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Full text of "Bayern und Deutschland"

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RIVERSIDE 


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M.  DOEBERL 

BAYERN  UND 
DEUTSCHLAND 


Bayern 

und  die  BismarckisAe 

Reidisgründung 


Mündien  und  Berlin  1925 
Druck  und  Verlag  von  R.  Oldenbourg 


BAYERN  UND 
DIE  BISMARCKISCHE 
REICHSGRÜNDUNG 


Von 

M.  DOEBERL 


Mündien  und  Berlin  1925 
Druck  und  Verlag  von  R.  Oldenbourg 


Alle  Rechte,  einsdiließlidi  des  Qbersetzungsrechtes,  vorbehalten 
Copyright  1925  by  R.  Olclenbourg,  München 


Wenige  Ereignisse  der  deutschen  und  bayerischen  Vergangen- 
heit bergen  so  hohe  Interessen  und  so  große  Erinnerungen 
und  sind  doch  zugleich  so  sehr  mit  Legenden  überwuchert  als 
das  letzte  Stadium  der  Gründungsgeschichte  des  Bismarckischen 
Reiches :  mit  Legenden  überwuchert  nicht  bloß  in  der  zeitgenös- 
sischen Publizistik,  nicht  bloß  in  der  Memoirenliteratur,  auch 
in  der  wissenschaftlichen  Literatur  der  Gegenwart.  Das  gilt 
von  der  vielberufenen  Schrift  A.  v.  Ruvilles  (,, Bayern  und  die 
Wiederaufrichtung  des  Deutschen  Reiches"  1909)  und  z.  T. 
selbst  von  dem  Werke  Ottokar  Lorenz'  (,, Kaiser  Wilhelm  und 
die  Begründung  des  Reiches"  1902),  so  wertvolle  Mitteilungen 
dieser   aus   der  deutschen  Fürstenwelt  bringt. 

Meine  Aufgabe  ist  es  nun,  an  der  Hand  der  bayerischen 
Staatsakten,  die  ich  im  bayerischen  Ministerium  des  Äußern,  im 
Münchener  Geheimen  Staatsarchiv,  im  Münchener  Kriegsarchiv 
und  im  Münchener  Geheimen  Hausarchiv  zum  erstenmal  ein- 
gesehen habe,  aber  auch  der  Akten  des  Auswärtigen  Amtes 
und  des  Reichsamtes  des  Innern  in  Berlin  sowie  württem- 
bergischer und  badischer  Staatspapiere  diese  Legenden  vollends 
zu  zerstören  und  den  Hergang  rein  realistisch,  so  wie  sich 
das  Bild  aus  dem  unmittelbaren  Arbeitsnachlaß  der  Epoche  ent- 
hüllt, ohne  Schönfärberei,  aber  unter  Würdigung  der  Psychologie, 
der  seelischen  Voraussetzungen  des  bayerischen  Staates  und 
Volkes  und  seiner  führenden  Männer  zu  schildern.  Dabei 
möchte  eines  nicht  aus  dem  Auge  verloren  werden:  heute 
steht  der  Bestand  des  deutschen  Nationalstaates  für  jeden 
vernünftigen  Deutschen  außer  jeder  Diskussion;  in  der  Zeit 
der  Reichsgründung  aber  war  er  ein  umstrittenes  Problem. 

Soweit  das  ohne  Kenntnis  der  ungedruckten  Akten  mög- 
lich war,  ist  namentlich  seitens  Wilhelm  Buschs  (,,Die  Kämpfe 
um  Reichsverfassung  und  Kaisertum"  1906,  ,, Württemberg 
und  Bayern  in  den  Einheitsverhandlungen  1870"  in :  Historische 
Zeitschrift,  1912),  Georg  Künzels  (,,Bismarck  und  Bayern 
in  der  Zeit  der  Reichsgründung"  1910),  Erich  Branden- 
burgs (,,Der  Eintritt  der  süddeutschen  Staaten  in  den  Nord- 
deutschen Bund"  1 910,  ,,Die  Verhandlungen  über  dieGründung 


des  Deutschen  Reiches"  in:  Hist.  Vierteljahresschrift,  1912)1), 
Wilhelm  Stolzes  (,,Die  Gründung  des  Deutschen  Reiches"  1912), 
Bernhard  Weickers,  (,,Vom  Staatenbund  zum  Bundesstaat," 
2.  Teil  191 1)  wertvolle  kritische  Vorarbeit  zur  Geschichte  der 
Gründung  des  Deutschen  Reiches  geleistet  worden.  Ihnen  bin 
ich  ebenso  zu  Dank  verpflichtet  wie  den  hohen  Stellen  und 
Behörden,  die  mir  Einsicht  in  die  Akten  gewährt  haben. 
Besonderen  Dank  schulde  ich  dem  Ministerialdirektor  im 
bayerischen  Ministerium  des  Äußern,  Herrn  Dr.  Ernst  v.  Müller, 
der  meine  Arbeit  nicht  bloß  amtlich  sondern  auch  wissen- 
schaftlich in  warmherziger  und  sachverständiger  Weise  ge- 
fördert hat. 


^)  Für  die  neue  Auflage  seines  Werkes  ,, Die  Reichsgründung"  (1923) 
zog  er  nunmehr  auch  die  Akten  des  Auswärtigen  Amtes  in  BerHn  heran, 
soweit  das  im  Rahmen  seiner  zusammenfassenden  Darstellung  möglich  war. 
Wertvolle  Mitteilungen  aus  dem  Archiv  des  Auswärtigen  Amtes  in  Berlin 
bringen  auch  Alfred  Stern,  Gesch.  Europas  von  1848 — 71,  Bd. 10  (1924)  u. 
Robert  Howard  Lord,  The  origins  of  the  war  of  1870,  new  documents 
from  the  German  archives  (1924). 


Inhaltsverzeichnis. 


Seite 

Einleitung V 

I,   Bayerische  Hemmungen i 

II.   Die  Haltung  Bayerns  bei  Ausbruch  des  Deutsch-französischen 

Krieges       ii 

III.  Bayerische  Vorbehalte 43 

IV.  Bayerische  Initiative  in  der  deutschen  Frage 58 

V.   Die  Münchener  Konferenzen 91 

VI.    Die  Versailler  Verhandlungen 103 

VII.   Aussprache  mit  Österreich 136 

VIII.    Das  Kaiserproblem      143 

IX.   Der  bayerische  Landtag  und  die  Versailler  Verträge     ....  176 
X.    Das    Bismarckische    Reich    und    sein   Verhältnis    zu    Bayerns 

König  und  Volk       192 

Beilagen 215 


Abkürzungen: 

H.  A.  A.  =  Haupt archiv  des  Auswärtigen  Amtes  in  Berlin. 

K.  St.  A,   =  Karlsruher  Haus-  und  Staatsarchiv. 

M.  H.  A.  =  Münchener  Hausarchiv. 

M.  Kg.  A.  =  Münchener  Kriegsarchiv. 

M.  St.  A.  =  Münchener  Staatsarchiv  (bez.  Ministerium   des  Äußern). 

R.  d.   I.   =  Registratur  des  Reichsministeriums  des  Innern  in  Berlin. 

St.  St.  A.  =  Stuttgarter  Haus-  und  Staatsarchiv. 


I. 

Bayerische  Hemmungen. 

Ein  jubelnder  und  vorbehaltloser  Eintritt  Bayerns  in 
das  Deutsche  Reich,  in  den  preußisch-deutschen  Nationalstaat, 
ist  nicht  erfolgt.  Die  bayerische  Regierung  wäre  auch  jetzt 
einem  kleindeutschen  Bundesstaat  unter  preußischer  Führung 
lieber  ferne  geblieben.  Sie  betrachtete  den  Eintritt  als  eine 
Konzession  und  vollzog  ihn  schließlich  nur  gegen  Gewährung 
von  Sonderrechten. 

Aber  das  ist  ebenso  gewiß:  dieses  Zögern,  dieser  Wider- 
stand hatte,  wenn  auch  hier  die  Pflicht  des  Historikers  er- 
füllt, auch  hier  Personen  und  Handlungen  aus  ihren  Ver- 
hältnissen heraus  beurteilt  werden  sollen,  eine  innere  Berechti- 
gung. Bayern  handelte  als  staatlicher  Organismus  aus  einer 
gewissen  inneren  Notwendigkeit  heraus. 

Die  Opfer,  die  der  Norddeutsche  Bund  von  den  deutschen 
Fürsten  verlangte,  erschienen  dem  Herzog  Ernst  von  Koburg 
so  bedeutungsvoll,  daß  er  dem  Grafen  Bismarck  gegenüber 
die  Frage  aufwarf,  ob  es  nicht  besser  wäre,  eine  Art  von  Me- 
diatisierung  der  deutschen  Fürsten,  eine  Annäherung  an  das 
preußische  Herrenhaus  eintreten  zu  lassen. 

Eine  solche  Selbstvernichtung  konnte  wohl  von  einem 
Herzog  Ernst,  der  seine  fürstliche  Stellung  nie  besonders  hoch 
eingeschätzt  zu  haben  scheint,   angeboten  werden. 

Nicht  aber  von  dem  bayerischen  Staate,  dem  ältesten  der 
deutschen  Staaten,  einem  der  ältesten  europäischen  Staaten 
überhaupt,  einem  Staate,  der  kein  Augenblicksgebilde,  keine  will- 
kürliche Schöpfung  eines  Willensaktes  war,  der  nach  dem  Urteile 
nicht  bloß  bayerischer  Staatsmänner,  sondern  auchBismarcks  die 
stärksten  Vorbedingungen  einer  wirklichen  Existenzfähigkeit 
aufwies:  eine  uralte  staatliche  Tradition,  eine  1400jährige 
politische  Gemeinschaft,  eine  1000 jährige  mit  Land  und  Volk 

Doeberl,  Bayern  und  die  Bismarckische  Reichsgründung.  I 


verwachsene    Dynastie,    ein    ausgeprägtes    Staatsbewußtsein 
seiner   Bevölkerung,    ein   ursprüngliches,    wurzelfestes,    kraft- 
volles Volkstum,  mit  einer  uralten  Kultur,  mit  einer  besonderen 
Eigenart  der  Lebensbetätigung  in  Wirtschaft  und  Gesellschaft, 
mit  einem   Wirtschaftsleben  eigener  Prägung  bei  aller  Ver- 
flechtung in  die  deutsche  Wirtschaft.  Ludwig  von  der  Pfordten 
schloß  eine  umfassende  Denkschrift  aus  dem  Jahre  1856  mit 
den  Worten:  ,,Man  kann  die  jetzigen  Glieder  des  Deutschen 
Bundes  in  zwei  Klassen  scheiden :  in  solche,  durch  die  der  Bund 
besteht,   und  in  solche,   die  nur  durch  den  Bund  bestehen. 
Bayern  gehört,  wenn  es  nicht  sich  selbst  aufgibt,  unbestreitbar 
in  die  erste  Klasse.    Es  trägt  die  Garantie  seiner  Fortexistenz 
in  sich,  in  seiner  Geschichte  und  der  mit  dieser  verwebten 
Dynastie,  in  seiner  Verfassung,  in  seinem  Territorialumfang, 
in  dem  Selbstgefühl  und  der  Kraft  seiner  Bevölkerung,  in  der 
Entwicklung   seiner    finanziellen,    nationalökonomischen    und 
politischen   Machtverhältnisse   und   in   den   Beziehungen   der 
europäischen    Großmächte    zu     ihm    und    untereinander."^) 
Und  auch  Bismarck  äußerte  schon  während  seines  Frankfurter 
Aufenthaltes    zu    dem    damaligen    bayerischen    Bundestags- 
gesandten Freiherrn  v.  Schrenck:  ,, Bayern  könnte  persönliche 
Politik   treiben,    weil    es    sowohl    vermöge    der    Homogenität 
seines  Staates  als  der  Zahl    seiner  Bewohner  für  sich  selbst 
zu  leben  vermöchte,  während  andere  Staaten  zweiten  Ranges, 
wie    Hannover   und    Kurhessen,    im    Hinblick   auf   ihre   geo- 
graphische Lage  sich  nicht  beikommen  lassen  könnten,  von 
Preußen,  dessen  notwendige  Enklaven  sie  seien,  sich  unab- 
hängig   zu    machen."      Derselbe    Bismarck    wies    in    einem 
Schreiben  vom  Frühjahr  1865  den  Gedanken  einer  ,,Mediati- 
sierung  Bayerns  in  irgendwelcher  Form  als  etwas  Mögliches 
oder  zu  Erstrebendes  "durchaus  zurück:   ,,Auch  in  Preußen 
wird  in  den  Kreisen,  welche  überhaupt  zu  politischem  Urteil 
befähigt  sind,  die  selbständige  Bedeutung  Bayerns  vollständig 
erkannt,  welche  der  bayerische  Herr  Minister  mit  so  gerechtem 
Selbstgefühl  betont.   Bayern  ist  vielleicht  das  einzige  deutsche 
Land,  dem  es  durch  materielle  Bedeutung,  durch  die  bestimmt 
ausgeprägte  Stammeseigentümlichkeit  und  die  Begabung  seiner 
Herrscher  gelungen  ist,  ein  wirkliches  und  in  sich  selbst  be- 
friedigtes Nationalgefühl  auszubilden.   Die  Bedeutung  Bayerns 
steht    nicht    hinter    der    der    anderen    europäischen    Staaten 
zurück,  welche  selbständig  in  Europa  bestehen,  ohne  sich  an 

1)  M.  Doeberl,    Bayern   und   Deutschland   im    19.  Jahrhundert   (1917) 
S.   104. 


einen  Bund  zu  lehnen  und  ohne  eine  Verletzung  ihrer  Unab- 
hängigkeit zu  besorgen  .  .  .  Unsere  Verhältnisse  weisen  uns 
auf  die  Bundesgenossenschaft  mit  Bayern  hin,  aber  nicht  auf 
das  exzentrische  Streben  uns  einen  kräftigen,  in  sich  zufriedenen 
und  abgeschlossenen,  geographisch  und  volkstümlich  zur  Selb- 
ständigkeit berufenen  Staat  mit  Gewalt  oder  List  zu  assimi- 
lieren." Derselbe  Bismarck  schrieb  in  der  Übergangszeit 
zwischen  1866  und  1870  an  seinen  Vertreter  in  München,  den 
Prinzen  Reuß:  ,,Wir  stehen  zu  den  süddeutschen  Staaten  in 
einem  anderen,  man  kann  sagen  günstigeren  Verhältnis  als 
zu  dem  Norddeutschen  Bund.  In  Betreff  des  letzteren  er- 
fordert unsere  eigene  Sicherheit  eine  straffere  Anziehung  der 
Bande  innerhalb  des  Bundesverhältnisses  und  für  uns  eine 
unbedingte  Disposition  über  die  Kräfte  des  Bundes  nach 
innen  und  außen  ...  In  Betreff  Süddeutschlands  bedürfen 
wir  nicht  derselben  strengen  Form  der  Einigung,  sondern  nur 
eines  unzweideutigen  Ausdrucks  der  nationalen  Gemeinschaft, 
welcher  gleichzeitig  die  Gewißheit  gibt,  daß  die  süddeutschen 
Staaten  nicht  einer  feindseligen  Tendenz  gegen  Norddeutsch- 
land, einer  Anlehnung  an  fremde  Mächte  verfallen  und  daß 
die  Pflege  der  gemeinsamen  materiellen  Interessen  des  deut- 
schen Volkes  durch  gemeinsame  organische  Einrichtungen 
sichergestellt  wird  .  .  .  Ew.  Durchlaucht  wollen,  namentlich 
auch  in  außeramtlichen  Kreisen,  der  etwaigen  Besorgnis  ent- 
gegentreten, als  schwebte  uns  der  Gedanke  vor,  unser  Verhält- 
nis zu  Bayern  jemals  nach  dem  Muster  zu  ordnen,  an  welchem 
die  geographische  Lage  uns  nötigt  Sachsen  gegenüber  festzu- 
halten." Er  ermahnte  den  Nachfolger  des  Prinzen  Reuß,  den 
Gesandten  Freiherrn  v.  Werthern,  zu  größtmöglicher  Rück- 
sichtnahme auf  bayerische  Empfindlichkeiten:  ,,Ew.  Hoch- 
wohlgeboren  können  versichert  sein,  daß  ich  in  dieser  Richtung 
jede,  auch  anscheinend  weitgehende,  Rücksichtnahme  und 
Bescheidenheit  im  amtlichen  Verkehr  mit  Bayern  bei  S.  M. 
dem  König  zu  vertreten  bereit  bin  und  es  nur  billigen  und 
Ihrer  Aufgabe  angemessen  finden  werde,  wenn  Sie  sich  zum 
Advokaten  der  bayerischen  Wünsche  und  Auffassungen  und 
dadurch  zum  Vermittler  eines  guten  Verhältnisses  zu  machen 
suchen."  Die  Prophezeiung  seines  Gesandten  von  dem  nahen 
Zusammenbruch  des  bayerischen  Staates  weist  er  bestimmt 
und  entschieden  zurück:  ,,Wenn  auch  keinem  Staate,  der 
unsrige  nicht  ausgenommen,  die  Dauer  zu  garantieren,  so 
zeigt  doch  ein  Rückblick  auf  die  Geschichte  des  bayerischen 
Staates    in    seinen    Bevölkerungen    ein    starkes    Beharrungs- 


vermögen  und  in  den  Stammlanden  eine  starke  Anhänglich- 
keit an  die  Dynastie."^) 

Eine  solche  Selbstvernichtung  konnte  nicht  erwartet 
werden  von  einer  Dynastie  mit  der  großen  Vergangenheit 
wie  der  wittelsbachischen,  die  den  bayerischen  Territorial- 
staat geschaffen,  vor  den  Hohenzollern  um  die  Hegemonie 
Deutschlands  gestritten  hatte,  die  seit  dem  Dreißigjährigen 
Kriege  wiederholt  ein  maßgebender  Faktor  selbst  in  der 
europäischen  Politik  gewesen  war,  die  nach  britischem  Zeug- 
nisse für  Kunst,  Wissenschaft  und  schöne  Literatur  mehr  ge- 
leistet hatte  als  manche  europäische  Großmacht,  die  in  allem 
Wechsel  der  Jahrhunderte  und  bei  allem  Reichtum  individueller 
Entfaltung  gerade  in  ihren  begabtesten  und  kraftvollsten 
Repräsentanten  immer  wieder  zwei  Grundzüge  ihrer  Wesen- 
heit offenbarte:  einerseits  das  Bewußtsein  der  Zugehörigkeit 
und  der  Verpflichtung  gegenüber  einem  größeren  Ganzen, 
der  deutschen  Nation,  anderseits  das  Streben  nach  terri- 
torialer Selbständigkeit  und  fürstlicher  Selbstherrlichkeit. 

Nicht  von  einem  Ludwig  IL,  dem  letzten  König  alten 
Stils,  dem  auf  der  langen  Entwicklungsleiter  fürstlicher 
Mentalität  verstiegensten  Repräsentanten  einer  tausendjährigen 
Dynastie,  der  von  ,, seiner  königlichen  Stellung  und  seinem 
Herrscheramte",  ,,dem  Schönsten,  Erhabensten  auf  Erden", 
wie  er  es  nennt,  die  denkbar  höchste  Vorstellung,  ein  krankhaft 
gesteigertes  und  mißtrauisch  bewachtes  Selbstgefühl  hatte, 
dessen  Herrscherideal  der  eifersüchtigste  Kronenträger,  Lud- 
wig XIV.,  war.  Wie  so  oft  hat  auch  hier  Bismarck  gerechter 
geurteilt.  ,,Die  einen,"  hat  er  später  einmal  geäußert,  ,, hätten 
dem  Könige  von  Bayern  zugemutet,  in  einem  Einspänner 
hinter  dem  Reichsomnibus  herzufahren.  Die  Vorwürfe,  die 
in  Preußen  gegen  König  Ludwig  erhoben  wurden,  weil  er  seine 
Stellung  als  souveräner  Fürst  nicht  aufgeben  noch  we- 
sentliche Rechte  an  die  Reichsgew^alt  abtreten  wollte,  seien 
aber  noch  unsinniger  gewesen.  Könnte  man  denn  glauben, 
daß  ein  Hohenzoller  auf  dem  bayerischen  Thron  gleich  mit 
beiden  Füßen  in  die  neue  Reichsordnung  hineingesprungen 
wäre?"  Allerdings  war  der  König  kein  Freund  politischer 
Geschäfte,  weil  sie  ihn  in  seinen  romantischen,  künstlerischen 
und  literarischen  Liebhabereien  störten.  Seine  Arbeitslust 
und  Arbeitskraft  litt  unter  den  seelischen  Ablenkungsmomen- 
ten.   Aber  wenn  es  sich  um  Souveränität  und  Selbständigkeit 

^)  Weisungen  Bismarcks  im  Hauptarchiv  des  Auswärtigen  Amtes  in 
Berlin. 


handelte,  zeigte  er  sehr  früh  ein  lebhaftes  Interesse  und  dieses 
wuchs  mit  den  Jahren  und  war  so  notorisch,  daß  diejenigen, 
die  ihn  zu  gewinnen  suchten,  gerade  hier  einsetzten.  Seit 
dem  Jahre  1866  lebte  er  in  beständiger  Furcht  für  die  Un- 
abhängigkeit seiner  Krone  und  die  Selbständigkeit  seines 
Landes.  In  dieser  Besorgnis  wurde  er  bestärkt  vom  Auslande 
wie  vom  Inlande,  von  Frankreich,  von  Österreich,  auch  vom 
Kaiser  von  Rußland  —  solche  Briefe  des  Kaisers  liegen  vor  — , 
ganz  besonders  aber  von  den  Mitgliedern  des  königlichen  Hauses. 
Seit  dem  Jahre  1866  hatte  immer  wieder  der  Bruder,  der 
Oheim,  der  Großvater,  der  Großoheim  vor  den  großpreußischen 
Tendenzen  gewarnt.  Auch  diese  Briefe  sind  zum  Teil  erhalten. 
Nach  dem  Bekanntwerden  der  (für  die  Versailler  Verhand- 
lungen grundlegenden)  Verfassung  des  Norddeutschen  Bundes 
hatte  König  Ludwig  I.  an  ihn  geschrieben:  ,, Soeben  lese  ich 
den  Entwurf  der  Verfassung  des  Norddeutschen  Bundes.  Es 
ist  schwer  zu  sagen,  was  er  den  Fürsten  und  Ständen  übrig 
läßt.  Möchtest  Du  Dich  hüten,  selbst  im  geringsten  Teile 
Bayern  mediatisieren  zu  lassen."^)  Dieser  König,  der  von  Haus 
aus  schwer  zu  einem  politischen  Entschlüsse  zu  bringen  und 
so  gerne  geneigt  war,  selbst  von  einem  wirklich  gefaßten  Ent- 
schluß in  die  frühere  Entschlußlosigkeit  zurückzufallen,  glaubte 
sich  durch  die  Vorstellungen  der  Mitglieder  des  königlichen 
Hauses,  durch  die  Rücksicht  auf  sie,  durch  die  Angst  vor  ihnen 
gebunden.  Man  fühlt  es  aus  den  Entschuldigungen,  die  er 
vorbringt,  wenn  er  wirklich  einmal  in  der  deutschen  Frage 
ein  Zugeständnis  gemacht  hat.  Und  diesem  im  Grunde  völlig 
unkriegerischen  Könige  war  immer  wieder  von  Frankreich 
wie  von  Österreich  her  gepredigt  worden,  daß  Bayern,  je 
entschiedener  es  den  preußischen  Versuchen,  ihm  weitere 
Konzessionen  abzuringen,  entgegentrete,  um  so  wirksamer 
dem  Weltfrieden  diene:  ,,Der  König  wird  dadurch  —  so  heißt 
es  in  einer  formell  an  den  österreichischen  Gesandten,  tat- 
sächlich an  den  bayerischen  König  gerichteten  österreichischen 
Weisung  —  mit  der  Stellung  seines  Hauses  und  Landes  zu- 
gleich das  Interesse  der  Erhaltung  des  Friedens  wahren;  denn 
das  Ausland  wird  keine  gefährlichen  Besorgnisse  hegen,  so- 
lange Übergriffe  der  angedeuteten  Art  durch  den  ausgesproche- 
nen Willen  des  Souveräns  und  des  Landes  zurückgewiesen  wer- 
den, und  man  wird  der  Zukunft  mit  mehr  Beruhigung  entgegen- 
blicken, wenn  man  sieht,  daß  der  König  von  Bayern  den  Be- 

1)  M.  H.  A. 


I 


6 

strebungen  der  Partei  unzugänglich  ist,  welche  zugunsten 
einer  in  Berlin  zentralisierten  Militärmacht  mit  der  Vergangen- 
heit Bayerns  und  Deutschlands  brechen  will." 

Eine  solche  Politik  konnte  nicht  erwartet  werden  von 
Ministern,  die  für  jedes  Opfer  an  Souveränitätsrechten  nicht 
bloß  ihrem  Könige  sondern  auch  der  Landtagsmehrheit 
Rechenschaft  legen  mußten,  die  nicht  bloß  von  Österreich, 
von  dem  österreichischen  Reichskanzler  Grafen  Beust,  sondern 
mittelbar  auch  von  Mitgliedern  des  Norddeutschen  Bundes 
durch  Schilderung  ihrer  Verfassungsnöte  immer  wieder  vor 
der  Verfassung  des  Norddeutschen  Bundes  gewarnt  und  von 
fast  allen  ihren  Vertretern  an  den  deutschen  Höfen,  vom 
Freiherrn  v.  Gasser  in  Stuttgart,  vom  Grafen  v.  Paumgarten  in 
Dresden,  vom  Freiherrn  v.  Perglas  in  Berlin,  vom  Freiherrn 
V.  Schrenck  in  Wien,  dem  früheren  Ministerpräsidenten  und 
Bundestagsgesandten,  bis  zum  letzten  Augenblicke  vom  Bei- 
tritt zum  Norddeutschen  Bunde,  von  dieser  ,, Konfiskation 
aller  wesentlichen  Regierungsrechte",  zurückgehalten  wurden. 
Nicht  von  Ministern,  deren  Vorsitzender  im  Ministerrate, 
Graf  Otto  v.  Bray- Steinburg,  im  Vaterhause  wie  auf  seinen 
diplomatischen  Missionen  den  Geist  des  alten,  souveränen 
Bayerns,  die  Staatsauf fassung  Montgelas',  eingesogen  hatte, 
Montgelas',  dessen  oberstes  Staatsprinzip  die  Wahrung  der  unbe- 
schränkten Staatssouveränität  nach  innen  und  nach  außen  ge- 
wesen war.  Gehörte  der  Vorgänger,  Fürst  Chlodwig  von  Hohen- 
lohe,  dem  Nachmärz  an,  fühlte  er  sich  nach  seiner  Herkunft  wie 
nach  seiner  Bildung  und  poHtischen  Vergangenheit  zuerst  als 
Deutscher  und  dann  erst  als  Bayer,  so  gehörte  Graf  Bray 
nach  seinem  Entwicklungsgange  dem  Vormärz  an  und  war  ganz 
zum  Bayern  geworden.  ,,Ich  gehöre  zu  jener  älteren  Gene- 
ration," äußerte  er  in  einer  entscheidungsvollen  Stunde, 
,, welche  an  dem  Gewohnten  und  Hergebrachten  hängt,  be- 
sonders wenn  sich  damit  der  teure  Name  des  bayerischen 
Vaterlandes  verbindet."  Graf  Bray  war  denn  auch  von  der 
patriotischen  Volkspartei  mit  großen  Erwartungen  begrüßt 
worden.  In  der  inneren  PoHtik  bedeutete  sein  Ministerium 
auch  in  der  Tat  einen  Ruck  nach  rechts.  In  der  deutschen 
Politik  dagegen  bedeutete  die  Nachfolge  des  Mitunterzeichners 
des  Berliner  Friedens  keinen  eigentlichen  Systemwechsel.  Aber 
das  ist  ebenso  gewiß :  Graf  Bray  betrachtete  die  deutsche  Frage 
nicht  als  deutscher  Patriot,  sondern  als  Diplomat;  dem  nüch- 
ternen Diplomaten  war  die  deutsche  wie  jede  andere  politische 
Frage  nicht  eine  Herzensangelegenheit,  sondern  eine  Verstan- 


dessache.  Er  war  zudem  bei  seiner  Schweigsamkeit  und  Ver- 
schlossenheit nationalen  Einflüssen  von  anderer  Seite  viel 
weniger  zugänglich  als  Hohenlohe.  Mit  seinem  Ministerium 
hatte  nicht  bloß  Graf  Tauffkirchen  ausgespielt,  sondern  auch 
Freiherr  v.  Völderndorff :  er  war  ihm  zu  durchlässig.  Er  hat 
tatsächlich  ohne  politischen  Referenten  regiert,  er  war, 
wie  der  württembergische  Gesandte  Freiherr  v.  Soden  sich 
ausdrückt,  in  allen  politischen  Angelegenheiten  sein  eigener 
Referent.  Von  dem  Grafen  Bray  war  zunächst,  ohne  außer- 
ordentliche äußere  Einwirkungen,  die  es  ihm  verstandesmäßig 
zu  einem  unabweislichen  Gebote  gerade  der  staatlichen  Selb- 
ständigkeit machten,  eine  Initiative  in  der  deutschen  Frage 
kaum  zu  erwarten.  Noch  weniger  ein  vorbehaltloser  Eintritt 
in  den  Norddeutschen  Bund.  Wer  von  den  bayerischen  Mi- 
nistern in  seiner  politischen  Auffassung  wie  in  seiner  politischen 
Aktivität  am  frühesten  die  seelischen  Voraussetzungen  für 
eine  Initiative  in  der  deutschen  Frage  aufwies,  das  war  Johann 
Lutz.  Lutz  war  aber  damals  weder  Ressortminister  der  aus- 
wärtigen und  deutschen  Angelegenheiten  noch  Vorsitzender 
im  Ministerrate,  sondern  Justizminister  und  war  zu  klug  und  zu 
vorsichtig,  als  daß  er  sich  mit  den  ihm  wohlbekannten  Gesin- 
nungen seines  Königs  in  offenen  Widerspruch  hätte  setzen  wollen. 
Eine  solche  Selbstaufopferung  war  noch  weniger  von  der 
Landtagsmehrheit,  der  patriotischen  Partei,  zu  erwarten,  die 
an  die  innere  Umwandlung  des  politischen  Glaubensbekennt- 
nisses Bismarcks  nicht  glaubte,  in  König  Wilhelm  und  seinem 
,, dämonischen"  Kanzler  nicht  die  Begründer  deutscher  Einheit, 
sondern  die  Vollender  des  großpreußischen  Einheitsstaates, 
die  Vertreter  des  ,,nimmersatten"  preußischen  Partikularismus, 
,  ,der  bloß  auf  Übervorteilung  und  den  schließlichen  Untergang 
der  übrigen  deutschen  Staaten  hinarbeite,"  schaute,  die  die 
Trennung  von  den  Millionen  deutscher  Stammesgenossen 
jenseits  der  schwarzgelben  Grenzpfähle  als  einen  ,, blutigen 
Schnitt  durch  eine  tausendjährige  Verbindung"  empfand,  die 
vom  protestantischen  Kaisertum  eine  Gefahr  für  den  Katholi- 
zismus, von  der  engen  Verbindung  Bayerns  mit  dem  Militär- 
staate Preußen  das  Gespenst  des  Militarismus,  vom  Siege  ihres 
stärksten  und  schärfsten  Gegners,  der  Fortschrittspartei,  auf 
nationalem  Gebiet  ein  weiteres  Vordringen  des  Fortschritts- 
programms im  Bereiche  der  inneren  Gesetzgebung  und  der 
Kulturpolitik  besorgte.  Der  Herausgeber  der  ,, Historisch-poli- 
tischen" Blätter,  Dr.  Jörg,  hat  einmal  geäußert:  ,,Es  ist  in 
zahlreichen  Organen  gesagt  worden,  daß  es  sich  nicht  bloß 


8 

um  die  Niederwerfung  des  französischen  Erbfeindes  handle, 
sondern  auch  um  die  Niederwerfung  eines  andern  Feindes, 
nämUch  um  die  Niederwerfung  der  Gegner  der  national- 
hberalen  PoHtik  bei  uns."  ,,Nur  wenn  ganz  Deutschland 
auf  den  Plan  tritt,  sind  wir  gerettet  vor  nationalliberaler 
Tyrannis!"  Gerade  die  innere  Politik  des  Ministeriums  Hohen- 
lohe  und  sein  enges  Verhältnis  zur  Fortschrittspartei  hatten 
die  Opposition  der  konservativ-katholischen  Richtung,  die 
nach  der  Katastrophe  von  1866  kleinlaut  geworden  war,  neuer- 
dings verschärft  und  erweitert .  Darüber  sind  auch  die , ,  Historisch- 
politischen Blätter",  die  für  die  Bismarckische  Politik  in  den 
Anfängen  seines  Ministeriums  oft  ein  überraschendes  Verständ- 
nis bekundet  hatten,  in  immer  schärferen  Gegensatz  zur 
deutschen  Politik  Bismarcks  geraten.  Die  Fortschrittspartei 
und  mit  ihr  das  Ministerium  Hohenlohe  wurden  nicht  bloß  als 
die  ,,Verpreußer"  gebrandmarkt,  sondern  im  Hinblick  auf  die 
Hohenlohesche  Sozialgesetzgebung  auch  als  die  Zerstörer  des 
bayerischen  Wohlstandes,  im  Hinblick  auf  seine  Kirchen-  und 
Schulpolitik  als  die  Zerstörer  des  Glaubens  verschrieen.  Der 
Liberalismus,  in  Bayern  die  Fortschrittspartei,  hat,  wie  ich 
später  noch  näher  zeigen  werde,  namentlich  in  den  Kreisen  der 
Intelligenz  und  des  Beamtentums,  beim  Bürgertum  und  der 
protestantischen  Landbevölkerung  unermüdlich  und  erfolg- 
reich für  den  preußisch-deutschen  nationalen  Staatsgedanken 
geworben.  Das  ist  sein  Verdienst.  Er  hat  aber  auch  damals  wie 
später,  in  den  siebziger  Jahren,  das  religiöse  Empfinden  des 
katholischen  Volksteiles  zu  wenig  geschont  und  ihm  damit  das 
Einleben  in  die  neue  deutsche  Entwicklung  erschwert.  Die 
patriotische  Partei  war  nach  der  Auffassung  des  geistig  be- 
deutendsten Führers  der  Partei,  Dr.  Jörgs,  nichts  anderes  als 
die  „Koalition  aller  derjenigen  Elemente  im  Volke,  die  sich 
durch  die  tyrannische  Herrschaft  des  Liberalismus  aufge- 
schreckt fühlten  zum  Widerstände."  Und  dieser  Koalition, 
dieser  Landtagsmehrheit  war  in  Thron-  wie  in  Ministerreden, 
im  Frühjahr  und  selbst  noch  bei  Ausbruch  des  Krieges  immer 
wieder  das  Versprechen  gegeben  worden,  daß  die  bayerische 
Regierung  nur  einer  solchen  Gestaltung  Deutschlands  ihre 
Zustimmung  erteilen  werde,  die  die  Selbständigkeit  Bayerns 
nicht  gefährde.  Die  patriotische  Partei  hat  auf  das  Königs- 
wort in  der  Thronrede  vom  Januar  1870  auch  immer  wieder 
hingewiesen.  Daß  gerade  Bismarck  die  Selbständigkeit  Bayerns 
gegenüber  unitaristischen  Bestrebungen  verteidigen  würde, 
das  wußte  oder  glaubte  man  damals  noch  nicht. 


9 

Am  allerwenigsten  konnte  man  ein  solches  Opfer  in  einem 
Augenblick  erwarten,  da  Bayern  nicht  etwa  militärisch  nieder- 
geworfen worden  war,  sondern  Preußen  und  Deutschland  durch 
sein  bundestreues  Verhalten  wichtige  Dienste  erwiesen  und 
die  preußische  Regierung  und  die  preußische  Presse,  aber  auch 
zahlreiche  Zuschriften  aus  allen  Kreisen  und  aus  allen  Gegen- 
den Deutschlands,  die  noch  heute  im  Kabinettsnachlasse  des 
Königs  liegen,  diese  Verdienste  überschwänglich  gefeiert  und 
damit  das  Selbstgefühl  Bayerns  noch  gehoben  hatten.  In 
einem  Augenblicke,  da  der  König  von  Preußen  eben  noch 
die  Zusicherung  gegeben  hatte,  daß  Bayerns  staatliche 
Selbständigkeit  gegenüber  der  deutschnationalen  Richtung 
im  Krieg  und  nach  dem  Krieg  unversehrt  erhalten  bleiben 
solle,  da  die  preußische  Regierung  ausdrücklich  bekarÄt  hatte : 
der  gegenwärtige,  ruhmreiche  Krieg  habe  neuerdings  dargetan, 
daß  die  berechtigte  Selbständigkeit  Bayerns  mit  der  Größe 
imd  den  Interessen  Deutschlands  wohl  vereinbar  sei.  Gegenüber 
anders  gearteten  Erwartungen  der  sächsischen  Regierung 
erklärte  der  bayerische  Gesandte  am  Dresdener  Hofe:  ,, Schon 
Fürst  Hohenlohe  habe  den  Eintritt  Bayerns  in  den  Bundes- 
staat als  mit  den  souveränen  Rechten  seines  Königs  unverein- 
bar erklärt;  um  wieviel  weniger  könne  nunmehr  jetzt,  nachdem 
durch  glänzende  militärische  Erfolge  mit  einer  ganz  selb- 
ständigen, ohne  auswärtige  Hilfe  organisierten  Armee  die 
volle  Ebenbürtigkeit  mit  Preußen  konstatiert  sei,  von  Kon- 
zessionen die  Rede  sein,  welche  die  obersten  Kronrechte 
schmälern."  1)  ,,Man  kann  uns  doch  nicht  dafür  strafen,  daß 
wir  so  treulich  mithalten,"  hatte  schon  vorher  der  frühere 
Minister  Freiherr  v.  Schrenck  zum  badischen  Gesandten  in 
München  geäußert.  2) 

Wenn  man  mit  Recht  von  preußischen  Traditionen  spricht, 
so  darf  man  eben  nicht  vergessen,  daß  es  auch  ein  bayerisches 
Erbe,  bayerische  Überlieferungen,  bayerische  Bindungen  gab. 
Wie  von  Preußen,  durfte  man  auch  von  Bayern  keine  Politik 
erwarten,  die  nicht  seinem  eigensten  Wesen  entsprach.  Natur 
und  Geschichte  sind  das  eherne  Gesetz,  die  Notwendigkeit, 
das  Schicksal  auch  der  Staaten. 

Die  menschliche  Natur  neigt  dazu,  alles  sie  Begeisternde 
dadurch  zu  erhöhen,  daß  sie  es  von  den  Arbeitsbedingungen 
loslösen  möchte.  Und  doch  liegt  gerade  hierin  der  Hauptreiz, 
den   Wendepunkten  der  Nationen  bis  ins  innerste   Herz  zu 

^)  Bericht  Paumgartens  vom  12.  Okt.   1870,  M.  St.  A. 
2)   K.  St.  A. 


10 

sehen,  wurzelt  gerade  hierin  die  weltgeschichtHche  Größe 
des  Lebenswerkes  des  größten  deutschen  Staatsmannes,  der 
alle  diese  Schwierigkeiten  überwand,  in  wenigen  Wochen  das 
schuf,  wonach  Generationen  von  Staatsmännern  und  Parla- 
menten vergebens  gerungen. 

Die  Ankläger  Bayerns  sind  in  Wirklichkeit  die  Verkleinerer 
Bismarcks. 


IL 

Die  Haltung  Bayerns  bei  Ausbruch 
des  Deutsch  ^französischen  Krieges 

Der  Schöpferkraft  des  Genies  hat  die  Schöpferkraft  des 
Krieges  den  Weg  gebahnt. 

Schon  im  Jahre  1860  hatte  einer  der  Gründer  der  baye- 
rischen Fortschrittspartei,  Karl  Brater,  die  prophetischen 
Worte  gesprochen:  ,, Möchten  alle  wissen  in  Frankreich,  daß 
Tausende  bei  uns  den  Moment  eines  französischen  Angriffs 
als  stärksten  Zauber  zur  Schlichtung  des  inneren  Haders,  zur 
endlichen  Lösung  der  deutschen  Verfassungsnot  fast  un- 
geduldig herbeisehnen."  Diesen  französischen  Angriff  brachte 
der  Sommer  des  Jahres  1870.^) 

Kaiser  Napoleon  III.  hatte  früher  mit  Preußen  gelieb- 
äugelt, solange  es  galt  dem  damals  noch  gefährlicheren  Öster- 
reich Abbruch  zu  tun.  Seit  der  Schlacht  von  Königgrätz 
erblickte  die  öffentliche  Meinung  Frankreichs  in  Preußen  den 

1)  Aus  der  Literatur  zur  Vorgeschichte  des  Krieges  verweise  ich  auf: 
Lenz,  Gesch.  Bismarcks^  (191 1) ;  Marcks,  Kaiser  Wilhelm^  (1905) ;  H.  Delbrück, 
Das  Geheimnis  der  Napoleonischan  Politik  in:  Preuß.  Jahrbuch.,  Bd.  82  (1890) ; 
W.  Busch,  Die  Beziehungen  Frankreichs  zu  Österreich  und  Italien  (1900) ; 
Bourgeois-Clermont,  Rome  et  Napoleon  III.  (1907) ;  v.  Petersdorff,  Der  Streit 
über  den  Ursprung  des  Deutsch-französischen  Krieges  in:  Forsch,  z.  Brand, 
u.  Preuß.  Gesch.,  Bd.  9.  u.  10;  Brase,  Emil  Olliviers  Memoiren  und  die 
Entstehung  des  Krieges  von  1870  (1912);  E.  v.  Wertheimer,  Zur  Vorgesch. 
des  Krieges  von  1870  in:  Deutsche  Rundschau  Bd.  185  u.  186  (1920  u.  1921); 
H.  Hesselbarth,  Drei  psychologische  Fragen  zur  spanischen  Thronkandidatur 
(1913);  R.  Fester,  Briefe,  Aktenstücke  und  Regesten  zur  Geschichte  der 
hohenzoUernschen  Thronkandidatur  in  Spanien  (191 3);  derselbe,  Neue  Bei- 
träge zur  Geschichte  der  hohenzoUernschen  Thronkandidatur  {191 3);  der- 
selbe, Die  Genesis  der  Emser  Depesche  (1915) ;  dazu  Stern  und  Lord  a.  a.  O.  — 
Meine  Darstellung  der  Haltung  Bayerns  gründet  sich  vornehmlich  auf  die 
bayerischen  Ministerialakten  im  Münchener  Geh.  Staatsarchiv  und  die 
einschlägigen  Akten  im  Münchener  Kriegsarchiv ;  sie  wurden  ergänzt  durch 
die  Akten  im  Hauptarchiv  des  Auswärtigen  Amtes  in  Berlin  und  durch  die 
intime  Korrespondenz  zwischen  den  Grafen  Beust  und  Bray  im  Nachlasse  des 
letzteren.  Vgl.  dazu  Beilagen  I. 


12 

gefährlicheren  Gegner,  den  Vertreter  des  in  der  Einigung  be- 
griffenen Deutschlands  und  damit  jenes  Systems,  das  Frank- 
reich seit  Jahrhunderten  planmäßig  bekämpft  hatte.  Seit  dem 
Scheitern  der  französischen  Kompensationsforderungen  vom 
August  1866  standen  sich  auch  der  Kaiser  der  Franzosen  und 
der  Leiter  der  preußischen  Politik,  Graf  Bismarck,  mit  tiefstem 
Mißtrauen  gegenüber.  Den  Ausgang  des  Luxemburger  Handels 
vollends  empfand  Napoleon  als  eine  schwere  persönliche 
Demütigung.  Frankreich  wachte  jetzt  gemeinsam  mit  Öster- 
reich über  der  strengen  Einhaltung  des  Prager  Friedens,  der 
der  preußisch-deutschen  Politik  den  Weg  nach  dem  Süden 
versperren  sollte.  Der  Kaiser  der  Franzosen  arbeitete  vom 
März  bis  Dezember  1869  persönlich  an  der  Bildung  einer 
europäischen  Koalition  gegen  Preußen,  an  einem  Bündnisse 
mit  Osterreich,  das  die  Erinnerung  an  das  Jahr  1866  noch  nicht 
verwunden  hatte,  und  mit  Italien,  das  dem  früheren  Bundes- 
genossen Preußen  grollte,  weil  dieses  seine  Absicht  auf  Süd- 
tirol nicht  unterstützt  hatte.  Das  Ziel  Frankreichs  war  Er- 
werbung des  Rheins,  Zerschlagung  Deutschlands  in  möglichst 
kleine  Staaten  und  Unterdrückung  der  hegemonistischen 
Bestrebungen  Preußens.  Zu  einem  Abschluß  waren  diese  diplo- 
matischen Verhandlungen  allerdings  noch  nicht  gekommen, 
hauptsächlich  weil  Italien  Absichten  auf  Rom  hatte  und  aus 
diesem  Grund  Abzug  der  französischen  Besatzungstruppen 
verlangte  und  weil  Österreich  beim  Ausbruch  eines  Deutsch- 
französischen Krieges  nicht  sofort  losschlagen,  sondern  erst 
den  Gang  der  Ereignisse  in  Süddeutschland  abwarten  wollte. 
Immerhin  hatten  die  Monarchen  der  drei  Staaten  im  September 
1869  persönliche  Briefe  ausgetauscht,  in  denen  die  Grundlage 
und  der  Geist  der  vorausgegangenen  diplomatischen  Verhand- 
lungen als  moralisch  verpflichtend  anerkannt  wurde,  und 
hatten  im  Frühjahr  und  Frühsommer  1870  in  Paris  und  in 
Wien  militärische  Besprechungen  über  einen  künftigen  Feld- 
zugsplan gegen  Preußen  stattgefunden.  Napoleon  glaubte 
im  Ernstfall  auf  österreichische  und  italienische  Waffen- 
hilfe rechnen  zu  dürfen.  Und  schon  hatte  Marschall  Niel 
eine  Erneuerung  und  Verstärkung  der  französischen  Armee 
eingeleitet.  Preußen  blieben  weder  die  französischen  Bündnis- 
verhandlungen noch  die  französische  Heeresreorganisation 
unbekannt. 

Auf  diesem  Hintergrunde  mit  seinem  ,,cauchemar  des 
coalitions"  ist  der  unmittelbare  Anlaß  zum  Deutsch-französi- 
schen Kriege,  die  spanische  Thronkandidatur  des  fürstlichen 


13 

Hauses  Hohenzollem,  und  das  Verhalten  Bismarcks  zu  ihr  zu 
würdigen. 

Die  Spanier  hatten  durch  eine  MiHtärrevolution  ihr  Staats- 
oberhaupt, die  Königin  Isabella,  verjagt.  Sie  sahen  sich  in 
ganz  Europa  um  Kandidaten  für  ihren  Thron  um.  Wiederholt 
dachte  man  an  einen  deutschen  Prinzen,  an  ein  Mitglied  des 
fürstlichen  Hauses  Hohenzollern.  Wiederholt  lehnte  das  Haus 
ab.  Im  Sommer  1870  wurde  der  Antrag  neuerdings  gestellt 
und  jetzt  nahm  der  junge  Erbprinz  Leopold,  der  älteste  Sohn 
des  Fürsten  Karl  Anton  von  Hohenzollern,  an. 

Die  Franzosen  haben  von  jeher  die  Auffassung  ver- 
treten, daß  die  hohenzollerische  Kandidatur  ein  Werk  Bis- 
marcks gewesen  sei.  Die  Deutschen  haben  das  lange  Zeit 
bestritten.  Die  Franzosen  haben  recht  behalten:  der  Bruder 
des  Erbprinzen  von  Hohenzollern,  König  Karl  von  Rumänien, 
hat  das  Geheimnis  in  seinen  Lebenserinnerungen  ,,Aus  den 
Denkwürdigkeiten  König  Karls  von  Rumänien"  gelüf- 
tet. Seine  Enthüllung  wurde  von  anderer  Seite  bestätigt  und 
ergänzt.  Mag  auch  der  Gedanke  ursprünglich  von  Spanien 
ausgegangen  sein  oder  noch  früher  von  dem  jetzigen  preußi- 
schen Gesandten  am  Münchener  Hofe,  Freiherrn  v.  Werthern, 
der  in  einem  Schreiben  an  Bismarck  vom  25.  Juli  die  erste 
Anregung  der  hohenzollerischen  Kandidatur  für  sich  in  An- 
spruch nimmt  1):  Bismarck  unterstützte  den  Gedanken  so, 
übte  auf  den  Prinzen  und  dessen  Vater,  um  ihre  anfängliche 
Abneigung  zu  überwinden,  einen  solchen  Druck  aus,  daß  die 
hohenzollerische  Kandidatur  als  sein  Werk  gelten  kann 
—  im  Gegensatz  zu  König  Wilhelm  von  Preußen,  der  dem 
Projekte  gleichgültig,  im  Grunde  des  Herzens  sogar  abgeneigt 
gegenüberstand.  Um  die  Gefahr,  daß  die  Angelegenheit  mit 
einer  diplomatischen  Niederlage  Preußens  enden  könnte, 
zu  umgehen,  gab  Bismarck  der  Öffentlichkeit  gegenüber  die 
Kandidatur  für  eine  Privatangelegenheit  des  fürstlichen  Hauses 
Hohenzollern  aus,  an  der  die  preußische  Regierung  keinen 
Anteil  hätte  und  wofür  sie  die  Verantwortung  ablehne.  Unter 
dem  Schutze  dieser  klug  genommenen  Deckung  betrieb  er 
mit  aller  Energie  die  Kandidatur,  schickte  sogar  hohe  Beamte 
und  Militärs  wie  seinen  Mitarbeiter  Lothar  Bucher,  den  General 
V.  Bernhardi  und  den  Major  im  preußischen  Generalstab 
V.  Versen  nach  Spanien,  um  sich  über  die  Lage  und  Stimmung 
daselbst  aufzuklären. 

1)  H.  A.  A. 


14 

Graf  Bismarck  hat  sich  in  einer  für  König  Wilhelm  be- 
stimmten Denkschrift  über  seine  Motive  ausgesprochen. 
Er  erwartete  von  einer  deutschen  Kandidatur  wirtschaftliche 
Vorteile  für  Preußen  und  Deutschland  in  Spanien.  Er  ver- 
sprach sich  aber  auch  politisch-militärische.  Die  Kandidatur 
war  eben  als  politischer  Gegenzug  gegen  die  antipreußische 
Koalition  gedacht:  ein  hohenzollerischer  König  in  Spanien 
zwang  im  Fall  eines  Krieges  den  Kaiser  der  Franzosen,  mit  der 
Möglichkeit  einer  Bedrohung  im  Rücken  zu  rechnen,  nötigte 
ihn  also  wenigstens  ein  Armeekorps  an  den  Pyrenäen  aufzu- 
stellen und  damit  seine  Streitkräfte  gegen  Preußen  zu  schwä- 
chen. Spanien  war  vielleicht  jetzt  eine  ähnliche  Rolle  zu- 
gedacht wie  1866  Italien.  Man  hat  auch  gemeint,  Bismarck 
habe  mit  der  vollzogenen  Tatsache  Frankreich  überrumpeln 
und  einen  diplomatischen  Erfolg  über  das  französische  Kaiser- 
tum erringen  wollen,  um  dessen  ohnehin  erschüttertem  An- 
sehen einen  weiteren  moralischen  Schlag  zu  versetzen.  Man 
hat  selbst  gemeint,  Bismarck  habe  mit  dieser  Kandidatur 
von  Anfang  an  den  Franzosen  eine  Falle  stellen  und  den  Aus- 
bruch des  Krieges  beschleunigen  wollen.  Es  ist  wohl  wahr- 
scheinlicher, daß,  wie  beim  Ausbruche  des  Weltkrieges,  beide 
Teile  erst  durch  die  Macht  der  Ereignisse  immer  weiter  ge- 
trieben wurden:  die  französische  Regierung  durch  die  eigene 
Unvorsichtigkeit,  Bismarck  durch  die  Provokation  seitens 
der  Franzosen,  in  dem  Augenblick,  als  diese  durch  über- 
spannte Forderungen  einerseits  sich  ins  Unrecht  gesetzt, 
anderseits  Preußen  vor  die  Gefahr  einer  morahschen  Nieder- 
lage gestellt  hatten,  die  namentlich  auf  Süddeutschland 
nachteihg  einwirken  konnte.  Jedenfalls  hat  Bismarck  von 
diesem  Augenbhck  an  die  Entwicklung  bewußt  verschärft, 
in  der  Absicht  den  Krieg  zu  beschleunigen. 

Bismarck  wußte,  daß  ein  Waffengang  mit  Frankreich, 
schon  wegen  der  Lösung  der  deutschen  Frage,  für  die  Dauer 
unvermeidhch  sei.  Damals  erachtete  man  es  als  die  Pflicht 
eines  Staatsmannes,  einen  Krieg,  den  er  für  die  Dauer  un- 
vermeidhch hält,  zeithch  zu  seinen  Gunsten  zu  fixieren,  sei 
es  durch  Beschleunigung,  sei  es  durch  hinziehende  Verhand- 
lungen. Nun  aber  wußte  man  im  preußischen  Generalstabe, 
daß  das  Instrument  des  Krieges,  das  Heer,  trotz  der  Bemühun- 
gen des  Marschalls  Niel  in  Frankreich  tatsächhch  nicht  fertig 
war,  Preußen  aber,  dessen  Heereseinrichtungen  inzwischen 
in  den  neuen  preußischen  Provinzen  wie  in  Süddeutschland 
durchgeführt    waren,    einen   großen   militärischen    Vorsprung 


15 

besaß,  der  jedoch  für  die  Dauer  kaum  aufrechterhalten  werden 
konnte.  Miütärische  Erwägungen  forderten  also  eine  Beschleu- 
nigung des  Krieges  und  diese  hielt  Bismarck  vielleicht  auch  durch 
die  Rücksicht  auf  gewisse  Vorgänge  in  Württemberg  und  in  der 
bayerischen  Kammer  für  geboten :  aus  Gründen,  die  ich  schon 
früher  anführte,  namentlich  kirchenpolitischen,  hatte  sich  hier 
das  Verhältnis   zu    Preußen   wieder  unfreundlicher  gestaltet. 

Aber  freilich,  die  hohenzollerische  Thronkandidatur  war 
kein  Kriegsanlaß,  der  von  Haus  aus  geeignet  war,  günstig 
auf  die  Entwicklung  der  alles  beherrschenden  deutschen  Frage 
einzuwirken.  Ein  ,, Prinz  auf  dem  Throne  Karls  V."  war 
keine  nationale  Angelegenheit,  sondern  eine  dynastische,  die 
das  deutsche  Interesse  zunächst  wenig  oder  nicht  berührte 
—  die  Franzosen  haben  das  richtig  herausgefühlt  — ,  war  nicht 
das  von  den  nationalen  Parteien  ersehnte  ,, Moment  eines 
französischen  Angriffs",  sondern  glich  eher  einer  Herausforde- 
rung Frankreichs.  Alle  derartigen  Thronkandidaturen  sind 
Gegenstände  internationaler  Verhandlungen  gewesen  und  die 
französische  Regierung  übte  von  ihrem  Standpunkt  aus  ein 
gutes  Recht,  wenn  sie  verlangte,  daß  eine  Kandidatur,  die 
sie  ihrem  Interesse,  ihrer  Sicherheit,  ihrem  moralischen  An- 
sehen im  Land  gefährlich  hielt,  zurückgezogen  werde.  Auf 
Grund  der  Allianzverträge  von  1866  fühlten  sich  die  süd- 
deutschen Staaten,  wenigstens  Bayern  und  Württemberg, 
nur  bei  einem  Angriffskrieg  auf  Deutschland  zur  Heeresfolge 
verpflichtet.  Es  war  fraglich,  ob  im  Fall  eines  aus  der  hohen- 
zollerischen  Thronkandidatur  entstandenen  preußisch-franzö- 
sischen Waffenganges  die  süddeutschen  Regierungen  den 
casus  belli  als  gegeben  erachten  würden.  Es  war  selbst  zu  be- 
fürchten, daß  der  Zwischenfall  die  ohnehin  schon  gereizte 
Stimmung  eines  Teiles  der  süddeutschen  Bevölkerung  gegen 
Preußen  verschärfen  werde. 

Wie  nun  Bismarck  der,  wie  es  schien,  preußischen  Heraus- 
forderung den  Charakter  eines  französischen  Angriffs,  der 
dynastischen  Angelegenheit  des  Hauses  Hohenzollern  die 
Gestalt  einer  nationalen  Frage  des  deutschen  Volkes  zu  geben 
wußte,  war  eines  der  Meisterstücke  seiner  Diplomatie.  Aller- 
dings bereiteten  ihm  zwei  ganz  verschiedenartige  Momente 
den  Weg  dazu:  das  herausfordernde  Benehmen  Frankreichs 
und  das  nach  der  Auffassung  Bismarcks  schwächliche  Ver- 
halten König  Wilhelms  von  Preußen. 

Die  Wahl  des  Prinzen  Leopold  durch  die  spanischen  Cortes, 
die  als  eine  vollendete  Tatsache  die  Welt  überrasch  en  sol  te> 


16 

verzögerte  sich.  Dadurch  gewann  die  französische  Presse  unter 
Führung  des  offiziellen  „Constitutionnel"  Zeit,  sich  des  Falles 
zu  bemächtigen.  Durch  die  französischen  Zeitungen  ging  ein 
Sturm  der  Erregung  und  dieser  pflanzte  sich  in  die  französische 
Kammer  fort:  „Das  zweite  Empire  hat  Italien  und  Preußen 
groß  gemacht.  Seine  Schuld  war  Sadowa,  seine  Schuld  ist 
es,  wenn  ein  preußisches  Reich,  in  dem  die  Sonne  nicht  unter- 
geht, entstehen  sollte."  Unter  dem  Druck  der  Presse  und  des 
Parlamentes  gab  die  französische  Regierung  am  6.  Juli  im 
gesetzgebenden  Körper  Erklärungen  ab,  die  einer  Heraus- 
forderung an  die  preußische  Regierung  gleichkamen:  ,,Wir 
glauben  nicht,  daß  die  Achtung  vor  den  Rechten  eines  Nachbar- 
volkes uns  verpflichtet  zu  dulden,  daß  eine  fremde  Macht, 
einen  ihrer  Prinzen  auf  den  Thron  Karls  V.  setzend,  zu  unserem 
Schaden  das  gegenwärtige  Gleichgewicht  der  Kräfte  in  Europa 
stören  und  die  Interessen  und  die  Ehre  Frankreichs  gefährden 
könnte.  Wir  hoffen,  dieser  Fall  wird  nicht  eintreten.  Wir 
rechnen  auf  die  Weisheit  des  deutschen  und  die  Freundschaft 
des  spanischen  Volkes,  daß  sie  es  verhindern.  Sollte  es 
anders  kommen,  so  würden  wir,  stark  durch  die 
Unterstützung  des  Parlamentes  und  der  Nation, 
ohne  Zaudern  und  ohne  Schwäche  unsere  Pflicht  zu 
erfüllen  wissen."  Schon  fiel  im  Schöße  des  Parlamentes 
das  Wort,  daß  man  Zeuge  einer  Kriegserklärung  gewesen  sei. 
Schon  verkündete  der  ,,Constitutionnel"  am  Morgen  des  7.  Juli, 
daß  Frankreich  zum  Marschieren  bereit  sei.  Da  der  Unter- 
staatssekretär im  Berliner  Auswärtigen  Amte,  v.  Thile,  in 
Vertretung  des  in  Urlaub  weilenden  Grafen  Bismarck  erklärte, 
daß  die  Regierung  des  Norddeutschen  Bundes  von  der  Thron- 
kandidatur des  hohenzollerischen  Prinzen  nichts  wisse  und 
daß  diese  als  eine  hohenzollerische  Hausangelegenheit  sie 
auch  nichts  angehe,  erhielt  der  französische  Botschafter  am 
preußischen  Hofe,  Graf  Benedetti,  den  Auftrag,  das  Haupt 
des  hohenzollerischen  Hauses,  den  zur  Kur  in  Ems  weilenden 
König  Wilhelm,  zu  verpflichten,  daß  er  dem  Prinzen  Leopold 
den  Verzicht  auf  die  spanische  Thronkandidatur  anrate  oder 
gar  befehle. 

Der  König  lehnte  ruhig  und  gemessen  jede  Verpflichtung 
ab:  er  lasse  dem  Prinzen  volle  Entschlußfreiheit,  vermeide 
jede  Beeinflussung.  Aber  er  gab  dem  Grafen  Benedetti  doch 
zu  verstehen,  daß  er  einem  Verzichte  des  Erbprinzen  nichts 
in  den  Weg  legen  werde,  er  ging  so  weit,  daß  er  den  Grafen  auf 
Briefe  aus  Sigmaringen,  die  er  erwarte,  vertröstete.    In  der 


17 

gleichzeitigen  Korrespondenz  mit  dem  Vater  des  Prinzen,  dem 
Fürsten  Karl  Anton  von  Hohenzollern,  vermied  es  König 
Wilhelm  zwar  geflissentlich,  einen  Verzicht  zu  befehlen  oder 
auch  nur  anzuempfehlen;  er  wollte  die  Verantwortung  für 
ein  Zugeständnis  nicht  übernehmen,  das  das  deutsche  National- 
gefühl verletzen  konnte.  Aber  er  gab  doch  brieflich  wie  münd- 
lich, durch  seinen  Adjutanten,  deutlich  zu  verstehen,  daß  er 
einem  Verzichte  zustimmen  werde,  ja  daß  er  den  Kriegs- 
vorwand Frankreichs  beseitigt  wünsche.  Wirklich  traf  am 
12.  Juli,  zunächst  in  Madrid,  dann  in  Paris,  die  Nachricht  ein, 
daß  der  Fürst  von  Hohenzollern  im  Namen  seines  in  den 
Bergen  weilenden  Sohnes  angesichts  der  drohenden  Ver- 
wicklungen auf  die  spanische  Kandidatur  verzichtet  habe. 
Bismarck,  der  seinen  König  telegraphisch  gebeten  hatte,  sich 
mit  dem  Grafen  Benedetti  auf  nichts  einzulassen,  ihn  vielmehr 
an  seinen  Minister  zu  verweisen,  war  nicht  zufrieden  mit  der 
Haltung  König  Wilhelms.  Er  erklärte  allerdings  in  Berlin, 
wohin  er  inzwischen  aus  dem  Urlaube  zurückgekehrt  war,  nach 
dem  Berichte  des  bayerischen  Geschäftsträgers:  ,,Le  prince  a 
renonce,  tout  est  fini."  Aber  in  einem  Ton  und  mit  begleitenden 
Worten,  die  deutlich  seinen  Unmut  verrieten.  Demselben 
bayerischen  Geschäftsträger  entgegnete  er  später,  als  dieser 
die  rasche  Entsagung  des  Prinzen  von  Hohenzollern  im  Inter- 
esse des  Friedens  als  ,,sehr  chevaleresk"  rühmte:  daß  er  das  gar 
nicht  chevaleresk  gefunden  habe,  vielmehr  hätte  der  Prinz  ent- 
weder die  Kandidatur  nicht  annehmen  oder,  nachdem  er  sie 
angenommen  habe,  gleich  nach  Spanien  gehen  müssen,  ohne 
viel  zu  fragen,  keinesfalls  aber  die  preußische  Regierung  in  die 
Angelegenheit  verwickeln  dürfen.  Bismarck  sprach  eine  Zeit- 
lang von  Rücktrittsgedanken. 

In  der  Tat,  die  Haltung  König  Wilhelms  konnte,  wiewohl 
er  und  Fürst  Anton  von  Hohenzollern  den  Schein  einer  Mit- 
wirkung des  Preußenkönigs  beim  Verzichte  des  Erbprinzen 
von  Hohenzollern  vermieden  hatten,  für  das  Ansehen  des 
preußischen  Staates  gefährlich  werden:  nach  den  Provo- 
kationen der  französischen  Zeitungen,  der  französischen 
Kammer  und  der  französischen  Minister  konnte  der  Anschein 
entstehen,  als  ob  nicht  der  Erbprinz  von  Hohenzollern,  son- 
dern der  Preußenkönig  vor  den  französischen  Drohungen  zu- 
rückgewichen sei. 

Und  doch  gebührt  gerade  König  Wilhelm  ein  nicht  ge- 
ringes Verdienst  daran,  daß  der  Waffengang  Preußens  mit 
Frankreich    den    Charakter    eines    Verteidigungskrieges    und 

Doeberl,  Bayern  und  die  Bismarckische  Reichsgründung.  2 


18 

einer  nationalen  Erhebung  annahm  und  damit  zum  Einigungs- 
kriege werden  konnte.  ,, Wilhelms  persönliches  Verdienst  war 
es,  daß  er  die  Kandidatur  entschlossen  beseitigte  und  den 
Franzosen,  wenn  sie  sich  damit  nicht  zufrieden  gaben,  das 
Odium  und  die  Folgen  des  Angriffs  zuschob."  Und  die  fran- 
zösische Regierung  gab  sich  nicht  zufrieden.  Sie  wollte  nicht 
bloß  den  Verzicht  des  Erbprinzen  von  Hohenzollern,  sie  wollte, 
um  sich  einen  diplomatischen  Erfolg  zu  sichern  und  ihreStellung 
im  eigenen  Lande  zu  heben,  eine  ,,participation  du  roi  de 
Prusse",  eine  königlich-preußische  Stempelung  des  Verzichtes. 
Graf  Benedetti  erhielt  am  Morgen  des  13.  Juli  den  Auftrag, 
von  König  Wilhelm  die  weitere  Erklärung  zu  fordern,  daß  der 
König  von  Preußen  dem  Verzichte  des  Erbprinzen  zustimme 
und  eine  Bewerbung  des  fürstlichen  Hauses  Hohenzollern 
auch  in  Zukunft  nicht  zulassen  werde.  Das  war  eine  glatte 
Herausforderung. 

Bis  jetzt  war  die  Kriegsursache  eine  dynastische  gewesen, 
galt  in  weiten  Kreisen  Preußen  als  der  Angreifer,  war  der 
Krieg  für  Preußen  ein  schweres  Wagnis;  seit  dem  13.  Juli 
war  der  Waffengang  ein  Angriffskrieg  Frankreichs,  war  die 
Kriegsursache  eine  nationale,  verhieß  der  Krieg  für  Preußen 
und  —  Deutschland  Gewinn.  Das  Übrige  besorgte  die  über- 
legene Politik  Bismarcks,  unterstützt  von  seinem  politischen 
Zögling,  dem  Geheimen  Rat  Abeken,  mit  der  Emser  Depesche 
und  der  Kundgabe  der  Absicht  einer  preußischen  Garantie- 
forderung gegen  die  Wiederkehr  solcher  französischer  Heraus- 
forderungen —  in  demselben  Augenblicke,  da  man  sich  fran- 
zösischerseits  doch  noch  entschloß,  mit  der  Billigung  des  Ver- 
zichtes durch  den  König  von  Preußen  sich  zu  begnügen,  die 
weitergehende  Forderung  fallen  zu  lassen.  Angesichts  der  be- 
vorstehenden preußischen  Garantieforderung  und  des  drohen- 
den preußischen  Ultimatums  sah  die  französische  Regierung  die 
einzige  Sicherung  gegen  eine  innere  Revolution  in  der  Kriegs- 
erklärung an  Preußen.  Am  14.  Juli  wurde  von  einer  engeren 
Konferenz,  am  15.  vom  französischen  Gesamtministerium  die 
Kriegserklärung  beschlossen. 

Der  seit  Jahren  von  Tausenden  ,, ersehnte  Moment  eines 
französischen  Angriffs  als  stärkster  Zauber  zur  Schlichtung 
des  inneren  Haders,  zur  endlichen  Lösung  der  deutschen  Ver- 
fassungsnot" war  gekommen.  Und  schon  hatte  Preußen 
halbe  Gewißheit,  daß  weder  Österreich  noch  Italien  dem 
Kaiser  der  Franzosen  Waffenhilfe  leisten  würden.  Rußland 
verpflichtete  sich,   Österreich   mit   300000  Mann   anzugreifen. 


19 

wenn  es  losschlagen  sollte.  Schon  hatte  der  englische  Minister 
Gladstone  zum  preußischen  Botschafter  in  London  geäußert: 
Preußen  sei  bis  an  die  äußerste  Grenze  der  Versöhnlichkeit 
gegangen  und  Frankreich  würde  im  flagrantesten  Unrecht 
sein,  wenn  es  trotzdem  Krieg  beginnen  würde. 

Es  ist  für  die  Entwicklung  der  deutschen  Frage  zunächst 
von  Bedeutung,  wie  diese  welthistorischen  Vorgänge  an  die 
bayerische  Regierung  herangetragen  wurden. 


Die  erste  Nachricht  von  der  hohenzollerischen  Thron- 
kandidatur kam  nach  München  durch  den  Vertreter  des 
bayerischen  Gesandten  in  Berlin,  Freiherrn  v.  Tautphöus,  und 
zwar  in  der  Form,  als  ob  die  Wahl  des  Prinzen  von  Hohen- 
zollern  bereits  vollzogen  sei.  Tautphöus  berichtete  am  4.  Juli: 
,, Heute  Nachmittag  brachte  das  hiesige  Wolf f sehe  Telegraphen- 
bureau die  Nachricht,  daß  von  den  spanischen  Cortes  ein 
Prinz  von  Hohenzollern  zum  König  erwählt  und  bereits  eine 
Deputation  von  Madrid  abgereist  sei,  um  demselben  die  Krone 
anzubieten."  Erst  am  7.  Juli  berichtigte  und  ergänzte  er 
seine  Meldung  dahin:  der  spanische  Gesandte  habe  auf  tele- 
graphische Weisung  aus  Madrid  der  preußischen  Regierung 
mitgeteilt,  daß  das  spanische  Ministerium  beschlossen  habe,  den 
Prinzen  von  Hohenzollern  den  Cortes  als  Thronkandidaten 
vorzuschlagen,  in  der  Erwartung,  daß  die  Wahl  Preußen  ange- 
nehm sein  werde. 

Am  5.  Juli  meldete  Tautphöus,  der  französische  Geschäfts- 
träger in  Berlin  habe  sich  heute  zum  Unterstaatssekretär 
V.  Thile  begeben,  um  die  Stellung  der  preußischen  Regierung 
zur  hohenzollerischen  Thronkandidatur  zu  erfahren,  wobei 
er  ihm  nicht  verhehlte,  daß  die  Nachricht  in  Paris  einen  un- 
günstigen Eindruck  gemacht  habe.  Herr  v.  Thile  sei  durch  die 
Frage  sichtlich  in  Verlegenheit  geraten,  habe  sich  den  Anschein 
gegeben,  nur  aus  den  Zeitungen  davon  Kenntnis  zu  haben,  und 
schließlich  geäußert,  daß  die  preußische  Regierung  von  der- 
artigen Verhandlungen  nichts  wisse.  Dieselbe  Unkenntnis 
habe  anfänglich  auch  der  spanische  Gesandte  in  Berlin  zur 
Schau  getragen  und  sich  dabei  auf  seinen  Kollegen  in  Paris 
berufen,  der  telegraphiert  habe,  daß  die  Nachricht  völlig 
unbegründet  sei. 

Der  bayerische  Geschäftsträger  in  Berlin  hält  von  Anfang 
an  die  Möglichkeit  einer  Bismarckischen  ,,Intrigue"  nicht  für 
ausgeschlossen:    Graf  Bismarck  würde  viel  wagen,   um  dem 


20 

Hause  Hohenzollern  eine  Macht  zu  erringen,  wie  sie  seit  Karl  V. 
nur  von  den  Habsburgern  in  Europa  besessen  worden  sei. 
Später  hat  sein  Chef,  der  nicht  gerade  preußenfreundhche  Ge- 
sandte Freiherr  v.  Perglas,  unter  Berufung  auf  authentische 
Quellen  und  auf  Mitteilungen  vertraulichster  Natur,  die 
Mitwirkung  Bismarcks  bei  der  Aufstellung  der  hohenzolleri- 
schen  Thronkandidatur  mit  aller  Bestimmtheit  gemeldet  und 
intime  Einzelheiten  über  deren  Vorgeschichte  berichtet:  ,,Mit 
allen  offiziellen  Drucksachen  wird  Bismarck  uns  (eingeweihte 
Diplomaten)  nicht  überzeugen  können,  daß  er  nicht,  und 
zwar  amtlich,  um  die  hohenzollerische  Kandidatur  gewußt 
habe.  Schon  vor  Monaten  war  dieselbe  wiederholt  dem  Könige 
zur  Billigung  unterbreitet  worden,  der  dieselbe  längere  Zeit 
verweigerte.  Graf  Bismarck  hat  allerdings  damals  die  Er- 
örterungen darüber  und  Aufzeichnungen  nicht  in  seinem 
Departement  pflegen  und  arbeiten  lassen,  sondern  er  hat  ver- 
anlaßt, daß  letztere  im  Hausministerium  zu  geschehen  hätten. 
Wohlbekannt  war  ihm  die  Sache,  und  ihre  Behandlung  ist 
ebenso  unter  seiner  Leitung  und  seiner  Verantwortlichkeit 
wie  alle  andern  Maßregeln  im  Norddeutschen  Bund  erfolgt. 
Endlich  hatte  der  König  dem  Andrang  des  Fürsten  Hohen- 
zollern (des  Vaters)  nachgegeben,  der  hieher  gekommen  war 
und  zwei  Momente  zur  Erwägung  empfahl,  um  den  Beschluß 
zu  erlangen,  einmal  den  Wert  für  Spanien,  einen  deutschen 
Prinzen  auf  dem  Thron  zu  haben,  dessen  Geburt  und  hohe 
Eigenschaften  dem  Lande  Garantie  der  Entwicklung  und 
Konsolidierung  bieten  würden,  dann,  daß  im  Fall  eines 
Krieges  Preußens  mit  Frankreich  seine  Erhebung  auf  den 
spanischen  Thron  von  unschätzbarem  Werte  für  Preußen 
sein  würde." 

Alle  diese  Meldungen  waren  derart,  daß  die  hohenzolleri- 
sche Thronkandidatur  als  ein  Ausfluß  dynastischen  Ehrgeizes 
und  diplomatischer  Intrigue  und  als  ein  Affront  gegen  Frankreich 
erscheinen  konnte,  nicht  aber  als  eine  nationale  Angelegenheit, 
in  der  sich  das  deutsche  Volk  in  der  Rolle  des  Verteidigers 
befand.  Und  hierin  mußten  die  Nachrichten  noch  bestärken, 
die  über  das  Verhalten  der  neutralen  Höfe,  ihre  Überraschung 
und  ihre  Mißbilligung,  eintrafen,  namentlich  aus  Wien.  ,,Graf 
Beust"  —  so  meldete  der  interimistische  bayerische  Geschäfts- 
träger am  österreichischen  Hofe,  Graf  Fugger  —  ,,ging  bereit- 
willigst auf  eine  Besprechung  hierüber  ein  und  gab  mir  seine 
Ansicht  bezüglich  dieser  Frage  dahin  kund,  daß  er  glaube,  daß 
das   Projekt,   den   Prinzen  Hohenzollern  auf  den  spanischen 


21 

Königsthron  zu  erheben,  aufgegeben  werden  müsse,  da  es  den 
Intentionen  des  Tuilerienkabinetts  nicht  entspreche  und 
letzteres  die  Angelegenheit  sehr  ernst  nehme  .  .  .  Der  Reichs- 
kanzler fügte  die  Bemerkung  bei,  daß  er  den  Grafen  Bismarck 
in  dieser  Sache  nicht  begreife,  indem,  wenn  die  Kandidatur 
zu  keinem  Resultate  führe,  wie  es  bei  der  ernsten  Haltung 
Frankreichs  den  Anschein  habe,  es  für  den  Grafen  Bismarck 
eine  Blamage  sei,  während  das  Gelingen  des  Projektes  einen 
Krieg  mit  Frankreich  hervorrufen  könne,  der  für  Preußen  unter 
ungünstigen  Verhältnissen  zu  führen  wäre,  da  besonders 
Süddeutschland  sich  nicht  erwärmen  werde,  für  einen  Hohen- 
zollern  die  spanische  Königskrone  zu  erwerben." 

Die  Nachrichten,  die  in  den  nächsten  Tagen  aus  Paris 
eintrafen,  lassen  jedoch  Sympathien  für  Frankreich  nicht  auf- 
kommen. Der  bayerische  Gesandte  in  Paris,  Graf  v.  Quadt, 
meldet  ein  förmliches  Wutgeheul  aus  der  französischen  Haupt- 
stadt :  Die  oppositionellen  Zeitungen  speien  Feuer  und  Flamme 
gegen  die  hohenzollerische  Thronkandidatur.  Bald  be- 
schränken sie  sich  nicht  mehr  auf  Proteste,  sondern  erheben 
Forderungen  an  Deutschland.  Schon  liest  man  in  der  Zeitung 
,,Paix",  daß  der  Rhein  für  die  Sicherheit  Frankreichs  unent- 
behrlich sei,  schon  verheißt  ein  französischer  Deputierter  in 
der  gesetzgebenden  Versammlung:  ,,Wenn  wir  den  Rhein 
nehmen,  alsdann  werden  wir  die  Armee  um  looooo  Mann 
verringern  können",  schon  äußert  ,,nach  bester  Quelle"  der 
französische  Außenminister  Herzog  v.  Gramont  selbst:  ,,nous 
ferons  plutot  la  guerre  que  de  tolerer  un  HohenzoUern  sur  le 
tröne  d'Espagne."  Alle  diese  Wutausbrüche  und  Drohungen 
baut  man  nach  dem  Berichte  des  Gesandten  auf  die  vermeint- 
liche Neutralität  Süddeutschlands.  Und  dann  meldet  er  den 
scharfen  Protest  im  offiziellen  ,,Constitutionnel",  die  bekannte 
Interpellation  Cocherys,  die  herausfordernden  Erklärungen 
Gramonts  und  Olliviers  vom  6.  Juli  und  den  enthusiastischen 
Beifall,  den  sie  im  gesetzgebenden  Körper  hervorriefen.  Er 
unterstreicht  noch  den  herausfordernden  Charakter  dieser 
Erklärungen,  stellt  ausdrücklich  fest,  daß  sich  Ollivier  nach 
der  Aussage  des  bayerischen  Legationsrates  Rudhart,  der  der 
berühmten  Sitzung  im  gesetzgebenden  Körper  anwohnte, 
folgender  Worte  bediente:  ,,Chaquefois  —  l'histoire  nous  le 
demontre  —  que  la  France  s'est  montree  ferme,  l'Europe  a 
plie  devant  la  volonte  de  la  France,  exprimee  sans  exageration 
et  dans  les  limites  de  son  droit."  Der  Gesandte  fügt  hinzu: 
,, Diese  geflissentliche  Rücksichtslosigkeit  gegen  das  Berliner 


22 

Kabinett,  welches  man  in  Gegensatz  zum  peuple  Allemand 
stellt,  ist  nicht  danach  angetan,  das  Einlenken  in  Berlin  zu 
erleichtern.  Man  kann  sich  des  Eindrucks  nicht  erwehren, 
daß  nunmehr  die  französische  Regierung  es  darauf  abgesehen 
hat,  mit  Preußen  anzubinden  oder  zum  mindesten  letzteres, 
falls  es  nachgibt,  eklatant  zu  demütigen."  Am  lo.  Juli  telegra- 
phiert der  Gesandte  aus  Paris:  ,, Offizielle  Blätter  erklären  heute 
bereits  einen  Verzicht  Hohenlohes  für  ungenügend,  verlangen 
Ausführung  des  Prager  Friedens,  Emanzipation  Süddeutschlands 
von  Preußen,  Räumung  vonMainz. ' '  Gleichzeitig  faßt  er  seine  Ein- 
drücke in  die  Worte  zusammen:  ,, Welches  auch  immer  das 
Verhalten  des  Grafen  Bismarck  in  der  spanischen  Throne 
kandidaturfrage  gewesen  sein  mag,  so  berechtigen  doch  alle 
Symptome  zu  der  Annahme,  daß  die  französische  Politik  darauf 
abzielt,  diesen  erwünschten  Prätext  zu  verwerten,  um  den 
Krieg  mit  Preußen  einzuleiten.  Dieser  Vorgang  des  duc  de 
Gramont  erinnert  unwillkürlich  an  den  Neujahrsgruß,  welchen 
Napoleon  im  Jahre  1859  an  den  österreichischen  Botschafter 
V.  Hübner  gerichtet  hat,  mit  dem  Unterschiede,  daß  diesmal 
die  parlamentarische  Form  gewählt  wurde;  daher  bereits  die 
Erklärung  des  duc  de  Gramont  als  du  Huebnerisme  parle- 
mentaire  bezeichnet  wird.  Die  Sprache  der  hiesigen  Journale 
resümiert  sich  in  dem  Satz:  II  faut  en  finir,  une  guerre  avec 
la  Prusse  etait  inevitable  apres  l'humihation  permanente 
infligee  ä  la  France  depuis  quatre  ans,  mais  encore  y  fallait- 
il  un  pretexte  plausible  .  .  .  L'important  etait  d'avoir  un 
pretexte  de  guerre  qui  n'interessät  pas  l'Allemagne;  il  faut 
donc  saisir  la  balle  au  bond.  Die  Revanche  von  Sadowa  ist 
nunmehr  der  Grundton  der  hiesigen  Politik.  Die  bekannte 
Mobilität  des  französischen  Temperaments  offenbart  sich 
bei  diesem  Anlaß  wie  beim  italienischen  Kriege." 

Noch  einmal  melden  die  bayerischen  Gesandtschafts- 
berichte eine  Gelegenheit  zu  einem  friedlichen  Ausgleich 
zwischen  Frankreich  und  Preußen  —  die  Emser  Verhandlung. 
Am  9.  Juli  schreibt  der  bayerische  Geschäftsträger  in  Berlin: 
,,Wie  E.  K.  Majestät  aus  meinem  letzten  Telegramm  von 
heute  morgen  bereits  zu  entnehmen  geruht  haben,  ist  die 
spanische  Frage  in  eine  neue  Phase  eingetreten,  insofern  die 
Verhandlungen  nunmehr  von  Souverän  zu  Souverän  geführt 
werden  und  deshalb  einen  ganz  persönlichen  Charakter  an 
sich  tragen,  wodurch  die  Aussichten  auf  eine  friedliche  Lösung 
wesentlich  an  Wahrscheinlichkeit  gewonnen  haben."  Der 
Geschäftsträger  berichtet  gleichzeitig  von  den   Bemühungen 


23 

des  englischen,  italienischen  und  österreichischen  Botschafters 
um  die  Erhaltung  des  Friedens  und  schließt  mit  der  Hoffnung, 
daß  der  hohenzollerische  Prinz  vermocht  werde,  freiwillig 
auf  seine  Kandidatur  zu  verzichten,  was  wohl  der  einfachste 
Ausweg  aus  dem  Dilemma  wäre. 

Aber  schon  wenige  Tage  später,  am  12.  Juli,  künden  die 
Vertreter  Bayerns  aus  den  europäischen  Mittelpunkten  des 
politischen  Lebens  neue  Unruhe  und  Sorge.  Freiherr  v.  Taut- 
phöus  schreibt  aus  Berlin:  ,, Trotz  der  etwas  günstigeren 
Auspizien  beharrt  Herr  v.  Thile  bei  seiner  Ansicht,  daß  der 
Krieg  unvermeidlich  sei.  Es  ist  sehr  auffallend,  daß  Herr 
V.  Thile  auch  Diplomaten  gegenüber  mehrmals  bereits  die 
Überzeugung  ausgesprochen  hat,  daß  es  zum  Kriege  kommen 
werde.  Was  ich  um  so  mehr  hervorzuheben  mir  erlaube,  als 
der  Staatssekretär  sonst  nie  eine  persönliche  Ansicht  kundzu- 
geben pflegt."  Graf  Quadt  berichtet  am  gleichen  Tage  aus 
Paris:  ,,Die  französische  Politik  hat  es  entschieden  darauf 
angelegt,  in  kürzester  Frist  den  Krieg  mit  Preußen  einzu- 
leiten. In  den  offiziellen  Kreisen  äußert  man  unverhohlen: 
On  est  admirablement  prepare,  c'est  une  occasion  magnifique 
pour  faire  la  guerre,  il  ne  faut  pas  la  laisser  echapper,  ce  serait 
une  grande  calamite,  si  un  arrangement  pacifique  prevalait. 
Daher  auch  die  verletzendsten  Zumutungen  an  den  König  von 
Preußen  gestellt  werden,  um  einen  Ausgleich  zu  hintertreiben. 
Das  desistement  des  Prinzen  von  HohenzoUern  ist  schon  nicht 
mehr  genügend,  sondern  es  handelt  sich  darum,  den  König 
von  Preußen  zu  Erklärungen  zu  nötigen,  die  eine  eklatante 
Demütigung  involvieren."  Auch  aus  Wien  meldet  Graf 
Fugger:  ,, Sowohl  in  diplomatischen  Kreisen  als  im  großen 
Publikum  ist  man  hier  der  Ansicht,  daß  das  Kabinett  der 
Tuilerien  die  Thronbesetzung  Spaniens  durch  einen  Prinzen 
aus  dem  hohenzoUerischen  Hause  benutzen  wolle,  um  mit 
Preußen  den  großen  Kampf  zu  beginnen,  und  es  ist  auch 
schwer,  sich  das  Auftreten  des  Herzogs  von  Gramont  in  der 
spanischen  Frage  gegenüber  der  französischen  Kammer  zu 
erklären,  wenn  nicht  die  Absicht  bestünde,  einen  Konflikt 
herbeizuführen."  Selbst  der  nichts  weniger  als  preußen- 
freundliche bayerische  Gesandte  Freiherr  v.  Gasser  schreibt 
am  12.  Juli  aus  Stuttgart:  „Der  Herzog  von  Gramont  und 
Herr  Ollivier  eröffneten  die  Unterhandlungen  in  einer  derart 
undiplomatischen  Weise,  daß  ein  Nachgeben  Preußens  fast 
ausgeschlossen  wird  und  man  unwillkürlich  an  einen  parti  pris 
von  Seiten  Frankreichs  zu  denken  gezwungen  ist,    Ist  dem  so, 


24 

dann  ist  der  Krieg  die  Revanche  für  1866  und  die  spanische 
Thronkandidatur  bloß  der  Vorwand.  Die  französische  Re- 
gierung verfolgt  alsdann  eine  Entschädigung  auf  Kosten 
Preußens  —  das  heißt  Deutschlands.  In  demselben  Augen- 
blicke tritt  aber  auch  die  Frage  der  Verpflichtung  an  Süd- 
deutschland heran." 

Und  dann  kamen  in  rascher,  überstürzender  Folge  die 
Nachrichten  von  dem  Verzichte  des  Prinzen  Leopold  von 
Hohenzollern,  von  neuen,  weitergehenden  Zumutungen  Frank- 
reichs an  den  König  von  Preußen,  von  der  Garantieforderung 
Bismarcks,  von  den  denkwürdigen  Vorgängen  in  Ems  und 
zuletzt,  am  14.  Juli,  auf  dem  Weg  über  die  preußische  Ge- 
sandtschaft die  von  Bismarck  telegraphisch  übersandte  Emser 
Depesche  mit  einem  auf  das  monarchische  Gefühl  Ludwigs  IL 
zugeschnittenen  Zusatz:  ,, Nachdem  die  Nachrichten  von  der 
Entsagung  des  Erbprinzen  der  Kaiserlich  französischen 
Regierung  von  der  Königlich  spanischen  amtlich  mitgeteilt 
worden  sind,  hat  der  französische  Botschafter  in  Ems  Seiner 
Majestät  dem  Könige  noch  die  Forderung  gestellt,  ihn  zu 
autorisiren,  daß  er  nach  Paris  telegraphiere,  daß  S.  Majestät 
der  König  Sich  für  alle  Zukunft  verpflichtet  niemals  wieder 
seine  Zustimmung  zu  geben,  wenn  die  Hohenzollern  auf  ihre 
Kandidatur  wieder  zurückkommen  sollten.  S.  Majestät  hat 
es  darauf  abgelehnt,  den  französischen  Botschafter  nochmals 
zu  empfangen,  und  demselben  durch  den  Adjutanten  vom 
Dienst  sagen  lassen,  daß  S.  Majestät  dem  Botschafter 
nichts  Weiteres  mitzutheilen  habe.  S.  Majestät  der  König 
von  Bayern  wird  ein  Gefühl  dafür  haben,  daß 
Benedetti  den  König  auf  der  Promenade  wider 
dessen  Willen  provozirend  angeredet  hat,  um 
obige  Forderung  stellen  zu  können."  Am  gleichen 
Tage  berichtet  Freiherr  v.  Tautphöus  aus  Berlin:  ,,Den  Krieg 
selbst  hält  man  hier  in  allen  eingeweihten  Kreisen  für  unaus- 
bleiblich und  herrscht  hierüber  eine  seltsame  Freude,  nicht 
bloß  in  den  von  Siegeszuversicht  erfüllten  Offizierskreisen, 
sondern  auch  im  Auswärtigen  Amte.  Insbesondere  soll  Graf 
Bismarck,  wie  Herr  v.  Thile  selbst  mir  meldete,  sich  ganz  in 
seinem  Elemente  fühlen.  Die  französische  Botschaft  ist  ohne 
alle  Nachrichten.  Bezüglich  der  Vorgänge  in  Ems  erzählte 
mir  Herr  v.  Thile,  Graf  Benedetti  habe  den  König  auf  der 
Promenade  unaufgefordert  angesprochen  und  um  eine  definitive 
Antwort  ersucht.  Der  König  habe  ihm  keine  Antwort  ge- 
geben und,  als  dann  Benedetti  später  eine  Audienz  verlangte. 


25 

habe  ihm  der  König  die  bereits  telegraphisch  gemeldete  Mit- 
teilung durch  den  Adjutanten  machen  lassen.  Der  Staats- 
sekretär sagte  mir  noch  bei  dieser  Gelegenheit,  er  nehme  seine 
früheren  tadelnden  Äußerungen  bezüglich  Württembergs  wieder 
zurück,  nachdem  Freiherr  v.  Varnbüler  mieux  tard  que 
Jamals  inzwischen  die  württembergische  Regierung  Frank- 
reich gegenüber  engagiert  habe".  Selbst  der  österreichische 
Reichskanzler  Graf  Beust  muß  gegenüber  dem  Grafen  Fugger 
zugestehen,  daß  allerdings  Frankreich  durch  sein  Vorgehen 
den  furor  teutonicus  auf  ungeschickte  Art  gegen  sich  wach- 
gerufen habe. 

Wie  haben  nun  diese  weltgeschichtlichen  Vorgänge  und 
Meldungen  auf  die  bayerische  Regierung,  zumal  auf  den 
Leiter  der  bayerischen  Pohtik,  den  Staatsminister  Grafen 
Otto  V.  Bray- Steinburg,  gewirkt  ? 


Es  ist  die  Vermutung  ausgesprochen  worden,  daß  Graf 
Bray  während  seines  Wiener  Aufenhaltes  durch  den  Herzog 
von  Gramont,  den  damaligen  französischen  Botschafter 
am  österreichischen  Hofe,  von  den  militärischen  Abmachungen 
zwischen  Frankreich  und  Österreich  verständigt  worden  sei. 
Es  hat  sich  auch  nicht  der  leiseste  Anhaltspunkt  dafür  in  den 
bayerischen  Staatsakten  gefunden.  Wer  die  peinlich  korrekte 
Amtsführung  des  Grafen  Bray  beobachtet  hat,  zweifelt  keinen 
Augenblick,  daß  er  seiner  Regierung  darüber  berichtet  hätte. 
Was  er  auf  Weisung  seiner  Regierung  in  den  Jahren  1868 
und  1869  tatsächlich  aus  den  Wiener  Kreisen  berichtete  oder 
berichten  konnte,  geht  über  Allgemeinheiten  und  über  tempe- 
ramentvolle Äußerungen  des  Herzogs  von  Gramont,  die  dann 
von  der  Pariser  Regierung  dementiert  wurden,  nicht  hinaus 
und  wurde  von  ihm  selbst  in  die  Worte  zusammengefaßt: 
„Die  Idee  und  Gefahr  eines  Krieges  besteht  leider  und  lastet 
schwer  auf  Europa;  zu  bestimmten  Entschlüssen  hat  es  der 
alternde  Napoleon,  der  durch  einen  Krieg  nichts  gewinnen, 
aber  alles  verlieren  kann,  nicht  gebracht."  Es  ist  nicht  einmal 
wahrscheinlich,  daß  Gramont  selbst  damals  schon  in  die 
Einzelheiten  der  französisch-österreichischen  Verhandlungen 
eingeweiht  war;  diese  wurden  zwischen  Kaiser  Napoleon  und 
dem  österreichischen  Botschafter  Fürsten  Metternich  per- 
sönlich geführt. 

Ebenso  unbegründet  ist  die  Beschuldigung,  Graf  Bray 
habe  als  Minister,  trotz  des  bestehenden  Schutz-  und  Trutz- 


26 

bündnisses  mit  Preußen,  die  angeblichen  verräterischen  Ver- 
handlungen mit  Frankreich  fortgeführt.  Auch  davon  findet 
sich  in  den  bayerischen  Staatsakten  nicht  die  leiseste  Spur. 
Dagegen  spricht  aber  auch  der  Befund  gerade  der  Akten, 
auf  die  Ruville  ^)  seine  Behauptung  gründet,  der  vielberufenen 
Papiere  von  Cer^ay,  die  Mitte  Oktober  1870  im  Schlosse  des 
früheren  Ministers  Rouher  von  deutschen  Soldaten  erbeutet 
und  nach  Berlin  gebracht  wurden.  In  den  Akten  hat  sich,  wie  auf 
eine  amtliche  Anfrage  der  bayerischen  Regierung  ausdrücklich 
festgestellt  wurde,  nichts  gefunden,  was  bayerische  Staatsmänner 
belastet  hätte.  ^)  Dagegen  spricht  das  Zeugnis  der  französischen 
Staatsmänner  selbst :  weder  in  den  kritischen  Juliwochen  noch 
nach  dem  Kriege  haben  sich  diese  auch  nur  andeutungsweise 
auf  derartige  Verhandlungen  berufen,  wiewohl  im  Juli  politische 
und  nach  dem  Kriege  persönliche  Motive  den  Gebrauch  so 
wertvoller  Waffen  nahegelegt  hätten ;  der  französische  Minister- 
präsident Olli  vier  hat  später  vielmehr  ausdrücklich  festgestellt, 
,,daß  von  Verhandlungen  mit  den  Kabinetten  von  München 
und  Stuttgart  keine  Spur  existiere".^)  Dagegen  spricht  aber 
auch  die  Persönlichkeit,  auf  die  gerade  Ruville  seine  Hypo- 
these eingestellt  hat,  die  PersönHchkeit  des  Grafen  Bray,  die 
von  allen  wirklichen  Kennern  gerühmte  Ehrenhaftigkeit  seines 
Charakters  und  die  Korrektheit  seiner  Geschäftsführung, 
von  der  man  sich  beim  Studium  der  Akten  Schritt  für  Schritt 
überzeugt,  nicht  minder  seine  diplomatische  Vorsicht,  die 
allen  politischen  Abenteuern  abhold  war.  Wenn  der  nüchterne, 
weltkluge,  vorsichtige  Staatsmann  den  bisherigen  politischen 
Referenten  Freiherrn  v.  Völderndorff,  den  liebenswürdigen 
Verfasser  der  ,, Harmlosen  Plaudereien",  der  dem  Minister  zu 
beweglich,  zu  unruhig,  aber  auch  zu  redselig  war,  kalt  stellte 
und  die  wichtigeren  politischen  Geschäfte  allein  oder  mit 
seinem  Sohn  oder  mit  seinem  Vetter  Grafen  Hugo  v.  Lerchen- 
feld verrichtete,  so  sind  unmutige  Äußerungen  Völderndorffs 
über  die  Geheimnistuerei  seines  Herrn*)  begreiflich,  geben 
aber  keine  Berechtigung,  die  verwegensten  Projekte  und  Ab- 
sichten des  Meisters  zu  wittern.  Das  Ministerium  Bray  be- 
deutete gegenüber  dem  Vorgänger,  dem  Fürsten  Hohenlohe, 


^)   Bayern  und  die  Wiederaufrichtung  des  Deutschen  Reiches   (1909). 

2)  Vgl.  dazu  ,, Augsburger  Abendzeitung"  vom  7.  Juli  1909. 

^)  Revue  des  deux  mondes  vom  i.  Juni  1909,  S.  508.  Vgl.  dazu  Gra- 
monts  Rechtfertigungsschrift  „La  France  et  la  Prusse  avant  la  guerre"  (1872). 

*)  Mohl,  Lebenserinnungen,  S.  323;  Lorenz,  Kaiser  Wilhelm  und  die 
Giüridung  des  Deutschen  Reiches,    S.  603;  Ruville  a.  a.  O.  S.  141. 


27 

wohl  in  der  inneren  Politik  einen  Ruck  nach  rechts  und  in  der 
äußeren  PoHtik  eine  größere  Zurückhaltung,  keineswegs  aber 
eine  politische  Neuorientierung  —  weder  nach  der  Meinung  des 
Fürsten  Chlodwig  von  Hohenlohe,  der  ihn  zu  seinem  Nach- 
folger empfahP),  noch  nach  der  Meinung  des  Königs,  der  ihn 
berief,  noch  nach  der  Meinung  des  Grafen  Bismarck,  der  seine 
Wahl  ausdrücklich  billigte,  seine  Bedenken  gegen  eine  An- 
nahme des  Ministeriums  überwinden  half,  ihm  sogar  auf  eine 
Anfrage  hin  sagen  ließ,  daß  er  zu  keinem  bayerischen  Diplo- 
maten mehr  Vertrauen  habe  als  zu  ihm.  2) 

Auch  der  Vorwurf,  daß  das  Verhalten  des  Grafen  Bray 
bei  Ausbruch  des  Krieges  zweideutig  und  unzuverlässig  war, 
ist  nicht  begründet.  Graf  Bray  ist  allerdings  nach  seinem 
eigenen  Bekenntnisse  ,, nicht  ohne  allseitige  Erwägung  der 
Verhältnisse  und  nur  schweren  Herzens"  in  den  Krieg  einge- 
treten. Das  war  um  so  begreiflicher,  als  ihm  zu  Beginn  der 
Krisis  von  der  bayerischen  Gesandtschaft  die  amtliche  Nach- 
richt zuging,  Italien  habe  mit  Frankreich  ein  Bündnis  ge- 
schlossen und  stehe  im  Begriffe,  mit  80000  Mann  auf  der 
Brennerstraße  nach  dem  deutschen  Süden  vorzubrechen.  Die 
Konstellation,  die  sich  daraus  in  Verbindung  mit  einer  öster- 
reichischen Demonstration  auf  der  langen  Grenze  von  Hof  bis 
Bregenz  und  mit  einer  preußenfeindhchen  Strömung  im  Lande 
für  die  bayerische  Regierung  ergeben  hätte,  hatte  selbst  nach 
dem  für  Bray  nicht  gerade  wohlwollenden  Urteil  des  preußi- 
schen Gesandten  v.  Werthern  ,,etwas  Beunruhigendes". 
Aber  das  Verhalten  des  Grafen  Bray  bei  Ausbruch  des  Krieges 
war  gleichwohl  durchaus  korrekt.  Er  hat  sich  keineswegs 
in  bedenkliche  Verhandlungen  mit  Kaiser  Napoleon  oder  mit 
dem  Leiter  der  österreichischen  Politik,  Grafen  Beust,  einge- 
lassen. Ich  kann  das  an  der  Hand  völlig  einwandfreier  Quellen, 
zunächst  der  intimen  Korrespondenz  zwischen  den  Grafen 
Bray  und  Beust,  nachweisen. 

In  einem  Schreiben  vom  10.  Juli  1870  an  den  ihm  per- 
sönlich befreundeten  österreichischen  Reichskanzler  Grafen 
von  Beust,  seinen  ,, alten  Göttinger  Duzbruder",  bekennt 
Graf  Bray  allerdings,  daß  er  sich  ,,den  Bemühungen  der  Groß- 
mächte für  die  Erhaltung  des  Friedens  sympathisierend  an- 
geschlossen habe".  In  demselben  Schreiben,  dessen  Adresse 
wohl  zu  beachten  ist,  übt  er  aber  auch  schon  Kritik  an  der 
Haltung    Frankreichs:    ,, Unser    Freund    (Gramont)    hat    den 

^)  Denkwürdigkeiten  I,  439. 

2)  H.  A.A.  Vgl.  dazu  Lorenz  a.a.O.   S.  602. 


28 

diplomatischen  Feldzug  etwas  hitzig  und  in  einer  Weise  er- 
öffnet, die  zu  dem  Glauben  berechtigt,  daß  man  in  Paris 
lieber  noch  als  wie  Nachgeben  des  Gegners  —  den  Krieg  will : 
qu'on  veut  en  finir."  Und  er  fährt  weiter:  ,,Ich  möchte  aber 
doch  darauf  aufmerksam  machen,  daß  es  für  Frankreich  sicher 
keine  günstige  Lage  wäre,  wenn  es  durch  einen  Angriff  auf 
Deutschland  uns  alle  zwingt,  für  eine  Verteidigung  seiner 
Grenzen  mit  einzutreten,  und  —  gleichzeitig  auch  mit  Spanien 
sich  verfeindet.  Es  wäre  dies  eine  Lage  ähnlich  der  Österreichs 
zwischen  Preußen  und  Italien."  Er  fügt  hinzu,  daß  er  sich 
vorläufig  in  diesem  Sinne  dem  französischen  Gesandten 
Herzog  von  Cadore  gegenüber  geäußert  habe,  wiewohl  er 
zurzeit  ,,mit  Berlin  noch  kein  Wort  über  diese  Sache  ge- 
wechselt hätte".  In  der  Tat  hat  er  unmittelbar  nach  der 
herausfordernden  Rede  des  französischen  Ministers  vom 
6.  Juli  fast  mit  denselben  Worten,  wie  Hohenlohe  in  der  Krisis 
der  Luxemburger  Frage,  gegenüber  dem  französischen  Ge- 
sandten geäußert:  ,, Sollte  es  zum  Krieg  kommen,  so  würde 
Frankreich  Deutschland  einig  finden",  wie  gleichzeitig 
auch  der  damals  in  engster  Fühlung  mit  ihm  stehende  württem- 
bergische Staatsminister  v.  Varnbüler  den  französischen  Ge- 
sandten am  Stuttgarter  Hofe  vor  dem  Nationalgefühl  des 
Südens  warnte:   er  solle  sich  keinen   Illusionen  hingeben. 

Graf  Bray  erbat  sich  allerdings  in  dem  Schreiben  vom 
10.  Juli  ,,vor  Annahme  einer  bestimmten  Haltung"  des 
Grafen  Beust  Ansicht  und  Meinung.  Graf  Beust  hat  das  in 
seinem  Antwortschreiben  vom  14.  Juli  sehr  wohlgefällig  ver- 
merkt. 

Aber  der  Leiter  der  österreichischen  Politik  klagt  auch 
in  dem  nämlichen  Schreiben:  ,,Ich  vernehme  schon  aus  Berlin, 
Graf  Bismarck  habe  sich  sehr  anerkennend  über  die  süd- 
deutschen Regierungen,  namentlich  über  die  Haltung  Bayerns 
ausgesprochen,  ich  höre  anderseits,  man  habe  in  München 
es  bereits  erklärt,  man  werde  seine  deutschen  Pflichten  zu 
tun  wissen  und  ähnliches."  Wenn  dem  so  ist,  dann  habe  Bayern 
dem  Kriege,  statt  ihn  zu  erschweren,  den  größten  Vorschub 
geleistet  und  habe  es  sich  selbst  zuzuschreiben,  falls  der  erste 
französische  Schuß  auf  Bayern  losgehen  sollte.  Unter  diesen 
Umständen  vermeidet  es  der  österreichische  Reichskanzler, 
einen  Rat  für  die  Zukunft  zu  erteilen,  beschränkt  sich  darauf 
festzustellen,  was  nach  seiner  Meinung  Bayern  gleich  beim 
ersten  Auftreten  des  spanischen  Zwischenfalles  hätte  tun  sollen : 
,,  Diese  Hohenzollern-spanische  Sache  war  für  Euch  eine  bonne 


29 

fortune.  Hier  hattet  Ihr  Gelegenheit  auf  den  casus  foederis 
sogleich  mit  aller  Schärfe  loszugehen  auf  dem  günstigsten 
Terrain.  Hier  war  von  der  deutschen  Pflicht  keine  Rede,  da 
von  keiner  deutschen  Sache  die  Rede  sein  konnte.  Dieses 
Vorgehen  hätte  in  Berlin  sehr  zum  Frieden  und  zur  Versöhn- 
lichkeit wirken  können,  in  Paris  aber  hättet  Ihr  etwas  in  der 
Hand,  um  es  in  die  Wagschale  zu  werfen,  falls  man  dort 
nicht  versöhnlich  sein  wollte." 

Gerade  die  vertrauliche  Korrespondenz,  die  die  Grafen 
Bray  und  Beust  in  der  kritischen  Zeit  miteinander  gepflogen 
haben,  gibt  demnach  nicht  nur  keinen  Anhaltspunkt  für  die 
Annahme  bedenklicher  Verhandlungen  des  Grafen  Bray  mit 
Frankreich  oder  mit  Österreich,  sie  schließt  solche  geradezu 
aus.  Auch  die  (von  Wertheimer,  Andrassy  I,  503  gebrachte) 
Mitteilung,  Bayern  und  Württemberg  hätten  kurz  vor  der 
Emser  Depesche  in  Wien  die  Erklärung  abgegeben,  daß  der  Krieg 
Preußens  mit  Frankreich  für  sie  keine  Veranlassung  biete,  sich 
zu  beteiligen,  wird  in  dieser  Form  durch  die  Korrespondenz 
zwischen  Bray  und  Beust  nicht  nur  nicht  bestätigt,  sondern 
widerlegt.  In  den  amtlichen  Akten  vollends  fand  sich  nicht  die 
leiseste  Andeutung.  Im  Gegenteil,  nach  einem  Berichte  des 
bayerischen  Geschäftsträgers  in  Wien  vom  17.  Juli  äußerte 
Graf  Beust  in  vorwurfsvollem  Tone:',, daß  es  vielleicht  mög- 
lich gewesen  wäre,  den  Ausbruch  von  Feindseligkeiten  zu  ver- 
hindern, wenn  Süddeutschland  Preußen  gegenüber  erklärt 
hätte,  daß  bei  einem  wegen  der  Kandidatur  des  Prinzen 
HohenzoUern  ausbrechenden  Kriege  es  nicht  den  casus  foederis 
für  gegeben  erachte". 

Nach  einem  Berichte  des  bayerischen  Gesandten  im  Haag 
vom  16.  Juli  vollends  hat  Graf  Beust  die  französische  Regie- 
rung förmlich  gewarnt,  ,,sich  auf  die  Neutralität  der  deutschen 
Südstaaten  zu  verlassen".  Und  dieser  Bericht  wird  durch 
ein  englisches  Blaubuch  wie  durch  Beust  selbst  bestätigt. 
Graf  Bray  hat  wohl  gegenüber  dem  preußischen  Gesandten  den 
Wunsch  geäußert,  seine  Regierung  möchte  eine  Formel  fin- 
den, die  vor  aller  Welt  dokumentiere,  daß  kein  dynastisches 
Interesse  an  der  spanischen  Krone  vorwalte.  Aber  er  hat  gegen- 
über demselben  Gesandten  schon  vor  dem  13.  Juli  ausdrück- 
lich anerkannt,  daß  Frankreich  den  Krieg  suche  und  daß  im 
Falle  eines  Angriffs  Frankreichs  auf  Deutschland  Bayern  auf 
preußischer  Seite  stehen  müsse. 

Graf  Bray  hat  noch  weniger  nach  dem  Verzichte  des 
Prinzen  Leopold  auf  die  spanische  Thronkandidatur  und  nach 


30 

den  neuen  Herausforderungen  des  Herzogs  von  Gramont  im 
Sinne  Beusts  gehandelt. 

Wohl  regte  er  mit  Hilfe  des  englischen  Gesandten  am 
Münchener  Hofe  eine  Vermittlung  der  Großmächte  an:  die 
Proposition  des  bayerischen  Ministers  ging  auf  eine  prinzipielle 
Anerkennung  des  Grundsatzes  hinaus,  der  bei  der  belgischen 
und  bei  der  letzten  griechischen  Königswahl  maßgebend  ge- 
wesen war,  daß  nämlich  kein  Mitglied  eines  großmächtigen 
Herrscherhauses  Prätendent  eines  anderen  Staates  sein  dürfe. 
Dieses  Vorgehen  des  Grafen  Bray,  das  vielleicht  wirklich  mehr 
zur  Beruhigung  des  eigenen  Gewissens  und  zur  Bekundung 
des  guten  Willens  diente^),  war  so  wenig  verfänglich,  daß  es 
selbst  vom  preußischen  Gesandten,  wenigstens  für  seine 
Person,  ausdrücklich  gebilligt  wurde.  Der  bayerische  Minister 
holte  zudem  die  Ansicht  des  Grafen  Bismarck  ein  und  dieser 
ließ  ihm  sagen:  ,,Die  spanische  Königswahl  interessiert  uns 
gar  nicht.  Vermittlungsvorschläge  können  nur  die  Sicherung 
Deutschlands  gegen  französische  gegenwärtige  oder  künftige 
Unternehmungen  zum  Gegenstande  haben.  Dafür  ist  es  jetzt 
zu  spät." 

Nach  dem  Scheitern  dieses  Vermittlungsversuches  voll- 
zog Graf  Bray  unentwegt  das,  was  nach  seiner  auch  Beust 
gegenüber  vertretenen  Überzeugung  die  klar  ausgesprochene 
Vertragspflicht,  die  Ehre  und  —  der  Vorteil  Bayerns  ver- 
langten. An  eine  Neutralität  hat  er  nicht  gedacht,  noch  weniger 
sie  seinem  König  empfohlen,  sie  erschien  im  Hinblick  auf  die 
Vertragspflicht  und  die  geographische  Lage  Bayerns  unhaltbar. 
Graf  Hugo  v.  Lerchenfeld,  der  spätere  bayerische  Gesandte  in 
Berlin,  der  damalige  Privatsekretär  des  Ministers,  erzählt  in 
seinen  ungedruckten  Erinnerungen:  ,,Ich  erinnere  mich  aus  den 
ersten  Tagen  nach  der  französischen  Kriegserklärung  eines 
Gesprächs  mit  meinem  Chef,  in  dem  er  sich  über  die  Chancen 
der  Erfüllung  der  Bündnispfhcht  oder  einer  neutralen  Stellung 
ungefähr  so  äußerte:  .Gehen  wir  mit  Preußen  und  ge- 
winnt dieses  den  Krieg,  ^o  ist  Preußen  gezwungen,  den  Bestand 
Bayerns  zu  achten.  Unterliegt  Preußen,  so  verlieren  wir  viel- 
leicht die  Pfalz;  aber  mehr  kann  uns  nicht  geschehen;  denn 
Frankreich  muß  die  Selbständigkeit  der  deutschen  Einzel- 
staaten immer  begünstigen;  das  gleiche  tritt  ein,  wenn  wir 
neutral  geblieben  sind  und  Frankreich  siegt.  Siegt  aber 
Preußen,  obwohl  wir  es  gegen  den  Vertrag  im  Stiche  gelassen 


^)   Sorel,  Hist.  dipl.  de  la  guerre  franco-allemande  I,   io6. 


31 

haben,  dann  erwartet  uns  das  Schicksal  Hannovers.  Es  wäre 
finis  Bavariae.'  Graf  Bray  fügte  jedoch  bei:  ,Ich  lasse  mich 
von  diesen  Erwägungen  übrigens  nicht  allein  leiten.  Ich  habe 
die  Bündnisverträge  unterzeichnet  und  werde  sie  halten. 
Ich  hoffe  zudem  zuversichtlich,  daß  wir  siegen  werden." 
Der  angebliche  Gegensatz  zwischen  dem  Könige,  der 
den  Bündnisfall  anerkannt  hätte,  und  dem  Grafen 
Bray,  der  der  Anerkennung  entgegengearbeitet 
hätte,  bestand  in  Wirklichkeit  nicht.  Im  Gegen- 
teil, wie  immerso  hat  auch  in  dieser  Frage  die  Regie- 
rung die  Initiative  ergriffen.  Diese  Initiative  der  Re- 
gierung ist  durch  die  von  Luise  v.  Kobell  beeinflußte  Über- 
lieferung hier  wie  in  anderen  Punkten  zugunsten  des  Königs 
oder  vielmehr  des  Kabinettsekretariates  verschleiert  worden. 

Die  bayerische  Regierung  war,  bevor  noch  die  Vermitt- 
lungsversuche scheiterten,  tatsächlich  schon  über  die  Neutrali- 
tät hinausgegangen.  Man  kann  das  an  der  Hand  der  Staats- 
akten Schritt  für  Schritt  verfolgen. 

Am  14.  Juli  stellte  der  Gesandte  des  Norddeutschen 
Bundes,  Freiherr  v.  Werthern  im  Auftrage  seiner  Regierung 
die  Anfrage,  auf  welche  Unterstützung  Bayerns  man  bei 
einem  französischen  Angriffe  rechnen  könne.  Darauf  erklärte 
der  bayerische  Kriegsminister  noch  am  nämlichen  Abend: 
er  verpflichte  sich,  die  beiden  bayerischen  Armeekorps  genau 
nach  den  Bestimmungen  des  in  Berlin  bekannten  Mobili- 
sierungsplanes in  Kriegsstärke  zu  stellen.  Graf  Bray  aber 
äußerte  am  folgenden  Morgen,  indem  er  die  Sprache  Frank- 
reichs dem  Tone  und  dem  Inhalt  nach  verurteilte:  Selbst 
wenn  Bayern  kein  Bündnis  mit  Preußen  geschlossen  hätte, 
würde  es  im  Fall  eines  französischen  Angriffs  auf  deutsche 
Grenzen  an  seiner  Seite  stehen;  um  so  mehr  verstehe  sich  das 
jetzt  von  selbst.  Hierin  sei  er  mit  all  seinen  Kollegen  einig. 
Seine  Majestät  den  König  habe  er  von  der  Lage  vollständig 
informiert,  er  habe  ihn  aber  schon  drei  Wochen  lang  nicht 
mehr  gesehen;  doch  zweifle  er  nicht  daran,  daß  er  sich  in 
gleichem  Sinne  äußern  werde. 

Am  Morgen  des  15.  Juli  telegraphierte  Bismarck  an 
Freiherrn  v.  Werthern  nach  München:  ,,Auf  die  heute  ge- 
meldete Erklärung  der  französischen  Regierung  in  der  gesetz- 
gebenden Versammlung  hat  des  Königs  Majestät  soeben  die 
Mobilmachung  des  norddeutschen  Heeres  befohlen.  Nach 
der  uns  von  der  Kgl.  bayerischen  Regierung  zugegangenen 
Erklärung  dürfen  wir  auf  deren  Einverständnis  rechnen,  wenn 


32 

wir  das  ergebenste  Ersuchen  stellen,  die  Kgl.  bayerischen 
Streitkräfte  mit  tunlichster  Beschleunigung  zur  Verteidigung 
Deutschlands  ausrüsten  zu  wollen."  Im  Laufe  des  Nach- 
mittags erhielt  Freiherr  v.  Werthern  den  weiteren  telegraphi- 
schen Auftrag,  „bei  der  bayerischen  Regierung  anzufragen, 
ob  sie  geneigt  sei,  einen  Bevollmächtigten  behufs  der  zur 
Sicherung  Deutschlands  erforderlichen  militärischen  Verhand- 
lungen nach  Berlin  zu  senden".  Die  Regierung  kam  sofort, 
ohne  irgendwelches  Zögern,  allen  diesen  Wünschen  entgegen. 
Noch  am  15.  Juli  beauftragte  der  bayerische  Kriegsminister 
den  Generalquartiermeister,  ,,zu  vermittelnder  Thätigkeit 
zwischen  dem  preußischen  und  dem  diesseitigen  Generalstab 
in  allen  Fragen  und  Detailarbeiten,  welche  auf  die  Mobili- 
sierung der  bayerischen  und  ihre  Kooperation  mit  preußischen 
Armeecorps  sich  beziehen,  sogleich  den  Hauptmann  Celsius 
Giehrl  nach  Berlin  abzuordnen".  Am  nämlichen  Tage  fand  ein 
Ministerrat  statt  und  das  Ergebnis  der  Beratung  war  das 
denkwürdige  Schriftstück  vom  gleichen  Tage,  in  dem  Graf 
Bray  allerdings  mit  der  ihm  eigenen  und  bei  der  Natur  des 
Königs  besonders  gebotenen  Vorsicht,  aber  doch  mit  nicht  zu 
verkennender  Deutlichkeit  den  entscheidenden  Antrag  auf 
Mobilisierung  an  seinen  König  stellte:  Bei  der  drohenden 
Haltung  Frankreichs  gegen  Preußen  und  der  exponierten 
Lage  der  Pfalz,  die  jeden  Tag  einem  Angriffe  von  französischer 
Seite  her  preisgegeben  sein  könne,  lasse  sich  eine  bindende 
Erklärung  nicht  länger  hinausschieben.  „Wie  die  Dinge  liegen, 
wird  es  kaum  möglich  sein,  daß  Bayern  sich  neutral  verhalte, 
und  wenn  eine  aktive  Anteilnahme  am  Kriege  nicht  zu  um- 
gehen ist,  dürfte  die  Wahl  um  so  weniger  Schwierigkeiten  dar- 
bieten, indem  ein  Krieg  Frankreichs  gegen  Preußen  stets  ein 
Angriffskrieg,  ein  Kampf  um  die  Integrität  des  deutschen  Ge- 
bietes sein  wird  und  in  diesem  Fall  der  Artikel  I  des  Allianz- 
vertrages vom  22.  August  1866  die  Verpflichtung  Bayerns 
unzweideutig  normiert  hat,  so  wie  dies  auch  schon  nach  dem 
alten  deutschen  Bundesrecht  bestimmt  gewesen  war."  Der 
Minister  bittet  also  ,,in  Übereinstimmung  mit  sämtlichen 
Staatsministern",  „ihn  unverzüglich  mit  denjenigen  Direktiven 
zu  versehen,  welche  ihn  in  den  Stand  setzen,  die  Pohtik  Bayerns 
in  dem  Sinne  zu  führen,  welche  der  Allerhöchsten  Intention 
und  Willensmeinung  entspricht.  Der  treugehorsamst  Unter- 
zeichnete würde  sich  glücklich  schätzen,  wenn  Ew.  Majestät 
ihm  hier  persönlichen  allerunterthänigsten  Vortrag  gestatten 
und  hierauf  die  allerhöchsten  Befehle  erteilen  wollten.    Es  ist 


33 

dies  bis  morgen  früh  unumgänglich  nötig,  wenn  nicht  alle 
zum  Schutze  des  Landes  nötigen  Vorkehrungsmaßregeln  sich 
verspäten  sollten."  Mit  anderen  Worten,  der  Minister  bat 
um  den  Mobilisierungsbefehl. 

War  wirklich  zur  Zeit  des  Ministerrates  eine  Neigung  des 
Grafen  Bray  zum  Temporisieren  vorhanden  gewesen,  so  war 
diese  rasch  überwunden  worden.  Der  Kriegsminister  Freiherr 
V.  Pranckh  äußerte  am  Tage  des  Ministerratsbeschlusses: 
,,Wenn  ich  bis  morgen  nicht  die  Mobilisierungsordre  erhalte, 
so  lehne  ich  alle  Verantwortung  ab."  Der  Hilfsarbeiter  im 
Ministerium  des  Äußern,  Ministerialsekretär  Graf  Maximilian 
V.  Berchem,  der  am  Morgen  des  i6.  Juli  den  schriftlichen 
Antrag  des  Gesamtministeriums  nach  Berg  überbrachte, 
meldete  wachsende  Erregung  aus  München  und  warnte,  die 
Mobilisierung  an  Bedingungen  zu  knüpfen,  die  im  Falle  des 
Sieges  überflüssig,  im  Falle  der  Niederlage  wertlos  seien,  in 
beiden  Fällen  aber  einen  Schatten  auf  die  Allianztreue  werfen 
könnten. 

Damals,  als  Graf  Berchem  den  Antrag  überbrachte,  war 
am  königlichen  Hoflager  zu  Berg  zwar  nicht,  wie  man  auf 
Grund  der  Darstellung  der  Luise  v.  Kobell  gemeint  hat, 
die  Entscheidung  schon  gefallen,  immerhin  der  Boden  hiefür 
vorbereitet.  Kabinettsekretär  Eisenhart,  der  natürlich  von 
den  Ereignissen  des  15.  Juli  noch  am  gleichen  Tage  telegraphisch 
unterrichtet  worden  war,  hat  in  der  Nacht  vom  15./16.  Juli 
im  Sinne  des  ministeriellen  Antrages  auf  den  König  einge- 
wirkt. Nach  der  Aufzeichnung,  die  er  später  selbst  darüber 
niederschrieb^),  hat  sich  der^  Vorgang  am  königlichen  Hof- 
lager also  zugetragen:  ,,Als  in  den  Julitagen  1870  die  Er- 
eignisse in  Ems  zur  bekannten  Katastrophe  führten,  be- 
fand sich  der  König,  dessen  Hoflager  damals  in  Schloß  Berg 
am  Würmsee  war,  auf  einem  mehrtägigen  Gebirgsausfluge, 
von  dem  er  am  15.  abends  gegen  10  Uhr  heimkehrte.  Alsbald 
nach  der  Ankunft  wurde  der  Kabinettsekretär  Eisenhart  zum 
Vortrag  beschieden,  welcher  an  der  Hand  der  eingelaufenen 
Berichte,  Depeschen,  Telegramme  und  Zeitungsnotizen  einen 
ausführlichen  —  durch  Fragen  oder  Bemerkungen  Sr.  Maje- 

^)  Niederschrift  des  Staatsrats  v.  Eisenhart  vom  2.  Februar  1890,  mir 
vermittelt  durch  Herrn  Ministerialdirektor  v.  Müller.  Es  ist  interessant  zu 
beobachten,  was  Luise  v.  Kobell  in  ihrer  Schrift  ,, König  Ludwig  II.  und 
Fürst  Bismarck  im  Jahre  1870"  (1899)  aus  der  Niederschrift  ihres  Mannes 
gemacht  hat.  Den  Zweck  verrät  sie  mit  den  Schlußworten:  „Mit  dem  Befehl 
zur  Mobilmachung  war  der  König  auf  Eisenharts  Antrag  dem  Vortrag  Brays 
zuvorgekommen." 

Doeberl,  Bayeni  und  die  Bismarckische  Reichsgründung.  3 


34 

stät  öfters  unterbrochenen  —  Vortrag  erstattete.  Der  König 
erfaßte,  vermöge  seiner  raschen  Auffassungsgabe,  sofort  in 
richtiger  Weise  die  Sachlage,  drückte  indes  wiederholt  den 
dringenden  Wunsch  nach  friedlicher  Beilegung  des  Konfliktes 
aus,  ohne  jedoch  den  Zweifeln  des  Kabinettsekretärs  an  der 
Erfüllung  des  königlichen  Wunsches  entgegen  zu  treten. 
In  gewohnter  Weise  im  Zimmer  auf  und  ab  gehend,  sprach  er 
nun  in  ausführlicher  Weise  über  den  casus  foederis,  dessen 
Gegebensein  im  Kriegsfall  und  über  die  möglichen  Folgen, 
welche  aus  einem  deutsch-französischen  Kriege  für  Bayern 
erwachsen.  Als  der  Sekretär  die  hohe  Dringlichkeit  der  Sache 
hervorhob  und  weiter  meldete,  daß  nach  einer  Abenddepesche 
Graf  Berchem  mit  dem  morgigen  Frühzuge  einen  Antrag  des 
Staatsministers  Grafen  Bray  überbringen  werde,  erklärte  der 
Monarch,  seine  Entscheidung  bis  nach  Eintreffen  jenes  An- 
trages aufschieben  zu  wollen,  und  verabschiedete  den  Ministerial- 
rat. Als  dieser  das  Schloß  verließ,  begann  allmählich  der  Morgen 
zu  grauen  und  lichte  Wolken  lagen  über  dem  schweigsamen 
See.  Mit  dem  Frühzug  des  i6.  traf  Graf  Berchem  ein. 
Er  überbrachte  das  motivierte  Gesuch^)  Brays,  mit  dem 
Kriegsminister  Freiherrn  v.  Pranckh  heute  noch  zum  persön- 
lichen Vortrag  zugelassen  zu  werden.  Graf  Berchem  teilte 
noch  mit,  daß  in  der  Stadt  große  Aufregung  herrsche,  daß 
man  von  selten  der  ultramontanen  Kammermehrheit  eine 
bedenkliche  Verschleppung  befürchte  und  daß  der  Kriegs- 
minister mit  Ungeduld  der  königlichen  Entscheidung  entgegen- 
sehe. Auftragsgemäß  wurde  S.  Majestät  geweckt  und  Höchst- 
demselben  Brays  Antrag  überreicht.  Als  der  Sekretär  aber- 
mals den  Wert  rascher  Entscheidung  und  die  Kostbarkeit  der 
einzelnen  Stunde  geltend  machte,  entstand  eine  längere 
Pause.  Der  König  richtete  sich  im  Bette  auf,  mit  den  Worten: 
,,Mein  Entschluß  ist  gefaßt,  bis  dat  qui  cito  dat",  wies  hierauf 
den  Sekretär  an,  den  Mobilmachungsbefehl  zu  entwerfen  und 
die  beiden  Minister  zum  Nachmittagsvortrag  zu  berufen.  Die 
sofort  gefertigten  Konzepte  wurden  nun  vom  Könige  mit 
kräftiger  Hand  unterzeichnet  und  wenige  Minuten  später 
befand  sich  durch  den  Telegraph  der  chiffrierte  Königsbefehl 
in  den  Händen  des  Kriegsministers,  welcher  in  umsichtiger 
Weise  die  nötigen  Vorkehrungen  getroffen  hatte.  Am  Nach- 
mittage desselben  Tages  fuhren  Graf  Bray  und  Freiherr 
v.  Pranckh  in  Hofequipagen  von  Starnberg  nach  Schloß  Berg 
zum  Vortrag,  der  bis  in  den  späten  Abend  währte." 

1)   Sollte  wohl  richtiger  heißen:  den  a.  u.  Antrag  mit  dem  Gesuch  usw. 


35 

Tatsächlich  wurde  der  Mobilisierungsbefehl  am  i6.  JuU 
zunächst  an  den  Grafen  Bray  gerichtet  und  lautete  nach  der 
Niederschrift  in  den  Akten  des  Ministeriums  des  Äußern: 
„J'ordonne  la  mobilisation ;  informez  en  le  ministere  de  la 
guerre."  Vom  Ministerium  des  Äußern  wurde  der  Mobili- 
sierungsbefehl sofort  dem  Kriegsminister  zugeleitet,  der  noch 
am  nämlichen  Tag  anordnete:  i.  Die  beiden  Armeekorps  sind 
vollständig  zu  mobilisieren,  2.  16  Landwehrbataillone  sind 
auf  den  Kriegsformationsbestand  zu  bringen,  3.  der  17.  Juli 
ist  als  der  erste  Mobilisierungstag  anzusehen.  Anordnungen 
zur  militärischen  Bereitschaft  waren  schon  vorher  ergangen. 

Die  Worte,  mit  denen  Graf  Bray  den  bayerischen  Ge- 
sandten in  Berlin  von  der  ergangenen  Mobilisierung  unter- 
richtete, sind  erst  recht  ein  Beweis,  daß  der  Minister  mit 
seinem  Antrag  an  den  König  ganz  im  Sinne  der  telegraphischen 
Weisung  des  Grafen  Bismarck  an  den  preußischen  Gesandten 
v.  Werthern  vom  15.  Juli  verfahren  wollte:  ,,Auf  ein  von 
Baron  v.  Werthern  mitgeteiltes  Telegramm  vom  15.  ds.  Mts. 
hat  die  Regierung  Sr.  Majestät  des  Königs  der  an  sie  gerichteten 
Einladung  sofort  durch  die  unterm  gestrigen  verfügte  Mobili- 
sierung der  gesamten  Streitmacht  entsprochen  und  die  er- 
forderlichen Vorkehrungen  getroffen,  namentlich  in  betreff 
des  Ausfuhrverbotes  von  Kriegsbedarf  jeder  Art,  einschließlich 
der  Pferde  und  Fourage." 

Am  gleichen  Tage  wurde  durch  eine  telegraphische  Wei- 
sung des  Ministeriums  des  Äußern  der  bayerische  Gesandte 
am  Pariser  Hofe  ,  Graf  v.  Quadt,  unter  dem  Vorwande  eines 
Urlaubs  von  Paris  abberufen:  ,, Benutzen  Sie  Ihren  Urlaub, 
um  hier  mündlich  Aufschluß  zu  geben,  die  Geschäfte  sind  an 
Rudhart  zu  geben,  wichtigere  Papiere  mitzunehmen." 

Als  dann  am  18.  Juli  der  preußische  Gesandte  im  Auf- 
trage seiner  Regierung  unter  Hinweis  auf  die  Erklärungen  des 
französischen  Ministeriums  und  die  von  ihm  getroffenen 
militärischen  Maßnahmen  an  die  bayerische  Regierung  das 
Ersuchen  stellte,  auf  Grund  der  Bündnisverträge  vom  22.  Aug. 
1866  den  casus  foederis  für  gegeben  zu  erklären,  und  der 
Minister  gemäß  einer  Verabredung  mit  dem  württembergischen 
Staatsminister  v.  Varnbüler  sich  telegraphisch  eines  gleichen 
Verfahrens  seitens  Württembergs  versichert  hatte,  erbat  und 
erhielt  er  am  19.  Juli  von  seinem  Könige  die  Ermächtigung, 
„dem  Vertreter  der  preußischen  Regierung  sofort  zu  erklären, 
daß  er  den  casus  foederis  als  gegeben  erachte".  Am  folgenden 
Tage  telegraphierte  Ludwig  H.  an  den  König  von  Preußen: 


36 

„Mit  Begeisterung  werden  Meine  Truppen  an  der  Seite  ihrer 
ruhmgekrönten  Bundesgenossen  für  das  deutsche  Recht  und 
deutsche  Ehre  den  Kampf  aufnehmen.  Möchte  er  zum  Wohle 
Deutschlands  und  zum  Heile  Bayerns  werden." 

Und  doch  hatte  der  Herzog  von  Gramont  gegenüber  dem 
Grafen  Quadt  in  lebhaften  Farben  geschildert,  was  Bayern 
als  Feind,  als  Neutraler  oder  als  Freund  Frankreichs  zu  er- 
warten habe:  ,,Im  ersten  Fall  ist  es  klar,  daß  die  bayerische 
Pfalz  das  Schlachtfeld  Preußens  und  Frankreichs  sein  wird 
und  daß  diese  Provinz  durch  diese  Tatsache  sich  in  der  traurigen 
Lage  befinden  wird,  von  den  zwei  kriegführenden  Mächten  als 
erobertes  Land  behandelt  zu  werden.  Es  liegt  an  Bayern,  zu 
überlegen,  ob  es  die  Verantwortung  für  die  Kriegsnöte  über- 
nehmen will,  die  sich  über  das  Land  ergießen  werden.  (Dabei 
deutete  der  Herzog  von  Gramont  eine  feindliche  Haltung 
Österreichs  gegen  Bayern  an,  falls  dieses  die  Partei  Preußens 
ergreifen  sollte.)  Wenn  Bayern  neutral  bleibt,  wird  Frank- 
reich sich  zur  Pflicht  machen,  ihm  diese  Stellung  nach  Kräften 
zu  erleichtern;  denn  wir  verkennen  nicht  die  Schwierigkeiten, 
die  sich  für  die  bayerische  Regierung  in  dieser  schweren  Frage 
ergeben.  Als  Freund  wird  Bayern,  das  versteht  sich  von 
selbst,  mit  uns  die  Früchte  des  Erfolges  teilen.  Aber  es  ist 
Zeit,  daß  sich  Bayern  in  kürzester  Frist  erklärt;  denn  unsere 
Interessen  sind  zu  stark  gebunden,  um  länger  warten  zu  können." 
Der  Herzog  von  Gramont  hatte  anderseits  die  bündigste 
Erklärung  abgegeben,  daß  Frankreich  an  keine  Eroberung  des 
Rheines  denke:  ,,Weit  davon  entfernt,  kann  ich  Ihnen  ver- 
sichern, daß  Frankreich  im  Falle  des  Erfolges  gegen  Preußen 
sich  wohl  hüten  werde,  auch  nur  den  kleinsten  Fetzen  deutschen 
Gebietes  zu  verlangen.  Nach  allem  sind  die  rheinischen  Pro- 
vinzen durchaus  deutsch  und  es  wäre  ein  ungeheurer  Fehler 
der  französischen  Regierung,  sich  feindliche  Elemente  anzu- 
ghedern,  die  nur  die  Bänke  der  Opposition  füllen  würden. 
Unser  Ziel  ist  d'empecher  le  Prussianisme  en  Allemagne,  und  ich 
begreife  nicht,  wie  die  Regierungen  des  Südens  sich  beeinträch- 
tigt fühlen  könnten,  wenn  wir  das  Großherzogtum  Baden,  das  nur 
eine  Filiale  BerHns  ist,  aufheben  und  wenn  wir  im  Norden  das 
Königreich  Hannover  wiederherstellen  und  es  derart  vergrößern, 
daß  es  die  Gefahren,  die  ein  übermächtiges  Preußen  in  Deutsch- 
land bietet,  verscheucht."  Der  Herzog  von  Gramont  wieder- 
holte, daß  Bayern  in  der  Lage  sei,  seinen  Untertanen  die  Geißel 
des  Krieges  zu  ersparen,  unbeschadet  seiner  Würde,  da  die 
Integrität  des  deutschen  Gebietes  gewahrt  bleiben  werde. 


37 

Am  20.  Juli  verlangte  der  französische  Gesandte  Herzog 
von  Cadore  vom  bayerischen  Minister  des  Äußern  bestimmte 
Aufschlüsse  über  die  Haltung  Bayerns.  „Es  ist  uns  sehr  wich- 
tig," so  lautete  der  Auftrag  seines  Ministers,  der  in  der  Form 
einer  Verbalnote  der  bayerischen  Regierung  abschriftlich 
zugestellt  wurde,  ,,zu  wissen,  ob  die  bayerische  Regierung  sich 
durch  die  Verträge  von  1866  gebunden  glaubt  und  den 
casus  foederis  anerkennen  wird.  Wollen  Sie  sich  darüber 
freundschaftlich,  aber  sehr  bestimmt  mit  dem  Minister  der 
auswärtigen  Angelegenheiten  aussprechen  und  ihm  sagen,  wie 
schmerzlich  es  für  uns  wäre,  uns  im  Kriegszustande  mit  Bayern 
zu  befinden.  Nur  gegen  Preußen  bereiten  wir  uns  zum  Kampfe 
vor  und  wir  haben  nicht  die  geringste  Ursache  zu  einer  Feind- 
seligkeit mit  irgendeiner  anderen  Macht.  Wir  haben  aus 
militärischen  wie  aus  politischen  Gründen  ein  großes  Interesse 
daran,  so  bald  als  möglich  über  die  Absichten  des  Münchener 
Kabinetts  unterrichtet  zu  sein."  Die  Antwort  gipfelte  natür- 
lich in  der  Erklärung,  daß  Bayern  gegenüber  Preußen  den 
casus  foederis  anerkannt  habe.  Unmittelbar  darauf  wurden 
die  diplomatischen  Beziehungen  zwischen  Bayern  und  Frank- 
reich abgebrochen,  ohne  daß  eine  förmliche  Kriegserklärung 
von  der  einen  oder  der  anderen  Seite  erfolgt  wäre. 

Jetzt  erst,  nachdem  Bayern  in  den  Krieg  eingetreten  war, 
und  zwar  erst  am  25.  Juli,  erwiderte  Graf  Bray  auf  jenes 
Schreiben  des  Grafen  Beust  vom  14.  ds.  Mts.  Es  ist  ebenso 
interessant  wie  lehrreich,  dem  Gedankengange  des  Ministers  zu 
folgen,  aber  wiederum  unter  steter  Berücksichtigung  des 
Adressaten.  ,,Wäre  die  spanisch-hohenzollerische  Kandidatur 
—  so  führt  Graf  Bray  im  wesentlichen  aus  —  durch  den  Ver- 
zicht des  Kandidaten  und  der  spanischen  Regierung  selbst 
nicht  spurlos  verschwunden,  so  hätte  sie  uns  allerdings  An- 
haltspunkte für  ein  Fernhalten  vom  Streite  geboten  ...  So 
wie  die  Sache  aber  jetzt  liegt,  bleibt  für  uns  als  zwingende 
Notwendigkeit  nur  die  Anerkennung  unserer  klar  ausge- 
sprochenen Vertragspflicht  und  der  Verzicht  auf  eine  auch 
geographisch  unhaltbare  Neutralität  .  .  .  Daß  es  uns  unmöglich 
war,  uns  zu  isolieren  und  von  allen  übrigen  deutschen  Staaten 
zu  trennen,  würdest  Du  hier  noch  deutlicher  empfinden  als 
in  Wien  ...  So  blieb  mir  nichts  übrig  als  die  Teilnahme  an 
der  Aktion,  deren  große  Übel  und  Gefahren  ich  nicht  ver- 
kenne, welche  aber  bei  den  gegebenen  Prämissen,  als  auf 
Recht  und  Vertrag  begründet  und  die  bloße  Abwehr  eines 
fremden   Angriffs   bezweckend,   mir  doch  der  sicherste,    weil 


38 

ehrlichste  und  korrekteste  Weg  zu  sein  scheint.  Die  Begründung 
der  französischen  Kriegserklärung  ist  nicht  dazu  angetan, 
mich  anderen  Glaubens  zu  machen." 

Immerhin  mußte  sich  hier  der  Minister  in  Rücksicht  auf 
den  Adressaten  einige  Zurückhaltung  auferlegen.  Um  so  deut- 
licher spricht  sich  seine  Überzeugung  von  dem  guten  Recht 
und  der  nationalen  Bedeutung  des  Eintritts  Bayerns  in  den 
Krieg  in  dem  Rundschreiben  aus,  das  er  am  26.  Juli  an  die 
bayerischen  Gesandtschaften  richtete.  Er  setzte  die  Gründe 
für  den  Eintritt  Bayerns  in  den  Krieg  auseinander  und  fuhr 
dann  weiter:  ,,Ew.  Hochwohlgeboren  dürfen  glauben,  daß 
die  königliche  Regierung  nicht  ohne  allseitige  Erwägung  der 
Verhältnisse  und  nur  schweren  Herzens  in  einen  Krieg  ein- 
tritt, der  voraussichtlich  unermeßHche  und  schmerzliche 
Opfer  fordern  wird.  Sie  hat  es  aber  sofort  getan,  weil  es  ihr 
bei  der  geographischen  Lage  Bayerns  unmöglich  schien,  dem 
Kampfe  durch  eine,  wenn  auch  bewaffnete  Neutralität  auszu- 
weichen, weil  es  für  den  König,  unseren  allergnädigsten  Herrn, 
sich  darum  handelte,  sein  verpfändetes  Fürstenwort  einzulösen, 
und  weil  Allerhöchstderselbe  nicht  bloß  treu  zu  seinem  Volke, 
sondern  auch  treu  zu  Deutschland  steht.  Ich  darf  mich  sicher 
der  Erwartung  hingeben,  daß  Sie  dieselben  Gesinnungen  des 
Monarchen  mit  Aufrichtigkeit,  Offenheit  und  Entschiedenheit 
vertreten  werden,  von  welchen  S.  Majestät  beseelt  sind.  Das 
bayerische  Heer  kämpft  mit  seinen  Verbündeten  für  eine  gerechte , 
gute  Sache  und  auch  unsere  Bemühungen  und  Anstrengungen 
müssen  unausgesetzt  darauf  gerichtet  sein,  zum  Siege  dieser 
Sache  redlich  und  mit   besten   Kräften   mitzuhelfen." 

Von  preußischer  Seite  wurde  damals  das  bundestreue 
Verhalten  Bayerns  mit  den  wärmsten  Worten  anerkannt. 
Schon  am  13.  Juli  meldete  der  bayerische  Geschäftsträger  in 
Berlin:  ,,Herr  v.  Thile  ersuchte  mich,  der  königlichen  Regierung 
mitzuteilen,  daß  deren  bei  dieser  Gelegenheit  bewiesene 
deutsche  Haltung  hier  mit  großer  Anerkennung  aufgenommen 
worden  sei.  Wir  können,  fügte  er  bei,  die  Haltung  Badens 
und  Bayerns  in  dieser  Frage  nur  loben;  ich  sage  ausdrücklich 
Bayern  und  Baden,  womit  er  andeuten  wollte,  daß  man  in 
Berlin  mit  der  Haltung  Württembergs  sehr  unzufrieden  war." 
Preußischerseits  sah  man  sich  wiederholt  zur  Mahnung  an 
Bayern  veranlaßt,  die  diplomatischen  Beziehungen  mit  Frank- 
reich nicht  früher  als  Preußen  abzubrechen.  ,, Übereilen  Sie 
sich  nicht  in  dieser  Beziehung,"  äußerte  Bismarck  gegenüber 
dem  bayerischen  Gesandten  am  Abend  des  16.  Juli,  „um  viel 


39 

mehr  Zeit  zu  Ihren  Kriegsrüstungen  zu  gewinnen."  Seitdem 
Bayern  in  aller  Form  den  casus  belli  anerkannt  hatte  und  in 
den  Krieg  mit  Frankreich  eingetreten  war,  mehrt  sich  die 
Anerkennung  —  seitens  Bismarcks  wie  seitens  des  Preußen- 
königs. Bismarck  nahm  diese  Eröffnung  nach  dem  Berichte 
des  bayerischen  Gesandten  mit  tiefgefühlter  Anerkennung 
entgegen:  „Er  hat  mir  als  Vertreter  Bayerns  dankend  und 
warm  die  Hand  gedrückt  und  sichtlich  war  er  von  dieser 
patriotisch  energischen  Haltung  und  Sprache  Ew.  Kgl.  Maje- 
stät ergriffen.  Ew.  Kgl.  Majestät  erhalten  die  Achtung  und 
Bewunderung  von  ganz  Deutschland."  Vom  Preußenkönig 
aber  berichtete  der  Gesandte  gelegentlich  der  Schilderung 
einer  Tauffeier  im  Hause  des  preußischen  Kronprinzen: 
„Als  nach  der  Tafel  im  Muschelsaale  des  Neuen  Palais  der 
Cercle  stattfand,  kam  der  König  unverzüglich  auf  mich  zu, 
drückte  mir  lebhaft  die  Hand  und  sagte  mir:  Ich  brauche 
Ihnen  nicht  zu  sagen,  was  ich  empfinde,  indem  ich  die  Freude 
habe,  Sie  heute  hier  zu  sehen.  Hiebei  winkte  der  König  den 
unfern  stehenden  württembergischen  Gesandten  herbei,  wieder- 
holte diese  Worte  an  uns,  als  die  Königreiche  des  Südens 
vertretend,  und  wiederholte  mit  bewegter  Stimme,  aber  in 
ausdrücklicher  Weise  seine  Anerkennung  und  dankte  für  die 
Haltung  der  Monarchen  von  Bayern  und  Württemberg,  für 
die  nationale  und  Vertragstreue  Haltung  Ew.  Kgl.  Majestät 
und  Allerhöchst  Ihrer  Regierung,  des  bayerischen  Volkes. 
Der  König  sprach  zu  mir  und  äußerte:  Von  unschätzbarem 
Werte  ist,  abgesehen  von  der  Bedeutung  an  und  für  sich,  diese 
patriotische  Haltung  Süddeutschlands  für  das  deutsche  Ge- 
samtvaterland, für  die  militärischen  Operationen  und  den 
Erfolg  unserer  Waffen,  welche  Gott  leiten  und  schützen  wolle. 
Sie  sind  von  französischer  Seite  gedrängt  worden,  man  hat 
in  Sie  gebohrt  bis  zuletzt,  aber  Sie  haben  festgehalten.  Ihre 
Haltung  hat  bereits  besondere  strategische  Maßnahmen  von 
selten  Frankreichs  erheischt,  die  das  Vorgehen  der  französi- 
schen Armee  gegen  uns  aufhalten,  welches  uns  jetzt  schon 
den  größten  Schaden  hätte  verursachen  können ;  unsere  Mobili- 
sierung im  Trierschen  hätte  vollkommen  gestört  werden 
können." 

* 
Mit  der  Bejahung  des  Bündnisfalles  durch  die  Regierung 
war  die  Frage,  ob  Bayern  an  der  Seite  Preußens  gegen  Frank- 
reich stehen  werde,  entschieden,  war  eine  Bürgschaft  für  die 
Verwendung  der  bayerischen  Truppen  im  nationalen   Sinne 


40 

gegeben.  Die  Entscheidung  hing  nicht  mehr  ,,in  der  Luft", 
wenn  auch  die  Kammer  erklärte,  den  casus  foederis  prüfen 
zu  müssen.  Kriegsminister  v.  Pranckh  war  nach  dem  Zeug- 
nisse Hugo  v.  Lerchenfelds  entschlossen,  die  Mobilmachung  auch 
dann  durchzuführen,  wenn  die  Kammer  die  Kriegsmittel  ableh- 
nen sollte.  In  diesem  Falle  war  eine  Auflösung  des  Landtags  oder 
eine  vorübergehende  Sistierung  der  Verfassung  zu  erwarten. 

Die  Mißtöne,  die  damals  vom  ,, Volksboten"  Zanders, 
vom  ,, Bayerischen  Vaterland"  Sigls  und  von  einem  Teile  der 
bayerischen  Abgeordneten  angeschlagen  wurden,  sind  aller- 
dings bedauerlich,  sie  haben  aber  auch  im  eigenen  Lande  die 
schärfste  Zurückweisung  erfahren  und  sie  werden  heute  auch 
im  eigenen  Lager  mißbilligt.  Daß  sie  nicht  der  Gesamtstim- 
mung des  Landes  entsprachen,  daß  sich  vielmehr  auch  in 
Bayern  die  öffentliche  Meinung  überwiegend  auf  die  Seite 
Preußens  stellte,  das  kam  in  dem  Sturm  der  Begeisterung 
zum  Ausdruck,  den  der  Mobilmachungsbefehl  entfesselte,  auch 
in  der  Ovation,  die  am  17.  Juli  dem  Könige  vor  der  Residenz 
gebracht    wurde. 

Diese  Stimmung  blieb  auch  der  Kammer  der  Abgeordneten 
nicht  fremd  1) :  trotz  leidenschaftlicher  Fehden  geht  ein  patrioti- 
scher Zug  durch  die  Verhandlungen. 

Am  18.  Juli  stand  auf  der  Tagesordnung:  Fortsetzung 
der  Beratung  und  Beschlußfassung  über  den  ordentlichen 
Etat  der  Militärverwaltung  für  die  Jahre  1870  und  1871. 
Der  Kriegsminister  v.  Pranckh  machte  der  Kammer  offizielle 
Mitteilung  vom  königlichen  Mobilmachungsbefehl  und  forderte 
für  die  Mobilisierung  einen  einmaligen  Kostenaufwand  von 
5600000  Gulden  und  für  den  Unterhalt  des  Heeres,  zunächst 
für  den  Rest  des  Jahres,  21 100 000  Gulden.  Die  Kammer 
überwies  die  Regierungsvorlage  einem  Ausschusse,  der  sich  aus 
sechs  Patrioten  und  drei  Liberalen  zusammensetzt;  Vor- 
sitzender war  der  patriotische  Abgeordnete  Ruhland,  Referent 
der  ebenfalls  patriotische  Abgeordnete  Dr.  Jörg. 

Am  19.  Juli  —  am  Tage  der  französischen  Kriegserklärung 
—  sollte  Beratung  und  Beschlußfassung  im  Plenum 
stattfinden.  Auf  7  Uhr  abends  war  öffentliche  Sitzung  an- 
gesetzt. Lange  vorher  waren  die  Galerien  zum  Erdrücken  voll 
besetzt.  Vor  dem  Ständehaus  bewegte  sich  eine  so  große 
Volksmenge,  daß  der  Verkehr  gehemmt  war.  Der  Landtags- 
präsident hatte  zum  Schutze  der  Abgeordneten  eine  verstärkte 

^)  Meine  Darstellung  gründet  sich  hier  vornehmlich  auf  die  steno- 
graphischen Berichte. 


41 

Militärwache  in  Anspruch  genommen:  sie  stand  im  Landtags- 
gebäude in  Bereitschaft. 

Unter  atemloser  Spannung  im  Saal  und  auf  den  Galerien 
verkündigte  der  Referent  Jörg  den  Beschluß  des  Ausschusses: 
mit  sechs  gegen  die  drei  Stimmen  der  Liberalen  war  bewaffnete 
Neutralität  beschlossen  worden.  Der  spanische  Thronstreit, 
so  rechtfertigte  Jörg  den  Majoritätsbeschluß,  berühre  wohl 
die  preußische  Dynastie,  aber  nicht  Deutschland,  er  liege 
außerhalb  des  Gebietes  deutscher  Ehre  und  deutscher  Natio- 
nalität, es  sei  nach  wie  vor  ein  Streit  zwischen  zwei  Groß- 
mächten, die  nach  dem  ersten  großen  Zusammenstoße  sich 
leicht  auf  unsere  Kosten  einigen  könnten.  Da  das  preußische 
Kriegsministerium  erklärt  habe,  es  könne  Bayern  bei  einem 
Einfalle  der  Franzosen  nicht  schützen,  so  gebe  es  keinen 
anderen  Ausweg  als  bewaffnete  Neutralität.  ,,Der  entsetzliche 
Krieg  nimmt  seinen  Ursprung  in  dem  wirklichen  oder  vermeint- 
lichen Verstoß  gegen  die  Hofetikette,  das  ist  es,  was  mir  wenig- 
stens das  Herz  am  allertief sten  bewegt."  Jörg  verstieg  sich 
in  seinem  Eifer  für  bewaffnete  Neutralität  bis  zu  dem  Satze: 
,,Je  mehr  Sie  Regimenter  aufstellen,  desto  mehr  gehen  zum 
Feinde  über."  Der  fortschritthche  Abgeordnete  Fischer  von 
Augsburg  gab  seiner  Verwunderung  Ausdruck,  daß  man  von 
einem  Kriege  zwischen  Deutschland  und  Frankreich  wie  von 
einem  Streite  zweier  Großmächte  spreche,  der  uns  nichts  an- 
gehe, daß  man  von  einem  deutschen  Könige  eine  Nachgiebig- 
keit auf  eine  Zumutung  verlange,  die  für  jeden  Privatmann 
schimpflich  sein  würde.  Nicht  um  den  nächsten  Anlaß  des 
Konfliktes  handle  es  sich,  sondern  um  die  Bedrohung  Deutsch- 
lands. Eine  Niederlage  Deutschlands  werde  auch  der  Unter- 
gang Bayerns  sein.  Der  Ministerpräsident  Graf  v.  Bray 
vertrat  ebenfalls  mit  einem  bei  ihm  ungewohnten,  warmen 
Nachdruck  die  Vorlage:  Die  Regierung  achte  die  Rechte  des 
hohen  Hauses,  sie  verlange  aber  auch  Achtung  für  ihre  Rechte ; 
zu  den  Rechten  der  Krone  gehöre  die  Entscheidung  über 
Krieg  und  Frieden.  Er  sei  Mitunterzeichner  des  Vertrages 
von  1866;  er  wisse,  wie  der  Vertrag  gemeint  war:  nicht  zur 
Beihilfe  bei  einem  Angriffskrieg,  wohl  aber  zur  Mithilfe  bei  der 
Verteidigung  deutschen  Gebietes.  ,,Der  Fall  ist  eingetreten, 
die  Kriegserklärung  ist  erfolgt,  die  deutsche  Grenze  ist  über- 
schritten." Der  patriotische  Abgeordnete  Pfarrer  Wester- 
mayer  von  St.  Peter  wandte  ein:  es  gebe  Fälle,  wo  die  Sorge 
für  den  eigenen  Hof,  für  Haus  und  Herd  vordringlicher  sei, 
wo  man  in  Rücksicht  auf  die  eigenen  Angehörigen  dem  Nach- 


42 

barn  beim  besten  Willen  nicht  zu  Hilfe  kommen  könne.  Die 
Zuhörer  tobten  und  schrien  Pfuirufe;  man  fürchtete,  daß  es 
im  Saale  selbst  zu  Tätlichkeiten  kommen  werde.  Die  Unruhe 
wuchs  von  Minute  zu  Minute. 

Da  erhob  sich  der  patriotische  Professor  Sepp  —  es  war 
der  bedeutendste  Moment  in  seinem  Leben  — :  „Ich  wollte  für 
bewaffnete  Neutralität  sprechen  und  habe  mir  Wort  für  Wort 
aufgezeichnet,  um  ja  keinen  Ausdruck  zu  improvisieren.  Und 
jetzt  komme  ich  mir  vor  wie  der  Prophet,  der  ausgezogen 
war,  um  zu  fluchen,  und  er  mußte  segnen  .  .  .  Zwischen  gestern 
und  heute  liegen  zehn  Jahre:  die  französische  Kriegserklärung 
ist  da,  die  preußische  Thronrede  setzt  unseren  Anschluß  voraus. 
Wer  fragt  heute  nach  dem  Anlaß  des  Krieges  ?  Gestern  konnte 
man  noch  an  das  Weh  von  1866  denken,  heute  ist  der  Zorn 
gegen  die  Welschen  bei  allen  deutschen  Männern  erwacht. 
Wir  Bayern  haben  an  der  Leipziger  Schlacht  nicht  teilge- 
nommen, bei  der  neuen  Nationalschlacht  wollen  wir  dabei 
sein  .  .  .  Auch  wir  haben  ein  deutsches  Herz  und  halten 
fest  an  dem  Ausspruche  des  deutschesten  unter  den  deutschen 
Fürsten:  Wir  wollen  Deutsche  sein  und  Bayern  bleiben." 
Unter  Führung  Sepps  vollzog  ein  Teil  der  patriotischen 
Abgeordneten  eine  Schwenkung  im  nationalen  Sinne.  Nachts  um 
2Y2  Uhr  wurde  abgestimmt :  der  Neutralitätsantrag  wurde 
mit  89  gegen  58  Stimmen  abgelehnt,  der  Regierungsantrag 
mit  loi  gegen  47  Stimmen  angenommen.  Ungeheurer  Jubel 
erscholl,  als  der  Beschluß  der  Kammer  vor  dem  Ständehaus 
bekannt  wurde.  Unter  nationalen  Gesängen  zog  die  tausend- 
köpfige Menge  vor  die  Residenz  und  zum  Hause  des  preußischen 
Gesandten. 

24  Stunden  später  genehmigte  die  Reichsratskammer  ein- 
stimmig, ohne  Diskussion,  die  Mittel  für  den  Krieg.  Jetzt 
sei  —  so  begründete  der  Referent  Freiherr  v.  Thüngen,  der 
seinerzeit  dem  Zollparlamente  so  zähen  Widerstand  entgegen- 
gesetzt hatte,  die  Vorlage  —  jetzt  sei  keine  Zeit  zu  Empfindlich- 
keiten und  Rekriminationen ;  der  casus  foederis  sei  dem 
Buchstaben  und  dem  Geiste  nach  gegeben.  Aber  auch  ohne 
diesen  würde  Bayern  die  nationale  Verpflichtung  haben,  mit 
Preußen  gegen  Frankreich  zu  gehen,  dessen  Regierung  durch 
Beleidigung  eines  deutschen  Fürsten  die  Ehre  der  deutschen 
Nation  verletzt  habe.  Der  deutsche  Standpunkt  allein  und 
die  ehrliche  Vertragstreue  sichern  die  Zukunft  eines  selb- 
ständigen deutschen  Bayerns,  auf  alle  Fälle  sei  es  besser,  mit 
Ehren  unterzugehen  als  in  Schanden  zu  leben. 


III. 

Bayerische  Vorbehalte. 

Von  einem  gemeinsamen  Kampfe  der  Deutschen  gegen 
den  französischen  Erbfeind,  den  die  einen  als  den  kürzesten 
und  erfolgreichsten  Weg  zur  Lösung  der  deutschen  Frage  be- 
grüßten, besorgten  die  andern  den  Verlust  oder  doch  wenig- 
stens eine  erhebliche  Einschränkung  der  fürstlichen  Souveräni- 
tät. Es  war  daher  begreiflich,  daß  die  deutschen  Mittel- 
staaten, die  seit  der  Gründungszeit  des  Deutschen  Bundes 
als  die  zähesten  Verteidiger  des  Souveränitätsprinzips  galten, 
Bayern  und  Württemberg,  vor  Eintritt  in  den  Deutsch- 
französischen Krieg  eine  Neigung  bekundeten,  sich  gewisse 
Sicherungen  für  die  Fortdauer  ihrer  staatlichen  Selbständig- 
keit zu  verschaffen.  Der  preußische  Gesandte  am  Münchener 
Hofe  sprach  bereits  am  12.  Juli  von  solchen  Bestrebungen  des 
Leiters  der  bayerischen  Politik,  von  dem  Wunsche  nach  einer 
Neugestaltung  der  Allianzverträge  vom  Jahre  1866,  die  in 
der  bisherigen  Form  so  viel  Anstoß  in  ,, Europa"  erregt  hätten, 
nach  einer  Revision  der  Zollvereinsverträge  u.  a.^)  Der  Ge- 
sandte nennt  aber  diese  Bestrebungen  ausdrücklich  ,, Wünsche, 
nicht  Bedingungen,"  ,,um  aus  der  großen  Krisis,  der  wir 
entgegen  gehen,  die  bayerische  Selbständigkeit  zu  retten." 
Und  er  fügt  hinzu:  ,, Nimmt  der  Krieg  für  uns  ein  glückliches 
Ende,  so  gebiert  er  das  Deutsche  Reich.  Jene  Wünsche 
stehen  dann  auf  einem  anderen  Boden  und  Bayern  wird  sich 
in  die  neue  Stellung  im  Reiche  mit  ungleich  größerer  Leichtig- 
keit finden  als  in  seine  bisherige." 

Wenn  aber  solche  Wünsche  eine  Zeitlang  wirklich  die 
Form  von  Bedingungen  annahmen  oder  anzunehmen  schienen, 
so  ging  der  Anstoß  dazu  ursprünglich  nicht  von  Bayern,  sondern 
von  Württemberg  aus,  von  seinem  leitenden  Minister  v.  Varn- 
büler.    Wie  einem  Berichte  des  Fürsten  Chlodwig  von  Hohen- 

1)  H.  A.  A. 


44 

lohe  vom  Juni  1868  an  den  König  von  Bayern^)  zu  entnehmen 
ist,  hat  Varnbüler  schon  im  Frühjahr  1868  gegenüber  dem 
poUtischen  Referenten  im  bayerischen  Ministerium  des  Äußern, 
Freiherrn  v.  Völderndorff,  geäußert,  Württemberg  sei  ent- 
schlossen, im  Falle  eines  Krieges  auf  die  Seite  Preußens  zu 
treten.  Er  hat  aber  gleichzeitig  auch  die  Frage  aufgeworfen, 
ob  es  nicht  angezeigt  sein  dürfte,  sich  für  die  löbliche  Erfüllung 
der  Schutz-  und  Trutzbündnisse  gewisse  Äquivalente  auszu- 
bedingen.  Auf  die  Frage,  was  er  unter  diesen  Äquivalenten 
verstehe,  soll  er  erwidert  haben:  vor  allem  die  Zusicherung, 
daß,  möge  der  Krieg  ausgehen,  wie  er  wolle,  der  status  quo  un- 
verändert aufrecht  erhalten  bleiben  solle.  Der  Gedanke,  die 
Erfüllung  der  im  Allianzvertrage  von  1866  übernommenen 
militärischen  Verpflichtungen  an  Bedingungen  zu  knüpfen, 
wurde  von  dem  damaligen  Leiter  der  bayerischen  Politik, 
Fürsten  Hohenlohe,  abgelehnt  und  vom  Grafen  Bismarck, 
der  auf  Umwegen  davon  erfuhr,  in  der  bestimmtesten  Form 
zurückgewiesen . 

Unmittelbar  vor  Beginn  des  Deutsch-französischen  Krieges 
tritt  der  Gedanke  wieder  auf.  Am  12.  Juh  1870  weilte  der 
württembergische  Gesandte,  Freiherr  v.  Soden,  in  Stuttgart 
und  gab  hier  im  Auftrage  des  Grafen  Bray  die  Erklärung  ab, 
daß  Bayern  in  der  Kriegsfrage  aufs  engste  mit  Württemberg 
zusammengehen  und  keinerlei  Entscheidung  treffen  wolle, 
ohne  sich  vorher  mit  der  württembergischen  Regierung  ver- 
ständigt zu  haben.  2)  Dabei  berichtete  er  von  einer  Neigung 
des  jetzigen  Leiters  der  bayerischen  Politik,  ,,auf  eine  Auf- 
forderung Preußens  zur  Teilnahme  am  Kriege  mit  Frankreich 
die  Bedingung  zu  stellen,  daß  Preußen  bei  einem  mit  sieg- 
reichem Erfolge  begleiteten  Kriege  die  Souveränität  der  süd- 
deutschen Staaten  in  ihrem  bisherigen  Bestand  anerkenne 
und  festhalte."^)  Der  württembergische  Ministerrat*),  dem 
Varnbüler  am  15.  Juli  davon  Mitteilung  machte,  fand  es  aber 
politisch  klüger,  einer  Aufforderung  Preußens  zur  Teilnahme 
am  Kriege  gegen  Frankreich  auf  Grund  der  Allianzverträge 
bedingungslos  zu  entsprechen.  Um  den  ungünstigen  Ein- 
druck, den  dieser  sichtlich  ihm  selbst  unangenehme  Beschluß 
in  Bayern  hervorrufen  konnte,  zu  verwischen,  erschien  Varn- 
büler am  Abend  des  17.  Juli  persönlich  in  München  und  stellte 

1)  M.  St.  A. 

2)  Beilagen  I,   nr.  3. 

3)  V.  Mittnacht,  Rückblicke,   S.  52  ff. 

*)  Ebenda.     Vgl.  dazu  Beilagen  I,  nr.  17. 


45 

ausdrücklich  fest,  daß  Württemberg  nach  wie  vor  mit  Bayern 
in  der  gegenwärtigen  Krisis  zusammengehen  wolle.  ^)  Im  übrigen 
wäre  Bismarck  jetzt  ebenso  wenig  wie  im  Jahre  1868  auf  Be- 
dingungen eingegangen. 

Tatsächlich  ist  denn  auch  die  bayerische  Regierung  ebenso 
wie  die  württembergische  ohne  Bedingungen  in  den  Krieg 
eingetreten.  Sie  wurde  gerade  deshalb  bei  der  Beratung  der 
Versailler  Verträge  im  bayerischen  Landtage  von  der  Landtags- 
mehrheit scharf  angegriffen. 

Wohl  aber  ließ  sich  Bayern  nachträglich,  nach  dem  Ein- 
tritt in  den  Krieg,  Sicherheiten  für  die  Selbständigkeit  des 
bayerischen  Staates  geben.  Auf  diesen  Entschluß  scheinen 
ganz  besonders  die  Berichte  des  beim  König  höchst  einfluß- 
reichen bayerischen  Gesandten  am  preußischen  Hofe,  Freiherrn 
V.  Perglas,  eingewirkt  zu  haben.  2) 

Schon  am  17.  Juli,  nach  der  ersten  Audienz,  die  ihm  nach 
der  Rückkehr  aus  dem  Urlaube  Graf  Bismarck  erteilte,  berichtete 
der  gegen  die  Absichten  Preußens  mißtrauische  Gesandte 
aus  Berlin  an  die  Adresse  des  Königs:  ,,Man  ist  hier  voll- 
kommen siegesbewußt  und  erwartet  sich  von  diesem  Kriege 
die  besten  Erfolge  für  die  Interessen  Deutschlands,  vielmehr 
Preußens.  Dahin  denkt  man  schon  jetzt,  um  sich  die  Macht 
und  die  Stellung  ein  für  allemal  zu  sichern.  Es  wird  daher 
von  den  anderen  selbständigen  Staaten  Deutschlands  alles 
aufgeboten  werden  müssen,  um  gleichfalls  bei  der  künftigen 
Neugestaltung  die  berechtigte  politische  Stellung  sich  zu 
sichern."  Zwei  Tage  später  erhob  er  neuerdings  seine  warnende 
Stimme:  ,,Man  ist  hier  siegesbewußt  und  nach  außen  und 
innen  wird  nach  dem  Sieg  eine  politische  Organisation  an- 
gestrebt werden,  die  schon  jetzt  in  Erwägung  und  Beratung 
genommen  wird,  welche  die  Krone  und  die  preußische  Macht 
künftig  von  den  noch  bestehenden  Beschränkungen  ihrer 
Herrschaft  befreien  soll,  ein  eventuelles  Ergebnis,  welches 
Bayern  und  die  Staaten  südlich  des  Mains  zunächst  berührt." 
Am  23.  Juli  wiederholte  Freiherr  v.  Perglas  seine  Mahnung: 
Bayern  sei  im  Hinblick  auf  seine  Vertragstreue  berechtigt,  zu 
erwarten,  daß  sich  Preußen  nach  siegreichem  Feldzug  ebenso 
vertragstreu  zeige,  d.  h.  die  volle  Selbständigkeit  Bayerns  zu 
achten  und  zu  erhalten  willens  sei,  da  gerade  diese  Selbständig- 
keit Preußen  eine  so  starke  moralische  und  materielle  Unter- 
stützung gewährt  habe ;  der  Besuch  des  Kronprinzen  biete  die 

^)  Antrag  Brays  vom  18.  Juli  (Beilagen  I,  nr.  20). 
2)  M.  St.  A. 


46 

beste  Gelegenheit,  dieser  Auffassung  bestimmten  Ausdruck 
zu  verleihen.    In  der  Tat  äußerte  der  König  von  Bayern  am 

28.  Juli  bei  der  Anwesenheit  des  mit  dem  Oberbefehl  über 
die  süddeutschen  Kontingente  betrauten  preußischen  Kron- 
prinzen in  einem  Handschreiben  an  diesen  den  dringenden 
Wunsch  nach  Erhaltung  und  Sicherung  der  bayerischen 
Selbständigkeit  1) :  „Mein  treues  Volk  ist  dem  Rufe  zur  Fahne 
voll  Opfermut  und  Begeisterung  gefolgt  und  wird  unter  Deiner 
erprobten  Führung  die  unberechtigten  Angriffe  des  Gegners 
mit  Gottes  Hilfe  siegreich  zurückweisen.  Ich  glaube,  unter 
diesen  Verhältnissen  die  sichere  Hoffnung  hegen  zu  dürfen, 
daß  Dein  Vater,  der  König,  die  bundestreue  und  energische 
Haltung  des  größten  der  süddeutschen  Staaten  dadurch  zu 
würdigen  die  Güte  haben  wird,  daß  Bayern  sowohl  beim 
Friedensschluß  als  auch  nach  diesem  seine  Stellung  als  selb- 
ständiger Staat  —  gestützt  auf  seine  langjährige  Geschichte  — 
einnehme.  Ich  glaube,  von  der  erlauchten  Einsicht  Deines 
erhabenen  Vaters,  des  von  mir  so  verehrten  Königs,  annehmen 
zu  dürfen,  daß  es  auch  sein  Wille  ist,  daß  Bayerns  staatliche 
Integrität  gegenüber  der  deutschnationalen  Richtung  aus 
jenem  Kampfe  unversehrt  hervorgehe  und  fortan  erhalten 
bleibe.  Ich  habe  es  für  meine  Regentenpflicht  gehalten,  diese 
wichtige  Sache  in  Anregung  zu  bringen,  und  bitte  Dich,  es 
mir  nicht  zu  verübeln,  vielmehr  dem  König  und  seinen  Räten 
hie  von  Kenntnis  geben  zu  wollen." 

Auch  der  Minister  Graf  Bray  brachte  abends  nach  der 
Festvorstellung  in  einer  Audienz  beim  Kronprinzen  diesen 
Gegenstand  zur  Sprache.  Nach  dem  Berichte  des  Freiherrn 
V.  Werthern^)  vermied  der  Kronprinz  näher  darauf  einzugehen 
und  beschränkte  sich  auf  die  kurze  Erwiderung:  es  verstehe 
sich  von  selbst,  daß  Preußen  einen  so  treuen  Bundesgenossen 
nicht  schädigen  würde,  ,,wenn  auch  eine  festere  Verbin- 
dung der  einzelnen  deutschen  Stämme  unter  sich 
als  bisher  unvermeidlich  sei".  Der  König  von  Preußen 
gab  in  einem  Schreiben  vom  5.  August  nicht  bloß  die  gewünschte 
Zusicherung,  er  zollte  auch  dem  bündnistreuen  Verhalten 
Bayerns  neuerdings  die  wärmste  Anerkennung^):  ,,Mein 
Sohn,  der  Kronprinz,  hat  mir  den  Brief  mitgeteilt,  den  Sie  am 

29.  Juli  kurz  vor  seiner  Abreise  an  ihn  gerichtet  haben.  Ich 
danke  Ihnen  für  Ihre  offene  Aussprache  und  weiß,  daß  mein 

1)  H.  A.  A. 

2)  H.  A.  A. 
^)  Ebenda. 


47 

Sohn  noch  Gelegenheit  gefunden  hat,  Ihnen  zu  versichern^ 
wie  ich  mit  den  Wünschen  einverstanden  bin,  welche  Sie  in 
betreff  der  Selbständigkeit  und  Integrität  Bayerns  aussprechen. 
Ich  bin  seit  Abschluß  unseres  Bündnisses  jederzeit  dafür 
eingetreten,  daß  gedeihliche  Verhältnisse  in  Deutschland 
sich  nur  unter  Ihrer  freien  und  unabhängigen  Mitwirkung  und 
der  unter  Ihrem  Szepter  vereinigten  deutschen  Stämme  ge- 
stalten können.  Diese  meine  Gesinnung,  das  werden  Sie  mit 
mir  fühlen,  wird  durch  die  treue  Waffenbrüderschaft  und  die 
gemeinsame  Hingebung  für  die  Verteidigung  der  Unabhängig- 
keit unseres  deutschen  Vaterlandes  zu  einer  unerschütterlichen 
Grundlage  des  Rechtes  und  der  Selbständigkeit  eines  jeden 
der  verbündeten  deutschen  Staaten  werden.  Sie  wollen  ver- 
sichert sein,  daß  das  Vertrauen,  welches  Sie  in  meine  Ge- 
sinnungen und  meine  Würdigung  der  Haltung  Bayerns  aus- 
sprechen, unter  keinen  Umständen  getäuscht  werden  wird." 

Der  König  hatte  am  Schlüsse  des  ersten  Satzes,  nach  dem 
Vorgange  seines  Sohnes,  eigenhändig  den  Zusatz  hinzugefügt : 
„Wenn  auch  noch  eine  größere  Übereinstimmung  unserer 
Institutionen  und  Beziehungen  anzubahnen  wäre."  Er  be- 
gründete diesen  Zusatz  damit,  ,,daß  man  sich  die  Hände  frei 
halten  müsse".  ,,Die  Selbständigkeit  so  unbedingt  hinzu- 
stellen und  mein  vollkommenes  Einverständnis,  ohne  meinen 
Zusatz,  würde  dereinst  uns  die  Hände  zu  sehr  binden  und 
man  uns  in  Deutschland  sogar  die  Türe  weisen,  wenn  nach  so 
vielem  Blut  doch  nichts  Einigeres  zustande  käme  als  jetzt." 

Anders  der  Bundeskanzler.  Er  hatte  am  23.  Juli  in  einer 
Weisung  an  den  preußischen  Gesandten  General  v.  Schweinitz 
in  Wien,  die  abschriftlich  auch  der  preußischen  Gesandtschaft 
in  München  zugeleitet  wurde,  die  wohlberechnete  Versicherung 
gegeben:  ,,Wenn  wir,  wie  ich  hoffe,  siegreich  aus  dem  Kriege 
hervorgehen,  so  würden  auch  die  süddeutschen  Staaten  von 
unserer  Seite  nicht  um  ein  Haar  breit  stärkere  Pression  als 
bisher  zur  Eingehung  engerer  Beziehungen  mit  dem  Nord- 
deutschen Bunde  zu  befahren  haben ;  wir  würden  nach  wie  vor 
das  Maß  unserer  gegenseitigen  Annäherung  ganz  allein  von  der 
freien  Entschließung  unserer  süddeutschen  Bundesgenossen 
abhängen  lassen  .  .  .  Wir  können  mit  den  Süddeutschen 
nur  in  solchen  Beziehungen  leben,  zu  deren  Erhaltung  sie 
auch  dann  freiwillig  entschlossen  bleiben,  wenn  sie  in  gefahr- 
vollen Zeiten  der  vollen  Freiheit  eigener  Bestimmung  über- 
lassen sind."i)    Er  nahm  Anstoß  an  der  zurückhaltenden  und 

1)  H.  A.  A. 


48 

einschränkenden  Erklärung  des  preußischen  Kronprinzen.  Er 
machte  dem  preußischen  Gesandten  in  München  Vorhalt,  daß  er 
„sich  nicht  entschieden  genug  im  Sinne  der  Depesche  an 
General  v.  Schweinitz  ausgesprochen  habe";  „sonst  könnte  der 
König  von  Bayern  keine  solchen  Befürchtungen  ausdrücken." 
Er  erteilte  ihm  die  Weisung,  ,,es  noch  jetzt  nachzuholen  und 
mit  aller  Entschiedenheit  zu  sprechen,  nicht  so  zurückhaltend, 
wie  nach  seinem  Berichte  der  Kronprinz  getan".  Derselbe 
Kanzler  nahm  auch  Anstoß  an  dem  Zusatz  des  Königs  und 
bestand  auf  seiner  Streichung.  Der  König  fügte  sich  wohl  dem 
Wunsche  des  Kanzlers,  aber,  wie  er  ausdrücklich  hinzusetzte, 
nur  ,, ungern"^). 

Die  Anwesenheit  des  russischen  Reichskanzlers  Gortscha- 
koff  in  Berlin,  sein  geflissentliches  Interesse  für  die  ,, Souveräni- 
tät und  Unabhängigkeit"  der  süddeutschen  Staaten  gab  dem 
preußischen  Unterstaatssekretär  v.  Thile  nach  eigenem  Be- 
kenntnis am  6.  und  7.  August  Veranlassung,  Bayern  ,,der 
absoluten  Achtung  seiner  Souveränität  und  Selbständigkeit 
für  alle  Zukunft"  zu  versichern  und  die  Unterstützung  der 
preußischen  Regierung  gegen  etwaige  nationale  Strömungen 
in  Deutschland  zu  verbürgen.  Er  fügte  aus  freien  Stücken 
dazu  noch  die  weitere  Versicherung,  der  preußische  Gesandte 
am  Münchener  Hofe,  v.  Werthern,  ,, werde  sehr  bestimmte 
Instruktionen  erhalten,  seine  Haltung  in  Einklang  zu  bringen 
mit  dieser  Richtung  der  preußischen  Politik";  ,,es  würde  dem 
preußischen  Gesandten  in  München  nicht  zum  persönlichen 
Vorteil  gereichen,  wenn  er  jetzt  nicht  mit  richtigem  Takt  die 
Stellung  ergriffe,  um  sich  das  Vertrauen  zu  erwerben,  welches 
so  intime  Beziehungen  zweier  Regierungen  absolut  erheischen". 
Der  Unterstaatssekretär  las  dem  bayerischen  Gesandten  sogar 
den  Bericht  vor,  den  er  über  diese  Aussprache  an  Bismarck 
erstattete.^) 

Bayern  hat  also  wohl  nachträglich  gewisse  Sicherungen 
für  seine  Selbständigkeit  erbeten  und  Bismarck  hat  sie  ohne 
Bedenken  gewährt.  In  den  Krieg  selbst  aber  ist  Bayern  ohne 
derartige  Bedingungen  eingetreten. 

Noch  weniger  hat  Graf  Bray  die  Anerkennung  des  Bündnis- 
falles von  dem  Vorbehalt  einer  Gebietsvergrößerung  abhängig 

1)  H.  A.  A.  („Akten  betreffend  den  Krieg  mit  Frankreich  1870/71", 
Bd.  20). 

2)  H.  A.  \.  („Akten  betreffend  den  Krieg  mit  Frankreich  1870/71", 
Bd.   21). 


49 

gemacht.  Die  Vorstellungen,  die  über  die  Haltung  des  Grafen 
Bray  in  dieser  Frage  in  der  wissenschaftlichen  Literatur i)  ver- 
breitet sind,  erweisen  sich  im  scharfen  Lichte  der  Akten  ebenso- 
wenig begründet  wie  die  soeben  widerlegten  irrigen  Meinungen 
über  seine  Politik  bei  Ausbruch  des  Deutsch-französischen 
Krieges. 

Der  Gedanke  einer  bayerischen  Landerweiterung  trat 
erst  nach  der  Anerkennung  des  Bündnisfalles  auf  und  ging 
ursprünglich  überhaupt  nicht  von  Bayern  aus,  wurde  viel- 
mehr von  preußischer  Seite  angeregt.^) 

Am  28.  Juli  schrieb  der  bayerische  Gesandte  Freiherr  v.  Per- 
glas aus  Berlin:  ,, (Unterstaatssekretär)  Thile  wünscht,  daß 
die  deutschen  Waffen  das  Elsaß  zurückerobern,  daß  dieses 
Land  mit  der  Pfalz  vereinigt  werde  und  Bayern  dort  künftig 
die  Vormacht  Deutschlands  bilde";  Bayern  sollte  nach  einem 
Berichte  des  Freiherrn  v.  Perglas  vom  6.  August  die  Wacht 
am  Oberrhein,  Preußen  die  am  Niederrhein  übernehmen.  In 
Übereinstimmung  damit  meldete  am  6.  August  1870  der 
bayerische  Berichterstatter  im  deutschen  Hauptquartier,  Mi- 
nisterialsekretär  Maximilian  v.  Berchem:  ,,Wie  ich  aus  Ge- 
sprächen mit  zum  König  von  Preußen  intim  stehenden  Per- 
sönlichkeiten entnehmen  zu  können  glaube,  hat  die  preußische 
Regierung  allerdings  die  Absicht,  nach  einem  Siege  Frank- 
reich zu  verkleinern.  Es  wird  mir  immer  wahrscheinlicher,  daß 
eine  Abtretung  des  von  uns  besetzten  französischen  Terri- 
toriums eine  der  hauptsächlichen  Friedensbedingungen  werden 
wird.  Man  hat  mir  aber  auch  schon  von  Abtretungen  an 
Bayern  gesprochen."  Am  19.  August  berichtete  er  neuerdings, 
daß  ,,in  bestinformierten  Kreisen  und  augenscheinlich  nicht 
ohne  höhere  Veranlassung  und  mehrfach  neuerlich  von  Ab- 
tretungen in  Elsaß-Lothringen  an  Bayern  gesprochen  worden 
sei."  Er  gab  auch  den  Grund  an,  warum  an  eine  Vergrößerung 
süddeutscher  Staaten,  nicht  aber  Preußens  gedacht  werde: 
,,Man  scheint  der  Überzeugung  zu  sein,  daß  Preußen  gegen- 
über der  europäischen  Lage  und  wegen  Klarstellung  der  un- 
eigennützigen Motive  der  Kriegsführung  aus  dem  Kampfe  ver- 
größert nicht  hervorgehen  dürfe."  Daß  man  damals  in  den 
politischen  Kreisen  Berlins  mit  der  Überlassung  des  Elsasses 

^)  Jacob,  Bismarck  und  die  Erwerbung  Elsaß-Lothringens  (1905).  Vgl. 
dazu  W.  Busch,  Die  Kämpfe  um  Reichsverfassung  und  Kaisertum  1870/71, 
S.  i49ff.,  und  Wentzke,  Der  deutschen  Einheit  Schicksalsland  (1921). 

^)  Die  folgende  Darstellung  gründet  sich,  soweit  nicht  anderes  ver- 
merkt   wird,    auf   die   Ministerialakten    im    Münchener    Geh.    Staatsarchiv. 

Doeberl,  Bayern  nnd  die  Bismarckische  Reichsgründung.  4 


50 

an  Bayern  rechnete,  bezeugt  auch  die  Korrespondenz  Max 
Dunckers  und  Hermann  Baumgartens.  ^)  Duncker  hätte  es 
nicht  ungerne  gesehen,  ,,wenn  Bayern  diesen  Zuwachs  er- 
hielte, wenn  es  damit  vollständig  in  den  Organismus  des 
Bundes  gezogen  werden  könnte."  Um  so  schärfer  sprach 
sich  Hermann  Baumgarten  dagegen  aus. 

Läßt  schon  die  politische  Tragweite  der  gemeldeten  Äuße- 
rungen vermuten,  daß  sie  nicht  ohne  Ermächtigung  Bismarcks 
gemacht  worden  sind,  so  berichtet  Berchem  am  29.  August 
eine  darauf  bezügliche  Äußerung  Bismarcks  selbst: ,,  Jedenfalls," 
so  äußerte  Graf  Bismarck  nach  der  wörtlichen  Wiedergabe 
Berchems,  ,, bestehe  die  Absicht,  Metz  und  Straßburg  wieder 
für  Deutschland  zu  erwerben,  um  den  Süden  Deutschlands  vor 
plötzlichen  Einfällen  Frankreichs  sicherzustellen,  denen  der- 
selbe im  ersten  Augenblick  eine  wirksame  Gegenwehr  kaum 
würde  entgegensetzen  können.  S.  Majestät  der  König  von 
Preußen  sei  jedoch  hiebei  keineswegs  von  dynastischen  Rück- 
sichten geleitet."  ,,Hiemit"  —  so  fährt  Berchem  weiter  — 
,, deutete  der  Bundeskanzler  an,  daß  man  damit  umgehe,  wie 
ich  schon  früher  zu  berichten  mir  erlaubte,  den  süddeutschen 
Staaten  die  zu  erwerbenden  Strecken  im  Fall  eines  definitiven 
Sieges  zu  überlassen  —  unter  gemeinsamer  (d.  h.  deutscher) 
Verteidigung  dieser  großen  Waffenplätze."  Damit  steht  in 
einem  gewissen  Einklang,  was  der  militärische  Bevollmächtigte 
Bayerns  im  deutschen  Hauptquartier,  Graf  v.  Bothmer,  am 
7.  September  1870  an  den  bayerischen  Kriegsminister  be- 
richtete^) :  ,,Euer  Exzellenz  beehre  ich  mich  in  vertraulicher 
Weise  den  Inhalt  eines  Gespräches  mitzuteilen,  welches  ich 
heute  an  der  kronprinzlichen  Tafel  mit  meinem  Nachbarn, 
Herrn  Grafen  v.  Bismarck,  führte.  Der  Bundeskanzler  sagte 
mir,  daß  er  die  Friedensbedingungen,  welche  er,  wenn  möglich, 
durchzusetzen  gedenke,  schon  fertig  nach  Frankreich  •  mit- 
gebracht habe.  Sie  bestünden  in  der  Abtretung  von  Straß- 
burg und  Metz  nebst  dem  Territorium,  welches  zur  militäri- 
schen Sicherstellung  notwendig  sei,  also  dem  Elsaß  bis  zum 
Kamm  der  Vogesen  inkl.  Pfalzburg  und  einem  Stück  Lothrin- 
gen. Er  sagte,  daß  er  nur  von  dem  Gesichtspunkt  ausgehe, 
den  Franzosen  die  Wiedervergeltung,  an  welche  sie  ohne  Zweifel 
denken  würden,  möglichst  zu  erschweren  und  ihnen  die  deut- 
schen Grenzen  nicht  so  leicht  wie  bisher  zugänglich  zu  machen. 
Wer  in  den  Besitz  der  neuen  Ländergebiete  trete,  sei  ihm  eine 

^)  Max  Dunckers  pol.  Briefwechsel,   S.  453  f. 
2)  M.  Kg.  A. 


51 

Nebenfrage.  Bayern  könne  das  an  die  Pfalz  stoßende,  Baden 
das  angrenzende  Land  erhalten.  Die  Hauptsache  sei,  daß 
deutsche  Truppen  die  Franzosen  beobachten  und  im  Zaume 
halten.  Preußen  bedürfe  keiner  Gebiets  Vergrößerung,  werde 
sich  aber  nicht  weigern,  zur  gemeinschaftlichen  Verteidigung 
Deutschlands  einen  Teil  des  eroberten  Landes  zu  übernehmen 
Ich  bemerkte  dem  Grafen  im  Laufe  des  Gespräches,  Preußen 
könne  kein  besseres  Manöver  gegen  die  antideutsche  Partei 
in  Bayern  ausführen,  als  wenn  schon  jetzt  Bedacht  genommen 
würde,  uns  die  dreißig  Millionen  zurückzuzahlen,  welche  uns 
der  Friedensschluß  von  1866  kostete  —  worauf  er  mit  dem 
Ausdruck  der  Befriedigung  antwortete,  daß  dies  eine  ganz 
gute  Idee  sei." 

Freiherr  v.  Pranckh  gab  von  diesem  Berichte  dem  bayeri- 
schen Ministerium  des  Äußern  Kenntnis. 

Von  dem  damaligen  Leiter  der  bayerischen  Politik, 
Grafen  Bray,  wurde  eine  Gebietserwerbung  Bayerns  auf 
Kosten  Frankreichs  nicht  nur  nicht  angeregt,  sie  wurde  viel- 
mehr im  Grunde  von  ihm  abgelehnt  —  weil  er  daraus  für 
Bayern  und  Deutschland  eine  dauernde  Gefahr  von  Frank- 
reich her  besorgte.  Am  13.  August  schrieb  er  in  diesem  Sinn 
an  den  bayerischen  Gesandten  Dönniges  in  Florenz:  ,,Dans 
votre  entretien  avec  ms.  de  Visconti- Venosta  il  a  ete  question 
des  projets  qu'on  preterait  aux  puissances  Allemandes  en 
cas  de  succes,  et  la  pensee  de  demembrer  le  territoire  fran9ais 
a  ete  mise  en  avant.  Or,  ms.,  la  guerre  ä  laquelle  le  gouverne- 
ment  et  le  roi  s'est  vu  contraint  de  prendre  part,  est  pour 
l'Allemagne  une  guerre  defensive,  qu'elle  n'a  point  cherchee 
et  qu'elle  aurait  ete  heureuse  d'eviter,  si  sa  securite  et  son 
honneur  le  lui  avaient  permis.  —  Rien  n'est  donc  plus  etranger 
au  gouvernement  Bavarois  que  des  idees  de  conquetes.  Le 
but  qu'il  poursuit,  c'est  une  paix  sure  et  durable,  et  s'il  desire 
un  desarmement  de  la  France,  il  n'est  ni  pour  l'humilier  ni 
pour  l'affaiblir,  mais  pour  pouvoir  reduire  lui-meme  ces  charges 
militaires  et  arriver  a  un  desarmement  general  que  reclame 
l'interet  de  l'Europe  tout  entiere."  Am  15.  August  wies  Graf 
Bray  den  Freiherrn  v.  Perglas  ausdrücklich  an:  ,,Den  Äuße- 
rungen, welche  sich  auf  eventuelle  Überlassung  französischer 
Gebietsteile  an  Bayern  beziehen,  ersuche  ich  mit  Vorsicht  und 
Zurückhaltung  zu  begegnen.  Sowohl  vom  bayerischen  als 
vom  deutschen  Gesichtspunkt  aus  möchte  ich  solchen  Projekten, 
wenn  sie  Bestand  gewännen,  entschieden  entgegentreten.  Die 
Lostrennung  französischer   Gebietsteile  und  die  gezwungene 


52 

Vereinigung  widerstrebender  französisch  gesinnter  Bevölke- 
rung mit  Deutschland  wäre  für  mich  gleichbedeutend  mit  der 
Perpetuierung  des  Krieges  und  des  Nationalhasses  zwischen 
beiden  großen  Völkern.  Wenn  der  Zweck  des  zur  Verteidigung 
deutschen  Gebietes  und  deutscher  Ehre  unternommenen 
Krieges  die  Herstellung  eines  dauernden  und  sicheren  Friedens 
ist,  so  würde  nach  meiner  Überzeugung  obiges  Vorgehen  uns 
von  dem  vorgesetzten  Ziele  weiter  als  je  entfernen.  Der  jetzt 
auf  den  Völkern  lastende  hohe  Militärstand  müßte  ein  perpetu- 
ierlicher,  die  so  nötige  Abrüstung  eine  unmögliche  werden. 
Solchen  Nachteilen  gegenüber  erscheint  mir  ein  Landerwerb 
als  eine  illusorische  und  vollständig  ungenügende  Kompen- 
sation. Vorstehende  Bemerkungen  dienen  lediglich  zu  Ihrer 
persönlichen  Information;  ich  halte  es  aber  für  nötig,  Ihnen 
jetzt  über  meine  Auffassung  dieser  noch  fernen  Eventualität 
keinen  Zweifel  zu  lassen."  Übrigens  hatte  auch  Berchem  in 
dem  erwähnten  Berichte  vom  6.  August  1870  geäußert:  ,,Ich 
möchte  aber  glauben,  daß  hier  eine  Vergrößerung  Bayerns 
kaum  in  dessen  Interesse  liegen  würde." 

Bei  einer  so  ablehnenden  Stellungnahme  des  leitenden 
Ministers  war  ein  Landerwerb  in  Elsaß-Lothringen  für  Bayern 
von  Anfang  an  wenig  aussichtsvoll.  Im  übrigen  wurde  eine 
derartige  territoriale  Vergrößerung  damals  auch  durch  andere 
Umstände  erschwert,  wenn  nicht  unmöglich  gemacht:  durch 
die  Eifersucht  der  deutschen  Fürsten,  ganz  besonders  durch 
das  Mißtrauen,  das  damals  noch  in  den  nationalen  Kreisen 
aus  politischen  Gründen  gegen  Bayern  bestand. 

Die  fortschrittliche  und  nationalliberale  Presse  forderte 
allerdings  einstimmig  Straßburg  und  Metz,  Elsaß  und  Loth- 
ringen, aus  nationalen  wie  aus  militärischen  Gründen:  es 
handle  sich  um  Rückgewinnung  deutschen,  von  Frankreich  ge- 
raubten Landes  und  um  Sicherung  der  deutschen  Grenze ;  wolle 
man  von  Frankreich  dauernd  Frieden  haben,  so  müsse  man 
ihm  dauernd  Abbruch  tun  und  sich  einen  dauernden  Zuwachs 
sichern.  Einen  Landzuwachs  Bayerns  in  Elsaß-Lothringen 
lehnten  aber  dieselben  Blätter  ebenso  einstimmig  ab:  Die  Be- 
völkerung Elsaß-Lothringens  habe  bis  jetzt  einem  großen  Reiche 
zugehört,  sie  würde  es  als  Schimpf  empfinden,  in  die  klein- 
lichen Verhältnisse  eines  Kleinstaates  gezwängt  zu  werden. 
Eine  Landvergrößerung  Bayerns  würde  die  Eifersucht  der 
anderen  Südstaaten,  zumal  Württembergs,  wachrufen,  würde 
nur  den  bayerischen  Partikularismus  stärken  und  den  ,, Dualis- 
mus in  Musterform",  den  wir  1866  vernichtet  zu  haben  meinten, 


53 

wiederherstellen,  an  Stelle  eines  preußisch-österreichischen 
einen  preußisch-bayerischen  Dualismus  heraufbeschwören. 
,,Wenn  Elsaß  an  Bayern  käme,"  schrieben  die  ,, Münchener 
Neuesten  Nachrichten"  am  i8.  September,  ,,dann  würde  sich 
ohne  Zweifel  manches  Gesicht  in  München  bei  dieser  Möglich- 
keit in  die  freundlichsten  Falten  legen,  dann  wäre  ja  die  süd- 
deutsche Großmacht  sozusagen  fertig,  dann  könnte  von  der 
gefürchteten  Unterordnung  unter  Norddeutschland  gar  keine 
Rede  mehr  sein,  dann  hätten  wir  den  deutschen  Dualismus, 
welchen  wir  1866  vernichtet  zu  haben  meinten,  in  besserer 
Form  wiederhergestellt."  Die  nationalliberalen  und  fort- 
schrittlichen Blätter  nahmen  die  Verwaltung  Elsaß-Lothringens 
und  damit  ,,die  Wacht  über  den  Rhein"  für  die  deutsche 
,, Vormacht",  für  Preußen  in  Anspruch.  Zeit  und  Erfahrung 
haben  später  manche  dieser  Stimmen  bekehrt. 

Ernster,  aber  erst  später,  im  Zusammenhang  mit  den 
Versailler  Verhandlungen  und  mehr  unter  dem  Gesichtspunkt 
einer  mäßigen  Entschädigung  für  den  territorialen  Verlust 
des  Jahres  1866  faßte  der  Gedanke  einer  territorialen  Ver- 
größerung bei  König  Ludwig  II.  Wurzel;  im  Zusammenhang 
mit  den  Versailler  Verhandlungen  werden  wir  seiner  gedenken. 
In  Rücksicht  auf  den  König  und  auf  einflußreiche  Kreise  bei 
Hofe  wie  im  Volke  wurde  der  Gedanke  auch  von  dem  durchaus 
deutschgesinnten  Kabinettsekretär  Eisenhart  genährt.  Ge- 
rade Eisenhart  aber  scheint  dem  königlichen  Wunsche  die 
Richtung  nach  der  badischen  Pfalz  gegeben  zu  haben.  ,,Es 
fällt  mir  auf,"  schrieb  er  am  20.  August  an  den  Grafen  Bray, 
,,daß  der  Norden  an  einer  etwaigen  Gebietsvergrößerung 
keinen  Anteil  nehmen,  sondern  sie  dem  Süden  überlassen  will; 
was  ist  des  Nordens  Entgelt  ?  Wenn  überhaupt  territoriale 
Veränderungen  eintreten,  wäre  es  sicher  ganz  wünschenswert, 
jetzt  schon  den  Umstand  in  Anrechnung  zu  bringen,  daß  Mann- 
heim und  Heidelberg  zu  unseren  alten  pfälzigen  Stammlanden 
gehörten  und  deren  Besitz  uns  ein  conttnuum  unseres  Land- 
komplexes bieten  würde." 

Graf  Bray  griff  diesen  Gedanken  auf,  vielleicht  gerade 
deshalb,  um  eine  bayerische  Landerwerbung  auf  Kosten 
Frankreichs  auszuschalten.  Schon  am  24.  August  schrieb  er 
in  einem  Erlaß  an  den  bayerischen  Gesandten  Freiherrn 
V.  Perglas:  ,, Vergrößerung  Bayerns  durch  französische  Terri- 
torien erscheint  mir  unter  keinen  Umständen  wünschenswert, 
wohl  aber  Erwerbung  ehemaliger  pfälziger  Landesteile  behufs 
Herstellung  der  Kontiguität."  Dabei  dachte  er  nicht  eigentlich 


54 

an  Heidelberg  und  Mannheim,  sondern  lediglich  an  einen  schma- 
len Verbindungsstreifen  zwischen  Unterfranken  und  der  Pfalz. 

Wirksam,  mit  ganzer  Seele  hat  der  Minister  auch  dieses 
Projekt  nicht  verfolgt,  wiewohl  es  ihm  der  König  vor  und 
während  der  Versailler  Verhandlungen  immer  wieder  ans 
Herz  legte;  er  scheint  sich  im  wesentlichen  damit  begnügt 
zu  haben,  unmittelbar  nach  dem  Abschluß  der  Versailler 
Verhandlungen,  am  25.  November,  die  Frage  in  einem  privaten 
Gespräche  mit  dem  Großherzog  von  Baden  anzuschneiden: 
,,Die  Einverleibung  von  Elsaß  und  Lothringen  gebe  zu  den 
verschiedensten  Kombinationen  Anlaß  .  .  .  Vielfach  und  mit 
Wärme  sei  der  Gedanke  vertreten  worden,  Elsaß  mit  dem 
Großherzogtum  Baden  zu  vereinigen  und  ein  Königreich  daraus 
zu  gestalten.  Dieser  Fall,  der  ja  ebenso  wünschenswert  als  wahr- 
scheinlich sei,  veranlasse  ihn  zur  Frage,  ob  der  Großherzog  denn 
geneigt  sei,  eine  Gebietsabtretung  an  Bayern  zu  genehmigen,  wo- 
durch die  beiden  getrennten  Territorien  verbunden  werden 
könnten.  Er  denke  dabei  weder  an  Heidelberg  noch  an  Mann- 
heim, sondern  nur  an  einen  ganz  schmalen  Streifen  Landes 
vom  Main-  und  Tauberkreise  bis  an  den  Rhein.  Er  versichere, 
daß  damit  nicht  gemeint  sei,  alte  Ansprüche  erneuern  zu  wollen, 
...  es  sei  ihm  nur  von  hohem  Wert,  die  Anschauungen  des 
Großherzogs  über  eine  solche  Eventualität  zu  kennen,  da  eine 
direkte  Verbindung  seiner  getrennten  Territorien  für  Bayern 
so  sehr  wünschenswert  sein  müsse."  Graf  Bray  hatte  im 
voraus  des  Großherzogs  Nachsicht  dafür  erbeten,  daß  ei 
ihm  eine  Frage  vorlege,  die  ,,so  sehr  delikat  sei".  Die  Ant- 
wort, die  ihm  zuteil  wurde,  war  schroff  ablehnend:  ,,Die 
Zeit,  in  welcher  man  Land  und  Leute  verschenkte,  liegt  weit 
hinter  uns  und  daher  wollen  wir  sie  an  einem  Ort  wie  Versailles 
zur  Ehre  der  deutschen  Nation  nicht  wieder  zurückrufen 
und  in  den  Fehler  unserer  Feinde  verfallen."^) 

Ganz  abgesehen  übrigens  von  der  Abneigung  Badens  und  des 
Großherzogs  von  Baden,  Gebiete  der  badischen  Pfalz  zu  opfern, 
wollte  die  nationale  Partei  auch  nicht  das,  was  die  notwendige 
Voraussetzung  hätte  sein  müssen,  eine  Erwerbung  elsaß-loth- 
ringischen  Gebietes  durch  Baden,  am  allerwenigsten  der  Groß- 
herzog selbst,  weil  damit  dem  badischen  Staat  eine  nationale 
Last  auferlegt  worden  wäre,  die  er  nach  ihrer  Meinung  schon 
im  Hinblick  auf  seine  Größe  nicht  zu  tragen  vermocht  hätte. 

Immerhin  hat  Bismarck  am  Schlüsse  der  Versailler  Ver- 
handlungen sowohl  dem  Grafen  Bray  als  dem  Grafen  Holnstein 

^)  Tagebuch  des  Großherzogs  von  Baden  zum  25.  November. 


55 

gewisse  territoriale  Aussichten  für  die  Zeit  der  Friedens- 
verhandlungen eröffnet.  1)  Als  daher  Graf  Bray  im  Februar 
1871  zur  Teilnahme  an  den  Friedensverhandlungen  zum 
zweitenmal  nach  Versailles  reiste,  erteilte  ihm  König  Ludwig  II. 
in  einem  Handschreiben  den  Auftrag,  ,, dahin  zu  wirken,  daß 
eine  Rückzession  der  im  Jahre  1866  an  die  Krone  Preußen 
abgetretenen  bayerischen  Lande,  eventuell  eine  Gebiets- 
erweiterung im  Süden  der  Pfalz  (mit  Weißenburg)  erfolge, 
welche  an  Seelenzahl  und  Flächenraum  jene  verlorenen  Distrikte 
wenigstens  erreicht."  Er  gab  ihm  ein  Handschreiben  an 
Kaiser  Wilhelm  mit,  in  dem  der  Wunsch  des  Königs  damit 
begründet  wurde,  daß  Bayern  im  Deutsch-französischen 
Kriege  durch  seine  sofortige  Mobilmachung  und  sein  ent- 
schiedenes Auftreten  der  deutschen  Sache  einen  wertvollen 
Dienst  geleistet,  wie  außer  Preußen  kein  anderer  deutscher 
Staat,  daß  es  zugunsten  der  deutschen  Einheit  und  des  Deut- 
schen Reiches  Opfer  an  seiner  Selbständigkeit  gebracht  habe 
und  daß  es  im  Jahre  1866  der  einzige  von  den  gegenwärtigen 
deutschen  Bundesstaaten  gewesen  sei,  die  neben  einer  nam- 
haften Geldsumme  ein  nicht  unerhebliches  Gebiet  verloren 
hätten.  Die  Erfüllung  des  bayerischen  Wunsches  würde  auch 
in  den  Kreisen  versöhnend  wirken,  die  den  Verlust  des  Jahres 
1866  als  Angriffspunkt  gegen  Preußen  benutzen.^) 

Graf  Bismarck,  bei  dem  der  Minister  gleich  nach  seinem 
Eintreffen  in  Versailles  diesen  Wunsch  zur  Sprache  brachte, 
verhielt  sich  anfänglich  ablehnend,  weil  ,,ein  solcher  An- 
spruch Bayerns  sowohl  im  Reichstag  als  im  Bundesrat  viel- 
fachen Widerspruch  und  seitens  anderer  Bundesstaaten 
ähnliche  Ansprüche  hervorrufen  würde".  Bei  einer  zweiten 
Unterredung  ging  der  Reichskanzler  auf  den  bayerischen 
Wunsch  ein  und  sprach  gleichzeitig  die  Geneigtheit  des  Kaisers 
aus,  ihm  seine  Unterstützung  zu  leihen.  Der  badische  Minister 
Jolly,  in  dessen  Gegenwart  Bismarck  diese  Zusage  machte, 
erklärte  sich  im  Namen  seiner  Regierung  damit  einverstanden, 
ebenso  der  württembergische  Minister  des  Äußern  Freiherr 
V.  Wächter;  Baden  forderte  als  Gegenleistung  eine  Grenz- 
berichtigung zwischen  Baden  und  der  Schweiz,  Württemberg 
eine  Eisenbahnverbindung  zwischen  Bruchsal  und  Germersheim. 

^)  Das  ergibt  sich  aus  einer  Äußerung  Brays  a.  a.  O.  S.  192  und  aus 
einer  Äußerung  Holnsteins  gegenüber  dem  preußischen  Gesandten  v.  Werthern. 

^)  H.A.A.  („Akten,  betreffend  die  Wünsche  süddeutscher  Regierungen 
nach  einer  Gebietserweiterung  aus  den  von  Frankreich  im  Friedensschlüsse 
abgetretenen  Landesteilen.") 


56 

Trotz  des  vertraulichen  Charakters  dieser  Besprechung 
erschien  bald  darauf  eine  telegraphische  Mitteilung  davon  mit 
einer  Mischung  von  Wahrheit  und  Dichtung  in  der  deutschen 
Presse,  aber  keineswegs,  wie  man  gemeint  hat,  auf  Grund  einer 
Information  durch  die  bayerische  Regierung;  hier  war  man 
vielmehr  aufs  peinlichste  überrascht. 

Die  Folge  davon  war  eine  Flut  von  Zeitungsartikeln.  Mit 
Ausnahme  eines  offiziösen  Artikels  in  der  Norddeutschen 
Allgemeinen  Zeitung  und  offiziöser  Artikel  in  der  Augsburger 
Allgemeinen  Zeitung  sprach  sich  die  Presse  aller  Farben  mit 
größter,  geradezu  leidenschaftlicher  Entschiedenheit  gegen 
das  Verlangen  Bayerns  aus.  Der  bayerische  Gesandte  am 
preußischen  Hofe,  Baron  Perglas,  argwöhnte,  daß  Bismarck 
selbst  hinter  der  Preßfehde  stehe:  ,,Wenn  man  in  Betracht 
zieht,  daß  die  nationalliberale  Presse  überhaupt  und  die 
Karlsruher  Zeitung  ganz  speziell  Organe  des  Grafen  Bismarck 
sind,  durch  welche  er  die  öffentliche  Meinung  beeinflußt  und 
leitet,  um  sich  dann  später,  gestützt  auf  solche  künstlich  er- 
zeugte öffentliche  Meinung,  von  eingegangenen  Verpflich- 
tungen lossagen  zu  können,  daß  ferner  diese  Presse,  wie  ich 
nicht  zu  wiederholen  brauche,  erst  auf  erfolgte  Weisung  des 
auswärtigen  Amtes  die  Annahme  des  Kaisertitels  angeregt  hat, 
liegt  die  Vermutung  nahe,  daß  Graf  Bismarck  auch  im  vor- 
liegenden Falle  die  Presse  seinen  Interessen  entsprechend 
benutzt."!)  Zuletzt  hat  auch  Perglas  angesichts  der  Haltung  der 
öffentlichen  Meinung  das  Projekt  für  aussichtslos  gehalten: 
,,Die  öffentliche  Meinung  hat  sich  gegen  ein  solches  Projekt 
so  entschieden  ausgesprochen  und  die  Ansichten  aller  Parteien 
im  Reichstage  sind  in  dieser  Beziehung  mit  derselben  so  über- 
einstimmend, daß  selbst  der  Einfluß  des  Reichskanzlers,  wollte 
er  ihn  anwenden,  in  dieser  Phase  der  Angelegenheit  ein  gün- 
stiges Ergebnis  nicht  mehr  würde  erzielen  können.  Damit 
will  ich  keineswegs  sagen,  daß  es  nicht  dem  Kanzler  möghch 
gewesen  wäre,  in  einer  früheren  Epoche  und,  als  das  Ansinnen 
von  Bayern  an  ihn  gelangte,  zur  Zeit  des  Abschlusses  der 
Friedenspräliminarien  in  Versailles,  die  Sache  in  einer  Weise 
einzuleiten,  daß  sie  vielmehr  alle  Aussicht  auf  Erfolg  gehabt 
hätte.  Man  dürfte  sich  doch  an  die  Zeit  erinnern,  als  nach  der 
Eroberung  des  Elsasses,  zu  welcher  Bayern  entschieden  mit- 
gewirkt hat,  Bayern  als  die  Wacht  am  Rhein  bezeichnet 
und   die    Vereinigung    des    Elsasses    mit    Bayern    als 

1)  Vgl.  Berichte  Perglas'  vom  ii.,  14.  und  17.  März,  vom  4.  und  8.  April 
1871.    M.  St.  A. 


57 

ein  ernster  Gedanke  im  Auswärtigen  Amte  gefaßt 
und  gepflegt  wurde."  Die  aus  Berlin  zurückkehrenden 
Minister  Lutz  und  Pfretzschner,  von  denen  letzterer  unmittel- 
bar vor  seiner  Abreise  eine  Aussprache  mit  Bismarck  hatte, 
meldeten,  der  Vorschlag  einer  Lostrennung  elsässischer  Ge- 
biete zugunsten  Bayerns  würde  im  Reichstage  trotz  einer 
Unterstützung  durch  die  preußische  Regierung  nach  sicheren 
Erhebungen  fast  einstimmig  verworfen  werden;  selbst  die 
bayerischen  Abgeordneten  sähen  sich  nach  ihren  schriftlichen 
Erklärungen  genötigt,  dagegen  zu  stimmen,  um  nicht  gänzlich 
isoliert  zu  bleiben. 

Graf  Otto  von  Bray- Steinburg,  der  auch  dieses  Projekt 
aus  den  bekannten  Gründen  nur  zögernd  und  ohne  innere 
Freude  verfolgt  und  schon  früher  sowohl  in  einem  Bericht 
an  den  König  als  in  einer  Mitteilung  an  seine  Ministerkollegen 
auf  die  Nachteile  (,,Inkonvenienzen")  einer  Einverleibung 
eines  Teiles  des  Elsasses  in  die  bayerische  Pfalz,  auf  die  ge- 
steigerte Verfeindung  mit  einem  noch  immer  mächtigen  Nach- 
barn, auf  die  mißgünstige  Stimmung  bei  einem  Teile  der  eigenen 
Bundesgenossen,  auf  die  Belastung  mit  unwilligen  und  wider- 
strebenden Staatsangehörigen  hingewiesen  hatte,  fürchtete 
jetzt  ebenso  wie  seine  Ministerkollegen,  der  Antrag  auf  eine 
Angliederung  elsässischer  Landesteile  an  Bayern  werde  im 
Reichstage  lediglich  eine  das  Ansehen  Bayerns  schwächende 
Niederlage  zur  Folge  haben.  Er  erbat  sich  am  8.  April  1871 
von  seinem  Könige  die  Ermächtigung,  ,,von  einem  Antrag  auf 
Gebietsabtretung  zur  Zeit  Abstand  zu  nehmen".  Der  König, 
der  noch  am  22.  März  signiert  hatte:  ,,Ich  gewärtige,  daß 
Meine  Regierung  die  Erlangung  der  in  Frage  stehenden  Ge- 
bietserwerbung nach  Kräften  anstreben  werde,  da  Ich  die  von 
ihnen  ausgesprochenen  Befürchtungen  nicht  zu  teilen  vermag", 
gab  jetzt,    ,,wenn  auch  ungern",  die  erbetene  Ermächtigung. 

Immerhin  hatte  auch  Graf  Bray  in  jenen  Antrag  vom 
8.  April  1871,  um  den  Widerstand  des  Königs  leichter  zu  bre- 
chen, den  ausdrücklichen  Vorbehalt  aufgenommen:  ,,Es  wird 
diese  Ermächtigung  nicht  hindern,  daß  der  wohlberechtigte 
Anspruch  Bayerns  einerseits  und  anderseits  die  ihm  gezollte 
Anerkennung  des  Deutschen  Kaisers  und  des  Bundeskanzlers 
für  spätere  günstigere  Konjunkturen  aufrechterhalten  werden." 

Damals  hatte  sich  bekanntlich  Graf  Bismarck  bereits 
für  die  Schaffung  eines  Reichslandes  entschieden  —  nicht 
zuletzt,  um  den  Erörterungen  über  die  Zuteilung  der  eroberten 
Gebiete  Elsaß  und  Lothringen  den  Boden  zu  entziehen. 


IV. 

Baycrisdic  Initiative  in  der  deutsdfien 
Frage. 

Mit  atemloser  Spannung  begleitete  das  deutsche  Volk 
den  Siegeszug  der  deutschen  Heere  in  den  unvergeßlichen 
Augustwochen  des  Jahres  1870:  die  Einbruchsgefechte  von 
Weißenburg,  Wörth  und  Spichern  (4.  bis  6.  August),  die  drei 
großen  Moselschlachten  bei  Colombey,  Vionville-Mars  la  Tour 
und  Gravelotte-St.  Privat  (14.  bis  18.  August),  den  abschließen- 
den Feldzug  von  Sedan. 

Die  nächste  politische  Wirkung  der  Katastrophe  von 
Sedan  war  der  Zusammenbruch  des  französischen  Kaiser- 
tums, die  Aufrichtung  der  ,, Regierung  der  nationalen  Ver- 
teidigung", formell  zunächst  unter  Trochu,  tatsächlich  unter 
Gambetta. 

Die  andere  politische  Wirkung  der  weltgeschichtlichen 
Vorgänge  von  Sedan  waren  diplomatische  Verhandlungen,  die 
zur   Gründung  des  Deutschen  Reiches  führten. 

Bismarck  hatte  dem  preußisch-französischen  Konflikt 
den  Charakter  eines  französischen  Angriffskrieges  gegeben 
und  dadurch  den  militärischen  Anschluß  Bayerns  an  Preußen 
im  Kriege  gegen  Frankreich  erreicht.  Das  war  ein  großer 
Erfolg.  Aber  Bismarck  und  die  nationalen  Kreise  in  Deutsch- 
land wollten  mehr:  nach  ihrer  Ansicht  sollte  der  französische 
Angriff  ,,der  wirksamste  Zauber  zur  Lösung  der  deutschen 
Verfassungsnot"  sein. 

Nun  aber  hatte  sich  Bayern  gleichsam  als  Lohn  für  seine 
Bündnistreue,  für  seine  Anerkennung  des  casus  belli  vom 
Preußenkönig  und  der  preußischen  Regierung  Zusicherungen 
für  die  Fortdauer  seiner  politischen  Selbständigkeit  erbeten 
und  erhalten.  Und  von  der  Haltung  der  nationalen  ,, öffent- 
lichen Meinung"  in  Berlin  berichtete  Freiherr  v.  Perglas  in 
der  Zeit  des  ersten  Waffenerfolges  von  Weißenburg,  ,,daß  sie 


59 

daraus  kein  Kapital  schlage  für  die  preußische  Suprematie, 
für  den  preußisch-deutschen  Einheitsstaat,  sondern  im  Gegen- 
teil die  große  Bedeutung  dieses  mit  den  Bayern  erfochtenen 
Sieges  für  die  Selbständigkeit  Bayerns  anerkenne,  das  aus 
freiem  Entschluß  Deutschland  und  Preußen  so  große,  so  außer- 
ordentliche Dienste  geleistet  habe."  Augenblicklich  stand  man 
eben  ganz  unter  der  Spannung,  der  Ungewißheit  und  der 
Sorge  eines  beginnenden  Krieges  und  unter  dem  Eindruck 
der  Nützlichkeit  des  militärischen  Anschlusses  der  Südstaaten 
an  den  Norddeutschen  Bund. 

Aber  der  Krieg  hörte  damit  nicht  auf,  ein  deutscher 
Einigungskrieg  zu  sein,  weder  in  den  Augen  der  nationalen 
Parteien  noch  nach  den  Intentionen  Bismarcks  noch  nach  der 
Auffassung  des  Auslandes.  Der  englische  Außenminister 
äußerte  zum  norddeutschen  Botschafter:  ,,Er  wünsche  zwar 
nicht,  daß  in  Deutschland  noch  irgend  gewaltsame  Annexionen 
von  Königreichen  oder  Staaten  stattfinden.  Er  glaube  auch, 
daß  man  den  süddeutschen  Staaten  alle  lokale  Autonomie 
lassen  könnte,  die  sie  etwa  wünschen  möchten.  Aber  ganz 
Deutschland,  wie  es  sich  jetzt  militärisch  darstelle,  müsse  auch 
in  Zukunft  politisch  unter  der  Ägide  von  Preußen  einheitlich, 
und  zwar  nicht  bloß  durch  widerrufliche  Verträge,  sondern 
verfassungsmäßig  einheitlich,  dastehen  und  sowohl  militärisch 
als  diplomatisch  dem  Auslande  gegenüber  als  eine  einzige  Macht 
sich  darstellen.  Keine  fremde  Macht  habe  ein  Recht,  sich 
darein  zu  mischen,  und  Frankreich  müsse  für  die  Zukunft  auf 
jedes  vermeintliche  Recht  der  Kontrolle  oder  Einmischung  aus- 
drücklich verzichten. "1)  Selbst  auf  bayerischer  Seite  war  das 
Verlangen  nach  Sicherung  der  bayerischen  Selbständigkeit 
doch  im  Grunde  nichts  anderes  als  die  richtige  Erkenntnis, 
daß  das  militärische  Zusammengehen  des  Nordens  und  des 
Südens  den  Wunsch  nach  einer  politischen  Einigung  reifen 
werde.  Die  bayerische  Regierung  hatte  sogar  bereits  von  einer 
nach  dem  Kriege  zu  erwartenden  Neugestaltung  Deutsch- 
lands gesprochen.  Der  Kabinettsekretär  Eisenhart  vollends 
hatte  am  9.  August,  bald  nach  Empfangnahme  des  beruhigen- 
den Handschreibens  König  Wilhelms,  an  den  Grafen  Bray 
geschrieben:  er  glaube  im  Hinblick  auf  den  Inhalt  des  Briefes 
des  Königs  von  Preußen,  die  sehr  namhaften  Erfolge  der  baye- 
rischen Waffen  in  zwei  Schlachten,  die  Versicherungen  des 
Unterstaatssekretärs    v.  Thile    mit    ziemlicher    Ruhe    in    die 


^)   Bericht   Bernstorffs  vom   16.  August  1S76,    H.A.  A.   („Akten,  betr. 
d.  Deutch-franz.  Krieg",  Bd.  5). 


60 

Zukunft  blicken  zu  können.  Er  finde  es  aber  trotzdem  an- 
gemessen, einzelne  Punkte  zwischen  den  süddeutschen  Staaten 
und  dem  Norddeutschen  Bunde  durch  Staatsverträge  klar  und 
endgültig  im  Sinne  eines  weisen  föderativen  Verhältnisses 
zu  regeln,  um  auf  diese  Weise  feste  Zustände  zu  schaffen  und 
die  bayerische  Selbständigkeit  nachhaltig  zu  sichern.  ,,Ich 
halte  das  im  Interesse  Bayerns,  Deutschlands,  ja  Europas 
gelegen ;  sonst  hört  die  deutsche  Frage  nie  auf  und  der  Süden 
ist  ständigen  politischen  Schwankungen  und  Gefahren  unter- 
stellt."!) 

Sobald  die  öffentliche  Meinung  durch  den  Gang  des 
Krieges  sich  des  Sieges  sicher  fühlte,  wandte  sie  sich  mit 
wachsendem  Hochgefühl  und  wachsender  nationaler  Be- 
geisterung der  deutschen  Frage  zu,  begehrte  um  so  leiden- 
schaftlicher, daß  die  deutsche  Einigung,  die  so  große  Erfolge 
errungen,  auf  verfassungsmäßigem  Wege  dauernd  gesichert 
werde.  Dieser  Augenblick  trat  ein  mit  dem  Siegeszuge  der 
letzten  Augustwochen  und  ihrer  Krönung,  der  Kapitulation 
von  Sedan. 

Schon  am  15.  August  schrieb  einer  der  rührigsten,  aber 
auch  ungestümsten  Führer  der  nationalen  Partei,  der  Abge- 
ordnete Lasker,  aus  Berlin  an  Bismarck^):  ,, Nachdem  die 
Abwehr  gesichert  ist,  tritt  die  Frage  über  das  Endziel  des 
Krieges  in  den  Vordergrund,  und  sie  beherrscht  das  Gespräch 
nicht  bloß  unter  berufsmäßigen  Politikern.  Über  territorialen 
Erwerb  spreche  ich  nicht;  das  Verlangen  ist  angeregt,  mannig- 
fache Verhältnisse  werden  darüber  entscheiden,  aber  die 
Grenzerweiterung  war  nicht  der  deutsche  Zweck  des  Krieges 
und  wird  nicht  der  Preis  sein,  welcher  die  Nation  befriedigt. 
Dagegen  darf  ich,  aus  Wahrnehmung,  als  tiefe  Überzeugung 
des  Volkes  bezeichnen,  daß  Deutschland  jetzt  an  Stelle  der 
Verträge  mit  den  süddeutschen  Staaten  die  Staatseinheit 
in  Form  des  Bundes  gewinnen  werde.  Ein  minderer  Ausgang 
würde  zu  den  schwersten  Täuschungen  zählen."  Lasker  bat 
um  Gutheißung  der  nationalliberalen  Bestrebungen  und  regte 
zugleich  eine  Verständigung  an  über  den  ,, äußeren  Betrieb 
dieser  Bestrebungen".  Bismarck  vermied  es,  darauf  schrift- 
lich zu  erwidern.  Der  Mann,  der  mitten  im  Kriege  seine 
Hand  über  ganz  Europa  hielt,  ließ  sich  mit  dem  ,, Drang  der 
fortschreitenden     Kriegsereignisse"     entschuldigen.       Gleich- 

1)  M.  St.  A. 

"■)  H.  A.  A.  (Akten,  betr.  den  Deutsch-franz.  Krieg,  Bd.  39) ;  Deutsche 
Revue  XVII. 


61 

zeitig  ließ  er  dem  Abgeordneten  Lasker  am  25.  August  durch 
seinen  Stellvertreter  in  Berlin,  den  Unterstaatssekretär  v.  Thile, 
in  freundschaftlicher  und  zugleich  energischer  Weise  sagen, 
daß  er  noch  außerstande  sei,  sich  über  die  von  Lasker  berührten 
Gegenstände  auszusprechen,  da  im  Augenblick  alle  Gedanken 
auf  die  Gegenwart  und  den  gemeinsamen  Kampf  um  das  nächste 
Kriegsziel,  die  Niederwerfung  und  dauernde  Schwächung  des 
Feindes,  gerichtet  sein  müßten.  ,, Deutschland  werde  sich 
gewiß  selbst  die  Gestalt  der  Organisation  geben,  die  es  bedürfe ; 
dafür  sei  keine  Sorge;  zunächst  komme  es  darauf  an,  durch 
den  Frieden  Frankreich  in  eine  Lage  zu  bringen,  daß  es  Deutsch- 
land nie  wieder  gefährlich  werden  könne. "i) 

Bismarck  scheiite  eine  Belastung  seiner  Politik  mit  einer 
einseitigen  Parteiagitation,  eine  Belastung,  vor  der  selbst 
Bennigsen  seinen  Parteifreund  Lasker  warnte.  Er  besorgte 
überdies  gerade  von  nationalliberaler  Seite  ein  ungestümes, 
überhastetes  Vorgehen,  dasselbe  Vorgehen,  das  noch  zu  An- 
fang des  Jahres  1870  mit  dem  Antrag  auf  Aufnahme  Badens 
in  den  Norddeutschen  Bund  die  deutsche  Entwicklung  eher 
geschädigt  als  gefördert  hatte.  Ein  Artikel  in  der  ,, Kreuz- 
zeitung" vom  22.  August,  der  ähnliche  Besorgnisse  zum  Aus- 
druck brachte,  ist  vielleicht  nicht  ohne  Fühlung  mit  Bismarck 
entstanden.  Bismarck  setzte  zudem  auf  nationalliberaler  Seite 
eine  zu  weitgehende  unitaristische  Tendenz  auf  Kosten  der 
Fürsten  voraus ;  die  ,, Gedankenspäne  für  den  Fall  eines  Friedens 
wie  auch  für  die  endliche  Feststellung  der  deutschen  Gesamt- 
heit", wie  sie  eben  damals  in  deutlicher  Anlehnung  an  national- 
liberale Bestrebungen  vom  preußischen  Kronprinzen  aus- 
gingen, mit  konstituierendem  Reichstag,  mit  Oberhaus  und 
Reichsministerium  und  starkem  Mißtrauen  gegen  die  Fürsten, 
mußten  ihn  in  dieser  Auffassung  bestärken. 

Bismarck  gedachte  wohl,  die  Nationalliberalen  im  ge- 
gebenen Augenblick  als  Läufer  auf  seinem  politischen  Schach- 
brett zu  verwenden,  aber  seine  deutsche  Politik  wollte  er  auf 
Grund  seiner  ganzen  Vergangenheit,  seiner  Erfahrungen  mit 
der  deutschen  Bewegung  des  Jahres  1848  und  seiner  Kenntnis 
der  Staats-  und  Weltanschauung  des  Preußenkönigs  in  erster 
Linie  mit  den  Fürsten  machen.  Er  hat  denn  auch  tatsächlich 
zu  derselben  Zeit,  da  er  dem  Abgeordneten  Lasker  sagen  ließ, 
der  Zeitpunkt  für  eine  Initiative  in  der  deutschen  Frage  sei 
noch   nicht   gekommen.  Schritte  getan,   um   den  König  von 

^)   Ebenda. 


62 

Bayern  für  diese  Initiative  zu  gewinnen.  Am  24.  August  mel- 
dete der  bayerische  Berichterstatter  im  Hauptquartier,  Graf 
Berchem,  nach  München:  „Ich  habe  im  Auftrag  S.  K.  H.  des 
Prinzen  Luitpold  weiter  zu  berichten,  daß  Graf  Bismarck 
sich  dahin  äußerte,  Preußen  und  der  Norddeutsche  Bund 
würden  bereit wilhgst  Vorschläge  akzeptieren,  welche  S.  M. 
der  König  von  Bayern  nach  Allerhöchst  seiner  Bequemlichkeit 
im  Interesse  einer  engeren  nationalen  Einigung  zu  machen 
sich  etwa  veranlaßt  sehen  würden."^) 

Damit  erschöpfen  sich  die  Schritte  Bismarcks  in  diesen 
Tagen  nicht.  Der  Wunsch  der  bayerischen  Regierung  nach 
Teilnahme  an  den  künftigen  Friedensverhandlungen,  den 
Graf  Bray  in  einer  Depesche  an  den  bayerischen  Gesandten 
in  Berlin  vom  18.  August  geäußert  hatte,  gab  Bismarck 
Veranlassung,  am  25.  August  dem  Vorstande  des  norddeutschen 
Bundeskanzleramtes,  Minister  Rudolf  v.  Delbrück,  den  Auf- 
trag zu  erteilen,  mit  einer  wichtigen  Mission  nach  Dresden  zu 
gehen.  Er  sollte  die  sächsische  Regierung  von  der  Absicht 
unterrichten,  über  den  Inhalt  des  Friedensschlusses  eine  Ver- 
ständigung auf  deutscher  Seite  durch  eine  gemeinsame  Vor- 
beratung der  deutschen  Fürsten  herbeizuführen;  sie  sei  dem 
König  von  Preußen  geradezu  ein  persönliches  und  politisches 
Bedürfnis.  Er  sollte  zugleich  zur  Kenntnis  der  sächsischen 
Regierung  bringen,  daß  der  König  von  Preußen  unter  allen 
Umständen  entschlossen  sei,  nicht  Frieden  zu  schließen  ohne 
bedeutende  territoriale  Abtretungen  Frankreichs;  sie  seien  für 
den  Schutz  Deutschlands  unentbehrlich  und  würden  vom 
deutschen  Volk  einmütig  gefordert.  Er  sollte  aber  auch  aus- 
drücklich erklären,  daß  damit  nicht  in  erster  Linie  eine  Ver- 
größerung Preußens  angestrebt  werde,  daß  vielmehr  für  die 
Verfügung  über  die  von  Frankreich  abzutretenden  Gebiets- 
teile allein  das  allgemeine  Interesse  Deutschlands  maßgebend 
sein  solle.  2) 

Delbrück  traf  am  3.  September,  unmittelbar  unter  dem 
Eindrucke  der  Ereignisse  von  Sedan,  in  Dresden  ein  und 
hatte  am  folgenden  Tage  wiederholt  Aussprachen  mit  dem 
Minister  Freiherrn  v.  Friesen,  aber  auch  mit  dem  Könige  Johann 
von  Sachsen.    Der  König  sprach  seine  volle  Bereitwilligkeit 

1)  Berichte  Berchems,  M.  St.  A.;  Bray  a.  a.  O.  152.  Die  Initiative  zu 
dieser  Aussprache  ging,  wie  schon  Hohenlohe,  Denkwürdigkeiten  II,  S.  24, 
richtig  sah,  von  Bismarck  aus. 

^)  Weisung  Bismarcks  an  Thile  vom  25.  August,  H.  A.  A. ;  dazu  Del- 
brück, Lebenserinnerungen  Bd.  II,  409  ff. 


63 

aus,  an  einer  Vorberatung  der  deutschen  Fürsten  über  den 
künftigen  Friedensschluß  teilzunehmen.  Die  sächsische  Re- 
gierung pflichtete  Delbrück  darin  bei,  daß  von  Frankreich 
eine  beträchtliche  territoriale  Abtretung  gefordert  werden 
müsse  und  daß  die  abzutretenden  Länder  nicht  mit  einem 
deutschen  Einzelstaate,  sondern  mit  der  Gesamtheit  aller 
deutschen  Staaten  zu  vereinigen  seien.  Die  sächsische  Re- 
gierung war  mit  Delbrück  auch  darüber  einig,  daß  die  not- 
wendige Voraussetzung  für  diese  territoriale  Regelung  die 
Lösung  der  deutschen  Frage  sei.  Freiherr  v.  Friesen  knüpfte 
daran  die  Frage,  ob  Preußen  dafür  bereits  ein  festes  Programm 
habe.  Delbrück  erwiderte,  er  glaube  nicht,  daß  seine  Regierung 
in  dieser  Frage  die  Initiative  ergreifen  werde,  er  glaube  viel- 
mehr, daß  hiezu  niemand  mehr  berufen  sei  und  mehr  Interesse 
habe  als  Sachsen ;  in  einem  allgemeinen  Deutschen  Bunde  werde 
naturnotwendig  der  föderative  Charakter  kräftiger  zur  Geltung 
kommen  als  im  Norddeutschen  Bund  und  werde  Sachsen 
die  isolierte  Stellung  los  werden,  in  der  es  sich  gegenwärtig 
als  einziger  Mittelstaat  zwischen  Preußen  und  den  norddeut- 
schen Kleinstaaten  befinde,  i)  Delbrück  schied  aus  Dresden 
mit  der  Überzeugung,  daß  Sachsen  bei  der  bayerischen  Re- 
gierung die  nötigen  Schritte  tun  werde,  um.  diese  für  die  Ini- 
tiative in  der  deutschen  Frage  zu  gewinnen.  2) 

In  der  Tat  wurde  der  sächsische  Gesandte  am  Münchener 
Hofe,  Graf  Könneritz,  am  10.  September  vom  Freiherrn 
V.  Friesen  angewiesen,  bei  nächster  Gelegenheit  eine  Aus- 
sprache über  die  deutsche  Frage  mit  dem  bayerischen  Minister- 
präsidenten herbeizuführen^).  Er  hatte  nicht  bestimmte, 
detaillierte  Vorschläge  zu  machen,  wohl  aber  sollte  er  auf  die 
unvergleichliche  Gunst  des  gegenwärtigen  Augenblickes  für 
eine  föderalistische  Lösung  der  deutschen  Frage  hinweisen. 
Es  sei  mit  Bestimmtheit  zu  erwarten,  daß  der  größte  deutsche 
Staat,  dem  naturgemäß  die  militärische  Führerschaft  zufallen 
müsse,  Preußen,  gerade  im  gegenwärtigen  Augenblick  um  so 
geneigter  sein  werde,  seinen  Bundesgenossen  freundlich  ent- 
gegenzukommen und  ihnen  die  gewünschten  Sicherheiten 
zu  geben,  je  nachdrücklicher  es  wiederholt  anerkannt  habe. 


1)  Daß  dieses  Moment  tatsächlich  auf  die  sächsische  Regierung  an- 
spornend gewirkt  hat,  dafür  liegen  eine  Mehrzahl  untrüglicher  Zeugnisse  vor. 

^)  Bericht  Delbrücks  vom  5.  September,  Beilagen  II,  nr.  i ;  H.  A.  A. 
und  R.  d.  I.;  dazu  Delbrück,  Lebenserinnerungen,  Bd.  II,  410. 

^)  Abschrift  der  Weisung  an  Graf  Könneritz  vom  10.  September  und 
des  Berichtes  des  Grafen  vom  13.  September,  H.  A.  A. 


64 

in  wie  hohem  Grade  die  Erfolge  des  Krieges  der  Mitwirkung 
der  süddeutschen  Staaten  und  der  Tapferkeit  ihrer  Armeen 
zu  danken  seien.  Die  gegenwärtige  deutsche  Bewegung  unter- 
scheide sich  von  früheren  ganz  wesentHch  dadurch,  daß  sie 
nicht  antimonarchisch  und  nicht  unitarisch  sei.  Wenn  aber 
die  Hoffnung  des  deutschen  Volkes  getäuscht  werde  und  dann 
an  Stelle  des  Vertrauens  wieder  Mißtrauen  und  Parteizwist 
trete,  dann  werde  eine  Verständigung  für  lange  Zeit  geradezu 
unmöglich  werden.  Am  12.  September  hatte  Graf  Könneritz 
die  von  seiner  Regierung  gewünschte  Aussprache  mit  dem 
Grafen  Bray  und  legte  ihm  dabei  die  sächsische  Depesche 
vom  IG.  September  zur  Einsicht  vor. 

Inzwischen  hatte  Bismarck  eine  neue  Gelegenheit  er- 
griffen, um  Fühlung  mit  den  Anschauungen  der  bayerischen 
Regierung  in  der  deutschen  Frage  zu  gewinnen.  Graf  Karl 
V.  Tauffkirchen^),  der  frühere  politische  Referent  und  Mit- 
arbeiter des  Fürsten  Chlodwig  v.  Hohenlohe,  damals  bayerischer 
Gesandter  in  Rom,  war  auf  sein  Betreiben  am  29.  August  zum 
Präfekten  der  provisorischen  Verwaltung  des  Maasdeparte- 
ments in  Bar  le  duc  ernannt  worden.  Vor  seinem  Amts- 
antritte fragte  er  beim  Bundeskanzler  an,  ob  er  sich  bei  ihm 
zur  Audienz  melden  dürfe.  Nach  einigen  Tagen,  am  7.  Sep- 
tember, erhielt  er  nacheinander  drei  dringende  Depeschen 
mit  der  Einladung  zu  kommen.  Am  Morgen  des  8.  September 
hatte  er  eine  Aussprache  mit  dem  Bundeskanzler,  ,, welche 
ohne  Störung  nahezu  2V2  Stunden  dauerte".  Bismarck  führte 
unter  anderem  aus:  Er  sei  weit  entfernt,  auf  Bayern  einen 
Druck  auszuüben;  das  Wort  des  Königs  von  Preußen,  sein 
eigener  bestimmter  Wille,  die  Verpflichtung  des  Dankes,  die 
der  Norddeutsche  Bund  Bayern  gegenüber  habe,  seien  ebenso 
viele  Bürgschaften  dafür,  daß  Bayern  sein  freier  Wille  gelassen 
werde.  Er  möchte  vielmehr,  gerade  um  sich  nicht  in  die  Ge- 
fahr zu  begeben,  durch  irgendeinen  Vorschlag  die  Gefühle  des 
bayerischen  Königs  zu  verletzen,  diesem  die  Initiative  über- 
lassen. Er  sei  bereit,  die  Verhandlungen  mit  den  übrigen  süd- 
deutschen Staaten  so  lange  auszusetzen,  bis  die  bayerischen 
Vorschläge  besprochen  seien.  Aber  allerdings,  diese  Initiative 
hätte  bald  zu  erfolgen;  sonst  müßte  die  deutsche  Frage  ohne 
Bayern  geregelt  werden.  Württemberg,  Baden  und  Hessen 
würden  dann  in  den   Norddeutschen   Bund  eintreten,   unter 


^)  Das  Folgende  nach  K.  A.  v.  Müller,  Bismarck  und  Ludwig  II.  im 
September  1870  in:  Hist.  Zeitschr.  Bd.  111  (1913);  dazu  Forsch,  z.  Brand, 
u.  Preuß.   Gesch.   1914. 


65 

Bedingungen,  die  sich  ohne  Teilnahme  Bayerns  von  der  bis- 
herigen Verfassung  des  Norddeutschen  Bundes  nur  sehr 
wenig  unterscheiden  dürften;  bezügUch  Badens  und  Hessens 
wisse  er  dies  ganz  gewiß.  Es  Hege  in  der  Natur  der  Dinge, 
daß  eine  solche  Entwicklung  auch  die  bisherigen  Beziehungen 
zu  Bayern  lockern  müßte.  Er  verbarg  auch  nicht,  daß  un- 
günstige Strömungen  und  Absichten  vorhanden  seien,  die 
von  den  seinen  wesentlich  abwichen.  Er  ließ  —  so  berichtet 
wenigstens  Tauffkirchen,  der  vielleicht  in  seinem  Eifer  für  die 
nationale  Sache  die  Worte  Bismarcks  noch  etwas  verschärft 
hat  —  bei  Wiederaufnahme  des  Gesprächs  am  Abend  selbst 
die  Möghchkeit  durchbhcken,  daß,  wenn  Bayern  draußen  bliebe, 
der  Zollverein  nach  Ablauf  der  Vertragsfrist  gekündigt  und 
die  Rheinpfalz  gegen  den  Willen  der  bayerischen  Regierung 
in  den  Nordbund  gedrängt  werden  könnte.  Er  ließ  schheß- 
hch  —  das  war  der  Sinn  und  Zweck  seiner  Ausführungen, 
seiner  Verheißungen  wie  seiner  Schwarzmalereien  —  den 
König  von  Bayern  um  baldigste  Übersendung  von  Bevoll- 
mächtigten mit  bestimmten  Vorschlägen  ersuchen.  Graf 
Tauffkirchen  versprach  die  Mission  so  rasch  als  möglich  auszu- 
führen. In  der  Nacht  vom  12. /13.  September  traf  er  in  Mün- 
chen ein. 

Auch  damit  begnügte  sich  Bismarck  nicht.  Er  will  sich 
selbst  der  badischen  Regierung  bedienen,  um  Bayern  für  die 
von  ihm  so  heiß  begehrte  Initiative  in  der  deutschen  Frage  zu 
gewinnen.  Die  Weisung,  die  er  zu  diesem  Zwecke  von  Reims 
aus  an  den  preußischen  Gesandten  Grafen  v.  Fleming  nach 
Karlsruhe  richtete,  ist  nicht  minder  bezeichnend  als  der  münd- 
liche Auftrag,  den  er  dem  Grafen  Tauffkirchen  erteilte,  um  so 
bedeutsamer  vielleicht,  weil  sie  unmittelbar  von  Bismarck 
selbst  oder  wenigstens  unter  seiner  Aufsicht  niedergeschrieben 
wurde.  Er  schrieb  am  12.  September  an  den  Grafen  v.  Fle- 
mingi) :  ,,Auch  ich  hege  keinen  Zweifel,  daß  die  Gemeinsamkeit 
aller  deutschen  Stämme  im  gegenwärtigen  Krieg  einen 
fördernden  Einfluß  auf  die  dauernde  Einigung  Deutschlands 
üben  werde,  ohne  daß  von  irgendeiner  Seite  ein  Zwang  oder 
ein  Druck  ausgeübt  wird.  Auch  in  dieser  Hinsicht  wird  die 
gemeinsame  und  persönliche  Verständigung  der  deutschen 
Fürsten  nicht  ohne  Frucht  bleiben.  Die  Initiative  zu  be- 
stimmten Vorschlägen  werden  wir  von  den  süddeutschen 
Regierungen  erwarten  dürfen,  deren  freien  Willen  wir  in  der 


^)  Weisung  vom   12.  September,   H.  A.  A. 
Doeberl,  Bayern  und  die  Bismarckische  Reichsgründung. 


66 

Sache  wie  in  der  Form  achten  werden.  Wenn,  wie  wir  über- 
zeugt sind,  die  großherzoghche  Regierung  diese  Entwicklung 
zu  fördern  wünscht,  so  würde  sie  meines  Erachtens  besser 
als  wir  in  der  Lage  sein,  durch  vertrauliche  Anregungen, 
namentlich  in  München,  die  dortige  Regierung  zur  Aussprache 
ihrer  Auffassung  von  dem  künftigen  Verhältnisse  Süddeutsch- 
lands und  besonders  Bayerns  zum  Norden  zu  bewegen.  Unsere 
Stellung  zur  Sache  ist  bisher  schwierig,  weil  wir  ganz  im  Dunkeln 
über  die  persönlichen  Stimmungen  des  Königs  von  Bayern 
sind  und  vor  allem  Eröffnungen  vermeiden  müssen,  welche 
vielleicht  nur  deshalb  Mißtrauen  und  Empfindlichkeit  wecken 
könnten,  weil  sie  in  der  Form  und  in  einzelnen  Materien 
anders  bemessen  sind,  als  erwartet  wird,  während  in 
anderen  vielleicht  mehr  Bereitwilligkeit  zum  Entgegen- 
kommen, als  wir  vermuten,  vorhanden  sein  kann.  Auch 
müssen  wir  jeden  Schein  einer  Pression  auf  den  König  ver- 
hüten, während  die  großherzogliche  Regierung  sich  ohne 
Bedenken  vertraulich  informieren  und  dadurch  eine  von 
Bayern  gegebene  Basis  der  Verhandlung  zutage  fördern 
könnte." 

Um  dieselbe  Zeit  weilte  Staatsminister  v.  Delbrück  im 
preußischen  Hauptquartier,  in  Reims,  und  arbeitete  im  Auf- 
trag und  selbstverständlich  in  Fühlung  mit  Bismarck,  der 
ihn  unmittelbar  nach  seiner  Rückkehr  von  Dresden  dorthin 
berufen  hatte,  an  einer  Denkschrift  über  die  künftige  Gestal- 
tung Deutschlands.^) 

Was  erreicht  werden  soll,  so  führt  er  hier  aus,  ist  abstrakt 
in  wenig  Worten  auszudrücken:  an  die  Stelle  der  Allianz- 
verträge Preußens  mit  Bayern,  Württemberg  und  Baden  und 
des  Zollvereinsvertrages  soll  ein  dauernder  bundesstaatlicher 
Organismus  treten.  Die  Grundelemente  dieses  bundesstaat- 
lichen Organismus  sind  durch  die  Verfassung  des  Norddeut- 
schen Bundes,  durch  den  Zollvereinsvertrag  und  vielleicht 
noch  mehr  durch  die  Erfahrungen  des  Krieges  vorgezeichnet: 
ein  Parlament  als  Vertretung  der  Nation,  ein  Bundesrat  als 
Vertretung  der  Fürsten,  eine  einheitliche  Spitze  mit  vollzie- 
hender Gewalt  als  Attribut  der  preußischen  Krone.  Ihren 
Inhalt  und  ihre  Bedeutung  erhält  indessen  diese  Organisation 
erst  durch  die  Bestimmung  ihres  Wirkungskreises. 

Daß  dieser  Wirkungskreis  die  kriegerische  Verteidigung 
Deutschlands  umfassen  muß,  haben  die  letzten  Monate  in  mehr 

^)  Denkschrift  vom  13.  September,  H.  A.  A.;  dazu  Delbrück,  Lebens- 
erinnerungen, Bd.  II,  410  ff. 


67 

als  einer  Beziehung  klargestellt.  Eine  aus  sehr  heterogenen 
Elementen  zusammengefaßte  Kammermehrheit  hat  sowohl 
in  Bayern  als  in  Württemberg  kurz  vor  dem  Ausbruch  des 
Krieges  eine  Lage  herbeigeführt,  die,  ohne  den  Ausbruch  des 
Krieges,  die  Regierungen  beider  Staaten  vor  die  Wahl  zwischen 
einer  Auflösung  der  Armee  und  einem  Staatsstreich  gestellt 
haben  würde.  Das  Interesse  beider  Staaten  und  ganz  Deutsch- 
lands verlangt  gebieterisch  eine  Bürgschaft  gegen  die  Wieder- 
kehr einer  solchen  Lage  und  diese  Bürgschaft  kann,  solange 
verfassungsmäßige  Zustände  aufrechterhalten  werden  sollen, 
nicht  durch  Mihtärkonventionen,  sondern  nur  dadurch  ge- 
währleistet werden,  daß  der  Militäretat  und  die  Militär- 
organisation der  Einwirkung  der  Landesvertretungen  ent- 
zogen und,  unter  verfassungsmäßiger  Feststellung  ihrer  Grund- 
lagen, der  Reichsvertretung  überwiesen  werden.  Ferner  hat 
der  gegenwärtige  Krieg  gezeigt,  daß  Deutschland  unüber- 
windlich ist,  wenn  seine  kriegerischen  Kräfte  zur  rechten  Zeit 
in  einer  Hand  zusammengefaßt  sind.  Dem  richtigen  Blick 
und  dem  patriotischen  Herzen  der  süddeutschen  Fürsten  ist 
es  zu  danken,  daß  diesem  Kriege  keine  Erörterungen  über  den 
casus  foederis  vorhergingen.  Deutschland  bedarf  aber  einer 
Garantie  dafür,  daß  in  Zukunft  selbst  die  Möglichkeit  solcher 
Erörterungen  ausgeschlossen  bleibt.  Ein  Gemeinwesen  mit 
gemeinschaftlicher  und  einheitlich  geleiteter  Land-  und  See- 
macht muß  aber  auch  in  seinen  Beziehungen  zum  Ausland 
einheitlich  geleitet  sein,  einschließlich  der  Konsulate,  des 
Handels,  des  Zoll-,  Schiffahrts-  und  Eisenbahnwesens,  des 
Münz-,  Maß-  und  Gewichtsystems  sowie  des  Handels-  und 
Wechselrechtes. 

Es  würde  sich  also  handeln  um  ein  Deutsches  Reich, 
bestehend  aus  dem  Norddeutschen  Bund  und  den  süddeutschen 
Staaten,  bestimmt  zum  Schutze  Deutschlands  und  zur  Pflege 
der  Interessen  des  deutschen  Volkes,  ausgestattet  mit  Gesetz- 
gebung und  Aufsicht  über  Landheer  und  Seemacht,  über  Zölle, 
Verbrauchssteuern  und  Schiffahrtsabgaben,  über  das  Maß-, 
Gewicht-  und  Münzwesen,  über  Handels-  und  Wechselrecht 
und  über  den  Schutz  des  deutschen  Handels  im  Auslande. 
Die  Gesetzgebung  würde  durch  einen  Bundesrat  und  ein 
Parlament  ausgeübt  werden,  der  Oberbefehl  über  die  Land- 
und  Seemacht  sowie  die  sonstige  Exekutive  würde  der  Krone 
Preußen  zustehen.  Im  Zusammenhange  damit  regte  Delbrück, 
wie  übrigens  schon  vorher  Bismarck  im  Gespräch  mit  dem 
Grafen   Tauffkirchen,   die   Erneuerung  der   Kaiserwürde   an: 


68 

„die  Verbindung  des  Namens  Kaiser  von  Deutschland  mit 
dieser  Exekutive  würde  die  erlauchten  Träger  der  preußischen 
Krone  nicht  erhöhen,  wohl  aber  die  Aufnahme  der  Neugestal- 
tung Deutschlands  bei  Fürsten  und  Völkern  fördern". 

„Der  gegenwärtige  Augenblick,  wo  die  Nation  gehoben 
ist  durch  die  Erfolge,  welche  Deutschland  als  solches  zum 
erstenmal  seit  Jahrhunderten  und  glänzender  als  jemals  er- 
langt hat,  ist  der  günstigste,  der  gedacht  werden  kann.  Der 
nationale  Aufschwung,  den  der  Krieg  hervorgerufen  hat  und 
jede  gewonnene  Schlacht  steigerte,  hat  alle  partikularistischen 
Elemente  zum  Teil  mit  fortgerissen,  zum  Teil  zum  Schweigen 
gebracht.  Die  zentripetalen  Kräfte  sind  in  Deutschland  niemals 
mächtiger  gewesen  als  heute.  So  erfreulich  dieser  Aufschwung 
auch  ist,  so  wird  man  sich  doch  über  seine  Natur  nicht  täuschen 
dürfen.  Je  plötzlicher  und  energischer  er  sich  entwickelte, 
um  so  gewisser  wird  ihm  eine  Reaktion  folgen.  Diese  Gewiß- 
heit fordert  auf,  rasch  zu  handeln  und  vorsichtig  zu  handeln. 
Rasch  zu  handeln,  damit  die  entscheidenden  Entschlüsse  ge- 
faßt werden,  bevor  die  rückläufige  Strömung  beginnt.  Vor- 
sichtig zu  handeln,  damit  nicht  die  rückläufige  Strömung  her- 
vorgerufen werde."  Unter  solchen  Umständen  empfiehlt  sich 
vor  allem  eine  rasche  Verhandlung  mit  den  deutschen  Für- 
sten, und  hiezu  bietet  eine  passende  Gelegenheit  die  zur 
Vorberatung  der  Friedensbedingungen  in  Aussicht  genom- 
mene Fürstenkonferenz. 

Die  Denkschrift  fand  nach  dem  Zeugnis  Delbrücks  die 
Gutheißung  des  Bundeskanzlers  wie  des  Königs.  Wenn  aber 
Delbrück  in  seinen  späteren  Memoiren  behauptet,  daß  die 
Denkschrift  im  ganzen  das  Bild  dessen  enthielt,  was  durch  die 
späteren  Verfassungsverträge  geworden  sei,  so  ist  das  doch  mit 
einigem  Vorbehalt  aufzunehmen.  Die  Denkschrift  hat  ja 
nach  der  Aussage  des  Verfassers  selbst  es  absichtlich  vermieden, 
auf  Einzelheiten  einzugehen,  z.  B.  das  Gebiet  der  gemein- 
samen Angelegenheiten  nach  allen  Seiten  fest  zu  umgrenzen. 

Damals,  als  der  sächsische  Gesandte  dem  bayerischen 
Ministerpräsidenten  die  Depesche  seiner  Regierung  vom 
10.  September  vorlegte,  als  im  Auftrage  Bismarcks  Graf 
Tauffkirchen  in  München  eintraf,  als  Bismarck  selbst  die 
dringende  Mahnung  nach  Karlsruhe  richtete  und  in  seinem 
Auftrage  Staatsminister  v.  Delbrück  die  vom  13.  September 
datierte  Denkschrift  über  die  künftige  Gestaltung  Deutsch- 
lands fertigstellte,  war  die  Entscheidung  am  bayerischen 
Hofe  bereits  gefallen,  hatte  Bayern  die  Initiative  in  der  deut- 


69 

sehen  Frage  schon  ergriffen.  Von  wem  ging  die  Initiative 
aus  und  welches  war  das  entscheidende  Motiv  hiefür?  Auch 
darüber  hat  man  sich  viel  den  Kopf  zerbrochen  und  ist  nicht 
selten  in  die  Irre  gegangen. 


Die  Initiative  ging  nicht  vom  König  aus,  sondern  vom 
Ministerium.  Am  12.  September  erbat  Graf  Otto  v.  Bray- 
Steinburg  und  mit  ihm  das  bayerische  Gesamtministerium 
in  einem  von  Bray  eigenhändig  entworfenen  sogenannten 
alleruntertänigsten  Antrage  die  königliche  Ermächtigung  zu 
Verhandlungen  über  ein  Verfassungsbündnis  mit  dem  Nord- 
deutschen Bund.^)  Es  befindet  sich  weder  in  den  bayerischen 
Staatsakten  noch  in  dem  Antrage  selbst  die  geringste  Spur, 
daß  ihm  ein  königlicher  Auftrag  vorausging.  Im  Gegenteil, 
das  Ministerium  erbat  sich  in  diesem  Antrag  erst  die  könig- 
liche Ermächtigung  zu  diplomatischem  Vorgehen  in  der 
deutschen  Frage  und  zugleich  Indemnität  für  die  bereits  unter- 
nommenen Schritte  in  derselben  Angelegenheit.  Freiherr 
V.  Werthern  berichtet  allerdings  unterm  10.  September^) : 
„Unter  dem  Druck  der  öffentlichen  Meinung  hat  der  König 
seine  Minister  gestern  beauftragt,  ein  Programm  auszuarbeiten." 
Allein  diese  Mitteilung  beruht  entweder  auf  einer  falschen 
Vermutung  oder  einer  falschen  Information.  Wie  wir  schon 
bei  der  Vorgeschichte  des  Mobilisierungsbefehls  beobachten 
konnten,  bestand  in  der  Umgebung  des  Königs  Neigung,  in 
entscheidenden  Momenten  die  Initiative  des  Ministeriums  in 
eine  Initiative  des  Königs  umzubiegen  und  das  Verdienst  daran 
sich  zuzuschreiben.  Und  Luise  v.  Kobell  hat  ihr  Bemühen 
bei  der  Nachwelt  fortgesetzt. 

Der  Antrag  ist  zwar  vom  12.  September  datiert.  Aber  der 
Unterzeichnung  des  Antrags  ging  ein  Ministerrat  voraus. 
Dieser  Ministerrat  fand,  wie  schon  die  ,, Augsburger  Abend- 
zeitung" und  die  ,, Münchener  Neuesten  Nachrichten"  aus 
jener  Zeit  berichteten  und  wie  durch  eine  Mitteilung  des  preußi- 
schen Gesandten  v.  Werthern  an  das  Berliner  Auswärtige 
Amt  bestätigt  wird,  wenigstens  in  seiner  ersten  Sitzung  am 
9.  September  statt.    Zwischen  dem  Ministerrat  und  der  Aus- 

^)  Das  Schriftstück,  das  in  den  Denkwürdigkeiten  des  Grafen  Bray, 
S.  1 36,  unter  Weglassung  der  Formalien  und  der  Unterschriften  gedruckt  ist, 
ist  keine  ,,  Denkschrift",  sondern  ein  ,,  All  eruntertänigster  Antrag",  der  von 
sämtlichen  Ministem  unterzeichnet  wurde. 

-)  H.  A.  A. 


70 

fertigung  des  Antrags  an  den  König  erging  eine  Mitteilung 
an  die  Presse^)  und  zugleich  eine  Mitteilung  und  Anfrage  an 
Preußen  wegen  der  einzuleitenden  Verhandlungen  mit  dem 
Norddeutschen  Bunde,  beide  am  ii.  September.  An  diesem 
Tage  gab  Graf  Bray  dem  Gesandten  v.  Werthern  bekannt^) : 
„Die  bayerische  Regierung  begreife,  daß  die  kriegerischen 
Ereignisse  eine  Veränderung  der  politischen  Gestalt  Deutsch- 
lands nach  sich  ziehen  müßten.  Die  Stellung  Bayerns  werde 
modifiziert  werden,  je  nachdem  der  Nordbund  in  seiner  bis- 
herigen Form  weiterbestehe  oder  aufgelöst  werde  und  einem 
neuen,  ganz  Deutschland  umfassenden  Platz  mache.  Unzweifel- 
haft hätte  Bismarck  sich  über  diese  Frage  schon  schlüssig 
gemacht.  Er  bitte  daher,  ihn  von  seiner  Auffassung  zu  unter- 
richten, um  alsdann  mit  geeigneten  Vorschlägen  auftreten  zu 
können."  Für  beide  Schritte,  die  Mitteilung  an  die  Presse  und 
die  Anfrage  an  Preußen,  suchte  das  Ministerium  in  dem  Antrage 
vom  12.  September  gewissermaßen  die  Indemnität  nach:  man 
liebte  es  seit  der  amtlichen  Wirksamkeit  von  der  Pfordtens, 
den  schwer  zu  einem  Entschluß  sich  durchringenden  König  vor 
Tatsachen  zu  stellen. 

Übrigens  meldete  der  stets  gut  unterrichtete  württem- 
bergische Gesandte  v.  Soden  schon  am  6.  September  aus 
München^):  daß  auch  in  Bayern  infolge  der  glorreichen 
Waffentaten  der  deutschen  Heere  die  Überzeugung  alle 
Kreise  zu  durchdringen  beginne,  daß  die  deutsche  Frage  in 
ein  anderes  Stadium  getreten  sei.  Am  8.  September  berichtete 
er,  daß  auch  Graf  Bray  ihm  gegenüber  ,, heute  zum  erstenmal" 
aus  seiner  Reserve  in  der  deutschen  Frage  herausgetreten  sei 
und  offen  zugegeben  habe,  nach  dem  siegreichen  Kriege  werde 
das  alte  Verhältnis  in  Deutschland  nicht  fortbestehen  können. 
Zwei  Tage  später,  am  lo.  September,  teilt  er  mit,  daß  Graf 
Bray  schon  vor  mehreren  Tagen  mit  dem  (gemäßigten)  fort- 
schrittlichen Abgeordneten  Marquard  Barth  eine  Besprechung 
gepflogen  und  dabei  ausdrücklich  geäußert  habe:  er  beab- 
sichtige demnächst  seinem  König  in  dem  mit  Barth  besproche- 
nen Sinne  ausführlich  Vortrag  zu  halten.*)  Noch  bestimmter 
und  noch  früher  berichtet  über  diese  Wendung  der  baye- 
rischen Politik  der  nichts  weniger  als  bayernfreundliche 
badische  Gesandte  Robert  Mohl. 


^)   Allg.   Zeitung  Nr.  256  vom  13.  September. 

^)   Telegramm  Wertherns  vom  11.  September,  H.  A.  A. 

3)    St.  St.  A. 

*)   Ebenda. 


71 

Unter  diesen  Umständen  ist  es  ausgeschlossen,  daß  die 
von  Bismarck  angeregte  Vorstellung  des  sächsischen  Ge- 
sandten vom  12.  September  oder  die  Sendung  des  Grafen 
Tauffkirchen,  der  im  Auftrage  Bismarcks  frühestens  in  der 
Nacht  vom  12. /i3-  September  in  München  ankam,  auf  den 
Entschluß  des  bayerischen  Ministers  noch  einen  maßgeben- 
den Einfluß  übten.  Allerdings  hatte  sich  der  sächsische 
Gesandte  am  Münchener  Hofe  schon  vorher,  schon  im  August, 
bemüht,  Bayern  für  eine  Initiative  in  der  deutschen  Frage  zu 
gewinnen,  aber  mit  so  geringem  Erfolg,  daß  er  am  24.  August 
zu  Freiherrn  v.  Werthern  äußerte,  er  stoße  in  München  auf 
einen  so  entschiedenen  Widerspruch,  daß  er  nicht  wage, 
seinen  König  zu  einem  Schritt  zu  bewegen,  der  voraussicht- 
lich ohne  Resultat  bleiben  würde,  i)  Er  bekennt  noch  in 
einem  Berichte  vom  13.  September 2),  daß  Graf  Bray  bei 
mehreren  Versuchen,  seinerseits  die  deutsche  Frage  zu  be- 
rühren, „nicht  recht  darauf  eingegangen  sei";  erst  in  den 
letzten  Tagen  sei  ,, infolge  der  nationalen  Bewegung" 
eine  Wendung  bei  ihm  eingetreten.  Selbst  die  bekannten 
Ministerratssitzungen  in  Stuttgart  vom  7.  bis  10.  September^), 
bald  nach  der  Entlassung  Varnbülers,  unmittelbar  vor  der 
Abreise  des  württembergischen  Kriegsministers  v.  Suckow 
in  das  Hauptquartier,  werden  schwerlich  auf  den  Entschluß 
des  Grafen  Bray  haben  einwirken  können;  sie  wurden  ja 
Bayern  zunächst  geheimgehalten.  Die  württembergische 
Regierung  hat  ebenso  wie  die  sächsische  die  Initiative  aus- 
drücklich Bayern  zugeschrieben. 

Damit  will  aber  keineswegs  gesagt  werden,  daß  die 
Haltung  Württembergs  und  das  Drängen  Badens  ohne  Ein- 
fluß auf  die  bayerische  Politik  in  der  deutschen  Frage  geblieben 
sei.  Die  württembergische  Regierung  hatte  gerade  in  diesen  Ta- 
gen, am  9.  September,  an  ihren  Vertretejf  in  München  geschrie- 
ben :  ,,Euer  Hochwohlgeboren  wollen  dem  Herrn  Minister  (Bray) , 
ohne  der  im  Ministerium  bereits  eingeleiteten  Be- 
ratungen zu  erwähnen,  bemerken,  daß  die  Kgl.  Regierung 
eine  anderweitige  Regelung  des  Verhältnisses  der  süddeutschen 
Staaten  zum  Nordbund  für  unvermeidlich  hält,  daß  sie  glaubt, 
es  sollte  die  Initiative  hiezu  so  bald  als  möglich  von  süd- 
deutscher Seite  ergriffen  werden,  und  daß  sie  wie  bisher  den 
größten   Wert   darauf  legen   werde,   gemeinsam   mit   Bayern 

^)  Bericht  Wertherns  vom  24.  August.   H.  A.  A. 

2)  Abschrift,  H.  A.  A. 

3)  Mittnacht,   Rückblicke  S.  81. 


72 

vorgehen  zu  können."^)  Und  vom  badischen  Gesandten  konnte 
Graf  Bray  dem  preußischen  Vertreter  schon  am  8.  September-) 
mitteilen,  daß  er  im  Auftrage  seiner  Regierung  angefragt 
habe,  wie  Bayern  sich  die  Zukunft  Deutschlands  vorstelle. 
Bray  hatte  hinzugefügt:  er  könne  darauf  nur  erwidern  und 
wolle  das  auch  dem  preußischen  Gesandten  sagen,  das  Wohl- 
wollen und  Entgegenkommen,  dessen  sich  Bayern  in  der 
letzten  Zeit  preußischerseits  zu  erfreuen  habe,  sei  so  groß, 
daß  er  mit  vollem  Vertrauen  die  weitere  Entscheidung  Bismarck 
überlasse.  Das  bayerische  Ministerium  hat  zudem  den  Ein- 
fluß der  süddeutschen  Höfe  auf  die  deutsche  Politik  Bayerns 
im  bayerischen  Landtag  ausdrücklich  anerkannt.  Es  ist 
selbst  nicht  ausgeschlossen,  daß  die  bloße  Nachricht  von  der 
Anwesenheit  Delbrücks  in  Dresden  und  von  seiner  unmittelbar 
darauf  erfolgten  Berufung  ins  Hauptquartier,  Ereignissen, 
die  von  der  durch  Bismarck  bedienten  Presse  kräftig  unter- 
strichen und  in  München  auf  Grund  telegraphischer  Mit- 
teilungen des  bayerischen  Gesandten  am  Berliner  Hofe  vom 
6.  und  8.  September  mit  der  künftigen  Gestaltung  Deutsch- 
lands in  Zusammenhang  gebracht  wurden,  den  Entschluß 
des  Grafen  Bray  beschleunigt  hat.  Graf  Bray  schrieb  am 
II.  September  an  den  Grafen  Berchem:  ,,Die  Berufung  des 
Ministers  Delbrück  in  das  Hauptquartier  hat  zur  Annahme 
Veranlassung  gegeben,  daß  man  sich  dort  in  vorsorglicher 
Weise  mit  dem  Einfluß  zu  beschäftigen  beabsichtige,  welchen 
die  ruhmreichen  und  welthistorischen  Ereignisse  der  letzten 
Zeit,  an  welchen  auch  die  bayerischen  Truppen  sich  so  rühm- 
lich beteiligten,  auf  die  künftige  innere  Gestaltung  Deutsch- 
lands zu  üben  berufen  sind.  Wir  erkennen  diese  notwendige 
Einwirkung  vollkommen  an  und  werden  derselben  auch  be- 
züghch  Bayerns  innerhalb  der  Grenzen  seiner  zu  wahrenden 
Selbständigkeit  bereitwilligst  Rechnung  tragen."^) 

Das  entscheidende  Motiv  aber  zur  Initiative  der  bayeri- 
schen Regierung  in  der  deutschen  Frage  war  die  unter  dem 
Einfluß  des  Sieges  von  Sedan  gesteigerte  nationale  Erregung. 

Das  hat  Graf  Bray  wie  in  dem  eben  erwähnten  Schreiben 
und  in  dem  Antrage  vom  I2.  September  so  auch  im  Landtage 
selbst  bekannt:  ,,Das  Ereignis  von  Sedan,  welches  nicht  habe 
vorausgesehen  werden  können,  habe  alle  früheren  Voraus- 
setzungen   als    nicht    mehr    zutreffend    erscheinen    lassen." 

^)   Schneider,   Württembergs  Beitritt  zum   Deutschen   Reich,    S.  i47f. 

2)  Bericht  Werthenis  vom  8.  September,   H.  A.  A. 

3)  M.  St.  A. 


•       73 

Daran  hielt  er  auch  in  seinen  „Denkwürdigkeiten"  fest: 
„Unter  dem  Druck  der  populären  Bewegung  entschlossen 
sich  die  Minister,  die  Genehmigung  des  Königs  zur  Einleitung 
von  Beratungen  mit  einem  Vertreter  des  Norddeutschen  Bundes 
zu  veranlassen."  Das  wird  in  den  Landtags  Verhandlungen  eben- 
so vom  Justizminister  v.  Lutz  und  in  einer  Aussprache  mit  dem 
hessischen  Minister  Dalwigk^)  vom  Kriegsminister  v.  Pranckh 
bezeugt.  Das  wird  bestätigt  durch  das  Zeugnis  des  sächsischen 
Gesandten  in  München  Grafen  Könneritz  wie  des  württem- 
bergischen Gesandten  Freiherrn  v.  Soden  und  des  badischen  Ge- 
sandten Robert  v.  Mohl.  Das  wird  ebenso  bestätigt  durch 
das  Zeugnis  des  preußischen  Gesandten.  Er  berichtet  in  den 
kritischen  Tagen  immer  wieder,  daß  die  bayerische  Regierung 
„unter  der  ungeheuren  Pression  der  nationalen 
Partei"  stehe.  Er  schildert  diese  nationale  Bewegung  in 
Bayern,  namentlich  in  seinen  Berichten  vom  5.  und  9.  Sep- 
tember^),  in  glühenden  Farben:  unter  dem  Eindruck  der 
erhebenden  Ereignisse  der  letzten  Tage  sei  in  München  der 
Enthusiasmus  zu  einer  Bedeutung  gewachsen,  wie  es  jemand, 
der  den  phlegmatischen  Charakter  der  Stadt  kenne,  gar  nicht 
für  möglich  gehalten  hätte:  ,,Es  ist,  als  ob  das  Volk  Preußen 
erst  entdeckte,  unscheinbare  Nebensachen  üben  hierauf  einen 
unverhältnismäßigen  Einfluß.  So  z.  B.  setzt  die  Bauern 
nichts  mehr  in  Verwunderung  als  die  in  den  Briefen  und 
Telegrammen  Sr.  M.  des  Königs  an  L  M.  die  Königin  Augusta 
immer  wiederkehrenden  Worte:  ,unter  Gottes  Beistand', 
.welche  Wendung  durch  Gottes  Fügung'  usw.  Sie  staunen 
über  die  Frömmigkeit  Sr.  Majestät,  nachdem  ihnen  ihre 
Priester  gesagt  haben,  daß  die  Protestanten  nicht  an  Gott 
glauben  und  sie  von  uns  protestantisch  gemacht  werden 
würden."  Werthern  berichtet  am  9.  September,  Graf  Bray 
habe  am  8.  September,  am  Tage  vor  der  entscheidenden 
Ministerratssitzung,  eine  Unterredung  mit  einem  der  Führer 
der  nationalen  Partei,  Marquard  Barth,  gehabt  und  zu  ihm 
geäußert,  er  eigne  sich  sein  Programm  über  den  Eintritt 
Bayerns  in  den  Bund  an.  Derselbe  Werthern  telegraphierte 
am  IG.  September^)  an  das  Auswärtige  Amt  in  Berlin,  daß 
man  in  München  ,, unter  dem  Druck  der  öffentlichen 
Meinung,  die  sich  in  den  Versammlungen  der  letzten  Tage 
aussprach,"  am  9.  September  darangegangen  sei,  ein  Programm 

^)   Schüßler,  Die  Tagebücher  des  Freiherrn  v.  Dalwigk,   S.  450. 
2)   H.  A.  A. 
^)   Ebenda. 


74 

über  den  Anschluß  Bayerns  an  den  Norddeutschen  Bund  auszu- 
arbeiten. 

Das  wird  endlich  bestätigt  durch  die  Tatsachen  selbst. 


Zu  Anfang  des  Deutsch-französischen  Krieges  lebte  man 
in  banger  Sorge  um  den  Ausgang  des  Krieges,  um  das  Schicksal 
des  einzelnen  Waffenganges.  Mit  den  beispiellosen  Waffen- 
erfolgen wuchs  das  Selbstvertrauen,  wuchs  die  nationale  Be- 
geisterung und  mit  ihr  der  Gedanke  an  die  Zukunft,  erfaßte 
immer  weitere  Kreise  und  wurde  zu  einer  alles  überwältigenden, 
elementaren  Gewalt  seit  den  weltgeschichtlichen  Vorgängen 
von  Sedan:  das  Erlebnis  des  gemeinsamen  Krieges  hatte  den 
schlummernden  Riesen  des  deutschen  Nationalgefühls  wach- 
gerüttelt. ,,Das  deutsche  Volk,"  heißt  es  in  einer  Adresse 
der  Universitätsstadt  Göttingen  an  den  bayerischen  König, 
,,hat  in  diesen  Tagen  eine  Bluttaufe  empfangen  .  .  .  Ineinander 
geflossen  ist  das  Blut  der  Bayern  und  Preußen,  der  Sachsen 
und  Schwaben  und  hat  uns  alle  umgeschaffen  zu  neuen  Men- 
schen, die  vergessen  ihre  besonderen  Namen  und  nur  wissen, 
daß  sie  Deutsche  sind."^)  Daß  die  Bayern  gleich  zu  Anfang 
des  Krieges  an  zwei  siegreichen  Gefechten  beteiligt  waren 
und  dabei  nicht  unerhebliche  Verluste  erlitten,  nennt  der 
badische  Gesandte  nicht  ohne  Grund  ein  ,, wahres  Providenz- 
werk,  das  die  Teilnahme  außerordentlich  gesteigert  und  die 
Menge  mit  Stolz  erfüllt  habe".  ,,Mir  ist  wie  an  einem  Feier- 
tage," schrieb  eine  süddeutsche  Frau  an  ihren  Vater,  ,,als 
ob  meine  Seele  Flügel  hätte.  Alles,  wofür  wir  in  halben  Kinder- 
jahren geschwärmt,  das  nimmt  nun  jetzt  Form  und  Gestalt 
an."  Selbst  Treitschke  bekennt:  ,,Wer  die  jüngsten  Wochen 
im  deutschen  Süden  verlebte,  dem  ward  zumute,  als  ob  alle 
Menschen  besser  und  reiner  würden,  als  ob  das  Kleine  und 
Niedrige   abfiele   von   den    Geistern." 

Was  im  Jahre  1860  einer  der  Gründer  der  bayerischen 
Fortschrittspartei,  Karl  Brater,  vorausgesagt  hatte,  das  ging 
jetzt  in  Erfüllung:  der  französische  Krieg  wurde  der  wirk- 
samste Zauber  zur  Lösung  der  deutschen  Verfassungsnot. 
Die  Partei  Karl  Braters'^),  die  von  Anfang  an  den  deutschen 
Bundesstaat  und  das  deutsche  Nationalparlament  zum  Ziele 
hatte,  die  seit  dem  Jahre  1866  sich  innerlich  von  Österreich 

^)  Aus  dem  Kabinettsnachlaß  des  Königs,   M.  H.  A. 
2)  Zum  folgenden  vgl.   Erich   Frisch,   Die  Einigung  Deutschlands  im 
Lichte  d.  bayer.  Publizistik.    Diss.    Leipzig  1915. 


/D 

losgelöst  hatte,  das  Heil  Deutschlands  von  Preußen,  die 
Zukunft  Deutschlands  von  dem  Kristallisationskerne  des  Nord- 
deutschen Bundes  erhoffte,  nicht  mehr  durch  die  Freiheit 
zur  Einheit,  sondern  durch  die  Einheit  zur  Freiheit  schreiten 
wollte,  und  ihre  publizistischen  Organe,  voran  das  vorzüglich 
redigierte  ,, Wochenblatt  der  Fortschrittspartei"  und  die  da- 
mals in  Bayern  gelesensten  Blätter,  die  ,, Augsburger  Abend- 
zeitung" und  die  ,, Münchener  Neuesten  Nachrichten",  forderten 
mit  der  ganzen  politischen  Leidenschaft  und  Aktivität,  die 
dieser  Bewegungspartei  eigen  war:  Beseitigung  der  Mainlinie, 
Eintritt  der  Südstaaten  in  den  Nordbund,  Schaffung  eines 
einheitlichen  Bundesstaates  unter  preußischer  Führung.  ,,Es 
gibt  in  diesem  Augenblicke  für  Bayern  keinen  konservativeren 
Schritt  als  den  Eintritt  in  den  Norddeutschen  Bund,  der  sich 
dadurch  naturgemäß  zum  Deutschen  Bunde  erweitern  würde. . . 
Es  gibt  aber  auch  für  Bayern  keinen  günstigeren  Augenblick 
als  den  gegenwärtigen,  wo  man  in  Berlin  angesichts  der  ge- 
meinsam errungenen  herrlichen  Siege  sicher  bereit  ist,  Bayern 
jene  Zugeständnisse  zu  machen,  die  seine  Stellung,  seine 
nationalen,  namentlich  aber  seine  finanziellen  Eigentümlich- 
keiten zu  fordern  scheinen,  insoferne  sie  nur  nicht  in  Wider- 
spruch stehen  mit  dem  Heile  Gesamtdeutschlands."  ,, Großes 
hat  Bayern  und  sein  König  in  diesen  Tagen  .  .  .  für  Deutsch- 
lands Größe  und  Macht  getan,  Größeres  vermag  sein  König 
noch  zu  leisten.  An  Süddeutschland,  an  Bayern  vor  allem 
ist  es,  die  alte  Herrlichkeit  des  Deutschen  Reiches  zurückzu- 
fordern, jene  Einheit  zu  begründen,  in  welcher  die  Verschieden- 
artigkeit der  einzelnen  Stämme  weiten  Raum  und  Sicherheit 
zur  Entfaltung,  die  berechtigte  Selbständigkeit  der  einzelnen 
Fürsten  .  .  .  festen  Schutz  findet.  Möge  Bayerns  König  das 
entscheidende  Wort  sprechen,  das  Wort,  das  den  Geist  des 
Kaisers  Friedrich  Barbarossa  im  Kyffhäuser  weckt  und  dem 
Deutschen  Reiche  gibt  die  alte  Kraft  und  Herrlichkeit!" 

Selbst  gemäßigtliberale  Blätter  wie  die  ,,Neue  Würz- 
burger Zeitung"  empfehlen  den  Eintritt  Bayerns  in  den  Nord- 
bund, Umwandlung  des  Zollparlamentes  in  ein  deutsches 
Vollparlament,  Übertragung  des  erblichen  Kaisertums  an 
den  Oberfeldherrn  des  Norddeutschen  Bundes.  Sie  bezeichnen 
die  Erweiterung  des  Nordbundes  zum  allgemeinen  Deutschen 
Bunde  für  Bayern  geradezu  als  eine  ,, hochkonservative  Maß- 
regel"; denn  ein  vereinzeltes  Bayern  könne  wohl  eine  Gefahr 
für  Deutschland,  sicher  aber  nicht  ein  lebensfähiges  und  ge- 
sichertes Glied  der  europäischen  Staatenfamilie  sein,  während 


76 

Bayern  im  Anschluß  an  das  übrige  Deutschland  berufen  sei, 
eine  ehrenvolle  und  einflußreiche  Stelle  in  Deutschland  einzu- 
nehmen. 

Auch  innerhalb  der  patriotischen  Partei  gab  es  jetzt  eine 
gemäßigte  Gruppe,  die,  wenn  auch  nicht  den  Eintritt  in  den 
Norddeutschen  Bund,  so  doch  wenigstens  ein  Verfassungs- 
bündnis mit  ihm  befürwortete,  sei  es  durch  Umwandlung  des 
Norddeutschen  Bundes  in  einen  allgemeinen  deutschen  auf 
loserer  Grundlage,  sei  es  in  der  Form  eines  weiteren  Bundes. 
Die  allgemeine  Logik  der  Tatsachen  verwischte,  um  mit  den 
Worten  der  Augsburger  Postzeitung  zu  sprechen,  manche 
Unterschiede  zwischen  den  Programmen  der  patriotischen 
und  der  Fortschrittspartei  und  wies  auch  die  patriotische 
Partei  auf  den  Weg  ,, durch  Einheit  zur  Freiheit".  ,, Manches," 
so  führte  sie  am  7.  September  aus,  ,,was  vor  dem  Kriege 
halt-  oder  erreichbar  war,  ist  es  heute  nicht  mehr;"  ,,welt- 
crschütternde  Tatsachen  bleiben  nie  ohne  tiefgehende  Konse- 
quenzen." Selbst  das  rechtsradikale  ,, Bayerische  Vaterland" 
erkennt,  wenn  auch  resigniert,  schon  am  8.  September  die 
Zwangsläufigkeit  der  deutschen  Verfassungsbewegung  an: 
,,Die  vollendeten  Tatsachen  der  Siege  in  Frankreich  haben 
die  Stellung  und  Programme  der  Parteien  vollständig  geändert. 
Es  gibt  keine  Partei  mehr  in  dem  Sinne  wie  vor  dem  Kriege." 
,,Die  Zukunft  Bayerns  und  Deutschlands  ist  nach  unserem 
Dafürhalten  mit  der  Niederwerfung  und  Demütigung  Frank- 
reichs entschieden.  Nichts  steht  der  Einigung  Deutschlands 
mehr  im  Wege,  faktisch  ist  es  bereits  geeinigt."  Nicht  bloß 
die  ,, Augsburger  Postzeitung",  auch  das  ,, Vaterland"  und  die 
,, Donauzeitung"  betrachten  einen  Deutschen  Bund  mit  Parla- 
ment als  etwas  Selbstverständliches  oder  als  etwas  Unab- 
wendbares, Unentrinnbares. 

Die  nationale  Erregung  äußerte  sich  auch  in  wachsender 
Erörterung  der  Kriegsziele  auf  Versammlungen  und  in  Adressen. 
Schon  hatten  in  einem  Aufruf  an  das  deutsche  Volk  Berliner 
Notabein  aller  Parteien  zu  einer  Adresse  an  den  siegreichen 
Oberfeldherrn  des  deutschen  Heeres  aufgefordert:  ,,Die  Welt 
muß  erfahren,  daß  Herrscher  und  Volk  entschlossen  sind 
nachzuholen,  was  1815  uns  vorenthalten  worden  ist,  —  ein 
freies,  einiges  Reich  und  geschützte  Grenzen."  Am  i.  Sep- 
tember, unmittelbar  unter  dem  Eindruck  der  Katastrophe 
von  Sedan,  erklärten  auch  hervorragende  Männer  Münchens 
ihre  volle  Zustimmung  zu  der  Berliner  Kundgebung  und 
sprachen  in  einem  Telegramm  an  ihren  Landesherrn  das  un- 


77 

erschütterliche  Vertrauen  aus,  daß  er  im  Verein  mit  den  ver- 
bündeten Fürsten  dem  deutschen  Volke  durch  die  Wieder- 
erwerbung der  deutschen  Lande  Elsaß  und  Lothringen  einen 
dauernden  Frieden  sichern,  jeden  Versuch  einer  fremden  Ein- 
mischung in  die  Friedensverhandlungen  energisch  zurück- 
weisen und  der  deutschen  Nation  zu  einer  gemeinsamen,  ihrer 
Stellung  würdigen  Gesamtvertretung  verhelfen  werde,  deren 
Bedürfnis  die  deutschen  Fürsten  und  das  deutsche  Volk 
längst  anerkannt  hätten.  Unterschrieben  war  das  Telegramm 
von  den  beiden  Bürgermeistern  und  dem  Vorstande  des  Ge- 
meindekollegiums sowie  von  den  Vertretern  zahlreicher  Anstalten 
und  Vereine.  Am  3.  September  billigten  der  Magistrat  sowohl 
als  das  Gemeindekollegium  in  feierlichen  Sitzungen  die  Er- 
klärungen ihrer  Vorstände. 

In  Rücksicht  auf  die  Empfindsamkeit  des  Königs  legten  sich 
die  Führer  der  bayerischen  Bewegungspartei  noch  eine  gewisse 
Zurückhaltung  auf.  Agitatoren  wie  August  Vecchioni  und 
Julius  Knorr  schritten  in  der  Veranstaltung  von  Demon- 
strationen, Umzügen  und  Versammlungen  weiter,  als  es  der 
offiziellen  Parteileitung  erwünscht  war.  Unter  ihrer  Einwirkung 
gingen  in  den  nächsten  Wochen  die  Münchener  Gemeinde- 
kollegien noch  energischer  auf  der  am  i.  und  3.  September 
beschrittenen  Bahn  vor.  Jetzt  mehrten  sich  auch  die  Zu- 
stimmungen aus  allen  Landesteilen  Bayerns.  Der  König 
selbst  schrieb  an  seine  Minister:  ,,Aus  Anlaß  der  beiden  bei 
Sedan  von  der  deutschen  Armee  erkämpften  Siege  seien  ihm 
aus  allen  Teilen  des  Landes  telegraphische  Adressen  zuge- 
kommen", und  übersandte  sie  ,,zur  Einsicht  und  Zuständig- 
keitserklärung" an  das  Gesamtministerium.  Bald  hatten  diese 
Adressen  die  Zahl  1000  erreicht.  Der  größte  Teil  stammte 
aus  Oberbayern,  aus  Schwaben,  Franken  und  der  Pfalz,  der 
geringste  aus  Niederbayern.  Die  meisten  forderten  den  Ein- 
tritt in  den  Norddeutschen  Bund,  wenn  auch  mit  gewissen 
Einschränkungen. 

Dem  Könige  gingen  zahlreiche  Zuschriften  auch  von 
einzelnen  Personen  Deutschlands  und  Bayerns,  aus  den  Kreisen 
der  Gebildeten  wie  des  Volkes  zu.^)  Besonders  charakteristisch 
sind  die  zugleich  anfeuernden  und  zugleich  drohenden  Worte 
eines  „Sachsen",  aus  Leipzig:  ,, Zerschmettert  durch  die  ge- 
einte Kraft  unseres  Volkes  liegt  der  hochmütigste  und  ge- 
fürchtetste  Erbfeind  am  Boden  und  sieht  sich  in  seiner  eigenen 

^)  Sie  befinden  sich  im  Kabinettsnachlasse  des  Königs  im  Münchener 
Hausarchiv. 


78 

Schande.  Frei  können  wir  unsere  eigenen  noch  immer  sehr 
unbefriedigten  nationalen  Angelegenheiten  ordnen.  Ihnen  als 
zweitmächtigstem  deutschen  Fürsten  ist  es  vergönnt,  den 
Schlußstein  in  das  nationale  Gebäude  zu  fügen,  welches 
König  Wilhelm  begründet  hat."  Wie  der  Verfasser  das  be- 
gründet, wird  kaum  die  Zustimmung  des  Königs  gefunden 
haben:  ,, Selbst  dem  Blindesten  muß  es  einleuchten,  daß  die 
unendliche  politische  Schmach  und  Schande,  welche  seit 
300  Jahren  über  Deutschland  hereinbrach,  nur  durch  die 
Verblendung  und  Uneinigkeit  seiner  Fürsten  und  Völker 
herbeigeführt  worden  war.  Auch  jetzt  ist  diejenige  Einheit, 
welche  uns  zur  äußeren  Sicherheit  notwendig  ist,  noch  nicht 
in  erforderlicher  Stärke  vorhanden;  denn  sie  beruht  noch 
zum  Teil  auf  sogenanntem  guten  Willen.  Ja,  Majestät,  täuschen 
wir  uns  nicht,  hätten  Sie  nicht  zufällig  selbst  ein  Herz  und  Ver- 
ständnis für  Deutschlands  Größe  gehabt,  so  war  auch  diesmal 
wieder  möglich,  daß  Bayern  und  Süddeutschland  überhaupt 
zum  mindesten  neutral  blieben  und  damit  entweder  abermalige 
Schmach  oder  gänzliches  Aufhören  der  Einzelstaaten  gefolgt 
wären.  Es  muß  Ew.  Majestät  eigener  Wunsch  für  die  Sicher- 
heit Deutschlands  und  Ihres  eigenen  Landes  sein,  daß  nicht 
mehr  oder  weniger  freier  Wille,  sondern  ein  durch  die  deutsche 
Verfassung  auszuübender  Zwang  alle  deutschen  Länder  und 
Fürsten  einig  finde.  Majestät,  nur  das  Wiederaufleben  des 
Deutschen  Reiches  auf  moderner  Grundlage  ist  es,  welches  uns 
mit  nationaler  Sicherheit  nationale  Befriedigung  geben  kann. 
Der  König  von  Preußen,  weil  ihn  einmal  die  Vorsehung  zu 
unserem  Führer  bestimmt  hat,  darf  nicht  nur  die  Macht  eines 
Kaisers  haben,  wie  es  bereits  der  Fall  ist,  er  muß  auch  den 
Namen  bekommen,  es  muß  die  äußere  Form  geschaffen  werden, 
welche  zugleich  das  Gemüt  der  Nation  befriedigt.  Mit  weit 
größerer  Freudigkeit  würden  Fürsten  und  Volk  sich  dem  Kaiser 
von  Deutschland  als  jetzt  dem  Könige  von  Preußen  unterordnen, 
und  es  würde  dann  manches  Bittere  genommen  werden,  es 
würde  im  letzteren  Falle  unabwendbar  eine  Verpreußung 
Deutschlands  eintreten,  während  in  ersterem  eine  Verdeut- 
schung Preußens  eintreten  muß.  Majestät,  wie  günstig  liegen 
jetzt  die  Verhältnisse  hiezu!  Ihnen,  eben  erst  in  das  Mannes- 
alter eingetreten,  kann  es  kaum  eine  persönliche  Überwindung 
kosten,  den  greisen  König  Wilhelm,  welcher  Ihr  Großvater 
sein  könnte,  als  Kaiser  anzuerkennen,  selbst  seine  Erwählung 
hiezu,  wie  Sie  es  der  Sachlage  nach  allein  vermögen,  zu  be- 
antragen   und    dafür   den   unsterblichen    Ruhm   eines   groß- 


79 

herzigen  Menschen  und  Fürsten  zu  ernten."  Der  Sachse  sucht 
den  bayerischen  König  zu  beruhigen  über  die  Gefahr  eines 
Cäsarismus.  Aber  die  Mittel,  die  er  gegen  diese  Gefahr  vor- 
schlägt, werden  noch  weniger  den  Beifall  des  Königs  gefunden 
haben:  ,, Hiergegen  kann  in  der  zukünftigen  deutschen  Ver- 
fassung gründlich  gesorgt  werden,  und  es  ist  hiefür  der  Reichs- 
tag der  natürlichste  Bundesgenosse  der  deutschen  Fürsten, 
welche  neben  ihm  ein  Herrenhaus  bilden  müßten  nach  Art 
der  enghschen  Verfassung  ...  In  die  Hand  der  aus  Reichs- 
tag und  Fürstenhaus  bestehenden  Vertretung  müßte  —  was 
zur  Bedingung  des  Eintritts  von  Süddeutschland  gemacht 
werden  könnte  —  eine  ähnliche,  womöglich  noch  größere 
Macht  gelegt  werden,  als  sie  die  einzelnen  Landesvertretungen 
gegenüber  den  Regierungen  besitzen.  Vor  allem  müßte  das 
Heer  auf  die  deutsche  Verfassung  vereidigt  werden.  Majestät, 
man  hält  Sie  vielfach  für  einen  Idealisten;  möchten  Sie  der 
Welt  zeigen,  daß  Sie  es  im  edelsten  Sinne  des  Wortes  sind, 
möchten  Sie  in  selbstloser  Weise  dem  Sehnen  des  Volkes 
entgegenkommen,  die  Wiederherstellung  von  Kaiser  und 
Reich,  die  Erfüllung  der  Jugendträume  der  Edelsten  unseres 
Volkes  zum  Heile  des  Vaterlandes  und  der  Einzelstaaten 
vorbereiten!  Wahrlich,  der  Name  eines  deutschen  Herzogs 
als  mitwirkenden  Gliedes  des  jetzt  mächtigsten  Reiches  von 
Europa  ist  sicherlich  nicht  geringer  als  der  Titel  eines  Königs, 
der  zur  Zeit  der  tiefsten  Erniedrigung  und  Schmach  unseres 
Vaterlandes  von  dem  fluchwürdigen  Napoleon  geschaffen 
wurde."  Und  diese  Worte  kamen,  wie  der  Verfasser  selbst 
schreibt,  nicht  aus  dem  Munde  eines  jugendhchen  Schwärmers, 
sondern  eines  gereiften  Mannes! 

Ein  gutes  Stimmungsbild  von  Bayern  in  diesen  Tagen  der 
nationalen  Erregung  gibt  eine  Korrespondenz  aus  München 
vom  13.  September  in  der  Berliner  Nationalzeitung:  ,,Es  hat 
sich  schon  jetzt  ziemlich  tiefgehende  Verstimmung  im  Gesamt- 
publikum eingeschhchen,  deren  Spitze  nicht  gegen  das  Mini- 
sterium allein  gerichtet  ist.  Zu  bedauern  ist,  daß  sich  der  König 
ähnlich  wie  im  Jahre  1866  so  auch  neuerlichst  wieder  von  seiner 
Residenz  entfernt  hält  und  wieder  die  Einsamkeit  am  Starn- 
berger  See  sucht,  wohin  auch  die  Volkswünsche  schwer  zu 
dringen  vermögen.  Der  Hauptpunkt  der  gegenseitigen  Ver- 
stimmung übrigens  ist,  es  besteht  darüber  kein  Zweifel,  die 
deutsche  Frage  ganz  allein.  Dies  hat  schon  vor  mehreren  Tagen 
unverhohlen  offenen  Ausdruck  gefunden:  nicht  nur  wurde  sie 
nachdrücklichst  betont  in  mehreren  liberalen  Bezirksvereins- 


80 

Versammlungen  und  mit  scharfen  Worten  es  gerügt,  daß  das 
Ministerium  nicht  bereits  den  König  zur  sofortigen  Initiative 
veranlaßt  habe,  sondern  es  wurden  diese  Vorgänge  auch  in 
dem  in  Altbayern  gelesensten  Blatte  (den  ,, Münchener  Neuesten 
Nachrichten")  schon  vor  ein  paar  Tagen  unumwunden  be- 
richtet. Daneben  fährt  insbesondere  die  Augsburger  Abend- 
zeitung, das  Hauptorgan  der  bayerischen  Nationalliberalen 
und  zugleich  das  in  ganz  Bayern  gelesenste  Blatt,  fort,  in  einer 
Reihe  von  Artikeln  auf  den  sofortigen  Beitritt  Bayerns  zum 
Norddeutschen  Bund  energisch  zu  dringen.  Die  besonders 
in  der  Augsburger  Allgemeinen  Zeitung  veröffentlichten 
offiziösen  Gegenartikel,  welche,  um  Zeit  und  dann  die  sichere 
Rettung  des  Status  quo  zu  gewinnen,  ein  vorläufiges  Beschwich- 
tigen ausgesprochenermaßen  bezwecken,  verfehlen  nicht  nur 
diesen  Zweck,  sondern  gießen  geradezu  Öl  ins  Feuer.  Noch  mehr 
verletzt  es,  wenn  ein  anderer  Offiziosus  heutzutage  noch  mit 
allgemeinen  Phrasen  daherkommt,  wie  z.  B.  mit  folgender: 
Was  den  Eintritt  in  den  Norddeutschen  Bund  betrifft,  so 
darf  daran  erinnert  werden,  daß  die  Bestrebungen  darauf  ge- 
richtet sein  müßten,  einen  Deutschen  Bund  an  die  Stelle  des 
Nordbundes  zu  setzen,  und  daß  in  dem  hoffentlich  nicht  fernen 
Augenblick,  wo  dieses  ersehnte  Ziel  erreicht  ist,  der  dermahge 
Norddeutsche  Bund  aufhören  wird  zu  sein."  Das  Stimmungs- 
bild der  Berliner  Nationalzeitung  deckt  sich  mit  den  Be- 
obachtungen, die  Bennigsen  und  Lasker  während  ihres  Mün- 
chener Aufenthaltes  machten,  i) 

Auch  fühlt  man  sich  eines  Bundesgenossen  in  der  natio- 
nalen Propaganda  sicher,  der  bayerischen  Armee.  ,,Der  heim- 
kehrende Krieger,"  schrieb  das  ,, Wochenblatt  der  Fortschritts- 
partei", ,,der  mit  seinen  preußischen  und  sächsischen  Kame- 
raden die  Todesgefahr  und  die  Siegesfreude  geteilt,  wird  nicht 
ruhiger  Zuhörer  bleiben,  wenn  man  sich  wiederum  unterstehen 
sollte,  das  Lügenwerk  von  ehemals  zu  beginnen.  Schon  jetzt 
üben  die  einzelnen  heimkehrenden  Verwundeten  einen  sehr 
bemerklichen  Einfluß  auf  die  Stimmung  namentlich  in  den 
Landbezirken  aus,  und  die  Feldpost  wird  wenige  Briefe  in 
unsere  bayerischen  Gaue  bringen,  welche  nicht  Worte  der 
Anerkennung  für  die  norddeutschen  Bundesgenossen  ent- 
halten." Damit  stimmt  fast  wörtlich  überein,  was  der  gewiß 
nicht  bayernfreundliche  badische  Gesandte  Robert  v.  Mohl  an 
seine  Regierung  berichtete:  ,,Bei  den  bayerischen  Truppen  ist, 


1)  H.  Oncken,  Rudolf  v.  Bennigsen  II,   S.  i8off. 


81 

wie  sich  namentlich  aus  den  Äußerungen  der  Verwundeten 
oder  sonst  zurückgekehrten  Krieger  erkennen  läßt,  eine  gänz- 
liche Umwandlung  gegen  die  Preußen  eingetreten.  Dieselben 
sind  des  höchsten  Lobes  voll  über  die  Preußen,  und  zwar 
nicht  etwa  bloß  über  deren  militärische  Eigenschaften  und 
Leistungen,  sondern  über  ihre  freundschaftliche  Kamerad- 
schaft, ihre  Aushilfe,  wenn  sie  durch  ihre  bessere  Verpflegung 
früher  oder  reichlicher  versehen  sind  als  die  Bayern  durch  ihr 
unfähiges  Kommissariat.  Man  hört  in  diesen  Beziehungen 
die  ergötzlichst-naiven  Anekdoten,  und  ich  selbst  habe  einen 
Bauern  erzählen  hören,  sein  Sohn  habe  ihm  geschrieben: 
wenn  sie  nach  Hause  kommen,  so  werden  sie  die  Pfaffen  von 
der  Kanzel  prügeln,  welche  sie  greulich  angelogen  haben. 
Es  sei  gar  nicht  wahr,  daß  die  Preußen  alle  lutherisch  seien; 
sehr  viele  seien  Katholiken  und  er  selbst  habe  Feldpriester 
bei  ihnen  gesehen,  "i) 

Diese  nationale  Bewegung  des  deutschen  Volkes,  dieser 
Drang  der  öffentlichen  Meinung,  dieser  Druck  der  deutsch- 
nationalen Bewegungspartei  hat  schließlich  auch  auf  die 
zögernden  Regierungen  und  Staatsmänner  ihre  Wirkung  aus- 
geübt. ,,Die  bedeutendsten  Mitglieder  der  Regierung,"  so 
schrieb  Lasker  am  24.  September  an  Delbrück  über  die  Ein- 
drücke, die  er  und  Bennigsen  während  ihrer  Anwesenheit 
in  München  von  der  Haltung  der  bayerischen  Staatsminister 
gewonnen  hatten,  ,,die  bedeutendsten  Mitglieder  der  Regierung 
haben  wir  überzeugt  gefunden,  daß  der  jetzige  Augenblick 
dem  Interesse  Bayerns  sehr  diene,  wenn  es  jetzt  den  Bund 
abschließt.  Keine  spätere  Zeit  werde  in  gleicher  Weise  den 
föderativen  Charakter  des  Bundes  zu  wahren  tauglich  sein; 
versäume  Bayern  die  Gelegenheit,  so  sei  der  Einheitsstaat  im 
Laufe  der  Zeit  nahezu  unabwendbar."^)  Es  findet  sich  in  den 
Akten  auch  nicht  der  geringste  Anhaltspunkt  dafür,  daß  sich 
Graf  Bray  nach  dem  Siege  von  Sedan  mit  der  Absicht  getragen 
hätte,  die  bayerischen  Truppen  aus  Frankreich  zurückzu- 
ziehen, weil  für  Deutschland  keine  Gefahr  mehr  bestehe  und 
man  nicht  verpflichtet  sei  an  einem  Angriffskrieg  teilzu- 
nehmen. Der  wirklich  vorhandene  Arbeitsnachlaß  aus  der 
Zeit  der  Reichsgründung,  der  Umstand,  daß  gerade  damals 
die  Siegesstimmung  auch  in  Bayern  ihren  Höhepunkt  erreichte, 
daß  eben  damals  unter  dem  Eindruck  dieser  nationalen  Stim- 
mung   auch    die    bayerische    Regierung    ihre    entscheidende 

^)   Bericht  Mohls  vom  27.  August,   K.  St.  A. 
2)   H.  Oncken  a.  a.  O. 
Doeberl,  Bayern  und  die  BismaLTckische  Reichsgründung.  6 


82 

Wendung  in  der  deutschen  Verfassungsfrage  vollzog,  lassen 
keinen  Raum  für  ein  solches  Abenteuer  des  Ministers. 

Die  bayerische  Regierung  stand  vor  dem  unvermeidlichen 
Konflikte  zwischen  einem  natürlichen  Selbsterhaltungstrieb 
und  dem  elementaren  Bedürfnis  einer  nationalen  Gemein- 
schaft, vor  der  Wiederkehr  des  Jahres  1848,  vor  einer  ver- 
stärkten Wiederkehr  dieses  Jahres.  Und  dieses  Jahr  hatte 
gelehrt,  daß  Parteien,  daß  Volksbewegungen  rücksichtsloser  und 
gewalttätiger  sind  als  Regierungen  und  Dynastien. 

Gegenüber  diesen  populären  Kräften  sucht  die  bayerische 
Regierung  Deckung  bei  dem,  der  vielen  noch  vor  kurzem 
als  der  gefürchtetste  Gegner  der  bayerischen  Selbständigkeit 
gegolten  hatte,  bei  Bismarck. 

Bismarck  weist  den  Gedanken  einer  Vergewaltigung  des 
„herrlichen  Verbündeten",  den  Verdacht  einer  Ausnutzung 
seiner  Notlage  weit  von  sich,  vermeidet  nach  außen  geflissent- 
lich eine  Gemeinschaft  mit  der  nationalen  Agitation,  läßt 
durch  eine  ,, Berliner  Korrespondenz"  in  der  ,, Augsburger 
Allgemeinen  Zeitung"  ausdrücklich  erklären :  ,,Es  hieße  die  Lage 
der  europäischen  Verhältnisse  und  die  Interessen  Preußens  und 
Deutschlands  gänzlich  verkennen,  die  Undankbarkeit  gegen 
die  in  treuer  Waffenbrüderschaft  zu  uns  gestandenen  süd- 
deutschen Staaten  auf  die  Spitze  treiben  und  die  Regierung 
des  Königs  von  Preußen  zu  einem  schnöden  Wortbruch  an- 
reizen, wenn  man  ihr  zumutet  und  empfiehlt,  daß  sie  die  süd- 
deutschen Staaten  zwinge  in  den  Norddeutschen  Bund,  wie 
er  jetzt  geordnet  ist,  einzutreten  und  damit  eine  Selbständig- 
keit aufzugeben,  deren  Wert  für  die  gemeinsamen  Interessen 
Deutschlands  gerade  in  dem  jetzigen  Kriege  sich  so  glänzend 
bewährt   hat." 

Bismarck  ist  in  der  nationalen  idealistischen  Bewegung 
nicht  aufgegangen,  er  hat  vielmehr  auch  sie  in  seinen  und  seines 
realpolitischen  Staatsgedankens  Dienst  gestellt.  Er  verspricht 
in  einem  feinberechneten  Doppelspiel  einerseits  Deckung  gegen 
die  nationalen  Kräfte,  benutzt  aber  anderseits  dieselben  Kräfte, 
denen  er  bisher  Schweigen  auferlegt  hatte,  als  Ansporn,  als 
,, leichte  Kavallerie",  wie  ein  Zeitgenosse  sich  ausdrückt, 
um  Bayern  zu  freiwilliger  Initiative  auf  dem  Wege  zum  klein- 
deutschen Nationalstaate  zu  bestimmen.  Immer  wieder  be- 
richtet der  bayerische  Berichterstatter  Graf  Maximilian 
V.  Berchem  aus  dem  preußischen  Hauptquartier,  der  bayerische 
Gesandte  Freiherr  v.  Perglas  aus  der  preußischen  Hauptstadt 
von  den  Anschlägen  der  nationalen  Partei  gegen  die  Souveräni- 


83 

tat  der  Südstaaten,  von  den  Versicherungen  des  Grafen 
Bismarck,  Bayern  zu  keinem  Opfer  in  nationaler  Beziehung 
zu  drängen,  aber  auch  von  seiner  Geneigtheit,  in  Verhand- 
lungen hierüber  mit  Bayern  einzutreten.  Schon  am  23.  August 
hatte  Graf  Berchem  die  bereits  früher  erwähnte  Äußerung 
Bismarcks  überschrieben:  Preußen  und  der  Norddeutsche 
Bund  würden  bereitwilligst  diejenigen  Vorschläge  akzeptieren, 
welche  S.  M.  der  König  von  Bayern  nach  Allerhöchst  Seiner 
Bequemlichkeit  im  Interesse  einer  engeren  nationalen  Einigung 
zu  machen  sich  etwa  veranlaßt  sehen  würde.  Bismarck  hatte 
nach  demselben  Bericht  aber  auch  hinzugefügt:  Preußen  und 
der  Norddeutsche  Bund  verzichteten  darauf,  auf  diese  Ent- 
schlüsse irgendwelche  Pression  zu  üben,  indem  ein  für  Nord- 
deutschland günstig  gesinntes  Bayern  der  nationalen  Sache 
mehr  nütze  als  ein  widerwillig  in  nähere  Beziehung  gebrachtes 
Land.^)  Daß  auch  diese  bald  drohenden,  bald  beruhigenden, 
bald  anspornenden  Meldungen  aus  dem  preußischen  Haupt- 
quartier und  der  preußischen  Hauptstadt  zu  den  treibenden 
Motiven  der  deutschen  Politik  Bayerns  zählten,  wird  wiederum 
durch  die  bayerischen  Minister  ausdrücklich  bestätigt. 

Mit  der  schöpferischen  Kraft  des  Krieges  und  dem  Idealis- 
mus der  bis  auf  das  Jahr  1848  zurückgehenden  völkischen 
Bewegung  verbindet  sich  die  schöpferische  Kraft  der  staats- 
männischen,   realpolitischen  Persönlichkeit. 

Aus  dieser  Wurzel,  unter  dem  Einfluß  einerseits  der  seit 
den  Tagen  von  Sedan  wachsenden  nationalen  Bewegung, 
anderseits  der  bald  beruhigenden,  bald  anregenden  Einwirkung 
des  preußischen  Staatsmannes,  reift  in  einem  längeren  Ent- 
wicklungsprozesse der  Entschluß  der  bayerischen  Regierung, 
gegenüber  weitergehenden  unitaristischen  Bestrebungen  der 
nationalen  Partei  Sicherung  zu  suchen  in  einem  Verfassungs- 
bündnisse mit  dem  Norddeutschen  Bunde.  Die  kluge,  maßvolle 
Politik  Bismarcks  hatte  bereits  bewirkt,  daß  die  Ratgeber  der 
bayerischen  Krone  von  der  preußischen  Regierung  für  das  födera- 
tive Prinzip  weniger  fürchteten  als  von  der  liberalen  Partei. 

* 

Aus  solchen  Erwägungen  heraus  stellte  Graf  Bray  den 
Antrag  vom  12.  September.  Es  ist  interessant  der  Begründung 
des  Antrags  zu  folgen:  Der  im  Jahre  1866  geschaffene  Zustand 
sei  ein  provisorischer,  eine  Folge  einerseits  der  preußischen 
Siege,    anderseits   des    Widerwillens    Frankreichs    und   Öster- 

^)  M.  St.  A.     Berichte  Berchems, 

6* 


84 

reichs  gegen  die  Ausdehnung  der  preußischen  Machtsphäre 
über  Süddeutschland.  Dieses  letztere  Hindernis  gegen  eine 
Einigung  des  außerösterreichischen  Deutschlands  sei  infolge 
der  Ereignisse  der  jüngsten  Zeit  hinweggefallen.  Ein  ein- 
facher Eintritt  Bayerns  in  den  Norddeutschen  Bund  müsse  auch 
jetzt  noch  abgelehnt  werden,  da  es  mehr  als  auffallend  wäre, 
wenn  der  Lohn  Bayerns  für  seine  Vertragstreue,  für  seine  wert- 
volle moralische  und  materielle  Hilfe  in  nichts  anderem  be- 
stünde als  in  dem  Beitritt  zu  einem  von  ihm  früher  zurück- 
gewiesenen Bunde.  Aber  nicht  so  richtig  wäre  es,  ein  Ver- 
fassungsbündnis überhaupt  abzulehnen:  Bayerns  tausend- 
jährige Geschichte  weise  stets  auf  eine  Verbindung  mit  Deutsch- 
land hin,  das  europäische  Staatensystem  habe  für  isolierte 
kleinere  Staaten  keinen  Raum,  namentlich  wenn  diese  im 
Widerspruch  mit  dem  mächtig  wirkenden  Nationalitäts- 
prinzip stünden.  Die  öffentliche  Meinung  fordere  eine 
bessere  Einigung  Deutschlands  und  dieser  Stimme 
müsse  in  billigem  Maß  entsprochen  werden.  Das 
Interesse  der  Krone  erlaube  keine  weitere  Verzögerung  der 
Verhandlungen;  im  jetzigen  Augenblicke,  da  das  Gefühl  der 
großen,  von  Bayern,  seinem  König  und  seinem  Heere  der 
nationalen  Sache  geleisteten  Dienste  das  öffentliche  Bewußt- 
sein beherrsche,  seien  die  günstigsten  Bedingungen  für  den 
Eintritt  zu  erhalten. 

Als  unerläßliche  Zugeständnisse  an  Gesamtdeutschland 
bezeichnet  der  Antrag:  eine  im  Kriege  als  einheitliches  Ganzes 
sich  darstellende  und  wirkende  deutsche  Heeresmacht  und 
—  was  Bayern  so  oft  abgelehnt  hatte  —  eine  allgemeine 
deutsche  Volksvertretung.  Als  zu  reservierende  Krön-  und 
Landesrechte:  i.  Das  Recht  der  Vertretung  nach  außen  mit 
Einschluß  der  Befugnis,  Verträge  zu  schließen,  soweit  solche 
dem  Zweck  und  den  Interessen  des  Bundes  nicht  wider- 
sprechen; 2.  die  Militärhoheit  im  Frieden  über  die  einen  ge- 
schlossenen Körper  bildende  Armee;  3.  eigene  Gesetzgebung, 
Verwaltung  und  Finanzen,  soweit  solche  nicht  durch  besondere 
Bestimmungen  des  Bundesvertrages  der  Kompetenz  des  Bundes 
unterliegen ;  4.  selbständige  Leitung  des  Post-,  Eisenbahn-  und 
Telegraphen  Wesens . 

Noch  wichtiger  war  die  Frage  nach  der  Art  der  verfassungs- 
mäßigen Verbindung,  in  die  Bayern  mit  dem  Norddeutschen 
Bunde  treten  könnte  oder  sollte.  Am  liebsten  wäre  der  baye- 
rischen Regierung,  wenn  Preußen  den  seit  vier  Jahren  be- 
stehenden straffen  Norddeutschen  Bund  fallen  ließe  und  durch 


85 

einen  neuen,  allgemeinen  Deutschen  Bund  auf  veränderter, 
loserer  Grundlage  ersetzte.  Aber  selbst  in  diesem  Falle  wollte 
die  bayerische  Regierung  ihren  Anschluß  nicht  vollziehen 
ohne  eine  Sonder-  oder  Ausnahmestellung,  deren  Maß  abhängig 
gemacht  würde  von  dem  Verfassungsinhalte  des  neuen,  all- 
gemeinen Deutschen  Bundes.  Das  war  der  eine  Fall  der  baye- 
rischen Alternative. 

Läßt  aber  Preußen  den  Norddeutschen  Bund  fortbe- 
stehen und  bildet  ihn  etwa  gar  im  Sinne  des  Einheitsstaates 
weiter,  so  wäre  der  Eintritt  in  ihn  jetzt  ebenso  abzu- 
lehnen wie  vor  dem  Kriege.  Wohl  aber  müßte  auch  dann 
an  die  Stelle  des  bisherigen  völkerrechtlichen  Bandes,  mit 
anderen  Worten  des  internationalen  Schutz-  und  Trutz- 
bündnisses, eine  staatsrechtliche  und  organische  Verbindung, 
und  zwar  jetzt  ein  weiterer  verfassungsmäßiger  Bund  Süd- 
deutschlands mit  dem  Norddeutschen  Bunde  treten,  natürlich 
wiederum  unter  Sicherung  all  der  Rechte,  die  sich  Bayern 
vorbehalten  will.  Das  war  der  andere  Fall  der  bayerischen 
Alternative.  Ein  solches  Verfassungsbündnis  konnte  nach 
bayerischer  Auffassung  um  so  leichter  hergestellt  werden, 
,,da  das  früher  in  der  französischen  Auffassung  des  Prager 
Vertrages  liegende  Hindernis  nicht  mehr  bestehe."  Man  sieht 
schon  jetzt :  die  Art  der  Verbindung  zwischen  dem  Süden  und 
dem  Norden  wird  die  ,, Kardinalfrage". 

* 

Auf  den  Antrag  vom  12.  September  verfügte  König 
Ludwig^)  in  einem  Allerhöchsten  Signate  vom  17.  September 
eigenhändig:  ,,Ich  verordne,  daß  auf  Grund  dieses  Antrags 
ein  erschöpfendes  Gutachten  ausgearbeitet,  Mir  überreicht 
und  in  Verhandlungen  getreten  werde."  Schon  zwei  Tage 
später  bringt  er  den  Entwurf  in  Erinnerung:  ,,Mit  Rücksicht 
auf  die  Dringlichkeit  der  Sache  und  insbesondere  auf  die  un- 
mittelbar bevorstehende  Ankunft  Delbrücks  in  München 
beauftrage  Ich  Mein  Gesamtministerium  den  auf  Meinen 
Befehl  ausgearbeiteten  und  im  Ministerrat  bereits  diskutierten 
Entwurf,  die  Regelung  der  deutschen  Frage  betreffend,  bis 
morgen  Mittag  an  Mich  in  Vorlage  zu  bringen."  Noch  am 
nämlichen  Tage  telegraphierte  Graf  Bray  an  den  Kabinett- 
sekretär Eisenhart,  ,,daß  ein  detaillierter  Entwurf  bis  jetzt 
noch  nicht  vereinbart  sei,  morgen  zur  Diskussion  komme  und 

^)  Das  folgende  nach  M.  St.  A.  (,, Akten  über  die  Verfassung  Deutsch- 
lands"  I.) 


86 

womöglich  abends  noch  abgesandt  werde;  vor  Allerhöchster 
Genehmigung  werde  mit  Delbrück  nicht  darüber  beraten 
werden."  Am  20.  September  fand  dann  die  Ministerrats- 
sitzung statt.  Die  hier  vereinbarte  Vertragsskizze  wurde  noch 
am  nämlichen  Tag  an  das  Hoflager  des  Königs  nach  Schloß 
Berg  abgeschickt.  Darauf  signierte  der  König  am  21.  Sep- 
tember: „Die  ebenso  klare  als  gründliche  Skizze  des  Bundes- 
vertrags entspricht  Meiner  Intention  mit  Ausnahme  des  dem 
Bundesoberhaupte  persönlich  eingeräumten  Inspektions- 
rechtes, welches  Ich  unter  keinen  Umständen  zuzugestehen 
gewillt  bin."  ,, Dagegen  räume  Ich  ein,  daß  den  früheren 
ähnliche  Inspektionen  stattfinden,  wobei  die  von  letzteren 
gemachten  Wahrnehmungen  Meinem  Kriegsminister  zur  Kennt- 
nisnahme zu  dienen  haben.  Nach  Beendigung  der  mit  Del- 
brück auf  der  Grundlage  erwähnten  Entwurfes  zu  pflegenden 
Besprechungen  sehe  Ich  eingehender  weiterer  Berichterstattung 
entgegen."  Die  Skizze,  die  bei  den  am  folgenden  Tage  be- 
ginnenden Münchener  Konferenzen  bayerischerseits  als  Richt- 
schnur diente,  hat  sich  bis  jetzt  nicht  vorgefunden. 

Mit  dem  Antrage  vom  12.  September  und  den  sich  daran 
anschließenden  Münchener  Konferenzen  trat  die  deutsche 
Frage  in  das  Stadium  der  entscheidenden  Wendung,  des 
psychologischen  Momentes  ein.  Damit  ergriff  gerade  die  Re- 
gierung, die  sich  bisher  am  zähesten  gegen  eine  kleindeutsche 
Lösung  des  Verfassungsproblems  gewehrt  hatte,  die  Initiative 
zu  Verhandlungen  auf  der  Grundlage  des  kleindeutschen 
Programms.  In  einem  diplomatischen  Gedankenaustausche 
mit  der  befreundeten  österreichischen  Regierung  erkannte  sie 
die  geschichtliche  Notwendigkeit  dieser  Lösung  ausdrücklich 
an:  ,,Sie  betrachte  es  als  eine  unabweisliche  Folge  der 
großen  Ereignisse  der  letzten  Zeit,  daß  die  unter  gemeinsamer 
Führung  im  Kriege  gegen  Frankreich  verbündeten  deutschen 
Staaten  nicht  einfach  zu  den  früheren  Verhältnissen  zurück- 
kehren, sondern  in  einen  dauernden  Verein  auf  vertragsmäßiger 
Grundlage  eintreten." 

Es  wird  niemals  mit  mathematischer  Sicherheit  festzu- 
stellen sein,  wie  weit  die  Ratgeber  der  Krone  der  eigenen 
Initiative,  wie  weit  sie  dem  Drucke  der  öffentlichen  Meinung 
folgten.  So  tief  kann  man  selten  den  Diplomaten  ins  innerste 
Herz  schauen. 

Das  ist  allerdings  gewiß:  Graf  Bray  war  ein  kühler, 
schwungloser  Diplomat,  kein  Blender,  ein  nüchterner  Ge- 
schäftsmann,  schon  in  seiner  äußeren   Erscheinung,   wie  sie 


87 

uns  Moritz  Busch  geschildert  hat.  Wie  in  der  PoUtik  überhaupt 
nicht  der  Enthusiasmus  das  führende  Wort  spricht,  so  hat 
auch  Graf  Bray  die  Initiative  zu  Verhandlungen  in  der  deut- 
schen Frage  gewiß  weniger  aus  stürmischer  Neigung  des  Herzens 
als  vielmehr  in  kluger  Erkenntnis  der  Macht  der  nationalen 
Bewegung  und  des  Gebotes  der  Stunde  ergriffen.  Der  letzte 
Akt  in  der  Gründungsgeschichte  des  Deutschen  Reiches  ist 
ein  durchaus  realpolitischer  Vorgang  und  als  solcher  zu 
würdigen. 

Aber  Graf  Bray  war  auch  ein  durchaus  ehrlicher  Staats- 
mann. Seine  Ehrlichkeit  war  nach  dem  Zeugnisse  des  Freiherrn 
V.  Soden  ,,bei  allen  Diplomaten,  die  ihn  kannten,  geradezu 
sprichwörtlich".  Wir  sind  berechtigt  zur  Annahme,  daß 
nicht  bloß  der  Kabinettsekretär  Eisenhart  sondern  auch 
Mitglieder  des  bayerischen  Ministeriums  und  hier  wiederum 
nicht  bloß  der  Justizminister  v.  Lutz  und  etwa  der  Minister 
des  Innern  v.  Braun  sondern  auch  Graf  Bray  von  der  Stim- 
mung von  Sedan  und  von  der  Größe  des  deutschen  Staats- 
mannes ergriffen  waren.  Den  Ministern  wurde  im  Landtage 
sogar  der  Vorwurf  gemacht,  daß  sie  sich  ,,von  der  nationalen 
Idee  ungebührlich  weit  hätten  bestimmen  lassen".  Der 
Minister,  der  dies  berichtet,  Lutz,  bestreitet  die  Berechtigung 
des  Vorwurfs  keineswegs,  fügt  aber  hinzu:  es  sei  ihnen  damit 
das  begegnet,  wovon  niemand  in  diesem  Hause  und  außer- 
halb desselben  vollständig  frei  geblieben  sei. 

Tatsächlich  hat  gerade  in  diesen  Tagen  Graf  Bray  an 
Bismarck  einen  Brief  geschrieben  voll  Verehrung  für  den 
großen  Staatsmann,  aber  auch  mit  vollem  Verständnis  für  die 
Größe  der  Zeit:  ,, Möchten  Ew.  Exzellenz  Sich  überzeugt 
halten,  daß  wir  den  welthistorischen  Ereignissen  der  letzten 
Zeit  voll  Rechnung  tragen  und  uns  wohl  bewußt  sind,  daß 
eine  neue,  große  Zeit,  so  wie  sie  reiche  Früchte  verspricht, 
auch  manche  Zugeständnisse  fordert.  S.  M.  der  König  von 
Bayern  teilt  hierin  die  Überzeugung  seiner  Räte  und  der  großen 
Mehrzahl  seines  Volkes."  Es  ist  durchaus  einseitig,  wenn  der 
immer  subjektive  und  gegen  Bayern  voreingenommene  Robert 
V.  Mohl  am  27.  August  an  seine  Regierung  berichtet:  ,,Graf 
Bray  ist  und  bleibt  immer  ultramontan  und  österreichisch 
gesinnt." 

Derselbe  Graf  Bray  hatte  schon  im  Jahre  1867  das  Rund- 
schreiben Hohenlohes  vom  28.  Februar  mit  dem  über  Ludwig 
von  der  Pfordten  hinausgehenden  Ziele  eines  Verfassungsbünd- 
nisses mit  dem  Norddeutschen  Bunde  ausdrücklich  gebilligt,  mit 


88 

Worten,  an  deren  Aufrichtigkeit  nicht  gezweifelt  werden  kann: 
„Gewohnt,  den  mir  von  maßgebender  Stelle  zugehenden  Direk- 
tiven gewissenhaft  zu  folgen,  kann  ich  dies  im  gegenwärtigen 
Falle  mit  um  so  größerer  Genugtuung  tun,  als  die  im  erwähnten 
Ministerialerlasse  enthaltene  Präzisierung  der  bayerischen 
Politik  meiner  eigenen  Überzeugung  von  dem,  was  wir  unter 
den  gegenwärtigen  schwierigen  Verhältnissen  anstreben  können 
und  sollen,  vollständig  entspricht."^) 

Als  er  selbst  zu  Anfang  des  Jahres  1870,  nach  dem  Ab- 
gang des  Fürsten  Hohenlohe,  das  Ministerium  übernahm, 
äußerte  er  in  seiner  programmatischen  Erklärung  vom  30.  März : 
,,Was  ich  Ihnen  verspreche,  ist  eine  offene  Politik  und  selbst- 
verständhch  eine  ehrliche  und  loyale  Politik.  Eine  offene 
Politik  hat  für  uns  um  so  weniger  Schwierigkeiten,  als  wir  keine 
geheimen  Verträge  haben,  keine  geheimen  Verpflichtungen, 
keine  geheimen  Pläne  und  überhaupt  keine  politischen  Ge- 
heimnisse. Was  wir  wollen,  was  wir  anstreben,  das  darf  die 
ganze  Welt  erfahren:  wir  wollen  Deutsche,  aber  auch  Bayern 
sein." 

Als  der  Minister  im  September  1870  sich  entschloß,  die 
Initiative  in  der  deutschen  Frage  zu  ergreifen,  wandte  er 
sich  an  den  bayerischen  Parlamentarier,  der  die  deutsche 
Politik  des  Vorgängers,  des  Fürsten  Hohenlohe,  am  lebhaftesten 
gegen  die  patriotischen  Angriffe  verteidigt  hatte,  an  den 
Führer  der  Fortschrittspartei,  Marquardt  Barth.  Wir  sind 
jetzt  über  den  Vorgang  durch  den  Bericht  des  württembergi- 
schen Gesandten  Freiherrn  v.  Soden  eingehend  unterrichtet. 
Soden  berichtet  am  10.  September^) :  Staatsminister  Graf 
Bray  habe  vor  mehreren  Tagen  den  Abgeordneten  Marquardt 
Barth  aufgesucht,  unter  dem  Vorwand,  ihn  um  seine  zu  An- 
fang des  Monats  Februar  bei  der  Adreßdebatte  über  die 
deutsche  Frage  gehaltene  Rede  zu  ersuchen;  nachdem  die 
beiden  längere  Zeit  miteinander  konferiert  hatten,  habe  der 
Minister  von  dem  Abgeordneten  einen  Verfassungsentwurf 
erbeten,  den  Barth  für  den  Fürsten  Hohenlohe  ausgearbeitet 
hatte;  zwei  Tage  später  sei  Graf  Bray  wieder  bei  Barth  er- 
schienen und  habe  ihm  erklärt,  er  sei  mit  seinen  Gedanken 
ganz  einverstanden  und  werde  in  diesem  Sinne  dem  Könige 
Vortrag  erstatten.  Tatsächhch  zeigt  sowohl  der  Antrag  des 
Grafen  Bray  vom  12.  September  als  auch  das  Programm, 
das  die  bayerischen  Minister  auf  den  Münchener  Konferenzen 

1)  Bericht  Brays  vom  März  1867,  M.  St.  A. 

2)  St.  St.  A. 


89 

vertraten,  eine  gewisse  Verwandtschaft  mit  dem  Entwürfe 
Barths.  Das  Verwandtschaftsverhältnis  würde  sich  genauer 
feststellen  lassen,  wenn  die  vom  Grafen  Bray  dem  König  vor- 
gelegte Verfassungsskizze  erhalten  wäre. 

Über  diese  ,, Wendung  der  Dinge"  herrschte  nach  dem- 
selben Berichte  Sodens  im  fortschrittlichen  Lager  große  Be- 
friedigung. Man  bemühte  sich  hier  durch  Vorsicht  und  Zurück- 
haltung und  Vermeidung  jeder  Pression  dem  Minister  die 
Arbeit,  namentlich  bei  seinem  Könige,  zu  erleichtern.  In 
diesem  Sinne  wirkten  die  Führer  der  bayerischen  Fortschritts- 
partei auch  auf  ihre  Gesinnungsgenossen  aus  Berlin,  die  national- 
liberalen Abgeordneten  Lasker,  Bennigsen  und  Forckenbeck, 
die  vom  lo.  bis  15.  September  in  München  weilten. i)  Diese 
fanden  zwar  die  Versailler  Zugeständnisse  an  Bayern,  wie  sie 
Barth  in  seinem  Memoire  in  Vorschlag  gebracht  hatte,  zu 
weitgehend  und  suchten  sie  in  einem  neuen  Verfassungs- 
entwurfe, den  sie  dem  Minister  überreichten,  etwas  abzu- 
schwächen. Lasker  war  auch  der  Verfasser  einer  Adresse  vom 
18.  September  an  den  König,  in  der  das  Münchener  Gemeinde- 
kollegium die  Bitte  aussprach,  S.  M.  möge  geruhen,  ,, durch 
Vereinbarung  mit  den  verbündeten  Staaten  die  Vollendung  des 
deutschen  Bundesstaates  auf  der  Grundlage  der  Verfassung 
des  derzeitigen  norddeutschen  Bundes  als  Abschluß  des 
opferreichen  nationalen  Kampfes  herbeizuführen".  ^)  Aber  auch 
die  Berliner  Parlamentarier  schieden  mit  den  besten  Ein- 
drücken aus  München.  Auch  sie  vermieden  alles,  was  die 
Empfindlichkeit  des  Königs  reizen  und  dem  Minister  die 
nationale  Arbeit  erschweren  konnte. 

Um  so  ungehaltener  war  Graf  Bray  über  das  Vorgehen  des 
Grafen  Tauffkirchen  und  seiner  Freunde,  der  ,,Hohenloheschen 
Clique",  wie  er  sie  nannte,  die  auch  ihrerseits  einen  Ver- 
fassungsentwurf ausarbeiteten  und  ihn  ohne  Genehmigung, 
ja  ohne  Kenntnis  des  Ministers  am  17.  September  mit  einem 
offiziös  khngenden  Leitartikel  in  der  ,, Augsburger  Allgemeinen 
Zeitung"  publizierten.^)  Der  Entwurf  war  unter  diesen  Um- 
ständen für  die  Öffentlichkeit  eine  Sensation.  Und  die  Wirkung 
auf  den  König!  Auf  den  König,  dessen  angebliche  nationale 
Gesinnung  man  gegen  den  Minister  ausspielte,  von  dem  aber 
der  Minister  wußte,  daß  er  aus  freiem  Entschlüsse  kein  wesent- 


^)    H.  Oncken,  Bennigsen,  S.  181. 

^)  ,, Münchener  Neueste  Nachrichten"   1870,  Nr.  263. 
^)   Ich  nehme  alle  drei  zuletzt  erwähnten  Verfassungsentwürfe  in  die 
Beilagen  auf  (Beilagen  II,  nr.  4,  5  u.  6),   um  den  Vergleich  zu  erleichtern. 


90 

liches  Hoheitsrecht  zugunsten  einer  nationalen  Lösung  der 
deutschen  Frage  opfern  würde.  Und  dazu  der  Terrorismus, 
der  zum  Verdruß  der  weiter  bhckenden  Parteigenossen  von 
dem  Kreise  um  Juhus  Knorr,  den  Herausgeber  der  „Münchener 
Neuesten  Nachrichten",  geübt  wurde,  und  der  Widerhall,  den 
dieses  Übermaß  im  patriotischen  Lager  weckte.  ,,Alle  diese 
Momente  haben  den  Minister  wieder  in  eine  etwas  rückläufige 
Bewegung  gebracht."  Und  das  unmittelbar  vor  Beginn  der 
Münchener  Konferenzen, 


V. 
Die  Mündicncr  Konferenzen. 

Schon  vor  der  Absendung  des  entscheidenden  Antrags 
an  den  König  hatte  Graf  Bray  die  ersten  Schritte  unter- 
nommen zur  Einleitung  von  Vorbesprechungen  mit  dem 
Norddeutschen  Bunde.  In  einem  Erlasse  vom  ii.  September 
beauftragte  er  den  Berichterstatter  Bayerns  im  Hauptquartier, 
Grafen  Berchem,  den  Bundeskanzler  über  die  wichtigste  Vor- 
frage auszuholen,  über  die  Frage,  ob  der  Fortbestand  des 
Norddeutschen  Bundes  oder  ein  auf  veränderten  Grundlagen 
zu  errichtender  allgemeiner  Deutscher  Bund  in  Aussicht 
genommen  sei:  ,,Es  wäre  uns  von  hohem  Werte,  die  Absichten 
Preußens  über  diesen  Gegenstand,  sobald  sie  feststehen  wer- 
den, zu  kennen,  weil  auch  unsere  Beschlußnahme  und  Vor- 
schläge verschieden  sein  müssen,  je  nachdem  es  um  den  Fort- 
bestand des  jetzigen  Norddeutschen  Bundes  oder  um  dessen 
Ersetzung  durch  einen  auf  veränderten  Grundlagen  zu  er- 
richtenden allgemeinen  Deutschen  Bund  sich  handeln  wird."^) 
Am  nämlichen  Tage  wandte  er  sich  mit  dem  gleichen  Anliegen 
an  den  preußischen  Gesandten  in  München.  Dieser  berichtete 
darüber  noch  am  ii.  September  an  das  Auswärtige  Amt  in 
Berlin. 2)  Am  folgenden  Tage  äußern  Graf  Bray  und  Freiherr 
v.  Werthern ^)  den  Wunsch,  es  möchte  ein  Vertreter  des 
Norddeutschen  Bundes  nach  München  geschickt  werden, 
mit  dem  man  auf  dem  Weg  einer  Vorbesprechung  den  Boden 
gewinnen  könnte,  auf  dem  dann  die  eigentlichen,  entscheidenden 
Verhandlungen  in  der  deutschen  Frage  zu  führen  wären. 
Im  Sinne  der  telegraphischen  Berichte  des  Freiherrn  v.  Wer- 
thern vom  II.  und  12.  September  telegraphierte  dann  Unter- 
staatssekretär  V.  Thile   am   folgenden    Tage    an    Bismarck*) : 

1)  M.  St.  A. 

2)  H.  A.  A. 

3)  Ebenda. 
*)  H.  A.  A. 


92 

„Die  bayerische  Regierung  erkennt  die  Notwendigkeit  einer 
Veränderung  der  politischen  Gestaltung  Deutschlands.  Graf 
Bray  wünscht  zu  wissen,  ob  nach  preußischer  Auffassung 
der  Norddeutsche  Bund  weiterbestehen  oder  einem  neuen, 
ganz  Deutschland  umfassenden  Bunde  Platz  machen  solle. 
Nach  Lösung  dieser  Vorfrage  wird  Bayern  mit  geeigneten 
Vorschlägen  auftreten.  Nützlich  zu  diesem  Zwecke  wäre  es, 
wenn  Minister  Delbrück  nach  München  kommt."  Bismarck 
war  kaum  im  Besitze  dieser  Mitteilung,  als  er  noch  am  näm- 
lichen Tage  in  einem  Telegramm  an  Thile  das  Eintreffen 
Delbrücks,  der  eben  seine  Denkschrift  über  die  Neugestaltung 
Deutschlands  in  Reims  fertiggestellt  hatte,  in  München  an- 
kündigte.^) Wieder  einige  Tage  später,  am  17.  September, 
kann  er  dem  preußischen  Gesandten  in  München  bereits 
melden,  daß  Delbrück  am  15.  September  vom  preußischen 
Hauptquartier  über  Berlin  nach  München  gereist  sei.  2) 

Mit  diesen  Vorgängen  kreuzte  sich  die  Mission  des  Grafen 
Tauffkirchen  an  den  König  Ludwig  von  Bayern  und  ihre 
Auswirkungen.  In  der  Nacht  vom  12. /13.  September  traf 
Tauffkirchen  mit  der  Meldung  in  München  ein:  Bismarck 
würde  die  Sendung  eines  bayerischen  Bevollmächtigten 
ins  Hauptquartier  freudig  begrüßen  und  jeden  Vorschlag 
einer  bundesmäßigen  Annäherung  mit  weitgehenden  Bürg- 
schaften entgegennehmen.  Am  13.  September  hatte  Tauff- 
kirchen Audienz  beim  Könige.^)  Zum  erstenmal  zeigte  sich 
die  Macht  Bismarcks  über  Ludwig  H.  Bevor  der  Antrag  des 
Gesamtministeriums  vom  12.  September  dem  Könige  vor- 
gelegt worden  war,  war  dieser  in  einer  augenblicklichen 
Anwandlung  von  Furcht  und  zugleich  von  Vertrauen  für  die 
Entsendung  von  Bevollmächtigten  mit  Vorschlägen  in  das 
Hauptquartier  gewonnen  und  war  damit  eigentlich  schon 
über  das  hinausgegangen,  was  sein  Minister  gegenüber  Bis- 
marck und  dem  preußischen  Gesandten  zunächst  angeregt 
hatte.  Auf  Befehl  des  Königs  vom  13.  September^)  mußte 
Graf  Bray  dem  Bundeskanzler  schon  jetzt  telegraphisch  die 
Geneigtheit  Bayerns  kundgeben,  einen  bayerischen  Bevoll- 
mächtigten mit  entsprechenden  Vorschlägen  ins  preußische 
Hauptquartier  abzuordnen.  Gleichzeitig  sprach  der  König 
die  Erwartung  aus,  daß  ihm  diese  Vorschläge   ,,so  bald  als 

1)   H.  A.  A. 

^)  Ebenda. 

3)   K.  A.  V.  Müller  a.  a.  O. 

*)  Beilagen  II,  nr.  2. 


93 

immer  möglich"  zur  Prüfung  und  Genehmigung  unterbreitet 
werden,  ,, zumal  er  durch  Graf  Tauffkirchen  gehört  habe, 
daß  eine  weitere  Verzögerung  Bismarck  immerhin  zu  ein- 
seitigen Vertragsabschlüssen  mit  anderen  süddeutschen  Staaten 
veranlassen  könnte".  Am  15.  September  meldete  der  Minister 
den  Vollzug  des  königlichen  Befehls,  aber  mit  dem  bezeich- 
nenden Zusatz:  ,,  wie  wohl  dem  Allerhöchsten  Befehle  durch  den 
Antrag  des  Gesamtministeriums  vom  12.  September  teilweise 
bereits  entsprochen  sein  dürfte".^)  Tatsächlich  dachte  der 
Minister  nicht  daran,  den  von  ihm  eingeschlagenen  Weg  zu 
verlassen,  war  keineswegs  gewillt  jetzt  schon  einen  bayerischen 
Bevollmächtigten  mit  bayerischen  Vorschlägen  ins  Haupt- 
quartier zu  entsenden,  wollte  vielmehr  das  Erscheinen  eines 
norddeutschen  Bevollmächtigten  in  München  abwarten. 
Und  Bismarck  kam  ihm  entgegen,  teilweise  entgegen. 

Der  Anregung  des  Grafen  Bray  und  des  Freiherrn  v.  Wer- 
thern stattgebend,  hatte  er  inzwischen  bereits  die  Entsendung 
des  Staatsministers  Delbrück  zu  einer  Vorbesprechung  nach 
München  beschlossen.  Württemberg,  das  noch  am  12.  (!)  Sep- 
tember durch  seinen  Vertreter,  den  bayernfreundlichen  Frei- 
herrn V.  Soden,  von  dem  wesentlichen  Inhalte  des  bayerischen 
Antrags  von  diesem  Tage  unterrichtet  worden  war,^)  hatte  in 
einer  Weisung  des  Ministerverwesers  des  Äußern  v.  Taube 
vom  14.  September^)  an  den  württembergischen  Gesandten 
in  München  die  bayerische  Alternative  ausdrücklich  gebilligt 
und  den  Wunsch  ausgesprochen,  mit  Bayern  gemeinsam  zu 
handeln:  ,,S.  Kgl.  Majestät  legen  besonderen  Wert  darauf, 
daß  eine  solche  Erklärung  von  Bayern  und  Württemberg  in 
wesentlicher  Übereinstimmung  erfolge.  Die  Gründe  hierfür 
liegen  so  nahe  und  finden  zudem  in  der  bisherigen  engen  Ver- 
bindung der  beiden  Nachbarstaaten  eine  so  selbstverständliche 
Rechtfertigung,  daß  ich  mich  einer  näheren  Ausführung  der- 
selben füglich  enthalten  kann."  In  der  Tat  wurde  Württem- 
berg nach  der  Ankunft  Delbrücks  mit  dessen  ausdrücklicher 
Zustimmung  telegraphisch  eingeladen,  zu  den  Münchener 
Konferenzen  einen  Bevollmächtigten  zu  entsenden.  Als  Ver- 
treter Württembergs  erschien  in  der  Nacht  vom  21./22.  Sep- 
tember der  Justizminister  v.  Mittnacht.  Der  badische  Ge- 
sandte  V.  Mohl  regte  gleichzeitig  die  Teilnahme  Badens  an 

^)   Beilagen   II,  nr.  3. 
2)   St.  St.  A. 

^)  Schneider,  Württembergs  Beitritt  zum  Deutschen  Reich  1870  in: 
Württemberg.  Vierteljahrshefte  f.  Landesgesch.  N.  F.  XXIX,    S.  149  f. 


94 

den  Münchener  Konferenzen  an,  erklärte  aber  drei  Tage  später, 
seine  Regierung  wünsche  eine  Beteihgung  an  den  Münchener 
Konferenzen  nicht,  da  sie  beabsichtige,  die  Aufnahme  Badens 
in  den  Norddeutschen  Bund  zu  beantragen.  ^)  Übrigens  er- 
klärte Delbrück  bei  dieser  Gelegenheit,  daß  sein  Auftrag  nur 
der  bayerischen  Regierung  gelte  und  daß  er  die  Zuziehung 
Württembergs  und  Badens  Bayern  überlasse. 

Am  20.  September  war  Delbrück  in  München  eingetroffen. 
Vom  22-/27.  September  währten  die  Münchener  Konferenzen.  2) 

Die  Konferenzen  hatten  nur  den  Charakter  einer  unver- 
bindlichen Vorbesprechung.  Aber  während  Graf  Bray  von 
dieser  Vorbesprechung  preußische  Vorschläge  erwartete,  er- 
klärte Delbrück  noch  vor  der  Eröffnung  der  Konferenzen, 
gleich  bei  der  ersten  Besprechung  mit  dem  Grafen  Bray: 
er  sei  nicht  beauftragt,  im  Namen  der  preußischen  Regierung 
Vorschläge  zu  machen,  sondern  die  Propositionen  der  süd- 
deutschen Regierungen  entgegenzunehmen  und,  wenn  es  ge- 
wünscht werde,  auf  Grund  seiner  Kenntnis  der  Norddeutschen 
Bundes  Verhältnisse  sie  zu  besprechen.  Er  wiederholte  diese 
Erklärung  zu  Beginn  der  Konferenzen.  Damit  war  eigentlich 
schon  die  Situation  zuungunsten  Bayerns  verschoben. 

Delbrück  hatte  aber  auch  alles  zu  vermeiden,  was  von 
vornherein  die  Verhandlungen  zum  Abbruch  bringen  oder 
die  bayerischen  Bevollmächtigten  verhindern  konnte,  zu  den 
definitiven  Verhandlungen  nach  Versailles  zu  kommen.  Als 
daher  bei  jener  ersten  Begegnung  der  bayerische  Minister 
die  Kardinalfrage  anschnitt,  ob  Preußen  bereit  sei,  sein  Bundes- 
verhältnis zu  den  norddeutschen  Staaten  zu  ändern,  mit 
anderen  Worten  die  Verfassung  des  Norddeutschen  Bundes 
preiszugeben,  erwiderte  Delbrück  in  einer  Form,  die  einer 
Verhandlung  auf  dieser    Grundlage   auswich,   ohne  aber  die 

1)   K.  St.  A. 

'■^)  Ich  kann  jetzt  zum  erstenmal  den  vollen  Wortlaut  des  darüber  auf- 
genommenen Protokolls  vorlegen  (Beilagen  II,  nr.  10).  Zu  seiner  Ergänzung 
füge  ich  den  Finalbericht  Delbrücks  vom  27.  September  an  (Beilagen  II, 
nr.  11).  Es  ist  das  um  so  notwendiger,  als  einige  Zugeständnisse  der  baye- 
rischen Bevollmächtigten  nicht  Aufnahme  in  das  Protokoll  fanden,  weil  sie 
der  königlichen  Genehmigung  entbehrten.  Delbrück  hat  das  in  seinem 
Finalbericht  ausdrücklich  festgestellt  und  hinzugefügt:  ,,Es  wurde  ver- 
sucht, S.  M.  den  König  zu  bestimmen,  zum  Zweck  eines  Vortrages  über 
die  Ergebnisse  der  Besprechungen  (also  auch  über  die  bayerischen  Zu- 
geständnisse) nach  München  zu  kommen.  Dieser  Versuch  mißlang  aber, 
und  so  glaubten  sie,  die  einmal  (vom  Könige)  genehmigten  Propositionen 
wenigstens  formell  aufrechterhalten  zu  müssen.  Das  Protokoll  der  Be- 
sprechungen gibt  daher  kein   wirldiches  Bild  über  ihr  Ergebnis." 


95 

Frage  nach  dem  Fortbestand  des  Norddeutschen  Bundes 
grundsätzUch  zu  entscheiden:  ,,S.  M.  der  König  habe  zu  einer 
Erwägung  dieser  Frage  bisher  keinen  Anlaß  gefunden.  Und 
auch  er  für  seinen  Teil  vermöchte  einen  solchen  Anlaß  jetzt 
und  vor  der  näheren  Kenntnis  der  Vorschläge  Bayerns  nicht 
zu  erkennen.  Preußen  habe  noch  keinen  Grund  gefunden,  die 
Frage  einer  näheren  Erwägung  zu  unterwerfen,  ob  mit  der 
Gründung  eines  allgemeinen  Deutschen  Bundes  eine  Änderung 
des  zwischen  den  Staaten  des  Norddeutschen  Bundes  bestehen- 
den Verfassungs Verhältnisses  zu  verbinden  sei.  Und  er  habe 
daher  eine  solche  Änderung  nicht  vorauszusetzen."  Auch  diese 
Erklärung  wiederholte  Delbrück  bei  der  Eröffnung  der  Kon- 
ferenzen. Damit  erreichte  er  einen  zweiten  Vorteil:  daß  man 
tatsächhch  nicht  einen  weiteren  Bund,  sondern  einen  allge- 
meinen Deutschen  Bund  zum  Gegenstand  der  Konferenz 
machte  und  —  nach  dem  Zeugnisse  Marquardsens^)  mit  aus- 
drücklicher Genehmigung  des  Königs  —  der  Besprechung  die 
Verfassung  des  Norddeutschen  Bundes  zugrunde  legte.  ,,Man 
kam  dahin  überein,"  so  berichtet  das  Protokoll,  ,,zu  dem  Zwecke, 
um  festzustellen,  welchen  Inhalt  die  Verfassung  eines  allge- 
meinen Deutschen  Bundes  nach  Auffassung  der  süddeutschen 
Regierungen  haben  könnte,  den  Inhalt  der  Verfassung  des 
Norddeutschen  Bundes  nach  der  Folge  ihrer  Artikel  zum 
Leitfaden  für  die  nun  folgenden  Besprechungen  zu  nehmen, 
mit  dem  selbstverständlichen  Vorbehalt  einer  neuen  An- 
ordnung der  Materie  und  der  sich  voraussichtlich  als  notwendig 
darstellenden  neuen  Redaktion." 

An  den  Konferenzen  nahmen  sämtliche  bayerische  Minister 
teil,  freihch  nach  dem  Berichte  Delbrücks  in  einem  sehr  un- 
gleichen Maße.  Graf  Bray  beschränkte  sich  in  der  Regel 
darauf,  die  einzelnen  Artikel  der  Bundesverfassung  vorzu- 
lesen. Die  Feststellung  und  Vertretung  des  bayerischen  Stand- 
punktes überließ  er  für  das  Kriegswesen  dem  Freiherrn 
V.  Pranckh,  für  die  übrigen  Rechtsgegenstände  dem  Justiz- 
minister V.  Lutz.  Von  Lutz  gewann  Delbrück  die  Über- 
zeugung, daß  er  sich  mit  der  norddeutschen  Bundesverfassung 
gründlich  beschäftigt  und  über  die  künftige  staatsrechtHche 
Stellung  Bayerns  zu  Norddeutschland  sich  eine  selbständige 
Meinung  gebildet  hatte. 

Die  bayerischen  Bevollmächtigten  erklärten,  daß  es 
ihnen  aufrichtig  darum  zu  tun  sei,  in  dem  neuen  Deutschen 


1)  Deutsche  Revue  XVII,  2,   182, 


96 

Bund  ein  lebensfähiges  Verfassungsgebilde  zu  schaffen,  und 
daß  sie  deshalb  der  Gemeinschaft  alle  unentbehrlichen  Opfer 
zu  bringen  bereit  seien.  Sie  fügten  aber  auch  hinzu,  daß  ihnen 
ebenso  dringlich  die  Erhaltung  der  Selbständigkeit  der  Einzel- 
staaten am  Herzen  liege  und  sie  deshalb  alle  entbehrlichen 
Abtretungen  von  Regierungsrechten  ablehnen  müßten.  Was 
für  den  neuen,  allgemeinen  Deutschen  Bund  entbehrlich  sei, 
darüber  gingen  freilich  die  Ansichten  der  Konferenzteilnehmer 
auseinander. 

Nach  bayerischer  Auffassung  sollte  u.  a.  aus  dem 
Kreise  der  Bundesangelegenheiten  ausscheiden  und  dem  Einzel- 
staate, wenigstens  Bayern,  vorbehalten  bleiben:  das  Staats- 
bürgerrecht, das  Gewerbewesen,  die  Heimat-  und  Nieder- 
lassungsgesetzgebung, die  erst  zur  Zeit  des  Ministeriums 
Hohenlohe  erlassen  worden  war  und  sich  bewährt  hatte,  das 
Immobiliarversicherungswesen,  die  Besteuerung  von  Bier  und 
Branntwein,  das  Eisenbahn-,  Post-  und  Telegraphenwesen, 
endlich  das  Straf  recht  und  das  gerichtliche  Verfahren,  ins- 
besondere auch  für  die  Armee.  Sie  verlangten  für  Bayern 
auch  eine  gewisse  Zahl  von  Bundesbeamtenstellen. 

Man  einigte  sich  darüber,  daß  folgende  Gegenstände  der  Zu- 
ständigkeit des  Einzelstaates,  wenigstens  Bayerns,  überlassen 
werden  könnten:  die  Gesetzgebung  über  die  Heimats-  und 
Niederlassungsverhältnisse;  das  Eisenbahn-,  Post-  und  Tele- 
graphenwesen mit  dem  Vorbehalte,  daß  dem  Bunde  das  Recht 
gewährt  werden  solle,  die  für  die  Verteidigung  des  Bundes- 
gebietes erforderlichen  Eisenbahnen  auf  Grund  eines  Bundes- 
gesetzes, ohne  Einholung  der  Zustimmung  der  Landesregierung 
zu  bauen  sowie  für  den  Bau  und  die  Ausrüstung  der  für  die 
Landesverteidigung  wichtigen  Eisenbahnen  einheitliche  Normen 
festzusetzen;  endlich  die  Gesetzgebung  über  die  inneren 
Getränkesteuern,  die  Besteuerung  von  Bier  und  Branntwein. 

Anderseits  waren  die  bayerischen  Bevollmächtigten  bereit, 
das  Gesetzgebungsrecht  des  Bundes  über  Freizügigkeit,  Paß- 
wesen, Fremdenpolizei,  Versicherungswesen  (mit  Ausnahme 
der  Immobiliarversicherung),  Auswanderung,  Preß-  und  Ver- 
einswesen anzuerkennen.  Im  Laufe  der  Besprechungen  ge- 
standen sie  dem  Bund  auch  das  Gesetzgebungsrecht  über 
Staatsbürgerrecht  (Bundesstaatsangehörigkeit)  zu  und  ver- 
zichteten auch  auf  die  Stellung  einer  gewissen  Quote  der 
Bundesbeamten,  sie  wagten  aber  nicht,  diese  letzteren  Zu- 
geständnisse in  das  Protokoll  aufzunehmen,  weil  sie  vom 
Inhalte  der  vom  König  genehmigten  Vertragsskizze  abwichen. 


97 

Man  war  weiterhin  einig  über  die  Annehmbarkeit  der 
Reichstagsbestimmungen  und  des  Reichstags  Wahlgesetzes  des 
Norddeutschen  Bundes  für  den  allgemeinen  Deutschen  Bund. 
Man  war  einig  über  die  Annehmbarkeit  der  meisten  Bestim- 
mungen des  Norddeutschen  Bundes  über  den  Bundesrat.  Aller- 
dings forderten  die  bayerischen  Bevollmächtigten  für  den  Bundes- 
rat des  künftigen  allgemeinen  Deutschen  Bundes  nicht  mehr  bloß, 
wie  bisher  im  Zollbundesrate,  6,  sondern  8  Stimmen.  Aber  auf 
die  Einwendungen  Delbrücks  und  Mittnachts  hin  ließen  sie  den 
Anspruch  auf  Vermehrung  der  bayerischen  Stimmen  im  Bun- 
desrat ebenso  fallen  wie  den  auf  verfassungsmäßige  Fest- 
stellung der  Vertretung  Bayerns  im  3.  und  4.  Ausschusse  des- 
selben. In  das  Protokoll  wurden  diese  beiden  letzteren  Zu- 
geständnisse nicht  aufgenommen,  wiederum  weil  sie  der 
königlichen  Ermächtigung  entbehrten. 

Auch  darüber  herrschte  Einverständnis,  daß  an  der  Spitze 
des  neu  zu  gründenden  allgemeinen  Deutschen  Bundes  ebenso 
wie  an  der  Spitze  des  Norddeutschen  Bundes  ein  Bundes- 
präsidium stehen  und  dieses  vom  König  von  Preußen,  stell- 
vertretend vom  König  von  Bayern  geführt  werden  solle. 
Graf  Bray  wollte  diesem  Bundespräsidium  wohl  die  völker- 
rechtliche Vertretung  der  im  Norddeutschen  Bunde  be- 
griffenen Staaten  überlassen.  Aber  im  übrigen  sollte,  ent- 
sprechend vielleicht  einem  vom  Könige  von  Bayern  besonders 
nachdrücklich  geäußerten  Wunsche,  den  süddeutschen  Re- 
gierungen, insbesondere  der  bayerischen,  ihre  diplomatische 
Vertretung  bleiben  —  ,,und  zwar  nicht  allein  in  denjenigen 
Angelegenheiten,  die  den  betreffenden  Staat  allein  angehen, 
sondern  auch  in  denjenigen  Angelegenheiten,  welche  den  im 
Bunde  begriffenen  Staaten  gemeinschaftlich  seien"  —  weil 
eines  der  wesentlichen  Kriterien  der  Selbständigkeit  eines 
Staates  in  dem  Rechte  der  gesandtschaftlichen  Vertretung 
liege.  Delbrück  erklärte,  daß  man  den  süddeutschen  Staaten 
keineswegs  das  Gesandtschaftsrecht  für  ihre  besonderen 
Angelegenheiten  verkümmern  wolle.  Aber  im  übrigen  be- 
zeichnete sowohl  er  wie  Mittnacht  die  völkerrechtliche  Ver- 
tretung des  Bundes  durch  das  Bundespräsidium  einschließ- 
lich des  Konsulats  Wesens  als  unerläßlich.  Auch  hierin  scheinen 
sie  die  Zustimmung  sämtlicher  bayerischer  Minister^)  mit  Aus- 
nahme des  Grafen  Bray  gefunden  zu  haben,  der  hier  der  Ent- 
scheidung des  Königs  nicht  vorgreifen  wollte. 


1)   Von  Lutz  hat  es  Abgeordneter  Lasker  ausdrücklich  bezeugt. 
Doch  er  1,  Bayern  und  die  Bismarckische  Reichsgründung.  7 


98 

Neben  der  völkerrechtlichen  Vertretung  war  das  umstrit- 
tenste Gebiet  das  Bundeskriegswesen  und  damit  gerade 
das  Gebiet,  das  Delbrück  mit  besonderer  Vorsicht  behandeln 
mußte,  aus  doppelten  Gründen:  weil  er  es  nicht  beherrschte 
und  weil  sein  König  daran  ein  besonders  reges  Interesse  nahm. 
Bayern  stellte  hier  weitgehende  Forderungen:  i.  Das  bayerische 
Heer  bildet  einen  in  sich  geschlossenen  Bestandteil  des  deut- 
schen Bundesheeres  mit  selbständiger  Verwaltung  unter  der 
Militärhoheit  des  Königs  von  Bayern,  im  Kriege  unter  dem 
Oberbefehle  des  Königs  von  Preußen  als  Bundesfeldherrn. 
Die  Anlage  neuer  Befestigungen  kann  auf  bayerischem 
Gebiete  nur  mit  Zustimmung  des  Königs  von  Bayern  geschehen. 
2.  Bayern  behält  seine  gesamte  Militärgesetzgebung  bis  zur 
verfassungsmäßigen  Beschlußfassung  über  den  Wirkungskreis 
der  Bundesgesetzgebung.  3.  Bayern  trägt  die  Kosten  und 
Lasten  des  bayerischen  Kriegswesens,  mit  anderen  Worten 
behält  sein  eigenes  Militärbudget,  wenn  dieses  auch,  namentlich 
bezüglich  der  militärischen  Präsenzstärke,  dem  norddeutschen 
Budget  anzupassen  ist.  4.  Bayern  regt  an,  die  Präsenzstärke 
des  deutschen  Heeres  von  i  Prozent  auf  ^4  Prozent  der  Be- 
völkerung herabzusetzen,  da  es  Bayern  unmöglich  sei, 
ein  so  hohes  Militärbudget  zu  tragen.  5.  Bayern  will  die 
Marine  und  die  hiefür  erforderlichen  finanziellen  Lasten 
von  der  allgemeinen  Bundesgemeinschaft  ausgeschlossen  und 
auf  die  norddeutschen  Staaten  beschränkt  wissen,  weil  diese 
an  dem  Bestand   einer  Marine   vorwiegend   interessiert  seien. 

Immerhin  machten  im  Laufe  der  Besprechungen  die 
bayerischen  Bevollmächtigten  auch  hier  Zugeständnisse.  Sie 
räumten  dem  Bundespräsidenten  das  Inspektionsrecht  ein, 
um  sich  von  der  Einheitlichkeit  der  Organisation  und  Formation 
und  von  der  Vollzähligkeit  und  Kriegstüchtigkeit  des  baye- 
rischen Kontingentes  zu  überzeugen;  sie  ließen  auch  ihren 
Einspruch  bezüglich  des  Marinewesens  fallen,  beides  wiederum 
ohne  königliche  Ermächtigung.  Bezüglich  des  Inspektions- 
rechtes erklärte  der  bayerische  Minister  des  Innern,  der  König, 
bei  dem  er  gestern  zum  Vortrag  in  Berg  gewesen  sei,  habe 
ausdrücklich  erklärt,  daß  er  damit  nicht  einverstanden  sei. 
Der  Kriegsminister  bemerkte  dazu,  er  wisse  davon  nichts.  Im 
übrigen  berief  sich  Delbrück  auf  seine  mangelnde  Sachkenntnis 
auf  mihtärischem  Gebiet  und  behielt  damit  hier  die  Entschei- 
dung einem  späteren  Stadium  vor. 

Die  Ansicht  Ruvilles  und  Ottokar  Lorenz',  daß  es  keinem 
der   beiden   Teile   mit   den   Münchener   Verhandlungen  Ernst 


99 

gewesen  sei  und  das  Ergebnis  der  Münchener  Konferenzen 
einen  empfindlichen  Rückschlag  zugunsten  des  bayerischen 
Partikularismus  bedeutet  habe,  bedarf  nach  den  Ausführungen 
Künzels  und  Brandenburgs,  die  durch  die  Münchener  und 
Berliner  Akten  durchaus  bestätigt  werden,  keiner  Wider- 
legung mehr.  Allerdings,  das  Urteil  über  das  Maß  der  Ergeb- 
nisse lautete  und  lautet  verschieden. 

Der  Vertreter  des  Norddeutschen  Bundes,  Staatsminister 
V.  Delbrück,  bekundete,  nach  außen  wenigstens,  Befriedigung 
über  den  Verlauf  der  Münchener  Konferenzen.  Soferne  er 
an  den  Willen  Bayerns  zu  einer  verfassungsmäßigen  nationalen 
Einigung  und  an  seine  Bereitwilligkeit  zu  Zugeständnissen 
an  die  neue  Gemeinschaft  glaubte,  war  seine  Zufriedenheit 
begründet;  soferne  er  aus  der  Tatsache,  daß  mit  Zustimmung 
Bayerns  den  Münchener  Beratungen  die  Verfassung  des  Nord- 
deutschen Bundes  zugrunde  gelegt  wurde,  damals  schon  auf  eine 
grundsätzliche  Neigung  der  bayerischen  Regierung  zum 
Eintritt  in  einen  allgemeinen  Deutschen  Bund  auf  der  Grund- 
lage der  Verfassung  des  Norddeutschen  Bundes  schloß,  war 
er  im  Irrtum. 

Die  bayerische  Regierung  war  von  dem  Ergebnisse  der 
Münchener  Konferenzen  weniger  befriedigt  trotz  einer  ent- 
gegenstehenden Äußerung  in  den  späteren  Denkwürdigkeiten 
des  Grafen  Bray:  nicht  bloß  daß  Delbrück  gleich  zu  Beginn 
der  Besprechungen  die  Zusage  einer  Änderung  des  zwischen 
den  Staaten  des  Norddeutschen  Bundes  bestehenden  Ver- 
fassungsverhältnisses geflissentlich  vermied,  auch  das  Maß 
der  von  ihm  in  Aussicht  gestellten  Zugeständnisse  an  Bayern 
konnte  der  bayerischen  Regierung,  konnte  namentlich  dem 
Grafen  v.  Bray  auf  zwei  wichtigen  staatlichen  Lebensgebieten 
nicht  genügen.  In  der  Tat  vernimmt  man  bald  nach  den 
Münchener  Konferenzen,  daß  man  in  den  bayerischen  Re- 
gierungskreisen enttäuscht  war.^)  Der  Justizminister  v.  Lutz 
hat  es  im  Landtag  offen  ausgesprochen,  er  gibt  auch  einen 
glaubwürdigen  Grund  hiefür  an:  ,,Die  Verhandlungen  wurden 
gepflogen  unter  dem  Eindrucke  der  aus  dem  Hauptquartier 
kommenden  außerordentlich  freundlichen  Mitteilungen,  die 
wir  freilich  zu  unseren  Gunsten  etwas  zu  weit  ausgelegt 
hatten."  Die  Enttäuschung  klingt  auch  aus  einer  Landtags- 
rede des  Kriegsministers  Freiherrn  v.  Pranckh  heraus :  nur  das 
eine  sei  unschwer  zu  erkennen  gewesen,  daß  der  Norddeutsche 


^)  Berichte  Sodens,   St.  St.  A. 


100 

Bund  in  keinem  Falle  zu  wesentlichen  Änderungen  der  Ver- 
fassung sich  herbeilasse;  die  Folge  davon  sei  gewesen,  daß  die 
Staatsregierung  ein  weiteres  nationales  Bündnis  anstreben 
wollte,  diese  Willensmeinung  habe  auch  die  Genehmigung  des 
Königs  gefunden.  Graf  Bray  selbst  hat  unmittelbar  nach  den 
Münchener  Konferenzen  in  einer  amthchen  Mitteilung  das  Er- 
gebnis der  Besprechungen  dahin  zusammengefaf3t :  ,, Zunächst 
hat  die  königliche  Regierung  sich  Klarheit  darüber  verschaffen 
wollen,  ob  Aussicht  vorhanden  sei,  den  gegenwärtig  bestehenden 
Norddeutschen  Bund  durch  eine  neue,  auf  veränderter  Basis 
für  sämtliche  deutsche  Staaten  zu  errichtende  föderale  In- 
stitution zu  ersetzen.  Die  Besprechungen  mit  dem  Minister 
Delbrück  haben  erkennen  lassen,  daß  eine  solche  Aussicht 
sich  nicht  eröffne.  Preußen  ist  nicht  gesonnen,  den  Nord- 
deutschen Bund  in  seiner  jetzigen  Verfassung  aufzugeben 
oder  einen  Austritt  Sachsens  und  Oberhessens  aus  demselben 
behufs  der  Assimilation  mit  den  süddeutschen  Staaten  im 
künftigen  Bunde  zu  gestatten.  Es  bleibt  sonach  für  Bayern 
und  für  das  gemeinschaftlich  mit  ihm  handelnde  Württem- 
berg nur  übrig:  die  Gründung  eines  den  Norddeutschen  Bund 
in  seinem  bisherigen  Bestand  und  die  süddeutschen  Staaten 
umfassenden  weiteren   Bundes  zu  versuchen".^) 

Das  war  auch  der  Standpunkt,  für  den  sich  am  26.  Sep- 
tember in  einer  Versammlung  im  ,, Bamberger  Hof"  zu  München 
die  gemäßigten  Mitglieder  der  patriotischen  Fraktion  unter 
dem  Vorsitze  des  Kammerpräsidenten  v.  Weiß  erklärten. 
Auch  sie  sehen  die  beste  Lösung  der  deutschen  Frage  in  der 
Auflösung  des  Nordbundes  und  in  seiner  Ersetzung  durch 
einen  deutschen  Bundesstaat  auf  loserer  Grundlage.  Aber 
auch  sie  glauben  nicht  an  die  Erreichung  dieses  Zieles  und  ent- 
scheiden sich  daher  wie  der  Minister  für  einen  weiteren 
Bund  zwischen  dem  Norddeutschen  Bund  und  den  süd- 
deutschen Staaten.  Als  Hauptaufgabe  dieses  Bundes  bezeich- 
nen sie  Umwandlung  des  durch  den  Zollverein  und  die  Allianz- 
verträge geschaffenen  völkerrechtlichen  Verhältnisses  in  ein 
staatsrechtliches  und  Zuweisung  aller  der  Gegenstände,  die 
eine  gemeinschaftliche  Regelung  als  wünschenswert  erscheinen 
lassen,  wie  des  Handels-  und  Wechselrechtes,  des  Schutzes 
des  literarischen  und  künstlerischen  Eigentums,  der  Cxesetz- 
gebung  über  die  Rechtshilfe,  eines  deutschen  Tndigenates  u.  a. 
Und  dieses  Programm  erklärte  der  Minister  auf  einem  Emp- 


1)  M.  St.  A.    Vgl.  dazu   Beilage    II,  nr.  12   und   13. 


101 

fangstage  vom  29.  September  vor  deutschen  und  auswärtigen 
Diplomaten  ausdrücklich  als  Programm  auch  der  bayerischen 
Regierung,  „nachdem  leider  Herr  v.  Delbrück  die  Gründung 
eines  neuen,  die  sämtlichen  reindeutschen  Staaten  in  gleicher 
Weise  umfassenden  Deutschen  Bundes  unter  Beseitigung 
des  dem  Einheitsstaat  entgegengehenden  Norddeutschen 
Bundes  als  unannehmbar  für  Preußen  bezeichnet  habe." 
Er  rechne  bei  der  weiteren  Entwicklung  der  deutschen  Frage 
auf  das  Einvernehmen  mit  Württemberg,  er  hoffe  und  wünsche, 
Preußen  für  die  Belassung  der  Militärhoheit  im  Frieden  unter 
Wahrung  des  Prinzips  des  einheitlichen  deutschen  Heeres 
zu  gewinnen  und  auch  für  die  diplomatische  Vertretung, 
soweit  sie  die  Angelegenheiten  des  Bundes  betreffe,  einen 
befriedigenden  Mittelweg  zu  finden.  Der  extreme  Flügel  der 
patriotischen  Partei  vollends  sprach  sich  auf  einer  Versamm- 
lung in  Geiselhöring  am  11.  Oktober  selbst  gegen  den  weiteren 
Bund  aus,  weil  er  zu  einem  Aufgehen  Bayerns  in  Preußen  führe. 
Er  war  im  Grunde  gegen  jede  bundesstaatliche  Einigung  mit 
dem  Norden.^) 

Über  den  König  äußerte  sich  der  stets  gut  unterrichtete 
Freiherr  v.  Soden  in  seinem  Berichte  vom  30.  September: 
,,Ich  halte  es  für  meine  Pflicht,  noch  einmal  mit  aller  Be- 
stimmtheit und  nach  von  mir  aufs  neue  eingezogenen  ganz 
zuverlässigen  und  sicheren  Nachrichten  zu  konstatieren,  daß 
vS.  M.  der  König  von  Bayern  sich  gegen  irgendwelche  wesent- 
lichen Einschränkungen  seiner  Souveränitätsrechte  erst  neuer- 
dings wieder  bei  mehreren  Gelegenheiten  den  Ministern  gegen- 
über ausgesprochen  hat  und  daß  alle  entgegengesetzten  Nach- 
richten, welche  gemäß  der  von  der  Fortschrittspartei  adop- 
tierten Taktik  dahin  gehen,  König  Ludwig  wünsche  und  be- 
treibe aus  eigenem  Antrieb,  mehr  oder  weniger  in  Wider- 
spruch zu  seinen  Ministern,  eine  Lösung  der  deutschen  Frage 
im  sogenannten  nationalen  Sinne,  d.  h.  auf  der  Basis  oder  gar 
durch  den  Eintritt  in  den  Norddeutschen  Bund,  irrig  sind." 
Die  Art,  wie  der  König  die  Münchener  Konferenzen  beim 
Empfang  der  Minister  Delbrück  und  Mittnacht  behandelte, 
die  Frage,  die  er  hierüber  an  Mittnacht  richtete,  das  Schweigen, 
das  er  darüber  gegenüber  Delbrück  bewahrte,  bestätigen  das 
Zeugnis  Sodens. 

^)  über  diese  Versammlungen  vgl.  „Bayerischer  Kurier"  Nr.  268 
vom  29.  September  und  ,, Augsburger  Postzeitung"  Nr.  237  vom  30.  Sep- 
tember und  dazu  den  Bericht  des  Freiherrn  v.  Soden  vom  30.  September, 
St.  St.  A. 


102 

Der  württembergische  Gesandte  schließt  seinen  inhalts- 
reichen Bericht  vom  30.  September^)  mit  den  Worten:  „Es 
läßt  sich  trotz  der  von  fortschrittlicher  Seite  eingetretenen 
Adreßbewegung  für  den  aufmerksamen  Beobachter  nicht  ver- 
kennen, daß,  je  länger  der  Krieg  dauert,  die  momentane,  nach 
den  großartigen  Erfolgen  der  deutschen  Waffen  beinahe 
ausnahmslos  begeisterte  Stimmung  nachläßt,  und,  je  mächtiger 
der  Druck  auf  die  Parteibewegung  wieder  wird,  desto  leichter 
könnte  wieder  ein  teilweiser  Umschwung  in  der  sogenannten 
öffentlichen  Meinung  Platz  greifen".  Grund  genug  für  Bismarck 
und  für  die  nationalen  Kreise  innerhalb  wie  außerhalb  Preußens 
die  definitiven  Verhandlungen  in  der  deutschen  Verfassungs- 
frage zu  beschleunigen,  damit  nicht  die  deutsche  Bewegung 
versande. 

1)  St.  St.  A. 


VI. 
Die  Vcrsaillcr  Verhandlungen. 

Die  Münchener  Konferenzen  waren  nur  als  Vorbespre- 
chungen gedacht,  die  entscheidenden  Verhandlungen  sollten 
im  Hauptquartier  stattfinden. 

Bevor  diese  anberaumt  wurden,  regte  Bismarck  durch 
den  Minister  Delbrück  während  dessen  Anwesenheit  in  München 
wie  durch  den  Grafen  Tauffkirchen  nach  dessen  Rückkehr 
nach  Frankreich  eine  persönliche  Zusammenkunft  König 
Ludwigs  II.  mit  dem  Preußenkönig  in  Fontainebleau  an, 
um  sich  mit  ihm  über  die  wichtigsten  Punkte  der  deutschen 
Frage  zu  verständigen,  bevor  die  entscheidenden  Verhand- 
lungen mit  den  übrigen  Regierungen  im  Hauptquartier  begannen. 

Graf  Bray,  unterstützt  von  einzelnen  Mitgliedern  des 
Hofes ^),  hat  auch  diese  Anregung  aufs  wärmste  befürwortet. 2) 
Er  hob  die  bedeutsame,  der  Machtstellung  Bayerns  voll  Rech- 
nung tragende  Rolle  hervor,  die  damit  angeboten  werde. 
Er  wies  auf  ,,die  wohl  nicht  wiederkehrende  Gelegenheit  hin, 
für  Bayern  jene  besonderen  Rechte  und  Bevorzugungen  in 
Anspruch  zu  nehmen,  welche  ihm  gebühren  und  die  —  einmal 
durch  Preußen  zugestanden  —  gesichert  seien,  während  in 
einer  allgemeinen  Versammlung  von  Bevollmächtigten  das 
Geltendmachen  solcher  Ansprüche  vielfach  Widersprüchen 
und  unendlicher  Schwierigkeit  begegnen  würde".  Er  warnte 
vor  den  Folgen  einer  Ablehnung;  ,,man  würde  sich  erinnern, 
daß  der  Berliner  Hof  schon  seit  Jahren  einem  Gegenbesuch 
entgegensieht,  und  aus  persönlicher  Gereiztheit  könnte  leicht 
eine  bleibende  Schädigung  hoher  staatlicher  Interessen  sich 
ergeben". 

^)  Der  Adjutant  Sauer  empfahl  dem  Kanzler  Bismarck  eine  per- 
sönliche Reise  zum  König. 

^)  Antrag  Brays  vom  13.  Oktober  bei  Bray,  Denkwürdigkeiten,  S.  145  f. 
Das  Gesamtministerium  hat  den  Antrag  am  16.  Oktober  erneuert.  Bei- 
lagen  III,   nr.  I. 


104 

Der  König  kam  nicht.  Der  wichtigste  Grund  lag  aber 
nicht  etwa  in  der  deutschen  Frage,  er  lag  in  der  Menschenscheu 
des  Monarchen.  Am  i8.  Oktober  ließ  er  dem  Hofsekretär 
Düfflipp  folgenden  Auftrag  zugehen:  ,,Mit  jedem  Tag  hegen 
Majestät  mehr  die  Überzeugung,  wie  unmöglich  es  ihm  ist, 
die  in  Aussicht  stehende  Reise  nach  Frankreich  anzutreten. 
Majestät  glauben  daher,  daß  es  notwendig  ist  irgendeine 
Krankheit  vorzuschützen,  z.  B.  Sehnen verdehnung,  und  möchte 
Herr  Hofrat  Sorge  tragen,  daß  dieses  unter  dem  Publikum 
und  den  Soldaten  bekannt  werde." 

Wohl  aber  brach  am  20.  Oktober  Graf  Bray  gemeinsam 
mit  dem  Justizminister  v.  Lutz  und  dem  Kriegsminister 
Freiherrn  v.  Pranckh  nach  Versailles  auf. 

Die  Entsendung  bayerischer  Bevollmächtigter  ins  Haupt- 
quartier zu  den  entscheidenden  Verhandlungen,  nicht  mehr 
bloß  zu  Vorbesprechungen,  hatte  Bismarck  allerdings  schon 
vor  den  Münchener  Konferenzen  durch  den  Grafen  Tauff- 
kirchen  angeregt  und  Graf  Bray  sie  damals  schon  ausdrücklich 
zugesagt.  Daß  aber  die  Entsendung  der  bayerischen  Bevoll- 
mächtigten zu  diesem  frühen  Zeitpunkt  erfolgte,  das  hatte 
seinen  Grund  in  einem  besonderen  Schritte  Bismarcks  und 
Württembergs. 

Wiederholt  war  Bismarck  gerade  im  Hinblick  auf  Bayern 
vor  einer  Verschleppung  der  deutschen  Verfassungsfrage  ge- 
warnt worden. 

Auch  Delbrück  hatte  seinen  Bericht  über  die  Münchener 
Konferenzen  mit  den  Worten  geschlossen:  ,,Ich  kann  nicht 
dringend  genug  empfehlen,  unverzüglich  zur  Eröffnung  von 
Verhandlungen  auf  der  Grundlage  der  Vorschläge  Bayerns 
einzuladen  und  dabei  unsere  Gegenvorschläge  zu  machen. 
Alle  unsere  Freunde  in  Bayern  raten  zur  Eile  und  die  der  Sache 
zugetanen  Mitglieder  des  bayerischen  Ministeriums  selbst 
wünschen  nichts  sehnlicher  als  eine  rasche  Entscheidung."^) 
Auf  dem  Wege  über  Baden  und  Württemberg  sollten  die 
Verhandlungen  beschleunigt  werden.  Dort  konnte  sich  Bis- 
marck mit  einer  Weisung  an  die  preußische  Gesandtschaft 
in  Karlsruhe  begnügen.  Hier  bediente  er  sich  des  Kriegs- 
ministers Suckow,  der  damals  im  deutschen  Hauptquartier 
weilte,  um  einen  hohen  Orden  seines  Monarchen  an  den  König 
von  Preußen  zu  überbringen.  Suckow  hatte  seit  dem  Sturze 
Varnbülers,  unterstützt  von  der  nationalen  Partei  im  Lande, 


^)  Beilagen  II,  nr.  11. 


105 

planmäßig  dahin  gearbeitet,  Württemberg  in  der  deutschen 
Frage  von  Bayern  loszulösen  und  im  Zusammenhange  damit 
den  Einfluß  des  auswärtigen  Departements  zurückzudämmen.^) 
Die  Mitteilungen,  die  er  Bismarck  über  den  Stand  der  deutschen 
Frage  in  Stuttgart  gab,  insbesondere  über  die  Bereitschaft 
der  württembergischen  Regierung  zu  neuen,  definitiven  Ver- 
handlungen, klangen  vielversprechend.-)  Am  30.  September 
schrieb  Bismarck  an  den  preußischen  Gesandten  in  Karls- 
ruhe Grafen  v.  Fleming:  ,,Ein  Antrag  Badens  auf  Aufnahme 
in  den  Norddeutschen  Bund  wäre  in  diesem  Augenblick  als 
(irundlage  für  und  als  Druck  auf  die  Verhandlungen  mit 
Bayern  willkommen  .  .  .  Nach  Suckows  mündlichen  Äuße- 
rungen muß  ich  annehmen,  daß  auch  Württemberg  auf  vollen 
Anschluß  einzugehen  bereit  ist."^)  Am  folgenden  Tage  kehrte 
Suckow  nach  Stuttgart  zurück  mit  einer  Einladung  an  seinen 
König  in  das  Hauptquartier  zur  Besprechung  der  deutschen 
Frage. 

Ziemlich  gleichzeitig,  aber  unabhängig  voneinander,  er- 
hielt Bismarck  aus  Karlsruhe  den  badischen  Antrag  auf 
Aufnahme  in  den  Norddeutschen  Bund  und  aus  Stuttgart  die 
Nachricht,  daß  der  König  von  Württemberg  den  Wunsch  hege, 
vor  seiner  Reise  ins  Hauptquartier  die  Grundlagen  der  deut- 
schen Bundesverfassung  festgestellt  zu  wissen,  und  daß  Suckow 
und  Mittnacht  bereit  seien,  zur  Ergänzung  und  Fortführung 
der  Münchener  Verhandlungen  sich  nach  Versailles  zu  begeben. 
Am  14.  Oktober  telegraphierte  Bismarck  an  die  preußische 
(jesandtschaft  in  München:  ,, Teilen  Sie  dem  Grafen  Bray 
vorläufig  mit,  daß  ich  von  Mittnacht  und  Suckow  das  An- 
erbieten, behufs  weiterer  Besprechungen  hieher  zu  kommen, 
erhalten  und  angenommen  habe  und  Bayern  anheimstelle, 
entweder  auch  hier  zu  unterhandeln  oder  des  Staatsministers 
Delbrück  Rückkehr  nach  München  abzuwarten."^)  Schrift- 
lich war  die  Mitteilung  hie  von  schon  am  12.  Oktober  durch 
Feldjäger  abgesandt  worden. 


^)  ,,  Suckow  hat  seit  dem  Sturze  Varnbülers  das  Übergewicht  ge- 
wonnen, seine  Tendenz  ist,  das  Auswärtige  Amt,  das  früher  alle  übrigen  De- 
partements zu  beherrschen  suchte,  lahmzulegen  und  mit  manchen  klein- 
staatlichen Grundsätzen  zu  brechen."  Schreiben  des  preußischen  Gesandten 
in  Stuttgart  von  Rosenberg  vom  19.  Oktober.   H.  A.  A. 

*)  Am  21.  September  telegraphierte  Bismarck  an  Delbrück:  ,, Suckow 
hier,  Disposition  günstig,  anscheinend  Beitritt  zum  Norddeutschen  Bund, 
wenn  keine  Einigung  mit  Bayern  gelingt."    H.  A.  A. 

3)   H.  A.  A. 

*)  H.  A.  A. 


106 

Graf  Bray,  ohnehin  schon  beunruhigt  durch  einen  offiziellen 
Artikel  des  württembergischen  Staatsanzeigers  vom  9.  Oktober 
und  durch  die  Ausstreuungen  des  von  einem  Besuch  in  Stutt- 
gart zurückgekehrten  preußischen  Gesandten  v.  Werthern 
über  eine  Wendung  der  württembergischen  Politik^),  fürchtete 
von  Württemberg  ein  einseitiges  Vorgehen  und  einen  Vor- 
sprung in  der  deutschen  Frage.  Er  hat  seinen  Antrag  auf  Ent- 
sendung von  Bevollmächtigten  nach  Versailles  beim  König 
ausdrücklich  damit  begründet:  „um  Württemberg  nicht  den 
Vorteil  der  Initiative  zu  lassen".  Er  wurde  in  seinem  Argwohn 
bestärkt  durch  die  gleichzeitige  Meldung  von  einer  angeblichen 
Äußerung  des  Grafen  Bismarck:  ,,I.  Mt.  der  König  und  die 
Königin  von  Württemberg  sowie  die  Kgl.  Württembergische 
Regierung  seien  neuerdings  viel  mehr  als  früher  geneigt,  sich 
prinzipiell  auf  der  Basis  der  schon  bestehenden  Verhältnisse 
mit  Preußen  zu  verständigen,  und  verlangten  eigentlich  gar 
keine  Konzession;  trotzdem  sei  die  Kgl.  Preußische  Regierung 
geneigt,  den  beiden  süddeutschen  Königreichen  eine  gleich 
bevorzugte  Stellung  einzuräumen,  bei  deren  Bemessung  sich 
aber  Bayern  auf  den  von  Württemberg  eingenommenen,  ge- 
mäßigten Standpunkt  zu  beschränken  habe."  Es  bedurfte, 
wie  Graf  Bray  in  einem  Schreiben  vom  18.  Oktober  an  die 
bayerische  Gesandtschaft  in  Stuttgart  ausdrücklich  erklärte^), 
trotz  beruhigender  Erlasse  aus  dem  Stuttgarter  Auswärtigen 
Departement  der  bestimmtesten  Versicherungen  des  württem- 
bergischen Gesandten,  um  ihn  der  Annahme  zugänglich  zu 
machen,  daß  in  den  Ansichten  der  württembergischen  Re- 
gierung in  jüngster  Zeit  eine  Änderung  nicht  stattgefunden  habe. 
Der  Nachfolger  Varnbülers  im  Auswärtigen  Ministerium, 
Graf  Taube,  wollte  in  der  Tat  nicht  einseitig  vorgehen,  er 
wies  den  württembergischen  Gesandten  Freiherrn  v.  Soden 
am  14.  Oktober  telegraphisch  an:  ,, dahin  zu  wirken,  daß 
Bayern,  ohne  Delbrücks  Rückkehr  abzuwarten,  mit  im  Haupt- 
quartier zu  erscheinen  sich  entschließe".^)     Soden  gab  dem 


^)  „Daß  die  Kgl.  Württembergische  Regierung  nunmehr  eine  selb- 
ständige, von  den  Anschauungen  der  Kgl.  Bayerischen  Regierung  ganz  un- 
abhängige Position  in  der  deutschen  Frage  genommen  habe  und  die  bisherige 
Solidarität  oder,  wie  er  sich  ausdrückt,  das  Hin-  und  Herschieben  zwischen 
Stuttgart  und  München  ein  Ende  erreicht  habe,  auch  wahrscheinlich  eine 
separate  Verständigung  zwischen  Preußen  und  Württemberg  in  der  deutschen 
Frage  ohne  gleichzeitige  Regelung  der  Sache  mit  Bayern  bevorstehe."  Be- 
richt Sodens  vom  10.  Oktober.    St.  St.  A. 

2)  M.  St.  A. 

3)  St.  St.  A. 


107 

Grafen  Bray  einen  Brief  an  Herrn  von  Mittnacht  mit,  in  dem 
er  auch  seinerseits  ausdrückhch  ersuchte,  ,, nicht  zu  weit  zu 
gehen,    sondern   im   Verein   mit    Bayern   die   keineswegs   un- 
günstige Situation  möghchst  zur  Erlangung  guter  Bedingungen 
auszunützen".  1)     In   Versailles   ist   dann   aber   die   württem- 
bergische Abordnung  unter  dem  Einflüsse  des  Kriegsministers 
V.  Suckow  fast  ostentativ  ihren  besonderen  Weg  gegangen. 
Bezeichnend  war  schon  die  Eile  und   Geflissentlichkeit,   mit 
der  man  eine  gemeinsame  Fahrt  mit  den  bayerischen  Bevoll- 
mächtigten zu  vermeiden  suchte.    Gegenüber  dem  preußischen 
Gesandten  in    Stuttgart  gab   Suckow  als    Grund  hiefür  an: 
„damit   sie   nicht   als   Anhängsel   der   Bayern   erschienen".^) 
Auf   die   Frage   desselben   preußischen    Gesandten,    ob   nicht 
Minister  Mittnacht  geneigt  sei,  sich  in  den  meisten  Fragen  dem. 
bayerischen   Standpunkt  anzuschließen,   antwortete    Suckow, 
,,daß  er  nach  den  darüber  mit  ihm  gepflogenen  Erörterungen 
dies  nicht  mehr  besorge.    Auch  der  König  habe  auf  seinen 
Wunsch  Herrn  v.  Mittnacht  ausdrücklich  gesagt,  er  wünsche 
nicht,  daß  Württemberg  ans  bayerische  Schlepptau  sich  an- 
hänge".^) Im  Hauptquartier  angekommen,  teilte  Suckow  dem 
Minister  v.  Delbrück  gleich  bei  der  ersten  Begegnung  unauf- 
gefordert mit,  daß  er  und  Herr  v.  Mittnacht  Vollmacht  hätten 
mit  Preußen  abzuschließen,  gleichviel,  ob  mit  oder  ohne  die 
süddeutschen  Genossen.*)    Er  hatte  ja  schon  während  seiner 
ersten    Anwesenheit    im    Hauptquartier   die    Erwartung   aus- 
gesprochen,   daß    die    Verhandlungen   mit    Württemberg   ge- 
trennt geführt  werden,  und  Bismarck  hatte  dies  ,,als  seine 
Ansicht    bestätigt".^)     Über    das    Benehmen    der    württem- 
bergischen Minister  in  Versailles  haben  sich  sämtliche  bayerische 
Bevollmächtigte  bitter  ausgelassen,  auch  der  bayerische  Be- 
richterstatter im  Hauptquartier,   Graf  Berchem.    Er  schrieb 
am  24.  Oktober  nach  München:  ,,Es  ist  nicht  bloß  mir  allein 
aufgefallen,  wie  ostentiös  Minister  Mittnacht  den  Grafen  Bray 
zu  vermeiden  schien."^) 


1)  M.  St.  A. 

2)  H.  A.  A. 
^)   Ebenda. 

*)  Schreiben  Delbrücks  an  Lasker  vom  26.  Oktober  bei  Brandenburg, 
Der  Eintritt  usw.,    S.  iii  f. 

*)   Suckow,   Rückschau,    S.  168;   Mittnacht,    Rückblicke,    S.  82. 

®)  M.  St.  A.  Auch  Graf  Hugo  v.  Lerchenfeld,  der  den  Grafen  Bray 
als  Privatsekretär  nach  Versailles  begleitet,  erzählt  in  seinen  Erinnerungen, 
daß  es  Mittnacht  gewesen  sei,  der  jede  Fühlung  abgelehnt  habe.  Und  er 
fügt  hinzu :   „Wenn  Mittnacht  ein  überlegen  kluger   Kopf  und    dabei  auch 


108 

.  Bismarck  hatte  in  dem  Telegramm  vom  14.  Oktober 
Bayern  freie  Wahl  gelassen  zwischen  einer  wiederholten  Unter- 
handlung mit  Delbrück  in  München  und  zwischen  einer  Unter- 
handlung mit  Bismarck  im  Hauptquartier.  Graf  Bray  erbat 
sofort  nach  Empfang  des  Telegramms  Bismarcks  telegraphisch 
die  königliche  Genehmigung  zur  Abordnung  bayerischer  Bevoll- 
mächtigter nach  Versailles.  Er  begründete  seinen  Antrag 
damit,  daß  „direkte  Unterhandlungen  mit  Bismarck  vorzu- 
ziehen seien."  1)  Er  rechnete  auf  das  „praktische  Gefühl  des 
Grafen  Bismarck,  mit  dem  leichter  zu  verhandeln  sei  als  mit 
allen  seinen  Agenten,  Herrn  v.  Delbrück  nicht  ausgenommen". 
Dank  den  Bemühungen  des  Kabinettsekretärs  Eisenhart 
konnte  Bray  schon  am  16.  Oktober  (vormittags  10  Uhr)  seine 
und  des  Kriegsministers  Abordnung  ins  Hauptquartier  melden^) 
Am  folgenden  Tage  hat  er  dann  allerdings  beim  König  ange- 
regt^), ob  nicht  statt  seiner,  ähnlich  wie  in  Württemberg,  der 
Justizminister  Lutz  abgeordnet  werden  sollte,  da  ,,die  Be- 
sprechungen im  Hauptquartier  größtenteils  innere  und  juristi- 
sche Fragen  betreffen,  die  diplomatischen  dagegen  auf  wenige 
Sätze  sich  beschränken".  Schließlich  hat  er  sich  am  20.  Oktober 
gemeinsam  mit  dem  Kriegsminister  Freiherrn  v.  Pranckh 
und  dem  Justizminister  Lutz  nach  Versailles  begeben,  weil 
nach  der  Ansicht  des  Gesamtministeriums  ,,bei  einer  so 
wichtigen  Verhandlung  mit  einer  fremden  Macht  der  Minister 
des  Äußern  nicht  fehlen  dürfe".  Die  Bevollmächtigten  sind 
—  eine  Folge  nicht  bloß  der  Kürze  der  Zeit,  sondern  mehr 
noch  der  Eigenart  des  Königs  —  ohne  besondere  Instruktion*) 
nach  Versailles  gegangen.  Als  Grundlage  für  die  Verhand- 
lungen dienten  ihnen  die  Verfassungsskizze  vom  20.  September 
und  das  Protokoll  der  Münchener  Konferenzen  samt  den  vom 
König  schriftlich  und  mündlich  dazu  gemachten  Bemerkungen. 


ein  durchaus  lauterer  Charakter  war,  konnte  er  doch  der  launischste  und  un- 
guteste Mensch  sein,  der  mir  vorgekommen  ist.  Er  war  nicht  immer  so; 
er  konnte  oft  eine  bestrickende  Liebenswürdigkeit  entfalten,  wenn  es  ihm 
paßte;  aber  oft  ohne  erkennbaren  Grund  paßte  es  ihm  nicht.  Bray,  der  stets 
freundliche,  vornehme  Mann,  und  der  kratzbürstige  Mittnacht  mußten 
sich  abstoßen.  Und  Mittnacht  und  Lutz  paßten  auch  nicht  zusammen: 
diese  trauten  sich  gegenseitig  nicht  über  den  Weg." 

1)  M.  St.  A. 

'■^).  Ebenda.      ^)  Ebenda. 

*)  Die  spätere  Berufung  der  Minister  auf  ihre  Instruktion  darf  ebenso- 
wenig urgiert  werden  wie  ihre  spätere  Ankündigung  einer  neuen  Instruktions- 
einholung. Was  Friesen,  Erinnerungen  III,  163  u.  183,  von  späteren  Weisungen 
des  Königs  oder  gar  der  zurückgebliebenen  Minister  erzählt,  ist  unbegründet. 


109 

Aus  den  Münchener  Konferenzen  hatte  Graf  Bray  zwar 
keine  amthche  Erklärung,  immerhin  aber  den  Eindruck  mit- 
genommen, daß  Preußen  nicht  gesonnen  sei,  die  straffe  Ver- 
fassung des  Norddeutschen  Bundes  preiszugeben  und  den 
Norddeutschen  Bund  durch  einen  allgemeinen  Deutschen  Bund 
auf  loserer  Grundlage  zu  ersetzen.  Er  kam  daher  nach  Ver- 
sailles mit  dem  Entschlüsse,  dem  Norddeutschen  Bund  nicht 
beizutreten,  die  Verhandlungen  vielmehr  auf  der  Grundlage 
eines  weiteren,  aber  ebenfalls  unauflöslichen,  verfassungs- 
mäßigen Bundes  zu  führen.  Dieser  Entschluß  war  aber  keines- 
wegs gleichbedeutend  mit  der  Absicht,  die  Verfassungsverhand- 
lungen zum  Scheitern  zu  bringen.  Hatte  ja  nach  dem  öfter 
erwähnten  Berichte  des  Grafen  Berchem  vom  21.  September^) 
Bismarck  selbst  —  wenn  auch  nur  aus  diplomatischen  Gründen 
—  auf  eine  Anfrage  Brays  (vom  1 1 .  September)  die  Möglichkeit 
eines  weiteren  Bundes  ausdrücklich  zugelassen.  Nur  ,,eine 
Eventualität"  hatte  er  damals  schon  mit  aller  Bestimmtheit 
zurückgewiesen:  daß  Teile  des  gegenwärtigen  Norddeutschen 
Bundes,  wie  etwa  das  Königreich  Sachsen,  aus  dem  engeren 
Verbände  des  Nordens  entlassen  und  in  engere  Beziehungen 
zu  Süddeutschland  und  damit  zum  weiteren  Bunde  gestellt 
würden.  An  den  preußischen  Gesandten  in  Dresden,  Eich- 
mann, schrieb  er  um  dieselbe  Zeit  (19.  September)^):  daß  er 
jedem  Versuche  zu  einer  Lockerung  des  Norddeutschen  Bundes 
,,a  limine  entgegentreten  würde".  Noch  schneidender  war 
die  Ablehnung,  als  im  November  vom  großherzoglich  hessischen 
Ministerpräsidenten  Freiherrn  v.  Dalwigk  eine  Reform  der 
norddeutschen  Bundesverfassung  angeregt  wurde. 

Zu  Beginn  der  Versailler  Verhandlungen^)  stehen  sich 
die  preußischen  und  die  bayerischen  Bevollmächtigten  schroff 
gegenüber.  Graf  Bismarck  und  der  von  ihm  zu  seiner  Unter- 
stützung nach  Versailles  berufene  Minister  Delbrück  wollen 
verhandeln  auf  der  Grundlage  des  Beitritts  Bayerns  zum 
Norddeutschen  Bund  oder  vielmehr  auf  der  Grundlage  eines 
nach  der  Verfassung  des  Norddeutschen  Bundes  zu  bildenden 
allgemeinen  Deutschen  Bundes,  Graf  Bray  auf  der  Grundlage 
eines  engeren  und  weiteren  Bundes.  Bayern  überbietet 
noch  das  Maß  der  in  München  geforderten  Reservatrechte  oder 


^)   Beilagen   II,   nr.  9. 

2)   H.  A.  A. 

^)  Delbrücks  Schreiben  vom  26.  Oktober  und  8.  November  bei  Branden- 
burg, Der  Eintritt,  S.  iiif.  und  113!.;  Braj^s  Bericht  vom  28.  Oktober 
a.  a.  O.   S.  173  ff. 


iiö 

greift  auf  Forderungen  zurück,  die  man  auf  den  Münchener 
Konferenzen  schon  hatte  fallen  lassen.  Nicht  aber,  wie  man 
gemeint  hat,  um  die  Verhandlungen  abzubrechen,  sondern  um 
sich  auf  einem  gerade  von  der  alten  Diplomatenschule  oft 
begangenen  Wege  bessere  Bedingungen  zu  sichern.  Staats- 
minister V.  Lutz  hat  später,  bei  den  Landtagsverhand- 
lungen, einen  dankenswerten  Kommentar  dazu  gegeben: 
,, Selbst  wenn  wir  mit  der  Absicht  nach  Versailles  gegangen 
wären  —  und  auch  die  Tatsache,  daß  wir  nach  Versailles 
gingen,  ist  ein  Zeichen  — ,  um  jeden  Preis  ein  Deutsches  Reich 
zu  errichten,  würde  man  uns  nicht  haben  zumuten  können, 
daß  wir  in  vornherein  dies  sagen.  Wer  wird  denn,  wenn  er 
ein  Haus  zu  kaufen  gedenkt,  aller  Welt  sagen,  daß  er  dieses 
Haus  haben  muß,  und  wenn  der  letzte  Heller  darauf  ginge". 
Der  nationalliberale  Abgeordnete  Lasker  hat  hier  gleich 
anfangs  richtig  gesehen:  ,,Herr  Lutz  hat  einiges  an  sich  von 
der  Weise,  in  welcher  die  Geschäfte  des  bürgerlichen  Verkehrs 
vollzogen  zu  werden  pflegen :  Bieten,  Abdingen  und  Vergleichen. 
Einiges  Entgegenkommen  bewahrt  er  vermutlich  für  die  letzte 
Instanz  auf." 

Allerdings  die  Bedingungen,  die  das  innere  Staats- 
recht betrafen  und  die  zum  erstenmal  am  26.  Oktober  von 
Lutz  vertreten  wurden,  enthielten,  abgesehen  von  dem  Vor- 
schlagsrecht bei  der  Besetzung  der  Reichsämter,  von  dem 
etwas  hochgespannten  Anspruch  auf  acht  Stimmen  im  Bundes- 
rat (Reichsrat),  von  der  unter  sächsischem  und  hessischem 
Einfluß  gemachten,  aber  nicht  ernstlich  verfolgten  Anregung 
eines  Staatenhauses  und  vielleicht  noch  von  dem  Veto  gegen 
Kompetenzerweiterungen  des  Bundes,  nichts,  worüber  nicht 
leicht  eine  Einigung  oder  ein  Kompromiß  stattfinden  konnte. 
Aber  weiter  gingen  die  Forderungen  bezüglich  der  militäri- 
schen  Selbständigkeit  und  der  völkerrechtlichen  Vertretung. 

Über  die  militärischen  Fragen  fand,  wie  ich  jetzt 
protokollarisch  feststellen  kann^),  ebenfalls  am  26.  Oktober 
die  erste  Besprechung  zwischen  den  Kriegsministern  v.  Roon 
und  v.  Pranckh  statt.  Der  bayerische  Kriegsminister  hielt 
an  den  wesentlichen  militärischen  Forderungen,  wie  sie  in 
München  aufgestellt  worden  waren,  insbesondere  an  der 
Militärhoheit  im  Frieden  fest,  wollte  die  bayerische  Armee 
nicht  in  der  allgemeinen  Bundesarmee  aufgehen  lassen.  Er 
schlug    aber    bezügUch    des    strittigen    Militärbudgets    einen 


^)   Beilagen  III,  nr.  3. 


111 

Mittelweg  vor:  der  Reichstag  solle  jeweilig  für  die  gesamte 
deutsche  Bundesarmee  einschließlich  der  bayerischen  einen 
„Pauschalsatz  pro  Kopf  der  Friedensstärke"  feststellen  und 
der  bayerische  Landtag  das  Militärbudget  im  einzelnen  ge- 
nehmigen, ohne  aber  an  der  aus  jenem  Pauschalsatz  errechneten 
Gesamtsumme  einen  Abstrich  vornehmen  zu  dürfen.  Pranckh 
gab  auch  ausdrücklich  zu  Protokoll,  er  würde  in  der  bisherigen 
Präsenzstärke  des  Norddeutschen  Bundes  kein  Hindernis 
für  eine  verfassungsmäßige  Verbindung  mit  diesem  erblicken, 
wenn  eine  solche  Stärke  durchaus  als  notwendig  erkannt  würde. 
Er  gab  auch  sonst  eine  Reihe  beruhigender  Erklärungen, 
suchte  namentlich  die  Zweifel  des  preußischen  Kriegsministers 
an  einer  gleichmäßigen  Ausbildung  und  einem  gleichwertigen 
Militärbildungswesen  zu  zerstreuen.  Aus  dem  Verlaufe  dieser 
ersten  Besprechung  glaubte  Freiherr  v.  Pranckh  auf  eine 
schnelle  Verständigung  schließen  zu  dürfen. 

Aber  Kriegsminister  v.  Roon,  der  selbst  die  Gemeinsam- 
keit der  militärischen  Gradabzeichen  verfassungsmäßig  fest- 
gelegt wissen  wollte,  gab  zwar  in  einer  Note  vom  29.  Oktober 
und  in  einer  zweiten  Besprechung  vom  31.  Oktober^)  zu,  daß 
die  bayerischen  Vorschläge  einen  wesentlichen  Fortschritt  auf 
dem  Wege  zu  der  allseitig  gewünschten  politischen  und  mili- 
tärischen Einheit  bedeuteten.  Er  erklärte  aber,  daß  sie  noch 
immer  nicht  ausreichend  seien,  um  die  Grundlage  für  ein  ver- 
fassungsmäßiges Bundes  Verhältnis  zu  bilden;  die  baye- 
rischen Sonderrechte  würden  kaum  jemals  die  Zustimmung 
des  norddeutschen  Reichstages  finden.  Halte  Bayern  an 
seinen  Forderungen  fest,  dann  müßte  es  sich  auf  eine  Er- 
weiterung oder  Fortbildung  des  internationalen  Allianz- 
vertrags vom  August  1866  beschränken.  Mit  anderen  Worten: 
die  Altpreußen  unter  Führung  Roons  wollten  kein  verfassungs- 
mäßiges Bündnis  mit  Bayern,  weder  einen  weiteren  Bund  noch 
einen  Beitritt  zum  Norddeutschen  Bunde,  sondern  lediglich 
einen  erweiterten  internationalen  Vertrag  auf  der  Grundlage  des 
Schutz-  und  Trutzbündnisses  vom  Jahre  1866  —  weil  sie  in  den 
bayerischen  Reservatrechten  eine  Ansteckungsgefahr  für  den 
Bund  und  eine  Gefährdung  des  engeren  preußischen  Lebens- 
gebietes besorgten.  Immerhin  erschien  dem  Kriegsminister 
V.  Roon  auch  eine  bloße  Erweiterung  des  Allianzvertrags 
vom  August  1866  wichtig  genug,  um  dafür  ein  Zugeständnis 
seiner  Regierung  in  Aussicht  zu  stellen :  einen  Verzicht  auf  die 
Kündbarkeit  des  Zollvereins. 

^)  Beilagen  III,  nr.  3  und  4. 


112 

Die  Forderungen  Bayerns  bezüglich  der  völkerrecht- 
lichen Vertretung  lernen  wir  aus  einem  der  beiden  Ver- 
fassungsentwürfe kennen,  die  Graf  Bray  nach  vorausge- 
gangener mündlicher  Besprechung  am  30.  Oktober  dem  Mi- 
nister Delbrück  schriftlich  überreichte  und  über  die  er  am 
I.  November  eine  Aussprache  mit  Bismarck  hatte. i)  Ich 
kann  sie  jetzt  im  Wortlaute  vorlegen.^)  Danach  schließt  das 
Königreich  Bayern  mit  dem  durch  den  Beitritt  Badens, 
Hessens  usw.  erweiterten  Norddeutschen  Bund  einen  weiteren, 
aber  ebenfalls  verfassungsmäßigen  Bund,  der  den  Namen 
,, Deutsches  Reich"  führt.  Das  Präsidium  im  Reiche  steht  dem 
Könige  von  Preußen  zu,  der  als  solcher  den  Titel  ,, Deutscher 
Kaiser"  führt.  Die  Vertretung  nach  außen  ist  eine  gemeinsame 
Angelegenheit  des  ,, Reiches".  Diese  Vertretung  und  damit 
auch  die  Instruktionserteilung  an  die  Reichsgesandten  findet 
aber  nicht  durch  den  Kaiser  allein,  sondern  durch  den  Kaiser 
und  den  König  von  Bayern  gemeinschaftlich  statt; 
der  Kanzler  müßte  also  von  jeder  diplomatischen  Note,  die 
er  erläßt,  nicht  bloß  dem  Könige  von  Preußen,  sondern  auch 
dem  von  Bayern  Kenntnis  geben.  Auch  Friedensverträge  und 
sonstige  Reichsverträge  müssen  unter  Zuziehung  des  Königs 
von  Bayern,  bzw.  eines  bayerischen  Bevollmächtigten,  ge- 
schlossen werden.  Diese  Bestimmungen  des  Verfassungs- 
entwurfs haben  in  den  Kreisen  von  Versailles,  die  davon  er- 
fuhren, einen  Sturm  der  Entrüstung  ausgelöst.  Auch  der 
König  von  Preußen  äußerte  sich  gegenüber  seinem  Schwieger- 
sohne, dem  Großherzoge  von  Baden,  der  in  diesen  Tagen  in 
Versailles  eintraf,  höchst  ungehalten  über  die  politischen 
Ansprüche  Bayerns:  er  sehe  nicht  ein,  wie  man  sich  mit  ihnen 
einigen  solle;  es  sei  ihnen  über  den  Erfolgen  ihrer  Armee  der 
Kamm  gestiegen  und  doch  sei  dazu  keine  besondere  Ver- 
anlassung ;  denn  nur  der  steten  Einfassung  in  preußische  Korps 
verdankten  sie  ihre  Leistungen.^)  Tatsächlich  waren  diese  Be- 
stimmungen praktisch  so  wenig  ausführbar,  daß  man  kaum 
an  den  Ernst  des  bayerischen  Ministers  glauben  kann.  Sie 
gingen  auch  noch  immer  weit  über  das  hinaus,  was  der  Minister 
in  seinem  Antrag  an  den  König  vom  12.  September  Bayern 
vorbehalten    hatte. 


^)  Vgl.  Schreiben  Brays  an  Bismarck  vom  i.  November  bei  Bray 
a.a.O.  S.  180;  Bericht  Brays  an  den  König  vom  3.  November,  ebenda 
S.  177  ff. ;   Bericht  Mittnachts  vom  4.  Nov.  bei   Schneider  a.a.O.   S.   168  f. 

■-)   Beilagen  III,   nr.  5. 

^)   Tagebuch  des  Großherzogs  von  Baden  zum  7.  November. 


113 

Minister  v.  Delbrück  scheint,  wie  aus  seiner  Korrespondenz 
mit  Lasker  hervorgeht,  sehr  schwarz  über  die  bayerischen  Forde- 
rungen geurteilt,  an  dem  Erfolge  der  Verhandlungen  mit 
Bayern  fast  verzweifelt  zu  haben.  Bismarck  hat  trotz  alledem 
innerhalb  verhältnismäßig  kurzer  Zeit  sein  Ziel  erreicht. 
Er  hatte  sein  Spiel  damit  begonnen,  daß  er  getrennte  Ver- 
handlungen mit  den  süddeutschen  Staaten  pflog.  Er  führte 
sein  Spiel  damit  fort,  daß  er  jeden  einzelnen  der  süddeutschen 
Staaten  für  einen  einseitigen  und  möglichst  raschen  Abschluß 
zu  gewinnen  suchte  oder  daß  er  mit  einem  unmittelbar  bevor- 
stehenden einseitigen  Abschluß  drohte.  Hier  kam  ihm  die 
Richtung  Suckow  entgegen.  Indem  sich  jetzt  auch  Mittnacht, 
der  nach  den  Berichten  Sodens  sachlich  und  persönlich  in 
München  nicht  befriedigt  worden  war,  dieser  Richtung  an- 
schloß, vollzog  sich  der  entscheidende  Wendepunkt  in  der 
süddeutschen  Politik.  Die  von  Bray  überreichten  Verfassungs- 
entwürfe dienten  dem  Grafen  Bismarck  dazu,  einerseits  die 
Kluft  zwischen  Bayern  und  Württemberg  zu  erweitern^), 
anderseits  beide  Teile  zu  beschleunigtem  Abschluß  anzu- 
treiben: die  württembergischen  Bevollmächtigten,  indem  er 
an  der  Hand  der  Entwürfe  Brays  den  Nachweis  erbrachte, 
daß  Bayern  mit  dem  Anerbieten  des  Kaisertitels  sich  eine 
Ausnahmestellung,  namentlich  auf  dem  Gebiete  der  aus- 
wärtigen Politik,  zu  sichern  suche;  den  Grafen  Bray,  indem 
er  ihm  erklärte,  daß  er  mit  Württemberg  dem  Abschlüsse  nahe 
stehe.  Das  Mißtrauen  zwischen  den  bayerischen  und  württem- 
bergischen Bevollmächtigten  hat  das  Spiel  wesentlich  er- 
leichtert. 

Graf  Bray  und  seine  Ministerkollegen  beklagen  sich  zwar 
über  Württemberg,  das  seine  eigenen  Wege  gehe;  sie  wären 
zweifellos  bereit  gewesen,  mit  den  württembergischen  Bevoll- 
mächtigten in  Fühlung  zu  bleiben.-)  Sie  übersehen  auch 
keineswegs  die  Gefahr  der  getrennten  Verhandlungen.  Aber 
sie  erheben  doch  keinen  Einspruch  gegen  solche.  Es  ist  grund- 
falsch, daß  Bray  mit  Bismarck  in  Versailles  Brust  an  Brust 
um  Württemberg  gerungen  hätte.  Bray  hat  auch  die  bekannte 
(spätere)  Intrigue  des  bayerischen  Gesandten  am  Stuttgarter 
Hofe,  die  im  letzten  Augenblick  die  königliche  Genehmigung 
der  württembergischen  Übereinkunft  mit  Bismarck  hemmte, 

^)   Bericht  Mittnachts  vom  2.  November  bei  Schneider  a.  a.  O.  S.  166  f. 

^)  Das  ergibt  sich  aus  den  Berichten  Brays  und  wird  bestätigt  durch 
das  Zeugnis  Hugo  v.  Lerchenfelds.  Daran  können  auch  die  Anklagen  und 
Selbstentschuldigungen  Mittnachts  in  seinen  ,, Rückblicken"  nichts  ändern. 
Doeberl,  Bayern  und  die  Bismarckische  Reichsgründung.  ö 


114 

nicht  veranlaßt,  er  hat  sie  vielmehr  ausdrücklich  mißbilligt,  i) 
Die  bayerischen  Minister  fühlen  sich  durch  das  Verfahren 
Bismarc ks  nicht  vergewaltigt,  sie  stimmen  der  getrennten 
Verhandlung  wie  dem  getrennten  Abschluß  vielmehr  aus- 
drücklich zu,  sie  versprechen  sich  davon  auch  für  Bayern 
gewisse  Vorteile,  zumal  eine  Erleichterung  des  Weges  für 
Gewinnung  von  Sonderrechten. 

Damit  war  aber  Bayern  isoliert  und  durch  diese  Isolierung 
die  Möglichkeit  eines  weiteren  Bundes  soviel  wie  ausge- 
schaltet, da  für  sich  allein,  ohne  die  anderen  Südstaaten, 
Bayern  unmöglich  einen  weiteren  Bund  mit  Norddeutschland 
schließen  konnte.  Das  wurde  später  von  bayerischer  Seite 
ausdrücklich  anerkannt.  Graf  Bray  schrieb  am  15.  November 
an  den  außerordentlichen  Gesandten  Bayerns  in  Wien,  Frei- 
herrn V.  Schrenck:  ,,Der  weitere  Bund  ist  durch  die  jetzige 
Isolierung  Bayerns  unausführbar  geworden. "2)  Noch  deut- 
licher sprach  sich  Lutz  in  einem  späteren  Schreiben  vom 
21.  Januar  1871  aus^):  ,,Von  einem  weiteren  Bunde  konnte 
nur  die  Rede  sein,  wenn  Bayern  gemeinschaftlich  vorging 
mit  Hessen,  Baden,  Württemberg.  Anders  war  es  auch  nicht 
gemeint  mit  dem  weiteren  Bund  im  Prager  Frieden." 

Die  mündliche  und  schriftliche  Aussprache  mitBismarck 
und  Delbrück  über  seine  Entwürfe  überzeugte  den  Grafen 
Bray  vollends  von  der  Undurchführbarkeit  des  weiteren 
Bundes. 

Bismarck  stellt  den  bayerischen  Minister  in  der  münd- 
lichen Aussprache  vom  i.  November  vor  die  Wahl  zwischen 
einem  bloß  internationalen  und  darum  auflöslichen  Bündnis 
auf  der  Grundlage  des  Schutz-  und  Trutzbündnisses  des 
Jahres  1866,  von  dem  der  Kanzler  weiß,  daß  er  die  öffentliche 
Meinung  in  Bayern  nicht  befriedigen  würde,  und  zwischen 
einem  einheitlichen  Verfassungsbündnis  auf  der  Grundlage 
des  Norddeutschen  Bundes,  von  dem  er  weiß,  daß  er  allein 
der  Mehrheit  der  Nation  entspricht.  Bismarck  gibt  aber  gleich- 
zeitig die  Neigung  kund,  innerhalb  des  einheitlichen  Ver- 
fassungsbündnisses den  Wünschen  Bayerns,  soweit  sie  nicht 
die  diplomatische  und  militärische  Einheit  Deutschlands  ge- 
fährden, durch  Ausnahmebestimmungen,  sei  es  in  der  Form 
von  Konventionen,  sei  es  in  der  Form  von  Zusätzen  zur 
Bundesverfassung,  weitgehend  Rechnung  zu  tragen.    Auf  die 

1)  Vgl.  S.  125. 

2)  M.  St.  A. 
^   Ebenda. 


115 

„Modalitäten"  dieser  Ausnahmebestimmungen  oder  Sonder- 
rechte läßt  er  sich  noch  nicht  näher  ein.  Nur  die  gemeinschaft- 
liche Instruktionserteilung  weist  er  schon  jetzt  mit  Bestimmt- 
heit zurück,  weil  er  darin  eine  Beschränkung  der  eigenen 
politischen  Beschlußnahm.e  erblicke.  Er  deutet  aber  gleich- 
zeitig die  Möglichkeit  eines  Ersatzes  an:  die  Kreierung  eines 
diplomatischen  Ausschusses  des  Bundesrates  mit  bayerischem 
Vorsitz  und  die  Vertretung  der  Reichsgesandten  durch  die 
bayerischen. 

Und  die  bayerischen  Bevollmächtigten  beginnen  zurückzu- 
weichen. Tatsächlich  schon  früher,  als  man  gemeinighch  an- 
nimmt, schon  am  2.  November.  Graf  Bray  erklärt  in  einem 
Schreiben  an  Bismarck  von  diesem  Tage^),  daß  er  nur  für 
einen  weiteren  Bund  von  seinem  König  ermächtigt  sei,  daß 
er  zum  Eintritt  in  einen  allgemeinen  Deutschen  Bund,  den 
Bismarck  neben  einer  internationalen  Allianz  vorschlage, 
einer  erweiterten  Vollmacht  bedürfe  und  diese  nach  Empfang- 
nahme bestimmt  formulierter  Vorschläge  in  München  erholen 
müsse.  Er  bat  um  baldigste  Übergabe  dieser  Vorschläge 2), 
damit  er  und  seine  Ministerkollegen  möglichst  bald  nach 
München  abreisen  könnten.  Man  sieht  ganz  deutlich:  Graf 
Bray  rechnet  bereits  mit  der  Möglichkeit  eines  Eintritts  Bayerns 
in  den  allgemeinen  Deutschen  Bund ;  die  andere  von  Bismarck 
gestellte  Alternative  tritt  daneben  so  sehr  zurück,  daß  sie 
fast  verschwindet.  Selbst  der  Entschluß  zur  Reise  nach 
München  stand  keineswegs  so  fest,  als  er  in  dem  Schreiben  an 
Bismarck  auftritt.  In  seinem  Bericht  an  den  König  vom 
folgenden  Tage^)  spricht  der  Minister  bereits  von  der  Möglich- 
keit einer  nachträglichen  Einholung  der  königlichen  Geneh- 
migung: ,,es  werde  von  der  Natur  der  preußischen  Vorschläge 
abhängen,  ob  es  sich  als  tunlich  herausstellt,  daß  wir  hier 
salva  ratificatione  denselben  beitreten,  oder  ob  es  vielmehr 
ratsam  erscheint,  ohne  jeden  Abschluß  nach  München  zu- 
rückzukehren, um  vor  allem  Euerer  K.  Majestät  Bericht  zu 
erstatten  und  Allerhöchst  Ihre  Beschlußnahme  zu  beantra- 
gen." Wenige  Tage  später  wiU  der  Großherzog  von  Baden  bei 
seiner  ersten  Begegnung  mit  den  bayerischen  Bevollmächtigten 


1)  Bei  Bray  a.  a.  O.    S.  i8o  f. 

2)  Nach  dem  Berichte  Sodens  vom  3.  November  (Schneider  a.  a.  O. 
S.  168)  hätte  Bismarck  dem  Grafen  Bray  versprochen,  „demnächst  den 
Entwurf  einer  sämtliche  deutsche  Staaten  umfassenden  deutschen  Bundes- 
akte vorzulegen". 

3)  Bei  Bray  a.  a.  O.   S.  177  ff. 

8* 


116 

von  Minister  Lutz  vernommen  haben:  „Ich  hoffe,  daß  wir 
der  Welt  das  Schauspiel  ersparen  werden,  von  hier  abreisen 
zu  müssen,  um  Fragen  zu  erledigen,  in  denen  wir  die  Grenzen 
kennen,  bis  zu  welchen  wir  selbständig  vorgehen  können.  Wir 
dürfen  nicht  unverrichteter  Dinge  von  hier  abreisen  und 
ich  hoffe,  daß  die  Einigung  möglich  ist."^) 

Graf  Bray  nimmt  in  dem  Schreiben  an  Bismarck  vom 
2.  November  bereits  auch  die  Forderung  zurück,  die  am 
meisten  Anstoß  erregt  hatte,  seine  Forderung  bezüglich  der 
auswärtigen  Vertretung  und  der  gemeinsamen  Instruktions- 
erteilung. Er  schrieb  an  Bismarck:  ,, Nachdem  der  zu  Miß- 
verständnissen führende  Satz  über  die  diplomatische  In- 
struktionserteilung Anstoß  erregt  hat,  lasse  ich  denselben 
fallen  und  hoffe,  daß  es  gelingen  wird,  eine  den  gestrigen 
Äußerungen  Ew.  Exzellenz  anpassende  Formulierung  zu  fin- 
den." Wie  weit  auf  diesen  Entschluß  die  Vorstellungen  seiner 
Kollegen,  wie  weit  die  des  sächsischen  und  des  hessischen 
Ministerpräsidenten 2)  eingewirkt  haben,  läßt  sich  an  der  Hand 
der  verfügbaren  Quellen  nicht  entscheiden. 

Bismarck  wiederholt  in  seinem  Antwortschreiben  vom 
4.  November^)  die  mündlich  gestellte  Alternative,  läßt  aber 
keinen  Zweifel  über  die  von  ihm  gewollte  Wahl:  Bayern 
möge  sich  zum  Eintritt  in  den  einheitlichen,  allgemeinen 
Deutschen  Bund  entschließen.  Das  sei  die  einzige  Basis,  die 
den  Wünschen  der  deutschen  Natioii  entspreche,  zugleich 
weit  genug,  um  der  Stellung  Raum  zu  gewähren,  auf  die  Bayern 
vermöge  seiner  Bedeutung  in  einem  Deutschen  Bund  An- 
spruch habe.  Die  militärischen  Verhältnisse  könnten  durch 
einen  besonderen  völkerrechtlichen  Akt,  die  übrigen  Be- 
ziehungen müßten  auf  der  Grundlage  der  Verfassung  des 
Norddeutschen  Bundes  geregelt  werden.  Bismarck  legte 
gleichzeitig  einen  Entwurf  von  Zusätzen  und  Abänderungen 
zu  dieser  Verfassung  bei,  wie  sie  in  Versailles  bei  den  Ver- 
handlungen mit  Württemberg,  Baden  und  Hessen  besprochen 
und  zum  Teil  schon  vorher,  auf  den  Münchener  Konferenzen, 
von  Bayern  vorgeschlagen  worden  waren.  Er  vermied  es 
aber  jetzt  ebenso  grundsätzlich  wie  früher,  bestimmt  formu- 
lierte Verfassungsvorschläge  zu  machen,  nicht  bloß  weil  er 
sie   gemäß   seiner   bisherigen    Praxis    von   Bayern   erwartete, 

^)  Tagebuch  des  Großherzogs. 

^)  Ich  möchte  Brandenburg  darin  beistimmen,  daß  dieser  Einfluß  nicht 
erhebUch  gewesen  ist. 

3)   Bei  Bray  a.  a.  O.   S.  181  f. 


117 

sondern  auch,  um  den  bayerischen  Bevollmächtigten  keine 
Handhabe  zu  geben,  ihre  Reise  nach  München  anzutreten  und 
damit  zu  rechtfertigen.  Die  Friedensverhandlungen  mit 
Thiers  und  der  Plan  eines  Fürstentages  in  Versailles  boten  ein 
weiteres  Mittel,  die  bayerischen  Bevollmächtigten  im  deutschen 
Hauptquartier  zurückzuhalten.  Gleichzeitig  beschleunigte  Bis- 
marck  die  Verhandlungen  mit  den  übrigen  süddeutschen 
Staaten,  um  mit  diesen  rasch  zum  Abschluß  zu  kommen. 

Ehe  diese  zu  Ende  geführt  waren,  vollzog  sich  auf  baye- 
rischer Seite  die  entscheidende  Wendung.  Der  Kriegsminister 
v.  Roon  hatte  in  den  Verhandlungen  mit  Freiherrn  v.  Pranckh 
ein  bloß  internationales  Bündnis  mit  Bayern  in  Aussicht  ge- 
nommen, aber  mit  gesteigerten  mihtärischen  Anforderungen  an 
Bayern.  Gegenüber  den  Einwendungen  des  bayerischen  Kriegs- 
ministers, daß  eine  Erhöhung  der  Mihtärausgaben  Schwierig- 
keiten im  bayerischen  Landtag  auslösen  würde,  hatte  er  auf 
die  Möghchkeit  hingewiesen,  diesen  Widerstand  dadurch  zu 
überwinden,  daß  man  preußischerseits  die  längst  begehrte 
Unkündbarkeit  des  deutschen  Zollvereins  bewilHge.  Dem 
trat  jetzt  Bismarck  entgegen.  Er  sandte  am  7.  November 
die  ihm  vorgelegten  Protokolle  über  die  beiden  Besprechungen 
der  Kriegsminister  vom  26.  und  31.  Oktober  an  Roon  zurück 
und  sprach  sich  in  dem  Begleitschreiben i)  aufs  schärfste 
gegen  den  Versuch  aus,  den  Zollverein  mit  einem  internationalen 
Allianzvertrag  in  Verbindung  zu  setzen:  ,,Laut  des  Protokolls 
vom  31.  vorigen  Monats  haben  Euere  Exzellenz  aus  Ver- 
anlassung der  Bemerkungen  des  Freiherrn  v.  Pranckh  über 
die  Schwierigkeiten,  welchen  eine  Erhöhung  der  Geldleistungen 
für  die  bayerische  Armee  im  Schöße  der  bayerischen  Kammern 
begegnen  würde,  darauf  hingewiesen,  daß  in  der  Verbindung 
einer  Unkündbarkeit  des  Zollvereins  mit  einem  jene  Er- 
höhungen bedingenden  Bündnisvertrag  eine  Kompensation 
für  die  Annahme  des  letzteren  durch  die  bayerischen  Kammern 
zu  finden  sein  dürfte.  Ohne  die  Richtigkeit  dieser  Hinweisung 
bezweifeln  zu  wollen,  glaube  ich  doch  schon  jetzt  mich  von 
meinem  Standpunkt  aus  gegen  die  angedeutete  Verbindung 
aussprechen  zu  müssen.  Die  Genehmigung  derselben  durch 
den  Reichstag  halte  ich  für  dergestalt  aussichtslos,  daß  ich 
schon  aus  diesem  Grunde  davon  abraten  muß,  eine  solche 
Kombination  bei  weiteren  Besprechungen  mit  dem  Freiherrn 
v.  Pranckh  ins  Auge  zu  fassen,  und,  um  Mißverständnissen 
bei  den  königlichen  bayerischen  Bevollmächtigten  vorzubeugen, 

1)  H.  A.  A. 


118 

Euere  Exzellenz  ganz  ergebenst  ersuche,  den  königlichen  baye- 
rischen Herrn  Kriegsminister  hiervon  baldtunlichst  in  Kenntnis 
setzen  zu  wollen."  Bismarck  behielt  damit  das  Mittel  in  der 
Hand,  ,,von  dessen  Anwendung  Preußen  hoffen  konnte,  später 
selbst  den  bedingungslosen  Eintritt  Bayerns  in  den  Bund  zu  er- 
zwingen", i)  Gerade  darin  aber  lag  nach  dem  Zeugnisse  des 
bayerischen  Kriegsministers  die  ,, dringende  Aufforderung  für 
Bayern,  nicht  jene  spätere  Zwangslage  abzuwarten,  seinen 
Anschluß  vielmehr  eben  jetzt  zu  vollziehen,  da  derselbe 
unter  dem  noch  ungeschwächten  Eindruck  und  gewisser- 
maßen in  der  täglichen  unmittelbaren  Erkenntnis  des  Wertes 
der  bayerischen  Waffengemeinschaft  noch  unter  günstigeren, 
später  nicht  mehr  erreichbaren  Bedingungen  für  Bayern  mög- 
lich ist".  2) 

Bismarck  hatte  damit  der  einen  der  beiden  von  ihm  ge- 
stellten Alternativen,  dem  internationalen  Bündnisse,  den 
letzten  Wert  genommen.  Das  ist  selbstverständlich  den 
bayerischen  Bevollmächtigten  nicht  entgangen. 

Graf  Bray,  der  noch  vor  wenigen  Tagen  erklärt  hatte, 
daß  er  für  Verhandlungen  auf  der  Grundlage  eines  einheitlichen 
Deutschen  Bundes  eine  neue  Vollmacht  seines  Königs  erholen 
müsse,  entschließt  sich  jetzt,  am  8.  November,  nach  verschie- 
denen Aussprachen  mit  seinen  Ministerkollegen,  zur  Annahme 
der  neuen  Verhandlungsgrundlage  ohne  eine  weitere  königliche 
Ermächtigung.  Am  8.  November  schrieb  Minister  Delbrück 
an  Lasker,  die  bayerischen  Herren  hätten  ihn  heute,  nachdem 
sie  einige  Tage  unsichtbar  gewesen  waren,  um  eine  Besprechung 
gebeten.  ^)  Am  9.  November  konnte  er  dem  sächsischen  Kollegen 
Freiherrn  v.  Friesen  mitteilen,  die  bayerischen  Minister  hätten 
ihn  aufgesucht  und  mit  ihm  gesprochen ;  sie  hätten  ihre  anfäng- 
liche Idee  eines  weiteren  Bundes  aufgegeben  und  auch  im 
übrigen  ihre  früheren  Forderungen  modifiziert  und  wollten 
jetzt  in  den  allgemeinen  Bund  eintreten  unter  Bedingungen, 
über  die  nach  seiner  Ansicht  eine  Verständigung  möglich  sein 
werde.  *) 

Die  Gründe,  die  den  Grafen  Bray  und  seine  Minister- 
kollegen   bestimmten,    hat    jener   im   wesentlichen    in   einem 

1)  H.  A.  A. 

2)  Beilagen  III,  nr.  11. 

2)  Schreiben  Delbrücks  bei  Brandenburg  a.  a.  O.  S.  115,  oben.  Die 
Wendung  ist  vielleicht  schon  am  7.  November  eingetreten,  da  Bray  an  diesem 
Tage  an  Daxenberger  telegraphierte,  daß  sie  vor  dem  16.  November  kaum 
in  München  eintreffen  könnten.    Bray  a.  a.  O.   S.  186. 

*)   Friesen,  Erinnerungen  III,   S.  180. 


119 

Schreiben  an  den  Vertreter  Bayerns  am  Wiener  Hofe,  Freiherrn 
V.  Schrenck,  vom  15.  November^)  niedergelegt:  Auf  dem  Wege 
bloß  internationaler  Verträge  würde  eine  wirkliche  Einigung 
Deutschlands  nicht  erreicht,  etwas  Definitives  nicht  ge- 
schaffen, vielmehr  den  Gegnern  der  deutschen  Politik  Bayerns 
ein  Vorwand  zu  dauernder  Agitation  gegeben  werden.  Die 
Lebensnotwendigkeiten  des  bayerischen  Staates  aber  könnten 
ebensogut  durch  Verbriefung  von  Sonderrechten  innerhalb 
der  einheitlichen,  gesamtdeutschen  Bundesverfassung  ge- 
sichert werden,  wie  auf  dem  Weg  über  einen  weiteren  Bund. 
Zwischen  dem  8.  und  11.  November  fanden,  nach  dem  Berichte 
Brays  vom  11.  November 2),  zwei  Besprechungen  mit  Bismarck 
und  Delbrück  statt.  In  diesen  Besprechungen  haben  sich 
nach  demselben  Berichte  Brays  die  Ansichten  bereits  ,, einiger- 
maßen geklärt".  Die  bayerischen  Bevollmächtigten  erklären 
sich  bereit,  auf  der  neuen  Verfassungsgrundlage  zu  verhandeln. 
Sie  machen  im  einzelnen  neue  Zugeständnisse.  Sie  ver- 
sprechen zugleich  ihrerseits  Entwürfe  über  die  militärische 
und  staatsrechtliche  Stellung  Bayerns  im  künftigen  Deutschen 
Bunde  vorzulegen.  Sie  versprechen  neuerdings,  den  König 
von  Bayern  für  das  Anerbieten  der  Kaiserkrone  zu  gewinnen. 
Am  II.  November  berichtet  Graf  Bray  über  die  neue 
Verhandlungsgrundlage  an  seinen  König.  Er  rechtfertigt  ihre 
Annahme  mit  der  Entschuldigimg,  daß  damit  eine  Änderung 
mehr  der  Form  als  dem  Wesen  nach  eintrete.^)  Am  folgenden 
Tage  richten  die  bayerischen  Bevollmächtigten  ein  eindring- 
liches Gesamtschreiben  an  denselben  in  der  Kaiserfrage,  das 
noch  durch  ein  Privatschreiben  des  Ministers  Lutz  verstärkt 
wird.*)  Um  dieselbe  Zeit  übergibt  der  bayerische  Kriegs- 
minister den  von  ihm  ausgearbeiteten  Entwurf^)  zu  einer 
Militärkonvention  mit  Bayern;  da  der  preußische  Kriegs- 
minister seit  der  Note  Bismarc ks  vom  7.  November  erkrankt 
war,  wurde  der  Entwurf  an  den  Kanzler  weitergegeben. 
Der  Entwurf  hält  auch  jetzt  an  allen  wesentlichen  militärischen 
Forderungen  Bayerns,  insbesondere  an  der  Militärhoheit  im 
Frieden  und  an  dem  eigenen  Heeresfinanzwesen  fest,  er  gibt 
aber  weitere,  viel  detailliertere  Sicherheiten  für  eine  volle 
Übereinstimmung   der   bayerischen    Heereseinrichtungen    mit 

1)  M.  St.  A. 

2)  Bei  Bray  a.  a.  O.   S.  188  f. 

3)  Bray  a.  a.  O.   S.  188  f. 
*)  Darüber  im  Kap.  VIII. 
^)  Beilagen  III,  nr.  8. 


120 

denen  des  künftigen  Bundes:  hinsichtlich  der  Wehrpflicht, 
der  Dauer  der  Zugehörigkeit  zum  Heere,  der  Friedenspräsenz- 
stärke, der  finanziellen  Aufwendungen,  hinsichtlich  der  Or- 
ganisation, Formation  und  Ausbildung,  hinsichtlich  der  Be- 
waffnung und  Ausrüstung.  Zur  Erhaltung  dieser  Überein- 
stimmung sollen  die  beiderseitigen  Militärbevollmächtigten  in 
Berlin  und  München  über  die  einschlägigen  Anordnungen  ent- 
sprechende Mitteilungen  durch  die  Kriegsministerien  erhalten. 
Zu  gleichem  Zwecke  sollen  norddeutsche  und  bayerische 
Offiziere  als  Delegierte  an  den  beiderseitigen  größeren  Truppen- 
übungen teilnehmen.  Der  Entwurf  gesteht  auch  ausdrücklich 
zu,  daß  in  den  Fahneneid  der  bayerischen  Soldaten  die  Ver- 
pflichtung aufgenommen  werde,  den  Befehlen  des  Bundes- 
feldherrn  im  Kriege  unbedingt  Folge  zu  leisten.  Die  Anlage 
militärischer  Befestigungen  und  Eisenbahnen  auf  bayerischem 
Gebiet  im  Interesse  der  gesamtdeutschen  Verteidigung  bindet 
er  nicht  mehr  an  eine  förmliche  Zustimmung  des  Königs  von 
Bayern,  sondern  nur  an  eine  ,, Vereinbarung"  mit  der  baye- 
rischen Regierung. 

Bezüglich  des  inneren  Staatsrechtes  hatten  die 
bayerischen  Bevollmächtigten  für  den  12.  November  eine 
Aufzeichnung  in  Aussicht  gestellt.  Tatsächlich  hat  sie  Justiz- 
minister V.  Lutz  erst  am  16.  November  fertiggestellt  und 
konnte  sie,  da  er  an  diesem  Tage  nach  seinem  eigenen  Zeugnis 
dreimal  vergebens  bei  Bismarck  anklopfte,  um  sie  ihm  persön- 
lich zu  überreichen,  erst  am  17.  November  durch  einen  Boten 
übermitteln.  Lutz  ließ  in  dieser  jetzt  vorliegenden  Aufzeich- 
nung^) die  so  oft  geäußerten  Bedenken  gegen  das  Gesetz- 
gebungsrecht des  Bundes  nicht  bloß  in  Sachen  des  Staats- 
bürgerrechtes (Bundesstaatsangehörigkeit),  des  Gewerbelebens 
und  Immobiliarversicherungswesens,  sondern  auch  des  Straf- 
rechtes und  Zivilprozesses  fallen  oder  gab  sich  nnt  der  Auf- 
nahme gewisser  Kautelen  in  ein  Separatprotokoll  zufrieden. 
Er  willigte  selbst  in  eine  allerdings  beschränkte  Gesetzgebung 
des  Bundes  auf  dem  Gebiete  des  Eisenbahn-,  Post-  und  Tele- 
graphenwesens, begnügte  sich  mit  6  Stimmen  im  Bundesrate, 
gab  seine  Zustimmung,  daß  bei  der  Beschlußfassung  über  eine 
Angelegenheit,  die  nicht  den  ganzen  Bund  betreffe,  nur 
die  Stimmen  derjenigen  Bundesstaaten  gezählt  werden,  denen 
die  Angelegenheit  gemeinschaftlich  sei.  Vom  Staatenhaus 
war    nur    nebenher,     vom    Vorschlagsrecht     bei     Besetzung 


^)  Beilagen  III,  nr.  9. 


121 

der  Reichsämter  überhaupt  nicht  mehr  die  Rede  Was  Lutz 
neben  der  Beibehaltung  des  eigenen  Heimats-  und  Nieder- 
lassungsrechtes, neben  der  gesonderten  Besteuerung  des  Bieres 
und  Branntweins,  neben  der  Leitung  des  Eisenbahn-,  Post- 
und  Telegraphenwesens  besonders  nachdrücklich  forderte, 
das  war  eine  Bürgschaft  gegen  majorisierende  Verfassungsbe- 
schlüsse :  Anträge  auf  Änderung  der  Bundesverfassung  sollten 
fallen,  wenn  sie  14  Stimmen  im  Bundesrate,  mit  anderen  Worten 
die  Stimmen  der  drei  Königreiche  Bayern,  Württemberg  und 
Sachsen  gegen  sich  hätten.  Reservatrechte  sollten  nur  mit  Zu- 
stimmung ihres  Inhabers  modifiziert  werden  können.  Lutz 
konnte  wirklich  in  dem  Begleitschreiben  sagen:  ,,daß  die  be- 
stehenden Differenzen  auf  ein  Minimum  beschränkt  seien". 
Auf  dem  Gebiete  der  auswärtigen  Politik  endlich  hatte 
man  für  den  Verzicht  des  Grafen  Bray  auf  gemeinsame  Ver- 
tretung und  gemeinsame  Instruktionserteilung  schon  zu  Beginn 
der  Versailler  Verhandlungen  einen  Ersatz  und  inzwischen 
auch  die  ,, entsprechende  Formulierung"  gefunden.  Nach 
einer  undatierten  Aufzeichnung  ^)  sollte  im  Bundesrat  ein 
diplomatischer  Ausschuß  aus  Vertretern  Bayerns,  Sachsens 
und  Württembergs  gebildet  werden  —  unter  dem  Vorsitze 
Bayerns  und  mit  dem  Rechte  der  Kontrolle  und  der  Antrag- 
stellung in  äußeren  Angelegenheiten  des  Bundes.  Zugleich 
sollten  die  bayerischen  Gesandten  die  Bundesgesandten  im 
Behinderungsfalle  vertreten  und  Bayern  für  diese  Bereit- 
stellung seiner  Gesandtschaften  für  den  diplomatischen  Dienst 
des  Bundes  von  der  Beitragspflicht  für  die  äußere  Bundes- 
vertretung entbunden  werden. 

* 

Wenn  man  sich  einmal  unabhängig  macht  von  den  Quellen, 
die  aus  der  Erinnerung  oder  aus  zweiter  und  dritter  Hand 
schöpfen,  sich  frei  macht  von  Kundgebungen  der  Presse,  die 
eine  bestimmte  Tendenz  verraten,  und  von  Äußerungen  der 
Staatsmänner,  die  einen  bestimmten  politischen  Zweck  ver- 
folgen, und  den  unmittelbaren  Arbeitsnachlaß  dieser  Tage 
auf  sich  wirken  läßt:  dann  entschleiert  sich  vor  unseren  Augen 
immer  deutlicher  ein  anderes  als  das  herkömmliche  Bild  von 
den  Versailler  Verhandlungen. 

Der  Ausgleich  zwischen  dem  Standpunkte  Bismarcks 
und  dem  ursprünglichen  des  Grafen  Bray  war  nicht  leicht. 
Aber  die  Auseinandersetzung  zwischen  beiden  wurde  keines- 

^)  Beilagen  III.  nr.  10. 


122 

wegs  mit  der  Leidenschaftlichkeit  geführt,  die  man  nach  zeit- 
genössischen und  späteren  Darstellungen  annehmen  möchte. 
Die  Versailler  Verhandlungen  hatte  Bismarck  mit  den  Worten 
eröffnet:  „Wir  wollen  kein  verstimmtes  Bayern  im  Bunde, 
ein  freiwilHges,  kein  verstimmtes."  Er  war  von  Anfang  an 
entschlossen  Bayern  größere  Zugeständnisse  zu  machen  als 
den  übrigen  süddeutschen  Staaten.  Er  hatte  schon  am  24.  Sep- 
tember an  Delbrück  geschrieben i) :  ,,Der  Ausschluß  der 
Bundeskompetenz  für  Bayern  bezüglich  einer  Reihe  selbst 
erheblicher  Gegenstände  der  Bundesgesetzgebung  ist  meines 
Erachtens  an  sich  kein  Grund,  die  Aufnahme  Bayerns  zu  ver- 
sagen. Die  Zeit  müßte  dann  nachholen,  das  Überschreiten 
des  Rubicon  wäre  gewonnen."  Es  ist  allerdings  von  Zeit  zu 
Zeit  eine  Unterbrechung  oder  ein  Stillstand  in  den  Verhand- 
lungen zu  erkennen,  aber  niemals  in  dem  Sinne,  daß  sie  auf 
einen  toten  Punkt  gekommen  wären,  den  Bismarck  nur  mit 
einem  deus  ex  machina,  etwa  mit  dem  vielberufenen  Akten- 
fund von  Cergay,  hätte  überwinden  können.  Standen  aber  die 
Verhandlungen  wirklich  einmal  vor  der  Gefahr  der  Versandung, 
so  war  diese  Gefahr  nach  einer  kurzen  Verhandlungspause  von 
drei  oder"  höchstens  vier  Tagen  am  8.  November  mit  der 
Einlenkung  der  bayerischen  Minister  auf  den  neuen  Ver- 
handlungsweg überwunden.  Was  Bismarck  gegenüber  den 
Ausgeburten  ausschweifender  Phantasie  oder  überhitzter  Leiden- 
schaft ruhig  lächelnd  vorhersagte,  das  war  eingetreten:  die 
Bayern  begannen  unter  annehmbaren  Bedingungen  zu  kapitu- 
lieren. Und  Bismarck,  der  jetzt  die  Verhandlungen  mit  den 
Bayern  immer  ausschließlicher  führte,  kam  ihnen  bei  der 
Auseinandersetzung  über  die  Einzelheiten  der  Sonderrechte 
großzügig  und  weitherzig  entgegen.  Die  damaligen  Schwierig- 
keiten der  militärischen  Lage,  die  seit  der  russischen  Kün- 
digung des  Pontusvertrages  drohende  europäische  Verwicke- 
lung und  dazu  der  bevorstehende  Zusammentritt  des  nord- 
deutschen Reichstages  haben  vielleicht  seine  Neigung  zu  Zu- 
geständnissen noch  vermehrt. 

Was  die  eben  wieder  aufgenommenen  Verhandlungen 
zu  zerschlagen  drohte,  hat  dann  schließlich  auf  preußischer 
Seite  die  Verhandlungen  beschleunigt  und  gefördert:  der 
württembergische  Zwischenfall. 

Am  12.  November  konnte  in  einer  Besprechung  zwischen 
Bismarck  und  den  württembergischen  Bevollmächtigten  volle 

1)  H.  A.  A. 


123 

Übereinstimmung  festgestellt  werden.  In  derselben  Bespre- 
chung eröffneten  aber  die  letzteren,  sie  müßten  vor  Unter- 
zeichnung des  Vertrages  nach  Hause  reisen.^)  Am  Vorabende 
war  nämlich  von  Stuttgart  die  telegraphische  Weisung  ein- 
getroffen, vor  ausdrücklicher  Genehmigung  des  Königs  von 
Württemberg  dürfe  keinesfalls  ohne  Bayern  abgeschlossen 
werden.  Bismarck,  aber  auch  sein  König,  waren,  wie  wir  aus 
den  Aufzeichnungen  des  Großherzogs  von  Baden  wissen,  über 
die  unerwartete  Störung  empört.  Im  ersten  Moment  äußerte 
Bismarck  zum  Großherzoge  von  Baden:  ,,er  sei  nun  ent- 
schlossen mit  der  ganzen  Sache  vor  die  Öffentlichkeit  zu  treten, 
damit  man  endlich  sehe,  was  denn  das  für  Regierungen  seien, 
mit  denen  er  zu  verhandeln  habe.  Er  hoffe,  daß  dann  ein 
Druck  von  unten  kommen  werde,  dem  weder  Württemberg 
noch  Bayern  in  die  Länge  widerstehen  könne.  Diese  Regie- 
rungen schienen  ganz  zu  übersehen,  von  welch  gefährlichen 
Elementen  sie  umgeben  seien.  Er  könne  nichts  dafür,  wenn 
sich  nun  eine  Bewegung  entwickle,  welche  diesen  Staaten  die 
Existenzfrage  stelle ;  dann  könne  es  wohl  zu  spät  sein  sich  eines 
Besseren  zu  besinnen."^)  Bismarck  gab,  wohl  unter  dem  Ein- 
flüsse der  württembergischen  Bevollmächtigten,  die  Schuld 
dem  bayerischen  Gesandten  am  württembergischen  Hofe, 
Freiherrn  v.  Gasser.  Noch  am  nämlichen  Tage  machte  sich 
seine  Erregung  in  einem  von  ihm  eigenhändig  verfaßten  Tele- 
gramm an  den  preußischen  Minister  des  Innern  Luft:  ,,Ew. 
Excellenz  ersuche  ich  vertraulich  dahin  zu  wirken,  daß  in 
nationalliberalen  Blättern  in  einer  weder  als  offiziös  noch  als 
telegraphiert  erkennbaren  Form  folgendes  Thema  amplifiziert 
behandelt  werde:  die  deutschen  Besprechungen  in  Versailles 
sollen  zwischen  den  norddeutschen  Ministern  und  denen  von 
Württemberg,  Baden  und  Hessen  die  Übereinstimmung  der 
Ansichten  in  zum  Abschluß  reifer  Form  hergestellt  haben, 
mit  Bayern  aber  ein  Ergebnis  noch  nicht  abzusehen  sein  und 
diese  Verzögerung  zurückhaltend  auf  die  definitiven  Ent- 
schließungen in  Stuttgart  wirken."^)  Am  folgenden  Tag  erließ 
er  an  das  Auswärtige  Amt  in  Berlin  folgende  Weisung:  ,,Wenn 
Herr  Rosenberg,  wie  ich  glaube,  beurlaubt  ist,  so  veranlassen 
Sie  ihn  zu  sofortiger  Rückkehr  nach  Stuttgart,  weil  dort  der 
antideutsche  Einfluß  des  bayerischen  Gesandten  die  Ver- 
sagung dessen  durchsetzt,  worüber  wir  hier  mit  den  württem- 

^)   Schneider  a.  a.  O. 

2)  Tagebuch  des  Großherzogs. 

3)  H.  A.  A. 


124 

bergischen  Ministern  uns  einigen."^)  In  der  Tat  hatte 
Freiherr  v.  Gasser,  wie  er  in  einem  Berichte  vom  9.  No- 
vember 2)  selbst  bekennt,  in  diesem  Sinn  auf  den  Hof  und 
die  Regierung  von  Württemberg  eingewirkt.  Handhabe  dazu 
gab  ihm  ein  Privatschreiben  des  Grafen  Bray  aus  Versailles 
vom  3.  November,  worin  dieser  mitteilte,  daß  die  württem- 
bergischen Bevollmächtigten  vollständig  ihre  eigenen  Wege 
gegangen  seien  und  daher  auch  er  ,, darauf  bedacht  sein 
müsse,  lediglich  die  Stellung  Bayerns  ins  Auge  zu  fassen." 
Gasser  brachte  den  Inhalt  dieses  Schreibens  zur  Kenntnis 
des  württembergischen  Ministers  des  Äußern  Grafen  v.  Taube, 
des  Kabinettchefs  Freiherrn  v.  Egloffstein  und  durch  Ver- 
mittlung der  Königin  auch  zur  Kenntnis  des  Königs  ^'on 
Württemberg,  ,,die  nötigen  Erläuterungen  und  Wünsche  hinzu- 
fügend." ,, Diese  Taktik  war,"  wie  Gasser  in  demselben  Schrei- 
ben vom  9.  November  an  seinen  König  berichtet,  von  Erfolg 
gekrönt;  ,,denn  bereits  am  Nachmittag  sei  Freiherr  v.  Egloff- 
stein zu  ihm  gekommen,  um  die  Sache  gründlich  zu  besprechen 
und  ihm  ebenfalls  Mitteilungen  zu  machen".  Nach  einer 
anderen  Quelle^)  soll  Egloffstein  bereits  von  ,, gemeinschaft- 
lichem Abbruch  und  Verlegen  der  Verhandlungen  auf  später" 
gesprochen  haben.  Mit  Hilfe  des  preußenfeindlichen  Kabinetts- 
chefs Egloffstein  gelang  es,  das  leicht  erregbare  Gemüt  des 
Königs  von  Württemberg  mit  Mißtrauen  gegen  Bismarck 
und  gegen  seine  eigenen  Bevollmächtigten  zu  erfüllen.  Das 
wird  durch  ein  Schreiben  des  preußischen  Gesandten  in 
Stuttgart,  V.  Rosenberg,  vom  17.  November*)  ausdrücklich 
bestätigt.  Die  spärliche  Berichterstattung  der  württembergi- 
schen Bevollmächtigten  hat  nach  demselben  Zeugnisse^)  der 
Intrigue  Vorschub  geleistet:  „Wenn  es  während  der  Versailler 
Konferenzen  gelang,  die  Stimmung  des  Königs  mißtrauisch 
zu  machen,  so  hat  General  Suckow  insofern  selbst  dazu  bei- 
getragen, indem  er  versäumt  hat,  von  Versailles  aus  an  S.  Mt. 
zu    berichten." 

Das  Vorgehen  Gassers  entsprach  wohl  der  augenblick- 
lichen Stimmung  des  bayerischen  Königs.  Der  König  hat  das 
Verfahren  nicht  bloß  nicht  mißbilligt,  er  hat  dem  Gesandten 
einige  Tage  später,  am  11.  November,  den  Auftrag  erteilt,  dem 


1)  A.  a.  o. 

^)  Beilagen  III,   nr.  6. 

^)  Telegramm   Sodens  vom  9.  November. 

«)  H.  A.  A. 

*)   Bericht  Rosenbergs  vom  20.  November,  ebenda. 


125 

Könige  von  Württemberg  von  seiner  Einladung  nach  Versailles 
und  von  seiner  Abneigung,  dieser  Einladung  zu  folgen,  Kenntnis 
zu  geben  und  ihm  die  Frage  vorzulegen,  ob  auch  er  eingeladen 
sei  und  ob  er  der  Einladung  zu  folgen  gedenke,  i)  Und  wieder 
ein  paar  Tage  später  berichtet  der  württembergische  Gesandte 
Freiherr  v.  Soden  aus  München^) :  von  sehr  hoher  Seite  —  ge- 
meint ist  wiederum  der  König  von  Bayern  —  sei  durch  eine 
dritte  Person  die  Frage  an  ihn  gerichtet  worden,  ob  Württem- 
berg allein,  auch  ohne  Baj'ern,  in  den  Norddeutschen  Bund 
eintreten  werde,  ob  der  König  von  Württemberg  entschlossen 
sei,  dieselbe  Stellung  zu  übernehmen  wie  der  König  von  Sachsen, 
oder  ob  er  nicht  lieber  eine  ,,demarche"  bei  seinem  Schwager, 
dem  Kaiser  von  Rußland,  machen  wolle,  dessen  Kanzler  schon 
einmal  zu  Beginn  des  Krieges  für  die  Souveränität  der  süd- 
deutschen Staaten  eingetreten  sei. 

Das  Vorgehen  des  Freiherrn  v.  Gasser  fand  aber  keines- 
wegs die  Billigung  des  Grafen  Bray.  Er  hat  unmittelbar  nach 
dem  Empfang  des  Telegramms  vom  9.  November,  in  dem 
der  Gesandte  den  Wunsch  des  Königs  von  Württemberg  nach 
einem  Zusammengehen  mit  Bayern  mitteilte,  diesen  ange- 
wiesen, alle  weiteren  Schritte  zu  unterlassen,  da  die  württem- 
bergischen Verhandlungen  bereits  zu  weit  vorgerückt  seien. ^) 

Bismarck  muß  sich  auch  bald  von  diesem  Sachverhalt 
überzeugt  haben.  Tatsächlich  veranlaßte  ihn  der  württem- 
bergische Zwischenfall,  nicht  bloß  mit  Baden  und  Hessen 
ohne  Rücksicht  auf  Württemberg  abzuschließen,  sondern  auch 
die  Verhandlungen  mit  Bayern  zu  beschleunigen,  statt  mit 
Württemberg  vorerst  mit  Bayern  eine  Verständigung  herbeizu- 
führen. Obwohl  Suckow  und  Mittnacht  in  Stuttgart,  wo  sie 
am  15.  November  eintrafen,  König  und  Ministerrat  sehr  bald 
von  der  Richtigkeit  ihres  Standpunktes  überzeugten  und  mit 
neuem  Mißtrauen  gegen  Bayern  erfüllten,  konnten  sie  nicht 
mehr  verhindern,  daß  ihnen  Bayern  mit  der  Unterzeichnung 
der  Verträge  zuvorkam. 

* 

Auf  bayerischer  Seite  wurden  die  Verhandlungen  in 
diesem  letzten  Stadium  wieder  wesentlich  gefördert  durch  die 
unter  der  Einwirkung  des  Krieges  fortschreitende  nationale 
Bewegung.    Man  lese  nur  die  Schreiben  des  Kabinettsekretärs 

^)  M.  St.  A.    Vgl.  dazu   Beilagen    III,   nr.   12.     Einen    Brief    an    den 
König  von   Württemberg  hat   Ludwig  II.   nicht  geschrieben. 
2)   St.  St.  A. 
^)   Schreiben  Brays  vom  10.  November;    Bray  a.  a.  O.  S.  198. 


126 

Eisenhart,  des  Staatsrats  Daxenberger  und  des  Staats- 
ministers V.  Schlör^),  die  sie  im  November  an  den  Grafen 
Bray  nach  Versailles  richteten,  und  die  Beschwichtigungs- 
versuche der  zu  Hause  gebliebenen  Minister. 

Das  Beamtentum,  die  Intelligenz,  die  städtischen  Ele- 
mente, ein  guter  Teil  selbst  der  bäuerlichen  Bevölkerung  gaben 
immer  deutlicher  ihrem  Unmut  über  den  schleppenden  Gang 
der  Versailler  Verhandlungen  Ausdruck.  Die  Briefe  und  Zei- 
tungen meldeten,  namentlich  aus  München,  von  wachsender 
Erregung.  Die  von  dem  preußischen  Gesandten  geflissentlich 
verbreitete  Nachricht,  Württembergs  Eintritt  in  den  Nord- 
deutschen Bund  stehe  unmittelbar  bevor,  hat  die  Aufregung 
noch  gesteigert.  Die  ,, Münchener  Neuesten  Nachrichten" 
schrieben  am  ii.  September,  sie  könnten  nicht  glauben,  daß  ein 
bayerischer  Minister  den  Mut  finde,  das  Werk  der  nationalen 
Einigung  zu  verderben.  ,,Wer  hat  den  Mut,  den  Fluch  einer 
solchen  Tat  zu  übernehmen  und  seinen  Namen  für  alle  Zeiten 
zu  einem  Schimpfwort  in  Deutschlands  Gauen  zu  machen  ? 
Wir  wollen  keinem  unserer  Minister  die  Beleidigung  zufügen, 
ihn  einer  solchen  Tat  für  fähig  zu  halten." 

Womöglich  noch  erregter  als  in  München  war  die  Haltung 
der  öffentlichen  Meinung  im  Fränkischen,  was  den  Kenner 
dieser  Provinzen  und  ihrer  Geschichte  nicht  überraschen  wird. 
Als  sich  in  den  ersten  Tagen  des  November  das  Gerücht  von 
einem  Abbruch  der  Versailler  Verhandlungen  verbreitete  und 
man  von  der  Möglichkeit  sprach,  daß  man  sich  mit  einer 
bloßen  Militärkonvention  begnügen  werde,  verlangte  der 
„Fränkische  Kurier"^)  eine  Umbildung  des  Ministeriums,  da 
die  beiden  Minister  v.  Bray  und  v.  Lutz  wohl  keine  einzige 
Partei  im  Lande  hinter  sich  hätten.  Selbst  die  gemäßigte, 
vielfach  auch  für  amtliche  Mitteilungen  benutzte  ,,Neue  Würz- 
burger Zeitung"  erhob  ihre  warnende  Stimme,  wies  auf  die 
Parteikämpfe  hin,  die  einem  isolierten  Bayern  drohten,  und 
erklärte  ausdrücklich,  daß  das  bayerische  Volk  deutsch  sein 
wolle,  nicht  nur  der  Sprache  und  dem  Namen  nach,  sondern 
deutsch  als  Nation,  daß  es  nicht  abgedrängt  werden 
wolle  von  dem  gewaltigen  deutschen  Organismus,  daß  ihm 
das  Schutz-  und  Trutzbündnis  und  der  Zollverein  als  kündbare 
und  internationale  Verträge  keinen  Ersatz  dafür  bieten 
könnten. 


^)  Bei  Bray  a.  a.  O. 

^)   In   Nr.  313  vom   10.  Nov. 


127 

Schon  sah  sich  die  Regierung  genötigt,  in  einer  offiziösen 
Mitteilung  an  die  Hoffmannsche  Korrespondenz  sowie  in 
einer  offiziellen  Erklärung  des  Ministers  des  Innern  v.  Braun 
gegenüber  dem  ersten  Bürgermeister  von  München  die  öffent- 
liche Meinung  förmlich  zu  beruhigen:  die  Gerüchte  von  einem 
Abbruch  der  Versailler  Verhandlungen  seien  gänzlich  unbe- 
gründet, im  Gegenteil  ein  Abschluß  in  allernächster  Zeit  zu 
erwarten.  Welches  Empfanges  mußten  unter  diesen  Ver- 
hältnissen die  bayerischen  Minister  gewärtig  sein,  wenn  sie  mit 
leeren  Händen  aus  Versailles  zurückkehrten? 

,,Gott  gebe",  schrieb  am  i6.  November  der  damalige 
Referent  im  Justizministerium,  der  spätere  Justizminister 
Fäustle,  an  Kabinettsekretär  Eisenhart i),  ,,Gott  gebe,  daß  sich 
die  deutsche  Verfassungsfrage  durch  einen  befriedigenden  Ab- 
schluß mit  Bayern  glücldich  löst!  Ein  isoliertes  Bayern  ist 
unhaltbar  und  der  stete  Spielball  der  patriotischen  (ultra- 
montan-bureaukratisch-feudalen)  sowie  der  im  Falle  des 
Mißlingens  der  Unterhandlungen  sicher  rasch  sich  entwickeln- 
den demokratischen  (Volks-)  Partei.  Ein  großherziger  Ent- 
schluß des  Königs  in  dieser  Stunde  sichert  ihm  nicht  bloß  die 
Sympathie  und  das  höchste  Ansehen,  sondern  auch  dauernd 
die  Krone  und  die  Existenz  Bayerns  als  eines  selbständigen 
Wesens.  Die  Größe  Bayerns,  außer  Deutschland  ohne  wesent- 
lichen Einfluß,  wird  innerhalb  des  Bundes  bei  vernünftigem 
Machtgebrauche  vielfach  entscheidend  wirken  können  und 
am  besten  etwaigen  Übergriffen  Preußens  wirksam  entgegen- 
zutreten vermögen.  Alles,  was  man  der  Gesamtheit  schuldet, 
wenn  sie  ihren  Zweck  erfüllen  soll,  muß  man  ihr  gewähren, 
und  zwar  jetzt,  damit  man  nicht  zum  größten  Schaden  hinter- 
drein genötigt  sein  wird,  das  dem  mutigen  Trotze  eines  auf- 
geregten Volkes  zuzugestehen,  was  man  vorher  der  bescheidenen 
Bitte  versagt  hat.  Und  am  Ende  wird  der  bayerische  Staat 
und  die  Krone  durch  Konzessionen  an  das  Haus  Hohenzollern 
weit  weniger  gefährdet  als  im  Falle  der  Isolierung  durch  fort- 
währendes Nachgeben  gegenüber  den  Forderungen  der  Häuser 
Kolb  (Demokrat)  und  Greil  (Patriot).  Wie  notwendig  ist  es 
gerade  für  die  immer  brennender  werdende  Frage  des  Kirchen- 
staatsrechtes, wenigstens  die  deutsche  Frage  aus  der  Welt  zu 
schaffen  und  eine  feste  politische  Stütze  an  einem  festgefügten 
deutschen  Staatsganzen  zu  besitzen." 


1)   M.St.A. 


128 

Tatsächlich  war  der  bayerische  Gesandte  am  Dresdener 
Hofe  auf  Grund  der  Mitteilungen  des  Freiherrn  v.  Friesen 
schon  am  17.  November  in  der  Lage,  das  Einvernehmen 
zwischen  Bismarck  und  den  bayerischen  Bevollmächtigten 
ausdrücklich  festzustellen.  Der  badische  Minister  Jolly 
vollends  schrieb  am  14.  November  aus  Versailles  an  seine 
Gemahlin:  „Hinsichtlich  Bayerns  habe  ich  den  Verdacht 
oder  anständiger  die  Vermutung,  die  durch  einzelne  wohl 
absichtliche  Äußerungen  Delbrücks  bestätigt  scheint,  daß 
sie  in  offener  oder  stiller  Übereinstimmung  mit  Preußen 
nur  warten,  bis  die  anderen  beigetreten  sind,  um  dann  mit 
wirklichen  oder  scheinbaren  Vorzügen  ebenfalls  beizutreten." 
Fast  wörtlich  stimmt  damit  überein  ein  Eintrag,  den  der  Groß- 
herzog von  Baden  am  18.  November  in  sein  Tagebuch  machte : 
,,Es  wird  mit  jedem  Tage  wahrscheinlicher,  daß  Bismarck 
mit  den  Bayern  einig  ist  und  nur  die  Verhandlungen  hinhält, 
bis  Württemberg  den  Beitritt  zum  Bund  ausgesprochen  hat, 
um  dann  mit  den  bayerischen  Bevollmächtigten  zum  Ab- 
schluß zu  kommen."  Damit  steht  auch  in  gewissem  Einklang, 
was  der  badische  Gesandte  in  Berlin,  Graf  Türkheim,  später, 
nach  dem  Abschluß  der  Versailler  Verträge,  von  Berlin  aus 
berichtete :  es  habe  zwischen  den  bayerischen  Bevollmächtigten 
und  Bismarck  eine  förmliche  oder  stillschweigende  Abmachung 
bestanden,  erst  den  Abschluß  mit  den  übrigen  süddeutschen 
Staaten  abzuwarten  und  dann  auf  erheblich  abw^eichenden 
Grundlagen   auch   ihrerseits   abzuschließen. i) 

Das  war  allerdings  eine  zu  optimistische  Auffassung. 
Schwierigkeiten  und  Stockungen  gab  es  auch  in  diesem  letzten 
Stadium  der  Verhandlungen  —  namentlich  auf  militärischem 
Gebiete.  ,,Wir  sind,"  schrieb  am  17.  November  Graf  Bray 
an  seine  Gemahlin^),  ,,nach  dem  Abgang  der  Vertreter  der 
übrigen  deutschen  Regierungen  allein  noch  hier  und  müssen 
also  trachten,  an  einem  der  nächsten  Tage  auf  unsere  Be- 
dingungen ein  Ja  oder  Nein  zu  erlangen.  Wenn  eine  Ver- 
ständigung nicht  gehngt,  so  wird  nicht  die  Frage  der  äußeren 
Vertretung  und  der  Diplomatie  das  Hindernis  bilden  —  denn 
darüber  sind  wir  so  gut  wie  im  reinen  — ,  wohl  aber  wird  dies 
die  mihtärische  Frage  und,  wenn  ich  nicht  sehr  irre,  kommt 
hier  der  Widerspruch  nicht  vom  Grafen  Bismarck".  In  der 
Tat,  diese  letzten  Kämpfe  hatte  Bismarck  weniger  mit  den 
bayerischen  Bevollmächtigten  als  mit  den  Gegnern  der  baye- 

1)  K.  St.  A. 

2)  Bray  a.  a.  O.  S.  16^. 


129 

Tischen  Ausnahmestellung  innerhalb  wie  außerhalb  des  Haupt- 
quartiers zu  führen,  mit  den  Führern  der  großen  politischen 
ParteierL,  mit  den  Fürsten  und  Regierungen  des  Norddeutschen 
Bundes  und  dem  von  ihnen  beeinflußten  Bundesrate,  mit  dem 
Kriegsminister  Roon,  der  nach  dem  Urteile  Bismarcks  ,, alles 
unter  eine  Kappe  bringen  wollte"  i),  mit  dem  preußischen 
Kronprinzen,  der  noch  am  i6.  November  in  einer  heftigen 
Auseinandersetzung  mit  Bismarck  tadelte,  daß  man  Bayern 
und  Württemberg  so  zart  behandle,  statt  fest  und  gebietend 
aufzutreten  und  ihnen  die  Macht  zu  zeigen^),  und  mit  dem 
eigenen  Könige,  der  gerade  in  diesen  Tagen  seinem  Schwieger- 
sohne gegenüber  das  einheitliche  deutsche  Heer  immer  wieder 
als  seinen  dringendsten  Wunsch  bezeichnete.  Gegen  diese 
Widersacher  mußte  Bismarck  noch  am  19.  November  die  Hilfe 
des  Großherzogs  von  Baden  anrufen.^)  Großherzog  Friedrich 
hat  uns  in  seinem  Tagebuche  den  Vorgang  dramatisch  ge- 
schildert: ,, Bismarcks  erstes  Wort  war,  er  bitte  mich,  ihm  in 
einer  sehr  wichtigen  Frage  beizustehen.  Die  Württemberger  sind 
bekanntlich  dem  Bunde  beigetreten  und  wir  verhandeln  heute 
nur  noch  telegraphisch  mit  ihnen  über  einige  untergeordnete 
Militärfragen,  in  denen  wir  aber  nicht  nachgeben  wollen. 
Mit  den  Bayern  habe  ich  gestern  und  heute  viele  Stunden 
verhandelt  und  von  ihnen  erlangt,  daß  sie  in  den  Bund  ein- 
treten. Dieser  Eintritt  muß  aber  erkauft  werden  durch  Ge- 
währung einer  bayerischen  diplomatischen  Vertretung  und 
einer  selbständigen  Militäradministration.  Wenn  unsere  innere 
Verbindung  auch  zu  wünschen  übrig  läßt,  so  haben  wir  doch 
ein  gemeinsames  Band  ,  das  durch  die  wachsenden  Bedürfnisse 
der  Nation  immer  fester  geschlungen  werden  wird;  wir  haben 
eine  gemeinsame  Vertretung  der  Interessen  der  Nation;  wir 
haben  eine  monarchische  Spitze,  die  zugleich  als  Heerführer 
die  Einheit  des  Heeres  in  sich  verkörpert.  Alle  diese  Vorzüge  ge- 
statten nicht  nur,  sondern  gebieten,  das  Gute  dem  Besseren 
vorzuziehen  und  somit  das  Mögliche  auszuführen.  Hat  Bayern 
diese  Schwelle  betreten,  und  zwar  mit  unserem  Beistand,  so 
ist  von  einem  Rückgang  keine  Rede  mehr;  es  kann  nur  noch 
vorwärts  schreiten  und  wir  dürfen  der  Zukunft  die  bessere 
Entwicklung  getrost  überlassen.  Nun  ist  aber  hier  die  Schwie- 
rigkeit zu  überwinden,  daß  unser  König  sich  nur  ungern  zu 


^)  Vgl.  Tagebuch  des  Kronprinzen  zum  21.  November  und  Moritz  Busch, 
Tagebuchblätter  I,  423. 

2)  Tagebuch  des  preußischen  Kronprinzen  zum   16.  November. 
^)  Tagebuch  des  Großherzogs  zum  19.  November. 
Doeberl,  Bayern  und  die  Bismarckische  Reichsgründung.  9 


130 

diesen  militärischen  Konzessionen  entschließen  wird,  während 
wir  doch  dadurch  den  großen  und  unschätzbaren  Vorteil  er- 
langen die  Kaiserfrage  zu  lösen,  noch  bevor  der  Krieg  zu  Ende 
ist.  Auch  beim  Kronprinzen  fürchte  ich  auf  Widerstand  zu 
stoßen,  da  er  mir  vor  wenig  Tagen  so  herbe  Vorwürfe  darüber 
machte,  daß  ich  durch  meine  Nachgiebigkeit  gegen  die  Bayern 
die  deutsche  Einigungsfrage  verderbe,  daß  ich  darüber  krank 
geworden  bin.  Wie  soll  es  mir  allein  gelingen,  diese  beiden  hohen 
Herren  von  der  Notwendigkeit  zu  überzeugen,  daß  wir  hier 
einen  bleibenden  großen  Erfolg  erlangen  können,  wenn  wir 
davon  abstehen,  etwas  Vollkommenes  leisten  zu  wollen  — 
da  ich  weiß,  daß  die  Militärpartei  gegen  mich  wieder  an- 
kämpfen wird.  Überzeugt,  daß  Sie  mit  mir  die  Größe  und 
Bedeutung  dieses  wichtigen  Augenblicks  als  einen  entscheiden- 
den Wendepunkt  für  die  künftigen  Geschicke  Deutschlands 
erkennen  werden,  glaube  ich  hoffen  zu  dürfen,  daß  Sie  Ihren 
Einfluß  bei  König  und  Kronprinz  geltend  machen  werden, 
damit  sie  von  der  Gunst  dieser  Lage  Gebrauch  machen  mögen. 
Benützen  wir  diesen  Vorteil  nicht,  so  fällt  Bayern  in  die  Hände 
Österreichs  und  wird  seine  Truppen  abberufen.  Dann  sind  wir 
in  der  Notwendigkeit,  die  bayerische  Armee  zu  entwaffnen, 
und  geben  der  Welt  ein  Schauspiel  deutscher  Zwietracht, 
das  alle  unsere  ferneren  Unternehmungen  lähmt  und  sogar 
das  Band  mit  den  übrigen  Bundesgenossen  in  bedrohlicher 
Weise  lockern  wird." 

Dieser  Kampf  wurde  verschärft  und  vergiftet  durch  die 
zeitgenössische  Publizistik,  die  sich  anfänghch  allein  gegen 
das  bayerische  Ministerium  gewendet,  sogar  den  bayerischen 
König  gegen  sein  Ministerium  auszuspielen  gesucht  hatte,  die 
aber  jetzt  ihre  Pfeile  auch  gegen  die  Person  des  Königs  richtete, 
sich  bis  zur  kaum  verhüllten  Aufforderung  an  die  bayerischen 
Truppen  zum  Hochverrat  verstieg.  ,,Wir  glauben  nicht," 
schrieb  die  Berhner  Börsenzeitung  in  diesen  Tagen,  ,,daß  die 
bayerische  Armee  den  Schimpf,  welcher  dem  Lande  und  am 
fühlbarsten  ihr  selbst  angetan  werden  soll,  ruhig  hinnehmen 
würde.  Unser  Fritz  hat  die  braven  Bayern  zu  oft  zum  Siege 
geführt,  als  daß  sie  sich  jetzt  von  ihm  möchten  losreißen 
lassen,  um  dem  Schwanenritter  zu  folgen  oder  mit  dem  Tann- 
häuser nach  Rom  zu  pilgern." 

Damals,  am  19.  November,  als  Bismarck  die  Hilfe  des 
Großherzogs  von  Baden  gegen  das  Hauptquartier  anrief, 
hatte  er  bereits  das  Mittel  in  der  Hand,  womit  er  die  Hilfe 
des    Großherzogs   von   Baden   gewann   und   den   Widerstand 


131 

im  Hauptquartier  brach.  Wie  er  am  19.  November  dem 
Großherzog  mitteilte  und  wie  diesem  am  24.  November  Graf 
Bray  bestätigte,  hatte  er  damals  bereits  die  bestimmte  Zusage 
der  bayerischen  Bevollmächtigten,  ,,daß  gegen  die  Erhaltung 
einer  selbständigen  Armee  Bayern  die  Kaiserfrage  zum  Beweise 
seiner  Bundestreue  beantragen  wolle."  Selbst  über  die  Art 
und  Weise,  wie  das  geschehen  solle,  waren,  wie  der  sächsische 
Minister  v.  Friesen  am  16.  November  von  Bismarck  erfuhr, 
schon  alle  Einzelheiten  besprochen  worden.  Das  Kaiser- 
problem nahm  in  Versailles  eine  entscheidende  Stelle  ein, 
auch  zuletzt  bei  der  Entscheidung  des  Königs  von  Preußen. 
Als  der  Großherzog  am  23.  November  beim  König  vorsprach, 
teilte  dieser  ihm  mit,  ,,daß  er  den  Vortrag  des  Bundeskanzlers 
über  die  bayerischen  Verhandlungen  schon  heute  entgegen- 
genommen und,  wenn  auch  ungern,  die  Konzessionen  geneh- 
migt habe,  welche  von  Bayern  verlangt  wurden,  um  dafür 
die  Initiative  in  der  Kaiserfrage  zu  ergreifen"^). 


Am  II.  und  17.  November  hatten  die  bayerischen  Be- 
vollmächtigten ihre  schriftlichen  Vorschläge  überreicht,  am 
20.  folgten  die  preußischen  Schlußerklärungen,  die  sich, 
selbst  auf  militärischem  Gebiete,  auf  geringe  Modifikationen 
beschränkten.  Am  23.  fand  die  beiderseitige  Unterzeichnung 
des  Versailler  Hauptvertrags  statt.  Es  war  gegen  10  Uhr 
abends.  Moritz  Busch  befand  sich,  wie  er  selbst  erzählt^),  mit 
Bismarck-Bohlen  und  Hatzfeld  beim  Tee.  ,, Plötzlich  öffneten 
sich  die  Flügeltüren,  Bismarck  steckte  den  Kopf  mit  freund- 
lichster Miene  herein  und  kam  dann,  als  er  noch  Gesellschaft 
sah,  mit  einem  Becher  zu  uns  an  den  Tisch,  wo  er  Platz  nahm." 
,,Nun  wäre  der  bayerische  Antrag  fertig  und  unterzeichnet," 
sagte  er  bewegt.  ,,Die  deutsche  Einheit  ist  gemacht  und  der 
Kaiser  auch.  Es  ist  ein  Ereignis.  Die  Zeitungen  werden  nicht 
zufrieden  sein,  und  wer  einmal  in  der  gewöhnlichen  Art  Ge- 
schichte schreibt,  kann  unser  Abkommen  tadeln.  Er  kann 
sagen,  der  dumme  Kerl  hätte  mehr  fordern  sollen;  er  hätte  es 
erlangt,  sie  hätten  gemußt,  und  er  kann  Recht  haben  —  mit 
dem  Müssen.  Mir  aber  lag  mehr  daran,  daß  die  Leute  mit  der 
Sache  innerlich  zufrieden  waren.  Was  sind  Verträge,  wenn 
man  muß !  Und  ich  weiß,  daß  sie  vergnügt  fortgegangen  sind. 
Ich  wollte  sie  nicht  pressen,  die  Situation  nicht  ausnützen.  Der 

^)  Tagebuch  des  Großherzogs. 
^)  Tagebuchblätter  I,  427  f. 


132 

Vertrag  hat  seine  Mängel,  aber  er  ist  so  fester.    Was  fehlt,  mag 
die  Zukunft  beschaffen." 

Bismarck  lehnte  die  Kreierung  eines  weiteren  Bundes  ab 
und  forderte  den  Eintritt  Bayerns  in  ein  einheitliches  Ver- 
fassungsbündnis auf  der  Grundlage  der  Verfassung  des  Nord- 
deutschen Bundes;  der  Haupt  vertragt)  bestimmte  ausdrück- 
lich, daß  die  bisherige  norddeutsche  Bundesverfassung  auch 
die  Verfassung  des  mit  Bayern  abzuschließenden  ,, Deutschen 
Bundes"  sein  solle.  Aber  Bismarck  willigte  doch  in  einige 
Änderungen  dieser  Verfassung,  die  für  alle  deutschen  Bundes- 
staaten gleichmäßig  Geltung  haben  sollten:  so  in  eine  Ver- 
besserung des  Stimmverhältnisses  im  Bundesrate,  in  eine 
schärfere  Umschreibung  des  Wirkungskreises  dieses  Kollegiums, 
in  die  Schaffung  eines  Ausschusses  für  die  Auswärtigen  Ange- 
legenheiten, der  zwar  in  die  Auswärtige  Politik  nicht  störend 
eingreifen,  wohl  aber  Mitteilungen  empfangen  und  Anregungen 
geben  sollte,  in  eine  Beschränkung  des  Kriegsrechtes  des 
Bundespräsidiums  zugunsten  des  Bundesrates,  in  die  Aus- 
übung eines  Vetorechtes  gegen  Verfassungsänderungen  durch 
eine  verhältnismäßig  geringe  Zahl  von  Stimmen  des  Bundes- 
rates; Verfassungsänderungen  gelten  als  abgelehnt,  wenn  sie 
im  Bundesrate  14  Stimmen  gegen  sich  haben.  Die  Vorschrif- 
ten der  Reichsverfassung,  durch  die  bestimmte  Rechte  ein- 
zelner Bundesstaaten  in  ihrem  Verhältnisse  zur  Gesamtheit 
festgestellt  sind,  können  nur  mit  Zustimmung  des  berech- 
tigten Einzelstaates  abgeändert  werden. 

Bismarck  bewilligte  anderseits  Bayern  eine  Ausnahme- 
stellung innerhalb  des  Bundes,  ein  erhebliches  Maß  von  staat- 
licher Selbständigkeit  und  politischer  Einflußnahme.  Er 
beließ  Bayern  seine  besondere  Verwaltung  des  Eisenbahn-, 
Post-  und  Telegraphenwesens,  beschränkte  selbst  das  Aufsichts- 
und Gesetzgebungsrecht  des  Bundes  auf  diesen  Gebieten. 
Er  beließ  Bayern  seine  besondere  Besteuerung  des  Bieres 
und  Branntweines,  sein  besonderes  Heimats-  und  Nieder- 
lassungsrecht, das  Recht  der  Aufsicht  und  der  Gesetzgebung 
über  diese  Verhältnisse.  Er  beließ  Bayern  seine  diplomatische 
Vertretung  und  entschädigte  es  für  den  Verzicht  auf  die 
gemeinsame  Instruktion  der  Bundesgesandtschaften  mit  dem 
ständigen  Vorsitz  im  diplomatischen  Ausschuß  des  Bundes- 
rates. Er  beließ  Bayern  seine  Militärhoheit  im  Frieden  und 
sein  eigenes  Heeresfinanzwesen,  mit  Worten,  die  sich  deutlich 

1)  K.  Weber,  Neue  Gesetz-  und  Verordnungensammlung,  VIII,  674  ff. 


133 

anschließen  an  den  Entwurf  des  Freiherrn  v.  Pranckh  vom 
10.  November:  „Das  bayerische  Heer  bildet  einen  in  sich  ge- 
schlossenen Bestandteil  des  deutschen  Bundesheeres  mit  selb- 
ständiger Verwaltung  unter  der  Militärhoheit  S.  Mt.  des 
Königs  von  Bayern" ;  ,,die  Kosten  und  Lasten  des  bayerischen 
Kriegswesens  werden  von  Bayern  ausschließlich  und  allein 
getragen."  Bayern  behält  auch,  einem  schon  auf  den  Münche- 
ner Konferenzen  geäußerten  Wunsche  entsprechend,  seine 
besondere  Militärgesetzgebung  bis  zur  verfassungsmäßigen 
Beschlußfassung  über  die  der  Bundesgesetzgebung  anheim- 
fallenden Materien.  Die  Beschränkungen,  denen  das  bayerische 
Heeresfinanzwesen  unterliegt,  entsprechen  dem  Wortlaute  des 
vom  bayerischen  Kriegsminister  genehmigten  Protokolls  vom 
26.  Oktober.  Die  Beschränkungen,  denen  der  König  von  Bayern 
in  Ausübung  seiner  Militärhoheit  unterworfen  ist,  folgen 
wörtlich  dem  Entwürfe  vom  10.  November:  bezüglich  der  Or- 
ganisation, Formation,  Ausbildung  und  Mobilmachung,  be- 
züghch  der  Bewaffnung,  Ausrüstung  und  der  Gradabzeichen, 
bezüglich  des  Oberbefehls  des  Bundespräsidiums  im  Kriege  und 
der  entsprechenden  Verpflichtung  im  Fahneneid,  bezüglich 
der  Anlage  von  Festungen  auf  bayerischem  Gebiete.  Ebenso  fol- 
gen dem  Entwürfe  vom  10.  November  die  Bestimmungen  über 
die  Information  der  beiderseitigen  Militärbevollmächtigten.  Da- 
zu kommt  noch  etwas,  was  der  Kriegsminister  offenbar  in  Rück- 
sicht auf  den  ausdrücklichen  Widerspruch  des  Königs  nicht  in 
seinen  Entwurf  aufzunehmen  gewagt  hatte,  was  die  baye- 
rischen Bevollmächtigten  tatsächlich  schon  auf  den  Münchener 
Konferenzen  zugestanden  hatten  und  was  auch  in  dem  Protokoll 
vom  26.  Oktober  stillschweigend  vorausgesetzt  war:  die  Aus- 
dehnung des  Inspektionsrechtes  des  Bundesfeldherrn  auf  das 
bayerische  Kontingent,  mit  der  Einschränkung,  daß  er  sich 
,,über  die  Modalitäten  der  jeweiligen  Vornahme"  wie  über 
das  ,, Ergebnis  der  Inspektion"  mit  dem  Könige  von  Bayern 
,,ins  Benehmen  setzen"  müsse. 

Am  Tage  der  Unterzeichnung  dieses  Hauptvertrages  gab 
Bismarck  in  einem  sogenannten  Separat-  oder  SchlußprotokolP) 
eine  Reihe  von  weiteren  vertragsmäßigen  Zusicherungen:  so 
bezüglich  des  Verehelichungswesens,  des  Staatsbürgerrechtes, 
der  Immobiliarversicherung,  der  Bundesgesetzgebung  der 
Übergangszeit,  der  Beteiligung  Bayerns  an  der  ferneren 
Ausarbeitung    des    Entwurfs    eines    allgemeinen    deutschen 


1)  K.  Weber  a.  a.  O.  VIII,    679  ff. 


134 

Zivilprozeßgesetzbuches.  Bismarck  erkannte  Bayern  weiterhin 
das  Recht  zu  auf  den  Vorsitz  im  Bundesrat  im  Falle  der 
Verhinderung  Preußens  und  auf  eine  angemessene  Vergütung 
der  bayerischen  Ausgaben  für  den  diplomatischen  Dienst  i)  und 
übernahm  dazu  die  Verpflichtung,  beim  Abschluß  von  Post- 
und  Telegraphenverträgen  mit  außerdeutschen  Staaten  Ver- 
treter der  angrenzenden  Bundesstaaten  zur  Wahrung  ihrer 
besonderen  Landesinteressen  zuzuziehen. 

Als  am  Tage  nach  der  Unterzeichnung  des  Hauptvertrages 
Graf  Bray  noch  eine  besondere  Erklärung  zu  Gunsten  des  Rech- 
tes der  Eirizelstaaten,  über  Landesinteressen  Verträge  abzu- 
schließen, vorlegte  und  die  Forderung  mit  der  Empfindlich- 
keit seines  Königs  begründete,  dem  ein  solches  Vertragsrecht 
ausdrücklich  als  zu  machender  Vorbehalt  bezeichnet  worden 
sei,  wurde  auch  diese  Erklärung  in  dem  von  den  bayerischen 
Bevollmächtigten  festgelegten  Wortlaut  abgegeben:  ,, Nach- 
dem es  grundsätzlich  feststeht,  daß  alle  durch  die  Bundes- 
verfassung nicht  ausdrücklich  dem  Bund  abgetretenen 
politischen  Rechte  den  einzelnen  Staaten  verbleiben,  so  ist 
zwar  zweifellos,  daß  die  Berechtigung  Staatsverträge  über 
Landesinteressen  abzuschließen  jeder  deutschen  Regierung 
gebührt,  insoweit  solche  Verträge  mit  dem  Bundeszwecke  nicht 
im  Widerspruch  stehen.  Es  wird  aber  ausdrücklich  ausge- 
sprochen und  anerkannt,  daß  der  Krone  Bayern  dieses  Recht 
unter   allen    Umständen    gewahrt    bleiben    solle."  2) 

Im  Anschluß  an  diese  Übereinkunft  wurde  vom  Könige 
von   Preußen   noch  die  weitere  Zusage  gemacht:^) 

1.  Bei  Friedensverträgen,  die  nach  einem  Bundeskriege  ge- 
schlossen werden,  soll  stets  ein  Bevollmächtigter  des  Königs 
von  Bayern  zugezogen  werden,  der  sich  an  den  Verhandlungen 
beteiligen  und  durch  das  Bundeskanzleramt  seine  Instruktion 
erhalten  wird. 

2.  Den  durch  Artikel  13  des  Berliner  Friedensvertrages 
vom  22.  April  1866  erhobenen  Ansprüchen  Preußens  auf  die 
vormalige  Düsseldorfer  Gemäldegalerie  soll  eine  Folge  nicht 
gegeben  und  damit  auf  diese  Ansprüche  ein  für  allemal  ver- 
zichtet werden. 


^)  ,,In  Anbetracht  der  Leistungen  Bayerns  für  den  diplomatischen 
Dienst  des  Reiches  und  der  Entlastung,  die  den  Reichsgesandtschaften 
durch  den  Bestand  bayerischer  Gesandtschaften  erwuchs."  Dafür  sollen  die 
bayerischen  Gesandten  den  Reichsgesandten  Beihilfe  leisten  und  sie  von 
Fall  zu  Fall  auf  Grund  besonderer  Vollmacht  vertreten. 

2)  M.  St.  A.    Vgl.  Beilagen  II,  nr.  10. 

')   Ebenda.    Vgl.  Beilagen  II,  nr.  to. 


135 

Auf  den  Gang  der  staatsrechtlichen  Verhandlungen  in 
Versailles  und  damit  auf  den  Versailler  Vertrag  hatte  der 
König  einen  unmittelbaren  Einfluß  nicht  mehr  geübt:  er 
wurde  wieder  einmal  vor  vollendete  Tatsachen  gestellt.  Nicht 
bloß,  daß  keine  Weisungen  eingeholt  wurden,  auch  die  Bericht- 
erstattung war  —  man  darf  wohl  sagen  absichtlich  —  lücken- 
haft. Für  die  Minister  brachte  dieses  Verfahren  bei  der  krank- 
haften Unschlüssigkeit  des  Königs  eine  wesentliche  Erleichte- 
rung ,  für  den  Geschichtsforscher  bedeutet  es  eine  wesentliche 
Erschwerung.  Der  König  selbst  klagt  in  einem  Schreiben 
an  Bray  vom  28.  November i),  daß  er  noch  immer  ohne  die  ent- 
sprechenden Informationen  sei:  ,,Den  Verhandlungen  in 
Versailles  zwischen  meiner  Regierung  und  dem  Nordbund  bin 
ich  während  der  ganzen  Dauer  der  Konferenzen  mit  der  größten 
Aufmerksamkeit  gefolgt.  Trotzdem  vermochte  ich  keinen 
erschöpfenden  Einblick  zu  gewinnen,  da  weder  von  Ihrer 
Seite  noch  jener  der  beiden  anderen  abgeordneten  Staats- 
minister periodische  Detailberichte  erstattet  wurden  und  die 
allerdings  zahlreich  eingelaufenen  Meldungen  den  Gang  der 
Besprechungen  mehr  im  allgemeinen  kennzeichneten.  Auch 
über  die  Hauptpunkte  des  erzielten  Übereinkommens  habe  ich 
weder  auf  telegraphischem  Wege  noch  durch  einen  Kurier 
Meldung  erhalten  und  bin  daher  bis  zur  Stunde  nicht  in  der 
Lage,  bezüglich  meiner  Ratifikation  einen  Entschluß  zu  fassen." 

Er  hat  aber  —  wie  gewöhnlich  —  gegen  die  nicht  mehr 
abzuändernden  Verträge  keine  Schwierigkeiten  erhoben.  Er 
hätte  allerdings,  um  mit  seinen  eigenen  Worten  zu  sprechen, 
gewünscht,  ,,daß  es  möglich  gewesen  wäre,  das  föderative 
Prinzip  noch  entschiedener  zur  Geltung  zu  bringen."  Aber  er 
hat  die  Verträge  durch  Handschreiben  vom  7.  Dezember^)  ge- 
nehmigt. Er  hat  den  beteiligten  Ministern  nach  ihrer  münd- 
lichen Berichterstattung  in  Hohenschwangau  in  dem  näm- 
lichen Handschreiben  seine  Anerkennung  und  seinen  beson- 
deren Dank  ausgesprochen.  Er  hat  gegenüber  den  Prinzen 
des  Kgl.  Hauses,  um  seine  Haltung  in  der  deutschen  Frage 
zu  rechtfertigen,  ausdrücklich  festgestellt:  ,,daß  sowohl  die 
Militärhoheit  als  auch  das  Gesandtschaftsrecht  der  Krone 
Bayern  vollständig  gewahrt  und  derselben  in  einigen  wert- 
vollen Punkten,  wohin  auch  die  Teilnahme  an  den  Friedens- 
schlüssen zu  zählen,  eine  Sonderstellung  eingeräumt  sei."^) 

1)  M.  St.  A. 

^)  Beilagen    III,   nr.  13. 

3)  M.  H.  A. 


VII. 
Aussprache  mit  Österreich. 

Derselbe  König  lehnte  kurze  Zeit  vorher  einen  letzten 
Einmischungsversuch  Österreichs  in  der  bestimmtesten  Form  ab. 

Der  österreichische  Reichskanzler  Graf  Beust  hatte 
wiederholt,  am  21.  September  und  am  17.  Oktober,  mündlich 
durch  Vermittlung  des  bayerischen  Gesandten  in  Wien,  schrift- 
lich durch  Vermittlung  seines  Gesandten  in  München  erklärt: 
Österreich  habe  auf  Grund  des  Artikels  IV  des  Prager  Friedens 
ein  Recht  darauf,  über  eine  Neugestaltung  der  Beziehungen 
Süddeutschlands  zum  Norddeutschen  Bund  vernommen  und 
um  seine  Zustimmung  angegangen  zu  werden.  Er  hoffe  und 
glaube  auch,  Bayern  werde  sich  seine  Selbständigkeit  auch 
fernerhin  erhalten;  darauf  zielende  Bemühungen  würden  bei 
der  kaiserlichen  Regierung  bereitwilligst  Unterstützung  finden,  i) 

Am  II.  November  erschien  der  österreichische  Reichs- 
kanzler, ,,der  seine  in  die  Schweiz  reisende  Gemahlin  bis 
München  begleitete,"  im  bayerischen  Ministerium  des  Äußern, 
beim  Vertreter  des  Grafen  Bray,  dem  Staatsrate  Daxenberger, 
und  machte  die  dringendsten  Vorstellungen,  daß  Bayern  seine 
politische  Selbständigkeit  behaupten,  dem  Norddeutschen 
Bunde  ferne  bleiben  möge.  Er  beteuerte,  ihm  liege  die  Absicht 
einer  Einmischung  in  die  deutsche  Verfassungsfrage  ferne, 
ihm  könne  nur  erwünscht  sein,  nicht  in  die  Lage  zu  kommen 
von  dem  Artikel  IV  des  Prager  Friedens  Gebrauch  zu  machen. 
Aber  er  verlangte,  daß  man  bei  der  Neugestaltung  Deutsch- 
lands Österreich  die  Achtung  bezeige,  auf  die  ihm  der  Artikel  IV 
des  Prager  Friedens  ein  Anrecht  gebe,  daß  man  es  ihm  mög- 
lich mache  zu  schweigen.  Er  ließ  durchblicken,  daß  der 
Eintritt  Südhessens,  Badens,  ja  selbst  Württembergs  in 
den  Norddeutschen  Bund  ihm  keine  Veranlassung  geben 
werde,  positive  Einwendungen  zu  machen.  Er  erklärte  aber 
um  so  entschiedener,  daß  die  Sache  ganz  anders  liege,  wenn 
Bayern,  ein  Staat  hart  an  der  österreichischen  Grenze,  von 
solcher  Größe  und  Bedeutung,  daß  er  zwei  volle  Armeekorps 

1)  Vgl.  Beilagen   III,   nr.  2. 


137 

im  letzten  Kriege  stellen  konnte,  in  den  Norddeutschen  Bund 
eintrete  und  damit  Preußen  das  Recht  der  Entscheidung  über 
Krieg  und  Frieden  auch  für  diesen  wichtigen  Teil  Deutsch- 
lands erlange.  Er  fügte  hinzu:  Der  weitaus  größte  Teil  der 
österreichischen  Monarchie  wünsche  nicht  in  eine  staatsrecht- 
liche Verbindung  mit  Deutschland  zurückzukehren.  Was  man 
aber  wünsche,  sei,  daß  man  Österreich  bei  der  Regelung  dieser 
Fragen  auch  keine  Mißachtung  bezeige  und  damit  die  Emp- 
findlichkeit namentlich  in  Ungarn  verletze.^) 

Dafür,  daß  Beust  während  seiner  Anwesenheit  in  München 
Anstrengungen  machte,  um  an  die  Stelle  des  Grafen  Bray 
den  früheren  Ministerpräsidenten  Freiherrn  von  der  Pfordten 
zu  setzen  oder  daß  er  gar  solche  Anstrengungen  mit  Zustim- 
mung des  Grafen  Bray  selbst  gemacht  hätte,  dafür  findet  sich 
nicht  der  geringste  Anhaltspunkt.  Nach  dem  Berichte  Daxen- 
bergers  an  den  König 2)  hätte  der  österreichische  Reichs- 
kanzler es  wohl  als  eine  politische  Notwendigkeit  bezeichnet, 
daß  die  Staaten  Preußen  und  Österreich  nicht  unmittelbar 
aufeinander  stoßen,  sondern  daß  ein  Vermittlungsglied  zwischen 
ihnen  bleibe.  Aber  im  übrigen  habe  er  im  Gegensatz  zu  früher 
jetzt  eine  für  Preußen  und  den  Norddeutschen  Bund  sehr 
freundliche  und  friedliche  Stimmung  zur  Schau  getragen  und 
ausdrücklich  den  Wunsch  nach  guten  internationalen  Bezie- 
hungen ausgesprochen. 

Der  König  von  Bayern  war  aber  schon  über  die  von  Daxen- 
berger  berichteten  Vorstellungen  des  österreichischen  Reichs- 
kanzlers ungehalten.  ,,Er  habe,"  signierte  er  unter  den  Be- 
richt, ,,aus  den  Äußerungen  des  österreichischen  Reichs^? 
kanzlers  ungern  den  Versuch  zu  entnehmen  geglaubt,  sich 
in  Angelegenheiten  mischen  zu  wollen,  die  er  lediglich  mit 
seinen  Räten  der  Krone  zu  ordnen  gewillt  sei".  Einen  Ein- 
mischungsversuch in  die  Besetzung  der  oberen  Staatsämter 
hätte  er  bei  der  Empfindlichkeit,  mit  der  er  gerade  in  persön- 
lichen Fragen  die  Rechte  der  Krone  wahrte,  noch  viel  schroffer 
zurückgewiesen. 

Graf  Bray,  der  langjährige  und  durch  so  viel  persönliche 
Fäden  mit  Österreich  verbundene  Vertreter  Bayerns  am 
Wiener  Hofe,  wünschte  allerdings,  daß  bei  der  Neuordnung 
der  deutschen  Verhältnisse  die  Empfindlichkeit  Österreichs 
in  Rücksicht  auf  Artikel  IV  des  Prager  Friedens  geschont,  daß 
es  bei  dieser  Gelegenheit  wenigstens  der  Form  nach  ,, begrüßt 

1)  M.  St.  A. 

*)  Beilagen  III,  nr.  7. 


138 

werde".  Er  brachte  diesen  seinen  Wunsch  ebenso  wie  die  darauf 
bezüghchen  Mitteilungen  und  Anregungen  des  Grafen  Beust 
während  seines  Versailler  Aufenthaltes  Bismarck  gegenüber 
offen  und  ehrlich  zur  Sprache. 

Er  wollte  damit  aber  keineswegs  Österreich  gegen  Preußen 
ausspielen  oder  gar  gemeinsam  mit  dem  Grafen  Beust  Umtriebe 
gegen  die  deutsche  Politik  Bismarcks  an  den  süddeutschen 
Höfen  machen.  Er  hatte  ja  gerade  dem  Grafen  Beust  gegen- 
über den  Abschluß  eines  Verfassungsbündnisses  zwischen  den 
süddeutschen  Staaten  und  dem  Norddeutschen  Bunde  geradezu 
für  eine  geschichtliche  Notwendigkeit  erklärt,  wenn  er  auch 
gelegentlich  wieder  die  Bedeutung  der  Verfassungsverhandlun- 
gen dem  österreichischen  Reichskanzler  gegenüber  aus  nahe- 
liegenden Gründen  etwas  herabzudrücken  suchte.  Er  wollte 
vielmehr  die  alte  bayerisch-österreichische  Freundschaft  er- 
halten und  einer  neuen  Trübung  der  preußisch-österreichischen 
Beziehungen  vorbeugen.  Als  diese  Beziehungen  unter  dem 
Einflüsse  der  bekannten  Interventionsdepesche,  die  die  Wiener 
Hofburg  am  13.  Oktober  in  Fühlung  mit  England  nach  Berlin 
richtete,  neuerdings  gefährdet  wurden,  trug  er  keine  Bedenken, 
von  Versailles  aus  auch  gegen  den  Grafen  Beust  Stellung  zu 
nehmen.  Am  27.  Oktober  telegraphierte  er  an  den  bayerischen 
Vertreter  in  Wien^):  ,,Die  Fassung  einer  in  Berhn  mitgeteilten 
österreichischen  Depesche  hat  im  Vergleich  mit  der  konzilianten 
Sprache  Englands  hier  einen  peinlichen  Eindruck  hervor- 
gebracht und  den  Glauben  an  bedrohliche  Gesinnungen 
Österreichs  in  dem  Maße  begründet,  daß  dies  auf  die  Ver- 
handlungen mit  Frankreich  wohl  Einfluß  üben,  dann  aber 
für  die  Beziehungen  zu  Österreich  höchst  gefährliche  Rück- 
wirkungen hervorrufen  könnte.  Machen  Sie  Graf  Beust  hierauf 
in  freundlicher  Vorsorge  aufmerksam."  Er  wollte  damit,  wie 
er  am  nämlichen  Tage  in  einer  Weisung  an  den  bayerischen 
Gesandten  näher  ausführte 2),  ,, gleich  anfangs  den  Konse- 
quenzen eines  Mißverständnisses  entgegentreten,  von  welchen 
für  die  österreichisch-deutschen  Beziehungen  eine  ernste  Ge- 
fahr zu  befürchten  sei".  ,,Ich  hielt  es  für  meine  Pflicht, 
einem  drohenden  Zerwürfnisse  im  Keim  entgegenzutreten 
und  bei  dem  regen  Interesse,  welches  Bayern  speziell  an  der 
Erhaltung  freundnachbarlicher  Verhältnisse  zu  Österreich 
nimmt,  dem  Herrn  Reichskanzler  die  Gelegenheit  zu  bieten, 
das  von  mir  angenommene  Mißverständnis  rechtzeitig  aufzu- 

1)  M.  St.  A. 
^)  Ebenda. 


139 

klären."  Sein  Ziel  war  die  Wiederannäherung  Preußens 
an  Österreich,  die  Herstellung  womöglich  selbst  ver- 
tragsmäßiger Beziehungen  des  neuen  Deutschlands 
zur    österreichischen    Monarchie. 

Bismarck  gab  nicht  zu,  daß  den  nach  Auflösung  des 
Deutschen  Bundes  zu  voller  Souveränität  gelangten  süd- 
deutschen Staaten  eine  Verständigung  über  eine  nationale 
Verbindung  mit  dem  Norddeutschen  Bunde  durch  Artikel  IV 
des  Prager  Friedens  versagt  sei.  Er  zeigte  aber  immerhin 
volle  Bereit wiUigkeit,  sich  mit  Österreich  darüber  ins  Benehmen 
zu  setzen.  Er  bezeichnete  sogar  die  Herstellung  vertragsmä- 
ßiger Beziehungen  zur  Monarchie  als  wünschenswert. 

Und  doch  hatte  noch  vor  wenigen  Wochen  der  Versuch  einer 
Annäherung  Preußens  an  Österreich  eine  kühle,  der  Ablehnung 
gleichkommende  Aufnahme  gefunden.  Im  September  1870, 
in  der  Zeit  unmittelbar  vor  Beginn  der  bayerischen  Initiative 
in  der  deutschen  Verfassungsfrage,  hatte  sich  Bismarck  in 
Versailles  —  wohl  nicht  zuletzt  in  Rücksicht  auf  Bayern,um 
Bayern  leichter  für  seine  nationalen  Absichten  zu  gewinnen  — 
an  den  im  Hauptquartier  weilenden  Schwager  des  pohtisch 
einflußreichen  Erzherzogs  Albrecht,  den  bayerischen  Prinzen 
Luitpold,  gewendet'),  indem  er  ihm  auseinandersetzte,  wie 
sehr  die  staatliche  Ordnung  in  Europa  von  der  sozialen  Re- 
volution bedroht  werde  und  wie  wünschenswert  es  angesichts 
dieser  Gefahr  sei,  daß  die  führenden  Herrscherhäuser  Europas 
sich  der  Gemeinsamkeit  der  monarchischen  Interessen  gegen 
den  drohenden  Umsturz  bewußt  bleiben.  Den  Bedenken  des 
Prinzen,  als  ob  die  preußische  Politik  für  Österreich  noch 
immer  ebenso  gefährlich  sei  wie  im  Jahre  1866,  begegnete  er 
mit  der  bestimmten  Versicherung,  daß  Preußen  nicht  nur  keine 
feindlichen  Absichten  gegen  Österreich  hege,  sondern  es  gerne 
sehen  würde,  wenn  auch  das  Vertrauen  zwischen  Österreich 
und  Rußland  sich  befestige.  Wirklich  schrieb  der  Prinz  an 
seinen  Schwager  im  Sinne  der  von  Bismarck  gemachten 
Anregung.  Der  Brief  wurde  am  16.  September  vom  Aus- 
wärtigen Amt  in  Berlin  über  die  preußische  Gesandtschaft 
in  Wien  an  den  Erzherzog  befördert.  Dieser  legte  ihn  dem 
Kaiser  und  dem  Reichskanzler  vor.  Die  Antwort,  die  Prinz 
Luitpold  durch  Vermittlung  des  Grafen  Beust  wiederum  über 
die  preußische  Gesandtschaft  in  Wien  vom  Erzherzog  Albrecht 
erhielt,  war  eine  ziemlich  unverhüllte  Ablehnung,  ähnlich  der, 


1)   H.  A.  A.     Vgl.  dazu  Moritz  Busch,  Tagebuchblätter  I,   190  ff. 


140 

die  in  der  Zeit  der  Luxemburger  Frage  die  Mission  des  Grafen 
Tauffkirchen  erfahren  hatte:  Österreich  fühle,  solange  nicht 
sein  Interesse  durch  Anerbietung  bestimmter  politischer 
Vorteile  angeregt  würde,  kein  Bedürfnis  einer  Anlehnung 
an  Preußen;  wenn  dieses,  wie  es  scheine,  den  Wunsch  oder 
das  Bedürfnis  einer  Annäherung  an  Österreich  habe,  so  ver- 
misse man  bisher  jede  Äußerung  darüber,  was  Preußen  dafür  an 
Österreich  zu  bieten  habe;  der  Kaiser  werde  gerne  alles  in 
Erwägung  ziehen,  was  auf  direktem  Wege  an  ihn  gelange.  Und 
wie  im  Jahre  1867  folgten  der  diplomatischen  Abweisung 
höhnische  Presseäußerungen,  die  Preußen  beschuldigten,  daß 
es   die   ,, Heilige  Allianz"   von  den  Toten  erwecken  möchte. 

Daran  erinnerte  jetzt  Bismarck  nicht  ohne  Bitterkeit. 
Gleichwohl  war  er  noch  immer  geneigt,  die  von  Bayern  so 
heiß  begehrte  Wiederannäherung  an  Österreich  zu  suchen^)  und 
zunächst  das  zu  erfüllen,  was  Reichskanzler  Beust  auf  eine 
Anfrage  des  Grafen  Bray  als  das  Mindestmaß  diplomatischen 
Entgegenkommens  bezeichnet  hatte.  Am  14.  Dezember  1870 
richtete  er  an  den  preußischen  Vertreter  in  Wien,  General  von 
Schweinitz,  eine  Depesche^),  mit  der  Weisung  sie  dem  öster- 
reichischen Reichskanzler  zu  übermitteln.  Darin  machte  Bis- 
marck amtliche  Mitteilung  von  der  Neugestaltung  Deutsch- 
lands, betonte  dabei  mit  besonderem  Nachdruck,  daß  ihn  bei 
den  Verhandlungen  mit  den  süddeutschen  Regierungen  die 
Rücksicht  auf  den  Prager  Frieden  und  auf  gute  Beziehungen 
zwischen  Deutschland  und  Österreich  geleitet  habe,  und  sprach 
die  Hoffnung  aus,  diese  Neugestaltung  Deutschlands  möchte 
sich  einer  wohlwollenden  Aufnahme  und  Würdigung  seitens 
Österreichs-Ungarns  erfreuen.  ,, Deutschland  und  Österreich- 
Ungarn  werden  mit  den  Gefühlen  des  gegenseitigen  Wohl- 
wollens aufeinander  blicken  und  sich  zur  Förderung  der  Wohl- 
fahrt und  des  Gedeihens  beider  Länder  die  Hand  reichen." 

Graf  Beust  gab  sich  mit  dieser  ,, Begrüßung  bezüglich 
des  Prager  Friedens  "zufrieden.  Er  ließ  zwar  dem  bayerischen 
Gesandten  in  Wien  durch  einen  Ministerialbeamten  neuerdings 
sagen,  man  sehe  mit  Bedauern  die  süddeutschen  Staaten  zu 
einem  Bund  unter  preußischer  Oberherrschaft  sich  einigen 
und  betrachte  die  Erhöhung  des  Königs  von  Preußen  zum 
Deutschen  Kaiser  mit  schmerzlichen  Gefühlen,  insbesondere 
habe  den  Kaiser  unangenehm  berührt,  daß  die    Initiative  zu 

^)   Vgl.  Platzhoff,   Die  Anfänge  des  Dreikaiserbundes  in:  Preuß.  Jahr- 
bücher,  Bd.  188   (1922). 
2)  H.  A.  A. 


141 

dieser  Neugestaltung  der  Dinge  gerade  von  Bayern  ausge- 
gangen sei.  Aber  er  ließ  gleichzeitig  auch  erklären,  daß  man 
weder  gegen  das  eine  noch  gegen  das  andere  Anstand  erhebe 
und  sich  in  die  neugeschaffene  Lage  zu  finden  suchen  werde. ^) 
Die  preußische  Depesche  erwiderte  Beust  am  26.  Dezember  im 
freundschaftlichsten  Tone  2) :  die  Einigung  Deutschlands  unter 
preußischer  Führung  sei  ein  Akt  von  historischer  Bedeutung, 
eine  Tatsache  ersten  Ranges  in  der  modernen  Entwicklung 
Europas;  in  allen  maßgebenden  Kreisen  Österreich-Ungarns 
herrsche  der  aufrichtigste  Wunsch,  mit  dem  mächtigen  Staats- 
wesen die  besten  und  freundschaftlichsten  Beziehungen  zu 
pflegen;  diese  Gesinnungen  hätten  in  der  Person  S.  Mt.  des 
Kaisers  ihren  erhabenen  Schützer  und  Förderer;  er  werde 
die  Erinnerungen,  die  seine  Dynastie  in  der  glanzvollen  Ge- 
schichte von  Jahrhunderten  mit  den  Geschicken  des  deutschen 
Volkes  verbanden,  nicht  anders  auffassen  als  mit  den  wärmsten 
Sympathien  und  mit  dem  rückhaltslosen  Wunsche,  daß  dieses 
Volk  in  den  neuen  Formen  seines  staatlichen  Daseins  die 
wahren  Bürgschaften  einer  glücklichen,  für  seine  eigene  wie 
für  die  Wohlfahrt  des  ihm  in  Sprache,  Sitte  und  Recht  so 
vielfach  verwandten  Kaiserstaates  gleich  segensreichen  Zu- 
kunft finden  möge.  Unterstaatssekretär  v.  Thile  äußerte 
gegenüber  dem  bayerischen  Gesandten  in  Berlin  lebhafte 
Befriedigung  über  den  Inhalt  der  österreichischen  Depesche, 
ebenso  die  offiziöse  preußische  Presse.^) 

Noch  war  hier  nur  von  freundschaftlichen  Beziehungen 
die  Rede,  noch  war  selbst  das  Mißtrauen  bei  den  beiderseitigen 
Völkern  und  Staatsmännern  nicht  völlig  überwunden.  Aber 
schon  im  Herbst  war  eine  viel  gelesene  und  viel  besprochene 
Flugschrift  erschienen:  ,, Gedanken  über  die  österreichische 
Politik  der  Zukunft."  Von  ihr  war  als  Ziel  der  Zukunft  aufge- 
stellt worden:  ,,eine  internationale  Allianz  zwischen  Öster- 
reich und  Deutschland."  Zur  besonderen  Mitarbeit  bei  der 
Verfolgung  dieses  Zieles  war  darin  vermöge  seiner  Stammes- 
verwandtschaft, seiner  geschichtlichen  Beziehungen,  seiner 
politischen,  wirtschaftlichen  und  sozialen  Interessen  Bayern 
ausersehen:  ,,Die  neue  Stellung,  die  Bayern  zum  Norddeutschen 
Bund  einnehmen  wird,  gewährt  ihm  die  Möglichkeit,  die 
wechselseitigen   Interessen  Österreichs   und   Deutschlands   zu 

1)  M.  St.  A. 

2)  H.  A.  A. 

^)  Berichte  Perglas'  vom  21.  und  29.  Dezember  1870  und  vom  5. 
und  7.  Januar  1871;  M.  St.  A. 


142 

fördern,  und  ein  Ministerium  Bray  dürfte  seine  schönste  Wirk- 
samkeit auf  diesem  Gebiete  finden."  Und  vom  Verfasser  dieser 
Flugschrift  berichtete  der  bayerische  Gesandte  in  Berlin, 
Freiherr  v.  Perglas,  daß  er  in  nahen  Beziehungen  zum  Grafen 
Beust  stehe.  Dieser  habe  die  Flugschrift  dem  General  Schwei- 
nitz  in  die  Hand  gegeben  mit  den  bedeutsamen  Worten:  ,,daß 
sie  die  richtige  Darlegung  der  Lage  in  Österreich  darstelle". 
Die  Besorgnis  einer  völligen  Lösung  des  Freundschafts- 
verhältnisses Bayerns  zu  Österreich  hatte  dem  Grafen  Bray 
die  Verhandlungen  über  ein  Verfassungsbündnis  mit  dem  Nord- 
deutschen Bunde  wesentlich  erschwert.  Die  Annäherung 
Preußens  an  Österreich,  die  Bereitschaft  Bismarcks  zur  Her- 
stellung selbst  vertragsmäßiger  Beziehungen  Deutschlands 
zur  österreichischen  Monarchie  war  es,  die  ihm  nach  eigenem 
Bekenntnisse  die  letzten  Bedenken  gegen  den  Eintritt  in  den 
Norddeutschen  Bund  überwinden  half.  Am  25.  November 
schrieb  er  an  seine  Gemahlin:  ,,Was  mich  beruhigt  und  zu 
meiner  Entschlußnahme  mächtig  beigetragen  hat,  ist  die  hier 
herrschende  Geneigtheit,  sich  Österreich  zu  nähern  und  zu 
diesem  Reiche  die  freundschaftlichsten  Beziehungen  zu  unter- 
halten. Da  dies  dem  wohlverstandenen  Interesse  beider  Länder 
entspricht,  hoffe  ich,  daß  es  gelingen  wird,  dieses  gute  Ver- 
ständnis auf  der  sicheren  Grundlage  eines  Staatsvertrages 
zu  befestigen."^)  Ähnlich  sprach  er  sich  auch  am  7.  Januar 
in  einem  Erlaß  an  den  bayerischen  Gesandten  in  Berlin, 
Freiherrn  v.  Perglas,  aus.  2)  Und  noch  bei  der  Beratung  der 
Versailler  Verträge  im  bayerischen  Landtag  äußerte  er:  ,,Der 
dritte  Punkt  ist  die  Erhaltung  und  Pflege  der  freundschaft- 
lichsten, innigsten  Beziehungen  zu  unserem  mächtigen  Nachbar- 
staate. Bayern  ist  hierbei  ganz  besonders  interessiert  und 
beteiligt.  Ich  habe  nicht  versäumt,  mit  den  hervorragendsten 
Staatsmännern  in  Versailles  diesen  Gegenstand  eingehend  zur 
Sprache  zu  bringen,  und  ich  muß  es  bestimmt  aussprechen, 
daß  ich  dort  in  dieser  Beziehung  den  entgegenkommendsten 
Ansichten  und  Wünschen  begegnet  bin.  Ja  noch  mehr,  es 
wurde  daselbst  der  Wunsch  ausgesprochen,  daß  es  gelingen 
möge,  durch  internationale  Verträge  das  bestehende  Freund- 
schaftsverhältnis noch  fester  zu  knüpfen.  Die  seither  der 
Öffentlichkeit  übergebene  Depesche  des  Grafen  Bismarck  aus 
Versailles  vom  14.  ds.  Mts.  sprach  sich  in  dieser  Hinsicht  sehr 
bestimmt  aus." 


^)  Bray  a.  a.  O.  S.  170  f. 
2)   M.  St.  A. 


VIII. 
Das  Kaiserprobicm. 

Bismarck  hat  sich  mit  den  Zugeständnissen  an  das  Eigen- 
leben des  bayerischen  Staates  geradezu  die  Mithilfe  des  baye- 
rischen Ministeriums  in  einer  Frage  gesichert,  deren  völkische, 
moralische,  seelische  Bedeutung  damals  ganz  anders  als  heute 
eingeschätzt  wurde. 

,,Soll  der  Partikularismus  leicht,  wahrhaft  und  überall 
überwunden  werden,  so  bedarf  es  eines  deutschen  Kaisers, 
der  über  den  deutschen  Königen  steht.  Das  nationale  Kaiser- 
tum bildet  die  sicherste  Brücke  über  den  Main.  Den  Kaiser- 
prunk könnte  die  deutsche  Nation  entbehren,  aber  den  Kaiser 
nicht."  So  schrieb  Adolf  Schmidt  im  Jahre  1866.  Schon 
damals  empfahlen  die  Großherzöge  von  Oldenburg  und  von 
Weimar  und  die  Herzöge  von  Koburg  und  von  Meiningen  die 
Annahme  des  Kaisertitels  wegen  seiner  Anziehungskraft  auf 
Süddeutschland. 

In  der  Übergangszeit  zwischen  1866  und  1870  traten 
nationalliberale  Kreise  und  Organe  für  das  gleiche  Ziel  ein, 
weil  sie  davon  eine  neue  Werbekraft  für  den  deutschen  Ge- 
danken erhofften.  Bismarck  hatte  früher  auf  den  Kaiser- 
titel keinen  so  hohen  Wert  gelegt,  daß  er  sich  deshalb  neue 
Schwierigkeiten  innerhalb  wie  außerhalb  Deutschlands  hätte 
schaffen  wollen.  Je  länger  je  mehr  lernte  auch  er  die  werbende 
Kraft  dieses  volkstümlichen  Zauberwortes,  namentlich  auf 
den  Süden,  schätzen. 

Schon  im  Frühjahr  1870  gingen  durch  die  diplomatische 
Welt  Gerüchte  von  der  beabsichtigten  Annahme  des  Kaiser- 
titels durch  den  König  von  Preußen.  Publizisten  und  Diplo- 
maten, Juhus  Fröbel  und  Johann  Kaspar  Bluntschli,  Hohen- 
lohe,  Friesen  und  Sir  Robert  Morier,  der  englische  Gesandte 
in  Darmstadt,  haben  darüber  berichtet,  i)    Doch  läßt  sich  aus 

^)  Vgl.  neben  Ruville  a.  a.  O.  und  Küntzel  a.  a.  O.  namentlich  Branden- 
burg, Die  Verhandlungen  über  die  Gründung  des  Deutschen  Reichs  a.  a.  O.  ^ 
494  ff- 


144 

diesen  Meldungen  nur  so  viel  mit  Bestimmtheit  herausschälen, 
daß  im  April  1870  in  den  Kreisen  der  Diplomaten,  Parla- 
mentarier und  Journalisten  über  einen  Kaiserplan  gesprochen 
worden  ist. 

Gewichtiger  sind  zwei  andere  Zeugen:  der  französische 
Geschäftsträger  in  Hamburg  George  Rothan,  ganz  besonders 
aber  der  französische  Ministerpräsident  Emile  Ollivier,  der 
sich  auf  aktenmäßige  Belege  stützen  kann.  Aus  ihren  Aussagen 
durfte  mit  ziemlicher  Sicherheit  geschlossen  werden,  daß 
Bismarck  im  Frühjahr  1870  bei  den  Großmächten,  wenig- 
stens bei  England,  sondierte,  wie  sie  sich  zur  Annahme  des 
Kaisertitels  durch  den  König  von  Preußen,  und  zwar  wohl 
eines  norddeutschen  Kaisertums,  verhalten  würden. 

Dazu  kann  ich  einen  neuen  Zeugen  vorführen,  den  baye- 
rischen Berichterstatter  im  deutschen  Hauptquartier,  Grafen 
Maximilian  v.  Berchem.  Nach  dessen  Berichte  vom  18.  Ok- 
tober 1870  über  eine  Unterredung  mit  Bismarck  äußerte  dieser 
zu  Berchem:  ,, England  habe  im  verflossenen  Jahre  den  Vor- 
schlag gemacht,  durch  Realisierung  der  Kaiseridee  den  Status 
quo  definitiv  zu  fixieren  und  dadurch  die  Kriegsgefahr  abzu- 
wenden "  Mit  anderen  Worten,  die  englische  Diplomatie 
hat  nach  der  Äußerung  Bismarcks  den  Kaisergedanken  be- 
günstigt, weil  dadurch  die  deutschen  Verhältnisse  zur  Ruhe 
kämen    und    die    Kriegsgefahr    abgewendet    werden    könnte. 

Diese  Zeilen  waren  bereits  geschrieben,  als  ein  Aufsatz 
von  Walter  Platzhoff  in  der  ,, Historischen  Zeitschrift"^)  aus 
den  Akten  des  Auswärtigen  Amtes  in  Berlin  nähere  Einzel- 
heiten über  den  von  Bismarck  erwähnten  Meinungsaustausch 
mit    England    brachte. 

In  einer  Audienz,  die  der  englische  Außenminister  Lord 
Clarendon  dem  preußischen  Botschafter  in  London,  Grafen 
Berpstorff,  am  11.  Januar  1870  gewährte,  sprach  der  Brite 
zuerst  von  der  erfreulichen  Besserung  der  preußisch-öster- 
reichischen Beziehungen  und  richtete  dann  an  den  Botschafter 
die  Frage,  ,,wie  es  nach  dem  Übergange  des  königlichen 
Ministeriums  der  Auswärtigen  Angelegenheiten  an  den  Nord- 
deutschen Bund  mit  der  amtlichen  Bezeichnung  sowohl  Sr. 
Majestät  des  Königs  als  Haupt  des  Bundes  wie  Allerhöchst- 
seiner Vertreter  im  Ausland  gehalten  werden  solle".  Die 
anderen  Mitglieder  des  Bundes  seien  sehr  eifersüchtig  darauf, 
daß  die  deutsche    —  und  Bundesqualität  zur  Geltung  und 


1)   Band  127   (1923). 


145 

Anwendung  komme  und  nicht  die  preußische  Bezeichnung 
allein  vorwalte.  Anderseits  könne  man  das  Allerhöchste  Haupt 
des  Bundes  doch  unmöglich  als  Präsidenten  des  Norddeutschen 
Bundes  bezeichnen.  Er  bedaure,  daß  der  König  von  Preußen 
nicht  sofort  nach  dem  Kriege  von  1866  den  Kaisertitel  ange- 
nommen habe,  wo  jedermann  dies  erwartet  habe  und  niemand 
Opposition  dagegen  gemacht  haben  würde.  Er  glaube  aber, 
es  werde  bald  geschehen,  schon  aus  dem  Grunde,  ,,um  das 
Militärbudget  im  Jahre  1872  im  Reichstag  durchzubringen, 
welches  sonst  sehr  gefährdet  sein  werde  .  .  .,  da  schon  eine 
Menge  von  Abgeordneten  ihren  Wählern  gegenüber  Ver- 
pflichtungen eingegangen  seien,  gegen  die  Verlängerung  des 
gegenwärtigen  Standes  der  Bundesarmee  einzutreten,  wenn 
nicht  ein  weiterer  Schritt  der  Art  geschehe".  Die  Annahme 
des  Kaisertitels  werde  zwar  in  Wien  mißfallen,  könnte  aber 
durch  Anknüpfung  freundschaftlicher  Beziehungen  zu  Öster- 
reich erleichtert  werden.  Auch  in  Paris  werde  die  Annahme  des 
Kaisertitels  nicht  gefallen;  er  habe  aber  den  englischen  Bot- 
schafter in  Paris  beauftragt,  auf  die  französischen  Minister  dahin 
zu  wirken,  daß  sie  nicht  durch  unüberlegte  Äußerungen  in 
den  Kammern  die  öffentliche  Meinung  aufregten,  sondern  dem 
französischen  Publikum  begreiflich  machten,  daß  das  deutsche 
Volk  nur  das  tue,  was  die  französische  und  andere  Nationen 
längst  getan  haben  und  wozu  es  selbst  ein  volles  Recht  habe. 
Auf  eine  Anfrage  des  Grafen  Bernstorf f  gab  er  zu  erkennen, 
daß  es  für  Österreich  hart  sein  würde,  wenn  der  König  von 
Preußen  sich  Kaiser  von  Deutschland  nennen  wollte;  er 
empfehle  daher  den  Titel  eines  Kaisers  in  Deutschland. 

Nach  diesem  einwandfreien  Berichte  des  Grafen  Bernstorf f, 
den  ich  inzwischen  im  Auswärtigen  Amte  zu  Berlin  selbst 
eingesehen  habe,  ist  also  wirklich  die  Initiative  zu  einer  Aus- 
sprache über  das  Kaiserprojekt  nicht  vom  preußischen  Bot- 
schafter ausgegangen,  sondern  von  dem  englischen  Außen- 
minister. Veranlassung  dazu  gaben  ihm  aber,  wie  er  zu  Bern- 
storf f  äußerte,  Nachrichten  aus  Berlin  über  einen  bevorstehen- 
den Schritt  in  der  Kaiserfrage. 

Graf  Bismarck  erhielt  Bernstorffs  Bericht  am  14.  Januar 
und  erwiderte  ihn  am  17.  in  einem  ausführlichen  Erlaß  an 
den  deutschen  Botschafter.  Bismarck  erörterte  darin  zunächst 
die  Gründe,  die  ihn  1866  bestimmten  seinem  Könige  nicht  zur 
Annahme  der  Kaiserwürde  zu  raten:  die  Rücksicht  auf  den 
Artikel  IV  des  Prager  Friedens,  auf  die  französische  Eifer- 
sucht,  auf   die    Empfindlichkeit   der   süddeutschen    Staaten. 

Doeberl,  Bayern  und  die  Bismarckische  Reichsgründung.  lO 


146 

„Mochte  man  sich,"  so  führte  er  aus,  ,,dazu  neigen,  den  Kaiser- 
titel von  ganz  Deutschland  oder  nur  von  Norddeutschland 
herzunehmen,  in  jedem  Falle  zeigte  die  Situation  ernste  Be- 
denken, ja  Gefahren.  In  das  Friedensinstrument  aufgenom- 
men, hätte  der  Titel  Kaiser  von  Deutschland  einen  direkten 
Widerspruch  mit  der  in  Artikel  IV  gezogenen  Mainlinie  aus- 
gedrückt. Und  auch  wenn  durch  einen  einseitigen  Akt  ange- 
nommen, hätte  er  sicher  mit  Frankreich,  dessen  Eifersucht 
durch  den  Artikel  IV  beschwichtigt  war,  eine  neue  Spannung 
erzeugt,  den  dynastischen  Stolz  Bayerns  .  .  .  empfindlich  ver- 
letzt und  möglicherweise  unsere  Beziehungen  zu  Süddeutsch- 
land ungünstig  gestaltet,  in  einem  Augenblicke,  wo  Rußlands 
Stellung  zu  uns  noch  unklar  und  Italiens  Freundschaft  zweifel- 
haft war.  Ich  brauche  nicht  auszuführen,  wie  gefährlich  das 
Zusammentreffen  aller  dieser  Wirkungen  bei  der  damaligen 
Sachlage  werden  konnte.  Der  Kaisertitel,  wenn  ihm  auch  eine 
moralische  Bedeutung  beiwohnt  und  wenn  diese  Bedeutung 
sich  auch  allmählich  in  realen  Vorteilen  ausprägen  würde, 
erschien  mir  zunächst  als  eine  Formsache,  und  nur  um  einer 
solchen  willen  wollte  ich  die  Erreichung  des  Friedens  nicht 
aufs  Spiel  setzen."  In  demselben  Erlasse  gesteht  aber  auch 
Bismarck,  daß  er  die  Bedeutung,  welche  die  Äußerlichkeiten 
in  der  Meinung  seiner  Landsleute  haben,  unterschätzt  habe 
und  daß  er  sich  jetzt  ernsthaft  mit  dem  Kaiserplane  beschäftige. 
,,Der  preußische  Partikularismus  will  nicht  den  König  von 
Preußen  in  dem  Bundespräsidenten  aufgehen  lassen,  sondern 
umgekehrt,  akzeptiert  zwar,  was  dem  Könige  virtuell  zuge- 
wachsen ist,  gefällt  sich  aber  in  betrübenden  Betrachtungen 
darüber,  wie  viel  ihm,  scheinbar,  genommen  sei  oder  durch  den 
weiteren  Ausbau  des  Bundes  genommen  werden  solle  .  .  . 
Diesen  Erscheinungen  gegenüber  empfinde  ich  das  Mangeln 
des  Kaisertitels;  denn  wäre  er  angenommen,  so  würde  es  den 
konservativen  Massen  wie  Schuppen  von  den  Augen  fallen." 
Die  Wahl  zwischen  deutsch  und  norddeutsch  sei  allerdings 
schwierig:  die  alten  Bedenken  gegen  norddeutsch  bestünden 
fort  ;  er  habe  aber  von  der  dynastischen  Überspanntheit 
einen  solchen  Eindruck,  daß  es  ihn  nicht  überraschen  würde, 
wenn  die  förmliche  Proklamierung  eines  Anspruchs  auf  Supe- 
riorität  und  selbst  Souzeränität,  wie  er  in  der  Annahme  des 
deutschen  Kaisertitels  läge,  Bayern  zum  diplomatischen 
Bruch,  vielleicht  zum  Bündnisbruch,  bestimmen  sollte.  Er 
beauftragt  Bernstorff,  dem  englischen  Außenminister  für  die 
Anregung  und  für  die  Sondierung  in  Paris  zu  danken,  die  Kaiser- 


147 

frage  nach  Anleitung  seines  Erlasses  noch  einmal  mit  ihm  zu 
besprechen  und  über  die  Bedenken,  die  Bismarck  auf  der 
einen  und  auf  der  anderen  Seite  sehe,  seine  Ansicht  zu  er- 
bitten. 

Am  27.  Januar  1870  hatte  Graf  Bernstorff  eine  zweite 
Audienz  beim  englischen  Außenminister.  Lord  Clarendon 
hatte  inzwischen  —  offenbar  unter  dem  Eindruck  der  Nach- 
richten aus  Paris  —  seine  Ansicht  geändert :  ,,Er  habe  sehr  viel 
und  ernsthaft  die  Frage  überlegt  und  durchdacht  und  sei  nach 
Abwägung  aller  einschlagenden  Betrachtungen  und  Rück- 
sichten zu  dem  Resultate  gelangt,  daß  er  von  seinem  allge- 
meinen Gesichtspunkt  aus  einen  jetzt  plötzlich  zu  tuenden 
Schritt  wie  den  in  Rede  stehenden  doch  nicht  für  opportun 
halten  könnte."  Das  französische  Ministerium  habe  über  die 
neue  Organisation  des  Berliner  Auswärtigen  Amtes  und  der 
Vertretung  des  Norddeutschen  Bundes  ,, etwas  Emotion" 
empfunden,  da  es  darin  einen  Schritt  weiter  in  der  Unifikation 
erblicke;  die  Annahme  des  Kaisertitels,  wenn  auch  nur  des 
norddeutschen,  würde  es  noch  stärker  emotionieren,  weil  es 
darin  erst  recht  eine  Mediatisierung  der  Bundesstaaten, 
namentlich  Sachsens,  sehen  würde.  Norddeutschland  habe 
zwar  ein  volles  Recht  zu  tun,  was  es  wolle,  und  sei  stark  genug, 
um  einen  Krieg  mit  Frankreich  nicht  zu  fürchten;  da  aber 
Preußen  das  Wesen  der  Macht  und  der  großen  Stellung 
bereits  besitze,  erscheine  es  ihm  nicht  der  Mühe  wert,  ,,um  der 
Form  und  des  Titels  willen  die  Störung  der  jetzigen  Ruhe 
Europas  zu  riskieren".  ,, Dasjenige,  was  dermaleinst  kommen 
solle  und  müsse,  werde  sicherlich  durch  Abwarten  nicht  ver- 
lorengehen." Die  aus  Paris  eingelaufenen  Nachrichten  über 
die  Aufnahme  des  Kaiserprojektes  hatten  den  Minister  be- 
stimmt, seine  frühere  ,,  Auf  munterung"  nach  englischer  Art 
in  eine  ,, freundschaftliche  Warnung"  umzubiegen.  Die  Äuße- 
rungen Ciarendons  bewiesen  Bismarck,  daß  das  Einverständnis 
der  großen  Mächte  augenblicklich  nicht  zu  erreichen  sei. 
Außenpolitische  Schwierigkeiten  wegen  einer  bloßen  Form- 
frage hervorzurufen  scheute  er  um  so  mehr,  als  er  wußte,  daß 
die  Zeit  für  den  Kaisergedanken  arbeitete.  Bismarck  konnte 
warten. 

Das  darf  also  jetzt  als  gesichert  gelten:  um  die  Jahsre- 
wende  1869/70  beschäftigte  sich  Bismarck  mit  der  Kaiber- 
frage;  im  Januar  fanden  diplomatische  Aussprachen  über 
ein  norddeutsches  Kaisertum  zwischen  dem  preußischen 
Botschafter  und  dem  englischen  Außenminister  in  London  statt. 


148 

Aber  Maßnahmen  zur  Verwirklichung  des  Kaiserplanes  hat 
Bismarck  damals  nicht  getroffen.  Er  konnte  Ende  April  1870 
dem  englischen  Botschafter  Lord  Loftus  und  dem  französi- 
schen Botschafter  Grafen  Benedetti  auf  ihre  Anfrage  ohne 
Verletzung  der  Wahrheit  erwidern:  er  wisse  wohl,  daß  viele 
das  Kaisertum  wünschten  und  daran  auch  glaubten;  auch 
er  sei  der  Überzeugung,  daß  die  engere  Verbindung  zwischen 
dem  Norden  und  dem  Süden  nur  eine  Frage  der  Zeit  sei; 
dagegen  könne  er  die  bestimmte  Versicherung  geben,  daß 
augenblicklich  nichts  derartiges  im  Werke  sei.  Der  König  von 
Preußen  war  in  die  Verhandlungen  nicht  eingeweiht;  dem 
Erlaß  an  Bernstorff  hatte  Bismarck  eigenhändig  das  Post- 
skriptum hinzugefügt:  ,,Zur  Verhütung  jedes  Mißverständ- 
nisses bemerke  ich,  daß  ich  bisher  die  persönlichen  Ansichten 
Sr.  M.  des  Königs  über  die  Kaiserfrage  festzustellen  niemals 
Gelegenheit  gehabt  und  auch  heute  keine  Gewißheit  in  dieser 

Beziehung  besitze." 

* 

Ruville  geht  im  Anschluß  an  Olli  vier  und  Rothan  noch 
weiter.  Er  behauptet:  Bismarck  habe  im  Frühjahr  1870 
oder  gar  schon  im  Herbst  1869  förmliche  Anträge  auf  Er- 
richtung eines  deutschen  Kaisertums  an  die  Höfe  von  München 
und  Stuttgart  gebracht  und  habe  schon  damals  die  Könige 
von  Bayern  und  von  Württemberg,  und  zwar  ersteren  ohne 
Wissen  seines  Ministeriums,  für  das  preußische  Kaisertum 
gewonnen. 

Diese  Behauptung  steht  im  Widerspruche  mit  anderen 
sicher  beglaubigten  Tatsachen  —  gerade  so  wie  Ruvilles  Fabel 
vom  sogenannten  Königswort  aus  dem  Jahre  1866  oder  wie 
seine  sensationellen  Behauptungen  vom  Aktenfunde  von 
Cer9ay.  An  der  Hand  der  bayerischen  Akten  bin  ich  jetzt 
in  der  Lage,  sie  mit  aller  Bestimmtheit  zu  widerlegen. 

Am  29.  April  1870  berichtete  der  bayerische  Gesandte 
Freiherr  v.  Perglas  aus  Berlin  von  Gerüchten  über  einen 
preußischen  Kaiserplan,  dem  Rußland  günstig  gestimmt  sei, 
den  es  unter  gewissen  Voraussetzungen  sogar  unterstützen 
wolle.  Der  österreichische  Reichskanzler  Graf  Beust,  mit 
dem  der  damalige  bayerische  Geschäftsträger  in  Wien,  Graf 
Fugger,  auf  Weisung  des  Grafen  Bray  eine  vertrauliche  Be- 
sprechung über  den  Bericht  des  Freiherrn  v.  Perglas  hatte, 
machte  die  weitere  Mitteilung:  nach  den  aus  Berlin  in  Wien 
eingetroffenen  Berichten  sei  die  Meldung  von  der  beabsichtigten 
Annahme  des  Kaisertitels  zuerst  dem  englischen  Gesandten 


149 

Lord  Loftus  über  München  zugekommen.  Auf  eine  Anfrage 
des  österreichischen  Botschafters  Grafen  Wimpffen  habe 
zwar  der  preußische  Unterstaatssekretär  v.  Thile  eine  der- 
artige preußische  Absicht  entschieden  verneint,  ebenso  habe 
der  König  von  Preußen  dem  französischen  Botschafter  Grafen 
Benedetti  gegenüber  den  Plan  in  Abrede  gestellt,  aber  trotz- 
dem habe  nach  seiner  Meinung  in  Berlin  die  Absicht  be- 
standen, den  Kaisertitel  anzunehmen.  Beust  fügte  hinzu: 
er  glaube  sicher,  daß  darüber  Verhandlungen  mit  Sachsen, 
Württemberg   und    Baden   stattgefunden    hätten.^) 

Diese  letztere,  vermutungsweise  gemachte  Äußerung  gab 
nun  dem  Leiter  der  bayerischen  Politik  Veranlassung,  an  den 
Höfen  von  Stuttgart  und  Dresden  amtliche  Erkundigungen 
einzuziehen.  Die  Informationen,  die  er  aus  Stuttgart  erhielt, 
ließen  mit  Bestimmtheit  erkennen,  daß  beim  König  und  ins- 
besondere der  Königin  von  Württemberg  damals  durchaus 
keine  Neigung  bestand,  einem  solchen  Projekte  Vorschub  zu 
leisten,  und  daß  sich  der  verschwägerte  Kaiser  von  Rußland 
während  seines  Aufenthaltes  in  Stuttgart  ausdrücklich  für 
die  Erhaltung  des  status  quo  in  Deutschland  ausgesprochen 
hatte.  Die  gleiche  Abneigung  gegen  ein  solches  Kaiserprojekt 
wurde  dem  Minister  vom  königlichen  Hof  in  Sachsen  ge- 
meldet. Die  sächsische  Regierung  erklärte  zudem  am  7.  Mai, 
daß  Preußen  ,,nie,  auch  nicht  in  der  vertraulichsten  Weise, 
bei  ihr  Derartiges  angeregt  habe,  ja  daß  auch  nicht  die  ge- 
ringste Andeutung  gemacht  worden  sei,  die  auf  die  Existenz 
eines  solchen  Planes  schließen  lasse."  Vom  bayerischen  Könige 
vollends  ist  mit  keinem  Worte  die  Rede."^) 

Bismarck  hatte  wohl  im  März  1870  in  einem  vertraulichen 
Gespräche  mit  dem  Großherzog  von  Baden  über  die  künftige 
Gestaltung  Deutschlands  die  ,, Überzeugung  ausgesprochen, 
daß  die  richtige  Lösung  dieser  Frage  nur  in  der  Schaffung  eines 
deutschen  Kaisertums  beruhe."'*)  Aber  von  Anträgen  auf 
Errichtung  eines  Kaisertums  an  die  süddeutschen  Höfe  oder 
auch  nur  an  Sachsen  findet  sich  in  den  bisher  bekanntge- 
wordenen Quellen  keine  Spur. 

Bismarck  hat  sich  noch  zu  Beginn  des  Deutsch-französi- 
schen Krieges  in  der  Kaiserfrage  die  strengste  Zurückhaltung 
auferlegt  und  ist  aufdringlichen  Vorstößen  in  der  Presse  scharf 


^)  Bericht  Fuggers  vom  4.  Mai,  Beilagen  IV,  nr.  i. 
2)  M.  St.  A. 

^)   Schreiben  des  Großherzogs  von  Baden  an  Bismarck  vom  6.  Oktober 
1870,   H.  A.  A.;  jetzt  bei   Stern  a.a.O.   Bd.  X,    S.  594^ 


150 

entgegengetreten.  Er  schrieb  noch  am  4.  August  1870  an  den 
preußischen  Minister  des  Innern^) :  „Zeitungen,  welche,  wie 
die  Kreuzzeitung  jetzt,  namenthch  ehe  der  Sieg  gewiß,  von 
Kaiserideen  sprechen,  schädigen  unsere  Pohtik  und  stören 
die  süddeutsche  Bundesgenossenschaft.  Ew.  Exzellenz  wollen 
die  Zeitungsredaktionen  hiervon  verständigen  und  mit  Unter- 
drückung der  in  dieser  Beziehung  nachteilig  wirkenden  Organe 
bedrohen."  Bismarck  scheute  in  diesem  Anfangsstadium  des 
Krieges  ganz  besonders  die  Empfindlichkeit  der  süddeutschen 
Höfe,  und  zwar  gerade  die  des  Königs  von  Bayern,  von  dem 
Graf  Bray  noch  am  8.  September  1870  äußerte:  ,,daß  er  ganz 
außer  sich  sei,  wenn  man  vom  Kaisertum  auch  nur  spreche."-) 
Er  scheute  damals  auch  die  Eifersucht  der  europäischen  Groß- 
mächte, nicht  nur  Österreichs  und  Frankreichs,  auch  Rußlands. 


Unmittelbar  vor  und  nach  dem  Tage  von  Sedan,  Ende 
August  und  Anfang  September,  tritt  das  Kaiserprojekt  lauter 
und  bestimmter  auf,  in  der  norddeutschen  nationalliberalen 
Presse  sowohl  wie  in  der  süddeutschen  fortschrittlichen, 
namentlich  in  zwei  in  Bayern  besonders  stark  verbreiteten 
Blättern,  in  den  ,, Münchener  Neuesten  Nachrichten"  und  in 
der  ,, Augsburger  Abendzeitung":  der  Ruf  sowohl  nach  Er- 
neuerung des  ,, alten  Kaiserreiches  Deutscher  Nation",  wie 
der  Wunsch,  daß  der  König  von  Bayern  die  Initiative  zur 
Gründung  des  neuen  deutschen  Kaiserreichs  ergreifen  möge. 

Das  Kaiserprojekt  der  nationalliberalen  und  der  fort- 
schrittlichen Presse  blieb  nicht  ohne  Widerspruch  im  eigenen 
Lager.  In  dem  kühleren,  mehr  verstandesmäßig  einge- 
stellten Norden  äußerte  sich  der  Widerspruch  stärker  als  in 
dem  gefühlsmäßigeren,  mit  der  Kaiseridee  länger  und  tiefer 
verwurzelten  Süden.  Die  einen  warnenden  Stimmen  sahen 
in  dem  werdenden  preußisch-deutschen  Bundesstaat  eine 
völhg  neue,  ganz  moderne  Schöpfung  und  glaubten,  daß  der 
,,alte,  verstaubte  und  vergilbte  Purpur  aus  der  langen  Nacht 
des  Kyffhäusers  die  scharfe  Luft  des  neuen  Tages  nicht  mehr 
ertrage";  ihr  Herrscherideal  war  nicht  der  staufische  Kaiser 
Rotbart,  sondern  der  neuzeitliche  Preußenkönig  Friedrich 
der  Große.  Die  anderen  besorgten  von  der  Anknüpfung  an 
das  römisch-deutsche  Kaisertum  das  Wiederaufleben  imperia- 
listischer Tendenzen.    Im  Norden  war  einer  der  folgerichtigsten 

1)  H.  A.  A. 

2)  Bericht  Sodens  vom  9.  September,   St.  St.  A. 


151 

und  zähesten  Vertreter  dieser  mehr  praktischen,  mehr  ver- 
standesmäßigen Auffassung,  einer  der  nüchternsten  Beurteiler 
der  Kaiseridee  —  der  bekannte  nationaüiberale  Führer  Bam- 
berger. Im  Süden  erging  sich  namenthch  der  fortschritthche 
,, Fränkische  Kurier"  in  trüben  Warnungen  vor  dem  Kaiser- 
tum mit  seinen  imperiahstischen  Versuchungen ;  man  versäume 
darüber  seine  häushchen  Angelegenheiten  und  ernte  den  Haß 
der  Nachbarvölker.  Selbst  das  einflußreichste  Organ  der 
bayerischen  Fortschrittspartei,  das  ,, Wochenblatt  der  Fort- 
schrittspartei", stand  anfänglich  dem  Kaiserprojekte  gleich- 
gültig, wo  nicht  ablehnend  gegenüber.  Am  schärfsten  setzte 
der  Widerspruch  gegen  dieses  ,, Kaisertum  der  National- 
liberalen" bei  der  patriotischen  Presse  ein  —  aus  politischen 
wie  aus  kirchenpolitischen  Gründen. 

Aber  gerade  der  lebhafte  Streit  mußte  die  Aufmerksamkeit 
der  bayerischen  Regierung  und  des  bayerischen  Königs  auf 
sich  ziehen.  Und  diese  Kaiser-Diskussion  erfuhr  jetzt  seitens 
des  Hauptquartiers  nicht  bloß  keinen  Einhalt  mehr,  Bismarck 
fühlte  sich  jetzt  stark  genug,  aus  seiner  Zurückhaltung  heraus- 
zugehen. Seine  langsam  vortastende  Kaiserpolitik  beginnt  aufs 
neue.  Noch  in  der  ersten  Hälfte  des  September,  während  seiner 
Anwesenheit  in  München,  überbringt  der  bayerische  Diplomat 
Graf  Tauf  fkirchen  die  ersten  Andeutungen,  aber  auch  die  ersten 
leisen  Werbungen  unmittelbar  aus  dem  Hauptquartier  selbst,  i) 

Und  jetzt,  aber  erst  jetzt  ergeht  vom  Könige  von  Bayern 
eine  amtliche  Anfrage  nach  dem  Kaiserprojekt.  Er  schrieb 
am  14.  September,  offenbar  unter  dem  Eindruck  der  Mit- 
teilungen Tauffkirchens,  an  den  Grafen  Bray-):  ,,Ich  habe 
allen  Grund  anzunehmen,  daß  sowohl  die  hohen  preußischen 
Regierungskreise  als  auch  der  Berliner  Hof  der  Kaiseridee  nichts 
weniger  als  ferne  stehen.  Es  ist  Mir  nun  von  hohem  Interesse 
sehr  rasch  zu  erfahren,  welche  Stellung  die  Höfe  von  Dresden, 
Stuttgart,  Karlsruhe  und  Darmstadt  zu  dieser  Sache  ein- 
nehmen. Wollen  Sie  daher  Meine  Gesandten  an  den  be- 
zeichneten Orten  beauftragen,  in  vertraulicher  und  äußerst 
behutsamer  Weise  Erkundigungen  darüber  einzuziehen,  welche 
Auffassung  bezüglich  des  angeregten  Punktes  bei  den  be- 
treffenden Höfen  besteht."  Darauf  erwiderte  der  Minister  am 
folgenden    Tage^) :    ,,Nach    der    Meldung    des    Grafen    Tauff- 

1)  Vgl.  K.  A.  V.Müller,  Bismarck  und  Ludwig.  II.  a.a.O.  S.  looff. ; 
derselbe  in:  Forsch,  z.  brandenburg.  und  preuß.  Gesch.  1914,  S.  580  und  584. 

2)  M.  St.  A. 
^)   Ebenda. 


152 

kirchen  scheint  die  Idee  der  Annahme  des  Kaisertitels  durch 
den  König  von  Preußen  dem  Grafen  Bismarck  in  der  Tat 
vorzuschweben  und  es  ist  nicht  zu  leugnen,  daß,  wenn  auch  mit 
diesem  Titel  keinerlei  Prärogative  über  die  zum  Nordbund  ge- 
hörigen Staaten  verbunden  werden,  die  Kaiseridee  an  sich  ge- 
eignet ist,  in  der  Öffentlichkeit  zu  irrigen  Annahmen  Anlaß 
zu  geben."  Graf  Bray  äußert  Bedenken  gegen  eine  Anfrage 
bei  Hessen-Darmstadt  und  beim  Königreiche  Sachsen,  weil 
diese  Staaten  einem  solchen  Antrage  sich  doch  nicht  ent- 
ziehen könnten,  und  ebenso  gegen  eine  Anfrage  bei  Baden, 
weil  die  badische  Regierung  sie  sofort  zur  Kenntnis  der  preußi- 
schen bringen  würde.  Mit  Württemberg  dagegen  habe  er 
bereits    einen    vertraulichen    Gedankenaustausch    eingeleitet. 

Bevor  noch  der  Minister  darüber  Mitteilung  gemacht 
hatte,  tritt  im  Zusammenhang  mit  der  Einladung  des  Königs 
von  Bayern  nach  Fontainebleau  die  Absicht  auf  Annahme  des 
Kaisertitels  mit  aller  Bestimmtheit  auf  und  zugleich  der  Wunsch, 
bei  der  Zusammenkunft  in  Fontainebleau  die  Zustimmung, 
wo  nicht  das  Anerbieten  des  Königs  von  Bayern  zu  erlangen. 

Der  Leiter  der  bayerischen  Politik,  Graf  Otto  v.  Bray- 
Steinburg,  kein  Mann  von  rascher  Initiative,  ein  Mann  der 
alten  Schule,  war  selbstverständlich  kein  ,, Vorkämpfer  der 
kleindeutschen  Einigung  unter  preußischer  Führung",  war 
selbstverständhch  ebensowenig  von  Anfang  an  ,,ein  ent- 
schiedener Anhänger  des  Reichs-  und  Kaisergedankens". 
Er  hat  sich  in  den  kritischen  Stunden  des  Kriegsausbruches 
wie  der  einsetzenden  deutschen  Verfassungsfrage,  wie  der  be- 
ginnenden Kaiseragitation  nicht  leicht,  nicht  ohne  inneres 
Widerstreben  zu  entscheidenden  Entschlüssen  durchgerungen. 
Aber  der  nüchterne  Staatsmann  mit  einer  jahrzehntelangen 
diplomatischen  Erfahrung  war  nicht  der  schroffe  Partikularist, 
um  nicht  hier  wie  dort  die  unabweislichen  Forderungen  der 
Zeit  zu  erkennen.  Er  hatte  schon  am  8.  September  zu  dem 
befreundeten  württembergischen  Gesandten  Freiherrn  v.  Soden 
geäußert :  ohne  die  Kaiserkrone  werde  es  ebensowenig  abgehen 
wie  ohne  eine  gemeinsame  deutsche  Volksvertretung^).  Er 
beschwört  jetzt,  am  i.  Oktober^),  nicht  bloß  seinen  König,  die 
Einladung  nach  Fontainebleau  anzunehmen,  er  empfiehlt  das 
Anerbieten  der  Kaiserkrone  aufs  wärmste,  bittet  Ludwig  IL 
eindringlich,  wenn  ihm  die  Reise  nach  Fontainebleau  durchaus 
unangenehm  sein  sollte,  die  Zustimmung  zur  Annahme  des 

1)   St.  St.  A.;  dazu  Mittnacht,  Rückblicke  S.  117. 
^)  Beilagen  IV,  nr.  3. 


153 

Kaisertitels  schriftlich  oder  durch  einen  Bevollmächtigten 
auszusprechen.  Was  ihn  darin  bestärkte  und  zu  einer  ihm  un- 
gewohnten Eindringlichkeit  der  Vorstellung  anspornte,  war, 
daß  seinem  Könige  für  eine  Initiative  in  der  Kaiserfrage  weit- 
gehende Zugeständnisse  in  bezug  auf  eine  Ausnahmestellung 
der  Krone  und  des  Landes  Bayern  im  künftigen  Deutschen 
Bund  in  Aussicht  gestellt  wurden,  namentlich  auf  militäri- 
schem Gebiete.  Allerdings  fügte  Bray  noch  den  Wunsch 
hinzu:  ,,Wenn  die  Absendung  eines  Bevollmächtigten  zu 
diesem  Zwecke  behebt  würde,  wäre  derselbe  zu  beauftragen, 
von  der  gewünschten  Ermächtigung  nur  dann  Gebrauch  zu 
machen,  wenn  die  Zugeständnisse  Preußens  sich  dieser  Kon- 
zession als  würdig  und  ebenbürtig  erwiesen." 

Der  König  bringt  dem  Minister  seine  frühere  Anfrage  in 
Erinnerung,  wie  sich  die  süddeutschen  Höfe,  zumal  Württem- 
berg und  das  Königreich  Sachsen,  zur  Kaiseridee  verhielten.^) 
Der  Minister  erwidert,  die  Meldungen  aus  Stuttgart  und  aus 
Dresden  heßen  deutlich  erkennen,  daß  die  Höfe  von  Württem- 
berg und  von  Sachsen  dem  Kaisergedanken  jetzt  ebenso  ab- 
geneigt gegenüberstünden  wie  vor  dem  Kriege,  inzwischen  aber 
zur  Erkenntnis  gekommen  seien,  daß  ,, einem  entschiedenen 
Auftreten  des  Wunsches  Preußens  nicht  werde  mit  Erfolg 
entgegengewirkt  werden  können,  und  zwar  um  so  weniger, 
als  von  Seite  Badens  und  vieler  anderer  deutscher  Fürsten 
das  bereitwilligste  Entgegenkommen  zu  erwarten  sei".  Auf 
einen  Widerstand  Württembergs  und  Sachsens  sei  demnach 
nicht  mehr  zu  rechnen.^) 

Kurz  vor  seiner  Abreise  nach  Versailles,  am  i8.  Oktober, 
erhielt  Graf  Bray  ein  Schreiben  aus  dem  Hauptquartier,  das 
ihn  in  seiner  Unterstützung  des  Kaiser  pro  jektes  erst  recht  be- 
stärkte. Graf  Maximilian  v.  Berchem  berichtete  am  14.  Oktober : 
,,Im  Gegensatz  zu  den  früheren  Monaten  begegnet  mir  die  Tat- 
sache, daß  jetzt  in  maßgebenden  Kreisen  ziemlich  häufig  von 
der  Kaiseridee  gesprochen  wird.  Man  hat  mir  im  Privatgespräch 
zu  verstehen  gegeben,  daß  die  Realisierung  desjenigen,  was 
man  hier  unter  dem  Begriff  Partikularwünsche  subsumiert,  am 
leichtesten  durch  eventuelle  Angebote  der  Kaiserwürde, 
namentlich  gegenüber  dem  andernfalls  bestehenden  häufigen 
Widerspruche  der  anderen  Fürsten,  erreicht  werden  könnte. 
Ich  hielt  mich  verpflichtet  hievon  Meldung  zu  tun  und  habe 
diese  Ansicht  von   Keudel,  welcher  eine   ähnliche  Äußerung 

^)  Beilagen  IV,  nr.  4. 
2)   Beilagen  IV,  nr,  5. 


154 

Delbrücks  streng  vertraulich  zitiert,  vertreten  hören,  ebenso 
von  Pückler,  welcher  zu  verstehen  gab,  daß  diese  Auffassung 
auch  dem  Könige  Wilhelm  naheliege.  Bismarcks  Ansicht  in 
dieser  Frage  kenne  ich  nicht,  er  spricht  weniger  wie  je,  es 
scheint  mir  aber  die  Sache  auch  vom  Bundeskanzleramte  so 
aufgefaßt  zu  werden,  daß  Preußen  keine  Schwierigkeiten 
machen  dürfte,  die  geforderten  Reservatrechte  zu  konzedieren, 
•daß  aber  der  öffentlichen  Meinung  gegenüber  dies  leichter 
ginge,  wenn  man  an  die  alten  Formen  des  Reiches  anknüpfen 
könnte."^) 

Es  besteht  Grund  zu  der  Annahme,  daß  Graf  Bray  noch 
vor  seiner  Abreise  nach  Versailles,  zu  den  Verhandlungen  in 
der  deutschen  Verfassungsfrage,  vom  Könige  die  Zusage  einer 
schriftlichen  Ermächtigung  oder  eines  schriftlichen  Anerbietens 
der  Kaiserwürde  gegen  gewisse  Zusicherungen,  namentlich 
bezüglich  eines  kleinen  Landzuwachses,  erwirkt  hat. 2)  Der 
Gedanke  einer,  wenn  auch  nur  mäßigen  territorialen  Ver- 
größerung hatte  eben,  wie  schon  früher  berichtet  wurde, 
inzwischen  beim  Könige  kräftiger  Wurzel  gefaßt  als  beim 
Minister  und  wurde  in  Rücksicht  auf  gewisse  Mitglieder  des 
königlichen  Hauses  und  auf  einflußreiche  Kreise  bei  Hofe  wie 
im  Volke  auch  von  dem  durchaus  deutsch  gesinnten  Kabinett- 
sekretär Eisenhart  genährt.  ,,Ich  glaube  in  der  Tat,"  schrieb 
dieser  an  den  Grafen  Bray,  ,,daß  hierdurch  sehr  viele  die 
politische  Einbuße,  die  wir  denn  doch  erleiden,  leichter  ver- 
schmerzen würden.  Damit,  daß  nur  Opfer  gebracht  werden 
und  nichts  in  Austausch  kommt,  damit  sind  —  mit  Ausnahme 
der  Nationalliberalen  —  wohl  wenige  zufrieden."^)  Ein  Ge- 
dankengang, der  auch  auf  preußischer  Seite  Würdigung 
fand.  „Es  dürfte  uns  schwer  sein,"  äußerte  der  preußische 
Botschafter  Graf  Bernstorff  gegenüber  dem  englischen  Außen- 
minister, ,,den  Königen  von  Bayern  und  Württemberg  eine 
solche  capitis  diminutio  in  einem  Augenblick  aufzuerlegen,  wo 
sie  ihre  Pflicht  gegen  uns  treu  erfüllen  und  an  unserer  Seite 
einen  ehrenvollen  Frieden  für  uns  erkämpfen.  Es  dürfte  gerade 
deshalb,  abgesehen  von  anderen  Gründen,  vielleicht  nötig  sein, 
ein  territoriales  Entschädigungsobjekt  für  unsere  Bundes- 
genossen zu  finden,  was  nicht  wohl  anders  als  in  einer  Gebiets- 
vergrößerung auf  Kosten  Frankreichs  zu  suchen  sein  möchte." 

1)   M.  St.  A. 

^)  Das  wird  durch  eine  Mitteilung  des  badischen  Staatsrates  v.  Geizer 
bestätigt.    Tagebuch  des  Großherzogs  von  Baden  zum  30.  November. 

^)  Schreiben  Eisenbarts  an  Bray  vom  i .  November,  bei  Bray  a.  a.  O.  S.  176. 


155 

Gerade  Eisenhart  scheint  dem  könighchen  Wunsche  die 
Richtung  nach  der  badischen  Pfalz,  nach  einem  Verbindungs- 
streifen zwischen  Unterfranken  und  der  Rheinpfalz,  gegeben 
zu  haben.  Graf  Bray  griff  den  Gedanken  jetzt,  aber  erst  jetzt 
auf,  vielleicht  gerade  deshalb,  um  eine  bayerische  Land- 
erweiterung auf  Kosten  Frankreichs  auszuschalten.  Wirksam, 
mit  ganzer  Seele  hat  der  Minister  das  Programm  einer  Land- 
vergrößerung auch  jetzt  nicht  verfolgt,  ebensowenig  wie  früher; 
ihm  lagen  Sicherheiten  für  die  Selbständigkeit  Bayerns  mehr 
am  Herzen  als  territoriale  Vergrößerung. 


Gleich  nach  ihrer  Ankunft  i)  in  Versailles  erklärte  Bis- 
marck  den  bayerischen  Ministern:  im  Jahre  1866  habe  er  den 
Bezeichnungen  Kaiser  und  Reich  keinen  Wert  beigelegt;  jetzt 
aber  sei  er  zur  Überzeugung  gekommen,  daß  man  damit  die 
öffentliche  Meinung  und  den  Reichstag,  auch  den  Kronprinzen 
von  Preußen  für  gewisse  Realitäten,  auch  für  die  Zugeständ- 
nisse an  Bayern  geneigter  stimmen  könne.  Der  Kanzler  suchte 
den  bayerischen  Bevollmächtigten  den  Kaisertitel  durch  die 
Vorstellung  annehmbarer  zu  machen,  daß  es  ihrem  Könige 
leichter  fallen  müsse,  gewisse  Rechte  einem  deutschen  Kaiser 
als  dem  benachbarten  Könige  von  Preußen  einzuräumen.  Er 
wies  auf  die  Stimmung  in  den  fürstlichen  Kreisen  hin,  die 
drängten  und  die  Bayern  zugedachte  Rolle  selbst  übernehmen 
könnten.  Er  appellierte  an  ihr  monarchisches  Gefühl,  indem 
er  mit  der  Möglichkeit  drohte,  daß  der  zum  November  aus- 
geschriebene Reichstag  des  Norddeutschen  Bundes  und  mit 
ihm  das  deutsche  Volk  den  Fürsten  mit  der  Kaiserproklamation 
zuvorkommen  könnte,  wie  im  Frühjahr  1849.  ,,Wenn  die 
Sache  von  den  Fürsten  kommen  solle,  müsse  es  jedenfalls  vor 
Schluß  des  Reichstags  geschehen;  es  werde  ihm  vielleicht  ge- 
lingen Manifestationen  im  Reichstage  hinauszuschieben,  sie 
gänzlich  zu  verhindern  läge  aber  schwerlich  in  seiner  Macht." 
Er  hat  auch  tatsächlich  noch  am  26.  November  dem  Präsi- 
denten das  Bundeskanzleramtes,  Staatsminister  v.  Delbrück, 
die  ,, vertrauliche"  Weisung  nach  Berlin  erteilt,  ,, dahin  zu 
wirken,  daß  eine  Anregung  zur  Annahme  des  Kaisertitels  nicht 
in  den  ersten  Sitzungen  erfolge".    Es  war  keine  Redensart, 

^)  Die  folgende  Darstellung  gründet  sich,  wo  nichts  anders  vermerkt 
wird,  auf  die  einschlägigen  Ministerialakten  im  Geh.  Münchener  Staats- 
archiv (,, Akten  über  die  Verfassung  Deutschlands",  Konvolut  I),  die  zum 
Teil  in  Brays  ,, Denkwürdigkeiten"   gedruckt  sind. 


156 

wenn  Bismarck  zu  den  bayerischen  Bevollmächtigten  äußerte, 
,,daß  es  ihm  am  wünschenswertesten  sei,  wenn  die  Sache  von 
Bayern  käme".  Die  bayerischen  Minister  gewannen  geradezu 
den  Eindruck,  daß  hier  der  Schwerpunkt  der  Situation  liege, 
daß  um  diesen  Preis  Zugeständnisse  reellerer  Art  zu  erringen 
seien.  1)  In  der  Tat,  hier  lag  für  Bismarck  eine  entscheidende 
Stelle  seiner  politischen  Berechnungen. 

,, Kaiser  und  Reich,"  erklärte  Bismarck  dem  Großherzoge 
von  Baden  in  Versailles,  ,, müssen  die  Folge  dieses  Krieges 
sein;  denn  nur  auf  diesem  Wege  ist  eine  gute  Entwicklung  der 
deutschen  Zustände  zu  erwarten."  Sollte  der  zögernde  Preußen- 
könig^)  für  den  Kaisertitel  gewonnen  werden,  dann  mußte  das 
Angebot  von  den  Fürsten  kommen,  voran  von  dem  zweit- 
mächtigsten Fürsten  des  außerösterreichischen  Deutschlands, 
von  dem  Könige  von  Bayern.  Dann  mußte  gerade  dem  vor- 
gebeugt werden,  womit  Bismarck  den  bayerischen  Bevoll- 
mächtigten drohte,  der  Initiative  des  Reichstages,  weil,  wie 
ein  zeitgenössischer  Diplomat  sich  ausdrückte,  der  Preußen- 
könig ,,die  Kaiserkrone  alter  widriger  Reminiszenzen  wegen 
niemals  vom  Volke  angenommen  hätte".  Anderseits  konnte 
gerade  das  Kaiserangebot  des  Königs  von  Bayern  in  der  Hand 
Bismarcks  zu  einer  Waffe  werden,  um  den  Widerstand  des 
Reichstages  und  des  Bundesrates  gegen  die  unvermeidlichen 
Verfassungszugeständnisse   an   Bayern   zu   überwinden. 

Graf  Bray  geht  in  der  Kaiserfrage  —  das  machen  jetzt 
die  bayerischen  Akten  zur  unwiderleglichen  Gewißheit  — 
fortan  vom  Anfang  bis  zum  Ende  der  Versailler  Verhandlungen 
Schulter  an  Schulter  mit  Bismarck.  Nicht  aus  Begeisterung 
^  Begeisterung  war  dem  nüchternen  Staatsmanne  fremd  — , 
wohl  aber  in  der  Hoffnung,  um  diesen  Preis  für  Bayern  gün- 
stigere Aufnahmebedingungen  in  den  deutschen  National- 
staat zu  gewinnen.      Die  Behauptung,  daß  er  von  dieser  Frage 


^)   Bericht  Brays  vom  25.  Oktober  a.  a.  O. 

2)  Noch  am  13.  November  äußerte  König  Wilhelm  zum  Großherzoge 
von  Baden:  ,,er  sei  eigentlich  der  Annahme  des  Kaisertitels  sehr  abgeneigt, 
da  er  mit  den  alten  preußischen  Traditionen  ungern  breche  und  auch  glaube, 
daß  in  Preußen  diese  Veränderung  empfindlich  berühren  werde.  Als  Kaiser 
von  Deutschland  komme  ihm  die  Stellung  zu  Preußen  vor  wie  die  Ungarns  zu 
Österreich.  Aber  er  sehe  wohl  ein,  daß  es  nun  einmal  nicht  zu  ändern  sei, 
und  wolle  sich  darein  ergeben."  Noch  am  19.  November  bekannte  er  seinem 
Schwiegersohne:  ,, Diese  Änderung  wird  mir  entsetzlich  schwer,  schwerer 
wie  meinem  Sohn,  der  es  nicht  erwarten  kann,  weil  ihm  eine  Vergangenheit 
fehlt,  die  man  nur  in  meinem  Alter  ganz  zu  würdigen  weiß."  Tagebuch  des 
Großherzogs. 


157 

sich  geflissentlich  ferngehalten  habe  oder  gar  von  Bismarck 
planmäßig  ausgeschaltet  worden  sei  oder  daß  er  auch  nur  das 
Interesse  daran  verloren  hätte,  ist  völlig  unbegründet. 

Graf  Bray  gibt  gleich  zu  Beginn  der  Versailler  Verhand- 
lungen die  Geneigtheit  Bayerns  zum  Anerbieten  der  Kaiser- 
krone kund,  wiewohl  er  von  seinem  Könige  nicht  dazu  ermäch- 
tigt ist.  Er  nimmt  die  Bezeichnung  ,, Kaiser  und  Reich"  in  jene 
Verfassungsentwürfe  auf,  die  er  für  Bismarck  ausarbeitete. 
Er  unterstützt  Bismarck  aufs  eifrigste,  als  dieser  den  Kaiser- 
plan neuerdings  mit  dem  Gedanken  eines  Fürstentages, 
und  zwar  diesmal  in  Versailles,  in  Verbindung  setzt.  Er  tritt 
wie  früher  für  die  Reise  des  Königs  nach  Fontainebleau  so 
jetzt  für  eine  Reise  nach  Versailles  aufs  lebhafteste  ein,  wie- 
wohl er  die  Menschenscheu  seines  Monarchen  kennt.  Er 
richtet  am  12.  November,  am  entscheidenden  Wendepunkte 
der  Versailler  Verhandlungen,  mitsamt  den  übrigen  Bevoll- 
mächtigten ,,zur  Entlastung  ihres  Gewissens"  eine  gemeinsame 
Vorstellung  an  den  König  mit  der  eindringlichsten  Darlegung 
der  Gründe,  die  für  eine  Reise  nach  Versailles  sprächen,  i) 
Er  läßt  durch  ein  Privatschreiben  des  Ministers  Lutz  vom 
13.  November^)  an  den  Staatsrat  Daxenberger  den  in  München 
zurückgebliebenen  Ministern  ins  Gewissen  reden,  ihre  Vor- 
stellung zu  unterstützen:  „Wenn  das  Ministerium  nicht  deut- 
lich spreche,  werde  es  seinerzeit  großen  Vorwürfen  nicht  ent- 
gehen und  vielleicht  vom  Könige  selbst  Vorwürfe  erhalten." 
,, Württemberg  hat  abgeschlossen  und  ist  Mitglied  des  Deut- 
schen Bundes,  wenn  auch  die  Urkunde  noch  nicht  vollzogen  ist. 
Von  Baden  und  Hessen  versteht  sich  dies  von  selbst."  Er 
erwirkt  in  der  Tat,  daß  sich  die  Minister  des  Innern,  der 
Finanzen  und  auch  der  des  Handels  der  Vorstellung  ihrer 
Ministerkollegen  anschlössen  und  in  einem  gemeinschaftlichen 
Antrage  den  König  beschworen,  der  ,, ebenso  ehrerbietigst  als 
dringend  gestellten  Bitte  im  Interesse  der  Krone  und  des 
dem  König  von  Gott  anvertrauten  Landes  Folge  zu  geben". ^) 
Er  spielt  gegen  den  zögernden  König  ganz  im  Geiste  Bismarcks 

1)  Dieses  Gesamtschreiben  fehlt  in  den  Akten,  findet  sich  auch  nicht  in 
dem  Nachlasse  des  Königs.  Der  spätere  Ministerialrat  Graf,  der  damals  als 
Hilfsarbeiter  mit  in  Versailles  weilte,  hat  dazu  später  auf  Grund  persönlicher 
Erinnerungen  mitgeteilt,  daß  ihm  das  Schreiben  von  Lutz  in  die  Feder  diktiert 
und  dann  im  Original,  ohne  Rückhaltung  eines  Konzeptes,  nach  München 
expediert  worden  sei.  Registraturvermerk  vom  16.  April  1909.  Vgl.  Bei- 
lagen  IV,   nr.  II. 

2)  Beilagen  IV,  nr.  7. 
^)  Beilagen  IV,  nr.  8. 


158 

und  der  von  diesem  bedienten  Presse  das  Schreckgespenst 
des  Zollparlamentes  oder  des  Reichstages  aus,  der  dem  Könige 
mit  der  Kaiserproklamation  zuvorkommen  werde.  Er  geht 
dabei  selbst  über  die  besonderen  Anliegen  des  Königs,  an  die 
dieser  die  Initiative  in  der  Kaiserfrage  geknüpft  wissen  wollte 
und  die  er  durch  Eisenhart  immer  wieder  einschärfen  ließ^), 
leicht  hinweg :  das  eine,  eine  mäßige  Land  Vergrößerung  in  der  ba- 
dischen Pfalz,  die  zugleich  als  Ersatz  für  den  territorialen  Verlust 
des  Jahres  1866  gedacht  war,  gehöre  in  das  Gebiet  der  Friedens- 
verhandlungen und  werde  erst  dann  ernstlich  in  Erwägung 
gezogen  werden  können,  wenn  Frankreich  das  Prinzip  territori- 
aler Abtretungen  anerkannt  habe,  die  andere  ,, bewußte  Ange- 
legenheit" —  gemeint  ist  ein  finanzielles  Anliegen,  eine  wenig- 
stens teilweise  Rückzahlung  der  Bayern  1866  auferlegten 
Kriegsentschädigung,  aber  nicht  an  den  Staat,  sondern  an  den 
König  —  entziehe  sich,  wie  er  bereits  in  München  bemerkt 
habe,  gänzlich  seiner  Kompetenz  und  könnte  ohne  den  größten 
Nachteil  und  ohne  dringende  Gefahr  von  ihm  nicht  in  An- 
regung gebracht  werden. 2)  Er  entsendet  schließlich  am  21, 
und  24.  November  die  beiden  historischen  Telegramme,  die 
nach  der  Aussage  des  Königs  selbst  die  Entscheidung  in  der 
Kaiserfrage  brachten,  die  telegraphischen  Mitteilungen:  die 
Reise  nach  Versailles  werde  entbehrlich,  wenn  Seine  Majestät 
die  Initiative  zur  Übertragung  des  Kaisertitels  schriftlich  zu 
übernehmen  geruhe;  die  Kaiserwürde  sei  unaufhaltsam;  wenn 
der  König  von  Bayern  die  Initiative  ablehne,  würden  die 
in  Versailles  anwesenden  Fürsten  und  der  Reichstag  sie  über- 
nehmen.3)  Graf  Bray  erklärte  am  24.  November  auf  eine 
Anfrage  des  Großherzogs  von  Baden  ausdrücklich:  die  baye- 
rischen Bevollmächtigten  hätten  sich  verpflichtet,  die  Kaiser- 
angelegenheit bei  ihrem  Könige  durchzusetzen,  und  sie  glaubten 
sicher  das  Ziel  zu  erreichen.*) 

Das  war  in  den  eingeweihten  Kreisen  Wiens  so  notorisch, 
daß  man  hier  den  Grafen  Bray  den  ,, Kaisermacher"  nannte. 
Das  war  derselbe  Minister,  der  angeblich  ausgezogen  war,  um 
Kaiser  und  Reich  wieder  im  Untersberge  verschwinden  zu 
machen. 


^)  Bray  a.  a.  O.  175,   176,   192. 

*)  Beilagen  IV,   nr.  9. 

")  Beilagen  IV,  nr.  10  u.  12. 

*)  Tagebuch  des  Großherzogs  von  Baden. 


159 

Die  Initiative  ging  demnach  auch  in  der  Kaiserfrage, 
ebenso  wie  früher  bei  der  Anerkennung  des  Kriegs- 
oder Bündnisfalles  und  beim  Eintritt  in  die  Ver- 
fassungsverhandlungen, auf  bayerischer  Seite  vom 
Ministerium  aus,  nicht  vom  Könige.  Ludwig  II.,  der  Ema- 
nuel  Geibel  das  ihm  von  Maximihan  IL  gewährte  Gnaden- 
gehalt entzogen  hatte,  weil  er  in  einer  seiner  Dichtungen 
König  Wilhelm  als  den  künftigen  Kaiser  begrüßte,  ist  das 
Anerbieten  der  Kaiserkrone  unendlich  schwer  geworden. 
Die  Behauptung,  daß  er  Ende  Oktober  ,, förmlich  darauf 
gebrannt  hätte",  ,,sein  heiligstes  Recht,  die  Verleihung  der 
Kaiserkrone,  zur  Ausübung  zu  bringen",  ist  ebenso  eine  Aus- 
geburt der  Phantasie  wie  die  andere  Behauptung,  daß  er  schon 
im  Frühjahr  1870  oder  gar  im  Dezember  1869  vom  Grafen 
Bismarck  für  das  preußische  Kaisertum  gewonnen  worden  sei. 
Er  hat  vielmehr  die  dem  Grafen  Bray  vor  dessen  Abreise  nach 
Versailles  in  der  Kaiserfrage  in  Aussicht  gestellte  schriftliche 
Ermächtigung  selbst  jetzt  noch  zurückgehalten^),  weil  er  zuerst 
die  zwei  Zugeständnisse  erfüllt  sehen  wollte,  die  ihm  besonders 
am  Herzen  lagen.  Kaum  war  Bray  abgereist,  so  sandte  Eisen- 
hart am  24.  Oktober  eine  chiffrierte  Depesche  an  ihn  ab: 
,,S.  Majestät  will  vor  Berichterstattung  von  Exzellenz  weder 
die  bekannte  Ermächtigung  noch  Brief  absenden." 

Der  einsam  auf  Schloß  Hohenschwangau  weilende  König 
Ludwig  hat  sich  noch  mehr  dagegen  gesträubt,  persönlich 
auf  einem  Fürstentag  in  Versailles  zu  erscheinen  und  hier  dem 
Preußenkönige  die  Kaiserwürde  anzutragen.  Er  suchte  nach 
einem  glaubhaften  Hinderungsgrund.  Er  entschied  sich  zu- 
letzt für  eine  Sehnenverdehnung.  Er  ließ  dem  Abgesandten  des 
Großherzogs  Friedrich  von  Baden,  dem  Staatsrate  v.  Geizer, 
der  ihn  durch  Verherrlichung  der  Kaiseridee  und  durch  die 
Aussicht  auf  unvergänglichen  Ruhm  zu  gewinnen  suchte, 
durch  Eisenhart  sagen:  als  konstitutioneller  Fürst  könne  er 
sich  über  eine  so  wichtige  Angelegenheit  nicht  eher  äußern, 
als  bis  er  mit  seinen  Ministern,  deren  Rückkehr  er  erwarte, 
Rücksprache  genommen  habe.  Er  lehnte  die  eindringliche 
Gesamtvorstellung  seiner  Minister  noch  am  20.  November  ab, 
wiewohl  ihm  der  Kabinettsekretär  Eisenhart  stundenlang 
auseinander  setzte:  die  Reise  nach  Versailles  sei  notwendig 
zur  Wahrung  des  persönlichen  Prestiges,  zur  Förderung  guter 
Beziehungen  mit  dem  preußischen  Hofe,   zur  Belebung  des 


1)  Nach  Geizer  unter  dem  Einflüsse  des  Prinzen  Otto. 


160 

bayerischen  Geistes  in  der  Armee,  zur  Niederhaltung  der 
Aktion  im  Lande,  zur  Erreichung  mögUchst  großer  Konzessionen. 

Erst  auf  jene  Mitteilungen  des  Grafen  Bray  vom  21.  und 
24.  November  begann  der  König  einzulenken.  Der  Entschluß 
ist  ihm  noch  in  letzter  Stunde  außerordentlich  schwer  geworden, 
wenn  es  auch  nicht  leicht  zu  entscheiden  ist,  was  ihm  schwerer 
fiel:  die  eigene  Überwindung  oder  die  Überzeugung  anderer 
daß  er  nicht  anders  handeln  könne.  Er  schrieb  an  die  Mit- 
glieder des  königlichen  Hauses,  er  rechtfertigte  sich  vor  ihnen. 
Das  vom  Kabinettsekretär  redigierte  Schreiben  an  die  Prinzen 
Karl,  Adalbert,  Ludwig  und  Karl  Theodor  vom  25.  November 
ist  verhältnismäßig  ruhig  und  sachlich  abgefaßt.^)  Das  vom 
Könige  persönlich  verfaßte  Schreiben  an  seinen  Bruder  Otto^) 
vom  gleichen  Tage  wahrt  in  dem  Bestreben,  sich  vor  seinem 
Bruder  zu  rechtfertigen,  kaum  noch  die  königliche  Würde. 
Nachdem  er  seinen  Bruder  durch  angelegentliche  Erkundigung 
nach  seinem  Befinden  und  mit  einem  unfreundlichen  Seiten- 
blick auf  die  gemeinsame  Mutter,  ,,die  Cousine  des  deutschen 
Kaiserkandidaten",  wie  er  sie  nennt,  günstig  gestimmt  zu 
haben  glaubt,  beginnt  er  zögernd  und  entschuldigend:  ,,Ich 
erlebte  mittlererweile  viel  Trauriges!  Selbst  der  bayerisch- 
monarchische Bray  beschwor  mich  mit  Pranckh  und  Lutz, 
so  bald  als  möglich  jenem  König  die  deutsche  Kaiserkrone 
anzubieten,  da  sonst  die  anderen  Fürsten  oder  gar  der  Reichs- 
tag es  tun  würde.  Könnte  Bayern  allein,  frei  vom  Bunde  stehen, 
dann  wäre  es  gleichgültig.  Da  dies  aber  geradezu  eine  politische 
Unmöglichkeit  wäre,  da  Volk  und  Armee  sich  dagegen  stemmen 
würden  und  die  Krone  mithin  allen  Halt  im  Lande  verlöre, 
so  ist  es,  so  schauderhaft  und  entsetzlich  es  immerhin  bleibt, 
ein  Akt  von  politischer  Klugheit,  ja  von  Notwendigkeit  im 
Interesse  der  Krone  und  des  Landes,  wenn  der  König  von  Bayern 
jenes  Anerbieten  stellt,  da,  nachdem  Bayern  nun  doch  einmal 
aus  politischen  Gründen  in  den  Bund  muß,  hinterher  der  nun 
doch  nicht  mehr  fernzuhaltende  Kaiser  von  mir  bon  gre 
mal  gre  anerkannt  werden  muß!"  ,, Jammervoll  ist  es,  daß 
es  so  kam,  aber  nicht  mehr  zu  ändern." 

Einige  Mitglieder  des  königlichen  Hauses  haben  dem  Könige 
den  Entschluß  noch  wesentlich  erschwert.  Prinz  Luitpold,  der 
spätere  Prinzregent,  hatte  schon  am  21.  November  an  seinen 
königlichen  Neffen  geschrieben:  ,,Was  die  auch  mir  in  die  Seele 
verhaßte   deutsche   Kaiseridee   betrifft,   so   begreife   ich  voll- 

^)   Beilagen  IV,  nr.  13. 
2)   Beilagen  IV,  nr.  14. 


161 

kommen,  daß  Du,  lieber  Ludwig,  nicht  geneigt  bist,  dem 
König  von  Preußen  vorzuschlagen,  den  Titel  eines  deutschen 
Kaisers  anzunehmen,  und  stimme  vollkommen  Deinem  Ent- 
schlüsse bei,  dies  nicht  zu  tun.  Nach  der  von  Anfang  so  löb- 
lichen Erfüllung  des  Allianzvertrags,  nach  all  den  an  Gut 
und  so  kostbarem  bayerischen  Blut  gebrachten  Opfern  ist 
Bayerns  König,  ist  Bayern  selbst  berechtigt,  von  Seite  Preußens 
ein  dankbares  Entgegenkommen  zu  erwarten.  Ich  kann  mir 
daher  leider  nur  zu  gut  vorstellen,  welche  kummervollen  Stun- 
den Du,  lieber  Ludwig,  so  manchmal  zubringen  wirst." i)  Der 
damals  in  München  weilende  Prinz  Otto  suchte  noch  in  einem 
Schreiben  vom  28.  November  ^)  den  Widerstand  seines  Bruders 
neu  zu  beleben:  ,,Als  ich  Deinen  Brief  gelesen,  kamen  heiße 
Tränen  in  meine  Augen  und  noch  jetzt  schmerzt  mich  die 
erschütternde  Mitteilung,  die  Du  mir  gemacht,  so  oft  sie  mir 
wieder  in  den  Sinn  kömmt.  Doch  habe  ich  immer  noch  ein 
wenig  Hoffnung.  Vielleicht  kömmt  was  Unerwartetes  dazu 
und  rettet  uns  noch  vor  dem  Untergang!  Noch  ist's  nicht  zu 
spät.  Höre  noch  einmal  meine  Stimme;  ich  beschwöre  Dich, 
das  Schreckliche  nicht  zu  tun!  Wie  kann  es  denn  für  einen 
Herrn  und  König  eine  zwingende  Gewalt  geben,  seine  Selb- 
ständigkeit dahinzugehen  und  außer  Gott  noch  einen  Höheren 
über  sich  anerkennen  zu  müssen!  Wird  der  Name  Bayern 
noch  geachtet,  nur  noch  genannt  werden  im  Ausland  ? !  Mögen 
wir  auch  für  den  jetzigen  Augenblick  Vorteile  und  Zugeständ- 
nisse erlangen,  die  vielleicht  von  großem  Umfang  sind,  so 
wiegen  sie  doch  gewiß  nicht  den  hundertsten  Teil  von  jenem 
Nachteil  auf,  den  wir  durch  Hingebung  der  Selbständigkeit 
erleiden.  Mögen  diese  Konzessionen  auch  für  den  Augenblick 
beträchtlich  sein,  mögen  sie  auch  vielleicht  für  20  bis  30  Jahre 
erhalten  bleiben,  so  wird  doch  gewiß  immer  mehr  davon  abge- 
zwackt werden  und  in  50  bis  100  Jahren,  wenn  es  recht  lange 
währt,  sind  sie  uns  vielleicht  sämtlich  abgerungen."  Die  Ant- 
wortschreiben der  übrigen  Prinzen  sind  bis  jetzt  nicht  zu- 
gänglich geworden. 

Der  mißtrauische  König  vollzieht  seinen  Entschluß  auch 
jetzt  nicht,  ohne  zuvor  den  Oberststallmeister  v.  Holnstein, 
der  eben  damals  besondere  Macht  über  ihn  besaß,  an  Bismarck 
zu  entsenden,  um  durch  ihn  ,,das  Terrain  rekognoszieren"  und 
seine  beiden  besonderen  Anliegen  sichern  zu  lassen,   die  er 

1)  M.  H.  A. 

2)  Beilagen  IV,  nr.  15. 

Doeberl,  Bayern  und  die  Bismarckische   Reichsgründung.  II 


162 

offenbar  durch  den  Grafen  Bray  zu  wenig  energisch  vertreten 
glaubt. 

Der  Oberststallmeister,  der  am  Abend  des  25.  Novem- 
ber in  Versailles  eintrifft,  erlangt  Gewißheit,  daß  das  Kaiser- 
problem der  einzige  Grund  sei  zur  Einladung  der  deutschen 
Fürsten  nach  Versailles,  daß  aber  der  König  von  Bayern, 
wenn  er  die  Unbequemlichkeit  einer  Reise  nach  Versailles 
scheue,  den  Antrag  auf  Erneuerung  des  Kaisertums  auch  in 
schriftlicher  Form  an  den  König  von  Preußen  richten  könne. 
Der  Oberststallmeister  scheint  von  Bismarck  auch  gewisse 
territoriale  und  finanzielle  Zusagen  erhalten  zu  haben.  Er 
empfängt  gleichzeitig  aber  auch  die  bestimmte  Mitteilung, 
daß  die  in  Versailles  versammelten  Fürsten  oder  der  Nord- 
deutsche Reichstag  mit  dem  Antrag  auf  Errichtung  des 
Kaisertums  hervortreten  werden,  wenn  ihnen  nicht  der  König 
von  Bayern  in  kürzester  Frist  zuvorkomme.  Der  Oberst- 
stallmeister ersucht  Bismarck  um  eine  schriftliche  Darlegung 
seiner  Meinung  über  die  Kaiserfrage  in  einem  Schreiben  an 
den  König  von  Bayern,  er  erholt  seinen  Rat  über  die  Form 
des  schriftlichen  Antrages,  er  bittet  zuletzt  um  einen  förmlichen 
Entwurf  eines  Kaiserbriefes,  den  man  seinem  Könige  nur  zur 
Unterschrift  vorzulegen  brauche.  Bismarck  vollzieht  diesen 
Wunsch,  aber  erst  nach  einigem  Zögern,  da  er,  wie  er  dem 
Großherzoge  von  Baden  gestand,  dem  Grafen  Holnstein  an- 
fänglich ,, nicht  recht  getraut  habe".^)  Er  entwirft  ein  Schrei- 
ben, in  dem  der  König  von  Bayern  dem  Preußenkönige  mit- 
teilt, er  habe  sich  mit  dem  Vorschlag  an  die  deutschen  Fürsten 
gewendet,  bei  ihm  anzuregen,  daß  er  mit  der  Ausübung  der 
Präsidialrechte  in  dem  neuen  Deutschen  Bunde  den  Titel 
eines  Deutschen  Kaisers  verbinde.  Bismarck  verfaßt  gleich- 
zeitig ein  persönliches  Schreiben  an  den  König  von  Bayern 
mit  dem  auf  die  Psyche  Ludwigs  II.  berechneten  Motive:  die 
in  Versailles  übernommenen  Verpflichtungen  könne  der  König 
von  Bayern  wohl  einem  Deutschen  Kaiser,  nicht  aber  dem 
Könige  von  Preußen,  leisten;  nur  der  Titel  Deutscher  Kaiser 
bekunde,  daß  die  damit  verbundenen  Rechte  aus  freier 
Übertragung  der  deutschen  Fürsten  und  Stämme  hervor- 
gehen. ,,Der  Deutsche  Kaiser  ist  ihr  Landsmann,  der  König 
von  Preußen  ihr  Nachbar. "2) 


^)  Tagebuch   des    Großherzogs   zum   27.  November. 
^)  Luise  V.  Kobell,  König  Ludwig  II.  und  Fürst  Bismarck  im  Jahre  1870 
(Beilage). 


163 

Der  Entwurf  des  Kaiserbriefes  findet  nicht  bloß  die 
Zustimmung  des  Grafen  Holnstein,  sondern  auch  die  Billigung 
des  Grafen  Bray  und  des  Gesamtministeriums.  Kabinett- 
sekretär Eisenhart  hat  ja  in  einem  Schreiben  an  den  Grafen 
Bray  ausdrücklich  geäußert,  daß  der  Kaiserbrief  von  diesem 
revidiert  worden  sei.  Es  ist  wenig  wahrscheinlich,  daß  die 
Reise  des  Grafen  Holnstein  ohne  Kenntnis  Brays  geschah, 
es  ist  vielmehr  durchaus  glaubwürdig,  daß  Bray  beauftragt 
wurde,  die  Ankunft  Holnsteins  anzumelden.  Es  besteht  sogar 
Grund  zur  Annahme,  daß  Graf  Bray  in  Rücksicht  auf  die  zu 
erwartende  Ankunft  Holnsteins  seinen  Aufenthalt  in  Versailles 
verlängert  hat.  Wir  wissen  jetzt  aus  den  (ungedruckten) 
Aufzeichnungen  eines  Teilnehmers,  des  Grafen  Hugo  v.  Lerchen- 
feld, des  späteren  langjährigen  Gesandten  am  preußischen 
Hofe,  daß  Graf  Holnstein  sich  in  Versailles  beim  Grafen  Bray 
meldete,  daß  die  Minister  gemeinsam  mit  dem  Grafen  Holn- 
stein die  Rückreise  nach  München  antraten  und  daß  unter- 
wegs der  freilich  ergebnislose  Versuch  gemacht  wurde  den  von 
Bismarck  entworfenen  Kaiserbrief  etwas  wirksamer  zu  ge- 
stalten. Nach  einer  Mitteilung  Bismarcks  an  Staatsminister 
von  Delbrück  vom  30.  November  i)  stellten  die  drei  bayerischen 
Minister  bei  ihrer  Abreise  von  Versailles  ebenso  wie  Graf 
Holnstein  die  unverzügliche  Anregung  der  Kaiserfrage  in 
Aussicht.  Bismarck  fügt  in  dem  Schreiben  hinzu:  ,,Ich  habe 
allen  vieren  gesagt,  die  Sache  sei  eilig,  wenn  verhindert  werden 
solle,  daß  der  Reichstag  die  Initiative  nehme;  wir  wünschen 
diese  Verhinderung  dringend."  Um  ganz  sicher  zu  gehen 
sandte  Bismarck  den  bayerischen  Bevollmächtigten  nach  ihrer 
Abreise  von  Versailles  am  30.  November  auf  dem  Wege  über 
die  preußische  Gesandtschaft  in  München  die  weitere  Mit- 
teilung zu:  ,,Nach  Delbrücks  telegraphischen  Nachrichten  sei 
die  Stimmung  im  Reichstage  bezüglich  der  Annahme  des 
bayerischen  Vertrages  unerwartet  schwierig  und  seien  deshalb 
alle  bei  der  Armee  befindlichen  Abgeordneten  heute  tele- 
graphisch nach  Berlin  einberufen;  nach  denselben  telegraphi- 
schen Meldungen  würde  aber  der  Kaiser,  wenn  von  Bayern 
beantragt,  das  Gleichgewicht  wieder  herstellen,  falls  es  bis 
Montag  im  Reichstag  bekanntgegeben  werden  könnte." 

Wiederum  wirkt  die  Botschaft  Bismarcks  aus  dem  Munde 
Holnsteins  ähnlich  wie  früher  aus  dem  Munde  des  Grafen 
Tauf f kirchen :  der  König  ist  offenbar  von  den  mündlichen 
Meldungen  seines  Oberststallmeisters  beruhigt  und  von  dem 

1)  H.  A.  A. 


164 

psychologisch  fein  gehaltenen  Begleitschreiben  Bismarcks  ge- 
schmeichelt ;  er  ist  anderseits  von  den  Absichten  der  nationalen 
Kreise  geängstigt.  Das  ist  zu  schließen  aus  der  Schnelligkeit, 
mit  der  er  nun  ausnahmsweise  seine  Entschlüsse  faßt  und  aus- 
führt. Derselbe  König,  der  noch  am  Tage  vorher  dem  Grafen 
Bray  geschrieben  hatte,  er  könne  in  der  Kaiserfrage  einen 
wohlgemessenen  Entschluß  erst  dann  fassen,  wenn  er  wenig- 
stens die  Hauptpunkte  der  Versailler  Verträge  genau  kenne 
und  gebilligt  habe^),  wartet  den  Bericht  des  Ministers  nicht 
mehr  ab,  selbst  nicht  die  Rückkehr  seines  Kabinettsekretärs, 
der  den  Auftrag  hatte,  mit  den  eben  von  Versailles  zurück- 
gekehrten Ministern  über  die  Ergebnisse  der  Versailler  Ver- 
handlungen zu  konferieren,  unterzeichnet  am  Nachmittag 
des  30.  Novembers  den  von  Bismarck  verfaßten  Kaiserbrief 
und  überschickt  ihn  noch  am  nämlichen  Tage  durch  den  Grafen 
Holnstein   an   Eisenhart   nach   München. 

Er  legt  allerdings  ,,die  Frage  der  Absendung  des  Briefes" 
,,in  die  Hände"  des  bei  der  Entscheidung  abwesenden  Kabinett- 
sekretärs mit  der  Begründung:  ,, Mittlererweile  werden  Sie 
Näheres  über  die  deutsche  Verfassungsfrage  durch  meine 
Minister  gehört  haben  und  aus  diesem  Grunde  werden  Sie 
imstande  sein,  die  Sachlage  richtig  beurteilen  zu  können. 
Sollte  ein  anders  gefaßter  Brief  daher  als  besser  und  ange- 
messener sich  herausstellen,  sollten  die  Opfer,  die  man  im 
Verfassungsentwurf  von  mir  verlangt,  zu  groß  sein,  gut,  so 
zerschlägt  sich  die  Sache  und  ich  ermächtige  Sie,  den  Brief 
an  den  König  von  Preußen  zu  zerreißen."^)  Aber  das  geschah, 
wie  so  oft,  nur  aus  der  dem  König  eigenen  Scheu  vor  Ver- 
antwortung —  um  wie  in  allen  wichtigen  Fragen  die  Ver- 
antwortung auf  einen  andern  abzuschieben. 

Kabinettsekretär  Eisenhart  weilte  nach  dem  Berichte 
seiner  Frau  im  Residenztheater,  als  Graf  Holnstein  mit  dem 
Kaiserbrief  in  München  eintraf.  Der  Kabinettsekretär  hatte 
bereits  vorher  mit  dem  Grafen  Bray  und  den  beiden  anderen 
von  Versailles  zurückgekehrten  Ministern  über  den  Versailler 
Vertrag  sowohl  wie  über  den  Entwurf  des  Kaiserbriefes 
konferiert.  Der  Entwurf  war  von  den  Ministern  neuerdings 
ausdrücklich  gebilligt  worden.  Der  Kabinettsekretär  glaubte 
sich  daher  berechtigt,  den  Kaiserbrief  abgehen  zu  lassen,  ohne 
eine  erneute  Aussprache  mit  den  Ministern  zu  pflegen,  ohne 
die     ausdrückliche     Zustimmung     namentlich     des     Ressort- 

^)   Beilagen  IV,   nr.  16  und   17. 

*)   Gedruckt  bei  Böhm  Ludwig  11.^   S.  304. 


165 

ministers  Bray  einzuholen.  Nach  der  Darstellung  Luise  v. 
Kobells  hätte  allerdings  Eisenhart  noch  in  der  Nacht  eine 
Aussprache  mit  dem  Justizminister  Lutz  gehabt,  der  ihn  in 
seinem  Entschlüsse  bestärkt  habe.  Wir  sind  nicht  in  der  Lage 
diese  Nachricht  zu  kontrollieren,  aber  das  ist  gewiß:  mit  dem 
Vorsitzenden  im  Ministerrate,  der  in  dieser  Angelegenheit  zu- 
gleich Ressortminister  war,  hat  er  keine  Aussprache  gesucht. 
Wohl  aber  hat  er  nachträglich,  am  3.  Dezember,  zugleich  zu 
seiner  Rechtfertigung,  ihm  einen  kurzen,  aber  doch  sehr 
inhaltsreichen  Bericht  erstattet  i):  ,,Am  30.  nachmittags 
schrieb  Seine  Majestät  an  den  König  von  Preußen,  wobei  der 
von  Ew,  Exzellenz  revidierte  Bismarckische  Entwurf  wortgetreue 
Benutzung  fand.  Zugleich  schrieb  Seine  Majestät  an  mich 
in  München,  die  Frage  der  Absendung  des  Briefes  in  meine 
Hand  legend.  Es  war  mir  daher  von  größtem  Werte,  vorher 
über  die  Sache  mit  Ew.  Exzellenz  gesprochen  zu  haben.  Die 
Bismarckische  Redaktion  schien  mir  zwar  etwas  stark  ge- 
schäftlich, aber  die  Form  ist  doch  nicht  die  Hauptsache. 
Gegen  den  Inhalt  des  Briefes  vermochte  ich  nach  bestem 
Wissen  und  Gewissen  nichts  einzuwenden  und  so  wurde  denn 
nachts  V2I  Uhr  der  Brief  gesiegelt.  Graf  Holnstein  fuhr  dann 
noch  zum  norddeutschen  Gesandten  und  morgens  6  Uhr  nach 
Versailles,  wo  er  heute  ankommt.  Morgen  findet  mutmaßlich 
offizielle  Übergabe  des  Briefes  statt,  wozu  Prinz  Luitpold 
von  S.  Majestät  beordert  wurde." 

Die  Aufgabe  des  Historikers  ist:  weniger  anzuklagen  als 
vielmehr  zu  verstehen.  Die  Pflicht  obliegt  ganz  besonders 
einer  so  krankhaft  veranlagten  Persönlichkeit  gegenüber  wie 
König  Ludwig  H.,  der  politisch  ein  Kind  war. 

Wir  wissen  heute,  daß  die  Anregung  zur  Kaiserproklama- 
tion nicht  von  Bayern  ausging.  Wir  wissen,  daß  der  König 
und  das  königliche  Haus  ,  zumal  der  königliche  Bruder  Prinz 
Otto,  dem  Kaiserplan  abgeneigter  gegenüber  standen  als  das 
Ministerium,  daß  der  bayerische  König,  als  sein  Ministerium 
längst  für  das  Kaiserprojekt  gewonnen  war,  nur  langsam 
und  zögernd  sich  dazu  verstand,  daß  er  noch  in  den  letzten 
Tagen  das  Gutachten  von  Mitgliedern  des  königlichen  Hauses 
einholte  und  sich  durch  den  Grafen  Holnstein  von  Bismarck 
gewisse  Sicherungen  und  Gegenleistungen  erbat.  Wir  wissen, 
daß  der  Kaiserbrief  Ludwigs  H.  wörtlich  oder  fast  wört  ich 
nach  dem,  um  mit  Eisenhart  zu  sprechen,  ,, etwas  stark  ge- 
schäftlichen" Entwürfe  Bismarcks  geschrieben  wurde. 

^)  Beilagen  IV,  nr.  19. 


166 

Wir  wissen  aber  auch,  daß  der  Antrag  auf  Kreierung  des 
Kaisertums  und  damit  gleichsam  einer  höheren,  übergeordneten 
Souveränität  in  Deutschland  —  das  war,  wie  wir  jetzt  wissen, 
tatsächlich  die  Meinung  im  deutschen  Hauptquartier  —  für 
einen  Ludwig  II.  mit  seiner  krankhaft  gesteigerten  Vorstellung 
von  der  königlichen  Würde  ein  schweres  Opfer,  ,,ein  Herab- 
steigen von  der  jetzigen  Stufe",  wie  Kabinettssekretär  Eisenhart 
im  November  zu  Staatsrat  Geizer  äußerte,  oder,  um  mit  den 
Worten  des  preußischen  Botschafters  Bernstorf f  zu  sprechen, 
eine  ,, deminutio  capitis"  bedeutete,  ein  schweres  Opfer  nicht 
bloß  für  ihn,  sondern  auch  für  sein  Haus,  für  das  er  sich  recht- 
fertigen, seinem  Bruder  Otto  gegenüber  entschuldigen  ,  für  das 
er  Gegenleistungen  aufweisen  zu  müssen  glaubte.  Ein  ein- 
facher Berliner  Bürger  hat  in  einer  Zuschrift  an  den  König 
mit  schUchten  Worten  das  zum  Ausdruck  gebracht:  ,,Eure 
Königliche  Majestät  haben  sich  durch  diese  Tat  des  freien 
Willens,  die  an  Mut,  Opferwilligkeit  und  Selbstverleugnung 
durch  keine  Heldentat  im  Felde  übertroffen  wird,  den  Dank 
der  Mit-  und  Nachwelt  gesichert."  Wir  wissen,  daß  König 
Ludwig  IL,  trotz  schwerer  Bedenken  einzelner  Mitglieder  des 
königlichen  Hauses,  der  deutschen  Einheit  dieses  Opfer 
brachte  und  daß  es,  wie  Eisenhart  dem  Grafen  Bray  richtig 
erklärte,  für  einen  könighchen  Willensakt  nicht  auf  die  Form, 
sondern  auf  den  Inhalt-  ankömmt. 


Am  30.  November  richtete  Ludwig  IL  den  Kaiserbrief  an 
den  Preußenkönig.  Am  3.  Dezember  überreichte  ihn  Prinz 
Luitpold,  der  spätere  Prinzregent,  dem  Könige  Wilhelm.  Der 
Kabinettsekretär  Eisenhart  nennt  es  eine  ,, seltsame",  der 
Großherzog  von  Baden  eine  ,, merkwürdige  Fügung",  daß 
gerade  Prinz  Luitpold  der  Überbringer  des  Kaiserbriefes  war; 
der  Prinz  hatte  sich  eben  gegen  das  Kaiserprojekt  besonders 
scharf  ausgesprochen.  Zum  Großherzoge  von  Baden  äußerte 
König  Wilhelm  unmittelbar  nach  Überreichung  des  Kaiser- 
brief es  ^):  ,, Prinz  Luitpold  habe  den  Kaiserbrief  in  sehr  nüch- 
terner Form  übergeben,  worauf  er  ihn  in  seiner  Gegenwart  ge- 
lesen und  ihm  dann  gesagt  habe,  der  Antrag  des  Königs  von 
Bayern  überrasche  ihn;  denn  gerade  von  ihm  habe  er  sich 
denselben  am  wenigsten  erwartet,  da  ja  die  Verhandlungen 
mit  den  bayerischen  Ministern  erwiesen  hätten,  daß  König  und 


1)  Tagebuch  des  Großherzogs. 


167 

Regierung  sich  nur  schwer  entschlössen  den  neuen  Bund  zu 
schheßen.  Er  werde  den  Brief  alsbald  beantworten  und  den 
Antrag  des  Königs  von  Bayern  annehmen,  sobald  er  von 
allen  Fürsten  gebilligt  sei.  Er  hoffe,  daß  daraus  ein  festes 
Band  der  Einigkeit  erwachse,  das  um  so  nötiger  sei,  als 
eigentlich  nur  Baden  mit  großem  Entgegenkommen  das 
Einigungswerk  ermöglicht  habe." 

Am  30.  November  und  in  den  folgenden  Tagen  wandte 
sich  König  Ludwig  im  Sinne  des  Kaiserbriefes  an  die  Fürsten 
und  freien  Städte  Deutschlands  mit  dem  Vorschlage,  gemein- 
sam mit  ihm  beim  Könige  von  Preußen  in  Anregung  zu  bringen, 
daß  er  mit  der  Ausübung  der  Bundespräsidialrechte  die 
Führung  des  Titels  eines  Deutschen  Kaisers  verbinde.  Der 
Antrag  wird  damit  begründet,  daß  nach  dem  Beitritte  Süd- 
deutschlands die  dem  Könige  von  Preußen  übertragenen 
Präsidialrechte  sich  über  alle  deutschen  Staaten  erstreckten 
und  daß  der  Kaisertitel  geeignet  sei  zum  Ausdruck  zu  bringen, 
daß  diese  Vorrechte  der  König  von  Preußen  ,,im  Namen  des 
gesamten  deutschen  Vaterlandes  auf  Grund  der  Einigung  seiner 
Fürsten  ausübe." i)  König  Ludwig  IL  äußerte  ausdrücklich 
den  Wunsch,  daß  das  Anerbieten  der  Kaiserkrone  in  der  Presse 
,,als  eine  nationale  Tat  in  das  gebührende  Licht  gesetzt  und 
in  diesem  Sinn  auf  die  süddeutsche  Stimmung  eingewirkt 
werde".  Auch  in  dem  Anschreiben  an  die  deutschen  Fürsten 
und  Städte  wird  mit  Zustimmung  des  Königs  der  nationale 
Charakter  des  Vorganges  ausdrücklich  betont:  ,,es  sei  ihm  ein 
erhebender  Gedanke,  daß  er  sich  durch  seine  Stellung  in 
Deutschland  und  durch  die  Geschichte  seines  Landes  berufen 
fühlen  könne,  zur  Krönung  des  deutschen  Einigungswerkes 
den  ersten  Schritt  zu  tun."  Ähnlich  äußerte  sich  der  König 
einige  Tage  später  in  einem  Schreiben  an  den  Bevollmächtigten 
des  Großherzogs  von  Baden,  Staatsrat  Dr.  Geizer:  ,,Mir  aber 
gereicht  es  zu  einem  befriedigenden  Bewußtsein,  daß  ich  durch 
den  unterm  30.  November  an  den  König  von  Preußen  ge- 
richteten Vorschlag,  die  Ausübung  der  Bundespräsidial- 
rechte mit  der  Führung  des  Titels  eines  deutschen  Kaisers 
verbinden  zu  wollen,  unter  freudiger  Zustimmung  meiner  Mit- 
fürsten zur  festen  und  dauernden  Einigung  Deutschlands  das 
Meinige  nach  Kräften  beizutragen  vermochte." 

Den  Mitgliedern  des  königlichen  Hauses  gegenüber  recht- 
fertigte   der    König    in    einem    Schreiben    vom   4.  Dezember 


1)   Beilagen  IV,   nr.  18. 


168 

den  Kaiserbrief  mit  den  Versailler  Verträgen,  die  sowohl  die 
Militärhoheit  als  auch  das  Gesandtschaftsrecht  der  Krone 
Bayern  vollständig  gewahrt  und  derselben  in  einigen  wert- 
vollen Punkten,  wie  der  Teilnahme  bei  Friedensschlüssen,  eine 
Sonderstellung  eingeräumt  hätten.  Er  rechtfertigte  den 
Kaiserbrief  in  demselben  Schreiben  aber  auch  mit  der  Not- 
wendigkeit, zu  verhüten,  daß  der  König  von  Bayern  von 
den  zurzeit  in  Versailles  versammelten  Fürsten  überholt 
werde.  1) 

Am  i6.  Dezember  kann  König  Ludwig  dem  Könige  von 
Preußen  telegraphisch  mitteilen,  daß  seinem  Antrag  auf  Ver- 
leihung der  Kaiserwürde  sämtliche  Mitfürsten  und  freien 
Städte  ,,in  freudiger  Einmütigkeit" 2)  ihre  Zustimmung  erteilt 
hätten.  Der  Großherzog  von  Baden  hatte,  im  Einvernehmen 
mit  Bismarck,  den  Erfolg  wesentlich  erleichtert  und  be- 
schleunigt: er  hatte  die  in  Versailles  anwesenden  und  die  bei 
der  Loirearmee  befindlichen  regierenden  deutschen  Fürsten 
für  Zustimmung  gewonnen  und  ihre  Zustimmung  telegraphisch 
nach  München  übermittelt;  er  hatte  sich  auch  telegraphisch 
an  die  Könige  von  Sachsen  und  Württemberg  sowie  an  den 
Großherzog  von  Hessen  und  den  Herzog  von  Braunschweig 
gewandt.  Er  war  es  auch,  der  den  König  von  Bayern  unter 
Hinweis  auf  die  zu  erwartende  Kaiserdeputation  des  Reichs- 
tages zu  eiaer  beschleunigten,  telegraphischen  Mitteilung  der 
Zustimmung  der  deutschen  Fürsten  und  freien  Städte  ver- 
anlaßte.^) 

Trotzdem  ist  das  Kaisertum  noch  in  letzter  Stunde  unter 
Schmerzen  geboren  worden. 

Die  patriotische  Presse  in  Bayern,  die  von  Anfang  an 
dem  preußisch-deutschen  Kaiserprojekt  Abneigung  und  Miß- 
trauen entgegenbrachte,  erhob  gerade  damals,  in  den  Wochen 
um  die  Jahreswende,  flammende  Proteste  gegen  dieses  Idein- 
deutsche  ,,schwarzweißrote  Kaisertum",  dieses  ,, Kaisertum 
der  Nationalliberalen".  Übertreibungen  im  nationalliberalen 
und  fortschrittlichen  Lager,  Überschwenglichkeiten,  aber  auch 
Überhebung,  selbst  ein  gewisser  Terrorismus,  namentlich  auf 
kirchlichem  Gebiete,  hatten  den  kurze  Zeit  schlummernden 
Widerspruch  der  Patrioten  neuerdings  angefacht. 

Die  ,, Augsburger  Postzeitung"  legte  sich  eine  gewisse 
„staatsmännische"  Mäßigung  auf,  wandte  sich  weniger  gegen 

^)  Beilagen  IV,  nr.  20. 

2)  M.  St.  A. 

2)  Tagebuch   des   Großherzogs   zum   3.,    5.,    6.,    8.   und    11.  Dezember. 


169 

das  Kaisertum  an  sich  als  vielmehr  gegen  den  drohenden 
militärischen  und  zentralistischen  Charakter  desselben,  hinter 
dem  das  Gespenst  der  demokratischen  Republik  stehe.  Um  so 
leidenschaftlicher  ist  die  Sprache  der  durch  und  durch  demo- 
kratisch denkenden  und  fühlenden  extrem-patriotischen  Blätter, 
der  ,, Donauzeitung",  ganz  besonders  aber  des  ,, Volksboten" 
und  des  ,, Vaterlandes".  Sie  lehnen  jede  Gemeinschaft  mit 
dem  neuen  Kaisertum  ab,  sie  eifern  gegen  das  Kaisertum 
überhaupt.  ,,Caesarem  habemus,"  diese  Losung  ist  der 
,, Donauzeitung"  gleichbedeutend  mit  einer  Zuchtrute,  die 
unser  Herrgott  dem  deutschen  Volke  geschickt  hat.  Dem 
,, Vaterlande"  ist  die  neue  Kaiserkrone  die  vergrößerte  preußi- 
sche Pickelhaube,  die  Verkörperung  des  verhaßten  preußischen 
Wesens,  die  Vollendung  des  Einheits-  und  Militärstaates, 
das  Zuchthaus.  Seine  Morgengabe  sei  ,,mehr  Kriege,  mehr 
Krüppel,  mehr  Totenlisten  und  mehr  Steuerzettel",  sein 
Wahlspruch  heiße:  Gewalt  geht  vor  Recht.  Sie  eifern  ganz 
besonders  gegen  das  protestantische  Kaisertum.  Ein  deutscher 
Kaiser  ohne  den  Mittelpunkt  der  abendländischen,  der  katholi- 
schen Christenheit,  ein  protestantischer  Kaiser  entbehre  jeder 
historischen  und  rechtlichen  Grundlage.  Das  alte,  echte, 
römisch-deutsche  Kaisertum  sei  eine  Schöpfung  Papst  Leos  IIL 
und  Karls  des  Großen  gewesen,  das  neue,  preußisch-deutsche, 
protestantische  Pseudokaisertum  sei  eine  Erfindung  Luthers 
und  des  Schwedenkönigs  Gustav  Adolf.  Dieser  habe  sich 
mit  den  protestantischen  Reichsständen  verschworen,  an  die 
Stelle  des  katholischen  den  protestantischen  Kaiser  zu  setzen 
und  damit  die  Vormacht  des  christlichen  Abendlandes  zu 
protestantisieren.  Das  Erbe  des  Schwedenkönigs  habe  das 
Haus  Hohenzollern  übernommen  und  nach  zweihundert- 
jährigem blutigen  Ringen  nahezu  verwirklicht.  Noch  fehle 
aber  Böhmen  und  die  übrigen  habsburgischen  Erblande  und 
die  Kaiserstadt  Wien.  Im  nächsten  Kriege  werde  Hohen- 
zollern zum  vernichtenden  Schlage  auch  gegen  das  Haus 
Habsburg  ausholen. 

Von  einer  höheren  geistigen  Warte  aus  wendet  sich  gegen 
das  kleindeutsche  Kaisertum  das  literarisch  höchststehende 
Organ  der  patriotischen  Presse,  die  ,, Historisch-Politischen 
Blätter".  Sie  kämpfen  mit  geistigen  Waffen,  die  oft  wörtlich 
an  die  Dialektik  des  bekannten  Publizisten  Konstantin  Frantz 
erinnern.  Ihnen  steht  über  der  Nationalität  die  Menschheit. 
Für  die  Menschheit  ist  das  Christentum  in  die  Welt  gekommen 
und   mit   ihm   der    Gedanke   einer    Geistes-   und    Interessen- 


170 

gemeinschaft  der  europäischen  Völker,  der  Gedanke  einer  sie 
umspannenden  christlichen  Rechts-  und  Gesellschaftsordnung. 
Im  römisch-deutschen  Reiche  war  diese  christliche  Rechts- 
und Gesellschaftsordnung  verwirklicht,  unvollkommen  selbst 
noch  in  der  heiligen  Allianz  und  im  Deutschen  Bunde. 
Der  revolutionäre  Liberalismus  hat  die  christliche  Gemein- 
schaft zerstört  und  an  ihre  Stelle  das  Eigenrecht  der  National- 
staaten, den  modernen  Macht-  und  Militärstaat  gesetzt. 
Der  erste  und  der  dritte  Napoleon  haben  dieses  neue  Staats- 
ideal auf  den  Thron  erhoben.  Der  Napoleonismus  in  Paris 
hat  seine  Fortsetzung  gefunden  in  dem  Napoleonismus  von 
Berlin.  Das  neue  Kaisertum  mit  seinem  zentralistischen  und 
militaristischen  Nationalstaat  ist  nicht  der  Nachfolger  des 
universellen  römisch-deutschen  Kaiserreichs,  sondern  das 
Geisteskind  des  napoleonischen  Cäsarismus.  Je  großartiger 
die  Vorstellung  war,  die  man  in  diesen  Kreisen  vom  mittel- 
alterlichen Kaisertum  hatte,  wenn  sie  auch  zum  Teil  auf 
Illusion  beruhte,  desto  schroffer  war  der  Widerspruch  gegen 
die  neue  Kaiseridee. 

Diese  Sprache  der  bayerisch-patriotischen  Blätter  fiel 
um  so  mehr  auf  die  Nerven,  als  der  Versailler  Vertrag  noch 
immer  der  Zustimmung  des  bayerischen  Landtags  harrte  und 
auf  diesem  Landtage  die  patriotische  Partei  über  die  Mehrzahl 
der  Stimmen  verfügte.  Die  pessimistischen  und  nur  allzu 
temperamentvollen  Berichte  des  badischen  i)  und  des  preußi- 
schen Gesandten  in  München,  die  nach  Versailles  gelangten, 
waren  nicht  geeignet  die  Stimmung  im  Hauptquartier  zu  be- 
ruhigen. 

Die  Vorgänge  in  Bayern  waren  nicht  die  einzige  Sorge 
des  Kanzlers  und  seines  Königs. 

König  Johann  von  Sachsen  und  sein  erster  Minister 
Freiherr  v.  Friesen  waren  darüber  verstimmt,  daß  der  König 
von  Bayern  seinen  Kaiserbrief  ,,ohne  vorherige  Verständigung 
mit  den  anderen  Souveränen  geschrieben  hatte",  daß  insbe- 
sondere der  König  von  Sachsen  ,,ganz  beiseite  gelassen  worden 
war".  Sie  waren  um  so  mehr  verstimmt,  als  sich  mit  dem 
Anschreiben  des  Königs  von  Bayern  zwei  Schreiben  des 
Königs  von  Sachsen  gekreuzt  hatten,  in  denen  König  Johann 
die  Könige  von  Bayern  und  Württemberg  zum  persönlichen 
Besuch  in  Versailles  einlud,  um  einerseits  die  Einigkeit  Deutsch- 
lands vor  aller  Welt  kundzutun,  um  anderseits  die  Kaiserfrage 


^)  Tagebuch  des  Großherzogs  von  Baden  zum  29.  Dezember. 


171 

in  Anregung  zu  bringen.  Die  Gereiztheit  richtete  sich  nicht 
bloß  gegen  Bayern  sondern  auch  gegen  Bismarck.  Vergebens 
entschuldigte  der  Kanzler  die  „Schnelligkeit  und  Form- 
losigkeit" des  Verfahrens  mit  den  Verhältnissen  in  Bayern, 
zumal  mit  dem  „sehr  kranken"  Zustande  des  Königs  Ludwig: 
„das  Terrain  in  München  sei  derart,  daß  ein  Umschwung  des 
Windes  jeden  Tag  möglich  sei,  wenn  nicht  die  momentane 
günstige  Stimmung  benützt  werde."  Sachsen  lehnte  es  ab, 
im  Bundesrate  den  durch  die  Annahme  des  Titels  ,, Kaiser  und 
Reich"  notwendig  gewordenen  Antrag  auf  Abänderung  des 
Textes  der  Bundesverfassung  zu  stellen.  Bismarck  sah  sich 
genötigt,    Sachsen- Weimar  dafür  zu  gewinnen.^) 

Noch  immer  fehlte  die  amtliche  Annahme  des  Kaiser- 
titels. Der  Kronprinz  von  Preußen  und  viele  fürstliche  Per- 
sönlichkeiten wollten,  daß  am  Neujahrstage  Kaiser  und  Reich 
feierlich  proklamiert  würden.  2)  Der  König  von  Preußen,  der 
sich  nur  schwer  mit  dem  Kaisergedanken  befreundete,  nur 
schwer  für  den  Empfang  der  ,, Kaiserdeputation"  des  Reichs- 
tags gewonnen  worden  war,  bestimmte,  daß  mit  der  feierlichen 
Verkündigung  gewartet  werden  solle,  bis  die  Zustimmungs- 
erklärungen sämtlicher  nord-  und  süddeutscher  Fürsten  und 
freien  Städte  amtlich  mitgeteilt  und  die  Versailler  Verträge 
von  den  süddeutschen  Landtagen  genehmigt  und  von  den 
süddeutschen  Souveränen  ratifiziert  worden  seien.  Was  aber 
bisher  von  Bayern  in  der  Kaiserfrage  geschehen  war,  waren 
einseitige  Handlungen  des  Königs,  die  der  ministeriellen 
Gegenzeichnung  entbehrten:  der  Kaiserbrief  sowohl  wie  das 
Anschreiben  an  die  deutschen  Fürsten  und  die  Bekanntgabe 
ihrer  Zustimmung  an  den  Preußenkönig.  Noch  fehlte  die 
amtliche  Zuleitung  der  Zustimmungserklärungen  der  deutschen 
Staatsoberhäupter,  noch  fehlte  die  Zustimmung  des  bayerischen 
Landtags  zum  Versailler  Vertrag.  Noch  am  31.  Dezember 
schrieb  daher  König  Wilhelm  an  Bismarck:  ,,Mein  Sohn 
fragt  mich  soeben,  ob  morgen  eine  Proklamierung  von  Kaiser 
und  Reich  stattfinde,  da  mit  dem  i.  Januar  die  neue  Ver- 
fassung ins  Leben  trete.  Ich  erwiderte:  nein;  denn  Bayern 
ist  völlig  en  retard  mit  der  offiziellen  Anzeige  der  Zustimmung 
der  Fürsten,  so  daß  dies  jedenfalls  abgewartet  werden  muß, 
ganz  abgesehen  von  der  Verzögerung  des  Votums  der  zweiten 
Kammer."^)    Das  Einzige,  was  die  in  Versailles  anwesenden 

^)   H.  A.  A.  („Acta  betr.  die  Annahme  des  Kaisertitels",  Bd.  I.) 
^)  Tagebuch  des  Großherzogs  von  Baden  zum  28.  Dezember. 
')  H.  A.  A.  („Acta  betr.  die  Frage  wegen  Annahme  des  Kaisertitels", 
Bd.  II.) 


172 

Fürsten  erreichten,  war,  daß  der  Großherzog  von  Baden  in 
einer  Neujahrsrede  an  der  königUchen  Tafel  zu  Versailles 
der  Neugestaltung  Deutschlands  Erwähnung  tun  durfte.  Er 
sprach  damals  die  wenigen  und  bescheidenen,  aber  inhalts- 
schweren Worte:  ,,Das  deutsche  Heer  hat  unter  Ew.  Majestät 
glorreicher  Führung  die  Einheit  der  deutschen  Nation  gegen 
den  äußeren  Feind  erkämpft  .  .  .  Der  heutige  Tag  ist  dazu 
bestimmt,  das  ehrwürdige  Deutsche  Reich  in  verjüngter  Kraft 
erstehen  zu  lassen.  Ew.  Majestät  wollen  aber  die  angebotene 
Krone  des  Reiches  erst  dann  ergreifen,  wenn  sie  alle  Glieder 
desselben  schützend  umfassen  kann.  Nichtsdestoweniger 
erblicken  wir  heute  schon  in  Ew.  Majestät  das  Oberhaupt 
des  deutschen  Kaiserreiches  und  in  dessen  Krone  die  Bürg- 
schaft unwiderruflicher  Einheit." i) 

Der  Vorgang  hatte  einen  tiefen  Eindruck  auf  den  König 
hinterlassen,  seinen  inneren  Widerstand  gegen  die  Kaiser- 
proklamation geschwächt.  Als  dann  von  der  bayerischen 
Regierung  die  Zustimmungserklärungen  der  deutschen  Fürsten 
und  Städte  eintrafen,  zeigte  er  dem  Könige  von  Bayern  in  einem 
amtlichen  Schreiben  vom  12.  Januar  an,  daß  er  die  Kaiser- 
würde annehme  —  ,, nicht  im  Sinne  der  Machtansprüche,  für 
deren  Verwirklichung  in  den  ruhmvollsten  Zeiten  unserer 
Geschichte  die  Macht  Deutschlands  zum  Schaden  seiner 
inneren  Entwicklung  eingesetzt  wurde,  sondern  mit  dem 
festen  Vorsatz,  als  deutscher  Fürst  der  treue  Schirmherr 
aller  Rechte  zu  sein  und  das  Schwert  Deutschlands  zum 
Schutze  derselben  zu  führen."  ,, Deutschland  stark  durch  die 
Einheit  seiner  Fürsten  und  Stämme,  hat  seine  Stellung  im 
Rate  der  Nationen  wieder  gewonnen  und  das  deutsche  Volk 
hat  weder  das  Bedürfnis  noch  die  Neigung,  über  seine  Grenzen 
hinaus  etwas  anderes  als  den  auf  gegenseitiger  Achtung  der 
Selbständigkeit  und  gemeinsamer  Förderung  der  Wohlfahrt 
begründeten  freundschaftlichen  Verkehr  der  Völker  zu  er- 
streben." Am  15.  Januar  gab  der  Preußenkönig  seinen  end- 
gültigen Willen  dahin  kund,  daß  am  18.  Januar,  dem  Jahres- 
tage der  ersten  preußischen  Königskrönung,  auf  den  bereits 
Bismarck  die  Aufmerksamkeit  gelenkt  hatte,  ohne  weitere 
Rücksicht  auf  den  bayerischen  Landtag  das  Kaisertum 
proklamiert  werden  solle. 

Aber  noch  im  letzten  Augenblick  erhoben  sich  heiße 
Kämpfe  um  die  Titelfrage.    Der  Kronprinz  von  Preußen  und 

^)  Vgl.  dazu  das  Tagebuch  des   Großherzogs  von  Baden. 


173 

die  Mehrzahl  der  in  Versailles  anwesenden  Fürsten,  voran 
der  Großherzog  von  Baden,  wünschten  den  Titel  ,, Kaiser  von 
Deutschland".  ^)  Der  Kronprinz  sprach  sich  ganz  besonders 
in  einer  Denkschrift  vom  ii.  Januar  hiefür  aus.  Der  König  von 
Preußen  schloß  sich  ihm  an.  Auch  Bismarck  hatte  sich  an- 
fänglich, auf  eine  Anfrage  des  Staatsministers  Delbrück  vom 
8.  Dezember,  für  den'  ,, Kaiser  von  Deutschland"  erklärt. 
Er  hatte  aber  schon  damals  die  Klausel  hinzugefügt:  ,, Wo- 
möglich"; ,, wollen  die  andern  das  nicht,  so  geht  der  deutsche 
Kaiser  auch."  Wiederum  sind  es  die  bayerischen  Bevoll- 
mächtigten, die  bei  den  Verfassungsberatungen  im  Nord- 
deutschen Bundesrate  Bedenken  gegen  den  Titel  ,, Kaiser 
von  Deutschland"  erhoben,  ,,weil  er  sich  von  der  Form  ent- 
ferne, welche  in  dem  Kaiserbriefe  für  die  Bezeichnung  der 
Kaiserwürde  gewählt  worden  sei,"  und  sie  erreichten,  daß 
nicht  bloß  der  Bundesrat  den  Titel  ,, Deutscher  Kaiser"  in 
die  neue  Bundesverfassung  aufnahm,  sondern  daß  sich  jetzt 
auch  Bismarck  für  diesen  Titel  entschied.  Er  hat  die  Gründe 
hiefür  in  zwei  Berichten  an  seinen  König  vom  5.  und  14.  Januar 
1870  auseinandergesetzt:  er  berief  sich  auf  die  Erklärungen 
der  bayerischen  Bevollmächtigten  im  Norddeutschen  Bundes- 
rat, auf  den  Wortlaut  des  Kaiserbriefes,  auf  den  Wortlaut 
der  Zustimmungserklärungen  der  deutschen  Fürsten  und  freien 
Städte,  auf  den  Wortlaut  der  neuen  Bundesverfassung. 
„Nicht  bloß  der  König  von  Bayern  habe  diesen  Ausdruck 
gebraucht,  auch  die  meisten  deutschen  Fürsten  bei  ihrer  Zu- 
stimmung zum  Antrage  des  Königs  von  Bayern.  Dieser  Titel 
sei  unter  einhelliger  Zustimmung  sämtlicher  deutscher  Regie- 
rungen in  die  neue  Bundesverfassung  übergegangen.  Er 
schließe  sich  an  die  Traditionen  des  alten  Reiches  an."  Der 
Titel  ,, Kaiser  von  Deutschland"  dagegen  ,, weise  auf  ein 
Staatsgebiet  hin  und  enthalte  einen  Anspruch  auf  Landes- 
hoheit, welcher  in  den  dem  Kaiser  zustehenden  Rechten 
nicht  enthalten  sei." 

Zwischen  König  und  Kanzler  kommt  es  in  einem  zu  Ver- 
sailles abgehaltenen  Kronrate  zu  leidenschaftlicher  Ausein- 
andersetzung. Schon  ist  der  Befehl  gegeben  die  Kaiser- 
proklamation abzusagen.  In  letzter  Stunde  siegt  die  Auffassung 
Bismarcks.  Der  Zwiespalt  warf  aber  noch  auf  die  Anfänge  der 
Kaiserproklamation  seine  Schatten-) :  der  König  von  Preußen, 

1)  H.  A.  A.  („Acta  betr.  die  Annahme  des  Kaisertitels",  Bd.  II.)  Vgl. 
dazu  das  Tagebuch  des   Großherzogs  von  Baden,   passim. 

^)  Tagebuch  des   Großherzogs  von  Baden  zum   18.  Januar. 


174 

ohnehin  wenig  begeistert  für  den  Kaisertitel,  war  nervös  über- 
reizt durch  gewisse  Begleiterscheinungen  desselben,  durch  das 
eigenmächtige  Vorgehen  Bismarcks,  durch  die  Abordnung  der 
Kaiserdeputation  des  Reichstags,  die  ihn  an  die  Zeit  der 
Deutschen  Revolution  und  des  Frankfurter  Parlaments  er- 
innerte, nicht  zuletzt  auch  wiederum  durch  die  Vorgänge  in 
Bayern.  Er  war  zudem  aus  der  ihm  eigenen  seelischen  Ruhe 
gebracht  durch  die  nagende  Sorge  wegen  der  militärischen 
Ereignisse  der  letzten  Wochen,  namentlich  der  schwierigen 
Lage   vor   Paris. 

Am  i8.  Januar  1871  vollzog  sich  der  weltgeschichtliche 
Vorgang  der  Kaiserproklamation  —  im  Spiegelsaale  des 
Versailler  Schlosses  mit  seiner  prunkhaften  Ausschmückung, 
mit  seinen  weltberühmten  Meisterwerken  Lebruns,  am  Schau- 
platze des  Königs,  dessen  System  eben  zusammengebrochen 
war,  an  demselben  Tage,  an  dem  vor  170  Jahren  der  Hohen- 
zoller  Friedrich  L  die  preußische  Königskrone  sich  aufs 
Haupt  gesetzt  hatte.  In  der  Mitte  war  ein  Altar  errichtet. 
Vor  dem  Altar  standen  im  Halbkreis  die  anwesenden  Fürsten 
und  Prinzen  der  regierenden  Häuser,  rechts  und  links  vom 
Altar  Deputationen  sämtlicher  Truppenteile  der  siegreichen 
Armee,  rechts  die  preußischen,  links  die  bayerischen.  Im 
Hintergrunde  des  Saales  hatten  die  Fahnen  und  Standarten 
der  preußischen  und  bayerischen  Regimenter  Aufstellung 
genommen.  Da  die  Verhandlungen  über  die  Versailler  Ver- 
träge im  bayerischen  Landtage  noch  nicht  abgeschlossen 
waren,  war  den  beiden  bayerischen  Armeekorps  freigestellt 
worden,  ob  sie  an  der  Feier  teilnehmen  wollten.  Sie  erwiderten 
damit,  daß  sie  zahlreiche  Deputationen  von  Offizieren  und 
Unteroffizieren  und  den  größten  Teil  ihrer  Fahnen  nach 
Versailles  entsandten.  Auch  sämtliche  Prinzen  des  könig- 
lichen Hauses,  die  im  Felde  standen,  nahmen  an  der  Feier 
teil.  Auch  Prinz  Luitpold  und  der  Bruder  des  Königs,  der 
spätere  König  Otto. 

Für  die  meisten  Teilnehmer  war  der  18.  Januar  ein  Tag 
weihevoller  Erinnerung i),  für  den  Prinzen  Otto  war  es  ein 
Tag  des  Schmerzes  und  der  Trauer.  ,,  Ach  Ludwig,"  schrieb  er  am 
2.  Februar  an  seinen  Bruder^),  ,,ich  kann  Dir  gar  nicht  beschrei- 
ben, wie  unendlich  weh  und  schmerzlich  es  mir  während  jener 
Zeremonie  zu  Mute  war,  wie  sich  jede  Faser  in  meinem  Innern 

1)  Ganz  besonders  für  den  Großherzog  von  Baden.  Vgl.  dessen  Schilde- 
rung in  seinem  Tagebuch. 

2)  M.  H.  A. 


175 

sträubte  und  empörte  gegen  all  das,  was  ich  mit  ansah.  Lief 
es  doch  dem  gerade  entgegen,  für  was  ich  tief  innerlich  glühe 
und  was  ich  von  Herzen  liebe  und  wofür  ich  mit  Freuden 
mein  Leben  einsetze  .  .  .  Welchen  wehmütigen  Eindruck 
machte  es  mir,  unsere  Bayern  sich  da  vor  dem  Kaiser  neigen 
zu  sehen ;  ich  war  eben  von  Kindheit  an  so  was  nicht  gewöhnt ; 
mein  Herz  wollte  zerspringen.  Alles  so  kalt,  so  stolz,  so  glän- 
zend, so  prunkend  und  großtuerisch  und  herzlos  und  leer  .  .  . 
Endlich  drängte  man  sich  durch  diese  Knäuel  zurück  und  aus 
dem  Saale  hinaus.  Mir  war's  so  eng  und  schaal  in  diesem  Saale, 
erst  draußen  in  der  freien  Luft  atmete  ich  wieder  auf.  Dieses, 
wäre  also  vorbei." 


IX. 

Der  bayerische  Landtag  und  die 

Versailler  Verträge. 

Damals,  als  die  Deputationen  der  bayerischen  Regimenter 
an  dem  weltgeschichtlichen  Vorgange  von  Versailles  teil- 
nahmen, tobte  in  der  Heimat  ein  leidenschaftlicher  Kampf 
um  die  Versailler  Verträge.  Die  Stimmung  kam  namentlich 
beim  Jahreswechsel  zum  Ausdruck,  in  den  Neujahrspredigten 
sowohl  wie  in  den  Neujahrsbetrachtungen  der  Tagesblätter. 

Der  patriotische  ,, Volksbote"  Zanders  faßte  seine  Ansicht 
von  den  Versailler  Abmachungen  in  drei  Sätzen  zusammen: 
,, Bayern  kapituliert,  Preußen  kommandiert,  das  bayerische 
Volk  muß  zahlen,  zahlen,  wieder  zahlen."  Sollten  die  Versailler 
Verträge  wirklich  angenommen  werden,  so  schlägt  er  zur 
Entlastung  des  Volkes  eine  Herabsetzung  der  Ministergehalter 
vor.  Wie  dem  ,, Volksboten"  Zanders,  so  ist  auch  dem  ,, Bayeri- 
schen Vaterlande"  Sigls  das  Jahr  1870  ein  von  Gott  zur  Strafe  ge- 
schicktes Jahr:  ,, Darüber  jubeln,  daß  die  Krone  Cäsars,  die 
dem  Manne  von  Sedan  eben  zur  Genugtuung  für  alle  ehrlichen 
Leute  vom  Haupte  geworfen  worden  ist,  jetzt  einem  andern 
aufs  teure  Haupt  gesetzt  werden  soll,  das  können  wir  schon 
gar  nicht  zuwege  bringen;  Preuß  ist  Preuß,  ob  er  König 
oder  Kaiser  tituliert  wird."  Dasselbe  ,, Vaterland"  sieht  in  den 
Verträgen  von  Versailles  die  letzte  Etappe  zum  Einheits- 
staat und  hält  es  für  unmöglich,  daß  die  ehrlichen  Männer  der 
patriotischen  Partei  dazu  ja  sagen  und  damit  alles  verwerfen 
und  opfern  können,  wofür  das  bayerische  Volk  seit  drei  Jahren 
redlich,  mutig  und  unablässig  gekämpft  habe;  für  unmöglich, 
daß  sie  ihr  Programm  und  ihre  ganze  Vergangenheit  ver- 
raten und  es  über  sich  bringen,  vor  ihren  Wählern  als  Leute 
zu  erscheinen,  die  ihr  Wort  nicht  gehalten  haben.  ,, Männer 
halten  ihr  gegebenes  Wort,  zu  jeder  Zeit,  mag  da  kommen, 
was  da  wolle;  Männer  erwägen  nicht  ängstlich  die  Folgen, 
sondern  tun  ihre  Pflicht,  mag  daraus  entstehen,  was  da  wolle." 


177 

Und  doch  wäre  es  falsch,  in  Bayern  nur  wüste  Agitation 
sehen  zu  wollen.  Innerhalb  der  patriotischen  Partei  gab  es 
neben  der  extremen  eine  gemäßigte  Richtung,  die  sich  nament- 
lich in  der  ,, Augsburger  Postzeitung"  zu  Worte  meldete.  Sie 
zweifelt  an  dem  föderativen  Charakter  des  künftigen  Bundes, 
sie  fürchtet  die  preußische  Präponderanz,  sie  hat  Bedenken 
selbst  gegen  die  privilegierte  Sonderstellung  der  Südstaaten: 
,, Privilegierte  Stellungen  gehören  immer  zu  den  peinlichen 
Situationen  und  bergen  in  unserer  allen  Privilegien  mit  Recht 
so  abholden  Zeit  keine  Garantie  für  längere  Dauer."  Trotz- 
dem empfiehlt  sie  Annahme  der  Verträge:  ,,Die  Patrioten 
werden  nicht  eigensinnig  und  starrsinnig,  wie  man  hofft  und 
glaubt,  sondern  ernst  und  gewissenhaft  die  Vorlagen  nach  dem 
Maßstabe  ihres  Programms  prüfen;  ist  die  Selbständigkeit  der 
Krone  und  sind  die  wichtigsten  Rechte  des  Volkes  nicht  an 
der  Wurzel  angegriffen,  so  werden  sie  zustimmen,  da  ja  eine 
Einigung  Gesamtdeutschlands  auch  ein  wesentlicher  Teil 
ihres  Programms  ist."  Es  schließt  sich  der  Schwenkung  trotz 
scharfer  Kritik  die  ,,  Donauzeitung"  an;  sie  ist  der  Überzeugung, 
daß  die  Verträge  von  Versailles  von  keiner  Macht  der  Erde 
rückgängig  zu  machen  seien,  von  keinem  König,  von  keinem 
Minister,  von  keiner  bayerischen  Kammer,  auch  wenn  wir 
157  Patrioten  hineinbrächten.  Sie  wünscht,  namentlich  im 
Artikelzyklus  ,,Zur  Lage",  immer  wieder,  daß  sich  die  erforder- 
liche Zweidrittelmehrheit  in  der  Kammer  finden  möge:  durch 
Verwerfung  der  Verträge  würde  nichts  geändert,  wohl  aber 
durch  die  unvermeidlichen  Neuwahlen  die  patriotische  Partei 
schwer  geschädigt  werden.  Es  folgt  der  ,, Bayerische  Kurier", 
es  folgt  die  ,,Pfälzer  Zeitung",  zuletzt  lenkten  müde  und  resig- 
niert selbst  die  leidenschaftlichsten  Gegner,  der  ,, Volksbote" 
und  das  ,, Vaterland",  auf  den  Weg  ein,  der  nach  Versailles 
führte  —  freilich  mit  der  stillen  Hoffnung,  daß  die  Verträge 
die  ,, unausbleibliche  europäische  Koalition  nicht  überdauern 
werden."^) 

In  diesem  Sinne  äußerten  sich  auch  patriotische  Flug- 
schriften wie  die  von  dem  Abgeordneten  Advokaten  Simmerl 
verfaßte  Flugschrift  ,,Was  dann":  ,, Allein,  ohne  Bundes- 
genossen, mit  katholischen  Kasinos  und  Bauern  vereinen  den 
Kampf  aufnehmen  mit  der  Regierung,  dem  Großbeamtentum, 

1)  Nach  einem  Berichte  des  preußischen  Gesandten  vom  22.  Januar 
ging  der  Herausgeber  des  ,, Volksboten",  Zander,  sogar  so  weit,  ,,ihn  um 
eine  Unterredung  und  um  Direktiven  bitten  zu  lassen",  die  er  ihm  aber 
versagt  hätte.   H.  A.  A. 

Doeberl,  Bayern  und  die  Bismarckische  Reichsgründung.  I-^ 


178 

dem  Offizierstand,  der  ganzen  protestantischen  Bevölkerung, 
der  gegnerischen  Presse,  allen  Städten  des  Landes,  mit  dem 
ganzen  Druck  der  afterliberalen  öffentlichen  Meinung  im 
Bunde  mit  dem  Preußentum  und  dessen  Agenten  im  Lande 
ist  aussichtslos  und  töricht."  ,, Wollen  die  Patrioten  die  Rechte 
der  Krone  verteidigen  gegen  den  Willen  ihres  Trägers,  die 
Selbständigkeit  des  Landes  gegen  den  Willen  der  Landes- 
regierung, das  Wohl  und  Interesse  des  Volkes  gegen  den 
Willen  der  Mehrzahl  der  Bevölkerung?!" 

Kann  man  von  der  patriotischen  Presse  immerhin  sagen, 
daß  sie  nur  der  Not  gehorcht,  mit  einer  gewissen  Resignation 
der  Macht  der  Verhältnisse  sich  gefügt  habe,  so  gab  die  liberale 
Presse  Bayerns  ihrer  Freude  über  die  ,, Wiedergeburt  des 
Reiches  durch  Nacht  zum  Licht"  in  schwärmerischen,  ent- 
husiastischen Kundgebungen  Ausdruck.  ,,Der  nationale  Ge- 
danke," schrieb  am  25.  November  die  ,, Augsburger  Abend- 
zeitung", ,,hat  über  alle  entgegenstehenden  Hindernisse  ge- 
siegt, wir  haben  das  einige  deutsche  Vaterland,  die  schönste 
und  beste  Frucht  der  deutschen  Siege!  Es  gibt  fortan  keine 
Mainlinie  mehr,  der  Süden  ist  mit  dem  Norden  fest  verbunden, 
alle  Deutschen  sitzen  in  Zukunft  in  ein  und  demselben  Parla- 
mente, das  deutsche  Volk  hat  endlich  eine  nationale  Regierung, 
nationale  Institutionen,  es  ist,  um  es  mit  einem  Worte  zu 
sagen,  endlich  einmal  zur  Nation  geworden."  Auch  die  Mün- 
chener ,, Neuesten  Nachrichten"  begrüßten  die  erste  Kunde  von 
dem  Abschlüsse  der  Versailler  Verträge  mit  einem  warm  ge- 
schriebenen Artikel.  Als  der  Inhalt  der  Verträge  bekannt 
wurde,  äußerte  das  streng  fortschrittliche  Blatt  zwar  Ent- 
täuschung und  Kritik,  aber  nur,  weil  nach  seiner  Ansicht  die 
nationalen  Forderungen  nicht  voll  und  ganz  erfüllt  worden 
seien;  ,, sonst  hätte  man  nicht  bei  Bestimmungen  über  die 
Diplomatie  beharren  können,  die  keine  Wahrung  des  An- 
sehens der  bayerischen  Krone,  sondern  nur  eine  Mehrung 
unnützer  Kosten  für  das  bayerische  Volk  brächten,  noch 
hätte  man  sich  der  völligen  militärischen  Einheit  Deutsch- 
lands widersetzt  und,  wenn  auch  ohne  Absicht,  in  kritischer 
Zeit  Sonderbestrebungen  und  daher  auch  schimpflicher  Speku- 
lation des  Auslandes  dadurch  eine  Pforte  offen  gelassen." 
,,Was  der  bayerische  Vertrag  gewährt,  ist  das  äußerste,  bei 
dem  die  nationalen  Pflichten  Bayerns  noch  erfüllt  werden 
können."  Trotzdem  empfiehlt  das  fortschrittliche  Blatt  die 
Annahme  des  Vertrages,  es  erwartet  vom  künftigen  Parlamente 
die  Fortbildung  der  deutschen  Einheit:  ,,Wenn  aus  den  Kon- 


179 

Zessionen  der  Fürsten  und  den  Abmachungen  der  Staats- 
männer die  Verfassung  Deutschlands  nicht  vollendet  und 
preiswürdig  hervorgegangen  ist,  so  ist  es  eben  an  dem  Volk 
und  an  seinen  Vertretern,  durch  Ausdauer  und  Intelligenz 
aus  dem  Stümperwerk  der  Diplomaten  ein  Meisterwerk  für  das 
Volk  zu  machen."^) 

Ähnlich  nahm  auch  die  demokratische  Presse  an  den 
Versailler  Verträgen  Anstoß,  nicht  weil  sie  ihr  zu  sehr  deutsch, 
sondern  zu  wenig  demokratisch  waren,  weil  sie  zu  wenig  her- 
übernahmen aus  der  vom  deutschen  Volke  beschlossenen 
Reichs  Verfassung  des  Jahres  1849.  Aber  auch  sie  gibt  sich 
schließlich  zufrieden,  daß  wenigstens  drei  Grundelemente 
ihrer  Volksverfassung,  die  ehedem  von  konservativer  Seite 
als  Ausgeburt  des  revolutionären  Geistes  verdammt  worden 
seien,  von  den  Fürsten  und  Diplomaten  in  das  neue  Reich 
herübergenommen  wurden:  das  einheitliche  Parlament,  das 
demokratische  Wahlrecht  und  der  deutsche  Kaiser.  ,,Man 
mag  es  immerhin  als  einen  Sieg  der  Volkssache  betrachten, 
daß  die  Fürsten  und  Diplomaten  jetzt  des  deutschen  Volkes 
Forderungen  auf  ihre  Fahne  schreiben  und  die  Ansprüche 
Deutschlands  wenigstens  insoweit  erfüllen  müssen,  daß  sie 
einzelne  und  nicht  unwichtige  dieser  Ansprüche  in  Erfüllung 
zu  bringen  gezwungen  sind." 

Gegenüber  den  Bemängelungen  von  rechts  und  von 
links  findet  in  der  Augsburger  ,, Allgemeinen  Zeitung"  eine 
der  Regierung  nahestehende  Stimme  in  den  Versailler  Ver- 
trägen ein  getreues  und  deshalb  wohlberechtigtes  Ebenbild 
der  Doppelstellung  Bayerns:  ,, Bayern  hat  nach  seiner  Größe, 
Geschichte  und  geographischen  Lage  internationale  Lebens- 
fähigkeit. Auf  der  anderen  Seite  aber  ist  Bayern  zugleich 
ein  Teil  Deutschlands,  ein  bedeutender  und  wichtiger  zwar, 
aber  doch  nur  ein  Teil,  der  des  Ganzen  bedarf  und  einer 
dauernden  Trennung  von  demselben  nicht  gewachsen  ist. 
In  dieser  Doppelstellung,  welche  nach  der  einen  wie  nach  der 
anderen  Seite  ihre  innere  Berechtigung  und  ihre  exklusiven 
Anhänger  hat,  liegt  die  Schwierigkeit,  eine  Formel  für  die 
Einfügung  Bayerns  in  den  deutschen  Bundesstaat  zu  finden, 
und  zugleich  eine  Erklärung  dafür,  daß  der  bayerische  Bundes- 
vertrag weder  vom  Standpunkte  des  reinen  Partikularismus 
noch  von  demjenigen  einer  nationalen  Idealpolitik  als  an- 
sprechend befunden  wird.    Er  ist  der  getreue  Ausdruck  der 

^)  Den  Einheitsstaat  —  das  ist  gegen  Erich  Frisch  zu  betonen  — • 
wollten  aber  auch  die  ,, Neuesten   Nachrichten"   nicht. 

12* 


180 

gegebenen  realen  Verhältnisse,  deren  Schwierigkeiten  sich 
im  Wege  frommer  Parteiwünsche  nicht  beseitigen  lassen." 
Mit  eindringlichen  Worten  redet  dieselbe  ,,  Allgemeine  Zeitung" 
den  Vertretern  des  bayerischen  Volkes,  in  deren  Hände  das 
Schicksal  der  Versailler  Verträge  gelegt  sei,  ins  Gewissen: 
,,Ein  Volk,  das  so  mächtig  seinem  Verlangen  nach  einem 
einheitlichen  Staatswesen  Ausdruck  gegeben,  läßt  sich  von 
diesem  nicht  mehr  abbringen;  es  wird  über  die  Häupter  der 
sich  ihm  Entgegenstemmenden  hinweg  doch  zum  Ziele 
gelangen;  diese  aber  werden  für  alle  Zukunft  das  Brandmal 
zu  tragen  haben,  eine  große  Zukunft  ihres  Volkes  mit  Wissen 
und  Willen  zu  vernichten  unternommen  zu  haben." 


Damals,  als  in  der  Presse  das  Feldgeschrei  für  und  wider 
die  Versailler  Verträge  ertönte,  hatten  bereits  im  bayerischen 
Landtage  die  denkwürdigen  Verhandlungen  begonnen.  Der 
König  war  durch  die  Versailler  Verträge  wie  durch  die  Initiative 
in  der  Kaiserfrage  für  einen  zustimmenden  Beschluß  des  Land- 
tags moralisch  verpflichtet.  Er  hat  auch  tatsächlich  durch 
mehrere  Handschreiben,  die  für  die  Öffentlichkeit  bestimmt 
waren,  den  Ausstreuungen,  als  ob  es  ihm  mit  der  Zustimmung 
zu  den  Bündnisverträgen  nicht  ernst  gewesen  sei,  zu  begegnen 
und  auf  den  Landtag  im  Sinne  der  Annahme  der  Verträge 
einzuwirken  gesucht. 

Nicht  minder  vertragstreu  war  das  Verhalten  der  Minister, 
die  an  den  Verhandlungen  in  Versailles  persönlich  teil- 
genommen hatten.  Graf  Bray,  der  die  Versailler  Verträge 
den  Kammern  vorlegte,  hat  sich  allerdings  als  den  Mann  der 
älteren  Generation  bezeichnet,  der  an  dem  Gewohnten  und 
Hergebrachten  hänge  und  dem  daher  die  Entscheidung  für 
die  neue  Ordnung  der  Dinge  schwer  geworden  sei.  Aber  er 
fügte  auch  hinzu:  ,,Auf  der  anderen  Seite  begründen  wir, 
indem  wir  den  Verträgen  unsere  Zustimmung  geben,  ein 
deutsches  Föderativbündnis,  eine  mächtige  Gemeinschaft, 
ausgestattet  mit  allen  Attributen  einer  Großmacht  ersten 
Ranges.  In  diesem  Deutschland  aber  erhält  Bayern  durch  die 
Verträge  eine  bevorzugte  Stellung,  welche  seiner  historischen 
und  geographischen  Bedeutung  entspricht  und  welche  ihm 
die  Möglichkeit  gibt,  Einfluß  zu  üben  auf  den  Bund  und 
durch  den  Bund  auch  auf  weitere  Kreise  seine  Wirksamkeit 
zu  erstrecken."  Es  war  keine  Redensart,  wenn  er  zum  Freiherrn 
V.  Werthern  äußerte,  er  sinne  auf  alle  Mittel,  um  die  Landtags- 


181 

mehrheit  zu  beschwichtigen.  Es  war  völlig  unbegründet,  wenn 
der  preußische  Gesandte  in  seiner  temperamentvollen  Art 
äußerte,  Graf  Bray  scheine  die  Annahme  der  Versailler  Ver- 
träge gar  nicht  zu  wünschen. 

Graf  Bray  war  freilich  kein  Redner,  er  war  auch 
in  Rechtsfragen  zu  wenig  geübt  und  überließ  daher  mit 
Genehmigung  des  Königs  die  Begründung  und  Erläuterung 
der  Versailler  Verträge  dem  Minister,  aus  dessen  Feder 
,,die  schließliche  Fassung  der  Verträge  herrühre",  dem 
Justizminister  v.  Lutz.  Und  dieser  ergriff  seine  Aufgabe 
mit  ebensoviel  Sachverständnis  als  nationalem  Schwung. 
Ganz  besonders  in  der  groß  angelegten  Rede  vom  14.  Dezember, 
in  der  er  vor  der  Kammer  der  Abgeordneten  die  Vorgeschichte 
und  die  Motive  der  Versailler  Verträge  entwickelte.  Er  be- 
gleitete den  Siegeszug  der  deutschen  Heere  von  Weißenburg 
und  Wörth  über  Saarbrücken  und  Metz  bis  zur  Kapitulation 
von  Sedan,  gedachte  der  aus  diesen  Siegen  geborenen  deut- 
schen Bewegung,  der  nationalen  Überzeugung,  daß  all  die 
herrlichen  Erfolge  der  Einigkeit  des  deutschen  Vaterlandes 
entstammen  und  daß  diese  Einheit  nicht  mehr  auseinander 
fallen  dürfe.  Er  schilderte  dann  die  Initiative  der  bayerischen 
Regierung  zu  einer  Neugestaltung  Deutschlands,  die  unter 
dem  Einflüsse  jenes  militärischen  Siegeszuges  und  jener  natio- 
nalen Bewegung  und  in  Übereinstimmung  mit  den  Anschau- 
ungen des  bayerischen  Volkes  herangereift  sei,  schilderte  die 
Münchener  Konferenzen  und  die  Versailler  Verhandlungen, 
schilderte  auch  die  Zwangslage,  die  Gefahr  einer  Isolierung, 
die  Bayern  genötigt  habe,  mit  dem  Norddeutschen  Bund  unter 
viel  ungünstigeren  Bedingungen  abzuschließen,  als  sie  noch 
im  Jahre  1866  und  selbst  noch  unmittelbar  vor  dem  Deutsch- 
französischen Kriege  zu  erlangen  gewesen  wären.  Er  gab 
dabei  zu  den  Münchener  und  Versailler  Verhandlungen  einen 
zwar  mit  kritischer  Vorsicht  zu  benutzenden,  aber  wertvollen 
Kommentar,  den  ich  wiederholt  für  meine  frühere  Darstellung 
auszuschöpfen  bemüht  war.  Er  schloß  mit  einer  persönlichen 
Rechtfertigung  der  Minister  gegen  den  Vorwurf  des  Ressort- 
partikularismus, gegen  die  Anklage,  sie  hätten  überall  nur 
für  ihre  besonderen  Departements  gesorgt  um  zu  Hause 
selbständig  zu  sein:  ,,Wo  ist  denn  die  Selbständigkeit,  die 
sich  der  Minister  des  Äußern  gewahrt  hat  ?  Die  deutsche 
Politik  wird  auch  nach  unserem  Vertrage  von  Deutschland 
gemacht  und  nur  darauf  haben  wir  bestanden,  worauf  wir, 
wie  ich  glaube,  das  Recht  haben  zu  bestehen,  daß  man  die 


182 

deutsche  Politik  nicht  immer  und  ewig  einfach  uns  über  den 
Kopf  hinweg  macht.  Wo  ist  denn  die  Selbständigkeit  des  Herrn 
Kriegsministers?  Sein  Budget  wird  ihm  in  der  Hauptsache 
von  der  Reichsregierung  zugesendet.  Wenn  er  erfüllt  gewesen 
wäre  von  dem  Streben,  selbständig  und  möglichst  wenig  be- 
helligt zu  sein,  dann  —  verzeihen  Sie  meine  Aufrichtigkeit  — 
würde  er  auch  die  Detailberatungen  nicht  in  dieses  Haus, 
sondern  in  den  Reichstag  verlegt  haben.  Denn  daß  es  dort 
leichter  geht  als  hier  gewöhnlich,  wissen  Sie  alle  recht  gut. 
Endlich,  wo  ist  denn  meine  Selbständigkeit,  die  Selbständig- 
keit des  Justizministers  ?  Ich  habe  nicht  einen  Federstrich 
vor  den  Justizministern  des  übrigen  Deutschen  Reiches  mir 
vorbehalten,  nicht  aus  Zwang,  sondern,  weil  ich  fühle  und 
weiß,  was  es  um  ein  gemeines  deutsches  Recht  ist,  und  weil 
ich  es  nicht  wagen  mag,  mit  den  Kräften,  die  dem  einzelnen 
Staate  zu  Gebote  stehen,  auf  dem  Gebiete  der  Gesetzgebung 
Konkurrenz  zu  machen  der  ganzen  Wissenschaft  des  deutschen 
Vaterlandes." 

Die  Reichsratskammer  erteilte  schon  am  27.  Dezember 
im  Ausschuß  1),  am  30.  Dezember  im  Plenum^)  fast  einhellig 
ihre  Zustimmung  zu  den  Versailler  Verträgen.  Der  Referent, 
Reichsrat  v.  Neumayr,  gab  zwar  zu,  daß  der  letzte  und  durch- 
schlagende Grund,  der  den  Ausschuß  bewogen  habe,  die  An- 
nahme der  Verträge  zu  empfehlen,  die  zwingende  Macht  der 
äußeren  Verhältnisse  und  die  drohende  Isolierung  Bayerns 
gewesen  sei.  Er  fügte  aber  auch  hinzu:  ,, Damit  will  nichts 
weniger  ausgesprochen  werden  als  der  Gedanke,  daß  nunmehr 
Bayern  mit  stumpfer  Verdrossenheit  und  Verbitterung  eines 
Gezwungenen  in  den  Bund  treten  soll,  eines  Gezwungenen,  der 
nur  grollend  die  ihm  aufgedrungenen  Fesseln  stets  im  Auge 
hat  und  wohl  gar  im  stillen  hinterlistige  Pläne  schmiedet,  um 
sie  bei  der  nächsten  Gelegenheit  wieder  abzustreifen.  Ist 
einmal  der  Bund  geschlossen,  dann  müssen  die  Bedenken  und 
Befürchtungen,  deren  offene  Darlegung  und  gewissenhafte 
Prüfung  jetzt  unsere  Pflicht  ist,  abgetan  und  begraben  sein. 
Als  ein  treuer,  rückhaltlos  verlässiger  Genosse  muß  Bayern 
in  den  Bund  treten  und  nicht  retrospektive  Klagen  und  Gelüste, 
sondern  ein  frisches  Ergreifen  des  einmal  Gegebenen  und 
Angenommenen  muß  die  Losung  sein."  Fürst  Hohenlohe  und 
Justizminister  v.  Lutz  aber  räumten  in  ihren  Reichsratsreden 

^)  Protokoll  des  I.,  II.  und  III.  Ausschusses  in  Betreff  der  deutschen 
Verfassungsverträge  vom  27.  Dezember. 

2)  Protokoll  der  18.  Sitzung  der  Kammer  der  Reichsräte. 


183 

unter  den  Mächten,  die  die  bayerische  PoHtik  in  neue  Bahnen 
gelenkt  hätten,  die  erste  Stelle  dem  erwachten  Nationalgefühl, 
der  ,, deutschen  Idee"  ein.  Graf  Bray  führte  als  weiteres 
Motiv  an  —  die  Wiederannäherung  Preußens  an  Österreich, 
,,die  Erhaltung  und  Pflege  der  freundschaftlichsten  und  innig- 
sten Beziehungen  zu  unserem  mächtigen  Nachbarstaate." 

Die  zweite  Kammer  bildete  einen  Ausschuß,  der  sich  aus 
II  Mitgliedern  der  patriotischen  Partei,  3  Mitgliedern  der 
Fortschrittspartei  und  einem  Demokraten  zusammensetzte 
und  unter  dem  Vorsitze  des  Würzburger  Oberbibliothekars 
Dr.  Ruland  tagte.  Zum  Referenten  des  Ausschusses  wurde  der 
bekannte  Publizist  Dr.  Jörg  gewählt,  der  auf  die  erste  Nach- 
richt von  dem  Inhalte  der  Verfassungsverträge  in  den  von  ihm 
redigierten ,, Historisch- Politischen  Blättern"  geschrieben  hatte : 
,, Unsere  Mittelstaatenpolitik  hat  ihre  Kapitulation  von  Sedan 
vollzogen;  es  ist  zu  Ende  mit  ihr  und  mit  uns."  ,,Die  Franzosen 
sind  noch  nicht  soweit  besiegt,  daß  sie  die  Friedensbedingungen 
Preußens  unbesehen  annehmen  zu  müssen  glauben,  aber  der 
kräftige  Alliierte  Preußens,  der  zu  den  glorreichen  Siegen  gegen 
den  Erbfeind  an  Gut  und  Blut  so  viel  beigetragen,  der  hat  die 
Waffen  gestreckt  und  kapituliert."  Das  Ergebnis  der  Vor- 
beratung war  denn  auch,  daß  der  Ausschuß  im  Sinne  Jörgs 
mit  12  gegen  3  Stimmen  den  Versailler  Verträgen  die  An- 
erkennung versagte  und  sich  für  die  Aufnahme  neuer  Ver- 
handlungen im  Sinne  des  weiteren  Bundes  mit  dem  künftigen 
Deutschen  Reich  auf  der  Grundlage  des  Allianzvertrages  und 
des  Zollvereins  erklärte. 

Am  II.  Januar  brachte  der  Referent  des  Ausschusses, 
Dr.  Jörg,  den  Mehrheitsantrag  vor  das  Plenum  des  Landtags 
mit  einer  ausführlichen  schriftlichen  und  mündlichen  Kritik 
der  Vorlage  und  der  Regierungspolitik:  die  Regierung  sei 
mit  sich  selbst  in  Widerspruch  geraten;  sie  habe  am  19.  Juli  sich 
bereit  erklärt  die  Selbständigkeit  Bayerns  zu  wahren  und 
selbst  ein  nationales  Verfassungsbündnis  abzulehnen;  sie  habe 
sich  im  September  zu  der  Einsicht  bekehrt,  daß  ein  Ver- 
fassungsbündnis notwendig  sei,  sie  habe  aber  auch  jetzt  den 
Eintritt  in  den  Norddeutschen  Bund  wegen  seiner  entschiedenen 
Hinneigung  zum  Einheitsstaat  abgelehnt.  Was  sie  im  Sep- 
tember als  unmöglich  bezeichnet,  habe  sie  im  November  voll- 
zogen: den  Eintritt  in  den  Norddeutschen  Bund  ohne  wesent- 
liche Änderung  seiner  Verfassung.  Es  sei  eine  in  der  Geschichte 
unerhörte  Zumutung  und  ein  jedem  unbefangenen  Gemüte 
unerträglicher   Gedanke,    daß   ein   Land  und  Volk  mit  dem 


184 

aufgebotenen  Opfer  an  Gut  und  Blut  an  der  Seite  eines  Bundes 
genossen  auf  Leben  und  Tod  kämpft,  um  zum  Lohne  dafür 
an  den  letzteren  seine  politische  Selbständigkeit  und  staat- 
liche Existenz  zu  verlieren.  Die  Zwangslage,  der  die  baye- 
rische Regierung  nach  ihrem  Geständnis  unterlegen  ist,  sei 
nicht  durch  eine  Gefahr  von  außen,  sondern  durch  die  innere 
Agitation  geschaffen  worden.  Wenn  Württemberg  sich  keine 
Zukunft  seiner  eigenen  Existenz  mehr  zutrauen  zu  dürfen 
glaube,  so  beweise  das  nicht,  daß  auch  für  Bayern  eine  solche 
Zukunft  nicht  mehr  blüht.  Er  fühle  sich  nicht  bevollmächtigt, 
,, unser  liebes  altes  Bayerland  aus  unseren  Händen  zu  geben 
und  an  Preußen  auszuliefern".  ,,Wenn  ich  jemals  zu  den 
vertrauten  geheimen  Ratgebern  des  letztverstorbenen  regieren- 
den Königs  gehört  hätte,  ich  hätte  meiner  Lebtage  lang  nicht 
mehr  den  Mut,  vor  der  Kirche  zu  den  Theatinern  vorbeizu- 
gehen; denn  ich  müßte  fürchten,  es  möchte,  aus  einem  Stein- 
sarge heraus  von  unsichtbarer  Hand  gestoßen,  ein  Mauerstück 
vom  Dache  fliegen  und  mich  zermalmen  —  zum  Lohn  für  die 
so  gut  geratene  dritte  Großmacht  in  Deutschland."  Er  schloß 
mit  einem  leidenschaftlichen  Appell  an  die  Kammermehrheit: 
,, Meine  Herren,  es  hat  in  Preußen  vor  dem  Krieg  im  Jahre 
1866  ein  vierjähriger  Verfassungsstreit  gewütet.  Man  hat  die 
Kammer  in  Preußen  viermal  oder,  ich  glaube  mich  nicht  zu 
irren,  sogar  fünfmal  aufgelöst ;  und  dieser  ganze  Konflikt,  dieser 
ganze  große  Streit  hat  sich  nur  gedreht  um  die  neue  Armee- 
reorganisation. Und  wir,  meine  Herren,  sollten  eine  Kammer- 
auflösung, unter  Umständen  selbst  einen  Konflikt  fürchten, 
wo  es  sich  handelt  um  die  Existenz  unseres  Landes,  wo  es 
um  den  letzten  Versuch  sich  handelt,  die  berechtigte  Selb- 
ständigkeit unseres  Landes  zu  retten,  wenn  es  möglich  ist  ? 
Und  es  wird,  mit  Gottes  Beistand  hoffe  ich  es  zuversichtlich, 
es  wird  möglich  sein." 

Die  Haltung  der  Landtagsmehrheit  entfesselte  in  der 
gegnerischen  Presse  einen  Sturm  der  Entrüstung.  ,,Die  Ver- 
werfung der  Verträge,"  schrieben  die  ,, Münchener  Neuesten 
Nachrichten",  ,,ist  eine  Beleidigung  ganz  Deutschlands, 
dessen  Volk  seit  fünfzig  Jahren  die  Einigung  anstrebt.  Sie 
ist  eine  Beleidigung  Preußens,  des  mächtigsten  Staates  Europas, 
der  die  größten  Opfer  für  Deutschlands  Ehre  und  Macht  ge- 
bracht hat.  Sie  ist  eine  Beleidigung  des  Königs  von  Preußen 
und  des  Königs  von  Bayern,  die  ein  so  erhebendes  Beispiel 
deutscher  Eintracht  gegeben  haben.  Sie  ist  eine  Verhöhnung 
der   gesamten    deutschen,    namentlich   aber   der    ba^^erischen 


185 

Armee,  die  ihr  Blut  wahrlich  nicht  deswegen  vergossen  hat, 
damit  die  alte  Zerrissenheit,  der  alte  Hader  zwischen  den 
Deutschen  fortdauere.  Sie  ist  endlich  die  tiefste  Schmach  für 
Bayern,  weil  die  Verwerfung  der  Verträge  einer,  wenn  auch 
nicht  offenen,  doch  versteckten  und  daher  um  so  gefährlicheren 
Bundesgenossenschaft  mit  Frankreich  gleichkommt." 

Die  fortschrittliche  Minderheit  des  Landtags  beantragte 
Annahme  der  Verträge  in  einem  ebenfalls  motivierten  Minori- 
tätsgutachten. Allerdings  stellte  auch  dieses  Minoritäts- 
gutachten fest,  daß  die  Versailler  Verträge  nicht  volle  Zu- 
friedenheit gewähren,  aber  nicht,  weil  sie  dem  Reiche  zu  viel 
Zugeständnisse  bieten,  sondern  weil  sie  den  freiheitlichen 
Forderungen  der  Fortschrittspartei  nicht  genügen,  vor  allem 
aber,  weil  sie  zugunsten  der  Selbständigkeit  Bayerns  nicht  zu 
wenig,  sondern  zu  viel  Vorbehalte  machten.  Und  dasselbe 
Minoritätsgutachten  fährt  weiter  :  ,,Läßt  der  Vertrag  auch  noch 
vieles  zu  wünschen  übrig,  welches  zu  erreichen  später  die  Auf- 
gabe des  Reichstages  und  zum  Teil  auch  des  bayerischen 
Landtages  sein  wird,  so  ist  doch  nicht  zu  verkennen,  daß 
durch  denselben  für  die  nationale  Sache  Großes  gewonnen 
wird.  Daß  der  casus  foederis  mit  seinen  Gefahren  für  die 
Sicherheit  des  jedesmaligen  Zusammengehens,  wenn  Deutsch- 
lands Grenzen  oder  Deutschlands  Ehre  und  Interessen  be- 
droht sind,  aus  der  Welt  geschafft  wird;  daß  an  die  Stelle 
des  kündbaren  Zollvereins  ein  festgegründetes  Deutsches 
Reich  tritt,  in  welchem  alle  Zoll  Vereinsstaaten  vereinigt  sind; 
daß  die  deutschen  Staaten  und  das  deutsche  Volk  im  Bundes- 
rat und  Reichstag  unter  dem  von  den  deutschen  Fürsten  in 
lange  nicht  dagewesener  Einigkeit  selbst  gesetzten  Kaiser  zu 
einem  Achtung  gebietenden  Organismus  sich  verbunden 
sehen;  daß  das  Reich  als  politische  Einheit  durch  deutsche 
Gesandte  und  deutsche  Konsuln  im  Staatenkreise  künftig 
vertreten  sein  wird;  daß  wir  eine  deutsche  Marine  und  ein 
deutsches  Heer  haben  werden,  wie  wir  bisher  ein  gemeinsames 
Zoll-  und  Handelswesen  schon  gehabt  haben ;  daß  die  Verkehrs- 
anstalten und  so  viele  zur  Unifizierung  geeignete  Zweige  der 
Gesetzgebung  künftig  räumlich  wie  dem  Stoffe  nach  in  weit 
ausgedehnterem  Maße  als  bisher  gemeinsam  sein  werden :  das 
alles  zusammengenommen  ist,  zumal  es  auch  der  so  geschaffenen 
Einheit  an  der  Fähigkeit  der  Fortbildung  nicht  fehlt,  ein  so 
bedeutender  Fortschritt,  daß  wir  es  gegen  das  Vaterland  nicht 
verantworten  zu  können  glauben  würden,  wenn  wir  das  Gute, 
was  uns  geboten  wird,  um  der   Schlacken  willen,   die  noch 


186 

damit  verquickt  sind,  zurückweisen  wollten."  Und  die  Ver- 
teidiger dieses  Minoritätsgutachtens,  die  Wortführer  der  Fort- 
schrittspartei, ein  Marquard  Barth,  ein  Freiherr  v.  Stauffen- 
berg,  ein  Dr.  Schauß  kämpften  mit  dem  ganzen  Rüstzeug 
ihrer  nationalen  Persönlichkeit  für  die  Versailler  Verträge. 
Es  ist  eine  unglaubliche  Verkennung  der  tatsächlichen  Verhält- 
nisse, wenn  Ottokar  Lorenz  die  Behauptung  wagt,  in  dem 
Minoritätsvotum  sei  der  tiefgehende  Gegensatz,  der  den 
bayerischen  Partikularismus  gegen  alles  erfüllte,  was  das 
Reich  und  seine  Zukunft  betraf,  niedergelegt  worden. 

Aber  freilich,  die  patriotische  Partei  bildete  damals  die 
Mehrheit,  und  die  extreme  Richtung  dieser  Partei  hatte  in 
Dr.  Jörg,  Pfarrer  Pfahler  und  Lyzealprofessor  Dr.  Greil  ent- 
schlossene und  zielbewußte  Führer,  die  namentlich  auf  die 
geistlichen  und  bäuerlichen  Elemente  des  Landtages  geradezu 
einen  Terrorismus  ausübten.  Auf  die  geistlichen  Abgeordneten 
wirkten  sie  mit  dem  Hinweis  auf  die  Gefahr  der  Protestanti- 
sierung,  auf  die  bäuerlichen  mit  dem  Hinweis  auf  die  finanziellen 
Folgen  der  Versailler  Übereinkunft;  die  Forderung  von 
41  Millionen  Gulden,  die  unmittelbar  nach  der  Rede  des 
Justizministers  Lutz  der  Kriegsminister  Freiherr  v.  Pranckh 
für  Kriegsbedürfnisse  vom  Landtage  forderte,  diente  als  Be- 
weisinstrument. Eine  Zeitlang  waren  sie  allerdings  durch  die 
Ereignisse  von  Sedan  zurückgedrängt  und  etwas  kleinlauter 
geworden,  seit  einiger  Zeit,  nicht  zuletzt  unter  dem  Eindrucke 
der  schweren  Menschenverluste  des  Orleanischen  Feldzuges, 
waren  sie  wieder  selbstbewußter  geworden.  Ging  man  ja  so 
weit,  die  Preußen  zu  beschuldigen,  ,,sie  hätten  die  Bayern 
bei  Orleans  sitzen  lassen,  um  in  Versailles  einen  Druck  auszu- 
üben". Sie  wußten  ihre  Autorität  zu  verstärken  durch  Be- 
rufung auf  bald  offene,  bald  geheime  Zustimmung  von  Mit- 
gliedern des  königlichen  Hauses,  anderseits  durch  das  von 
Jörg  ausgestreute  Gerücht,  daß  der  König  die  Ablehnung 
der  Versailler  Verträge  wünsche.  Sie  gaben  sich  das  Ansehen, 
als  ob  sie  einen  Rückhalt  selbst  im  Auslande  hätten ;  der  Besuch 
des  Grafen  Beust  in  München  am  15.  Dezember  mußte  ihnen 
als  Unterlage  dienen.  Einzelne  Redner,  wie  Dr.  Jörg,  Dr.  Ruhland, 
Dr.  Greil  und  Wisnat,  ergingen  sich  in  leidenschafthchen 
Ausfällen  nicht  bloß  gegen  die  Versailler  Abmachungen,  son- 
dern auch  gegen  das  verbündete  Preußen.  Ihre  Reden 
waren  immer  neue  Variationen  des  gleichen  Themas:  ,,Ich 
traue  Preußen  nicht,  ich  will  mit  ihnen  nichts  zu  schaffen 
haben." 


187 

Doch  die  Haltung  der  Kammermehrheit  entsprach  keines- 
wegs der  Stimmung  der  Mehrheit  des  bayerischen  Volkes. 
Im  bayerischen  Landtagsarchiv  befindet  sich  ein  höchst  lehr- 
reicher Akt  aus  der  Zeit  der  Verhandlungen  über  die  Ver- 
sailler  Verträge.  Er  enthält  Hunderte  von  Telegrammen  und 
Zuschriften  aus  den  verschiedensten  Teilen  des  Königreichs, 
nicht  bloß  aus  den  neubayerischen,  sondern  ebenso  aus  den 
altbayerischen  Kreisen,  auch  nicht  bloß  aus  den  städtischen, 
sondern  ungleich  zahlreicher  aus  den  ländlichen  Gemeinden. 
Unter  ihnen  befinden  sich  wohl  zwei  Kundgebungen  von 
Arbeiterversammlungen  in  Augsburg  und  Nürnberg,  die  nach 
dem  Vorgange  der  bürgerlichen  Demokratie  die  Berufung 
eines  konstituierenden  Parlaments  forderten,  aber  im  übrigen 
nicht  eine,  die  sich  gegen  die  Versailler  Verträge  erklärte,  alle 
verlangten  vielmehr  unbedingte  Annahme  derselben.  Be- 
sonders zahlreich  sind  die  Eingaben  aus  dem  Wahlbezirke  des 
Wortführers  der  Kammermehrheit  Dr.  Jörg  und  sie  alle  ver- 
wahren sich  ausdrücklich  gegen  jede  Gemeinschaft  mit  dem 
Antrag  ihres  Abgeordneten.  Immer  wieder  wiederholt  sich 
die  Erklärung,  daß  jeder  Tag  der  Verzögerung  nur  die  Ent- 
rüstung steigere,  den  Wunsch  nach  Kammerauflösung  lauter 
mache. 

In  der  Tat  hatte  das  bayerische  Gesamtministerium  für 
den  Fall,  daß  die  Kammer  der  Abgeordneten  die  Vorlage  ab- 
lehne, Vorbereitungen  zur  Auflösung  der  Kammer  und  zur 
Anordnung  von  Neuwahlen  bereits  getroffen.  Graf  Bray 
schrieb  am  7.  Januar  an  den  bayerischen  Gesandten  in  Berlin, 
Freiherrn  v.  Perglas:  ,,Wenn  die  erforderliche  Stimmenzahl 
von  zwei  Dritteilen  der  Abgeordneten  für  die  Annahme  der 
Verträge  nicht  gewonnen  werden  könnte,  werde  nichts  übrig  blei- 
ben, als  von  dem  verfassungsmäßigen  Kronrechte  der  Kammer- 
auflösung Gebrauch  zu  machen."  i)  Tatsächlich  liegt  der  An- 
trag auf  Auflösung  der  Kammer  abschriftlich  bei  den  Akten. 
Am  13.  Januar  konnte  Freiherr  v.  Werthern  melden,  daß  das 
Auflösungsdekret  vom  König  unterzeichnet  in  der  Hand  des 
Justizministers  sich  befinde. 2)  Eine  Landtagsauf lösung  brachte 
viele  der  patriotischen  Abgeordneten  in  die  Gefahr  des  Mandats- 
verlustes. 

Gleichzeitig  wurden  ihnen  die  besten  Trümpfe  aus  der 
Hand  genommen.    Der  König  drückte  dem  Präsidenten  der 


1)  M.  st.A. 

2)  H.A.A. 


188 

Kammer  der  Reichsräte  telegraphisch  seine  Befriedigung 
über  die  Abstimmung  der  Reichsratskammer  aus,  er  sprach 
in  einem  Handschreiben  dem  Erzbischofe  von  München  einer- 
seits die  Anerkennung  für  seine  Abstimmung  in  der  Reichsrats- 
kammer, anderseits  die  Hoffnung  aus,  daß  er  seinen  Einfluß 
bei  der  Geistlichkeit  der  zweiten  Kammer  in  gleicher  Richtung 
geltend  machen  werde,  und  widerlegte  damit  die  namentlich 
von  Jörg  verbreitete  Auffassung,  daß  dem  König  an  der  An- 
nahme der  Verträge  nichts  gelegen  sei.  Selbst  die  Kurie  gab 
deutlich  zu  verstehen,  daß  sie  die  Annahme  der  Verträge 
wünsche;  in  eingeweihten  Kreisen  erzählte  man  sich  sogar, 
daß  der  Papst  die  Absicht  ausgesprochen  habe,  eine  Kaiser- 
deputation von  Kardinälen  mit  dem  Kardinalstaatssekretär 
Antonelli  an  der  Spitze  zur  Beglückwünschung  an  den  Preußen- 
könig abzusenden.  Einer  der  streitbarsten  bayerischen  Kir- 
chenfürsten, Bischof  Senestrey  von  Regensburg,  sprach  sich 
in  einem  Briefe,  der  dem  preußischen  Gesandten  von  seinem 
Vertrauensmann  im  Lager  der  patriotischen  Abgeordneten 
vorgelesen  wurde,  für  die  Verträge  aus.  Pfarrer  Wester mayr 
von  St.  Peter  in  München  legte  zwar  sein  Mandat  mit  der 
Erklärung  nieder,  die  geistliche  Beeinflussung  bringe  sein 
Gewissen  als  Abgeordneter  in  Konflikt  mit  dem  dem  Ober- 
hirten schuldigen  Gehorsam.  Aber  das  Verhalten  der  baye- 
rischen Kirchenfürsten  hatte  doch  den  Beweis  erbracht,  daß 
die  angebliche  Gefahr,  die  von  den  Versailler  Verträgen  dem 
Katholizismus  drohe,  an  den  obersten  Stellen  der  Kirche  nicht 
anerkannt  werde.  Der  bayerische  Minister  des  Äußern  end- 
lich teilte  die  Antwort  des  Grafen  Beust  auf  die  bekannte 
preußische  Depesche  vom  14.  Dezember  mit  und  entzog 
damit  allen  Spekulationen  auf  Unterstützung  von  Wien  den 
Boden.  Am  3.  Januar  kann  der  Gesandte  v.  Werthern  melden, 
daß  infolge  aller  dieser  zusammenwirkenden  Umstände  sich 
bereits  29  Patrioten  für  den  Antrag  erklärt  hätten,  so  daß  nur 
noch  zwei  Stimmen  von  der  verfassungsmäßig  erforderlichen 
Zweidrittelmehrheit  fehlten.  ^)  An  der  Spitze  dieser  Sezession 
stand  der  erwähnte  Vertrauensmann  des  Freiherrn  v.  Werthern, 
der  Redakteur  der  Augsburger  Postzeitung,  der  Abgeordnete 
Dr.  Huttier.  Er  unterhielt  seit  längerer  Zeit  enge  Beziehungen 
zum  preußischen  Gesandten,  den  er  auch  über  die  intimsten 
Vorgänge  in  der  Kammer  der  Abgeordneten  unterrichtete. 
,,Ein  Zufall  und  sein  Wunsch  haben  mich  zusammengeführt," 
schrieb  Freiherr  v.  Werthern,  ,,doch  so  groß  ist  seine  Sorge, 

1)  H.  A.  A. 


189 

sich  vor  seiner  Partei  zu  kompromittieren,  daß  ich  ihn  bloß 
bei  Nacht  und  am  dritten  Orte  sehen  kann."  Für  den  schhmm- 
sten  Fall  waren,  wie  im  Sommer  1870,  Volksdemonstrationen 
vorbereitet,  von  denen  man  nach  den  Mitteilungen  des  preußi- 
schen Gesandten  dieselbe  überzeugende  Wirkung  auf  die 
patriotischen  Abgeordneten  erhoffte  wie  am  19.  Juli.  Und 
zuletzt  wirkten  die  Nachrichten  von  den  militärischen  Erfolgen 
des  Generals  v.  Werder. 

Zehn  Tage  hatte  die  Redeschlacht  gewährt.  Noch  ein- 
mal wendet  sich  in  zweistündiger  Rede  der  Justizminister 
V.  Lutz  an  die  Volksvertreter,  eindringlich  wie  der  Schwur- 
gerichtspräsident an  die  Geschworenen,  um  die  Regierung  gegen 
den  von  Jörg  erhobenen  Vorwurf  des  Widerspruchs  und  der 
mangelnden  Folgerichtigkeit  und  seine  Rede  vom  14.  Dezember 
gegen  Mißdeutungen  zu  schützen,  um  anderseits  den  Abge- 
ordneten die  Schwere  ihrer  Verantwortung  ins  Gewissen  zu 
rufen:  ,,Die  Stunde  der  Entscheidung  naht;  jedes  Votum 
bringt  eine  große  Verantwortung  mit  sich.  Auch  auf  uns, 
meine  Herren,  liegt  eine  außerordentlich  große,  eine  furchtbare 
Verantwortung.  Wir  waren  uns  dessen  von  allem  Anfang  an 
wohl  bewußt ;  wir  alle,  die  wir  beim  Vertragsabschlüsse  beteiligt 
gewesen  sind,  haben  schwer  gekämpft  im  Innern,  so  schwer  als 
irgendeiner  von  Ihnen,  der  sich  über  das  Ja  oder  Nein  schlüssig 
macht.  Könnte  der  Kamin  im  Hotel  Petit  Vatel,  wo  der 
Herr  Kriegsminister  einlogiert  war,  sprechen,  meine  Herren, 
er  könnte  Ihnen  von  vielen,  vielen  sorgenvollen,  angsterfüllten 
Stunden  erzählen,  die  dem  Abschlüsse  der  Verträge  voran- 
gegangen sind.  Manche  Bitte  um  Rat,  manches  sorgen- 
beschwerte Briefchen  habe  ich  an  bewährte  Vaterlandsfreunde 
geschrieben,  um  mich  ihres  Rates  zu  versichern.  Meine  Herren, 
wir  sind  nach  langem  Ringen  zum  Schlüsse  gekommen,  daß 
die  Verträge  Bayern  nicht  erspart  werden  können,  daß  sie 
wegen  seiner  ganzen  Gestaltung  und  wegen  seiner  ganzen 
Geschichte  unvermeidlich  sind,  daß  sie  für  Bayern  vorteil- 
haft und  notwendig  sind.  Unsere  Verantwortung  wird  groß 
sein,  aber  glauben  Sie  mir,  die  Verantwortung,  die  diejenigen 
tragen,  welche  Nein  sagen,  ist  nicht  um  ein  Quentchen  ge- 
ringer .  .  .  Wahrlich  ungeheuer  ist  die  Verantwortung,  die 
den  einen  trifft,  durch  dessen  Stimme  etwa  die  Verträge  ver- 
worfen werden.  Bei  dem  wahrhaftigen  Gott!  Ich  möchte 
dieser  eine  nicht  sein."  König  Ludwig  II.  hat  in  einem  be- 
sonderen Handschreiben  dem  Minister  in  warmen  Worten 
für  die  Vertretung  der  Bündnisverträge  gedankt. 


190 

Unmittelbar  nach  den  Schlußworten  des  Ministers  gab  der 
Abgeordnete  Dr.  Huttier  im  Namen  seiner  Parteifreunde  die 
Erklärung  zu  Protokoll:  ,,Wir  unterzeichnete  Mitglieder  der 
patriotischen  Fraktion  der  Kammer  der  Abgeordneten  halten 
eine  bundesstaatliche  Einigung  Deutschlands  für  dringend  not- 
wendig. Diese  bundesstaatliche  Einigung  sollte  aber  nach 
unserer  Überzeugung  in  Wirklichkeit  auf  dem  Föderativprinzip 
beruhen,  wobei  die  Selbständigkeit  der  einzelnen  Staaten 
möglichst  gewahrt  zu  bleiben  vermöchte  .  .  .  Diesem  Prinzip 
entsprechen  allerdings  die  vorliegenden  Verträge  nur  in  un- 
vollkommenem Maße.  Ein  wahres  Föderativverhältnis  unter 
diesen  schon  ihrer  Macht  und  Größe  nach  so  ungleichen 
Staaten  ist  durch  die  Übermacht  der  Präsidialgewalt  und  das 
ihr  gerade  in  den  wichtigsten  Fragen  eingeräumte  Veto,  dann 
durch  die  Unbilligkeit  des  Stimmenverhältnisses  mehr  oder 
minder  illusorisch  gemacht;  die  Gefahr  des  Einheitsstaates 
ist  nicht  vermieden;  die  Militärhoheit  Bayerns  mehr  als  nötig 
geschmälert ;  die  Mihtärlast  für  jetzt  nicht  nur  nicht  vermindert, 
sondern  bedeutend  erhöht;  wichtige  Rechte  der  Krone  und 
des  Landes  sind  nicht  der  Bundesregierung  und  der  deutschen 
Volksvertretung,  sondern  der  Krone  Preußen  übergeben; 
endlich  sind  durch  den  Mangel  eines  verantwortlichen  Bundes- 
ministeriums sowie  den  in  der  Diätenlosigkeit  liegenden  hohen 
Zensus  der  Abgeordneten  zum  Reichstage  die  Bürgschaften  für 
den  Bestand  und  die  Entwicklung  der  bürgerlichen  Freiheit 
geschmälert  und  verkümmert  .  .  .  Trotzdem  haben  wir  Unter- 
zeichnete nach  gewissenhafter  Prüfung  und  Überlegung  uns 
entschlossen,  den  Verträgen  um  der  Lage  willen,  in  der 
sich  unser  bayerisches  Vaterland  befindet,  unsere  Zu- 
stimmung nicht  zu  versagen.  Wir  möchten  die  Verantwortung 
für  die  weit  größeren  Übelstände,  die  aus  der  Verwerfung  der 
Verträge  für  Bayern  hervorgehen  müssen,  nicht  teilen  .  .  . 
Die  berechtigte  Sehnsucht  des  ganzen  deutschen  Volkes  nach 
seiner  gesamtstaathchen  Einigung  teilend,  schließen  wir  fest 
und  treu  an  dasselbe  uns  an.  Wir  erwarten  aber  von  der 
Königlich  Bayerischen  Staatsregierung,  daß  sie  ihre  künftige 
Stellung  und  Tätigkeit  im  Bundesrate  des  Deutschen  Reiches 
dazu  benutzen  werde,  um  im  Verein  mit  der  deutschen  Volks- 
vertretung denjenigen  Keim  einer  wahrhaft  föderativen 
Bundesverfassung  zu  pflegen  und  vor  schlechten  Einflüssen  zu 
schützen,  von  dem  wir  wünschen,  daß  er  von  neuem  tiefe 
Wurzeln  im  deutschen  Volksleben  fasse  und  zu  einem  mächtigen 
Baum    deutscher    Stärke    und    Einheit    heranwachse."     Die 


191 

Abstimmung  ergab  am  21.  Jamiar  1871  die  erforderliche  Zwei- 
drittelmehrheit. Am  30.  Januar  konnte  dann  durch  eine  als 
Verfassungsgesetz  anzusehende  ,, Königliche  Erklärung"  den 
Versailler  Verträgen  in  Bayern  gesetzliche  Geltung  mit  rück- 
wirkender Kraft  vom  i.  ds.  Monats  verliehen  worden. 

Der  nationale  Gedanke  hatte  nunmehr  auch  in  der  baye- 
rischen Abgeordnetenkammer  gesiegt  und  zugleich  einen  tiefen 
Riß  in  den  Turm  der  patriotischen  Partei  gebracht .  Es  ist  durchaus 
glaubwürdig,  was  der  bayerischer  Vorliebe  gewiß  unverdächtige 
badische  Gesandte  v.  Mohl  berichtet:  auch  von  denen,  die 
gegen  die  Versailler  Verträge  gestimmt,  hätte  sich  eine  große 
Zahl,  besonders  aus  dem  Bürger-  und  Bauernstande,  sehr  be- 
friedrigt  über  den  Gang  der  Abstimmung  geäußert :  sie  hätten 
nicht  anders  stimmen  können,  aber  es  sei  ihnen  viel  lieber,  daß 
sie  unterlegen  seien,  i) 

Die  Freude  über  den  Sieg  des  nationalen  Gedankens  fand 
Widerhall  in  den  begeistertsten  Artikeln.  In  besonders  schwung- 
vollen Worten  ließ  sich  eine  Stimme  aus  der  Pfalz  in  der 
Kaiserslauterer  Zeitung  vernehmen:  ,, Jetzt  also  ist  das 
Deutsche  Reich  fertig,  der  letzte  Stein  eingefügt  in  den  mäch- 
tigsten Bau  durch  das  zustimmende  Votum  unserer  Abgeord- 
netenkammer. Schätzen  wirs  nicht  geringer  um  deswegen, 
daß  es  mühsam  abgerungen  wurde;  eben  weil  im  heißen 
Kampfe  errungen,  ist  es  für  uns,  für  ganz  Deutschland  von 
besonderem  Werte ;  denn  es  hat  in  strenger,  harter  Probe  an  den 
Tag  gebracht,  daß  der  deutsche  Gedanke  wirklich  feste  Wurzeln 
geschlagen  hat,  auch  in  Bayern." 

Dr.  Jörg  dachte  freilich  anders  darüber.  Er  begleitete 
in  den  ,, Historisch-politischen  Blättern"  die  Abstimmung  im 
bayerischen  Landtage  mit  den  düsteren  prophetischen  Worten : 
,,Consummatum  est."  ,,Die  Ruine  wird  abbröckeln  und  ein- 
sinken von  einem  Landtage  zum  andern  und  in  einigen  Jahren 
wird  sich  auch  das  bayerische  Volk  an  den  Gedanken  gewöhnt 
haben,  daß  man  kein  Königreich  zu  erhalten  braucht,  wenn 
man  ein  Kaiserreich  über  sich  hat." 

1)    K.  St.  A. 


X. 

Das  Bismarckisdic  Reich  und  sein 
Verhältnis  zu  Bayerns  König  und  Volk. 

Was  durch  die  Versailler  Verträge  begonnen  worden 
war,  das  wurde  durch  den  Bundesrat  und  durch  den  Reichstag 
des  Norddeutschen  Bundes  fortgesetzt  und  auf  dem  ersten 
Deutschen  Reichstage  vollendet. 

Die  ersten  Nachrichten,  die  der  bayerische  Gesandte 
am  Berliner  Hof  über  die  Aufnahme  der  Versailler  Verträge 
im  Bundesrat  und  Reichstag  des  Norddeutschen  Bundes 
brachte,  lauteten  wenig  günstig.^)  In  den  Kreisen  des  Bundes- 
rates trat  die  Eifersucht  und  Verstimmung  über  die  Bayern 
eingeräumte  Sonderstellung  un verhüllt  zutage.  In  diesen 
Kreisen  glaubte  oder  hoffte  man,  daß  die  Verträge  mit  Bayern 
vom  Reichstag  abgelehnt  und  so  Bayern  zu  weiteren  Kon- 
zessionen genötigt  werden  würde.  In  der  Tat  begegneten  hier 
die  Verträge  auf  allen  Seiten  des  Hauses  schärfstem  Wider- 
spruche. Noch  Ende  November  zweifelt  die  Berliner  ,, Börsen- 
zeitung", ein  führendes  Organ  der  nationalliberalen  Partei, 
an  der  Zustimmung  des  Reichstages  und  wirft  die  Frage  auf, 
ob  es  nicht  besser  sei,  daß  Bayern  vorerst  draußen  bleibe. 
Seit  Anfang  Dezember  wirbt  dieselbe  nationalliberale  Presse 
immer  deutlicher  für  die  Genehmigung  der  Versailler  Verträge ; 
die  meisten  der  den  Südstaaten,  zumal  Bayern,  zugestandenen 
Vorrechte  seien  doch  ,, ungefährlicher  Natur".  Zuletzt  war 
es  der  Führer  der  nationalliberalen  Partei  selbst,  Bennigsen, 
der  vor  Ablehnung  der  Verträge  warnte,  weil  dadurch  die 
ganze  Arbeit  von  Versailles  hinfällig  gemacht  würde;  er 
leugne  keineswegs,  daß  die  Verträge  Hindernisse  und 
Schwierigkeiten  schlimmster  Art  bereiten  könnten,  aber  er 
hält  einen  ernsthaften,  dauernden  Widerstand  Bayerns  gegen 
den  einmütigen  Willen  des  deutschen  Volkes  für  unmöglich, 

1)   M.  St.  A. 


193 

da  er  an  den  kraftvollen  Elementen,  die  in  der  neuen  Ver- 
fassung lägen,  zerschellen  würde.  ^) 

Wer  den  Widerstand  überwand,  war  wiederum  an  erster 
Stelle  Bismarck.  Er  ließ  den  beim  Heere  befindlichen  Mit- 
gliedern des  Reichstages  Befehl  erteilen,  sofort  nach  Berlin 
zu  reisen,  um  den  Reichstag  beschlußfähig  zu  erhalten.  Er 
suchte  von  Versailles  aus  mit  der  ganzen  Wucht  seiner  Autorität 
auf  die  Führer  der  nationalliberalen  und  konservativen  Parteien 
einzuwirken.  Er  gab  unmittelbar  nach  Übersendung  der 
bayerischen  Verträge,  am  26.  November^),  Erläuterungen  zu 
ihnen,  die  formell  an  den  Staatsminister  v.  Delbrück,  tat- 
sächlich an  den  Bundesrat  und  noch  mehr  an  den  Reichstag 
des  Norddeutschen  Bundes  gerichtet  waren:  ,,Der  Teil  der 
Verträge,  welchen  Ew.  Excellenz  noch  während  Ihrer  hiesigen 
Anwesenheit  durchzuberaten  Gelegenheit  hatten,  wird  wegen 
der  Reservate  im  Heimat-  und  Staatsbürgerrecht,  wie  ich 
hoffe,  irgendwelchen  Bedenken  im  Reichstage  nicht  begegnen. 
Noch  weniger  kann  ich  glauben,  daß  Anstoß  genommen  wird 
an  den  in  den  diplomatischen  Beziehungen  Bayern  eingeräum- 
ten Ehrenrechten  .  .  .  Eher  läßt  sich  allerdings  erwarten, 
daß  der  auf  das  Kriegswesen  des  Bundes  bezügliche  Teil  der 
Verträge  zu  eingehenden  Diskussionen  Veranlassung  geben 
und  die  in  dieser  Beziehung  an  Bayern  gewährten  Konzessionen 
Widerspruch  finden  werden.  Meiner  Überzeugung  nach  aber 
stehen  diese  Konzessionen  und  die  ganze  an  Bayern  einge- 
räumte Stellung  der  nationalen  Entwicklung  Deutschlands 
nicht  im  Wege;  es  ist  vielmehr  alles  erreicht,  was  wesentlich 
notwendig  ist,  um  das  bayerische  Heer  zu  einem  integrierenden 
und  wirksamen  Teile  des  Gesamtheeres  Deutschlands  zu 
machen  und  die  Geschlossenheit  Deutschlands  nach  Außen 
wie  seine  Entwicklungsfähigkeit  im  Innern  zu  sichern.  Mit  der 
Erreichung  des  Wesentlichen  aber  mich  zu  begnügen  und  den 
Abschluß  nicht  an  dem  jetzt  Unerreichbaren  scheitern  zu 
lassen  schien  mir  durch  die  Umstände  geboten."  Er  ver- 
weist auf  die  Persönlichkeit  des  bayerischen  Fürsten,  auf  den 
noch  währenden  Krieg  mit  Frankreich,  auf  die-  neutralen 
Mächte  und  die  noch  immer  nicht  abzuweisende  Möglichkeit 
ihrer  Einmischung,  auf  die  neue  europäische  Krise  infolge  der 
russischen  Kündigung  des  Pariser  Vertrages  in  der  Frage  des 
Schwarzen  Meeres.  ,,Will  der  Reichstag  sich  mit  dem  Er- 
langten  nicht   begnügen  und   alles   wieder  in   Frage   stellen, 

^)  H.  Oncken,  Bennigsen  II,   S.  203f. 
2)  H.  A.  A. 

Doeberl,  Bayern  und  die  Bismarckische  Reichsgründung.  13 


194 

so  muß  er  für  die  Folgen  die  Verantwortung  tragen,  welche 
die  Regierung  Seiner  Majestät  zu  übernehmen  sich  nicht 
getraut."  Bismarck  ließ  aber  auch  durch  Delbrück  verschwiegene 
und  einflußreiche  Abgeordnete  darauf  hinweisen,  ,,daß  der 
König  von  Bayern  von  unsicherer  Gesundheit,  kinderlos  und 
sein  Bruder  ganz  in  ultramontanen  Händen  sei",  ,,daß  ein 
Regierungswechsel  in  München,  wenn  er  plötzlich  einträte, 
die  ganze  Situation  sehr  zu  unserm  Nachteil  ändern  würde." ^) 
Das  wirksamste  Mittel,  mit  dem  Bismarck  den  Widerstand 
brach,  war  der  Kaiserbrief  Ludwigs  II. 

Am  2.  Dezember  wurden  die  bayerischen  Verträge  vom 
Bundesrat  einstimmig  angenommen,  mit  der  alleinigen  Ab- 
änderung, daß  auf  Antrag  Hessens  und  mit  Zustimmung 
Bayerns  dem  Ausschusse  für  Auswärtige  Angelegenheiten  neben 
Bayern,  Württemberg  und  Sachsen  noch  zwei  jährlich  zu 
wählende  Bevollmächtigte  anderer  Bundesstaaten  beigegeben 
wurden.  Am  9.  Dezember  1870  erteilte  auch  der  Reichstag 
mit   197   gegen   32  Stimmen  den  Verträgen  die  Zustimmung. 

Damit  hatte  Bismarck  in  wenigen  Monaten  erreicht,  was 
in  der  Zeit  des  Frankfurter  Parlamentes  und  des  preußischen 
Unionsprojektes  in  langen  Monaten  und  Jahren  vergebens 
angestrebt  worden  war:  die  Vereinigung  des  ganzen  außer- 
österreichischen Deutschlands  zu  einem  nationalen  Bundes- 
staate, Mit  monarchischer  Spitze,  mit  moderner  Volksver- 
tretung, mit  Zuständigkeiten,  die  dem  Reiche  alles  gaben,  was 
die  Einheit,  die  Macht  und  die  Wohlfahrt  des  neuen  Deutsch- 
lands forderten,  mit  einer  Geschlossenheit,  die  an  nationaler 
Festigkeit  und  Leistungsfähigkeit  das  größere  römisch-deutsche 
Reich  weit  übertraf.  Auf  einer  Grundlage,  die  nicht  bloß  von 
Ludwig  von  der  Pfordten,  sondern  auch  vom  Fürsten  Chlodwig 
von  Hohenlohe  wegen  der  damit  verbundenen  Gefahr  einer 
Mediatisierung  abgelehnt  worden  war,  auf  der  Grundlage  des 
Norddeutschen  Bundes,  einer  Grundlage,  die  der  Studien- 
freund des  Grafen  Bray,  der  österreichische  Reichskanzler 
Graf  Beust,  als  Bruch  des  Artikels  IV  des  Prager  Friedens 
bezeichnet  und  eben  noch  durch  einen  persönlichen  Besuch 
in  München  abzuwenden  gesucht  hatte,  einer  Grundlage,  die 
der  bayerische  Gesandte  am  Wiener  Hofe  eben  noch  als  für 
Bayern  unannehmbar  erklärt  hatte. 

Die  Versailler  Verträge  bedeuteten  für  Bayern  den  Bruch 
mit  einer  mehrhundertjährigen  Vergangenheit.  In  diesem  Sinne, 

^)  Schreiben  Bismarcks  an  Delbrück  vom  27.  November  und  6.  De- 
zember.    H.  A.  A. 


195 

nicht  im  Sinne  von  Reichsfeindschaft  sind  die  elegischen  Worte 
des  Grafen  Bray  zu  deuten,  mit  denen  er  vom  alten  Bayern 
ähnlich  wie  König  Wilhelm  vom  alten  Preußen  Abschied 
nahm:  „Dies  ist  der  Anfang  des  neuen  Deutschlands  und, 
wenn  unsere  Entwürfe  angenommen  werden,  das  Ende  Alt- 
bayerns; es  wäre  nutzlos  sich  darüber  täuschen  zu  wollen." 
Selbst  Fürst  Chlodwig  von  Hohenlohe  gestand  in  der  Kammer 
der  Reichsräte,  daß  die  bayerische  Selbständigkeit  durch  die 
Versailler  Verträge  mehr  und  tiefer  erschüttert  werde,  als 
dies  durch  irgendeine  staatsrechtliche  oder  internationale 
Verbindung  geschehen  sei,  in  der  sich  Bayern  seit  Abschluß  des 
Westfälischen    Friedens    befunden    habe. 

Neben  dem  Augenmaß  für  die  Lebensnotwendigkeiten 
des  Gesamtstaates  besaß  aber  Graf  Bismarck  etwas,  was  den 
Unitariern  von  damals  wie  denen  von  heute  fehlte :  den  histori- 
schen, von  mechanischen,  fremdländischen  Staatstheorien 
freien  Blick  für  die  Eigenart  des  deutschen  Landes  und  des 
deutschen  Volkes. 

Allerdings  knüpft  die  Verfassung  des  Bismarckischen 
Reiches  ebenso  wie  die  des  Norddeutschen  Bundes,  die  ihr 
zugrunde  liegt,  an  das  Verfassungswerk  des  Frankfurter 
Parlamentes  an.  Aber  Bismarck  nahm  aus  der  Paulskirche 
nur  so  viel  westeuropäische,  demokratische  Elemente  herüber, 
als  er  für  die  Verwirklichung  seines  Machtgedankens  brauchen 
konnte,  zumal  das  einheitliche  Parlament  und  das  demokrati- 
sche Wahlrecht.  Im  übrigen  beließ  er  nicht  bloß  die  alten 
Mächte,  die  26  Bundesstaaten,  er  baute  auf  ihnen  das  neue 
Reich  auf.  Träger  der  Bundesgewalt  ist  weder  ein  Einzelner, 
ein  Monarch,  noch  die  Gesamtheit  des  deutschen  Volkes, 
sondern  die  verbündeten  Herrscher.  Sie  vollziehen  ihre  ge- 
meinsame Tätigkeit  aber  nicht  in  persönlichem  Zusammen- 
tritt, sondern  durch  eine  Vertretung,  den  Bundesrat.  Dieser 
enthält  im  Gegensatz  zum  Staatenhause  der  Frankfurter 
Reichsverfassung  kein  Element  der  Volksvertretung  mehr, 
sondern  besteht  lediglich  aus  Vertretern  der  bundesstaatlichen 
Regierungen.  Und  diese  handeln  nicht  nach  freier  Abstim- 
mung, sondern  nach  festen  Instruktionen.  Damit  aber  der 
Bundesrat  nicht  in  die  Schwerfälligkeit  des  alten  Bundes- 
tages zurückfalle,  setzte  Bismarck  den  Kaiser  über  ihn  als 
Bundespräsidium.  Kaiser  und  Bundesrat  bilden  ein  ver- 
klammertes System.  Symbol  dieser  Verklammerung  ist  der 
Reichskanzler,  zugleich  aber  auch  Symbol  der  engen  Ver- 
bindung zwischen  dem  Reich  und  dem  führenden  Bundes- 

13* 


196 

Staate,  Preußen,  dessen  Ministerpräsident  er  ist.  Freilich  wird 
damit  auch  das  Schicksal  des  Reiches  davon  bedingt,  daß 
das  ganz  auf  die  Person  Bismarcks  zugeschnittene  Reichs- 
kanzleramt mit  einem  Manne  besetzt  wird  von  der  Leistungs- 
fähigkeit und  der  staatsmännischen  Größe  des  ersten  Kanzlers. 

Die  Zuständigkeit  des  Bundesrates  und  seiner  Organe 
erstreckt  sich  nur  auf  jene  Gegenstände,  die  dem  Reich  aus- 
drücklich vorbehalten  sind. 

Nachdem  Bismarck  dem  Gesamtstaate  das  zur  Erfüllung 
seiner  Aufgaben  nötige  Maß  von  Zuständigkeiten  gesichert 
hatte,  überließ  er  dem  Einzelstaate  Raum  für  ein  kraftvolles 
Ausleben  seiner  staatlichen  Persönlichkeit  —  in  weiser  Ab- 
stufung nach  Umfang  und  Geschichte.  F.  W.  Förster  bezeichnet 
allerdings  nach  dem  Vorgange  seines  Lehrers  und  Vorbildes, 
Konstantin  Frantz',  das  Bismarckische  Reich  als  ,,unitaristisch 
und  zentralistisch" ,  als  eine  ,, mechanische  Einigung  durch 
Blut  und  Eisen".  In  Wirklichkeit  war  das  Bismarckische 
Reich  so  wenig  das  Ideal  der  zeitgenössischen  Unitarier, 
daß  gerade  sie  scharfe  Kritik  an  ihm  übten —  wegen  seines 
föderalistischen  Charakters:  ,,Er  hat  offenbar  von  staats- 
rechtlichen Dingen  fast  keinen  Begriff.  Eine  Verfassung  ist 
ihm  etwas  Irrelevantes.  Er  ist  sicher,  solange  er  regiert, 
mit  den  Königen  fertig  zu  werden.  Was  nachher  kommt, 
kümmert  ihn  nicht." i)  Und  da^-  Bismarckische  Reich  ist 
so  wenig  das  Ideal  der  heutigen  Unitarier,  daß  einer 
der  Urheber  des  Weimarer  Reichsverfassungsentwurfes  er- 
klärte: ,,Der  neue  Bau  des  Deutschen  Reiches  müsse  ganz 
bewußt  auf  den  Boden  gestellt  werden,  den  Bismarck  bei 
seiner  Reichsgründung  ganz  bewußt  nicht  betreten  hat." 

Wie  einst  beim  Eintritt  in  das  mittelalterliche  Reich 
König  Heinrichs  L,  so  ist  auch  beim  Eintritt  in  das  neue 
Deutsche  Reich  Bayern  das  größte  Maß  von  Selbständigkeit 
gewährt  worden.  Mit  den  diplomatischen  und  militärischen 
Zugeständnissen  trug  Bismarck  Rechnung  dem  Umfang  und 
der  Leistungsfähigkeit  des  Königreiches,  der  großen  histori- 
schen Vergangenheit  des  Staates  und  seiner  tausendjährigen, 
mit  Land  und  Volk  verwurzelten  Dynastie,  aber  auch  dem 
starken  Selbstbewußtsein  des  bayerischen  Volkes.  Mit  der  Be- 
lassung der  selbständigen  Verwaltung  des  Verkehrswesens, 
des  bayerischen  Heimats-  und  Niederlassungsrechtes  nahm  er 
schonend  Rücksicht  auf  die  zähe  Sonderart  des  bayerischen 

^)  Hermann  Baumgarten  an  M.  Duncker,  8.  Dezember  1870,  in: 
Dunckers  pol.  Briefwechsel,   S.  462. 


197 

Volkes,  auf  sein  starkes  kulturelles  Sonderleben.  Er  schützte 
zugleich  diese  Sonderrechte  gegen  majorisierende  Zugriffe 
des  Bundesrates  und  des  Reichstages  durch  den  bekannten 
Artikel  78,  der  Verfassungsänderungen  mit  dem  bloßen 
Einspruch  der  drei  Königreiche  Bayern,  Württemberg  und 
Sachsen  unmöglich  machte. 

Die  Reichsverfassung  war  echt  Bismarckisch  auf  real- 
politische Bedürfnisse  zugeschnitten,  setzte  sich  aus  den  ver- 
schiedenartigsten Elementen  zusammen,  entsprach  so  wenig 
einer  bestimmten  Rechtstheorie,  daß  jahrelang  darüber  Streit 
geführt  werden  konnte,  ob  das  Reich  ein  Bundesstaat  oder 
ein  Staatenbund  sei.  Bismarck  nahm  aus  dem  alten  Deutsch- 
land so  \äel  Mannigfaltigkeit,  als  noch  lebensfähig  war  und 
von  dem  neuen  Deutschland  ertragen  werden  konnte,  und 
schuf  so  ein  Kunstwerk,  das  zwar  regelwidrig,  aber  um  so 
lebensfähiger  war.  Es  war,  wie  ein  einwandfreier  Zeuge  und 
Sachverständiger,  Graf  Hugo  von  Lerchenfeld,  in  seinen 
Memoiren  schreibt,  ,, eines  der  gelungensten  Werke,  die  je 
nach  langen,  mühsamen  Vorbereitungen  geschaffen  worden 
sind.  Bei  meiner  nahezu  40  jährigen  Tätigkeit  als  stimm- 
führender Bevollmächtigter  zum  Bundesrat  habe  ich  oft  mit 
Bewunderung  auf  die  Schöpfer  der  Verfassung  zurückge- 
blickt." 

Gerade  diese  seltene  Verbindung  von  Einheit  und  Auto- 
nomie, von  Einheit  des  Gesamtstaates  und  von  Besonderheit 
der  Gliedstaaten,  hat  das  deutsche  Volk  zu  einer  beispiellosen 
schöpferischen  Kraftentfaltung  in  den  Werken  des  Friedens 
wie  des  Krieges  befähigt,  die  die  glänzendsten  Kaisertage  des 
alten  Reiches  überbot  und  in  der  nächsten  Generation  die 
Bewunderung,  aber  auch  den  Neid  einer  Welt  hervorrief. 
Was  ehedem  Zwist  und  Unsegen  gewesen,  das  hat  er  so  in 
eine   Quelle  des  Reichtums  gewandelt. 

* 

Die  Sehnsucht  zweier  Generationen  schien  erfüllt,  er- 
füllt, was  eben  noch  eine  deutsche  Frau  aus  Hannover  dem 
Könige  Ludwig  geschrieben  hatte:  ,,Der  alte  Barbarossa  ist 
erwacht,  die  Raben  umflattern  nicht  mehr  den  Kyffhäuser, 
Kaiser  Friedrich  ist  ausgezogen  mit  seinen  Getreuen  und  hat 
seinen  Schild  an  des  Birnbaums  dürren  Ast  gehängt,  er  hat  sein 
Volk  befreit  und  groß  gemacht  vor  allen  Völkern  der  Erde  .  .  . 
Bauen  Ew.  Majestät  der  deutschen  Nation  einen  Weihnachts- 
baum auf,  so  schön,  wie  ihn  nur  einmal  die  Welt  gesehen: 


198 

vor  1000  Jahren,  am  Weihnachtsabend  des  Jahres  800,  in 
der  Peterskirche  zu  Rom!"^) 

Freihch,  mit  dem  alten  römisch-deutschen  Kaisertum 
hatte  das  neue  nichts  zu  tun.  König  Ludwig  II.  hat  es  in 
seinem  Schreiben  an  den  badischen  Staatsrat  Geizer  vom 
12.  Dezember  in  bewußter  Übereinstimmung  mit  diesem  als 
eine  „selbständige  Neuschöpfung"  bezeichnet.  Er  hat  auch 
immer  wieder  betont,  daß  der  Kaisertitel  keinen  neuen  Rechts- 
inhalt schaffe,  nur  eine  andere  Bezeichnung  für  das  Bundes- 
präsidium sei,  daß  er  vielmehr  zum  Ausdruck  bringe,  die  dem 
Bundespräsidium  zustehenden  Rechte  übe  der  König  von 
Preußen  nicht,  wie  der  alte  Kaiser,  aus  eigenem  Rechte,  sondern 
im  Namen  des  gesamten  deutschen  Vaterlandes,  auf  Grund 
der  Übertragung  durch  die  deutschen  Fürsten. 

Mit  dankbarem  Herzen  hat  man  um  die  Jahreswende 
außerhalb  der  weißblauen  Grenzpfähle  der  Verdienste  Bayerns 
und  seines  Königs  gedacht.  Besondere  Anerkennung  zollt 
dem  ,, tapferen  Vorgehen  Ludwigs  IL  auf  der  wundersamen 
Bahn  der  großen  Weltereignisse  dieses  denkwürdigen  Jahres 
1870"  ein  Huldigungsschreiben  des  Presbyteriums  einer  west- 
fälischen Kirchengemeinde 2) :  ,, Unser  deutsches  Vaterland 
hat  große  Ursache,  nächst  Gott  Euerer  Königlichen  Majestät 
den  wärmsten  Dank  für  das  große  Werk  der  Truppenvereini- 
gung von  Süd-  und  Norddeutschland  darzubringen  .  .  .  Un- 
möglich hätte  Preußen  allein,  ohne  die  Truppenvereinigung 
aller  deutschen  Staaten,  den  Kaiser  der  Franzosen  mit  seinem 
mächtigen  Kriegsheer  besiegt,  wenn  nicht  der  Herr  unser 
Gott,  in  dessen  Händen  die  Herzen  der  Könige  sind,  Euerer 
Königlichen  Majestät  Herz  für  die  gute  und  gerechte  Sache 
Deutschlands  geneigt  und  bestimmt  hätte,  welches  jeder 
Deutsche  im  In-  und  Ausland  dankbar  anerkennt.  Hat  Euere 
Königliche  Majestät  in  diesem  mutigen  Vorgehen  der  deutschen 
Truppenvereinigung  wahrhaft  Großes  getan,  nicht  minder  groß 
ist  die  Tat,  daß  Allerhöchst  Sie  an  der  Spitze  von  Deutschlands 
Fürsten  das  im  Wiener  Frieden  zerstückelte  Deutschland  zu 
einem  neuen  und  mächtigen  Deutschland  vereinigen  und  dieses 
bewundernswürdige  Werk  deutscher,  nationaler  Einigkeit  mit 
der  Kaiserkrone  verherrlichen,  dessen  Träger  nach  Allerhöchst 
Ihrer  freien  Entschließung  unser  siegreicher  König  Wilhelm 
sein  wird,  dessen  weißes  Ehrenhaupt  würdig  ist  mit  der 
deutschen    Kaiserkrone   geschmückt    zu    werden.     Dafür   ge- 

1)  M.  H.  A. 

2)  M.  H.  A. 


199 

bührt  vor  allem  Euerer  Königlichen  Majestät  von  allen  echten, 
treuen  Deutschen  der  innigste  Dank,  indem  diese  Tat  ein  ebenso 
großes  Meisterstück  ist  als  der  wundervolle  Siegeslauf  unserer 
heldenmütigen  Armee!  Es  freut  uns,  daß  diese  Erneuerung 
der  deutschen  Kaiserwürde  nicht  die  Wiederaufsetzung  der 
alten  römisch-deutschen  Kaiserkrone  sein  soll,  die  Kaiser 
Franz  IL  am  6.  August  1806  niederlegte,  noch  viel  weniger 
eine  solche,  welche  die  Frankfurter  Nationalversammlung 
1848  aus  geraubten  deutschen  Königs-  und  Fürstenkronen 
fabrizieren  wollte." 

König  Ludwig  IL  berauschte  sich  wohl  gern  an  solchen 
nationalen  Lobesergüssen.  Es  war  ihm,  wie  Luise  v.  Kobell 
einmal  richtig  sagte,  willkommen,  wenn  man  aus  seiner  Not 
eine  Tugend  machte.  Der  wirklich  bestimmende  Faktor  in 
der  deutschen  Politik  des  Jahres  1870  ist  er  nicht  gewesen 
—  weder  bei  Ausbruch  des  Krieges  noch  in  der  deutschen  Ver- 
fassungsfrage noch  gegenüber  dem  Kaiserproblem.  Der 
,,ewig  zwischen  Wollen  und  Nicht  wollen  schwankende  König" 
wurde  meist  vor  vollendete  Tatsachen  gestellt,  seine  verfassungs- 
mäßig unentbehrliche  Zustimmung  wurde  ihm  in  mehr  oder 
minder  hartem  und  zeitraubendem  Kampf  abgerungen. 
Die  nationalen  Schritte  der  letzten  Monate  vollzog  er  im 
Grunde  freudlos  oder  nur  mit  halber  Seele.  Innerlich  mit- 
erlebt hat  er  sie  nicht.  Mit  dem  Kaiserbriefe  schien  er  sich, 
wie  ein  Zeitgenosse  sich  ausdrückt,  ,, gänzlich  verausgabt  zu 
haben". 

Bald  folgte  wie  immer  die  bei  dem  Geisteszustand  des 
Königs  unvermeidliche  seelische  Depression.  Der  preußische 
Gesandte  Freiherr  v.  Werthern  berichtet  in  den  auf  die  Kaiser- 
proklamation folgenden  Relationen  immer  wieder  von  diesen 
seelischen  Verstimmungen.^)  Er  will  in  einem  Berichte  vom 
31.  Januar  wissen,  daß  sich  der  König  seit  der  Unterzeichnung 
der  Versailler  Verträge  nur  schwarz  kleide  und  Hemdknöpfe 
und  Uhrkette  aus  Trauer- Jaspis  trage.  Er  will  vom  Grafen 
Holnstein  vernommen  haben,  es  sei  ein  Glück,  daß  die  Kaiser- 
proklamation und  die  Unterzeichnung  der  Versailler  Verträge 
bereits  erfolgt  sei ;  heute  würde  weder  das  eine  noch  das  andere 
zu  erreichen  sein.  Er  berichtet  am  18.  Februar  von  anderen 
Äußerungen  des  Grafen  Holnstein:  daß  die  Veränderungen, 
die  mit  dem  Könige  vorgingen,  ihm  große  Besorgnis  einflößten; 
aufgestachelt   durch   die   königlichen   Prinzen   habe   sich   der 

1)  H.  A.  A. 


200 

König  in  Vorwürfe  über  die  Verminderung  seiner  Souveränität 
und  in  den  größten  Haß  gegen  Preußen  hineingeredet;  bei 
jedem  Hofdiner,  ja  vor  jeder  Audienz  trinke  er  große  Massen 
schweren  Weines,  um  seine  Scheu  vor  den  Menschen  zu  über- 
winden, und  eröffne  ihnen  alsdann,  ohne  alles  Ansehen  der 
Person,  durch  unvorsichtige  Reden  die  tiefsten  Einblicke  in 
die  geheimsten  Falten  seines  Herzens;  so  z.  B.  habe  er  zum 
Grafen  Schönborn  und  dem  Baron  Frankenstein  gesagt: 
er  sei  zu  den  Verträgen  gezwungen  worden  und  würde  sie  nie 
freiwillig  unterzeichnet  haben;  zu  einem  englischen  Kapitän 
Fairholm,  der  mit  eingeladen  war:  der  Kaiser  werde  demnächst 
hieher  kommen,  um  sich  in  seinen  neuen  ,, Provinzen" 
huldigen  zu  lassen ;  zum  Generaladjutanten  Grafen  Pappenheim : 
er  könne  es  nicht  länger  aushalten  und  werde  abdanken. 
Tatsächlich  hatte  er  schon  vor  mehreren  Wochen,  zur  Zeit 
der  Versailler  Verhandlungen,  mit  diesem  Gedanken  gespielt 
oder  vielmehr  gedroht,  hatte  den  Kabinettsekretär  beauftragt 
ein  Abdankungsdekret  zugunsten  seines  Bruders  Otto  bereit- 
zuhalten, hatte  diesen  sogar  aus  dem  Felde  herbeirufen  lassen 
—  um  dann,  als  die  angeblichen  Abdankungsabsichten  in  das 
Volk  drangen,  alles  aufzubieten,  die  Abdankungsgerüchte 
wieder  zu  zerstreuen.  Jetzt  kam  er  darauf  zurück  und  soll 
dem  Prinzen  Otto  einen  Brief  geschrieben  haben  mit  der 
Adresse:  ,,An  Seine  Majestät  den  König  Otto  I.  von  Bayern." 
Auch  soll  er  sich  nach  dem  am  schnellsten  wirkenden  Gift 
erkundigt  haben.  Von  der  Diskussion  bis  zur  Ausführung 
solcher  Gedanken  ist  erfahrungsgemäß  ein  weiter  Weg,  aber 
als  Symptom  ist  es  immerhin  lehrreich,  daß  überhaupt  solche 
Gedanken  aufkommen  konnten.  Der  Gesandte  stellt  mit 
Recht  ausdrücklich  fest,  daß  bei  diesen  Äußerungen  eines  ge- 
störten Gemütes  viel  Komödie  mit  unterlaufe.  Aber  er  be- 
fürchtet doch,  daß  sie  ,,die  Möglichkeit  einer  plötzlichen 
Rückkehr  zur  äußersten  Reaktion  oder,  wenn  die  Wirkung 
der  Spirituosen  hinzukomme,  zu  einem  Akte  der  Verzweiflung 
in  sich  schließen." 

Nach  einer  von  Gottfried  Böhm  gemachten  Mitteilung 
hätte  der  König  bald  nach  dem  Abgange  des  Kaiserbriefes 
dem  Kabinettsekretär  Eisenhart  den  schriftlichen  Auftrag 
erteilt,  das  Schreiben  von  König  Wilhelm  zurückzufordern.^) 
Er  habe  hinzugefügt,  niemals  hätten  ihn  die  Fluten  des  Alpsees 
mehr  angezogen  um  darin  seinem  elenden  Dasein  ein  Ende  zu 
machen.  Jch  bin  nicht  in  der  Lage,  diese  Nachricht  zu  kontrol- 

^)  Böhm,   Ludwig  II.  ^ 


201 

lieren.  Eine  amtliche  Auswirkung  hat  der  angebhche  Auf- 
trag sicherUch  nicht  erfahren.  Aber  das  ist  gewiß,  daß  der 
König  bald  den  Versuch  unternahm,  einzelne  Bestimmungen 
des    Versailler    Haupt  Vertrags  rückgängig  zu  machen. 

Schon  am  3.  Dezember  1870,  am  Tage  nach  der  Über- 
reichung des  Kaiserbriefes,  schrieb  Kabinettsekretär  Eisen- 
hart an  den  Grafen  Bray:  ,, Seine  Majestät  machen,  obwohl 
durch  Kaiserbrief  und  Vollmacht  an  Minister  v.  Lutz  die 
Sache  als  entschieden  anzusehen  ist,  noch  immer  Schwierig- 
keiten wegen  Bundesexekution,  Fahneneid,  Bundesgesetz- 
gebung bezüglich  Kriegszustandes,  Bundeskompetenz  in  Ver- 
fässungsstreitigkeiten  etc."^) 

Wenige  Wochen  später  machte  König  Ludwig  den  Ver- 
such, aus  dem  Fahneneide  die  im  Versailler  Vertrage  vorge- 
schriebene Verpflichtung  gegenüber  dem  Bundesfeldherrn  im 
Kriege  herauszunehmen.  Er  beauftragte  den  Prinzen  Luitpold, 
in  diesem  Sinne  auf  den  Preußenkönig  einzuwirken.  Am  10.  Ja- 
nuar 1871  entledigte  sich  der  Prinz  in  einer  Audienz,  die  er 
sich  vom  Könige  von  Preußen  erbat  und  die  ihm  dieser  vor 
dem  Diner  gewährte,  des  heiklen  Auftrags.  Graf  Berchem 
telegraphierte  darüber  am  12.  Januar  1871  an  das  Ministerium 
des  Äußeren:  ,,Bismarck  teilte  mir  vertraulich  mit,  daß 
Prinz  Luitpold  im  Auftrage  des  Königs  dem  König  Wilhelm 
den  Wunsch  aussprach,  aus  dem  Fahneneid  die  Verpflichtung, 
den  Befehlen  des  Bundesfeldherrn  im  Kriege  zu  folgen,  heraus- 
zunehmen."2)  Schon  am  Tage  vorher  hatte  Bismarck  eine 
gleichlautende  telegraphische  Mitteilung  an  den  preußischen 
Gesandten  in  München  gerichtet. 2)  Noch  vielsagender  war  die 
Motivierung  des  Schrittes  durch  den  Prinzen  Luitpold,  wie 
sie  Bismarck  in  diesem  Telegramm  nach  München  meldete: 
,,Die  Opposition  sei  in  Bayern  darum  so  groß,  weil  man  dort 
gehofft  hätte,  die  Kaiserwürde  werde  zwischen  Bayern  und 
Preußen  alternieren,  und  man  müsse  darum  suchen,  sie  durch 
eine  solche   Konzession  zu  beschwichtigen."*) 

Der  König  von  Preußen  war  verstimmt,  er  erklärte  es 
für  unmöglich,  einen  solchen  Wunsch  des  Bayernkönigs  im 
Bundesrat  und  im  Reichstag  durchzusetzen,  er  verlangte  eine 

1)  M.  St.  A. 

2)  Beilagen  IV,   Nr.  22, 

3)  Beilagen  IV,   Nr.  21. 

*)  Danach  wurde  also  bayerischerseits  nicht  die  Forderung  nach  einer 
Alternierung  der  Kaiserwürde  gestellt,  sondern  vom  Prinzen  lediglich  er- 
wähnt, daß  in  bayerischen  Kreisen  der  Glaube  an  eine  Alternierung  verbreitet 
gewesen  sei. 


202 

schriftliche  Erklärung.  Bismarck  bezeichnete  gegenüber  dem 
Grafen  Berchem  die  Forderung  des  Prinzen  Luitpold  als 
gleichbedeutend  mit  der  Preisgabe  der  Versailler  Verträge 
und  mit  einer  Rückkehr  zum  alten  Bündnisverhältnis.  Der 
Kanzler  möchte  nicht  an  einen  solchen  Auftrag  des  Königs 
von  Bayern  glauben,  er  möchte  eine  Intrigue  annehmen, 
der  der  König  ferneste.he.  Er  beauftragt  den  preußischen  Ge- 
sandten in  München,  mit  Hilfe  des  Grafen  Holnstein  oder 
des  Kabinettsekretärs  Eisenhart  zu  sondieren,  ob  der  König 
seinem  Oheim  wirklich  einen  solchen  Auftrag  erteilt  habe. 
Am  folgenden  Tage  weist  er  denselben  Gesandten  telegraphisch 
an,  die  drei  Minister,  die  Bayern  in  Versailles  vertreten  hatten, 
vertraulich  zu  fragen,  ob  sie  von  dem  Schritte  Kenntnis  hätten. 

Freiherr  v.  Werthern  suchte  Fühlung  mit  dem  Grafen 
Holnstein  sowie  mit  den  bayerischen  Ministern.  Graf  Holn- 
stein glaubte  allerdings,  daß  der  König  dem  Prinzen  Luitpold 
den  Auftrag  erteilt  habe,  aber  nicht  aus  eigener  Initiative, 
sondern  nur  um  sich  des  unablässigen  Drängens  der  Mitglieder 
des  königlichen  Hauses  zu  erwehren.  Er  folgerte  daraus,  daß 
es  mit  dem  Auftrage  nicht  so  ernst  gemeint  sei  und  es  ihm 
leicht  fallen  werde,  den  König  nach  der  Rückkehr  in  seine 
Hauptstadt  von  der  Vergeblichkeit  eines  solchen  Schrittes 
zu  überzeugen.  Bezüglich  der  Begründung  des  königlichen 
Auftrages  durch  den  Prinzen  Luitpold  kam  der  Gesandte 
zu  dem  Ergebnis,  daß  sie  dem  Prinzen  Luitpold  ,, ausschließlich 
und  allein"  angehöre,  da  weder  von  einem  Abgeordneten  noch 
von  einer  Zeitung  der  äußersten  Rechten,  die  sich  doch  in 
den  letzten  Wochen  in  den  groteskesten  Äußerungen  und 
Wünschen  wahrhaftig  überboten  hätte,  auch  nur  die  leiseste 
Andeutung  eines  derartigen  Anspruchs  gemacht  worden  sei. 
Aus  einer  Aussprache  mit  den  Ministern  glaubte  der  Gesandte 
folgern  zu  dürfen,  daß  Lutz  und  Freiherr  v.  Pranckh  von 
der  Absicht  des  Königs  zu  einem  solchen  Schritte  nichts  wußten, 
Graf  Bray  aber  eingeweiht  war.  In  Wirklichkeit  erhielt  auch 
Graf  Bray  erst  in  der  Nacht  vom  12. /13.  Januar  von  dem 
Schritte  des  Königs  Kenntnis,  und  zwar  nicht  vom  Kabinett- 
sekretär Eisenhart,  sondern  vom  Grafen  Berchem,  in  jenem 
Telegramm  vom  12.  Januar,  das  dieser  auf  Veranlassung 
Bismarcks  nach  München  gesandt  hatte. 


^)   Siehe  darüber  den  Bericht  des  Großherzogs  von  Baden.   Beilagen  IV, 
Nr.  23. 

^)  Telegramm  Wertherns  vom    15.  Januar  1871. 


203 

Aus  dem  Verhalten  des  Prinzen  Luitpold  in  Verbindung 
mit  der  Berichterstattung  des  Freiherrn  v.  Werthern  wollte 
man  im  Hauptquartier  schließen,  daß  die  Initiative  zu  dem 
Antrage  nicht  vom  Könige,  sondern  vom  Prinzen  Luitpold  aus- 
ging. Das  erhält  durch  ein  Schreiben  des  Königs  von  Bayern 
scheinbar  eine  gewisse  Bestätigung.  Als  nämlich  Ludwig  IL 
von  der  Verstimmung  des  Hauptquartiers  über  den  Antrag 
des  Prinzen  Luitpold  vernahm,  schrieb  er  an  den  Hofsekretär 
Düfflipp:  ,,Die  Thronrede,  seine  Haltung  am  19.  Juli,  sein 
Kaiserbrief,  seine  Briefe  an  Baron  Stauffenberg  und  Lutz 
bewiesen  seine  deutsche  Politik  zu  deutlich,  als  daß  ein  denken- 
der Mensch  Konzessionen  an  die  dummen  Patrioten  für 
möglich  halten  könne;  es  gebe  aber  Dinge,  gegen  die  Götter 
und  auch  ein  König  vergeblich  ankämpfe."  Wer  aber  die 
Empfindlichkeit  König  Ludwigs  IL  und  anderseits  die  kluge 
Zurückhaltung  des  Prinzen  Luitpold  kennt,  wird  sich  kaum 
davon  überzeugen  lassen.  Um  so  weniger,  wenn  er  einige 
Wochen  später,  zum  i.  März,  im  Tagebuch  des  Großherzogs 
von  Baden  liest:  ,,Aus  München  sind  gestern  merkwürdige 
Nachrichten  eingetroffen.  Darnach  soll  der  König  sich  seit 
einiger  Zeit  sehr  nachteihg  darüber  äußern,  daß  man  ihn  in 
der  deutschen  Kaiserfrage  völlig  mißverstanden  habe.  Er 
sei  weit  entfernt,  einen  erblichen  Kaiser  zu  wünschen,  und  würde 
nie  darauf  eingegangen  sein,  einen  solchen  Antrag  zu  stellen, 
wie  er  getan,  wenn  er  hätte  voraussetzen  können,  daß  es  die 
Folge  davon  sein  würde." 

Im  übrigen  hatte  der  Zwischenfall^)  keine  weiteren  Folgen, 
da  man  von  beiden  Seiten  es  vermied  ihn  weiter  zu  berühren. 
Aber  einen  Blick  in  das  Innere  des  Königs  hatte  er  doch  eröffnet. 

Bezeichnend  war  es  auch,  daß  König  Ludwig  in  dem 
Schreiben  vom  24.  Januar  1871,  in  dem  er  für  die  Antwort  des 
Königs  von  Preußen  vom  12.  Januar  und  damit  für  die  An- 
nahme der  von  ihm  angebotenen  Kaiserkrone  dankte,  des 
weltgeschichtlichen  Vorgangs  der  Kaiserproklamation  in  Ver- 
sailles auch  nicht  mit  einem  Worte  gedachte. 2) 

Bezeichnend  sind  nicht  minder  die  Bemühungen  des 
Königs,  Besuche  des  preußischen  Hofes  sich  vom  Leibe  zu 
halten :  den  vermeintlichen  Besuch  des  Kaisers,  den  wirklichen 
Besuch  des  Kronprinzen.  Diese  Abneigung  gegen  einen  Be- 
such des  Kaisers  im  Frühjahr  1871  ging  nach  einer  Nachricht 
so  weit,  daß  der  bayerische  Gesandte  in  Berlin,  Baron  Perglas, 

^)  Vgl.  dazu  auch  Moritz  Busch,  Tagebuchblätter  II,  S.  47. 
^)  Beilagen  IV,  Nr.  25. 


204 

telegraphisch  angewiesen  wurde,  mit  allen  ihm  zu  Gebote 
stehenden  Mitteln  dagegen  zu  arbeiten  und  unter  anderen 
Gründen  auch  anzuführen,  daß  in  München  epidemische 
Krankheiten  herrschen  I^)  Und  doch  hatte  der  Kaiser  damals 
gar  nicht  die  Absicht,  den  Rückweg  von  Versailles  über  die 
süddeutschen  Residenzen  zu  nehmen.  Es  war  nur  ein  Gerücht, 
das  Freiherr  v.  Perglas  aus  höchst  unsicherer  Quelle  nach 
München  gemeldet  hatte. 

Ernster  war  die  Absicht  des  preußischen  Kronprinzen, 
zum  Truppeneinzug  in  München  zu  erscheinen.  Um  so  zäher 
die  Bemühungen  des  bayerischen  Königs,  diesen  zweiten  Besuch 
des  Kronprinzen  zu  hintertreiben.  Sie  setzen  sich  vom  Früh- 
jahr bis  zum  Sommer  fort,  bis  hart  vor  dem  Eintreffen  des 
Kronprinzen.'-^)  Der  preußische  Gesandte  hatte  den  Rat  er- 
teilt, an  dem  Besuch  unbedingt  festzuhalten;  der  Kronprinz 
erfülle  damit  nur  einen  immer  lauter  werdenden  Wunsch  der 
Stadt  München.  Der  Gesandte  fügte  hinzu:  er  möchte  dafür 
einstehen,  daß  der  König,  wie  gewöhnlich,  sich  ins  Unvermeid- 
liche finden  werde,  wenn  er  diesem  nicht  ausweichen  könne. 
Der  König  schickte  sich  allerdings  ins  Unvermeidliche,  gab  dem 
preußischen  Kronprinzen  von  Röhrmoos  bis  München  das 
Geleite,  wohnte  an  seiner  Seite  dem  Truppeneinzuge  bei, 
trank  bei  der  militärischen  Tafel  im  Schlachtensaale  der  Residenz 
auf  das  Wohl  der  Armee  und  ihres  ruhmreichen  Führers, 
lud  ihn  noch  am  folgenden  Tage,  am  17.  Juli,  auf  die  Rosen- 
insel im  Starnberger  See  ein.  Aber  dem  Glanzpunkte  der 
Feierlichkeiten,  dem  großen  Militärbankett,  blieb  er  fern 
und  am  folgenden  Tage  verließ  er  beim  Morgengrauen,  noch 
vor  seinem  Gaste,  die  Hauptstadt.  Kurz  vor  der  Ankunft 
des  Kronprinzen  hatte  der  König  an  seinen  Bruder  geschrieben : 
,, Denke  nur,  Otto,  aus  politischen  Gründen,  gedrängt  von 
allen  Seiten,  habe  ich  mich  veranlaßt  sehen  müssen,  zum 
Truppeneinzug  den  Kronprinzen  von  Preußen  einzuladen, 
was  mich  geradezu  zur  Verzweiflung  bringt;  ach  es  ist  wirk- 
lich kein  Wunder,  daß  seit  dem  vorigen  Jahre  (Feldzug,  Ab- 
schluß der  Verträge  etc.  etc.)  mir  das  Regieren  und  die  Leute 
verhaßt  wurden,  und  doch  ist  die  königliche  Stellung  und  das 
Herrscheramt  das  Schönste,  Erhabenste  auf  Erden.  Wehe 
mir,  daß  ich  in  eine  solche  Zeit  hineingeschneit  wurde,  in  der 
mir  alles  vergällt  wird."  3) 

1)  M.  St.  A. 

^)  Vgl.   darüber  die  Berichte  des  preußischen   Gesandten,   H.  A.  A. 

•■')  Brief  Ludwigs  II.  vom  8.  Juli  1871,   M.  H.  A. 


205 

Der  preußische  Gesandte  Freiherr  v.  Werthern  sucht 
einen  der  Gründe  für  diese  Wendung  in  dem  Einflüsse  der 
Kaiserin  Ehsabeth  von  Österreich:  „Die  Ursache  dieser  Ver- 
stimmung hegt  jenseits  der  bayerischen  Grenze,  sie  kommt 
von  Wien,  und  zwar  direkt  von  Ihrer  Majestät  der  Kaiserin 
Ehsabeth.  Graf  Holnstein  hat  dies  glückhch  entdeckt  und 
glaubt  diese  schädliche  Einwirkung  durch  die  Bemerkung 
entkräftet  zu  haben,  daß  Ihre  Majestät  die  Kaiserin  den  König 
seit  dem  Bruch  der  Verlobung  mit  Prinzessin  Sophie  gründ- 
lich haßt."  Ich  möchte  den  politischen  Einfluß  der  Kaiserin 
Elisabeth,  wenn  er  sich  überhaupt  in  diesen  Tagen  geltend 
gemacht  hat,  nicht  überschätzen,  um  so  weniger  als  damals 
die  Beziehungen  zwischen  Ludwig  und  Elisabeth  nicht  mehr 
so  innig  waren  wie  früher. 

Die  Gründe  lagen  tiefer.  Sie  lagen  in  dem  inneren  Zwie- 
spalt seiner  Seele.  Gewiß  spielte  er  gerne  den  nationalen 
König,  ließ  sich  gerne  wegen  seiner  nationalen  Verdienste 
und  —  Opfer  feiern,  trotz  seiner  Verehrung  für  den  Sonnen- 
könig. Aber  er  hing  gleichzeitig  mit  einem  mehr  als  könig- 
lichen Selbstgefühl,  mit  einer  fast  mystischen  Andacht  am 
Herrscheramte,  empfand  tief  und  schmerzlich  den  Verlust 
jedes  einzelnen  Kronrechtes,  bangte  gleichzeitig  vor  dem 
Urteile  derer,  die  sich  als  Wächter  dieser  Kronrechte  aus- 
gaben, und  besaß  doch  nicht  den  Mut  und  die  Festigkeit 
und  bei  seinen  seelischen  Ablenkungsmomenten  auch  nicht 
die  Zeit,  Gefahren  für  die  Selbständigkeit  Bayerns  zähen, 
anhaltenden  Widerstand  entgegenzustellen,  Worten  die  Tat 
folgen  zu  lassen.  Es  war  notorisch,  daß  der  König  sich  regel- 
mäßig in  das  Unvermeidliche  fügte,  wenn  er  ihm  nicht  aus- 
weichen konnte.  Lehrreich  ist  der  Bericht  des  preußischen 
Gesandten  über  eine  Audienz  vom  7.  März  1871.^)  Der  Ge- 
sandte nahm  die  Gelegenheit  wahr,  um  dem  Könige  zu  sagen, 
welch  mächtigen  Enthusiasmus  seine  Politik  in  Norddeutsch- 
land, auch  außerhalb  der  Regierungskreise,  hervorgerufen 
habe  und  welch  tiefe  Sympathie  man  daselbst  für  seine  aller- 
höchste Person  empfinde.  Der  König,  sichtlich  erfreut, 
fällt  dem  Gesandten  ins  Wort:  ,,0h,  ich  habe  nur  meine  Pflicht 
getan,  meine  Pflicht  gegen  Deutschland."  Und  doch,  un- 
mittelbar darauf  bricht  seine  alte  Besorgnis  vor  Preußen  wieder 
durch:  er  spielte  in  derselben  Audienz  sehr  deutlich  auf  die 
Tendenz  Preußens  zum  deutschen  Einheitsstaat  an.  Seit 
dem  Jahre  1866  lebte  er  unter  dem  Banne  der  Furcht  für 

1)  H.  A.  A. 


206 

Krone  und  Selbständigkeit.  Bruder  und  Oheim,  Großoheim 
und  Großvater  hatten  diese  Besorgnis  beständig  genährt. 
Freiherr  v.  Werthern  hatte  recht,  wenn  er  an  Bismarck  schrieb : 
,,Aus  kleinen  Zügen  drängt  sich  mir  die  Überzeugung  auf, 
daß  die  korrekte  Haltung  und  Willfährigkeit  des  Königs 
Ludwig  immer  noch  in  schwerem  Konflikte  mit  seinem  wittels- 
bachischen  Stolze  liegt  und  ihren  Ursprung  weit  weniger  im 
Vertrauen  als  im  Gefühl  der  Ohnmacht  und  Furcht  hat."^) 

Dieser  Zwiespalt  seiner  Seele  wurde  genährt  von  einem 
Teile  seiner  Umgebung,  von  Mitgliedern  des  königlichen 
Hauses,  von  Mitgliedern  der  Hofgesellschaft,  die  wie  der  Erb- 
graf von  Schönborn  in  dem  angeblichen  Besuche  des  Kaisers 
eine  ,, Insulte  für  Bayern"  erblickten.  Von  den  Prinzen 
berichtet  der  preußische  Gesandte,  daß  die  Mehrzahl 
derselben,  namentlich  die  Prinzen  Karl  und  Adalbert,  den 
König  mit  Briefen  und  Memoires,  von  denen  die  des 
Prinzen  Karl  von  dem  früheren  Minister  von  der  Pfordten  ver- 
faßt seien,  ,, unablässig  bestürmten  und  seinen  an  sich  nicht 
sehr  starken  Willen  zu  erschüttern  suchten".  Von  der  Hof- 
gesellschaft äußerte  einmal  Graf  Holnstein  in  seiner  drastischen 
Weise,  daß  sie  noch  heute  jeden  Preußen  betrachte,  als  ob  er 
aussätzig  sei.  So  wenig  der  König  sonst  mit  diesen  Leuten 
verkehrte,  in  kritischen  Augenblicken  liebte  er  es,  ihnen  gegen- 
über sein  Herz  auszuschütten,  sich  in  seinen  Besorgnissen 
von  ihnen  bestärken  zu  lassen  oder  ihnen  nach  dem  Munde  zu 
reden.  Der  König  liebte  es,  wie  Freiherr  v.  Werthern  richtig 
urteilte,  namentlich  bei  Erteilung  von  Audienzen,  verschiedenen 
Personen  verschiedenes  zu  sagen,  je  nach  ihrem  politischen 
Standpunkte.  Dieser  Zwiespalt  wurde  auch  genährt  von  mehr 
als  einem  der  bayerischen  Diplomaten  an  fremden  Höfen, 
besonders  dem  Gesandten  in  Berlin,  Freiherrn  v.  Perglas.  Der 
Vertreter  Preußens  am  Münchener  Hofe,  Freiherr  v.  Werthern, 
war  zweifellos  ein  mehr  als  mittelmäßig  begabter,  ungewöhn- 
lich rühriger  Diplomat.  Aber  gerade  seine  Überlegenheit 
und  Aktivität  war  nicht  geeignet,  die  Besorgnisse  des  Königs 
zu  beruhigen.  Im  Gegenteil  erhoben  sich  gegen  ihn  in  Bayern 
so  viele  Anklagen,  daß  sich  selbst  Bismarck  eine  Zeitlang 
mit  dem  Gedanken  beschäftigte,  ihn  abzuberufen. 

Der  Zwiespalt  der  Seele  des  Königs  wurde  auch  genährt 
durch  das  Verhalten  mancher  nationaler  Kreise  im  Süden 
wie  im  Norden.  Je  geflissentlicher  sich  der  König  von  den 
nationalen  Feiern  in  München  fernehielt,  desto  mehr  nahmen 

^)  Bericht  Wertherns  vom   12.  Mai  1871   a.  a.  O. 


207 

sie  gerade  hier  nach  den  Berichten  des  preußischen  Gesandten 
einen  „unnötig  ungeduldigen  und  gegenüber  dem  König 
oppositionellen  Charakter",  an,  was  Ludwig  II,  nach  der- 
selben Quelle  zu  Äußerungen  reizte,  wie:  er  werde  jetzt  be- 
jubelt, weil  er  durch  die  Versailler  Verträge  einen  Teil  seiner 
Hoheitsrechte  verloren  habe;  er  wisse  nicht,  wie  er  zu  diesen 
Verträgen  gekommen  sei.^)  Was  der  König  auf  dem  Weg 
über  die  bayerische  Gesandtschaft  in  Berlin  von  Äußerungen 
der  nationalen  Presse  des  Nordens  zu  lesen  bekam,  war  noch 
weniger  geeignet,  seine  Besorgnisse  zu  beschwichtigen:  das 
durch  die  Versailler  Verträge  Erreichte  sei  nur  etwas  Unvoll- 
kommenes, nur  eine  Station  auf  dem  Wege  zum  Einheits- 
staaten) Man  bekommt  geradezu  den  Eindruck,  daß  der 
bayerische  Geschäftsträger  mit  seiner  Berichterstattung  auf  den 
Argwohn  des  Königs  spekulierte,  namentlich  wenn  er  hinzu- 
fügte :  es  werde  eine  feierliche  Kaiserkrönung  geplant,  sei  es 
mit  der  alten  Kaiserkrone  Karls  des  Großen,  die  man  sich 
vielleicht  von  der  Gefälligkeit  des  Grafen  Beust  erbitten 
werde,  sei  es  mit  einer  neuen  Kaiserkrone  in  Form  eines  ge- 
krönten Helms. 

Der  tiefste  Grund  für  das  Verhalten  des  Königs  aber  lag 
in  seinem  Geisteszustände.  Mag  es  anfangs  nur  eine  latente 
Anlage  gewesen  sein,  es  zeigten  sich  sehr  bald  und  immer 
deutlicher  die  Symptome  der  Geisteskrankheit.  Dieses  Leiden 
ist  unter  dem  Einflüsse  der  politischen  Aufregungen,  aber 
auch  seines  künstlerischen  und  künstlichen  Traumlebens 
und  seiner  Abschließung  von  der  Außenwelt,  die  ihm 
einerseits  die  Wohltat  der  eigenen  wie  der  fremden  Kon- 
trolle entzog,  die  anderseits  sein  Mißtrauen  nährte,  mit 
jedem  Jahre  gewachsen.  Ein  persönliches  Zusammentreffen, 
eine  persönliche  Aussprache  mit  dem  Preußenkönig  hätte 
vielleicht  manches  Mißtrauen  überwinden  können;  vor 
drei  Jahren  war  der  König  tatsächlich  von  einer  Begegnung 
mit  König  Wilhelm  in  Augsburg  in  auffälhg  gehobener  Stim- 
mung zurückgekehrt.  Aber  diesem  Zusammentreffen,  dieser 
Aussprache  ging  jetzt  Ludwig  grundsätzlich  aus  dem  Wege. 
Das  Mißtrauen  saß  ihm  schon  zu  tief  in  der  Brust.  In  seiner 
Einsamkeit  aber  ,, konstruierte  er  sich",  um  wieder  mit  Frei- 
herrn   V.  Werthern    zu  sprechen,    ,, Phantome".     ,,Sein  Reich 

war  nicht  von  dieser  Welt." 

* 


^)  Bericht  Wertherns  vom  i.  Februar  1871. 

2)   Bericht  Perglas'  vom  21.  Januar  1871,   M,  St.  A. 


208 

Je  kränker  der  König  war,  desto  schwieriger,  aber  auch 
desto  verdienstvoller  war  das  Wirken  der  amtlichen  und  ver- 
antwortlichen Ratgeber  des  Königs  in  diesen  Jahren:  voran 
des  Grafen  Otto  v.  Bray- Steinburg,  aber  auch  der  Minister 
Lutz  und  Pranckh.  Dieses  Wirken  ist  damals  wie  später 
nicht  immer  gebührend  gewürdigt  worden.  Nicht  geringe 
Verdienste  haben  sich  um  Bayern  und  Deutschland  auch 
einige  Mitglieder  der  nächsten  Umgebung  des  Königs  er- 
worben, mit  denen  Bismarck  durch  Vermittlung  seines  Mün- 
chener Gesandten  in  steter  Fühlung  stand:  Kabinettsekretär 
Eisenhart,  Hofsekretär  Düf flipp  und  nicht  zuletzt  der  Ober- 
stallmeister Graf  Holnstein,  der  schon  auf  die  Haltung  des 
Königs  bei  Kriegsausbruch  einen  wesentlichen  Einfluß  geübt 
hatte.  ,,Es  gibt  hier  niemand,"  schrieb  der  preußische  Ge- 
sandte im  kritischsten  Augenblicke  der  Kaiserfrage,  ,,der, 
wie  er,  mit  genauester  Kenntnis  der  Eigentümlichkeiten 
der  maßgebenden  Personen  einen  guten  Willen  und  die  Energie 
verbindet,  auf  eine  befriedigende  Lösung  der  Komplikationen 
des  gegenwärtigen  Moments  hinzuwirken."  Die  Bedeutung 
des  Adjutanten  Major  Sauer  dagegen  dürfte  überschätzt 
worden  sein. 

Das  Größte  hat  aber  auch  hier  Otto  v.  Bismarck  ge- 
leistet. Hinter  und  über  all  den  geschilderten  Aktionen  stand 
die  Riesengestalt  des  großen  Kanzlers.  Nicht  die  letzte  und 
nicht  die  geringste  von  seinen  weltgeschichtlichen  Leistungen 
war  das  Vertrauensverhältnis,  das  er  zum  Könige  von  Bayern 
und  zu  immer  weiteren  Kreisen  des  bayerischen  Volkes  herzu- 
stellen verstand. 

Bismarcks  unitaristische  Gegner  sahen  darin  allerdings 
nur  ein  verderbliches,  des  preußischen  Staates  unwürdiges 
,, systematisches  Kokettieren  mit  Bayern",  eine  ,, raffinierte 
Tendenz,  den  Schneekönig  von  Hohenschwangau  mit  Huldi- 
gungen zu  überschütten".^)  Bismarck  selbst  hat  in  den  Tagen 
der  Reichsgründung  wiederholt  geäußert:  er  wisse  wohl, 
daß  ihm  seine  Zugeständnisse  an  Bayern  mißdeutet  würden. 
Aber  es  sei  ihm  darauf  angekommen,  daß  Bayern  freiwillig, 
ohne  das  Gefühl  einer  Vergewaltigung  oder  auch  nur  der 
Ausnützung  einer  Zwangslage,  vielmehr  mit  dem  Bewußtsein 
einer  seiner  Größe  und  seiner  historischen  Vergangenheit 
entsprechenden  Stellung  in  das  Reich  eintrete,  weil  nur 
Reichsfreudigkeit   den   dauernden   Bestand  des   Reiches   ver- 

^)  Hermann  Baumgarten  an  Duncker,  8.  Dezember  1870,  in:  Dunckers 
pol.   Briefwechsel,    S.  461  f. 


209 

bürge.  Wie  er  im  Jahre  1866  einem  Frieden  mit  Bayern  wider- 
sprach, der  eine  dauernde  Verstimmung  des  bayerischen 
Selbstgefühls  um  eines  belanglosen  Landgewinnes  willen  ge- 
bracht hätte,  so  wies  er  im  Jahre  1870  Versuche  zu  einer  Ver- 
gewaltigung Bayerns  zurück  und  vermied  selbst  einen  wider- 
willigen Eintritt  Bayerns  in  das  Reich  —  immer  in  der  weisen 
Erkenntnis,  daß  völkische  Einigkeit  noch  wichtiger  sei  als 
staatliche  Einheit,  daß  Treue  nicht  aus  Zwang,  sondern  aus 
Freiheit  komme.  An  einem  zufriedenen  Bayern  lag  ihm, 
um  mit  seinen  eigenen  Worten  zu  sprechen,  mehr  als  an 
„hundert  der  schönsten  Paragraphen".  ,,Ew.  Majestät" 
schrieb  er  am  24.  Dezember  1870  an  den  König  von  Bayern, 
„setzen  mit  Recht  voraus,  daß  auch  ich  von  der  Zentralisation 
kein  Heil  erwarte,  sondern  gerade  in  der  Erhaltung  der  Rechte, 
welche  die  Bundesverfassung  den  einzelnen  Gliedern  des 
Bundes  sichert,  die  dem  deutschen  Geist  entsprechende 
Form  der  Entwicklung  und  zugleich  die  sicherste  Bürgschaft 
gegen  die  Gefahren  erblicke,  welchen  Recht  und  Ordnung  in 
der  freien  Bewegung  des  heutigen  politischen  Lebens  ausgesetzt 
sein  können."^) 

Auch  in  der  Folge  hat  Bismarck  die  föderativen  Grund- 
lagen des  Reiches  sorgsam  gewahrt,  die  Besonderheit  und  die 
Freiwilligkeit  behutsam  gepflegt.  Er  hat  in  der  umfassenden 
Korrespondenz  mit  König  Ludwig  IL  aus  den  siebziger  und 
den  achtziger  Jahren  den  Föderalismus  immer  wieder  als 
Pflicht  der  historischen  Gerechtigkeit,  als  Forderung  der 
politischen  Nützlichkeit  und  Notwendigkeit,  als  starkes  Boll- 
werk gegen  Angriffe  revolutionärer  Elemente  bezeichnet, 
die  auf  dem  Boden  einer  unitarischen  Verfassung  viel  schwerer 
abgewehrt    werden    könnten. 

,,Ich  bin  beglückt",  schrieb  er  in  den  siebziger  Jahren  an 
Ludwig  IL,  ,, durch  das  Vertrauen,  welches  Ew.  Majestät 
mir  aussprechen,  und  werde  stets  bestrebt  sein  dasselbe  zu 
verdienen;  aber  auch  unabhängig  von  persönlichen  Bürg- 
schaften dürfen  Ew.  Majestät  auf  diejenigen  (Bürgschaften) 
rechnen,  welche  in  der  Reichsverfassung  selbst  liegen.  Letztere 
beruhen  auf  der  föderativen  Grundlage,  welche  sie  durch  die 
Bundesverträge  erhalten  haben,  und  können  nicht  ohne 
Vertragsbruch  verletzt  werden.  Darin  unterscheidet  sich  die 
Reichsverfassung  von  jeder  Landesverfassung.  Die  Rechte 
Ew.  Majestät  bilden  einen  unlöslichen  Teil  der  Reichsverfassung 
und  beruhen  daher  auf  denselben  sicheren  Rechtsgrundlagen 

1)  M.  H.  A. 

Doeberl,  Bayern  und  die  Bismarckische  Reichsgründung.  14 


210 

wie  alle  Institutionen  des  Reiches.  Deutschland  hat  gegen- 
wärtig in  der  Institution  seines  Bundesrates  und  Bayern  in 
seiner  würdigen  und  einsichtigen  Vertretung  im  Bundesrat 
eine  feste  Bürgschaft  gegen  jede  Unitarisierung  oder  Über- 
treibung der  einheitlichen  Bestrebungen.  Ew.  Majestät  wer- 
den auf  die  Sicherheit  des  vertragsmäßigen  Verfassungs- 
rechtes auch  dann  volles  Vertrauen  setzen  können,  wenn  ich 
nicht  mehr  die  Ehre  habe  dem  Reich  als  Kanzler  zu  dienen."^) 
In  einem  Schreiben  vom  29.  Juni  1877  erklärte  sich  Bismarck 
gegen  die  Institution  verantwortlicher  Reichsminister  — 
„nicht  um  alleiniger  Minister  zu  bleiben,  sondern  um  die  ver- 
fassungsmäßigen Rechte  des  Bundesrates  und  seiner  hohen 
Vollmachtgeber  zu  wahren".  ,,Nur  auf  Kosten  der  letzteren 
könnten  die  erstrebten  Reichsministerien  geschäftlich  dotiert 
werden.  Und  damit  würde  ein  Weg  in  der  Richtung  der 
Zentralisierung  eingeschlagen,  in  der  wir  das  Heil  der  deutschen 
Zukunft,  wie  ich  glaube,  vergebens  suchen  würden."  Be- 
sonders charakteristisch  ist  ein  Schreiben  Bismarcks  an  den 
König  aus  den  letzten  Jahren,  vom  3.  April  1885:  ,,Das  huld- 
reiche Schreiben,  mit  welchem  Ew.  Majestät  mich  unter  dem 
29.  März  beehrt  haben,  gibt  mir  einen  neuen  Anlaß,  dem 
Gefühle  ehrfurchtsvoller  Dankbarkeit  Ausdruck  zu  geben, 
mit  welcher  ich  auf  die  Jahre  zurückblicke,  während  deren 
Ew.  Majestät  Gnade  eine  starke  und  unwandelbare  Stütze 
bei  der  Erfüllung  meines  Berufes  gewesen  ist.  Die  nationalen 
Erfolge,  denen  ich  in  den  jüngsten  Tagen  die  ehrenvolle  An- 
erkennung der  verbündeten  Fürsten  und  einer  großen  Zahl 
ihrer  Untertanen  verdanke,  wären  unerreichbar  geblieben 
ohne  den  mächtigen  Beistand  Ew.  Majestät.  Die  Erfahrungen 
von  zwei  Jahrzehnten  haben  gezeigt,  daß  die  Einigkeit  und 
die  auf  ihr  beruhende  defensive  Stärke  Deutschlands  mehr  von 
seinen  Dynastien  als  von  seinen  Parlamenten  zu  erwarten  hat ; 
in  dieser  Wahrnehmung  allein  schon  liegt  der  Beweis  dafür, 
daß  das  föderative  Prinzip,  in  dessen  Betätigung  Ew.  Majestät 
die  bestehenden  Einrichtungen  sanktioniert  haben,  nicht  nur 
der  historischen  Gerechtigkeit,  sondern  auch  der  politischen 
Nützlichkeit  entspricht.  Ich  darf  alleruntertänigst  versichern, 
daß  ich  an  demselben  für  alle  Zukunft  ebenso  festhalten 
werde  wie  an  der  dankbaren  Anhänglichkeit  für  Ew.  Majestät."-) 
Versuchen  des  Reichstages,  ,,sich  als  unitaristischen 
Konvent  aufzuspielen,"  trat  Bismarck  mit  der  größten  Schärfe 

1)  M.  H.  A. 

2)  M.  H.  A. 


211 

entgegen,  wie  er  anderseits  auch  demokratische  Anschläge 
auf  das  Gefüge  des  preußischen  Staates  mit  der  ganzen  Wucht 
seiner  kraftvollen  Persönlichkeit  niederrang. 

Mit  dieser  föderativen  Politik  hat  Bismarck  zwischen 
dem  Nationalstaat  und  den  Einzelstaaten  eine  solche  Inter- 
essengemeinschaft geschaffen,  daß  nicht  der  Reichstag,  viel- 
mehr ganz  im  Sinne  der  ursprünglichen  Absichten  Bismarcks 
die  im  Bundesrate  vertretenen  Regierungen  die  Stützen  des 
neuen  Reiches  wurden,  dieselben  territorialen  Gewalten,  die 
das  alte  Reich  gesprengt,  die  eben  noch  mit  der  preußischen 
Vormacht  um  Sein  oder  Nichtsein  gerungen  hatten. 

Mit  dieser  weisen  Selbstbescheidung,  mit  dieser  organischen 
Staatsauffassung  hat  Bismarck  —  und  das  war  das  Meister- 
stück seiner  Diplomatie,  einer  seiner  schönsten  Erfolge  — • 
gerade  den  Fürsten,  der  sich  persönlichen  Werbungen  am 
wenigsten  öffnete,  und  den  Staat,  der  sich  am  längsten  und 
zähesten  gegen  den  kleindeutschen  Bundesstaat  unter  preußi- 
scher Führung  gesperrt  hatte,  zu  Trägern  zugleich  und  zu 
Bürgen  der  deutschen  Einheit  gewonnen.  Ein  lebendiges 
Zeugnis  ist  das  ungewöhnlich  warme  Vertrauensverhältnis 
zwischen  dem  jugendlichen  König  Ludwig  IL  und  dem  eisernen 
Kanzler,  wie  es  aus  der  langjährigen  Korrespondenz  i)  zwischen 
diesen  ungleichen  Charakteren  ganz  eigenartig  hervorleuchtet. 

König  Ludwig  IL  hatte,  wie  einer  seiner  Kabinett- 
sekretäre richtig  bemerkte,  eigentlich  nur  zwei  Menschen, 
denen  er  bis  an  sein  Lebensende  aufrichtig,  herzlich  und  ohne 
Schwanken  zugetan  war:  eine  Frau  und  einen  Mann.  Die  Frau 
war  seine  Kusine,  die  Kaiserin  Elisabeth  von  Österreich, 
und  der  Mann  hieß  Bismarck.  ,,Den  kannte  er,  den  bewunderte 
er,  auf  den  verließ  er  sich.  Konnte  ich  ihm  einen  Brief  des 
Reichskanzlers  überreichen,  in  dem  er  dem  Könige  die  Fort- 
setzung der  deutschen  Politik  auf  föderativer  Grundlage 
zusicherte,  so  hatte  ich  eine  gute,  sonnige  Stunde,  in  der  ich 
manches  erreichte,  was  sonst  unmöglich  gewesen  wäre.  Er 
erschien  dann  frisch,  verjüngt,  wie  von  einem  Alp  befreit."  2) 
,,Es  drängt  mich,"  schrieb  der  König  am  6.  Juli  1877  an  den 
Kanzler,  ,,es  drängt  mich,  Ihnen,  mein  lieber  Fürst,  zu  sagen, 
mit  welcher  Besorgnis  mich  vor  einiger  Zeit  die  Nachricht  von 
der  Möglichkeit  Ihres  Rücktritts  erfüllte.  Je  größer  meine 
persönliche  Verehrung  für  Sie  und  mein  Vertrauen  zur  födera- 
tiven  Grundlage  Ihres  staatsmännischen  Wirkens  ist,   desto 

1)  M.  H.  A. 

*)  Felix  Philippi,  Münchener  Bilderbogen,   S.  53  ff. 

14* 


212 

schmerzlicher  hätte  ich  ein  solches  Ereignis  für  mich  und  mein 
Vaterland  empfunden.  Zu  meiner  wahren  Freude  ist  es 
nicht  eingetreten  und  ich  wünsche  dem  Reiche  von  Herzen, 
daß  Ihre  Weisheit  und  Tatkraft  dem  Reich  und  dem  reichs- 
treuen Bayern  noch  lange  nicht  fehlen  möge.  In  Ihrer  Stellung 
zur  immer  wieder  auftauchenden  Frage  verantwortlicher 
Reichsministerien  erscheinen  Sie  als  der  starke  Hort  der 
Rechte  der  Bundesfürsten  und  mit  wahrhafter  Beruhigung 
nehme  ich  von  Ihnen  das  Wort  entgegen,  daß  das  Heil  der 
deutschen  Zukunft  nicht  in  der  Zentralisation  zu  suchen  ist, 
welche  mit  der  Schaffung  solcher  Ministerien  eintreten  würde. 
Seien  Sie  überzeugt,  daß  ich  es  an  ^nichts  fehlen  lassen  werde, 
um  Ihnen  im  Kampfe  für  die  Aufrechterhaltung  der  Grund- 
lagen der  Reichsverfassung  die  offene  und  vollste  Unter- 
stützung meiner  Vertreter  im  Bundesrate  für  die  Zukunft  zu 
sichern." 

Und  der  Kanzler  ?  Er  berichtet  dem  Könige  von  seiner 
Arbeit  am  Dienste  des  Reiches,  von  seinen  Beziehungen  zu 
Rußland,  zu  Österreich,  zur  Kurie,  von  seinen  Erfolgen ,  aber 
auch  von  seinen  Sorgen  und  Konflikten.  Auch  die  Fürstin 
greift  einmal  zur  Feder,  um  in  rührenden  Worten  zu  danken 
für  die  königliche  Huld  und  die  feinfühlige  Sorge,  die  sie  und 
ihren  Gemahl  Jahr  für  Jahr  während  ihres  Kissinger  Bade- 
aufenthaltes betreuen. 

Das  Vertrauen  des  Königs  zu  Bismarck  war  so  uner- 
schütterlich, daß  Ludwig  IL  noch  in  den  letzten  Tagen  vor 
der  Königskatastrophe  seinen  Rat  und  seine  Hilfe  anrief. 

Unter  der  Regierung  Ludwigs  IL  und  seiner  beiden 
Nachfolger  ist  Bayern  geradezu  zu  einem  der  Eckpfeiler  des 
nationalen  Staates  hinaufgewachsen,  zu  dem  vertrauensvoll 
die  emporblickten,  die  ehedem  an  seiner  nationalen  Trag- 
kraft gezweifelt  hatten.  Reich  und  Nation  sind  in  das  Innerste 
des  bayerischen  Volkes  hineingewachsen. 

Hatte  vor  dem  Kriege  des  Jahres  1870  die  Heeresreform 
noch  zu  kurz  eingesetzt,  um  die  bayerische  Armee  wirklich 
völlig  gleichwertig  der  preußischen  erscheinen  zu  lassen,  fehlte 
damals  der  Mannschaft  bei  aller  Tapferkeit  die  straffe  Disziplin 
des  preußischen  Heeres,  fehlte  den  meisten  Offizieren  der 
Lehrgang  der  Akademie,  der  wissenschaftliche  Charakter, 
fehlten  den  bayerischen  Truppenführern  die  Erfahrungen  auf 
den  alljährlichen  Reisen  des  Großen  Generalstabs:  so  hatte 
inzwischen,  schon  seit  den  achtziger  Jahren,  die  bayerische 
Armee  die  volle  Ebenbürtigkeit  erlangt  und  hat  sie  im  Weit- 


213 

kriege  glänzend  bewährt  —  trotz  oder  vielleicht  gerade  wegen 
des  föderalistischen  Prinzips.  Wie  freudig  ist  der  Bayer,  der 
Altbayer  wie  der  Neubayer,  in  den  Weltkrieg  gezogen!  Wo 
stand  ein  Regiment  in  deutschen  Landen,  das  mit  höheren 
vaterländischen  Idealen  in  den  Tod  ging  als  das  Regiment 
,,List"  ?  Was  hat  allein  der  Klerus  aller  Konfessionen  an 
nationaler  Aufklärungsarbeit  während  des  Weltkrieges  ge- 
leistet, auch  der  katholische  Klerus,  der  unter  dem  Ein- 
fluß der  kirchenpolitischen  Kämpfe  noch  in  den  siebziger 
Jahren  argwöhnisch  beiseite  gestanden  ?  Gerade  während 
des  Weltkrieges  wurde  von  der  deutschen  Reichsregierung 
ausdrücklich  anerkannt,  daß  sich  die  föderative  Reichs- 
verfassung aufs  neue  glänzend  bewährt  habe,  daß  sie  den 
Bedürfnissen  und  Verhältnissen  Deutschlands  auf  den  Leib 
geschnitten  und  deshalb  sorgsam  zu  pflegen  und  vor  unitaristi- 
scher  Verkümmerung  zu  behüten  sei.  Es  war  erst  der  revolu- 
tionären Legende  vorbehalten,  auch  dieses  Ruhmesblatt  des 
alten  Bayern  zu  zerpflücken  und  den  letzten  wittelsbachischen 
König  desselben  Verbrechens  zu  beschuldigen,  mit  dem  die 
Totengräber  des  agilolfingischen  Herzogtums  den  letzten 
Agilolfinger  belastet  hatten.  In  Wahrheit  konnte  König 
Ludwig  am  Schlüsse  des  Weltkrieges  von  sich  und  seinem 
Volke  sagen:  ,,reipublice  inserviendo  consumor".  Sie  hatten 
sich  im  Dienste  des  Kaisers  und  des  Reiches  verzehrt. 

Mit  der  steigenden  politischen  Erkenntnis,  aber  auch  mit 
dem  politischen,  wirtschaftlichen  und  seelischen  Hineinwachsen 
Bayerns  in  die  nationale  Arbeitsgemeinschaft,  in  die  er- 
weiterte, große  und  starke  Welt  des  Bismarckischen  Reiches 
hat  diese  Wendung  der  deutschen  und  der  bayerischen  Politik 
in  dem  persönlichen  Verhältnisse  des  bayerischen  Volkes  zu 
Bismarck  symbolischen  Ausdruck  gefunden :  Otto  v.  Bismarck, 
dem  Bayern  ehedem  ,,der  böse  Dämon  des  deutschen  Volkes", 
die  Inkarnation  harter,  ausschließlich  preußischer  Macht- 
politik, wandelte  sich  in  den  Augen  des  bayerischen  Volkes 
zum  eisernen  Roland,  der  über  dem  Ansehen  des  deut- 
schen Namens  in  der  Welt,  aber  auch  über  dem  föderalisti- 
schen Charakter  der  Reichs  Verfassung  wacht. 

Unter  dem  Einflüsse  der  Weimarer  Verhandlungen,  die 
auch  dem  bescheidensten  Mann  aus  dem  Volke  zum  greifbaren 
Bewußtsein  brachten,  daß  von  den  Parteien  eine  ungleich 
größere  Gefahr  für  den  gesunden  Föderalismus  drohe  als 
ehedem  von  den  Regierungen  und  den  Dynastien,  ist  das  Bild 
des  großen  Kanzlers  in  der  Seele  des  bayerischen  Volkes  ge- 


214 

wachsen.  Heute  ist  Bayern,  und  zwar  nicht  bloß  die  etwas 
anspruchsvolle  Kapitale,  sondern  auch  die  weniger  geräusch- 
volle Provinz  ein  Sammelbecken  des  Bismarckischen  Reichs- 
gedankens. Auch  das  ist  eine  Auswirkung  der  Bismarckischen 
Reichsgründung,  eine  der  wunderbarsten  und  doch  zugeich 
folgerichtigsten. 

Was  jüngst  einer  der  verständigsten  und  sachlichsten 
Historiker  Englands,  Gooch,  in  seinem  Buche  ,,Germany" 
von  Deutschland  und  dem  deutschen  Volke  schrieb,  das  gilt 
auch  von  Bayern  und  dem  bayerischen  Volke:  ,,Die  Einheit 
des  Reiches  steht  fest  gegen  innere  und  äußere  Feinde." 
,,Der  Oberbau  des  Bismarckischen  Gebäudes  ist  eingestürzt, 
aber  sein  Fundament  hat  den  Sturm  überstanden.  Der  heutige 
Partikularismus  will  Verschiedenheit,  aber  nicht  Auseinander- 
gehen, Einheit  in  Mannigfaltigkeit,  nicht  nationalen  Selbst- 
mord." 

Was  dem  deutschen  Volke  die  Erfahrungen  der  letzten 
Jahre  mit  äußeren  wie  mit  inneren  Mächten  mehr  oder  minder 
deutlich  zum  Bewußtsein  brachten,  dem  hat  der  Engländer 
treffenden  Ausdruck  gegeben:  Die  unvergleichliche,  wahrhaft 
staatsmännische  Größe  Bismarcks  offenbarte  sich  in  seinen 
diplomatischen  Erfolgen  nicht  mehr  als  in  der  weisen  Mäßigung, 
mit  der  er  diese  gebrauchte.  In  der  Zeit  der  Reichsgründung 
hat  er  diese  Mäßigung  gegenüber  Frankreich  wie  gegenüber 
Bayern  bewiesen.  Es  war  ganz  im  Geiste  Bismarcks  gedacht, 
wenn  am  23.  November,  dem  Tage  der  Unterzeichnung  der 
bayerischen  Verträge,  der  sonst  sehr  aktivistische  preußische 
Gesandte  v.  Werthern  an  den  nationalliberalen  Führer 
v,  Bennigsen  schrieb:  ,, Berliner  Maßstab,  angelegt  auf  Bayern, 
führt  allemal  zu  falschem  Resultat." 


BEILAGEN 


I. 

Zur  Haltung  Bayerns  bei  Ausbruch  des 
Deutsdi^französiscfien  Krieges. 

I.  Wien  1870  Juli  7  (präsentiert  8.).  Graf  v.  Fugger  an  den  König 

von  Bayern. 

(Original.) 

In  den  jüngst  verflossenen  Monaten  hat  die  Frage  der  Neu- 
gestaltung der  inneren  Verhältnisse  Cisleithaniens  fast  ausschließ- 
lich das  hiesige  Kabinet  beschäftigt.  In  der  äußeren  Politik  hin- 
gegen war  —  die  Verhandlungen  des  Konzils  ausgenommen  • — 
keine  Frage  aufgetaucht,  die  das  allgemeine  Interesse  in  Anspruch 
genommen. 

Es  hat  daher  die  Nachricht  von  der  Kandidatur  des  Prinzen 
Leopold  von  Hohenzollern  auf  den  spanischen  Königsthron  auch 
hier  nicht  nur  auf  der  Börse  Aufregung  verursacht  und  dem  Steigen 
der  Kurse  Einhalt  gethan,  sondern  auch  in  politischen  Kreisen 
große  Sensation  gemacht. 

Ich  hatte  nun  gestern  Gelegenheit,  den  Herrn  Reichskanzler 
vor  seiner  Abreise,  die  nächsten  Sonntag  oder  Montag  erfolgen 
wird,  zu  sehen,  und  ermangelte  nicht,  das  Gespräch  auf  diese 
Thronkandidatur  zu  lenken. 

Graf  Beust  ging  bereitwilligst  auf  eine  Besprechung  hierüber 
ein  und  gab  mir  seine  Ansicht  bezüglich  dieser  Frage  dahin  kund, 
daß  er  glaube,  daß  das  Projekt,  den  Prinzen  Hohenzollern  auf 
den  spanischen  Königsthron  zu  erheben,  aufgegeben  werden  müsse, 
da  es  den  Intentionen  des  Tuilerien-Kabinetts  nicht  entspreche 
und  Letzteres  die  Angelegenheit  sehr  ernst  nehme.  Zugleich  theilte 
mir  der  Reichskanzler  mit,  daß  ihm  soeben  der  spanische  Gesandte 
Herr  del  Mazo  im  Auftrage  seiner  Regierung  die  Eröffnung  gemacht 
habe,  daß  die  Thronbesteigung  des  Prinzen  Leopold  nicht  ohne 
vorhergehende  Genehmigung  der  Cortes  vollzogen  werde. 

In  dieser  Mittheilung  erblickte  Graf  Beust  bereits  eine  ,,recu- 
lade"  der  spanischen  Machthaber  und  den  ersten  Schritt,  von  der 
gefaßten  Idee  ganz  abzustehen. 

Die  aus  Berlin  hier  eingetroffenen  Nachrichten  über  die  Frage 
der  spanischen  Thronkandidatur  gehen  dahin,  daß  man  dort  voll- 
ständig in  Abrede  steUe,  von  preußischer  Seite  irgend  einen  Ein- 
fluß ausgeübt  zu  haben. 

Der  Reichskanzler  fügte  die  Bemerkung  bei,  daß  er  den  Grafen 
Bismarck  in  dieser  Sache  nicht  begreife,  indem,  wenn  die  Kandi- 


218 

datur  zu  keinem  Resultate  führe,  wie  es  bei  der  ernsten  Haltung 
Frankreichs  den  Anschein  habe,  es  für  den  Grafen  Bismarck  eine 
,,blamage"  sei,  während  das  Gelingen  des  Projektes  einen  Krieg 
mit  Frankreich  hervorrufen  könne,  der  für  Preußen  unter  ungün- 
stigen Verhältnissen  zu  führen  wäre,  da  besonders  Süddeutschland 
sich  nicht  erwärmen  werde,  für  einen  Hohenzollern  die  spanische 
Königs  kröne  zu  erwerben. 

Die  freundschaftliche  Aufnahme,  welche  Erzherzog  Albrecht 
von  Seite  des  Kaisers  von  Rußland  in  Warschau  gefunden,  und  die 
Auszeichnung,  die  dem  österreichischen  Prinzen  durch  die  Ver- 
leihung des  Großkreuzes  des  St.  Georgs-Ordens  geworden  ist, 
haben  hier  den  besten  Eindruck  gemacht,  und  es  ist  daraus  zu 
entnehmen,  daß  die  Beziehungen  zwischen  Rußland  und  Österreich 
in  ein  günstigeres  Verhältniß  getreten  sind.  M.st.A. 

2.  Paris  1870  Juli  7  (präsentiert  9.).   Gesandter  Graf  v.  Quadt 
an  den  König  von  Bayern. 

(Original.) 

Die  kategorische  Erklärung  des  Duc  de  Gramont,  ein  ent- 
schiedenes Veto  gegen  die  spanische  Throncandidatur  des  Prinzen 
Hohenzollern,  hat  einen  außerordentlich  enthusiastischen  Beifall 
im  Corps  legislatif  hervorgerufen.  Gramont  überbot  noch  in  schar- 
fen Ausdrücken  die  Protestation  des  Constitutionnel.  An  der  Börse 
erfolgte  eine  baisse  von  i  fr.  40  cts.  Der  allgemeine  Eindruck  ist, 
daß  seit  1859  ^^^  erstenmale  wieder  das  französische  Machtbewußt- 
sein zum  Ausdrucke  gekommen.  Aus  der  im  heutigen  Journal 
officiel  veröffentlichten  Erklärung  des  Duc  de  Gramont  hebe  ich 
den  Passus  hervor: 

,,Nous  ne  saurions  nous  resigner  ä  souffrir  tranquillement 
qu'une  puissance  etrangere  vienne  par  un  de  ses  princes  s'asseoir 
sur  le  trone  de  Charles  Quint  pour  deranger  l'equilibre  actuel  des 
forces  en  Europe  et  mettre  en  peril  les  interets  et  l'honneur  de  la 
France.  Cette  eventualite  ne  se  realisera  pas  et  nous  comptons  sur 
la  sagesse  du  peuple  Allemand  et  la  fiere  amitie  du  peuple  Espagnol." 

Diese  geflissentliche  Rücksichtslosigkeit  gegen  das  Berliner 
Cabinet,  welches  man  in  Gegensatz  zum  peuple  Allemand  stellt,  ist 
nicht  darnach  angethan,  um  das  Einlenken  in  Berlin  zu  erleichtern. 
Man  kann  sich  des  Eindrucks  nicht  erwehren,  daß  nunmehr  die 
Französische  Regierung  es  darauf  abgesehen,  mit  Preußen  anzu- 
binden oder  zum  mindesten  letzteres,  falls  es  nachgibt,  eklatant  zu 
demüthigen. 

Im  Corps  legislatif  spiegelte  sich  der  kriegerische  Eindruck  in 
dem  Antrage  des  Herrn  Picard  ab:  ,,Le  premier  devoir  du  Depute 
est  de  ne  pas  laisser  le  Gouvernement  engager  la  France  sans  le 
concours  des  representants  de  la  Nation." 

Herr  Cremieux  beantragte  die  Debatte  des  Budgets  zu  vertagen, 
da  voraussichtlich  dasselbe  durch  die  bevorstehende  kriegerische 
Wendung  der  Dinge  wesentliche  Modifikationen  erleiden  würde. 

Herr  Emile  Ollivier  betonte  die  Friedensliebe  der  kaiserlichen 
Regierung:  ,,Le  Gouvernement  veut  la  paix,  avec  passion  —  le 
meilleur  moyen  de  la  conserver,  c'est  la  declaration  franche  et 
energique  de  sa  politique,  parceque  chaquefois  que  la  France  s'est 


219 

montree  ferme,  on  ne  resiste  pas  ä  ce  que  veut  la  France  sans 
exageration  et  dans  les  limites  de  son  droit."  Im  Gegensatz  zu 
dieser  Version  der  Abendblätter  und  zu  der  abgeschwächten  Version 
im  heutigen  Journal  officiel  constatirt  Herr  Legationsrath  Rud- 
hart,  welcher  der  Sitzung  anwohnte,  daß  Herr  Ollivier  sich  folgen- 
der Ausdrücke  bediente :  ,,Chaquefois  —  l'histoire  nous  le  demontre 
—  que  la  France  s'est  montree  ferme,  l'Europe  a  plie  devant  la 
volonte  de  la  France,  exprimee  sans  exageration  et  dans  les  limites 
de  son  droit." 

Herr  Arago  constatirte  ,,que  le  Ministere  vient  de  faire  deux 
choses  —  nommer  le  Roi  d'Espagne  et  declarer  la  guerre." 

Wenn  auch  bei  diesem  Anlaße  die  Kriegsgefahr  sich  noch  ein- 
mal verziehen  sollte,  was  der  heute  telegraphisch  gemeldete  Artikel 
des  Constitutionnel  in  Aussicht  stellt,  so  ist  man  doch  zur  Annahme 
berechtigt,  daß  fortan  der  Krieg  zwischen  Frankreich  und  Preußen 
näher  wie  je  gerückt  ist  und  der  nächste  beliebige  Incident  dessen 
Ausbruch  herbeiführen  wird.  Die  Gotthardsdebatte,  die  Discussion 
über  das  Militärbudget,  endlich  die  HohenzoUern'sche  Throncan- 
didatur  haben  den  Französischen  Chauvinismus  in  Fluß  gebracht. 

Beifolgender  Artikel  im  ,,Soir"  des  Herrn  EdmondAbout  ,,Les 
Prussiens  en  Espagne"  kennzeichnet  als  Ausdruck  eines  Oppositions- 
blattes die  heutige  Situation;  Die  Pression  der  öffentlichen  Meinung, 
deren  Indifferenz  früher  bei  dem  Belgischen  Eisenbahnconflikt  sich 
nicht  verwerthen  ließ,  ist  endlich  gefunden,  um  die  Kriegsaventüre 
nach  Belieben  zu  spielen.  M.st.A. 

3.  Stuttgart  1870  Juli  12  (präsentiert  13.).  Gesandter v.  Gasser 
an  den  König  von  Bayern. 

(Original.) 

Soeben  verlasse  ich  Freiherrn  von  Varnbüler,  welcher  durch 
Freiherrn  von  Soden  von  der  für  ihn  so  überaus  aufrichtigen  und 
freundschaftlichen  Haltung  Euerer  Königlichen  Majestät  Herrn 
Staatsministers  desÄußern  unterrichtet  und  dankbarst  erfreut,  auch 
seinerseits  mir  erklärt  hat,  keinerlei  Entscheidung  in  der  brennen- 
den Frage  zu  treffen,  ohne  mit  Euerer  Königlichen  Majestät  Regie- 
rung sich  vorher  verständigt  zu  haben.  Außerdem  würde  Freiherr 
von  Varnbüler  alle  ihm  zukommenden  interessanten  Mittheilungen 
sowohl  in  München  als  auch  mir  bekannt  geben.  Ich  dankte  dem 
Minister  herzlichst  für  diese  Zusagen  und  sprach  die  Überzeugung 
aus,  daß,  wenn  der  Krieg  wirklich  nicht  vermieden  werden  könnte, 
die  von  uns  zu  fassenden  Entschlüsse  durch  das  absolute  Zusammen- 
gehen Bayerns  und  Württembergs  um  Vieles  erleichtert  würden. 

Von  Paris  ist  bisher  nur  ein  Telegramm  an  den  französischen 
Gesandten  zur  Kenntnis  des  Freiherrn  von  Varnbüler  gelangt, 
worin  das  französische  Cabinet  auf  die  Präcedenzfälle  in  Belgien, 
Griechenland  und  Neapel  verweist,  um  die  Berechtigung  zu  dem 
Verlangen  auszusprechen,  daß  König  Wilhelm  dem  Prinzen  Leopold 
die  Annahme  der  spanischen  Krone  untersage. 

Der  preußische  Geschäftsträger  hat,  in  Abwesenheit  des  Baron 
Rosenberg,  gestern  dem  Minister  zwei  Telegramme  übersendet,  in 
welchen  eigentlich  blos  das  Vorhandensein  der  Krisis  constatirt 
wird.    Eine  Antwort  darauf  wird  Baron  Varnbüler  nicht    geben; 


220 

für  den  Fall  sie  aber  verlangt  würde,  erwidern,  daß  ihm  die  Anhalts- 
punkte für  Formulirung  einer  Ansicht  bisher  noch  fehlten. 

Auf  die  Sache  selbst  eingehend,  scheint  mir  Baron  Varnbüler 
richtig  zu  urtheilen.  Es  ist  nicht  zu  läugnen,  daß  die  Inthronisation 
des  Prinzen  von  Hohenzollern  in  Madrid  Frankreich  in  eine  unvor- 
theilhaftere  politische  Stellung  bringt;  denn,  wenn  auch  aus  dem 
preußisch-hohenzollerschen  Vertrage  von  1859  ^^^  ^^^  dem  be- 
treffenden preußischen  Gesetze  rechtlich  deducirt  werden  muß,  daß 
Prinz  Leopold  kein  Königlich  Preußischer  Prinz  ist,  so  genügt  in 
Betreff  seiner  künftigen  faktischen  Stellung,  welche  doch  gewiß 
einer  Unterstützung  vom  Auslande  bedürfen  würde,  auf  diejenige 
des  Prinzen  Carl  von  Rumänien  zu  verweisen;  etwa  auch  an  die 
heimliche  Sendung  von  Zündnadelgewehren  zu  erinnern,  welche  als 
Eisenbahn-Bestandtheile  durchgeschmuggelt  werden  sollten,  und 
dergleichen. 

Es  ist  also  ganz  erklärlich,  daß  Frankreich  sein  ganzes  politi- 
sches Gewicht  für  die  Beseitigung  einer  für  die  Zukunft  drohenden 
Gefahr  einsetzt.  Darüber  hätte  es  in  Madrid  und,  da  die  ,, Kreuz- 
zeitung" bereits  zugegeben,  daß  König  Wilhelm  seine  persönliche 
Genehmigung  zur  Annahme  der  Candidatur  gegeben,  in  Berlin 
zu  verhandeln. 

Die  Consequenzen  gingen  primo  loco  nur  diese  drei  Staaten  an, 
und  Süddeutschland  müßte  ganz  unbetheiligt  bleiben. 

Nun  eröffnete  aber  der  Herzog  von  Gramont  und  Herr  Ollivier 
die  Unterhandlungen  in  einer  derart  undiplomatischen  Weise,  daß 
ein  Nachgeben  Preußens  fast  ausgeschlossen  wird  und  man  unwill- 
kührlich  an  einen  parti  pris  von  Seiten  Frankreichs  zu  denken  ge- 
zwungen ist.  Ist  dem  so,  dann  ist  der  Krieg  die  revanche  für  1866 
und  die  spanische  Throncandidatur  blos  der  Vorwand;  die  franzö- 
sische Regierung  verfolgt  alsdann  eine  Entschädigung 
auf  Kosten  Preußens  —  das  heißt  Deutschlands;  in 
demselben  Augenblick  tritt  aber  auch  die  Frage  der 
Verpflichtung    an    Süddeutschland    heran. 

Frankreichs  offiziöse  Zeitungen  erklären  die  Regierung  zu- 
friedengestellt, wenn  Prinz  Leopold  auf  die  Candidatur  verzichtet. 
König  Wilhelm  solle  dem  Prinzen  die  Annahme  verbieten. 

Mir  scheint,  und  Freiherr  von  Varnbüler  glaubt  ebenfalls,  daß, 
da  Prinz  Leopold  kein  preußischer  Prinz  ist,  König  Wilhelm  ihm 
ernstlich  und  aufrichtig  von  der  Annahme  abzurathen  hätte;  dadurch 
aber  den  berechtigten  Forderungen  Frankreichs  auch  vollständig 
genügen  würde.  — 

Es  sind  leider  Symptome  vorhanden,  daß  die  jetzige  Lage 
schon  seit  geraumer  Zeit  vorbereitet  worden  wäre.  So  sagt  mir 
heute  Baron  Varnbüler,  der  württembergische  Geschäftsträger  in 
Carlsruhe  erinnere  ihn  daran,  daß  er  ihm  seinerzeit  von  einer  Äuße- 
rung des  Herrn  von  Freidorf f  vom  i.  Mai  berichtet  hätte,  wonach 
ein  epochemachendes  Ereigniß  im  Anzüge  sei;  und  die  Königin 
Augusta  von  Preußen  soll  bei  ihrer  Abreise  von  Baden-Baden  vor 
14  Tagen  geäußert  haben,  sie  wisse  nicht,  ob  es  ihr  möglich  sein 
werde  im  Herbste  zurückzukehren.  Andrerseits  erhalte  ich  heute 
von  einer  recht  glaubwürdigen  Persönlichkeit  aus  Frankfurt  einige 
strengvertrauliche  Nachrichten,  welche  ich  glaube,  nicht  un- 
erwähnt  lassen   zu  sollen.     Denn  danach  hätte  der  Herzog  von 


221 

Gramont  bezüglich  der  Hohenzollern-Candidatur  offenbar  blos  den 
Überraschten  gespielt;  es  wäre  ein  bloßes  Scheinmanöver,  hinter 
dem  sich  die  eigentlich  viel  tiefer  gehende  und  gefährlichere  Ver- 
bitterung verstecke.  —  Diese  Erbitterung  hieße:  Baden.  — 

Preußen  hätte  nämlich,  natürlich  unter  Connivenz  des  Groß- 
herzogs, Baden  bereits  vollkommen  in  eine  norddeutsche  Militär- 
provinz, das  badische  in  ein  norddeutsches  Armeecorps  verwandelt, 
dessen  Kriegsministerium  nur  die  Befugnis  eines  norddeutschen 
Corpskommandos  besitzt,  während  der  badische  Militärstaat  bis 
in  das  geringste  Detail  von  dem  Berliner  Kriegsministerium  ge- 
leitet wird.  (Modificatis  modificandis  ist  ja  Ähnliches  auch  hier 
in  Stuttgart  seinerzeit  versucht  worden!) 

Da  aber  ein  derartiges  blankes  Vasallenthum  selbst  von  dem 
jetzigen  badischen  Landtage  bestimmt  nicht  gebilligt,  noch  weniger 
aber  die  Mittel  zur  strikten  Ausführung  der  von  dem  Berliner 
Ministerium  geforderten  militärischen  /Anordnungen  und  Ein- 
richtungen in  dem  Großherzogthum  aufzubringen  gewesen  wären, 
so  hätte  sich  Preußen  auch  die  Aiisf ührungen  unter  specieller 
Leitung  seiner  Offiziere  vorbehalten  und  bezahle  direkt  die 
zwischen  dem  höchst  möglich  zu  erreichenden  badischen  Kriegs- 
budget und  dem  wirklichen  \'erbrauch  entfallende  Differenz, 
während  das  badische  Ministerium  dafür  zu  sorgen  hätte,  daß  diese 
Summe  auch  in  der  Abrechnung  nicht   zur  Erscheinung  komme. 

Dieses,  auch  politisch,  qua  Preußen,  ohne  Zustimmung  des 
Bundesrathes  nicht  einzugehende  Verhältniß  mit  Baden  soll  sozu- 
sagen dadurch  entdeckt  worden  sein,  daß  jetzt  eben,  unter  Leitung 
des  preußischen  Genieofficiers  Kutzbach,  die  Hauptwerke  von 
Rastatt  mit  je  einem  eisernen  Drehthurme  (ähnlich,  wie  auf  den 
monitors)  armirt  werden,  von  denen  jeder  zwei  75  Pfünder  führe. 
Sechs  sollen  projektirt,  einer  schon  fertig  sein.  Man  schiene  sich 
in  Paris,  von  wo  aus  natürlich  formell  nichts  dagegen  gethan  werden 
könnte,  die  Belege  dafür  beschafft  zu  haben,  daß  diese  Thürme  auf 
preußische  Anordnung  und  mit  preußischem  Gelde  um  442000  Tha- 
ler hergestellt  werden.  — 

Sollte  die  Hohenzollerische  Candidatur  demnach  nur  ein 
Anfang  des  Anfangs  sein?  M.st.A. 

4.Wieni870  Juli  12  (präsentiert  13.).  Graf  v. Fugger  andenKönig 

von  Bayern. 

(Original.) 

Bei  der  großen  Wichtigkeit  der  plötzlich  aufgetauchten  Tages- 
frage hat  der  Reichskanzler  Graf  Beust  seine  vorgehabte  Abreise 
zum  Gebrauch  der  Badekur  in  Gastein  auf  unbestimmte  Zeit  ver- 
schoben. Zugleich  ist  der  Graf  hiedurch  so  beschäftigt,  daß  er 
leider  nicht  zu  sprechen  und  auch  an  dem  letzten  Empfangstage 
das  diplomatische  Corps  nicht  gesehen  hat. 

So  viel  im  Allgemeinen  über  die  Intentionen  des  hiesigen 
Cabinetes  bezüglich  seiner  Stellung  dem  französisch-preußischen 
Konflikt  gegenüber  bekannt  wurde,  wird  die  Haltung  Österreichs 
die  einer  abwartenden  Neutralität  sein.  Daß  seine  Bemühungen, 
den  Frieden  zu  erhalten,  nach  beiden  Seiten  gerichtet  werden,  ist 
umso  gewisser,  als  bei  den  unfertigen  inneren  \'erfassungsverhält- 


222 

nissen  Österreichs  jede  äußere  politische  Verwicklung  die  nach- 
theiligsten politischen  Folgen  mit  sich  brächte. 

Es  hat  auch  der  drohende  Ausbruch  eines  Krieges  wegen  der 
Thronkandidatur  des  Prinzen  von  Hohenzollern  gestern  eine 
deroute  auf  der  Börse  verursacht,  wie  sie  selbst  in  den  verflossenen 
Kriegsjahren  1859  ^^'^  1S66  nicht  vorkam.  Diese  panique  wurde 
besonders  durch  die  in  einem  Morgenblatte  enthaltene  Meldung 
bewirkt,  im  Ministerium  des  Äußern  sei  auf  amtlichem  Wege  die 
Nachricht  eingetroffen,  daß  König  Wilhelm  von  Ems  aus  eine 
schroffe  Erwiederung  an  Kaiser  Napoleon  abgeschickt  und  der 
spanische  Botschafter  in  Paris  von  seinem  Hotel  die  nationale 
Flagge  entfernt  habe. 

Diese  beiden  Nachrichten  wurden  in  der  gestrigen  ,, Wiener 
Abendpost"  dementirt,  und  Vorsicht  in  der  Aufnahme  aller  Privat- 
nachrichten bezüglich  der  Tagesfrage  anempfohlen. 

Sowohl  in  diplomatischen  Kreisen  als  im  großen  Publikum  ist 
man  hier  der  Ansicht,  daß  das  Kabinet  der  Tuilerien  die  Thron- 
besetzung Spaniens  durch  einen  Prinzen  aus  dem  Hohenzollern- 
schen  Hause  benützen  wolle,  um  mit  Preußen  den  großen  Kampf  zu 
beginnen,  und  es  ist  auch  schwer,  sich  das  Auftreten  des  Herzogs 
von  Gramont  in  der  spanischen  Frage,  gegenüber  der  französischen 
Kammer,  zu  erklären,  wenn  nicht  die  Absicht  bestünde,  einen 
Konflikt  herbeizuführen.  M.st.A. 

5.  Paris  1870  Juli  12.     Graf  v.  Quadt  an  den  Grafen  v.  Bray. 

(Original.) 

Der  Artikel  des  Moniteur,  den  ich  berichtlich  eingesendet, 
ist,  wie  ich  höre,  vor  seiner  Veröffentlichung  im  Conseil  des 
Ministres  vorgelesen  worden.  Gleichwohl  beschränkt  sich  vorerst, 
wie  ich  bereits  telegraphisch  gemeldet,  die  Verhandlung  zwischen 
Paris  und  Ems  auf  die  spanische  Throncandidaturfrage.  Die 
spezifisch  preußisch-dynastische  Streitsache  ist  offenbar  der 
beste  Deckmantel,  um  mit  Preußen  anzubinden.  Die  fran- 
zösische Politik  hat  es  entschieden  darauf  angelegt,  in  kürzester 
Frist  den  Krieg  mit  Preußen  einzuleiten.  In  den  offiziellen  Kreisen 
äußert  man  unverhohlen:  ,,0n  est  admirablement  prepare,  c'est 
une  occasion  magnifique  pour  faire  la  guerre,  il  ne  faut  pas  la 
laisser  echapper,  ce  serait  une  grande  calamite,  si  un  arrangement 
pacifique  prevalait."  Daher  auch  die  verletzendsten  Zumuthungen 
an  den  König  von  Preußen  gestellt  werden,  um  einen  Ausgleich  zu 
hintertreiben.  Das  desistement  des  Prinzen  von  Hohenzollern  ist 
schon  nicht  mehr  genügend,  sondern  es  handelt  sich  darum,  den 
König  von  Preußen  zu  Erklärungen  zu  nöthigen,  die  eine  eclatante 
Demüthigung  involviren:  ,,Le  cabinet  des  Tuileries  exige  la  respon- 
sabilite  du  Roi  de  Prusse,  c'est  sur  cette  question  de  responsabilite 
que  reside  la  difficulte  de  la  Solution."  Die  Reise  des  Prinzen  Napo- 
leon in  das  Baltische  Meer,  angeblich  wissenschaftlicher  Natur, 
steht  offenbar  in  Zusammenhang  mit  dem  hier  gegen  Preußen 
beschlossenen  Krieg.  Wenn  auch  von  Seite  Englands  alles  aufge- 
boten wird,  um  den  Krieg  zu  verhindern,  so  ist  doch  bei  der  nun  ein- 
getretenen Sachlage  kaum  denkbar,  daß  diese  Bemühungen  Erfolg 
haben  könnten.    In  der  That  bei  dem  hier  in  hellen  Flammen  auflo- 


223 

dernden  Chauvinismus  und  der  Popularität  des  Krieges  gegen 
Preußen  wäre  die  kaiserliche  Dynastie  in  Frankreich  compromittirt, 
falls  nicht  eine  eklatante  Demüthigung  von  Preußen  erzielt  wird. 
Ein  Ausgleich  wäre  ohnedieß  offenbar  nur  mehr  eine  Pause  —  ,,il 
faut  en  finir"  wiederhallt  es  in  ganz  Frankreich,  welches  den  be- 
waffneten Frieden  satt  hat. 

Der  kleine  Aufschub  für  die  Antwort  Preußens  bis  Morgen 
Mittwoch  ist  wohl  das  maximum  der  Concessionen,  welche  Frank- 
reich der  Friedensliebe  Englands  gemacht.  Es  circulirt  zwar  das 
Gerücht,  daß  eine  ansehnliche  Zahl  von  Deputirten  sich  zu  Herrn 
OUivier  begeben  und  demselben  Folgendes  vorgestellt:  ,,de  ne 
precipiter  aucune  resolution,  que  la  Chambre  n'accordera  de  sub- 
sides  pour  la  guerre  que  si  le  Gouvernement  prouve  qu'il  a  epuise 
tous  les  moyens  de  negociation  pacifique."  Gleichwohl  steht  fest: 
die  Majorität  im  Corps  legislatif  wird  dem  Winke  der  Tuilerien  folgen, 
woselbst  die  sämtliche  Umgebung  des  Kaisers  den  Krieg  als  unver- 
meidlich in  Aussicht  stellt. 

Bei  dieser  Sachlage  darf  ich  mir  erlauben  Euer  Excellenz 
ergebenst  zu  ersuchen,  mich  geneigtest  mit  Instructionen  ver- 
sehen zu  woUen  in  Bezug  auf  die  Haltung,  welche  ich  gegenüber  dem 
Duc  de  Gramont  einzunehmen  habe. 

Nachträglich  darf  ich  noch  hervorheben,  daß  das  ,,  Journal  des 
Debats"  sowie  der  ,,Temps"  in  der  brennenden  Tagesfrage  ganz 
isolirt  stehen  und  nichts  weniger  als  maßgebend  angenommen 
werden  können. 

In  der  gestern  telegraphisch  mitgetheilten  Äußerung  des  Duc 
de  Gramont  im  Corps  legislatif  bediente  er  sich  der  Worte:  ,,Tous 
les  cabinets  auxquels  nous  nous  sommes  adresses  paraissent 
admettre  la  legitimite  de  nos  griefs." 

Bei  der  gegenwärtigen  Sachlage  werde  ich  mir  fortan  erlauben, 
Berichte  politischen  Inhalts,  deren  Geheimhaltung  vor  Frankreich 
wünschenswerth  erscheint,  durch  in  München  wohnende  verläßige, 
Privatpersonen  an  Euer  ExceUenz  gelangen  zu  laßen.        M.st.A. 

6.  Berlin  1870  Juli  13  (präsentiert  14.).  Freiherr  v.Tautphoeus 
an  den  König  von  Bayern. 

(Original.) 

Graf  Bismarck,  welcher  auf  der  Durchreise  nach  Ems  gestern 
Abend  hier  angelangt  war,  fand  ein  lelegramm  von  dort  vor, 
welches  ihm  die  erfolgte  Verzichtleistung  des  Prinzen  Leopold  auf 
seine  Candidatur  zur  Kenntniß  brachte,  was  ihn  bewog  in  Berlin 
zu  bleiben,  da,  wie  er  sagte,  der  König  seiner  nicht  mehr  in  Ems 
bedürfe.  Er  gedenkt  bis  morgen  hier  zu  bleiben.  Der  Bundes- 
kanzler conf  erirte  Abends  mit  dem  russischen  Staatskanzler  Fürsten 
Gortschakoff  und  hatte  auch  mit  dem  Grafen  De  Lannay  eine 
Begegnung. 

Wie  ich  aus  zuverlässigster  Quelle  vernehme,  soU  der  Graf 
für  den  Moment  keine  weitere  Gefährdung  des  Friedens  besorgen, 
er  sagte  zu  meinem  Gewährsmann :  ,,Le  Prince  a  renonce,  tout  est 
fini."  Dagegen  soll  er  keine  Zuversicht  in  die  Dauer  der  friedlichen 
Beziehungen  zwischen  Preußen  und  Frankreich,  welche  jetzt  aus- 
schließlich von  der  taktvollen  Haltung  des  französischen  Cabinets. 


224 

abhängen,  hegen.  Herr  von  Thile,  welchen  ich  heute  Morgen  be- 
suchte, erzählte  mir,  daß  die  preußische  Regierung  eigentlich  nur 
halboffizielle  Kenntniß  von  dem  Verzichte  des  Prinzen,  welcher, 
wie  ich  glaube,  zunächst  englischem  Einflüsse  zu  verdanken  ist, 
erhalten  habe,  da  ihr  diese  Nachricht  von  Herrn  von  Werther  aus 
Paris  telegraphirt  worden  sei,  welcher  gerade  bei  dem  Herzoge  von 
Gramont  sich  befunden  habe,  als  Olozaga  demselben  den  Verzicht 
offiziell  notifiziert  hätte.  Ich  hielt  es  nicht  für  nöthig  Herrn  von 
Thile  zu  widersprechen,  obwohl  ich  aus  bester  Quelle  wußte,  daß 
noch  gestern  Abends  durch  ein  Telegramm  des  Königs  selbst  die 
bereits  angeordnete  Mobilisirung  einiger  Armeecorps  wieder  abbefoh- 
len worden  war  und  überdieß  auch  das  Telegramm  an  den  Grafen 
Bismarck  von  Ems  aus  aufgegeben  worden  ist.  Herr  von  Thile 
entschuldigte  mit  großer  Geschäftsüberhäufung,  daß  er  das  diplo- 
matische Corps  in  den  letzten  Tagen  mehrmals  nicht  habe  empfan- 
gen können,  und  ersuchte  mich  der  königlichen  Regierung  mit- 
zutheilen,  daß  deren  bei  dieser  Gelegenheit  bewiesene  deutsche 
Haltung  hier  mit  großer  Anerkennung  aufgenommen  worden  sei. 
,,Wir  können",  fügte  er  bei,  ,,die  Haltung  Badens  und  Bayerns  in 
dieser  Frage  nur  loben;  ich  sage  ausdrücklich  Bayerns  und  Badens", 
womit  er  andeuten  wollte,  daß  man  in  Berlin  mit  der  Haltung 
Württembergs  sehr  unzufrieden  sei. 

Die  Aussichten  für  die  Zukunft  glaubte  der  Staatssecretär, 
vielleicht  im  Interesse  Preußens,  sehr  schwarz  ausmalen  zu  müssen. 

M.  St.  A. 

7.  Berlin  1870  Juli  14.  Telegramm  Bismarcks  an  den  nord- 

deutschen Gesandten  v.  Werthern  in  München. 

Nachdem  die  Nachrichten  von  der  Entsagung  des  Erbprinzen 
der  Kaiserl.  Französischen  Regierung  von  der  K.  Spanischen 
amtlich  mitgetheilt  worden  sind,  hat  der  Französische  Botschafter 
in  Ems  Seiner  Majestät  dem  Könige  noch  die  Forderung  gestellt, 
ihn  zu  autorisiren,  daß  er  nach  Paris  telegraphire,  daß  S.  Majestät 
der  König  sich  für  alle  Zukunft  verpflichtet,  niemals  wieder  seine 
Zustimmung  zu  geben,  wenn  die  HohenzoUern  auf  ihre  Kandidatur 
wieder  zurückkommen  sollten. 

S.  Majestät  hat  es  darauf  abgelehnt,  den  Französischen  Bot- 
schafter nochmals  zu  empfangen,  und  demselben  durch  den  Ad- 
jutanten vom  Dienst  sagen  lassen,  daß  S.  Majestät  dem  Botschafter 
nichts  VVxiteres  mitzutheilen  habe. 

S.  Majestät  der  König  von  Bayern  wird  ein  Gefühl  dafür  haben, 
daß  Benedetti  den  König  auf  der  Promenade  wider  dessen  Willen 
provozirend  angeredet  hat,  um  obige  Forderung  stellen  zu  können. 

M.  St.A. 

8.  Berlin  1870  Juli  14  (präsentiert  15.).  Freiherr  v.  Tautphoeus 

an  den  Staatsminister  Grafen  v.  Bray. 

(Original.) 

Die  Aufregung  fängt  allmählich  an,  obwohl  spät,  doch  um  so 
lebhafter  alle  Klassen  der  hiesigen  Bevölkerung  zu  ergreifen,  ins- 
besondere sollen  die  königlichen  Prinzen  äußerst  kriegerisch  ge- 
sinnt sein  und  der  Kronprinz  dem  Grafen  Bismarck  vorgeworfen 
haben,  daß  er  den  König  in  Ems  allein  gelassen  und  zu  einem  mit 
der  Würde  Preußens  nicht  vereinbaren  Schritte  veranlaßt  habe. 


225 

Der  Bundeskanzler  bleibt  selbstverständlich  unter  den  ob- 
waltenden Verhältnissen  hier,  woselbst  ein  Ministerrath  dem  andern 
folgt. 

Es  gelang  mir  Herrn  von  Thile  heute  auf  dem  Wege  in  den 
Ministerrath  einige  Augenblicke  auf  der  Straße  festzuhalten  und 
theilte  mir  derselbe  mit,  daß  der  König  heute  Abend,  spätestens 
Morgen  früh  zurückerwartet  werde,  dann  dürfte  die  Mobilisirungs- 
ordre  sofort  gegeben  werden  und  sei  die  Einberufung  des  Reichstags 
auf  nächsten  Montag  oder  Dienstag  in  Aussicht  genommen. 

Den  Krieg  selbst  hält  man  hier  in  allen  eingeweihten  Kreisen 
für  unausbleiblich  und  herrscht  hierüber  eine  seltsame  Freude  nicht 
blos  in  den  von  Siegeszuversicht  erfüllten  Offizierskreisen,  sondern 
auch  im  Auswärtigen  Amte,  insbesondere  soll  Graf  Bismarck,  wie 
Herr  von  Thile  selbst  mir  andeutete,  ,,sich  ganz  in  seinem  Element" 
fühlen.  Die  französische  Botschaft  ist  ohne  alle  Nachrichten. 
Bezüglich  der  Vorgänge  in  Ems  erzählte  mir  Herr  von  Thile,  Graf 
Benedetti  habe  den  König  auf  der  Promenade  unaufgefordert  an- 
gesprochen und  um  eine  definitive  Antwort  ersucht.  Der  König 
habe  ihm  keine  Antwort  gegeben  und  als  dann  Benedetti  später 
eine  Audienz  verlangte,  habe  ihm  der  König  die  bereits  telegraphisch 
gemeldete  Mittheilung  durch  den  Adjutanten  machen  lassen.  Der 
Staatssecretär  sagte  mir  noch  bei  dieser  Gelegenheit,  er  nehme 
seine  tadelnden  Äußerungen  bezüglich  Württembergs  wieder  zu- 
rück, nachdem  Freiherr  von  Varnbüler  ,,mieux  tard  que  jamais" 
inzwischen  die  württembergische  Regierung  Frankreich  gegenüber 
engagirt  habe.  Durch  einen  merkwürdigen  Zufall  verirrte  sich  ein 
Schreiben  des  Grafen  Bismarck  an  Fürst  Gortschakoff  in  die 
Gesandtschaf tskanzelei ;  ich  vermuthe,  es  enthielt  Paraphirungen 
mit  Bezug  auf  den  Krieg.  Die  Umstände  erlaubten  nicht  Näheres 
festzustellen .  m.  st.  a. 

9.  Wien  1870  Juli  14.    Graf  v.  Fugger  an  den  Staatsminister 
Grafen  v.  Bray. 

(Original.) 

Bei  der  Intimität,  die  zwischen  dem  französischen  und  dem 
hiesigen  Cabinete  besteht,  war  vorauszusehen,  daß  in  der  so  wich- 
tigen Frage  über  die  Thronkandidatur  des  Prinzen  von  Hohenzollern 
zwischen  hier  und  Paris  ein  lebhafter  Ideen-Austausch  statt  finden 
würde. 

Über  die  eigentlichen  Verhandlungen  selbst  ist  jedoch  bis 
jetzt  nichts  bekannt  geworden,  und  ich  kann  Euerer  ExceUenz 
nur  eine  mir  von  sicherer  Quelle  zukommende  Nachricht  mittheilen, 
durch  welche  ein  Anhaltspunkt  über  den  Inhalt  der  bezüglichen 
Verhandlungen  gegeben  sein   dürfte. 

Als  nämlich  gestern  der  preußische  Gesandte,  General  von 
Schweinitz,  dem  Reichskanzler  im  Auftrage  seiner  Regierung  mit- 
theilte, daß  —  zufolge  eines  Telegramms  des  Baron  Werther  aus 
Paris  —  daselbst  der  spanische  Botschafter  Olozaga  dem  Herzoge 
von  Gramont  den  Verzicht  des  Prinzen  von  Hohenzollern  auf  die 
spanische  Krone  eröffnet  habe,  nahm  Graf  Beust  Gelegenheit,  dem 
preußischen  Gesandten  ein  Telegramm  des  Fürsten  INIetternich  zu 
zeigen,   in  welchem   der  österreichische   Botschafter  den   Reichs- 

Doeberl,  Bayern  und  die  Bismarckische  Reichsgrändung.  15 


226 

kanzler  bittet,  im  jetzigen  Moment  weder  den  Prager  Frieden 
noch  die  süddeutsche  Frage  in  Paris  in  Anregung  zu  bringen,  um 
dadurch  nicht  die  angebahnte  Ausgleichung  des  entstandenen  Kon- 
flikts zu  erschweren. 

In  dieser  Eröffnung  des  Grafen  Beust  ist  wohl  der  ernste  Wille 
zu  erkennen,  daß  Österreich  bestrebt  ist,  seine  Vermittlung  zur  Er- 
haltung des  Friedens  nach  beiden  Seiten  hin  aufrichtigst  eintreten 
zu  lassen.  m.  st.  a. 

IG.  Wien  1870  Juli  15  (präsentiert  16.).    Graf  v.  Fugger  an  den 
Staatsminister  Grafen  v.  Bray. 

(Original.) 

Nachdem  die  Verzichtleistung  des  Prinzen  Leopold  von  Hohen- 
zollern  auf  die  Thronkandidatur  hier  bekannt  geworden  war,  hat 
—  wie  ich  vernehme  —  Graf  Beust  nicht  gesäumt,  in  eindringlicher 
Weise  nach  Paris  den  Rath  ergehen  zu  lassen,  das  französische 
Cabinet  möge  sich  mit  dem  eben  erfolgten  Resiiltat  seines  Auftretens 
in  dieser  Sache  begnügen  und  an  Preußen  nicht  etwa  andere  For- 
derungen stellen. 

Man  hoffte  bereits,  daß  der  entstandene  preußisch-französische 
Konflikt  dadurch  beendet  und  der  Friede  wieder  gesichert  sei. 

In  diesem  Sinne  hat  auch  gestern  der  ungarische  Minister- 
präsident Graf  Andrassy  eine  an  ihn  im  Unterhause  zu  Pest  gerichtete 
Interpellation  beantwortet  und  dabei  das  Verdienst  des  Grafen 
Beust  um  die  Erhaltung  des  Friedens  gerühmt. 

Um  so  unangenehmer  überraschte  daher  der  auf  telegra- 
phischem Wege  bekannt  gewordene  Zwischenfall  in  Ems.  Über  den 
eigentlichen  Vorgang  daselbst  scheint  noch  keine  voUe  Gewißheit 
zu  herrschen  und  daher  die  Tragweite  dieses  Ereignißes  nicht  mit 
Bestimmtheit  bemeßen  werden  zu  können.  Doch  hat  es  hier  in 
allen  Kreisen  einen  ernsten  Eindruck  gemacht,  und  man  hält  den 
Bruch  zwischen  Frankreich  und  Preußen  für  fast  unvermeidlich. 

Hiebei  ist  zugleich  hervorzuheben,  daß  alle  Journale  sich  für 
die  strikte  Neutralität  Österreichs  in  dem  allenfalls  ausbrechenden 
Krieg  aussprechen  und  dieselbe  von  der  kaiserlichen  Regierung 
erwarten.  M.st.A. 

II.  Paris  1870  Juli  14.  HerzogvonGramont  an  den  Gesandten 
Frankreichs  in  München,  Herzog  von  Cadore. 

(Kopie,  mitgeteilt  vom  Herzog  von  Cadore.) 

Ms.  le  Duc,  la  rapidite  avec  laqueUe  les  evenements  se  sont 
succede  depuis  quelques  jours,  ne  m'a  pas  permis  de  Vous  tenir, 
autrement  que  par  le  telegraphe,  au  courant  des  impressions  du 
Gouvernement  de  l'Empereur.  Vous  etes,  d'ailleurs,  suffisam- 
ment  instruit  des  motifs  du  grave  debat  qui  divise  la  France  et  la 
Prusse  et  je  puis  me  dispenser  de  revenir  avec  Vous  sur  le  detail  des 
faits  qui  l'ont  souleve.  Le  jour  oü  la  candidature  inattendue  du 
Prince  de  Hohenzollern  nous  a  ete  revelee,  nous  avons  senti  que 
l'equilibre  de  l'Europe,  non  moins  que  les  interets  essentiels  de 
notre  pays,  etaient  directement  menaces  et,  sans  perdre  un  instant, 
nous  avons  en  prenant  les  cabinets  ä  temoins  rappele  la  Prusse  ä 
l'observation  de  cette  regle  salutaire  de  la  jurisprudence  interna- 


227 

tionale  moderne,  regle  acceptee  par  tous  dans  l'interet  de  chacun 
qui  veut  qu'aucune  grande  Puissance  ne  deplace  la  balance  des 
forces  en  recherchant  pour  un  de  ses  princes  une  couronne  etrangere. 
L'Europe  a  rendu  justice  ä  la  legitimite  de  notre  reclamation;  nos 
instances,  appuyees  par  la  pression  d'une  opinion  que  je  puis  dire 
unanime  et  par  l'intervention  des  gouvernements  amisde  lapaix, 
ont  obtenu  un  premier  resultat  considerable,  la  renonciation  du 
prince  Leopold  de  Hohenzollern  ä  sa  candidature.  Nous  etions 
fondes  ä  concevoir,  des  lors,  l'esperance  que  la  question  serait 
bientot  resolue  dans  un  sens  pacifique  et  nous  etions  decides  ä  faire 
tout  ce  qui  dependrait  de  nous  pour  qu'il  en  füt  ainsi.  Mais  la 
prudence  commandait  qu'avant  de  nous  croire  desinteresses  dans 
cette  affaire,  nous  eussions  une  assurance  positive  contre  le  retour 
du  peril  qui  nous  avait  si  inopinement  surpris.  La  meme  Situation 
pouvait  renaitre  et  le  Prince  Leopold  revenir  ä  son  premier  projet, 
l'exemple  donne  par  son  frere,  le  Prince  Charles  de  Roumanie, 
pouvait  etre  une  tentation  pour  lui ;  il  devait  etre  un  avertissement 
pour  nous.  Afin  que  notre  confiance  füt  justifiee,  il  etait  indis- 
pensable que  le  Roi  de  Prusse  sans  retour  d'ailleurs,  sur  le  passe, 
promit  de  ne  point  autoriser  dans  l'avenir  le  Prince  de  Hohenzollern 
ä  monter  sur  le  tröne  Espagnol.  La  parole  demandee  au  Roi  ne 
compromettait  en  rien  son  honneur,  son  hesitation  ä  la  donner 
devait  nous  inspirer  des  doutes  sur  la  sincerite  de  la  politique 
Prussienne;  son  refus  devenait  aussi  alarmant  pour  notre  patrio- 
tisme  qu'offensant  pour  notre  dignite. 

Ms.  le  Comte  Benedetti  qui,  sur  l'ordre  de  l'Empereur,  s'etait 
rendu  aupres  du  Roi  Guillaume  ä  Ems  ä  epuiser  avec  son  auguste 
interlocuteur  les  arguments  les  plus  propres  ä  le  toucher,  sans 
pouvoir  obtenir  la  simple  declaration  que  nous  reclamions.  En 
vain  notre  ambassadeur,  interprete  de  nos  sentiments,  a  adjure  le 
Roi  de  donner  ä  la  paix  du  monde  ce  gage  devenu  necessaire  de  ses 
intentions  pacifiques.  Sa  Majeste  non  seulement  a  repousse  cette 
demande  d'une  maniere  absolue,  mais  Elle  a  temoigne  qu'Elle 
entendait  se  reserver  pour  toutes  les  circonstances  sa  liberte  d'action, 
et,  apres  cette  reponse  si  peremptoirement  negative,  Elle  a  refuse 
d'accorder  ä  ms.  Benedetti  la  nouvelle  audience  qu'il  sollicitait. 
Ainsi  les  procedes  ont  ete  aussi  blessants  pour  nous  dans  la  forme 
que  la  reponse  a  ete  peu  satisfaisante  dans  le  fond  et,  comme  pour 
empecher  que  nous  n'eussions  aucune  Illusion  ä  cet  egard,  le  Gouver- 
nement Prussien  s'est  häte  de  faire  connaitre  publiquement  par 
l'intermediaire  de  ses  journaux  officieux,  notammentdelagazette 
de  l'Allemagne  du  Nord  le  deni  d'audience  oppose  ä  ms.  le 
comte  Benedetti. 

Je  pense  qu'apres  cet  eclat  il  ne  saurait  y  avoir  un  doute  sur 
la  volonte  precongue  du  Cabinet  de  Berlin  de  nous  pousser  ä  bout. 
Si  une  rupture,  que  nous  nous  sommes  tant  efforces  et  que  nous  nous 
efforgons  encore  de  detourner,  devenait  malheureusement  inevitable, 
l'Europe  jugerait  de  quel  cote  ont  ete  la  moderation,  le  droit  et  le 
souci  de  l'interet  general  des  Puissances,  de  quel  cote  les  dessins 
menagants  pour  la  tranquillite  commune.  Nous  nous  sommes 
soigneusement  gardes  de  compliquer  par  d'autres  griefs  le  litige 
qui  jusqu'ä  ce  jour  —  il  est  essentiel  de  bien  l'etablir  —  a  porte 
exclusivement  sur  la  question  du  tröne  d'Espagne. 

15* 


228 

Loin  de  chercher  ä  agrandir  le  champ  de  la  discussion,  nous 
l'avons  restreint  et  circonscrit,  et  la  nettete  de  notre  conduite  ä 
cet  egard  est  une  preuve  assez  manifeste  de  la  loyaute  de  nos  in- 
tentions.  Je  tiens  surtout  ä  ce  que  les  Gouvernements  Allemands 
soient  completement  eclaires  sur  ce  point,  parcequ'il  est  le  plus 
propre  ä  leur  faire  voir  notre  politique  dans  son  vrai  jour.  II  faut 
qu'ils  sachent  que  tandisque  la  Prusse,  poursuivant  un  interet  qui 
n'avait  rien  d'Allemand,  vouait  ä  des  ambitions  dynastiques  et  ä 
des  plans  de  preponderance  Europeenne  toutes  les  forces  dont 
eile  dispose,  la  France  n'a  eu  d'autre  objet  que  de  repousser  une 
atteinte  calculee  pour  compromettre  gravement  la  securite  territo- 
riale. Les  Etats  d'Allemagne  meridionale  doivent  s'y  tromper 
moins  que  tous  autres,  car  on  essaiera  sans  doute  de  les  entrainer 
dans  une  querelle  que  la  Prusse  a  fait  naitre  en  demarquant  des 
visees  absolument  etrangeres  aux  justes  et  nationales  preoccupations 
des  populations  Allemandes.  Mais  le  terrain  oü  cette  puissance 
s'est  placee  elle-meme,  est  precisement  trop  en  dehors  des  voies  de 
l'Allemagne  pour  que  les  Gouvernements  du  Sud  puissent  l'y  suivre, 
et  nous  avons  la  confiance  qu'ils  repousseront  energiquement 
toutes  les  tentatives  qui  seraient  faites  pour  les  amener  ä  s'associer 
aux  combinaisons  aventureuses  de  la  Maison  Royale  de  Prusse. 

M.  St.A. 

12.  Berlin  1870  Juli  15  (präsentiert  16.).  Freiherr  v.Tautphoeus 
an  den  Königvon  Bayern. 

(Original.) 

Herr  von  Thile  empfing  mich  soeben  und  eröffnete  mir,  daß  die 
preußische  Regierung  großen  Werth  darauf  lege,  daß  sowohl  die 
militärische  als  die  politische  Aktion  der  süddeutschen  Staaten  mit 
der  hiesigen  möglichst  gleichzeitig  und  gleichmäßig  erfolge. 

Es  sei  deßhalb  Baron  von  Werthern  telegraphisch  angewiesen 
worden,  zu  diesem  Zwecke  mit  der  bayerischen  Regierung  in's 
Benehmen  zu  treten,  und  hoffe  man,  es  werde  bayrischerseits  auf 
seine  deßfallsigen  Mittheilungen,  welche,  wenn  nicht  dem  Buch- 
staben, so  doch  dem  Geiste  der  Allianzverträge  entsprächen,  bereit- 
willig eingegangen  werden.  Herr  von  Thile  bezeichnete  insbesondere 
die  gleichzeitige  Abberufung  der  Gesandtschaften  aus  Paris  als 
besonders  wünschenswerth  und  fügte  bei,  man  werde  von  hier  aus 
ein  gleiches  Ansinnen,  wie  an  Bayern,  auch  an  Baden  und  Württem- 
berg im  Interesse  eines  gleichzeitigen  diplomatischen  und  mili- 
tärischen Vorgehens  gegen  Frankreich  stellen.  Der  Staatssekretär 
bat  um  Entschuldigung  darüber,  daß  die  deßfallsigen  Mittheilungen 
an  die  bayerische  Regierung  wegen  ihrer  Dringlichkeit  nicht  in 
Form  einer  Note,  sondern  mittelst  Telegramms  an  Baron  von 
W^erthern  erfolgt  sei.  Überhaupt  war  das  Bestreben  des  Staats- 
sekretärs unverkennbar,  mir  gegenüber  besonders  zu  betonen,  daß 
die  preußische  Regierung  das  Eingehen  auf  ihre  Propositionen  als 
den  Freundschaftsdienst  eines  Alliirten  ansehen  werde  und  wohl 
wisse,  daß  der  Buchstabe  des  Vertrages  dieselbe  nicht  berechtige 
jetzt  irgendwelche  Forderungen  zu  erheben. 

Herr  von  Thile  behandelte  die  ganze  Angelegenheit  mit  sehr 
viel  Takt  und  großem  Aiifwande  persönlicher  Höflichkeit. 


229 

Herrn  von  Thile  zufolge  wäre  die  allgemeine  Mobilmachung 
sowohl  in  Frankreich  als  in  Preußen  in  den  nächsten  Tagen  zu 
erwarten.  Ohne  Zweifel  würden  die  in  der  Nähe  der  französischen 
Grenze  befindlichen  Armeecorps  und  Festungen  zuerst  kriegsmäßig 
gerüstet  werden.  Die  militärischen  Details  werden  durch  den 
Militärbevollmächtigten  Baron  von  Freyberg  ohnedieß  zur  Kennt- 
niß  Eurer  Königlichen  Majestät  gebracht  werden.  Ich  inter- 
pellirte  den  Staatssekretär  bezüglich  der  Stellung  Belgiens  und 
Hollands,  worauf  er  sich  dahin  äußerte,  die  Neutralität  Belgiens 
sei  ohnedieß  durch  europäische  Verträge  garantirt  und  auch  Holland 
habe  erklärt,  es  werde  seine  Neutralität  aufrecht  zu  erhalten  wissen. 
Von  preußischer  Seite  ist  sohin  eine  Verletzung  der  Neutralität 
dieser  beiden  Staaten,  wie  es  scheint,  nicht  beabsichtigt.  Von  hier 
aus  vermag  ich  nicht  zu  beurtheilen,  ob  Frankreich,  welches  sich 
Europa  gegenüber  jetzt  ohnedieß  in  einer  falschen  Position  und 
ohne  Allianzen  befindet,  auch  noch  durch  eine  Verletzung  der  Neu- 
tralität dieser  Staaten  die  Zahl  seiner  Gegner  zu  vermehren  keinen 
Anstand  nehmen  wird! 

Während  ich  mit  Copiren  dieses  Berichtes  beschäftigt  war, 
ließ  mich  soeben  Graf  Bismarck  zu  sich  rufen.  Er  empfing  mich  mit 
großer  Zuvorkommenheit  und  ließ  sich  eingehend  über  die  Situation 
aus.  Zunächst  erwähnte  er  des  Auftrages,  welchen  Freiherr  von 
Werthern  heute  erhalten  habe,  der  die  von  mir  bereits  oben  an- 
geführte Mittheilung  für  München  zum  Gegenstande  hat.  Dann 
ging  er  auf  die  Stellung  der  übrigen  Mächte  zu  Preußen  über. 
Bezüglich  dieser  äußerte  er  sich  ungefähr  folgendermaßen:  Öster- 
reich scheine  ungeachtet  seines  Ressentiments  gegen  Preußen  be- 
griffen zu  haben,  daß  die  Existenz  zweier  großer  Militärmächte  in 
Europa  eine  Garantie  für  dessen  Ruhe  sei.  Österreichs  Hal- 
tung werde  deßhalb  jene  einer  unbedingten,  eher  wohl- 
wollenden Neutralität  Preußen  gegenüber  sein.  Hierüber  habe  er 
durch  das  Cabinet  von  St.  Petersburg  auf  Grund  der  Besprechungen 
des  Kaisers  Alexander  mit  dem  Erzherzog  Albrecht  in  Warschau 
indirekt  Kenntniß  erhalten.  Was  an  Euere  Majestät  von  dem 
Grafen  Tauffkirchen  aus  Rom  über  die  Haltung  Italiens  berichtet 
worden  sei,  erweise  sich  als  unrichtig  —  der  Graf  sagte , ,  Schwindel"  — 
und  stamme  der  Irrtum  davon  her,  daß  Nigra  und  die  Kaiserin  von 
Paris  aus  für  Aiif Stellung  eines  Corps  von  80000  Mann  durch  das 
Königreich  Italien  agitirt  hätten.  Sogar  aus  Schweden  und  Holland 
habe  er  Telegramme  erhalten,  welchen  gemäß  die  dortigen,  Preußen 
sonst  nicht  sehr  geneigten  Regierungen  ihre  Anerkennung  bezüg- 
lich dessen  Haltung  ausgedrückt  hätten.  Die  Lage  sei  zwar  ernst, 
jedoch  für  Deutschland  militärisch  günstig,  nur  die  Küsten  würden 
voraussichtlich  zu  leiden  haben,  da  eine  bedeutende  maritime 
Aktion  Frankreichs  bevorstehe.  Schließlich  fügte  er  bei,  selbst 
wenn  Frankreich  jetzt  erkläre  vom  Kriege  abstehen  zu  wollen, 
könne  Preußen,  nach  dem  was  vorgefallen  sei,  nicht  mehr 
zurück  und  hoffe  er,  Bayern  werde  in  aUen  Fällen  ein  treuer 
Bundesgenosse  sein.  — 

Soeben  erfahre  ich,  daß  Baron  von  Werther  in  Paris  wegen 
Mangel  an  Energie  bei  Gelegenheit  der  letzten  Verhandlungen  einen 
unfreiwilligen  Urlaub  erhalten  hat.  m.  st.A. 


230 

13-  Berlin  1870  Juli  15.    Telegramm  des  Freiherrn 
V.  Tautphoeus. 

Es  geht  Note  an  Bayern  ab,  mit  Aufforderung  Allianz- Vertrag 
nachzukommen,  da  Angriff  außer  Zweifel;  man  will  Stärke,  Zeit, 
Ort,  Concentrirung  bayerischer  Armee  wissen.  Südstaaten  einge- 
laden, Commissäre  nach  Berlin  zu  schicken.  Spanien  wird  auch 
Krieg  erklären;  Österreichs  Ruhe  durch  Rußland  moralisch  garan- 
tirt.  M.  st.A. 

14.  Berlin  1870  Juli  15.    Telegramm  Bismarcks  an  den 
norddeutschen  Gesandten  in  München  v.  Werthern. 

Auf  die  heute  gemeldete  Erklärung  der  Französischen  Regierung 
in  der  gesetzgebenden  Versammlung  hat  des  Königs  Majestät  soeben 
die  Mobilmachung  des  Norddeutschen  Heeres  befohlen. 

Nach  den  uns  von  der  Königlich  Bayrischen  Regierung  zu- 
gegangenen Erklärungen  dürfen  wir  auf  deren  Einverständniß 
rechnen,  wenn  wir  das  ergebenste  Ersuchen  stellen,  die  K.  Bayerischen 
Streitkräfte  mit  thunlichster  Beschleunigung  zur  Vertheidigung 
Deutschlands  ausrüsten  zu  wollen. 

Ausfuhrverbot  von  Kriegsbedarf  jeder  Art,  einschließlich  Pferde 
und  Fourage,  heute  ergangen,  und  in  der  Hoffnung,  daß  dasselbe  in 
Bayern  gleichfalls  erfolgen  werde,  ist  die  Grenze  gegen  Süddeutsch- 
land offen  gelassen.    Sofort  mitzutheilen. 

Noch  ohne  Nachricht  von  Kriegserklärung,  dagegen  Meldung, 
daß  Franzosen  auf  Luxemburg  marschiren;  Mobilisirung  ge^^tern 
befohlen;  Kronprinz  Oberbefehl.  m.  st.A. 

15.  München  1870  Juli  15    (expediert    16.  früh    per  Estafette). 
Antrag  des  Grafen  Bray  an  den  König. 

(Original.) 

Die  Spannung,  welche  seit  einer  Woche  zwischen  Preussen  und 
Frankreich  aus  Anlaß  der  Bestimmung  des  Prinzen  Leopold  von 
Hohenzollern  zum  Könige  von  Spanien  eingetreten  ist,  hat  auch 
durch  die  Verzichtleistung  desselben  auf  die  Spanische  Krone  nicht 
abgenommen,  vielmehr  ist  der  politische  Conflikt  zwischen  den 
beiden  mächtigen  Staaten  seit  den  letzten  Tagen  wesentlich  ver- 
schärft worden,  und  ein  Krieg  zwischen  Preussen  und  Frankreich 
scheint  unvermeidlich  zu  seyn. 

Bei  dieser  hochernsten  Lage  der  Dinge  hält  es  der  treugehor- 
samst Unterzeichnete  für  seine  Pflicht  Ew.  Majestät  Nachstehendes 
ehrfurchtsvollst  vorzutragen. 

Wie  Allerhöchstdieselben  aus  dem  anruhenden  Telegramm  der 
K.  Gesandtschaft  zu  Berlin  vom  15.  July  Mittags  zu  entnehmen 
geruhen  wollen,  hat  die  K.  Preussische  Regierung  an  Bayern  bereits 
eine  Note  ergehen  lassen,  womit  auch  die  Regierung  Ew.  M.  zur 
Theilnahme  an  dem  Kriege  aufgefordert  und  zugleich  mit  den 
übrigen  süddeutschen  Staaten  eingeladen  werden  soll,  sofort  in 
einer  zu  Berlin  abzuhaltenden  Conferenz  mit  preussischen  Corn- 
missären  sich  über  die  Modalitäten  dieser  Theilnahme,  in  Gemäßheit 
des  AUianzvertrages,  zu  verständigen.  Von  der  K.  Württembergi- 
schen Regierung  ist,  wie  Allerhöchstdieselben  aus  dem  gleichfalls 
anruhenden  Telegramme  des  Freiherrn  von  Gasser  aUergnädigst 


231 

ersehen,  jene  von  Preussen  bezielte  militärische  Cooperation  bereits 
zugesagt,  und  um  so  mehr  wird  also  die  schleunigste  Beschluß- 
fassung Ew.  M.  dringend  geboten  erscheinen. 

Der  treugehorsamst  Unterzeichnete  hat  sich  bisher  darauf 
beschränkt,  im  mündlichen  diplomatischen  Verkehr  die  thunlichste 
Reserve  zu  beobachten  und  vor  der  nunmehr  erfolgten  näheren 
Entwickelung  des  Differend  keinerlei  bindende  Erklärung  abzu- 
geben. Eine  solche  läßt  sich  aber  heute  nicht  länger  verschieben,  und 
Ew.  M.  werden  hiebei  ganz  besonders  in's  Auge  zu  fassen  geruhen, 
in  welch  exponirter  Lage  gegen  Frankreich  sich  die  Bayerische 
Rheinpfalz  befindet,  die  jeden  Tag  einem  Angriffe  von  französischer 
Seite  her  preisgegeben  seyn  kann.  In  der  That  erwartet  man  schon 
heute,  daß  der  Kaiser  Napoleon  in  Paris  seine  zweifelsohne  kriege- 
rischen Entschlüsse  in  einer  Botschaft  an  das  Corps  legislatif  an- 
kündigen läßt,  und  in  dieser  Beziehung  erlaubt  sich  der  treugehor- 
samst Unterzeichnete  Ew.  M.  ein  weiteres  Telegramm  des  Grafen 
Quadt  allerunterthänigst  beizuschließen.  Durch  ein  dem  süddeut- 
schen Correspondenzbureau  zugekommenes  Telegramm  wird  diese 
Erwartung  bestätigt. 

In  Anbetracht  vorstehender  wichtiger  Mornente  fühlt  sich 
nunmehr  der  treugehorsamst  Unterzeichnete  in  Übereinstimmung 
mit  sämtlichen  Staatsministern  gedrungen,  an  Allerhöchstdieselben 
die  ehrfurchtsvollste  Bitte  zu  richten,  daß  Ew.  M.  geruhen  wollen, 
ihn  unverzüglich  mit  denjenigen  Directiven  zu  versehen,  welche 
ihn  in  den  Stand  setzen,  die  Politik  Bayerns  in  dem  Sinne  zu 
führen,  welcher  der  Allerhöchsten  Intention  und  Willensmeinung 
entspricht.  Der  treugehorsamst  Unterzeichnete  würde  sich  glück- 
lich schätzen,  wenn  Ew.  M.  ihm  hier  persönlich  allerunterthänigsten 
Vortrag  gestatten  und  hierauf  die  Allerhöchsten  Befehle  ertheilen 
wollten.  Es  ist  dieß  bis  morgen  früh  unumgängHch  nöthig,  wenn 
nicht  alle  zum  Schutz  des  Landes  nöthigen  Vorkehrsmaßregeln  sich 
verspäten  sollen. 

Wie  die  Dinge  liegen,  wird  es  kaum  möglich  seyn,  daß  Bayern 
sich  neutral  verhalte;  und  wenn  eine  active  Antheilnahme  am 
Kriege  nicht  zu  umgehen  ist,  dürfte  die  Wahl  um  so  weniger  Schwie- 
rigkeiten darbieten,  indem  ein  Krieg  Frankreichs  gegen  Preussen 
stets  ein  Angriffskrieg,  ein  Kampf  um  die  Integrität  des  deutschen 
Gebietes  seyn  wird  und  in  diesem  FaUe  der  Artikel  I  des  Allianz- 
vertrags vom  22.  August  1866  die  Verpflichtung  Bayerns  unzwei- 
deutig normiert  hat,  sowie  dieß  auch  schon  nach  dem  älteren 
deutschen  Bundesrecht  bestimmt  gewesen  war.  m.si.a. 

16.  Paris  1870  Juli  14  (präsentiert  16.).     Graf  v.  Quadt  an  den 
König  von  Bayern. 

(Original.) 

Die  Erklärungen  des  Duc  de  Gramont  sowie  die  Sprache  des 
Constitutionnel  und  der  anderen  offiziösen  Organe  berechtigen  zur 
Annahme,  daß  das  Ministerium  Gramont-Ollivier  vorerst  in  fried- 
liche Bahnen  eintreten  will.  Die  von  Herrn  Gramont  noch  als 
schwebend  bezeichneten  Unterhandlungen  dürften  wohl  nur  in 
der  Formulierung  des  Hohenzollern'schen  Verzichtes  liegen;  einen 
Krieg  deßhalb  anzufangen,  nachdem  die  Hauptsache,  der  Verzicht 


232 

selbst,  gesichert  ist,  dürfte  als  zu  wenig  gerechtfertigt  erscheinen. 
Dieses  wird  als  Standpunkt  des  Ministeriums  angenommen  werden 
können. 

Indeß  die  kühle  Aufnahme,  welche  die  oben  erwähnten  mini- 
steriellen Erklärungen  im  Senate  gefunden,  und  die  große  Erregung 
im  Corps  legislatif,  woselbst  Jerome  David  und  Clement  Duvernois, 
bekanntlich  die  Intimen  der  Tuilerien,  ihre  Interpellationen  gegen 
das  Verhalten  des  Ministeriums  gestellt,  erwecken  immerhin  noch 
ernste  Besorgniße,  daß  das  Ministerium  zur  Demißion  gedrängt 
werden  könnte.  In  diesem  Falle  würde  die  Frage  offenbar  deplazirt 
werden  und  die  griefs  gegen  Preußen,  respective  die  Kriegsfrage  in 
den  Vordergrund  treten. 

Wenn  auch  ursprünglich  der  Kaiser  sorgsam  darauf  bedacht 
war,  den  Artikel  4  des  Prager  Friedens  und  die  Süddeutschen  Militär- 
Verträge  von  1866  nicht  als  entree  en  matiere  des  Krieges  zu  ver- 
werthen,  indem  Seine  Majestät  bislang  das  Erwachen  der  deutsch- 
nationalen Frage  ferne  halten  woUte,  —  so  steht  doch  dahin,  ob 
bei  der  gegebenen  Sachlage  nach  der  so  unglücklichen  Hohenzollern- 
schen  Campagne  Napoleon  nicht  zum  Krieg  genöthigt  sein  wird. 
Ein  Hauptargument  der  Kriegsparthei  liegt  darin,  daß  die  Fort- 
dauer des  bewaffneten  Friedens,  welch'  letzterer  durch  die  Hohen- 
zollernsche  Differenz  in  seinen  Lasten  noch  gesteigerter  wurde, 
keine  Lösung  ist;  vielmehr  das  heute  militärisch  vorbereitete 
Frankreich  wesentliche  Einbuße  erleiden  müßte,  falls  man  nun 
Preußen  Zeit  laßen  würde,  seine  Kriegsrüstungen  zu  betreiben. 
Zu  dem  kömmt  noch  in  Betracht,  daß  das  Prestige  im  Innern  durch 
diesen  Vorgang  im  hohen  Grade  beeinträchtigt  ist:  ,,rindecision 
de  l'Empereur  est  entre  deux  pressions,  celle  del'Angleterre  pour  la 
paix  et  l'attitude  de  l'Europe  et  d'autre  part  son  entourage  qui 
pousse  avec  frenesie  ä  la  guerre."  Eine  energische  Demon- 
stration der  Kammern  müßte  den  Ausschlag  für  den  Krieg 
geben.  Es  fehlt  indeß  auch  nicht  an  Friedenselementen,  welche  sich 
namentlich  mit  der  Berechnung  trösten,  daß  Frankreich  mit  seiner 
finanziellen  Prosperität  weit  mehr  in  der  Lage  ist,  die  Fortdauer 
des  bewaffneten  Friedens  fortzusetzen  und  Preußen  dadurch  in 
Verlegenheit  zu  setzen. 

In  Bezug  auf  Belgien  erfahre  ich  aus  bester  Quelle,  daß  der 
Duc  de  Gramont  den  belgischen  Gesandten  während  der  kriege- 
rischen Aspecten  zu  sich  kommen  ließ  und  demselben  folgendes 
eröffnete : 

,,Le  Gouvernement  Imperial  est  completement  etranger  aux 
insinuations  malveillantes  repandues  dans  quelques  journaux  sur 
la  pretendue  participation  du  Roi  des  Beiges  dans  l'af faire  Hohen- 
zoUern;  nous  desirons  rester  dans  les  meilleurs  termes  avec  la 
Belgique  et  l'incident  des  chemins  de  fer  de  l'an  dernier  a  plustöt 
contribue  comme  les  petites  querelles  entre  amis  ä  cimenter  nos 
bonnes  relations  avec  la  Belgique;  mais  il  Importe  au  Gouvernement 
Imperial,  ajouta  Monsieur  de  Gramont,  que  la  Belgique  se  trouve  en 
mesure  de  faire  respecter  sa  neutralite  dans  une  guerre  eventuelle. 
Le  Baron  Beyens  donna  les  meilleurs  assurances  sur  ce  point  ä 
Monsieur  de  Gramont  en  affirmant  que  toutes  les  mesures  etaient 
prises  par  la  Belgique  pour  sauvegarder  sa  neutralite."       m.si.a. 


233 

17-    Stuttgart    1870    Juli  15    (präsentiert  16.).      Gesandter  v. 
Gasser  an  den  König  von  Bayern. 

(Original.) 

Nachdem  der  Verzicht  des  Fürsten  von  HohenzoUern  auf  die 
Thron-Candidatur  seines  Sohnes  auch  hier  die  Überzeugung  her- 
vorgebracht hatte,  daß  der  französisch-preußische  Streit  beigelegt 
sein  dürfte,  und  die  öffentliche  Meinung  bis  dahin  für  Preußen  zum 
Mindesten  kühl  gewesen  war,  schlug  dieselbe  rasch  um,  als  die 
Nachricht  eingetroffen,  daß  Frankreich  ein  noch  weiteresVerlangen 
stelle. 

Wie  Euerer  Königlichen  Majestät  Regierung  durch  das  vor- 
gestrige Schreiben  des  Freiherrn  von  Varnbüler  bekannt  ist,  hielt 
dieser,  bis  zu  genauerer  Information,  mit  einer  Äußerung  Preußen 
gegenüber  zurück;  Baron  Varnbüler  war  ebenfalls  der  Meinung, 
daß  gewisse  Bedingungen  an  Preußen  gestellt  werden  sollten,  und 
brachte  diese  Meinung  im  heutigen  Ministerrathe  vor.  Wie  ich 
soeben  telegraphisch  anzuzeigen  mich  beehrt  habe,  ist  aber  von  den 
Ministern  der  Beschluß  gefaßt  worden.  Seiner  Majestät  die  mili- 
tärische Betheiligung  Württembergs  auf  Seite  Preußens  ohne  allen 
Vorbehalt  zu  empfehlen.  Dieser  Beschluß  ist  von  allen  andern 
Ministern,  wie  mir  Baron  Varnbüler  sagte,  mit  Entschiedenheit 
gefaßt  worden,  da  sie  von  der  Meinung  ausgehen,  daß  dadurch  die 
Stellung  Württembergs  nach  dem  Kriege,  Preußen  gegenüber, 
welches  dem  Süden  moralisch  ungemein  stärker  verpflichtet  sein 
würde,  eine  weitaus  günstigere  wäre.  — 

Baron  Varnbüler  ist  soeben  nach  Wildbad  abgereist,  um  den 
Fürsten  Gortschakoff  zu  sehen;  er  kehrt  morgen  früh  hieher  zu- 
rück. 

Soeben  hat  der  französische  Gesandte  seinen  Curier  aus  Paris 
erhalten.  Die  französische  Regierung  legt,  bezüglich  der  zweiten 
Forderung,  unter  Anderem  auch  großes  Gewicht  darauf,  daß  ,,Sa 
Majeste  (König  von  Preußen)  a  non  seulement  repousse  cette 
demande  d'une  maniere  absolue,  mais  Elle  a  declare  qu'Elle  en- 
tendait  se reserver  pourtouteslescirconstances  sa  liberted'actions." 

In  diesem  Augenblick  trifft  die  Nachricht  von  der  französischen 
Kriegserklärung  ein. 

Gott  schütze  Euere  Majestät  und  Bayern! 

P.  S.  Die  Minister  haben  ebenfalls  beschlossen.  Seine  Majestät 
den  König  zu  ersuchen,  nach  Stuttgart  zurückzukehren.        m.  st.  a. 

18.  München  1870  Juli  17.  Telegramm  des  Graf  en  v.  Bray  an 
Freiherrn  v.  Perglas  in  Berlin. 

Auf  ein  von  Baron  Werthern  mitgetheiltes  Telegramm  vom 
15.  d.  M.  hat  die  Regierung  Sr.  M.  des  Königs  der  an  sie  gerichteten 
Einladung  sofort  durch  die  unterm  Gestrigen  verfügte  Mobilisirung 
der  gesammten  Streitmacht  entsprochen  und  die  erforderlichen 
Vorkehrungen  getroffen,  namentlich  in  Betreff  des  Ausfuhrver- 
botes von  Kriegsbedarf  jeder  Art,  einschließlich  der  Pferde  und 
Fourage. 

Baron  Werthern  ist  in  Kenntniß  gesetzt.  m.  st.A. 


234 

19-  Berlin  1870  Juli  17.    Freiherr  v.  Perglas  an  den  König 

von  Bayern. 

(Original.) 

Die  Lage  bis  zum  gestrigen  Tage  ist  Euerer  Königlichen  Maje- 
stät ausführlich  und  genau  durch  Freiherrn  von  Tautphoeus  bericht- 
lich zur  Kenntniß  gebracht  worden.  Gleich  nach  meiner  Rückkehr 
auf  meinen  Posten  gestern  Mittag  habe  ich  Herrn  von  1  hile  besucht 
und  mich  bei  Graf  Bismarck  gemeldet,  der  mich  noch  an  demselben 
Abend  V2I0  Uhr  empfangen  hat.  Der  Staatssekretär  des  Auswär- 
tigen Amtes  sowohl  als  der  Bundeskanzler  sprachen  mir  Anerken- 
nung aus  für  die  Vertragstreue  Haltung  Bayerns.  Graf  Bismarck 
erklärte  mir,  daß  nunmehr  kein  Mittel  bestehe,  um  den  Krieg  zu  ver- 
hindern. Fast  alle  Cabinete,  sagte  der  Bundeskanzler,  und  die 
öffentliche  Meinung  überall  in  der  Welt  beschuldigen  Frankreich 
ausschließlich  diesen  ungerechten  Krieg  veranlaßt  zu  haben.  Die 
Stimmung  in  ganz  Deutschland  sei  für  Preußen  und  dafür,  nun  den 
Krieg  gegen  die  Franzosen  mit  aller  Macht  und  Wucht  aufzunehmen ; 
aus  Provinzen,  wo  ein  solcher  nationaler  patriotischer  Geisi  kaum 
erwartet  werden  durfte,  äußerte  er  sich  lebhaftigst  in  dieser  Richtung. 
Wir  werden  480000  Mann  am  Rhein  aufstellen,  sagte  der  Minister, 
und  300000  noch  übrig  behalten  zur  Vertheidigung  der  Küsten  und 
Seehäfen,  wobei  der  Kanzler  die  Haltung  Hamburgs  rühmend  her- 
vorhob. In  obiger  Ziffer  hatte  Graf  Bismarck  die  Truppen  der 
süddeutschen  Staaten  nicht  eingerechnet,  die  er  im  weiteren  Ver- 
laufe der  Unterredung  auf  nahe  120000  M.  anschlug  und  dabei 
bemerkte,  daß  Frankreich  nur  280000  M.  aufstellen  könne. 

Man  ist  sich  hier  vollkommen  siegesbewußt  und  erwartet  sich 
von  diesem  Kriege  die  besten  Erfolge  und  Garantien  für  die  Zukunft 

für  die  Interessen  Deutschlands,  vielmehr  Preußens, dahin 

denkt  man  schon  jetzt,  um  sich  die  Macht  und  die  Stellung  ein  für 
allemal  zu  sichern.  Es  wird  daher  von  den  anderen  selbstständigen 
Staaten  Deutschlands  alles  aufgeboten  werden  müssen,  meine  ich, 
um  gleichfalls  bei  der  künftigen  Neugestaltung  berechtigte  poli- 
tische Stellung  zu  nehmen  und  sich  zu  sichern. 

Eine  Kriegserklärung  war  auch  gestern  Abend  noch  nicht  an 
Preußen  erfolgt,  sagte  mir  der  Bundeskanzler,  und  sind  auch  die  diplo- 
matischen Beziehungen  zwischen  Preußen  und  Frankreich  noch  nicht 
abgebrochen.  Herr  Le  Sourd  ist  hier  imd  Graf  Solms  als  Geschäfts- 
träger in  Paris,  da  Herrn  von  Werther  die  Weisung  zugegangen 
in  Urlaub  zu  gehen.  Graf  Bismarck  sagte  mir:  ,,Ich  habe  ihn  ange- 
wiesen Urlaub  zu  nehmen,  er  ist  zu  schwach  gewesen  und  hat  nicht 
verstanden  dem  Herzog  von  Gramont  mit  der  nöthigen  Entschie- 
denheit zu  begegnen,  er  ist  überhaupt  seiner  Stellung  nicht  ge- 
wachsen." (Graf  Bismarck  findet  hier  Gelegenheit  sich  des  Baron 
Werther  zu  entledigen,  dessen  Berufung  nach  Paris  gegen  seinen 
Willen  erfolgt  ist,  er  wirft  ihn  weg  mit  Mißachtung,  um  nicht  einen 
andern  trivialen  Ausdruck  zu  gebrauchen). 

Wenn  der  Abbruch  der  offiziellen  Beziehungen  zwischen 
Preußen  und  Frankreich  durch  Abberufung  der  resp.  Botschafter 
erfolgt  sein  wird,  ,,wenn  Graf  Solms  die  Pässe  zugeschickt  sein 
werden",  sagte  der  Graf,  ,,und  Herr  Le  Sourd  um  seine  Pässe  bitten 
wird",  dann  erwartet  sich  der  Kanzler,  daß  der  Abbruch  auch  von 
Seite  der  anderen  deutschen  Regierungen  erfolge  und  nicht  früher; 


235 

er  fügte  bei:  ,, Übereilen  Sie  Sich  in  Bayern  in  dieser  Beziehung 
nicht,  um  vielmehr  Zeit  zu  ihren  Kriegsrüstungen  zu  gewinnen." 
Der  französische  Militärbevollmächtigte  Stoffel  ist  auch  noch 
hier,  der  zu  den  besonders  privilegirten  Freunden  Graf  Bismarcks 
gehört.  Über  ihn  äußerte  sich  der  Kanzler  gestern,  daß  er  der 
französischen  Regierung  die  Aufschlüße  und  Pläne  über  die  mari- 
timen Verhältniße  und  die  Seehäfen  Norddeutschlands  geliefert 
habe. 

Von  meiner  Seite  habe  ich  den  Bundeskanzler  in  Erfüllung 
meiner  Instruction  ,,der  Vertragstreue"  Bayerns  versichert.  Ich 
habe  ihn  zugleich  gefragt,  was  von  der  Haltung  Österreichs  zu 
erwarten  sey,  worauf  er  mir  erwiederte,  wie  er  schon  ausführlicher 
an  Baron  1  autphoeus  geäußert  hatte,  daß  Österreich  die  Neutralität 
beobachten  werde. 

Der  österreichische  Geschäftsträger  hat  bisher,  wie  ich  von 
ihm  vernehme,  keinerlei  Eröffnungen  hier  gemacht  mit  Ausnahme 
der  Mittheilung  einer  Circular-Depesche  zur  Zeit  der  Kandidatur 
des  Erbprinzen  von  Hohenzollern.  Graf  Bismarck  ist  auch  voll- 
kommen versichert,  daß  die  Ansicht,  daß  die  italienische  Regierung 
nunmehr  Frankreich  gegen  Deutschland  irgendwie  unterstützen 
werde,  absolut  gegen  das  Interesse  Italiens  sey;  nur  einige  be- 
stochene Leute,  wie  sie  es  bei  Custozza  und  Lissa  waren,  und  ,, Nigra 
mit  Eugenie"  können  eine  französisch-italienische  AUiance  träumen. 
Er  äußerte  sich  sehr  zufrieden  über  den  Ausdruck  der  öffentlichen 
Meinung  in  England  und,  als  er  mir  ein  Privattelegramm  vorlas, 
in  welchem  die  Beobachtung  einer  vollen  Neutralität  Englands 
betont  war,  fügte  er  stiUe  bei:  ,,Ich  hoffe  nicht  immer"  (diese 
Bemerkung  ist  gewiß  bezeichnend  und  dürfte  für  die  Stellung, 
welche  von  Rußland  erwartet  wird,  Aufklärung  geben).  —  Als 
ich  den  Kanzler  frug,  ob  das  gestern  publicirte  Privattelegramm 
Begründung  habe,  daß  Rußland  aktiv  gegen  Preußen  vorgehen 
werde,  wußte  er  von  dieser  Nachricht  nichts  und  bezeichnete  sie 
natürlich  als  unrichtig.  Selbst  aus  Schweden  und  Dänemark  wollte 
Graf  Bismarck  Kundgebungen  von  Sympathien  für  Deutschland 
gegen  Frankreich  erhalten  haben. 

Nun  keine  Rücksichten  mehr  zu  beobachten  seyen,  welche  er 
bisher  noch  geachtet  habe,  will  Graf  Bismarck  demnächst  das  noch 
nicht  im  vollen  Umfange  bekannte  beleidigende  Verfahren  Bene- 
dettis  gegen  den  König  veröffentlichen.  Die  Gelegenheit  hiefür 
dürfte  bei  der  Eröffnung  des  Reichstags  geboten  sein,  der  zum 
Dienstag  den  19.  berufen  ist.  In  der  gestrigen  Sitzung  des  Bundes- 
rathes  ist  beschloßen  worden  eine  Anleihe  von  120  Millionen  Thaler 
zu  verlangen.  In  derselben  sind  alle  wichtigen  Bestimmungen  in 
maritimer  Beziehung  und  bezüglich  des  Seerechtes  im  Kriege  be- 
schloßen worden.  Graf  Bismarck  hat  in  einem  langen  expose  dem 
Bundesrath  die  Lage  dargestellt,  um  ihn  von  der  Frankreich  aus- 
schließlich zur  Last  fallenden  Schuld  des  Krieges  zu  überzeugen,  und 
ist  er  einstimmig  in  allen  Anforderungen  unterstützt  worden. 

Als  ich  Graf  Bismarck  bemerkte,  daß  die  rasche  Entsagung 
des  Erbprinzen  von  Hohenzollern  im  Interesse  des  Friedens  sehr 
chevaleresque  von  seiner  Seite  gewesen  sey,  entgegnete  er  mir,  daß 
er  dieses  gar  nicht  chevaleresque  gefunden  habe,  vielmehr  hätte 
der  Prinz  entweder  die  Kandidatur  nicht  annehmen  oder,  nachdem 


236 

er  sie  angenommen  habe,  gleich  nach  Spanien  gehen  müßen,  ohne 
viel  zu  fragen,  keinesfalls  aber  die  preußische  Regierung  in  diese 
Angelegenheit  verwickeln  dürfen. 

(Meiner  Überzeugung  nach  war  bei  Ausbruch  der  spanischen 
Revolution,  wenn  nicht  schon  vorher,  dieser  Prinz  für  den  spanischen 
Thron  von  Preußen  in  Aussicht  genommen.  Kein  Cabinet  und  kein 
Monarch  hat  der  spanischen  Revolution  soviel  Sympathie  bezeugt, 
als  das  preußische  und  König  Wilhelm). 

Von  Augenzeugen  höre  ich,  daß  die  Begeisterung  in  Berlin 
für  den  König  bei  Seiner  Rückkehr  vorgestern  Abend,  überhaupt 
bei  Seiner  Reise  an  allen  Orten  eine  außerordentliche,  unbe- 
schreibliche und  rührende  gewesen  sei.  Bei  Umarmung  des  Kron- 
prinzen vergoß  der  König  Thränen.  Alles  drängte  sich  an  den  König, 
um  ihm  die  Hand  zu  küssen,  was  er  diesesmal  gewähren  lassen 
mußte.  Nun  ist  man  hier  in  den  eiligsten  und  eifrigsten  Kriegs- 
rüstungen, beklagt  aber  an  offizieller  Stelle,  daß  die  Mobilisirung 
der  Armee  nicht  schon  einige  Tage  früher  angeordnet  wurde .  Herr  von 
Thile  bemerkte  mir,  man  müße  sich  gefaßt  machen,  daß  Frankreich 
anfänglich  Vortheile  erringen  werde ;  Moltke  würde  nur  mit  Massen 
vorgehen  und  einzelne  Armee-Corps  vorerst  nicht  operiren  lassen. 

Graf  Bismarck  entließ  mich  freundlich  um  lo  Uhr,  da  er  mit 
dem  Kriegsminister  zu  conferiren  hatte,  ohne  mir  besondere  und 
weitere  Mittheilungen  für  Euerer  Königlichen  Majestät  Regierung 
zu  machen.  Dieselben  erfolgen  übrigens  direct  durch  Vermittlung 
der  K.  Preußischen  Gesandtschaft  in  München.  M.st.A. 

20.   München  1870  Juli  18.  Antrag  des  Grafen  v.  Bray  an  den 
König  von  Bayern. 

(Original.) 

Der  treugehorsamst  Unterzeichnete  beehrt  sich,  Euerer  König- 
hchen  Majestät  zu  melden,  daß  Baron  Varnbüler  gestern  Abends 
nach  8  Uhr  hier  eingetroffen  ist,  um  mit  ihm  eine  eingehende 
Besprechung  über  die  durch  die  neuesten  Ereignisse  gleichmäßig 
berührten  Staatsinteressen  Bayerns  und  Württembergs  zu  pflegen. 

Der  Württembergische  Minister  des  Äußern  hat  sich  vor  Allem 
bemüht,  den  ungünstigen  Eindruck  zu  verwischen,  welchen  die 
telegraphische  Meldung  über  einen  am  15.  gefaßten  Beschluß  des 
Württembergischen  Gesammtministeriums  hier  hervorgebracht  hat, 
gemäß  welcher  jener  Beschluß  auf  sofortigen  bedingungslosen  An- 
schluß an  Preußen  gelautet  hätte.  Baron  Varnbüler  erläuterte, 
daß  eben  nur  über  die  zu  stellenden  Bedingungen  Beschluß  gefaßt 
worden  sei,  keineswegs  aber  über  eine  endgültige  Zusage  an  Preu- 
ßen, welche  schon  durch  die  Abwesenheit  Seiner  Majestät  des  Königs 
von  Württemberg  und  durch  Dessen  mangelnde  Zustimmung  aus- 
geschlossen war. 

Freiherr  von  Varnbüler  fügte  bei,  daß  auch  bis  zur  Stunde  in 
Stuttgart,  so  wenig  wie  in  München,  eine  förmliche  Einladung  Preu- 
ßens zur  Erklärung  über  den  casus  foederis  eingelaufen  sei  und  daß 
somit  die  Nothwendigkeit,  sich  hierüber  auszusprechen,  keineswegs 
gegeben  sei. 

Daß  ein  solcher  Ausspruch  insbesondere  nicht  öffentlich  er- 
folgen dürfe,  solange  von  keinem  der  Hauptbetheiligten  eine  Kriegs- 


237 

erklärung  vorliegt,  ist  selbstverständlich  und  würde  ein  Voran- 
gehen in  kriegerischer  Richtung  zur  Folge  haben,  welches  mit  der 
eigenthümlichen  Stellung  der  deutschen  Südstaaten  nicht  verein- 
bar ist. 

Aus  eben  diesem  Grunde  hat  sich  der  treugehorsamst  Unter- 
zeichnete veranlaßt  gesehen,  einen  Artikel  der  Correspondenz  Hoff- 
mann, welche  meldet,  daß  Bayern  mit  Preußen  in  den  Kampf 
gegen  Frankreich  vorgehen  werde,  als  vom  Ministerium  des  Äußern 
nicht  ausgehend  zu  bezeichnen,  nachdem  ihm  eine  solche  Ankün- 
digung jedenfalls  verfrüht  erscheint. 

Freiherr  von  Pranckh  hat  sich  dieser  Erklärung  im  Namen 
des  Kriegsministeriums  angeschlossen. 

Mit  dem  Freiherrn  von  Varnbüler  ist  über  die  gesammte 
Haltung  beider  Regierungen  während  der  gegenwärtigen  Ciisis 
vollständige  Übereinstimmung  erzielt  worden,  und  es  steht  zu 
hoffen,  daß  das  Verhalten  der  K.  Württembergischen  Regierung 
dieser  Zusage  entsprechen  werde,  weil  ihr  eigenes  Interesse  dem 
Einhalten  ihres  Versprechens  entspricht. 

Baron  Varnbüler  hat  heute  Früh  um  6  Uhr  München  zur  Rück- 
kehr nach  Stuttgart  verlassen. 

Eingesehen. 

München,  den  20.   Juli  1870 

Ludwig.  M.st.A. 

21.   München   1870    Juli   18.     Der    norddeutsche    Gesandte 
V.  Werthern   an  den  Grafen  v.  Bray- 

(Original.) 

Am  14.  d.  M.  hat  der  unterzeichnete  Gesandte  des  Norddeutschen 
Bundes  die  Ehre  gehabt,  bei  Sr.  Excellenz  dem  Herrn  Grafen 
von  Bray,  K.  bayerischer  Minister  des  Äußern,  im  Auftrage  seiner 
Regierung  anzufragen,  ,,auf  welche  Unterstützung  Seitens  Bayerns 
dieselbe  im  Falle  eines  französischen  Angriffs  rechnen  könne". 

Die  hierauf  erfolgte  Antwort  Sr.  Excellenz  lautete  dahin: 
daß  in  diesem  Falle  Bayern  auf  der  Seite  des  Norddeutschen  Bun- 
des stehen  werde,  und  bemerkte  Hochderselbe,  daß  er  sich  in  diesem 
Sinne  bereits  gegen  den  Kaiserlich  französischen  Gesandten  geäußert 
habe. 

In  Übereinstimmung  mit  dieser  Mittheilung  steht  die  von 
Sr.  M.  dem  Könige  von  Bayern  unter  dem  16.  d.  M.  angeordnete 
Mobilisirung  der  K.  bayerischen  Armee. 

Die  bekannten  von  der  Kaiserlich  französischen  Regierung 
abgegebenen  Erklärungen  in  Verbindung  mit  den  von  derselben 
getroffenen  militärischen  Maßnahmen  lassen  keinen  Zweifel  auf- 
kommen, daß  der  Kriegsfall  schon  jetzt  eingetreten  ist. 

Der  Unterzeichnete  glaubt  daher,  das  durch  die  Bündniß- 
verträge  vom  22.  August  1866  begründete  Verhältniß  zwischen  den 
beiden  hohen  Regierungen,  dem  Ernst  der  Lage  entsprechend, 
mit  vollkommener  Klarheit  feststellen  zu  soUen,  und  dem  zu  Folge 
b)eehrt  er  sich  den  Herrn  Minister  des  Äußern  ganz  ergebenst  zu 
ersuchen,  constatiren  zu  woUen,  daß  die  K.  bayerische  Regierung  den 
casus  foederis  durch  die  Haltung  Frankreichs  als  gegeben  erachtet. 


238 

und  sieht  derselbe,  unter  dem  Drange  der  Umstände,  ohne  Verzug 
einer  gefälligen  Rückäußerung  ergebenst  entgegen. 

Der  Unterzeichnete  benutzt  diesen  Anlaß,  dem  Herrn  Grafen 
von  Bray  den  Ausdruck  seiner  vorzüglichsten  Hochachtung  zu 
erneuen.  m.  st.A. 

22.  München   1870    Juli  19.    Telegramm  des  Grafen  v.  Bray 
an  den  Gesandten  Freiherrn  v.  Gasser  in  Stuttgart. 

Durch  preußischen  Gesandten  wurde  durch  Note  angefragt 
wegen  Anerkennung  casus  foederis.  Wunsche  zu  erfahren,  ob 
gleiche  Anfrage  in  Stuttgart  erfolgte,  und  wie  Varnbüler  zur  Zeit 
antwortet.  m.si.a. 

23.  München  1870  Juli  19.  Handschreiben  König  Ludwigs  IL 

an  den  Grafen  v.  Bray. 

(Original.) 

Mein  lieber  Staatsminister  Graf  Bray! 
Ich  habe  von  der  Note  des  am  hiesigen  Hofe  beglaubigten 
preussischen  Gesandten  vom  18.  Juli  1.  J.  Einsicht  genommen  und 
ermächtige  Sie,  dem  Vertreter  der  preussischen  Regierung  sofort 
zu  erklären,  daß  Ich  den  casus  foederis  als  gegeben  erachte,  wonach 
die  weiteren  Maßnahmen  unverzüglich  einzuleiten  sind.  Indem  Ich 
Ihrem  bisherigen  umsichtigen  Verhalten  Meine  vollste  Anerkennung 
zolle  und  auf  Ihre  fernere  opferwillige  und  thatkräftige  Mit- 
wirkung rechne,  verbleibe  Ich  mit  bekannten  Gesinnungen 

Ihr  gnädiger  König 

Ludwig  M.st.A. 

24.  Wien  1870  Juli  17  (präsentiert  19.).    Graf  v.  Fugger  an  den 

Grafen  v.  Bray. 

(Original.) 

Es  ist  mir  soeben  möglich  geworden,  den  Herrn  Reichskanzler 
zu  sprechen  und  seine  Ansicht  über  den  preußisch-französischen 
Konflikt  zu  vernehmen. 

Graf  Beust  äußerte  sich  dahin,  daß  er  nun  selbst  alle  Hoffnung 
auf  irgend  eine  friedliche  Lösung  aufgegeben  habe,  und  bestätigte  mir, 
daß  außer  dem  von  Eurer  K.  M.Regierung  gemachten  Vermittlungs- 
vorschlag von  keiner  Seite  Schritte  zur  Verhütung  des  Kriegsaus- 
bruches versucht  wurden. 

Er  glaubte  zugleich  seine  Meinung  dahin  aussprechen  zu  sollen, 
daß  es  vielleicht  möglich  gewesen  wäre,  den  Ausbruch  von  Feind- 
seligkeiten zu  verhindern,  wenn  Süddeutschland  Preußen  gegen- 
über erklärt  hätte,  daß  bei  einem  wegen  der  Kandidatur  des  Prinzen 
HohenzoUern  ausbrechenden  Kriege  es  nicht  den  casus  foederis 
für  gegeben  erachte. 

Der  Reichskanzler  fügte  bei,  daß  allerdings  Frankreich  durch 
sein  Vorgehen  den  furor  Teutonicus  auf  ungeschickte  Art  gegen  sich 
wachgerufen  habe,  und  daß  daher  die  Kabinete  in  München  und 
Stuttgart  genöthigt  waren,  der  allgemeinen  Stimmung  Rech- 
nung zu  tragen. 


239 

Zugleich  bedauert  Graf  Beust,  daß  Süddeutschland  dem 
Hauptanprall  der  Franzosen  ausgesetzt  sein  werde. 

Schließlich  betonte  er  die  neutrale  Haltung  Österreichs  in  dem 
bevorstehenden  Kampfe,  indem  er  bemerkte:  Österreich  werde 
diesmal  Zuschauer  bleiben.  m.si.a. 

25.  Paris  1870  Juli  17  (präsentiert  19.).     Graf  v.   Quadt  an  den 
Grafen  v.  Bray. 

(Original.) 

Gemäß  der  mir  gestern  gewordenen  Weisung  begab  ich  mich 
heute,  nachdem  der  Duc  de  Gramont  auf  meine  Anfrage  mich  um 
3  Uhr  Nachmittags  empfangen,  begleitet  von  Herrn  Legationsrath 
Rudhart,  um  letzteren  anläßlich  meines  Urlaubs  als  interimistischen 
Geschäftsträger  vorzustellen,  ins  Ministerium  des  Äußern.  Als  ich 
beim  Duc  eingetreten  war,  eröffnete  ich  demselben,  daß  ich  von  dem 
mir  Ende  vorigen  ^Monats  schon  bewilligten  Urlaub  morgen  Gebrauch 
machen  würde,  mit  dem  Bemerken,  daß  Herr  Legationsrath  Rud- 
hart mit  mir  gekommen,  um  als  Geschäftsträger  vorgestellt  zu 
werden. 

Der  Duc  de  Gramont  empfieng  mich  auf  das  freundlichste 
und  bat  mich  sofort  den  Herrn  Legationsrath  eintreten  zu  laßen, 
indem  er  einen  großen  Werth  darauf  lege,  daß  derselbe  als  Geschäfts- 
träger seinen  Eröffnungen  beiwohne. 

Monsieur  de  Gramont  debuta  par  le  differend  qui  s'etait  eleve 
avec  le  Roi  de  Prusse  en  affirmant  que  le  telegramme  officieux  de 
la  ,, Norddeutsche  AUg.  Zeitung"  ne  presentait  pas  le  differend  sous 
son  veritable  jour,  qu'il  avait  l'air  d'insinuer  comme  quoi  Ms. 
Benedetti  aurait  regu  un  affront  —  ce  qui  n'etait  pas.  Tout  au 
contraire,  continua  le  Duc,  Ms.  Benedetti  a  ete  dans  les  meilleurs 
termes  avec  le  Roi  pendant  toute  la  duree  de  son  sejour  ä  Ems;  il 
n'y  a  rien  eu  de  blessant  dans  les  procedes  personnels  du  Roi  pour 
notre  ambassadeiu".  Je  ne  voudrais  rien  dire  qui  put  faire  tort  au 
Roi,  car  apres  tout  il  viendra  un  moment  ou  vaincus  ou  vainqueurs 
nous  nous  serrerons  encore  la  main;  mais  je  ne  puis  cependant 
dissimuler  que  le  Roi  n'a  pas  ete  ä  la  hauteur  de  la  Situation:  — 
L'absence  de  Ms.  de  Bismarck  ä  Varzin  et  par  suite  l'interim  de  Ms. 
de  1  hiele  ont  contribue  de  leur  cote  ä  compliquer  la  Solution  du 
differend;  c'est  malheureusement  ce  concours  de  circonstances 
fächeuses,  qu'il  faut  attribuer  l'insucces  des  negociations  entamees 
par  nous  avec  la  Prusse.  La  question  a  ete  bien  simple  et  pouvait 
se  resoudre  sans  prejudice  des  deux  gouvernements  en  cause:  Je 
ne  sais  si  vous  etes  au  courant  de  la  proposition  du  Comte  Bray 
dont  les  procedes  sages  ont  ete  vivement  apprecies  par  nous,  car  la 
Solution  proposee  par  votre  ministre  menagait  toutes  les  positions 
en  invitant  le  Roi  de  Prusse  ä  reconnaitre  en  principe  ce  qui  avait 
ete  pratique  par  la  France  au  sujet  du  Duc  de  Nemours  pour  la 
Belgique  et  par  l'Angleterre  pour  le  Prince  Alfred,  appele  au  tröne 
de  Grece  par  l'unanimite  des  Grecs,  et  ces  princes  y  renongant  par 
les  considerations  qui  resultent  de  ce  principe. 

Le  Roi  de  Prusse  en  se  refusant  ä  cette  satisfaction  qui  aurait 
repondu  ä  nos  vues,  par  sa  precipitation  (  —  le  telegramme  precite 
de  la  Norddeutsche  Allg.  Zeitung  — )  a  compromis  la  Solution  paci- 


240 

fique.  Je  sais,  continua  le  Ministre,  que  votre  Gouvernement  n'a 
pas  encore  reconnu  le  casus  foederis  jusqu'ä  present,  ce  dernier  ne 
pouvant  s'appliquer  qu'au  cas  d'une  violation  de  fait  du  territoire 
Allemand;  mais  l'eventualite  imminente  d'une  guerre  avec  laPrusse 
doit  forcement  emmener  une  violation:  —  dans  l'etat  des  choses  il 
nous  est  impossible  de  diff erer  plus  longtemps  afin  d'etre  fixe  si  nous 
avons  la  Baviere  comme  ennemie,  neutre  ou  amie.  Dans  le  premier 
cas  il  ist  evident  que  le  Palatinat  Bavarois  sera  le  champ  de  bataille 
de  la  Prusse  et  de  la  France  et  cette  province  se  trouvera  par  le 
fait  dans  la  triste  position  d'etre  traite  par  les  deux  belligerants 
comme  pays  conquis  —  c'est  ä  la  Baviere  de  reflechir  si  eile  veut 
prendre  la  responsabilite  des  fleaux  qui  vont  fondre  sur  elles.  A 
cette  occasion  le  Duc  de  Gramont  fit  entrevoir  sans  la  nommer,  la 
position  hostile  de  l'Autriche  envers  la  Baviere  au  cas  qu'elle  serait 
partisan  de  la  Prusse;  si  eile  reste  neutre,  la  France  se  fera  un 
devoir  de  lui  f  aciliter  cette  position  de  son  mieux,  car  nous  ne  me- 
connaissons  pas  les  difficultes  qui  resultent  pour  le  Gouvernement 
Bavarois  dans  cette  grave  question;  comme  ami,  il  s'entend  de  soi 
meme  qu'elle  partagera  avec  nous  le  benefice  des  succes.  Mais 
il  est  temps  que  la  Baviere  se  prononce  dans  le  plus  bref  delai,  car  nos 
interets  sont  trop  engages  pour  attendre  plus  longtemps. 

En  faisant  observer  au  Duc  de  Gramont,  combien  le  sentiment 
national  Allemand  etait  surexcite  par  le  langage  provoquant  des 
journaux  frangais  qui  representaient  la  conquete  du  Rhin  comme 
objectif  de  la  guerre,  combien  il  etait  difficile  aux  gouvernements 
Allemands  de  se  mettre  en  travers  de  ce  courant  national,  le  Duc 
de  Gramont  accentua  l'assurance  positive,  que  ces  journaux  expri- 
maient  le  contraire  des  vues  du  Gouvernement  Imperial;  —  loin  de 
la,  dit  le  Ministre,  je  puis  vous  affirmer  que  la  France,  en  cas  de 
succes  contre  la  Prusse,  se  gardera  bien  de  demander  le  moindre 
petit  lambeau  du  territoire  Allemand.  —  Apres  tout,  fit-il 
observer,  les  provinces  Rhenanes  sont  foncierement  Allemandes  et 
ce  serait  une  faute  colossale  de  la  part  du  Gouvernement  Frangais 
de  s'annexer  les  Clements  hostiles  qui  ne  feraient  que  grossir  les 
bancs  de  l'opposition.  Notre  but,  ajousta  Ms.  de  Gramont,  est 
d'empecher  le  Prussianisme  en  Allemagne  et  je  ne  comprends  pas 
en  quoi  seraient  leses  les  Gouvernements  du  Sud  si  nous  annulons 
le  grand  duche  de  Bade  qui  n'est  qu'une  succursale  de  Berlin  —  (A 
cette  occasion  le  Duc  de  Gramont  s'exprima  tres  vivement  contre 
les  procedes  du  grand  duc  de  Bade)  —  et  retablissons  dans  le  Nord 
le  Royaume  de  Hannover  en  l'agrandissant  de  maniere  ä  ecarter 
les  dangers  qu'offrait  la  Prusse  preponderante  en  Allemagne.  Le 
duc  de  Gramont  repeta  que  la  Baviere  est  ä  meme  d'epargner  ä  ses  Su- 
jets le  fleau  de  la  guerre  sans  prejudice  de  sa  dignite  puisque  l'in- 
tegrite  du  territoire  Allemand  sera  sauvegarde. 

Je  ne  meconnais  pas  les  difficultes  qui  resultent  pour  votre 
Gouvernement  de  la  Situation,  et  je  fais  une  large  part  ä  ces  motifs 
qui  l'ont  fait  hesiter  ä  prendre  un  parti,  mais  d'un  autre  cote  il 
nous  est  impossible  de  differer,  car  aussi  nous  avons  ä  lutter 
contre  un  courant  national  qui  au  bout  de  huit  jours,  comme  vous 
avez  pu  le  remarquer,  a  pris  des  proportions  colossales;  il  Importe 
donc  que  la  Baviere  se  prononce  dans  le  plus  bref  delai  et  pese  serieu- 


241 

sement  les  graves  consequences  qui  resulteront  pour  eile,  si  eile  se 
fait  le  partisan  de  notre  ennemi  la  Prusse. 

Hier  endigte  unsere  Unterredung. 

Wenn  auch  die  vom  Duo  de  Gramont  gegebenen  Zusagen  auf- 
richtig gemeint  sein  dürften,  so  kann  ich  doch  nicht  unterlassen,  zu 
bemerken,  daß  bei  dem  hier  vorherrschenden  Chauvinismus  nicht 
denkbar  ist,  daß  ein  siegreiches  Frankreich  eine  so  ungewöhnliche 
Uneigennützigkeit  an  den  Tag  legen  wird.         ^ 

Der  Hessische  Gesandte  hat  die  Instruction  bekommen,  sein 
Verhalten  nach  jenem  des  Norddeutschen  Botschafters  zu  regeln; 
der  Württembergische  Gesandte  ist  zur  Zeit  noch  ohne  Instruction. 

Unangenehmes  Aufsehen  erregt  es  dahier,  daß  Amerika  die 
gesandtschaftlichen  Archive  von  Preußen  übernommen  hat. 

In  den  letzten  Nächten  haben  hier  mehrfache  Ruhestörungen 
republikanischen  Charakters  stattgefunden,  wobei  die  Friedens- 
und Kriegsparthei  gegenseitig  demonstrirten.  m.  st.A. 

26.  Berlin  1870  Juli  19.  Telegrammdes  Gesandten  v.  Perglas. 

Mir  aufgefallen,  daß  Graf  Bismarck  gegen  mich  ein  besonderes 
Drängen  für  rasche  Kriegsbereitschaft  Bayerns  nicht  geäußert  hat, 
dieß  übrigens  vielleicht  ohne  Absicht,  puisque  les  Communications 
ä  cet  egard  ont  lieu  par  voie  directe  militaire.  Er  schien  mich  sogar 
zu  mißverstehen,  als  ob  (man)  en  Baviere  etwa  die  diplomatischen  (Be- 
ziehungen) mit  Frankreich  früher,  als  von  hier  geschehen  werde, 
abbrechen  wolle,  und  seine  Ermahnung,  uns  hier  nicht  zu  übereilen, 
war  mir  auffällig.  Je  m'attendais  etwas  mehr  warme  und  lebhaftere 
Anerkennung  der  Haltung  de  la  Baviere.  Ob  Preussen  gedenkt 
allein  zu  siegen  et  exclusivement  et  seule  über  die  künftige 
Geschicke  Deutschlands  zu  bestimmen?  Des  Königs  von  Bayern 
erwähnte  Graf  Bismarck  nicht.  m. st.A. 


JJoeberl.  Bayern  und  die  Bismarckische  Reichsgrflndung.  l6 


n. 

Zur  Geschichte  des  bayerischen  Initiativ^ 
antrags  vom  12.  September  1870 
und  der  Münchener  Konferenzen 

I.    Berlin    1870    Sept.    5.     Staatsminister   v.  Delbrück   an 

Bismarck. 

(Original.) 

Ew.  Excellenz  sind  durch  den  Herrn  Staats-Sekretär  von 
Thile  davon  in  Kenntnis  gesetzt,  daß  ich  in  Befolgung  des  in  dem 
Erlasse  vom  25.  v.  Mts.  ertheilten  Auftrages  mich  nach  Dresden 
begeben  habe.  Ich  bin  daselbst  am  3.  ds.  Mts.  Mittags  angekommen, 
am  folgenden  Tage  von  Seiner  Majestät  dem  Könige  von  Sachsen 
empfangen  und  habe  sowohl  mit  letzterem  als  auch  wiederholt  mit 
Herrn  Freiherrn  von  Friesen  die  in  dem  gedachten  Erlasse  berühr- 
ten Fragen  besprochen. 

Von  der  Absicht  Seiner  Majestät  des  Königs,  vor  dem  Beginn 
der  Friedens- Verhandlungen  über  den  Inhalt  des  Friedens  die  Ver- 
ständigung auf  deutscher  Seite  durch  gemeinsame  Vorberathung 
der  deutschen  Fürsten  herzustellen,  waren  Seine  Majestät  der 
König  Johann  und  sein  Minister  bereits  durch  Seine  Königliche 
Hoheit  den  Kronprinzen  von  Sachsen  unterrichtet.  Der  König 
sprach  seine  volle  Bereitwilligkeit  aus,  der  Einladung  zu  einer 
solchen  Vorberathung  zu  entsprechen,  und  bemerkte,  daß  er  in 
diesem  Sinne  seinem  Sohne  geschrieben  habe. 

Sowohl  Seine  Majestät  als  auch  Herr  von  Friesen  kamen 
mir  mit  dem  Anerkenntniß  der  Nothwendigkeit  einer  beträchtlichen 
Gebiets-Abtretung  Frankreichs  an  Deutschland  entgegen.  Beide 
betonten  bei  der  Begründung  dieser  Ansicht  in  erster  Linie  die 
Rücksicht  auf  die  Einmüthigkeit  der  öffentlichen  Meinung  und 
auf  die  Gefahr,  welche  die  Täuschung  der  einmüthig  gehegten 
Erwartungen  herbeiführen  würde.  Voller  Ersatz  der  Kriegskosten 
wurde  ferner  als  nothwendig  angesehen. 

Vielleicht  mit  noch  größerem  Interesse,  als  die  Friedens- 
bedingungen, faßte  man  in  Dresden  die  Folgen  des  Krieges  für  die 
deutsche  Frage  ins  Auge.  Herr  von  Friesen  sah  diese  Frage 
als  von  der  Frage  der  Gebiets- Abtretung  unzertrennlich  an. 
Wenn  Preußen  eine  spezielle  Vergrößerung  im  Süden  nicht 
erstrebe,  sondern  nur  die  allgemeinen  Interessen  Deutsch- 
lands bei  der  Bestimmung  über  den  Landerwerb  entscheiden 
lassen  wolle,  so  erheischten  diese  Interessen  eine  Gestaltung,  welche 


243 

einerseits  die  Bedeutung  dieses  Erwerbes  als  einer  Vormauer  gegen 
Frankreich  sicherstelle,  andererseits  dem  berechtigten  Verlangen 
der  Bewohner  des  abzutretenden  Gebiets  entspreche,  Glieder  einer 
großenNation  zu  bleiben.  Möge  man  dieses  Gebiet  einem  süddeutschen 
Staate  überlassen  oder  zu  einem  besonderen  Gemeinwesen  machen, 
immerhin  könne  ihm  nicht  eine  Stellung  gegeben  werden,  wie  sie 
die  süddeutschen  Staaten  einnehmen,  und  ebenso  wenig  werde  man 
die  süddeutschen  Staaten  in  einer  anderen  Stellung  lassen  können, als 
dem  neuen  Gebiete  gegeben  werde.  In  den  Norddeutschen  Bund, 
wie  er  sei,  würden  Bayern  und  Württemberg  nicht  eintreten,  aber 
die  Gemeinschaft  des  Vertheidigungs-Systems  zu  Lande  und  zur 
See  sowie  die  Gemeinschaft  der  Vertretung  nach  Außen,  wie  solche 
im  Bunde  beständen,  und  wohl  Anderes  noch  würden  sie  annehmen 
müssen  und  können.  Herr  von  Friesen  knüpfte  an  diese 
Erwägungen  die  Frage,  ob  man  nach  dieser  Richtung  ein  Pro- 
gramm habe. 

Ich  erwiderte,  daß  ich  nicht  glaubte,  Preußen  werde  in  dieser 
Frage  die  Initiative  ergreifen,  vielmehr  schiene  mir,  daß  zu  derselben 
Niemand  mehr  Beruf  habe  als  Sachsen.  Herr  von  Friesen  ver- 
neinte dies  nicht,  wies  aber  darauf  hin,  daß  eine  solche  Initiative 
doch  einige  Sicherheit  über  das  Einverständniß  Preußens  mit  den 
leitenden  Gesichtspunkten  voraussetze.  Im  weiteren  Verlaufe  der 
Unterhaltung  fiel  dann  die  Andeutung,  daß  ein  engerer  Bund  und 
ein  weiterer  Bund  neben  einander  doch  mancherlei  Unzuträglich- 
keiten haben  würden  und  die  Bundesverfassung  sehr  rasch  ent- 
standen sei,  worauf  ich  bemerkte,  daß  wir  in  der  Handelspolitik  und 
im  ZoUwesen  ja  jetzt  schon  einen  engeren  neben  einem  weiteren 
Bunde  hätten  und  diese  Einrichtung  zwar  keine  vollkommene, 
aber  doch  eine  ganz  operationsfähige  sei. 

Schließlich  gab  mir  Herr  von  Friesen  zu,  daß  es  gut  wäre, 
die  beiden  Fragen,  die  französische  und  die  deutsche,  formell  aus- 
einander zu  halten,  und  daß  die  evidente  Nothwendigkeit,  über  den 
Landerwerb  eine  sachgemäße  Bestimmung  zu  treffen,  sehr  geeignet 
sein  werde,  die  Lösung  der  deutschen  Frage  zu  fördern. 

Seine  Majestät  der  König  von  Sachsen  sprach  sich,  wie  es 
nicht  anders  sein  konnte,  sehr  viel  reservirter  aus.  Den  Zusammen- 
hang der  beiden  Fragen  betonte  er  gar  nicht,  er  hob  nur  mit  großer 
Bestimmtheit  die  Nothwendigkeit  des  militärischen  Anschlusses  der 
süddeutschen  Staaten  an  Norddeutschland  hervor  und  schien  nach 
dieser  Seite  hin  den  Erfolg  nicht  zu  bezweifeln. 

Als  Ergebniß  meiner  Wahrnehmungen  glaube  ich  die  Ansicht 
aussprechen  zu  können,  daß  man  hier  zu  irgend  einer  festen  Meinung 
über  die  Bestimmung  des  Landerwerbes  noch  nicht  gelangt  ist  und 
daß  man  in  der  deutschen  Frage  auch  dann  die  Initiative  zu  ergreifen 
geneigt  sein  wird,  wenn  Vortheile  für  die  Stellung  Sachsens  im  Bunde 
dabei  nicht  in  Aussicht  stehen.  Wollen  Ew.  Excellenz  von  dieser 
Disposition  Gebrauch  machen,  so  wird,  wie  ich  glaube,  Herr  von 
Friesen  zu  einer  eingehenden  Äußerung  bereit  sein,  vorausgesetzt, 
daß  man  unsererseits  in  einen  Meinungsaustausch  über  seine  Vor- 
schläge eintreten  wiU.  h.a.a. 

i6* 


244 

2.    Schloß   Berg   1870   September  13.      König  Ludwig   II.   an 

Graf  Bray. 

(Original.) 

Mein  lieber  Staatsminister  Graf  Bray! 

Durch  Grafen  Tauffkirchen  habe  Ich  soeben  erfahren,  daß 
Graf  Bismark  einer  Initiative  Bayerns  bezüglich  Vorschlägen  über 
dessen  Stellung  in  Deutschland  entgegensehe  und  bezüglich  deren 
Berücksichtigung  weitgehende  Zusicherung  gemacht  habe.  Ich 
beauftrage  Sie,  dem  norddeutschen  Gesandten  sofort  behufs  tele- 
graphischer Kundgabe  an  Graf  Bismark  zu  eröffnen,  daß  Ich  jene 
Mittheilung  mit  Befriedigung  aufgenommen  habe  und  sich  dem- 
nächst ein  bayerischer  Bevollmächtigter  mit  entsprechenden  Vor- 
schlägen im  preussischen  Hauptquartier  einfinden  wird. 

Zugleich  erwarte  Ich,  daß  jene  Vorschläge  sobald  als  immer 
möglich  Mir  zur  Prüfung  und  Genehmigung  unterbreitet  werden, 
zumal  Ich  durch  Grafen  Tauffkirchen  gehört,  daß  eine  weitere 
Zögerung  Graf  Bismark  immerhin  zu  einseitigem  Vertragsabschlüsse 
mit   anderen  süddeutschen   Staaten   veranlassen  könnte. 

Mit  bekannten  Gesinnungen 

Ihr  gnädiger  König  m.  st.  a. 

Ludwig. 

3.   München  1870  September  15.    Graf  Bray 
an  König  Ludwig  IL  von  Bayern. 

(Konzept.) 

Ew.  K.  M.  Allerh.  Immediatbefehle  vom  13t  u.  14t  d.  M.  hat 
der  tr.  g.  Unterzeichnete  zu  erhalten  die  Ehre  gehabt. 

Wenn  dem  ersteren  durch  den  AUerunterth.  Antrag  des  Ge- 
sammt-Ministeriums  v.  12.  d.  M.  theilweise  bereits  entsprochen  sein 
dürfte,  so  hat  der  ehrerb.  Unterz.  gleichwohl  nicht  unterlassen,  die 
Geneigtheit  zur  Absendung  eines  Bevollmächtigten  in  das  preu- 
ßische Hauptquartier  telegraphisch  dorthin  kund  zu  geben.  Nach- 
dem inzwischen  die  Ew.  K.  M.  bereits  vorliegende  telegraphische 
Meldung  des  bevorstehenden  Eintreffens  des  Ministers  Delbrück 
hieher  gelangt  ist,  dürfte  unmaßgeblichst  die  Ankunft  des  letzteren 
und  eine  Besprechung  mit  demselben  vor  Absendung  des  bayerischen 
Bevollmächtigten  abzuwarten  sein. 

Nach  Meldung  des  Grafen  Tauffkirchen  scheint  die  Idee  der 
Annahme  des  Kaisertitels  durch  den  König  von  Preußen  dem 
Grafen  Bismark  in  der  That  vorzuschweben,  und  es  ist  nicht  zu 
läugnen,  daß,  wenn  auch  mit  diesem  Titel  keinerlei  Prärogativen 
über  die  zum  Nordbund  nicht  gehörigen  Staaten  verbunden  werden, 
die  Kaiseridee  an  sich  geeignet  ist,  in  der  Öffentlichkeit  zu  irrigen 
Annahmen  Anlaß  zu  geben. 

Schon  hierin  liegt  vor  Allem  ein  Grund  für  Bayern,  den  Bei- 
tritt zum  Nordbund  unter  allen  Umständen  zu  perhorresciren,  weil 
die  Staaten  des  Nordbundes  sich  der  bereits  bestehenden  und  immer 
deutlicher  hervortretenden  Präponderanz  des  Bundesoberhauptes 
in  keiner  Weise  zu  entziehen  vermögen.  Eben  aus  diesem  Grunde 
dürfte  die  ohne  Zweifel  geringe  Geneigtheit  des  Königs  von  Sachsen 
bezüglich  der  Kaiseridee  nicht  maßgebend    sein  und  schließlich 


245 

einer  gezwungenen  Zustimmung  weichen  müssen.  Ein  gleiches 
ßewandniß  hat  es  mit  dem  schon  zur  Hälfte  dem  Nordbund 
einverleibten  Hessen-Darmstadt  und  seinem  Großherzoge.  Da- 
gegen ist  Baden  anbelangend  durchaus  nicht  anzunehmen,  daß 
dessen  Souverän  einem  Wunsche  seines  erlauchten  Schwiegervaters, 
wenn  ein  solcher  deutlicher  hervortritt,  den  geringsten  Widerstand 
entgegensetzen  würde.  Vielmehr  ist  mit  Sicherheit  vorauszusehen, 
daß  eine  bayerische  Anfrage,  wäre  sie  auch  noch  so  behutsam  ge- 
stellt, aus  Karlsruhe  sofort  zur  Kenntniß  der  preußischen  Regierung 
gebracht  werden  würde. 

Es  bleibt  sonach  nur  Württemberg,  und  der  tr.  g.  Unterz.  hat 
sofort  Anstalt  getroffen,  damit  über  den  fraglichen  Gegenstand  mit 
dem  dortigen  Hofe  ein  vertraulicher  Ideenaustausch  vorgenommen 
werde. 

Bezüglich  der  erstgenannten  drei  Höfe  bittet  der  tr.  g.  Unterz. 
die  obigen  Betrachtungen  Allergn,  in  Erwägung  ziehen  zu  wollen 
und  ihm  Allerhöchste  Weisung  Allergn,  zugehen  zu  lassen,  wenn 
eine  Anfrage  an  dieselben  gleichwohl  gerichtet  werden  eollte. 

4.    Deutsche    Verfassungsskizze    von    Marquardt    Barth. 

(Abschrift.) 

Der  Beitritt  Bayerns  zu  dem  Bunde,  welcher  bisher  als  Nord- 
deutscher bezeichnet  wurde,  könnte  auf  der  Grundlage  der  Ver- 
fassung dieses  Bundes  vom  i.  Juli  1867  geschehen,  wenn  dabei  für 
Bayern  folgende   Modifikationen  bewilligt  würden. 

§1 

Die  Theilnahme  Bayerns  an  der  gemeinsamen  Gesetzgebung 
erfolgt  bei  den  in  Artikel  IV,  Zeile  9,  13  und  15  angeführten  Gegen- 
ständen nur  mit  dem  Vorbehalte,  daß  die  betreffenden  Gesetze  in 
Bayern  nur  mit  Genehmigung  des  bayerischen  Monarchen  einge- 
führt werden  können,  wobei  es  der  Landesgesetzgebung  vorbehalten 
bleibt  zu  bestimmen,  ob  S.  M.  der  König  von  Bayern  die  Zustim- 
mung der  Landesvertretung  zu  erholen  haben  oder  ob  diese  durch 
die  Zustimmung  des  Reichstags  ersetzt  wird. 

§2 
Die  in  Artikel  4  erwähnte  Aufsicht  seitens  des  Bundes  hat  sich 
Bayern  gegenüber  auf   das  Erinnerungsrecht  bei  ungenügendem 
Vollzug  der  Bundesgesetze  zu  beschränken. 

§3 
Bayern  erhält  im  Bundesrate  je  6  Stimmen. 

§4. 
Die  in  Artikel  19  der  Bundesverfassung  vorgesehenen  Exeku- 
tionsrechte stehen  Bayern  gegenüber  dem  Bunde  nicht  zu. 

§5 
Die  Gemeinsamkeit  der  Steuern  und  der  Gesetzgebung  (darüber 
Artikel  35  der  Bundesverfassung)  erstreckt  sich  für  Bayern  nicht 
auf  Bier  und  Branntwein. 


246 

§6 
Der  Ertrag  der  Zölle  und  der  gemeinschaftlichen  Verbrauchs- 
abgaben (Artikel  38)  fließt  Bayern  nach  Verhältniß  der  Kopfzahl 
der  Bevölkerung  zu,  wogegen  Bayern,  soweit  es  bei  den  Bundes- 
ausgaben betheiligt  ist,  an  denselben  in  gleichem  Verhältnisse  durch 
Matrikularbeiträge  zu  konkurriren  hat. 

§7 
Eisenbahnen  für  Rechnung  des  Bundes  anzulegen  (Artikel  41) 
ist  dieser  in  Bayern  nur  nach  vorgängiger  Verständigung  mit  der 
bayerischen  Staatsregierung  befugt. 

§8 
Das  Post-  und  Telegraphenwesen  (Artikel  48)  behält  Bayern 
für  sich,  wird  dasselbe  jedoch  nach  den  Gesetzen  des  Bundes  ein- 
richten. 

§9 

Anlangend  das  Bundeskriegswesen  (Artikel  Syff .)  behält  Bayern 
seine  eigene  Armee,  die  es  auf  eigene  Kosten  erhält,  daher  zur  Er- 
haltung der  übrigen  Bundesarmee  nicht  konkurrirt,  es  wird  aber 
die  bayerische  Armee  nach  den  Bundesvorschriften  eingerichtet  und 
auf  dem  durch  diese  festgestellten  Stande  erhalten  werden,  auch 
bleibt  dem  Bundesfeldherrn  der  Oberbefehl  im  Kriege  auch  über  die 
bayerische  Armee.  Dieselbe  kann  von  ihm  jederzeit  auch  im  Frieden 
inspizirt  werden. 

§  10 

Festungen  (Artikel  65)  können  in  Bayern  nur  mit  Zustimmung 
der  bayerischen  Staatsregierung  angelegt  werden. 

§11 
Die  Befugniß,   wegen  Bedrohung  der  öffentlichen   Sicherheit 
den  Kriegszustand  zu  verhängen,  steht  in  Bayern  dem  Bundesfeld- 
herrn nicht  zu  (Artikel  68). 

§  12 
In  Betreff  der  Bundesfinanzen  (Artikel  ögf.)  richten  sich  die 
Rechte  und  Pflichten  Bayerns  nach  §  7. 

§13 
Die  in  Bayern  gegen  den  Bund  begangenen  Verbrechen  (Ar- 
tikel 75)  werden  vor  den  bayerischen  Gerichten  abgeurtheilt. 

§  14 
In  Verfassungsstreitigkeiten  (Artikel  76)  hat  sich  der  Bund, 
wenn  solche   zwischen    der   Krone   Bayern    und    der  bayerischen 
Landesvertretung  entstehen  sollten,  nur  dann  einzumischen,  wenn 
er  von  beiden  Theilen  angegangen  wird. 

§15 
Veränderungen  der  Bundesverfassung  (Artikel  78),  durch 
welche  die  Rechte  und  Pflichten  des  bayerischen  Staates  als  Bun- 
desglied alterirt  werden,  sind  an  die  Zustimmung  der  Krone 
Bayern  gebunden  und  bleibt  hierbei  die  Bestimmung,  ob  S.  M. 
der  König  der  Mitwirkung  der  Landesvertretung  bedürfe,  der 
Landesgesetzgebung  überlassen. 


247 

Werden  in  Bayern  diese  Modifikationen  bewilligt,  so  kann  die 
Reform  der  Bundesverfassung  der  weiteren  Entwicklung  innerhalb 
des  Bundes  selbst  überlassen  bleiben.  h.  a.a. 

5.  Deutsche  Verfassungsskizze  von  Lasker. 

(Abschrift.) 
I. 

Artikel  4  der  Bundesverfassung  soll  keine  Restriction  erleiden ; 
dagegen  dürfte  es  keinen  wesentlichen  Schwierigkeiten  unterliegen, 
die  Stimmenzahl  Bayerns  im  Bundesrathe  auf  die  doppelte  des 
nächstgrößten  Staates  zu  erhöhen,  also  etwa  auf  8  zu  bestimmen, 
vorausgesetzt,  daß  auch  die  Stimmenzahl  Preußens  dahin  erhöht 
wird,  daß  seine  künftige  Stimmenzahl  zur  künftigen  Gesamt- 
stimmenzahl in  dem  bisherigen  Verhältnisse  bleibt. 

IL 

Artikel  19  soll  zwar  nicht  auf  Bayern  unanwendbar  erklärt, 
aber  gleichzeitig  mit  dem  Beitritt  Bayerns  in  einer  Weise  geändert 
werden,  daß  genügender  Schutz  gegen  willkürliche  Handhabung 
den  Einzelstaaten  gegenüber  gegeben  ist. 

III. 
Daß  sich  die  Gemeinsamkeit  der  Steuern  und  der  Gesetzgebung 
darüber  für  Bayern  nicht  auf  Bier  und  Branntwein  beziehen  soll, 
wird  als  ein  Bayern  einzuräumendes  Sonderrecht  anerkannt. 

IV. 

Artikel  41  der  Bundesverfassung  soll  für  Bayern  dahin  modi- 
fiziert werden,  daß  Eisenbahnen  für  Rechnung  des  Bundes  in 
Bayern  ohne  Zustimmung  der  bayerischen  Regierung  zwar  auf 
Grund  eines  Bundesgesetzes  im  Interesse  der  Vertheidigung  des 
Bundes,  nicht  aber  im  Interesse  des  gemeinsamen  Verkehrs  errichtet 
werden  können. 

V. 

Soferne  Bayern  sein  Post-  und  Telegraphenwesen  den  Vor- 
schriften des  Bundes  gemäß  einrichtet  und  verwaltet,  wird  dagegen, 
daß  es  diese  Anstalten  selbständig  behält,  keine  prinzipielle  Er- 
innerung gemacht,  wenn  sich  die  Maßregel  als  ohne  Schädigung  der 
Gemeinsamkeit  technisch  durchführbar  herausstellt. 

VI. 

In  Beziehung  auf  das  Bundeskriegswesen  ist  fest  zu  halten,  daß 
die  Gesetzgebung  und  die  Lasten  sowohl  für  den  Staat  als  für  den 
Einzelnen  in  Bayern  dieselben  wie  sonst  im  Bunde  sein  müssen; 
wogegen  im  übrigen  die  Vereinbarungen  zwischen  den  beiden 
Monarchen  über  die  Bayern  in  dieser  Branche  einschließlich  des 
Festungswesens  einzuräumenden  besonderen  Befugnisse  bei  der 
Legislative  keinen   Schwierigkeiten  begegnen  dürfen. 

VII. 
Artikel  68  der  Bundesverfassung  soU  zwar  auch  auf  Bayern 
Anwendung  finden,  jedoch  wird  die  Forderung  als  gerecht  aner- 
kannt, daß  das  darin  vorgesehene  Bundesgesetz  gleichzeitig  mit 
dem  Eintritt  Bayerns  erlassen  werde. 


248 

VIII. 

Die  Vorschriften  über  Regulirung  des  Bundesbudgets  sind 
mit  den  Bayern  schließlich  gewährten  Sonderrechten  in  Überein- 
stimmung zu  bringen. 

IX. 

Gegen  eine  entsprechende  Modifizirung  des  Artikel  75  wird 
nichts  erinnert,  ebenso  wird  gegen  einen  Vorbehalt,  daß  Absatz  2 
des  Artikels  76  nur  dann  Anwendung  auf  Bayern  finden  soll,  wenn 
Regierung  und  Landesvertretung  zugleich  auf  Vermittlung  durch 
den  Bund  anträgt. 

X. 

Dem  Bedenken  zu  Artikel  78  soll  dadurch  abgeholfen  werden, 
daß  für  Verfassungsänderungen  überhaupt  eine  größere  Mehrheit 
im  Bundesrathe  bestimmt  und  außerdem  Bayern  gegen  solche 
Änderungen,  wodurch  sein  Stimmrecht  oder  eines  der  ihm  ein- 
geräumten Sonderrechte  berührt  wird,  ein  freies  Veto  gegeben  wird. 

H.A.  A. 

6.   1870  Sept.   17.    Deutscher  Verfassungsentwurf   von 
Freiherrn  v.  V  ölderndorff. 

(Abschrilt.) 

Art.  I. 
Das  Königreich  Bayern  tritt  in  eine  verfassungsmäßige  Ver- 
bindung mit  dem  Norddeutschen  Bunde,  welcher  in  Folge  dessen 
den  Namen  eines  ,, Deutschen   Bundes"   annimmt. 

Art.  II. 
Als  Grundlage  der  Verfassung  dieses  Deutschen  Bundes  wird 
im  Allgemeinen  die  Verfassung  des  Norddeutschen  Bundes  vom 
16.  April  1867  angenommen  und  zu  den  einzelnen  Artikeln  der- 
selben Nachstehendes  festgestellt. 

Art.  III. 
§  I.  Zu  Art.  6. 

Bayern  wird  in  dem  Bundesrathe  6  Stimmen  führen. 

Art.  IV. 
§  2.  Zu  Art.  8. 

In  dem  ersten  Ausschusse  des  Bundesrathes  (Militär)  wird 
Bayern  jederzeit  durch  ein  von  S.  M.  dem  König  von  Bayern  zu 
bestimmendes  Bundesmitglied  vertreten  sein. 

§  3. 

Hinsichtlich  der  Ausschüsse  für  Zoll-  und  Steuerwesen,  für 
Handel-  und  Verkehrs-  sowie  für  Rechnungswesen  hat  es  bei  den 
Bestimmungen  des  Art.  8  und  3  des  Zollvertrages  sein  Bewenden. 

Art.  V. 

§  4.  des  Bündnisses  vom  26.  V.  1849.  §  4  zu  Art.  11. 

Das  Bundespräsidium  ist  verpflichtet,  den  Bundesrath  über  den 
Gang  diplomatischer  Verhandlungen,  welche  zur  Abwendung  der 
Gefahr  äußeren  Krieges  oder  zum  Abschluß  von  Allianzen  oder 
behufs  Herstellung  des  gestörten  Friedens  geführt  werden,  in  voll- 
ständiger Kenntniß  zu  erhalten. 


249 

§  5- 

Zu  etwaigen  Friedensverhandlungen  nach  einem  Bundeskriege 

wird  stets  auch  ein  von  S.  M.  dem  König  von  Bayern  zu  ernennender 

Vertreter  Bayerns  zugezogen  werden. 

§6. 

Gegen  den  Beschluß  von  drei  Viertheilen  der  Stimmen  des 
Bundesraths,  also  gegen  44  Stimmen,  kann  ein  Bundeskrieg  nicht 
erklärt  werden. 

§7- 

Es  werden  unter  den  zu  ernennenden  Bundes-Gesandtschaften 
durch  das  Bundespräsidium  drei  Posten  bezeichnet  werden,  für 
welche  die  Vertreter  auf  den  Vorschlag  Sr.  M.  des  Königs  von  Bayern 
ernannt  werden  sollen. 

§8. 

Den  Bundesgesandtschaften  in  Wien,  Paris  und  Rom  wird  ein 
von  S.  M.  dem  Könige  von  Bayern  zu  ernennender  Legationsrath 
beigegeben,  welcher  als  Bundesbeamter  angesehen  werden  soll  und 
alle  Rechte  und  Plichten  eines  solchen  besitzt. 

Art.  VI. 

§9.    Zu  Art.  35. 

Die  Bundesgesetzgebung  über  die  Besteuerung  des  Branntweins 
und  Bieres  erstreckt  sich  nicht  auf  den  Umfang  des  Königreichs 
Bayern  diesseits  des  Rheins,  es  wird  jedoch  möglichste  Überein- 
stimmung der  Belastung  dieser  Objekte  auch  für  das  diesseitige 
Bayern  angestrebt  werden. 

Art.  VII. 

§  10.    Zu  Art.  36. 

Hinsichtlich  der  Erhebung  und  Verwaltung  der  Zölle  und  Ver- 
brauchssteuern und  deren  Überwachung  hat  es  bei  den  Bestimmun- 
gen des  Zoll  Vertrages  sein  Bewenden. 

Art.  VIII. 

§  II.    Zu  Art.  38. 

Der  Ertrag  der  Zölle  und  Verbrauchssteuern  verbleibt  Bayern 
und  hat  es  hinsichtlich  der  Vertheilung  der  gemeinsamen  Einnahmen 
bei  den  Bestimmungen  des  Zollvertrages  sein  Bewenden. 

Art.  IX. 
§  12.    Zu  Art.  41. 

Das  Bundespräsidium  wird  in  Bayern  nur  mit  Zustimmung 
der  Bayerischen  Regierung  Bundes-Eisenbahnen  anlegen  oder  an- 
legen lassen. 

Art.  X. 
§13- 

Die  Artikel  48,  49  und  50  der  Norddeutschen  Bundesverfassung 
finden  auf  Bayern  keine  Anwendung. 

Art.  XI. 
§  14.    Zu  Art.  56. 

Das  Bundespräsidium  wird  eine  dem  Stimmenverhältniß  im 
Bundesrathe  angemessene  Anzahl  bayerischer  Staatsangehöriger  zu 


250 

den  Posten  der  Consiiles  missi  berufen,  auch  vor  Ernennungen  zu 
Bundeskonsuln  die  zu  wählende  Person  der  K.  Bayerischen  Re- 
gierung mittheilen  und  deren  etwaige  Erinnerungen  thunlichst  be- 
rücksichtigen. 

Art.  XII. 

§  15.    Zu  Art.  61. 

Vorerst  findet  der  Art.  61  auf  Bayern  keine  Anwendung;  doch 
soll  alsbald  eine  allgemeine  deutsche  Militärgesetzgebung  für  den 
Bund  eingeführt  werden,  hierbei  ist  die  preussische  Gesetzgebung 
zur  Grundlage  zu  nehmen. 

Art.  XIII. 
§  16.    Zu  Art.  62. 

S.  M.  der  König  von  Bayern  wird  mindestens  eine  gleich  hohe 
Summe,  wie  die  in  Art.  62  bezifferte,  auf  die  bayerischen  Militär- 
einrichtungen verwenden  und  hierüber  stets  die  erforderlichen  Nach- 
weisungen liefern.  Im  Übrigen  findet  Art.  62  auf  Bayern  keine  An- 
wendung. 

Art.  XIV. 

§  17.  Zu  Art.  63. 

Die  dem  Bundesfeldherrn  im  Frieden  zustehenden  Rechte 
werden  in  Bayern  durch  den  Bundesrathsausschuß  für  Militärwesen 
ausgeübt. 

§18. 

Die  Bestimmung  der  Bekleidung  der  bayerischen  Armee  bleibt 
S.  M.  dem  König  von  Bayern  allein  überlassen. 

Art.  XV. 
§  19.    Zu  Art.  64. 

Die  in  Art.  64  getroffenen  Bestimmungen  finden  auf  Bayern 
keine  Anwendung. 

Art.  XVI. 
§  20.    Zu  Art.  65. 

Das  Bundespräsidium  wird  innerhalb  des  Königreichs  Bayern 
von  dem  im  Art.  65  ihm  eingeräumten  Rechte  keinen  Gebrauch 
machen. 

Art.  XVII. 
§  21.    Zu  Art.  68. 

Preussen  verpflichtet  sich,  den  Kriegszustand  in  Bayern  nur 
mit  Zustimmung  der  bayerischen  Regierung  zu  erklären. 

Art.  XVIII. 

§  22.    Zu  Art.  71. 

Von  den  gesetzlich  für  jedes  Etatsjahr  festgestellten  Bundes- 
ausgaben wird  Bayern  die  nach  seiner  Bevölkerungszahl  auf  das- 
selbe auszuschlagende  Quote  in  zwei  Hälften,  die  erste  bis  längstens 
I.  Juli  jeden  Jahres,  an  die  Bundeskasse  abführen. 

Art.  XIX. 
§  23.    Zu  Art.  75. 

Insolange  ein  gemeinsames  Bundesobergericht  nicht  besteht, 
werden  in  Bayern  gegen  den  Bund  begangene  Verbrechen  nach 


251 

bayerischen  Gesetzen  und  vor  dem  zuständigen  bayerischen  Ge- 
richte abgeurtheilt  werden. 

Art.  XX. 

§  24.    Zu  Art.  78. 

Vorschläge  auf  Abänderung  der  Verfassung  gelten  auch  bei 
Annahme  durch  zwei  Drittheile  des  Bundesrathes  als  abgelehnt, 
wenn  Bayern  sich  in  der  Minderheit  des  Bundesrathes  befindet. 

H.A.A. 

7.  Stuttgart  1870   September  19    (präsentiert  21.).    Gesandter 
V.  Gasser  an  den  König  von  Bayern. 

(Original.) 

Ich  habe  mehrere  längere  Unterredungen  mit  dem  Grafen  von 
Taube,  mit  dem  Cabinetschef  Freiherrn  von  Egloffstein  und  mit 
dem  Justizminister  von  Mittnacht  gepflogen.  —  Letzerer  wird  über 
alle  brennenden  Fragen  von  Seiner  Majestät  dem  Könige  zu  Rathe 
gezogen  und  wird  wohl  in  der  allernächsten  Zeit,  insoweit  General 
von  Suckow  es  zuläßt,  die  maßgebendste  Persönlichkeit  hier  seyn. 

Ich  habe  diesen  Herren  die  in  München  eingetroffenen  Nach- 
richten nicht  vorenthalten  und  sie  waren  wenig  erbaut  zu  erfahren, 
daß  Graf  Bismarck  an  eine  Modifikation  der  norddeutschen  Bun- 
desverfassung wahrscheinlich  nicht  denke.  Sie  erklärten  mir  mit 
aller  Bestimmtheit,  daß  ein  Eintritt  in  den  Norddeutschen  Bund 
mit  aller  Entschiedenheit  von  Württemberg  verweigert  werden 
würde;  ja  die  Herren  Lasker  und  von  Bennigsen,  welche  vorgestern 
hier  eingetroffen  sind,  hätten  den  Führern  der  hiesigen  ,, deutschen" 
Partei  gerathen,  von  ihrem  dahin  zielenden  Verlangen  ein  für  alle 
Mal  abzustehen. 

Herr  von  Mittnacht  gelangt  zu  folgendem  Resultate :  gegenüber 
dem  Begehren  der  ,, deutschen"  Partei  nach  engerem  Anschlüsse  an 
Norddeutschland  und  den  ebenso  ungeeigneten  Forderungen  der 
,, demokratischen"  Partei  in  Hinsicht  der  Umgestaltung  des  Militär- 
systems wäre  es  im  Interesse  der  Regierung,  den  jetzigen  Augenblick 
zu  benützen,  um  durch  eine  Vereinbarung  mit  der  preußischen 
Regierung,  auf  Grundlage  der  gemeinschaftlich  gewonnenen  Er- 
fahrung, einen  Zustand  zu  schaffen,  welcher,  obigen  Verlangen  so 
viel  thunlich  Rechnung  tragend,  die  Lage  fixire  und  künftigen 
Wühlereien  der  Parteien  den  Boden  entziehe. 

Da  aber  allem  Anscheine  nach  an  eine  Umwandlung  des  jetzigen 
Norddeutschen  Bundes  in  einen  die  Selbstständigkeit  der  Staaten 
wahrenden  Deutschen  Bund  nicht  wohl  zu  denken  ist,  entstehe  die 
weitere  Frage,  welche  Gegenstände  sich  denn  als  Objekt  für  eine 
Vereinbarung  eignen  und  in  welcher  Form  diese  Vereinbarung  zu 
geschehen  habe. 

Vor  allem,  und  auch  Preußen  am  nächsten  berührend,  wäre 
eine  Verständigung  bezüglich  der  Armee;  nach  dem  so  glänzenden 
Feldzuge  kann  man  sich  der  Wahrscheinlichkeit  nicht  verschließen, 
daß  Frankreich  bedacht  seyn  wird,  sobald  nur  immer  möglich  Ver- 
geltung zu  versuchen;  ein  zweiter  siegreicher  Feldzug  wird  wohl 
erst  Ruhe  vor  Frankreich  schaffen.  —  Es  läge  also  im  Interesse  der 
süddeutschen  Staaten,  gestützt  auf  die  jetzt  gemeinschaftlich  ge- 
wonnene Erfahrung,  gleichmäßige  Prinzipien  für  die  Aufstellung 
des  gesammten  deutschen  Heeres  zu  gewinnen;  wodurch,  bei  ver- 


252 

tragsmäßiger  Feststellung,  indirekt  das  ständische  Recht  der  Aus- 
gabenbewilligung verhältnißmäßig  allerdings  beschränkt  würde. 

Was  nun  die  Form  betrifft,  so  würde  man  hier  einen  Vertrag 
für  das  Geeignetste  halten.  —  Die  Herren  Lasker  und  Bennigsen 
erklärten  aber  Herrn  von  Mittnacht,  daß  der  norddeutsche  Reichs- 
tag einen  Militärvertrag  nie  zulassen  werde,  und  zwar,  weil  sofort 
nach  dem  Friedensschlüsse  die  liberalen  in  Berlin  Erleichterungen 
betreffs  der  Militärlast  verlangen  würden  und  sich  die  Möglichkeit 
des  Erfolges  dadurch  nicht  entziehen  lassen  könnten,  daß  die  Bun- 
desregierung sich,  den  süddeutschen  Staaten  gegenüber,  zu  bestimm- 
ter Leistung  verpflichtet  hätte.  —  Sie  denken  also  an  die  Überwei- 
sung der  Militärfrage  an  das  Zollparlament. 

Weder  hierüber,  natürlich,  noch  über  sonstige  Gegenstände, 
welche  etwa  gemeinschaftlich  behandelt  werden  könnten,  ist  die 
hiesige  Regierung  zu  einem  Entschlüsse  gelangt;  alles  dieses  ist 
in  ihrem  Schooße  nur  vorläufig  besprochen  worden  und  Herr  von 
Mittnacht  hat  mir  den  heißen  Wunsch  der  Regierung  ausgesprochen, 
sich  vor  allem  mit  Bayern  zu  verständigen  und  pari  passu  mit 
Eurer  Königlichen  Majestät  Regierung  zu  gehen.  —  Nachdem  der 
preußische  Gesandte  hier  mitgetheilt  hat,  daß  Herr  von  Delbrück 
demnächst  nach  München  kommen  werde,  hierher  zu  gehen  aber 
vermeiden  möchte,  weil  er  sonst  auch  nach  Carlsruhe  und  nach 
Darmstadt  sich  begeben  müßte,  hat  die  hiesige  Regierung  nach 
München  den  Wunsch  geäußert,  einen  Abgesandten  zu  den  Be- 
sprechungen mit  Herrn  von  Delbrück  nach  München  abzuordnen; 
Justizminister  von  Mittnacht  würde  diese  Mission  erhalten  und, 
sobald  die  Antwort  Eurer  Königlichen  Majestät  Regierung  hier 
eingelaufen  seyn  wird,  hofft  er  noch  vor  der  Ankunft  des  Herrn  von 
Delbrück  in  München  eintreffen  zu  können,  um  mit  dem  Herrn 
Grafen  von  Bray  zu  conferiren. 

Zum  Schlüsse  bitte  ich  allerehrfurchtsvoUst  hinzufügen  zu 
dürfen,  wie  abermals  beim  Durchlesen  der  norddeutschen  Bundes- 
verfassung darin  die  ganze  Confiscation  durch  Preußen  aller  wesent- 
lichen Regierungsrechte  und  aller  Haupt-Finanzquellen  der  Staaten 
sich  mir  wiederholt  vergegenwärtigt  hat.  — 

Bedenkt  man,  daß  die  süddeutschen  Staaten  die  gesegneteren, 
reicheren  Länder  Deutschlands  sind,  auch  die  besseren  Volk  sstämme 
enthalten,  so  kann  man  sich  des  Gefühls  nicht  erwehren,  daß  jedes 
Aufgeben  von  Rechten  ohne  Gegenleistung  zu  Gunsten  Nord- 
deutschlands nach  und  nach  für  die  Dynastien  wie  für  die  Länder 
verderblich  werden  müsse.  —  Will  Preußen  von  seiner  absorbi- 
renden  Politik  nicht  ablassen,  dann  dürfte  der  Status  quo  ante 
bellum  jeder  Änderung  vorzuziehen  seyn  und  sowohl  in  Bayern  als  in 
Württemberg  von  der  Treue  und  Vaterlandsliebe  ratificirt  werden. 

Erfolgreiches  Verlangen  nach  Änderung  des  Militärsystems 
dürfte  aber  nach  den  neuesten  Ereignissen  nicht  zu  befürchten  seyn. 

M.St.A. 

8.   Berlin  1870    September  19    (präsentiert   21.).    Freiherr 
V.  Perglas  an  Graf  Bray. 
Vertraulichst.  (Onginai.) 

Lieber  Freund! 
Delbrück  hat  mich  heute  ins  Bundeskanzleramt  gerufen  zum 
Austausche  der  gewissen   Ministerial-Erklärungen. 


253 

Ich  sagte  ihm  dann,  wie  er  ,, willkommen"  in  München  sei, 
worauf  er  mir  erwiederte,  daß  er  ja  einem  von  München  geäu- 
ßerten Wunsche  entgegenkomme,  deßhalb  auch  mehrere  Tage 
früher  das  K.  Hauptquartier  verlaßen  habe,  als  es  seine  Absicht 
gewesen  sei. 

Über  seine  Mission  äußerte  sich  der  Staatsminister  nicht  ein- 
gehend, doch  hörte  ich  von  ihm  zuerst,  daß  für  den  künftigen 
Friedens-Abschluß  eine  deutsche  Fürsten-Conferenz,  ein  Fürsten- 
Congreß,  in  Aussicht  genommen  werde,  und  von  einer  anderen  Seite 
vernehme  ich,  daß  er  auf  französischem  Boden  stattfinden  soll; 
darüber  weißt  Du  vielleicht  mehr  als  ich. 

Thile  konnte  ich  heute  nicht  sprechen;  gleichwohl  habe  ich 
mich  bemüht  mich  zu  informiren,  wie  Delbrück  in  München  zu 
operiren  gedenke,  und  habe  hiefür  ganz  verläßige  Daten  erhalten. 

Eine  Initiative  soll  Delbrück  nicht  nehmen,  daher  bringt  er  keine 
Vorschläge  und  erwartet  vielmehr  das  Entgegenkommen  und  die 
Anträge  Bayerns.  Delbrück  sagte  mir  allerdings  so  viel,  daß  die 
Erwerbung  französischen  Gebiets,  die  nach  seiner  Ansicht 
unerläßlich  ist,  den  Anlaß  biete  in  militärischer  und  politischer 
Beziehung  sich  zu  besprechen  und  zu  verständigen,  aber  war  im 
Übrigen  schweigsam. 

Nun,  meine  ich,  muß  die  bayerische  Regierung  in  Berück- 
sichtigung der  politischen  Lage  und  gewisser  nothwendiger  Con- 
sequenzen  des  Krieges  und  der  nationalen  Stimmung  in  der  deut- 
schen Frage,  nämlich  der  künftigen  Gestaltung  Deutschlands, 
Entgegenkommen  bezeugen,  aber  im  ^'oraus  gegenüber  Del- 
brück sehr  bestimmt  die  Gränze  dieser  Concessionen  gezogen 
haben.  Von  Bayern  wird  das  Geschick  Süddeutschlands  abhängen. 
Die  Grundsätze,  die  Du  vertrittst  mit  Deinen  Kollegen,  verbürgen 
wohl,  daß  der  Krone  und  Selbständigkeit  Bayerns  nichts  wird 
vergeben  werden.  Von  hier  aber  werden  die  heftigsten  Anläufe 
genommen,  um  den  Boden  des  patriotischen  conservativen 
Ministeriums  zu  untergraben,  den  König  zu  gewinnen,  dessen 
nächste  Umgebung  man  mehr  oder  weniger  als  diesen  preußischen 
national-liberalen  Wühlern  geneigt  betrachtet,  deren  Ge- 
nosse Stauffenberg  ist,  aber  auch  nicht  weniger  Tauffkirchen,  der 
ja  immer  nur  da  verwendet  wird,  wo  es  ihm  gilt  seine  Person  für 
diese  Interessen  zu  verwerthen.  Die  nationalliberale  Partei  hat 
deßhalb  das  terrain  in  München  aufgesucht,  und  möglich  ist,  daß 
sie  die  Anwesenheit  Delbrücks  benützt,  um  Pression  nach  Oben  und 
Unten  zu  üben.  Delbrück  hält  stets  Fühlung  mit  diesen  Leuten, 
daher  warne  ich.  Hier  träumt  diese  Partei  schon  von  einem 
nahenden  Ministerium  Hohenlohe,  Tauffkirchen,  Stauffenberg, 
Luxburg,  und  kömmt  ihre  Zeit,  würde  es  bald  aus  sein  mit  der 
Souveränität  des  Königs  von  Bayern. 

Entgegen  bin  ich  versichert,  daß  je  bestimmter  Bayern  auf 
Grund  der  Interessen  seiner  politischen  Existenz  das  Programm  für 
die  neue  Gestaltung  Deutschlands  selbst  aufstellt  und  die  Gränze 
seiner  (etwaigen)  Concessionen  bezeichnet,  desto  mehr  wird  es 
geachtet  werden.  Delbrück  darf  keinem  Schwanken,  keiner  Unent- 
schiedenheit,  keiner  Disharmonie  im  Ministerium,  am  Allerwenig- 
sten aber  national-liberalen  Zusicherungen  an  offiziellen  Stellen 
und  bei   triebigen   Persönlichkeiten   begegnen    (welche   Letztere 


254 

beßer  an  ihren  Posten  wären),  sondern  im  Gegentheile  muß  er  die 
bayerische  Regierung  fest  und  entschloßen  finden,  die  Selbständig- 
keit des  Landes  zu  erhalten,  wie  es  schon  Deine  Sorge  war  beim 
Ausbruche  des  Krieges  und  wofür  Dir  direkt  und  durch  mich  die 
besten  Zusicherungen  gemacht  worden  sind,  von  denen  nur  zu  pro- 
iftiren  ist.  Pression  will  man  auch  hier  nicht  üben,  aber  man  läßt 
sie  ausüben.  Der  König  unser  Allerhöchster  Herr  will  Sich  nichts 
vergeben,  aber  von  Oben  scheint  doch  ein  Wind  zu  wehen,  im  Wider- 
spruche mit  den  conservativen  Grundsätzen,  welcher  die  ganze 
liberal-nationale  Sippschaft  in  Berlin  in  die  freudigste  Stimmung 
versetzt,  um  das  lerrain  in  München  und  dadurch  ganz  Süddeutsch- 
land gewinnen  zu  können. 

Daß  Bayern  die  Initiative  nimmt  bezüglich  der  Lage  und  neuen 
Ordnung  der  Dinge,  ist  vortrefflich.  Die  Zeitverhältniße  sind  zudem 
günstig,  indem  mehr  als  je  die  Fürsten  sich  im  monarchischen  Inter- 
esse aneinander  zu  schließen  haben.  Die  Achtung  für  Bayern  und 
Anerkennung  seiner  Leistungen,  die  es  aus  eigener  selbständiger 
Kraft  vollbracht  hat,  ist  so  groß,  daß  man  mit  uns  rechnen  wird. 

Delbrück  ist  entfernt  kein  Diplomat  und  muß  mit  ihm  ganz 
positiv  verkehrt  und  verhandelt  werden.  Versichere  ihm  von 
Anfang  an,  daß  die  National-liberalen  sich  irren,  wenn  sie  etwa  ihm 
(Delbrück)  weiß  machen  woUen,  daß  das  terrain  in  München  bereits 
gewonnen  sei. 

Ich  stelle  Dir  auch  anheim,  von  meinem  Briefe  den  Gebrauch 
zu  machen,  der  Dir  geeignet  erscheint,  insbesondere  bei  Deinen 
Kollegen. 

Mit  aufrichtigsten  und  treuen  Gesinnungen 

Dein  ergebener  Perglas.      m.si.a. 

9.  Lagny  1870  September  21    Abends  (präsentiert  27.).    Bericht 
des   Grafen  v.  Berchem. 

Ich  habe  Heute  Mittags  Seine  Excellenz  den  Grafen  Bismark 
in  Ferrieres  gesprochen  und  ihm  den  Inhalt  des  hohen  Erlasses  vom 
II.  September  bekanntgegeben.  Der  Bundeskanzler  schien  von 
dem  Inhalte  des  hohen  Erlaßes  angenehm  berührt  zu  sein  und  bat 
mich,  ihm  streng  vertraulich  Abschrift  zu  laßen,  was  ich  —  ohne 
Autorisation  nicht  angetragen  hätte,  nachdem  es  aber  verlangt 
wurde,  nicht  glaubte  verweigern  zu  dürfen. 

In  Betreff  der  künftigen  inneren  Gestaltung  Deutschlands 
begann  Graf  Bismark  zu  bemerken,  daß  er  auf  die  Frage,  ob  der 
Fortbestand  des  jetzigen  Nordbundes  oder  dessen  Ersetzung  durch 
einen  auf  veränderten  Grundlagen  zu  errichtenden  allgemeinen 
Deutschen  Bund  in  Aussicht  genommen  sei,  vorerst  eine  bestimmte 
Antwort  abzugeben  nicht  in  der  Lage  sei.  Es  komme  hiebei  zu- 
nächst darauf  an,  welches  die  Wünsche  der  süddeutschen  Staaten 
seien,  und  handle  es  sich  darum  zu  wissen,  ob  —  je  nach  dem  Re- 
sultate der  erzielten  Verständigung  —  der  Zuwachs  an  Macht,  den 
das  in  sich  zu  festigende  Deutschland  durch  Erweiterung  des  Bundes 
auf  Süddeutschland  erhalten  solle,  einen  Ersatz  bieten  würde  für 
den  eventuellen  Verzicht  auf  die  enge  Centralisation  des  Norddeut- 
schen Bundes,  die  doch  zunächst  Deutschland  zu  der  gegenwärtigen 
dominirenden  Stellung  in  Europa  verholfen  habe. 


255 

Es  seien  verschiedene  Wege  denkbar,  fuhr  Graf  Bismark  fort, 
um  die  Verbindung  zwischen  den  deutschen  Staaten  zu  kräftigen; 
und  besprach  Seine  Excellenz  zuerst  die  Möglichkeit  der  Erstreckung 
des  Norddeutschen  Bundes  auf  ganz  Deutschland  unter  allgemeinem 
Verzichte  auf  gewisse  der  Centralgewalt  im  Norddeutschen  Bunde 
bisher  zuständigen  Rechte.  In  dieser  letzteren  Beziehung  könnten 
allerdings  preußischerseits  Concessionen  gemacht  werden,  allein 
der  Bundeskanzler  betonte,  daß  dieselben  über  ein  gewisses  Maß 
nicht  hinausgehen  könnten,  und  schien  er  selbst  daran  zu  zweifeln, 
daß  dieselben  den  deutschen  Süden  —  speciell  Bayern  —  befriedigen 
würden.  Allerdings  wurde  als  zuläßig  erachtet,  Bayern,  welches 
allein  an  Größe  um  mehr  als  zweimal  den  größten  süddeutschen 
Staat  überrage,  hiebei  ein  besonderes  Präcipuum  in  der  Weise  ein- 
zuräumen, wie  es  der  K.  bayerischen  Regierung  etwa  convenire 
und  wie  es  selbst  im  Deutschen  Reiche  von  einzelnen  Churfürsten- 
thümern  und  Kreisen  besessen  worden  sei.  Diese  Eventualität 
schien  dem  Herrn  Grafen  zunächst  für  den  Fall  vorzuschweben, 
wenn,  wie  dieß  als  Hypothese  bemerkt  wurde,  nicht  bloß  Baden, 
sondern  auch  Württemberg  in  dem  bisherigen  Norddeutschen  Bunde 
einbegriffen  würde. 

Auch  den  Fortbestand  des  bisherigen  Status  quo  unter  Regelung 
derjenigen  Punkte,  in  denen  Seitens  der  süddeutschen  Staaten  eine 
Verständigung  gewünscht  werden  würde,  berührte  der  Bundeskanzler 
oberflächlich  und  so  zu  sagen  —  nebenbei.  Ich  glaubte  jedoch  zu 
entnehmen,  daß  dieß  als  eine  Lösung  des  Problems  seinerseits 
nicht  erachtet  werde. 

Vorzüglich  besprach  Seine  Excellenz  —  ohne  in  eine  Detailfrage: 
einzugehen  —  die  Eventualität  der  Forterhaltung  des  Norddeut- 
schen Bundes  unter  Abschluß  eines  weiteren  Bundes  mit  Süddeutsch- 
land, wobei,  behufs  Creirung  der  Verfaßung  des  weiteren  Bundes, 
den  süddeutschen  Staaten  gegenüber  aus  der  norddeutschen  Bun- 
desverfaßung  dasjenige  gestrichen  würde,  was  den  süddeutschen 
Staaten  nicht  convenire.  Dieß  scheint  mir  Graf  Bismark  als  den 
am  nächsten  liegenden  Weg  zu  betrachten  und  legt  Derselbe  großen 
Werth  darauf  —  innerhalb  dieses  Rahmens  —  Vereinbarungen  zu 
erzielen,  welche  es  der  deutschen  Demokratie  unmöglich  machten, 
die  deutschen  Staaten  und  speciell  die  —  nach  Ansicht  des  Herrn 
Grafen  zunächst  in  dieser  Beziehung  bedrohten  —  süddeutschen 
Staaten  militärisch  wehrlos  zu  machen.  In  der  eventuellen  Reali- 
sirung  dieser  Idee  erblickt  Graf  Bismark  die  Schaffung  des  Deut- 
schen Reiches.  —  Obgleich  es  hier  nicht  speciell  erwähnt  wurde, 
bin  ich  der  Überzeugung,  daß  auch  bei  dieser  Art  und  \\'eise  der 
Gestaltung  der  inneren  Verhältnisse  Deutschlands  für  Bayern 
speciell  eine  besonders  privilegirte  Stellung  zu  erreichen  wäre. 

In  diesem  Sinne  —  bemerkte  Graf  Bismark  weiter  —  habe  er 
sich  gegenüber  Excellenz  von  Delbrück,  dem  Präsidenten  des 
Bundes-Kanzleramtes,  geäußert,  welcher  seiner  Aufforderung  gemäß 
bereits  in  München  eingetroffen  sein  müsse,  um  die  Wünsche  der 
K.  Regierung  zu  vernehmen,  hiebei  Detailfragen  zu  besprechen  und 
Aiifschlüße  zu  geben,  wenn  sie  verlangt  werden  sollten.  Von  den 
süddeutschen  Staaten  mehr  zu  verlangen,  als  dieselben  selbst  zu 
bieten  bereit  seien,  wurde  als  vollkommen  unzuläßig  bezeichnet. 


256 

An  eine  Eventualität  sei  jedoch  nicht  zu  denken,  —  daß 
Theile  des  gegenwärtigen  Norddeutschen  Bundes  —  das  König- 
reich Sachsen  zum  Beispiel  —  aus  diesem  engeren  Verband  heraus- 
gelaßen  würden,  um  dann  in  nähere  Beziehungen  zu  Süddeutsch- 
land zu  treten.  Dieß  sei  in  Sachsen  selbst  nur  der  Wunsch  einer 
particularistischen  Minorität,  die  im  allmählichen  Absterben  be- 
griffen sei.  —  Ein  Gleiches  gelte  von  Hessen. 

Man  habe  ihm  —  dem  Bundeskanzler  —  sogar  Vorschläge 
unterbreitet  von  gewisser  Seite,  welche  gegen  die  Selbstständigkeit 
der  kleineren  Staaten  des  Norddeutschen  Bundes  gerichtet  waren, 
allein  darauf  werde  er  niemals  eingehen,  da  er  auf  die  Verfassung 
des  Norddeutschen  Bundes  beeidigt  sei  und  vor  die  Gerichte  ge- 
stellt werden  könnte. 

Für  den  einfachsten  —  wenn  nicht  den  einzigen  —  Weg,  die 
vielen  zu  lösenden  Fragen  zu  erledigen,  hält  Graf  Bismark  den 
seinerzeitigen  Zusammentritt  der  deutschen  Souveraine  unter  Bei- 
ziehung ihrer  Minister.  Durch  loyale  Besprechung  der  Souveraine 
unter  sich  könne  am  Leichtesten  eine  Verständigung  erzielt  werden, 
welche  noch  ganz  andere  als  hochpolitische  Rücksichten  erheischten. 
Die  gemeinsame  Gefahr  des  Continentes  sei  der  Socialismus  mit 
seinen  Gefahren  nicht  bloß  für  die  staatlichen,  sondern  auch  für  die 
gesellschaftlichen  Existenzen  —  bis  zur  letzten  Verirrung  der  Ne- 
girung  des  Privateigenthums  und  namentlich  des  Grundeigen- 
thums.  Diese  Gefahr  sei  kein  bloßes  Gespenst  mehr,  und  drückte 
der  Bundes-Kanzler  die  Hoffnung  aus,  Rußland,  wenn  es  seinen 
slavischen  Interessen  entsagen  wollte,  und  Österreich,  wenn  das- 
selbe weniger  politisirte,  dieser  gemeinsamen  Gefahr  gegenüber 
Deutschland  zu  nähern. 

Das  von  mir  Heute  Mittags  in  Ferrieres  aufgegebene  Telegramm 
lautete: 

Erlaß  vom  ii.  September  erhalten.  Delbrück  ist  in  dieser 
Sache  vom  Grafen  Bismark  instruirt  und  in  der  Lage,  Aufschlüße 
zu  geben.  Ersterer  ist  wohl  schon  in  München  eingetroffen.  Bericht 
folgt.  M.St.A. 

IG.    München    1870    September.     Protokoll   der    Münchener 

Konferenzen. 

(Abschrift.) 

Die  Excellenzen 

Staatsminister    und    Präsident    des    Bundeskanzleramtes    des 

Norddeutschen  Bundes  Herr  Delbrück, 

der  K.  württembergische  Justizminister  Herr  v.  Mittnacht, 

dann  die  K.  bayrischen  Staatsminister 

Herr  Graf  v.  Bray, 

Herr     v.     Pfretzschner, 

Herr  v.   Schlör, 

Frhr.  v.  Prankh, 

Herr  v.  Lutz, 

Herr  v.  Braun 
sind  in  den  Tagen  vom  22ten  bis  26.  September  in  München  zu- 
sammengetreten,   um   Vorbesprechungen   über   die   Bildung   eines 
die  sämmtlichen  deutschen  Staaten  in  sich  begreifenden  Verfassungs- 
bündnisses zu  haben. 


257 

Von  Seiten  Sr.  Excellenz  des  Herrn  Staatsministers  Delbrück 
wurde  erklärt,  daß  er  nicht  beauftragt  sei,  im  Namen  der  preußischen 
Regierung  oder  des  Norddeutschen  Bundes  Vorschläge  zu  machen, 
sondern  den  Propositionen  der  süddeutschen  Regierungen  ent- 
gegensehe. Zugleich  bemerkte  er  auf  eine  ihm  gegebene  Veranlassung, 
daß  Preußen  noch  keinen  Grund  gefunden  habe,  die  Frage  einer 
näheren  Erwägung  zu  unterwerfen,  ob  mit  der  Gründung  eines  all- 
gemeinen Deutschen  Bundes  eine  Änderung  des  zwischen  den  Staaten 
des  Norddeutschen  Bundes  bestehenden  Verfassungs- Verhältnisses 
zu  verbinden  sei,  und  daß  er  daher  eine  solche  Änderung  nicht  vor- 
auszusetzen habe.  Man  kam  hierauf  dahin  überein,  zu  dem  Zwecke, 
um  festzustellen,  welchen  Inhalt  die  Verfassung  eines  allgemeinen 
Deutschen  Bundes  nach  Auffassung  der  süddeutschen  Regierungen 
haben  könnte,  den  Inhalt  der  Verfassung  des  Norddeutschen  Bundes 
nach  der  Folge  ihrer  Artikel  zum  Leitfaden  für  die  nun  folgenden 
Besprechungen  zu  nehmen  mit  dem  selbstverständlichen  Vorbehalte 
einer  neuen  Anordnung  der  Materien  und  der  sich  voraussichtlich 
als  nothwendig  darstellenden  neuen  Redaktion. 

Zum  Eingang  und  Art.  i  wurde  allseitig  anerkannt,  daß  sie  die 
erforderlichen  Modificationen  zu  finden  hätten,  deren  Bezeichnung 
im  Einzelnen  hier  vorzunehmen  aber  kein  genügender  Anlaß  ge- 
funden wurde. 

Zu 

Art.  2 
erklärten  die  Vertreter  der  K.  bayrischen  Regierung,  daß  gegen 
Übernahme  des  ersten  Satzes  in  die  Verfassung  des  neuen  Deutschen 
Bundes  kein  Bedenken  obwalte,  daß  dagegen  statt  der  weiteren 
Sätze  dieses  Artikels  die  Aufnahme  der  in  dem  Zollvereinsvertrage 
enthaltenen  Bestimmungen  über  die  Publikation  der  gemeinschaft- 
lichen Gesetze  gewünscht  werde,  wonach  diese  Publikation  nicht 
im  Reichsgesetzblatte,  sondern  von  den  Regierungen  der  einzelnen 
Staaten  in  deren  Gesetzblättern  vorzunehmen  wäre,  worauf  S. 
ExceUenz  der  Herr  Staatsminister  Delbrück  unter  dem  Einver- 
ständnisse Sr.  Exe.  des  Herrn  v.  Mittnacht  sich  dahin  aussprach, 
daß  die  zuletzt  erwähnte  Publikationsform  zwar  für  eine  vertrags- 
mäßige Verbindung  mehrerer  Staaten,  wie  der  Zollverein  eine  solche 
sei,  nicht  aber  für  mehrere  in  einer  Gesammtverfassung  einge- 
schlossene Staaten  als  angemessen  erachtet  werden  könne. 

Der  Inhalt  des 

Art.  3 
wurde  von  Seiten  der  Vertreter  der  beiden  süddeutschen  Staaten 
nicht  beanstandet;  es  wurde  jedoch  bei  der  Besprechung  dieses 
Artikels  ein  allseitiges  Einverständnis  darüber  konstatirt,  daß  die 
Frage,  ob  und  welche  nach  Emanation  der  Verfassung  des  Nord- 
deutschen Bundes  für  dessen  Gebiet  erlassene  Gesetze  auch  für  das 
Gebiet  der  süddeutschen  Staaten  Geltung  erlangen  sollten,  einer 
besonderen  Feststellung  bedürfe. 

Zu 

Art.  4 
wurde  die  Frage  über  die  ,, Beaufsichtigung  Seitens  des  Bundes" 
späterer  Erörterung  vorbehalten. 

Anlangend  die  einzelnen  Ziffern  dieses  Artikels,  so  proponirte 
die  bayrische  Regierung  in  Anbetracht,  daß  ihr  zwar  ernstlich  und 

Doeberl.    Bayern  und  die  Bismarckische  Reichsgründung.  I? 


258 

aufrichtig  darum  zu  thun  sei,  in  dem  neuen  Deutschen  Bunde  ein 
lebensfähiges  Verfassungsgebilde  zu  schaffen,  und  daß  sie  deshalb 
der  Gemeinschaft  alle  unentbehrlichen  Opfer  zu  bringen  bereit  sei, 
daß  ihr  aber  ebenso  dringlich  die  Erhaltung  der  Selbstständigkeit 
der  einzelnen  Staaten  am  Herzen  liege  und  deshalb  von  ihr  alle 
entbehrlichen  Abtretungen  von  Regierungsrechten  etc.  abgelehnt 
werden  müßten,  zu 

Ziffer  I 
zwar  die  Gesetzgebung  über  Freizügigkeit,  Paßwesen  und  Fremden- 
polizei, das  Versicherungswesen  —  abgesehen  vom  Immobiliar- 
versicherungswesen — ,  über  Kolonisation  und  die  Auswanderung 
nach  außerdeutschen  Landen  der  Bundeskompetenz  zu  überweisen, 
dagegen  die  Gesetzgebung  über  die  Heimaths-  und  Niederlassungs- 
verhältnisse (im  Hinblick  auf  den  einschneidenden  Eingriff  in  die 
neue  bayrische  Socialgesetzgebung),  über  Staatsbürgerrecht  und 
den  Gewerbebetrieb  (ersteres  in  Anbetracht  des  engen  Zusammen- 
hanges der  betreffenden  Bestimmungen  mit  dem  bayrischen 
Staatsverfassungsrechte,  letzteres  wegen  Mangels  einer  absoluten 
Nothwendigkeit  gemeinsamer  Gesetzgebungen)  den  Einzelnsou- 
veränetäten  vorzubehalten. 

Dem  gegenüber  sprach  sich  S.  Excellenz  Herr  Staatsminister 
Delbrück  mit  besonderem  Nachdrucke  für  die  Nothwendigkeit  der 
Gemeinsamkeit  der  Gewerbegesetzgebung  und  dafür  aus,  daß  statt 
der  Competenz  über  das  ,, Staatsbürgerrecht"  dem  Bunde  die  Com- 
petenz  der  Gesetzgebung  über  ,, Bundes-  und  Staatsangehörigkeit" 
eingeräumt  werden  möge,  da  im  Hinblick  auf  die  Handhabung  der 
Bestimmungen  über  diese  Materie  durch  die  deutschen  Gesandten 
und  Consuln  eine  Einfachheit  und  Gemeinschaftlichkeit  derselben 
unentbehrlich  sei. 

Zur  Motivirung  des  Vorbehaltes  bezüglich  der  Immobiliar- 
gesetzgebung  wurde  auf  die  eigenthümlichen  bayrischen  Einrich- 
tungen bezüglich  des  Immobiliarversicherungswesens,  die  das  ganze 
Hypothekarwesen  beherrschen,  Bezug  genommen.  Der  K.  württ. 
Bevollmächtigte  unterstützte  die  Auffassung  der  K.  bayr.  Regierung 
bezüglich  des  Wegbleibens  der  Bestimmungen  über  Heimaths-  und 
Niederlassungsverhältnisse. 

Der  Inhalt  der 

Ziffer  2 
wurde  von  den  Vertretern  der  süddeutschen  Regierungen  nicht 
beanstandet  vorbehaltlich  der  über  das  Steuerwesen  bei  dem  Ab- 
schnitte über  das  Bundesfinanzwesen  zu  machenden  Bemerkungen. 

Ebenso  blieben  die  Ziffern  3,  4,  5  und  6  unbeanstandet.  Im- 
gleichen die 

Ziffer  7. 
Nur  wurde  hier  von  Seiten  der  bayrischen  Regierung  der  Vorbehalt 
gemacht,  daß  ihr  namentlich  im  Hinblick  auf  diejenigen  Orte,  an 
welchen  lediglich  die  bayrische  Industrie  ein  Interesse  an  Aufstel- 
lung eines  Consuls  haben  werde,  das  Recht  verbleibe,  bayrische 
Consuln  im  Auslande  aufzustellen  und  ausländische  Consuln  in 
Bayern  zu  empfangen  und  mit  dem  Exequatur  zu  versehen. 

S.  Exe.  Herr  Staatsminister  Delbrück  erwiderte  hierauf,  daß 
zwar  der  Empfang  auswärtiger  Consuln  von  Seite  der  bayrischen 


259 

Regierung  in  Anbetracht  der  Beschränkung  des  Wirkungskreises 
solcher  Consuln  auf  bayrisches  Gebiet  keinem  Anstände  begegnen 
werde,  die  Abordnung  bayrischer  Consuln  nach  dem  Auslande 
dagegen  nicht  zulässig  erscheine,  aber  auch  nicht  erforderlich  sei, 
da  gerade  darin  eine  der  segensreichsten  und  imponirendsten  Wir- 
kungen des  norddeutschen  Verfassungsbündnisses  gelegen  gewesen, 
daß  das  vielköpfige  deutsche  Consulatswesen  sein  Ende  gefunden 
habe  und  an  dessen  Stelle  überall  ein  ,, deutscher  Consul"  getreten 
sei  und  im  Übrigen  bereitwilligst  auch  da  deutsche  Consuln  auf- 
gestellt werden  würden,  wo  auch  nur  ein  einzelner  Bundesstaat 
ein  Interesse  daran  habe. 

Ziffer  8 
wurde  in  der  jetzigen  Fassung  von  den  Vertretern  der  bayr.  Regie- 
rung für  unannehmbar  erklärt,  aber  das  Zugeständniß  angeboten, 
dem  Bunde 

1.  die  Festsetzung  von  einheitlichen  Normen  für  Construc- 
tionen  und  Ausrüstung  der  für  die  Landesvertheidigung  wichtigen 
Eisenbahnen  und 

2.  das  Recht  zur  Erbauung  von  Eisenbahnen  für  Rechnung  des 
Bundes  auf  bayrischem  Gebiete  auf  Grund  eines  Bundesgesetzes 
selbst  ohne  Zustimmung  der  bayrischen  Regierung,  soferne  die 
Eisenbahn  im  Interesse  der  Vertheidigung  des  Bundesgebietes  als 
erforderlich  sich  darstellt,  zu  überweisen.  Der  Vertreter  Württem- 
bergs schließt  sich  dieser  Proposition  an. 

Ziffer  9 
wurde  nicht  beanstandet, 

Ziffer  10 
dagegen  als  gänzlich  unannehmbar  abgelehnt,  worauf  sich  S.  Exe. 
Herr  Staatsminister  Delbrück  das  Weitere  hierüber  bis  zur  Be- 
sprechung des  VIII.  Abschnittes  der  Bundesverfassung  vorbehielt. 

Ziffer  II 
wurde  von  Seite  der  bayrischen  und  württembergischen  Regierung 
insoweit,  als  dieselbe  von  der  Rechtshilfe  in  Civilsachen  handelt, 
nicht  beanstandet  und  dabei  bemerkt,  daß  gegen  Ausdehnung  des 
für  den  Norddeutschen  Bund  erlassenen  Rechtshülfegesetzes  auf 
das  Gebiet  des  neuen  Deutschen  Bundes  in  soweit,  als  es  die  Civil- 
rechtspflege  im  Auge  hat,  kein  Bedenken  obwaltet. 

Dagegen  wurde  bemerkt,  daß  man  nicht  den  gleichen  Stand- 
punkt bezüglich  der  Rechtshülfe  in  Strafsachen  einzunehmen  ver- 
möge und  daß  nach  ihrer  Auffassung  für  das  Gebiet  des  Straf  rechtes 
nur  der  Abschluß  eines,  allerdings  möglichst  weitgehenden  Aus- 
lieferungsvertrages übrig  bleibe. 

Ziffer  12 
wurde  nicht  beanstandet, 

Ziffer  13 
erklärte  die  bayrische  Regierung  nur  mit  Einschränkung  auf  das 
Handels-  und  Wechselrecht  annehmen,  bezüglich  aller  anderen  hier 
erwähnten  Gesetzgebungsgebiete  dagegen  nicht  genehm  halten  zu 
können,  indem  sie  hiebei  auf  die  ihr  für  die  Ausscheidung  der  Com- 
petenzen  zwischen  dem  neu  zu  gründenden  Bunde  und  den  Einzeln- 
staaten maßgebenden  Grundsätze  sich  berief  und  die  Ansicht  aus- 

17* 


260 

sprach,  daß  diesen  Grundsätzen  gegenüber  den  von  einzelnen  Stän- 
den gehegten  Sympathien  für  eine  weiter  gehende  Rechtsgemein- 
schaft nur  ein  geringeres  Gewicht  beigelegt  werden  könne,  abgesehen 
von  den  Inkonvenienzen,  die  sich  für  Bayern  aus  dem  Fallenlassen 
seines  vor  Kurzem  erst  revidirten  Strafgesetzbuches  und  Civil- 
prozesses  unter  Annahme  des  norddeutschen  Strafgesetzbuches 
ohne  Betheiligung  an  der  Berathung  desselben  ergeben  würden. 

Nachdem  S.  Exe.  Herr  Staatsminister  v.  Mittnacht  erklärt 
hatte,  daß  Württemberg  mindestens  für  Gemeinsamkeit  der  Ge- 
setzgebung über  das  Obligationenrecht  sich  ausspreche,  und  ange- 
regt hatte,  ob  nicht  durch  eine  besondere  Verfassungsbestimmung 
gemeinsame  Behandlung  einzelner  besonderen,  im  Art.  4  nicht  auf- 
gezählten Angelegenheiten  unter  den  für  Verfassungsänderungen 
vorgeschriebenen  Formen  möglich  gemacht  werden  könnte,  sprach 
sich  Herr  Delbrück  mit  besonderer  Betonung  für  die  Gemeinschaft- 
lichkeit des  Obligationenrechtes  aus,  die  eine  Consequenz  des  ge- 
meinsamen Handelsgesetzbuches  sei,  worauf  die  bayr.  Regierung 
die  Abtretung  der  Competenz  über  das  Obligationenrecht  an  den 
Bund  als  einZugeständniß  bezeichnete,  das  nicht  unbedingt  von  der 
Hand  gewiesen  werden  wolle.  Die  Ausdehnung  der  Zuständigkeit 
des  Bundes-Oberhandelsgerichtes  in  Leipzig  auf  Süddeutschland 
erklärten  die  bayrische  und  württembergische  Regierung  unter  der 
Voraussetzung  nicht  beanstanden  zu  wollen,  daß  die  sachliche 
Competenz  des  Gerichtshofes  und  das  Verfahren  desselben  für  die 
aus  den  süddeutschen  Staaten  an  ihn  kommenden  Rechtssachen 
nach  den  in  diesen  Staaten  geltenden  Prozeßgesetzen  sich  zu  be- 
messen hätte,  eine  Voraussetzung,  die  von  Sr.  Exe.  dem  Herrn 
Minister  Delbrück  dann  als  selbstverständlich  bezeichnet  wurde, 
wenn  die  Ziff.  12  im  Übrigen  nach  Maßgabe  der  bayr.  Vorschläge 
gefaßt  werde. 

Ziffer  14 

wurde  vorbehaltlich  der  Besprechung  der  Details  nicht  beanstandet. 
Zu 

Ziffer  15 

erklärte  die  bayrische  Regierung,  nach  ihrer  Auffassung  solle  sich 
nach  der  Absicht  der  norddeutschen  Bundesverfassung  die  Com- 
petenz des  Bundes  auf  Feststellung  gemeinsamer  medicinal-  und 
veterinärpolizeilicher  Maßregeln  zur  Abwehr  und  Bekämpfung  von 
Epidemien  und  Seuchen  und  nicht  weiter  erstrecken.  In  diesem 
Sinne  halte  sie  die  Ziffer  15  für  annehmbar. 

Art.  5 
wurde  nicht  beanstandet,  doch  hätte  der  württ.  Bevollmächtigte 
gewünscht,  daß  statt ,, Einrichtungen"  ,, gesetzlichen  Einrichtungen" 
gesagt  würde.  Aus  Anlaß  dieses  Artikels  wurde  auf  die  Frage 
zurückgegriffen,  welche  Stellung  für  die  süddeutschen  Staaten 
gegenüber  den  seit  Gründung  des  Nordbundes  für  denselben  erlas- 
senen Gesetzen  die  angemessene  sei,  und  dabei  allseitig  anerkannt, 
daß  diese  Gesetze  nicht  ohne  Weiteres  für  den  erweiterten  Bund, 
für  den  sie  ja  gar  nicht  promulgirt  seien,  Geltung  erlangen  könnten, 
sondern  eine  spezielle  Abmachung  über  Einführung  dieser  Gesetze, 
und  zwar  eines  jeden  einzelnen  von  ihnen,  sei  es  auf  demselben 
Wege,  auf  welchem  die  Verfassung  zu  Stande  kommt,  sei  es  auf  dem 


261 

Wege  der  Verabschiedung  mit  dem  neuen  Parlamente,  vorbehalten 
bleibe. 

Desgleichen  wurde  anerkannt,  daß  selbst  bezüglich  der  dem 
Bunde  zugewiesenen  Gegenstände  die  in  den  einzelnen  Staaten 
geltenden  Gesetze  und  Verordnungen  etc.  in  solange  in  Kraft  bleiben 
sollten  und  auf  dem  bisherigen  Wege  der  Einzelngesetzgebung 
abgeändert  werden  könnten,  bis  eine  bindende  Norm  vom  Bunde 
ausgegangen  sei. 

Anlangend  den  Abschnitt  vom  Bundesrathe,  so  wurden  die 

Art.  6  u.  7 
mit  den  selbstverständlich  gebotenen  Modificationen  Seitens  der 
bayrischen  Regierung  für  acceptabel  erklärt.  Die  bayrische  Re- 
gierung sprach  jedoch  das  Verlangen  aus,  daß  ihr  im  Bundesrathe 
nicht  bloß  6  Stimmen,  wie  bisher  im  Zollbundesrathe,  sondern  deren 
8  zuerkannt  würden,  welchem  Verlangen  gegenüber  Herr  Delbrück 
und  Herr  v.  Mittnacht  das  Bedenken  aussprachen,  daß  dasselbe 
zu  großen  Schwierigkeiten  und  insbesondere  zu  der  Nothwendig- 
keit  einer  umfassenden  Revision  des  Abschnittes  von  den  Stimm- 
berechtigungen führen  werde. 

Art.  8 
erklärte  die  bayrische  Regierung  für  annehmbar,  sie  verlangte 
jedoch  das  Vorrecht,  daß  in  den  unter  Ziff.  i,  3  u.  4  genannten  Aus- 
schüssen eine  ständige  Vertretung  durch  Bevollmächtigte  einge- 
räumt werde,  welche  Seine  Majestät  der  König  von  Bayern  zu  er- 
nennen habe. 

S.  Exe.  Herr  Staatsminister  Delbrück  erklärte  diesem  Ver- 
langen gegenüber,  daß  gegen  die  gewünschte  stete  Vertretung 
Bayerns  in  dem  sub  i  genannten  Ausschusse  umso  weniger  ein 
Anstand  werde  erhoben  werden,  als  ein  gleiches  Vorrecht  auch  Sr. 
Maj.  dem  Könige  von  Sachsen  zugestanden  sei,  daß  dagegen  die  Ein- 
räumung eines  gleichen  Vorrechtes  für  die  anderen  Ausschüsse  mit 
dem  Principe  schwerlich  vereinbar  sein  werde,  wonach  die  Mit- 
glieder derselben  durch  Wahl  bestimmt  werden  müßten,  während  es 
sich  in  Anbetracht  der  Wichtigkeit  Bayerns  von  selbst  so  machen 
werde,  daß  der  bayr.  Bevollmächtigte  in  denselben  durch  Wahl  eine 
Stelle  finde. 

Der  Vertreter  Württembergs  behält  sich  eine  Proposition  be- 
züglich der  Vertretung  Württembergs  in  dem  Ausschusse  zu  i  vor. 

Bei  Besprechung  dieses  Artikels  wurde  von  den  .Vertretern  der 
bayrischen  Regierung  in  Anregung  gebracht,  daß  die  Zuständigkeit 
und  Aufgabe  der  Ausschüsse  des  Bundesrathes  sogleich  bei  Fest- 
stellung der  Verfassung  des  neuen  Deutschen  Bundes  bestimmter 
normirt  und  festgestellt  werden  möge  und  zwar  hauptsächlich  in 
der  Absicht,  damit  die  Vorlagen  des  Bundesrathes  an  den  Reichstag 
die  zum  Vollzuge  der  Bundesgesetze  nöthig  werdenden  Instruktionen, 
die  in  der  Competenz  der  Bundesregierung  liegenden  Erlasse  und 
Verordnungen,  mit  einem  Worte  die  ganze  Geschäftsaufgabe  des 
Bundesrathes,  in  soweit  dies  der  Natur  der  Sache  nach  von  dem 
Bundesrathe  selbst  geschieht,  von  dessen  Ausschüssen  als  seinen 
Organen  vorbereitet  und  bearbeitet  wird.  Alles  dies  vorbehaltlich 
des   selbstverständlichen    Initiativrechtes   der   einzelnen    Bundes- 


262 

regierungen,  ihren  etwaigen  Anträgen  ausgearbeitete  Projecte 
zum  Grunde  zu  legen. 

Der  Herr  Justizminister  von  Mittnacht  bemerkte  hiezu,  daß 
vielleicht  nähere  Bestimmungen  über  Stellung  und  Befugnisse  des 
Bundesrats  (vgl.  Art.  37  der  norddeutschen  Bundesverfas- 
sung), welche  auch  sonst  (Art.  17)  als  wünschenswert  erscheinen, 
die  Erreichung  des  von  der  K.  bayr.  Regierung  angestrebten  Zieles 
sichern  würden. 

Die  Art.  9  u.  10 
wurden  nicht  beanstandet. 

Bezüglich  der  Bestimmungen  über 

das   Bundes-Präsidium 

und  insbesondere  den 

Art.  II, 

so  war  allseitiges  Einverständniß  darüber  vorhanden,  daß  auch  an 
der  Spitze  des  neuzubegründenden  Deutschen  Bundes  ein  Bundes- 
präsidium stehen  solle,  das  selbstverständlich  Seine  Majestät  der 
König  von  Preußen  zu  führen  haben  werde. 

In  Ansehung  des  dem  Bundes-Präsidium  in  Art.  11  zugewiese- 
nen Rechtes,  den  Bund  völkerrechtlich  zu  vertreten  und  im  Namen 
des  Bundes  Gesandte  zu  beglaubigen  und  zu  empfangen,  machte 
S.  Exe.  der  Herr  Staatsminister  Graf  Bray  in  der  Erwägung, 
daß  eines  der  wesentlichsten  Kriterien  der  Selbstständigkeit  eines 
Staates  in  dem  Rechte  der  gesandtschaftlichen  Vertretung  liege, 
in  dem  Übergange  dieses  Rechtes  an  eine  andere  Macht  also  auch  die 
folgenschwerste  Beeinträchtigung  dieser  Selbstständigkeit  der  ein- 
zelnen Staaten  liege,  Namens  der  bayr.  Regierung  den  Vorschlag, 
es  im  Wesentlichen  bei  dem  dermaligen  Zustande  zu  belassen,  wo- 
nach jede  einzelne  deutsche  Regierung  ihrerseits  für  ihre  diplo- 
matische \'ertretung  zu  sorgen  habe  und  zwar  nicht  allein  in  den- 
jenigen Angelegenheiten,  die  den  betreffenden  Staat  allein  angehen, 
sondern  auch  in  denjenigen  Angelegenheiten,  welche  den  im  Bunde 
begriffenen  Staaten  gemeinschaftlich  seien,  während  nichts  da- 
gegen zu  erinnern  sein  werde,  wenn  der  Bund  auswärtige  Gesandte 
bei  sich  empfange  und  dem  Bundespräsidium  nach  wie  vor  die 
diplomatische  Vertretung  des  gesammten  Nordbundes   zukomme. 

Diesem  Vorschlage  gegenüber  entspann  sich  eine  einläßlichere 
Discussion  der  Materie  von  der  völkerrechtlichen  Vertretung  des 
Bundes,  in  welcher  sich  namentlich  S.  Exe.  Herr  Staats- 
minister Delbrück  gegen  den  Vorschlag  des  Herrn  Greifen  v.  Bray 
aussprach,  indem  er  zunächst  darauf  hinwies,  daß  der  Deutsche 
Bund  ein  ganz  neues  Staatengebilde  sein  werde  und  daß,  wenn  dem 
Bundespräsidium  die  völkerrechtliche  Vertretung  dieser  neuen 
Schöpfung  übertragen  werde,  von  einem  Übergange  bisheriger 
Souveränetätsrechte  Bayerns  an  den  Bund  um  so  weniger  die  Rede 
sein  könne,  als  man  den  süddeutschen  Staaten  keineswegs  das 
Recht  verkümmern  werde,  neben  den  Gesandten  des  Deutschen 
Bundes  ihre  eigenen  Gesandten  für  ihre  besonderen  Angelegenheiten 
zu  haben  und  Gesandte  auswärtiger  Staaten  bei  sich  zu  empfangen. 
Außerdem  wurde  in  der  stattgehabten  Discussion  die  Frage  der 
praktischen  Durchführbarkeit  des  bayrischen  Vorschlages  einer 
eingehenden  Beleuchtung  unterzogen. 


263 

Was  das  Recht  der  Kriegserklärung  betrifft,  so  proponirte 
S.  Exe.  Graf  Bray  anzuerkennen,  daß  das  Bundespräsidium  das 
Recht  haben  müsse,  den  Krieg  sofort  zu  erklären,  wenn  deutsches 
Gebiet  angegriffen  werde,  dagegen  im  Rückblick  auf  die  von  Preußen 
bei  Auflösung  des  vormaligen  Deutschen  Bundes  gemachten  Vor- 
schläge auszusprechen,  daß  das  Bundespräsidium  in  allen  anderen 
Fällen  vor  Abgabe  der  Kriegserklärung  der  Zustimmung  des  Bundes- 
rathes  sich  zu  versichern  verpflichtet  sei,  endlich  daß,  um  dem 
Bundesrathe  ein  Urtheil  über  die  Sachlage  und  sonach  ein  Votum 
möglich  zu  machen,  das  Bundespräsidium  die  Zusage  zu  geben  hätte, 
es  werde  den  Bundesrath  von  dem  Verlaufe  und  dem  Inhalte  der 
einschlägigen  Verhandlungen,  die  zur  Abwendung  einer  Kriegsgefahr 
geführt  werden,  stets  erschöpfend  verständigen. 

Bezüglich  des  Friedensschlusses  endlich  erhob  Bayern  den 
Anspruch,  daß  zu  den  Friedensverhandlungen  jeweils  ein  bay- 
rischer Bevollmächtigter  zugezogen  werden  und  dieser  Anspruch 
in  der  Verfassung  anerkannt  werden  solle. 

Hinsichtlich  des  Abschlusses  von  Staatsverträgen  wurde  auf 
Verlangen  der  Vertreter  der  bayrischen  Regierung  ausgesprochen, 
daß  den  einzelnen  Staaten  das  Recht,  Staatsverträge  über  Angelegen- 
heiten zu  schließen,  welche  nicht  in  den  Kreis  der  Bundesangelegen- 
heiten gehören,  nicht  zu  beanstanden  sein  werde. 

Der  Vertreter  \\'ürttembergs  hält  die  völkerrechtliche  Vertre- 
tung des  Bundes  durch  das  Präsidium  für  unerläßlich  und  schließt 
sich  bezüglich  des  Rechtes  der  Kriegserklärung  der  bayrischen 
Proposition  an. 

Art.  12,  13  u.  14 
wurden  nicht  beanstandet,  nur  wurde  in  Anregung  gebracht,  ob  es 
nicht  angezeigt  sei,  von  Berufung  und  Schließung  des  Bundesrathes 
Umgang  zu  nehmen  und  denselben  als  ein  permanentes  Organ  zu 
betrachten,  nachdem  er  doch  einen  Theil  der  Regierungsrechte  des 
Bundes  auszuüben  berufen  sei.  S.  Exe.  Herr  Staatsminister  Del- 
brück bemerkte  hierauf,  daß  faktisch  das,  was  die  Anregung  der  bay- 
rischen Regierung  bezwecke,  bereits  erreicht  sei  durch  die  Kürze  der 
zwischen  Schließung  und  Wiederberufung  des  Bundesrathes  regel- 
mäßig verstreichenden  Frist,  daß  aber  an  der  Einrichtung  des 
Art.  12  festgehalten  worden  sei,  um  den  anderen  Charakter,  den  der 
Bundesrath  an  sich  trage,  den  parlamentarischen  nämlich,  dadurch 
auszudrücken. 

Art.  15 
wurde  nicht  beanstandet,   nur  proponirte  Bayern,  ihm  im  Falle 
der    Verhinderung    Preußens    den    stellvertretenden    Vorsitz    im 
Bundesrathe  zuzuerkennen. 

Art.  16  u.  17 

wurden  als  annehmbar  bezeichnet. 
Zu 

Art.  18, 
den  Bayern  im  Übrigen  nicht  beanstanden  zu  wollen  erklärte,  erhob 
dasselbe  das  Verlangen,  daß  in  der  Verfassung  ausgesprochen  werde, 
es  solle  eine  gewisse,  nach  irgend  einem  bestimmten  Verhältnisse 
festgestellte  Zahl  von  Bundesbeamten  nach  dem  Vorschlage  Seiner 


264 

Majestät  des  Königs  aus  bayrischen  Staatsangehörigen  ernannt 
werden. 

S.  Exe.  Herr  Staatsminister  Delbrück  entgegnete  hierauf, 
daß  die  Aufnahme  einer  solchen  Bestimmung  in  eine  Verfassung  nicht 
als  unbedenklich  sich  darstelle,  dem  ausgesprochenen  Verlangen 
übrigens  schon  in  der  bisherigen  Praxis  des  Zollvereins  vollständig 
entsprochen  worden  sei  und  zweifellos  auch  in  der  Folge  nach  Thun- 
lichkeit  werde  entsprochen  werden,  für  eine  ausgiebigere  Beach- 
tung desselben  aber  bei  der  von  Bayern  vorgeschlagenen  Competenz 
des  Bundes  schwerlich  eine  passende  Gelegenheit  sich  ergeben 
werde,  da  außer  den  Zollvereinsbeamten  nur  noch  die  Consuln  und 
etwa  noch  das  Personal  des  Bundeskanzleramtes  werde  in  Betracht 
kommen  können. 

Von  Seiten  der  bayr.  Regierung  wurde  schließlich  bemerkt, 
daß  immerhin  eine  Betheiligung  von  Beamten  der  einzelnen  Staaten 
bei  Besetzung  der  Bundesämter  sich  als  wünschenswert,  vielleicht 
sogar  als  nothwendig  darstellen  könne  und  für  diesen  Fall  eine 
Bestimmung  dahin  sich  empfehlen  dürfte,  solchen  zu  einem  Bundes- 
amte berufenen  Beamten  die  von  ihnen  erworbenen  dienstlichen 
Rechte  im  einzelnen  Staate  vorzubehalten. 

Der  Art.  19 
wurde  von  der  bayrischen  Regierung  beanstandet.  Nach  einer 
eingehenden  Besprechung  der  Sache,  in  welcher  darauf  hinge- 
wiesen wurde,  daß  ohne  eine  wirksame  Controle  des  Vollzuges  der 
kompetenzmäßigen  Anordnungen  des  Bundes  eine  lebensfähige 
Gestaltung  desselben  nicht  denkbar  sei,  wurde  jedoch  zugegeben, 
daß  der  Inhalt  dieses  Artikels  etwa  in  folgender  Fassung  Annahme 
finden  könne : 

,,Wenn  Bundesglieder angehalten  werden.   Diese 

Exekution  ist  von  dem  Bundesrathe  zu  beschließen  und  von 

dem  Bundespräsidium  zu  vollstrecken." 

Hiermit  und  durch  die  Bemerkungen  zu  Art.  8  wurde  der 
Vorbehalt  zum  Eingange  des  Artikels  4  für  erledigt  erachtet. 

Der  Inhalt  der 

Art.  20 — 32 
vom  Reichstage 
wurde  nicht  beanstandet.    Auch  wurde  anerkannt,  daß  das  Wahl- 
gesetz für  den  Reichstag  des  Norddeutschen  Bundes  auf  den  neuen 
Deutschen  Bund  ausgedehnt  werden  solle. 

Zu  Art.  32  wird  von  dem  württ.  Bevollmächtigten  die  Ge- 
währung eines  Ersatzes  für  Reisekosten  in  Anregung  gebracht. 

Was  das  in  den  Art.  33 — 37  behandelte 

Zoll-  und  Handelswesen 
betrifft,  so  wurde  von  Bayern  vorgeschlagen,  die  hier  enthaltenen 
Bestimmungen  durch  den  Inhalt  des  Zollvereinsvertrages  zu  er- 
setzen, sofern  derselbe  nicht  dadurch  eine  Änderung  nothwendig 
erfahren  muß,  daß  fortan  an  die  Stelle  eines  vertragsmäßigen  Ver- 
hältnisses ein  verfassungsmäßiges  treten  soll. 

Besonders  betont  wurde  hierbei  von  der  bayr.  und  württ. 
Regierung,  daß  sie  auf  der  Bestimmung  beharren  müssen,  wonach 


265 

sich  die  Bundesgesetzgebung  für  diese  Staaten  nicht  auf  die  Besteue- 
rung von  Bier  und  Branntwein  erstrecken  dürfe. 

Auch  wurde  allseitig  anerkannt,  daß  selbstverständlich  mit 
Überführung  des  Vertragsverhältnisses  in  ein  verfassungsmäßiges 
die  Kündbarkeit  des  Zollvereins  in  Wegfall  zu  kommen  habe. 

Zu  den 

Art.  41 — 47 
vom  Eisenbahnwesen 

wurde  von  Seite  Bayerns  und  Württembergs  auf  das  zu  Art.  4 
Ziff.  8  Vorgetragene  Bezug  genommen  und  daraufhin  die  Streichung 
der 

Art.  41 — 46 
beantragt,  wogegen  die  Aufnahme  des 

Art.  47 
nicht  beanstandet  ward. 

Zu 

Art.  48—52 

ward  von  Seite  Bayerns  der  Wegfall  beantragt,  gleichwie  dies  zu 
Art.  4  Ziff.  10  geschehen  war,  da  Bayern  die  Verwaltung  seines  Post- 
und  Telegraphenwesens  und  die  hieraus  resultirenden  Einnahmen 
für  sich  reserviren  zu  müssen  in  der  Lage  sei,  zumal  eine  Gemein- 
schaftlichkeit aller  Reglements  und  Betriebseinrichtungen  nicht 
einmal  als  durchführbar  sich  darstellen  werde  und  auch  in  Ansehung 
Süddeutschlands  ein  Bedürfniß  hiefür  nicht  anerkannt  werden 
könne. 

S.  Excell.  Herr  Staatsminister  Delbrück  erklärte  hierauf,  daß 
an  eine  ausnahmslose  Durchführung  dieses  Standpunktes  doch  kaum 
werde  gedacht  werden  können  und  daß  mindestens  die  Competenz 
der  Bundeslegislative  anerkannt  werden  sollte 

1.  hinsichtlich  der  Gesetzgebung  im  Postwesen  bezüglich 
des  Verhältnisses  der  Postanstalt  zum  Publikum,  daß  sodann  hin- 
sichtlich der  Regelung  der  Posttaxen  für  den  Wechselverkehr  der 
einzelnen  Bundesstaaten  unter  sich  und 

2.  hinsichtlich  des  Abschlusses  von  Postverträgen  mit  dem 
Auslande  unter  Vorbehalt  des  Vertragsrechtes  für  die  Einzelnstaa- 
ten in  Fällen,  in  welchen  lediglich  die  letzteren  betheiliget  sind,  die 
Zuständigkeit  des  Bundes  Platz  greifen  sollte. 

Über  diese  Punkte  behielt  sich  die  bayr.  Regierung  weitere 
Erwägung  vor,  während  das  Einverständniß  Württembergs  mit 
denselben  erklärt  werden  konnte. 

Für  den  Fall  der  Annahme  dieses  Vorschlages  hielt  man  all- 
seitig dafür,  daß  demselben  seine  Stelle  bei  Ziff.  10  des  Art.  4  an- 
zuweisen sein  würde. 

Zu  den 

Art.  53—55 
wurde  von  Seite  der  bayrischen  Regierung  hervorgehoben,  durch 
Aufnahme  der  Bestimmungen  der  Verfassung  des  Norddeutschen 
Bundes  über 

Marine  und  Schiffahrt 
in  die  Verfassung  des  Deutschen  Bundes  werde  die  Finanzlast  der 
süddeutschen  Staaten  um  ein  Erhebliches  vermehrt.  Wenn  man  nun 


266 

erwäge,  daß  gerade  die  Höhe  der  Ausgaben,  namentlich  für  mili- 
tärische Zwecke,  schon  in  ihrem  dermaligen  Bestände  im  Süden 
Deutschlands  schwer  empfunden  wurde  und  ein  sehr  bedeutender 
Grund  für  die  inneren  Schwierigkeiten  gewesen  sei,  die  in  jüngster 
Zeit  in  den  süddeutschen  Staaten  den  Regierungen  entgegengetreten 
sind,  so  werde  die  Behauptung  gerechtfertigt  sein,  daß  an  der  Ver- 
mehrung dieser  Last  sehr  leicht  die  Annahme  der  neuen  Bundes- 
verfassung in  den  süddeutschen  Ländern  scheitern  könnte,  und  er- 
scheine somit  ebensowohl  für  die  Regierungen  dieser  Länder  wie 
für  Preußen  und  den  Norddeutschen  Bund,  denen  ja  allen  in  gleichem 
Grade  an  dem  Zustandekommen  einer  Reconstituirung  Deutsch- 
lands gelegen  sein  müsse,  ein  ernster  Anlaß  gegeben,  in  Betracht  zu 
ziehen,  ob  nicht  für  den  Deutschen  Bund  von  einer  Gemeinschaft- 
lichkeit der  Marine  und  der  hiefür  erforderlichen  finanziellen  Lasten 
Abstand  zu  nehmen  sei,  zumal  hiefür  auch  der  Umstand  spreche, 
daß  die  norddeutschen  Staaten,  wenn  nicht  ausschließlich,  so  doch 
vorwiegend,  bei  dem  Bestände  einer  Marine  betheiliget  seien. 

Herr  Staatsminister  Delbrück  hielt  dieser  Auffassung  entgegen 
die  Ansicht  fest,  daß  —  vorbehaltlich  der  Frage,  wie  es  mit  der  Bei- 
tragspflicht für  die  Kosten  der  2  Kriegshäfen  zu  halten  sei,  die  in 
Übereinstimmung  mit  den  Bestimmungen  über  die  Landfestungen 
zu  entscheiden  sein  werde  —  keinem  Mitgliede  die  Beitragspflicht 
für  die  Marine  werde  nachgesehen  werden  können,  nachdem  die 
Flotte,  sowohl  was  den  Schutz  des  deutschen  Gebietes  im  Kriegs- 
falle als  was  den  Schutz  des  deutschen  Handels  im  Frieden  auf  allen 
Meeren  der  Erde  angehe,  allen  deutschen  Staaten  in  gleichem  Maße 
zu  Gute  komme. 

Für  den  Fall,  daß  Bayern  sich  der  Beitragspflicht  zur  Marine 
unterziehen  würde,  erkannten  hierauf  die  Vertreter  der  bayr.  Re- 
gierung an.  daß  die  Art.  53 — 55  ihre  Stelle  auch  in  der  Verfassung 
des  neuen  Deutschen  Bundes  zu  finden  hätten,  und  hoben  nur 
noch  hervor,  daß  alsdann  im  Hinblick  auf  den  Umfang  des  Bundes- 
gebietes und  in  Berücksichtigung  weit  verbreiteter  Gefühle  dieFlagge 
aus  den  Farben  Schwarz,  Gold  und  Rot  zu  bestehen  haben  oder  eine 
andere  Flagge  zu  wählen  sein  dürfte,  wodurch  die  Gesammtheit 
des  neuen  Bundes  repräsentirt  würde. 

Nachdem 

das  Consulatswesen 
Art.  56 
schon  zu  Art.  4  Ziff.  7  die  erforderliche  Besprechung  gefunden  hatte, 
wurde  zur  Besprechung  des 

Bundeskriegs  Wesens 
übergegangen  (wobei  Justizminister  v.  Mittnacht  sich  außer  Stand 
erklärte,  in  Abwesenheit  des  württ.  Kriegsministers  die  Ansichten 
seiner  Regierung  zu  vertreten)  und  zunächst  darauf  hingewiesen, 
daß  in  Art.  4  Ziff.  14  Alles  dasjenige,  was  an  dem  Militärwesen  der 
Legislative  anheimfällt,  dortsei bst  schon  der  Legislative  des  Bundes 
zugewiesen  und  somit  der  Competenz  der  Gesetzgebung  der  Einzeln- 
staaten entrückt  sei.  Im  Übrigen  wurde  der  Inhalt  des 

Art.  57 
vorbehaltlich  der  gebotenen  redaktionellen  Änderung  nicht  bean- 
standet. 


267 

Zu  Art.  58 
wurde  von   Bayern   vorgeschlagen,    statt   desselben  folgende   Be- 
stimmungen aufzunehmen : 

Die  Kosten  und  Lasten  des  bayrischen  Kriegswesens,  einschließ- 
lich der  auf  bayrischem  Gebiete  gelegenen  Festungen,  werden 
von  Bayern  selbst  getragen 

Zur  Motivirung  dieser  Bestimmimg  war  bei  verschiedenen 
Anlässen  im  Laufe  der  Berathungen  von  bayrischer  Seite  hervor- 
gehoben worden,  Bayern  erkenne  bereitwillig  an,  daß  der  Schutz 
des  deutschen  Gebietes  von  allen  verbündeten  Staaten  nach  gleichem 
Maße  geleistet  werden  müsse  und  deshalb  weder  Bevorzugungen 
noch  Prägravationen  zulässig  seien,  daß  der  Zweck  eines  aus- 
giebigen Schutzes  der  deutschen  Staaten  nur  durch  ein  einheitliches, 
in  allen  wesentlichen  Punkten  gleichförmig  organisirtes  Heer 
erreicht  werden  könne,  dagegen  halte  man  bayrischerseits  dafür, 
daß  mit  Statuirung  eines  durchweg  gemeinschaftlichen  Militärbud- 
gets die  Selbstständigkeit  der  einzelnen  Staaten  weiter,  als  für  den 
Bundeszweck  erforderlich  sei,  angegriffen  werde  und  daß  dadurch 
ohne  zureichende  Gründe  den  einzelnen  Staaten  die  Vortheile  ent- 
zogen würden,  die  ihnen  unter  Umständen  daraus  erwüchsen,  daß 
nach  ihren  socialen  und  wirtschaftlichen  Verhältnissen  den  Ver- 
pflichtungen für  die  Armee  mit  geringeren  finanziellen  Opfern  ent- 
sprochen werden  könne,  ganz  abgesehen  von  dem  Aufwände  für 
Kasernirungsbauten  etc.  und  davon,  daß  z.  B.  eine  wesentliche 
Änderung  der  Gagenverhältnisse  eine  einschneidende  Änderung  der 
Besoldungsverhältnisse  der  Civilstaatsdiener  zur  unausbleiblichen 
Folge  haben  würde.  Dem  Einwände,  daß  bei  diesem  Vorschlage 
den  Einzelnparlamenten  die  Macht  eingeräumt  sei,  Bayern  an  der 
Leistung  seines  billigen  Antheils  für  den  militärischen  Schutz 
Deutschlands  durch  Ablehnung  von  den  erforderlichen  Summen 
zu  verhindern,  wurde  mit  dem  Bemerken  begegnet,  daß  die  Legisla- 
tive über  das  Militärwesen  der  Bundesgesetzgebung  und  ebenso 
die  Feststellung  der  übrigen  wesentlichen  Substrate  der  militärischen 
Leistungen  der  einzelnen  Staaten  der  Bundesregierung  zustehe,  wie 
sich  aus  den  folgenden  Artikeln  ergeben  werde. 

Bezüglich  der  Festungen  wurde  noch  bemerkt,  daß  mit  der  hier 
vorgeschlagenen,  dem  Status  quo  entsprechenden  Bestimmung  die 
Vereinbarung  der  deutschen  Staaten  darüber  nicht  ausgeschlossen 
werden  solle,  daß  gewisse  schon  vorhandene  Festungen  die  Eigen- 
schaft von  Bundesfestungen  haben,  andere  neu  angelegt  werden 
sollten  und  wie  deren  Verhältnisse,  dann  die  der  Küstenbefestigung 
zu  ordnen  seien. 

Zu 

Art.  59 
wurde  von  Seite  Bayerns  der  erste  Satz  des  Absatzes  i,  desgleichen 
der  Absatz  2  als  annehmbar,  Satz  2  des  Absatzes  i  aber  als  gegen- 
standslos und  darum  als  cessirend  bezeichnet. 

Art.  60 

wurde  von  Seite  Bayerns  nicht  beanstandet  vorbehaltlich  nach- 
folgender Bemerkung: 

Schon  bei  dem  Abschnitte  über  die  Marine  ist  ausgeführt,  daß 
die  Höhe  der  finanziellen  Leistungen  der  deutschen  Staaten  für 


268 

militärische  Zwecke  und  die  dadurch  bedingte  Erhöhung  der  Steu- 
ern zum  weitaus  größten  Theile  die  inneren  Schwierigkeiten  hervor- 
gerufen habe,  mit  denen  die  deutschen  Regierungen  in  jüngster 
Zeit  zu  ringen  gehabt.  Durch  Art.  60  werde,  was  Bayern  speziell 
angehe,  diese  Last  noch  um  ein  beträchtliches  erhöht.  Ein  solcher 
Erfolg  der  deutschen  Verfassungsreform  werde  nicht  etwa  blos  eine 
weitgreifende  Unpopularität  derselben  zur  Folge  haben,  sondern 
sogar  ernstlich  in  Frage  stellen,  ob  die  beabsichtigte  Reform  die  Zu- 
stimmung der  Einzelnparlamente  finden  könne.  Da  nun  auch  die 
Völkerschaften  der  norddeutschen  Staaten  schon  große  Anstren- 
gungen gemacht  hätten,  um  die  auf  ihnen  ruhende  Militär-Last  zu 
kürzen,  und  bei  der  bevorstehenden  Behandlung  der  Frage  im  Par- 
lamente auf  diese  Bestrebungen  wieder  zurückkommen  würden,  so 
müsse  die  bayr.  Regierung  mit  besonderem  Nachdrucke  die  Frage 
anregen,  ob  es  nicht  gerathen  sei,  alsbald  bei  Vereinbarung  der  neuen 
Bundesverfassung  die  vielleicht  doch  nicht  vermeidbare  Reduction 
der  Armee  eintreten  zu  lassen  und  die  Präsenzstärke  sofort  auf 
%  Prozent  der  Bevölkerung  herabzusetzen.  Auch  politische  Erwä- 
gungen wurden  hiefür  angeführt,  und  insbesondere  die,  daß  nach 
Bildung  des  neuen  Deutschen  Bundes  die  deutsche  Armee  selbst  bei 
diesem  Prozentsatze  die  größte  in  Europa  sei  und  eine  noch  größere 
Armee  die  Eifersucht  und  Coalitionen  anderer  europäischer  Völker 
gegen  Deutschland  wach  rufen  könne. 
Für  den 

Art.  61 
wurde  von  Bayern  folgende  Fassung  vorgeschlagen: 

Bayern  behält  seine  gesammte  Militärgesetzgebung  nebst  den 
dazu  gehörigen  Vollzugs-Instructionen  und  Verordnungen  und 
Erläuterungen  etc.  etc.  bis  zur  verfassungsmäßigen  Beschluß- 
fassung über  die  der  Bundesgesetzgebung  anheimfallenden 
Materien. 

Außerdem  wurde  in  Anbetracht  des  Umstandes,  daß  die  Straf- 
gesetzgebung dem  Wirkungskreise  des  Bundes  nicht  anheimfallen 
.soll,  proponirt,  dem  Art.  4  Ziff.  14  den  Zusatz  zu  geben: 

mit  Ausnahme  des  Militär-Strafrechts  und  Strafprozesses 
sowie  der  Militär-Kirchen-Ordnung. 

Zu 

Art.  62 
proponirte  die  bayr.  Regierung  in  Consequenz  ihrer  Auffassung 
über  das  Militärbudget  die  Weglassung  und  den  Ersatz  desselben 
durch  eine  Ergänzung  des  Art.  60  mit  dem  Beisatze,  daß  die  daselbst 
statuirte  Präsenzstärke  bis  zu  deren  Änderung  durch  ein  neues 
Bundesgesetz  in  Geltung  zu  bleiben  habe. 
Für 

Art.  63 
schlug  Bayern  folgende  Fassung  vor: 

Das  bayrische  Heer  bildet  einen  in  sich  geschlossenen  Be- 
standtheil  des  deutschen  Bundesheeres  mit  selbstständiger 
Verwaltung  unter  der  Militärhoheit  Seiner  Majestät  des  Königs 
von  Bayern;  im  Kriege  unter  dem  Oberbefehle  Seiner  Majestät 
des  Königs  von  Preußen  als  Bundesfeldherrn. 


269 

Für  Organisation,  Formation  und  Ausbildung  (taktische 
Reglements  und  Präsenzstand)  besteht  Einheit  zwischen  dem 
bayrischen  und  norddeutschen  Heere. 

Das  Bundespräsidium  hat  die  Pflicht  und  das  Recht,  sich 
durch  Inspectionen  von  dieser  Einheit  in  Organisation  und  For- 
mation sowie  von  der  Vollzähligkeit  und  Kriegstüchtigkeit  des 
bayrischen  Contingentes  zu  überzeugen,  und  wird  sich  über  die 
Modalitäten  der  jeweiligen  Vornahme  und  über  das  Ergebniß 
dieser  Inspektionen  mit  Sr.  M.  dem  Könige  von  Bayern  ins 
Vernehmen  setzen. 

Die  Anordnung  der  Kriegsbereitschaft  (Mobilisirung)  des 
bayrischen  Contingentes  oder  eines  Theils  desselben  erfolgt 
auf  Veranlassung  des  Bundespräsidiums  durch  S.  M.  den 
König  von  Bayern. 

Die  Anordnungen  des  Bundespräsidiums  bezüglich  der 
mit  dem  norddeutschen  Heere  verfassungsmäßig  einheitlichen 
Einrichtungen  des  bayrischen  Heeres  werden  der  bayr.  Re- 
gierung durch  den  in  Art.  8  Nr.  i  bezeichneten  Bundesraths- 
Ausschuß  zum  Vollzuge  mitgetheilt. 

Vorbehalten  ist  für  die  bayr.  Regierung  demnach:  Benennung 
und  Numerirung  der  Regimenter  etc.,  Uniformirung,  Ausrüstung  und 
Bewaffnung  (System  Werder),  Garnisonirung,  Personalwesen  und 
Militärbildungsanstalten,  überhaupt  alle  in  obiger  Formulirung 
nicht  berührten  Militär-Hoheitsrechte. 

Art.  64 
Absatz  I  wurde  von  Bayern  mit  der  Modification,  daß   nach 
„Bundesfeldherrn"  einzuschalten  sei:  ,,im  Kriege"  für  angenommen 
erklärt,  zu  Absatz  2  und  3  aber  die  Weglassung  proponirt. 
Zu  dem  entsprechend  zu  verändernden 

Art.  65 
proponirte  die  bayr.  Regierung  folgenden  Zusatz: 

Die  Anlage  neuer  Befestigungen  auf  bayrischem  Gebiete  kann 
nur  mit  Zustimmung  Sr.  M.  des  Königs  von  Bayern  geschehen. 
Art.  66  u.  67 
wurden  in  Consequenz  früherer  Propositonen  abgelehnt, 

Art.  68 
wurde   gleichfalls   abgelehnt,    dagegen   proponirt,    in   einer   neuen 
Ziffer  des  Art.  4  auszusprechen,  daß  der  Bundeslegislative  die  Re- 
gelung der  hier  besprochenen  Materie  anheimfalle. 
Zu  dem  Abschnitte 

von  den  Bundesfinanzen 
wurde  bemerkt:  Nachdem  Bayern  die  Gesetzgebung  über  die 
Besteuerung  von  Bier  und  Branntwein  vorbehalten  bleiben  müsse 
und  selbstverständlich  auch  der  Bezug  des  hieraus  entspringenden 
Einkommens,  nachdem  ferner  Bayern  sein  Post-  und  Telegraphen- 
wesen an  den  Bund  abzutreten  nicht  in  der  Lage  sei,  stehe  fest,  daß 
der  Bund  nicht  durchweg  seine  Einnahmen  mit  Bayern  gemein- 
schaftlich haben  könne.  Andererseits  seien  auch  die  Ausgaben  nicht 
durchweg  gleich,  da  Bayern,  abgesehen  von  der  Marine,  seine  Aus- 


270 

gaben  für  das  Militär  für  sich  zu  bestreiten  gedenke.   Daraus  folge, 
daß  ein  gemeinsames  Budget  nach  Maßgabe  der 

Art.  69 — 72 
nicht  möglich  sei.  Es  werde  deshalb  die  Streichung  dieser  Artikel 
proponirt  und  der  Ersatz  derselben  durch  die  Bestimmung, 
daß  nur  das  gemeinschaftliche  Ausgabenbudget  und  die  Aufwie- 
gung der  Ausgaben  durch  Matrikularbeiträge  nach  dem  Maßstabe 
der  Bevölkerung  durch  den  Bund  festzustellen  sei. 

Der  württ.  Bevollmächtigte  schließt  sich  den  Anschauungen 
der  K.  bayr.  Regierung  bezüglich  des  Bundesfinanzwesens  im  all- 
gemeinen an. 
Gegen 

Art.  73 
besteht  keine  Erinnerung. 

Art.  74 
wurde  nicht  beanstandet,  und 

Art.  75 
zum  Wegfall  empfohlen,   allerdings  aber  eine  entsprechende  Er- 
gänzung der  Particular-Gesetzgebung  in  Aussicht  gestellt. 

Art.  76 
Absatz  I  wurde  als  annehmbar  erklärt,  Absatz  2  dagegen  ab- 
gelehnt, desgleichen 

Art.  ']']. 

Württemberg  würde  gegen  die  Beibehaltung  von  Art.  76  Abs.  2 
und  Art.  'j']  eine  wesentliche  Einwendung  nicht  erheben. 

Zu 

Art.  >]% 
erklärte  die  bayrische  Regierung,  daß  sie  denselben  annehme  unter 
der  Voraussetzung,  daß  ihr 

1.  bezüglich  aller  eine  Erweiterung  der  Bundes-Competenz 
und 

2.  aller  das  Stimmrecht  sowie  die  Sonderstellung  Bayerns 
betreffenden 

Verfassungsänderungen  ein  Veto  eingeräumt  wird. 

Der  Vertreter  Württembergs  würde  davon  ausgehen,  daß  der 
Widerspruch  einer  zu  bestimmenden  Zahl  von  Stimmen  Verfas- 
sungsänderungen sollte  verhindern  können. 

Schließlich  wurde  von  Bayern  und  Württemberg  die  Aus- 
dehnung der  Bundeslegislative  auf  die  Gesetzgebung  über  das 
Preß-  und  Vereinswesen  proponirt.  m.  st.A. 

II.  München  1870  September  27.    Hauptrelation  des  Staats- 
ministers V.  Delbrück  über  die  Münchener  Konferenzen. 

(Original.) 

Nachdem  ich  am  19.  d.  Mts.  aus  Chateau-Thierry  nach  Berlin 
zurückgekehrt  war,  habe  ich  mich  am  folgenden  Tage  nach  München 
begeben  und  bin  daselbst  am  21.  vormittags  eingetroffen. 

Graf  Bray  erklärte  mir  in  einer  Unterhaltung,  welche  sofort 
nach  meiner  Ankunft  stattfand,  daß  Bayern  von  der  Nothwendig- 


271 

keit  überzeugt  sei,  an  die  Stelle  der  Vertragsverhältnisse,  welche 
zur  Zeit  zwischen  ihm  und  Norddeutschland  bestehen,  ein  organisches 
Verhältniß  treten  zu  lassen.  Auf  seine  Frage,  ob  ich  zum  Abschluß 
eines  auf  solcher  Grundlage  beruhenden  Abkommens  mit  Voll- 
macht und  Instruction  versehen  sei,  bezeichnete  ich,  der  mir 
Allerhöchst  ertheilten  Weisung  gemäß,  meine  Aufgabe  dahin,  die 
Vorschläge  Bayerns  für  die  Neugestaltung  seines  Verhältnisses  zu 
Norddeutschland  entgegenzunehmen  und,  wenn  solches  gewünscht 
werden  sollte,  auf  Grund  meiner  Kenntniß  der  Norddeutschen 
Bundesverhältnisse  zu  besprechen.  Die  weitere  Frage,  ob  Preußen 
bei  der  Neugestaltung  seines  Verhältnisses  zu  Bayern  auch  auf 
eine  Änderung  seines  durch  die  Bundesverfassung  begründeten  Ver- 
hältnisses zu  den  Staaten  des  Norddeutschen  Bundes  eingehen  werde, 
beantwortete  ich  mit  der  Bemerkung,  daß  S.  M.  der  König  zu  einer 
Erwägung  dieser  Frage  keinen  Anlaß  gefunden  hätte  und  daß  ich 
für  meinen  Theil  einen  solchen  Anlaß  für  jetzt  und  vor  näherer 
Kenntniß  der  Vorschläge  Bayerns  nicht  zu  erkennen  vermöchte. 
Endlich  fragte  mich  Graf  Bray,  ob  es  in  meiner  Absicht  oder  in 
meinem  Auftrage  liege,  von  München  nach  Stuttgart  zu  gehen  und, 
verneinenden  Falls,  ob  ich  damit  einverstanden  sei,  daß  der  K. 
Württembergische  Justizminister  Herr  von  Mittnacht  an  den  Be- 
sprechungen in  München  Theil  nehme.  Ich  antwortete,  daß  mein 
Auftrag  nur  der  K.  Bayerischen  Regierung  gelte  und  daß  ich  daher 
die  Zuziehung  des  Herrn  von  Mittnacht,  gegen  welche  ich  nicht  das 
Mindeste  einwenden  würde,  lediglich  Bayern  zu  überlassen  hätte. 
Herr  von  Mittnacht  kam  infolgedessen  in  der  Nacht  vom  21. /22. 
hier  an  und  hat  an  den  Berathungen  von  Anfang  bis  zu  Ende  theil- 
genommen. 

Auch  die  Theilnahme  der  Großherzoglich-Badischen  Regierung 
wurde  noch  am  Tage  meiner  Ankunft  von  dem  Großherzoglichen 
Gesandten  bei  mir  angeregt.  Ich  bemerkte  ihm,  daß  sich  mein  Auf- 
trag auf  die  Entgegennahme  der  bayerischen  Vorschläge  beschränke 
und  ich  daher  eine  Initiative  für  die  Betheiligung  Badens  nicht 
ergreifen  könne,  daß  ich  aber  gegen  eine  solche  Betheiligung,  wenn 
dieselbe  im  Einverständniß  mit  Bayern  erfolge,  nicht  das  geringste 
Bedenken  haben  würde.  Die  Frage  erledigte  sich  demnächst  da- 
durch, daß  Herr  von  Mohl  mir  drei  Tage  später  amtlich  eröffnete, 
seine  Regierung  wünsche  eine  Betheiligung  an  den  Münchner  Be- 
sprechungen nicht,  da  sie  beabsichtige,  die  Aufnahme  Badens  in 
den  Norddeutschen  Bund  zu  beantragen.  Bei  diesem  Antrage 
werde  sie,  wie  er  schon  jetzt  bemerke,  zweierlei  voraussetzen:  näm- 
lich die  Aufrechthaltung  des  bestehenden  Systems  der  Getränke- 
steuern, sodann  eine  besondere  Verständigung  über  die  Einführung 
der  im  Norddeutschen  Bunde  erlassenen  Gesetze.  Herr  von  Mohl 
bat  endlich  um  Mittheilung  der  Ergebnisse  der  Münchner  Be- 
sprechungen und  ich  habe  keine  Bedenken  getragen  diese  Bitte 
zu  erfüllen. 

Die  Eröffnung  und  Besprechung  der  bayerischen  Vorschläge 
erfolgte  am  22.,  23.,  24.,  26.  und  27.  d.  Mts.  unter  Betheiligung 
sämtlicher  bayerischer  Minister  und  des  Herrn  von  Mittnacht. 
Am  25.  fand  über  das  Kriegswesen  eine  Vorbesprechung  zwischen 
dem  Kriegsminister,  dem  Justizminister  und  mir  statt. 


272 

Den  Besprechungen  wurde  die  Norddeutsche  Bundesverfassung 
zum  Grunde  gelegt  und  die  bayerischen  Vorschläge  gestalteten  sich 
als  die  amendements  zu  den  einzelnen  Bestimmungen  dieser  Ver- 
fassung. Als  Proponenten  fungierten  und  zwar  für  den  nicht  auf 
das  Kriegswesen  bezüglichen  Theil  der  Justizminister  von  Lutz, 
für  das  Kriegswesen  der  Kriegsminister  Freiherr  von  Pranckh, 
beide  auf  Grund  protokollarisch  niedergelegter  Beschlüsse  früherer 
Ministerkonferenzen.  Meinungsverschiedenheiten  unter  den  Mi- 
nistern und  zwar  gerade  über  ganz  entscheidende  Punkte  traten 
wiederholt  hervor  und  wurden  in  meinem  Beisein  erörtert.  So  lehnte 
Herr  von  Lutz  es  ab,  bei  den  Fragen  über  die  völkerrechtliche  Ver- 
tretung des  Bundes  und  über  das  Marinewesen  als  Redner  zu  fun- 
giren. 

Die  Betheiligung  der  einzelnen  Minister  an  der  Discussion  war 
eine  sehr  ungleiche.  Graf  Bray  beschränkte  sich  in  der  Regel  darauf, 
die  einzelnen  Artikel  der  Bundesverfassung  vorzulesen,  und  über- 
ließ es  Herrn  von  Lutz  sodann  das  bayerische  Votum  abzugeben. 
Wo  er  letzteres  selbst  abgab,  wie  bei  Artikel  ii,  geschah  dies  durch 
V^erlesung  der  vorher  erwähnten  protokollarischen  Aufzeichnungen ; 
in  die  Diskussion  griff  er  selten  ein,  wenn  es  geschah,  meist  unter  An- 
rufung der  alten  Bundesverfassung.  Der  Minister  des  Innern  Herr 
von  Braun  hat  überhaupt  nur  wenig  Worte  gesprochen,  welche 
nichts  zu  erkennen  gaben  als  Besorgniß  vor  Eingriffen  der  Bundes- 
gewalt in  sein  Ressort.  Der  Finanzminister  Herr  von  Pfretzschner 
betheiligte  sich  lebhafter  als  sein  Kollege  und  war  entgegenkom- 
mender als  letzterer,  vielleicht  mehr  aus  Schwäche  als  aus  Über- 
zeugung. Herr  von  Schlör,  der  Handelsminister,  vertrat  mit  Sach- 
kenntniß  und  Geschick  die  sein  Ressort  betreffenden  Fragen;  wo  er 
über  andere  Dinge  sprach,  neigte  er  der  nationalen  Auffassung  zu. 
Der  Justizminister  Herr  von  Lutz  zeigte,  daß  er  sich  mit  der  Bundes- 
verfassung gründlich  beschäftigt  und  über  die  Stellung  Bayerns  zu 
uns  in  dieser  Verfassung  eine  selbständige  und  durchdachte  Meinung 
gebildet  hatte.  Er  machte  den  Eindruck,  daß  er  von  der  Nothwen- 
digkeit  einer  Einfügung  Bayerns  in  den  Bundesorganismus  innerlich 
überzeugt  und  daß  ihm  an  dem  Gelingen  einer  Verständigung  ernst- 
lich gelegen  sei.  Von  dem  Kriegsminister  würde  dasselbe  zu  sagen 
sein,  wenn  auch  seine  Motive  etwas  andere  sind.  Er  will  eine  tüch- 
tige Armee,  also  Freiheit  von  jeder  wirksamen  Betheiligung  des 
bayerischen  Landtags  an  der  Feststellung  des  Militärbudgets,  und 
erkennt,  daß  dieses  Ziel  nur  durch  einen  Anschluß  an  Norddeutsch- 
land zu  erreichen  ist.  Die  gesammte  Haltung  Bayerns,  wie  sie  sich 
als  das  Ergebniß  dieser  verschiedenen  Stellungen  der  Minister  und 
des  souveränen  Selbstgefühls  Sr.  M.  des  Königs  von  Bayern  darstellt, 
bezeichnet  der  Minister  von  Mittnacht  im  Gegensatze  zur  Haltung 
Württembergs  sehr  treffend  dahin,  daß  man  in  München  sich  be- 
mühet habe  zu  sagen,  welche  Rechte  Bayern  nothwendig  an  den 
Bund  abtreten  müsse,  während  man  in  Stuttgart  sich  gefragt  habe, 
welche  Rechte  Württemberg  nothwendig  sich  vorzubehalten  habe. 

Die  Vorschläge  Bayerns  (wie  sie  sich  aus  den  Besprechungen 
ergeben)  sind  in  der  Anlage  enthalten.  Bevor  ich  auf  ihre  Einzel- 
heiten eingehe,  habe  ich  zwei  allgemeine  Bemerkungen  vorauszu- 
schicken. 


273 

Ich  habe  mich  im  allgemeinen  darauf  beschränkt,  die  einzelnen 
Bestimmungen  der  Bundesverfassung  in  das  richtige  Licht  zu  stellen 
und,  wo  eine  Abänderung  beansprucht  wurde,  die  politischen  und 
materiellen  Gesichtspunkte  geltend  zu  machen,  welche  für  die  Auf- 
rechthaltung sprechen.  Es  ist  mir  auf  diesem  Wege  gelungen, 
zahlreiche  Abänderungsvorschläge  theils  ganz  zu  beseitigen,  theils 
in  annehmbare  Form  zu  bringen.  Dem  Anspruch  auf  fernere  Eigen- 
verwaltung der  Posten  und  Telegraphen  und  auf  Ausscheidung  der 
inneren  Getränkesteuern  aus  dem  Kreise  der  gemeinschaftlichen 
Gesetzgebung  bin  ich  nicht  entgegengetreten.  Umgekehrt  habe  ich 
die  völkerrechtliche  Vertretung  des  Gesammtbundes  durch  das  Prä- 
sidium, den  Wegfall  der  Landeskonsulate  und  die  Annahme  des 
Abschnittes  der  Bundesverfassung  über  Marine  und  Schiffahrt  als 
unerläßliche  Voraussetzungen  des  Bundesorganismus  bezeichnet. 
Bei  dem  Abschnitt  über  das  Kriegswesen  habe  ich  mich  auf  den 
Mangel  an  Fachkenntnissen  bezogen  und  nur  das  Inspectionsrecht 
als  unbedingt  nothwendig  festgehalten. 

Die  protocoUarischen  Aufzeichnungen  über  die  Ministerkon- 
ferenzen, deren  ich  bereits  erwähnt  habe,  hatten  Sr.  M.  dem  König 
von  Bayern  vorgelegen  und  die  Allerhöchste  Genehmigung  erlangt. 
Durch  dieses  Verfahren  hatten  sich  die  bayerischen  Minister  in 
hohem  Grade  beengt.  Sie  gestanden  im  Laufe  der  Besprechungen  zu, 
daß  die  Gesetzgebung  über  Bundes-  und  Staatsangehörigkeit  und 
über  das  Obligationenrecht  dem  Bunde  zustehen  solle,  sie  ließen 
den  Anspruch  auf  Vermehrung  der  bayerischen  Stimmen  im  Bundes- 
rathe  und  auf  verfassungsmäßige  Feststellung  der  Vertretung  Bayerns 
in  dem  3.  und  4.  Ausschuß  fallen,  sie  verzichteten  auf  die  Stellung 
einer  gewissen  Quote  der  Bundesbeamten  durch  Bayern,  sie  waren 
mit  den  von  mir  wegen  des  Post-  und  Telegraphenwesens  gemachten 
Andeutungen  einverstanden  und  sie  ließen  auch  ihren  Widerspruch 
hinsichtlich  des  Marinewesens  fallen,  sie  wagten  es  aber  nicht,  diese 
ihre  Erklärungen  in  die  Aufzeichnungen  aufzunehmen.  Es  wurde 
ersucht,  S.  M.  den  König  zu  bestimmen,  zum  Zwecke  eines  Vor- 
trags über  die  Ergebnisse  der  Besprechungen  nach  München  zu 
kommen,  dieser  Versuch  mißlang  aber,  und  so  glaubten  sie,  die 
einmal  Allerhöchst  genehmigten  Propositionen  wenigstens  formell 
aufrechterhalten  zu  müssen.  Die  Anlage  gibt  daher  kein  wirkliches 
Bild  über  die  Ergebnisse  der  Besprechungen. 

Zu  den  Einzelheiten  bleibt  mir  folgendes  zu  bemerken  übrig. 

L  Aus  dem  Kreise  der  Bundesangelegenheiten  soll  nach  der 
Ansicht  Bayerns  ausgeschieden  werden: 

1.  das  Gewerbewesen, 

2.  die  Heimatsgesetzgebung, 

3.  das  Immobiliarversicherungswesen, 

4.  die  nicht  bereits  jetzt  im  Zollverein  gemeinschaftlichen 
Steuern, 

5.  das  Eisenbahnwesen,  vorbehaltlich  des  militärischen  Ge- 
sichtspunktes, und  die  Herstellung  von  Land-  und  Wasserstraßen, 

6.  das  Strafrecht  und  das  gerichtliche  Verfahren,  insbesondere 
auch  für  die  Armee. 

Württemberg  würde  sich  mit  der  Ausscheidung  der  unter  2 
und  4  bezeichneten  Materien  und  einer  minder  großen  Beschränkung 

Doeberl.     Bayern  und  die  Bismarckische  Reichsgrüadung.  l8 


274 

der  Competenz  in  Eisenbahnangelegenheiten  begnügt  haben.  Auf 
die  Ausschließung  des  Gewerbewesens  wird,  wie  ich  überzeugt  bin, 
Bayern  schließlich  verzichten. 

II.  Bayern  und  Württemberg  wünschen,  die  Mitwirkung  des 
Bundesrathes  bei  der  Ausführung  der  Bundesgesetzgebung  verfas- 
sungsmäßig festgestellt  zu  sehen. 

Bei  Bayern  herrschten  in  dieser  Beziehung  ziemlich  unklare 
Vorstellungen,  Herr  von  Mittnacht  drückte  den  Gedanken  klar 
und  praktisch  dahin  aus,  daß  dasjenige,  was  die  Bundesverfassung 
im  Artikel  37  unter  Nr.  i,  2  und  3  über  die  Befugnisse  des  Bundes- 
rathes rücksichtlich  des  Zoll-  und  Steuerwesens  bestimme,  generali- 
sirt  werden  möge.  Abgesehen  von  den  Militärangelegenheiten  drückt 
dieser  Antrag  nichts  Anderes  aus  als  die  Fixirung  der  im  Norddeut- 
schen Bunde  bereits  bestehenden  Praxis  und  bezeichnet  daher  ein 
unbedenklich  zulässiges  und  wohl  zu  verwertendes  Zugeständniß. 

III.  Über  die  unbedingte  Nothwendigkeit  der  völkerrechtlichen 
Vertretung  des  Bundes  durch  das  Präsidium  waren  sämmtliche 
bayerische  Minister,  mit  alleiniger  Ausnahme  des  Grafen  Bray,  mit 
mir  einverstanden.  Die  einflußreichsten  Personen  in  der  Umgebung 
Sr.  M.  des  Königs  von  Bayern  sind  der  nämlichen  Ansicht  und  man 
meint,  daß  selbst  die  bayerischen  ,, Patrioten"  bei  diesem  Punkte 
die  Ersparungsrücksichten  über  den  Patriotismus  setzen  würden. 
Hier  liegt  die  einzige  Schwierigkeit  in  der  Allerhöchsten  Entschlie- 
ßung. 

IV-  Bei  seinen  Vorschlägen  über  das  Kriegswesen  ging  Bayern 
von  folgenden  Gesichtspunkten  aus.  Die  bayerische  Armee  soll  ein 
der  norddeutschen  vollkommen  ebenbürtiges  Contingent  des  Bun- 
desheeres sein.  Hierzu  ist  erforderlich  die  Einheit  der  Militair- 
gesetzgebung  —  ausschließlich  des  Strafrechtes  und  Strafprozesses 
sowie  des  Kirchenwesens  —  sowie  der  Anordnungen  zur  Ausführung 
dieser  Gesetzgebung  und  die  Einheit  der  reglementairen  Vor- 
schriften, ausschließlich  der  Benennung  und  Numerirung  der  Re- 
gimenter, Uniformirung,  Ausrüstung,  Bewaffnung  und  Bildungs- 
anstalten. In  diesen  einheitlichen  Materieh  unterwirft  sich  Bayern 
der  Gesetzgebung  des  Bundes,  bezw.  des  Bundesoberhauptes.  In 
allen  übrigen  Beziehungen  will  es  seine  Selbständigkeit  wahren  und 
kann  es  ohne  Schaden  für  die  Gemeinschaft  seine  Selbständigkeit 
wahren.  Denn  wenn  die  Friedenspräsenzstärke  seiner  Armee  re- 
lativ dieselbe  ist,  wenn  die  Organisation,  Formation  und  Ausbildung 
nach  den  im  Norddeutschen  Bunde  bestehenden  Anordnungen 
erfolgen  muß,  sind  alle  nothwendigen  Elemente  des  Militairetats 
so  vollständig  festgelegt,  daß  dem  bayerischen  Landtage  die  Bewilli- 
gung dieses  Etats  unbedenklich  überlassen  werden  kann.  Ist  dies 
aber  der  Fall  und  ist  ferner  dem  Bundespräsidium  die  Befugniß 
gewahrt,  die  Ausführung  der  einheitlichen  Anordnungen  zu  be- 
aufsichtigen, so  tritt  die  Rücksicht  in  ihr  Recht,  welche  Bayern 
vermöge  seiner  staatlichen  Bedeutung  für  seine  Selbständigkeit 
in  Anspruch  nehmen  kann. 

Diese  Gesichtspunkte  wurden  mir  von  dem  Kriegsminister 
bei  der  ersten  Besprechung  des  Gegenstandes  dargelegt.  Jedoch 
ohne  Erwähnung  des  Inspectionsrechtes.  Ich  bemerkte  ihm,  daß 
ich  als  Laie  seine  Darlegungen  einer  Kritik  im  einzelnen  nicht  unter- 


275 

werfen  könne,  daß  dieselben  aber  selbst  für  einen  Laien  eine  Lücke 
erkennen  ließen,  durch  welche  sie  ihren  Boden  verlören,  nämlich  die 
Controlle  der  Ausführung  durch  die  Centralgewalt.  Er  bestritt 
diese  Bemerkung  sichtlich  nur,  um  von  mir  zu  hören,  daß  ein 
Bundesorganismus,  wie  er  bisher  bei  unseren  Besprechungen  vor- 
geschwebt habe,  ohne  jene  Controlle  nicht  denkbar  sei,  und  ging 
alsdann  bereitwillig  auf  die  nähere  Bestimmung  des  Inspections- 
rechtes  ein.  Das  Ergebniß  unserer  Besprechung  war,  daß  er  die  be- 
zügliche Bestimmung  der  Convention  mit  Sachsen  für  annehmbar 
erachtete.  Als  aber  am  folgenden  Tage  der  Gegenstand  in  der  Ge- 
sammt-Conferenz  erörtert  wurde,  legteer,  statt  jener  Bestimmung, 
eine  Formulirung  vor,  welche  ich  wieder  für  nicht  zulässig  erklärte, 
worauf  dann  endlich  der  zu  Artikel  63  gemachte  \'orschlag  zum  Vor- 
schein kam.  Es  geschah  dies  am  26.  d.  Mts.  Am  folgenden  Tage 
wurde  die  anliegende  Aufzeichnung  verlesen  und  als  es  zum  Artikel 
63  kam,  bemerkte  der  Minister  des  Innern,  er  habe  am  Tage  zuvor 
bei  Sr.  M.  dem  König  in  Berg  Vortrag  gehabt  und  bei  dieser  Gelegen- 
heit die  Eröffnung  erhalten,  daß  Allerhöchstdieselben  mit  dem  Vor- 
schlage nicht  einverstanden  seien.  Ich  schwieg,  der  Kriegsminister 
bemerkte,  er  wisse  davon  nichts,  und  so  blieb  der  Vorschlag  stehen 
und  man  ging  weiter. 

V.  Eine  lange,  jedoch  ergebnißlose  Discussion  führte  die 
Festungsfrage  herbei.  Die  Auffassung  Bayerns,  ins  Concrete  über- 
setzt, lautet:  wir  haben  jetzt  drei  Festungen,  Landau,  Ingolstadt 
und  einen Theil  von  Ulm;  Landau  woUen  wir  entfestigen,  Ingolstadt 
wollen  wir  so  lange  unterhalten,  als  es  uns  convenirt,  für  Ulm  wollen 
wir  zu  unserem  Theile  sorgen ;  eine  neue  Festung,  welche  wir  brauchen, 
nämlich  Ludwigshafen,  soll  der  Bund  auf  seine  Kosten  anlegen. 
Hier  trat  zunächst  Württemberg  entgegen.  Herr  von  Mittnacht 
bemerkte,  daß  bei  Annahme  des  bayerischen  Standpunktes  W  ürt- 
temberg  gar  nicht  daran  denken  werde,  das  für  sein  Interesse  völlig 
nutzlose  Ulm  zu  unterhalten.  Schließlich  mußte  Bayern  zugeben, 
daß  die  Festungen  ein  wesentliches  Stück  des  Vertheidigungs- 
systems  des  Bundes  seien  und  daß  es  schlechthin  nicht  angehe,  die 
Disposition  über  dieselben  dem  Gutbefinden  der  einzelnen  Staaten 
zu  überlassen. 

Ich  habe  es  absichtlich  unterlassen,  mich  in  München  über  die 
weitere  formelle  Behandlung  der  Angelegenheit  auszusprechen,  weil 
ich  den  Allerhöchsten  Entschließungen  Sr.  M.  des  Königs  in  keiner 
Weise  vorgreifen  wollte. 

Formell  zulässig  sind  zwei  Wege:  wir  können  Bayern  ersuchen, 
sich  zunächst  über  die  noch  nicht  zugestandenen  prinzipiellen 
Fragen,  völkerrechtliche  Vertretung,  Konsulatswesen  und  Marine, 
auszusprechen,  oder  wir  können  mit  Gegenvorschlägen  vortreten. 

Welcher  von  diesen  Wegen  zu  wählen  ist,  hängt  meines  Erach- 
tens  von  der  Entschließung  über  die  Frage  ab,  ob  die  Vorschläge 
Bayerns  über  das  Kriegswesen  mit  dem  bundesstaatlichen  Organis- 
mus für  vereinbar  erachtet  werden.  Wird  diese  Frage  verneint,  so 
würde  ich  für  den  ersten  Weg  stimmen,  weil  sich  alsdann  die  Dinge 
so  lenken  ließen,  daß  die  Verständigung  nicht  bloß  an  der  Militär- 
frage scheitert.  Wird  sie  bejaht,  so  kann  ich  nicht  dringend  genug 
empfehlen,  unverzüglich  zur  Eröffnung  von  Verhandlungen  auf  der 
Grundlage  der  Vorschläge  Bayerns  einzuladen  und  dabei  unsere 

18* 


276 

Gegenvorschläge  zu  machen.  Alle  unsere  Freunde  in  Bayern  rathen 
zur  Eile  und  die  der  Sache  zugethanen  Mitglieder  des  bayerischen 
Ministeriums  selbst  wünschen  nichts  sehnlicher  als  eine  rasche  Ent- 
scheidung. H.A.A. 

12.  München  1870  September  28.   Graf  Bray  an  den  Gesandten 
Freiherrn  von  Schrenck  in  Wien. 

(Konzept.) 

In  Ihrem  Berichte  vom  21.  1.  M.,  welchen  ich  Sr.  M.  dem 
Könige  vorzulegen  nicht  unterlassen  habe,  erwähnen  Ew.  Exe.  einer 
Besprechung  mit  Sr.  Exe.  dem  Grafen  von  Beust  über  die  Frage  der 
künftigen  Constituirung  Deutschlands  in  ihrer  Bezugnahme  und 
ihrem  Verhältniß  zu  den  Bestimmungen  des  Prager  Friedens. 

Es  ist  mir  dies  ein  willkommener  Anlaß,  diesen  Gegenstand 
mit  Ew.  Exe.  zur  Sprache  zu  bringen  und  Ihnen  in  Kurzem  über  die 
in  den  jüngsten  Tagen  hier  gepflogenen  Besprechungen  mit  dem 
preußischen  Staatsminister  Delbrück  und  dem  württembergischen 
Justizminister  v.  Mittnacht  Nachricht  zu  ertheilen. 

Es  ist  nicht  zu  verkennen,  daß  die  allen  deutschen  Staaten  ge- 
meinsame Führung  des  Krieges  gegen  Frankreich  und  die  großen 
Ereignisse  dieses  Feldzuges  —  für  die  Zukunft  der  deutschen  Staa- 
ten und  die  Gestaltung  der  deutschen  Verhältnisse  nicht  ohne  Ein- 
wirkung bleiben  können.  Auch  Bayern  wird  diesen  historischen 
Thatsachen  und  der  in  allen  Klassen  der  Bevölkerung  hervorgeru- 
fenen Stimmung  Rechnung  tragen  müssen.  Dabei  besteht  aber  die 
feste  Absicht,  die  Selbständigkeit  des  Landes,  die  Souveränität  der 
Krone  aufrecht  zu  erhalten  und  der  neu  zu  begründenden  Gemein- 
schaft nur  jene  Zugeständnisse  zu  machen,  welche  ein  föderatives 
Verhältniß  unbedingt  erheischt. 

Um  eine  sichere  Grundlage  für  unsere  Beschlußnahmen  zu 
gewinnen,  war  es  uns  von  Werth  zu  erfahren,  ob  Preußen  beabsich- 
tige, den  deutschen  Nordbund  unverändert  zu  erhalten,  oder  ob 
es  dessen  Ersetzung  durch  einen  auf  veränderten  Grundlagen  zu 
errichtenden  allgemeinen  Deutschen  Bund  in  Aussicht  nehme. 

Die  Berufung  des  Präsidenten  des  Bundeskanzleramtes  Del- 
brück in  das  Hauptquartier  und  dessen  bevorstehende  Rückkehr 
nach  Deutscliland  bot  uns  Gelegenheit  zu  sicherer  Information, 
und  auf  meinen  Wunsch  erfolgte  des  Ministers  Delbrück  Abordnung 
nach  München. 

Derselbe  erschien  hier  ohne  alle  \'ollmacht,  lediglich  beauftragt 
zum  Austausche  der  preußischen  Ansichten  gegen  die  der  bayeri- 
schen Regierung  über  die  künftige  Gestaltung  der  deutschen  Ver- 
hältnisse. Wir  erfuhren  durch  ihn,  daß,  wie  es  zu  vermuthen  ge- 
wesen, von  Seite  Preußens  an  ein  Aufgeben  des  festgegliederten 
Norddeutschen  Bundes,  insbesondere  an  die  Gestattung  des  Aus- 
trittes des  Königreiches  Sachsen  oder  Oberhessens,  nicht  gedacht 
werde. 

Letzteres  wäre  in  vielfacher  Hinsicht  erwünscht  gewesen. 
Angesichts  aber  der  feststehenden  Thatsache  des  unveränderten 
Fortbestandes  des  Nordbundes  und  der  Wahrscheinlichkeit  des 
Eintrittes  Badens  in  denselben  blieb  für  Bayern  nur  der  Ausweg: 
in  Gemeinschaft  mit  Württemberg,  welches  sich  ihm  anschließen  zu 


277 

wollen  durch  das  Organ  des  Ministers  Mittnacht  erklärte,  die 
Gründung  eines  weiteren  Bundes  neben  dem  Norddeutschen  Bunde 
und  außerhalb  desselben  zu  versuchen. 

Es  ist  dies  der  Gegenstand  der  Besprechungen  mit  Herrn 
Delbrück  gewesen.  Im  Großen  und  Ganzen  hat  sich  keine  bedeu- 
tende Divergenz  der  Ansichten  ergeben,  nachdem  Herr  Delbrück  von 
vornherein  erklärte,  lediglich  die  \'orschläge  Bayerns  entgegenzuneh- 
men, selbst  aber  keine  Anträge  zu  stellen  zu  haben.  Gleichwohl 
war  es  nicht  zu  vermeiden,  daß  über  die  als  gemeinsam  zu  erklären- 
den Angelegenheiten  und  über  ihre  Behandlung  im  Bunde  sich 
Meinungsverschiedenheiten  ergaben.  —  Da  es  sich  um  den  Abschluß 
irgend  eines  Instrumentes  z.  Z.  nicht  handelte,  sondern  nur  ein 
bloßer  Meinungsaustausch  beabsichtigt  war,  werden  die  gepflogenen 
Besprechungen  immerhin  zur  Grundlage  späterer  Verhandlungen 
dienen  können,  und  ist  durch  dieselben  Klarheit  über  die  gegensei- 
tige Auffassungsweise  gewonnen.  Wenn  ich  den  Art.  4  des  Prager 
Friedensvertrages  betrachte,  so  scheint  mir  derselbe  mit  dem 
beabsichtigten  weiteren  Deutschen  Bunde  nicht  im  Widerspruche 
zu  stehen,  da  durch  den  letzteren  die  dort  vorgesehene  nationale 
Verbindung  der  süddeutschen  Staaten  mit  dem  Norddeutschen 
Bunde  erstrebt  wird,  die  Herstellung  eines  Vereins  der  Südstaaten 
unter  sich  aber,  wie  in  \Men  wohl  bekannt  ist,  sich  ungeachtet 
wiederholter  \"ersuche  als  unerreichbar  erwiesen  hat. 

Es  hindert  dies  nicht,  daß  wir  den  größten  Werth  darauf  legen, 
in  fortlaufendem  Benehmen  mit  der  Kaiserl.  Österreichischen  Re- 
gierung über  aUe  in  der  Constituirung  Deutschlands  vorzunehmen- 
den Änderungen  zu  verharren,  und  ich  behalte  mir  vor,  sobald 
weitere  Schritte  hierin  erfolgen,  Ew.  Exe.  fortgesetzte  Mittheilungen 
zugehen  zu  lassen,  um  Sie  in  den  Stand  zu  setzen,  diesen  wichtigen 
Gegenstand  mit  dem  Herrn  Reichskanzler  eingehend  zu  besprechen. 

13.  Irlbach  1870  Oktober  4.    Graf  Bray  an  den  Gesandten 

in  Berlin  (sowie  an  die  Gesandten  in  Stuttgart,   London 

und  St.  Petersburg.) 

(Koozept.) 

Euer  Hochwohlgeboren  ist  bekannt,  daß  während  der  letzten 
Tage  des  verflossenen  ]\Ionats  in  München  zwischen  den  Mitgliedern 
der  bayerischen  Regierung,  dem  Präsidenten  des  norddeutschen 
Bundeskanzleramtes  Delbrück  und  dem  K.  württembergischen 
Minister  v.  ^littnacht  Besprechungen  über  die  deutsche  Frage  statt- 
gefunden haben. 

Der  preußische  Minister  Delbrück  war  bald  nach  seiner  Rück- 
kehr aus  dem  Hauptquartier  des  Königs  Wilhelm  auf  meinen  Wunsch 
nach  München  gekommen,  da  es  der  K.  Regierung  daran  liegen 
mußte  aus  ganz  verläßiger  Quelle  zu  erfahren,  ob  die  K.  preußische 
Regierung,  um  den  im  Art.  IV  des  Prager  Friedens  vorgesehenen 
nationalen  Anschluß  des  deutschen  Südens  an  den  Norden  zu  ermög- 
lichen, geneigt  sein  werde,  die  Verfassung  des  Nordbundes  umzu- 
gestalten und  auf  einer  gänzlich  neuen  Basis  wieder  zu  begründen. 
Zog  Preußen  vor,  den  Norddeutschen  Bund  unverändert  zu  erhalten, 
so  blieb  für  die  zum  unbedingten  Eintritt  in  diesen  Bund  ungeneig- 
ten Südstaaten  nur  die  Bildung  eines  weiteren  Bundes  übrig,  zu 


278 

welchem  eine  Ausdehnung  der  Befugnisse  des  Zollbundesrathes  und 
des  Zollparlamentes  als  der  geeignete  Weg  sich  darstellte. 

Die  eingehenden  in  München  gepflogenen  Besprechungen 
haben  allen  Theilnehmern  an  denselben  den  letzteren  Weg  als  den 
unter  den  gegebenen  Verhältnissen  allein  zum  Ziele  führenden  er- 
kennen lassen,  da  nur  in  solcher  Weise  ein  nationales  Band  ge- 
schaffen werden  kann,  neben  welchem  die  berechtigte  Selbstän- 
digkeit von  Staaten  wie  Bayern  und  Württemberg  zu  wahren 
möglich  ist. 

So  gründlich  die  verschiedenen  hiebei  in  Betracht  kommenden 
Fragen  erörtert  wurden,  war  doch  von  dem  Abschluß  eines  be- 
stimmten und  bindenden  Abkommens  von  keiner  Seite  die  Rede, 
wogegen  für  künftige  Verhandlungen  nunmehr  sichere  Anhalts- 
punkte gewonnen  sind. 

Dies  ist  der  gegenwärtige  Stand  der  Frage,  und  ich  glaubte  um 
so  mehr  E.  H.  hierüber  vertraulich  Mittheilung  machen  zu  sollen, 
als  in  öffentliche  Blätter  in  diesem  Betreffe  häufig  falsche  Unter- 
stellungen Eingang  gefunden  haben.  Ich  behalte  mir  vor,  nach  dem 
Eintritt  der  zu  erwartenden  weiteren  Verhandlungen  fortgesetzte 
Mittheilungen  über  diesen  wichtigen  Gegenstand  an  E.  H.  gelan- 
gen zu  lassen. 


III. 

Zur  Gcsdiichte 
der  Vcrsaillcr  Verhandlungen. 

I.  München  1870  Oktober  16.    Antrag  des  Gesamtstaats- 
ministeriums an  den  König. 

(Original.) 

Die  treugehorsamst  Unterzeichneten  haben  im  versammelten 
Ministerrathe  von  dem  Allerhöchsten  Telegramm  Euerer  Königlichen 
Majestät  von  gestern  Kenntniß  genommen,  und  werden  die  mit- 
unterzeichneten Minister  des  Königlichen  Hauses  und  des  Äußern 
und  Kriegsminister  nicht  verfehlen,  alsbald  nach  Empfang  der 
Allerhöchsten  Vollmachten  sich  in  das  K.  preußische  Hauptquartier 
zu  begeben. 

Die  treugehorsamst  Unterzeichneten  glauben  aber  einer  ge- 
bieterischen Pflicht  gegen  Euere  Königliche  Majestät  und  gegen 
Bayern  zu  genügen,  indem  sie  —  bei  noch  ausstehender  Allerhöch- 
sten Entschließung  auf  ihren  allerunterthänigsten  Antrag  vom  13. 
laufenden  Monats  —  die  dort  gestellte  ehrfurchtsvollste  Bitte  um 
Allerhöchste  Annahme  der  in  Aussicht  gestellten  Einladung  des 
Königs  von  Preußen  submissest  erneuern.  Sie  haben  dazu  um  so 
dringenderen  Anlaß,  als  nach  neueren  Nachrichten  auch  der  König 
von  Württemberg  eine  Einladung  gleicher  Art  erhalten  und  bereits 
acceptirt  hat.  Der  König  Karl  beabsichtigt  alsbald  nach  dem 
Schlüsse  der  nun  beginnenden  Verhandlungen  Sich  nach  Versailles 
zu  begeben.  Von  weit  höherem  Werthe  und  größerer  Wirkung  wäre 
es  zweifellos,  wenn  es  Euerer  Königlichen  Majestät  gefällig  wäre, 
durch  Allerhöchst  Ihre  Gegenwart  den  Forderungen,  die  im  Inter- 
esse Bayerns  durch  dessen  Vertreter  zu  stellen  sein  werden,  die 
wirksamste  und  mächtigste  Unterstützung  zu  leihen,  indem  die 
Benützung  des  jetzigen  Momentes  eine  wohl  nie  wiederkehrende 
günstige  Gelegenheit  bietet. 

Graf  V.  Bray   v.  Pfretzschner   v.  Schlör   Frh.  v.  Pranckh   v.  Lutz 

V.  Braun. 
* 

Ich  verfüge,  daß  sich  die  Staatsminister  Graf  von  Bray-Stein- 
burg,  Freiherr  von  Pranckh  und  von  Lutz  so  rasch  als  möglich  ins 
preußische  Hauptquartier  begeben,  und  sehe  periodischer  Bericht- 
erstattung über  den  Gang  der  Verhandlungen  entgegen.  Der  durch 
gegenwärtiges   Signat   erledigte  Antrag  vom   I3ten  dß.  liegt   bei. 

Linderhof  den  18.  October  1870. 

Ludwig.       M.  St.  A. 


280  .  . 

2.  Wien  1870  Oktober  17.    Freiherr  von  Schrenck  an  König 
Ludwig  II.  von  Bayern. 

(Original.) 

Als  ich  heute  in  die  Staatskanzlei  kam,  theilte  Herr  Graf  von 
Baust  mir  mit,  er  habe  die  Nachricht  erhalten,  daß  die  Herren 
Staatsminister  Graf  von  Bray  und  Freiherr  von  Pranckh  von  Mün- 
chen, dann  Herr  von  Mittnacht  und  Freiherr  von  Suckow  von 
Stuttgart  sich  nächster  Tage  in  das  preußische  Hauptquartier  nach 
Versailles  begeben  werden,  um  daselbst  über  die  künftige  Stellung 
der  süddeutschen  Staaten  zu  dem  Norddeutschen  Bunde  zu  ver- 
handeln. 

Graf  Beust  war  durch  diese  Nachricht  sichtlich  unangenehm 
berührt.  Er  habe  gehofft,  äußerte  derselbe,  die  süddeutschen 
Staaten,  insbesondere  Bayern  und  Württemberg,  würden  bestrebt 
sein,  die  Selbständigkeit,  welche  sie  aus  den  Ereignissen  des  Jahres 
1866  gerettet  haben,  aufrecht  zu  halten,  vmd  er  habe  nicht  geglaubt, 
daß  der  gegenwärtige  Krieg,  in  welchem  diese  Staaten  ihre  durch  die 
Allianz- Verträge  mit  Preußen  übernommenen  Verpflichtungen  so 
treulich  und  erfolgreich  erfüllen,  hievon  etwas  ändern  werde. 
Dennoch  scheine  es  nun  anders  zu  kommen,  und  er  könne  nicht 
bergen,  daß  ihn  die  Hast,  mit  welcher  die  Sache  betrieben  werde  und 
nun,  während  des  Krieges,  im  Hauptquartiere  von  Paris  zum  Ab- 
schluße  gebracht  werden  wolle,  insbesondere  aber  die  offizielle 
Kundgabe  der  K.  württemberg'schen  Regierung  über  die  dortselbst 
hiebei  in  Aussicht  genommenen  Ziele,  welche  mit  einer  internatio- 
nalen Stellung  schwer  vereinbar  seien,  mit  Besorgniß  erfüllen. 

Das  Kaiserliche  Kabinet,  fügte  der  Herr  Reichskanzler  bei,  habe 
seit  dem  Jahre  1866  bezüglich  der  deutschen  Angelegenheiten  die 
größte  Zurückhaltung  beobachtet,  aber  diese  könne  doch  nicht  so 
weit  gehen,  daß  eine  etwaige  Nichtbeachtung  der  Bestimmungen 
des  Artikels  IV  des  Prager  Friedensvertrages  von  demselben  still- 
schweigend hingenommen  würde;  als  eine  solche  Nichtbeachtung 
müßte  er  es  aber  betrachten,  wenn  etwa  das  Verhältniß  der  süd- 
deutschen Staaten  zu  dem  Norddeutschen  Bunde  ohne  Vorwissen 
Österreichs  anders  festgestellt  und  die  vollzogene  Thatsache  nur 
nachträglich  der  K.  K.  Regierung  zur  Kenntniß  gebracht  werden 
wolle. 

Vielseitig  sei  gerade  in  neuester  Zeit  eine  Verständigung  und 
Begründung  freundnachbarlicher  Beziehungen  zwischen  den  deut- 
schen Staaten  und  Österreich  als  wünschenswerth  bezeichnet 
worden  und  er  anerkenne  die  Berechtigung  dieses  Wunsches  voll- 
kommen, offenbar  würde  aber  dessen  Erfüllung  nicht  erleichtert, 
wenn  das  in  dem  Prager  Friedensschluße  begründete  Verlangen  des 
Wiener  Cabinets,  über  eine  beabsichtigte  Neugestaltung  der  Bezie- 
hungen Süddeutschlands  zu  dem  Norddeutschen  Bunde  mit  seiner 
Äußerung  vernommen  und  um  seine  Zustimmung  hiezu  angegangen 
zu  werden,  unbeachtet  bleiben  sollte;  nicht  blos  in  deutsch-öster- 
reichischen Provinzen,  sondern  auch  in  Ungarn  würde  ein  solches 
Vorgehen  unzweifelhaft  Mißstimmung  hervorrufen. 

In  diesem  Sinne,  schloß  der  Reichskanzler,  habe  er  aus  Anlaß 
der  erwähnten  Nachricht  sofort  an  die  K.  K.  Gesandtschaften  in 
München  und  Stuttgart  geschrieben  und  wünsche  nur,  daß 
seine  Bemerkungen  dortselbst  geneigte  Beachtung  finden  mögen. 


281 

Ich  erwiderte  demselben,  daß  inhaltlich  der  Eröffnung,  welche 
mir,  nach  der  Anwesenheit  des  Herrn  Delbrück  in  München,  von 
Seite  des  K.  Staatsministeriums  des  K.  Hauses  und  des  Äußern  zu- 
gegangen sei,  der  genannte  K.  preußische  Minister  in  München  ohne 
Vollmachten  und  ohne  Vorschläge  mitzubringen  erschienen  sei, 
zunächst  nur  um  zu  vernehmen,  was  man  daselbst  beabsichtige,  daß 
sonach  dessen  Anwesenheit  dortselbst  lediglich  zu  einem  Gedanken- 
austausche, der  bei  künftigen  Verhandlungen  zu  einer  Grundlage 
dienen  könne,  keineswegs  aber  zu  irgendwelcher  bindenden  Abrede 
geführt  habe;  ehe  aber  nicht  durch  beiderseitige  Übereinstimmung 
des  Näheren  festgestellt  sei,  was  geschehen  solle,  fehle  selbstver- 
ständlich noch  ein  mittheilbares  Resultat  der  eingeleiteten  Ver- 
handlung. 

An  dem  Prager  Friedensschluße  sei  Bayern  nicht  betheiligt 
gewesen,  und  für  dieses  aus  demselben  keine  Verpflichtung  erwach- 
sen; dennoch  aber,  deßen  sei  ich  überzeugt,  würde  von  Seite  der  K. 
Regierung  derselbe  nicht  unbeachtet  gelaßen  werden,  und  zuver- 
sichtlich bestehe  Seitens  derselben  der  Wunsch,  die  fragliche  An- 
gelegenheit im  Einverständniße  mit  dem  K.  K.  Cabinete  geregelt 
zu  sehen. 

Aus  der  erwähnten  Kundgabe,  fügte  ich  bei,  hätte  ich  aber 
auch  vernommen,  daß  Euere  K.  Majestät  des  entschiedenen  Willens 
seien,  AUerhöchstdero  Souveränitätsrechte  wie  Bayerns  selbstän- 
dige Stellung  ungeschmälert  aufrechtzuerhalten,  und  es  könne  hie- 
nach  in  dieser  Beziehung  dem  Ergebniße  der  bevorstehenden  Ver- 
handlungen in  Versailles  mit  Vertrauen  entgegengesehen  werden; 
die  etwa  weiter  gehenden  Absichten  der  K.  württemberg'schen 
Regierung  würden  gewiß  ohne  Einfluß  auf  die  bayerischen  Bevoll- 
mächtigten zu  bleiben  haben.  m.  st.  a. 

3.  Versailles  1870  Oktober  29.     Kriegsminister    von    Roon 
an  Freiherrn  von  Pranckh. 

(Original.) 

Euerer  Excellenz  übersende  ich  in  der  Anlage  das  von  Ihnen  ge- 
nehmigte, nun  von  mir  vollzogene  Protokoll  über  unsere  am  26.  ds. 
Mts.  stattgehabte  Besprechung  in  duplo,  mit  der  Bitte  ergebenst, 
dasselbe  geneigtest  gleichfalls  vollziehen  und  in  einem  Exemplar  dem- 
nächst an  mich  zurückgelangen  lassen  zu  wollen. 

Bezüglich  eines  weiteren  Fortganges  der  Sache  erlaube  ich 
mir,  bei  dieser  Gelegenheit  noch  ergebenst  zu  bemerken,  daß  ich 
die  K.  Bayerischer  Seits  in  Betreff  des  Kriegs-Wesens  gemachten 
Vorschläge,  wie  diese  in  den  Münchener  Vorbesprechungen  und 
auch  in  unserer  Conferenz  bisher  Ausdruck  gefunden  haben,  im 
Allgemeinen  als  einen  wesentlichen  Fortschritt  zu  der  wünschenswer- 
then  und  von  allen  Seiten  erstrebten  politischen  und  militärischen 
Einheit  Deutschlands  zwar  gern  anerkenne,  leider  aber  gute  Gründe 
habe,  daran  zu  zweifeln,  auf  der  vorgeschlagenen  Basis  eine  Modi- 
fication  der  Bundesverfassung  herbeigeführt  zu  sehen.  Wiewohl 
es  sich  bei  Ihren  Vorschlägen  nicht  sowohl  um  eine  bloße  Erwei- 
terung des  Bündnißvertrages  von  1866  als  vielmehr  um  Bayerns 
wirklichen  Eintritt  in  den  Bund  zu  handeln  scheint,  so  glaube  ich 
doch,  daß  die  Zustimmung  des  Reichstages  zu  Ihren  Propositionen 
nur  für  die  erste  Form  einer  näheren  Verbindung  zu  erwarten  ist; 


282 

auch  dürften  Ihre  Wünsche,  nur  wenn  es  sich  dabei  um  ein  engeres 
Bündniß  handelt,  mihtärischer  Seits  warm  befürwortet  werden 
können. 

Für  fernere  Besprechungen  der  Sache  würde  ich  Euerer  Excel- 
lenz täglich,  in  der  Regel  von  i  Uhr  Mittags  ab,  zur  Disposition 
stehen  können  und  mir  nur  die  Bitte  erlauben,  dazu  Tag  und  Stunde 
vorher  zu  bestimmen.  Bei  diesem  Anlaß  erneuere  ich  gern  den  Aus- 
druck meiner  vorzüglichen  Hochachtung.  m.  Kg.  a. 

Versailles  1870  Oktober  26.    Protokoll  der  Verhandlungen 
zwischen  Roon  und  Pranckh. 

(Abschrift.) 

Im  Verfolge  der  in  München  vom  22. — 26.  September  er.  zwi- 
schen Ministern  deutscher  Regierungen  stattgefundenen  Vorbe- 
sprechungen waren  heute  die  unterzeichneten  Kriegsminister  hier 
zu  einem  Meinungsaustausch  über  die  künftigen  militärischen  Be- 
ziehungen Bayerns  zur  deutschen  Bundesarmee  zusammenge- 
treten. 

Einverstanden  war  man  beiderseits  damit,  daß  diese  Conferenz 
noch  nicht  bindende  Vereinbarungen,  sondern  nur  gegenseitige 
Informationen  bezwecken  solle. 

Zunächst  wurde  Seitens  des  K.  Preußischen  Kriegsministers 
bemerkt,  wie  es  mit  Rücksicht  auf  den  lediglich  militärischen 
Zweck  der  Besprechung  wohl  nicht  darauf  ankomme,  die  Mün- 
chener Vorverhandlungen  nochmals  in  extenso  durchzugehen,  wie 
es  sich  vielmehr  empfehlen  werde,  sich  auf  diejenigen,  das  Heer 
betreffenden  Punkte  zu  beschränken,  in  denen  die  Vorschläge  der 
K.  Bayerischen  Regierung  von  den  Bestimmungen  der  Nord- 
deutschen Bundesverfassung  wesentlich  abwichen. 

Als  solche  würden  hauptsächlich  zwei  Punkte  zur  Erörterung 
zu  stellen  sein,  nämlich: 

1.  zum  Artikel  60  der  Bundesverfassung  die  Feststellung  der 
Friedenspräsenzstärke  des  Bundesheeres  auf  i  %  der  Bevölkerung 
und 

2.  zum  Artikel  62  das  beanspruchte  Ausscheiden  des  Etats 
der  Bayerischen  Armee  aus  dem  Budget  der  Bundesarmee. 

(cfr.   Die  Königlich  Bayerischen  Vorschläge  zum  Artikel  58). 

In  Betreff  des  ersten  Punktes  führte  der  K.  Preußische  Kriegs- 
minister aus,  wie  eine  Reduction  der  Präsenzstärke,  aiif  %  % 
der  Bevölkerung,  die  Gesammtarmee  Deutschlands  auf  einen  ge- 
ringeren Stand  herabsetzen  würde,  als  der  jetzige  der  Norddeutschen 
Bundesarmee  allein  ist,  und  daß  eine  der  Zahl  nach  so  reducirte 
Armee  dem  Bedürfniß  nicht  voll  genügen  würde,  zumal  von  der- 
selben süddeutsche  Festungen  und  Garnisonen  Besatzung  erhalten 
müßten.  Seitens  des  K.  Bayerischen  Kriegsministers  wurden  diese 
Verhältnisse  anerkannt  und  hinzugefügt,  wie  man  diesen  Vorschlag 
nur  gemacht  habe,  um  der  ganzen  Sache,  bei  den  pekuniären 
Opfern,  die  dem  Königreiche  Bayern  immerhin  angesonnen  werden 
müssen,  leichter  Eingang  zu  verschaffen;  er  würde  indeß  seinerseits 
ein  Hinderniß  in  dem  Festhalten  von  i  %  nicht  erblicken,  wenn 
eine  solche  Stärke  für  durchaus  nothwendig  erkannt  würde. 


283 

In  dieser  Beziehung  erklärte  der  K.  Preußische  Kriegs- 
minister, wie  der  Bund  nur  das  Interesse  habe,  das  absolut  Noth- 
wendige  zu  fordern,  weshalb  eine  weitere  Erwägung  noch  nicht  aus- 
geschlossen sei,  ob  etwa  bei  dem  Hinzutritt  Süddeutschlands  eine 
geringe  Herabminderung  des  vorerwähnten  Prozentsatzes  ohne 
Schädigung  thunlich  erscheine. 

Bezüglich  des  vorerwähnten  zweiten  Punktes  —  des  Aus- 
scheidens der  K.  Bayerischen  Militäretats  aus  dem  Bundesbudget 
—  hob  der  K.  Preußische  Kriegsminister  hervor,  wie  diese  Frage 
mit  der  Regulirung  der  allgemeinen  Finanzverhältnisse  des  ge- 
sammten  Bundes  zusammenhinge,  wie  es  ihm  ferner  aber  bedenk- 
lich erschiene,  die  Bewilligung  des  Bayerischen  Militäretats  in  das 
Belieben  des  Bayerischen  Landtages  zu  stehen ;  er  könne  sich  über- 
haupt kein  Bild  davon  machen,  in  welcher  Weise,  ohne  Schädi- 
gung der  Armeeinteressen,  die  Durchführung  des  K.  Bayerischen 
Vorschlages,  auch  bezüglich  der  Rechnungslegung  und  Controle, 
gedacht  wäre.  Deshalb  glaube  er,  es  seinerseits  als  empfehlens- 
werther  bezeichnen  zu  müssen,  wenn  die  Bewilligung  durch  den 
Reichstag  erfolge  und  das  Königreich  bezüglich  seines  Militär- 
budgets in  ein  ähnliches  Verhältniß  träte,  wie  dies  hinsichtlich  des 
Königreichs  Sachsen  bestehe. 

Seitens  des  K.  Bayerischen  Kriegsministers  wurde  ein  solches 
Verhältniß  als  nicht  in  der  Absicht  der  K.  Bayerischen  Regierung 
liegend  bezeichnet  und  erklärt,  daß  Bayern  vielmehr  in  ein  ver- 
fassungsmäßiges Bündniß  treten  wolle,  ohne  dadurch  seine  Armee 
in  der  allgemeinen  deutschen  Armee  in  gewissem  Grade  aufgehen 
zu  lassen.  Er  stelle  sich  das  Budgetverhältniß  in  der  Weise  vor, 
daß  Seitens  des  Reichstages  die  Bewilligung  für  die  Bayerische 
Armee  in  einer  einzigen  Position  erfolge,  welche  pro  Kopf  der  Frie- 
densstärke einen  Pauschalsatz  feststelle.  Diesem  Betrage  ent- 
sprechend würde  das  titel weise  geordnete  Militärbudget  dem 
Bayerischen  Landtage  zur  Feststellung  vorzulegen  sein,  ohne  daß 
dieser  berechtigt  erschiene,  an  der  Gesammtsumme  Abstriche  vor- 
zunehmen. Die  Rechnungslegung  und  Controle  würde  dement- 
sprechend durch  die  bezüglichen  K.  Bayerischen  Revisionsbehörden 
erfolgen. 

Nachdem  der  K.  Preußische  Kriegs-Minister  auf  die  Incon- 
venienzen  aufmerksam  machte,  welche  ein  solcher,  den  Keim  zu 
Conflikten  in  sich  tragender.  Modus  unfehlbar  ergeben  würde, 
wiU  der  K.  Bayerische  Kriegs-Minister  zwar  die  Schwierigkeiten 
nicht  verkennen  und  behält  sich  deshalb  eine  fernere  Erwägung 
der  practischen  Ausführung  des  K.  Bayerischen  Vorschlages,  an 
dem  er  im  Principe  festhalten  zu  müssen  glaube,  noch  vor. 

Bereit  erklärte  er  sich  dabei  noch,  die  von  dem  K.  Preußi- 
schen Kriegs-Minister  mit  Rücksicht  auf  die  sociale  Stellung 
der  Officierscorps  etc.  befürwortete  Gleichmäßigkeit  in  den  Gagen 
etc.,  in  den  Pensionen,  soweit  erforderlich,  gern  anzustreben,  und 
bemerkte,  in  letzterer  Beziehung  seien  die  neuerdings  ergangenen, 
resp.  in  Aussicht  genommenen  K.  Bayerischen  Bestimmungen, 
auch  bezüglich  der  Invaliden-Beneficien  der  Mannschaften,  den 
K.  Preußischen  im  Wesentlichen  conform. 

Hiernächst  äußerte  der  K.  Bayerische  Kriegsminister  in  Be- 
treff der  Bestimmungen  des  Artikels  6i  der  Bundesverfassung  die 


284 

Ansicht,  an  dem  hierzu  bei  den  ]\Iünchener  Vorbesprechungen 
gemachten  Vorschlage  festhalten  zu  müssen. 

Seitens  des  K.  Preußischen  Kriegsministers  wurde  hierzu 
besonders  hervorgehoben,  wie  wünschenswerth,  ja  nothwendig  für 
das  Bundesheer  eine  gleichmäßige  Rechtspflege  resp.  Strafgesetz- 
gebung sei,  was  andererseits  zwar  anerkannt,  indeß  noch  betont 
wurde,  daß  —  nachdem  erst  im  vergangenen  Jahre  für  die  K. 
Bayerische  Armee  ein  neues  Strafgesetzbuch  eingeführt  sei  — 
schon  gegenwärtig  ein  \^'echsel,  abgesehen  von  den  großen  Schwie- 
rigkeiten, Bedenkliches  habe;  außerdem  müsse  aber  doch  die  Mili- 
tär-Strafgesetzgebung mit  dem  Civilstrafgesetzbuche  in  einem 
gewissen  Einklänge  bleiben  und,  solange  das  letztere  nicht  in  ganz 
Deutschland  identisch  sei,  erschiene  eine  Änderung  des  Bayerischen 
Militär-Strafgesetzes  unthunlich. 

Bezüglich  des  Artikels  63  der  Bundes-Verfassung  hält  der 
K.  Bayerische  Kriegsminister  den  in  den  Münchener  Vorbe- 
sprechungen gemachten  \'orschlag  ebenfalls  aufrecht. 

In  dieser  Beziehung  erwiederte  der  K.  Preußische  Kriegs- 
minister nur,  wie  ihm  eine  Garantie  zu  fehlen  scheine,  daß  auch 
im  Frieden  die  Ausbildung  der  K.  Bayerischen  Armee  in  gleich- 
mäßiger Weise  mit  derjenigen  der  Bundes-Armee  stattfinde,  und 
daß  eine  Abstellung  der  etwa  bei  Inspicirungen  wahrgenomme- 
nen Mängel  mit  Erfolg  bewirkt  werden  könne. 

Seitens  des  K.  Bayerischen  Kriegsministers  wurde  dem 
entgegnet,  wie  in  der  Annahme  der  tactischen  Reglements  der 
Bundes-Armee  und  der  bezüglichen  Bestimmungen  für  Bayern,  so 
wie  in  dem  vorhandenen  Streben  nach  Gleichmäßigkeit,  die  prac- 
tische  Garantie  zu  liegen  scheine  und  wie  er,  mit  Rücksicht  auf  die 
zarte  Natur  der  Frage,  eine  anderweite  verfassungsmäßige  Regu- 
lirung  nicht  für  thunlich  erachten  könne. 

Was  ferner  die  von  dem  K.  Preußischen  Kriegs-Minister  für 
besonders  wünschenswerth  bezeichnete  Herstellung  gemeinsamer 
Gradabzeichen  betreffe,  so  verkenne  er  die  Bedeutung  und  Wich- 
tigkeit dieses  Punktes  keineswegs;  dennoch  halte  er  dafür,  daß  von 
einer  verfassungsmäßigen  Stipulirung  einer  bezüglichen  Verpflich- 
tung, aus  nahe  liegenden  Gründen,  abgesehen  werden  müsse;  emp- 
fehlen könne  er  deshalb  nur  wiederholt,  die  Fassung  des  Artikels  63 
nach  den  Münchener  Vorschlägen  zu  acceptiren,  was  ihm  um  so  un- 
bedenklicher erschiene,  als  in  der  Münchener  Fassung  des  Artikels 
19  immerhin  eine  gewisse  Garantie  liege.  Wenn  ferner  der  K.  Preußi- 
sche Kriegsminister  einen  vorzugsweise  hohen  ^^'erth  auf  das 
Militär-Bildungs-Wesen  lege,  so  befände  er  sich  damit  in  erfreu- 
licher Übereinstimmung.  Dies  mache  indeß  eine  volle  Gemeinsam- 
keit nicht  nothwendig,  und  wenn  sich  die  K.  Bayerische  Regie- 
rung in  dieser  Beziehung  ihre  Selbständigkeit  bewahre,  so 
glaube  er,  würde  dies  durchaus  ohne  Nachtheil  für  die  Sache  ge- 
schehen und  zweifle  er  nicht,  daß  sich  die  K.  Bayerischen  Militär- 
Bildungs-Anstalten  den  K.  Preußischen  immer  mehr  nähern  und 
in  nicht  ferner  Zeit  gleichkommen  würden. 

Der  ferner  vom  K.  Bayerischen  Kriegsminister  festgehaltene 
Vorschlag  in  Betreff  der  Fassung  des  Artikels  64  der  Bundes- 
verfassung gab  dem  K.  Preußischen  Kriegsminister  zu  der  Be- 
merkung Anlaß,   wie   es  seiner  Ansicht   nach   nicht   räthlich  sein 


285 

würde,  den  Zusatz  ,,im  Kriege"  in  die  Verfassung  aufzunehmen; 
ebenso  glaube  er,  daß  sich  eine  andere  Fassung  als  die  von  der 
K.  Bayerischen  Regierung  für  den  Zusatz  zum  Artikel  65  vorge- 
schlagene empfehlen  würde,  durch  welche  dem  erkennbaren  Wunsche 
der  K.  Bayerischen  Regierung  ohne  Schädigung  der  allgemeinen 
Interessen  Rechnung  getragen  werden  könne.  Von  beiden  Seiten 
wird  eine  anderweitige  Fassung  des  Zusatzes  zu  proponiren  ver- 
sucht werden. 

Bezüglich  des  Artikels  68  der  Bundes- Verfassung  erkennt  der 
K.  Bayerische  Kriegsminister  zwar  das  Bedürfniß  eines  Gesetzes 
über  den  Kriegs-  und  Belagerungs-Zustand  an,  ist  indeß  der  An- 
sicht, daß  für  Bayern  diese  Sache  bis  zur  Regulirung  durch  ein 
allgemeines  Bundesgesetz  auf  sich  beruhen  bleibe. 

Schließlich  wurde  Seitens  des  K.  Preußischen  Kriegs- 
ministers noch  hervorgehoben,  wie  der  im  Artikel  62  der  Bundes- 
verfassung normirte  Betrag  von  225  Rth.  jährlich  pro  Kopf  der 
Friedens-Präsenzstärke  des  Bundesheeres  das  Bedürfniß  für  die 
Zukunft  nicht  decke,  namentlich,  wenn  ferner  daraus  auch  die  in 
Folge  des  jetzigen  Krieges  und  der  neueren  liberaleren  Invaliden- 
Pensions-Gesetzgebung  unverhältnißmäßig  steigenden  Ausgaben 
des  Pensions-Titels  bestritten  werden  sollten.  Deshalb  liege  es  in 
seiner  Absicht,  diese  Ausgaben,  welche  an  und  für  sich  kaum  zu  den 
Einrichtungen  des  Bundesheeres  gerechnet  werden  könnten,  im 
gesetzlichen  Wege  auf  die  allgemeinen  Staats-  resp.  Bundeslasten 
zu  verweisen. 

Der  K.  Bayerische  Kriegsminister  nahm  hiervon  Notiz, 
glaubte  indeß,  eine  Erklärung  in  dieser  Beziehung  nicht  abgeben 
zu  können,  da  diese  Frage  eine  wesentlich  finanzielle  sei,  welche  das 
gesammte  Bundesbudget  berühre  und  deshalb  von  ihm  nicht  ein- 
seitig zu  beurtheilen  wäre. 

Weiter  fand  sich  Nichts  zu  bemerken,  und  ist  dies  Protokoll 
beiderseits  vollzogen  worden. 

gez.  von  Roon, 

gez.  von  Pranckh.         m.  Kg. a. 

4.Versailles  1870  Oktober  31.  Protokoll  der  Verhandlungen 
zwischen  den  Kriegsministern  von  Roon  u.  von  Pranckh. 

Zur  Fortsetzung  der  am  26ten  d.  Mts.  stattgefundenen  Be- 
sprechungen traten  heute  die  unterzeichneten  Kriegs-Minister  wie- 
derum zusammen. 

Gegenstand  der  Erörterung  bildeten  die  im  Schreiben  des 
K.  Preußischen  Kriegs-Ministers  vom  29ten  d.  Mts.  geäußerten 
Anschauungen  in  Betreff  der  Seitens  der  Königlich  Bayerischen 
Regierung  über  die  Neugestaltung  der  deutschen  Verhältnisse 
gemachten  Vorschläge. 

Der  K.  Bayerische  Kriegs-Minister  spricht  sich  dahin  aus, 
daß  das  vorgedachte  Schreiben  —  wie  dies  auch  ihm  willkom- 
men sei  —  die  \^erhandlungen  zunächst  auf  den  Cardinalpunkt 
hinführe:  welche  Art  von  Verbindung  zwischen  dem  Königreich 
Bayern  und  dem  Norddeutschen  Bunde  fernerhin  angestrebt  werden 
soUe,  ob  ein  verfassungsmäßiges  Bündniß  oder  ob  nur  eine  Erweite- 
rung der  Grenzen  des  bisherigen  Allianz- Vertrages  ? 


286 

Nachdem  der  K.  Preußische  Kriegs-Minister  bestätigt  hatte, 
daß  es  allerdings  wesentlich  darauf  ankomme,  diese  Vorfrage  zu 
erledigen,  und  sein  Schreiben  vom  29t.  d.  Mts.  deshalb  bezweckt 
habe,  diese  Frage  zur  Erörterung  zu  bringen,  erklärte  der  K.  Baye- 
rische Kriegs-Minister  hierauf,  wie  der  Auftrag  Seiner  Majestät 
des  Königs  von  Bayern  und  die  Vollmacht,  welche  ihn  nach  Ver- 
sailles geführt,  dahin  gehe,  auf  der  Grundlage  der  Münchener  Vor- 
besprechungen über  ein  verfassungsmäßiges  Bündniß  zu  verhandeln. 
Hiermit  würden  nicht  bloß  die  militärischen,  sondern  auch  die  po- 
litischen und  inneren  Verhältnisse  zusammenhängen. 

Wenn  nun  K.  Preußischer  Seits  diese  Basis  —  wie  nach 
dem  Schreiben  anzunehmen  —  nicht  als  geeignet  erachtet  werde 
für  die  erste  Alternative,  so  befände  er  sich  nicht  in  der  Lage, 
auf  Grund  seiner  Vollmacht  in  Betreff  der  zweiten  definitiv  zu 
verhandeln.  Sonach  würde  diese  zweite  Alternative  nur  in  vorläufige 
Erwägung  zu  nehmen  sein.  Indeß  glaube  er,  auch  in  dieser  Be- 
ziehung \'ollmacht  erhalten  zu  können,  müsse  jedoch  wünschen,  daß 
bei  ferneren  Besprechungen  —  insofern  sich  dieselben  nicht  lediglich 
auf  militärische  Vorfragen  bezögen  —  auch  seine  Collegen,  die 
K.  Bayerischen  Staats-Minister  Graf  Bray  und  von  Lutz,  zu- 
gezogen würden. 

Hierauf  entgegnete  der  K.  Preußische  Kriegs-Minister,  daß 
nach  seiner  Auffassung  für  den  Eintritt  Bayerns  in  den  Bund 
die  Münchener  Abmachungen  auch  nach  ihrer  eventuellen  Modi- 
fication  im  Sinne  der  vorletzten  Besprechung  vom  26ten  October 
keine  geeignete  Grundlage  abgäben. 

Einestheils  läge  darin  sachlich  eine  solche  Sonderstellung 
Bayerns,  daß  deren  Acceptirung  eine  Reaction  auf  andere  Regierun- 
gen befürchten  ließe,  mit  denen  eine  Verständigung  in  der  Voraus- 
setzung geschehen  sei,  resp.  erfolge,  daß  nicht  einer  Regierung  ein 
Praecipuum  zugestanden  werde. 

Anderntheils  glaube  er  mit  Bestimmtheit  annehmen  zu  können, 
daß  der  Reichstag  auf  einen  großen  Iheil  der  Bayerischer  Seits 
bei  den  Münchener  Vorbesprechungen  gemachten  Special-Forderun- 
gen keinen  Falls  eingehen  würde;  mißlich  sei  es  überhaupt,  an  einen 
Reichstag,  dessen  1  endenzen  auf  Einheit  gerichtet  seien,  ein  solches 
Ansinnen  zu  stehen. 

Hiermit  habe  er  nur  die  äußeren  Gründe  hervorgehoben,  ohne 
auf  die  gleichfalls  vorhandenen  inneren  in  der  Sache  einzugehen. 

Sonach  würde  die  Ausarbeitung  eines  Bündniß- Vertrages  auf 
dieser  Basis  voraussichtlich  eine  vergebliche  Arbeit  sein,  obwohl  er 
wisse,  daß  man  jetzt  in  Bayern  mehr  Werth  auf  einen  wirklichen 
Bund  lege  wie  früher. 

Lennoch  ist  der  K.  Preußische  Kriegs-Minister  der  Meinung, 
daß  der  militärische  Zweck  der  Verhandlung  wohl  erreicht  werden 
könne,  wenn  sich  die  K.  Bayerische  Regierung,  bei  Festhaltung 
ihrer  speciellen  Wünsche,  zu  einem  Abkommen  mit  dem  Nord- 
deutschen Bunde  verstehe,  was  ihr  —  wenn  er  sich  so  ausdrücken 
dürfe  —  gewissermaßen  ein  Instrument  in  die  Hand  gäbe,  den 
Bayerischen  Ständen  gegenüber  die  Interessen  der  K.  Baye- 
rischen Armee,  namentlich  auch  bezüglich  des  Etats,  mit  Erfolg 
wahrzunehmen;  er  glaube  daher,  daß  diese  Alternative  specieU 
dem  K.  Bayerischen  Kriegs-Minister  nicht  unangenehm  sein  könne. 


287 

der  ja  persönlich  durch  seine  Amtsverwaltung  schon  so  Vieles  für 
die  Armee  gethan  und  erreicht  habe,  wie  daraus  hervorgehe,  daß  die 
Bayerische  Armee  von  1870  sehr  verschieden  von  der  von  1866  sei. 

Dieser  Auffassung  der  Sachlage  glaubt  der  K.  Bayerische 
Kriegs-Minister  sich  anschließen  zu  können.  Wenn  nun  zur  Er- 
reichung dieses  Zwecks  die  Besprechung  sich  auf  eine  Erweiterung 
des  Allianz- Vertrages  richte,  so  würde  sich  die  Bayerischer  Seits 
bei  den  Münchener  \'orbesprechungen  proponirte  Grundlage  aller- 
dings modificiren,  weil  bei  einer  solchen  Verbindung  der  Character 
der,  so  zu  sagen,  particularen  Selbstständigkeit  mehr  erhalten  werden 
könne  und  es  nur  darauf  ankomme,  daß  die  Armee  so  tüchtig  wie 
möglich  sei,  um  die  Verbindlichkeiten  desAllianz-Vertragesdei866, 
resp.  das  erweiterte  Bündniß,  voll  zu  erfüllen.  Eine  Erhöhung  der 
Geldleistungen  für  die  Armee  sei  aber  Seitens  der  Bayerischen 
Kammer  freilich  nur  dann  zu  erwarten,  wenn  Bayern  dafür  andere 
Vortheile  geboten  würden. 

Hierzu  bemerkte  der  K.  Preußische  Kriegs-Minister,  daß  nach 
seinem  Dafürhalten  als  Compensation  für  das  Zustandekommen 
eines  erweiterten  Bündniß- Vertrages  die  damit  verknüpfte  ünkünd- 
barkeit  des  Zollvereins  anzusehen  sei,  und  würde  diese  auch  wohl 
Seitens  der  Bayerischen  Kammer  als  eine  ausreichende  Gegenlei- 
stung anerkannt  werden. 

Mit  Rücksicht  hierauf  und  um  über  alle  Hindernisse  hinweg 
zu  kommen,  empfehle  es  sich  vielleicht,  zunächst  und  —  wie  er  aus- 
drücklich hervorheben  wolle  —  ohne  irgendwelche  bindende  Be- 
deutung, eine  Art  Vertrags-Entwurf  zu  einer  solchen  Militär-Con- 
vention aufzustellen  und  denselben  dann  den  weiteren  Bespre- 
chungen, behufs  der  Verständigung,  zu  Grunde  zu  legen. 

Der  K.  Bayerische  Kriegs-Minister  theilt  diese  Ansicht  und 
wird  versuchen,  einen  solchen  Entwurf  aufzustellen. 

Bei  dieser  Gelegenheit  erwähnte  derselbe  noch,  wie  es  ihm  für 
das  Zustandekommen  der  Vereinbarung  sehr  vortheilhaft  erschiene, 
wenn  außer  der  Unkündbar keit  des  Zoll- Vereins  zugleich  eine  de- 
finitive Beseitigung  der  im  Jahre  1866  gegen  Bayern  erhobenen  An- 
sprüche auf  das  Eigenthum  der  sogenannten  Düsseldorfer  Gallerie 
erfolge,  da  dies  eine  Angelegenheit  sei,  welche  sowohl  Sr.  Majestät 
dem  Könige  von  Bayern  als  der  gesammten  Bevölkerung  sehr  am 
Herzen  liege. 

Hierin  sei  jedenfalls  ein  Mittel  geboten,  über  kleine  Hindernisse 
hinweg  zu  kommen,  wenngleich  er  —  auf  diesfällige  Frage  des. 
K.  Preußischen  Kriegs-Ministers  —  aussprechen  zu  müssen  glaube, 
darin   ein  Ausgleichungs-Objekt   für  wesentliche  Punkte  der  vor- 
liegenden Frage  nicht  erkennen  zu  können. 

Schließlich  wird  noch  das  beiderseitige  Einverständniß  darüber 
wiederholt  ausgesprochen,  daß  der  aufzustellende  Entwurf  nach 
dieser  Besprechung  nur  als  ein  noch  keinen  Iheil  bindender  Vor- 
schlag zu  betrachten  und  zu  behandeln  sei,  da  sie  in  dieser  Beziehung 
sich  mit  ihren  Herren  Collegen  noch  gar  nicht  benommen,  viel , 
weniger  die  Allerhöchste  Zustimmung  nachgesucht  hätten. 

v.  Roon 
v.  Pranckh  m.  Kg.A. 


288 

5- Zwei  Verfassungsentwürfe  Brays,  überreicht  am  30.  Ok- 
tober. 
Abschrift  I. 
Zwischen  dem  durch  den  Beitritt  Badens,   Hessens  etc.   er- 
weiterten Norddeutschen  Bunde  (dem  Deutschen  Bunde?)  und  dem 
Königreiche  Bayern  wird  ein  unauflöshches  Verfassungsbündniß 
geschlossen.      (Diese    nationale    Gesammt Verbindung    soll    fortan 
den  Namen:  ,,Das  Deutsche  Reich"  führen). 

Diese  Verbindung  wird  geschlossen  zum  Schutze  des  Reichs- 
gebietes und  des  innerhalb  desselben  gültigen  Rechtes  unter  nach- 
stehenden Bedingungen: 

I. 
Als  gemeinsame  Angelegenheiten  werden  erklärt :  —  nach  Maß- 
gabe der  Münchener  Besprechungen. 

II. 
Die  Überwachung  der  Reichsangelegenheiten  soll  einem  „Reichs, 
rath"  als  gemeinsamen  Organ  übertragen  werden,  und  bei  der  Ge- 
setzgebung der  ,, Reichstag"  als  gemeinschaftliche  Vertretung  aher 
deutschen  Bevölkerungen  mitwirken.  Für  die  Wahl  der  Abge- 
ordneten ist  das  Wahlgesetz  für  das  Parlament  des  bisherigen  Nord- 
deutschen Bundes  maßgebend. 

Die  Übereinstimmung  der  Mehrheitsbeschlüsse  beider  Ver- 
sammlungen ist  zu  einem  Reichsgesetze  erforderlich  und  ausreichend. 
Die  Reichsgesetze  erhalten  ihre  verbindliche  Kraft  durch  die  Ver- 
kündung von  Reichswegen  durch  das  Reichs-Gesetzblatt. 

(Staatenhaus). 
III. 
Im  Reichsrathe  führt  Bayern  8  Stimmen. 
In  Verhinderungsfällen    Preußens   führt  Bayern  den  Vorsitz. 
In  dem  ersten,  dritten  und  vierten  Ausschusse  wird  Bayern  ständig 
vertreten. 

IV. 
Das  Präsidium  im  Reiche  steht  der  Krone  Preußen  zu. 
Der  König  von  Preußen  führt  den  Titel  ,, Deutscher  Kaiser" 
(Kaiser  von  Deutschland?)  (Kaiser  der  Deutschen?) 

V. 
Die  Vertretung  des  Reiches  nach  Außen  findet  durch  den  Deut- 
schen Kaiser  und  den  König  von  Bayern  gemeinschaftlich  statt, 
und  es  haben  sich  bezüglich  der  Reichsangelegenheiten  die  bayeri- 
schen Gesandten  den  Reichsgesandten  anzuschließen  und  sie, 
wo  es  gewünscht  wird,  oder  auch  ständig  zu  vertreten. 

Die    Instructions-Ertheilung   ist   in    der    Regel   eine  gemein- 
schaftliche.   In  dringenden  Fällen  erfolgt  sie  durch  das  Reichs- 
Kanzleramt  allein  —  unter  gleichzeitiger  Mittheilung  an  Bayern. 
Die  Accreditirung  fremder  Gesandten  für  das  Reich  erlolgt 
beim  Deutschen  Kaiser. 

Verträge  für  das  Reich  werden  durch  den  Kaiser  unter  Zu- 
ziehung des  Königs  von  Bayern  abgeschlossen. 

Das  Recht,  Staatsverträge  für  sich  allein  über  Gegenstände 
abzuschließen,  welche  nicht  in  den  Kreis  der  Reichs- Angelegen- 
heiten gehören,  bleibt  Bayern  unbedingt  gewährt. 


289 

VI. 

Der  Kaiser  ist  berechtigt,  den  Krieg  sofort  zu  erklären,  wenn 
deutsches  Gebiet  angegriffen  wird.  In  allen  andern  Fällen  hat  der- 
selbe vor  Abgabe  der  Kriegserklärung  die  Zustimmung  des  Reichs- 
rathes  zu  erholen. 

Zu  den  Friedens- Verhandlungen  nach  einem  Reichskriege  wird 
stets  auch  ein  Bevollmächtigter  Bayerns  zugezogen  werden. 

VII. 

In  Bezug  auf  die  Zoll-  und  Handels-Verhältnisse  bleibt  der 
Inhalt  der  bisherigen  Zollverträge,  insbesondere  des  \^ertrages  vom 
8.  July  1867,  sowie  der  seither  erlassenen  Vereinsgesetze  bis  zu  einer 
etwaigen  verfassungsmäßigen  Änderung  in  Kraft.  (Die  Kündbar- 
keit des  Zollvereins  fällt  hinweg.) 

VIII. 
Bestimmungen  über  das  Reichskriegswesen  gemäß  Über- 
einkommen der  beiderseitigen  Herrn  Kriegsminister. 

IX. 
Bayern  übernimmt  die  Leistungen  für  die  Reichsmarine  im 
Verhältniß  seiner  Bevölkerung.   Bestimmung  über  die  Flagge. 

X. 

Das  gemeinsame  Ausgabenbudget  und  die  Aufbringung  der 
erforderlichen  Geldmittel  durch  Matrikularbeiträge  nach  dem  Maß- 
stabe der  Bevölkerung  wird  im  Wege  der  Reichsgesetzgebung  fest- 
gestellt. 

XI. 

Von  den  Reichsbeamten  wird  eine  näher  zu  bestimmende  Anzahl 
nach  bayerischem  \'orschlage  ernannt. 

XII. 

Abänderungen  der  Reichsverfassung,  wodurch  die  Bayern  ein- 
geräumten Sonderrechte  alterirt  werden  würden,  können  nur  mit 
Zustimmung  Bayerns  erfolgen. 

Abschrift  IL 

Zwischen  dem  durch  den  Beitritt  Badens,  Hessens  etc.  etc. 
erweiterten  Norddeutschen  Bunde  (dem  Deutschen  Bunde?)  und 
dem  Königreiche  Bayern  wird  auf  Grund  der  deutschen  Bundes- 
verfassung —  aber  mit  nachstehenden  Abänderungen  derselben  in 
Betreff  Bayerns  —  ein  unauflösliches,  nationales  Verfassungsbünd- 
niß    geschlossen. 


Die  vorstehenden  Stipulationen  bilden  einen  Anhang  der 
deutschen  Bundes- Verfassung  und  gelten  fortan  als  ein  integriren- 
der  Theil  derselben. 

In  allen  Fällen,  wo  zwischen  diesen  Feststellungen  und  dem 
Texte  der  deutschen  Verfassungs-Urkunde  Verschiedenheiten  be- 
stehen, hat  für  Bayern  lediglich  das  mit  demselben  abgeschlossene 
besondere  Abkommen  Geltung  und  Verbindlichkeit.  u.st.A. 

Doeberl.    Bayern  und  die  Bismarckische  Reichsgrfindung.  I9 


290 

6.    Stuttgart   1870  November  9.     Freiherr    von    Gasser   an 
König  Ludwig  II.  von  Bayern. 

(Original.) 

Inmitten  meiner  trüben  Stimmung  über  die  hiesigen  Verhält- 
nisse erhielt  ich  vorgestern  Abends  ein  Schreiben  des  Grafen  von 
Bray  aus  Versailles  vom  3ten  dieses  Monats,  dessen  Inhalt  dahin 
geht,  daß  die  württembergischen  Vertreter  dort  vollständig  ihre 
eigenen  Wege  gegangen  seyen,  die  preußischen  Verhandlungen  mit 
jedem  der  süddeutschen  Staaten  gesondert  geführt  werden  und, 
nachdem  dem  Grafen  von  Bray  der  Stand  der  Verhandlungen  mit 
Württemberg  an  maßgebender  Stelle  als  dem  Abschluße  nahe  be- 
zeichnet worden,  derselbe  darauf  bedacht  seyn  müße,  lediglich  die 
Stellung  Bayerns  ins  Auge  zu  faßen.  —  Als  post  scriptum  war 
jedoch  hinzugefügt,  daß  der  Graf  mit  Herrn  von  Mittnacht  soeben 
noch  eine  Besprechung  gehabt  hätte,  welche  ein  wenigstens  theil- 
weises  Zusammengehen  nun  vielleicht  doch  noch  als  möglich  er- 
scheinen ließe.  — 

Ich  habe  mir  es  nun  gestern  zur  Aufgabe  gemacht,  noch  weitere 
Schritte,  und  zwar  so  eindringlich  als  möglich,  zu  machen,  um  ein 
offeneres,  vertrauensvolleres  Zusammenwirken  des  Herrn  von  Mitt- 
nacht mit  dem  Grafen  von  Bray  zu  veranlaßen;  —  ohne  Zurück- 
haltung theilte  ich  den  Inhalt  des  an  mich  gerichteten  Privatschrei- 
bens des  Grafen  von  Bray  dem  Grafen  von  Taube,  dem  Geheimen 
Rathe  von  Egloffstein  mit  und  ließ  es  auch  zur  Kenntniß  Ihrer 
Majestät  der  Königin  gelangen,  die  nöthigen  Erläuterungen  und 
Wünsche  hinzufügend.  —  Diese  Taktik  war  von  Erfolg;  denn  bereits 
am  Nachmittage  kam  Freiherr  von  Egloffstein  zu  mir,  um  die  Sache 
gründlich  zu  besprechen  und  mir  ebenfalls  Mittheilungen  zu  machen. 
Aus  Allem  geht  nun  klar  hervor,  daß  Graf  Bismarck,  mit  ge- 
wohnter Perfidie,  Bayern  und  Württemberg  zu  entzweien  sucht; 
denn,  nach  hierher  vor  ein  paar  Tagen  gelangtem  Telegramm  des 
Herrn  von  Mittnacht,  ist  derselbe  auch  über  das  Stadium  der  Be- 
sprechung noch  nicht  hinausgekommen;  Graf  Bismarck  hat  ihm 
aber  vorgeschlagen,  zum  Abschluße  zu  schreiten,  unter  dem  Vor- 
geben, daß  Bayern  gegen  gewisse  demselben  zu  machende  weitere 
Zugeständnisse  den  Kaisertitel  angeboten  habe.  —  Dem  Grafen 
von  Bray  hat  der  loyale  Bundeskanzler  aber  erklärt,  er  sey  mit 
Württemberg  dem  Abschlüsse  nahe. 

Soviel  l,  nredlichkeit  hat  Sr.  Majestät  dem  Könige  die  Augen 
geöffnet  und  Freiherr  von  Egloffstein  hat  mir  erklärt,  der  König 
wolle  mit  aller  Entschiedenheit,  daß  Herr  von  Mittnacht  mit  dem 
Grafen  von  Bray  fest  zusammengehe.  —  Ich  ersuchte  nun  inständig 
Freiherrn  von  Egloffstein  darauf  zu  wirken,  daß  Herr  von  Mittnacht 
sogleich  dahin  instruirt  werde,  nur  die  gleichen  Zugeständnisse  wie 
Bayern  zu  machen;  zum  späteren  Nachgeben  in  den  Punkten, 
welche  man  gemeinschaftlich  nicht  würde  erreicht  haben,  wäre  ja 
für  Württemberg  immer  Zeit.  Freiherr  von  Egloffstein  versprach 
mir  dieses  und  äußerte  sogar,  daß,  wenn  Preußen  an  übermäßigen 
Forderungen  festzuhalten  gewillt  sey,  es  für  Bayern  und  Württem- 
berg von  entschiedenem  Vortheile  wäre,  die  Verhandlungen  abzu- 
brechen imd  bis  nach  dem  Friedensschlüsse  zu  verlegen. 

Freiherr  von  Egloffstein  theilte  mir  außerdem  mit,  daß  S. 
Majestät  der  König  neuerdings  davon  gesprochen  habe.   Seinem 


291 

Gesandten  bei  Eurer  K.  Majestät,  Freiherrn  von  Soden,  das  Mini- 
sterium der  Auswärtigen  Angelegenheiten  anzubieten. 

Im  Hinbhcke  auf  alles  dieses  habe  ich  geglaubt  heute  früh  an 
Herrn  Grafen  von  Bray  folgendes  lelegramm  in  Chiffern  abgehen 
lassen  zu  sollen : 

,, Schreiben  vom  3ten  erhalten.  Preußen  will  uns  trennen,  denn 
Mittnacht  telegraphirt  vorgestern,  daß  er  nicht  über  Besprechun- 
gen gekommen,  ihm  aber  Bismarck  Abschluß  vorgeschlagen,  weil 
Bayern,  gegen  gewisse  Zugeständnisse,  Kaisertitel  angeboten.  — 
Ich  habe  dieses  negirt;  Soden,  auf  Anfrage,  ebenfalls.  —  König  will, 
daß  Mittnacht  mit  Ihnen  fest  zusammengehe.  —  Ich  habe  Egloff- 
stein,  welcher  sogar  von  gemeinschaftlichem  Abbrechen  und  \''er- 
legen  auf  später  spricht,  gebeten  anzuregen,  daß  Mittnacht  instruirt 
werde  nur  die  gleichen  Zugeständnisse  wie  Bayern  zu  machen.^)  — 
Es  ist  die  Rede,  Soden  Äußeres  zu  geben.  —  Brief  folgt."     m.  st.A. 

7.  München  1870  November  12.  Bericht  des  Staatsmini- 
steriums des  K.  Hauses   und   des  Äußern   an  den  König 

von  Bayern. 

(Original.) 

Der  österreichische  Reichskanzler  Graf  Beust,  welcher  seine 
in  die  Schweiz  reisende  Gemahlin  bis  München  begleitete,  ist  gestern 
hier  angekommen  und  hat  dem  treugehorsamst  Unterzeichneten 
einen  längeren  Besuch  gemacht. 

In  der  fast  anderthalb  Stunden  währenden  Besprechung  konnte 
die  deutsche  Frage  nach  aUen  Seiten  hin  betrachtet  werden,  und  es 
bedarf  wohl  kaum  besonderer  Auseinandersetzung,  daß  Graf  Beust 
von  ganzem  Herzen  eine  selbstständige  Stellung  Bayerns  im  deut- 
schen Verfassungsgebiete  wünscht.  Sie  scheint  ihm  nicht  bloß  für 
Bayern,  sondern  auch  für  Österreich  nothwendig  zu  sein,  damit  die 
Staaten  von  Preussen  und  Österreich  nicht  unmittelbar  aufeinander- 
stossen,  sondern  noch  ein  \'ermittlungsglied  bleibe. 

Ihm  sei  ferne,  bemerkte  der  Reichskanzler,  irgend  eine  Ein- 
mischung Österreichs  in  die  deutschen  Verfassungs-Angelegenheiten 
anstreben  zu  wollen;  ihm  könne  sogar  nur  sehr  erwünscht  sein,  nicht 
in  die  Lage  zu  kommen,  von  dem  Artikel  IV  des  Prager  Friedens- 
Vertrages  Gebrauch  zu  machen;  nur  müße  in  dieser  Richtung  we- 
nigstens die  Form  gewahrt,  es  müße  bei  der  Neugestaltung  Deutsch- 
lands Österreich  diejenige  Achtung  bezeigt  werden,  wozu  es,  abge- 
sehen von  allem  Übrigen,  durch  den  besagten  Artikel  IV.  ein  sicheres 
Recht  habe,  und  es  müsse  ihm  also  möglich  gemacht  werden,  zu 
schweigen. 

Der  Eintritt  Südhessens,  Badens,  ja  selbst  Württembergs  in 
den  Norddeutschen  Bund  scheint  dem  Grafen  Beust  keinen  Fall  ab- 
zugeben, um  positive  Einwendungen  zu  machen.  Anders  aber, 
meinte  er,  liege  die  Sache,  wenn  Bayern,  ein  Staat  hart  an  der  öster- 
reichischen Gränze,  von  solcher  Größe  und  Bedeutung,  der  jetzt  zwei 
volle  Armee-Corps  gestellt  habe,  in  den  Norddeutschen  Bund,  wie 
er  ist,  einträte;  da  könne  es  doch  nicht  gleichgiltig  sein,  daß  ■ —  da 

1)  Alleninterthänigste  Bemerkung.  Ähnliche  chiffrirte  Benachrichtigung 
des  Grafen  ßray  erfolgte  auch  von  hier  au.s,  nachdem  Baron  Soden  deß- 
halb  mit  mir  Rücksprache,  genommen.  von  Daxenberger.     m.  St.A. 

19- 


292 

Preußen  das  unbedingte  Recht  der  Entscheidung  über  Krieg  und 
Frieden  habe,  auch  dieser  wichtige  Theil  Deutschlands  unter  diese 
Entscheidung  falle.  Übrigens  erklärte  sich  Graf  Beust  im  Laufe  der 
Conversation  wiederholt,  nach  seiner  Beurtheilung  der  in  Versailles 
verweilenden  bayerischen  Staatsmänner,  überzeugt,  daß  Bayern  ein 
solches  bundesstaatliches  V'erhältniß  ohne  die  größten  Äquiva- 
lente nicht  eingehen  werde,  derartige  Äquivalente  aber  von  Seite 
Preußens  kaum  gegeben  werden  könnten  oder  zu  finden  wären. 

Graf  Beust  besprach  auch  seine  eigene  Stellung  und,  wie  es  gar 
nicht  im  Wunsche  des  bei  Weitem  größten  Theiles  der  österreichi- 
schen Monarchie  liege,  mit  Deutschland  wieder  in  eine  staatsrecht- 
liche Verbindung  zu  treten;  was  man  aber  wünsche,  sei,  daß  man 
Österreich  bei  der  Ordnung  dieser  Fragen  auch  keine  Mißachtung 
bezeige  und  damit  die  Empfindlichkeit  besonders  in  Ungarn  ver- 
letze. Im  Ganzen  war  die  heutige  Stimmung  des  Reichskanzlers 
eine  für  Preußen  und  den  Norddeutschen  Bund  sehr  freundliche, 
friedliche,  begleitet  von  dem  Wunsche  nach  guten  internationalen 
Beziehungen. 

Der  treugehorsamst  Unterzeichnete  hat  diese  Gesinnungen 
in  zwei,  zufällig  gleichzeitig  dahier  eingelaufenen  Berichten  Ew. 
K.  Majestät  Gesandten  in  Berlin  vom  8ten  und  gten  dieses  Monats, 
welche  hieneben  beigeschloßen  sind,  wiedergefunden,  und  glaubt 
deßhalb  seine  eigene  allerunterthänigste  Berichterstattung  be- 
beschränken zu  dürfen.  Einen  Umstand  jedoch  erlaubt  er  sich  noch 
kurz  zu  erwähnen,  daß  es  ihm  aus  gelegentlicher  Äußerung  des 
Grafen  Beust  klar  geworden  ist,  daß  die  orientalische  Frage,  bei 
welcher  Österreich  so  tief  betheiligt  ist,  wieder  vor  der  Thüre  steht, 
und,  wie  es  scheint,  will  Rußland  die  Verträge  von  1856  kündigen. 

In  tiefster  Ehrfurcht  verharrend 

Staatsrath  v.  Daxenberger. 

* 

Die  unterm  I2ten  u.  I3ten  ds.  Mts.  erstatteten  Berichte  habe 
Ich  mit  hohem  Interesse  eingesehen,  aus  den  Äusserungen  des 
österreichischen  Reichskanzlers  aber  ungern  den  Versuch  zu  ent- 
nehmen geglaubt,  sich  in  Angelegenheiten  mischen  zu  wollen,  welche 
Ich  lediglich  mit  Meinen  Räthen  der  Krone  zu  ordnen  gewillt  bin. 

Hohenschwangau  1870  November  16. 

Ludwig.  .M.st.A. 

8.  \'ersailles  1870  November  11.  Hartrott  „Oberstlieutenant 
und  Chef  des  Stabes  des  Kriegsministers"  an  Bismarck. 

(Original.) 

Ew.  Excellenz  habe  ich  die  Ehre,  infolge  eines  mündlichen 
durch  den  K.  bayerischen  Oberstlieutenant  Fries  ausgesprochenen 
\\'unsches  des  K.  bayerischen  Kriegsministers  General  der  Infan- 
terie Freiherrn  von  Pranckh,  den  von  demselben  ohne  Concurrenz 
des  diesseitigen  Kriegsministeriums  ausgearbeiteten  Entwurf  zu 
einer  Militär-Convention  mit  Bayern  zur  geneigten  Kenntnißnahme 
gehorsamst  zu  überreichen. 

Secret  präsentirt  10.  11.   1870. 

S.  M.  der  König  von  Preußen  als  Oberhaupt  des  Deutschen 
Bundes  und  S.  M.  der  König  von  Bayern,  geleitet  von  der  Absicht, 


293 

die  durch  den  Bündniß- Vertrag  zwischen  Preußen  und  Bayern  vom 
22.  August  1866  geschaffenen  Beziehungen  zwischen  Bayern  und 
dem  Norddeutschen  Bunde  auf  der  Grundlage  der  durch  den  Schutz 
des  deutschen  Gebietes  bedingten  gemeinsamen  x\ction  der  deutschen 
Heere  dauernd  sicher  zu  stellen,  haben  über  die  Art  und  Weise 
dieser  Sicherstellung  beschlossen,  in  Verhandlungen  einzutreten  und 
zu  diesem  Behufe  zu  Bevollmächtigten  ernannt: 

S.  M.  der  König  von  Preußen  etc.  etc. 

S.  M.  der  König  von  Bayern  etc.  etc. 

Diese  Bevollmächtigten  haben  ihre  Vollmachten  ausgetauscht 
und,  nachdem  dieselben  in  Ordnung  befunden  worden,  über  die 
nachfolgenden  Vertrags-Bestimmungen  sich  geeinigt: 

Art.  I.  (v.  A.  62  und  63  der  Norddeutschen  Bundesverfassung). 
Das  K.  bayerische  Heer  bildet  einen  in  sich  geschlossenen  Bestand- 
theil  des  deutschen  Bundesheeres  mit  selbstständiger  Verwaltung 
unter  der  Militärhoheit  Sr.  M.  des  Königs  von  Bayern,  im  Kriege 
unter  dem  Oberbefehl  des  Bundesfeldherrn. 

Art.  n.  (v.  A.  58  w.  o.).  Die  Kosten  und  Lasten  des  bayerischen 
Kriegswesens  werden  von  Bayern  selbst  getragen. 

Art.  ni.  (v.  A.  57  w.  o.)  Die  K.  bayerische  Regierung  wird  in 
ihrer  Gesetzgebung  die  Bestimmung  aufrechterhalten,  daß  jeder 
Bayer  wehrpflichtig  ist  und  sich  in  Ausübung  dieser  Pflicht  nicht 
vertreten  lassen  kann. 

Art.  IV.  (v.  A.  59  w.  o.)  Die  K.  bayerische  Regierung  gestaltet 
ihre  Gesetzgebung  dahin,  daß  jeder  wehrfähige  Bayer  12  Jahre  lang, 
in  der  Regel  vom  voUendeten  20.  bis  zum  beginnenden  33.  Lebens- 
jahre, dem  Heere  und  zwar  die  ersten  drei  Jahre  bei  den  Fahnen 
(active  Armee),  die  nächsten  vier  Jahre  der  Reserve  und  die  letzten 
fünf  Jahre  der  Landwehr  angehöre. 

Art.  V.  (v.  A.  60  w.  o.).  Die  Friedenspräsenzstärke  des  baye- 
rischen Heeres  wird  gleichmäßig  mit  jener  des  Bundesheeres  nor- 
mirt. 

Art.  VL  (v.  A.  63  w.  o.).  In  Bezug  auf  die  Organisation, 
Formation,  Ausbildung  und  Gebühren,  dann  hinsichtlich  der  Mobil- 
machung wird  Bayern  volle  Übereinstimmung  mit  den  für  das 
Bundesheer  bestehenden  Einrichtungen  herstellen.  Bezüglich  der 
Bewaffnung  und  Ausrüstung,  ferner  der  Militärgesetzgebung  und 
der  zu  ihrer  Ausführung,  Erläuterung  und  Ergänzung  erlassenen 
Reglements  und  Exercitien  behält  sich  die  K.  bayerische  Regie- 
rung die  Herstellung  der  vollen  Übereinstimmung  mit  dem  Bun- 
desheere vor. 

Art.  VII.  (v.  A.  64  w.  o).  Im  Kriege  sind  die  bayerischen  Trup- 
pen verpflichtet,  den  Befehlen  des  Bundesfeldherrn  unbedingt 
Folge  zu  leisten.  Diese  Verpflichtung  wird  in  den  Fahneneid  auf- 
genommen. 

Art.  VIII.  Bayern  behält  die  Festungen  Ingolstadt  und  Ger- 
mersheim sowie  die  auf  seinem  Gebiete  belegenen  Fortifikationen 
Ulm  und  die  seiner  Zeit  etwa  auf  demselben  in  gemeinsamem  mili- 
tärischen Interesse  noch  angelegt  werdenden  Befestigungen  in  voll- 
kommen vertheidigungsfähigem  Stande.  In  Betreff  des  gemeinsamen 


294 

mobilen  Festungs-Materials  bleibt  bis  auf  weiteres  die  Übereinkunft 
vom  6.  Juli  1869  in  Kraft. 

Art.  IX.  (v.  A.  65  w.  o.)  Die  Anlage  von  neuen  Befestigungen 
und  von  Eisenbahnen  auf  bayerischem  Gebiete  im  Interesse  der 
gesammtdeutschen  Vertheidigung  wird  Bayern  (vorbehaltlich  jewei- 
liger spezieller  Vereinbarung)  zugestehen.  An  den  Kosten  für  den 
Bau  und  die  Ausrüstung  solcher  Befestigungsanlagen  auf  seinem 
Gebiete  betheiligt  sich  Bayern  in  dem  seiner  Bevölkerungszahl  ent- 
sprechendem Verhältnisse  gleichmäßig  mit  den  deutschen  Bundes- 
staaten. 

Art.  X.  Sämtliche  feste  Plätze  und  andere  Befestigungsanlagen 
auf  bayerischem  Gebiete  stehen  unter  bayerischen  Kommandanten 
und  haben  ausschließlich  bayerische  Besatzung. 

Art.  XL  (v.  A.  62  w.  o).  Die  Feststellung  des  bayerischen 
Militärausgaben^Etats  erfolgt  auf  der  Grundlage  der  Bestimmungen 
gegenwärtiger  Übereinkunft. 

Art.  XII.  Zur  steten  gegenseitigen  Information  in  den  durch 
diese  Vereinbarung  geschaffenen  militärischen  Beziehungen  er- 
halten die  Militärbevollmächtigten  in  Berlin  und  München  über  die 
wichtigeren  einschlägigen  Anordnungen  entsprechende  Mittheilung 
durch  die  respectiven  Kriegs-Ministerien.  Zu  gleichem  Zwecke 
werden  norddeutsche  und  bayerische  Offiziere  als  Delegirte  gegen- 
seitig zur  Iheilnahme  an  den  jährlichen  größeren  Truppenübungen 
beordert. 

Art.  XII.  Diejenigen  Gegenstände  des  bayerischen  Kriegs- 
wesens, betreffs  welcher  die  vorliegende  Vereinbarung  nicht  aus- 
drückliche Stipulationen  enthält  —  sohin  insbesondere  die  Bezeich- 
nung der  Regimenter  etc.,  die  Uniformirung,  Garnisonirung,  das 
Militär-Bildungs-  und  Personalwesen  u.  s.  w.  —  bleiben  durch  die- 
selbe unberührt. 

Art.  XIV.  Vorstehender  Vertrag  soU  ratifiziert  und  soUen  die 
Ratifikationen  binnen  drei  Wochen  nach  der  Unterzeichnung  in  .  .  . 
ausgetauscht  werden.  Zu  Urkund  dessen  haben  die  eingangs  be- 
nannten Bevollmächtigten  diesen  Vertrag  in  doppelter  Ausferti- 
gung am  heutigen  Tage  mit  ihrer  Unterschrift  und  ihrem  Siegel 
versehen.  h.a.  a. 

9.  Versailles  1870  November  17.    Justizminister  von  Lutz 

an  Bismarck. 

(Original.) 

Ew.  Excellenz  übersende  ich  die  in  Aussicht  gestellte  Zuschrift, 
aus  welcher  Sie  gütigst  entnehmen  wollen,  daß  die  zwischen  uns 
bestehenden  Differenzen  auf  ein  Minimum  reduzirt  sind.  Ich  war 
gestern  dreimal  vor  Ihrer  Thüre,  in  der  Hoffnung,  Ew.  Excellenz 
die  Zuschrift  persönlich  überreichen  und  noch  eine  Besprechung 
haben  zu  können,  um,  womöglich,  Klarheit  in  unsere  Lage  zu  brin- 
gen. Leider  muß  ich  befürchten,  daß  ich  mich  nicht  mehr  mit  Ew. 
Excellenz  zu  besprechen  Gelegenheit  haben  werde,  was  ich  umsomehr 
bedaure,  als  auch  wir  nicht  länger  mehr  von  Berufung  unserer 
Kammern  Umgang  nehmen  dürfen  und  infolge  davon  unsere  Rück- 
kehrnachhause nicht  länger  mehr  verschoben  werden  kann.  Übrigens 


295 

spreche  ich  mit  Vergnügen  auch  bei  diesem  Anlasse  Ew.  Excellenz 
meine  hochachtungsvollste  Ergebenheit  aus. 


Punkte,    über    die   eine   Verständigung,  und    solche,   für 

welche    eine    Übereinstimmung    noch    nicht    erzielt    ist. 

(Reihenfolge  der  Artikel  der  Norddeutschen  Bundesverfassung  zimi 

Leitfaden  genommen.) 

Art.  I,  2,  3,  Einigung. 

Art.  4. 

Z.  I  haben  mir  Ew.  Excellenz  erklärt,  es  bestehe  kein  Hinderniß 
dagegen,  für  Bayern  die  Gesetzgebung  über  dieHeimats-  und  Nieder- 
lassungsverhältnisse vorzubehalten ;  es  wurde  deshalb  ein  Zusatz  zu 
dieser  Ziffer  des  Inhalts  in  Aussicht  gestellt,  daß  das  Gesetzgebungs- 
recht des  Bundes  über  die  Heimats-  und  Niederlassungsverhältnisse 
sich  auf  das  Könip^reich  Bayern  nicht  erstrecke. 

Anlangend  das  Staatsbürgerrecht,  so  ist  in  München  die  Weg- 
lassung dieses  ^^'ortes  gewünscht  worden.  Es  hat  sich  aber  bei  nä- 
herer Besprechung  ergeben,  daß  damit  nicht  das  gemeint  sei,  was 
es  nach  bayerischem  Staatsrecht  bedeutet,  nicht  die  Befugniß  zur 
Ausübung  gewisser  politischer  Rechte,  sondern  nur  die  Staatsan- 
gehörigkeit, resp.  die  Bundes- Staatsangehörigkeit.  Gegen  die 
Beibehaltung  wird  kein  Anstand  mehr  erhoben.  Ich  lasse  auch 
den  Widerspruch  gegen  die  Beibehaltung  der  Worte  ,,und  über  den 
Gewerbestand"  fallen. 

Bezüglich  des  Versicherungswesens  bin  ich  zufrieden  mit  der 
Erklärung,  es  solle  in  das  Separat  pro  tokoll  ein  Satz  des  Inhalts 
aufgenommen  werden:  wenn  sich  die  Gesetzgebung  des  Bundes 
einmal  auf  das  Immobiliarversicherungswesen  erstrecken  sollte, 
soll  die  Anwendung  des  betreffenden  Gesetzes  auf  Bayern  von  der 
Zustimmung  der  bayerischen  Regierung  abhängig  sein. 

Z.  7  zieht  die  früheren  Bedenken  zurück  unter  der  Voraus- 
setzung, daß  in  dem  in  Aussicht  genommenen  Separatprotokoll  das 
Recht  Bayerns,  ausländische  Konsuln  zu  empfangen  und  auf  seinem 
Gebiet  mit  dem  exequatur  zu  versehen,  anerkannt  und  die  Zu- 
sicherung gegeben  wird,  daß  deutsche  Konsuln  an  einem  auswärti- 
gen Orte  aufgestellt  werden,  auch  wenn  es  nur  bayerische  Inter- 
essen sind,  die  dieß  als  wünschenswerth  erscheinen  lassen.  (Rand- 
bemerkung mit  Blei:  , »Verwendung  bayerischer  Konsuln  nach 
Möglichkeit  zugesichert"). 

Z.  10  Post  und  Telegraphenwesen.  Hier  handelt  es  sich  zunächst 
darum,  die  Legislatur  des  Bundes  über  beide  Gegenstände  anzuer- 
kennen. ^^'enn  ich  mich  recht  erinnere,  lautet  der  Vorschlag  über 
den  Umfang,  in  welchem  dieß  geschehen  soU,  wie  folgt:  Dem  Bunde 
ausschließlich  steht  die  Gesetzgebung  über  die  Vorrechte  der  Post 
und  Telegraphie,  über  die  rechtlichen  Verhältnisse  beider  Anstalten 
zum  Publikum,  über  die  Portofreiheiten  und  das  Post-Taxwesen, 
jedoch  ausschließlich  der  Tarif bestimmungen  für  den  internen  Ver- 
kehr, endlich  die  Regelung  des  Post-  und  lelegraphenverkehrs  mit 
dem  Auslande  zu.  Da  dieser  Vorschlag  weiter  geht  als  die  in  Mün- 
chen vorgeschlagene  Fassung  und  ich  meinerseits  zu  einem  end- 
giltigen  Bescheid  über  diesen  Punkt  mich  nicht  für  befugt  hielt, 
habe  ich  hierwegen  um  besondere  Instruktionen  gebeten,  diese  bis 


296 

jetzt  aber  noch  nicht  erhalten.  Ich  glaube  indessen,  daß  sich  hier- 
über wird  eine  Verständigung  erzielen  lassen. 

Z.  II  und  13.  Meine  früher  gemachten  Einwendungen  ziehe 
ich  zurück,  bin  einverstanden,  daß  beide  Ziffern  in  der  für 
Bayern  verbindlichen  Bundesverfassung  eine  Stelle  finden.  Als 
eine  Consequenz  erkenne  ich  die  Übernahme  des  für  den  Norddeut- 
schen Bund  erlassenen  Strafgesetzbuches  und  des  in  der  Ausarbei- 
tung begriffenen  Civilprozesses. 

Daß  als  Z.  16  beigefügt  werde:  die  Bestimmungen  über  die 
Presse  und  das  Vereinswesen  entsprechen  den  in  München  geäußer- 
ten Wünschen  der  bayerischen  Regierung. 

Art.  6. 

Erkläre  ich,  daß  Bayern  sich  mit  Zuweisung  von  sechs  Stimmen 
genügen  lassen  werde. 

Art.  7. 

Ich  darf  hier  wohl  darauf  zurückkommen,  daß  die  Schaffung  des 
Staatenhauses  in  der  von  mir  skizzirten  Zusammenfassung  viel- 
leicht ein  Mittel  wäre,  um  die  hier  in  München  von  Bayern  und  Würt- 
temberg geäußerten  Wünsche  in  ausgiebiger  Weise  zu  befriedigen. 

Gegen  den  Zusatz,  inhaltlich  dessen  bei  der  Beschlußfassung 
über  eine  Angelegenheit,  welche  nicht  dem  ganzen  Bunde  gemein- 
schaftlich ist,  die  Stimmen  nur  derjenigen  Bundesstaaten  gezählt 
werden,  welchen  die  Angelegenheit  gemeinschaftlich  ist,  habe  ich 
selbstverständlich  keine  Erinnerung. 

Art.  8. 

Ich  darf  wohl  annehmen,  daß  der  von  bayerischer  Seite  ange- 
sprochene ständige  Sitz  in  dem  ersten  Ausschuß  von  Preußen  zu- 
gestanden wird,  wenn  ich  auch  zugeben  muß,  daß  die  betreffende 
Bestimmung  ihre  Stelle  da  zu  finden  haben  wird,  wo  die  militäri- 
schen Beziehungen  Bayerns  zum  Bunde  zum  Ausdruck  gelangen. 
x\us  gleichem  Motiv  erwähne  ich,  daß  S.  Excellenz  Graf  Bray  die 
Proposition  bezüglich  der  Creirung  eines  diplomatischen  Comitees 
acceptirt. 

Art.  13—14- 

Wenn  ich  Ew.  ExceUenz  recht  verstanden  habe,  wurde  die  in 
München  gemachte  Anregung,  daß  im  Falle  der  Verhinderung 
Preußens  der  Vorsitz  im  Bundesrathe  Bayern  zustehen  solle,  von 
preußischer  Seite  nicht  beanstandet,  was  ich  mir  hiemit  zu  consta- 
tiren  erlaube.  (Randbemerkung  mit  Blei:  ,, Das  ist  noch  geschehen, 
indes  halte  ich  die  Sache  für  zulässig,  da  es  sich  nicht  um  die  V^er- 
tretung  des  Bundeskanzlers,  sondern  Preußens  handelt.) 

Art.  19. 
Mit   Fassung  einverstanden   bezüglich   der  Bundesexecution, 
füge  aber  hinzu:   über  die  übrigen  Bestimmungen  bezüglich  des 
Bundespräsidiums  sich  zu  äußern  muß  ich  Sr.  Excellenz  dem  Grafen 
Bray  anheimgeben. 

Art.  20. 
Erkläre  mich  bereit,  zur  Übertragung  des  Wahlgesetzes  für  den 
Reichstag  des  Norddeutschen  Bundes  vom  31.  Mai  1869  auf  Bayern 
mitzuwirken  und  stimme  zu,  wenn  Bayern  für  den  Reichstag  so 


297 

viel  Abgeordnetensitze  zugewiesen  werden,  als  es  Abgeordnete  im 
Zollparlament  hatte. 

Art.  35. 
Gegen  die  von  Preußen  hier  neuerdings  in  Aussicht  genommene 
Fassung  (Zollgesetzgebung)  keine  Bedenken:  In  Bayern,  Württem- 
berg und  Baden  bleibt  die  Besteuerung  des  inländischen  Brannt- 
weins und  Bieres  der  Landesgesetzgebung  vorbehalten.  Die  Bundes- 
staaten werden  jedoch  ihr  Bestreben  darauf  richten,  eine  Überein- 
stimmung der  Gesetzgebung  über  die  Besteuerung  auch  dieser 
Gegenstände  herbeizuführen. 

Art.  38. 
Wird  sich  wohl  erst  definitiv  eine  Äußerung  abgeben  lassen, 
wenn  feststeht,   wie   sich  die  Verhältnisse  bezüglich  des  Militär- 
wesens gestalten.  (Randbemerkung  mit  Blei:  ,, richtig"). 

Art.  53— 55- 
Er  kläre  ich  mich  bereit,   nunmehr  die  Zustimmung  Bayerns 
auszusprechen. 

Die  Gestaltung  der  Artikel  57 — "j-^  wird,  sofern  nicht  in  Mün- 
chen schon  eine  Übereinstimmung  erzielt  ist,  vom  Resultat  der 
Verhandlungen  über  das  Kriegswesen  abhängen. 

Art.  74—77- 

Lasse  ich  den  bisherigen  Widerstand  fallen,  so  sehr  ich  auch 
fortwährend  der  Meinung  bin,  daß  sie  für  alle  Betheiligten  in  gleichem 
Maße  bedenklich. 

Art.  78. 

Würde  ich  wünschen  die  Fassung:  Veränderungen  der 
Verfassung  erfolgen  im  Wege  der  Gesetzgebung.  Sie  gelten  als 
abgelehnt,  wenn  sie  im  Bundesrat  14  Stimmen  gegen  sich  haben.  Es 
scheint  mir  nur  bilhg,  daß  von  einer  Verfassungsänderung  Umgang 
genommen  werde,  wenn  die  drei  Königreiche  sich  gegen  sie  aus- 
sprechen. Endlich  bitte  ich  in  dem  bereits  mehrfach  geäußerten 
Satze  einen  entsprechenden  Ausdruck  zu  sichern,  daß  iura  singulo- 
rum  nur  mit  Zustimmung  des  Betheiligten  modifiziert  werden  können 
und  daß  Bayern  gegenüber  Competenz-Erweiterungen  ein  Veto 
mindestens  mit  der  Wirkung  zustehe,  daß  die  auf  Grund  der  Com- 
petenz-Erweiterung  zu  erlassenden  Gesetze  in  Bayern  keine  Geltung 
haben.  h.a.a. 

10.   Entwurf  ohne   Überschrift    und  ohne  Datum. 

1.  S.  M.  der  König  von  Preußen  ertheilen  kraft  der  Allerhöchst 
Ihnen  zustehenden  Präsidialrechte,  mit  Zustimmung  Sr.  M.  des 
Königs  von  Bayern,  den  K.  bayerischen  Gesandten  an  den  Höfen, 
wo  solche  beglaubigt  sind,  Vollmacht,  die  Bundesgesandten  im 
Verhinderungsfalle  zu  vertreten,  und  es  wird  festgesetzt,  daß  in 
allen  Fällen,  wo  diese  zur  Geltendmachung  allgemeiner,  deutscher 
Interessen  erforderlich  oder  von  Nutzen  sein  werden,  die  bayerischen 
Gesandten  den  Bundesgesandten  ihre  Hilfe  leihen. 

2.  Es  wird  im  Bundesrathe  ein  diplomatischer  Ausschuß  gebil- 
det aus  den  Vertretern  Bayerns,  Sachsens  und  Württembergs,  unter 


298 

dem  Vorsitz  Bayerns  mit  der  Berechtigung  der  Controle  und  An- 
tragstellung bezüglich  der  äußeren  Angelegenheiten  des  Bundes. 
3.  S.  M.  der  König  von  Preußen  wird  die  Zustimmung  des 
Bundes  dafür  in  Anspruch  nehmen,  daß  anerkannt  werde:  es  sei 
von  Seite  Bayerns  durch  die  Bereitstellung  seiner  Gesandtschaften 
für  den  diplomatischen  Dienst  des  Bundes  der  Beitragspflicht  für  die 
äußere  Bundesvertretung  Genüge  geleistet,  unbeschadet  der  ver- 
hältnißmäßigen  Leistungen  für  den  Unterhalt  der  Consulate  und  des 
Bundeskanzleramtes.  h.a.  a. 

II.  Versailles  1870  November23.  KriegsministervonPranckh 
an  König  Ludwig  IL  von  Bayern. 

(Original.) 

Eurer  K.  Majestät  berichtet  der  treugehorsamst  Unterzeichnete 
im  Folgenden  alluntei  thänigst  über  den  militärischen  Theil  der  gegen- 
wärtigen Verhandlungen  zwischen  Allerhöchst  Ihren  bevollmächtig- 
ten Ministern  und  den  Bevollmächtigten  des  Norddeutschen  Bundes. 
Die  Erörterung  der  militärischen  Fragen  fand  zunächst  in  besonde- 
ren Conferenzen  des  treugehorsamst  Unterzeichneten  mit  dem 
preußischen  Kriegsminister  v.  Roon  statt.  Allein  diese  Conferenzen 
—  in  Folge  Erkrankung  des  Generals  von  Roon  überhaupt  auf  zwei 
beschränkt  —  hatten  nicht  das  gewünschte  Ergebniß.  Während  näm- 
lich nach  dem  Verlaufe  der  ersten  derselben  (26ten  October).  eine 
schnelle  Verständigung  auf  der  Basis  der  Eurer  K.  Majestät  bekannten 
Münchener  Besprechungen  möglich  schien,  erklärte  der  preußische 
Kriegsminister  in  der  zweiten  Zusammenkunft  eben  jene  Verabre- 
dungen als  nicht  ausreichende  Grundlage  für  den  Eintritt  Bayerns 
in  den  Bund.  Vor  Allem  lasse  die  verlangte  wesentliche  Bevor- 
zugung Bayerns  eine  Rückwirkung  auf  die  anderen  Staaten  befürch- 
ten, welche  sich  mit  Preußen  in  der  Voraussetzung  geeinigt  hätten, 
daß  keinem  Bundesgliede  erhebliche  Vorrechte  eingeräumt  würden. 
Dann  aber  werde  auch  der  Norddeutsche  Reichstag  bei  seinen  so 
ausgesprochenen  Einheitstendenzen  jener  Sonderstellung  Bayerns 
durchaus  entgegen  seyn.  Unter  diesen  Verhältnissen  sei  der  mili- 
tärische Zweck  wohl  nur  durch  ein  Separatbündniß  zu  erreichen, 
welches  im  Sinne  einer  Consolidirung  des  Allianzvertrags  vom 
Jahre  1866  die  durch  denselben  bedingte  gemeinsame  Action  der 
bayerischen  mit  der  norddeutschen  Armee  im  Kriege  durch  mög- 
lichste Einheit  des  beiderseitigen  Heerwesens  im  Frieden  vorbereite 
und  dauernd  sicher  stelle,  und  schon  dieses  Ergebniß  könne  für 
werthvoll  genug  gelten,  um  preußischer  Seits  für  das  Zustandekom- 
men einer  solchen  Vereinbarung  die  Unkündbarkeit  des  Zollvereins 
als  Compensation  zu  bieten. 

Indessen,  abgesehen  davon,  daß  die  letztere  eventuelle  Zusage 
bei  dem  ausdrücklich  noch  unverbindlichen  Charakter  der  Be- 
sprechungen mit  dem  preußischen  Kriegsminister  ebenfalls  völlig 
unverbindlicher  Natur  war,  so  stand  wohl  überhaupt  außer  Zweifel, 
daß  jene  Lösung  keineswegs  in  der  Absicht  Preußens  liege,  sondern 
daß  vielmehr  ein  Verzicht  auf  das  Kündigungsrecht  der  Zollver- 
träge, also  auf  dasjenige  Mittel,  von  dessen  Anwendung  Preußen 
hoffen  könnte,  später  selbst  den  bedingungslosen  Eintritt  Bayerns 
in  den  Bund  zu  erwirken,  auch  jetzt  nur  um  den  Preis  des  Eintrittes 
denkbar  sey. 


299 

Eben  diese  Situation  aber  enthält  nun  anderen  Theils  die  drin- 
gende Aufforderung  für  Bayern,  nicht  jene  spätere  Zwangslage  ab- 
zuwarten, seinen  Anschluß  vielmehr  eben  jetzt  zu  vollziehen,  da  der- 
selbe unter  dem  noch  ungeschwächten  Eindrucke  und  gewissermaßen 
in  der  täglichen  unmittelbaren  Erkenntniß  des  Werthes  der  bayeri- 
schen Waffengemeinschaft  noch  unter  günstigen,  später  nicht  mehr 
erreichbaren  Bedingungen  für  Bayern  möglich  ist.  Und  bei  solcher 
Sachlage  entsprach  es  somit  vollständig  auch  den  Interessen  Bay- 
erns, daß  Graf  Bismarck,  welcher  vor  wenigen  Tagen  die  Leitung 
der  in's  Stocken  gerathenen  Verhandlungen  aufgenommen,  einfach 
zu  dem  verfassungsmäßigen  Bündnisse  mit  Bayern  zurückkam. 

Es  steht  nunmehr  ein  Abschluß  in  naher  Aussicht.  Die  Mün- 
chener Verabredungen  haben  hiebei  auch  in  den  wesentlichsten 
militärischen  Fragen  hauptsächlich  zur  Richtschnur  gedient;  nur 
waren  theils  einige  Zusätze  in  Betreff  des  Festungswesens,  theils  in 
anderen  Punkten  Modificationen  nöthig.  Die  bedeutendsten  der- 
selben aber  fallen  nur  mit  den  militärischen  Forderungen  auch  in 
Bayern  zusammen,  insofern  sie  dahin  gerichtet  sind,  die  namhaften, 
doch  für  die  Schlagfertigkeit  der  Armee  ganz  unabweisbaren  und 
wohlbegründeten  Leistungen  im  Norddeutschen  Bunde  als  bindenden 
Maßstab  des  Aufwandes  für  das  Heer  auch  in  Bayern  festzustehen 
und  die  Wiederholung  ähnlicher  Gefahr  der  Desorganisation  von 
der  bayerischen  Armee  für  die  Zukunft  fern  zu  halten,  wie  sie  nach 
den  Kammerverhandlungen  kurz  vor  dem  Beginne  des  Krieges 
unmittelbar  nahe  lag. 

Eurer  K.  Majestät  bevollmächtigte  Minister  werden  nicht  ver- 
fehlen, sobald  der  entworfene  Vertrag  ihrerseits  unter  den  ent- 
sprechenden Vorbehalten  zum  Abschlüsse  gelangt  seyn  wird,  den- 
selben zur  Allerh.  Kenntniß  zu  bringen.  M.Rg.A. 

12.   Stuttgart  1870  November  23.     Freiherr  von  Gasser  an 
Staatsrat  von  Daxenberger. 

(Original.) 

Ich  habe  Ihr  geehrtes  Schreiben  vom  20ten  erhalten.  —  Ganz 
im  Vertrauen  gesagt,  bedauere  ich  ungemein  die  Demarche  von 
Bray;  sie  hat  hier  bis  zu  einem  gewissen  Grade  mißgestimmt;  ich 
glaube  aber  dieses  Gefühl  ziemlich  wieder  verwischt  zu  haben.  — 
Dagegen  scheinen  Suckow  und  Mittnacht  diesen  Umstand  benützt 
zu  haben,  um  den  König  zum  Abschluße  zu  drängen.  —  Damit  wird 
wohl  auch  zusammenhängen,  daß  man  hier  von  dem  Schreiben, 
welches  unser  AUergnädigster  Herr  an  mich  gerichtet  hat,  mehr  als 
nöthig  gesprochen  haben  wird.  Soden  ist  die  mir  vom  Könige  in 
der  Audienz  gegebene  Antwort  mitgetheilt  worden.  — ■  Nun  hat 
man  in  München  davon  Wind  erhalten  und  hat  noch  das  Seinige 
beigefügt ;  denn  Eisenhart  schreibt  mir,  in  München  erzähle  man 
sich,  unser  König  habe  dem  hiesigen  geschrieben,  er  halte  es  für 
,, unter  seiner  Würde",  einer  Einladung  nach  Versailles  zu  folgen. 
Der  König  hat  nun  dem  Könige  Carl  gar  nicht  geschrieben 
und  in  dem  Schreiben  an  mich  steht  nichts  derartiges;  ich  begreife 
nicht,  wie  ein  solches  Gerede  hat  entstehen  können,  ich  müßte  mich 
denn  wieder  überzeugen,  daß  der  Fortschrittspartei  jedes  Agitations- 
mittel recht  ist.   Ich  habe  gestern  Eisenhart  nach  Hohenschwangau 


300 

geantwortet.  Mit  den  hiesigen  großdeutschen  Parteiführern  bin 
ich,  so  zu  sagen,  nicht  in  Verbindung.  --  Sowohl  Probst  als  Oester- 
len  sind  jeder  ein  Mal  zu  mir  gekommen  und  ihr  Anliegen  habe  ich 
nach  München  berichtet ;  ich  habe  sie  mehr  angehört  als  mich  ausge- 
sprochen und  namentlich  betont,  daß,  wie  die  Sachen  nun  ein  Mal 
lägen,  wir  fest  darauf  bauen  könnten,  daß  Bray  und  Pranckh  ihr 
Möglichstes  thun  würden,  um  zu  retten,  was  zu  retten  ist,  und  etwas 
Unannehmbares  gewiß  nicht  unterzeichnen  würden.  —  Die  gestern 
bereits  von  der  ,,Allg.  Ztg."  gegebene  Nachricht  von  einer  Möglich- 
keit der  Reise  unseres  Königs  nach  Versailles,  im  Zusammenhange 
mit  der  Abreise  von  Holnstein,  hat  hier  sehr  frappirt;  ich  kann  nun 
nicht  annehmen,  daß,  nachdem  König  Carl  sein  eventuelles  Hin- 
gehen ganz  den  Entschlüssen  unseres  Königs  untergeordnet  hat, 
er,  für  den  Fall  eine  Änderung  in  den  Absichten  eintrete,  nicht  zu 
allererst  benachrichtigt  würde.  —  Ich  darf  Sie  aber,  verehrtester 
Herr  Staatsrath,  darum  bitten,  Ihr  Augenmerk  darauf  zu  richten, 
daß  hier  kein  Übersehen  stattfindet  und  daß  der  König  von  Würt- 
temberg eventuell  rechtzeitig  benachrichtigt  werde.  —  Wenn  die 
Reise  Holnsteins  in  keinem  Zusammenhange  mit  einer  etwaigen 
Reise  des  Königs  stünde,  so  würde  ich  Ew.  Hoch  wohlgeboren  sehr 
verbunden  seyn,  wenn  Sie  die  Güte  haben  wollten,  mich  durch  ein 
paar  Worte  darüber  aufzuklären.  —  m.  st. a. 

13.   Hohenschwangau  1870  Dezember  7.     König  Ludwig  II. 
an   das  Gesammtministerium. 

(Original.) 

Ich  habe  die  anruhenden,  Mir  in  Vorlage  gebrachten  vier  Ur- 
kunden einer  ernsten  und  wiederholten  Prüfung  unterstellt.  Zwar 
hätte  Ich  gewünscht,  daß  es  möglich  gewesen  wäre,  in  der  Bundes- 
verfassung das  föderative  Princip  entschiedener  zur  Geltung  zu 
bringen;  doch  will  Ich  deshalb  den  getroffenen  Vereinbarungen 
Meine  Genehmigung  nicht  versagen  und  gebe  hiemit  schon  jetzt 
den  nach  Versailles  entsandten  Ministern,  deren  erfolgreicher  Thätig- 
keit  gelungen  ist,  der  bayerischen  Regierung  so  werthvolle  Sonder- 
interessen zu  wahren.  Meine  vollste  Zufriedenheit  und  Meinen  ganz 
besonderen  Dank  zu  erkennen.  Ich  bin  damit  einverstanden,  daß 
nunmehr  das  Verfaßungsbündniß  nebst  Schlußprotokoll  zur  Be- 
rathung  im  Staatsrathe  gelange,  und  bestimme,  daß  von  den  Mini- 
stern Graf  Bray,  Freiherr  von  Pranckh  und  von  Lutz  über  die  von 
denselben  in  Versailles  vereinbarten  Bestimmungen  \^ortrag  er- 
stattet werde.  m.  st.A. 


IV. 
Zur  Gcsdiiclite  des  Kaiscrprobicms. 

I.  Wien  1870   Mai  4   (präsentiert  6.).     Graf  Fugger  an   König 
Ludwig  IL  von  Bayern. 

(Original.) 

Ich  habe  den  oben  citirten  hohen  Ministerialerlaß  (vom  i.  Mai) 
zu  empfangen  die  Ehre  gehabt  und  nicht  ermangelt,  den  Inhalt  des- 
selben zum  Gegenstand  einer  vertraulichen  Besprechung  mit  dem 
Herrn  Reichskanzler  zu  machen. 

Graf  Beust  nahm  die  Mittheilung  über  die  Annahme  des  deut- 
schen Kaisertitels  von  Seite  des  Königs  von  Preußen  mit  großem 
Interesse  entgegen  und  war  sichtlich  befriedigt,  daß  Eurer 
K.  Majestät  Regierung  die  fragliche  Angelegenheit  in  dieser 
Weise  mit  dem  hiesigen  Kabinett  zur  Sprache  brachten,  worüber  er 
mir  auch  wiederholt  seine  Anerkennung  aussprach.  Er  theilte  mir 
auch  gleich  bereitwilligst  mit,  was  ihm  selbst  über  die  Sache  bekannt 
ist. 

Nach  den  aus  Berlin  hier  eingetroffenen  Berichten  sei  die  Nach- 
richt über  die  projektirte  Annahme  des  Kaisertitels  zuerst  dem  eng- 
lischen Gesandten  Lord  Loftus  zugekommen,  und  zwar  habe  der- 
selbe von  München  aus  eine  Andeutung  erhalten. 

Auf  eine  hierauf  gestellte  Interpellation  des  Grafen  Wimpffen 
habe  der  Unterstaatssekretär  von  Thile  die  Sache  entschieden 
verneint. 

Ebenso  habe  der  König  von  Preußen  selbst  dem  französischen 
Botschafter  Grafen  Benedetti  gegenüber  die  angedeutete  Absicht, 
den  Titel ,, Kaiser  von  Deutschland"  anzunehmen,  in  Abrede  gestellt. 

Der  Reichskanzler  ist  der  Meinung,  daß  —  wenn  auch  die  den 
Grafen  Benedetti  und  Wimpffen  gewordenen  Antworten  verneinend 
lauteten,  doch  anzunehmen  sei,  daß  in  Berlin  die  Idee  der  Annahme 
des  erwähnten  Titels  geherrscht  habe.  Er  glaubt  sogar,  daß  Ver- 
handlungen darüber  mit  Sachsen,  Württemberg  und  Baden  statt- 
gefunden haben.  Von  letzterem  Staate  sei  Baron  Roggenbach  nach 
Varzin  gesendet  worden,  um  dem  Grafen  Bismarck  die  Bedenken 
mitzutheilen,  welche  von  Seite  Badens  gegen  das  Projekt  gehegt  wer- 
den, indem  die  betreffende  Annahme  in  Süddeutschland  einen  sehr 
ungünstigen  Eindruck  machen  würde. 

Graf  Beust  ist  der  Ansicht,  daß  die  Sache  vertagt  sei,  indem  die 
Anerkennung  des  Titels  schon  deswegen  große  Schwierigkeiten  be- 
reiten müßte,  weil  in  keinem  Vertrag  von  ,, Deutschland"  die  Rede 
sei.    Man   habe  wohl   norddeutsche  Bundesgesandten   accreditiren 


302 

können,  da  ein  Norddeutscher  Bund  bestehe,  jedoch  der  Titel 
,,Kaiser  von  Deutschland"  würde  besonders  hier,  wo  in  der  österrei- 
chischen Monarchie  selbst  so  viele  Deutsche  lebten,  nicht  ruhig 
hingenommen  werden  können. 

Bezüglich  der  Aufnahme  Südhessens  in  den  Norddeutschen 
Bund  äußerte  sich  der  Graf  dahin,  daß  er  fest  überzeugt  sei,  der 
Großherzog  von  Hessen  werde  dazu  nicht  zu  bewegen  sein. 

Auch  fügte  er  ausdrücklich  bei,  daß  die  in  der  aus  Berlin  mit- 
getheilten  Depesche  vom  29ten  vor.  Monats  enthaltenen  Ansicht : 
Frankreich  werde  aus  dem  Eintritte  Südhessens  in  den  Nordbund 
keinen  casus  belli  machen,  ein  falscher  calcul  sein  dürfte. 

Zum  Schlüsse  bemerkte  der  Graf,  daß  er  Eurer  K.  Majestät 
Regierung  dringendst  anempfehle,  auf  diese  Fragen  ein  wachsames 
Auge  zu  haben,  und  er  versprach  mir,  seine  ihm  desfalls  zukom- 
menden Nachrichten  und  Wahrnehmungen  stets  bereitwilligst  mit- 
theilen zu  wollen.  —  m.  st.A. 

2.  Schloß  Berg  1870  September  14.    König  Ludwig  II.  an 

Graf  Bray. 

(Original.) 

Mein  lieber  Staatsminister  Graf  von  Bray-Steinburg! 
Ich  habe  allen  Grund,  anzunehmen,  daß  sowohl  die  höheren 
preußischen  Regierungskreise,  als  auch  der  Berliner  Hof  der  Kaiser- 
idee nichts  weniger  als  ferne  stehen.  Es  ist  Mir  nun  von  hohem  Inter- 
esse, sehr  rasch  zu  erfahren,  welche  Stellung  die  Höfe  von  Dresden, 
Stuttgart,  Karlsruhe  und  Darmstadt  zu  dieser  Sache  einnehmen. 
WoUen  Sie  daher  Meine  Gesandten  an  den  bezeichneten  Orten  be- 
auftragen, in  vertraulicher  und  äußerst  behutsamer  Weise  Erkun- 
digung darüber  einzuziehen,  welche  Auffassung  bezüglich  des  ange- 
regten Punktes  bei  dem  betreffenden  Hofe  besteht,  und  was  letzterer 
etwa  hierin  zu  thun  gedenkt.  Mit  Rücksicht  auf  die  vorliegende 
Dringlichkeit  sehe  Ich  beschleunigter  geheimer  Berichterstattung 
entgegen.  m.  st.A. 

3.  Irlbach  1870  Oktober  i.    Graf  Bray  an  König  Ludwig  IL 

von   Bayern. 

(Konzept.) 

Der  treugehorsamst  Unterzeichnete  beehrt  sich  einen  soeben 
erhaltenen  Bericht  des  K.  Gesandten  Grafen  Tauffkirchen  aus 
Ferrieres  vom  24ten  v.  Mts.  Eurer  K.  Majestät  beifolgend  zu  unter- 
breiten. 

Derselbe  dient  dem  Telegramm  vom  gleichen  Datum,  welches 
AUerhöchstdenselben  bereits  vorliegt,  zur  Bestätigung  und  weiteren 
Ausführung.  Es  ergibt  sich  aus  demselben  mit  größter  Evidenz, 
daß  die  Absicht  der  Proklamirung  König  Wilhelms  zum  Deutschen 
Kaiser  vorliegt ;  daß  aber  dem  Könige  sehr  viel  daran  gelegen  ist, 
vor  Allem  die  Zustimmung,  wo  nicht  ein  Anerbieten  Eurer  K.  Maje- 
stät zu  erlangen,  und  daß  eben  deßhalb  eine  frühere  Zusammenkunft 
mit  AUerhöchstdenselben  allein  in  Fontainebleau  gewünscht  wird. 
Dagegen  wird  die  Geneigtheit  zu  weitgehenden  Concessionen  in 
Bezug  auf  eine  Ausnahmsstellung  der  Krone  und  des  Königreiches 
Bayern  in  Deutschland  deutlich  ausgesprochen. 


303 

Der  tr.  g.  U.  kann  angesichts  dieser  so  bestimmten  Angaben 
seinen  schon  früher  gestellten  ehrfurchtsvollsten  Antrag  lediglich 
submissest  erneuern, dahingehend, daß  Eurer  K .  Maj  est  ät  ehrerbietigst 
und  dringend  zu  beschwören  seien,  die  beabsichtigte  Einladung  des 
Königs  von  Preußen  nicht  definitiv  abzulehnen;  sofern  aber  die 
Reise  nach  Frankreich  Allerhöchstdenselben  absolut  nicht  genehm 
wäre,  schriftlich  oder  durch  einen  Bevollmächtigten  die  gewünschte 
Zustimmung  zur  Kaisertitelannahme  dem  Könige  Wilhelm  aus- 
zusprechen. Wenn  die  Absendung  eines  Bevollmächtigten  zu  diesem 
Zwecke  Allerhöchst  beliebt  würde,  wäre  derselbe  zu  beauftragen  von 
der  gewünschten  Ermächtigung  nur  dann  Gebrauch  zu  machen, 
wenn  die  Zugständnisse  Preußens  sich  dieser  Concession  als  würdig 
und  durch  ihren  überwiegenden  Nutzen  der  Gegenleistung  als  eben- 
bürtig erweisen. 

Wenn  der  tr.  g.  U.  es  nicht  unterläßt,  auf  diesen  unwillkom- 
menen Gegenstand  abermals  zurückzukommen,  so  drängt  ihn  dazu 
die  Erwägung,  daß  nach  Ablauf  einer  gewissen  Frist  eine  Prokla- 
mirung  durch  eine  Mehrzahl  kleinerer  deutscher  Fürsten  bevorsteht 
und  daß  die  nicht  zu  verweigernde  Zustimmung  zu  einem  bereits 
angenommenen  1  itel  den  Werth  bei  weitem  nicht  haben  würde,  wie 
ein  der  Oktroyirung  der  Kaiserwürde  gleich  zu  achtendes  Anerbieten, 
und  daß  im  gleichen  Verhältniß  die  Geneigtheit  zu  Gegenconcessio- 
nen  schwinden  müßte. 

Der  ehrerb.  ü.  kann  deßhalb  die  baldige  Ergreifung  einer  mit 
den  nöthigen  Cautelen  zu  umgebenden  Initiative  nicht  warm  genug 
Eurer  K.  Majestät  pflichtmäßig  und  ehrfurchtsvollst  empfehlen. 

M.  St.  A. 

4.  Schloß  Berg  1870  Oktober  3,  König  Ludwig  II.  an  Graf  Bray 

(Original.) 

Mein  lieber  Staatsminister  Graf  Bray! 
Es  ist  Mir,  wie  Ich  Ihnen  bereits  vor  einiger  Zeit  mittheilen  ließ, 
von  höchstem  Interesse  zu  erfahren,  ob  etwa  die  preußische  Re- 
gierung bei  den  süddeutschen  Staaten  und  Sachsen  bezüglich  der 
Kaiseridee  eine,  wenigstens  indirekte  Thätigkeit  zu  entwickeln  ver- 
suchte und  wie  sich  Württemberg  und  Sachsen  zu  jener  Idee  zu  ver- 
halten gesonnen  sind.  Ich  sehe  daher  möglichst  beschleunigter 
Berichterstattung  entgegen  und  verbleibe  mit  bekannten  Ge- 
sinnungen 

Ihr  gnädiger  König 

Ludwig.  M.  st.A. 

5.  München  1870  Oktober  9.    Graf  Bray  an  König  Ludwig  IL 

von  Bayern. 

(Konzept.) 

Schon  in  Folge  einer  früheren  AUergnädigsten  Anregung  der 
Kaiserfrage  durch  Eurer  K.  Majestät  hat  der  ehrerb.  Unterzeichnete 
nicht  unterlassen,  über  etwaige  Schritte,  welche  von  Preußen  in 
diesem  Betreffe  bei  anderen  deutschen  Höfen  etwa  geschehen  wären, 
Erkundigung  einzuziehen.  Deren  Ergebniß  läßt  sich  dahin  zusam- 
menfassen, daß  direkte  Anträge  nirgends  gesteht  worden  sind,  daß 
es  aber  ebensowenig  an  deutlichen  Insinuationen  sowohl  in  der  Presse 
als  aus  dem  Munde  hochgestellter  Persönlichkeiten  gefehlt  hat. 


304 

Bereits  vor  Beginn  des  Krieges  war  von  der  Annahme  des 
Kaisertitels  durch  den  König  von  Preußen  in  weiteren  Kreisen  die 
Rede  gewesen.  Erkundigungen,  welche  damals  in  Stuttgart  einge- 
zogen wurden,  ließen  mit  Bestimmtheit  erkennen,  daß  von  Seiten 
des  Königs  und  insbesondere  der  Königin  von  Württemberg  durch- 
aus keine  Neigung  bestand  dem  Projekte  Vorschub  zu  leisten  und 
daß  auch  der  Kaiser  von  Rußland  sich  während  seines  Aufenthaltes 
in  Stuttgart  für  die  Erhaltung  des  Status  quo  in  Deutschland  aus- 
gesprochen habe. 

Alle  aus  Dresden  eingetroffenen  Meldungen  ließen  eine  gleiche 
Abneigung  am  K.  sächsischen  Hofe  gegen  die  neue  Titulatur 
erkennen. 

Seitdem  hat  der  Krieg  durch  seine  Erfolge  eine  neue  Situation 
geschaffen;  die  Stimmung  an  den  genannten  Höfen  ist  nach  allen 
hieher  gelangten  ,, Andeutungen"  die  nämliche  geblieben;  überall 
aber  ist  die  Erkenntniß  durchgedrungen,  daß  einem  entschiedenen 
Auftreten  des  Wunsches  Preußens  nicht  werde  mit  Erfolg  entgegen- 
gewirkt werden  können,  und  zwar  umso  weniger,  als  von  Seite 
Badens  und  vieler  anderer  deutscher  Fürsten  das  bereitwilligste 
Entgegenkommen  zu  erwarten  ist. 

Der  treugehorsamst  Unterzeichnete  kann  deßhalb  nicht  umhin, 
die  im  Allerhöchsten  Handschreiben  vom  3ten  1.  Mts.  gestellte  Frage 
dahin  zu  beantworten,  daß  auf  einen  Widerstand  Württembergs 
oder  Sachsens  gegen  die  ernstlich  und  mit  Entschiedenheit  auf- 
tretende Kaiseridee  nicht  zu  rechnen  sei.  m.si.a. 

6.  Versailles  1870  Oktober  i8.  Bericht  des  Grafen  v.  Berchem 

(Original.) 

Nachmittags  um  2  Uhr  erhielt  ich  gestern  das  Telegramm,  in- 
haltlich dessen  ich  beauftragt  wurde,  die  bevorstehende  Ankunft 
Ihrer  Ex'cd  des  Staatsministers  des  Äußern  und  des  K.  Kriegs- 
ministers im  großen  Hauptquartier  zu  melden.  Ich  traf 
S.  Excellenz  den  Grafen  Bismarck  erst  um  acht  Uhr  Abends  und 
übermittelte  ihm  den  mir  gegebenen  Auftrag.  Der  Bundeskanzler 
schien  durch  Freiherrn  von  Werthern  bereits  Kenntniß  dessen  zu 
haben,  was  ich  ihm  mitzutheilen  hatte,  und  nahm  diese  Eröffnung 
dankend  entgegen.  Der  Präsident  des  Bundeskanzleramtes  v.  Del- 
brück war  in  diesem  Augenbhck  zugegen  und  schienen  beide  Herren 
erwartet  zu  haben,  daß  auch  der  K.  Staatsminister  der  Justiz 
V.  Lutz  nach  Versailles  kommen  werde.  Wie  diese  Annahme  ent- 
standen, blieb  mir  unbekannt,  doch  äußerten  beide  Herren,  nach- 
dem es  sich  wohl  um  Ausarbeitung  von  Punktationen  z.  B.  in  Betreff 
der  Gewährung  gegenseitiger  Rechtshilfe,  des  Handelsrechtes  und 
der  Zollgesetzgebung  (es  wurde  auch  das  Telegraphenwesen  erwähnt) 
handeln  werde  —  eine  Arbeit,  der  sich  in  ihrem  peniblen  Detail 
Ihre  Exiil?  Grafen  von  Bray  und  Freiherr  von  Pranckh  wohl  nicht 
unterziehen  wollten  —,  daß  die  Mitanwesenheit  des  K.  Staats- 
ministers der  Justiz  vor  Allem  für  die  juristische  Behandlung  des 
Details  erwünscht  erschiene.  Ich  habe  demnach  theilweise  chiffrirt 
Heute  Morgens  telegraphirt :  ,, Mittheilung  von  Graf  Bismarck  dan- 
kend entgegengenommen.  Graf  Bismarck  und  Delbrück  deuteten 
wiederholt  an,  daß  für  die  juristische  Behandlung  des  geschäft- 


305 

liehen  Details  und  technische  Fragen  die  gleichzeitige  Abordnung 
Ministers  Lutz  hieher  sehr  begrüßt  werden  würde." 

Aus  den  Worten  des  Bundeskanzlers  schien  mir  hervorzugehen, 
daß  derselbe  absolut  keine  Einwendung  erhebe  gegen  den  Status 
causae  et  controversiae,  wie  er  sich  durch  ]Mittheilungen  an  Herrn 
von  Delbrück  in  München  und  durch  dessen  Erwiederungen  im 
breitesten  Rahmen  festgestellt.  Wäre  das  Gegentheil  der  Fall,  ich 
glaube,  der  Bundeskanzler  hätte  hierüber  ein  Wort  fallen  lassen.  In 
der  Conversation  bemerkte  er,  im  Gegensatz  zu  seiner  früheren  An- 
sicht lege  er  nunmehr  allerdings  Werth  auf  die  Kaiseridee,  aller- 
dings nur  für  den  Fall,  daß  dieselbe  völlig  spontan  von  den  deut- 
schen Fürsten  ausgehe,  so  daß  dieselbe  kein  Ausdruck  der  Volkssou- 
veränität werde  nach  Art  des  durch  suffrage  universel  gebildeten 
Empire,  —  so  daß  dieselbe  auch  nicht  in  das  Verfassungsrecht 
der  einzelnen  Staaten  übergehe,  sondern  ein  bloßes  auf  Geschichte 
gestütztes  Symbol  der  Selbstständigkeit  der  deutschen  Fürsten 
werde.  Welche  Macht  in  dieser  Idee  liege,  schließe  er  daraus,  daß  im 
verflossenen  Jahre  England  einmal  den  Vorschlag  gemacht  habe, 
durch  Realisirung  dieser  Idee  den  Status  quo  definitiv  zu  fixiren  und 
dadurch  die  Kriegsgefahr  abzuwenden.  Ich  darf  wohl  bitten, 
diese  Äußerung  des  Bundeskanzlers,  welche  er  in  einer 
Privatconversation  machte,  als  eine  streng  vertrauliche  zu 
betrachten  und  zu  behandeln.  —  Ein  Präjudiz  für  die  Nichter- 
füllung dieser  Idee  wurde  durchaus  nicht  ausgesprochen. 

Die  Vorbereitungen  zur  Belagerung  sind  noch  weit  zurück; 
man  hat  auch  verschiedene  gute  Gründe,  sich  nicht  zu  übereilen. 
Es  steht  fest,  daß  die  Unterhandlungen  mit  Bazaine  fortdauern  und 
glaubt  man,  zu  einem  guten  Resultate  zu  gelangen.  Für  heute  wird 
ein  Ausfall  der  Besatzung  erwartet  und  sind  aUe  Vorbereitungen 
dagegen  getroffen .  m.  st .  a. 

7.    Versailles    1870   November  13    (präsentiert  19.).      Minister 
V.  Lutz  an  Staatsrat  v.  Daxenberger. 

(Original.) 

Lieber  und  verehrtester  Herr  CoUega! 

So  wie  die  Dinge  liegen,  haben  wir  uns  für  verpflichtet  gehalten, 
an  S.  Majestät  den  König  den  beiliegenden  Bericht  ergehen  zu 
lassen.  Es  geschieht  dies  zur  Entlastung  unseres  Gewissens,  mag 
dann  folgen,  was  da  wiU.  Wenn  das  Ministerium  nicht  deutlich 
spricht,  wird  es  seiner  Zeit  großen  Vorwürfen  nicht  entgehen  und 
vielleicht  von  Sr.  Majestät  Selbst  Vorwürfe  erhalten.  Im  Auf- 
trage der  Herren  CoUegen  Bray  und  Pranckh  habe  ich  Sie  nun  zu 
bitten,  diesen  Bericht  den  übrigen  Herren  Ministern  zur  Einsicht 
vorzulegen  und  darnach  denselben  an  S.  Majestät  den  König 
abzusenden,  indem  wir  es  den  Herren  Collegen  überlassen,  ob  sie 
sich  dem  Berichte  anschließen  wollen  oder  nicht.  Im  letzteren  Falle 
bedarf  es  natürlich  nichts  als  der  einfachen  Absendung  desselben. 

Württemberg  hat  abgeschlossen  und  ist  Mitglied  des  ,, Deut- 
schen Bundes",  wenn  auch  die  Urkunde  noch  nicht  vollzogen  ist. 
Von  Baden  und  Hessen  versteht  sich  dies  von  selbst.  Württemberg 
hat  im  Wesentlichen  die  sächsische  Militär-Convention  angenommen; 
nur  einige  Bedingungen  über  die  Ernennung  der  Commandanten 
sind  günstiger  und  eine  Phrase  über  Ersparungen   ist  beigefügt. 

Doeberl.     Bayern  und  die  Bismarckische  Reichsgründung.  20 


306 

In  dieser  Woche  werden  wir  ans  Messer  kommen.  Ob  etwas 
zu  Stande  kommt,  ist  mindestens  zweifelhaft.  Sonst  ist's  hier 
miserabel !  Wir  sehnen  uns  alle  drei  sehr  zurück !  Mit  aufrichtigen 
Grüßen  an  Sie  und  alle  Collegen. 

Ihr  aufrichtig  ergebener  Lutz.     m.  st.A. 

8.  München  1870  November  19.    Gemeinschaftlicher  Antrag 
der   Staatsminister  des  Innern,    der  Finanzen    und  des 

Handels  an  den  König. 

(Konzept.) 

Die  treugehorsamst  Unterzeichneten  haben  sich  heute,  nach 
Empfang  des  ehrfurchtsvollst  beigeschlossenen  Berichtes  der  in 
Versailles  verweilenden  Staatsminister  vom  12.  d.  Mts.,  versammelt 
und,  nachdem  sie  von  dessen  Inhalte  Einsicht  genommen,  erlauben 
sie  sich,  nach  der  Stimme  ihres  Gewissens  und  Pflichtgefühles  vor 
Allerhöchstdenselben  auszusprechen,  daß  sie  den  gesammten  In- 
halt des  anliegenden  Berichtes  theilen.  Die  treugehorsamst  Unter- 
zeichneten schließen  sich  der  in  dem  Berichte  ebenso  ehrerbietigst 
als  dringend  gestellten  Bitte  innigst  an  und  beschwören  auch  ihrer- 
seits Ew.  Majestät  derselben  allerhuldvollst  im  Interesse  der  Krone 
und  des  Allerhöchstdenselben  von  Gott  anvertrauten  Landes 
Folge  zu  geben. 

In  tiefster  Ehrfurcht  verharrend 

Pfretzschner       Schlör       Braun.  M.st.A. 

9.  Versailles  1870  November  14.   Graf  Bray  an  den  Kabinett- 

sekretär Ministerialrat  Dr.  Eisenhart. 

(Konzept.) 

Ew.  Hochw.  habe  ich  den  Empfang  Ihrer  beiden  geehrten  Zu- 
schriften vom  3iten  v.  M.  u.  iten  d.  M.  ergebenst  zu  bescheinigen. 
Das  erste  darin  berührte  Thema  entzieht  sich,  wie  bereits  in  München 
bemerkt,  gänzlich  meiner  Competenz  und  Einwirkung  und  es  könnte 
dasselbe  ohne  den  größten  Nachtheil  und  ohne  dringende  Gefahr 
von  mir  nicht  in  Anregung  gebracht  werden.  Ich  behalte  mir  darüber 
mündliche  Auseinandersetzung  vor. 

Die  Angelegenheit  einer  Gebietsvergrößerung  gehört  in  das 
Gebiet  der  Friedensverhandlung  und  wird  erst  ernstlich  und  effektiv 
in  Betracht  gezogen  werden  können,  wenn  mindestens  die  Friedens- 
präliminarien zur  Sprache  kommen  werden  und  von  Frankreich 
das  Prinzip  territorialer  Abtretungen  förmlich  anerkannt  sein  wird. 
Dies  ist,  wie  E.  H.  bekannt,  bis  jetzt  noch  immer  nicht  der  Fall  und 
es  wird  darauf  mit  Sicherheit  nicht  zu  bauen  sein,  solange  eine  von 
ganz  Frankreich  anerkannte  legale  Regierung  nicht  besteht. 

Gesprächsweise  habe  ich  diese  i^rage  mit  dem  Herrn  Grafen 
V.  Bismarck  allerdings  schon  berührt,  —  von  dem  Gesichtspunkte 
ausgehend,  daß  Bayern  nach  den  Leistungen  dieses  Feldzugs  vor 
allem  schon  Anspruch  habe,  einen  Ersatz  für  den  im  Jahre  1866 
erlittenen  Verlust  an  Land  und  Leuten  zu  erlangen.  Der  Bundes- 
kanzler hat  einen  solchen  Anspruch  Bayerns  in  keiner  Weise  be- 
kämpft, denselben  vielmehr  beifällig  aufgenommen,  allein  auch 
seinerseits  von  den  dereinstigen  Friedensbedingungen  abhängig 
gemacht. 


307 

Dem  telegraphisch  ertheilten  Allerhöchsten  Auftrag  einer  Be- 
richterstattung durch  die  IMinister  von  Pranckh  und  von  Lutz  ist 
bereits  durch  einen  an  S.  K.  Majestät  gemeinsam  gerichteten  Bericht 
entsprochen  worden.  Die  darin  ausgeführten  Gründe  für  eine  Hieher- 
kunft unseres  Allergnädigsten  Herrn  drängen  sich  dem  hier  Weilenden 
unter  den  jetzigen  Umständen  gebieterisch  auf. 

Nach  Absendung  des  fraglichen  Berichtes  geht  mir  heute  das 
Telegramm  E.  H.  vom  ißten  zu,  woraus  ich  zu  meinem  lebhaften  Be- 
dauern entnehme,  daß  S.  Majestät  in  Folge  einer  Sehnenverdehnung 
erkrankt  sind  und  somit  eine  Reise  nicht  unternehmen  können. 
Ich  werde  nicht  ermangeln  hievon  geeigneten  Orts  Anzeige  zu 
machen  und  bin  bis  jetzt  nicht  in  der  Lage  zu  ermessen,  ob,  etwa 
in  der  Hoffnung  später  eintretender  Besserung,  die  beabsichtigte 
Einladung  gleichwohl  abgesendet  werden  wird  oder  nicht. 

Geschieht  Ersteres,  so  wird  hiefür  wohl  die  Erwägung  maßge- 
bend sein,  daß  bei  der  Allgemeinheit  der  Maßregel  eine  Einladung 
an  S.  Majestät  nicht  fehlen  dürfe.  Gelegentlich  einer  gestern  bei  Sr.M. 
dem  Könige  von  Preußen  gehaltenen  Hoftafel,  zu  welcher  sämmtliche 
bayerische  Bevollmächtigte  und  deren  Begleiter  zur  Feier  des  Ge- 
burtsfestes der  Königin-Witwe  geladen  waren,  theilte  mir  Graf 
Bismarck  mit,  daß  statt  des  Prinzen  Adalbert  zur  Überbringung 
eines  K.  Handschreibens  nach  Bayern  auch  von  dem  Großherzog 
von  Sachsen-Weimar  für  diese  Sendung  die  Rede  sei,  was  Letzterer 
sehr  zu  wünschen  scheine..  Der  Bundeskanzler  hielt  es  jedoch  für 
angemessener,  wenn  mit  einem  solchen  Auftrag  der  Onkel  Sr.  M. 
betraut  würde. 

Die  Erkrankung  Sr.  M.  des  Königs  war  damals,  wie  bereits 
erwähnt,  noch  nicht  bekannt. 

Die  württembergischen  Bevollmächtigten  sind,  wie  ich  nach- 
träglich durch  Minister  von  Lutz  in  Erfahrung  brachte,  nach  Vollen- 
dung ihrer  hiesigen  Aufgabe,  aber  ohne  förmliche  Unterzeichnung, 
gestern  von  Versailles  abgereist,  mit  dem  Vorbehalt  zum  formellen 
Abschluß  hieher  zurückzukehren.  Mir  ist  von  denselben  während 
der  ganzen  Zeit  ihres  hiesigen  Aufenthaltes  eine  geschäftliche  Mit- 
theilung nicht  gemacht  worden. 

Die  Großherzoge  von  Baden  und  Oldenburg  weilen  Beide  am 
K.  Hoflager.  Von  Letzterem  wurde  mir  mitgetheilt,  daß,  vorzugs- 
weise durch  wirksames Zuthun  des  preußischen  Gesandtenin  Athen, 
von  Wagner,  die  längere  Zeit  rückständige  Rate  der  griechischen 
Schiild  an  die  Königin  Amalie  bezahlt  worden  sei.  Der  Großherzog 
äußerte  dabei  Namens  seiner  durchlauchtigsten  Schwester  den  leb- 
haften Wunsch,  daß  es  unserem  Allergnädigsten  Herrn  gefallen  möge, 
dem  gen.  Gesandten,  welcher  wiederholt  eine  äußerst  ersprießliche 
Thätigkeit  in  dieser,  das  ganze  K.  bayerische  Haus  interessirenden 
Angelegenheit  entwickelt  habe,  durch  Verleihung  einer  entsprechen- 
den Ordensdekoration  auszuzeichnen.  Ich  darf  nicht  unterlassen, 
E.  H.  zu  ersuchen,  diesen  Wunsch  des  Großherzogs  und  seiner 
K.  Schwester  der  huldvollsten  Bedachtnahme  Sr.  M.  des  Königs 
zu  empfehlen.  m.  st.A. 


20* 


308 

10.  Hohenschwangau  1870  November  21.    Kabinettsekretär 

Eisenhart  an  Staatsrat  v.  Daxenberger. 

(Original.) 

Heute  Nachmittag  traf  folgendes  Telegramm  ein: 

,, Reise  hierher  wird  entbehrlich,  wenn  S.  M.  schriftlich 
die  Initiative  zur  Übertragung  des  Kaisertitels,  —  die  doch 
jedenfalls  erfolgt,  zu  übernehmen  geruhen.  Bericht  folgt. 
Bitte  um  telegraph.  Antwort. 

Bray." 

Schade,  daß  das  Telegramm  nicht  30  Stunden  früher  anlangte; 
ich  hätte  mir  gestern  2  sehr  unerquickliche  Stunden  gespart,  und 
Seine  Majestät  werden  jetzt  mit  Recht  annehmen,  die  von  mir  vor- 
gebrachten Gründe :  die  Reise  sei  nothwendig  zur  Wahrung  des  per- 
sönlichen Prestige,  zur  Förderung  guter  Beziehungen  mit  dem 
preuß.  Hofe,  zur  Belebung  des  bayer.  Geistes  in  der  Armee,  zur 
Niederhaltung  der  Action  im  Lande,  zur  Erreichung  möglichst 
guter  Concessionen  —  alle  die  Gründe  seien  äußerst  fadenscheinig 
gewesen. 

Ich  beklage  das  Unterbleiben  der  Reise  tief.  Möge  ich  unrecht 
haben.  m.  st.  a. 

11.  Versailles  1870  November  21.    Antrag  des  Grafen  Bray 

an  den  König. 

(Konzept.) 

Durch  Telegramm  vom  löten  d.  M.  ist  zu  E.  K.  M.  Allerhöchster 
Kenntniß  bereits  gebracht  worden,  daß  es  gelungen  ist,  die  Ab- 
sendung S.  K.  H.  des  Prinzen  Adalbert  von  Preußen  oder  einer  an- 
deren fürstlichen  Persönlichkeit  an  AUerhöchstdero  Hoflager  rück- 
gängig zu  machen. 

Die  Absendung  der  Einladung  zum  Fürstencongreß  überhaupt 
zu  hindern  —  war  dagegen,  bei  der  Allgemeinheit  dieser  Maßregel, 
nicht  möglich,  und,  wie  ich  vernehme,  ist  der  mit  Überbringung 
des  königlichen  Schreibens  betraute  Flügeladjutant  im  Begriff  nach 
München  abzugehen,  wenn  er  nicht  bereits  abgereist  ist.  Im  ge- 
meinsamen Berichte  vom  12.  d.  M.  haben  E.  K.  M.  hiesige  Bevoll- 
mächtigte die  wichtigen  Gründe  hervorgehoben,  welche  für  die  An- 
nahme der  Einladung  des  Königs  Wilhelm  sprechen,  und  die  Nach- 
theile einer  Ablehnung  derselben  wahrheitsgetreu  geschildert. 

Nachdem  jedoch  E.  K.  M.  zu  wiederholten  Malen  die  geringe 
Geneigtheit  nach  Versailles  zu  kommen  geäußert  haben,  war  es 
mein  eifriges  Streben,  ein  Auskunftsmittel  zu  finden,  wodurch 
Allerhöchstdenselben  die  unwillkommene  Reise,  ohne  Benachtheili- 
gung der  staatlichen  Interessen,  erspart  werden  könnte.  Ein  solches 
Mittel  ergibt  sich  nun  in  Folgendem:  Wie  E.  K.  M.  bekannt  ist, 
wird  hier  sehr  großer  Werth  darauf  gelegt,  daß  das  Werk  der  deut- 
schen Einigung  einen  würdigen  und  monarchischen  Abschluß  durch 
die  dem  neuen  Bunde  beizulegende  Benennung:  ,, Deutsches  Reich" 
und  durch  die  Übertragung  des  Kaisertitels  an  König  Wilhelm 
erhalte.  Man  wünscht  aber,  daß  die  Initiative  hiezu  —  nicht  vom 
Reichstage  — ,  sondern  von  den  deutschen  Fürsten  — mit  dem  Könige 
von  Bayern  an  deren  Spitze  —  erfolge.  Der  deutsche  Fürstencon- 
greß wird  dazu  den  Anlaß  bieten,  und  darüber,  daß  die  versammelten 


309 

Fürsten  das  Anerbieten  in  jedem  Falle  machen  werden,  besteht 
volle  Gewißheit.  Ist  dies  aber  ein  Mal  geschehen,  so  ist  eine  Ver- 
weigerung der  Anerkennung  ebenso  unthunlich,  als  eine  nachträg- 
liche Zustimmung  unwürdig  und  peinlich  wäre.  Ich  habe  mir  nun 
durch  eingehende  Besprechung  mit  Graf  Bismarck  Sicherheit  da- 
rüber verschafft,  daß,  wenn  E.  K.  M.  durch  ein  Allerh.  Schreiben 
(mit  thunlichster  Beschleunigung  des  zu  kurzer  Sitzung  versam- 
melten deutschen  Reichstages  wegen)  dem  Könige  von  Preußen  den 
Titel  eines  deutschen  Kaisers  antragen,  dies  den  Besuch,  wenn  nicht 
nutzlos,  doch  entbehrlich  machen  würde.  Die  Bevollmächtigung 
eines  königlichen  Prinzen  zur  stellvertretenden  Theilnahme  am 
Fürstenkongreß  wäre  in  diesem  Falle  genügend.  Anlaß  zu  einem 
solchen  Schreiben  wäre  durch  die  Erstreckung  des  Vorsitzes  König 
Wilhelms  über  ganz  Deutschland  gegeben.  In  Anbetracht  nun,  daß 
die  Titelübertragung  und  Annahme  jedenfalls  kommen  wird,  — • 
daß  sie,  wenn  unvermeidlich,  besser  aus  eigener,  freier,  königlicher 
Initiative  E.  K.  M.  als  durch  späteres,  unfreiwilliges  Anerkennen 
geschieht,  endlich,  daß  dadurch  die  Summe  der  politischen  Rechte 
der  Krone  Preußen  nicht  vermehrt  wird,  erlaube  ich  mir,  die  Er- 
greifung dieser  Initiative  durch  ein  an  den  König  Wilhelm  zu  richten- 
des Allerhöchstes  Handschreiben  ebenso  dringend  als  ehrfurchtsvoll 
zu  empfehlen.  Die  politischen  Vortheile  eines  solchen  —  gewiß 
schweren,  aber  hochherzigen  Entschlusses  werden  nicht  ausbleiben, 
und  für  die  persönlichen  Beziehungen  wird  mit  Beseitigung  lästiger 
Besuchsreisen  nachhaltig  gesorgt  seyn. 

Wenn  ich  es  wage  E.  K.  M.  allerunterthänigst  um  beschleunigste 
Allerh.  Beschlußnahme  zu  bitten,  so  hat  dies  seinen  Grund  in  einer 
sonst  zu  befürchtenden  Manifestation  des  Reichstages,  zu  welcher 
eine  zahlreiche  Partei  drängt  und  welcher  zuvorzukommen  ein  un- 
verkennbares monarchisches  Interesse  gebietet. 

Auch  hier  ist  man  von  dieser  Nothwendigkeit  durchdrungen,  da 
eine  von  jener  Versammlung  zuerst  angebotene  Würde  einen  ganz 
anderen  Charakter  annehmen  würde  als  die  Übertragung  durch 
gleichberechtigte  Fürsten.  Hierin  liegt  auch  der  Grund  des  hohen 
Werthes,  welcher  einem  für  alle  übrigen  deutschen  Souveräne  maß- 
gebenden Vorantreten  E.  K.  M.  beigelegt  wird,  und  zugleich  ein 
Zeichen  allgemeiner  Anerkennung  des  Allerhöchstdenselben  ge- 
bührendes Vorranges. 

Vorstehenden  allerunterthänigsten  bittlichen  Antrag  beehre 
ich  mich  in  Übereinstimmung  mit  dem  Kriegsminister  von  Pranckh 
und  Staatsminister  von  Lutz  E.  K.  M.  huldvoUster  Würdigung 
und  Entschlußnahme  zu  unterbreiten  und  dringend  zu  empfehlen. 

M.  St.A. 

12.    Hohenschwangau    1870    Nov.    25.      Kabinettsekretär 
Eisenhart  an  Staatsrat  v.  Daxenberger. 

(Original.) 

Empfangen  Sie  vor  Allem  meinen  verbindlichsten  Dank  für 
die  gemachten  Mittheilungen.  Sämmtliche  Anträge  und  Meldungen 
des  H.  Staatsministers  Grafen  Bray  habe  ich  im  Allerh.  Auftrage 
nach  Versailles  beantwortet. 

Gestern  ist  wieder  ein  Telegramm  in  der  Kaiserfrage  gekommen. 
,,Die  Käiserwürde  ist  unaufhaltsam,  Zustimmung  Bayerns  unver- 


310 

meidlich.  Wenn  nicht  S.M.  Initiative  ergreifen,  was  sehr  gewünscht 
wird,  so  werden  die  in  Versailles  versammelten  Fürsten  und  beson- 
ders das  Parlament  entschieden  die  Sache  lösen."  So  der  wesentliche 
Inhalt  des  Telegramms.  Seine  Majestät  haben  jedoch  noch  keinen 
Entschluß  gefaßt  und  wollen  noch  ein  Paar  Tage  zuwarten. 

Wissen  Ew.  Hochwohlgeboren  etwas  Genaueres  darüber,  daß 
Exe.  Graf  Bray  bis  Graf  v.  Holnstein's  Eintreffen  in  Versailles  dort 
bleibt?    Bitte  um  geneigte  Notiz. 

Die  Briefe  der  Gesandten  v.  Gasser  und  Freiherrn  v.  Schrenkh 
beehre  ich  mich  zurückzusenden.  Der  dritte  ist  der  eines  anonymen 
Flegels.  Der  Mann  scheint  gewußt  zu  haben,warum  er  sich  mit  seinen 
Anliegen  gerade  an  Freiherrn  v.   Schrenkh  als  Vermittler  wendet ! 

Der  politische  Theil  des  Briefes  des  Freiherrn  v.  Schrenkh  ist 
mir  —  im  Vertrauen  gesagt  —  unfaßlich;  wie  kann  ein  früherer 
Minister  und  Bundestagsgesandter  und  Reichsrath  —  mit  an- 
deren Worten  eine  staatsmännische  Capacität  glauben,  daß  jetzt, 
wo  die  nationale  Strömung  so  stolz  und  gewaltig,  jetzt,  wo  leiden- 
schaftliches Parteileben  in  unserem  Lande  die  Regierungsgewalt 
so  hemmt,  Bayern  auf  die  Dauer  isolirt  bleiben  könne!  Ich  halte 
es  für  absolut  unmöglich  und  glaube  nicht,  in  dem  Fall  der  Irrende 
zu  sein.  m.  st.A. 

13.  Hohenschwangau  1870  November  25.  König  Ludwig  II. 
an  die  Prinzen  Karl,  Adalbert,  Ludwig,   Karl  Theodor. 

(Abschrift.) 

Schon  nach  den  ersten  Waffenerfolgen  haben  sich  in  national- 
liberalen Kreisen  Stimmen  für  die  Übertragung  der  Kaiserwürde 
an  den  König  von  Preußen  erhoben.  Sowohl  die  Presse  dieser  Partei 
als  konservative  preußische  Blätter  haben  diesem  Gedanken  Nah- 
rung gegeben  und  auch  im  Großen  ITauptquartier  ist  man  laut  ein- 
getroffener Berichte  bereits  im  September  der  Frage  keineswegs 
mehr  ferngestanden;  in  weiterer  Entwicklung  der  Sache  erhielt 
Ich  unterm  30.  Oktober  von  Sr.  K.  Hoheit  dem  Großherzog  von  Ba- 
den ein  längeres  Schreiben,  in  dem  er  Mich  dringend  und  wiederholt 
bittet,  ,, dem  ruhmvollen  Heerführer  der  Deutschen  durch  einen  hoch- 
herzigen Akt  königlicher  Initiative  des  Reiches  Krone  anzubieten". 
Und  als  Ich  mit  Erwiederung  des  Schreibens  zögerte,  sandte  S.  K. 
Hoheit  ,, seinen  Freund",  den  Staatsrat  Dr.  Geizer,  nach  München, 
welcher  Mir  gegenüber  auf  die  Realisirung  der  Kaiserfrage  in  an- 
gedeutetem Sinne  kräftigst  wirken  sollte.  Volle  Klarheit  in  der 
Sache  brachte  ein  gestern  aus  Versailles  eingetroffenes  Telegramm 
des  Staatsministers  Grafen  Bray,  welcher  schon  früher  das  volle 
Einverständniß  Bismarcks  mit  der  Kaiseridee  berichtet  hatte,  und 
welches  Telegramm  meldet,  daß  nach  Berliner  Mittheilungen  der 
Antrag  im  Reichstage  wegen  der  Kaiserwürde  unaufhaltsam  sei, 
Preußen  nebst  den  anwesenden  Fürsten  auf  Meine  Initiative  großen 
Werth  legen,  außerdem  ohne  diese  vorgingen,  daß  der  Kaiser 
sicher  komme  und  eine  nachträgliche  Zustimmung  Bayerns  unver- 
meidlich, die  äußerst  kurze  Reichstagsaktion  jedoch  zu  schleunig- 
stem Handeln  veranlasse. 

In  dieser  für  Bayerns  Krone  und  Land  äußerst  wichtigen  und 
folgenschweren  Angelegenheit,  welche  auch  die  Mitglieder  des 
königlichen  Hauses  in  hervorragender  Weise  berührt,   möchte  Ich 


311 

in  voller  Würdigung  des  Ernstes  der  Lage  keinen  Entschluß  fassen, 
ehe  ich  nicht  Gelegenheit  hatte,  Ew.  K.  Hoheiten  und  Liebden 
wohlgereifte  (mutatis  mutandis  auf  weiser  seltener  Erfahrung  be- 
ruhende) Anschauung  kennen  gelernt  zu  haben,  und  dient  es  Mir 
zur  Beruhigung  Derselben  gutachtliche  Äußerung  in  das  Bereich 
Meiner  Erwägungen  ziehen  zu  können,  weshalb  Ich  Ew.  K.  Hoheit 
auffordere  Mir  zur  recht  reiflichen  Überlegung,  aber  mit  möglichster 
Beschleunigung  Deren  Ansicht  in  dieser  leider  so  brennend  gewor- 
denen Frage  in  Kürze  zum  Ausdruck  zu  bringen.  Mit  dem  hohen 
Wunsche,  es  möge  der  Allmächtige  auch  in  Zukunft  Mein  geliebtes 
Bayern  in  Seinen  Schutz  nehmen,  bin  Ich  in  freundvetterhchem 
Wohlwollen  Ew.  K.  Hoheit  gutwilliger  Vetter,  Neffe, 

Ludwig.  M.  H.A. 

14.  Hohenschwangau  1870  November  25.    König  Ludwig  II. 

an  seinen   Bruder  Prinzen  Otto. 

Lieber  Otto! 

Sehr  wijrde  es  mich  freuen,  wieder  einmal  Nachricht  von  Dir 
zu  erhalten.  Wie  geht  es  vor  allem  mit  Deiner  Gesundheit  ?  Schone 
Dich  recht,  gehe  ja  nicht  zu  früh  zur  Armee  ab,  besser  gar  nicht.  — 
Gewiß  sprach  sich  die  Cousine  des  deutschen  Kaiserkandidaten 
recht  unpolitisch  aus,  so  daß  jedes  blauweiße  Herz  empört  sein 
muß?!  — 

Ich  erlebte  mittlerweile  recht  viel  Trauriges!  Selbst  der  bay- 
erische, monarchische  Bray  beschwor  mich  mit  Prankh  und  Lutz 
so  bald  als  möghch  jenem  König  die  deutsche  Kaiserkrone  anzu- 
bieten, da  sonst  die  anderen  Fürsten  oder  gar  der  Reichstag  es  thun 
würde.  Könnte  Bayern  allein,  frei  vom  Bunde  stehen,  dann  wäre 
es  gleichgültig,  da  dieß  aber  geradezu  eine  politische  Unmöglichkeit 
wäre,  da  Volk  und  Armee  sich  dagegen  stemmen  würden  und  die 
Krone  mithin  allen  Halt  im  Lande  verlöre,  so  ist  es,  so  schauderhaft 
und  entsetzlich  es  immerhin  bleibt,  ein  Akt  von  politischer  Klugheit, 
ja  von  Noth wendigkeit  im  Interesse  der  Krone  und  des  Landes, 
wenn  der  König  von  Bayern  jenes  Anerbieten  stellt;  da,  nachdem 
Bayern  nun  doch  einmal  aus  politischen  Gründen  in  den  Bund  muß, 
hinterher  der  nun  doch  nicht  mehr  ferne  zu  haltende  Kaiser  von 
mir  bon  gre  mal  gre  anerkannt  werden  muß.  —  Da  die  Sachen 
leider  so  stehen,  Widerstand  vergebhch  wäre,  so  gebietet  es  das 
Interesse,  wenn  die  übrigen  Fürsten  oder  gar  das  Volk  von  mir  über- 
flügelt werden.  Jammervoll  ist  es,  daß  es  so  kam,  aber  nicht  mehr 
zu  ändern.      Schreibe  recht  bald.  — 

Meine  herzlichsten  Grüße  Dir  sendend,  umarme  ich  Dich,  lieber 
Otto,  und  bleibe  in  aufrichtiger,  brüderlicher  Liebe  stets  Dein  treuer 
Bruder  Ludwig.  m.  h.  a. 

15.  München  1870  November  28.  Aus  einem  Briefe  des  Prinzen 

Otto  an  König  Ludwig  IL 

(Original.) 

Lieber  Ludwig! 
Für  Deinen  lieben  Brief,  der  mir  herzliche  Freude  bereitete, 
entrichte  ich  meinen  innigsten  Dank !   Bin  ich  doch  in  dieser  schwe- 


312 

ren,  jammervollen  Zeit  tagtäglich  viele  Stunden  in  Gedanken  bei 
Dir  und  hoffe  und  ersehne,  daß  all'  der  Kummer  und  das  Elend  sein 
Ende  nehmen  möge  und  daß  endlich  wieder  einmal  glückliche, 
erfreuliche  Zeiten  für  Dich  und  das  alte  Bayerland  kommen  mögen ! 
Denn  auf  Regen  folgt  Sonnenschein,  und  wie  oft  schnell  wechselt 
nicht  das  Glück  in  der  Politik.  Ich  vertrau'  auf  Gottes  Schutz, 
und  er  wird  doch  einst  den  Hochmuth  und  Anmaßung  zu  Schanden 
machen  und  dem  Recht  und  der  Wahrheit  den  Sieg  verleihen ! ! 

Als  ich  Deinen  Brief  gelesen,  kamen  heiße  Thränen  in  meine 
Augen, undnoch  jetzt  schmerzt  mich  die  erschütternde  Mittheilung, 
die  Du  mir  gemacht,  so  oft  sie  mir  wieder  in  den  Sinn  kömmt.  Doch 
habe  ich  immer  noch  ein  wenig  Hoffnung.  Vielleicht  kömmt  was 
Unerwartetes  dazu  und  rettet  uns  noch  vor  dem  Untergang !  Noch 
ist's  nicht  zu  spät.  Höre  noch  einmal  meine  Stimme;  ich  beschwöre 
Dich,  das  Schreckliche  nicht  zu  thun!  Wie  kann  es  denn  für  einen 
Herrn  und  König  eine  zwingende  Gewalt  geben,  seine  Selbständigkeit 
dahin  zu  geben  und  außer  Gott  noch  einen  Höheren  über  sich  an- 
erkennen zu  müssen!  \\'ird  der  Name  Bayern  noch  geachtet,  nur 
noch  genannt  werden  im  Ausland  ?  ! 

Mögen  wir  auch  für  den  jetzigen  Augenblick  Vortheile  und  Zu- 
geständnisse erlangen,  die  vielleicht  von  großem  Umfang  sind,  so 
wiegen  sie  doch  gewiß  nicht  den  hundertsten  Theil  von  jenem 
Nachtheil  auf,  den  wir  durch  Dahingebung  der  Selbständigkeit  erlei- 
den. 

Mögen  diese  Concessionen  auch  für  den  Augenblick  beträchtlich 
sein,  mögen  sie  auch  vielleicht  für  20 — 30  Jahre  erhalten  bleiben,  so 
wird  doch  gewiß  immer  mehr  davon  abgezwackt  werden  und  in 
50 — 100  Jahren,  wenn  es  recht  lange  währt,  sind  sie  uns  vielleicht 
sämmtlich  abgerungen! 

Was  wird  nicht  der  erste  Schritt  alles  nach  sich  ziehen!  Oh! 
mög'  Gott  ihn  von  uns  fern  halten ! !  Welche  Undankbarkeit,  welche 
bodenlose  Niedertracht  liegt  nicht  darin,  daß  die  Preußen  sich  so 
gegen  Dich  benehmen,  der  Du  so  edel  und  uneigennützig  gegen  sie 
gehandelt  hast!  Gar  keinen  Namen  aber  kennt  das  Verhalten  jenes 
Theiles  Deiner  Unterthanen,  die  zu  ihnen  halten  und  ihnen  gar  offen 
oder  auch  hinterrücks  in  die  Hände  arbeiten! 

Wie  fühle  ich  es  mit  Dir,  daß  Dich  dieß  alles  tief  schmerzen 
und  kränken  muß!  Doch  ich  hoffe,  daß  mit  Gott  wieder  bessere 
Zeiten  kommen  müssen. 

Doch  nun  bitte  ich  es  mir  zu  verzeihen,  wenn  ich  so  offen  und 
laut  meine  Gesinnung  ausgesprochen!  Doch  es  drängt  mich  dazu 
und  es  mußte  heraus.  Wie  bedaure  ich  Dich,  daß  Du  immer  mit 
solch'  leidigen  Angelegenheiten  zu  thun  haben  mußt.       m. h.a. 

16.  Hohenschwangau  1870  November  28.    König  Ludwig  IL 
an  den  Grafen  Bray. 

(Abschrift.) 

Den  Verhandlungen  in  Versailles  zwischen  Meiner  Regierung 
und  dem  Nordbund  bin  Ich  während  der  ganzen  Dauer  der  Kon- 
ferenzen mit  der  größten  Aufmerksamkeit  gefolgt.  Trotzdem  ver- 
mochte Ich  keinen  erschöpfenden  Einblick  zu  gewinnen,  da  weder 
von  Ihrer  Seite  noch  jener  der  beiden  anderen  abgeordneten  Staats- 


313 

minister  periodisch  Detailsberichte  erstattet  wurden  und  die  aller- 
dings zahlreich  eingelaufenen  Meldungen  den  Gang  der  Bespre- 
chungen mehr  im  allgemeinen  kennzeichneten.  Auch  über  die 
Hauptpunkte  des  erzielten  Übereinkommens  habe  Ich  weder  auf 
telegraphischem  Wege  noch  durch  einen  Kurier  Meldung  erhalten 
und  bin  daher  bis  zur  Stunde  nicht  in  der  Lage  bezüglich  Meiner 
Ratifikation  einen  Entschluß  zu  fassen.  —  Gleichwohl  haben  Sie 
jüngst  die  Anerbietung  der  Kaiserwürde  gutachtlich  beantragt  und 
hiedurch  ein  Vorgehen  Meinerseits  befürwortet,  welches  den  festen 
Entschluß  dem  neuen  Bunde  beizutreten  unbedingt  voraussetzt. 
Ich  erkenne  es  zwar  dankbar  an,  daß  Sie  gleich  dem  Kriegs-  und 
Justizminister  beseelt  von  warmer  Anhänglichkeit  für  Ihre  Heimat 
die  Interessen  der  Dynastie  und  Bayerns  mit  rühmenswerther  Aus- 
dauer und  Festigkeit  vertreten;  trotzdem  müßte  Ich  es  beklagen, 
wenn  durch  obgedachte  Verfahrungsweise  Nachtheile  für  Krone  und 
Land  erwüchsen,  welchen  unschwer  hätte  vorgebeugt  werden  können, 
und  sehe  Ich  wenigstens  nunmehr  ungesäumter  Aufklärung  ent- 
gegen. M.H.A. 

17.  Hohenschwangau  1870   November  29.    König  Ludwig  IL 

an  den  Grafen  Bray. 

(Original.) 

Mein  lieber  Staatsminister  Graf  von  Bray!  Sie  haben  vor 
Kurzem  in  Übereinstimmung  mit  dem  Kriegs-  und  Justizminister 
die  Anerbietung  der  Kaiserwürde  an  den  König  von  Preußen  im 
Hinblicke  auf  die  gegebenen  Verhältnisse  gutachtlich  bei  Mir  befür- 
wortet. Nun  kann  ich  aber  in  dieser  Angelegenheit  einen  wohlbe- 
messenen Entschluß  erst  dann  fassen,  wenn  Ich  wenigstens  die 
Hauptpunkte  des  mit  dem  Norddeutschen  Bunde  erzielten  Überein- 
kommens genau  kenne  und  gebilligt  habe.  Gleichwohl  ist  Mir  weder 
hierüber  noch  über  die  Details  der  Verhandlung  der  ersehnte  Bericht 
zugegangen,  hiedurch  aber  gegen  Meine  Absicht  eine  Lage  geschaf- 
fen worden,  welche  meine  Thätigkeit  und  Meinen  Entschluß  in 
jener  allerdings  dringenden  Lage  hemmt,  und  welche  Sie  nun  schleu- 
nigst beseitigen  werden.  Im  übrigen  erkenne  Ich  es  freudig  und  gerne 
an,  daß  Sie  gleich  den  genannten  Ministern  beseelt  von  treuer  An- 
hänglichkeit an  Krone  und  Land  die  Interessen  der  Dynastie  und 
Bayerns  mit  bewährter  Umsicht  und  rühmenswerther  Festigkeit 
zu  vertreten  suchten,  und  entbiete  Ich  den  Zurückgekehrten 
Meinen  Königlichen  Gruß.    Mit  bekannten  Gesinnungen  Ihr 

gnädiger  König  Ludwig      M.st.A. 

18.  Hohenschwangau  1870  November  30.    König  Ludwig  IL 

an  die  Fürsten  und  Freien  Städte  Deutschlands. 

(Abschrift.) 

Die  von  Preußens  Heldenkönige  siegreich  geführten  deutschen 
Stämme,  in  Sprache  und  Sitte,  Wissenschaft  und  Kunst  seit  Jahr- 
hunderten vereint,  feiern  nunmehr  auch  eine  Waffenbrüderschaft, 
welche  von  der  Machtstellung  eines  geeinigten  Deutschlands  glän- 
zendes Zeugniß  gibt.  —  Beseelt  von  dem  Streben,  an  dieser  werden- 
den Einigung  Deutschlands  nach  Kräften  mitzuwirken,  habe  Ich 
nicht  gesäumt,  deshalb  mit  dem  Bundeskanzler-Amte  des  Nord- 


314 

deutschen  Bundes  in  Verhandlungen  zu  treten.  Dieselben  sind  jüngst 
in  Versailles  zum  Abschlüsse  gediehen.  Nach  dem  Beitritte  Süd- 
deutschlands zum  deutschen  Verfassungsbündnisse  werden  die 
Seiner  Majestät  dem  Könige  von  Preussen  übertragenen  Präsidial- 
rechte über  alle  deutschen  Staaten  sich  erstrecken.  Ich  habe  Mich 
zu  deren  Vereinigung  in  Einer  Hand  in  der  Überzeugung  bereit 
erklärt,  daß  dadurch  den  Gesammtinteressen  des  deutschen  Vater- 
landes und  seiner  verbündeten  Fürsten  entsprochen  werde,  zugleich 
aber  in  dem  Vertrauen,  daß  die  dem  Bundespräsidium  zustehenden 
Rechte  durch  Wiederherstellung  eines  Deutschen  Reiches  und  der 
deutschen  Kaiserwürde  als  Rechte  bezeichnet  werden,  welche  Seine 
Majestät  der  König  von  Preußen  im  Namen  des  gesammten  deut- 
schen Vaterlandes  auf  Grund  der  Einigung  seiner  Fürsten  ausübt. 
In  Würdigung  der  Wichtigkeit  dieser  Sache  wende  Ich  Mich  an  Euere 
etc.  mit  dem  Vorschlage,  in  Gemeinschaft  mit  Mir  bei  Seiner  Maje- 
stät dem  Könige  von  Preußen  in  Anregung  zu  bringen,  daß  die  Aus- 
übung der  Bundespräsidialrechte  mit  Führung  des  Titels  eines 
Deutschen  Kaisers  verbunden  werde.  —  Es  ist  5lir  ein  erhebender 
Gedanke,  daß  Ich  Mich  durch  Meine  Stellung  in  Deutschland  und 
durch  die  Geschichte  Meines  Landes  berufen  fühlen  kann,  zur 
Krönung  des  deutschen  Einigungswerkes  den  ersten  Schritt  zu  thun, 
und  glaube  Ich  der  freudigen  Zustimmung  Euerer  etc.  entgegen 
sehen  zu  dürfen.  m.  st.A. 

19.    Hohenschwangau   1870  Dezember  3.    Kabinettsekretär 
Eisenhart  an  den  Grafen  Bray. 

(Original.) 

Eurer  ExceUenz 

beehre  ich  mich  über  die  Kaiserangelegenheit  Nachstehendes  zu 
berichten. 

Am  30.  Nachm.  schrieb  S.  Majestät  an  den  König  von  Preußen, 
wobei  der  von  Eurer  Excellenz  revidirte  Bismarck'sche  Entwurf  wort- 
getreue Benützung  fand;  zugleich  schrieb  S.  Majestät  an  mich  in 
M.,  die  Frage  der  Absendung  des  Briefes  ,,in  meine  Hände  legend". 
Es  war  mir  daher  von  größtem  Werthe,  vorher  über  die  Sache  mit 
Eurer  Excellenz  gesprochen  zu  haben.  Die  Bismarck'sche  Redaktion 
schien  mir  zwar  etwas  stark  geschäftlich;  aber  die  Form  ist  doch 
nicht  die  Hauptsache ;  gegen  den  Inhalt  des  Briefes  vermochte  ich 
nach  bestem  Wissen  und  Gewissen  nichts  einzuwenden,  und  so 
wurde  denn  Nachts  halb  ein  Uhr  der  Brief  gesiegelt,  Graf  Holn- 
stein  fuhr  dann  noch  zum  norddeutschen  Gesandten  und  morgens 
sechs  Uhr  nach  Versailles,  wo  er  heute  ankömmt.  Morgen  findet 
muthmaßlich  officielle  Übergabe  des  Briefes  statt,  wozu  K.  H.  Prinz 
Luitpold  von  Sr.  Majestät  beordert  wurde.  Welch  seltsame  Fügung 
kann  man  mit  dem  Preußenkönig  sagen,  Prinz  Luitpold!  über- 
reicht einen  Kaiserbrief  an  König  Wilhelm!  Am  2.  schrieb  S.  Maje- 
stät höchsteigenhändig  an  König  von  Württemberg  und  König  von 
Sachsen;  die  betreffenden  Gesandten  wurden  angewiesen  die  Briefe 
schleunig,  womöglich  persönlich  den  Souverains  zu  überreichen. 
Am  gleichen  Tage  und  heute  erfolgten  Schreiben  im  Curialstyl  v.  Sr. 
Majestät  unterzeichnet  an  sämmtliche  Bundesglieder,  auch  die 
freien  Städte. 


315 

Zur  geneigten  Einsicht  lege  ich  Copie  der  Schreiben  an. 

Graf  Holnstein  ist  beauftragt,  den  in  Versailles  befindlichen 
Bundesfürsten  die  Briefe  zu  überreichen,  wobei  ich  bemerke,  daß 
S.  Majestät  dem  Großherzog  von  Baden  gleichfalls  heute  höchsteigen- 
händig schrieb ;  der  Brief  ist  eine  Erwiederung  auf  die  großherzog- 
lichen Briefe  und  weicht  daher  in  der  Form  von  den  anderen  wesent- 
lich ab.  Das  punctum  saliens,  Kaiserwürde  und  Reich,  ist  natürlich 
auch  enthalten.    Sämmtliche  Briefe  sind  bereits  auf  der  Post. 

S.  Majestät  machen,  obwohl  durch  Kaiserbrief  und  Vollmacht  an 
Minister  von  Lutz  etc.  die  Sache  als  entschieden  anzusehen,  —  noch 
immer  Schwierigkeiten  wegen  Bundesexekution,  Fahneneid,  Bundes- 
gesetzgebung bezüglich  Kriegszustand,  Bundescompetenz  in  Ver- 
fassungsstreitigkeiten etc.  —  Hat  die  Bestimmung  in  §  13  Absatz  2 
des  Vertrages  vom  23.  November  1870:  ,,Die  Bundesstaaten  wer- 
den ihr  Bestreben  darauf  richten,  eine  Übereinstimmung  der 
Gesetzgebung  über  Besteuerung  auch  der  Gegenstände  (Brannt- 
wein und  Bier)  herbeizuführen,  hat  diese  Bestimmung  etwas  Be- 
denkliches? Ich  bin  weder  Finanzmann  noch  Nationalökonom,  um 
diese  Frage  mit  Sicherheit  lösen  zu  können!  S.  Majestät  erhielten 
heute  anliegenden  Brief  d.  dto.  Namür  30.  XI.  70.  Wäre  es  vielleicht 
angemessen,  H.  von  Niethammer  zu  einem  Berichte  aufzufordern, 
in  welchem  jene  Belgier,  die  sich  um  bayerische  Verwundete  und 
bayerische  Transporte  verdient  gemacht,  namhaft  gemacht  werden, 
um  diese  durch  Handschreiben,  ministerielle  Anerkennung  und 
dergl.  anzuerkennen  und  hierdurch  deren  Opferwilligkeit  und 
Eifer  zu  erhöhen  ? 

Mit  ausgezeichneter  Verehrung  und  Hochachtung  Eurer  Ex- 
cellenz ganz  ergebenster  Eisenhart. 

S.  Majestät  lassen  mir  eben  sagen,  daß  Allerhöchstdieselben 
wünschen,  es  möge  Höchstderen  Anerbieten  des  Kaisertitels  in  der 
Presse  veröffentlicht  und  dabei  das  Vorgehen  der  Krone  Bayerns 
als  eine  nationale  That  in  das  gebührende  Licht  gesetzt  und  auf  die 
südbayerische  Stimmung  in  diesem  Sinne  eingewirkt  werden. 

Es  handelt  sich  somit  meines  Erachtens  nicht  um  einen  ,, offi- 
ziellen" Artikel,  sondern  höchstens  um  einen  als  ,,inspirirt"  zu 
betrachtenden;  vielleicht  gefällt  es  Eurer  Excellenz  Freiherrn  von 
Völderndorff  oder  Dr.  Maier  mit  Abfassung  jenes  Artikels  zu  be- 
trauen, beide  wären  meines  Erachtens  der  mit  Vorsicht  zu  behan- 
delnden Aufgabe  gewachsen.  Ergebenster  Eisenhart. 

M.  St.A. 

20.  Hohenschwangau  1870  Dezember  4.    König  Ludwig  II. 
an  den  Prinzen  Adalbert. 

(Abschrift.) 

Durchleuchtigster  Fürst!  Ew.  K.  Hoheit  Erwiderungsschreiben 
vom  28.  vorigen  Monats  habe  Ich  zu  erhalten  das  Vergnügen  gehabt 
und  sage  Denselben  für  die  rasche  Erledigung  Meines  Ersuchens 
(vom  25.  November)  freundlichen  Dank.  Ew.  Liebden  werden  aus 
dem  mittlerweile  veröffenthchten  Versailler  Bündnis  entnommen 
haben,  daß  sowohl  die  Militärhoheit  als  auch  das  Gesandtschafts- 
recht der  Krone  Bayern  vollständig  gewahrt  sind  und  derselben  in 


316 

einigen  wertvollen  Punkten,  wohin  auch  dieTheilnahme  bei  Friedens- 
schlüssen zu  zählen,  eine  Sonderstellung  eingeräumt  ist.  Deshalb 
und  um  von  den  zur  Zeit  in  Versailles  versammelten  Fürsten  nicht 
überholt  zu  werden,  habe  Ich  in  Meinem  Brief  vom  30.  November 
beim  König  von  Preußen  die  Führung  des  Kaisertitels  (denn  nur 
dieser  ist  nach  Meinen  Intentionen  in  Frage)  in  Anregung  gebracht 
und  sämmtliche  Bundesfürsten  sowie  die  freien  Städte  brieflich 
um  ihre  WiUensmeinung  angegangen.  Indem  Ich  dies  Ew.  K. 
Hoheit  kund  thue,  bin  Ich  ...  m.h.a. 


21.    Versailles    1871    Jan.    11.     Telegramm    Bismarcks    an 
Freiherrn  von  Werthern. 

Prinz  Luitpold  hat  Sr.Majestät  dem  König,  angebhch  im  Auftrage 
des  Königs  Ludwig,  mündlich  den  Wunsch  ausgesprochen,  die 
bayerische  Armee  von  dem  in  allen  Verträgen  vorgeschriebenen 
Passus,  im  Fahneneide  die  Verpflichtung  des  Gehorsams  gegen  den 
Bundesfeldherrn  auszusprechen,  zu  entbinden  und  diesen  Passus 
für  Bayern  zu  streichen.  Er  hat  dabei  angedeutet,  die  Opposition 
sei  in  Bayern  darum  so  groß,  weil  man  dort  gehofft  hätte,  die  Kaiser- 
würde werde  zwischen  Bayern  und  Preußen  alterniren,  und  man 
müsse  darum  suchen  sie  durch  eine  solche  Concession  zu  beschwich- 
tigen. Wenn  S.  Majestät  persönlich  geneigt  wäre,  einer  solchen  Aus- 
nahme für  Bayern  zuzustimmen,  so  würde  er  dies  den  übrigen 
deutschen  Fürsten  gegenüber  nicht  durchführen  können.  Es  im 
Reichstage  durchzubringen  ist  vollends  unmöglich.  Wenn  es  daher 
wirklich  die  ernste  Absicht  des  Königs  Ludwig  wäre,  was  ich 
nicht  glaube,  so  würde  der  Abschluß  mit  Bayern  unmöglich  und 
würden  auf  das  alte  Bündnisverhältnis  zurückgewiesen.  Es  ist  mir 
aber  zweifelhaft,  ob  das  Ganze  nicht  eine  Intrigue  ist,  welcher  der 
König  Ludwig  selbst  fremd  ist.  Ich  bitte  Ew.  Excellenz,  ohne  sonst 
noch  von  der  Sache  zu  sprechen,  durch  Graf  Holnstein  oder  Herrn 
Eisenhart  zu  sondiren,  ob  der  König  seinem  Oheim  wirklich  einen 
solchen  Auftrag  ertheilt  hat.  h.  a.  a. 

22.  1871  Januar  12.,  Abends  5  Uhr  55  Min.   Telegranim  des 
Grafen   von   Berchem   an   das   Ministerium   des  Äußern. 

Bismarck  theilte  mir  vertraulich  mit,  daß  Prinz  Luitpold  im 
Auftrage  des  Königs  dem  Könige  Wilhelm  den  Wunsch  aussprach, 
aus  dem  Fahneneide  die  Verpflichtung,  den  Befehlen  des  Bundes- 
feldherrn im  Kriege  zu  folgen,  auszunehmen.  Diese  Concession 
werde  in'  Bayern  sehr  befriedigen. 

König  Wilhelm  verlangte  schriftliche  Eröffnung;  er  erklärte  für 
unmöglich,  dieß  im  Bundesrath  und  Reichstage  durchzusetzen,  und 
ward  verstimmt. 

Bismarck  bezeichnet  diese  Forderung,  nachdem  die  Bestim- 
mung vertragsmäßig,  als  identisch  mit  Fallen  der  Verträge  und  im 
Widerspruch  mit  den  königlichen  Briefen  der  letzteren  Zeit  und  be- 
zweifelt, ob  die  Tragweite  der  Forderung  sich  vergegenwärtigt  wird. 

M.  St.A. 


317 

23-  Aus     dem    Tagebuch     des    Großherzogs    von    Baden 

a)  Mittwoch,  den  ii.  Januar  1871. 

Gestern  erbat  sich  Prinz  Luitpold  von  Bayern  eine  Audienz 
beim  König  und  wurde  auch  sofort  empfangen.  Der  Prinz  eröffnete 
dem  König,  er  sey  vom  König  von  Bayern  beauftragt  mitzutheilen, 
daß  wohl  ein  wesenthches  Mittel,  die  Verträge  in  der  bayerischen 
zweiten  Kammer  annehmbar  zu  machen,  darin  hegen  würde,  wenn 
der  vereinbarte  Eid  des  Heeres  nicht  in  dieser  Form  beibehalten 
würde.  Die  bayerische  Armee  sey  doch  ein  sehr  großer  Heerkörper, 
für  den  man  besondere  Rücksichten  haben  müsse,  und  daher  hoffe 
der  König  von  Bayern,  daß  der  König  von  Preußen  gerne  auf  diesen 
Wunsch  eingehen  werde. 

Der  König  erwiederte  dem  Prinzen,  er  erinnere  sich  in  diesem 
Augenblick  des  Wortlautes  der  Verträge  nicht  so  genau,  um  eine  be- 
stimmte Antwort  geben  zu  können,  allein  er  halte  jetzt  schon  dafür, 
daß  eine  solche  Änderung  überhaupt  und  besonders  aus  dem  Grunde 
nicht  getroffen  werden  könne. 

Der  Prinz  erwiederte,  es  sey  auch  nicht  die  Absicht,  den  Vertrag 
zu  ändern,  sondern  nur  eine  geheime  Verabredung  zu  treffen,  daß 
der  Vertrag  in  diesem  Punkte  nicht  zur  Anwendung  kommen  soUe. 

Der  König  wieß  diese  Aufforderung  ab  und  behielt  sich  eine 
entscheidende  Antwort  vor. 

Der  König  theilte  diese  Unterredung  heute  dem  Kronprinzen 
mit 

b)  Donnerstag,  den  12.  Januar  1871. 

Über  die  Angelegenheit  des  Prinzen  Luitpold  habe  ich  folgendes 
zu  ergänzen.  Der  Prinz  hatte  den  Auftrag  dem  König  einen  Brief 
des  Königs  von  Bayern  zu  übergeben  und  hat  bei  diesem  Anlaß  die 
gestern  erzählten  mündlichen  Eröffnungen  gemacht.  Da  nun  der 
König  den  Brief  des  Königs  von  Bayern  in  Gegenwart  des  Prinzen 
nicht  öffnete,  sondern  erst  später  gelesen  hat,  so  ergab  sich  folgendes 
aus  seinem  Inhalt.  Der  König  von  Bayern  hatte  den  ihm  durch  den 
Fürsten  Lynar  überbrachten  Brief  des  Königs  von  Preußen,  wodurch 
dieser  ihn  nach  Versailles  zu  kommen  einladet,  —  noch  nicht  be- 
antwortet. Nun  schreibt  er  aus  Hohenschwangau,  ein  längeres 
Unwohlsein  habe  ihn  zu  seinem  Bedauern  verhindert  den  Fürsten 
Lynar  zu  empfangen  und  auch  zur  Zögerung  dieser  Antwort  genö- 
thigt.  Er  bedauere,  daß  seine  Gesundheit  es  ihm  nicht  erlauben 
werde  der  Einladung  nach  Versailles  zu  folgen.  Mehr  steht  nicht  in 
dem  Brief  und  von  den  sonstigen  Fragen,  die  Prinz  Luitpold  an- 
regte, ist  kein  Wort  im  Brief  gesagt. 

Der  König  hat  nun  dem  Prinzen  Luitpold  gesagt,  die  von  ihm 
angeregten  Fragen  seyen  in  dem  Brief  seines  Königs  nicht  ent- 
halten und  auch  nicht  darauf  hingewiesen,  daß  der  Prinz  solche  Er- 
öffnungen zu  machen  habe;  ob  der  Prinz  wohl  darüber  Näheres  zu 
sagen  wisse,  da  die  Fragen  so  bedeutungsvoll  seyen,  daß  man  sie 
doch  streng  geschäftlich  behandeln  müsse  ?  —  Der  Prinz  war  sehr 
verlegen,  antwortete  in  widersprechenden  Redensarten  und  brachte 
endlich  folgenden  Ausweg.  Er  müsse  wiederholt  betonen,  daß  es 
sich  nicht  um  eine  Änderung  des  Vertrags  handle,  sondern  nur  um 
eine  geheime  Verabredung  darüber,  daß  man  übereinkomme  von 
der  Anwendung  der  Bestimmungen  des  Vertrags  Umgang  zu  nehmen. 


318 

Der  Jesuit  in  Generalsuniform  in  der  Gestalt  eines  bayerischen 
Prinzen !  —  Der  König  brach  das  Gespräch  in  höflichster  Form  ab, 
es  gehörte  viel  Nachsicht  dazu,  um  höflich  zu  bleiben.  Schließlich 
beim  vScheiden  sagte  der  König  zum  Prinzen,  er  werde  den  König  von 
Bayern  direct  über  diese  vom  Prinzen  vorgetragenen  Wünsche  be- 
fragen. Da  plötzlich  wurde  es  klar,  daß  die  ganze  Sache  vom  Prin- 
zen ausgehe,  —  denn  er  beeilte  sich  zu  sagen:  er  bitte  darum  dies 
selbst  thun  zu  dürfen,  er  wolle  sofort  an  den  König  berichten;  viel- 
leicht habe  er  den  Auftrag  nicht  richtig  verstanden.  —  Der  König 
erwiederte  nichts  mehr. 

c)  Freitag,  den  13.  Januar  1871. 
In  Folge  der  Unterredung  mit  dem  Prinzen  Luitpold  von 
Bayern  hat  Graf  Bismarck  an  Herrn  von  Werthern  nach  München 
telegraphirt,  um  sich  zu  verlässigen,  ob  der  Prinz  im  Auftrag  seines 
Königs  gehandelt  hat  oder  aus  eigenem  Antrieb.  Werthern  ant- 
wortet, der  König  habe  keinen  officiellen  Auftrag  ertheilt,  d.  h. 
durch  das  Ministerium  oder  Cabinet  sey  die  Angelegenheit  nicht 
gegangen  und  mit  dem  Prinzen  Luitpold  stehe  der  König  nicht  in 
Verbindung.  —  Werthern  nimmt  mit  Bestimmtheit  an,  diese  Sache 
sey  von  den  Prinzen  in  Scene  gesetzt;  sie  seyen  überhaupt  bekannt- 
lich die  entschiedensten  Gegner  Preußens  und  der  deutschen  Sache.  — • 
Bezeichnend  für  diesen  Zwischenfall  ist  auch  eine  Äußerung,  welche 
Prinz  Luitpold  dem  König  gegenüber  bei  der  genannten  Unter- 
redung gethan  hat.  —  Er  begründete  die  Sonderstellung  Bayerns 
im  neuen  Reiche  dadurch,  daß  er  das  Kaiserthum  nicht  als 
erbhch  betrachtet  und  das  Wort  Alternat  fallen  Heß.  Leider  Heß 
der  König  diese  Äußerung  unbeachtet. 

24.  Versailles  1871  Januar  12.   König  Wilhelm  von  Preußen 
an  König  Ludwig  IL  von  Bayern. 

(Original.) 

Durchlauchtigster  Großmächtigster  Fürst, 
freundlich  lieber  Bruder  und  Vetter. 

Nachdem  der  von  Euerer  Königlichen  Majestät  ergangenen 
Aufforderung  zur  Herstellung  des  Deutschen  Reiches  und  seiner 
Kaiserwürde  die  einmüthige  Zustimmung  der  deutschen  Fürsten 
und  freien  Städte  entgegengebracht  worden  ist,  halte  Ich  es  für  eine 
Mir  gegen  das  gemeinsame  Vaterland  obliegende  Pflicht,  dem  an 
Mich  ergangenen  Rufe  Folge  zu  leisten. 

Euerer  KönigHchen  Majestät,  Allerhöchstwelche  dem  Gedanken 
des  Wiedererstehens  von  Kaiser  und  Reich  zuerst  Ausdruck  gege- 
ben, spreche  Ich  es  aus,  daß  Ich  die  Deutsche  Kaiserwürde  annehme, 
nicht  im  Sinne  der  Machtansprüche,  für  deren  Verwirklichung  in 
den  ruhmvollsten  Zeiten  unserer  Geschichte  die  Macht  Deutsch- 
lands zum  Schaden  seiner  inneren  Entwicklung  eingesetzt  wurde, 
sondern  mit  dem  festen  Vorsatz  —  soweit  Gott  Gnade  giebt  —  als 
Deutscher  Fürst  der  treue  Schirmherr  aller  Rechte  zu  sein  und  das 
Schwert  Deutschlands  zum  Schutze  derselben  zu  führen. 

Deutschland,  stark  durch  die  Einheit  seiner  Fürsten  und 
Stämme,  hat  seine  Stellung  im  Rathe  der  Nationen  wieder  gewonnen,, 
und  das  Deutsche  Volk  hat  weder  das  Bedürfniß  noch  die  Neigung 


319 

über  seine  Grenzen  hinaus  etwas  Anderes  als  den  auf  gegenseitiger 
Achtung  der  Selbständigkeit  und  gemeinsamer  Förderung  der  Wohl- 
fahrt begründeten  freundschaftlichen  Verkehr  der  Völker  zu  er- 
streben. 

Sicher  und  befriedigt  in  sich  selbst  und  in  seiner  eigenen  Kraft 
wird  das  Deutsche  Reich  —  wie  Ich  vertraue  —  nach  siegreicher 
Beendigung  des  Krieges,  in  welchen  ein  unberechtigter  Angriff  uns 
verwickelt  hat,  und  nach  Sicherstellung  seiner  Grenzen  gegen  Frank- 
reich ein  Reich  des  Friedens  und  des  Segens  sein,  ein  Reich,  in 
welchem  das  Deutsche  Volk  finden  und  genießen  wird,  was  es  seit 
Jahrunderten  gesucht  und  erstrebt. 

Mit  der  Versicherung  der  ausgezeichnetsten  Hochachtung  und 
wahren  Freundschaft  verbleibe  Ich  Euerer  Königlichen  Majestät 
freundwiUiger  Vetter  und  Bruder  Wilhelm. 

M.  St.A. 

25.  München  1871  Januar  24.    König  Ludwigll.  von  Bayern 
an  Kaiser  Wilhelm. 

(Konzept.) 

Durchlauchtigster    Großmächtigster    Fürst,    freundlich 
lieber  Bruder  und  Vetter! 

Euere  Kaiserliche  Majestät  haben  die  Güte  gehabt,  Mir  in  dem 
schätzbaren  Schreiben  vom  12.  d.  M.  mitzutheilen,  daß  Aller- 
höchstdieselben es  für  eine  Ihnen  gegenüber  dem  gemeinsamen 
Vaterlande  obliegende  Pflicht  gehalten  haben,  der  einmüthigen  Auf- 
forderung der  deutschen  Fürsten  zur  Herstellung  des  Deutschen 
Reiches  und  seiner  Kaiserwürde  zu  entsprechen  und  die  deutsche 
Kaiserwürde  anzunehmen. 

Mit  lebhafter  Freude  begrüße  Ich  diesen  Entschluß  und  spreche 
aus  vollem  Herzen  den  innigen  Wunsch  aus,  es  möge  Gott  Euere 
Kaiserliche  Majestät  noch  viele  Jahre  hindurch  mit  der  Fülle  Seiner 
Segnungen  erfreuen,  auf  daß  der  hochherzige  Vorsatz  Euerer 
Kaiserlichen  Majestät,  auf  der  von  Allerhöchstdenselben  Selbst  be- 
zeichneten Grundlage  des  Rechtes  und  der  Gesittung  stets  Schirm- 
herr des  Friedens,  der  Freiheit  und  der  Wohlfahrt  des  Reiches  zu 
sein,  im  vollsten  Maße  seine  Verwirklichung  finde. 

Ich  hege  mit  Euerer  Kaiserlichen  Majestät  die  feste  Überzeu- 
gung, daß  das  Reich,  in  welchem  nunmehr  die  Staaten  und  Stämme 
Deutschlands  in  machtvoller  Eintracht  verbunden  sind,  eine  dau- 
ernde Bürgschaft  gewähren  wird  für  die  Erhaltung  und  Förderung 
der  höchsten  Güter  der  Nation ;  denn  die  gleichen  Gesinnungen,  die 
Euere  Kaiserliche  Majestät  Allerhöchstselbst  bei  der  Herstellung 
der  Kaiserwürde  beseelt  und  geleitet,  werden  —  deß'  bin  Ich  gewiß 
—  als  ein  kostbares  Erbtheil  auch  auf  die  Nachfolger  in  der  Kaiser- 
würde sich  fortpflanzen,  bis  in  die  spätesten  Zeiten,  zum  Heile 
Unseres  gemeinsamen  Vaterlandes  und  zum  Segen  der  kommenden 
Geschlechter. 

Genehmigen  Euere  Kaiserliche  Majestät  die  Versicherung  der 
vorzüglichen  Hochachtung  und  wahren  Freundschaft,  womit  Ich 
verbleibe  Euerer  Kaiserlichen  Majestät  freundwilliger  Bruder  und 
Vetter  Ludwig. 

M.  St.A. 


IN  DER  SCHRIFTENREIHE 

BAYERNuDEUTSCHLAND 

ist  bereits  erschienen: 

M.  DOEBERL 

Bayern  und  die  Deutsche 

Frage  in  der  Epoche  des  Frankfurter 

Parlaments 

276  Seiten  8°  und  25  Urkundenbeilagen.  Brosdi,  Mk,  5, — 
Halbfeinen  Mk.  6.20 


a 


er  Verfasser,  wohl  einer  der  besten  Kenner  der  bayerisdien 
Gesdiichte,  begann  mit  diesem  Buche  diese  Reihe  von  Mono» 
graphien  über  die  deutsdie  Pohtik  Bayerns  im  19.  Jahrhundert. 
Auf  Grund  eines  eingehenden  Studiums  amtlidier  und  privater 
Quellen,  die  größtenteils  bisher  unbekannt  waren  und  von 
denen  eine  Anzahl  im  Anhang  abgedruckt  wird,  behandelt 
Döberl  die  Stellung  Bayerns  zur  Deutschen  Frage  in  den  Jahren 
1848  und  1849.  Seine  Darstellung  der  Haltung,  die  der  größte 
deutsche  Mittelstaat  zur  Frage  der  deutschen  Einheit  und  Ver= 
fassung,  zu  Preußen  und  Österreich  einnahm,  bildet  für  uns 
eine  sehr  wesentlidie  Ergänzung  zur  Beurteilung  der  Geschichte 
dieser  Zeit.  Die  zahlreidien  Ergebnisse  der  Arbeit  Döberls 
sind  nicht  nur  für  den  Historiker,  sondern  auch  für  den  Poli= 
tiker  sehr  lehrreicb  und  lesenswert. 

Arcßiv  für  Pofitik  und  Gescßicßte:  Wifßefm  Mommsen 


R.  OLDENBOURGVERLAG 
MÜNCHEN  UND  BERLIN 


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