 26—40; hat nur Ge-
walt über das, was erswingbar
ist 75, 2—5; Grenze seiner
Macht 76, 7—25; widerstreitet
nicht der Religion 76, 27—77,
80; ist eigenen Rechtes, soweit
14*
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212
Namon- und Sachregister.
er (fir sich bestehen kann 78, 8
bis 21 ; sein Recht Aber Krieg
and Frieden 78, 23—88; sein
Recht in Verträgen 79, 2—80,
3; vergeht sich, wenn er gegen
die Vernunft handelt 83, 19
bis 84, 87, ist aber nicht an
die b ärgerlichen Gesetze ge-
bunden 84, 89 --85, 29; Be-
schaffe oheit seiner Bftrger rich-
tet sich nach der fieschaffen-
heit seiner Gesetze 88, 2
bis 33; muß von Zeit zu Zeit
auf sein Grundprincip zurfilck-
gefuhrt werden 170, 8—31.
Staaten serfallea durch die
Entartung der Menschen 173, 18
bis 30; St im Staate, impe-
rium in imperio 61, 20 — ^21.
Staatsbeamte! imperii ministri,
Wahl 140, 38-141, 8, 145, 25
bis 38; EinkflnOe 143, 2—19.
Staatsgmndgesetzey fundamen-
talia imperii iura, ihre Wahrung
in Aristokratien 144, 34 — 145, 1.
Staatsleben, status civilis, sein
Gegensatz der Naturzustand,
St. naturalis 72, 25—40; Natur-
recht im St. 72, 18—40; nicht
der Vernunft widerstreitend
73, 25—74, 26; sein Zweck ist
Friede und Sicherheit des
Lebens 87, 31—88, 1.
Staatsmftmier, politici, in der
Staatslehre 55, 27—56, 13.
Staatsverfassung, status civilis
71, 3—5.
Stldte, urbes; fiflrprerrecht in
Monarchien 94, 28—34; ab-
hftn^ige St. in Monarchien 94, 34
bis 36, 117, 16—21; sind zu
befestigen 117, 9—13; ihre
Macht bestimmt durch die Zahl
der fifirffer 118, 19—80. St.
in den Aristokratien 135, 10
bis 18. St. in den Aristokra-
tien mit gleichberechtigten
St&dten 161, 15—20; abhftn^
St. 161, 20—24; ihr Reell
richtet sich nach ihrer Mach
162, 20—40; 164, 40—165, 6
Patrizier 163, 8—16; Sena
163, 17—26; Syndici 166. li
bis 33; Konsuln 166, 85 — 167
11; Richter 167, 13—18; ab
hftngige St in Aristokratien nu
gleichberechtigton St. 167, 2(
bis 168, 4.
Statthalter, vicarii, der G»feii
von Holland 168, 36 — 49.
Stenem, vectigalia, werden in
Aristokratien vom Senat 146,29
bis 30 bezw. vom Höchste
Rat bestimmt 147, 8--6; St
in Holland 149, 16—20; in
Aristokratien mit gleichberech-
tigten Städten 165, 19—29.
Stlnunreelit, ins saffragii, in
Demokratien 178, 13—179, 8.
Stoiker, ihre Seelenlehre 35, 24
bis 84.
Sünde, peccatum, nach Natur-
recht 67, 24—68, 18; gibt et
nur im Staate 68, 12—21 ; nach
gewöbütiliohem Sprachgebranch
68, 23—69, 19; im Sinne der
Religion 69,21—70,3. Sünden-
fiOl 6, 37—7, 27.
Snsak, König vonÄgypten 122, 7.
Syndi«^ in der Aristokratie eine
dem Höchsten Rat untergeord-
nete Au&ichtsbehOrde 141, 38
bis 142, 16; Wahlmodas 142, 18
bis 26; Zahl 142, 28-35: haben
Verfflgnngsrecht über Trappen
142, 37—40; Einkünfte 143, 2
bis 40; Eontrolle ihrer Zahl
144, 1—16; VerbftltoiB sam
Höchsten Rat 145, 9-19; Ge-
schäftsordnung 146, 2—5; Vor-
sitzender und AusjchaO der S.
146, 5—22; Veriiftltnifl sam
Senat 149, 35—40; Eoatroils
über die Richter 155, 23-28,
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Kamen- und Saohregister.
213
166, 18—87; in Aristokratien
xnit gleichberechtigten St&dten
166, 16—88; die Bedeatong
ihrer dictatorisohen Gewalt
172, 4—34.
T. -
<*Iaeita8), citiort 73, 16, 114, 32
bis 84, 116, 14—16, 120, 1—7,
124, 21—22, 23—24, 125, 23
bis 24, 126, 23—26.
CToi^entias). citiert 114, 12—18,
124, 26—29, 129, 19.
TeiLfel, diabolas 62, 5—12.
Tüheologlseh-politiseher Trak-
tat Spinozas, citiert 59, 3,
63,27—64,10, 124,1—2,159,7.
Thronfolge]:, successor, von
den Königen gefürchtet 94, 2
bis 11; Thronfolgeordnung
105, 9-24, 122, 14—123, 37.
Traum, somnium, der Fiktion
verwandt 30, 33—40.
Trieb, appetitus 60, 87.
Triumphe, triumphi, za ver-
werfen 175. 20—40.
Ttürken, türkisches Reich 92, 30;
türkische Herrscher 121, 16.
U.
Ungereehtlgkeit, iniustitia, nur
im Staate 70, 5—12; definiert
70, 12-16.
üiilTenitftteii, academiae 160,30
bis 36.
Unmöglleh^impossibilis, definiert
23, 12—14.
Untertan, subditus, ist der
Mensch, soweit er unter den
Gesetzen des Staates steht 71, 10
bis 12; muß alle Beschlüsse
des Staates als seine ansehen
76, 15—28; hat nicht ohne
Autorisation ein Staatsgesohftft
za unternehmen 88, 10—17;
Untertanen sind in der Aristo-
kratie Fremde 186, 33—35;
müssen aus freiem Willen ihre
Pflicht tun 175, 7—20.
Ursaehe, causa; was eine U. hat,
muß durch diese erkannt wer-
den 43, 24—27« U. seiner
selbst, causa sui ; was U. s. s.
ist, muß durch sich erkannt
werden 43, 20—23. U. aller
Dinge 46, 22—29.
V.
Tenezianer; Doge bei den Y.
141, 7 ; Wahl der Staatsbeamten
bei den V. 145, 25-38; der
venezianische Staat 132, 9.
Tereinigte Niederlande, Pro-
vinzen der 129, 18 — 14.
Tereinzelnng, solitado, Furcht
vor V. schafft das Staatsleben
91, 11-17.
VTergil), citiert 61, 36.
ergnttgen, delicia, nicht zu ver-
werfen 8, 35—86.
Temonft, ratio, meist schwächer
als die Begierde 60, 32—34,
61, 18—36.
Terspreehen, fides 65, 14—27;
80, 14-83.
Verstand, intellectus, ist zu heilen
und zu reinigen 8, 10 — 14$
bildet sich aus aogeborener
Kraft Verstandeswerkzeuge zu
Verstandesworken 14, 82 — 15,
5; seine Verkettung; muß der
Verkettung der Natur ent-
sprechen 45, 9 — 10; soll defi-
niert werden 49, 16—50, 2;
seine Eigenschafben werden
aufgezählt 50, 8—62, 8.
Verstandeswerke, opera intel-
leotualia 15, 1.
Verstandeswerkzenge, instru-
menta intellectualia 14, 84 — 85.
Vertrltge, contractus, zur Ober-
tragung der Begierungsgewalt
85, 81—86, 14.
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214
Namen- und Sachregister.
T. H. (Van Hove), Polityke
WeegBohaal citiert 149, 31.
ToIksMbimeii, tribani plebis,
in Rom 172, 36—173, 12.
Tollkomiiien nnd unyollkom-
men, perfectam et imperfec-
tam, relative Begriffe 7, 7—12.
Vollkommenheit, perfedio; der
Mensch erdenkt Kioh eine voll-
kommone menschliche Katar
als Vorbild 7, 12—18 ; V. besteht
in der Erkenntnis der Einheit
des Geistes mit der gesamten
Natur 7, 23—26; das Ziel, auf
das alle Wissenschaften hinzu-
leiten sind 8, 14—23, 8, 37
bis 38; Freiheit ist V. 62, 39
bis 40.
Vorstellen, imaginari, vom Er-
kennen zu unterscheiden 42, 34
bis 43, 4.
Vorstellnng, perceptio; ihr
Wesen soll in der Philosophie
erklärt werden 22, 26—30; V.
wird meist im Sinne von Idee
gebraucht z. B. 40, 18, 46, 23.
Vontelliingsbllder, imagina-
tiones, haben andere Gesetze
als der Verstand 41 , 29—35.
VorstellungSTermögen, imagi-
natio; was im V. ist, kann
auch im Verstände sein 3&, 18
bis 21, 41, 24—29; wird von
einzelnen, körperlichen Dingen
afficiert 39, 14—27; aus ihm
entspringen die fingierten, fal-
schen und zweifelhaften Ideen
40, 17—26; in ihm ist der
Geist leidend 40, 23—30, 41,33
bis 85; vom Erkenntnisyer-
mögen zu unterscheiden 41, 85
bis 38; Worte ein Teil von
ihm 42, 7—19.
Vomrtelley praeiudicia, stehen
der richtigen Methode im Weg
20, 4—8.
W.
Wahriieity veritas, bedarf keines
fiußeren Kennzeichens 16, 30
bis 31; das objektive Sein
macht die W. aus 16. 31 — 33;
offenbart sich selbst 19» *M
bis 29 ; durch innere Bezeich-
nung von der Falschheit unter-
schieden 82, 28—38, 3; ewige
W. definiert 24, 34—39; kaon
nicht Gegenstand einer Fik-
tionsein 24,6—7, 30, 29—31,3.
Wesen, essentia; gedanklich«
Wesen, e. idealis, der Ding^.
unabh&ngig von ihrer Existenz
59, 13—21.
WlBsen, perceptio, vom Hören-
sagen, die erste Erkenntnisart,
8. d.; aus unbestimmter Er-
fahrung, die zweite Erkenntnis-
art, s. d.; W., bei dem das
Wesen einer Sache aus einer
andern erschlossen wird, die
dritte Erkenntnisart 9, 30—10,
2; Beispiele 10, 20—11. 7,
12,10— 17 ;gibtIdeeeinerSacbe
13, 19—22, aber kein Mii^l
zur Vollkommenheit 13, 22
bis 23; W., bei dem die Sache
aus ihrem Wesen oder durch
ihre nächste Ursache begriffen
wird, die vierte Erkenntuisart
10, 3—5; Beispiele 11, 8—18,
12, 17—19; erfaßt allein das
ad&quate Wesen und ist die
beste 13, 23—27.
Worte, verba, Teil des Vor-
stell ungsvermOgens 42, 7— 14,
19 — 29; nach der Fassungs-
kraft des Volkes gebildet 42, 15
bis 19.
Z.
ZolU vectigal; Export- und Im-
portzölle 148, 13—21.
Znf&lligkMt. contingentia, nicht
gleich Freiheit 62, 37—38.
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Philosophische Bibliothek.
Band 96.
Die
Briefe mehrerer Gelehrten
an
Benedict von Spinoza
und dessen
Antworten,
soweit
beide zum besseren Verstftndniss seiner Schriften
dienen.
Uebersetzt und erläutert
von
J. H. V. Kirchmann.
mM
^tl^
LEIPZIG. ^ I
VERLAG DER DÜRR'SCHEN BrCHHANDLÜNG. _
lft97. k
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Vorwort dos üobersetiors.
vlbgleich Spinoza bei seinem Leben nur im Jabre
1663 seine Bearbeitung der Prinzipien des Descartes
nnd im Jahre 1670 seine theologisch-politische Ab-
handlung durch den Druck veröffentlicht und bei
letzterer nicht einmal sich als den Verfasser genannt
hatte, ward sein Name, seine Gelehrsamkeit und sein
Genie doch unter seinen Zeitgenossen bald bekannt,
und er galt allgemein als einer der bedeutendsten
Philosophen und Naturforscher. Es erklärt sich dies
zum Theil daraus, dass Sp. frühzeitig und schon vor
seinem dreissigsten Jahre mit den Grundgedanken
seines eigenen Systems ziemlich ins Reine gekommen
war, und dass er, obgleich sein Hauptwerk, die Ethik,
erst 1677, nach seinem Tode, im Druck erschien, er
dieses Werk, das schon vor 1660 vollendet gewesen
sein mag, einzelnen Schülern und Freunden ganz oder
theilweise in Abschrift mitgetheilt hatte, durch welche
die Grundgedanken desselben schon vor dem Druck
unter den Gelehrten ziemlich allgemein bekannt ge-
worden waren.
Diese grosse Bedeutung Spinoza^s, welche sowohl
von seinen Freunden wie von seinen Gegnern aner-
kannt wurde, verwickelte ihn bald in einen ausge-
breiteten Briefwechsel mit seinen Anhängern und mit
berühmten Männern des Auslandes. Sp. verfuhr da-
bei sehr gewissenhaft; er schrieb alle seine Briefe
vorher im Koncept nieder, korrigirie sie dann vielfach
und verwahrte nach Absendung der Reinschriften die
Koncepte nebst den eingehenden Antworten sorgfältig
auf. Sein Freund L. Meyer fand deshalb bei Sp.^s
Tode einen grossen Vorrath dieser Korrespondenz
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VI Vorwort des üebersetzers.
vor und war dadurch in den Stand gesetzt, den nach-
gelassenen Werken Sp.'s auch eine Auswahl dieser Briefe
beizufügen. Meyer verfuhr dabei allerdings nicht mit
der peinlichen Sorgfalt, wie man sie heutzutage bei be-
rühmten Männern beobachtet. Er traf nach seinem
Ermessen die Auswahl, ohne über die dabei befolgten
Grundsätze sich auszusprechen; viele Briefe thellt er
ohne Datum oder nur in Auszügen mit; bei andern
fehlt der Name des Adressaten oder des Absenders;
bei andern ist er nur mit den Anfangsbuchstaben ange-
deutet. Dies letztere mag mit Kücksicht auf die da-
mals noch lebenden Persönlichkeiten geschehen sein,
welche nicht blossgestellt werden sollten; da schon ein
solcher Verkehr mit Sp. bei einem grossen Theile seiner
Zeitgenossen genügte, um in den gefährlichen Verdacht
des Atheismus zu gerathen. Ein Theil der Briefe war
in holländischer Sprache geschrieben; Meyer hat diese
in das Lateinische übersetzt und nur in dieser Ueber-
setzung veröffentlicht; die Originale sind bis auf einzelne
Ausnahmen verloren gegangen. In dieser Form hat
Meyer 74 Briefe aus der Zeit von 1661 — 1676 ver-
öffentlicht, welche sich in allen Oesammtausgaben von
Sp.'s Werken vorfinden. Dazu ist der Brief No. 75
durch Bruder in seiner Gesammtausgabe, Leipzig 1844,
gekommen. Dieser Brief war kurz vorher in Holland bei
einer Versteigerung aufgefunden und zuerst von dem
Professor Kistius inLeyden veröffentlicht worden. End-
lich hat vanVloten bei der Herausgabe der um 1860
aufgefundenen Handschrift von Sp.^s „Abhandlung über
Gott, den Menschen und sein V^Tonl" ebenfalls mehrere
nachträglich aufgefundene Briefe mit abdrucken lassen,
von denen aber nur einer von Sp. geschrieben und vier
andere an ihn gerichtet sind. Von diesen Briefen ist,
mit Ausnahme eines der letztem und ganz unbedeuten-
den, ebenfalls eine Uebersetzung hier gegeben worden,
so dass die Zahl der Briefe in der hier gebotenen
Ausgabe auf 79 gestiegen ist, während die 1844 her-
ausgekommene deutsche Uebersetzung von Auerbach
nur 74 Briefe enthält, da damals nicht mehr bekannt
waren. Zu einigen Briefen der alten Sammlung hat
van Vloten aus den Originalen noch kleine Zusätze
veröffentlicht, welche Meyer weggelassen hatte und
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Vorwort des Uebersetsen. VII
welche bier bei den Erläuterungen berücksichtigt
werden sollen. Im Ganzen ergeben diese nachträglich
aufgefundenen Briefe, dass Meyer wohl alles irgend
Erhebliche aus dem Briefwechsel aufgenommen haben
mag; denn das nachträglich Gefundene tritt an Be-
deutung sehr gegen die von Meyer veröffentlichten
Briefe zurück. Es ist deshalb der Verlust der übrigen
Briefe wohl nicht so tief zu beklagen, als es von eifrigen
Gelehrten und Verehrern Sp/s jetzt zu geschehen pflegt.
Bei der Uebcrsetzung der Briefe 1 — 75 ist der
lateinische Text nach der Ausgabe von Bruder,
lieipzig 1843 und 1844 zu Grunde gelegt worden. Die
frühern Ausgaben, namentlich auch die von Paulus,
Jena 1802, enthalten in Bezug auf die Daten noch
grobe Fehler. Das Datum, unter dem die Briefe ge-
schrieben worden, ist hier auch da zugesetzt worden,
wo es bei Meyer fehlt, so weit als diese Zeit sich aus
dem Inhalte und andern Hülfsmitteln entnehmen liess.
In der Ordnung ist fiir die Briefe 1 — 74 die alte der
frühem Ausgaben des bequemern Auffindens wegen
beibehalten worden; die später aufgefundenen Briefe
sind deshalb erst hinter jene gestellt worden, obgleich
sie der Zeit nach vielen von jenen vorgehen. —
Diese Briefsammlnng bildet einen höchst interessan-
ten Theil von Sp.'s. Werken, und man kann sie mit vol-
lem Rechte zu seinen philosophischen Schriften rechnen,
da der grössere Theil sich mit philosophischen und die
übrigen mit naturwissenschaftlichen und religiösen Fragen
beschäftigen, die mit jenen eng verknüpft sind und in
jener Zeit weniger streng wie jetzt gesondert gehalten
wurden. Die meisten Briefe beschäftigen sich mit den
wichtigern Begriffen aus Sp.'s Ethik, welches Werk,
wie erwähnt, vielen seiner Freunde durch Abschriften
zugänglich geworden war. Beinah alle Korrespondenten
können sich in die kurze, streng geometrisch gehaltene
Darstellung dieser Begriffe um so wenigerfinden, als deren
Inhalt und Form sich von dem bisher Gewohnten gänz-
lich entfernte. So kommen denn von allen Seiten An-
fragen und Bitten um Aufklärung, denen Sp. in seinen
Antworten nach Möglichkeit zu entsprechen sucht. Schon
diese Anfragen haben ihr philosophisches Interesse, weil
sie zeigen, wie wenig selbst die Gebildetsten jener Zeit
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VIII Vorwort des Uebersetzers.
im Stande waren, in Sp.'s Philosophie sich zurecht zu
finden und sie zu fassen. Es war das Verhältniss hier-
bei schon damals genau dasselbe wie noch jetzt; Freunde
und Feinde hatten einen grossen Hespekt vor der tiefen
Weisheit, die sie hinter Sp.'s dunklen Aussprüchen ver-
mutheten; die Anhänger hofften in ihnen den Stein der
Weisen zu finden ; man sprach einzelne seiner Sätze bald
mit Ehrfurcht, bald mit Abscheu nach; allein die Zahl
Derer, welche seine Lehre wirklich und wahrhaft ver-
standen, blieb überaus klein. Der Hauptgrund daftir lag
theils in den neuen von Sp. aufgestellten Begriffen selbst,
theils in der mathematischen Methode, in welcher er sie
dargestellt hatte, theils in der Bezeichnung seiner Begriffe
mit Worten, welche in dem gewöhnlichen Sprachgebrauch
eine durchaus verschiedene Bedeutung hatten. Um diese
Schwierigkeiten zu mindern, versucht deshalb Sp. zwar
in seinen Antworten seinen erhabenen und isolirten
Standpunkt zu verlassen und auf die aus dem gesunden
Menschenverstände entnommenen Bedenken seiner
Freunde in ungefähr gleicher Form zu antworten; allein
trotzdem werden die Empfänger dieser Antworten in ihren
Erwartungen sich ebenso getäuscht geftihlt haben, wie es
den heutigen Lesern damit gehen wird. Denn trotz allen
guten Willens Sp.'s enthalten die meisten seiner Ant-
worten in den Hauptpunkten bloss eine beinah wörtliche
Wiederholung der Definitionen und Lehrsätze aus der
Ethik; nur hie und da tritt Sp. der Sache durch Bei-
spiele und eingehende Erläuteningen näher. Deshalb
kann auch gegenwärtig der Anfönger aus diesen Briefen
wenig Belehrung schöpfen, und es würde verkehrt sein,
wenn man das Studium von Sp.'s Philosophie mit diesen
Briefen beginnen wollte. Nur ftlr Den, welcher bereits
das System Sp/s sich durch Lesen seiner Hauptwerke
zu eigen gemacht hat, wird das Nachlesen der betreffen-
den Ausführungen in diesen Briefen dann von Nutzen
und Interesse sein. In den Anfragen der Freunde er-
kennt man dann die Schwierigkeiten, mit denen man
selbst zu kämpfen gehabt hat, und die Antworten Sp.'s
werden dann, aber auch nur dann, ein erhebliches Hiilfe-
mittel, sowohl ftlr das volle Verständniss seiner Lehre
wie für die Erkeuntniss ihrer Vorzüge und ihrer Mängel.
In diesem Sinne sind daher auch die Erläuterungen
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Vorwort des Uebersetzers. IX
zu diesen Briefen gehalten worden; insbesondere sind
darin die Parallelstellen aus der Etbik und den übrigen
Schriften Sp/s angeftihrt und theilweise ausführlich ver-
glichen worden.
Ein anderer Theil der Briefe behandelt natur-
wissenschaftliche Fragen. Diese sind ftir die Gegen-
wart sachlich von geringerem Interesse, da Sp. hier
sich beinah gänzlich dem Descartes angeschlossen
hatte und die moderne Naturwissenschaft l&ngst darüber
hinausgeschritten ist. Allein davon abgesehen, gewiihren
sie einen lebendigen Einblick in die Schwierigkeiten,
welche die Naturwissenschaft gerade zu Sp.*s Zeit zu
überwinden hatte, um zu den fundamentalen Begriffen
und Gesetzen zu gelangen, auf denen sie heute ruht;
Schwierigkeiten nicht blos gegenüber den Verfolgungen
der Kirche, sondern auch Schwierigkeiten in der Sache
selbst; denn auch das induktive Verfahren, was sich
damals erst Bahn brechen musste, findet die wahren
Begriffe und Gesetze nicht fix und fertig in den Ver-
suchen und Beobachtungen dargelegt, sondern bedarf
der genialen Konception daftir nicht minder, wie der
Künstler, um das Chaos des Einzelnen zu ordnen und
die es durchziehenden einfachen Gesetze aus ihren Ver-
wickelungen zu lösen. Dieser TheU des Briefwechsels
hat noch ein besonderes Interesse, indem er zeigt, wie
Sp. trotz seines deduktiven Prinzips ebenso wie seine
Gegner genöthigt ist, mit Versuchen und Beobachtungen
des Einzelnen zu beginnen; Sp. ist auch bereitwilligst
darauf eingegangen und hat dabei denselben Scharfsinn,
dieselbe Ausdauer und Sorgfalt bewährt, die in seinen
philosophischen Arbeiten herrscht. Nichts ist in dieser
Beziehung belehrender, als seine Antworten und wieder-
holten Erwiderungen auf Robert Boyle's Aussprüche
über den Salpeter, welche in dem Briefwechsel mit Olden-
burg sich finden. Sie zeigen, dass Sp. auch in der be-
obachtenden und induktiven Methode seinen Gegnern
ebenbürtig war, und dass er in diesem Gebiete diese
Methode, wie sie selbst, innehielt und sich von ihnen nur
dadurch unterschied, dass er ähnlich wie Aristoteles zu
vorschnell aus einzelnen Daten sofort Folgerungen auf
die höchsten Prinzipien und Elemente sich erlaubte und
dabei den scholastischen Begriffen und Axiomen derVor-
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X Vorwort des üebersetzera.
zeit noch einen gefläfarlichen Einfluss gestattete. Man
wird indess dies Sp. um so eher nachsehen können, als
es selbst Baco, seinem erklärtesten Gegner, nicht besser
gegangen ist. (Man sehe das Vorwort zu Baco's Organoii,
B. 42 der Phil. BibL). Ein letzterTheil des Briefwechsels
beschäftigt sich mit religiösen Fragen ; insbesondere mit
der Frage, ob die Philosophie Sp.'s sich mit der christ-
lichen Religion vertrage, und inwiefern durch Sp.'s Leug-
nung der menschlichen Willensfreiheit der Sittlichkeit
und den Kechtszuständen der Menschheit Gefahr drohe.
Hier findet man in den Briefen Oldenburg 's, Alhert
Burgk's und Anderer schon ganz dieselben Gründe fiir
die Vei-theidigung der orthodoxen Lehre ausgeführt, wie
sie noch heutzutage in den Erlassen des Papstes und
orthodoxer Konsistorien alljährlich wiederkehren. Eben-
so ist Sp. bei seinem Kampfe gegen diese Ausführung^cn
in derselben Täuschung befangen, wie sie noch heute bei
den freisinnigen Gegnern jener besteht; Sp. sowohl wie
die heutigen Freigesinuten glauben die Religion in ihren
veralteten Lehren mit den Waffen der Wissenschaft über-
winden zu können, während doch Religion und Wissen-
schaft auf so durchaus verschiedenen und dabei in der
Seele des Menschen unvcrtilgbaren Gefühlen und Ver-
mögen beruhen, dass noch bis heute es keinem von bei-
den Theilen trotz des Aufgebotes aller Mittel der Gewalt
und des Scharfsinnes gelungen ist, den Gegner zu ver-
tilgen oder ihn sich zu unterwerfen. In den Erläuterun-
gen zu Sp.'s theologisch-politischer Abhandlung (B. 35.
der Phil. Bibl.) ist dies weiter ausgeführt worden und
daselbst wie in den Erläuterungen zu Kaufs natürlicher
Religion (B. 21. der Phil. Bibl.) gezeigt worden, dass der
allein richtige Standpunkt dcrPhilosophie hierbei nur der
ist, die Religion und Kirche nicht als Gegnerin inner-
halb des Wissens, sondern als Objekt für das Wissen
zu behandeln. Sp. bleibt indess von diesem Standpunkt
noch weit entfernt und deshalb wird er nicht müde, sich
gegen die Angriffe der Frommen mit seinen Waffen zu
wehren, obgleich er selbst bemerken muss, dass diese
Waffen die Gegner nicht verwunden. Hält indess der
Leser diesen richtigeren Stundpunkt fest, so werden auch
diese Briefe ihren Werth ftir ihn haben. Da sie von
beiden Seiten rein im Interesse der Sache geschrieben
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Vorwort des CTebersetzers. XI
sind, 90 dienen sie mehr wie irgend eine andere Aus-
führnng dazu, die Vergeblichkeit und Nutzlosigkeit
solcher Kämpfe einzusehen und die Richtigkeit der eben
ausgesprochenen Ansicht zu bestätigen.
Im Allgemeinen hat dieser Briefwechsel eine innere
Aehnlichkeit mit den Dialogen Plato's. In dem ernsten
Eifer für die Wahrheit, in der strengen Ordnung der
Gedanken, in der Hoheit der behandelten Fragen stehen
beide sich gleich und was den Briefen gegen jene Dialoge
an künstlerischer Vollen dun gabgeht, wird reichlich durch
die I^ebendigkeit und Energie der Begründung ersetzt,
da hier die Gegner nicht fingirt, sondern in voller Wirk-
lichkeit und Lebendigkeit gegen einander auftreten.
Auch wird j eder Verehrer Sp/s mit Befriedigung aus
diesem Briefwechsel neue Belege für die hohe Reinheit
nnd Einfalt seines Charakters entnehmen. Selbst den
heftigsten Angriffen gegenüber behält Sp. eine Milde und
eine Ruhe, wie sie mit so ausgebreiteten Kenntnissen und
tiefem Scharfsinn sich selten verbunden findet. Freilich
ist damit auch eine Acngstlichkeit und Scheu verknüpft,
die bei grossen Geistern am wenigsten sich zeigen sollte.
Es fehlt Sp. der kühne Muth, der im Bewusstsein seiner
Wahrheit dreist den Gegnern und der allgemeinen
Stimmung entgegentritt ; jener Muth, wie man ihn bei
Socrates, Plato und vielen der gelehrtesten Kirchen-
väter bewundert. Sp.^s Geist war genial im Gebiete des
Wissens, aber ohne Energie in dem Gebiete des Seins.
Endlich zeigt sich auch in der Form der Briefe eine
Feinheit und Urbanität des Ausdrucks, die sie den besten
Mustern aller Zeiten gleichstellt. Noch heute können sie
zum Vorbilde ftlr den Briefwechsel und den Streit
zwischen Gelehrten dienen.
Mit diesen Briefen ist die Uebersetzung der sämmt-
lichen philosophischen Werke Sp.'s geschlossen. Die Er-
läuterungen zu den Briefen werden in einem besonderen
Band nachfolgen. Me7er hat in seiner Ausgabe zwar
noch eine von Sp. begonnene hebräische Grammatik und
V. VI o te n in seiner Ausgabe vom Jahre 1862 auch eine
Abhandlung Sp.'s über den Regenbogen veröffentlicht;
allein beide gehören nicht zu den philosophischen Schrif-
ten und sind deshalb hier nicht mit aufgenommen
worden.
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Xn Vorwort des üebersetzers.
Für diejenigen Verebrer Sp.'s, welche die hier
gelieferte Uebersetzung sammt den Erläuterungen dazu
als eine besondere Ausgabe seiner sämmtlichen philo-
sophischen Werke zu besitzen wünschen, ist die Ein-
richtung getroffen worden, dass statt der die Philoso-
phische Bibliothek bezeichnenden Titelseite auf Wunsch
eine andere dahin lautend geliefert wird:
Benedict von Spinoza's
sämmtliche philosophische Werke
übersetzt und erl&utert
von
J. H. T. Kirclmianii
und
C. Sehaarscliiiildt.
Der Text wird in dieser Form zwei Bände und die
Erläuterungen einen Band umfassen und jedes kann
besonders bezogen werden.
Berlin im Oktober 1871.
V. Kirohmann.
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xm
Erklärung der Abkürzungen.
Sp. bedeutet Spinoza.
Desc. „ Descartes.
£rl. oder £. „ Erl&aterung.
B. I. oder XL 97. „ Band I. oder Band XL der
Phü. Bibl. Seite 97.
B. XXV. B. 103. „ Band XXV. Zweite Abthei-
lung Seite 103. der phil. Bibl.
Ph. d. W. 107. „ Die Philosophie desWissens
von J. H. y. Kirchmann.
Berlin 1864 bei J. Springer.
Seite 107.
L. „ Lehrsatz.
Def. „ Definition.
Ln. „ Lehnsatz.
Z. „ Zusatz.
A, y. Sp. „ Anmerkung yon Spinoza.
A. y. M. „ Anmerkung yom Heraus-
geber L. Meyer.
Die Lihalteyerzeichnisse folgen am Schluss des Bandes.
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Amang
aus
der Torrede Ludwig Heyer^s, des Herausgebers
der naehgelassenen Werke Hplnoza^s.
Di
he Briefe sind weder nach dem Inhalte, noch nach
dem Ansehn der Personen, von denen oder an die sie
geschrieben worden, sondern nur nach der Zeit ihrer
Abfassung geordnet, doch in der Weise, dass alle Briefe
desselben Mannes mit den Antworten darauf sich wech-
selweise folgen. Da es nicht auf Denjenigen, welcher
schreibt, sondern auf das, was er schreibt, ankommt,
so sind die Namen zum Theil vollständig, zum Theil
mit Anfangsbuchstaben, zum Theil auch garnicht an-
gegeben worden. Auch möge der geneigte Leser sich
nicht wundem, dass in diesen Briefen der Ethik, so-
wohl von Denen, die an Spinoza schreiben, wie in
dessen Antworten erwähnt wird, obgleich sie damals
noch nicht herausgegeben war; denn es sind schon vor
vielen Jahren von Mehreren Abschriften davon genom-
men und Andern mitgetheilt worden. Ich erwähne
dies hier, damit man nicht glaube, die Ethik sei schon
früher herausgekommen. Auch bemerke ich, dass alle
Briefe, mit wenigen Ausnahmen, lateinisch verfasst sind.^)
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I. Brief. Oldenburg an Sp.
Erster Brief (Vom 10. August 1661).
Von Heinrich Oldeniiyrg an SpiMza.')
Geehrter Herr und werther Freund!
Die Trennung von Ihrer Seite wurde mir, als ich
kürzlich in Ihrer stillen Zurückgezogenheit inithynsburg
bei Ihnen war, so schwer, dass ich sofort bei meiner
Rückkunft nach England eile, wenigstens durch brief-
lichen Verkehr wieder so schnell als möglich mich mit
Ihnen zu vereinen. Die Wissenschaft von den wich-
tigsten Dingen in Verbindung mit Bildung und feiner
Sitte (womit die Natur und Ihr Fleiss Sie so reichlich aus-
gestattet haben) enthalten in sich selbst so viel Anziehen-
des, dass sie jedweden freien Mann von guter Erziehung
mit Liebe für sie erfüllen. Lassen Sie uns also, vortreff-
licher Mann, die Hände zu einer ungeschminkten Freund-
schaft reichen, und lassen Sie uns diese Freundschaft in
aller Weise durch Studien und Dienstleistungen eifrig
pflegen. Was mit meinen schwachen Kräften von meiner
Seite geschehen kann, betrachten Sie als das Ihrige,
und was Sie an Geistesgaben besitzen, davon nehme ich
einen Theil ftir mich in Anspruch, da es ja ohne Naeh-
theil für Sie geschehen kann.
Wir unterhielten uns in Ehynsburg über Gott, die
unendliche Ausdehnung unddas unendliche Denken ; über
den Unterschied und die Uebereinstimmung dieser Attri-
bute; über den Grund der Verbindung von Seele und
Körper; auch Über die Prinzipien der Philosophie des
Descartes und Baco. Wir konnten indess über so
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Ausdehnung und Denken. 3
wichtige Fragen damals gleichsam nur durch das Gitter
und im Vorbeigehen sprechen, und nun lasten sie
schmerzlich auf meiner Seele ; deshalb wende ich mich
jetzt mit dem Rechte der unter uns geschlossenen
Freundschaft an Sie und bitte freundlichst, mir Ihre
Ansicht über die erwähnten Gegenstände etwas ausftihr-
licher zu entwickeln, insbesondere auch, wenn es Ihnen
nicht zu lästig wird, mich über die zwei Punkte zu be-
lehren: 1) worin Sie den Unterschied der Ausdehnung
von dem Denken setzen; und 2) welche Mängel Sie in
der Philosophie von Descartes und Baco finden, und
wie Sie sie zu beseitigen und festere Grundlagen an
deren Stelle zu setzen gedenken.
Je bereitwilliger Sie hierüber und über Verwandtes
mir schreiben werden, desto mehr werden Sie mich
verbinden und zu gleichen Leistungen, so weit es mir
möglich ist, ernstlich verpflichten. Jetzt befinden sich
hier einige physiologische Versuche unter der Presse,
welche ein vornehmer Engländer, ein Mann von aus-
gezeichneter Gelehrsamkeit, verfasst hat. Sie behan-
deln die Natur und elastischen Eigenschaften der Luft
und deren Bestätigung durch 43 Versuche, femer das
Flüssige, Feste und Aehnliches. Sobald der Druck be-
endet ist, werde ich sorgen, dass das Buch durch einen
Bekannten, der hinübergeht, Ihnen zugestellt werde.')
Einstweilen gehaben Sie sich wohl und bleiben Sie
Ihres Freundes eingedenk, welcher ist
mit wahrer Zuneigung und Eifer
Ihr
Heinrich Oldenburg.
London, 16/26. August 1661. *)
Zweiter Brief (Vom Ausgang September 1661).
Von Spinoza an H. Oldenburg.
(Die Antwort auf den vorstehenden Brief.)
Hochgeehrter Herr!
Wie werth Ihre Freundschaft mir ist, würden Sie
selbst beurtheilen können, wenn Ihre Bescheidenheit Ihnen
SpiBOSa, Brief«. Dig^zedby^OOgie
4 II. Brief. Spinoza an Oldenburg.
gestattete, auf die Tugenden zu achten, die Sie in so
reichem Maasse besitzen. Wenn ich dieselben betrachte,
so möchte ich mir nicht wenig darauf einbilden, dass ich
es wage, mit Ihnen Freundschaft zu schliessen; nament-
lich, wenn ich bedenke, dass unter Freunden Alles, ins-
besondere das Geistige, gemeinsam sein soll. Indess
weiss ich, dass ich dies mehr Ihrem Wohlwollen und
Ihrer Güte als mir zu verdanken habe; Sie wollen sich
von der Höhe derselben herablassen und mich durch
Mittheilung derselben so bereichern, dass ich mich nicht
scheue, die enge Freundschaft einzugehen, welche Sie
mir so fest versprechen und als Gegenleistung auch
gütigst von mir verlangen ; ich werde ernstlich bemüht
sein, sie fleissig zu pflegen. Was meine Geistesgaben,
wenn ich deren habe, anlangt, so würde ich Ihnen gern
damit zu Gebote stehen, selbst wenn es nicht ohne
grossen Schaden für mich geschehen könnte; damit es
aber nicht so scheine, als wollte ich deshalb Ihnen das
verweigern, was Sie mitKecht als Freund von mir fordern,
so will ich versuchen, meine Ansichten über die von
uns besprochenen Gegenstände Urnen zu erläutern, ob-
gleich ich nicht glaube, dass unsere Beziehungen da-
durch enger werden dilrften, sofern nicht Ihre Güte
dabei mich unterstützt. ^)
Ich beginne mit G o tt; ich definire ihn als das Wesen,
was aus unendlich vielen Attributen besteht, von denen
jedes in seiner Art unendlich und höchst vollkommen ist
Ich bemerke, dass ich unter „Attribut^ Alles das verstehe,
was durch sich und in sich aufgefasst wird; so dass der
Begriff desselben nicht den Begriff eines andern Dinges
einschliesst. •) So wird z. B. die Ausdehnung durch sich
und in sich vorgestellt, aber die Bewegung nicht ebenso;
denn diese wird in einem Anderen vorgestellt, und ihr
Begriff schliesst den Begriff der Ausdehnung ein. Dass
diese Definition von Gott die wahre ist, erhellt daraus,
dass man unter Gott ein höchst vollkommenes und un-
bedingt unendliches Wesen versteht. Dass ein solches
Wesen besteht, kann aus dieser Definition leicht bewie-
sen werden ; ich lasse es aber hier, als nicht hierher ge-
hörig, bei Seite; dagegen habe ich, um Ihre erste Frage
zu erledigen, folgende Punkte zu beweisen: 1) dass in
der Natur jede einzelne Substanz von der andern ihrem
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Gott. Substanz. Baco's Mängel. 5
ganzen Wesen nach verschieden sein muss ; 2) dass keine
Suhstanz hervorgebracht werden kann, sondern dass das
Dasein zu ihrem Wesen gehört; 3) dass jede Substanz
unendlich oder in ihrer Art höchst vollkommen ist. Wenn
ich dies bewiesen habe, so werden Sie leicht einsehen,
wohin ich ziele, sofern Sie nur auf die Definition Gottes
dabei Acht haben; ich brauche deshalb nicht ausfllhrlicher
hierüber zu sprechen. Um diese Punkte klar und bündig
za beweisen, schien es mir am besten, eine in geome-
trischer Weise geschehene Begründung derselben Ihrer
geistvollen Prüfung zu unterbreiten ; ich sende sie*) Ihnen
in der Anlage und werde Ihr Urteil erwarten. ^)
Sie wünschen zweitens von mir, die Angabe der
Irrthümer, welche ich in der Philosophie des Descartes
undBaco gefunden habe. Obgleich ich es nicht liebe,
die Irrthümer Anderer aufzudecken, so füge ich mich
doch Ihrem Verlangen. Der erste und vornehmste Irr-
thum ist, dass Beide weit von der Erkenntniss der ersten
Ursache und des Ursprunges aller Dinge abgeirrt sind;'*)
zweitens haben sie die wahre Natur der menschlichen
Seele nicht erkannt; •) drittens haben sie die wahre
Ursache des Irrthums nirgends erfasst. *•) Wie sehi- aber
die wahre Erkenntniss bei diesen drei Punkten noth wen-
dig ist, kann nur Der nicht bemerken, dem alles Nach-
denken und aller Unterricht abgeht. Dass Beide die
wahre Erkenntniss der ersten Ursache und der mensch-
lichen Seele verfehlt haben, ergiebt sich leicht aus der
Wahrheit jener obigen drei Lehrsätze; ich wende mich
daher nur zur Aufdeckung deren Irrthums in Bezug aut
den dritten Punkt. Ich sage hierbei wenig über Baco,
da er hierüber nur sehr verworren sich äussert und nicht
beweist, sondern nur erzählt. Zunächst nimmt er an,
dass der menschliche Verstand nicht blos durch die Sinne,
sondern auch durch seine eigene Natur getäuscht werde,
weil er Alles nach dem Maasstabe seiner Natur und nicht
nach dem Maasstabe des Weltalls sich bildlich vor-
stelle, gleich einem unebenen Spiegel, welcher bei der
Zurückwerfung der Strahlen seine eigene Natur der Natur
der Dinge mit einmenge u. s. w. Zweitens soll der
♦) Man sehe Theil I. der Ethik von Anfang bis zu
Lehre. 4. (A. vom Herausgeber Meyer.)
Digitized?y*G00gle
g III. Brief. Oldenburg an Spinoza.
menschliche Verstand in Folge seiner eigenen Natnr zu
den abstrakten Begriffen getrieben werden und das
Fliessende ftir fest nehmen u. s. w. Drittens soll der
menschliche Verstand ausglitschen und nicht fest stehen
und ruhen können. Dies und Alles, was Baco sonst
noch beibringt, läuft auf den einen Grund von Des-
cartes hinaus, dass der Wille des Menschen frei sei
und weiter gehe als sein Verstand, oder dass, wie Herr
vonVerulam (Aph. 49) ") sich verworrener ausdrückt,
dass das Licht des Verstandes nicht trocken ist, sondern
einen Zuguss von dem Willen bekommt. (Ich bemerke
hier, dass Baco oft den Verstand, im Unterschied von
Descartes, ftlrdie Seele nimmt.) Ich werde also nur
das Falsche dieses Grundes darlegen und die übrigen
Gründe, welche ohne Bedeutung sind, übergehen. Beide
würden selbst es leicht bemerkt haben, wenn sie nur
bedacht hätten, dass der Wille sich von diesem oder
jenem einzelnen Wollen ebenso unterscheidet wie das
Weisse von diesem oder jenem weissen Gegenstande und
wie die Menschheit von diesem oder jenem Menschen.
Es ist deshalb ebenso unmöglich, den Willen sich als die
Ursache dieses oder jenes WoUens vorzustellen wie die
Menschheit als die Ursache von Peter und Paul. Der
Wille ist also nur ein Gedankending und kann nicht die
Ursache von diesem oder jenem Wollen genannt werden.
Deshalb bedarf das einzelne Wollen zu seinem Dasein
einer Ursache und kann daher nicht frei genannt werden;
vielmehr ist es nothwendig der Art, wie seine Ursachen
es bestimmen. Ist nun nach Descartes der Irrthum
nichts als ein einzelnes Wollen, so folgt nothwendig, dass
der Irrthum, d. h. das einzelne Wollen, nicht frei sein
kann, sondern dass es von äussern Ursachen abhängt und
nicht von dem Willen. ") Hiermit haben Sie, was ich zu
beweisen versprochen habe; u. s. w.
Dritter Brief (Vom 27. September 1661).
Von H. Oldenburg an Spinoza.
Verehrter Herr und Freund!
Ihren tiefgelehrten Brief habe ich erhalten und mit
grossem Vergnügen durchlesen. Ihr geometrisches Be-
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Gottes Dasein. Körper. Gedanken. 7
weisverfahren hat ganz meine Billigung; allein jeden-
falls ist die Stumpfheit meines Verstandes schnld, dass
ich das, was Sie so genau vortragen, nicht ebenso
schnell fasse. Gestatten Sie mir daher, Ihnen die Unter
lagen für diese meine Schwerfälligkeit vorzuführen und
die folgenden Fragen zu stellen, deren Beantwortung
ich mir von Ihnen erbitte.
Die erste ist, ob Sie klar und zweifellos einsehen,
dass aus der von Ihnen aufgestellten Definition Gottes
schon folgt, dass ein solches Wesen bestehe? Wenn ich
erwäge, dass die Definitionen nur Vorstellungen unserer
Seele erhalten, und dass unsere Seele Vieles vorstellt,
was nicht besteht, und dass sie höchst fruchtbar in der
Vervielfältigung und Vermehrung einmal vorgestellter
Dinge sich erweist, so gestehe ich, dass ich nicht ver-
stehe, wie ich aus dem Begriffe, den ich von Gott habe,
einen Schluss auf Gottes Dasein machen kann. Ich kann
allerdings in meiner Seele alle Vollkommenheiten, welche
ich bei den Menschen, den Thieren, Pflanzen, Mineralien
u. s. w. antreffe, zusammenfassen und daraus den Begriff
einer Substanz bilden, welche alle jene Vorzüge wahr-
haft besitzt; ja, meine Seele kann sie noch in das End-
lose vermehren und vervielfachen und so ein allervoll-
kommenstes und ausgezeichnetes Wesen in sich ausbilden ;
allein trotzdem kann man davon keinen Schluss auf das
Dasein eines solchen Wesens machen. ")
Die zweite Frage ist, ob Sie es für so gewiss an-
sehen, dass ein Körper durch einen Gedanken und ein
Gedanke durch einen Körper nicht begrenzt werden kann,
indem der Streit noch unentschieden ist, was die Gedan-
ken sind, und ob sie eine körperliche Bewegung oder ein
geistiger Vorgang sind, welcher dem körperlichen ge-
radezu entgegengesetzt ist? ")
Die dritte Frage betrifft die mir von Ihnen mitge-
theilten Grundsätze, '^) nämlich ob Sie dieselben für un-
beweisbar halten, so dass sie durch das Licht der Natur
erkannt werden und keines Beweises bedürfen? Der erste
Grundsatz mag vielleicht der Art sein, allein bei den drei
anderen sehe ich nicht ein, wie man sie dazu rechnen
kann. Der zweite nimmt nämlich an, dass m der Natur
nur Substanzen und Accidenzen bestehen, während doch
Viele annehmen, dass die Zeit und der Raum an keinen
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g III. Brief. Oldenburg an Spinoza.
von beiden Theil Haben. Ihren dritten Grundsatz, nSmlich
^dass Dinge mit verschiedenen Attributen nichts mit ein-
ander gemein haben^, kann ich so wenig klar fassen, dass
mir vielmehr die ganze Welt das Gegentheil zu ergeben
scheint. Denn alle ims bekannten Dinge sind theils in
Einigem verschieden, theils in Anderem übereinstimmend.
Endlich ist der vierte Grundsatz, ^dass von Dingen, die
nichts mit einander gemein haben, keines die Ursache
des anderen sein kann'', meinem verfinsterten Verstand
nicht so klar, dass er nicht etwas Licht dabei brauchen
könnte. Denn Gott hat formal mit den erschaffenen
Dingen nichts gemein, und dennoch halten wir Alle ihn
für deren Ursache.
Wenn so diese Grundsätze mir nicht über allen
Zweifel erhaben scheinen, so können Sie schon annehmen,
dass Ihre daraufgestützten Lehrsätze ebenfalls schwanken
müssen. Auch gerathe ich in Betreff derselben immer
tiefer in Zweifel, je länger ich sie betrachte. Rücksicht-
lich des ersten erwäge ich, dass zwei Menschen zwei
Substanzen, und zwar von demselben Atti*ibute sind, da
einer wie der andere mit Vei-nunft begabt ist, und daraus
folgere ich, dass es zwei Substanzen eines Attributes
giebt. Bei dem zweiten Lehrsatz bedenke ich, dass, da
Etwas nicht die Ursache seiner selbst sein kann, es kaum
begreiflich ist, wie es richtig sein soll, „dass die
Substanzen nicht hervorgebracht werden können, selbst
nicht von irgend einer anderen Substanz.^ Durch diesen
Lehrsatz werden die Substanzen sämmtlich zu Ursachen
ihrer selbst und von einander unabhängig; damit werden
sie zu ebenso viel Göttern, und auf diese Weise wird die
erste Ursache aller Dinge beseitigt. Ich gestehe gern,
dass ich dies nicht begreife, und vielleicht haben Sie die
Güte, Ihren Ausspruch über diesen erhabenen Punkt etwas
zu erläutern, vollständiger zu entwickeln und den eigent-
lichen Ursprung und die Hervorbringung der Substanzen
so wie die gegenseitige Abhängigkeit und Unterordnang
der Dinge darzulegen.
Ich beschwöre Sie bei unserer geschlossenen Freund-
schaft und bitte Sie dringend, sich in diesen Fragen offen
mir gegenüber auszusprechen; auch können sie sich ver-
««ichert halten, dass ich Ihre Mittheilungen ganz und un-
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Mittheilungön aus England. 9
verletzt bewahren und nichts davon zu Ihrem Schaden
und Nachtheil bekannt werden lassen werde.
In unserer philosophischen Gesellschaft beschäftigen
wir uns ernstlich und nach Kräften mit Versuchen und
Beobachtungen und bemühen uns, eine Geschichte der
mechanischen Künste zu Stande zu bringen; indem wir
davon ausgehen, dass aus den mechanischen Grundsätzen
die Formen und Eigenschaften der Dinge am besten er-
klärt werden, und dass mittelst der Bewegung, der Ge-
stalt und des Gewebes sowie deren mannichfachen Ver-
bindungen alle Wirkungen in der Natur hervorgebracht
werden können, ohne dass man auf unerklärbare Formen
und geheime Eigenschaften, die Schlupfwinkel der Un-
wissenheit, zurückzugehen braucht. '^)
Ich werde Ihnen aas versprochene Buch übersenden,
sobald Ihre jetzt hier weilenden belgischen Gesandten
einen Courier (wie oft geschieht) nach dem Haag absen-
den, oder sobald sonst ein Bekannter, dem ich das Buch
sicher anvertrauen kann, einen Ausflug in Ihr Land macht.
Ich bitte, mein ausführliches und freies Schreiben zu
entschuldigen. Nehmen Sie Alles, was ich ohne Um-
schweife und Schmuck Ihnen anvertraut habe, im besten
Sinne, wie Freunde es zu thun pflegen, auf und seien
Sie versichert, dass ich ohne Schmuck und Künstelei
bleibe Ihr
ergebener
Heinrich Oldenburg.
London, den 27. Sept. 1661.
Vierter Brief (Vom Oktober 1661).
Von Spinoza an H. Oldenburg.
(Die Antwort auf den vorstehenden Brief.)
Geehrter Herr!
Im Begriffe, nach Amsterdam zu reisen, um dort
einige Wochen zu bleiben, erhalte ich Ihren werthen Brief
mit Ihren Einwürfen gegen die drei Ihnen übersandten
Lehrsätze. Wegen Kürze der Zeit werde ich, mit Ueber-
Digitized by^OOQlC
10 IV. Brief. Spinoza an Oldenburg.
fehung des Uebrigen, nur diese zu erledigen suchen. Aui
en ersten Einwurf envidere ich, dass allercüngs nicht
aus der Definition jedweden Gegenstandes das Dasein
des definirteu Gegenstandes folgt; vielmehr gilt dies nur
(wie ich in der Erläuterung, die den drei Lehrsätzen an-
gefügt ist, gezeigt habe) ftlr die Definition oder Vorstel-
lung eines Attributs, d. h. (wie ich deutlich bei der De-
finition von Gott erklärt habe) eines Gegenstandes, wel-
cher durch sich und in sich vorgestellt wird. Ich habe
auch, wenn ich nicht irre, in dieser Erläuterung den
Grund dieses Unterschieds klar dargelegt, namentlich fär
einen Philosophen : indem ich angenommen, dass ein sol-
cher den Unterschied zwischen einer Erdichtung und
einer klaren und deutlichen Vorstellung so wie die Wahr-
heit jenes Grundsatzes kenne, wonach jede Definition oder
jede klare und deutliche Vorstellung auch wahr ist. Nach
diesen Vorausschickungen wüsste ich nicht, was zur Beant-
wortung Ihrer ersten Frage noch nöthig wäre ; ich gehe
deshalb zur zweiten über. ^'') Sie scheinen hier einzu-
räumen, dass, wenn das Denken nicht zur Natur der Aus-
dehnung gehört, die Ausdehnung auch nicht von dem
Gedanken begrenzt werden könne, und Ihr Zweifel scheint
sich nur auf das Beispiel zu beziehen. Aber bemerken
Sie gefälligst, ob, wenn Jemand sagt, eine Ausdeh-
nung werde nicht durch eine Ausdehnung, sondern durch
einen Gedanken begrenzt, derbelbe auch nicht damit sagt,
dass die Ausdehnung nicht unbedingt unendlich sei, son-
dern nur unendlich der Ausdehnung nach? d. h. er giebt
die Unendlichkeit der Ausdehnung nicht unbedingt zu,
sondern nur in Bezug auf die Ausdehnung, d. h. sie soll
nur in ihrer Art unendlich sein. Indess sagen Sie viel-
leicht: Das Denken ist ein körperlicher Vorgang ; gut,
obgleich ich es nicht zugebe ; aber dann werden Sie we-
nigstens das Eine anerkennen, dass die Ausdehnung als
solche kein Denken ist, und dies genügt flir die Erklä-
rung meiner Definition und fiir den Beweis meines dritten
Lehrsatzes. ")
Sie wenden sich endlich drittens zu den Einwürfen
gegen meinen Satz, dass die Grundsätze nicht zu den
Gemeinbegriffen zu rechnen seien. Indess will ich hier-
über nicht streiten ; aber Ihr Zweifel geht auch gegen
die Wahrheit der Sätze selbst, und Sie versuchen an-
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Substanz. Accidenz. Ursache. Gott. H
scheinend sogar zu zeigen, dass das Gegentheil davon
der Wahrheit näher stehe. Ich bitte Sie jedoch, auf die
von der Stubstanz und den Accidenz en gegebenen
Definitionen zu achten, aus welchen jene Sätze sich
sämmtlich ableiten. Denn da ich unter Substanz das
verstehe, was durch sich und in sich vorgestellt wird,
d. h. dessen Vorstellung nicht die Vorstellung eines
anderen Gegenstandes einschliesst, unter Modification
oder Accidenz aber das, was in einem Anderen ist,
und was durch das, worin es ist, vorgestellt wird, so
erhellt 1) dass die Substanz von Natur vor ihren
Accidenzen ist; denn letztere können ohne jene nicht
hestehen, noch vorgestellt werden; 2) dass es ausser
Suhstanzen und Accidenzen in der Wirklichkeit oder
aosserhalb des Denkens nichts giebt; vielmehr wird
Alles, was es giebt, entweder durch sich oder durch
ein Anderes vorgestellt, und sein Begri£P schliesst ent-
weder den Begriff eines anderen Dinges ein oder nicht.
3) haben Dinge mit verschiedenen Attributen nichts
mit einander gemein. Denn für ein Attribut habe ich
das erklärt, dessen Begri£P nicht den Begriff eines
andern Dinges einschliesst 4) endlich folgt, dass von
Dingen, die mit einander nichts gemein haben, das eine
nicht die Ursache des andern sein kann; denn hätte
die Wirkung mit der Ui*sache nichts gemein, so würde
sie Alles, was sie hat, von Nichts haben. *®) Wenn Sie
hier bemerken, dass Gott formal nichts mit den er-
schaffenen Dingen gemein habe u. s. w., so habe ich
gerade das Gegentheil davon in meiner Definition an-
genommen. Denn ich habe gesagt, dass Gott ein Wesen
von unendlich vielen Attributen sei, von denen jedes
in seiner Art unendlich oder höchst vollkommen sei. ^)
Bei dem, was Sie endlich gegen meinen ersten
Lehrsatz anfUhren, bitte ich Sie, verehrter Freund, zu
bedenken, dass die Menschen nicht erschaffen, sondern
nur erzeugt werden, und dass ihre Körper schon vorher
bestanden haben, wenn auch in andern Gestalten. '*)
Dagegen folgt, was ich gern zugestehe, dass, wenn ein
Theil des Stoffes vernichtet würde, zugleich die ganze
Ausdehnung verschwinden würde. '*) Der zweite Lehr-
satz führt nicht zu vielen Göttern, sondern nur zu e i n e m ,
der aber aus unendlich vielen Attributen besteht u. s. w. '^)
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12 V. Brief. Oldenburg an Sp. VI, Brief. Antwort Sp.'s.
Fünfter Brief (vom 11. Oktober 1661).
Von H. Oldenkurg an Spinoza.
Verehrter Freund!
Sie erhalten anbei das versprochene Buch, und ich
bitte, mir raitzutheilen, was Sie davon halten, ins-
besondere von den beigebrachten Versuchen über den
Salpeter und über das Flüssige und Feste. Ich danke
Ihnen sehr für ihren gelehrten zweiten Brief, den ich
gestern erhalten habe. £s thut mir leid, dass Ihre Heise
nach Amsterdam Sie gehindert hat, auf alle mehie
Zweifel zu antworten, und ich bitte, das damals Ver-
schobene, sobald es Ihre Zeit gestattet, nachzuholen.
Sie haben in Ihrem letzten Briefe mich allerdings über
Vieles aufgekläil, indess doch noch nicht alle Dunkel-
heit vertrieben, und ich hoffe, dies wird Ihnen gelingen,
wenn Sie mich klar und deutlich über den wahren und
ersten Ursprung der Dinge unterrichtet haben werden.
So lange ich noch nicht einsehe, aus welcher Ursache
und in welcher Art die Dinge zu sein begonnen haben,
und durch welches Band sie von der ersten Ursache,
wenn eine solche besteht, abhängen, scheint mir Alles,
was ich lese und höre, kein festes Ziel zu haben. Ich
bitte Sie also dringend, gelehrter Herr, dass Sie hier
mit Ihrer Fackel mir vorangehen und an mehiem Ver-
trauen und meiner Dankbarkeit nicht zweifeln. Ich
bleibe
Ihr ergebener
H. Oldenburg.
London, 11/21. Okt. 1661.
SechsterBrief (VonEnde 1661 oder Anfangl662),
welcher die Bemerkungen zu dem Werke Robert
B 0 y l e 's über den Salpeter, das Flüssige und Feste enthält.
Von Spinoza an H. Oldenburg.
(Die Antwort auf den vorstehenden Brief.)
Geehrter Herr!
Ich habe das Buch des scharfsinnigen Boyle er-
halten und, soweit meine Zeit es gestattete, durchgesehen.
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Ueber den Salpeter. 13
Ich sage Ihnen ftir dieses Geschenk meinen grossen
Dank. Ich habe damals, als Sie mir dieses Buch zuerst
versprachen, mit Recht vermuthet, dass Sie sich nur
ftir ein Werk von grosser Bedeutung so interessiren
würden. Sie wünschen, gelehrter Herr, mein unvor-
greifliches Ürtheil über das Werk; ich gebe es, so weit
mein schwacher Geist es vermag, und erwähne zunächst
das, was mir dunkel oder nicht genügend bewiesen
erschienen ist, da ich wegen anderer Arbeiten noch
nicht Alles habe durchgehen und noch weniger prüfen
können. Sie erhalten daher nachstehend das, was ich
über den Salpeter u. s. w. zu bemerken gefunden habe.
Ueber den Salpeter.") Der Verfasser folgert
aus seinem Versuche über die Wiederherstellung des
Salpeters, dass derselbe aus verschiedenen Stoffen zu-
sammengesetzt sei, die theils fest, theils flüchtig seien ;
dabei soll die Natur des Salpeters (wenigstens den
Erscheinungen nach) sehr von der Natur seiner Bestand-
theile abweichen, obgleich er nur aus einer Mischung
derselben bestehe. Um diese Folgerung zuzulassen,
scheint mir noch ein weiterer Versuch nöthig, aus dem
erhellt, dass der Salpeter-Geist nicht wirklicher Salpeter
ist, und dass er ohne Hülfe des Laugensalzes weder
in einen festen Körper umgewandelt, noch zur Krystalli-
sation gebracht werden kann. Wenigstens müsste
ermittelt werden, ob die Menge des in der Retorte zurück-
bleibenden festen Salzes bei gleicher Menge Salpeter
immer sich gleich bleibt und mit deren Vermehrung
verhältnissmässig zunimmt. Das anlangend, was der
berühmte Verfasser nach Abschnitt 9 mit Hülfe der
Wasserwage gefunden haben will, sowie der Umstand,
dass die wahrnehmbaren Eigenschaften des Salpeter-
geistes von dem Salpeter selbst so verschieden, ja ent-
gegengesetzter Art seien, unterstützt nach meiner Ansicht
seine Folgerung nicht. Um dies darzulegen, will ich
kurz die einfache Auffassung geben, wie die Wiederher-
stellung des Salpeters sich erklärt, und zwei oder drei
leichte Versuche beifügen, welche diese Auffassung be-
stätigen.
Um diese Vorgänge am einfachsten zu erklären,
nehme ich keinen anderen Unterschied zwischen Salpeter-
geist und Salpeter an, als den sehr offenbaren, dass die
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14 VI. Brief. Spinoza an Oldenburg.
Theilchen des letztem ruhen, während sie bei jenem heftig
erregt sind und sich unter einander bewegen. Das feste
Salz trägt nach meiner Meinung nichts zur Bildung des
Wesens vom Salpeter bei; ich möchte es nur als die
Schlacken des Salpeters ansehen, von denen der Salpeter-
geist (wie ich finde) sich nicht befi'eit hat, sondern die in ihm
wenn auch gepresst, in reich er Menge schwimmten. Dieses
Salz oder diese Schlacken habenPoren oder Gänge, welche
nach dem Maasse der Salpetertheilchen ausgehöhlt sind.
Durch die Kraft des Feuers, welches die Salpetertheilchen
daraus vertreibt, werden einzelne Gänge enger; andere
müssen sich deshalb ausdehnen, und so werden der Körper
oder vielmehr die Wände dieser Gänge hart und spröde.
Sobald nun der Salpetergeist einfliesst, dringen einzelne
Theilchen desselben mit Gewalt in die engem Gänge, und
da deren Dicke ungleich ist (wie Descartes gut gezeigt
hat), so biegen sie deren starre Wände, gleich einem
Bogen, ehe sie sie zerbrechen; ist aber dies geschehen,
so zwingen sie deren Stücke, zurückzuweichen, und sie
selbst behalten ihre frühere Bewegung bei und sind wie
vorher unflihig, sich zu verhärten oder zu krystallisiren.
Dagegen werden die Salpetertheilchen, welche in die
weiteren Gänge eindringen und daher deren Wände nicht
berühren, nothwendig von einem sehr feinen Stoffe um-
geben und von demselben, ebenso wie die Holztheile von
der Flamme oder Hitze, in die Höhe ausgetrieben, wo
sie im Hauche davonfliegen. War ihre Menge gross,
oder waren sie mit Bruchstücken der Wände und mit
den in die engern Gänge eingedrungenen Theilchen ver-
mengt, so bildeten sie kleine Tropfen, welche m die Höhe
stiegen. Wird dagegen das feste Salz durch das Wasser
oder die Luft erweicht oder schlaff gemacht, *) so ist es
dann fähig, den Stoss der Salpetertheilchen zu hemmen,
sie zu dem Verlust ihrer bisherigen Bewegung zu
zwingen und fest zu werden, ähnlich wie eine Kanonen-
kugel, die auf Sand oderKoth trifft. Die Wiederherstellung
des Salpeters besteht nur in diesem Festwerden der
Theilchen des Salpetergeistes ; das feste Salz dient dabei
*) Wenn man fragt, weshalb durch das Tröpfeln Ton
Salpetergeist auf gelösten Salpeter ein Aufwallen erfolgt,
80 lese man das später Folgende. (A. v. Sp.)
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Salpeter und Salpetergeist. 15
nur als Werkzeug, wie diese Erklärung ergiebt. So
viel über die Wiederherstellung,
Wir wollen nun sehen, erstens, weshalb der Sal-
petergeist von dem Salpeter im Geschmack so verschie-
den ist, und zweitens, weshalb der Salpeter entzündbar
ist und der Salpetergeist nicht. Zum Verstftndniss des
Ersten halte man fest, dass bewegte Körper andern Kör-
pern nicht mit ihren breitesten Oberflächen begegnen, und
dass ruhende Körper auf andern mit ihren breitesten
Oberflächen aufliegen Legt man also Salpeter auf die
Zunge, so werden dessen Theilchen, da sie ruhen, mit
den breitesten Seiten aufliegen und so die Poren der
Zunge verstopfen, wovon die KiQte die Folge ist; auch
kann der Speichel den Salpeter nicht in so kleine Theil-
chen auflösen. Sind dagegen diese Theilchen erregt und
bewegt, und werden sie in diesem Zustand auf die
Zunge gebracht, so treffen sie sie mit ihren spitzigen
Oberflächen und werden in ihre Poren eindringen, und
je schneller sie sich bewegen, desto stärker die Zunge
stechen, ähnlich wie eine Nadel verschiedene Erapfln-
dungen veranlasst, je nachdem sie mit der Spitze oder
mit ihrer langen Seite die Zunge berührt. '*)
Wenn aber der Salpeter entzündlich und der Sal-
petergeist es nicht ist, so kommt dies davon, dass ruhende
Salpetertheilchen von dem Feuer schwerer in die Höhe
geführt werden können als solche, die eine eigene Be-
wegung nach allen Kichtungen haben. Deshalb wider-
stehen die ruhenden so lange dem Feuer, bis dieses sie
getrennt hat und rings umgiebt; dann reisst das Feuer
sie mit sich hier- und dorthin, bis sie eine eigene Be-
wegung erhalten und in Kauch nach oben abgehen. Da-
gegen sind die Theilchen des Salpetergeistes schon in
Bewegung und von einander getrennt, und deshalb ge-
nügt eine geringe Hitze des Feuers, sie kugelartig nach
allen Richtungen zu verbreiten; damit gehen einige im
Bauche auf, andere dringen in den Stoff, welcher das
Feuer ernährt, ehe sie von der Flamme rings umgeben
werden, und deshalb löschen sie das Feuer eher aus, als
dass sie es ernähren. ^0
Ich wende mich nun zu den Versuchen, die diese
Erklärung unterstützen dürften. Der erste ist, dass ich
die mit Detonation im Ranch fortgehenden Salpetertheil-
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16 VI. Brief. Spinoza an Oldenburg.
chen als reinen Salpeter erkannt habe. Ich machte mehr-
mals den Salpeter so weit flüssig, bis die Retorte hin-
länglich zum Grlühen gebracht war; dann entzündete ich
den Salpeter mit einer glühenden Kohle and fing den
Rauch in einer kalten Flasche auf, bis sie Ton demselben
bethaut war. Dann befeuchtete ich diese Flasche noch
mehr durch Hauchen und setzte sie dann der kalten Luft
aus, um den Salpeter zu trocknen.«) Hierauf zeigten
sich dann in der Flasche die verhärteten Tröpfchen des
Salpeters. Um den Verdacht abzuschneiden, dass diese
blos von den flüchtigen Th eilchen kommen, und dass
vielleicht die Flamme ganze Stückchen des Salpeters mit
sich fortgerissen (um in dem Sinne des Vertassers zu
sprechen), und dass sie die festen mit den flüchtigen, vor
deren Auflösung, aus sich ausgetrieben habe,
liess ich den lUuch durch eine über einen
Fuss lange Röhre A wie durch eine Esse
in die Höhe steigen, damit die schwereren
-D A Theile an der Röhre sich anlegten und ich
nur die flüchtigen bei ihrem Durchgange
durch das engere Röhrchen erhielte, was
mir, wie gesagt, gelungen ist. Indess wollte
ich mich dabei noch nicht beruhigen, son-
dern nahm zur weitern Untersuchung eine
grössere Menge Salpeter, befeuchtete und
entzündete ihn mit glühender Kohle, setzte
dann, wie vorher, auf die Retorte die Röhre
A und hielt an die Oeffnung B, so lange
die Flamme dauerte, einen kleinen Spiegel,
der mit einem Stoff überzogen war, welcher, der Luft aus-
gesetzt, zerfloss. Obgleich ich nun einige Tage wartete,
konnte ich doch keine Wirkung von dem Salpeter bemer-
ken ; aber als ich Salpetergeist hinzugoss, verwandelte er
sich in Salpeter. Daraus kann ich wohlfolgem, 1) dass die
festen Theile bei dem Flüssigwerden sich von den flüch-
tigen sondern, und dass die Flamme sie nach ihrer Tren-
nung in die Höhe treibt ; 2) dass, wenn die festen Theile
unter Detonation sich von den flüchtigen gesondert haben,
*) Die Luft war während dieses Versuches ganz heU.
(A. V. Sp.)
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Salpetergeist. 17
sie sich nicht wieder verbinden können, und 3) dass des-
halb die Theilchen, welche sich an der Flasche angelegt
und in feste Kügelchen geformt haben, keine festen,
sondern flüchtige Theilchen gewesen sind.*^
Der zweite Versuch, welcher zeigt, dass die festen
Theile nur die Schlacken des Salpeters darstellen, besteht
darin, dass ich gefunden habe, wie der Salpeter, je mehr
er von den Schlacken gereinigt wird, desto flüchtiger und
zur Kristallisation geneigter wird. Denn als ich die Kry-
stalle des gereinigten oder flltrirten Salpeters in einen
Glasbecher that und mit ein wenig kaltem Wasser be-
goss, so verdunsteten sie zum Theil sammt dem kalten
Wasser und legten sich jene flüchtigen Theilchen nach
oben an dem Rand des Glases an und bildeten feste
Kügelchen.
Ein dritter Versuch, welcher anzudeuten scheint,
dass die Theilchen des Salpetergeistes, wenn sie ihre Be-
wegung verloren, entzündlich werden, ist folgender. Ich
tröpfelte etwas Salpetergeist auf feuchtes Papier und
schüttete dann Sana darauf; als der Sand den Salpeter-
geist ganz, oder beinah ganz, eingesogen hatte, trocknete
ich ihn in diesem Papier vollständig über Feuer. Dann
schüttete ich den Sand ab und brachte ihn an eine glü-
hende Kohle, wo er sofort, als er dem Feuer sich näherte,
in derselben Weise Funken sprühte, wie es geschieht,
wenn der Sand mit Salpeter gemischt ist.'^) Hätte ich
mehr Gelegenheit gehabt, so hätte ich vielleicht noch an-
dere Versuche damit verknüpft, welche die Frage genü-
gend gelöst hätten; indess bin ich jetzt durch Anderes
so abgehalten, dass ich es mit Ihrer £rlaubniss auf
eine andere Gelegenheit verspare und zu andern Be-
merkungen übergehe.
In § 5, wo der berühmte Verfasser die Gestalt der
Salpetertheilchen berührt, wirft er den neuern Schrift-
stellern vor, dass sie sie falsch dargestellt haben. Ich
weiss nicht, ob er damit auch Descartes meint; aber
wenn es der Fall ist, so folgt er hierbei nur den Aeusse-
rungen Anderer, da Descartes nicht von solchen Theilchen
handelt, welche ftir das Auge sichtbar sind. Auch glaube
ich nicht, dass der geehrte Verfasser meint, dass, wenn
die festen Stückchen des Salpeters sich so abrieben, dass
sie die Gestalt von einem Farallelopipedum oder eine
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lg VI. Brief. Spinoza an Oldenburg.
andere Gestalt annähmen, sie kein Salpeter mehr seien;
sondern er meint damit wohl nur gewisse Chemiker,
die nur das zulassen, was sie mit ihren Augen sehen
oder mit ihren Händen greifen können.
Wenn der Versuch in § 9 hätte genau angestellt
werden können, so würde er ganz das bestätigt haben,
was ich aus meinem ersten oben erwähnten Versuche
abgeleitet habe.
In §§ 13 bis 18 sucht der berühmte Verfasser darzu-
legen, dass alle wahrnehmbaren Eigenschaftennur von der
Bewegung, Gestalt und den übrigen mechanischen Zu-
ständen abhängen ; indess giebt der Verfasser diese Be-
weise nicht als mathematische und ich brauche deshalb
ihre volle Beweiskraft nicht zu untersuchen. Doch weiss
ich nicht, weshalb der Verfasser so eifrig dies aus seinem
Versuche abzuleiten sucht, da sowohl Baco als später
D es carte s dies genügend bewiesen haben. Auch sehe
ich nicht, dass dieser Versuch hierfür eine grössere Be-
stätigung giebt als andere genügend bekannte Versuche.
Denn erhellt dies in Bezug auf die Wärme nicht ebenso
deutlich daraus, dass, wenn zwei selbst kalte Holzstncke
an einander gerieben werden, sie sich zuletzt blos durch
diese Bewegung entzünden?, ebenso daraus, dass der
mit Wasser besprengte Kalk sich erhitzt?**) In Betreff
des Tones sehe ich an diesem Versuche nichts Merk-
würdigeres als wie bei dem Sieden des Wassers und bei
vielen anderen Vorgängen. In Bezug auf die Farbe er-
wähne ich, uro bei dem Wahrscheinlichen zu bleiben, nur,
dass alle grünen Blätter sich bekanntlich in viele und sehr
verschiedene Farben verändern. Femer verbreiten übel-
riechende Körper bei ihrer Bewegung einen noch stärkeren
üblen Geruch, namentlich wenn sie ein wenig erwärmt
werden. Endlich verwandelt sich süsser Wein in Essig
und ebenso vieles Andere. Deshalb möchte ich dies Alles
(wenn ich mich der Freiheit des Philosophen bedienen
darf)*) für überflüssig halten. „Ich sage dies, weil ich
„fürchte. Andere, welche dem berühmten Verfasser nicht
„so zugeneigt sind, wie er es verdient, möchten sich ein
„falsches Urtheil über ihn bilden.^
*) In dorn von mir abgeschickten Briefe habe ich diene
Worte absichtlioh weggelassen (A. v. Sp.)
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Eigenschaften des Salpeters. 19
Ueberdie Ursache der Erscheinung in §.24 habe ich
schon mich geäussert; ich füge hier nur hinzu, wie ich
auch aus Erfahrung weiss, dass in jenen Salztröpfchen
feste Salztheilchen schwimmen. Als sie aufwärts stiegen,
trafen sie anfeine Glasscheibe, die ich dazu bereit hielt,
und diese erhitzte ich, damit die dem Glase anhängenden
flüchtigen Theile davonflögen, demnächst fand ich einen
festen weisslichen Stoff, welcher an dem Glase haftete.
In §. 25 scheint der geehrte Verfasser beweisen
zu wollen, dass die alkalischen Theilchen durch denStoss
der Salztheilchen nach verschiedenen Richtungen getrie-
ben werden, während die Salztheilchen durch ihre eigene
Bewegung sich in die Luft erheben. Auch ich habe
bei Erklärung dieses Vorganges gesagt, dass die Theil-
chen des Salpetergeiste» dadurch eine lebhaftere Bewe-
gung erlangen, dass sie in die weiteren Höhlungen ein-
dringen, wo sie von einem sehr feinen Stoff umgeben
werden und von ihm so nach oben getrieben werdcin, wie
die Holztheilchen von dem Feuer. Dagegen haben die
alkalischen Theilchen ihre Bewegung von dem Stosse
derj enigen Theilchen des Salpetergeistes erhalten, welche
in die engeren Gänge eingedrungen sind. Auch kann
reines Wasser die festen Theilchen nicht so leicht er-
weichen und lösen; deshalb kann es nicht auffallen, wenn
solches in Wasser aufgelöstes Salz beim Zugiessen von
Salpetergeist in dae Wallen geräth, wie es der Verfasser
in §. 24 beschreibt; ja, diese Aufwallung wird heftiger
sein, als wenn man Salpetergeist auf festes, noch un-
geweichtes Salz aufgiesst; denn im Wasser löst es sich
in die kleinsten Theilchen auf, die sich leichter trennen
und bewegen lassen, als wenn alle Theile des Salzes
auf einander liegen und sich fest anhängen.
Zu §. 26 habe ich über den Geschmack des Salpeter-
geistes schon gesprochen; ich beschränke mich daher auf
den Geschmack des alkalischen Theiles. Nahm ich diesen
auf die Zunge, so empfand ich eine bald stechende
Wärme, was mir anzeigte, dass es eine Art Kalk sein
muss; denn dieses Salz erhitzt sich durch den Speichel,
Seh weiss, den Salpetergeist und vielleicht auch durch die
feuchte Luft ebenso wie der Kalk durch das Wasser.
Zu §. 27 folgt daraus, dass ein Theilchen mit einem
anderen sich verbindet, noch nicht, dass es eine neue
Spinoza, Briefe. oigtiädbyV^OOgie
20 VI. Brief. Spinoza an Oldenburg.
Gestalt annimmt; es wird dadurch nur grösser und
dies genügt zn dem, was der Verfasser in diesem
Paragraphen verlangt.
Zu §. 33 werde ich mich über die Art, wie der
Verfasser philosophirt, aussprechen, wenn ich die Ab-
handlung gesehen haben werde, die er hier und in der
Einleitung Seite 23 erwähnt.
Bei dem Flüssigen heisst es in §. 1: Es ist
bekannt, dass dieser Zustand zu den allgemeinsten
gehört u. s. w. Die aus aus dem täglichen Leben hervor-
gegangenen Begriffe, welche die Natur nicht so, wie sie
an sich ist, erklären, sondern so, wie sie auf die mensch-
lichen Sinne bezogen wird, möchte ich keineswegs zu
den höheren Gattungsbegriffen zählen und nicht mit den
reinen Begriffen, welche die Natur so, wie sie an sich
ist, darlegen, vermischen (um nicht zu sagen: vermengen);
zu letzteren gehören die Bewegung und die Kühe mit
ihren Gesetzen; zu ersteren das Sichtbare, das Unsicht-
bare, das Warme, das Kalte, und um es sogleich zu
sagen, auch das Flüssige und Feste u. s. w.^)
In §. 5 heisst es: ^das Erste ist die Kleinheit der
den Körper bildenden Theilchen; nämlich in den
grössten" u. s. w. Obgleich die Körper klein sind, so
sind sie doch von ungleichen Oberflächen und Uneben-
heiten (oder können so beschaffen sein); wenn daher
grosse Körper sich in demselben Verhältnisse bewegten,
und ihre Bewegung zu ihrer Masse sich ebenso ver-
hielte wie die Bewegung der kleinen zu ihrer Masse,
so könnte man sie ebenfalls flüssig nennen, wenn das
Wort ^flüssig" nicht etwas Aeusserliches bezeichnete und
nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch nur auf jene
bewegten Körper bezogen würde, deren Kleinheit nnd
deren Zwischenraum von den menschlichen Sinnen nicht
bemerkt werden. Wenn man daher die Körper in
flüssige und feste theilt, so ist dies dasselbe, als ob
man sie in sichtbare und unsichtbare eintheilt.
Femer heisst es daselbst: „Wenn man dies nicht
durch chemische Versuche bestätigen kann**. Indess
wird dies Niemand durch chemische und andere Ver-
suche ohne Beweis und Rechnung darlegen können.
Denn in Gedanken und beim Rechnen theilen wir die
Körper ohne Ende und folglich auch die Kräfte, die
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Das Flößsige. 21
zu ihrer Bewegung erfonlerlich sind: aber durch Ver-
suche wird man dies zu beweisen nie vermögen.
In 8. 6 heisst es: „Grosse Körper seien weniger ge-
eignet, das Flüssige zu bilden^, n. s. w. Indess mag man
unter Flüssigem das von mir eben bemerkte verstehen
oder nicht, so ist doch die Sache an sich selbst klar und
ich sehe nicht ein, wie der geehrte Verfasser dies durch die
in diesem Paragraphen beschriebenen Versuche beweisen
will. Denn Knochen (wenn man über eine ungewisse
Sache zweifeln will) sind allerdings zur Bildung von
Speisesaft und ähnlichen Flüssigkeiten nicht geeignet,wohl
aber vielleicht zur Bildung einer neuen Art von Flüssigkeit.
In §. 10 heisst es : „da dies sie weniger biegsam als
früher macht^ u. s. w. ; allein die Theilchen konnten ohne
Veränderung,lediglich dadurch, dass sie in den Recipienten
getrieben wurden, sich von den anderen trennen und so
zu einem festeren Körper als Oel sich vereinigen. Denn
die Körper sind leicht und schwer nach Verhältniss der
Flüssigkeiten, in welche sie getaucht werden. So bilden
die Buttertheilchen, so lange sie in der Milch schwimmen,
einen Theil der Flüssigkeit; erhält aber die Milch durch
Schütteln eine neue Bewegung, der sich ihre sämmtlichen
Theilchen nicht in gleicher Weise anpassen können, so
genügt dies, dass die schwereren sich sondern und die
leichteren in die Höhe treiben. Allein da letztere wieder
schwerer als die Luft sind, so werden sie von dieser
niedergedrückt; auch sind sie zur Bewegung nicht geeig-
net und können deshalb ftir sich keine Flüssigkeit bilden;
deshalb legen sie sich über einander und hängen an ein-
ander. £benso verwandeln sich die Dünste, wenn sie
sich aus der Luft aussondern, in Wasser, welches man
im Vergleich zur Luft fest nennen kann.^*)
In §. 13 heisst es: „Als Beispiel dient mir die von
dem Verfasser ausgedehnte Blase, welche von einer mit
Luft gefüllten Blase^ u. s. w.; allein die Wassert heilchen
bewegen sich unaufhörlich nach allen Richtungen und sie
würden daher, wenn sie nicht von dem sie umgebenden
Körper zurückgehalten würden,sich nach allen Richtungen
zertheilen; ich kann daher nicht einsehen, was die Aus-
dehnung einer mit Wasser gefüllten Blase für die Be-
seitigung der kleinen Räume helfen soll. Denn wenn
die Wassertheilchen an den von dem Finger gedrückten
Digitiz^VV^OOgie
22 VI. Brief. Spinoza an Oldenburg.
Stellen der Blase nicht nachgeben, was sie, wenn sie
frei wären, thun würden, so kommt dies davon, dass
hier kein Gleichgewicht und keine Bewegung wie in
dem Falle giebt, wenn ein Körper, etwa unser Finger,
von der Flüssigkeit oder dem Wasser umgeben ist
Denn wenn auch das Wasser in der Blase noch so sehr
gedrückt wird, so werden doch seine Theilchen einem
in der Blase eingeschlossenen Steine ebenso Platz
machen, wie sie es ausserhalb der Blase thun.
Im demselben Paragraphen heisst es: ^Giebt es
einen Theil des Stoffes?" Sfan muss diese Frage be-
jahen, wenn man nicht den Fortgang ohne £nde vor-
zieht oder (was noch verkehrter ist) einen leeren Raum
anerkennen will.
In §. 19 heisst es: „damit die Flüssigkeitstheilchen
den Eintritt in jene Poren finden und darin festgehalten
werden (auf welche Weise" u. s. w.). Allein dies kann
^o. 2. ^^^ nicht unbedingt von allen
Flüssigkeiten behaupten, welche in
die Poren anderer eindringen. Denn
wenn die Theilchen des Salpeter-
geistes in die Poren von weissem
Papier dringen, so machen sie es
steif und spröde. Man kann diesen
Versuch anstellen, wenn man auf
eine weiss-glühende eiserne Kap-
sel, wie A (Fig. 2), einige Tropfen
fallen lässt, und der Ranch sieh
durch einen Papierumschlag wie B
hindurchziehen muss. Auch macht
der Salpetergeist das Leder feucht,
aber benetzt [es nicht, sondern zieht es, gleich dem
Feuer, zusammen.
In diesem Paragraphen heisst es weiter: „Was
mit der Natur und dem Fliegen und Schwimmen** u. s. w.
Hier wird die Ursache von dem Zweck entlehnt.
In §. 23 heisst es : „Obgleich derenBewegungen selten
von uns erfasst werden, so nehme man doch an** u. s. w.
Allein die Sache erhellt ohne diesen Versuch und ohne
allen Aufwand genügend daraus, dass man den Hauch
aus dem Munde zur Winterszeit deutlich sich bewegen
sieht, während man dies im Sommer oder in wannen
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Das Feste. • 23
Räumen nicht bemerken kann. Wenn femer im Sommer
die Luft sich schnell abkühlt, so sammeln sich die ans
dem Wasser aufsteigenden Dünste, welche sich nun wegen
der veränderten Dichtigkeit der Luft nicht so wie vor der
Abkühlung in ihr verbreiten können, über der Wasser-
fläche in solcher Menge, dass sie deutlich sichtbar wer-
den.**) Auch ist eine Bewegung oft so langsam, dass
man sie deshalb nicht wahrnimmt, wie z. B. den Schatten
des Weisers an der Sonnenuhr; umgekehrt ist die Be-
wegung oft zu schnell, um gesehen zu werden, wie bei
einem schnell bewegten Feuerbrande, wo man meint, der
Brand ruhe in dem ganzen Umkreise, in dem er sich be-
wegt, wovon ich die Ursache hier wohl nicht anzugeben
brauche. Endlich, um dies noch zu berühren, genügt es
zur allgemeinen Erkenntniss der Natur des Flüssigen, zu
wissen, dass man seine Hand, der bewegten Flüssigkeit
entsprechend, nach allen Richtungen dainn ohne Wider-
stand bewegen kann, wie Jedem klai* ist, welcher auf die
Begriffe achtet, welche die Natur an sich erklären, und
nicht auf die, welche für das Gefühl der Menschen ge-
bildet worden. •*) Indess will ich deshalb diesen Versuch
nicht als nutzlos bei Seite schieben; er würde vielmehr,
wenn er mit jeder Flüssigkeit höchst genau und zuver-
lässig angestellt würde, sehr geeignet sein, deren be-
sondere Eigenschaften darzulegen; ein Punkt, der höchst
nothwendig ist und allen Philosophen am Herzen liegt.
Ueber das Feste. In § 7 heisst es: „Nach den
allgemeinen Gesetzen der Natur." Dieser Beweis gehört
dem Descartes an und ich kann nicht finden, dass der
geehrte Verfasser einen besonderen Beweis aus seinen
Versuchen und Beobachtungen hier beigebracht hätte.
Ich hatte hier und bei dem Folgenden vielerlei mir
bemerkt ; indess ergab sich, dass der geehrte Verfasser
sich später selbst verbessert.
In § 16 heisst es: „Und einmal Vierhundert und
zweiunddreissig." Wenn dies sich auf das Gewicht
des ineiner Röhre eingeschlossenen Quecksilbers bezieht,
so trifft es ziemlich genau das wahre Gewicht. Indess
scheint mir die Prüfung dieses Punktes der Mühe werth,
um zugleich, so weit als möglich, das Verhältniss des
Druckes der Luft nach der Seite oder in horizontaler
Richtung zu dem Drucke derselben in senkrechter
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24
VL Brief. Spinoza an Oldenburg.
Richtung kennen zu lernen. Vielleicht l&sst sich dies
auf folgende Weise erreichen.**)
In der Figur 3 soll CD einen ebenen ganz glatten
Spiegel vorstellen. A und B sind zwei Marmorstücke,
die sich berühren; A ist an den Zahn £ befestigt; B
No. 3.
an das Seil N; T ist ein Rad, G das Gewicht, welches
die Kraft anzeigt, die zur Trennung des Marmorstüekes
B von A in horizontaler Richtung nöthig ist.
No. 4. In Fig. 4 ist F ein starker
Seidenfaden, mittelst welchem das
Marmorstück B an den Boden an-
gebunden ist. D ist das Rad, G
das Gewicht, welches die Kraf\
anzeigt, welche zur Trennung des
Marmorstückes A von B. in senk-
rechter Richtung nöthig ist.**)
Das Uebrige fehlt.
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Mitth ei hingen aus London. 25
Siebenter Brief (Aus dem Jahre 1662).
Von H. Oldenburg an Spinoza.
(Die Antwort auf den vorstehenden Brief.)
Geehrter Herr!
Vor vielen Wochen habe ich Ihren höchst will-
kommenen Brief, welcher sich über das Buch von Boy le
so gelehrt auslässt, erhalten. Der Autor selbst dankt
Ihnen mit mir für die mitgetheilten Anmerkungen; es
wäre früher geschehen, wenn er nicht gehofft hätte, in
kurzer Zeit von der Geschäftslast, die ihn drückt, be-
freit zu werden und so mit dem Danke zugleich die
Antwort in Einem Ihnen senden zu können. In dieser
Hoffnung ist er indess bis jetzt getäuscht worden;
öffentliche und eigene Geschäfte nehmen ihn so in
Anspruch, dass er diesmal Ihnen nur seinen Dank
aussprechen kann und seine Erwiderung auf Ihre Be-
merkungen auf eine spätere Zeit verschieben muss.
Dazu kommt, dass zwei Gegner ihn in gedruckten
Schriften angegriffen haben, denen er vor Allem ant-
lYorten zu müssen glaubt. Diese Gegenschriften richten
sich jedoch lucht gegen die Abhandlung über den
Salpeter, sondern gegen eine andere Schrift desselben,
welche die Versuche über die Luft enthält, womit
deren Elastizität bewiesen werden soll. Sobald er
damit fertig ist, wird er Ihnen seine Ansicht über Ihre
Einwürfe mittheilen und einstweilen bittet er, sein
Schweigen nicht übel auszulegen.
Das Kollegium von Philosophen, dessen ich, als
ich bei Ihnen war, flüchtig erwähnte, ist durch die
Gnade unseres Königs jetzt in eine Königliche Societät
umgewandelt und mit Privilegien ausgestattet worden,
dnrch welche ihr grosse Vorrechte eingeräumt sind
und die schöne Hoffnung eröffnet wird, dass sie mit
den nöthigen Einkünften ausgestattet werden soll.
Femer möchte ich Sie bitten, den Gelehrten nicht
länger das vorzuenthalten, was sie mit Ihrem scharfen
Geiste sowohl innerhalb der Philosophie wie der
Theologie ausgearbeitet haben; lassen Sie es vielmehr
in die Oeffentlichkeit gelangen, trotz allem Belfern der
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26 VII. Brief. Oldenburg an Spinoza. VIII. Brief.
After-Theologen. Ihr l^and ist das freieste und man
kann in ihm am freiesten philosophiren. Ilire eigene
Klugheit wird Ihnen schon rathen, Ihre Ansichten und
Aussprüche möglichst vorsichtig zu äussern; dann
können Sie das Uebrige ruhig dem Schicksal überlassen.
So lassen Sie also, bester Mann, von aller Furcht ab
und scheuen Sie sich nicht, die Schwächlinge unserer Zeit
zu reizen. Man hat lange genug mit der Dummheit und
den Possen gekämpft, jetzt wollen wir die Segel der
Wissenschaft ausspannen und in die Zugänge zur Natur-
erkenntniss weiter als bisher eindringen. Ich möchte
glauben, dass der Druck Ihrer Schriften ohne Nachtheil
bei Ihnen geschehen kann und dass kein Anstoss deshalb
bei allen Einsichtigen zu beftirchten ist. Wenn Sie
diese zu ihren Beschützern und Unterstützern erhalten
(wie ich Ihnen sicher versprechen möchte), so brauchen
Sie die thörichte Menge nicht zu fürchten. Ich lasse Sie,
verehrter Freund, nicht eher los, bis Sie meinen Bitten
nachgeben und ich werde, so viel von mir abhängt,
niemals zulassen, dass Ihre grossen und bedeutenden Ge-
danken in ewiges Schweigen verhüllt bleiben. Ich bitte
Sie dringend, mir Ihren hierüber gefassten Entschluss
mitzutheilen und zwar sobald, als Ihnen möglich ist. ^
Vielleicht ereignet sich hier Manches, was Ihrer
Beachtung werth sein dürfte. Die erwähnte Soeietät
wird jetzt ihre Pläne ernster verfolgen und wenn der
Friede an diesen Küsten nicht gestört werden sollte, wird
sie die gelehrte Republik mit neuen Zierden schmücken.
Leben Sie wohl, ausgezeichneter Mann, und seien Sie ver-
sichert, dass ich in Diensteifer und Freundschaft verharre
Ihr
H. Oldenburg.
Achter Brief (Vom 3. April 1663.)
Von H. Oldenburg an Spinoza.
(Die zweite Antwort aiif den Brief 6.)
Geehrter Herr und geschätzter Freund!
Ich könnte Vieles zur Entschuldigung meines langen
Schweigens anführen, indess läuft Alles darauf hinaus, dass
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Boyle's Ansichten über den Salpeter. 27
der Herr B oy l e krank war und ich durch eine Menge Ge-
schäfte gestört gewesen bin. Deshalb hat Herr Boyle
nicht früher auf Ihre Bemerkungen über den Salpeter ant-
worten können und deshalb bin ich mehrere Monate lang
durch die Geschäfte so zerstreut worden, dass ich kaum
noch mein eigener Herr gewesen und den Verpflichtungen
nicht habe nachkommen können, dieichlhnen gegenüber
zu haben bekenne. Ich freue mich sehr, dass beide
Hemmnisse (wenigstens auf einige Zeit) beseitigt sind, so
dass ich mit einem so bedeutenden Freunde meinen Ver-
kehr wieder beginnen kann. Ich thue dies jetzt von
Herzen gern und meine Absicht ist, Alles (so Gott will)
zu vermeiden, was unseren wissenschaftlichen Verkehr
auf so lange wieder unterbrechen könnte.
Ehe ich auf das eingehe, was wir besonders zu ver-
handeln haben, will ich das erledigen, was ich Ihnen
Namens HeiTn Boy le sagen soll. Er hat Ihre Bemerkun-
gen zu seiner physikalisch-chemischen Abhandlung mit
seiner gewohnten Artigkeit aufgenommen und danktihnen
verbindlichst für Ihre Kritik. Einstweilen lässt er Ihnen
sagen, dass er mit seiner Analyse des Salpeters nicht
sowohl ein wahrhaft philosophisches und vollkommenes
Werk habe liefern, als nur habe zeigen wollen, wie die
gewöhnliche und in den Schulen festgehaltene Lehre über
die substantiellen Formen und Qualitäten sich auf eine
schwankende Unterlage stützt und wie die sogenannten
spezifischen Unterschiode der Körper sich auf die Grösse,
Bewegung, Ruhe und Lage ihrer Theile zurückführen
lassen. Dies vorausgeschickt, meint Herr Boyle, dass
sein Versuch mit dem Salpeter genügend erweise, wie der
Salpeter, als solcher, durch die chemische Analyse sich in
Theile auflöse, die unter sich und von dem Ganzen völlig
verschieden sind und wie später der ganze Körper durch
die Verbindung der Theile so wieder hergestellt werden
kann, dass nur wenig an seinem früheren Gewicht fehlt.
Er will nur gezeigt haben, dass die Sache sich wirklich
so verhalte; während er Über den von Ihnen dafür ange-
nommenen Vorgang nicht habe handeln, und darüber, als
ausserhalb seines Zweckes liegend, nichts habe bestimmen
wollen. Was Sie einstweilen über diesen Vorgang an-
nehmen, wonach Sie das feste Salpetersalz als die Schlacke
betrachten und Aehnliches der Ai-t, das sei, nach seiner
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28 Vin. Brief. Oldenbarg an Spinoza.
Ansicht, von Ihnen zwar behauptet, aber nicht bewiesen;
und wenn Sie bemerken, dass die Schlacke oder dieses
feste Salz Gfinge enthalte, die nach dem Maasse der Sal-
petertheilchen ausgehöhlt seien, so bemerkt Herr Boyle,
dass die Potasche in Verbindung mit Salpetergeist ebenso
Salpeter erzeuge wie der Salpetergeist in Verbindung mit
seinem eigenen festen Salze; *^) daraus erhellt nach seiner
Ansicht, dass auch in solchen Körpern Gänge bestehen,
aus denen der Salpetergeist nicht ausgestossen wird.
Auch kann Herr Boyle nicht einsehen, wie aus ii^nd
welchen Erscheinungen die Nothwendigkeit fiir einen so
feinen Stoff, wie Sie dabei hinzunehmen, hervorgehen soll ;
vielmehr stütze sich dieselbe lediglich auf die Hypothese,
dass es keinen leeren Raum geben könne. ^)
Die von Ihnen angegebenen Ursachen ftir aen unter-
schiedenen Geschmack des Salpetergeistes und Salpeters
selbst treffen, wie Herr Boyle sagt, ihn nicht; und das,
was Sie über die Entzündbarkeit des Salpeters und über
die entgegengesetzte Natur des Salpetergeistes bemerken,
beruht nach seiner Meinung nur auf des Descartes I^ehre
vom Feuer, die ihm aber noch keineswegs genügt habe.
Auf Ihre Versuche, womit Sie Ihre Erklärung der
Erscheinungen beweisen wollen, erwidert Herr Boyle,
1) dass der Salpetergeist stofflich Salpeter sei, aber nicht
der Form nach, weil sie in ihren Eigenschaileu und
Kräften sehr sich unterscheiden, wie im Geschmack, Ge-
ruch, in der Flüssigkeit, in der Kraft, Metalle aufzulösen.
Pflanzenfarben zu verändern u. s, w. Wenn Sie 2) gewisse
in die Höhe getriebene Th eilchen zu Salpeterkiy stallen
sich verschwinden lassen, so kommt dies nachHerm Boyle
davon, dass die Salpetertheilchen zugleich mit dem Sal-
petergeist durch das Feuer ebenso fortgestossen werden,
wie es bei dem Russe geschieht. Auf das, was Sie 3) über
die Wirkung der Entschlackung anführen, erwidert Herr
Boyle, dass durch diese Entschlackung der Salpeter, wie
meistentheils der Fall, von einem das gemeine Salz vor-
stellenden Salze befreit werde, während das Aufsteigen
und Erstarren zu festen Tropfen der Salpeter mit anderen
Salzen gemein habe und dies von dem Druck der LuA
und anderen Ursachen komme, die mit der vorliegenden
Frage nichts zu thun haben und deshalb anderwärts zn
besprechen seien. Was Sie 4) über Ihren dritten Versuch
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Boyle's Erwideningen gegen Spinoza. 29
sagen, das soll nach Herrn Bojle auch bei einigen
anderen Salzen Statt haben, indem er meint, dass das
wirklich entzündete Papier die starren und festen Theil-
chen des Salzes erzittern und so mache, dass das Funkeln
sieh vermehre.
Wenn Sie zu Abschn. 5 meinen, Herr Bojle klage
den Descartes an, so soll dies vielmehr Sie selbst
treffen; Herr B 07 le willkeinesweges auf Descartes ge-
deutet haben, sondern auf Gassendi und Andere, welche
den Salpeteitheilchen eine Cjlindergestalt zuschreiben,
w&hrend sie doch eine prismatische sei; auch spreche er
nur von den sichtbaren Gestalten.
Auf Ihre Bemerkungen zu Abschn. 13 — 18 erwidert
Herr Bojle, dass er dies nur geschrieben, um den
Nutzen der Chemie für die Bestätigung dermechanischen
Prinzipien der Philosophie darzulegen und zu begründen,
da kein Anderer dies bis jetzt so klar dargelegt und be-
handelt habe. Herr Bojle gehört zu Denen, die auf ihr
eigenes Denken nicht so fest sich verlassen, dass sie die
Uebereinstimmung desselben mit den Erscheinungen nicht
zu beachten brauchten. **) Es besteht nach seiner Meinung
ein grosser Unterschied zwischen Versuchen, bei denen
man nicht weiss, was die Natur dabei thut und welche
Stoffe mitwirken und zwischen denen, wo man die
wirkenden Kräfte genau kennt. So ist das Holz ein viel
mehr zusammengesetzter Körper als der Stoff, von dem
der Verfasser handelt. Bei dem Aufwallen des gewöhn-
lichen Wassers tritt Feuer von aussen hinzu, was bei
der Erzeugung des Tones bei seinem Versuche nicht Statt
hat. Ferner sei die Ursache, weshalb das Pflanzougrün
sich in so mannichfache Farben umwandelt, wohl noch
ungewiss; aber sie liege jedenfalls in einer Veränderung
der Theilchen, wie aus dem Versuche erhelle, wo die
Farbe durch Zuguss von Salpetergeist verändert werde.
Endlich meint er, dass der Salpeter weder einen wider-
lichen noch einen angenehmen Geruch habe; nur wenn er
aufgelöst werde, zei^e sich der schlechte Geruch, der bei
der Erstarrung wieder verschwinde.
Auf Ihre Bemerkungen zu Abschn. 25 (da das
Uebrige ihn nicht angehe) erwidert er, dass er den
Epikureischen Grundsätzen gefolgt sei, wonach die Be-
wegung den Theilchen ursprünglich einwohne ; da man
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30 VM. Brief. Oldenburg an Spinoza.
zur Erklärung der Erscheinungen mit irgend einer
Hypothese beginnen müsse. Indess will er sie damit
nicht zu der seinigen machen ; vielmehr habe er sie nur
benutzt, um seine Ansicht gegen die Chemiker und die
Schulen aufrecht zu erhalten; er habe nur damit zeigen
wollen, dass aus dieser Hypothese der Vorgang sieb gut
erklären lasse. Auf Ihre Anmerkung, dass das reine
AVasser feste Theile nicht auflösen könne, erwidert Herr
Boyle, dass die Chemiker hin und wieder bemerkt haben
und behaupten, wie reines Wasser die alkalischen
Salze schneller als andere Salze auflöse.
Zur Prüfung Ihrer Bemerkungen über das Flüssige
und Feste hat Herr Boy le noch nicht die nöthige Müsse
gehabt; das Obige theile ich Ihnen aber schon jetzt mit,
um nicht länger des Verkehrs und der wissenschaftlichen
Unterhaltung mit Ihnen zu entbehren. Dabei bitte ich
dringend, dass, wenn ich Ihnen hier Etwas nur zerstückt
und verstümmelt anvertraue, Sie es doch freundlichst auf-
nehmen und es mehr auf Rechnung meiner Eilfertigkeit
als des Scharfsinnes des berühmten Herrn Boy le setzen.
Ich habe es mehr aus der geselligen Unterhaltung mit ihm
entnommen und nicht aus streng formulirten und ge-
ordneten Antworten. Unzweifelhaft wird mir deshalb
manches von seinen Aeusserungen entgangen sein, was
bedeutender und treffender ist als das, was ich davon
Ihnen hier mitgetheilt habe; alle etwaige Schuld trifil
deshalb mich allein und nicht den Verfasser, der davon
frei ist.
Ich wende mich jetzt zu unseren eigenen Angelegen-
heiten. Ich erlaube mir hier zunächst die Bitte, dass Sie
Ihre so bedeutende Schrift vollenden möchten, worin Sie
von dem Uranfange der Dinge, deren Abhängigkeit von ei-
ner ersten Ursache und von der Verbesserune unseres Ver-
standes handeln. Ich bin überzeugt, verehrter Freund,
dass keine andere Veröffentlichung den wahren Gelehrten
und Forschern willkommener und angenehmer sein wird
als die Ihrer Abhandlung. Ein Mann von Ihrem Geist
und Anlagen hat hierauf mehr Werth zu legen als auf
das, was den Theologen unserer Zeit und Sitten gefüllt;
denn diese kümmern sich weniger um die Wahrheit als
um ihreBehaglicheit. Ich beschwöre Sie also beiunserem
Freundschaftsbunde und bei allem Recht auf Vermehrung
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Boyle. SchluBs. 31
mid Verbreitung der Wahrheit, uns Ihre Schriften dieses
Inhaltes nicht vorzuenthalten und zu missgönnen. ^^
Sollten indess überwiegende, mir unbekannte
Gründe Sie an der Veröffentlichung Ihrer Schrift ver-
hindern, so bitte ich sehr, mir wenigstens brieflich
einen Auszug davon gefalligst mitzutheilen ; ich werde
Ihnen für diese Gefälligkeit in Freundschaft sehr ver-
bunden sein. Der gelehrte Herr Boyle wird bald
Weiteres veröffentlichen, was ich Ihnen statt Gegen-
leistung übersenden werde; dabei sollen Sie auch eine
Schilderung unserer neu eingerichteten Königlichen
Societät erhalten; zu deren Mitgliedern, ungefähr
zwanzig, auch ich gehöre und dabei mit dem einem
und andern den Sekretär abgebe. Die Kürze der
Zeit verhindert mich, diesmal noch Anderes mit Ihnen
zu besprechen. Rechnen Sie auf meine IVeue, wie
sie einem ehrlichen Menschen möglich ist, und auf
meine Bei'eitwilligkeit zu allen Diensten, soweit meine
schwachen Kräfte hinreichen. Ich bleibe von ganzem
Herzen, bester Herr,
Ihr
ergebener
H. Oldenburg.
London, den 3. April 1663.
Neunter Brief (Vom 17. Juli 1663).
(Antwort auf Brief 8.)
Von Spinoza an H. Oldenburg.
Geehrter Herr!
Ihren Iftngst erwarteten Brief habe ich erhalten.
Erst jetzt ist es mir möglich, ihn zu beantworten; ehe ich
jedoch dazu schreite, erwähne ich kurz, was mich bis-
her davon abgehalten hat. Als ich im April mit meinem
Hausrath hierher übergesiedelt war, reiste ich nach
Amsterdam.^') Dort baten mich mehrere Freunde,.
Ihnen die Abhandlung mitzutheilen, worin ich den
zweiten Theil der Prinzipien von Descartes in
geometrischer Weise begründet und die Hauptsätze der
Metaphysik kurz dargelegt hatte. Ich hatte Beides
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32 IX- Brief. Spinoza an Oldenburg.
einem jungen Manne diktirt, dem ich meine eigenen
Ansichten nicht offen mittheilen wollte. Die Freunde
baten mich da, auch den ersten Theil der Prinzipien
möglichst bald in derselben Weise zu behandeln, und
um denselben zu Willen zu sein, machte ich mich
gleich darüber und brachte die Arbeit in vierzehn
Tagen fertig. Ich übergab sie den Freunden, welche
mich zuletzt baten, die Veröffentlichung zu gestatten.
Ich bewilligte es gern, unter dem Beding, dass Einer
derselben in meiner Gegenwart die Schreibart fliessender
mache und ein Vorwort beifüge, um den Leser zu be-
nachri htigen, dass nicht Alles, was die Abhandlung
enthalte, als meine Ansicht angesehen werde dürfe. Denn
ich habd Vieles darin aufgenommen, was meinen An-
sichten geradezu widerspricht; dies sollte an einigen Bei-
spielen erläutert werden. Dieses Alles versprach mir der
Freund,^') welcher die Herausgabe übernommen hatte,
und deshalb habe ich mich etwas länger in Amsterdam
aufgehalten. Als ich dann in meinem jetzigen Wohnort
zurückkehrte, haben die vielen Besuche, mit denen
Freundemich beehrten, michkaum zur Besinnung kommen
lassen. Jetzt endlich, verehrter Freund, habe ich so viel
Zeit, um Ihnen dies mitzutheilen und zugleich den Grund
für die Herausgabe dieser Abhandlung Ihnen anzugeben.
Vielleicht giebt dies nämlich den einflussreichem Männern
meines Landes einen Anlass, die Arbeiten, die wirklich
meine Ansichten enthalten, zur Ansicht zu verlangen,
und sie werden dann dafür Soi^e tragen, dass ich sie
ohne Besoreniss vor Nachtheilen veröffentlichen kann.
Sollte diese Erwartung eintreffen, so werde ich so-
gleich Einiges bekannt machen ; wo nicht, so werde ich
lieber schweigen, als den Leuten meine Ansichten gegen
den Willen meines Landes aufzudrängen und mich bei
denselben verhasst zu machen. Deshalb, verehrter
Freund, bitte ich Sie, sich bis dahin zu gedulden; Sie
sollen dann entweder die gedi'uckte Abhandlung oder den
gewünschten Auszug erhalten. Sollten Sie schon während
des Druckes einige Exemplare zu haben wünschen, so
werde ich Ihren Wunsch erfüllen, sobald ich ihn er-
fahre, und eine Gelegenheit zur Absendung ermitteln. *^
Ich komme jetzt auf Ihren Brief zurück. Ich bin
Ihnen und dem geehrten Herrn Boyle för Ihre aus-
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Entgegnungen des Spinoza gegen Boyle. 33
gezeichnete Güte und Gefälligkeit grossen Dank schuldig,
weil die vielen und wichtigen Innen ohliegenden Geschäfte
Sie Ihres Freundes nicht vergessen Hessen, und Sie sogar
versichern, dass, so viel Ihnen möglich, unser brieflicher
Verkehr nicht wieder so lange unterbrochen werden solle.
Auch dem gelehrten Herrn Boyle danke ich ftir seine
Antworten auf meine Bemerkungen, wenn sie auch nur
obenhin und nebenbei von ihm ertheilt worden sind. Denn
ich gestehe, dass meine Bemerkungen nicht so gewichtig
sind, dass der gelehrte Herr auf ihre Beantwortung die
Zeit verwende, welche er tiefern Betrachtungen zu-
wenden kann. Ich glaubte und war tiberzeugt, dass der
gelehrte Herr bei seiner Abhandlung über den Salpeter
sich mehr vorgesetzt gehabt, als nur die Unsicherheit
der Grundlage darzulegen, auf der jene kindische und
possenhafte Lehre von den substantiellen Formen, Qua-
litäten u. 8. w. beruht. Ich glaubte vielmehr, der be-
rühmte Mann wolle die Natur des Salpeters darlegen und
zeigen, dass er ein aus verschiedenen festen und flüch-
tigen Stoffen zusammengesetzter Körper sei, und deshalb
w^oUte ich durch meine Darlegung zeigen (und meine,
dies sei auch vollkommen geschehen), dass man alle Er-
scheinungen, die der Salpeter bietet, soweit ich sie
kenne, leicht erklären könne, selbst wenn der Salpeter
kein solcher zusammengesetzter Körper sei, sondern zu
den einfachsten gehöre. Deshalb lag es nicht in meiner
Aufgabe, zu zeigen, dass das feste Salz die Schlacke des
Salpeters sei; vielmehr war dies nur eine Annahme, um
zu sehen, wie der berühmte Manu mir zeigen könnte,
dass dies nicht der Fall sei, sondern dass das feste
Salz zum Wesen des Salpeters gehöre, ohne das er
nicht begriffen werden könne. Dies, glaubte ich, wie
gesagt, sei die Absicht des berühmten Mannes gewesen.
Wenn ich daher gesagt habe, dass das Salz Gänge
enthalte, deren Höhlungen demMaasse derSalpetertheil-
chen entspreche, so geschah dies nicht, um die Wieder-
herstellung des Salpeters zu erklären, denn aus dem,
was ich gesagt, nämlich dass die Wiederherstellung in
der blossen Verdichtung des Salpetergeistes bestehe, er-
sieht sich, dass jeder Kalk, dessen Gänge so enge sind,
class die Salpetertheilchen nicht eindringen können, und
deren Wände nicht fest sind, die Bewegung der Salpeter-
Digitized by^^jOOQlC
34 I^' Brief. Spinoza an Oldenburg.
theilchen hemmen und somit nach meiner Hypothese den
Salpeter wieder herstellen kann. Es kann deshalb nicht
auffallen» wenn andere Salze, wie die des Weinsteins nnd
der Potasche, ebenfalls zu dieser Wiederherstellung des
Salpeters benutzt werden können. Wenn ich mir von
dem festen Salpeter gesagt habe, dass er Gänge enthalte,
welche der Grösse der Salpetertheilchen entsprechen, so
habe ich damit nur die Ursache angeben wollen, wes-
halb das Salpetersalz sich so gut zur Wiederherstellung
des Salpeters eignet, dass dabei an seinem frtihem Ge-
wicht nur wenig fehlt. Ich glaube sogar daraus, dass
auch andere Salze diese Wiederhei-stellung herbeiftihren,
zeigen zu können, dass das Salpetersalz keinen wesent-
lichen Bestandtheil des Salpeters bildet, wenn nicht der
berühmte Mann gesagt hätte, dass das Salpetersalz das
am allgemeinsten verbreitete sei und deshalb in dem
Weinstein und in der Potasche enthalten sein könne.
Wenn ich femer gesagt, dass die Salpetertheilchen
in den grossem Gängen von einem feinern Stoff um-
geben seien, so habe ich dies allerdings, wie der geehrte
Mann bemerkt, aus der Unmöglichkeit eines leeren
Raumes abgeleitet; aber ich verstehe nicht, wie er die
Unmöglichkeit des leeren Raumes eine Hypothese
nennen kann, da dieser Satz klar daraus folgt, dass das
Nichts keine Eigenschaften haben kann. Ich wundere
mich über diesen Zweifel des berühmten Mannes um
so mehr, da er keine realen Accidenzen zuzidassen
scheint; nun frage ich aber, ob es nicht ein reales Accidenz
wäre, wenn es eine Grösse ohne Substanz gäbe?**)
Die Ursachen für den Unterschied im Geschmack
des Salpetergeistes und des Salpeters habe ich deshalb
angeführt, weil ich damit zeigen konnte, dass aus diesem
Unterschied, den ich allein zwischen Salpetergeist und
Salpeter zulasse, alle Erscheinungen desselben sich,
ohne des festen Salzes zu bedürfen, leicht erklären lassen.
Das, was ich über die Entztindlichkeit des Salpeters
und die Unentzündlichkeit des Salpetergeistes gesagt
habe, verlangt nichts weiter zur Erregung der Flamme in
irgend einem Körper, als einen Stoff, welcher dessen
Theile trennt und in Bewegung setzt ; Beides lehrt, meine
ich, sowohl die tägliche Erfahrung wie die Vernunft.**)
Ich wende mich zu den Versuchen, die, wie ich aus-
Digitized by V^jOOQlC
ISntgegnung des Spinoza gegen Boyle. 35
drücklich bemerkt habe, äch nicht als unbedingt gültige
beigebracht habe, sondern nur um meine Erklärung in
einiger Weise zu bestätigen. Bei dem ersten Versuche,
den ich anführe, hat der berühmte Mann nur das be-
merkt, was ich selbst ausdrücklich gesagt habe ; dagegen
sagt er nichts von den andern, obgleich ich sie auch nur
angestellt habe, um das, worin der gelehrte Herr mit mir
übereinstimmt, unzweifelhafter zu machen. Wenn er
ferner bei dem zweiten Versuche sagt, dass durch die
Entschlackung der Salpeter meist von einem Salze, was
dem gewöhnlichen gleiche, gereinigt werde, so fehlt dafür
der Beweis; den ich habe, wie gesagt, diese Versuche
nicht angeführt, um damit das von mir Gesagte vollstän-
dig zu beweisen, sondern weil sie das, was ich gesagt
und als vernünftig dargelegt habe, gewissermassen be-
stätigen. Wenn er bemerkt, dass das Aufsteigen zu
festen Kügelchen allen Salzen gemein sei, so thut dies
nichts zur Sache; denn ich gebe zu, dass auch andere
Salze Unreinigkeiten enthalten, durch deren Beseitigung
sie flüchtiger werden. Bei dem dritten Versuche be-
merkt er nichts, was mich treffen könnte. Im fünften
Abschnitt habe ich geglaubt, dass er den edlen Des-
cartes tadele, weil er dies an andern Stellen, nach der
Jedem gestatteten Freiheit der Untersuchung, gethan hat,
ohne dass der Charakter Beider dadurch verdächtigt wor-
den; auch Andere, welche die Schriften des berühmten
Herrn und des Descartes gelesen haben, werden ebenso
wie ich urtheilen, wenn sie nicht ausdrücklich des Ge
gentheils belehrt werden. Trotzdem hat der geehrte Herr
sich immer noch nicht klar ausgesprochen, da er nicht
sagt, ob Salpeter aufhört, es zu sein, wenn die sichtbare
Gestalt seiner Theilchen, von der er allein sprechen will,
so lange abgerieben wird, bis sie die Form von Paral-
lelopipeden oder andern Figuren angenommen hat.
Ich lasse dies indess dahingestellt und wende mich
zu dem in Abschnitt 13—18 Gesagten. Ich gestehe hier
gern, dass diese Wiederherstellung des Salpeters einen
schönen Fall für die Erkenntniss der Natur des Salpe-
ters darbietet; vorausgesetzt, dass man vorher die Grund-
sätze der höhern Mechanik gelernt habe und wisse, dass
alle Veränderungen der Körper sich nach mechanischen
Gesetzen vollziehen. Indess spricht dafür der behandelte
Spinoza, Briete. Digii4edbyV^OOgie
36 ^^- Brief. Spinoza an Oldenburg.
Fall nicht deutlicher und Überzeugender als Tiele
andere augenföllige Versuche, obgleich man dies aus
ihnen nicht ableitet. Wenn daher der geehrte Herr
sagt, dass seine I^ehre bei Andern nicht so klar vorge-
tragen und behandelt worden, so hat er vielleicht etwas
gegen die Gründe von Baco und Descartesim Sinne,
womit er sie widerlegen seu können glaubt und was ich
nicht verstehe; indess führe ich diese Gründe hier nicht
an, da sie dem geehrten Herrn bekannt sein werden.
Doch bemerke ich, dass auch diese Männer verlangt
haben, die Erscheinungen müssten mit ihren Be-
gründungen übereinstimmen; haben sie dabei im £in-
zelnen geirrt, so waren sie Menschen, und Menschliches
kann jedem Menschen begegnen.
Der Herr sagt weiter, dass ein grosser Unterschied
zwischen den Fällen bestehe (den augenfälligen und zwei-
felhaften Versuchen nämlich, die ich augeführt habe), wo
man nicht wisse, was die Natur dabei noch thue und
was mit einwirke, und denen, wo die wii-kenden Sto£Pe
genau gekannt seien. Indess kann ich nicht finden, dass
der berühmte Manu die Natur der in diesem Falle wir-
kenden Stoffe erklärt habe, nämlich des Salpetersalzes
und des Salpeter^eistes ; obgleich sie nicht weniger dun-
kel scheinen als die von mir angeführten Stoffe des ge-
wöhnlichen Kalkes und Wassers. Bei dem Holze räume
ich geim ein, dass es ein Körper ist, der mehr zusam-
mengesetzt ist als der Salpeter; allein was thut dies zur
Sache, so lauge wir deren Natur nicht kennen und nicht
wissen, in welcher Weise in beiden die Hitze entsteht?
Auch wundere ich mich, dass der berühmte Mann zu
sagen wagt, dass er wisse, was in dem betreffenden Falle
die Natur thue. Wie will er zeigen können, dass die
Hitze hier nicht durch einen ganz feinen Stoff erzeugt
worden ist? Etwa daraus, dass das alte Gewicht nur um
ein Weniges verändert sei? allein wenn auch hier gar
nichts fehlte, würde dies doch nach meiner Ansicht
daraus nicht folgen, da es bekannt ist, wie ein Körper
durch eine sehr geringe Menge ein^s Stoffes zu einer
gewissen Wärme gebracht werden kann, ohne damit
irgend merklich schwerer oder leichter zu werden. Des-
halb kann man mit Recht zweifeln, ob nicht Stoffe mit-
gewirkt haben, welche den Sinnen sich entziehen, zumal
so lange man nicht weiss, wie alle jene Veränderungen,
Digitized by V^OOQ IC
Das Wasser und die Luft. 37
welche der berühmte Mann während des Versuches be
merkte, aus den genannten Körpern entstehen konnten;
ja ich bin überzeugt, dass die Hitze und jenes Auflodern,
was der berühmte Mann erwähnt, von einem fremden
Stoffe ausgegangen sind. Ferner glaube ich mich mehr
berechtigt, aus dem Aufwallen des Wassers (ohne dessen
Bewegung zu erwähnen) die Erschütterung der Luft als
die Ursache anzunehmen, welche den Ton hervorbringt,
als ans diesem Versuche, bei welchem die Natur der
mitwirkenden Stoffe ganz unbekannt ist, und bei dem
man eine Hitze 'bemerkt, deren Ursache und Entsteh-
ungsart ganz unbekannt ist. Endlich giebt es Vielerlei,
was ohne Geruch ist, aber dessen Theile sofort gerochen
werden, so wie sie bewegt und erwärmt werden, und
wo dieser Geruch, wenigstens für unsere Sinne, mit
der Abkühlung wieder verschwindet; ich nenne als
Beispiel den Bernstein und Anderes, deren Zusammen-
setzung vielleicht grösser ist als die des Salpeters.
Meine Bemerkungen zu dem 24sten Abschnitt
zeigen, dass der Salpetergeist kein reiner Geist ist,
sondern dass er mit Salpeterkalk und Anderem ver-
mischt ist; ich zweifle daher, ob der berühmte Mann hat
genau, durch Wiegen, wie er sagt, beobachten können,
dass das Gewicht des eingetropften Spiritusgeistes mit
dem Gewicht des bei der Detonation verschwundenen
so ziemlich übereinstimme.
Wenn endlich das reine Wasser nach dem Augen-
schein die Kalisalze schneller löst, so ist es doch ein ein-
facherer Körper als die Luft und kann deshalb nicht so
viel Arten von Körperchen enthalten, die durch die Poren
aller Kalkarten leicht eindringen könnten ; vielmehr be-
steht das Wasser überwiegend aus Theilchen derselben
Art, die den Kalk zwar bis zu einem gewissen Grade
mehr wie die Luft auflösen können ; allein daraus folgt
nicht, dass das Wasser dies bis zu diesem Grade viel
schneller bewirken müsse als die Luft; denn die Luft
enthält auch gröbere und auch viel feinere und über-
haupt Theilchen aller Art, welche durch Poren eindrin-
gen können, die für die Wasserth eilchen zu eng sind.
Daher kann die Luft zwar nicht so schnell als das Was-
ser, da sie nicht aus so gleichartigen Theilen besteht,
aber doch viel besser und vollständiger den Salpeterkalk
*• 1
Digitized by V^OOQIC
38 IX. Brief. Spinoza an Oldonbur». X. Briof.
auflösen und ihn damit biegsamer und also auch geeig-
neter machen, um die Bewegungen der Theilchen des
Salpetergeistes zu hemmen. Denn nach den Versuchen
kann ich noch jetzt keinen andern Unterschied zwischen
Salpetergeist und dem Salpeter anerkennen, als dass die
Theilchen des letztem sich in Ruhe befinden, während
die jenes sehr schnell sich untereinander bewegen.
Deshalb ist der Unterschied zwischen beiden ungefähr
derselbe wie zwischen Eis und Wasser.
Indess wage ich nicht, Sie länger hiei*mit zu unter-
halten; ich furchte, schon zu weitläufig gewesen zu sein,
obgleich ich mich der möglichsten Kürze befleissif^ habe.
Wenn ich Sie dennoch belästigt habe, so vergeben Sie
es mir und nehmen Sie die offenen und freien Aensse-
rungen Ihres Freundes in dem besten Sinne auf. Ich
hielt es nicht für rathsam, über diese Dinge ganz zu
schweigen; dagegen würde es blosse Schmeichelei sein,
wenn ich das gegen Sie loben wollte, was mir nicht ganz
geföllt ; denn nichts ist verderblicher und gefährlicher fiir
die Freundschaft. Ich habe mich deshalb zur offensten
Aussprache meiner Ansicht entschlossen, da dies philo-
sophischen Männern das Liebste sein muss. Indess steht
es in ihrer Gewalt, diese Gedanken dem Feuer, statt dem
gelehrten Herrn Boyle zu übergeben, wenn Sie es für
besser halten. Handeln Sie , wie es Ihnen gutdünkt,
aber seien Sie versichert, dass ich Ihnen und dem geehr-
ten Herrn Boyle in aller Liebe zugethan bin. Ich be-
dauere nur, dass meine schwachen Kräfte mich hindern,
dies durch die That zu zeigen; indess u. s. w. ^)
Zehnter Brief (Vom 3L Juli 1663).
Von H. Oldenburg an Spinoza.
Geehrter Herr und werther Freund!
Der Wiederbeginn unseres Briefwechsels hat mir viel
Freude gemacht. Ich habe Ihren Brief vom 17/27. Juli zu
meiner grossen Freude richtig erhalten und zwar aus
doppeltem Grunde ; einmal saJi ich, dass Sie wohl sind,
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Nachrichten aus London. 39
und dann, dass Sie mir Ihre Freundschaft noch hewahrt
hahen. Dazu kam noch die frohe Nachricht, dass Sie
den ersten und zweiten Theil der Prinzipien von Des-
cartes in geometrischerBeweisführung dem Druck über-
geben haben und mir einige Exemplare davon gefalligst
zusichern. Ich nehme dieses Anerbieten freudig an und
bitte, diese schon unter der Presse befindliche Abhand-
lung dem Herrn Peter Serrarius zu Amsterdam geiiil-
ligst für mich zu tibersenden. Dieser wird nach meinem
Auftrage das Packet in Empfang nehmen und mir durch
einen herüberkommenden Freund übersenden.
Dabei gestatten Sie mir, Ihnen zu sagen, wie ich es
nicht billigen kann, dass Sic auch jetzt noch, namentlich
in Ihrem so freien Laude, die von Ihnen als ihre eigenen
anerkannten Schriften zurückhalten wollen; denn bei
Ihnen kann man ja frei sagen, was man denkt und will.
Brechen Sie also diese Riegel; Sie können ja Ihren Namen
verschweigen und sich so ausser aller Gefahr bringen.
Der geehrte Herr B oy le ist auf das Land gezogen ;
sobald er in die Stadt zurückkehrt, M^erde ich ihm den
ihn betreffenden Theil Ihres gelehrten Briefes mittheilen
und Urnen seine Ansicht über Ihre Erwiderungen, sobald
ich sie erfahre, mittheilen. Sie haben wahrscheinlich
schon seinen ^Chemischen Skeptiker" gesehen, der schon
vor längerer Zeit lateinisch herausgekommen und im Aus-
lande viel besprochen worden ist. Das Buch führt viele
chemische und physische Paradoxen und hypostatische
(wie man sie uennt) Grundsätze der Anhänger des Sta-
giriten auf und unterwirft sie einer strengen Prüfung. *'')
Kürzlich hat er eine andere Schrift veröffentlicht, die
vielleicht noch nicht zu Ihren Buchhändlern gelangt ist;
ich lege sie daher Ihnen hier bei und bitte, diese kleine
Gabe freundlichst aufzunehmen. DasBüchelchen'enthält,
wie Sie finden werden, eine Vertheidigung der elastischen
Kraft der Luft gegen die Angriffe eines gewissen P^ranz
Linus, welcher sich in einer unverständlichen und un-
sinnigen Weise abmüht, die Erscheinungen, welche Herr
Boyle in seinen neuen physikalisch-mechanischen Ver-
suchen beschreibt, durch eine Art Seil zu erklären. Lesen
Sie doch die Schrift und lassen Sie mich Ihre Ansicht
wissen. **)
Unsere Königliche Sozietät verfolgt ihre Aufgabe
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40
X. Brief. Oldenburg an Spinoza.
nach KrÄften und mit Geschick; sie hÄlt sich innerhalb
der Schranken der Versuche und Beobachtungen und
vermeidet die Abgründe des Disputirens.
Man hat neuerlich einen schönen Versuch dargestellt,
welcher die Vertheidiger des leeren Raumes sehr in die
Enge treibt, aber deren Gegnern sehr gefällt. Die Glas-
flasche A ist bis oben mit
Wasser gefüllt und mit ihrer
Oeffnung in das Glasgefass B
gestellt, was Wasser enthält.
Sie wird nun dem Recipienten
der neuen Luftpumpmaschine
des Herrn Boyle aufgesetzt,
und aus dem Recipienten wird
die Luft ausgepumpt Man
sieht dann eine Menge Blasen
aus dem Wasser in die Flasche
A aufsteigen, was das Wasser
von dort in das Gefass B unter
die Oberfläche des in ihr be-
findlichen Wassers treibt. Mau
lä'^st dann beide Gefässe in
diesem Zustande ein oder zwei
Tage stehen und wiederholt
nur fleissig die Auspumpnngen
der Luft. Dann nimmt man
beide aus der Glocke hen-or
und füllt die Flasche A mit
dem von Luft befreiten Was-
ser, stellt sie wieder verkehrt
in das Gefäss B und brinprt
wieder beide Gefässe unter die
Glocke der Luftpumpe. Ist die
Luft da wieder gehörig ausge-
pumpt, so sieht man wohl ein-
zelne kleine Bläschen in dem
Halse der Flasche A aufstei-
gen, welche, oben angelangt, mit der fortgehenden
Auspumpung sich selbst ausdehnen und das ganze
Wasser wie früher aus der Flasche herabtreiben.
Dann wird die Flasche wieder aus der Glocke
genommen und mit luftfreiem Wasser bis zum Rande
No. 5.
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Ueber den leeren Baum. 41
gefüllt, dann abermals nmgedreht und wieder unter die
Glocke gebracht. Wird nun die Luft aus der Glocke
Toll ständig und genau ausgepumpt, so bleibt das Wasser
in der Flascbe in der Höhe, ohne herabzusinken. Bei
diesem Versuche ist also die Ursache, welche nach Boyle
das Wasser bei dem Torricelli'schen Versuche in der Höhe
erhalten soll (nftmlich die Luft, welche auf das Wasser
im GefKsse B drückt), ganz beseitigt, und das Wasser
in der Flasche sinkt doch nicht herab. Ich ftigte gf^m
noch mehr hinzu, allein Freunde und Geschäfte rufen
mich ab.**)
Ich kann meinen Brief nicht schliessen, ohne Ihnen
nochmals an das Herz zu legen, dass Sie Ihre Unter-
snchangen bald veröffentlichen möchten. Ich werde mit
diesen Bitten nicht eher ablassen, als bis Sie ihnen Folge
geleistet. Wollten Sie mir bis dahin Einiges von dem
Inhalte mittheilen, so würden Sie mich entzücken und
anfsAeusserste Ihnen verpflichten. Bleiben Sie im besten
Wohlsein und boM^ahren Sie mir Ihre Liebe.
Ihr
Freund und Verehrer
H. Oldenburg.
I^ndon, den 31. Juli 166H.
Elfter Brief (Vom 4. August 1663).
Von H. Oldenburg an Spinoza.
Verehrter Herr und werther Freund!
Es sind kaum 3 oder 4 Tage verflossen, dass ich
mit dem gewöhnlichen Kourier einen Brief Ihnen gesandt
habe, worin ich eines von Herrn Boyle verfassten
Büchelchens erwähnte, das ich Ihnen senden wollte. Ich
hatte damals noch keine Aussicht, so schnell einen Be-
kannten zu iinden, der es Ihnen überbringen könnte;
allein schneller, als ich erwartete, hat sich jetzt einer ge-
funden. Somit erhalten Sie jetzt, was ich Ihnen früher
nicht senden konnte und in Anschluss daran herzliche
Grüsse von Herrn Boyle, der vom Lande nach der Stadt
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42 XI. Brief. Oldenburg an Spinoza.
zurückgekehrt ist. Er bittet Sie, seine Vorrede zu den
Versuchen über den Salpeter einzusehen; Sie würden
daraus den Zweck, den er sich bei diesem Werke vor-
gesetzt, am besten entnehmen. Er habe nämlich zeigen
wollen, dass die Ansichten der sich wieder erhebenden
gesundem Philosophie durch klareVersuche erläutert und
auf das Beste dargelegt werden können, ohne jene Schul-
formeln mit ihren possenhaften Qualitäten und Elementen
zu Hülfe nehmen zu müssen. Dagegen habe er keines-
wegs die Natur des Salpeters darlegen, noch das miss-
billigen wollen, was von irgend Jemand über die Gleich-
förmigkeit des Stoffes und über die nur auf der Bewe-
gung, Gestalt U.S.W, der Körper beruhenden Unterschiede
derselben gelehrt werden könne. Er habe nur zeigen
wollen, dass die verschiedene Mischung der Körper noch
mancherlei Unterschiede und sehr verschiedene Wirkun-
gen zur Folge habe, und dass daraus die Philosophen
und Jedermann eine gewisse Stoffverschiedenheit folgern
dürfen, so lange die Erkonntniss des Urstoffes noch nicht
erreicht sei.
Ich glaube daher nicht, dass im Grunde und sach-
lich Sie von Herrn Boyle abweichen. Wenn Sie bemer-
ken, dass jede Kalkart, deren Gänge so eng sind, dass
die Salpetertheilchen nicht eindringen können, und deren
Wände schwach sind, die Bewegung der Salpetertheilchen
aufhalten können und dadurch die Wiederherstellung des
Salpeters bewirken, so ei-widert Herr Boyle, dass dies
nur geschehe, wenn der Salpetergeist mit andern Kalk-
ai*ten, aber nicht mit seinem eigenen Kalk vermengt
werde.
Ihren Grund gegen den leeren Raum will Herr
Boyle kennen und ihn erwartet haben; allein er kann
sich dabei nicht beruhigen und wird sich darüber an
einem anderen Orte aussprechen.
Ich soll Sie ferner in seinem Auftrage bitten, ihm
einen Fall mitzutheilen, wo zwei riechende Körper, zu
einem verbunden, den Körper (wie den Salpeter) ganz
geruchlos machen. Er meint, die Theilc des Salpeters
seien der Art, dass der Salpetergeist einen sehr ein-
dringenden Geruch verbreite, der feste Salpeter aber
auch einen Geruch von sich gebe.
Er bittet Sie ferner, zu erwägen, ob das Eis und
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ßoyle's Ansichten. 43
Wasser sich hier mit dem S«alpeter und seinem Geiste
vergleichen lassen: da das ganze Eis sich lediglich in
Wasser umwandle und das geruchlose Eis auch, wenn
es zu Wasser geworden, geruchlos hleibe ; dagegen be-
ständen grosse Unterschiede zwischen der Beschaffen-
heit des Salpetergeistes und dem festen Salpetersalze,
wie die gedruckte Abhandlung genügend darlege.
Dies und Aehnliches hörte ich hierüber von dem
berühmten Verfasser; ich gebe es hier wieder, so weit
mein schwaches Gedächtniss reicht; indess kann ich
mich leicht dabei geirrt haben. Da Sie Beide in der
Hauptsache übereinstimmen, so will ich die Punkte, wo
Sie verschiedenerAnsicht sind, nicht übertreiben, sondern
möchte lieber, dass Sie sich Beide verbänden, um durch
Ihren Geist die ächte und gesunde Philosophie um die
Wette fortzubilden. Sie vor Allem möchte ich erinnern,
die Grundlage weiter fortzubilden, wie es der mathema-
tischen Schärfe Ihres Geistes entspricht; ebenso dringe
ich umgekehrt meinen edlen Freund B oy 1 e , fortwährend
durch Versuche und Beobachtungen, die wiederholt und
sorgsam angestellt werden, diese Philosophie zu befesti-
gen und zu erläutern. Sie sehen, verehrter Freund, was
ich will und erstrebe. Ich weiss, dass in diesem Lande
die Philosophen unserer Zeit für diese experimentironden
Aufgaben niemals fehlen werden; ebenso bin ich über-
zeugt, dass auch Sie Ihre Aufgabe mit Geschick erledigen
werden, wenn auch der gemeine Haufen der Philosoplien
und Theologen noch so sehr daiüber sich ereifert oder
Sie verleumdet. Schon in meinem letzten Briefe habe ich
in dieser Hinsicht Sie ermahnt; ich will Ihnen daher jetzt
damit nicht abermals zur Last fallen. Ich habe nur die
Bitte, dass Sie von Allem, was Sie zur Erläutenmg von
I) esc arte s oder aus dem Vorrath Ihrer eigenen Unter-
suchungen zum Druck befördern, mir recht schnell ein
Exemplar durch Herrn Serrarius zusenden mögen.
Sie werden mich dadurch Ihnen noch mehr verpflichten
und bei jeder Gelegenheit ersehen, dass ich bin
Ihr
ergebener
H. Oldenburg.
London, den 4. August 1663.
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44 ^n. Brief. Oldenburg an Spinoza.
Zwölfter Brief (Vom 28. April 1665).
Von H. Oldenburg an Spinoza.
Geehrter Herr und theurer Freund!
Ich war sehr erfreut, als ich aus den letzten Briefen
des Herrn Serrarius ersah, dass Sie leben, gesund nnd
Ihres Freundes Oldenburg noch eingedenk sind. Dabei
beklagte ich zugleich bitter mein Schicksal (wenn ich
einen solchen Ausdruck brauchen darf), das mich so viele
Monate hindurch meines früheren angenehmen Verkehrs
mit Ihnen beraubt hat. Die Menge der Geschäfte nnd
harte häusliche Unfälle tragen die Schuld davon; denn
meine unbedingte Ergebenheit und treue Freundschaft zu
Ihnen werden immer unerschüttert auf festem Grunde
sich erhalten. Wir, Herr B o y 1 e und ich, unterhalten uns
oft von Ihnen, Ihrer Gelehrsamkeit und Ihren tiefsinnigen
Untersuchungen. Wir möchten die Früchte Ihres Geistes
herausholen und den Händen der Gelehrten überliefern;
denn wir sind sicher, dass Sie unseren Erwartungen völlig
Genüge leisten werden. Die Abhandlung des Herrn B ojl e
über den Salpeter und über das Flüssige und Feste
braucht bei Ihnen nicht aufgelegt zu werden, da sie hier
in lateinischer Uebersetzung herausgekommen ist; sobald
die Gelegenheit sich bietet, sollen Sie einige Exemplare
erhalten. Lassen Sie daher keinen dortigen Buchhändler
etwas der Art unternehmen. Herr Boyle hat auch eine
ausgezeichnete Abhandlung Über die Farben in englischer
und lateinischer Sprache veröffentlicht und ausserdem
eine Geschichte der Versuche über die Kälte, die Ther-
mometer und Anderes, die viel Merkwürdiges und Neues
enthält. Nur der unglückliche jetzige Krieg*') verhindert
mich, Ihnen diese Bücher mitzutheilen. Auch eine gute
Abhandlung über 60 mikroskopische Beobachtungen ist
erschienen, welche viele kühne Ansichten, aber in philo-
sophischer Begründung (d. h. nach mechanischen Prin-
zipien) enthält. Ich hoffe, dass unsere Buchhändler einen
Weg iinden werden, auf dem Ihnen von alledem Exem-
plare zugehen können. Das, womit Sie neuerlich sich
beschäftigt, oder was Sie in Arbeit haben, möchte ich
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Boyle. Hnygens. Descartes. 45
gern von Ihrer eigenen Hand in Empfang nehmen.
Ich bleibe
Ihr
Verehrer und Freund
H, Oldenburg.
London, den 28. April 1665.
Dreizehnter Brief (Aus dem Mai 1665).
Von Spinoza an H. Oldenburg.
Geehrter Freund!
Vor wenig Tagen tiberbrachte mir ein Freund Ihren
Brief vom 28. April, den er von einem Buchhändler in
Amsterdam erhalten hatte, an den ihn Herr Serrarius
wahrscheinlich abgegeben hat. Ich habe mich sehr ge-
freut, endlich von Ihnen selbst zu hören, dass Sie wohl
sind und mir noch Ihre frühere Zuneigung bewahren.
Ich selbst habe, so oft ich die Gelegenheit gehabt, mich
bei Herrn Serrarius und dem Herrn Doctor Christian
Huygens,*^ der mir gesagt, dass er Sie kenne, nach
Ihrem Befinden erkundigt. Von Herrn Huygens hörte
ich auch, dass der gelehrte Herr Boyle noch lebt und
j ene ausgezeichnete Abb andlung über die Farben englisch
veröffentlicht hat, welche er mir geliehen haben würde,
wenn ich englisch verstände. Ich freue mich deshalb, von
Ihnen zu hören, dass die Abhandlung, so wie die andere
über die Kälte und die Thermometer, von der ich noch
nichts gehört habe, bald in das Lateinische übersetzt und
der Gelehrtenwelt zugänglich gemacht werden sollen.
Auch das Buch über die mikroskopischen Untersuchungen
hatHe rr Huygens, aber wenn ich nicht irre, auch nur in
englischer Sprache. £r hat mir wunderbare Dinge über
diese Mikroskope sowie über einige in Italien gefertigte
Teleskope erzählt. Man hat damit die Verfinsterungen
des Jupiter durch seine Monde beobachten können und
ebenso einen gewissen Schatten auf dem Saturn, als wenn
er von einem Ring herkäme. Ich wundere mich bei dieser
Gelegenheit über die Eilfertigkeit von Descartes,
welcher als Grund dafür, dass die Planeten bei Saturn
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46 XIII. Brief. Spinoza an Oldenburg. XIV. Brief.
(denn er hielt dessen Henkel fUr Planeten, vielleiclit weil
er niemals beobachtet hat, dass sie den Saturn berühren)
sich nicht bewegten, angab, dass Satarn sich nicht um
seine Axe drehe, obgleich dies doch mit seinen Prinzipien
wenig übereinstimmte, lleberdem hätte ev aus seinen
Prinzipien leicht dieUrsache der Henkel erklären können,
wenn er nicht dieses Vorurtheil gehabt hätte, u. s. w.
Vierzehnter Brief (Vom 12. Oktober 1665).
Von H. Oldenburg an Spinoza.
Bester Herr, verehrter Freund!
Sie lieben, wie es einem Philosophen von Hera
geziemt, die guten Menschen und Sie brauchen nicht
an deren Gegenliebe zu zweifeln, so wie an deren
Achtung, die sie Ihren Verdiensten zollen. Herr Doyle
grüsst Sie mit mir bestens und bittet, dass Sie streng
und scharf zn philosophiren fortfahren; namentlich wenn
Sie zu einer Einsicht über jene grosse Aufgabe gelangen,
wo es sich um die Erkenntniss der Ueberein Stimmung
jedes Theiles der Natur mit dem Ganzen handelt, sowüe
um die Art des Zusammenhanges der Theile unter ein-
ander, dann bitten wir, freundlichst es uns mitzuthcilen.
Die von Ihnen erwähnten Gründe, welche Sie zur Ab-
fassung einer Abhandlung über die heilige Schrift be-
stimmen, billige ich durchaus; ich habe nur den Wunsch,
dass ich schon das vor Augen hätte, was Sie über
diesen Gegenstand sagen wollen. Herr Serrarius
wird wohl binnen Kurzem ein Packet mir senden und
da können Sie, wenn Sie wollen, sicher das beilegen,
was Sie hierüber schon fertig haben und sich jeder
Gegenleistung von meiner Seite für gewiss halten.
Die „Unterirdische Welt" von Kirch er habe ich
durchblättert.*') Seine Lehren und Gründe verrathen
keinen grossen Geist, aber seine mitgetheilten Beobach-
tungen und Versuche sprechen für den Fleiss des Ver-
fassersund seinen guten Willen, sich um die philosophische
Republik verdient zu machen. Sie sehen, dass ich ihm
ein wenig mehr als blosse Frömmigkeit zuspreche und Sie
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Hiiygena. Descartos. Hovel. 47
werden leicht die Absicht Derer erkennen, welche ihn
nur mit diesem Weihwasser besprengen.
Bei Ihrer Erwähnung von Huygens' Abhandlung
über die Bewegung deuten Sie an, dass des Des carte s
Regeln der Bewegung beinah sämmtlich falsch seien. Ich
liabe Ilir vordem herausgegebenes Werk über die geome-
trische Begründung der Prinzipien des Descartes nicht
zur Hand und ich kann micli nicht entsinnen, ob Sie da
diese Unrichtigkeit derselben dargelegt haben, oder
nur seinen Fusstapfen, Anderen zur Liebe, gefolgt
sind. ") Wollten Sie nur endlich die Frucht Ihres eigenen
Geistes von sich geben und der philosophischen AVeit zu
Mege und Erziehung übergeben. Ich entsinne mich, wie
Sie irgendwo angedeutet haben, dassVieles von dem, was
nach Descartes dem menschlichen Geiste unerreichbar
sein soll, ja noch Höheres und Feineres, von dem Men-
schen erkannt und aucli das Kleinste dai'gelegt werden
könne.**) Weshalb zaudern Sie also, mein Freund? was
turchten Sie? Versuchen Sie es doch; beginnen Sie, voll-
füliren Sie eine so bedeutende Aufgabe und Sie werden
den ganzen Chor der wahren Philosophen zu Ihrem Be-
schützer haben. Ich gebe Ihnen datilr mein Wort, was
ich nicht würde, wenn ich zweifelhaft wäre, ob ich es
halten hönnte. Ich kann nicht glauben, dass Sie die Ab-
sicht haben, etwas gegen das Dasein inid die Vorsehung
Gottes zu schreiben und wenn diese Grundsäulen unver-
sehrt bleiben, so ruht die Religion auf einer festen Grund-
lage und jedwede philosophische Betrachtung wird dann
leicht vertheidigt und entschuldigt werden können. Hören
Sie also mit Ihrem Zögern auf, damit wir mit unserem
Bitten Ihnen nicht noch den Rockschoss abreissen.
Ich denke bald zu erfahren, was von dem neuen
Kometen zu halten ist. Hevel in Danzig^^) und der
Franzose Auzou t*«)streiten sich über die gemachten Be-
obachtungen: Beide sind gelehrte Männer, welche mit der
Mathematik vertraut sind. Der Streit wird jetzt unter-
sucht, und sobald die Entscheidung erfolgt sein wird,
werde ich Mittheilung davon erhalten und es Ihnen wissen
lassen. So viel kann ich schon sagen, dass alle mir be-
kannten Astronomen die Erscheinung nicht für einen,
sondern filr zwei Kometen halten und ich habe bis jetzt
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48 XIV. Brief. Oldenburg an Spinoza. XV. Brief.
Niemand angetroffen, welcher die Beobachtungen nach
der Hypothese vonDescartes hätte erklSren wollen. ^^)
Sollten Sie etwas von den Untersuchungen nnd
Arbeiten Iluy gens* erhalten, und über seine Erfolge mit
dem Pendel und über seine Uebersiedelung nach Frank-
reich hören, so theilen Sie mir es gefälligst recht bald
mit und lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit hören,
was man bei Thnen Über die Friedensverhandlungen, über
die Absichten der in Deutschland eingerückten schwe-
dischen Armee und über die Schritte des Bischofs von
Münster denkt. ^) Ich fürchte, ganz Europa wird im näch-
sten Sommer in Krieg verwickelt sein und Alles scheint
auf grosse Veränderungen hinzudeuten.^^) Wir wollen mit
keuschem Sinne uns dem Herrn empfehlen und die wahre,
gesunde und nützliche Philosophie pflegen. Einige unserer
Philosophen haben den König nach Oxford begleitet, wo
sie fleissige Zusammenkünfte halten und über die Beförde-
rung der Naturwissenschaften berathen. Sie haben unter
Anderem neuerlich das Wesen des Tones zu erforschen
angefangen und werden, glaube ich, Versuche anstellen,
um zu ermitteln, in welchem Verhältnisse die Gewichte
steigen müssen, um die Saite so anzuspannen, dass sieden
höheren Ton angiebt, welcher die verlangte Konsonanz
mit dem früheren ergiebt. Ein andermal mehr davon.
Leben Sie wohl, mein Bester und bleiben Sie eingedenk
Ihres
Verehrers
H. Oldenburg.
London, den 12. Oktober 1665.
Fünfzehnter Brief (Aus dem November I66ö>.
Von Spinoza an H. Oldenburg.
(Die Antwort auf den voratehenden Brief.)
Geehrter Herr!
Ich bin Ihnen und dem geehrten Herrn Bojle sehr
verbunden, dass Sie mich zum Philosophiren ermahnen.
Nach meinen schwachen Kräften thue ich darin, was ich
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lieber die Begriffe des Ganzen und der Theile. 49
vermag und zweifle nicht an Ihrem beiderseitigen Wohl-
wollen und Ihrer Hülfe. Wenn Sie meine Ansicht über
die Frage verlangen, „wie jeder Theil der Natur mit dem
„Ganzen zusammenstimmt und wie er mit den übrigen
„Theilen zusammenhängt'^, so nehme ich an, dass Sie
nach den Gründen verlangen, welche uns überzeugen, dass
diese Verbindung und (Jebereinstimmung wirklich Statt
habe. Aber die nähere Weise, wie die Dinge zusammen-
hängen und das Einzelne mit dem Ganzen übereinstimmt,
kann ich nicht angeben, wie ich schon in meinem letzten
Briefe ^) bemerkt habe; denn dazu würde die Kenntniss
der ganzen Natur und aller ihrer Theile gehören. Ich
beschränke mich also auf Darlegung des Grundes, welcher
mich die Frage zu bejahen genöthigt; doch möchte ich
vorher erinnern, dass ich der Natur weder Schönheit
noch Uässlichkeit, weder Ordnung noch Verwirrung zu-
theile, da die Dinge nur in Beziehung auf unsere Ein-
bildungen schön oder hässlich, geordnet oder verworren
genannt werden können.^')
Unter dem Zusammenhang der Theile verstehe ich
also nur eine solche Anpassung der Gesetze oder der Na-
tur des einen Theiles mit denen des anderen, dass sie sich
möglichst wenig entgegen sind. Die Begriffe des Ganzen
und der Theile fasse ich so auf, dass, soweit die Theile
eines Ganzen ihrer Natur nach sich einander anpassen,
um möglichst übereinzustimmen, sie als Theile gelten ;
soweit sie aber von einander abweichen, bildet jeder
Theil in unserer Seele eine von dem anderen unter-
schiedene Vorstellung und wird demgemäss nicht als
Theil, sondern als Ganzes aufgefasst. Wenn z. B. die
Theilchen der Lymphe oder des Speisesaftes in ihren Be-
wegungen sich nach Verhätniss ihrer Grösse und Gestalt
so einander anpassen, dass sie ganz mit einander überein-
stimmen und alle nur eine Flüssigkeit bilden, so werden
insoweit der Speisesaft, die Lymphe u. s. w. als Theile
des Blutes angesehen; soweit man aber die Theilchen der
Lymphe in Gestalt und Bewegung abweichend von den
Theilchen des Speisesailes annimmt, insoweit betrachtet
man sie als ein Ganzes und nicht als einen Theil.
Man nehme z. B. an, dass in dem Blute ein kleiner
Wurm lebe, welcher die Theilchen des Blutes, der Lymphe
u. s. w. zu sehen vermöchte und die nöthige Vernunft
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50 ^^- Brief. Spinoza an Oldenburg.
bosässc, um zu beobachten, wie jedes Theilchen bei der
Bewegung eines anderen zurückweicht oder seine Be-
wegung dem anderen mittheilt u. s. w. ; ein solcher Wurm
würde in diesem Blute, wie wir in einem Theile des Welt-
raumes leben und jedes Bluttheilchen als ein Ganzes und
niclit als einen Tlicil behandeln; er könnte auch nicht
wissen, wie alle Theilchen von der ganzen Natur des
Blutes bestimmt und der allgemeinen Natur des Blutes
entsprechend, zu einer solchen Anpassung genöthigt wer-
den, dass sie auf eine gewisse Art mit einander überein-
stimmen. Denn wenn man annimmt, dass ausserhalb de>
Blutes keine Ursachen bestehen, welche dem Blute neue
Bewegungen mittheilen und dass es ausser dem Blute
keinen Raum und keine andere Körper giebt, auf die die
Bluttheilchen ihre Bewegungen übertragen könnten, so
würde offenbar das Blut immer in seinem Zustande ver-
harren und seine Theilchen würden nur die Veränderun-
gen erleiden, die sich aus dem Verhältniss der Blutbe-
wegung zur Lymphe, zu dem Speisesaft u. s. w. ergehen
und man müsste somit das Blut immer als ein Ganzes
und nicht als einen Theil betrachten. Aber da es noch
viele andere Ursachen giebt, welche die Naturgesetze des
Blutes in fester Weise beeinflussen, so ^de umgekehrt
diese jene, so ergeben sich daraus andere Bewegungen
und Veränderungen im Blute, die nicht blos aus dem
Verhältniss derEigenbewcgung seinerTheile zu einander
entspringen, sondern auch aus dem Verhältniss der Be-
wegung des Blutes zu der Bewegung der äusseren Ur-
sachen zu einander, und dann hat das Blut nur das Ver-
hältniss eines Theiles, aber nicht eines Ganzen. So viel
über das Ganze und seine Theile. ")
Nun können und müssen aber alle Naturkörper so
aufgefasst werden, wie es hier mit dem Blute geschehen
ist; denn jeder wird von anderen umgeben und alle be-
stimmen sich gegenseitig zum Dasein und Wirkennach
festen und bestimmten Verhältnissen, wobei in allen zu-
sammen, d. h. in dem Weltall, das Verhältniss der Be-
wegung zur Ruhe immer dasselbe bleibt. Deshalb muss
jeder Körper, soweit er in fester Weise von anderen etwas
erleidet, alsTheil des Weltalls angesehen werden, der mit
dem Ganzen übereinstimmt und mit den anderen zu-
sammenhängt. Da nun die Natur des Weltalls nicht, wie
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Die menschliche Seele. Huygens. 51
die Natur des Blutes, beschränkt^ sondern unbedingt
schrankenlos ist, so werden von der Natur dieser un-
endlichen Kraft deren Theile auf unendliche Weise
beeinflusst und zum Erleiden von unendlich vielen Ver-
änderungen genöthigt. Indess nehme ich an, dass in
Bezug auf die Substanz jeder Theil eine, engere Ver-
bindung mit seinem Ganzen hat. Denn da die Un-
endlichkeit zur Natur der Substanz gehört, wie ich Ihnen
früher in meinem ersten, von Rhjnsburg geschriebenen
Briefe darzulegen versucht habe, so folgt, dass jeder
Theil zur Natur der körperlichen Substanz gehört und
ohne diese nicht sein, noch vorgestellt werden kann.*').
Hieraus ersehen Sie, in welcher Weise und weshalb
ich den menschlichen Körper fUr einen Theil der Natur
ansehe. Auch die menschliche Seele halte ich für einen
Theil der Natur, weil es nach meiner Ansicht in der
Natur auch eine unendliche denkende Kraft giebt, die
vermöge ihrer Unendlichkeit die ganze Natur alsgewusste
in sich enthält und deren Gedanken in derselben Weise
sich folgen wie die Natur, nämlich als Vorstellungen.
Femer gebe ich der menschlichen Seele dieselbe
Kraft, aber nicht als eine unendliche, welche die ganze
Natur umfasst, sondern als eine beschränkte, die nur
den menschlichen Körper vorstellt und in diesem Sinne
sehe ich die menschliche Seele als einen Theil des
unendlichen Verstandes an.**)
Indess ist es eine weitläufige Sache, Alles dies
nebst dem dazu Gehörenden hier genau darzulegen
und zu beweisen und ich glaube nicht, dass Sie dies
jetzt von mir erwarten ; ja ich zweifle, ob ich Ihre Meinung
recht verstanden habe und ob ich nicht auf etwas
Anderes geantwortet habe, als was Sie mich gefragt
haben. Sie werden mich hierüber belehren.
Wenn Sie weiter erwähnen, ich hätte die von D e s -
cartes aufgestellten Gesetze der Bewegung beinah alle
fUr falsch erklärt, so habe ich, soviel ich mich entsinne,
es nur als eine Ansicht von Huvgens mitgetheilt; ich
selbst halte nur das sechste Gesetz des Des cartes
für falsch, wobei auch Huygens, wie ich bemerkt
habe, im Irrthume ist. Deshalb bat ich Sie, mir über
den Versuch zu schreiben, der in Betreff dieser Hypo-
these in Ihrer Königlichen Sozietät angestellt worden
Splnoz«, Briefe. 5
Digitized by V^OOQIC
_<
52 XV. Brief. Spinoza an Oldenburg. XVI. Brief.
ist. Da Sie mir nichts hierüber mittheilen, so möchte
ich annehmen, dass es Ihnen nicht gestattet ist.^)
Besagter Herr Huygens war und ist noch ganz von
der Politur dioptrischer Gläser in Anspruch genommen;
er hat dazu eine niedliche Werkstatt eingerichtet, worin
auch Formen gedreht werden können. Ich weiss noch
nicht, was er damit erreicht hat und bin, offen gestanden,
auch nicht sehr danach begierig, da ich aus Erfahrung
weiss, dass man mittelst Kugelformen aus freier Hand
sicherer und besserer als mit jeder Maschine poliren
kann. Ueber die Resultate der Pendeluntersuchangen
und über Huygens' Uebersiedelung nach Frankreich
kann ich Ihnen noch nichts Gewisses mittheilen; u. s. w.
Sechzehnter Brief (Vom 8. Dezember 1665)
Von H. Oldenburg an Spinoza.
Vortrefflicher Herr und theurer Freund!
Ihre Erörterungen über die Uebereinstimmung und
Verknüpfung der Theile der Natur mit dem Ganzen
haben mir sehr gefallen, obgleich ich nicht recht fassen
kann, wie man die Ordnung imd die Uebereinstimmung,
wie Sie zu wollen scheinen, aus der Natur ganz entfernen
kann, zumal Sie selbst anerkennen, dass jeder Körper
von anderen umgeben ist und dass diese sich gegenseitig
in fester und beständiger Weise zum Dasein und Wirken
bestimmen und dabei in allen zusammen das Verhältniss
der Bewegung zur Ruhe unverändert bleibt, was mir
gerade das wirkliche Verhältniss einer wahren Ordnung
zu sein scheint.*^) Indess verstehe ich Sie vielleicht bei
diesem Punkte ebenso wenig ganz, wie in dem, was Sie
früher über die Gesetze von Descartes bemerkt haben ;
ich bitte Sie deshalb, mich zu belehren, wo sowohl D e s -
cartesalsHuygensin den Gesetzen der Bewegung ge-
irrt haben. Sie würden mir einen grossen Dienst leisten,
den zu verdienen ich nach Kräften mich bemühen werde.
Als Herr Huygens hier in London die Versuche,
welche seine Hypothesen bestätigen sollen, anstellte,
war ich nicht anwesend. Ich höre jedoch, dass er unter
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Naturwiflsenschaftiiche Beobachtungen. 53
Anderem eine Kugel von einem Pfunde an einen Faden
gleich einem Pendel aufgehangen habe; bei deren Fall
habe sie eine andere ebenso aufgehangene, aber nur
halb so schwere Kugel in einem Winkel von 40 Grad
getroffen. Huygens habe nutteist einer kurzen alge-
braischen Berechnung die Wirkung vorausgesagt und
diese habe auf das Genaueste der Voraussagung ent-
sprochen. Ein bedeutender Mann, der viele solche Ver-
suche vorgeschlagen hatte, die Huygens gelöst haben
soll, ist jetzt nicht hier; sobald ich ihn treffen kann,
werde ich Ihnen genauer und vollständiger darüber be-
richten. Einstweilen bitte ich, dass Sie mir mein obiges
Anliegen nicht abschlagen; auch theilenSie mir gefälligst
mit, wenn Sie etwas Weiteres über Huygens* Erfolge
in JPolirung teleskopischer Gläser erfahren. Ich hoffe
unsere Königliche Gesellschaft wird bald nach London
zurückkommen, da die Pest, Gott sei Dank, schon
nachlässt. Sie wird dann wieder ihre wöchentlichen
Sitzungen halten und was da an erheblichen Verhand-
lungen vorkommt, werde ich Ihnen sicherlich mittheilen.
Ich habe früher anatomischer Beobachtungen er-
wähnt. Vor einiger Zeit schrieb mir Herr Boyle (der
Sie herzÜeh grüsst), dass ausgezeichnete Anatomiker
in Oxford ihn versichert hätten, die Luftröhre bei
einigen Schafen und Ochsen mit Gras angefüllt ge-
funden zu haben; auch wären Sie vor einiger Zeit
zur Besichtigung eines Ochsen eingeladen worden,
welcher zwei oder drei Tage den Kopf fortwährend steif
und aufgerichtet gehalten habe und an einer den Besitzern
völlig unbekannten Krankheit gestorben sei. Als sie nun
bei der Sektion den Hals und die Kehle untersuchten,
hätten sie mit Erstaunen die Luftröhre an ihrem Stamme
ganz mit Gras angefüllt gefunden, so, als wenn es Jemand
mit Gewalt hineingestopft hätte. Dicsgiebt einen triftigen
Anlass zur Untersuchung, wie eine so grosse Menge Gras
dahin hat gelangen können und wie, nachdem dies ge-
schehen, das Thier noch so lange hat leben können.*^
Derselbe Bekannte zeigte mir noch einen inter-
essanten Arzt in Oxford, welcher Milch in demMenschen-
blute gefunden hat. Nach dessen Erzählung hat ein
Mädchen nach einem etwas reichlieh um 7 Uhr Morgens
eingenommenen Frühstück gegen 11 Uhr Vormittags
5*
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54 XVI, Brief. Oldenbarg an Spinoza.
am Fuss sich zur Ader gelassen ; das erste Blut ist in
eine Schüssel gelassen worden und hat bald nachher
eine weisse Farbe angenommen; das letzte Blut ist in
ein kleineres Geffiss, was sie in England, wenn ich
nicht irre, ^Sawyer^ nennen, geflossen und hat gleich
die Gestalt eines Milchkuchens angenommen. Nach
5 — 6 Stunden ist der Arzt zurückgekommen, hat das
Blut in beiden Gefassen besichtigt und das in der Schüssel
ist halb Blut gewesen und halb speisesaftartig, welcher
Speisesaft, wie die wässrige Flüssigkeit bei der Milch,
im Blute geschwommen habe. In dem kleineren Ge-
fässe sei Alles nur Speisesaft gewesen ohne alles Blut;
als er beide Flüssigkeiten auf dem Feuer erwärmt habe,
seien beide verhärtet. Das Mädchen sei gesund ge-
wesen und habe nur wegen der fehlenden monatlichen
Reinigung zur Ader gelassen ; sonst sei es von blühender
Gesichtsfarbe gewesen.'*)
Ich wende mich zur Politik. Alle Welt spricht
von dem Gerücht, dass die Juden, die seit mehr als
2000 Jahren zerstreut sind, in ihr Vaterland zurück-
kehren wollen. Hier glauben es nur Wenige, aber Viele
wünschen es. Sie werden mir mittheilen, was Sie von
der Sache hören und halten. Ich kann so lange nicht
daran glauben, als die Nachricht nicht von glaubwürdigen
Männern aus Konstantinopel berichtet wird, wo man am
meisten dabei interessirt ist.**^) Ich möchte wissen, was
den Juden in Amsterdam darüber bekannt ist und welche
Wirkung eine solche Nachricht auf sie macht, die, wenn
sie wahr ist, die ganzen Verhältnisse der Welt ver-
ändern dürfte. Auch th eilen Sie mir doch mit, was die
Schweden und Brandenburger jetzt vorhaben.'®)
Ich bleibe, dess seien Sie versichert,
Ihr
ergebener
H. Oldenburg.
London, den 8. Dezember 1665.
P. 8, Was unsere Philosophen über den neu-
lichen Kometen denken, werde ich Ihnen, so Gott will,
bald mittheilen. '^)
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Ueber die theologisch-politische Abhandlung. 55
Siebzehnter Brief (Vom 8. Juni 1675).
Von H. Oldenburg an Spinoza.
Geehrter Freund!
Ich will die gute Gelegenheit benutzen, die mir der
gelehrte Herr Bourgeois bietet. Er ist Doktor der
Medizin in Caen und dem reformirten Glauben zugethan
und will jetzt nach Belgien reisen. Ich theile Ihnen daher
mit, dass ich Ihnen schon vor einigen Wochen meinen
X>ank flir Uebersendung der Abhandlung abgestattet habe ;
indess habe ich sie bis jetzt noch nicht erhalten« Ich bin
zweifelhaft, ob Sie meinen Brief erhalten haben. Ich
hatte darin meine Ansicht über die Abhandlung
ausgesprochen; jetzt nach weiterer und reif-
licher Ueberlegung möchte ich siefür eine vor-
eilige erklären. Damals schien mir manches darin be-
denklich für die Religion, indem ich sie nach dem Maass-
stabe beurtheilte, den der grosse Haufe der Theologen
und die angenommenen Formeln der Konfessionen (welche
nämlich die Spaltung der Parteien nur vergrössem dürf-
ten) darbietet. Wenn ich aber die ganze Sache tiefer
überlege; so überzeugt mich Vieles, dass Sie weit entfernt
sind, etwas zum Schaden der wahren Philosophie zu
unternehmen ; vielmehr ist Ihr Ziel, den ächten Zweck
der christlichen Religion und die göttliche Hoheit und
Vortrefflichkeit einer fruchtbringenden Philosophie zu
empfehlen und zu befestigen. Da ich dies als Ihre Ab-
sicht annehme, so bitte ich Sie inständig. Alles, was Sie
für diesen Zweck jetzt vorbereiten und bedenken, Ihrem
alten und offenherzigen Freunde, welcher einem solchen
Vorhaben den glücklichsten Erfolg wünscht, recht oft
brieflich auseinanderzusetzen. Ich verspreche Ihnen
heilig, von Ihren Mittheilungen, wenn Sie es verlangen,
keinem Sterblichen etwas zu sagen; ich werde mich nur
bemühen, den Sinn der braven und verständigen Männer
allmählich fUr die Aufnahme der von Ihnen in helleres
Licht gestellten Wahrheiten vorzubereiten und die be-
stehenden Vorurtheile gegen Ihre Untersuchungen zu
beseitigen. Täusche ich mich nicht, so scheinen Sie mir
die Natur und Kraft der menschlichen Seele und deren
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56 XVn. Brief. Oldenburg an Spinoza. XVIIL Brief.
Verbindung mit dem Körper tiefer zn dorchschanen.
Theilen Sie mir Ibre Gedanken hierüber mit; ich bitte da-
rum. Leben Sie wohl, vortrefflicher Mann, und bewahren
Sie Ihre Gunst dem Verehrer Ihrer Lehre und Tugend ^2)
H. Oldenburg.
London, den 8. Juni 1675.73)
Achzehnter Brief (Vom 22. Juli 1675).
Von H. Oldenburg an Spinoza.
Nachdem unser brieflicher Verkehr glücklich wieder
hergestellt ist, möchte ich Ihnen, geehrter Herr und
Freund, nicht durch die Unterbrechimg unseres Brief-
wechsels mit meinen guten Diensten fehlen. Aus Ihrer
Antwort, die ich am 5. Juli erhalten habe, ersehe ich,
dass Sie Ihre aus 5 Theilen bestehende Abhandlung"^)
veröffentlichen wollen; gestatten Sie mir daher eine
Bitte, welche ans aufrichtiger Freundschaft kommt,
nämlich nichts darin aufzunehmen, was irgend die
Uebung religiöser Tugend zu schwächen scheinen
könnte; zumal da unser ausgeartetes und lasterhaftes
Zeitalter nach nichts gieriger verlangt als nach solchen
Lehren, deren Folgerungen die herrschenden Laster
anscheinend in Schutz nehmen.
Uebrigens bin ich bereit, einige Exemplare der be-
sagten Abhandlung anzunehmen; ich bitte Sie nur, sie zu
ihrer Zeit an einen gewissen belgischen in London
wohnenden Kaufmann zu adressiren, welcher sie mir
dann überliefern wird. Ich brauchte kein Wort in Be-
zug auf die Art der Uebersendung zu verlieren, wenn es
mir nicht daran läge, dass die Bücher sicher in meine
Hände gelangen. Niemand wird zweifeln, dass ich mit
Vergnügen sie meinen Freunden hie und da mittheilen
und den richtigen Preis dafür einziehen werde. Leben Sie
wohl und schreiben Sie mir, wenn Sie Müsse dazu haben.
Ihr
ergebener
H. Oldenburg.
London, den 12. Juli 1675.
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Die yerhinderte Herausgabe von Spinoza's Ethik. 57
Neunzehnter Brief (Vom Sept. oder Okt. 1675).
Von Spinoza an H. Oldenburg.
(Die Antwort auf den vorstehenden Brief.)
Geehrter und werther Freund!
Als ich Ihren Brief vom 22. Juli erhielt, war ich in
Amsterdam, um das Buch, wovon ich Ihnen geschrieben
hatte, drucken zu lassen. Während ich dies dort be-
trieb, wurde das Gerücht verbreitet, dass ein Buch von mir
über Gott unter der Presse sei, in dem ich zeige, dass
es keinen Gott gebe. Die Meisten glaubten an das Ge-
rücht und einige Theologen (die Urheber dieses Gerüchts)
nahmen davon Veranlassung, sich bei dem Fürsten und
dem Stadtrat!! über mich zu beklagen. Dabei nnterliessen
die thörichten Anhänger des Descartes nicht, fort-
während meine Ansichten und Schriften zu verwünschen,
um den Verdacht abzuwenden, als wären sie mirzugethan.
Selbst jetzt fahren sie damit fort und als ich dies durch
glaubwürdige Männer erfuhr und mir versichert wurde,
dass die Theologen mir überall nachstellten, so beschloss
ich, die Herausgabe zu verschieben, bis ich sähe, wo die
Sache hinaus wolle, und weil ich Ihren mir gegebenen
Rath befolgen wollte, wie ich Ihnen mitgetheilt hatte.
Indess wird die Angelegenheit täglich schlimmer und
dabei bin ich ungewiss, was ich thun soll. Doch habe
ich deshalb meine Antwort auf Ihren Brief nicht länger
aufschieben wollen und so danke ich Ihnen zunächst sehr
für die freundschaftlichen Ermahnungen, bitte aber, sie
mir näher auseinanderzusetzen, damit ich die Sätze
kennen lerne, welche der Ausübung der religiösen Tugend
Schaden bringen könnten. Denn mir scheint das, was mit
der Vernunft stimmt, auch der Tugend am meisten zu
nützen. Ferner bitte ich, wenn es Sie nicht belästigt, mir
die Stellen in der theologisch-politischen Abhandlung
zu bezeichnen, welche den Gelehrten bedenklich
scheinen. Ich möchte nämlich diese Abhandlung in
Anmerkungen erläutern und diese Vorurtheile, wo mög-
lich, beseitigen. Leben Sie wohl.
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58 ^X. Brief. Oldenburg an Spinoza. XXI. Brief.
Zwanzigster Brief. (Vom 15. November 1675)
Von H. Oldenburg ^ Spinoza.
Wie ich aus Ihrem letzten Briefe ersehe, schwebt
die Herausgabe Ihres für das Publikum bestimmten
Buches in Gefahr. Ich kann Ihren Plan nur billigen,
wonach Sie die Stellen Ihrer theolo^sch-politischen Ab-
handlung, welche bei den Lesern Anstoss erregt haben,
erläutern und mildem wollen. Es sind vorstiglicb die
Stellen, wo in zweideutiger Weise von Gott und der
Natur gesprochen wird; die Meisten meinen, dass Sie
beide fUr identisch hinstellen. Auch scheinen Sie Vielen
die Glaubwürdigkeit und den Werth der Wunder aufzu-
heben, obgleich es bei allen Christen feststeht, dass nur
auf ihnen die Gewissheit der göttlichen Offenbanmg be-
ruht. Auch sagt man, dass Sie Ihre wahre Meinung über
Jesus Christus, den Erlöser der Welt und den alleinigen
Mittler der Menschen, sowie über dessen Fleischwerdnng
und Genugthuimg verhüllen. Man verlangt, dass Sie über
diese drei Punkte sich deutlich und offen aussprechen.
Wenn Sie dies th&ten und damit die aufrichtigen und
einsichtigen Christen beruhigten, so würden Sie nach
meiner Ansicht in Ihren Angelegenheiten unbehelligt
bleiben. '^^) Dies habe ich Ihnen kurz mittheilen wollen,
und verbleibe Ihnen ergeben. Leben Sie wohl.
Geschrieben am 16. November 1675.
(Lassen Sie mich bald mit einem Worte wissen,
ob Sie diese Zeilen richtig erhalten haben.)
Einundzwanzigster Brief (Vom Novemb. 1675).
Von Spinoza an H. Oldenburg.
(Die Antwort auf den vorstehenden Brief.)
Geehrter Herr.
Ihren kurzen Brief vom 15. November habe ich ver-
gangenen Sonnabend erhalten. Sie deuten darin nor die
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Gott und die Natur. Die Wunder. 59
Stellen dertheologisch-poUtischen Abhandlung an, welche
die Leser verletzt haben, während ich doch auch die An-
sichten zu erfahren hofiPte, die, wie Sie vorher bemerkt
haben, anscheinend die Ausübung der religiösen Tugend
schwächen könnten. Um Ihnen indess meine Meinung
über jene drei Punkte nicht vorzuenthalten, so gestehe
ich, dass ich über Gott und die Natur eine Ansicht habe,
welche von der der neueren Christen sehr abweicht. Ich
erkenne nämlich Gott als die einwohnende Ursache aller
Dinge und nicht als eine ihnen äusserliche Ursache an.
Alles, sage ich, ist in Gott, und bewegt sich in Gott ; ich
behaupte es mit Paulus und vielleicht mit allen alten
Philosophen, wenn auch in einem anderen Sinne; ja ich
möchte selbst sagen : mit allen alten Juden, soweit sich
nach den alten, freilich sehr verflilschten Ueberlieferungen
urtheilen lässt. Wenn indess Einzelne meinen, dass die
theologisch-politische Abhandlung auf der Identität von
Gott und Natur beruhe (wobei sie unter Natur eine Art
Masse oder körperlichen Stoff verstehen), so sind sie
gänzlich im Irrthume. '**) In Bezug auf die Wunder bin
ich dagegen überzeugt, dass die Gewissheit der göttlichen
Offenbarung lediglich aus der Weisheit der Lehre, aber
nicht aus Wundem, d. h. aus der Unwissenheit abgeleitet
werden kann, wie ich ausführlich im 6. Kapitel über die
Wunder dargelegt habe. Ich füge hier nur bei, dass
Religion und Aberglaube nach meiner Ansicht sich vor-
züglich dadurch unterscheiden, dass dieser sich auf die
Unwissenheit und jene auf die Weisheit als Grundlage
stützt Dies ist auch der Grund, weshalb die Christen
sich nicht durch Treue, Nächstenliebe und andere Früchte
des heiligen Geistes, sondern nur durch Meinungen von
Anderen unterscheiden; denn sie stützen sich, wie alle
Anderen, nur auf die Wunder, d. h. auf die Unwissenheit,
welche die Quelle alles Bösen ist und sie verwandeln
damit den wahren Glauben in Aberglauben. Doch zweifle
ich sehr, ob die Könige je es gestatten werden, Mittel
gegen diesen Aberglauben anzuwenden. Um Ihnen end-
lich auch über den dritten Punkt meine Ansicht mitzu-
theilen, so ist nach meiner Ansicht zum Heile der Men-
schen nicht nöthig, dass sie Christus nach dem Fleische
kennen; vielmehr muss man von dem ewigen Sohne
Gottes, d. h. von der ewigen Weisheit Gottes, die sich in
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60 X^- Brief. Sp. aa Oldenb. XXII. Brief. Oldenb. an Sp.
allen Dingen, hauptsfichlich aber in der mensehlichen
Vernunft und vor allem am meisten in Jesu Christo
offenbart hat, ganz anders denken. Niemand kann ohne
diese Weisheit znm Stand der Seligkeit gelangen; denn
nur sie lehrt, was wahr und was falsch, was gut und
was böse ist. Weil diese Weisheit, wie gesagt, durch
Jesus Christus am meisten offenbart worden ist, des-
halb haben seine Jünger, soweit sie ihnen von ihm
offenbart worden, gepredigt und gezeigt, dass sie sich
dieses Geistes Christi vor den Anderen rühmen können.
Wenn dann einzelne Kirchen noch hinzufögen, dass
Gott die Menschennatur angenommen habe, so habe ich
ausdrücklich gesagt, dass ich nicht verstehe, was sie
sagen; vielmehr scheinen sie mir, offen gestanden,
ebenso verkehrt zu sprechen, als wenn Jemand mir
sagte, dass der Kreis die Natur des Vierecks angenom-
men habe. Dies wird zur Erläuterung meiner Meinung
über diese drei Punkte gentigen; ob es aber den Ihnen
bekannten Christen gefallen wird, werden Sie am besten
beurtheilen können. Leben Sie wohl.")
Zweiundzwanzigster Brief (Vom 16. Dec. 1675).
Von H. Oldenburg an Spinoza.
(Die Antwort auf den vorstehenden Brief.)
Wenn Sie mich der zu grossen Kürze angeklagt haben,
so will ich es diesmal durch übertriebene Ausführlichkeit
wieder gut machen. Sie erwarteten, wie ich sehe, eine
Aufzählung der Ansichten in Ihren Schriften, welche deren
Lesern die Uebnng der religiösen Tugend erschüttern
dürften ; ich werde daher sagen, was dieselben am meisten
bedrückt. Sie scheinen eine fatalistische Nothwendigkeit
aller Dinge und Handlungen anzunehmen und Ihre Leser
glauben, dass, wenn man dies gestattet und behauptet, da-
mit der Nerv aller Gesetze sowie aller Tugend und
Religion durchschnitten sei und aller Lohn und Strafe
nutzlos werde. Dieser Zwang und diese Nothwendigkeit
gilt, wie Jene meinen, auch als Entschuldigung; deshalb
wird vor Gottes Angesicht Keiner unentschuldbar sein.
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Wunder und Unwiesenheit. 61
Wenn das Schicksal uns führt, und wenn Alles mit har-
ter und geschlossener Hand auf festen und unausweich-
lichen Wegen geführt wird, so können Ihre Leser nicht
begreifen, wo da noch Kaum für Schuld und Strafe blei-
ben könne. Welcher Keil für diesen Knoten anwendbar,
ist fürwahr schwer zu sagen. Wenn Sie eine Hülfe in
dieser Frage bieten können, so bitte ich, sie mich wissen
und kennen lernen zu lassen.
In Bezug auf Ihre Ansicht, die Sie mir über die drei
von mir bezeichneten Punkte eröffnet haben, erheben sich
mancherlei Fragen. Zunächst, in welchem Sinne Sie die
Wunder und die Unwissenheit für gleichbedeutend
und für ein und dasselbe halten, was nach Ihrem letzten
Briefe der Fall zu sein scheint. Denn die Erweckung des
Lazarus von den Todten und die Wiederauferstehung
Jesu Christi von den Todten scheinen alle Kräfte der er-
schaffenen Natur zu übersteigen und nur der göttlichen
Macht möglich, und dasjenige zeigt von keiner schuldba-
ren Unwissenheit, was nothwendig die Grenzen eines end-
lichen Verstandes, der in feste Schranken eingeschlossen
ist, übersteigt. Meinen Sie nicht, dass es dem erschaffe-
nen Verstände und der Wissenschaft ansteht, eine solche
Wissenschaft und Macht des unerschaffenen Vei-standes
und höchsten Wesens anzuerkennen, die selbst das durch-
dringen und vollftihren kann, wovon weder die Ursache
noch die Art und Weise von uns schwachen Menschen
angegeben uud erklärt werden kann? Wir sind Menschen
und deshalb ist alles Menschliche von uns nicht abzuwei-
sen. Wenn Sie ferner gestehen, dass Sie nicht fassen
können, wie Gott wirklich die menschliche Natur hat an-
nehmen können, so kann man mit Recht Sie fragen, wie
Sie die Stellen unseres Evangeliums und des Bnefes an
die Hebräer verstehen, von welchen die ersteren sagen :
„dass das Wort Fleisch geworden," und die letztere : „der
„Sohn Gottes habe nicht die Engelsnatur, sondern den
„Samen Abraham's angenommen." Der ganze Zusammen-
hang des Evangeliums führt, meine ich, dahin, dass der
eingeborene Sohn Gottes, der Xoyo; (welcher Gott und bei
Gott war), sich in menschlicher Natur gezeigt hat und als
Lösegeld (a»mXuTpov) für unsere Sünden in das Leiden
und den Tod gegangen ist. Ich bitte Sie, uns zu beleh-
ren, was über diese und andere Punkte zu sagen ist, ohne
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62 XXII. Brief. Oldenb. an Spinoza. XXin.Br. Sp.anOldenb.
die Wahrheit des Evangeliums und der christlichen
Religion, der Sie wohl zugethan sind, zu erschüttern.
Ich wollte Ihnen noch mehr schreiben, allein uner-
wartete Freunde unterbrechen mich, und ich kann sie
nicht abweisen. Indess wird schon das, was ich hier
angeführt habe, geniigen und möglicherweise Ihnen
als Philosophen nicht behagen. — Leben Sie also wohl
und glauben Sie, dass ich ein beständiger Verehrer
Ihrer Gelehrsamkeit und Wissenschaft bleibe.
London, den 16. Dezember 1675.
Dreiundzwaiizigster Brief (Vom Anfang des
Januar 1676).
Von Spinoza an H. Oldenburg.
(Antwort auf den vorstehenden Brief.)
Geehrter Herr!
Endlich weiss ich, was ich nach Ihrem Verlangen
nicht öffentlich bekannt machen sollte; allein es bildet
die vornehmste Grundlage von Allem, was die zu ver-
öffentlichende Abhandlung ^^) enthält; ich möchte daher
kurz erklären, in welcher Weise ich die Schicksals-
Nothwendigkeit aller Dinge und Handlungen annehme.
Ich unterwerfe nämlich Gott in keiner Weise diesem
Schicksal, sondern ich nehme nur an, dass Alles mit
unvermeidlicher Nothwendigkeit aus Gottes Natur so
folgt, wie Alle annehmen, dass aus dieser Natur Gottes
folgt, dass Gott sich selbst kennt. Niemand leugnet,
dass dies aus Gottes Natur nothwendig folgt, und
doch nimmt Niemand an, Gott sei durch das Schicksal
hierbei gezwungen; viehnehr erkenne er, trotz der
Nothwendigkeit, durchaus frei sich selbst.'*)
Auch hebt diese unvermeidliche Nothwendigkeit der
Dinge weder das göttliche noch menschliche Recht auf.
Denn mögen die moralischen Vorschriften die Gestalt des
Gesetzes oder der Pflicht von Gott selbst empfangen oder
nicht, so bleiben sie doch göttlich und heilsam, und mag
das Gute, was aus der Tugend und Liebe zu Gott folgt,
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Die Nothwendigkoit. Die Wunder. Die Auferatehang. 63
von Gott als einem Richter kommen, oder aus der Noth-
wendigkeit der göttlichen Natur sich ergeben, so bleibt
es deshalb gleich wünschenswerth, wie umgekehrt die
Uebel, welche aus schlechten Handlungen und Leiden-
schaften folgen, deshalb, weil dies mit Nothwendigkeit
geschieht, nicht weniger zu fürchten sind. Mögen wir
das, was wir thun, nothwendig oder zuföllig thun, so
werden wir doch durch Hoffnung und Furcht getrieben.
Femer sind die Menschen vor Gott aus keinem an-
deren Grunde entschuldbar, als weil sie in seiner Macht
sind, wie derThon in der Macht des Töpfers, der aus
derselben Masse Gefässe macht, die einen zu Ehren, die
andern zu Unehren. *'^) Wenn Sie dem nur ein wenig
Aufmerksamkeit schenken, so werden Sie sicherlich
leicht auf alle die Gegengründe antworten können,
welche man dieser Ansicht entgegenstellt, wie schon
Viele es bei mir erfahren haben. ^*>)
Die Wunder und die Unwissenheit habe ich für
gleichbedeutend angenommen, weil Die, welche Gottes
Dasein und die Religion auf die Wunder stützen, eine
dunkle Sache durch eine noch dunklere, die sie gar nicht
kennen, darlegen wollen und so eine neue Art zu be-
weisen einführen^ wobei Sie die Sache nicht auf die Un-
möglichkeit, sondern auf die Unkenntniss zurückföhren."^)
Uebrigens habe ich meine Meinung über die Wunder ge-
nügend, wenn ich nicht irre, in der theologisch-politischen
Abhandlung ausgesprochen. Dem füge ich nur hinzu,
dass, wenn Sie darauf Acht haben, wie Christus nicht
der Kathsversammlung, nicht dem Pilatus und keinem
Ungläubigen, sondern nur den Heiligen erschienen ist«
wieGott weder eine Rechte noch eine Linke hat, wie er
nicht an einem Orte, sondern überall seinem Wesen nach
ist, wie der Stoff überall derselbe ist, und wie Gott ausser-
halb der Welt in einem eingebildeten Räume, den sie an-
nehmen, sich nicht offenbart , und wie endlich die Ver-
bindung des menschlichen Körpers blos durch das Ge-
wicht der Luft in feste Schranken gehalten wird, so
werden sie leicht erkennen, dass £ese Erscheinung
Christi ganz der gleicht, wo Gott dem Abraham er-
schien, als dieser Menschen sah, die er zu sich zur
Mahlzeit einlud. Sie werden mir aber sagen, dass alle
Apostel geglaubt haben, dass Christus von dem Tode
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64 XXIII. Brief. Spinoza an Oldenburg.
auferstanden und wahrhaft gen Himmel gefahren sei.
Dies leugne ich nicht; auch Abraham hat geglaubt, dass
Gott bei ihm gespeist habe, und alle Juden haben ge-
glaubt) dass Gott im Feuer vom Himmel auf den Berg
Sinai herabgekommen und unmittelbar mit ihnen ge-
sprochen habe, obgleich doch dies und viele andere Er-
dichtungen oder Offenbarungen nur der Fassungskraft
und den Meinungen Derer anbequemt worden sind, wel-
chen Gott seinen Willen dadurch offenbaren wollte. Dar-
aus schliesse ich, dass die Auferstehung Christi von den
Todten in Wahrheit eine geistige gewesen und nur den
Gläubigen nach ihrer Fassungskraft offenbart worden ist,
nämlich, dass Christus mit der Ewigkeit begabt gewesen
und von den Todten (die Todten nehme ich hier in dem
Sinne, wie Cliristus sagte: „Lasst die Todten ihre Todten
begraben") 8« b) auferstanden ist, und zugleich im Leben
wie im Tode das Beispiel vorzüglicher Heiligkeit gegeben
hat. *•) So weit erweckt er seine Schüler von den Tod-
ten, als diese selbst diesem Beispiel im Leben und Tode
nachfolgen. Es wäre nieht sekwec, die gaose Lehre des
Evangeliums nach dieser Annahme zu erklären. Das
15. Kapitel vom ersten Briefe an die Korinther kann
nur bei dieser Annahme erklärt so wie Pauli Gründe ver-
standen werden, während sie nach der gewöhnlichen An-
nahme sehr schwach erscheinen und leicht sich wider-
legen lassen; wobei ich noch unerwähnt lasse, dass über-
haupt die Christen das, was die Juden fleischlich auf-
fassen, in geistigem Sinne verstehen. Die Schwäche des
Menschen erkenne ich übrigens mit Ihnen an. Allein
ich frage Sie, ob wir schwachen Menschen eine so grosse
Kenntniss der Natur besitzen, um bestimmen zu können,
wie weit ihre Kraft und Macht sich erstreckt, und was
ihre Kraft übersteigt? Da Niemand ohne Ueberhebung
solche Kenntniss beanspruchen kann, so darf man ohne
Eitelkeit die Wunder möglichst aus natürlichen Ursachen
erklären ; und wenn man Einzelnes nicht erklären und
auch nicht beweisen kann, weil es widersinnig ist, so
ist es rathsamer, sein Urtheil darüber zurückzuhalten
und die Religion, wie ich gesagt, nur auf die Weisheit
Gottes zu gründen. ^^ Sie meinen endlich, dass die
Steilen aus dem Evangelium Johannis und aus dem Briefe
an die Hebräer meinen Ansichten entgegenstehen; allein
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Nothwendigkeit oder Freiheit. 65
dies kommt nur davon, dass Sie die Wendungen orien-
talischer Sprachen mit dem Maasse der europäischen
Sprachweise messen; und wenn auch Johannes sein Evan-
gelium griechisch geschrieben hat, so ist es doch in he-
bräischem Stile abgefasst. Sei dem also, wie ihm wolle,
so frage ich, ob Sie glauben, dass, wenn die Schrift sagt,
Gott habe in einer Wolke sich offenbaret oder habe in
dem Zelte oder im Tempel gewohnt, Gott da selbst die
Natur einer Wolke oder eines Zeltes oder Tempels an-
genommen habe? Da ist vielmehr die Hauptsache, was
Christus von sich gesagt, nämlich dass er der Tempel
Gottes sei, **^ ) weil, wie ich oben bemerkt, Gott sich
vorzüglich in Christus offenbaii; hat, was Johannes in
seiner kräftigem Sprachweise so ausdrückt: Das Wort
ist Fleisch geworden. Doch genug davon. ^)
Vierundzwanzigster Brief (Vom 14. Jan. 1676).
Von H. Oldenburg an Spinoza.
„Recht handeln.^
(Die Antwort auf den vorstehenden Brief)
Sie haben es getroffen, wenn Sie annehmen^ cFass ich
deshalb jene Schicksals-Noth wendigkeit aUer Dinge nicht
verbreitet haben möchte, weil Sie die Uebung derTugend
schädigen und den Werth von Ijoitn und Strafe vernich-
ten würde. Was Sie in ihr«m letzten Briefe darüber
anfuhren, scheint mir die Frage noch nicht zu erledigen
und kann die Gemüther der Menschen nicht beruhigen.
Sind wir Menschen bei allen unseren Handlungen, und
zwar bei den moralischen ebenso wie bei den natür-
lichen, so in Gottes Gewalt wie der Thon in der Hand
des Töpfers, so frage ich, mit welcher Stirn kann man
noch Jemand von uns anklagen, dass er so oder anders
gehandelt habe, da es ihm überhaupt unmöglich war, an-
ders, als wie geschehen, zu handeln? Können wir dann
nicht Alle in gleicherweise Gott entgegnen: „Dein un-
beugsames Schicksal und Deine unwiderstehliche Macht
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66 XXIV. Brief. Oldenburg an Spinoza.
hat uns so zn handeln genöthigt, und wir haben nicht
anders gekonnt; weshalb legst Du uns also so harte
Strafen auf, da wir sie doch nicht vermeiden konnten,
wenn Du Alles aus höchster Nothwendigkeit nach Dei-
nem Belieben und Gefallen wirkst und leitest?^ Wenn
Sie sagen, die Menschen seien vor Gott nur deshalb
unentschuldbar, weil Sie in Gottes Macht sind, so
möchte ich diesen Grund umkehren und mit mehr Recht,
wie ich glaube, erwidern, dass gerade deshalb die
Menschen entschuldbar sind, weil sie in Gottes Gewalt
sind; denn der Einwand liegt auf der Hand: „Deine
Macht, 0 Gott, ist unwiderstehlich; deshalb bin ich
mit Recht zu entschuldigen, da ich nicht anders han-
deln konnte!'* ■»)
Wenn Sie endlich auch jetzt noch die Wunder
und die Unwissenheit für gleichbedeutend ansehen, so
scheinen Sie die Macht Gottes und der Menschen, selbst
der klügsten, in dieselben Grenzen einzuschliessen;
als wenn Gott nichts thun und hervorbringen könnte,
wofür die Menschen nicht den Grund angeben könnten,
wenn sie ihre geistigen Kräfte nur anstrengen wollten. ^)
Ueberdem ist die Geschichte von Christi Leiden, Tod^
Begräbniss und Auferstehung mit so lebhaften und
wahren Farben geschildert, dass ich Sie wohl auf Ihr
Gewissen fragen darf, ob Sie dies allegorisch oder
nicht vielmehr wörtlich verstehen, sobald Sie nur von
der Wahrheit der Geschichte überzeugt sind? Die
Nebenumstände, welche von den Evangelisten hierbei
so deutlich erzählt worden sind, scheinen durchaus
dahin zu drängen, dass man die Erzählung wörtlich
zu nehmen hat. Dies Wenige habe ich bei diesem
Punkt bemerken wollen und ich bitte, dass Sie es mir
vergeben und mir mit Ihrer Offenheit freundlichst ant-
worten.
Ueber die jetzigen Arbeiten der Königl. Sozietät
ein ander Mal. Leben Sie wohl und behalten Sie
mich lieb.
London, den 14. Januar 1676.
Digitized by VjOOQIC
lieber Nothwendigkeit und Schuld. g7
Fun fundz wanzigster Brief (Kurze Zeit nach
dem Januar 1676 geschrieben).
Von Spinoza an H. Oldenburg.
(Die Antwort auf den vorstehenden Brief.)
Geehrter Herr!
Wenn ich in meinem vorigen Briefe gesagt habe,
dass wir deshalb unentschuldbar seien, weil wir in Gottes
Macht so wären, wie der Thon in der Hand des Töpfers,
so habe ich es in dem Sinne gemeint, dass Niemand Gott
es vorwerfen kann, er habe uns eine schwache Natur und
eine ohnmächtige Seele gegeben.^) So widersinnig als
die Klage eines Kreises sein würde, dass ihm Gott nicht
die Eigenschaften einer Kugel zugetheilt, oder die Klage
eines Kindes, das am Steine leidet, dass Gott ihm nicht
einen gesunden Körper gegeben habe, so widersinnig
würde es sein, wenn der geistig schwache Mensch sich
beklagen wollte, dass Gott ihm die Geistesstärke und die
wahre Erkenntniss und Liebe Gottes selbst versagt habe,
und ihm eine so schwache Natur gegeben habe, dass er
seine Begierden weder hemmen noch massigen könne.
Denn der Natur jedes Dinges kommt nur das zu, was
ans seiner Ursache nothwendig folgt. Dass es nun aber
nicht zu jedes Menschen Natur gehört, starken Geistes
zu sein, und dass ein gesunder Körper nicht mehr in
unserer Macht steht, wie eine gesunde Seele, kann Nie-
mand bestreiten, wenn er nicht die Erfahrung und Ver-
nunft verleugnen will.
Sie sagen jedoch: Wenn die Menschen aus der Noth-
wendigkeit ihrer Natur sündigen, so sind sie zu entschul-
digen; aber Sie erklären sich nicht, was Sie daraus fol-
gern wollen, nämlich ob Gott nicht auf sie zürnen kann,
oder ob sie der Seligkeit, d. h. der Erkenntniss und Liebe
Gottes würdig sind. Meinen Sie Ersteres, so gebe ich
durchaus zu, dass Gott nicht zürnt, da Alles nur nach
seinem Willen geschieht; aber ich bestreite, dass deshalb
Alle selig weraen müssen; denn die Menschen können
entschuldbar sein und doch der Seligkeit entbehren und
Spinoza, Briefe. oigtiSdbyV^OOgie
gg XXV. Brief. Spinoza an Oldenburg.
vielerlei Schmerzen leiden. Denn das Pferd bat keine
Schuld, dass es ein Pferd und kein Mensch ist; trotzdem
muss es aber ein Pferd und kein Mensch sein, und wer
durch den Hundebiss toll wird, ist zwar ohne Schuld,
aber wird doch mit Recht getödtet, und wer seine Be
gierden nicht regeln und durch die Furcht vor dem Ge-
setz nicht zügeln kann, ist zwar wegen seiner Schw^fiche
zu entschuldigen, aber er kann sich nicht der Gemüths-
ruhe und der Erkenntniss und Liebe Gottes erfreuen,
sondern geht nothwendig zu Grunde.^) Auch brauche
ich wohl dabei nicht zu erinnern, dass wenn die Schrift
sagt, Gott zürne über die Sünder und sei ein Richter, der
über die Handlungen der Menschen erkenne, entscheide
und urtheile, dies nach menschlicher Weise und nach
der gewohnten Weise der Menge geschieht; denn die
Schrift will keine Philosophie lehren, und die Menschen
nicht gelehrt, sondern gehorsam machen.
Weshalb ich übrigens deshalb, weil ich die Wunder
und die Unwissenheit für gleichbedeutend ansehe, die
Macht Gottes und die Keuntntss der Menschen in die-
selben Grenzen einschliessen soll, sehe ich nicht ein.
Uebrigens nehme ich mit Ihnen das Leiden, den Tod
und das Begräbniss Christi im wörtlichen Sinne; aber
seine Wiederauferstehung nur im allegorischen Sinne;
Allerdings erzählen die Evangelisten sie mit solchen
Nebenumständen, dass man nicht bestreiten kann, wie
sie selbst geglaubt haben, Christus sei körperlich wieder
auferstanden, ^en Himmel gefahren und sitze zur Rech-
ten Gottes, und wie diese Vorgänge von den Ungläubigen
ebenfalls hätten gesehen werden können, wenn sie da
mit dabei gewesen wären, wo Christus seinen Jüngern
erschienen ist. Indess konnten diese unbeschadet der
christlichen Lehre hierin sich täuschen, wie dies auch
andern Propheten so gegangen ist, w^ovon ich in dem
Vorgehenden Beispiele gegeben habe. Dagegen rühmt
sich Paulus, welchem Christus nachher auch erschienen
ist, dass er Christus nicht seinem Fleische, sondern sei-
nem Geiste nach erkannt habe. ^^^ Leben Sie wohl,
verehrter Herr, und seien Sie meines Eifers und meiner
Liebe zu Ihnen in allen Dingen versichert.®)
y Google
Begriff der Definitionen. 69
S e chaundz wanzigsterBrief (Vom 24.Feb. 1663).
Von Simon V. Vrles^) an Spinoza.
Liebster Freund!
Schon längst wollte ich bei Ihnen sein; nur die
Jahreszeit und der harte Winter waren mir nicht gün-
stig. öOa) Wenn ich indess auch körperlich fem von
Ihnen bin, so sind Sie doch im Geiste um- oft gegen-
wärtig, namentlich wenn ich Ihre Schriften in die Hand
nehme und darin verweile. Da jedoch mir bei den De-
finitionen nicht Alles klar ist, so habe ich mich, Ihrer
eingedenk, zu diesem Briefe entschlossen. Ich habe frü-
her Herrn Borell,***») einen Mathematiker von scharfem
Geist, hierüber befragt, und dieser schreibt mir Folgen-
des: ^Die Definitionen dienen bei den Beweisen als Prfi-
^missen. Man muss sie deshalb als selbstverstlindlich
„anerkennen; sonst kann eine wissenschaftliche oder ge-
„ wisse Erkenntniss durch sie nicht gewonnen werden.^ ^i)
Und an einer andern Stelle sagt er: „Man darf nicht
„leichthin, sondern mit der höchsten Vorsicht die Art
„des Aufbaues auswählen, d. h. den wesentlichen und
„bekanntesten ersten Zustand eines Gegenstandes. Denn
„wenn die Konstruktion und der angeführte Zustand un-
„möglich ist, so giebt e^ keine wissenschaftliche Defini-
„tion. Wenn z. B. Jemand sagte : Zwei gerade Linien,
„welche einen Kaum einschliessen, heissen figurenhafte,
„so wäre dies eine Definition von einem Nicht-Dinge, und
„es wäre unmöglich; man würde deshalb vielmehr Unr
„kenntniss als £rkenntniss daraus ableiten. Ist ferne -
„der Aufbau oder der genannte Zustand zwar möglich
„und wahr, aber von uns nicht erkannt oder uns zwei-
„felhaft, so ^ebt es auch keine gute Definition, da die
„Folgerungen aus Unbekanntem und Zweifelhaftem eben-
„falls ungewiss und zweifelhaft sein werden, und daher
„nurVermuthnngen und Meinungen, aber keine sichere
„Wissenschaft ergeben.*'
Indess scheint Tacquet^) damit nicht übereinzu-
stimmen, welcher meint, dass man auch von einem fal-
schen Satze zu einer wahren Konklusion gelangen könne,
6*
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70 XXVl. Brief. V. Vriös an Spmosia.
wie Ihnen bekannt ist. Dagegen sagt Clav ins ^), des-
sen Ansicht er ebenfalls erwähnt: „Definitionen sind
„Kunstworte, und man braucht keinen Grund dafür au-
szugeben, weshalb ein Gegenstand so oder anders de-
„finirt werde ; es genügt, wenn die definirte Bestimmung
„einem Gegenstande nur erst beigelegt wird, -wenn
„bewiesen worden, dass sie ihm beiwohne." W)
Das, was Borellus sagt, wonach die Definition
eines Gegenstandes aus einem ersten und wesentlichen
Zustand oder Aufbau bestehen müsse, scheint mir am
klarsten und richtigsten. Dagegen meint Clavius, es
sei gleichgültig, ob der Zustand der erste oder be-
kannteste oder der wahre sei oder nicht, wenn nur die
bezeichnete Definition keinem Gegenstande eher bei-
gelegt werde, bevor es bewiesen worden.
Ich würde die Ansicht des Borellus der des Clavias
vorziehen; aber ich weiss nicht, welcher Sie beistimmen,
oder ob Sie keiner von Beiden zustimmen. Da ich in
solche Schwierigkeiten über die Natur der Definitionen,
welche zu den Grundlagen der Beweise gehören, gerathen
bin, und ich mich nicht herauswinden kann, so wünsche
und bitte ich gar sehr, dass Sie mir, wenn Ihre Geschäfte
und Ihre Müsse es gestatten, Ihre Ansicht hierüber geflKl-
ligst mittheilen und zugleich angeben, wie sich die Axiome
von den Definitionen unterscheiden. Borellus nimmt hier
nur einen Unterschied in Worten an; allein ich glaube,
Sie sind anderer Ansicht. Femer verstehe ich die dritte
Definition nicht. ^) Ich entsinne mich, dass Sie mir im
Haag sagten, jede Sache könne auf zwiefache Weise be-
trachtet werden; entweder so, wie sie an sich ist, oder
so, wie sie auf Anderes sich bezieht. So kann z. B. der
Verstand unter dem Denken aufgefasst werden, oder als
aus Vorstellungen bestehend. Aber ich kann hier den
Unterschied nicht finden; denn wenn ich das Denken ;
richtig aufiksse, so muss ich es unter die Vorstellungen i
befassen, weil das Denken nothwendig zerstört wird, j
wenn ich alle Vorstellungen aus ihm entferne; da ich '
kein deutliches Beispiel zu dieser Frage habe, bleibt mir
die Sache etwas dunkel und bedarf einer weitem Erklfi- |
rung. ö6) Endlich sagen Sie in der Erläutemng zu Lehr-
satz 10, Th. I. im Anfange : ^Hieraus erhellt, dass, wenn-
„gleich zwei Attribute als wirklich verschieden, d. h.
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Substanz; Attribute. 71
„eines ohne die Hülfe des andern vorgestellt werden,
^uian deshalb doch nicht schliessen kann, dass sie zwei
^Dinge oder zwei verschiedene Substanzen seien. Denn
^die Substanz hat die Natur, dass jedes ihrer Attri-
„bute für sich vorgestellt wird, da alle Attribute, welche
^sie hat, zugleich in ihr gewesen sind.^ Sie scheinen
hier anzunehmen, die Natur der Substanz sei so
beschaffen, dass sie mehrere Attribute haben könne.
Dies ist aber noch nicht bewiesen, wenn man nicht
die Definition 6 der unbedingt unendlichen Substanz
oder Gottes so ansieht. Nimmt man dagegen an, dass jede
Substanz nur ein Attribut habe, so könnte ich, wenn ich
zwei Vorstellungen von zwei Attributen hätte, mit Recht
schliessen, dass, wo zwei verschiedene Attribute sind,
auch zwei verschiedene Substanzen seien. Auch hier-
über bitte ich Sie um eine deutlichere Erklärung.
Ich schliesse, geehrter Herr, und erwarte Ihre Ant-
wort mit erster Gelegenheit.*^)
Ihr
ergebener
S. J. von Vries.
Amsterdam, den 24. Febr. 1663.
Siebenundzwanzigster Brief (Bald nach dem
24 Februar 1663 geschrieben).
Von Spinoza an Simon von Vries.
(Die Antwort auf den vorBtehenden Brief.)
Verehrter Freund! •'*»)
Was die von Ihnen gestellten Fragen anlang^., so
kommen Ihre Bedenken davon, dass Sie die Arten der
Definitionen nicht unterscheiden; die eine dient zur
Erklärung des Gegenstandes, dessen Wesen allein man
sucht, und worüber allein man zweifelt ; die andere wird
nur aufgestellt, damit man sie prüfe; denn die, welche
einen besimmten Gegenstand betrifft, muss wahr sein,
während dies bei der andern nicht erforderlich ist. Wenn
z. B. Jemand von mir eine Beschreibung von Salomon's
Tempel verlangt, so muss ich ihm die wahre geben, wenn
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72 XXVn. Brief. Spinoza an v. Vrios.
ich nicht mit ihm scherzen will. Habe ich mir dagegen
einen Tempel in meinem Kopfe ausgedacht, den ich bauen
will, und aus dessen Beschreibung ich schliesse, dass ich
dazu mir ein Grundstück von solcher Grösse, so viel tau-
send Ziegel und andere Materialien kaufen mttsse, wird
da ein vernünftiger Mensch mir sagen, ich hätte schlecht
geschlossen, weil ich vielleicht' eine falsche Definition
benutzt habe? Oder wird da Jemand verlangen, ich solle
meine Definition beweisen? Das hiesse nichts anderes,
als dass ich das, was ich gedacht, nicht gedacht hätte,
oder ich solle von dem, was ich gedacht, beweisen, dass
ich es gedacht hätte; was nur Possen wären. Deshalb
erklärt entweder die Definition einen Gegenstand, wie er
ausserhalb des Denkens besteht; dann muss sie wahr
sein, und sie unterscheidet sich dann von den Tjehrsätzen
oder Axiomen nur darin, dass die Definition blos das
Wesen der Dinge oder ihrer Zustände betriflft, während
die Lehrsätze und Axiome sich weiter und auch auf die
ewigen Wahrheiten erstrecken. •■) Die andere Art der
Definition erklärt eine Sache, wie man sie vorstellt, oder
vorstellen kann, und dann unterscheidet sie sich von den
Axiomen und Lehrsätzen darin, dass sie überhaupt nur
vollständig gefasst werde, aber nicht in Rücksicht auf
ihre Wahrheit, wie das Axiom.**) Deshalb ist die De-
finition schlecht, die nicht verstanden wird. Um dies
deutlich zu machen, nehme ich das Beispiel von Bo-
rellus. Wenn Jemand sagte: Zwei gerade Linien, die
einen Raum einschliessen, sollen figurale heissen, so
wäre die Definition gut, wenn er dabei unter gerader
Linie das verstände, was Alle unter der knimroen ver-
steheü (denn dann würde man unter jener Definition
eine Gestalt wie ( ) oder eine ähnliche verstehen); nur
darf er dann die Vierecke und Anderes nicht zu den
Figuren rechnen. Versteht er aber unter Linien das, was
man gewöhnlich darunter versteht, so ist die Sache un-
verständlich und die Definition daher keine. Bei Borel-
1 u s , zu dem Sie neigen, wird dies Alles vermengt. Ich
gebe noch ein anderes Beispiel, nämlich das von Ihnen
zuletzt erwähnte. Wenn ich sage, jede Substanz habe
nur ein Attribut, so ist dies nur ein blosser Ijehrsatz
ohne Beweis; wenn ich aber sage: Unter Substanz ver-
stehe ich das, was blos aus einem Attribute besteht, so
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SubataDz; Attribute. 73
ist diese Definition gut, sobald ich nur nachher die aus
mehreren Attributen bestehenden Dinge mit einem an-
dern Namen als Substanz benenne.*"®) Wenn Sie aber
sagen, ich beweise nicht, dass die Substanz (oder ein
Ding) mehrere Attribute haben könne, so haben Sie viel-
leicht auf die Beweise nicht Acht geben wollen. Ich
liabe deren zwei angegeben;**') den ersten, wonach
nichts klarer ist, als dass jedes Ding von uns unter
einem Attribut aufgefasst werden muss, und dass, je
mehr ein Ding an Kealität oder Sein enthält, um so mehr
Attribute ihm zukommen. Deshalb ist ein unbedingt un-
endliches Wesen dahin zu definiren, dass u. s. w. Der
zweite und nach meiner Meinung vornehmste Beweis ist,
dass, je mehr Attribute ich einem Dinge beilege, um so
mehr ich genöthigt bin, ihm das Dasein beizulegen, d. h.
um so mehr fasse ich es als ein wahres auf, also gerade
das Gegentheil von dem Falle, wenn ich eine Chimäre
oder etwas Aehnliches erdacht hätte.****) Wenn Sie weiter
sagen, dass Sie ein Denken ohne Vorstellungen nicht
begreifen können, weil man mit den Vorstellungen auch
das Denken aufhebe, so wird Ihnen dies begegnen, weil,
wenn Sie, als denkendes Wesen, das tliun, Sie alle
Ihre Gedanken und Begriffe beseitigen. Deshalb ist es
nicht wunderbar, dass nach Abtrennung aller Ihrer Ge-
danken, Ihnen Nichts zum Denken bleibt. Zur Sache
selbst möchte ich indess wohl klar und deutlich gezeigt
haben, dass der Verstand, selbst als unendlicher, zur
gewirkten Natur, aber nicht zur wirkenden gehört.*®*)
Was das Verständnlss der dritten Definition anlangt,
so wüsste ich nicht, was Sie da aufhalten könnte. Diese
Definition lautet, wie ich, wenn ich nicht irre, sie Ihnen
mitgetheilt habe: „Unter Substanz verstehe ich das, was
^in sich ist und durch sich vorgestellt wird, d. h. Etwas,
„dessen Vorstellung nicht die Vorstellung von etwas An-
„derem einschliesst. Unter Attribut verstehe ich dasselbe,
„ausser dass das Attribut in Beziehung auf das Denken
„ausgesagt wird, welches der Substanz eine solche be-
istimmte Natur zutheilt.^*®*) Diese Definition erläutert,
sollte ich meinen, klar genug, was ich unter Substanz
und Attribut verstanden wissen will. Sie wünschen je-
doch, ich solle Ihnen durch ein Beispiel, obwohl es
keineswegs nöthig ist, erläutern, wie man dieselbe Sache
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74 XXVn, Br. Spinoza an v. Vriee. XXVm. Br.
mit zwei verschiedenen Namen bezeichnen könne. Indess
will ich Ihnen, damit ich nicht geizig scheine, zweie geben.
Erstens wird unter Israel der dritte Erzvater verstand en^
und denselben bezeichne ich auch mit Jakob, welchen
Namen er erhielt, weil er die Ferse seines Bruders
ergriffen hatte. Zweitens verstehe ich unter Ebene das,
was alle Lichtstrahlen ohne Veränderung zuriickwirft.;
dasselbe verstehe ich unter Weiss , nur dass Weiss in
Beziehung auf den die Ebene anschauenden Menschen
ausgesagt wird; u. s. w.***)
Achtundzwanzigster Brief (Wahrscheinlich
bald nach vorstehendem Briefe geschrieben).
Von Spinoza an Simon von Vries.
Werther Freund!
Sie fragen mich, ob man der Erfahrung bedarf,
um zu wissen, ob die Definition eines Attributes richtig
sei? Hierauf antworte ich, dass wir der Erfahrung nur
für das bedürfen, was aus der Definition einer Sache
nicht abgeleitet werden kann, wie z. B. das Dasein
der Zustände ; denn dieses kann man aus der Definition
nicht folgern. Dies gilt aber nicht von dem, wo das Dasein
von dem Wesen des Dinges nicht zu unterscheiden ist,
und deshalb aus dessen Definition geschlossen werden
kann. Dies könnte vielmehr keine Erfahrung uns lehren,
da diese das Wesen der Dinge nicht ergiebt; vielmehr
kann sie höchstens unsere Seele veranlassen, dass sie
über das bestimmte Wesen gewisser Dinge nachdenke.
Da nun das Dasein der Attribute von ihrem Wesen
nicht verschieden ist, so können wir sie auch durch
keine Erfahrung kennen lernen.'®*)
Wenn Sie mich femer fragen, ob die Dinge oder die
Zustände derselben ewige Wahrheiten sind? so sage ich:
allerdings,*®') und wenn Sie fragen, weshalb ich die
Dinge nicht so nenne, so geschieht es, um sie, wie Alle
thun, von den ewigen Wahrheiten zu unterscheiden, welche
keineDinge und keine Zuständederselbenbezeichnen, wie
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Ueber das Unendliche. 75
z. B. der Satz: Ans Nichts wird Nichts. Diese und
ähnliche Sätze nennt man schlechthin ewige Wahrheiten,
womit nnr gesagt sein soll, dass dergleichen nur in
der Seele ihren Sitz haben; u. s, w. ****)
Neunundzwanzigster Brief (Vom20.Aprill663).
Von Spinoza an den gelehrten und erfahrenen
Herrn L M. P. M. Q. D. "^•)
Liebster Freund!
Ihre beiden Briefe habe ich erhalten; den vom
11. Januar überbrachte mir Freund NN.; den vom
26. März hat ein anderer Freund, ich weiss nicht wel-
cher, von Leyden geschickt. "®) Beide waren mir höchst
erfreulich, zumal ich daraus sah, dass bei Ihnen Alles
gut geht und Sie meiner noch gedenken. Für die mir
von Ihnen immer erwiesene Liebe und Ehre sage ich
Ihnen meinen vollsten Dank, und seien Sie von meiner
Anhänglichkeit überzeugt, wie ich Ihnen bei jeder Ge-
legenheit nach meinen schwachen Kräften durch die
That beweisen werde. Um gleich damit anzufangen,
will ich auf die Fragen in Ihren Briefen antworten. Sie
wünschen, dass ich Ihnen meine Gedanken über das
Unendliche mittheile, und es soll gern geschehen.
Die Frage über das Unendliche haben Alle immer
für höchst schwer, ja unauflöslich gehalten, weil sie
nicht zwischen dem unterschieden haben, was seiner
Natur oder der Kraft seiner Definition zufolge unendlich
ist, und dem, was keine Grenze hat und zwar nicht ver-
möge seines Wesens, sondern vermöge seiner Ursache.
Ferner, weil sie nicht unterschieden haben zwischen dem,
was unendlich heisst, weil es keine Grenze hat, und
zwischen dem, dessen Theile, obgleich wir von ihm ein
Grösstes und Kleinstes haben, wir doch durch keine Zahl
erreichen und ausdrücken können ; endlich weil sie nicht
zwischen dem unterschieden haben, was man blos den-
ken, aber sich nicht bildlich vorstellen kann, und dem,
was man sich auch bildlich vorstellen kann. Hätte man,
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76 XXIX. Brief. Spinoza an L. Meyer.
wie gesagt, hierauf geachtet, so würde man nicht darch
eine so grosse Menge von Schwierigkeiten überwältigt
worden sein und hätte dann klar erkannt, welches Un-
endliche nicht inTheile getheilt werden oder keine Theile
haben kann und bei welchem dagegen dies ohne Wider-
spruch angeht. Auch hätte man dann erkannt, welches
Unendliche ohne Widerspruch grösser als ein anderes vor-
gestellt werden kann, und welches dies nicht zulässt.
Dies wird sich aus dem Folgenden klar ergeben. "*)
Vorher will ich indess Einiges über die vier Begriffe,
nämlich über die Substanz, den Zustand, die Ewig-
keit und die Dauer sagen. Beider Substanz bemerke
ich zunächst, dass zu ihrem Wesen das Dasein gehört,
d. h. aus ihrem blossen Wesen und ihrer Definition folgt,
dass sie besteht. Dies habe ich Ihnen, wenn mein Ge-
dächtniss mich nicht trügt, früher mündlich ohne Hülfe
anderer Lehrsätze bewiesen. "') Das Zweite, was daraus
folgt, ist, dass von jeder Substanz in ihrer Art nicht
viele, sondern nur eine besteht.**') Drittens kann jede
Substanz nur als unendlich aufgefasst werden. ^**) Die
Erregungen der Substanz nenne ich Zustände;*'^) ihre
Definition kann, da sie nicht die Definition einer Substanz
ist, ihr Dasein nicht einschliessen. Deshalb kann man
sie, trotz ihres Daseins, als nicht daseiend sich vorstellen.
Daraus folgt weiter, dass, wenn man nur das We.<;en der
Zustände und nicht die Ordnung der ganzen Natur be-
achtet, man aus ihrem Dasein nicht folgern kann, dass
sie später bestehen oder nicht bestehen werden und dass
sie früher bestanden oder nicht bestanden haben. Hieraus
ergiebt sich klar, dass man das Dasein der Substanz ihrer
ganzen Art nach von dem Dasein der Zustände ver-
schieden vorstellt. Daraus ergiebt sich der Unterschied
zwischen der E wigk eit und der D a uer. Mit der Dauer
kann man nur das Dasein der Zustände erklären; aber
das der Substanz nur durch die Ewigkeit, d. h. durch
einen unendlichen Genuss des Daseins oder des Seins,
was im Lateinischen sich nur ausdrücken lässt, wenn
man der Sprache Gewalt anthut. "•)
Aus alledem ergiebt sich klar, dass man das Dasein
und die Dauer der Zustände, wenn man blos, wie meisten-
theils, nur auf ihr Wesen und nicht auf die Ordnung der
Natur achtet, nach Belieben und daher ohne den Begriff
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Das bildliche Vorstellen und das Denken der Substanz. 77
von ihnen zu zerstören, bestimmen, grösser und kleiner
vorstellen und in Theile theilen kann, während die Ewig-
keit und die Substanz, die man nur als unendlich auf-
fassen kann, dies nicht gestattet, ohne ihren Begriff zu
zerstören. Deshalb sprechen diejenigen nur leeres Ge-
schwätz, wo nicht zu sagen, Unsinn, welche meinen, dass
die Substanz ausgedehnt und ans Theilen oder von ein-
ander verschiedenen Körpern zusammengesetzt sei. Es
ist gerade so, als wenn Jemand durch blosses Zusetzen
\iTid Anhäufen vieler Kreise ein Viereck oder Dreieck oder
etwas Anderes, in seinem Wesen ganz Verschiedenes zu
Stande bringen wollte. Deshalb fällt alles jenes Gerumpel
von Gründen, mit denen die Philosophen die ausgedehnte
Substanz als endlich darlegen wollen, von selbst zu-
sammen; denn sie setzen alle eine körperliche, aus Theilen
zusammengesetzte Substanz voraus. Ebenso konnten An-
dere, die nachher glaubten, dass die Linie sich aus Punk-
ten zusammensetze, viele Beweisgründe auffinden, um
zu zeigen, dass die Linie nicht ohne Ende theilbar sei.
Wenn Sie aber fragen, weshalb wir von Natur so
geneigt seien, die ausgedehnte Substanz zu theilen, so
antworte ich, weil wir die Grösse auf zweierlei Weise
vorstellen; einmal abstrakt und oberflächlich, wie man sie
sich mit Hülfe der Sinne bildlich vorstellt und dann
als Substanz, was nur durch reines Denken geschieht.
Giebt man also nur auf die Grösse, wie man sie im bild-
lichen Vorstellen hat, Acht, was meistentheils und am
leichtesten geschieht, so zeigt sie sich theilbar, begrenzt,
aus Theilen zusammengesetzt und vielfach. Giebt man
aber auf sie Acht, wie sie im Verstände ist und fasst
man sie so auf, wie sie in sich ist, was sehr schwer ist,
so zeigt sie sich, wie ich Ihnen früher schon genügend
bewiesen habe, als unendlich, untheilbar und einzig. **^)
Femer entsteht daraus, dass man die Dauer und die
Grösse beliebig bestimmen kann, sofern man letztere ab-
getrennt von der Substanz und erstere abgetrennt von
dem Zustande, wodurch sie von den ewigen Dingen ab-
fliesst, sich vorstellt, die Zeit und das Maass; die Zeit
dient der Bestimmung der Dauer und das Maass der Be-
stimmung der Grösse in der Weise, dass man sie, soweit
als möglich, sich leicht bildlich vorstellen kann. Femer
entsteht aus der Trennung der Zustände der Substanz
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78 XXIX. Brief. Spinoza an L. Meyer.
von dieser selbst, welche wir auf Klassen zurückführen,
um sie möglichst leicht bildlich auffassen zu können, die
Zahl, wodurch wir sie bestimmen. Hieraus erhellt klar,
dass das Maass, die Zeit und die Zahl nur Zustände
des Denkens oder vielmehr des bildlichen Vorstellens
sind. ''^) Man kann sich daher nicht wundern, wenn
Alle, welche mit dergleichen Begriffen, die sie überdem
falsch aufgefasst haben, den Fortschritt in der Natur
haben erkennen wollen, sich so merkwürdig verwickelt
haben, dass sie zuletzt nicht anders herauskommen
konnten, als indem sie alle Schranken durchbrachen und
das Verkehrte und Verkehrteste zuliessen: denn Vieles
kann nicht durch bildliches Vorstellen, sondern nur durch
blosses Denken erfasst werden, wie die Substanz, die
Ewigkeit und dergleichen mehr. Wenn Jemand diese
mit Begriffen, die nur der Einbildungskraft dienen,
erklären will, so ist es ebenso, als wenn er absichtlich
in seinem bildlichen Vorstellen ansinnig sein will. Selbst
die Zustände der Substanz können nicht richtig begriffen
werden, wenn man sie mit solchen Gedankendingen oder
eingebildeten Dingen verwechselt. Denn wenn man dies
thut, so trennt man sie von der Substanz und dem Zn-
stande, von welchen sie von Ewigkeit abfliessen und
ohne die sie niemals richtig erkannt werden können.
Um dies deutlicher einzusehen, nehmen Sie folgen-
des Beispiel: Fasst nämlich Jemand die Dauer abstrakt
auf und beginnt er, sie in seiner Verwechselung mit der
Zeit in Theile zu theilen, so kann er nie einsehen,
wie z. B. eine Stunde vorübergehen kann. Denn dazu
ist nöthig, dass erst ihre Hälfte vorbeigehe und dann
wieder die Hälfte des Restes und dann wieder die
Hälfte dieses Restes und so fort; zieht man so ohne
Ende die Hälfte ab, so kann man niemals zu Ende
kommen."®) Deshalb wagten Viele, welche die Ge-
dankendinge von den wirklichen zu unterscheiden nicht
gewöhnt waren, die Dauer aus Zeitpunkten zu bilden;
aber sie fielen damit in die Scylla, während sie die
Charybdis vermeiden wollten. Denn die Dauer aus
Zeitpunkten zu bilden, ist dasselbe, als die Zahl aus
der Addition von blossen Nullen bilden zu wollen.
Aus dem Gesagten erhellt weiter, dass weder die
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Die Arten der Unendlichkeit. 79
Zahl, noch das Maass, noch die Zeit unendlich sein können,
da sie nur Hülfsmittel des bildlichen Vorstellens sind;
oLnedem wäre die Zahl nicht Zahl und das Maass nicht
Biaass und die Zeit nicht Zeit. Daraus erhellt, dass
Viele, welche diese Vorstellungen mit wirklichen Dingen
verwechselten und die wahre Natur dieser nicht kannten,
die Wirklichkeit des Unendlichen geleugnet haben. i^Oj
Wie jämmerlich indess ihre Beweise sind, wissen die
Mathematiker, welchen Gründe solcher Art in Dingen
kein Bedenken machen konnten, die sie klar einsahen.
Sie fanden Vieles, was durch keine Zahl dargelegt werden
kann, und dies zeigt, dass die Zahlen nicht zur Bestim-
mung von Jedwedem sich eignen. Auch haben die
Mathematiker Vieles, was durch keine Zahl erreicht wer-
den kann, sondern jede angebliche übersteigt. Aber sie
folgern daraus nicht, dass dergleichen wegen der Menge
der Theile alle Zahl übersteige, sondern weil die Natur
des Gegenstandes sich ohne offenbaren Widerspruch mit
keiner Zahl verträgt. So übersteigen z. B. die Ungleich-
heiten des Raumes zwischen den beiden Kreisen AB und
CD und die Veränderungen, welche
y^^^^'T^^ ^^^ darin sich bewegender Stoff er-
, J^-.^ \ leiden muss, jede angebliche Zahl,
und doch wird dies nicht aus der
übermässigen Grösse des Zwischen-
raumes gefolgert, da die Ungleich-
heiten eines solchen Raumes, wenn
man ihn auch noch so klein annimmt,
No. 6. doch jede Zahl Übersteigen. Auch
folgert man dies nicht, wie in anderen Fällen, daraus,
dass hier keinGrösstes und kein Kleinstes vorhanden sei;
denn Beides ist in diesem Beispiele vorhanden; das
Grösste bei AB, das Kleinste CD ; vielmehr folgert man
es nur daraus, weil die Natur des Raumes zwischen zwei
Kreisen mit verschiedenen Mittelpunkten dies nicht ge-
stattet. Wollte daher Jemand alle diese Ungleichheiten
durch eine bestimmte Zahl ausdrücken, so müsste er zu-
gleich bewirken, dass der Kreis kein Kreis bliebe. 121)
Ebenso würde, um auf unseren Gegenstand zurück-
zukommen. Jemand, wenn er alle bis jetzt stattgehabten
Bewegungen des Stoffes bestimmen wollte, indem er ihre
Dauer auf eine bestimmte Zahl und Zeit zurückführte,
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80 XXIX. Brief. Sp. an L. Meyer.
damit die körperliche Substanz , die man sich nur als
daseiend vorstellen kann, ihrer Zustände berauben und
bewirken, dass sie die Natur, welche sie hat, nicht
hätte. Ich könnte dies und vieles Andere, was ich in
diesem Briefe berührt, klar beweisen, wenn ich es nicht
für überflüssig hielte.
Aus dem bisher Gesagten ist klar zu ersehen, dass
Manches seiner Natur nach unendlich ist und in keiner
Weise endlich vorgestellt werden kann; ^^-) Anderes ist
es vermöge der Ursache, der es anhängt, obgleich es für
sich betrachtet, in Theile gesondert und als endlich auf-
gefasst werden kann; l^) Anderes wieder ist unendlich,
oder wenn man lieber will, endlos, weil man es durch
keine Zahl ausdrücken kann, obgleich es grösser oder
kleiner vorgestellt werden kann; l^) da dergleichen,
was durch keine Zahl ausgedi-ückt werden kann, des-
halb nicht nothwendig sich gleich sein muss, wie das
obige Beispiel und viele andere ergeben.
Somit habe ich die Ursachen der Irrthümer und
Verwirrungen, welche in Betreff der Frage über das
Unendliche entstanden sind, kurz dargelegt und ich
glaube, so erklärt, dass keine Frage über das Unend-
liche unberührt geblieben ist oder nicht aus dem Ge-
sagten leicht gelöst werden kann. Es wird also nicht
lohnen, Sie länger hierbei aufzuhalten.
Indess will ich hier beiläufig noch erwähnen, dass
die neueren Peripatetiker den Beweis der älteren für das
Dasein Gottes wothl nicht richtig verstanden haben. Dieser
lautet, wie ich ihn bei dem Juden Rah Chasdaj i^) finde,
dahin: ^Gelit die Reihe der Ursachen ohne Ende fort,
^so ist alles Daseiende auch bewirkt: aber kein Bewirktes
„besteht nothwendig vermöge seiner Natur und deshalb
„ist dann Nichts in der Natur, mit dessen Wesen das
„Dasein nothwendig verknüpft ist. Dies ist aber wider-
„sinnig, folglich auch Jenes." — Die Kraft dieses Be-
weises liegt also nicht darin, dass es unmöglich sei, dass
ein Unendliches wirklich bestehe, oder dass die Reihe
der Ursachen ohne Ende fortgehe; sondern nur darin,
dass von den Gegnern angenommen wird, Dinge, die
ihrer Natur nach nicht nothwendig bestehen, würden
nicht zuletzt von einem Dinge zum Dasein bestimmt,
das seiner Natur nach nothwendig besteht.
Digitized by V^OOQIC
Vorbedeutungen. gl
Ich würde jetzt, da die Zeit mich drängt, zu Ihrem
zweiten Briefe tibergehen; indess werde ich auf dessen
Inhalt dann, wenn Sie mich mit Ihrem Besuch beehren,
l>eqaemer antworten können. Kommen Sie daher, sobald
Sie können; denn die Zeit zu meinem Umzüge rückt
schnell heran. So viel für heute. Leben Sie wohl
und gedenken Sie meiner, der ich bleibe u. s. w.
Dreissigster Brief (Vom 20. Juli 1664).
Von Spinoza an Peter Balling. ^^)
(Der lateinische Text ist eine Uebersetzung, wahrscheinlich
aus dem Holländischen..) 127)
Lieber Freund!
Ihr letzter Brief, ich glaube vom 26. vorigen Monats,
ist richtig in meine H&nde gelangt. £r hat mich sehr
betrübt und besorgt gemacht, obgleich ich mich beruhige,
wenn ich die Klugheit und Geistestärke erwäge, mit der
Sie die Unannehmlichkeiten des Schicksals oder vielmehr
der öffentlichen Meinung gerade da zu verachten ver-
stehen, wo Sie von ihnen mit den stärksten Waffen an-
gegriffen werden. Indess wächst doch meine Sorge mit
jedem Tage und ich bitte und beschwöre Sie deshalb bei
unserer Freundschaft, dass Sie mir recht Ausführliches
mittheilen. — Was die von Ihnen erwähnten Vorbe-
deutungen anlangt, wonach Sie von Ihrem Kinde, als es
gesund und kräftig war, solche Seufzer gehört, wie es bei
seiner Krankheit und spätem Tode von sich gegeben, so
möchte ich glauben, dass es nur Einbildungen und keine
wahren Seufzer gewesen sind ; denn Sie sagen, dass, als
Sie sich aufrichteten und genauer hinhörten, sie dieselben
nicht so deutlich gehört haben, als vorher und nachher,
wo Sie wieder in Schlaf verfallen sind. Dies zeigt wirk-
lich, dass diese Seufzer nur Einbildungen gewesen sind,
die unbeschränkt und ungehemmt gewisse Seufzer Ihnen
wirksamer und lebhafter vorspiegeln konnten, als da, wo
Sie sich aufrichteten und nach dem bestimmten Orte hin-
hörten. Ich kann das, was ich sage, durch einen Fall
Digitized by^^jOOQlC
82 XXX. Brief. . Spinoza an P. Balling.
bestätigen und zugleich erklären, der mir selbst ver-
flossenen Winter in Rhjnsborg begegnete. Als ich da
früh bei Tagesgranen aus einem sehr schweren Traume
erwachte, schwebten mir die in dem Traume vorge-
kommenen Bilder so lebhaft vor den Augen, als ivären
es wirkliche Dinge; namentlich galt dies von einem
schwarzen und aussätzigen Brasilianer, den ich vorher nie
gesehen hatte. Dieses Bild verschwand grösstentheOs,
als ich, um mich zu zerstreuen, die Augen auf ein Buch
oder etwas Anderes richtete ; sowie ich aber die Angen
wieder abwendete und nichts aufmerksam betrachtete, so
erschien mir das Bild jenes Aethiopiers i^) wieder ebenso
lebhaft und wiederholt, bis es nach und nach ganz ver-
schwand. Hiemach ist mir in meinem innem Gesichts-
sinne dasselbe, wie Ihnen in dem Gehörsinne, begegnet; da
aber die Ursachen ganz verschieden waren, so wurde Ihr
Fall, aber nicht der meinige, zu einer Vorbedeutung.
Aus dem Folgenden wird sich dies deutlicher ergeben.
Die Wirkungen der Einbildungskraft entspringen aus
dem Zustande des Körpers oder der Seele ; um nicht zu
ausfuhrlich zu werden, beweise ich dies jetzt nur aus
der Erfahrung. Wir wissen aus Erfahrung, dass Fieber
und andere Erschütterungen des Körpers die (Jrsache des
Irreredens sind, und dass Leute mit dickem Blute nur
Streit, Widerwärtigkeiten, Mord und Aehnliches sich ein-
bilden. Wir sehen auch, dass die Einbildungskraft durch
Seelenzustände allein beeinflusst wird, da sie, wie wir
wissen, in Allem den Spuren des Verstandes folgt und sie
ihre Bilder und Worte in derselben Ordnung verbindet
und verknüpft, wie der Verstand seine Beweise. Wir
können deshalb beinah nichts denken, aus dessen Spuren
die Einbildungskraft nicht irgend ein Bild hervorbringt.
Wenn dies sich so verhält, so meine ich, dass alle Er-
zeugnisse der Einbildungskraft, die aus körperlichen Ur-
sachen hervorgehen, niemals die Anzeichen von kom-
menden Dingen sein können ; denn ihre Ursachen schlies-
sen solche kommende Sachen nicht ein. Dagegen können
die Erzeugnisse oder Bilder der Einbildungskraft, die aus
Zuständen der Seele herkommen, allerdings Vorzeichen
einer kommenden Sache sein, weil die Seele etwas Za-
ktinftiges sich verworren vorstellen kann. Deshalb kann
sie sich dergleichen so stark und lebhaft vorstellen, als
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Vorbedeatange^; bei der Seele möglich. 83
ip^enn die Sache gegenwärtig wäre; denn der Vater
(um ein Beispiel anzuführen, was dem Ihrigen ähnelt)
liebt seinen Sohn derart, dass er und der geliebte Sohn
gleichsam nur Einer sind; und (nach dem, was ich
bei anderer Gelegenheit dargelegt habe) von den Er-
regungen des Wesens des Sohnes und des daraus
Folgenden muss es innerhalb des Denkens noth wendig
eine Vorstellung geben und der Vater ist wegen seiner
mit dem Sohne bestehenden Vereinung ein Theil des
Sohnes und es muss noth wendig die Seele des Vaters
an dem idealen Wesen des Sohnes und seinen Er-
regungen und den Folgen derselben theilnehmen, wie
ich anderwärts ausfühnicher dargelegt habe. Wenn
daher die Seele des Vaters ideal an dem, was aus
dem Wesen des Sohnes folgt, Theil hat, so kann, wie
gesagt, der Vater mitunter etwas, was aus dem Wesen
des Sohnes folgt, sich so lebhaft vorstellen, als wenn
es ihm gegenwärtig wäre,^**) sofern nur die nach-
stehenden Bedingungen zugleich vorhanden sind: 1) dass
das Ereigniss, welches den Sohn trifft, ein erhebliches
in seinem Leben ist; 2) dass es ein solches ist, was
leicht bildlich vorgestellt werden kann; 3) dass die
Zeit des Eintreffens dieses Ereignisses nicht zu ent-
fernt ist, 4) und dass der Körper sich wohl befindet,
nicht blos in Bezug auf Gesundheit, sondern auch
rücksichtlich der Freiheit von allen Sorgen und Ge-
schäften, welche die Sinne von aussen stören. Die
Sache wird femer noch dadurch unterstützt, wenn man
an das denkt, was die am meisten verwandten Vor-
stellungen erweckt; wenn man z. B., während man
mit diesem oder Jenem spricht, Seufzer hört, dann
werden, wenn man wieder an diesen Menschen denkt,
meistentheils die Seufzer, welche man während jenes
Gesprächs damals mit seinen Ohren hörte, wieder in
das Gedächtniss kommen.
Dies, verehrter Freund, ist meine Ansicht über
Ihre Frage. Ich bin aller^ngs sehr kurz gewesen,
aber absichtlich, damit Sie Gelegenheit erhalten, über
die Frage bei nächster Gelegenheit an mich zu schrei-
ben; u. s. w.
Voorburg, den 26. Juli 1664.
Splaoi«, Brief«.
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84 XXXI. Brief. Blyenbergli an Spinoza.
EinunddreisBigBter Brief (Voml2. Dec. 1664).
Von Wilhelm V. Blyenbergh au Spliioza.^"0
(Der lateinische Text ist eine Uebersetsung des hollän-
dischen Onginals.)
Mein Herr und unbekannter Freund!
Schon öfters habe ich in Ihrer kürzlich erschienenen
Abhandlung und in deren Anhang"') aufmerksam ge-
lesen. Ich sollte allerdings mehr Anderen als Ihnen er-
zählen, welche Gründlichkeit ich darin angetroffen und
welche Freude sie mir gemacht hat; doch kann ich Ihnen
nicht verschweigen, dass je öfter ich sie lese, sie um so
mehr mir gefällt; immer finde ich dann Etwas, was ich
bisher noch nicht bemerkt hatte. Indess halte ich (am
nicht als Schmeichler in diesem Briefe zu erscheinen) mit
meiner Bewunderung des Verfassers ein; ich weiss, dass
die Götter Alles der Arbeit gewähren. Damit ich Sie in-
dess nicht zu lange in der Spannung lasse , wer es ist und
wie es kommt, dass em Unbekannter so frei ist, an Sie in
dieser Weise zu schreiben, so sage ich Ihnen, dass es ein
Solcher ist, der nur von dem Verlangen nach der reinen
und lauteren Wahrheit getrieben, sich bemüht, während
dieses kurzen und vergänglichen Lebens festen Fass in
der Wissenschaft zu fassen, soweit es dem menschlichen
Geiste möglich ist und der zur Erlangung der Wahrheit
sich kein anderes Ziel als nur die Wahrheit vorgesetzt
hat und der durch die Wissenschaft weder Ehre noch
Reichthum, sondern nur die reine Wahrheit und die
Seelenruhe, welche aus dieser Wahrheit folgt, zu ge-
winnen strebt. Er erfreut sich unter allen Wahrheiten
und Wissenschaften am meisten an den metaphysischen,
wenigstens an einem Theile derselben, wenn auch nicht
an allen und er setzt allen Genuss seines Lebens darein,
die Stunden der Müsse und der Freiheit von Geschäften
ihnen zu weihen. Allein nicht Jeder ist so glücklich und
nicht Jeder wendet so viel Arbeit, wie ich von Ihnen an-
nehme, dem zu und deshalb gelangt nicht Jeder zu der
Vollkommenheit, zu der, wie ich aus Ihrem Werke ersehe,
Sie gelangt sind. Kurz, dass ich zu Ende komme, es ist
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Schaffen und Erhalten sind Eines. g5
ein Mann, den Sie näher kennen lernen werden, wenn
Sie ihn dadurch sich verpflichten wollen, dass Sie seine
Gedanken frei machen und da, wo sie stocken, ihnen
gleichsam den Weg bahnen.
Ich komme auf Ihre Abhandlung zurück. So wie
ich Vieles darin gefunden, was meinem Geschmacke
ganz zusagte, so habe ich auch Manches getroffen,
was schwerer zu verdauen war und was Ihnen vorzu-
halten um so weniger sich schicken würde, als ich
nicht weiss, ob Ihnen dies angenehm sein dürfte. Ich
schicke deshalb dies voraus und frage, ob Sie erlauben,
Ihnen einige meiner Bedenken, die mir bei Ihrer Schrift
noch geblieben sind, mitzutheilen , damit Sie in den
jetzigen Winterabenden, falls es Ihnen gefällig ist,
darauf antworten; alles jedoch nur unter der Voraus-
setzung und Bitte, dass ich Sie nicht von dringenderen
Geschäften abhalte ; denn ich ersehne nichts dringender,
als, wie Sie in Ihrem Briefe versprechen, eine aus-
führlichere Erläuterung und Aussprache Ihrer An-
sichten zu erhalten. Ich hätte das, was ich hier dem
Papier anvertraue, gern persönlich, wenn ich gesund ge-
wesen, vorgetragen; allein zunächst war mir Ihre Wohnung
unbekannt und später hinderte mich eine ansteckende
Krankheit und mein Amt; deshalb habe ich den Besuch
selbst immer von einer Zeit zur anderen verschoben
Damit indess dieser Brief nicht ganz leer bleibe, so
erwähne ich in der Hoffnung, dass es Ihnen nicht unan-
genehm sein wird, nur eines Punktes, nämlich dass Sie
sowohl in den Prinzipien wie in den metaphysischen Ge-
danken mehrmals sagen und als Ihre oder desD es carte s
Meinung, dessen Philosophie Sie darstellen, aussprechen.
Schaffen und Erhalten sei ein und dasselbe (was an sich
Denen, welche hierüber nachgedacht, so klar sei, dass es
der erste Begriff sei), und dass Gott nicht blos die Sub-
stanzen, sondern auch die Bewegung in diesen erschaffen
habe, d. h. Gott erhalte durch seine fortgehende Schöpfung
nicht blos die Substanzen in ihrem Zustande, sondern
auch deren Bewegung und Streben. So bewirke Gott
z. B. nicht blos, dass die Seele durch seinen unmittel-
baren Willen und seine Wirksamkeit (es ist gleich, wie
man es nennt) länger fortbestehe und in ihrem Zustand
fortdauere, sondern Gott sei auch die Ursache, dass es
7*
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gg XXXI. Brief. Blyenbergh an Spinoza.
sich in gleicher Weise mit der Bewegung der Seele
verhalte ; d. h. so, wie die fortdauernde Schöpfung Gottes
diel&ngere Dauer der Dinge bewirke, so entstehe durch
dieselbe Ursache auch das Streben oder die Bewegung
der Dinge in ihnen; da es ausser Gott keine andere Ur-
sache der Bewegung gebe. Hieraus folgt, dass, wie Sie an
mehreren Stellen sagen, Gott nicht blos die Ursache für
die Substanz der Seele, sondern auch für jenes Streben
oder Bewegen der Seele ist, das man Willen nennt. Aus
diesen Sfitzen folgt, wie mir scheint, noth wendig auch,
dass in der Bewegung oder dem Willen der Seele ent-
weder nichts Böses ist, oder dass Gott selbst dieses Böse
unmittelbar bewirkt; da auch das, was man bös nennt,
durch die Seele und folglich durch den unmittelbaren
Einfluss oder die Mitwirkung Gottes geschieht. Adam*s
Seele z. B. will von der verbotenen Frucht essen; hier
wird nach dem Vorstehenden nicht blos bewirkt, dass
dieser Wille Adam*s durch Gottes Einfluss wolle, sondern
dass er auch, wie ich gleich zeigen werde, auf diese
Weise wolle, folglich kann diese verbotene Handlung
Adam*s, da Gott nicht blos seinen Willen, sondern auch
die Art und Weise desselben bestimmte, entweder an
sich nicht schlecht sein, oder Gott selbst bewirkt das, was
wir böse nennen. Weder Sie, noch Descartes scheinen
mir diesen Knoten damit zu lösen, dass Sie das Böse
ein Nicht-Seiendes nennen, an dem Gott nicht mitwirke.
Denn woher kam denn der Wille zu essen, oder weshalb
schritt der Wille des Teufels zur Hoffart vor ? Sie sagen
richtig, der Wille sei nichts von der Seele Verschiedenes
und diese oder jene Bewegung oder solches Streben der
Seele zu dieser oder jener Bewegung bedürfe der Mit-
wirkung Gottes und diese Mitwirkung Gottes ist, wie Ihre
Schriften ergeben, nur die Bestimmung eines Gegenstan-
des durch seinen Willen; hieraus folgt, dass Gott also
ebenso bei dem bösen Willen mitwirkt, wenn die Hand-
lung böse ist, wie bei dem guten Willen, wenn sie gut ist;
d. h. Gott bestimmt die Handlung. Denn Gottes Wille,
als die unbeschränkte Ursache von Allem, was in der Sub-
stanz wie in deren Streben besteht, scheint auch die erste
Ursache des bösen Willens, soweit er böse ist, zu sein.
Femer erfolgt keine Bestimmung des Willens in uns,
die Gott nicht von Ewigkeit gewusst hat; denn hätte er
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Grottes Yorsehimg und das Böse. 87
sie nicht gewusst, so würde man eine Unvollkommen-
heit in Gott annehmen. Wie will aber Gott sie anders
gewnsst haben, denn als einen seiner Beschlüsse? Diese
Beschlüsse sind also die Ursache unserer Entschlüsse
und daraus folgt wieder, dass der böse Wille nicht
böse ist, oder dass Gott die unmittelbare Ursache
dieses Bösen ist und es bewirkt. Auch die Unter-
scheidung der Theologen zwischen der Handlung und
dem der Handlung nur anhängenden Bösen kann hier
nicht Platz greifen; denn Gott hat mit der Handlung
auch die Art der Handlung beschlossen, d. h. Gott
hat nicht blos beschlossen, dass Adam esse, sondern
auch, dass er ffegen das Verbot esse. So folgt also
wieder, entweder dass dies Essen Adam's gegen das
Verbot nicht böse war, oder dass Gott selbst es be-
wirkt hat.
Dies, hochgeehrter Herr, ist es jetzt, was ich in
Ihrer Abhandlung nicht verstehen kann. Denn es füllt
mir schwer, diese änssersten Folgen nach beiden Seiten
anzunehmen; von Ihrem scharfen Urtheile und Ihrer
Einsicht erwarte und hoffe ich aber, eine zufrieden-
stellende Antwort und ich werde später beweisen, wie
sehr ich Ihnen dafür verbunden sein werde. Seien
Sie, berühmter Mann, überzeugt, dass ich nur im Eifer
diese Fragen stelle; ich bin frei, bin an kein Amt ge-
bundeu, ernähre mich durch einen anständigen Handel
und verwende meine übrige Zeit auf solche Studien.
Ich bitte ergebenst, dass Sie meine Bedenken nicht
übel deuten. Wollen Sie mir antworten, was ich sehn-
lichst wünsche, so schreiben Sie u. s. w. *•*)
Wilhelm v. Blyenbergh.
Dortrecht, den 12. Dezember t664.
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88 XXXn. Brief. Spinoza an Blyenbergh.
Zweiunddreissigster Brief (Vom 5. Jan. 1665
aus Voorburg).
Von Spinoza an Wilhelm v. Biyenbergh.
(Die Antwort auf den Yorstehenden Brief.)
(Der lateinische Text ist eine Uebersetzung des holländischen
Originals.)
Unbekannter Freund!
Ihren vom 12. Dezember datirten und in einem
anderen vom 24. desselben Monats eingeschlossenen
Brief habe ich erst am 26. in Scbiedam erhalten. Ich
habe daraus Ihre eifrige Liebe znr Wahrheit, die das
alleinige Ziel aller Ihrer Studien i.st, ersehen. Da ich
nun auch meine Kräfte nur diesem Ziele zuwende, so
fühle ich mich genöthigt, nicht blos Ihre Bitte voll-
ständig zu erfüllen und anf Ihre jetzt und später ge-
stellten Fragen nach meinen Kräften zu antworten,
sondern auch von meiner Seite zu Allem beizutragen,
was unserer weiteren Bekanntschaft und aufrichtigen
Freundschaft nützen kann. Was mich anlangt, so
schätze ich von Allem, was in meiner Macht steht,
nichts höher, als mit Männern, welche der Wahrheit
aufrichtig zugetlian sind, Freundschaft zu schliessen.
Ich glaube, dass man überhaupt in der Welt, die nicht
in unserer Gewalt ist, nichts getroster lieben kann, als
solche Männer; es ist ebenso unmöglich, dass die Liebe
solcher Männer zu einander sich auflöst, da sie auf
der Liebe jedes zur Wahrheit gegründet ist, als dass
man eine einmal erkannte Wahrheit nicht annehmen
sollte. Es ist überdem das Höchste und Angenehmste
unter den Dingen, die nicht von uns abhängen, da mir
die Wahrheit die verschiedenen Sinne und Geister völlig
zu einen vermag. Ich erwähne den grossen, daraus
fliessenden Nutzen nicht, um Sie nicht mit Dingen
aufzuhalten, die Ihnen sicher bekannt sind. Ich habe
hier nur davon gesprochen, um deutlicher zu beweisen,
wie angenehm mir es auch in der Folge sein wird,
jede Gelegenheit, Ihnen gefällig zu sein, zu be-
nutzen. "')
Um dies nun gleich mit der jetzigen zu thun, so
trete ich näher und will auf Ihre Frage antworten, die
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Das ßöse ist nichts Positives. 89
sich wesentlich um den Punkt dreht, dass aus Gottes
Vorsehung, die von seinem Willen nicht verschieden
ist, ebenso wie aus seiner Mitwirkung und fortdauern-
den Erschaffung der Dinge folgt, entweder dass es
keine Sünden und kein Böses giebt, oder dass Gott
diese Sünden und dieses Böse bewirke.
Allein Sie erklären nicht, was Sie unter Böse ver- -
stehen; nach dem Beispiele von Adam's Willenbestim-
mung scheinen Sie unter bös den Willen selbst zu ver-
stehen, soweit er so bestimmt aufgefasstwird, oder soweit
er Gottes Gebot widerstreitet. Deshalb sagen Sie (und
auch ich, wenn die Sache sich so verhielte), es sei ein grosser
Widersinn, Eines von Beiden anzunehmen, nämlich dass
Gott das, was gegen seinen Willen läuft, selbst bewirke,
oder dass das, was gegen seinen Willen geschieht, gut
sei. Ich kann indess nicht zugeben, dass die Sünden und
das Böse etwas Positives seien und noch weniger, dass
sie überhaupt Etwas seien, oder gegen Gottes Willen ge-
schehen. Vielmehr sage ich, dass nicht blos die Sünden
kein Positives sind, sondern behaupte auch, dass wir nur
uneigentlich und nur in menschlicher Redeweise sagen
können, wir sündigten gegen Gott, ebenso wie man
nicht sagen kann, dass die Menschen Gott beleidigen.
Denn was das Erstere anlangt, so wissen wir, dass
alles Bestehende, an sich und ohne Beziehung auf Anderes
betrachtet, die Vollkommenheit einschliesst, die in jedem
Dinge sich so weit wie sein Wesen erstreckt; denn auch
das Wesen ist nichts Anderes. Ich nehme z. B. den Ent-
schluss oder die Willensbestimmung Adam's, von der ver-
botenen Frucht zu essen; dieser Entschluss oder diese
Willensbestimmung schliesst, an sich betrachtet, so viel
Vollkommenheit ein, als er Realität ausdrückt, wie man
daraus ersehen kann, dass man bei jedem Dinge eine Un-
vollkommenheit nur vorstellen kann, wenn man dabei auf
andere Din^e achtet, welche mehr Realität enthalten.
Sieht man deshalb auf Adam's Beschluss an sich, ohne
ihn mit Anderem von voUkommnerem Zustande zu ver-
gleichen, so kann man keine Un Vollkommenheit daran be-
merken, ja man kann ihn mit unendlich vielem Anderen
vergleichen, wie mit Steinen, Stämmen, gegen die er viel
vollkommener erscheint. Dies erkennt auch in Wahrheit
Jedermann an; denn Alles, was man an den Menschen
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90 XXXII. Brief. Spinoza an Blyenbeii^h.
verabscheut und mit Widerwillen betrachtet, beschaut
man an den Thieren mit Bewunderung, wie die Kriege
der Bienen und die Eifersucht der Tauben. Bei dem
Menschen wird dergleichen verachtet und trotsdem h£lt
man die Thiere deshalb für voUkommner. Verhält sich
dies so, so erhellt klar, dass die Sünden, soweit sie
nur eine UnvoUkommenheit anzeigen, nichts Wirk-
liches darstellen, wie dies z. B. bei Adams Entscfalass
und Ausführung der Fall ist«
Femer kann man nicht sagen, dass Adams Wille
mit Gottes Gesetz streite und dass er deshalb bdse ge-
wesen, weil er Gott missfallen; denn es würde eine
grosse UnvoUkommenheit in Gott einführen, wenn £twas
geeen seinen Willen geschl&he und wenn er etwas
wollte, dessen er nicht Herr wäre, und wenn seine Na-
tur so beschaffen wäre, wie bei den Geschöpfen, and
er Sympathie mit dem Einen und Antipathie gegen den
Anderen hätte. Es würde aber auch dem Willen der
göttlichen Natur widerstreiten, denn derselbe unter-
scheidet sich nicht von seiner Einsicht und deshalb ist
es gleich unmöglich, dass etwas gegen seinen WiUen,
wie dass etwas gegen sein Wissen geschähe; d. h. was
gegen seinen Willen geschähe, müsste derart sein, dass es
auch seiner Einsicht widerapräche, wie z. B. ein rundes
Viereck. Wenn also der Wille und Entschlnss Adam's
an sich weder böse, noch im eigentlichen Sinne gegen
Gottes Willen geschah, so folgt, dass Gott seine Ursache
sein k a n n , j a, nach dem angegebenen Grunde, sein m u s s,
nur nicht soweit er schlecht war, denn dies Schlechte in
ihm war nur der Zustand der Beraubung, den Adam wegen
dieser That verlieren sollte und die Beraubung ist sicher-
lich kein Positives und heisst nur in Bezug auf unseren,
aber nicht auf Gottes Verstand so.
Dies kommt aber daher, dass man alles Einzelne
einer Gattung, z. B. alle Die, welche die äussere Gestalt
der Menschen haben, mit derselben Definition bezeichnet ;
man urtheilt deshalb, dass jeder Einzelne davon zur
höchsten Vollkommenheit gleich geeignet sei, die sich aus
dieser Definition ableiten lässt. Findet man nun einen
Einzelnen, dessen Werke dieser Vollkommenheit wider-
sprechen, so urtheilt man, dass er dieser Vollkommenheit
beraubt sei und von seiner Natur abweiche; man hätte
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Die Lehre der Bibel über das Böse. 91
dies nicht gethan, wenn man ihn nicht mit dieser Be-
griffsbestimmung verglichen und nicht eine solche Natur
ihm beigelegt h&tte. Gott kennt nun aber die Dinge
nicht in solcher abgezogenen Weise; er bildet keine
solche allgemeinen Definitionen und den Dingen kommt
nicht mehr Wirklichkeit zu, als Gottes Einsicht und
Macht ihnen eingegeben und wirklich zugetheilt hat;
deshalb erhellt, dass hier von einer Beraubung nur in
Bezug auf unsere Einsicht, aber nicht in Bezug auf
Gottes Einsicht gesprochen werden kann.
Damit ist, wie mir scheint, die Frage vollständig
gelöst. Um indess den Weg mehr zu ebnen und allen
Zweifel zu beseitigen, habe ich auf die folgenden zwei
Fragen zu antworten, nftmlich 1) weshalb die Schrift
sage, Gott zttchtige die Gottlosen, damit sie sich be-
kehren, und weshalb er Adam ^verboten habe, von dem
Baume zu essen, da er doch das Gegentheil beschlossen
mhabt; 2) scheint aus meinen Worten zu folgen, dass
die Gottlosen, in ihrer Hoffart, Geiz, Verzweiflung
u. s. w. Gott ebenso ehren, wie die Frommen durch
ihren Edelmuth, ihre Geduld, Liebe u. s. w., da Beide
Gottes Willen vollführen.
Li Antwort auf die erste Frage sage ich, dass die
Schrift immer in menschlicher Welse redet, da sie sich
nach dem Volke richtet und für dieses bestimmt ist.
Das Volk ist unfähig, erhabene Dinge zu fassen und
aus diesem Grunde ist nach meiner Ueberzeugung
AUes, was nach Gottes an die Propheten geschehener
Offenbarung zum Heile nothwendig ist, in der Weise
von Gesetzen abgefasst. Auf diese Weise haben die
Propheten Gleichnisse gebildet; erstens haben sie Gott
wegen seiner Offenbarung der Mittel des Heiles und
des Verderbens, deren Ursache er war, wie einen
König und Gesetzgeber ausgeschmückt; die Mittel,
welche nur die Ursachen sind, haben sie Gesetze ge-
nannt und in Form von solchen abgefasst und Heil
und Verderben, die nur Wirkungen sind, welche aus
jenen Mitteln folgen, haben sie als Belohnungen und
Strafen dargestellt Nach dieser Weise von Gleich-
nissen haben sie mehr wie nach der der Wahrheit ihre
Worte eingerichtet und Gott nach dem Muster eines
Menschen hin und wieder dargestellt; bald als zornig,
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92 XXXn. Brief. Spinoza an Blyenbergh.
bald als mitleidig; jetzt nach dem Kommenden ver-
langend und jetzt wieder von Eifersucht und Verdacht
erfasst, ja sogar als vom Teufel getäuscht; so dass
Philosophen imd Alle, welche über dem Gesetze stehen,
d. h. welche der Tugend, nicht weil sie geboten ist,
sondern aus Liebe, weil sie das Beste ist, folgen, von
solchen Ausdrücken verletzt werden.
Das an Adam erlassene Gebot bestand daher nur
darin, dass Gott Adam offenbart hat, das Essen von
diesem Baume werde den Tod herbeiführen; gerade
wie Gott uns durch den natürlichen Verstand offen-
bart, dass das Gift tödtlich ist. Fragen Sie mich aber,
wozu er es ihm offenbart habe, so antworte ich, um
Adam's Wissen vollkommner zu machen. Wollte man
also Gott fragen, weshalb er Adam keinen voUkomm-
neren Willen gegeben habe, so wäre dies ebenso ver-
kehrt, als ihn zu fragen, weshalb er dem Kreise nicht
alle Vollkommenheiten der Kugel gegeben habe? Dies
erhellt deutlich aus dem Vorbemerkten und ich habe
es in der Erläut. zu Lehrs. 15 Th. I. der auf geo-
metrische Weise begründeten Prinzipien von Deseartes
dargelegt.
Was die zweite Schwierigkeit anlangt, so ist es
richtig, dass die Gottlosen Gottes Willen in ihrer Weise
darlegen ; allein deshalb sind sie den Frommen keines-
wegs gleich zu stellen; denn je mehr eine Sache an
Vollkommenheit besitzt, desto mehr hat sie an der
Göttlichkeit Theil und desto mehr drückt sie die Voll-
kommenheit Gottes aus. Da nun die Frommen unver-
gleichlich mehr Vollkommenheit als die Gottlosen
haben, so kann ihre Tugend mit der der Gottlosen
nicht verglichen werden; denn die Gottlosen entbehren
der Liebe zu Gott, die aus der Erkenntniss Gottes
abfliesst und durch die allein wir nach unserer mensch-
lichen Einsicht die Diener Gottes genannt werden
können; vielmehr sind sie, weil sie Gott nicht erken-
nen, nur das Werkzeug in der Hand des Künstlers,
das unbewusst dient und in seinem Dienst verbraucht
wird. Dagegen dienen die Frommen mit Bewusstsein
und werden durch den Dienst vollkommner."*)
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Regeln des Philosophirens. 93
Dreiunddreissigster Brief (Vom 16. Jan. 1665).
Von Wilhelm v. Blyenbergh an Spinoza.
(Antwort auf den vorstehenden Brief.)
(Der lateinische Text ist eine Uebersetzung des hoUändischen
Originals.)
Mein Herr und liebster Freund!
Als ich Ihren Brief erhielt und flüchtig durchlesen
hatte, wollte ich zuerst ihn nicht blos sofort beant-
worten, sondern auch in Vielem widerlegen. Je länger
ich ihn aber überdachte, desto weniger fand ich Stoff
za Entgegnungen und je melir nun mein Wunsch und
die Begierde, ihn zu lesen, mich erfasste, desto mehr
wuchs mein Genuss bei dessen Durchlesung. Ehe ich
jedoch mit der Bitte komme, mir gewisse Schwierig-
keiten zu lösen, bemerke ich, dass ich immer an zwei
allgemeinen Regeln bei meinem Philosophiren festzu-
halten suche. Die erste Regel ist, dass die Begriffe
für meinen Verstand klar und deutlich seien ; die zweite
Regel ist für mich das offenbarte Wort oder der Wille
Gottes. Ich strebe nach der ersten, ein Freund der
Wahrheit, nach beiden aber ein christlicher Philosoph
zu sein. Sollte es hierbei nach langem Prüfen sich
treffen, dass meine natürliche Erkenntniss dem Worte
Gottes zu widersprechen scheint, oder weniger gut mit
ihm übereinstimmt, so hat dieses Wort Gottes so viel
Ansehen bei mir, dass die Vorstellungen, die ich für
kl#r halte, mir vielmehr verdächtig werden, anstatt dass
ich sie über und gegen die Wahrheiten stellte, die in
jenem Buche mir vorgeschrieben worden sind. Und was
ist dabei Auffallendes? Ich will beharrlich glauben,
jenes Wort sei das Wort Gottes, d. h. es sei von dem
höchsten und vollkommensten Gott ausgegangen, der
mehr Vollkommenheit enthält, als ich fassen kann und
der vielleicht über sich und seine Werke mehr Voll-
kommenheit bekannt machen wollte, als ich mit meinem
beschränkten Verstände heute, ich sage heute, fassen
kann. Denn es ist möglich, dass ich durch meine
Werke mich grösserer Vollkommenheiten beraube. Wäre
ich deshalb zufällig von der Vollkommenheit, deren ich
, DigitizedbyV^OOQlC
94 XXXIII. Brief. Blyenbergh an Spinoza.
mich durch meine Handlungen beraubt habe, so würde ich
yielleicht einsehen, dass Alles, was durch jenes Wort uns
gesagt und gelehrt wird, mit den gesundesten Begriffen
meines Verstandes übereinkomme. Da ich indess mir
selbst nicht traue, ob ich nicht durch einen fortdauernden
Irrthum mich selbst eines besseren Zustandes beraube,
und ob nicht, wie Sie Lehrs. 15, TL I. der Prinzipien an-
nehmen, unsere Erkenntniss bei aller Klarheit noch eine
UnvoUkommenheit elnschliesst, so neige ich, wenn auch
ohne Grund, mehr zu jenem Worte und stütze mich auf
diese Grundlage, die von dem Vollkommensten ausge-
fangen ist (dies setze ich n&mlieh hier voraus, da
essen Beweis nicht hierher gehört oder zu lang werden
würde) und deshalb von mir geglaubt werden muss.
Wenn ich blos nach der ersten meiner Regeln, mit
Ausschluss der zweiten, als bestände sie nicht oder
besIKsse ich sie nicht, über Ihren Brief urtheilen sollte,
so müsste ich Vieles zugestehen, wie ich auch thue
und Ihre feinen Begriffe müssten mich misstrauisch
machen; aber meine zweite Regel nöthigt mich zu einer
viel weiteren Entfernung von Ihnen. Indess will ich
sie, so weit wie die Briefform es erlaubt, an der Hand
dieser und jener Regel etwas ausführlicher untersuchen.
Meine erste Frage war, jener ersten Regel ent-
sprechend, ob, wenn nach Ihrer Aufstellung das Schaffen
und Erhalten ein und dasselbe ist und wenn Gott nicht
blos die Dinge, sondern auch die Bewegungen und Zu-
stände der Dinge in ihrer Weise fortdauern macht, d. h.
wenn er ihnen seine Mitwirkung gab, nicht daraus folgt,
dass es kein Böses gebe, oder dass Gott selbst das
Böse bewirke. Ich stütze mich dabei auf die Regel,
dass nichts gegen Gottes Willen geschehen kann; denn
sonst enthielte Gott eine UnvoUkommenheit, oder die von
Gott bewirkten Dinge (unter denen auch die enthalten
sind, welche man böse nennt) müssten böse sein. Da
dies indess einen Widerspruch enthält und da ich, wie
ich mich auch wendete, aus diesem Widerspruch nicht
herauskommen konnte, so habe ich mich deshalb an Sie
gewendet, als den besten Ausleger Ihrer Sätze. Sie sagen
nun in Ihrer Antwort, dass Sie bei Ihrem ersten Aus-
spruch beharren, nämlich dass nichts gegen Gottes Willen
geschehe und geschehen könne. Allein in Antwort auf
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Der Begriff des Bösen. 95
die Schwierigkeit, ob daher Gott nicht auch das Böse
thne, „leugnen Sie, dass das Böse etwas Positives sei und
„bemerken, dass man nur sehr uneigentlich sagen könne,
„wir sündigten gegen Gott.^ Ebenso sagen Sie in Ihrem
~' '^. Ka ~
Anhange Th. I. Kap. 6: „Es giebt kein unbedingtes
„Schlechte, wie an sich klar ist; denn Alles, was besteht,
„enthldt, an sich und ohne Beziehung auf Anderes be-
„trachtet, eine Vollkommenheit, die sich in jedem Gegen-
„ Stande immer so weit erstreckt, als sich das Wesen des-
„selben erstreckt. Deshalb können offenbar die Sünden,
„weil sie nur eine UnvoUkommenheit bezeichnen, nicht
„in Etwils, was das Wesen ausdrückt, bestehen.***")
— Wenn die Sünde, das Böse, der Irrthum, oder wie
Sie es nennen wollen, nur den Verlust oder die Be-
raubung eines vollkommeneren Zustandes bezeichnet, so
folgt allerdings, dass das Dasein kein Böses und keine
UnvoUkommenheit sein kann; vielmehr muss das Böse
an einem bestehenden Gegenstande entstehen. Denn das
Vollkommne kann durch eine gleich vollkommne Hand-
lung seinen vollkommnen Zustand nicht verlieren; aber
wohl dadurch, dass wir zu etwas UnvoUkommnen hin-
neigen, indem wir die uns gegebenen Kräfte missbrauchen.
Dies scheinen Sie „nicht bös, sondern weniger gut zu
„nennen, weil die Dinge, an sich betrachtet, die VoU-
„kommenheit enthalten und weil den Dingen, wie Sie
„sagen, nicht mehr Wesenheit zukommt, als die gött-
„ liehe Einsicht und Macht ihnen zutheilt und wirklich
„giebt und weil sie deshalb nicht mehr an Sein in
„ihren Handlungen darlegen können, als sie an Wesen-
„heit empfangen haben. ^ Denn wenn ich weder mehr,
noch weniger an Wirksamkeit von mir geben kann, als
ich Wesenheit empfangen habe, so kann man keine
Beraubung eines voUkommneren Zustandes annehmen.
Wenn nämlich nichts gegen Gottes Willen geschieht
und wenn nur soviel geschieht, als Wesenheit miteetheilt
ist, auf welche Weise kann man das Böse sich denken,
was Sie die Beraubung eines besseren Zustandes nennen ?
Wie vermag Jemand durch das so bestimmte und ab-
hängige Werk einen voUkommneren Zustand zu ver-
lieren? Ich sollte daher meinen, Sie, geehrter Herr,
müssen entweder annehmen, dass es ein Böses giebt, oder
wo nicht, dass es auch keine Beraubung eines besseren
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% XXXni. Brief. Blyenbergh an Spinoza.
Zastandes giebt. Denn dass es kein Böses und doch
eine Beraubung eines bessern Zastandes geben sollte,
scheint mir ein Widerspruch zu sein.
Sie sagen vielleicht, dass wir durch die Beraubung
eines yollkommnem Zustandes zwar in ein weniger
Gutes, aber nicht in das unbedingt Schlechte zoräck-
fallen; allein Sie haben (Anhang, Th. I. Kap. 3) mich ge-
lehrt, nicht über Worte zu streiten; deshalb streite ich
nicht darüber, ob dies unbedingt oder nicht genannt
werden soll, sondern frage nur, ob das Fallen aus einem
bessern Zustand in einen schlechtem bei uns nicht mit
Recht ein schlechter oder ein böser Zustand genannt
werde und werden soll. Sie erwidern zwar, dass dieser
schlechte Zustand noch viel Gutes enthalte, allein ich
frage, ob nicht Der, welcher durch seine Unklug-heit
dahin gekommen, dass er eines vollkommnem Zustandes
beraubt ist und folglich sich jetzt in einem geringeren als
früher befindet, böse genannt werden kann?^)
Um indess diesem Beweise auszuweichen, da bei ihm
noch einige Schwierigkeiten Mr Sie bleiben, behaupten
Sie: „es sei zwar das Böse in Adam gewesen; allein
„dasselbe sei kein Positives, sondern hiesse nur so in
„Beziehung auf unsere, aber nicht auf Gottes Einsicht;
„in Bezug auf uns sei es eine Beraubung (allein nur
„so weit, als wir selbst dadurch uns der besten, auf unsere
„Natur bezüglichen und in unserer Macht befindlichen
„Freiheit berauben), in Bezug auf Gott nur eine Ver-
„neinung.^ Ich werde also prüfen, ob das, was Sie
das Böse nennen, kein Böses ist, wenn es nur in Be-
zug auf uns das Böse ist ; und dann, ob das Böse, in
Ihrem Sinne aufgefasst, in Bezug auf Gott nur eine
Verneinung genannt werden kann.
Auf die erste Frage glaube ich schon oben einiger-
massen geantwortet zu haben. Wenn ich auch zugebe,
dass meine blosse geringere Vollkommenheit inVer^eich
zu einem andern Wesen noch nicht das Böse in mir aas-
machen kann, weil ich keinen bessern Zustand von dem
Schöpfer verlangen und nur bewirken kann, dass mein
Zustand im Grade verschieden ist, so kann ich deshalb
doch noch nicht einräumen und zugestehen, dass, wenn
ich jetzt unvollkommener als früher bin und mir diese
Unvollkommenheit durch meine Schuld bereitet habe, ich
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Ob das Böse eine Verneinung ist. 97
deshalb nicht um so viel schlechter sei. Wenn icb^ sage
ich, ehe ich in eineUnvollkommenbeit gerathen bin, mich
betrachte und mit Andern, die mit einer grossem Voll-
kommenheit begabt sind, vergleiche, so ist meine gerin-
gere Vollkommenheit noch nichts Böses, sondern nur
ein dem Grade nach geringeres Gute. Vergleiche ich
dagegen mich, nachdem ich aas dem vollkommneren
Zustand herabgefallen imd durch meine eigene Unklug-
beit desselben mich beraubt habe, mit meiner ersten
Verfassung, nach der ich aus der Hand eines Schöpfers
hervorgegangen bin und vollkommener war, so muss ich
sagen, dass ich jetzt schlechter als vorher bin; denn nicht
der Schöpfer, sondern ich habe mich dahin gebracht
und es standen mir, wie auch Sie anerkennen, Kräfte
zur Vermeidung des Irrthums zu Gebote."')
Die zweite Frage ist, ob das Böse, was nach Ihnen
in der Beraubung eines bessern Zustandes besteht,
den nicht blos Adam, sondern wir Alle durch eine
übereilte und unüberlegte That verloren haben, in Be-
zug auf Gott eine blosse Verneinung ist.
Um dies mit gesundem Verstände zu prüfen, haben
wir zu fragen, wie Sie den Menschen auffassen, und wie
er nach Ihnen von Gott abhängt, ehe er noch irgend geirrt
hat, und wie Sie denselben Menschen, nachdem er geirrt,
auffassen. Vor seinem Irrthum hat er, nach Ihrer Dar-
stellung, nicht mehr Wesenheit, als die göttliche Einsicht
und Macht ihm zutheilt und wirklich gewährt, d. h. (wenn
ich Sie recht verstehe) der Mensch kann nicht mehr noch
weniger VoUkommenneit besitzen, als Gott an Wesen-
heit in ihn gelegt hat. Dies hiesse indess einen Menschen
so von Gott abhängig machen, wie die Elemente, die
Steine, die Pflanzen u. s. w. Ist dies Ihre Ansicht, so
weiss ich nicht, was die Worte in Lehrsatz 15, Th. I. der
Prinzipien sagen wollen, wo Sie aussprechen: „Da indess
„der Wille die Freiheit hat, sich zu bestimmen, so folgt,
„dass wir vermögen, unsere Fähigkeit der Zustimmung
„innerhalb der Grenzen dieser Einsicht zu halten und
„damit zu bewirken, dass wir nicht in den Irrthum ge-
„rathen.** Ist es nicht ein Widerspruch, den Willen so
frei zu erklären, dass er sich vor Irrthum schützen kann
und gleichzeitig ihn von Gott so abhängig zu machen,
dass er nicht mehr noch weniger Vollkommenheit äussern
kann, als Gott an Wesenheit ihm v^rlieh^n ha^*^^^.^^
igi ize y ^
98 XXXIII. Brief. Bljenbergh an Spinoza.
In Bezug auf den zweiten Punkt, nämlich wie Sie
den Menschen nach dem Irrthume annehmen, sagen Sie,
dass der Mensch durch eine zu heftige Handlung, indem
er nämlich den Willen nicht in den Schranken der Ein-
sicht hält, sich selbst des vollkommneren Zustandes be-
raube; allein mir däucht, Sie hätten hier und in den
Prinzipien die beiden Gegensätze dieser Beraubungnäher
erläutern sollen, nämlich was der Mensch vor der Berau-
bung gehabt und was er nach Verlust jenes vollkommne-
ren Zustandes (wie Sie es nennen) noch behalten hat. Es
wird wohl im Lehrs. 15, Th. I. der Prinzipien gesagt, was
wir verloren haben, aber nicht, was wir behalten nahen,
indem es dort heisst: „Die ganze Unvollkommenheit des
„Irrthnms besteht also nur in der Beraubung der besten
„Freiheit, und sie wird Irrthum genannt.^ Lassen Sie uns
es jedoch in der von Ihnen angenommenen Weise prttfen.
Es giebt nach Ihnen nicht blos verschiedene Zustände
des Denkens, die wir d^n einen das Wollen, den andern
das Denken nennen ; sondern es besteht auch zwischen
diesen eine solche Ordnung, dass man eine Sache nicht
eher wollen soll, als bis man sie klar einsieht; denn
wenn wir den Willen in den Schranken der Einsicht
halten, gerathen wir, nach Ihnen, nie in den Irrthum,
und es soll femer in unserer Macht stehen, den Willen
so in den Schranken der Einsicht zu halten. Wenn
ich dies ernstlich erwäge, so muss eines von Beiden
wahr sein; entweder ist alles Angenommene nur Ein-
bildung, oder Gott hat diese Ordnung uns eingesehen.
Hat Gott es gethan, wäre es da nicht widersinnig, zu
sagen, dass dies ohne Zweck geschehen sei und dass Gott
nicht verlange, wir sollten eine Ordnung beobachten
und befolgen? dies würde einen Widerspruch in Gott
setzen. Sollen wir dagegen die in uns gelegte Ordnong
befolgen, wie können wir da so von Gott abhängig sein
und bleiben? Hat nämlich Jemand weder melu*, noch
weniger an Vollkommenheit, als er an Wesenheit empfan-
gen hat, und muss dies nach den Wirkungen, wie Sie
wollen, beurtheilt werden und so hat Der, welcher seinen
Willen über die Grenzen seiner Einsicht ausdehnt, nicht
so viel an Kräften von Gott empfangen; denn sonst
würde er sie wirken lassen, und daher hat Der, welcher
irrt, von Gott die Vollkommenheit, nicht zu irren, nicht
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Die Abhängigkeit von Gott. 99
empfangen; denn sonst würde er niemals irren, da,
nach Ihnen, so viel an Wesenheit gegeben ist, als an
Vollkonunenheit ge&ussert wird.
Wenn femer Gott nns so viel an Wesenheit sutheilt,
dass wir diese Ordnung beobachten können, wie Sie
ja selbst annehmen, dass wir es können, und wenn wir so
viel Vollkommenheit äussern, als wir Wesenheit empfan-
gen haben, wie kommt es da, dass wir sie überschreiten?
wie, dass wir diese Ordnung überschreiten können, und
dass wir den Willen nicht immer innerhalb der Grenzen
der Einsicht halten?
Wenn ich drittens von Gott so abhänge, wie ich ge-
zeigt, dass Sie annehmen, und ich also meinen Willen
weder innerhalb, noch ausserhalb der Grenzen der Ein-
sicht kalten kann, sofern mir Gott nicht im Voraus die
dazu nöthige Wesenheit gegeben und in seinem Willen
dies vorher bestimmt hat, wie kann ich da, dies recht
betrachtet, durck den Gebrauch die Freiheit des Willens
erlangen? Wäre es nicht ein Widerspruch in Gott, wenn
er uns die Ordnung vorschriebe, unsem Willen innerhalb
der Schranken der Einsicht zu halten, und er doch uns
nicht so viel Wesenheit oder Vollkommenheit gäbe, dass
wir dies erfüllen könnten, und wenn Gott nach Ihrem Aus-
spruche uns so viel Vollkommenheit gewährt hat, so könn-
ten wir f&rwahr niemals irren, da wir so viel an Voll-
kommenheit äussern müssen, als wir an Wesenheit be-
sitzen, und da wir die empfangenen Kräfte in unsem
Werken immer äussern müssen. Unsere Irrthümer sind
dann ein Beweis, dass wir eine solche von Gott abhän-
gende Macht (wie Sie annehmen) nicht haben, und Eines
von Beiden muss dann wahr sein: entweder hängen wir
nicht so von Gott ab, oder wir haben in uns nicht die
Macht, nicht zu irren. Nun haben wir aber, wie Sie an-
nehmen, die Macht zu irren; also hängen wir von Gott
nicht so ab. ^
Aus Vorstehendem dürfte schon klar erhellen, dass
das Böse oder die Beraubung eines bessern Zustandes in
Beziehung auf Gott keine blosse Vemeinung sein kann.
Denn was heisst: Etwas beraubt werden oder einen voll-
kommneren Zustand verlieren? Ist es nicht ein Ueber-
gehen aus einer fi^rösseren in eine geringere Vollkommen-
heit, und folglich auch aus einer grösseren Wesenheit in
SplBOBA, Bli«f«. DigitiÄbyV^OOgie
100 XXXtll Brief. Blyenbergh an l^pinozä.
eine geringere? Und sind wir damit nicht durch Gott in
ein gewisses Maas von Vollkommenheit und Wesenheit
gestellt? Ist damit nicht gesagt, dass Gott wolle, ¥rir sollen
keinen andern Zustand, neben der vollkommenen Kennt-
niss seiner, erlangen, weil er es einmal so beschlossen
und gewollt habe? Ist es wohl möglich, dass dieses von
dem allwissenden und höchst vollkommenen Wesen her-
vorgebrachte Geschöpf, von dem Gott gewollt, dass es
einen solchen Zustand von Wesenheit immer behalte, ja
bei dem Gott immer mitwirkt, um es in diesem Zustand
zu erhalten, ich sage, kann dieses Geschöpf an Wesenheit
abnehmen, und soll es an Vollkommenheit, ohne dass Gott
davon Kenntniss nimmt, geringer werden? Dergleichen
ist widersinnig. Denn wäre es nicht eine widersinnige Be-
hauptung, dass Adam den vollkommneren Zustand ver-
loren habe und deshalb zu der Ordnung ungeeignet ge-
worden, welche Gott m seine Seele gelegt hatte, und Gott
habe keine Kenntniss gehabt, welcher Art und Grösse der
Verlust an Vollkommenheit bei Adam gewesen? Kann
man sich vorstellen, Gott habe ein Wesen so abhängig ge-
macht, dass es nur so handeln k<mnte und doch wegen
dieses Handelns seinen vollkommneren Zustand verlieren
solle, abgesehen davon, dass Gott doch die schlecht-
hinnige Ursache davon gewesen, und dass Gott doch
davon keine Kenntniss gehabt?
Ich gebe zu, dass es zwischen derHandlung und dem
ihr anhängenden Bösen einen Unterschied giebt; dass
aber das Böse in Bezug auf Gott nur eine Verneinung sei,
übersteigt meine Fassungskraft. Gott soll die Handlung
kennen, sie bestimmen, bei ihr mitwirken und doch das in
dieser Handlung enthaltene Böse und deren Ausgang
nicht kennen; dies scheint mir bei Gott unmöglich. i^)
Bedenken Sie, dass Gott bei meinem Zeugungsakte
mit meiner Frau mitwirkt; er ist etwas Positives, und
folglich hat Gott ein klares Wissen von ihm; miss-
brauche ich aber diesen Akt, und lasse ich mich gegen
die versprochene Treue und den geleisteten Schwur mit
einer anaern Frau ein, so wirkt er auch bei diesem Akte
mit. Was soll da hier rücksichtlich Gottes die Verneinung
sein ? Der Zeugungsakt kann es nicht sein ; denn soweit
er ein Positives ist, wirkt Gott dabei mit. Das Böse, was
diesen Akt begleitet, kann ebenso nur sein, dass ich gegen
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Verhättnke Gottes 2am Bösen« 101
mein eigenes Versprechen oder Gottes Geheiss einer An'
dem beiwohne, wo es nicht erlaubt ist. Kann man es
aber verstehen, dass Gott unsere Handlangen kennt und
dabei mitwirkt und doch nicht weiss, mit welcher Person
wir den Akt vollziehen, zumal ja Gott auch bei dem Akt
jener Frau mitwirkt, mit der ich zu thun gehabt? Es
fifcllt schwer, dies von Gott anzunehmen, i**)
Nehmen Sie weiter eine Mordthat; soweit sie eine
positive Handlung ist, wirkt Gott mit; sollte er nun die
Wirkung dieser Handlung, d. h. die Vernichtung eines
Wesens und die Zerstörung eines Geschöpfes Gottes nicht
wissen? Sollte somit Gott sein eigenes Werk unbekannt
sein? (Ich fürchte beinah, dass ich Ihre Meinung nicht
richtig auffasse, da Ihre Gedanken an sich zu klar sind,
um einen so groben Irrthum zu begehen.) Vielleicht be-
haupten Sie, dass diese von mir erwähnten Handlungen
rein gute seien und dass kein Böses sie begleite; aber
dann kann ich nicht fassen, was Sie böse nennen, und
was der Beraubung eines voUkommneren Zustandes folgt.
Die Welt beende sich dann in einer ewigen und un-
unterbrochenen Verwirrung, und wir ständen den wilden
Thieren gleich. Bedenken Sie, ob diese Ansicht der
Welt einen Nutzen bringen kann. ^^)
Sie verwerfen den gewöhnlichen Begriff des Men-
schen und geben jedem Menschen so viel Vollkommen-
heit, als Gott ihm zu seinem Wirken verliehen hat. Dann
scheinen Sie mir aber anzunehmen, dass die Gottlosen
dnrch ihre Thaten Gott ebenso dienen, wie die Frommen
durch ihre.i^) Warum? Weil Beide keine voUkommne-
ren Werke vollbringen können, als Jedem Wesenheit ge-
geben worden, untl er durch seine Thaten darlegt. Auch
in Ihrer zweiten Antwort scheinen Sie mir die Frage
nicht zu erledigen, wenn Sie sagen : ^ Je mehr ein Ding
„vollkommen ist, desto mehr hat es an der Göttlichkeit
„Theil und drückt Gottes Göttlichkeit mehr aus. Wenn
„also die Frommen unvergleichlich mehr Vollkommenheit
„als die Gottlosen haben, so kann deren Tugend mit der
„der Gottlosen nicht verglichen werden. Die Gottlosen
„sind, weil sie Gott nicht kennen, nur Werkzeuge in der
„Hand des Künstlers, die unbewusst dienen und im Die-
„nen verbraucht werden; aber die Frommen dienen wis-
„send und werden durch das Dienen vollkommener.^
Dgi#zed by V^OOQ IC
102 XXXin. Brief. Blyenbergh an Spinoza.
Für Beide gilt doch, dass sie nicht mehr thun können;
denn wenn der Eine VoUkommneres als der Andere ver-
richtet, so hat er nm so viel mehr Wesenheit als der
Andere erhalten. Dienen daher die Gottlosen mit ihrer
geringen Vollkommenheit Gott nicht ebenso wie die
Frommen? ^^) Denn nach Ihrer Ansicht verlangt Gott
von den Gottlosen nicht mehr; sonst hätte er mehr We-
senheit in sie gelegt; dies hat er nicht gethan, wie
man aus ihrem Wirken erkennt; und deshalb verlangt
er auch nicht mehr von ihnen. Wenn daher Jedweder
nicht mehr oder weniger thut, als Gott will, weshalb soll
daher Der, welcher nur wenig thut, aber immer doch
so viel, als Gott von ihm verlangt, Gott nicht ebenso
genehm sein als der Fromme?
Wenn weiter wir nach Ihrer Ansicht durch das Böse,
das die Handlung begleitet, den vollkommneren Zustand
in Folge unserer Unklugheit verlieren, so scheinen Sie
mir auch hier anzunehmen, dass wir, wenn wir unsem
Willen innerhalb der Grenzen der Einsicht halten, nicht
blos so vollkommen bleiben, als wir sind, sondern dass
wir durch solches Dienen auch voUkommener werden.
Dies scheint mir aber ein Widerspruch zu sein; einmal
sollen wir so von Gott abhängen, dass wir nur so viel an
Vollkommenheit verrichten können, als wir an Wesenheit
empfangen haben, d. h. als Gott gewollt hat ; und dann
sollen wir durch Unklugheit schlechter und durch Klug-
heit besser werden. Dennoch scheinen Sie anzunehmen,
dass, wenn die Menschen so sind» wie Sie sie beschrei-
ben, die Gottlosen durch ihre Werke Gott ebenso dienen
wie die Frommen durch die ihrigen; die Menschen sind
dann ebenso abhängig von Gott wie die Elemente, Steine,
Pflanzen u. s. w. Wozu dient dann noch unser Verstand
und die Fähigkeit, den Willen innerhalb der Einsicht zu
halten? Weshalb ist diese Kegel uns vollschrieben?
Bedenken Sie andererseits, wessen wir uns dadurch
berauben; nämlich jener sorgfl<igen und ernsten Erwä-
gung, um uns nach der Kegel von Gottes Vollkommen-
heit und der uns eingegebenen Ordnung vollkommen zu
machen. Wir berauben uns dann des Gebetes und der
Seufzer zu Gott, aus denen wir so oft ausserordentlichen
Trost geschöpft haben; wir berauben uns der ganzen Ke-
ligion und aU jener Uofinungen und Tröstungen, die wir
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Sünde gegen Gott. 103
von den Gebeten und der Religion erwarten. Denn wenn
Gott keine Kenntnis vom Bösen hat, so ist es noch weni-
ger glaublich, dass er den Bösen bestrafen werde. Was
hindert mich dann, dass ich jedwede Missethat begierig
verübe (wenn ich nur dem Richter entgehe)? Weshalb
sammle ich mir dann nicht mit verabscheuenswerthen
Mitteln Reichthümer? Weshalb thne ich dann nicht, ohne
Unterschied, wohin die Begierde mich treibt, das, was mir
beliebt? Sie werden sagen, dieTugend ist um ihrer selbst
willen zu lieben. Aber wie kann ich die Tugend lieben?
ich habe nicht so viel Wesenheit und Vollkommenheit
erhalten, und wenn ich gleich viele Seelenruhe so oder
so haben kann, weshalb soll ich mir Gewalt anthun und
meinen Willen innerhalb der Grenze meiner Einsicht hal-
ten? Weshalb soll ich dann nicht das thun, wozu die
Jjeidenschaft treibt? Weshalb tödte ich dann nicht heim-
lich denMenschen, der mir irgendwo hinderlich ist? u.s.w.
Sie sehen, welche Thüren wir allen Bösen und der Gott-
losigkeit öfihen. Wir machen damit uns selbst dem
Holzscheit und alle unsere Handlungen den Schlägen
der Uhr gleich."»)
Unter Ihren Aussprüchen bedrückt mich der sehr,
dass man nur uneigentlich sagen könne, wir sündigten
^egen Gott. Wozu nützt die uns verliehene Macht, den
Willen innerhalb der Schranken der Einsicht zu halten,
wenn wir bei Nichtbeachtung dieser Schranken doch nicht
^egen diese Ordnung sündigen? Sie erwidern vielleicht,
dies sei keine Sünde gegen Gott, sondern gegen uns
selbst;"*) denn wenn wir wirklich gegen Gott sündigen
könnten, so könnte man auch sagen, dass etwas gegen
Gottes Willen geschehen könne ; was nach Ihnen unmög-
lich ist, folglich auch die Sünde. Indess kann nur Eines
oder das Andere wahr sein; entweder Gott will es, oder
will es nicht. Will er es, wie kann es da in Bezug auf uns
böse sein?"') will er es nicht, so kann es nach Ihrer
Ansicht nicht geschehen. Obgleich dies, wie Ihr Aus-
spruch lautet, einen Widersinn enthielte, so wäre es
doch höchst gefährlich, dergleichen Widersinn zuzu-
lassen. Wer weiss indess, ob ich nicht, bei sorgfilltiger
Nachforschung, ein Mittel finden könnte, diesen Wider-
spruch zu versöhnen?
Damit schliesse ich die Prüfung Ihres Schreibens
Digitized by^OOQlC
104 XXXni. Brief. Blyenbefgh an Spinoza.
nach meiner ersten Hauptregel ; ehe ich indeds zu dessen
Prüfung nach der zweiten Hauptregel übergehe, berühre
ich noch zwei auf Ihren Brief bezügliche Punkte, welche
in Lehrsatz 15, Th. I. der Prinzipien enthalten sind. Der
erste ist, dass Sie behaupten, ^wir könnten die Kraft zu
„wollen und zu urtheilen innerhalb der Grenzen der Ein-
„sieht halten.^ Ich kann dies nicht unbedingt zugestehen.
Wäre dieser Satz wahr, so würde sicherlich unter den
unzählig vielen Menschen Einer sich finden, welcher
zeigte, dass er diese Kraft besitze, wie auch Jeder-
mann an sich selbst erfahren kann, dass er, trotz aller
Anstrengung, dieses Ziel nicht zu erreichen vermag.
Wenn Jemand hierbei noch zweifelt, so mag er sich
selbst fragen, wie oft die Leidenschaften gegen sein bes-
seres Wissen seine Vernunft besiegen, trotzdem dass er
sich mit allen Kräften dagegen stemmt. Sie werden
sagen, dass wir dies nur deshalb nicht vermögen, nicht
weil es unmöglich ist, sondern weil wir nicht den nö-
thtgen Fleiss anwenden; allein darauf erwidere ich, dass,
wenn es möglich wäre, doch wenigstens Einer unter so
viel Tausenden gefunden werden würde; aber es hat
nicht Einen unter allen Menschen gegeben, und es giebt
Keinen, der sich rühmen könnte, in keinen Irrthum ge-
rathen zu sein. Welche sicherem Beweise kann man
aber hierfür beibringen, als die Beispiele selbst? Wenn
es nur Wenige wären, so gäbe es doch Einen ; aber da
es Keinen giebt, so giebt es auch keinen Beweis. Sie
werden dennoch sagen : Wenn ich einmal vermag, durch
Zurückhaltung des IJrtheils und des Willens innerhalb
der Schranken der Einsicht mich gegen den Irrthum zu
schützen, warum sollte ich bei Anwendung desselben
Fleisses dies nicht immer vermögen? Ich antworte, wie
ich nicht einsehe, dass wir heute solche Kräfte haben,
die immer vorhalten müssen; ich kann wohl einmal bei
Anspannung aller Nerven in einer Stunde einen Weg von
zwei Meilen zurücklegen; aber um dies immer auszufüh-
ren, fehlen mir die Kräfte. So kann ich wohl mit der
höchsten Anstrengung mich einmal vor dem Irrthum
schützen; aber um dies immer zu leisten, fehlen mir die
Kräfte. Es scheint mir klar, dass der erste aus der
Hand jenes vollkommenen Künstlers hervorgegangene
Mensch mit diesen Kräften versehen gewesen ist; aber
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Ueber L. 15. I. der Prinzipien von Descartes 105
(vrie ich hier mit Ihnen {ibereinstimnie) indem er diese
l^jräfte nicht gebrauchte oder missbrauchte, hat er seinen
vollkommenen Zustand zur Leistung dessen, was früher
von ihm abhing, verloren. Ich könnte dies mit vielen
Gründen, wenn es nicht zu lang würde, bestätigen.
Hierin scheint mir das ^anze Wesen der heiligen Schrift
zu liegen, die man deshalb in Ehren halten muss,
'weil sie uns das lehrt, was unser natürlicher Verstand
uns so klar bestätigt, dass nämlich der Fall ans
unserer anfanglichen Vollkommenheit durch unsere
TJnklngheit veranlasst worden. Was ist deshalb nöthi-
ger, als diesen Abfall wieder zu verbessern? Und auch
der heiligen Schrift einziges Ziel ist es, den gefallenen
Menschen zu Gott zurückzuführen.
Zweitens sagen Sie in Lehrs. 15, Th. I. der Prin-
zipien: ^es widerstrebe der menschlichen Natur, die
Dinge klar und deutlich einzusehen,^ und daraus schlies-
sen Sie zuletzt: „Es sei weit besser, den Dingen, auch
„wenn man sie nur verworren ei*fasst habe, beizustimmen
„und seine Freiheit zu üben, als immer in Gleichgül-
„tigkeit, d. h. in dem niedrigsten Grade der Freiheit
„zu verharren." Die Dunkelheit dieses Satzes hindert
mich, ihm beizustimmen; denn die Zurückhaltung des
Urtheils erhält uns in dem Zustande, in welchem wir von
dem Schöpfer geschaffen worden sind; aber verworrenen
Dingen zustimmen, heisst Dingen beistimmen, die man
nicht erkannt hat, und so kann man dann ebenso leicht
dem Wahren wie dem Falschen beistimmen. Und wenn
(wie Descartes irgendwo sagt) wir diese Anordnung in
dem Beistimmen nicht befolgen, welche Gott zwischen
unserer Einsicht und unserem Willen getroffen hat, näm-
lich dass man nur dem klar Erkannten beistimme, so
können wir vielleicht zufällig die Wahrheit treffen ; allein
da wir die Wahrheit doch nicht in der von Gott gewollten
Ordnung erfassen, sündigen wir doch und folglich er-
hält uns die Zurückhaltung der Zustimmung in dem
Zustand, in dem Gott uns geschaffen hat; dagegen macht
die Zustimmung zu Verworrenem unsem Zustand
schlechter; denn sie legt den Grund zum Irrthum, durch
den wir dann den vollkommenen Zustand verlieren.
Ich höre indess Sie sprechen: Ist es nicht besser,
dass wir uns vollkommener machen, selbst durch Zustim-
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106 XXXm. Brief. Blyenbergb an Spinoza.
mting zu verworrenen Dingen, als dass wir dnrch Nicbt-
zu8timmnng immer in dem untersten Grade der Voll-
kommenheit und Freiheit bleiben? Allein ich leugne dies
und habe schon gezeigt, dass wir damit uns nicht besser,
sondern schlechter machen ; allein es scheint mir auch
unmöglich und widersprechend, dass Gott die Erkennt-
niss der von ihm selbst bestimmten Dinge weiter aus-
dehne wie die, welche er uns verliehen hat; vielmehr
würde dann Gott die schlechthinnige Ursache unserer
Irrthümer in sich enthalten. Auch widerspricht dem
nicht, dass man Gott nicht anklagen kann, weil er
nicht mehr, als geschehen, uns verliehen habe, indem
er dazu nicht verbunden gewesen sei. Es ist aller-
dings richtig, dass Gott zu Mehrerem, als er gegeben,
nicht verbunden gewesen, allein die höchste Vollkom-
menheit Gottes führt auch dazu, dass das von ihm aus-
gehende Geschöpf keinen Widerspruch enthalte, was
dann doch der Fall sein würde; denn nirgends in der
erschaffenen Natur finden wir ausser in unserem Ver-
stände ein Wissen. Zu welchem Ende ist es uns also
verliehen, als zur Betrachtung und Erkenntniss der
Werke Gottes? Und was scheint offenbarer daraus zu fol-
gen, als dass zwischen den zu erkennenden Dingen und
unserer Erkenntniss eine Ueberein Stimmung bestehe?
Wollte ich nun Ihren Brief nach dem eben Gesagten
meiner zweiten Hauptregel entsprechend prüfen, so
würden wir noch weiter als bei der ersten von einander
abweichen. Mir scheint nämlich (weisen Sie dem Verirr-
ten den Weg), dass Sie der heiligen Schrift nicht jene
untrügliche Wahrheit und Göttlichkeit zuschreiben, die
ihr nach meiner Ueberzeugung innewohnt. Es ist zwar
richtig, dass Sie sagen, Sie glaubten, Gott habe den In-
halt der heiligen Schrift den Propheten offenbaret; aUein
doch nur in so unvollkommener Weise, dass es, wenn es
wirklich so, wie Sie sagen, geschehen wäre, es einen
Widerspruch in Gott enthalten würde. Hat nfimlich
Gott sein Wort und seinen Willen den Menschen offen-
baret, so ist dies klar und zu einem bestimmten Zweck
geschehen. Wenn nun die Propheten aus diesem Worte,
das sie empfangen, ein Gleichniss gemacht hütten, so
hätte Gott dies entweder gewollt oder nicht. Hätte er
gewollt, dass sie ein Gleichniss daraus machten, d. h.
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Ueber die Auslegung der BibeL 107
dass sie von seinem Sinne abwichen, so wäre Gott die
Ursache dieses Irrthams, nnd er hätte etwas, was sich
widerspräche, gewollt. Wollte er es aber nicht, so war
es für den Propheten unmöglich, ein Gleichniss daraus
zu machen, üeberdem muss man annehmen, dass, wenn
Gott den Propheten sein Wort mitgetheilt hat, es so ge-
schehen ist, dass sie bei dessen Empfang nicht irrten ;
ilenn Gott mnsste bei Offenbarung seines Wortes ein
bestimmtes Ziel haben, und die Menschen zum Irrthum
zu verleiten, konnte er sich nicht als Ziel vorsetzen, da
dies ein Widerspruch in Gott sein würde. Auch konnten
die Menschen gegen Gottes Willen nicht irren ; dies ist
auch nach Ihnen unmöglich. Üeberdem kann man von
dem höchst vollkommenen Gotte nicht annehmen, er
werde zulassen, dass seinem den Propheten mitgetheil-
ten Worte zur Erläuterung för das Volk von den Pro-
pheten ein anderer Sinn beigelegt werde, als Gott ge-
wollt habe. Denn nimmt man an, Gott habe den Pro-
pheten sein Wort mitgetheilt, so erkennt man damit
zngleich an, dass Gott den Propheten auf eine ausser-
ordentliche Weise erschienen ist, oder mit ihnen ge-
sprochen hat. Wenn nun die Propheten aus diesem
empfangenen Worte ein Gleichniss machen, d. h. ihm
einen anderen Sinn geben, als Gott gewollt, so würde
Gott sie darüber belehrt haben. Denn bezüglich der
Propheten ist es unmöglich und bezüglich Gottes ein
Widerspruch, d^iss die Propheten einen anderen Sinn
hineingelegt, als Gott gewollt hat.
Sie beweisen nicht, dass Gott sein Wort so, wie
Sic wollen, offenbart habe; er soll nämlich nur das Heil
und das Verderben offenbart haben und bestimmte Mittel
flir diesen Zweck beschlossen haben, und das Ziel und
das Verderben sollen nur die Wirkung dieser beschlos-
senen Mittel sein. Wenn indess die Propheten Gottes
Wort in diesem Sinne empfangen hätten, aus welchem
Grunde sollten sie ihm da einen anderen Sinn beigelegt
haben? Sie führen keinen Beweis, um uns zu überzeu-
gen, dass wir Ihre Ansicht über die der Propheten stel-
len. Wenn Sie meinen, dieser Beweis liege darin, dass
ohnedem Gottes Wort viel Unvollkommenes und Wider-
sprechendes enthalten würde, so behaupten Sie dies
zwar, aber beweisen es nicht. Und wer will wissen,
Digitized by^OOQlC
108 XXXIII; Brief. Blyenbergh an Spinosa.
'w^lcherSinn von denbeidenr aufgestellten weniger Unvoll-
kommenes enthält? Endlich konnte das vollkommenste
Wesen wohl tibersehen, was dem Volke verständlich ist,
und welche Art, das Volk zu belehren, die beste war?*^'')
Was den zweiten Theil Ihrer ersten Frage anlangt,
so stellen Sie sich selbst die Frage: Weshalb Gott dem
Adam das Essen vom Baume verboten habe, da er doch
das Gegentheil beschlossen gehabt? und Sie antworten:
das an Adam ergangene Verbot habe nur darin bestan-
den, dass Gott dem Adam offenbart, er werde sterben,
wenn er von dem Baume esse, so vne er uns durch den
natürlichen Verstand offenbart habe, dass das Gift tödtlich
sei. Nimmt man aber einmal an, dass Gott dem Adam Et-
was verboten habe, aus welchem Grunde soll ich der von
Ihnen angegebenen Art des Verbots mehr als der von
den Propheten angegebenen glauben, denen Gott die Art
des Verbots selbst offenbart hat? **•) Sie werden sagen,
dass Ihre Art des Verbotes natürlicher sei und deshalb
der Wahrheit und Gott mehr entspreche. Allein ich be-
streite dies und verstehe nicht, wie Gott uns durch den
natürlichen Verstand die Tödtlichkeit des Giftes offen-
bart haben soll ; da ich keinen Grund sehe, aus dem ich
entnehmen könnte. Etwas sei giftig, bevor ich die schlim-
men Wirkungen des Giftes bei Andern gesehen oder ge-
hört habe. Die tägliche Erfahrung lehrt uns ja, dass
Menschen aus Unkemitniss des Giftes es verzehren und
daran sterben. Sie werden sagen, wenn die Menschen
wüssten, dass es Gift sei, so würden sie auch wissen,
dass es etwas Schlechtes sei; allein nur wer gesehen
oder gehört hat, dass Jemand durch den Gebrauch des
Giftes sich beschädigt hat, kann wissen, was Gift ist,
und wenn wir bis zum heutigen Tage weder gehört
noch gesehen hätten, dass Jemand durch dessen Ge-
brauch Schaden genommen, so würden wir das Gift noch
heute nicht kennen, sondern ohne Furcht zu unserem
eigenen Schaden es gebrauchen, wie wir über andere
Wahrheiten so tagtäglich belehrt werden. ****)
Was erfreut ein reines und aufrichtiges Gemüth in
diesem Leben mehr als die Betrachtung jener vollkom-
menen Göttlichkeit? So wie es sich hier um das Voll-
kommenste handelt, so muss es auch das Vollkommenste,
was in unsere endliche Einsicht eingehen kann, enthal-
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Trost der Religion. 109
ten. Ich kenne keinen Genuss des Lebens, den ich damit
vertauschen möchte. Von diesem göttlichen Verlangen
getrieben, kann ich lange Zeit darin zubringen, aber auch
mit Betrtibniss erfüllt werden, dass meinem beschränkten
Verstände so Vieles mangelt. Indess beschwichtige ich
diese Traurigkeit mit der Hofinung, die ich habe und die
mir theurer als mein Leben ist, dass ich auch später
leben und sein werde und diese Göttlichkeit mit mehr
Vollkommenheit als jetzt schauen werde. '*') Wenn ich
bedenke, wie kurz und vorübereilend mein Leben ist,
und wie ich in jedem Augenblick den Tod erwarten
muss, so würde ich von allen Geschöpfen, denen die
Kenntniss ihres Zweckes mangelt, das unglücklichste
sein, wenn ich glauben müsste, dass mein Leben ein
£nde nähme und jener heiligen und vortrefflichsten Be-
trachtung ermangeln würde. Dann würde schon die
Todesfurcht vor dem Ableben mich unglücklich machen
und nach demselben wäre ich so viel wie Nichts, also
elend, weil ichjenesBeschauens des Göttlichen entbehrte.
Ihre Ansichten führen mich dahin, dass, wenn ich hier
aufhöre zu sein, ich es auch für die Ewigkeit aufhöre,
während dagegen jenes Wort und jener Wille Gottes
durch ihr inneres Zeuguiss in meiner Seele '") mich
trösten, dass ich nach diesem Leben mich einst eines
voUkommnereti Zustandes in Betrachtung der höchst voll-
kommenen Gottheit erfreuen werde. Sollte auch diese
Hoffnung einst als falsch befunden werden, so macht sie
mich doch, während ich hoffe, glücklich."*) In meinen
Gebeten, Seufzern und ernsten Bitten zu Gott bitte und
wünsche ich nur (wenn es doch gestattet wäre, mehr
dazu beizutragen), es möge ihm, so lange mein Geist
diese Glieder bewegt, gefallen, mich durch seine Güte
so glücklich zu machen, dass ich bei Auflösung dieses
Körpers ein geistiges Wesen bleibe, das diese vollkom-
menste Gottheit betrachten kann. Wenn ich nur dies
erreiche, so ist es mir gleich, wie man hier glaubt und
wie man sich gegenseitig überzeugt, ob hierüber durch
den natürlichen Verstand Etwas bewiesen und eigesehen
werden könne oder nicht. Dies, und nur dies ist mein
Wunsch und mein Verlangen. *") Ich bitte Gott ohne
Unterlass, diese Gewissheit in meiner Seele zu befestigen,
und wenn ich sie habe (ach, wie elend wäre ich, wenn
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110 XXXIII. Brief. Blyenbergh an Spinoza.
sie mir abginge, so ruft meine Seele mit Verlangen : ^Wie
^der Hirsch nacb den Ufern des Wassers dürstet, so, mein
^lebendiger Oott, verlangt meine Seele nacb Dir; Aeh!
^wann wird der Tag kommen, wo icb bei Dir sein nnd
„Dich scbanen werde !* "■) — Wenn icb nur dies erlange,
so babe icb Alles, was meine Seele erstrebt nnd ver-
langt. Wenn aber unser Werk Gott missfallt, so kann
icb diese Hoffnung ans Ihrer T^ebre nicht entnehmen,
und icb verstehe nicht, weshalb Gott, wenn er, (falls man
von ihm in menschlicher Weise reden darf) keine Freude
an unseren Werken und unserer Liebe hat, uns hervor-
gebracht bat und erbftlt. Sollte ich Ihre Meinung miss-
verstanden haben, so bitte ich um nähere ErUürun^.
Indess bin ich vielleicht ausführlicher gewesen, als
Sie es gewöhnt sind, und da ich sehe, dass das Papier
zu Ende geht, so schliesse ich. Ich bin gespannt auf
Ihre Lösung meiner Zweifel. Vielleicht habe ich hier
und da eine Folgerung aus Ihrem Briefe abgeleitet,
welche nicht Ihre Meinung ist; doch ich erwarte darüber
Ihre Erläuterungen.
Kürzlich habe ich mich mit Erwägungen über
einige Attribute Gottes beschäftigt; dabei hat mir Ihr An-
hang gute Diente geleistet. Ich habe Ihre Meinang
nur weiter ausgeführt, da sie nur die Beweise zu bie-
ten scheint, und ich wundere mich deshalb, dass in der
Vorrede behauptet wird, Sie seien anderer Ansicht^
aber Sie hätten Ihrem Versprechen gemäss dem Schüler
die Philosophier von Descartes vortragen müssen,
während Sie selbst sowohl Über Gott als über die Seele
und insbesondere Über den Willen der Seele eine ganz
andere Meinung hegten. "•) In dieser Vorrede beisst
es auch, Sie würden diese metaphysischen Gedanken
binnen Kurzem ausführlicher herausgeben; Beides er-
sehne icb sehr, da ich mir etwas ganz Besonderes da-
von verspreche. Indess ist es nicht meine Gewohnheit,
Jemand mit Lob zu überhäufen.
Icb habe das Vorstehende mit aufrichtigem Sinn und
ungeschminkter Freundschaft geschrieben, damit die
Wahrheit offenbar werde, wie Sie in Ihrem Briefe verlangt
haben. Entschuldigen Sie die zu grosse Ausführlichkeit,
in die ich wider Willen gerathen bin. Sollten Sie mir
antworten, so würden Sie mich dadurch sehr verpflich-
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Spinoza's Antwort 111
ten. Es ist mir gleich, ob Sie in meiner Mattersprache
mir schreiben wollen, oder lateinisch oder französisch;
doch bitte ich die diesmalige Antwort in derselben
Sprache abzufassen; da ich den Sinn dann besser fasse,
als wenn Sie lateinisch schreiben. Sie werden mich damit
sehr verpflichten, und ich bin und bleibe,
mein Herr,
Ihr ergebenster und gehorsamstei
W. V. Blyenbergh.
Dortrecht, den 16. Januar 1665.
NB. In Ihrer Antwort bitte ich um deutlichere Belehrung,
was Sie unter Verneinung bei Gott verstehen. ^^^)
Vierunddreissigster Brief (Vom 28. Jan. 1665).
Von Spinoza an Wilhelm von Blyenbergh.
(Die Antwort auf den vorstehenden Brief.)
(Der lateinische Text iüt eine Uebersetzung aua dem hollän-
dischen Original.)
Mein Herr und Freund!
Nach dem Lesen Ihres ersten Briefes glaubte ich,
dass wir in unsem Meinungen ziemlich übereinstimmten ;
aus dem zweiten, den ich am 21. d. Mts. empfangen, sehe
ich, dass es sich ganz anders verhält und dass wir nicht
blos in den aus den obersten Grundsätzen zu ziehenden
weitem Folgerungen, sondern auch über diese Grundsätze
selbst verschiedener Ansicht sind. Ich glaube daher kaum,
dass wir durch Briefe uns werden verstfindigen können.
Ich sehe, dass bei Ihnen kein Beweis, selbst wenn er
sich noch so streng innerhalb der Regeln des Beweisen»
h<, gilt, sofern er mit der Auslegung nicht überein-
stimmt, welche Sie oder andere Ihnen bekannte Theo-
logen der heiligen Schrift gegeben haben. Wenn Sie
finden, dass Gott durch die heilige Schrift deutlicher und
wirksamer spreche als durch das Licht des natürlichen
Verstandes, das wir auch von ihm haben und das seine
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112 XXXtV. Brief. Spinoza an Blyenbergli,
göttliche Weisheit stets fest und unverdorben erhält, so
haben Sie allerdings triftige Gründe, den Verstand jenen
Aussprüchen unterzuordnen, die Sie der heiligen Shrift
beilegen; ich selbst würde dann nicht anders handeln
können. Indess was mich anbetrifft, so gestehe ich offen
und unumwunden, dass ich die heilige Schrift nicht ver-
stehe, obgleich ich manche Jahre darauf verwendet habe;
und da es mir nicht entgeht, dass ich nach Erlangung
eines gründlichen Beweises nicht in Gedanken verfallen
kann, die denselben in Zweifel ziehen, so beruhige ich
mich überhaupt bei dem, was der Verstand mir darlegt
und fürchte nicht, hierin mich zu täuschen, noch dass
die heilige Schrift dem widerspreche, obgleich ich sie
nicht ergründen kann. Denn die Wahrheit steht mit der
Wahrheit nicht in Widerspruch, wie ich schon früher in
meinem Anhange (das Kapitel kann ich nicht angeben,
da mir hier auf dem Lande das Buch nicht zur Hand
ist) 1^^) klar gezeigt habe l^), und sollte ich auch die aus
dem natürlichen Verstand genommene Frucht einmal als
falsch anerkennen, so würde mich dies nicht unglücklich
machen, denn ich geniesse mein Leben und will es nicht
in Trauer und Seufzen, sondern ruhig, fröhlich und hei-
ter verbringen, wenn ich damit auch nur einen Grad
höher steige. Indess erkenne ich an (was mir die höchste
Genugthuung und Seelenruhe gewährt), dass Alles nach
der Macht und dem unveränderlichen Beschluss eines
höchst vollkommenen Wesens geschieht.
Um nun auf Ihren Brief zurückzukommen, so sage
ich Ihnen von Herzen grossen Dank, dass Sie mich in
Zeiten Ihre Weise zu phüosophiren haben kennen lernen
lassen; wenn Sie- aber mir das zuschreiben, was Sie aus
meinem Briefe ableiten wollen, so kann ich Ihnen dafür
nicht danken. Welchen Anhalt bot Ihnen, sage ich, mein
.Brief, mir solche Meinungen aufzubürden; nämlich dass
die Menschen den wilden Thieren gleichen, dass sie, wie
diese, sterben und untergehen, dass unsere Werke Gott
missfallen? u.s. w. (Obgleich in diesem letzten Punkte wir
sehr verschiedener Ansicht sind^ wenn ich nämlich Sie
richtig dahin verstehe, dass Gott sich an unseren Werken
erfreue, gleichsam deshalb, weil er sein Ziel erreicht hat
und ihm die Sache nach Wunsch gegangen ist.) Was
mich anlangt, so habe ich klar gesagt, dass die Frommen
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Öottea Katar. Vemeiming, Beranbang. 113
Gott verehren and durch fleissige Verehrung Yollkommner
werden und Gott lieben; heisst dies, sie den wilden
Thieren gleichstellen? oder sie wie diese untergehen
lassen oder ihre Werke Gott nicht gefallen lassen? Hätten
Sie meinen Brief aufinerksamer gelesen, so würden Sie
klar erkannt haben, dass unsere Meinungsverschiedenheit
nur bei der Frage besteht, ob Gott als solcher, d. h.
schlechthin und ohne dass man ihm menschliche Eigen-
schaften zuschreibt, die Vollkommenheiten, welche die
IlVommen empfangen, ihnen mittheile? wie ich annehme,
oder ob er es wie ein Kichter thut, was zuletzt Sie an-
nehmen, da Sie die Gottlosen deshalb vertheidigen, weil
sie Alles, was sie vermögen, nur nach Gottes Kathschlusse
thun und deshalb Gott ebenso wie die Frommen dienen.
Allein dies folgt keineswegs aus meinen Worten, da ich
Gott nicht als einen Richter einführe und daher die Werke
nach deren Beschaffenheit, aber nicht nach der Macht des
Wirkenden schätze und weil der Lohn, welcher dem
Werke folgt, so uothwendig folgt, wie aus der Natur des
Dreiecks folgt, dass seine drei Winkel zwei rechten gleich
sein müssen. Dies wird jeder einsehen, wenn er bedenkt,
dass unsere höchste Seligkeit in der Liebe zu Gott be-
steht und dass diese nothwendig aus der Erkenntniss
Gottes, die uns so empfohlen wird, abfliesst. Dies
kann im Allgemeinen sehr leicht bewiesen werden, wenn
man nur auf die Natur von Gottes Beschluss Acht
giebt, wie ich ihn in meinem Anhang erläutert habe.
Doch gestehe ich, dass Alle, welche die göttliche Natur
mit der menschlichen vermengen, zu dieser Einsicht
wenig geeignet sind.
Ich wollte hier meinen Brief schliessen, um Sie nicht
mit Dingen zu belästigen, welche nur dem Schmerz und
Gelächter dienen (wie klar aus dem sehr höflichen Zusatz
erhellt, welchen Sie dem Schlüsse Ihres Briefes angefügt
haben), ^^^) aber ohne Nutzen sind. Um indes» Ihre Bitte
nicht ganz unerfüllt zu lassen, gehe ich weiter zur Er-
lättterungderWorte: Verneinnn?undBeranbungund
zur kurzen Auseinandersetzung dessen über, was zum
besseren Verständniss meines letzten Briefes nöthig ist.
Zunächst sage ich also, dass die Beraubung nicht die
That des Beraubens ist, sondern nur der einfache und
blosse Mangel, der an sich selbst Nichts ist; denn er ist
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114 XXXIV. Brief. Spbosa an Blyenbörgh.
nur ein Gedankending oder eine Weise sa denken, die
man bildet, wenn man Dinge mit einander vergleicht.
So nennt man z. B. einen BUnden des Gesichts beranbt,
weil man ihn sich leicht als sehend vorstellt, mag non
dies daher kommen, dass man ihn mit anderen, sehenden
Menschen, oder dass man seinen gegenwärtigen Zustand
mit dem friüiem, wo er sehen konnte, vei^leicht. Wenn
man den Menschen so auffasst, d. h. seine Natur mit der
Natur Anderer oder mit seiner früheren vergleicht, so
meint man, dass das Sehen zu seiner Natur gehöre und
nennt ihn deshalb des Gesichtes beraubt. ^^^) Betrachtet
man aber Gottes Beschluss und Natur, so kann man von
diesem Menschen nicht mehr wie von diesem Stein be-
haupten, dass er des Gesichtes beraubt sei; denn zu
dieser Zeit kommt ihm ohne Widerspruch das Sehen nicht
mehr zu als dem Steine; weil zu diesem Menschen
nichts weiter gehört und nichts sein ist, als was
die Einsicht und der Wille Gottes ihm zu-
theilt.i<^) Deshalb ist Gott nicht mehr die Ursache
seines Nicht-Sehens, als des Nicht-Sehens des Steines;
es ist eine reine Verneinung. ^Achtet man in gleicher
„Weise auf die Natar eines Menschen, der von seiner
„Begierde getrieben wird, so vergleicht man sein gegen-
„wärtiges Begehren mit dem der Frommen oder mit
„seinem eigenen früheren Begehren und sagt dann, dass
„dieser Mensch des besseren Begehrens beraubt sei, weil
„man annimmt, dass ihm dann das tugendhafte Begehren
„zukomme. Dies kann mau aber nicht behaupten, wenn
„man auf die Natur von Gottes Einsicht und Beschluss
„achtet; ia Bezug hierauf gehört jenes bessere Begehreu
„nicht mehr zur Natur dieses Menschen zu dieser Zeit
„wie zur Natur des Teufels oder des Steines,^ und deshalb
ist in dieser Hinsicht das bessere Begehren keine Be-
raubung, sondern eine Verneinung. Sonach ist die Be-
raubung nur die Verneinung von Etwas, was man als zur
Natur des Dinges gehörig ansieht und die Verneinung
nur die Verneinung von Etwas, was zu seiner Natur
nicht gehört. Und hieraus wird klar, weshalb des Adam
Begehren nach irdischen Dingen nur in Bezug auf unsere,
aber nicht auf Gottes Einsicht böse genannt werden kann.
„Wenn auch Gott den früheren und den jetzigen Zustand
„ Adam*s kannte, so fasste er doch Adam nicht so auf, als
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Descartes' Ansicht über die Freiheit. 1X5
.„wenn er seines früheren Zustandes beraubt sei und als
^wenn sein früherer Znstand zu dem jetzigen gehöre.^
Denn dann hätte Oott etwas gegen seinen Willen, d. h.
^egen seine eigene Einsicht einsehen müssen. "') Hätten
Sie dies richtig äufgefasst und zugleich bemerkt, dass ich
dleFreiheit, welche D e scartes derSeele zuspricht, nicht
anerkenne, wie auch L. Meyer in meinem Namen in der
Vorrede bezeugt, so würden Sie in meinen Worten nicht
den kleinsten Widerspruch gefunden haben. Allein ich
hätte besser gethan, in meinem ersten Briefe mit den
Worten von Descarteszu antworten und zu sagen, dass
wir nicht wissen können, wie unsere Freiheit sammt dem,
was von ihr abhängt, sich mit der Vorsehung und Freiheit
Gottes vertrage (wie ich im Anhange an mehreren Orten
gethan habe), so dass wir aus Gottes Schöpfung keinen
Widerspruch gegen unsere Freiheit ableiten dürfen, da
wir nicht verstehen können, wie Gott die Dinge geschaffen
hat und (was dasselbe ist) wie er sie erhält. Ich glaubte
jedoch, dass Sie die Vorrede gelesen gehabt, und dass ich,
wenn ich nicht nach meiner eigenen Ueberzeugung
antwortete, gegen die Pflichten der Freundschaft fehlen
würde, die ich Ihnen auf Ihren Auftrag entgegen-
brachte. Indess hat dies weiter nichts auf sich.
Da Sie indess die Meinung von De scartes, wie ich
«ehe, noch nicht richtig gefasst haben, so bitte ich dieses
Zweifache festzuhalten; 1) haben weder Descartes noch
ich je gesagt, es gehöre zu unserer Natur, unseren Willen
innerhalb der Schranken der Einsicht zu halten; wir
haben nur gesagt, dass Gott uns einen beschränkten
Verstand und einen unbeschränkten Willen gegeben habe,
ohne dass wir aber den Zweck, wofür er uns geschaffen,
kennen. *^) Femer, dass ein solcher unbestimmter oder
vollkommener Wille uns nicht blos vollkommner macht,
sondern dass er uns auch sehr nothwendig ist, wie ich
Hinen in dem Folgenden zeigen werde. 2) Hegt unsere
Freiheit nicht in einer Art Zufälligkeit oder Unbestimmt-
heit, sondern in dem Zustande des Bejahens und Ver-
neinens; deshalb sind wir um so freier, je weniger unbe-
stimmt wir Etwas bejahen oder verneinen. Ist z. B. die
Natur Gottes uns bekannt, so folgt ans unserer Natur
«benso nothwendig die Bejahung, dass Gott besteht, wie
aus der Natur des Dreiecks folgt, dass dessen Winkel
Spinoztt, Briefe. 9 . .^.^.^,.>
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116 XXXIV. Brief. Spinoza an Blyenbergh.
zweien rechten gleich sind; und doch sind wir niemals
freier, als wenn wir etwas in dieser Weise bejahen. '^>
Da nun diese Freiheit nur der Beschluss Gottes ist, wie
ich in meinem Anhange klar dargelegt habe, so ISsst sich
daraus ersehen, wie wir bei einer Sache frei handeln und
ihre Ursache sind, obgleich wir sie noth wendig und nach
dem Beschluss Gottes vollbringen. Ich sage, man kann
dies in gewisser Weise einsehen, wenn man Etwas bejaht,
was man klar und deutlich erkennt; behauptet man da-
gegen Etwas, was man nicht klar und deutlich erfasst hat,
d. h. gestattet man, dass der Wille über die Grenzen
unseres Verstandes hinausgeht, so kann man dann jene
Nothwendigkeit und Beschlüsse Gottes nicht so einsehen,
sondern nur die eigene Freiheit, welche der Wille immer
einschliesst (in Bezug aufweiche allein unsere Handlun-
gen gut oder böse genannt werden). Wenn wir dann
unsere Freiheit mit Gottes Beschluss und ununter-
brochener Schöpfung auszusöhnen versuchen, so ver-
mengen wir das klar und deutlich erkannte mit dem,
was wir nicht erkannt haben und deshalb versuchen wir
dies vergeblich. Es genügt uns also die Ueberseugong,
dass wir frei sind, und dass wir es trotz der Beschlüsse
Gottes sein können, und dass wir die Ursache des
Bösen seien, weil eine Handlung nur in Bezug auf
unsere Freiheit böse genannt werden kann. Dies ist
das, was Descartes betrifft; es erhellt, dass seine Lehre
hier keinen Widerspruch enthält."*)
Ich wende mich nun zu dem, was mich betrifft und
erwähne zuerst den Nutzen, der aus meiner Auffassung
sich ergiebt. Er liegt vorzüglich darin, dass unser Ver-
stand unsre Seele und unseren Körper ohne allen Aber-
flauben Gott anheim giebt ; auch bestreite ich nicht, dass
as Beten uns nicht sehr nützlich sein kann. Denn mein
Verstand ist viel zu schwach, um alle Mittel zu befassen^
die Gott besitzt, um die Menschen zur Liebe seiner, d. h.
zu dem Heile zu ftihren. Deshalb ist diese Ansicht nicht
blos unschädlich, sondern sie ist Fogar für Die, welche
keinen Vorurtheilen und kindischem Aberglauben anhän-
gen, das einzige Mittel, zu dem höchsten Grad der
Seligkeit zu gelangen. '") Wenn Sie erwidern, dass ich
die Menschen, indem ich sie so abhängig von Gott mache^
den Elementen, Sternen und Pflanzen gleichstelle, so^
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Üeber die Beweggründe zum Handeln. 117
erhellt hieraus, dass Sie meine Meinung ganz missver-
standen haben und dass Sie Dinge, die den Verstand be-
treffHi, mit der Einbildungskraft verwechseln. Hätten Sie
durch rdnes Denken erfasst, was die Abhängigkeit von
Gott ist, so würden Sie sicherlich nicht meinen, dass
diese Abhfingkeit die Dinge zu todten, körperlichen und
unvollkommenen madie (wer hat je gewagt, von dem
vollkommensten Wesen so niedrig zu sprechen!), son-
dern Sie würden einsehen, dass Sie gerade durch diese
Abhängigkeit von Gott vollkommen sind. **^) Man ver-
steht deshalb diese Abh&igigkeit und nothwendige
Wirksamkeit am besten als den Beschluss Gottes, wenn
man nicht auf Holz und Pflanzen, sondern auf die ver-
ständigsten und vollkommensten Geschöpfe achtet, wie
aus dem von mir oben unter 2) über Descartes Ge-
sagten erhellt, was Sie nicht hätten übersehen sollen.
Auch kann ich nicht mein Erstaunen darüber ver-
hehlen, dass Sie sagen: Wenn Gott das Unrecht nicht be-
strafte, d. h. wie der Richter mit einer Strafe belegte,
welche das Unrecht nicht selbst mit sich flihrt, (denn darum
streiten wir allein), welcher Grund hinderte mich dann,
jewedes Verbrechen eifrigst zu begehen? Allein wer dies
nur aus Furcht vor Strafe unterlässt (was ich von Ihnen
nicht glaube), der handelt in keiner Weise aus Liebe und
hat die Tugend noch nicht. Ich unterlasse die Ver-
brechen oder bestrebe mich, sie zu unterlassen, weil
sie meiner besonderen Natur widerstreben und mich
von der liebe und Erkenntniss Gottes abführen. '**)
Hätten Sie femer die menschliche Natur ein wenig
betrachtet und das Wesen von Gottes Beschlüssen so auf-
gefasst, wie ich es im Anhange erklärt habe und hätten
§ie bedacht, wie die Sache abzuleiten ist, ehe man den
Schluss ziehen darf, so würden Sie nicht vorschnell
gesagt haben, diese Ansicht stelle uns dem Holzstücke
n. s. w. gleich; Sie hätten mir dann nicht so viele Ver-
kehrtheiten zur Last gelegt, wie Sie gethan haben.
Wenn Sie vor Uebergang zu Ihrer zweiten Haupt-
regel bemerken, dass Sie Zweierlei nicht haben verstehen
können, so erwidere ich, dass bei dem Ersten Descartes
genügt, um Ihren Schluss zu ziehen, nämlich dass, wenn
Sie blos auf Ihre Natur Acht haben, Sie an sich erfahren,
dass Sie Ihr Urtheil zurückhalten können. Wenn Sie
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118 XXXIV. Briel Spinoza an Blyenbergh.
aber sagen, Sie könnten in sich selbst keine solche
Stiürke an Ihrem Verstände wahrnehmen, dass Sie dies
auch fernerhin immer vermöchten, so ist dies nach D e s -
cartes dasselbe, als wenn wir sagten, dass wir heute
nicht einsehen, dass wir immer denkende Wesen bleiben
oder die Natnr eines denkenden Wesens behalten
würden. Dies enthielte wahrhaft einen Widerspruch.
Auf den zweiten Punkt erwidere ich mit Des-
cartes, dass wir, wenn wir unseren Willen über die
sehr engen Grenzen unseres Verstandes nicht aus-
dehnen könnten, sehr elende Geschöpfe sein würden;
wir könnten dann keine Brodkrume essen, keinen
Schritt ffehen und nicht stehen bleiben; denn Alles
ist unsicher und voller Gefahren. "•)
Ich komme j etzt zu Ihrer zweiten Hauptregel. Ich
febe zu und glaube, dass ich der heiligen Schrift nicht
iejenige Wahrheit zuschreibe, die Sie in ihr finden, und
doch glaube ich, ihr mehr Ansehen als Sie beizulegen,
und zwar deshalb, weil ich mich mehr als Andere vor-
sehe, ihr einen verkehrten und kindischen Sinn beizu>
legen. ^^') Dies kann nur Der, welcher die Philosophie
kennt oder göttliche Offenbarungen empfangen hat und
deshalb rühren mich jene Auslegungen wenig, welche der
Haufen von Theologen bei der Schrift vornimmt; nament-
lich wenn sie derart sind, dass sie die Schrift immer
nur wörtlich und ihrem äusseren Sinne nach auffassen.
Ausser den Socinianern giebt auch der strengste
Theolog zu, dass die heilige Schrift sehr oft in mensch-
licher Weise rede und danach ihre Gleichnisse aufstelle.
Den Widerspruch anlangend, den Sie hier vergeblich (nach
meiner Ansicht) aufzeigen wollen, so verstenen Sie wohl
unter Gleichniss nicht das, was man gewöhnlich darunter
meint; denn von wem hat man je gesagt, dass er, wenn
er seine Begriffe in Gleichnissen ausspricht, seinen Sinn
verfehle? Als Micha dem König Achab sagte, er habe Gott
auf seinem Thron sitzen sehen und die himmlischen Heer-
schaaren hätten zur Rechten und Linken gestanden und
Gott habedarausDen gesucht, der den Achab hintergehen
sollte, so war dies gewiss ein Gleichniss, durch welches
der Prophet die Hauptsache, die er bei dieser Gelegenheit
(die nicht die war, erhabene theologische Sätze zu lehren)
im Namen Gottes bekannt machen sollte, genügend aus-
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Die Gleichnisee der Propheten. 119
drückte und deshalb hat er damit das, was er gewollt,
richtig ausgedrückt. Ebenso haben auch die anderen Pro-
pheten das Wort Gottes auf Geheiss Gottes dem Volke so
bekannt gemacht; es war das beste wenn auch nicht das
von Gott ausdrücklich geforderte Mittel, das Volk zu dem
zu bringen, was der heiligen Schrift das Hauptziel ist und
was nach Christi Ausspruch darin besteht, Gott über Alles
und seinenNächsten wie sich selbst zu lieben. Mit tiefsinni-
gen Untersuchungen hat die heiige Schrift, wie ich glaube,
nichts zu thun; ich wenigstens habe aus ihr keines der
ewigen Attribute Gottes gelernt, noch lernen können.*")
Was aber den fünften Grund anlangt (nämlich dass
die Propheten das Wort Gottes so offenbart haben, weil
die Wahrheit nicht der Wahrheit entgegen ist), so
brauche ich nur zu zeigen (wie Jeder, der das Beweis-
verfahren kennt, anerkennen wird), dass die Schrift, so
wie sie beschaffen ist, die wahre Offenbarung Gottes
ist. Den mathematischen Beweis dafür kann ich ohne
göttliche Mittheilung nicht besitzen und deshalb habe
ich gesagt: ^ich glaube, aber ich weiss nicht in mathe-
„matischcr Weise, das Alles, was Gott den Propheten"
n. s. w.; ich glaube dies fest, aber ich weiss es nicht
in mathematischer Weise, dass die Propheten die ge-
heimen Rätbe und treuen Abgesandten (jottes gewesen
seien; deshalb ist in meinen Aufstellungen kein Wider-
spruch enthalten, während auf der Gegner Seite deren
nicht wenige anzutreffen sein möchten.
Alles Uebrige in Ihrem Briefe, nämlich wo Sie
sagen: „Endlich wusste das vollkommenste Wesen"
n. s. w. und was Sie dann gegen das Beispiel mit dem
Gifte anführen und endlich das, was den Anhang und
das darauf Folgende betrifit, dürfte Alles die vorliegende
Frage nicht berühren.
Was die Vorrede von L. M. anlangt, so wird in
ihr wenigstens zugleich gezeigt, wasDescartes noch
zu beweisen gehabt hätte, um einen gründlichen Be-
weis für die Willensfreiheit herzustellen ; auch heisst es
darin, dass ich selbst eine andere Ansicht hege und in
welcher Weise. Ich werde mich vielleicht später hierüber
aussprechen; zur Zeit ist es indess meine Absicht nicht.
An meine Schrift über Descartes habe ich übrigens
nicht mehr gedacht und mich nicht mehr darum ge-
Digitized by V^OOQIC
120 XXXV. Brief. Blyenbergh an Spinoza.
kümmert, seitdem sie in holländischer Uebersetzung
erschienen ist, und zwar aus Gründen, die hier darzu-
legen zu lang sein würde."') So habe ich also nur
noch zu sagen, dass ich u. s. w."*)
Fünfunddreissigster Brief (Voml9.Febr. 1665).
Von W. V. Biyenberg an Spinoza.
(Die Antwort auf den vorstehenden Brief.)
(Der lateinische Text ist eine Uebersetzung aus dem hollän-
dischen Original.)
Mein Herr und theurer Freund.
Ihren Brief vom 28. Januar habe ich richtig er-
halten; andere als wissenschaftliche Geschäfte haben
mich an dessen früherer Beantwortung gehindert; aach
enthält er hier und da so harte Vorwürfe, dass ich kaum
wusste, was ich davon denken sollte. In Ihrem ersten
Briefe vom 5. Januar hatten Sie mir Ihre Freundschaft
so offen entgegengebracht und versichert, dass Ihnen die
meinige nicht blos damals, sondern auch später will-
kommen sein werde; ja Sie hatten so ernstlich gebeten,
etwaige weitere Bedenken Ihnen offen entgegenzustellen,
dass ich in meinem Briefe vom 16. Januar ausführlich
danach verfahren bin. Hierauf erwartete ich nach Ihrer
Aufforderung und Versicherunff eine freundliche und be-
lehrende Antwort; allein statt deren habe ich eine erhal-
ten, die wenig von besonderer Freundschaft spüren lässt.
Sie sagen, „dass kein Beweis, selbst der stärkste, bei mir
„etwas vermöge; dass ich den Sinn von Des carte s nicht
„gefasst habe; dass ich die geistigen Dinge zu sehr mit
„den irdischen vermenge n. s. w. ; so dass wir mittelst
„Briefen uns nicht länger würden verständigen können.^
Ich antworte hierauf freundschaftlichst, dass ich über-
zeugt bin, dass Sie das Obengesagte besser als ich
verstehen und mehr geübt sind, die körperlichen Dinge
von den geistigen zu unterscheiden ; da Sie in der Meta-
physik, mit der ich erst einen Anfang mache, schon die
höchste Stufe erstiegen haben. Ich erbat mir also von
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Unterschied des Frommen und Lasterhaften. 121
Ihnen die Gunst, mich zu belehren und glaubte niemals»
dass meine offenen Entgegnungen Sie verletzen würden.
Ich sage Ihnen grossen Dank, dass Sie sich die Mühe ge-
geben, zwei so lange Briefe, namentlich den zweiten, für
mich abzufassen; aus dem letzten habe ich deutlicher
wie aus dem ersten Ihre Meinung entnommen; allein
trotzdem kann ich Ihnen noch nicht beitreten, wenn die
Bedenken, welche ich dabei habe, nicht noch gehoben
werden. Dies darf Sie nicht verletzen; denn es würde
von einem Fehler im Verstände zeugen, wenn ich
Ihnen ohne genügende Grundlage zustimmen wollte.
Wenn auch Ihre Auffassung die wahre ist, so kann
ich derselben doch so lange nicht beitreten, als ich
Gründe des Zweifels oder der Dunkelheit finde ; obwohl
die Zweifel nicht von der Sache, sondern von der Mangel-
haftigkeit meiner Einsicht herrühren mögen. Da Ihnen
dies genügend bekannt ist, so dürfen Sie es nicht übel
nehmen, wenn ich wieder mit einigen Einwürfen komme.
Ich bin dazu genöthigt, so lange ich den Gegenstand
nicht klar verstehe; es geschieht nur zu dem Ende,
um die Wahrheit zu gewinnen und nicht, um Ihre
Worte gegen Ihre Absicht zu verdrehen. Ich bitte
deshalb um eine freundschaftliche Antwort.
Sie sagen: „zu dem Wesen eines Dinges gehört nur,
^was die göttliche Macht undBeschliessung ihm bewilligt
^und wirklich zutheilt. Wenn wir daher auf die Natur
^ eines von seiner Leidenschaft getriebenen Menschen
^Acht haben und dieses Begehren mit dem Begehren
^ eines Frommen oder mit seinem eigenen Begehren aus
^früherer Zeit vergleichen, so sagen wir, dass er eines
^besseren Begehrens beraubt sei, weil wir meinen, dass
^dieses bessere Begehren ihm zukommen müsse. Allein
^dies können wir nicht, wenn wir die Natur des göttlichen
^Rathschlusses und Verstandes beachten; denn danach
^gehört jenes bessere Begehren zu der Natur dieses
^Menschen zu dieser Zeit nicht mehr als wie zur Natur
^des Teufels oder eines Steines. Wenn auch Gott den
^vergangenen und den gegenwärtigen Zustand Adams
^ kennt, so weiss er doch, dass Adam deshalb nicht seines
^früheren ZuStandes beraubt ist, d.h. dass der vergangene
^Zustand desselben nicht zu seinem gegenwärtigen ge-
^hört.* Aus diesen Worten ergiebt sich, dass nach Ihrer
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122 XXXV. Brief. Blyenbergh an Spinoza.
Ansicht nur das zu dem Wesen eines Dinges gehört, was
es zu dem Zeitpunkt dei Wahrnehmung besitzt. Wenn
ich also jetzt ein wollüstiges Begehren habe, so gehört
dasselbe jetzt zu meinem Wesen und wenn ich es nicht
habe, so gehört dieses Nicht-Begehren dann, wenn ich
nicht begehre, zu meinem Wesen. Daraus folgt un-
zweifelhaft, dass ich in Bezug auf Gott in meinen Werken
ebenso Vollkommheit in mir habe (nur unterschieden im
Grade), wenn ich ein wollüstiges Begehren habe, wie
wenn ich es nicht habe; und wenn ich Verbrechen aller
Art begehe, ebenso wie wenn ich Tugend und Gerech t]g>
keit übe. Denn zu meinem Wesen gehört zu dieser Zeit
nur so viel, als ich wusste, und ich kann nach Ilirem
Ausspruch nicht mehr oder weniger leisten, als ich wirk-
lich an Vollkommenheit empfangen habe, da das Be>
eehren nach Wollust und Verbrechen zur Zeit, wo ich
danach handle, zu meinem Wesen gehört und ich zu
dieser Zeit nur diese und keine grössere Vollkommenheit
von Gott empfange, weshalb die Macht Gottes auch nur
solche Werke verlangt. So scheint aus Ihrem Aus-
spruche sich deutlich zu ergeben, dass Gott in derselben
Weise das Verbrechen will, wie er nach Ihnen dieTugend
will."'^) Jjassen Sie uns annehmen, dass Gott als Gott
und nicht als Kichter den Frommen und Gottlosen
solches und so grosses Wesen verleihe, als er will, dass
sie bethätigen sollen; aus welchem Grunde sollte er das
Eine nicht ebenso wollen wie das Andere? Indem er
Jedem das Vermögen zu seinem Handeln verleiht, folgt
sicherlich, dass er von Denen, welchen er weniger ge-
geben, in Verhaltniss dasselbe fordert, als von Denen,
welchen er mehr gegeben hat, und daraus folgt, dass Gott
in Bezug auf sich nach der grösseren oder geringeren
Vollkommenheit unserer Werke auch ebenso das Be-
kehren nach Wollust und nach Tugend fordert. Wer
daher Verbrechen begeht, muss sie deshalb noth-
wendig begehen, weil zu dieser Zeit nur so viel zu
seinem Wesen gehöH, wie umgekehrt der Tugend-
hafte die Tugend nur deshalb ausübt, weil Gottes
Macht gewollt hat, dass dies zu dieser Zeit zu seinem
Wesen gehöre. Sonach erscheint mir Gott also eben-
so die Verbrechen wie die Tugend zu wollen und
insoweit er Beides will, ist er auch die Ursache von
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Unterschied zwischen den FroxDmen und Bösen. 123
IBeidem und Beides muss ihm auch angenehm sein;
obgleich es sehr schwer föUt, so etwas von Gott anzu-
nehmen. "•)
Sie sagen, wie ich sehe, dass die Frommen Oolt
dienen ; allein nach Ihren Schriften ist das Gott-Dienen
nur die Yollbringung solcher Werke, deren Vollhringung
Gott gewollt hat. Dies schreiben Sie ebenso auch den
Gottlosen und Lüsternen zu. Welcher Unterschied bleibt
da zwischen dem Gottdienen der Frommen und der Gott-
losen? Sie sagen femer, dass die Frommen Gott dienen
und dadurch immer vollkommner werden; allein ich fasse
nicht, was Sie unter diesem „vollkommner werden^ imd
unter dem „immer vollkommner werden^ verstehen. Denn
sowohl die Gottlosen wie die Frommen empfangen ihr
Wesen und ihre Erhaltung oder fortwährende Erschaffung
von Gott als Gott, und nicht als Bichter und Beide voll-
ziehen in gleicher Weise seinen Willen nach dem Be-
Fchluss G Ott es. Welcher Unterschied kann daher zwischen
ihnen rücksichtlich Gottes bestehen? *^^) Denn das „immer
vollkommner werden^ fliesst nicht aus dem Werke, sondern
ans Gottes Willen; wenn also die Gottlosen nnvoll-
kommner werden, so folgt dies nicht aus ihren Werken,
sondern aus Gottes Willen. Beide vollziehen nur Gottes
Willen und es kann deshalb zwischen ihnen in Bezug
auf Gott kein Unterschied bestehen. Aus welchem
Grunde sollen also die Einen durch ihre Werke voll-
kommner und die Anderen schlechter werden?*'*)
Indess scheinen Sie den Unterschied in den Werken
Beider darin zu setzen, dass das eine Werk mehr Voll-
kommenheit als das andere enthalte. Darin wird jeden-
falls mein oder Ihr Irrthum liegen; denn ich kann in
Ihren Schriften keine Regel finden, dass ein Gegenstand
anders als nur nach dem Grade seines Wesens mehr
oder weniger vollkommen genannt wird. Ist dieses also
die Regel, so sind in Bezug auf Gott die Verbrecher ihm
ebenso angenehm wie die Werke der Frommen; denn
Gott will sie als Gott, d. h. rücksichtlich seiner, in der-
selben Weise, da beide aus dem Rathschlusse Gottes
folgen. Ist dies der alleinige Massstab der Vollkommen-
heit, so kann der Irrthum nur uneigentlich so heissen
und es giebt dann in Wahrheit weder Irrthtimer noch
Verbrechen ; Alles, was besteht, enthält nur so viel und
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124 XXXV. Brief. Blyenbergh an Spinös».
solches Wesen, wie Gott ihm gegeben hat und dieses
schliesst immer, wie es auch beschaffen sei, die Voll-
kommenheit in sich. Ich gestehe, dass ich dies nicht
fassen kann; verzeihen Sie, wenn ich Sie danach frage
ob Gott das Tödten ebenso gefalle wie das Almosen-
geben? Ob in Bezug auf Gott das Stehlen auch gut und
gerecht ist? *'*) Wenn Sie dies bestreiten, welche Gründe
haben Sie dafür? Wenn Sie es aber bejahen, welche
Gründe kann ich dann haben, dass ich das Werk, welches
Sie Tugend nennen, mehr als ein anderes verrichte?
Welches Gesetz verbietet das Eine mehr, als das Andere?
Wenn Sie als solches Gesetz das der Tugend bezeichnen,
so finde ich, offen gestanden, bei Ihnen kein Gesetz, nach
dem die Tagend zu regeln und aus dem sie zu ent-
nehmen ist; denn Alles, was besteht, hängt untrennbar
von Gottes Willen ab. Deshalb ist Eins wie das Andre
gleich tugendhaft. Auch verstehe ich nicht, welche Tugend
und welches Gesetz derselben e^für Sie giebt? deshalb
verstehe ich es auch nicht, wenn Sie sagen, dass man aus
Liebe zur Tugend handeln müsse. Sie versichern zwar,
dass Sie Laster und Unrecht unterlassen, weil sie Ihrer
besonderen Natur widerstreiten und dergleichen Sie von
derErkenntniss und Liebe Gottes abzieht; allein in Ihren
Schriften finde ich dies nicht; weder eine Regel, noch einen
Beweis; ja entschuldigen Sie mich, wenn ich sage, dass
vielmehr das Gegentheil daraus sich ergiebt. Sie unter-
lassen das, was ich Fehler nenne, weil es Ihrer besonderen
Natur widerspricht, aber nicht, weil es Fehler enthält;
Sie unterlassen es, wie man von einer Speise sich weg-
wendet, vor der unsere Natur sich scheut. Wer aber das
Böse nur unterlässt, weil seine Natur davor sich scheut,
darf sich der Tugend wahrhaftig nicht rühmen.***)
Hier entsteht also wiederum die Frage, ob, wenn die
Seele so beschaffen wäre, dass es ihrer besonderen Natur
nicht widerspräche, sondern entspräche, der Wollust und
dem Verbrechen sich hinzugeben, ob, sage ich, die
Tugend dann der Grund ist, welcher diesen Menschen
zur Vollziehung der Tugend und Unterlassung des
Lasters bestimmen könnte? Aber wie soll Jemand die
Begierde nach Wollust verlieren können, da diese Be-
hörde zu dieser Zeit zu seinem Wesen gehört und er
dieses einmal so empfangen hat und nicht beseitigen kann?
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üeber die Freiheit. 125
Auch finde ich in Ihren Schriften nichts, woraus
sich ergiebt, dass die Handlangen, welche ich mit
Laster bezeichne, Sie von der Erkenntniss und Liebe
Gottes abzögen. Sie haben ja damit nur Gottes Willen
erfüllt und mehr konnten Sie nicht leisten, da nach
dem Willen und der Macht Gottes nur dies damals
Ihr Wesen ausmachte. Wie kann ein so bestimmtes
und abhängiges Werk Sie von der Liebe Gottes ab-
weichen machen? Abweichen heisst verwirrt und un-
bestimmt sein and dies ist nach Ihnen unmöglich.
Mögen wir dies oder jenes, mehr oder weniger an
Vollkommenheit äussern, so haben wir es für diese
Zeit zu unserem Wesen unmittelbar von Gott empfangen;
wie können wir also abirren? ich müsste denn nicht
verstehen, was Irrthum ist. Dennoch muss, ich wieder-
hole es, in diesen Punkten allein der Grund meines
oder Ihres Irrthums verborgen sein.
Hier möchte ich noch vieles Andere sagen und
fragen; 1) ob die geistigen Substanzen nur als leblose
von Gott abhän^g seien? Denn wenn auch verständige
Wesen mehr Wesen als die enthalten, welchen das
Leben mangelt, brauchen nicht dennoch beide Gott
und Gottes Beschluss, um ihre Bewegung überhaupt
und ihre besondere Bewegung im Einzelnen zu er-
halten, und sind nicht sonach beide, soweit sie ab-
hängen, auf gleiche Weise abhängig? 2) wenn Sie
ihnen die Freiheit der Seele, wie Descartes that,
nicht einräumen, welcher Unterschied bleibt da zwischen
der Abhängigkeit verständiger Substanzen und solcher,
welchen der Verstand fehlt? Und wenn sie keinen
freien Willen haben, worin besteht da nach Ihnen die
Abhängigkeit? wie hängt da die Seele von Gott ab?
3) Wenn die Seele keine solche Willensfreiheit besitzt,
ist da unser Handeln nicht eigentlich ein Handeln
Gottes und unser Wille nicht der Wille Gottes?
Ich könnte Sie noch mancherlei fragen, doch wage
ich es nicht; ich erwarte nur auf das Vorstehende bald
Ihre Antwort; vielleicht kann ich dann Ihre Meinung
durch dieses Mittel besser verstehen und hierüber dann
weiter mit Ihnen verhandeln. Sobald ich Ihre Antwort
erhalten haben werde, reise ich nach Leyden und
werde unterwegs, wenn ich Sie nicht belästige, Ihnen
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126 XXXVI. ßrief. Spinoza an Blyenbei^h.
meinen Besuch abstatten. In Erwartung dessen grosse
ich Sie und versichere Ihnen, dass ich verharre
Ihr
ergebenster und zugethaner
W. V. Bljenbergh.
' Dortrecht, den 19. Februar 1665.
P. 8. In der Eile habe ich noch die Frage ver-
gessen, ob wir nicht durch unsere Klugheit das ver-
meiden können, was uns sonst begegnen würde?
Sechsunddreissigster Brief.
(Vom 13. März 1665).
Von Spinoza an W. V. Blyenbergh.
(Die Antwort auf den vorstehenden Brief.)
Der lateinische Text ist eine Uebersetzung de» hoUän-
dischen Originals.
Mein Herr und IVeund!
Ich habe in dieser Woche zwei Briefe von Ihnen er-
halten ; der letzte vom 9. Mlirz sollte mich nur des am
19. Februar geschriebenen und von Schiedam abgesandten
Briefes vergewissem. In diesem beklagen Sie sich, dass
ich gesagt, „bei Ihnen helfe alles Beweisen nichts* u. s.w.,
als hätte ich dies mit Bezug auf meine Gründe gesagt,
weil sie Ihnen nicht sofort genügt hätten. Allein ich war
weit davon entfernt; ich hatte nur Ihre eigenen Worte
im Sinne, die so lauteten: „Und wenn es nach langer
„Untersuchung sich träfe, dass meine natürliche £r-
„kenntniss dem Worte der Schrift widerstritte oder nicht
„genugsam mit ihr u. s. w., so ist das Ansehen dieses
„Wortes so gross, dass vielmehr die Begriffe, welche ich
„klar einzusehen meine, mir verdächtig werden;*' u. s. w.
Wenn ich also Ihre eigenen Worte wiederholt habe,
so glaube ich nicht, Ihnen Anlass zur Empfindlichkeit
gegeben zu haben, zumal ich sie nur alcs Grund be-
nutzte, um unseren grossen Zwiespalt darzulegen.
Sie hatten femer am Schluss Ihres zweiten Briefes
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Die Ursächlichkeit Gottes. 127
^sagt, dass sie nur hofften und wünschten, in diesem
Urlauben und dieser Hoffnung zu beharren und dass alles
Andere, von dem wir gegenseitig vermöge unseres nattir-
lichen Verstandes überzeugt sind, Ihnen gleichgültig sei ;
deshalb überlegte ich und überlege auch jetzt, ob meine
Bemerkungen etwas helfen werden und ob es deshalb für
mich rathsam sei,meine wissenschaftlichen Arbeiten wegen
Dingen zu unterbrechen (wie ich anderen Falles auf lange
^enöthigt sein würde), die zu Nichts führen können.
Auch steht es mit meinem ersten Briefe nicht in Wider-
spruch, da ich Sie als einen reinen Philosophen nahm,
der (wie gar Manche, die sich Christen nennen, zugeben)
keinen anderen Probirstein der Wahrheit hat als den
natürlichen Verstand, aber nicht die Theologie. Hiervon
haben Sie mich jedoch eines Anderen belehrt und gezeigt,
dass die Grundlage, auf der ich unsere Freundschaft auf-
bauen wollte, noch nicht, wie ich glaubte, gelegt ist.
Was das Uebrige anlangt, so kommt dergleichen
beim Streiten meist nur so vor, dass die Grenzen der
Sitte eingehalten werden; deshalb lasse ich das, was
davon in Ihrem zweiten und auch in dem dritten Briefe
vorkommt, unerwfihnt. Soviel in Bezug auf die Ihnen
angeblich zugefügte Beleidigung, um Ihnen zu zeigen,
dass ich keinen Anlas s dazu gegeben habe und, was
noch viel weniger der Fall, dass ich keinen Wider-
spruch vertragen könnte. Ich wende mich daher noch-
D>als zur Beantwortung Ihrer Einwürfe.
Ich nehme also 1) an, dass Gott unbedingt imd
wahrhaft die Ursache von Allem ist, was eine Wesenheit
besitzt, sei sie welche sie wolle. Wenn Sie beweisen
könnten, dass das Böse, der Irrthum, die Vergehen Etwas
seien, was eine Wesenheit ausdrückt, so gebe ich Ihnen
vollständig zu, dass Gott die Ursache der Vergehen, des
Bösen und des Irrthums sei. Ich glaube indess genügend
dargelegt zu haben, worin die Form des Bösen, des Irr-
thums, aes Vergehens besteht; es ist nicht Etwas, was
eine Wesenheit ausdrückt und deshalb kann Gott nicht
als die Ursache desselben gelten. So war z.B. der Mutter-
mord Nero's, soweit er etwas Positives enthielt, kein Ver-
brechen; denn Orest beging dieselbe Äusserliche Hand-
lung und hatte auch die Absicht, die Mutter zu tödten
und doch klagte man ihn nicht an, wenigstens nicht so
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128 XXXVI. Brief. Spinoza an Blyenbergh,
wie den Nero. Worin bestand also das Verbrechen
Nero's? Lediglich darin, dass er durch diese That
seine Undankbarkeit, seine Grausamkeit und seinen
Ungehorsam darlegte. Allein dies Alles drückte keine
Wesenheit aus und deshalb kann auch Gott nicht die
Ursache davon sein, obgleich er die Ursache von
Nero*s That und Absicht war.iö^
Ich möchte hier auch erwähnen, dass man in philo-
sophischen Besprechungen sich nicht der theologischen
Sprechweise bedienen darf. Denn die Theologie stellt
mitunter und nicht ohne Absicht Gott wie einen Toll-
kommnen Menschen dar und deshalb ist es för die
Theologie zweckmässig, von Gott so zu sprechen, als
wünschte er Etwas, als würde er durch die Werke der
Gottlosen geärgert und durch die der Frommen erfreut.
In der Philosophie weiss man aber deutlich, dass Gott
diese Attribute, die den Menschen vollkommen machen,
ebenso wenig zugetheilt und zugeschrieben werden
können, als man das, was zur Vollkommenheit des
Elephanten und Esels gehört, dem Menschen zu-
schreiben kann ; deshalb finden diese und andere Aus-
drücke hier keine Stelle und man kann sie ohne Ver-
wirrung der Begriffe hier nicht anwenden. Deshalb
kann man philosophisch nicht sagen, dass Gott Etwas
von Jemand verlange, oder dass ihm Etwas äi^rlich
oder angenehm sei: dies sind Alles nur menschliche
Zustände, die bei Gott nicht Platz greifen. i^)
Ich möchte endlich meinen, dass zwar die Werke der
Frommen (d. h. Derer, die eine klare Vorstellung von
Gott haben, nach der alle ihre Werke und Gedanken sich
bestimmen) und der Gottlosen (d. h. Derer, welche die
Erkenntnis Gottes nicht besitzen, sondern irdische Dinge
kennen und danach ihre Werke und ihre Gedanken be-
stimmen) und überhaupt die Werke Aller, die bestehen,
aus den ewigen Gesetzen und Beschlüssen Gottes noth-
wendig abfiiessen und fortwährend von Gott abhängen;
allein sie unterscheiden sich von einander nicht blos in
dem Grade, sondern auch in dem Wesen. Denn die
Maus und der Engel, die Traurigkeit und die Fröhlichkeit
hängen zwar in gleicher Weise von Gott ab, allein die
Maus kann doch nicht eine Art von Engel oder die
Traurigkeit eine Art von Fröhlichkeit sein.^83;
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Ob Gott etwas gefalle. Die Vollkommenheit. 129
Hiermit glaube ich Ihre Einwürfe (wenn ich sie
richtig verstanden habe, denn manchmal bin ich
zweifelhaft, ob die Folgerungen, welche Sie daraus
ableiten, nicht schon von dem Satze, den Sie beweisen
wollen, abweichen) beantwortet zu haben.
Dies wird noch klarer werden, wenn ich auf die
Fragen, welche Sie auf diese Grundlagen gestützt haben,
antworte. Die erste lautet: ob das Tödten Gott ebenso
gefalle, als das Almosengeben? die zweite, ob das Stehlen
hinsichtlich Gottes ebenso gut sei als die Gerechtigkeit?
und die dritte, ob, wenn mit einer Seele es ausnahms-
w eise übereinstimmte und ihr nicht wider6tritte,den Lüsten
nachzugehen und Verbrechen zu verüben, einer solchen
Seele der Grund zur Tugend gegeben sei, welcher sie be-
stimmte, das Gute zu thun und das Böse zu unterlassen?
Auf die erste Frage antworte ich, dass ich (philo-
sophisch gesprochen) nicht weiss, was Sie mit den
Worten: ob ^Gott etwas gefalle^ sagen wollen. Wenn
Sie mich fragen, ob Gott nicht den Einen hasse und
den Anderen liebe? ob Einer Gott beleidigt habe und
ein Anderer ihm seine Gunst bewiesen habe, so ant-
worte ich mit Nein. Fragen Sie aber damit, ob die
Menschen, welche tödten und die, welche Almosen
austheilen, gleich fromm und vollkommen sind, so
antworte ich wieder mit Nein.lM)
Auf die zweite Frage erwidere ich, wenn das ^Gnte
hinsichtlich Gottes^ sagen will, dass der Gerechte Gott
etwas Gutes und der Dieb Gott etwas Böses anthue, dass
weder der Gerechte noch der Dieb eine Freude noch
einen Aerger in Gott bewirken können; geht die Frage
aber dahin, ob die Werke Beider, soweit sie wirklich und
von Gott bewirkt sind, gleich vollkommen seien? so sage
ich, dass, wenn man nur auf die Werke achtet und aut
einen solchen Zustand, es möglich ist, dass Beide gleich
vollkommen seien, i^) Wenn Sie aber fragen, ob der
Dieb und der Gerechte gleich vollkommen und glücklich
sind? so antworte ich Nein. Denn ich verstehe unter dem
Gerechten Den, welcher best&ndig wünscht, dass Jeder
behalte, was sein ist.^^) In meiner Ethik (die noch
nicht herausgegeben ist) zeige ich, dass dieses Begehren
bei dem Frommen aus der klaren Erkenntniss, die er
von sich und von Gott hat, nothwendig hervorgeht. D*i
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130 XXXVI. Brief. Spinosa an Blyeahergh.
nun der Dieb ein solches Begehren nicht haben kann,
80 fehlt ihm die Erkenntniss seiner und Grottes, d. h.
er entbehrt dessen, was ans vor Allem glücklich machu
Wenn Sie jedoch weiter fragen, was Sie bewegen
könne, mehr das Werk, was ich Tngend nenne, zu thnn,
als ein anderes ? so sage ich, dass ich nicht weiss, welche
Mittel Gott aus den unzähligen benntzt» am Sie sa diesem
Werke zu bestimmen. Es könnte sein, dass Grott Ihnen
eine so klare Erkenntniss gewährte, dass Sie die Welt
über der liebe zu ihm vergässen und die übrigen
Menschen wie sich selbst liebten und es ist klar, das^s
ein solcher Seelenzustand allen anderen Zustünden, die
böse heissen, widerspricht und deshalb beide in ein und
demselben Menschen nicht bestehen können. '^^ Indess
ist hier nicht der Ort, die Grundlagen der Ethik darzulegen
und alle meine Aussprüche zu beweisen; ich habe es
hier nur mit der Antwort auf Ihre Fragen zu thun
und habe nur diese von mir abzuhalten und abzuwenden.
Was endlich die dritte Frage anlangt, so geht
sie von einem Widerspruch aus und kommt mir ebenso
vor, als wenn Jemand frage: Ob es besser mit der
Natur Jemandes stimme, wenn er sich selbst aufhänge,
oder ob Gründe dagegen beständen? Indess will ich
annehmen, dass eine solche Natur möglich sei. Dann
behaupte ich (mag ich dabei die Freiheit des Willens
anerkennen oder nicht), dass, wenn Jemand weiss, er
werde am Kreuze sich behaglicher befinden, als wenn
er an seinem Tische sitze, er sehr thöricht handelt,
wenn er sich nicht aufhängt; und ebenso würde auch
Der, welcher klar erkennt, dass er durch Verübnng
von Verbrechen eines wirklich besseren und voUkomm-
neren Lebens oder Wesens sich erfreuen werde als
durch Uebung der Tugend, ebenso thöricht sein, wenn
er die Verbrechen nicht verübte. Denn die Verbrechen
würden ftir eine so verkehrte Natur deren Tugend sein.
Auf die am Schluss Ihres Briefes angehängte Frage
antworte ich nicht, da Sie in einer Stunde wohl an
hundert solcher Fragen thun könnten, ohne dass wir
zu einem Abschlass kämen. Auch haben Sie selbst
hier die Antwort nicht so dringend verlangt. Ich werde
zur Zeit nur sagen u. s. w.
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Fragen in Betreff von Descartes* Prinzipien. 131
Siebenunddreissigster Brief
(Vom 27. März 1665).
Von W. V. Blyenbergh an Spinoza.
(Die Antwort auf den Torstehenden Brief.)
(Der lateinische Text ist eine Uebersetzong aus dem
Holländischen.)
Mein Herr und Freund!
Als ich die Ehre hatte, bei Ihnen zu sein, gestattete
es cUe Zeit nicht, Ifinger bei Ihnen zu verweilen; noch
^weniger durfte ich dorn Gedächtniss das überlassen,
-was wir im Gespriich behandelt hatten, obgleich ich
sofort nach unserer Trennung alle meine Kräfte an-
strengte, um das Gehörte in dem Gedächtniss zu be-
halten. Am nächsten Ort angelangt, versuchte ich daher,
Ihre Ansichten zu Papier zu bringen; allein da be-
merkte ich, dass ich nicht den vierten Theil von dem
behalten hatte, was wir verhandelt hatten. Entschuldigen
Sie daher, wenn ich Sie noch einmal mit Fragen über
Punkte belästige, wo ich Ihre Ansicht nicht recht ver-
standen oder nicht recht behalten habe. Hoffentlich
geben Sie mir die Gelegenheit, diese Mühe bei Ihnen
durch irgend eine Gefälligkeit auszugleichen.
Erstens möchte ich wissen, wie ich bei dem Lesen
Ihrer Prinzipien und metaphysischen Gedanken erkennen
soll, was Ihre und was des Descartes Ansicht ist?
Zweitens, ob es eigentlich einen Irrthiim giebt,
und worin er besteht?
Drittens, in welcher Weise Sie den Willen als
nicht frei annehmen?
Viertens, was Sie mit den Worten meinen, wo
L. M. in der Vorrede in Ihrem Namen sagt: „Unser
^Verfasser erkennt wohl in der Welt eine denkende
^Substanz an, allein er bestreitet, dass sie das Wesen
^der menschlichen Seele ausmache, vielmehr nimmt
^er an, dass, sowie die Ausdehnung ohne Schranken
.„ist, so auch das Denken unbegrenzt sei. Deshalb
^ist der menschliche Körper nicht eine schlechthinnige,
^sondern nur eine in gewisser Weise, nach den Ge-
Spinosft, Briefe. 10 ,^^^i^
DigitizedbyVjOOglv:
132 XXXVII. Brief. Blyenbergh an Spinou.
„setzen der ausgedehnten Natar durch Bewegung und
„Kühe bestimmte Ausdehnung, und ebenso ist die
„menschliche Seele oder der Verstand nicht ein schlecht-
„hinniges, sondern nur ein nach den Gesetzen der
„denkenden Natur durch Vorstellungen auf gewisse
„Weise beschränktes Denken, was nothwendig gegeben
„ist, wenn der menschliche Körper zu bestehen anfügt.''
Daraus scheint zu folgen, dass, so wie der mensch-
liche Körper aus Tausenden von Körpern zusammen-
fesetzt ist, auch die Seele aus Tausenden von Ge-
anken besteht und dass, so wie der Körper sich wieder
in die Tausende von Körpern auflösen kann, aus denen
er gebildet worden, so auch die Seele, wenn sie den
Körper verlässt, sich wieder in so viel Gedanken, als
sie aus solchen bestand auflöst; auch dass, so wie die
aufgelösten Theile des menschlichen Körpers nicht
mehr geeint bleiben, sondern andere Körper zwischen
sie eintreten, auch jene unzähligen Gedanken, ans
denen unsere Seele bestand, bei ihrer Auflösung nicht
mehr verbunden, sondern getrennt bleiben; endlich
dass, so wie die getrennten Körper zwei Körper bleiben,
aber keine menschlichen, so durch den Tod auch
unsere denkende Substanz in der Art aufgelöst werde,
dass zwar die Gedanken oder die denkenden Substanzen
bleiben, aber nicht mehr so, wie deren Wesen war,
als sie die menschliche Seele bildeten. Es scheint
mir, als nähmen Sie hiemach an, dass die denkende
Substanz des Menschen nach Art der Körper umge-
wandelt und aufgelöst werde, so dass manche Seelen,
wie Sie von den gottlosen (wenn mein Gedüchtniss
mich nicht trügt) behaupten, ganz untergehen und keinen
Gedanken mehr übrig behalten. Sowie D esc arte s,
nach dem, was L. M. sagt, die Seele schlechthin als
denkende Substanz nur voraussetzt, so scheinen Sie
und L. M. dies nur für den grossem Theil derselben
vorauszusetzen. Deshalb kann ich Ihre Meinung bei
diesem Punkte nicht deutlich verstehen.
Fünftens entsteht nach dem, was Sie im GesprSeh
und in Ihrem letzten Briefe vom 13. Mlirz bemerkten,
aus der klaren Erkenntniss Gottes und unserer selbst^
das beharrliche Verlangen, dass Jeder das Seine be-
halte. Indess ist hier noch zu erklären, in welcher
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Das Positive im Unrecht. 133
Weise die Erkenntniss Gottes und unserer in uns den
beharrlichen Willen hervorbringt, dass Jeder das, was
sein ist, behalte, d. h. auf welche Weise dies aus der
Erkenntniss Gottes hervorgeht oder uns nöthigt, die
Tugend zu lieben und die fehlerhaften Handlungen zu
vermeiden, und wie es kommt (da nach Ihnen Tödten
und Stehlen ebenso ein Positives enthalten, wie Al-
mosen geben), dass die Yerübung eines Mordes nicht
ebenso viel Vollkommenheit, Seligkeit und Seelenruhe
enthftlt wie Almosen geben?
Sie werden vielleicht sagen, wie in dem letzten
Briefe vom 13. Mftrz, dass diese Frage zur Ethik ge-
höre und dort von Ihnen erörtert werde; allein ohne
Erlftuterung dieser und der vorgehenden Fragen kann
ich Ihre Meinung nicht verstehen, vielmehr bleiben
innere schwere Widersprüche bestehen, die ich nicht
ausgleichen kann; deshalb bitte ich Sie freundlichst,
mir hierauf ausführlich zu antworten und mir die
wichtigsten Definitionen, Forderungen und Grundsätze,
auf welchen Ihre Ethik und diese Frage ruht, mitzu-
th eilen und zu erlftutem. Vielleicht entschuldigen Sie
sich mit der Grösse dieser Arbeit; indess bitte ich,
daas Sie wenigstens dieses Mal mein Anliegen er-
füllen, wmL ich ohne die Lösung dieser letzten Frage
Ihre Meinung niesnals recht fassen werde. Ich möchte
gern Sie ftir diese MHke durch irgend eine Gefölligkeit
entschädigen; auch will ich Ihnen eine Frist von zwei
oder drei Wochen setzen; nur bitte ich, dass Sie vor
Ihrer Reise nach Amsterdam mir die Antwort senden.
Sie werden mich durch Erfüllung dieser Bitte höchlich
verpflichten und ich werde zeigen, dass ich bin und
bleibe,
mein Herr, Ihr
za allen Diensten bereiter
W. V. Blyenbergh.
Dortrecht, den 27. März 1665.
DiJtQedby Google
134 XXXVIII. Brief. Spinoza an Bljenbeigh.
Achtunddreissigster Brief (Vom April 1665).
Von Spinoza an W. V. Blyenbergh.
(Die Antwort auf den Torstehenden Brief.)
(Der lateinische Text ist eine Uebersetzung des holländischen
Originals.)
Mein Herr und Freund!
Als ich Ihren Brief vom 27. März erhielt, war ich
im Begriff, nach Amsterdam abzureisen. Ich liess ihn
deshalb, ids ich ihn halb gelesen, zu Hause, um ihn
nach meiner Rückkehr zu beantworten, da ich glaubte,
dass er nur Fragen in Bezug auf den ersten Streit-
Sunkt enthalten werde. Als ich ihn indess später ganz
urchlas, sah ich, dass sein Inhalt ein ganz anderer
war und nicht allein einen Beweis für das verlangte,
was ich in der Vorrede zu meiner geometrischen üe>
arbeitung der Prinzipien des Descartes blos habe
sagen lassen, damit Jedermann meine eigene Ansicht
erfahren sollte, aber nicht, um sie zu beweisen und
Jedermann davon zu überzeugen, sondern dass der
Inhalt Ihres Briefes auch einen grossen Theil meiner
Ethik betraf, welcher, wie Jedermann weiss, auf die
Metaphysik und Physik sich stützen muss. Deshalb
habe ich zur Erfüllung Ihrer Bitte mich nicht ent-
schliessen können, sondern habe die Gelegenheit ab-
warten wollen, wo ich Sie persönlich von Ihrem Ver-
langen abzustehen bitten könnte, und wo ich Ihnen
die Gründe ftir meine Weigerung angeben imd zeigen
könnte, dass dies auf die Lösune unseres ersten
Streitpunktes ohne Einfluss ist, vielmehr umgekehrt
grossentheils von der Lösung unserer Streitfrage ab-
hänge. Sie irren also, wenn Sie glauben, dass Sie
meine Ansicht in Betreff der Nothwendigkeit ohnedem
nicht verstehen können, da vielmehr jene Fragen nicht
ohne vorherige Lösung dieser verstanden werden
können. Ehe indess diese Gelegenheit sich geboten
hat, habe ich in dieser Woche einige Zeilen von
Ihnen erhalten, worin Sie über meine lange Zögerung
etwas empfindlich zu sein scheinen. Deshalb sehe ich
mich genöthigt, diese kurze Antwort Ihnen zu senden,
Digitized by V^OOQIC
Die Natur der DefinitioiL 135
um Ihnen meine Absicht und meinen Entschluss be-
stimmter als bisher kund zu thun. Ich hoffe, Sie wer-
den nach Erwägung der Sache freiwillig von Ihrer Bitte
abstehen und mir dennoch Ihre Gewogenheit erhalten;
ich werde wenigstens von meiner Seite in Allem zeigen,
dass ich bin u. s. w. "*)
NeununddreiBsigster Brief (Vom 7. Jan. 1666)
Von Spinoza an den *^^)
(Der lateinische Text ist eine Uebersetzung des hollän-
dischen Originals).
Geehrter HerrI
Den Beweis der Einheit Gottes, in dem Sinne,
dass seine Natur das Dasein nothwendig einschliesst,
welchen Sie wünschen und welchen ich mit mir herum-
trage, habe ich anderer Geschäfte wegen nicht früher
Ihnen Übersenden können. '^°^) Um denselben zu
fuhren, setze ich voraus:
1) Dass die wahre Definition eines Gegenstandes
nur die einfache Natur des zu definirenden Gegen-
standes enthalte. Daraus folgt
2) dass keine Definition eine bestimmte Menge oder
feste Zahl der darunter gehörenden einzelnen Gegen-
stände einschliesst oder ausdrückt, weil sie nämlich nur
die Natur des Gegenstandes an sich einschliesst und aus-
drückt. So enthält z. B. die Definition des Dreiecks nur
dessen einfache Natur, aber keine bestimmte Zahl von
Dreiecken, und ebenso enthält die Definition der Seele,
wonach sie eine denkende Substanz ist, oder die De-
finition Gottes, wonach er ein vollkommenes Wesen
ist, nur die Natur der Seele oder Gottes, aber giebt
die Zahl der Seelen oder Götter nicht an.
3) muss die Definition von jeder Sache, die be-
steht, die positive Ursache, wodurch sie besteht, an-
geben und
4) dass diese Ursache entweder zur Natur und Defini-
tion der Sache selbst gehört (weil das Dasein nämlich zu
Digitized by^OOQlC
136 XXXIX. Brief. Sp. an
deren Natur gebort, oder diese es nothwendig ein-
schliesst) oder ausserhalb derselben gestellt werden mass.
Aus diesen Voraussetzungen folgt, dass, wenn in der
Natur eine bestimmte Zahl der einzelnen Exemplare
besteht, es eine oder mehrere Ursachen geben muss, wes-
halb gerade diese Zahl derselben und nicht mehr oder
weniger hervorgebracht worden sind. Wenn z. B. in der
Welt nur 20 Menschen bestünden (von denen ich zur
Vermeidung der Verwirrung annehme, dass sie zu-
gleich und als die ersten da seien), so genügt es nicht,
die Ursache der menschlichen Natur überhaupt aufzu-
suchen um den Grund für das Bestehen der 20 Men-
schen damit zu bieten, sondern es muss auch der Grund
erforscht werden, weshalb nicht mehr oder weniger be-
stehen. Denn es muss nach der dritten Voraussetzung
von jedem Menschen der Grund und die Ursache ange-
geben werden, weshalb er besteht. Diese Ursache kann
aber nicht in seiner Natur als Mensch liegen (nach der
zweiten und dritten Voraussetzung), weil die wahre De-
finition des Menschen nicht die Zahl der zwanzig Men-
schen enthält. Deshalb muss die Ursache dieser zwan-
zig Menschen (nach der vierten Annahme) und folglich
auch die Ursache jedes Einzelnen ausserhalb ihrer be-
stehen. Daraus folgt unbedingt, dass Alles, was in
mehrfachen Exemplaren seines Begrififes da ist, noth-
wendig eine äussere Ursache haben muss und nicht
aus der Kraft seiner eigenen Natur hervorgehen kann.
Wenn nun aber (nach der Annahme) zu Gottes Natur
nothwendig das Dasein gehört, so muss auch dessen
Definition das Dasein nothwendig enthalten, und man
kann deshalb aus seiner -wahren Definition auch sein
Dasein mit Nothwendigkeit ableiten. Dagegen kann
aus dessen wahrer Definition (wie ich schon vorher
aus der zweiten und dritten Voraussetzung gezeigt habe)
nicht abgeleitet werden, dass mehrere Götter bestehen
müssen. Hinaus ergiebt sich das Dasein eines einzigen
Gottes; was zu beweisen war.
Dies, geehrter Herr, scheint mir gegenwärtig die
beste Art, den Satz zu beweisen. Ich habe ihn früher
anders bewiesen, indem ich zwischen Wesen und Dasein
unterschied; um indess das, was Sie mir angedeutet
haben, zu beachten, sende ich Ihnen mit Vergnügen die-
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Die Natnr eines nothwendigen Wesens. 137
sen Beweis. Ich hoffe, dass er Ihnen genügt; ich werde
Ihr Urtheil hierüber erwarten und bleibe inmittelst
Ihr u, s. w. "*)
Voorburg, den 7. Jan. 1666.
Vierzigster Brief (Vom 10. April 1666).
Von Spinoza an ''')
(^I>6r lateinische Text ist eine Uebersetzung des hollän-
dischen Originals).
Geehrter Herr!
Was in Ihrem Briefe, den ich am 10. Februar em-
pfangen habe, mir noch etwas dunkel war, haben Sie
in dem vom 30. März bestens aufgeklärt. Indem ich
somit Ihre eigentliche Absicht einsehe, stelle ich die
Frage so, wie Sie sie auffassen, ob es nämlich nur
ein Wesen giebt, was durch sein „Sich-selbst-Genilgen"
oder durch seine Kraft besteht? Ich behaupte dies
nicht blos, sondern bin auch bereit, es zu beweisen,
nämlich dass seine Natur nothwendig das Dasein des-
selben einschliesst , wenn man auch dies am leichte-
sten aus dem Wissen Gottes (wie ich es in Satz 11
meiner geometrischen Beweise der Prinzipien des Des-
cartes gethan habe) oder aus andern Attributen Gottes
beweisen kann. Um also hiermit zu beginnen, werde
ich vorher kurz zeigen, w^elche Eigenschaften ein
Wesen, das sein Dasein nothwendig in sich enthält,
haben muss. Nämlich:
1) muss es ewig sein. Denn wenn man ihm nur
eine bestimmte Dauer zutheilte, so würde dies Wesen
ausserhalb jener Dauer als nicht daseiend oder als ein
solches gefasst, was sein Dasein nicht nothwendig in
sich enthält, was seiner Definition widerspräche.
2) muss es einfach und nicht aus Theilen zu-
sammengesetzt sein. Denn diese Theile müssen der
Natur und der Erkentniss nach ***) früher als das Zu-
sammengesetzte sein, was bei einem Gegenstande, der
von Natur ewig ist, nicht Platz greifen kann.
3) kann es nicht begrenzt, sondern muss als un-
endlich aufgefast werden. Denn wenn seine Natur
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138 ^L. Brief. Spinoza an
begrenzt wfire und so anfgefasst würde, so wflrde
seine Natur ausserhalb dieser Grenzen als nicht-sei-
end aufgefasst, was seiner Definition widersprfiche.
4) muss esuntheilbar sein. Denn wenn es theil-
bar wäre, so könnte es in gleichartige oder ungleich-
artige Theile getrennt werden, und wenn dies, so könnte
es zerstört werden, also nicht bestehen, was gegen seine
Definition wfire. Auch würde in diesem Falle jeder
Theil sein Dasein nothwendig in sich enthalten, und
damit könnte jeder Theil ohne den andern bestehen
und also auch vorgestellt werden, und jenes Wesen
könnte dann als begrenzt vorgestellt werden was ebenfalls
gegen seine Definition laufen würde. Hieraus erhellt,
dass bei jeder Unvollkommenheit die man einem sol-
chen Wesen zutheilt, man sofort in den Widerspruch
geräth; denn mag die einem solchen Wesen zuge-
t heilte Unvollkommenheit in einem Mangel oder in
einer Grenze, welche es hätte, oder in einer VerSn*
derung, welche es aus Mangel an Kraft von iCussem
Ursachen erleiden könnte, bestehen, so kämen wir
immer dahin, dass es, dessen Natur nothwendig das
Dasein einschliesst, nicht bestände oder nicht nothwen-
dig bestände. Deshalb folgere ich:
5) dass Alles, was sein Dasein nothwendig in sich ent-
hält, auch keine Unvollkommenheit in sich enthalten
kann, sondern reine Vollkommenheit ausdrücken muss.
6) kann es nur von der Vollkommenheit kommen»
wenn ein Wesen durch seine Genügsamkeit und Kraft
besteht; nimmt man daher an, dass ein Wesen, das
nicht alle Vollkommenheiten ausdrückt, vermöge seiner
Natur bestehe, so muss man auch annehmen, dass ein
Wesen, das alle Vollkommenheiten in sich enthält,
ebenfalls besteht. Wenn nämlich ein schon mit ge-
ringerer Macht begabtes Wesen durch seine Genüg-
samkeit besteht, um wieviel mehr muss ein anderes be-
stehen, was mit grösserer Macht begabt ist. '*')
Um endlich zur Sache selbst zu kommen, so sage
ich, dass es nur ein einziges Wesen geben kann, bei dem
das Dasein zu seiner Natur gehört, nämlich dasjenige
Wesen, das alle Vollkommenheiten enthält und das ich
Gott nennen werde. Denn nach der No. 6^ kann ein
solches Wesen, von dem angenommen wird, dass das
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j A
Erläatemngen des vorhergehenden Briefes. 139
Dasein zu seiner Natnr- gehöre, keine Unvollkommen-
heit enthalten, sondern mnss alle Vollkommenheit in
sich haben, nnd deshalb mnss die Natur eines solchen
Wesens zu Gott (den wir nach No. 6 ebenfalls als
daseiend annehmen müssen) gehören, da Gott alle
Vollkommenheiten und keine UnvoUkommenheit in sich
enthält. Auch kann ein solches Wesen nicht neben
Gott bestehen; denn wäre dies der Fall, so würde ein
und dieselbe Natur, die auch noch ihr Dasein noth-
wendig enthält, doppelt bestehen, was nach dem Vor-
herbewiesenen widersinnig ist. Deshalb besteht nichts
ausser Gott, was nothwendig sein Dasein enthält ; nur
bei Gott ist dies der Fall. Was zu beweisen war.***)
Dies ist es, geehrter Herr, was ich zur Zeit zum
Beweise dieses Satzes vorzubringen vermag. Ich
wollte wohl, dass ich Ihnen auch beweisen könnte, wie
sehr ich bin u. s. w.
Voorburg, den 10. April 1666.
Einundvierzigstcr Brief (Vom Mai 1666).
Von Spinoza an den ^^)
(Der lateinische Text ist eine Uebersetzung des holländischen
Originals.)
Geehrter Herr!
Auf Ihren Brief vom 19. Mai konnte ich eines
Hindernisses wegen nicht eher antworten. Da ich in-
dess bemerkt habe, dass Sie Ihr Urtheil über meinen
Ihnen gesandten Beweis für den grossem Theil noch
zurückhalten (und zwar, wie ich glaube, weil er
Ihnen dunkel vorkommt), so will ich versuchen, dessen
Sinn Ihnen klarer darzulegen.
Zunächst hatte ich vier Eigenschaften aufgezählt,
welche ein Wesen haben muss, was durch seine Genüg-
samkeit oder Kraft besteht. Diese vier und andere
ihnen ähnliche hatte ich in der sechsten Bemerkung
in eine zusammengefasst. Dann hatte ich, um alles
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140 ^^^ Brief. Spinoza an
za dem Beweise Nöthi^e aas der blossen Annahme
abauleiten, in der sechsten Bemerkung versucht, das
Dasein Gottes auf Grund der gegebenen Annahme zu
beweisen, und habe von da endlich, ohne etwas Weiteres
(wie bekannt ist) als den einfachen Wortsinn anzu-
nehmen, das gefolgert, was Sie verlangt hatten.
Dies ist, mit wenig Worten, meine Absicht und
mein Ziel gewesen. Ich will nun den Sinn jedes
einzelnen Theiles besonders erläutern und beginne
daher mit den vorausgeschickten Eigenschaften.
Die erste macht Ihnen keine Schwierigkeit nnd
ist auch, wie die zweite, nur ein selbstverstündlicher
Grundsatz. Ich verstehe nämlich unter einfach nur
das, was nicht zusammengesetzt ist, mag die Zusammen-
setzung aus von Natur verschiedenen Theilen oder
aus gleichartigen Theilen bestehen. Der Beweis gilt
sicherlich allgemein."®)
Den Sinn meines dritten Satzes (nämlich dass,
wenn dies Wesen ein Denken ist, es hierin, und wenn es
eine Ausdehnung ist, es darin nicht als begrenzt, sondern
nur als unbegrenzt aufgefasst werden könne) haben Sie
ganz richtig gefasst, aber derSchluss ist Ihnen nicht klar.
Er stützt sich jedoch darauf, dass es ein Widersprach
wäre, Etwas, dessen Definition das Dasein enthält, oder
welche, was dasselbe ist, sein Dasein bejaht, unter der
Verneinung des Daseins aufzufassen. Femer bezeichnet
das Begrenzte nichts Bejahendes, sondern nur die Be-
raubung des Daseins bei einem solchen Wesen, welches
begrenzt aufgefasst wird ; also kann ein Wesen, dessen
Definition das Dasein bejaht, nicht begrenzt aufgefasst
werden. Wenn z . B. der Ausdruck „Ausdehnung^ das
Dasein nothwendig enthält, so ist es ebenso unmöglich,
eine Ausdehnung ohne Dasein vorzustellen wie eine Aus-
dehnung ohne Ausdehnung, und wenn dies anerkannt
wird, so wird es auch unmöglich sein, eine begrenzte
Ausdehnung vorzustellen. Denn wenn dies geschähe, so
müsste sie sich durch ihre eigene Natur, nämUch die Aus-
dehnung begrenzen und es müsste dann diese Ausdeh-
nung, durch welche sie begrenzt würde, als Verneinung
der Ausdehnung aufgefasst werden, was nach der An-
nahme ein offenbarer Widerspruch sein würde.**')
Im vierten Satze habe ich nur zeigen wollen, dass
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Erläuterungen des vorhergehenden Briefes. 141
«in solches Wesen weder in gleichartige, noch ungleich-
artige Theile getrennt werden könne, mögen letztere das
Dasein nothwendig enthalten oder nicht. Denn, sagte
ich, wenn Letzteres Statt hfttte, so könnte jenes Wesen
zerstört werden, weil das Zerstören einer Sache eben
eine Trennung derselben in solche Theile ist, dass
keiner die Natur des Ganzen darstellt; h&tte aber das
£r8tere Statt, so würde es mit den darin vorher be-
gründeten Sätzen in Widerspruch kommen. '^^^
Bei dem fünften Satze haben Sie die VollKommen-
heit nur in dem „Sein^ gesacht und die Un Vollkommen-
heit nur in der Beraubung des Seins. Ich sage ^in
der Beraubung^; denn wenn auch die Ausdehnung das
Denken an sich verneint, so ist dies doch keine Un-
vollkommenheit an ihr. Wenn ihr dagegen an der
Ausdehnung Etwas abginge, so würde dies eine Un-
vollkommenheit anzeigen, und dies würde der Fall
sein, wenn sie begrenzt wäre, oder wenn ihr die
Dauer, die Lage u. s. w. fehlte. ^^'^
Den sechsten Satz haben Sie unbedingt zugegeben,
und doch sagen Sie, dass Ihre Bedenken noch nicht ge-
hoben seien (nämlich weshalb nicht mehrere Wesen be-
stehen könnten, die an sich, aber mit verschiedener Natur
bestehen; wie z. B. das Denken und die Ausdehnung ver-
schieden sind und doch vielleicht durch ihre eigene Ge-
nügsamkeit bestehen können). Ich kann hier nicht an-
ders glauben, als dass Sie den Satz in einem ganz
andern Sinne als ich nehmen. Ich weiss vielleicht, wie
Sie ihn verstehen; doch will ich, um nicht Zeit zu ver-
lieren, nur erklären, wie ich ihn verstehe. Ich sage
nämlich bei diesem sechsten Satz, dass, wenn man an-
nimmt, Etwas, was nur in seiner Art unbegrenzt und
vollkommen ist, bestehe durch seine Genügsamkeit, so
müsse man auch das Dasein eines unbedingt unbegrenz-
ten und vollkommenen Wesens einräumen, welches Wesen
ich Gott nenne. Wenn man z. B. annähme, dass die Aus-
dehnung oder das Denken (von denen jedes in seiner Art,
d. h. in einer gewissen Art des Seins, vollkommen sein
kann) durch ihre Genügsamkeit bestehen, so muss auch
das Dasein Gottes, welcher schlechthin vollkommen ist,
d. h. das Dasein eines unbedingt unbegrenzten Wesens,
zugestanden werden. Hier möchte ich erläutern, was das
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142 ^LI. Brief. Spinoza an
Wort ^UnvoUkommenheit^ bezeichnet; n&nlich dass
einem Gegenstande etwas fehlt, was aber zu seiner
Natur gehört. So kann z. B. die Ausdehnung nur rück-
sichtlich der Dauer, der Lage, der Grösse unvollkommen
genannt werden, nftmlich weil sie nicht iJüiger dauert,
weil sie ihre Lage nicht beibeh<, oder weil sie nicht
grösser wird ; aber sie kann niemals unvollkommen ge-
nannt werden, weil sie nicht denkt, da ihre Natur dies
nicht verlangt und diese nur in der Ausdehnung besteht^
d. h. in einer gewissen Art des Seins; nur in Bezug auf
diese Art kann sie begrenzt oder unbegrenzt, voll-
kommen oder unvollkommen genannt werden. Gottes
Natur besteht aber nicht in einer bestimmten Art des
Seins, sondern sein Sein ist schlechthin unbegrenzt und
deshalb verlangt auch seine Natur Alles, was das Sein
vollkommen ausdrückt; ohnedem würde sie beschrinkt
und mangelhaft sein. Verhält sich dies so, so folgt, dass
nur ein Wesen, nfimlich Gott, bestehen kann, was durch
seine eigene Kraft besteht. Wenn man z. B. annimmt,
dass die Ausdehnung das Dasein enthält, so muss sie
ewig und unbegrenzt sein und schlechthin keine Unvoll-
kommenheit, sondern nur Vollkommenheit ausdrücken
und daher wird die Ausdehnung zu Gott gehören, oder
Etwas sein, was in gewisser Art Gott ausdrückt, weil
Gott ein Wesen ist, das nicht blos in einer einzelnen
Beziehung, sondern unbedingt unbegrenzt und all-
mächtig in seinem Wesen ist. Dasselbe muss von Allem
gelten, was hier (nach Belieben) von der Ausdehnung
gilt, sobald man eine solche Beschaffenheit dabei an-
nimmt; deshalb folgere ich, wie in meinem letzten Briefe,
dass nichts ausserhalb Gottes besteht und Gott allein
durch seine Genügsamkeit besteht. Dies wird hoffentlich
zur Erläuterung aes Früheren genügen und Sie werden
nun eher darüber ein Urtheil fallen können.*^
Ich möchte damit schliessen ; allein ich bin jetzt
Willens, mir neue Formen zum Glasschleifen machen zu
lassen und möchte mir dabei Ihren Rath erbitten. Ich
sehe nicht ein, was man mit dem Ausdrehen von convex-
concaven Gläsern gewinnt. Vielmehr müssen plan-con-
vexe Gläser besser sein, wenn ich richtig gerechnet habe.
Denn nimmt man (der Einfachheit wegen) an, das
Brechungsverhältniss sei wie 3 zu 2 und setzt man die
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Üeber concaT-conV^xe Gläser,
143
Buchstaben in nebenstehender Figur so, wie Sie in Ihrer
Ueinen Dioptrik thun, so ergiebt sich nach Beduktion
<ler Gleichung
/9 X- =^
I -j-zz — XX j — Y (l — xx). Daraus folgt, dass, wenn
X =0 ist, z = 2 ist und dann ist z am längsten. Ist
3 . 43
X = — so ist z =xg oder etwas mehr; sofern man näm-
lich annimmt, dass der Strahl BJ keine zweite Bre-
cbung erleidet, wenn er aus dem Glase nach I geht. Wir
wollen aber nun annehmen, dass er bei dem Austritt aus
dem Glase von der ebenenOberflftche BF zurückgewor-
fen werde und dass er nicht nach I, sondern nach K gehe.
Nun verhalten sich die Linien RI und BR wie die
Brechung, d. h. (nach unserer Annahme) wie 3 : 2 und
wenn man dann jener Gleichung folgt, so ergiebt sich
NR=y (zz — xx) —Y (1 — 3Lx). Setzt man dann wieder
x=0, so ist NR=1, d. h. gleich dem halben Durchmesser.
o 90 1
Wird X aber = -g- genommen, so ist NR = -gg- + gg. Dies
zeigt, dass dieser Brennpunkt kleiner als jener ist, wenn
das optische Rohr um einen vollen Halbmesser kleiner
ist. Macht man daher das Fernrohr so lang wie DJ, in-
dem man den Halbmesser = l*/» nimmt und BF von glei-
cher Oeffnung, so wird der Brennpunkt viel kleiner aus-
fallen. Auch gefallen mir concav-convexe Gläser deshalb
weniger, weU sie doppelte Arbeit und Kosten machen
imd weil die Strahlen, wenn sie nicht alle auf einen
Punkt zugehen, niemals auf eine concave Oberfläche
senkrecht einfallen können. Indess haben Sie sicherlich
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144 ^LU. Brief. Spinoza an J. B.
dies schon früher erwogen, genauer berechnet und
durch die Sache bestimmt; deshalb erbitte ich mir
hierin Ihre Ansicht und Ihren Rath u. s. w.
Zwei und vierzigster Brief (Vom 10. Juni 1666).
Von Spinoza an den gelehrten und erfahrenen Herrn J. B. '^^>
Gelehrter Herr und werther Freund!
Auf Ihren schon l&ngst empfangenen Brief habe ich
nicht früher antworten können, weil so mancherlei Arbei-
ten und Sorgen mich so beschäftigten, dass ich mich kaum
davon freimachen konnte. Indess möchte ich nicht,
nachdem ich wieder etwas zur Besinnung gekommen bin,
meine Pflicht verabsäumen; ich sage Ihnen daher herz-
lichen Dank für Ihre Liebe und Gefälligkeit, die Sie mir
schon oft durch die That und jetzt durch Ihre Briefe
feniigewA »iHeawi.hahOTr lekweaclamich zu Ihrer Frage^
ie so lautet; „Ob es ein Verfahren giebt oifeg gdbea.
„kann, wo mau ohne Anstoss in der besten Erkennt-
„niss der Dinge ohne Ueberdruss vorschreiten kann?
„Oder ob, wie unser Körper, so auch unser Geist den
„Zufällen ausgesetzt ist und unsere Gedanken mehr
„durch Glück als durch Kunst geleitet werden?^
Ich glaube Ihnen zu genügen, wenn ich zeige, dass
es nothwendig ein Verfahren geben muss, wobei wir
unsere klaren und deutlichen Vorstellungen leiten und
verknüpfen können und dass der Verstand nicht, wie der
Körper, den Zufällen unterworfen ist. Dies ergiebt sich
schon allein daraus, dass eine klare und deutliche Vor-
stellung, oder mehrere solche, schlechthin die Ursache
einer anderen klaren und deutlichen Vorstellung sein
können; ja es können überhaupt alle klaren, und deut-
lichen, von uns gebildeten Vorstellungen nur von andern
klaren und deutlichen Vorstellungen in uns entstehen und
aus keiner Ursache von aussen kommen. Deshalb hän-
gen alle von uns gebildeten klaren und deutlichen Vor-
stellungen blos von unsrer Natur und deren festen und
bestimmten Gesetzen ab, d. h. lediglich von unsrer Macht
und nicht vom Zufall, d. h. von Ursachen, die zwar auch
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üeber die beste Exkeimtniss. 145
nach festen und bestimmten Gesetzen wirken, aber uns
unbekannt und unsrer Natur und Maeht fremd sind. Die
übrigen Vorstellungen hängen dagegen meist vom Zufall
ab. Hieraus erhellt, wie das Verfahren beschaffen sein
muss und worin es wesentlich besteht; nämlich in dem
Erkennen mittelst des reinen Verstandes, seiner Natur
und Gesetze. Um dies zu erreichen, muss man vor Allem
zwischen Verstand und Einbildungskraft unterscheiden,
d. h. zwischen den wahren Vorstellungen und zwischen
den eingebildeten, falschen und zweifelhaften und über-
haupt allen, die nur von dem Gedächtniss abhängen. Um
dies einzusehen, wenigstens soweit es das Verfahren ver-
langt, bedarf es nicht der Erkenntniss der Natur unsrer
Seele aus ihrer ersten Ursache, sondern es genügt, eine
Beschreibung der Seele oder der Vorstellungen in der
Weise zusammenzustellen, wie Baco gethan hat.***)
Damit glaube ich kurz das wahre Verfahren dar-
gelegt und bewiesen sowie den Weg, um dahin zu
gelangen, gezeigt zu haben. Ich habe Sie nur noch
zu erinnern, dass zu Alledem ein fleissiges Nachdenken
und ein beharrlicher Geist und Wille gehört. Um
diese zu erlangen, ist die Einrichtung einer bestimmten
Lebensweise und die Vorsetzung eines festen Zid«r
nöthig; doch für jetzt genug davon u. s. w^*^
Dreiundvieraig'ster Brief (Vom 1. Okt. 1666).
Von Spinoza an Herrn J. v. M.*^)
(Der Tateinische Text ist aus dem Holländischen übersetzt).
Wohlgebomer Herr!
W&hrend meines einsamen Landlebens hier habe ich
die mir einst von Ihnen ^stellte Frage überdacht und
sie sehr einfach befunden. Der allgemeine Beweis beruht
darauf, dass Derjenige richtig spielt, welcher seine Aus-
sicht oder Erwartung zu gewmnen und zu verlieren der
Aussicht seines Gegners gleich setzt. Diese Gleichheit
liegt in der Wahrscheinlichkeit und in der Geldsumme,
welclie die Gegner setzen und wagen ; d. h. : Ist die Wahr-
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146 XLm. Brief. Spinoza an J. v. M.
scheinlichkeit auf beiden Seiten gleich, so moss auch Jeder
die gleiche Summe wagen und setzen; ist aber die Wahr-
scheinlichkeit ungleich, so rouss Der, für den sie besser
ist, um so viel mehr Geld als der Andere einsetzen; dann
ist die Aussicht wieder gleich und deshalb das Spiel dann
gerecht. Wenn also z. B. A bei seinem Spiel mit B die
doppelte Aussicht zu eowinnen und nur die einfache zu
verlieren hat und B dagegen nur einmal zu gewinnen
fegen zweimal zu verlieren die Aussicht hat, so erhellt^
ass A für jeden Fall so viel wagen muss, als B ftlr seinen
einen Fall, d. h. A muss das Doppelte von B einsetzen.
Um dies noch deutlicher zu machen, so wollen wir
annehmen, dass A, B und C mit gleichen Erwartungen
unter einander spielen und jeder die gleiche Summe setzt.
Hier wagt offenbar der Einzelne, weil Jeder die gleiche
Summe setzt nur ein Drittel gegen den Gewinn von zwei
Drittel und ebenso hat Jeder, weil er gegen Zwei spielt,
nur eine Erwartung, zu gewinnen, gegen zwei, zu ver-
lieren. Nehmen wir an, dass der Eine, z. B. C, vor An-
fang des Spiels vom Spiel zurücktreten will, so ist klar,
dass er nur seine Einlage, d.h. den dritten Theil zurück-
fordern kann und will B die Aussicht von C kaufen und
in dessen Stelle eintreten, so muss er ebenso viel ein-
setzen, als Jener zurückgezogen hat. Dann kann sich A
nicht entgegenstellen, denn für ihn ist es gleich, ob er
mit seiner einen Aussicht gegen zwei Aussichten von
verschiedenen Spielern oder von nur einem Spieler das
Spiel eingeht. Wenn sich dies so verhält, so folgt, dass,
wenn Jemand in seiner Hand von zwei Nummern eine
hält, die ein anderer rathen soll, dieser, wenn er sie
trifft, die bestimmte Summe erhalten muss und dass, wenn
er falsch räth, er eine gleiche Summe verliert, weil, wie
gesagt, die Aussicht auf Gewinn auf beiden Seiten gleich
ist, sowohl bei Dem, der die Hand hinhält, wie bei Dem,
welcher räth. Streckt er dagegen die Hand aus, so dass
der Andere von drei Zahlen eine rathen soll und, wenn
er sie räth, er eine Summe erhalten, wenn er aber sie
nicht räth, die halbe Summe bezahlen soll, so ist auch
da die Wahrschein lickeit und Gewinnaussicht auf beiden
Seiten gleich. Ebenso bleibt sie gleich, wenn Der, welcher
die Hand ausstreckt, dem Andern zweimal zu rathen ge-
stattet und, wenn er sie räth, eine Summe Geldes erhalten,
Digitized by V^OOQIC
Die Wahrscheinlichkeit im Spiel. 147
wenn er sie aber verfehlt, das Doppelte zahlen soll. Auch
bleibt die Wahrscheinlichkeit una£rwartnng gleich, wenn
er ihn bei vier Nummern dreimal rathen lässt und die
Summe des Gewinnes und Verlustes dabei gleich ist, oder
wenn er viermal bei ftinf Nummern rathen lässt und der
Gewinn einfach oder der Verlust vierfach bezahlt wird
u. 8. w. Hieraus folgt, dass es für Den, der die Hand
hinhält, gleich ist, ob der Andere so oft rathe, als er will,
um eine von vielen Nummern zu treffen, wenn er nur ftir
so vielmal, als er rathen darf, auch ebenso vielmal setzt
und wagt, als die Zahl des Rathens durch die Zahl der
Nummern dividirt ausmacht. Sind es z. B. 5 Nummern
und darf nur einmal gerathen werden, so hat der Eine V«
der andere Vs zu setzen; darf zweimal gerathen werden,
so ist das Verhältniss der Einsätze '/s zu '/&; darf drei
mal gerathen werden, Vs zu V» und so fort */» gegen V,
und Vs gegen 7a* Deshalb ist es fUr Den, welcher den
Andern rathen lässt, gleich, wenn er z. B. nur V« setzt,
um V« zu gewinnen, ob Einer allein fünfmal räth, oder
ob fünf Menschen jeder einmal rathen, wie Ihre Frage
lautete. *^
Am 1. October 1666.
Vierundvierzigster Brief (Vom 3. März 1667).
Von Spinoza an Harm J. J. ^^)
(Der lateinische Text ist eine üebersetzung des hollän-
dischen Originals.)
Lieber Herr!
Mancherlei hat mich an der früheren Beantwortung
Ihres Briefes gehindert. Ich habe das gesehen und ge-
lesen, was Sie über die Dioptrik von Descartes bemerkt
haben. Er nimmt keine andere Ursache für die Bildung
grösserer und kleinerer Bilder im Grunde des Aug^s an,
als die Kreuzung der Strahlen, welche von den ver-
schiedenen Stellen desGegenstandes kommen ; j e nachdem
sie nämlich sich näher oder entfernter vom Auge zu
kreuzen anfangen;*^) er beachtet daher die Grösse des
Spinoia, Brief«. ^^ t
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148
XUV. Brief. Spinoza an J. J.
Winkels nicht, welchen diese Strahlen bilden, wenn sie
sich an der Oberflfiche des Auges kreuzen. Obgleich nun
diese letztere Ursache die hauptsächlichste ist, wie bei
den Femröhren zu bemerken ist, so scheint Descartes
doch diese mit Stillschweigen haben übergehen zu wollen.
Er hatte nämlich, nach meiner Ansicht, nocht nicht das
Mittel erkannt, Strahlen, die parallel von verschiedenen
Punkten ausgehen, in ebenso viele andere Punkte wieder
zu sammeln '^) und deshalb konnte er jene \^nkel nicht
mathematisch bestimmen; vielleicht hat er es auch nicht
erwähnt, um nicht dem Kreis vor den andern von ihm
eingeführten Figuren den Vorzug einzuräumen, da un-
zweifelhaft der Kreis hier alle anderen Ilguren, die man
aufstellen könnte, übertrifft. Der Kreis ist überall der-
selbe und hat deshalb überall dieselben Eigenschaften.
Hat z. B. der Kreis A B C D die Eigenschaften, alle der
Axe AB parallelen und von A kommenden Strahlen an
seiner Oberfläche so zubrechen, dasssiesämmtlich indem
Punkt B sich vereinigen, so werden auch alle der Axe CD
No. 8.
parallelen und von C kommenden Strahlen an dessen
Oberfläche so sich brechen, dass sie sich in dem Punkt D
vereinigen. Dies findet bei keiner anderen Figur Statt,
da die Hyperbel und die Ellipse unendlich viele ver-
schiedene Durchmesser haben. Die Sache verhält sich
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Ueber optische Gl&ser. X49
also so, wie Sie schreiben. Hätte man nur die Länge
des Anees oder des Femrohres zu beachten, so wäre man
genöthigt, die Fernrohre so lang als möglich zu machen,
wenn man die Dinge im Monde so genau wie die auf
der Erde sehen wollte. Allein die Hauptsache liegt, wie
erwähnt, in der Grösse des Winkels, welchen die von ver-
schiedenenPunkten desGegenstandes ausgehenden Strah-
len bei ihrer Kreuzung an der Oberfläche des Auges
machen und dieser Winkel wird grösser oder kleiner, je
nachdem die Brennpunkte der in dem Femrohre befind-
lichen Gläser mehr oder weniger verschieden sind.''^)
Wenn Sie der Beweis hierfür interessirt, so kann ich
Ihnen denselben jederzeit» wenn Sie belieben, über-
senden.
Voorburg, den 3. März 1667.
Fünfundvierzigster Brief (Vom 25. März 1667).
Von Spinoza an den Herrn J. J.
(Das Origmal ist in holländischer Sprache abgefasst.)
Ihren letzten Brief vom 14. dieses Monats habe ich
richtig erhalten ; ich konnte ihn indess wegen mehrerer
Abhaltungen nicht früher beantworten. Ich habe mit
Herrn Vossius'^^) die Angelegenheit von Helvetius'^*)
besprochen; er lachte sehr (um nicht Alles, was wir ge-
sprochen, in diesem Briefe zu erzählen) und wunderte
sich, dass ich über solche Possen ihn befrage. Nichts
desto weniger ging ich zu dem Goldschmied, mit Namen
Brechtelt, welcher das Gold probirt hatte. Dieser sprach
^anz anders als Herr Vossius und behauptete, das Gold
habe bei dem Schmelzen und Absondern an Gewicht an-
genommen und sei so viel schwerer geworden, als er an
Silber der Trennung wegen in den Schmelztiegel gethan
hätte. Er war daher überzeugt, dass das Gold, was
sein Silber in Gold verwandelt habe, etwas Besonderes in
sich enthalte; auch nicht er allein, sondern mehrere andere
Herren, die damals gegenwärtig waren, haben dieselbe
Wahrnehmung gemacht. Ich ging hierauf zu Hei vetins
selbst; dieser zeigte mir das (>old und den Tiegel, dessen
11*
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150 XLV. Brief. Von Spinoza an J. J.
Inneres noch mit Gold überzogen war. Er sagte, dass er
kaum den vierten Theil eines Gerstenkornes oder Senf-
kornes in das geschmolssene Blei gelegt habe, nnd dass
er den ganzen Vorgang bald veröffentlichen werde, aneh
dass ein Mann in Amsterdam (den er f^ denselben hielt,
der bei ihm gewesen sei) dieselbe Operation gemacht habe^
wovon Sie jedenfalls gehört haben werden. So viel habe
ich hierüber in Erfahrung bringen können.***)
Der Verfasser des von Ihnen erwähnten Schrificbens
(in welchem er sich rühmt, die Gründe von Descartes,
womit er in der dritten und vierten Meditation das Dasein
Gottes beweist, widerlegt zu haben) wird wahrscheinlich
mit seinem eigenen Schatten fechten und sich selbst mehr
schaden als Anderen. Ich gebe zu, dass der Satz von
Descartes einigermassen dunkel ist, wie auch Sie be-
merkt haben ; deutlicher und wahrer hätte er vielleicht
ihn so gefasst, ^dass die Kraft des Denkens zum Denken
^nicht grösser ist als die Kraft der Natur zum Sein nnd
„Wirken.^ "*) Es ist dies ein klarer und wahrer Satz,
aus dem sich das Dasein Gottes auf das Klarste und
Wirksamste aus der Vorstellung desselben ergiebt. Der
Grund des erwähnten Schriftstellers, den Sie erwähnen,
zeigt deutlich, dass er die Sache noch nicht versteht.
Freilich kann man damit, wenn die Frage z. B. in all
ihre Theile aufgelöst wird, ohne Ende fortgehen; im
Uebrigen ist sie aber sehr thöricht. Wenn z. B. Jemand
fragt, durch welche Ursache ein so bestimmter Körper
sich bewege? so kann man antworten, er sei dazu von
einem andern Körper und dieser wieder von einem andern
und so fort ohne Ende bestimmt werden; so kann man,
sage ich, antworten, weil es sich nur um die Bewegung
handelt und man, wenn man stets einen neuen Körper
hinzunimmt, eine hinreichende und ewig aushaltende Ur-
sache für diese Bewegung angiebt Wenn ich dagegen
ein Buch voll erhabener Betrachtungen und zierliä ge-
schrieben in der Hand eines Unwissenden erblicke nnd
ihn frage, woher er das Buch habe und er mir sagt, er
habe es von dem Buche eines andern Unwissenden, der
auch zierlich schreiben gekonnt, abgeschrieben und wenn
er dies ohne Ende fortsetzt, so genügt mir dies nicht,
denn ich frage nicht blos nach der Gestalt und Ordnung
der Buchstaben, worauf er allein antwortet, sondern auch
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Descartes^ Beweis des Daseins Gottes. Strahlenbrechung. 151
nach den Gedanken und dem Inhalt, welcher deren
Zusammenstellung enth< und hierauf antwortet er
mit solcher Antwort nicht, selbst wenn sie ohne Ende
fortgeht. Wie sich dies auf die Vorstellungen an-
wenden lässt, kann leicht aus dem 9. Axiom der von
mir geometrisch begründeten Prinzipien des Descartes
entnommen werden/^i^)
Ich gehe zur Beantwortung Ihres zweiten Briefes vom
9. M&rz über, worin Sie eine weitere Erläuterung über
die in meinem vorgehenden Briefe erwähnte kreisrunde
Gestalt verlangen. Sie werden dies leicht verstehen,
wenn Sie nur gefälligst beachten, dass sämmtliche
Strahlen, welche als parallel auf das vordere Glas des
Femrohres einfallend angenommen werden, es in Wahr-
heit nicht sind (weil sie nämlich sämmtlich von einem
Punkte kommen). Man stellt sie sich nur so vor, weil
der Gegenstand so weit absteht, dass die Oeffnung des
Femrohrs in Verhältniss zu dieser Entfernung als ein
Punkt betrachtet werden kann. Femer ist es richtig,
dass man, um den ganzen Gegenstand zu sehen, nicht
blos der Strahlen aus einem Punkte allein bedarf,
sondem auch der Strahlenkegel aus allen anderen
Punkten des Gegenstandes und dass sie deshalb in
ebenso viele andere Brennpunkte nach Durchgang durch
das Glas sich vereinigen müssen. Auch ist das Auge
nicht so genau eingerichtet, dass alle Strahlen, die aus
verschiedenen Punkten des Gegenstandes kommen,
ganz genau in ebenso vielen Punkten im Grunde des
Auges sich wieder vereinigen; allein sicherlich sind die
Gestalten, welche dies leisten können, allen anderen
vorzuziehen. Wenn also ein bestimmter Kreisabschnitt
bewirken kann, dass alle von einem Punkte ausgehenden
Strahlen in einem anderen Punkte seines Durchmessers
(mechanisch ausgedrückt) zusammentreffen, so wird
dies auch bei allen Strahlen, die von anderen Punkten
ausgehen, in eben solchen anderen Punkten geschehen.
Denn man kann von jedem Punkte eines Gegenstandes
eine Linie ziehen, welche durch den Mittemunkt des
Ejreises geht, wenn auch deshalb die Oeffnung des
Femrohrs viel kleiner gemacht werden muss, als es
sonst zu geschehen hätte, wo man nur eines einzigen
Brennpunktes bedurfte, wie Sie leicht einsehen werden.
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152
XLV. Brief. Spinoza an J. J.
-^
■/>..
Was ich hier von dem
Kreise sage, gilt nicht von der
Ellipse, nicht von der Hyperbel
und noch weniger von anderen
verwickeiteren Gestalten, weil
man da nur eine einzige Linie
aus einem einzigen Punkte des
Gegenstandes ziehen kann^
welche durch den Brennpunkt
auf beiden Seiten geht. Dies
wollte ich in meinem früheren
Briefe hier gesagt haben.
Der Winkel, welchen die
aus verschiedenen Punkten aus-
gehenden Strahlen auf der Ober-
fläche des Auges machen, wird
grösser und kleiner, je nachdem
die Brennpunkte mehr oder
weniger abstehen; den Beweis
dafür können Sie aus neben-
stehender Figur entnehmen.2'^)
So bleibt mir nach meinem
pflichtschuldigen Gruss nurtibrig>
zu sagen, dass ich bin u. s. w.
No. 9.
Voorburg, den 25. März 1667.
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üeber den Druck des Wassers. 153
Sechsundvierzigster Brief (Vom 5. Sept. 1669).
Von Spinoza an Herrn J. J.
(Das Original ist in holländischer Sprache geschrieben.)
Liebster Herr!
Das, was ich durch Versuche über den Punkt, den
Sie erst mündlich und dann in Ihrem Briefe erwähnten,
ermittelt, weil ich Ihnen zunächst mittheilen und dann
meine jetzige Meinung folgen lassen.
Ich liess mir ein hölzernes Rohr machen von 10
Fnss Län^e und 1'/« Zoll innerer Breite. Daran be-
festigte ich senkrecht drei Rohre, wie die beistehende
Jlgur zeigt. Um zuerst zu ermitteln, ob der Druck
des Wassers bei dem Rohr B ebenso gross als bei E
sei, habe ich das Rohr M bei A durch ein zu dem
Ende bereitetes Stäbchen verstopft. Dann verengte
ich die Oeffhung von B. so, dass sie eine Glasröhre,
wie C festhielt. Nachdem ich nun das Rohr mit Hülfe
a
No. 10.
des Gefösses F mit Wasser gefüllt hatte, notirte ich
mir, bis zu welcher Höhe es durch das Röhrchen C
heraussprang. Dann schloss ich das Rohr B, nahm
den Propfen A weg und liess das Wasser in die Röhre
£ fliessen, welche ich ebenso wie B eingerichtet hatte.
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154
XLVI. Brief. Von Spinoza an J. J.
Nachdem ich nun die Röhre wieder vollgefüllt hatte,
fand ich, dass das Wasser bei D ebenso hoch in die
Höhe sprang als bei C und dies überzeugte mich, dass
die L&nge des Rohres hierbei kein Hinderniss oder nur
ein sehr geringes ist. Um indess dies noch genauer
festzustellen, versuchte ich, ob die Röhre £ in gleich
schneller Zeit wie B ein Gefkss von einem Kubikfuss In-
halt anfüllen könne. Da ich keine Pendeluhr zur Hand
hatte, benutzte ich zur Messung der Zeit eine krumm ge-
bogene Glasröhre, wie H, deren kürzerer TheU in das
Wasser getaucht wurde und deren längerer Theil frei in
der Luft schwebte. Dann ermittelte ich mittelst einer ge-
nauen Wage, wie viel Wasser in-
mittelst in die Schale L gelaufen war
und fand, dass es 4 Unzen waren.
Dann schloss ich die Röhre B und
liess das Wasser mit einem gleichen
Strahle durch die Röhre E in das
Gefllss von einem Kubikfuss ein-
laufen. Nachdem dies geschehen,
wog ich, wie vorher, das Wasser,
was inmittelst in die Schale gelaufen
war, und fand, dass es das Gewicht
von jenem nicht um eine halbe Unze
überstieg. Indess waren die Wasser-
strahlen aus B und aus E nicht stets
mit gleicher Kraft ausgeflossen und
deshalb wiederholte ich den Versuch
l^und holte so viel Wasser herbei, wie
'der erste Versuch als erforderlich
gezeigt hatte. Wir waren unser Drei
amit soweit als möglich beschäftigt
und führten den Versuch genauer als
vorher aus, obgleich nicht so genau,
als ich gewünscht hätte. Indess er-
hielt ich damit genügenden Anhalt
für die Auffassung der Frage, da der
Unterschied diesmal zienuich der-
selbe wie das erste Mal war. Nachdem ich die Sache nach
diesen Versuchen erwogen, muss ich annehmen, dass der
von der Länge des Rohres verursachte Unterschied nur
im Anfange Statt hat, d. h. dann, wenn das Wasser eine
No. 11.
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Ueber den Wasserdruck. 155
Bewe^ang beginnt; sowie es aber eine kurze Zeit ge-
flossen ist, wird es durch eine noch so lange Röhre
mit derselben Kraft wie durch eine kurze iliessen. Der
Grund dafür ist, dass der Druck des höhern Wassers
immer derselbe bleibt, weil es alle Bewegung, die es
mittheilt, stets von seiner Schwere empfängt; es theilt
daher diese Bewegung ohne Unterlass dem Wasser in
der Röhre mit, bis es durch denStoss diejenige Schnellig-
keit erlangt hat, welche die Schwerkraft des höhern
TVassers ihr mittheilen kann. Es ist wenigstens sicher,
dass, wenn das in dem Rohr G enthaltene Wasser im
ersten Augenblick dem Wasser im Rohre M einen Grad
Schnelligkeit mittheilt, so wird es im zweiten Zeitpunkt,
wenn es die gleiche Kraft behält, wie angenommen ist,
demselben Wasser vier Grade^^^ Schnelligkeit mit-
theilen und so fort, bis das Wasser in dem längeren
Rohre M genau so viel Kraft empfangen hat, als die
Schwerkraft des in dem Rohre G eingeschlossenen hohem
Wassers ihm mitzutheilen vermag. Wenn daher auch
das Wasser durch eine Röhre von 40,000 Fuss laufen
müsste, so würde es doch nach Ablauf einer kurzen Zeit
lediglich durch den Druck des höhern Wassers die
Schnelligkeit erhalten, die es erhält, wenn die Röhre M
nur einen Fuss lang ist. Ich hätte die Zeit, welche das
Wasser zur Erlangung einer solchen Schnelligkeit bedarf,
bestimmen können, wenn ich voUkommnere Werkzeuge
hätte erlangen können. Doch halte ich dies fUr weniger
noth wendig, als dass die Hauptsache entschieden ist,
ö. s. w.'**)
Voorburg, den 5. September 1669.
Siebenundvierzigster Brief
(Vom 17. Febr. 1671).
Von Spinoza an Herrn J. J.
(Der lateinische Text ist eine üebersetzang aas dem hoUän-
dischen Original.)
Verehrter Herr!
Als mich neulich der Professor N. N. besuchte, er-
zählte er mir unter Anderem, er habe gehört, meine
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156 XL\'II. Brief. Von Spinoza an J. J.
theolofi^isch-politische Abhandlung sei in das
HoUftndische übersetzt und Jemand, dessen Namen er
nicht wnsste, sei dabei, sie drucken zu lassen. Ich
ersuche Sie deshalb dringend, sich hierüber nfiher zu
erkundigen und womöglich den Druck zu verhindern.
Es ist dies nicht blos meine Bitte, sondern die vieler
meiner Freunde und Bekannten, welche es nicht gern
sehen möchten, dass dieses Buch verboten würde, was
unzweifelhaft geschfthe, wenn es in hollfindischer
Sprache veröffentlicht würde. Ich hoffe, Sie werden
mir und der Sache diesen Dienst erweisen.
Einer meiner Freunde schickte mir vor einiger
Zeit ein kleines Buch, ^Der politische Mensch^ be>
titelt, von dem ich viel gehört hatte. Ich habe es durch-
gesehen und gefunden, dass es das verderblichste Buch
ist, was man sich denken und vorstellen kann. Das
höchste Gut ist darin dem Verfasser die Ehre und der
Reichthum; danach modelt er seine Lehre und zeigt
die Weise, um dahin zu gelangen. Mann soll deshalb
innerlich alle Religion beseitigen und äusserlich zu
einer solchen sich bekennen, die dem eigenen Fort-
kommen am dienlichsten ist; man soll Niemand sein
Wort halten, ausser nur soweit es nützlich ist Im
Uebrigen überhftuft er die Verstellung, die Wort-
brüchigkeit, die Lüge, den Meineid und vieles Andere
mit Lobeserhebungen.*'®) Nachdem ich es gelesen, kam
mir der Gedanke, eine Schrift gegen diesen Verfasser
zu veröffentlichen, worin ich das höchste Gut darleete,
die sorgenvolle und elende Rolle Derer, die nach EÜire
und Reichthum streben, aufdeckte und endlich durch
die überzeugendsten Gründe und viele Beispiele be-
wiese, dass die Staaten durch diesen unersättlichen
Durst nach Ehre und Reichthum untergehen müssen
und untergegangen sind.
Um wie viel besser und vortrefflicher die Gedanken
des Thaies von Milet gegen diesen Schriftsteller ge-
wesen, erhellt auch aus der Beweisführung, wo Thides
sagt: „Alles ist unter Freunden gemeinsam; die Weisen
„sind die Freunde der Götter; den Göttern gehört Alles;
„ebenso gehört den Weisen Alles^. So machte sich jener
weise Mann zu dem reichsten, indem er den Reichthum
in edler Weise verachtete, statt ihn in schmutziger Weise
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Die politische Abhandlung. Eine Gegenschrift. 157
zu Buchen. Bei einer anderen Gelegenheit zeiete er,
dass die Weisen nicht gezwungen, sondern freiwilug des
Reichthums entbehren. Als ihm nämlich seine Freunde
seine Armuth vorhielten, antwortete er: Wollt Ihr, dass
ich Euch zeige, wie ich das erwerben kann, was ich der
Arbeit nicht werth halte, Ihr aber mit so viel Anstrengung
sucht? Als Jene zunickten, miethete er alle Pressen in
ganz Griechenland, indem er, als ein vorzüglicher Stern-
kundiger, eine Reihe guter Olivenemten nach mehreren
vorangegangenen Missemten vorausgesehen hatte und
vermiethete sie, die er sehr billig gemiethet hatte, dann
zu den höchsten Preisen. So erwarb er sich in einem
Jahr grosse Reichthümer, die er demnächst ebenso
freigebig wieder austheilte, wie er sie durch Geschick-
lichleit erworben hatte. **•) u. s. w.
Im Haag den 17. Februar 1671.
Achtundvierzigster Brief
(Vom 24. Januar alten Stils 1671).
Von L V. V. Med. Dr. in Utrecht an J. 0."*)
Gelehrter Herr!
Nachdem mir endlich einige Müsse geworden, habe
ich mich gleich daran gemacht, um Ihren Wunsch und
Anliegen zu erfüllen. Sie verlangen, ich soll Ihnen
meine Ansicht und mein Urtheil mit Gründen tlber
das Buch mittheilen, das den Titel: Theologisch-
politische Abhandlung führt. Dies soll geschehen,
soweit meine Zeit und Kräfte reichen. Ich gehe nicht
auf das Einzelne ein, sondern fasse die Meinungen
des Verfassers zusammen und setze Ihnen seine An-
sicht über die Religion auseinander.
Ich weiss nicht, welcher Nation der Verfasser ange*
hört und wess Standes er ist; auch interessirt mich dies
nicht. Er ist nicht von schwachem Verstände und hat
die religiösen Streitfragen, welche in Europa zwischen
den Christen bestehen, nicht oberflächlich und leichthin
behandelt; dies erhellt genügend aus dem Inhalte des
Buches. Der Verfasser meint, es werde ihm die Prüfung
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158 XLVin. Brief. Von L. v. V. an J. 0.
der Meinungen besser gelingen, wodurch die Menschen
in Faktionen sich spalten und in Parteien sich trennen,
wenn er allevorgefasste Meinungen ablege und ausziehe.
Deshalb hat er mehr als nöthig sich bemüht, den Geist
von allem Aberglauben zu befreien und zu dem Ende ist
er zu sehrindasGegentheilgerathen und hat alle Religion
abgethan, um dem Vorwurfe des Aberglaubens zu ent-
gehen. Wenigstens erhebt er sich nicht Über die Religion
der Deisten,'**) deren es überall eine grosse Menge giebt
(da die Sitten dieses Jahrhunderts grundschlecht sind),
namentlich in Frankreich. Mersenne hat eine Abhand-
lung dagegen geschrieben, die ich früher gelesen habe.
Aber kaum wird Einer aus der Zahl der Deisten so bös-
willig und so klug und gewandt für diese schlechte Sache
gesprochen haben als der Verfasser dieser Abhandlung.
Uebrigens hält sich, wenn ich recht vermuthe, dieser
Mensch nicht in den Schranken der Deisten und Iftsst den
Menschen nicht einmal so viel Gottesverehrung wie Jene.
Gott erkennt er an; er sieht in ihm den Werkmeister
und Erbauer der Welt; dagegen erkl&rt er die Gestalt,
die Beschaffenheit, die Ordnung der Welt für durchaus
nothwendig, ebenso die Natur Gottes und die ewigen
Wahrheiten, welche von dem Willen Gottes unabhftngig
seien. Deshalb erklärt er auch ausdrücklich, dass Alles
nach einer unabwendbaren Noth wendigkeit und einem
unvermeidlichen Schicksal geschehe. Für den, der die
Sache recht auffasst, bleibt nach ihm kein Raum für
Lehren und Gebote; nur die Unwissenheit der Menschen
habe diese Namen eingeführt; ebenso habe die Thorheit
der Menge die Ausdrucks weise gebildet, wonach man Gott
Leidenschaften zuschreibe. Gott bequeme sich daher
ebenfalls der Fassungskraft der Menschen an, wenn er
seine ewigen Wahrheiten und Andres, was nothwendig ge-
schehen muss, in der Gestalt von Befehlen den Menschen
verkünde. Er lehrt, dass das, was die Gesetze gebieten
'und was angeblich von dem Willen der Menschen ab-
hängen soll, ebenso nothwendig geschehe, wie die Natur
des Dreiecks nothwendig sei, und deshalb hänge das An-
befohlene so wenig von dem Willen der Menschen ab und
das Befolgen oder Vermeiden desselben gewähre den
Menschen ebenso wenig etwas Gutes oder Böses, als Gott
auch durch Gebete nicht bestimmt werden könne und
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Spinoza'8 Ansicht über Lohn und Strafe. 159
seine ewigen und unbedingten Beschlüsse nicht ver-
ändert werden könnten. Der Grund dieser Anweisungen
und Beschlüsse sei also derselbe. Beide stimmen darin
überein, dass die Unwissenheit und Thorheit der Men-
schen Gott dazu veranlasst hat, weil jene Anweisungen
Denen helfen sollen, welche keine bessere Vorstellungen
von Gott sich bilden können und die solcher elenden
Schutzmittel bedürfen, um die Liebe zur Tugend und den
Hass des Lasters in sich zu erwecken. Hieraus erhellt,
dass der Verfasser von dem Nutzen des Gebets in seinem
Buche nichts erwähnt, so wenig wie des Lebens und des
Todes und der Belohnung oder Strafe, mit welchen alle
Menschen von dem Richter zu belegen sind.
Es geschieht dies in Uebereinstimmung mit seinen
Grundsätzen, denn wozu soll ein jüngstes Gericht und
die Erwartung von Lohn oder Strafe nützen, wenn Alles
dem Schicksid zugeschrieben wird und von Gott mit un-
vermeidlicher Notwendigkeit ausgeht? oder wenn man
vielmehr sagt, das ganze Weltall sei Gott? Ich fürchte,
der Verfasser steht dieser Ansicht nicht sehr fem; wenig-
stens ist die Annahme, dass Alles nothwendig aus Gottes
Natur erfolge, nicht sehr verschieden von der, dass die
Welt selbst Gott sei.
Er setzt indess die grösste Lust des Menschen in die
Ausübung der Tugend, welche nach ihm ihren Lohn in
sich selbst hat und der Schauplatz des Erhabensten ist,
und deshalb soll der Mensch, welcher die Dinge richtig
kennt, die Tugend üben, nicht weil Gott es geboten und
verordnet hat, oder in Hofinung eines Lohnes oder in
Furcht einer Strafe, sondern in Folge der Schönheit der
Tugend und der Seelenlust, welche der Mensch in
Uebung der Tugend empfindet.
Er nimmt also an, dass Gott durch die Propheten
und die Offenbarung die Menschen mittelst der Hoffnung
auf Lohn und Furcht vor Strafe, was Beides in den Ge-
setzen immer verbunden ist, nur zum Schein zur Tugend
ermahne, weil die Seele der gewöhnlichen Menschen
schlecht unterrichtet und deshalb so beschaffen ist, dass
sie nur durch Gründe die der Natur der Gesetze, der Furcht
vor der Strafe und der Ho£fnang eines Lohnes entlehnt
sind, zur Tugend angeregt werden können; daher sähen
die Menschen, welche die Sache wahrhaft beurtheilen, ein,
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160 XLVm. Brief. Von L. v. V. an J. 0.
dass dergleichen Gründe keine Wahrheit und keine
Kraft enthalten.
Auch hält er es für nnerhehlich, ohgleich er durch
diesen Gmndsatz wahrhaft geschlagen wird, dass die
heiligen Propheten und Lehrer, folglich Gott selbst, da
er durch ihren Mund gesprochen hat, dann an sich falsche
Gründe, wenn man auf deren Natur sieht, benutzt haben ;
vielmehr gesteht und behauptet der Verfasser offen und
wie es ihm passt, dass die heilige Schrift nicht verfasst
sei, um die Wahrheit und die Beschaffenheit der Dinge,
deren sie erwähnt und die sie in ihrer Weise benutzt,
um die Menschen zur Tugend anzuhalten, zu lehren; auch
bestreitet er, dass die Propheten die Dinge so gekannt
haben, um frei von den Irrthümem der Menge die Gründe
aufzustellen und die Rechtfertigung zu überlegen, womit
sie die Menschen zur Tugend antreiben wollten, obgleich
ihnen die Natur der moralischen Tugenden nna der
Laster genau bekannt gewesen.
Deshalb lehrt auch der Verfasser, dass die Propheten
selbst dann, wenn sie Die, zu denen sie gesandt worden,
pflichtgemäss ermahnten, von Irrthümem nicht frei ge-
wesen seien, ohne dass jedoch ihre Heiligkeit und Glaub-
würdigkeit dadurch vermindert worden; obgleich sie in
ihrer Rede sich falscher Gründe bedienten, die den vor-
gefassten Meinungen Derer, zu denen sie sprachen, anbe-
quemt waren und dadurch die Menschen zu den Tugen-
den ermahnten. Über die Niemand zweifelt und über die
keit Streit unter den Menschen ist Denn die Propheten
seien nicht gesandt worden, um die Wahrheit zu lehren,
sondern um die Uebung der Tugend unter den Menschen
zu fördern. Deshalb haben nach ihm die Irrthümer und
diese Unwissenheit der Propheten ,den Zuhörern, welche
damit zur Tugend angefeuert wurden, nicht geschadet,
denn es sei gleichgültig, aus welchen Gründen man zur
Tugend bestimmt werde, so lange diese Gründe nur die
moralische Tugend, die sie anfachen sollen und weshalb
der Prophet sie vorbringt, nicht umstossen. Die Erkennt-
niss anderer Dinge ist nach ihm für die Tugend ohne
Bedeutung, da die Reinheit der Sitten an sich in dieser
Wahrheit nicht enthalten sei und nach ihm ist die
Kenntniss der Wahrheit und der Mysterien nur soweit
nothwendig, als sie die Frömmigkeit fördert.
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Spinoza's Ansichten über die Schrifterkläraog. 161
Ich glaube, dem Verfasser schwebt hier jener Satz
der Theologen vor, welche einen Unterschied zwischen
den Keden des lehrenden und des blos einfach erzählen-
den Propheten ziehen. Diese Unterscheidung ist, wenn
ich nicht irre, von allen Theologen angenommen und da-
mit, scheint der Verfasser irrthümlich zu glauben, stimme
seine Ansicht überein.
Deshalb meint er, Alle, welche bestreiten, dass die
Vernunft und Philosophie zur Erklärung der Schrift dienen
könne, würden ihm vollständig beitreten. Denn Alle diese
erkennten an, dass die Schrift Vieles von Gott aussage,
was nicht fUr ihn passe, sondern was nur der mensch-
lichen Fassungskraft angepasst sei, um die Menschen an-
zuregen und den Eifer für die Tugend in ihnen zu er-
wecken und deshalb glaubt er annehmen zu dürfen, dass
der heilige Lehrer entweder mit diesen falschen Gründen
die Menschen zur Tugend habe bekehren wollen, oder
dass jedem Leser der heiligen Schrift erlaubt sein müsse,
nach den Regeln seiner Vernunft über den Sinn und die
Absicht des heiligen Lehrers zu urtheilen. Diese letztere
Ansicht verwirft aber der Verfasser gänzlich und will von
ihr sowie von Denen nichts wissen, die mit dem paradoxen
Theologen annehmen, die Vernunft sei die Auslegerinder
Schrift. Er meint, die Schrift müsse in ihrem wörtlichen
Sinne verstanden werden und es sei nicht erlaubt, nach
eigenem Belieben und nach der eigenen Vernunft auszu-
legen, was unter den Worten der Propheten zu verstehen
sei; und man dürfe nicht nach seinem Verstände und
nach seiner erlangten Kenntniss bestimmen, wenn die
Propheten im eigentlichen Sinne und wenn sie nur im
figürlichen Sinne gesprochen hätten. Hierüber werde ich
im Folgenden zu sp^t^chen noch Gelegenheit haben.
Um aber auf das zurückzukommen, wovon ich etwas
abgekommen bin, so bestreitet der Verfasser gemäss seiner
Grundsätze über die unvermeidliche Noth wendigkeit die
Verrichtung von Wundern gegen die Gesetze der Natur,
weil er, wie gesagt, annimmt, dass die Natur und die
Ordnung der Dinge ein ebenso Nothwendiges sei als die
Natur Gottes und die ewigen Wahrheiten ; deshalb kann
nach ihm ein Ding so wenig von den Gesetzen seiner
Natur abweichen, als es geschehen kann, dass in einem
Dreieck die drei Winkel nicht zweien rechten gleich seien.
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162 XLVIIL Brief. Von L. v. V. an J. 0.
Gott kann nach ihm nicht bewirken, dassein leichtes
Gewicht ein schweres hebt, oder dass ein Körper einen
andern einholen könne, der noch einmal so scnnell wie
er selbst sich bewegt. Deshalb unterliegen nach ihm die
Wunder den allgemeinen Gesetzen der Natur, die ebenso
unveränderlich seien wie die Natur der Dinge selbst, da
letztere in den Gesetzen jener enthalten sei. Auch lILsst
er keine andere Macht Gottes zu als die gewöhnliche, die
sich in den Naturgesetzen äussert und eine andere könne
man sich nicht vorstellen, da sie die Natur der Dinge
zerstören und mit sich selbst in Widerstreit gerathen
würde
Das Wunder ist deshalb, im Sinn des Ver-
fassers, ein unerwartetes Ereigniss, dessen
Ursache die Menge nicht kennt; in derselben
Weise, wie die Menge es der Kraft ihres Gebetes und
der besonderen Leitung Gottes zuschreibt, wenn nach
richtig vollzogenen Gebeten ein drohendes Uebel ab-
gewendet oder ein gewünschtes Gut scheinbar erlangt
worden ist, da Gott doch nach dem Verfasser schon
von Ewigkeit her unbedingt beschlossen hat, da.4s das
geschehen soll, was die Menge durch die Vermittelnng
und Wirksamkeit der Gebete bewirkt zu haben meint; die
Gebete sind nach ihm nicht die Ursache von Gk>ttes Be-
schluss, sondern derBeschluss ist die Ursache des Gebetes.
Dies Alles über das Schicksal und die unab wendliche
Nothwendigkeit der Dinge, sowohl nach ihrer Natur wie
nach den täglichen Ereignissen, gründet der Verfasser auf
die Natur Gottes, oder, um deutlicher zu sprechen, auf
die Natur von Gottes Einsicht und Willen, die zwar dem
Namen nach verschieden, aber bei Gott sachlich dasselbe
seien. Er nimmt deshalb an, dass Gott ebenso noth-
wendig diese Welt und das, was in ihr geschieht, gewollt
habe, als er nothwendig diese Welt erkennt. Kennt aber
Gott nothwendig diese Welt mit ihren Gesetzen und die
in diesen Gesetzen enthaltenen ewigen Wahrheiten, so
folgert der Verfasser, dass Gott ebenso wenig eine andere
Welt habe erschaffen, als die Natur der Dinge verändern
und bewirken können, dass zwei mal drei sieben sei.
Wir können nichts vorstellen, was von dieser Welt und
ihren Gesetzen abweicht, nach denen dieDinee entstehen
und vergehen ; Alles, was man sich hier ausdenke, stosse
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Die Wunder. Die Quelle des Rechts. 163
sich selbst wieder um. Ebenso ist auch nach ihm die
N^atur des göttlichen Verstandes und der ganzen Welt
mit ihren Gesetzen, wonach die Natur verßihrt, so
eingerichtet, dass Gott ebenso wenig Etwas von den
jetzigen Dineen Verschiedenes einsehen kann, als es
möglich ist, dass eine Sache von sich selbst verschieden
ist. Er folgert also, dass, so wie Gott das nicht be-
iTvirken kann, was sich selbst vernichtet, er auch keine,
von den jetzigen verschiedene Naturen bilden und er-
kennen könne, weil das Begreifen und Einsehen solcher
Naturen ebenso unmöglich sei, indem es nach dem Ver-
fasser einen Widerspruch enthalten würde, wie es jetzt
unmöglich ist, Dinge hervorzubringen, die von den
jetzigen verschieden sind. Alle jene Naturen, die als
verschieden von der jetzigen vorgestellt werden, würden
mit der jetzt vorhandenen in Widerstreit stehen; denn
die Naturen der in dieser Welt enthaltenen Dinge sind
(nach dem Verfasser) nothwendig und können diese Noth-
wendigkeit nicht von sich haben, sondern nur von der Na-
tur Gottes, aus der sie mit Nothwendigkeit hervorgehen.
Denn er will nicht, wie Descartes, obgleich er sich
den Schein giebt, dessen Lehre angenommen zu haben,
dass, wie die Natur aller Dinge, von der Natur und
dem Wesen Gottes verschieden ist ebenso auch deren
Vorstellungen in dem göttlichen Geiste frei seien.
Mittelst dem hier Besprochenen bahnt sich der Ver-
fasser den Weg zu dem, was er am Ende des Buches
lehrt und womit er alles in den vorgehenden Kapiteln
Gelehrte noch überbietet. Er will nämlich der Seele
der Obriffkeit und aller Menschen den Grundsatz ein-
prägen, dass die Obrigkeit das Recht habe, denjenigen
Gottesdienst zu bestimmen, welcher in dem Staate
öffentlich gefeiert werden dürfe. Auch soll die Obrig-
keit ihren Unterthanen gestatten dürfen, über die Religion
zu denken und zu sprechen, wie es ihnen ihr Verstand
eingiebt und dieselbe Freiheit soll auch in Bezug auf
den äussern Gottesdienst den Unterthanen zustehen.
In Bezug auf die Uebune der sittlichen Tugenden
oder in Bezug auf den Schutz der Frömmigkeit folgert der
Verfasser, dass es, da über diese Tugenden kein Streit
sein kann und die Kenntniss und Geschicklichkeit in
andern Dingen keine sittliche Tugend einschliesst, Gott
Spinoza. Brief . o'^M^y^OOgi€
164 XLVm. Brief. Von L. v. V. an J. 0.
es nicht unangenehm sein könn e, wenn die Menschen irgend
welchen Gottesdienst einrichten. Der Verfasser meint
hier den Gottesdienst, welcher nicht die sittliche Tagend
ausmacht, sie nicht mittheilt und welcher der Tugend
weder förderlich noch entgegen ist, sondern den die
Menschen ühen und bekennen, als eine Unterstützung der
wahren Tugend; damit sie auf diese Weise durch den
Eifer für diese Tugenden Gott wohlgefiKllig und angenehm
werden mögen, da Gott durch den Eifer und die Uebunc
dessen, was s^leichgültig ist, nicht verletzt werde und
dieser Gottesdienst nichts zur Tugend oder dem Laster
beitrage, aber die Menschen ihn doch auf die Uebnng
der Frömmigkeit beziehen und sich dessen als eines
Schutzes bei der Pflege der Tugend bedienen.
Damit indess der Verfasser die Gemttther zur An-
nahme dieser Sonderbarkeiten vorbereite, nimmt er zu-
nächst an, dass der ganze Gottesdienst von Gott einge-
richtet und den Juden, d. h. den Bürgern des israeli-
tischen Staats mitgetheilt worden und dass er nur zu
dem Zweck angeordnet worden, um ihr Leben glück-
lich in ihrem Staate zu vollbringen. Im Uebrigen
sollen die Juden Gott nicht vor andern Völkern lieb
und angenehm gewesen sein; dies habe Gott den
Juden mehrmals durch den Pi*opheten eröfinet, wenn
er ihnen ihre Unerfahrenheit und ihre LrrthÜmer vor-
gehalten, weil sie in diesem eingeführten und von Gott
ihnen anbefohlenen Gottesdienst die Heiligkeit und
Frömmigkeit suchten, während siedochnurinderUebung
der sittlichen Tugenden, d. h. in der Liebe Gottes
und der Mildthätigkeit für den Nächsten enthalten seL
Femer schliesst er, dass, da Gott die Seelen aller
Völker mit den Grundsätzen und gleichsam mit den
Samen der Tugenden bekannt gemacht, dass sie von
selbst, beinahe ohne allen Unterricht, das Gute von dem
Bösen unterscheiden können; dass Gott die übrigen
Völker nicht in Unkenntniss darüber gelassen habe, wie
die wahre Seligkeit gewonnen werden könne ; vielmehr
habe er sich allen Völkern gleich mildthätig bewiesen.
Er stellt sogar in Allem, was zur Erreichung der
wahren Glückseligkeit in irgend einer Weise Hülfe oder
Nutzen gewähren kann, die andern Völker den Juden
gleich und nimmt an, dass auch die Heiden wahre Pro-
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Der äussere Gottesdienst. 155
pheten geliabt haben und beginnt dies durch Beispiele
zu beweisen. Er deutet sogar an, dass Gott die übrigen
Völker durch gute Engel, welche er, nach der Gewohnheit
des Alten Testamentes, Götter nennt, regiert habe. Des-
halb sollen auch die Opfer der übrigen Völker Gott
nicht missfallen haben, so lange sie durch den Aber-
flauben der Menschen noch nicht so verdorben waren,
ass sie die Menschen der wahren Heiligkeit abwendig
machten und zur Begehung dessen in der Reli^on an-
trieben, was sich mit der Tugend nicht verträgt. Gott
habe aber den Juden aus besonderen, nur dieses Volk
betreffenden Gründen, verboten, die Götter der Heiden
zu verehren, obgleich sie nach Gottes Einrichtung und
Fürsorge von den Heiden ebenso mit Hecht verehrt
wurden, wie die dem Reiche der Juden zu Wächtern vor-
gesetzten Engel von den Juden nach ihrer Weise für
Götter gehalten und mit göttlichen Ehren belegt wurden.
Da der Verfasser es auch als ausgemacht ansieht,
dass der äussere Gottesdienst für sich Gott nicht an-
genehm sein könne, so hält er es für gleichgültig, in
welchen Formen dieser äussere Dienst geübt werde,
wenn er nur der Art sei und Gott so entspreche, dass
er in der Seele die Ehrfurcht vor Gott erwecke und
sie zur Uebung der Tugend antreibe.
Da er endlich das Wesen allerReligion in der Uebung
der Tugend findet und alle Kenntniss von Mysterien fUr
überflüssig hält, weil sie an steh die Tugend nicht be-
fördert, und da vielmehr jene Religion noth wendiger ist,
welche mehr hilft, die Menschen zur Tugend anzulernen
und zu begeistern, so folgert er, dass alle jene Ansichten
über Gott und seinen Dienst und über alles zur Religion
Gehörige zu billigen oder wenigstens nicht verwerflich
seien, die nach dem Sinne Derer, die ihnen anhängen^
wahr und geeignet sind, die Rechtlichkeit zu stärken und
zur Blüthe zu bringen. Um diesen Satz zu bestätigen,
bringt er die Propheten selbst zu Zeugen und Urhebern
seiner Ansicht herbei, die gelehrt haben sollen, dass Gott
keinen Werth auf die Meinungen lege, die die Menschen
über die Religion hegten; dass vielmehr der Dienst und
alle die Ansichten Gott genehm seien, welche aus der
Uebung derTugend und derEhrfurcht vor Gott hervorge-
gangen sind. Die Propheten sollen hier so weit gegangen
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166 XLVm. Brief. Von L. v. V. an J. 0.
sein, dass sie selbst solche Gründe zum Antrieb sur
Tugend vorgebracht, die zwar an sich falsch gewesen,
aber doch in der Auffassung Derer, an die sie gerichtet
waren, so beschaffen und geeiniet gewesen, um ihnen
als Sporn zu dienen, damit sie sich um so eifriger
dem I)ienst der Tugend weihten. Er nimmt also an,
Gott habe den Propheten die Auswahl unter den Gründen
gelassen, diunit sie die anwendeten, welche den Zeiten
und Verhältnissen der Personen entsprlU^hen und die
sie nach ihrer Meinung für gut und wirksam hielten.
Daher soll es nach ihm kommen, dass die Beligions-
lehrer sich verschieden er Beweisgründe bedienen, die ein-
ander selbst widersprechen. So habe Paulus gelehrt, dass
der Mensch durch die Werke nicht gerechtfertigt werde,
während Jakobus das Ge^entheil eingeschüift habe.
Jakobus sah nfimlich, nach des Verfassers Meinung, dass
die Christen die Lehre der Bechtfertigung durch den
Glauben verdrehten und beweiset deshaU) an vielen
Stellen, dass der Mensch durch den Glauben und ^e
Werke gerechtfertigt werde. Er erkannte n&mlich, dass
es der Sache der Christen zu jener Zeit nicht nütze, die
Lehre von dem Glauben so einzuschärfen, da dann die
Menschen leicht in Ruhe auf Gottes Erbarmen vertrauten
und nicht für gute Werke sorgten. Er mochte sie deshalb
nicht so vortragen, wie Paulus, der es mit den Juden zu
thun hatte, die aus Irrthum die Kechtfertigung in die Ge-
setzes-Werke setzten, welche Moses ihnen besonders auf-
getragen hatte und vermöge deren sie sich den andern
Völkern vorgezogen hielten und meinten, ihnen allein
stehe der Zugang zur Seligkeit offen. Sie verwarfen des-
halb die Lehre vom Heil durch den Glauben, welche sie
den andern Völkern gleichstellte und aller Vorzüge leer
und bar erklärte. So trug also die Lehre Beider, sowohl
des Paulus wie des Jakobus, nach den verschiedenen Ver-
hältnissen der Zeiten und Personen vortrefflich dazu bei,
die Gemüther der Menschen der Frömmigkeit zuzuwenden
und deshalb habe es, nach dem Verfasser, zur apostoli-
schen Klugheit gehört, bald diese, bald jene anzuwenden.
Dies ist einer von den vielen Gründen, weshalb es^
nach dem Verfasser der Wahrheit nicht entspricht, die
heilige Schriftdurchdie Vernunft zu erklären und letztere
zu dem Dolmetscher der Schrift zu machen, oder einen
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Waa Ghrütus gewollt.Gewalt d.Obrigk. üb.d.Gotte8dieQ8t. 167
beiligen Lehrer durcli den andern zu erklären; denn
sie seien von gleichem Ansehen nnd die Worte, deren
sie sich bedient, sollen ans der Sprach weise und den
eigenthümlichen Redensarten dieser Lehrer erklfirt
werden, ohne dass man bei Ermittelang des wahren
Sinnes der Schrift anf die Sache selbst achte; vielmehr
gelte der Wortsinn.
Sonach sind nach ihm sowohl Christas selbst, wie
die übrigen Lehrer, welche Gott gesandt, durch ihr
Beispiel vorangegangen und sie haben durch ihren
Unterricht gezeigt, dass die Menschen nur durch die
XJebung der Tugend zurOlückseligkeit gelangen können,
dass das Uebrige unerheblich sei und deshalb soll die
Obrigkeit nur dafür sorgen, dass Gerechtigkeit und Red-
lichkeit im Staate blühe; dagegen sei es der geringste
Theil ihres Amtes, zu erwägen, welcher Gottesdienst
und welche Lehren der Wahrheit am meisten ent-
sprächen. Vielmehr habe die Obrigkeit nur zu sorgen,
dass nichts aufgenommen werde, was der Tugend ein
Hindemiss selbst nach der Ansicht Derer bereite, die
sich zu solchem bekennen.
Deshalb könne die Obrigkeit ohne Beleidigung Gottes
wohl einen verschiedenen Gottesdienst in ihrem Staate ge-
statten. Zur näheren Begründung dessen schlägt der Ver-
fasser noch folgenden Weg ein. Er nimmt ein solches Ver-
hältniss der sittlichen Tagenden an, soweit sie in der
Staatsgesellschaft geübt werden und in äussern Hand-
lungen sich äussern, dass Niemand deren Uebung nach
seiner eigenen Ansicht und Ueberzeugung vornehmen
darf; vielmehr soll die Pflege, die Uebung und die
nähere Bestimmung dieser Tugenden von dem Ansehen
nnd dem Gebote der Obrigkeit abhängen; theils weil
die äussere Ausübung der Tugend ihre Natur nach den
äussern Umständen ändere, theils weil die Pflicht des
Menschen zur Vollziehung dieser äussern Handlungen
sich nach dem Nutzen und Schaden bestimme, der daraus
hervorgehe; so dass jene äusseren Handlungen, bei einer
anzeitigen Vornahme, die Natur der Tugend verlieren und
zu demGegentheil derTugend gerechnet werden müssen.
Nur das innere Verhältniss der Tagenden, soweit sie in
der Seele bestehen, ist nach dem Verfasser ein anderes;
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(
168 XLVIIL Brief. Von L. v. V. an J. 0.
j
hier behalten sie immer ihre Natur und mmi vmt ^en
verftnderlichen äusseren UmBtinden nnabhfingig.
Es soll allerdings niemals erlaubt sein, Grausamkut
und Bohheit zn üben und seinen Nfichsten und die Wahr-
heit nicht zu lieben; indess könnten Zeiten eintreten, wo
die gute Absicht und dieUebune der genannten Tueenden
zwar nicht aufgegeben werden darf, aber wo man aoch in
den ftusserenHandlungen sich dabei massigen und selbst
das thun darf, was dem äusseren Scheine nach diesen
Tugenden widerspricht. So kann es kommen, dass ein
recSicher Mensch nicht mehr verpflichtet ist, die Wahr-
heit offen zu sagen und durch Mund und Schrift die
Bürger von dieser Wahrheit zu unterrichten und sie
ihnen mitzutheilen, insofern er glaubt, dass die Btirger
mehr Schaden als Vortheil von dieser Mittheilung haben
werden. Der Einzelne soll allerdings alle Menschen
mit Liebe umfassen und er darf nie den Leidenschaften
Raum geben ; aber dennoch kann es öfters kommen, dass
Manche, ohne gefehlt zu haben, hart von uns behandelt
werden können, wenn aus der Milde, mit der wir sie behan-
deln wollen, für uns ein grosses Uebel entstehen kann.
Deshalb glauben Alle, dass man nicht jede Wahrheit, be-
treffe sie die Religion oder das bürgerliche Leben, zu jeder
Zeit zweckmässig offenbaren könne, und wer lehrt, dass
man den Schweinen keine Rosen vorwerfen solle, wenn
man fürchten muss, sie werden gegen die, welche sie ihnen
reichen, wüthen, der hält es auch nicht für die Pflicht eines
guten Mannes, dies Volk über manches Kapitel der
Religion zu belehren, wenn man fürchten muss, dass
durch solche Veröffentlichung und Verbreitung unter
dem gemeinen Volke Gefahr für den Staat oder die
Kirche entstehe und dass die Bürger und die Frommen
mehr Schaden als Nutzen davon haben.
Weil femer neben Anderem auch deshalb die Staats-
verbindung, von welcher die Gewalt und das Recht, Ge-
setze zu geben, nicht getrennt werden könne, eingeführt
worden, weil man nicht dem Belieben der Einzelnen,
sondern nur den Staatsgewalten die Bestimmung Über
das den zum Staat vereinigten Menschen Nützliche Über*
lassen konnte, so folgert der Verfasser, die Obrigkeit
könne bestimmen, welche Lehren im Staate öffentlich ver-
kündet werden dürfen und die Unterthanen seien in der
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Das Recht der Obrigkeit in Religiooflsachen. IgQ
nasseren Uebung verpflichtet, sich der Lehre und des
Bekenntnisses von Sätzen zu enthalten, deren Ver-
breitung die Obrigkeit gesetzlich verboten habe. Gott
liabe dies ebenso wenig dem Urtheile der Einzelnen
anheimgestellt, als er ihnen gestattet habe, gegen den
lYillen und die Beschlüsse der Obrigkeit oder gegen den
Spruch der Kichter etwas zu thun, was die Kraft der Ge-
setze schwäche und die Obrigkeit ihr Ziel verfehlen mache.
Der Verfasser meint, dass über solche, den äusseren
Gottesdienst und dessen Bekenntniss betreffende Punkte
die MenschenVerträge schliessen und die äusseren Hand-
lungen des Gottesdienstes ebenso sicher dem Urtheil
der Obrigkeit anheim geben können, als sie ihr das
Recht und die Macht einräumen, den einem Bürger zu-
gefügten Schaden abzuschätzen und dessen Ersatz durch
Gewalt zu erzwingen. Der Einzelne braucht sein Urtheil
auch hier bei der Beschädigung dem Ausspruche der
Obrigkeit nicht zu unterwerfen; er kann hier seine eigene
Meinung haben, obgleich er (wenn es so kommt) schuldig
ist, selbst der Obrigkeit in Vollstreckung ihres Spruches
beizustehen; ebenso können, nach dem Verfasser, die
Einzelnen im Staate zwar über die Wahrheit und Un-
wahrheit und über die Nothwendigkeit eines Lehrsatzes
ihr Urtheil haben und der Einzelne kann durch das
Gesetz nicht genöthigt werden, dass er in der Religion
dasselbe glaube ; allein es hänge von dem Urtheile der
Obrigkeit die Bestimmung ab, welche Sätze öffentlich
gelehrt werden dürfen und der Einzelne sei schuldig,
seine von der Obrigkeit in der Religion abweichende
Meinung für sich zu behalten und nichts zu thun, was
die Kraft der von der Obrigkeit über den Gottesdienst
erlassenen Gesetze schwächen könne.
Allein es kann, nach dem Verfasser, kommen, dass
die Obrigkeit in vielen Religionspunkten von dem Volke
abweicht und die Obrigkeit es doch zur Ehre Gottes für
nöthig hält, dass ihre Ansicht im Staate öffentlich bekannt
werde und es kann dadurch, dass die Ansicht der Obrig-
keit von der des Volkes abweicht, den Bürgern grosser
Schade entstehen; deshalb fügt der Verfasser zu dem
Früheren noch einen anderen Satz hinzu, der sowohl
die Obrigkeit wie die Unterthanen beruhigen und die
Freiheit der Religion unverletzt erhalten soll. Die
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170 XLVm, Brief. Von L. f, V. an J. 0.
Obrigkeit brauche nämlich GrottesZom nicht zu förchten,
wenn sie auch noch so schlechte Gottesverehru&gen in
ihrem Staate lulasse, so lange sie nur nicht mit den sitt-
lichenTugenden in Widerstreit gerathen und sie beseitigen.
Der Grund für diese Meinung kann ihnen nicht entgehen,
da ich ihn oben ausführlich dargelegt habe. Der Verfasser
nimmt nftmlich an, dass Gott nicht danach frage und sich
darum nicht kümmere, welchen Meinungen die Menschen
in der Religion anhängen, welche sie billigen und schätzen,
und welche öffentliche Verehrung sie einrichten, da dies
Alles zu dem gehöre, was auf Tugend und Laster keine
Beziehung habe ; es sei nur Pflicht eines Jeden, sich so
einzurichten, dass er die Lehren und den Gottesdienst
besitze, durch den er den grössten Fortschritt in der
üebung der Tugend machen könne.
Hiermit haben Sie, hochgeehrter Herr, den Haupt-
inhalt der theologisch-politischen Abhandlung zusam-
mengefasst. Sie vemichtet nach meiner Meinung allen
Gottesdienst und alle Religion, wirft sie über den Haufen,
führt insgeheim den Atheismus ein oder einen solchen
Gott, durch dessen Ehrfurcht die Menschen nicht berührt
werden, weil er selbst dem Schicksal unterworfen ist und
kein Platz für die göttliche Regierung und Vorsehung
übrig ist und alle Vertheilung von Strafen und Lehre
wegfallt. So viel kann man wenigstens sofort aus des
Veifassers Schrift ersehen, dass durch deren Gründe
und Geist das Ansehen der ganzen Heiligen Schrift ver^
nichtet wird und dass er derselben nur zum Schein er-
wähnt. Auch folgt aus seinen Sätzen, dass auch der Koran
dem Worte Gottes gleich stehet; denn bei dem Verfasser
fehlt jeder Grund dafür, dass Mahomet kein wahrer Pro-
phet gewesen, da die Türken auch aus den Geboten ihres
Propheten die sittlichen Tugenden üben, über welche unter
den Völkern kein Streit ist und es nach der Lehre des
Verfassers bei Gott nichts Seltenes ist, Völker, denen
nicht die Offenbarungen wie den Christen und Juden ge-
schehen sind, durch andere Offenbarungen in der Linie
der Vernunft und des Gehorsams zu erhalten.
Ich fürchte deshalb nicht, mich von der Wahrheit
zu entfernen, noch den Verfasser zu beleidigen, wenn
ich ihn beschuldige, dass er den reinen Atheismus
durch verhüllte und aufgeputzte Gründe lehre.*")
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Vertheidigniig des Spinoza. 171
Neunundvierzigster Brief
(Aas dem Jahre 1671).
Von Spinoza an den Herrn J. 0.
Greehrter Herr!
Sie werden sicli gewiss wundem, dass ich Sie so
lange hahe warten lassen; allein ich konnte mich kaum
entschliessen, auf das mir von Ihnen mitgetheilte Buch
jenes Mannes zu antworten und auch jetzt geschieht es
nur, weil ich es versprochen hahe. Um indess auch meinem
Wunsche möglichst nachzukommen, werde ich es mit
Wenigem thun und kurz zeigen, wie unrichtig er meine
Worte aufgefasst hat, so dass ich nicht weiss, oh ich ihm
Bosheit oder Unwissenheit dahei Schuld gehen soll.
Doch zur Sache.
Er sagt zunächst, „es komme nicht darauf an, zu
^wissen, von welcher Nation ich sei und was ich treibe.^
HXtte er jedoch dies gewusst, so würde er nicht so leicht
geglaubt haben, dass ich den Atheismus lehre. Denn die
Atheisten pflegen Ehre undReichthum übermässig aufzu-
suchen, während ich diese immer verachtet habe, wie
Alle wissen, die mich kennen. Um sich nun den Weg
zu dem von ihm Gesagten zu bahnen, sagt er, ich sei
kein beschränkter Kopf; so meint er leichter darlegen zu
können, dass ich listig und pfiffig und böswillig für die
schlechte Sache der Deisten gesprochen habe. Dies
zeigt hinlänglich, dass er meine Ausführungen nicht ver-
standen hat. Denn wessen Geist könnte so listig und
▼erschlagen sein, um in verstellter Weise so viele und so
kräf^ge Gründe für eine Sache anführen zu können, die
er für falsch hält? Wie soll man später von einem solchen
glauben, dass er aufrichtig geschrieben, wenn er nach
seiner Ansicht dies Erdichtete ebenso gründlich wie das
Wahre beweisen kann? Doch auch dies wunderte mich
nicht. Auch dem Descartes ist es von Voetius so ge-
schehen und so geschieht es meist den besten Männern. **')
Dann sagt er: „Um dem Vorwurf des Aberglaubens
^zn entgehen, scheint er alle Religion abgethan zuhaben.^
Allein ich weiss nicht, was er unter Aberglauben und
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172 XLIX. Brief. Spinoza an J. 0.
Religion verstehen mag. Legt wohl Der alle Religion
ab, welcher sagt, dass Gott als das höchte Gut anzn-
erkennen nnd mit freiem Gemüth als solcher zn lieben
sei und dass darin allein unser höchstes Olück und
grösste Freiheit bestehe? Femer, dass die Tagend
mren Lohn in sich selbst habe und dass die Thorheit
die eigene Strafe der Thorheit nnd Ohnmacht sei? End-
lich, dass Jeder seinen Nächsten lieben und den Be-
fehlen der höchsten Obrigkeit gehorchen solle? Und
dies habe ich nicht blos ausdrücklich gesagt, sondern
mit den stärksten Gründen bewiesen. **•)
Indess sehe ich, in welchem Schmutz dieser Mann
stecken bleibt. £r findet in der Tugend und in der Ein-
sicht selbst nichts, was ihn erfreut und möchte lieber
nach seinen Begierden leben, w^enn ihn nur das£ine nicht
hinderte, nämlich die Furcht vor der Strafe. £r entfalilt
sich deshalb der schlechten Handlungen undYoUaiefat die
göttlichen Befehle, wie ein Sklave, nur ungern und mit
schwankendem Gemüthe und erwartet für diesen schweren
Dienst durch einen Lohn, der ihm süsser ist als die liebe
zu Gott, von Gott geehrt zu werden und zwar um so
mehr, je mehr er das Gute, was er thut, verabscheut und
ungern vollzieht. Deshalb glaubt er, dass Alle, welche
solche Furcht nicht zurückhält, zügellos leben und alle
Religion abthun werden. **0 Doch ich lasse dies nnd
wende mich zu dem, wo er zeigen will, dass ich in ver-
hüllter und geschminkter Weise den Atheismus lehre.
Die Grundlage seiner Beweisführung ist, dass ich
nach seiner Meinung Gott die Freiheit nehme und ihn dem
Schicksal unterwerfe. Allein dies ist falsch. Ich habe
gesagt, dass aus Gottes Natur Alles mit unvermeidlicher
Nothwendigkeit ebenso folge, wie aus seiner Natur folgte
dass er sich selbst kennt. Niemand leugnet Letzteres und
doch nimmt Niemand deshalb an, Gott kenne sieh in
Folge eines Schicksalszwanges, sondern durchaus frei,
wenn auch nothwendig. Ich finde hier nichts, was nicht
Jedermann fassen könnte und wenn er-dennoch eine böse
Absicht dahinter vermuthet, was soll er da von seinem
Descartes denken, nach welchem von uns nichts ge-
schieht, was Gott nicht vorher so geordnet hat und nach
welchem wir sogar von den einzelnen Zeitpunkten gleich-
sam neuerschaffen werden, aber dennoch aus Freiheit des
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Ueber das sittliche Motiy. 173
^Willens handeln. Fürwahr dies kann, wie Descartes
selbst gesteht, von Niemand verstanden werden.**^
Femer hebt diese nnvermeidüche Nothwendigkeit
der Dinge weder die göttlichen noch die menschlichen
Gesetze auf. Denn mag der sittliche Inhalt die Gestalt
eines Gesetzes von Gott erhalten oder nicht, so bleibt
er doch göttlich und heilsam nnd mag man das Gute,
was ans der Tugend und göttlichen Liebe folgt, von
Gott als Bichter empfangen, oder als nothwendigen
Ans£fuss der göttlichen Natur; so bleibt es deshalb
gleich wünschenswerth, wie ja auch die Uebel nicht
-weniger zu fürchten sind, die aus schlechten Werken
folgen, wenn dies auch mit Nothwendigkeit geschieht;
-wir werden immer durch Furcht und Hoffnung bewegt,
mögen wir das, w|is wir thun, nothwendig oder frei
thun. Er behauptet deshalb fälschlich : „dass nach meiner
„Ansicht für me Befehle und Vorschriften kein Platz
„bleibe^ und später: „dass die Erwartung eines Lohnes
„und einer Strafe aufhört, wenn alles dem Schicksal
„zugeschrieben werde und Alles mit unvermeidlicher
„Nothwendigkeit aus Gott abfliessen solle. ^
Ich will nicht fragen, weshalb es auf Eins hinauslaufen
oder nur wenig unterschieden sein soll, wenn man an-
nimmt, Alles fliesse mit Nothwendigkeit aus Gottes Natur
oder die Welt sei Gott; dabei achten Sie auf das, was er
eben so gehässig anfügt, nämlich: „Ich wolle, der Mensch
„solle sich derTugend befleissigen, nicht weil Gott es ge-
„boten und verordnet, und nicht in Hoffnung eines Lohnes
„und Furcht vor Strafe, sondern u. s. w.'' Sie finden das
fürwahr nirgends in meiner Abhandlung, vielmehr habe ich
in Kap. 4 ausdrücklich gesagt: die Summe des göttlichen
Gesetzes (das unserer Seele von Gott eingeschrieben ist,
wie ich Kap. 2 gesagt habe) und sein höchstes Gebot sei,
Gott als das höchste Gut zu lieben; nicht aus Furcht vor
Strafe (denn aus Strafe kann keine liebe entstehen) und
nicht aus Liebe zu etwas Anderem, was man gemessen
möchte; denn dann würde man nicht sowohl Gott selbst,
sondern das Erstrebte lieben. In demselben Kapitel habe
ich gezeigt, dassGott dieses Gesetz selbst den Propheten
offenbart habe. Mag ich nun annehmen, dass dieses Ge-
setz Gottes die Form eines Kechtsgesetzes von Gott selbst
erhalten habe, oder mag ich es, wie die übrigen Beschlüsse
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174 XLIX. Brief. Von Spinoza an J. 0.
Gottes, welche eine ewige und noth wendige Wahrheit etn-
schliessen, auffassen, so bleibt es in beiden Fällen einBe-
schlnss Gottes und eine heilsame Auskunft und mag ich
Gott aus Freiheit oder aus der Nothwendigkeit des gött-
lichen Beschlusses lieben, so liebe ich doch Gott und
werde gerettet sein.***) Ich könnte daher schon hier be-
haupten, jener Mensch gehöre zu denen, von welchen ich
in meiner Vorrede gesagt habe, es wftre mir lieber, wenn
sie mein Buch nicht läsen als durch verkehrtes Auslegen,
was Ihnen überall begegnet, beschwerlich zu werden
und Andern zu schaden, ohne sich zu nützen.
Obgleich dies für meinen Zweck hinreichen dürfte,
halte ich es doch noch der Mühe werth, zu erwähnen,
dass er sich irrt, wenn er meint, ich hätte den Grundsatz
der Theologen im Sinne, welche bei der Rede eines Pro-
pheten unterscheiden, ob er lehrt oder einfach Etwas er-
zählt. Wenn er damit jenen Satz meint, welchen ich in
Kap. 15 dem Jehuda Alpakhar zugeschrieben habe, wie
konnte ich da meinen, dass mein Satz damitübereinstimme,
da ich jenen in demselben Kapitel als falsch verwerfe?
Meint er es aber anders, so verstehe ich es nicht und
habe daher keineswegs dies im Sinne haben können.
Auch verstehe ich nicht, weshalb er sagt, ich glaube,
dass Alle meiner Ansicht beitreten würden, welche
leugnen, dass die Philosophie die Auslegerin der Schrift
sein könne; da ich doch die Ansicht dieser sowie die
des Maimonides widerlegt habe.
Es wäre zu lang, wenn ich Alles anführen wollte,
woraus erheilt, dass er nicht in ruhiger Stimmung über
mich geurtheilt hat. Ich gehe deshalb zu seinem Schuss*
satz über, wo er sagt: „ich hätte somit kein Mittel mehr,
^womit ich beweisen könnte, dass Mahomet ein falscher
„Prophet gewesen sei.^ Er versucht dies aus meinen
Worten darzulegen, obgleich aus diesen klar folgt, dass
Mahomet ein Betrüger gewesen sei, weil er die Freiheit
eänzlich aufhebt, welche die katholische Religion, die
durch das natürliche Licht und die Propheten offenbart
irt, zugesteht, und von der ich gezeigt habe, dass sie
nicht entzogen werden dürfe. **") Aber wenn dies auch
nicht wäre, bin ich denn zu dem Beweis verpflichtet, dass
irgend ein Prophet ein falscher gewesen sei? Die Pro-
pheten waren verpflichtet, zu zeigen, dass sie wahre seien.
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Mahomet und die Propheten der Heiden. 175
Wenn er entgegnet, dass aach Hahomet das göttliche
Gesetz gelehrt und solche sichere Zeichen fUr seine
Sendung gegeben habe, wie von den übrigen Propheten
geschehen seien, so hatte er fürwahr kein Kedit, sa
leugnen, dass er ein wahrer Prophet gewesen ist
Was aber die Türken und andern Heiden anlangt,
so meine ich, dass sie, wenn sie Gott durch Uebung
der Gerechtigkeit und durch Liebe des Nächsten ver-
ehren, den Geist Christi haben und gerettet seien,
mSeen sie auch in ihrer Unwissenheit an Mahomet
und sein Wunder glauben. 231)
Sie sehen, verehrter Freund, dass dieser Mann von
der Wahrheit ganz abkommt; trotsdem thut er nicht mir,
sondern sich selbst den grdssten Schaden, wenn er
sich nicht schftmt, zu behaupten, dass ich mit verhüllten
und geschminkten Beweisen den Atheismus verbreite.
Ich hoffe, Sie werden nicht finden, dass ich gegen
diesen Mann mich zu wenig nachsichtig ausgei&ückt
habe. Sollten Sie dennoch Etwas der Art bemerken,
so bitte ich, es auszustreichen, oder nach Ihrem Sinne
zu verbessern. Ich will den Mann, wer er auch sei,
nicht verletzen und mag mir durch meine Arbeit keine
Feinde machen.^ Gewöhnlich geschieht dies durch
dergleichen Streitigkeiten und deshalb habe ick mich
kaum zu dieser Antwort entschliessen können, die nur,
weil icS sie Ihnen versprochen habe, erfolgt ist.
Leben Sie wohl; ich übergebe diesen Brief Ihrer Um-
sicht und empfehle mich selbst, der ich bin u. s. w.
Fünfzigster Brief (Vom 2. Juni 1674).
Von Spinoza an den Herrn ^
(UebersetKung aus dem Holländischen.)
Geehrter Herr!
In Bezug auf die Politik besteht der Unterschied
zwischen mir und Hobbes, nach dem Sie fragen, darin,
dass ich das Xaturrecht immer unverletzt erhalte und der
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176 ^' ^riet Von Sp. an
höchsten Obrigkeit in jeder Stadt nur so viel Rechte
gegen die Unterthanen zugestehe, als dem Maasse der
Macht, in der sie den Einzelnen Übertrifft, entspricht,
wie dies im Naturzustande immer Statt hat 2^)
Was den Beweis anlangt, welchen ich im Anhange
meiner geometrischen Begründung der Prinzipien des
Descartes aufstelle, nämlich, dass Gott nur sehr un-
eigentlich einer oder ein einziger genannt werden
könne, ^235^ so erwidere ich, dass man eine Sache nur
in Bezug auf ihr Dasein und nicht auch ihr Wesen
eine oder die einzige nennt, da man die Dinge nur
erst, wenn sie auf eine gemeinsame Gattung gebracht
sind, unter Zahlen befasst. Wer z. B. einen Groschen
und einen Thaler in der Hand hält, denkt lucht an die
Zwei, als bis er beide mit einem Namen, etwa Geld-
stücke oder Münzen, nennen kann; dann kann er erst
behaupten, dass er zwei Geldstücke oder Münzen
habe, weil mit diesen Worten nicht blos die Groschen,
sondern auch die Thaler bezeichnet werden. Deshalb
kann offenbar eine Sache erst eine oder die einzige
genannt werden, wenn man sich noch eine andere
Sache vorstellt, die (wie gesagt) mit ihr übereinstimmt.
Aber bei Gott ist sein Dasein auch sein Wesen und
man kann über sein Wesen keine allgemeine Vorstellung
bilden; deshalb hat offenbar der, welcher Gott, einen
oder den einzigen nennt, keine richtige Vorstellung
von Gott oder spricht nur uneigentlich so.236)
In Bezug darauf, dass die Gestalt eine Verneinung
und nichts Bejahendes ist, erhellt, dass der ganze
Stoff, an sich betrachtet, keine Gestalt haben kann
und dass die Gestalt nur bei endlichen und begrenzten
Körpern Platz greift. Denn wer sich eine Gestalt
vorstellt, sagt damit nur, dass er sich einen bestimmten
Gegenstand und die Art, wie er bestimmt ist, vorstelle.
Daher gehört diese Bestimmung nicht zu dem Sein des
Gegenstandes, sondern sie ist vielmehr sein Nicht-Sein.
Da sonach die Gestalt nur eine Begrenzung und die
Begrenzung nur eine Verneinung ist, so kann jene,
wie gesagt, nur eine Verneinung sein, 237)
Die Schrift, welche der Utrechter Professor gegen die
meinige verfasst hat und welche erst nach dessen Tode
erschienen ist, habe ich am Fenster des Buchhändlers
Digitized by V^jOOQlC
Eine Frage aus der Optik. 177
.ausgestellt gesehen. Nach dem Wenigen, was ich da-
mals darin gelesen, habe ich sie nicht des Lesens und
noch viel weniger der Beantwortung werth gehalten.
Ich verliess deshalb das Buch und seinen Verfasser.
Mit Lficheln überdachte ich, dass die Dümmsten manch-
mal die Dreistesten und Schreibfertigsten sind. Der
scheint mir seine Waare wie ein Trödler aus-
zubieten, der immer das Schlechteste zuerst zeigt.
Man sagt, der Teufel sei der Durchtriebenste; aber
dieser Schlag Leute scheint mir den Teufel an Durch-
triebenheit weit zu übertreffen. 238) Leben Sie wohl.
Im Haag am 2. Juni 1674.
Einundfunfzigster Brief (Vom 5. Oktob. 1671).
Von Leibniz an Spinoza.
Berühmter und werther Herr!
Zu dem vielerlei Lobenswerthen, was der Ruf von
Ihnen berichtet, soll auch eine besondere Kenntniss
der Optik gehören. Ich überreiche deshalb Ihnen bei-
folgenden Versuch, da ich einen besseren Richter in
diesem Fache schwerlich finden kann. Ich habe das
Schriftchen mit dem Titel: „Eine Nachricht aus der
höheren Optik^ veröffentlicht, um mit Freunden oder
Männern, aie sich dafür interessiren, bequemer mich
besprechen zu können.'^) Ich höre, dass auch der
geehrte Herr ^ in demselben Fache glänzt;
er wird Ihnen sicherlich bekannt sein ; wenn Sie daher
auch dessen Urtheil erlangen und mir mittheilen
könnten, würden Sie mich doppelt verbinden. Die
Schrift selbst giebt deutlich an, um was es sich handelt.
Hoffentlich ist Ihnen der italienisch geschriebene :
^Vorläufige Unterricht des Jesuiten Franz Lana''24i)
zu Händen gekommen, worin er auch einige richtige
Sätze aus der Dioptrik aufstellt; aber auch der
Schweizer Johann Oltius, ein hierin sehr kenntniss-
reicher junger Mann, hat neuerlich „Mechanisch-
Physische Gedanken über das Sehen^ veröffentlicht,
Digitized by^OOQlC
178 LI* Brief. Von Leibniz an Spinoia. HL Brief.
worin er eine Maschine verspricht , die sehr eio&ck
und allgemein für das Schleifen von GlKsem aller Art
benutzt werden könne und sagt, er habe ein Mittel
entdeckt, alle von den einseinen Punkten eines Gegen-
standes ausgehenden Strahlen in gleiche entsprechende
andere Punkte zu vereinigen, jedoch nur bei einer
gewissen Entfernung und Gestalt des Gegenstandes.
Uebrigens ist das, was ich darüber an%estellt habe,
nicht, dass die Strahlen aller Punkte wieder vereinigt
werden, (denn dies ist für jede Entfernung und Ge-
stalt des Gegenstandes, soviel jetzt bekannt, nnmdg-
lieh) sondern nur, dass die Strahlen von Punkten
ausserhalb der optischen Axe ebenso wieder vereinigt
werden, wie von den Punkten in der optischen Axe.
Deshalb können die Oeffhungen der Glfiser so gross
werden, als man will, ohne dem genauen Sehen zu
schaden. Doch mögen Sie selbst mit Ihrem Scharf-
sinn hierüber urlheilen. Leben Sie wohl und bewahren
Sie Ihre Gewogenheit,
geehrter Herr,
Ihrem treuen Verehrer
Gottfried Leibniz,
Doktor beider Rechte und KurfOrsü.
Mainzischer Bath.***)
Frankfurt, den 5. Okt neuen Stjls 1671.
Zweiundfunfzigster Brief (Vom 9. Nov. 1671).
Von Spineza an GottfHed Leibniz.
(Antwort auf den vorstehenden Brief.)
Hochgeehrter Herr!
Die Schrift, mit deren Uebersendung Sie mich beehrt,
habe ich gelesen und danke Ihnen sehr für deren Mit-
theilung. Es thut mir leid, dass ich Ihre Meinung, die
Sie sicherlich ganz deutlich ausgedrückt haben, nicht
genug habe fassen können; nämlich, ob Sie glauben, dass
ie Oeffnung der Glftser nur deshalb nicht zu gross sein
dürfe, weil die von einem Punkte kommenden Strahlen
sich nicht genau in einem andern Punkte, sondern in
Digitized by^OOQlC.-'
Ueber optische Glftser. ]79
einem kleinen Baume sammeln, welchen man den meeha-«
nischen Pankt zu nennen pflegt und welcher Raum nach
Verhältnise der Oeflnung grösser oder kleiner ist. Dann
frage ich, ob die Linsen, welche Sie Pandochas (AUes zu-
sammenfassende) nennen, diesen Fehler verbessern, so
dass der mechanische Punkt oder der kleine Baum, in
dem die von einem Punkt ausgehenden Strahlen nach
der Brechung sich sammeln, in seiner Grösse sich gleich
bleibt, gleichviel ob die Oeffiiung gross oder klein ist.
Wenn dies Statt hat, so kann allerdings die Oeffnung be«
liebig vergrössert werden und sie werden deshalb besser
sein, als jede andere mir bekannte Gestalt der Glftser;
ist dies aber nicht der Fall, so wüsste ich nicht, weshalb
Sie dieselben den gewöhnlichen linsen so vorziehen^
Denn die kreisförmigen Linsen haben überall dieselbe
Axe, un ddeshalb sind bei ihrer Anwendung alle Punkte
des Gegenstandes als in der optischen Axe befindlich
anzusehen.'^") Wenn nun auch nicht alle Punkte des
Gegenstandes die gleiche Entfernung haben, sokanndoch
der daraus entstehende Unterschied nicht merklich
sein, sobald der Gegenstand sehr entfernt ist, weil dann
die aus einem Punkt ausgehenden Strahlen wie paral-
lele angesehen werden müssten und als solche durch
das Glas gingen. Doch glaube ich, dass Ihre Linsen
nützlich sind, wenn man mehrere Gegenstände mit
einem Blicke übersehen will (wie der Fall ist, wenn
man sehr grosse kreisrunde konvexe Linsen anwendet),
damit Alles deutlicher sich darstelle. Indess möchte ich
über alles dies meinUrtheil zurückhalten, bis Sie mir Ihre
Meinung deutlich ausgesprochen haben werden, worum
ich ergebenst bitte. Ich habe Ihrem Auftrage zufolge das
andere Exemplar Herrn gesandt und er hat mir
ffeantwortet, dass er für den Augenblick keine Zeit zu
dessen Prüfung habe, aber dass er in ein bis zwei
Wochen werde dazu kommen können.
Den ^vorlftufigen Unterricht^ von Franz Lana
habe ich noch nicht zu Gesicht bekommen, so wenig, wie
des Joh. Oltiu s Physisch-Mechanische Gedanken; indess
schmerzt es mich mehr, dass Ihre „Physische Hypothese^
noch nicht in meine Hand gelangt ist und auch hier
im Haag nicht zu haben ist. Ich nehme deshalb das
mir freundlichst zugesagte Geschenk mit Vergnügen
Splnosa. Briefe. oigtle^by^OOgie
IgQ LH. Brief. Spinoza an Leibniz. LIII. Brief.
an und werde, wenn ich Ihnen in Etwas nützen kann,
immer sn Diensten stehen. Ich hoffe deshalb dass Sie auf
diese Zeilen mit einer Antwort mich erfreuen werden.*^)
G&nzlich Ihr
B. ▼. Spinoia.
Im Haag, den 9. Nov. 1671.
P. 8. Herr Diemerbruck wohnt hier nicht; ich
muss deshalb die Beilage der gewöhnlichen Post über*
feben. Unzweifelhaft werden Sie hier, im Haag, Jemand
ennen, der unsre Briefe besorgen kann; Sie mögen mich
denselben wissen lassen, damit unsere Briefe sicherer
und bequemer gehen. Sollte meine theologisch-politische
Abhandlung noch nicht Ihnen zu H&nden gekommen
sein, so werde ich Ihnen, wenn es Sie nicht belästigt,
ein Exemplar senden. Leben Sie wohl.
Dreiundfunfzigster Brief (Vom 16. Febr. 1673).
Von Fabriciue an Sphioza.*^*^ )
Berühmter Herr!
Der durchlauchtigste Kurfürst von der Pfalz, mein
gnädigster Herr,*^*) hat mich beauftragt, an Sie, der
Sie mir bisher zwar unbekannt gewesen, aber dem durch-
lauchtigsten Fürsten sehr empfohlen sind, zu schreiben
und zu fragen, ob Sie bereit seien, an seiner berühmten
Universität die ordentliche Professur der Philosophie
zu übernehmen. Es wird dasselbe Oehalt gezahlt wer-
den, wie es heutzutage die ordentlichen Professoren
erhalten. Sie werden nirgendwo anders einen Fürsten fin-
den, der ausgezeichneten Männern, wozu er Sie rechnet,
so gewogen ist Sie werden für Ihre Philosophie die grösste
Freiheit geniessen, da er überzeugt ist, dass Sie dieselbe
nicht zur Störung der öffentlich geltenden Relinon miss-
brauchen werden. Ich komme diesem Befehle des weisen
Fürsten hiermit nach und ersuche' Sie daher instand^,
mir bald zu antworten und die Antwort entweder dem
Residenten des durchlauchtigsten Fürsten, Dr. Grotiua
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Spinoza schl> die Professur in Heidelberg aas. 181
im Haag, oder Herrn Dr. Gille s van der Hek zu über-
geben, am sie mir mit den für den Hof bestimmten Brief-
schaften 2n Übersenden, oder anch sich einer andern
passenden Gelegenheit dafür su bedienen. Ich füge
nur das Eine hinxu, dass Sie, wenn Sie hierher kommen,
«in eines Philosophen würdiges Leben mit Freaden
gemessen werden, wenn nicht sonst Etwas wider unser
Hoffen und Meinen sich ereignen sollte, ffiermit leben
Sie wohl und bleiben Sie gesund. Ich bin,
herühmter Herr,
Ihr ergebener
J. Ludwig Fabricius,
Professor an der Universil&t zu Heidelberg
und Kurfürstlicti-Pf&lzischer Rath.
Vierundfunfzigater Brief (vom 30. März 1673).
Von Spinoza an Fabricia8.
(Die Antwort auf den vorstehenden Brief.)
Geehrter Herr!
Hfttte ich jemals den Wunsch gehabt, eine Pro-
fessur in einer Fakultät zu übernehmen, so würde ich
mir nur die gewünscht haben, welche mir von dem
Durchlauchtigsten Kurfürsten von. der Pfalz durch Sie
angetragen wird, hauptsächlich wegen der für die Philo-
sophie durch den Kurfürsten gnädigst gestatteten Frei-
heit, ohne zu erwähnen, dass es schon läno^st mein
Wunsch war, unter der Herrschaft eines Fürsten zu leben,
dessen Weisheit von Allen bewundert wird. Allein ich war
nie Willens, öffentlich als Lehrer aufzutreten und kann
mich daher nicht entschliessen, diese ehrenvolle Gelegen-
heit zu benutzen, obgleich ich mir die Sache lange über-
legt habe. Zunächst sage ich mir, dass ich in der Beförder-
ung der Philosophie nichts leisten kann, wenn tchdemUn-
terricht der Jugend obliegen soll; ferner weiss ich nicht,
in welchen Schranken diese Freiheit, zu pbilosophiren,
«ich halten soll, ohne die öffentlich angenommene Beligion
2U stören. Spaltungen entstehen hier nicht sowohl aus
13*
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182 ^^- Briet Spinosa an Fabridos. LV. Brief.
übertriebenem Religionseifer, als aus den mancherlei
menschlichen Leidenschaften und dem Geist des Wider-
spruchs, mit dem man Alles, auch wenn es richtig
ausgedrückt ist, su entstellen und zu verdammen pflegt
Da ich dies nun schon erfahren habe, obgleich ich ein
einsames Leben für mich führe, so ist dies um so mehr
zu fürchten, wenn ich zu dieser Würde emporgestiegen
sein werde. Sie sehen, geehrter Herr, dass nicht die
Aussicht auf ein grösseres Glück mich schwankend
macht, sondern die Liebe zur Ruhe, welche ich mir
einigermassen erhalten zu können glaube, wenn ich
mich öffentlicher Vortrftge enthalte. Ich bitte Sie da-
her inständig, Sr. Durchlaucht den Kurförsten um eine
längere Bedenkzeit für mich zu ersuchen und dass Sie
fortfahren, die Gunst des gnädigen Fürsten seinem
unterthänigsten Verehrer zu erhiuten. Dadurch wer-
den Sie nur immer mehr verpflichten,
geehrter Herr,
Ihren Diener
B. V. Spinoza«
Im Haag, den 30. März 1678.
Fun fundfunfzigßter Brief (Vom 14. Sept 1674X
Von . "•) an Spinoza.
(üebersetzung aus dem holländischen OriginaL)
Berühmter Mann!
Ich schreibe an Sie, um Ihre Ansicht über Erschei-
nungen und Gespenster oder Geister zu erfUiren
und im Fall es deren giebt, was Sie davon halten und wie
lange deren Leben währt; denn Manche halten sie f^
unsterblich. Manche für sterblich. Bei meinem Zweifel,
ob Sie annehmen, dass es deren ^be, sage ich weiter
nichts. Uebrigens ist es gewiss, dass die Alten an sie
geglaubt haben. Auch die heutigen Theologen und Philo-
sophenglauben, dass es deren gebe, wenn sie auch Über
deren Wesen nicht einig sind« Manche sagen, sie bestXnr
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üeber Gespenster und Geister. Ig3
-den aas dem dünnsten und feinsten Stoffe, nach Anderen
sollen sie nnr geistig sein. Indes s weichen wir viel-
leicht, (wie gesagt) sehr von einander ab , weil ich
nicht weiss, ob Sie zugeben, dass sie bestehen, ob-
gleich, wie Sie wissen, es davon so viele Erzählungen
und Fälle im ganzen Alterthume giebt, dass es wirk-
lich schwer sein möchte, die Sache zu leugnen oder
zu bezweifeln. Sicher ist, was Sie indess, wenn sie
-einräumen, dass sie bestehen, nicht glauben werden,
dass einige die Seelen von Verstorbenen sind, wie die
Vertheidiger des Komischen Glaubens wollen. Ich
schliesse hier und erwarte Ihre Antwort. Ich erwähne
nichts vom Kriege und von den Gerüchten; leider müssen
•wir solche Zeiten erleben; u. s. w. Leben Sie wohl.
Den 14. September 1674.
Sechsuudfunfztgster Brief (Vom Sept. 1674).
Von Spinoza an den hochgeehrten Herrn
(Antwort auf den vorstehenden Brief.)
(Das Original ist holländisch«)
Hochgeehrter HerrI
Ihr Brief, den ich gestern erhielt, war mir sehr
willkommen, da ich mich nach Nachricht von Ihnen
sehnte und sah, dass Sie mich noch nicht ganz ver-
gessen haben. Andere würden freilich es als eine böse
Vorbedeutung oder <Ue Geister für die Ursache nehmen,
dass Sie mir geschrieben; allein ich finde mich leichter
darein und bedenke, dass nicht blos wahre Dinge,
sondern auch Possen und Einbildungen mir Nutzen
bringen können.
Indessen wollen wir die Frage bei Seite lassen,
ob nämlich die Gespenster nur Erzeugnisse der Phan-
tasie und Einbildung seien; Sie bestreiten es nicht blos,
sondern halten auch Zweifel darüber für so selten, wie
Derjenige, welcher durch so viele Geschichten, welche
die Jjeute jetzt und sonst erzählt haben, überzeugt
worden ist. Die grosse Achtung und Ehrerbietung,
die ich stets und noch jetzt für Sie hege, erlaubt mir
nieht, zu widersprechen und noch weniger, Ihnen zu
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184 LVI. Brief Von Spinoza an
scbmeicheln. Das Mittel, das ich anwenden will, ist^
dass Sie ans den vielen Geschichten, welche Sie Über
Gespenster gelesen haben, eine oder die andere ge-
flilligst auswählen möchten, die völlig fflaabwfirdi|^ ist
nnd das Dasein von Gespenstern klar beweist Denn
ich mnss Ihnen gestehen, ich habe noch keinen glaub-
würdigen Schriftsteller gefunden, welcher klar bewiese,
dass es deren giebt. Anch weiss ich bis jetzt nicht,
was sie sind nnd Niemand hat mir dies je sagen können.
Und doch ist es gewiss, dass man von einem Gegen-
stand, den die Erfahrung so klar aufweisen soll, wissen
muss, was er ist, sonst kann man nnr schwer aus einer
Erzfihlung das Dasein von Gespenstern folgern; man
folgert zwar, dass sie Etwas seien, aber Niemand weiss,
was sie sind. Wenn Philosophen sie Gespenster nennen,
was ich nicht weiss, so trete ich dem nicht entgegen,
weil es unzählige Dinge giebt, die ich nicht kenne.
Also bitte ich, verehrter Herr, dass Sie mir, ehe
ich mich weiter über diesen Gegenstand erkläre, sagen,
was diese Gespenster oder Geister sind? Sind es
Kinder, Thoren oder Verrückte? Das, was ich von
ihnen vernommen, passt mehr zu Thoren als zu Wei-
sen und Ühnelt, um es noch im besten Sinne auszu-
legen, kindischen Dingen und dem Spiel der Thoren.
Ehe ich schliesse, sage ich Ihnen nur noch das Eine,
nfimlich dass die Neigung der meisten Menschen, die
Dinge, nicht wie sie wirklich sind, sondern wie sie sie
wünschen, zu erzählen, sich am leichtesten aus den
Erzählungen über Geister und Gespenster und deiv
gleichen ergiebt. Der Hauptgrund daflir ist, nach
meiner Ansicht, dass dergleichen Geschichten keine
andere Zeugen haben als deren Erzähler; deshalb kann
dieser nach Gefallen Nebenumstände, wie es ihm
passend scheint, zusetzen oder wegnehmen, ohne dass
er den Widerspruch von Jemand zu fürchten braucht.
Man macht sicn solche Geschichten vorzüglich zurecht,
um die Furcht, die man durch Träume und Phantasie-
bilder bekommen hat, zu rechtfertigen, oder auch um
seine Kühnheit oder Glaubwürdigkeit zu zeigen, oder
seine Meinune; zu bestätigen. Daneben habe ich noch
andere Gründe ffeiunden, die mich aber nicht an den
Geschichten selbst, doch an den erzählten Neben-
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üeber Gespenster und Geister. Ig5
umstünden zweifeln lassen und gerade in diesen liegt
das Meiste fiir die Folgerungen, die man aas diesen
Gescbicliten ableiten will. Hier breche ich ab, bis
ich erfahren haben werde, welches die Geschichten
sind, die Sie so überzeugt haben, da$s daran zu zweifeln,
Ihnen widersinnig scheint u. s. w.'**^)
Siebenundfunfzigster Brief
(Vom 21. September 1674)
Von an Spinoza.
(Antwort auf den vorstehenden Brief.)
(Das Onginal ist hollfindisch geschrieben.)
Mein scharfsinniger Herr!
Ich erwartete keine andre Antwort, als ich erhalten,
von einem Mann, der mein Freund ist und eine andre
Ansicht hat. Dies macht mir keine Sorge, denn
Freunde können immer in unerheblichen Dingen, un-
beschadet ihrer Freundschaft, verschiedener Meinung sein.
Sie verlangen, dass ich Ihnen, ehe Sie Ihre An-
sicht über die Gespenster und Geister aussprechen,
sage, ob sie Kinder, Thoren oder Verwirrte sind u. s. w.
Sie ftlgen hinzu, dass, was Sie darüber gehört, eher
von verrückten als von gescheuten Leuten ausgegangen
sei. Allein es giebt ein Sprichwort, dass das Vor-
nrtheil die Erkenntniss der Wahrheit hindert
Ich meine, dass es aus folgenden Gründen Ge-
spenster giebt. Sie gehören erstens, sowie sie sind,
zur Schönheit und Vollkommenheit des Weltalls.
Zweitens ist es wahrscheinlich, dass der Schöpfer sie
feschafPen hat, weil sie ihm ähnlicher sind als die
örperlichen Dinge; drittens bestehen Körper ohne
Seelen, also können auch Seelen ohne Körper be-
stehen. Viertens endlich glaube ich, dass in der Luft,
dem Haume oder Orte in der Höhe es keinen dunklen
Körper giebt, der nicht seine Bewohner hat; deshalb
wird der unermessliche Kaum zwischen uns und den
Gestirnen nicht leer, sondern mit Geistern, als Be-
wohnern, angeftillt sein. Vielleicht sind die höchsten
und entferntesten wahre Geister und die untersten in
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186 I"^^* Brief. Von aa Spinoza.
der untersten Luft Geschöpfe von den feinsten und
zartesten Stoffe und überdem unsichtbar. Ich fflaube
daher, dass es Geister aller Art giebt, nur viculeicht
keine weiblichen.
Diese Gründe werden die, welche dreist glauben,
die Welt sei durch Zufall entstanden, nicht über-
zeugen. Allein auch die tägliche Erfahrung, abgesehen
von diesen Gründen, zeigt, dass es Gespenster giebt
und es giebt eine Menge alte und neue Geschichten
über sie. Plutarch hat deren in seinem Werke über
berühmte Männer und in andern seiner Werke; ebenso
Sueton in den Lebensbeschreibungen der Kaiser;
auch in den Werken von W i e r u s ***) und L a v at e r **•)
über die Gespenster; beide haben ausführlich über
diesen Gegenstand gehandelt und diese Geschichten
aus den verschiedensten Schriftstellern gesammelt
Auch der wegen seiner Gelehrsamkeit berühmte Gar-
danus*^) spricht von ihnen in seinen Büchern über
die Freiheit, über die Mannichfaltigkeit und in seiner
Lebensbescbreibung, wo er aus Wahrnehmungen zeigt,
dass dergleichen ihm, seinen Verwandten und Freunden
erschienen seien. Auch Melanchthon, ein kluffer,
wahrhaftiger Mann und viele Andere bezeugen dies
aus ihren eigenen Erfahrungen. Ein Bürgermeister,
ein gelehrter und weiser Mann, der noch lebt, hat
mir einmal erzählt, dass er des Nachts in der Bier-
brauerei seiner Mutter dasselbe Geräusch gehört habe
als wie am Tage, wenn das Bier gebraut worden und er
versicherte, dass er dies öfters gehört habe. Dasselbe
ist mir selbst wiederholt begegnet, was ich niemals ver-
gessen werde. Deshalb bin ich auf Grund dieser Erfahr-
ungen und Beweise überzeugt, dass es Gespenster giebt.
Was die bösen Geister, welche die armen Menschen
in diesem und jenem Leben quälen, und die Magie an-
langt,' so halte ich die Geschichten hierüber für Fabeln.
Sie werden eine Menge Nebenumstände in den Büchern,
welche über die Geister handeln, finden. Auch können
Sie ausser den angeftlhrten Werken, wenn es Ihnen be-
liebt, den zweiten Fl inius Buch VII, und swar den Brief
an Sura, nachsehen; auch den Sueton, im 32. Ka^. des
Lebens von Julius Gäsa)r; den Valerius Maximas
Kap. 8, Buch I, Abschn. 7 und 8 und den Alexander
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Belege fär das Dasein von Geisiern. Ig7
von Alexandra 8***) in seinem Werke über die
Geistertage, da ich annehme, dass diese Bücher bei
Ihnen vorhanden sind. Ich spreche nicht von den
Mönchen und Geistlichen, die so viele Geschichten
von Erscheinungen und Gesichtern der Seelen und
bösen Geister und so viele, so zu sagen, Fabeln von
Gespenstern erzählen, dass dem Leser die Masse zum
Ekel wird. Auch der Jesuit Thyräus**') behandelt
•dergleichen in seinem Buche über Geistererscheinungen.
Indess behandeln diese dergleichen nur des Gewinnes
wegen, um zu beweisen, dass das Fegefeuer besser
ist; dergleichen wird ihnen zu einer Grube, aus der
sie Massen von Gold und Silber hervorholen. Aber
bei den oben erwähnten neuen Schriftstellern ist dies
nicht der Fall; sie sind unparteiisch und verdienen des-
halb mehr Glauben.
Als Antwort auf Ihren Brief, wo Sie der Thoren
und Blödsinnigen erwähnen, setze ich den Schluss
her, womit der gelehrte Lavater sein erstes Buch
über die Gespenster oder Geister schliesst: 9,Wer es
^wagt, so viele einstimmige Zeugen aus alter und
^neuer Zeit zu verleugnen, scheint selbst mir keinen
^Glauben zu verdienen. Es ist sicher ein Zeichen
^des Leichtsinns, wenn man allen Denen gleich glaubt,
^die einmal Gespenster gesehen haben wollen; allein
^es ist ebenso ein Zeichen vqn grosser Unverschämt*
^heit, wenn man umgekehrt so vielen glaubwürdigen
, Geschichtsschreibern, Kirchenvätern und andern au-
sgesehenen Männern leichthin und dreist wieder spricht.^
Den 21. Sep. 1674.
AchtundfunfzigsterBrief (Vom Oktober 1674).
Von Spinoza an Herrn
. (Antwort auf den vorstehenden Brief.)
(Der lateinische Text int eine üebersetzung des hollän-
dischen Originals.)
Hochgeehrter Herr!
Da Sie in Ihrem Briefe vom 21. vorigen Monats
sagen, dass Freunde in unerheblichen Dingen, unbe-
schadet ihrer Freundschaft, verschiedener Meinung sein
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Igg LYIIl. Brief. Von Spinoza an
können, so werde ich im Vertrauen hierauf Ihnen offen
sagen, was ich üher die Gründe und Geschichten denke,
ans denen Sie folgern, „dass es Geister aller Art, nur
yielleicht „keine weiblichen Geschlechts gebe.^ Ich
habe Ihnen nicht eher geantwortet, weil ich die von
Ihnen angezogenen Bücher nicht zur Hand habe und
keines, ausser dem Plinius und Suetonius, habe finden
können. Doch werden diese beiden mich wohl der
Mühe überheben, die übrigen zu untersuchen, da ich
überzeugt bin, dass sie alle gleicher Weise Unsinn be-
richten und die Geschichten von ausserordentlichen
Dingen lieben, welche die Menschen staunen machen
und in Verwunderung versetzen. Ich gestehe dass
nicht sowohl die erzählten Geschichten, sondern die,
welche sie berichten mich in Staunen versetzt haben.
Ich wundre mich, wie Männer von Geist und Urtheil,
ihr Talent so verwenden und missbrauchen können,
um uns dergleichen Possen glauben zu machen.
Doch lassen wir die Schriftsteller und wenden wir
uns zur Sache. Zunächst möchte ich den Scbluss Ihres
Briefes einer kleinen Prüfling unterziehen. Wir wollen
sehen, ob ich, der ich leugne, dass es Gespenster und
Geister gebe, die Schriftsteller, welche darüber berichten,
deshalb schlechter verstehe und ob Sie. der dergleichen
annimmt, diese Schriftsteller nicht höher stellen, als sie
es verdienen. Wenn Sie einerseits nicht zweifeln, dass
es Geister männlichen Geschlechts gebe, so gleicht dies
mehr einem Spiel der Einbildungskraft als einem ver-
nünftigen Zweifeln; wäre dies Ihre Ansicht, so würde sie
mit dem Volksglauben zusammentreffen, wonach Gott
männlichen und nicht weiblichen Geschlechts ist. Ich
wundre mich, dass die, welche die Gespenster nackt ge-
sehen, nicht nach Ihren Schamtheilen geblickt; vielleicht
haben sie sich gefürchtet oder haben den Unterschied
nicht gekannt. Sie nennen dies Spott und keine Be-
gründung und ich sehe daraus, dass Sie Ihre Gründe für
so stark und gut halten, dass Niemand denselben wider-
sprechen könne (wenigstens nach Ihrem Urtheile), 'er
müsste denn verkehrter Weise annehmen, die Welt sei
aus Zufall entstanden. Dies veranlasst mich, ehe ich Ihre
Gründe prüfe, Ihnen meine eigne Meinung über diese zu-
fällige Schöpfung der Welt mitzutheilen. Ich meine, dass,
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Widerlegung der Gründe für das Dasein von Oeistem. Ig9
wenn Zufall und Noth wendigkeit Gegensätse sind, offen-
bar der, welcher die Welt als eine nothwendige Wir-
kung der göttlichen Natur annimmt, auch damit leugnet,
dass sie aus Zufall entstanden sei; dagegen besagt der,
welcher meint, Gott hfttte auch die Welt nicht zu
schaffen brauchen, wenn auch mit andern Worten, dass
sie aus Zufall entstanden sei, weil sie von einem Willen,
der auch nicht sein konnte, ausgegangen ist. Da nun
diese Meinung und Ansicht ganz widersinnig ist, so giebt
man einstimmig zu, dass Gottes Wille ewig und nie-
mals unbestimmt gewesen sei; aber Sie müssen dann
auch anerkennen (merken Sie wohl), dass die Welt
eine nothwendige Wirkung der göttlichen Natur ist.
Sie möffen dies Wille, Einsicht oder sonst wie nennen,
so werden Sie doch immer nur dahin kommen, dass
Sie dieselbe Sache nur mit verschiedenen Namen be-
zeichnen. Fragt man Jene, ob Gottes Wille nicht von dem
des Menschen verschieden sei, so antworten sie, dass jener
nur den Namen mit diesen gemein habe; auch räumen sie
meistentheils ein, dass Wille, Verstand oder Natur ein
und dasselbe sei. Auch ich theile, um die göttliche Natur
nicht mit der menschlichen zu vermengen, Gott keine
menschlichen Eigenschaften, wie Willen, Verstand und
Aufmerksamkeit, Gehör zu und ich wiederhole des-
halb, dass die W^elt eine nothwendige Wirkung der
göttlichen Natur und nicht aus Zufall entstanden ist.
Dies wird Sie hoffentlich überzeugen, dass Die,
welche (wenn es deren geben sollte) die Welt för zu-
fällig geschaffen halten, das Gegentheil von mir an-
nehmen, und hierauf gestützt, gehe ich zur Prüfung
der Gründe über, aus denen Sie das Dasein von Ge-
spenstern aller Art abnehmen. Im Allgemeinen kann
ich hier nur sagen, dass diese Gründe mir eher Ver-
muthungen zu sein scheinen und dass ich kaum glauben
kann, dass Sie sie für Beweisgründe ansehen. Doch wollen
wir sehen, ob man, mögen sie Gründe oder Vermuth*
angen sein, sie ftir gerechtfertigt ansehen kann.
Ihr erster Grund ist, dass das Dasein derselben zur
Schönheit und Vollkommenheit desWeltalls gehöre. Allein
die Seh önheit, hochgeehrter Herr, ist nicht sowohl eine
Eigenschaft des wahrgenommenen Gegenstandes, als eine
Wirkung in Dem, der wahrnimmt. Siihen unsere Augen
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190 LVm. Brief. Von Spinoza an
weiter oder kttrser, oder wäre unsere Gremilths Verfassung
eine andere, so würde uns das jetzt Schöne hSsslich und
das jetzt Hftssliche schön vorkommen. Die schönste
Hand sieht, durch das Mikroskop hesehen, erschreckend
aus. Manches ist aus der Ferne gesehen schön und in
derNftheH&sslich; sodass die Dinge an sich oder fElr
Gott weder schön noch hftsslich sind. **^) Wer also sagt,
Gott hahe die Welt geschaffen, damit sie schön sei, muss
entweder annehmen, dass Gott die Welt nach den Wün-
schen und Augen der Menschen oder die Wünsche und
Augen der Menschen nach der Welt eingerichtet habe.
Aber in beiden FftUen sehe ich noch nicht ein, weshalb
Gott Gespenster und Geister erschaffen müsse, damit Eines
von beiden Statt habe. Die Vollkommenheit und Unvoll-
kommenheit sind Namen , die von denen der Schönheit
und Hässlichkeit wenig sich unterscheiden. Ichfra^e also,
um nicht zu weitlftuftig zu werden, nur, was mehr sur
Schönheit und Vollkommenheit der Welt beitrXgt, die
Gespenster oder die mannigfachen ungeheuer der Cen-
tauren, Hydem, Harpjen, Satyrn, Greifen, Argusse und
andere dergleichen rossen? Die Welt wäre wahrhaftig
schön geschmückt worden, wenn Gott sie nach dem Be-
lieben unsrer Einbildungskraft mit Wesen geschmückt
und eingerichtet hätte, die Jeder leicht sich bildet
oder erträumt, aber Niemand zu verstehen vermag.
Ihr zweiter Grund ist, dass die Geister mehr als die
erschaffenen körperlichen Dinge das Bild Gottes dar-
stellen und Gott sie daher auch wahrscheinlich erschaffen
habe. Indess gestehe ich, dass ich bis jetzt noch nicht
weiss, wodurch die Geister mehr als andere Geschöpfe
Gott ausdrücken. Das weiss ich, dass es zwischen End-
lichem und Unendlichem keine Beziehung giebt; deshalb
unterscheidet sich das grösste und vorzüglichste Geschöpf
von Gott nicht anders als das geringste; es ist daher dieser
Umstand ohne Einfluss. Hätte ich von den Gespenstern
eine so klare Vorstellung, wie von dem Dreieck od«r dem
Kreise, so würde ich nicht zweifeln, dass Gt>tt sie ge-
schaffen habe; allein da die Vorstellung, die ich von ihnen
habe, ganz denen gleicht, die ich über Haroyen, Greife,
Hydem u. s. w. in meiner Einbildungskraft nnde, so kann
ich sie nur als Träume behandeln, die sich von Gott, wie
das Nicht-Ding von dem Dinge unterscheiden.
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Widerlegung der ßehauptung, dass es Gespenster gebe. 191
Ihr dritter Gmnd (nämlich, dass, weil es Kdiper
ohne Seele gebe, es auch Seelen ohne Körper geben
müsae) scheint mir ebenso verkehrt. Ich frage Sie,
ob es dann nicht ebenso wahrscheinlich wäre, dass es
ein Gedächtniss, ein Hören, ein Sehen ohne Körper
gäbe, weil man Körper ohne Gedächtniss, Hören und
Sehen antrifft? Giebt es wohl eine Kugel ohne Kreis,
weil es einen Kreis ohne Kugel giebt?
Ihr vierter Grund fällt mit dem ersten zusammen,
weshalb ich mich auf meine dortige Antwort beziehe.
Hier will ich nur bemerken, dass ich nicht weiss, was
das Obere und Untere in dem unendlichen Stoffe sein
soll, so lange Sie nicht die Erde als den Mittelpunkt
der Welt ansehen. Ist die Sonne oder der Saturn
dieser Mittelpunkt, so sind die Sonne oder Saturn,
aber nicht die Erde das Unterste. Indem ich daher
dies und das Uebrige übergehe, schliesse ich damit,
dass diese und ähnliche Gründe nur Die von dem
Dasein der Gespenster und Geister aller Art überzeugen
werden, welche ihre Ohren und ihren Verstand ver-
schliessen und von dem Aberglauben. sich leiten lassen,
welcher der wahren Vernunft so feindlich ist, dass er,
um die Philosophen herabzusetzen, lieber alten Weibern
glaubt«
Was die Berichte anlangt, so habe ich schon in
meinem ersten Briefe gesagt, dass ich nicht diese,
sondern die daraus gezogenen Folgerungen bestreite.
Dazu kommt, dass ich sie nicht für so glaubwürdig
halte, um nicht an vielen Nebenumständen zu zweifeln,
die oft mehr des Schmuckes wegen beigeftigt werden,
aber die Wahrheit der Berichte und des daraus Ge-
folgerten nicht glaubwürdiger machen. Ich hätte ge-
hofft, Sie würden aus so vielen Geschichten eine oder
die andere anfuhren, die nicht bezweifelt werden
könnte und deutlich zeigte, dass Gespenster und Geister
bestehen. Wenn der genannte Bürgermeister deshalb,
weil er in seiner Mutter Bierbrauerei die Gespenster
des Nachts hat so arbeiten hören, wie es am Tage zu
geschehen pflegte, daraus schliesst, dass es deren giebt,
so scheint mir dies nur lächerlich und es würde zu
lang werden, wenn ich hier all die Geschichten, welche
diese Thorheiten berichten, prüfen wollte.
Digitized by VjOOQIC
192 I'IX. Brief. Von an Spinoza.
Um also kturs zu sein, beziehe ich mich auf Julius
Cftsar, welcher nach Sueton dergleichen verlachte und
doch nach dem, was Sueton im Kap. 59 dessen Lebens
über diesen Fürsten berichtet, glücklich war. Alle, welche
die Einbildungen der Menschen und die Wirkungen der
Leidenschaften erwägen, müssen ebenso darüber lachen,
trotzdem, was Lavater und Andere, die mit ihm in diesen
Dingen geträumt haben, dagegen vorbringen mögen.
Neunundfunfzigster Brief.
(Aus dem Jahre 1674).
Ton an Spinoza.
(Die Antwort auf den vorBtehend^ii Briel)
(Der lateinische Text ist eine üebersetzung des
holländischen Originals.)
Scharfsinniger Herr!
Auf Ihre Ansichten antworte ich etwas spät, da
ein Unwohlsein mich der Freude des Studiums und
des Nachdenkens beraubte und an dem Schreiben ver-
hinderte. Jetzt bin ich, G-ott sei Dank, wieder her-
gestellt. Ich folge in meiner Antwort den Fusstapfen
in Ihrem Briefe und lasse Ihre erregten Aeussemngen
gegen die Schriftsteller über Gespenster bei Seite.
Ich glaube also deshalb an keine Gespenster weib-
lichen Geschlechts, weil ich keine Erzeugung bei den Ge-
spenstern annehme. Ich übergehe dies, da es mich nichts
angeht, welcher Gestalt und Zusammensetzung sie sind.
— Man nennt Etwas zufällig, wenn es ohne Absicht des
Urhebers entsteht. Wenn man die Erde aufgräbt, um
Weinstöcke zu pflanzen oder eine Grube zu einem Be-
gräbniss zu machen und dabei einen Schatz findet, an den
man niemals gedacht hat, so nennt man dies ein lufldliges
Ereigniss. Dagegen sagt man von dem, der, soweit er
kann, nach seinem freien Willen wirkt oder nicht
wirkt, nicht, dass er zufällig wirke, wenn er wirkt;
sonst würden alle menschlichen Handlungen zufiKllig
geschehen, was widersinnig wäre. Nothwendigkeit und
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Gründe für das Dasein von Geistern. 193
Freiheit sind Gegensätze, aber nicht Nothwendigkeit
und Zufall. Wenn auch Gottes Wille ewig ist, so
folgt doch noch nicht, dass die Welt ewig sei, weil
Gott von Ewigkeit hat bestimmen können, dass er zu
«iner bestimmten Zeit die Welt erschaffe.
Sie bestreiten, dass Gottes Wille irgendwenn unbe-
stimmt sei; dem kann ich nicht beitreten; auch braucht
man auf diesen Punkt nicht so scharf zu achten, wie Sie
meinen. Auch wird nicht allgemein angenommen, dass
Gottes Wille nothwendig sei, da dies die Nothwendigkeit
einschliesst und man, wenn man Jemand Willen zu-
schreibt, damit meint, dass er nach seinem Belieben
handeln, oder nicht handeln könne. Schreibt man ihm
«ber die Nothwendigkeit zu, so muss er so handeln.
Sie sagen endlich, dass Sie in Gott keine mensek-
lichenEigenschaften zulassen, um Gottes Nat«r »eilt mit
der des Menschen zu vermengen. SawMt trete ich bei,
denn wir wissen nicht, wie Gott handelt, noch wie er
will, einsieht, erwägt, sdurat, hört u. s. w. Allein wenn
Sie diese ThätigkeiUm und unsere höchsten Begriffe über
Gott ableugnen and sie weder im überwiegendem Maasse
noeh metaphysisch'^) im Gott zulassen, dann kenne ich
Jlirett Gott nicht und was Sie mit dem Worte Gott
meinen. Was man nicht wahrnimmt, ist deshalb noch
nicht zu bestreiten. Die Seele, welche Geist und un-
körperlich ist, kann nur durch die feinsten Körper, d. h.
durch Dünste wirken. Und welches Verhfiltniss besteht
denn zwischen Körper und Seele? Wie wirkt die
Seele auf die Körper? Ohne diese ruht auch jene und
werden sie gestört, so wirkt auch die Seele in ver-
kehrter Weise. Zeigen Sie mir, wie dies geschieht. Sie
können es nicht; ich anch nicht; dennoch sehen und
fühlen wir, dass die Seele wirkt und dies bleibt wahr,
wenn wir auch die Art, wie es geschieht, nicht wahr-
nehmen. Wenn wir in ähnlicher Weise nicht wissen, wie
Gott wirkt und ihm das menschliche Wirken nicht zu-
theilen können, so dürfen wir doch bei ihm nicht be-
streiten, dass seine Werke überwiegend und in unbe-
greiflicher Weise mit unseren Wirksamkeiten, wie Wollen,
Einsehen, mit dem Verstände, aber nicht mit den Augen
oder Ohren sehen oder hören, in der Weise übereinstimmen,
wie der Wind und die Luft, die ohne H&nde oder andere
Digitized by^^jOOQlC
194 LUL Briet Von an Spinosa.
Hülfsmittel Lftnder und Berge zerstören and verwüsteii
kann; was den Menschen ohne Hände und Maschinen un-
möglich ist. Wenn Sie Gott die Nothwendigkeit n-
schreiben und ihm den Willen oder die Wahlfreiheit
nehmen, so möchte man sweifeln, ob Sie dieses nnend*
liehe und vollkommene Wesen nicht wie ein Ungeheuer
schildern und darstellen. Damit Sie Ihr Ziel erreichen,
wird es anderer Gründe zur Unterlage bedürfen, denn In
den von ihnen angeführten finde ich keine Festigkeit und
wenn Sie sie billigen, so sind doch noch andere da, welche
den Ihrigen vielleicht das Gleichgewicht halten. Doch
ich lasse dies bei Seite und gehe weiter.
Sie verlangen zum Beweis, dass es Geister in der
Welt gebe, direkte Beweise; allein deren giebt es nnr
wenige in der Welt, und mit Ausnahme der Mathematik
keine so gewissen, als wir wünschen; deshalb muss man
sich mit Wahrscheinlichkeiten und passenden Vermuth-
ungen begnügen. Wfiren alle Gründe, auf die wir die Be-
hauptungen stützen, Beweise, so könnten nurThoren und
Eigensinnige widersprechen. Aber so glücklich sind wir
nicht, mein werther Freund. Im Leben ist man weniger
genau; wir machen Vermuthungen und im Mangel an
Beweisen nehmen wir das Wahrscheinliche an. Dies zeigt
sich in allen Wissenschaften über göttliche und mensch-
liche Dinge, die voll von Zweifeln und Streit sind ; deren
grosse Anzahl ist der Grund, dass so verschiedene Mei*
nungen angetrofPen werden. Deshalb hat es, wie Sie
wissen, schon in alten Zeiten Philosophen gegeben, die
man Skeptiker nannte und die Alles bezweifelten. Sie
stritten für und gegen, um im Mangel wahrer Gründe das
Wahrscheinliche zu erreichen undJeder von ihnen glaubte,
was ihm am wahrscheinlichsten erschien. Der Mond
steht gerade unter der Sonne und deshalb wbrd die
Sonne für eine bestimmte Stelle der Erde verdunkelt;
wenn die Sonne nicht verdunkelt wird, ist es Tag und
der Mond steht dann nicht gerade unter ihr. Dies
ist ein strenger Beweis von der Ursache zur Wirkung und
von der Wirkung auf die Urache. Dergleichen giebt
es aber nur wenige, denen Niemand, wenn er sie nur
versteht, widersprechen kann.
In Bezug auf die Schönheit giebt es Dinee, deren
einzelne Theile gegen andere angemessener undbesserals
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Rechtferligang des Olaubens an Gespenster. 195
bei andern zusammengestellt sind nnd Gott bat dem
menschlichen Verstände nnd Urtheil die Uebereinstim-
mung nnd Harmonie mit dem, was sich angemessen
verhält, aber nicht mit dem, wo alles Verhältniss fehlt,
zugetheilt;'^) so bei den consonirenden nnd dissoniren-
den Tönen, wo das Gehör die Znsammenstimmang oder
den Missklang gut unterscheidet, weil jene angenehm
und diese unangenehm sind. Auch die VoUkommen-
heit einer Sache ist schön, soweit ihr nichts fehlt.
Daftir eiebt es viele Beispiele, die ich um nicht zu
weitläufig zu werden, nicht erwähne. Die Welt sehen
wir nur und geben ihr den Namen des Ganzen oder
des Alls. Ist dies richtig, wie es der Fall ist, so wird
sie durch nnköiperliche Dinge nicht verschlechtert,
noch gemindert. Was Sie von den Centauren, Hydem,
Harpyen u. s.w. sagen, passt nicht hierher, da wir von den
allgemeinsten Gattungen derDingeund über ihre obersten
Stufen sprechen, welche mannigfache und unzählige Arten
unter sich haben können ; also über das Ewige und Zeit-
liche, über Ursache und Wirkung, über das Endliche und
Unendlielie, über das Beseelte und Unbeseelte, über die
Substanz und die Accidenzen oder Zustände, über Körper-
liches und Geistiges. Ich sage, die Geister sind Gott ähn-
lich, weil auch er ein Geist ist. Sie verlangen von den
Geistern eine so klare Vorstellung, wie rmt dem Dreieck;
allein dies ist unmöglich. Sagen Sie mir doch, welche Vor-
stellung Sie von Gott haben und ob sie in Ihrem Verstände
80 klar ist, wie die Vorstellung des Dreiecks? Ich weiss,
Sie haben sie nicht und deshalb habe ich gesagt, wir seien
nicht so glücklich, die Dinge nur durch -strenge Beweise
zu erfassen ; vielmehr überwiege in dieser Welt meist das
Wahrscheinliche. Ich behaupte nichtsdestoweniger, dass
es, sowie es einen Körper ohne Gedächtniss giebt, es
auch ein Gedächtniss ohne Körper giebt und dass, sowie
ein Kreis ohne Kugel so auch eine Kugel ohne Kreis
besteht. Indess ist dies einHerabsteigen von den höchsten
Gattungen zu den einzelnen Arten, auf die diese Ausfüh-
rung sich nicht bezieht. Ich sage, diese Sonne ist der
Mittelpunkt der Welt und die flxsteme sind weiter als
Saturn von der Sonne entfernt und dieser weiter als
Jupiter und dieser weiter als Mars; sonach ist in dem
Spinoia, Briefe. 14
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196 LI^- Bnet Von an Spinoza. LX. Brief.
grenzenlosen Lufträume Manches ferner und Manches
uns näher und dies nennen wir höher oder tiefer.
Die Vertheidiger der Geister stellen die Philo-
sophen nicht ausserhalb des Glaubens, sondern nur die,
welche die Geister leugnen, da alle Philosophen alter
und neuer Zeit überzeugt sind, dass es Geister giebt.
Dies bezeugt Plutarch in seinen Abhandlungen über
die Ansichten der Philosophen und über den Genius
des Sokrates; ebenso bezeugen es alle Stoiker,
PythagoreerjPlatoniker; auchEmpedokles, der
Tarier Maximus, Apulejus und Andere. Auch von
den Neuem leugnet Niemand die Geister. Verwerfen
Sie also nur so viel weise Augen- und Ohrenzeugen,
so viele Philosophen, so viele Geschichtsschreiber, die
dies berichten; behaupten Sie nur, dass diese Alle,
wie der grosse Haufen, thöricht und wahnwitzig seien;
allein Ihre Antworten überzeugen nicht, sondern sind
vielmehr Avidersinnig oder treffen unseren Streitpunkt
nicht und Sie bringen nicht einen Beweis für Ihre An-
sicht bei. Cäsar verlachte mit Cicero und Cato nicht
die Gespenster, sondern die Vorbedeutungen und Weis-
sagungen und doch würden, wenn er an seinem Todes-
tage nicht den Spurina verspottet hätte, seine Feinde
ihn nicht mit so viel Wunden durchbohrt haben. Dies
möge diesmal genügen u. s. w.
Sechzigster Brief (Vom Jahre 1674).
Von Spinoza an Herrn
(Die Antwort auf den vorstehenden Brief.)
(Der lateinische Text ist aus dem holländischen Original
übersetzt.)
Geehrter Herr!
Ich eile, Ihren gestern empfangenen Brief zu beant-
worten, weil, wenn ich länger zögere, ich meine Antwort
länger, als ich möchte, verschieben müsste. Ihr Unwohl-
sein hat mich beunruhigt; doch habe ich ersehen, dass
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Das Noth wendige uad Zufällige. 197
es Ihnen besser geht und hoffentlich sind Sie jetzt
^anz wieder hergestellt.
Wie schwer sich Zwei, welche von verschiedenen
Unterlagen aasgehen, über einen, von vielen Anderen ab-
hängenden Gegenstande gegenseitig verständigen und
▼ereinigen können, ergiebt unsere Verhandlung, wenn
auch kein Grund es bewiese. Sagen Sie mir doch, ob Sie
von Philosophen gehört oder gelesen haben, welche der
Ansicht gewesen sind, die Welt sei aus Zufall gemacht
worden; nämlichin dem Sinne, wie Sie dies verstehen, also,
class Gott sich bei Erschaffung der Welt ein Ziel vorge-
setztund dennoch dasselbe, wie er es beschlossen, verfehlt
habe. Ich glaube kaum, dass Jemand bis jetzt auf diesen
Gedanken gekommen ist Auch sehe ich nicht ein, wes-
halb ich das Zufällige und Nothwendige nicht als
Gegensätze annehmen soll. Sobald ich zuerst bemerke,
dass die drei Winkel eines Dreiecks zweien rechten noth-
wendig gleich seien, bestreite ich auch, dass dies zufcülig
•der Fall sei. Ebenso bestreite ich, sobald ich das erste
Mal bemerke, dass die Hitze eine nothwendige Folge des
Feuers ist, dass dies aus Zufall geschehe. Nicht minder
verkehrt und der Vernunft widerstreitend scheint es mir,
dass die Noth wendigkeit und Freiheit Gegensätze sein
sollen; denn Niemand kann bestreiten, dass Gott sich
selbst und alles Andere frei erkenne und doch geben
Alle einstimmig zu, dass Gott sich nothwendig erkenne.'^')
Sie scheinen nämlich keinen Unterschied zwischen Zwang
oder Gewalt und Nothwendigkeit anzunehmen. Dass der
Mensch begehrt zu leben, zu lieben u. s. w., ist kein er-
zwungenes Werk, wohl aber ein noth wendiges und noch
mehr, dass Gott dasein, erkennen und wirken will. '^^)
Wenn Sie ausserdem erwägen, dass die Unentschiedenheit
nur Unwissenheit oder Zweifel ist und dass der immer feste
und in Allem bestimmte Wille eine Tugend und die noth-
wendige Eigenschaft der Einsicht ist, so werden Sie
sehen, dass meine Worte ganz mit der Wahrheit überein-
stimmen. Wenn man behauptet, Gott habe eine Sache
nicht wollen oder nicht einsehen gekonnt, so giebt man
Gott eine verschiedene Freiheit, eine nothwendige und
eine unbestimmte und fasstdann Gottes Willen und Gottes
Wesen oder Einsicht als verschieden auf und damit
geräth man aus einem Widersinn in den andern. >
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198 LX. Brief. V<m SpiDOza an
Die Aufmerksamkeit, welche ich in meinem yorig^n
Brief verlangt hatte, ist Ihnen nicht nothwendig er-
schienen und deshalb haben Sie Ihre Gedanken nicht
auf die Hauptsache gerichtet und das Wichtigste bei
der Sache vernachlässigt.
Wenn Sie femer sagen, dass, wenn ich leugne, dass
in Gott die Thätigkeit des Lebens, des Hörens, des Auf-
merkens, desWollens u.s.w., und zwar überwiegend, ent-
haltensei, Sie dann nicht wüssten, welchen Gott ich h&tte,
so Termuthe ich, Sie glauben, dass es keine grössereVoll-
komm enheit gebe, als die, welche in den genannten Eigen-
schaften ausgedrückt werden kann. Ich wundre mich da-
rüber nicht, weil ich glaube, ein Dreieck würde, wenn
es sprechen könnte, ebenso sagen, Gott sei überwie-
gend ein Dreieck und ein Ejreis würde sagen, Gott sei
überwiegend eine kreisförmige Natur; so würde Jedes
seine Eigenschaften Gott zuschreiben, Gott sich fthnlich
machen und das Andere würde ihm hässlich scheinen.
Der enge Raum eines Briefes und die Kürze der
Zeit gestatten mir nicht, Ihnen meine Ansicht über
Gottes Natur und die von Ihnen gestellten Fragen zu ent-
wickeln, abgesehen davon, dass Schwierigkeiten entge-
genstellen noch nicht ebenso viel ist, wie Gründe vor-
bringen. Es ist richtig, dass wir in der Welt Vieles auf
Vermuthungen vornehmen müssen, aber falsch ist es,
dass wir unserNachdenken nach Vermuthungen anstellen.
Im gewöhnlichen Leben müssen wir dem WahrscheinDch-
sten folgen, bei Untersuchungen innerhalb des Denkens
aber der Wahrheit. Der Mensch würde verdursten und
verhuDgem, wenn er nicht eher trinken und essen wollte,
als er nicht einen vollen Beweis erlangt hätte, dass Trinken
und Essen ihm nützlich sei; ''^ aber bei der Betrachtung
hat dies keine Stelle; vielmehr müssen wir hier uns
hüten. Etwas als wahr anzunehmen, was nur wahr-
scheinlich ist, denn aus einer zugelassenen Unwahrheit
folgen unzählige andere.
Femer kann man ^daraus, dass die Wissenschaften
vom Göttlichen und Menschlichen voll Zweifel und Streit-
fragen sind, nicht folgern, dass Alles, was sie behandeln,
ungewiss sei ; denn es hat auch viele gegeben, welche so
von Widerspruchsgeist erfüllt waren, dass sie selbst der
geometrischen Beweise spotteten. So sagten Seztus
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Das Wahrscheinliche. Die bildl. Vorstell. von Gott. 199
£mpiritub und andere Skeptiker, die Sie ervfthnen,
es sei falsch, dass das Qanze grösser als seine Theile
sei und ebenso sprachen sie ron andern selbstver-
stlüidlichen Grundsätzen.
Aber selbst wenn ich zugebe, dass wir im Mangel
von Beweisen mit dem Wahrscheinlichen zufrieden sein
mfissen, sage ich doch, dass die wahrscheinliche Begrün-
dung eine solche sein müsse, dass man ihr, trotz der
Zweifel, nicht widersprechen könne; weil das, dem man
widersprechen kann, nicht dem Wahren, sondern dem
Falschen ähnelt. Wenn ich z. B. sage : Peter lebe, weil
ich ihn gestern gesund gesehen habe, so ist dies zwar
wahrscheinlich, insofern mir Niemand widersprechen
kann; sagt aber ein Anderer, er habe ihn gestern in
Ohnmacht fallen sehen und er glaube, Peter habe an
diesem Tage seinen Qeist aufgegeben, so bewirkt er,
dass meine Angabe falsch erscheint. Dass nun Ihre An-
nahmen über Gespenster und Geister falsch und unwahr-
scheinlich erscheinen, habe ich so klar gezeigt, dass ich
in Ihrem Briefe nichts Bemerkens werthes dagegen finde.
Auf Ihre Frage, ob ich von Gott einen so klaren Be-
griff, wie von dem Dreieck habe, antworte ich mit Ja;
fragen Sie mich aber, ob ich von Gott eine so klare
bildliche Vorstellung habe, wie von dem Dreieck, so
antworte ich mit Nein ; denn man kann Gott nicht bild-
lich vorstellen, sondern nur denkend erfassen.'^) Auch
hier halte man fest, dass ich nicht sage, ich erkenne Gott
durchaus; ich kenne nur einige seiner Attribute, nicht
alle und nicht einmal den grössten Theil; aber es ist
gewiss, dass die Unkenntniss der meisten die Kenntuiss
einiger nicht hindert.**^) Als ich die Elemente von
Euklid lernte, so sah ich zuerst ein, dass die drei
Winkel des Dreiecks zwei rechten gleich sind und ich
erkannte diese Eigenschaft des Dreiecks vollständig,
ob ich gleich viele andere noch nicht kannte.
Ueber die Gespenster und Geister habe ich bis jetzt
noch keine verständliche Eigenschaft vernehmen können,
wohl aber Phantasiegebilde, die Niemand verstehen kann.
Wenn Sie sagen, dass hier unten die Gespenster und
Geister (ich folge Ihrer Ausdrucksweise, obgleich mir
unbekannt, dass der Stoff hier unten schlechter ist als
der höhere) aus der feinsten, dünnsten und zartesten
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200 LX. Brief. Von Spinoza an LXI Briel
Substanz bestehen, so scheinen Sie mir von Spinnen-
geweben, von der Luft nnd den Dünsten sn sprechen.
Wenn man sie unsichtbar nennt, so gilt mir dies so
viel, als wenn Sie sagen, was sie nicht sind; nicht
aber, was sie sind. Sie mttssten denn damit andeuten
wollen, dass sie sich nach Belieben sichtbar und un-
sichtbar machen können, und dass es schwer ist, sich
dies bildlich vorzustellen, wie bei allem Unmöglichen.
Das Ansehen von Plato, Aristoteles und So-
k rat es gilt bei mir nicht viel; ich würde mich eher
gewundert haben, wenn Sie Epicur, Demokrit,
Lucrez oder einen andern Vertheidiger der Atome vor-
gebracht hätten, denn es kann nicht auffallen, dass die»
welche geheime Qualitlüten, absichtsvolle Arten, substan-
zielle Formen und viele andere Possen erdacht haben,
auch Gespenster und Geister ausgedacht und geglaubt
haben. Jene haben damit nur das Ansehen von Demo-
krit vermehrt, den sie um seinen Ruhm so beneideten,
dass sie alle seine Bücher, die er mit so viel Beifall
bekannt gemacht hatte, verbrannten.**^) Wollen Sie
diesen Männern glauben, aus welchen Gründen können
Sie dann die Wunder der göttlichen Jungfrau und aller
Heiligen bestreiten, die von so vielen berühmten Philo-
sophen, Theologen und Geschichtsschreibern berichtet
werden, dass auf 100 hier kaum einer dort kommt?
Indess bin ich, geehrter Herr, ausführlicher ge-
worden, als ich gewollt. Ich möchte Sie nicht länger
mit Dingen, die (wie ich weiss) Sie nicht zugestehen,
belästigen; denn Sie folgen andern, von den meinigen
ganz abweichenden Grundsätzen u. s. w.***)
Einundsechzigster Brief (Vom 8. Oktob. 1674).
Von *^') an Splnoza.
Geehrter Herr!
Ich wundre mich immer, dass mit demselben Grunde,
womit die Philosophen die Unwahrheit von Etwas nach-
weisen, sie auch dessen Wahrheit darlegen. So elaubt
Descartes im Anfange seiner Methode, dass die Ge-
wissheit des Verstandes bei allen Menschen gleich sei;
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üeber die Walirheit. Der freie Wille. 201
aber in seinen Meditationen beweist er es. Dies be-
stätigen auch Die, welche Etwas sicher dadurch be-
weisen zu können glauben, dass es von den einzelnen
Menschen für unzweifelhaft angenommen werde.
Doch abgesehen davon, berufe ich mich auf die
Erfahrung und bitte Sie, genau Acht zu geben. Man
wird da finden, dass wenn von Zweien der Eine etwas
bejaht und der Andere verneint und zwar so, dass
Beide sich dessen bewusst sind, was sie sprechen, doch
Beide, trotz ihres Gegensatzes in den Worten, wenn
man ihre Gedanken erwfigt, die Wahrheit (Jeder nach
seiner Auffassung) sprechen. Ich erwähne dies, da es
im gewöhnlichen Leben von ausserordentlichem Nutzen
ist und weil unzählige Streitigkeiten mit den daraus
folgenden Kämpfen durch diese einzige Bemerkung ver-
hindert werden können. Allerdings ist solche Wahrheit
in den Gedanken nicht immer unbedingt wahr, sondern
nur in Beziehung auf das, was in den Gedanken ftir wahr
angenommen wird. Diese Kegel ist so allgemeingültig,
dass sie bei allen Menschen, selbst die Wahnsinnigen
und Schlafenden nicht ausgenommen, angetroffen wird;
denn Alles, was diese nach ihrer Angabe sehen oder ge-
sehen haben (wenn es auch uns selbst nicht so erscheint),
verhält sich unzweifelhaft auch wirklich so.'^) Man sieht
dies am deutlichsten an dem aufgestellten Falle mit dem
freien Willen. Sowohl der, welcher dafür, wie der,
welcher dagegen streitet, scheint mir wahr zu sprechen,
nämlich nach seiner Auffassung von der Freiheit. So
nennt Descartes das frei, was von keiner Ursache ge-
zwungen wird, Sie dagegen, was von keiner Ursache zu
Etwas bestimmt wird. Ich gebe deshalb mit Ihnen zu,
dass wir in allen Dingen von einer bestimmten Ur-
sache zu Etwas bestimmt werden und in diesem Sinn
keinen freien Willen haben; allein ich nehme auch
wieder mit Descartes an, dass wir in gewissen Din-
gen (die ich gleich nennen werde), keineswegs ge-
zwungen werden und daher einen freien Willen haben.
Ich nehme mein Beispiel von dem vorliegenden Falle.
Der Stand der Frage ist nämlich ein dreifacher: 1) ob
wir über Dinge ausserhalb unser unbedingt eine gewisse
Macht haben? Dies wird verneint. So ist z. B. das
Schreiben dieses Briefes nicht unbedingt in meiner Ge-
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202 LXI. Brief. Von ...... an Spinoza.
walt, denn ich hätte sicherlich eher geschrieben, wenn
ich nicht durch Reisen oder den Besuch von Freunden
daran gehindert worden w&re; 2) ob wir über die Be-
wegungen unsres Körpers, die von dem Willen abhängig
sind, eine unbedingte Gewalt haben? Ich antworte mit
Einschränkung: Ja, nämlich sofern wir gesund sind;
denn wenn ich gesund bin, kann ich mich immer xu
dem Schreiben wenden, oder nicht wenden; 3) ob, wenn
ich meine Vernunft gebrauchen kann, ich dies durchaus
frei, d h. unbedingt thun kann? Hierauf antworte ich
mit Ja. Denn wer wollte leugnen, wenn er nicht gegen
sein eignes inneres Wissen spricht, warum ich in meinem
Gedanken nicht denken könnte, dass ich schreiben wollte
oder nicht schreiben wollte. Auch rücksichtlich der
äusseren Ausführung habe ich die Macht zu schreiben
oder nicht zu schreiben, weil die äusseren Umstände dies
gestatten (was den zweiten Punkt betrifft), obgleich ich
mit Ihnen anerkenne, dass es Ursachen giebt, die mich
zu dem Schreiben jetzt bestimmen, nämlich weil Sie mir
zuerst geschrieben und gebeten haben, dass ich Ihnen
mit erster Gelegenheit antworten möchte und weil jetzt
eine solche Gelegenheit da ist imd ich sie nicht gern vor-
beilassen mag. Aber ich behaupte auch, auf Grund meines
Selbstbewusstseins, mit Descartes, als gewiss, dass
diese Dinee mich deshalb nicht zwingen und dass ich
trotzdem aas Schreiben unterlassen kann (was wohl Nie-
mand leugnen kann). Wenn wir von äussern Ursachen ge-
zwungen würden, wer könnte da ein tugendhaftes Ver-
halten gewinnen ? j a, alle Bosheit wäre mit dieser Annahme
entschuldigt. Wie oft kommt es nicht vielmehr vor, dass
äussere Umstände uns zu Etwas bestimmen, aber wir Ihnen
doch mit festem und beharrlichem Sinnd widerstehen?
Ich gebe daher noch eine deutlichere Erklärung der
obigen Kegel. Sie Beide, Descartes und Sie, sprechen
nach Ihren Begriffen wahr; aber nach der Wahrheit
schlechthin aufgefasst, ist nur die Meinung von Des-
cartes die richtige; denn Sie nehmen bei Ihrem Begriffe
an, was sehr richtig ist, dass das Wesen der Freiheit
darin besteht, dass wir von keiner Sache bestimmt worden
sind. Dieses angenommen, wird Beides richtig sein, denn
das Wesen jeder Sache besteht in dem, ohne welches
frie nicht einmal vorgestellt werden kann, und dieFreiheit
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Ueber die Freiheit des Willens. 203
kann klar vorgestellt werden, mögen wir auch von
üassem Ursachen in unserm Handeln zu etwas bestimmt
werden, d. h. mögen immer Ursachen bestehen, die
uns anreizen, unsere Handlungen so einzurichten,
«her ohne dies ganz zu bewirken; denn immer ist
damit nicht gesagt, dass wir gezwungen werden. Man
^ehe ausserdem Descartes* Briefe, Band I, Brief 8
und 9, und Band U, Brief 2. Dies mag genug sein.
Ich bitte um Ihre Antwort auf diese Bedenken, u. s. w. ^^)
8. Oktober 1674.
Zweiundsechzigster Brief
(Vom Oktober oder November 1674).
Von Spinoza an Herrn
(Die Antwort auf den vorstehendeii Brief.)
Erfahrner Herr!
Unser Freund J. B.^ schickte mir den Brief,
mit dem Sie mich beehrt haben, sammt dem Ausspruch
Ihres Freundes über meine und des Descartes An-
sicht über die Freiheit des Willens. Beides war
mir höchst angenehm. Leider ist meine Qesundheit
Jetzt etwas schwankend und ich habe auch andere
Abhaltungen; allein Ihre besondere Freundlichkeit und,
was für mich die Hauptsache ist, der Eifer für die
Wahrheit, der Sie erfüllt, nöthigt mich, Ihrem Wunsche
nach meinen schwachen Kräften nachzukommen.
Was nun Ihr Freund will, ehe er sich auf die
Erfahrung beruft und eine besondere Aufmerksamkeit
erbittet, weiss ich nicht. Wenn er dann beifägt : ^ Wenn
^einmal von Zweien der Eine etwas über einen
^Gegenstand bejaht, der Andere aber verneint u. s. w.^
so ist dies richtig, wenn er meint, dass die Beiden,
obgleich sie dieselben Worte gebrauchen, doch über
den Gegenstand verschieden denken, wofür ich früher
unserm Freunde J. R. einige Beispiele mitgetheilt
hiftbe, die er Ihnen auf meine schriftliche Veranlassung
ebenfalls mittheilen soll.
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204 LXII. Brief. Von Spinoza an
Ich wende mich also zu der Definition der Frei-
heit, die er als die meinige angiebt, obgleich ich nicht
weiss, woher er sie genommen hat. Ich nenne nSm-
lich die Sache frei, die ans der blossen Nothwendig-
keit ihrer Natur besteht und handelt und gezwungen
nenne ich die, welche von etwas Anderem zum Dasein
und Wirken in genauer und fester Weise bestimmt
wird. So besteht z. 6. Gott, obgleich nothwendig,
doch frei, weil er nur aus der Nothwendigkeit seiner
Natur allein besteht. Ebenso erkennt Gott sich selbst
und alles Andere frei, weil es aus der Nothwendigkeit
seiner Natur allein folgt, dass er Alles erkennt. Sie
sehen also, dass ich die Freiheit nicht in ein freies
Beschliessen, sondern in eine freie Nothwendigkeit setze.
Doch wir wollen zu den erschaffenen Dingen herab-
steigen, welche sämmtlich von äussern Ursachen be-
stimmt werden, in fester und genauer Weise zu bestehen
und zu wirken. Um dies deutlicher einzusehen, wollen
wir uns eine ganz einfache Sache vorstellen. So er-
hält z. B. ein Stein von einer äusseren, ihn stossenden
Ursache eine gewisse Menge von Bewegung, mit der
er nachher, wenn der Stoss der äussern Ursache auf-
gehört hat, nothwendig fortfährt, sich zu beweeen.
Dieses Beharren des Steines in seiner Bewegung ist des-
halb ein erzwungenes und kein nothwendiges, •") weil es
durch den Stoss einer äussern Ursache definirt werden
muss. Was hier von dem Stein gilt, gilt von jeder andern
einzelnen Sache, *'")undmag sie noch so zusammengesetzt
und zu Vielem geeignet sein, nämlich, dass jede Sache
nothwendig von einer äussern Ursache bestimmt wird,
in fester und genauer Weise zu bestehen und zu wirken.
Nehmen Sie nun, ich bitte, an, dass der Stein,
während er sich bewegt, denkt und weiss, er bestrebe
sich, soviel er kann, in dem Bewegen fortzufahren. Dieser
Stein, der nur seines Strebens sich bewusst ist ond
keineswegs gleichgültig sich verhält, wird glauben, dass >
er ganz frei sei und, dass er aus keinem andern Grunde I
in seiner Bewegung fortfahre, als weil er es wolle. Dies j
ist aber jene menschliche Freiheit, die alle zu besitzen
behaupten und die nur darin besteht, dass die Menschen
ihres Begehrens sich bewusst sind, aber die Ursachen,
von denen sie bestimmt werden, nicht kennen. So glaubt
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Ueber Freiheit und Notfawendigkeit. 205
das Kind, dass es die Milch frei begehre und der zornige
Knabe, dass er frei die Rache verlange und der Furcht-
same die Flucht. Femer glaubt der Betrunkene, dass
er nach freiem Entschluss dies spreche, was er, wenn
er nüchtern geworden, gern nicht gesprochen hätte;
Und da dieses Vorurtheil allen Menschen angeboren ist,
so kann man sich nicht leicht davon befreien. Denn
wenn auch die Erfahrung genügend lehrt, dass die
Menschen am wenigsten ihr Begehren massigen können
und dass sie von entgegengesetzten Leiaenschalten
bewegt, das Bessere einsehen und das Schlechtere thun,
so hidten sie sich doch für frei und zwar, weil sie
Manches weniger stark begehren und manches Be-
gehren leicht durch die Erinnerung an Anderes, dessen
man sich oft entsinnt, gehemmt werden kann.'**)
Damit habe ich, glaube ich, meine Ansicht über
die freie und erzwungene Nothwendigkeit und über die
eingebildete Freiheit genügend dargelegt und daraus
ergiebt sich leicht die Antwort auf Ihre und Ihres
IVeundes Einwürfe. Wenn er mit Descartes Den-
jenigen frei nennt, der von keiner äusseren Ursache
gezwungen wird und wenn er unter dem Gezwungenen
Den versteht, der wider seinen Willen handelt, so gebe
ich zu, dass wir in manchen Dingen keineswegs ge-
zwungen werden und in dieser Hinsicht freien Willen
haben. Wenn er aber unter gezwimgen Den versteht,
welcher, wenn auch nicht gegen seinen Willen, doch
nothwendig handelt (wie ich oben ausgeführt), so be-
streite ich, dass wir in irgend einem Falle frei seien.
Ihr Freund behauptet indessen, ^wir könnten uns der
„Vernunft durchaus frei, d. h. unbedingt bedienen^ und
bleibt bei dieser Behauptung fest, um nicht zu sagen, zu
fest. „Denn^, sagte er, „wer sollte, wenn er seinem
„Selbstbewusstsein folgt, bestreiten, dass ich in meinem
„Gedanken denken kann, ich könnte schreiben und ich
„könnte auch nicht schreiben.'' Ich möchte hier gern
wissen, welches Bewusstsein er meint, neben dem, was
ich durch das Beispiel mit dem Steine erlftutert habe. Ich
wenigstens bestreite, wenn ich nicht meinem Bewusstsein,
d. h. meiner Vernunft und Erfahrung widersprechen und
Vorurtheile und Unwissenheit unterstützen soll, dass ich
aus einer unbedingten Macht des Denkens denken kann,
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206 LXn. Brief. Von Spinoza an
dass ich schreiben will and dass ich es nicht will.
Ich berufe mich auf sein eignes Bewusstsein, da er
gewiss erfahi-en hat, wie er im Traiune keine Macht
hat zu denken, er wolle schreiben und er wolle es
nicht; auch hat er, wenn er trfiumt, dass er schreiben
will, nicht die Macht, nicht zu träumen, dass er schreiben
wolle. Auch hat er ebenso gewiss erfahren, dass die
Seele nicht immer gleich ffihig ist, über eine Sache
nachzudenken, vielmehr ist die Seele, je nachdem der
Körper mehr geeignet ist, dass dies oder jenes Bild
eines Gegenstandes in ihm erweckt werde, auch mehr
geeignet, diesen oder jenen Gegenstand zu betrachten.*^^)
Wenn er femer hinzusetzt, dass die Ursachen, wes-
halb er sich zum Schreiben entschlossen, ihn zwar zum
Schreiben angetrieben, aber nicht gezwungen hätten, so
heisst dies nur (wenn Sie die Sache ruhig und un-
parteiisch überlegen), dass seine Seele damals in dem
Zustande war, dass Ursachen, die ihn sonst, wo er in
einer grossen Leidenschaft befangen war, nicht hätten
bewegen können, dies jetzt leicht yermocht hätten,
d. h. dass Ursachen, die ihn in andern Fidlen nicht
hätten zwingen können, jetzt gezwungen haben und
zwar nicht gegen seinen Willen zu schreiben, sondern,
dass er nothwendig verlangte zu schreiben.'")
Wenn er femer sagt: ^dass, wenn wir von äussern
„Ursachen gezwungen werden. Niemand ein tugend-
„haftes Verhalten gewinnen könne^, so weiss ich nicht,
wer ihm gesagt hat, dass er durch Schicksalsnoth-
wendigkeit nicht, sondern nur durch freien Willens-
entschluss festen und beharrlichen Sinnes sein könne.
Wenn er endlich bemerkt: „dass mit dieser Au-
fnahme alle Bosheit entschuldbar sei^, was folgt daraus?
Die bösen Menschen sind ja nicht weniger zu fürchten
und nicht weniger eefUhrlich, wenn sie aus Noth-
wendigkeit böse sina.*^*) Hierüber können Sie ge-
fälligst Theil II, Kap. 8 meines Anhanges zu dem
ersten und zweiten Buch der geometrisch begründeten
Prinzipien des Descartes nachsehen.
Ich möchte endlich, Ihr Freund, der mir dies vorhält,
antwortete mir, wie er die menschliche Tugend, die aus
dem freien Willensentschluss hervorgeht, mit Gattes Vor-
herbestimmung vereinige. Wenn er mit Descartes ein-
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Die richtige Leitung der Vernunft. 207
räumt, dass er dies nicht yermöge, so sucht erjadea
Spiess, der ihn schon durchbohrt hat, gegen mich zu
schwingen; Aber vei^eblich, denn wenn Sie meine
Absicht aufmerksam prüfen wollten, würden Sie sehen,
dass Alles übereinstimmt u. s. w.
Dreiundsechzigster Brief (Vom 5. Jan. 1675).
Von Herrn an Spinoza.
Vortrefflicher Herr!
Wann werden wir Ihre Schrift erhalten, worin
Sie Ihr Verfahren zur richtigen Leitung der Vernunft
bei Gewinnung der Erkenntniss unbekannter Wahr-
heiten sammt dem allgemeinen Theil der Physik dar-
stellen?*^') Ich weiss, dass Sie schon weit darin ge-
kommen sind; schon früher war mir dies bekannt und
später habe ich es aus den Lehrsätzen, die dem Buch
2 der Ethik beigefügt sind, ersehen. Damit lassen
sich viele Schwierigkeiten in der Physik heben. Wenn
Sie Zeit und Gelegenheit haben, so bitte ich Sie er-
gebenst um die wahre Definition der Bewegung, '^^)
wie um deren Erläuterung und auf welche Weise man,
da die Ausdehnung, an sich aufgefasst, untheilbar,
unveränderlich u. s. w. ist, geradeaus beweisen kann,
dass so viele Unterschiede haben entstehen können
und folgeweise auch, dass die Theilchen eines Körpers
eine Gestalt haben, welche in jedem Körper ver>
schieden und anders ist als die Gestalten der
Theilchen welche die Form eines andern Körpers
bilden? Jetzt haben Sie mir das Verfahren angegeben,
dessen Sie sich bei Aufsuchung noch unbekannter
Wahrheiten bedienen. *") Ich finde, dass dieses Ver-
fahren vorzüglich und dabei sehr leicht ausführbar
ist, soweit ich es verstanden habe, und ich kann ver-
sichern, dass ich durch diesen einzigen Umstand
grosse Fortschritte in der Mathematik gemacht habe.
Deshalb möchte ich, dass Sie mir die wahre Defini-
tion der zureichenden, wahren, falschen, ein-
gebildeten und zweifelhaften Vorstellungen mit-
theilten. Ich habe nach dem Unterschied zwischen
der zureichenden und wahren Vorstellung gesucht,
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208 LXIIL Brief: Von an Spinoza.
aber bis jetzt nichts finden können, als dass, wenn ick
eine Sache untersachte and einen festen Begiiff oder
Vorstellung, dass, sage ich (um weiter zu prüfen, ob
diese wahre Vorstellung auch die zureichende Vor-
stellung einer Sache sei) ich mich fragte, was die Ur-
sache dieser Vorstellung oder dieses Begriffes sei;
nachdem ich diese erkannt, fragte ich von Neuem,
was die Ursache dieses Begriffes sei und so habe ich
immer fortgefahren, die Ursachen von den Ursachen
der Vorstellungen aufzusuchen, bis ich eine solche
erreichte, von der ich keine andere Ursache finden
konnte, als dass unter allen möglichen Vorstellungen,
die ich in mir habe, diese eine auch aus ihnen
besteht. Wenn man z. B. fragt, worin der wahre
Ursprung unsrer Irrthümer bestehe, so vrird Des-
carte s antworten, darin, dass man Dingen xu-
stimmt, die noch nicht klar erfasst sind. Allein ge-
setzt, ich habe die wahre Vorstellung eines Gegen-
standes, so werde ich doch nicht Alles hier zur £r-
kenntniss desselben Nothwendige bestimmen können,
wenn ich auch die zureichende Vorstellung dieses Ge-
genstandes erlangt habe. Um nun diese zu erlangen,
suche ich wieder nach der Ursache dieses Begriffes,
weshalb es nftmlich kommt, dass man noch nicht klar
eingesehenen Dingen zustimmt und ich antworte, dass
dies aus dem Mangel der Kenntniss komme. BQer
kann ich aber nun nicht weiter zurückgehen und die
Ursache suchen, weshalb wir Etwas nicht wissen und
so sehe ich, dass ich die zureichende Ursache unsrer
Irrthümer gefunden habe.
Hier bitte ich Sie indess um Auskunft, ob, da be-
kanntlich viele, auf unendlich viele Weise ausge-
drückte Dinge ihre zureichende Vorstellung haben und
aus jeder zureichenden Vorstellung, was man von der
Sache wissen kann, entwickelt werden kann, obgleich
aus einer leichter als aus der andern, ob es ein Mittel
giebt, um zu erkennen, welche zureichende Vorstell-
ung am besten dazu geeignet ist. Wenn z. B. die
zureichende Vorstellung des Kreises in der Gleichheit
der Halbmesser besteht, so besteht sie doch auch in
der Gleichzeit der unzähligen rechtwinkligen Vier-
ecke, die ans den Abschnitten zweier sich kreu-
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Die wahre and die zureicheade Vorstellung. 209
ssenden Linien im Kreise entstehen; und so hat
der Kreis noch unzählig viele Ausdrucks weisen,
von welchen jede die zureichende Natur des Kreises
darlegt. Wenn mfin auch aus jeder alles Andere ab-
leiten kann, was über den Kreis gewusst werden kann,
so geschieht dies doch aus der einen weit leichter
als aus der andern.
So kann man auch, wenn man auf die Appli-
caten^^ ^) der krummen Linien achtet, Vieles in Betreft
deren Ricntungen ableiten, aber leichter geschieht dies,
wenn man die Tangenten betrachtet. Damit habe ich
auch zeigen wollen, wie weit ich in dieser Untersuchung
schon gekommen bin. Ich erwai-te von Ihnen deren
Abschluss, oder Berichtigung, wo ich geirrt und auch
die erbetene Definition. Leben Sie wohl. *^^)
D., den 5. Januar 1675.
Vierundsechzigster Brief (Vom Januar 1675).
Von Spinoza an Herrn
(Die Antwort auf den vorstehenden Brief)
Hochgeehrter Herr!
Unter einer wahren und einer zureichenden Vor-
stellung erkenne ich nur den Untschied an, dass das
Wort: wahr sich nur auf die Uebereinstimmung der
Vorstellung mit ihrem Gegenstände, das Wort: zu-
reichend sich auf die Natur der Vorstellung an sich
bezieht. Deshalb liegt der Unterschied beider nur in
der äussern Beziehung. Um aber zu wissen, aus
welcher Vorstellung von den vielen Vorstellungen
einer Sache alle Eigenschaften derselben abgeleitet
werden können, so halte ich nur das Eine fest, dass
diese Vorstellung oder Definition der Sache die wir-
kende Ursache ausdrücken muss. So frage ich z. B.
behufs Erforschung der Eigenschaften des Kreises
nur, ob ich aus der Vorstellung des Kreises, wonach
er unzählige gleiche Kechtecke enthält, alle seine
Eigenschaften ableiten kann; ich sage, dass ich er-
mittle, ob diese Vorstellung die zureichende Ursache
des Kreises enthält und wenn dies nicht der Fall ist,
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210 LXIV. Brief. Von Spinoza an Herrn
finche ich eine andere; nftmlich die, dass der Kreis
ein Ranm ist, beschrieben von einer Linie, deren
eines Ende fest und das andere beweglich ist. Diese
Definition enthält die bewirkende Ursache und des>
halb weiss ich, dass ich alle Eigenschaften des Krei-
ses daraus ableiten können. Ebenso werde ich, wenn
ich Gott als das höchst vollkommene Wesen definire,
da diese Definition nicht die wirkende Ursache aus-
drückt (ich verstehe nämlich unter wirkender Ursache
sowohl die innere wie die äussere), auch nicht alle
Eigenschaften Gottes daraus entnehmen können; wohl
aber, wenn ich Gott als ein Wesen definire u. s. w.;
man sehe die Def. 6, Th. 1 der Ethik. "*)
Das Uebrige in Betreif der Bewegung und de»
Verfahrens behalte ich mir zu einer andern Gele-
genheit vor, da ich es noch nicht in die nöthige Ord-
nung gebracht habe.
Wenn Sie über die krummen Linien sagen,
dass aus den Applicaten derselben Vieles über deren
Richtung abgeleitet werden könne, dass aber dies
leichter durch Betrachtung ihrer Tangenten geschehe,
so bin ich vielmehr der Ansicht, dass bei Betrachtung
der Tangenten auch vieles sich schwerer wird ableiten
lassen als durch Betrachtung der Applicaten, und ich
meine, dass aus bestimmten Eigenschaften einer Sache
(bei jedweder gegebenen Vorstellung derselben). Man-
ches leichter, Anderes schwerer aufgefrinden werden
kann (was jedoch Alles zur Natur des Gegenstandes
gehört); aber das ist zu beobachten, dass man eine
solche Vorstellung sucht, aus der Alles entwickelt
werden kann, wie ich oben gesagt habe; *'*) denn
wenn man alles Mögliche aus einer Sache ableiten
will, so folgt nothwendig, dass die letzten Folgerungen
schwieriger sein werden, als die vorhergehenden; u. s. w.
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Attribate; uaeadiiclie Maassgaben. 211
Pünfundaechzigster Brief (Vom 25. Juli 1675).
Von Herrn an Spinoza« '-^^ ^)
Vortrefflicher Herr!
Ich bitte Sie ernstlich, die hier folgenden Bedenken
za lösen und Ihre Antwort darauf mir gefälligst zu8;ehen
2u lassen. Ich bitte um einen direkten Beweis, nicht um
einen8olchen,derbloszuUnmöglichkeitenfUhrt,l)darttber,
ob wir mehr Attribute von Gott als die Ausdehnung
und das Denken erkennen können? Ob daraus folgt, dass
Geschöpfe, die aus andern Attributen bestehen, die
Ausdehnung nicht enthalten können? Es würde daraus
sich ergeben, dass es so viel Welten geben muss, als
Attribute Gottes. Von so grosser Ausdehnung z. B.
unsre Welt bestände, von ebenso grosser Ausdehnung
müssten auch die mit andern Attributen versehenen
Welten sein; sowie wir aber ausser dem Denken nur
an der Ausdehnung Theil haben, so würden auch die
Geschöpfe jener Welten nur an den Attributen ihrer
Welt und an dem Denken Theil nehmen.
2) Kann, da Gottes Verstand, seinem Wesen und
Dasein nach, von dem unsrigen verschieden ist, er mit
dem unsrigen nichts gemein haben und deshalb kann
(nach Lehrs. 3, Th. I. der Ethik) Gottes Verstand
nicht die Ursache des unsrigen sein.
3) Sagen Sie in der Erläuterung zu Lehrs. 10, Th. I.
der Ethik. „Nichts sei klarer in der Natur, als dass
^edes Ding unter einem Attribute aufgefasst werden
^miisse (was ich durchaus verstehe), und dass, je mehr
^es Realität oder Sein habe, um so mehr Attribute
„ihm zukommen müssen.^ Hieraus scheint zu folgen,
dass es Din^e giebt, die drei, vier und noch mehr
Attribute haben, wenn man aus dem Bewiesenen nicht
zu folgern hat, dass jedes Ding nur aus zwei Attributen
bestehe, nämlich aus einem bestimmten Attribute Gottes
und aus der Vorstellung dieses Attributs.
4) Möchte ich gern eiuige Beispiele von dem haben,
was von Gott unmittelbar hervorgebracht worden und
von dem, was vermittelst einer unendlichen Kodi-
Spin OS ft, Briefe. 15
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212 LXVL Brief. Von Spinoza an
n c a t i 0 n berroreebracht wird. Zu ersterein gehört wohl
das Denken und die Ausdehnung, zu letaterem der
Verstand bei dem Denken und die Bewegung bei der
Ausdehnung.
Dies ist es, was ich von Ihnen, wenn Ihre Zeit
es gestattet, erbitte. Leben Sie wohl u. s. w. ^
Den 25. Juli 1675.
SechBundsechzigster Brief (Vom 29. Juli 1675).
Von Spinoza an Herrn
(Die Antwort auf den Yorstehenden Brief.)
Erfahrener Herr!
Ich freue mich, dass Sie endlich die Gelegenheit
hatten, mich mit einem Brief zu stärken, der mir immer
höchst angenehm ist, so dass ich bitte, recht fleissig
damit fortzufahren.
Ich wende mich zu Ihren Zweifeln und sage in Be-
treff des ersten, dass die menschliche Seele nur jene
Kenntniss erlangen kann, welche die Vorstellung ihres
wirklich bestehenden Körpers einschliesst, oder die ans
dieser Vorstellung abgeleitet werden kann. Denn jedes
Dinges Macht wird nur durch sein Wesen bestimmt
^nach Lehrs. 7, Th. HI der Ethik); das Wesen der Seele
(nach Lehrs. ld,Th. II. der Ethik) besteht aber nur darin,
dass sie die Vorstellung ihres wirklich bestehenden Körpers
ist. Deshalb erstreckt sich der Seele Kraft, einzusenen^
nur auf das, was diese Vorstellung ihres Körpers in sieh
enthält, oder was aus ihr folgt. Diese Vorstellung des
Körpers schliesst aber nur Oottes Attribute der Ausdeh-
nung und des Denkens ein. Denn ihr Gegenstand, der
Körper (nach Lehrs. 6, Th. 11.), hat Gott zur Ursache,
insofern er unter dem Attribute der Ausdehnung und
nicht unter einem andern aufgefasst wird und deshalb
(nach Gr. 6,Th. I.) schliesst diese Vorstellung des Körpers
oie Erkenntniss Gottes ein, soweit er nur unter dem
Attribute der Ausdehnung aufgefasst wird. Femer hat
diese Vorstellung, soweit sie ein Zustand des Denkens ist^
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Attribute Gottes; Beine Ursächlichkeit 213
Oott auch (nach demselben Lefanats) cur Ursache, soweit
er ein denkendes Wesen ist und nicht, soweit er unter
einem andemAttribut auf gef asst wird und deshalb sohliesst
die Vorstellung dieser Vorstellung (nach demselben Gr.)
die Erkenntniss Gottes ein, soweit er unter dem Attribut
des Denkens und nicht eines andern aufgefasst wird. Es
erhellt also, dass die menschliche Seele oder die Vor-
stellung des menschlichen Körpers keine Attribute weiter
als diese zwei einschliesst una ausdrückt. Auch kann
aus diesen beiden Attributen und deren Bestimmungen
kein andres Attribut Gottes (nach Lehrs. 16, Th. L) ge-
folgert, noch begriffen werden. Und daraus schliesse ich,
dass die menschliche Seele nur diese beiden Attribute
erkennen kann, wie auch der Sats aufgestellt worden
ist. '^ Wenn Sie aber noch fragen, ob deshalb so viel
Welten, als es Attribute giebt, anzunehmen sind, so sehen
SieErl. zu Lehrs. 7, Th. &. der Ethik nach."*) üebrigens
konnte dieser Satz noch leichter durch Führung des
Gegners zu dem Widersinnigen bewiesen werden und ich
ziehe diese Beweisart, wenn der Lehrsatz verneinend ist,
der andern vor, weil sie mit der Natur des Aehnlichen
mehr übereinstimmt. Allein Sie wünschen nur positive
Beweise und so gehe ich zu dem Andern über, wo Sie
fragen, ob Etwas von etwas Anderm, das in seinem Wesen
wie in seinem Dasein ganz verschieden von ihm ist, her-
vorgebracht werden könne, da, was so verschieden ist,
nichts Gemeinsames zu haben scheine. Allein jedes
Einzelne ist, abgesehen von dem, was durch sein Aehn-
liches hervorgebracht wird, sowohl dem Wesen wie dem
Dasein nach von seiner Ursache verschieden und ich sehe
deshalb keinen Grund zu Zweifeln. *•*)
In welchem Sinne ich aber es verstehe, dass Gott
die wirkende Ursache der Dinge, sowohl nach ihrem
Wesen, als nach ihrem Dasein ist, dass habe ich wohl
genügend in der Erläuterung und dem Zusatz zu
Lehrs. 25, Th. I. der Ethik dargelegt «")
Den Grundsatz der Erläuterung zu Lehrs. 10,
Th. L bilden wir, wie ich am Ende der Erläuterung
Imgedeutet habe, aus der Vorstellung, die wir von
dem unbedingt unendlichen Wesen haben und nicht
davon, dass es Dinge giebt oder geben könnte, welche
drei, vier und mehr Attribute haben.
Digitized bl^OOgle
214 LIVU. Brief. Von .... aa Spinoza.
Endlich sind die von Ihnen erbetenen Beispiele
sEur ersten Art bei dem Denken: »Der schlechthin un-
endliche Verstand^ und bei der Ansdehnnng: ,,Die
Bewegung und die Ruhe;^ von der s weiten Art ist
ein Beispiel: ^Die Gestalt des ganaten Weltalls^, was,
obgleich es auf unendliche Weise wechselt, doch
immer dasselbe bleibt.**^) Man sehe Erl&utenmg au
Lohns. 7 vor dem Lehrs. 14, Th. IL der Ethik.
Hiermit glaube ich, geehrter Herr, auf Ihre und
Ihres Freundes Einwürfe geantwortet zu haben; sollte
aber noch ein Bedenken bei Ihnen bestehen bleiben,
so bitte ich es mir gefölligst mitsutheilen, um es eben-
falls, wenn ich es vermag, au beseitigen. Leben Sie
wohl u. s. w.
Im Haag, den 29. Juli 1675.
Siebenundsechzigster Brief
(Vom 12. August 1675.)
Von an Spinoza.
Berühmter Mann!
Ich erbitte mir einen Beweis für Ihren Satz, dass die
Seele nur die Attribute der Ausdehnung und des Denkens
von Oott erfassen kann. Obgleich ich dies deutlich ein-
sehe, so scheint mir doch das Gregentheil aus Erlfiutemng
zu Lehns. 7, Th. II. der Ethik zu folgen; indess vielleicht
nur deshalb, weil ich den Sinn dieser Erlftuterung nicht
recht erfasse. Ich habe deshalb mich entschlossen, die
Art und Weise, wie ich dies ableite, klar darzulegen und
bitte Sie, berühmter Mann, inständig, mich mit l£rer ge-
wohnten Freundlichkeit zu unterstützen, wo ich Ihre
Meinung nicht recht gefasst haben sollte. Es verhült sich
nun so: Wenn ich auch daraus folgere, dass es nur eine
Welt ^ebt, so ergiebt sich doch auch dies klar daraus,
dass sie auf unendliche Weise ausgedrückt ist und dass
deshalb auch jede einzelne Sache auf unendliche Webe
ausgedrückt ist. Daraus scheint zu folgen, dass jene
Mo£fication, welche meinen Körper ausdrückt, wenn sie
auch nur eine Modification ist, doch auf unzählige Weisen
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unendliche Modificationen. Vielheit der Attribute. 215
ausgedrückt ist; einmal durch das Denken, dann durch
die Ausdehnung, drittens durch ein mir unbekanntes
Attribut Gottes und so fort ohne Ende, weil die
Attribute Oottes unzählig sind und die Ordnung und
Verbindung der Modificationen in allen dieselbe sein soll.
Hier entsteht nun schon die Frage, weshalb die Seele,
welche eine gewisse Modification darstellt und welche
Modification nicht blos durch die Ausdehnung, sondern
durch unendlich viele andere Weisen ausgedrückt ist,
weshalb, sage ich, die Seele nur die durch die Aus-
dehnung ausgedrückte Modification, d. h. den mensch-
lichen Körper, aber keinen Ausdruck durch andere
Attribute auffasst?
Indess erlaubt mir die Zeit nicht, dies weiter bu
verfolgen und vielleicht können alle diese Zweifel
durch häufiges Nachdenken gehoben werden.***)
London, den 12. August 1675.
Achtundsechzigster Brief
(Vom 18. August 1675.)
Von Spinoza an
(Die Antwort auf den vorstehenden Brief.)
Hochgeehrter Herr !
Um übrigens auf Ihren Einwurf zu ant-
worten, so sage ich, dass zwar jede Sache in dem un-
endlichen Verstände Gottes auf unendlich viele Weisen
ausgedrückt ist; aber deshalb können iene unzähligen
Vorstellungen, durch die sie ausgedrückt werden, nicht
ein und dieselbe Seele der einzelnen Sache bilden,
sondern unzählig viele Seelen; denn jede dieser un-
zlüiligen Vorstellungen hat mit den andern keine Ver-
bindung, wie ich in derselben Erläuterung zu Lohns.
7, Th. IL der Ethik dargelegt habe und aus Lehrs.
10, Th. I. erhellt. Wenn Sie hierauf ein wenig Acht
haben, werden Sie keine Schwierigkeiten mehr an-
treffen; u. s. w.»*«)
Im Haag, den 18. August 1675.
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216 LXIX. Brief. Von aa SjMnosa. LXX. Brief.
Neunundseckzigster Brief (Vom 2. Mai 1676.)
Von an Sj^noza.
Berühmter Mann!
Zunüchst kann ich nur schwer begreifen,
was Ton dem früheren Dasein der Körper bewiesen
wird, welche Bewegung und Gestalt haben; denn in
der Ausdehnung, wenn man die Sache schlechthin be-
trachtet, kommt der Art nichts Tor. *") Sodann mochte
ich Ton Ihnen darüber belehrt werden, wie man die
Stelle über das Unendliche in Ihrem Brief rerstehen
soll, wo Sie saeen: „Aber sie schliessen nicht, dass
^dergleichen alle Zahl durch die Menge der Theüe
,iübersteigt.'''^) Mir scheinen nftmlich alle Mathematiker
Ton dergleichen Unendlichen immer zu beweisen, dass
die Zahl der Theile so gross ist, dass sie alle angeb-
bare Zahl übersteigen und in dem daselbst heige-
brachten Beispiel von den atwei Kreisen scheinen Sie
selbst dies nicht zu behaupten, was Sie doch unter-
nommen hatten. Denn Sie zeigen da nur, dass die
Kreise dies Unendliche nicht wegen der übermässigen
Grösse des zwischen ihnen befindlichen Raumes ent-
halten, oder weil wir kein Grösstes und Kleinstes hier
hXtten. Allein Sie beweisen nicht, wie Sie wollten,
dass die Kreise das Unendliche nicht von der Menge
der Theile haben; u. s. w.*~)
Den 2. Mai 1676.
Siebzigster Brief (Vom 5. Mai 1676).
Von Spiaoza an
(IMe Antwort auf den Torttehenden Brief.)
Hochgeehrter Herr!
Das, was ich in meinem Briefe von dem Unend-
lichen gesagt habe, dass die Kreise n&nlich die Unend-
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Die üneadlichkeit. Wie das Endliche wird. 217
lichkeit der Theile nicht in Folge der Menge der Theile
enthalten, erhellt daraas, dass, wenn die Unendlichkeit
ans deren Menge abgeleitet würde, man keine grössere
Menge der Theile sich vorstellen könnte, vielmehr
müsste deren Menge grösser als jede gegebene sein,
was aber falsch ist; aenn in dem ganzen Zwischen-
raam sweier Kreise mit verschiedenen Mittelpunkten
stellt man sich noch einmal so viel Theile als in dessen
Hftlfte vor, and dennoch ist die Zahl der Theile so-
wohl bei der Hälfte wie bei dem ganzen Zwischen-
raum grösser, als jede angebliche Zahl.***^) Femer ist
es, wie Sie sagen, nicht blos schwer, sondern unmög-
lich, aus der Ausdehnung, wie Descartes sie auffasst,
nftmlich als eine ruhende Masse, das Dasein der Körper
zu beweisen. Denn ein ruhender Stoff wird, soweit
es von ihm abh&ngt, in seiner Ruhe verharren; er
kann nur von einer Äussern Ursache zur Bewegung
gebracht werden und deshalb habe ich früher nicht
augestanden, zu behaupten, dass die Prinzipien des
Descartes über die natürlichen Dinge unnütz, wenn
nicht widersinnig seien. '^*)
Im Haag, den 6. Mai 1676.
Einundsiebzigster Brief (Vom 23. Juni 1676).
Von an Spinoza.
Gelehrter Herr!
Ich möchte, dass Sie mir gefälligst angäben, wie aus
dem Begriffe der Ausdehnung nach Ihrer Auffassung die
Mannichfaltigkeit der Dinge geradeaus bewiesen werden
kann. Sie werden sich des Ausspruchs von Descartes
entsinnen, wo er sagt, dass er sie in keiner andern Weise
daraus ableiten könne, als durch Annahme einer von Oott
gewirkten Bewegung, welche dies in der Ausdehnung be-
wirkt habe. Danach leitet er also, nach meiner Auffass-
uog, das Dasein der Körper nicht von dem ruhenden
Stoffe ab, wenn man nicht etwa die Annahme eines be-
wegenden Oottes fär Nichts gelten lassen will; zumal da
von Ihnen nicht gezeigt worden, wie dies aus dem Wesen
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218 LXXI. Brief. Von an Spinoza.
Gottes geradezu nothwendig folgt und da Descartes
flanbte, dass dieser Beweis die menschliche Fassnngs-
raft Übersteige. Deshalb erbitte ich mir dies von
Ihnen, da ich wohl weiss, dass Sie hierüber anders
denken nud da hoffentlich kein anderer gewichtiger
Grand Sie von der Veröffentlichung desselben znrück-
hftlt; denn wenn dies der Fall gewesen w&re, so würden
Sie unzweifelhaft dergleichen nicht dunkel angedeutet
haben. Seien Sie jedoch Überzeugt, dass, mögen Sie mir
offen Etwas mittheilen oder verhehlen, meine Anhäng-
lichkeit an Sie unverändert bleiben wird.***)
Der Grand, weshalb ich dies besonders erbitte, ist,
weil ich in der Mathematik immer bemerkt, dass wir aus
jeder Sache an sich betrachtet, d. h. aus der Definition
derselben, nur eine einzige Eigenschaft ableiten können ;
um mehr Eigenschaften zu erlangen, müssen wir die
Sache auf Anderes beziehen, dann entstehen aus der Ver-
bindung der Definitionen dieser Sachen neue Eigenschaf-
ten. Vr eun ich z. B. den Umring des Kreises allein be-
trachte, so kann ich nichts anderes folgen, als dass er über-
all gleichförmig sich ähnlich ist und durch diese Eigen-
schaft unterscheidet er sich allerdings wesentlich von an-
dern krummen Linien ; aber ich kann keine weiteren Eigen-
schaften daraus ableiten. Wenn ich aber diese Eigen-
schaft auf Anderes beziehe, nSmlich auf die aus dem
Mittelpunkt gezogenen Halbmesser, oder auf zwei sich
innerhalb des Kreises schneidende Linien, oder auch auf
Anderes, so vermag ich noch mehr Eigenschaften daraus
abzuleiten. Dies scheint allerdings gewissermassen dem
Lehrs. 16 der Ethik zu widersprechen, welcher der wich-
tigste im Th. I. Ihrer Abhandlung ist, wo als bekannt an-
genommen wird, dass aus der gegebenen Definition jeder
Sache mehrere Eigenschaften abgeleitet werden können;
allein mir scheint dies unmöglich, wenn die definirte
Sache nicht auf etwas Anderes bezogen wird. Daher
kommt es auch, dass ich nicht einsehen kann, wie aus
einem Attribute, an sich allein betrachtet, z. B. aus der
Ausdehnung, die unendliche Manhichfaltigkeitder Körper
hervorgehen kann. Sollten Sie Aber meinen, dass oaes
allerdings nicht aus einem allein betrachteten, sondern
iaiis allen zugleich aufgefassten gesch eben könne,so möchte
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Attribni Definitioii. 219
icli darüber, und wie dies zu verstehen ist, von Ihnen
belehrt werden. Leben Sie wohl n. s. w.
Paris, den 23. Juni 1676.
Zweiundsiebzigster Brief (Vom 15. Juli 1676.)
Von Spinoza an Herrn
(Die ADtwort auf den Yorstehenden Brief)
Hochgebomer Herr!
Wenn Sie fragen, ob aus dem blossen Begriffe
der Ausdehnung die Mannichfaltigkeit der Dinge grade-
Aus bewiesen werden könne, so glaube ich schon klar
dargelegt zu haben, dass dies unmöglich ist. Deshalb
wird der Stoff von Descartes unrichtig durch die
Ausdehnung definirt, er muss vielmehr nothwendir
durch ein Attribut erklärt werden, das eine ewi^e und
unendliche Wesenheit ausdrückt. Indess werae ich
vielleicht hierüber mit Ihnen, wenn mein Leben aus-
hfilt, deutlicher verhandeln, da ich bis jetzt hierüber
nichts in geordneter Weise habe abfassen können.'*^)
Wenn Sie dann bemerken, dass man aus der De-
finition irgend einer Sache, an sich betrachtet, nur
eine einzige Eigenschaft abzuleiten vermöge, so gilt
dies vielleicht für die einfachsten Dinge oder ftlr die
Gedankendinge (zu denen ich auch die Figuren rechne),
aber nicht fHr die wirklichen. Denn daraus allein,
dass ich Gott als ein Wesen definire, zu dessen Wesen
das Dasein gehört, folgere ich mehrere seiner £igen«
Schäften, z. B. dass er nothwendig besteht, dass er
ein einziger ist, dass er unveränderlich ist, unendlich
u. 8. w., und so könnte ich noch mehrere Beispiele
anführen, was ich jedoch jetzt unterlasse.'**)
Endlich bitte ich Sie zu ermitteln, ob die Abhand-
lung von Dr. Huet'*^) (nämlich gegen die theologisch-
politische Abhandlung), von der Sie früher geschrieben
haben, ans licht gekommen ist und ob Sie mir ein
Exemplar tibersenden können. Femer, ob die neuen
Entdeckungen über die .Zurückwerfang der Strahlen
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220 TiXXTTT. Brief. Von A. Burgh an Spinosa.
Ihnen sehon bekannt geworden sind? Damit leben
Sie wohl, hoehgebomer Herr, und bewahren Sie Ihre
Zuneigung u. s. w.
Im Haag, den 15. Juli 1676.
Dreiundsiebzigater Brief (Vom 10. Sept. 1675).
Von Albert Burgh**^) an Spinoza.
Meinen Oruss vorausgeschickt
Ich yersprach Ihnen bei meiner Abreise aus
meinem Vaterlande su schreiben, wenn mir etwas Be*
merkenswerUies auf meiner Reise begegnen sollte.
Da dieser Fall, und zwar in grossem Gie wicht bei mir
eingetreten ist, löse ich mein Versprechen und melde
Ihnen, dass ich durch Gt>ttes unendliche Barmhersig-
keit in die Katholische Kirche surttokgelührt und deren
IGtglied geworden bin. Wie dies gekommen ist, werden
Sie aus der Schrift, die ich dem berühmten und er-
fahrnen Herrn Dr. Crfinenus, Professor in Leyden,**')
gesandt habe, näher ersehen können; ich füee deshalb
hier nur das bei, was auf Ihren Vortheil sich beiieht
Je mehr ich Sie früher wegen der Feinheit und
des Scharfsinnes Ihres Geistes bewundert habe, desto
mehr beweine und beklage ich Sie jetat; denn Sie
sind ein geistreicher Mann und haben von Gott einen
mit ^lausenden Oaben gelierten Verstand empfangen;
Sie lieben die Wahrheit selbst mit Heftigkeit; aber
Sie lassen sich von dem elenden und stolsesten
Herrn der bösen Geister irreleiten und betrügen. Denn
was ist Ihre ganze Philosophie Anderes, als eine reine
Täuschung und Chimäre? und dennoch bauen Sie
darauf nicht blos die Buhe Ihrer Seele in diesem
Leben, sondern auch das ewige Heil derselben. Sehen
Sie doch, auf welchen elenden Grund alle Ihre Aus-
sprüche sich stützen. Sie belianpten, endlich die wahre
Philosophie gefunden au haben; aber wie wollen Sie
wissen, dass Ihre Philosophie die beste von allen jenen
ist, die einmal in der Welt gelehrt worden sind oder
jetzt gelehrt werden und später noch gelehrt werden
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i
ReligiöB« Einwendungea gegen Sp.'s Lehre. 221
werden? Hftben Sie, um von der Berücksichtigung der
sakünftigen atu schweigen, alle jene alten und neuen
Philosophieen, welche hier und in Indien und aller
Orten auf der ganaen Erde gelehrt werden, geprüft?
Und selbst wenn Sie dies gethan, woher wissen Sie,
dass Sie die beste erwfihlt haben? Sie werden sagen,
meine Philosophie stimmt mit der rechten Vernunft,
die andern widerstreiten ihr; allein alle andern Philo-
sophen, Ihre Schüler ausgenommen, weichen von
Ihnen ab und behaupten von ihrer eignen dasselbe,
was Sie von der Ihrigen und besüchtigen Sie ebenso
der Unwahrheit und des Irrthums, wie sie es mit Jenen
thun. Offenbar haben Sie also, damit die Wahrheit
Ihrer Philosophie einleuchte, besondere Gründe beiau-
bringen, welche den übrigen Philosophen nicht gemein-
sam, sondern blos auf die Ihrige anwendbar sind; oder
Sie müssen zugestehen, dass Ihre Philosophie ebenso
'ingewiss und trügerisch als die der Andern ist.
Ich wende mich jedoch gleich zu Ihrem Buche, dem
Sie jenen göttlichen Titel vorgesetzt haben, **^) und werfe
Ihre Philosophie mit Ihrer Theologie zusammen, da Sie in
Wahrheit dies selbst thun, obgleich Sie mit teuflischer
List vorgeben, die eine sei von der andern verschieden
und habe verschiedene Grundsätze. Ich fahre also so fort.
Sie werden also vielleicht sagen: Andere haben die
heilige Schrift nicht so vielmal als ich gelesen und aus
dieser heiligen Schrift selbst, deren anerkanntes Ansehen
den Unterschied zwischen den christlichen und andern
Völkern der Erde ausmacht, beweise ich meine Ans-
spiüche. Aber wie? Indem ich die klaren Stellen an die
dunkeln halte, erkläre ich die Schrift und aus dieser
meiner Auslegung bilde ich meine Sätze oder Beläge, oder
bestätige die schon vorher in meinem Gehirn gebildeten
Sitze. Ich beschwöre Sie aber, ernstlich zu bedenken,
WAS Sie sagen: Woher wissen Sie denn, dass Sie besagte
Yergleichung gut ausführen und dass diese Vergleich ung,
8 albst wenn sie recht geschehen ist, zur Auslegung der
heiligen Schrift ausreicht und dass Sie also die Auslegung
der heiligen Schrift recht beginnen? Zumal da die
Katholiken sagen und es durchaus wahr ist, dass das
Wort Gottes nicht ganz in Schriften überliefert sei und
daher die heilige Schrift nicht durch die heilige Schrift
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222 hXXm. Brief. Von A. Burgh an Sfünoea.
allein erklärt werden k^nne; nnd swar nicht blos nicht
von einem Menschen, sondern anch nicht von der
Kirche selbst, die allein die Anslegerin derselben ist
Auch die apostolischen Ueberlieferangen müssen be-
trachtet werden, wie ans der heiligen Schrift selbst
nnd ans dem Zeugniss der heiligen V&ter hervorgeht
nnd was anch mit der Vernunft nnd Erfahmng fiber-
einstimmt. Wenn so Ihre Grundlage durchaus üedsch
nnd verderblich ist, wo bleibt da Ihre ganze, auf diese
falsche Grundlage gesttttste und aufgebaute Lehre?
Deshalb mögen Sie, wenn Sie an den gekreuzigten
Christus glauben, Ihre abscheuliche Ketserei erkennen;
wenden Sie sich ab von der Verkehrtheit Ihrer Natur
und versöhnen Sie sich wieder mit der Kirche I
Beweisen Sie denn Ihre Sfttze anders, als alle
Ketzer gethan haben, die je die Kirche verlassen
haben und noch jetzt verlassen und in Zukunft ver-
lassen werden, und wie diese thun und thun werden?
Denn Alle benutzen, wie Sie, denselben Grundsatz,
indem sie nttmlich die heilige Schrift allein znr
Bildung und Bestätigung ihrer Lehren verwenden.
Auch darf es Ihnen nicht schmeicheln, dass viel-
leicht die Calvinisten und Reformirten und auch die
Lutheraner und Mennoniten und Socinianer u. s. w.
Ihre Lehre nicht widerlegen können; denn alle diese
sind, wie eesagt, gleich elend wie Sie, und sitzen mit
Ihnen in dem Schatten des Todes.
Wenn Sie aber an Christus nicht glauben, so sind Sie
elender, als sich sagen lilsst. Aber es giebt ein leichtes
Mittel ; wenden Sie sich ab von Ihren Sünden, indem Sie
die verderbliche Anmassung Ihrer traurigen und un-
sinnigen Ausführungen erkennen. Sie glauben nicht an
Christus und weshalb nicht? Sie werden saeen, weil die
Lehre und das Leben Christi meinen Grundsfttzen, und
ebenso die Lehre der Christen über Christus selbst meiner
Lehre nicht entsprechen. Aber ich wiederhole: Halten
Sie sich denn für grösser als Alle, die je im Staat und
in der Kirche Gottes sich erhoben haben? grösser als die
Patriarchen, Propheten, Apostel, Marter, Lehrer, Be-
kenner, Jun^auen und die unzfihligen Heiligen, ja gottes-
lästerlicher Weise grösser, als selbst unser Herr Jesus
Christus? Also übertreffen Sie allein Jene an Lehf
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j.
üeber die Gewissheit der katholischen Religion. 223
Xjebens weise und allem Andern? Sie elendes Menschen-
kind, Sie niedriger Erden wurm; ja Sie Asche und Speise
der Würmer, Sie wollen sich der unendlichen, Fleisch ge-
ivordenen Weisheit des ewigen Vaters in unaussprech-
licher Lästerung voranstellen? Sie allein wollen sich für
Utiger und erösser als Alle halten, die je seit Anfang
der Welt in der Kirche gewesen sind und an den kom-
menden Christus oder an den gekommenen geglaubt
baben und noch glauben? Auf welche Grundlage stützt
sich Ihr verwegener, wahnsinniger, beklagenswerther
und zu verwünschender Hochmuth?
Sie leugnen, dass Christus, der Sohn des lebendigen
Gottes, das ewige Wort der Weisheit des Vaters, sich im
Fleische offenbart und fiir das Menschengeschlecht ge-
litten habe und gekreuzigt worden sei. Weshalb? Weil
dies Alles Ihren Grundsätzen nicht entspricht. Allein ab-
gesehen davon, dass schon erwiesen ist, dass Sie keine
wahre Grundsätze haben, sondern falsche, unverschämte,
unsinnige, sage ich jetzt sogar, dass, wenn Sie selbst auf
wahren Prinzipien sich stützten und alles Weitere darauf
errichteten, Sie doch damit Alles, was in der Welt ist,
geschehen ist und geschehen wird, nicht erklären könnten
und dass Sie nicht dreist behaupten dürften, dass, was
mit diesen Grundsätzen sich nicht vereinige, deshalb
wirklich unmöglich und falsch sei. Wie Vieles, ja Un-
zähliges gtebt es nicht, was, wenn in natürlichen Dingen
es eine sichere Erkenntniss giebt, Sie doch nicht erklären
können, ja wo Sie nicht einmal den anscheinenden Wider-
spruch der Erscheinungen mit Ihren Erklärungen der
übrigen, welche Erklärungen Sie für ganz gewiss halten,
beseitigen können? Sie werden mit Ihren Grundsätzen
Nichts von dem erklären können, was bei Beschwörungen
und Zaubereien durch das blosse Aussprechen gewisser
Worte oder durch alleiniges Vorhalten derselben oder von
Zeichen, die in anderm Stoffe dargestellt sind, bewirkt
wird; ebenso wenig die wunderbaren Vorgänge bei den
von dem Teufel Besessenen. Ich selbst habe von alle-
dem Beispiele gesehen und die sichersten Zeugnisse über
unzählige solche Fälle von den glaubwürdigsten Personen
einstimmig vernommen. Wie können Sie über das Wesen
aller Dinge urtheilen, selbst wenn ich zugebe, dass einige
der Vorstellungen, die Sie in Ihrem Kopfe haben, dem
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224 LXXni. Brief. Von A. Borgh an Spinoza.
Wesen dieser Dinee, deren zureichende VorsteHnng^n sie
sind, entsprechen? Sie können ja nie sicher sein, ob toi
Natur die Vorstellnngen aller geschaffenen Dinge in d«*
menschlichen Seele enthalten sind, ***) oder ob nicht viele,
wo nicht alle, von finssem Gegenständen hervorgebracht
werden können und wirklich hervorgebracht werden; so
wie auch durch Einflössnng von guten oder bösen Geistern
und durch die klare göttliche Offenbarung. Wenn Sie
also die Zeugnisse Anderer und die Erfahrung von den
Dingen nicht beachten, wie wollen Sie da, abgesehen
davon, dass Sie Ihr Urtheil der göttlichen Allmacht zu
unterwerfen haben, aus Ihren Grundsätzen bestimmen
und feststellen das wirkliche Sein oder Nicht-Sein, die
Möglichkeit oder Unmöglichkeit des Seins z. B. von Dingen
(nämlich dass sie in der Welt wirklich bestehen oder
nicht bestehen, oder dass sie bestehen können oder nicht
können), wie die Wünschelruthe für die Entdeckung der
Metalle und Gewässer in der Erde; den Stein, welchen
die Alchymisten suchen; die Kraft der Worte und Zeichen;
das Erscheinen guter und böser Geister und ihre Kraft,
Wissenschaft und Beschäftigung; die Wiederherstellung
der Pflanzen und Blumen in der Glasflasche, nachdem sie
verbrannt w«nlfltt; die StBonai; die Zwerge, welche, wie
man sagt, oft in Bergwerken sich zeigen; die Autipetbieen
und Sympathieen der meisten Dinge ; die Undurchdring-
lichkeit des menschlichen Körpers u. s. w.? Von alledem
können Sie,meinHerrPhilosoph,und wenn die Feinheit und
Schärfe Ihres Geistes tausendmal feiner noch wäre, als sie
ist, nichts entscheiden und wenn Sie sich bei Entscheidung
über diese und ähnliche Dinge nur auf Ihren Verstand
verlassen, so denken Sie über das, was Sie noch nicht
bemerkt oder erfahren haben, als wäre es unmöglich; ob-
eleich es doch nur als ungewiss gelten darf, bis Sie durch
das Zeugniss vieler so glaubwüräger Personen überzeugt
sein werden. Auch Julius Cäsar würde, nach meiner
Meinung, so geurtheilt haben, wenn ihm Jemand gesagt
hätte, dass man ein Pulver mischen könne und in den
spätem Jahrhunderten dies allgemein geschehen werde,
dessen Kraft so stark sei, dass es Festungen, ganze Städte
{a selbst Beree in die Luft sprengen könne und dass es
trotz seines Verschlusses in einem Orte doch bei seiner
Entzündung sich plötzlich wunderbar auldehne und Alles,
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Ennahmlngen an Spinoza. 225
^as seine Wiiksamkeit hemme, sereprenge. Auch Julias
Cäsar würde dies durchaus nicht geglaabt haben, sondern
lant über den Menschen gelacht haben, der ihn etwas
flanben machen wolle, was seinen Kenntnissen and seiner
irfahmng und der Kriegs- Wissenschaft widerspreche.
Lassen Sie uns indess auf nnsem Gegenstand surttck-
kommen. Wenn Sie also cUe vorerwähnten Dinge nicht
verstehen, noch erkennen, wie wollen Sie elender, vom
teuffischen Stolze erfttUter Mann, über die schrecklichen
Geheimnisse des Lebens und Leidens Christi urtheilen,
welche selbst die katholischen Lehrer für unbegreiflich
erklären? Wie können Sie da in unsinniger, possenhafter
und hohler Weise über unzählige Wunder und Zeichen
schwätzen, welche nach Christus seine Apostel und Jünger
und demnächst viele tausend Heilige zum Zeugniss und
zur Bestätigung der Wahrheit des katholischen Glaubens
durch die allmächtige Kraft Gottes verrichtet haben und
die durch dieselbe allmächtige Barmherzigkeit und Güte
Gottes auch heutzutage noch zahllos auf demeanzenErd-
kreise geschehen ? Ond wenn Sie dem nicht widersprechen
können, wie Sie das sicherlich nicht können, was sti^äuben
Sie sich da noch ? Geben Sie die Hand und lassen Sie
ab von Ihren Jrrthümem und Sünden; ziehen Sie die
Demuth an und werden Sie ein neuer Mensch!
Lassen Sie mich jetzt zur Wahrheit der Thatsachen
übergehen, welche die wahrhafte Grundlage der christ-
lichen Religion sind. Wie wollen Sie bei gehöriger Auf-
merksamkeit die Beweiskraft der Uebereinstimmoaf so
vieler Tausende von Menschen bestreiten, von^ikfien viele
Hunderte Sie an Gelehrsamkeit, Lehre nd wahrhaftem
Scharfsinn und Vollkommenheit de« Lebens weit über-
tröffen haben und übertreffen? Die Alle einstimmig mit
einem Munde sagen, Christas, der fleischgewordene Sohn
des lebendigen Gottes, habe gelitten, sei gekreuzigt, für
die Sünden der Menschen gestorben, wieder auferstanden,
gen Himmel gefiihren und herrsche im Himmel mit seinem
ewigen Vater in Einheit des heilten Geistes; und ebenso
das üebrige hierher Gehörige; remor, dass von diesem
Herrn Jesu und später von den Aposteln und übrigen
Heiligen in seinem Namen durch die göttliche, allmächtige
Kraft unzählige Wunder in der Kirche Gottes vollbracht
worden, welche der Verstand der Menschen nicht fassen
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226 LXXIII. Brie! Von A. Bargh aa Spinoza.
kann, ja welche selbst dem gewöhnlichen Sinne wider-
streben (and wovon bis auf diesen Tag die körperlichen
Zeichen ohne Zahl und sichtbar weit und breit auf dem
ganzen Erdenrund zerstreut vorhanden sind), und dass
solche Wunder noch jetzt geschehen?
Könnte ich dann nicht ebenso leugnen, dass die
alten Römer jemals gelebt haben? dass der Kaiser Jalius
Cäsar, nach Unterdrückung der Republik, das Regiment
des Staats in eine Monarchie umgewandelt habe? indem
ich mich nicht um die alten, sichtbaren, vielen Monumente
kümmerte, welche die Zeit uns von der Macht der Römer
übrig gelassen hat und nicht um das Zeugniss jener ge-
wichtigen Schriftsteller, welche die Gescluchte der Ro-
mischen Republik und Monarchie geschrieben und dabei
Vieles über Julius Cftsar berichtet haben und nicht um
das Urtheil so vieler Tausend Menschen, welche entweder
die erwähnten Denkmäler gesehen haben, oder ihnen
(da deren Dasein von unzähligen Personen bestätigt wird)
ebenso wie den genannten Berichten geglaubt haben and
noch glauben Könnte ich nicht dies Alles, und zwar aus
dem Grunde, weil ich in der vergangenen Nacht geträumt
habe, dass die Denkmäler aus der Römerzeit keine wirk-
lichen, sondern nur Täuschungen seien und dass die Be-
richte über die Römer den sogenannten Romanen and
deren kindischen Erzählungen über die Amadis-, die
Oallischen und ähnliche Helden gleichstehen, und dass
Julius Cäsar niemals gelebt, oder wenn dies der Fall, er
ein schwarzgalliger Mensch gewesen sei, der nicht wirk-
lich die Freiheit der Römer niedergeschlagen und sich
selbst auf den Thron der kaiserlichen Majestät gesetzt,
sondern der nur durch seine thörichten Einbildungen oder
durch die Schmeicheleien seiner Freunde überredet, ge-
glaubt habe, er habe so Grosses verrichtet?
Könnte ich dann nicht ebenso leusnen, dass die
Tataren das Chinesische Reich erobert haben; dass Con-
stantinopel der Sitz des Türkischen Reiches ist und un-
zähliges Andere? Aber würde mich dann Jemand wohl
für gesund an Sinnen halten und nicht vielmehr als einea
Wahnsinnigen beklagen und entschuldigen? Und zwar ist
dies Alles nicht zulässig, weil es sich auf die überein-
stimmende Ansicht vieler Tausende von Menschen stützt
und deshalb seine Gewissheit die festeste ist; da es un-
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Gründe für die Wahrheit der katholischen Lehre. 227
möglich ist, dass Alle, die dies und vieles Andere
behaupten, sich selbst oder Andere im Verlauf so
vieler Jahrhunderte und zwar in der längsten Zeit,
dass die Welt steht, der Reihe nach bis zu dem heu-
tigen Tag hätten betriigen wollen.
Bedenken Sie weiter, dass die Kirche Oottes von
dem Anfange der Welt bis zu dem heutigen Tag, in
ununterbrochener Folge fortgepflanzt, unerschüttert und
fest bestanden hat, während alle heidnischen und
ketzerischen Religionen ihren Anfang erst später ge-
nommen, wenn nicht auch schon wieder untergangen
sind, und dass dasselbe von den Reihen der Monarchen
und von den Meinungen aller Philosophen gilt.
Bedenken Sie femer drittens, dass die Kirche Got-
tes durch Christi Ankunft in dem Fleische von dem Dienst
des Alten zu dem des Neuen Testaments geführt worden
ist und dass sie von Christus selbst, dem Sohne des
lebendigen Gottes, gegründet worden und dann durch die
Apostel und deren Schüler und Nachfolger, also nach
weltlicher Ansicht, von ungelehrten Männern erhalten und
ausgebreitet worden. Diese Apostel haben trotzdem alle
Philosophen beschämt, obgleich sie die christliche Lehre,
welche dem natürlichen Verstände widerstreitet und alle
menschliche Vernunft überschreitet, gelehrt haben. Es
waren der Welt nach verachtete, niedrige und gemeine
Leute, welche die Macht der Könige und ErdenfUrsten
nicht unterstützte, sondern die vielmehr von diesen durch
vielerlei Peinigungen verfolgt wurden und alle Wider-
wärtigkeiten der W elt erlitten haben. Je mehr die mäch-
tigsten Römischen Kaiser deren Werk zu hemmen und zu
unterdrücken versuchten und obgleich sie viele Christen
aller Stände in Martern zu Tode brachten, so nahm das-
selbe doch an Grösse zu und so war in kurzer Zeit die
Kirche Christi über den ganzen Erdkreis verbreitet und
endlich bekehrten sich der römische Kaiser und die
Könige und Fürsten Europas selbst zu dem christlichen
Glauben und dabei wuchs die kirchliche Herrschaft zu
jener ausgedehnten Macht, wie wir sie heute anstaunen.
Und dies Alles ist erreicht durch Liebe, Sanftmuth, Ge-
duld, Gottvertrauen und die übrigen christlichen Tugenden
(nicht durch das Getöse der Waffen, die Gewalt zahl-
reicher Heere, die Verwüstung von Ländern, in welcher
Bpinoia, Brief«. 16 ..^nir^
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228 LXXIU. Brief. Von A. Borgh an Spinoza.
Weise die weltlichen Fürsten ihre Gewalt ausdehnen),
ohne dass die Pforten der Hölle etwas gegen die
Kirche vermocht hahen, wie Christus ihr verheissen
hatte. Bedenken Sie hier auch das schrecklich und
unsäglich strenge Strafgericht, wodurch die Juden auf
die unterste Stufe des Elendes und Leidens gebracht
worden sind, weil sie die Urheber von Christi Kreosigung
gewesen. Ueberschauen Sie, lesen Sie und lesen Sie
nochmals die Geschichten aller Zeiten und Sie werden
nichts AehnHches selbst im Traume finden, was je in
einer andern Gesellschaft sich zugetragen hat.
Bemerken Sie viertens, wie in dem Wesen der
katholischen Kirche eingeschlossen und wahrhaft von
dieser Kirche untrennbar die Eigenschaften sind, nttmlich
das Alter, vermöge dessen sie an Stelle der jüdischen
Religion getreten, £e zu ihrer Zeit die wahre war, und wie
sie ihren Anfang von Christus vor 1650 Jahren rechnet
und wodurch die Reihe ihrer Hirten, niemals unterbrochen,
fortgegangen ist und wodurch es kommt, dass sie allein
die heiligen und göttlichen Bücher rein und unverdorben
mit der nicht geschriebenen UeberUeferung des Wortes
Gottes ebenso gewiss und unbefleckt besitzt; femer die
Un Veränderlichkeit, vermöge deren sie ihre Lehre und
Verwaltung der Gnadenmittel, so wie sie von Christus
eingesetzt worden, unverletzt und, so wie es bestimmt
worden, in ihrer Ejraft bewahrt; femer die Untrüglieh-
keit, vermöge deren sie alles zum Glauben Gehörige mit
dem höchsten Ansehen und voller Sicherheit und Wahr-
heit bestimmt und entscheidet nach der Macht, die ihr
Christus zu dem Ende verliehen und nach der Leitung
des heiligen Geistes, dessen Braut die Earche ist. Ferner
die Unverbesserlichkeit, vermöge deren sie nicht ver-
dorben und betrogen werden und nicht betrügen kann
und deshalb niemals der Verbesserung bedarf; femer die
Einheit, vermöge deren alle ihre Glieder dasselbe glau-
ben, dasselbe für den Glauben lehren, ein und denselben
Altar und alle Gnadenmittel gemeinsam haben und in
wechselseitigem Gehorsam nach einem Ziele streben;
femer, dass keine Seele sich unter irgend einem Vorwand
von ihr trennen kann, ohne der ewigen Verdammniss zu
verfallen, wenn der Mensch nicht vor seinem Tode in Rene
i'ich wieder mit ihr vereint. Hieraus erhellt, dass alle Ketser-
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Gründe fflr die Wahrheit der katholischen Lehre. 229
^us ihr geschieden sind, w&hrend sie sich immer gleich
und beständig nnd fest, wie auf den Felsen Petri er-
jrichtet, bleibt. Femer die weiteste Ausbreitung,
^ermöfi'e deren sie sich sichtbar über die ganze Welt'
•erstreckt. Von keiner anderen abe^efallenen, oder
ketzerischen, oder heidnischen Gesellschaft und von
keinem staatlichen Regiment und von keiner philo-
sophischen Lehre kann das Gleiche behauptet werden.
^Endlich ihre ewige Dauer bis zu dem Ende der
Welt, dessen sie der Weg der Wahrheit selbst und
das Leben versichert und welches auch die Erfahrung '
von allen diesen Eigenschaften, die ihr von demselben
Christus durch den heiligen Geist ähnlich versprochen
und ertheilt worden sind, offen darlegt.
Bedenken Sie fünftens die wunderbare Ordnung,
mit der die Kirche, ein Körper von so bedeutendem
Umfang, geleitet und regiert \vird; dies zeigt, dass sie
fanz besonders von Gottes Vorsehung abhängt und
ass der heilige Geist ihre Verwaltung wunderbar
bestimmt, schützt und leitet; wie die Harmonie, welche
aus allen Dingen dieser Welt hervorleuchtet, die All-
macht, Weisheit und unendliche Vorsehung anzeigt,
die Alles s^eschaffen hat und noch jetzt erhält. In
keiner anderen Gesellschaft herrscht solche schöne
und strenge Ordnung ohne Unterbrechung.
Bedenken Sie sechstens, dass von den Katholiken
unzählige Personen beiderlei Geschlechts (von denen noch
heute Viele leben und ich selbst einzelne gesehen habe
und kenne) höchst wundervoll und heilig gelebt und durch
die allmächtige Kraft Gottes in Anbetung des Namens '
Jesu Christi viele Wunder verrichtet haben; dass auch
heute nochplötzlich sich sehrViele von dem schlechtesten
zu einem besseren, wahrhaft christlichen und heiligen
Leben bekehren; dass überhaupt Alle, je heiliger und
vollkommen sie sind, um so demüthiger sind, sich für
unwürdiger halten und andern das Lob eines heiligen
Lebens abtreten und dass selbst die grössten Sünder
dennoch immer die schuldige Achtung vor den Heilig-
thümern behalten, ihre eigene Bösartigkeit eingestehen,
ihre Fehler und Un Vollkommenheiten anklagen, von den-
selben befreit sein und sich bessern wollen. Deshalb'
kann man sagen, dass der vollkommenste Ketzer oder-
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230 LXXm. Briel Von A. Bnrgh an Spinoza.
Philosoph, den es je gegeben hat, kaum unter den
unvollkommensten Kathobken der Beachtung verdient.
Hieraus ergiebt sich auch und erhellt klar, dass die
katholische Lehre von wunderbarer Weisheit und
Tiefe ist; mit einem Worte, dass sie alle andern
Lehren dieser Welt übertrifft; denn sie macht die
Menschen besser, als die Mitglieder einer andern Ge-
sellschaft es sind und sie lehrt und zeigt ihnen den sichern
Weg zur Ruhe der Seele in diesem Leben und zu dem
ewigen Heile, das nach diesem Leben zu gewinnen ist.
Siebentes bedenken Sie doch ernstlich die d£Fent-
liehen Bekenntnisse vieler, durch Eigensinn verhfirteten
Ketzer und ernster Philosophen, wonach diese erst nach
empfangenem katholischen Glauben endlich eingesehen
und erkannt haben, dass sie vorher elend, blmd, un-
wissend, ja thöricht und wahnsinnig gewesen, weil sie,
voll von Stolz und von dem Winde der UnverschUmt-
heit aufgeblasen, sich flüschlich über die Andern in
Kenntniss, Gelehrsamkeit und Vollkommenheit des
Lebens weit erhoben hielten. Manche von ihnen haben
dann ein heiliges Leben geführt und das Andenken
zahlreicher Wunder hinterlassen; Manche sind dem
Mftrtjrertode heiter und mit Jubel entgegengegangen und
einzelne, wie der göttliche Augustinus, sind die
scharfsinnigsten, gelehrtesten, weisesten und deshalb
nützlichsten Lehrer der Kirche, gleich Säulen, geworden.
Schauen Sie endlich auf das elende und un-
ruhige Leben der UngUubigen, wenn sie auch eine
grosse Heiterkeit der Seele annehmen und wollen,
ass es scheine, sie fahrten ein angenehmes Leben
mit innerem Seelenfrieden. Vor AUem schauen Sie
auf deren unglücksvollen und erschreckenden Tod;
ich selbst habe dergleichen Beispiele mit erlebt und
unzählige andere kenne ich ebenso sicher aus den
Berichten Anderer und der Geschichte. Lernen Sie
deshalb an deren Beispiele in Zeiten weise werden.
Und so sehen Sie endlich oder ich hoffe wenigstens,
dass Sie sehen, wie leichtsinnig Sie sich den EinftUen
Ihres Gehirns überlassen (denn wenn Christus der wahre
Gott ist und zugleich ein Mensch, wie ganz gewiss ist,
so bedenken Sie, wohin Sie gelangt sind; was können
Sie, wenn Sie in Ihren abscheulichen Irrthümem und
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Ermahnung, an Sp., von sein. Philosophie abzulassen. 231
schweren Sünden verharren, anders erwarten, als die
«wige Verdammniss ? Bedenken Sie selbst, wie schreck-
lich diese ist, wie wenig Grand Sie haben, die ganze
Welt, mit Ausnahme Ihrer wenigen Schmeichler, zu
verlachen; wie thöricht Sie erscheinen, wenn Sie stolz
und aufgeblasen werden über die Vortrefflichkeit Ihres
Geistes und die Bewunderung Ihrer eitlen, ja gänzlich
falschen und gottlosen Lehre ; wie hässlich Sie sich und
elender als die wilden Thiere machen, indem Sie sich den
freien Willen nehmen; obgleich wenn Sie selbst ihn
nicht in sich einführten und anerkennten, Sie sich
selbst nicht täuschen und denken könnten, Ihre Lehre
sei des höchsten Lobes und der genauesten Nach-
ahmung würdig.
Wenn Sie nicht wollen (was ich nicht denken
kann), dass Gott oder Ihr Nächster sich Ihrer er-
barmen, so erbarmen Sie selbst wenigstens sich Ihres
Elendes, in welchem Sie sich noch elender zu machen
suchen, als Sie jetzt sind, oder weniger elend, als Sie
sein werden, wenn Sie so fortfahren.
Kehren Sie um, philosophischer Mann; erkennen
Sie Ihre weise Thorheit und Ihre thörichte Weisheit;
werden Sie aus einem Stolzen ein Demüthiger und
Sie werden geheilt sein. Beten Sie Christus an in
seiner heiligen Dreieinigkeit, dass er gnädig sich Ihres
£lendes erbarme und Sie aufnehme. Lesen Sie die
heiligen Väter und Lehrer der Kirche und lernen Sie
ans Urnen, was Sie thun müssen, um nicht zu ver-
derben, sondern das ewige Leben zu erlangen. Be-
rathen Sie sich mit Katholiken, die von gutem Lebens-
wandel, in ihrem Glauben tief bewährt sind; diese
werden Ihnen Vieles sagen, was Sie nicht gewusst
haben und worüber Sie staunen werden.
Ich habe diesen Brief an Sie in der wahrhaft
christlichen Absicht geschrieben, erstens, damit Sie
die Liebe erkennen, die ich für Sie hege, trotz dem,
dass Sie ein Heide sind, und zweitens, um Sie zu
bitten, dass Sie nicht fortfahren, auch Andere zu
verderben.
Und so schliesse ich mit den Worten: Gott will
Ihre Seele der ewigen Verdammniss entreissen, wenn
nur Sie wollen. Zögern Sie nicht, Gott zu gehorchen^
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232 LXXIV. Brief. Von Spinoza an A. Borgh.
der Sie eo oft durch Andere gemfen hat. Jetzt mft
er Sie nochmals und yielleicht das letzte Mal durch
mich und, auch ich, in dieser Weise von dem unaag-
baren Erbarmen Gottes begnadigt, bitte Sie dämm.
Weigern Sie sich nicht. Wenn Sie Gott nicht boren,,
wenn er Sie ruft, so werden Sie den Zorn Gottes
gegen sich erwecken und es ist Gefahr, dass Sie von
seiner unendlichen Barmherzigkeit verlassen, das elende
Opfer der göttlichen, Alles in Zorn vollziehenden Ge-
rechtigkeit werden. Möge der allmfichtige Gott dies
zu grösserem Ruhm seines Namens, zu dem Heile
Ihrer Seele abwenden zum heilbringenden und nach-
zuahmenden Beispiele Ihrer vielen und unglücklichen
Verehrer durch unsem Herrn undErlöser Jesus Christus,
welcher mit dem ewigen Vater lebt und herrscht in
Einheit des heiligen Geistes als Gott durch alle Jahr-
hunderte in Ewigkeit. Amen. '•^
Florenz, den 10. September 1675.
Vierundsiebzigster Brief
(Aus den letzten Monaten des Jahres 1675).
Von Spinoia an Albert Bvrgh.
(Die Antwort auf den vorstehenden Brief.)
Was schon andere mir berichtet hatten und ich
kaum glauben konnte, hat endlich Ihr Brief bestfitigt.
Sie sind nicht blos ein Mitglied der römischen Kirche
geworden, sondern auch einer ihrer heftigsten Vor-
kämpfer und haben schon gelernt, Ihre uegner zu
verwünschen und ungestüm gegen Sie zu wüthen. Ich
wollte Ihnen nicht antworten, in der Ueberzeugung,
dass Sie mehr der Zeit als der Gründe bedürfen, um
wieder zu sich selbst und den Ihrigen zu kommen,
ohne andere Gründe zu en^'ähnen, welchen Sie früher
zugestimmt haben, als wir über Stenonius (in dessen
Fusstapfen Sie jetzt treten "^') mit einander sprachen.
Einige Freunde, welche mit mir von Ihren schönen
Anlagen Grosses erwartet hatten, haben mich indess
dringend gebeten, die Freundespflicht nicht zu ver-
säumen ; ich sollte mehr denken, wie Sie früher ge-
wesen, als was Sie jetzt sind und dergleichen mehr.
Dies hat mich endlich zu diesen Zeilen bestimmt und ich
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Vorhaltungen an A. Burgh. 233
bitte, dass Sie gefälligst mit ruhigem Gemüthe sie lesen.
Ich werde auch hier nicht von den Lastern der
Priester nnd Pttpste, wie die Gegner der römischen Kirche
pflegen, sprechen, nm Sie davon abzuwenden. Der-
gleichen pflegt oft aus Böswilligkeit verbreitet und
mehr um zu reizen, als um zu helehren, angeführt zu
werden; ich gestehe vielmehr zu, dass in der Rö-
mischen Kirche mehr Männer von grosser Gelehrsam-
samkeit und erprobtem Lebenswandel gefunden werden
als in einer andern christlichen Kirche ; denn die Glieder
jener sind zahlreicher und deshalb werden auch mehr
solcher Männer in ihr angetroffen. Allein dies
werden Sie doch nicht leugnen können, wenn Sie mit
dem Verstände nicht auch das Gedächtniss verloren
haben sollten, dass es in jeder Kirche viele rechtliche
Männer giebt, welche Gott in Gerechtigkeit und Liebe
verehren ; ich kenne deren Viele unter den Lutheranern,
Reformirten, Mennoniten und Enthusiasten, und, um von
Andern zu schweigen, so wissen Sie, dass Ihre Eltern zur
Zeit des Herzogs Alba mit ebensoviel Standhaftigkeit
als Freiheit des Geistes alle Arten der Tortur der Reli-
gion wegen erduldet haben und werden deshalb zu-
geben müssen, dass die Heiligkeit des Lebens nicht
das Vorrecht der Römischen Kirche ist, sondern allen
Kirchen gemeinsam ist. Und weil wir wissen (um mit
dem Aposteljohannes I.Brief Kap. 4. v. 13. zu sprechen),
dass wir in Gott bleiben und Gott in uns, so folgt, dass
Alles, was die Römische Kirche von andern Kirchen unter-
scheidet, tiberflttssig, daher nur durch Aberglauben ein-
gerichtet ist. Denn, um mit Johannes zu sprechen, die
Gerechtigkeit und Nächsten-Liebe ist das einzige sichere
Zeichen des wahren katholischen Glaubens unddieFrucht
des wahren heiligen Geistes ; wo diese gefunden werden,
da ist Christus in Wahrheit, und wo sie fehlen, da fehlt
auch Christus. Nur durch Christi Geist können wir in
der Liebe der Gerechtigkeit und Mildthätigkeit erhalten
werden. ^^^) Hätten Sie dies wohl überlegt, so hätten
Sie sich nicht selbst verloren und Ihre Eltern nicht iti
bittere Trauer versetzt, welche Ihr Schicksal jetzt
kläglich beweinen.
Ich komme nun auf Ihren Brief zurück, in welchem
Sie zunächst beklagen , dass ich mich von dem Fürsten
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234 LXXIV. Brief. Von Spinoza an A. Bargh.
der bösen Geister irre fähren lasse. Indess seien Sie, ich
bitte, nnr getrosten Sinnes und kommenSie zn sich selbst
zurück. Als Sie noch ihrer Sinne mächtig waren, ver-
ehrten Sie, wenn ich nicht irre, den unendlichen Gott,
durch dessen Kraft Alles unbedingt geschieht und er-
halten wird. Jetzt trfiumen Sie aber von einem Gott feind-
lichen Fürsten, welcher ffeeen Gottes Willen die meisten
Menschen (allerdings sind diese selten die guten) irreführt
und betrügt und die deshalb Gott diesem Meister im
Verbrechen zum Ejreuzie^en in alle Ewigkeit übergebe.
Also gestattet die göttuche Grerechtigkeit, dass der
Teufel die Menschen straflos betrügt, aber keineswegs
sollen die von dem Teufel klfelich betrogenen und
irregeführten Menschen straflos bleiben? ^')
Dergleichen Widersinn wäre noch zu ertragen,
wenn Sie noch den unendlichen und ewigen Gott an-
beteten und nicht den, welchen Ghatillonin der von
den Niederländern Tienen genannten Stadt den
Pferden straflos als Futter gab. "^^j Und mich be-
klaeen Sie als einen Elenden? Und Sie nennen meine
Philosophie, die Sie niemals gekannt haben, eine
Chimäre? O wahnsinniger Jüngling, wer hat Sie be-
zaubert, dass Sie jenes Höchste und Ewige verschlingen
und nun in den Eingeweiden zu besitzen wähnen?
Indess scheinen Sie doch die Vernunft benutzen zu
wollen und Sie fragen mich: „Woher ich wisse, dass
„meine Philosophie die beste von allen andern sei, die
^in der Welt früher eelehrt worden, jetzt gelehrt werden
„und später je gelehrt werden werden?^ Dies könnte
ich aber mit mehr Recht Sie fragen. Denn ich nehme
mir nicht heraus, die beste Philosophie entdeckt zu
haben, sondern ich weiss nur, dass ich die wahre
kenne. Wenn Sie aber fragen, woher ich das wisse,
so sage ich, aus demselben Grunde, aus dem Sie
wissen, dass die drei Winkel eines Dreiecks gleich
zwei rechten sind. Niemand wird bestreiten, dass das
genügt, wenn sein Gehirn gesund ist und er von keinen
unreinen Geistern träumt, die uns falsche, aber den
wahren ähnliche Begriffe einflössen. Denn das Wahre
ist der Prüfstein seiner selbst und des Falschen. ^)
Allein Sie, der Sie behaupten, endlich die beste
Keligion oder vielmehr die besten Männer gefunden zu
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Widerlegung von Burgh's Granden. 236
haben, denen Sie vollen Glauben schenken, „ wie wissen
^Sie, dass diese Mfinner die besten unter denen seien,
^die andere Religionen gelehrt haben, jetzt noch lehren
^und sp&ter lehren werden? Haben Sie etwa alle jene
^alten und neuen Religionen, welche hier und in Indien
^und überall auf dem Erdenrund gelehrt werden, ge-
^prüft? Und selbst wenn Sie das richtig gethan, wie
^wissen Sie, dass Sie die beste erwfihlt haben ?** •*•)
«da Sie für Ihren Glauben keinen Grund angeben
können. Sie werden sagen, dass Sie bei dem einen
Zeugniss des Geistes Gottes sich beruhigen und dass die
Andern von dem Fürsten der bösen Geister irregeführt
und betrogen worden; allein Alle, die ausserhalb der
Römischen Kirche stehen, sagen mit demselben Recht
•das von ihrer Kirche, was Sie von der Ihrigen sagen.'"^)
Wenn Sie aber noch die gemeinsame üeberzeugung
^o vieler Tausende von Menschen, die ununterbrochene
Fortdauer der Kirche u. s. w. anführen, so ist dies
gerade das eigenthümliche Gerede der Pharisäer. Diese
bringen in gleichem Vertrauen wie die Anhänger der
Römischen Kirche Tausende von Zeugen bei, die mit
gleicher Hartnäckigkeit wie die Zeugen der Römischen
Kirche das Gehörte erzählen, als hätten Sie es selbst
erlebt. Auch führen diese den Ursprung der Kirche
bis auf Adam zurück und rühmen sich mit gleicher
Unverschämtheit, dass ihre Kirche bis zu dem heutigen
Tage sich erhalten und dass sie unveränderlich und
fest, trotz des feindseligen Hasses der Heiden und
Christen, verharre. Durch das hohe Alterthum der-
-selben fibertreffe sie alle andern. Einstimmig ver-
künden sie, dass sie die Ueberlieferun^ von Gott
selbst empfangen haben und dass sie allein Gottes
geschriebenes und ungeschriebenes Wort bewahren.
Niemand kann bestreiten, dass alle Ketzer aus ihnen
Ausgeschieden sind, während sie selbst durch mehrere
Jahrtausende ohne zwingende Herrschaft, lediglich
-durch die Kraft des Aberglaubens, fest geblieben sind.
Ihre Wunder zu erzählen, könnte tausend geschwätzige
Zungen ermüden. Aber was sie am höchsten halten,
iit, dass sie viel mehr Märtyrer als irgend ein andere»
Volk zählen, dass diese Zahl sich täglich durch die
vermehrt, welche für den Glauben, welchen sie be-
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236 Ll^XIV. Brief. Von Spiso-za an A. Borgh.
kennen, mit grosser Standhafdgkeit die Leiden er>
tragen nnd dass dies keine Lüge ist; denn ich selbst
kenne nnter andern einen Judas, den Sie einen Trenen
nennen, welcher mitten in den Flammen, als man ihn
schon todt glaubte, das Loblied, welches anfingt: ^Dir,
Gott, befehle ich meine Seele^, za singen begann nnd
mitten in dem Gesänge seinen Geist aufgab.*^
Die Einrichtung der Komischen Kirche, welche
Sie so loben, ist, wie ich anerkenne, klug und vor-
theilhaft für Viele eingerichtet; auch würde ich sie
ftir die beste halten, um die Masse zu t&uschen und
die Gemüther der Menschen zu beherrschen, wenn
nicht die mohamedanische Kirche mit ihrer Einriebtang
sie noch weit hierin überträfe, da, so lange diese
letztere- mit ihrem Aberglauben besteht, keine Spal-
tungen in ihr sich erhoben haben.*'®)
Wenn Sie daher Ihre Rechnung richtig anlegen,
so werden Sie sehen, dass nur das von Ihnen an
dritter Stelle Berührte fUr einen Christen spricht,
nämlich, dass ungelehrte und gemeine Leute beinah
den ganzen Erdkreis zu dem christlichen Glauben
haben bekehren können. Allein dieser Grund steht
nicht blos der Kömischen Kirche, sondern Allen, die
Christi Namen bekennen, zur Seite.
Indess angenommen, dass alle Gründe, welche Sie
anführen, blos ftlr die katholische Kirche sprächen,
glauben Sie denn, dass Sie damit das Ansehen dieser
Kirche mathematisch bewiesen hätten? Da daran
Vieles fehlt, weshalb soll ich denn glauben, dass meine
Beweise von dem Fürsten der bösen Geister, die
Ihrigen aber von Gott angegeben sind? zumal Ihr
Brief klar zeigt, dass Sie sich zum Sclaven dieser
Kirche gemacht haben, nicht sowohl aus Liebe zu Gott,
als aus Furcht vor der Unterwelt, die die einzige Ur-
sache Ihres Aberg^laubens ist.^io) Ist dies Ihre Demutb,
dass Sie sich selber nicht vertrauen, sondern Andern,
die von den Meisten verdammt werden? Halten Sie
es für Anmassung und Stolz, dass ich der Vernunft
mich bediene und bei diesem wahren Worte Gk>ttes,
was in der Seele besteht und weder verschlechtert,
noch verdorben werden kann, mich beruhige?
Werfen Sie diesen verderblichen Aberlauben weg
und erkennen Sie die Vernunft an, die Gott Ihnen
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Die theologisch-politische Abhandl. gerechtfertigt. 237
gegeben hat; yerehren Sie diese, wenn sie nicht bu
den wilden Thieren zKhlen wollen. Hören Sie anf,
ich bitte, verkehrte Irrtbfimer fihr Mysterien zu er-
klären und vermischen Sie nicht in schmählicher Weise
das uns Unbekannte und noch nicht Entdeckte mit
dem Widersinnigen, wie es die erschreckenden Geheim-
nisse dieser Kirche sind, von denen Sie glauben, dass
sie um so erhabener über die Erkenntniss seien, je-
mehr sie der gesunden Vernunft widersprechen.
Uebrieens wird in der theologisch-politischen Ab-
handlung der Grundgedanke, dass nämlich die Schrift
nur durch die Schrift erklärt werden dürfe, was Sie so
dreist und ohne Gründe ftir falsch erklären, nicht blos
aufgestellt, sondern seine Wahrheit und Gewissheit
vollständig bewiesen; namentlich in Kap. 7, wo auch
die Ansichten der Gegner widerleg werden; womit
Sie das am Eüde des Kap. 15 Dargelegte verbinden
können. Wenn Sie hierauf achten und daneben die
Kirchengeschichte (die Ihnen ganz unbekannt zu sein
scheint) prüfen wollen, damit Sie sehen, wie fälschlich
die Päpste das Meiste angeben und durch welches
Schicksal und durch welche Künste der Papst endlich
600 Jahre nach Christi Geburt die Oberherrschaft der
Kirche erlangt hat, so zweifle ich nicht, dass Sie wieder
zu sich kommen werden. Ich wünsche Ihnen von
Herzen, dass dies geschehe. Leben Sie wohl u. s. w.'")
Fünfundsiebzigster Brief
(Aus dem Jahre 1674 oder 1675'*').
Von Spinoza an Lambert v. Volthaysen/") Doktor der
Medizin in Utrecht.
Vortrefflicher Herr!
Ich wundre mich Über die Aeusserung N e u -
stadt's,^^^) dass ich eine Widerlegung derjenigen
Schriften im Sinne habe, die seit einiger Zeit gegen
meine Abhandlung erschienen sind und dass er mir
unter Anderem Ihr Manuscript zur Widerlegung vor-
geschlagen habe. Ich habe niemals den Plan gehabt,
«inen meiner Gegner zu widerlegen, da sie mir alle
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238 LXXV. Brief. Von Spinosa an Velthajseii.
dessen niclit werth scheinen; auch entsinne ich mich
nicht, dass ich Herrn Neustadt mehr gesagt, als dass
ich einige dunklere Stellen dieser Abhandlung in An-
merkungen erläutern und dem Hu* Manuscript mit
meiner Antwort anfügen wollte, wenn Sie Ihre £r-
laubniss dasu geben wollten. Ich ersuchte ihn, diese
Erlaubniss von ihnen au erbitten und fügte hinzu,
dass, wenn Sie vielleicht Ihre Einwilligung deshalb
verweigern möchten, weil meine Antwort einige harte
Aeusserungen enthielte, Sie voll ermlichtigt sein sollten,
diese Aeusserunfi^en eu ftndem oder zu streichen. In-
dess bin ich desnalb dem Herrn Neustadt nicht böse,
möchte Ihnen aber doch die Sache, so wie sie sich
verhält, mittheilen, damit, im Fall ich die erbetene Er-
laubniss von Ihnen nicht erhalten sollte, ich wenigstens
zeieen könnte, dass ich Ihr Manuscript wider Ihren
Willen nicht habe veröffentlichen mögen. Und wenn
ich gleich glaube, dass dies ohne alle Gefahr für
Ihren Ruf geschehen könnte, wenn ich nur Ihren
Namen nicht nenne, so werde ich doch nichts thun,
ehe ich Ihre Erlaubniss zur Veröffentlichung erhalten
habe. Offen gestanden, werden Sie mir indess einen
grösseren Gefallen erweisen, wenn Sie mir die Gründe,
mit denen Sie meine Abhandlung angreifen wollen,
mittheilen und Ihrem Manuscripte zusetzen möchten.
Ich bitte Sie dringend, dies zu thun; denn keines
Andern Gründe würde ich lieber erwägen, da ich
weiss, dass nur der Eifer für die Wahrheit Sie leitet
und ich die besondere Offenheit Ihres Herzens kenne.
Deshalb beschwöre ich Sie wiederholt, dass Sie diese
Arbeit zu unternehmen mir nicht abschlagen und über-
zeugt seien, dass ich bin
Ihr
ergebenster
B. V. Spinoza.»")
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Ueber die einznrichteiide Correspondenz. 239
Sechsundsiebzigster Brief
(Vom Mai oder Juni 1665)«
Von Sfrinoza an J. Bresser."*)
Lieber Freund!
Ich weiss nicht, ob Sie mich ganz vergessen haben ;
indess trifft Vieles zusammen, was diesen Verdacht be-
stätigt. Zunfichst wollte ich Ihnen vor meiner Reise
Lebewohl sagen und hoffte, Sie sicher zu Hause zu
treffen, da Sie mich eingeladen hatten. Da hörte ich,
dass Sie nach dem Haag gereist seien. Ich komme
uach Voorburg zurtlck und zweifelte nicht, dass Sie
mich wenigstens hier auf der Durchreise besuchen
würden ; allein Sie sind, so Gott will, ohne den Freund
begrttsst zu haben, nach Hause zurückgereist. Dann
habe ich drei Wochen gewartet, ohne einen Brief von
Ihnen zu sehen. Wenn Sie also obigen Verdacht mir
nehmen wollen, so können Sie dies leicht durch einen
Brief, in dem Sie mir auch die Art, wie wir unsem
Briefwechsel einrichten woUen, vorschlagen können,
worüber wir einmal bei Ihnen sprachen. Unterdess
möchte ich Sie gebeten haben, ja, ich beschwöre Sie
bei unserer Freundschaft, dass Sie ein ernstes Werk
durch vollen Eifer zu Stande bringen und der Bildung
des Verstandes und Geistes den bessern Theil Ihres
Lebens weihen; jetzt, sage ich, da es noch Zeit ist und
ehe Sie sich über die verlorne Zeit beklagen.
Um endlich über die Einrichtung unseres Verkehrs
etwas zu sagen und damit Sie offener mir schreiben
können, so wissen Sie, dass ich früher vermuthet und
beinah als gewiss angenommen habe, dass Sie Ihrem
Talent etwas zu sehr und mehr, als Recht ist, miss-
trauen und dass ich fürchte, Sie möchten etwas verlangen
oder vorschlagen, was den gelehrten Mann nicht er-
kennen Hesse. Indess schickt es sich nicht, Sie in's Gesicht
zu loben und von Ihren Gaben zu sprechen. Wenn Sie in-
dess fürchten, ich möchte Ihre Briefe Andern mittheilen,
die sie verspotten könnten, so verspreche ich Ihnen, sie ge-
wissenhaft aufzubewahren und keinem Sterblichen ohne
IhreErlaubniss mitzutheilen. Sie können also bei solchen
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210 LXXVL Brief. Von Spinoza an Breuer.
Bedingungen den Briefwechsel getrost beginnen, wenn
Sie meinen Worten nicht misstraueu, was ich indess
nicht fürchte. Doch erwarte ich Ihren Aussprach in
Ihrem n&chsten Briefe und damit sugieich etwas Ein-
gemachtes von rothen Rosen, was Sie mir yersprochen,
obgleich ich mich jetzt weit besser befinde. Seitdem
ich von dort abgereist bin, habe ich einmal zur Ader
gelassen; das Fieber hat indess nicht nachgelassen (ob-
gleich ich schon vor dem Aderlass etwas munterer war,
vermuthlich in Folge des Luftwechsels), sondern ich habe
alle zwei oder drei Tage daran gelitten. Durch gute Dilt
habe ich es indess vertrieben und weiss nicht, wo es indess
hinbekommen ist; ich hoffe, dass es nicht wiederkommen
wird.
Was den dritten Theil unserer Philosophie betrifft,
so werde ich Ihnen ein Theil davon, wenn Sie der
Uebersetzer sein wollen, bald senden oder dem Herr
Vries tlberschicken; und obgleich ich entschlossen war,
vor dem Abschluss nichts wegzusenden, so zieht sich doch
dieser länger hin, als ich dachte und ich will deshalb Sie
nicht länger warten lassen und werde Ihnen den Theil bis
ohngeführ zu dem 80. Lehrsatz senden. '*^)
lieber die Angelegenheiten in England höre ich vieler-
lei, aber nichts Gewisses. Das Volk hört nicht auf, das
Schlimmste zu fürchten und Niemand weiss, weshalb man
der Flotte nicht die Zügel schiessen lässt;'") indess
scheinen die Dinge noch nicht ausser Gefahr zu sein. Ich
fürchte, man will von unsrer Seite zu gelehrt und zu vor-
sichtig sein; indess wird die Sache selbst endlich zeigen,
was sie vorhaben und bereiten; so Gott will, zum Guten.
Ich möchte wohl hören, was die Unsrigen meinen und
Sicheres wissen; indess mehr noch und vor Allem,
dass Sie meiner u. s. w.
Siebenundsiebzigster Brief
(Vom 11. Febr. 1676).3W)
Von H. Oldenburg an Spinoza.
Meinen Gruss zuvor!
In Ilirem letzten Briefe vom 7. Februar ist Manchest
was der weitem Erörterung bedarf.Sie sagen, der Mensch
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Ueber die menschliche Freiheit. ^ 241
iLÖnae sich nicht beklagen, dass Gott ihm die wahre Er-
l^enntniss seiner und die genügenden Kräfte zur Vermeid-
^log der Sünde versagt habe, da keinem Dinge von Natur
mehr zukomme, als aus dessen Ursache noth wendig folge.
Ich sage dagegen, dass, wenn Gott der Schöpfer die Men-
schen nach seinem Bilde gemacht hat, welches dem Be-
friffe nach die Weisheit, die Güte und die Macht zu ent-
alten scheint, dann folgen dürfte, dass es mehr in des
Menschen Macht stehe, eine gesunde Seele, wie einen ge-
sunden Körper zu haben: da die physische Gesundheit
des Körpers von mechanischen Kräften, die Gesundheit
der Seele aber von der Wahl oder dem Kntschluss ab-
hängt. Sie sagen dann, die Menschen können entschuld-
bar sein und doch in vieler Weise gequält werden Dies
erscheint auf den ersten Blick hart und wenn Sie als Be-
weis bemerken, auch der tolle Hund sei wegen seines
Bisses entschuldbar und werde doch mit Recht getödtet,
so scheint dies nicht zu passen. Die Tödtung eines sol-
chen Hundes würde eine Grausamkeit sein, wenn sie nicht
nothwendig wäre, um andere Hunde undThiere, ja selbst
die Menschen vor dem tollen Biss zu schützen. Wenn
aber Gx>tt den Menschen eine gesunde Seele gegeben
hätte, wie er könnte, so wäre aus dem Laster keine An-
steckung zu befürchten und es scheint deshalb fürwahr
sehr grausam, dass Gott die Menschen wegen Sünden, die
sie durchaus nicht vermeiden konnten, mit ewigen, oder
wenigstens harten zeitlichen Qualen belegt In dieser Be-
ziehung scheint der Inhalt der ganzen heiligen Schrift vor-
auszusetzen und zu enthalten, dass der Mensch sich der
Sünde enthalten könne; denn sie ist voll Verheissungen
undDrohungen, voll Ankündigungen von Strafen und Be-
lohnungen ; was Alles gegen die Nothwendigkeit, zu sün-
digen, spricht und die Möglichkeit, die Strafen zu ver-
meiden, ergiebt. Wenn man dies bestreitet, so müsste
man sagen, dass diemenschliche Seele ebenso mechanisch
handle wie der menschliche Körper.
Wenn Sie weiter die Wunder und die Unwissenheit
für gleich nehmen, so scheint dies darauf zu beruhen, dass
das Geschöpf die unendliche Weisheit und Macht des
Schöpfers erkennen könne und solle, obgleich es klar ist,
dass sich dies nicht so verhält.
• Wenn Sie endlich sagen, dass man Christi Leiden,
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242 LXXVn. Brief. Von Oldenburg an Spinoza.
Tod und Begräbniss wörtlich verstehen könne, seine
Auferstehung aber allegorisch, so wird dies, soviel ich
sehe, durch nichts von Ihnen unterstützt. In den
Evangelien wird die Auferstehung Christi ebenso wört-
lieh, wie das Uebrige, berichtet und auf diesem Artikel
der Auferstehung ruht die ganze christliche Religion
und ihre Wahrheit; beseitigt man diesen, so bricht die
Sendung Christi und die himmlische Lehre zusammen.
Es kann Ihnen nicht verborgen sein, wieviel Christus
nach seiner Auferstehung sich bemüht hat, um seine
Jünger von der Wahrheit seiner Auferstehung in dem.
eigentlichen Sinne zu überzeugen. Will man dies
Alles nur sinnbildlich nehmen, so ist dies ebenso viel,
als wenn Jemand sich bemüht, alle Wahrheit der evan-
gelischen Geschichte nmzustossen.
Dies Wenige habe ich in meiner Freiheit des
Philosophirens vorbringen wollen und ich bitte, dass
Sie es als gut gemeint ansehen.
London, den 11. Februar 1676.
P. 8. Nächstens werde ich mit Ihnen über die
Arbeiten und Versuche der Königlichen Sozietät ver-
handeln, wenn Gott mir Leben und Gesundheit lässt
Achtundsiebzigster Brief (Vom 14. Nov. 1675).
Von 6. H. Schaller an Spinoza."^)
Amsterdam, den 14. Noy. 1675
Gelehrter und vortrefflicher Herr ; höchst ver-
ehrter Gönner!
Ich ho£Pe, dass Sie meinen letzen Brief zugleich mit
dem Experiment des Anonymus richtie erhalten haben"*^)
und sich wohl befinden, was bei mir der Fall ist. Uebri-
fens habe ich von unserem Tschirn haus seit 3 Monat
eine Nachricht und war deshalb schon in Sorse, es
niöchte ihm auf dem Wege von England nach Frankreich
einUnglück zugestossen sein. Jetzt nach Empfang seines
Briefes bin ich jedoch voll Freude und theile Ihnen (nach
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Mittheüangen auB Paris. Ueber die Ethik. 243
seinem Auftrage) mit, dass er Sie grttssen lässt und dass
er glücklieb in Paris angekommen ist und dort Herrn
Huygens, den wir davon benachrichtigt, getroffen hat. Er
hat sich seiner Richtung ganz anbequemt und wird deshalb
von demselben hochgeschätzt. £r hat erwähnt, dass
Sie ihm denVerkehr mit Herrn H uyge n s empfohlen haben
und letztem hochschätzen ; dies hat ihn sehr erfreut und er
hat das Gleiche über Sie geäussert. Er hat die theo-
logisch-politische Abhandlung von Ihnen erhalten, welche
von Vielen dort geschätzt wird. Man fragt auch oft, ob
nicht mehr Schriften dieses Verfassers erschienen seien,
and Herr Tschirnhaus hat erwidert, dass ihm nur die
Bearbeitung des I. und H.Theils der Prinzipien vonD es-
cartes bekannt seien. Weiter hat er von Ihnen nichts
berichtet und er hofft, dies wird Ihnen angenehm sein.
Kürzlich hat Huyffens unsem Tschirnhaus zu sich
rufen lassen und ihm gesagt, Herr Colbert wünsche
einen Lehrer in der Mathematik ftir seinen Sohn; wenn
er wollte, könne er ihm die Stelle verschaffen; Herr
Tschirnhaus erbat sich einige Bedenkzeit und hat sich
dann bereit erklärt. Herr Huygens brachte ihm dann
die Antwort, dass Herr Colbert ganz damit zufrieden
sei, namentlich weil er bei seiner Unkenntniss des
Französischen mit dem Sohn lateinisch sprechen müsse.
Auf den neulich gemachten EinwuriP antwortet er,
dass die wenigen in Ihrem Auftrage ihm mitgetheilten
Worte ihm den Sinn mehr klar gemacht hätten, und dass
er schon dieselben Gedanken gehegt habe (indem sie
hauptsächlich diese beiden Auslegungen zulassen.) Wenn
er indess die neulich besprochene Ansicht angenommen
habe, so hätten ihn zwei Gründe dazu bestimmt und zwar
erstens, weil sonst Lehrs. 5 und 7, Th. II. sich wider-
sprechen würden. In dem ersten wird nämlich gesagt, das
Vorgestellte sei die wirkende Ursache der Vorstellung,
was doch durch den Beweis des letztem Lehrsatzes wegen
der Herbeiziehung von Grunds. 4, Th. I. erschüttert zu
werden scheint. "**) Oder (was ich eher glaube^, ich
mache keine richtige Anwendung dieses Grundsatzes im
Sinn des Verfassers, was ich von ihm selbst, wenn seine
Geschäfte es gestatten, gern vernehmen möchte. Der
zweite Grund, weshalb ich die erwähnte Erklärung an-
nahm, war, dass dann das Attribut des Denkeiu3^|i^ j^^^
SpiBOBa, Briofb. 17
244 LXXVm. Brief. Von Schauer an Spinoia.
weiter, als die übrigen Attribute ausdehnt. Allein jedes
Attribut bildet das Wesen Gottes und deshalb scheint mir
dies sich nicht zu vertragen. Das möchte ich wenigstens
sagen, wenn ich den Verstand Anderer nach dem meinen
beurtheilen darf, dass die Lehrs. 7 und 8 in Th. IL sehr
schwer zu verstehen sind und zwar blos, weil es dem
Verfasser gefallen hat (da sie ihm selbst sicherlich klar
gewesen sind), die ihnen beigefügten Beweise nur kurz
und nicht ausführlicher zu geben.
Herr v. Tschirnhaus berichtet femer, dass er zu
Paris einen ausgezeichnet gelehrten, in den verschieden-
sten Wissenschaften bewanderten und von den gewöhn-
lichen Vorurtheilen der Theologen freienMann, mit Namen
Leibniz angetroffen, mit dem er in nähern Umgang ge-
kommen, da sich ergeben hat, dass er ebenso wie Herr
Leibniz daran arbeitet, die Vervollkommnung des Ver-
standes weiter zu führen und Herr Leibniz nichts für
besser und werthvoller hält. In Sachen der Moral soll
Herr Leibniz sehr geübt sein und ohne alle Leiden-
schaft nur nach dem Gebote derVernunft sprechen. Auch
in der Physik und Methaphysik soll er in Betreff Gottes
und der Seele reiche Kenntniss haben. Er sei, meint er,
deshalb ganz werth, Ihre Schriften zu empfangen, wenn
Sie es gestatten ; er glaubt, dass es Ihnen zum grossen
VortheU gereichen würde und will dies, wenn Sie es
gestatten, Ihnen näher auseinandersetzen; sind Sie aber
nicht damit einverstanden, so seien Sie unbesorgt; er
wird seinem gegebenen Worte gemäss sie gewiss filr
sich behalten und Nichts davon erwähnen. Derselbe
Leibniz schätzt die theologisch-politische Abhandlung
sehr und er hat an Sie, wenn Sie sich dessen er-
innern, einen Brief darüber geschrieben. Ich möchte
Sie also bitten, im Fall kein ernster Grund dagegen
vorhanden ist, nach Ihrer edlen Gefälligkeit es zu ge-
statten und womöglich Ihre Ansicht mir bald wissen zu
lassen, damit ich dann gleich unserem Tschirnhaus
antworten kann, was ich gern am Dienstag gethan
hätte, wenn nicht die wichtigeren Geschäfte mit Ihnen
mich zum Warten veranlasst hätten.
Dr. Bresser ist aus Cleve zurückgekehrt und hat
einen grossen Vorrath seines vaterländischen Bieres hier-
hergesendet ; ich habe ihn erinnert, Ihnen eine halbe Tonne
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"1
Ueber eine Stelle in der Ethik. 245
zuzutheilen, was er mit den freundlichsten Grttssen
zu thun versprochen hat.
Entschuldigen Sie endlich den schlechten Stil
und die eilige Schrift und bestimmen Sie nur, wo ich
Xlmen geföllig sein soll, damit ich eine wirkliche Oe-
legenheit habe, Ihnen zu zeigen, dass ich bin,
Hochgeehrter Herr,
Ihr
bereitwilligster Diener
G. H. Schaller.
Neunundsiebzigeter Brief (Vom 18. Nov. 1675.)
Von Spinoza an G. H. Schauer.
(Die Antwort auf den vorstehenden Brief.)
Erfahrner Herr und werther Freund!
Es war mir höchst angenehm, aus Ihrem heute
empfangenen Briefe zu ersehen, dass Sie wohl sind
und dass unser Tschirnhaus seine Heise nach Frank-
reich glücklich vollendet hat. In den Gesprächen,
welche er mit Heim Huygens über mich gehabt hat,
bat er sich nach meiner Ansicht, klug benommen, und
hauptsächlich freue ich mich, dass er eine so gute
Gelegenheit für Erreichung seines Zweckes gefunden
hat. Wenn er aber meint, dass Grunds. 4, Th. I. mit
Lehrs. 5, Th. U. in Widerspruch stehe, so kann ich
dies nicht einsehen; in diesem Lehrsatz heisst es, dass
die Vorstellung jedes Dinges das Wesen Gottes, soweit
er als ein deckendes Ding gefasst wird, zu ihrer Ur-
sache habe ; in jenem Grundsatz aber, dass die Kennt-
niss oder Vorstellung der Wirkung von der Kenntniss
oder Vorstellung der Ursache abhänge. Indess muss
ich offen gestehen, dass ich hier Ihren Brief nicht
recht verstehen kann ; entweder enthält Ihr Brief oder
das Exemplar einen Schreibfehler; denn Sie schreiben,
dass Lehrs. 5 hiesse : Das Vorgestellte sei die wirkende
Ursache der Vorstellung, obgleich doch in diesem
Lehrsatz gißrade das Gegentheil gesagt wird. Ich elaube,
dass davon alle Verwirrung herkommt und oeshalb
Dji7z?dbyV^OOgie
246 LXXIX. Brief. Von Spinosa an Schaller.
würde es unnütz sein, hierüber jetzt ansführlicher n
schreiben; vielmehr warte ich ab, bis Sie mir Ihre
Meinung deutlicher erklärt haben werden und ich weiss,
dass Sie ein richtiges Exemplar haben. Leibniz,
von dem er schreibt, kennt mich, glaube ich, ans
Briefen; allein ich weiss nicht, weshalb er, der Raüi
in Frankfurt war, nach Frankreich gereist ist Soviel
ich aus seinen Briefen habe abnehmen können, ist er
mir als ein Mann von freiem Greist vorgekonunen, der
in allen Wissenschaften bewandert ist. Indess halte
ich es nicht für rathsam, ihm so schnell meine Schrift
anzuvertrauen. Ich möchte erst wissen, was er in
Frankreich treibt und die Meinung von unserem
Tschirnhaus hören, wenn er länger mit ihm verkehrt
und seinen Charakter näher kennen gelernt haben
wird. Uebrigens grüssen Sie diesen unsem Freund
in meinem Namen; wenn ich ihm mit Etwas dienen
kann, soll er nur befehlen; er wird mich zu allen
Gefälligkeiten bereit finden. Ich gratuliere zu der
Ankunft oder vielmelir Rückkehr des verehrten FVenn-
des, Herrn Bresser, sage meinen Dank ftir das ver-
sprochene Bier und werde seine Güte nach Mög^lich-
keit zu erwidern suchen. Den Versuch Ihres Ver-
wandten habe ich bisher noch nicht angestellt und ich
glaube kaum, dass ich mich dazu entschliessen werde;
je mehr ich die Sache überdenke, um so mehr scheint
es mir, dass sie kein Gold gemacht, sondern nur das
Wenige, was in dem Antimon enthalten war, daraus
abgeschieden haben. Doch hierüber ein andermal
mehr; jetzt drängt mich die Kürze der Zeit, zu schliessen.
Wenn ich Ihnen zur Zeit in Etwas behülflich sein
kann, so bin ich der, an welchem Sie immer finden werden
geehrter Herr
Ihren freundschaftlichen und bereiten
Diener
B. V. Spinoza.'*')
im Haag den 18. November 1675.
Schluss des Briefwechsels.
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247
Inhalts-Verzeichnisse.'')
I. Nach der Reihenfolge der Briefe.
A.
Seite
1. Oldenburg an Spinoza 2
2. Spinoza an Oldenburg 3
3. Oldenburg an Spinoza 6
4. Spinoza an Oldenburg 9
5. Oldenburg an Spinoza 12
6. Sninoza an Oldenburg 12
7. Oldenburg an Spinoza 25
8. Oldenburg an Spinoza 26
9. Spinoza an Oldenburg 31
10. Oldenburg an Spinoza 38
11. Oldenburg an Spinoza 41
12. Oldenburg an Spinoza 44
13. Spinoza an Oldenburg 45
14. Oldenburg an Spinoza 46
15. Spinoza an Oldenburg 48
16. Oldenburg an Spinoza 52
17. Oldenburg an Spinoza 55
18. Oldenburg an Spinoza 56
19. Spinoza an Oldenburg 57
20. Oldenburg an Spinoza 58
21. Spinoza an Oldenburg 58
22. Oldenburg an Spinoza 60
23. Spinoza an Oldenburg 62
*) Diese drei hier folgenden InhaltsverzeichnisBe nind
neu ausgearbeitet worden; insbesondere gilt dies von dem
Sach- und Namenregister No. 111., an dem es bis jetzt ganz
gefehlt hat, obgleich die Briefe bei dem Studium clor Schrif-
ten Spinoza's nur mit Hülfe eines solchen liegistere bequem
benatzt werden können.
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218 Inhalts-VerzeichniBs.
24.
Oldenburg
an
Spinoza . .
Oldenburg .
65
26.
Spinoza
an
67
B.
26.
Simon v. Vries
an
Spinoza . .
Simon ▼. Vries
69
27.
Spinoza
an
71
28.
Spinoza
an
Simon Y.VrieB
74
c.
29. Spinoza an Herrn L. M. (Ludwig Meyer) 75
D.
30. Spinoza an PeterBalling 81
31. Wilh. V. Blyenberj
32. Spinoza
33. Blyenbergb
34. Spinoza
36. Biyenbergh
36. Spinoza
37. Biyenbergh
38. Spinoza
39. Spinoza
40. Spinoza
41. Spinoza
O.
42. Spinoza an J. B. (Bresser) 144
H.
43. Spinoza an J. y. M. . . . 146
J.
44. Spinoza an J. J 147
46. Spinoza an J. J 149
46. Spinoza an J. J 153
47. Spinoza an J. J 165
K.
48. L.V.V. (Velthuysen) an J. O. ... 157
49. Spinoza an J. O. ... 171
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an
Spinoza . .
Biyenbergh .
84
an
88
an
Spinoza . .
Biyenbergh .
93
an
111
an
Spinoza . .
Biyenbergh.
120
an
126
an
Spinoza . .
Biyenbergh.
131
an
134
an
Herrn
135
an
Herrn
137
an
Herrn
139
50. Spinoza
ItthaLtB-Verzeichnün.
Ia.
an
249
Seit«
176
51.
62.
Leibniz
Spinoza
an Spinoza,
an Leibniz
177
178
53.
54.
Fabricius
Spinoza
55
56. Spinoza
57
58. Spinoza
59
60. Spinoza
61
62. Spinoza
63
64. Spinoza
65
66. Spinoza
67
68. Spinoza
69
70. Spinoza
71
72. Spinoza
73.
74.
A. Burgb
Spinoza
an Spinoza,
an Fabricius
O.
an Spinoza
an
an Spinoza
an
an Spinoza
an
P.
an Spinoza
an
an Spinoza
an
an Spinoza
an
an Spinoza
an
an Spinoza
an
an Spinoza
an
an Spinoza,
an A. Burgh
180
181
182
183
185
187
192
196
200
203
207
209
211
212
214
215
216
216
217
219
220
75.
76.
77.
78.
79.
Spinoza an Lambert v« VelthayBen
Spinoza an J. Bresser . . . .
Oldenburg an Spinoza
Scballer an Spinoza
Spinoza an Schaller . . . .
237
239
240
242
245
y Google
260 Inhalts- YendohiuM.
H. Nach der Zeitfolge der Briefe.*)
A. WfthrendSpinoza's Aufenthalt in Rhynsburg.
Aus dem Jahre 1661. Brief 1 von Oldenburg
- 2 voll Sninossa
- 3 von Oldenburg
- 4 von Spinoza
- 5 von Oldenburg
- 6 von Spinoza.
Aus d^m Jahre 1662. - 7 von Oldenburg
Aus dem Jahre 1663. 26 von Simon v. Vries
- 27 von Spinoza
- 28 von Spinoza
- 8 von Oldenburg
- 29 von Spinoza
- 9 von Spinoza
- 10 von Oldenburg
- 11 von Oldenburg
B. Während Spinoza^s Aufenthalt in Voorburg.
Aus dem Jahre 1664. Brief 30 von Spinoza
31 von Blyenbergh
Aus dem Jahre 1666. - 32 von Spinoza
33 von Blyenbergh
34 von Spinoza
36 von Blyenbergh
36 von Spinoza
37 von Blyenbergh
- - - - 38 von Spinoza
12 von Oldenburg
76 von Spinoza
13 von Spinoza
14 von Oldenburg
15 von Spinoza
16 voh Oldenburg
*) Die Namen hinter der Ziffer der Briefe bedeuten deren
Absender: wo N. N. steht, ist der Absender nicht genannt. Die
Zeitfolge hat zum Theil nur nach wahrscheinlichen Annahmen
geregelt werden können, da bei vielen Briefen das Datum fehlt.
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InhaltB-VerzeichniBs. 261
Aus dem Jahre 1666. Brief 39 von Spinoza
40 von Spinoza
41 von Spinoza
42 von Spinoza
43 von Spinoza
Aus dem Jahre 1667. Brief 44 von Spinoza
45 von Spinoza
Aus dem Jahre 1669. Brief 46 von Spinoza
C. Wtthrend Spinoza's Aufenthalt im Haag.
Aus dem Jahre 1671. Brief 48 von Velthuysen.
49 von Spinoza
47 von Spinoza
61 von Leibniz
52 von Spinoza
Aus dem Jahre 1673. Brief 53 von Fabricius
54 von Spinoza
Aus dem Jahre 1674. Brief 50 von Spinoza
56 von N. N.
56 von Spinoza
57 von N. N.
58 von Spinoza
69 von N. N.
60 von Spinoza
61 von N. N.
62 von Spinoza
Aus dem Jahre 1675. Brief 63 von N. N.
64 von Spinoza
17 von Oldenburg
18 von Oldenburg
65 von N. N.
66 von Spinoza
67 von N. N.
68 von Spinoza
73 von A Burgh
19 von Spinoza
20 von Oldenburg
21 von Spinoza
78 von Schaller
79 von Spinoza
22 von Oldenburg
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252 InhaltB-yerzeicfaiiiBB.
Aus dem Jahre 1676. Brief 23 von Spinoza
- 74 von Spinoza
75 von Spinoza
Aus dem Jahre 1676. Brief 24 von Oldenburg
77 von Oldenburg
25 von Spinoza
69 von N. N.
70 von Spinoza
: - - 71 von N. N.
72 von Spinoza
III. Nach alphabetischer Ordnung der
Sachen und Personen.*)
A.
Aberglaube. 21, 59.
Accidenz. 4, 11.
Adam. 82, 89, 33, 100, 108.
Alezandrus. 57, 186.
Almosengeben. 36, 129.
Anatomische Curiosa. 16, 53.
An-sich. 26, 70. 38, 95.
Anzeichen. 80, 82.
Applicaten. 68, 209. 64, 210.
Apulejus. 59, 186.
Aristoteles. 60, 200.
Attribut. 2, 4. 3, 8. 4, 11. 26, 70. 27, 72, 78.
28, 74. 33, 110. 63. 207. 66, 211. 66, 212.
67, 214. 78, 234.
Auge; sehen. 44, 147.
Ausdruck, Arteii des. 68, 215.
Ausdehnung. 4, 10. 41, 140. 70, 217.
Auzout. 14, 47.
B.
Baco. 2, 2, 5. 9, 36. 42, 145.
Bearbeitung der Prinzipien von Descartes.
9, 13. 10, 39. 33, 104, 105. 34, 119. 37,
131. 38, 134. 40, 137. 46, 151. 50, 176.
62, 206.
♦) Die fetten Ziffernezeichnen die Zahl des Briefes; die
dahinter stehenden, durch Komma getrennten, die Seitenzahl.
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Inhalts-Veneicliiii«. 263
Begrenzt. 41, 140.
Bejahung. 41, 140.
Beraubung« 32, 90. 38, 96. 34, 113.
Beschlüsse Gottes. 34, 117.
Bewegung. 71, 217.
Beweis, des Daseins Gottes. 29, 80.
Beziehungen. 29, 78.
Bibel. 33, 106. 34, 119.
Blut. 15, 49.
Böses. 31, 86. 32, 89. 33, 94.
Borellus. 26, 69.
Bourgeois, Dr. 17, 65.
Boyle, Richard. 2, 8. 6, 12. 7, 25. 8, 27, 30.
9, 32. iO, 39. II, 41. 12, 44. 13, 45. 16, 53.
Brechtelt, Dr. 45, 149.
Bresser, Dr. 78, 244.
C.
Cäsar. 59, 196«
Chatillon. 74, 234.
Christus. 21, 59. 22, 61. 23, 65. 25, 68. 48,
167. 73, 223.
Clavius. 26, 70.
Colbert. 78, 243.
Cordanus. 57, 186.
D.
Dasein. 28,74. Gottes. 39,136. 40,138.
Dauer, 29, 76.
Definition. 2,5. 4,10. 26,69. 27,71 28,74.
39, 136. 84, 210. 71, 218.
Deisten. 49, 171.
Demokrit. 60, 200.
Denken. 4, 10. 33, 89. 41, 140.
Descartes. 2, 2, 6. 6, 17. 8, 29. 9, 35, 36. 13, 45.
14, 48. 15, 61. 16, 52. 32, 92. 33, 105. 34,
115, 117. 45, 160. 48, 163. 60, 201. 62,
203, 205. 63, 208. 68, 215. 71, 217. 72,
219. 75, 240. 78, 243.
Die m erbrock. 52, 180.
Dioptrik. 44, 147.
£.
Ebene. 27, 74.
Eigenschaften, geheime. 3, 9. 6, 18. 64, 210.
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254 Inhalta-VeneiohniM.
Einbildungskraft. 30, 82. 42, 145.
Einfach. 40, 137.
Einheit von Vater und Sohn. 30,83. Gottes. 38,195.
Empedokles. 59, 196.
Epikur. 60, 200.
Erhaltung. 31, 85.
Erkenntniss. 42, 144.
Erschaffen. 4, 11.
Erzeugen. 4, 11.
Ethik, Spinozas. Vorrede. 1. 9, 32. il, 43. 19, 51.
20, 58. 26, 70. 36, 129. 37, 133. 63, 207.
66, 213. 71, 218, 78, 243. 79, 245.
Ewigkeit. 29, 76. 30, 137.
F.
Fernröhre. 44, 148. 45, 151.
Festes. 6, 23.
Flüssiges. 6, 20. 8, 30.
Formen, unerklärbare. 3, 9.
Freiheit des Menschen. 23, 63. 24, 65. 25, 67.
33, 98. 34, 115. 35, 122, 123. 49, 173. 61,
202. 61^ 204. 77, 241.
Fromme. 32, 92. 35, 123. 36, 128.
O.
Gassendi. 8, 29.
Gattung. 32, 90. 50, 176. 59, 195.
Gebet. 33, 102.
Gedächtniss. 30, 83.
Gedanke. 3, 7.
Gefallen, Gottes. 36 129.
Gemeinbegriffe. 4, 10.
Gerechte. 36, 129.
Gespenster. 55, 182. 56, 183. 57, 185. 58, 187.
59, 192. 60, 199.
Gestalt. 50, 176.
Gesetze. 32, 91.
Gilles V. d. Hek. 53, 181.
Gläser, optische. 15, 52. 16, 53. 3i, 142. 51, 178.
Gleichnisse. 33, 107. 38, 118.
Gold machen. 45, 149. 79, 246.
Gott. 2, 4. 3, 7, 8. 4, 11. 21, 59. 25, 68. 26,
71. 32, 89, 91. 33, 94, 106. 36, 124. 36, 127.
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InhaltB-V^rzeichniss. 255
49, 172. 50, 176. 58, 189. 59, 193. 60, 198.
79, 245.
Gottlose. 34, 113. 36, 128.
Grotins. 53, 180.
H.
Hevel. 14, 47.
Heidelberg. 53, 180.
Helvetius. 45, 149.
Hobbes. 50, 175.
Hu et. 72, 129.
Huygens. 13, 45. 14, 47, 48. 15, 51, 52. 16, 52.
78, 243. 79, 245.
J.
Jacob. 27, 74.
Jehuda Alpakhar. 49, 174.
Jrrthum. 2, 5. 37, 131.
Jsrael. 27, 74.
Juden. 16, 54.
K.
Kälte. 13, 45.
Kirche, katholische, 73, 227. 74, 233, 236
Kirch er. 14, 46.
Körper. 3, 7.
Komet. 14, 47.
Kurfürst v. d. Pfalz. 53, 180.
Lana, Franz. 51, 177. 52, 179.
Lavater. 57, 186, 187.
Leerer Raum. 10, 40.
Lehrsätze. 27, 72.
Leibniz. 78, 274.
Leidenschaft. 35, 121.
Licht der Natur. 3, 7.
Liebe zur Wahrheit. 32,88. zu Gott. 49,173. zu
den Menschen. 74, 233.
Linus, Franz. 10, 39.
Lucrez. 60, 200.
Lymphe. 15, 49.
H.
Maass. 29, 177.
Maimonides. 49, 174.
Melanchton. 57, 186.
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256 Inhalts- Veizeichniss.
Mensch, der politische. 47, 157.
Mersenne. 48, 158.
Mikroskope. 13, 45.
Modificaiion, unendliche. 65, 211. 66, 214
Mysterien. 48, 195.
Natur. 21, 59. gewirkte. 27, 73,
Nero. 36, 127.
Neustadt, Dr. 75, 237.
Nicht-Seiendes. 31, 86. 33, 95.
Nothwendigkeit, des Willens. 22, 60. 23, 62.
24, 66. 38, 134. 60, 197.
O.
Obrigkeit. 48, 167.
01t ins, Johann. 51, 177. 52, 179.
Optik. 51, 177.
Orest. 36, 127.
Pabst, der. 74, 237.
Paulus. 25, 68.
Pendel. 14, 48.
Plato. 60, 200.
Plinius. 57, 186.
Plutarch. 57, 186. 59, 196.
Politik. 50, 175.
Propheten. 32, 91. 33, 106. 34, 119.
Rab-Ghasdaj. 29, 80.
Keligion. 21, 50. 48, 165. 49, 172.
Ruhe, Liebe zur. 54, 182.
Salomo's Tempel. 27, 71.
Salpeter. 6, 13. 8, 27.
Salpetergeist. 6, 13. 8, 28. 9, 33. II, 42.
Saturn, Ring des. 13, 45.
Schaffen. 31, 85.
Schönheit. 59, 194.
Seele. 15, 51; ruhe. 34,112. 35,125. 37,132,133.
Serrarius. 10, 39. 12, 44. 13, 45.
Sextus Empiricus. 60, 199.
Sich-selbst-genügen. 40, 137.
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Inhalia-Virzeicfams«. 257
Societät zu London. 7, 25. 8, 80. 10, 39.
Socinianer 33, 118.
Socrates. 60, 200.
Spiel. 43, 145.
Staat. 48, 169.
Stenonius. 74, 232.
Stoff, 72, 219.
Substanz. 2,4. 3,8. 4,11. 26,71. 27,72,73.
29, 76.
Sünde. 32, 89. gegen Gott. 33, 103.
Sueton. 67, 186. 68, 192.
T.
Tangente. 63, 209. 64, 210.
Taquet. 26, 69.
Teleskope. 13, 45.
Teufel. 74, 234.
Thal es. 47, 156.
Tbeile. 41, 141.
Theologie. 36, 127, 128.
Theologisch-politische Abhandlung Spinoza's.
7, 25. 8, 30. 10, 41. 14, 46, 47. 15, 48. 17, 55.
18, 56. 19, 57. 21, 59. 31, 85. 47, 156. 48,
157. 73, 221. 74, 237. 75, 237.
Thermometer. 13, 45.
ThyrÄus. 67, 187.
Tod. 37, 132.
Trost der Religion. 33, 109.
Tschirnhauss. 78, 242, 244. 79, 245.
Türken. 49, 175.
Tugend. 33, 103. 36, 130. 49, 172. 62, 206.
Unbegrenzt. 41, 141.
Unendlichkeit. 29,75,79. 40,137. 69,217. 70,217.
Untheilbar. 40, 138.
Unvollkommen. 40, 138. 41, 142.
Unwissenheit. 22,61. 23,63. 24,66.25,68.77,241.
Ursache. 3, 8. 4, 11. 5, 12, 36, 127. 39, 135.
V.
Verneinung. 31, 96, 97. 34, 118.
Vernunft. 63, 207.
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258 Inhaits-yeneichmss.
Voetius. 49, 171.
Vollkommenheit. 32, 89. 3S, 123. 41, 141.
Vorbedeutung. 30, 81.
Vorstellungen. 4, 10. klare 42, 144. bildliche
60, 199. falsche 63, 207. zureichende 63
208. 64, 209.
Wahrheiten, ewige. 28, 74. 61, 200. 64, 209.
73, 225; 74, 234.
Wahrscheinlichkeit im Spiel. 43, 145. 59, 194.
60, 198.
Wasser, Kraft des. 46, 153.
Weiss. 27, 74.
Welt. 67, 214.
Wesen. 35, 121.
Wierus. 57, 186.
Wille. 2, 6. 31, 85. 33, 97, 104. 110, 36, 130.
58, 189. 59, 193. 60, 197. 61, 201. foi/^S--
Wunder. 22, 61. 23, 63. 24, 66. 25, 68. 48, 162.
Zahl. 29, 78. 39, 136.
Zeit. 29, 77.
Zufall. 60, 197.
Zusammenhang der Natur. 15, 149.
Zusammensetzung. 41, 140.
Zustände. 29, 76.
-<a50f9-
Draok von Max Sohmenow vorm. ZaIub & Baendd, gJroliii^iB K.-L.
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Verlair der Bftxr'söhdn BnoUiandlniiir in Ltipslif.
Schllleß philosophische Schritten nnn Gedichte
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Professor Eugen Kühnemann
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Dm UtorarliObe Eoho. IV. Jahrg., Ur, 12. Der Heraiugeber h»t lioh mit
dieser Sohrifl ein grofles Verdienst erworben. Wenn es Jetit »n der Zelt ist,
•In neues nnd tieferes YerstAndnls der literarisohen Leistung und Persönliohkeit
Sohlllen %n gewinnen, so müssen anoh seine Isthetisohen Abhandinngen nnd
mehr mit aufmerksamerem Yerst&ndnis gelesen werden als seither
K ahnemann erleiohtert dem Leser das Bindringen nnd die TOnfnhmng
in Sohillers Lebens-, Welt- und Knnstansioht duroh eine klare, flbersiohtUohe
«nd ins Tiefe gehende Sinleitnng. Sie erläutert TerständnisToll den pftdagogi-
■ohen Wert der Philosophie Schillers, gibt die Grundlinien der Asthethik und
Sthik Kants, kennaeiohnet SohiUers Verhlltnls daiu und beleuohtet die f&r da«.
Terstlndnis der Sohülersehriften unentbehrlichen Gesichtspunkte. Die Auswahl
selbst ist sehr glfloklioh getroffen.
JSBiis«iggBWJWMSwiaawn5gttis«n5gttis«nawi gamsBauwugBBiuwuswuaiBMgmigB
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Professor Dr. Max Heynacher,
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.'iJ ' Berltaer TaiOhlatt» Das Hejnaohersche Buch ordnet das gewaltige Werk
nach der historis^en Folge. Bine Xinftthrung bringt die Oesohiohte des Lebene
an der Hand der Bntwlokelung seiner philosophischen Anschauungen. Bs folgen
sodann yoUstindig oder in Aussogen, was man als philosophisehe Schriften
klassiflsieren kann. Das Buch ist naeh seiner übersichtlichen Fassung und seiner
durchsichtigen, alle Dunkelheiten Termeidenden Sprache fOr Jeden Gebildeten
TeratAndllch; es eröiZnet so auch dem philosophisch nicht Yorgebfldeten eine
königliche TOr In das Geistesleben unserer leitenden Geistesheroen. So ist sein
Erscheinen dankbar su begrfifien.
Herdeß Philosophie.
Ausgew&hlte Denkmäler aus der Werdezeit der neuen deutschen
Bildung.
Herausgegeben von
Privatdozent Lic. Dr. H. Stephan in Leipzig.
Geheftet 8,60 M., gebunden 4.20 M.
Saul unter den Propheten? Herder unter den Philosophen? — Wer in
eine Geschichte der Philosophie blickt, findet darin wenig genug Aber Herder.
Trotsdem war es ein riöhtiger Gedanke des Herrn Verlegers, ihm einen Band
der Philosophischen Bibliothek au widmen. Wenn nicht alle Zeichen trfigen,
beginnt der phllosophisohe Sinn unserer Gebildeten sich wieder su heben. Daäu
erwacht allmfthlidh die Teilnahme fOr die Geschichte der deutschen Bildung in
der sweiten Hllfte des 18. Jahrhunderts. Beide Strömungen müssen auf
Herders Lebensarbeit führen. Dann aber bedarf es nicht nur der rielen
Bücher über Herder, die wir haben, sondern ror allem auch eines kursen, billigen
Abdruckes seiner wichtigsten philosophischen Schriften. (Aus der Vorrede.)
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FE8 3*- 194a
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