LIBRARY
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
RIVERSIDE
,J'"
M. DOEBERL
BAYERN UND
DEUTSCHLAND
Bayern
und die BismarckisAe
Reidisgründung
Mündien und Berlin 1925
Druck und Verlag von R. Oldenbourg
BAYERN UND
DIE BISMARCKISCHE
REICHSGRÜNDUNG
Von
M. DOEBERL
Mündien und Berlin 1925
Druck und Verlag von R. Oldenbourg
Alle Rechte, einsdiließlidi des Qbersetzungsrechtes, vorbehalten
Copyright 1925 by R. Olclenbourg, München
Wenige Ereignisse der deutschen und bayerischen Vergangen-
heit bergen so hohe Interessen und so große Erinnerungen
und sind doch zugleich so sehr mit Legenden überwuchert als
das letzte Stadium der Gründungsgeschichte des Bismarckischen
Reiches : mit Legenden überwuchert nicht bloß in der zeitgenös-
sischen Publizistik, nicht bloß in der Memoirenliteratur, auch
in der wissenschaftlichen Literatur der Gegenwart. Das gilt
von der vielberufenen Schrift A. v. Ruvilles (,, Bayern und die
Wiederaufrichtung des Deutschen Reiches" 1909) und z. T.
selbst von dem Werke Ottokar Lorenz' (,, Kaiser Wilhelm und
die Begründung des Reiches" 1902), so wertvolle Mitteilungen
dieser aus der deutschen Fürstenwelt bringt.
Meine Aufgabe ist es nun, an der Hand der bayerischen
Staatsakten, die ich im bayerischen Ministerium des Äußern, im
Münchener Geheimen Staatsarchiv, im Münchener Kriegsarchiv
und im Münchener Geheimen Hausarchiv zum erstenmal ein-
gesehen habe, aber auch der Akten des Auswärtigen Amtes
und des Reichsamtes des Innern in Berlin sowie württem-
bergischer und badischer Staatspapiere diese Legenden vollends
zu zerstören und den Hergang rein realistisch, so wie sich
das Bild aus dem unmittelbaren Arbeitsnachlaß der Epoche ent-
hüllt, ohne Schönfärberei, aber unter Würdigung der Psychologie,
der seelischen Voraussetzungen des bayerischen Staates und
Volkes und seiner führenden Männer zu schildern. Dabei
möchte eines nicht aus dem Auge verloren werden: heute
steht der Bestand des deutschen Nationalstaates für jeden
vernünftigen Deutschen außer jeder Diskussion; in der Zeit
der Reichsgründung aber war er ein umstrittenes Problem.
Soweit das ohne Kenntnis der ungedruckten Akten mög-
lich war, ist namentlich seitens Wilhelm Buschs (,,Die Kämpfe
um Reichsverfassung und Kaisertum" 1906, ,, Württemberg
und Bayern in den Einheitsverhandlungen 1870" in : Historische
Zeitschrift, 1912), Georg Künzels (,,Bismarck und Bayern
in der Zeit der Reichsgründung" 1910), Erich Branden-
burgs (,,Der Eintritt der süddeutschen Staaten in den Nord-
deutschen Bund" 1 910, ,,Die Verhandlungen über dieGründung
des Deutschen Reiches" in: Hist. Vierteljahresschrift, 1912)1),
Wilhelm Stolzes (,,Die Gründung des Deutschen Reiches" 1912),
Bernhard Weickers, (,,Vom Staatenbund zum Bundesstaat,"
2. Teil 191 1) wertvolle kritische Vorarbeit zur Geschichte der
Gründung des Deutschen Reiches geleistet worden. Ihnen bin
ich ebenso zu Dank verpflichtet wie den hohen Stellen und
Behörden, die mir Einsicht in die Akten gewährt haben.
Besonderen Dank schulde ich dem Ministerialdirektor im
bayerischen Ministerium des Äußern, Herrn Dr. Ernst v. Müller,
der meine Arbeit nicht bloß amtlich sondern auch wissen-
schaftlich in warmherziger und sachverständiger Weise ge-
fördert hat.
^) Für die neue Auflage seines Werkes ,, Die Reichsgründung" (1923)
zog er nunmehr auch die Akten des Auswärtigen Amtes in BerHn heran,
soweit das im Rahmen seiner zusammenfassenden Darstellung möglich war.
Wertvolle Mitteilungen aus dem Archiv des Auswärtigen Amtes in Berlin
bringen auch Alfred Stern, Gesch. Europas von 1848 — 71, Bd. 10 (1924) u.
Robert Howard Lord, The origins of the war of 1870, new documents
from the German archives (1924).
Inhaltsverzeichnis.
Seite
Einleitung V
I, Bayerische Hemmungen i
II. Die Haltung Bayerns bei Ausbruch des Deutsch-französischen
Krieges ii
III. Bayerische Vorbehalte 43
IV. Bayerische Initiative in der deutschen Frage 58
V. Die Münchener Konferenzen 91
VI. Die Versailler Verhandlungen 103
VII. Aussprache mit Österreich 136
VIII. Das Kaiserproblem 143
IX. Der bayerische Landtag und die Versailler Verträge .... 176
X. Das Bismarckische Reich und sein Verhältnis zu Bayerns
König und Volk 192
Beilagen 215
Abkürzungen:
H. A. A. = Haupt archiv des Auswärtigen Amtes in Berlin.
K. St. A, = Karlsruher Haus- und Staatsarchiv.
M. H. A. = Münchener Hausarchiv.
M. Kg. A. = Münchener Kriegsarchiv.
M. St. A. = Münchener Staatsarchiv (bez. Ministerium des Äußern).
R. d. I. = Registratur des Reichsministeriums des Innern in Berlin.
St. St. A. = Stuttgarter Haus- und Staatsarchiv.
I.
Bayerische Hemmungen.
Ein jubelnder und vorbehaltloser Eintritt Bayerns in
das Deutsche Reich, in den preußisch-deutschen Nationalstaat,
ist nicht erfolgt. Die bayerische Regierung wäre auch jetzt
einem kleindeutschen Bundesstaat unter preußischer Führung
lieber ferne geblieben. Sie betrachtete den Eintritt als eine
Konzession und vollzog ihn schließlich nur gegen Gewährung
von Sonderrechten.
Aber das ist ebenso gewiß: dieses Zögern, dieser Wider-
stand hatte, wenn auch hier die Pflicht des Historikers er-
füllt, auch hier Personen und Handlungen aus ihren Ver-
hältnissen heraus beurteilt werden sollen, eine innere Berechti-
gung. Bayern handelte als staatlicher Organismus aus einer
gewissen inneren Notwendigkeit heraus.
Die Opfer, die der Norddeutsche Bund von den deutschen
Fürsten verlangte, erschienen dem Herzog Ernst von Koburg
so bedeutungsvoll, daß er dem Grafen Bismarck gegenüber
die Frage aufwarf, ob es nicht besser wäre, eine Art von Me-
diatisierung der deutschen Fürsten, eine Annäherung an das
preußische Herrenhaus eintreten zu lassen.
Eine solche Selbstvernichtung konnte wohl von einem
Herzog Ernst, der seine fürstliche Stellung nie besonders hoch
eingeschätzt zu haben scheint, angeboten werden.
Nicht aber von dem bayerischen Staate, dem ältesten der
deutschen Staaten, einem der ältesten europäischen Staaten
überhaupt, einem Staate, der kein Augenblicksgebilde, keine will-
kürliche Schöpfung eines Willensaktes war, der nach dem Urteile
nicht bloß bayerischer Staatsmänner, sondern auchBismarcks die
stärksten Vorbedingungen einer wirklichen Existenzfähigkeit
aufwies: eine uralte staatliche Tradition, eine 1400jährige
politische Gemeinschaft, eine 1000 jährige mit Land und Volk
Doeberl, Bayern und die Bismarckische Reichsgründung. I
verwachsene Dynastie, ein ausgeprägtes Staatsbewußtsein
seiner Bevölkerung, ein ursprüngliches, wurzelfestes, kraft-
volles Volkstum, mit einer uralten Kultur, mit einer besonderen
Eigenart der Lebensbetätigung in Wirtschaft und Gesellschaft,
mit einem Wirtschaftsleben eigener Prägung bei aller Ver-
flechtung in die deutsche Wirtschaft. Ludwig von der Pfordten
schloß eine umfassende Denkschrift aus dem Jahre 1856 mit
den Worten: ,,Man kann die jetzigen Glieder des Deutschen
Bundes in zwei Klassen scheiden : in solche, durch die der Bund
besteht, und in solche, die nur durch den Bund bestehen.
Bayern gehört, wenn es nicht sich selbst aufgibt, unbestreitbar
in die erste Klasse. Es trägt die Garantie seiner Fortexistenz
in sich, in seiner Geschichte und der mit dieser verwebten
Dynastie, in seiner Verfassung, in seinem Territorialumfang,
in dem Selbstgefühl und der Kraft seiner Bevölkerung, in der
Entwicklung seiner finanziellen, nationalökonomischen und
politischen Machtverhältnisse und in den Beziehungen der
europäischen Großmächte zu ihm und untereinander."^)
Und auch Bismarck äußerte schon während seines Frankfurter
Aufenthaltes zu dem damaligen bayerischen Bundestags-
gesandten Freiherrn v. Schrenck: ,, Bayern könnte persönliche
Politik treiben, weil es sowohl vermöge der Homogenität
seines Staates als der Zahl seiner Bewohner für sich selbst
zu leben vermöchte, während andere Staaten zweiten Ranges,
wie Hannover und Kurhessen, im Hinblick auf ihre geo-
graphische Lage sich nicht beikommen lassen könnten, von
Preußen, dessen notwendige Enklaven sie seien, sich unab-
hängig zu machen." Derselbe Bismarck wies in einem
Schreiben vom Frühjahr 1865 den Gedanken einer ,,Mediati-
sierung Bayerns in irgendwelcher Form als etwas Mögliches
oder zu Erstrebendes "durchaus zurück: ,,Auch in Preußen
wird in den Kreisen, welche überhaupt zu politischem Urteil
befähigt sind, die selbständige Bedeutung Bayerns vollständig
erkannt, welche der bayerische Herr Minister mit so gerechtem
Selbstgefühl betont. Bayern ist vielleicht das einzige deutsche
Land, dem es durch materielle Bedeutung, durch die bestimmt
ausgeprägte Stammeseigentümlichkeit und die Begabung seiner
Herrscher gelungen ist, ein wirkliches und in sich selbst be-
friedigtes Nationalgefühl auszubilden. Die Bedeutung Bayerns
steht nicht hinter der der anderen europäischen Staaten
zurück, welche selbständig in Europa bestehen, ohne sich an
1) M. Doeberl, Bayern und Deutschland im 19. Jahrhundert (1917)
S. 104.
einen Bund zu lehnen und ohne eine Verletzung ihrer Unab-
hängigkeit zu besorgen . . . Unsere Verhältnisse weisen uns
auf die Bundesgenossenschaft mit Bayern hin, aber nicht auf
das exzentrische Streben uns einen kräftigen, in sich zufriedenen
und abgeschlossenen, geographisch und volkstümlich zur Selb-
ständigkeit berufenen Staat mit Gewalt oder List zu assimi-
lieren." Derselbe Bismarck schrieb in der Übergangszeit
zwischen 1866 und 1870 an seinen Vertreter in München, den
Prinzen Reuß: ,,Wir stehen zu den süddeutschen Staaten in
einem anderen, man kann sagen günstigeren Verhältnis als
zu dem Norddeutschen Bund. In Betreff des letzteren er-
fordert unsere eigene Sicherheit eine straffere Anziehung der
Bande innerhalb des Bundesverhältnisses und für uns eine
unbedingte Disposition über die Kräfte des Bundes nach
innen und außen ... In Betreff Süddeutschlands bedürfen
wir nicht derselben strengen Form der Einigung, sondern nur
eines unzweideutigen Ausdrucks der nationalen Gemeinschaft,
welcher gleichzeitig die Gewißheit gibt, daß die süddeutschen
Staaten nicht einer feindseligen Tendenz gegen Norddeutsch-
land, einer Anlehnung an fremde Mächte verfallen und daß
die Pflege der gemeinsamen materiellen Interessen des deut-
schen Volkes durch gemeinsame organische Einrichtungen
sichergestellt wird . . . Ew. Durchlaucht wollen, namentlich
auch in außeramtlichen Kreisen, der etwaigen Besorgnis ent-
gegentreten, als schwebte uns der Gedanke vor, unser Verhält-
nis zu Bayern jemals nach dem Muster zu ordnen, an welchem
die geographische Lage uns nötigt Sachsen gegenüber festzu-
halten." Er ermahnte den Nachfolger des Prinzen Reuß, den
Gesandten Freiherrn v. Werthern, zu größtmöglicher Rück-
sichtnahme auf bayerische Empfindlichkeiten: ,,Ew. Hoch-
wohlgeboren können versichert sein, daß ich in dieser Richtung
jede, auch anscheinend weitgehende, Rücksichtnahme und
Bescheidenheit im amtlichen Verkehr mit Bayern bei S. M.
dem König zu vertreten bereit bin und es nur billigen und
Ihrer Aufgabe angemessen finden werde, wenn Sie sich zum
Advokaten der bayerischen Wünsche und Auffassungen und
dadurch zum Vermittler eines guten Verhältnisses zu machen
suchen." Die Prophezeiung seines Gesandten von dem nahen
Zusammenbruch des bayerischen Staates weist er bestimmt
und entschieden zurück: ,,Wenn auch keinem Staate, der
unsrige nicht ausgenommen, die Dauer zu garantieren, so
zeigt doch ein Rückblick auf die Geschichte des bayerischen
Staates in seinen Bevölkerungen ein starkes Beharrungs-
vermögen und in den Stammlanden eine starke Anhänglich-
keit an die Dynastie."^)
Eine solche Selbstvernichtung konnte nicht erwartet
werden von einer Dynastie mit der großen Vergangenheit
wie der wittelsbachischen, die den bayerischen Territorial-
staat geschaffen, vor den Hohenzollern um die Hegemonie
Deutschlands gestritten hatte, die seit dem Dreißigjährigen
Kriege wiederholt ein maßgebender Faktor selbst in der
europäischen Politik gewesen war, die nach britischem Zeug-
nisse für Kunst, Wissenschaft und schöne Literatur mehr ge-
leistet hatte als manche europäische Großmacht, die in allem
Wechsel der Jahrhunderte und bei allem Reichtum individueller
Entfaltung gerade in ihren begabtesten und kraftvollsten
Repräsentanten immer wieder zwei Grundzüge ihrer Wesen-
heit offenbarte: einerseits das Bewußtsein der Zugehörigkeit
und der Verpflichtung gegenüber einem größeren Ganzen,
der deutschen Nation, anderseits das Streben nach terri-
torialer Selbständigkeit und fürstlicher Selbstherrlichkeit.
Nicht von einem Ludwig IL, dem letzten König alten
Stils, dem auf der langen Entwicklungsleiter fürstlicher
Mentalität verstiegensten Repräsentanten einer tausendjährigen
Dynastie, der von ,, seiner königlichen Stellung und seinem
Herrscheramte", ,,dem Schönsten, Erhabensten auf Erden",
wie er es nennt, die denkbar höchste Vorstellung, ein krankhaft
gesteigertes und mißtrauisch bewachtes Selbstgefühl hatte,
dessen Herrscherideal der eifersüchtigste Kronenträger, Lud-
wig XIV., war. Wie so oft hat auch hier Bismarck gerechter
geurteilt. ,,Die einen," hat er später einmal geäußert, ,, hätten
dem Könige von Bayern zugemutet, in einem Einspänner
hinter dem Reichsomnibus herzufahren. Die Vorwürfe, die
in Preußen gegen König Ludwig erhoben wurden, weil er seine
Stellung als souveräner Fürst nicht aufgeben noch we-
sentliche Rechte an die Reichsgew^alt abtreten wollte, seien
aber noch unsinniger gewesen. Könnte man denn glauben,
daß ein Hohenzoller auf dem bayerischen Thron gleich mit
beiden Füßen in die neue Reichsordnung hineingesprungen
wäre?" Allerdings war der König kein Freund politischer
Geschäfte, weil sie ihn in seinen romantischen, künstlerischen
und literarischen Liebhabereien störten. Seine Arbeitslust
und Arbeitskraft litt unter den seelischen Ablenkungsmomen-
ten. Aber wenn es sich um Souveränität und Selbständigkeit
^) Weisungen Bismarcks im Hauptarchiv des Auswärtigen Amtes in
Berlin.
handelte, zeigte er sehr früh ein lebhaftes Interesse und dieses
wuchs mit den Jahren und war so notorisch, daß diejenigen,
die ihn zu gewinnen suchten, gerade hier einsetzten. Seit
dem Jahre 1866 lebte er in beständiger Furcht für die Un-
abhängigkeit seiner Krone und die Selbständigkeit seines
Landes. In dieser Besorgnis wurde er bestärkt vom Auslande
wie vom Inlande, von Frankreich, von Österreich, auch vom
Kaiser von Rußland — solche Briefe des Kaisers liegen vor — ,
ganz besonders aber von den Mitgliedern des königlichen Hauses.
Seit dem Jahre 1866 hatte immer wieder der Bruder, der
Oheim, der Großvater, der Großoheim vor den großpreußischen
Tendenzen gewarnt. Auch diese Briefe sind zum Teil erhalten.
Nach dem Bekanntwerden der (für die Versailler Verhand-
lungen grundlegenden) Verfassung des Norddeutschen Bundes
hatte König Ludwig I. an ihn geschrieben: ,, Soeben lese ich
den Entwurf der Verfassung des Norddeutschen Bundes. Es
ist schwer zu sagen, was er den Fürsten und Ständen übrig
läßt. Möchtest Du Dich hüten, selbst im geringsten Teile
Bayern mediatisieren zu lassen."^) Dieser König, der von Haus
aus schwer zu einem politischen Entschlüsse zu bringen und
so gerne geneigt war, selbst von einem wirklich gefaßten Ent-
schluß in die frühere Entschlußlosigkeit zurückzufallen, glaubte
sich durch die Vorstellungen der Mitglieder des königlichen
Hauses, durch die Rücksicht auf sie, durch die Angst vor ihnen
gebunden. Man fühlt es aus den Entschuldigungen, die er
vorbringt, wenn er wirklich einmal in der deutschen Frage
ein Zugeständnis gemacht hat. Und diesem im Grunde völlig
unkriegerischen Könige war immer wieder von Frankreich
wie von Österreich her gepredigt worden, daß Bayern, je
entschiedener es den preußischen Versuchen, ihm weitere
Konzessionen abzuringen, entgegentrete, um so wirksamer
dem Weltfrieden diene: ,,Der König wird dadurch — so heißt
es in einer formell an den österreichischen Gesandten, tat-
sächlich an den bayerischen König gerichteten österreichischen
Weisung — mit der Stellung seines Hauses und Landes zu-
gleich das Interesse der Erhaltung des Friedens wahren; denn
das Ausland wird keine gefährlichen Besorgnisse hegen, so-
lange Übergriffe der angedeuteten Art durch den ausgesproche-
nen Willen des Souveräns und des Landes zurückgewiesen wer-
den, und man wird der Zukunft mit mehr Beruhigung entgegen-
blicken, wenn man sieht, daß der König von Bayern den Be-
1) M. H. A.
I
6
strebungen der Partei unzugänglich ist, welche zugunsten
einer in Berlin zentralisierten Militärmacht mit der Vergangen-
heit Bayerns und Deutschlands brechen will."
Eine solche Politik konnte nicht erwartet werden von
Ministern, die für jedes Opfer an Souveränitätsrechten nicht
bloß ihrem Könige sondern auch der Landtagsmehrheit
Rechenschaft legen mußten, die nicht bloß von Österreich,
von dem österreichischen Reichskanzler Grafen Beust, sondern
mittelbar auch von Mitgliedern des Norddeutschen Bundes
durch Schilderung ihrer Verfassungsnöte immer wieder vor
der Verfassung des Norddeutschen Bundes gewarnt und von
fast allen ihren Vertretern an den deutschen Höfen, vom
Freiherrn v. Gasser in Stuttgart, vom Grafen v. Paumgarten in
Dresden, vom Freiherrn v. Perglas in Berlin, vom Freiherrn
V. Schrenck in Wien, dem früheren Ministerpräsidenten und
Bundestagsgesandten, bis zum letzten Augenblicke vom Bei-
tritt zum Norddeutschen Bunde, von dieser ,, Konfiskation
aller wesentlichen Regierungsrechte", zurückgehalten wurden.
Nicht von Ministern, deren Vorsitzender im Ministerrate,
Graf Otto v. Bray- Steinburg, im Vaterhause wie auf seinen
diplomatischen Missionen den Geist des alten, souveränen
Bayerns, die Staatsauf fassung Montgelas', eingesogen hatte,
Montgelas', dessen oberstes Staatsprinzip die Wahrung der unbe-
schränkten Staatssouveränität nach innen und nach außen ge-
wesen war. Gehörte der Vorgänger, Fürst Chlodwig von Hohen-
lohe, dem Nachmärz an, fühlte er sich nach seiner Herkunft wie
nach seiner Bildung und poHtischen Vergangenheit zuerst als
Deutscher und dann erst als Bayer, so gehörte Graf Bray
nach seinem Entwicklungsgange dem Vormärz an und war ganz
zum Bayern geworden. ,,Ich gehöre zu jener älteren Gene-
ration," äußerte er in einer entscheidungsvollen Stunde,
,, welche an dem Gewohnten und Hergebrachten hängt, be-
sonders wenn sich damit der teure Name des bayerischen
Vaterlandes verbindet." Graf Bray war denn auch von der
patriotischen Volkspartei mit großen Erwartungen begrüßt
worden. In der inneren PoHtik bedeutete sein Ministerium
auch in der Tat einen Ruck nach rechts. In der deutschen
Politik dagegen bedeutete die Nachfolge des Mitunterzeichners
des Berliner Friedens keinen eigentlichen Systemwechsel. Aber
das ist ebenso gewiß : Graf Bray betrachtete die deutsche Frage
nicht als deutscher Patriot, sondern als Diplomat; dem nüch-
ternen Diplomaten war die deutsche wie jede andere politische
Frage nicht eine Herzensangelegenheit, sondern eine Verstan-
dessache. Er war zudem bei seiner Schweigsamkeit und Ver-
schlossenheit nationalen Einflüssen von anderer Seite viel
weniger zugänglich als Hohenlohe. Mit seinem Ministerium
hatte nicht bloß Graf Tauffkirchen ausgespielt, sondern auch
Freiherr v. Völderndorff : er war ihm zu durchlässig. Er hat
tatsächlich ohne politischen Referenten regiert, er war,
wie der württembergische Gesandte Freiherr v. Soden sich
ausdrückt, in allen politischen Angelegenheiten sein eigener
Referent. Von dem Grafen Bray war zunächst, ohne außer-
ordentliche äußere Einwirkungen, die es ihm verstandesmäßig
zu einem unabweislichen Gebote gerade der staatlichen Selb-
ständigkeit machten, eine Initiative in der deutschen Frage
kaum zu erwarten. Noch weniger ein vorbehaltloser Eintritt
in den Norddeutschen Bund. Wer von den bayerischen Mi-
nistern in seiner politischen Auffassung wie in seiner politischen
Aktivität am frühesten die seelischen Voraussetzungen für
eine Initiative in der deutschen Frage aufwies, das war Johann
Lutz. Lutz war aber damals weder Ressortminister der aus-
wärtigen und deutschen Angelegenheiten noch Vorsitzender
im Ministerrate, sondern Justizminister und war zu klug und zu
vorsichtig, als daß er sich mit den ihm wohlbekannten Gesin-
nungen seines Königs in offenen Widerspruch hätte setzen wollen.
Eine solche Selbstaufopferung war noch weniger von der
Landtagsmehrheit, der patriotischen Partei, zu erwarten, die
an die innere Umwandlung des politischen Glaubensbekennt-
nisses Bismarcks nicht glaubte, in König Wilhelm und seinem
,, dämonischen" Kanzler nicht die Begründer deutscher Einheit,
sondern die Vollender des großpreußischen Einheitsstaates,
die Vertreter des ,,nimmersatten" preußischen Partikularismus,
, ,der bloß auf Übervorteilung und den schließlichen Untergang
der übrigen deutschen Staaten hinarbeite," schaute, die die
Trennung von den Millionen deutscher Stammesgenossen
jenseits der schwarzgelben Grenzpfähle als einen ,, blutigen
Schnitt durch eine tausendjährige Verbindung" empfand, die
vom protestantischen Kaisertum eine Gefahr für den Katholi-
zismus, von der engen Verbindung Bayerns mit dem Militär-
staate Preußen das Gespenst des Militarismus, vom Siege ihres
stärksten und schärfsten Gegners, der Fortschrittspartei, auf
nationalem Gebiet ein weiteres Vordringen des Fortschritts-
programms im Bereiche der inneren Gesetzgebung und der
Kulturpolitik besorgte. Der Herausgeber der ,, Historisch-poli-
tischen" Blätter, Dr. Jörg, hat einmal geäußert: ,,Es ist in
zahlreichen Organen gesagt worden, daß es sich nicht bloß
8
um die Niederwerfung des französischen Erbfeindes handle,
sondern auch um die Niederwerfung eines andern Feindes,
nämUch um die Niederwerfung der Gegner der national-
hberalen PoHtik bei uns." ,,Nur wenn ganz Deutschland
auf den Plan tritt, sind wir gerettet vor nationalliberaler
Tyrannis!" Gerade die innere Politik des Ministeriums Hohen-
lohe und sein enges Verhältnis zur Fortschrittspartei hatten
die Opposition der konservativ-katholischen Richtung, die
nach der Katastrophe von 1866 kleinlaut geworden war, neuer-
dings verschärft und erweitert . Darüber sind auch die , , Historisch-
politischen Blätter", die für die Bismarckische Politik in den
Anfängen seines Ministeriums oft ein überraschendes Verständ-
nis bekundet hatten, in immer schärferen Gegensatz zur
deutschen Politik Bismarcks geraten. Die Fortschrittspartei
und mit ihr das Ministerium Hohenlohe wurden nicht bloß als
die ,,Verpreußer" gebrandmarkt, sondern im Hinblick auf die
Hohenlohesche Sozialgesetzgebung auch als die Zerstörer des
bayerischen Wohlstandes, im Hinblick auf seine Kirchen- und
Schulpolitik als die Zerstörer des Glaubens verschrieen. Der
Liberalismus, in Bayern die Fortschrittspartei, hat, wie ich
später noch näher zeigen werde, namentlich in den Kreisen der
Intelligenz und des Beamtentums, beim Bürgertum und der
protestantischen Landbevölkerung unermüdlich und erfolg-
reich für den preußisch-deutschen nationalen Staatsgedanken
geworben. Das ist sein Verdienst. Er hat aber auch damals wie
später, in den siebziger Jahren, das religiöse Empfinden des
katholischen Volksteiles zu wenig geschont und ihm damit das
Einleben in die neue deutsche Entwicklung erschwert. Die
patriotische Partei war nach der Auffassung des geistig be-
deutendsten Führers der Partei, Dr. Jörgs, nichts anderes als
die „Koalition aller derjenigen Elemente im Volke, die sich
durch die tyrannische Herrschaft des Liberalismus aufge-
schreckt fühlten zum Widerstände." Und dieser Koalition,
dieser Landtagsmehrheit war in Thron- wie in Ministerreden,
im Frühjahr und selbst noch bei Ausbruch des Krieges immer
wieder das Versprechen gegeben worden, daß die bayerische
Regierung nur einer solchen Gestaltung Deutschlands ihre
Zustimmung erteilen werde, die die Selbständigkeit Bayerns
nicht gefährde. Die patriotische Partei hat auf das Königs-
wort in der Thronrede vom Januar 1870 auch immer wieder
hingewiesen. Daß gerade Bismarck die Selbständigkeit Bayerns
gegenüber unitaristischen Bestrebungen verteidigen würde,
das wußte oder glaubte man damals noch nicht.
9
Am allerwenigsten konnte man ein solches Opfer in einem
Augenblick erwarten, da Bayern nicht etwa militärisch nieder-
geworfen worden war, sondern Preußen und Deutschland durch
sein bundestreues Verhalten wichtige Dienste erwiesen und
die preußische Regierung und die preußische Presse, aber auch
zahlreiche Zuschriften aus allen Kreisen und aus allen Gegen-
den Deutschlands, die noch heute im Kabinettsnachlasse des
Königs liegen, diese Verdienste überschwänglich gefeiert und
damit das Selbstgefühl Bayerns noch gehoben hatten. In
einem Augenblicke, da der König von Preußen eben noch
die Zusicherung gegeben hatte, daß Bayerns staatliche
Selbständigkeit gegenüber der deutschnationalen Richtung
im Krieg und nach dem Krieg unversehrt erhalten bleiben
solle, da die preußische Regierung ausdrücklich bekarÄt hatte :
der gegenwärtige, ruhmreiche Krieg habe neuerdings dargetan,
daß die berechtigte Selbständigkeit Bayerns mit der Größe
imd den Interessen Deutschlands wohl vereinbar sei. Gegenüber
anders gearteten Erwartungen der sächsischen Regierung
erklärte der bayerische Gesandte am Dresdener Hofe: ,, Schon
Fürst Hohenlohe habe den Eintritt Bayerns in den Bundes-
staat als mit den souveränen Rechten seines Königs unverein-
bar erklärt; um wieviel weniger könne nunmehr jetzt, nachdem
durch glänzende militärische Erfolge mit einer ganz selb-
ständigen, ohne auswärtige Hilfe organisierten Armee die
volle Ebenbürtigkeit mit Preußen konstatiert sei, von Kon-
zessionen die Rede sein, welche die obersten Kronrechte
schmälern." 1) ,,Man kann uns doch nicht dafür strafen, daß
wir so treulich mithalten," hatte schon vorher der frühere
Minister Freiherr v. Schrenck zum badischen Gesandten in
München geäußert. 2)
Wenn man mit Recht von preußischen Traditionen spricht,
so darf man eben nicht vergessen, daß es auch ein bayerisches
Erbe, bayerische Überlieferungen, bayerische Bindungen gab.
Wie von Preußen, durfte man auch von Bayern keine Politik
erwarten, die nicht seinem eigensten Wesen entsprach. Natur
und Geschichte sind das eherne Gesetz, die Notwendigkeit,
das Schicksal auch der Staaten.
Die menschliche Natur neigt dazu, alles sie Begeisternde
dadurch zu erhöhen, daß sie es von den Arbeitsbedingungen
loslösen möchte. Und doch liegt gerade hierin der Hauptreiz,
den Wendepunkten der Nationen bis ins innerste Herz zu
^) Bericht Paumgartens vom 12. Okt. 1870, M. St. A.
2) K. St. A.
10
sehen, wurzelt gerade hierin die weltgeschichtHche Größe
des Lebenswerkes des größten deutschen Staatsmannes, der
alle diese Schwierigkeiten überwand, in wenigen Wochen das
schuf, wonach Generationen von Staatsmännern und Parla-
menten vergebens gerungen.
Die Ankläger Bayerns sind in Wirklichkeit die Verkleinerer
Bismarcks.
IL
Die Haltung Bayerns bei Ausbruch
des Deutsch ^französischen Krieges
Der Schöpferkraft des Genies hat die Schöpferkraft des
Krieges den Weg gebahnt.
Schon im Jahre 1860 hatte einer der Gründer der baye-
rischen Fortschrittspartei, Karl Brater, die prophetischen
Worte gesprochen: ,, Möchten alle wissen in Frankreich, daß
Tausende bei uns den Moment eines französischen Angriffs
als stärksten Zauber zur Schlichtung des inneren Haders, zur
endlichen Lösung der deutschen Verfassungsnot fast un-
geduldig herbeisehnen." Diesen französischen Angriff brachte
der Sommer des Jahres 1870.^)
Kaiser Napoleon III. hatte früher mit Preußen gelieb-
äugelt, solange es galt dem damals noch gefährlicheren Öster-
reich Abbruch zu tun. Seit der Schlacht von Königgrätz
erblickte die öffentliche Meinung Frankreichs in Preußen den
1) Aus der Literatur zur Vorgeschichte des Krieges verweise ich auf:
Lenz, Gesch. Bismarcks^ (191 1) ; Marcks, Kaiser Wilhelm^ (1905) ; H. Delbrück,
Das Geheimnis der Napoleonischan Politik in: Preuß. Jahrbuch., Bd. 82 (1890) ;
W. Busch, Die Beziehungen Frankreichs zu Österreich und Italien (1900) ;
Bourgeois-Clermont, Rome et Napoleon III. (1907) ; v. Petersdorff, Der Streit
über den Ursprung des Deutsch-französischen Krieges in: Forsch, z. Brand,
u. Preuß. Gesch., Bd. 9. u. 10; Brase, Emil Olliviers Memoiren und die
Entstehung des Krieges von 1870 (1912); E. v. Wertheimer, Zur Vorgesch.
des Krieges von 1870 in: Deutsche Rundschau Bd. 185 u. 186 (1920 u. 1921);
H. Hesselbarth, Drei psychologische Fragen zur spanischen Thronkandidatur
(1913); R. Fester, Briefe, Aktenstücke und Regesten zur Geschichte der
hohenzoUernschen Thronkandidatur in Spanien (191 3); derselbe, Neue Bei-
träge zur Geschichte der hohenzoUernschen Thronkandidatur {191 3); der-
selbe, Die Genesis der Emser Depesche (1915) ; dazu Stern und Lord a. a. O. —
Meine Darstellung der Haltung Bayerns gründet sich vornehmlich auf die
bayerischen Ministerialakten im Münchener Geh. Staatsarchiv und die
einschlägigen Akten im Münchener Kriegsarchiv ; sie wurden ergänzt durch
die Akten im Hauptarchiv des Auswärtigen Amtes in Berlin und durch die
intime Korrespondenz zwischen den Grafen Beust und Bray im Nachlasse des
letzteren. Vgl. dazu Beilagen I.
12
gefährlicheren Gegner, den Vertreter des in der Einigung be-
griffenen Deutschlands und damit jenes Systems, das Frank-
reich seit Jahrhunderten planmäßig bekämpft hatte. Seit dem
Scheitern der französischen Kompensationsforderungen vom
August 1866 standen sich auch der Kaiser der Franzosen und
der Leiter der preußischen Politik, Graf Bismarck, mit tiefstem
Mißtrauen gegenüber. Den Ausgang des Luxemburger Handels
vollends empfand Napoleon als eine schwere persönliche
Demütigung. Frankreich wachte jetzt gemeinsam mit Öster-
reich über der strengen Einhaltung des Prager Friedens, der
der preußisch-deutschen Politik den Weg nach dem Süden
versperren sollte. Der Kaiser der Franzosen arbeitete vom
März bis Dezember 1869 persönlich an der Bildung einer
europäischen Koalition gegen Preußen, an einem Bündnisse
mit Osterreich, das die Erinnerung an das Jahr 1866 noch nicht
verwunden hatte, und mit Italien, das dem früheren Bundes-
genossen Preußen grollte, weil dieses seine Absicht auf Süd-
tirol nicht unterstützt hatte. Das Ziel Frankreichs war Er-
werbung des Rheins, Zerschlagung Deutschlands in möglichst
kleine Staaten und Unterdrückung der hegemonistischen
Bestrebungen Preußens. Zu einem Abschluß waren diese diplo-
matischen Verhandlungen allerdings noch nicht gekommen,
hauptsächlich weil Italien Absichten auf Rom hatte und aus
diesem Grund Abzug der französischen Besatzungstruppen
verlangte und weil Österreich beim Ausbruch eines Deutsch-
französischen Krieges nicht sofort losschlagen, sondern erst
den Gang der Ereignisse in Süddeutschland abwarten wollte.
Immerhin hatten die Monarchen der drei Staaten im September
1869 persönliche Briefe ausgetauscht, in denen die Grundlage
und der Geist der vorausgegangenen diplomatischen Verhand-
lungen als moralisch verpflichtend anerkannt wurde, und
hatten im Frühjahr und Frühsommer 1870 in Paris und in
Wien militärische Besprechungen über einen künftigen Feld-
zugsplan gegen Preußen stattgefunden. Napoleon glaubte
im Ernstfall auf österreichische und italienische Waffen-
hilfe rechnen zu dürfen. Und schon hatte Marschall Niel
eine Erneuerung und Verstärkung der französischen Armee
eingeleitet. Preußen blieben weder die französischen Bündnis-
verhandlungen noch die französische Heeresreorganisation
unbekannt.
Auf diesem Hintergrunde mit seinem ,,cauchemar des
coalitions" ist der unmittelbare Anlaß zum Deutsch-französi-
schen Kriege, die spanische Thronkandidatur des fürstlichen
13
Hauses Hohenzollem, und das Verhalten Bismarcks zu ihr zu
würdigen.
Die Spanier hatten durch eine MiHtärrevolution ihr Staats-
oberhaupt, die Königin Isabella, verjagt. Sie sahen sich in
ganz Europa um Kandidaten für ihren Thron um. Wiederholt
dachte man an einen deutschen Prinzen, an ein Mitglied des
fürstlichen Hauses Hohenzollern. Wiederholt lehnte das Haus
ab. Im Sommer 1870 wurde der Antrag neuerdings gestellt
und jetzt nahm der junge Erbprinz Leopold, der älteste Sohn
des Fürsten Karl Anton von Hohenzollern, an.
Die Franzosen haben von jeher die Auffassung ver-
treten, daß die hohenzollerische Kandidatur ein Werk Bis-
marcks gewesen sei. Die Deutschen haben das lange Zeit
bestritten. Die Franzosen haben recht behalten: der Bruder
des Erbprinzen von Hohenzollern, König Karl von Rumänien,
hat das Geheimnis in seinen Lebenserinnerungen ,,Aus den
Denkwürdigkeiten König Karls von Rumänien" gelüf-
tet. Seine Enthüllung wurde von anderer Seite bestätigt und
ergänzt. Mag auch der Gedanke ursprünglich von Spanien
ausgegangen sein oder noch früher von dem jetzigen preußi-
schen Gesandten am Münchener Hofe, Freiherrn v. Werthern,
der in einem Schreiben an Bismarck vom 25. Juli die erste
Anregung der hohenzollerischen Kandidatur für sich in An-
spruch nimmt 1): Bismarck unterstützte den Gedanken so,
übte auf den Prinzen und dessen Vater, um ihre anfängliche
Abneigung zu überwinden, einen solchen Druck aus, daß die
hohenzollerische Kandidatur als sein Werk gelten kann
— im Gegensatz zu König Wilhelm von Preußen, der dem
Projekte gleichgültig, im Grunde des Herzens sogar abgeneigt
gegenüberstand. Um die Gefahr, daß die Angelegenheit mit
einer diplomatischen Niederlage Preußens enden könnte,
zu umgehen, gab Bismarck der Öffentlichkeit gegenüber die
Kandidatur für eine Privatangelegenheit des fürstlichen Hauses
Hohenzollern aus, an der die preußische Regierung keinen
Anteil hätte und wofür sie die Verantwortung ablehne. Unter
dem Schutze dieser klug genommenen Deckung betrieb er
mit aller Energie die Kandidatur, schickte sogar hohe Beamte
und Militärs wie seinen Mitarbeiter Lothar Bucher, den General
V. Bernhardi und den Major im preußischen Generalstab
V. Versen nach Spanien, um sich über die Lage und Stimmung
daselbst aufzuklären.
1) H. A. A.
14
Graf Bismarck hat sich in einer für König Wilhelm be-
stimmten Denkschrift über seine Motive ausgesprochen.
Er erwartete von einer deutschen Kandidatur wirtschaftliche
Vorteile für Preußen und Deutschland in Spanien. Er ver-
sprach sich aber auch politisch-militärische. Die Kandidatur
war eben als politischer Gegenzug gegen die antipreußische
Koalition gedacht: ein hohenzollerischer König in Spanien
zwang im Fall eines Krieges den Kaiser der Franzosen, mit der
Möglichkeit einer Bedrohung im Rücken zu rechnen, nötigte
ihn also wenigstens ein Armeekorps an den Pyrenäen aufzu-
stellen und damit seine Streitkräfte gegen Preußen zu schwä-
chen. Spanien war vielleicht jetzt eine ähnliche Rolle zu-
gedacht wie 1866 Italien. Man hat auch gemeint, Bismarck
habe mit der vollzogenen Tatsache Frankreich überrumpeln
und einen diplomatischen Erfolg über das französische Kaiser-
tum erringen wollen, um dessen ohnehin erschüttertem An-
sehen einen weiteren moralischen Schlag zu versetzen. Man
hat selbst gemeint, Bismarck habe mit dieser Kandidatur
von Anfang an den Franzosen eine Falle stellen und den Aus-
bruch des Krieges beschleunigen wollen. Es ist wohl wahr-
scheinlicher, daß, wie beim Ausbruche des Weltkrieges, beide
Teile erst durch die Macht der Ereignisse immer weiter ge-
trieben wurden: die französische Regierung durch die eigene
Unvorsichtigkeit, Bismarck durch die Provokation seitens
der Franzosen, in dem Augenblick, als diese durch über-
spannte Forderungen einerseits sich ins Unrecht gesetzt,
anderseits Preußen vor die Gefahr einer morahschen Nieder-
lage gestellt hatten, die namentlich auf Süddeutschland
nachteihg einwirken konnte. Jedenfalls hat Bismarck von
diesem Augenbhck an die Entwicklung bewußt verschärft,
in der Absicht den Krieg zu beschleunigen.
Bismarck wußte, daß ein Waffengang mit Frankreich,
schon wegen der Lösung der deutschen Frage, für die Dauer
unvermeidhch sei. Damals erachtete man es als die Pflicht
eines Staatsmannes, einen Krieg, den er für die Dauer un-
vermeidhch hält, zeithch zu seinen Gunsten zu fixieren, sei
es durch Beschleunigung, sei es durch hinziehende Verhand-
lungen. Nun aber wußte man im preußischen Generalstabe,
daß das Instrument des Krieges, das Heer, trotz der Bemühun-
gen des Marschalls Niel in Frankreich tatsächhch nicht fertig
war, Preußen aber, dessen Heereseinrichtungen inzwischen
in den neuen preußischen Provinzen wie in Süddeutschland
durchgeführt waren, einen großen militärischen Vorsprung
15
besaß, der jedoch für die Dauer kaum aufrechterhalten werden
konnte. Miütärische Erwägungen forderten also eine Beschleu-
nigung des Krieges und diese hielt Bismarck vielleicht auch durch
die Rücksicht auf gewisse Vorgänge in Württemberg und in der
bayerischen Kammer für geboten : aus Gründen, die ich schon
früher anführte, namentlich kirchenpolitischen, hatte sich hier
das Verhältnis zu Preußen wieder unfreundlicher gestaltet.
Aber freilich, die hohenzollerische Thronkandidatur war
kein Kriegsanlaß, der von Haus aus geeignet war, günstig
auf die Entwicklung der alles beherrschenden deutschen Frage
einzuwirken. Ein ,, Prinz auf dem Throne Karls V." war
keine nationale Angelegenheit, sondern eine dynastische, die
das deutsche Interesse zunächst wenig oder nicht berührte
— die Franzosen haben das richtig herausgefühlt — , war nicht
das von den nationalen Parteien ersehnte ,, Moment eines
französischen Angriffs", sondern glich eher einer Herausforde-
rung Frankreichs. Alle derartigen Thronkandidaturen sind
Gegenstände internationaler Verhandlungen gewesen und die
französische Regierung übte von ihrem Standpunkt aus ein
gutes Recht, wenn sie verlangte, daß eine Kandidatur, die
sie ihrem Interesse, ihrer Sicherheit, ihrem moralischen An-
sehen im Land gefährlich hielt, zurückgezogen werde. Auf
Grund der Allianzverträge von 1866 fühlten sich die süd-
deutschen Staaten, wenigstens Bayern und Württemberg,
nur bei einem Angriffskrieg auf Deutschland zur Heeresfolge
verpflichtet. Es war fraglich, ob im Fall eines aus der hohen-
zollerischen Thronkandidatur entstandenen preußisch-franzö-
sischen Waffenganges die süddeutschen Regierungen den
casus belli als gegeben erachten würden. Es war selbst zu be-
fürchten, daß der Zwischenfall die ohnehin schon gereizte
Stimmung eines Teiles der süddeutschen Bevölkerung gegen
Preußen verschärfen werde.
Wie nun Bismarck der, wie es schien, preußischen Heraus-
forderung den Charakter eines französischen Angriffs, der
dynastischen Angelegenheit des Hauses Hohenzollern die
Gestalt einer nationalen Frage des deutschen Volkes zu geben
wußte, war eines der Meisterstücke seiner Diplomatie. Aller-
dings bereiteten ihm zwei ganz verschiedenartige Momente
den Weg dazu: das herausfordernde Benehmen Frankreichs
und das nach der Auffassung Bismarcks schwächliche Ver-
halten König Wilhelms von Preußen.
Die Wahl des Prinzen Leopold durch die spanischen Cortes,
die als eine vollendete Tatsache die Welt überrasch en sol te>
16
verzögerte sich. Dadurch gewann die französische Presse unter
Führung des offiziellen „Constitutionnel" Zeit, sich des Falles
zu bemächtigen. Durch die französischen Zeitungen ging ein
Sturm der Erregung und dieser pflanzte sich in die französische
Kammer fort: „Das zweite Empire hat Italien und Preußen
groß gemacht. Seine Schuld war Sadowa, seine Schuld ist
es, wenn ein preußisches Reich, in dem die Sonne nicht unter-
geht, entstehen sollte." Unter dem Druck der Presse und des
Parlamentes gab die französische Regierung am 6. Juli im
gesetzgebenden Körper Erklärungen ab, die einer Heraus-
forderung an die preußische Regierung gleichkamen: ,,Wir
glauben nicht, daß die Achtung vor den Rechten eines Nachbar-
volkes uns verpflichtet zu dulden, daß eine fremde Macht,
einen ihrer Prinzen auf den Thron Karls V. setzend, zu unserem
Schaden das gegenwärtige Gleichgewicht der Kräfte in Europa
stören und die Interessen und die Ehre Frankreichs gefährden
könnte. Wir hoffen, dieser Fall wird nicht eintreten. Wir
rechnen auf die Weisheit des deutschen und die Freundschaft
des spanischen Volkes, daß sie es verhindern. Sollte es
anders kommen, so würden wir, stark durch die
Unterstützung des Parlamentes und der Nation,
ohne Zaudern und ohne Schwäche unsere Pflicht zu
erfüllen wissen." Schon fiel im Schöße des Parlamentes
das Wort, daß man Zeuge einer Kriegserklärung gewesen sei.
Schon verkündete der ,,Constitutionnel" am Morgen des 7. Juli,
daß Frankreich zum Marschieren bereit sei. Da der Unter-
staatssekretär im Berliner Auswärtigen Amte, v. Thile, in
Vertretung des in Urlaub weilenden Grafen Bismarck erklärte,
daß die Regierung des Norddeutschen Bundes von der Thron-
kandidatur des hohenzollerischen Prinzen nichts wisse und
daß diese als eine hohenzollerische Hausangelegenheit sie
auch nichts angehe, erhielt der französische Botschafter am
preußischen Hofe, Graf Benedetti, den Auftrag, das Haupt
des hohenzollerischen Hauses, den zur Kur in Ems weilenden
König Wilhelm, zu verpflichten, daß er dem Prinzen Leopold
den Verzicht auf die spanische Thronkandidatur anrate oder
gar befehle.
Der König lehnte ruhig und gemessen jede Verpflichtung
ab: er lasse dem Prinzen volle Entschlußfreiheit, vermeide
jede Beeinflussung. Aber er gab dem Grafen Benedetti doch
zu verstehen, daß er einem Verzichte des Erbprinzen nichts
in den Weg legen werde, er ging so weit, daß er den Grafen auf
Briefe aus Sigmaringen, die er erwarte, vertröstete. In der
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gleichzeitigen Korrespondenz mit dem Vater des Prinzen, dem
Fürsten Karl Anton von Hohenzollern, vermied es König
Wilhelm zwar geflissentlich, einen Verzicht zu befehlen oder
auch nur anzuempfehlen; er wollte die Verantwortung für
ein Zugeständnis nicht übernehmen, das das deutsche National-
gefühl verletzen konnte. Aber er gab doch brieflich wie münd-
lich, durch seinen Adjutanten, deutlich zu verstehen, daß er
einem Verzichte zustimmen werde, ja daß er den Kriegs-
vorwand Frankreichs beseitigt wünsche. Wirklich traf am
12. Juli, zunächst in Madrid, dann in Paris, die Nachricht ein,
daß der Fürst von Hohenzollern im Namen seines in den
Bergen weilenden Sohnes angesichts der drohenden Ver-
wicklungen auf die spanische Kandidatur verzichtet habe.
Bismarck, der seinen König telegraphisch gebeten hatte, sich
mit dem Grafen Benedetti auf nichts einzulassen, ihn vielmehr
an seinen Minister zu verweisen, war nicht zufrieden mit der
Haltung König Wilhelms. Er erklärte allerdings in Berlin,
wohin er inzwischen aus dem Urlaube zurückgekehrt war, nach
dem Berichte des bayerischen Geschäftsträgers: ,,Le prince a
renonce, tout est fini." Aber in einem Ton und mit begleitenden
Worten, die deutlich seinen Unmut verrieten. Demselben
bayerischen Geschäftsträger entgegnete er später, als dieser
die rasche Entsagung des Prinzen von Hohenzollern im Inter-
esse des Friedens als ,,sehr chevaleresk" rühmte: daß er das gar
nicht chevaleresk gefunden habe, vielmehr hätte der Prinz ent-
weder die Kandidatur nicht annehmen oder, nachdem er sie
angenommen habe, gleich nach Spanien gehen müssen, ohne
viel zu fragen, keinesfalls aber die preußische Regierung in die
Angelegenheit verwickeln dürfen. Bismarck sprach eine Zeit-
lang von Rücktrittsgedanken.
In der Tat, die Haltung König Wilhelms konnte, wiewohl
er und Fürst Anton von Hohenzollern den Schein einer Mit-
wirkung des Preußenkönigs beim Verzichte des Erbprinzen
von Hohenzollern vermieden hatten, für das Ansehen des
preußischen Staates gefährlich werden: nach den Provo-
kationen der französischen Zeitungen, der französischen
Kammer und der französischen Minister konnte der Anschein
entstehen, als ob nicht der Erbprinz von Hohenzollern, son-
dern der Preußenkönig vor den französischen Drohungen zu-
rückgewichen sei.
Und doch gebührt gerade König Wilhelm ein nicht ge-
ringes Verdienst daran, daß der Waffengang Preußens mit
Frankreich den Charakter eines Verteidigungskrieges und
Doeberl, Bayern und die Bismarckische Reichsgründung. 2
18
einer nationalen Erhebung annahm und damit zum Einigungs-
kriege werden konnte. ,, Wilhelms persönliches Verdienst war
es, daß er die Kandidatur entschlossen beseitigte und den
Franzosen, wenn sie sich damit nicht zufrieden gaben, das
Odium und die Folgen des Angriffs zuschob." Und die fran-
zösische Regierung gab sich nicht zufrieden. Sie wollte nicht
bloß den Verzicht des Erbprinzen von Hohenzollern, sie wollte,
um sich einen diplomatischen Erfolg zu sichern und ihreStellung
im eigenen Lande zu heben, eine ,,participation du roi de
Prusse", eine königlich-preußische Stempelung des Verzichtes.
Graf Benedetti erhielt am Morgen des 13. Juli den Auftrag,
von König Wilhelm die weitere Erklärung zu fordern, daß der
König von Preußen dem Verzichte des Erbprinzen zustimme
und eine Bewerbung des fürstlichen Hauses Hohenzollern
auch in Zukunft nicht zulassen werde. Das war eine glatte
Herausforderung.
Bis jetzt war die Kriegsursache eine dynastische gewesen,
galt in weiten Kreisen Preußen als der Angreifer, war der
Krieg für Preußen ein schweres Wagnis; seit dem 13. Juli
war der Waffengang ein Angriffskrieg Frankreichs, war die
Kriegsursache eine nationale, verhieß der Krieg für Preußen
und — Deutschland Gewinn. Das Übrige besorgte die über-
legene Politik Bismarcks, unterstützt von seinem politischen
Zögling, dem Geheimen Rat Abeken, mit der Emser Depesche
und der Kundgabe der Absicht einer preußischen Garantie-
forderung gegen die Wiederkehr solcher französischer Heraus-
forderungen — in demselben Augenblicke, da man sich fran-
zösischerseits doch noch entschloß, mit der Billigung des Ver-
zichtes durch den König von Preußen sich zu begnügen, die
weitergehende Forderung fallen zu lassen. Angesichts der be-
vorstehenden preußischen Garantieforderung und des drohen-
den preußischen Ultimatums sah die französische Regierung die
einzige Sicherung gegen eine innere Revolution in der Kriegs-
erklärung an Preußen. Am 14. Juli wurde von einer engeren
Konferenz, am 15. vom französischen Gesamtministerium die
Kriegserklärung beschlossen.
Der seit Jahren von Tausenden ,, ersehnte Moment eines
französischen Angriffs als stärkster Zauber zur Schlichtung
des inneren Haders, zur endlichen Lösung der deutschen Ver-
fassungsnot" war gekommen. Und schon hatte Preußen
halbe Gewißheit, daß weder Österreich noch Italien dem
Kaiser der Franzosen Waffenhilfe leisten würden. Rußland
verpflichtete sich, Österreich mit 300000 Mann anzugreifen.
19
wenn es losschlagen sollte. Schon hatte der englische Minister
Gladstone zum preußischen Botschafter in London geäußert:
Preußen sei bis an die äußerste Grenze der Versöhnlichkeit
gegangen und Frankreich würde im flagrantesten Unrecht
sein, wenn es trotzdem Krieg beginnen würde.
Es ist für die Entwicklung der deutschen Frage zunächst
von Bedeutung, wie diese welthistorischen Vorgänge an die
bayerische Regierung herangetragen wurden.
Die erste Nachricht von der hohenzollerischen Thron-
kandidatur kam nach München durch den Vertreter des
bayerischen Gesandten in Berlin, Freiherrn v. Tautphöus, und
zwar in der Form, als ob die Wahl des Prinzen von Hohen-
zollern bereits vollzogen sei. Tautphöus berichtete am 4. Juli:
,, Heute Nachmittag brachte das hiesige Wolf f sehe Telegraphen-
bureau die Nachricht, daß von den spanischen Cortes ein
Prinz von Hohenzollern zum König erwählt und bereits eine
Deputation von Madrid abgereist sei, um demselben die Krone
anzubieten." Erst am 7. Juli berichtigte und ergänzte er
seine Meldung dahin: der spanische Gesandte habe auf tele-
graphische Weisung aus Madrid der preußischen Regierung
mitgeteilt, daß das spanische Ministerium beschlossen habe, den
Prinzen von Hohenzollern den Cortes als Thronkandidaten
vorzuschlagen, in der Erwartung, daß die Wahl Preußen ange-
nehm sein werde.
Am 5. Juli meldete Tautphöus, der französische Geschäfts-
träger in Berlin habe sich heute zum Unterstaatssekretär
V. Thile begeben, um die Stellung der preußischen Regierung
zur hohenzollerischen Thronkandidatur zu erfahren, wobei
er ihm nicht verhehlte, daß die Nachricht in Paris einen un-
günstigen Eindruck gemacht habe. Herr v. Thile sei durch die
Frage sichtlich in Verlegenheit geraten, habe sich den Anschein
gegeben, nur aus den Zeitungen davon Kenntnis zu haben, und
schließlich geäußert, daß die preußische Regierung von der-
artigen Verhandlungen nichts wisse. Dieselbe Unkenntnis
habe anfänglich auch der spanische Gesandte in Berlin zur
Schau getragen und sich dabei auf seinen Kollegen in Paris
berufen, der telegraphiert habe, daß die Nachricht völlig
unbegründet sei.
Der bayerische Geschäftsträger in Berlin hält von Anfang
an die Möglichkeit einer Bismarckischen ,,Intrigue" nicht für
ausgeschlossen: Graf Bismarck würde viel wagen, um dem
20
Hause Hohenzollern eine Macht zu erringen, wie sie seit Karl V.
nur von den Habsburgern in Europa besessen worden sei.
Später hat sein Chef, der nicht gerade preußenfreundhche Ge-
sandte Freiherr v. Perglas, unter Berufung auf authentische
Quellen und auf Mitteilungen vertraulichster Natur, die
Mitwirkung Bismarcks bei der Aufstellung der hohenzolleri-
schen Thronkandidatur mit aller Bestimmtheit gemeldet und
intime Einzelheiten über deren Vorgeschichte berichtet: ,,Mit
allen offiziellen Drucksachen wird Bismarck uns (eingeweihte
Diplomaten) nicht überzeugen können, daß er nicht, und
zwar amtlich, um die hohenzollerische Kandidatur gewußt
habe. Schon vor Monaten war dieselbe wiederholt dem Könige
zur Billigung unterbreitet worden, der dieselbe längere Zeit
verweigerte. Graf Bismarck hat allerdings damals die Er-
örterungen darüber und Aufzeichnungen nicht in seinem
Departement pflegen und arbeiten lassen, sondern er hat ver-
anlaßt, daß letztere im Hausministerium zu geschehen hätten.
Wohlbekannt war ihm die Sache, und ihre Behandlung ist
ebenso unter seiner Leitung und seiner Verantwortlichkeit
wie alle andern Maßregeln im Norddeutschen Bund erfolgt.
Endlich hatte der König dem Andrang des Fürsten Hohen-
zollern (des Vaters) nachgegeben, der hieher gekommen war
und zwei Momente zur Erwägung empfahl, um den Beschluß
zu erlangen, einmal den Wert für Spanien, einen deutschen
Prinzen auf dem Thron zu haben, dessen Geburt und hohe
Eigenschaften dem Lande Garantie der Entwicklung und
Konsolidierung bieten würden, dann, daß im Fall eines
Krieges Preußens mit Frankreich seine Erhebung auf den
spanischen Thron von unschätzbarem Werte für Preußen
sein würde."
Alle diese Meldungen waren derart, daß die hohenzolleri-
sche Thronkandidatur als ein Ausfluß dynastischen Ehrgeizes
und diplomatischer Intrigue und als ein Affront gegen Frankreich
erscheinen konnte, nicht aber als eine nationale Angelegenheit,
in der sich das deutsche Volk in der Rolle des Verteidigers
befand. Und hierin mußten die Nachrichten noch bestärken,
die über das Verhalten der neutralen Höfe, ihre Überraschung
und ihre Mißbilligung, eintrafen, namentlich aus Wien. ,,Graf
Beust" — so meldete der interimistische bayerische Geschäfts-
träger am österreichischen Hofe, Graf Fugger — ,,ging bereit-
willigst auf eine Besprechung hierüber ein und gab mir seine
Ansicht bezüglich dieser Frage dahin kund, daß er glaube, daß
das Projekt, den Prinzen Hohenzollern auf den spanischen
21
Königsthron zu erheben, aufgegeben werden müsse, da es den
Intentionen des Tuilerienkabinetts nicht entspreche und
letzteres die Angelegenheit sehr ernst nehme . . . Der Reichs-
kanzler fügte die Bemerkung bei, daß er den Grafen Bismarck
in dieser Sache nicht begreife, indem, wenn die Kandidatur
zu keinem Resultate führe, wie es bei der ernsten Haltung
Frankreichs den Anschein habe, es für den Grafen Bismarck
eine Blamage sei, während das Gelingen des Projektes einen
Krieg mit Frankreich hervorrufen könne, der für Preußen unter
ungünstigen Verhältnissen zu führen wäre, da besonders
Süddeutschland sich nicht erwärmen werde, für einen Hohen-
zollern die spanische Königskrone zu erwerben."
Die Nachrichten, die in den nächsten Tagen aus Paris
eintrafen, lassen jedoch Sympathien für Frankreich nicht auf-
kommen. Der bayerische Gesandte in Paris, Graf v. Quadt,
meldet ein förmliches Wutgeheul aus der französischen Haupt-
stadt : Die oppositionellen Zeitungen speien Feuer und Flamme
gegen die hohenzollerische Thronkandidatur. Bald be-
schränken sie sich nicht mehr auf Proteste, sondern erheben
Forderungen an Deutschland. Schon liest man in der Zeitung
,,Paix", daß der Rhein für die Sicherheit Frankreichs unent-
behrlich sei, schon verheißt ein französischer Deputierter in
der gesetzgebenden Versammlung: ,,Wenn wir den Rhein
nehmen, alsdann werden wir die Armee um looooo Mann
verringern können", schon äußert ,,nach bester Quelle" der
französische Außenminister Herzog v. Gramont selbst: ,,nous
ferons plutot la guerre que de tolerer un HohenzoUern sur le
tröne d'Espagne." Alle diese Wutausbrüche und Drohungen
baut man nach dem Berichte des Gesandten auf die vermeint-
liche Neutralität Süddeutschlands. Und dann meldet er den
scharfen Protest im offiziellen ,,Constitutionnel", die bekannte
Interpellation Cocherys, die herausfordernden Erklärungen
Gramonts und Olliviers vom 6. Juli und den enthusiastischen
Beifall, den sie im gesetzgebenden Körper hervorriefen. Er
unterstreicht noch den herausfordernden Charakter dieser
Erklärungen, stellt ausdrücklich fest, daß sich Ollivier nach
der Aussage des bayerischen Legationsrates Rudhart, der der
berühmten Sitzung im gesetzgebenden Körper anwohnte,
folgender Worte bediente: ,,Chaquefois — l'histoire nous le
demontre — que la France s'est montree ferme, l'Europe a
plie devant la volonte de la France, exprimee sans exageration
et dans les limites de son droit." Der Gesandte fügt hinzu:
,, Diese geflissentliche Rücksichtslosigkeit gegen das Berliner
22
Kabinett, welches man in Gegensatz zum peuple Allemand
stellt, ist nicht danach angetan, das Einlenken in Berlin zu
erleichtern. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren,
daß nunmehr die französische Regierung es darauf abgesehen
hat, mit Preußen anzubinden oder zum mindesten letzteres,
falls es nachgibt, eklatant zu demütigen." Am lo. Juli telegra-
phiert der Gesandte aus Paris: ,, Offizielle Blätter erklären heute
bereits einen Verzicht Hohenlohes für ungenügend, verlangen
Ausführung des Prager Friedens, Emanzipation Süddeutschlands
von Preußen, Räumung vonMainz. ' ' Gleichzeitig faßt er seine Ein-
drücke in die Worte zusammen: ,, Welches auch immer das
Verhalten des Grafen Bismarck in der spanischen Throne
kandidaturfrage gewesen sein mag, so berechtigen doch alle
Symptome zu der Annahme, daß die französische Politik darauf
abzielt, diesen erwünschten Prätext zu verwerten, um den
Krieg mit Preußen einzuleiten. Dieser Vorgang des duc de
Gramont erinnert unwillkürlich an den Neujahrsgruß, welchen
Napoleon im Jahre 1859 an den österreichischen Botschafter
V. Hübner gerichtet hat, mit dem Unterschiede, daß diesmal
die parlamentarische Form gewählt wurde; daher bereits die
Erklärung des duc de Gramont als du Huebnerisme parle-
mentaire bezeichnet wird. Die Sprache der hiesigen Journale
resümiert sich in dem Satz: II faut en finir, une guerre avec
la Prusse etait inevitable apres l'humihation permanente
infligee ä la France depuis quatre ans, mais encore y fallait-
il un pretexte plausible . . . L'important etait d'avoir un
pretexte de guerre qui n'interessät pas l'Allemagne; il faut
donc saisir la balle au bond. Die Revanche von Sadowa ist
nunmehr der Grundton der hiesigen Politik. Die bekannte
Mobilität des französischen Temperaments offenbart sich
bei diesem Anlaß wie beim italienischen Kriege."
Noch einmal melden die bayerischen Gesandtschafts-
berichte eine Gelegenheit zu einem friedlichen Ausgleich
zwischen Frankreich und Preußen — die Emser Verhandlung.
Am 9. Juli schreibt der bayerische Geschäftsträger in Berlin:
,,Wie E. K. Majestät aus meinem letzten Telegramm von
heute morgen bereits zu entnehmen geruht haben, ist die
spanische Frage in eine neue Phase eingetreten, insofern die
Verhandlungen nunmehr von Souverän zu Souverän geführt
werden und deshalb einen ganz persönlichen Charakter an
sich tragen, wodurch die Aussichten auf eine friedliche Lösung
wesentlich an Wahrscheinlichkeit gewonnen haben." Der
Geschäftsträger berichtet gleichzeitig von den Bemühungen
23
des englischen, italienischen und österreichischen Botschafters
um die Erhaltung des Friedens und schließt mit der Hoffnung,
daß der hohenzollerische Prinz vermocht werde, freiwillig
auf seine Kandidatur zu verzichten, was wohl der einfachste
Ausweg aus dem Dilemma wäre.
Aber schon wenige Tage später, am 12. Juli, künden die
Vertreter Bayerns aus den europäischen Mittelpunkten des
politischen Lebens neue Unruhe und Sorge. Freiherr v. Taut-
phöus schreibt aus Berlin: ,, Trotz der etwas günstigeren
Auspizien beharrt Herr v. Thile bei seiner Ansicht, daß der
Krieg unvermeidlich sei. Es ist sehr auffallend, daß Herr
V. Thile auch Diplomaten gegenüber mehrmals bereits die
Überzeugung ausgesprochen hat, daß es zum Kriege kommen
werde. Was ich um so mehr hervorzuheben mir erlaube, als
der Staatssekretär sonst nie eine persönliche Ansicht kundzu-
geben pflegt." Graf Quadt berichtet am gleichen Tage aus
Paris: ,,Die französische Politik hat es entschieden darauf
angelegt, in kürzester Frist den Krieg mit Preußen einzu-
leiten. In den offiziellen Kreisen äußert man unverhohlen:
On est admirablement prepare, c'est une occasion magnifique
pour faire la guerre, il ne faut pas la laisser echapper, ce serait
une grande calamite, si un arrangement pacifique prevalait.
Daher auch die verletzendsten Zumutungen an den König von
Preußen gestellt werden, um einen Ausgleich zu hintertreiben.
Das desistement des Prinzen von HohenzoUern ist schon nicht
mehr genügend, sondern es handelt sich darum, den König
von Preußen zu Erklärungen zu nötigen, die eine eklatante
Demütigung involvieren." Auch aus Wien meldet Graf
Fugger: ,, Sowohl in diplomatischen Kreisen als im großen
Publikum ist man hier der Ansicht, daß das Kabinett der
Tuilerien die Thronbesetzung Spaniens durch einen Prinzen
aus dem hohenzoUerischen Hause benutzen wolle, um mit
Preußen den großen Kampf zu beginnen, und es ist auch
schwer, sich das Auftreten des Herzogs von Gramont in der
spanischen Frage gegenüber der französischen Kammer zu
erklären, wenn nicht die Absicht bestünde, einen Konflikt
herbeizuführen." Selbst der nichts weniger als preußen-
freundliche bayerische Gesandte Freiherr v. Gasser schreibt
am 12. Juli aus Stuttgart: „Der Herzog von Gramont und
Herr Ollivier eröffneten die Unterhandlungen in einer derart
undiplomatischen Weise, daß ein Nachgeben Preußens fast
ausgeschlossen wird und man unwillkürlich an einen parti pris
von Seiten Frankreichs zu denken gezwungen ist, Ist dem so,
24
dann ist der Krieg die Revanche für 1866 und die spanische
Thronkandidatur bloß der Vorwand. Die französische Re-
gierung verfolgt alsdann eine Entschädigung auf Kosten
Preußens — das heißt Deutschlands. In demselben Augen-
blicke tritt aber auch die Frage der Verpflichtung an Süd-
deutschland heran."
Und dann kamen in rascher, überstürzender Folge die
Nachrichten von dem Verzichte des Prinzen Leopold von
Hohenzollern, von neuen, weitergehenden Zumutungen Frank-
reichs an den König von Preußen, von der Garantieforderung
Bismarcks, von den denkwürdigen Vorgängen in Ems und
zuletzt, am 14. Juli, auf dem Weg über die preußische Ge-
sandtschaft die von Bismarck telegraphisch übersandte Emser
Depesche mit einem auf das monarchische Gefühl Ludwigs IL
zugeschnittenen Zusatz: ,, Nachdem die Nachrichten von der
Entsagung des Erbprinzen der Kaiserlich französischen
Regierung von der Königlich spanischen amtlich mitgeteilt
worden sind, hat der französische Botschafter in Ems Seiner
Majestät dem Könige noch die Forderung gestellt, ihn zu
autorisiren, daß er nach Paris telegraphiere, daß S. Majestät
der König Sich für alle Zukunft verpflichtet niemals wieder
seine Zustimmung zu geben, wenn die Hohenzollern auf ihre
Kandidatur wieder zurückkommen sollten. S. Majestät hat
es darauf abgelehnt, den französischen Botschafter nochmals
zu empfangen, und demselben durch den Adjutanten vom
Dienst sagen lassen, daß S. Majestät dem Botschafter
nichts Weiteres mitzutheilen habe. S. Majestät der König
von Bayern wird ein Gefühl dafür haben, daß
Benedetti den König auf der Promenade wider
dessen Willen provozirend angeredet hat, um
obige Forderung stellen zu können." Am gleichen
Tage berichtet Freiherr v. Tautphöus aus Berlin: ,,Den Krieg
selbst hält man hier in allen eingeweihten Kreisen für unaus-
bleiblich und herrscht hierüber eine seltsame Freude, nicht
bloß in den von Siegeszuversicht erfüllten Offizierskreisen,
sondern auch im Auswärtigen Amte. Insbesondere soll Graf
Bismarck, wie Herr v. Thile selbst mir meldete, sich ganz in
seinem Elemente fühlen. Die französische Botschaft ist ohne
alle Nachrichten. Bezüglich der Vorgänge in Ems erzählte
mir Herr v. Thile, Graf Benedetti habe den König auf der
Promenade unaufgefordert angesprochen und um eine definitive
Antwort ersucht. Der König habe ihm keine Antwort ge-
geben und, als dann Benedetti später eine Audienz verlangte.
25
habe ihm der König die bereits telegraphisch gemeldete Mit-
teilung durch den Adjutanten machen lassen. Der Staats-
sekretär sagte mir noch bei dieser Gelegenheit, er nehme seine
früheren tadelnden Äußerungen bezüglich Württembergs wieder
zurück, nachdem Freiherr v. Varnbüler mieux tard que
Jamals inzwischen die württembergische Regierung Frank-
reich gegenüber engagiert habe". Selbst der österreichische
Reichskanzler Graf Beust muß gegenüber dem Grafen Fugger
zugestehen, daß allerdings Frankreich durch sein Vorgehen
den furor teutonicus auf ungeschickte Art gegen sich wach-
gerufen habe.
Wie haben nun diese weltgeschichtlichen Vorgänge und
Meldungen auf die bayerische Regierung, zumal auf den
Leiter der bayerischen Pohtik, den Staatsminister Grafen
Otto V. Bray- Steinburg, gewirkt ?
Es ist die Vermutung ausgesprochen worden, daß Graf
Bray während seines Wiener Aufenhaltes durch den Herzog
von Gramont, den damaligen französischen Botschafter
am österreichischen Hofe, von den militärischen Abmachungen
zwischen Frankreich und Österreich verständigt worden sei.
Es hat sich auch nicht der leiseste Anhaltspunkt dafür in den
bayerischen Staatsakten gefunden. Wer die peinlich korrekte
Amtsführung des Grafen Bray beobachtet hat, zweifelt keinen
Augenblick, daß er seiner Regierung darüber berichtet hätte.
Was er auf Weisung seiner Regierung in den Jahren 1868
und 1869 tatsächlich aus den Wiener Kreisen berichtete oder
berichten konnte, geht über Allgemeinheiten und über tempe-
ramentvolle Äußerungen des Herzogs von Gramont, die dann
von der Pariser Regierung dementiert wurden, nicht hinaus
und wurde von ihm selbst in die Worte zusammengefaßt:
„Die Idee und Gefahr eines Krieges besteht leider und lastet
schwer auf Europa; zu bestimmten Entschlüssen hat es der
alternde Napoleon, der durch einen Krieg nichts gewinnen,
aber alles verlieren kann, nicht gebracht." Es ist nicht einmal
wahrscheinlich, daß Gramont selbst damals schon in die
Einzelheiten der französisch-österreichischen Verhandlungen
eingeweiht war; diese wurden zwischen Kaiser Napoleon und
dem österreichischen Botschafter Fürsten Metternich per-
sönlich geführt.
Ebenso unbegründet ist die Beschuldigung, Graf Bray
habe als Minister, trotz des bestehenden Schutz- und Trutz-
26
bündnisses mit Preußen, die angeblichen verräterischen Ver-
handlungen mit Frankreich fortgeführt. Auch davon findet
sich in den bayerischen Staatsakten nicht die leiseste Spur.
Dagegen spricht aber auch der Befund gerade der Akten,
auf die Ruville ^) seine Behauptung gründet, der vielberufenen
Papiere von Cer^ay, die Mitte Oktober 1870 im Schlosse des
früheren Ministers Rouher von deutschen Soldaten erbeutet
und nach Berlin gebracht wurden. In den Akten hat sich, wie auf
eine amtliche Anfrage der bayerischen Regierung ausdrücklich
festgestellt wurde, nichts gefunden, was bayerische Staatsmänner
belastet hätte. ^) Dagegen spricht das Zeugnis der französischen
Staatsmänner selbst : weder in den kritischen Juliwochen noch
nach dem Kriege haben sich diese auch nur andeutungsweise
auf derartige Verhandlungen berufen, wiewohl im Juli politische
und nach dem Kriege persönliche Motive den Gebrauch so
wertvoller Waffen nahegelegt hätten ; der französische Minister-
präsident Olli vier hat später vielmehr ausdrücklich festgestellt,
,,daß von Verhandlungen mit den Kabinetten von München
und Stuttgart keine Spur existiere".^) Dagegen spricht aber
auch die Persönlichkeit, auf die gerade Ruville seine Hypo-
these eingestellt hat, die PersönHchkeit des Grafen Bray, die
von allen wirklichen Kennern gerühmte Ehrenhaftigkeit seines
Charakters und die Korrektheit seiner Geschäftsführung,
von der man sich beim Studium der Akten Schritt für Schritt
überzeugt, nicht minder seine diplomatische Vorsicht, die
allen politischen Abenteuern abhold war. Wenn der nüchterne,
weltkluge, vorsichtige Staatsmann den bisherigen politischen
Referenten Freiherrn v. Völderndorff, den liebenswürdigen
Verfasser der ,, Harmlosen Plaudereien", der dem Minister zu
beweglich, zu unruhig, aber auch zu redselig war, kalt stellte
und die wichtigeren politischen Geschäfte allein oder mit
seinem Sohn oder mit seinem Vetter Grafen Hugo v. Lerchen-
feld verrichtete, so sind unmutige Äußerungen Völderndorffs
über die Geheimnistuerei seines Herrn*) begreiflich, geben
aber keine Berechtigung, die verwegensten Projekte und Ab-
sichten des Meisters zu wittern. Das Ministerium Bray be-
deutete gegenüber dem Vorgänger, dem Fürsten Hohenlohe,
^) Bayern und die Wiederaufrichtung des Deutschen Reiches (1909).
2) Vgl. dazu ,, Augsburger Abendzeitung" vom 7. Juli 1909.
^) Revue des deux mondes vom i. Juni 1909, S. 508. Vgl. dazu Gra-
monts Rechtfertigungsschrift „La France et la Prusse avant la guerre" (1872).
*) Mohl, Lebenserinnungen, S. 323; Lorenz, Kaiser Wilhelm und die
Giüridung des Deutschen Reiches, S. 603; Ruville a. a. O. S. 141.
27
wohl in der inneren Politik einen Ruck nach rechts und in der
äußeren PoHtik eine größere Zurückhaltung, keineswegs aber
eine politische Neuorientierung — weder nach der Meinung des
Fürsten Chlodwig von Hohenlohe, der ihn zu seinem Nach-
folger empfahP), noch nach der Meinung des Königs, der ihn
berief, noch nach der Meinung des Grafen Bismarck, der seine
Wahl ausdrücklich billigte, seine Bedenken gegen eine An-
nahme des Ministeriums überwinden half, ihm sogar auf eine
Anfrage hin sagen ließ, daß er zu keinem bayerischen Diplo-
maten mehr Vertrauen habe als zu ihm. 2)
Auch der Vorwurf, daß das Verhalten des Grafen Bray
bei Ausbruch des Krieges zweideutig und unzuverlässig war,
ist nicht begründet. Graf Bray ist allerdings nach seinem
eigenen Bekenntnisse ,, nicht ohne allseitige Erwägung der
Verhältnisse und nur schweren Herzens" in den Krieg einge-
treten. Das war um so begreiflicher, als ihm zu Beginn der
Krisis von der bayerischen Gesandtschaft die amtliche Nach-
richt zuging, Italien habe mit Frankreich ein Bündnis ge-
schlossen und stehe im Begriffe, mit 80000 Mann auf der
Brennerstraße nach dem deutschen Süden vorzubrechen. Die
Konstellation, die sich daraus in Verbindung mit einer öster-
reichischen Demonstration auf der langen Grenze von Hof bis
Bregenz und mit einer preußenfeindhchen Strömung im Lande
für die bayerische Regierung ergeben hätte, hatte selbst nach
dem für Bray nicht gerade wohlwollenden Urteil des preußi-
schen Gesandten v. Werthern ,,etwas Beunruhigendes".
Aber das Verhalten des Grafen Bray bei Ausbruch des Krieges
war gleichwohl durchaus korrekt. Er hat sich keineswegs
in bedenkliche Verhandlungen mit Kaiser Napoleon oder mit
dem Leiter der österreichischen Politik, Grafen Beust, einge-
lassen. Ich kann das an der Hand völlig einwandfreier Quellen,
zunächst der intimen Korrespondenz zwischen den Grafen
Bray und Beust, nachweisen.
In einem Schreiben vom 10. Juli 1870 an den ihm per-
sönlich befreundeten österreichischen Reichskanzler Grafen
von Beust, seinen ,, alten Göttinger Duzbruder", bekennt
Graf Bray allerdings, daß er sich ,,den Bemühungen der Groß-
mächte für die Erhaltung des Friedens sympathisierend an-
geschlossen habe". In demselben Schreiben, dessen Adresse
wohl zu beachten ist, übt er aber auch schon Kritik an der
Haltung Frankreichs: ,, Unser Freund (Gramont) hat den
^) Denkwürdigkeiten I, 439.
2) H. A.A. Vgl. dazu Lorenz a.a.O. S. 602.
28
diplomatischen Feldzug etwas hitzig und in einer Weise er-
öffnet, die zu dem Glauben berechtigt, daß man in Paris
lieber noch als wie Nachgeben des Gegners — den Krieg will :
qu'on veut en finir." Und er fährt weiter: ,,Ich möchte aber
doch darauf aufmerksam machen, daß es für Frankreich sicher
keine günstige Lage wäre, wenn es durch einen Angriff auf
Deutschland uns alle zwingt, für eine Verteidigung seiner
Grenzen mit einzutreten, und — gleichzeitig auch mit Spanien
sich verfeindet. Es wäre dies eine Lage ähnlich der Österreichs
zwischen Preußen und Italien." Er fügt hinzu, daß er sich
vorläufig in diesem Sinne dem französischen Gesandten
Herzog von Cadore gegenüber geäußert habe, wiewohl er
zurzeit ,,mit Berlin noch kein Wort über diese Sache ge-
wechselt hätte". In der Tat hat er unmittelbar nach der
herausfordernden Rede des französischen Ministers vom
6. Juli fast mit denselben Worten, wie Hohenlohe in der Krisis
der Luxemburger Frage, gegenüber dem französischen Ge-
sandten geäußert: ,, Sollte es zum Krieg kommen, so würde
Frankreich Deutschland einig finden", wie gleichzeitig
auch der damals in engster Fühlung mit ihm stehende württem-
bergische Staatsminister v. Varnbüler den französischen Ge-
sandten am Stuttgarter Hofe vor dem Nationalgefühl des
Südens warnte: er solle sich keinen Illusionen hingeben.
Graf Bray erbat sich allerdings in dem Schreiben vom
10. Juli ,,vor Annahme einer bestimmten Haltung" des
Grafen Beust Ansicht und Meinung. Graf Beust hat das in
seinem Antwortschreiben vom 14. Juli sehr wohlgefällig ver-
merkt.
Aber der Leiter der österreichischen Politik klagt auch
in dem nämlichen Schreiben: ,,Ich vernehme schon aus Berlin,
Graf Bismarck habe sich sehr anerkennend über die süd-
deutschen Regierungen, namentlich über die Haltung Bayerns
ausgesprochen, ich höre anderseits, man habe in München
es bereits erklärt, man werde seine deutschen Pflichten zu
tun wissen und ähnliches." Wenn dem so ist, dann habe Bayern
dem Kriege, statt ihn zu erschweren, den größten Vorschub
geleistet und habe es sich selbst zuzuschreiben, falls der erste
französische Schuß auf Bayern losgehen sollte. Unter diesen
Umständen vermeidet es der österreichische Reichskanzler,
einen Rat für die Zukunft zu erteilen, beschränkt sich darauf
festzustellen, was nach seiner Meinung Bayern gleich beim
ersten Auftreten des spanischen Zwischenfalles hätte tun sollen :
,, Diese Hohenzollern-spanische Sache war für Euch eine bonne
29
fortune. Hier hattet Ihr Gelegenheit auf den casus foederis
sogleich mit aller Schärfe loszugehen auf dem günstigsten
Terrain. Hier war von der deutschen Pflicht keine Rede, da
von keiner deutschen Sache die Rede sein konnte. Dieses
Vorgehen hätte in Berlin sehr zum Frieden und zur Versöhn-
lichkeit wirken können, in Paris aber hättet Ihr etwas in der
Hand, um es in die Wagschale zu werfen, falls man dort
nicht versöhnlich sein wollte."
Gerade die vertrauliche Korrespondenz, die die Grafen
Bray und Beust in der kritischen Zeit miteinander gepflogen
haben, gibt demnach nicht nur keinen Anhaltspunkt für die
Annahme bedenklicher Verhandlungen des Grafen Bray mit
Frankreich oder mit Österreich, sie schließt solche geradezu
aus. Auch die (von Wertheimer, Andrassy I, 503 gebrachte)
Mitteilung, Bayern und Württemberg hätten kurz vor der
Emser Depesche in Wien die Erklärung abgegeben, daß der Krieg
Preußens mit Frankreich für sie keine Veranlassung biete, sich
zu beteiligen, wird in dieser Form durch die Korrespondenz
zwischen Bray und Beust nicht nur nicht bestätigt, sondern
widerlegt. In den amtlichen Akten vollends fand sich nicht die
leiseste Andeutung. Im Gegenteil, nach einem Berichte des
bayerischen Geschäftsträgers in Wien vom 17. Juli äußerte
Graf Beust in vorwurfsvollem Tone:',, daß es vielleicht mög-
lich gewesen wäre, den Ausbruch von Feindseligkeiten zu ver-
hindern, wenn Süddeutschland Preußen gegenüber erklärt
hätte, daß bei einem wegen der Kandidatur des Prinzen
HohenzoUern ausbrechenden Kriege es nicht den casus foederis
für gegeben erachte".
Nach einem Berichte des bayerischen Gesandten im Haag
vom 16. Juli vollends hat Graf Beust die französische Regie-
rung förmlich gewarnt, ,,sich auf die Neutralität der deutschen
Südstaaten zu verlassen". Und dieser Bericht wird durch
ein englisches Blaubuch wie durch Beust selbst bestätigt.
Graf Bray hat wohl gegenüber dem preußischen Gesandten den
Wunsch geäußert, seine Regierung möchte eine Formel fin-
den, die vor aller Welt dokumentiere, daß kein dynastisches
Interesse an der spanischen Krone vorwalte. Aber er hat gegen-
über demselben Gesandten schon vor dem 13. Juli ausdrück-
lich anerkannt, daß Frankreich den Krieg suche und daß im
Falle eines Angriffs Frankreichs auf Deutschland Bayern auf
preußischer Seite stehen müsse.
Graf Bray hat noch weniger nach dem Verzichte des
Prinzen Leopold auf die spanische Thronkandidatur und nach
30
den neuen Herausforderungen des Herzogs von Gramont im
Sinne Beusts gehandelt.
Wohl regte er mit Hilfe des englischen Gesandten am
Münchener Hofe eine Vermittlung der Großmächte an: die
Proposition des bayerischen Ministers ging auf eine prinzipielle
Anerkennung des Grundsatzes hinaus, der bei der belgischen
und bei der letzten griechischen Königswahl maßgebend ge-
wesen war, daß nämlich kein Mitglied eines großmächtigen
Herrscherhauses Prätendent eines anderen Staates sein dürfe.
Dieses Vorgehen des Grafen Bray, das vielleicht wirklich mehr
zur Beruhigung des eigenen Gewissens und zur Bekundung
des guten Willens diente^), war so wenig verfänglich, daß es
selbst vom preußischen Gesandten, wenigstens für seine
Person, ausdrücklich gebilligt wurde. Der bayerische Minister
holte zudem die Ansicht des Grafen Bismarck ein und dieser
ließ ihm sagen: ,,Die spanische Königswahl interessiert uns
gar nicht. Vermittlungsvorschläge können nur die Sicherung
Deutschlands gegen französische gegenwärtige oder künftige
Unternehmungen zum Gegenstande haben. Dafür ist es jetzt
zu spät."
Nach dem Scheitern dieses Vermittlungsversuches voll-
zog Graf Bray unentwegt das, was nach seiner auch Beust
gegenüber vertretenen Überzeugung die klar ausgesprochene
Vertragspflicht, die Ehre und — der Vorteil Bayerns ver-
langten. An eine Neutralität hat er nicht gedacht, noch weniger
sie seinem König empfohlen, sie erschien im Hinblick auf die
Vertragspflicht und die geographische Lage Bayerns unhaltbar.
Graf Hugo v. Lerchenfeld, der spätere bayerische Gesandte in
Berlin, der damalige Privatsekretär des Ministers, erzählt in
seinen ungedruckten Erinnerungen: ,,Ich erinnere mich aus den
ersten Tagen nach der französischen Kriegserklärung eines
Gesprächs mit meinem Chef, in dem er sich über die Chancen
der Erfüllung der Bündnispfhcht oder einer neutralen Stellung
ungefähr so äußerte: .Gehen wir mit Preußen und ge-
winnt dieses den Krieg, ^o ist Preußen gezwungen, den Bestand
Bayerns zu achten. Unterliegt Preußen, so verlieren wir viel-
leicht die Pfalz; aber mehr kann uns nicht geschehen; denn
Frankreich muß die Selbständigkeit der deutschen Einzel-
staaten immer begünstigen; das gleiche tritt ein, wenn wir
neutral geblieben sind und Frankreich siegt. Siegt aber
Preußen, obwohl wir es gegen den Vertrag im Stiche gelassen
^) Sorel, Hist. dipl. de la guerre franco-allemande I, io6.
31
haben, dann erwartet uns das Schicksal Hannovers. Es wäre
finis Bavariae.' Graf Bray fügte jedoch bei: ,Ich lasse mich
von diesen Erwägungen übrigens nicht allein leiten. Ich habe
die Bündnisverträge unterzeichnet und werde sie halten.
Ich hoffe zudem zuversichtlich, daß wir siegen werden."
Der angebliche Gegensatz zwischen dem Könige, der
den Bündnisfall anerkannt hätte, und dem Grafen
Bray, der der Anerkennung entgegengearbeitet
hätte, bestand in Wirklichkeit nicht. Im Gegen-
teil, wie immerso hat auch in dieser Frage die Regie-
rung die Initiative ergriffen. Diese Initiative der Re-
gierung ist durch die von Luise v. Kobell beeinflußte Über-
lieferung hier wie in anderen Punkten zugunsten des Königs
oder vielmehr des Kabinettsekretariates verschleiert worden.
Die bayerische Regierung war, bevor noch die Vermitt-
lungsversuche scheiterten, tatsächlich schon über die Neutrali-
tät hinausgegangen. Man kann das an der Hand der Staats-
akten Schritt für Schritt verfolgen.
Am 14. Juli stellte der Gesandte des Norddeutschen
Bundes, Freiherr v. Werthern im Auftrage seiner Regierung
die Anfrage, auf welche Unterstützung Bayerns man bei
einem französischen Angriffe rechnen könne. Darauf erklärte
der bayerische Kriegsminister noch am nämlichen Abend:
er verpflichte sich, die beiden bayerischen Armeekorps genau
nach den Bestimmungen des in Berlin bekannten Mobili-
sierungsplanes in Kriegsstärke zu stellen. Graf Bray aber
äußerte am folgenden Morgen, indem er die Sprache Frank-
reichs dem Tone und dem Inhalt nach verurteilte: Selbst
wenn Bayern kein Bündnis mit Preußen geschlossen hätte,
würde es im Fall eines französischen Angriffs auf deutsche
Grenzen an seiner Seite stehen; um so mehr verstehe sich das
jetzt von selbst. Hierin sei er mit all seinen Kollegen einig.
Seine Majestät den König habe er von der Lage vollständig
informiert, er habe ihn aber schon drei Wochen lang nicht
mehr gesehen; doch zweifle er nicht daran, daß er sich in
gleichem Sinne äußern werde.
Am Morgen des 15. Juli telegraphierte Bismarck an
Freiherrn v. Werthern nach München: ,,Auf die heute ge-
meldete Erklärung der französischen Regierung in der gesetz-
gebenden Versammlung hat des Königs Majestät soeben die
Mobilmachung des norddeutschen Heeres befohlen. Nach
der uns von der Kgl. bayerischen Regierung zugegangenen
Erklärung dürfen wir auf deren Einverständnis rechnen, wenn
32
wir das ergebenste Ersuchen stellen, die Kgl. bayerischen
Streitkräfte mit tunlichster Beschleunigung zur Verteidigung
Deutschlands ausrüsten zu wollen." Im Laufe des Nach-
mittags erhielt Freiherr v. Werthern den weiteren telegraphi-
schen Auftrag, „bei der bayerischen Regierung anzufragen,
ob sie geneigt sei, einen Bevollmächtigten behufs der zur
Sicherung Deutschlands erforderlichen militärischen Verhand-
lungen nach Berlin zu senden". Die Regierung kam sofort,
ohne irgendwelches Zögern, allen diesen Wünschen entgegen.
Noch am 15. Juli beauftragte der bayerische Kriegsminister
den Generalquartiermeister, ,,zu vermittelnder Thätigkeit
zwischen dem preußischen und dem diesseitigen Generalstab
in allen Fragen und Detailarbeiten, welche auf die Mobili-
sierung der bayerischen und ihre Kooperation mit preußischen
Armeecorps sich beziehen, sogleich den Hauptmann Celsius
Giehrl nach Berlin abzuordnen". Am nämlichen Tage fand ein
Ministerrat statt und das Ergebnis der Beratung war das
denkwürdige Schriftstück vom gleichen Tage, in dem Graf
Bray allerdings mit der ihm eigenen und bei der Natur des
Königs besonders gebotenen Vorsicht, aber doch mit nicht zu
verkennender Deutlichkeit den entscheidenden Antrag auf
Mobilisierung an seinen König stellte: Bei der drohenden
Haltung Frankreichs gegen Preußen und der exponierten
Lage der Pfalz, die jeden Tag einem Angriffe von französischer
Seite her preisgegeben sein könne, lasse sich eine bindende
Erklärung nicht länger hinausschieben. „Wie die Dinge liegen,
wird es kaum möglich sein, daß Bayern sich neutral verhalte,
und wenn eine aktive Anteilnahme am Kriege nicht zu um-
gehen ist, dürfte die Wahl um so weniger Schwierigkeiten dar-
bieten, indem ein Krieg Frankreichs gegen Preußen stets ein
Angriffskrieg, ein Kampf um die Integrität des deutschen Ge-
bietes sein wird und in diesem Fall der Artikel I des Allianz-
vertrages vom 22. August 1866 die Verpflichtung Bayerns
unzweideutig normiert hat, so wie dies auch schon nach dem
alten deutschen Bundesrecht bestimmt gewesen war." Der
Minister bittet also ,,in Übereinstimmung mit sämtlichen
Staatsministern", „ihn unverzüglich mit denjenigen Direktiven
zu versehen, welche ihn in den Stand setzen, die Pohtik Bayerns
in dem Sinne zu führen, welche der Allerhöchsten Intention
und Willensmeinung entspricht. Der treugehorsamst Unter-
zeichnete würde sich glücklich schätzen, wenn Ew. Majestät
ihm hier persönlichen allerunterthänigsten Vortrag gestatten
und hierauf die allerhöchsten Befehle erteilen wollten. Es ist
33
dies bis morgen früh unumgänglich nötig, wenn nicht alle
zum Schutze des Landes nötigen Vorkehrungsmaßregeln sich
verspäten sollten." Mit anderen Worten, der Minister bat
um den Mobilisierungsbefehl.
War wirklich zur Zeit des Ministerrates eine Neigung des
Grafen Bray zum Temporisieren vorhanden gewesen, so war
diese rasch überwunden worden. Der Kriegsminister Freiherr
V. Pranckh äußerte am Tage des Ministerratsbeschlusses:
,,Wenn ich bis morgen nicht die Mobilisierungsordre erhalte,
so lehne ich alle Verantwortung ab." Der Hilfsarbeiter im
Ministerium des Äußern, Ministerialsekretär Graf Maximilian
V. Berchem, der am Morgen des i6. Juli den schriftlichen
Antrag des Gesamtministeriums nach Berg überbrachte,
meldete wachsende Erregung aus München und warnte, die
Mobilisierung an Bedingungen zu knüpfen, die im Falle des
Sieges überflüssig, im Falle der Niederlage wertlos seien, in
beiden Fällen aber einen Schatten auf die Allianztreue werfen
könnten.
Damals, als Graf Berchem den Antrag überbrachte, war
am königlichen Hoflager zu Berg zwar nicht, wie man auf
Grund der Darstellung der Luise v. Kobell gemeint hat,
die Entscheidung schon gefallen, immerhin der Boden hiefür
vorbereitet. Kabinettsekretär Eisenhart, der natürlich von
den Ereignissen des 15. Juli noch am gleichen Tage telegraphisch
unterrichtet worden war, hat in der Nacht vom 15./16. Juli
im Sinne des ministeriellen Antrages auf den König einge-
wirkt. Nach der Aufzeichnung, die er später selbst darüber
niederschrieb^), hat sich der^ Vorgang am königlichen Hof-
lager also zugetragen: ,,Als in den Julitagen 1870 die Er-
eignisse in Ems zur bekannten Katastrophe führten, be-
fand sich der König, dessen Hoflager damals in Schloß Berg
am Würmsee war, auf einem mehrtägigen Gebirgsausfluge,
von dem er am 15. abends gegen 10 Uhr heimkehrte. Alsbald
nach der Ankunft wurde der Kabinettsekretär Eisenhart zum
Vortrag beschieden, welcher an der Hand der eingelaufenen
Berichte, Depeschen, Telegramme und Zeitungsnotizen einen
ausführlichen — durch Fragen oder Bemerkungen Sr. Maje-
^) Niederschrift des Staatsrats v. Eisenhart vom 2. Februar 1890, mir
vermittelt durch Herrn Ministerialdirektor v. Müller. Es ist interessant zu
beobachten, was Luise v. Kobell in ihrer Schrift ,, König Ludwig II. und
Fürst Bismarck im Jahre 1870" (1899) aus der Niederschrift ihres Mannes
gemacht hat. Den Zweck verrät sie mit den Schlußworten: „Mit dem Befehl
zur Mobilmachung war der König auf Eisenharts Antrag dem Vortrag Brays
zuvorgekommen."
Doeberl, Bayeni und die Bismarckische Reichsgründung. 3
34
stät öfters unterbrochenen — Vortrag erstattete. Der König
erfaßte, vermöge seiner raschen Auffassungsgabe, sofort in
richtiger Weise die Sachlage, drückte indes wiederholt den
dringenden Wunsch nach friedlicher Beilegung des Konfliktes
aus, ohne jedoch den Zweifeln des Kabinettsekretärs an der
Erfüllung des königlichen Wunsches entgegen zu treten.
In gewohnter Weise im Zimmer auf und ab gehend, sprach er
nun in ausführlicher Weise über den casus foederis, dessen
Gegebensein im Kriegsfall und über die möglichen Folgen,
welche aus einem deutsch-französischen Kriege für Bayern
erwachsen. Als der Sekretär die hohe Dringlichkeit der Sache
hervorhob und weiter meldete, daß nach einer Abenddepesche
Graf Berchem mit dem morgigen Frühzuge einen Antrag des
Staatsministers Grafen Bray überbringen werde, erklärte der
Monarch, seine Entscheidung bis nach Eintreffen jenes An-
trages aufschieben zu wollen, und verabschiedete den Ministerial-
rat. Als dieser das Schloß verließ, begann allmählich der Morgen
zu grauen und lichte Wolken lagen über dem schweigsamen
See. Mit dem Frühzug des i6. traf Graf Berchem ein.
Er überbrachte das motivierte Gesuch^) Brays, mit dem
Kriegsminister Freiherrn v. Pranckh heute noch zum persön-
lichen Vortrag zugelassen zu werden. Graf Berchem teilte
noch mit, daß in der Stadt große Aufregung herrsche, daß
man von selten der ultramontanen Kammermehrheit eine
bedenkliche Verschleppung befürchte und daß der Kriegs-
minister mit Ungeduld der königlichen Entscheidung entgegen-
sehe. Auftragsgemäß wurde S. Majestät geweckt und Höchst-
demselben Brays Antrag überreicht. Als der Sekretär aber-
mals den Wert rascher Entscheidung und die Kostbarkeit der
einzelnen Stunde geltend machte, entstand eine längere
Pause. Der König richtete sich im Bette auf, mit den Worten:
,,Mein Entschluß ist gefaßt, bis dat qui cito dat", wies hierauf
den Sekretär an, den Mobilmachungsbefehl zu entwerfen und
die beiden Minister zum Nachmittagsvortrag zu berufen. Die
sofort gefertigten Konzepte wurden nun vom Könige mit
kräftiger Hand unterzeichnet und wenige Minuten später
befand sich durch den Telegraph der chiffrierte Königsbefehl
in den Händen des Kriegsministers, welcher in umsichtiger
Weise die nötigen Vorkehrungen getroffen hatte. Am Nach-
mittage desselben Tages fuhren Graf Bray und Freiherr
v. Pranckh in Hofequipagen von Starnberg nach Schloß Berg
zum Vortrag, der bis in den späten Abend währte."
1) Sollte wohl richtiger heißen: den a. u. Antrag mit dem Gesuch usw.
35
Tatsächlich wurde der Mobilisierungsbefehl am i6. JuU
zunächst an den Grafen Bray gerichtet und lautete nach der
Niederschrift in den Akten des Ministeriums des Äußern:
„J'ordonne la mobilisation ; informez en le ministere de la
guerre." Vom Ministerium des Äußern wurde der Mobili-
sierungsbefehl sofort dem Kriegsminister zugeleitet, der noch
am nämlichen Tag anordnete: i. Die beiden Armeekorps sind
vollständig zu mobilisieren, 2. 16 Landwehrbataillone sind
auf den Kriegsformationsbestand zu bringen, 3. der 17. Juli
ist als der erste Mobilisierungstag anzusehen. Anordnungen
zur militärischen Bereitschaft waren schon vorher ergangen.
Die Worte, mit denen Graf Bray den bayerischen Ge-
sandten in Berlin von der ergangenen Mobilisierung unter-
richtete, sind erst recht ein Beweis, daß der Minister mit
seinem Antrag an den König ganz im Sinne der telegraphischen
Weisung des Grafen Bismarck an den preußischen Gesandten
v. Werthern vom 15. Juli verfahren wollte: ,,Auf ein von
Baron v. Werthern mitgeteiltes Telegramm vom 15. ds. Mts.
hat die Regierung Sr. Majestät des Königs der an sie gerichteten
Einladung sofort durch die unterm gestrigen verfügte Mobili-
sierung der gesamten Streitmacht entsprochen und die er-
forderlichen Vorkehrungen getroffen, namentlich in betreff
des Ausfuhrverbotes von Kriegsbedarf jeder Art, einschließlich
der Pferde und Fourage."
Am gleichen Tage wurde durch eine telegraphische Wei-
sung des Ministeriums des Äußern der bayerische Gesandte
am Pariser Hofe , Graf v. Quadt, unter dem Vorwande eines
Urlaubs von Paris abberufen: ,, Benutzen Sie Ihren Urlaub,
um hier mündlich Aufschluß zu geben, die Geschäfte sind an
Rudhart zu geben, wichtigere Papiere mitzunehmen."
Als dann am 18. Juli der preußische Gesandte im Auf-
trage seiner Regierung unter Hinweis auf die Erklärungen des
französischen Ministeriums und die von ihm getroffenen
militärischen Maßnahmen an die bayerische Regierung das
Ersuchen stellte, auf Grund der Bündnisverträge vom 22. Aug.
1866 den casus foederis für gegeben zu erklären, und der
Minister gemäß einer Verabredung mit dem württembergischen
Staatsminister v. Varnbüler sich telegraphisch eines gleichen
Verfahrens seitens Württembergs versichert hatte, erbat und
erhielt er am 19. Juli von seinem Könige die Ermächtigung,
„dem Vertreter der preußischen Regierung sofort zu erklären,
daß er den casus foederis als gegeben erachte". Am folgenden
Tage telegraphierte Ludwig H. an den König von Preußen:
36
„Mit Begeisterung werden Meine Truppen an der Seite ihrer
ruhmgekrönten Bundesgenossen für das deutsche Recht und
deutsche Ehre den Kampf aufnehmen. Möchte er zum Wohle
Deutschlands und zum Heile Bayerns werden."
Und doch hatte der Herzog von Gramont gegenüber dem
Grafen Quadt in lebhaften Farben geschildert, was Bayern
als Feind, als Neutraler oder als Freund Frankreichs zu er-
warten habe: ,,Im ersten Fall ist es klar, daß die bayerische
Pfalz das Schlachtfeld Preußens und Frankreichs sein wird
und daß diese Provinz durch diese Tatsache sich in der traurigen
Lage befinden wird, von den zwei kriegführenden Mächten als
erobertes Land behandelt zu werden. Es liegt an Bayern, zu
überlegen, ob es die Verantwortung für die Kriegsnöte über-
nehmen will, die sich über das Land ergießen werden. (Dabei
deutete der Herzog von Gramont eine feindliche Haltung
Österreichs gegen Bayern an, falls dieses die Partei Preußens
ergreifen sollte.) Wenn Bayern neutral bleibt, wird Frank-
reich sich zur Pflicht machen, ihm diese Stellung nach Kräften
zu erleichtern; denn wir verkennen nicht die Schwierigkeiten,
die sich für die bayerische Regierung in dieser schweren Frage
ergeben. Als Freund wird Bayern, das versteht sich von
selbst, mit uns die Früchte des Erfolges teilen. Aber es ist
Zeit, daß sich Bayern in kürzester Frist erklärt; denn unsere
Interessen sind zu stark gebunden, um länger warten zu können."
Der Herzog von Gramont hatte anderseits die bündigste
Erklärung abgegeben, daß Frankreich an keine Eroberung des
Rheines denke: ,,Weit davon entfernt, kann ich Ihnen ver-
sichern, daß Frankreich im Falle des Erfolges gegen Preußen
sich wohl hüten werde, auch nur den kleinsten Fetzen deutschen
Gebietes zu verlangen. Nach allem sind die rheinischen Pro-
vinzen durchaus deutsch und es wäre ein ungeheurer Fehler
der französischen Regierung, sich feindliche Elemente anzu-
ghedern, die nur die Bänke der Opposition füllen würden.
Unser Ziel ist d'empecher le Prussianisme en Allemagne, und ich
begreife nicht, wie die Regierungen des Südens sich beeinträch-
tigt fühlen könnten, wenn wir das Großherzogtum Baden, das nur
eine Filiale BerHns ist, aufheben und wenn wir im Norden das
Königreich Hannover wiederherstellen und es derart vergrößern,
daß es die Gefahren, die ein übermächtiges Preußen in Deutsch-
land bietet, verscheucht." Der Herzog von Gramont wieder-
holte, daß Bayern in der Lage sei, seinen Untertanen die Geißel
des Krieges zu ersparen, unbeschadet seiner Würde, da die
Integrität des deutschen Gebietes gewahrt bleiben werde.
37
Am 20. Juli verlangte der französische Gesandte Herzog
von Cadore vom bayerischen Minister des Äußern bestimmte
Aufschlüsse über die Haltung Bayerns. „Es ist uns sehr wich-
tig," so lautete der Auftrag seines Ministers, der in der Form
einer Verbalnote der bayerischen Regierung abschriftlich
zugestellt wurde, ,,zu wissen, ob die bayerische Regierung sich
durch die Verträge von 1866 gebunden glaubt und den
casus foederis anerkennen wird. Wollen Sie sich darüber
freundschaftlich, aber sehr bestimmt mit dem Minister der
auswärtigen Angelegenheiten aussprechen und ihm sagen, wie
schmerzlich es für uns wäre, uns im Kriegszustande mit Bayern
zu befinden. Nur gegen Preußen bereiten wir uns zum Kampfe
vor und wir haben nicht die geringste Ursache zu einer Feind-
seligkeit mit irgendeiner anderen Macht. Wir haben aus
militärischen wie aus politischen Gründen ein großes Interesse
daran, so bald als möglich über die Absichten des Münchener
Kabinetts unterrichtet zu sein." Die Antwort gipfelte natür-
lich in der Erklärung, daß Bayern gegenüber Preußen den
casus foederis anerkannt habe. Unmittelbar darauf wurden
die diplomatischen Beziehungen zwischen Bayern und Frank-
reich abgebrochen, ohne daß eine förmliche Kriegserklärung
von der einen oder der anderen Seite erfolgt wäre.
Jetzt erst, nachdem Bayern in den Krieg eingetreten war,
und zwar erst am 25. Juli, erwiderte Graf Bray auf jenes
Schreiben des Grafen Beust vom 14. ds. Mts. Es ist ebenso
interessant wie lehrreich, dem Gedankengange des Ministers zu
folgen, aber wiederum unter steter Berücksichtigung des
Adressaten. ,,Wäre die spanisch-hohenzollerische Kandidatur
— so führt Graf Bray im wesentlichen aus — durch den Ver-
zicht des Kandidaten und der spanischen Regierung selbst
nicht spurlos verschwunden, so hätte sie uns allerdings An-
haltspunkte für ein Fernhalten vom Streite geboten ... So
wie die Sache aber jetzt liegt, bleibt für uns als zwingende
Notwendigkeit nur die Anerkennung unserer klar ausge-
sprochenen Vertragspflicht und der Verzicht auf eine auch
geographisch unhaltbare Neutralität . . . Daß es uns unmöglich
war, uns zu isolieren und von allen übrigen deutschen Staaten
zu trennen, würdest Du hier noch deutlicher empfinden als
in Wien ... So blieb mir nichts übrig als die Teilnahme an
der Aktion, deren große Übel und Gefahren ich nicht ver-
kenne, welche aber bei den gegebenen Prämissen, als auf
Recht und Vertrag begründet und die bloße Abwehr eines
fremden Angriffs bezweckend, mir doch der sicherste, weil
38
ehrlichste und korrekteste Weg zu sein scheint. Die Begründung
der französischen Kriegserklärung ist nicht dazu angetan,
mich anderen Glaubens zu machen."
Immerhin mußte sich hier der Minister in Rücksicht auf
den Adressaten einige Zurückhaltung auferlegen. Um so deut-
licher spricht sich seine Überzeugung von dem guten Recht
und der nationalen Bedeutung des Eintritts Bayerns in den
Krieg in dem Rundschreiben aus, das er am 26. Juli an die
bayerischen Gesandtschaften richtete. Er setzte die Gründe
für den Eintritt Bayerns in den Krieg auseinander und fuhr
dann weiter: ,,Ew. Hochwohlgeboren dürfen glauben, daß
die königliche Regierung nicht ohne allseitige Erwägung der
Verhältnisse und nur schweren Herzens in einen Krieg ein-
tritt, der voraussichtlich unermeßHche und schmerzliche
Opfer fordern wird. Sie hat es aber sofort getan, weil es ihr
bei der geographischen Lage Bayerns unmöglich schien, dem
Kampfe durch eine, wenn auch bewaffnete Neutralität auszu-
weichen, weil es für den König, unseren allergnädigsten Herrn,
sich darum handelte, sein verpfändetes Fürstenwort einzulösen,
und weil Allerhöchstderselbe nicht bloß treu zu seinem Volke,
sondern auch treu zu Deutschland steht. Ich darf mich sicher
der Erwartung hingeben, daß Sie dieselben Gesinnungen des
Monarchen mit Aufrichtigkeit, Offenheit und Entschiedenheit
vertreten werden, von welchen S. Majestät beseelt sind. Das
bayerische Heer kämpft mit seinen Verbündeten für eine gerechte ,
gute Sache und auch unsere Bemühungen und Anstrengungen
müssen unausgesetzt darauf gerichtet sein, zum Siege dieser
Sache redlich und mit besten Kräften mitzuhelfen."
Von preußischer Seite wurde damals das bundestreue
Verhalten Bayerns mit den wärmsten Worten anerkannt.
Schon am 13. Juli meldete der bayerische Geschäftsträger in
Berlin: ,,Herr v. Thile ersuchte mich, der königlichen Regierung
mitzuteilen, daß deren bei dieser Gelegenheit bewiesene
deutsche Haltung hier mit großer Anerkennung aufgenommen
worden sei. Wir können, fügte er bei, die Haltung Badens
und Bayerns in dieser Frage nur loben; ich sage ausdrücklich
Bayern und Baden, womit er andeuten wollte, daß man in
Berlin mit der Haltung Württembergs sehr unzufrieden war."
Preußischerseits sah man sich wiederholt zur Mahnung an
Bayern veranlaßt, die diplomatischen Beziehungen mit Frank-
reich nicht früher als Preußen abzubrechen. ,, Übereilen Sie
sich nicht in dieser Beziehung," äußerte Bismarck gegenüber
dem bayerischen Gesandten am Abend des 16. Juli, „um viel
39
mehr Zeit zu Ihren Kriegsrüstungen zu gewinnen." Seitdem
Bayern in aller Form den casus belli anerkannt hatte und in
den Krieg mit Frankreich eingetreten war, mehrt sich die
Anerkennung — seitens Bismarcks wie seitens des Preußen-
königs. Bismarck nahm diese Eröffnung nach dem Berichte
des bayerischen Gesandten mit tiefgefühlter Anerkennung
entgegen: „Er hat mir als Vertreter Bayerns dankend und
warm die Hand gedrückt und sichtlich war er von dieser
patriotisch energischen Haltung und Sprache Ew. Kgl. Maje-
stät ergriffen. Ew. Kgl. Majestät erhalten die Achtung und
Bewunderung von ganz Deutschland." Vom Preußenkönig
aber berichtete der Gesandte gelegentlich der Schilderung
einer Tauffeier im Hause des preußischen Kronprinzen:
„Als nach der Tafel im Muschelsaale des Neuen Palais der
Cercle stattfand, kam der König unverzüglich auf mich zu,
drückte mir lebhaft die Hand und sagte mir: Ich brauche
Ihnen nicht zu sagen, was ich empfinde, indem ich die Freude
habe, Sie heute hier zu sehen. Hiebei winkte der König den
unfern stehenden württembergischen Gesandten herbei, wieder-
holte diese Worte an uns, als die Königreiche des Südens
vertretend, und wiederholte mit bewegter Stimme, aber in
ausdrücklicher Weise seine Anerkennung und dankte für die
Haltung der Monarchen von Bayern und Württemberg, für
die nationale und Vertragstreue Haltung Ew. Kgl. Majestät
und Allerhöchst Ihrer Regierung, des bayerischen Volkes.
Der König sprach zu mir und äußerte: Von unschätzbarem
Werte ist, abgesehen von der Bedeutung an und für sich, diese
patriotische Haltung Süddeutschlands für das deutsche Ge-
samtvaterland, für die militärischen Operationen und den
Erfolg unserer Waffen, welche Gott leiten und schützen wolle.
Sie sind von französischer Seite gedrängt worden, man hat
in Sie gebohrt bis zuletzt, aber Sie haben festgehalten. Ihre
Haltung hat bereits besondere strategische Maßnahmen von
selten Frankreichs erheischt, die das Vorgehen der französi-
schen Armee gegen uns aufhalten, welches uns jetzt schon
den größten Schaden hätte verursachen können ; unsere Mobili-
sierung im Trierschen hätte vollkommen gestört werden
können."
*
Mit der Bejahung des Bündnisfalles durch die Regierung
war die Frage, ob Bayern an der Seite Preußens gegen Frank-
reich stehen werde, entschieden, war eine Bürgschaft für die
Verwendung der bayerischen Truppen im nationalen Sinne
40
gegeben. Die Entscheidung hing nicht mehr ,,in der Luft",
wenn auch die Kammer erklärte, den casus foederis prüfen
zu müssen. Kriegsminister v. Pranckh war nach dem Zeug-
nisse Hugo v. Lerchenfelds entschlossen, die Mobilmachung auch
dann durchzuführen, wenn die Kammer die Kriegsmittel ableh-
nen sollte. In diesem Falle war eine Auflösung des Landtags oder
eine vorübergehende Sistierung der Verfassung zu erwarten.
Die Mißtöne, die damals vom ,, Volksboten" Zanders,
vom ,, Bayerischen Vaterland" Sigls und von einem Teile der
bayerischen Abgeordneten angeschlagen wurden, sind aller-
dings bedauerlich, sie haben aber auch im eigenen Lande die
schärfste Zurückweisung erfahren und sie werden heute auch
im eigenen Lager mißbilligt. Daß sie nicht der Gesamtstim-
mung des Landes entsprachen, daß sich vielmehr auch in
Bayern die öffentliche Meinung überwiegend auf die Seite
Preußens stellte, das kam in dem Sturm der Begeisterung
zum Ausdruck, den der Mobilmachungsbefehl entfesselte, auch
in der Ovation, die am 17. Juli dem Könige vor der Residenz
gebracht wurde.
Diese Stimmung blieb auch der Kammer der Abgeordneten
nicht fremd 1) : trotz leidenschaftlicher Fehden geht ein patrioti-
scher Zug durch die Verhandlungen.
Am 18. Juli stand auf der Tagesordnung: Fortsetzung
der Beratung und Beschlußfassung über den ordentlichen
Etat der Militärverwaltung für die Jahre 1870 und 1871.
Der Kriegsminister v. Pranckh machte der Kammer offizielle
Mitteilung vom königlichen Mobilmachungsbefehl und forderte
für die Mobilisierung einen einmaligen Kostenaufwand von
5600000 Gulden und für den Unterhalt des Heeres, zunächst
für den Rest des Jahres, 21 100 000 Gulden. Die Kammer
überwies die Regierungsvorlage einem Ausschusse, der sich aus
sechs Patrioten und drei Liberalen zusammensetzt; Vor-
sitzender war der patriotische Abgeordnete Ruhland, Referent
der ebenfalls patriotische Abgeordnete Dr. Jörg.
Am 19. Juli — am Tage der französischen Kriegserklärung
— sollte Beratung und Beschlußfassung im Plenum
stattfinden. Auf 7 Uhr abends war öffentliche Sitzung an-
gesetzt. Lange vorher waren die Galerien zum Erdrücken voll
besetzt. Vor dem Ständehaus bewegte sich eine so große
Volksmenge, daß der Verkehr gehemmt war. Der Landtags-
präsident hatte zum Schutze der Abgeordneten eine verstärkte
^) Meine Darstellung gründet sich hier vornehmlich auf die steno-
graphischen Berichte.
41
Militärwache in Anspruch genommen: sie stand im Landtags-
gebäude in Bereitschaft.
Unter atemloser Spannung im Saal und auf den Galerien
verkündigte der Referent Jörg den Beschluß des Ausschusses:
mit sechs gegen die drei Stimmen der Liberalen war bewaffnete
Neutralität beschlossen worden. Der spanische Thronstreit,
so rechtfertigte Jörg den Majoritätsbeschluß, berühre wohl
die preußische Dynastie, aber nicht Deutschland, er liege
außerhalb des Gebietes deutscher Ehre und deutscher Natio-
nalität, es sei nach wie vor ein Streit zwischen zwei Groß-
mächten, die nach dem ersten großen Zusammenstoße sich
leicht auf unsere Kosten einigen könnten. Da das preußische
Kriegsministerium erklärt habe, es könne Bayern bei einem
Einfalle der Franzosen nicht schützen, so gebe es keinen
anderen Ausweg als bewaffnete Neutralität. ,,Der entsetzliche
Krieg nimmt seinen Ursprung in dem wirklichen oder vermeint-
lichen Verstoß gegen die Hofetikette, das ist es, was mir wenig-
stens das Herz am allertief sten bewegt." Jörg verstieg sich
in seinem Eifer für bewaffnete Neutralität bis zu dem Satze:
,,Je mehr Sie Regimenter aufstellen, desto mehr gehen zum
Feinde über." Der fortschritthche Abgeordnete Fischer von
Augsburg gab seiner Verwunderung Ausdruck, daß man von
einem Kriege zwischen Deutschland und Frankreich wie von
einem Streite zweier Großmächte spreche, der uns nichts an-
gehe, daß man von einem deutschen Könige eine Nachgiebig-
keit auf eine Zumutung verlange, die für jeden Privatmann
schimpflich sein würde. Nicht um den nächsten Anlaß des
Konfliktes handle es sich, sondern um die Bedrohung Deutsch-
lands. Eine Niederlage Deutschlands werde auch der Unter-
gang Bayerns sein. Der Ministerpräsident Graf v. Bray
vertrat ebenfalls mit einem bei ihm ungewohnten, warmen
Nachdruck die Vorlage: Die Regierung achte die Rechte des
hohen Hauses, sie verlange aber auch Achtung für ihre Rechte ;
zu den Rechten der Krone gehöre die Entscheidung über
Krieg und Frieden. Er sei Mitunterzeichner des Vertrages
von 1866; er wisse, wie der Vertrag gemeint war: nicht zur
Beihilfe bei einem Angriffskrieg, wohl aber zur Mithilfe bei der
Verteidigung deutschen Gebietes. ,,Der Fall ist eingetreten,
die Kriegserklärung ist erfolgt, die deutsche Grenze ist über-
schritten." Der patriotische Abgeordnete Pfarrer Wester-
mayer von St. Peter wandte ein: es gebe Fälle, wo die Sorge
für den eigenen Hof, für Haus und Herd vordringlicher sei,
wo man in Rücksicht auf die eigenen Angehörigen dem Nach-
42
barn beim besten Willen nicht zu Hilfe kommen könne. Die
Zuhörer tobten und schrien Pfuirufe; man fürchtete, daß es
im Saale selbst zu Tätlichkeiten kommen werde. Die Unruhe
wuchs von Minute zu Minute.
Da erhob sich der patriotische Professor Sepp — es war
der bedeutendste Moment in seinem Leben — : „Ich wollte für
bewaffnete Neutralität sprechen und habe mir Wort für Wort
aufgezeichnet, um ja keinen Ausdruck zu improvisieren. Und
jetzt komme ich mir vor wie der Prophet, der ausgezogen
war, um zu fluchen, und er mußte segnen . . . Zwischen gestern
und heute liegen zehn Jahre: die französische Kriegserklärung
ist da, die preußische Thronrede setzt unseren Anschluß voraus.
Wer fragt heute nach dem Anlaß des Krieges ? Gestern konnte
man noch an das Weh von 1866 denken, heute ist der Zorn
gegen die Welschen bei allen deutschen Männern erwacht.
Wir Bayern haben an der Leipziger Schlacht nicht teilge-
nommen, bei der neuen Nationalschlacht wollen wir dabei
sein . . . Auch wir haben ein deutsches Herz und halten
fest an dem Ausspruche des deutschesten unter den deutschen
Fürsten: Wir wollen Deutsche sein und Bayern bleiben."
Unter Führung Sepps vollzog ein Teil der patriotischen
Abgeordneten eine Schwenkung im nationalen Sinne. Nachts um
2Y2 Uhr wurde abgestimmt : der Neutralitätsantrag wurde
mit 89 gegen 58 Stimmen abgelehnt, der Regierungsantrag
mit loi gegen 47 Stimmen angenommen. Ungeheurer Jubel
erscholl, als der Beschluß der Kammer vor dem Ständehaus
bekannt wurde. Unter nationalen Gesängen zog die tausend-
köpfige Menge vor die Residenz und zum Hause des preußischen
Gesandten.
24 Stunden später genehmigte die Reichsratskammer ein-
stimmig, ohne Diskussion, die Mittel für den Krieg. Jetzt
sei — so begründete der Referent Freiherr v. Thüngen, der
seinerzeit dem Zollparlamente so zähen Widerstand entgegen-
gesetzt hatte, die Vorlage — jetzt sei keine Zeit zu Empfindlich-
keiten und Rekriminationen ; der casus foederis sei dem
Buchstaben und dem Geiste nach gegeben. Aber auch ohne
diesen würde Bayern die nationale Verpflichtung haben, mit
Preußen gegen Frankreich zu gehen, dessen Regierung durch
Beleidigung eines deutschen Fürsten die Ehre der deutschen
Nation verletzt habe. Der deutsche Standpunkt allein und
die ehrliche Vertragstreue sichern die Zukunft eines selb-
ständigen deutschen Bayerns, auf alle Fälle sei es besser, mit
Ehren unterzugehen als in Schanden zu leben.
III.
Bayerische Vorbehalte.
Von einem gemeinsamen Kampfe der Deutschen gegen
den französischen Erbfeind, den die einen als den kürzesten
und erfolgreichsten Weg zur Lösung der deutschen Frage be-
grüßten, besorgten die andern den Verlust oder doch wenig-
stens eine erhebliche Einschränkung der fürstlichen Souveräni-
tät. Es war daher begreiflich, daß die deutschen Mittel-
staaten, die seit der Gründungszeit des Deutschen Bundes
als die zähesten Verteidiger des Souveränitätsprinzips galten,
Bayern und Württemberg, vor Eintritt in den Deutsch-
französischen Krieg eine Neigung bekundeten, sich gewisse
Sicherungen für die Fortdauer ihrer staatlichen Selbständig-
keit zu verschaffen. Der preußische Gesandte am Münchener
Hofe sprach bereits am 12. Juli von solchen Bestrebungen des
Leiters der bayerischen Politik, von dem Wunsche nach einer
Neugestaltung der Allianzverträge vom Jahre 1866, die in
der bisherigen Form so viel Anstoß in ,, Europa" erregt hätten,
nach einer Revision der Zollvereinsverträge u. a.^) Der Ge-
sandte nennt aber diese Bestrebungen ausdrücklich ,, Wünsche,
nicht Bedingungen," ,,um aus der großen Krisis, der wir
entgegen gehen, die bayerische Selbständigkeit zu retten."
Und er fügt hinzu: ,, Nimmt der Krieg für uns ein glückliches
Ende, so gebiert er das Deutsche Reich. Jene Wünsche
stehen dann auf einem anderen Boden und Bayern wird sich
in die neue Stellung im Reiche mit ungleich größerer Leichtig-
keit finden als in seine bisherige."
Wenn aber solche Wünsche eine Zeitlang wirklich die
Form von Bedingungen annahmen oder anzunehmen schienen,
so ging der Anstoß dazu ursprünglich nicht von Bayern, sondern
von Württemberg aus, von seinem leitenden Minister v. Varn-
büler. Wie einem Berichte des Fürsten Chlodwig von Hohen-
1) H. A. A.
44
lohe vom Juni 1868 an den König von Bayern^) zu entnehmen
ist, hat Varnbüler schon im Frühjahr 1868 gegenüber dem
poUtischen Referenten im bayerischen Ministerium des Äußern,
Freiherrn v. Völderndorff, geäußert, Württemberg sei ent-
schlossen, im Falle eines Krieges auf die Seite Preußens zu
treten. Er hat aber gleichzeitig auch die Frage aufgeworfen,
ob es nicht angezeigt sein dürfte, sich für die löbliche Erfüllung
der Schutz- und Trutzbündnisse gewisse Äquivalente auszu-
bedingen. Auf die Frage, was er unter diesen Äquivalenten
verstehe, soll er erwidert haben: vor allem die Zusicherung,
daß, möge der Krieg ausgehen, wie er wolle, der status quo un-
verändert aufrecht erhalten bleiben solle. Der Gedanke, die
Erfüllung der im Allianzvertrage von 1866 übernommenen
militärischen Verpflichtungen an Bedingungen zu knüpfen,
wurde von dem damaligen Leiter der bayerischen Politik,
Fürsten Hohenlohe, abgelehnt und vom Grafen Bismarck,
der auf Umwegen davon erfuhr, in der bestimmtesten Form
zurückgewiesen .
Unmittelbar vor Beginn des Deutsch-französischen Krieges
tritt der Gedanke wieder auf. Am 12. Juh 1870 weilte der
württembergische Gesandte, Freiherr v. Soden, in Stuttgart
und gab hier im Auftrage des Grafen Bray die Erklärung ab,
daß Bayern in der Kriegsfrage aufs engste mit Württemberg
zusammengehen und keinerlei Entscheidung treffen wolle,
ohne sich vorher mit der württembergischen Regierung ver-
ständigt zu haben. 2) Dabei berichtete er von einer Neigung
des jetzigen Leiters der bayerischen Politik, ,,auf eine Auf-
forderung Preußens zur Teilnahme am Kriege mit Frankreich
die Bedingung zu stellen, daß Preußen bei einem mit sieg-
reichem Erfolge begleiteten Kriege die Souveränität der süd-
deutschen Staaten in ihrem bisherigen Bestand anerkenne
und festhalte."^) Der württembergische Ministerrat*), dem
Varnbüler am 15. Juli davon Mitteilung machte, fand es aber
politisch klüger, einer Aufforderung Preußens zur Teilnahme
am Kriege gegen Frankreich auf Grund der Allianzverträge
bedingungslos zu entsprechen. Um den ungünstigen Ein-
druck, den dieser sichtlich ihm selbst unangenehme Beschluß
in Bayern hervorrufen konnte, zu verwischen, erschien Varn-
büler am Abend des 17. Juli persönlich in München und stellte
1) M. St. A.
2) Beilagen I, nr. 3.
3) V. Mittnacht, Rückblicke, S. 52 ff.
*) Ebenda. Vgl. dazu Beilagen I, nr. 17.
45
ausdrücklich fest, daß Württemberg nach wie vor mit Bayern
in der gegenwärtigen Krisis zusammengehen wolle. ^) Im übrigen
wäre Bismarck jetzt ebenso wenig wie im Jahre 1868 auf Be-
dingungen eingegangen.
Tatsächlich ist denn auch die bayerische Regierung ebenso
wie die württembergische ohne Bedingungen in den Krieg
eingetreten. Sie wurde gerade deshalb bei der Beratung der
Versailler Verträge im bayerischen Landtage von der Landtags-
mehrheit scharf angegriffen.
Wohl aber ließ sich Bayern nachträglich, nach dem Ein-
tritt in den Krieg, Sicherheiten für die Selbständigkeit des
bayerischen Staates geben. Auf diesen Entschluß scheinen
ganz besonders die Berichte des beim König höchst einfluß-
reichen bayerischen Gesandten am preußischen Hofe, Freiherrn
V. Perglas, eingewirkt zu haben. 2)
Schon am 17. Juli, nach der ersten Audienz, die ihm nach
der Rückkehr aus dem Urlaube Graf Bismarck erteilte, berichtete
der gegen die Absichten Preußens mißtrauische Gesandte
aus Berlin an die Adresse des Königs: ,,Man ist hier voll-
kommen siegesbewußt und erwartet sich von diesem Kriege
die besten Erfolge für die Interessen Deutschlands, vielmehr
Preußens. Dahin denkt man schon jetzt, um sich die Macht
und die Stellung ein für allemal zu sichern. Es wird daher
von den anderen selbständigen Staaten Deutschlands alles
aufgeboten werden müssen, um gleichfalls bei der künftigen
Neugestaltung die berechtigte politische Stellung sich zu
sichern." Zwei Tage später erhob er neuerdings seine warnende
Stimme: ,,Man ist hier siegesbewußt und nach außen und
innen wird nach dem Sieg eine politische Organisation an-
gestrebt werden, die schon jetzt in Erwägung und Beratung
genommen wird, welche die Krone und die preußische Macht
künftig von den noch bestehenden Beschränkungen ihrer
Herrschaft befreien soll, ein eventuelles Ergebnis, welches
Bayern und die Staaten südlich des Mains zunächst berührt."
Am 23. Juli wiederholte Freiherr v. Perglas seine Mahnung:
Bayern sei im Hinblick auf seine Vertragstreue berechtigt, zu
erwarten, daß sich Preußen nach siegreichem Feldzug ebenso
vertragstreu zeige, d. h. die volle Selbständigkeit Bayerns zu
achten und zu erhalten willens sei, da gerade diese Selbständig-
keit Preußen eine so starke moralische und materielle Unter-
stützung gewährt habe ; der Besuch des Kronprinzen biete die
^) Antrag Brays vom 18. Juli (Beilagen I, nr. 20).
2) M. St. A.
46
beste Gelegenheit, dieser Auffassung bestimmten Ausdruck
zu verleihen. In der Tat äußerte der König von Bayern am
28. Juli bei der Anwesenheit des mit dem Oberbefehl über
die süddeutschen Kontingente betrauten preußischen Kron-
prinzen in einem Handschreiben an diesen den dringenden
Wunsch nach Erhaltung und Sicherung der bayerischen
Selbständigkeit 1) : „Mein treues Volk ist dem Rufe zur Fahne
voll Opfermut und Begeisterung gefolgt und wird unter Deiner
erprobten Führung die unberechtigten Angriffe des Gegners
mit Gottes Hilfe siegreich zurückweisen. Ich glaube, unter
diesen Verhältnissen die sichere Hoffnung hegen zu dürfen,
daß Dein Vater, der König, die bundestreue und energische
Haltung des größten der süddeutschen Staaten dadurch zu
würdigen die Güte haben wird, daß Bayern sowohl beim
Friedensschluß als auch nach diesem seine Stellung als selb-
ständiger Staat — gestützt auf seine langjährige Geschichte —
einnehme. Ich glaube, von der erlauchten Einsicht Deines
erhabenen Vaters, des von mir so verehrten Königs, annehmen
zu dürfen, daß es auch sein Wille ist, daß Bayerns staatliche
Integrität gegenüber der deutschnationalen Richtung aus
jenem Kampfe unversehrt hervorgehe und fortan erhalten
bleibe. Ich habe es für meine Regentenpflicht gehalten, diese
wichtige Sache in Anregung zu bringen, und bitte Dich, es
mir nicht zu verübeln, vielmehr dem König und seinen Räten
hie von Kenntnis geben zu wollen."
Auch der Minister Graf Bray brachte abends nach der
Festvorstellung in einer Audienz beim Kronprinzen diesen
Gegenstand zur Sprache. Nach dem Berichte des Freiherrn
V. Werthern^) vermied der Kronprinz näher darauf einzugehen
und beschränkte sich auf die kurze Erwiderung: es verstehe
sich von selbst, daß Preußen einen so treuen Bundesgenossen
nicht schädigen würde, ,,wenn auch eine festere Verbin-
dung der einzelnen deutschen Stämme unter sich
als bisher unvermeidlich sei". Der König von Preußen
gab in einem Schreiben vom 5. August nicht bloß die gewünschte
Zusicherung, er zollte auch dem bündnistreuen Verhalten
Bayerns neuerdings die wärmste Anerkennung^): ,,Mein
Sohn, der Kronprinz, hat mir den Brief mitgeteilt, den Sie am
29. Juli kurz vor seiner Abreise an ihn gerichtet haben. Ich
danke Ihnen für Ihre offene Aussprache und weiß, daß mein
1) H. A. A.
2) H. A. A.
^) Ebenda.
47
Sohn noch Gelegenheit gefunden hat, Ihnen zu versichern^
wie ich mit den Wünschen einverstanden bin, welche Sie in
betreff der Selbständigkeit und Integrität Bayerns aussprechen.
Ich bin seit Abschluß unseres Bündnisses jederzeit dafür
eingetreten, daß gedeihliche Verhältnisse in Deutschland
sich nur unter Ihrer freien und unabhängigen Mitwirkung und
der unter Ihrem Szepter vereinigten deutschen Stämme ge-
stalten können. Diese meine Gesinnung, das werden Sie mit
mir fühlen, wird durch die treue Waffenbrüderschaft und die
gemeinsame Hingebung für die Verteidigung der Unabhängig-
keit unseres deutschen Vaterlandes zu einer unerschütterlichen
Grundlage des Rechtes und der Selbständigkeit eines jeden
der verbündeten deutschen Staaten werden. Sie wollen ver-
sichert sein, daß das Vertrauen, welches Sie in meine Ge-
sinnungen und meine Würdigung der Haltung Bayerns aus-
sprechen, unter keinen Umständen getäuscht werden wird."
Der König hatte am Schlüsse des ersten Satzes, nach dem
Vorgange seines Sohnes, eigenhändig den Zusatz hinzugefügt :
„Wenn auch noch eine größere Übereinstimmung unserer
Institutionen und Beziehungen anzubahnen wäre." Er be-
gründete diesen Zusatz damit, ,,daß man sich die Hände frei
halten müsse". ,,Die Selbständigkeit so unbedingt hinzu-
stellen und mein vollkommenes Einverständnis, ohne meinen
Zusatz, würde dereinst uns die Hände zu sehr binden und
man uns in Deutschland sogar die Türe weisen, wenn nach so
vielem Blut doch nichts Einigeres zustande käme als jetzt."
Anders der Bundeskanzler. Er hatte am 23. Juli in einer
Weisung an den preußischen Gesandten General v. Schweinitz
in Wien, die abschriftlich auch der preußischen Gesandtschaft
in München zugeleitet wurde, die wohlberechnete Versicherung
gegeben: ,,Wenn wir, wie ich hoffe, siegreich aus dem Kriege
hervorgehen, so würden auch die süddeutschen Staaten von
unserer Seite nicht um ein Haar breit stärkere Pression als
bisher zur Eingehung engerer Beziehungen mit dem Nord-
deutschen Bunde zu befahren haben ; wir würden nach wie vor
das Maß unserer gegenseitigen Annäherung ganz allein von der
freien Entschließung unserer süddeutschen Bundesgenossen
abhängen lassen . . . Wir können mit den Süddeutschen
nur in solchen Beziehungen leben, zu deren Erhaltung sie
auch dann freiwillig entschlossen bleiben, wenn sie in gefahr-
vollen Zeiten der vollen Freiheit eigener Bestimmung über-
lassen sind."i) Er nahm Anstoß an der zurückhaltenden und
1) H. A. A.
48
einschränkenden Erklärung des preußischen Kronprinzen. Er
machte dem preußischen Gesandten in München Vorhalt, daß er
„sich nicht entschieden genug im Sinne der Depesche an
General v. Schweinitz ausgesprochen habe"; „sonst könnte der
König von Bayern keine solchen Befürchtungen ausdrücken."
Er erteilte ihm die Weisung, ,,es noch jetzt nachzuholen und
mit aller Entschiedenheit zu sprechen, nicht so zurückhaltend,
wie nach seinem Berichte der Kronprinz getan". Derselbe
Kanzler nahm auch Anstoß an dem Zusatz des Königs und
bestand auf seiner Streichung. Der König fügte sich wohl dem
Wunsche des Kanzlers, aber, wie er ausdrücklich hinzusetzte,
nur ,, ungern"^).
Die Anwesenheit des russischen Reichskanzlers Gortscha-
koff in Berlin, sein geflissentliches Interesse für die ,, Souveräni-
tät und Unabhängigkeit" der süddeutschen Staaten gab dem
preußischen Unterstaatssekretär v. Thile nach eigenem Be-
kenntnis am 6. und 7. August Veranlassung, Bayern ,,der
absoluten Achtung seiner Souveränität und Selbständigkeit
für alle Zukunft" zu versichern und die Unterstützung der
preußischen Regierung gegen etwaige nationale Strömungen
in Deutschland zu verbürgen. Er fügte aus freien Stücken
dazu noch die weitere Versicherung, der preußische Gesandte
am Münchener Hofe, v. Werthern, ,, werde sehr bestimmte
Instruktionen erhalten, seine Haltung in Einklang zu bringen
mit dieser Richtung der preußischen Politik"; ,,es würde dem
preußischen Gesandten in München nicht zum persönlichen
Vorteil gereichen, wenn er jetzt nicht mit richtigem Takt die
Stellung ergriffe, um sich das Vertrauen zu erwerben, welches
so intime Beziehungen zweier Regierungen absolut erheischen".
Der Unterstaatssekretär las dem bayerischen Gesandten sogar
den Bericht vor, den er über diese Aussprache an Bismarck
erstattete.^)
Bayern hat also wohl nachträglich gewisse Sicherungen
für seine Selbständigkeit erbeten und Bismarck hat sie ohne
Bedenken gewährt. In den Krieg selbst aber ist Bayern ohne
derartige Bedingungen eingetreten.
Noch weniger hat Graf Bray die Anerkennung des Bündnis-
falles von dem Vorbehalt einer Gebietsvergrößerung abhängig
1) H. A. A. („Akten betreffend den Krieg mit Frankreich 1870/71",
Bd. 20).
2) H. A. \. („Akten betreffend den Krieg mit Frankreich 1870/71",
Bd. 21).
49
gemacht. Die Vorstellungen, die über die Haltung des Grafen
Bray in dieser Frage in der wissenschaftlichen Literatur i) ver-
breitet sind, erweisen sich im scharfen Lichte der Akten ebenso-
wenig begründet wie die soeben widerlegten irrigen Meinungen
über seine Politik bei Ausbruch des Deutsch-französischen
Krieges.
Der Gedanke einer bayerischen Landerweiterung trat
erst nach der Anerkennung des Bündnisfalles auf und ging
ursprünglich überhaupt nicht von Bayern aus, wurde viel-
mehr von preußischer Seite angeregt.^)
Am 28. Juli schrieb der bayerische Gesandte Freiherr v. Per-
glas aus Berlin: ,, (Unterstaatssekretär) Thile wünscht, daß
die deutschen Waffen das Elsaß zurückerobern, daß dieses
Land mit der Pfalz vereinigt werde und Bayern dort künftig
die Vormacht Deutschlands bilde"; Bayern sollte nach einem
Berichte des Freiherrn v. Perglas vom 6. August die Wacht
am Oberrhein, Preußen die am Niederrhein übernehmen. In
Übereinstimmung damit meldete am 6. August 1870 der
bayerische Berichterstatter im deutschen Hauptquartier, Mi-
nisterialsekretär Maximilian v. Berchem: ,,Wie ich aus Ge-
sprächen mit zum König von Preußen intim stehenden Per-
sönlichkeiten entnehmen zu können glaube, hat die preußische
Regierung allerdings die Absicht, nach einem Siege Frank-
reich zu verkleinern. Es wird mir immer wahrscheinlicher, daß
eine Abtretung des von uns besetzten französischen Terri-
toriums eine der hauptsächlichen Friedensbedingungen werden
wird. Man hat mir aber auch schon von Abtretungen an
Bayern gesprochen." Am 19. August berichtete er neuerdings,
daß ,,in bestinformierten Kreisen und augenscheinlich nicht
ohne höhere Veranlassung und mehrfach neuerlich von Ab-
tretungen in Elsaß-Lothringen an Bayern gesprochen worden
sei." Er gab auch den Grund an, warum an eine Vergrößerung
süddeutscher Staaten, nicht aber Preußens gedacht werde:
,,Man scheint der Überzeugung zu sein, daß Preußen gegen-
über der europäischen Lage und wegen Klarstellung der un-
eigennützigen Motive der Kriegsführung aus dem Kampfe ver-
größert nicht hervorgehen dürfe." Daß man damals in den
politischen Kreisen Berlins mit der Überlassung des Elsasses
^) Jacob, Bismarck und die Erwerbung Elsaß-Lothringens (1905). Vgl.
dazu W. Busch, Die Kämpfe um Reichsverfassung und Kaisertum 1870/71,
S. i49ff., und Wentzke, Der deutschen Einheit Schicksalsland (1921).
^) Die folgende Darstellung gründet sich, soweit nicht anderes ver-
merkt wird, auf die Ministerialakten im Münchener Geh. Staatsarchiv.
Doeberl, Bayern nnd die Bismarckische Reichsgründung. 4
50
an Bayern rechnete, bezeugt auch die Korrespondenz Max
Dunckers und Hermann Baumgartens. ^) Duncker hätte es
nicht ungerne gesehen, ,,wenn Bayern diesen Zuwachs er-
hielte, wenn es damit vollständig in den Organismus des
Bundes gezogen werden könnte." Um so schärfer sprach
sich Hermann Baumgarten dagegen aus.
Läßt schon die politische Tragweite der gemeldeten Äuße-
rungen vermuten, daß sie nicht ohne Ermächtigung Bismarcks
gemacht worden sind, so berichtet Berchem am 29. August
eine darauf bezügliche Äußerung Bismarcks selbst: ,, Jedenfalls,"
so äußerte Graf Bismarck nach der wörtlichen Wiedergabe
Berchems, ,, bestehe die Absicht, Metz und Straßburg wieder
für Deutschland zu erwerben, um den Süden Deutschlands vor
plötzlichen Einfällen Frankreichs sicherzustellen, denen der-
selbe im ersten Augenblick eine wirksame Gegenwehr kaum
würde entgegensetzen können. S. Majestät der König von
Preußen sei jedoch hiebei keineswegs von dynastischen Rück-
sichten geleitet." ,,Hiemit" — so fährt Berchem weiter —
,, deutete der Bundeskanzler an, daß man damit umgehe, wie
ich schon früher zu berichten mir erlaubte, den süddeutschen
Staaten die zu erwerbenden Strecken im Fall eines definitiven
Sieges zu überlassen — unter gemeinsamer (d. h. deutscher)
Verteidigung dieser großen Waffenplätze." Damit steht in
einem gewissen Einklang, was der militärische Bevollmächtigte
Bayerns im deutschen Hauptquartier, Graf v. Bothmer, am
7. September 1870 an den bayerischen Kriegsminister be-
richtete^) : ,,Euer Exzellenz beehre ich mich in vertraulicher
Weise den Inhalt eines Gespräches mitzuteilen, welches ich
heute an der kronprinzlichen Tafel mit meinem Nachbarn,
Herrn Grafen v. Bismarck, führte. Der Bundeskanzler sagte
mir, daß er die Friedensbedingungen, welche er, wenn möglich,
durchzusetzen gedenke, schon fertig nach Frankreich • mit-
gebracht habe. Sie bestünden in der Abtretung von Straß-
burg und Metz nebst dem Territorium, welches zur militäri-
schen Sicherstellung notwendig sei, also dem Elsaß bis zum
Kamm der Vogesen inkl. Pfalzburg und einem Stück Lothrin-
gen. Er sagte, daß er nur von dem Gesichtspunkt ausgehe,
den Franzosen die Wiedervergeltung, an welche sie ohne Zweifel
denken würden, möglichst zu erschweren und ihnen die deut-
schen Grenzen nicht so leicht wie bisher zugänglich zu machen.
Wer in den Besitz der neuen Ländergebiete trete, sei ihm eine
^) Max Dunckers pol. Briefwechsel, S. 453 f.
2) M. Kg. A.
51
Nebenfrage. Bayern könne das an die Pfalz stoßende, Baden
das angrenzende Land erhalten. Die Hauptsache sei, daß
deutsche Truppen die Franzosen beobachten und im Zaume
halten. Preußen bedürfe keiner Gebiets Vergrößerung, werde
sich aber nicht weigern, zur gemeinschaftlichen Verteidigung
Deutschlands einen Teil des eroberten Landes zu übernehmen
Ich bemerkte dem Grafen im Laufe des Gespräches, Preußen
könne kein besseres Manöver gegen die antideutsche Partei
in Bayern ausführen, als wenn schon jetzt Bedacht genommen
würde, uns die dreißig Millionen zurückzuzahlen, welche uns
der Friedensschluß von 1866 kostete — worauf er mit dem
Ausdruck der Befriedigung antwortete, daß dies eine ganz
gute Idee sei."
Freiherr v. Pranckh gab von diesem Berichte dem bayeri-
schen Ministerium des Äußern Kenntnis.
Von dem damaligen Leiter der bayerischen Politik,
Grafen Bray, wurde eine Gebietserwerbung Bayerns auf
Kosten Frankreichs nicht nur nicht angeregt, sie wurde viel-
mehr im Grunde von ihm abgelehnt — weil er daraus für
Bayern und Deutschland eine dauernde Gefahr von Frank-
reich her besorgte. Am 13. August schrieb er in diesem Sinn
an den bayerischen Gesandten Dönniges in Florenz: ,,Dans
votre entretien avec ms. de Visconti- Venosta il a ete question
des projets qu'on preterait aux puissances Allemandes en
cas de succes, et la pensee de demembrer le territoire fran9ais
a ete mise en avant. Or, ms., la guerre ä laquelle le gouverne-
ment et le roi s'est vu contraint de prendre part, est pour
l'Allemagne une guerre defensive, qu'elle n'a point cherchee
et qu'elle aurait ete heureuse d'eviter, si sa securite et son
honneur le lui avaient permis. — Rien n'est donc plus etranger
au gouvernement Bavarois que des idees de conquetes. Le
but qu'il poursuit, c'est une paix sure et durable, et s'il desire
un desarmement de la France, il n'est ni pour l'humilier ni
pour l'affaiblir, mais pour pouvoir reduire lui-meme ces charges
militaires et arriver a un desarmement general que reclame
l'interet de l'Europe tout entiere." Am 15. August wies Graf
Bray den Freiherrn v. Perglas ausdrücklich an: ,,Den Äuße-
rungen, welche sich auf eventuelle Überlassung französischer
Gebietsteile an Bayern beziehen, ersuche ich mit Vorsicht und
Zurückhaltung zu begegnen. Sowohl vom bayerischen als
vom deutschen Gesichtspunkt aus möchte ich solchen Projekten,
wenn sie Bestand gewännen, entschieden entgegentreten. Die
Lostrennung französischer Gebietsteile und die gezwungene
52
Vereinigung widerstrebender französisch gesinnter Bevölke-
rung mit Deutschland wäre für mich gleichbedeutend mit der
Perpetuierung des Krieges und des Nationalhasses zwischen
beiden großen Völkern. Wenn der Zweck des zur Verteidigung
deutschen Gebietes und deutscher Ehre unternommenen
Krieges die Herstellung eines dauernden und sicheren Friedens
ist, so würde nach meiner Überzeugung obiges Vorgehen uns
von dem vorgesetzten Ziele weiter als je entfernen. Der jetzt
auf den Völkern lastende hohe Militärstand müßte ein perpetu-
ierlicher, die so nötige Abrüstung eine unmögliche werden.
Solchen Nachteilen gegenüber erscheint mir ein Landerwerb
als eine illusorische und vollständig ungenügende Kompen-
sation. Vorstehende Bemerkungen dienen lediglich zu Ihrer
persönlichen Information; ich halte es aber für nötig, Ihnen
jetzt über meine Auffassung dieser noch fernen Eventualität
keinen Zweifel zu lassen." Übrigens hatte auch Berchem in
dem erwähnten Berichte vom 6. August 1870 geäußert: ,,Ich
möchte aber glauben, daß hier eine Vergrößerung Bayerns
kaum in dessen Interesse liegen würde."
Bei einer so ablehnenden Stellungnahme des leitenden
Ministers war ein Landerwerb in Elsaß-Lothringen für Bayern
von Anfang an wenig aussichtsvoll. Im übrigen wurde eine
derartige territoriale Vergrößerung damals auch durch andere
Umstände erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht: durch
die Eifersucht der deutschen Fürsten, ganz besonders durch
das Mißtrauen, das damals noch in den nationalen Kreisen
aus politischen Gründen gegen Bayern bestand.
Die fortschrittliche und nationalliberale Presse forderte
allerdings einstimmig Straßburg und Metz, Elsaß und Loth-
ringen, aus nationalen wie aus militärischen Gründen: es
handle sich um Rückgewinnung deutschen, von Frankreich ge-
raubten Landes und um Sicherung der deutschen Grenze ; wolle
man von Frankreich dauernd Frieden haben, so müsse man
ihm dauernd Abbruch tun und sich einen dauernden Zuwachs
sichern. Einen Landzuwachs Bayerns in Elsaß-Lothringen
lehnten aber dieselben Blätter ebenso einstimmig ab: Die Be-
völkerung Elsaß-Lothringens habe bis jetzt einem großen Reiche
zugehört, sie würde es als Schimpf empfinden, in die klein-
lichen Verhältnisse eines Kleinstaates gezwängt zu werden.
Eine Landvergrößerung Bayerns würde die Eifersucht der
anderen Südstaaten, zumal Württembergs, wachrufen, würde
nur den bayerischen Partikularismus stärken und den ,, Dualis-
mus in Musterform", den wir 1866 vernichtet zu haben meinten,
53
wiederherstellen, an Stelle eines preußisch-österreichischen
einen preußisch-bayerischen Dualismus heraufbeschwören.
,,Wenn Elsaß an Bayern käme," schrieben die ,, Münchener
Neuesten Nachrichten" am i8. September, ,,dann würde sich
ohne Zweifel manches Gesicht in München bei dieser Möglich-
keit in die freundlichsten Falten legen, dann wäre ja die süd-
deutsche Großmacht sozusagen fertig, dann könnte von der
gefürchteten Unterordnung unter Norddeutschland gar keine
Rede mehr sein, dann hätten wir den deutschen Dualismus,
welchen wir 1866 vernichtet zu haben meinten, in besserer
Form wiederhergestellt." Die nationalliberalen und fort-
schrittlichen Blätter nahmen die Verwaltung Elsaß-Lothringens
und damit ,,die Wacht über den Rhein" für die deutsche
,, Vormacht", für Preußen in Anspruch. Zeit und Erfahrung
haben später manche dieser Stimmen bekehrt.
Ernster, aber erst später, im Zusammenhang mit den
Versailler Verhandlungen und mehr unter dem Gesichtspunkt
einer mäßigen Entschädigung für den territorialen Verlust
des Jahres 1866 faßte der Gedanke einer territorialen Ver-
größerung bei König Ludwig II. Wurzel; im Zusammenhang
mit den Versailler Verhandlungen werden wir seiner gedenken.
In Rücksicht auf den König und auf einflußreiche Kreise bei
Hofe wie im Volke wurde der Gedanke auch von dem durchaus
deutschgesinnten Kabinettsekretär Eisenhart genährt. Ge-
rade Eisenhart aber scheint dem königlichen Wunsche die
Richtung nach der badischen Pfalz gegeben zu haben. ,,Es
fällt mir auf," schrieb er am 20. August an den Grafen Bray,
,,daß der Norden an einer etwaigen Gebietsvergrößerung
keinen Anteil nehmen, sondern sie dem Süden überlassen will;
was ist des Nordens Entgelt ? Wenn überhaupt territoriale
Veränderungen eintreten, wäre es sicher ganz wünschenswert,
jetzt schon den Umstand in Anrechnung zu bringen, daß Mann-
heim und Heidelberg zu unseren alten pfälzigen Stammlanden
gehörten und deren Besitz uns ein conttnuum unseres Land-
komplexes bieten würde."
Graf Bray griff diesen Gedanken auf, vielleicht gerade
deshalb, um eine bayerische Landerwerbung auf Kosten
Frankreichs auszuschalten. Schon am 24. August schrieb er
in einem Erlaß an den bayerischen Gesandten Freiherrn
V. Perglas: ,, Vergrößerung Bayerns durch französische Terri-
torien erscheint mir unter keinen Umständen wünschenswert,
wohl aber Erwerbung ehemaliger pfälziger Landesteile behufs
Herstellung der Kontiguität." Dabei dachte er nicht eigentlich
54
an Heidelberg und Mannheim, sondern lediglich an einen schma-
len Verbindungsstreifen zwischen Unterfranken und der Pfalz.
Wirksam, mit ganzer Seele hat der Minister auch dieses
Projekt nicht verfolgt, wiewohl es ihm der König vor und
während der Versailler Verhandlungen immer wieder ans
Herz legte; er scheint sich im wesentlichen damit begnügt
zu haben, unmittelbar nach dem Abschluß der Versailler
Verhandlungen, am 25. November, die Frage in einem privaten
Gespräche mit dem Großherzog von Baden anzuschneiden:
,,Die Einverleibung von Elsaß und Lothringen gebe zu den
verschiedensten Kombinationen Anlaß . . . Vielfach und mit
Wärme sei der Gedanke vertreten worden, Elsaß mit dem
Großherzogtum Baden zu vereinigen und ein Königreich daraus
zu gestalten. Dieser Fall, der ja ebenso wünschenswert als wahr-
scheinlich sei, veranlasse ihn zur Frage, ob der Großherzog denn
geneigt sei, eine Gebietsabtretung an Bayern zu genehmigen, wo-
durch die beiden getrennten Territorien verbunden werden
könnten. Er denke dabei weder an Heidelberg noch an Mann-
heim, sondern nur an einen ganz schmalen Streifen Landes
vom Main- und Tauberkreise bis an den Rhein. Er versichere,
daß damit nicht gemeint sei, alte Ansprüche erneuern zu wollen,
... es sei ihm nur von hohem Wert, die Anschauungen des
Großherzogs über eine solche Eventualität zu kennen, da eine
direkte Verbindung seiner getrennten Territorien für Bayern
so sehr wünschenswert sein müsse." Graf Bray hatte im
voraus des Großherzogs Nachsicht dafür erbeten, daß ei
ihm eine Frage vorlege, die ,,so sehr delikat sei". Die Ant-
wort, die ihm zuteil wurde, war schroff ablehnend: ,,Die
Zeit, in welcher man Land und Leute verschenkte, liegt weit
hinter uns und daher wollen wir sie an einem Ort wie Versailles
zur Ehre der deutschen Nation nicht wieder zurückrufen
und in den Fehler unserer Feinde verfallen."^)
Ganz abgesehen übrigens von der Abneigung Badens und des
Großherzogs von Baden, Gebiete der badischen Pfalz zu opfern,
wollte die nationale Partei auch nicht das, was die notwendige
Voraussetzung hätte sein müssen, eine Erwerbung elsaß-loth-
ringischen Gebietes durch Baden, am allerwenigsten der Groß-
herzog selbst, weil damit dem badischen Staat eine nationale
Last auferlegt worden wäre, die er nach ihrer Meinung schon
im Hinblick auf seine Größe nicht zu tragen vermocht hätte.
Immerhin hat Bismarck am Schlüsse der Versailler Ver-
handlungen sowohl dem Grafen Bray als dem Grafen Holnstein
^) Tagebuch des Großherzogs von Baden zum 25. November.
55
gewisse territoriale Aussichten für die Zeit der Friedens-
verhandlungen eröffnet. 1) Als daher Graf Bray im Februar
1871 zur Teilnahme an den Friedensverhandlungen zum
zweitenmal nach Versailles reiste, erteilte ihm König Ludwig II.
in einem Handschreiben den Auftrag, ,, dahin zu wirken, daß
eine Rückzession der im Jahre 1866 an die Krone Preußen
abgetretenen bayerischen Lande, eventuell eine Gebiets-
erweiterung im Süden der Pfalz (mit Weißenburg) erfolge,
welche an Seelenzahl und Flächenraum jene verlorenen Distrikte
wenigstens erreicht." Er gab ihm ein Handschreiben an
Kaiser Wilhelm mit, in dem der Wunsch des Königs damit
begründet wurde, daß Bayern im Deutsch-französischen
Kriege durch seine sofortige Mobilmachung und sein ent-
schiedenes Auftreten der deutschen Sache einen wertvollen
Dienst geleistet, wie außer Preußen kein anderer deutscher
Staat, daß es zugunsten der deutschen Einheit und des Deut-
schen Reiches Opfer an seiner Selbständigkeit gebracht habe
und daß es im Jahre 1866 der einzige von den gegenwärtigen
deutschen Bundesstaaten gewesen sei, die neben einer nam-
haften Geldsumme ein nicht unerhebliches Gebiet verloren
hätten. Die Erfüllung des bayerischen Wunsches würde auch
in den Kreisen versöhnend wirken, die den Verlust des Jahres
1866 als Angriffspunkt gegen Preußen benutzen.^)
Graf Bismarck, bei dem der Minister gleich nach seinem
Eintreffen in Versailles diesen Wunsch zur Sprache brachte,
verhielt sich anfänglich ablehnend, weil ,,ein solcher An-
spruch Bayerns sowohl im Reichstag als im Bundesrat viel-
fachen Widerspruch und seitens anderer Bundesstaaten
ähnliche Ansprüche hervorrufen würde". Bei einer zweiten
Unterredung ging der Reichskanzler auf den bayerischen
Wunsch ein und sprach gleichzeitig die Geneigtheit des Kaisers
aus, ihm seine Unterstützung zu leihen. Der badische Minister
Jolly, in dessen Gegenwart Bismarck diese Zusage machte,
erklärte sich im Namen seiner Regierung damit einverstanden,
ebenso der württembergische Minister des Äußern Freiherr
V. Wächter; Baden forderte als Gegenleistung eine Grenz-
berichtigung zwischen Baden und der Schweiz, Württemberg
eine Eisenbahnverbindung zwischen Bruchsal und Germersheim.
^) Das ergibt sich aus einer Äußerung Brays a. a. O. S. 192 und aus
einer Äußerung Holnsteins gegenüber dem preußischen Gesandten v. Werthern.
^) H.A.A. („Akten, betreffend die Wünsche süddeutscher Regierungen
nach einer Gebietserweiterung aus den von Frankreich im Friedensschlüsse
abgetretenen Landesteilen.")
56
Trotz des vertraulichen Charakters dieser Besprechung
erschien bald darauf eine telegraphische Mitteilung davon mit
einer Mischung von Wahrheit und Dichtung in der deutschen
Presse, aber keineswegs, wie man gemeint hat, auf Grund einer
Information durch die bayerische Regierung; hier war man
vielmehr aufs peinlichste überrascht.
Die Folge davon war eine Flut von Zeitungsartikeln. Mit
Ausnahme eines offiziösen Artikels in der Norddeutschen
Allgemeinen Zeitung und offiziöser Artikel in der Augsburger
Allgemeinen Zeitung sprach sich die Presse aller Farben mit
größter, geradezu leidenschaftlicher Entschiedenheit gegen
das Verlangen Bayerns aus. Der bayerische Gesandte am
preußischen Hofe, Baron Perglas, argwöhnte, daß Bismarck
selbst hinter der Preßfehde stehe: ,,Wenn man in Betracht
zieht, daß die nationalliberale Presse überhaupt und die
Karlsruher Zeitung ganz speziell Organe des Grafen Bismarck
sind, durch welche er die öffentliche Meinung beeinflußt und
leitet, um sich dann später, gestützt auf solche künstlich er-
zeugte öffentliche Meinung, von eingegangenen Verpflich-
tungen lossagen zu können, daß ferner diese Presse, wie ich
nicht zu wiederholen brauche, erst auf erfolgte Weisung des
auswärtigen Amtes die Annahme des Kaisertitels angeregt hat,
liegt die Vermutung nahe, daß Graf Bismarck auch im vor-
liegenden Falle die Presse seinen Interessen entsprechend
benutzt."!) Zuletzt hat auch Perglas angesichts der Haltung der
öffentlichen Meinung das Projekt für aussichtslos gehalten:
,,Die öffentliche Meinung hat sich gegen ein solches Projekt
so entschieden ausgesprochen und die Ansichten aller Parteien
im Reichstage sind in dieser Beziehung mit derselben so über-
einstimmend, daß selbst der Einfluß des Reichskanzlers, wollte
er ihn anwenden, in dieser Phase der Angelegenheit ein gün-
stiges Ergebnis nicht mehr würde erzielen können. Damit
will ich keineswegs sagen, daß es nicht dem Kanzler möghch
gewesen wäre, in einer früheren Epoche und, als das Ansinnen
von Bayern an ihn gelangte, zur Zeit des Abschlusses der
Friedenspräliminarien in Versailles, die Sache in einer Weise
einzuleiten, daß sie vielmehr alle Aussicht auf Erfolg gehabt
hätte. Man dürfte sich doch an die Zeit erinnern, als nach der
Eroberung des Elsasses, zu welcher Bayern entschieden mit-
gewirkt hat, Bayern als die Wacht am Rhein bezeichnet
und die Vereinigung des Elsasses mit Bayern als
1) Vgl. Berichte Perglas' vom ii., 14. und 17. März, vom 4. und 8. April
1871. M. St. A.
57
ein ernster Gedanke im Auswärtigen Amte gefaßt
und gepflegt wurde." Die aus Berlin zurückkehrenden
Minister Lutz und Pfretzschner, von denen letzterer unmittel-
bar vor seiner Abreise eine Aussprache mit Bismarck hatte,
meldeten, der Vorschlag einer Lostrennung elsässischer Ge-
biete zugunsten Bayerns würde im Reichstage trotz einer
Unterstützung durch die preußische Regierung nach sicheren
Erhebungen fast einstimmig verworfen werden; selbst die
bayerischen Abgeordneten sähen sich nach ihren schriftlichen
Erklärungen genötigt, dagegen zu stimmen, um nicht gänzlich
isoliert zu bleiben.
Graf Otto von Bray- Steinburg, der auch dieses Projekt
aus den bekannten Gründen nur zögernd und ohne innere
Freude verfolgt und schon früher sowohl in einem Bericht
an den König als in einer Mitteilung an seine Ministerkollegen
auf die Nachteile (,,Inkonvenienzen") einer Einverleibung
eines Teiles des Elsasses in die bayerische Pfalz, auf die ge-
steigerte Verfeindung mit einem noch immer mächtigen Nach-
barn, auf die mißgünstige Stimmung bei einem Teile der eigenen
Bundesgenossen, auf die Belastung mit unwilligen und wider-
strebenden Staatsangehörigen hingewiesen hatte, fürchtete
jetzt ebenso wie seine Ministerkollegen, der Antrag auf eine
Angliederung elsässischer Landesteile an Bayern werde im
Reichstage lediglich eine das Ansehen Bayerns schwächende
Niederlage zur Folge haben. Er erbat sich am 8. April 1871
von seinem Könige die Ermächtigung, ,,von einem Antrag auf
Gebietsabtretung zur Zeit Abstand zu nehmen". Der König,
der noch am 22. März signiert hatte: ,,Ich gewärtige, daß
Meine Regierung die Erlangung der in Frage stehenden Ge-
bietserwerbung nach Kräften anstreben werde, da Ich die von
ihnen ausgesprochenen Befürchtungen nicht zu teilen vermag",
gab jetzt, ,,wenn auch ungern", die erbetene Ermächtigung.
Immerhin hatte auch Graf Bray in jenen Antrag vom
8. April 1871, um den Widerstand des Königs leichter zu bre-
chen, den ausdrücklichen Vorbehalt aufgenommen: ,,Es wird
diese Ermächtigung nicht hindern, daß der wohlberechtigte
Anspruch Bayerns einerseits und anderseits die ihm gezollte
Anerkennung des Deutschen Kaisers und des Bundeskanzlers
für spätere günstigere Konjunkturen aufrechterhalten werden."
Damals hatte sich bekanntlich Graf Bismarck bereits
für die Schaffung eines Reichslandes entschieden — nicht
zuletzt, um den Erörterungen über die Zuteilung der eroberten
Gebiete Elsaß und Lothringen den Boden zu entziehen.
IV.
Baycrisdic Initiative in der deutsdfien
Frage.
Mit atemloser Spannung begleitete das deutsche Volk
den Siegeszug der deutschen Heere in den unvergeßlichen
Augustwochen des Jahres 1870: die Einbruchsgefechte von
Weißenburg, Wörth und Spichern (4. bis 6. August), die drei
großen Moselschlachten bei Colombey, Vionville-Mars la Tour
und Gravelotte-St. Privat (14. bis 18. August), den abschließen-
den Feldzug von Sedan.
Die nächste politische Wirkung der Katastrophe von
Sedan war der Zusammenbruch des französischen Kaiser-
tums, die Aufrichtung der ,, Regierung der nationalen Ver-
teidigung", formell zunächst unter Trochu, tatsächlich unter
Gambetta.
Die andere politische Wirkung der weltgeschichtlichen
Vorgänge von Sedan waren diplomatische Verhandlungen, die
zur Gründung des Deutschen Reiches führten.
Bismarck hatte dem preußisch-französischen Konflikt
den Charakter eines französischen Angriffskrieges gegeben
und dadurch den militärischen Anschluß Bayerns an Preußen
im Kriege gegen Frankreich erreicht. Das war ein großer
Erfolg. Aber Bismarck und die nationalen Kreise in Deutsch-
land wollten mehr: nach ihrer Ansicht sollte der französische
Angriff ,,der wirksamste Zauber zur Lösung der deutschen
Verfassungsnot" sein.
Nun aber hatte sich Bayern gleichsam als Lohn für seine
Bündnistreue, für seine Anerkennung des casus belli vom
Preußenkönig und der preußischen Regierung Zusicherungen
für die Fortdauer seiner politischen Selbständigkeit erbeten
und erhalten. Und von der Haltung der nationalen ,, öffent-
lichen Meinung" in Berlin berichtete Freiherr v. Perglas in
der Zeit des ersten Waffenerfolges von Weißenburg, ,,daß sie
59
daraus kein Kapital schlage für die preußische Suprematie,
für den preußisch-deutschen Einheitsstaat, sondern im Gegen-
teil die große Bedeutung dieses mit den Bayern erfochtenen
Sieges für die Selbständigkeit Bayerns anerkenne, das aus
freiem Entschluß Deutschland und Preußen so große, so außer-
ordentliche Dienste geleistet habe." Augenblicklich stand man
eben ganz unter der Spannung, der Ungewißheit und der
Sorge eines beginnenden Krieges und unter dem Eindruck
der Nützlichkeit des militärischen Anschlusses der Südstaaten
an den Norddeutschen Bund.
Aber der Krieg hörte damit nicht auf, ein deutscher
Einigungskrieg zu sein, weder in den Augen der nationalen
Parteien noch nach den Intentionen Bismarcks noch nach der
Auffassung des Auslandes. Der englische Außenminister
äußerte zum norddeutschen Botschafter: ,,Er wünsche zwar
nicht, daß in Deutschland noch irgend gewaltsame Annexionen
von Königreichen oder Staaten stattfinden. Er glaube auch,
daß man den süddeutschen Staaten alle lokale Autonomie
lassen könnte, die sie etwa wünschen möchten. Aber ganz
Deutschland, wie es sich jetzt militärisch darstelle, müsse auch
in Zukunft politisch unter der Ägide von Preußen einheitlich,
und zwar nicht bloß durch widerrufliche Verträge, sondern
verfassungsmäßig einheitlich, dastehen und sowohl militärisch
als diplomatisch dem Auslande gegenüber als eine einzige Macht
sich darstellen. Keine fremde Macht habe ein Recht, sich
darein zu mischen, und Frankreich müsse für die Zukunft auf
jedes vermeintliche Recht der Kontrolle oder Einmischung aus-
drücklich verzichten. "1) Selbst auf bayerischer Seite war das
Verlangen nach Sicherung der bayerischen Selbständigkeit
doch im Grunde nichts anderes als die richtige Erkenntnis,
daß das militärische Zusammengehen des Nordens und des
Südens den Wunsch nach einer politischen Einigung reifen
werde. Die bayerische Regierung hatte sogar bereits von einer
nach dem Kriege zu erwartenden Neugestaltung Deutsch-
lands gesprochen. Der Kabinettsekretär Eisenhart vollends
hatte am 9. August, bald nach Empfangnahme des beruhigen-
den Handschreibens König Wilhelms, an den Grafen Bray
geschrieben: er glaube im Hinblick auf den Inhalt des Briefes
des Königs von Preußen, die sehr namhaften Erfolge der baye-
rischen Waffen in zwei Schlachten, die Versicherungen des
Unterstaatssekretärs v. Thile mit ziemlicher Ruhe in die
^) Bericht Bernstorffs vom 16. August 1S76, H.A. A. („Akten, betr.
d. Deutch-franz. Krieg", Bd. 5).
60
Zukunft blicken zu können. Er finde es aber trotzdem an-
gemessen, einzelne Punkte zwischen den süddeutschen Staaten
und dem Norddeutschen Bunde durch Staatsverträge klar und
endgültig im Sinne eines weisen föderativen Verhältnisses
zu regeln, um auf diese Weise feste Zustände zu schaffen und
die bayerische Selbständigkeit nachhaltig zu sichern. ,,Ich
halte das im Interesse Bayerns, Deutschlands, ja Europas
gelegen ; sonst hört die deutsche Frage nie auf und der Süden
ist ständigen politischen Schwankungen und Gefahren unter-
stellt."!)
Sobald die öffentliche Meinung durch den Gang des
Krieges sich des Sieges sicher fühlte, wandte sie sich mit
wachsendem Hochgefühl und wachsender nationaler Be-
geisterung der deutschen Frage zu, begehrte um so leiden-
schaftlicher, daß die deutsche Einigung, die so große Erfolge
errungen, auf verfassungsmäßigem Wege dauernd gesichert
werde. Dieser Augenblick trat ein mit dem Siegeszuge der
letzten Augustwochen und ihrer Krönung, der Kapitulation
von Sedan.
Schon am 15. August schrieb einer der rührigsten, aber
auch ungestümsten Führer der nationalen Partei, der Abge-
ordnete Lasker, aus Berlin an Bismarck^): ,, Nachdem die
Abwehr gesichert ist, tritt die Frage über das Endziel des
Krieges in den Vordergrund, und sie beherrscht das Gespräch
nicht bloß unter berufsmäßigen Politikern. Über territorialen
Erwerb spreche ich nicht; das Verlangen ist angeregt, mannig-
fache Verhältnisse werden darüber entscheiden, aber die
Grenzerweiterung war nicht der deutsche Zweck des Krieges
und wird nicht der Preis sein, welcher die Nation befriedigt.
Dagegen darf ich, aus Wahrnehmung, als tiefe Überzeugung
des Volkes bezeichnen, daß Deutschland jetzt an Stelle der
Verträge mit den süddeutschen Staaten die Staatseinheit
in Form des Bundes gewinnen werde. Ein minderer Ausgang
würde zu den schwersten Täuschungen zählen." Lasker bat
um Gutheißung der nationalliberalen Bestrebungen und regte
zugleich eine Verständigung an über den ,, äußeren Betrieb
dieser Bestrebungen". Bismarck vermied es, darauf schrift-
lich zu erwidern. Der Mann, der mitten im Kriege seine
Hand über ganz Europa hielt, ließ sich mit dem ,, Drang der
fortschreitenden Kriegsereignisse" entschuldigen. Gleich-
1) M. St. A.
"■) H. A. A. (Akten, betr. den Deutsch-franz. Krieg, Bd. 39) ; Deutsche
Revue XVII.
61
zeitig ließ er dem Abgeordneten Lasker am 25. August durch
seinen Stellvertreter in Berlin, den Unterstaatssekretär v. Thile,
in freundschaftlicher und zugleich energischer Weise sagen,
daß er noch außerstande sei, sich über die von Lasker berührten
Gegenstände auszusprechen, da im Augenblick alle Gedanken
auf die Gegenwart und den gemeinsamen Kampf um das nächste
Kriegsziel, die Niederwerfung und dauernde Schwächung des
Feindes, gerichtet sein müßten. ,, Deutschland werde sich
gewiß selbst die Gestalt der Organisation geben, die es bedürfe ;
dafür sei keine Sorge; zunächst komme es darauf an, durch
den Frieden Frankreich in eine Lage zu bringen, daß es Deutsch-
land nie wieder gefährlich werden könne. "i)
Bismarck scheiite eine Belastung seiner Politik mit einer
einseitigen Parteiagitation, eine Belastung, vor der selbst
Bennigsen seinen Parteifreund Lasker warnte. Er besorgte
überdies gerade von nationalliberaler Seite ein ungestümes,
überhastetes Vorgehen, dasselbe Vorgehen, das noch zu An-
fang des Jahres 1870 mit dem Antrag auf Aufnahme Badens
in den Norddeutschen Bund die deutsche Entwicklung eher
geschädigt als gefördert hatte. Ein Artikel in der ,, Kreuz-
zeitung" vom 22. August, der ähnliche Besorgnisse zum Aus-
druck brachte, ist vielleicht nicht ohne Fühlung mit Bismarck
entstanden. Bismarck setzte zudem auf nationalliberaler Seite
eine zu weitgehende unitaristische Tendenz auf Kosten der
Fürsten voraus ; die ,, Gedankenspäne für den Fall eines Friedens
wie auch für die endliche Feststellung der deutschen Gesamt-
heit", wie sie eben damals in deutlicher Anlehnung an national-
liberale Bestrebungen vom preußischen Kronprinzen aus-
gingen, mit konstituierendem Reichstag, mit Oberhaus und
Reichsministerium und starkem Mißtrauen gegen die Fürsten,
mußten ihn in dieser Auffassung bestärken.
Bismarck gedachte wohl, die Nationalliberalen im ge-
gebenen Augenblick als Läufer auf seinem politischen Schach-
brett zu verwenden, aber seine deutsche Politik wollte er auf
Grund seiner ganzen Vergangenheit, seiner Erfahrungen mit
der deutschen Bewegung des Jahres 1848 und seiner Kenntnis
der Staats- und Weltanschauung des Preußenkönigs in erster
Linie mit den Fürsten machen. Er hat denn auch tatsächlich
zu derselben Zeit, da er dem Abgeordneten Lasker sagen ließ,
der Zeitpunkt für eine Initiative in der deutschen Frage sei
noch nicht gekommen. Schritte getan, um den König von
^) Ebenda.
62
Bayern für diese Initiative zu gewinnen. Am 24. August mel-
dete der bayerische Berichterstatter im Hauptquartier, Graf
Berchem, nach München: „Ich habe im Auftrag S. K. H. des
Prinzen Luitpold weiter zu berichten, daß Graf Bismarck
sich dahin äußerte, Preußen und der Norddeutsche Bund
würden bereit wilhgst Vorschläge akzeptieren, welche S. M.
der König von Bayern nach Allerhöchst seiner Bequemlichkeit
im Interesse einer engeren nationalen Einigung zu machen
sich etwa veranlaßt sehen würden."^)
Damit erschöpfen sich die Schritte Bismarcks in diesen
Tagen nicht. Der Wunsch der bayerischen Regierung nach
Teilnahme an den künftigen Friedensverhandlungen, den
Graf Bray in einer Depesche an den bayerischen Gesandten
in Berlin vom 18. August geäußert hatte, gab Bismarck
Veranlassung, am 25. August dem Vorstande des norddeutschen
Bundeskanzleramtes, Minister Rudolf v. Delbrück, den Auf-
trag zu erteilen, mit einer wichtigen Mission nach Dresden zu
gehen. Er sollte die sächsische Regierung von der Absicht
unterrichten, über den Inhalt des Friedensschlusses eine Ver-
ständigung auf deutscher Seite durch eine gemeinsame Vor-
beratung der deutschen Fürsten herbeizuführen; sie sei dem
König von Preußen geradezu ein persönliches und politisches
Bedürfnis. Er sollte zugleich zur Kenntnis der sächsischen
Regierung bringen, daß der König von Preußen unter allen
Umständen entschlossen sei, nicht Frieden zu schließen ohne
bedeutende territoriale Abtretungen Frankreichs; sie seien für
den Schutz Deutschlands unentbehrlich und würden vom
deutschen Volk einmütig gefordert. Er sollte aber auch aus-
drücklich erklären, daß damit nicht in erster Linie eine Ver-
größerung Preußens angestrebt werde, daß vielmehr für die
Verfügung über die von Frankreich abzutretenden Gebiets-
teile allein das allgemeine Interesse Deutschlands maßgebend
sein solle. 2)
Delbrück traf am 3. September, unmittelbar unter dem
Eindrucke der Ereignisse von Sedan, in Dresden ein und
hatte am folgenden Tage wiederholt Aussprachen mit dem
Minister Freiherrn v. Friesen, aber auch mit dem Könige Johann
von Sachsen. Der König sprach seine volle Bereitwilligkeit
1) Berichte Berchems, M. St. A.; Bray a. a. O. 152. Die Initiative zu
dieser Aussprache ging, wie schon Hohenlohe, Denkwürdigkeiten II, S. 24,
richtig sah, von Bismarck aus.
^) Weisung Bismarcks an Thile vom 25. August, H. A. A. ; dazu Del-
brück, Lebenserinnerungen Bd. II, 409 ff.
63
aus, an einer Vorberatung der deutschen Fürsten über den
künftigen Friedensschluß teilzunehmen. Die sächsische Re-
gierung pflichtete Delbrück darin bei, daß von Frankreich
eine beträchtliche territoriale Abtretung gefordert werden
müsse und daß die abzutretenden Länder nicht mit einem
deutschen Einzelstaate, sondern mit der Gesamtheit aller
deutschen Staaten zu vereinigen seien. Die sächsische Re-
gierung war mit Delbrück auch darüber einig, daß die not-
wendige Voraussetzung für diese territoriale Regelung die
Lösung der deutschen Frage sei. Freiherr v. Friesen knüpfte
daran die Frage, ob Preußen dafür bereits ein festes Programm
habe. Delbrück erwiderte, er glaube nicht, daß seine Regierung
in dieser Frage die Initiative ergreifen werde, er glaube viel-
mehr, daß hiezu niemand mehr berufen sei und mehr Interesse
habe als Sachsen ; in einem allgemeinen Deutschen Bunde werde
naturnotwendig der föderative Charakter kräftiger zur Geltung
kommen als im Norddeutschen Bund und werde Sachsen
die isolierte Stellung los werden, in der es sich gegenwärtig
als einziger Mittelstaat zwischen Preußen und den norddeut-
schen Kleinstaaten befinde, i) Delbrück schied aus Dresden
mit der Überzeugung, daß Sachsen bei der bayerischen Re-
gierung die nötigen Schritte tun werde, um. diese für die Ini-
tiative in der deutschen Frage zu gewinnen. 2)
In der Tat wurde der sächsische Gesandte am Münchener
Hofe, Graf Könneritz, am 10. September vom Freiherrn
V. Friesen angewiesen, bei nächster Gelegenheit eine Aus-
sprache über die deutsche Frage mit dem bayerischen Minister-
präsidenten herbeizuführen^). Er hatte nicht bestimmte,
detaillierte Vorschläge zu machen, wohl aber sollte er auf die
unvergleichliche Gunst des gegenwärtigen Augenblickes für
eine föderalistische Lösung der deutschen Frage hinweisen.
Es sei mit Bestimmtheit zu erwarten, daß der größte deutsche
Staat, dem naturgemäß die militärische Führerschaft zufallen
müsse, Preußen, gerade im gegenwärtigen Augenblick um so
geneigter sein werde, seinen Bundesgenossen freundlich ent-
gegenzukommen und ihnen die gewünschten Sicherheiten
zu geben, je nachdrücklicher es wiederholt anerkannt habe.
1) Daß dieses Moment tatsächlich auf die sächsische Regierung an-
spornend gewirkt hat, dafür liegen eine Mehrzahl untrüglicher Zeugnisse vor.
^) Bericht Delbrücks vom 5. September, Beilagen II, nr. i ; H. A. A.
und R. d. I.; dazu Delbrück, Lebenserinnerungen, Bd. II, 410.
^) Abschrift der Weisung an Graf Könneritz vom 10. September und
des Berichtes des Grafen vom 13. September, H. A. A.
64
in wie hohem Grade die Erfolge des Krieges der Mitwirkung
der süddeutschen Staaten und der Tapferkeit ihrer Armeen
zu danken seien. Die gegenwärtige deutsche Bewegung unter-
scheide sich von früheren ganz wesentHch dadurch, daß sie
nicht antimonarchisch und nicht unitarisch sei. Wenn aber
die Hoffnung des deutschen Volkes getäuscht werde und dann
an Stelle des Vertrauens wieder Mißtrauen und Parteizwist
trete, dann werde eine Verständigung für lange Zeit geradezu
unmöglich werden. Am 12. September hatte Graf Könneritz
die von seiner Regierung gewünschte Aussprache mit dem
Grafen Bray und legte ihm dabei die sächsische Depesche
vom IG. September zur Einsicht vor.
Inzwischen hatte Bismarck eine neue Gelegenheit er-
griffen, um Fühlung mit den Anschauungen der bayerischen
Regierung in der deutschen Frage zu gewinnen. Graf Karl
V. Tauffkirchen^), der frühere politische Referent und Mit-
arbeiter des Fürsten Chlodwig v. Hohenlohe, damals bayerischer
Gesandter in Rom, war auf sein Betreiben am 29. August zum
Präfekten der provisorischen Verwaltung des Maasdeparte-
ments in Bar le duc ernannt worden. Vor seinem Amts-
antritte fragte er beim Bundeskanzler an, ob er sich bei ihm
zur Audienz melden dürfe. Nach einigen Tagen, am 7. Sep-
tember, erhielt er nacheinander drei dringende Depeschen
mit der Einladung zu kommen. Am Morgen des 8. September
hatte er eine Aussprache mit dem Bundeskanzler, ,, welche
ohne Störung nahezu 2V2 Stunden dauerte". Bismarck führte
unter anderem aus: Er sei weit entfernt, auf Bayern einen
Druck auszuüben; das Wort des Königs von Preußen, sein
eigener bestimmter Wille, die Verpflichtung des Dankes, die
der Norddeutsche Bund Bayern gegenüber habe, seien ebenso
viele Bürgschaften dafür, daß Bayern sein freier Wille gelassen
werde. Er möchte vielmehr, gerade um sich nicht in die Ge-
fahr zu begeben, durch irgendeinen Vorschlag die Gefühle des
bayerischen Königs zu verletzen, diesem die Initiative über-
lassen. Er sei bereit, die Verhandlungen mit den übrigen süd-
deutschen Staaten so lange auszusetzen, bis die bayerischen
Vorschläge besprochen seien. Aber allerdings, diese Initiative
hätte bald zu erfolgen; sonst müßte die deutsche Frage ohne
Bayern geregelt werden. Württemberg, Baden und Hessen
würden dann in den Norddeutschen Bund eintreten, unter
^) Das Folgende nach K. A. v. Müller, Bismarck und Ludwig II. im
September 1870 in: Hist. Zeitschr. Bd. 111 (1913); dazu Forsch, z. Brand,
u. Preuß. Gesch. 1914.
65
Bedingungen, die sich ohne Teilnahme Bayerns von der bis-
herigen Verfassung des Norddeutschen Bundes nur sehr
wenig unterscheiden dürften; bezügUch Badens und Hessens
wisse er dies ganz gewiß. Es Hege in der Natur der Dinge,
daß eine solche Entwicklung auch die bisherigen Beziehungen
zu Bayern lockern müßte. Er verbarg auch nicht, daß un-
günstige Strömungen und Absichten vorhanden seien, die
von den seinen wesentlich abwichen. Er ließ — so berichtet
wenigstens Tauffkirchen, der vielleicht in seinem Eifer für die
nationale Sache die Worte Bismarcks noch etwas verschärft
hat — bei Wiederaufnahme des Gesprächs am Abend selbst
die Möghchkeit durchbhcken, daß, wenn Bayern draußen bliebe,
der Zollverein nach Ablauf der Vertragsfrist gekündigt und
die Rheinpfalz gegen den Willen der bayerischen Regierung
in den Nordbund gedrängt werden könnte. Er ließ schheß-
hch — das war der Sinn und Zweck seiner Ausführungen,
seiner Verheißungen wie seiner Schwarzmalereien — den
König von Bayern um baldigste Übersendung von Bevoll-
mächtigten mit bestimmten Vorschlägen ersuchen. Graf
Tauffkirchen versprach die Mission so rasch als möglich auszu-
führen. In der Nacht vom 12. /13. September traf er in Mün-
chen ein.
Auch damit begnügte sich Bismarck nicht. Er will sich
selbst der badischen Regierung bedienen, um Bayern für die
von ihm so heiß begehrte Initiative in der deutschen Frage zu
gewinnen. Die Weisung, die er zu diesem Zwecke von Reims
aus an den preußischen Gesandten Grafen v. Fleming nach
Karlsruhe richtete, ist nicht minder bezeichnend als der münd-
liche Auftrag, den er dem Grafen Tauffkirchen erteilte, um so
bedeutsamer vielleicht, weil sie unmittelbar von Bismarck
selbst oder wenigstens unter seiner Aufsicht niedergeschrieben
wurde. Er schrieb am 12. September an den Grafen v. Fle-
mingi) : ,,Auch ich hege keinen Zweifel, daß die Gemeinsamkeit
aller deutschen Stämme im gegenwärtigen Krieg einen
fördernden Einfluß auf die dauernde Einigung Deutschlands
üben werde, ohne daß von irgendeiner Seite ein Zwang oder
ein Druck ausgeübt wird. Auch in dieser Hinsicht wird die
gemeinsame und persönliche Verständigung der deutschen
Fürsten nicht ohne Frucht bleiben. Die Initiative zu be-
stimmten Vorschlägen werden wir von den süddeutschen
Regierungen erwarten dürfen, deren freien Willen wir in der
^) Weisung vom 12. September, H. A. A.
Doeberl, Bayern und die Bismarckische Reichsgründung.
66
Sache wie in der Form achten werden. Wenn, wie wir über-
zeugt sind, die großherzoghche Regierung diese Entwicklung
zu fördern wünscht, so würde sie meines Erachtens besser
als wir in der Lage sein, durch vertrauliche Anregungen,
namentlich in München, die dortige Regierung zur Aussprache
ihrer Auffassung von dem künftigen Verhältnisse Süddeutsch-
lands und besonders Bayerns zum Norden zu bewegen. Unsere
Stellung zur Sache ist bisher schwierig, weil wir ganz im Dunkeln
über die persönlichen Stimmungen des Königs von Bayern
sind und vor allem Eröffnungen vermeiden müssen, welche
vielleicht nur deshalb Mißtrauen und Empfindlichkeit wecken
könnten, weil sie in der Form und in einzelnen Materien
anders bemessen sind, als erwartet wird, während in
anderen vielleicht mehr Bereitwilligkeit zum Entgegen-
kommen, als wir vermuten, vorhanden sein kann. Auch
müssen wir jeden Schein einer Pression auf den König ver-
hüten, während die großherzogliche Regierung sich ohne
Bedenken vertraulich informieren und dadurch eine von
Bayern gegebene Basis der Verhandlung zutage fördern
könnte."
Um dieselbe Zeit weilte Staatsminister v. Delbrück im
preußischen Hauptquartier, in Reims, und arbeitete im Auf-
trag und selbstverständlich in Fühlung mit Bismarck, der
ihn unmittelbar nach seiner Rückkehr von Dresden dorthin
berufen hatte, an einer Denkschrift über die künftige Gestal-
tung Deutschlands.^)
Was erreicht werden soll, so führt er hier aus, ist abstrakt
in wenig Worten auszudrücken: an die Stelle der Allianz-
verträge Preußens mit Bayern, Württemberg und Baden und
des Zollvereinsvertrages soll ein dauernder bundesstaatlicher
Organismus treten. Die Grundelemente dieses bundesstaat-
lichen Organismus sind durch die Verfassung des Norddeut-
schen Bundes, durch den Zollvereinsvertrag und vielleicht
noch mehr durch die Erfahrungen des Krieges vorgezeichnet:
ein Parlament als Vertretung der Nation, ein Bundesrat als
Vertretung der Fürsten, eine einheitliche Spitze mit vollzie-
hender Gewalt als Attribut der preußischen Krone. Ihren
Inhalt und ihre Bedeutung erhält indessen diese Organisation
erst durch die Bestimmung ihres Wirkungskreises.
Daß dieser Wirkungskreis die kriegerische Verteidigung
Deutschlands umfassen muß, haben die letzten Monate in mehr
^) Denkschrift vom 13. September, H. A. A.; dazu Delbrück, Lebens-
erinnerungen, Bd. II, 410 ff.
67
als einer Beziehung klargestellt. Eine aus sehr heterogenen
Elementen zusammengefaßte Kammermehrheit hat sowohl
in Bayern als in Württemberg kurz vor dem Ausbruch des
Krieges eine Lage herbeigeführt, die, ohne den Ausbruch des
Krieges, die Regierungen beider Staaten vor die Wahl zwischen
einer Auflösung der Armee und einem Staatsstreich gestellt
haben würde. Das Interesse beider Staaten und ganz Deutsch-
lands verlangt gebieterisch eine Bürgschaft gegen die Wieder-
kehr einer solchen Lage und diese Bürgschaft kann, solange
verfassungsmäßige Zustände aufrechterhalten werden sollen,
nicht durch Mihtärkonventionen, sondern nur dadurch ge-
währleistet werden, daß der Militäretat und die Militär-
organisation der Einwirkung der Landesvertretungen ent-
zogen und, unter verfassungsmäßiger Feststellung ihrer Grund-
lagen, der Reichsvertretung überwiesen werden. Ferner hat
der gegenwärtige Krieg gezeigt, daß Deutschland unüber-
windlich ist, wenn seine kriegerischen Kräfte zur rechten Zeit
in einer Hand zusammengefaßt sind. Dem richtigen Blick
und dem patriotischen Herzen der süddeutschen Fürsten ist
es zu danken, daß diesem Kriege keine Erörterungen über den
casus foederis vorhergingen. Deutschland bedarf aber einer
Garantie dafür, daß in Zukunft selbst die Möglichkeit solcher
Erörterungen ausgeschlossen bleibt. Ein Gemeinwesen mit
gemeinschaftlicher und einheitlich geleiteter Land- und See-
macht muß aber auch in seinen Beziehungen zum Ausland
einheitlich geleitet sein, einschließlich der Konsulate, des
Handels, des Zoll-, Schiffahrts- und Eisenbahnwesens, des
Münz-, Maß- und Gewichtsystems sowie des Handels- und
Wechselrechtes.
Es würde sich also handeln um ein Deutsches Reich,
bestehend aus dem Norddeutschen Bund und den süddeutschen
Staaten, bestimmt zum Schutze Deutschlands und zur Pflege
der Interessen des deutschen Volkes, ausgestattet mit Gesetz-
gebung und Aufsicht über Landheer und Seemacht, über Zölle,
Verbrauchssteuern und Schiffahrtsabgaben, über das Maß-,
Gewicht- und Münzwesen, über Handels- und Wechselrecht
und über den Schutz des deutschen Handels im Auslande.
Die Gesetzgebung würde durch einen Bundesrat und ein
Parlament ausgeübt werden, der Oberbefehl über die Land-
und Seemacht sowie die sonstige Exekutive würde der Krone
Preußen zustehen. Im Zusammenhange damit regte Delbrück,
wie übrigens schon vorher Bismarck im Gespräch mit dem
Grafen Tauffkirchen, die Erneuerung der Kaiserwürde an:
68
„die Verbindung des Namens Kaiser von Deutschland mit
dieser Exekutive würde die erlauchten Träger der preußischen
Krone nicht erhöhen, wohl aber die Aufnahme der Neugestal-
tung Deutschlands bei Fürsten und Völkern fördern".
„Der gegenwärtige Augenblick, wo die Nation gehoben
ist durch die Erfolge, welche Deutschland als solches zum
erstenmal seit Jahrhunderten und glänzender als jemals er-
langt hat, ist der günstigste, der gedacht werden kann. Der
nationale Aufschwung, den der Krieg hervorgerufen hat und
jede gewonnene Schlacht steigerte, hat alle partikularistischen
Elemente zum Teil mit fortgerissen, zum Teil zum Schweigen
gebracht. Die zentripetalen Kräfte sind in Deutschland niemals
mächtiger gewesen als heute. So erfreulich dieser Aufschwung
auch ist, so wird man sich doch über seine Natur nicht täuschen
dürfen. Je plötzlicher und energischer er sich entwickelte,
um so gewisser wird ihm eine Reaktion folgen. Diese Gewiß-
heit fordert auf, rasch zu handeln und vorsichtig zu handeln.
Rasch zu handeln, damit die entscheidenden Entschlüsse ge-
faßt werden, bevor die rückläufige Strömung beginnt. Vor-
sichtig zu handeln, damit nicht die rückläufige Strömung her-
vorgerufen werde." Unter solchen Umständen empfiehlt sich
vor allem eine rasche Verhandlung mit den deutschen Für-
sten, und hiezu bietet eine passende Gelegenheit die zur
Vorberatung der Friedensbedingungen in Aussicht genom-
mene Fürstenkonferenz.
Die Denkschrift fand nach dem Zeugnis Delbrücks die
Gutheißung des Bundeskanzlers wie des Königs. Wenn aber
Delbrück in seinen späteren Memoiren behauptet, daß die
Denkschrift im ganzen das Bild dessen enthielt, was durch die
späteren Verfassungsverträge geworden sei, so ist das doch mit
einigem Vorbehalt aufzunehmen. Die Denkschrift hat ja
nach der Aussage des Verfassers selbst es absichtlich vermieden,
auf Einzelheiten einzugehen, z. B. das Gebiet der gemein-
samen Angelegenheiten nach allen Seiten fest zu umgrenzen.
Damals, als der sächsische Gesandte dem bayerischen
Ministerpräsidenten die Depesche seiner Regierung vom
10. September vorlegte, als im Auftrage Bismarcks Graf
Tauffkirchen in München eintraf, als Bismarck selbst die
dringende Mahnung nach Karlsruhe richtete und in seinem
Auftrage Staatsminister v. Delbrück die vom 13. September
datierte Denkschrift über die künftige Gestaltung Deutsch-
lands fertigstellte, war die Entscheidung am bayerischen
Hofe bereits gefallen, hatte Bayern die Initiative in der deut-
69
sehen Frage schon ergriffen. Von wem ging die Initiative
aus und welches war das entscheidende Motiv hiefür? Auch
darüber hat man sich viel den Kopf zerbrochen und ist nicht
selten in die Irre gegangen.
Die Initiative ging nicht vom König aus, sondern vom
Ministerium. Am 12. September erbat Graf Otto v. Bray-
Steinburg und mit ihm das bayerische Gesamtministerium
in einem von Bray eigenhändig entworfenen sogenannten
alleruntertänigsten Antrage die königliche Ermächtigung zu
Verhandlungen über ein Verfassungsbündnis mit dem Nord-
deutschen Bund.^) Es befindet sich weder in den bayerischen
Staatsakten noch in dem Antrage selbst die geringste Spur,
daß ihm ein königlicher Auftrag vorausging. Im Gegenteil,
das Ministerium erbat sich in diesem Antrag erst die könig-
liche Ermächtigung zu diplomatischem Vorgehen in der
deutschen Frage und zugleich Indemnität für die bereits unter-
nommenen Schritte in derselben Angelegenheit. Freiherr
V. Werthern berichtet allerdings unterm 10. September^) :
„Unter dem Druck der öffentlichen Meinung hat der König
seine Minister gestern beauftragt, ein Programm auszuarbeiten."
Allein diese Mitteilung beruht entweder auf einer falschen
Vermutung oder einer falschen Information. Wie wir schon
bei der Vorgeschichte des Mobilisierungsbefehls beobachten
konnten, bestand in der Umgebung des Königs Neigung, in
entscheidenden Momenten die Initiative des Ministeriums in
eine Initiative des Königs umzubiegen und das Verdienst daran
sich zuzuschreiben. Und Luise v. Kobell hat ihr Bemühen
bei der Nachwelt fortgesetzt.
Der Antrag ist zwar vom 12. September datiert. Aber der
Unterzeichnung des Antrags ging ein Ministerrat voraus.
Dieser Ministerrat fand, wie schon die ,, Augsburger Abend-
zeitung" und die ,, Münchener Neuesten Nachrichten" aus
jener Zeit berichteten und wie durch eine Mitteilung des preußi-
schen Gesandten v. Werthern an das Berliner Auswärtige
Amt bestätigt wird, wenigstens in seiner ersten Sitzung am
9. September statt. Zwischen dem Ministerrat und der Aus-
^) Das Schriftstück, das in den Denkwürdigkeiten des Grafen Bray,
S. 1 36, unter Weglassung der Formalien und der Unterschriften gedruckt ist,
ist keine ,, Denkschrift", sondern ein ,, All eruntertänigster Antrag", der von
sämtlichen Ministem unterzeichnet wurde.
-) H. A. A.
70
fertigung des Antrags an den König erging eine Mitteilung
an die Presse^) und zugleich eine Mitteilung und Anfrage an
Preußen wegen der einzuleitenden Verhandlungen mit dem
Norddeutschen Bunde, beide am ii. September. An diesem
Tage gab Graf Bray dem Gesandten v. Werthern bekannt^) :
„Die bayerische Regierung begreife, daß die kriegerischen
Ereignisse eine Veränderung der politischen Gestalt Deutsch-
lands nach sich ziehen müßten. Die Stellung Bayerns werde
modifiziert werden, je nachdem der Nordbund in seiner bis-
herigen Form weiterbestehe oder aufgelöst werde und einem
neuen, ganz Deutschland umfassenden Platz mache. Unzweifel-
haft hätte Bismarck sich über diese Frage schon schlüssig
gemacht. Er bitte daher, ihn von seiner Auffassung zu unter-
richten, um alsdann mit geeigneten Vorschlägen auftreten zu
können." Für beide Schritte, die Mitteilung an die Presse und
die Anfrage an Preußen, suchte das Ministerium in dem Antrage
vom 12. September gewissermaßen die Indemnität nach: man
liebte es seit der amtlichen Wirksamkeit von der Pfordtens,
den schwer zu einem Entschluß sich durchringenden König vor
Tatsachen zu stellen.
Übrigens meldete der stets gut unterrichtete württem-
bergische Gesandte v. Soden schon am 6. September aus
München^): daß auch in Bayern infolge der glorreichen
Waffentaten der deutschen Heere die Überzeugung alle
Kreise zu durchdringen beginne, daß die deutsche Frage in
ein anderes Stadium getreten sei. Am 8. September berichtete
er, daß auch Graf Bray ihm gegenüber ,, heute zum erstenmal"
aus seiner Reserve in der deutschen Frage herausgetreten sei
und offen zugegeben habe, nach dem siegreichen Kriege werde
das alte Verhältnis in Deutschland nicht fortbestehen können.
Zwei Tage später, am lo. September, teilt er mit, daß Graf
Bray schon vor mehreren Tagen mit dem (gemäßigten) fort-
schrittlichen Abgeordneten Marquard Barth eine Besprechung
gepflogen und dabei ausdrücklich geäußert habe: er beab-
sichtige demnächst seinem König in dem mit Barth besproche-
nen Sinne ausführlich Vortrag zu halten.*) Noch bestimmter
und noch früher berichtet über diese Wendung der baye-
rischen Politik der nichts weniger als bayernfreundliche
badische Gesandte Robert Mohl.
^) Allg. Zeitung Nr. 256 vom 13. September.
^) Telegramm Wertherns vom 11. September, H. A. A.
3) St. St. A.
*) Ebenda.
71
Unter diesen Umständen ist es ausgeschlossen, daß die
von Bismarck angeregte Vorstellung des sächsischen Ge-
sandten vom 12. September oder die Sendung des Grafen
Tauffkirchen, der im Auftrage Bismarcks frühestens in der
Nacht vom 12. /i3- September in München ankam, auf den
Entschluß des bayerischen Ministers noch einen maßgeben-
den Einfluß übten. Allerdings hatte sich der sächsische
Gesandte am Münchener Hofe schon vorher, schon im August,
bemüht, Bayern für eine Initiative in der deutschen Frage zu
gewinnen, aber mit so geringem Erfolg, daß er am 24. August
zu Freiherrn v. Werthern äußerte, er stoße in München auf
einen so entschiedenen Widerspruch, daß er nicht wage,
seinen König zu einem Schritt zu bewegen, der voraussicht-
lich ohne Resultat bleiben würde, i) Er bekennt noch in
einem Berichte vom 13. September 2), daß Graf Bray bei
mehreren Versuchen, seinerseits die deutsche Frage zu be-
rühren, „nicht recht darauf eingegangen sei"; erst in den
letzten Tagen sei ,, infolge der nationalen Bewegung"
eine Wendung bei ihm eingetreten. Selbst die bekannten
Ministerratssitzungen in Stuttgart vom 7. bis 10. September^),
bald nach der Entlassung Varnbülers, unmittelbar vor der
Abreise des württembergischen Kriegsministers v. Suckow
in das Hauptquartier, werden schwerlich auf den Entschluß
des Grafen Bray haben einwirken können; sie wurden ja
Bayern zunächst geheimgehalten. Die württembergische
Regierung hat ebenso wie die sächsische die Initiative aus-
drücklich Bayern zugeschrieben.
Damit will aber keineswegs gesagt werden, daß die
Haltung Württembergs und das Drängen Badens ohne Ein-
fluß auf die bayerische Politik in der deutschen Frage geblieben
sei. Die württembergische Regierung hatte gerade in diesen Ta-
gen, am 9. September, an ihren Vertretejf in München geschrie-
ben : ,,Euer Hochwohlgeboren wollen dem Herrn Minister (Bray) ,
ohne der im Ministerium bereits eingeleiteten Be-
ratungen zu erwähnen, bemerken, daß die Kgl. Regierung
eine anderweitige Regelung des Verhältnisses der süddeutschen
Staaten zum Nordbund für unvermeidlich hält, daß sie glaubt,
es sollte die Initiative hiezu so bald als möglich von süd-
deutscher Seite ergriffen werden, und daß sie wie bisher den
größten Wert darauf legen werde, gemeinsam mit Bayern
^) Bericht Wertherns vom 24. August. H. A. A.
2) Abschrift, H. A. A.
3) Mittnacht, Rückblicke S. 81.
72
vorgehen zu können."^) Und vom badischen Gesandten konnte
Graf Bray dem preußischen Vertreter schon am 8. September-)
mitteilen, daß er im Auftrage seiner Regierung angefragt
habe, wie Bayern sich die Zukunft Deutschlands vorstelle.
Bray hatte hinzugefügt: er könne darauf nur erwidern und
wolle das auch dem preußischen Gesandten sagen, das Wohl-
wollen und Entgegenkommen, dessen sich Bayern in der
letzten Zeit preußischerseits zu erfreuen habe, sei so groß,
daß er mit vollem Vertrauen die weitere Entscheidung Bismarck
überlasse. Das bayerische Ministerium hat zudem den Ein-
fluß der süddeutschen Höfe auf die deutsche Politik Bayerns
im bayerischen Landtag ausdrücklich anerkannt. Es ist
selbst nicht ausgeschlossen, daß die bloße Nachricht von der
Anwesenheit Delbrücks in Dresden und von seiner unmittelbar
darauf erfolgten Berufung ins Hauptquartier, Ereignissen,
die von der durch Bismarck bedienten Presse kräftig unter-
strichen und in München auf Grund telegraphischer Mit-
teilungen des bayerischen Gesandten am Berliner Hofe vom
6. und 8. September mit der künftigen Gestaltung Deutsch-
lands in Zusammenhang gebracht wurden, den Entschluß
des Grafen Bray beschleunigt hat. Graf Bray schrieb am
II. September an den Grafen Berchem: ,,Die Berufung des
Ministers Delbrück in das Hauptquartier hat zur Annahme
Veranlassung gegeben, daß man sich dort in vorsorglicher
Weise mit dem Einfluß zu beschäftigen beabsichtige, welchen
die ruhmreichen und welthistorischen Ereignisse der letzten
Zeit, an welchen auch die bayerischen Truppen sich so rühm-
lich beteiligten, auf die künftige innere Gestaltung Deutsch-
lands zu üben berufen sind. Wir erkennen diese notwendige
Einwirkung vollkommen an und werden derselben auch be-
züghch Bayerns innerhalb der Grenzen seiner zu wahrenden
Selbständigkeit bereitwilligst Rechnung tragen."^)
Das entscheidende Motiv aber zur Initiative der bayeri-
schen Regierung in der deutschen Frage war die unter dem
Einfluß des Sieges von Sedan gesteigerte nationale Erregung.
Das hat Graf Bray wie in dem eben erwähnten Schreiben
und in dem Antrage vom I2. September so auch im Landtage
selbst bekannt: ,,Das Ereignis von Sedan, welches nicht habe
vorausgesehen werden können, habe alle früheren Voraus-
setzungen als nicht mehr zutreffend erscheinen lassen."
^) Schneider, Württembergs Beitritt zum Deutschen Reich, S. i47f.
2) Bericht Werthenis vom 8. September, H. A. A.
3) M. St. A.
• 73
Daran hielt er auch in seinen „Denkwürdigkeiten" fest:
„Unter dem Druck der populären Bewegung entschlossen
sich die Minister, die Genehmigung des Königs zur Einleitung
von Beratungen mit einem Vertreter des Norddeutschen Bundes
zu veranlassen." Das wird in den Landtags Verhandlungen eben-
so vom Justizminister v. Lutz und in einer Aussprache mit dem
hessischen Minister Dalwigk^) vom Kriegsminister v. Pranckh
bezeugt. Das wird bestätigt durch das Zeugnis des sächsischen
Gesandten in München Grafen Könneritz wie des württem-
bergischen Gesandten Freiherrn v. Soden und des badischen Ge-
sandten Robert v. Mohl. Das wird ebenso bestätigt durch
das Zeugnis des preußischen Gesandten. Er berichtet in den
kritischen Tagen immer wieder, daß die bayerische Regierung
„unter der ungeheuren Pression der nationalen
Partei" stehe. Er schildert diese nationale Bewegung in
Bayern, namentlich in seinen Berichten vom 5. und 9. Sep-
tember^), in glühenden Farben: unter dem Eindruck der
erhebenden Ereignisse der letzten Tage sei in München der
Enthusiasmus zu einer Bedeutung gewachsen, wie es jemand,
der den phlegmatischen Charakter der Stadt kenne, gar nicht
für möglich gehalten hätte: ,,Es ist, als ob das Volk Preußen
erst entdeckte, unscheinbare Nebensachen üben hierauf einen
unverhältnismäßigen Einfluß. So z. B. setzt die Bauern
nichts mehr in Verwunderung als die in den Briefen und
Telegrammen Sr. M. des Königs an L M. die Königin Augusta
immer wiederkehrenden Worte: ,unter Gottes Beistand',
.welche Wendung durch Gottes Fügung' usw. Sie staunen
über die Frömmigkeit Sr. Majestät, nachdem ihnen ihre
Priester gesagt haben, daß die Protestanten nicht an Gott
glauben und sie von uns protestantisch gemacht werden
würden." Werthern berichtet am 9. September, Graf Bray
habe am 8. September, am Tage vor der entscheidenden
Ministerratssitzung, eine Unterredung mit einem der Führer
der nationalen Partei, Marquard Barth, gehabt und zu ihm
geäußert, er eigne sich sein Programm über den Eintritt
Bayerns in den Bund an. Derselbe Werthern telegraphierte
am IG. September^) an das Auswärtige Amt in Berlin, daß
man in München ,, unter dem Druck der öffentlichen
Meinung, die sich in den Versammlungen der letzten Tage
aussprach," am 9. September darangegangen sei, ein Programm
^) Schüßler, Die Tagebücher des Freiherrn v. Dalwigk, S. 450.
2) H. A. A.
^) Ebenda.
74
über den Anschluß Bayerns an den Norddeutschen Bund auszu-
arbeiten.
Das wird endlich bestätigt durch die Tatsachen selbst.
Zu Anfang des Deutsch-französischen Krieges lebte man
in banger Sorge um den Ausgang des Krieges, um das Schicksal
des einzelnen Waffenganges. Mit den beispiellosen Waffen-
erfolgen wuchs das Selbstvertrauen, wuchs die nationale Be-
geisterung und mit ihr der Gedanke an die Zukunft, erfaßte
immer weitere Kreise und wurde zu einer alles überwältigenden,
elementaren Gewalt seit den weltgeschichtlichen Vorgängen
von Sedan: das Erlebnis des gemeinsamen Krieges hatte den
schlummernden Riesen des deutschen Nationalgefühls wach-
gerüttelt. ,,Das deutsche Volk," heißt es in einer Adresse
der Universitätsstadt Göttingen an den bayerischen König,
,,hat in diesen Tagen eine Bluttaufe empfangen . . . Ineinander
geflossen ist das Blut der Bayern und Preußen, der Sachsen
und Schwaben und hat uns alle umgeschaffen zu neuen Men-
schen, die vergessen ihre besonderen Namen und nur wissen,
daß sie Deutsche sind."^) Daß die Bayern gleich zu Anfang
des Krieges an zwei siegreichen Gefechten beteiligt waren
und dabei nicht unerhebliche Verluste erlitten, nennt der
badische Gesandte nicht ohne Grund ein ,, wahres Providenz-
werk, das die Teilnahme außerordentlich gesteigert und die
Menge mit Stolz erfüllt habe". ,,Mir ist wie an einem Feier-
tage," schrieb eine süddeutsche Frau an ihren Vater, ,,als
ob meine Seele Flügel hätte. Alles, wofür wir in halben Kinder-
jahren geschwärmt, das nimmt nun jetzt Form und Gestalt
an." Selbst Treitschke bekennt: ,,Wer die jüngsten Wochen
im deutschen Süden verlebte, dem ward zumute, als ob alle
Menschen besser und reiner würden, als ob das Kleine und
Niedrige abfiele von den Geistern."
Was im Jahre 1860 einer der Gründer der bayerischen
Fortschrittspartei, Karl Brater, vorausgesagt hatte, das ging
jetzt in Erfüllung: der französische Krieg wurde der wirk-
samste Zauber zur Lösung der deutschen Verfassungsnot.
Die Partei Karl Braters'^), die von Anfang an den deutschen
Bundesstaat und das deutsche Nationalparlament zum Ziele
hatte, die seit dem Jahre 1866 sich innerlich von Österreich
^) Aus dem Kabinettsnachlaß des Königs, M. H. A.
2) Zum folgenden vgl. Erich Frisch, Die Einigung Deutschlands im
Lichte d. bayer. Publizistik. Diss. Leipzig 1915.
/D
losgelöst hatte, das Heil Deutschlands von Preußen, die
Zukunft Deutschlands von dem Kristallisationskerne des Nord-
deutschen Bundes erhoffte, nicht mehr durch die Freiheit
zur Einheit, sondern durch die Einheit zur Freiheit schreiten
wollte, und ihre publizistischen Organe, voran das vorzüglich
redigierte ,, Wochenblatt der Fortschrittspartei" und die da-
mals in Bayern gelesensten Blätter, die ,, Augsburger Abend-
zeitung" und die ,, Münchener Neuesten Nachrichten", forderten
mit der ganzen politischen Leidenschaft und Aktivität, die
dieser Bewegungspartei eigen war: Beseitigung der Mainlinie,
Eintritt der Südstaaten in den Nordbund, Schaffung eines
einheitlichen Bundesstaates unter preußischer Führung. ,,Es
gibt in diesem Augenblicke für Bayern keinen konservativeren
Schritt als den Eintritt in den Norddeutschen Bund, der sich
dadurch naturgemäß zum Deutschen Bunde erweitern würde. . .
Es gibt aber auch für Bayern keinen günstigeren Augenblick
als den gegenwärtigen, wo man in Berlin angesichts der ge-
meinsam errungenen herrlichen Siege sicher bereit ist, Bayern
jene Zugeständnisse zu machen, die seine Stellung, seine
nationalen, namentlich aber seine finanziellen Eigentümlich-
keiten zu fordern scheinen, insoferne sie nur nicht in Wider-
spruch stehen mit dem Heile Gesamtdeutschlands." ,, Großes
hat Bayern und sein König in diesen Tagen . . . für Deutsch-
lands Größe und Macht getan, Größeres vermag sein König
noch zu leisten. An Süddeutschland, an Bayern vor allem
ist es, die alte Herrlichkeit des Deutschen Reiches zurückzu-
fordern, jene Einheit zu begründen, in welcher die Verschieden-
artigkeit der einzelnen Stämme weiten Raum und Sicherheit
zur Entfaltung, die berechtigte Selbständigkeit der einzelnen
Fürsten . . . festen Schutz findet. Möge Bayerns König das
entscheidende Wort sprechen, das Wort, das den Geist des
Kaisers Friedrich Barbarossa im Kyffhäuser weckt und dem
Deutschen Reiche gibt die alte Kraft und Herrlichkeit!"
Selbst gemäßigtliberale Blätter wie die ,,Neue Würz-
burger Zeitung" empfehlen den Eintritt Bayerns in den Nord-
bund, Umwandlung des Zollparlamentes in ein deutsches
Vollparlament, Übertragung des erblichen Kaisertums an
den Oberfeldherrn des Norddeutschen Bundes. Sie bezeichnen
die Erweiterung des Nordbundes zum allgemeinen Deutschen
Bunde für Bayern geradezu als eine ,, hochkonservative Maß-
regel"; denn ein vereinzeltes Bayern könne wohl eine Gefahr
für Deutschland, sicher aber nicht ein lebensfähiges und ge-
sichertes Glied der europäischen Staatenfamilie sein, während
76
Bayern im Anschluß an das übrige Deutschland berufen sei,
eine ehrenvolle und einflußreiche Stelle in Deutschland einzu-
nehmen.
Auch innerhalb der patriotischen Partei gab es jetzt eine
gemäßigte Gruppe, die, wenn auch nicht den Eintritt in den
Norddeutschen Bund, so doch wenigstens ein Verfassungs-
bündnis mit ihm befürwortete, sei es durch Umwandlung des
Norddeutschen Bundes in einen allgemeinen deutschen auf
loserer Grundlage, sei es in der Form eines weiteren Bundes.
Die allgemeine Logik der Tatsachen verwischte, um mit den
Worten der Augsburger Postzeitung zu sprechen, manche
Unterschiede zwischen den Programmen der patriotischen
und der Fortschrittspartei und wies auch die patriotische
Partei auf den Weg ,, durch Einheit zur Freiheit". ,, Manches,"
so führte sie am 7. September aus, ,,was vor dem Kriege
halt- oder erreichbar war, ist es heute nicht mehr;" ,,welt-
crschütternde Tatsachen bleiben nie ohne tiefgehende Konse-
quenzen." Selbst das rechtsradikale ,, Bayerische Vaterland"
erkennt, wenn auch resigniert, schon am 8. September die
Zwangsläufigkeit der deutschen Verfassungsbewegung an:
,,Die vollendeten Tatsachen der Siege in Frankreich haben
die Stellung und Programme der Parteien vollständig geändert.
Es gibt keine Partei mehr in dem Sinne wie vor dem Kriege."
,,Die Zukunft Bayerns und Deutschlands ist nach unserem
Dafürhalten mit der Niederwerfung und Demütigung Frank-
reichs entschieden. Nichts steht der Einigung Deutschlands
mehr im Wege, faktisch ist es bereits geeinigt." Nicht bloß
die ,, Augsburger Postzeitung", auch das ,, Vaterland" und die
,, Donauzeitung" betrachten einen Deutschen Bund mit Parla-
ment als etwas Selbstverständliches oder als etwas Unab-
wendbares, Unentrinnbares.
Die nationale Erregung äußerte sich auch in wachsender
Erörterung der Kriegsziele auf Versammlungen und in Adressen.
Schon hatten in einem Aufruf an das deutsche Volk Berliner
Notabein aller Parteien zu einer Adresse an den siegreichen
Oberfeldherrn des deutschen Heeres aufgefordert: ,,Die Welt
muß erfahren, daß Herrscher und Volk entschlossen sind
nachzuholen, was 1815 uns vorenthalten worden ist, — ein
freies, einiges Reich und geschützte Grenzen." Am i. Sep-
tember, unmittelbar unter dem Eindruck der Katastrophe
von Sedan, erklärten auch hervorragende Männer Münchens
ihre volle Zustimmung zu der Berliner Kundgebung und
sprachen in einem Telegramm an ihren Landesherrn das un-
77
erschütterliche Vertrauen aus, daß er im Verein mit den ver-
bündeten Fürsten dem deutschen Volke durch die Wieder-
erwerbung der deutschen Lande Elsaß und Lothringen einen
dauernden Frieden sichern, jeden Versuch einer fremden Ein-
mischung in die Friedensverhandlungen energisch zurück-
weisen und der deutschen Nation zu einer gemeinsamen, ihrer
Stellung würdigen Gesamtvertretung verhelfen werde, deren
Bedürfnis die deutschen Fürsten und das deutsche Volk
längst anerkannt hätten. Unterschrieben war das Telegramm
von den beiden Bürgermeistern und dem Vorstande des Ge-
meindekollegiums sowie von den Vertretern zahlreicher Anstalten
und Vereine. Am 3. September billigten der Magistrat sowohl
als das Gemeindekollegium in feierlichen Sitzungen die Er-
klärungen ihrer Vorstände.
In Rücksicht auf die Empfindsamkeit des Königs legten sich
die Führer der bayerischen Bewegungspartei noch eine gewisse
Zurückhaltung auf. Agitatoren wie August Vecchioni und
Julius Knorr schritten in der Veranstaltung von Demon-
strationen, Umzügen und Versammlungen weiter, als es der
offiziellen Parteileitung erwünscht war. Unter ihrer Einwirkung
gingen in den nächsten Wochen die Münchener Gemeinde-
kollegien noch energischer auf der am i. und 3. September
beschrittenen Bahn vor. Jetzt mehrten sich auch die Zu-
stimmungen aus allen Landesteilen Bayerns. Der König
selbst schrieb an seine Minister: ,,Aus Anlaß der beiden bei
Sedan von der deutschen Armee erkämpften Siege seien ihm
aus allen Teilen des Landes telegraphische Adressen zuge-
kommen", und übersandte sie ,,zur Einsicht und Zuständig-
keitserklärung" an das Gesamtministerium. Bald hatten diese
Adressen die Zahl 1000 erreicht. Der größte Teil stammte
aus Oberbayern, aus Schwaben, Franken und der Pfalz, der
geringste aus Niederbayern. Die meisten forderten den Ein-
tritt in den Norddeutschen Bund, wenn auch mit gewissen
Einschränkungen.
Dem Könige gingen zahlreiche Zuschriften auch von
einzelnen Personen Deutschlands und Bayerns, aus den Kreisen
der Gebildeten wie des Volkes zu.^) Besonders charakteristisch
sind die zugleich anfeuernden und zugleich drohenden Worte
eines „Sachsen", aus Leipzig: ,, Zerschmettert durch die ge-
einte Kraft unseres Volkes liegt der hochmütigste und ge-
fürchtetste Erbfeind am Boden und sieht sich in seiner eigenen
^) Sie befinden sich im Kabinettsnachlasse des Königs im Münchener
Hausarchiv.
78
Schande. Frei können wir unsere eigenen noch immer sehr
unbefriedigten nationalen Angelegenheiten ordnen. Ihnen als
zweitmächtigstem deutschen Fürsten ist es vergönnt, den
Schlußstein in das nationale Gebäude zu fügen, welches
König Wilhelm begründet hat." Wie der Verfasser das be-
gründet, wird kaum die Zustimmung des Königs gefunden
haben: ,, Selbst dem Blindesten muß es einleuchten, daß die
unendliche politische Schmach und Schande, welche seit
300 Jahren über Deutschland hereinbrach, nur durch die
Verblendung und Uneinigkeit seiner Fürsten und Völker
herbeigeführt worden war. Auch jetzt ist diejenige Einheit,
welche uns zur äußeren Sicherheit notwendig ist, noch nicht
in erforderlicher Stärke vorhanden; denn sie beruht noch
zum Teil auf sogenanntem guten Willen. Ja, Majestät, täuschen
wir uns nicht, hätten Sie nicht zufällig selbst ein Herz und Ver-
ständnis für Deutschlands Größe gehabt, so war auch diesmal
wieder möglich, daß Bayern und Süddeutschland überhaupt
zum mindesten neutral blieben und damit entweder abermalige
Schmach oder gänzliches Aufhören der Einzelstaaten gefolgt
wären. Es muß Ew. Majestät eigener Wunsch für die Sicher-
heit Deutschlands und Ihres eigenen Landes sein, daß nicht
mehr oder weniger freier Wille, sondern ein durch die deutsche
Verfassung auszuübender Zwang alle deutschen Länder und
Fürsten einig finde. Majestät, nur das Wiederaufleben des
Deutschen Reiches auf moderner Grundlage ist es, welches uns
mit nationaler Sicherheit nationale Befriedigung geben kann.
Der König von Preußen, weil ihn einmal die Vorsehung zu
unserem Führer bestimmt hat, darf nicht nur die Macht eines
Kaisers haben, wie es bereits der Fall ist, er muß auch den
Namen bekommen, es muß die äußere Form geschaffen werden,
welche zugleich das Gemüt der Nation befriedigt. Mit weit
größerer Freudigkeit würden Fürsten und Volk sich dem Kaiser
von Deutschland als jetzt dem Könige von Preußen unterordnen,
und es würde dann manches Bittere genommen werden, es
würde im letzteren Falle unabwendbar eine Verpreußung
Deutschlands eintreten, während in ersterem eine Verdeut-
schung Preußens eintreten muß. Majestät, wie günstig liegen
jetzt die Verhältnisse hiezu! Ihnen, eben erst in das Mannes-
alter eingetreten, kann es kaum eine persönliche Überwindung
kosten, den greisen König Wilhelm, welcher Ihr Großvater
sein könnte, als Kaiser anzuerkennen, selbst seine Erwählung
hiezu, wie Sie es der Sachlage nach allein vermögen, zu be-
antragen und dafür den unsterblichen Ruhm eines groß-
79
herzigen Menschen und Fürsten zu ernten." Der Sachse sucht
den bayerischen König zu beruhigen über die Gefahr eines
Cäsarismus. Aber die Mittel, die er gegen diese Gefahr vor-
schlägt, werden noch weniger den Beifall des Königs gefunden
haben: ,, Hiergegen kann in der zukünftigen deutschen Ver-
fassung gründlich gesorgt werden, und es ist hiefür der Reichs-
tag der natürlichste Bundesgenosse der deutschen Fürsten,
welche neben ihm ein Herrenhaus bilden müßten nach Art
der enghschen Verfassung ... In die Hand der aus Reichs-
tag und Fürstenhaus bestehenden Vertretung müßte — was
zur Bedingung des Eintritts von Süddeutschland gemacht
werden könnte — eine ähnliche, womöglich noch größere
Macht gelegt werden, als sie die einzelnen Landesvertretungen
gegenüber den Regierungen besitzen. Vor allem müßte das
Heer auf die deutsche Verfassung vereidigt werden. Majestät,
man hält Sie vielfach für einen Idealisten; möchten Sie der
Welt zeigen, daß Sie es im edelsten Sinne des Wortes sind,
möchten Sie in selbstloser Weise dem Sehnen des Volkes
entgegenkommen, die Wiederherstellung von Kaiser und
Reich, die Erfüllung der Jugendträume der Edelsten unseres
Volkes zum Heile des Vaterlandes und der Einzelstaaten
vorbereiten! Wahrlich, der Name eines deutschen Herzogs
als mitwirkenden Gliedes des jetzt mächtigsten Reiches von
Europa ist sicherlich nicht geringer als der Titel eines Königs,
der zur Zeit der tiefsten Erniedrigung und Schmach unseres
Vaterlandes von dem fluchwürdigen Napoleon geschaffen
wurde." Und diese Worte kamen, wie der Verfasser selbst
schreibt, nicht aus dem Munde eines jugendhchen Schwärmers,
sondern eines gereiften Mannes!
Ein gutes Stimmungsbild von Bayern in diesen Tagen der
nationalen Erregung gibt eine Korrespondenz aus München
vom 13. September in der Berliner Nationalzeitung: ,,Es hat
sich schon jetzt ziemlich tiefgehende Verstimmung im Gesamt-
publikum eingeschhchen, deren Spitze nicht gegen das Mini-
sterium allein gerichtet ist. Zu bedauern ist, daß sich der König
ähnlich wie im Jahre 1866 so auch neuerlichst wieder von seiner
Residenz entfernt hält und wieder die Einsamkeit am Starn-
berger See sucht, wohin auch die Volkswünsche schwer zu
dringen vermögen. Der Hauptpunkt der gegenseitigen Ver-
stimmung übrigens ist, es besteht darüber kein Zweifel, die
deutsche Frage ganz allein. Dies hat schon vor mehreren Tagen
unverhohlen offenen Ausdruck gefunden: nicht nur wurde sie
nachdrücklichst betont in mehreren liberalen Bezirksvereins-
80
Versammlungen und mit scharfen Worten es gerügt, daß das
Ministerium nicht bereits den König zur sofortigen Initiative
veranlaßt habe, sondern es wurden diese Vorgänge auch in
dem in Altbayern gelesensten Blatte (den ,, Münchener Neuesten
Nachrichten") schon vor ein paar Tagen unumwunden be-
richtet. Daneben fährt insbesondere die Augsburger Abend-
zeitung, das Hauptorgan der bayerischen Nationalliberalen
und zugleich das in ganz Bayern gelesenste Blatt, fort, in einer
Reihe von Artikeln auf den sofortigen Beitritt Bayerns zum
Norddeutschen Bund energisch zu dringen. Die besonders
in der Augsburger Allgemeinen Zeitung veröffentlichten
offiziösen Gegenartikel, welche, um Zeit und dann die sichere
Rettung des Status quo zu gewinnen, ein vorläufiges Beschwich-
tigen ausgesprochenermaßen bezwecken, verfehlen nicht nur
diesen Zweck, sondern gießen geradezu Öl ins Feuer. Noch mehr
verletzt es, wenn ein anderer Offiziosus heutzutage noch mit
allgemeinen Phrasen daherkommt, wie z. B. mit folgender:
Was den Eintritt in den Norddeutschen Bund betrifft, so
darf daran erinnert werden, daß die Bestrebungen darauf ge-
richtet sein müßten, einen Deutschen Bund an die Stelle des
Nordbundes zu setzen, und daß in dem hoffentlich nicht fernen
Augenblick, wo dieses ersehnte Ziel erreicht ist, der dermahge
Norddeutsche Bund aufhören wird zu sein." Das Stimmungs-
bild der Berliner Nationalzeitung deckt sich mit den Be-
obachtungen, die Bennigsen und Lasker während ihres Mün-
chener Aufenthaltes machten, i)
Auch fühlt man sich eines Bundesgenossen in der natio-
nalen Propaganda sicher, der bayerischen Armee. ,,Der heim-
kehrende Krieger," schrieb das ,, Wochenblatt der Fortschritts-
partei", ,,der mit seinen preußischen und sächsischen Kame-
raden die Todesgefahr und die Siegesfreude geteilt, wird nicht
ruhiger Zuhörer bleiben, wenn man sich wiederum unterstehen
sollte, das Lügenwerk von ehemals zu beginnen. Schon jetzt
üben die einzelnen heimkehrenden Verwundeten einen sehr
bemerklichen Einfluß auf die Stimmung namentlich in den
Landbezirken aus, und die Feldpost wird wenige Briefe in
unsere bayerischen Gaue bringen, welche nicht Worte der
Anerkennung für die norddeutschen Bundesgenossen ent-
halten." Damit stimmt fast wörtlich überein, was der gewiß
nicht bayernfreundliche badische Gesandte Robert v. Mohl an
seine Regierung berichtete: ,,Bei den bayerischen Truppen ist,
1) H. Oncken, Rudolf v. Bennigsen II, S. i8off.
81
wie sich namentlich aus den Äußerungen der Verwundeten
oder sonst zurückgekehrten Krieger erkennen läßt, eine gänz-
liche Umwandlung gegen die Preußen eingetreten. Dieselben
sind des höchsten Lobes voll über die Preußen, und zwar
nicht etwa bloß über deren militärische Eigenschaften und
Leistungen, sondern über ihre freundschaftliche Kamerad-
schaft, ihre Aushilfe, wenn sie durch ihre bessere Verpflegung
früher oder reichlicher versehen sind als die Bayern durch ihr
unfähiges Kommissariat. Man hört in diesen Beziehungen
die ergötzlichst-naiven Anekdoten, und ich selbst habe einen
Bauern erzählen hören, sein Sohn habe ihm geschrieben:
wenn sie nach Hause kommen, so werden sie die Pfaffen von
der Kanzel prügeln, welche sie greulich angelogen haben.
Es sei gar nicht wahr, daß die Preußen alle lutherisch seien;
sehr viele seien Katholiken und er selbst habe Feldpriester
bei ihnen gesehen, "i)
Diese nationale Bewegung des deutschen Volkes, dieser
Drang der öffentlichen Meinung, dieser Druck der deutsch-
nationalen Bewegungspartei hat schließlich auch auf die
zögernden Regierungen und Staatsmänner ihre Wirkung aus-
geübt. ,,Die bedeutendsten Mitglieder der Regierung," so
schrieb Lasker am 24. September an Delbrück über die Ein-
drücke, die er und Bennigsen während ihrer Anwesenheit
in München von der Haltung der bayerischen Staatsminister
gewonnen hatten, ,,die bedeutendsten Mitglieder der Regierung
haben wir überzeugt gefunden, daß der jetzige Augenblick
dem Interesse Bayerns sehr diene, wenn es jetzt den Bund
abschließt. Keine spätere Zeit werde in gleicher Weise den
föderativen Charakter des Bundes zu wahren tauglich sein;
versäume Bayern die Gelegenheit, so sei der Einheitsstaat im
Laufe der Zeit nahezu unabwendbar."^) Es findet sich in den
Akten auch nicht der geringste Anhaltspunkt dafür, daß sich
Graf Bray nach dem Siege von Sedan mit der Absicht getragen
hätte, die bayerischen Truppen aus Frankreich zurückzu-
ziehen, weil für Deutschland keine Gefahr mehr bestehe und
man nicht verpflichtet sei an einem Angriffskrieg teilzu-
nehmen. Der wirklich vorhandene Arbeitsnachlaß aus der
Zeit der Reichsgründung, der Umstand, daß gerade damals
die Siegesstimmung auch in Bayern ihren Höhepunkt erreichte,
daß eben damals unter dem Eindruck dieser nationalen Stim-
mung auch die bayerische Regierung ihre entscheidende
^) Bericht Mohls vom 27. August, K. St. A.
2) H. Oncken a. a. O.
Doeberl, Bayern und die BismaLTckische Reichsgründung. 6
82
Wendung in der deutschen Verfassungsfrage vollzog, lassen
keinen Raum für ein solches Abenteuer des Ministers.
Die bayerische Regierung stand vor dem unvermeidlichen
Konflikte zwischen einem natürlichen Selbsterhaltungstrieb
und dem elementaren Bedürfnis einer nationalen Gemein-
schaft, vor der Wiederkehr des Jahres 1848, vor einer ver-
stärkten Wiederkehr dieses Jahres. Und dieses Jahr hatte
gelehrt, daß Parteien, daß Volksbewegungen rücksichtsloser und
gewalttätiger sind als Regierungen und Dynastien.
Gegenüber diesen populären Kräften sucht die bayerische
Regierung Deckung bei dem, der vielen noch vor kurzem
als der gefürchtetste Gegner der bayerischen Selbständigkeit
gegolten hatte, bei Bismarck.
Bismarck weist den Gedanken einer Vergewaltigung des
„herrlichen Verbündeten", den Verdacht einer Ausnutzung
seiner Notlage weit von sich, vermeidet nach außen geflissent-
lich eine Gemeinschaft mit der nationalen Agitation, läßt
durch eine ,, Berliner Korrespondenz" in der ,, Augsburger
Allgemeinen Zeitung" ausdrücklich erklären : ,,Es hieße die Lage
der europäischen Verhältnisse und die Interessen Preußens und
Deutschlands gänzlich verkennen, die Undankbarkeit gegen
die in treuer Waffenbrüderschaft zu uns gestandenen süd-
deutschen Staaten auf die Spitze treiben und die Regierung
des Königs von Preußen zu einem schnöden Wortbruch an-
reizen, wenn man ihr zumutet und empfiehlt, daß sie die süd-
deutschen Staaten zwinge in den Norddeutschen Bund, wie
er jetzt geordnet ist, einzutreten und damit eine Selbständig-
keit aufzugeben, deren Wert für die gemeinsamen Interessen
Deutschlands gerade in dem jetzigen Kriege sich so glänzend
bewährt hat."
Bismarck ist in der nationalen idealistischen Bewegung
nicht aufgegangen, er hat vielmehr auch sie in seinen und seines
realpolitischen Staatsgedankens Dienst gestellt. Er verspricht
in einem feinberechneten Doppelspiel einerseits Deckung gegen
die nationalen Kräfte, benutzt aber anderseits dieselben Kräfte,
denen er bisher Schweigen auferlegt hatte, als Ansporn, als
,, leichte Kavallerie", wie ein Zeitgenosse sich ausdrückt,
um Bayern zu freiwilliger Initiative auf dem Wege zum klein-
deutschen Nationalstaate zu bestimmen. Immer wieder be-
richtet der bayerische Berichterstatter Graf Maximilian
V. Berchem aus dem preußischen Hauptquartier, der bayerische
Gesandte Freiherr v. Perglas aus der preußischen Hauptstadt
von den Anschlägen der nationalen Partei gegen die Souveräni-
83
tat der Südstaaten, von den Versicherungen des Grafen
Bismarck, Bayern zu keinem Opfer in nationaler Beziehung
zu drängen, aber auch von seiner Geneigtheit, in Verhand-
lungen hierüber mit Bayern einzutreten. Schon am 23. August
hatte Graf Berchem die bereits früher erwähnte Äußerung
Bismarcks überschrieben: Preußen und der Norddeutsche
Bund würden bereitwilligst diejenigen Vorschläge akzeptieren,
welche S. M. der König von Bayern nach Allerhöchst Seiner
Bequemlichkeit im Interesse einer engeren nationalen Einigung
zu machen sich etwa veranlaßt sehen würde. Bismarck hatte
nach demselben Bericht aber auch hinzugefügt: Preußen und
der Norddeutsche Bund verzichteten darauf, auf diese Ent-
schlüsse irgendwelche Pression zu üben, indem ein für Nord-
deutschland günstig gesinntes Bayern der nationalen Sache
mehr nütze als ein widerwillig in nähere Beziehung gebrachtes
Land.^) Daß auch diese bald drohenden, bald beruhigenden,
bald anspornenden Meldungen aus dem preußischen Haupt-
quartier und der preußischen Hauptstadt zu den treibenden
Motiven der deutschen Politik Bayerns zählten, wird wiederum
durch die bayerischen Minister ausdrücklich bestätigt.
Mit der schöpferischen Kraft des Krieges und dem Idealis-
mus der bis auf das Jahr 1848 zurückgehenden völkischen
Bewegung verbindet sich die schöpferische Kraft der staats-
männischen, realpolitischen Persönlichkeit.
Aus dieser Wurzel, unter dem Einfluß einerseits der seit
den Tagen von Sedan wachsenden nationalen Bewegung,
anderseits der bald beruhigenden, bald anregenden Einwirkung
des preußischen Staatsmannes, reift in einem längeren Ent-
wicklungsprozesse der Entschluß der bayerischen Regierung,
gegenüber weitergehenden unitaristischen Bestrebungen der
nationalen Partei Sicherung zu suchen in einem Verfassungs-
bündnisse mit dem Norddeutschen Bunde. Die kluge, maßvolle
Politik Bismarcks hatte bereits bewirkt, daß die Ratgeber der
bayerischen Krone von der preußischen Regierung für das födera-
tive Prinzip weniger fürchteten als von der liberalen Partei.
*
Aus solchen Erwägungen heraus stellte Graf Bray den
Antrag vom 12. September. Es ist interessant der Begründung
des Antrags zu folgen: Der im Jahre 1866 geschaffene Zustand
sei ein provisorischer, eine Folge einerseits der preußischen
Siege, anderseits des Widerwillens Frankreichs und Öster-
^) M. St. A. Berichte Berchems,
6*
84
reichs gegen die Ausdehnung der preußischen Machtsphäre
über Süddeutschland. Dieses letztere Hindernis gegen eine
Einigung des außerösterreichischen Deutschlands sei infolge
der Ereignisse der jüngsten Zeit hinweggefallen. Ein ein-
facher Eintritt Bayerns in den Norddeutschen Bund müsse auch
jetzt noch abgelehnt werden, da es mehr als auffallend wäre,
wenn der Lohn Bayerns für seine Vertragstreue, für seine wert-
volle moralische und materielle Hilfe in nichts anderem be-
stünde als in dem Beitritt zu einem von ihm früher zurück-
gewiesenen Bunde. Aber nicht so richtig wäre es, ein Ver-
fassungsbündnis überhaupt abzulehnen: Bayerns tausend-
jährige Geschichte weise stets auf eine Verbindung mit Deutsch-
land hin, das europäische Staatensystem habe für isolierte
kleinere Staaten keinen Raum, namentlich wenn diese im
Widerspruch mit dem mächtig wirkenden Nationalitäts-
prinzip stünden. Die öffentliche Meinung fordere eine
bessere Einigung Deutschlands und dieser Stimme
müsse in billigem Maß entsprochen werden. Das
Interesse der Krone erlaube keine weitere Verzögerung der
Verhandlungen; im jetzigen Augenblicke, da das Gefühl der
großen, von Bayern, seinem König und seinem Heere der
nationalen Sache geleisteten Dienste das öffentliche Bewußt-
sein beherrsche, seien die günstigsten Bedingungen für den
Eintritt zu erhalten.
Als unerläßliche Zugeständnisse an Gesamtdeutschland
bezeichnet der Antrag: eine im Kriege als einheitliches Ganzes
sich darstellende und wirkende deutsche Heeresmacht und
— was Bayern so oft abgelehnt hatte — eine allgemeine
deutsche Volksvertretung. Als zu reservierende Krön- und
Landesrechte: i. Das Recht der Vertretung nach außen mit
Einschluß der Befugnis, Verträge zu schließen, soweit solche
dem Zweck und den Interessen des Bundes nicht wider-
sprechen; 2. die Militärhoheit im Frieden über die einen ge-
schlossenen Körper bildende Armee; 3. eigene Gesetzgebung,
Verwaltung und Finanzen, soweit solche nicht durch besondere
Bestimmungen des Bundesvertrages der Kompetenz des Bundes
unterliegen ; 4. selbständige Leitung des Post-, Eisenbahn- und
Telegraphen Wesens .
Noch wichtiger war die Frage nach der Art der verfassungs-
mäßigen Verbindung, in die Bayern mit dem Norddeutschen
Bunde treten könnte oder sollte. Am liebsten wäre der baye-
rischen Regierung, wenn Preußen den seit vier Jahren be-
stehenden straffen Norddeutschen Bund fallen ließe und durch
85
einen neuen, allgemeinen Deutschen Bund auf veränderter,
loserer Grundlage ersetzte. Aber selbst in diesem Falle wollte
die bayerische Regierung ihren Anschluß nicht vollziehen
ohne eine Sonder- oder Ausnahmestellung, deren Maß abhängig
gemacht würde von dem Verfassungsinhalte des neuen, all-
gemeinen Deutschen Bundes. Das war der eine Fall der baye-
rischen Alternative.
Läßt aber Preußen den Norddeutschen Bund fortbe-
stehen und bildet ihn etwa gar im Sinne des Einheitsstaates
weiter, so wäre der Eintritt in ihn jetzt ebenso abzu-
lehnen wie vor dem Kriege. Wohl aber müßte auch dann
an die Stelle des bisherigen völkerrechtlichen Bandes, mit
anderen Worten des internationalen Schutz- und Trutz-
bündnisses, eine staatsrechtliche und organische Verbindung,
und zwar jetzt ein weiterer verfassungsmäßiger Bund Süd-
deutschlands mit dem Norddeutschen Bunde treten, natürlich
wiederum unter Sicherung all der Rechte, die sich Bayern
vorbehalten will. Das war der andere Fall der bayerischen
Alternative. Ein solches Verfassungsbündnis konnte nach
bayerischer Auffassung um so leichter hergestellt werden,
,,da das früher in der französischen Auffassung des Prager
Vertrages liegende Hindernis nicht mehr bestehe." Man sieht
schon jetzt : die Art der Verbindung zwischen dem Süden und
dem Norden wird die ,, Kardinalfrage".
*
Auf den Antrag vom 12. September verfügte König
Ludwig^) in einem Allerhöchsten Signate vom 17. September
eigenhändig: ,,Ich verordne, daß auf Grund dieses Antrags
ein erschöpfendes Gutachten ausgearbeitet, Mir überreicht
und in Verhandlungen getreten werde." Schon zwei Tage
später bringt er den Entwurf in Erinnerung: ,,Mit Rücksicht
auf die Dringlichkeit der Sache und insbesondere auf die un-
mittelbar bevorstehende Ankunft Delbrücks in München
beauftrage Ich Mein Gesamtministerium den auf Meinen
Befehl ausgearbeiteten und im Ministerrat bereits diskutierten
Entwurf, die Regelung der deutschen Frage betreffend, bis
morgen Mittag an Mich in Vorlage zu bringen." Noch am
nämlichen Tage telegraphierte Graf Bray an den Kabinett-
sekretär Eisenhart, ,,daß ein detaillierter Entwurf bis jetzt
noch nicht vereinbart sei, morgen zur Diskussion komme und
^) Das folgende nach M. St. A. (,, Akten über die Verfassung Deutsch-
lands" I.)
86
womöglich abends noch abgesandt werde; vor Allerhöchster
Genehmigung werde mit Delbrück nicht darüber beraten
werden." Am 20. September fand dann die Ministerrats-
sitzung statt. Die hier vereinbarte Vertragsskizze wurde noch
am nämlichen Tag an das Hoflager des Königs nach Schloß
Berg abgeschickt. Darauf signierte der König am 21. Sep-
tember: „Die ebenso klare als gründliche Skizze des Bundes-
vertrags entspricht Meiner Intention mit Ausnahme des dem
Bundesoberhaupte persönlich eingeräumten Inspektions-
rechtes, welches Ich unter keinen Umständen zuzugestehen
gewillt bin." ,, Dagegen räume Ich ein, daß den früheren
ähnliche Inspektionen stattfinden, wobei die von letzteren
gemachten Wahrnehmungen Meinem Kriegsminister zur Kennt-
nisnahme zu dienen haben. Nach Beendigung der mit Del-
brück auf der Grundlage erwähnten Entwurfes zu pflegenden
Besprechungen sehe Ich eingehender weiterer Berichterstattung
entgegen." Die Skizze, die bei den am folgenden Tage be-
ginnenden Münchener Konferenzen bayerischerseits als Richt-
schnur diente, hat sich bis jetzt nicht vorgefunden.
Mit dem Antrage vom 12. September und den sich daran
anschließenden Münchener Konferenzen trat die deutsche
Frage in das Stadium der entscheidenden Wendung, des
psychologischen Momentes ein. Damit ergriff gerade die Re-
gierung, die sich bisher am zähesten gegen eine kleindeutsche
Lösung des Verfassungsproblems gewehrt hatte, die Initiative
zu Verhandlungen auf der Grundlage des kleindeutschen
Programms. In einem diplomatischen Gedankenaustausche
mit der befreundeten österreichischen Regierung erkannte sie
die geschichtliche Notwendigkeit dieser Lösung ausdrücklich
an: ,,Sie betrachte es als eine unabweisliche Folge der
großen Ereignisse der letzten Zeit, daß die unter gemeinsamer
Führung im Kriege gegen Frankreich verbündeten deutschen
Staaten nicht einfach zu den früheren Verhältnissen zurück-
kehren, sondern in einen dauernden Verein auf vertragsmäßiger
Grundlage eintreten."
Es wird niemals mit mathematischer Sicherheit festzu-
stellen sein, wie weit die Ratgeber der Krone der eigenen
Initiative, wie weit sie dem Drucke der öffentlichen Meinung
folgten. So tief kann man selten den Diplomaten ins innerste
Herz schauen.
Das ist allerdings gewiß: Graf Bray war ein kühler,
schwungloser Diplomat, kein Blender, ein nüchterner Ge-
schäftsmann, schon in seiner äußeren Erscheinung, wie sie
87
uns Moritz Busch geschildert hat. Wie in der PoUtik überhaupt
nicht der Enthusiasmus das führende Wort spricht, so hat
auch Graf Bray die Initiative zu Verhandlungen in der deut-
schen Frage gewiß weniger aus stürmischer Neigung des Herzens
als vielmehr in kluger Erkenntnis der Macht der nationalen
Bewegung und des Gebotes der Stunde ergriffen. Der letzte
Akt in der Gründungsgeschichte des Deutschen Reiches ist
ein durchaus realpolitischer Vorgang und als solcher zu
würdigen.
Aber Graf Bray war auch ein durchaus ehrlicher Staats-
mann. Seine Ehrlichkeit war nach dem Zeugnisse des Freiherrn
V. Soden ,,bei allen Diplomaten, die ihn kannten, geradezu
sprichwörtlich". Wir sind berechtigt zur Annahme, daß
nicht bloß der Kabinettsekretär Eisenhart sondern auch
Mitglieder des bayerischen Ministeriums und hier wiederum
nicht bloß der Justizminister v. Lutz und etwa der Minister
des Innern v. Braun sondern auch Graf Bray von der Stim-
mung von Sedan und von der Größe des deutschen Staats-
mannes ergriffen waren. Den Ministern wurde im Landtage
sogar der Vorwurf gemacht, daß sie sich ,,von der nationalen
Idee ungebührlich weit hätten bestimmen lassen". Der
Minister, der dies berichtet, Lutz, bestreitet die Berechtigung
des Vorwurfs keineswegs, fügt aber hinzu: es sei ihnen damit
das begegnet, wovon niemand in diesem Hause und außer-
halb desselben vollständig frei geblieben sei.
Tatsächlich hat gerade in diesen Tagen Graf Bray an
Bismarck einen Brief geschrieben voll Verehrung für den
großen Staatsmann, aber auch mit vollem Verständnis für die
Größe der Zeit: ,, Möchten Ew. Exzellenz Sich überzeugt
halten, daß wir den welthistorischen Ereignissen der letzten
Zeit voll Rechnung tragen und uns wohl bewußt sind, daß
eine neue, große Zeit, so wie sie reiche Früchte verspricht,
auch manche Zugeständnisse fordert. S. M. der König von
Bayern teilt hierin die Überzeugung seiner Räte und der großen
Mehrzahl seines Volkes." Es ist durchaus einseitig, wenn der
immer subjektive und gegen Bayern voreingenommene Robert
V. Mohl am 27. August an seine Regierung berichtet: ,,Graf
Bray ist und bleibt immer ultramontan und österreichisch
gesinnt."
Derselbe Graf Bray hatte schon im Jahre 1867 das Rund-
schreiben Hohenlohes vom 28. Februar mit dem über Ludwig
von der Pfordten hinausgehenden Ziele eines Verfassungsbünd-
nisses mit dem Norddeutschen Bunde ausdrücklich gebilligt, mit
88
Worten, an deren Aufrichtigkeit nicht gezweifelt werden kann:
„Gewohnt, den mir von maßgebender Stelle zugehenden Direk-
tiven gewissenhaft zu folgen, kann ich dies im gegenwärtigen
Falle mit um so größerer Genugtuung tun, als die im erwähnten
Ministerialerlasse enthaltene Präzisierung der bayerischen
Politik meiner eigenen Überzeugung von dem, was wir unter
den gegenwärtigen schwierigen Verhältnissen anstreben können
und sollen, vollständig entspricht."^)
Als er selbst zu Anfang des Jahres 1870, nach dem Ab-
gang des Fürsten Hohenlohe, das Ministerium übernahm,
äußerte er in seiner programmatischen Erklärung vom 30. März :
,,Was ich Ihnen verspreche, ist eine offene Politik und selbst-
verständhch eine ehrliche und loyale Politik. Eine offene
Politik hat für uns um so weniger Schwierigkeiten, als wir keine
geheimen Verträge haben, keine geheimen Verpflichtungen,
keine geheimen Pläne und überhaupt keine politischen Ge-
heimnisse. Was wir wollen, was wir anstreben, das darf die
ganze Welt erfahren: wir wollen Deutsche, aber auch Bayern
sein."
Als der Minister im September 1870 sich entschloß, die
Initiative in der deutschen Frage zu ergreifen, wandte er
sich an den bayerischen Parlamentarier, der die deutsche
Politik des Vorgängers, des Fürsten Hohenlohe, am lebhaftesten
gegen die patriotischen Angriffe verteidigt hatte, an den
Führer der Fortschrittspartei, Marquardt Barth. Wir sind
jetzt über den Vorgang durch den Bericht des württembergi-
schen Gesandten Freiherrn v. Soden eingehend unterrichtet.
Soden berichtet am 10. September^) : Staatsminister Graf
Bray habe vor mehreren Tagen den Abgeordneten Marquardt
Barth aufgesucht, unter dem Vorwand, ihn um seine zu An-
fang des Monats Februar bei der Adreßdebatte über die
deutsche Frage gehaltene Rede zu ersuchen; nachdem die
beiden längere Zeit miteinander konferiert hatten, habe der
Minister von dem Abgeordneten einen Verfassungsentwurf
erbeten, den Barth für den Fürsten Hohenlohe ausgearbeitet
hatte; zwei Tage später sei Graf Bray wieder bei Barth er-
schienen und habe ihm erklärt, er sei mit seinen Gedanken
ganz einverstanden und werde in diesem Sinne dem Könige
Vortrag erstatten. Tatsächhch zeigt sowohl der Antrag des
Grafen Bray vom 12. September als auch das Programm,
das die bayerischen Minister auf den Münchener Konferenzen
1) Bericht Brays vom März 1867, M. St. A.
2) St. St. A.
89
vertraten, eine gewisse Verwandtschaft mit dem Entwürfe
Barths. Das Verwandtschaftsverhältnis würde sich genauer
feststellen lassen, wenn die vom Grafen Bray dem König vor-
gelegte Verfassungsskizze erhalten wäre.
Über diese ,, Wendung der Dinge" herrschte nach dem-
selben Berichte Sodens im fortschrittlichen Lager große Be-
friedigung. Man bemühte sich hier durch Vorsicht und Zurück-
haltung und Vermeidung jeder Pression dem Minister die
Arbeit, namentlich bei seinem Könige, zu erleichtern. In
diesem Sinne wirkten die Führer der bayerischen Fortschritts-
partei auch auf ihre Gesinnungsgenossen aus Berlin, die national-
liberalen Abgeordneten Lasker, Bennigsen und Forckenbeck,
die vom lo. bis 15. September in München weilten. i) Diese
fanden zwar die Versailler Zugeständnisse an Bayern, wie sie
Barth in seinem Memoire in Vorschlag gebracht hatte, zu
weitgehend und suchten sie in einem neuen Verfassungs-
entwurfe, den sie dem Minister überreichten, etwas abzu-
schwächen. Lasker war auch der Verfasser einer Adresse vom
18. September an den König, in der das Münchener Gemeinde-
kollegium die Bitte aussprach, S. M. möge geruhen, ,, durch
Vereinbarung mit den verbündeten Staaten die Vollendung des
deutschen Bundesstaates auf der Grundlage der Verfassung
des derzeitigen norddeutschen Bundes als Abschluß des
opferreichen nationalen Kampfes herbeizuführen". ^) Aber auch
die Berliner Parlamentarier schieden mit den besten Ein-
drücken aus München. Auch sie vermieden alles, was die
Empfindlichkeit des Königs reizen und dem Minister die
nationale Arbeit erschweren konnte.
Um so ungehaltener war Graf Bray über das Vorgehen des
Grafen Tauffkirchen und seiner Freunde, der ,,Hohenloheschen
Clique", wie er sie nannte, die auch ihrerseits einen Ver-
fassungsentwurf ausarbeiteten und ihn ohne Genehmigung,
ja ohne Kenntnis des Ministers am 17. September mit einem
offiziös khngenden Leitartikel in der ,, Augsburger Allgemeinen
Zeitung" publizierten.^) Der Entwurf war unter diesen Um-
ständen für die Öffentlichkeit eine Sensation. Und die Wirkung
auf den König! Auf den König, dessen angebliche nationale
Gesinnung man gegen den Minister ausspielte, von dem aber
der Minister wußte, daß er aus freiem Entschlüsse kein wesent-
^) H. Oncken, Bennigsen, S. 181.
^) ,, Münchener Neueste Nachrichten" 1870, Nr. 263.
^) Ich nehme alle drei zuletzt erwähnten Verfassungsentwürfe in die
Beilagen auf (Beilagen II, nr. 4, 5 u. 6), um den Vergleich zu erleichtern.
90
liches Hoheitsrecht zugunsten einer nationalen Lösung der
deutschen Frage opfern würde. Und dazu der Terrorismus,
der zum Verdruß der weiter bhckenden Parteigenossen von
dem Kreise um Juhus Knorr, den Herausgeber der „Münchener
Neuesten Nachrichten", geübt wurde, und der Widerhall, den
dieses Übermaß im patriotischen Lager weckte. ,,Alle diese
Momente haben den Minister wieder in eine etwas rückläufige
Bewegung gebracht." Und das unmittelbar vor Beginn der
Münchener Konferenzen,
V.
Die Mündicncr Konferenzen.
Schon vor der Absendung des entscheidenden Antrags
an den König hatte Graf Bray die ersten Schritte unter-
nommen zur Einleitung von Vorbesprechungen mit dem
Norddeutschen Bunde. In einem Erlasse vom ii. September
beauftragte er den Berichterstatter Bayerns im Hauptquartier,
Grafen Berchem, den Bundeskanzler über die wichtigste Vor-
frage auszuholen, über die Frage, ob der Fortbestand des
Norddeutschen Bundes oder ein auf veränderten Grundlagen
zu errichtender allgemeiner Deutscher Bund in Aussicht
genommen sei: ,,Es wäre uns von hohem Werte, die Absichten
Preußens über diesen Gegenstand, sobald sie feststehen wer-
den, zu kennen, weil auch unsere Beschlußnahme und Vor-
schläge verschieden sein müssen, je nachdem es um den Fort-
bestand des jetzigen Norddeutschen Bundes oder um dessen
Ersetzung durch einen auf veränderten Grundlagen zu er-
richtenden allgemeinen Deutschen Bund sich handeln wird."^)
Am nämlichen Tage wandte er sich mit dem gleichen Anliegen
an den preußischen Gesandten in München. Dieser berichtete
darüber noch am ii. September an das Auswärtige Amt in
Berlin. 2) Am folgenden Tage äußern Graf Bray und Freiherr
v. Werthern ^) den Wunsch, es möchte ein Vertreter des
Norddeutschen Bundes nach München geschickt werden,
mit dem man auf dem Weg einer Vorbesprechung den Boden
gewinnen könnte, auf dem dann die eigentlichen, entscheidenden
Verhandlungen in der deutschen Frage zu führen wären.
Im Sinne der telegraphischen Berichte des Freiherrn v. Wer-
thern vom II. und 12. September telegraphierte dann Unter-
staatssekretär V. Thile am folgenden Tage an Bismarck*) :
1) M. St. A.
2) H. A. A.
3) Ebenda.
*) H. A. A.
92
„Die bayerische Regierung erkennt die Notwendigkeit einer
Veränderung der politischen Gestaltung Deutschlands. Graf
Bray wünscht zu wissen, ob nach preußischer Auffassung
der Norddeutsche Bund weiterbestehen oder einem neuen,
ganz Deutschland umfassenden Bunde Platz machen solle.
Nach Lösung dieser Vorfrage wird Bayern mit geeigneten
Vorschlägen auftreten. Nützlich zu diesem Zwecke wäre es,
wenn Minister Delbrück nach München kommt." Bismarck
war kaum im Besitze dieser Mitteilung, als er noch am näm-
lichen Tage in einem Telegramm an Thile das Eintreffen
Delbrücks, der eben seine Denkschrift über die Neugestaltung
Deutschlands in Reims fertiggestellt hatte, in München an-
kündigte.^) Wieder einige Tage später, am 17. September,
kann er dem preußischen Gesandten in München bereits
melden, daß Delbrück am 15. September vom preußischen
Hauptquartier über Berlin nach München gereist sei. 2)
Mit diesen Vorgängen kreuzte sich die Mission des Grafen
Tauffkirchen an den König Ludwig von Bayern und ihre
Auswirkungen. In der Nacht vom 12. /13. September traf
Tauffkirchen mit der Meldung in München ein: Bismarck
würde die Sendung eines bayerischen Bevollmächtigten
ins Hauptquartier freudig begrüßen und jeden Vorschlag
einer bundesmäßigen Annäherung mit weitgehenden Bürg-
schaften entgegennehmen. Am 13. September hatte Tauff-
kirchen Audienz beim Könige.^) Zum erstenmal zeigte sich
die Macht Bismarcks über Ludwig H. Bevor der Antrag des
Gesamtministeriums vom 12. September dem Könige vor-
gelegt worden war, war dieser in einer augenblicklichen
Anwandlung von Furcht und zugleich von Vertrauen für die
Entsendung von Bevollmächtigten mit Vorschlägen in das
Hauptquartier gewonnen und war damit eigentlich schon
über das hinausgegangen, was sein Minister gegenüber Bis-
marck und dem preußischen Gesandten zunächst angeregt
hatte. Auf Befehl des Königs vom 13. September^) mußte
Graf Bray dem Bundeskanzler schon jetzt telegraphisch die
Geneigtheit Bayerns kundgeben, einen bayerischen Bevoll-
mächtigten mit entsprechenden Vorschlägen ins preußische
Hauptquartier abzuordnen. Gleichzeitig sprach der König
die Erwartung aus, daß ihm diese Vorschläge ,,so bald als
1) H. A. A.
^) Ebenda.
3) K. A. V. Müller a. a. O.
*) Beilagen II, nr. 2.
93
immer möglich" zur Prüfung und Genehmigung unterbreitet
werden, ,, zumal er durch Graf Tauffkirchen gehört habe,
daß eine weitere Verzögerung Bismarck immerhin zu ein-
seitigen Vertragsabschlüssen mit anderen süddeutschen Staaten
veranlassen könnte". Am 15. September meldete der Minister
den Vollzug des königlichen Befehls, aber mit dem bezeich-
nenden Zusatz: ,, wie wohl dem Allerhöchsten Befehle durch den
Antrag des Gesamtministeriums vom 12. September teilweise
bereits entsprochen sein dürfte".^) Tatsächlich dachte der
Minister nicht daran, den von ihm eingeschlagenen Weg zu
verlassen, war keineswegs gewillt jetzt schon einen bayerischen
Bevollmächtigten mit bayerischen Vorschlägen ins Haupt-
quartier zu entsenden, wollte vielmehr das Erscheinen eines
norddeutschen Bevollmächtigten in München abwarten.
Und Bismarck kam ihm entgegen, teilweise entgegen.
Der Anregung des Grafen Bray und des Freiherrn v. Wer-
thern stattgebend, hatte er inzwischen bereits die Entsendung
des Staatsministers Delbrück zu einer Vorbesprechung nach
München beschlossen. Württemberg, das noch am 12. (!) Sep-
tember durch seinen Vertreter, den bayernfreundlichen Frei-
herrn V. Soden, von dem wesentlichen Inhalte des bayerischen
Antrags von diesem Tage unterrichtet worden war,^) hatte in
einer Weisung des Ministerverwesers des Äußern v. Taube
vom 14. September^) an den württembergischen Gesandten
in München die bayerische Alternative ausdrücklich gebilligt
und den Wunsch ausgesprochen, mit Bayern gemeinsam zu
handeln: ,,S. Kgl. Majestät legen besonderen Wert darauf,
daß eine solche Erklärung von Bayern und Württemberg in
wesentlicher Übereinstimmung erfolge. Die Gründe hierfür
liegen so nahe und finden zudem in der bisherigen engen Ver-
bindung der beiden Nachbarstaaten eine so selbstverständliche
Rechtfertigung, daß ich mich einer näheren Ausführung der-
selben füglich enthalten kann." In der Tat wurde Württem-
berg nach der Ankunft Delbrücks mit dessen ausdrücklicher
Zustimmung telegraphisch eingeladen, zu den Münchener
Konferenzen einen Bevollmächtigten zu entsenden. Als Ver-
treter Württembergs erschien in der Nacht vom 21./22. Sep-
tember der Justizminister v. Mittnacht. Der badische Ge-
sandte V. Mohl regte gleichzeitig die Teilnahme Badens an
^) Beilagen II, nr. 3.
2) St. St. A.
^) Schneider, Württembergs Beitritt zum Deutschen Reich 1870 in:
Württemberg. Vierteljahrshefte f. Landesgesch. N. F. XXIX, S. 149 f.
94
den Münchener Konferenzen an, erklärte aber drei Tage später,
seine Regierung wünsche eine Beteihgung an den Münchener
Konferenzen nicht, da sie beabsichtige, die Aufnahme Badens
in den Norddeutschen Bund zu beantragen. ^) Übrigens er-
klärte Delbrück bei dieser Gelegenheit, daß sein Auftrag nur
der bayerischen Regierung gelte und daß er die Zuziehung
Württembergs und Badens Bayern überlasse.
Am 20. September war Delbrück in München eingetroffen.
Vom 22-/27. September währten die Münchener Konferenzen. 2)
Die Konferenzen hatten nur den Charakter einer unver-
bindlichen Vorbesprechung. Aber während Graf Bray von
dieser Vorbesprechung preußische Vorschläge erwartete, er-
klärte Delbrück noch vor der Eröffnung der Konferenzen,
gleich bei der ersten Besprechung mit dem Grafen Bray:
er sei nicht beauftragt, im Namen der preußischen Regierung
Vorschläge zu machen, sondern die Propositionen der süd-
deutschen Regierungen entgegenzunehmen und, wenn es ge-
wünscht werde, auf Grund seiner Kenntnis der Norddeutschen
Bundes Verhältnisse sie zu besprechen. Er wiederholte diese
Erklärung zu Beginn der Konferenzen. Damit war eigentlich
schon die Situation zuungunsten Bayerns verschoben.
Delbrück hatte aber auch alles zu vermeiden, was von
vornherein die Verhandlungen zum Abbruch bringen oder
die bayerischen Bevollmächtigten verhindern konnte, zu den
definitiven Verhandlungen nach Versailles zu kommen. Als
daher bei jener ersten Begegnung der bayerische Minister
die Kardinalfrage anschnitt, ob Preußen bereit sei, sein Bundes-
verhältnis zu den norddeutschen Staaten zu ändern, mit
anderen Worten die Verfassung des Norddeutschen Bundes
preiszugeben, erwiderte Delbrück in einer Form, die einer
Verhandlung auf dieser Grundlage auswich, ohne aber die
1) K. St. A.
'■^) Ich kann jetzt zum erstenmal den vollen Wortlaut des darüber auf-
genommenen Protokolls vorlegen (Beilagen II, nr. 10). Zu seiner Ergänzung
füge ich den Finalbericht Delbrücks vom 27. September an (Beilagen II,
nr. 11). Es ist das um so notwendiger, als einige Zugeständnisse der baye-
rischen Bevollmächtigten nicht Aufnahme in das Protokoll fanden, weil sie
der königlichen Genehmigung entbehrten. Delbrück hat das in seinem
Finalbericht ausdrücklich festgestellt und hinzugefügt: ,,Es wurde ver-
sucht, S. M. den König zu bestimmen, zum Zweck eines Vortrages über
die Ergebnisse der Besprechungen (also auch über die bayerischen Zu-
geständnisse) nach München zu kommen. Dieser Versuch mißlang aber,
und so glaubten sie, die einmal (vom Könige) genehmigten Propositionen
wenigstens formell aufrechterhalten zu müssen. Das Protokoll der Be-
sprechungen gibt daher kein wirldiches Bild über ihr Ergebnis."
95
Frage nach dem Fortbestand des Norddeutschen Bundes
grundsätzUch zu entscheiden: ,,S. M. der König habe zu einer
Erwägung dieser Frage bisher keinen Anlaß gefunden. Und
auch er für seinen Teil vermöchte einen solchen Anlaß jetzt
und vor der näheren Kenntnis der Vorschläge Bayerns nicht
zu erkennen. Preußen habe noch keinen Grund gefunden, die
Frage einer näheren Erwägung zu unterwerfen, ob mit der
Gründung eines allgemeinen Deutschen Bundes eine Änderung
des zwischen den Staaten des Norddeutschen Bundes bestehen-
den Verfassungs Verhältnisses zu verbinden sei. Und er habe
daher eine solche Änderung nicht vorauszusetzen." Auch diese
Erklärung wiederholte Delbrück bei der Eröffnung der Kon-
ferenzen. Damit erreichte er einen zweiten Vorteil: daß man
tatsächhch nicht einen weiteren Bund, sondern einen allge-
meinen Deutschen Bund zum Gegenstand der Konferenz
machte und — nach dem Zeugnisse Marquardsens^) mit aus-
drücklicher Genehmigung des Königs — der Besprechung die
Verfassung des Norddeutschen Bundes zugrunde legte. ,,Man
kam dahin überein," so berichtet das Protokoll, ,,zu dem Zwecke,
um festzustellen, welchen Inhalt die Verfassung eines allge-
meinen Deutschen Bundes nach Auffassung der süddeutschen
Regierungen haben könnte, den Inhalt der Verfassung des
Norddeutschen Bundes nach der Folge ihrer Artikel zum
Leitfaden für die nun folgenden Besprechungen zu nehmen,
mit dem selbstverständlichen Vorbehalt einer neuen An-
ordnung der Materie und der sich voraussichtlich als notwendig
darstellenden neuen Redaktion."
An den Konferenzen nahmen sämtliche bayerische Minister
teil, freihch nach dem Berichte Delbrücks in einem sehr un-
gleichen Maße. Graf Bray beschränkte sich in der Regel
darauf, die einzelnen Artikel der Bundesverfassung vorzu-
lesen. Die Feststellung und Vertretung des bayerischen Stand-
punktes überließ er für das Kriegswesen dem Freiherrn
V. Pranckh, für die übrigen Rechtsgegenstände dem Justiz-
minister V. Lutz. Von Lutz gewann Delbrück die Über-
zeugung, daß er sich mit der norddeutschen Bundesverfassung
gründlich beschäftigt und über die künftige staatsrechtHche
Stellung Bayerns zu Norddeutschland sich eine selbständige
Meinung gebildet hatte.
Die bayerischen Bevollmächtigten erklärten, daß es
ihnen aufrichtig darum zu tun sei, in dem neuen Deutschen
1) Deutsche Revue XVII, 2, 182,
96
Bund ein lebensfähiges Verfassungsgebilde zu schaffen, und
daß sie deshalb der Gemeinschaft alle unentbehrlichen Opfer
zu bringen bereit seien. Sie fügten aber auch hinzu, daß ihnen
ebenso dringlich die Erhaltung der Selbständigkeit der Einzel-
staaten am Herzen liege und sie deshalb alle entbehrlichen
Abtretungen von Regierungsrechten ablehnen müßten. Was
für den neuen, allgemeinen Deutschen Bund entbehrlich sei,
darüber gingen freilich die Ansichten der Konferenzteilnehmer
auseinander.
Nach bayerischer Auffassung sollte u. a. aus dem
Kreise der Bundesangelegenheiten ausscheiden und dem Einzel-
staate, wenigstens Bayern, vorbehalten bleiben: das Staats-
bürgerrecht, das Gewerbewesen, die Heimat- und Nieder-
lassungsgesetzgebung, die erst zur Zeit des Ministeriums
Hohenlohe erlassen worden war und sich bewährt hatte, das
Immobiliarversicherungswesen, die Besteuerung von Bier und
Branntwein, das Eisenbahn-, Post- und Telegraphenwesen,
endlich das Straf recht und das gerichtliche Verfahren, ins-
besondere auch für die Armee. Sie verlangten für Bayern
auch eine gewisse Zahl von Bundesbeamtenstellen.
Man einigte sich darüber, daß folgende Gegenstände der Zu-
ständigkeit des Einzelstaates, wenigstens Bayerns, überlassen
werden könnten: die Gesetzgebung über die Heimats- und
Niederlassungsverhältnisse; das Eisenbahn-, Post- und Tele-
graphenwesen mit dem Vorbehalte, daß dem Bunde das Recht
gewährt werden solle, die für die Verteidigung des Bundes-
gebietes erforderlichen Eisenbahnen auf Grund eines Bundes-
gesetzes, ohne Einholung der Zustimmung der Landesregierung
zu bauen sowie für den Bau und die Ausrüstung der für die
Landesverteidigung wichtigen Eisenbahnen einheitliche Normen
festzusetzen; endlich die Gesetzgebung über die inneren
Getränkesteuern, die Besteuerung von Bier und Branntwein.
Anderseits waren die bayerischen Bevollmächtigten bereit,
das Gesetzgebungsrecht des Bundes über Freizügigkeit, Paß-
wesen, Fremdenpolizei, Versicherungswesen (mit Ausnahme
der Immobiliarversicherung), Auswanderung, Preß- und Ver-
einswesen anzuerkennen. Im Laufe der Besprechungen ge-
standen sie dem Bund auch das Gesetzgebungsrecht über
Staatsbürgerrecht (Bundesstaatsangehörigkeit) zu und ver-
zichteten auch auf die Stellung einer gewissen Quote der
Bundesbeamten, sie wagten aber nicht, diese letzteren Zu-
geständnisse in das Protokoll aufzunehmen, weil sie vom
Inhalte der vom König genehmigten Vertragsskizze abwichen.
97
Man war weiterhin einig über die Annehmbarkeit der
Reichstagsbestimmungen und des Reichstags Wahlgesetzes des
Norddeutschen Bundes für den allgemeinen Deutschen Bund.
Man war einig über die Annehmbarkeit der meisten Bestim-
mungen des Norddeutschen Bundes über den Bundesrat. Aller-
dings forderten die bayerischen Bevollmächtigten für den Bundes-
rat des künftigen allgemeinen Deutschen Bundes nicht mehr bloß,
wie bisher im Zollbundesrate, 6, sondern 8 Stimmen. Aber auf
die Einwendungen Delbrücks und Mittnachts hin ließen sie den
Anspruch auf Vermehrung der bayerischen Stimmen im Bun-
desrat ebenso fallen wie den auf verfassungsmäßige Fest-
stellung der Vertretung Bayerns im 3. und 4. Ausschusse des-
selben. In das Protokoll wurden diese beiden letzteren Zu-
geständnisse nicht aufgenommen, wiederum weil sie der
königlichen Ermächtigung entbehrten.
Auch darüber herrschte Einverständnis, daß an der Spitze
des neu zu gründenden allgemeinen Deutschen Bundes ebenso
wie an der Spitze des Norddeutschen Bundes ein Bundes-
präsidium stehen und dieses vom König von Preußen, stell-
vertretend vom König von Bayern geführt werden solle.
Graf Bray wollte diesem Bundespräsidium wohl die völker-
rechtliche Vertretung der im Norddeutschen Bunde be-
griffenen Staaten überlassen. Aber im übrigen sollte, ent-
sprechend vielleicht einem vom Könige von Bayern besonders
nachdrücklich geäußerten Wunsche, den süddeutschen Re-
gierungen, insbesondere der bayerischen, ihre diplomatische
Vertretung bleiben — ,,und zwar nicht allein in denjenigen
Angelegenheiten, die den betreffenden Staat allein angehen,
sondern auch in denjenigen Angelegenheiten, welche den im
Bunde begriffenen Staaten gemeinschaftlich seien" — weil
eines der wesentlichen Kriterien der Selbständigkeit eines
Staates in dem Rechte der gesandtschaftlichen Vertretung
liege. Delbrück erklärte, daß man den süddeutschen Staaten
keineswegs das Gesandtschaftsrecht für ihre besonderen
Angelegenheiten verkümmern wolle. Aber im übrigen be-
zeichnete sowohl er wie Mittnacht die völkerrechtliche Ver-
tretung des Bundes durch das Bundespräsidium einschließ-
lich des Konsulats Wesens als unerläßlich. Auch hierin scheinen
sie die Zustimmung sämtlicher bayerischer Minister^) mit Aus-
nahme des Grafen Bray gefunden zu haben, der hier der Ent-
scheidung des Königs nicht vorgreifen wollte.
1) Von Lutz hat es Abgeordneter Lasker ausdrücklich bezeugt.
Doch er 1, Bayern und die Bismarckische Reichsgründung. 7
98
Neben der völkerrechtlichen Vertretung war das umstrit-
tenste Gebiet das Bundeskriegswesen und damit gerade
das Gebiet, das Delbrück mit besonderer Vorsicht behandeln
mußte, aus doppelten Gründen: weil er es nicht beherrschte
und weil sein König daran ein besonders reges Interesse nahm.
Bayern stellte hier weitgehende Forderungen: i. Das bayerische
Heer bildet einen in sich geschlossenen Bestandteil des deut-
schen Bundesheeres mit selbständiger Verwaltung unter der
Militärhoheit des Königs von Bayern, im Kriege unter dem
Oberbefehle des Königs von Preußen als Bundesfeldherrn.
Die Anlage neuer Befestigungen kann auf bayerischem
Gebiete nur mit Zustimmung des Königs von Bayern geschehen.
2. Bayern behält seine gesamte Militärgesetzgebung bis zur
verfassungsmäßigen Beschlußfassung über den Wirkungskreis
der Bundesgesetzgebung. 3. Bayern trägt die Kosten und
Lasten des bayerischen Kriegswesens, mit anderen Worten
behält sein eigenes Militärbudget, wenn dieses auch, namentlich
bezüglich der militärischen Präsenzstärke, dem norddeutschen
Budget anzupassen ist. 4. Bayern regt an, die Präsenzstärke
des deutschen Heeres von i Prozent auf ^4 Prozent der Be-
völkerung herabzusetzen, da es Bayern unmöglich sei,
ein so hohes Militärbudget zu tragen. 5. Bayern will die
Marine und die hiefür erforderlichen finanziellen Lasten
von der allgemeinen Bundesgemeinschaft ausgeschlossen und
auf die norddeutschen Staaten beschränkt wissen, weil diese
an dem Bestand einer Marine vorwiegend interessiert seien.
Immerhin machten im Laufe der Besprechungen die
bayerischen Bevollmächtigten auch hier Zugeständnisse. Sie
räumten dem Bundespräsidenten das Inspektionsrecht ein,
um sich von der Einheitlichkeit der Organisation und Formation
und von der Vollzähligkeit und Kriegstüchtigkeit des baye-
rischen Kontingentes zu überzeugen; sie ließen auch ihren
Einspruch bezüglich des Marinewesens fallen, beides wiederum
ohne königliche Ermächtigung. Bezüglich des Inspektions-
rechtes erklärte der bayerische Minister des Innern, der König,
bei dem er gestern zum Vortrag in Berg gewesen sei, habe
ausdrücklich erklärt, daß er damit nicht einverstanden sei.
Der Kriegsminister bemerkte dazu, er wisse davon nichts. Im
übrigen berief sich Delbrück auf seine mangelnde Sachkenntnis
auf mihtärischem Gebiet und behielt damit hier die Entschei-
dung einem späteren Stadium vor.
Die Ansicht Ruvilles und Ottokar Lorenz', daß es keinem
der beiden Teile mit den Münchener Verhandlungen Ernst
99
gewesen sei und das Ergebnis der Münchener Konferenzen
einen empfindlichen Rückschlag zugunsten des bayerischen
Partikularismus bedeutet habe, bedarf nach den Ausführungen
Künzels und Brandenburgs, die durch die Münchener und
Berliner Akten durchaus bestätigt werden, keiner Wider-
legung mehr. Allerdings, das Urteil über das Maß der Ergeb-
nisse lautete und lautet verschieden.
Der Vertreter des Norddeutschen Bundes, Staatsminister
V. Delbrück, bekundete, nach außen wenigstens, Befriedigung
über den Verlauf der Münchener Konferenzen. Soferne er
an den Willen Bayerns zu einer verfassungsmäßigen nationalen
Einigung und an seine Bereitwilligkeit zu Zugeständnissen
an die neue Gemeinschaft glaubte, war seine Zufriedenheit
begründet; soferne er aus der Tatsache, daß mit Zustimmung
Bayerns den Münchener Beratungen die Verfassung des Nord-
deutschen Bundes zugrunde gelegt wurde, damals schon auf eine
grundsätzliche Neigung der bayerischen Regierung zum
Eintritt in einen allgemeinen Deutschen Bund auf der Grund-
lage der Verfassung des Norddeutschen Bundes schloß, war
er im Irrtum.
Die bayerische Regierung war von dem Ergebnisse der
Münchener Konferenzen weniger befriedigt trotz einer ent-
gegenstehenden Äußerung in den späteren Denkwürdigkeiten
des Grafen Bray: nicht bloß daß Delbrück gleich zu Beginn
der Besprechungen die Zusage einer Änderung des zwischen
den Staaten des Norddeutschen Bundes bestehenden Ver-
fassungsverhältnisses geflissentlich vermied, auch das Maß
der von ihm in Aussicht gestellten Zugeständnisse an Bayern
konnte der bayerischen Regierung, konnte namentlich dem
Grafen v. Bray auf zwei wichtigen staatlichen Lebensgebieten
nicht genügen. In der Tat vernimmt man bald nach den
Münchener Konferenzen, daß man in den bayerischen Re-
gierungskreisen enttäuscht war.^) Der Justizminister v. Lutz
hat es im Landtag offen ausgesprochen, er gibt auch einen
glaubwürdigen Grund hiefür an: ,,Die Verhandlungen wurden
gepflogen unter dem Eindrucke der aus dem Hauptquartier
kommenden außerordentlich freundlichen Mitteilungen, die
wir freilich zu unseren Gunsten etwas zu weit ausgelegt
hatten." Die Enttäuschung klingt auch aus einer Landtags-
rede des Kriegsministers Freiherrn v. Pranckh heraus : nur das
eine sei unschwer zu erkennen gewesen, daß der Norddeutsche
^) Berichte Sodens, St. St. A.
100
Bund in keinem Falle zu wesentlichen Änderungen der Ver-
fassung sich herbeilasse; die Folge davon sei gewesen, daß die
Staatsregierung ein weiteres nationales Bündnis anstreben
wollte, diese Willensmeinung habe auch die Genehmigung des
Königs gefunden. Graf Bray selbst hat unmittelbar nach den
Münchener Konferenzen in einer amthchen Mitteilung das Er-
gebnis der Besprechungen dahin zusammengefaf3t : ,, Zunächst
hat die königliche Regierung sich Klarheit darüber verschaffen
wollen, ob Aussicht vorhanden sei, den gegenwärtig bestehenden
Norddeutschen Bund durch eine neue, auf veränderter Basis
für sämtliche deutsche Staaten zu errichtende föderale In-
stitution zu ersetzen. Die Besprechungen mit dem Minister
Delbrück haben erkennen lassen, daß eine solche Aussicht
sich nicht eröffne. Preußen ist nicht gesonnen, den Nord-
deutschen Bund in seiner jetzigen Verfassung aufzugeben
oder einen Austritt Sachsens und Oberhessens aus demselben
behufs der Assimilation mit den süddeutschen Staaten im
künftigen Bunde zu gestatten. Es bleibt sonach für Bayern
und für das gemeinschaftlich mit ihm handelnde Württem-
berg nur übrig: die Gründung eines den Norddeutschen Bund
in seinem bisherigen Bestand und die süddeutschen Staaten
umfassenden weiteren Bundes zu versuchen".^)
Das war auch der Standpunkt, für den sich am 26. Sep-
tember in einer Versammlung im ,, Bamberger Hof" zu München
die gemäßigten Mitglieder der patriotischen Fraktion unter
dem Vorsitze des Kammerpräsidenten v. Weiß erklärten.
Auch sie sehen die beste Lösung der deutschen Frage in der
Auflösung des Nordbundes und in seiner Ersetzung durch
einen deutschen Bundesstaat auf loserer Grundlage. Aber
auch sie glauben nicht an die Erreichung dieses Zieles und ent-
scheiden sich daher wie der Minister für einen weiteren
Bund zwischen dem Norddeutschen Bund und den süd-
deutschen Staaten. Als Hauptaufgabe dieses Bundes bezeich-
nen sie Umwandlung des durch den Zollverein und die Allianz-
verträge geschaffenen völkerrechtlichen Verhältnisses in ein
staatsrechtliches und Zuweisung aller der Gegenstände, die
eine gemeinschaftliche Regelung als wünschenswert erscheinen
lassen, wie des Handels- und Wechselrechtes, des Schutzes
des literarischen und künstlerischen Eigentums, der Cxesetz-
gebung über die Rechtshilfe, eines deutschen Tndigenates u. a.
Und dieses Programm erklärte der Minister auf einem Emp-
1) M. St. A. Vgl. dazu Beilage II, nr. 12 und 13.
101
fangstage vom 29. September vor deutschen und auswärtigen
Diplomaten ausdrücklich als Programm auch der bayerischen
Regierung, „nachdem leider Herr v. Delbrück die Gründung
eines neuen, die sämtlichen reindeutschen Staaten in gleicher
Weise umfassenden Deutschen Bundes unter Beseitigung
des dem Einheitsstaat entgegengehenden Norddeutschen
Bundes als unannehmbar für Preußen bezeichnet habe."
Er rechne bei der weiteren Entwicklung der deutschen Frage
auf das Einvernehmen mit Württemberg, er hoffe und wünsche,
Preußen für die Belassung der Militärhoheit im Frieden unter
Wahrung des Prinzips des einheitlichen deutschen Heeres
zu gewinnen und auch für die diplomatische Vertretung,
soweit sie die Angelegenheiten des Bundes betreffe, einen
befriedigenden Mittelweg zu finden. Der extreme Flügel der
patriotischen Partei vollends sprach sich auf einer Versamm-
lung in Geiselhöring am 11. Oktober selbst gegen den weiteren
Bund aus, weil er zu einem Aufgehen Bayerns in Preußen führe.
Er war im Grunde gegen jede bundesstaatliche Einigung mit
dem Norden.^)
Über den König äußerte sich der stets gut unterrichtete
Freiherr v. Soden in seinem Berichte vom 30. September:
,,Ich halte es für meine Pflicht, noch einmal mit aller Be-
stimmtheit und nach von mir aufs neue eingezogenen ganz
zuverlässigen und sicheren Nachrichten zu konstatieren, daß
vS. M. der König von Bayern sich gegen irgendwelche wesent-
lichen Einschränkungen seiner Souveränitätsrechte erst neuer-
dings wieder bei mehreren Gelegenheiten den Ministern gegen-
über ausgesprochen hat und daß alle entgegengesetzten Nach-
richten, welche gemäß der von der Fortschrittspartei adop-
tierten Taktik dahin gehen, König Ludwig wünsche und be-
treibe aus eigenem Antrieb, mehr oder weniger in Wider-
spruch zu seinen Ministern, eine Lösung der deutschen Frage
im sogenannten nationalen Sinne, d. h. auf der Basis oder gar
durch den Eintritt in den Norddeutschen Bund, irrig sind."
Die Art, wie der König die Münchener Konferenzen beim
Empfang der Minister Delbrück und Mittnacht behandelte,
die Frage, die er hierüber an Mittnacht richtete, das Schweigen,
das er darüber gegenüber Delbrück bewahrte, bestätigen das
Zeugnis Sodens.
^) über diese Versammlungen vgl. „Bayerischer Kurier" Nr. 268
vom 29. September und ,, Augsburger Postzeitung" Nr. 237 vom 30. Sep-
tember und dazu den Bericht des Freiherrn v. Soden vom 30. September,
St. St. A.
102
Der württembergische Gesandte schließt seinen inhalts-
reichen Bericht vom 30. September^) mit den Worten: „Es
läßt sich trotz der von fortschrittlicher Seite eingetretenen
Adreßbewegung für den aufmerksamen Beobachter nicht ver-
kennen, daß, je länger der Krieg dauert, die momentane, nach
den großartigen Erfolgen der deutschen Waffen beinahe
ausnahmslos begeisterte Stimmung nachläßt, und, je mächtiger
der Druck auf die Parteibewegung wieder wird, desto leichter
könnte wieder ein teilweiser Umschwung in der sogenannten
öffentlichen Meinung Platz greifen". Grund genug für Bismarck
und für die nationalen Kreise innerhalb wie außerhalb Preußens
die definitiven Verhandlungen in der deutschen Verfassungs-
frage zu beschleunigen, damit nicht die deutsche Bewegung
versande.
1) St. St. A.
VI.
Die Vcrsaillcr Verhandlungen.
Die Münchener Konferenzen waren nur als Vorbespre-
chungen gedacht, die entscheidenden Verhandlungen sollten
im Hauptquartier stattfinden.
Bevor diese anberaumt wurden, regte Bismarck durch
den Minister Delbrück während dessen Anwesenheit in München
wie durch den Grafen Tauffkirchen nach dessen Rückkehr
nach Frankreich eine persönliche Zusammenkunft König
Ludwigs II. mit dem Preußenkönig in Fontainebleau an,
um sich mit ihm über die wichtigsten Punkte der deutschen
Frage zu verständigen, bevor die entscheidenden Verhand-
lungen mit den übrigen Regierungen im Hauptquartier begannen.
Graf Bray, unterstützt von einzelnen Mitgliedern des
Hofes ^), hat auch diese Anregung aufs wärmste befürwortet. 2)
Er hob die bedeutsame, der Machtstellung Bayerns voll Rech-
nung tragende Rolle hervor, die damit angeboten werde.
Er wies auf ,,die wohl nicht wiederkehrende Gelegenheit hin,
für Bayern jene besonderen Rechte und Bevorzugungen in
Anspruch zu nehmen, welche ihm gebühren und die — einmal
durch Preußen zugestanden — gesichert seien, während in
einer allgemeinen Versammlung von Bevollmächtigten das
Geltendmachen solcher Ansprüche vielfach Widersprüchen
und unendlicher Schwierigkeit begegnen würde". Er warnte
vor den Folgen einer Ablehnung; ,,man würde sich erinnern,
daß der Berliner Hof schon seit Jahren einem Gegenbesuch
entgegensieht, und aus persönlicher Gereiztheit könnte leicht
eine bleibende Schädigung hoher staatlicher Interessen sich
ergeben".
^) Der Adjutant Sauer empfahl dem Kanzler Bismarck eine per-
sönliche Reise zum König.
^) Antrag Brays vom 13. Oktober bei Bray, Denkwürdigkeiten, S. 145 f.
Das Gesamtministerium hat den Antrag am 16. Oktober erneuert. Bei-
lagen III, nr. I.
104
Der König kam nicht. Der wichtigste Grund lag aber
nicht etwa in der deutschen Frage, er lag in der Menschenscheu
des Monarchen. Am i8. Oktober ließ er dem Hofsekretär
Düfflipp folgenden Auftrag zugehen: ,,Mit jedem Tag hegen
Majestät mehr die Überzeugung, wie unmöglich es ihm ist,
die in Aussicht stehende Reise nach Frankreich anzutreten.
Majestät glauben daher, daß es notwendig ist irgendeine
Krankheit vorzuschützen, z. B. Sehnen verdehnung, und möchte
Herr Hofrat Sorge tragen, daß dieses unter dem Publikum
und den Soldaten bekannt werde."
Wohl aber brach am 20. Oktober Graf Bray gemeinsam
mit dem Justizminister v. Lutz und dem Kriegsminister
Freiherrn v. Pranckh nach Versailles auf.
Die Entsendung bayerischer Bevollmächtigter ins Haupt-
quartier zu den entscheidenden Verhandlungen, nicht mehr
bloß zu Vorbesprechungen, hatte Bismarck allerdings schon
vor den Münchener Konferenzen durch den Grafen Tauff-
kirchen angeregt und Graf Bray sie damals schon ausdrücklich
zugesagt. Daß aber die Entsendung der bayerischen Bevoll-
mächtigten zu diesem frühen Zeitpunkt erfolgte, das hatte
seinen Grund in einem besonderen Schritte Bismarcks und
Württembergs.
Wiederholt war Bismarck gerade im Hinblick auf Bayern
vor einer Verschleppung der deutschen Verfassungsfrage ge-
warnt worden.
Auch Delbrück hatte seinen Bericht über die Münchener
Konferenzen mit den Worten geschlossen: ,,Ich kann nicht
dringend genug empfehlen, unverzüglich zur Eröffnung von
Verhandlungen auf der Grundlage der Vorschläge Bayerns
einzuladen und dabei unsere Gegenvorschläge zu machen.
Alle unsere Freunde in Bayern raten zur Eile und die der Sache
zugetanen Mitglieder des bayerischen Ministeriums selbst
wünschen nichts sehnlicher als eine rasche Entscheidung."^)
Auf dem Wege über Baden und Württemberg sollten die
Verhandlungen beschleunigt werden. Dort konnte sich Bis-
marck mit einer Weisung an die preußische Gesandtschaft
in Karlsruhe begnügen. Hier bediente er sich des Kriegs-
ministers Suckow, der damals im deutschen Hauptquartier
weilte, um einen hohen Orden seines Monarchen an den König
von Preußen zu überbringen. Suckow hatte seit dem Sturze
Varnbülers, unterstützt von der nationalen Partei im Lande,
^) Beilagen II, nr. 11.
105
planmäßig dahin gearbeitet, Württemberg in der deutschen
Frage von Bayern loszulösen und im Zusammenhange damit
den Einfluß des auswärtigen Departements zurückzudämmen.^)
Die Mitteilungen, die er Bismarck über den Stand der deutschen
Frage in Stuttgart gab, insbesondere über die Bereitschaft
der württembergischen Regierung zu neuen, definitiven Ver-
handlungen, klangen vielversprechend.-) Am 30. September
schrieb Bismarck an den preußischen Gesandten in Karls-
ruhe Grafen v. Fleming: ,,Ein Antrag Badens auf Aufnahme
in den Norddeutschen Bund wäre in diesem Augenblick als
(irundlage für und als Druck auf die Verhandlungen mit
Bayern willkommen . . . Nach Suckows mündlichen Äuße-
rungen muß ich annehmen, daß auch Württemberg auf vollen
Anschluß einzugehen bereit ist."^) Am folgenden Tage kehrte
Suckow nach Stuttgart zurück mit einer Einladung an seinen
König in das Hauptquartier zur Besprechung der deutschen
Frage.
Ziemlich gleichzeitig, aber unabhängig voneinander, er-
hielt Bismarck aus Karlsruhe den badischen Antrag auf
Aufnahme in den Norddeutschen Bund und aus Stuttgart die
Nachricht, daß der König von Württemberg den Wunsch hege,
vor seiner Reise ins Hauptquartier die Grundlagen der deut-
schen Bundesverfassung festgestellt zu wissen, und daß Suckow
und Mittnacht bereit seien, zur Ergänzung und Fortführung
der Münchener Verhandlungen sich nach Versailles zu begeben.
Am 14. Oktober telegraphierte Bismarck an die preußische
(jesandtschaft in München: ,, Teilen Sie dem Grafen Bray
vorläufig mit, daß ich von Mittnacht und Suckow das An-
erbieten, behufs weiterer Besprechungen hieher zu kommen,
erhalten und angenommen habe und Bayern anheimstelle,
entweder auch hier zu unterhandeln oder des Staatsministers
Delbrück Rückkehr nach München abzuwarten."^) Schrift-
lich war die Mitteilung hie von schon am 12. Oktober durch
Feldjäger abgesandt worden.
^) ,, Suckow hat seit dem Sturze Varnbülers das Übergewicht ge-
wonnen, seine Tendenz ist, das Auswärtige Amt, das früher alle übrigen De-
partements zu beherrschen suchte, lahmzulegen und mit manchen klein-
staatlichen Grundsätzen zu brechen." Schreiben des preußischen Gesandten
in Stuttgart von Rosenberg vom 19. Oktober. H. A. A.
*) Am 21. September telegraphierte Bismarck an Delbrück: ,, Suckow
hier, Disposition günstig, anscheinend Beitritt zum Norddeutschen Bund,
wenn keine Einigung mit Bayern gelingt." H. A. A.
3) H. A. A.
*) H. A. A.
106
Graf Bray, ohnehin schon beunruhigt durch einen offiziellen
Artikel des württembergischen Staatsanzeigers vom 9. Oktober
und durch die Ausstreuungen des von einem Besuch in Stutt-
gart zurückgekehrten preußischen Gesandten v. Werthern
über eine Wendung der württembergischen Politik^), fürchtete
von Württemberg ein einseitiges Vorgehen und einen Vor-
sprung in der deutschen Frage. Er hat seinen Antrag auf Ent-
sendung von Bevollmächtigten nach Versailles beim König
ausdrücklich damit begründet: „um Württemberg nicht den
Vorteil der Initiative zu lassen". Er wurde in seinem Argwohn
bestärkt durch die gleichzeitige Meldung von einer angeblichen
Äußerung des Grafen Bismarck: ,,I. Mt. der König und die
Königin von Württemberg sowie die Kgl. Württembergische
Regierung seien neuerdings viel mehr als früher geneigt, sich
prinzipiell auf der Basis der schon bestehenden Verhältnisse
mit Preußen zu verständigen, und verlangten eigentlich gar
keine Konzession; trotzdem sei die Kgl. Preußische Regierung
geneigt, den beiden süddeutschen Königreichen eine gleich
bevorzugte Stellung einzuräumen, bei deren Bemessung sich
aber Bayern auf den von Württemberg eingenommenen, ge-
mäßigten Standpunkt zu beschränken habe." Es bedurfte,
wie Graf Bray in einem Schreiben vom 18. Oktober an die
bayerische Gesandtschaft in Stuttgart ausdrücklich erklärte^),
trotz beruhigender Erlasse aus dem Stuttgarter Auswärtigen
Departement der bestimmtesten Versicherungen des württem-
bergischen Gesandten, um ihn der Annahme zugänglich zu
machen, daß in den Ansichten der württembergischen Re-
gierung in jüngster Zeit eine Änderung nicht stattgefunden habe.
Der Nachfolger Varnbülers im Auswärtigen Ministerium,
Graf Taube, wollte in der Tat nicht einseitig vorgehen, er
wies den württembergischen Gesandten Freiherrn v. Soden
am 14. Oktober telegraphisch an: ,, dahin zu wirken, daß
Bayern, ohne Delbrücks Rückkehr abzuwarten, mit im Haupt-
quartier zu erscheinen sich entschließe".^) Soden gab dem
^) „Daß die Kgl. Württembergische Regierung nunmehr eine selb-
ständige, von den Anschauungen der Kgl. Bayerischen Regierung ganz un-
abhängige Position in der deutschen Frage genommen habe und die bisherige
Solidarität oder, wie er sich ausdrückt, das Hin- und Herschieben zwischen
Stuttgart und München ein Ende erreicht habe, auch wahrscheinlich eine
separate Verständigung zwischen Preußen und Württemberg in der deutschen
Frage ohne gleichzeitige Regelung der Sache mit Bayern bevorstehe." Be-
richt Sodens vom 10. Oktober. St. St. A.
2) M. St. A.
3) St. St. A.
107
Grafen Bray einen Brief an Herrn von Mittnacht mit, in dem
er auch seinerseits ausdrückhch ersuchte, ,, nicht zu weit zu
gehen, sondern im Verein mit Bayern die keineswegs un-
günstige Situation möghchst zur Erlangung guter Bedingungen
auszunützen". 1) In Versailles ist dann aber die württem-
bergische Abordnung unter dem Einflüsse des Kriegsministers
V. Suckow fast ostentativ ihren besonderen Weg gegangen.
Bezeichnend war schon die Eile und Geflissentlichkeit, mit
der man eine gemeinsame Fahrt mit den bayerischen Bevoll-
mächtigten zu vermeiden suchte. Gegenüber dem preußischen
Gesandten in Stuttgart gab Suckow als Grund hiefür an:
„damit sie nicht als Anhängsel der Bayern erschienen".^)
Auf die Frage desselben preußischen Gesandten, ob nicht
Minister Mittnacht geneigt sei, sich in den meisten Fragen dem.
bayerischen Standpunkt anzuschließen, antwortete Suckow,
,,daß er nach den darüber mit ihm gepflogenen Erörterungen
dies nicht mehr besorge. Auch der König habe auf seinen
Wunsch Herrn v. Mittnacht ausdrücklich gesagt, er wünsche
nicht, daß Württemberg ans bayerische Schlepptau sich an-
hänge".^) Im Hauptquartier angekommen, teilte Suckow dem
Minister v. Delbrück gleich bei der ersten Begegnung unauf-
gefordert mit, daß er und Herr v. Mittnacht Vollmacht hätten
mit Preußen abzuschließen, gleichviel, ob mit oder ohne die
süddeutschen Genossen.*) Er hatte ja schon während seiner
ersten Anwesenheit im Hauptquartier die Erwartung aus-
gesprochen, daß die Verhandlungen mit Württemberg ge-
trennt geführt werden, und Bismarck hatte dies ,,als seine
Ansicht bestätigt".^) Über das Benehmen der württem-
bergischen Minister in Versailles haben sich sämtliche bayerische
Bevollmächtigte bitter ausgelassen, auch der bayerische Be-
richterstatter im Hauptquartier, Graf Berchem. Er schrieb
am 24. Oktober nach München: ,,Es ist nicht bloß mir allein
aufgefallen, wie ostentiös Minister Mittnacht den Grafen Bray
zu vermeiden schien."^)
1) M. St. A.
2) H. A. A.
^) Ebenda.
*) Schreiben Delbrücks an Lasker vom 26. Oktober bei Brandenburg,
Der Eintritt usw., S. iii f.
*) Suckow, Rückschau, S. 168; Mittnacht, Rückblicke, S. 82.
®) M. St. A. Auch Graf Hugo v. Lerchenfeld, der den Grafen Bray
als Privatsekretär nach Versailles begleitet, erzählt in seinen Erinnerungen,
daß es Mittnacht gewesen sei, der jede Fühlung abgelehnt habe. Und er
fügt hinzu : „Wenn Mittnacht ein überlegen kluger Kopf und dabei auch
108
. Bismarck hatte in dem Telegramm vom 14. Oktober
Bayern freie Wahl gelassen zwischen einer wiederholten Unter-
handlung mit Delbrück in München und zwischen einer Unter-
handlung mit Bismarck im Hauptquartier. Graf Bray erbat
sofort nach Empfang des Telegramms Bismarcks telegraphisch
die königliche Genehmigung zur Abordnung bayerischer Bevoll-
mächtigter nach Versailles. Er begründete seinen Antrag
damit, daß „direkte Unterhandlungen mit Bismarck vorzu-
ziehen seien." 1) Er rechnete auf das „praktische Gefühl des
Grafen Bismarck, mit dem leichter zu verhandeln sei als mit
allen seinen Agenten, Herrn v. Delbrück nicht ausgenommen".
Dank den Bemühungen des Kabinettsekretärs Eisenhart
konnte Bray schon am 16. Oktober (vormittags 10 Uhr) seine
und des Kriegsministers Abordnung ins Hauptquartier melden^)
Am folgenden Tage hat er dann allerdings beim König ange-
regt^), ob nicht statt seiner, ähnlich wie in Württemberg, der
Justizminister Lutz abgeordnet werden sollte, da ,,die Be-
sprechungen im Hauptquartier größtenteils innere und juristi-
sche Fragen betreffen, die diplomatischen dagegen auf wenige
Sätze sich beschränken". Schließlich hat er sich am 20. Oktober
gemeinsam mit dem Kriegsminister Freiherrn v. Pranckh
und dem Justizminister Lutz nach Versailles begeben, weil
nach der Ansicht des Gesamtministeriums ,,bei einer so
wichtigen Verhandlung mit einer fremden Macht der Minister
des Äußern nicht fehlen dürfe". Die Bevollmächtigten sind
— eine Folge nicht bloß der Kürze der Zeit, sondern mehr
noch der Eigenart des Königs — ohne besondere Instruktion*)
nach Versailles gegangen. Als Grundlage für die Verhand-
lungen dienten ihnen die Verfassungsskizze vom 20. September
und das Protokoll der Münchener Konferenzen samt den vom
König schriftlich und mündlich dazu gemachten Bemerkungen.
ein durchaus lauterer Charakter war, konnte er doch der launischste und un-
guteste Mensch sein, der mir vorgekommen ist. Er war nicht immer so;
er konnte oft eine bestrickende Liebenswürdigkeit entfalten, wenn es ihm
paßte; aber oft ohne erkennbaren Grund paßte es ihm nicht. Bray, der stets
freundliche, vornehme Mann, und der kratzbürstige Mittnacht mußten
sich abstoßen. Und Mittnacht und Lutz paßten auch nicht zusammen:
diese trauten sich gegenseitig nicht über den Weg."
1) M. St. A.
'■^). Ebenda. ^) Ebenda.
*) Die spätere Berufung der Minister auf ihre Instruktion darf ebenso-
wenig urgiert werden wie ihre spätere Ankündigung einer neuen Instruktions-
einholung. Was Friesen, Erinnerungen III, 163 u. 183, von späteren Weisungen
des Königs oder gar der zurückgebliebenen Minister erzählt, ist unbegründet.
109
Aus den Münchener Konferenzen hatte Graf Bray zwar
keine amthche Erklärung, immerhin aber den Eindruck mit-
genommen, daß Preußen nicht gesonnen sei, die straffe Ver-
fassung des Norddeutschen Bundes preiszugeben und den
Norddeutschen Bund durch einen allgemeinen Deutschen Bund
auf loserer Grundlage zu ersetzen. Er kam daher nach Ver-
sailles mit dem Entschlüsse, dem Norddeutschen Bund nicht
beizutreten, die Verhandlungen vielmehr auf der Grundlage
eines weiteren, aber ebenfalls unauflöslichen, verfassungs-
mäßigen Bundes zu führen. Dieser Entschluß war aber keines-
wegs gleichbedeutend mit der Absicht, die Verfassungsverhand-
lungen zum Scheitern zu bringen. Hatte ja nach dem öfter
erwähnten Berichte des Grafen Berchem vom 21. September^)
Bismarck selbst — wenn auch nur aus diplomatischen Gründen
— auf eine Anfrage Brays (vom 1 1 . September) die Möglichkeit
eines weiteren Bundes ausdrücklich zugelassen. Nur ,,eine
Eventualität" hatte er damals schon mit aller Bestimmtheit
zurückgewiesen: daß Teile des gegenwärtigen Norddeutschen
Bundes, wie etwa das Königreich Sachsen, aus dem engeren
Verbände des Nordens entlassen und in engere Beziehungen
zu Süddeutschland und damit zum weiteren Bunde gestellt
würden. An den preußischen Gesandten in Dresden, Eich-
mann, schrieb er um dieselbe Zeit (19. September)^): daß er
jedem Versuche zu einer Lockerung des Norddeutschen Bundes
,,a limine entgegentreten würde". Noch schneidender war
die Ablehnung, als im November vom großherzoglich hessischen
Ministerpräsidenten Freiherrn v. Dalwigk eine Reform der
norddeutschen Bundesverfassung angeregt wurde.
Zu Beginn der Versailler Verhandlungen^) stehen sich
die preußischen und die bayerischen Bevollmächtigten schroff
gegenüber. Graf Bismarck und der von ihm zu seiner Unter-
stützung nach Versailles berufene Minister Delbrück wollen
verhandeln auf der Grundlage des Beitritts Bayerns zum
Norddeutschen Bund oder vielmehr auf der Grundlage eines
nach der Verfassung des Norddeutschen Bundes zu bildenden
allgemeinen Deutschen Bundes, Graf Bray auf der Grundlage
eines engeren und weiteren Bundes. Bayern überbietet
noch das Maß der in München geforderten Reservatrechte oder
^) Beilagen II, nr. 9.
2) H. A. A.
^) Delbrücks Schreiben vom 26. Oktober und 8. November bei Branden-
burg, Der Eintritt, S. iiif. und 113!.; Braj^s Bericht vom 28. Oktober
a. a. O. S. 173 ff.
iiö
greift auf Forderungen zurück, die man auf den Münchener
Konferenzen schon hatte fallen lassen. Nicht aber, wie man
gemeint hat, um die Verhandlungen abzubrechen, sondern um
sich auf einem gerade von der alten Diplomatenschule oft
begangenen Wege bessere Bedingungen zu sichern. Staats-
minister V. Lutz hat später, bei den Landtagsverhand-
lungen, einen dankenswerten Kommentar dazu gegeben:
,, Selbst wenn wir mit der Absicht nach Versailles gegangen
wären — und auch die Tatsache, daß wir nach Versailles
gingen, ist ein Zeichen — , um jeden Preis ein Deutsches Reich
zu errichten, würde man uns nicht haben zumuten können,
daß wir in vornherein dies sagen. Wer wird denn, wenn er
ein Haus zu kaufen gedenkt, aller Welt sagen, daß er dieses
Haus haben muß, und wenn der letzte Heller darauf ginge".
Der nationalliberale Abgeordnete Lasker hat hier gleich
anfangs richtig gesehen: ,,Herr Lutz hat einiges an sich von
der Weise, in welcher die Geschäfte des bürgerlichen Verkehrs
vollzogen zu werden pflegen : Bieten, Abdingen und Vergleichen.
Einiges Entgegenkommen bewahrt er vermutlich für die letzte
Instanz auf."
Allerdings die Bedingungen, die das innere Staats-
recht betrafen und die zum erstenmal am 26. Oktober von
Lutz vertreten wurden, enthielten, abgesehen von dem Vor-
schlagsrecht bei der Besetzung der Reichsämter, von dem
etwas hochgespannten Anspruch auf acht Stimmen im Bundes-
rat (Reichsrat), von der unter sächsischem und hessischem
Einfluß gemachten, aber nicht ernstlich verfolgten Anregung
eines Staatenhauses und vielleicht noch von dem Veto gegen
Kompetenzerweiterungen des Bundes, nichts, worüber nicht
leicht eine Einigung oder ein Kompromiß stattfinden konnte.
Aber weiter gingen die Forderungen bezüglich der militäri-
schen Selbständigkeit und der völkerrechtlichen Vertretung.
Über die militärischen Fragen fand, wie ich jetzt
protokollarisch feststellen kann^), ebenfalls am 26. Oktober
die erste Besprechung zwischen den Kriegsministern v. Roon
und v. Pranckh statt. Der bayerische Kriegsminister hielt
an den wesentlichen militärischen Forderungen, wie sie in
München aufgestellt worden waren, insbesondere an der
Militärhoheit im Frieden fest, wollte die bayerische Armee
nicht in der allgemeinen Bundesarmee aufgehen lassen. Er
schlug aber bezügUch des strittigen Militärbudgets einen
^) Beilagen III, nr. 3.
111
Mittelweg vor: der Reichstag solle jeweilig für die gesamte
deutsche Bundesarmee einschließlich der bayerischen einen
„Pauschalsatz pro Kopf der Friedensstärke" feststellen und
der bayerische Landtag das Militärbudget im einzelnen ge-
nehmigen, ohne aber an der aus jenem Pauschalsatz errechneten
Gesamtsumme einen Abstrich vornehmen zu dürfen. Pranckh
gab auch ausdrücklich zu Protokoll, er würde in der bisherigen
Präsenzstärke des Norddeutschen Bundes kein Hindernis
für eine verfassungsmäßige Verbindung mit diesem erblicken,
wenn eine solche Stärke durchaus als notwendig erkannt würde.
Er gab auch sonst eine Reihe beruhigender Erklärungen,
suchte namentlich die Zweifel des preußischen Kriegsministers
an einer gleichmäßigen Ausbildung und einem gleichwertigen
Militärbildungswesen zu zerstreuen. Aus dem Verlaufe dieser
ersten Besprechung glaubte Freiherr v. Pranckh auf eine
schnelle Verständigung schließen zu dürfen.
Aber Kriegsminister v. Roon, der selbst die Gemeinsam-
keit der militärischen Gradabzeichen verfassungsmäßig fest-
gelegt wissen wollte, gab zwar in einer Note vom 29. Oktober
und in einer zweiten Besprechung vom 31. Oktober^) zu, daß
die bayerischen Vorschläge einen wesentlichen Fortschritt auf
dem Wege zu der allseitig gewünschten politischen und mili-
tärischen Einheit bedeuteten. Er erklärte aber, daß sie noch
immer nicht ausreichend seien, um die Grundlage für ein ver-
fassungsmäßiges Bundes Verhältnis zu bilden; die baye-
rischen Sonderrechte würden kaum jemals die Zustimmung
des norddeutschen Reichstages finden. Halte Bayern an
seinen Forderungen fest, dann müßte es sich auf eine Er-
weiterung oder Fortbildung des internationalen Allianz-
vertrags vom August 1866 beschränken. Mit anderen Worten:
die Altpreußen unter Führung Roons wollten kein verfassungs-
mäßiges Bündnis mit Bayern, weder einen weiteren Bund noch
einen Beitritt zum Norddeutschen Bunde, sondern lediglich
einen erweiterten internationalen Vertrag auf der Grundlage des
Schutz- und Trutzbündnisses vom Jahre 1866 — weil sie in den
bayerischen Reservatrechten eine Ansteckungsgefahr für den
Bund und eine Gefährdung des engeren preußischen Lebens-
gebietes besorgten. Immerhin erschien dem Kriegsminister
V. Roon auch eine bloße Erweiterung des Allianzvertrags
vom August 1866 wichtig genug, um dafür ein Zugeständnis
seiner Regierung in Aussicht zu stellen : einen Verzicht auf die
Kündbarkeit des Zollvereins.
^) Beilagen III, nr. 3 und 4.
112
Die Forderungen Bayerns bezüglich der völkerrecht-
lichen Vertretung lernen wir aus einem der beiden Ver-
fassungsentwürfe kennen, die Graf Bray nach vorausge-
gangener mündlicher Besprechung am 30. Oktober dem Mi-
nister Delbrück schriftlich überreichte und über die er am
I. November eine Aussprache mit Bismarck hatte. i) Ich
kann sie jetzt im Wortlaute vorlegen.^) Danach schließt das
Königreich Bayern mit dem durch den Beitritt Badens,
Hessens usw. erweiterten Norddeutschen Bund einen weiteren,
aber ebenfalls verfassungsmäßigen Bund, der den Namen
,, Deutsches Reich" führt. Das Präsidium im Reiche steht dem
Könige von Preußen zu, der als solcher den Titel ,, Deutscher
Kaiser" führt. Die Vertretung nach außen ist eine gemeinsame
Angelegenheit des ,, Reiches". Diese Vertretung und damit
auch die Instruktionserteilung an die Reichsgesandten findet
aber nicht durch den Kaiser allein, sondern durch den Kaiser
und den König von Bayern gemeinschaftlich statt;
der Kanzler müßte also von jeder diplomatischen Note, die
er erläßt, nicht bloß dem Könige von Preußen, sondern auch
dem von Bayern Kenntnis geben. Auch Friedensverträge und
sonstige Reichsverträge müssen unter Zuziehung des Königs
von Bayern, bzw. eines bayerischen Bevollmächtigten, ge-
schlossen werden. Diese Bestimmungen des Verfassungs-
entwurfs haben in den Kreisen von Versailles, die davon er-
fuhren, einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Auch der
König von Preußen äußerte sich gegenüber seinem Schwieger-
sohne, dem Großherzoge von Baden, der in diesen Tagen in
Versailles eintraf, höchst ungehalten über die politischen
Ansprüche Bayerns: er sehe nicht ein, wie man sich mit ihnen
einigen solle; es sei ihnen über den Erfolgen ihrer Armee der
Kamm gestiegen und doch sei dazu keine besondere Ver-
anlassung ; denn nur der steten Einfassung in preußische Korps
verdankten sie ihre Leistungen.^) Tatsächlich waren diese Be-
stimmungen praktisch so wenig ausführbar, daß man kaum
an den Ernst des bayerischen Ministers glauben kann. Sie
gingen auch noch immer weit über das hinaus, was der Minister
in seinem Antrag an den König vom 12. September Bayern
vorbehalten hatte.
^) Vgl. Schreiben Brays an Bismarck vom i. November bei Bray
a.a.O. S. 180; Bericht Brays an den König vom 3. November, ebenda
S. 177 ff. ; Bericht Mittnachts vom 4. Nov. bei Schneider a.a.O. S. 168 f.
■-) Beilagen III, nr. 5.
^) Tagebuch des Großherzogs von Baden zum 7. November.
113
Minister v. Delbrück scheint, wie aus seiner Korrespondenz
mit Lasker hervorgeht, sehr schwarz über die bayerischen Forde-
rungen geurteilt, an dem Erfolge der Verhandlungen mit
Bayern fast verzweifelt zu haben. Bismarck hat trotz alledem
innerhalb verhältnismäßig kurzer Zeit sein Ziel erreicht.
Er hatte sein Spiel damit begonnen, daß er getrennte Ver-
handlungen mit den süddeutschen Staaten pflog. Er führte
sein Spiel damit fort, daß er jeden einzelnen der süddeutschen
Staaten für einen einseitigen und möglichst raschen Abschluß
zu gewinnen suchte oder daß er mit einem unmittelbar bevor-
stehenden einseitigen Abschluß drohte. Hier kam ihm die
Richtung Suckow entgegen. Indem sich jetzt auch Mittnacht,
der nach den Berichten Sodens sachlich und persönlich in
München nicht befriedigt worden war, dieser Richtung an-
schloß, vollzog sich der entscheidende Wendepunkt in der
süddeutschen Politik. Die von Bray überreichten Verfassungs-
entwürfe dienten dem Grafen Bismarck dazu, einerseits die
Kluft zwischen Bayern und Württemberg zu erweitern^),
anderseits beide Teile zu beschleunigtem Abschluß anzu-
treiben: die württembergischen Bevollmächtigten, indem er
an der Hand der Entwürfe Brays den Nachweis erbrachte,
daß Bayern mit dem Anerbieten des Kaisertitels sich eine
Ausnahmestellung, namentlich auf dem Gebiete der aus-
wärtigen Politik, zu sichern suche; den Grafen Bray, indem
er ihm erklärte, daß er mit Württemberg dem Abschlüsse nahe
stehe. Das Mißtrauen zwischen den bayerischen und württem-
bergischen Bevollmächtigten hat das Spiel wesentlich er-
leichtert.
Graf Bray und seine Ministerkollegen beklagen sich zwar
über Württemberg, das seine eigenen Wege gehe; sie wären
zweifellos bereit gewesen, mit den württembergischen Bevoll-
mächtigten in Fühlung zu bleiben.-) Sie übersehen auch
keineswegs die Gefahr der getrennten Verhandlungen. Aber
sie erheben doch keinen Einspruch gegen solche. Es ist grund-
falsch, daß Bray mit Bismarck in Versailles Brust an Brust
um Württemberg gerungen hätte. Bray hat auch die bekannte
(spätere) Intrigue des bayerischen Gesandten am Stuttgarter
Hofe, die im letzten Augenblick die königliche Genehmigung
der württembergischen Übereinkunft mit Bismarck hemmte,
^) Bericht Mittnachts vom 2. November bei Schneider a. a. O. S. 166 f.
^) Das ergibt sich aus den Berichten Brays und wird bestätigt durch
das Zeugnis Hugo v. Lerchenfelds. Daran können auch die Anklagen und
Selbstentschuldigungen Mittnachts in seinen ,, Rückblicken" nichts ändern.
Doeberl, Bayern und die Bismarckische Reichsgründung. ö
114
nicht veranlaßt, er hat sie vielmehr ausdrücklich mißbilligt, i)
Die bayerischen Minister fühlen sich durch das Verfahren
Bismarc ks nicht vergewaltigt, sie stimmen der getrennten
Verhandlung wie dem getrennten Abschluß vielmehr aus-
drücklich zu, sie versprechen sich davon auch für Bayern
gewisse Vorteile, zumal eine Erleichterung des Weges für
Gewinnung von Sonderrechten.
Damit war aber Bayern isoliert und durch diese Isolierung
die Möglichkeit eines weiteren Bundes soviel wie ausge-
schaltet, da für sich allein, ohne die anderen Südstaaten,
Bayern unmöglich einen weiteren Bund mit Norddeutschland
schließen konnte. Das wurde später von bayerischer Seite
ausdrücklich anerkannt. Graf Bray schrieb am 15. November
an den außerordentlichen Gesandten Bayerns in Wien, Frei-
herrn V. Schrenck: ,,Der weitere Bund ist durch die jetzige
Isolierung Bayerns unausführbar geworden. "2) Noch deut-
licher sprach sich Lutz in einem späteren Schreiben vom
21. Januar 1871 aus^): ,,Von einem weiteren Bunde konnte
nur die Rede sein, wenn Bayern gemeinschaftlich vorging
mit Hessen, Baden, Württemberg. Anders war es auch nicht
gemeint mit dem weiteren Bund im Prager Frieden."
Die mündliche und schriftliche Aussprache mitBismarck
und Delbrück über seine Entwürfe überzeugte den Grafen
Bray vollends von der Undurchführbarkeit des weiteren
Bundes.
Bismarck stellt den bayerischen Minister in der münd-
lichen Aussprache vom i. November vor die Wahl zwischen
einem bloß internationalen und darum auflöslichen Bündnis
auf der Grundlage des Schutz- und Trutzbündnisses des
Jahres 1866, von dem der Kanzler weiß, daß er die öffentliche
Meinung in Bayern nicht befriedigen würde, und zwischen
einem einheitlichen Verfassungsbündnis auf der Grundlage
des Norddeutschen Bundes, von dem er weiß, daß er allein
der Mehrheit der Nation entspricht. Bismarck gibt aber gleich-
zeitig die Neigung kund, innerhalb des einheitlichen Ver-
fassungsbündnisses den Wünschen Bayerns, soweit sie nicht
die diplomatische und militärische Einheit Deutschlands ge-
fährden, durch Ausnahmebestimmungen, sei es in der Form
von Konventionen, sei es in der Form von Zusätzen zur
Bundesverfassung, weitgehend Rechnung zu tragen. Auf die
1) Vgl. S. 125.
2) M. St. A.
^ Ebenda.
115
„Modalitäten" dieser Ausnahmebestimmungen oder Sonder-
rechte läßt er sich noch nicht näher ein. Nur die gemeinschaft-
liche Instruktionserteilung weist er schon jetzt mit Bestimmt-
heit zurück, weil er darin eine Beschränkung der eigenen
politischen Beschlußnahm.e erblicke. Er deutet aber gleich-
zeitig die Möglichkeit eines Ersatzes an: die Kreierung eines
diplomatischen Ausschusses des Bundesrates mit bayerischem
Vorsitz und die Vertretung der Reichsgesandten durch die
bayerischen.
Und die bayerischen Bevollmächtigten beginnen zurückzu-
weichen. Tatsächlich schon früher, als man gemeinighch an-
nimmt, schon am 2. November. Graf Bray erklärt in einem
Schreiben an Bismarck von diesem Tage^), daß er nur für
einen weiteren Bund von seinem König ermächtigt sei, daß
er zum Eintritt in einen allgemeinen Deutschen Bund, den
Bismarck neben einer internationalen Allianz vorschlage,
einer erweiterten Vollmacht bedürfe und diese nach Empfang-
nahme bestimmt formulierter Vorschläge in München erholen
müsse. Er bat um baldigste Übergabe dieser Vorschläge 2),
damit er und seine Ministerkollegen möglichst bald nach
München abreisen könnten. Man sieht ganz deutlich: Graf
Bray rechnet bereits mit der Möglichkeit eines Eintritts Bayerns
in den allgemeinen Deutschen Bund ; die andere von Bismarck
gestellte Alternative tritt daneben so sehr zurück, daß sie
fast verschwindet. Selbst der Entschluß zur Reise nach
München stand keineswegs so fest, als er in dem Schreiben an
Bismarck auftritt. In seinem Bericht an den König vom
folgenden Tage^) spricht der Minister bereits von der Möglich-
keit einer nachträglichen Einholung der königlichen Geneh-
migung: ,,es werde von der Natur der preußischen Vorschläge
abhängen, ob es sich als tunlich herausstellt, daß wir hier
salva ratificatione denselben beitreten, oder ob es vielmehr
ratsam erscheint, ohne jeden Abschluß nach München zu-
rückzukehren, um vor allem Euerer K. Majestät Bericht zu
erstatten und Allerhöchst Ihre Beschlußnahme zu beantra-
gen." Wenige Tage später wiU der Großherzog von Baden bei
seiner ersten Begegnung mit den bayerischen Bevollmächtigten
1) Bei Bray a. a. O. S. i8o f.
2) Nach dem Berichte Sodens vom 3. November (Schneider a. a. O.
S. 168) hätte Bismarck dem Grafen Bray versprochen, „demnächst den
Entwurf einer sämtliche deutsche Staaten umfassenden deutschen Bundes-
akte vorzulegen".
3) Bei Bray a. a. O. S. 177 ff.
8*
116
von Minister Lutz vernommen haben: „Ich hoffe, daß wir
der Welt das Schauspiel ersparen werden, von hier abreisen
zu müssen, um Fragen zu erledigen, in denen wir die Grenzen
kennen, bis zu welchen wir selbständig vorgehen können. Wir
dürfen nicht unverrichteter Dinge von hier abreisen und
ich hoffe, daß die Einigung möglich ist."^)
Graf Bray nimmt in dem Schreiben an Bismarck vom
2. November bereits auch die Forderung zurück, die am
meisten Anstoß erregt hatte, seine Forderung bezüglich der
auswärtigen Vertretung und der gemeinsamen Instruktions-
erteilung. Er schrieb an Bismarck: ,, Nachdem der zu Miß-
verständnissen führende Satz über die diplomatische In-
struktionserteilung Anstoß erregt hat, lasse ich denselben
fallen und hoffe, daß es gelingen wird, eine den gestrigen
Äußerungen Ew. Exzellenz anpassende Formulierung zu fin-
den." Wie weit auf diesen Entschluß die Vorstellungen seiner
Kollegen, wie weit die des sächsischen und des hessischen
Ministerpräsidenten 2) eingewirkt haben, läßt sich an der Hand
der verfügbaren Quellen nicht entscheiden.
Bismarck wiederholt in seinem Antwortschreiben vom
4. November^) die mündlich gestellte Alternative, läßt aber
keinen Zweifel über die von ihm gewollte Wahl: Bayern
möge sich zum Eintritt in den einheitlichen, allgemeinen
Deutschen Bund entschließen. Das sei die einzige Basis, die
den Wünschen der deutschen Natioii entspreche, zugleich
weit genug, um der Stellung Raum zu gewähren, auf die Bayern
vermöge seiner Bedeutung in einem Deutschen Bund An-
spruch habe. Die militärischen Verhältnisse könnten durch
einen besonderen völkerrechtlichen Akt, die übrigen Be-
ziehungen müßten auf der Grundlage der Verfassung des
Norddeutschen Bundes geregelt werden. Bismarck legte
gleichzeitig einen Entwurf von Zusätzen und Abänderungen
zu dieser Verfassung bei, wie sie in Versailles bei den Ver-
handlungen mit Württemberg, Baden und Hessen besprochen
und zum Teil schon vorher, auf den Münchener Konferenzen,
von Bayern vorgeschlagen worden waren. Er vermied es
aber jetzt ebenso grundsätzlich wie früher, bestimmt formu-
lierte Verfassungsvorschläge zu machen, nicht bloß weil er
sie gemäß seiner bisherigen Praxis von Bayern erwartete,
^) Tagebuch des Großherzogs.
^) Ich möchte Brandenburg darin beistimmen, daß dieser Einfluß nicht
erhebUch gewesen ist.
3) Bei Bray a. a. O. S. 181 f.
117
sondern auch, um den bayerischen Bevollmächtigten keine
Handhabe zu geben, ihre Reise nach München anzutreten und
damit zu rechtfertigen. Die Friedensverhandlungen mit
Thiers und der Plan eines Fürstentages in Versailles boten ein
weiteres Mittel, die bayerischen Bevollmächtigten im deutschen
Hauptquartier zurückzuhalten. Gleichzeitig beschleunigte Bis-
marck die Verhandlungen mit den übrigen süddeutschen
Staaten, um mit diesen rasch zum Abschluß zu kommen.
Ehe diese zu Ende geführt waren, vollzog sich auf baye-
rischer Seite die entscheidende Wendung. Der Kriegsminister
v. Roon hatte in den Verhandlungen mit Freiherrn v. Pranckh
ein bloß internationales Bündnis mit Bayern in Aussicht ge-
nommen, aber mit gesteigerten mihtärischen Anforderungen an
Bayern. Gegenüber den Einwendungen des bayerischen Kriegs-
ministers, daß eine Erhöhung der Mihtärausgaben Schwierig-
keiten im bayerischen Landtag auslösen würde, hatte er auf
die Möghchkeit hingewiesen, diesen Widerstand dadurch zu
überwinden, daß man preußischerseits die längst begehrte
Unkündbarkeit des deutschen Zollvereins bewilHge. Dem
trat jetzt Bismarck entgegen. Er sandte am 7. November
die ihm vorgelegten Protokolle über die beiden Besprechungen
der Kriegsminister vom 26. und 31. Oktober an Roon zurück
und sprach sich in dem Begleitschreiben i) aufs schärfste
gegen den Versuch aus, den Zollverein mit einem internationalen
Allianzvertrag in Verbindung zu setzen: ,,Laut des Protokolls
vom 31. vorigen Monats haben Euere Exzellenz aus Ver-
anlassung der Bemerkungen des Freiherrn v. Pranckh über
die Schwierigkeiten, welchen eine Erhöhung der Geldleistungen
für die bayerische Armee im Schöße der bayerischen Kammern
begegnen würde, darauf hingewiesen, daß in der Verbindung
einer Unkündbarkeit des Zollvereins mit einem jene Er-
höhungen bedingenden Bündnisvertrag eine Kompensation
für die Annahme des letzteren durch die bayerischen Kammern
zu finden sein dürfte. Ohne die Richtigkeit dieser Hinweisung
bezweifeln zu wollen, glaube ich doch schon jetzt mich von
meinem Standpunkt aus gegen die angedeutete Verbindung
aussprechen zu müssen. Die Genehmigung derselben durch
den Reichstag halte ich für dergestalt aussichtslos, daß ich
schon aus diesem Grunde davon abraten muß, eine solche
Kombination bei weiteren Besprechungen mit dem Freiherrn
v. Pranckh ins Auge zu fassen, und, um Mißverständnissen
bei den königlichen bayerischen Bevollmächtigten vorzubeugen,
1) H. A. A.
118
Euere Exzellenz ganz ergebenst ersuche, den königlichen baye-
rischen Herrn Kriegsminister hiervon baldtunlichst in Kenntnis
setzen zu wollen." Bismarck behielt damit das Mittel in der
Hand, ,,von dessen Anwendung Preußen hoffen konnte, später
selbst den bedingungslosen Eintritt Bayerns in den Bund zu er-
zwingen", i) Gerade darin aber lag nach dem Zeugnisse des
bayerischen Kriegsministers die ,, dringende Aufforderung für
Bayern, nicht jene spätere Zwangslage abzuwarten, seinen
Anschluß vielmehr eben jetzt zu vollziehen, da derselbe
unter dem noch ungeschwächten Eindruck und gewisser-
maßen in der täglichen unmittelbaren Erkenntnis des Wertes
der bayerischen Waffengemeinschaft noch unter günstigeren,
später nicht mehr erreichbaren Bedingungen für Bayern mög-
lich ist". 2)
Bismarck hatte damit der einen der beiden von ihm ge-
stellten Alternativen, dem internationalen Bündnisse, den
letzten Wert genommen. Das ist selbstverständlich den
bayerischen Bevollmächtigten nicht entgangen.
Graf Bray, der noch vor wenigen Tagen erklärt hatte,
daß er für Verhandlungen auf der Grundlage eines einheitlichen
Deutschen Bundes eine neue Vollmacht seines Königs erholen
müsse, entschließt sich jetzt, am 8. November, nach verschie-
denen Aussprachen mit seinen Ministerkollegen, zur Annahme
der neuen Verhandlungsgrundlage ohne eine weitere königliche
Ermächtigung. Am 8. November schrieb Minister Delbrück
an Lasker, die bayerischen Herren hätten ihn heute, nachdem
sie einige Tage unsichtbar gewesen waren, um eine Besprechung
gebeten. ^) Am 9. November konnte er dem sächsischen Kollegen
Freiherrn v. Friesen mitteilen, die bayerischen Minister hätten
ihn aufgesucht und mit ihm gesprochen ; sie hätten ihre anfäng-
liche Idee eines weiteren Bundes aufgegeben und auch im
übrigen ihre früheren Forderungen modifiziert und wollten
jetzt in den allgemeinen Bund eintreten unter Bedingungen,
über die nach seiner Ansicht eine Verständigung möglich sein
werde. *)
Die Gründe, die den Grafen Bray und seine Minister-
kollegen bestimmten, hat jener im wesentlichen in einem
1) H. A. A.
2) Beilagen III, nr. 11.
2) Schreiben Delbrücks bei Brandenburg a. a. O. S. 115, oben. Die
Wendung ist vielleicht schon am 7. November eingetreten, da Bray an diesem
Tage an Daxenberger telegraphierte, daß sie vor dem 16. November kaum
in München eintreffen könnten. Bray a. a. O. S. 186.
*) Friesen, Erinnerungen III, S. 180.
119
Schreiben an den Vertreter Bayerns am Wiener Hofe, Freiherrn
V. Schrenck, vom 15. November^) niedergelegt: Auf dem Wege
bloß internationaler Verträge würde eine wirkliche Einigung
Deutschlands nicht erreicht, etwas Definitives nicht ge-
schaffen, vielmehr den Gegnern der deutschen Politik Bayerns
ein Vorwand zu dauernder Agitation gegeben werden. Die
Lebensnotwendigkeiten des bayerischen Staates aber könnten
ebensogut durch Verbriefung von Sonderrechten innerhalb
der einheitlichen, gesamtdeutschen Bundesverfassung ge-
sichert werden, wie auf dem Weg über einen weiteren Bund.
Zwischen dem 8. und 11. November fanden, nach dem Berichte
Brays vom 11. November 2), zwei Besprechungen mit Bismarck
und Delbrück statt. In diesen Besprechungen haben sich
nach demselben Berichte Brays die Ansichten bereits ,, einiger-
maßen geklärt". Die bayerischen Bevollmächtigten erklären
sich bereit, auf der neuen Verfassungsgrundlage zu verhandeln.
Sie machen im einzelnen neue Zugeständnisse. Sie ver-
sprechen zugleich ihrerseits Entwürfe über die militärische
und staatsrechtliche Stellung Bayerns im künftigen Deutschen
Bunde vorzulegen. Sie versprechen neuerdings, den König
von Bayern für das Anerbieten der Kaiserkrone zu gewinnen.
Am II. November berichtet Graf Bray über die neue
Verhandlungsgrundlage an seinen König. Er rechtfertigt ihre
Annahme mit der Entschuldigimg, daß damit eine Änderung
mehr der Form als dem Wesen nach eintrete.^) Am folgenden
Tage richten die bayerischen Bevollmächtigten ein eindring-
liches Gesamtschreiben an denselben in der Kaiserfrage, das
noch durch ein Privatschreiben des Ministers Lutz verstärkt
wird.*) Um dieselbe Zeit übergibt der bayerische Kriegs-
minister den von ihm ausgearbeiteten Entwurf^) zu einer
Militärkonvention mit Bayern; da der preußische Kriegs-
minister seit der Note Bismarc ks vom 7. November erkrankt
war, wurde der Entwurf an den Kanzler weitergegeben.
Der Entwurf hält auch jetzt an allen wesentlichen militärischen
Forderungen Bayerns, insbesondere an der Militärhoheit im
Frieden und an dem eigenen Heeresfinanzwesen fest, er gibt
aber weitere, viel detailliertere Sicherheiten für eine volle
Übereinstimmung der bayerischen Heereseinrichtungen mit
1) M. St. A.
2) Bei Bray a. a. O. S. 188 f.
3) Bray a. a. O. S. 188 f.
*) Darüber im Kap. VIII.
^) Beilagen III, nr. 8.
120
denen des künftigen Bundes: hinsichtlich der Wehrpflicht,
der Dauer der Zugehörigkeit zum Heere, der Friedenspräsenz-
stärke, der finanziellen Aufwendungen, hinsichtlich der Or-
ganisation, Formation und Ausbildung, hinsichtlich der Be-
waffnung und Ausrüstung. Zur Erhaltung dieser Überein-
stimmung sollen die beiderseitigen Militärbevollmächtigten in
Berlin und München über die einschlägigen Anordnungen ent-
sprechende Mitteilungen durch die Kriegsministerien erhalten.
Zu gleichem Zwecke sollen norddeutsche und bayerische
Offiziere als Delegierte an den beiderseitigen größeren Truppen-
übungen teilnehmen. Der Entwurf gesteht auch ausdrücklich
zu, daß in den Fahneneid der bayerischen Soldaten die Ver-
pflichtung aufgenommen werde, den Befehlen des Bundes-
feldherrn im Kriege unbedingt Folge zu leisten. Die Anlage
militärischer Befestigungen und Eisenbahnen auf bayerischem
Gebiet im Interesse der gesamtdeutschen Verteidigung bindet
er nicht mehr an eine förmliche Zustimmung des Königs von
Bayern, sondern nur an eine ,, Vereinbarung" mit der baye-
rischen Regierung.
Bezüglich des inneren Staatsrechtes hatten die
bayerischen Bevollmächtigten für den 12. November eine
Aufzeichnung in Aussicht gestellt. Tatsächlich hat sie Justiz-
minister V. Lutz erst am 16. November fertiggestellt und
konnte sie, da er an diesem Tage nach seinem eigenen Zeugnis
dreimal vergebens bei Bismarck anklopfte, um sie ihm persön-
lich zu überreichen, erst am 17. November durch einen Boten
übermitteln. Lutz ließ in dieser jetzt vorliegenden Aufzeich-
nung^) die so oft geäußerten Bedenken gegen das Gesetz-
gebungsrecht des Bundes nicht bloß in Sachen des Staats-
bürgerrechtes (Bundesstaatsangehörigkeit), des Gewerbelebens
und Immobiliarversicherungswesens, sondern auch des Straf-
rechtes und Zivilprozesses fallen oder gab sich nnt der Auf-
nahme gewisser Kautelen in ein Separatprotokoll zufrieden.
Er willigte selbst in eine allerdings beschränkte Gesetzgebung
des Bundes auf dem Gebiete des Eisenbahn-, Post- und Tele-
graphenwesens, begnügte sich mit 6 Stimmen im Bundesrate,
gab seine Zustimmung, daß bei der Beschlußfassung über eine
Angelegenheit, die nicht den ganzen Bund betreffe, nur
die Stimmen derjenigen Bundesstaaten gezählt werden, denen
die Angelegenheit gemeinschaftlich sei. Vom Staatenhaus
war nur nebenher, vom Vorschlagsrecht bei Besetzung
^) Beilagen III, nr. 9.
121
der Reichsämter überhaupt nicht mehr die Rede Was Lutz
neben der Beibehaltung des eigenen Heimats- und Nieder-
lassungsrechtes, neben der gesonderten Besteuerung des Bieres
und Branntweins, neben der Leitung des Eisenbahn-, Post-
und Telegraphenwesens besonders nachdrücklich forderte,
das war eine Bürgschaft gegen majorisierende Verfassungsbe-
schlüsse : Anträge auf Änderung der Bundesverfassung sollten
fallen, wenn sie 14 Stimmen im Bundesrate, mit anderen Worten
die Stimmen der drei Königreiche Bayern, Württemberg und
Sachsen gegen sich hätten. Reservatrechte sollten nur mit Zu-
stimmung ihres Inhabers modifiziert werden können. Lutz
konnte wirklich in dem Begleitschreiben sagen: ,,daß die be-
stehenden Differenzen auf ein Minimum beschränkt seien".
Auf dem Gebiete der auswärtigen Politik endlich hatte
man für den Verzicht des Grafen Bray auf gemeinsame Ver-
tretung und gemeinsame Instruktionserteilung schon zu Beginn
der Versailler Verhandlungen einen Ersatz und inzwischen
auch die ,, entsprechende Formulierung" gefunden. Nach
einer undatierten Aufzeichnung ^) sollte im Bundesrat ein
diplomatischer Ausschuß aus Vertretern Bayerns, Sachsens
und Württembergs gebildet werden — unter dem Vorsitze
Bayerns und mit dem Rechte der Kontrolle und der Antrag-
stellung in äußeren Angelegenheiten des Bundes. Zugleich
sollten die bayerischen Gesandten die Bundesgesandten im
Behinderungsfalle vertreten und Bayern für diese Bereit-
stellung seiner Gesandtschaften für den diplomatischen Dienst
des Bundes von der Beitragspflicht für die äußere Bundes-
vertretung entbunden werden.
*
Wenn man sich einmal unabhängig macht von den Quellen,
die aus der Erinnerung oder aus zweiter und dritter Hand
schöpfen, sich frei macht von Kundgebungen der Presse, die
eine bestimmte Tendenz verraten, und von Äußerungen der
Staatsmänner, die einen bestimmten politischen Zweck ver-
folgen, und den unmittelbaren Arbeitsnachlaß dieser Tage
auf sich wirken läßt: dann entschleiert sich vor unseren Augen
immer deutlicher ein anderes als das herkömmliche Bild von
den Versailler Verhandlungen.
Der Ausgleich zwischen dem Standpunkte Bismarcks
und dem ursprünglichen des Grafen Bray war nicht leicht.
Aber die Auseinandersetzung zwischen beiden wurde keines-
^) Beilagen III. nr. 10.
122
wegs mit der Leidenschaftlichkeit geführt, die man nach zeit-
genössischen und späteren Darstellungen annehmen möchte.
Die Versailler Verhandlungen hatte Bismarck mit den Worten
eröffnet: „Wir wollen kein verstimmtes Bayern im Bunde,
ein freiwilHges, kein verstimmtes." Er war von Anfang an
entschlossen Bayern größere Zugeständnisse zu machen als
den übrigen süddeutschen Staaten. Er hatte schon am 24. Sep-
tember an Delbrück geschrieben i) : ,,Der Ausschluß der
Bundeskompetenz für Bayern bezüglich einer Reihe selbst
erheblicher Gegenstände der Bundesgesetzgebung ist meines
Erachtens an sich kein Grund, die Aufnahme Bayerns zu ver-
sagen. Die Zeit müßte dann nachholen, das Überschreiten
des Rubicon wäre gewonnen." Es ist allerdings von Zeit zu
Zeit eine Unterbrechung oder ein Stillstand in den Verhand-
lungen zu erkennen, aber niemals in dem Sinne, daß sie auf
einen toten Punkt gekommen wären, den Bismarck nur mit
einem deus ex machina, etwa mit dem vielberufenen Akten-
fund von Cergay, hätte überwinden können. Standen aber die
Verhandlungen wirklich einmal vor der Gefahr der Versandung,
so war diese Gefahr nach einer kurzen Verhandlungspause von
drei oder" höchstens vier Tagen am 8. November mit der
Einlenkung der bayerischen Minister auf den neuen Ver-
handlungsweg überwunden. Was Bismarck gegenüber den
Ausgeburten ausschweifender Phantasie oder überhitzter Leiden-
schaft ruhig lächelnd vorhersagte, das war eingetreten: die
Bayern begannen unter annehmbaren Bedingungen zu kapitu-
lieren. Und Bismarck, der jetzt die Verhandlungen mit den
Bayern immer ausschließlicher führte, kam ihnen bei der
Auseinandersetzung über die Einzelheiten der Sonderrechte
großzügig und weitherzig entgegen. Die damaligen Schwierig-
keiten der militärischen Lage, die seit der russischen Kün-
digung des Pontusvertrages drohende europäische Verwicke-
lung und dazu der bevorstehende Zusammentritt des nord-
deutschen Reichstages haben vielleicht seine Neigung zu Zu-
geständnissen noch vermehrt.
Was die eben wieder aufgenommenen Verhandlungen
zu zerschlagen drohte, hat dann schließlich auf preußischer
Seite die Verhandlungen beschleunigt und gefördert: der
württembergische Zwischenfall.
Am 12. November konnte in einer Besprechung zwischen
Bismarck und den württembergischen Bevollmächtigten volle
1) H. A. A.
123
Übereinstimmung festgestellt werden. In derselben Bespre-
chung eröffneten aber die letzteren, sie müßten vor Unter-
zeichnung des Vertrages nach Hause reisen.^) Am Vorabende
war nämlich von Stuttgart die telegraphische Weisung ein-
getroffen, vor ausdrücklicher Genehmigung des Königs von
Württemberg dürfe keinesfalls ohne Bayern abgeschlossen
werden. Bismarck, aber auch sein König, waren, wie wir aus
den Aufzeichnungen des Großherzogs von Baden wissen, über
die unerwartete Störung empört. Im ersten Moment äußerte
Bismarck zum Großherzoge von Baden: ,,er sei nun ent-
schlossen mit der ganzen Sache vor die Öffentlichkeit zu treten,
damit man endlich sehe, was denn das für Regierungen seien,
mit denen er zu verhandeln habe. Er hoffe, daß dann ein
Druck von unten kommen werde, dem weder Württemberg
noch Bayern in die Länge widerstehen könne. Diese Regie-
rungen schienen ganz zu übersehen, von welch gefährlichen
Elementen sie umgeben seien. Er könne nichts dafür, wenn
sich nun eine Bewegung entwickle, welche diesen Staaten die
Existenzfrage stelle ; dann könne es wohl zu spät sein sich eines
Besseren zu besinnen."^) Bismarck gab, wohl unter dem Ein-
flüsse der württembergischen Bevollmächtigten, die Schuld
dem bayerischen Gesandten am württembergischen Hofe,
Freiherrn v. Gasser. Noch am nämlichen Tage machte sich
seine Erregung in einem von ihm eigenhändig verfaßten Tele-
gramm an den preußischen Minister des Innern Luft: ,,Ew.
Excellenz ersuche ich vertraulich dahin zu wirken, daß in
nationalliberalen Blättern in einer weder als offiziös noch als
telegraphiert erkennbaren Form folgendes Thema amplifiziert
behandelt werde: die deutschen Besprechungen in Versailles
sollen zwischen den norddeutschen Ministern und denen von
Württemberg, Baden und Hessen die Übereinstimmung der
Ansichten in zum Abschluß reifer Form hergestellt haben,
mit Bayern aber ein Ergebnis noch nicht abzusehen sein und
diese Verzögerung zurückhaltend auf die definitiven Ent-
schließungen in Stuttgart wirken."^) Am folgenden Tag erließ
er an das Auswärtige Amt in Berlin folgende Weisung: ,,Wenn
Herr Rosenberg, wie ich glaube, beurlaubt ist, so veranlassen
Sie ihn zu sofortiger Rückkehr nach Stuttgart, weil dort der
antideutsche Einfluß des bayerischen Gesandten die Ver-
sagung dessen durchsetzt, worüber wir hier mit den württem-
^) Schneider a. a. O.
2) Tagebuch des Großherzogs.
3) H. A. A.
124
bergischen Ministern uns einigen."^) In der Tat hatte
Freiherr v. Gasser, wie er in einem Berichte vom 9. No-
vember 2) selbst bekennt, in diesem Sinn auf den Hof und
die Regierung von Württemberg eingewirkt. Handhabe dazu
gab ihm ein Privatschreiben des Grafen Bray aus Versailles
vom 3. November, worin dieser mitteilte, daß die württem-
bergischen Bevollmächtigten vollständig ihre eigenen Wege
gegangen seien und daher auch er ,, darauf bedacht sein
müsse, lediglich die Stellung Bayerns ins Auge zu fassen."
Gasser brachte den Inhalt dieses Schreibens zur Kenntnis
des württembergischen Ministers des Äußern Grafen v. Taube,
des Kabinettchefs Freiherrn v. Egloffstein und durch Ver-
mittlung der Königin auch zur Kenntnis des Königs ^'on
Württemberg, ,,die nötigen Erläuterungen und Wünsche hinzu-
fügend." ,, Diese Taktik war," wie Gasser in demselben Schrei-
ben vom 9. November an seinen König berichtet, von Erfolg
gekrönt; ,,denn bereits am Nachmittag sei Freiherr v. Egloff-
stein zu ihm gekommen, um die Sache gründlich zu besprechen
und ihm ebenfalls Mitteilungen zu machen". Nach einer
anderen Quelle^) soll Egloffstein bereits von ,, gemeinschaft-
lichem Abbruch und Verlegen der Verhandlungen auf später"
gesprochen haben. Mit Hilfe des preußenfeindlichen Kabinetts-
chefs Egloffstein gelang es, das leicht erregbare Gemüt des
Königs von Württemberg mit Mißtrauen gegen Bismarck
und gegen seine eigenen Bevollmächtigten zu erfüllen. Das
wird durch ein Schreiben des preußischen Gesandten in
Stuttgart, V. Rosenberg, vom 17. November*) ausdrücklich
bestätigt. Die spärliche Berichterstattung der württembergi-
schen Bevollmächtigten hat nach demselben Zeugnisse^) der
Intrigue Vorschub geleistet: „Wenn es während der Versailler
Konferenzen gelang, die Stimmung des Königs mißtrauisch
zu machen, so hat General Suckow insofern selbst dazu bei-
getragen, indem er versäumt hat, von Versailles aus an S. Mt.
zu berichten."
Das Vorgehen Gassers entsprach wohl der augenblick-
lichen Stimmung des bayerischen Königs. Der König hat das
Verfahren nicht bloß nicht mißbilligt, er hat dem Gesandten
einige Tage später, am 11. November, den Auftrag erteilt, dem
1) A. a. o.
^) Beilagen III, nr. 6.
^) Telegramm Sodens vom 9. November.
«) H. A. A.
*) Bericht Rosenbergs vom 20. November, ebenda.
125
Könige von Württemberg von seiner Einladung nach Versailles
und von seiner Abneigung, dieser Einladung zu folgen, Kenntnis
zu geben und ihm die Frage vorzulegen, ob auch er eingeladen
sei und ob er der Einladung zu folgen gedenke, i) Und wieder
ein paar Tage später berichtet der württembergische Gesandte
Freiherr v. Soden aus München^) : von sehr hoher Seite — ge-
meint ist wiederum der König von Bayern — sei durch eine
dritte Person die Frage an ihn gerichtet worden, ob Württem-
berg allein, auch ohne Baj'ern, in den Norddeutschen Bund
eintreten werde, ob der König von Württemberg entschlossen
sei, dieselbe Stellung zu übernehmen wie der König von Sachsen,
oder ob er nicht lieber eine ,,demarche" bei seinem Schwager,
dem Kaiser von Rußland, machen wolle, dessen Kanzler schon
einmal zu Beginn des Krieges für die Souveränität der süd-
deutschen Staaten eingetreten sei.
Das Vorgehen des Freiherrn v. Gasser fand aber keines-
wegs die Billigung des Grafen Bray. Er hat unmittelbar nach
dem Empfang des Telegramms vom 9. November, in dem
der Gesandte den Wunsch des Königs von Württemberg nach
einem Zusammengehen mit Bayern mitteilte, diesen ange-
wiesen, alle weiteren Schritte zu unterlassen, da die württem-
bergischen Verhandlungen bereits zu weit vorgerückt seien. ^)
Bismarck muß sich auch bald von diesem Sachverhalt
überzeugt haben. Tatsächlich veranlaßte ihn der württem-
bergische Zwischenfall, nicht bloß mit Baden und Hessen
ohne Rücksicht auf Württemberg abzuschließen, sondern auch
die Verhandlungen mit Bayern zu beschleunigen, statt mit
Württemberg vorerst mit Bayern eine Verständigung herbeizu-
führen. Obwohl Suckow und Mittnacht in Stuttgart, wo sie
am 15. November eintrafen, König und Ministerrat sehr bald
von der Richtigkeit ihres Standpunktes überzeugten und mit
neuem Mißtrauen gegen Bayern erfüllten, konnten sie nicht
mehr verhindern, daß ihnen Bayern mit der Unterzeichnung
der Verträge zuvorkam.
*
Auf bayerischer Seite wurden die Verhandlungen in
diesem letzten Stadium wieder wesentlich gefördert durch die
unter der Einwirkung des Krieges fortschreitende nationale
Bewegung. Man lese nur die Schreiben des Kabinettsekretärs
^) M. St. A. Vgl. dazu Beilagen III, nr. 12. Einen Brief an den
König von Württemberg hat Ludwig II. nicht geschrieben.
2) St. St. A.
^) Schreiben Brays vom 10. November; Bray a. a. O. S. 198.
126
Eisenhart, des Staatsrats Daxenberger und des Staats-
ministers V. Schlör^), die sie im November an den Grafen
Bray nach Versailles richteten, und die Beschwichtigungs-
versuche der zu Hause gebliebenen Minister.
Das Beamtentum, die Intelligenz, die städtischen Ele-
mente, ein guter Teil selbst der bäuerlichen Bevölkerung gaben
immer deutlicher ihrem Unmut über den schleppenden Gang
der Versailler Verhandlungen Ausdruck. Die Briefe und Zei-
tungen meldeten, namentlich aus München, von wachsender
Erregung. Die von dem preußischen Gesandten geflissentlich
verbreitete Nachricht, Württembergs Eintritt in den Nord-
deutschen Bund stehe unmittelbar bevor, hat die Aufregung
noch gesteigert. Die ,, Münchener Neuesten Nachrichten"
schrieben am ii. September, sie könnten nicht glauben, daß ein
bayerischer Minister den Mut finde, das Werk der nationalen
Einigung zu verderben. ,,Wer hat den Mut, den Fluch einer
solchen Tat zu übernehmen und seinen Namen für alle Zeiten
zu einem Schimpfwort in Deutschlands Gauen zu machen ?
Wir wollen keinem unserer Minister die Beleidigung zufügen,
ihn einer solchen Tat für fähig zu halten."
Womöglich noch erregter als in München war die Haltung
der öffentlichen Meinung im Fränkischen, was den Kenner
dieser Provinzen und ihrer Geschichte nicht überraschen wird.
Als sich in den ersten Tagen des November das Gerücht von
einem Abbruch der Versailler Verhandlungen verbreitete und
man von der Möglichkeit sprach, daß man sich mit einer
bloßen Militärkonvention begnügen werde, verlangte der
„Fränkische Kurier"^) eine Umbildung des Ministeriums, da
die beiden Minister v. Bray und v. Lutz wohl keine einzige
Partei im Lande hinter sich hätten. Selbst die gemäßigte,
vielfach auch für amtliche Mitteilungen benutzte ,,Neue Würz-
burger Zeitung" erhob ihre warnende Stimme, wies auf die
Parteikämpfe hin, die einem isolierten Bayern drohten, und
erklärte ausdrücklich, daß das bayerische Volk deutsch sein
wolle, nicht nur der Sprache und dem Namen nach, sondern
deutsch als Nation, daß es nicht abgedrängt werden
wolle von dem gewaltigen deutschen Organismus, daß ihm
das Schutz- und Trutzbündnis und der Zollverein als kündbare
und internationale Verträge keinen Ersatz dafür bieten
könnten.
^) Bei Bray a. a. O.
^) In Nr. 313 vom 10. Nov.
127
Schon sah sich die Regierung genötigt, in einer offiziösen
Mitteilung an die Hoffmannsche Korrespondenz sowie in
einer offiziellen Erklärung des Ministers des Innern v. Braun
gegenüber dem ersten Bürgermeister von München die öffent-
liche Meinung förmlich zu beruhigen: die Gerüchte von einem
Abbruch der Versailler Verhandlungen seien gänzlich unbe-
gründet, im Gegenteil ein Abschluß in allernächster Zeit zu
erwarten. Welches Empfanges mußten unter diesen Ver-
hältnissen die bayerischen Minister gewärtig sein, wenn sie mit
leeren Händen aus Versailles zurückkehrten?
,,Gott gebe", schrieb am i6. November der damalige
Referent im Justizministerium, der spätere Justizminister
Fäustle, an Kabinettsekretär Eisenhart i), ,,Gott gebe, daß sich
die deutsche Verfassungsfrage durch einen befriedigenden Ab-
schluß mit Bayern glücldich löst! Ein isoliertes Bayern ist
unhaltbar und der stete Spielball der patriotischen (ultra-
montan-bureaukratisch-feudalen) sowie der im Falle des
Mißlingens der Unterhandlungen sicher rasch sich entwickeln-
den demokratischen (Volks-) Partei. Ein großherziger Ent-
schluß des Königs in dieser Stunde sichert ihm nicht bloß die
Sympathie und das höchste Ansehen, sondern auch dauernd
die Krone und die Existenz Bayerns als eines selbständigen
Wesens. Die Größe Bayerns, außer Deutschland ohne wesent-
lichen Einfluß, wird innerhalb des Bundes bei vernünftigem
Machtgebrauche vielfach entscheidend wirken können und
am besten etwaigen Übergriffen Preußens wirksam entgegen-
zutreten vermögen. Alles, was man der Gesamtheit schuldet,
wenn sie ihren Zweck erfüllen soll, muß man ihr gewähren,
und zwar jetzt, damit man nicht zum größten Schaden hinter-
drein genötigt sein wird, das dem mutigen Trotze eines auf-
geregten Volkes zuzugestehen, was man vorher der bescheidenen
Bitte versagt hat. Und am Ende wird der bayerische Staat
und die Krone durch Konzessionen an das Haus Hohenzollern
weit weniger gefährdet als im Falle der Isolierung durch fort-
währendes Nachgeben gegenüber den Forderungen der Häuser
Kolb (Demokrat) und Greil (Patriot). Wie notwendig ist es
gerade für die immer brennender werdende Frage des Kirchen-
staatsrechtes, wenigstens die deutsche Frage aus der Welt zu
schaffen und eine feste politische Stütze an einem festgefügten
deutschen Staatsganzen zu besitzen."
1) M.St.A.
128
Tatsächlich war der bayerische Gesandte am Dresdener
Hofe auf Grund der Mitteilungen des Freiherrn v. Friesen
schon am 17. November in der Lage, das Einvernehmen
zwischen Bismarck und den bayerischen Bevollmächtigten
ausdrücklich festzustellen. Der badische Minister Jolly
vollends schrieb am 14. November aus Versailles an seine
Gemahlin: „Hinsichtlich Bayerns habe ich den Verdacht
oder anständiger die Vermutung, die durch einzelne wohl
absichtliche Äußerungen Delbrücks bestätigt scheint, daß
sie in offener oder stiller Übereinstimmung mit Preußen
nur warten, bis die anderen beigetreten sind, um dann mit
wirklichen oder scheinbaren Vorzügen ebenfalls beizutreten."
Fast wörtlich stimmt damit überein ein Eintrag, den der Groß-
herzog von Baden am 18. November in sein Tagebuch machte :
,,Es wird mit jedem Tage wahrscheinlicher, daß Bismarck
mit den Bayern einig ist und nur die Verhandlungen hinhält,
bis Württemberg den Beitritt zum Bund ausgesprochen hat,
um dann mit den bayerischen Bevollmächtigten zum Ab-
schluß zu kommen." Damit steht auch in gewissem Einklang,
was der badische Gesandte in Berlin, Graf Türkheim, später,
nach dem Abschluß der Versailler Verträge, von Berlin aus
berichtete : es habe zwischen den bayerischen Bevollmächtigten
und Bismarck eine förmliche oder stillschweigende Abmachung
bestanden, erst den Abschluß mit den übrigen süddeutschen
Staaten abzuwarten und dann auf erheblich abw^eichenden
Grundlagen auch ihrerseits abzuschließen. i)
Das war allerdings eine zu optimistische Auffassung.
Schwierigkeiten und Stockungen gab es auch in diesem letzten
Stadium der Verhandlungen — namentlich auf militärischem
Gebiete. ,,Wir sind," schrieb am 17. November Graf Bray
an seine Gemahlin^), ,,nach dem Abgang der Vertreter der
übrigen deutschen Regierungen allein noch hier und müssen
also trachten, an einem der nächsten Tage auf unsere Be-
dingungen ein Ja oder Nein zu erlangen. Wenn eine Ver-
ständigung nicht gehngt, so wird nicht die Frage der äußeren
Vertretung und der Diplomatie das Hindernis bilden — denn
darüber sind wir so gut wie im reinen — , wohl aber wird dies
die mihtärische Frage und, wenn ich nicht sehr irre, kommt
hier der Widerspruch nicht vom Grafen Bismarck". In der
Tat, diese letzten Kämpfe hatte Bismarck weniger mit den
bayerischen Bevollmächtigten als mit den Gegnern der baye-
1) K. St. A.
2) Bray a. a. O. S. 16^.
129
Tischen Ausnahmestellung innerhalb wie außerhalb des Haupt-
quartiers zu führen, mit den Führern der großen politischen
ParteierL, mit den Fürsten und Regierungen des Norddeutschen
Bundes und dem von ihnen beeinflußten Bundesrate, mit dem
Kriegsminister Roon, der nach dem Urteile Bismarcks ,, alles
unter eine Kappe bringen wollte" i), mit dem preußischen
Kronprinzen, der noch am i6. November in einer heftigen
Auseinandersetzung mit Bismarck tadelte, daß man Bayern
und Württemberg so zart behandle, statt fest und gebietend
aufzutreten und ihnen die Macht zu zeigen^), und mit dem
eigenen Könige, der gerade in diesen Tagen seinem Schwieger-
sohne gegenüber das einheitliche deutsche Heer immer wieder
als seinen dringendsten Wunsch bezeichnete. Gegen diese
Widersacher mußte Bismarck noch am 19. November die Hilfe
des Großherzogs von Baden anrufen.^) Großherzog Friedrich
hat uns in seinem Tagebuche den Vorgang dramatisch ge-
schildert: ,, Bismarcks erstes Wort war, er bitte mich, ihm in
einer sehr wichtigen Frage beizustehen. Die Württemberger sind
bekanntlich dem Bunde beigetreten und wir verhandeln heute
nur noch telegraphisch mit ihnen über einige untergeordnete
Militärfragen, in denen wir aber nicht nachgeben wollen.
Mit den Bayern habe ich gestern und heute viele Stunden
verhandelt und von ihnen erlangt, daß sie in den Bund ein-
treten. Dieser Eintritt muß aber erkauft werden durch Ge-
währung einer bayerischen diplomatischen Vertretung und
einer selbständigen Militäradministration. Wenn unsere innere
Verbindung auch zu wünschen übrig läßt, so haben wir doch
ein gemeinsames Band , das durch die wachsenden Bedürfnisse
der Nation immer fester geschlungen werden wird; wir haben
eine gemeinsame Vertretung der Interessen der Nation; wir
haben eine monarchische Spitze, die zugleich als Heerführer
die Einheit des Heeres in sich verkörpert. Alle diese Vorzüge ge-
statten nicht nur, sondern gebieten, das Gute dem Besseren
vorzuziehen und somit das Mögliche auszuführen. Hat Bayern
diese Schwelle betreten, und zwar mit unserem Beistand, so
ist von einem Rückgang keine Rede mehr; es kann nur noch
vorwärts schreiten und wir dürfen der Zukunft die bessere
Entwicklung getrost überlassen. Nun ist aber hier die Schwie-
rigkeit zu überwinden, daß unser König sich nur ungern zu
^) Vgl. Tagebuch des Kronprinzen zum 21. November und Moritz Busch,
Tagebuchblätter I, 423.
2) Tagebuch des preußischen Kronprinzen zum 16. November.
^) Tagebuch des Großherzogs zum 19. November.
Doeberl, Bayern und die Bismarckische Reichsgründung. 9
130
diesen militärischen Konzessionen entschließen wird, während
wir doch dadurch den großen und unschätzbaren Vorteil er-
langen die Kaiserfrage zu lösen, noch bevor der Krieg zu Ende
ist. Auch beim Kronprinzen fürchte ich auf Widerstand zu
stoßen, da er mir vor wenig Tagen so herbe Vorwürfe darüber
machte, daß ich durch meine Nachgiebigkeit gegen die Bayern
die deutsche Einigungsfrage verderbe, daß ich darüber krank
geworden bin. Wie soll es mir allein gelingen, diese beiden hohen
Herren von der Notwendigkeit zu überzeugen, daß wir hier
einen bleibenden großen Erfolg erlangen können, wenn wir
davon abstehen, etwas Vollkommenes leisten zu wollen —
da ich weiß, daß die Militärpartei gegen mich wieder an-
kämpfen wird. Überzeugt, daß Sie mit mir die Größe und
Bedeutung dieses wichtigen Augenblicks als einen entscheiden-
den Wendepunkt für die künftigen Geschicke Deutschlands
erkennen werden, glaube ich hoffen zu dürfen, daß Sie Ihren
Einfluß bei König und Kronprinz geltend machen werden,
damit sie von der Gunst dieser Lage Gebrauch machen mögen.
Benützen wir diesen Vorteil nicht, so fällt Bayern in die Hände
Österreichs und wird seine Truppen abberufen. Dann sind wir
in der Notwendigkeit, die bayerische Armee zu entwaffnen,
und geben der Welt ein Schauspiel deutscher Zwietracht,
das alle unsere ferneren Unternehmungen lähmt und sogar
das Band mit den übrigen Bundesgenossen in bedrohlicher
Weise lockern wird."
Dieser Kampf wurde verschärft und vergiftet durch die
zeitgenössische Publizistik, die sich anfänghch allein gegen
das bayerische Ministerium gewendet, sogar den bayerischen
König gegen sein Ministerium auszuspielen gesucht hatte, die
aber jetzt ihre Pfeile auch gegen die Person des Königs richtete,
sich bis zur kaum verhüllten Aufforderung an die bayerischen
Truppen zum Hochverrat verstieg. ,,Wir glauben nicht,"
schrieb die Berhner Börsenzeitung in diesen Tagen, ,,daß die
bayerische Armee den Schimpf, welcher dem Lande und am
fühlbarsten ihr selbst angetan werden soll, ruhig hinnehmen
würde. Unser Fritz hat die braven Bayern zu oft zum Siege
geführt, als daß sie sich jetzt von ihm möchten losreißen
lassen, um dem Schwanenritter zu folgen oder mit dem Tann-
häuser nach Rom zu pilgern."
Damals, am 19. November, als Bismarck die Hilfe des
Großherzogs von Baden gegen das Hauptquartier anrief,
hatte er bereits das Mittel in der Hand, womit er die Hilfe
des Großherzogs von Baden gewann und den Widerstand
131
im Hauptquartier brach. Wie er am 19. November dem
Großherzog mitteilte und wie diesem am 24. November Graf
Bray bestätigte, hatte er damals bereits die bestimmte Zusage
der bayerischen Bevollmächtigten, ,,daß gegen die Erhaltung
einer selbständigen Armee Bayern die Kaiserfrage zum Beweise
seiner Bundestreue beantragen wolle." Selbst über die Art
und Weise, wie das geschehen solle, waren, wie der sächsische
Minister v. Friesen am 16. November von Bismarck erfuhr,
schon alle Einzelheiten besprochen worden. Das Kaiser-
problem nahm in Versailles eine entscheidende Stelle ein,
auch zuletzt bei der Entscheidung des Königs von Preußen.
Als der Großherzog am 23. November beim König vorsprach,
teilte dieser ihm mit, ,,daß er den Vortrag des Bundeskanzlers
über die bayerischen Verhandlungen schon heute entgegen-
genommen und, wenn auch ungern, die Konzessionen geneh-
migt habe, welche von Bayern verlangt wurden, um dafür
die Initiative in der Kaiserfrage zu ergreifen"^).
Am II. und 17. November hatten die bayerischen Be-
vollmächtigten ihre schriftlichen Vorschläge überreicht, am
20. folgten die preußischen Schlußerklärungen, die sich,
selbst auf militärischem Gebiete, auf geringe Modifikationen
beschränkten. Am 23. fand die beiderseitige Unterzeichnung
des Versailler Hauptvertrags statt. Es war gegen 10 Uhr
abends. Moritz Busch befand sich, wie er selbst erzählt^), mit
Bismarck-Bohlen und Hatzfeld beim Tee. ,, Plötzlich öffneten
sich die Flügeltüren, Bismarck steckte den Kopf mit freund-
lichster Miene herein und kam dann, als er noch Gesellschaft
sah, mit einem Becher zu uns an den Tisch, wo er Platz nahm."
,,Nun wäre der bayerische Antrag fertig und unterzeichnet,"
sagte er bewegt. ,,Die deutsche Einheit ist gemacht und der
Kaiser auch. Es ist ein Ereignis. Die Zeitungen werden nicht
zufrieden sein, und wer einmal in der gewöhnlichen Art Ge-
schichte schreibt, kann unser Abkommen tadeln. Er kann
sagen, der dumme Kerl hätte mehr fordern sollen; er hätte es
erlangt, sie hätten gemußt, und er kann Recht haben — mit
dem Müssen. Mir aber lag mehr daran, daß die Leute mit der
Sache innerlich zufrieden waren. Was sind Verträge, wenn
man muß ! Und ich weiß, daß sie vergnügt fortgegangen sind.
Ich wollte sie nicht pressen, die Situation nicht ausnützen. Der
^) Tagebuch des Großherzogs.
^) Tagebuchblätter I, 427 f.
132
Vertrag hat seine Mängel, aber er ist so fester. Was fehlt, mag
die Zukunft beschaffen."
Bismarck lehnte die Kreierung eines weiteren Bundes ab
und forderte den Eintritt Bayerns in ein einheitliches Ver-
fassungsbündnis auf der Grundlage der Verfassung des Nord-
deutschen Bundes; der Haupt vertragt) bestimmte ausdrück-
lich, daß die bisherige norddeutsche Bundesverfassung auch
die Verfassung des mit Bayern abzuschließenden ,, Deutschen
Bundes" sein solle. Aber Bismarck willigte doch in einige
Änderungen dieser Verfassung, die für alle deutschen Bundes-
staaten gleichmäßig Geltung haben sollten: so in eine Ver-
besserung des Stimmverhältnisses im Bundesrate, in eine
schärfere Umschreibung des Wirkungskreises dieses Kollegiums,
in die Schaffung eines Ausschusses für die Auswärtigen Ange-
legenheiten, der zwar in die Auswärtige Politik nicht störend
eingreifen, wohl aber Mitteilungen empfangen und Anregungen
geben sollte, in eine Beschränkung des Kriegsrechtes des
Bundespräsidiums zugunsten des Bundesrates, in die Aus-
übung eines Vetorechtes gegen Verfassungsänderungen durch
eine verhältnismäßig geringe Zahl von Stimmen des Bundes-
rates; Verfassungsänderungen gelten als abgelehnt, wenn sie
im Bundesrate 14 Stimmen gegen sich haben. Die Vorschrif-
ten der Reichsverfassung, durch die bestimmte Rechte ein-
zelner Bundesstaaten in ihrem Verhältnisse zur Gesamtheit
festgestellt sind, können nur mit Zustimmung des berech-
tigten Einzelstaates abgeändert werden.
Bismarck bewilligte anderseits Bayern eine Ausnahme-
stellung innerhalb des Bundes, ein erhebliches Maß von staat-
licher Selbständigkeit und politischer Einflußnahme. Er
beließ Bayern seine besondere Verwaltung des Eisenbahn-,
Post- und Telegraphenwesens, beschränkte selbst das Aufsichts-
und Gesetzgebungsrecht des Bundes auf diesen Gebieten.
Er beließ Bayern seine besondere Besteuerung des Bieres
und Branntweines, sein besonderes Heimats- und Nieder-
lassungsrecht, das Recht der Aufsicht und der Gesetzgebung
über diese Verhältnisse. Er beließ Bayern seine diplomatische
Vertretung und entschädigte es für den Verzicht auf die
gemeinsame Instruktion der Bundesgesandtschaften mit dem
ständigen Vorsitz im diplomatischen Ausschuß des Bundes-
rates. Er beließ Bayern seine Militärhoheit im Frieden und
sein eigenes Heeresfinanzwesen, mit Worten, die sich deutlich
1) K. Weber, Neue Gesetz- und Verordnungensammlung, VIII, 674 ff.
133
anschließen an den Entwurf des Freiherrn v. Pranckh vom
10. November: „Das bayerische Heer bildet einen in sich ge-
schlossenen Bestandteil des deutschen Bundesheeres mit selb-
ständiger Verwaltung unter der Militärhoheit S. Mt. des
Königs von Bayern" ; ,,die Kosten und Lasten des bayerischen
Kriegswesens werden von Bayern ausschließlich und allein
getragen." Bayern behält auch, einem schon auf den Münche-
ner Konferenzen geäußerten Wunsche entsprechend, seine
besondere Militärgesetzgebung bis zur verfassungsmäßigen
Beschlußfassung über die der Bundesgesetzgebung anheim-
fallenden Materien. Die Beschränkungen, denen das bayerische
Heeresfinanzwesen unterliegt, entsprechen dem Wortlaute des
vom bayerischen Kriegsminister genehmigten Protokolls vom
26. Oktober. Die Beschränkungen, denen der König von Bayern
in Ausübung seiner Militärhoheit unterworfen ist, folgen
wörtlich dem Entwürfe vom 10. November: bezüglich der Or-
ganisation, Formation, Ausbildung und Mobilmachung, be-
züghch der Bewaffnung, Ausrüstung und der Gradabzeichen,
bezüglich des Oberbefehls des Bundespräsidiums im Kriege und
der entsprechenden Verpflichtung im Fahneneid, bezüglich
der Anlage von Festungen auf bayerischem Gebiete. Ebenso fol-
gen dem Entwürfe vom 10. November die Bestimmungen über
die Information der beiderseitigen Militärbevollmächtigten. Da-
zu kommt noch etwas, was der Kriegsminister offenbar in Rück-
sicht auf den ausdrücklichen Widerspruch des Königs nicht in
seinen Entwurf aufzunehmen gewagt hatte, was die baye-
rischen Bevollmächtigten tatsächlich schon auf den Münchener
Konferenzen zugestanden hatten und was auch in dem Protokoll
vom 26. Oktober stillschweigend vorausgesetzt war: die Aus-
dehnung des Inspektionsrechtes des Bundesfeldherrn auf das
bayerische Kontingent, mit der Einschränkung, daß er sich
,,über die Modalitäten der jeweiligen Vornahme" wie über
das ,, Ergebnis der Inspektion" mit dem Könige von Bayern
,,ins Benehmen setzen" müsse.
Am Tage der Unterzeichnung dieses Hauptvertrages gab
Bismarck in einem sogenannten Separat- oder SchlußprotokolP)
eine Reihe von weiteren vertragsmäßigen Zusicherungen: so
bezüglich des Verehelichungswesens, des Staatsbürgerrechtes,
der Immobiliarversicherung, der Bundesgesetzgebung der
Übergangszeit, der Beteiligung Bayerns an der ferneren
Ausarbeitung des Entwurfs eines allgemeinen deutschen
1) K. Weber a. a. O. VIII, 679 ff.
134
Zivilprozeßgesetzbuches. Bismarck erkannte Bayern weiterhin
das Recht zu auf den Vorsitz im Bundesrat im Falle der
Verhinderung Preußens und auf eine angemessene Vergütung
der bayerischen Ausgaben für den diplomatischen Dienst i) und
übernahm dazu die Verpflichtung, beim Abschluß von Post-
und Telegraphenverträgen mit außerdeutschen Staaten Ver-
treter der angrenzenden Bundesstaaten zur Wahrung ihrer
besonderen Landesinteressen zuzuziehen.
Als am Tage nach der Unterzeichnung des Hauptvertrages
Graf Bray noch eine besondere Erklärung zu Gunsten des Rech-
tes der Eirizelstaaten, über Landesinteressen Verträge abzu-
schließen, vorlegte und die Forderung mit der Empfindlich-
keit seines Königs begründete, dem ein solches Vertragsrecht
ausdrücklich als zu machender Vorbehalt bezeichnet worden
sei, wurde auch diese Erklärung in dem von den bayerischen
Bevollmächtigten festgelegten Wortlaut abgegeben: ,, Nach-
dem es grundsätzlich feststeht, daß alle durch die Bundes-
verfassung nicht ausdrücklich dem Bund abgetretenen
politischen Rechte den einzelnen Staaten verbleiben, so ist
zwar zweifellos, daß die Berechtigung Staatsverträge über
Landesinteressen abzuschließen jeder deutschen Regierung
gebührt, insoweit solche Verträge mit dem Bundeszwecke nicht
im Widerspruch stehen. Es wird aber ausdrücklich ausge-
sprochen und anerkannt, daß der Krone Bayern dieses Recht
unter allen Umständen gewahrt bleiben solle." 2)
Im Anschluß an diese Übereinkunft wurde vom Könige
von Preußen noch die weitere Zusage gemacht:^)
1. Bei Friedensverträgen, die nach einem Bundeskriege ge-
schlossen werden, soll stets ein Bevollmächtigter des Königs
von Bayern zugezogen werden, der sich an den Verhandlungen
beteiligen und durch das Bundeskanzleramt seine Instruktion
erhalten wird.
2. Den durch Artikel 13 des Berliner Friedensvertrages
vom 22. April 1866 erhobenen Ansprüchen Preußens auf die
vormalige Düsseldorfer Gemäldegalerie soll eine Folge nicht
gegeben und damit auf diese Ansprüche ein für allemal ver-
zichtet werden.
^) ,,In Anbetracht der Leistungen Bayerns für den diplomatischen
Dienst des Reiches und der Entlastung, die den Reichsgesandtschaften
durch den Bestand bayerischer Gesandtschaften erwuchs." Dafür sollen die
bayerischen Gesandten den Reichsgesandten Beihilfe leisten und sie von
Fall zu Fall auf Grund besonderer Vollmacht vertreten.
2) M. St. A. Vgl. Beilagen II, nr. 10.
') Ebenda. Vgl. Beilagen II, nr. to.
135
Auf den Gang der staatsrechtlichen Verhandlungen in
Versailles und damit auf den Versailler Vertrag hatte der
König einen unmittelbaren Einfluß nicht mehr geübt: er
wurde wieder einmal vor vollendete Tatsachen gestellt. Nicht
bloß, daß keine Weisungen eingeholt wurden, auch die Bericht-
erstattung war — man darf wohl sagen absichtlich — lücken-
haft. Für die Minister brachte dieses Verfahren bei der krank-
haften Unschlüssigkeit des Königs eine wesentliche Erleichte-
rung , für den Geschichtsforscher bedeutet es eine wesentliche
Erschwerung. Der König selbst klagt in einem Schreiben
an Bray vom 28. November i), daß er noch immer ohne die ent-
sprechenden Informationen sei: ,,Den Verhandlungen in
Versailles zwischen meiner Regierung und dem Nordbund bin
ich während der ganzen Dauer der Konferenzen mit der größten
Aufmerksamkeit gefolgt. Trotzdem vermochte ich keinen
erschöpfenden Einblick zu gewinnen, da weder von Ihrer
Seite noch jener der beiden anderen abgeordneten Staats-
minister periodische Detailberichte erstattet wurden und die
allerdings zahlreich eingelaufenen Meldungen den Gang der
Besprechungen mehr im allgemeinen kennzeichneten. Auch
über die Hauptpunkte des erzielten Übereinkommens habe ich
weder auf telegraphischem Wege noch durch einen Kurier
Meldung erhalten und bin daher bis zur Stunde nicht in der
Lage, bezüglich meiner Ratifikation einen Entschluß zu fassen."
Er hat aber — wie gewöhnlich — gegen die nicht mehr
abzuändernden Verträge keine Schwierigkeiten erhoben. Er
hätte allerdings, um mit seinen eigenen Worten zu sprechen,
gewünscht, ,,daß es möglich gewesen wäre, das föderative
Prinzip noch entschiedener zur Geltung zu bringen." Aber er
hat die Verträge durch Handschreiben vom 7. Dezember^) ge-
nehmigt. Er hat den beteiligten Ministern nach ihrer münd-
lichen Berichterstattung in Hohenschwangau in dem näm-
lichen Handschreiben seine Anerkennung und seinen beson-
deren Dank ausgesprochen. Er hat gegenüber den Prinzen
des Kgl. Hauses, um seine Haltung in der deutschen Frage
zu rechtfertigen, ausdrücklich festgestellt: ,,daß sowohl die
Militärhoheit als auch das Gesandtschaftsrecht der Krone
Bayern vollständig gewahrt und derselben in einigen wert-
vollen Punkten, wohin auch die Teilnahme an den Friedens-
schlüssen zu zählen, eine Sonderstellung eingeräumt sei."^)
1) M. St. A.
^) Beilagen III, nr. 13.
3) M. H. A.
VII.
Aussprache mit Österreich.
Derselbe König lehnte kurze Zeit vorher einen letzten
Einmischungsversuch Österreichs in der bestimmtesten Form ab.
Der österreichische Reichskanzler Graf Beust hatte
wiederholt, am 21. September und am 17. Oktober, mündlich
durch Vermittlung des bayerischen Gesandten in Wien, schrift-
lich durch Vermittlung seines Gesandten in München erklärt:
Österreich habe auf Grund des Artikels IV des Prager Friedens
ein Recht darauf, über eine Neugestaltung der Beziehungen
Süddeutschlands zum Norddeutschen Bund vernommen und
um seine Zustimmung angegangen zu werden. Er hoffe und
glaube auch, Bayern werde sich seine Selbständigkeit auch
fernerhin erhalten; darauf zielende Bemühungen würden bei
der kaiserlichen Regierung bereitwilligst Unterstützung finden, i)
Am II. November erschien der österreichische Reichs-
kanzler, ,,der seine in die Schweiz reisende Gemahlin bis
München begleitete," im bayerischen Ministerium des Äußern,
beim Vertreter des Grafen Bray, dem Staatsrate Daxenberger,
und machte die dringendsten Vorstellungen, daß Bayern seine
politische Selbständigkeit behaupten, dem Norddeutschen
Bunde ferne bleiben möge. Er beteuerte, ihm liege die Absicht
einer Einmischung in die deutsche Verfassungsfrage ferne,
ihm könne nur erwünscht sein, nicht in die Lage zu kommen
von dem Artikel IV des Prager Friedens Gebrauch zu machen.
Aber er verlangte, daß man bei der Neugestaltung Deutsch-
lands Österreich die Achtung bezeige, auf die ihm der Artikel IV
des Prager Friedens ein Anrecht gebe, daß man es ihm mög-
lich mache zu schweigen. Er ließ durchblicken, daß der
Eintritt Südhessens, Badens, ja selbst Württembergs in
den Norddeutschen Bund ihm keine Veranlassung geben
werde, positive Einwendungen zu machen. Er erklärte aber
um so entschiedener, daß die Sache ganz anders liege, wenn
Bayern, ein Staat hart an der österreichischen Grenze, von
solcher Größe und Bedeutung, daß er zwei volle Armeekorps
1) Vgl. Beilagen III, nr. 2.
137
im letzten Kriege stellen konnte, in den Norddeutschen Bund
eintrete und damit Preußen das Recht der Entscheidung über
Krieg und Frieden auch für diesen wichtigen Teil Deutsch-
lands erlange. Er fügte hinzu: Der weitaus größte Teil der
österreichischen Monarchie wünsche nicht in eine staatsrecht-
liche Verbindung mit Deutschland zurückzukehren. Was man
aber wünsche, sei, daß man Österreich bei der Regelung dieser
Fragen auch keine Mißachtung bezeige und damit die Emp-
findlichkeit namentlich in Ungarn verletze.^)
Dafür, daß Beust während seiner Anwesenheit in München
Anstrengungen machte, um an die Stelle des Grafen Bray
den früheren Ministerpräsidenten Freiherrn von der Pfordten
zu setzen oder daß er gar solche Anstrengungen mit Zustim-
mung des Grafen Bray selbst gemacht hätte, dafür findet sich
nicht der geringste Anhaltspunkt. Nach dem Berichte Daxen-
bergers an den König 2) hätte der österreichische Reichs-
kanzler es wohl als eine politische Notwendigkeit bezeichnet,
daß die Staaten Preußen und Österreich nicht unmittelbar
aufeinander stoßen, sondern daß ein Vermittlungsglied zwischen
ihnen bleibe. Aber im übrigen habe er im Gegensatz zu früher
jetzt eine für Preußen und den Norddeutschen Bund sehr
freundliche und friedliche Stimmung zur Schau getragen und
ausdrücklich den Wunsch nach guten internationalen Bezie-
hungen ausgesprochen.
Der König von Bayern war aber schon über die von Daxen-
berger berichteten Vorstellungen des österreichischen Reichs-
kanzlers ungehalten. ,,Er habe," signierte er unter den Be-
richt, ,,aus den Äußerungen des österreichischen Reichs^?
kanzlers ungern den Versuch zu entnehmen geglaubt, sich
in Angelegenheiten mischen zu wollen, die er lediglich mit
seinen Räten der Krone zu ordnen gewillt sei". Einen Ein-
mischungsversuch in die Besetzung der oberen Staatsämter
hätte er bei der Empfindlichkeit, mit der er gerade in persön-
lichen Fragen die Rechte der Krone wahrte, noch viel schroffer
zurückgewiesen.
Graf Bray, der langjährige und durch so viel persönliche
Fäden mit Österreich verbundene Vertreter Bayerns am
Wiener Hofe, wünschte allerdings, daß bei der Neuordnung
der deutschen Verhältnisse die Empfindlichkeit Österreichs
in Rücksicht auf Artikel IV des Prager Friedens geschont, daß
es bei dieser Gelegenheit wenigstens der Form nach ,, begrüßt
1) M. St. A.
*) Beilagen III, nr. 7.
138
werde". Er brachte diesen seinen Wunsch ebenso wie die darauf
bezüghchen Mitteilungen und Anregungen des Grafen Beust
während seines Versailler Aufenthaltes Bismarck gegenüber
offen und ehrlich zur Sprache.
Er wollte damit aber keineswegs Österreich gegen Preußen
ausspielen oder gar gemeinsam mit dem Grafen Beust Umtriebe
gegen die deutsche Politik Bismarcks an den süddeutschen
Höfen machen. Er hatte ja gerade dem Grafen Beust gegen-
über den Abschluß eines Verfassungsbündnisses zwischen den
süddeutschen Staaten und dem Norddeutschen Bunde geradezu
für eine geschichtliche Notwendigkeit erklärt, wenn er auch
gelegentlich wieder die Bedeutung der Verfassungsverhandlun-
gen dem österreichischen Reichskanzler gegenüber aus nahe-
liegenden Gründen etwas herabzudrücken suchte. Er wollte
vielmehr die alte bayerisch-österreichische Freundschaft er-
halten und einer neuen Trübung der preußisch-österreichischen
Beziehungen vorbeugen. Als diese Beziehungen unter dem
Einflüsse der bekannten Interventionsdepesche, die die Wiener
Hofburg am 13. Oktober in Fühlung mit England nach Berlin
richtete, neuerdings gefährdet wurden, trug er keine Bedenken,
von Versailles aus auch gegen den Grafen Beust Stellung zu
nehmen. Am 27. Oktober telegraphierte er an den bayerischen
Vertreter in Wien^): ,,Die Fassung einer in Berhn mitgeteilten
österreichischen Depesche hat im Vergleich mit der konzilianten
Sprache Englands hier einen peinlichen Eindruck hervor-
gebracht und den Glauben an bedrohliche Gesinnungen
Österreichs in dem Maße begründet, daß dies auf die Ver-
handlungen mit Frankreich wohl Einfluß üben, dann aber
für die Beziehungen zu Österreich höchst gefährliche Rück-
wirkungen hervorrufen könnte. Machen Sie Graf Beust hierauf
in freundlicher Vorsorge aufmerksam." Er wollte damit, wie
er am nämlichen Tage in einer Weisung an den bayerischen
Gesandten näher ausführte 2), ,, gleich anfangs den Konse-
quenzen eines Mißverständnisses entgegentreten, von welchen
für die österreichisch-deutschen Beziehungen eine ernste Ge-
fahr zu befürchten sei". ,,Ich hielt es für meine Pflicht,
einem drohenden Zerwürfnisse im Keim entgegenzutreten
und bei dem regen Interesse, welches Bayern speziell an der
Erhaltung freundnachbarlicher Verhältnisse zu Österreich
nimmt, dem Herrn Reichskanzler die Gelegenheit zu bieten,
das von mir angenommene Mißverständnis rechtzeitig aufzu-
1) M. St. A.
^) Ebenda.
139
klären." Sein Ziel war die Wiederannäherung Preußens
an Österreich, die Herstellung womöglich selbst ver-
tragsmäßiger Beziehungen des neuen Deutschlands
zur österreichischen Monarchie.
Bismarck gab nicht zu, daß den nach Auflösung des
Deutschen Bundes zu voller Souveränität gelangten süd-
deutschen Staaten eine Verständigung über eine nationale
Verbindung mit dem Norddeutschen Bunde durch Artikel IV
des Prager Friedens versagt sei. Er zeigte aber immerhin
volle Bereit wiUigkeit, sich mit Österreich darüber ins Benehmen
zu setzen. Er bezeichnete sogar die Herstellung vertragsmä-
ßiger Beziehungen zur Monarchie als wünschenswert.
Und doch hatte noch vor wenigen Wochen der Versuch einer
Annäherung Preußens an Österreich eine kühle, der Ablehnung
gleichkommende Aufnahme gefunden. Im September 1870,
in der Zeit unmittelbar vor Beginn der bayerischen Initiative
in der deutschen Verfassungsfrage, hatte sich Bismarck in
Versailles — wohl nicht zuletzt in Rücksicht auf Bayern,um
Bayern leichter für seine nationalen Absichten zu gewinnen —
an den im Hauptquartier weilenden Schwager des pohtisch
einflußreichen Erzherzogs Albrecht, den bayerischen Prinzen
Luitpold, gewendet'), indem er ihm auseinandersetzte, wie
sehr die staatliche Ordnung in Europa von der sozialen Re-
volution bedroht werde und wie wünschenswert es angesichts
dieser Gefahr sei, daß die führenden Herrscherhäuser Europas
sich der Gemeinsamkeit der monarchischen Interessen gegen
den drohenden Umsturz bewußt bleiben. Den Bedenken des
Prinzen, als ob die preußische Politik für Österreich noch
immer ebenso gefährlich sei wie im Jahre 1866, begegnete er
mit der bestimmten Versicherung, daß Preußen nicht nur keine
feindlichen Absichten gegen Österreich hege, sondern es gerne
sehen würde, wenn auch das Vertrauen zwischen Österreich
und Rußland sich befestige. Wirklich schrieb der Prinz an
seinen Schwager im Sinne der von Bismarck gemachten
Anregung. Der Brief wurde am 16. September vom Aus-
wärtigen Amt in Berlin über die preußische Gesandtschaft
in Wien an den Erzherzog befördert. Dieser legte ihn dem
Kaiser und dem Reichskanzler vor. Die Antwort, die Prinz
Luitpold durch Vermittlung des Grafen Beust wiederum über
die preußische Gesandtschaft in Wien vom Erzherzog Albrecht
erhielt, war eine ziemlich unverhüllte Ablehnung, ähnlich der,
1) H. A. A. Vgl. dazu Moritz Busch, Tagebuchblätter I, 190 ff.
140
die in der Zeit der Luxemburger Frage die Mission des Grafen
Tauffkirchen erfahren hatte: Österreich fühle, solange nicht
sein Interesse durch Anerbietung bestimmter politischer
Vorteile angeregt würde, kein Bedürfnis einer Anlehnung
an Preußen; wenn dieses, wie es scheine, den Wunsch oder
das Bedürfnis einer Annäherung an Österreich habe, so ver-
misse man bisher jede Äußerung darüber, was Preußen dafür an
Österreich zu bieten habe; der Kaiser werde gerne alles in
Erwägung ziehen, was auf direktem Wege an ihn gelange. Und
wie im Jahre 1867 folgten der diplomatischen Abweisung
höhnische Presseäußerungen, die Preußen beschuldigten, daß
es die ,, Heilige Allianz" von den Toten erwecken möchte.
Daran erinnerte jetzt Bismarck nicht ohne Bitterkeit.
Gleichwohl war er noch immer geneigt, die von Bayern so
heiß begehrte Wiederannäherung an Österreich zu suchen^) und
zunächst das zu erfüllen, was Reichskanzler Beust auf eine
Anfrage des Grafen Bray als das Mindestmaß diplomatischen
Entgegenkommens bezeichnet hatte. Am 14. Dezember 1870
richtete er an den preußischen Vertreter in Wien, General von
Schweinitz, eine Depesche^), mit der Weisung sie dem öster-
reichischen Reichskanzler zu übermitteln. Darin machte Bis-
marck amtliche Mitteilung von der Neugestaltung Deutsch-
lands, betonte dabei mit besonderem Nachdruck, daß ihn bei
den Verhandlungen mit den süddeutschen Regierungen die
Rücksicht auf den Prager Frieden und auf gute Beziehungen
zwischen Deutschland und Österreich geleitet habe, und sprach
die Hoffnung aus, diese Neugestaltung Deutschlands möchte
sich einer wohlwollenden Aufnahme und Würdigung seitens
Österreichs-Ungarns erfreuen. ,, Deutschland und Österreich-
Ungarn werden mit den Gefühlen des gegenseitigen Wohl-
wollens aufeinander blicken und sich zur Förderung der Wohl-
fahrt und des Gedeihens beider Länder die Hand reichen."
Graf Beust gab sich mit dieser ,, Begrüßung bezüglich
des Prager Friedens "zufrieden. Er ließ zwar dem bayerischen
Gesandten in Wien durch einen Ministerialbeamten neuerdings
sagen, man sehe mit Bedauern die süddeutschen Staaten zu
einem Bund unter preußischer Oberherrschaft sich einigen
und betrachte die Erhöhung des Königs von Preußen zum
Deutschen Kaiser mit schmerzlichen Gefühlen, insbesondere
habe den Kaiser unangenehm berührt, daß die Initiative zu
^) Vgl. Platzhoff, Die Anfänge des Dreikaiserbundes in: Preuß. Jahr-
bücher, Bd. 188 (1922).
2) H. A. A.
141
dieser Neugestaltung der Dinge gerade von Bayern ausge-
gangen sei. Aber er ließ gleichzeitig auch erklären, daß man
weder gegen das eine noch gegen das andere Anstand erhebe
und sich in die neugeschaffene Lage zu finden suchen werde. ^)
Die preußische Depesche erwiderte Beust am 26. Dezember im
freundschaftlichsten Tone 2) : die Einigung Deutschlands unter
preußischer Führung sei ein Akt von historischer Bedeutung,
eine Tatsache ersten Ranges in der modernen Entwicklung
Europas; in allen maßgebenden Kreisen Österreich-Ungarns
herrsche der aufrichtigste Wunsch, mit dem mächtigen Staats-
wesen die besten und freundschaftlichsten Beziehungen zu
pflegen; diese Gesinnungen hätten in der Person S. Mt. des
Kaisers ihren erhabenen Schützer und Förderer; er werde
die Erinnerungen, die seine Dynastie in der glanzvollen Ge-
schichte von Jahrhunderten mit den Geschicken des deutschen
Volkes verbanden, nicht anders auffassen als mit den wärmsten
Sympathien und mit dem rückhaltslosen Wunsche, daß dieses
Volk in den neuen Formen seines staatlichen Daseins die
wahren Bürgschaften einer glücklichen, für seine eigene wie
für die Wohlfahrt des ihm in Sprache, Sitte und Recht so
vielfach verwandten Kaiserstaates gleich segensreichen Zu-
kunft finden möge. Unterstaatssekretär v. Thile äußerte
gegenüber dem bayerischen Gesandten in Berlin lebhafte
Befriedigung über den Inhalt der österreichischen Depesche,
ebenso die offiziöse preußische Presse.^)
Noch war hier nur von freundschaftlichen Beziehungen
die Rede, noch war selbst das Mißtrauen bei den beiderseitigen
Völkern und Staatsmännern nicht völlig überwunden. Aber
schon im Herbst war eine viel gelesene und viel besprochene
Flugschrift erschienen: ,, Gedanken über die österreichische
Politik der Zukunft." Von ihr war als Ziel der Zukunft aufge-
stellt worden: ,,eine internationale Allianz zwischen Öster-
reich und Deutschland." Zur besonderen Mitarbeit bei der
Verfolgung dieses Zieles war darin vermöge seiner Stammes-
verwandtschaft, seiner geschichtlichen Beziehungen, seiner
politischen, wirtschaftlichen und sozialen Interessen Bayern
ausersehen: ,,Die neue Stellung, die Bayern zum Norddeutschen
Bund einnehmen wird, gewährt ihm die Möglichkeit, die
wechselseitigen Interessen Österreichs und Deutschlands zu
1) M. St. A.
2) H. A. A.
^) Berichte Perglas' vom 21. und 29. Dezember 1870 und vom 5.
und 7. Januar 1871; M. St. A.
142
fördern, und ein Ministerium Bray dürfte seine schönste Wirk-
samkeit auf diesem Gebiete finden." Und vom Verfasser dieser
Flugschrift berichtete der bayerische Gesandte in Berlin,
Freiherr v. Perglas, daß er in nahen Beziehungen zum Grafen
Beust stehe. Dieser habe die Flugschrift dem General Schwei-
nitz in die Hand gegeben mit den bedeutsamen Worten: ,,daß
sie die richtige Darlegung der Lage in Österreich darstelle".
Die Besorgnis einer völligen Lösung des Freundschafts-
verhältnisses Bayerns zu Österreich hatte dem Grafen Bray
die Verhandlungen über ein Verfassungsbündnis mit dem Nord-
deutschen Bunde wesentlich erschwert. Die Annäherung
Preußens an Österreich, die Bereitschaft Bismarcks zur Her-
stellung selbst vertragsmäßiger Beziehungen Deutschlands
zur österreichischen Monarchie war es, die ihm nach eigenem
Bekenntnisse die letzten Bedenken gegen den Eintritt in den
Norddeutschen Bund überwinden half. Am 25. November
schrieb er an seine Gemahlin: ,,Was mich beruhigt und zu
meiner Entschlußnahme mächtig beigetragen hat, ist die hier
herrschende Geneigtheit, sich Österreich zu nähern und zu
diesem Reiche die freundschaftlichsten Beziehungen zu unter-
halten. Da dies dem wohlverstandenen Interesse beider Länder
entspricht, hoffe ich, daß es gelingen wird, dieses gute Ver-
ständnis auf der sicheren Grundlage eines Staatsvertrages
zu befestigen."^) Ähnlich sprach er sich auch am 7. Januar
in einem Erlaß an den bayerischen Gesandten in Berlin,
Freiherrn v. Perglas, aus. 2) Und noch bei der Beratung der
Versailler Verträge im bayerischen Landtag äußerte er: ,,Der
dritte Punkt ist die Erhaltung und Pflege der freundschaft-
lichsten, innigsten Beziehungen zu unserem mächtigen Nachbar-
staate. Bayern ist hierbei ganz besonders interessiert und
beteiligt. Ich habe nicht versäumt, mit den hervorragendsten
Staatsmännern in Versailles diesen Gegenstand eingehend zur
Sprache zu bringen, und ich muß es bestimmt aussprechen,
daß ich dort in dieser Beziehung den entgegenkommendsten
Ansichten und Wünschen begegnet bin. Ja noch mehr, es
wurde daselbst der Wunsch ausgesprochen, daß es gelingen
möge, durch internationale Verträge das bestehende Freund-
schaftsverhältnis noch fester zu knüpfen. Die seither der
Öffentlichkeit übergebene Depesche des Grafen Bismarck aus
Versailles vom 14. ds. Mts. sprach sich in dieser Hinsicht sehr
bestimmt aus."
^) Bray a. a. O. S. 170 f.
2) M. St. A.
VIII.
Das Kaiserprobicm.
Bismarck hat sich mit den Zugeständnissen an das Eigen-
leben des bayerischen Staates geradezu die Mithilfe des baye-
rischen Ministeriums in einer Frage gesichert, deren völkische,
moralische, seelische Bedeutung damals ganz anders als heute
eingeschätzt wurde.
,,Soll der Partikularismus leicht, wahrhaft und überall
überwunden werden, so bedarf es eines deutschen Kaisers,
der über den deutschen Königen steht. Das nationale Kaiser-
tum bildet die sicherste Brücke über den Main. Den Kaiser-
prunk könnte die deutsche Nation entbehren, aber den Kaiser
nicht." So schrieb Adolf Schmidt im Jahre 1866. Schon
damals empfahlen die Großherzöge von Oldenburg und von
Weimar und die Herzöge von Koburg und von Meiningen die
Annahme des Kaisertitels wegen seiner Anziehungskraft auf
Süddeutschland.
In der Übergangszeit zwischen 1866 und 1870 traten
nationalliberale Kreise und Organe für das gleiche Ziel ein,
weil sie davon eine neue Werbekraft für den deutschen Ge-
danken erhofften. Bismarck hatte früher auf den Kaiser-
titel keinen so hohen Wert gelegt, daß er sich deshalb neue
Schwierigkeiten innerhalb wie außerhalb Deutschlands hätte
schaffen wollen. Je länger je mehr lernte auch er die werbende
Kraft dieses volkstümlichen Zauberwortes, namentlich auf
den Süden, schätzen.
Schon im Frühjahr 1870 gingen durch die diplomatische
Welt Gerüchte von der beabsichtigten Annahme des Kaiser-
titels durch den König von Preußen. Publizisten und Diplo-
maten, Juhus Fröbel und Johann Kaspar Bluntschli, Hohen-
lohe, Friesen und Sir Robert Morier, der englische Gesandte
in Darmstadt, haben darüber berichtet, i) Doch läßt sich aus
^) Vgl. neben Ruville a. a. O. und Küntzel a. a. O. namentlich Branden-
burg, Die Verhandlungen über die Gründung des Deutschen Reichs a. a. O. ^
494 ff-
144
diesen Meldungen nur so viel mit Bestimmtheit herausschälen,
daß im April 1870 in den Kreisen der Diplomaten, Parla-
mentarier und Journalisten über einen Kaiserplan gesprochen
worden ist.
Gewichtiger sind zwei andere Zeugen: der französische
Geschäftsträger in Hamburg George Rothan, ganz besonders
aber der französische Ministerpräsident Emile Ollivier, der
sich auf aktenmäßige Belege stützen kann. Aus ihren Aussagen
durfte mit ziemlicher Sicherheit geschlossen werden, daß
Bismarck im Frühjahr 1870 bei den Großmächten, wenig-
stens bei England, sondierte, wie sie sich zur Annahme des
Kaisertitels durch den König von Preußen, und zwar wohl
eines norddeutschen Kaisertums, verhalten würden.
Dazu kann ich einen neuen Zeugen vorführen, den baye-
rischen Berichterstatter im deutschen Hauptquartier, Grafen
Maximilian v. Berchem. Nach dessen Berichte vom 18. Ok-
tober 1870 über eine Unterredung mit Bismarck äußerte dieser
zu Berchem: ,, England habe im verflossenen Jahre den Vor-
schlag gemacht, durch Realisierung der Kaiseridee den Status
quo definitiv zu fixieren und dadurch die Kriegsgefahr abzu-
wenden " Mit anderen Worten, die englische Diplomatie
hat nach der Äußerung Bismarcks den Kaisergedanken be-
günstigt, weil dadurch die deutschen Verhältnisse zur Ruhe
kämen und die Kriegsgefahr abgewendet werden könnte.
Diese Zeilen waren bereits geschrieben, als ein Aufsatz
von Walter Platzhoff in der ,, Historischen Zeitschrift"^) aus
den Akten des Auswärtigen Amtes in Berlin nähere Einzel-
heiten über den von Bismarck erwähnten Meinungsaustausch
mit England brachte.
In einer Audienz, die der englische Außenminister Lord
Clarendon dem preußischen Botschafter in London, Grafen
Berpstorff, am 11. Januar 1870 gewährte, sprach der Brite
zuerst von der erfreulichen Besserung der preußisch-öster-
reichischen Beziehungen und richtete dann an den Botschafter
die Frage, ,,wie es nach dem Übergange des königlichen
Ministeriums der Auswärtigen Angelegenheiten an den Nord-
deutschen Bund mit der amtlichen Bezeichnung sowohl Sr.
Majestät des Königs als Haupt des Bundes wie Allerhöchst-
seiner Vertreter im Ausland gehalten werden solle". Die
anderen Mitglieder des Bundes seien sehr eifersüchtig darauf,
daß die deutsche — und Bundesqualität zur Geltung und
1) Band 127 (1923).
145
Anwendung komme und nicht die preußische Bezeichnung
allein vorwalte. Anderseits könne man das Allerhöchste Haupt
des Bundes doch unmöglich als Präsidenten des Norddeutschen
Bundes bezeichnen. Er bedaure, daß der König von Preußen
nicht sofort nach dem Kriege von 1866 den Kaisertitel ange-
nommen habe, wo jedermann dies erwartet habe und niemand
Opposition dagegen gemacht haben würde. Er glaube aber,
es werde bald geschehen, schon aus dem Grunde, ,,um das
Militärbudget im Jahre 1872 im Reichstag durchzubringen,
welches sonst sehr gefährdet sein werde . . ., da schon eine
Menge von Abgeordneten ihren Wählern gegenüber Ver-
pflichtungen eingegangen seien, gegen die Verlängerung des
gegenwärtigen Standes der Bundesarmee einzutreten, wenn
nicht ein weiterer Schritt der Art geschehe". Die Annahme
des Kaisertitels werde zwar in Wien mißfallen, könnte aber
durch Anknüpfung freundschaftlicher Beziehungen zu Öster-
reich erleichtert werden. Auch in Paris werde die Annahme des
Kaisertitels nicht gefallen; er habe aber den englischen Bot-
schafter in Paris beauftragt, auf die französischen Minister dahin
zu wirken, daß sie nicht durch unüberlegte Äußerungen in
den Kammern die öffentliche Meinung aufregten, sondern dem
französischen Publikum begreiflich machten, daß das deutsche
Volk nur das tue, was die französische und andere Nationen
längst getan haben und wozu es selbst ein volles Recht habe.
Auf eine Anfrage des Grafen Bernstorf f gab er zu erkennen,
daß es für Österreich hart sein würde, wenn der König von
Preußen sich Kaiser von Deutschland nennen wollte; er
empfehle daher den Titel eines Kaisers in Deutschland.
Nach diesem einwandfreien Berichte des Grafen Bernstorf f,
den ich inzwischen im Auswärtigen Amte zu Berlin selbst
eingesehen habe, ist also wirklich die Initiative zu einer Aus-
sprache über das Kaiserprojekt nicht vom preußischen Bot-
schafter ausgegangen, sondern von dem englischen Außen-
minister. Veranlassung dazu gaben ihm aber, wie er zu Bern-
storf f äußerte, Nachrichten aus Berlin über einen bevorstehen-
den Schritt in der Kaiserfrage.
Graf Bismarck erhielt Bernstorffs Bericht am 14. Januar
und erwiderte ihn am 17. in einem ausführlichen Erlaß an
den deutschen Botschafter. Bismarck erörterte darin zunächst
die Gründe, die ihn 1866 bestimmten seinem Könige nicht zur
Annahme der Kaiserwürde zu raten: die Rücksicht auf den
Artikel IV des Prager Friedens, auf die französische Eifer-
sucht, auf die Empfindlichkeit der süddeutschen Staaten.
Doeberl, Bayern und die Bismarckische Reichsgründung. lO
146
„Mochte man sich," so führte er aus, ,,dazu neigen, den Kaiser-
titel von ganz Deutschland oder nur von Norddeutschland
herzunehmen, in jedem Falle zeigte die Situation ernste Be-
denken, ja Gefahren. In das Friedensinstrument aufgenom-
men, hätte der Titel Kaiser von Deutschland einen direkten
Widerspruch mit der in Artikel IV gezogenen Mainlinie aus-
gedrückt. Und auch wenn durch einen einseitigen Akt ange-
nommen, hätte er sicher mit Frankreich, dessen Eifersucht
durch den Artikel IV beschwichtigt war, eine neue Spannung
erzeugt, den dynastischen Stolz Bayerns . . . empfindlich ver-
letzt und möglicherweise unsere Beziehungen zu Süddeutsch-
land ungünstig gestaltet, in einem Augenblicke, wo Rußlands
Stellung zu uns noch unklar und Italiens Freundschaft zweifel-
haft war. Ich brauche nicht auszuführen, wie gefährlich das
Zusammentreffen aller dieser Wirkungen bei der damaligen
Sachlage werden konnte. Der Kaisertitel, wenn ihm auch eine
moralische Bedeutung beiwohnt und wenn diese Bedeutung
sich auch allmählich in realen Vorteilen ausprägen würde,
erschien mir zunächst als eine Formsache, und nur um einer
solchen willen wollte ich die Erreichung des Friedens nicht
aufs Spiel setzen." In demselben Erlasse gesteht aber auch
Bismarck, daß er die Bedeutung, welche die Äußerlichkeiten
in der Meinung seiner Landsleute haben, unterschätzt habe
und daß er sich jetzt ernsthaft mit dem Kaiserplane beschäftige.
,,Der preußische Partikularismus will nicht den König von
Preußen in dem Bundespräsidenten aufgehen lassen, sondern
umgekehrt, akzeptiert zwar, was dem Könige virtuell zuge-
wachsen ist, gefällt sich aber in betrübenden Betrachtungen
darüber, wie viel ihm, scheinbar, genommen sei oder durch den
weiteren Ausbau des Bundes genommen werden solle . . .
Diesen Erscheinungen gegenüber empfinde ich das Mangeln
des Kaisertitels; denn wäre er angenommen, so würde es den
konservativen Massen wie Schuppen von den Augen fallen."
Die Wahl zwischen deutsch und norddeutsch sei allerdings
schwierig: die alten Bedenken gegen norddeutsch bestünden
fort ; er habe aber von der dynastischen Überspanntheit
einen solchen Eindruck, daß es ihn nicht überraschen würde,
wenn die förmliche Proklamierung eines Anspruchs auf Supe-
riorität und selbst Souzeränität, wie er in der Annahme des
deutschen Kaisertitels läge, Bayern zum diplomatischen
Bruch, vielleicht zum Bündnisbruch, bestimmen sollte. Er
beauftragt Bernstorff, dem englischen Außenminister für die
Anregung und für die Sondierung in Paris zu danken, die Kaiser-
147
frage nach Anleitung seines Erlasses noch einmal mit ihm zu
besprechen und über die Bedenken, die Bismarck auf der
einen und auf der anderen Seite sehe, seine Ansicht zu er-
bitten.
Am 27. Januar 1870 hatte Graf Bernstorff eine zweite
Audienz beim englischen Außenminister. Lord Clarendon
hatte inzwischen — offenbar unter dem Eindruck der Nach-
richten aus Paris — seine Ansicht geändert : ,,Er habe sehr viel
und ernsthaft die Frage überlegt und durchdacht und sei nach
Abwägung aller einschlagenden Betrachtungen und Rück-
sichten zu dem Resultate gelangt, daß er von seinem allge-
meinen Gesichtspunkt aus einen jetzt plötzlich zu tuenden
Schritt wie den in Rede stehenden doch nicht für opportun
halten könnte." Das französische Ministerium habe über die
neue Organisation des Berliner Auswärtigen Amtes und der
Vertretung des Norddeutschen Bundes ,, etwas Emotion"
empfunden, da es darin einen Schritt weiter in der Unifikation
erblicke; die Annahme des Kaisertitels, wenn auch nur des
norddeutschen, würde es noch stärker emotionieren, weil es
darin erst recht eine Mediatisierung der Bundesstaaten,
namentlich Sachsens, sehen würde. Norddeutschland habe
zwar ein volles Recht zu tun, was es wolle, und sei stark genug,
um einen Krieg mit Frankreich nicht zu fürchten; da aber
Preußen das Wesen der Macht und der großen Stellung
bereits besitze, erscheine es ihm nicht der Mühe wert, ,,um der
Form und des Titels willen die Störung der jetzigen Ruhe
Europas zu riskieren". ,, Dasjenige, was dermaleinst kommen
solle und müsse, werde sicherlich durch Abwarten nicht ver-
lorengehen." Die aus Paris eingelaufenen Nachrichten über
die Aufnahme des Kaiserprojektes hatten den Minister be-
stimmt, seine frühere ,, Auf munterung" nach englischer Art
in eine ,, freundschaftliche Warnung" umzubiegen. Die Äuße-
rungen Ciarendons bewiesen Bismarck, daß das Einverständnis
der großen Mächte augenblicklich nicht zu erreichen sei.
Außenpolitische Schwierigkeiten wegen einer bloßen Form-
frage hervorzurufen scheute er um so mehr, als er wußte, daß
die Zeit für den Kaisergedanken arbeitete. Bismarck konnte
warten.
Das darf also jetzt als gesichert gelten: um die Jahsre-
wende 1869/70 beschäftigte sich Bismarck mit der Kaiber-
frage; im Januar fanden diplomatische Aussprachen über
ein norddeutsches Kaisertum zwischen dem preußischen
Botschafter und dem englischen Außenminister in London statt.
148
Aber Maßnahmen zur Verwirklichung des Kaiserplanes hat
Bismarck damals nicht getroffen. Er konnte Ende April 1870
dem englischen Botschafter Lord Loftus und dem französi-
schen Botschafter Grafen Benedetti auf ihre Anfrage ohne
Verletzung der Wahrheit erwidern: er wisse wohl, daß viele
das Kaisertum wünschten und daran auch glaubten; auch
er sei der Überzeugung, daß die engere Verbindung zwischen
dem Norden und dem Süden nur eine Frage der Zeit sei;
dagegen könne er die bestimmte Versicherung geben, daß
augenblicklich nichts derartiges im Werke sei. Der König von
Preußen war in die Verhandlungen nicht eingeweiht; dem
Erlaß an Bernstorff hatte Bismarck eigenhändig das Post-
skriptum hinzugefügt: ,,Zur Verhütung jedes Mißverständ-
nisses bemerke ich, daß ich bisher die persönlichen Ansichten
Sr. M. des Königs über die Kaiserfrage festzustellen niemals
Gelegenheit gehabt und auch heute keine Gewißheit in dieser
Beziehung besitze."
*
Ruville geht im Anschluß an Olli vier und Rothan noch
weiter. Er behauptet: Bismarck habe im Frühjahr 1870
oder gar schon im Herbst 1869 förmliche Anträge auf Er-
richtung eines deutschen Kaisertums an die Höfe von München
und Stuttgart gebracht und habe schon damals die Könige
von Bayern und von Württemberg, und zwar ersteren ohne
Wissen seines Ministeriums, für das preußische Kaisertum
gewonnen.
Diese Behauptung steht im Widerspruche mit anderen
sicher beglaubigten Tatsachen — gerade so wie Ruvilles Fabel
vom sogenannten Königswort aus dem Jahre 1866 oder wie
seine sensationellen Behauptungen vom Aktenfunde von
Cer9ay. An der Hand der bayerischen Akten bin ich jetzt
in der Lage, sie mit aller Bestimmtheit zu widerlegen.
Am 29. April 1870 berichtete der bayerische Gesandte
Freiherr v. Perglas aus Berlin von Gerüchten über einen
preußischen Kaiserplan, dem Rußland günstig gestimmt sei,
den es unter gewissen Voraussetzungen sogar unterstützen
wolle. Der österreichische Reichskanzler Graf Beust, mit
dem der damalige bayerische Geschäftsträger in Wien, Graf
Fugger, auf Weisung des Grafen Bray eine vertrauliche Be-
sprechung über den Bericht des Freiherrn v. Perglas hatte,
machte die weitere Mitteilung: nach den aus Berlin in Wien
eingetroffenen Berichten sei die Meldung von der beabsichtigten
Annahme des Kaisertitels zuerst dem englischen Gesandten
149
Lord Loftus über München zugekommen. Auf eine Anfrage
des österreichischen Botschafters Grafen Wimpffen habe
zwar der preußische Unterstaatssekretär v. Thile eine der-
artige preußische Absicht entschieden verneint, ebenso habe
der König von Preußen dem französischen Botschafter Grafen
Benedetti gegenüber den Plan in Abrede gestellt, aber trotz-
dem habe nach seiner Meinung in Berlin die Absicht be-
standen, den Kaisertitel anzunehmen. Beust fügte hinzu:
er glaube sicher, daß darüber Verhandlungen mit Sachsen,
Württemberg und Baden stattgefunden hätten.^)
Diese letztere, vermutungsweise gemachte Äußerung gab
nun dem Leiter der bayerischen Politik Veranlassung, an den
Höfen von Stuttgart und Dresden amtliche Erkundigungen
einzuziehen. Die Informationen, die er aus Stuttgart erhielt,
ließen mit Bestimmtheit erkennen, daß beim König und ins-
besondere der Königin von Württemberg damals durchaus
keine Neigung bestand, einem solchen Projekte Vorschub zu
leisten, und daß sich der verschwägerte Kaiser von Rußland
während seines Aufenthaltes in Stuttgart ausdrücklich für
die Erhaltung des status quo in Deutschland ausgesprochen
hatte. Die gleiche Abneigung gegen ein solches Kaiserprojekt
wurde dem Minister vom königlichen Hof in Sachsen ge-
meldet. Die sächsische Regierung erklärte zudem am 7. Mai,
daß Preußen ,,nie, auch nicht in der vertraulichsten Weise,
bei ihr Derartiges angeregt habe, ja daß auch nicht die ge-
ringste Andeutung gemacht worden sei, die auf die Existenz
eines solchen Planes schließen lasse." Vom bayerischen Könige
vollends ist mit keinem Worte die Rede."^)
Bismarck hatte wohl im März 1870 in einem vertraulichen
Gespräche mit dem Großherzog von Baden über die künftige
Gestaltung Deutschlands die ,, Überzeugung ausgesprochen,
daß die richtige Lösung dieser Frage nur in der Schaffung eines
deutschen Kaisertums beruhe."'*) Aber von Anträgen auf
Errichtung eines Kaisertums an die süddeutschen Höfe oder
auch nur an Sachsen findet sich in den bisher bekanntge-
wordenen Quellen keine Spur.
Bismarck hat sich noch zu Beginn des Deutsch-französi-
schen Krieges in der Kaiserfrage die strengste Zurückhaltung
auferlegt und ist aufdringlichen Vorstößen in der Presse scharf
^) Bericht Fuggers vom 4. Mai, Beilagen IV, nr. i.
2) M. St. A.
^) Schreiben des Großherzogs von Baden an Bismarck vom 6. Oktober
1870, H. A. A.; jetzt bei Stern a.a.O. Bd. X, S. 594^
150
entgegengetreten. Er schrieb noch am 4. August 1870 an den
preußischen Minister des Innern^) : „Zeitungen, welche, wie
die Kreuzzeitung jetzt, namenthch ehe der Sieg gewiß, von
Kaiserideen sprechen, schädigen unsere Pohtik und stören
die süddeutsche Bundesgenossenschaft. Ew. Exzellenz wollen
die Zeitungsredaktionen hiervon verständigen und mit Unter-
drückung der in dieser Beziehung nachteilig wirkenden Organe
bedrohen." Bismarck scheute in diesem Anfangsstadium des
Krieges ganz besonders die Empfindlichkeit der süddeutschen
Höfe, und zwar gerade die des Königs von Bayern, von dem
Graf Bray noch am 8. September 1870 äußerte: ,,daß er ganz
außer sich sei, wenn man vom Kaisertum auch nur spreche."-)
Er scheute damals auch die Eifersucht der europäischen Groß-
mächte, nicht nur Österreichs und Frankreichs, auch Rußlands.
Unmittelbar vor und nach dem Tage von Sedan, Ende
August und Anfang September, tritt das Kaiserprojekt lauter
und bestimmter auf, in der norddeutschen nationalliberalen
Presse sowohl wie in der süddeutschen fortschrittlichen,
namentlich in zwei in Bayern besonders stark verbreiteten
Blättern, in den ,, Münchener Neuesten Nachrichten" und in
der ,, Augsburger Abendzeitung": der Ruf sowohl nach Er-
neuerung des ,, alten Kaiserreiches Deutscher Nation", wie
der Wunsch, daß der König von Bayern die Initiative zur
Gründung des neuen deutschen Kaiserreichs ergreifen möge.
Das Kaiserprojekt der nationalliberalen und der fort-
schrittlichen Presse blieb nicht ohne Widerspruch im eigenen
Lager. In dem kühleren, mehr verstandesmäßig einge-
stellten Norden äußerte sich der Widerspruch stärker als in
dem gefühlsmäßigeren, mit der Kaiseridee länger und tiefer
verwurzelten Süden. Die einen warnenden Stimmen sahen
in dem werdenden preußisch-deutschen Bundesstaat eine
völhg neue, ganz moderne Schöpfung und glaubten, daß der
,,alte, verstaubte und vergilbte Purpur aus der langen Nacht
des Kyffhäusers die scharfe Luft des neuen Tages nicht mehr
ertrage"; ihr Herrscherideal war nicht der staufische Kaiser
Rotbart, sondern der neuzeitliche Preußenkönig Friedrich
der Große. Die anderen besorgten von der Anknüpfung an
das römisch-deutsche Kaisertum das Wiederaufleben imperia-
listischer Tendenzen. Im Norden war einer der folgerichtigsten
1) H. A. A.
2) Bericht Sodens vom 9. September, St. St. A.
151
und zähesten Vertreter dieser mehr praktischen, mehr ver-
standesmäßigen Auffassung, einer der nüchternsten Beurteiler
der Kaiseridee — der bekannte nationaüiberale Führer Bam-
berger. Im Süden erging sich namenthch der fortschritthche
,, Fränkische Kurier" in trüben Warnungen vor dem Kaiser-
tum mit seinen imperiahstischen Versuchungen ; man versäume
darüber seine häushchen Angelegenheiten und ernte den Haß
der Nachbarvölker. Selbst das einflußreichste Organ der
bayerischen Fortschrittspartei, das ,, Wochenblatt der Fort-
schrittspartei", stand anfänglich dem Kaiserprojekte gleich-
gültig, wo nicht ablehnend gegenüber. Am schärfsten setzte
der Widerspruch gegen dieses ,, Kaisertum der National-
liberalen" bei der patriotischen Presse ein — aus politischen
wie aus kirchenpolitischen Gründen.
Aber gerade der lebhafte Streit mußte die Aufmerksamkeit
der bayerischen Regierung und des bayerischen Königs auf
sich ziehen. Und diese Kaiser-Diskussion erfuhr jetzt seitens
des Hauptquartiers nicht bloß keinen Einhalt mehr, Bismarck
fühlte sich jetzt stark genug, aus seiner Zurückhaltung heraus-
zugehen. Seine langsam vortastende Kaiserpolitik beginnt aufs
neue. Noch in der ersten Hälfte des September, während seiner
Anwesenheit in München, überbringt der bayerische Diplomat
Graf Tauf fkirchen die ersten Andeutungen, aber auch die ersten
leisen Werbungen unmittelbar aus dem Hauptquartier selbst, i)
Und jetzt, aber erst jetzt ergeht vom Könige von Bayern
eine amtliche Anfrage nach dem Kaiserprojekt. Er schrieb
am 14. September, offenbar unter dem Eindruck der Mit-
teilungen Tauffkirchens, an den Grafen Bray-): ,,Ich habe
allen Grund anzunehmen, daß sowohl die hohen preußischen
Regierungskreise als auch der Berliner Hof der Kaiseridee nichts
weniger als ferne stehen. Es ist Mir nun von hohem Interesse
sehr rasch zu erfahren, welche Stellung die Höfe von Dresden,
Stuttgart, Karlsruhe und Darmstadt zu dieser Sache ein-
nehmen. Wollen Sie daher Meine Gesandten an den be-
zeichneten Orten beauftragen, in vertraulicher und äußerst
behutsamer Weise Erkundigungen darüber einzuziehen, welche
Auffassung bezüglich des angeregten Punktes bei den be-
treffenden Höfen besteht." Darauf erwiderte der Minister am
folgenden Tage^) : ,,Nach der Meldung des Grafen Tauff-
1) Vgl. K. A. V.Müller, Bismarck und Ludwig. II. a.a.O. S. looff. ;
derselbe in: Forsch, z. brandenburg. und preuß. Gesch. 1914, S. 580 und 584.
2) M. St. A.
^) Ebenda.
152
kirchen scheint die Idee der Annahme des Kaisertitels durch
den König von Preußen dem Grafen Bismarck in der Tat
vorzuschweben und es ist nicht zu leugnen, daß, wenn auch mit
diesem Titel keinerlei Prärogative über die zum Nordbund ge-
hörigen Staaten verbunden werden, die Kaiseridee an sich ge-
eignet ist, in der Öffentlichkeit zu irrigen Annahmen Anlaß
zu geben." Graf Bray äußert Bedenken gegen eine Anfrage
bei Hessen-Darmstadt und beim Königreiche Sachsen, weil
diese Staaten einem solchen Antrage sich doch nicht ent-
ziehen könnten, und ebenso gegen eine Anfrage bei Baden,
weil die badische Regierung sie sofort zur Kenntnis der preußi-
schen bringen würde. Mit Württemberg dagegen habe er
bereits einen vertraulichen Gedankenaustausch eingeleitet.
Bevor noch der Minister darüber Mitteilung gemacht
hatte, tritt im Zusammenhang mit der Einladung des Königs
von Bayern nach Fontainebleau die Absicht auf Annahme des
Kaisertitels mit aller Bestimmtheit auf und zugleich der Wunsch,
bei der Zusammenkunft in Fontainebleau die Zustimmung,
wo nicht das Anerbieten des Königs von Bayern zu erlangen.
Der Leiter der bayerischen Politik, Graf Otto v. Bray-
Steinburg, kein Mann von rascher Initiative, ein Mann der
alten Schule, war selbstverständlich kein ,, Vorkämpfer der
kleindeutschen Einigung unter preußischer Führung", war
selbstverständhch ebensowenig von Anfang an ,,ein ent-
schiedener Anhänger des Reichs- und Kaisergedankens".
Er hat sich in den kritischen Stunden des Kriegsausbruches
wie der einsetzenden deutschen Verfassungsfrage, wie der be-
ginnenden Kaiseragitation nicht leicht, nicht ohne inneres
Widerstreben zu entscheidenden Entschlüssen durchgerungen.
Aber der nüchterne Staatsmann mit einer jahrzehntelangen
diplomatischen Erfahrung war nicht der schroffe Partikularist,
um nicht hier wie dort die unabweislichen Forderungen der
Zeit zu erkennen. Er hatte schon am 8. September zu dem
befreundeten württembergischen Gesandten Freiherrn v. Soden
geäußert : ohne die Kaiserkrone werde es ebensowenig abgehen
wie ohne eine gemeinsame deutsche Volksvertretung^). Er
beschwört jetzt, am i. Oktober^), nicht bloß seinen König, die
Einladung nach Fontainebleau anzunehmen, er empfiehlt das
Anerbieten der Kaiserkrone aufs wärmste, bittet Ludwig IL
eindringlich, wenn ihm die Reise nach Fontainebleau durchaus
unangenehm sein sollte, die Zustimmung zur Annahme des
1) St. St. A.; dazu Mittnacht, Rückblicke S. 117.
^) Beilagen IV, nr. 3.
153
Kaisertitels schriftlich oder durch einen Bevollmächtigten
auszusprechen. Was ihn darin bestärkte und zu einer ihm un-
gewohnten Eindringlichkeit der Vorstellung anspornte, war,
daß seinem Könige für eine Initiative in der Kaiserfrage weit-
gehende Zugeständnisse in bezug auf eine Ausnahmestellung
der Krone und des Landes Bayern im künftigen Deutschen
Bund in Aussicht gestellt wurden, namentlich auf militäri-
schem Gebiete. Allerdings fügte Bray noch den Wunsch
hinzu: ,,Wenn die Absendung eines Bevollmächtigten zu
diesem Zwecke behebt würde, wäre derselbe zu beauftragen,
von der gewünschten Ermächtigung nur dann Gebrauch zu
machen, wenn die Zugeständnisse Preußens sich dieser Kon-
zession als würdig und ebenbürtig erwiesen."
Der König bringt dem Minister seine frühere Anfrage in
Erinnerung, wie sich die süddeutschen Höfe, zumal Württem-
berg und das Königreich Sachsen, zur Kaiseridee verhielten.^)
Der Minister erwidert, die Meldungen aus Stuttgart und aus
Dresden heßen deutlich erkennen, daß die Höfe von Württem-
berg und von Sachsen dem Kaisergedanken jetzt ebenso ab-
geneigt gegenüberstünden wie vor dem Kriege, inzwischen aber
zur Erkenntnis gekommen seien, daß ,, einem entschiedenen
Auftreten des Wunsches Preußens nicht werde mit Erfolg
entgegengewirkt werden können, und zwar um so weniger,
als von Seite Badens und vieler anderer deutscher Fürsten
das bereitwilligste Entgegenkommen zu erwarten sei". Auf
einen Widerstand Württembergs und Sachsens sei demnach
nicht mehr zu rechnen.^)
Kurz vor seiner Abreise nach Versailles, am i8. Oktober,
erhielt Graf Bray ein Schreiben aus dem Hauptquartier, das
ihn in seiner Unterstützung des Kaiser pro jektes erst recht be-
stärkte. Graf Maximilian v. Berchem berichtete am 14. Oktober :
,,Im Gegensatz zu den früheren Monaten begegnet mir die Tat-
sache, daß jetzt in maßgebenden Kreisen ziemlich häufig von
der Kaiseridee gesprochen wird. Man hat mir im Privatgespräch
zu verstehen gegeben, daß die Realisierung desjenigen, was
man hier unter dem Begriff Partikularwünsche subsumiert, am
leichtesten durch eventuelle Angebote der Kaiserwürde,
namentlich gegenüber dem andernfalls bestehenden häufigen
Widerspruche der anderen Fürsten, erreicht werden könnte.
Ich hielt mich verpflichtet hievon Meldung zu tun und habe
diese Ansicht von Keudel, welcher eine ähnliche Äußerung
^) Beilagen IV, nr. 4.
2) Beilagen IV, nr, 5.
154
Delbrücks streng vertraulich zitiert, vertreten hören, ebenso
von Pückler, welcher zu verstehen gab, daß diese Auffassung
auch dem Könige Wilhelm naheliege. Bismarcks Ansicht in
dieser Frage kenne ich nicht, er spricht weniger wie je, es
scheint mir aber die Sache auch vom Bundeskanzleramte so
aufgefaßt zu werden, daß Preußen keine Schwierigkeiten
machen dürfte, die geforderten Reservatrechte zu konzedieren,
•daß aber der öffentlichen Meinung gegenüber dies leichter
ginge, wenn man an die alten Formen des Reiches anknüpfen
könnte."^)
Es besteht Grund zu der Annahme, daß Graf Bray noch
vor seiner Abreise nach Versailles, zu den Verhandlungen in
der deutschen Verfassungsfrage, vom Könige die Zusage einer
schriftlichen Ermächtigung oder eines schriftlichen Anerbietens
der Kaiserwürde gegen gewisse Zusicherungen, namentlich
bezüglich eines kleinen Landzuwachses, erwirkt hat. 2) Der
Gedanke einer, wenn auch nur mäßigen territorialen Ver-
größerung hatte eben, wie schon früher berichtet wurde,
inzwischen beim Könige kräftiger Wurzel gefaßt als beim
Minister und wurde in Rücksicht auf gewisse Mitglieder des
königlichen Hauses und auf einflußreiche Kreise bei Hofe wie
im Volke auch von dem durchaus deutsch gesinnten Kabinett-
sekretär Eisenhart genährt. ,,Ich glaube in der Tat," schrieb
dieser an den Grafen Bray, ,,daß hierdurch sehr viele die
politische Einbuße, die wir denn doch erleiden, leichter ver-
schmerzen würden. Damit, daß nur Opfer gebracht werden
und nichts in Austausch kommt, damit sind — mit Ausnahme
der Nationalliberalen — wohl wenige zufrieden."^) Ein Ge-
dankengang, der auch auf preußischer Seite Würdigung
fand. „Es dürfte uns schwer sein," äußerte der preußische
Botschafter Graf Bernstorff gegenüber dem englischen Außen-
minister, ,,den Königen von Bayern und Württemberg eine
solche capitis diminutio in einem Augenblick aufzuerlegen, wo
sie ihre Pflicht gegen uns treu erfüllen und an unserer Seite
einen ehrenvollen Frieden für uns erkämpfen. Es dürfte gerade
deshalb, abgesehen von anderen Gründen, vielleicht nötig sein,
ein territoriales Entschädigungsobjekt für unsere Bundes-
genossen zu finden, was nicht wohl anders als in einer Gebiets-
vergrößerung auf Kosten Frankreichs zu suchen sein möchte."
1) M. St. A.
^) Das wird durch eine Mitteilung des badischen Staatsrates v. Geizer
bestätigt. Tagebuch des Großherzogs von Baden zum 30. November.
^) Schreiben Eisenbarts an Bray vom i . November, bei Bray a. a. O. S. 176.
155
Gerade Eisenhart scheint dem könighchen Wunsche die
Richtung nach der badischen Pfalz, nach einem Verbindungs-
streifen zwischen Unterfranken und der Rheinpfalz, gegeben
zu haben. Graf Bray griff den Gedanken jetzt, aber erst jetzt
auf, vielleicht gerade deshalb, um eine bayerische Land-
erweiterung auf Kosten Frankreichs auszuschalten. Wirksam,
mit ganzer Seele hat der Minister das Programm einer Land-
vergrößerung auch jetzt nicht verfolgt, ebensowenig wie früher;
ihm lagen Sicherheiten für die Selbständigkeit Bayerns mehr
am Herzen als territoriale Vergrößerung.
Gleich nach ihrer Ankunft i) in Versailles erklärte Bis-
marck den bayerischen Ministern: im Jahre 1866 habe er den
Bezeichnungen Kaiser und Reich keinen Wert beigelegt; jetzt
aber sei er zur Überzeugung gekommen, daß man damit die
öffentliche Meinung und den Reichstag, auch den Kronprinzen
von Preußen für gewisse Realitäten, auch für die Zugeständ-
nisse an Bayern geneigter stimmen könne. Der Kanzler suchte
den bayerischen Bevollmächtigten den Kaisertitel durch die
Vorstellung annehmbarer zu machen, daß es ihrem Könige
leichter fallen müsse, gewisse Rechte einem deutschen Kaiser
als dem benachbarten Könige von Preußen einzuräumen. Er
wies auf die Stimmung in den fürstlichen Kreisen hin, die
drängten und die Bayern zugedachte Rolle selbst übernehmen
könnten. Er appellierte an ihr monarchisches Gefühl, indem
er mit der Möglichkeit drohte, daß der zum November aus-
geschriebene Reichstag des Norddeutschen Bundes und mit
ihm das deutsche Volk den Fürsten mit der Kaiserproklamation
zuvorkommen könnte, wie im Frühjahr 1849. ,,Wenn die
Sache von den Fürsten kommen solle, müsse es jedenfalls vor
Schluß des Reichstags geschehen; es werde ihm vielleicht ge-
lingen Manifestationen im Reichstage hinauszuschieben, sie
gänzlich zu verhindern läge aber schwerlich in seiner Macht."
Er hat auch tatsächlich noch am 26. November dem Präsi-
denten das Bundeskanzleramtes, Staatsminister v. Delbrück,
die ,, vertrauliche" Weisung nach Berlin erteilt, ,, dahin zu
wirken, daß eine Anregung zur Annahme des Kaisertitels nicht
in den ersten Sitzungen erfolge". Es war keine Redensart,
^) Die folgende Darstellung gründet sich, wo nichts anders vermerkt
wird, auf die einschlägigen Ministerialakten im Geh. Münchener Staats-
archiv (,, Akten über die Verfassung Deutschlands", Konvolut I), die zum
Teil in Brays ,, Denkwürdigkeiten" gedruckt sind.
156
wenn Bismarck zu den bayerischen Bevollmächtigten äußerte,
,,daß es ihm am wünschenswertesten sei, wenn die Sache von
Bayern käme". Die bayerischen Minister gewannen geradezu
den Eindruck, daß hier der Schwerpunkt der Situation liege,
daß um diesen Preis Zugeständnisse reellerer Art zu erringen
seien. 1) In der Tat, hier lag für Bismarck eine entscheidende
Stelle seiner politischen Berechnungen.
,, Kaiser und Reich," erklärte Bismarck dem Großherzoge
von Baden in Versailles, ,, müssen die Folge dieses Krieges
sein; denn nur auf diesem Wege ist eine gute Entwicklung der
deutschen Zustände zu erwarten." Sollte der zögernde Preußen-
könig^) für den Kaisertitel gewonnen werden, dann mußte das
Angebot von den Fürsten kommen, voran von dem zweit-
mächtigsten Fürsten des außerösterreichischen Deutschlands,
von dem Könige von Bayern. Dann mußte gerade dem vor-
gebeugt werden, womit Bismarck den bayerischen Bevoll-
mächtigten drohte, der Initiative des Reichstages, weil, wie
ein zeitgenössischer Diplomat sich ausdrückte, der Preußen-
könig ,,die Kaiserkrone alter widriger Reminiszenzen wegen
niemals vom Volke angenommen hätte". Anderseits konnte
gerade das Kaiserangebot des Königs von Bayern in der Hand
Bismarcks zu einer Waffe werden, um den Widerstand des
Reichstages und des Bundesrates gegen die unvermeidlichen
Verfassungszugeständnisse an Bayern zu überwinden.
Graf Bray geht in der Kaiserfrage — das machen jetzt
die bayerischen Akten zur unwiderleglichen Gewißheit —
fortan vom Anfang bis zum Ende der Versailler Verhandlungen
Schulter an Schulter mit Bismarck. Nicht aus Begeisterung
^ Begeisterung war dem nüchternen Staatsmanne fremd — ,
wohl aber in der Hoffnung, um diesen Preis für Bayern gün-
stigere Aufnahmebedingungen in den deutschen National-
staat zu gewinnen. Die Behauptung, daß er von dieser Frage
^) Bericht Brays vom 25. Oktober a. a. O.
2) Noch am 13. November äußerte König Wilhelm zum Großherzoge
von Baden: ,,er sei eigentlich der Annahme des Kaisertitels sehr abgeneigt,
da er mit den alten preußischen Traditionen ungern breche und auch glaube,
daß in Preußen diese Veränderung empfindlich berühren werde. Als Kaiser
von Deutschland komme ihm die Stellung zu Preußen vor wie die Ungarns zu
Österreich. Aber er sehe wohl ein, daß es nun einmal nicht zu ändern sei,
und wolle sich darein ergeben." Noch am 19. November bekannte er seinem
Schwiegersohne: ,, Diese Änderung wird mir entsetzlich schwer, schwerer
wie meinem Sohn, der es nicht erwarten kann, weil ihm eine Vergangenheit
fehlt, die man nur in meinem Alter ganz zu würdigen weiß." Tagebuch des
Großherzogs.
157
sich geflissentlich ferngehalten habe oder gar von Bismarck
planmäßig ausgeschaltet worden sei oder daß er auch nur das
Interesse daran verloren hätte, ist völlig unbegründet.
Graf Bray gibt gleich zu Beginn der Versailler Verhand-
lungen die Geneigtheit Bayerns zum Anerbieten der Kaiser-
krone kund, wiewohl er von seinem Könige nicht dazu ermäch-
tigt ist. Er nimmt die Bezeichnung ,, Kaiser und Reich" in jene
Verfassungsentwürfe auf, die er für Bismarck ausarbeitete.
Er unterstützt Bismarck aufs eifrigste, als dieser den Kaiser-
plan neuerdings mit dem Gedanken eines Fürstentages,
und zwar diesmal in Versailles, in Verbindung setzt. Er tritt
wie früher für die Reise des Königs nach Fontainebleau so
jetzt für eine Reise nach Versailles aufs lebhafteste ein, wie-
wohl er die Menschenscheu seines Monarchen kennt. Er
richtet am 12. November, am entscheidenden Wendepunkte
der Versailler Verhandlungen, mitsamt den übrigen Bevoll-
mächtigten ,,zur Entlastung ihres Gewissens" eine gemeinsame
Vorstellung an den König mit der eindringlichsten Darlegung
der Gründe, die für eine Reise nach Versailles sprächen, i)
Er läßt durch ein Privatschreiben des Ministers Lutz vom
13. November^) an den Staatsrat Daxenberger den in München
zurückgebliebenen Ministern ins Gewissen reden, ihre Vor-
stellung zu unterstützen: „Wenn das Ministerium nicht deut-
lich spreche, werde es seinerzeit großen Vorwürfen nicht ent-
gehen und vielleicht vom Könige selbst Vorwürfe erhalten."
,, Württemberg hat abgeschlossen und ist Mitglied des Deut-
schen Bundes, wenn auch die Urkunde noch nicht vollzogen ist.
Von Baden und Hessen versteht sich dies von selbst." Er
erwirkt in der Tat, daß sich die Minister des Innern, der
Finanzen und auch der des Handels der Vorstellung ihrer
Ministerkollegen anschlössen und in einem gemeinschaftlichen
Antrage den König beschworen, der ,, ebenso ehrerbietigst als
dringend gestellten Bitte im Interesse der Krone und des
dem König von Gott anvertrauten Landes Folge zu geben". ^)
Er spielt gegen den zögernden König ganz im Geiste Bismarcks
1) Dieses Gesamtschreiben fehlt in den Akten, findet sich auch nicht in
dem Nachlasse des Königs. Der spätere Ministerialrat Graf, der damals als
Hilfsarbeiter mit in Versailles weilte, hat dazu später auf Grund persönlicher
Erinnerungen mitgeteilt, daß ihm das Schreiben von Lutz in die Feder diktiert
und dann im Original, ohne Rückhaltung eines Konzeptes, nach München
expediert worden sei. Registraturvermerk vom 16. April 1909. Vgl. Bei-
lagen IV, nr. II.
2) Beilagen IV, nr. 7.
^) Beilagen IV, nr. 8.
158
und der von diesem bedienten Presse das Schreckgespenst
des Zollparlamentes oder des Reichstages aus, der dem Könige
mit der Kaiserproklamation zuvorkommen werde. Er geht
dabei selbst über die besonderen Anliegen des Königs, an die
dieser die Initiative in der Kaiserfrage geknüpft wissen wollte
und die er durch Eisenhart immer wieder einschärfen ließ^),
leicht hinweg : das eine, eine mäßige Land Vergrößerung in der ba-
dischen Pfalz, die zugleich als Ersatz für den territorialen Verlust
des Jahres 1866 gedacht war, gehöre in das Gebiet der Friedens-
verhandlungen und werde erst dann ernstlich in Erwägung
gezogen werden können, wenn Frankreich das Prinzip territori-
aler Abtretungen anerkannt habe, die andere ,, bewußte Ange-
legenheit" — gemeint ist ein finanzielles Anliegen, eine wenig-
stens teilweise Rückzahlung der Bayern 1866 auferlegten
Kriegsentschädigung, aber nicht an den Staat, sondern an den
König — entziehe sich, wie er bereits in München bemerkt
habe, gänzlich seiner Kompetenz und könnte ohne den größten
Nachteil und ohne dringende Gefahr von ihm nicht in An-
regung gebracht werden. 2) Er entsendet schließlich am 21,
und 24. November die beiden historischen Telegramme, die
nach der Aussage des Königs selbst die Entscheidung in der
Kaiserfrage brachten, die telegraphischen Mitteilungen: die
Reise nach Versailles werde entbehrlich, wenn Seine Majestät
die Initiative zur Übertragung des Kaisertitels schriftlich zu
übernehmen geruhe; die Kaiserwürde sei unaufhaltsam; wenn
der König von Bayern die Initiative ablehne, würden die
in Versailles anwesenden Fürsten und der Reichstag sie über-
nehmen.3) Graf Bray erklärte am 24. November auf eine
Anfrage des Großherzogs von Baden ausdrücklich: die baye-
rischen Bevollmächtigten hätten sich verpflichtet, die Kaiser-
angelegenheit bei ihrem Könige durchzusetzen, und sie glaubten
sicher das Ziel zu erreichen.*)
Das war in den eingeweihten Kreisen Wiens so notorisch,
daß man hier den Grafen Bray den ,, Kaisermacher" nannte.
Das war derselbe Minister, der angeblich ausgezogen war, um
Kaiser und Reich wieder im Untersberge verschwinden zu
machen.
^) Bray a. a. O. 175, 176, 192.
*) Beilagen IV, nr. 9.
") Beilagen IV, nr. 10 u. 12.
*) Tagebuch des Großherzogs von Baden.
159
Die Initiative ging demnach auch in der Kaiserfrage,
ebenso wie früher bei der Anerkennung des Kriegs-
oder Bündnisfalles und beim Eintritt in die Ver-
fassungsverhandlungen, auf bayerischer Seite vom
Ministerium aus, nicht vom Könige. Ludwig II., der Ema-
nuel Geibel das ihm von Maximihan IL gewährte Gnaden-
gehalt entzogen hatte, weil er in einer seiner Dichtungen
König Wilhelm als den künftigen Kaiser begrüßte, ist das
Anerbieten der Kaiserkrone unendlich schwer geworden.
Die Behauptung, daß er Ende Oktober ,, förmlich darauf
gebrannt hätte", ,,sein heiligstes Recht, die Verleihung der
Kaiserkrone, zur Ausübung zu bringen", ist ebenso eine Aus-
geburt der Phantasie wie die andere Behauptung, daß er schon
im Frühjahr 1870 oder gar im Dezember 1869 vom Grafen
Bismarck für das preußische Kaisertum gewonnen worden sei.
Er hat vielmehr die dem Grafen Bray vor dessen Abreise nach
Versailles in der Kaiserfrage in Aussicht gestellte schriftliche
Ermächtigung selbst jetzt noch zurückgehalten^), weil er zuerst
die zwei Zugeständnisse erfüllt sehen wollte, die ihm besonders
am Herzen lagen. Kaum war Bray abgereist, so sandte Eisen-
hart am 24. Oktober eine chiffrierte Depesche an ihn ab:
,,S. Majestät will vor Berichterstattung von Exzellenz weder
die bekannte Ermächtigung noch Brief absenden."
Der einsam auf Schloß Hohenschwangau weilende König
Ludwig hat sich noch mehr dagegen gesträubt, persönlich
auf einem Fürstentag in Versailles zu erscheinen und hier dem
Preußenkönige die Kaiserwürde anzutragen. Er suchte nach
einem glaubhaften Hinderungsgrund. Er entschied sich zu-
letzt für eine Sehnenverdehnung. Er ließ dem Abgesandten des
Großherzogs Friedrich von Baden, dem Staatsrate v. Geizer,
der ihn durch Verherrlichung der Kaiseridee und durch die
Aussicht auf unvergänglichen Ruhm zu gewinnen suchte,
durch Eisenhart sagen: als konstitutioneller Fürst könne er
sich über eine so wichtige Angelegenheit nicht eher äußern,
als bis er mit seinen Ministern, deren Rückkehr er erwarte,
Rücksprache genommen habe. Er lehnte die eindringliche
Gesamtvorstellung seiner Minister noch am 20. November ab,
wiewohl ihm der Kabinettsekretär Eisenhart stundenlang
auseinander setzte: die Reise nach Versailles sei notwendig
zur Wahrung des persönlichen Prestiges, zur Förderung guter
Beziehungen mit dem preußischen Hofe, zur Belebung des
1) Nach Geizer unter dem Einflüsse des Prinzen Otto.
160
bayerischen Geistes in der Armee, zur Niederhaltung der
Aktion im Lande, zur Erreichung mögUchst großer Konzessionen.
Erst auf jene Mitteilungen des Grafen Bray vom 21. und
24. November begann der König einzulenken. Der Entschluß
ist ihm noch in letzter Stunde außerordentlich schwer geworden,
wenn es auch nicht leicht zu entscheiden ist, was ihm schwerer
fiel: die eigene Überwindung oder die Überzeugung anderer
daß er nicht anders handeln könne. Er schrieb an die Mit-
glieder des königlichen Hauses, er rechtfertigte sich vor ihnen.
Das vom Kabinettsekretär redigierte Schreiben an die Prinzen
Karl, Adalbert, Ludwig und Karl Theodor vom 25. November
ist verhältnismäßig ruhig und sachlich abgefaßt.^) Das vom
Könige persönlich verfaßte Schreiben an seinen Bruder Otto^)
vom gleichen Tage wahrt in dem Bestreben, sich vor seinem
Bruder zu rechtfertigen, kaum noch die königliche Würde.
Nachdem er seinen Bruder durch angelegentliche Erkundigung
nach seinem Befinden und mit einem unfreundlichen Seiten-
blick auf die gemeinsame Mutter, ,,die Cousine des deutschen
Kaiserkandidaten", wie er sie nennt, günstig gestimmt zu
haben glaubt, beginnt er zögernd und entschuldigend: ,,Ich
erlebte mittlererweile viel Trauriges! Selbst der bayerisch-
monarchische Bray beschwor mich mit Pranckh und Lutz,
so bald als möglich jenem König die deutsche Kaiserkrone
anzubieten, da sonst die anderen Fürsten oder gar der Reichs-
tag es tun würde. Könnte Bayern allein, frei vom Bunde stehen,
dann wäre es gleichgültig. Da dies aber geradezu eine politische
Unmöglichkeit wäre, da Volk und Armee sich dagegen stemmen
würden und die Krone mithin allen Halt im Lande verlöre,
so ist es, so schauderhaft und entsetzlich es immerhin bleibt,
ein Akt von politischer Klugheit, ja von Notwendigkeit im
Interesse der Krone und des Landes, wenn der König von Bayern
jenes Anerbieten stellt, da, nachdem Bayern nun doch einmal
aus politischen Gründen in den Bund muß, hinterher der nun
doch nicht mehr fernzuhaltende Kaiser von mir bon gre
mal gre anerkannt werden muß!" ,, Jammervoll ist es, daß
es so kam, aber nicht mehr zu ändern."
Einige Mitglieder des königlichen Hauses haben dem Könige
den Entschluß noch wesentlich erschwert. Prinz Luitpold, der
spätere Prinzregent, hatte schon am 21. November an seinen
königlichen Neffen geschrieben: ,,Was die auch mir in die Seele
verhaßte deutsche Kaiseridee betrifft, so begreife ich voll-
^) Beilagen IV, nr. 13.
2) Beilagen IV, nr. 14.
161
kommen, daß Du, lieber Ludwig, nicht geneigt bist, dem
König von Preußen vorzuschlagen, den Titel eines deutschen
Kaisers anzunehmen, und stimme vollkommen Deinem Ent-
schlüsse bei, dies nicht zu tun. Nach der von Anfang so löb-
lichen Erfüllung des Allianzvertrags, nach all den an Gut
und so kostbarem bayerischen Blut gebrachten Opfern ist
Bayerns König, ist Bayern selbst berechtigt, von Seite Preußens
ein dankbares Entgegenkommen zu erwarten. Ich kann mir
daher leider nur zu gut vorstellen, welche kummervollen Stun-
den Du, lieber Ludwig, so manchmal zubringen wirst." i) Der
damals in München weilende Prinz Otto suchte noch in einem
Schreiben vom 28. November ^) den Widerstand seines Bruders
neu zu beleben: ,,Als ich Deinen Brief gelesen, kamen heiße
Tränen in meine Augen und noch jetzt schmerzt mich die
erschütternde Mitteilung, die Du mir gemacht, so oft sie mir
wieder in den Sinn kömmt. Doch habe ich immer noch ein
wenig Hoffnung. Vielleicht kömmt was Unerwartetes dazu
und rettet uns noch vor dem Untergang! Noch ist's nicht zu
spät. Höre noch einmal meine Stimme; ich beschwöre Dich,
das Schreckliche nicht zu tun! Wie kann es denn für einen
Herrn und König eine zwingende Gewalt geben, seine Selb-
ständigkeit dahinzugehen und außer Gott noch einen Höheren
über sich anerkennen zu müssen! Wird der Name Bayern
noch geachtet, nur noch genannt werden im Ausland ? ! Mögen
wir auch für den jetzigen Augenblick Vorteile und Zugeständ-
nisse erlangen, die vielleicht von großem Umfang sind, so
wiegen sie doch gewiß nicht den hundertsten Teil von jenem
Nachteil auf, den wir durch Hingebung der Selbständigkeit
erleiden. Mögen diese Konzessionen auch für den Augenblick
beträchtlich sein, mögen sie auch vielleicht für 20 bis 30 Jahre
erhalten bleiben, so wird doch gewiß immer mehr davon abge-
zwackt werden und in 50 bis 100 Jahren, wenn es recht lange
währt, sind sie uns vielleicht sämtlich abgerungen." Die Ant-
wortschreiben der übrigen Prinzen sind bis jetzt nicht zu-
gänglich geworden.
Der mißtrauische König vollzieht seinen Entschluß auch
jetzt nicht, ohne zuvor den Oberststallmeister v. Holnstein,
der eben damals besondere Macht über ihn besaß, an Bismarck
zu entsenden, um durch ihn ,,das Terrain rekognoszieren" und
seine beiden besonderen Anliegen sichern zu lassen, die er
1) M. H. A.
2) Beilagen IV, nr. 15.
Doeberl, Bayern und die Bismarckische Reichsgründung. II
162
offenbar durch den Grafen Bray zu wenig energisch vertreten
glaubt.
Der Oberststallmeister, der am Abend des 25. Novem-
ber in Versailles eintrifft, erlangt Gewißheit, daß das Kaiser-
problem der einzige Grund sei zur Einladung der deutschen
Fürsten nach Versailles, daß aber der König von Bayern,
wenn er die Unbequemlichkeit einer Reise nach Versailles
scheue, den Antrag auf Erneuerung des Kaisertums auch in
schriftlicher Form an den König von Preußen richten könne.
Der Oberststallmeister scheint von Bismarck auch gewisse
territoriale und finanzielle Zusagen erhalten zu haben. Er
empfängt gleichzeitig aber auch die bestimmte Mitteilung,
daß die in Versailles versammelten Fürsten oder der Nord-
deutsche Reichstag mit dem Antrag auf Errichtung des
Kaisertums hervortreten werden, wenn ihnen nicht der König
von Bayern in kürzester Frist zuvorkomme. Der Oberst-
stallmeister ersucht Bismarck um eine schriftliche Darlegung
seiner Meinung über die Kaiserfrage in einem Schreiben an
den König von Bayern, er erholt seinen Rat über die Form
des schriftlichen Antrages, er bittet zuletzt um einen förmlichen
Entwurf eines Kaiserbriefes, den man seinem Könige nur zur
Unterschrift vorzulegen brauche. Bismarck vollzieht diesen
Wunsch, aber erst nach einigem Zögern, da er, wie er dem
Großherzoge von Baden gestand, dem Grafen Holnstein an-
fänglich ,, nicht recht getraut habe".^) Er entwirft ein Schrei-
ben, in dem der König von Bayern dem Preußenkönige mit-
teilt, er habe sich mit dem Vorschlag an die deutschen Fürsten
gewendet, bei ihm anzuregen, daß er mit der Ausübung der
Präsidialrechte in dem neuen Deutschen Bunde den Titel
eines Deutschen Kaisers verbinde. Bismarck verfaßt gleich-
zeitig ein persönliches Schreiben an den König von Bayern
mit dem auf die Psyche Ludwigs II. berechneten Motive: die
in Versailles übernommenen Verpflichtungen könne der König
von Bayern wohl einem Deutschen Kaiser, nicht aber dem
Könige von Preußen, leisten; nur der Titel Deutscher Kaiser
bekunde, daß die damit verbundenen Rechte aus freier
Übertragung der deutschen Fürsten und Stämme hervor-
gehen. ,,Der Deutsche Kaiser ist ihr Landsmann, der König
von Preußen ihr Nachbar. "2)
^) Tagebuch des Großherzogs zum 27. November.
^) Luise V. Kobell, König Ludwig II. und Fürst Bismarck im Jahre 1870
(Beilage).
163
Der Entwurf des Kaiserbriefes findet nicht bloß die
Zustimmung des Grafen Holnstein, sondern auch die Billigung
des Grafen Bray und des Gesamtministeriums. Kabinett-
sekretär Eisenhart hat ja in einem Schreiben an den Grafen
Bray ausdrücklich geäußert, daß der Kaiserbrief von diesem
revidiert worden sei. Es ist wenig wahrscheinlich, daß die
Reise des Grafen Holnstein ohne Kenntnis Brays geschah,
es ist vielmehr durchaus glaubwürdig, daß Bray beauftragt
wurde, die Ankunft Holnsteins anzumelden. Es besteht sogar
Grund zur Annahme, daß Graf Bray in Rücksicht auf die zu
erwartende Ankunft Holnsteins seinen Aufenthalt in Versailles
verlängert hat. Wir wissen jetzt aus den (ungedruckten)
Aufzeichnungen eines Teilnehmers, des Grafen Hugo v. Lerchen-
feld, des späteren langjährigen Gesandten am preußischen
Hofe, daß Graf Holnstein sich in Versailles beim Grafen Bray
meldete, daß die Minister gemeinsam mit dem Grafen Holn-
stein die Rückreise nach München antraten und daß unter-
wegs der freilich ergebnislose Versuch gemacht wurde den von
Bismarck entworfenen Kaiserbrief etwas wirksamer zu ge-
stalten. Nach einer Mitteilung Bismarcks an Staatsminister
von Delbrück vom 30. November i) stellten die drei bayerischen
Minister bei ihrer Abreise von Versailles ebenso wie Graf
Holnstein die unverzügliche Anregung der Kaiserfrage in
Aussicht. Bismarck fügt in dem Schreiben hinzu: ,,Ich habe
allen vieren gesagt, die Sache sei eilig, wenn verhindert werden
solle, daß der Reichstag die Initiative nehme; wir wünschen
diese Verhinderung dringend." Um ganz sicher zu gehen
sandte Bismarck den bayerischen Bevollmächtigten nach ihrer
Abreise von Versailles am 30. November auf dem Wege über
die preußische Gesandtschaft in München die weitere Mit-
teilung zu: ,,Nach Delbrücks telegraphischen Nachrichten sei
die Stimmung im Reichstage bezüglich der Annahme des
bayerischen Vertrages unerwartet schwierig und seien deshalb
alle bei der Armee befindlichen Abgeordneten heute tele-
graphisch nach Berlin einberufen; nach denselben telegraphi-
schen Meldungen würde aber der Kaiser, wenn von Bayern
beantragt, das Gleichgewicht wieder herstellen, falls es bis
Montag im Reichstag bekanntgegeben werden könnte."
Wiederum wirkt die Botschaft Bismarcks aus dem Munde
Holnsteins ähnlich wie früher aus dem Munde des Grafen
Tauf f kirchen : der König ist offenbar von den mündlichen
Meldungen seines Oberststallmeisters beruhigt und von dem
1) H. A. A.
164
psychologisch fein gehaltenen Begleitschreiben Bismarcks ge-
schmeichelt ; er ist anderseits von den Absichten der nationalen
Kreise geängstigt. Das ist zu schließen aus der Schnelligkeit,
mit der er nun ausnahmsweise seine Entschlüsse faßt und aus-
führt. Derselbe König, der noch am Tage vorher dem Grafen
Bray geschrieben hatte, er könne in der Kaiserfrage einen
wohlgemessenen Entschluß erst dann fassen, wenn er wenig-
stens die Hauptpunkte der Versailler Verträge genau kenne
und gebilligt habe^), wartet den Bericht des Ministers nicht
mehr ab, selbst nicht die Rückkehr seines Kabinettsekretärs,
der den Auftrag hatte, mit den eben von Versailles zurück-
gekehrten Ministern über die Ergebnisse der Versailler Ver-
handlungen zu konferieren, unterzeichnet am Nachmittag
des 30. Novembers den von Bismarck verfaßten Kaiserbrief
und überschickt ihn noch am nämlichen Tage durch den Grafen
Holnstein an Eisenhart nach München.
Er legt allerdings ,,die Frage der Absendung des Briefes"
,,in die Hände" des bei der Entscheidung abwesenden Kabinett-
sekretärs mit der Begründung: ,, Mittlererweile werden Sie
Näheres über die deutsche Verfassungsfrage durch meine
Minister gehört haben und aus diesem Grunde werden Sie
imstande sein, die Sachlage richtig beurteilen zu können.
Sollte ein anders gefaßter Brief daher als besser und ange-
messener sich herausstellen, sollten die Opfer, die man im
Verfassungsentwurf von mir verlangt, zu groß sein, gut, so
zerschlägt sich die Sache und ich ermächtige Sie, den Brief
an den König von Preußen zu zerreißen."^) Aber das geschah,
wie so oft, nur aus der dem König eigenen Scheu vor Ver-
antwortung — um wie in allen wichtigen Fragen die Ver-
antwortung auf einen andern abzuschieben.
Kabinettsekretär Eisenhart weilte nach dem Berichte
seiner Frau im Residenztheater, als Graf Holnstein mit dem
Kaiserbrief in München eintraf. Der Kabinettsekretär hatte
bereits vorher mit dem Grafen Bray und den beiden anderen
von Versailles zurückgekehrten Ministern über den Versailler
Vertrag sowohl wie über den Entwurf des Kaiserbriefes
konferiert. Der Entwurf war von den Ministern neuerdings
ausdrücklich gebilligt worden. Der Kabinettsekretär glaubte
sich daher berechtigt, den Kaiserbrief abgehen zu lassen, ohne
eine erneute Aussprache mit den Ministern zu pflegen, ohne
die ausdrückliche Zustimmung namentlich des Ressort-
^) Beilagen IV, nr. 16 und 17.
*) Gedruckt bei Böhm Ludwig 11.^ S. 304.
165
ministers Bray einzuholen. Nach der Darstellung Luise v.
Kobells hätte allerdings Eisenhart noch in der Nacht eine
Aussprache mit dem Justizminister Lutz gehabt, der ihn in
seinem Entschlüsse bestärkt habe. Wir sind nicht in der Lage
diese Nachricht zu kontrollieren, aber das ist gewiß: mit dem
Vorsitzenden im Ministerrate, der in dieser Angelegenheit zu-
gleich Ressortminister war, hat er keine Aussprache gesucht.
Wohl aber hat er nachträglich, am 3. Dezember, zugleich zu
seiner Rechtfertigung, ihm einen kurzen, aber doch sehr
inhaltsreichen Bericht erstattet i): ,,Am 30. nachmittags
schrieb Seine Majestät an den König von Preußen, wobei der
von Ew, Exzellenz revidierte Bismarckische Entwurf wortgetreue
Benutzung fand. Zugleich schrieb Seine Majestät an mich
in München, die Frage der Absendung des Briefes in meine
Hand legend. Es war mir daher von größtem Werte, vorher
über die Sache mit Ew. Exzellenz gesprochen zu haben. Die
Bismarckische Redaktion schien mir zwar etwas stark ge-
schäftlich, aber die Form ist doch nicht die Hauptsache.
Gegen den Inhalt des Briefes vermochte ich nach bestem
Wissen und Gewissen nichts einzuwenden und so wurde denn
nachts V2I Uhr der Brief gesiegelt. Graf Holnstein fuhr dann
noch zum norddeutschen Gesandten und morgens 6 Uhr nach
Versailles, wo er heute ankommt. Morgen findet mutmaßlich
offizielle Übergabe des Briefes statt, wozu Prinz Luitpold
von S. Majestät beordert wurde."
Die Aufgabe des Historikers ist: weniger anzuklagen als
vielmehr zu verstehen. Die Pflicht obliegt ganz besonders
einer so krankhaft veranlagten Persönlichkeit gegenüber wie
König Ludwig H., der politisch ein Kind war.
Wir wissen heute, daß die Anregung zur Kaiserproklama-
tion nicht von Bayern ausging. Wir wissen, daß der König
und das königliche Haus , zumal der königliche Bruder Prinz
Otto, dem Kaiserplan abgeneigter gegenüber standen als das
Ministerium, daß der bayerische König, als sein Ministerium
längst für das Kaiserprojekt gewonnen war, nur langsam
und zögernd sich dazu verstand, daß er noch in den letzten
Tagen das Gutachten von Mitgliedern des königlichen Hauses
einholte und sich durch den Grafen Holnstein von Bismarck
gewisse Sicherungen und Gegenleistungen erbat. Wir wissen,
daß der Kaiserbrief Ludwigs H. wörtlich oder fast wört ich
nach dem, um mit Eisenhart zu sprechen, ,, etwas stark ge-
schäftlichen" Entwürfe Bismarcks geschrieben wurde.
^) Beilagen IV, nr. 19.
166
Wir wissen aber auch, daß der Antrag auf Kreierung des
Kaisertums und damit gleichsam einer höheren, übergeordneten
Souveränität in Deutschland — das war, wie wir jetzt wissen,
tatsächlich die Meinung im deutschen Hauptquartier — für
einen Ludwig II. mit seiner krankhaft gesteigerten Vorstellung
von der königlichen Würde ein schweres Opfer, ,,ein Herab-
steigen von der jetzigen Stufe", wie Kabinettssekretär Eisenhart
im November zu Staatsrat Geizer äußerte, oder, um mit den
Worten des preußischen Botschafters Bernstorf f zu sprechen,
eine ,, deminutio capitis" bedeutete, ein schweres Opfer nicht
bloß für ihn, sondern auch für sein Haus, für das er sich recht-
fertigen, seinem Bruder Otto gegenüber entschuldigen , für das
er Gegenleistungen aufweisen zu müssen glaubte. Ein ein-
facher Berliner Bürger hat in einer Zuschrift an den König
mit schUchten Worten das zum Ausdruck gebracht: ,,Eure
Königliche Majestät haben sich durch diese Tat des freien
Willens, die an Mut, Opferwilligkeit und Selbstverleugnung
durch keine Heldentat im Felde übertroffen wird, den Dank
der Mit- und Nachwelt gesichert." Wir wissen, daß König
Ludwig IL, trotz schwerer Bedenken einzelner Mitglieder des
königlichen Hauses, der deutschen Einheit dieses Opfer
brachte und daß es, wie Eisenhart dem Grafen Bray richtig
erklärte, für einen könighchen Willensakt nicht auf die Form,
sondern auf den Inhalt- ankömmt.
Am 30. November richtete Ludwig IL den Kaiserbrief an
den Preußenkönig. Am 3. Dezember überreichte ihn Prinz
Luitpold, der spätere Prinzregent, dem Könige Wilhelm. Der
Kabinettsekretär Eisenhart nennt es eine ,, seltsame", der
Großherzog von Baden eine ,, merkwürdige Fügung", daß
gerade Prinz Luitpold der Überbringer des Kaiserbriefes war;
der Prinz hatte sich eben gegen das Kaiserprojekt besonders
scharf ausgesprochen. Zum Großherzoge von Baden äußerte
König Wilhelm unmittelbar nach Überreichung des Kaiser-
brief es ^): ,, Prinz Luitpold habe den Kaiserbrief in sehr nüch-
terner Form übergeben, worauf er ihn in seiner Gegenwart ge-
lesen und ihm dann gesagt habe, der Antrag des Königs von
Bayern überrasche ihn; denn gerade von ihm habe er sich
denselben am wenigsten erwartet, da ja die Verhandlungen
mit den bayerischen Ministern erwiesen hätten, daß König und
1) Tagebuch des Großherzogs.
167
Regierung sich nur schwer entschlössen den neuen Bund zu
schheßen. Er werde den Brief alsbald beantworten und den
Antrag des Königs von Bayern annehmen, sobald er von
allen Fürsten gebilligt sei. Er hoffe, daß daraus ein festes
Band der Einigkeit erwachse, das um so nötiger sei, als
eigentlich nur Baden mit großem Entgegenkommen das
Einigungswerk ermöglicht habe."
Am 30. November und in den folgenden Tagen wandte
sich König Ludwig im Sinne des Kaiserbriefes an die Fürsten
und freien Städte Deutschlands mit dem Vorschlage, gemein-
sam mit ihm beim Könige von Preußen in Anregung zu bringen,
daß er mit der Ausübung der Bundespräsidialrechte die
Führung des Titels eines Deutschen Kaisers verbinde. Der
Antrag wird damit begründet, daß nach dem Beitritte Süd-
deutschlands die dem Könige von Preußen übertragenen
Präsidialrechte sich über alle deutschen Staaten erstreckten
und daß der Kaisertitel geeignet sei zum Ausdruck zu bringen,
daß diese Vorrechte der König von Preußen ,,im Namen des
gesamten deutschen Vaterlandes auf Grund der Einigung seiner
Fürsten ausübe." i) König Ludwig IL äußerte ausdrücklich
den Wunsch, daß das Anerbieten der Kaiserkrone in der Presse
,,als eine nationale Tat in das gebührende Licht gesetzt und
in diesem Sinn auf die süddeutsche Stimmung eingewirkt
werde". Auch in dem Anschreiben an die deutschen Fürsten
und Städte wird mit Zustimmung des Königs der nationale
Charakter des Vorganges ausdrücklich betont: ,,es sei ihm ein
erhebender Gedanke, daß er sich durch seine Stellung in
Deutschland und durch die Geschichte seines Landes berufen
fühlen könne, zur Krönung des deutschen Einigungswerkes
den ersten Schritt zu tun." Ähnlich äußerte sich der König
einige Tage später in einem Schreiben an den Bevollmächtigten
des Großherzogs von Baden, Staatsrat Dr. Geizer: ,,Mir aber
gereicht es zu einem befriedigenden Bewußtsein, daß ich durch
den unterm 30. November an den König von Preußen ge-
richteten Vorschlag, die Ausübung der Bundespräsidial-
rechte mit der Führung des Titels eines deutschen Kaisers
verbinden zu wollen, unter freudiger Zustimmung meiner Mit-
fürsten zur festen und dauernden Einigung Deutschlands das
Meinige nach Kräften beizutragen vermochte."
Den Mitgliedern des königlichen Hauses gegenüber recht-
fertigte der König in einem Schreiben vom 4. Dezember
1) Beilagen IV, nr. 18.
168
den Kaiserbrief mit den Versailler Verträgen, die sowohl die
Militärhoheit als auch das Gesandtschaftsrecht der Krone
Bayern vollständig gewahrt und derselben in einigen wert-
vollen Punkten, wie der Teilnahme bei Friedensschlüssen, eine
Sonderstellung eingeräumt hätten. Er rechtfertigte den
Kaiserbrief in demselben Schreiben aber auch mit der Not-
wendigkeit, zu verhüten, daß der König von Bayern von
den zurzeit in Versailles versammelten Fürsten überholt
werde. 1)
Am i6. Dezember kann König Ludwig dem Könige von
Preußen telegraphisch mitteilen, daß seinem Antrag auf Ver-
leihung der Kaiserwürde sämtliche Mitfürsten und freien
Städte ,,in freudiger Einmütigkeit" 2) ihre Zustimmung erteilt
hätten. Der Großherzog von Baden hatte, im Einvernehmen
mit Bismarck, den Erfolg wesentlich erleichtert und be-
schleunigt: er hatte die in Versailles anwesenden und die bei
der Loirearmee befindlichen regierenden deutschen Fürsten
für Zustimmung gewonnen und ihre Zustimmung telegraphisch
nach München übermittelt; er hatte sich auch telegraphisch
an die Könige von Sachsen und Württemberg sowie an den
Großherzog von Hessen und den Herzog von Braunschweig
gewandt. Er war es auch, der den König von Bayern unter
Hinweis auf die zu erwartende Kaiserdeputation des Reichs-
tages zu eiaer beschleunigten, telegraphischen Mitteilung der
Zustimmung der deutschen Fürsten und freien Städte ver-
anlaßte.^)
Trotzdem ist das Kaisertum noch in letzter Stunde unter
Schmerzen geboren worden.
Die patriotische Presse in Bayern, die von Anfang an
dem preußisch-deutschen Kaiserprojekt Abneigung und Miß-
trauen entgegenbrachte, erhob gerade damals, in den Wochen
um die Jahreswende, flammende Proteste gegen dieses Idein-
deutsche ,,schwarzweißrote Kaisertum", dieses ,, Kaisertum
der Nationalliberalen". Übertreibungen im nationalliberalen
und fortschrittlichen Lager, Überschwenglichkeiten, aber auch
Überhebung, selbst ein gewisser Terrorismus, namentlich auf
kirchlichem Gebiete, hatten den kurze Zeit schlummernden
Widerspruch der Patrioten neuerdings angefacht.
Die ,, Augsburger Postzeitung" legte sich eine gewisse
„staatsmännische" Mäßigung auf, wandte sich weniger gegen
^) Beilagen IV, nr. 20.
2) M. St. A.
2) Tagebuch des Großherzogs zum 3., 5., 6., 8. und 11. Dezember.
169
das Kaisertum an sich als vielmehr gegen den drohenden
militärischen und zentralistischen Charakter desselben, hinter
dem das Gespenst der demokratischen Republik stehe. Um so
leidenschaftlicher ist die Sprache der durch und durch demo-
kratisch denkenden und fühlenden extrem-patriotischen Blätter,
der ,, Donauzeitung", ganz besonders aber des ,, Volksboten"
und des ,, Vaterlandes". Sie lehnen jede Gemeinschaft mit
dem neuen Kaisertum ab, sie eifern gegen das Kaisertum
überhaupt. ,,Caesarem habemus," diese Losung ist der
,, Donauzeitung" gleichbedeutend mit einer Zuchtrute, die
unser Herrgott dem deutschen Volke geschickt hat. Dem
,, Vaterlande" ist die neue Kaiserkrone die vergrößerte preußi-
sche Pickelhaube, die Verkörperung des verhaßten preußischen
Wesens, die Vollendung des Einheits- und Militärstaates,
das Zuchthaus. Seine Morgengabe sei ,,mehr Kriege, mehr
Krüppel, mehr Totenlisten und mehr Steuerzettel", sein
Wahlspruch heiße: Gewalt geht vor Recht. Sie eifern ganz
besonders gegen das protestantische Kaisertum. Ein deutscher
Kaiser ohne den Mittelpunkt der abendländischen, der katholi-
schen Christenheit, ein protestantischer Kaiser entbehre jeder
historischen und rechtlichen Grundlage. Das alte, echte,
römisch-deutsche Kaisertum sei eine Schöpfung Papst Leos IIL
und Karls des Großen gewesen, das neue, preußisch-deutsche,
protestantische Pseudokaisertum sei eine Erfindung Luthers
und des Schwedenkönigs Gustav Adolf. Dieser habe sich
mit den protestantischen Reichsständen verschworen, an die
Stelle des katholischen den protestantischen Kaiser zu setzen
und damit die Vormacht des christlichen Abendlandes zu
protestantisieren. Das Erbe des Schwedenkönigs habe das
Haus Hohenzollern übernommen und nach zweihundert-
jährigem blutigen Ringen nahezu verwirklicht. Noch fehle
aber Böhmen und die übrigen habsburgischen Erblande und
die Kaiserstadt Wien. Im nächsten Kriege werde Hohen-
zollern zum vernichtenden Schlage auch gegen das Haus
Habsburg ausholen.
Von einer höheren geistigen Warte aus wendet sich gegen
das kleindeutsche Kaisertum das literarisch höchststehende
Organ der patriotischen Presse, die ,, Historisch-Politischen
Blätter". Sie kämpfen mit geistigen Waffen, die oft wörtlich
an die Dialektik des bekannten Publizisten Konstantin Frantz
erinnern. Ihnen steht über der Nationalität die Menschheit.
Für die Menschheit ist das Christentum in die Welt gekommen
und mit ihm der Gedanke einer Geistes- und Interessen-
170
gemeinschaft der europäischen Völker, der Gedanke einer sie
umspannenden christlichen Rechts- und Gesellschaftsordnung.
Im römisch-deutschen Reiche war diese christliche Rechts-
und Gesellschaftsordnung verwirklicht, unvollkommen selbst
noch in der heiligen Allianz und im Deutschen Bunde.
Der revolutionäre Liberalismus hat die christliche Gemein-
schaft zerstört und an ihre Stelle das Eigenrecht der National-
staaten, den modernen Macht- und Militärstaat gesetzt.
Der erste und der dritte Napoleon haben dieses neue Staats-
ideal auf den Thron erhoben. Der Napoleonismus in Paris
hat seine Fortsetzung gefunden in dem Napoleonismus von
Berlin. Das neue Kaisertum mit seinem zentralistischen und
militaristischen Nationalstaat ist nicht der Nachfolger des
universellen römisch-deutschen Kaiserreichs, sondern das
Geisteskind des napoleonischen Cäsarismus. Je großartiger
die Vorstellung war, die man in diesen Kreisen vom mittel-
alterlichen Kaisertum hatte, wenn sie auch zum Teil auf
Illusion beruhte, desto schroffer war der Widerspruch gegen
die neue Kaiseridee.
Diese Sprache der bayerisch-patriotischen Blätter fiel
um so mehr auf die Nerven, als der Versailler Vertrag noch
immer der Zustimmung des bayerischen Landtags harrte und
auf diesem Landtage die patriotische Partei über die Mehrzahl
der Stimmen verfügte. Die pessimistischen und nur allzu
temperamentvollen Berichte des badischen i) und des preußi-
schen Gesandten in München, die nach Versailles gelangten,
waren nicht geeignet die Stimmung im Hauptquartier zu be-
ruhigen.
Die Vorgänge in Bayern waren nicht die einzige Sorge
des Kanzlers und seines Königs.
König Johann von Sachsen und sein erster Minister
Freiherr v. Friesen waren darüber verstimmt, daß der König
von Bayern seinen Kaiserbrief ,,ohne vorherige Verständigung
mit den anderen Souveränen geschrieben hatte", daß insbe-
sondere der König von Sachsen ,,ganz beiseite gelassen worden
war". Sie waren um so mehr verstimmt, als sich mit dem
Anschreiben des Königs von Bayern zwei Schreiben des
Königs von Sachsen gekreuzt hatten, in denen König Johann
die Könige von Bayern und Württemberg zum persönlichen
Besuch in Versailles einlud, um einerseits die Einigkeit Deutsch-
lands vor aller Welt kundzutun, um anderseits die Kaiserfrage
^) Tagebuch des Großherzogs von Baden zum 29. Dezember.
171
in Anregung zu bringen. Die Gereiztheit richtete sich nicht
bloß gegen Bayern sondern auch gegen Bismarck. Vergebens
entschuldigte der Kanzler die „Schnelligkeit und Form-
losigkeit" des Verfahrens mit den Verhältnissen in Bayern,
zumal mit dem „sehr kranken" Zustande des Königs Ludwig:
„das Terrain in München sei derart, daß ein Umschwung des
Windes jeden Tag möglich sei, wenn nicht die momentane
günstige Stimmung benützt werde." Sachsen lehnte es ab,
im Bundesrate den durch die Annahme des Titels ,, Kaiser und
Reich" notwendig gewordenen Antrag auf Abänderung des
Textes der Bundesverfassung zu stellen. Bismarck sah sich
genötigt, Sachsen- Weimar dafür zu gewinnen.^)
Noch immer fehlte die amtliche Annahme des Kaiser-
titels. Der Kronprinz von Preußen und viele fürstliche Per-
sönlichkeiten wollten, daß am Neujahrstage Kaiser und Reich
feierlich proklamiert würden. 2) Der König von Preußen, der
sich nur schwer mit dem Kaisergedanken befreundete, nur
schwer für den Empfang der ,, Kaiserdeputation" des Reichs-
tags gewonnen worden war, bestimmte, daß mit der feierlichen
Verkündigung gewartet werden solle, bis die Zustimmungs-
erklärungen sämtlicher nord- und süddeutscher Fürsten und
freien Städte amtlich mitgeteilt und die Versailler Verträge
von den süddeutschen Landtagen genehmigt und von den
süddeutschen Souveränen ratifiziert worden seien. Was aber
bisher von Bayern in der Kaiserfrage geschehen war, waren
einseitige Handlungen des Königs, die der ministeriellen
Gegenzeichnung entbehrten: der Kaiserbrief sowohl wie das
Anschreiben an die deutschen Fürsten und die Bekanntgabe
ihrer Zustimmung an den Preußenkönig. Noch fehlte die
amtliche Zuleitung der Zustimmungserklärungen der deutschen
Staatsoberhäupter, noch fehlte die Zustimmung des bayerischen
Landtags zum Versailler Vertrag. Noch am 31. Dezember
schrieb daher König Wilhelm an Bismarck: ,,Mein Sohn
fragt mich soeben, ob morgen eine Proklamierung von Kaiser
und Reich stattfinde, da mit dem i. Januar die neue Ver-
fassung ins Leben trete. Ich erwiderte: nein; denn Bayern
ist völlig en retard mit der offiziellen Anzeige der Zustimmung
der Fürsten, so daß dies jedenfalls abgewartet werden muß,
ganz abgesehen von der Verzögerung des Votums der zweiten
Kammer."^) Das Einzige, was die in Versailles anwesenden
^) H. A. A. („Acta betr. die Annahme des Kaisertitels", Bd. I.)
^) Tagebuch des Großherzogs von Baden zum 28. Dezember.
') H. A. A. („Acta betr. die Frage wegen Annahme des Kaisertitels",
Bd. II.)
172
Fürsten erreichten, war, daß der Großherzog von Baden in
einer Neujahrsrede an der königUchen Tafel zu Versailles
der Neugestaltung Deutschlands Erwähnung tun durfte. Er
sprach damals die wenigen und bescheidenen, aber inhalts-
schweren Worte: ,,Das deutsche Heer hat unter Ew. Majestät
glorreicher Führung die Einheit der deutschen Nation gegen
den äußeren Feind erkämpft . . . Der heutige Tag ist dazu
bestimmt, das ehrwürdige Deutsche Reich in verjüngter Kraft
erstehen zu lassen. Ew. Majestät wollen aber die angebotene
Krone des Reiches erst dann ergreifen, wenn sie alle Glieder
desselben schützend umfassen kann. Nichtsdestoweniger
erblicken wir heute schon in Ew. Majestät das Oberhaupt
des deutschen Kaiserreiches und in dessen Krone die Bürg-
schaft unwiderruflicher Einheit." i)
Der Vorgang hatte einen tiefen Eindruck auf den König
hinterlassen, seinen inneren Widerstand gegen die Kaiser-
proklamation geschwächt. Als dann von der bayerischen
Regierung die Zustimmungserklärungen der deutschen Fürsten
und Städte eintrafen, zeigte er dem Könige von Bayern in einem
amtlichen Schreiben vom 12. Januar an, daß er die Kaiser-
würde annehme — ,, nicht im Sinne der Machtansprüche, für
deren Verwirklichung in den ruhmvollsten Zeiten unserer
Geschichte die Macht Deutschlands zum Schaden seiner
inneren Entwicklung eingesetzt wurde, sondern mit dem
festen Vorsatz, als deutscher Fürst der treue Schirmherr
aller Rechte zu sein und das Schwert Deutschlands zum
Schutze derselben zu führen." ,, Deutschland stark durch die
Einheit seiner Fürsten und Stämme, hat seine Stellung im
Rate der Nationen wieder gewonnen und das deutsche Volk
hat weder das Bedürfnis noch die Neigung, über seine Grenzen
hinaus etwas anderes als den auf gegenseitiger Achtung der
Selbständigkeit und gemeinsamer Förderung der Wohlfahrt
begründeten freundschaftlichen Verkehr der Völker zu er-
streben." Am 15. Januar gab der Preußenkönig seinen end-
gültigen Willen dahin kund, daß am 18. Januar, dem Jahres-
tage der ersten preußischen Königskrönung, auf den bereits
Bismarck die Aufmerksamkeit gelenkt hatte, ohne weitere
Rücksicht auf den bayerischen Landtag das Kaisertum
proklamiert werden solle.
Aber noch im letzten Augenblick erhoben sich heiße
Kämpfe um die Titelfrage. Der Kronprinz von Preußen und
^) Vgl. dazu das Tagebuch des Großherzogs von Baden.
173
die Mehrzahl der in Versailles anwesenden Fürsten, voran
der Großherzog von Baden, wünschten den Titel ,, Kaiser von
Deutschland". ^) Der Kronprinz sprach sich ganz besonders
in einer Denkschrift vom ii. Januar hiefür aus. Der König von
Preußen schloß sich ihm an. Auch Bismarck hatte sich an-
fänglich, auf eine Anfrage des Staatsministers Delbrück vom
8. Dezember, für den' ,, Kaiser von Deutschland" erklärt.
Er hatte aber schon damals die Klausel hinzugefügt: ,, Wo-
möglich"; ,, wollen die andern das nicht, so geht der deutsche
Kaiser auch." Wiederum sind es die bayerischen Bevoll-
mächtigten, die bei den Verfassungsberatungen im Nord-
deutschen Bundesrate Bedenken gegen den Titel ,, Kaiser
von Deutschland" erhoben, ,,weil er sich von der Form ent-
ferne, welche in dem Kaiserbriefe für die Bezeichnung der
Kaiserwürde gewählt worden sei," und sie erreichten, daß
nicht bloß der Bundesrat den Titel ,, Deutscher Kaiser" in
die neue Bundesverfassung aufnahm, sondern daß sich jetzt
auch Bismarck für diesen Titel entschied. Er hat die Gründe
hiefür in zwei Berichten an seinen König vom 5. und 14. Januar
1870 auseinandergesetzt: er berief sich auf die Erklärungen
der bayerischen Bevollmächtigten im Norddeutschen Bundes-
rat, auf den Wortlaut des Kaiserbriefes, auf den Wortlaut
der Zustimmungserklärungen der deutschen Fürsten und freien
Städte, auf den Wortlaut der neuen Bundesverfassung.
„Nicht bloß der König von Bayern habe diesen Ausdruck
gebraucht, auch die meisten deutschen Fürsten bei ihrer Zu-
stimmung zum Antrage des Königs von Bayern. Dieser Titel
sei unter einhelliger Zustimmung sämtlicher deutscher Regie-
rungen in die neue Bundesverfassung übergegangen. Er
schließe sich an die Traditionen des alten Reiches an." Der
Titel ,, Kaiser von Deutschland" dagegen ,, weise auf ein
Staatsgebiet hin und enthalte einen Anspruch auf Landes-
hoheit, welcher in den dem Kaiser zustehenden Rechten
nicht enthalten sei."
Zwischen König und Kanzler kommt es in einem zu Ver-
sailles abgehaltenen Kronrate zu leidenschaftlicher Ausein-
andersetzung. Schon ist der Befehl gegeben die Kaiser-
proklamation abzusagen. In letzter Stunde siegt die Auffassung
Bismarcks. Der Zwiespalt warf aber noch auf die Anfänge der
Kaiserproklamation seine Schatten-) : der König von Preußen,
1) H. A. A. („Acta betr. die Annahme des Kaisertitels", Bd. II.) Vgl.
dazu das Tagebuch des Großherzogs von Baden, passim.
^) Tagebuch des Großherzogs von Baden zum 18. Januar.
174
ohnehin wenig begeistert für den Kaisertitel, war nervös über-
reizt durch gewisse Begleiterscheinungen desselben, durch das
eigenmächtige Vorgehen Bismarcks, durch die Abordnung der
Kaiserdeputation des Reichstags, die ihn an die Zeit der
Deutschen Revolution und des Frankfurter Parlaments er-
innerte, nicht zuletzt auch wiederum durch die Vorgänge in
Bayern. Er war zudem aus der ihm eigenen seelischen Ruhe
gebracht durch die nagende Sorge wegen der militärischen
Ereignisse der letzten Wochen, namentlich der schwierigen
Lage vor Paris.
Am i8. Januar 1871 vollzog sich der weltgeschichtliche
Vorgang der Kaiserproklamation — im Spiegelsaale des
Versailler Schlosses mit seiner prunkhaften Ausschmückung,
mit seinen weltberühmten Meisterwerken Lebruns, am Schau-
platze des Königs, dessen System eben zusammengebrochen
war, an demselben Tage, an dem vor 170 Jahren der Hohen-
zoller Friedrich L die preußische Königskrone sich aufs
Haupt gesetzt hatte. In der Mitte war ein Altar errichtet.
Vor dem Altar standen im Halbkreis die anwesenden Fürsten
und Prinzen der regierenden Häuser, rechts und links vom
Altar Deputationen sämtlicher Truppenteile der siegreichen
Armee, rechts die preußischen, links die bayerischen. Im
Hintergrunde des Saales hatten die Fahnen und Standarten
der preußischen und bayerischen Regimenter Aufstellung
genommen. Da die Verhandlungen über die Versailler Ver-
träge im bayerischen Landtage noch nicht abgeschlossen
waren, war den beiden bayerischen Armeekorps freigestellt
worden, ob sie an der Feier teilnehmen wollten. Sie erwiderten
damit, daß sie zahlreiche Deputationen von Offizieren und
Unteroffizieren und den größten Teil ihrer Fahnen nach
Versailles entsandten. Auch sämtliche Prinzen des könig-
lichen Hauses, die im Felde standen, nahmen an der Feier
teil. Auch Prinz Luitpold und der Bruder des Königs, der
spätere König Otto.
Für die meisten Teilnehmer war der 18. Januar ein Tag
weihevoller Erinnerung i), für den Prinzen Otto war es ein
Tag des Schmerzes und der Trauer. ,, Ach Ludwig," schrieb er am
2. Februar an seinen Bruder^), ,,ich kann Dir gar nicht beschrei-
ben, wie unendlich weh und schmerzlich es mir während jener
Zeremonie zu Mute war, wie sich jede Faser in meinem Innern
1) Ganz besonders für den Großherzog von Baden. Vgl. dessen Schilde-
rung in seinem Tagebuch.
2) M. H. A.
175
sträubte und empörte gegen all das, was ich mit ansah. Lief
es doch dem gerade entgegen, für was ich tief innerlich glühe
und was ich von Herzen liebe und wofür ich mit Freuden
mein Leben einsetze . . . Welchen wehmütigen Eindruck
machte es mir, unsere Bayern sich da vor dem Kaiser neigen
zu sehen ; ich war eben von Kindheit an so was nicht gewöhnt ;
mein Herz wollte zerspringen. Alles so kalt, so stolz, so glän-
zend, so prunkend und großtuerisch und herzlos und leer . . .
Endlich drängte man sich durch diese Knäuel zurück und aus
dem Saale hinaus. Mir war's so eng und schaal in diesem Saale,
erst draußen in der freien Luft atmete ich wieder auf. Dieses,
wäre also vorbei."
IX.
Der bayerische Landtag und die
Versailler Verträge.
Damals, als die Deputationen der bayerischen Regimenter
an dem weltgeschichtlichen Vorgange von Versailles teil-
nahmen, tobte in der Heimat ein leidenschaftlicher Kampf
um die Versailler Verträge. Die Stimmung kam namentlich
beim Jahreswechsel zum Ausdruck, in den Neujahrspredigten
sowohl wie in den Neujahrsbetrachtungen der Tagesblätter.
Der patriotische ,, Volksbote" Zanders faßte seine Ansicht
von den Versailler Abmachungen in drei Sätzen zusammen:
,, Bayern kapituliert, Preußen kommandiert, das bayerische
Volk muß zahlen, zahlen, wieder zahlen." Sollten die Versailler
Verträge wirklich angenommen werden, so schlägt er zur
Entlastung des Volkes eine Herabsetzung der Ministergehalter
vor. Wie dem ,, Volksboten" Zanders, so ist auch dem ,, Bayeri-
schen Vaterlande" Sigls das Jahr 1870 ein von Gott zur Strafe ge-
schicktes Jahr: ,, Darüber jubeln, daß die Krone Cäsars, die
dem Manne von Sedan eben zur Genugtuung für alle ehrlichen
Leute vom Haupte geworfen worden ist, jetzt einem andern
aufs teure Haupt gesetzt werden soll, das können wir schon
gar nicht zuwege bringen; Preuß ist Preuß, ob er König
oder Kaiser tituliert wird." Dasselbe ,, Vaterland" sieht in den
Verträgen von Versailles die letzte Etappe zum Einheits-
staat und hält es für unmöglich, daß die ehrlichen Männer der
patriotischen Partei dazu ja sagen und damit alles verwerfen
und opfern können, wofür das bayerische Volk seit drei Jahren
redlich, mutig und unablässig gekämpft habe; für unmöglich,
daß sie ihr Programm und ihre ganze Vergangenheit ver-
raten und es über sich bringen, vor ihren Wählern als Leute
zu erscheinen, die ihr Wort nicht gehalten haben. ,, Männer
halten ihr gegebenes Wort, zu jeder Zeit, mag da kommen,
was da wolle; Männer erwägen nicht ängstlich die Folgen,
sondern tun ihre Pflicht, mag daraus entstehen, was da wolle."
177
Und doch wäre es falsch, in Bayern nur wüste Agitation
sehen zu wollen. Innerhalb der patriotischen Partei gab es
neben der extremen eine gemäßigte Richtung, die sich nament-
lich in der ,, Augsburger Postzeitung" zu Worte meldete. Sie
zweifelt an dem föderativen Charakter des künftigen Bundes,
sie fürchtet die preußische Präponderanz, sie hat Bedenken
selbst gegen die privilegierte Sonderstellung der Südstaaten:
,, Privilegierte Stellungen gehören immer zu den peinlichen
Situationen und bergen in unserer allen Privilegien mit Recht
so abholden Zeit keine Garantie für längere Dauer." Trotz-
dem empfiehlt sie Annahme der Verträge: ,,Die Patrioten
werden nicht eigensinnig und starrsinnig, wie man hofft und
glaubt, sondern ernst und gewissenhaft die Vorlagen nach dem
Maßstabe ihres Programms prüfen; ist die Selbständigkeit der
Krone und sind die wichtigsten Rechte des Volkes nicht an
der Wurzel angegriffen, so werden sie zustimmen, da ja eine
Einigung Gesamtdeutschlands auch ein wesentlicher Teil
ihres Programms ist." Es schließt sich der Schwenkung trotz
scharfer Kritik die ,, Donauzeitung" an; sie ist der Überzeugung,
daß die Verträge von Versailles von keiner Macht der Erde
rückgängig zu machen seien, von keinem König, von keinem
Minister, von keiner bayerischen Kammer, auch wenn wir
157 Patrioten hineinbrächten. Sie wünscht, namentlich im
Artikelzyklus ,,Zur Lage", immer wieder, daß sich die erforder-
liche Zweidrittelmehrheit in der Kammer finden möge: durch
Verwerfung der Verträge würde nichts geändert, wohl aber
durch die unvermeidlichen Neuwahlen die patriotische Partei
schwer geschädigt werden. Es folgt der ,, Bayerische Kurier",
es folgt die ,,Pfälzer Zeitung", zuletzt lenkten müde und resig-
niert selbst die leidenschaftlichsten Gegner, der ,, Volksbote"
und das ,, Vaterland", auf den Weg ein, der nach Versailles
führte — freilich mit der stillen Hoffnung, daß die Verträge
die ,, unausbleibliche europäische Koalition nicht überdauern
werden."^)
In diesem Sinne äußerten sich auch patriotische Flug-
schriften wie die von dem Abgeordneten Advokaten Simmerl
verfaßte Flugschrift ,,Was dann": ,, Allein, ohne Bundes-
genossen, mit katholischen Kasinos und Bauern vereinen den
Kampf aufnehmen mit der Regierung, dem Großbeamtentum,
1) Nach einem Berichte des preußischen Gesandten vom 22. Januar
ging der Herausgeber des ,, Volksboten", Zander, sogar so weit, ,,ihn um
eine Unterredung und um Direktiven bitten zu lassen", die er ihm aber
versagt hätte. H. A. A.
Doeberl, Bayern und die Bismarckische Reichsgründung. I-^
178
dem Offizierstand, der ganzen protestantischen Bevölkerung,
der gegnerischen Presse, allen Städten des Landes, mit dem
ganzen Druck der afterliberalen öffentlichen Meinung im
Bunde mit dem Preußentum und dessen Agenten im Lande
ist aussichtslos und töricht." ,, Wollen die Patrioten die Rechte
der Krone verteidigen gegen den Willen ihres Trägers, die
Selbständigkeit des Landes gegen den Willen der Landes-
regierung, das Wohl und Interesse des Volkes gegen den
Willen der Mehrzahl der Bevölkerung?!"
Kann man von der patriotischen Presse immerhin sagen,
daß sie nur der Not gehorcht, mit einer gewissen Resignation
der Macht der Verhältnisse sich gefügt habe, so gab die liberale
Presse Bayerns ihrer Freude über die ,, Wiedergeburt des
Reiches durch Nacht zum Licht" in schwärmerischen, ent-
husiastischen Kundgebungen Ausdruck. ,,Der nationale Ge-
danke," schrieb am 25. November die ,, Augsburger Abend-
zeitung", ,,hat über alle entgegenstehenden Hindernisse ge-
siegt, wir haben das einige deutsche Vaterland, die schönste
und beste Frucht der deutschen Siege! Es gibt fortan keine
Mainlinie mehr, der Süden ist mit dem Norden fest verbunden,
alle Deutschen sitzen in Zukunft in ein und demselben Parla-
mente, das deutsche Volk hat endlich eine nationale Regierung,
nationale Institutionen, es ist, um es mit einem Worte zu
sagen, endlich einmal zur Nation geworden." Auch die Mün-
chener ,, Neuesten Nachrichten" begrüßten die erste Kunde von
dem Abschlüsse der Versailler Verträge mit einem warm ge-
schriebenen Artikel. Als der Inhalt der Verträge bekannt
wurde, äußerte das streng fortschrittliche Blatt zwar Ent-
täuschung und Kritik, aber nur, weil nach seiner Ansicht die
nationalen Forderungen nicht voll und ganz erfüllt worden
seien; ,, sonst hätte man nicht bei Bestimmungen über die
Diplomatie beharren können, die keine Wahrung des An-
sehens der bayerischen Krone, sondern nur eine Mehrung
unnützer Kosten für das bayerische Volk brächten, noch
hätte man sich der völligen militärischen Einheit Deutsch-
lands widersetzt und, wenn auch ohne Absicht, in kritischer
Zeit Sonderbestrebungen und daher auch schimpflicher Speku-
lation des Auslandes dadurch eine Pforte offen gelassen."
,,Was der bayerische Vertrag gewährt, ist das äußerste, bei
dem die nationalen Pflichten Bayerns noch erfüllt werden
können." Trotzdem empfiehlt das fortschrittliche Blatt die
Annahme des Vertrages, es erwartet vom künftigen Parlamente
die Fortbildung der deutschen Einheit: ,,Wenn aus den Kon-
179
Zessionen der Fürsten und den Abmachungen der Staats-
männer die Verfassung Deutschlands nicht vollendet und
preiswürdig hervorgegangen ist, so ist es eben an dem Volk
und an seinen Vertretern, durch Ausdauer und Intelligenz
aus dem Stümperwerk der Diplomaten ein Meisterwerk für das
Volk zu machen."^)
Ähnlich nahm auch die demokratische Presse an den
Versailler Verträgen Anstoß, nicht weil sie ihr zu sehr deutsch,
sondern zu wenig demokratisch waren, weil sie zu wenig her-
übernahmen aus der vom deutschen Volke beschlossenen
Reichs Verfassung des Jahres 1849. Aber auch sie gibt sich
schließlich zufrieden, daß wenigstens drei Grundelemente
ihrer Volksverfassung, die ehedem von konservativer Seite
als Ausgeburt des revolutionären Geistes verdammt worden
seien, von den Fürsten und Diplomaten in das neue Reich
herübergenommen wurden: das einheitliche Parlament, das
demokratische Wahlrecht und der deutsche Kaiser. ,,Man
mag es immerhin als einen Sieg der Volkssache betrachten,
daß die Fürsten und Diplomaten jetzt des deutschen Volkes
Forderungen auf ihre Fahne schreiben und die Ansprüche
Deutschlands wenigstens insoweit erfüllen müssen, daß sie
einzelne und nicht unwichtige dieser Ansprüche in Erfüllung
zu bringen gezwungen sind."
Gegenüber den Bemängelungen von rechts und von
links findet in der Augsburger ,, Allgemeinen Zeitung" eine
der Regierung nahestehende Stimme in den Versailler Ver-
trägen ein getreues und deshalb wohlberechtigtes Ebenbild
der Doppelstellung Bayerns: ,, Bayern hat nach seiner Größe,
Geschichte und geographischen Lage internationale Lebens-
fähigkeit. Auf der anderen Seite aber ist Bayern zugleich
ein Teil Deutschlands, ein bedeutender und wichtiger zwar,
aber doch nur ein Teil, der des Ganzen bedarf und einer
dauernden Trennung von demselben nicht gewachsen ist.
In dieser Doppelstellung, welche nach der einen wie nach der
anderen Seite ihre innere Berechtigung und ihre exklusiven
Anhänger hat, liegt die Schwierigkeit, eine Formel für die
Einfügung Bayerns in den deutschen Bundesstaat zu finden,
und zugleich eine Erklärung dafür, daß der bayerische Bundes-
vertrag weder vom Standpunkte des reinen Partikularismus
noch von demjenigen einer nationalen Idealpolitik als an-
sprechend befunden wird. Er ist der getreue Ausdruck der
^) Den Einheitsstaat — das ist gegen Erich Frisch zu betonen — •
wollten aber auch die ,, Neuesten Nachrichten" nicht.
12*
180
gegebenen realen Verhältnisse, deren Schwierigkeiten sich
im Wege frommer Parteiwünsche nicht beseitigen lassen."
Mit eindringlichen Worten redet dieselbe ,, Allgemeine Zeitung"
den Vertretern des bayerischen Volkes, in deren Hände das
Schicksal der Versailler Verträge gelegt sei, ins Gewissen:
,,Ein Volk, das so mächtig seinem Verlangen nach einem
einheitlichen Staatswesen Ausdruck gegeben, läßt sich von
diesem nicht mehr abbringen; es wird über die Häupter der
sich ihm Entgegenstemmenden hinweg doch zum Ziele
gelangen; diese aber werden für alle Zukunft das Brandmal
zu tragen haben, eine große Zukunft ihres Volkes mit Wissen
und Willen zu vernichten unternommen zu haben."
Damals, als in der Presse das Feldgeschrei für und wider
die Versailler Verträge ertönte, hatten bereits im bayerischen
Landtage die denkwürdigen Verhandlungen begonnen. Der
König war durch die Versailler Verträge wie durch die Initiative
in der Kaiserfrage für einen zustimmenden Beschluß des Land-
tags moralisch verpflichtet. Er hat auch tatsächlich durch
mehrere Handschreiben, die für die Öffentlichkeit bestimmt
waren, den Ausstreuungen, als ob es ihm mit der Zustimmung
zu den Bündnisverträgen nicht ernst gewesen sei, zu begegnen
und auf den Landtag im Sinne der Annahme der Verträge
einzuwirken gesucht.
Nicht minder vertragstreu war das Verhalten der Minister,
die an den Verhandlungen in Versailles persönlich teil-
genommen hatten. Graf Bray, der die Versailler Verträge
den Kammern vorlegte, hat sich allerdings als den Mann der
älteren Generation bezeichnet, der an dem Gewohnten und
Hergebrachten hänge und dem daher die Entscheidung für
die neue Ordnung der Dinge schwer geworden sei. Aber er
fügte auch hinzu: ,,Auf der anderen Seite begründen wir,
indem wir den Verträgen unsere Zustimmung geben, ein
deutsches Föderativbündnis, eine mächtige Gemeinschaft,
ausgestattet mit allen Attributen einer Großmacht ersten
Ranges. In diesem Deutschland aber erhält Bayern durch die
Verträge eine bevorzugte Stellung, welche seiner historischen
und geographischen Bedeutung entspricht und welche ihm
die Möglichkeit gibt, Einfluß zu üben auf den Bund und
durch den Bund auch auf weitere Kreise seine Wirksamkeit
zu erstrecken." Es war keine Redensart, wenn er zum Freiherrn
V. Werthern äußerte, er sinne auf alle Mittel, um die Landtags-
181
mehrheit zu beschwichtigen. Es war völlig unbegründet, wenn
der preußische Gesandte in seiner temperamentvollen Art
äußerte, Graf Bray scheine die Annahme der Versailler Ver-
träge gar nicht zu wünschen.
Graf Bray war freilich kein Redner, er war auch
in Rechtsfragen zu wenig geübt und überließ daher mit
Genehmigung des Königs die Begründung und Erläuterung
der Versailler Verträge dem Minister, aus dessen Feder
,,die schließliche Fassung der Verträge herrühre", dem
Justizminister v. Lutz. Und dieser ergriff seine Aufgabe
mit ebensoviel Sachverständnis als nationalem Schwung.
Ganz besonders in der groß angelegten Rede vom 14. Dezember,
in der er vor der Kammer der Abgeordneten die Vorgeschichte
und die Motive der Versailler Verträge entwickelte. Er be-
gleitete den Siegeszug der deutschen Heere von Weißenburg
und Wörth über Saarbrücken und Metz bis zur Kapitulation
von Sedan, gedachte der aus diesen Siegen geborenen deut-
schen Bewegung, der nationalen Überzeugung, daß all die
herrlichen Erfolge der Einigkeit des deutschen Vaterlandes
entstammen und daß diese Einheit nicht mehr auseinander
fallen dürfe. Er schilderte dann die Initiative der bayerischen
Regierung zu einer Neugestaltung Deutschlands, die unter
dem Einflüsse jenes militärischen Siegeszuges und jener natio-
nalen Bewegung und in Übereinstimmung mit den Anschau-
ungen des bayerischen Volkes herangereift sei, schilderte die
Münchener Konferenzen und die Versailler Verhandlungen,
schilderte auch die Zwangslage, die Gefahr einer Isolierung,
die Bayern genötigt habe, mit dem Norddeutschen Bund unter
viel ungünstigeren Bedingungen abzuschließen, als sie noch
im Jahre 1866 und selbst noch unmittelbar vor dem Deutsch-
französischen Kriege zu erlangen gewesen wären. Er gab
dabei zu den Münchener und Versailler Verhandlungen einen
zwar mit kritischer Vorsicht zu benutzenden, aber wertvollen
Kommentar, den ich wiederholt für meine frühere Darstellung
auszuschöpfen bemüht war. Er schloß mit einer persönlichen
Rechtfertigung der Minister gegen den Vorwurf des Ressort-
partikularismus, gegen die Anklage, sie hätten überall nur
für ihre besonderen Departements gesorgt um zu Hause
selbständig zu sein: ,,Wo ist denn die Selbständigkeit, die
sich der Minister des Äußern gewahrt hat ? Die deutsche
Politik wird auch nach unserem Vertrage von Deutschland
gemacht und nur darauf haben wir bestanden, worauf wir,
wie ich glaube, das Recht haben zu bestehen, daß man die
182
deutsche Politik nicht immer und ewig einfach uns über den
Kopf hinweg macht. Wo ist denn die Selbständigkeit des Herrn
Kriegsministers? Sein Budget wird ihm in der Hauptsache
von der Reichsregierung zugesendet. Wenn er erfüllt gewesen
wäre von dem Streben, selbständig und möglichst wenig be-
helligt zu sein, dann — verzeihen Sie meine Aufrichtigkeit —
würde er auch die Detailberatungen nicht in dieses Haus,
sondern in den Reichstag verlegt haben. Denn daß es dort
leichter geht als hier gewöhnlich, wissen Sie alle recht gut.
Endlich, wo ist denn meine Selbständigkeit, die Selbständig-
keit des Justizministers ? Ich habe nicht einen Federstrich
vor den Justizministern des übrigen Deutschen Reiches mir
vorbehalten, nicht aus Zwang, sondern, weil ich fühle und
weiß, was es um ein gemeines deutsches Recht ist, und weil
ich es nicht wagen mag, mit den Kräften, die dem einzelnen
Staate zu Gebote stehen, auf dem Gebiete der Gesetzgebung
Konkurrenz zu machen der ganzen Wissenschaft des deutschen
Vaterlandes."
Die Reichsratskammer erteilte schon am 27. Dezember
im Ausschuß 1), am 30. Dezember im Plenum^) fast einhellig
ihre Zustimmung zu den Versailler Verträgen. Der Referent,
Reichsrat v. Neumayr, gab zwar zu, daß der letzte und durch-
schlagende Grund, der den Ausschuß bewogen habe, die An-
nahme der Verträge zu empfehlen, die zwingende Macht der
äußeren Verhältnisse und die drohende Isolierung Bayerns
gewesen sei. Er fügte aber auch hinzu: ,, Damit will nichts
weniger ausgesprochen werden als der Gedanke, daß nunmehr
Bayern mit stumpfer Verdrossenheit und Verbitterung eines
Gezwungenen in den Bund treten soll, eines Gezwungenen, der
nur grollend die ihm aufgedrungenen Fesseln stets im Auge
hat und wohl gar im stillen hinterlistige Pläne schmiedet, um
sie bei der nächsten Gelegenheit wieder abzustreifen. Ist
einmal der Bund geschlossen, dann müssen die Bedenken und
Befürchtungen, deren offene Darlegung und gewissenhafte
Prüfung jetzt unsere Pflicht ist, abgetan und begraben sein.
Als ein treuer, rückhaltlos verlässiger Genosse muß Bayern
in den Bund treten und nicht retrospektive Klagen und Gelüste,
sondern ein frisches Ergreifen des einmal Gegebenen und
Angenommenen muß die Losung sein." Fürst Hohenlohe und
Justizminister v. Lutz aber räumten in ihren Reichsratsreden
^) Protokoll des I., II. und III. Ausschusses in Betreff der deutschen
Verfassungsverträge vom 27. Dezember.
2) Protokoll der 18. Sitzung der Kammer der Reichsräte.
183
unter den Mächten, die die bayerische PoHtik in neue Bahnen
gelenkt hätten, die erste Stelle dem erwachten Nationalgefühl,
der ,, deutschen Idee" ein. Graf Bray führte als weiteres
Motiv an — die Wiederannäherung Preußens an Österreich,
,,die Erhaltung und Pflege der freundschaftlichsten und innig-
sten Beziehungen zu unserem mächtigen Nachbarstaate."
Die zweite Kammer bildete einen Ausschuß, der sich aus
II Mitgliedern der patriotischen Partei, 3 Mitgliedern der
Fortschrittspartei und einem Demokraten zusammensetzte
und unter dem Vorsitze des Würzburger Oberbibliothekars
Dr. Ruland tagte. Zum Referenten des Ausschusses wurde der
bekannte Publizist Dr. Jörg gewählt, der auf die erste Nach-
richt von dem Inhalte der Verfassungsverträge in den von ihm
redigierten ,, Historisch- Politischen Blättern" geschrieben hatte :
,, Unsere Mittelstaatenpolitik hat ihre Kapitulation von Sedan
vollzogen; es ist zu Ende mit ihr und mit uns." ,,Die Franzosen
sind noch nicht soweit besiegt, daß sie die Friedensbedingungen
Preußens unbesehen annehmen zu müssen glauben, aber der
kräftige Alliierte Preußens, der zu den glorreichen Siegen gegen
den Erbfeind an Gut und Blut so viel beigetragen, der hat die
Waffen gestreckt und kapituliert." Das Ergebnis der Vor-
beratung war denn auch, daß der Ausschuß im Sinne Jörgs
mit 12 gegen 3 Stimmen den Versailler Verträgen die An-
erkennung versagte und sich für die Aufnahme neuer Ver-
handlungen im Sinne des weiteren Bundes mit dem künftigen
Deutschen Reich auf der Grundlage des Allianzvertrages und
des Zollvereins erklärte.
Am II. Januar brachte der Referent des Ausschusses,
Dr. Jörg, den Mehrheitsantrag vor das Plenum des Landtags
mit einer ausführlichen schriftlichen und mündlichen Kritik
der Vorlage und der Regierungspolitik: die Regierung sei
mit sich selbst in Widerspruch geraten; sie habe am 19. Juli sich
bereit erklärt die Selbständigkeit Bayerns zu wahren und
selbst ein nationales Verfassungsbündnis abzulehnen; sie habe
sich im September zu der Einsicht bekehrt, daß ein Ver-
fassungsbündnis notwendig sei, sie habe aber auch jetzt den
Eintritt in den Norddeutschen Bund wegen seiner entschiedenen
Hinneigung zum Einheitsstaat abgelehnt. Was sie im Sep-
tember als unmöglich bezeichnet, habe sie im November voll-
zogen: den Eintritt in den Norddeutschen Bund ohne wesent-
liche Änderung seiner Verfassung. Es sei eine in der Geschichte
unerhörte Zumutung und ein jedem unbefangenen Gemüte
unerträglicher Gedanke, daß ein Land und Volk mit dem
184
aufgebotenen Opfer an Gut und Blut an der Seite eines Bundes
genossen auf Leben und Tod kämpft, um zum Lohne dafür
an den letzteren seine politische Selbständigkeit und staat-
liche Existenz zu verlieren. Die Zwangslage, der die baye-
rische Regierung nach ihrem Geständnis unterlegen ist, sei
nicht durch eine Gefahr von außen, sondern durch die innere
Agitation geschaffen worden. Wenn Württemberg sich keine
Zukunft seiner eigenen Existenz mehr zutrauen zu dürfen
glaube, so beweise das nicht, daß auch für Bayern eine solche
Zukunft nicht mehr blüht. Er fühle sich nicht bevollmächtigt,
,, unser liebes altes Bayerland aus unseren Händen zu geben
und an Preußen auszuliefern". ,,Wenn ich jemals zu den
vertrauten geheimen Ratgebern des letztverstorbenen regieren-
den Königs gehört hätte, ich hätte meiner Lebtage lang nicht
mehr den Mut, vor der Kirche zu den Theatinern vorbeizu-
gehen; denn ich müßte fürchten, es möchte, aus einem Stein-
sarge heraus von unsichtbarer Hand gestoßen, ein Mauerstück
vom Dache fliegen und mich zermalmen — zum Lohn für die
so gut geratene dritte Großmacht in Deutschland." Er schloß
mit einem leidenschaftlichen Appell an die Kammermehrheit:
,, Meine Herren, es hat in Preußen vor dem Krieg im Jahre
1866 ein vierjähriger Verfassungsstreit gewütet. Man hat die
Kammer in Preußen viermal oder, ich glaube mich nicht zu
irren, sogar fünfmal aufgelöst ; und dieser ganze Konflikt, dieser
ganze große Streit hat sich nur gedreht um die neue Armee-
reorganisation. Und wir, meine Herren, sollten eine Kammer-
auflösung, unter Umständen selbst einen Konflikt fürchten,
wo es sich handelt um die Existenz unseres Landes, wo es
um den letzten Versuch sich handelt, die berechtigte Selb-
ständigkeit unseres Landes zu retten, wenn es möglich ist ?
Und es wird, mit Gottes Beistand hoffe ich es zuversichtlich,
es wird möglich sein."
Die Haltung der Landtagsmehrheit entfesselte in der
gegnerischen Presse einen Sturm der Entrüstung. ,,Die Ver-
werfung der Verträge," schrieben die ,, Münchener Neuesten
Nachrichten", ,,ist eine Beleidigung ganz Deutschlands,
dessen Volk seit fünfzig Jahren die Einigung anstrebt. Sie
ist eine Beleidigung Preußens, des mächtigsten Staates Europas,
der die größten Opfer für Deutschlands Ehre und Macht ge-
bracht hat. Sie ist eine Beleidigung des Königs von Preußen
und des Königs von Bayern, die ein so erhebendes Beispiel
deutscher Eintracht gegeben haben. Sie ist eine Verhöhnung
der gesamten deutschen, namentlich aber der ba^^erischen
185
Armee, die ihr Blut wahrlich nicht deswegen vergossen hat,
damit die alte Zerrissenheit, der alte Hader zwischen den
Deutschen fortdauere. Sie ist endlich die tiefste Schmach für
Bayern, weil die Verwerfung der Verträge einer, wenn auch
nicht offenen, doch versteckten und daher um so gefährlicheren
Bundesgenossenschaft mit Frankreich gleichkommt."
Die fortschrittliche Minderheit des Landtags beantragte
Annahme der Verträge in einem ebenfalls motivierten Minori-
tätsgutachten. Allerdings stellte auch dieses Minoritäts-
gutachten fest, daß die Versailler Verträge nicht volle Zu-
friedenheit gewähren, aber nicht, weil sie dem Reiche zu viel
Zugeständnisse bieten, sondern weil sie den freiheitlichen
Forderungen der Fortschrittspartei nicht genügen, vor allem
aber, weil sie zugunsten der Selbständigkeit Bayerns nicht zu
wenig, sondern zu viel Vorbehalte machten. Und dasselbe
Minoritätsgutachten fährt weiter : ,,Läßt der Vertrag auch noch
vieles zu wünschen übrig, welches zu erreichen später die Auf-
gabe des Reichstages und zum Teil auch des bayerischen
Landtages sein wird, so ist doch nicht zu verkennen, daß
durch denselben für die nationale Sache Großes gewonnen
wird. Daß der casus foederis mit seinen Gefahren für die
Sicherheit des jedesmaligen Zusammengehens, wenn Deutsch-
lands Grenzen oder Deutschlands Ehre und Interessen be-
droht sind, aus der Welt geschafft wird; daß an die Stelle
des kündbaren Zollvereins ein festgegründetes Deutsches
Reich tritt, in welchem alle Zoll Vereinsstaaten vereinigt sind;
daß die deutschen Staaten und das deutsche Volk im Bundes-
rat und Reichstag unter dem von den deutschen Fürsten in
lange nicht dagewesener Einigkeit selbst gesetzten Kaiser zu
einem Achtung gebietenden Organismus sich verbunden
sehen; daß das Reich als politische Einheit durch deutsche
Gesandte und deutsche Konsuln im Staatenkreise künftig
vertreten sein wird; daß wir eine deutsche Marine und ein
deutsches Heer haben werden, wie wir bisher ein gemeinsames
Zoll- und Handelswesen schon gehabt haben ; daß die Verkehrs-
anstalten und so viele zur Unifizierung geeignete Zweige der
Gesetzgebung künftig räumlich wie dem Stoffe nach in weit
ausgedehnterem Maße als bisher gemeinsam sein werden : das
alles zusammengenommen ist, zumal es auch der so geschaffenen
Einheit an der Fähigkeit der Fortbildung nicht fehlt, ein so
bedeutender Fortschritt, daß wir es gegen das Vaterland nicht
verantworten zu können glauben würden, wenn wir das Gute,
was uns geboten wird, um der Schlacken willen, die noch
186
damit verquickt sind, zurückweisen wollten." Und die Ver-
teidiger dieses Minoritätsgutachtens, die Wortführer der Fort-
schrittspartei, ein Marquard Barth, ein Freiherr v. Stauffen-
berg, ein Dr. Schauß kämpften mit dem ganzen Rüstzeug
ihrer nationalen Persönlichkeit für die Versailler Verträge.
Es ist eine unglaubliche Verkennung der tatsächlichen Verhält-
nisse, wenn Ottokar Lorenz die Behauptung wagt, in dem
Minoritätsvotum sei der tiefgehende Gegensatz, der den
bayerischen Partikularismus gegen alles erfüllte, was das
Reich und seine Zukunft betraf, niedergelegt worden.
Aber freilich, die patriotische Partei bildete damals die
Mehrheit, und die extreme Richtung dieser Partei hatte in
Dr. Jörg, Pfarrer Pfahler und Lyzealprofessor Dr. Greil ent-
schlossene und zielbewußte Führer, die namentlich auf die
geistlichen und bäuerlichen Elemente des Landtages geradezu
einen Terrorismus ausübten. Auf die geistlichen Abgeordneten
wirkten sie mit dem Hinweis auf die Gefahr der Protestanti-
sierung, auf die bäuerlichen mit dem Hinweis auf die finanziellen
Folgen der Versailler Übereinkunft; die Forderung von
41 Millionen Gulden, die unmittelbar nach der Rede des
Justizministers Lutz der Kriegsminister Freiherr v. Pranckh
für Kriegsbedürfnisse vom Landtage forderte, diente als Be-
weisinstrument. Eine Zeitlang waren sie allerdings durch die
Ereignisse von Sedan zurückgedrängt und etwas kleinlauter
geworden, seit einiger Zeit, nicht zuletzt unter dem Eindrucke
der schweren Menschenverluste des Orleanischen Feldzuges,
waren sie wieder selbstbewußter geworden. Ging man ja so
weit, die Preußen zu beschuldigen, ,,sie hätten die Bayern
bei Orleans sitzen lassen, um in Versailles einen Druck auszu-
üben". Sie wußten ihre Autorität zu verstärken durch Be-
rufung auf bald offene, bald geheime Zustimmung von Mit-
gliedern des königlichen Hauses, anderseits durch das von
Jörg ausgestreute Gerücht, daß der König die Ablehnung
der Versailler Verträge wünsche. Sie gaben sich das Ansehen,
als ob sie einen Rückhalt selbst im Auslande hätten ; der Besuch
des Grafen Beust in München am 15. Dezember mußte ihnen
als Unterlage dienen. Einzelne Redner, wie Dr. Jörg, Dr. Ruhland,
Dr. Greil und Wisnat, ergingen sich in leidenschafthchen
Ausfällen nicht bloß gegen die Versailler Abmachungen, son-
dern auch gegen das verbündete Preußen. Ihre Reden
waren immer neue Variationen des gleichen Themas: ,,Ich
traue Preußen nicht, ich will mit ihnen nichts zu schaffen
haben."
187
Doch die Haltung der Kammermehrheit entsprach keines-
wegs der Stimmung der Mehrheit des bayerischen Volkes.
Im bayerischen Landtagsarchiv befindet sich ein höchst lehr-
reicher Akt aus der Zeit der Verhandlungen über die Ver-
sailler Verträge. Er enthält Hunderte von Telegrammen und
Zuschriften aus den verschiedensten Teilen des Königreichs,
nicht bloß aus den neubayerischen, sondern ebenso aus den
altbayerischen Kreisen, auch nicht bloß aus den städtischen,
sondern ungleich zahlreicher aus den ländlichen Gemeinden.
Unter ihnen befinden sich wohl zwei Kundgebungen von
Arbeiterversammlungen in Augsburg und Nürnberg, die nach
dem Vorgange der bürgerlichen Demokratie die Berufung
eines konstituierenden Parlaments forderten, aber im übrigen
nicht eine, die sich gegen die Versailler Verträge erklärte, alle
verlangten vielmehr unbedingte Annahme derselben. Be-
sonders zahlreich sind die Eingaben aus dem Wahlbezirke des
Wortführers der Kammermehrheit Dr. Jörg und sie alle ver-
wahren sich ausdrücklich gegen jede Gemeinschaft mit dem
Antrag ihres Abgeordneten. Immer wieder wiederholt sich
die Erklärung, daß jeder Tag der Verzögerung nur die Ent-
rüstung steigere, den Wunsch nach Kammerauflösung lauter
mache.
In der Tat hatte das bayerische Gesamtministerium für
den Fall, daß die Kammer der Abgeordneten die Vorlage ab-
lehne, Vorbereitungen zur Auflösung der Kammer und zur
Anordnung von Neuwahlen bereits getroffen. Graf Bray
schrieb am 7. Januar an den bayerischen Gesandten in Berlin,
Freiherrn v. Perglas: ,,Wenn die erforderliche Stimmenzahl
von zwei Dritteilen der Abgeordneten für die Annahme der
Verträge nicht gewonnen werden könnte, werde nichts übrig blei-
ben, als von dem verfassungsmäßigen Kronrechte der Kammer-
auflösung Gebrauch zu machen." i) Tatsächlich liegt der An-
trag auf Auflösung der Kammer abschriftlich bei den Akten.
Am 13. Januar konnte Freiherr v. Werthern melden, daß das
Auflösungsdekret vom König unterzeichnet in der Hand des
Justizministers sich befinde. 2) Eine Landtagsauf lösung brachte
viele der patriotischen Abgeordneten in die Gefahr des Mandats-
verlustes.
Gleichzeitig wurden ihnen die besten Trümpfe aus der
Hand genommen. Der König drückte dem Präsidenten der
1) M. st.A.
2) H.A.A.
188
Kammer der Reichsräte telegraphisch seine Befriedigung
über die Abstimmung der Reichsratskammer aus, er sprach
in einem Handschreiben dem Erzbischofe von München einer-
seits die Anerkennung für seine Abstimmung in der Reichsrats-
kammer, anderseits die Hoffnung aus, daß er seinen Einfluß
bei der Geistlichkeit der zweiten Kammer in gleicher Richtung
geltend machen werde, und widerlegte damit die namentlich
von Jörg verbreitete Auffassung, daß dem König an der An-
nahme der Verträge nichts gelegen sei. Selbst die Kurie gab
deutlich zu verstehen, daß sie die Annahme der Verträge
wünsche; in eingeweihten Kreisen erzählte man sich sogar,
daß der Papst die Absicht ausgesprochen habe, eine Kaiser-
deputation von Kardinälen mit dem Kardinalstaatssekretär
Antonelli an der Spitze zur Beglückwünschung an den Preußen-
könig abzusenden. Einer der streitbarsten bayerischen Kir-
chenfürsten, Bischof Senestrey von Regensburg, sprach sich
in einem Briefe, der dem preußischen Gesandten von seinem
Vertrauensmann im Lager der patriotischen Abgeordneten
vorgelesen wurde, für die Verträge aus. Pfarrer Wester mayr
von St. Peter in München legte zwar sein Mandat mit der
Erklärung nieder, die geistliche Beeinflussung bringe sein
Gewissen als Abgeordneter in Konflikt mit dem dem Ober-
hirten schuldigen Gehorsam. Aber das Verhalten der baye-
rischen Kirchenfürsten hatte doch den Beweis erbracht, daß
die angebliche Gefahr, die von den Versailler Verträgen dem
Katholizismus drohe, an den obersten Stellen der Kirche nicht
anerkannt werde. Der bayerische Minister des Äußern end-
lich teilte die Antwort des Grafen Beust auf die bekannte
preußische Depesche vom 14. Dezember mit und entzog
damit allen Spekulationen auf Unterstützung von Wien den
Boden. Am 3. Januar kann der Gesandte v. Werthern melden,
daß infolge aller dieser zusammenwirkenden Umstände sich
bereits 29 Patrioten für den Antrag erklärt hätten, so daß nur
noch zwei Stimmen von der verfassungsmäßig erforderlichen
Zweidrittelmehrheit fehlten. ^) An der Spitze dieser Sezession
stand der erwähnte Vertrauensmann des Freiherrn v. Werthern,
der Redakteur der Augsburger Postzeitung, der Abgeordnete
Dr. Huttier. Er unterhielt seit längerer Zeit enge Beziehungen
zum preußischen Gesandten, den er auch über die intimsten
Vorgänge in der Kammer der Abgeordneten unterrichtete.
,,Ein Zufall und sein Wunsch haben mich zusammengeführt,"
schrieb Freiherr v. Werthern, ,,doch so groß ist seine Sorge,
1) H. A. A.
189
sich vor seiner Partei zu kompromittieren, daß ich ihn bloß
bei Nacht und am dritten Orte sehen kann." Für den schhmm-
sten Fall waren, wie im Sommer 1870, Volksdemonstrationen
vorbereitet, von denen man nach den Mitteilungen des preußi-
schen Gesandten dieselbe überzeugende Wirkung auf die
patriotischen Abgeordneten erhoffte wie am 19. Juli. Und
zuletzt wirkten die Nachrichten von den militärischen Erfolgen
des Generals v. Werder.
Zehn Tage hatte die Redeschlacht gewährt. Noch ein-
mal wendet sich in zweistündiger Rede der Justizminister
V. Lutz an die Volksvertreter, eindringlich wie der Schwur-
gerichtspräsident an die Geschworenen, um die Regierung gegen
den von Jörg erhobenen Vorwurf des Widerspruchs und der
mangelnden Folgerichtigkeit und seine Rede vom 14. Dezember
gegen Mißdeutungen zu schützen, um anderseits den Abge-
ordneten die Schwere ihrer Verantwortung ins Gewissen zu
rufen: ,,Die Stunde der Entscheidung naht; jedes Votum
bringt eine große Verantwortung mit sich. Auch auf uns,
meine Herren, liegt eine außerordentlich große, eine furchtbare
Verantwortung. Wir waren uns dessen von allem Anfang an
wohl bewußt ; wir alle, die wir beim Vertragsabschlüsse beteiligt
gewesen sind, haben schwer gekämpft im Innern, so schwer als
irgendeiner von Ihnen, der sich über das Ja oder Nein schlüssig
macht. Könnte der Kamin im Hotel Petit Vatel, wo der
Herr Kriegsminister einlogiert war, sprechen, meine Herren,
er könnte Ihnen von vielen, vielen sorgenvollen, angsterfüllten
Stunden erzählen, die dem Abschlüsse der Verträge voran-
gegangen sind. Manche Bitte um Rat, manches sorgen-
beschwerte Briefchen habe ich an bewährte Vaterlandsfreunde
geschrieben, um mich ihres Rates zu versichern. Meine Herren,
wir sind nach langem Ringen zum Schlüsse gekommen, daß
die Verträge Bayern nicht erspart werden können, daß sie
wegen seiner ganzen Gestaltung und wegen seiner ganzen
Geschichte unvermeidlich sind, daß sie für Bayern vorteil-
haft und notwendig sind. Unsere Verantwortung wird groß
sein, aber glauben Sie mir, die Verantwortung, die diejenigen
tragen, welche Nein sagen, ist nicht um ein Quentchen ge-
ringer . . . Wahrlich ungeheuer ist die Verantwortung, die
den einen trifft, durch dessen Stimme etwa die Verträge ver-
worfen werden. Bei dem wahrhaftigen Gott! Ich möchte
dieser eine nicht sein." König Ludwig II. hat in einem be-
sonderen Handschreiben dem Minister in warmen Worten
für die Vertretung der Bündnisverträge gedankt.
190
Unmittelbar nach den Schlußworten des Ministers gab der
Abgeordnete Dr. Huttier im Namen seiner Parteifreunde die
Erklärung zu Protokoll: ,,Wir unterzeichnete Mitglieder der
patriotischen Fraktion der Kammer der Abgeordneten halten
eine bundesstaatliche Einigung Deutschlands für dringend not-
wendig. Diese bundesstaatliche Einigung sollte aber nach
unserer Überzeugung in Wirklichkeit auf dem Föderativprinzip
beruhen, wobei die Selbständigkeit der einzelnen Staaten
möglichst gewahrt zu bleiben vermöchte . . . Diesem Prinzip
entsprechen allerdings die vorliegenden Verträge nur in un-
vollkommenem Maße. Ein wahres Föderativverhältnis unter
diesen schon ihrer Macht und Größe nach so ungleichen
Staaten ist durch die Übermacht der Präsidialgewalt und das
ihr gerade in den wichtigsten Fragen eingeräumte Veto, dann
durch die Unbilligkeit des Stimmenverhältnisses mehr oder
minder illusorisch gemacht; die Gefahr des Einheitsstaates
ist nicht vermieden; die Militärhoheit Bayerns mehr als nötig
geschmälert ; die Mihtärlast für jetzt nicht nur nicht vermindert,
sondern bedeutend erhöht; wichtige Rechte der Krone und
des Landes sind nicht der Bundesregierung und der deutschen
Volksvertretung, sondern der Krone Preußen übergeben;
endlich sind durch den Mangel eines verantwortlichen Bundes-
ministeriums sowie den in der Diätenlosigkeit liegenden hohen
Zensus der Abgeordneten zum Reichstage die Bürgschaften für
den Bestand und die Entwicklung der bürgerlichen Freiheit
geschmälert und verkümmert . . . Trotzdem haben wir Unter-
zeichnete nach gewissenhafter Prüfung und Überlegung uns
entschlossen, den Verträgen um der Lage willen, in der
sich unser bayerisches Vaterland befindet, unsere Zu-
stimmung nicht zu versagen. Wir möchten die Verantwortung
für die weit größeren Übelstände, die aus der Verwerfung der
Verträge für Bayern hervorgehen müssen, nicht teilen . . .
Die berechtigte Sehnsucht des ganzen deutschen Volkes nach
seiner gesamtstaathchen Einigung teilend, schließen wir fest
und treu an dasselbe uns an. Wir erwarten aber von der
Königlich Bayerischen Staatsregierung, daß sie ihre künftige
Stellung und Tätigkeit im Bundesrate des Deutschen Reiches
dazu benutzen werde, um im Verein mit der deutschen Volks-
vertretung denjenigen Keim einer wahrhaft föderativen
Bundesverfassung zu pflegen und vor schlechten Einflüssen zu
schützen, von dem wir wünschen, daß er von neuem tiefe
Wurzeln im deutschen Volksleben fasse und zu einem mächtigen
Baum deutscher Stärke und Einheit heranwachse." Die
191
Abstimmung ergab am 21. Jamiar 1871 die erforderliche Zwei-
drittelmehrheit. Am 30. Januar konnte dann durch eine als
Verfassungsgesetz anzusehende ,, Königliche Erklärung" den
Versailler Verträgen in Bayern gesetzliche Geltung mit rück-
wirkender Kraft vom i. ds. Monats verliehen worden.
Der nationale Gedanke hatte nunmehr auch in der baye-
rischen Abgeordnetenkammer gesiegt und zugleich einen tiefen
Riß in den Turm der patriotischen Partei gebracht . Es ist durchaus
glaubwürdig, was der bayerischer Vorliebe gewiß unverdächtige
badische Gesandte v. Mohl berichtet: auch von denen, die
gegen die Versailler Verträge gestimmt, hätte sich eine große
Zahl, besonders aus dem Bürger- und Bauernstande, sehr be-
friedrigt über den Gang der Abstimmung geäußert : sie hätten
nicht anders stimmen können, aber es sei ihnen viel lieber, daß
sie unterlegen seien, i)
Die Freude über den Sieg des nationalen Gedankens fand
Widerhall in den begeistertsten Artikeln. In besonders schwung-
vollen Worten ließ sich eine Stimme aus der Pfalz in der
Kaiserslauterer Zeitung vernehmen: ,, Jetzt also ist das
Deutsche Reich fertig, der letzte Stein eingefügt in den mäch-
tigsten Bau durch das zustimmende Votum unserer Abgeord-
netenkammer. Schätzen wirs nicht geringer um deswegen,
daß es mühsam abgerungen wurde; eben weil im heißen
Kampfe errungen, ist es für uns, für ganz Deutschland von
besonderem Werte ; denn es hat in strenger, harter Probe an den
Tag gebracht, daß der deutsche Gedanke wirklich feste Wurzeln
geschlagen hat, auch in Bayern."
Dr. Jörg dachte freilich anders darüber. Er begleitete
in den ,, Historisch-politischen Blättern" die Abstimmung im
bayerischen Landtage mit den düsteren prophetischen Worten :
,,Consummatum est." ,,Die Ruine wird abbröckeln und ein-
sinken von einem Landtage zum andern und in einigen Jahren
wird sich auch das bayerische Volk an den Gedanken gewöhnt
haben, daß man kein Königreich zu erhalten braucht, wenn
man ein Kaiserreich über sich hat."
1) K. St. A.
X.
Das Bismarckisdic Reich und sein
Verhältnis zu Bayerns König und Volk.
Was durch die Versailler Verträge begonnen worden
war, das wurde durch den Bundesrat und durch den Reichstag
des Norddeutschen Bundes fortgesetzt und auf dem ersten
Deutschen Reichstage vollendet.
Die ersten Nachrichten, die der bayerische Gesandte
am Berliner Hof über die Aufnahme der Versailler Verträge
im Bundesrat und Reichstag des Norddeutschen Bundes
brachte, lauteten wenig günstig.^) In den Kreisen des Bundes-
rates trat die Eifersucht und Verstimmung über die Bayern
eingeräumte Sonderstellung un verhüllt zutage. In diesen
Kreisen glaubte oder hoffte man, daß die Verträge mit Bayern
vom Reichstag abgelehnt und so Bayern zu weiteren Kon-
zessionen genötigt werden würde. In der Tat begegneten hier
die Verträge auf allen Seiten des Hauses schärfstem Wider-
spruche. Noch Ende November zweifelt die Berliner ,, Börsen-
zeitung", ein führendes Organ der nationalliberalen Partei,
an der Zustimmung des Reichstages und wirft die Frage auf,
ob es nicht besser sei, daß Bayern vorerst draußen bleibe.
Seit Anfang Dezember wirbt dieselbe nationalliberale Presse
immer deutlicher für die Genehmigung der Versailler Verträge ;
die meisten der den Südstaaten, zumal Bayern, zugestandenen
Vorrechte seien doch ,, ungefährlicher Natur". Zuletzt war
es der Führer der nationalliberalen Partei selbst, Bennigsen,
der vor Ablehnung der Verträge warnte, weil dadurch die
ganze Arbeit von Versailles hinfällig gemacht würde; er
leugne keineswegs, daß die Verträge Hindernisse und
Schwierigkeiten schlimmster Art bereiten könnten, aber er
hält einen ernsthaften, dauernden Widerstand Bayerns gegen
den einmütigen Willen des deutschen Volkes für unmöglich,
1) M. St. A.
193
da er an den kraftvollen Elementen, die in der neuen Ver-
fassung lägen, zerschellen würde. ^)
Wer den Widerstand überwand, war wiederum an erster
Stelle Bismarck. Er ließ den beim Heere befindlichen Mit-
gliedern des Reichstages Befehl erteilen, sofort nach Berlin
zu reisen, um den Reichstag beschlußfähig zu erhalten. Er
suchte von Versailles aus mit der ganzen Wucht seiner Autorität
auf die Führer der nationalliberalen und konservativen Parteien
einzuwirken. Er gab unmittelbar nach Übersendung der
bayerischen Verträge, am 26. November^), Erläuterungen zu
ihnen, die formell an den Staatsminister v. Delbrück, tat-
sächlich an den Bundesrat und noch mehr an den Reichstag
des Norddeutschen Bundes gerichtet waren: ,,Der Teil der
Verträge, welchen Ew. Excellenz noch während Ihrer hiesigen
Anwesenheit durchzuberaten Gelegenheit hatten, wird wegen
der Reservate im Heimat- und Staatsbürgerrecht, wie ich
hoffe, irgendwelchen Bedenken im Reichstage nicht begegnen.
Noch weniger kann ich glauben, daß Anstoß genommen wird
an den in den diplomatischen Beziehungen Bayern eingeräum-
ten Ehrenrechten . . . Eher läßt sich allerdings erwarten,
daß der auf das Kriegswesen des Bundes bezügliche Teil der
Verträge zu eingehenden Diskussionen Veranlassung geben
und die in dieser Beziehung an Bayern gewährten Konzessionen
Widerspruch finden werden. Meiner Überzeugung nach aber
stehen diese Konzessionen und die ganze an Bayern einge-
räumte Stellung der nationalen Entwicklung Deutschlands
nicht im Wege; es ist vielmehr alles erreicht, was wesentlich
notwendig ist, um das bayerische Heer zu einem integrierenden
und wirksamen Teile des Gesamtheeres Deutschlands zu
machen und die Geschlossenheit Deutschlands nach Außen
wie seine Entwicklungsfähigkeit im Innern zu sichern. Mit der
Erreichung des Wesentlichen aber mich zu begnügen und den
Abschluß nicht an dem jetzt Unerreichbaren scheitern zu
lassen schien mir durch die Umstände geboten." Er ver-
weist auf die Persönlichkeit des bayerischen Fürsten, auf den
noch währenden Krieg mit Frankreich, auf die- neutralen
Mächte und die noch immer nicht abzuweisende Möglichkeit
ihrer Einmischung, auf die neue europäische Krise infolge der
russischen Kündigung des Pariser Vertrages in der Frage des
Schwarzen Meeres. ,,Will der Reichstag sich mit dem Er-
langten nicht begnügen und alles wieder in Frage stellen,
^) H. Oncken, Bennigsen II, S. 203f.
2) H. A. A.
Doeberl, Bayern und die Bismarckische Reichsgründung. 13
194
so muß er für die Folgen die Verantwortung tragen, welche
die Regierung Seiner Majestät zu übernehmen sich nicht
getraut." Bismarck ließ aber auch durch Delbrück verschwiegene
und einflußreiche Abgeordnete darauf hinweisen, ,,daß der
König von Bayern von unsicherer Gesundheit, kinderlos und
sein Bruder ganz in ultramontanen Händen sei", ,,daß ein
Regierungswechsel in München, wenn er plötzlich einträte,
die ganze Situation sehr zu unserm Nachteil ändern würde." ^)
Das wirksamste Mittel, mit dem Bismarck den Widerstand
brach, war der Kaiserbrief Ludwigs II.
Am 2. Dezember wurden die bayerischen Verträge vom
Bundesrat einstimmig angenommen, mit der alleinigen Ab-
änderung, daß auf Antrag Hessens und mit Zustimmung
Bayerns dem Ausschusse für Auswärtige Angelegenheiten neben
Bayern, Württemberg und Sachsen noch zwei jährlich zu
wählende Bevollmächtigte anderer Bundesstaaten beigegeben
wurden. Am 9. Dezember 1870 erteilte auch der Reichstag
mit 197 gegen 32 Stimmen den Verträgen die Zustimmung.
Damit hatte Bismarck in wenigen Monaten erreicht, was
in der Zeit des Frankfurter Parlamentes und des preußischen
Unionsprojektes in langen Monaten und Jahren vergebens
angestrebt worden war: die Vereinigung des ganzen außer-
österreichischen Deutschlands zu einem nationalen Bundes-
staate, Mit monarchischer Spitze, mit moderner Volksver-
tretung, mit Zuständigkeiten, die dem Reiche alles gaben, was
die Einheit, die Macht und die Wohlfahrt des neuen Deutsch-
lands forderten, mit einer Geschlossenheit, die an nationaler
Festigkeit und Leistungsfähigkeit das größere römisch-deutsche
Reich weit übertraf. Auf einer Grundlage, die nicht bloß von
Ludwig von der Pfordten, sondern auch vom Fürsten Chlodwig
von Hohenlohe wegen der damit verbundenen Gefahr einer
Mediatisierung abgelehnt worden war, auf der Grundlage des
Norddeutschen Bundes, einer Grundlage, die der Studien-
freund des Grafen Bray, der österreichische Reichskanzler
Graf Beust, als Bruch des Artikels IV des Prager Friedens
bezeichnet und eben noch durch einen persönlichen Besuch
in München abzuwenden gesucht hatte, einer Grundlage, die
der bayerische Gesandte am Wiener Hofe eben noch als für
Bayern unannehmbar erklärt hatte.
Die Versailler Verträge bedeuteten für Bayern den Bruch
mit einer mehrhundertjährigen Vergangenheit. In diesem Sinne,
^) Schreiben Bismarcks an Delbrück vom 27. November und 6. De-
zember. H. A. A.
195
nicht im Sinne von Reichsfeindschaft sind die elegischen Worte
des Grafen Bray zu deuten, mit denen er vom alten Bayern
ähnlich wie König Wilhelm vom alten Preußen Abschied
nahm: „Dies ist der Anfang des neuen Deutschlands und,
wenn unsere Entwürfe angenommen werden, das Ende Alt-
bayerns; es wäre nutzlos sich darüber täuschen zu wollen."
Selbst Fürst Chlodwig von Hohenlohe gestand in der Kammer
der Reichsräte, daß die bayerische Selbständigkeit durch die
Versailler Verträge mehr und tiefer erschüttert werde, als
dies durch irgendeine staatsrechtliche oder internationale
Verbindung geschehen sei, in der sich Bayern seit Abschluß des
Westfälischen Friedens befunden habe.
Neben dem Augenmaß für die Lebensnotwendigkeiten
des Gesamtstaates besaß aber Graf Bismarck etwas, was den
Unitariern von damals wie denen von heute fehlte : den histori-
schen, von mechanischen, fremdländischen Staatstheorien
freien Blick für die Eigenart des deutschen Landes und des
deutschen Volkes.
Allerdings knüpft die Verfassung des Bismarckischen
Reiches ebenso wie die des Norddeutschen Bundes, die ihr
zugrunde liegt, an das Verfassungswerk des Frankfurter
Parlamentes an. Aber Bismarck nahm aus der Paulskirche
nur so viel westeuropäische, demokratische Elemente herüber,
als er für die Verwirklichung seines Machtgedankens brauchen
konnte, zumal das einheitliche Parlament und das demokrati-
sche Wahlrecht. Im übrigen beließ er nicht bloß die alten
Mächte, die 26 Bundesstaaten, er baute auf ihnen das neue
Reich auf. Träger der Bundesgewalt ist weder ein Einzelner,
ein Monarch, noch die Gesamtheit des deutschen Volkes,
sondern die verbündeten Herrscher. Sie vollziehen ihre ge-
meinsame Tätigkeit aber nicht in persönlichem Zusammen-
tritt, sondern durch eine Vertretung, den Bundesrat. Dieser
enthält im Gegensatz zum Staatenhause der Frankfurter
Reichsverfassung kein Element der Volksvertretung mehr,
sondern besteht lediglich aus Vertretern der bundesstaatlichen
Regierungen. Und diese handeln nicht nach freier Abstim-
mung, sondern nach festen Instruktionen. Damit aber der
Bundesrat nicht in die Schwerfälligkeit des alten Bundes-
tages zurückfalle, setzte Bismarck den Kaiser über ihn als
Bundespräsidium. Kaiser und Bundesrat bilden ein ver-
klammertes System. Symbol dieser Verklammerung ist der
Reichskanzler, zugleich aber auch Symbol der engen Ver-
bindung zwischen dem Reich und dem führenden Bundes-
13*
196
Staate, Preußen, dessen Ministerpräsident er ist. Freilich wird
damit auch das Schicksal des Reiches davon bedingt, daß
das ganz auf die Person Bismarcks zugeschnittene Reichs-
kanzleramt mit einem Manne besetzt wird von der Leistungs-
fähigkeit und der staatsmännischen Größe des ersten Kanzlers.
Die Zuständigkeit des Bundesrates und seiner Organe
erstreckt sich nur auf jene Gegenstände, die dem Reich aus-
drücklich vorbehalten sind.
Nachdem Bismarck dem Gesamtstaate das zur Erfüllung
seiner Aufgaben nötige Maß von Zuständigkeiten gesichert
hatte, überließ er dem Einzelstaate Raum für ein kraftvolles
Ausleben seiner staatlichen Persönlichkeit — in weiser Ab-
stufung nach Umfang und Geschichte. F. W. Förster bezeichnet
allerdings nach dem Vorgange seines Lehrers und Vorbildes,
Konstantin Frantz', das Bismarckische Reich als ,,unitaristisch
und zentralistisch" , als eine ,, mechanische Einigung durch
Blut und Eisen". In Wirklichkeit war das Bismarckische
Reich so wenig das Ideal der zeitgenössischen Unitarier,
daß gerade sie scharfe Kritik an ihm übten — wegen seines
föderalistischen Charakters: ,,Er hat offenbar von staats-
rechtlichen Dingen fast keinen Begriff. Eine Verfassung ist
ihm etwas Irrelevantes. Er ist sicher, solange er regiert,
mit den Königen fertig zu werden. Was nachher kommt,
kümmert ihn nicht." i) Und da^- Bismarckische Reich ist
so wenig das Ideal der heutigen Unitarier, daß einer
der Urheber des Weimarer Reichsverfassungsentwurfes er-
klärte: ,,Der neue Bau des Deutschen Reiches müsse ganz
bewußt auf den Boden gestellt werden, den Bismarck bei
seiner Reichsgründung ganz bewußt nicht betreten hat."
Wie einst beim Eintritt in das mittelalterliche Reich
König Heinrichs L, so ist auch beim Eintritt in das neue
Deutsche Reich Bayern das größte Maß von Selbständigkeit
gewährt worden. Mit den diplomatischen und militärischen
Zugeständnissen trug Bismarck Rechnung dem Umfang und
der Leistungsfähigkeit des Königreiches, der großen histori-
schen Vergangenheit des Staates und seiner tausendjährigen,
mit Land und Volk verwurzelten Dynastie, aber auch dem
starken Selbstbewußtsein des bayerischen Volkes. Mit der Be-
lassung der selbständigen Verwaltung des Verkehrswesens,
des bayerischen Heimats- und Niederlassungsrechtes nahm er
schonend Rücksicht auf die zähe Sonderart des bayerischen
^) Hermann Baumgarten an M. Duncker, 8. Dezember 1870, in:
Dunckers pol. Briefwechsel, S. 462.
197
Volkes, auf sein starkes kulturelles Sonderleben. Er schützte
zugleich diese Sonderrechte gegen majorisierende Zugriffe
des Bundesrates und des Reichstages durch den bekannten
Artikel 78, der Verfassungsänderungen mit dem bloßen
Einspruch der drei Königreiche Bayern, Württemberg und
Sachsen unmöglich machte.
Die Reichsverfassung war echt Bismarckisch auf real-
politische Bedürfnisse zugeschnitten, setzte sich aus den ver-
schiedenartigsten Elementen zusammen, entsprach so wenig
einer bestimmten Rechtstheorie, daß jahrelang darüber Streit
geführt werden konnte, ob das Reich ein Bundesstaat oder
ein Staatenbund sei. Bismarck nahm aus dem alten Deutsch-
land so \äel Mannigfaltigkeit, als noch lebensfähig war und
von dem neuen Deutschland ertragen werden konnte, und
schuf so ein Kunstwerk, das zwar regelwidrig, aber um so
lebensfähiger war. Es war, wie ein einwandfreier Zeuge und
Sachverständiger, Graf Hugo von Lerchenfeld, in seinen
Memoiren schreibt, ,, eines der gelungensten Werke, die je
nach langen, mühsamen Vorbereitungen geschaffen worden
sind. Bei meiner nahezu 40 jährigen Tätigkeit als stimm-
führender Bevollmächtigter zum Bundesrat habe ich oft mit
Bewunderung auf die Schöpfer der Verfassung zurückge-
blickt."
Gerade diese seltene Verbindung von Einheit und Auto-
nomie, von Einheit des Gesamtstaates und von Besonderheit
der Gliedstaaten, hat das deutsche Volk zu einer beispiellosen
schöpferischen Kraftentfaltung in den Werken des Friedens
wie des Krieges befähigt, die die glänzendsten Kaisertage des
alten Reiches überbot und in der nächsten Generation die
Bewunderung, aber auch den Neid einer Welt hervorrief.
Was ehedem Zwist und Unsegen gewesen, das hat er so in
eine Quelle des Reichtums gewandelt.
*
Die Sehnsucht zweier Generationen schien erfüllt, er-
füllt, was eben noch eine deutsche Frau aus Hannover dem
Könige Ludwig geschrieben hatte: ,,Der alte Barbarossa ist
erwacht, die Raben umflattern nicht mehr den Kyffhäuser,
Kaiser Friedrich ist ausgezogen mit seinen Getreuen und hat
seinen Schild an des Birnbaums dürren Ast gehängt, er hat sein
Volk befreit und groß gemacht vor allen Völkern der Erde . . .
Bauen Ew. Majestät der deutschen Nation einen Weihnachts-
baum auf, so schön, wie ihn nur einmal die Welt gesehen:
198
vor 1000 Jahren, am Weihnachtsabend des Jahres 800, in
der Peterskirche zu Rom!"^)
Freihch, mit dem alten römisch-deutschen Kaisertum
hatte das neue nichts zu tun. König Ludwig II. hat es in
seinem Schreiben an den badischen Staatsrat Geizer vom
12. Dezember in bewußter Übereinstimmung mit diesem als
eine „selbständige Neuschöpfung" bezeichnet. Er hat auch
immer wieder betont, daß der Kaisertitel keinen neuen Rechts-
inhalt schaffe, nur eine andere Bezeichnung für das Bundes-
präsidium sei, daß er vielmehr zum Ausdruck bringe, die dem
Bundespräsidium zustehenden Rechte übe der König von
Preußen nicht, wie der alte Kaiser, aus eigenem Rechte, sondern
im Namen des gesamten deutschen Vaterlandes, auf Grund
der Übertragung durch die deutschen Fürsten.
Mit dankbarem Herzen hat man um die Jahreswende
außerhalb der weißblauen Grenzpfähle der Verdienste Bayerns
und seines Königs gedacht. Besondere Anerkennung zollt
dem ,, tapferen Vorgehen Ludwigs IL auf der wundersamen
Bahn der großen Weltereignisse dieses denkwürdigen Jahres
1870" ein Huldigungsschreiben des Presbyteriums einer west-
fälischen Kirchengemeinde 2) : ,, Unser deutsches Vaterland
hat große Ursache, nächst Gott Euerer Königlichen Majestät
den wärmsten Dank für das große Werk der Truppenvereini-
gung von Süd- und Norddeutschland darzubringen . . . Un-
möglich hätte Preußen allein, ohne die Truppenvereinigung
aller deutschen Staaten, den Kaiser der Franzosen mit seinem
mächtigen Kriegsheer besiegt, wenn nicht der Herr unser
Gott, in dessen Händen die Herzen der Könige sind, Euerer
Königlichen Majestät Herz für die gute und gerechte Sache
Deutschlands geneigt und bestimmt hätte, welches jeder
Deutsche im In- und Ausland dankbar anerkennt. Hat Euere
Königliche Majestät in diesem mutigen Vorgehen der deutschen
Truppenvereinigung wahrhaft Großes getan, nicht minder groß
ist die Tat, daß Allerhöchst Sie an der Spitze von Deutschlands
Fürsten das im Wiener Frieden zerstückelte Deutschland zu
einem neuen und mächtigen Deutschland vereinigen und dieses
bewundernswürdige Werk deutscher, nationaler Einigkeit mit
der Kaiserkrone verherrlichen, dessen Träger nach Allerhöchst
Ihrer freien Entschließung unser siegreicher König Wilhelm
sein wird, dessen weißes Ehrenhaupt würdig ist mit der
deutschen Kaiserkrone geschmückt zu werden. Dafür ge-
1) M. H. A.
2) M. H. A.
199
bührt vor allem Euerer Königlichen Majestät von allen echten,
treuen Deutschen der innigste Dank, indem diese Tat ein ebenso
großes Meisterstück ist als der wundervolle Siegeslauf unserer
heldenmütigen Armee! Es freut uns, daß diese Erneuerung
der deutschen Kaiserwürde nicht die Wiederaufsetzung der
alten römisch-deutschen Kaiserkrone sein soll, die Kaiser
Franz IL am 6. August 1806 niederlegte, noch viel weniger
eine solche, welche die Frankfurter Nationalversammlung
1848 aus geraubten deutschen Königs- und Fürstenkronen
fabrizieren wollte."
König Ludwig IL berauschte sich wohl gern an solchen
nationalen Lobesergüssen. Es war ihm, wie Luise v. Kobell
einmal richtig sagte, willkommen, wenn man aus seiner Not
eine Tugend machte. Der wirklich bestimmende Faktor in
der deutschen Politik des Jahres 1870 ist er nicht gewesen
— weder bei Ausbruch des Krieges noch in der deutschen Ver-
fassungsfrage noch gegenüber dem Kaiserproblem. Der
,,ewig zwischen Wollen und Nicht wollen schwankende König"
wurde meist vor vollendete Tatsachen gestellt, seine verfassungs-
mäßig unentbehrliche Zustimmung wurde ihm in mehr oder
minder hartem und zeitraubendem Kampf abgerungen.
Die nationalen Schritte der letzten Monate vollzog er im
Grunde freudlos oder nur mit halber Seele. Innerlich mit-
erlebt hat er sie nicht. Mit dem Kaiserbriefe schien er sich,
wie ein Zeitgenosse sich ausdrückt, ,, gänzlich verausgabt zu
haben".
Bald folgte wie immer die bei dem Geisteszustand des
Königs unvermeidliche seelische Depression. Der preußische
Gesandte Freiherr v. Werthern berichtet in den auf die Kaiser-
proklamation folgenden Relationen immer wieder von diesen
seelischen Verstimmungen.^) Er will in einem Berichte vom
31. Januar wissen, daß sich der König seit der Unterzeichnung
der Versailler Verträge nur schwarz kleide und Hemdknöpfe
und Uhrkette aus Trauer- Jaspis trage. Er will vom Grafen
Holnstein vernommen haben, es sei ein Glück, daß die Kaiser-
proklamation und die Unterzeichnung der Versailler Verträge
bereits erfolgt sei ; heute würde weder das eine noch das andere
zu erreichen sein. Er berichtet am 18. Februar von anderen
Äußerungen des Grafen Holnstein: daß die Veränderungen,
die mit dem Könige vorgingen, ihm große Besorgnis einflößten;
aufgestachelt durch die königlichen Prinzen habe sich der
1) H. A. A.
200
König in Vorwürfe über die Verminderung seiner Souveränität
und in den größten Haß gegen Preußen hineingeredet; bei
jedem Hofdiner, ja vor jeder Audienz trinke er große Massen
schweren Weines, um seine Scheu vor den Menschen zu über-
winden, und eröffne ihnen alsdann, ohne alles Ansehen der
Person, durch unvorsichtige Reden die tiefsten Einblicke in
die geheimsten Falten seines Herzens; so z. B. habe er zum
Grafen Schönborn und dem Baron Frankenstein gesagt:
er sei zu den Verträgen gezwungen worden und würde sie nie
freiwillig unterzeichnet haben; zu einem englischen Kapitän
Fairholm, der mit eingeladen war: der Kaiser werde demnächst
hieher kommen, um sich in seinen neuen ,, Provinzen"
huldigen zu lassen ; zum Generaladjutanten Grafen Pappenheim :
er könne es nicht länger aushalten und werde abdanken.
Tatsächlich hatte er schon vor mehreren Wochen, zur Zeit
der Versailler Verhandlungen, mit diesem Gedanken gespielt
oder vielmehr gedroht, hatte den Kabinettsekretär beauftragt
ein Abdankungsdekret zugunsten seines Bruders Otto bereit-
zuhalten, hatte diesen sogar aus dem Felde herbeirufen lassen
— um dann, als die angeblichen Abdankungsabsichten in das
Volk drangen, alles aufzubieten, die Abdankungsgerüchte
wieder zu zerstreuen. Jetzt kam er darauf zurück und soll
dem Prinzen Otto einen Brief geschrieben haben mit der
Adresse: ,,An Seine Majestät den König Otto I. von Bayern."
Auch soll er sich nach dem am schnellsten wirkenden Gift
erkundigt haben. Von der Diskussion bis zur Ausführung
solcher Gedanken ist erfahrungsgemäß ein weiter Weg, aber
als Symptom ist es immerhin lehrreich, daß überhaupt solche
Gedanken aufkommen konnten. Der Gesandte stellt mit
Recht ausdrücklich fest, daß bei diesen Äußerungen eines ge-
störten Gemütes viel Komödie mit unterlaufe. Aber er be-
fürchtet doch, daß sie ,,die Möglichkeit einer plötzlichen
Rückkehr zur äußersten Reaktion oder, wenn die Wirkung
der Spirituosen hinzukomme, zu einem Akte der Verzweiflung
in sich schließen."
Nach einer von Gottfried Böhm gemachten Mitteilung
hätte der König bald nach dem Abgange des Kaiserbriefes
dem Kabinettsekretär Eisenhart den schriftlichen Auftrag
erteilt, das Schreiben von König Wilhelm zurückzufordern.^)
Er habe hinzugefügt, niemals hätten ihn die Fluten des Alpsees
mehr angezogen um darin seinem elenden Dasein ein Ende zu
machen. Jch bin nicht in der Lage, diese Nachricht zu kontrol-
^) Böhm, Ludwig II. ^
201
lieren. Eine amtliche Auswirkung hat der angebhche Auf-
trag sicherUch nicht erfahren. Aber das ist gewiß, daß der
König bald den Versuch unternahm, einzelne Bestimmungen
des Versailler Haupt Vertrags rückgängig zu machen.
Schon am 3. Dezember 1870, am Tage nach der Über-
reichung des Kaiserbriefes, schrieb Kabinettsekretär Eisen-
hart an den Grafen Bray: ,, Seine Majestät machen, obwohl
durch Kaiserbrief und Vollmacht an Minister v. Lutz die
Sache als entschieden anzusehen ist, noch immer Schwierig-
keiten wegen Bundesexekution, Fahneneid, Bundesgesetz-
gebung bezüglich Kriegszustandes, Bundeskompetenz in Ver-
fässungsstreitigkeiten etc."^)
Wenige Wochen später machte König Ludwig den Ver-
such, aus dem Fahneneide die im Versailler Vertrage vorge-
schriebene Verpflichtung gegenüber dem Bundesfeldherrn im
Kriege herauszunehmen. Er beauftragte den Prinzen Luitpold,
in diesem Sinne auf den Preußenkönig einzuwirken. Am 10. Ja-
nuar 1871 entledigte sich der Prinz in einer Audienz, die er
sich vom Könige von Preußen erbat und die ihm dieser vor
dem Diner gewährte, des heiklen Auftrags. Graf Berchem
telegraphierte darüber am 12. Januar 1871 an das Ministerium
des Äußeren: ,,Bismarck teilte mir vertraulich mit, daß
Prinz Luitpold im Auftrage des Königs dem König Wilhelm
den Wunsch aussprach, aus dem Fahneneid die Verpflichtung,
den Befehlen des Bundesfeldherrn im Kriege zu folgen, heraus-
zunehmen."2) Schon am Tage vorher hatte Bismarck eine
gleichlautende telegraphische Mitteilung an den preußischen
Gesandten in München gerichtet. 2) Noch vielsagender war die
Motivierung des Schrittes durch den Prinzen Luitpold, wie
sie Bismarck in diesem Telegramm nach München meldete:
,,Die Opposition sei in Bayern darum so groß, weil man dort
gehofft hätte, die Kaiserwürde werde zwischen Bayern und
Preußen alternieren, und man müsse darum suchen, sie durch
eine solche Konzession zu beschwichtigen."*)
Der König von Preußen war verstimmt, er erklärte es
für unmöglich, einen solchen Wunsch des Bayernkönigs im
Bundesrat und im Reichstag durchzusetzen, er verlangte eine
1) M. St. A.
2) Beilagen IV, Nr. 22,
3) Beilagen IV, Nr. 21.
*) Danach wurde also bayerischerseits nicht die Forderung nach einer
Alternierung der Kaiserwürde gestellt, sondern vom Prinzen lediglich er-
wähnt, daß in bayerischen Kreisen der Glaube an eine Alternierung verbreitet
gewesen sei.
202
schriftliche Erklärung. Bismarck bezeichnete gegenüber dem
Grafen Berchem die Forderung des Prinzen Luitpold als
gleichbedeutend mit der Preisgabe der Versailler Verträge
und mit einer Rückkehr zum alten Bündnisverhältnis. Der
Kanzler möchte nicht an einen solchen Auftrag des Königs
von Bayern glauben, er möchte eine Intrigue annehmen,
der der König ferneste.he. Er beauftragt den preußischen Ge-
sandten in München, mit Hilfe des Grafen Holnstein oder
des Kabinettsekretärs Eisenhart zu sondieren, ob der König
seinem Oheim wirklich einen solchen Auftrag erteilt habe.
Am folgenden Tage weist er denselben Gesandten telegraphisch
an, die drei Minister, die Bayern in Versailles vertreten hatten,
vertraulich zu fragen, ob sie von dem Schritte Kenntnis hätten.
Freiherr v. Werthern suchte Fühlung mit dem Grafen
Holnstein sowie mit den bayerischen Ministern. Graf Holn-
stein glaubte allerdings, daß der König dem Prinzen Luitpold
den Auftrag erteilt habe, aber nicht aus eigener Initiative,
sondern nur um sich des unablässigen Drängens der Mitglieder
des königlichen Hauses zu erwehren. Er folgerte daraus, daß
es mit dem Auftrage nicht so ernst gemeint sei und es ihm
leicht fallen werde, den König nach der Rückkehr in seine
Hauptstadt von der Vergeblichkeit eines solchen Schrittes
zu überzeugen. Bezüglich der Begründung des königlichen
Auftrages durch den Prinzen Luitpold kam der Gesandte
zu dem Ergebnis, daß sie dem Prinzen Luitpold ,, ausschließlich
und allein" angehöre, da weder von einem Abgeordneten noch
von einer Zeitung der äußersten Rechten, die sich doch in
den letzten Wochen in den groteskesten Äußerungen und
Wünschen wahrhaftig überboten hätte, auch nur die leiseste
Andeutung eines derartigen Anspruchs gemacht worden sei.
Aus einer Aussprache mit den Ministern glaubte der Gesandte
folgern zu dürfen, daß Lutz und Freiherr v. Pranckh von
der Absicht des Königs zu einem solchen Schritte nichts wußten,
Graf Bray aber eingeweiht war. In Wirklichkeit erhielt auch
Graf Bray erst in der Nacht vom 12. /13. Januar von dem
Schritte des Königs Kenntnis, und zwar nicht vom Kabinett-
sekretär Eisenhart, sondern vom Grafen Berchem, in jenem
Telegramm vom 12. Januar, das dieser auf Veranlassung
Bismarcks nach München gesandt hatte.
^) Siehe darüber den Bericht des Großherzogs von Baden. Beilagen IV,
Nr. 23.
^) Telegramm Wertherns vom 15. Januar 1871.
203
Aus dem Verhalten des Prinzen Luitpold in Verbindung
mit der Berichterstattung des Freiherrn v. Werthern wollte
man im Hauptquartier schließen, daß die Initiative zu dem
Antrage nicht vom Könige, sondern vom Prinzen Luitpold aus-
ging. Das erhält durch ein Schreiben des Königs von Bayern
scheinbar eine gewisse Bestätigung. Als nämlich Ludwig IL
von der Verstimmung des Hauptquartiers über den Antrag
des Prinzen Luitpold vernahm, schrieb er an den Hofsekretär
Düfflipp: ,,Die Thronrede, seine Haltung am 19. Juli, sein
Kaiserbrief, seine Briefe an Baron Stauffenberg und Lutz
bewiesen seine deutsche Politik zu deutlich, als daß ein denken-
der Mensch Konzessionen an die dummen Patrioten für
möglich halten könne; es gebe aber Dinge, gegen die Götter
und auch ein König vergeblich ankämpfe." Wer aber die
Empfindlichkeit König Ludwigs IL und anderseits die kluge
Zurückhaltung des Prinzen Luitpold kennt, wird sich kaum
davon überzeugen lassen. Um so weniger, wenn er einige
Wochen später, zum i. März, im Tagebuch des Großherzogs
von Baden liest: ,,Aus München sind gestern merkwürdige
Nachrichten eingetroffen. Darnach soll der König sich seit
einiger Zeit sehr nachteihg darüber äußern, daß man ihn in
der deutschen Kaiserfrage völlig mißverstanden habe. Er
sei weit entfernt, einen erblichen Kaiser zu wünschen, und würde
nie darauf eingegangen sein, einen solchen Antrag zu stellen,
wie er getan, wenn er hätte voraussetzen können, daß es die
Folge davon sein würde."
Im übrigen hatte der Zwischenfall^) keine weiteren Folgen,
da man von beiden Seiten es vermied ihn weiter zu berühren.
Aber einen Blick in das Innere des Königs hatte er doch eröffnet.
Bezeichnend war es auch, daß König Ludwig in dem
Schreiben vom 24. Januar 1871, in dem er für die Antwort des
Königs von Preußen vom 12. Januar und damit für die An-
nahme der von ihm angebotenen Kaiserkrone dankte, des
weltgeschichtlichen Vorgangs der Kaiserproklamation in Ver-
sailles auch nicht mit einem Worte gedachte. 2)
Bezeichnend sind nicht minder die Bemühungen des
Königs, Besuche des preußischen Hofes sich vom Leibe zu
halten : den vermeintlichen Besuch des Kaisers, den wirklichen
Besuch des Kronprinzen. Diese Abneigung gegen einen Be-
such des Kaisers im Frühjahr 1871 ging nach einer Nachricht
so weit, daß der bayerische Gesandte in Berlin, Baron Perglas,
^) Vgl. dazu auch Moritz Busch, Tagebuchblätter II, S. 47.
^) Beilagen IV, Nr. 25.
204
telegraphisch angewiesen wurde, mit allen ihm zu Gebote
stehenden Mitteln dagegen zu arbeiten und unter anderen
Gründen auch anzuführen, daß in München epidemische
Krankheiten herrschen I^) Und doch hatte der Kaiser damals
gar nicht die Absicht, den Rückweg von Versailles über die
süddeutschen Residenzen zu nehmen. Es war nur ein Gerücht,
das Freiherr v. Perglas aus höchst unsicherer Quelle nach
München gemeldet hatte.
Ernster war die Absicht des preußischen Kronprinzen,
zum Truppeneinzug in München zu erscheinen. Um so zäher
die Bemühungen des bayerischen Königs, diesen zweiten Besuch
des Kronprinzen zu hintertreiben. Sie setzen sich vom Früh-
jahr bis zum Sommer fort, bis hart vor dem Eintreffen des
Kronprinzen.'-^) Der preußische Gesandte hatte den Rat er-
teilt, an dem Besuch unbedingt festzuhalten; der Kronprinz
erfülle damit nur einen immer lauter werdenden Wunsch der
Stadt München. Der Gesandte fügte hinzu: er möchte dafür
einstehen, daß der König, wie gewöhnlich, sich ins Unvermeid-
liche finden werde, wenn er diesem nicht ausweichen könne.
Der König schickte sich allerdings ins Unvermeidliche, gab dem
preußischen Kronprinzen von Röhrmoos bis München das
Geleite, wohnte an seiner Seite dem Truppeneinzuge bei,
trank bei der militärischen Tafel im Schlachtensaale der Residenz
auf das Wohl der Armee und ihres ruhmreichen Führers,
lud ihn noch am folgenden Tage, am 17. Juli, auf die Rosen-
insel im Starnberger See ein. Aber dem Glanzpunkte der
Feierlichkeiten, dem großen Militärbankett, blieb er fern
und am folgenden Tage verließ er beim Morgengrauen, noch
vor seinem Gaste, die Hauptstadt. Kurz vor der Ankunft
des Kronprinzen hatte der König an seinen Bruder geschrieben :
,, Denke nur, Otto, aus politischen Gründen, gedrängt von
allen Seiten, habe ich mich veranlaßt sehen müssen, zum
Truppeneinzug den Kronprinzen von Preußen einzuladen,
was mich geradezu zur Verzweiflung bringt; ach es ist wirk-
lich kein Wunder, daß seit dem vorigen Jahre (Feldzug, Ab-
schluß der Verträge etc. etc.) mir das Regieren und die Leute
verhaßt wurden, und doch ist die königliche Stellung und das
Herrscheramt das Schönste, Erhabenste auf Erden. Wehe
mir, daß ich in eine solche Zeit hineingeschneit wurde, in der
mir alles vergällt wird." 3)
1) M. St. A.
^) Vgl. darüber die Berichte des preußischen Gesandten, H. A. A.
•■') Brief Ludwigs II. vom 8. Juli 1871, M. H. A.
205
Der preußische Gesandte Freiherr v. Werthern sucht
einen der Gründe für diese Wendung in dem Einflüsse der
Kaiserin Ehsabeth von Österreich: „Die Ursache dieser Ver-
stimmung hegt jenseits der bayerischen Grenze, sie kommt
von Wien, und zwar direkt von Ihrer Majestät der Kaiserin
Ehsabeth. Graf Holnstein hat dies glückhch entdeckt und
glaubt diese schädliche Einwirkung durch die Bemerkung
entkräftet zu haben, daß Ihre Majestät die Kaiserin den König
seit dem Bruch der Verlobung mit Prinzessin Sophie gründ-
lich haßt." Ich möchte den politischen Einfluß der Kaiserin
Elisabeth, wenn er sich überhaupt in diesen Tagen geltend
gemacht hat, nicht überschätzen, um so weniger als damals
die Beziehungen zwischen Ludwig und Elisabeth nicht mehr
so innig waren wie früher.
Die Gründe lagen tiefer. Sie lagen in dem inneren Zwie-
spalt seiner Seele. Gewiß spielte er gerne den nationalen
König, ließ sich gerne wegen seiner nationalen Verdienste
und — Opfer feiern, trotz seiner Verehrung für den Sonnen-
könig. Aber er hing gleichzeitig mit einem mehr als könig-
lichen Selbstgefühl, mit einer fast mystischen Andacht am
Herrscheramte, empfand tief und schmerzlich den Verlust
jedes einzelnen Kronrechtes, bangte gleichzeitig vor dem
Urteile derer, die sich als Wächter dieser Kronrechte aus-
gaben, und besaß doch nicht den Mut und die Festigkeit
und bei seinen seelischen Ablenkungsmomenten auch nicht
die Zeit, Gefahren für die Selbständigkeit Bayerns zähen,
anhaltenden Widerstand entgegenzustellen, Worten die Tat
folgen zu lassen. Es war notorisch, daß der König sich regel-
mäßig in das Unvermeidliche fügte, wenn er ihm nicht aus-
weichen konnte. Lehrreich ist der Bericht des preußischen
Gesandten über eine Audienz vom 7. März 1871.^) Der Ge-
sandte nahm die Gelegenheit wahr, um dem Könige zu sagen,
welch mächtigen Enthusiasmus seine Politik in Norddeutsch-
land, auch außerhalb der Regierungskreise, hervorgerufen
habe und welch tiefe Sympathie man daselbst für seine aller-
höchste Person empfinde. Der König, sichtlich erfreut,
fällt dem Gesandten ins Wort: ,,0h, ich habe nur meine Pflicht
getan, meine Pflicht gegen Deutschland." Und doch, un-
mittelbar darauf bricht seine alte Besorgnis vor Preußen wieder
durch: er spielte in derselben Audienz sehr deutlich auf die
Tendenz Preußens zum deutschen Einheitsstaat an. Seit
dem Jahre 1866 lebte er unter dem Banne der Furcht für
1) H. A. A.
206
Krone und Selbständigkeit. Bruder und Oheim, Großoheim
und Großvater hatten diese Besorgnis beständig genährt.
Freiherr v. Werthern hatte recht, wenn er an Bismarck schrieb :
,,Aus kleinen Zügen drängt sich mir die Überzeugung auf,
daß die korrekte Haltung und Willfährigkeit des Königs
Ludwig immer noch in schwerem Konflikte mit seinem wittels-
bachischen Stolze liegt und ihren Ursprung weit weniger im
Vertrauen als im Gefühl der Ohnmacht und Furcht hat."^)
Dieser Zwiespalt seiner Seele wurde genährt von einem
Teile seiner Umgebung, von Mitgliedern des königlichen
Hauses, von Mitgliedern der Hofgesellschaft, die wie der Erb-
graf von Schönborn in dem angeblichen Besuche des Kaisers
eine ,, Insulte für Bayern" erblickten. Von den Prinzen
berichtet der preußische Gesandte, daß die Mehrzahl
derselben, namentlich die Prinzen Karl und Adalbert, den
König mit Briefen und Memoires, von denen die des
Prinzen Karl von dem früheren Minister von der Pfordten ver-
faßt seien, ,, unablässig bestürmten und seinen an sich nicht
sehr starken Willen zu erschüttern suchten". Von der Hof-
gesellschaft äußerte einmal Graf Holnstein in seiner drastischen
Weise, daß sie noch heute jeden Preußen betrachte, als ob er
aussätzig sei. So wenig der König sonst mit diesen Leuten
verkehrte, in kritischen Augenblicken liebte er es, ihnen gegen-
über sein Herz auszuschütten, sich in seinen Besorgnissen
von ihnen bestärken zu lassen oder ihnen nach dem Munde zu
reden. Der König liebte es, wie Freiherr v. Werthern richtig
urteilte, namentlich bei Erteilung von Audienzen, verschiedenen
Personen verschiedenes zu sagen, je nach ihrem politischen
Standpunkte. Dieser Zwiespalt wurde auch genährt von mehr
als einem der bayerischen Diplomaten an fremden Höfen,
besonders dem Gesandten in Berlin, Freiherrn v. Perglas. Der
Vertreter Preußens am Münchener Hofe, Freiherr v. Werthern,
war zweifellos ein mehr als mittelmäßig begabter, ungewöhn-
lich rühriger Diplomat. Aber gerade seine Überlegenheit
und Aktivität war nicht geeignet, die Besorgnisse des Königs
zu beruhigen. Im Gegenteil erhoben sich gegen ihn in Bayern
so viele Anklagen, daß sich selbst Bismarck eine Zeitlang
mit dem Gedanken beschäftigte, ihn abzuberufen.
Der Zwiespalt der Seele des Königs wurde auch genährt
durch das Verhalten mancher nationaler Kreise im Süden
wie im Norden. Je geflissentlicher sich der König von den
nationalen Feiern in München fernehielt, desto mehr nahmen
^) Bericht Wertherns vom 12. Mai 1871 a. a. O.
207
sie gerade hier nach den Berichten des preußischen Gesandten
einen „unnötig ungeduldigen und gegenüber dem König
oppositionellen Charakter", an, was Ludwig II, nach der-
selben Quelle zu Äußerungen reizte, wie: er werde jetzt be-
jubelt, weil er durch die Versailler Verträge einen Teil seiner
Hoheitsrechte verloren habe; er wisse nicht, wie er zu diesen
Verträgen gekommen sei.^) Was der König auf dem Weg
über die bayerische Gesandtschaft in Berlin von Äußerungen
der nationalen Presse des Nordens zu lesen bekam, war noch
weniger geeignet, seine Besorgnisse zu beschwichtigen: das
durch die Versailler Verträge Erreichte sei nur etwas Unvoll-
kommenes, nur eine Station auf dem Wege zum Einheits-
staaten) Man bekommt geradezu den Eindruck, daß der
bayerische Geschäftsträger mit seiner Berichterstattung auf den
Argwohn des Königs spekulierte, namentlich wenn er hinzu-
fügte : es werde eine feierliche Kaiserkrönung geplant, sei es
mit der alten Kaiserkrone Karls des Großen, die man sich
vielleicht von der Gefälligkeit des Grafen Beust erbitten
werde, sei es mit einer neuen Kaiserkrone in Form eines ge-
krönten Helms.
Der tiefste Grund für das Verhalten des Königs aber lag
in seinem Geisteszustände. Mag es anfangs nur eine latente
Anlage gewesen sein, es zeigten sich sehr bald und immer
deutlicher die Symptome der Geisteskrankheit. Dieses Leiden
ist unter dem Einflüsse der politischen Aufregungen, aber
auch seines künstlerischen und künstlichen Traumlebens
und seiner Abschließung von der Außenwelt, die ihm
einerseits die Wohltat der eigenen wie der fremden Kon-
trolle entzog, die anderseits sein Mißtrauen nährte, mit
jedem Jahre gewachsen. Ein persönliches Zusammentreffen,
eine persönliche Aussprache mit dem Preußenkönig hätte
vielleicht manches Mißtrauen überwinden können; vor
drei Jahren war der König tatsächlich von einer Begegnung
mit König Wilhelm in Augsburg in auffälhg gehobener Stim-
mung zurückgekehrt. Aber diesem Zusammentreffen, dieser
Aussprache ging jetzt Ludwig grundsätzlich aus dem Wege.
Das Mißtrauen saß ihm schon zu tief in der Brust. In seiner
Einsamkeit aber ,, konstruierte er sich", um wieder mit Frei-
herrn V. Werthern zu sprechen, ,, Phantome". ,,Sein Reich
war nicht von dieser Welt."
*
^) Bericht Wertherns vom i. Februar 1871.
2) Bericht Perglas' vom 21. Januar 1871, M, St. A.
208
Je kränker der König war, desto schwieriger, aber auch
desto verdienstvoller war das Wirken der amtlichen und ver-
antwortlichen Ratgeber des Königs in diesen Jahren: voran
des Grafen Otto v. Bray- Steinburg, aber auch der Minister
Lutz und Pranckh. Dieses Wirken ist damals wie später
nicht immer gebührend gewürdigt worden. Nicht geringe
Verdienste haben sich um Bayern und Deutschland auch
einige Mitglieder der nächsten Umgebung des Königs er-
worben, mit denen Bismarck durch Vermittlung seines Mün-
chener Gesandten in steter Fühlung stand: Kabinettsekretär
Eisenhart, Hofsekretär Düf flipp und nicht zuletzt der Ober-
stallmeister Graf Holnstein, der schon auf die Haltung des
Königs bei Kriegsausbruch einen wesentlichen Einfluß geübt
hatte. ,,Es gibt hier niemand," schrieb der preußische Ge-
sandte im kritischsten Augenblicke der Kaiserfrage, ,,der,
wie er, mit genauester Kenntnis der Eigentümlichkeiten
der maßgebenden Personen einen guten Willen und die Energie
verbindet, auf eine befriedigende Lösung der Komplikationen
des gegenwärtigen Moments hinzuwirken." Die Bedeutung
des Adjutanten Major Sauer dagegen dürfte überschätzt
worden sein.
Das Größte hat aber auch hier Otto v. Bismarck ge-
leistet. Hinter und über all den geschilderten Aktionen stand
die Riesengestalt des großen Kanzlers. Nicht die letzte und
nicht die geringste von seinen weltgeschichtlichen Leistungen
war das Vertrauensverhältnis, das er zum Könige von Bayern
und zu immer weiteren Kreisen des bayerischen Volkes herzu-
stellen verstand.
Bismarcks unitaristische Gegner sahen darin allerdings
nur ein verderbliches, des preußischen Staates unwürdiges
,, systematisches Kokettieren mit Bayern", eine ,, raffinierte
Tendenz, den Schneekönig von Hohenschwangau mit Huldi-
gungen zu überschütten".^) Bismarck selbst hat in den Tagen
der Reichsgründung wiederholt geäußert: er wisse wohl,
daß ihm seine Zugeständnisse an Bayern mißdeutet würden.
Aber es sei ihm darauf angekommen, daß Bayern freiwillig,
ohne das Gefühl einer Vergewaltigung oder auch nur der
Ausnützung einer Zwangslage, vielmehr mit dem Bewußtsein
einer seiner Größe und seiner historischen Vergangenheit
entsprechenden Stellung in das Reich eintrete, weil nur
Reichsfreudigkeit den dauernden Bestand des Reiches ver-
^) Hermann Baumgarten an Duncker, 8. Dezember 1870, in: Dunckers
pol. Briefwechsel, S. 461 f.
209
bürge. Wie er im Jahre 1866 einem Frieden mit Bayern wider-
sprach, der eine dauernde Verstimmung des bayerischen
Selbstgefühls um eines belanglosen Landgewinnes willen ge-
bracht hätte, so wies er im Jahre 1870 Versuche zu einer Ver-
gewaltigung Bayerns zurück und vermied selbst einen wider-
willigen Eintritt Bayerns in das Reich — immer in der weisen
Erkenntnis, daß völkische Einigkeit noch wichtiger sei als
staatliche Einheit, daß Treue nicht aus Zwang, sondern aus
Freiheit komme. An einem zufriedenen Bayern lag ihm,
um mit seinen eigenen Worten zu sprechen, mehr als an
„hundert der schönsten Paragraphen". ,,Ew. Majestät"
schrieb er am 24. Dezember 1870 an den König von Bayern,
„setzen mit Recht voraus, daß auch ich von der Zentralisation
kein Heil erwarte, sondern gerade in der Erhaltung der Rechte,
welche die Bundesverfassung den einzelnen Gliedern des
Bundes sichert, die dem deutschen Geist entsprechende
Form der Entwicklung und zugleich die sicherste Bürgschaft
gegen die Gefahren erblicke, welchen Recht und Ordnung in
der freien Bewegung des heutigen politischen Lebens ausgesetzt
sein können."^)
Auch in der Folge hat Bismarck die föderativen Grund-
lagen des Reiches sorgsam gewahrt, die Besonderheit und die
Freiwilligkeit behutsam gepflegt. Er hat in der umfassenden
Korrespondenz mit König Ludwig IL aus den siebziger und
den achtziger Jahren den Föderalismus immer wieder als
Pflicht der historischen Gerechtigkeit, als Forderung der
politischen Nützlichkeit und Notwendigkeit, als starkes Boll-
werk gegen Angriffe revolutionärer Elemente bezeichnet,
die auf dem Boden einer unitarischen Verfassung viel schwerer
abgewehrt werden könnten.
,,Ich bin beglückt", schrieb er in den siebziger Jahren an
Ludwig IL, ,, durch das Vertrauen, welches Ew. Majestät
mir aussprechen, und werde stets bestrebt sein dasselbe zu
verdienen; aber auch unabhängig von persönlichen Bürg-
schaften dürfen Ew. Majestät auf diejenigen (Bürgschaften)
rechnen, welche in der Reichsverfassung selbst liegen. Letztere
beruhen auf der föderativen Grundlage, welche sie durch die
Bundesverträge erhalten haben, und können nicht ohne
Vertragsbruch verletzt werden. Darin unterscheidet sich die
Reichsverfassung von jeder Landesverfassung. Die Rechte
Ew. Majestät bilden einen unlöslichen Teil der Reichsverfassung
und beruhen daher auf denselben sicheren Rechtsgrundlagen
1) M. H. A.
Doeberl, Bayern und die Bismarckische Reichsgründung. 14
210
wie alle Institutionen des Reiches. Deutschland hat gegen-
wärtig in der Institution seines Bundesrates und Bayern in
seiner würdigen und einsichtigen Vertretung im Bundesrat
eine feste Bürgschaft gegen jede Unitarisierung oder Über-
treibung der einheitlichen Bestrebungen. Ew. Majestät wer-
den auf die Sicherheit des vertragsmäßigen Verfassungs-
rechtes auch dann volles Vertrauen setzen können, wenn ich
nicht mehr die Ehre habe dem Reich als Kanzler zu dienen."^)
In einem Schreiben vom 29. Juni 1877 erklärte sich Bismarck
gegen die Institution verantwortlicher Reichsminister —
„nicht um alleiniger Minister zu bleiben, sondern um die ver-
fassungsmäßigen Rechte des Bundesrates und seiner hohen
Vollmachtgeber zu wahren". ,,Nur auf Kosten der letzteren
könnten die erstrebten Reichsministerien geschäftlich dotiert
werden. Und damit würde ein Weg in der Richtung der
Zentralisierung eingeschlagen, in der wir das Heil der deutschen
Zukunft, wie ich glaube, vergebens suchen würden." Be-
sonders charakteristisch ist ein Schreiben Bismarcks an den
König aus den letzten Jahren, vom 3. April 1885: ,,Das huld-
reiche Schreiben, mit welchem Ew. Majestät mich unter dem
29. März beehrt haben, gibt mir einen neuen Anlaß, dem
Gefühle ehrfurchtsvoller Dankbarkeit Ausdruck zu geben,
mit welcher ich auf die Jahre zurückblicke, während deren
Ew. Majestät Gnade eine starke und unwandelbare Stütze
bei der Erfüllung meines Berufes gewesen ist. Die nationalen
Erfolge, denen ich in den jüngsten Tagen die ehrenvolle An-
erkennung der verbündeten Fürsten und einer großen Zahl
ihrer Untertanen verdanke, wären unerreichbar geblieben
ohne den mächtigen Beistand Ew. Majestät. Die Erfahrungen
von zwei Jahrzehnten haben gezeigt, daß die Einigkeit und
die auf ihr beruhende defensive Stärke Deutschlands mehr von
seinen Dynastien als von seinen Parlamenten zu erwarten hat ;
in dieser Wahrnehmung allein schon liegt der Beweis dafür,
daß das föderative Prinzip, in dessen Betätigung Ew. Majestät
die bestehenden Einrichtungen sanktioniert haben, nicht nur
der historischen Gerechtigkeit, sondern auch der politischen
Nützlichkeit entspricht. Ich darf alleruntertänigst versichern,
daß ich an demselben für alle Zukunft ebenso festhalten
werde wie an der dankbaren Anhänglichkeit für Ew. Majestät."-)
Versuchen des Reichstages, ,,sich als unitaristischen
Konvent aufzuspielen," trat Bismarck mit der größten Schärfe
1) M. H. A.
2) M. H. A.
211
entgegen, wie er anderseits auch demokratische Anschläge
auf das Gefüge des preußischen Staates mit der ganzen Wucht
seiner kraftvollen Persönlichkeit niederrang.
Mit dieser föderativen Politik hat Bismarck zwischen
dem Nationalstaat und den Einzelstaaten eine solche Inter-
essengemeinschaft geschaffen, daß nicht der Reichstag, viel-
mehr ganz im Sinne der ursprünglichen Absichten Bismarcks
die im Bundesrate vertretenen Regierungen die Stützen des
neuen Reiches wurden, dieselben territorialen Gewalten, die
das alte Reich gesprengt, die eben noch mit der preußischen
Vormacht um Sein oder Nichtsein gerungen hatten.
Mit dieser weisen Selbstbescheidung, mit dieser organischen
Staatsauffassung hat Bismarck — und das war das Meister-
stück seiner Diplomatie, einer seiner schönsten Erfolge — •
gerade den Fürsten, der sich persönlichen Werbungen am
wenigsten öffnete, und den Staat, der sich am längsten und
zähesten gegen den kleindeutschen Bundesstaat unter preußi-
scher Führung gesperrt hatte, zu Trägern zugleich und zu
Bürgen der deutschen Einheit gewonnen. Ein lebendiges
Zeugnis ist das ungewöhnlich warme Vertrauensverhältnis
zwischen dem jugendlichen König Ludwig IL und dem eisernen
Kanzler, wie es aus der langjährigen Korrespondenz i) zwischen
diesen ungleichen Charakteren ganz eigenartig hervorleuchtet.
König Ludwig IL hatte, wie einer seiner Kabinett-
sekretäre richtig bemerkte, eigentlich nur zwei Menschen,
denen er bis an sein Lebensende aufrichtig, herzlich und ohne
Schwanken zugetan war: eine Frau und einen Mann. Die Frau
war seine Kusine, die Kaiserin Elisabeth von Österreich,
und der Mann hieß Bismarck. ,,Den kannte er, den bewunderte
er, auf den verließ er sich. Konnte ich ihm einen Brief des
Reichskanzlers überreichen, in dem er dem Könige die Fort-
setzung der deutschen Politik auf föderativer Grundlage
zusicherte, so hatte ich eine gute, sonnige Stunde, in der ich
manches erreichte, was sonst unmöglich gewesen wäre. Er
erschien dann frisch, verjüngt, wie von einem Alp befreit." 2)
,,Es drängt mich," schrieb der König am 6. Juli 1877 an den
Kanzler, ,,es drängt mich, Ihnen, mein lieber Fürst, zu sagen,
mit welcher Besorgnis mich vor einiger Zeit die Nachricht von
der Möglichkeit Ihres Rücktritts erfüllte. Je größer meine
persönliche Verehrung für Sie und mein Vertrauen zur födera-
tiven Grundlage Ihres staatsmännischen Wirkens ist, desto
1) M. H. A.
*) Felix Philippi, Münchener Bilderbogen, S. 53 ff.
14*
212
schmerzlicher hätte ich ein solches Ereignis für mich und mein
Vaterland empfunden. Zu meiner wahren Freude ist es
nicht eingetreten und ich wünsche dem Reiche von Herzen,
daß Ihre Weisheit und Tatkraft dem Reich und dem reichs-
treuen Bayern noch lange nicht fehlen möge. In Ihrer Stellung
zur immer wieder auftauchenden Frage verantwortlicher
Reichsministerien erscheinen Sie als der starke Hort der
Rechte der Bundesfürsten und mit wahrhafter Beruhigung
nehme ich von Ihnen das Wort entgegen, daß das Heil der
deutschen Zukunft nicht in der Zentralisation zu suchen ist,
welche mit der Schaffung solcher Ministerien eintreten würde.
Seien Sie überzeugt, daß ich es an ^nichts fehlen lassen werde,
um Ihnen im Kampfe für die Aufrechterhaltung der Grund-
lagen der Reichsverfassung die offene und vollste Unter-
stützung meiner Vertreter im Bundesrate für die Zukunft zu
sichern."
Und der Kanzler ? Er berichtet dem Könige von seiner
Arbeit am Dienste des Reiches, von seinen Beziehungen zu
Rußland, zu Österreich, zur Kurie, von seinen Erfolgen , aber
auch von seinen Sorgen und Konflikten. Auch die Fürstin
greift einmal zur Feder, um in rührenden Worten zu danken
für die königliche Huld und die feinfühlige Sorge, die sie und
ihren Gemahl Jahr für Jahr während ihres Kissinger Bade-
aufenthaltes betreuen.
Das Vertrauen des Königs zu Bismarck war so uner-
schütterlich, daß Ludwig IL noch in den letzten Tagen vor
der Königskatastrophe seinen Rat und seine Hilfe anrief.
Unter der Regierung Ludwigs IL und seiner beiden
Nachfolger ist Bayern geradezu zu einem der Eckpfeiler des
nationalen Staates hinaufgewachsen, zu dem vertrauensvoll
die emporblickten, die ehedem an seiner nationalen Trag-
kraft gezweifelt hatten. Reich und Nation sind in das Innerste
des bayerischen Volkes hineingewachsen.
Hatte vor dem Kriege des Jahres 1870 die Heeresreform
noch zu kurz eingesetzt, um die bayerische Armee wirklich
völlig gleichwertig der preußischen erscheinen zu lassen, fehlte
damals der Mannschaft bei aller Tapferkeit die straffe Disziplin
des preußischen Heeres, fehlte den meisten Offizieren der
Lehrgang der Akademie, der wissenschaftliche Charakter,
fehlten den bayerischen Truppenführern die Erfahrungen auf
den alljährlichen Reisen des Großen Generalstabs: so hatte
inzwischen, schon seit den achtziger Jahren, die bayerische
Armee die volle Ebenbürtigkeit erlangt und hat sie im Weit-
213
kriege glänzend bewährt — trotz oder vielleicht gerade wegen
des föderalistischen Prinzips. Wie freudig ist der Bayer, der
Altbayer wie der Neubayer, in den Weltkrieg gezogen! Wo
stand ein Regiment in deutschen Landen, das mit höheren
vaterländischen Idealen in den Tod ging als das Regiment
,,List" ? Was hat allein der Klerus aller Konfessionen an
nationaler Aufklärungsarbeit während des Weltkrieges ge-
leistet, auch der katholische Klerus, der unter dem Ein-
fluß der kirchenpolitischen Kämpfe noch in den siebziger
Jahren argwöhnisch beiseite gestanden ? Gerade während
des Weltkrieges wurde von der deutschen Reichsregierung
ausdrücklich anerkannt, daß sich die föderative Reichs-
verfassung aufs neue glänzend bewährt habe, daß sie den
Bedürfnissen und Verhältnissen Deutschlands auf den Leib
geschnitten und deshalb sorgsam zu pflegen und vor unitaristi-
scher Verkümmerung zu behüten sei. Es war erst der revolu-
tionären Legende vorbehalten, auch dieses Ruhmesblatt des
alten Bayern zu zerpflücken und den letzten wittelsbachischen
König desselben Verbrechens zu beschuldigen, mit dem die
Totengräber des agilolfingischen Herzogtums den letzten
Agilolfinger belastet hatten. In Wahrheit konnte König
Ludwig am Schlüsse des Weltkrieges von sich und seinem
Volke sagen: ,,reipublice inserviendo consumor". Sie hatten
sich im Dienste des Kaisers und des Reiches verzehrt.
Mit der steigenden politischen Erkenntnis, aber auch mit
dem politischen, wirtschaftlichen und seelischen Hineinwachsen
Bayerns in die nationale Arbeitsgemeinschaft, in die er-
weiterte, große und starke Welt des Bismarckischen Reiches
hat diese Wendung der deutschen und der bayerischen Politik
in dem persönlichen Verhältnisse des bayerischen Volkes zu
Bismarck symbolischen Ausdruck gefunden : Otto v. Bismarck,
dem Bayern ehedem ,,der böse Dämon des deutschen Volkes",
die Inkarnation harter, ausschließlich preußischer Macht-
politik, wandelte sich in den Augen des bayerischen Volkes
zum eisernen Roland, der über dem Ansehen des deut-
schen Namens in der Welt, aber auch über dem föderalisti-
schen Charakter der Reichs Verfassung wacht.
Unter dem Einflüsse der Weimarer Verhandlungen, die
auch dem bescheidensten Mann aus dem Volke zum greifbaren
Bewußtsein brachten, daß von den Parteien eine ungleich
größere Gefahr für den gesunden Föderalismus drohe als
ehedem von den Regierungen und den Dynastien, ist das Bild
des großen Kanzlers in der Seele des bayerischen Volkes ge-
214
wachsen. Heute ist Bayern, und zwar nicht bloß die etwas
anspruchsvolle Kapitale, sondern auch die weniger geräusch-
volle Provinz ein Sammelbecken des Bismarckischen Reichs-
gedankens. Auch das ist eine Auswirkung der Bismarckischen
Reichsgründung, eine der wunderbarsten und doch zugeich
folgerichtigsten.
Was jüngst einer der verständigsten und sachlichsten
Historiker Englands, Gooch, in seinem Buche ,,Germany"
von Deutschland und dem deutschen Volke schrieb, das gilt
auch von Bayern und dem bayerischen Volke: ,,Die Einheit
des Reiches steht fest gegen innere und äußere Feinde."
,,Der Oberbau des Bismarckischen Gebäudes ist eingestürzt,
aber sein Fundament hat den Sturm überstanden. Der heutige
Partikularismus will Verschiedenheit, aber nicht Auseinander-
gehen, Einheit in Mannigfaltigkeit, nicht nationalen Selbst-
mord."
Was dem deutschen Volke die Erfahrungen der letzten
Jahre mit äußeren wie mit inneren Mächten mehr oder minder
deutlich zum Bewußtsein brachten, dem hat der Engländer
treffenden Ausdruck gegeben: Die unvergleichliche, wahrhaft
staatsmännische Größe Bismarcks offenbarte sich in seinen
diplomatischen Erfolgen nicht mehr als in der weisen Mäßigung,
mit der er diese gebrauchte. In der Zeit der Reichsgründung
hat er diese Mäßigung gegenüber Frankreich wie gegenüber
Bayern bewiesen. Es war ganz im Geiste Bismarcks gedacht,
wenn am 23. November, dem Tage der Unterzeichnung der
bayerischen Verträge, der sonst sehr aktivistische preußische
Gesandte v. Werthern an den nationalliberalen Führer
v, Bennigsen schrieb: ,, Berliner Maßstab, angelegt auf Bayern,
führt allemal zu falschem Resultat."
BEILAGEN
I.
Zur Haltung Bayerns bei Ausbruch des
Deutsdi^französiscfien Krieges.
I. Wien 1870 Juli 7 (präsentiert 8.). Graf v. Fugger an den König
von Bayern.
(Original.)
In den jüngst verflossenen Monaten hat die Frage der Neu-
gestaltung der inneren Verhältnisse Cisleithaniens fast ausschließ-
lich das hiesige Kabinet beschäftigt. In der äußeren Politik hin-
gegen war — die Verhandlungen des Konzils ausgenommen • —
keine Frage aufgetaucht, die das allgemeine Interesse in Anspruch
genommen.
Es hat daher die Nachricht von der Kandidatur des Prinzen
Leopold von Hohenzollern auf den spanischen Königsthron auch
hier nicht nur auf der Börse Aufregung verursacht und dem Steigen
der Kurse Einhalt gethan, sondern auch in politischen Kreisen
große Sensation gemacht.
Ich hatte nun gestern Gelegenheit, den Herrn Reichskanzler
vor seiner Abreise, die nächsten Sonntag oder Montag erfolgen
wird, zu sehen, und ermangelte nicht, das Gespräch auf diese
Thronkandidatur zu lenken.
Graf Beust ging bereitwilligst auf eine Besprechung hierüber
ein und gab mir seine Ansicht bezüglich dieser Frage dahin kund,
daß er glaube, daß das Projekt, den Prinzen Hohenzollern auf
den spanischen Königsthron zu erheben, aufgegeben werden müsse,
da es den Intentionen des Tuilerien-Kabinetts nicht entspreche
und Letzteres die Angelegenheit sehr ernst nehme. Zugleich theilte
mir der Reichskanzler mit, daß ihm soeben der spanische Gesandte
Herr del Mazo im Auftrage seiner Regierung die Eröffnung gemacht
habe, daß die Thronbesteigung des Prinzen Leopold nicht ohne
vorhergehende Genehmigung der Cortes vollzogen werde.
In dieser Mittheilung erblickte Graf Beust bereits eine ,,recu-
lade" der spanischen Machthaber und den ersten Schritt, von der
gefaßten Idee ganz abzustehen.
Die aus Berlin hier eingetroffenen Nachrichten über die Frage
der spanischen Thronkandidatur gehen dahin, daß man dort voll-
ständig in Abrede steUe, von preußischer Seite irgend einen Ein-
fluß ausgeübt zu haben.
Der Reichskanzler fügte die Bemerkung bei, daß er den Grafen
Bismarck in dieser Sache nicht begreife, indem, wenn die Kandi-
218
datur zu keinem Resultate führe, wie es bei der ernsten Haltung
Frankreichs den Anschein habe, es für den Grafen Bismarck eine
,,blamage" sei, während das Gelingen des Projektes einen Krieg
mit Frankreich hervorrufen könne, der für Preußen unter ungün-
stigen Verhältnissen zu führen wäre, da besonders Süddeutschland
sich nicht erwärmen werde, für einen Hohenzollern die spanische
Königs kröne zu erwerben.
Die freundschaftliche Aufnahme, welche Erzherzog Albrecht
von Seite des Kaisers von Rußland in Warschau gefunden, und die
Auszeichnung, die dem österreichischen Prinzen durch die Ver-
leihung des Großkreuzes des St. Georgs-Ordens geworden ist,
haben hier den besten Eindruck gemacht, und es ist daraus zu
entnehmen, daß die Beziehungen zwischen Rußland und Österreich
in ein günstigeres Verhältniß getreten sind. M.st.A.
2. Paris 1870 Juli 7 (präsentiert 9.). Gesandter Graf v. Quadt
an den König von Bayern.
(Original.)
Die kategorische Erklärung des Duc de Gramont, ein ent-
schiedenes Veto gegen die spanische Throncandidatur des Prinzen
Hohenzollern, hat einen außerordentlich enthusiastischen Beifall
im Corps legislatif hervorgerufen. Gramont überbot noch in schar-
fen Ausdrücken die Protestation des Constitutionnel. An der Börse
erfolgte eine baisse von i fr. 40 cts. Der allgemeine Eindruck ist,
daß seit 1859 ^^^ erstenmale wieder das französische Machtbewußt-
sein zum Ausdrucke gekommen. Aus der im heutigen Journal
officiel veröffentlichten Erklärung des Duc de Gramont hebe ich
den Passus hervor:
,,Nous ne saurions nous resigner ä souffrir tranquillement
qu'une puissance etrangere vienne par un de ses princes s'asseoir
sur le trone de Charles Quint pour deranger l'equilibre actuel des
forces en Europe et mettre en peril les interets et l'honneur de la
France. Cette eventualite ne se realisera pas et nous comptons sur
la sagesse du peuple Allemand et la fiere amitie du peuple Espagnol."
Diese geflissentliche Rücksichtslosigkeit gegen das Berliner
Cabinet, welches man in Gegensatz zum peuple Allemand stellt, ist
nicht darnach angethan, um das Einlenken in Berlin zu erleichtern.
Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß nunmehr die
Französische Regierung es darauf abgesehen, mit Preußen anzu-
binden oder zum mindesten letzteres, falls es nachgibt, eklatant zu
demüthigen.
Im Corps legislatif spiegelte sich der kriegerische Eindruck in
dem Antrage des Herrn Picard ab: ,,Le premier devoir du Depute
est de ne pas laisser le Gouvernement engager la France sans le
concours des representants de la Nation."
Herr Cremieux beantragte die Debatte des Budgets zu vertagen,
da voraussichtlich dasselbe durch die bevorstehende kriegerische
Wendung der Dinge wesentliche Modifikationen erleiden würde.
Herr Emile Ollivier betonte die Friedensliebe der kaiserlichen
Regierung: ,,Le Gouvernement veut la paix, avec passion — le
meilleur moyen de la conserver, c'est la declaration franche et
energique de sa politique, parceque chaquefois que la France s'est
219
montree ferme, on ne resiste pas ä ce que veut la France sans
exageration et dans les limites de son droit." Im Gegensatz zu
dieser Version der Abendblätter und zu der abgeschwächten Version
im heutigen Journal officiel constatirt Herr Legationsrath Rud-
hart, welcher der Sitzung anwohnte, daß Herr Ollivier sich folgen-
der Ausdrücke bediente : ,,Chaquefois — l'histoire nous le demontre
— que la France s'est montree ferme, l'Europe a plie devant la
volonte de la France, exprimee sans exageration et dans les limites
de son droit."
Herr Arago constatirte ,,que le Ministere vient de faire deux
choses — nommer le Roi d'Espagne et declarer la guerre."
Wenn auch bei diesem Anlaße die Kriegsgefahr sich noch ein-
mal verziehen sollte, was der heute telegraphisch gemeldete Artikel
des Constitutionnel in Aussicht stellt, so ist man doch zur Annahme
berechtigt, daß fortan der Krieg zwischen Frankreich und Preußen
näher wie je gerückt ist und der nächste beliebige Incident dessen
Ausbruch herbeiführen wird. Die Gotthardsdebatte, die Discussion
über das Militärbudget, endlich die HohenzoUern'sche Throncan-
didatur haben den Französischen Chauvinismus in Fluß gebracht.
Beifolgender Artikel im ,,Soir" des Herrn EdmondAbout ,,Les
Prussiens en Espagne" kennzeichnet als Ausdruck eines Oppositions-
blattes die heutige Situation; Die Pression der öffentlichen Meinung,
deren Indifferenz früher bei dem Belgischen Eisenbahnconflikt sich
nicht verwerthen ließ, ist endlich gefunden, um die Kriegsaventüre
nach Belieben zu spielen. M.st.A.
3. Stuttgart 1870 Juli 12 (präsentiert 13.). Gesandter v. Gasser
an den König von Bayern.
(Original.)
Soeben verlasse ich Freiherrn von Varnbüler, welcher durch
Freiherrn von Soden von der für ihn so überaus aufrichtigen und
freundschaftlichen Haltung Euerer Königlichen Majestät Herrn
Staatsministers desÄußern unterrichtet und dankbarst erfreut, auch
seinerseits mir erklärt hat, keinerlei Entscheidung in der brennen-
den Frage zu treffen, ohne mit Euerer Königlichen Majestät Regie-
rung sich vorher verständigt zu haben. Außerdem würde Freiherr
von Varnbüler alle ihm zukommenden interessanten Mittheilungen
sowohl in München als auch mir bekannt geben. Ich dankte dem
Minister herzlichst für diese Zusagen und sprach die Überzeugung
aus, daß, wenn der Krieg wirklich nicht vermieden werden könnte,
die von uns zu fassenden Entschlüsse durch das absolute Zusammen-
gehen Bayerns und Württembergs um Vieles erleichtert würden.
Von Paris ist bisher nur ein Telegramm an den französischen
Gesandten zur Kenntnis des Freiherrn von Varnbüler gelangt,
worin das französische Cabinet auf die Präcedenzfälle in Belgien,
Griechenland und Neapel verweist, um die Berechtigung zu dem
Verlangen auszusprechen, daß König Wilhelm dem Prinzen Leopold
die Annahme der spanischen Krone untersage.
Der preußische Geschäftsträger hat, in Abwesenheit des Baron
Rosenberg, gestern dem Minister zwei Telegramme übersendet, in
welchen eigentlich blos das Vorhandensein der Krisis constatirt
wird. Eine Antwort darauf wird Baron Varnbüler nicht geben;
220
für den Fall sie aber verlangt würde, erwidern, daß ihm die Anhalts-
punkte für Formulirung einer Ansicht bisher noch fehlten.
Auf die Sache selbst eingehend, scheint mir Baron Varnbüler
richtig zu urtheilen. Es ist nicht zu läugnen, daß die Inthronisation
des Prinzen von Hohenzollern in Madrid Frankreich in eine unvor-
theilhaftere politische Stellung bringt; denn, wenn auch aus dem
preußisch-hohenzollerschen Vertrage von 1859 ^^^ ^^^ dem be-
treffenden preußischen Gesetze rechtlich deducirt werden muß, daß
Prinz Leopold kein Königlich Preußischer Prinz ist, so genügt in
Betreff seiner künftigen faktischen Stellung, welche doch gewiß
einer Unterstützung vom Auslande bedürfen würde, auf diejenige
des Prinzen Carl von Rumänien zu verweisen; etwa auch an die
heimliche Sendung von Zündnadelgewehren zu erinnern, welche als
Eisenbahn-Bestandtheile durchgeschmuggelt werden sollten, und
dergleichen.
Es ist also ganz erklärlich, daß Frankreich sein ganzes politi-
sches Gewicht für die Beseitigung einer für die Zukunft drohenden
Gefahr einsetzt. Darüber hätte es in Madrid und, da die ,, Kreuz-
zeitung" bereits zugegeben, daß König Wilhelm seine persönliche
Genehmigung zur Annahme der Candidatur gegeben, in Berlin
zu verhandeln.
Die Consequenzen gingen primo loco nur diese drei Staaten an,
und Süddeutschland müßte ganz unbetheiligt bleiben.
Nun eröffnete aber der Herzog von Gramont und Herr Ollivier
die Unterhandlungen in einer derart undiplomatischen Weise, daß
ein Nachgeben Preußens fast ausgeschlossen wird und man unwill-
kührlich an einen parti pris von Seiten Frankreichs zu denken ge-
zwungen ist. Ist dem so, dann ist der Krieg die revanche für 1866
und die spanische Throncandidatur blos der Vorwand; die franzö-
sische Regierung verfolgt alsdann eine Entschädigung
auf Kosten Preußens — das heißt Deutschlands; in
demselben Augenblick tritt aber auch die Frage der
Verpflichtung an Süddeutschland heran.
Frankreichs offiziöse Zeitungen erklären die Regierung zu-
friedengestellt, wenn Prinz Leopold auf die Candidatur verzichtet.
König Wilhelm solle dem Prinzen die Annahme verbieten.
Mir scheint, und Freiherr von Varnbüler glaubt ebenfalls, daß,
da Prinz Leopold kein preußischer Prinz ist, König Wilhelm ihm
ernstlich und aufrichtig von der Annahme abzurathen hätte; dadurch
aber den berechtigten Forderungen Frankreichs auch vollständig
genügen würde. —
Es sind leider Symptome vorhanden, daß die jetzige Lage
schon seit geraumer Zeit vorbereitet worden wäre. So sagt mir
heute Baron Varnbüler, der württembergische Geschäftsträger in
Carlsruhe erinnere ihn daran, daß er ihm seinerzeit von einer Äuße-
rung des Herrn von Freidorf f vom i. Mai berichtet hätte, wonach
ein epochemachendes Ereigniß im Anzüge sei; und die Königin
Augusta von Preußen soll bei ihrer Abreise von Baden-Baden vor
14 Tagen geäußert haben, sie wisse nicht, ob es ihr möglich sein
werde im Herbste zurückzukehren. Andrerseits erhalte ich heute
von einer recht glaubwürdigen Persönlichkeit aus Frankfurt einige
strengvertrauliche Nachrichten, welche ich glaube, nicht un-
erwähnt lassen zu sollen. Denn danach hätte der Herzog von
221
Gramont bezüglich der Hohenzollern-Candidatur offenbar blos den
Überraschten gespielt; es wäre ein bloßes Scheinmanöver, hinter
dem sich die eigentlich viel tiefer gehende und gefährlichere Ver-
bitterung verstecke. — Diese Erbitterung hieße: Baden. —
Preußen hätte nämlich, natürlich unter Connivenz des Groß-
herzogs, Baden bereits vollkommen in eine norddeutsche Militär-
provinz, das badische in ein norddeutsches Armeecorps verwandelt,
dessen Kriegsministerium nur die Befugnis eines norddeutschen
Corpskommandos besitzt, während der badische Militärstaat bis
in das geringste Detail von dem Berliner Kriegsministerium ge-
leitet wird. (Modificatis modificandis ist ja Ähnliches auch hier
in Stuttgart seinerzeit versucht worden!)
Da aber ein derartiges blankes Vasallenthum selbst von dem
jetzigen badischen Landtage bestimmt nicht gebilligt, noch weniger
aber die Mittel zur strikten Ausführung der von dem Berliner
Ministerium geforderten militärischen /Anordnungen und Ein-
richtungen in dem Großherzogthum aufzubringen gewesen wären,
so hätte sich Preußen auch die Aiisf ührungen unter specieller
Leitung seiner Offiziere vorbehalten und bezahle direkt die
zwischen dem höchst möglich zu erreichenden badischen Kriegs-
budget und dem wirklichen \'erbrauch entfallende Differenz,
während das badische Ministerium dafür zu sorgen hätte, daß diese
Summe auch in der Abrechnung nicht zur Erscheinung komme.
Dieses, auch politisch, qua Preußen, ohne Zustimmung des
Bundesrathes nicht einzugehende Verhältniß mit Baden soll sozu-
sagen dadurch entdeckt worden sein, daß jetzt eben, unter Leitung
des preußischen Genieofficiers Kutzbach, die Hauptwerke von
Rastatt mit je einem eisernen Drehthurme (ähnlich, wie auf den
monitors) armirt werden, von denen jeder zwei 75 Pfünder führe.
Sechs sollen projektirt, einer schon fertig sein. Man schiene sich
in Paris, von wo aus natürlich formell nichts dagegen gethan werden
könnte, die Belege dafür beschafft zu haben, daß diese Thürme auf
preußische Anordnung und mit preußischem Gelde um 442000 Tha-
ler hergestellt werden. —
Sollte die Hohenzollerische Candidatur demnach nur ein
Anfang des Anfangs sein? M.st.A.
4.Wieni870 Juli 12 (präsentiert 13.). Graf v. Fugger andenKönig
von Bayern.
(Original.)
Bei der großen Wichtigkeit der plötzlich aufgetauchten Tages-
frage hat der Reichskanzler Graf Beust seine vorgehabte Abreise
zum Gebrauch der Badekur in Gastein auf unbestimmte Zeit ver-
schoben. Zugleich ist der Graf hiedurch so beschäftigt, daß er
leider nicht zu sprechen und auch an dem letzten Empfangstage
das diplomatische Corps nicht gesehen hat.
So viel im Allgemeinen über die Intentionen des hiesigen
Cabinetes bezüglich seiner Stellung dem französisch-preußischen
Konflikt gegenüber bekannt wurde, wird die Haltung Österreichs
die einer abwartenden Neutralität sein. Daß seine Bemühungen,
den Frieden zu erhalten, nach beiden Seiten gerichtet werden, ist
umso gewisser, als bei den unfertigen inneren \'erfassungsverhält-
222
nissen Österreichs jede äußere politische Verwicklung die nach-
theiligsten politischen Folgen mit sich brächte.
Es hat auch der drohende Ausbruch eines Krieges wegen der
Thronkandidatur des Prinzen von Hohenzollern gestern eine
deroute auf der Börse verursacht, wie sie selbst in den verflossenen
Kriegsjahren 1859 ^^'^ 1S66 nicht vorkam. Diese panique wurde
besonders durch die in einem Morgenblatte enthaltene Meldung
bewirkt, im Ministerium des Äußern sei auf amtlichem Wege die
Nachricht eingetroffen, daß König Wilhelm von Ems aus eine
schroffe Erwiederung an Kaiser Napoleon abgeschickt und der
spanische Botschafter in Paris von seinem Hotel die nationale
Flagge entfernt habe.
Diese beiden Nachrichten wurden in der gestrigen ,, Wiener
Abendpost" dementirt, und Vorsicht in der Aufnahme aller Privat-
nachrichten bezüglich der Tagesfrage anempfohlen.
Sowohl in diplomatischen Kreisen als im großen Publikum ist
man hier der Ansicht, daß das Kabinet der Tuilerien die Thron-
besetzung Spaniens durch einen Prinzen aus dem Hohenzollern-
schen Hause benützen wolle, um mit Preußen den großen Kampf zu
beginnen, und es ist auch schwer, sich das Auftreten des Herzogs
von Gramont in der spanischen Frage, gegenüber der französischen
Kammer, zu erklären, wenn nicht die Absicht bestünde, einen
Konflikt herbeizuführen. M.st.A.
5. Paris 1870 Juli 12. Graf v. Quadt an den Grafen v. Bray.
(Original.)
Der Artikel des Moniteur, den ich berichtlich eingesendet,
ist, wie ich höre, vor seiner Veröffentlichung im Conseil des
Ministres vorgelesen worden. Gleichwohl beschränkt sich vorerst,
wie ich bereits telegraphisch gemeldet, die Verhandlung zwischen
Paris und Ems auf die spanische Throncandidaturfrage. Die
spezifisch preußisch-dynastische Streitsache ist offenbar der
beste Deckmantel, um mit Preußen anzubinden. Die fran-
zösische Politik hat es entschieden darauf angelegt, in kürzester
Frist den Krieg mit Preußen einzuleiten. In den offiziellen Kreisen
äußert man unverhohlen: ,,0n est admirablement prepare, c'est
une occasion magnifique pour faire la guerre, il ne faut pas la
laisser echapper, ce serait une grande calamite, si un arrangement
pacifique prevalait." Daher auch die verletzendsten Zumuthungen
an den König von Preußen gestellt werden, um einen Ausgleich zu
hintertreiben. Das desistement des Prinzen von Hohenzollern ist
schon nicht mehr genügend, sondern es handelt sich darum, den
König von Preußen zu Erklärungen zu nöthigen, die eine eclatante
Demüthigung involviren: ,,Le cabinet des Tuileries exige la respon-
sabilite du Roi de Prusse, c'est sur cette question de responsabilite
que reside la difficulte de la Solution." Die Reise des Prinzen Napo-
leon in das Baltische Meer, angeblich wissenschaftlicher Natur,
steht offenbar in Zusammenhang mit dem hier gegen Preußen
beschlossenen Krieg. Wenn auch von Seite Englands alles aufge-
boten wird, um den Krieg zu verhindern, so ist doch bei der nun ein-
getretenen Sachlage kaum denkbar, daß diese Bemühungen Erfolg
haben könnten. In der That bei dem hier in hellen Flammen auflo-
223
dernden Chauvinismus und der Popularität des Krieges gegen
Preußen wäre die kaiserliche Dynastie in Frankreich compromittirt,
falls nicht eine eklatante Demüthigung von Preußen erzielt wird.
Ein Ausgleich wäre ohnedieß offenbar nur mehr eine Pause — ,,il
faut en finir" wiederhallt es in ganz Frankreich, welches den be-
waffneten Frieden satt hat.
Der kleine Aufschub für die Antwort Preußens bis Morgen
Mittwoch ist wohl das maximum der Concessionen, welche Frank-
reich der Friedensliebe Englands gemacht. Es circulirt zwar das
Gerücht, daß eine ansehnliche Zahl von Deputirten sich zu Herrn
OUivier begeben und demselben Folgendes vorgestellt: ,,de ne
precipiter aucune resolution, que la Chambre n'accordera de sub-
sides pour la guerre que si le Gouvernement prouve qu'il a epuise
tous les moyens de negociation pacifique." Gleichwohl steht fest:
die Majorität im Corps legislatif wird dem Winke der Tuilerien folgen,
woselbst die sämtliche Umgebung des Kaisers den Krieg als unver-
meidlich in Aussicht stellt.
Bei dieser Sachlage darf ich mir erlauben Euer Excellenz
ergebenst zu ersuchen, mich geneigtest mit Instructionen ver-
sehen zu woUen in Bezug auf die Haltung, welche ich gegenüber dem
Duc de Gramont einzunehmen habe.
Nachträglich darf ich noch hervorheben, daß das ,, Journal des
Debats" sowie der ,,Temps" in der brennenden Tagesfrage ganz
isolirt stehen und nichts weniger als maßgebend angenommen
werden können.
In der gestern telegraphisch mitgetheilten Äußerung des Duc
de Gramont im Corps legislatif bediente er sich der Worte: ,,Tous
les cabinets auxquels nous nous sommes adresses paraissent
admettre la legitimite de nos griefs."
Bei der gegenwärtigen Sachlage werde ich mir fortan erlauben,
Berichte politischen Inhalts, deren Geheimhaltung vor Frankreich
wünschenswerth erscheint, durch in München wohnende verläßige,
Privatpersonen an Euer ExceUenz gelangen zu laßen. M.st.A.
6. Berlin 1870 Juli 13 (präsentiert 14.). Freiherr v.Tautphoeus
an den König von Bayern.
(Original.)
Graf Bismarck, welcher auf der Durchreise nach Ems gestern
Abend hier angelangt war, fand ein lelegramm von dort vor,
welches ihm die erfolgte Verzichtleistung des Prinzen Leopold auf
seine Candidatur zur Kenntniß brachte, was ihn bewog in Berlin
zu bleiben, da, wie er sagte, der König seiner nicht mehr in Ems
bedürfe. Er gedenkt bis morgen hier zu bleiben. Der Bundes-
kanzler conf erirte Abends mit dem russischen Staatskanzler Fürsten
Gortschakoff und hatte auch mit dem Grafen De Lannay eine
Begegnung.
Wie ich aus zuverlässigster Quelle vernehme, soU der Graf
für den Moment keine weitere Gefährdung des Friedens besorgen,
er sagte zu meinem Gewährsmann : ,,Le Prince a renonce, tout est
fini." Dagegen soll er keine Zuversicht in die Dauer der friedlichen
Beziehungen zwischen Preußen und Frankreich, welche jetzt aus-
schließlich von der taktvollen Haltung des französischen Cabinets.
224
abhängen, hegen. Herr von Thile, welchen ich heute Morgen be-
suchte, erzählte mir, daß die preußische Regierung eigentlich nur
halboffizielle Kenntniß von dem Verzichte des Prinzen, welcher,
wie ich glaube, zunächst englischem Einflüsse zu verdanken ist,
erhalten habe, da ihr diese Nachricht von Herrn von Werther aus
Paris telegraphirt worden sei, welcher gerade bei dem Herzoge von
Gramont sich befunden habe, als Olozaga demselben den Verzicht
offiziell notifiziert hätte. Ich hielt es nicht für nöthig Herrn von
Thile zu widersprechen, obwohl ich aus bester Quelle wußte, daß
noch gestern Abends durch ein Telegramm des Königs selbst die
bereits angeordnete Mobilisirung einiger Armeecorps wieder abbefoh-
len worden war und überdieß auch das Telegramm an den Grafen
Bismarck von Ems aus aufgegeben worden ist. Herr von Thile
entschuldigte mit großer Geschäftsüberhäufung, daß er das diplo-
matische Corps in den letzten Tagen mehrmals nicht habe empfan-
gen können, und ersuchte mich der königlichen Regierung mit-
zutheilen, daß deren bei dieser Gelegenheit bewiesene deutsche
Haltung hier mit großer Anerkennung aufgenommen worden sei.
,,Wir können", fügte er bei, ,,die Haltung Badens und Bayerns in
dieser Frage nur loben; ich sage ausdrücklich Bayerns und Badens",
womit er andeuten wollte, daß man in Berlin mit der Haltung
Württembergs sehr unzufrieden sei.
Die Aussichten für die Zukunft glaubte der Staatssecretär,
vielleicht im Interesse Preußens, sehr schwarz ausmalen zu müssen.
M. St. A.
7. Berlin 1870 Juli 14. Telegramm Bismarcks an den nord-
deutschen Gesandten v. Werthern in München.
Nachdem die Nachrichten von der Entsagung des Erbprinzen
der Kaiserl. Französischen Regierung von der K. Spanischen
amtlich mitgetheilt worden sind, hat der Französische Botschafter
in Ems Seiner Majestät dem Könige noch die Forderung gestellt,
ihn zu autorisiren, daß er nach Paris telegraphire, daß S. Majestät
der König sich für alle Zukunft verpflichtet, niemals wieder seine
Zustimmung zu geben, wenn die HohenzoUern auf ihre Kandidatur
wieder zurückkommen sollten.
S. Majestät hat es darauf abgelehnt, den Französischen Bot-
schafter nochmals zu empfangen, und demselben durch den Ad-
jutanten vom Dienst sagen lassen, daß S. Majestät dem Botschafter
nichts VVxiteres mitzutheilen habe.
S. Majestät der König von Bayern wird ein Gefühl dafür haben,
daß Benedetti den König auf der Promenade wider dessen Willen
provozirend angeredet hat, um obige Forderung stellen zu können.
M. St.A.
8. Berlin 1870 Juli 14 (präsentiert 15.). Freiherr v. Tautphoeus
an den Staatsminister Grafen v. Bray.
(Original.)
Die Aufregung fängt allmählich an, obwohl spät, doch um so
lebhafter alle Klassen der hiesigen Bevölkerung zu ergreifen, ins-
besondere sollen die königlichen Prinzen äußerst kriegerisch ge-
sinnt sein und der Kronprinz dem Grafen Bismarck vorgeworfen
haben, daß er den König in Ems allein gelassen und zu einem mit
der Würde Preußens nicht vereinbaren Schritte veranlaßt habe.
225
Der Bundeskanzler bleibt selbstverständlich unter den ob-
waltenden Verhältnissen hier, woselbst ein Ministerrath dem andern
folgt.
Es gelang mir Herrn von Thile heute auf dem Wege in den
Ministerrath einige Augenblicke auf der Straße festzuhalten und
theilte mir derselbe mit, daß der König heute Abend, spätestens
Morgen früh zurückerwartet werde, dann dürfte die Mobilisirungs-
ordre sofort gegeben werden und sei die Einberufung des Reichstags
auf nächsten Montag oder Dienstag in Aussicht genommen.
Den Krieg selbst hält man hier in allen eingeweihten Kreisen
für unausbleiblich und herrscht hierüber eine seltsame Freude nicht
blos in den von Siegeszuversicht erfüllten Offizierskreisen, sondern
auch im Auswärtigen Amte, insbesondere soll Graf Bismarck, wie
Herr von Thile selbst mir andeutete, ,,sich ganz in seinem Element"
fühlen. Die französische Botschaft ist ohne alle Nachrichten.
Bezüglich der Vorgänge in Ems erzählte mir Herr von Thile, Graf
Benedetti habe den König auf der Promenade unaufgefordert an-
gesprochen und um eine definitive Antwort ersucht. Der König
habe ihm keine Antwort gegeben und als dann Benedetti später
eine Audienz verlangte, habe ihm der König die bereits telegraphisch
gemeldete Mittheilung durch den Adjutanten machen lassen. Der
Staatssecretär sagte mir noch bei dieser Gelegenheit, er nehme
seine tadelnden Äußerungen bezüglich Württembergs wieder zu-
rück, nachdem Freiherr von Varnbüler ,,mieux tard que jamais"
inzwischen die württembergische Regierung Frankreich gegenüber
engagirt habe. Durch einen merkwürdigen Zufall verirrte sich ein
Schreiben des Grafen Bismarck an Fürst Gortschakoff in die
Gesandtschaf tskanzelei ; ich vermuthe, es enthielt Paraphirungen
mit Bezug auf den Krieg. Die Umstände erlaubten nicht Näheres
festzustellen . m. st. a.
9. Wien 1870 Juli 14. Graf v. Fugger an den Staatsminister
Grafen v. Bray.
(Original.)
Bei der Intimität, die zwischen dem französischen und dem
hiesigen Cabinete besteht, war vorauszusehen, daß in der so wich-
tigen Frage über die Thronkandidatur des Prinzen von Hohenzollern
zwischen hier und Paris ein lebhafter Ideen-Austausch statt finden
würde.
Über die eigentlichen Verhandlungen selbst ist jedoch bis
jetzt nichts bekannt geworden, und ich kann Euerer ExceUenz
nur eine mir von sicherer Quelle zukommende Nachricht mittheilen,
durch welche ein Anhaltspunkt über den Inhalt der bezüglichen
Verhandlungen gegeben sein dürfte.
Als nämlich gestern der preußische Gesandte, General von
Schweinitz, dem Reichskanzler im Auftrage seiner Regierung mit-
theilte, daß — zufolge eines Telegramms des Baron Werther aus
Paris — daselbst der spanische Botschafter Olozaga dem Herzoge
von Gramont den Verzicht des Prinzen von Hohenzollern auf die
spanische Krone eröffnet habe, nahm Graf Beust Gelegenheit, dem
preußischen Gesandten ein Telegramm des Fürsten INIetternich zu
zeigen, in welchem der österreichische Botschafter den Reichs-
Doeberl, Bayern und die Bismarckische Reichsgrändung. 15
226
kanzler bittet, im jetzigen Moment weder den Prager Frieden
noch die süddeutsche Frage in Paris in Anregung zu bringen, um
dadurch nicht die angebahnte Ausgleichung des entstandenen Kon-
flikts zu erschweren.
In dieser Eröffnung des Grafen Beust ist wohl der ernste Wille
zu erkennen, daß Österreich bestrebt ist, seine Vermittlung zur Er-
haltung des Friedens nach beiden Seiten hin aufrichtigst eintreten
zu lassen. m. st. a.
IG. Wien 1870 Juli 15 (präsentiert 16.). Graf v. Fugger an den
Staatsminister Grafen v. Bray.
(Original.)
Nachdem die Verzichtleistung des Prinzen Leopold von Hohen-
zollern auf die Thronkandidatur hier bekannt geworden war, hat
— wie ich vernehme — Graf Beust nicht gesäumt, in eindringlicher
Weise nach Paris den Rath ergehen zu lassen, das französische
Cabinet möge sich mit dem eben erfolgten Resiiltat seines Auftretens
in dieser Sache begnügen und an Preußen nicht etwa andere For-
derungen stellen.
Man hoffte bereits, daß der entstandene preußisch-französische
Konflikt dadurch beendet und der Friede wieder gesichert sei.
In diesem Sinne hat auch gestern der ungarische Minister-
präsident Graf Andrassy eine an ihn im Unterhause zu Pest gerichtete
Interpellation beantwortet und dabei das Verdienst des Grafen
Beust um die Erhaltung des Friedens gerühmt.
Um so unangenehmer überraschte daher der auf telegra-
phischem Wege bekannt gewordene Zwischenfall in Ems. Über den
eigentlichen Vorgang daselbst scheint noch keine voUe Gewißheit
zu herrschen und daher die Tragweite dieses Ereignißes nicht mit
Bestimmtheit bemeßen werden zu können. Doch hat es hier in
allen Kreisen einen ernsten Eindruck gemacht, und man hält den
Bruch zwischen Frankreich und Preußen für fast unvermeidlich.
Hiebei ist zugleich hervorzuheben, daß alle Journale sich für
die strikte Neutralität Österreichs in dem allenfalls ausbrechenden
Krieg aussprechen und dieselbe von der kaiserlichen Regierung
erwarten. M.st.A.
II. Paris 1870 Juli 14. HerzogvonGramont an den Gesandten
Frankreichs in München, Herzog von Cadore.
(Kopie, mitgeteilt vom Herzog von Cadore.)
Ms. le Duc, la rapidite avec laqueUe les evenements se sont
succede depuis quelques jours, ne m'a pas permis de Vous tenir,
autrement que par le telegraphe, au courant des impressions du
Gouvernement de l'Empereur. Vous etes, d'ailleurs, suffisam-
ment instruit des motifs du grave debat qui divise la France et la
Prusse et je puis me dispenser de revenir avec Vous sur le detail des
faits qui l'ont souleve. Le jour oü la candidature inattendue du
Prince de Hohenzollern nous a ete revelee, nous avons senti que
l'equilibre de l'Europe, non moins que les interets essentiels de
notre pays, etaient directement menaces et, sans perdre un instant,
nous avons en prenant les cabinets ä temoins rappele la Prusse ä
l'observation de cette regle salutaire de la jurisprudence interna-
227
tionale moderne, regle acceptee par tous dans l'interet de chacun
qui veut qu'aucune grande Puissance ne deplace la balance des
forces en recherchant pour un de ses princes une couronne etrangere.
L'Europe a rendu justice ä la legitimite de notre reclamation; nos
instances, appuyees par la pression d'une opinion que je puis dire
unanime et par l'intervention des gouvernements amisde lapaix,
ont obtenu un premier resultat considerable, la renonciation du
prince Leopold de Hohenzollern ä sa candidature. Nous etions
fondes ä concevoir, des lors, l'esperance que la question serait
bientot resolue dans un sens pacifique et nous etions decides ä faire
tout ce qui dependrait de nous pour qu'il en füt ainsi. Mais la
prudence commandait qu'avant de nous croire desinteresses dans
cette affaire, nous eussions une assurance positive contre le retour
du peril qui nous avait si inopinement surpris. La meme Situation
pouvait renaitre et le Prince Leopold revenir ä son premier projet,
l'exemple donne par son frere, le Prince Charles de Roumanie,
pouvait etre une tentation pour lui ; il devait etre un avertissement
pour nous. Afin que notre confiance füt justifiee, il etait indis-
pensable que le Roi de Prusse sans retour d'ailleurs, sur le passe,
promit de ne point autoriser dans l'avenir le Prince de Hohenzollern
ä monter sur le tröne Espagnol. La parole demandee au Roi ne
compromettait en rien son honneur, son hesitation ä la donner
devait nous inspirer des doutes sur la sincerite de la politique
Prussienne; son refus devenait aussi alarmant pour notre patrio-
tisme qu'offensant pour notre dignite.
Ms. le Comte Benedetti qui, sur l'ordre de l'Empereur, s'etait
rendu aupres du Roi Guillaume ä Ems ä epuiser avec son auguste
interlocuteur les arguments les plus propres ä le toucher, sans
pouvoir obtenir la simple declaration que nous reclamions. En
vain notre ambassadeur, interprete de nos sentiments, a adjure le
Roi de donner ä la paix du monde ce gage devenu necessaire de ses
intentions pacifiques. Sa Majeste non seulement a repousse cette
demande d'une maniere absolue, mais Elle a temoigne qu'Elle
entendait se reserver pour toutes les circonstances sa liberte d'action,
et, apres cette reponse si peremptoirement negative, Elle a refuse
d'accorder ä ms. Benedetti la nouvelle audience qu'il sollicitait.
Ainsi les procedes ont ete aussi blessants pour nous dans la forme
que la reponse a ete peu satisfaisante dans le fond et, comme pour
empecher que nous n'eussions aucune Illusion ä cet egard, le Gouver-
nement Prussien s'est häte de faire connaitre publiquement par
l'intermediaire de ses journaux officieux, notammentdelagazette
de l'Allemagne du Nord le deni d'audience oppose ä ms. le
comte Benedetti.
Je pense qu'apres cet eclat il ne saurait y avoir un doute sur
la volonte precongue du Cabinet de Berlin de nous pousser ä bout.
Si une rupture, que nous nous sommes tant efforces et que nous nous
efforgons encore de detourner, devenait malheureusement inevitable,
l'Europe jugerait de quel cote ont ete la moderation, le droit et le
souci de l'interet general des Puissances, de quel cote les dessins
menagants pour la tranquillite commune. Nous nous sommes
soigneusement gardes de compliquer par d'autres griefs le litige
qui jusqu'ä ce jour — il est essentiel de bien l'etablir — a porte
exclusivement sur la question du tröne d'Espagne.
15*
228
Loin de chercher ä agrandir le champ de la discussion, nous
l'avons restreint et circonscrit, et la nettete de notre conduite ä
cet egard est une preuve assez manifeste de la loyaute de nos in-
tentions. Je tiens surtout ä ce que les Gouvernements Allemands
soient completement eclaires sur ce point, parcequ'il est le plus
propre ä leur faire voir notre politique dans son vrai jour. II faut
qu'ils sachent que tandisque la Prusse, poursuivant un interet qui
n'avait rien d'Allemand, vouait ä des ambitions dynastiques et ä
des plans de preponderance Europeenne toutes les forces dont
eile dispose, la France n'a eu d'autre objet que de repousser une
atteinte calculee pour compromettre gravement la securite territo-
riale. Les Etats d'Allemagne meridionale doivent s'y tromper
moins que tous autres, car on essaiera sans doute de les entrainer
dans une querelle que la Prusse a fait naitre en demarquant des
visees absolument etrangeres aux justes et nationales preoccupations
des populations Allemandes. Mais le terrain oü cette puissance
s'est placee elle-meme, est precisement trop en dehors des voies de
l'Allemagne pour que les Gouvernements du Sud puissent l'y suivre,
et nous avons la confiance qu'ils repousseront energiquement
toutes les tentatives qui seraient faites pour les amener ä s'associer
aux combinaisons aventureuses de la Maison Royale de Prusse.
M. St.A.
12. Berlin 1870 Juli 15 (präsentiert 16.). Freiherr v.Tautphoeus
an den Königvon Bayern.
(Original.)
Herr von Thile empfing mich soeben und eröffnete mir, daß die
preußische Regierung großen Werth darauf lege, daß sowohl die
militärische als die politische Aktion der süddeutschen Staaten mit
der hiesigen möglichst gleichzeitig und gleichmäßig erfolge.
Es sei deßhalb Baron von Werthern telegraphisch angewiesen
worden, zu diesem Zwecke mit der bayerischen Regierung in's
Benehmen zu treten, und hoffe man, es werde bayrischerseits auf
seine deßfallsigen Mittheilungen, welche, wenn nicht dem Buch-
staben, so doch dem Geiste der Allianzverträge entsprächen, bereit-
willig eingegangen werden. Herr von Thile bezeichnete insbesondere
die gleichzeitige Abberufung der Gesandtschaften aus Paris als
besonders wünschenswerth und fügte bei, man werde von hier aus
ein gleiches Ansinnen, wie an Bayern, auch an Baden und Württem-
berg im Interesse eines gleichzeitigen diplomatischen und mili-
tärischen Vorgehens gegen Frankreich stellen. Der Staatssekretär
bat um Entschuldigung darüber, daß die deßfallsigen Mittheilungen
an die bayerische Regierung wegen ihrer Dringlichkeit nicht in
Form einer Note, sondern mittelst Telegramms an Baron von
W^erthern erfolgt sei. Überhaupt war das Bestreben des Staats-
sekretärs unverkennbar, mir gegenüber besonders zu betonen, daß
die preußische Regierung das Eingehen auf ihre Propositionen als
den Freundschaftsdienst eines Alliirten ansehen werde und wohl
wisse, daß der Buchstabe des Vertrages dieselbe nicht berechtige
jetzt irgendwelche Forderungen zu erheben.
Herr von Thile behandelte die ganze Angelegenheit mit sehr
viel Takt und großem Aiifwande persönlicher Höflichkeit.
229
Herrn von Thile zufolge wäre die allgemeine Mobilmachung
sowohl in Frankreich als in Preußen in den nächsten Tagen zu
erwarten. Ohne Zweifel würden die in der Nähe der französischen
Grenze befindlichen Armeecorps und Festungen zuerst kriegsmäßig
gerüstet werden. Die militärischen Details werden durch den
Militärbevollmächtigten Baron von Freyberg ohnedieß zur Kennt-
niß Eurer Königlichen Majestät gebracht werden. Ich inter-
pellirte den Staatssekretär bezüglich der Stellung Belgiens und
Hollands, worauf er sich dahin äußerte, die Neutralität Belgiens
sei ohnedieß durch europäische Verträge garantirt und auch Holland
habe erklärt, es werde seine Neutralität aufrecht zu erhalten wissen.
Von preußischer Seite ist sohin eine Verletzung der Neutralität
dieser beiden Staaten, wie es scheint, nicht beabsichtigt. Von hier
aus vermag ich nicht zu beurtheilen, ob Frankreich, welches sich
Europa gegenüber jetzt ohnedieß in einer falschen Position und
ohne Allianzen befindet, auch noch durch eine Verletzung der Neu-
tralität dieser Staaten die Zahl seiner Gegner zu vermehren keinen
Anstand nehmen wird!
Während ich mit Copiren dieses Berichtes beschäftigt war,
ließ mich soeben Graf Bismarck zu sich rufen. Er empfing mich mit
großer Zuvorkommenheit und ließ sich eingehend über die Situation
aus. Zunächst erwähnte er des Auftrages, welchen Freiherr von
Werthern heute erhalten habe, der die von mir bereits oben an-
geführte Mittheilung für München zum Gegenstande hat. Dann
ging er auf die Stellung der übrigen Mächte zu Preußen über.
Bezüglich dieser äußerte er sich ungefähr folgendermaßen: Öster-
reich scheine ungeachtet seines Ressentiments gegen Preußen be-
griffen zu haben, daß die Existenz zweier großer Militärmächte in
Europa eine Garantie für dessen Ruhe sei. Österreichs Hal-
tung werde deßhalb jene einer unbedingten, eher wohl-
wollenden Neutralität Preußen gegenüber sein. Hierüber habe er
durch das Cabinet von St. Petersburg auf Grund der Besprechungen
des Kaisers Alexander mit dem Erzherzog Albrecht in Warschau
indirekt Kenntniß erhalten. Was an Euere Majestät von dem
Grafen Tauffkirchen aus Rom über die Haltung Italiens berichtet
worden sei, erweise sich als unrichtig — der Graf sagte , , Schwindel" —
und stamme der Irrtum davon her, daß Nigra und die Kaiserin von
Paris aus für Aiif Stellung eines Corps von 80000 Mann durch das
Königreich Italien agitirt hätten. Sogar aus Schweden und Holland
habe er Telegramme erhalten, welchen gemäß die dortigen, Preußen
sonst nicht sehr geneigten Regierungen ihre Anerkennung bezüg-
lich dessen Haltung ausgedrückt hätten. Die Lage sei zwar ernst,
jedoch für Deutschland militärisch günstig, nur die Küsten würden
voraussichtlich zu leiden haben, da eine bedeutende maritime
Aktion Frankreichs bevorstehe. Schließlich fügte er bei, selbst
wenn Frankreich jetzt erkläre vom Kriege abstehen zu wollen,
könne Preußen, nach dem was vorgefallen sei, nicht mehr
zurück und hoffe er, Bayern werde in aUen Fällen ein treuer
Bundesgenosse sein. —
Soeben erfahre ich, daß Baron von Werther in Paris wegen
Mangel an Energie bei Gelegenheit der letzten Verhandlungen einen
unfreiwilligen Urlaub erhalten hat. m. st.A.
230
13- Berlin 1870 Juli 15. Telegramm des Freiherrn
V. Tautphoeus.
Es geht Note an Bayern ab, mit Aufforderung Allianz- Vertrag
nachzukommen, da Angriff außer Zweifel; man will Stärke, Zeit,
Ort, Concentrirung bayerischer Armee wissen. Südstaaten einge-
laden, Commissäre nach Berlin zu schicken. Spanien wird auch
Krieg erklären; Österreichs Ruhe durch Rußland moralisch garan-
tirt. M. st.A.
14. Berlin 1870 Juli 15. Telegramm Bismarcks an den
norddeutschen Gesandten in München v. Werthern.
Auf die heute gemeldete Erklärung der Französischen Regierung
in der gesetzgebenden Versammlung hat des Königs Majestät soeben
die Mobilmachung des Norddeutschen Heeres befohlen.
Nach den uns von der Königlich Bayrischen Regierung zu-
gegangenen Erklärungen dürfen wir auf deren Einverständniß
rechnen, wenn wir das ergebenste Ersuchen stellen, die K. Bayerischen
Streitkräfte mit thunlichster Beschleunigung zur Vertheidigung
Deutschlands ausrüsten zu wollen.
Ausfuhrverbot von Kriegsbedarf jeder Art, einschließlich Pferde
und Fourage, heute ergangen, und in der Hoffnung, daß dasselbe in
Bayern gleichfalls erfolgen werde, ist die Grenze gegen Süddeutsch-
land offen gelassen. Sofort mitzutheilen.
Noch ohne Nachricht von Kriegserklärung, dagegen Meldung,
daß Franzosen auf Luxemburg marschiren; Mobilisirung ge^^tern
befohlen; Kronprinz Oberbefehl. m. st.A.
15. München 1870 Juli 15 (expediert 16. früh per Estafette).
Antrag des Grafen Bray an den König.
(Original.)
Die Spannung, welche seit einer Woche zwischen Preussen und
Frankreich aus Anlaß der Bestimmung des Prinzen Leopold von
Hohenzollern zum Könige von Spanien eingetreten ist, hat auch
durch die Verzichtleistung desselben auf die Spanische Krone nicht
abgenommen, vielmehr ist der politische Conflikt zwischen den
beiden mächtigen Staaten seit den letzten Tagen wesentlich ver-
schärft worden, und ein Krieg zwischen Preussen und Frankreich
scheint unvermeidlich zu seyn.
Bei dieser hochernsten Lage der Dinge hält es der treugehor-
samst Unterzeichnete für seine Pflicht Ew. Majestät Nachstehendes
ehrfurchtsvollst vorzutragen.
Wie Allerhöchstdieselben aus dem anruhenden Telegramm der
K. Gesandtschaft zu Berlin vom 15. July Mittags zu entnehmen
geruhen wollen, hat die K. Preussische Regierung an Bayern bereits
eine Note ergehen lassen, womit auch die Regierung Ew. M. zur
Theilnahme an dem Kriege aufgefordert und zugleich mit den
übrigen süddeutschen Staaten eingeladen werden soll, sofort in
einer zu Berlin abzuhaltenden Conferenz mit preussischen Corn-
missären sich über die Modalitäten dieser Theilnahme, in Gemäßheit
des AUianzvertrages, zu verständigen. Von der K. Württembergi-
schen Regierung ist, wie Allerhöchstdieselben aus dem gleichfalls
anruhenden Telegramme des Freiherrn von Gasser aUergnädigst
231
ersehen, jene von Preussen bezielte militärische Cooperation bereits
zugesagt, und um so mehr wird also die schleunigste Beschluß-
fassung Ew. M. dringend geboten erscheinen.
Der treugehorsamst Unterzeichnete hat sich bisher darauf
beschränkt, im mündlichen diplomatischen Verkehr die thunlichste
Reserve zu beobachten und vor der nunmehr erfolgten näheren
Entwickelung des Differend keinerlei bindende Erklärung abzu-
geben. Eine solche läßt sich aber heute nicht länger verschieben, und
Ew. M. werden hiebei ganz besonders in's Auge zu fassen geruhen,
in welch exponirter Lage gegen Frankreich sich die Bayerische
Rheinpfalz befindet, die jeden Tag einem Angriffe von französischer
Seite her preisgegeben seyn kann. In der That erwartet man schon
heute, daß der Kaiser Napoleon in Paris seine zweifelsohne kriege-
rischen Entschlüsse in einer Botschaft an das Corps legislatif an-
kündigen läßt, und in dieser Beziehung erlaubt sich der treugehor-
samst Unterzeichnete Ew. M. ein weiteres Telegramm des Grafen
Quadt allerunterthänigst beizuschließen. Durch ein dem süddeut-
schen Correspondenzbureau zugekommenes Telegramm wird diese
Erwartung bestätigt.
In Anbetracht vorstehender wichtiger Mornente fühlt sich
nunmehr der treugehorsamst Unterzeichnete in Übereinstimmung
mit sämtlichen Staatsministern gedrungen, an Allerhöchstdieselben
die ehrfurchtsvollste Bitte zu richten, daß Ew. M. geruhen wollen,
ihn unverzüglich mit denjenigen Directiven zu versehen, welche
ihn in den Stand setzen, die Politik Bayerns in dem Sinne zu
führen, welcher der Allerhöchsten Intention und Willensmeinung
entspricht. Der treugehorsamst Unterzeichnete würde sich glück-
lich schätzen, wenn Ew. M. ihm hier persönlich allerunterthänigsten
Vortrag gestatten und hierauf die Allerhöchsten Befehle ertheilen
wollten. Es ist dieß bis morgen früh unumgängHch nöthig, wenn
nicht alle zum Schutz des Landes nöthigen Vorkehrsmaßregeln sich
verspäten sollen.
Wie die Dinge liegen, wird es kaum möglich seyn, daß Bayern
sich neutral verhalte; und wenn eine active Antheilnahme am
Kriege nicht zu umgehen ist, dürfte die Wahl um so weniger Schwie-
rigkeiten darbieten, indem ein Krieg Frankreichs gegen Preussen
stets ein Angriffskrieg, ein Kampf um die Integrität des deutschen
Gebietes seyn wird und in diesem FaUe der Artikel I des Allianz-
vertrags vom 22. August 1866 die Verpflichtung Bayerns unzwei-
deutig normiert hat, sowie dieß auch schon nach dem älteren
deutschen Bundesrecht bestimmt gewesen war. m.si.a.
16. Paris 1870 Juli 14 (präsentiert 16.). Graf v. Quadt an den
König von Bayern.
(Original.)
Die Erklärungen des Duc de Gramont sowie die Sprache des
Constitutionnel und der anderen offiziösen Organe berechtigen zur
Annahme, daß das Ministerium Gramont-Ollivier vorerst in fried-
liche Bahnen eintreten will. Die von Herrn Gramont noch als
schwebend bezeichneten Unterhandlungen dürften wohl nur in
der Formulierung des Hohenzollern'schen Verzichtes liegen; einen
Krieg deßhalb anzufangen, nachdem die Hauptsache, der Verzicht
232
selbst, gesichert ist, dürfte als zu wenig gerechtfertigt erscheinen.
Dieses wird als Standpunkt des Ministeriums angenommen werden
können.
Indeß die kühle Aufnahme, welche die oben erwähnten mini-
steriellen Erklärungen im Senate gefunden, und die große Erregung
im Corps legislatif, woselbst Jerome David und Clement Duvernois,
bekanntlich die Intimen der Tuilerien, ihre Interpellationen gegen
das Verhalten des Ministeriums gestellt, erwecken immerhin noch
ernste Besorgniße, daß das Ministerium zur Demißion gedrängt
werden könnte. In diesem Falle würde die Frage offenbar deplazirt
werden und die griefs gegen Preußen, respective die Kriegsfrage in
den Vordergrund treten.
Wenn auch ursprünglich der Kaiser sorgsam darauf bedacht
war, den Artikel 4 des Prager Friedens und die Süddeutschen Militär-
Verträge von 1866 nicht als entree en matiere des Krieges zu ver-
werthen, indem Seine Majestät bislang das Erwachen der deutsch-
nationalen Frage ferne halten woUte, — so steht doch dahin, ob
bei der gegebenen Sachlage nach der so unglücklichen Hohenzollern-
schen Campagne Napoleon nicht zum Krieg genöthigt sein wird.
Ein Hauptargument der Kriegsparthei liegt darin, daß die Fort-
dauer des bewaffneten Friedens, welch' letzterer durch die Hohen-
zollernsche Differenz in seinen Lasten noch gesteigerter wurde,
keine Lösung ist; vielmehr das heute militärisch vorbereitete
Frankreich wesentliche Einbuße erleiden müßte, falls man nun
Preußen Zeit laßen würde, seine Kriegsrüstungen zu betreiben.
Zu dem kömmt noch in Betracht, daß das Prestige im Innern durch
diesen Vorgang im hohen Grade beeinträchtigt ist: ,,rindecision
de l'Empereur est entre deux pressions, celle del'Angleterre pour la
paix et l'attitude de l'Europe et d'autre part son entourage qui
pousse avec frenesie ä la guerre." Eine energische Demon-
stration der Kammern müßte den Ausschlag für den Krieg
geben. Es fehlt indeß auch nicht an Friedenselementen, welche sich
namentlich mit der Berechnung trösten, daß Frankreich mit seiner
finanziellen Prosperität weit mehr in der Lage ist, die Fortdauer
des bewaffneten Friedens fortzusetzen und Preußen dadurch in
Verlegenheit zu setzen.
In Bezug auf Belgien erfahre ich aus bester Quelle, daß der
Duc de Gramont den belgischen Gesandten während der kriege-
rischen Aspecten zu sich kommen ließ und demselben folgendes
eröffnete :
,,Le Gouvernement Imperial est completement etranger aux
insinuations malveillantes repandues dans quelques journaux sur
la pretendue participation du Roi des Beiges dans l'af faire Hohen-
zoUern; nous desirons rester dans les meilleurs termes avec la
Belgique et l'incident des chemins de fer de l'an dernier a plustöt
contribue comme les petites querelles entre amis ä cimenter nos
bonnes relations avec la Belgique; mais il Importe au Gouvernement
Imperial, ajouta Monsieur de Gramont, que la Belgique se trouve en
mesure de faire respecter sa neutralite dans une guerre eventuelle.
Le Baron Beyens donna les meilleurs assurances sur ce point ä
Monsieur de Gramont en affirmant que toutes les mesures etaient
prises par la Belgique pour sauvegarder sa neutralite." m.si.a.
233
17- Stuttgart 1870 Juli 15 (präsentiert 16.). Gesandter v.
Gasser an den König von Bayern.
(Original.)
Nachdem der Verzicht des Fürsten von HohenzoUern auf die
Thron-Candidatur seines Sohnes auch hier die Überzeugung her-
vorgebracht hatte, daß der französisch-preußische Streit beigelegt
sein dürfte, und die öffentliche Meinung bis dahin für Preußen zum
Mindesten kühl gewesen war, schlug dieselbe rasch um, als die
Nachricht eingetroffen, daß Frankreich ein noch weiteresVerlangen
stelle.
Wie Euerer Königlichen Majestät Regierung durch das vor-
gestrige Schreiben des Freiherrn von Varnbüler bekannt ist, hielt
dieser, bis zu genauerer Information, mit einer Äußerung Preußen
gegenüber zurück; Baron Varnbüler war ebenfalls der Meinung,
daß gewisse Bedingungen an Preußen gestellt werden sollten, und
brachte diese Meinung im heutigen Ministerrathe vor. Wie ich
soeben telegraphisch anzuzeigen mich beehrt habe, ist aber von den
Ministern der Beschluß gefaßt worden. Seiner Majestät die mili-
tärische Betheiligung Württembergs auf Seite Preußens ohne allen
Vorbehalt zu empfehlen. Dieser Beschluß ist von allen andern
Ministern, wie mir Baron Varnbüler sagte, mit Entschiedenheit
gefaßt worden, da sie von der Meinung ausgehen, daß dadurch die
Stellung Württembergs nach dem Kriege, Preußen gegenüber,
welches dem Süden moralisch ungemein stärker verpflichtet sein
würde, eine weitaus günstigere wäre. —
Baron Varnbüler ist soeben nach Wildbad abgereist, um den
Fürsten Gortschakoff zu sehen; er kehrt morgen früh hieher zu-
rück.
Soeben hat der französische Gesandte seinen Curier aus Paris
erhalten. Die französische Regierung legt, bezüglich der zweiten
Forderung, unter Anderem auch großes Gewicht darauf, daß ,,Sa
Majeste (König von Preußen) a non seulement repousse cette
demande d'une maniere absolue, mais Elle a declare qu'Elle en-
tendait se reserver pourtouteslescirconstances sa liberted'actions."
In diesem Augenblick trifft die Nachricht von der französischen
Kriegserklärung ein.
Gott schütze Euere Majestät und Bayern!
P. S. Die Minister haben ebenfalls beschlossen. Seine Majestät
den König zu ersuchen, nach Stuttgart zurückzukehren. m. st. a.
18. München 1870 Juli 17. Telegramm des Graf en v. Bray an
Freiherrn v. Perglas in Berlin.
Auf ein von Baron Werthern mitgetheiltes Telegramm vom
15. d. M. hat die Regierung Sr. M. des Königs der an sie gerichteten
Einladung sofort durch die unterm Gestrigen verfügte Mobilisirung
der gesammten Streitmacht entsprochen und die erforderlichen
Vorkehrungen getroffen, namentlich in Betreff des Ausfuhrver-
botes von Kriegsbedarf jeder Art, einschließlich der Pferde und
Fourage.
Baron Werthern ist in Kenntniß gesetzt. m. st.A.
234
19- Berlin 1870 Juli 17. Freiherr v. Perglas an den König
von Bayern.
(Original.)
Die Lage bis zum gestrigen Tage ist Euerer Königlichen Maje-
stät ausführlich und genau durch Freiherrn von Tautphoeus bericht-
lich zur Kenntniß gebracht worden. Gleich nach meiner Rückkehr
auf meinen Posten gestern Mittag habe ich Herrn von 1 hile besucht
und mich bei Graf Bismarck gemeldet, der mich noch an demselben
Abend V2I0 Uhr empfangen hat. Der Staatssekretär des Auswär-
tigen Amtes sowohl als der Bundeskanzler sprachen mir Anerken-
nung aus für die Vertragstreue Haltung Bayerns. Graf Bismarck
erklärte mir, daß nunmehr kein Mittel bestehe, um den Krieg zu ver-
hindern. Fast alle Cabinete, sagte der Bundeskanzler, und die
öffentliche Meinung überall in der Welt beschuldigen Frankreich
ausschließlich diesen ungerechten Krieg veranlaßt zu haben. Die
Stimmung in ganz Deutschland sei für Preußen und dafür, nun den
Krieg gegen die Franzosen mit aller Macht und Wucht aufzunehmen ;
aus Provinzen, wo ein solcher nationaler patriotischer Geisi kaum
erwartet werden durfte, äußerte er sich lebhaftigst in dieser Richtung.
Wir werden 480000 Mann am Rhein aufstellen, sagte der Minister,
und 300000 noch übrig behalten zur Vertheidigung der Küsten und
Seehäfen, wobei der Kanzler die Haltung Hamburgs rühmend her-
vorhob. In obiger Ziffer hatte Graf Bismarck die Truppen der
süddeutschen Staaten nicht eingerechnet, die er im weiteren Ver-
laufe der Unterredung auf nahe 120000 M. anschlug und dabei
bemerkte, daß Frankreich nur 280000 M. aufstellen könne.
Man ist sich hier vollkommen siegesbewußt und erwartet sich
von diesem Kriege die besten Erfolge und Garantien für die Zukunft
für die Interessen Deutschlands, vielmehr Preußens, dahin
denkt man schon jetzt, um sich die Macht und die Stellung ein für
allemal zu sichern. Es wird daher von den anderen selbstständigen
Staaten Deutschlands alles aufgeboten werden müssen, meine ich,
um gleichfalls bei der künftigen Neugestaltung berechtigte poli-
tische Stellung zu nehmen und sich zu sichern.
Eine Kriegserklärung war auch gestern Abend noch nicht an
Preußen erfolgt, sagte mir der Bundeskanzler, und sind auch die diplo-
matischen Beziehungen zwischen Preußen und Frankreich noch nicht
abgebrochen. Herr Le Sourd ist hier imd Graf Solms als Geschäfts-
träger in Paris, da Herrn von Werther die Weisung zugegangen
in Urlaub zu gehen. Graf Bismarck sagte mir: ,,Ich habe ihn ange-
wiesen Urlaub zu nehmen, er ist zu schwach gewesen und hat nicht
verstanden dem Herzog von Gramont mit der nöthigen Entschie-
denheit zu begegnen, er ist überhaupt seiner Stellung nicht ge-
wachsen." (Graf Bismarck findet hier Gelegenheit sich des Baron
Werther zu entledigen, dessen Berufung nach Paris gegen seinen
Willen erfolgt ist, er wirft ihn weg mit Mißachtung, um nicht einen
andern trivialen Ausdruck zu gebrauchen).
Wenn der Abbruch der offiziellen Beziehungen zwischen
Preußen und Frankreich durch Abberufung der resp. Botschafter
erfolgt sein wird, ,,wenn Graf Solms die Pässe zugeschickt sein
werden", sagte der Graf, ,,und Herr Le Sourd um seine Pässe bitten
wird", dann erwartet sich der Kanzler, daß der Abbruch auch von
Seite der anderen deutschen Regierungen erfolge und nicht früher;
235
er fügte bei: ,, Übereilen Sie Sich in Bayern in dieser Beziehung
nicht, um vielmehr Zeit zu ihren Kriegsrüstungen zu gewinnen."
Der französische Militärbevollmächtigte Stoffel ist auch noch
hier, der zu den besonders privilegirten Freunden Graf Bismarcks
gehört. Über ihn äußerte sich der Kanzler gestern, daß er der
französischen Regierung die Aufschlüße und Pläne über die mari-
timen Verhältniße und die Seehäfen Norddeutschlands geliefert
habe.
Von meiner Seite habe ich den Bundeskanzler in Erfüllung
meiner Instruction ,,der Vertragstreue" Bayerns versichert. Ich
habe ihn zugleich gefragt, was von der Haltung Österreichs zu
erwarten sey, worauf er mir erwiederte, wie er schon ausführlicher
an Baron 1 autphoeus geäußert hatte, daß Österreich die Neutralität
beobachten werde.
Der österreichische Geschäftsträger hat bisher, wie ich von
ihm vernehme, keinerlei Eröffnungen hier gemacht mit Ausnahme
der Mittheilung einer Circular-Depesche zur Zeit der Kandidatur
des Erbprinzen von Hohenzollern. Graf Bismarck ist auch voll-
kommen versichert, daß die Ansicht, daß die italienische Regierung
nunmehr Frankreich gegen Deutschland irgendwie unterstützen
werde, absolut gegen das Interesse Italiens sey; nur einige be-
stochene Leute, wie sie es bei Custozza und Lissa waren, und ,, Nigra
mit Eugenie" können eine französisch-italienische AUiance träumen.
Er äußerte sich sehr zufrieden über den Ausdruck der öffentlichen
Meinung in England und, als er mir ein Privattelegramm vorlas,
in welchem die Beobachtung einer vollen Neutralität Englands
betont war, fügte er stiUe bei: ,,Ich hoffe nicht immer" (diese
Bemerkung ist gewiß bezeichnend und dürfte für die Stellung,
welche von Rußland erwartet wird, Aufklärung geben). — Als
ich den Kanzler frug, ob das gestern publicirte Privattelegramm
Begründung habe, daß Rußland aktiv gegen Preußen vorgehen
werde, wußte er von dieser Nachricht nichts und bezeichnete sie
natürlich als unrichtig. Selbst aus Schweden und Dänemark wollte
Graf Bismarck Kundgebungen von Sympathien für Deutschland
gegen Frankreich erhalten haben.
Nun keine Rücksichten mehr zu beobachten seyen, welche er
bisher noch geachtet habe, will Graf Bismarck demnächst das noch
nicht im vollen Umfange bekannte beleidigende Verfahren Bene-
dettis gegen den König veröffentlichen. Die Gelegenheit hiefür
dürfte bei der Eröffnung des Reichstags geboten sein, der zum
Dienstag den 19. berufen ist. In der gestrigen Sitzung des Bundes-
rathes ist beschloßen worden eine Anleihe von 120 Millionen Thaler
zu verlangen. In derselben sind alle wichtigen Bestimmungen in
maritimer Beziehung und bezüglich des Seerechtes im Kriege be-
schloßen worden. Graf Bismarck hat in einem langen expose dem
Bundesrath die Lage dargestellt, um ihn von der Frankreich aus-
schließlich zur Last fallenden Schuld des Krieges zu überzeugen, und
ist er einstimmig in allen Anforderungen unterstützt worden.
Als ich Graf Bismarck bemerkte, daß die rasche Entsagung
des Erbprinzen von Hohenzollern im Interesse des Friedens sehr
chevaleresque von seiner Seite gewesen sey, entgegnete er mir, daß
er dieses gar nicht chevaleresque gefunden habe, vielmehr hätte
der Prinz entweder die Kandidatur nicht annehmen oder, nachdem
236
er sie angenommen habe, gleich nach Spanien gehen müßen, ohne
viel zu fragen, keinesfalls aber die preußische Regierung in diese
Angelegenheit verwickeln dürfen.
(Meiner Überzeugung nach war bei Ausbruch der spanischen
Revolution, wenn nicht schon vorher, dieser Prinz für den spanischen
Thron von Preußen in Aussicht genommen. Kein Cabinet und kein
Monarch hat der spanischen Revolution soviel Sympathie bezeugt,
als das preußische und König Wilhelm).
Von Augenzeugen höre ich, daß die Begeisterung in Berlin
für den König bei Seiner Rückkehr vorgestern Abend, überhaupt
bei Seiner Reise an allen Orten eine außerordentliche, unbe-
schreibliche und rührende gewesen sei. Bei Umarmung des Kron-
prinzen vergoß der König Thränen. Alles drängte sich an den König,
um ihm die Hand zu küssen, was er diesesmal gewähren lassen
mußte. Nun ist man hier in den eiligsten und eifrigsten Kriegs-
rüstungen, beklagt aber an offizieller Stelle, daß die Mobilisirung
der Armee nicht schon einige Tage früher angeordnet wurde . Herr von
Thile bemerkte mir, man müße sich gefaßt machen, daß Frankreich
anfänglich Vortheile erringen werde ; Moltke würde nur mit Massen
vorgehen und einzelne Armee-Corps vorerst nicht operiren lassen.
Graf Bismarck entließ mich freundlich um lo Uhr, da er mit
dem Kriegsminister zu conferiren hatte, ohne mir besondere und
weitere Mittheilungen für Euerer Königlichen Majestät Regierung
zu machen. Dieselben erfolgen übrigens direct durch Vermittlung
der K. Preußischen Gesandtschaft in München. M.st.A.
20. München 1870 Juli 18. Antrag des Grafen v. Bray an den
König von Bayern.
(Original.)
Der treugehorsamst Unterzeichnete beehrt sich, Euerer König-
hchen Majestät zu melden, daß Baron Varnbüler gestern Abends
nach 8 Uhr hier eingetroffen ist, um mit ihm eine eingehende
Besprechung über die durch die neuesten Ereignisse gleichmäßig
berührten Staatsinteressen Bayerns und Württembergs zu pflegen.
Der Württembergische Minister des Äußern hat sich vor Allem
bemüht, den ungünstigen Eindruck zu verwischen, welchen die
telegraphische Meldung über einen am 15. gefaßten Beschluß des
Württembergischen Gesammtministeriums hier hervorgebracht hat,
gemäß welcher jener Beschluß auf sofortigen bedingungslosen An-
schluß an Preußen gelautet hätte. Baron Varnbüler erläuterte,
daß eben nur über die zu stellenden Bedingungen Beschluß gefaßt
worden sei, keineswegs aber über eine endgültige Zusage an Preu-
ßen, welche schon durch die Abwesenheit Seiner Majestät des Königs
von Württemberg und durch Dessen mangelnde Zustimmung aus-
geschlossen war.
Freiherr von Varnbüler fügte bei, daß auch bis zur Stunde in
Stuttgart, so wenig wie in München, eine förmliche Einladung Preu-
ßens zur Erklärung über den casus foederis eingelaufen sei und daß
somit die Nothwendigkeit, sich hierüber auszusprechen, keineswegs
gegeben sei.
Daß ein solcher Ausspruch insbesondere nicht öffentlich er-
folgen dürfe, solange von keinem der Hauptbetheiligten eine Kriegs-
237
erklärung vorliegt, ist selbstverständlich und würde ein Voran-
gehen in kriegerischer Richtung zur Folge haben, welches mit der
eigenthümlichen Stellung der deutschen Südstaaten nicht verein-
bar ist.
Aus eben diesem Grunde hat sich der treugehorsamst Unter-
zeichnete veranlaßt gesehen, einen Artikel der Correspondenz Hoff-
mann, welche meldet, daß Bayern mit Preußen in den Kampf
gegen Frankreich vorgehen werde, als vom Ministerium des Äußern
nicht ausgehend zu bezeichnen, nachdem ihm eine solche Ankün-
digung jedenfalls verfrüht erscheint.
Freiherr von Pranckh hat sich dieser Erklärung im Namen
des Kriegsministeriums angeschlossen.
Mit dem Freiherrn von Varnbüler ist über die gesammte
Haltung beider Regierungen während der gegenwärtigen Ciisis
vollständige Übereinstimmung erzielt worden, und es steht zu
hoffen, daß das Verhalten der K. Württembergischen Regierung
dieser Zusage entsprechen werde, weil ihr eigenes Interesse dem
Einhalten ihres Versprechens entspricht.
Baron Varnbüler hat heute Früh um 6 Uhr München zur Rück-
kehr nach Stuttgart verlassen.
Eingesehen.
München, den 20. Juli 1870
Ludwig. M.st.A.
21. München 1870 Juli 18. Der norddeutsche Gesandte
V. Werthern an den Grafen v. Bray-
(Original.)
Am 14. d. M. hat der unterzeichnete Gesandte des Norddeutschen
Bundes die Ehre gehabt, bei Sr. Excellenz dem Herrn Grafen
von Bray, K. bayerischer Minister des Äußern, im Auftrage seiner
Regierung anzufragen, ,,auf welche Unterstützung Seitens Bayerns
dieselbe im Falle eines französischen Angriffs rechnen könne".
Die hierauf erfolgte Antwort Sr. Excellenz lautete dahin:
daß in diesem Falle Bayern auf der Seite des Norddeutschen Bun-
des stehen werde, und bemerkte Hochderselbe, daß er sich in diesem
Sinne bereits gegen den Kaiserlich französischen Gesandten geäußert
habe.
In Übereinstimmung mit dieser Mittheilung steht die von
Sr. M. dem Könige von Bayern unter dem 16. d. M. angeordnete
Mobilisirung der K. bayerischen Armee.
Die bekannten von der Kaiserlich französischen Regierung
abgegebenen Erklärungen in Verbindung mit den von derselben
getroffenen militärischen Maßnahmen lassen keinen Zweifel auf-
kommen, daß der Kriegsfall schon jetzt eingetreten ist.
Der Unterzeichnete glaubt daher, das durch die Bündniß-
verträge vom 22. August 1866 begründete Verhältniß zwischen den
beiden hohen Regierungen, dem Ernst der Lage entsprechend,
mit vollkommener Klarheit feststellen zu soUen, und dem zu Folge
b)eehrt er sich den Herrn Minister des Äußern ganz ergebenst zu
ersuchen, constatiren zu woUen, daß die K. bayerische Regierung den
casus foederis durch die Haltung Frankreichs als gegeben erachtet.
238
und sieht derselbe, unter dem Drange der Umstände, ohne Verzug
einer gefälligen Rückäußerung ergebenst entgegen.
Der Unterzeichnete benutzt diesen Anlaß, dem Herrn Grafen
von Bray den Ausdruck seiner vorzüglichsten Hochachtung zu
erneuen. m. st.A.
22. München 1870 Juli 19. Telegramm des Grafen v. Bray
an den Gesandten Freiherrn v. Gasser in Stuttgart.
Durch preußischen Gesandten wurde durch Note angefragt
wegen Anerkennung casus foederis. Wunsche zu erfahren, ob
gleiche Anfrage in Stuttgart erfolgte, und wie Varnbüler zur Zeit
antwortet. m.si.a.
23. München 1870 Juli 19. Handschreiben König Ludwigs IL
an den Grafen v. Bray.
(Original.)
Mein lieber Staatsminister Graf Bray!
Ich habe von der Note des am hiesigen Hofe beglaubigten
preussischen Gesandten vom 18. Juli 1. J. Einsicht genommen und
ermächtige Sie, dem Vertreter der preussischen Regierung sofort
zu erklären, daß Ich den casus foederis als gegeben erachte, wonach
die weiteren Maßnahmen unverzüglich einzuleiten sind. Indem Ich
Ihrem bisherigen umsichtigen Verhalten Meine vollste Anerkennung
zolle und auf Ihre fernere opferwillige und thatkräftige Mit-
wirkung rechne, verbleibe Ich mit bekannten Gesinnungen
Ihr gnädiger König
Ludwig M.st.A.
24. Wien 1870 Juli 17 (präsentiert 19.). Graf v. Fugger an den
Grafen v. Bray.
(Original.)
Es ist mir soeben möglich geworden, den Herrn Reichskanzler
zu sprechen und seine Ansicht über den preußisch-französischen
Konflikt zu vernehmen.
Graf Beust äußerte sich dahin, daß er nun selbst alle Hoffnung
auf irgend eine friedliche Lösung aufgegeben habe, und bestätigte mir,
daß außer dem von Eurer K. M.Regierung gemachten Vermittlungs-
vorschlag von keiner Seite Schritte zur Verhütung des Kriegsaus-
bruches versucht wurden.
Er glaubte zugleich seine Meinung dahin aussprechen zu sollen,
daß es vielleicht möglich gewesen wäre, den Ausbruch von Feind-
seligkeiten zu verhindern, wenn Süddeutschland Preußen gegen-
über erklärt hätte, daß bei einem wegen der Kandidatur des Prinzen
HohenzoUern ausbrechenden Kriege es nicht den casus foederis
für gegeben erachte.
Der Reichskanzler fügte bei, daß allerdings Frankreich durch
sein Vorgehen den furor Teutonicus auf ungeschickte Art gegen sich
wachgerufen habe, und daß daher die Kabinete in München und
Stuttgart genöthigt waren, der allgemeinen Stimmung Rech-
nung zu tragen.
239
Zugleich bedauert Graf Beust, daß Süddeutschland dem
Hauptanprall der Franzosen ausgesetzt sein werde.
Schließlich betonte er die neutrale Haltung Österreichs in dem
bevorstehenden Kampfe, indem er bemerkte: Österreich werde
diesmal Zuschauer bleiben. m.si.a.
25. Paris 1870 Juli 17 (präsentiert 19.). Graf v. Quadt an den
Grafen v. Bray.
(Original.)
Gemäß der mir gestern gewordenen Weisung begab ich mich
heute, nachdem der Duc de Gramont auf meine Anfrage mich um
3 Uhr Nachmittags empfangen, begleitet von Herrn Legationsrath
Rudhart, um letzteren anläßlich meines Urlaubs als interimistischen
Geschäftsträger vorzustellen, ins Ministerium des Äußern. Als ich
beim Duc eingetreten war, eröffnete ich demselben, daß ich von dem
mir Ende vorigen ^Monats schon bewilligten Urlaub morgen Gebrauch
machen würde, mit dem Bemerken, daß Herr Legationsrath Rud-
hart mit mir gekommen, um als Geschäftsträger vorgestellt zu
werden.
Der Duc de Gramont empfieng mich auf das freundlichste
und bat mich sofort den Herrn Legationsrath eintreten zu laßen,
indem er einen großen Werth darauf lege, daß derselbe als Geschäfts-
träger seinen Eröffnungen beiwohne.
Monsieur de Gramont debuta par le differend qui s'etait eleve
avec le Roi de Prusse en affirmant que le telegramme officieux de
la ,, Norddeutsche AUg. Zeitung" ne presentait pas le differend sous
son veritable jour, qu'il avait l'air d'insinuer comme quoi Ms.
Benedetti aurait regu un affront — ce qui n'etait pas. Tout au
contraire, continua le Duc, Ms. Benedetti a ete dans les meilleurs
termes avec le Roi pendant toute la duree de son sejour ä Ems; il
n'y a rien eu de blessant dans les procedes personnels du Roi pour
notre ambassadeiu". Je ne voudrais rien dire qui put faire tort au
Roi, car apres tout il viendra un moment ou vaincus ou vainqueurs
nous nous serrerons encore la main; mais je ne puis cependant
dissimuler que le Roi n'a pas ete ä la hauteur de la Situation: —
L'absence de Ms. de Bismarck ä Varzin et par suite l'interim de Ms.
de 1 hiele ont contribue de leur cote ä compliquer la Solution du
differend; c'est malheureusement ce concours de circonstances
fächeuses, qu'il faut attribuer l'insucces des negociations entamees
par nous avec la Prusse. La question a ete bien simple et pouvait
se resoudre sans prejudice des deux gouvernements en cause: Je
ne sais si vous etes au courant de la proposition du Comte Bray
dont les procedes sages ont ete vivement apprecies par nous, car la
Solution proposee par votre ministre menagait toutes les positions
en invitant le Roi de Prusse ä reconnaitre en principe ce qui avait
ete pratique par la France au sujet du Duc de Nemours pour la
Belgique et par l'Angleterre pour le Prince Alfred, appele au tröne
de Grece par l'unanimite des Grecs, et ces princes y renongant par
les considerations qui resultent de ce principe.
Le Roi de Prusse en se refusant ä cette satisfaction qui aurait
repondu ä nos vues, par sa precipitation ( — le telegramme precite
de la Norddeutsche Allg. Zeitung — ) a compromis la Solution paci-
240
fique. Je sais, continua le Ministre, que votre Gouvernement n'a
pas encore reconnu le casus foederis jusqu'ä present, ce dernier ne
pouvant s'appliquer qu'au cas d'une violation de fait du territoire
Allemand; mais l'eventualite imminente d'une guerre avec laPrusse
doit forcement emmener une violation: — dans l'etat des choses il
nous est impossible de diff erer plus longtemps afin d'etre fixe si nous
avons la Baviere comme ennemie, neutre ou amie. Dans le premier
cas il ist evident que le Palatinat Bavarois sera le champ de bataille
de la Prusse et de la France et cette province se trouvera par le
fait dans la triste position d'etre traite par les deux belligerants
comme pays conquis — c'est ä la Baviere de reflechir si eile veut
prendre la responsabilite des fleaux qui vont fondre sur elles. A
cette occasion le Duc de Gramont fit entrevoir sans la nommer, la
position hostile de l'Autriche envers la Baviere au cas qu'elle serait
partisan de la Prusse; si eile reste neutre, la France se fera un
devoir de lui f aciliter cette position de son mieux, car nous ne me-
connaissons pas les difficultes qui resultent pour le Gouvernement
Bavarois dans cette grave question; comme ami, il s'entend de soi
meme qu'elle partagera avec nous le benefice des succes. Mais
il est temps que la Baviere se prononce dans le plus bref delai, car nos
interets sont trop engages pour attendre plus longtemps.
En faisant observer au Duc de Gramont, combien le sentiment
national Allemand etait surexcite par le langage provoquant des
journaux frangais qui representaient la conquete du Rhin comme
objectif de la guerre, combien il etait difficile aux gouvernements
Allemands de se mettre en travers de ce courant national, le Duc
de Gramont accentua l'assurance positive, que ces journaux expri-
maient le contraire des vues du Gouvernement Imperial; — loin de
la, dit le Ministre, je puis vous affirmer que la France, en cas de
succes contre la Prusse, se gardera bien de demander le moindre
petit lambeau du territoire Allemand. — Apres tout, fit-il
observer, les provinces Rhenanes sont foncierement Allemandes et
ce serait une faute colossale de la part du Gouvernement Frangais
de s'annexer les Clements hostiles qui ne feraient que grossir les
bancs de l'opposition. Notre but, ajousta Ms. de Gramont, est
d'empecher le Prussianisme en Allemagne et je ne comprends pas
en quoi seraient leses les Gouvernements du Sud si nous annulons
le grand duche de Bade qui n'est qu'une succursale de Berlin — (A
cette occasion le Duc de Gramont s'exprima tres vivement contre
les procedes du grand duc de Bade) — et retablissons dans le Nord
le Royaume de Hannover en l'agrandissant de maniere ä ecarter
les dangers qu'offrait la Prusse preponderante en Allemagne. Le
duc de Gramont repeta que la Baviere est ä meme d'epargner ä ses Su-
jets le fleau de la guerre sans prejudice de sa dignite puisque l'in-
tegrite du territoire Allemand sera sauvegarde.
Je ne meconnais pas les difficultes qui resultent pour votre
Gouvernement de la Situation, et je fais une large part ä ces motifs
qui l'ont fait hesiter ä prendre un parti, mais d'un autre cote il
nous est impossible de differer, car aussi nous avons ä lutter
contre un courant national qui au bout de huit jours, comme vous
avez pu le remarquer, a pris des proportions colossales; il Importe
donc que la Baviere se prononce dans le plus bref delai et pese serieu-
241
sement les graves consequences qui resulteront pour eile, si eile se
fait le partisan de notre ennemi la Prusse.
Hier endigte unsere Unterredung.
Wenn auch die vom Duo de Gramont gegebenen Zusagen auf-
richtig gemeint sein dürften, so kann ich doch nicht unterlassen, zu
bemerken, daß bei dem hier vorherrschenden Chauvinismus nicht
denkbar ist, daß ein siegreiches Frankreich eine so ungewöhnliche
Uneigennützigkeit an den Tag legen wird. ^
Der Hessische Gesandte hat die Instruction bekommen, sein
Verhalten nach jenem des Norddeutschen Botschafters zu regeln;
der Württembergische Gesandte ist zur Zeit noch ohne Instruction.
Unangenehmes Aufsehen erregt es dahier, daß Amerika die
gesandtschaftlichen Archive von Preußen übernommen hat.
In den letzten Nächten haben hier mehrfache Ruhestörungen
republikanischen Charakters stattgefunden, wobei die Friedens-
und Kriegsparthei gegenseitig demonstrirten. m. st.A.
26. Berlin 1870 Juli 19. Telegrammdes Gesandten v. Perglas.
Mir aufgefallen, daß Graf Bismarck gegen mich ein besonderes
Drängen für rasche Kriegsbereitschaft Bayerns nicht geäußert hat,
dieß übrigens vielleicht ohne Absicht, puisque les Communications
ä cet egard ont lieu par voie directe militaire. Er schien mich sogar
zu mißverstehen, als ob (man) en Baviere etwa die diplomatischen (Be-
ziehungen) mit Frankreich früher, als von hier geschehen werde,
abbrechen wolle, und seine Ermahnung, uns hier nicht zu übereilen,
war mir auffällig. Je m'attendais etwas mehr warme und lebhaftere
Anerkennung der Haltung de la Baviere. Ob Preussen gedenkt
allein zu siegen et exclusivement et seule über die künftige
Geschicke Deutschlands zu bestimmen? Des Königs von Bayern
erwähnte Graf Bismarck nicht. m. st.A.
JJoeberl. Bayern und die Bismarckische Reichsgrflndung. l6
n.
Zur Geschichte des bayerischen Initiativ^
antrags vom 12. September 1870
und der Münchener Konferenzen
I. Berlin 1870 Sept. 5. Staatsminister v. Delbrück an
Bismarck.
(Original.)
Ew. Excellenz sind durch den Herrn Staats-Sekretär von
Thile davon in Kenntnis gesetzt, daß ich in Befolgung des in dem
Erlasse vom 25. v. Mts. ertheilten Auftrages mich nach Dresden
begeben habe. Ich bin daselbst am 3. ds. Mts. Mittags angekommen,
am folgenden Tage von Seiner Majestät dem Könige von Sachsen
empfangen und habe sowohl mit letzterem als auch wiederholt mit
Herrn Freiherrn von Friesen die in dem gedachten Erlasse berühr-
ten Fragen besprochen.
Von der Absicht Seiner Majestät des Königs, vor dem Beginn
der Friedens- Verhandlungen über den Inhalt des Friedens die Ver-
ständigung auf deutscher Seite durch gemeinsame Vorberathung
der deutschen Fürsten herzustellen, waren Seine Majestät der
König Johann und sein Minister bereits durch Seine Königliche
Hoheit den Kronprinzen von Sachsen unterrichtet. Der König
sprach seine volle Bereitwilligkeit aus, der Einladung zu einer
solchen Vorberathung zu entsprechen, und bemerkte, daß er in
diesem Sinne seinem Sohne geschrieben habe.
Sowohl Seine Majestät als auch Herr von Friesen kamen
mir mit dem Anerkenntniß der Nothwendigkeit einer beträchtlichen
Gebiets-Abtretung Frankreichs an Deutschland entgegen. Beide
betonten bei der Begründung dieser Ansicht in erster Linie die
Rücksicht auf die Einmüthigkeit der öffentlichen Meinung und
auf die Gefahr, welche die Täuschung der einmüthig gehegten
Erwartungen herbeiführen würde. Voller Ersatz der Kriegskosten
wurde ferner als nothwendig angesehen.
Vielleicht mit noch größerem Interesse, als die Friedens-
bedingungen, faßte man in Dresden die Folgen des Krieges für die
deutsche Frage ins Auge. Herr von Friesen sah diese Frage
als von der Frage der Gebiets- Abtretung unzertrennlich an.
Wenn Preußen eine spezielle Vergrößerung im Süden nicht
erstrebe, sondern nur die allgemeinen Interessen Deutsch-
lands bei der Bestimmung über den Landerwerb entscheiden
lassen wolle, so erheischten diese Interessen eine Gestaltung, welche
243
einerseits die Bedeutung dieses Erwerbes als einer Vormauer gegen
Frankreich sicherstelle, andererseits dem berechtigten Verlangen
der Bewohner des abzutretenden Gebiets entspreche, Glieder einer
großenNation zu bleiben. Möge man dieses Gebiet einem süddeutschen
Staate überlassen oder zu einem besonderen Gemeinwesen machen,
immerhin könne ihm nicht eine Stellung gegeben werden, wie sie
die süddeutschen Staaten einnehmen, und ebenso wenig werde man
die süddeutschen Staaten in einer anderen Stellung lassen können, als
dem neuen Gebiete gegeben werde. In den Norddeutschen Bund,
wie er sei, würden Bayern und Württemberg nicht eintreten, aber
die Gemeinschaft des Vertheidigungs-Systems zu Lande und zur
See sowie die Gemeinschaft der Vertretung nach Außen, wie solche
im Bunde beständen, und wohl Anderes noch würden sie annehmen
müssen und können. Herr von Friesen knüpfte an diese
Erwägungen die Frage, ob man nach dieser Richtung ein Pro-
gramm habe.
Ich erwiderte, daß ich nicht glaubte, Preußen werde in dieser
Frage die Initiative ergreifen, vielmehr schiene mir, daß zu derselben
Niemand mehr Beruf habe als Sachsen. Herr von Friesen ver-
neinte dies nicht, wies aber darauf hin, daß eine solche Initiative
doch einige Sicherheit über das Einverständniß Preußens mit den
leitenden Gesichtspunkten voraussetze. Im weiteren Verlaufe der
Unterhaltung fiel dann die Andeutung, daß ein engerer Bund und
ein weiterer Bund neben einander doch mancherlei Unzuträglich-
keiten haben würden und die Bundesverfassung sehr rasch ent-
standen sei, worauf ich bemerkte, daß wir in der Handelspolitik und
im ZoUwesen ja jetzt schon einen engeren neben einem weiteren
Bunde hätten und diese Einrichtung zwar keine vollkommene,
aber doch eine ganz operationsfähige sei.
Schließlich gab mir Herr von Friesen zu, daß es gut wäre,
die beiden Fragen, die französische und die deutsche, formell aus-
einander zu halten, und daß die evidente Nothwendigkeit, über den
Landerwerb eine sachgemäße Bestimmung zu treffen, sehr geeignet
sein werde, die Lösung der deutschen Frage zu fördern.
Seine Majestät der König von Sachsen sprach sich, wie es
nicht anders sein konnte, sehr viel reservirter aus. Den Zusammen-
hang der beiden Fragen betonte er gar nicht, er hob nur mit großer
Bestimmtheit die Nothwendigkeit des militärischen Anschlusses der
süddeutschen Staaten an Norddeutschland hervor und schien nach
dieser Seite hin den Erfolg nicht zu bezweifeln.
Als Ergebniß meiner Wahrnehmungen glaube ich die Ansicht
aussprechen zu können, daß man hier zu irgend einer festen Meinung
über die Bestimmung des Landerwerbes noch nicht gelangt ist und
daß man in der deutschen Frage auch dann die Initiative zu ergreifen
geneigt sein wird, wenn Vortheile für die Stellung Sachsens im Bunde
dabei nicht in Aussicht stehen. Wollen Ew. Excellenz von dieser
Disposition Gebrauch machen, so wird, wie ich glaube, Herr von
Friesen zu einer eingehenden Äußerung bereit sein, vorausgesetzt,
daß man unsererseits in einen Meinungsaustausch über seine Vor-
schläge eintreten wiU. h.a.a.
i6*
244
2. Schloß Berg 1870 September 13. König Ludwig II. an
Graf Bray.
(Original.)
Mein lieber Staatsminister Graf Bray!
Durch Grafen Tauffkirchen habe Ich soeben erfahren, daß
Graf Bismark einer Initiative Bayerns bezüglich Vorschlägen über
dessen Stellung in Deutschland entgegensehe und bezüglich deren
Berücksichtigung weitgehende Zusicherung gemacht habe. Ich
beauftrage Sie, dem norddeutschen Gesandten sofort behufs tele-
graphischer Kundgabe an Graf Bismark zu eröffnen, daß Ich jene
Mittheilung mit Befriedigung aufgenommen habe und sich dem-
nächst ein bayerischer Bevollmächtigter mit entsprechenden Vor-
schlägen im preussischen Hauptquartier einfinden wird.
Zugleich erwarte Ich, daß jene Vorschläge sobald als immer
möglich Mir zur Prüfung und Genehmigung unterbreitet werden,
zumal Ich durch Grafen Tauffkirchen gehört, daß eine weitere
Zögerung Graf Bismark immerhin zu einseitigem Vertragsabschlüsse
mit anderen süddeutschen Staaten veranlassen könnte.
Mit bekannten Gesinnungen
Ihr gnädiger König m. st. a.
Ludwig.
3. München 1870 September 15. Graf Bray
an König Ludwig IL von Bayern.
(Konzept.)
Ew. K. M. Allerh. Immediatbefehle vom 13t u. 14t d. M. hat
der tr. g. Unterzeichnete zu erhalten die Ehre gehabt.
Wenn dem ersteren durch den AUerunterth. Antrag des Ge-
sammt-Ministeriums v. 12. d. M. theilweise bereits entsprochen sein
dürfte, so hat der ehrerb. Unterz. gleichwohl nicht unterlassen, die
Geneigtheit zur Absendung eines Bevollmächtigten in das preu-
ßische Hauptquartier telegraphisch dorthin kund zu geben. Nach-
dem inzwischen die Ew. K. M. bereits vorliegende telegraphische
Meldung des bevorstehenden Eintreffens des Ministers Delbrück
hieher gelangt ist, dürfte unmaßgeblichst die Ankunft des letzteren
und eine Besprechung mit demselben vor Absendung des bayerischen
Bevollmächtigten abzuwarten sein.
Nach Meldung des Grafen Tauffkirchen scheint die Idee der
Annahme des Kaisertitels durch den König von Preußen dem
Grafen Bismark in der That vorzuschweben, und es ist nicht zu
läugnen, daß, wenn auch mit diesem Titel keinerlei Prärogativen
über die zum Nordbund nicht gehörigen Staaten verbunden werden,
die Kaiseridee an sich geeignet ist, in der Öffentlichkeit zu irrigen
Annahmen Anlaß zu geben.
Schon hierin liegt vor Allem ein Grund für Bayern, den Bei-
tritt zum Nordbund unter allen Umständen zu perhorresciren, weil
die Staaten des Nordbundes sich der bereits bestehenden und immer
deutlicher hervortretenden Präponderanz des Bundesoberhauptes
in keiner Weise zu entziehen vermögen. Eben aus diesem Grunde
dürfte die ohne Zweifel geringe Geneigtheit des Königs von Sachsen
bezüglich der Kaiseridee nicht maßgebend sein und schließlich
245
einer gezwungenen Zustimmung weichen müssen. Ein gleiches
ßewandniß hat es mit dem schon zur Hälfte dem Nordbund
einverleibten Hessen-Darmstadt und seinem Großherzoge. Da-
gegen ist Baden anbelangend durchaus nicht anzunehmen, daß
dessen Souverän einem Wunsche seines erlauchten Schwiegervaters,
wenn ein solcher deutlicher hervortritt, den geringsten Widerstand
entgegensetzen würde. Vielmehr ist mit Sicherheit vorauszusehen,
daß eine bayerische Anfrage, wäre sie auch noch so behutsam ge-
stellt, aus Karlsruhe sofort zur Kenntniß der preußischen Regierung
gebracht werden würde.
Es bleibt sonach nur Württemberg, und der tr. g. Unterz. hat
sofort Anstalt getroffen, damit über den fraglichen Gegenstand mit
dem dortigen Hofe ein vertraulicher Ideenaustausch vorgenommen
werde.
Bezüglich der erstgenannten drei Höfe bittet der tr. g. Unterz.
die obigen Betrachtungen Allergn, in Erwägung ziehen zu wollen
und ihm Allerhöchste Weisung Allergn, zugehen zu lassen, wenn
eine Anfrage an dieselben gleichwohl gerichtet werden eollte.
4. Deutsche Verfassungsskizze von Marquardt Barth.
(Abschrift.)
Der Beitritt Bayerns zu dem Bunde, welcher bisher als Nord-
deutscher bezeichnet wurde, könnte auf der Grundlage der Ver-
fassung dieses Bundes vom i. Juli 1867 geschehen, wenn dabei für
Bayern folgende Modifikationen bewilligt würden.
§1
Die Theilnahme Bayerns an der gemeinsamen Gesetzgebung
erfolgt bei den in Artikel IV, Zeile 9, 13 und 15 angeführten Gegen-
ständen nur mit dem Vorbehalte, daß die betreffenden Gesetze in
Bayern nur mit Genehmigung des bayerischen Monarchen einge-
führt werden können, wobei es der Landesgesetzgebung vorbehalten
bleibt zu bestimmen, ob S. M. der König von Bayern die Zustim-
mung der Landesvertretung zu erholen haben oder ob diese durch
die Zustimmung des Reichstags ersetzt wird.
§2
Die in Artikel 4 erwähnte Aufsicht seitens des Bundes hat sich
Bayern gegenüber auf das Erinnerungsrecht bei ungenügendem
Vollzug der Bundesgesetze zu beschränken.
§3
Bayern erhält im Bundesrate je 6 Stimmen.
§4.
Die in Artikel 19 der Bundesverfassung vorgesehenen Exeku-
tionsrechte stehen Bayern gegenüber dem Bunde nicht zu.
§5
Die Gemeinsamkeit der Steuern und der Gesetzgebung (darüber
Artikel 35 der Bundesverfassung) erstreckt sich für Bayern nicht
auf Bier und Branntwein.
246
§6
Der Ertrag der Zölle und der gemeinschaftlichen Verbrauchs-
abgaben (Artikel 38) fließt Bayern nach Verhältniß der Kopfzahl
der Bevölkerung zu, wogegen Bayern, soweit es bei den Bundes-
ausgaben betheiligt ist, an denselben in gleichem Verhältnisse durch
Matrikularbeiträge zu konkurriren hat.
§7
Eisenbahnen für Rechnung des Bundes anzulegen (Artikel 41)
ist dieser in Bayern nur nach vorgängiger Verständigung mit der
bayerischen Staatsregierung befugt.
§8
Das Post- und Telegraphenwesen (Artikel 48) behält Bayern
für sich, wird dasselbe jedoch nach den Gesetzen des Bundes ein-
richten.
§9
Anlangend das Bundeskriegswesen (Artikel Syff .) behält Bayern
seine eigene Armee, die es auf eigene Kosten erhält, daher zur Er-
haltung der übrigen Bundesarmee nicht konkurrirt, es wird aber
die bayerische Armee nach den Bundesvorschriften eingerichtet und
auf dem durch diese festgestellten Stande erhalten werden, auch
bleibt dem Bundesfeldherrn der Oberbefehl im Kriege auch über die
bayerische Armee. Dieselbe kann von ihm jederzeit auch im Frieden
inspizirt werden.
§ 10
Festungen (Artikel 65) können in Bayern nur mit Zustimmung
der bayerischen Staatsregierung angelegt werden.
§11
Die Befugniß, wegen Bedrohung der öffentlichen Sicherheit
den Kriegszustand zu verhängen, steht in Bayern dem Bundesfeld-
herrn nicht zu (Artikel 68).
§ 12
In Betreff der Bundesfinanzen (Artikel ögf.) richten sich die
Rechte und Pflichten Bayerns nach § 7.
§13
Die in Bayern gegen den Bund begangenen Verbrechen (Ar-
tikel 75) werden vor den bayerischen Gerichten abgeurtheilt.
§ 14
In Verfassungsstreitigkeiten (Artikel 76) hat sich der Bund,
wenn solche zwischen der Krone Bayern und der bayerischen
Landesvertretung entstehen sollten, nur dann einzumischen, wenn
er von beiden Theilen angegangen wird.
§15
Veränderungen der Bundesverfassung (Artikel 78), durch
welche die Rechte und Pflichten des bayerischen Staates als Bun-
desglied alterirt werden, sind an die Zustimmung der Krone
Bayern gebunden und bleibt hierbei die Bestimmung, ob S. M.
der König der Mitwirkung der Landesvertretung bedürfe, der
Landesgesetzgebung überlassen.
247
Werden in Bayern diese Modifikationen bewilligt, so kann die
Reform der Bundesverfassung der weiteren Entwicklung innerhalb
des Bundes selbst überlassen bleiben. h. a.a.
5. Deutsche Verfassungsskizze von Lasker.
(Abschrift.)
I.
Artikel 4 der Bundesverfassung soll keine Restriction erleiden ;
dagegen dürfte es keinen wesentlichen Schwierigkeiten unterliegen,
die Stimmenzahl Bayerns im Bundesrathe auf die doppelte des
nächstgrößten Staates zu erhöhen, also etwa auf 8 zu bestimmen,
vorausgesetzt, daß auch die Stimmenzahl Preußens dahin erhöht
wird, daß seine künftige Stimmenzahl zur künftigen Gesamt-
stimmenzahl in dem bisherigen Verhältnisse bleibt.
IL
Artikel 19 soll zwar nicht auf Bayern unanwendbar erklärt,
aber gleichzeitig mit dem Beitritt Bayerns in einer Weise geändert
werden, daß genügender Schutz gegen willkürliche Handhabung
den Einzelstaaten gegenüber gegeben ist.
III.
Daß sich die Gemeinsamkeit der Steuern und der Gesetzgebung
darüber für Bayern nicht auf Bier und Branntwein beziehen soll,
wird als ein Bayern einzuräumendes Sonderrecht anerkannt.
IV.
Artikel 41 der Bundesverfassung soll für Bayern dahin modi-
fiziert werden, daß Eisenbahnen für Rechnung des Bundes in
Bayern ohne Zustimmung der bayerischen Regierung zwar auf
Grund eines Bundesgesetzes im Interesse der Vertheidigung des
Bundes, nicht aber im Interesse des gemeinsamen Verkehrs errichtet
werden können.
V.
Soferne Bayern sein Post- und Telegraphenwesen den Vor-
schriften des Bundes gemäß einrichtet und verwaltet, wird dagegen,
daß es diese Anstalten selbständig behält, keine prinzipielle Er-
innerung gemacht, wenn sich die Maßregel als ohne Schädigung der
Gemeinsamkeit technisch durchführbar herausstellt.
VI.
In Beziehung auf das Bundeskriegswesen ist fest zu halten, daß
die Gesetzgebung und die Lasten sowohl für den Staat als für den
Einzelnen in Bayern dieselben wie sonst im Bunde sein müssen;
wogegen im übrigen die Vereinbarungen zwischen den beiden
Monarchen über die Bayern in dieser Branche einschließlich des
Festungswesens einzuräumenden besonderen Befugnisse bei der
Legislative keinen Schwierigkeiten begegnen dürfen.
VII.
Artikel 68 der Bundesverfassung soU zwar auch auf Bayern
Anwendung finden, jedoch wird die Forderung als gerecht aner-
kannt, daß das darin vorgesehene Bundesgesetz gleichzeitig mit
dem Eintritt Bayerns erlassen werde.
248
VIII.
Die Vorschriften über Regulirung des Bundesbudgets sind
mit den Bayern schließlich gewährten Sonderrechten in Überein-
stimmung zu bringen.
IX.
Gegen eine entsprechende Modifizirung des Artikel 75 wird
nichts erinnert, ebenso wird gegen einen Vorbehalt, daß Absatz 2
des Artikels 76 nur dann Anwendung auf Bayern finden soll, wenn
Regierung und Landesvertretung zugleich auf Vermittlung durch
den Bund anträgt.
X.
Dem Bedenken zu Artikel 78 soll dadurch abgeholfen werden,
daß für Verfassungsänderungen überhaupt eine größere Mehrheit
im Bundesrathe bestimmt und außerdem Bayern gegen solche
Änderungen, wodurch sein Stimmrecht oder eines der ihm ein-
geräumten Sonderrechte berührt wird, ein freies Veto gegeben wird.
H.A. A.
6. 1870 Sept. 17. Deutscher Verfassungsentwurf von
Freiherrn v. V ölderndorff.
(Abschrilt.)
Art. I.
Das Königreich Bayern tritt in eine verfassungsmäßige Ver-
bindung mit dem Norddeutschen Bunde, welcher in Folge dessen
den Namen eines ,, Deutschen Bundes" annimmt.
Art. II.
Als Grundlage der Verfassung dieses Deutschen Bundes wird
im Allgemeinen die Verfassung des Norddeutschen Bundes vom
16. April 1867 angenommen und zu den einzelnen Artikeln der-
selben Nachstehendes festgestellt.
Art. III.
§ I. Zu Art. 6.
Bayern wird in dem Bundesrathe 6 Stimmen führen.
Art. IV.
§ 2. Zu Art. 8.
In dem ersten Ausschusse des Bundesrathes (Militär) wird
Bayern jederzeit durch ein von S. M. dem König von Bayern zu
bestimmendes Bundesmitglied vertreten sein.
§ 3.
Hinsichtlich der Ausschüsse für Zoll- und Steuerwesen, für
Handel- und Verkehrs- sowie für Rechnungswesen hat es bei den
Bestimmungen des Art. 8 und 3 des Zollvertrages sein Bewenden.
Art. V.
§ 4. des Bündnisses vom 26. V. 1849. § 4 zu Art. 11.
Das Bundespräsidium ist verpflichtet, den Bundesrath über den
Gang diplomatischer Verhandlungen, welche zur Abwendung der
Gefahr äußeren Krieges oder zum Abschluß von Allianzen oder
behufs Herstellung des gestörten Friedens geführt werden, in voll-
ständiger Kenntniß zu erhalten.
249
§ 5-
Zu etwaigen Friedensverhandlungen nach einem Bundeskriege
wird stets auch ein von S. M. dem König von Bayern zu ernennender
Vertreter Bayerns zugezogen werden.
§6.
Gegen den Beschluß von drei Viertheilen der Stimmen des
Bundesraths, also gegen 44 Stimmen, kann ein Bundeskrieg nicht
erklärt werden.
§7-
Es werden unter den zu ernennenden Bundes-Gesandtschaften
durch das Bundespräsidium drei Posten bezeichnet werden, für
welche die Vertreter auf den Vorschlag Sr. M. des Königs von Bayern
ernannt werden sollen.
§8.
Den Bundesgesandtschaften in Wien, Paris und Rom wird ein
von S. M. dem Könige von Bayern zu ernennender Legationsrath
beigegeben, welcher als Bundesbeamter angesehen werden soll und
alle Rechte und Plichten eines solchen besitzt.
Art. VI.
§9. Zu Art. 35.
Die Bundesgesetzgebung über die Besteuerung des Branntweins
und Bieres erstreckt sich nicht auf den Umfang des Königreichs
Bayern diesseits des Rheins, es wird jedoch möglichste Überein-
stimmung der Belastung dieser Objekte auch für das diesseitige
Bayern angestrebt werden.
Art. VII.
§ 10. Zu Art. 36.
Hinsichtlich der Erhebung und Verwaltung der Zölle und Ver-
brauchssteuern und deren Überwachung hat es bei den Bestimmun-
gen des Zoll Vertrages sein Bewenden.
Art. VIII.
§ II. Zu Art. 38.
Der Ertrag der Zölle und Verbrauchssteuern verbleibt Bayern
und hat es hinsichtlich der Vertheilung der gemeinsamen Einnahmen
bei den Bestimmungen des Zollvertrages sein Bewenden.
Art. IX.
§ 12. Zu Art. 41.
Das Bundespräsidium wird in Bayern nur mit Zustimmung
der Bayerischen Regierung Bundes-Eisenbahnen anlegen oder an-
legen lassen.
Art. X.
§13-
Die Artikel 48, 49 und 50 der Norddeutschen Bundesverfassung
finden auf Bayern keine Anwendung.
Art. XI.
§ 14. Zu Art. 56.
Das Bundespräsidium wird eine dem Stimmenverhältniß im
Bundesrathe angemessene Anzahl bayerischer Staatsangehöriger zu
250
den Posten der Consiiles missi berufen, auch vor Ernennungen zu
Bundeskonsuln die zu wählende Person der K. Bayerischen Re-
gierung mittheilen und deren etwaige Erinnerungen thunlichst be-
rücksichtigen.
Art. XII.
§ 15. Zu Art. 61.
Vorerst findet der Art. 61 auf Bayern keine Anwendung; doch
soll alsbald eine allgemeine deutsche Militärgesetzgebung für den
Bund eingeführt werden, hierbei ist die preussische Gesetzgebung
zur Grundlage zu nehmen.
Art. XIII.
§ 16. Zu Art. 62.
S. M. der König von Bayern wird mindestens eine gleich hohe
Summe, wie die in Art. 62 bezifferte, auf die bayerischen Militär-
einrichtungen verwenden und hierüber stets die erforderlichen Nach-
weisungen liefern. Im Übrigen findet Art. 62 auf Bayern keine An-
wendung.
Art. XIV.
§ 17. Zu Art. 63.
Die dem Bundesfeldherrn im Frieden zustehenden Rechte
werden in Bayern durch den Bundesrathsausschuß für Militärwesen
ausgeübt.
§18.
Die Bestimmung der Bekleidung der bayerischen Armee bleibt
S. M. dem König von Bayern allein überlassen.
Art. XV.
§ 19. Zu Art. 64.
Die in Art. 64 getroffenen Bestimmungen finden auf Bayern
keine Anwendung.
Art. XVI.
§ 20. Zu Art. 65.
Das Bundespräsidium wird innerhalb des Königreichs Bayern
von dem im Art. 65 ihm eingeräumten Rechte keinen Gebrauch
machen.
Art. XVII.
§ 21. Zu Art. 68.
Preussen verpflichtet sich, den Kriegszustand in Bayern nur
mit Zustimmung der bayerischen Regierung zu erklären.
Art. XVIII.
§ 22. Zu Art. 71.
Von den gesetzlich für jedes Etatsjahr festgestellten Bundes-
ausgaben wird Bayern die nach seiner Bevölkerungszahl auf das-
selbe auszuschlagende Quote in zwei Hälften, die erste bis längstens
I. Juli jeden Jahres, an die Bundeskasse abführen.
Art. XIX.
§ 23. Zu Art. 75.
Insolange ein gemeinsames Bundesobergericht nicht besteht,
werden in Bayern gegen den Bund begangene Verbrechen nach
251
bayerischen Gesetzen und vor dem zuständigen bayerischen Ge-
richte abgeurtheilt werden.
Art. XX.
§ 24. Zu Art. 78.
Vorschläge auf Abänderung der Verfassung gelten auch bei
Annahme durch zwei Drittheile des Bundesrathes als abgelehnt,
wenn Bayern sich in der Minderheit des Bundesrathes befindet.
H.A.A.
7. Stuttgart 1870 September 19 (präsentiert 21.). Gesandter
V. Gasser an den König von Bayern.
(Original.)
Ich habe mehrere längere Unterredungen mit dem Grafen von
Taube, mit dem Cabinetschef Freiherrn von Egloffstein und mit
dem Justizminister von Mittnacht gepflogen. — Letzerer wird über
alle brennenden Fragen von Seiner Majestät dem Könige zu Rathe
gezogen und wird wohl in der allernächsten Zeit, insoweit General
von Suckow es zuläßt, die maßgebendste Persönlichkeit hier seyn.
Ich habe diesen Herren die in München eingetroffenen Nach-
richten nicht vorenthalten und sie waren wenig erbaut zu erfahren,
daß Graf Bismarck an eine Modifikation der norddeutschen Bun-
desverfassung wahrscheinlich nicht denke. Sie erklärten mir mit
aller Bestimmtheit, daß ein Eintritt in den Norddeutschen Bund
mit aller Entschiedenheit von Württemberg verweigert werden
würde; ja die Herren Lasker und von Bennigsen, welche vorgestern
hier eingetroffen sind, hätten den Führern der hiesigen ,, deutschen"
Partei gerathen, von ihrem dahin zielenden Verlangen ein für alle
Mal abzustehen.
Herr von Mittnacht gelangt zu folgendem Resultate : gegenüber
dem Begehren der ,, deutschen" Partei nach engerem Anschlüsse an
Norddeutschland und den ebenso ungeeigneten Forderungen der
,, demokratischen" Partei in Hinsicht der Umgestaltung des Militär-
systems wäre es im Interesse der Regierung, den jetzigen Augenblick
zu benützen, um durch eine Vereinbarung mit der preußischen
Regierung, auf Grundlage der gemeinschaftlich gewonnenen Er-
fahrung, einen Zustand zu schaffen, welcher, obigen Verlangen so
viel thunlich Rechnung tragend, die Lage fixire und künftigen
Wühlereien der Parteien den Boden entziehe.
Da aber allem Anscheine nach an eine Umwandlung des jetzigen
Norddeutschen Bundes in einen die Selbstständigkeit der Staaten
wahrenden Deutschen Bund nicht wohl zu denken ist, entstehe die
weitere Frage, welche Gegenstände sich denn als Objekt für eine
Vereinbarung eignen und in welcher Form diese Vereinbarung zu
geschehen habe.
Vor allem, und auch Preußen am nächsten berührend, wäre
eine Verständigung bezüglich der Armee; nach dem so glänzenden
Feldzuge kann man sich der Wahrscheinlichkeit nicht verschließen,
daß Frankreich bedacht seyn wird, sobald nur immer möglich Ver-
geltung zu versuchen; ein zweiter siegreicher Feldzug wird wohl
erst Ruhe vor Frankreich schaffen. — Es läge also im Interesse der
süddeutschen Staaten, gestützt auf die jetzt gemeinschaftlich ge-
wonnene Erfahrung, gleichmäßige Prinzipien für die Aufstellung
des gesammten deutschen Heeres zu gewinnen; wodurch, bei ver-
252
tragsmäßiger Feststellung, indirekt das ständische Recht der Aus-
gabenbewilligung verhältnißmäßig allerdings beschränkt würde.
Was nun die Form betrifft, so würde man hier einen Vertrag
für das Geeignetste halten. — Die Herren Lasker und Bennigsen
erklärten aber Herrn von Mittnacht, daß der norddeutsche Reichs-
tag einen Militärvertrag nie zulassen werde, und zwar, weil sofort
nach dem Friedensschlüsse die liberalen in Berlin Erleichterungen
betreffs der Militärlast verlangen würden und sich die Möglichkeit
des Erfolges dadurch nicht entziehen lassen könnten, daß die Bun-
desregierung sich, den süddeutschen Staaten gegenüber, zu bestimm-
ter Leistung verpflichtet hätte. — Sie denken also an die Überwei-
sung der Militärfrage an das Zollparlament.
Weder hierüber, natürlich, noch über sonstige Gegenstände,
welche etwa gemeinschaftlich behandelt werden könnten, ist die
hiesige Regierung zu einem Entschlüsse gelangt; alles dieses ist
in ihrem Schooße nur vorläufig besprochen worden und Herr von
Mittnacht hat mir den heißen Wunsch der Regierung ausgesprochen,
sich vor allem mit Bayern zu verständigen und pari passu mit
Eurer Königlichen Majestät Regierung zu gehen. — Nachdem der
preußische Gesandte hier mitgetheilt hat, daß Herr von Delbrück
demnächst nach München kommen werde, hierher zu gehen aber
vermeiden möchte, weil er sonst auch nach Carlsruhe und nach
Darmstadt sich begeben müßte, hat die hiesige Regierung nach
München den Wunsch geäußert, einen Abgesandten zu den Be-
sprechungen mit Herrn von Delbrück nach München abzuordnen;
Justizminister von Mittnacht würde diese Mission erhalten und,
sobald die Antwort Eurer Königlichen Majestät Regierung hier
eingelaufen seyn wird, hofft er noch vor der Ankunft des Herrn von
Delbrück in München eintreffen zu können, um mit dem Herrn
Grafen von Bray zu conferiren.
Zum Schlüsse bitte ich allerehrfurchtsvoUst hinzufügen zu
dürfen, wie abermals beim Durchlesen der norddeutschen Bundes-
verfassung darin die ganze Confiscation durch Preußen aller wesent-
lichen Regierungsrechte und aller Haupt-Finanzquellen der Staaten
sich mir wiederholt vergegenwärtigt hat. —
Bedenkt man, daß die süddeutschen Staaten die gesegneteren,
reicheren Länder Deutschlands sind, auch die besseren Volk sstämme
enthalten, so kann man sich des Gefühls nicht erwehren, daß jedes
Aufgeben von Rechten ohne Gegenleistung zu Gunsten Nord-
deutschlands nach und nach für die Dynastien wie für die Länder
verderblich werden müsse. — Will Preußen von seiner absorbi-
renden Politik nicht ablassen, dann dürfte der Status quo ante
bellum jeder Änderung vorzuziehen seyn und sowohl in Bayern als in
Württemberg von der Treue und Vaterlandsliebe ratificirt werden.
Erfolgreiches Verlangen nach Änderung des Militärsystems
dürfte aber nach den neuesten Ereignissen nicht zu befürchten seyn.
M.St.A.
8. Berlin 1870 September 19 (präsentiert 21.). Freiherr
V. Perglas an Graf Bray.
Vertraulichst. (Onginai.)
Lieber Freund!
Delbrück hat mich heute ins Bundeskanzleramt gerufen zum
Austausche der gewissen Ministerial-Erklärungen.
253
Ich sagte ihm dann, wie er ,, willkommen" in München sei,
worauf er mir erwiederte, daß er ja einem von München geäu-
ßerten Wunsche entgegenkomme, deßhalb auch mehrere Tage
früher das K. Hauptquartier verlaßen habe, als es seine Absicht
gewesen sei.
Über seine Mission äußerte sich der Staatsminister nicht ein-
gehend, doch hörte ich von ihm zuerst, daß für den künftigen
Friedens-Abschluß eine deutsche Fürsten-Conferenz, ein Fürsten-
Congreß, in Aussicht genommen werde, und von einer anderen Seite
vernehme ich, daß er auf französischem Boden stattfinden soll;
darüber weißt Du vielleicht mehr als ich.
Thile konnte ich heute nicht sprechen; gleichwohl habe ich
mich bemüht mich zu informiren, wie Delbrück in München zu
operiren gedenke, und habe hiefür ganz verläßige Daten erhalten.
Eine Initiative soll Delbrück nicht nehmen, daher bringt er keine
Vorschläge und erwartet vielmehr das Entgegenkommen und die
Anträge Bayerns. Delbrück sagte mir allerdings so viel, daß die
Erwerbung französischen Gebiets, die nach seiner Ansicht
unerläßlich ist, den Anlaß biete in militärischer und politischer
Beziehung sich zu besprechen und zu verständigen, aber war im
Übrigen schweigsam.
Nun, meine ich, muß die bayerische Regierung in Berück-
sichtigung der politischen Lage und gewisser nothwendiger Con-
sequenzen des Krieges und der nationalen Stimmung in der deut-
schen Frage, nämlich der künftigen Gestaltung Deutschlands,
Entgegenkommen bezeugen, aber im ^'oraus gegenüber Del-
brück sehr bestimmt die Gränze dieser Concessionen gezogen
haben. Von Bayern wird das Geschick Süddeutschlands abhängen.
Die Grundsätze, die Du vertrittst mit Deinen Kollegen, verbürgen
wohl, daß der Krone und Selbständigkeit Bayerns nichts wird
vergeben werden. Von hier aber werden die heftigsten Anläufe
genommen, um den Boden des patriotischen conservativen
Ministeriums zu untergraben, den König zu gewinnen, dessen
nächste Umgebung man mehr oder weniger als diesen preußischen
national-liberalen Wühlern geneigt betrachtet, deren Ge-
nosse Stauffenberg ist, aber auch nicht weniger Tauffkirchen, der
ja immer nur da verwendet wird, wo es ihm gilt seine Person für
diese Interessen zu verwerthen. Die nationalliberale Partei hat
deßhalb das terrain in München aufgesucht, und möglich ist, daß
sie die Anwesenheit Delbrücks benützt, um Pression nach Oben und
Unten zu üben. Delbrück hält stets Fühlung mit diesen Leuten,
daher warne ich. Hier träumt diese Partei schon von einem
nahenden Ministerium Hohenlohe, Tauffkirchen, Stauffenberg,
Luxburg, und kömmt ihre Zeit, würde es bald aus sein mit der
Souveränität des Königs von Bayern.
Entgegen bin ich versichert, daß je bestimmter Bayern auf
Grund der Interessen seiner politischen Existenz das Programm für
die neue Gestaltung Deutschlands selbst aufstellt und die Gränze
seiner (etwaigen) Concessionen bezeichnet, desto mehr wird es
geachtet werden. Delbrück darf keinem Schwanken, keiner Unent-
schiedenheit, keiner Disharmonie im Ministerium, am Allerwenig-
sten aber national-liberalen Zusicherungen an offiziellen Stellen
und bei triebigen Persönlichkeiten begegnen (welche Letztere
254
beßer an ihren Posten wären), sondern im Gegentheile muß er die
bayerische Regierung fest und entschloßen finden, die Selbständig-
keit des Landes zu erhalten, wie es schon Deine Sorge war beim
Ausbruche des Krieges und wofür Dir direkt und durch mich die
besten Zusicherungen gemacht worden sind, von denen nur zu pro-
iftiren ist. Pression will man auch hier nicht üben, aber man läßt
sie ausüben. Der König unser Allerhöchster Herr will Sich nichts
vergeben, aber von Oben scheint doch ein Wind zu wehen, im Wider-
spruche mit den conservativen Grundsätzen, welcher die ganze
liberal-nationale Sippschaft in Berlin in die freudigste Stimmung
versetzt, um das lerrain in München und dadurch ganz Süddeutsch-
land gewinnen zu können.
Daß Bayern die Initiative nimmt bezüglich der Lage und neuen
Ordnung der Dinge, ist vortrefflich. Die Zeitverhältniße sind zudem
günstig, indem mehr als je die Fürsten sich im monarchischen Inter-
esse aneinander zu schließen haben. Die Achtung für Bayern und
Anerkennung seiner Leistungen, die es aus eigener selbständiger
Kraft vollbracht hat, ist so groß, daß man mit uns rechnen wird.
Delbrück ist entfernt kein Diplomat und muß mit ihm ganz
positiv verkehrt und verhandelt werden. Versichere ihm von
Anfang an, daß die National-liberalen sich irren, wenn sie etwa ihm
(Delbrück) weiß machen woUen, daß das terrain in München bereits
gewonnen sei.
Ich stelle Dir auch anheim, von meinem Briefe den Gebrauch
zu machen, der Dir geeignet erscheint, insbesondere bei Deinen
Kollegen.
Mit aufrichtigsten und treuen Gesinnungen
Dein ergebener Perglas. m.si.a.
9. Lagny 1870 September 21 Abends (präsentiert 27.). Bericht
des Grafen v. Berchem.
Ich habe Heute Mittags Seine Excellenz den Grafen Bismark
in Ferrieres gesprochen und ihm den Inhalt des hohen Erlasses vom
II. September bekanntgegeben. Der Bundeskanzler schien von
dem Inhalte des hohen Erlaßes angenehm berührt zu sein und bat
mich, ihm streng vertraulich Abschrift zu laßen, was ich — ohne
Autorisation nicht angetragen hätte, nachdem es aber verlangt
wurde, nicht glaubte verweigern zu dürfen.
In Betreff der künftigen inneren Gestaltung Deutschlands
begann Graf Bismark zu bemerken, daß er auf die Frage, ob der
Fortbestand des jetzigen Nordbundes oder dessen Ersetzung durch
einen auf veränderten Grundlagen zu errichtenden allgemeinen
Deutschen Bund in Aussicht genommen sei, vorerst eine bestimmte
Antwort abzugeben nicht in der Lage sei. Es komme hiebei zu-
nächst darauf an, welches die Wünsche der süddeutschen Staaten
seien, und handle es sich darum zu wissen, ob — je nach dem Re-
sultate der erzielten Verständigung — der Zuwachs an Macht, den
das in sich zu festigende Deutschland durch Erweiterung des Bundes
auf Süddeutschland erhalten solle, einen Ersatz bieten würde für
den eventuellen Verzicht auf die enge Centralisation des Norddeut-
schen Bundes, die doch zunächst Deutschland zu der gegenwärtigen
dominirenden Stellung in Europa verholfen habe.
255
Es seien verschiedene Wege denkbar, fuhr Graf Bismark fort,
um die Verbindung zwischen den deutschen Staaten zu kräftigen;
und besprach Seine Excellenz zuerst die Möglichkeit der Erstreckung
des Norddeutschen Bundes auf ganz Deutschland unter allgemeinem
Verzichte auf gewisse der Centralgewalt im Norddeutschen Bunde
bisher zuständigen Rechte. In dieser letzteren Beziehung könnten
allerdings preußischerseits Concessionen gemacht werden, allein
der Bundeskanzler betonte, daß dieselben über ein gewisses Maß
nicht hinausgehen könnten, und schien er selbst daran zu zweifeln,
daß dieselben den deutschen Süden — speciell Bayern — befriedigen
würden. Allerdings wurde als zuläßig erachtet, Bayern, welches
allein an Größe um mehr als zweimal den größten süddeutschen
Staat überrage, hiebei ein besonderes Präcipuum in der Weise ein-
zuräumen, wie es der K. bayerischen Regierung etwa convenire
und wie es selbst im Deutschen Reiche von einzelnen Churfürsten-
thümern und Kreisen besessen worden sei. Diese Eventualität
schien dem Herrn Grafen zunächst für den Fall vorzuschweben,
wenn, wie dieß als Hypothese bemerkt wurde, nicht bloß Baden,
sondern auch Württemberg in dem bisherigen Norddeutschen Bunde
einbegriffen würde.
Auch den Fortbestand des bisherigen Status quo unter Regelung
derjenigen Punkte, in denen Seitens der süddeutschen Staaten eine
Verständigung gewünscht werden würde, berührte der Bundeskanzler
oberflächlich und so zu sagen — nebenbei. Ich glaubte jedoch zu
entnehmen, daß dieß als eine Lösung des Problems seinerseits
nicht erachtet werde.
Vorzüglich besprach Seine Excellenz — ohne in eine Detailfrage:
einzugehen — die Eventualität der Forterhaltung des Norddeut-
schen Bundes unter Abschluß eines weiteren Bundes mit Süddeutsch-
land, wobei, behufs Creirung der Verfaßung des weiteren Bundes,
den süddeutschen Staaten gegenüber aus der norddeutschen Bun-
desverfaßung dasjenige gestrichen würde, was den süddeutschen
Staaten nicht convenire. Dieß scheint mir Graf Bismark als den
am nächsten liegenden Weg zu betrachten und legt Derselbe großen
Werth darauf — innerhalb dieses Rahmens — Vereinbarungen zu
erzielen, welche es der deutschen Demokratie unmöglich machten,
die deutschen Staaten und speciell die — nach Ansicht des Herrn
Grafen zunächst in dieser Beziehung bedrohten — süddeutschen
Staaten militärisch wehrlos zu machen. In der eventuellen Reali-
sirung dieser Idee erblickt Graf Bismark die Schaffung des Deut-
schen Reiches. — Obgleich es hier nicht speciell erwähnt wurde,
bin ich der Überzeugung, daß auch bei dieser Art und \\'eise der
Gestaltung der inneren Verhältnisse Deutschlands für Bayern
speciell eine besonders privilegirte Stellung zu erreichen wäre.
In diesem Sinne — bemerkte Graf Bismark weiter — habe er
sich gegenüber Excellenz von Delbrück, dem Präsidenten des
Bundes-Kanzleramtes, geäußert, welcher seiner Aufforderung gemäß
bereits in München eingetroffen sein müsse, um die Wünsche der
K. Regierung zu vernehmen, hiebei Detailfragen zu besprechen und
Aiifschlüße zu geben, wenn sie verlangt werden sollten. Von den
süddeutschen Staaten mehr zu verlangen, als dieselben selbst zu
bieten bereit seien, wurde als vollkommen unzuläßig bezeichnet.
256
An eine Eventualität sei jedoch nicht zu denken, — daß
Theile des gegenwärtigen Norddeutschen Bundes — das König-
reich Sachsen zum Beispiel — aus diesem engeren Verband heraus-
gelaßen würden, um dann in nähere Beziehungen zu Süddeutsch-
land zu treten. Dieß sei in Sachsen selbst nur der Wunsch einer
particularistischen Minorität, die im allmählichen Absterben be-
griffen sei. — Ein Gleiches gelte von Hessen.
Man habe ihm — dem Bundeskanzler — sogar Vorschläge
unterbreitet von gewisser Seite, welche gegen die Selbstständigkeit
der kleineren Staaten des Norddeutschen Bundes gerichtet waren,
allein darauf werde er niemals eingehen, da er auf die Verfassung
des Norddeutschen Bundes beeidigt sei und vor die Gerichte ge-
stellt werden könnte.
Für den einfachsten — wenn nicht den einzigen — Weg, die
vielen zu lösenden Fragen zu erledigen, hält Graf Bismark den
seinerzeitigen Zusammentritt der deutschen Souveraine unter Bei-
ziehung ihrer Minister. Durch loyale Besprechung der Souveraine
unter sich könne am Leichtesten eine Verständigung erzielt werden,
welche noch ganz andere als hochpolitische Rücksichten erheischten.
Die gemeinsame Gefahr des Continentes sei der Socialismus mit
seinen Gefahren nicht bloß für die staatlichen, sondern auch für die
gesellschaftlichen Existenzen — bis zur letzten Verirrung der Ne-
girung des Privateigenthums und namentlich des Grundeigen-
thums. Diese Gefahr sei kein bloßes Gespenst mehr, und drückte
der Bundes-Kanzler die Hoffnung aus, Rußland, wenn es seinen
slavischen Interessen entsagen wollte, und Österreich, wenn das-
selbe weniger politisirte, dieser gemeinsamen Gefahr gegenüber
Deutschland zu nähern.
Das von mir Heute Mittags in Ferrieres aufgegebene Telegramm
lautete:
Erlaß vom ii. September erhalten. Delbrück ist in dieser
Sache vom Grafen Bismark instruirt und in der Lage, Aufschlüße
zu geben. Ersterer ist wohl schon in München eingetroffen. Bericht
folgt. M.St.A.
IG. München 1870 September. Protokoll der Münchener
Konferenzen.
(Abschrift.)
Die Excellenzen
Staatsminister und Präsident des Bundeskanzleramtes des
Norddeutschen Bundes Herr Delbrück,
der K. württembergische Justizminister Herr v. Mittnacht,
dann die K. bayrischen Staatsminister
Herr Graf v. Bray,
Herr v. Pfretzschner,
Herr v. Schlör,
Frhr. v. Prankh,
Herr v. Lutz,
Herr v. Braun
sind in den Tagen vom 22ten bis 26. September in München zu-
sammengetreten, um Vorbesprechungen über die Bildung eines
die sämmtlichen deutschen Staaten in sich begreifenden Verfassungs-
bündnisses zu haben.
257
Von Seiten Sr. Excellenz des Herrn Staatsministers Delbrück
wurde erklärt, daß er nicht beauftragt sei, im Namen der preußischen
Regierung oder des Norddeutschen Bundes Vorschläge zu machen,
sondern den Propositionen der süddeutschen Regierungen ent-
gegensehe. Zugleich bemerkte er auf eine ihm gegebene Veranlassung,
daß Preußen noch keinen Grund gefunden habe, die Frage einer
näheren Erwägung zu unterwerfen, ob mit der Gründung eines all-
gemeinen Deutschen Bundes eine Änderung des zwischen den Staaten
des Norddeutschen Bundes bestehenden Verfassungs- Verhältnisses
zu verbinden sei, und daß er daher eine solche Änderung nicht vor-
auszusetzen habe. Man kam hierauf dahin überein, zu dem Zwecke,
um festzustellen, welchen Inhalt die Verfassung eines allgemeinen
Deutschen Bundes nach Auffassung der süddeutschen Regierungen
haben könnte, den Inhalt der Verfassung des Norddeutschen Bundes
nach der Folge ihrer Artikel zum Leitfaden für die nun folgenden
Besprechungen zu nehmen mit dem selbstverständlichen Vorbehalte
einer neuen Anordnung der Materien und der sich voraussichtlich
als nothwendig darstellenden neuen Redaktion.
Zum Eingang und Art. i wurde allseitig anerkannt, daß sie die
erforderlichen Modificationen zu finden hätten, deren Bezeichnung
im Einzelnen hier vorzunehmen aber kein genügender Anlaß ge-
funden wurde.
Zu
Art. 2
erklärten die Vertreter der K. bayrischen Regierung, daß gegen
Übernahme des ersten Satzes in die Verfassung des neuen Deutschen
Bundes kein Bedenken obwalte, daß dagegen statt der weiteren
Sätze dieses Artikels die Aufnahme der in dem Zollvereinsvertrage
enthaltenen Bestimmungen über die Publikation der gemeinschaft-
lichen Gesetze gewünscht werde, wonach diese Publikation nicht
im Reichsgesetzblatte, sondern von den Regierungen der einzelnen
Staaten in deren Gesetzblättern vorzunehmen wäre, worauf S.
ExceUenz der Herr Staatsminister Delbrück unter dem Einver-
ständnisse Sr. Exe. des Herrn v. Mittnacht sich dahin aussprach,
daß die zuletzt erwähnte Publikationsform zwar für eine vertrags-
mäßige Verbindung mehrerer Staaten, wie der Zollverein eine solche
sei, nicht aber für mehrere in einer Gesammtverfassung einge-
schlossene Staaten als angemessen erachtet werden könne.
Der Inhalt des
Art. 3
wurde von Seiten der Vertreter der beiden süddeutschen Staaten
nicht beanstandet; es wurde jedoch bei der Besprechung dieses
Artikels ein allseitiges Einverständnis darüber konstatirt, daß die
Frage, ob und welche nach Emanation der Verfassung des Nord-
deutschen Bundes für dessen Gebiet erlassene Gesetze auch für das
Gebiet der süddeutschen Staaten Geltung erlangen sollten, einer
besonderen Feststellung bedürfe.
Zu
Art. 4
wurde die Frage über die ,, Beaufsichtigung Seitens des Bundes"
späterer Erörterung vorbehalten.
Anlangend die einzelnen Ziffern dieses Artikels, so proponirte
die bayrische Regierung in Anbetracht, daß ihr zwar ernstlich und
Doeberl. Bayern und die Bismarckische Reichsgründung. I?
258
aufrichtig darum zu thun sei, in dem neuen Deutschen Bunde ein
lebensfähiges Verfassungsgebilde zu schaffen, und daß sie deshalb
der Gemeinschaft alle unentbehrlichen Opfer zu bringen bereit sei,
daß ihr aber ebenso dringlich die Erhaltung der Selbstständigkeit
der einzelnen Staaten am Herzen liege und deshalb von ihr alle
entbehrlichen Abtretungen von Regierungsrechten etc. abgelehnt
werden müßten, zu
Ziffer I
zwar die Gesetzgebung über Freizügigkeit, Paßwesen und Fremden-
polizei, das Versicherungswesen — abgesehen vom Immobiliar-
versicherungswesen — , über Kolonisation und die Auswanderung
nach außerdeutschen Landen der Bundeskompetenz zu überweisen,
dagegen die Gesetzgebung über die Heimaths- und Niederlassungs-
verhältnisse (im Hinblick auf den einschneidenden Eingriff in die
neue bayrische Socialgesetzgebung), über Staatsbürgerrecht und
den Gewerbebetrieb (ersteres in Anbetracht des engen Zusammen-
hanges der betreffenden Bestimmungen mit dem bayrischen
Staatsverfassungsrechte, letzteres wegen Mangels einer absoluten
Nothwendigkeit gemeinsamer Gesetzgebungen) den Einzelnsou-
veränetäten vorzubehalten.
Dem gegenüber sprach sich S. Excellenz Herr Staatsminister
Delbrück mit besonderem Nachdrucke für die Nothwendigkeit der
Gemeinsamkeit der Gewerbegesetzgebung und dafür aus, daß statt
der Competenz über das ,, Staatsbürgerrecht" dem Bunde die Com-
petenz der Gesetzgebung über ,, Bundes- und Staatsangehörigkeit"
eingeräumt werden möge, da im Hinblick auf die Handhabung der
Bestimmungen über diese Materie durch die deutschen Gesandten
und Consuln eine Einfachheit und Gemeinschaftlichkeit derselben
unentbehrlich sei.
Zur Motivirung des Vorbehaltes bezüglich der Immobiliar-
gesetzgebung wurde auf die eigenthümlichen bayrischen Einrich-
tungen bezüglich des Immobiliarversicherungswesens, die das ganze
Hypothekarwesen beherrschen, Bezug genommen. Der K. württ.
Bevollmächtigte unterstützte die Auffassung der K. bayr. Regierung
bezüglich des Wegbleibens der Bestimmungen über Heimaths- und
Niederlassungsverhältnisse.
Der Inhalt der
Ziffer 2
wurde von den Vertretern der süddeutschen Regierungen nicht
beanstandet vorbehaltlich der über das Steuerwesen bei dem Ab-
schnitte über das Bundesfinanzwesen zu machenden Bemerkungen.
Ebenso blieben die Ziffern 3, 4, 5 und 6 unbeanstandet. Im-
gleichen die
Ziffer 7.
Nur wurde hier von Seiten der bayrischen Regierung der Vorbehalt
gemacht, daß ihr namentlich im Hinblick auf diejenigen Orte, an
welchen lediglich die bayrische Industrie ein Interesse an Aufstel-
lung eines Consuls haben werde, das Recht verbleibe, bayrische
Consuln im Auslande aufzustellen und ausländische Consuln in
Bayern zu empfangen und mit dem Exequatur zu versehen.
S. Exe. Herr Staatsminister Delbrück erwiderte hierauf, daß
zwar der Empfang auswärtiger Consuln von Seite der bayrischen
259
Regierung in Anbetracht der Beschränkung des Wirkungskreises
solcher Consuln auf bayrisches Gebiet keinem Anstände begegnen
werde, die Abordnung bayrischer Consuln nach dem Auslande
dagegen nicht zulässig erscheine, aber auch nicht erforderlich sei,
da gerade darin eine der segensreichsten und imponirendsten Wir-
kungen des norddeutschen Verfassungsbündnisses gelegen gewesen,
daß das vielköpfige deutsche Consulatswesen sein Ende gefunden
habe und an dessen Stelle überall ein ,, deutscher Consul" getreten
sei und im Übrigen bereitwilligst auch da deutsche Consuln auf-
gestellt werden würden, wo auch nur ein einzelner Bundesstaat
ein Interesse daran habe.
Ziffer 8
wurde in der jetzigen Fassung von den Vertretern der bayr. Regie-
rung für unannehmbar erklärt, aber das Zugeständniß angeboten,
dem Bunde
1. die Festsetzung von einheitlichen Normen für Construc-
tionen und Ausrüstung der für die Landesvertheidigung wichtigen
Eisenbahnen und
2. das Recht zur Erbauung von Eisenbahnen für Rechnung des
Bundes auf bayrischem Gebiete auf Grund eines Bundesgesetzes
selbst ohne Zustimmung der bayrischen Regierung, soferne die
Eisenbahn im Interesse der Vertheidigung des Bundesgebietes als
erforderlich sich darstellt, zu überweisen. Der Vertreter Württem-
bergs schließt sich dieser Proposition an.
Ziffer 9
wurde nicht beanstandet,
Ziffer 10
dagegen als gänzlich unannehmbar abgelehnt, worauf sich S. Exe.
Herr Staatsminister Delbrück das Weitere hierüber bis zur Be-
sprechung des VIII. Abschnittes der Bundesverfassung vorbehielt.
Ziffer II
wurde von Seite der bayrischen und württembergischen Regierung
insoweit, als dieselbe von der Rechtshilfe in Civilsachen handelt,
nicht beanstandet und dabei bemerkt, daß gegen Ausdehnung des
für den Norddeutschen Bund erlassenen Rechtshülfegesetzes auf
das Gebiet des neuen Deutschen Bundes in soweit, als es die Civil-
rechtspflege im Auge hat, kein Bedenken obwaltet.
Dagegen wurde bemerkt, daß man nicht den gleichen Stand-
punkt bezüglich der Rechtshülfe in Strafsachen einzunehmen ver-
möge und daß nach ihrer Auffassung für das Gebiet des Straf rechtes
nur der Abschluß eines, allerdings möglichst weitgehenden Aus-
lieferungsvertrages übrig bleibe.
Ziffer 12
wurde nicht beanstandet,
Ziffer 13
erklärte die bayrische Regierung nur mit Einschränkung auf das
Handels- und Wechselrecht annehmen, bezüglich aller anderen hier
erwähnten Gesetzgebungsgebiete dagegen nicht genehm halten zu
können, indem sie hiebei auf die ihr für die Ausscheidung der Com-
petenzen zwischen dem neu zu gründenden Bunde und den Einzeln-
staaten maßgebenden Grundsätze sich berief und die Ansicht aus-
17*
260
sprach, daß diesen Grundsätzen gegenüber den von einzelnen Stän-
den gehegten Sympathien für eine weiter gehende Rechtsgemein-
schaft nur ein geringeres Gewicht beigelegt werden könne, abgesehen
von den Inkonvenienzen, die sich für Bayern aus dem Fallenlassen
seines vor Kurzem erst revidirten Strafgesetzbuches und Civil-
prozesses unter Annahme des norddeutschen Strafgesetzbuches
ohne Betheiligung an der Berathung desselben ergeben würden.
Nachdem S. Exe. Herr Staatsminister v. Mittnacht erklärt
hatte, daß Württemberg mindestens für Gemeinsamkeit der Ge-
setzgebung über das Obligationenrecht sich ausspreche, und ange-
regt hatte, ob nicht durch eine besondere Verfassungsbestimmung
gemeinsame Behandlung einzelner besonderen, im Art. 4 nicht auf-
gezählten Angelegenheiten unter den für Verfassungsänderungen
vorgeschriebenen Formen möglich gemacht werden könnte, sprach
sich Herr Delbrück mit besonderer Betonung für die Gemeinschaft-
lichkeit des Obligationenrechtes aus, die eine Consequenz des ge-
meinsamen Handelsgesetzbuches sei, worauf die bayr. Regierung
die Abtretung der Competenz über das Obligationenrecht an den
Bund als einZugeständniß bezeichnete, das nicht unbedingt von der
Hand gewiesen werden wolle. Die Ausdehnung der Zuständigkeit
des Bundes-Oberhandelsgerichtes in Leipzig auf Süddeutschland
erklärten die bayrische und württembergische Regierung unter der
Voraussetzung nicht beanstanden zu wollen, daß die sachliche
Competenz des Gerichtshofes und das Verfahren desselben für die
aus den süddeutschen Staaten an ihn kommenden Rechtssachen
nach den in diesen Staaten geltenden Prozeßgesetzen sich zu be-
messen hätte, eine Voraussetzung, die von Sr. Exe. dem Herrn
Minister Delbrück dann als selbstverständlich bezeichnet wurde,
wenn die Ziff. 12 im Übrigen nach Maßgabe der bayr. Vorschläge
gefaßt werde.
Ziffer 14
wurde vorbehaltlich der Besprechung der Details nicht beanstandet.
Zu
Ziffer 15
erklärte die bayrische Regierung, nach ihrer Auffassung solle sich
nach der Absicht der norddeutschen Bundesverfassung die Com-
petenz des Bundes auf Feststellung gemeinsamer medicinal- und
veterinärpolizeilicher Maßregeln zur Abwehr und Bekämpfung von
Epidemien und Seuchen und nicht weiter erstrecken. In diesem
Sinne halte sie die Ziffer 15 für annehmbar.
Art. 5
wurde nicht beanstandet, doch hätte der württ. Bevollmächtigte
gewünscht, daß statt ,, Einrichtungen" ,, gesetzlichen Einrichtungen"
gesagt würde. Aus Anlaß dieses Artikels wurde auf die Frage
zurückgegriffen, welche Stellung für die süddeutschen Staaten
gegenüber den seit Gründung des Nordbundes für denselben erlas-
senen Gesetzen die angemessene sei, und dabei allseitig anerkannt,
daß diese Gesetze nicht ohne Weiteres für den erweiterten Bund,
für den sie ja gar nicht promulgirt seien, Geltung erlangen könnten,
sondern eine spezielle Abmachung über Einführung dieser Gesetze,
und zwar eines jeden einzelnen von ihnen, sei es auf demselben
Wege, auf welchem die Verfassung zu Stande kommt, sei es auf dem
261
Wege der Verabschiedung mit dem neuen Parlamente, vorbehalten
bleibe.
Desgleichen wurde anerkannt, daß selbst bezüglich der dem
Bunde zugewiesenen Gegenstände die in den einzelnen Staaten
geltenden Gesetze und Verordnungen etc. in solange in Kraft bleiben
sollten und auf dem bisherigen Wege der Einzelngesetzgebung
abgeändert werden könnten, bis eine bindende Norm vom Bunde
ausgegangen sei.
Anlangend den Abschnitt vom Bundesrathe, so wurden die
Art. 6 u. 7
mit den selbstverständlich gebotenen Modificationen Seitens der
bayrischen Regierung für acceptabel erklärt. Die bayrische Re-
gierung sprach jedoch das Verlangen aus, daß ihr im Bundesrathe
nicht bloß 6 Stimmen, wie bisher im Zollbundesrathe, sondern deren
8 zuerkannt würden, welchem Verlangen gegenüber Herr Delbrück
und Herr v. Mittnacht das Bedenken aussprachen, daß dasselbe
zu großen Schwierigkeiten und insbesondere zu der Nothwendig-
keit einer umfassenden Revision des Abschnittes von den Stimm-
berechtigungen führen werde.
Art. 8
erklärte die bayrische Regierung für annehmbar, sie verlangte
jedoch das Vorrecht, daß in den unter Ziff. i, 3 u. 4 genannten Aus-
schüssen eine ständige Vertretung durch Bevollmächtigte einge-
räumt werde, welche Seine Majestät der König von Bayern zu er-
nennen habe.
S. Exe. Herr Staatsminister Delbrück erklärte diesem Ver-
langen gegenüber, daß gegen die gewünschte stete Vertretung
Bayerns in dem sub i genannten Ausschusse umso weniger ein
Anstand werde erhoben werden, als ein gleiches Vorrecht auch Sr.
Maj. dem Könige von Sachsen zugestanden sei, daß dagegen die Ein-
räumung eines gleichen Vorrechtes für die anderen Ausschüsse mit
dem Principe schwerlich vereinbar sein werde, wonach die Mit-
glieder derselben durch Wahl bestimmt werden müßten, während es
sich in Anbetracht der Wichtigkeit Bayerns von selbst so machen
werde, daß der bayr. Bevollmächtigte in denselben durch Wahl eine
Stelle finde.
Der Vertreter Württembergs behält sich eine Proposition be-
züglich der Vertretung Württembergs in dem Ausschusse zu i vor.
Bei Besprechung dieses Artikels wurde von den .Vertretern der
bayrischen Regierung in Anregung gebracht, daß die Zuständigkeit
und Aufgabe der Ausschüsse des Bundesrathes sogleich bei Fest-
stellung der Verfassung des neuen Deutschen Bundes bestimmter
normirt und festgestellt werden möge und zwar hauptsächlich in
der Absicht, damit die Vorlagen des Bundesrathes an den Reichstag
die zum Vollzuge der Bundesgesetze nöthig werdenden Instruktionen,
die in der Competenz der Bundesregierung liegenden Erlasse und
Verordnungen, mit einem Worte die ganze Geschäftsaufgabe des
Bundesrathes, in soweit dies der Natur der Sache nach von dem
Bundesrathe selbst geschieht, von dessen Ausschüssen als seinen
Organen vorbereitet und bearbeitet wird. Alles dies vorbehaltlich
des selbstverständlichen Initiativrechtes der einzelnen Bundes-
262
regierungen, ihren etwaigen Anträgen ausgearbeitete Projecte
zum Grunde zu legen.
Der Herr Justizminister von Mittnacht bemerkte hiezu, daß
vielleicht nähere Bestimmungen über Stellung und Befugnisse des
Bundesrats (vgl. Art. 37 der norddeutschen Bundesverfas-
sung), welche auch sonst (Art. 17) als wünschenswert erscheinen,
die Erreichung des von der K. bayr. Regierung angestrebten Zieles
sichern würden.
Die Art. 9 u. 10
wurden nicht beanstandet.
Bezüglich der Bestimmungen über
das Bundes-Präsidium
und insbesondere den
Art. II,
so war allseitiges Einverständniß darüber vorhanden, daß auch an
der Spitze des neuzubegründenden Deutschen Bundes ein Bundes-
präsidium stehen solle, das selbstverständlich Seine Majestät der
König von Preußen zu führen haben werde.
In Ansehung des dem Bundes-Präsidium in Art. 11 zugewiese-
nen Rechtes, den Bund völkerrechtlich zu vertreten und im Namen
des Bundes Gesandte zu beglaubigen und zu empfangen, machte
S. Exe. der Herr Staatsminister Graf Bray in der Erwägung,
daß eines der wesentlichsten Kriterien der Selbstständigkeit eines
Staates in dem Rechte der gesandtschaftlichen Vertretung liege,
in dem Übergange dieses Rechtes an eine andere Macht also auch die
folgenschwerste Beeinträchtigung dieser Selbstständigkeit der ein-
zelnen Staaten liege, Namens der bayr. Regierung den Vorschlag,
es im Wesentlichen bei dem dermaligen Zustande zu belassen, wo-
nach jede einzelne deutsche Regierung ihrerseits für ihre diplo-
matische \'ertretung zu sorgen habe und zwar nicht allein in den-
jenigen Angelegenheiten, die den betreffenden Staat allein angehen,
sondern auch in denjenigen Angelegenheiten, welche den im Bunde
begriffenen Staaten gemeinschaftlich seien, während nichts da-
gegen zu erinnern sein werde, wenn der Bund auswärtige Gesandte
bei sich empfange und dem Bundespräsidium nach wie vor die
diplomatische Vertretung des gesammten Nordbundes zukomme.
Diesem Vorschlage gegenüber entspann sich eine einläßlichere
Discussion der Materie von der völkerrechtlichen Vertretung des
Bundes, in welcher sich namentlich S. Exe. Herr Staats-
minister Delbrück gegen den Vorschlag des Herrn Greifen v. Bray
aussprach, indem er zunächst darauf hinwies, daß der Deutsche
Bund ein ganz neues Staatengebilde sein werde und daß, wenn dem
Bundespräsidium die völkerrechtliche Vertretung dieser neuen
Schöpfung übertragen werde, von einem Übergange bisheriger
Souveränetätsrechte Bayerns an den Bund um so weniger die Rede
sein könne, als man den süddeutschen Staaten keineswegs das
Recht verkümmern werde, neben den Gesandten des Deutschen
Bundes ihre eigenen Gesandten für ihre besonderen Angelegenheiten
zu haben und Gesandte auswärtiger Staaten bei sich zu empfangen.
Außerdem wurde in der stattgehabten Discussion die Frage der
praktischen Durchführbarkeit des bayrischen Vorschlages einer
eingehenden Beleuchtung unterzogen.
263
Was das Recht der Kriegserklärung betrifft, so proponirte
S. Exe. Graf Bray anzuerkennen, daß das Bundespräsidium das
Recht haben müsse, den Krieg sofort zu erklären, wenn deutsches
Gebiet angegriffen werde, dagegen im Rückblick auf die von Preußen
bei Auflösung des vormaligen Deutschen Bundes gemachten Vor-
schläge auszusprechen, daß das Bundespräsidium in allen anderen
Fällen vor Abgabe der Kriegserklärung der Zustimmung des Bundes-
rathes sich zu versichern verpflichtet sei, endlich daß, um dem
Bundesrathe ein Urtheil über die Sachlage und sonach ein Votum
möglich zu machen, das Bundespräsidium die Zusage zu geben hätte,
es werde den Bundesrath von dem Verlaufe und dem Inhalte der
einschlägigen Verhandlungen, die zur Abwendung einer Kriegsgefahr
geführt werden, stets erschöpfend verständigen.
Bezüglich des Friedensschlusses endlich erhob Bayern den
Anspruch, daß zu den Friedensverhandlungen jeweils ein bay-
rischer Bevollmächtigter zugezogen werden und dieser Anspruch
in der Verfassung anerkannt werden solle.
Hinsichtlich des Abschlusses von Staatsverträgen wurde auf
Verlangen der Vertreter der bayrischen Regierung ausgesprochen,
daß den einzelnen Staaten das Recht, Staatsverträge über Angelegen-
heiten zu schließen, welche nicht in den Kreis der Bundesangelegen-
heiten gehören, nicht zu beanstanden sein werde.
Der Vertreter \\'ürttembergs hält die völkerrechtliche Vertre-
tung des Bundes durch das Präsidium für unerläßlich und schließt
sich bezüglich des Rechtes der Kriegserklärung der bayrischen
Proposition an.
Art. 12, 13 u. 14
wurden nicht beanstandet, nur wurde in Anregung gebracht, ob es
nicht angezeigt sei, von Berufung und Schließung des Bundesrathes
Umgang zu nehmen und denselben als ein permanentes Organ zu
betrachten, nachdem er doch einen Theil der Regierungsrechte des
Bundes auszuüben berufen sei. S. Exe. Herr Staatsminister Del-
brück bemerkte hierauf, daß faktisch das, was die Anregung der bay-
rischen Regierung bezwecke, bereits erreicht sei durch die Kürze der
zwischen Schließung und Wiederberufung des Bundesrathes regel-
mäßig verstreichenden Frist, daß aber an der Einrichtung des
Art. 12 festgehalten worden sei, um den anderen Charakter, den der
Bundesrath an sich trage, den parlamentarischen nämlich, dadurch
auszudrücken.
Art. 15
wurde nicht beanstandet, nur proponirte Bayern, ihm im Falle
der Verhinderung Preußens den stellvertretenden Vorsitz im
Bundesrathe zuzuerkennen.
Art. 16 u. 17
wurden als annehmbar bezeichnet.
Zu
Art. 18,
den Bayern im Übrigen nicht beanstanden zu wollen erklärte, erhob
dasselbe das Verlangen, daß in der Verfassung ausgesprochen werde,
es solle eine gewisse, nach irgend einem bestimmten Verhältnisse
festgestellte Zahl von Bundesbeamten nach dem Vorschlage Seiner
264
Majestät des Königs aus bayrischen Staatsangehörigen ernannt
werden.
S. Exe. Herr Staatsminister Delbrück entgegnete hierauf,
daß die Aufnahme einer solchen Bestimmung in eine Verfassung nicht
als unbedenklich sich darstelle, dem ausgesprochenen Verlangen
übrigens schon in der bisherigen Praxis des Zollvereins vollständig
entsprochen worden sei und zweifellos auch in der Folge nach Thun-
lichkeit werde entsprochen werden, für eine ausgiebigere Beach-
tung desselben aber bei der von Bayern vorgeschlagenen Competenz
des Bundes schwerlich eine passende Gelegenheit sich ergeben
werde, da außer den Zollvereinsbeamten nur noch die Consuln und
etwa noch das Personal des Bundeskanzleramtes werde in Betracht
kommen können.
Von Seiten der bayr. Regierung wurde schließlich bemerkt,
daß immerhin eine Betheiligung von Beamten der einzelnen Staaten
bei Besetzung der Bundesämter sich als wünschenswert, vielleicht
sogar als nothwendig darstellen könne und für diesen Fall eine
Bestimmung dahin sich empfehlen dürfte, solchen zu einem Bundes-
amte berufenen Beamten die von ihnen erworbenen dienstlichen
Rechte im einzelnen Staate vorzubehalten.
Der Art. 19
wurde von der bayrischen Regierung beanstandet. Nach einer
eingehenden Besprechung der Sache, in welcher darauf hinge-
wiesen wurde, daß ohne eine wirksame Controle des Vollzuges der
kompetenzmäßigen Anordnungen des Bundes eine lebensfähige
Gestaltung desselben nicht denkbar sei, wurde jedoch zugegeben,
daß der Inhalt dieses Artikels etwa in folgender Fassung Annahme
finden könne :
,,Wenn Bundesglieder angehalten werden. Diese
Exekution ist von dem Bundesrathe zu beschließen und von
dem Bundespräsidium zu vollstrecken."
Hiermit und durch die Bemerkungen zu Art. 8 wurde der
Vorbehalt zum Eingange des Artikels 4 für erledigt erachtet.
Der Inhalt der
Art. 20 — 32
vom Reichstage
wurde nicht beanstandet. Auch wurde anerkannt, daß das Wahl-
gesetz für den Reichstag des Norddeutschen Bundes auf den neuen
Deutschen Bund ausgedehnt werden solle.
Zu Art. 32 wird von dem württ. Bevollmächtigten die Ge-
währung eines Ersatzes für Reisekosten in Anregung gebracht.
Was das in den Art. 33 — 37 behandelte
Zoll- und Handelswesen
betrifft, so wurde von Bayern vorgeschlagen, die hier enthaltenen
Bestimmungen durch den Inhalt des Zollvereinsvertrages zu er-
setzen, sofern derselbe nicht dadurch eine Änderung nothwendig
erfahren muß, daß fortan an die Stelle eines vertragsmäßigen Ver-
hältnisses ein verfassungsmäßiges treten soll.
Besonders betont wurde hierbei von der bayr. und württ.
Regierung, daß sie auf der Bestimmung beharren müssen, wonach
265
sich die Bundesgesetzgebung für diese Staaten nicht auf die Besteue-
rung von Bier und Branntwein erstrecken dürfe.
Auch wurde allseitig anerkannt, daß selbstverständlich mit
Überführung des Vertragsverhältnisses in ein verfassungsmäßiges
die Kündbarkeit des Zollvereins in Wegfall zu kommen habe.
Zu den
Art. 41 — 47
vom Eisenbahnwesen
wurde von Seite Bayerns und Württembergs auf das zu Art. 4
Ziff. 8 Vorgetragene Bezug genommen und daraufhin die Streichung
der
Art. 41 — 46
beantragt, wogegen die Aufnahme des
Art. 47
nicht beanstandet ward.
Zu
Art. 48—52
ward von Seite Bayerns der Wegfall beantragt, gleichwie dies zu
Art. 4 Ziff. 10 geschehen war, da Bayern die Verwaltung seines Post-
und Telegraphenwesens und die hieraus resultirenden Einnahmen
für sich reserviren zu müssen in der Lage sei, zumal eine Gemein-
schaftlichkeit aller Reglements und Betriebseinrichtungen nicht
einmal als durchführbar sich darstellen werde und auch in Ansehung
Süddeutschlands ein Bedürfniß hiefür nicht anerkannt werden
könne.
S. Excell. Herr Staatsminister Delbrück erklärte hierauf, daß
an eine ausnahmslose Durchführung dieses Standpunktes doch kaum
werde gedacht werden können und daß mindestens die Competenz
der Bundeslegislative anerkannt werden sollte
1. hinsichtlich der Gesetzgebung im Postwesen bezüglich
des Verhältnisses der Postanstalt zum Publikum, daß sodann hin-
sichtlich der Regelung der Posttaxen für den Wechselverkehr der
einzelnen Bundesstaaten unter sich und
2. hinsichtlich des Abschlusses von Postverträgen mit dem
Auslande unter Vorbehalt des Vertragsrechtes für die Einzelnstaa-
ten in Fällen, in welchen lediglich die letzteren betheiliget sind, die
Zuständigkeit des Bundes Platz greifen sollte.
Über diese Punkte behielt sich die bayr. Regierung weitere
Erwägung vor, während das Einverständniß Württembergs mit
denselben erklärt werden konnte.
Für den Fall der Annahme dieses Vorschlages hielt man all-
seitig dafür, daß demselben seine Stelle bei Ziff. 10 des Art. 4 an-
zuweisen sein würde.
Zu den
Art. 53—55
wurde von Seite der bayrischen Regierung hervorgehoben, durch
Aufnahme der Bestimmungen der Verfassung des Norddeutschen
Bundes über
Marine und Schiffahrt
in die Verfassung des Deutschen Bundes werde die Finanzlast der
süddeutschen Staaten um ein Erhebliches vermehrt. Wenn man nun
266
erwäge, daß gerade die Höhe der Ausgaben, namentlich für mili-
tärische Zwecke, schon in ihrem dermaligen Bestände im Süden
Deutschlands schwer empfunden wurde und ein sehr bedeutender
Grund für die inneren Schwierigkeiten gewesen sei, die in jüngster
Zeit in den süddeutschen Staaten den Regierungen entgegengetreten
sind, so werde die Behauptung gerechtfertigt sein, daß an der Ver-
mehrung dieser Last sehr leicht die Annahme der neuen Bundes-
verfassung in den süddeutschen Ländern scheitern könnte, und er-
scheine somit ebensowohl für die Regierungen dieser Länder wie
für Preußen und den Norddeutschen Bund, denen ja allen in gleichem
Grade an dem Zustandekommen einer Reconstituirung Deutsch-
lands gelegen sein müsse, ein ernster Anlaß gegeben, in Betracht zu
ziehen, ob nicht für den Deutschen Bund von einer Gemeinschaft-
lichkeit der Marine und der hiefür erforderlichen finanziellen Lasten
Abstand zu nehmen sei, zumal hiefür auch der Umstand spreche,
daß die norddeutschen Staaten, wenn nicht ausschließlich, so doch
vorwiegend, bei dem Bestände einer Marine betheiliget seien.
Herr Staatsminister Delbrück hielt dieser Auffassung entgegen
die Ansicht fest, daß — vorbehaltlich der Frage, wie es mit der Bei-
tragspflicht für die Kosten der 2 Kriegshäfen zu halten sei, die in
Übereinstimmung mit den Bestimmungen über die Landfestungen
zu entscheiden sein werde — keinem Mitgliede die Beitragspflicht
für die Marine werde nachgesehen werden können, nachdem die
Flotte, sowohl was den Schutz des deutschen Gebietes im Kriegs-
falle als was den Schutz des deutschen Handels im Frieden auf allen
Meeren der Erde angehe, allen deutschen Staaten in gleichem Maße
zu Gute komme.
Für den Fall, daß Bayern sich der Beitragspflicht zur Marine
unterziehen würde, erkannten hierauf die Vertreter der bayr. Re-
gierung an. daß die Art. 53 — 55 ihre Stelle auch in der Verfassung
des neuen Deutschen Bundes zu finden hätten, und hoben nur
noch hervor, daß alsdann im Hinblick auf den Umfang des Bundes-
gebietes und in Berücksichtigung weit verbreiteter Gefühle dieFlagge
aus den Farben Schwarz, Gold und Rot zu bestehen haben oder eine
andere Flagge zu wählen sein dürfte, wodurch die Gesammtheit
des neuen Bundes repräsentirt würde.
Nachdem
das Consulatswesen
Art. 56
schon zu Art. 4 Ziff. 7 die erforderliche Besprechung gefunden hatte,
wurde zur Besprechung des
Bundeskriegs Wesens
übergegangen (wobei Justizminister v. Mittnacht sich außer Stand
erklärte, in Abwesenheit des württ. Kriegsministers die Ansichten
seiner Regierung zu vertreten) und zunächst darauf hingewiesen,
daß in Art. 4 Ziff. 14 Alles dasjenige, was an dem Militärwesen der
Legislative anheimfällt, dortsei bst schon der Legislative des Bundes
zugewiesen und somit der Competenz der Gesetzgebung der Einzeln-
staaten entrückt sei. Im Übrigen wurde der Inhalt des
Art. 57
vorbehaltlich der gebotenen redaktionellen Änderung nicht bean-
standet.
267
Zu Art. 58
wurde von Bayern vorgeschlagen, statt desselben folgende Be-
stimmungen aufzunehmen :
Die Kosten und Lasten des bayrischen Kriegswesens, einschließ-
lich der auf bayrischem Gebiete gelegenen Festungen, werden
von Bayern selbst getragen
Zur Motivirung dieser Bestimmimg war bei verschiedenen
Anlässen im Laufe der Berathungen von bayrischer Seite hervor-
gehoben worden, Bayern erkenne bereitwillig an, daß der Schutz
des deutschen Gebietes von allen verbündeten Staaten nach gleichem
Maße geleistet werden müsse und deshalb weder Bevorzugungen
noch Prägravationen zulässig seien, daß der Zweck eines aus-
giebigen Schutzes der deutschen Staaten nur durch ein einheitliches,
in allen wesentlichen Punkten gleichförmig organisirtes Heer
erreicht werden könne, dagegen halte man bayrischerseits dafür,
daß mit Statuirung eines durchweg gemeinschaftlichen Militärbud-
gets die Selbstständigkeit der einzelnen Staaten weiter, als für den
Bundeszweck erforderlich sei, angegriffen werde und daß dadurch
ohne zureichende Gründe den einzelnen Staaten die Vortheile ent-
zogen würden, die ihnen unter Umständen daraus erwüchsen, daß
nach ihren socialen und wirtschaftlichen Verhältnissen den Ver-
pflichtungen für die Armee mit geringeren finanziellen Opfern ent-
sprochen werden könne, ganz abgesehen von dem Aufwände für
Kasernirungsbauten etc. und davon, daß z. B. eine wesentliche
Änderung der Gagenverhältnisse eine einschneidende Änderung der
Besoldungsverhältnisse der Civilstaatsdiener zur unausbleiblichen
Folge haben würde. Dem Einwände, daß bei diesem Vorschlage
den Einzelnparlamenten die Macht eingeräumt sei, Bayern an der
Leistung seines billigen Antheils für den militärischen Schutz
Deutschlands durch Ablehnung von den erforderlichen Summen
zu verhindern, wurde mit dem Bemerken begegnet, daß die Legisla-
tive über das Militärwesen der Bundesgesetzgebung und ebenso
die Feststellung der übrigen wesentlichen Substrate der militärischen
Leistungen der einzelnen Staaten der Bundesregierung zustehe, wie
sich aus den folgenden Artikeln ergeben werde.
Bezüglich der Festungen wurde noch bemerkt, daß mit der hier
vorgeschlagenen, dem Status quo entsprechenden Bestimmung die
Vereinbarung der deutschen Staaten darüber nicht ausgeschlossen
werden solle, daß gewisse schon vorhandene Festungen die Eigen-
schaft von Bundesfestungen haben, andere neu angelegt werden
sollten und wie deren Verhältnisse, dann die der Küstenbefestigung
zu ordnen seien.
Zu
Art. 59
wurde von Seite Bayerns der erste Satz des Absatzes i, desgleichen
der Absatz 2 als annehmbar, Satz 2 des Absatzes i aber als gegen-
standslos und darum als cessirend bezeichnet.
Art. 60
wurde von Seite Bayerns nicht beanstandet vorbehaltlich nach-
folgender Bemerkung:
Schon bei dem Abschnitte über die Marine ist ausgeführt, daß
die Höhe der finanziellen Leistungen der deutschen Staaten für
268
militärische Zwecke und die dadurch bedingte Erhöhung der Steu-
ern zum weitaus größten Theile die inneren Schwierigkeiten hervor-
gerufen habe, mit denen die deutschen Regierungen in jüngster
Zeit zu ringen gehabt. Durch Art. 60 werde, was Bayern speziell
angehe, diese Last noch um ein beträchtliches erhöht. Ein solcher
Erfolg der deutschen Verfassungsreform werde nicht etwa blos eine
weitgreifende Unpopularität derselben zur Folge haben, sondern
sogar ernstlich in Frage stellen, ob die beabsichtigte Reform die Zu-
stimmung der Einzelnparlamente finden könne. Da nun auch die
Völkerschaften der norddeutschen Staaten schon große Anstren-
gungen gemacht hätten, um die auf ihnen ruhende Militär-Last zu
kürzen, und bei der bevorstehenden Behandlung der Frage im Par-
lamente auf diese Bestrebungen wieder zurückkommen würden, so
müsse die bayr. Regierung mit besonderem Nachdrucke die Frage
anregen, ob es nicht gerathen sei, alsbald bei Vereinbarung der neuen
Bundesverfassung die vielleicht doch nicht vermeidbare Reduction
der Armee eintreten zu lassen und die Präsenzstärke sofort auf
% Prozent der Bevölkerung herabzusetzen. Auch politische Erwä-
gungen wurden hiefür angeführt, und insbesondere die, daß nach
Bildung des neuen Deutschen Bundes die deutsche Armee selbst bei
diesem Prozentsatze die größte in Europa sei und eine noch größere
Armee die Eifersucht und Coalitionen anderer europäischer Völker
gegen Deutschland wach rufen könne.
Für den
Art. 61
wurde von Bayern folgende Fassung vorgeschlagen:
Bayern behält seine gesammte Militärgesetzgebung nebst den
dazu gehörigen Vollzugs-Instructionen und Verordnungen und
Erläuterungen etc. etc. bis zur verfassungsmäßigen Beschluß-
fassung über die der Bundesgesetzgebung anheimfallenden
Materien.
Außerdem wurde in Anbetracht des Umstandes, daß die Straf-
gesetzgebung dem Wirkungskreise des Bundes nicht anheimfallen
.soll, proponirt, dem Art. 4 Ziff. 14 den Zusatz zu geben:
mit Ausnahme des Militär-Strafrechts und Strafprozesses
sowie der Militär-Kirchen-Ordnung.
Zu
Art. 62
proponirte die bayr. Regierung in Consequenz ihrer Auffassung
über das Militärbudget die Weglassung und den Ersatz desselben
durch eine Ergänzung des Art. 60 mit dem Beisatze, daß die daselbst
statuirte Präsenzstärke bis zu deren Änderung durch ein neues
Bundesgesetz in Geltung zu bleiben habe.
Für
Art. 63
schlug Bayern folgende Fassung vor:
Das bayrische Heer bildet einen in sich geschlossenen Be-
standtheil des deutschen Bundesheeres mit selbstständiger
Verwaltung unter der Militärhoheit Seiner Majestät des Königs
von Bayern; im Kriege unter dem Oberbefehle Seiner Majestät
des Königs von Preußen als Bundesfeldherrn.
269
Für Organisation, Formation und Ausbildung (taktische
Reglements und Präsenzstand) besteht Einheit zwischen dem
bayrischen und norddeutschen Heere.
Das Bundespräsidium hat die Pflicht und das Recht, sich
durch Inspectionen von dieser Einheit in Organisation und For-
mation sowie von der Vollzähligkeit und Kriegstüchtigkeit des
bayrischen Contingentes zu überzeugen, und wird sich über die
Modalitäten der jeweiligen Vornahme und über das Ergebniß
dieser Inspektionen mit Sr. M. dem Könige von Bayern ins
Vernehmen setzen.
Die Anordnung der Kriegsbereitschaft (Mobilisirung) des
bayrischen Contingentes oder eines Theils desselben erfolgt
auf Veranlassung des Bundespräsidiums durch S. M. den
König von Bayern.
Die Anordnungen des Bundespräsidiums bezüglich der
mit dem norddeutschen Heere verfassungsmäßig einheitlichen
Einrichtungen des bayrischen Heeres werden der bayr. Re-
gierung durch den in Art. 8 Nr. i bezeichneten Bundesraths-
Ausschuß zum Vollzuge mitgetheilt.
Vorbehalten ist für die bayr. Regierung demnach: Benennung
und Numerirung der Regimenter etc., Uniformirung, Ausrüstung und
Bewaffnung (System Werder), Garnisonirung, Personalwesen und
Militärbildungsanstalten, überhaupt alle in obiger Formulirung
nicht berührten Militär-Hoheitsrechte.
Art. 64
Absatz I wurde von Bayern mit der Modification, daß nach
„Bundesfeldherrn" einzuschalten sei: ,,im Kriege" für angenommen
erklärt, zu Absatz 2 und 3 aber die Weglassung proponirt.
Zu dem entsprechend zu verändernden
Art. 65
proponirte die bayr. Regierung folgenden Zusatz:
Die Anlage neuer Befestigungen auf bayrischem Gebiete kann
nur mit Zustimmung Sr. M. des Königs von Bayern geschehen.
Art. 66 u. 67
wurden in Consequenz früherer Propositonen abgelehnt,
Art. 68
wurde gleichfalls abgelehnt, dagegen proponirt, in einer neuen
Ziffer des Art. 4 auszusprechen, daß der Bundeslegislative die Re-
gelung der hier besprochenen Materie anheimfalle.
Zu dem Abschnitte
von den Bundesfinanzen
wurde bemerkt: Nachdem Bayern die Gesetzgebung über die
Besteuerung von Bier und Branntwein vorbehalten bleiben müsse
und selbstverständlich auch der Bezug des hieraus entspringenden
Einkommens, nachdem ferner Bayern sein Post- und Telegraphen-
wesen an den Bund abzutreten nicht in der Lage sei, stehe fest, daß
der Bund nicht durchweg seine Einnahmen mit Bayern gemein-
schaftlich haben könne. Andererseits seien auch die Ausgaben nicht
durchweg gleich, da Bayern, abgesehen von der Marine, seine Aus-
270
gaben für das Militär für sich zu bestreiten gedenke. Daraus folge,
daß ein gemeinsames Budget nach Maßgabe der
Art. 69 — 72
nicht möglich sei. Es werde deshalb die Streichung dieser Artikel
proponirt und der Ersatz derselben durch die Bestimmung,
daß nur das gemeinschaftliche Ausgabenbudget und die Aufwie-
gung der Ausgaben durch Matrikularbeiträge nach dem Maßstabe
der Bevölkerung durch den Bund festzustellen sei.
Der württ. Bevollmächtigte schließt sich den Anschauungen
der K. bayr. Regierung bezüglich des Bundesfinanzwesens im all-
gemeinen an.
Gegen
Art. 73
besteht keine Erinnerung.
Art. 74
wurde nicht beanstandet, und
Art. 75
zum Wegfall empfohlen, allerdings aber eine entsprechende Er-
gänzung der Particular-Gesetzgebung in Aussicht gestellt.
Art. 76
Absatz I wurde als annehmbar erklärt, Absatz 2 dagegen ab-
gelehnt, desgleichen
Art. ']'].
Württemberg würde gegen die Beibehaltung von Art. 76 Abs. 2
und Art. 'j'] eine wesentliche Einwendung nicht erheben.
Zu
Art. >]%
erklärte die bayrische Regierung, daß sie denselben annehme unter
der Voraussetzung, daß ihr
1. bezüglich aller eine Erweiterung der Bundes-Competenz
und
2. aller das Stimmrecht sowie die Sonderstellung Bayerns
betreffenden
Verfassungsänderungen ein Veto eingeräumt wird.
Der Vertreter Württembergs würde davon ausgehen, daß der
Widerspruch einer zu bestimmenden Zahl von Stimmen Verfas-
sungsänderungen sollte verhindern können.
Schließlich wurde von Bayern und Württemberg die Aus-
dehnung der Bundeslegislative auf die Gesetzgebung über das
Preß- und Vereinswesen proponirt. m. st.A.
II. München 1870 September 27. Hauptrelation des Staats-
ministers V. Delbrück über die Münchener Konferenzen.
(Original.)
Nachdem ich am 19. d. Mts. aus Chateau-Thierry nach Berlin
zurückgekehrt war, habe ich mich am folgenden Tage nach München
begeben und bin daselbst am 21. vormittags eingetroffen.
Graf Bray erklärte mir in einer Unterhaltung, welche sofort
nach meiner Ankunft stattfand, daß Bayern von der Nothwendig-
271
keit überzeugt sei, an die Stelle der Vertragsverhältnisse, welche
zur Zeit zwischen ihm und Norddeutschland bestehen, ein organisches
Verhältniß treten zu lassen. Auf seine Frage, ob ich zum Abschluß
eines auf solcher Grundlage beruhenden Abkommens mit Voll-
macht und Instruction versehen sei, bezeichnete ich, der mir
Allerhöchst ertheilten Weisung gemäß, meine Aufgabe dahin, die
Vorschläge Bayerns für die Neugestaltung seines Verhältnisses zu
Norddeutschland entgegenzunehmen und, wenn solches gewünscht
werden sollte, auf Grund meiner Kenntniß der Norddeutschen
Bundesverhältnisse zu besprechen. Die weitere Frage, ob Preußen
bei der Neugestaltung seines Verhältnisses zu Bayern auch auf
eine Änderung seines durch die Bundesverfassung begründeten Ver-
hältnisses zu den Staaten des Norddeutschen Bundes eingehen werde,
beantwortete ich mit der Bemerkung, daß S. M. der König zu einer
Erwägung dieser Frage keinen Anlaß gefunden hätte und daß ich
für meinen Theil einen solchen Anlaß für jetzt und vor näherer
Kenntniß der Vorschläge Bayerns nicht zu erkennen vermöchte.
Endlich fragte mich Graf Bray, ob es in meiner Absicht oder in
meinem Auftrage liege, von München nach Stuttgart zu gehen und,
verneinenden Falls, ob ich damit einverstanden sei, daß der K.
Württembergische Justizminister Herr von Mittnacht an den Be-
sprechungen in München Theil nehme. Ich antwortete, daß mein
Auftrag nur der K. Bayerischen Regierung gelte und daß ich daher
die Zuziehung des Herrn von Mittnacht, gegen welche ich nicht das
Mindeste einwenden würde, lediglich Bayern zu überlassen hätte.
Herr von Mittnacht kam infolgedessen in der Nacht vom 21. /22.
hier an und hat an den Berathungen von Anfang bis zu Ende theil-
genommen.
Auch die Theilnahme der Großherzoglich-Badischen Regierung
wurde noch am Tage meiner Ankunft von dem Großherzoglichen
Gesandten bei mir angeregt. Ich bemerkte ihm, daß sich mein Auf-
trag auf die Entgegennahme der bayerischen Vorschläge beschränke
und ich daher eine Initiative für die Betheiligung Badens nicht
ergreifen könne, daß ich aber gegen eine solche Betheiligung, wenn
dieselbe im Einverständniß mit Bayern erfolge, nicht das geringste
Bedenken haben würde. Die Frage erledigte sich demnächst da-
durch, daß Herr von Mohl mir drei Tage später amtlich eröffnete,
seine Regierung wünsche eine Betheiligung an den Münchner Be-
sprechungen nicht, da sie beabsichtige, die Aufnahme Badens in
den Norddeutschen Bund zu beantragen. Bei diesem Antrage
werde sie, wie er schon jetzt bemerke, zweierlei voraussetzen: näm-
lich die Aufrechthaltung des bestehenden Systems der Getränke-
steuern, sodann eine besondere Verständigung über die Einführung
der im Norddeutschen Bunde erlassenen Gesetze. Herr von Mohl
bat endlich um Mittheilung der Ergebnisse der Münchner Be-
sprechungen und ich habe keine Bedenken getragen diese Bitte
zu erfüllen.
Die Eröffnung und Besprechung der bayerischen Vorschläge
erfolgte am 22., 23., 24., 26. und 27. d. Mts. unter Betheiligung
sämtlicher bayerischer Minister und des Herrn von Mittnacht.
Am 25. fand über das Kriegswesen eine Vorbesprechung zwischen
dem Kriegsminister, dem Justizminister und mir statt.
272
Den Besprechungen wurde die Norddeutsche Bundesverfassung
zum Grunde gelegt und die bayerischen Vorschläge gestalteten sich
als die amendements zu den einzelnen Bestimmungen dieser Ver-
fassung. Als Proponenten fungierten und zwar für den nicht auf
das Kriegswesen bezüglichen Theil der Justizminister von Lutz,
für das Kriegswesen der Kriegsminister Freiherr von Pranckh,
beide auf Grund protokollarisch niedergelegter Beschlüsse früherer
Ministerkonferenzen. Meinungsverschiedenheiten unter den Mi-
nistern und zwar gerade über ganz entscheidende Punkte traten
wiederholt hervor und wurden in meinem Beisein erörtert. So lehnte
Herr von Lutz es ab, bei den Fragen über die völkerrechtliche Ver-
tretung des Bundes und über das Marinewesen als Redner zu fun-
giren.
Die Betheiligung der einzelnen Minister an der Discussion war
eine sehr ungleiche. Graf Bray beschränkte sich in der Regel darauf,
die einzelnen Artikel der Bundesverfassung vorzulesen, und über-
ließ es Herrn von Lutz sodann das bayerische Votum abzugeben.
Wo er letzteres selbst abgab, wie bei Artikel ii, geschah dies durch
V^erlesung der vorher erwähnten protokollarischen Aufzeichnungen ;
in die Diskussion griff er selten ein, wenn es geschah, meist unter An-
rufung der alten Bundesverfassung. Der Minister des Innern Herr
von Braun hat überhaupt nur wenig Worte gesprochen, welche
nichts zu erkennen gaben als Besorgniß vor Eingriffen der Bundes-
gewalt in sein Ressort. Der Finanzminister Herr von Pfretzschner
betheiligte sich lebhafter als sein Kollege und war entgegenkom-
mender als letzterer, vielleicht mehr aus Schwäche als aus Über-
zeugung. Herr von Schlör, der Handelsminister, vertrat mit Sach-
kenntniß und Geschick die sein Ressort betreffenden Fragen; wo er
über andere Dinge sprach, neigte er der nationalen Auffassung zu.
Der Justizminister Herr von Lutz zeigte, daß er sich mit der Bundes-
verfassung gründlich beschäftigt und über die Stellung Bayerns zu
uns in dieser Verfassung eine selbständige und durchdachte Meinung
gebildet hatte. Er machte den Eindruck, daß er von der Nothwen-
digkeit einer Einfügung Bayerns in den Bundesorganismus innerlich
überzeugt und daß ihm an dem Gelingen einer Verständigung ernst-
lich gelegen sei. Von dem Kriegsminister würde dasselbe zu sagen
sein, wenn auch seine Motive etwas andere sind. Er will eine tüch-
tige Armee, also Freiheit von jeder wirksamen Betheiligung des
bayerischen Landtags an der Feststellung des Militärbudgets, und
erkennt, daß dieses Ziel nur durch einen Anschluß an Norddeutsch-
land zu erreichen ist. Die gesammte Haltung Bayerns, wie sie sich
als das Ergebniß dieser verschiedenen Stellungen der Minister und
des souveränen Selbstgefühls Sr. M. des Königs von Bayern darstellt,
bezeichnet der Minister von Mittnacht im Gegensatze zur Haltung
Württembergs sehr treffend dahin, daß man in München sich be-
mühet habe zu sagen, welche Rechte Bayern nothwendig an den
Bund abtreten müsse, während man in Stuttgart sich gefragt habe,
welche Rechte Württemberg nothwendig sich vorzubehalten habe.
Die Vorschläge Bayerns (wie sie sich aus den Besprechungen
ergeben) sind in der Anlage enthalten. Bevor ich auf ihre Einzel-
heiten eingehe, habe ich zwei allgemeine Bemerkungen vorauszu-
schicken.
273
Ich habe mich im allgemeinen darauf beschränkt, die einzelnen
Bestimmungen der Bundesverfassung in das richtige Licht zu stellen
und, wo eine Abänderung beansprucht wurde, die politischen und
materiellen Gesichtspunkte geltend zu machen, welche für die Auf-
rechthaltung sprechen. Es ist mir auf diesem Wege gelungen,
zahlreiche Abänderungsvorschläge theils ganz zu beseitigen, theils
in annehmbare Form zu bringen. Dem Anspruch auf fernere Eigen-
verwaltung der Posten und Telegraphen und auf Ausscheidung der
inneren Getränkesteuern aus dem Kreise der gemeinschaftlichen
Gesetzgebung bin ich nicht entgegengetreten. Umgekehrt habe ich
die völkerrechtliche Vertretung des Gesammtbundes durch das Prä-
sidium, den Wegfall der Landeskonsulate und die Annahme des
Abschnittes der Bundesverfassung über Marine und Schiffahrt als
unerläßliche Voraussetzungen des Bundesorganismus bezeichnet.
Bei dem Abschnitt über das Kriegswesen habe ich mich auf den
Mangel an Fachkenntnissen bezogen und nur das Inspectionsrecht
als unbedingt nothwendig festgehalten.
Die protocoUarischen Aufzeichnungen über die Ministerkon-
ferenzen, deren ich bereits erwähnt habe, hatten Sr. M. dem König
von Bayern vorgelegen und die Allerhöchste Genehmigung erlangt.
Durch dieses Verfahren hatten sich die bayerischen Minister in
hohem Grade beengt. Sie gestanden im Laufe der Besprechungen zu,
daß die Gesetzgebung über Bundes- und Staatsangehörigkeit und
über das Obligationenrecht dem Bunde zustehen solle, sie ließen
den Anspruch auf Vermehrung der bayerischen Stimmen im Bundes-
rathe und auf verfassungsmäßige Feststellung der Vertretung Bayerns
in dem 3. und 4. Ausschuß fallen, sie verzichteten auf die Stellung
einer gewissen Quote der Bundesbeamten durch Bayern, sie waren
mit den von mir wegen des Post- und Telegraphenwesens gemachten
Andeutungen einverstanden und sie ließen auch ihren Widerspruch
hinsichtlich des Marinewesens fallen, sie wagten es aber nicht, diese
ihre Erklärungen in die Aufzeichnungen aufzunehmen. Es wurde
ersucht, S. M. den König zu bestimmen, zum Zwecke eines Vor-
trags über die Ergebnisse der Besprechungen nach München zu
kommen, dieser Versuch mißlang aber, und so glaubten sie, die
einmal Allerhöchst genehmigten Propositionen wenigstens formell
aufrechterhalten zu müssen. Die Anlage gibt daher kein wirkliches
Bild über die Ergebnisse der Besprechungen.
Zu den Einzelheiten bleibt mir folgendes zu bemerken übrig.
L Aus dem Kreise der Bundesangelegenheiten soll nach der
Ansicht Bayerns ausgeschieden werden:
1. das Gewerbewesen,
2. die Heimatsgesetzgebung,
3. das Immobiliarversicherungswesen,
4. die nicht bereits jetzt im Zollverein gemeinschaftlichen
Steuern,
5. das Eisenbahnwesen, vorbehaltlich des militärischen Ge-
sichtspunktes, und die Herstellung von Land- und Wasserstraßen,
6. das Strafrecht und das gerichtliche Verfahren, insbesondere
auch für die Armee.
Württemberg würde sich mit der Ausscheidung der unter 2
und 4 bezeichneten Materien und einer minder großen Beschränkung
Doeberl. Bayern und die Bismarckische Reichsgrüadung. l8
274
der Competenz in Eisenbahnangelegenheiten begnügt haben. Auf
die Ausschließung des Gewerbewesens wird, wie ich überzeugt bin,
Bayern schließlich verzichten.
II. Bayern und Württemberg wünschen, die Mitwirkung des
Bundesrathes bei der Ausführung der Bundesgesetzgebung verfas-
sungsmäßig festgestellt zu sehen.
Bei Bayern herrschten in dieser Beziehung ziemlich unklare
Vorstellungen, Herr von Mittnacht drückte den Gedanken klar
und praktisch dahin aus, daß dasjenige, was die Bundesverfassung
im Artikel 37 unter Nr. i, 2 und 3 über die Befugnisse des Bundes-
rathes rücksichtlich des Zoll- und Steuerwesens bestimme, generali-
sirt werden möge. Abgesehen von den Militärangelegenheiten drückt
dieser Antrag nichts Anderes aus als die Fixirung der im Norddeut-
schen Bunde bereits bestehenden Praxis und bezeichnet daher ein
unbedenklich zulässiges und wohl zu verwertendes Zugeständniß.
III. Über die unbedingte Nothwendigkeit der völkerrechtlichen
Vertretung des Bundes durch das Präsidium waren sämmtliche
bayerische Minister, mit alleiniger Ausnahme des Grafen Bray, mit
mir einverstanden. Die einflußreichsten Personen in der Umgebung
Sr. M. des Königs von Bayern sind der nämlichen Ansicht und man
meint, daß selbst die bayerischen ,, Patrioten" bei diesem Punkte
die Ersparungsrücksichten über den Patriotismus setzen würden.
Hier liegt die einzige Schwierigkeit in der Allerhöchsten Entschlie-
ßung.
IV- Bei seinen Vorschlägen über das Kriegswesen ging Bayern
von folgenden Gesichtspunkten aus. Die bayerische Armee soll ein
der norddeutschen vollkommen ebenbürtiges Contingent des Bun-
desheeres sein. Hierzu ist erforderlich die Einheit der Militair-
gesetzgebung — ausschließlich des Strafrechtes und Strafprozesses
sowie des Kirchenwesens — sowie der Anordnungen zur Ausführung
dieser Gesetzgebung und die Einheit der reglementairen Vor-
schriften, ausschließlich der Benennung und Numerirung der Re-
gimenter, Uniformirung, Ausrüstung, Bewaffnung und Bildungs-
anstalten. In diesen einheitlichen Materieh unterwirft sich Bayern
der Gesetzgebung des Bundes, bezw. des Bundesoberhauptes. In
allen übrigen Beziehungen will es seine Selbständigkeit wahren und
kann es ohne Schaden für die Gemeinschaft seine Selbständigkeit
wahren. Denn wenn die Friedenspräsenzstärke seiner Armee re-
lativ dieselbe ist, wenn die Organisation, Formation und Ausbildung
nach den im Norddeutschen Bunde bestehenden Anordnungen
erfolgen muß, sind alle nothwendigen Elemente des Militairetats
so vollständig festgelegt, daß dem bayerischen Landtage die Bewilli-
gung dieses Etats unbedenklich überlassen werden kann. Ist dies
aber der Fall und ist ferner dem Bundespräsidium die Befugniß
gewahrt, die Ausführung der einheitlichen Anordnungen zu be-
aufsichtigen, so tritt die Rücksicht in ihr Recht, welche Bayern
vermöge seiner staatlichen Bedeutung für seine Selbständigkeit
in Anspruch nehmen kann.
Diese Gesichtspunkte wurden mir von dem Kriegsminister
bei der ersten Besprechung des Gegenstandes dargelegt. Jedoch
ohne Erwähnung des Inspectionsrechtes. Ich bemerkte ihm, daß
ich als Laie seine Darlegungen einer Kritik im einzelnen nicht unter-
275
werfen könne, daß dieselben aber selbst für einen Laien eine Lücke
erkennen ließen, durch welche sie ihren Boden verlören, nämlich die
Controlle der Ausführung durch die Centralgewalt. Er bestritt
diese Bemerkung sichtlich nur, um von mir zu hören, daß ein
Bundesorganismus, wie er bisher bei unseren Besprechungen vor-
geschwebt habe, ohne jene Controlle nicht denkbar sei, und ging
alsdann bereitwillig auf die nähere Bestimmung des Inspections-
rechtes ein. Das Ergebniß unserer Besprechung war, daß er die be-
zügliche Bestimmung der Convention mit Sachsen für annehmbar
erachtete. Als aber am folgenden Tage der Gegenstand in der Ge-
sammt-Conferenz erörtert wurde, legteer, statt jener Bestimmung,
eine Formulirung vor, welche ich wieder für nicht zulässig erklärte,
worauf dann endlich der zu Artikel 63 gemachte \'orschlag zum Vor-
schein kam. Es geschah dies am 26. d. Mts. Am folgenden Tage
wurde die anliegende Aufzeichnung verlesen und als es zum Artikel
63 kam, bemerkte der Minister des Innern, er habe am Tage zuvor
bei Sr. M. dem König in Berg Vortrag gehabt und bei dieser Gelegen-
heit die Eröffnung erhalten, daß Allerhöchstdieselben mit dem Vor-
schlage nicht einverstanden seien. Ich schwieg, der Kriegsminister
bemerkte, er wisse davon nichts, und so blieb der Vorschlag stehen
und man ging weiter.
V. Eine lange, jedoch ergebnißlose Discussion führte die
Festungsfrage herbei. Die Auffassung Bayerns, ins Concrete über-
setzt, lautet: wir haben jetzt drei Festungen, Landau, Ingolstadt
und einen Theil von Ulm; Landau woUen wir entfestigen, Ingolstadt
wollen wir so lange unterhalten, als es uns convenirt, für Ulm wollen
wir zu unserem Theile sorgen ; eine neue Festung, welche wir brauchen,
nämlich Ludwigshafen, soll der Bund auf seine Kosten anlegen.
Hier trat zunächst Württemberg entgegen. Herr von Mittnacht
bemerkte, daß bei Annahme des bayerischen Standpunktes W ürt-
temberg gar nicht daran denken werde, das für sein Interesse völlig
nutzlose Ulm zu unterhalten. Schließlich mußte Bayern zugeben,
daß die Festungen ein wesentliches Stück des Vertheidigungs-
systems des Bundes seien und daß es schlechthin nicht angehe, die
Disposition über dieselben dem Gutbefinden der einzelnen Staaten
zu überlassen.
Ich habe es absichtlich unterlassen, mich in München über die
weitere formelle Behandlung der Angelegenheit auszusprechen, weil
ich den Allerhöchsten Entschließungen Sr. M. des Königs in keiner
Weise vorgreifen wollte.
Formell zulässig sind zwei Wege: wir können Bayern ersuchen,
sich zunächst über die noch nicht zugestandenen prinzipiellen
Fragen, völkerrechtliche Vertretung, Konsulatswesen und Marine,
auszusprechen, oder wir können mit Gegenvorschlägen vortreten.
Welcher von diesen Wegen zu wählen ist, hängt meines Erach-
tens von der Entschließung über die Frage ab, ob die Vorschläge
Bayerns über das Kriegswesen mit dem bundesstaatlichen Organis-
mus für vereinbar erachtet werden. Wird diese Frage verneint, so
würde ich für den ersten Weg stimmen, weil sich alsdann die Dinge
so lenken ließen, daß die Verständigung nicht bloß an der Militär-
frage scheitert. Wird sie bejaht, so kann ich nicht dringend genug
empfehlen, unverzüglich zur Eröffnung von Verhandlungen auf der
Grundlage der Vorschläge Bayerns einzuladen und dabei unsere
18*
276
Gegenvorschläge zu machen. Alle unsere Freunde in Bayern rathen
zur Eile und die der Sache zugethanen Mitglieder des bayerischen
Ministeriums selbst wünschen nichts sehnlicher als eine rasche Ent-
scheidung. H.A.A.
12. München 1870 September 28. Graf Bray an den Gesandten
Freiherrn von Schrenck in Wien.
(Konzept.)
In Ihrem Berichte vom 21. 1. M., welchen ich Sr. M. dem
Könige vorzulegen nicht unterlassen habe, erwähnen Ew. Exe. einer
Besprechung mit Sr. Exe. dem Grafen von Beust über die Frage der
künftigen Constituirung Deutschlands in ihrer Bezugnahme und
ihrem Verhältniß zu den Bestimmungen des Prager Friedens.
Es ist mir dies ein willkommener Anlaß, diesen Gegenstand
mit Ew. Exe. zur Sprache zu bringen und Ihnen in Kurzem über die
in den jüngsten Tagen hier gepflogenen Besprechungen mit dem
preußischen Staatsminister Delbrück und dem württembergischen
Justizminister v. Mittnacht Nachricht zu ertheilen.
Es ist nicht zu verkennen, daß die allen deutschen Staaten ge-
meinsame Führung des Krieges gegen Frankreich und die großen
Ereignisse dieses Feldzuges — für die Zukunft der deutschen Staa-
ten und die Gestaltung der deutschen Verhältnisse nicht ohne Ein-
wirkung bleiben können. Auch Bayern wird diesen historischen
Thatsachen und der in allen Klassen der Bevölkerung hervorgeru-
fenen Stimmung Rechnung tragen müssen. Dabei besteht aber die
feste Absicht, die Selbständigkeit des Landes, die Souveränität der
Krone aufrecht zu erhalten und der neu zu begründenden Gemein-
schaft nur jene Zugeständnisse zu machen, welche ein föderatives
Verhältniß unbedingt erheischt.
Um eine sichere Grundlage für unsere Beschlußnahmen zu
gewinnen, war es uns von Werth zu erfahren, ob Preußen beabsich-
tige, den deutschen Nordbund unverändert zu erhalten, oder ob
es dessen Ersetzung durch einen auf veränderten Grundlagen zu
errichtenden allgemeinen Deutschen Bund in Aussicht nehme.
Die Berufung des Präsidenten des Bundeskanzleramtes Del-
brück in das Hauptquartier und dessen bevorstehende Rückkehr
nach Deutscliland bot uns Gelegenheit zu sicherer Information,
und auf meinen Wunsch erfolgte des Ministers Delbrück Abordnung
nach München.
Derselbe erschien hier ohne alle \'ollmacht, lediglich beauftragt
zum Austausche der preußischen Ansichten gegen die der bayeri-
schen Regierung über die künftige Gestaltung der deutschen Ver-
hältnisse. Wir erfuhren durch ihn, daß, wie es zu vermuthen ge-
wesen, von Seite Preußens an ein Aufgeben des festgegliederten
Norddeutschen Bundes, insbesondere an die Gestattung des Aus-
trittes des Königreiches Sachsen oder Oberhessens, nicht gedacht
werde.
Letzteres wäre in vielfacher Hinsicht erwünscht gewesen.
Angesichts aber der feststehenden Thatsache des unveränderten
Fortbestandes des Nordbundes und der Wahrscheinlichkeit des
Eintrittes Badens in denselben blieb für Bayern nur der Ausweg:
in Gemeinschaft mit Württemberg, welches sich ihm anschließen zu
277
wollen durch das Organ des Ministers Mittnacht erklärte, die
Gründung eines weiteren Bundes neben dem Norddeutschen Bunde
und außerhalb desselben zu versuchen.
Es ist dies der Gegenstand der Besprechungen mit Herrn
Delbrück gewesen. Im Großen und Ganzen hat sich keine bedeu-
tende Divergenz der Ansichten ergeben, nachdem Herr Delbrück von
vornherein erklärte, lediglich die \'orschläge Bayerns entgegenzuneh-
men, selbst aber keine Anträge zu stellen zu haben. Gleichwohl
war es nicht zu vermeiden, daß über die als gemeinsam zu erklären-
den Angelegenheiten und über ihre Behandlung im Bunde sich
Meinungsverschiedenheiten ergaben. — Da es sich um den Abschluß
irgend eines Instrumentes z. Z. nicht handelte, sondern nur ein
bloßer Meinungsaustausch beabsichtigt war, werden die gepflogenen
Besprechungen immerhin zur Grundlage späterer Verhandlungen
dienen können, und ist durch dieselben Klarheit über die gegensei-
tige Auffassungsweise gewonnen. Wenn ich den Art. 4 des Prager
Friedensvertrages betrachte, so scheint mir derselbe mit dem
beabsichtigten weiteren Deutschen Bunde nicht im Widerspruche
zu stehen, da durch den letzteren die dort vorgesehene nationale
Verbindung der süddeutschen Staaten mit dem Norddeutschen
Bunde erstrebt wird, die Herstellung eines Vereins der Südstaaten
unter sich aber, wie in \Men wohl bekannt ist, sich ungeachtet
wiederholter \"ersuche als unerreichbar erwiesen hat.
Es hindert dies nicht, daß wir den größten Werth darauf legen,
in fortlaufendem Benehmen mit der Kaiserl. Österreichischen Re-
gierung über aUe in der Constituirung Deutschlands vorzunehmen-
den Änderungen zu verharren, und ich behalte mir vor, sobald
weitere Schritte hierin erfolgen, Ew. Exe. fortgesetzte Mittheilungen
zugehen zu lassen, um Sie in den Stand zu setzen, diesen wichtigen
Gegenstand mit dem Herrn Reichskanzler eingehend zu besprechen.
13. Irlbach 1870 Oktober 4. Graf Bray an den Gesandten
in Berlin (sowie an die Gesandten in Stuttgart, London
und St. Petersburg.)
(Koozept.)
Euer Hochwohlgeboren ist bekannt, daß während der letzten
Tage des verflossenen ]\Ionats in München zwischen den Mitgliedern
der bayerischen Regierung, dem Präsidenten des norddeutschen
Bundeskanzleramtes Delbrück und dem K. württembergischen
Minister v. ^littnacht Besprechungen über die deutsche Frage statt-
gefunden haben.
Der preußische Minister Delbrück war bald nach seiner Rück-
kehr aus dem Hauptquartier des Königs Wilhelm auf meinen Wunsch
nach München gekommen, da es der K. Regierung daran liegen
mußte aus ganz verläßiger Quelle zu erfahren, ob die K. preußische
Regierung, um den im Art. IV des Prager Friedens vorgesehenen
nationalen Anschluß des deutschen Südens an den Norden zu ermög-
lichen, geneigt sein werde, die Verfassung des Nordbundes umzu-
gestalten und auf einer gänzlich neuen Basis wieder zu begründen.
Zog Preußen vor, den Norddeutschen Bund unverändert zu erhalten,
so blieb für die zum unbedingten Eintritt in diesen Bund ungeneig-
ten Südstaaten nur die Bildung eines weiteren Bundes übrig, zu
278
welchem eine Ausdehnung der Befugnisse des Zollbundesrathes und
des Zollparlamentes als der geeignete Weg sich darstellte.
Die eingehenden in München gepflogenen Besprechungen
haben allen Theilnehmern an denselben den letzteren Weg als den
unter den gegebenen Verhältnissen allein zum Ziele führenden er-
kennen lassen, da nur in solcher Weise ein nationales Band ge-
schaffen werden kann, neben welchem die berechtigte Selbstän-
digkeit von Staaten wie Bayern und Württemberg zu wahren
möglich ist.
So gründlich die verschiedenen hiebei in Betracht kommenden
Fragen erörtert wurden, war doch von dem Abschluß eines be-
stimmten und bindenden Abkommens von keiner Seite die Rede,
wogegen für künftige Verhandlungen nunmehr sichere Anhalts-
punkte gewonnen sind.
Dies ist der gegenwärtige Stand der Frage, und ich glaubte um
so mehr E. H. hierüber vertraulich Mittheilung machen zu sollen,
als in öffentliche Blätter in diesem Betreffe häufig falsche Unter-
stellungen Eingang gefunden haben. Ich behalte mir vor, nach dem
Eintritt der zu erwartenden weiteren Verhandlungen fortgesetzte
Mittheilungen über diesen wichtigen Gegenstand an E. H. gelan-
gen zu lassen.
III.
Zur Gcsdiichte
der Vcrsaillcr Verhandlungen.
I. München 1870 Oktober 16. Antrag des Gesamtstaats-
ministeriums an den König.
(Original.)
Die treugehorsamst Unterzeichneten haben im versammelten
Ministerrathe von dem Allerhöchsten Telegramm Euerer Königlichen
Majestät von gestern Kenntniß genommen, und werden die mit-
unterzeichneten Minister des Königlichen Hauses und des Äußern
und Kriegsminister nicht verfehlen, alsbald nach Empfang der
Allerhöchsten Vollmachten sich in das K. preußische Hauptquartier
zu begeben.
Die treugehorsamst Unterzeichneten glauben aber einer ge-
bieterischen Pflicht gegen Euere Königliche Majestät und gegen
Bayern zu genügen, indem sie — bei noch ausstehender Allerhöch-
sten Entschließung auf ihren allerunterthänigsten Antrag vom 13.
laufenden Monats — die dort gestellte ehrfurchtsvollste Bitte um
Allerhöchste Annahme der in Aussicht gestellten Einladung des
Königs von Preußen submissest erneuern. Sie haben dazu um so
dringenderen Anlaß, als nach neueren Nachrichten auch der König
von Württemberg eine Einladung gleicher Art erhalten und bereits
acceptirt hat. Der König Karl beabsichtigt alsbald nach dem
Schlüsse der nun beginnenden Verhandlungen Sich nach Versailles
zu begeben. Von weit höherem Werthe und größerer Wirkung wäre
es zweifellos, wenn es Euerer Königlichen Majestät gefällig wäre,
durch Allerhöchst Ihre Gegenwart den Forderungen, die im Inter-
esse Bayerns durch dessen Vertreter zu stellen sein werden, die
wirksamste und mächtigste Unterstützung zu leihen, indem die
Benützung des jetzigen Momentes eine wohl nie wiederkehrende
günstige Gelegenheit bietet.
Graf V. Bray v. Pfretzschner v. Schlör Frh. v. Pranckh v. Lutz
V. Braun.
*
Ich verfüge, daß sich die Staatsminister Graf von Bray-Stein-
burg, Freiherr von Pranckh und von Lutz so rasch als möglich ins
preußische Hauptquartier begeben, und sehe periodischer Bericht-
erstattung über den Gang der Verhandlungen entgegen. Der durch
gegenwärtiges Signat erledigte Antrag vom I3ten dß. liegt bei.
Linderhof den 18. October 1870.
Ludwig. M. St. A.
280 . .
2. Wien 1870 Oktober 17. Freiherr von Schrenck an König
Ludwig II. von Bayern.
(Original.)
Als ich heute in die Staatskanzlei kam, theilte Herr Graf von
Baust mir mit, er habe die Nachricht erhalten, daß die Herren
Staatsminister Graf von Bray und Freiherr von Pranckh von Mün-
chen, dann Herr von Mittnacht und Freiherr von Suckow von
Stuttgart sich nächster Tage in das preußische Hauptquartier nach
Versailles begeben werden, um daselbst über die künftige Stellung
der süddeutschen Staaten zu dem Norddeutschen Bunde zu ver-
handeln.
Graf Beust war durch diese Nachricht sichtlich unangenehm
berührt. Er habe gehofft, äußerte derselbe, die süddeutschen
Staaten, insbesondere Bayern und Württemberg, würden bestrebt
sein, die Selbständigkeit, welche sie aus den Ereignissen des Jahres
1866 gerettet haben, aufrecht zu halten, vmd er habe nicht geglaubt,
daß der gegenwärtige Krieg, in welchem diese Staaten ihre durch die
Allianz- Verträge mit Preußen übernommenen Verpflichtungen so
treulich und erfolgreich erfüllen, hievon etwas ändern werde.
Dennoch scheine es nun anders zu kommen, und er könne nicht
bergen, daß ihn die Hast, mit welcher die Sache betrieben werde und
nun, während des Krieges, im Hauptquartiere von Paris zum Ab-
schluße gebracht werden wolle, insbesondere aber die offizielle
Kundgabe der K. württemberg'schen Regierung über die dortselbst
hiebei in Aussicht genommenen Ziele, welche mit einer internatio-
nalen Stellung schwer vereinbar seien, mit Besorgniß erfüllen.
Das Kaiserliche Kabinet, fügte der Herr Reichskanzler bei, habe
seit dem Jahre 1866 bezüglich der deutschen Angelegenheiten die
größte Zurückhaltung beobachtet, aber diese könne doch nicht so
weit gehen, daß eine etwaige Nichtbeachtung der Bestimmungen
des Artikels IV des Prager Friedensvertrages von demselben still-
schweigend hingenommen würde; als eine solche Nichtbeachtung
müßte er es aber betrachten, wenn etwa das Verhältniß der süd-
deutschen Staaten zu dem Norddeutschen Bunde ohne Vorwissen
Österreichs anders festgestellt und die vollzogene Thatsache nur
nachträglich der K. K. Regierung zur Kenntniß gebracht werden
wolle.
Vielseitig sei gerade in neuester Zeit eine Verständigung und
Begründung freundnachbarlicher Beziehungen zwischen den deut-
schen Staaten und Österreich als wünschenswerth bezeichnet
worden und er anerkenne die Berechtigung dieses Wunsches voll-
kommen, offenbar würde aber dessen Erfüllung nicht erleichtert,
wenn das in dem Prager Friedensschluße begründete Verlangen des
Wiener Cabinets, über eine beabsichtigte Neugestaltung der Bezie-
hungen Süddeutschlands zu dem Norddeutschen Bunde mit seiner
Äußerung vernommen und um seine Zustimmung hiezu angegangen
zu werden, unbeachtet bleiben sollte; nicht blos in deutsch-öster-
reichischen Provinzen, sondern auch in Ungarn würde ein solches
Vorgehen unzweifelhaft Mißstimmung hervorrufen.
In diesem Sinne, schloß der Reichskanzler, habe er aus Anlaß
der erwähnten Nachricht sofort an die K. K. Gesandtschaften in
München und Stuttgart geschrieben und wünsche nur, daß
seine Bemerkungen dortselbst geneigte Beachtung finden mögen.
281
Ich erwiderte demselben, daß inhaltlich der Eröffnung, welche
mir, nach der Anwesenheit des Herrn Delbrück in München, von
Seite des K. Staatsministeriums des K. Hauses und des Äußern zu-
gegangen sei, der genannte K. preußische Minister in München ohne
Vollmachten und ohne Vorschläge mitzubringen erschienen sei,
zunächst nur um zu vernehmen, was man daselbst beabsichtige, daß
sonach dessen Anwesenheit dortselbst lediglich zu einem Gedanken-
austausche, der bei künftigen Verhandlungen zu einer Grundlage
dienen könne, keineswegs aber zu irgendwelcher bindenden Abrede
geführt habe; ehe aber nicht durch beiderseitige Übereinstimmung
des Näheren festgestellt sei, was geschehen solle, fehle selbstver-
ständlich noch ein mittheilbares Resultat der eingeleiteten Ver-
handlung.
An dem Prager Friedensschluße sei Bayern nicht betheiligt
gewesen, und für dieses aus demselben keine Verpflichtung erwach-
sen; dennoch aber, deßen sei ich überzeugt, würde von Seite der K.
Regierung derselbe nicht unbeachtet gelaßen werden, und zuver-
sichtlich bestehe Seitens derselben der Wunsch, die fragliche An-
gelegenheit im Einverständniße mit dem K. K. Cabinete geregelt
zu sehen.
Aus der erwähnten Kundgabe, fügte ich bei, hätte ich aber
auch vernommen, daß Euere K. Majestät des entschiedenen Willens
seien, AUerhöchstdero Souveränitätsrechte wie Bayerns selbstän-
dige Stellung ungeschmälert aufrechtzuerhalten, und es könne hie-
nach in dieser Beziehung dem Ergebniße der bevorstehenden Ver-
handlungen in Versailles mit Vertrauen entgegengesehen werden;
die etwa weiter gehenden Absichten der K. württemberg'schen
Regierung würden gewiß ohne Einfluß auf die bayerischen Bevoll-
mächtigten zu bleiben haben. m. st. a.
3. Versailles 1870 Oktober 29. Kriegsminister von Roon
an Freiherrn von Pranckh.
(Original.)
Euerer Excellenz übersende ich in der Anlage das von Ihnen ge-
nehmigte, nun von mir vollzogene Protokoll über unsere am 26. ds.
Mts. stattgehabte Besprechung in duplo, mit der Bitte ergebenst,
dasselbe geneigtest gleichfalls vollziehen und in einem Exemplar dem-
nächst an mich zurückgelangen lassen zu wollen.
Bezüglich eines weiteren Fortganges der Sache erlaube ich
mir, bei dieser Gelegenheit noch ergebenst zu bemerken, daß ich
die K. Bayerischer Seits in Betreff des Kriegs-Wesens gemachten
Vorschläge, wie diese in den Münchener Vorbesprechungen und
auch in unserer Conferenz bisher Ausdruck gefunden haben, im
Allgemeinen als einen wesentlichen Fortschritt zu der wünschenswer-
then und von allen Seiten erstrebten politischen und militärischen
Einheit Deutschlands zwar gern anerkenne, leider aber gute Gründe
habe, daran zu zweifeln, auf der vorgeschlagenen Basis eine Modi-
fication der Bundesverfassung herbeigeführt zu sehen. Wiewohl
es sich bei Ihren Vorschlägen nicht sowohl um eine bloße Erwei-
terung des Bündnißvertrages von 1866 als vielmehr um Bayerns
wirklichen Eintritt in den Bund zu handeln scheint, so glaube ich
doch, daß die Zustimmung des Reichstages zu Ihren Propositionen
nur für die erste Form einer näheren Verbindung zu erwarten ist;
282
auch dürften Ihre Wünsche, nur wenn es sich dabei um ein engeres
Bündniß handelt, mihtärischer Seits warm befürwortet werden
können.
Für fernere Besprechungen der Sache würde ich Euerer Excel-
lenz täglich, in der Regel von i Uhr Mittags ab, zur Disposition
stehen können und mir nur die Bitte erlauben, dazu Tag und Stunde
vorher zu bestimmen. Bei diesem Anlaß erneuere ich gern den Aus-
druck meiner vorzüglichen Hochachtung. m. Kg. a.
Versailles 1870 Oktober 26. Protokoll der Verhandlungen
zwischen Roon und Pranckh.
(Abschrift.)
Im Verfolge der in München vom 22. — 26. September er. zwi-
schen Ministern deutscher Regierungen stattgefundenen Vorbe-
sprechungen waren heute die unterzeichneten Kriegsminister hier
zu einem Meinungsaustausch über die künftigen militärischen Be-
ziehungen Bayerns zur deutschen Bundesarmee zusammenge-
treten.
Einverstanden war man beiderseits damit, daß diese Conferenz
noch nicht bindende Vereinbarungen, sondern nur gegenseitige
Informationen bezwecken solle.
Zunächst wurde Seitens des K. Preußischen Kriegsministers
bemerkt, wie es mit Rücksicht auf den lediglich militärischen
Zweck der Besprechung wohl nicht darauf ankomme, die Mün-
chener Vorverhandlungen nochmals in extenso durchzugehen, wie
es sich vielmehr empfehlen werde, sich auf diejenigen, das Heer
betreffenden Punkte zu beschränken, in denen die Vorschläge der
K. Bayerischen Regierung von den Bestimmungen der Nord-
deutschen Bundesverfassung wesentlich abwichen.
Als solche würden hauptsächlich zwei Punkte zur Erörterung
zu stellen sein, nämlich:
1. zum Artikel 60 der Bundesverfassung die Feststellung der
Friedenspräsenzstärke des Bundesheeres auf i % der Bevölkerung
und
2. zum Artikel 62 das beanspruchte Ausscheiden des Etats
der Bayerischen Armee aus dem Budget der Bundesarmee.
(cfr. Die Königlich Bayerischen Vorschläge zum Artikel 58).
In Betreff des ersten Punktes führte der K. Preußische Kriegs-
minister aus, wie eine Reduction der Präsenzstärke, aiif % %
der Bevölkerung, die Gesammtarmee Deutschlands auf einen ge-
ringeren Stand herabsetzen würde, als der jetzige der Norddeutschen
Bundesarmee allein ist, und daß eine der Zahl nach so reducirte
Armee dem Bedürfniß nicht voll genügen würde, zumal von der-
selben süddeutsche Festungen und Garnisonen Besatzung erhalten
müßten. Seitens des K. Bayerischen Kriegsministers wurden diese
Verhältnisse anerkannt und hinzugefügt, wie man diesen Vorschlag
nur gemacht habe, um der ganzen Sache, bei den pekuniären
Opfern, die dem Königreiche Bayern immerhin angesonnen werden
müssen, leichter Eingang zu verschaffen; er würde indeß seinerseits
ein Hinderniß in dem Festhalten von i % nicht erblicken, wenn
eine solche Stärke für durchaus nothwendig erkannt würde.
283
In dieser Beziehung erklärte der K. Preußische Kriegs-
minister, wie der Bund nur das Interesse habe, das absolut Noth-
wendige zu fordern, weshalb eine weitere Erwägung noch nicht aus-
geschlossen sei, ob etwa bei dem Hinzutritt Süddeutschlands eine
geringe Herabminderung des vorerwähnten Prozentsatzes ohne
Schädigung thunlich erscheine.
Bezüglich des vorerwähnten zweiten Punktes — des Aus-
scheidens der K. Bayerischen Militäretats aus dem Bundesbudget
— hob der K. Preußische Kriegsminister hervor, wie diese Frage
mit der Regulirung der allgemeinen Finanzverhältnisse des ge-
sammten Bundes zusammenhinge, wie es ihm ferner aber bedenk-
lich erschiene, die Bewilligung des Bayerischen Militäretats in das
Belieben des Bayerischen Landtages zu stehen ; er könne sich über-
haupt kein Bild davon machen, in welcher Weise, ohne Schädi-
gung der Armeeinteressen, die Durchführung des K. Bayerischen
Vorschlages, auch bezüglich der Rechnungslegung und Controle,
gedacht wäre. Deshalb glaube er, es seinerseits als empfehlens-
werther bezeichnen zu müssen, wenn die Bewilligung durch den
Reichstag erfolge und das Königreich bezüglich seines Militär-
budgets in ein ähnliches Verhältniß träte, wie dies hinsichtlich des
Königreichs Sachsen bestehe.
Seitens des K. Bayerischen Kriegsministers wurde ein solches
Verhältniß als nicht in der Absicht der K. Bayerischen Regierung
liegend bezeichnet und erklärt, daß Bayern vielmehr in ein ver-
fassungsmäßiges Bündniß treten wolle, ohne dadurch seine Armee
in der allgemeinen deutschen Armee in gewissem Grade aufgehen
zu lassen. Er stelle sich das Budgetverhältniß in der Weise vor,
daß Seitens des Reichstages die Bewilligung für die Bayerische
Armee in einer einzigen Position erfolge, welche pro Kopf der Frie-
densstärke einen Pauschalsatz feststelle. Diesem Betrage ent-
sprechend würde das titel weise geordnete Militärbudget dem
Bayerischen Landtage zur Feststellung vorzulegen sein, ohne daß
dieser berechtigt erschiene, an der Gesammtsumme Abstriche vor-
zunehmen. Die Rechnungslegung und Controle würde dement-
sprechend durch die bezüglichen K. Bayerischen Revisionsbehörden
erfolgen.
Nachdem der K. Preußische Kriegs-Minister auf die Incon-
venienzen aufmerksam machte, welche ein solcher, den Keim zu
Conflikten in sich tragender. Modus unfehlbar ergeben würde,
wiU der K. Bayerische Kriegs-Minister zwar die Schwierigkeiten
nicht verkennen und behält sich deshalb eine fernere Erwägung
der practischen Ausführung des K. Bayerischen Vorschlages, an
dem er im Principe festhalten zu müssen glaube, noch vor.
Bereit erklärte er sich dabei noch, die von dem K. Preußi-
schen Kriegs-Minister mit Rücksicht auf die sociale Stellung
der Officierscorps etc. befürwortete Gleichmäßigkeit in den Gagen
etc., in den Pensionen, soweit erforderlich, gern anzustreben, und
bemerkte, in letzterer Beziehung seien die neuerdings ergangenen,
resp. in Aussicht genommenen K. Bayerischen Bestimmungen,
auch bezüglich der Invaliden-Beneficien der Mannschaften, den
K. Preußischen im Wesentlichen conform.
Hiernächst äußerte der K. Bayerische Kriegsminister in Be-
treff der Bestimmungen des Artikels 6i der Bundesverfassung die
284
Ansicht, an dem hierzu bei den ]\Iünchener Vorbesprechungen
gemachten Vorschlage festhalten zu müssen.
Seitens des K. Preußischen Kriegsministers wurde hierzu
besonders hervorgehoben, wie wünschenswerth, ja nothwendig für
das Bundesheer eine gleichmäßige Rechtspflege resp. Strafgesetz-
gebung sei, was andererseits zwar anerkannt, indeß noch betont
wurde, daß — nachdem erst im vergangenen Jahre für die K.
Bayerische Armee ein neues Strafgesetzbuch eingeführt sei —
schon gegenwärtig ein \^'echsel, abgesehen von den großen Schwie-
rigkeiten, Bedenkliches habe; außerdem müsse aber doch die Mili-
tär-Strafgesetzgebung mit dem Civilstrafgesetzbuche in einem
gewissen Einklänge bleiben und, solange das letztere nicht in ganz
Deutschland identisch sei, erschiene eine Änderung des Bayerischen
Militär-Strafgesetzes unthunlich.
Bezüglich des Artikels 63 der Bundes-Verfassung hält der
K. Bayerische Kriegsminister den in den Münchener Vorbe-
sprechungen gemachten \'orschlag ebenfalls aufrecht.
In dieser Beziehung erwiederte der K. Preußische Kriegs-
minister nur, wie ihm eine Garantie zu fehlen scheine, daß auch
im Frieden die Ausbildung der K. Bayerischen Armee in gleich-
mäßiger Weise mit derjenigen der Bundes-Armee stattfinde, und
daß eine Abstellung der etwa bei Inspicirungen wahrgenomme-
nen Mängel mit Erfolg bewirkt werden könne.
Seitens des K. Bayerischen Kriegsministers wurde dem
entgegnet, wie in der Annahme der tactischen Reglements der
Bundes-Armee und der bezüglichen Bestimmungen für Bayern, so
wie in dem vorhandenen Streben nach Gleichmäßigkeit, die prac-
tische Garantie zu liegen scheine und wie er, mit Rücksicht auf die
zarte Natur der Frage, eine anderweite verfassungsmäßige Regu-
lirung nicht für thunlich erachten könne.
Was ferner die von dem K. Preußischen Kriegs-Minister für
besonders wünschenswerth bezeichnete Herstellung gemeinsamer
Gradabzeichen betreffe, so verkenne er die Bedeutung und Wich-
tigkeit dieses Punktes keineswegs; dennoch halte er dafür, daß von
einer verfassungsmäßigen Stipulirung einer bezüglichen Verpflich-
tung, aus nahe liegenden Gründen, abgesehen werden müsse; emp-
fehlen könne er deshalb nur wiederholt, die Fassung des Artikels 63
nach den Münchener Vorschlägen zu acceptiren, was ihm um so un-
bedenklicher erschiene, als in der Münchener Fassung des Artikels
19 immerhin eine gewisse Garantie liege. Wenn ferner der K. Preußi-
sche Kriegsminister einen vorzugsweise hohen ^^'erth auf das
Militär-Bildungs-Wesen lege, so befände er sich damit in erfreu-
licher Übereinstimmung. Dies mache indeß eine volle Gemeinsam-
keit nicht nothwendig, und wenn sich die K. Bayerische Regie-
rung in dieser Beziehung ihre Selbständigkeit bewahre, so
glaube er, würde dies durchaus ohne Nachtheil für die Sache ge-
schehen und zweifle er nicht, daß sich die K. Bayerischen Militär-
Bildungs-Anstalten den K. Preußischen immer mehr nähern und
in nicht ferner Zeit gleichkommen würden.
Der ferner vom K. Bayerischen Kriegsminister festgehaltene
Vorschlag in Betreff der Fassung des Artikels 64 der Bundes-
verfassung gab dem K. Preußischen Kriegsminister zu der Be-
merkung Anlaß, wie es seiner Ansicht nach nicht räthlich sein
285
würde, den Zusatz ,,im Kriege" in die Verfassung aufzunehmen;
ebenso glaube er, daß sich eine andere Fassung als die von der
K. Bayerischen Regierung für den Zusatz zum Artikel 65 vorge-
schlagene empfehlen würde, durch welche dem erkennbaren Wunsche
der K. Bayerischen Regierung ohne Schädigung der allgemeinen
Interessen Rechnung getragen werden könne. Von beiden Seiten
wird eine anderweitige Fassung des Zusatzes zu proponiren ver-
sucht werden.
Bezüglich des Artikels 68 der Bundes- Verfassung erkennt der
K. Bayerische Kriegsminister zwar das Bedürfniß eines Gesetzes
über den Kriegs- und Belagerungs-Zustand an, ist indeß der An-
sicht, daß für Bayern diese Sache bis zur Regulirung durch ein
allgemeines Bundesgesetz auf sich beruhen bleibe.
Schließlich wurde Seitens des K. Preußischen Kriegs-
ministers noch hervorgehoben, wie der im Artikel 62 der Bundes-
verfassung normirte Betrag von 225 Rth. jährlich pro Kopf der
Friedens-Präsenzstärke des Bundesheeres das Bedürfniß für die
Zukunft nicht decke, namentlich, wenn ferner daraus auch die in
Folge des jetzigen Krieges und der neueren liberaleren Invaliden-
Pensions-Gesetzgebung unverhältnißmäßig steigenden Ausgaben
des Pensions-Titels bestritten werden sollten. Deshalb liege es in
seiner Absicht, diese Ausgaben, welche an und für sich kaum zu den
Einrichtungen des Bundesheeres gerechnet werden könnten, im
gesetzlichen Wege auf die allgemeinen Staats- resp. Bundeslasten
zu verweisen.
Der K. Bayerische Kriegsminister nahm hiervon Notiz,
glaubte indeß, eine Erklärung in dieser Beziehung nicht abgeben
zu können, da diese Frage eine wesentlich finanzielle sei, welche das
gesammte Bundesbudget berühre und deshalb von ihm nicht ein-
seitig zu beurtheilen wäre.
Weiter fand sich Nichts zu bemerken, und ist dies Protokoll
beiderseits vollzogen worden.
gez. von Roon,
gez. von Pranckh. m. Kg. a.
4.Versailles 1870 Oktober 31. Protokoll der Verhandlungen
zwischen den Kriegsministern von Roon u. von Pranckh.
Zur Fortsetzung der am 26ten d. Mts. stattgefundenen Be-
sprechungen traten heute die unterzeichneten Kriegs-Minister wie-
derum zusammen.
Gegenstand der Erörterung bildeten die im Schreiben des
K. Preußischen Kriegs-Ministers vom 29ten d. Mts. geäußerten
Anschauungen in Betreff der Seitens der Königlich Bayerischen
Regierung über die Neugestaltung der deutschen Verhältnisse
gemachten Vorschläge.
Der K. Bayerische Kriegs-Minister spricht sich dahin aus,
daß das vorgedachte Schreiben — wie dies auch ihm willkom-
men sei — die \^erhandlungen zunächst auf den Cardinalpunkt
hinführe: welche Art von Verbindung zwischen dem Königreich
Bayern und dem Norddeutschen Bunde fernerhin angestrebt werden
soUe, ob ein verfassungsmäßiges Bündniß oder ob nur eine Erweite-
rung der Grenzen des bisherigen Allianz- Vertrages ?
286
Nachdem der K. Preußische Kriegs-Minister bestätigt hatte,
daß es allerdings wesentlich darauf ankomme, diese Vorfrage zu
erledigen, und sein Schreiben vom 29t. d. Mts. deshalb bezweckt
habe, diese Frage zur Erörterung zu bringen, erklärte der K. Baye-
rische Kriegs-Minister hierauf, wie der Auftrag Seiner Majestät
des Königs von Bayern und die Vollmacht, welche ihn nach Ver-
sailles geführt, dahin gehe, auf der Grundlage der Münchener Vor-
besprechungen über ein verfassungsmäßiges Bündniß zu verhandeln.
Hiermit würden nicht bloß die militärischen, sondern auch die po-
litischen und inneren Verhältnisse zusammenhängen.
Wenn nun K. Preußischer Seits diese Basis — wie nach
dem Schreiben anzunehmen — nicht als geeignet erachtet werde
für die erste Alternative, so befände er sich nicht in der Lage,
auf Grund seiner Vollmacht in Betreff der zweiten definitiv zu
verhandeln. Sonach würde diese zweite Alternative nur in vorläufige
Erwägung zu nehmen sein. Indeß glaube er, auch in dieser Be-
ziehung \'ollmacht erhalten zu können, müsse jedoch wünschen, daß
bei ferneren Besprechungen — insofern sich dieselben nicht lediglich
auf militärische Vorfragen bezögen — auch seine Collegen, die
K. Bayerischen Staats-Minister Graf Bray und von Lutz, zu-
gezogen würden.
Hierauf entgegnete der K. Preußische Kriegs-Minister, daß
nach seiner Auffassung für den Eintritt Bayerns in den Bund
die Münchener Abmachungen auch nach ihrer eventuellen Modi-
fication im Sinne der vorletzten Besprechung vom 26ten October
keine geeignete Grundlage abgäben.
Einestheils läge darin sachlich eine solche Sonderstellung
Bayerns, daß deren Acceptirung eine Reaction auf andere Regierun-
gen befürchten ließe, mit denen eine Verständigung in der Voraus-
setzung geschehen sei, resp. erfolge, daß nicht einer Regierung ein
Praecipuum zugestanden werde.
Anderntheils glaube er mit Bestimmtheit annehmen zu können,
daß der Reichstag auf einen großen Iheil der Bayerischer Seits
bei den Münchener Vorbesprechungen gemachten Special-Forderun-
gen keinen Falls eingehen würde; mißlich sei es überhaupt, an einen
Reichstag, dessen 1 endenzen auf Einheit gerichtet seien, ein solches
Ansinnen zu stehen.
Hiermit habe er nur die äußeren Gründe hervorgehoben, ohne
auf die gleichfalls vorhandenen inneren in der Sache einzugehen.
Sonach würde die Ausarbeitung eines Bündniß- Vertrages auf
dieser Basis voraussichtlich eine vergebliche Arbeit sein, obwohl er
wisse, daß man jetzt in Bayern mehr Werth auf einen wirklichen
Bund lege wie früher.
Lennoch ist der K. Preußische Kriegs-Minister der Meinung,
daß der militärische Zweck der Verhandlung wohl erreicht werden
könne, wenn sich die K. Bayerische Regierung, bei Festhaltung
ihrer speciellen Wünsche, zu einem Abkommen mit dem Nord-
deutschen Bunde verstehe, was ihr — wenn er sich so ausdrücken
dürfe — gewissermaßen ein Instrument in die Hand gäbe, den
Bayerischen Ständen gegenüber die Interessen der K. Baye-
rischen Armee, namentlich auch bezüglich des Etats, mit Erfolg
wahrzunehmen; er glaube daher, daß diese Alternative specieU
dem K. Bayerischen Kriegs-Minister nicht unangenehm sein könne.
287
der ja persönlich durch seine Amtsverwaltung schon so Vieles für
die Armee gethan und erreicht habe, wie daraus hervorgehe, daß die
Bayerische Armee von 1870 sehr verschieden von der von 1866 sei.
Dieser Auffassung der Sachlage glaubt der K. Bayerische
Kriegs-Minister sich anschließen zu können. Wenn nun zur Er-
reichung dieses Zwecks die Besprechung sich auf eine Erweiterung
des Allianz- Vertrages richte, so würde sich die Bayerischer Seits
bei den Münchener \'orbesprechungen proponirte Grundlage aller-
dings modificiren, weil bei einer solchen Verbindung der Character
der, so zu sagen, particularen Selbstständigkeit mehr erhalten werden
könne und es nur darauf ankomme, daß die Armee so tüchtig wie
möglich sei, um die Verbindlichkeiten desAllianz-Vertragesdei866,
resp. das erweiterte Bündniß, voll zu erfüllen. Eine Erhöhung der
Geldleistungen für die Armee sei aber Seitens der Bayerischen
Kammer freilich nur dann zu erwarten, wenn Bayern dafür andere
Vortheile geboten würden.
Hierzu bemerkte der K. Preußische Kriegs-Minister, daß nach
seinem Dafürhalten als Compensation für das Zustandekommen
eines erweiterten Bündniß- Vertrages die damit verknüpfte ünkünd-
barkeit des Zollvereins anzusehen sei, und würde diese auch wohl
Seitens der Bayerischen Kammer als eine ausreichende Gegenlei-
stung anerkannt werden.
Mit Rücksicht hierauf und um über alle Hindernisse hinweg
zu kommen, empfehle es sich vielleicht, zunächst und — wie er aus-
drücklich hervorheben wolle — ohne irgendwelche bindende Be-
deutung, eine Art Vertrags-Entwurf zu einer solchen Militär-Con-
vention aufzustellen und denselben dann den weiteren Bespre-
chungen, behufs der Verständigung, zu Grunde zu legen.
Der K. Bayerische Kriegs-Minister theilt diese Ansicht und
wird versuchen, einen solchen Entwurf aufzustellen.
Bei dieser Gelegenheit erwähnte derselbe noch, wie es ihm für
das Zustandekommen der Vereinbarung sehr vortheilhaft erschiene,
wenn außer der Unkündbar keit des Zoll- Vereins zugleich eine de-
finitive Beseitigung der im Jahre 1866 gegen Bayern erhobenen An-
sprüche auf das Eigenthum der sogenannten Düsseldorfer Gallerie
erfolge, da dies eine Angelegenheit sei, welche sowohl Sr. Majestät
dem Könige von Bayern als der gesammten Bevölkerung sehr am
Herzen liege.
Hierin sei jedenfalls ein Mittel geboten, über kleine Hindernisse
hinweg zu kommen, wenngleich er — auf diesfällige Frage des.
K. Preußischen Kriegs-Ministers — aussprechen zu müssen glaube,
darin ein Ausgleichungs-Objekt für wesentliche Punkte der vor-
liegenden Frage nicht erkennen zu können.
Schließlich wird noch das beiderseitige Einverständniß darüber
wiederholt ausgesprochen, daß der aufzustellende Entwurf nach
dieser Besprechung nur als ein noch keinen Iheil bindender Vor-
schlag zu betrachten und zu behandeln sei, da sie in dieser Beziehung
sich mit ihren Herren Collegen noch gar nicht benommen, viel ,
weniger die Allerhöchste Zustimmung nachgesucht hätten.
v. Roon
v. Pranckh m. Kg.A.
288
5- Zwei Verfassungsentwürfe Brays, überreicht am 30. Ok-
tober.
Abschrift I.
Zwischen dem durch den Beitritt Badens, Hessens etc. er-
weiterten Norddeutschen Bunde (dem Deutschen Bunde?) und dem
Königreiche Bayern wird ein unauflöshches Verfassungsbündniß
geschlossen. (Diese nationale Gesammt Verbindung soll fortan
den Namen: ,,Das Deutsche Reich" führen).
Diese Verbindung wird geschlossen zum Schutze des Reichs-
gebietes und des innerhalb desselben gültigen Rechtes unter nach-
stehenden Bedingungen:
I.
Als gemeinsame Angelegenheiten werden erklärt : — nach Maß-
gabe der Münchener Besprechungen.
II.
Die Überwachung der Reichsangelegenheiten soll einem „Reichs,
rath" als gemeinsamen Organ übertragen werden, und bei der Ge-
setzgebung der ,, Reichstag" als gemeinschaftliche Vertretung aher
deutschen Bevölkerungen mitwirken. Für die Wahl der Abge-
ordneten ist das Wahlgesetz für das Parlament des bisherigen Nord-
deutschen Bundes maßgebend.
Die Übereinstimmung der Mehrheitsbeschlüsse beider Ver-
sammlungen ist zu einem Reichsgesetze erforderlich und ausreichend.
Die Reichsgesetze erhalten ihre verbindliche Kraft durch die Ver-
kündung von Reichswegen durch das Reichs-Gesetzblatt.
(Staatenhaus).
III.
Im Reichsrathe führt Bayern 8 Stimmen.
In Verhinderungsfällen Preußens führt Bayern den Vorsitz.
In dem ersten, dritten und vierten Ausschusse wird Bayern ständig
vertreten.
IV.
Das Präsidium im Reiche steht der Krone Preußen zu.
Der König von Preußen führt den Titel ,, Deutscher Kaiser"
(Kaiser von Deutschland?) (Kaiser der Deutschen?)
V.
Die Vertretung des Reiches nach Außen findet durch den Deut-
schen Kaiser und den König von Bayern gemeinschaftlich statt,
und es haben sich bezüglich der Reichsangelegenheiten die bayeri-
schen Gesandten den Reichsgesandten anzuschließen und sie,
wo es gewünscht wird, oder auch ständig zu vertreten.
Die Instructions-Ertheilung ist in der Regel eine gemein-
schaftliche. In dringenden Fällen erfolgt sie durch das Reichs-
Kanzleramt allein — unter gleichzeitiger Mittheilung an Bayern.
Die Accreditirung fremder Gesandten für das Reich erlolgt
beim Deutschen Kaiser.
Verträge für das Reich werden durch den Kaiser unter Zu-
ziehung des Königs von Bayern abgeschlossen.
Das Recht, Staatsverträge für sich allein über Gegenstände
abzuschließen, welche nicht in den Kreis der Reichs- Angelegen-
heiten gehören, bleibt Bayern unbedingt gewährt.
289
VI.
Der Kaiser ist berechtigt, den Krieg sofort zu erklären, wenn
deutsches Gebiet angegriffen wird. In allen andern Fällen hat der-
selbe vor Abgabe der Kriegserklärung die Zustimmung des Reichs-
rathes zu erholen.
Zu den Friedens- Verhandlungen nach einem Reichskriege wird
stets auch ein Bevollmächtigter Bayerns zugezogen werden.
VII.
In Bezug auf die Zoll- und Handels-Verhältnisse bleibt der
Inhalt der bisherigen Zollverträge, insbesondere des \^ertrages vom
8. July 1867, sowie der seither erlassenen Vereinsgesetze bis zu einer
etwaigen verfassungsmäßigen Änderung in Kraft. (Die Kündbar-
keit des Zollvereins fällt hinweg.)
VIII.
Bestimmungen über das Reichskriegswesen gemäß Über-
einkommen der beiderseitigen Herrn Kriegsminister.
IX.
Bayern übernimmt die Leistungen für die Reichsmarine im
Verhältniß seiner Bevölkerung. Bestimmung über die Flagge.
X.
Das gemeinsame Ausgabenbudget und die Aufbringung der
erforderlichen Geldmittel durch Matrikularbeiträge nach dem Maß-
stabe der Bevölkerung wird im Wege der Reichsgesetzgebung fest-
gestellt.
XI.
Von den Reichsbeamten wird eine näher zu bestimmende Anzahl
nach bayerischem \'orschlage ernannt.
XII.
Abänderungen der Reichsverfassung, wodurch die Bayern ein-
geräumten Sonderrechte alterirt werden würden, können nur mit
Zustimmung Bayerns erfolgen.
Abschrift IL
Zwischen dem durch den Beitritt Badens, Hessens etc. etc.
erweiterten Norddeutschen Bunde (dem Deutschen Bunde?) und
dem Königreiche Bayern wird auf Grund der deutschen Bundes-
verfassung — aber mit nachstehenden Abänderungen derselben in
Betreff Bayerns — ein unauflösliches, nationales Verfassungsbünd-
niß geschlossen.
Die vorstehenden Stipulationen bilden einen Anhang der
deutschen Bundes- Verfassung und gelten fortan als ein integriren-
der Theil derselben.
In allen Fällen, wo zwischen diesen Feststellungen und dem
Texte der deutschen Verfassungs-Urkunde Verschiedenheiten be-
stehen, hat für Bayern lediglich das mit demselben abgeschlossene
besondere Abkommen Geltung und Verbindlichkeit. u.st.A.
Doeberl. Bayern und die Bismarckische Reichsgrfindung. I9
290
6. Stuttgart 1870 November 9. Freiherr von Gasser an
König Ludwig II. von Bayern.
(Original.)
Inmitten meiner trüben Stimmung über die hiesigen Verhält-
nisse erhielt ich vorgestern Abends ein Schreiben des Grafen von
Bray aus Versailles vom 3ten dieses Monats, dessen Inhalt dahin
geht, daß die württembergischen Vertreter dort vollständig ihre
eigenen Wege gegangen seyen, die preußischen Verhandlungen mit
jedem der süddeutschen Staaten gesondert geführt werden und,
nachdem dem Grafen von Bray der Stand der Verhandlungen mit
Württemberg an maßgebender Stelle als dem Abschluße nahe be-
zeichnet worden, derselbe darauf bedacht seyn müße, lediglich die
Stellung Bayerns ins Auge zu faßen. — Als post scriptum war
jedoch hinzugefügt, daß der Graf mit Herrn von Mittnacht soeben
noch eine Besprechung gehabt hätte, welche ein wenigstens theil-
weises Zusammengehen nun vielleicht doch noch als möglich er-
scheinen ließe. —
Ich habe mir es nun gestern zur Aufgabe gemacht, noch weitere
Schritte, und zwar so eindringlich als möglich, zu machen, um ein
offeneres, vertrauensvolleres Zusammenwirken des Herrn von Mitt-
nacht mit dem Grafen von Bray zu veranlaßen; — ohne Zurück-
haltung theilte ich den Inhalt des an mich gerichteten Privatschrei-
bens des Grafen von Bray dem Grafen von Taube, dem Geheimen
Rathe von Egloffstein mit und ließ es auch zur Kenntniß Ihrer
Majestät der Königin gelangen, die nöthigen Erläuterungen und
Wünsche hinzufügend. — Diese Taktik war von Erfolg; denn bereits
am Nachmittage kam Freiherr von Egloffstein zu mir, um die Sache
gründlich zu besprechen und mir ebenfalls Mittheilungen zu machen.
Aus Allem geht nun klar hervor, daß Graf Bismarck, mit ge-
wohnter Perfidie, Bayern und Württemberg zu entzweien sucht;
denn, nach hierher vor ein paar Tagen gelangtem Telegramm des
Herrn von Mittnacht, ist derselbe auch über das Stadium der Be-
sprechung noch nicht hinausgekommen; Graf Bismarck hat ihm
aber vorgeschlagen, zum Abschluße zu schreiten, unter dem Vor-
geben, daß Bayern gegen gewisse demselben zu machende weitere
Zugeständnisse den Kaisertitel angeboten habe. — Dem Grafen
von Bray hat der loyale Bundeskanzler aber erklärt, er sey mit
Württemberg dem Abschlüsse nahe.
Soviel l, nredlichkeit hat Sr. Majestät dem Könige die Augen
geöffnet und Freiherr von Egloffstein hat mir erklärt, der König
wolle mit aller Entschiedenheit, daß Herr von Mittnacht mit dem
Grafen von Bray fest zusammengehe. — Ich ersuchte nun inständig
Freiherrn von Egloffstein darauf zu wirken, daß Herr von Mittnacht
sogleich dahin instruirt werde, nur die gleichen Zugeständnisse wie
Bayern zu machen; zum späteren Nachgeben in den Punkten,
welche man gemeinschaftlich nicht würde erreicht haben, wäre ja
für Württemberg immer Zeit. Freiherr von Egloffstein versprach
mir dieses und äußerte sogar, daß, wenn Preußen an übermäßigen
Forderungen festzuhalten gewillt sey, es für Bayern und Württem-
berg von entschiedenem Vortheile wäre, die Verhandlungen abzu-
brechen imd bis nach dem Friedensschlüsse zu verlegen.
Freiherr von Egloffstein theilte mir außerdem mit, daß S.
Majestät der König neuerdings davon gesprochen habe. Seinem
291
Gesandten bei Eurer K. Majestät, Freiherrn von Soden, das Mini-
sterium der Auswärtigen Angelegenheiten anzubieten.
Im Hinbhcke auf alles dieses habe ich geglaubt heute früh an
Herrn Grafen von Bray folgendes lelegramm in Chiffern abgehen
lassen zu sollen :
,, Schreiben vom 3ten erhalten. Preußen will uns trennen, denn
Mittnacht telegraphirt vorgestern, daß er nicht über Besprechun-
gen gekommen, ihm aber Bismarck Abschluß vorgeschlagen, weil
Bayern, gegen gewisse Zugeständnisse, Kaisertitel angeboten. —
Ich habe dieses negirt; Soden, auf Anfrage, ebenfalls. — König will,
daß Mittnacht mit Ihnen fest zusammengehe. — Ich habe Egloff-
stein, welcher sogar von gemeinschaftlichem Abbrechen und \''er-
legen auf später spricht, gebeten anzuregen, daß Mittnacht instruirt
werde nur die gleichen Zugeständnisse wie Bayern zu machen.^) —
Es ist die Rede, Soden Äußeres zu geben. — Brief folgt." m. st.A.
7. München 1870 November 12. Bericht des Staatsmini-
steriums des K. Hauses und des Äußern an den König
von Bayern.
(Original.)
Der österreichische Reichskanzler Graf Beust, welcher seine
in die Schweiz reisende Gemahlin bis München begleitete, ist gestern
hier angekommen und hat dem treugehorsamst Unterzeichneten
einen längeren Besuch gemacht.
In der fast anderthalb Stunden währenden Besprechung konnte
die deutsche Frage nach aUen Seiten hin betrachtet werden, und es
bedarf wohl kaum besonderer Auseinandersetzung, daß Graf Beust
von ganzem Herzen eine selbstständige Stellung Bayerns im deut-
schen Verfassungsgebiete wünscht. Sie scheint ihm nicht bloß für
Bayern, sondern auch für Österreich nothwendig zu sein, damit die
Staaten von Preussen und Österreich nicht unmittelbar aufeinander-
stossen, sondern noch ein \'ermittlungsglied bleibe.
Ihm sei ferne, bemerkte der Reichskanzler, irgend eine Ein-
mischung Österreichs in die deutschen Verfassungs-Angelegenheiten
anstreben zu wollen; ihm könne sogar nur sehr erwünscht sein, nicht
in die Lage zu kommen, von dem Artikel IV des Prager Friedens-
Vertrages Gebrauch zu machen; nur müße in dieser Richtung we-
nigstens die Form gewahrt, es müße bei der Neugestaltung Deutsch-
lands Österreich diejenige Achtung bezeigt werden, wozu es, abge-
sehen von allem Übrigen, durch den besagten Artikel IV. ein sicheres
Recht habe, und es müsse ihm also möglich gemacht werden, zu
schweigen.
Der Eintritt Südhessens, Badens, ja selbst Württembergs in
den Norddeutschen Bund scheint dem Grafen Beust keinen Fall ab-
zugeben, um positive Einwendungen zu machen. Anders aber,
meinte er, liege die Sache, wenn Bayern, ein Staat hart an der öster-
reichischen Gränze, von solcher Größe und Bedeutung, der jetzt zwei
volle Armee-Corps gestellt habe, in den Norddeutschen Bund, wie
er ist, einträte; da könne es doch nicht gleichgiltig sein, daß ■ — da
1) Alleninterthänigste Bemerkung. Ähnliche chiffrirte Benachrichtigung
des Grafen ßray erfolgte auch von hier au.s, nachdem Baron Soden deß-
halb mit mir Rücksprache, genommen. von Daxenberger. m. St.A.
19-
292
Preußen das unbedingte Recht der Entscheidung über Krieg und
Frieden habe, auch dieser wichtige Theil Deutschlands unter diese
Entscheidung falle. Übrigens erklärte sich Graf Beust im Laufe der
Conversation wiederholt, nach seiner Beurtheilung der in Versailles
verweilenden bayerischen Staatsmänner, überzeugt, daß Bayern ein
solches bundesstaatliches V'erhältniß ohne die größten Äquiva-
lente nicht eingehen werde, derartige Äquivalente aber von Seite
Preußens kaum gegeben werden könnten oder zu finden wären.
Graf Beust besprach auch seine eigene Stellung und, wie es gar
nicht im Wunsche des bei Weitem größten Theiles der österreichi-
schen Monarchie liege, mit Deutschland wieder in eine staatsrecht-
liche Verbindung zu treten; was man aber wünsche, sei, daß man
Österreich bei der Ordnung dieser Fragen auch keine Mißachtung
bezeige und damit die Empfindlichkeit besonders in Ungarn ver-
letze. Im Ganzen war die heutige Stimmung des Reichskanzlers
eine für Preußen und den Norddeutschen Bund sehr freundliche,
friedliche, begleitet von dem Wunsche nach guten internationalen
Beziehungen.
Der treugehorsamst Unterzeichnete hat diese Gesinnungen
in zwei, zufällig gleichzeitig dahier eingelaufenen Berichten Ew.
K. Majestät Gesandten in Berlin vom 8ten und gten dieses Monats,
welche hieneben beigeschloßen sind, wiedergefunden, und glaubt
deßhalb seine eigene allerunterthänigste Berichterstattung be-
beschränken zu dürfen. Einen Umstand jedoch erlaubt er sich noch
kurz zu erwähnen, daß es ihm aus gelegentlicher Äußerung des
Grafen Beust klar geworden ist, daß die orientalische Frage, bei
welcher Österreich so tief betheiligt ist, wieder vor der Thüre steht,
und, wie es scheint, will Rußland die Verträge von 1856 kündigen.
In tiefster Ehrfurcht verharrend
Staatsrath v. Daxenberger.
*
Die unterm I2ten u. I3ten ds. Mts. erstatteten Berichte habe
Ich mit hohem Interesse eingesehen, aus den Äusserungen des
österreichischen Reichskanzlers aber ungern den Versuch zu ent-
nehmen geglaubt, sich in Angelegenheiten mischen zu wollen, welche
Ich lediglich mit Meinen Räthen der Krone zu ordnen gewillt bin.
Hohenschwangau 1870 November 16.
Ludwig. .M.st.A.
8. \'ersailles 1870 November 11. Hartrott „Oberstlieutenant
und Chef des Stabes des Kriegsministers" an Bismarck.
(Original.)
Ew. Excellenz habe ich die Ehre, infolge eines mündlichen
durch den K. bayerischen Oberstlieutenant Fries ausgesprochenen
\\'unsches des K. bayerischen Kriegsministers General der Infan-
terie Freiherrn von Pranckh, den von demselben ohne Concurrenz
des diesseitigen Kriegsministeriums ausgearbeiteten Entwurf zu
einer Militär-Convention mit Bayern zur geneigten Kenntnißnahme
gehorsamst zu überreichen.
Secret präsentirt 10. 11. 1870.
S. M. der König von Preußen als Oberhaupt des Deutschen
Bundes und S. M. der König von Bayern, geleitet von der Absicht,
293
die durch den Bündniß- Vertrag zwischen Preußen und Bayern vom
22. August 1866 geschaffenen Beziehungen zwischen Bayern und
dem Norddeutschen Bunde auf der Grundlage der durch den Schutz
des deutschen Gebietes bedingten gemeinsamen x\ction der deutschen
Heere dauernd sicher zu stellen, haben über die Art und Weise
dieser Sicherstellung beschlossen, in Verhandlungen einzutreten und
zu diesem Behufe zu Bevollmächtigten ernannt:
S. M. der König von Preußen etc. etc.
S. M. der König von Bayern etc. etc.
Diese Bevollmächtigten haben ihre Vollmachten ausgetauscht
und, nachdem dieselben in Ordnung befunden worden, über die
nachfolgenden Vertrags-Bestimmungen sich geeinigt:
Art. I. (v. A. 62 und 63 der Norddeutschen Bundesverfassung).
Das K. bayerische Heer bildet einen in sich geschlossenen Bestand-
theil des deutschen Bundesheeres mit selbstständiger Verwaltung
unter der Militärhoheit Sr. M. des Königs von Bayern, im Kriege
unter dem Oberbefehl des Bundesfeldherrn.
Art. n. (v. A. 58 w. o.). Die Kosten und Lasten des bayerischen
Kriegswesens werden von Bayern selbst getragen.
Art. ni. (v. A. 57 w. o.) Die K. bayerische Regierung wird in
ihrer Gesetzgebung die Bestimmung aufrechterhalten, daß jeder
Bayer wehrpflichtig ist und sich in Ausübung dieser Pflicht nicht
vertreten lassen kann.
Art. IV. (v. A. 59 w. o.) Die K. bayerische Regierung gestaltet
ihre Gesetzgebung dahin, daß jeder wehrfähige Bayer 12 Jahre lang,
in der Regel vom voUendeten 20. bis zum beginnenden 33. Lebens-
jahre, dem Heere und zwar die ersten drei Jahre bei den Fahnen
(active Armee), die nächsten vier Jahre der Reserve und die letzten
fünf Jahre der Landwehr angehöre.
Art. V. (v. A. 60 w. o.). Die Friedenspräsenzstärke des baye-
rischen Heeres wird gleichmäßig mit jener des Bundesheeres nor-
mirt.
Art. VL (v. A. 63 w. o.). In Bezug auf die Organisation,
Formation, Ausbildung und Gebühren, dann hinsichtlich der Mobil-
machung wird Bayern volle Übereinstimmung mit den für das
Bundesheer bestehenden Einrichtungen herstellen. Bezüglich der
Bewaffnung und Ausrüstung, ferner der Militärgesetzgebung und
der zu ihrer Ausführung, Erläuterung und Ergänzung erlassenen
Reglements und Exercitien behält sich die K. bayerische Regie-
rung die Herstellung der vollen Übereinstimmung mit dem Bun-
desheere vor.
Art. VII. (v. A. 64 w. o). Im Kriege sind die bayerischen Trup-
pen verpflichtet, den Befehlen des Bundesfeldherrn unbedingt
Folge zu leisten. Diese Verpflichtung wird in den Fahneneid auf-
genommen.
Art. VIII. Bayern behält die Festungen Ingolstadt und Ger-
mersheim sowie die auf seinem Gebiete belegenen Fortifikationen
Ulm und die seiner Zeit etwa auf demselben in gemeinsamem mili-
tärischen Interesse noch angelegt werdenden Befestigungen in voll-
kommen vertheidigungsfähigem Stande. In Betreff des gemeinsamen
294
mobilen Festungs-Materials bleibt bis auf weiteres die Übereinkunft
vom 6. Juli 1869 in Kraft.
Art. IX. (v. A. 65 w. o.) Die Anlage von neuen Befestigungen
und von Eisenbahnen auf bayerischem Gebiete im Interesse der
gesammtdeutschen Vertheidigung wird Bayern (vorbehaltlich jewei-
liger spezieller Vereinbarung) zugestehen. An den Kosten für den
Bau und die Ausrüstung solcher Befestigungsanlagen auf seinem
Gebiete betheiligt sich Bayern in dem seiner Bevölkerungszahl ent-
sprechendem Verhältnisse gleichmäßig mit den deutschen Bundes-
staaten.
Art. X. Sämtliche feste Plätze und andere Befestigungsanlagen
auf bayerischem Gebiete stehen unter bayerischen Kommandanten
und haben ausschließlich bayerische Besatzung.
Art. XL (v. A. 62 w. o). Die Feststellung des bayerischen
Militärausgaben^Etats erfolgt auf der Grundlage der Bestimmungen
gegenwärtiger Übereinkunft.
Art. XII. Zur steten gegenseitigen Information in den durch
diese Vereinbarung geschaffenen militärischen Beziehungen er-
halten die Militärbevollmächtigten in Berlin und München über die
wichtigeren einschlägigen Anordnungen entsprechende Mittheilung
durch die respectiven Kriegs-Ministerien. Zu gleichem Zwecke
werden norddeutsche und bayerische Offiziere als Delegirte gegen-
seitig zur Iheilnahme an den jährlichen größeren Truppenübungen
beordert.
Art. XII. Diejenigen Gegenstände des bayerischen Kriegs-
wesens, betreffs welcher die vorliegende Vereinbarung nicht aus-
drückliche Stipulationen enthält — sohin insbesondere die Bezeich-
nung der Regimenter etc., die Uniformirung, Garnisonirung, das
Militär-Bildungs- und Personalwesen u. s. w. — bleiben durch die-
selbe unberührt.
Art. XIV. Vorstehender Vertrag soU ratifiziert und soUen die
Ratifikationen binnen drei Wochen nach der Unterzeichnung in . . .
ausgetauscht werden. Zu Urkund dessen haben die eingangs be-
nannten Bevollmächtigten diesen Vertrag in doppelter Ausferti-
gung am heutigen Tage mit ihrer Unterschrift und ihrem Siegel
versehen. h.a. a.
9. Versailles 1870 November 17. Justizminister von Lutz
an Bismarck.
(Original.)
Ew. Excellenz übersende ich die in Aussicht gestellte Zuschrift,
aus welcher Sie gütigst entnehmen wollen, daß die zwischen uns
bestehenden Differenzen auf ein Minimum reduzirt sind. Ich war
gestern dreimal vor Ihrer Thüre, in der Hoffnung, Ew. Excellenz
die Zuschrift persönlich überreichen und noch eine Besprechung
haben zu können, um, womöglich, Klarheit in unsere Lage zu brin-
gen. Leider muß ich befürchten, daß ich mich nicht mehr mit Ew.
Excellenz zu besprechen Gelegenheit haben werde, was ich umsomehr
bedaure, als auch wir nicht länger mehr von Berufung unserer
Kammern Umgang nehmen dürfen und infolge davon unsere Rück-
kehrnachhause nicht länger mehr verschoben werden kann. Übrigens
295
spreche ich mit Vergnügen auch bei diesem Anlasse Ew. Excellenz
meine hochachtungsvollste Ergebenheit aus.
Punkte, über die eine Verständigung, und solche, für
welche eine Übereinstimmung noch nicht erzielt ist.
(Reihenfolge der Artikel der Norddeutschen Bundesverfassung zimi
Leitfaden genommen.)
Art. I, 2, 3, Einigung.
Art. 4.
Z. I haben mir Ew. Excellenz erklärt, es bestehe kein Hinderniß
dagegen, für Bayern die Gesetzgebung über dieHeimats- und Nieder-
lassungsverhältnisse vorzubehalten ; es wurde deshalb ein Zusatz zu
dieser Ziffer des Inhalts in Aussicht gestellt, daß das Gesetzgebungs-
recht des Bundes über die Heimats- und Niederlassungsverhältnisse
sich auf das Könip^reich Bayern nicht erstrecke.
Anlangend das Staatsbürgerrecht, so ist in München die Weg-
lassung dieses ^^'ortes gewünscht worden. Es hat sich aber bei nä-
herer Besprechung ergeben, daß damit nicht das gemeint sei, was
es nach bayerischem Staatsrecht bedeutet, nicht die Befugniß zur
Ausübung gewisser politischer Rechte, sondern nur die Staatsan-
gehörigkeit, resp. die Bundes- Staatsangehörigkeit. Gegen die
Beibehaltung wird kein Anstand mehr erhoben. Ich lasse auch
den Widerspruch gegen die Beibehaltung der Worte ,,und über den
Gewerbestand" fallen.
Bezüglich des Versicherungswesens bin ich zufrieden mit der
Erklärung, es solle in das Separat pro tokoll ein Satz des Inhalts
aufgenommen werden: wenn sich die Gesetzgebung des Bundes
einmal auf das Immobiliarversicherungswesen erstrecken sollte,
soll die Anwendung des betreffenden Gesetzes auf Bayern von der
Zustimmung der bayerischen Regierung abhängig sein.
Z. 7 zieht die früheren Bedenken zurück unter der Voraus-
setzung, daß in dem in Aussicht genommenen Separatprotokoll das
Recht Bayerns, ausländische Konsuln zu empfangen und auf seinem
Gebiet mit dem exequatur zu versehen, anerkannt und die Zu-
sicherung gegeben wird, daß deutsche Konsuln an einem auswärti-
gen Orte aufgestellt werden, auch wenn es nur bayerische Inter-
essen sind, die dieß als wünschenswerth erscheinen lassen. (Rand-
bemerkung mit Blei: , »Verwendung bayerischer Konsuln nach
Möglichkeit zugesichert").
Z. 10 Post und Telegraphenwesen. Hier handelt es sich zunächst
darum, die Legislatur des Bundes über beide Gegenstände anzuer-
kennen. ^^'enn ich mich recht erinnere, lautet der Vorschlag über
den Umfang, in welchem dieß geschehen soU, wie folgt: Dem Bunde
ausschließlich steht die Gesetzgebung über die Vorrechte der Post
und Telegraphie, über die rechtlichen Verhältnisse beider Anstalten
zum Publikum, über die Portofreiheiten und das Post-Taxwesen,
jedoch ausschließlich der Tarif bestimmungen für den internen Ver-
kehr, endlich die Regelung des Post- und lelegraphenverkehrs mit
dem Auslande zu. Da dieser Vorschlag weiter geht als die in Mün-
chen vorgeschlagene Fassung und ich meinerseits zu einem end-
giltigen Bescheid über diesen Punkt mich nicht für befugt hielt,
habe ich hierwegen um besondere Instruktionen gebeten, diese bis
296
jetzt aber noch nicht erhalten. Ich glaube indessen, daß sich hier-
über wird eine Verständigung erzielen lassen.
Z. II und 13. Meine früher gemachten Einwendungen ziehe
ich zurück, bin einverstanden, daß beide Ziffern in der für
Bayern verbindlichen Bundesverfassung eine Stelle finden. Als
eine Consequenz erkenne ich die Übernahme des für den Norddeut-
schen Bund erlassenen Strafgesetzbuches und des in der Ausarbei-
tung begriffenen Civilprozesses.
Daß als Z. 16 beigefügt werde: die Bestimmungen über die
Presse und das Vereinswesen entsprechen den in München geäußer-
ten Wünschen der bayerischen Regierung.
Art. 6.
Erkläre ich, daß Bayern sich mit Zuweisung von sechs Stimmen
genügen lassen werde.
Art. 7.
Ich darf hier wohl darauf zurückkommen, daß die Schaffung des
Staatenhauses in der von mir skizzirten Zusammenfassung viel-
leicht ein Mittel wäre, um die hier in München von Bayern und Würt-
temberg geäußerten Wünsche in ausgiebiger Weise zu befriedigen.
Gegen den Zusatz, inhaltlich dessen bei der Beschlußfassung
über eine Angelegenheit, welche nicht dem ganzen Bunde gemein-
schaftlich ist, die Stimmen nur derjenigen Bundesstaaten gezählt
werden, welchen die Angelegenheit gemeinschaftlich ist, habe ich
selbstverständlich keine Erinnerung.
Art. 8.
Ich darf wohl annehmen, daß der von bayerischer Seite ange-
sprochene ständige Sitz in dem ersten Ausschuß von Preußen zu-
gestanden wird, wenn ich auch zugeben muß, daß die betreffende
Bestimmung ihre Stelle da zu finden haben wird, wo die militäri-
schen Beziehungen Bayerns zum Bunde zum Ausdruck gelangen.
x\us gleichem Motiv erwähne ich, daß S. Excellenz Graf Bray die
Proposition bezüglich der Creirung eines diplomatischen Comitees
acceptirt.
Art. 13—14-
Wenn ich Ew. ExceUenz recht verstanden habe, wurde die in
München gemachte Anregung, daß im Falle der Verhinderung
Preußens der Vorsitz im Bundesrathe Bayern zustehen solle, von
preußischer Seite nicht beanstandet, was ich mir hiemit zu consta-
tiren erlaube. (Randbemerkung mit Blei: ,, Das ist noch geschehen,
indes halte ich die Sache für zulässig, da es sich nicht um die V^er-
tretung des Bundeskanzlers, sondern Preußens handelt.)
Art. 19.
Mit Fassung einverstanden bezüglich der Bundesexecution,
füge aber hinzu: über die übrigen Bestimmungen bezüglich des
Bundespräsidiums sich zu äußern muß ich Sr. Excellenz dem Grafen
Bray anheimgeben.
Art. 20.
Erkläre mich bereit, zur Übertragung des Wahlgesetzes für den
Reichstag des Norddeutschen Bundes vom 31. Mai 1869 auf Bayern
mitzuwirken und stimme zu, wenn Bayern für den Reichstag so
297
viel Abgeordnetensitze zugewiesen werden, als es Abgeordnete im
Zollparlament hatte.
Art. 35.
Gegen die von Preußen hier neuerdings in Aussicht genommene
Fassung (Zollgesetzgebung) keine Bedenken: In Bayern, Württem-
berg und Baden bleibt die Besteuerung des inländischen Brannt-
weins und Bieres der Landesgesetzgebung vorbehalten. Die Bundes-
staaten werden jedoch ihr Bestreben darauf richten, eine Überein-
stimmung der Gesetzgebung über die Besteuerung auch dieser
Gegenstände herbeizuführen.
Art. 38.
Wird sich wohl erst definitiv eine Äußerung abgeben lassen,
wenn feststeht, wie sich die Verhältnisse bezüglich des Militär-
wesens gestalten. (Randbemerkung mit Blei: ,, richtig").
Art. 53— 55-
Er kläre ich mich bereit, nunmehr die Zustimmung Bayerns
auszusprechen.
Die Gestaltung der Artikel 57 — "j-^ wird, sofern nicht in Mün-
chen schon eine Übereinstimmung erzielt ist, vom Resultat der
Verhandlungen über das Kriegswesen abhängen.
Art. 74—77-
Lasse ich den bisherigen Widerstand fallen, so sehr ich auch
fortwährend der Meinung bin, daß sie für alle Betheiligten in gleichem
Maße bedenklich.
Art. 78.
Würde ich wünschen die Fassung: Veränderungen der
Verfassung erfolgen im Wege der Gesetzgebung. Sie gelten als
abgelehnt, wenn sie im Bundesrat 14 Stimmen gegen sich haben. Es
scheint mir nur bilhg, daß von einer Verfassungsänderung Umgang
genommen werde, wenn die drei Königreiche sich gegen sie aus-
sprechen. Endlich bitte ich in dem bereits mehrfach geäußerten
Satze einen entsprechenden Ausdruck zu sichern, daß iura singulo-
rum nur mit Zustimmung des Betheiligten modifiziert werden können
und daß Bayern gegenüber Competenz-Erweiterungen ein Veto
mindestens mit der Wirkung zustehe, daß die auf Grund der Com-
petenz-Erweiterung zu erlassenden Gesetze in Bayern keine Geltung
haben. h.a.a.
10. Entwurf ohne Überschrift und ohne Datum.
1. S. M. der König von Preußen ertheilen kraft der Allerhöchst
Ihnen zustehenden Präsidialrechte, mit Zustimmung Sr. M. des
Königs von Bayern, den K. bayerischen Gesandten an den Höfen,
wo solche beglaubigt sind, Vollmacht, die Bundesgesandten im
Verhinderungsfalle zu vertreten, und es wird festgesetzt, daß in
allen Fällen, wo diese zur Geltendmachung allgemeiner, deutscher
Interessen erforderlich oder von Nutzen sein werden, die bayerischen
Gesandten den Bundesgesandten ihre Hilfe leihen.
2. Es wird im Bundesrathe ein diplomatischer Ausschuß gebil-
det aus den Vertretern Bayerns, Sachsens und Württembergs, unter
298
dem Vorsitz Bayerns mit der Berechtigung der Controle und An-
tragstellung bezüglich der äußeren Angelegenheiten des Bundes.
3. S. M. der König von Preußen wird die Zustimmung des
Bundes dafür in Anspruch nehmen, daß anerkannt werde: es sei
von Seite Bayerns durch die Bereitstellung seiner Gesandtschaften
für den diplomatischen Dienst des Bundes der Beitragspflicht für die
äußere Bundesvertretung Genüge geleistet, unbeschadet der ver-
hältnißmäßigen Leistungen für den Unterhalt der Consulate und des
Bundeskanzleramtes. h.a. a.
II. Versailles 1870 November23. KriegsministervonPranckh
an König Ludwig IL von Bayern.
(Original.)
Eurer K. Majestät berichtet der treugehorsamst Unterzeichnete
im Folgenden alluntei thänigst über den militärischen Theil der gegen-
wärtigen Verhandlungen zwischen Allerhöchst Ihren bevollmächtig-
ten Ministern und den Bevollmächtigten des Norddeutschen Bundes.
Die Erörterung der militärischen Fragen fand zunächst in besonde-
ren Conferenzen des treugehorsamst Unterzeichneten mit dem
preußischen Kriegsminister v. Roon statt. Allein diese Conferenzen
— in Folge Erkrankung des Generals von Roon überhaupt auf zwei
beschränkt — hatten nicht das gewünschte Ergebniß. Während näm-
lich nach dem Verlaufe der ersten derselben (26ten October). eine
schnelle Verständigung auf der Basis der Eurer K. Majestät bekannten
Münchener Besprechungen möglich schien, erklärte der preußische
Kriegsminister in der zweiten Zusammenkunft eben jene Verabre-
dungen als nicht ausreichende Grundlage für den Eintritt Bayerns
in den Bund. Vor Allem lasse die verlangte wesentliche Bevor-
zugung Bayerns eine Rückwirkung auf die anderen Staaten befürch-
ten, welche sich mit Preußen in der Voraussetzung geeinigt hätten,
daß keinem Bundesgliede erhebliche Vorrechte eingeräumt würden.
Dann aber werde auch der Norddeutsche Reichstag bei seinen so
ausgesprochenen Einheitstendenzen jener Sonderstellung Bayerns
durchaus entgegen seyn. Unter diesen Verhältnissen sei der mili-
tärische Zweck wohl nur durch ein Separatbündniß zu erreichen,
welches im Sinne einer Consolidirung des Allianzvertrags vom
Jahre 1866 die durch denselben bedingte gemeinsame Action der
bayerischen mit der norddeutschen Armee im Kriege durch mög-
lichste Einheit des beiderseitigen Heerwesens im Frieden vorbereite
und dauernd sicher stelle, und schon dieses Ergebniß könne für
werthvoll genug gelten, um preußischer Seits für das Zustandekom-
men einer solchen Vereinbarung die Unkündbarkeit des Zollvereins
als Compensation zu bieten.
Indessen, abgesehen davon, daß die letztere eventuelle Zusage
bei dem ausdrücklich noch unverbindlichen Charakter der Be-
sprechungen mit dem preußischen Kriegsminister ebenfalls völlig
unverbindlicher Natur war, so stand wohl überhaupt außer Zweifel,
daß jene Lösung keineswegs in der Absicht Preußens liege, sondern
daß vielmehr ein Verzicht auf das Kündigungsrecht der Zollver-
träge, also auf dasjenige Mittel, von dessen Anwendung Preußen
hoffen könnte, später selbst den bedingungslosen Eintritt Bayerns
in den Bund zu erwirken, auch jetzt nur um den Preis des Eintrittes
denkbar sey.
299
Eben diese Situation aber enthält nun anderen Theils die drin-
gende Aufforderung für Bayern, nicht jene spätere Zwangslage ab-
zuwarten, seinen Anschluß vielmehr eben jetzt zu vollziehen, da der-
selbe unter dem noch ungeschwächten Eindrucke und gewissermaßen
in der täglichen unmittelbaren Erkenntniß des Werthes der bayeri-
schen Waffengemeinschaft noch unter günstigen, später nicht mehr
erreichbaren Bedingungen für Bayern möglich ist. Und bei solcher
Sachlage entsprach es somit vollständig auch den Interessen Bay-
erns, daß Graf Bismarck, welcher vor wenigen Tagen die Leitung
der in's Stocken gerathenen Verhandlungen aufgenommen, einfach
zu dem verfassungsmäßigen Bündnisse mit Bayern zurückkam.
Es steht nunmehr ein Abschluß in naher Aussicht. Die Mün-
chener Verabredungen haben hiebei auch in den wesentlichsten
militärischen Fragen hauptsächlich zur Richtschnur gedient; nur
waren theils einige Zusätze in Betreff des Festungswesens, theils in
anderen Punkten Modificationen nöthig. Die bedeutendsten der-
selben aber fallen nur mit den militärischen Forderungen auch in
Bayern zusammen, insofern sie dahin gerichtet sind, die namhaften,
doch für die Schlagfertigkeit der Armee ganz unabweisbaren und
wohlbegründeten Leistungen im Norddeutschen Bunde als bindenden
Maßstab des Aufwandes für das Heer auch in Bayern festzustehen
und die Wiederholung ähnlicher Gefahr der Desorganisation von
der bayerischen Armee für die Zukunft fern zu halten, wie sie nach
den Kammerverhandlungen kurz vor dem Beginne des Krieges
unmittelbar nahe lag.
Eurer K. Majestät bevollmächtigte Minister werden nicht ver-
fehlen, sobald der entworfene Vertrag ihrerseits unter den ent-
sprechenden Vorbehalten zum Abschlüsse gelangt seyn wird, den-
selben zur Allerh. Kenntniß zu bringen. M.Rg.A.
12. Stuttgart 1870 November 23. Freiherr von Gasser an
Staatsrat von Daxenberger.
(Original.)
Ich habe Ihr geehrtes Schreiben vom 20ten erhalten. — Ganz
im Vertrauen gesagt, bedauere ich ungemein die Demarche von
Bray; sie hat hier bis zu einem gewissen Grade mißgestimmt; ich
glaube aber dieses Gefühl ziemlich wieder verwischt zu haben. —
Dagegen scheinen Suckow und Mittnacht diesen Umstand benützt
zu haben, um den König zum Abschluße zu drängen. — Damit wird
wohl auch zusammenhängen, daß man hier von dem Schreiben,
welches unser AUergnädigster Herr an mich gerichtet hat, mehr als
nöthig gesprochen haben wird. Soden ist die mir vom Könige in
der Audienz gegebene Antwort mitgetheilt worden. — ■ Nun hat
man in München davon Wind erhalten und hat noch das Seinige
beigefügt ; denn Eisenhart schreibt mir, in München erzähle man
sich, unser König habe dem hiesigen geschrieben, er halte es für
,, unter seiner Würde", einer Einladung nach Versailles zu folgen.
Der König hat nun dem Könige Carl gar nicht geschrieben
und in dem Schreiben an mich steht nichts derartiges; ich begreife
nicht, wie ein solches Gerede hat entstehen können, ich müßte mich
denn wieder überzeugen, daß der Fortschrittspartei jedes Agitations-
mittel recht ist. Ich habe gestern Eisenhart nach Hohenschwangau
300
geantwortet. Mit den hiesigen großdeutschen Parteiführern bin
ich, so zu sagen, nicht in Verbindung. -- Sowohl Probst als Oester-
len sind jeder ein Mal zu mir gekommen und ihr Anliegen habe ich
nach München berichtet ; ich habe sie mehr angehört als mich ausge-
sprochen und namentlich betont, daß, wie die Sachen nun ein Mal
lägen, wir fest darauf bauen könnten, daß Bray und Pranckh ihr
Möglichstes thun würden, um zu retten, was zu retten ist, und etwas
Unannehmbares gewiß nicht unterzeichnen würden. — Die gestern
bereits von der ,,Allg. Ztg." gegebene Nachricht von einer Möglich-
keit der Reise unseres Königs nach Versailles, im Zusammenhange
mit der Abreise von Holnstein, hat hier sehr frappirt; ich kann nun
nicht annehmen, daß, nachdem König Carl sein eventuelles Hin-
gehen ganz den Entschlüssen unseres Königs untergeordnet hat,
er, für den Fall eine Änderung in den Absichten eintrete, nicht zu
allererst benachrichtigt würde. — Ich darf Sie aber, verehrtester
Herr Staatsrath, darum bitten, Ihr Augenmerk darauf zu richten,
daß hier kein Übersehen stattfindet und daß der König von Würt-
temberg eventuell rechtzeitig benachrichtigt werde. — Wenn die
Reise Holnsteins in keinem Zusammenhange mit einer etwaigen
Reise des Königs stünde, so würde ich Ew. Hoch wohlgeboren sehr
verbunden seyn, wenn Sie die Güte haben wollten, mich durch ein
paar Worte darüber aufzuklären. — m. st. a.
13. Hohenschwangau 1870 Dezember 7. König Ludwig II.
an das Gesammtministerium.
(Original.)
Ich habe die anruhenden, Mir in Vorlage gebrachten vier Ur-
kunden einer ernsten und wiederholten Prüfung unterstellt. Zwar
hätte Ich gewünscht, daß es möglich gewesen wäre, in der Bundes-
verfassung das föderative Princip entschiedener zur Geltung zu
bringen; doch will Ich deshalb den getroffenen Vereinbarungen
Meine Genehmigung nicht versagen und gebe hiemit schon jetzt
den nach Versailles entsandten Ministern, deren erfolgreicher Thätig-
keit gelungen ist, der bayerischen Regierung so werthvolle Sonder-
interessen zu wahren. Meine vollste Zufriedenheit und Meinen ganz
besonderen Dank zu erkennen. Ich bin damit einverstanden, daß
nunmehr das Verfaßungsbündniß nebst Schlußprotokoll zur Be-
rathung im Staatsrathe gelange, und bestimme, daß von den Mini-
stern Graf Bray, Freiherr von Pranckh und von Lutz über die von
denselben in Versailles vereinbarten Bestimmungen \^ortrag er-
stattet werde. m. st.A.
IV.
Zur Gcsdiiclite des Kaiscrprobicms.
I. Wien 1870 Mai 4 (präsentiert 6.). Graf Fugger an König
Ludwig IL von Bayern.
(Original.)
Ich habe den oben citirten hohen Ministerialerlaß (vom i. Mai)
zu empfangen die Ehre gehabt und nicht ermangelt, den Inhalt des-
selben zum Gegenstand einer vertraulichen Besprechung mit dem
Herrn Reichskanzler zu machen.
Graf Beust nahm die Mittheilung über die Annahme des deut-
schen Kaisertitels von Seite des Königs von Preußen mit großem
Interesse entgegen und war sichtlich befriedigt, daß Eurer
K. Majestät Regierung die fragliche Angelegenheit in dieser
Weise mit dem hiesigen Kabinett zur Sprache brachten, worüber er
mir auch wiederholt seine Anerkennung aussprach. Er theilte mir
auch gleich bereitwilligst mit, was ihm selbst über die Sache bekannt
ist.
Nach den aus Berlin hier eingetroffenen Berichten sei die Nach-
richt über die projektirte Annahme des Kaisertitels zuerst dem eng-
lischen Gesandten Lord Loftus zugekommen, und zwar habe der-
selbe von München aus eine Andeutung erhalten.
Auf eine hierauf gestellte Interpellation des Grafen Wimpffen
habe der Unterstaatssekretär von Thile die Sache entschieden
verneint.
Ebenso habe der König von Preußen selbst dem französischen
Botschafter Grafen Benedetti gegenüber die angedeutete Absicht,
den Titel ,, Kaiser von Deutschland" anzunehmen, in Abrede gestellt.
Der Reichskanzler ist der Meinung, daß — wenn auch die den
Grafen Benedetti und Wimpffen gewordenen Antworten verneinend
lauteten, doch anzunehmen sei, daß in Berlin die Idee der Annahme
des erwähnten Titels geherrscht habe. Er glaubt sogar, daß Ver-
handlungen darüber mit Sachsen, Württemberg und Baden statt-
gefunden haben. Von letzterem Staate sei Baron Roggenbach nach
Varzin gesendet worden, um dem Grafen Bismarck die Bedenken
mitzutheilen, welche von Seite Badens gegen das Projekt gehegt wer-
den, indem die betreffende Annahme in Süddeutschland einen sehr
ungünstigen Eindruck machen würde.
Graf Beust ist der Ansicht, daß die Sache vertagt sei, indem die
Anerkennung des Titels schon deswegen große Schwierigkeiten be-
reiten müßte, weil in keinem Vertrag von ,, Deutschland" die Rede
sei. Man habe wohl norddeutsche Bundesgesandten accreditiren
302
können, da ein Norddeutscher Bund bestehe, jedoch der Titel
,,Kaiser von Deutschland" würde besonders hier, wo in der österrei-
chischen Monarchie selbst so viele Deutsche lebten, nicht ruhig
hingenommen werden können.
Bezüglich der Aufnahme Südhessens in den Norddeutschen
Bund äußerte sich der Graf dahin, daß er fest überzeugt sei, der
Großherzog von Hessen werde dazu nicht zu bewegen sein.
Auch fügte er ausdrücklich bei, daß die in der aus Berlin mit-
getheilten Depesche vom 29ten vor. Monats enthaltenen Ansicht :
Frankreich werde aus dem Eintritte Südhessens in den Nordbund
keinen casus belli machen, ein falscher calcul sein dürfte.
Zum Schlüsse bemerkte der Graf, daß er Eurer K. Majestät
Regierung dringendst anempfehle, auf diese Fragen ein wachsames
Auge zu haben, und er versprach mir, seine ihm desfalls zukom-
menden Nachrichten und Wahrnehmungen stets bereitwilligst mit-
theilen zu wollen. — m. st.A.
2. Schloß Berg 1870 September 14. König Ludwig II. an
Graf Bray.
(Original.)
Mein lieber Staatsminister Graf von Bray-Steinburg!
Ich habe allen Grund, anzunehmen, daß sowohl die höheren
preußischen Regierungskreise, als auch der Berliner Hof der Kaiser-
idee nichts weniger als ferne stehen. Es ist Mir nun von hohem Inter-
esse, sehr rasch zu erfahren, welche Stellung die Höfe von Dresden,
Stuttgart, Karlsruhe und Darmstadt zu dieser Sache einnehmen.
WoUen Sie daher Meine Gesandten an den bezeichneten Orten be-
auftragen, in vertraulicher und äußerst behutsamer Weise Erkun-
digung darüber einzuziehen, welche Auffassung bezüglich des ange-
regten Punktes bei dem betreffenden Hofe besteht, und was letzterer
etwa hierin zu thun gedenkt. Mit Rücksicht auf die vorliegende
Dringlichkeit sehe Ich beschleunigter geheimer Berichterstattung
entgegen. m. st.A.
3. Irlbach 1870 Oktober i. Graf Bray an König Ludwig IL
von Bayern.
(Konzept.)
Der treugehorsamst Unterzeichnete beehrt sich einen soeben
erhaltenen Bericht des K. Gesandten Grafen Tauffkirchen aus
Ferrieres vom 24ten v. Mts. Eurer K. Majestät beifolgend zu unter-
breiten.
Derselbe dient dem Telegramm vom gleichen Datum, welches
AUerhöchstdenselben bereits vorliegt, zur Bestätigung und weiteren
Ausführung. Es ergibt sich aus demselben mit größter Evidenz,
daß die Absicht der Proklamirung König Wilhelms zum Deutschen
Kaiser vorliegt ; daß aber dem Könige sehr viel daran gelegen ist,
vor Allem die Zustimmung, wo nicht ein Anerbieten Eurer K. Maje-
stät zu erlangen, und daß eben deßhalb eine frühere Zusammenkunft
mit AUerhöchstdenselben allein in Fontainebleau gewünscht wird.
Dagegen wird die Geneigtheit zu weitgehenden Concessionen in
Bezug auf eine Ausnahmsstellung der Krone und des Königreiches
Bayern in Deutschland deutlich ausgesprochen.
303
Der tr. g. U. kann angesichts dieser so bestimmten Angaben
seinen schon früher gestellten ehrfurchtsvollsten Antrag lediglich
submissest erneuern, dahingehend, daß Eurer K . Maj est ät ehrerbietigst
und dringend zu beschwören seien, die beabsichtigte Einladung des
Königs von Preußen nicht definitiv abzulehnen; sofern aber die
Reise nach Frankreich Allerhöchstdenselben absolut nicht genehm
wäre, schriftlich oder durch einen Bevollmächtigten die gewünschte
Zustimmung zur Kaisertitelannahme dem Könige Wilhelm aus-
zusprechen. Wenn die Absendung eines Bevollmächtigten zu diesem
Zwecke Allerhöchst beliebt würde, wäre derselbe zu beauftragen von
der gewünschten Ermächtigung nur dann Gebrauch zu machen,
wenn die Zugständnisse Preußens sich dieser Concession als würdig
und durch ihren überwiegenden Nutzen der Gegenleistung als eben-
bürtig erweisen.
Wenn der tr. g. U. es nicht unterläßt, auf diesen unwillkom-
menen Gegenstand abermals zurückzukommen, so drängt ihn dazu
die Erwägung, daß nach Ablauf einer gewissen Frist eine Prokla-
mirung durch eine Mehrzahl kleinerer deutscher Fürsten bevorsteht
und daß die nicht zu verweigernde Zustimmung zu einem bereits
angenommenen 1 itel den Werth bei weitem nicht haben würde, wie
ein der Oktroyirung der Kaiserwürde gleich zu achtendes Anerbieten,
und daß im gleichen Verhältniß die Geneigtheit zu Gegenconcessio-
nen schwinden müßte.
Der ehrerb. ü. kann deßhalb die baldige Ergreifung einer mit
den nöthigen Cautelen zu umgebenden Initiative nicht warm genug
Eurer K. Majestät pflichtmäßig und ehrfurchtsvollst empfehlen.
M. St. A.
4. Schloß Berg 1870 Oktober 3, König Ludwig II. an Graf Bray
(Original.)
Mein lieber Staatsminister Graf Bray!
Es ist Mir, wie Ich Ihnen bereits vor einiger Zeit mittheilen ließ,
von höchstem Interesse zu erfahren, ob etwa die preußische Re-
gierung bei den süddeutschen Staaten und Sachsen bezüglich der
Kaiseridee eine, wenigstens indirekte Thätigkeit zu entwickeln ver-
suchte und wie sich Württemberg und Sachsen zu jener Idee zu ver-
halten gesonnen sind. Ich sehe daher möglichst beschleunigter
Berichterstattung entgegen und verbleibe mit bekannten Ge-
sinnungen
Ihr gnädiger König
Ludwig. M. st.A.
5. München 1870 Oktober 9. Graf Bray an König Ludwig IL
von Bayern.
(Konzept.)
Schon in Folge einer früheren AUergnädigsten Anregung der
Kaiserfrage durch Eurer K. Majestät hat der ehrerb. Unterzeichnete
nicht unterlassen, über etwaige Schritte, welche von Preußen in
diesem Betreffe bei anderen deutschen Höfen etwa geschehen wären,
Erkundigung einzuziehen. Deren Ergebniß läßt sich dahin zusam-
menfassen, daß direkte Anträge nirgends gesteht worden sind, daß
es aber ebensowenig an deutlichen Insinuationen sowohl in der Presse
als aus dem Munde hochgestellter Persönlichkeiten gefehlt hat.
304
Bereits vor Beginn des Krieges war von der Annahme des
Kaisertitels durch den König von Preußen in weiteren Kreisen die
Rede gewesen. Erkundigungen, welche damals in Stuttgart einge-
zogen wurden, ließen mit Bestimmtheit erkennen, daß von Seiten
des Königs und insbesondere der Königin von Württemberg durch-
aus keine Neigung bestand dem Projekte Vorschub zu leisten und
daß auch der Kaiser von Rußland sich während seines Aufenthaltes
in Stuttgart für die Erhaltung des Status quo in Deutschland aus-
gesprochen habe.
Alle aus Dresden eingetroffenen Meldungen ließen eine gleiche
Abneigung am K. sächsischen Hofe gegen die neue Titulatur
erkennen.
Seitdem hat der Krieg durch seine Erfolge eine neue Situation
geschaffen; die Stimmung an den genannten Höfen ist nach allen
hieher gelangten ,, Andeutungen" die nämliche geblieben; überall
aber ist die Erkenntniß durchgedrungen, daß einem entschiedenen
Auftreten des Wunsches Preußens nicht werde mit Erfolg entgegen-
gewirkt werden können, und zwar umso weniger, als von Seite
Badens und vieler anderer deutscher Fürsten das bereitwilligste
Entgegenkommen zu erwarten ist.
Der treugehorsamst Unterzeichnete kann deßhalb nicht umhin,
die im Allerhöchsten Handschreiben vom 3ten 1. Mts. gestellte Frage
dahin zu beantworten, daß auf einen Widerstand Württembergs
oder Sachsens gegen die ernstlich und mit Entschiedenheit auf-
tretende Kaiseridee nicht zu rechnen sei. m.si.a.
6. Versailles 1870 Oktober i8. Bericht des Grafen v. Berchem
(Original.)
Nachmittags um 2 Uhr erhielt ich gestern das Telegramm, in-
haltlich dessen ich beauftragt wurde, die bevorstehende Ankunft
Ihrer Ex'cd des Staatsministers des Äußern und des K. Kriegs-
ministers im großen Hauptquartier zu melden. Ich traf
S. Excellenz den Grafen Bismarck erst um acht Uhr Abends und
übermittelte ihm den mir gegebenen Auftrag. Der Bundeskanzler
schien durch Freiherrn von Werthern bereits Kenntniß dessen zu
haben, was ich ihm mitzutheilen hatte, und nahm diese Eröffnung
dankend entgegen. Der Präsident des Bundeskanzleramtes v. Del-
brück war in diesem Augenbhck zugegen und schienen beide Herren
erwartet zu haben, daß auch der K. Staatsminister der Justiz
V. Lutz nach Versailles kommen werde. Wie diese Annahme ent-
standen, blieb mir unbekannt, doch äußerten beide Herren, nach-
dem es sich wohl um Ausarbeitung von Punktationen z. B. in Betreff
der Gewährung gegenseitiger Rechtshilfe, des Handelsrechtes und
der Zollgesetzgebung (es wurde auch das Telegraphenwesen erwähnt)
handeln werde — eine Arbeit, der sich in ihrem peniblen Detail
Ihre Exiil? Grafen von Bray und Freiherr von Pranckh wohl nicht
unterziehen wollten —, daß die Mitanwesenheit des K. Staats-
ministers der Justiz vor Allem für die juristische Behandlung des
Details erwünscht erschiene. Ich habe demnach theilweise chiffrirt
Heute Morgens telegraphirt : ,, Mittheilung von Graf Bismarck dan-
kend entgegengenommen. Graf Bismarck und Delbrück deuteten
wiederholt an, daß für die juristische Behandlung des geschäft-
305
liehen Details und technische Fragen die gleichzeitige Abordnung
Ministers Lutz hieher sehr begrüßt werden würde."
Aus den Worten des Bundeskanzlers schien mir hervorzugehen,
daß derselbe absolut keine Einwendung erhebe gegen den Status
causae et controversiae, wie er sich durch ]Mittheilungen an Herrn
von Delbrück in München und durch dessen Erwiederungen im
breitesten Rahmen festgestellt. Wäre das Gegentheil der Fall, ich
glaube, der Bundeskanzler hätte hierüber ein Wort fallen lassen. In
der Conversation bemerkte er, im Gegensatz zu seiner früheren An-
sicht lege er nunmehr allerdings Werth auf die Kaiseridee, aller-
dings nur für den Fall, daß dieselbe völlig spontan von den deut-
schen Fürsten ausgehe, so daß dieselbe kein Ausdruck der Volkssou-
veränität werde nach Art des durch suffrage universel gebildeten
Empire, — so daß dieselbe auch nicht in das Verfassungsrecht
der einzelnen Staaten übergehe, sondern ein bloßes auf Geschichte
gestütztes Symbol der Selbstständigkeit der deutschen Fürsten
werde. Welche Macht in dieser Idee liege, schließe er daraus, daß im
verflossenen Jahre England einmal den Vorschlag gemacht habe,
durch Realisirung dieser Idee den Status quo definitiv zu fixiren und
dadurch die Kriegsgefahr abzuwenden. Ich darf wohl bitten,
diese Äußerung des Bundeskanzlers, welche er in einer
Privatconversation machte, als eine streng vertrauliche zu
betrachten und zu behandeln. — Ein Präjudiz für die Nichter-
füllung dieser Idee wurde durchaus nicht ausgesprochen.
Die Vorbereitungen zur Belagerung sind noch weit zurück;
man hat auch verschiedene gute Gründe, sich nicht zu übereilen.
Es steht fest, daß die Unterhandlungen mit Bazaine fortdauern und
glaubt man, zu einem guten Resultate zu gelangen. Für heute wird
ein Ausfall der Besatzung erwartet und sind aUe Vorbereitungen
dagegen getroffen . m. st . a.
7. Versailles 1870 November 13 (präsentiert 19.). Minister
V. Lutz an Staatsrat v. Daxenberger.
(Original.)
Lieber und verehrtester Herr CoUega!
So wie die Dinge liegen, haben wir uns für verpflichtet gehalten,
an S. Majestät den König den beiliegenden Bericht ergehen zu
lassen. Es geschieht dies zur Entlastung unseres Gewissens, mag
dann folgen, was da wiU. Wenn das Ministerium nicht deutlich
spricht, wird es seiner Zeit großen Vorwürfen nicht entgehen und
vielleicht von Sr. Majestät Selbst Vorwürfe erhalten. Im Auf-
trage der Herren CoUegen Bray und Pranckh habe ich Sie nun zu
bitten, diesen Bericht den übrigen Herren Ministern zur Einsicht
vorzulegen und darnach denselben an S. Majestät den König
abzusenden, indem wir es den Herren Collegen überlassen, ob sie
sich dem Berichte anschließen wollen oder nicht. Im letzteren Falle
bedarf es natürlich nichts als der einfachen Absendung desselben.
Württemberg hat abgeschlossen und ist Mitglied des ,, Deut-
schen Bundes", wenn auch die Urkunde noch nicht vollzogen ist.
Von Baden und Hessen versteht sich dies von selbst. Württemberg
hat im Wesentlichen die sächsische Militär-Convention angenommen;
nur einige Bedingungen über die Ernennung der Commandanten
sind günstiger und eine Phrase über Ersparungen ist beigefügt.
Doeberl. Bayern und die Bismarckische Reichsgründung. 20
306
In dieser Woche werden wir ans Messer kommen. Ob etwas
zu Stande kommt, ist mindestens zweifelhaft. Sonst ist's hier
miserabel ! Wir sehnen uns alle drei sehr zurück ! Mit aufrichtigen
Grüßen an Sie und alle Collegen.
Ihr aufrichtig ergebener Lutz. m. st.A.
8. München 1870 November 19. Gemeinschaftlicher Antrag
der Staatsminister des Innern, der Finanzen und des
Handels an den König.
(Konzept.)
Die treugehorsamst Unterzeichneten haben sich heute, nach
Empfang des ehrfurchtsvollst beigeschlossenen Berichtes der in
Versailles verweilenden Staatsminister vom 12. d. Mts., versammelt
und, nachdem sie von dessen Inhalte Einsicht genommen, erlauben
sie sich, nach der Stimme ihres Gewissens und Pflichtgefühles vor
Allerhöchstdenselben auszusprechen, daß sie den gesammten In-
halt des anliegenden Berichtes theilen. Die treugehorsamst Unter-
zeichneten schließen sich der in dem Berichte ebenso ehrerbietigst
als dringend gestellten Bitte innigst an und beschwören auch ihrer-
seits Ew. Majestät derselben allerhuldvollst im Interesse der Krone
und des Allerhöchstdenselben von Gott anvertrauten Landes
Folge zu geben.
In tiefster Ehrfurcht verharrend
Pfretzschner Schlör Braun. M.st.A.
9. Versailles 1870 November 14. Graf Bray an den Kabinett-
sekretär Ministerialrat Dr. Eisenhart.
(Konzept.)
Ew. Hochw. habe ich den Empfang Ihrer beiden geehrten Zu-
schriften vom 3iten v. M. u. iten d. M. ergebenst zu bescheinigen.
Das erste darin berührte Thema entzieht sich, wie bereits in München
bemerkt, gänzlich meiner Competenz und Einwirkung und es könnte
dasselbe ohne den größten Nachtheil und ohne dringende Gefahr
von mir nicht in Anregung gebracht werden. Ich behalte mir darüber
mündliche Auseinandersetzung vor.
Die Angelegenheit einer Gebietsvergrößerung gehört in das
Gebiet der Friedensverhandlung und wird erst ernstlich und effektiv
in Betracht gezogen werden können, wenn mindestens die Friedens-
präliminarien zur Sprache kommen werden und von Frankreich
das Prinzip territorialer Abtretungen förmlich anerkannt sein wird.
Dies ist, wie E. H. bekannt, bis jetzt noch immer nicht der Fall und
es wird darauf mit Sicherheit nicht zu bauen sein, solange eine von
ganz Frankreich anerkannte legale Regierung nicht besteht.
Gesprächsweise habe ich diese i^rage mit dem Herrn Grafen
V. Bismarck allerdings schon berührt, — von dem Gesichtspunkte
ausgehend, daß Bayern nach den Leistungen dieses Feldzugs vor
allem schon Anspruch habe, einen Ersatz für den im Jahre 1866
erlittenen Verlust an Land und Leuten zu erlangen. Der Bundes-
kanzler hat einen solchen Anspruch Bayerns in keiner Weise be-
kämpft, denselben vielmehr beifällig aufgenommen, allein auch
seinerseits von den dereinstigen Friedensbedingungen abhängig
gemacht.
307
Dem telegraphisch ertheilten Allerhöchsten Auftrag einer Be-
richterstattung durch die IMinister von Pranckh und von Lutz ist
bereits durch einen an S. K. Majestät gemeinsam gerichteten Bericht
entsprochen worden. Die darin ausgeführten Gründe für eine Hieher-
kunft unseres Allergnädigsten Herrn drängen sich dem hier Weilenden
unter den jetzigen Umständen gebieterisch auf.
Nach Absendung des fraglichen Berichtes geht mir heute das
Telegramm E. H. vom ißten zu, woraus ich zu meinem lebhaften Be-
dauern entnehme, daß S. Majestät in Folge einer Sehnenverdehnung
erkrankt sind und somit eine Reise nicht unternehmen können.
Ich werde nicht ermangeln hievon geeigneten Orts Anzeige zu
machen und bin bis jetzt nicht in der Lage zu ermessen, ob, etwa
in der Hoffnung später eintretender Besserung, die beabsichtigte
Einladung gleichwohl abgesendet werden wird oder nicht.
Geschieht Ersteres, so wird hiefür wohl die Erwägung maßge-
bend sein, daß bei der Allgemeinheit der Maßregel eine Einladung
an S. Majestät nicht fehlen dürfe. Gelegentlich einer gestern bei Sr.M.
dem Könige von Preußen gehaltenen Hoftafel, zu welcher sämmtliche
bayerische Bevollmächtigte und deren Begleiter zur Feier des Ge-
burtsfestes der Königin-Witwe geladen waren, theilte mir Graf
Bismarck mit, daß statt des Prinzen Adalbert zur Überbringung
eines K. Handschreibens nach Bayern auch von dem Großherzog
von Sachsen-Weimar für diese Sendung die Rede sei, was Letzterer
sehr zu wünschen scheine.. Der Bundeskanzler hielt es jedoch für
angemessener, wenn mit einem solchen Auftrag der Onkel Sr. M.
betraut würde.
Die Erkrankung Sr. M. des Königs war damals, wie bereits
erwähnt, noch nicht bekannt.
Die württembergischen Bevollmächtigten sind, wie ich nach-
träglich durch Minister von Lutz in Erfahrung brachte, nach Vollen-
dung ihrer hiesigen Aufgabe, aber ohne förmliche Unterzeichnung,
gestern von Versailles abgereist, mit dem Vorbehalt zum formellen
Abschluß hieher zurückzukehren. Mir ist von denselben während
der ganzen Zeit ihres hiesigen Aufenthaltes eine geschäftliche Mit-
theilung nicht gemacht worden.
Die Großherzoge von Baden und Oldenburg weilen Beide am
K. Hoflager. Von Letzterem wurde mir mitgetheilt, daß, vorzugs-
weise durch wirksames Zuthun des preußischen Gesandtenin Athen,
von Wagner, die längere Zeit rückständige Rate der griechischen
Schiild an die Königin Amalie bezahlt worden sei. Der Großherzog
äußerte dabei Namens seiner durchlauchtigsten Schwester den leb-
haften Wunsch, daß es unserem Allergnädigsten Herrn gefallen möge,
dem gen. Gesandten, welcher wiederholt eine äußerst ersprießliche
Thätigkeit in dieser, das ganze K. bayerische Haus interessirenden
Angelegenheit entwickelt habe, durch Verleihung einer entsprechen-
den Ordensdekoration auszuzeichnen. Ich darf nicht unterlassen,
E. H. zu ersuchen, diesen Wunsch des Großherzogs und seiner
K. Schwester der huldvollsten Bedachtnahme Sr. M. des Königs
zu empfehlen. m. st.A.
20*
308
10. Hohenschwangau 1870 November 21. Kabinettsekretär
Eisenhart an Staatsrat v. Daxenberger.
(Original.)
Heute Nachmittag traf folgendes Telegramm ein:
,, Reise hierher wird entbehrlich, wenn S. M. schriftlich
die Initiative zur Übertragung des Kaisertitels, — die doch
jedenfalls erfolgt, zu übernehmen geruhen. Bericht folgt.
Bitte um telegraph. Antwort.
Bray."
Schade, daß das Telegramm nicht 30 Stunden früher anlangte;
ich hätte mir gestern 2 sehr unerquickliche Stunden gespart, und
Seine Majestät werden jetzt mit Recht annehmen, die von mir vor-
gebrachten Gründe : die Reise sei nothwendig zur Wahrung des per-
sönlichen Prestige, zur Förderung guter Beziehungen mit dem
preuß. Hofe, zur Belebung des bayer. Geistes in der Armee, zur
Niederhaltung der Action im Lande, zur Erreichung möglichst
guter Concessionen — alle die Gründe seien äußerst fadenscheinig
gewesen.
Ich beklage das Unterbleiben der Reise tief. Möge ich unrecht
haben. m. st. a.
11. Versailles 1870 November 21. Antrag des Grafen Bray
an den König.
(Konzept.)
Durch Telegramm vom löten d. M. ist zu E. K. M. Allerhöchster
Kenntniß bereits gebracht worden, daß es gelungen ist, die Ab-
sendung S. K. H. des Prinzen Adalbert von Preußen oder einer an-
deren fürstlichen Persönlichkeit an AUerhöchstdero Hoflager rück-
gängig zu machen.
Die Absendung der Einladung zum Fürstencongreß überhaupt
zu hindern — war dagegen, bei der Allgemeinheit dieser Maßregel,
nicht möglich, und, wie ich vernehme, ist der mit Überbringung
des königlichen Schreibens betraute Flügeladjutant im Begriff nach
München abzugehen, wenn er nicht bereits abgereist ist. Im ge-
meinsamen Berichte vom 12. d. M. haben E. K. M. hiesige Bevoll-
mächtigte die wichtigen Gründe hervorgehoben, welche für die An-
nahme der Einladung des Königs Wilhelm sprechen, und die Nach-
theile einer Ablehnung derselben wahrheitsgetreu geschildert.
Nachdem jedoch E. K. M. zu wiederholten Malen die geringe
Geneigtheit nach Versailles zu kommen geäußert haben, war es
mein eifriges Streben, ein Auskunftsmittel zu finden, wodurch
Allerhöchstdenselben die unwillkommene Reise, ohne Benachtheili-
gung der staatlichen Interessen, erspart werden könnte. Ein solches
Mittel ergibt sich nun in Folgendem: Wie E. K. M. bekannt ist,
wird hier sehr großer Werth darauf gelegt, daß das Werk der deut-
schen Einigung einen würdigen und monarchischen Abschluß durch
die dem neuen Bunde beizulegende Benennung: ,, Deutsches Reich"
und durch die Übertragung des Kaisertitels an König Wilhelm
erhalte. Man wünscht aber, daß die Initiative hiezu — nicht vom
Reichstage — , sondern von den deutschen Fürsten — mit dem Könige
von Bayern an deren Spitze — erfolge. Der deutsche Fürstencon-
greß wird dazu den Anlaß bieten, und darüber, daß die versammelten
309
Fürsten das Anerbieten in jedem Falle machen werden, besteht
volle Gewißheit. Ist dies aber ein Mal geschehen, so ist eine Ver-
weigerung der Anerkennung ebenso unthunlich, als eine nachträg-
liche Zustimmung unwürdig und peinlich wäre. Ich habe mir nun
durch eingehende Besprechung mit Graf Bismarck Sicherheit da-
rüber verschafft, daß, wenn E. K. M. durch ein Allerh. Schreiben
(mit thunlichster Beschleunigung des zu kurzer Sitzung versam-
melten deutschen Reichstages wegen) dem Könige von Preußen den
Titel eines deutschen Kaisers antragen, dies den Besuch, wenn nicht
nutzlos, doch entbehrlich machen würde. Die Bevollmächtigung
eines königlichen Prinzen zur stellvertretenden Theilnahme am
Fürstenkongreß wäre in diesem Falle genügend. Anlaß zu einem
solchen Schreiben wäre durch die Erstreckung des Vorsitzes König
Wilhelms über ganz Deutschland gegeben. In Anbetracht nun, daß
die Titelübertragung und Annahme jedenfalls kommen wird, — •
daß sie, wenn unvermeidlich, besser aus eigener, freier, königlicher
Initiative E. K. M. als durch späteres, unfreiwilliges Anerkennen
geschieht, endlich, daß dadurch die Summe der politischen Rechte
der Krone Preußen nicht vermehrt wird, erlaube ich mir, die Er-
greifung dieser Initiative durch ein an den König Wilhelm zu richten-
des Allerhöchstes Handschreiben ebenso dringend als ehrfurchtsvoll
zu empfehlen. Die politischen Vortheile eines solchen — gewiß
schweren, aber hochherzigen Entschlusses werden nicht ausbleiben,
und für die persönlichen Beziehungen wird mit Beseitigung lästiger
Besuchsreisen nachhaltig gesorgt seyn.
Wenn ich es wage E. K. M. allerunterthänigst um beschleunigste
Allerh. Beschlußnahme zu bitten, so hat dies seinen Grund in einer
sonst zu befürchtenden Manifestation des Reichstages, zu welcher
eine zahlreiche Partei drängt und welcher zuvorzukommen ein un-
verkennbares monarchisches Interesse gebietet.
Auch hier ist man von dieser Nothwendigkeit durchdrungen, da
eine von jener Versammlung zuerst angebotene Würde einen ganz
anderen Charakter annehmen würde als die Übertragung durch
gleichberechtigte Fürsten. Hierin liegt auch der Grund des hohen
Werthes, welcher einem für alle übrigen deutschen Souveräne maß-
gebenden Vorantreten E. K. M. beigelegt wird, und zugleich ein
Zeichen allgemeiner Anerkennung des Allerhöchstdenselben ge-
bührendes Vorranges.
Vorstehenden allerunterthänigsten bittlichen Antrag beehre
ich mich in Übereinstimmung mit dem Kriegsminister von Pranckh
und Staatsminister von Lutz E. K. M. huldvoUster Würdigung
und Entschlußnahme zu unterbreiten und dringend zu empfehlen.
M. St.A.
12. Hohenschwangau 1870 Nov. 25. Kabinettsekretär
Eisenhart an Staatsrat v. Daxenberger.
(Original.)
Empfangen Sie vor Allem meinen verbindlichsten Dank für
die gemachten Mittheilungen. Sämmtliche Anträge und Meldungen
des H. Staatsministers Grafen Bray habe ich im Allerh. Auftrage
nach Versailles beantwortet.
Gestern ist wieder ein Telegramm in der Kaiserfrage gekommen.
,,Die Käiserwürde ist unaufhaltsam, Zustimmung Bayerns unver-
310
meidlich. Wenn nicht S.M. Initiative ergreifen, was sehr gewünscht
wird, so werden die in Versailles versammelten Fürsten und beson-
ders das Parlament entschieden die Sache lösen." So der wesentliche
Inhalt des Telegramms. Seine Majestät haben jedoch noch keinen
Entschluß gefaßt und wollen noch ein Paar Tage zuwarten.
Wissen Ew. Hochwohlgeboren etwas Genaueres darüber, daß
Exe. Graf Bray bis Graf v. Holnstein's Eintreffen in Versailles dort
bleibt? Bitte um geneigte Notiz.
Die Briefe der Gesandten v. Gasser und Freiherrn v. Schrenkh
beehre ich mich zurückzusenden. Der dritte ist der eines anonymen
Flegels. Der Mann scheint gewußt zu haben,warum er sich mit seinen
Anliegen gerade an Freiherrn v. Schrenkh als Vermittler wendet !
Der politische Theil des Briefes des Freiherrn v. Schrenkh ist
mir — im Vertrauen gesagt — unfaßlich; wie kann ein früherer
Minister und Bundestagsgesandter und Reichsrath — mit an-
deren Worten eine staatsmännische Capacität glauben, daß jetzt,
wo die nationale Strömung so stolz und gewaltig, jetzt, wo leiden-
schaftliches Parteileben in unserem Lande die Regierungsgewalt
so hemmt, Bayern auf die Dauer isolirt bleiben könne! Ich halte
es für absolut unmöglich und glaube nicht, in dem Fall der Irrende
zu sein. m. st.A.
13. Hohenschwangau 1870 November 25. König Ludwig II.
an die Prinzen Karl, Adalbert, Ludwig, Karl Theodor.
(Abschrift.)
Schon nach den ersten Waffenerfolgen haben sich in national-
liberalen Kreisen Stimmen für die Übertragung der Kaiserwürde
an den König von Preußen erhoben. Sowohl die Presse dieser Partei
als konservative preußische Blätter haben diesem Gedanken Nah-
rung gegeben und auch im Großen ITauptquartier ist man laut ein-
getroffener Berichte bereits im September der Frage keineswegs
mehr ferngestanden; in weiterer Entwicklung der Sache erhielt
Ich unterm 30. Oktober von Sr. K. Hoheit dem Großherzog von Ba-
den ein längeres Schreiben, in dem er Mich dringend und wiederholt
bittet, ,, dem ruhmvollen Heerführer der Deutschen durch einen hoch-
herzigen Akt königlicher Initiative des Reiches Krone anzubieten".
Und als Ich mit Erwiederung des Schreibens zögerte, sandte S. K.
Hoheit ,, seinen Freund", den Staatsrat Dr. Geizer, nach München,
welcher Mir gegenüber auf die Realisirung der Kaiserfrage in an-
gedeutetem Sinne kräftigst wirken sollte. Volle Klarheit in der
Sache brachte ein gestern aus Versailles eingetroffenes Telegramm
des Staatsministers Grafen Bray, welcher schon früher das volle
Einverständniß Bismarcks mit der Kaiseridee berichtet hatte, und
welches Telegramm meldet, daß nach Berliner Mittheilungen der
Antrag im Reichstage wegen der Kaiserwürde unaufhaltsam sei,
Preußen nebst den anwesenden Fürsten auf Meine Initiative großen
Werth legen, außerdem ohne diese vorgingen, daß der Kaiser
sicher komme und eine nachträgliche Zustimmung Bayerns unver-
meidlich, die äußerst kurze Reichstagsaktion jedoch zu schleunig-
stem Handeln veranlasse.
In dieser für Bayerns Krone und Land äußerst wichtigen und
folgenschweren Angelegenheit, welche auch die Mitglieder des
königlichen Hauses in hervorragender Weise berührt, möchte Ich
311
in voller Würdigung des Ernstes der Lage keinen Entschluß fassen,
ehe ich nicht Gelegenheit hatte, Ew. K. Hoheiten und Liebden
wohlgereifte (mutatis mutandis auf weiser seltener Erfahrung be-
ruhende) Anschauung kennen gelernt zu haben, und dient es Mir
zur Beruhigung Derselben gutachtliche Äußerung in das Bereich
Meiner Erwägungen ziehen zu können, weshalb Ich Ew. K. Hoheit
auffordere Mir zur recht reiflichen Überlegung, aber mit möglichster
Beschleunigung Deren Ansicht in dieser leider so brennend gewor-
denen Frage in Kürze zum Ausdruck zu bringen. Mit dem hohen
Wunsche, es möge der Allmächtige auch in Zukunft Mein geliebtes
Bayern in Seinen Schutz nehmen, bin Ich in freundvetterhchem
Wohlwollen Ew. K. Hoheit gutwilliger Vetter, Neffe,
Ludwig. M. H.A.
14. Hohenschwangau 1870 November 25. König Ludwig II.
an seinen Bruder Prinzen Otto.
Lieber Otto!
Sehr wijrde es mich freuen, wieder einmal Nachricht von Dir
zu erhalten. Wie geht es vor allem mit Deiner Gesundheit ? Schone
Dich recht, gehe ja nicht zu früh zur Armee ab, besser gar nicht. —
Gewiß sprach sich die Cousine des deutschen Kaiserkandidaten
recht unpolitisch aus, so daß jedes blauweiße Herz empört sein
muß?! —
Ich erlebte mittlerweile recht viel Trauriges! Selbst der bay-
erische, monarchische Bray beschwor mich mit Prankh und Lutz
so bald als möghch jenem König die deutsche Kaiserkrone anzu-
bieten, da sonst die anderen Fürsten oder gar der Reichstag es thun
würde. Könnte Bayern allein, frei vom Bunde stehen, dann wäre
es gleichgültig, da dieß aber geradezu eine politische Unmöglichkeit
wäre, da Volk und Armee sich dagegen stemmen würden und die
Krone mithin allen Halt im Lande verlöre, so ist es, so schauderhaft
und entsetzlich es immerhin bleibt, ein Akt von politischer Klugheit,
ja von Noth wendigkeit im Interesse der Krone und des Landes,
wenn der König von Bayern jenes Anerbieten stellt; da, nachdem
Bayern nun doch einmal aus politischen Gründen in den Bund muß,
hinterher der nun doch nicht mehr ferne zu haltende Kaiser von
mir bon gre mal gre anerkannt werden muß. — Da die Sachen
leider so stehen, Widerstand vergebhch wäre, so gebietet es das
Interesse, wenn die übrigen Fürsten oder gar das Volk von mir über-
flügelt werden. Jammervoll ist es, daß es so kam, aber nicht mehr
zu ändern. Schreibe recht bald. —
Meine herzlichsten Grüße Dir sendend, umarme ich Dich, lieber
Otto, und bleibe in aufrichtiger, brüderlicher Liebe stets Dein treuer
Bruder Ludwig. m. h. a.
15. München 1870 November 28. Aus einem Briefe des Prinzen
Otto an König Ludwig IL
(Original.)
Lieber Ludwig!
Für Deinen lieben Brief, der mir herzliche Freude bereitete,
entrichte ich meinen innigsten Dank ! Bin ich doch in dieser schwe-
312
ren, jammervollen Zeit tagtäglich viele Stunden in Gedanken bei
Dir und hoffe und ersehne, daß all' der Kummer und das Elend sein
Ende nehmen möge und daß endlich wieder einmal glückliche,
erfreuliche Zeiten für Dich und das alte Bayerland kommen mögen !
Denn auf Regen folgt Sonnenschein, und wie oft schnell wechselt
nicht das Glück in der Politik. Ich vertrau' auf Gottes Schutz,
und er wird doch einst den Hochmuth und Anmaßung zu Schanden
machen und dem Recht und der Wahrheit den Sieg verleihen ! !
Als ich Deinen Brief gelesen, kamen heiße Thränen in meine
Augen, undnoch jetzt schmerzt mich die erschütternde Mittheilung,
die Du mir gemacht, so oft sie mir wieder in den Sinn kömmt. Doch
habe ich immer noch ein wenig Hoffnung. Vielleicht kömmt was
Unerwartetes dazu und rettet uns noch vor dem Untergang ! Noch
ist's nicht zu spät. Höre noch einmal meine Stimme; ich beschwöre
Dich, das Schreckliche nicht zu thun! Wie kann es denn für einen
Herrn und König eine zwingende Gewalt geben, seine Selbständigkeit
dahin zu geben und außer Gott noch einen Höheren über sich an-
erkennen zu müssen! \\'ird der Name Bayern noch geachtet, nur
noch genannt werden im Ausland ? !
Mögen wir auch für den jetzigen Augenblick Vortheile und Zu-
geständnisse erlangen, die vielleicht von großem Umfang sind, so
wiegen sie doch gewiß nicht den hundertsten Theil von jenem
Nachtheil auf, den wir durch Dahingebung der Selbständigkeit erlei-
den.
Mögen diese Concessionen auch für den Augenblick beträchtlich
sein, mögen sie auch vielleicht für 20 — 30 Jahre erhalten bleiben, so
wird doch gewiß immer mehr davon abgezwackt werden und in
50 — 100 Jahren, wenn es recht lange währt, sind sie uns vielleicht
sämmtlich abgerungen!
Was wird nicht der erste Schritt alles nach sich ziehen! Oh!
mög' Gott ihn von uns fern halten ! ! Welche Undankbarkeit, welche
bodenlose Niedertracht liegt nicht darin, daß die Preußen sich so
gegen Dich benehmen, der Du so edel und uneigennützig gegen sie
gehandelt hast! Gar keinen Namen aber kennt das Verhalten jenes
Theiles Deiner Unterthanen, die zu ihnen halten und ihnen gar offen
oder auch hinterrücks in die Hände arbeiten!
Wie fühle ich es mit Dir, daß Dich dieß alles tief schmerzen
und kränken muß! Doch ich hoffe, daß mit Gott wieder bessere
Zeiten kommen müssen.
Doch nun bitte ich es mir zu verzeihen, wenn ich so offen und
laut meine Gesinnung ausgesprochen! Doch es drängt mich dazu
und es mußte heraus. Wie bedaure ich Dich, daß Du immer mit
solch' leidigen Angelegenheiten zu thun haben mußt. m. h.a.
16. Hohenschwangau 1870 November 28. König Ludwig IL
an den Grafen Bray.
(Abschrift.)
Den Verhandlungen in Versailles zwischen Meiner Regierung
und dem Nordbund bin Ich während der ganzen Dauer der Kon-
ferenzen mit der größten Aufmerksamkeit gefolgt. Trotzdem ver-
mochte Ich keinen erschöpfenden Einblick zu gewinnen, da weder
von Ihrer Seite noch jener der beiden anderen abgeordneten Staats-
313
minister periodisch Detailsberichte erstattet wurden und die aller-
dings zahlreich eingelaufenen Meldungen den Gang der Bespre-
chungen mehr im allgemeinen kennzeichneten. Auch über die
Hauptpunkte des erzielten Übereinkommens habe Ich weder auf
telegraphischem Wege noch durch einen Kurier Meldung erhalten
und bin daher bis zur Stunde nicht in der Lage bezüglich Meiner
Ratifikation einen Entschluß zu fassen. — Gleichwohl haben Sie
jüngst die Anerbietung der Kaiserwürde gutachtlich beantragt und
hiedurch ein Vorgehen Meinerseits befürwortet, welches den festen
Entschluß dem neuen Bunde beizutreten unbedingt voraussetzt.
Ich erkenne es zwar dankbar an, daß Sie gleich dem Kriegs- und
Justizminister beseelt von warmer Anhänglichkeit für Ihre Heimat
die Interessen der Dynastie und Bayerns mit rühmenswerther Aus-
dauer und Festigkeit vertreten; trotzdem müßte Ich es beklagen,
wenn durch obgedachte Verfahrungsweise Nachtheile für Krone und
Land erwüchsen, welchen unschwer hätte vorgebeugt werden können,
und sehe Ich wenigstens nunmehr ungesäumter Aufklärung ent-
gegen. M.H.A.
17. Hohenschwangau 1870 November 29. König Ludwig IL
an den Grafen Bray.
(Original.)
Mein lieber Staatsminister Graf von Bray! Sie haben vor
Kurzem in Übereinstimmung mit dem Kriegs- und Justizminister
die Anerbietung der Kaiserwürde an den König von Preußen im
Hinblicke auf die gegebenen Verhältnisse gutachtlich bei Mir befür-
wortet. Nun kann ich aber in dieser Angelegenheit einen wohlbe-
messenen Entschluß erst dann fassen, wenn Ich wenigstens die
Hauptpunkte des mit dem Norddeutschen Bunde erzielten Überein-
kommens genau kenne und gebilligt habe. Gleichwohl ist Mir weder
hierüber noch über die Details der Verhandlung der ersehnte Bericht
zugegangen, hiedurch aber gegen Meine Absicht eine Lage geschaf-
fen worden, welche meine Thätigkeit und Meinen Entschluß in
jener allerdings dringenden Lage hemmt, und welche Sie nun schleu-
nigst beseitigen werden. Im übrigen erkenne Ich es freudig und gerne
an, daß Sie gleich den genannten Ministern beseelt von treuer An-
hänglichkeit an Krone und Land die Interessen der Dynastie und
Bayerns mit bewährter Umsicht und rühmenswerther Festigkeit
zu vertreten suchten, und entbiete Ich den Zurückgekehrten
Meinen Königlichen Gruß. Mit bekannten Gesinnungen Ihr
gnädiger König Ludwig M.st.A.
18. Hohenschwangau 1870 November 30. König Ludwig IL
an die Fürsten und Freien Städte Deutschlands.
(Abschrift.)
Die von Preußens Heldenkönige siegreich geführten deutschen
Stämme, in Sprache und Sitte, Wissenschaft und Kunst seit Jahr-
hunderten vereint, feiern nunmehr auch eine Waffenbrüderschaft,
welche von der Machtstellung eines geeinigten Deutschlands glän-
zendes Zeugniß gibt. — Beseelt von dem Streben, an dieser werden-
den Einigung Deutschlands nach Kräften mitzuwirken, habe Ich
nicht gesäumt, deshalb mit dem Bundeskanzler-Amte des Nord-
314
deutschen Bundes in Verhandlungen zu treten. Dieselben sind jüngst
in Versailles zum Abschlüsse gediehen. Nach dem Beitritte Süd-
deutschlands zum deutschen Verfassungsbündnisse werden die
Seiner Majestät dem Könige von Preussen übertragenen Präsidial-
rechte über alle deutschen Staaten sich erstrecken. Ich habe Mich
zu deren Vereinigung in Einer Hand in der Überzeugung bereit
erklärt, daß dadurch den Gesammtinteressen des deutschen Vater-
landes und seiner verbündeten Fürsten entsprochen werde, zugleich
aber in dem Vertrauen, daß die dem Bundespräsidium zustehenden
Rechte durch Wiederherstellung eines Deutschen Reiches und der
deutschen Kaiserwürde als Rechte bezeichnet werden, welche Seine
Majestät der König von Preußen im Namen des gesammten deut-
schen Vaterlandes auf Grund der Einigung seiner Fürsten ausübt.
In Würdigung der Wichtigkeit dieser Sache wende Ich Mich an Euere
etc. mit dem Vorschlage, in Gemeinschaft mit Mir bei Seiner Maje-
stät dem Könige von Preußen in Anregung zu bringen, daß die Aus-
übung der Bundespräsidialrechte mit Führung des Titels eines
Deutschen Kaisers verbunden werde. — Es ist 5lir ein erhebender
Gedanke, daß Ich Mich durch Meine Stellung in Deutschland und
durch die Geschichte Meines Landes berufen fühlen kann, zur
Krönung des deutschen Einigungswerkes den ersten Schritt zu thun,
und glaube Ich der freudigen Zustimmung Euerer etc. entgegen
sehen zu dürfen. m. st.A.
19. Hohenschwangau 1870 Dezember 3. Kabinettsekretär
Eisenhart an den Grafen Bray.
(Original.)
Eurer ExceUenz
beehre ich mich über die Kaiserangelegenheit Nachstehendes zu
berichten.
Am 30. Nachm. schrieb S. Majestät an den König von Preußen,
wobei der von Eurer Excellenz revidirte Bismarck'sche Entwurf wort-
getreue Benützung fand; zugleich schrieb S. Majestät an mich in
M., die Frage der Absendung des Briefes ,,in meine Hände legend".
Es war mir daher von größtem Werthe, vorher über die Sache mit
Eurer Excellenz gesprochen zu haben. Die Bismarck'sche Redaktion
schien mir zwar etwas stark geschäftlich; aber die Form ist doch
nicht die Hauptsache ; gegen den Inhalt des Briefes vermochte ich
nach bestem Wissen und Gewissen nichts einzuwenden, und so
wurde denn Nachts halb ein Uhr der Brief gesiegelt, Graf Holn-
stein fuhr dann noch zum norddeutschen Gesandten und morgens
sechs Uhr nach Versailles, wo er heute ankömmt. Morgen findet
muthmaßlich officielle Übergabe des Briefes statt, wozu K. H. Prinz
Luitpold von Sr. Majestät beordert wurde. Welch seltsame Fügung
kann man mit dem Preußenkönig sagen, Prinz Luitpold! über-
reicht einen Kaiserbrief an König Wilhelm! Am 2. schrieb S. Maje-
stät höchsteigenhändig an König von Württemberg und König von
Sachsen; die betreffenden Gesandten wurden angewiesen die Briefe
schleunig, womöglich persönlich den Souverains zu überreichen.
Am gleichen Tage und heute erfolgten Schreiben im Curialstyl v. Sr.
Majestät unterzeichnet an sämmtliche Bundesglieder, auch die
freien Städte.
315
Zur geneigten Einsicht lege ich Copie der Schreiben an.
Graf Holnstein ist beauftragt, den in Versailles befindlichen
Bundesfürsten die Briefe zu überreichen, wobei ich bemerke, daß
S. Majestät dem Großherzog von Baden gleichfalls heute höchsteigen-
händig schrieb ; der Brief ist eine Erwiederung auf die großherzog-
lichen Briefe und weicht daher in der Form von den anderen wesent-
lich ab. Das punctum saliens, Kaiserwürde und Reich, ist natürlich
auch enthalten. Sämmtliche Briefe sind bereits auf der Post.
S. Majestät machen, obwohl durch Kaiserbrief und Vollmacht an
Minister von Lutz etc. die Sache als entschieden anzusehen, — noch
immer Schwierigkeiten wegen Bundesexekution, Fahneneid, Bundes-
gesetzgebung bezüglich Kriegszustand, Bundescompetenz in Ver-
fassungsstreitigkeiten etc. — Hat die Bestimmung in § 13 Absatz 2
des Vertrages vom 23. November 1870: ,,Die Bundesstaaten wer-
den ihr Bestreben darauf richten, eine Übereinstimmung der
Gesetzgebung über Besteuerung auch der Gegenstände (Brannt-
wein und Bier) herbeizuführen, hat diese Bestimmung etwas Be-
denkliches? Ich bin weder Finanzmann noch Nationalökonom, um
diese Frage mit Sicherheit lösen zu können! S. Majestät erhielten
heute anliegenden Brief d. dto. Namür 30. XI. 70. Wäre es vielleicht
angemessen, H. von Niethammer zu einem Berichte aufzufordern,
in welchem jene Belgier, die sich um bayerische Verwundete und
bayerische Transporte verdient gemacht, namhaft gemacht werden,
um diese durch Handschreiben, ministerielle Anerkennung und
dergl. anzuerkennen und hierdurch deren Opferwilligkeit und
Eifer zu erhöhen ?
Mit ausgezeichneter Verehrung und Hochachtung Eurer Ex-
cellenz ganz ergebenster Eisenhart.
S. Majestät lassen mir eben sagen, daß Allerhöchstdieselben
wünschen, es möge Höchstderen Anerbieten des Kaisertitels in der
Presse veröffentlicht und dabei das Vorgehen der Krone Bayerns
als eine nationale That in das gebührende Licht gesetzt und auf die
südbayerische Stimmung in diesem Sinne eingewirkt werden.
Es handelt sich somit meines Erachtens nicht um einen ,, offi-
ziellen" Artikel, sondern höchstens um einen als ,,inspirirt" zu
betrachtenden; vielleicht gefällt es Eurer Excellenz Freiherrn von
Völderndorff oder Dr. Maier mit Abfassung jenes Artikels zu be-
trauen, beide wären meines Erachtens der mit Vorsicht zu behan-
delnden Aufgabe gewachsen. Ergebenster Eisenhart.
M. St.A.
20. Hohenschwangau 1870 Dezember 4. König Ludwig II.
an den Prinzen Adalbert.
(Abschrift.)
Durchleuchtigster Fürst! Ew. K. Hoheit Erwiderungsschreiben
vom 28. vorigen Monats habe Ich zu erhalten das Vergnügen gehabt
und sage Denselben für die rasche Erledigung Meines Ersuchens
(vom 25. November) freundlichen Dank. Ew. Liebden werden aus
dem mittlerweile veröffenthchten Versailler Bündnis entnommen
haben, daß sowohl die Militärhoheit als auch das Gesandtschafts-
recht der Krone Bayern vollständig gewahrt sind und derselben in
316
einigen wertvollen Punkten, wohin auch dieTheilnahme bei Friedens-
schlüssen zu zählen, eine Sonderstellung eingeräumt ist. Deshalb
und um von den zur Zeit in Versailles versammelten Fürsten nicht
überholt zu werden, habe Ich in Meinem Brief vom 30. November
beim König von Preußen die Führung des Kaisertitels (denn nur
dieser ist nach Meinen Intentionen in Frage) in Anregung gebracht
und sämmtliche Bundesfürsten sowie die freien Städte brieflich
um ihre WiUensmeinung angegangen. Indem Ich dies Ew. K.
Hoheit kund thue, bin Ich ... m.h.a.
21. Versailles 1871 Jan. 11. Telegramm Bismarcks an
Freiherrn von Werthern.
Prinz Luitpold hat Sr.Majestät dem König, angebhch im Auftrage
des Königs Ludwig, mündlich den Wunsch ausgesprochen, die
bayerische Armee von dem in allen Verträgen vorgeschriebenen
Passus, im Fahneneide die Verpflichtung des Gehorsams gegen den
Bundesfeldherrn auszusprechen, zu entbinden und diesen Passus
für Bayern zu streichen. Er hat dabei angedeutet, die Opposition
sei in Bayern darum so groß, weil man dort gehofft hätte, die Kaiser-
würde werde zwischen Bayern und Preußen alterniren, und man
müsse darum suchen sie durch eine solche Concession zu beschwich-
tigen. Wenn S. Majestät persönlich geneigt wäre, einer solchen Aus-
nahme für Bayern zuzustimmen, so würde er dies den übrigen
deutschen Fürsten gegenüber nicht durchführen können. Es im
Reichstage durchzubringen ist vollends unmöglich. Wenn es daher
wirklich die ernste Absicht des Königs Ludwig wäre, was ich
nicht glaube, so würde der Abschluß mit Bayern unmöglich und
würden auf das alte Bündnisverhältnis zurückgewiesen. Es ist mir
aber zweifelhaft, ob das Ganze nicht eine Intrigue ist, welcher der
König Ludwig selbst fremd ist. Ich bitte Ew. Excellenz, ohne sonst
noch von der Sache zu sprechen, durch Graf Holnstein oder Herrn
Eisenhart zu sondiren, ob der König seinem Oheim wirklich einen
solchen Auftrag ertheilt hat. h. a. a.
22. 1871 Januar 12., Abends 5 Uhr 55 Min. Telegranim des
Grafen von Berchem an das Ministerium des Äußern.
Bismarck theilte mir vertraulich mit, daß Prinz Luitpold im
Auftrage des Königs dem Könige Wilhelm den Wunsch aussprach,
aus dem Fahneneide die Verpflichtung, den Befehlen des Bundes-
feldherrn im Kriege zu folgen, auszunehmen. Diese Concession
werde in' Bayern sehr befriedigen.
König Wilhelm verlangte schriftliche Eröffnung; er erklärte für
unmöglich, dieß im Bundesrath und Reichstage durchzusetzen, und
ward verstimmt.
Bismarck bezeichnet diese Forderung, nachdem die Bestim-
mung vertragsmäßig, als identisch mit Fallen der Verträge und im
Widerspruch mit den königlichen Briefen der letzteren Zeit und be-
zweifelt, ob die Tragweite der Forderung sich vergegenwärtigt wird.
M. St.A.
317
23- Aus dem Tagebuch des Großherzogs von Baden
a) Mittwoch, den ii. Januar 1871.
Gestern erbat sich Prinz Luitpold von Bayern eine Audienz
beim König und wurde auch sofort empfangen. Der Prinz eröffnete
dem König, er sey vom König von Bayern beauftragt mitzutheilen,
daß wohl ein wesenthches Mittel, die Verträge in der bayerischen
zweiten Kammer annehmbar zu machen, darin hegen würde, wenn
der vereinbarte Eid des Heeres nicht in dieser Form beibehalten
würde. Die bayerische Armee sey doch ein sehr großer Heerkörper,
für den man besondere Rücksichten haben müsse, und daher hoffe
der König von Bayern, daß der König von Preußen gerne auf diesen
Wunsch eingehen werde.
Der König erwiederte dem Prinzen, er erinnere sich in diesem
Augenblick des Wortlautes der Verträge nicht so genau, um eine be-
stimmte Antwort geben zu können, allein er halte jetzt schon dafür,
daß eine solche Änderung überhaupt und besonders aus dem Grunde
nicht getroffen werden könne.
Der Prinz erwiederte, es sey auch nicht die Absicht, den Vertrag
zu ändern, sondern nur eine geheime Verabredung zu treffen, daß
der Vertrag in diesem Punkte nicht zur Anwendung kommen soUe.
Der König wieß diese Aufforderung ab und behielt sich eine
entscheidende Antwort vor.
Der König theilte diese Unterredung heute dem Kronprinzen
mit
b) Donnerstag, den 12. Januar 1871.
Über die Angelegenheit des Prinzen Luitpold habe ich folgendes
zu ergänzen. Der Prinz hatte den Auftrag dem König einen Brief
des Königs von Bayern zu übergeben und hat bei diesem Anlaß die
gestern erzählten mündlichen Eröffnungen gemacht. Da nun der
König den Brief des Königs von Bayern in Gegenwart des Prinzen
nicht öffnete, sondern erst später gelesen hat, so ergab sich folgendes
aus seinem Inhalt. Der König von Bayern hatte den ihm durch den
Fürsten Lynar überbrachten Brief des Königs von Preußen, wodurch
dieser ihn nach Versailles zu kommen einladet, — noch nicht be-
antwortet. Nun schreibt er aus Hohenschwangau, ein längeres
Unwohlsein habe ihn zu seinem Bedauern verhindert den Fürsten
Lynar zu empfangen und auch zur Zögerung dieser Antwort genö-
thigt. Er bedauere, daß seine Gesundheit es ihm nicht erlauben
werde der Einladung nach Versailles zu folgen. Mehr steht nicht in
dem Brief und von den sonstigen Fragen, die Prinz Luitpold an-
regte, ist kein Wort im Brief gesagt.
Der König hat nun dem Prinzen Luitpold gesagt, die von ihm
angeregten Fragen seyen in dem Brief seines Königs nicht ent-
halten und auch nicht darauf hingewiesen, daß der Prinz solche Er-
öffnungen zu machen habe; ob der Prinz wohl darüber Näheres zu
sagen wisse, da die Fragen so bedeutungsvoll seyen, daß man sie
doch streng geschäftlich behandeln müsse ? — Der Prinz war sehr
verlegen, antwortete in widersprechenden Redensarten und brachte
endlich folgenden Ausweg. Er müsse wiederholt betonen, daß es
sich nicht um eine Änderung des Vertrags handle, sondern nur um
eine geheime Verabredung darüber, daß man übereinkomme von
der Anwendung der Bestimmungen des Vertrags Umgang zu nehmen.
318
Der Jesuit in Generalsuniform in der Gestalt eines bayerischen
Prinzen ! — Der König brach das Gespräch in höflichster Form ab,
es gehörte viel Nachsicht dazu, um höflich zu bleiben. Schließlich
beim vScheiden sagte der König zum Prinzen, er werde den König von
Bayern direct über diese vom Prinzen vorgetragenen Wünsche be-
fragen. Da plötzlich wurde es klar, daß die ganze Sache vom Prin-
zen ausgehe, — denn er beeilte sich zu sagen: er bitte darum dies
selbst thun zu dürfen, er wolle sofort an den König berichten; viel-
leicht habe er den Auftrag nicht richtig verstanden. — Der König
erwiederte nichts mehr.
c) Freitag, den 13. Januar 1871.
In Folge der Unterredung mit dem Prinzen Luitpold von
Bayern hat Graf Bismarck an Herrn von Werthern nach München
telegraphirt, um sich zu verlässigen, ob der Prinz im Auftrag seines
Königs gehandelt hat oder aus eigenem Antrieb. Werthern ant-
wortet, der König habe keinen officiellen Auftrag ertheilt, d. h.
durch das Ministerium oder Cabinet sey die Angelegenheit nicht
gegangen und mit dem Prinzen Luitpold stehe der König nicht in
Verbindung. — Werthern nimmt mit Bestimmtheit an, diese Sache
sey von den Prinzen in Scene gesetzt; sie seyen überhaupt bekannt-
lich die entschiedensten Gegner Preußens und der deutschen Sache. — •
Bezeichnend für diesen Zwischenfall ist auch eine Äußerung, welche
Prinz Luitpold dem König gegenüber bei der genannten Unter-
redung gethan hat. — Er begründete die Sonderstellung Bayerns
im neuen Reiche dadurch, daß er das Kaiserthum nicht als
erbhch betrachtet und das Wort Alternat fallen Heß. Leider Heß
der König diese Äußerung unbeachtet.
24. Versailles 1871 Januar 12. König Wilhelm von Preußen
an König Ludwig IL von Bayern.
(Original.)
Durchlauchtigster Großmächtigster Fürst,
freundlich lieber Bruder und Vetter.
Nachdem der von Euerer Königlichen Majestät ergangenen
Aufforderung zur Herstellung des Deutschen Reiches und seiner
Kaiserwürde die einmüthige Zustimmung der deutschen Fürsten
und freien Städte entgegengebracht worden ist, halte Ich es für eine
Mir gegen das gemeinsame Vaterland obliegende Pflicht, dem an
Mich ergangenen Rufe Folge zu leisten.
Euerer KönigHchen Majestät, Allerhöchstwelche dem Gedanken
des Wiedererstehens von Kaiser und Reich zuerst Ausdruck gege-
ben, spreche Ich es aus, daß Ich die Deutsche Kaiserwürde annehme,
nicht im Sinne der Machtansprüche, für deren Verwirklichung in
den ruhmvollsten Zeiten unserer Geschichte die Macht Deutsch-
lands zum Schaden seiner inneren Entwicklung eingesetzt wurde,
sondern mit dem festen Vorsatz — soweit Gott Gnade giebt — als
Deutscher Fürst der treue Schirmherr aller Rechte zu sein und das
Schwert Deutschlands zum Schutze derselben zu führen.
Deutschland, stark durch die Einheit seiner Fürsten und
Stämme, hat seine Stellung im Rathe der Nationen wieder gewonnen,,
und das Deutsche Volk hat weder das Bedürfniß noch die Neigung
319
über seine Grenzen hinaus etwas Anderes als den auf gegenseitiger
Achtung der Selbständigkeit und gemeinsamer Förderung der Wohl-
fahrt begründeten freundschaftlichen Verkehr der Völker zu er-
streben.
Sicher und befriedigt in sich selbst und in seiner eigenen Kraft
wird das Deutsche Reich — wie Ich vertraue — nach siegreicher
Beendigung des Krieges, in welchen ein unberechtigter Angriff uns
verwickelt hat, und nach Sicherstellung seiner Grenzen gegen Frank-
reich ein Reich des Friedens und des Segens sein, ein Reich, in
welchem das Deutsche Volk finden und genießen wird, was es seit
Jahrunderten gesucht und erstrebt.
Mit der Versicherung der ausgezeichnetsten Hochachtung und
wahren Freundschaft verbleibe Ich Euerer Königlichen Majestät
freundwiUiger Vetter und Bruder Wilhelm.
M. St.A.
25. München 1871 Januar 24. König Ludwigll. von Bayern
an Kaiser Wilhelm.
(Konzept.)
Durchlauchtigster Großmächtigster Fürst, freundlich
lieber Bruder und Vetter!
Euere Kaiserliche Majestät haben die Güte gehabt, Mir in dem
schätzbaren Schreiben vom 12. d. M. mitzutheilen, daß Aller-
höchstdieselben es für eine Ihnen gegenüber dem gemeinsamen
Vaterlande obliegende Pflicht gehalten haben, der einmüthigen Auf-
forderung der deutschen Fürsten zur Herstellung des Deutschen
Reiches und seiner Kaiserwürde zu entsprechen und die deutsche
Kaiserwürde anzunehmen.
Mit lebhafter Freude begrüße Ich diesen Entschluß und spreche
aus vollem Herzen den innigen Wunsch aus, es möge Gott Euere
Kaiserliche Majestät noch viele Jahre hindurch mit der Fülle Seiner
Segnungen erfreuen, auf daß der hochherzige Vorsatz Euerer
Kaiserlichen Majestät, auf der von Allerhöchstdenselben Selbst be-
zeichneten Grundlage des Rechtes und der Gesittung stets Schirm-
herr des Friedens, der Freiheit und der Wohlfahrt des Reiches zu
sein, im vollsten Maße seine Verwirklichung finde.
Ich hege mit Euerer Kaiserlichen Majestät die feste Überzeu-
gung, daß das Reich, in welchem nunmehr die Staaten und Stämme
Deutschlands in machtvoller Eintracht verbunden sind, eine dau-
ernde Bürgschaft gewähren wird für die Erhaltung und Förderung
der höchsten Güter der Nation ; denn die gleichen Gesinnungen, die
Euere Kaiserliche Majestät Allerhöchstselbst bei der Herstellung
der Kaiserwürde beseelt und geleitet, werden — deß' bin Ich gewiß
— als ein kostbares Erbtheil auch auf die Nachfolger in der Kaiser-
würde sich fortpflanzen, bis in die spätesten Zeiten, zum Heile
Unseres gemeinsamen Vaterlandes und zum Segen der kommenden
Geschlechter.
Genehmigen Euere Kaiserliche Majestät die Versicherung der
vorzüglichen Hochachtung und wahren Freundschaft, womit Ich
verbleibe Euerer Kaiserlichen Majestät freundwilliger Bruder und
Vetter Ludwig.
M. St.A.
IN DER SCHRIFTENREIHE
BAYERNuDEUTSCHLAND
ist bereits erschienen:
M. DOEBERL
Bayern und die Deutsche
Frage in der Epoche des Frankfurter
Parlaments
276 Seiten 8° und 25 Urkundenbeilagen. Brosdi, Mk, 5, —
Halbfeinen Mk. 6.20
a
er Verfasser, wohl einer der besten Kenner der bayerisdien
Gesdiichte, begann mit diesem Buche diese Reihe von Mono»
graphien über die deutsdie Pohtik Bayerns im 19. Jahrhundert.
Auf Grund eines eingehenden Studiums amtlidier und privater
Quellen, die größtenteils bisher unbekannt waren und von
denen eine Anzahl im Anhang abgedruckt wird, behandelt
Döberl die Stellung Bayerns zur Deutschen Frage in den Jahren
1848 und 1849. Seine Darstellung der Haltung, die der größte
deutsche Mittelstaat zur Frage der deutschen Einheit und Ver=
fassung, zu Preußen und Österreich einnahm, bildet für uns
eine sehr wesentlidie Ergänzung zur Beurteilung der Geschichte
dieser Zeit. Die zahlreidien Ergebnisse der Arbeit Döberls
sind nicht nur für den Historiker, sondern auch für den Poli=
tiker sehr lehrreicb und lesenswert.
Arcßiv für Pofitik und Gescßicßte: Wifßefm Mommsen
R. OLDENBOURGVERLAG
MÜNCHEN UND BERLIN
l
A 000 626 834 6