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Full text of "Bedeutungsentwicklung unseres Wortschatzes: Auf Grund von Hermann Pauls"deutschem Wörterbuch" in ..."

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Bedeutung sentMTieklung unseres 



^^Vortsehatzes. 



Bedeutungsentwicklung 
unseres Wortschatzes. 



Auf G-rand von Hermaim Pauls „Deatsohem Worterbaoh" in den 

Hauptersoheinungen dargestellt 



von 



Oberschulrat Dr. Albert Waag 

Privatdozent für deutsche Sprache und Litteratur an der Technischen 

Hochschule Karlsruhe. 



Lahr i. B. 

Druck und Verlag von Moritz Schauenburg. 

1901. 



r7 7 



i 



30. 3 






Meiner lieben Frau 



Maria geb. Ris 



in Treuen gewidmet 



Vorwort. 



Schon vor sechs Jahren war der Plan zu dieser Darstellung ge- 
fasst, mit der ich nunmehr hervortrete, nachdem inzwischen zweimaliger 
Wechsel der beruflichen Stellung zeitweise meine ganze Arbeitskraft 
auf andere Bahnen gelenkt hatte. Aber auch jetzt noch kann ich über 
mannigfachem Zweifel nur aus dem Grunde zu einem gewissen Abschluss 
kommen, weil ich mich der Hoffnung hingebe, vielleicht auch in der 
vorliegenden Form liebevolles Eindringen in das Leben unseres Wort- 
schatzes befördern zu können. 

Dankbaren Sinnes nenne ich zuvörderst die Namen der Männer, 
durch deren Anregung das Interesse für das ewig wechselnde Leben der 
Wortseele, für den Bedeutungswandel der Wörter in mir geweckt und 
gestärkt wurde; war es mir doch Anfangs der 80er Jahre vergönnt, 
in Heidelberg an den Vorlesungen und Übungen von Hermann Osthoff 
und Otto Behaghel, sodann in Freiburg i. B. an denen von Hermann 
Paul teilzunehmen, drei Gelehrten, von denen keiner versäumte, uns 
Studenten auch auf diese Seite des Sprachlebens hinzuweisen. Unaus- 
löschlichen Dank schulde ich im besondem dem letztgenannten Manne, 
der uns in den Geist einzuführen suchte, den er in seinen „Prinzipien der 
Sprachgeschichte" zum Ausdruck gebrächt hat. Und schwerlich wäre 
mein Vorhaben jetzt schon ausführbar gewesen, wenn er nicht im Jahre 
1896/97 sein längst geplantes „Deutsches Wörterbuch" herausgegeben hätte. 



VIII Vorwort. 

in welchem er der Bedeutungsentwicklung besondere Aufmerksamkeit 
geschenkt hat, und zwar in höherem Grade, als dies in den andern 
deutschen Wörterbüchern der Fall ist. So erschien es mir, um zu einem 
Ziele zu kommen, als das zweckmässigste Verfahren, den von ihm ge- 
gebenen Wortschatz, soweit er seit dem Auftreten in unserer Litteratur 
eine bemerkenswerte Bedeutungsverschiebung aufweist, nach den Kate- 
gorien seiner „Prinzipien" zu bearbeiten und darzustellen, selbstverständ- 
lich unter Beachtung der andern Wörterbücher, vor allem der vortreff- 
lichen Werke von Kluge und Heyne. Nach Vollständigkeit wurde 
dabei keineswegs getrachtet, sondern nur der Versuch gemacht, die be- 
deutsameren Erscheinungen hervorzuheben. Parallelen aus den Fremd- 
sprachen wurden im allgemeinen ausgeschlossen, so verlockend sie auch 
sein mochten; denn etwas Halbes wollte ich hierin nicht geben, und 
Vollständigkeit einigermassen anzustreben, hätte weit über den der Arbeit 
zugedachten Umfang hinausgeführt. 

Wie das Panische Wörterbuch, so wendet sich auch diese Dar- 
stellung an alle Gebildeten, die ein Bedürfnis empfinden, über ihre 
Muttersprache nachzudenken, insbesondere sodann an die Lehrer der 
deutschen Sprache, indem ich der festen Überzeugung bin, dass durch 
derartige Betrachtungen Klarheit des Denkens und Wärme des Em- 
pfindens in gleichem Masse gefördert werden kann; weiss ich doch aus 
eigener Lehrthätigkeit, wie dankbar die Schüler darauf eingehen, wenn 
sie dabei des Geistes auch nur einen Hauch verspüren, der da weht 
in dem vorbildlichen „Deutschen Sprach-Unterricht" des unvergesslichen 
Rudolf Hildebrand. Dieser tiefblickende, warmherzige Gelehrte hat 
sich aber in jenem begeisternden Buche dahin ausgesprochen, „dass die 
Aufgabe, die Schüler dieses Verschieben der Bedeutung wichtiger Wörter, 
die sich im stillen eigentlich fortwährend vollzieht, erkennen zu lehren, 
dem deutschen Unterricht überhaupt nicht zu ersparen ist," (S. 229). 



Vorwort. IX 

Auch wird ja der Wert der Bedeutungslehre für die Schule immer mehr 
erkannt, und es Hesse sich manche gewichtige Stimme dafür anführen. So 
hat für die alten Sprachen schon D öd er lein geurteilt: „Für die wohl- 
thätigste Geistesübung halte ich es, den Schüler erraten zu lassen, auf 
welchem Weg eine Bedeutung aus der andern hervorgeht, und dabei die 
Ideenassociation einzusehen.^' („Erläuterungen zu dem Vocabularium 
für den lat. Elementarunterricht", 1862. S. 56). Und Paul Cauer sagt 
in seinem trefflichen Buche „Die Kunst des Übersetzens" (1894. S. 1 9), 
indem er die Wichtigkeit der Einsicht in die Bedeutungsentwicklung 
gerade für das richtige Übersetzen hervorhebt: „Die Bedeutungslehre 
ist vielleicht derjenige Teil der Sprachwissenschaft, der am unmittel- 
barsten für die Schule fruchtbar gemacht werden kann; denn sie bietet 
kleine Probleme, an denen sich schon der jugendliche Geist mit Erfolg 
versucht, und wirft für das Verständnis der eigenen Sprache manchen 
erfreulichen Gewinn ab". Robert Thomas aber, der in seiner später 
mehrfach zu nennenden Abhandlung „Über die Möglichkeiten des Be- 
deutungswandels" diese und andere Äusserungen verzeichnet, bedauert 
dabei aufs lebhafteste, dass eine zusammenfassende Darstellung über den 
Bedeutungswandel im Deutschen nicht vorhanden sei. Möchte diese Arbeit 
einigermassen in seinem Sinne sein, wie ich meinerseits mit ihm voll- 
kommen darüber einig bin, „dass das, was von der Bedeutungslehre für 
die Schule nutzbar gemacht werden kann, nach und nach auf rein empi- 
rischem, induktivem Wege den Schülern zu vermitteln ist". 

Während ich nun in der Hoffnung auf einen weiteren Leserkreis 
die Form zusammenhängender Darstellung wählte, die ich möglichst an- 
regend zu gestalten suchte, war ich zugleich bemüht, auch mehr wissen- 
schaftlichen Zwecken dienen zu können, wofür ja an und für sich eine 
tabellarische Anordnung der einzelnen Gruppen genügt hätte. In diesem 
Sinne gebe ich zum leichten Auffinden eines einzelnen Wortes und zur 



X Vorwort. 

raschen Orientierung über eine bestimmte Kategorie einerseits ein Wort- 
register und andrerseits im Eingang eine genaue Inhaltsangabe über die 
einzelnen Kapitel. Ausserdem sind die behandelten Wörter oder Wort- 
gruppen zum Zwecke bequemen Nachschlagens auf dem Rande mit 
fortlaufenden Nummern versehen. 

Schliesslich erübrigt mir, meinem verehrten Lehrer Hermann Paul 
für die andauernde, teils mündlich, teils schriftlich gewährte Förderung 
dieser Darstellung herzlich zu danken, ebenso dem Herrn Gymnasiums- 
direktor Schmalz in Rastatt und meinem Kollegen Geh. Hofrat 
Dr. von Sallwürk für gütige Auskunft über die einschlägige Litteratur, 
sowie meinen beiden Freunden, den Professoren Dr. Ludwig Sütterlin 
in Heidelberg und Dr. Ludwig Nohl in Müllheim i. B. für treue Unter- 
stützung bei der Korrektur. 

Und wenn ich dies Buch meiner Frau widmete, so wollte ich 
damit ebenfalls einen Dank zum Ausdruck bringen, indem sie, mit feinem 
Verständnis für sprachliche Fragen begabt, mir auch hier allzeit getreu 
zur Seite stand. Es mag aber zugleich durch diese Widmung angedeutet 
sein, dass ich hoffe, auch bei der Frauenwelt für diese psychologische 
Seite des Sprachlebens Interesse zu finden. 



Karlsruhe i. B., im September 1900. 



Albert Waag. 



Inhalt. 



Seite 

Einleitung 1 

Verschiedene Bedeutung des gleichen Wortes je nach dem 
Zusammenhang 1. Landschaftliche Verschiedenheiten 1. All- 
mähliche Verschiebung der Bedeutung im Lauf der Zeit 2. 
Gelegentliche Beobachtungen dieser Art in der Rhetorik 3. 
Begründung der Bedeutungslehre durch Chr. K. Reisig 3. 
Sprachpsychologische Betrachtung in. H. Pauls Prinzipien 4. 
Würdigung der Darstellungen von K. Schmidt, R. Thomas, 
J. Stöcklein 4. H. Pauls Deutsches Wörterbuch 6. Darstellung 
des Bedeutungswandels nach einzelnen Kategorien 7. 

Kap. I. Verengung des Bedeutungsumfangs 8 

Bereicherung des Bedeutungsinhalts führt zu Verengung 
des Bedeutungsumfangs 8. Bedingungen der Verengung 9. 
Die Art wird zur Bezeichnung der wichtigsten Unterart 9. 
Nutzpflanzen 10. Stoffbezeichnungen werden zu Bezeich- 
nungen für Produkte aus dem betreffenden Stoffe IL Ver- 
engung auf dem Boden des Familienlebens 13, des religiösen 
und kirchlichen Lebens 14. Klassen-, Standes- oder Zunft- 
sprachen 16. Verengungen aus der Sprache der Bauern 17, 
der Handwerker 17, der Künste 19, des kaufmännischen Ver- 
kehrs 20, des Rechtslebens 21, der Soldaten 21. Mehrfache 
Verengung des gleichen Wortes aus verschiedenen Klassen- 
sprachen heraus 24. Verengung nach dem besten Sinne hin 25, 
zum guten und zugleich zum schlimmen Sinne 26, mit aus- 
schliesslich üblem Nebensinne 27. Einschränkung auf Tiere 30. 
Empfindungston 31. Hebung eines Wortes infolge der Zu- 
rückdrängung durch ein neu aufkommendes W^ort 32. Be- 



XII Inhalt. 

Seite 
reicherling der Dichtersprache aus den Dialekten 38, aus 

älteren Sprachstufen 33. Bedeutungsdifferenzierung, Spalte- 

formen 35. Eigennamen auf Verengung beruhend 37. 

Kap. II. Erweiterung des Bedeutungsumfangs .... 39 

Beschränkung auf einen Teil des ursprünglichen Bedeutungs- 
inhalts 39. Gefährte u. s. w. 40. Kirchliche Ausdrücke 40. 
Bezeichnungen für Räumlichkeiten 42, für andere materielle 
Gegenstände 42. Andere Substantive 43, Adjektive 44, Zeit- 
wörter 46. Art der Erweiterung vielfach von dem vorschweben- 
den Gegensatz abhängig 48. Zurücktreten eines Teils des 
Bedeutungsinhalts, der durch ein syntaktisch angeknüpftes 
Wort noch einmal ausgedrückt ist 50, Entstehung allgemeiner 
Verstärkungen 51. arg, sehr, hart 52. herzlich 53. 

Kap. III. Metapher 54 

Metapher eine Verbindung von Erweiterung und Verengung 
des Bedeutungsumfangs 54. Die Uebereinstimmung kann be- 
stehen in a) Aehnlichkeit der äusseren Gestalt: Körperteile 
für Dinge ähnlicher Gestalt 55, oder umgekehrt ähnlich ge- 
staltete Dinge für Körperteile 56, Körperteile als Masse 56, 
Tiere für andere Erscheinungsformen 57, Bezeichnungen für 
Gebäck 58, für geographische Formationen 59, für andere 
Gegenstände 59; b) Aehnlichkeit des Lageverhältnisses inner- 
halb eines grösseren Ganzen 60; c) Aehnlichkeit der Gestalt 
und Gleichheit der Funktion 63; d) Aehnlichkeit der Lage 
innerhalb eines Ganzen und Aehnlichkeit der Funktion 65; 
e) Uebereinstimmung der Funktion allein 6Q. Räumliche Ver- 
hältnisse werden übertragen auf a) zeitliche Verhältnisse: 
Adjektive 6Q, Substantive 67, Adverbien 68, Präpositionen 69, 
Zeitwörter 71 ; b) die Intensität 71; c) die Wertschätzung 71; 
d) Tonabstufungen 71 ; e) Seelisches (Abstraktes) 72 : Ausdrücke 
für Denkvorgänge 72, für geistige Aeusserung 75; f) Rechts- 
verhältnisse 76. Der Eindruck eines Sinnes wird auf einen 
andern Sinn übertragen 76 : vom Gehör auf Gesichtseindrücke 
77, und umgekehrt 77, vom Geschmack auf andere Sinne 78, 
ebenso vom Tastsinn 79, von den äusseren Sinnen auf die innere 
Empfindung 80, auf geistige Wahrnehmung 81. Beseelung des 
Leblosen (Personifikation) 82. 



Inhalt. XlII 

Seite 

Kap. IV. Metonymie 85 

Uebertragung auf das räumlich, zeitlich oder kausal mit dem 
Grundbegriff Verknüpfte 86: a) ein Teil für das Ganze: Orts- 
bezeichnungen 86, Personenbezeichnungen nach einem cha- 
rakteristischen Körperteil 87, nach einem Kleidungsstück 89, 
nach einem begleitenden Geräte oder Werkzeug 89, Bezeich- 
nungen von Speisen nach einem einzelnen Bestandteil 90^ 
andere Gegenstände 90, Kollektivbegriffe 92, Zeitbegriffe 92; 

b) ein Teil für einen andern Teil des gemeinschaftlichen 
grösseren Ganzen 93: ein Kleidungsstück für den dadurch 
bedeckten Körperteil oder umgekehrt 93, auch sonst die Hülle 
für den umhüllten Gegenstand oder umgekehrt 95, ein Raum 
für die Bewohner desselben 96, und Aehnliches 97, umgekehrt 
Persönlichkeiten für den von ihnen eingenommenen Raum 98 ; 

c) Bezeichnung von Gemütsbewegungen nach den sie be- 
gleitenden Reflexen 98; d) Andeutung von Vorgängen durch 
symbolische Handlungen 101: e) hervorbringende Gegenstände 
für das Hervorgebrachte und umgekehrt 102; f) Eigenschaften 
für Personen oder Dinge, denen sie anhaften 103 : g) ähnlich 
Thätigkeits- und Zustandsbezeichnungen für dabei beteiligte 
Personen und Gegenstände 105: für das Subjekt 105, für das 
Objekt 106, für Ortsbezeichnungen 108, für das Mittel oder 
Werkzeug 109, Entwicklung nach mehrfacher Richtung 
110; h) umgekehrt Dingbezeichnungen für Vorgangsbezeich- 
nungen 111. 

Kap. V. Andre Arten des Bedeutungswandels .... 113 

Uebertreibung 113: grosse Zahlen 114, Ucbertreibung nach 
der negativen Seite 114, andre Fälle 115, Verblassung von 
Komparativen 115, Abschwächung von verstärkenden Adver- 
bien 117, Uebergang von Verstärkungen zu Abschwächungen 
118, süddeutsch „als" 119. Derbheiten 120: mit der Grund- 
bedeutung Exkrement 121, Aas 121; Uebergang zu lobendem 
Sinne 122, verdunkelte Bedeutung von andern Schimpf- 
wörtern 123. Litotes 125. Euphemismus 126: a) aus Scham- 
gefühl 126; b) aus religiöser oder abergläubischer Scheu 127: 
c) aus Höflichkeit und Schmeichelei 127: Entwertung ehrender 
Anreden wie Herr 128, Frau u. s. w. 129, Herabdrückung von 



XIV Inhalt. 

Seite 
Funktioiiön zu Titeln 130, Geschichte der höflichen Anrede 181. 

Erstarrte Ironie 132: lobende Adjektive 132, andre Fälle 133. 

Kap. VI. Aufeinanderfolge verschiedener Arten des 

Bedeutungswandels 134 

Entwicklung einer Nebenvorstellung zur Hauptvorstellung 134. 
Räumliche Verhältnisse für kausale 135, ebenso zeitliche für 
kausale 137. Uebergang von guten oder doch neutralen 
Eigenschaften zu tadelndem Sinne 138. Sonstige Verdrängung 
einer neutralen Haupt vor Stellung durch eine schlechte Neben- 
vorstellung 141. Sieg verschiedenartiger Nebenvorstellungen : 
Substantive 143, Adjektive 145, Zeitwörter 146, modale Hilfs- 
zeitwörter 151. Massbezeichnungen 154. Altersbezeichnungen 
für Abhängigkeitsverhältnisse 155. Verwandtschaftsbezeich- 
nungen für andre Gattungsbegriffe 156. Eigennamen für 
Gattungsnamen 158: Personen 158, Tiere 162, leblose Dinge 
163. Häufige Familiennamen als Gattungsnamen 163. Völker- 
namen mit appellativem Sinn 164. 

Kap. VII. Bedeutungswandel von Wortgruppen. . . . 166 

Wendungen mit bildlicher Anwendung der nächstliegenden 
Gegenstände 166. Gründe der Verdunkelung mancher Wen- 
dungen 167: veränderte Beschaffenheit eines Gerätes, ab- 
gekommene Bräuche und Anschauungen 167, Verlust einer 
früheren Bedeutung eines Wortes 169, Untergang eines Wortes 
im sonstigen Gebrauch 170, Abhandenkommen eines speziellen 
Fachausdrucks 170. Verschwisterte Wortpaare 171 : das eine 
Glied als Träger des Begriffs 172, Anlehnung eines Gliedes 
an die jetzt übliche Wortbedeutung 173, Bedeutungsver- 
schiebung beider Bestandteile 175. 

Kap. VIII. Anpassung an die Kulturverliältnisse . . . 177 

Bedeutungsverschiebung durch die Veränderung des mit dem 
betreffenden Worte bezeichneten Objekts 177 : Kleidungsstücke 
179, Münzen 181, Aemter und Berufe 181, reale Vorgänge 183, 
Benennungen nach früherem Volks- und Aberglauben 184. 
Ausdrücke für das Abstrakte 185: ethische Begriffe 185, 
ästhetische 188, religiöse 188, philosophische 189. 

Schlusswort 191 



Verzeichnis von Abkürzungen. 



Behaghel = Otto Behaghel, Die deutsche Sprache. 1886. 

Borchardt = Borchardt, Sprichwörtliche Redensarten. 2. Auflage, völlig 
umgearbeitet von Gust. Wustmann, 1894. 

Heyne, Wb. = Moritz Heyne, Deutsches Wörterbuch. 3 Bände. 1890—95. 

Hildebrand = Rudolf Hildebrand, Vom deutschen Sprachunterricht. 4. Auf- 
lage. 1890. 

Kluge, Wb. = Friedrich Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen 
Sprache. 6. Auflage. 1899. 

Paul, Aufgaben = Hermann Paul, lieber die Aufgaben der wissenschaft- 
lichen Lexikographie. Sitzungsberichte der philosophisch-philolo- 
gischen Klasse der bayer. Akademie der Wissenschaften 1894 
S. 53-91. 

Paul, Pr. = Hermann Paul, Prinzipien der Sprachgeschichte. 3. Aufl. 1898. 

Paul, Wb. = Hermann Paul, Deutsches Wörterbuch. 1897. 

Richter = Albert Richter, Deutsche Redensarten. 2. Auflage. 1893. 

Schmidt = Karl Schmidt, Die Gründe des Bedeutungswandels. Programm 
des kgl. Realgymnasiums Berlin. 1894. 

Stöcklein = Job. Stöckleiri, Bedeutungswandel der Wörter. Seine Ent- 
stehung und Entwicklung. München. 1898. 

Stöcklein, Progr. = Joh. Stöcklein, Untersuchungen zur Bedeutungslehre. 
Programm des kgl. Gymnasiums Dillingen. 1895. 

Thomas 30 und 32 = Robert Thomas, Ueber die Möglichkeiten des Be- 
deutungswandels. Bayer. Blätter für das Gymnasialschulwesen 
Band 30 S. 705-732, und 32 S. 193-219. 1894 u. 1896. 



XVI Verzeichnis von Abkürzangen. 

ahd. s= althochdeutsch. 

mhd. = mittelhochdentsch. 

nhd. s= neuhochdoutsch. 

anhd. = altneuhochdeutsch (16.— 17. Jahrhundert). 

nd. = niederdeutsch. 

ind. = mitteldeutsch. 

oberd. = oberdeutsch. 



Die Ziffern bei Verweisungen beziehen sich auf die fortlaufenden 
Zahlen auf dem äussern Rande der Seiten. 



►> W 4» 



Einleitung, 



§ d. Wohl einem jeden kommt es gelegentlich zum Bewusst- 
sein, dass ein und dasselbe Wort sehr Verschiedenes bedeuten kann, 
wenn er z. B. nebeneinander betrachtet Ahsatz des Stiefels, Absatz 
heim Kaufmann, Absatz im Buche, Absatz heim Bau und die Ver- 
bindung: den Becher ohne Absatz leeren. Wie hier das Substantiv 
Absatz, so hat z. B. auch das Verbum ausziehen verschiedene Be- 
deutungen, die sich nur aus dem Zusammenhang ergeben wie : einen 
Nagel ausziehen, sich ausziehen, die Soldaten ziehen aus, die Fa- 
milie zieht aus. Auch macht es für die Wortbedeutung einen grossen 
Unterschied, ob wir das Wort Blatt bei einem Spaziergang im Walde 
hören, oder in einer Kunsthandlung, wo wir uns Stiche oder Photo- 
graphien besehen, oder in einem Kaffeehause, wo über Zeitungen 
gesprochen wird ; und etwas anderes tritt jeweils in unsere Vor- 
stellung, wenn wir das Wort Band in einem Posamentiergeschäft 
hören oder in einer Böttcherei oder in einer Bibliothek. Aber solche 
Fälle der Mehrdeutigkeit erscheinen uns zunächst nur als eine Ab- 
sonderlichkeit der Sprache und wir haben keine Empfindung dafür, 
dass überhaupt jedes Wort eigentlich keine scharfe Umgrenzung hat 
und nur im Zusammenhang des Satzes oder durch die Situation eine 
bestimmte Bedeutung erhält. 

§ 2. Andererseits sind auch wohl jedem von uns Wörter be- 
kannt, die in dem angestammten Dialekt oder der alltäglich gewohn- 
ten Umgangssprache etwas anderes bedeuten als in der Schrift- 

Waag, Bedeutangsentwicklnng. 1 



2 Einleitung. 

spräche. So wird bereits stidwestdeutsch für „fast", „beinahe" ge- 
braucht, indem man in diesem Sinne hört: Karl ^ist bereits stärker 
als Fritz, und auch liest : ein bereits noch {neues) Bett zu verkaufen; 
falsch ist im Oberfränkischen so viel wie „geizig", im Alemannischen 
„zornig"; schänden in Oberfranken und in der Pfalz (gesprochen 
schenne, z. B. bei Nadler) „mit Worten beschimpfen"^'; und auch in 
einer ganzen Gruppe von Begriffen zeigen sich landschaftliche Ver- 
schiebungen, wie der schriftsprachlichen Steigerung gehen, laufen^ 
springen im Süddeutschen im gleichen Sinne vielfach laufen, springen, 
hüpfen (mundartlich hopfe, hupse, hopse) entspricht, i) Aber darin 
erblickt mancher Gebildete im Stolz auf seine Schriftsprache nur Ver- 
irrungen der kritiklosen Menge, auf die er vielleicht mitleidig herab- 
sieht. Und wenn ihm weiterhin in alten Volksliedern, in Sprichwörtern 
oder Bibelstellen irgend ein Wort in einer ihm nicht geläufigen Be- 
deutung entgegentritt, so ist er geneigt, darin eine Entartung zu sehen, 
indem ihm eben die heutige Bedeutung selbstverständlich als die von 
jeher geläufige und richtige erscheint. ""^ 

Aber ganz anders stellt sich auch hier die Sache vom Stand- 
punkt sprachgeschichtlicher Betrachtung dar. Wie die Umgrenzung 
des Wortbegriffs an und für sich eine flüssige ist und 'nur durch den 
Zusammenhang fest bestimmt wird, so gehört es auch zum ureigen- 
sten Wesen der Sprache, dass die Wörter im Laufe der Zeit ihre 
Bedeutung verschieben können; ja der ganze Reichtum unserer heu- 
tigen Sprachvorstellungen hätte sich überhaupt nicht herausgestalten 
können, wenn nicht die ursprüngliche Bedeutung eines Wortes, die 
oft so arm und leer ist, die Fähigkeit besässe, allmählich vergessen 
und durch einen andern Inhalt ersetzt zu werden. Jene Bedeutungs* 
Verschiedenheiten aber, die jetzt nebeneinander gelagert sind, sei es 



*) Vgl. zu diesen und den vorhergehenden Beispielen Paul, Pr. S. 74, 
Stöcklein S. 10 und Stöcklein, Progr. S. 28. 



Begründung der Bedeutungslehre. 3 

in der Schriftsprache selbst oder in deren Verhältnis zu den Dialekten, 
enthüllen sich ganz wie die zeitlich nacheinander zu beobachtenden 
Unterschiede als eine Kette von historischen Entwicklungen, indem 
der frühere Wortsinn neben dem neuentwickelten ruhig weiter be- 
stehen kann. 

§ 3. Dass nun manche Wörter im Lauf der Zeit ihre Bedeu- 
tung verändern, hat die Rhetorik schon seit Cicero beschäftigt, jedoch 
sah man darin nur ein Spiel der Phantasie und erkannte es nicht als 
im Wesen der Sprache begründet. So blieb es dem 19. Jahrhundert, 
das man ja auch mit Recht das entwicklungsgeschichtliche genannt 
hat, wie auf vielen andern Gebieten, so auch hier vorbehalten, diese 
Veränderungen im Zusammenhang zu beobachten und nach bestimm- 
ten Kategorien zu ordnen. Ueberblicken wir nun in Kürze das Ein- 
greifen der neuen Betrachtungsweise auf den verschiedenen Sprach- 
gebieten. 

Die Bedeutungslehre, diesen jüngsten Zweig der Sprachwissen- 
schaft, begründet und dafür den Namen Semasiologie aufgestellt 
zu haben, ist das Verdienst von Christian Karl Reisig, der in seinen 
an der Universität Halle gehaltenen „Vorlesungen über lateinische 
Sprachwissenschaft" (veröffentlicht 1839) für das Lateinische damit den 
Anfang machte. Ihm folgte auf diesem Sprachgebiet sein Schüler Fried- 
rich H a a s e , der zuerst im Jahre 1840 darüber Vorlesungen hielt, und 
sodann mit streng wissenschaftlicher Begründung und Bearbeitung 
Ferdinand Heer degen. Ausser drei Heften „Untersuchungen zur la- 
teinischen Semasiologie" (Erlangen 1875—1881) verdanken wir diesem 
-eine „Lateinische Semasiologie" (Berlin 1890), in welcher er auch die 
Reisig-Haaseschen Vorlesungen über Bedeutungslehre mit kritischen 
Bemerkungen zum Abdruck brachte. Für das Griechische wurden 
Alsdann semasiologische Untersuchungen gefordert von M. Hecht in 
seiner Schrift „Die griechische Bedeutungslehre, eine Aufgabe der 

klassischen Philologie" (Leipzig 1888) ; vom Französischen gingen aus 

1* 



4 Einleitung. 

G. Lehmann, „Der Bedeutungswandel im Französischen" (Erlangen 

1884) und Ars^ne Darraesteter in seinem fesselnden Buche „La 

vie des mots ätudiäe dans leurs significations (1886, 5. 6d. Paris 1895);. 

vorwiegend von deutschen Beispielen geht Hermann Paul in seinen 

„Prinzipien der Sprachwissenschaft" aus, in denen er vom Standpunkt 

der allgemeinen Sprachforschung im Anschluss an die psychologische 

Sprachbetrachtung Steinthals auch den „Wandel der Wortbedeu- 

tung" bespricht, in der 1. Auflage (1880) nur andeutungsweise, in der 

2. und noch mehr in der 3. Auflage (1886 und 1898) in eingehender 

Erörterung. 

§ 4. Während es nun aber für unsere Zwecke viel zu weit 

fuhren würde, eine Aufzählung und Würdigung der sonstigen Arbeiten 
über die Bedeutungslehre zu versuchen, sind wegen der allgemeinen 
methodologischen Wichtigkeit für unsere Darstellung besonders drei 
Veröffentlichungen hervorzuheben. Das ist zunächst die Abhand- 
lung von Karl Schmidt über „Die Gründe des Bedeutungswandels" 
(Programm des kgl. Realgymnasiums zu Berlin 1894), indem hier 
gegenüber der früheren, meist mehr äusserlichen Einteilung zum ersten- 
mal an einem grossen Wortmaterial aus verschiedenen Sprachen im 
Zusammenhang der Versuch gemacht wird, die Triebkräfte zu beob- 
achten, die den Bedeutungswandel herbeiführen. Zum zweiten ist 
besonders zu nennen die Darstellung von Robert Thomas, „Über die 
Möglichkeiten des Bedeutungswandels" (Bayer. Blätter für das Gym-^ 
nasialschulwesen Band 30 S. 705—732 und 32 S. 193—219, 1894 und 
1896), in welcher die bisher für die Bedeutungsveränderung aufge- 
stellten Kategorien einer eingehenden Besprechung unterzogen werden 
unter reichlicher Angabe der gesamten einschlägigen Litteratur i), so- 
dass hier zugleich eine gute Einführung in theoretische Untersuchungen 
vorliegt. Zum dritten endlich müssen wir noch auf zwei Veröffent- 



*) Ein eingehendes Verzeichnis giebt auch Paul, Pr. S. 67, ferner O. Weise,. 
Unsere Muttersprache, 2. Aufl. 1896 S. 226. 



Theoretische Untersuchungen. 5 

lichungen von Johann Stöcklein i) hinweisen, in denen er die For- 
derung aufstellt und an einzelnen Fällen darlegt, dass der Übergang 
-eines Wortes von einer Bedeutung zu einer andern aus dem Satzzu- 
sammenhang heraus begriffen werden müsse, während früher vielfach 
die Wörter so betrachtet worden waren, als ob sie ein Einzeldasein 
führten. In der ersten seiner beiden Schriften „Untersuchungen zur 
Bedeutungslehre" (Progr. des kgl. Gymnasiums zu Dillingen 1895) 
behandelt er auch die Frage, ob die Bedeutungslehre wie zur Zeit 
ihrer Begründung von einer toten Sprache ausgehen müsse, oder ob 
auch die lebenden Sprachen beizuziehen seien ; und mit gutem Grund 
stellt er sich auf die Seite derjenigen, die eine moderne Sprache, vor 
allem die Muttersprache, für den geeigneteren Gegenstand halten, weil 
hier das Wortmaterial in viel reicherem Masse zufliesst und die Be- 
deutungen feststehen oder sich doch viel leichter feststellen lassen. 
Auch macht er geltend, dass die Untersuchung in jedem beliebigen 
Zeitpunkt der Sprachgeschichte einsetzen und mit der unmittelbaren 
Gegenwart abschneiden kann, obwohl hier alles im Fluss ist; ''denn 
diese allgemeine Beweglichkeit der Bedeutung war auch früher jeder- 
zeit vorhanden, und andererseits lässt sich meistens doch nicht bis 
zur ursprünglichen Bedeutung zur Zeit der Wortschöpfung vordringen, 
da die Mehrzahl der Wörter einer Kultursprache bei ihrem ersten 
Auftreten in der Litteratur wohl einen Zeitraum von Jahrtausenden 
äusserer und innerer Entwicklung hinter sich haben. In der zweiten 
seiner Schriften „Bedeutungswandel der Wörter, seine Entstehung 
und Entwicklung'* (München 1898) lässt Stöcklein jenem theoretischen 
Teil einen praktischen Versuch folgen und stellt in äusserst lehr- 
reicher Weise eine Anzahl von Beispielen zusammen, bei denen er 
im Satzzusammenhang die feinen Übergänge von einer Bedeutung zu 



*) Vgl. meine Besprechung im Litteraturblatt für germ. u. rom. Philologie 
XXI. 1900 Xo. 5. 



6 Einleitung. 

einer andern zeigen kann. Wenn er sich nun aber auch von einer 
Gesamtdarstellung, bevor alle Einzelfälle in dieser eingehenden Weise 
untersucht sind, nur wenig verspricht, so glauben wir doch diesen 
Versuch für unsere Muttersprache wagen zu dürfen, weil sich die 
lexikalischen Hilfsmittel in den letzten Jahren bedeutend verbessert 
haben. 

§ 5. Wohl macht Stöcklein in seinem Programm (S. 10 ff.) mit 
Recht geltend, dass auch die grösseren wissenschaftlichen Wörter- 
bücher, das deutsche Grimm'sche trotz aller seiner Vorzüge nicht 
ausgenommen, es nicht als ihre Hauptaufgabe betrachten, die Ent- 
wicklung der Bedeutungen eine aus der andern, sondern die möglichst 
volle Aufzählung aller Bedeutungen und die Anführung der inter- 
essantesten Belege zu geben ; aber inzwischen hat uns Hermann Paul 
mit seinem „Deutschen Wörterbuch" (Halle, Niemeyer 1897) be- 
schenkt, in welchem er die Bedeutungsentwicklung mit sorgfältiger 
Beachtung des Satzzusammenhangs und der zu belegenden Bedeu- 
tungstibergänge in den Vordergrund stellt. Was ihm dabei als Ideal 
vorschwebte, hat er niedergelegt in seiner Abhandlung „Über die 
Aufgaben der wissenschaftlichen Lexikographie mit besonderer Rück- 
sicht auf das deutsche (Grimm'sche) Wörterbuch" (Sitzungsberichte 
der philos.-philol. und der histor. Klasse der kgl. bayer. Akad. der 
Wiss. 1894 Heft 1 S. 53—91); daselbst äussert er sich über die 
Aufgaben der Bedeutungsentwicklung im besondern auf S. 72 folgen- 
dermassen : „Um auszufinden, wie man sich den Gang der Entwick- 
lung vorzustellen hat, müssen die analogen Fälle dazu dienen, sieb 
gegenseitig aufzuhellen. Es ist Aufgabe der Prinzipienlehre, die ver- 
schiedenen Kategorien des Bedeutungswandels aus den einzelnen 
Fällen zu abstrahieren. Vielfach wird es nötig sein, Übergangsstufen 
zu finden, die von einer Bedeutung zur andern hinüberleiten. Das 
Günstigste ist natürlich, wenn man solche Übergangsstufen direkt be- 
legen kann, und darauf muss man überall bei der Materialiensamm- 



Hermann Pauls „Deutsches Wörterbuch". 7 

lung ausgeben. In vielen Fällen aber ist man darauf angewiesen, 
diese Übergangsstufen zu erschliessen, wobei es darauf ankommt, sich 
die verschiedenen Möglichkeiten klar zu machen und dann gestützt 
auf Analogien die wahrscheinlichste darunter herauszufinden." So 
scheint uns zur Förderung des Interesses für die Bedeutungsentwick- 
lung eine Darstellung unseres heutigen Wortschatzes nach einzelnen 
Kategorien seit seinem Auftreten in den uns überlieferten Sprach- 
denkmälern wohl erlaubt zu sein, obwohl die Einzelforschung noch 
viele beachtenswerte Übergangsbelege aufspüren und dadurch neue 
Auffassungen begründen wird, zumal, wie bei allen psychologischen 
Fragen, die Grenze zwischen den Kategorien nicht starr, sondern 
flüssig ist ^) ; und besonders lockend zeigt sich diese Aufgabe, weil 
derselbe Gelehrte, dem wir das genannte deutsche Wörterbuch ver- 
danken, auch die allgemeinen Grundsätze der Bedeutungslehre in 
seinen bereits erwähnten „Prinzipien der Sprachgeschichte" behandelt 
hat. Aber während er hier nur wenige Beispiele giebt, galt es nun, 
der zu Grunde gelegten Einteilung folgend eine möglichst reichhaltige 
Zusammenstellung zu bieten, in der die Einzelfälle sich gegenseitig 
stützen und aufhellen. Selbstverständlich kann nur von der Gruppie- 
rung der Einzelfälle nach den verschiedenen Möglichkeiten des Be- 
deutungswandels die Rede sein und nicht von der Aufstellung eines 
starren Systems, nach welchem sich etwa die Wörter in gesetzmäs- 
siger Weise entwickeln müssten. Möchte uns gelingen, die Freunde 
unserer Muttersprache für die junge Wissenschaft zu erwärmen und 
zugleich dem Suchenden ein Hilfsmittel für eingehenderes Studium zu 
gewähren. 



^) Dabei bemerke ich, dass mir Bruno Liebichs breit angelegtes Werk 
„Die Wortfamilien der lebenden hochdeutschen Sprache als Grundlage für ein 
System der Bedeutungslehre" (von 1899 ab) wohl bekannt ist, aber in den 
vorliegenden Lieferungen nicht förderlich sein konnte. 



Kapitel I. 

Verengung des Bedeutungsumfangs. 



§ 6, Die einfachste Art des Bedeutungswandels besteht darin, 
dass der ursprüngliche Vorstellungsinhalt eines Wortes bereichert und 
infolge davon sein Bedeutungsumfang, d. h. die Möglichkeit seiner 
Verwendbarkeit für verschiedenartige Begriffe, eingeschränkt wird. 
Schon bei der Urschöpfung der Wörter ist dieser Vorgang der 
Verengung des Bedeutungsumfanges (Spezialisierung) ein- 
getreten, indem es ja meistens nur möglich war, durch das neuge- 
schaffene Wort ein Merkmal des betreffenden Gegenstandes auszu- 
drücken, während die anderen hinzugedacht werden mussten und erst 
allmählich durch wiederholte, häufige Anwendung sich fest damit 
verbanden. Und dieser Prozess kehrte immer wieder und findet auch 
heute noch wie für alle Zukunft statt, sobald für einen neuauftauchen- 
den Begriff eine neue Bezeichnung geformt werden muss, nur dass 
durch die reichere Bedeutungsfülle der Einzelwörter und durch die 
Anw^endung von Zusammensetzungen von vornherein eine grössere 
Anzahl von Merkmaien angedeutet werden kann; aber genug bleibt 
noch hinzuzudenken, indem sich ja aus den Wortelementen an und 
für sich niemals die allseitige Definition eines Begriffes ableiten lässt. 
Wie ist es nun aber denkbar, dass sich der Bedeutungsinhalt im Lauf 
der Zeit bereichert und zwar bei den Einzelpersonen einer Sprach- 
gemeinschaft in gleicher, übereinstimmender Weise? 



Verengung des Bedeutungsumfangs. 9 

In allererster Linie kann ein Wort dadurch, dass der gemeinte 
Gegenstand sich in unmittelbarer Anschauung der Sprechenden be- 
findet, zu grösserer Bestimmtheit eingeschränkt werden; sodann wird 
eine mögliche Unentschiedenheit der Bedeutung durch das im voran- 
gegangenen Gespräch Erörterte vermindert; und weiterhin wirktauch 
die Ideengemeinschaft zwischen den Sprechenden, auch wenn sie 
über den betreffenden Gegenstand noch nicht miteinander gespro- 
chen haben, in machtvoller Weise mit, selbstverständlich in ver- 
schiedener Stärke, je nachdem Alter, Heimat, Lebenserfahrungen, 
Beschäftigung in grösserer oder geringerer Übereinstimmung stehen. 
Der gleiche Vorgang vollzieht sich alsdann aber auch bei einer grös- 
seren Gemeinschaft von Personen, so dass eine ganze Familie, ein 
ganzes Dorf, ein ganzer Stand unter einem Worte sich etwas viel 
Bestimmteres vorstellt, als eigentlich durch dasselbe ausgedrückt ist. 
Je mehr aber der betreffende Gegenstand für die 
Gesamtheit von Interesse, von Wert, von Wich- 
tigkeit ist, und je häufiger die gelegentliche (occasionelle) Ver- 
wendung eines Wortes im gleichen Satzverband in bestimmterem 
Sinne wiederkehrt, desto leichter wird die spezialisierte Bedeutung 
eines Wortes zu allgemeiner Geltung kommen, desto eher wird die 
gelegentliche Verwendung zu einer gebräuchlichen (usuellen) und 
damit zugleich selbständigen werden. Um den Unterschied zwischen 
bloss occasioneller und zwischen usueller Speziahsierung deutüch zu 
machen, Hesse sich wohl kein besseres Beispiel auffinden als das 
Wort Schirm, von dem Paul, Pr. S. 80 ausgeht, indem er darüber 
sagt: „Wir können das Wort für jeden schirmenden Gegenstand 
gebrauchen. Im occassionellen Gebrauche kann damit ein Ofenschirm, 
Lampenschirm, Augenschirm, Regenschirm, Sonnenschirm u. a. ge- 
meint sein. Aber während wir das Wort als Ofenschirm oder Lampen- 
schirm zu verstehen nur durch eine ganz bestimmte Situation veran- 
lasst werden, liegt es uns auch ohne solche nahe, es als Regen- oder 



10 Kapitel I. Verengung. 

Sonnenschirm zu fassen, und wir denken dann kaum mehr so sehr 
an die allgemeine Funktion des Schirmens wie an einen Gegenstand 
von bestimmter Gestalt und Konstruktion. Wir müssen daher aner- 
kennen, dass sich diese Bedeutung als eine eigene, selbständige von 
der allgemeinen abgezweigt hat, gleichviel, ob sie sich noch logisch 
unter dieselbe unterordnen lässt Denn diese logische Unterordnung 
ist nur möglich, wenn man von Momenten absieht, die für die Be- 
deutung mindestens ebenso wesentlich sind, als dasjenige, was man 
allein berücksichtigt" Unzählig sind die Wörter, bei denen derartige 
Spezialisierung eingetreten ist; suchen wir hier einige Beispiele zu- 
sammenzustellen, die sich unter gemeinsame Gesichtspunkte bringen 

lassen. 

§ 7. Da ist es zunächst, um von einfachen Verhältnissen auszu- 
gehen, leicht begreiflich, dass unter allgemeineren Bezeichnungen für 
Nutzpflanzen in den einzelnen Gegenden gerade diejenigen ver- 
standen werden, die dort die häufigsten und bedeutsamsten sind. So 
wird Krauty das eigentlich Pflanzen jeder Art bezeichnet, insofern bei 
ihnen das Blattwerk die Hauptsache ist, im Süddeutschen speziell für 
das norddeutsche Kohl verwendet, und zwar auch in den verschiede- 
nen Zusammensetzungen wie Rot-, Weiss-, Welsch-^ Sauerkraut statt 
Rotkohl u. s. w. Frucht wird im besondern auf die Frucht der Obst- 
bäume bezogen, so dass der Plural Früchte fast nur in diesem Sinne 
gebraucht wird; in Süddeutschland dagegen erscheint der Singular 
kollektiv auch als „Getreide", wie z. B. in Fruchthalle. Korn anderer- 
seits bezeichnet ursprünglich ein „Samenkorn", wie in Mohnkorn, Senf- 
korn, dann insbesondere das Samenkorn der verschiedenen Getreide- 
arten und wird nun als gemeinsame Stoffbezeichnung hierfür, aber 
auch speziell für diejenige Getreidesorte gebraucht, aus der das 
landesübliche Brot gebacken wird, so in den meisten Gegenden für den 
Roggen, in einigen Landschaften für Dinkel oder Weizen oder Hafer ^) 



1) Vgl. Paul, Pr. S. 80. 



Stoffe für Produkte daraus. 11 

(vgl. 11). Und Getreide selbst verdankt seinen heutigen Sinn auch 5 
nur einer solchen Spezialisierung, indem es aus der allgemeinen Be- 
deutung „was getragen wird" (ahd. gitregidi) zunächst zu „Erträgnis'*, 
endlich noch weiter zu dem jetzigen Sinn spezialisiert worden ist; 
aber der Zusammenhang wird hier nicht mehr gefühlt, indem die 
Lautform sich vom Stammwort ziemlich entfernt hat und die ältere 
allgemeinere Bedeutung wie in vielen noch zu besprechenden Fällen 
untergegangen ist, während sie in den vorher angeführten Beispielen 
neben der jüngeren spezielleren ungestört fortbesteht. 

§ 8. Als Spezialisierung der Wortbedeutung ist es sodann auch 
aufzufassen, wenn Stoffbezeichnungen für häufig gebrauchte, 
oder doch bedeutsame und geschätzte Produkte aus dem be- 
treffenden Stoff verwendet werden. So verstand man schon 
im Mittelhochdeutschen unter Feder ohne weiteren Beisatz die zum 6 
Schreiben zugeschnittene Schwungfeder, indem sie in diesem Gebrauch 
am wichtigsten war (vgl. 237 und 625). Unter dem Wort Glas stellen 
wir uns besonders ein Trinkgefäss aus diesem Stoffe vor. Hörn kann 7 
auch das zum Gebrauch verarbeitete Hörn bezeichnen, welches als 
Trinkgefäss, besonders aber als Blasinstrument verwendet wird (vgl. 
239 und 625). Aus der Sehne eines grösseren Tieres pflegte die Bogen- 8 
sehne verfertigt zu werden, weshalb sie so benannt wird (vgl. 234), 
und ebenso begreift sich Knöchel, eigentlich Verkleinerungswort zu 
Knochen^ in der Bedeutung „Würfel", aber auch das studentische 9 
knobeln von Knohel^ was ursprünglich auch nichts als „Knöchel" be- 
zeichnet. Dass Leder auch häufig für verschiedene Geräte gebraucht 10 
wurde, die aus Leder verfertigt sind, zeigt sich noch in der Redensart 
vom Leder ziehen, wobei allerdings der ursprüngliche Sinn „lederne 
Schwertscheide" vergessen ist; andererseits geht die Unterscheidung 
Bergleute vom Leder und von der Feder und danach überhaupt Leute 
vom Leder und von der Feder (praktisch und theoretisch thätige) auf 
die Bedeutung „lederner Schurz" zurück. Das studentische Flaus, 



12 Kapitel I. Verengung. 

mit Flies verwandt, bedeutet eigentlich nur „Büschel Wolle" und 
il dann erst „Wollenrock". Kirsch, Korn (vgl. 4) und Kümmel be- 
zeichnen auch den daraus bereiteten Branntwein, fttr den Kultur- 
hisloriker wegen der daraus zu entnehmenden Wertschätzung dieser 
Getränke beachtenswert, wenn auch für den Mann der Mässigkeits- 
1*2 bestrebungen nicht sehr erfreulich. Kork ist zunächst nur Stoff- 
bezeichnung für die „Rinde der Korkeiche", wird aber am gewöhn- 
lichsten auf den daraus verfertigten Flaschenstöpsel bezogen. Bei 

13 dem Worte Rohr ist uns kaum mehr bewusst, dass es ursprüngUch, 
wie das dazu gehörige Röhre, nur den Rohrstengel als Gewächs und 
dann erst auch den abgeschnittenen, für den Gebrauch hergerichteten 
bezeichnete, wie spanisches Rohr (als Spazierstock, Prügelstock), Rohr 
zum Blasen, Rohr einer Tabakspfeife, bis es schliesslich auch auf 
rohi'förmige hohle Geräte aus anderem Stoff übertragen wurde (vgl. 

14 241). Diele ist nicht bei der Bedeutung „Brett" stehen gebüeben, 
sondern bezeichnet auch „den (aus Brettern gefertigten) Zimmer- 
boden**, speziell „Hausflur", nordd. „Tenne", südd. auch „Zimmer- 
decke", sowie den darüber unmittelbar unter dem Dache befindlichen 
Raum. Wir können dabei gleichsam die Entwicklung verfolgen, die 

15 das Wort Zimmer durchgemacht hat: denn die Grundbedeutung ist 
„Bauholz", wie ja aus ziynmern, Zimmermann, Zimmerplatz noch 
ersichtlich ist, und erst weiterhin bezeichnet es ,,etwas aus Bauholz 
Zusammengefügtes", in der Form Gezimmer bei Luther auch ,, Stock- 
werk", bis es schliesslich als „abgegrenzter Teil eines Hauses" all- 

16 gemein üblich geworden ist. Auch Laden hat die Grundbedeutung 
„Brett", die im Oberdeutschen noch erhalten ist, und hat sich dann 
daraus in ähnlicher Weise, allerdings nach zwei Seiten spezialisiert, 
nämlich einmal als „Vorrichtung aus Brettern zum Verschliessen von 
Fenstern", andererseits als ,,aus Brettern hergerichteter Verkaufs- 
stand", weiterhin „Verkaufslokal in einem Hause" (vgl. 628j. Ganz 
abhanden gekommen ist uns schliesslich auch die Grundbedeutung 



Ausdrücke für Verheiratung u. s. w. 13 

bei Semmely das wie das lateinische Urwort simila eigentlich „feines 17 
Weizenmehl" bezeichnet, jetzt aber nur das als Produkt daraus ge- 
fertigte Backwerk. 

§ 9. Bei einer andern Gruppe von Wörtern können wir be- 
obachten, wie eine spezielle Beziehung auf den wichtigsten 
Vorgang in dem Lebender Familie, auf die Verheiratung 
und damit Zusammenhängendes, stattgefunden hat. Gehen wir von 
heutigen gelegentlichen Anwendungen aus, so können wir z. B. denken 
an sich verändern, das volkstümlich einerseits „in einen andern Dienst 18 
treten", andererseits aber auch „sich verheiraten" bedeuten kann. 
Bei der Wendung er hat ein Verhältnis wird wohl nur an einen 
Liebeshandel gedacht ; es lässt sich jemand scheiden, er Übt geschieden, 19 
wird ebenso wie gewöhnlich ledig, das eigentlich allgemein „nicht 
behindert" bedeutet, auf das Eheverhältnis spezialisiert. Eine ähn- 
liche Verengung der allgemeineren Bedeutung „zusagen" liegt auch 
vor in sich mit einem versprechen für „verloben", versprochen sein 20 
für „verlobt sein" ; und verloben selbst ebenso wie Verlobung, in 
feierlicher Rede Verlöbnis, geht auf den allgemeineren Sinn „durch 
Gelübde weihen" zurück, der noch jetzt in der Wendung sich der 
Jungfrau Maria verloben erhalten ist, wie es auch bei Luther noch 
heisst: der Knabe wird ein Verlobter Gottes sein» Gelegentlich wird 
meine Hälfte, meine bessere Hälfte, allerdings wohl meist scherzweise 
für „Ehehälfte", „Gattin" gebraucht; aber Gatte ist auch nur eine 21 
Spezialisierung, die genauer durch Ehegatte bezeichnet wird, indem 
es ursprünglich nichts als „mit einem andern gleichstehend, mit ihm 
zusammengehörig" bedeutet, wie das in Gattung noch hervortritt. 
Auch bei dem sinnverwandten Gemahl und dem dazu gehörigen ver- 22 
mahlen haben wir jetzt kein Gefühl mehr dafür, dass in dem Grund- 
worte Mahl, mhd. mahel, noch erhalten in Mahlschatz, „Gabe, die 
bei der Verlobung gegeben wird", die allgemeine Bedeutung „Ver- 
handlung", „gerichtliche Verhandlung" (dabei ist auch an das alter- 



14 Kapitel I. Verengung. 

tümliche Mahlstatt „Gerichtsstätte" zu denken) zugrunde liegt, die 
dann erst auf die Rechtsvorgänge bei der Eheschliessung beschränkt 

23 wurde. Und auf ähnlicher Grundlage hat sich auch das Wort Ehe 
selbst entwickelt, indem zwar die jetzige Bedeutung schon im Mittel- 
hochdeutschen vorhanden ist, daneben aber die ältere, allgemeinere 
„Vertrag", „gesetzliche Ordnung", aus der sich auch der Sinn des 
Adjektivs echt entwickelt hat, das aus der niederdeutschen Form 
ehacht = mhd. ehaft „gesetzmässig" zusammengezogen ist; auch 
sei erinnert an die frühere Ausdrucks weise alte und niuwe (neue) e 
im Sinne von „Altes und Neues Testament". ^) Aber auch das Wort 

24 Hochzeit, das jetzt die Gesamtheit der äusseren festlichen Vorgänge 
bei der Vermählung in sich schliesst, verdankt seinen heutigen Sinn 
nur einer Spezialisierung, indem es früher, noch bis ins 17. Jahr- 
hundert, „Fest" im allgemeinen bedeutete und erst allmählich auf das 
Fest der Vermählung beschränkt, allerdings schon von Luther nur 
für dieses gebraucht wurde ; dass das Gefühl für den Ursprung des 
Wortes, das mundartlich sogar als Hochzieh erscheint, jetzt so sehr 
verdunkelt ist, wird mit Recht auch auf die Verkürzung des Vokals 
der ersten Silbe vor der Konsonantenhäufung zurückgeführt. 

§ 40. Unter den Spezialisierungen, die ihre-Entwicklung einer 
Ideenassoziation verdanken, die sich innerhalb einer bestimmten Ge- 
brauchssphäre an sie angeschlossen hat, seien nunmehr einige Aus- 
drücke betrachtet, deren spezielle Färbung aus dem religiösen 
und kirchlichen Leben hervorgegangen ist. ^) Da wird 

25 der Geist schlechthin auch zum „heiligen Geist", und frühzeitig wird 
geistlich als Gegensatz zu weltlich vorzugsweise in christlich-theolo- 
gischem Sinne verwendet, woraus dann der Geistliche substantiviert 



1) Vgl. Thomas 30 S. 711. 

^) Der Ursprung verschiedener derartiger Spezialisierungen ist darge- 
stellt bei Kud. von Raumer, „Die Einwirkung des Christentums auf die althoch- 
deutsche Sprache". Stuttgart 1845. 



Ausdrücke aus dem religiösen Leben. 15 

wird (vgl. 668); ^und ähnlich wird irdisch spezialisiert als Gegensatz 26 
zu himmlisch und hat sich so von irde7i weit entfernt. Amt wird 27 
auch gebraucht für die wichtigste kirchliche Amtshandlung, die Messe, 
an Stelle des häufigeren {Hochamt. Selten im eigentlichen Sinne er- 
scheint Abendmahl, weil es sich auf 'das bestimmte Abendmahl Christi 28 
und die zum Gedächtnis desselben stattfindende Feier beschränkt hat, 
allerdings auch mit Einbusse von einem Teil des ursprünglichen In- 
halts, indem es auch von einer nicht am Abend stattfindenden Feier- 
lichkeit gebraucht wird. *) Landschaftlich wird einen versehen speziell 
auf die wichtigste Versorgung mit den Sterbsakramenten bezogen. 
Man wallt oder macht eine Wallfahrt zu einem Nothelfer und denkt 29 
dabei nur an heilige Stätten und Heilige, während ursprünglich jede 
Wanderung zu einem Helfer in der Not gemeint sein konnte. Welche 
religiöse Weihe ruht jetzt auf dem Worte Andacht, und doch ist es 30 
ursprünglich und so noch bei Luther überhaupt „intensive Richtung 
der Gedanken auf etwas". Beichte (mhd. hiht, zusammengezogen aus 
ahd. hijiht\ abgeleitet von einem untergegangenen, aber noch im Alt- 
neuhochdeutschen vorhandenen Verbum jehen „bekennen", ist ur- 
sprünglich ein Geständnis jeder Art, Reue bezeichnet anfllnglich all- 
gemein „Seelenschmerz" und wurde erst später infolge häufiger Ver- 
wendung in kirchlichem Sinne beschränkt auf „Schmerz über etwas, 
was man selbst gethan oder unterlassen hat"; und das oft damit 
verbundene Wort Busse, verwandt mit hesser, ist erst aus dem all- 31 
gemeinen Sinn „Besserung" allerdings schon im Mittelhochdeutschen 
auf den juristischen Sinn „Schadenersatz" und den daraus entwickelten 
religiös-sittlichen Sinn spezialisiert, während das abgeleitete Verbum 
büssen noch länger die allgemeinere Bedeutung behauptet hat, wie 
aus der in der Schweiz noch üblichen Verwendung für „ausbessern", 
„flicken" und aus der allgemein gebräuchlichen Übertragung Lücken- 



Vgl. Paul, Pr. S. 93. 



lö Kapitel I. Vereogun^. 

buseer hervorgebt. Eine ausschliesslich kirchliche Bedeutang hat 

32 jetzt Ablass^ entsprechend dem im Altneahochdeutschen Qhlichen 
einem eine Schuld, seine Sünden ablasseny wofür jetzt erlassen ein- 
getreten ist. Ruchlos^ zu mhd. mache „Sorge", ruochen „sich um 
etwas kümmern" und zu dem durch Anlehnung an ruhen umge- 
bildeten geruhen gehörig, ist spezialisiert auf jemand, der auf gehei- 

33 ligte Dinge keine Rücksicht nimmt ; ein solcher kommt in den Bann, 
worunter ursprünglich jede „Strafe für Übertretung", in der Regel aber 
dann in kirchlichem Sinne .,Exkommunikation" verstanden wird, so 
dass es als geistliche Strafe zum Gegensatz der weltlichen Acht wird 
(vgl. 419); Krummstah wird jetzt nur speziell als „der krumme Stab 
des Bischofs" gefasst, so dass unter dem Krummstah nur „unter 

34 bischöflicher Herrschaft" bedeutet. Auferstehen ist ursprünglich all- 
gemein „aufstehen", jedoch nur in der jetzigen Beschränkung durch 
den gewohnten Wortlaut der Bibel üblich geworden und erhalten. 
Unzertrennlich von der Beziehung zu Gott erscheint uns auch schliess- 

35 lieh Vorsehung, aber noch Pestalozzi verwendet es in allgemeinem 
Sinne, wenn er sagt : wenn nicht der Nachwelt und der Jugend durch 
die Schulen hesser Vorsehung gethan wird ; und andererseits spricht 
noch Schiller von der unsichtbaren Hand der Vorsicht, während diese 
Ableitung in religiösem Sinne jetzt unmöglich ist. 

§ 11. Wie nun bei diesen Ausdrücken aus dem Leben der 
Familie und der Kirche die besprochene Spezialisierung ursprünglich 
nur occasionell, eben in diesem bestimmten psychologischen Zu- 
sammenhang eintreten konnte, bis dieselbe durch häufige Anwendung 
und Wiederkehr in demselben Satzverband erstarkte, usuell und da- 
mit selbständig wurde, so können auch vielo andere Wörter in ihrem 
speziellen, zu der Grundbedeutung hinzugetretenen Sinn nur aus den 
betreffenden Ideenverhältnissen und Volkskreisen heraus begriffen und 
erklärt werden. Mit gutem Grund legt die Lexikographie gegenwärtig 
grosses Gewicht darauf, die Verteilung des Wortschatzes nicht nur 



Ausdrücke aus Standessprachen. 17 

auf die einzelnen Landschaften, sondern auch auf die einzelnen Volks- 
schichten festzustellen, so dass man ein Bild erhält von den Klas- 
sen-, Standes- oder Zunftsprachen, i) und mit Recht kann 
damit im Zusammenhang bei einer grossen Zahl von Spezialisierungen 
der Nachweis versucht werden, wie sie auf dem Boden einer früheren 
Standessprache erwachsen und dann in die Gemeinsprache übernom- 
men sind.^) Ohne irgendwie auf Vollständigkeit abzuheben, wollen 
wir hier einige Fälle nach diesem Gesichtspunkt zusammenstellen. 

§ 12. So begreift sich aus der Bauernsprache heraus die 
Bedeutungsentwicklung von Gut, dem substantivierten und Ursprung- 36 
lieh ebenso vieldeutigen Neutrum des Adjektivs gut, im Sinne von 
„Landgut" durch die Zwischenstufe „Besitztum", während andere Spe- 
zialisierungen wie in Frachtgut, Eilgut, Güterwagen dem Verkehrs- 
leben, Steingut, Glockengut als Bezeichnung für das zurechtgemachte 
Material dagegen den Gewerben entstammen. Aus dem Vorstellungs- 
kreis viehzuchttreibender Bevölkerung erklärt es sich auch, wenn Stall, 37 
eigentlich „der Ort, wohin etwas gestellt wird" (z. B. mhd, hurcstal 
„Platz, auf den eine Burg gebaut ist'') jetzt nur den Raum für das 
Einstellen des Viehs bezeichnet.^) Die Bedeutung von Schnitter sodann 38 
beruht auf der ebenfalls aus der Landwirtschaft hervorgehenden, früher 
sehr gewöhnlichen Verwendung von Schnitt für das Schneiden des 
Getreides, im Sinn von „Ernte", wie jetzt noch in Bezug auf das 
Heu der erste, zweite Schnitt geläufig ist. 

§ 13. Der Handwerkersprache dagegen ist die Bedeu- 
tung des zum gleichen Wortstamme wie Schnitter gehörigen Sub- 



») Vgl. Paul, Aufgaben S. 55 f. 

2) Vgl. Schmidt, S. 14—17: „Gabelentz, Sprachwissenschaft S. 281, nennt 
es Standessprachen ; Max Müller : Klassendialekte, class-dialects, Lectures I 69 ; 
Withney: class-words, Life and growth of Language S. 155; Hecht: Zunft- 
sprachen, Griech. Bedeutungslehre S. 50." 

8) Vgl. Thomas 30 S. 711. 
Waag, Bedeatangaentwicklan?. o 



18 Kapitel I. Verengung. 

39 stantivs Schneider entwachsen, das im allgemeinen Sinne zwar in 
Zusammensetzungen wie Hcuirschneider, Steinschneider noch weiter 
lebt, frühzeitig aber auf die Handwerksbezeichnung für den Kleider* 
macher nach der Thätigkeit des Zuschneidens eingeschränkt wurde.^) 
Zwei ganz verschiedene Zeitwörter wähnen wir ! heute vor uns zu 

40 haben, wenn wir etwa sagen: er wirkt als Beamter, sie wirkt Tep- 
piche; und doch liegt das gleiche Verbum zu Grunde, zu dem im 
Mittelhochdeutschen ein beliebiges bleibendes Erzeugnis (wie Haus, 
Bild, Gerät) als Objekt hinzutreten konnte, während dies jetzt nur 
üblich ist, wenn die besondere Beziehung auf das Erzeugen von Ge- 
wandstoffen, Teppichen und dergleichen vorhanden ist, wie dies auch 

41 in Strumpfwirker, Seidenwirker der Fall ist. Gerben (mhd. gerwen, 
zu mhd. gar, flektiert garwer gehörig, vgl. 448) heisst eigentlich 
nichts als „fertig machen", „zurecht machen" und hat zunächst nur 
als Fachausdruck den speziellen Sinn ,, Felle zu Leder zurechtmachen" 
annehmen können ; es wird also dabei das Objekt Felle hinzuver- 
standen, was uns nicht so sehr befremden kann, wenn" wir z. B. an 

42 den jetzigen speziellen Sinn von rauchen, schmauchen oder schnupfen 
denken, wobei ohne Angabe einer näheren Bestimmung Tabak bezw. 

43 Schnupftabak hinzugedacht wird. Dach ist ursprünglich allgemein 
„das Deckende", „die Hülle", wie es z. B. im „Erec" Hartmanns von 
Aue V. 8236 heisst : ez wären ir rocke unde ir dach (üeberwurf) von 
swarzem samite 2) ; aber in der Sprache der Bauleute wurde es auf 
„Dach des Hauses" beschränkt 3), und diese Spezialisierung haftet 
jetzt so fest, dass wir bei der Zusammensetzung Dachdecker nicht 
empfinden, dass darin der gleiche Wortstamm zweimal verwendet ist. 

44 Ausser der allgemeinen Bedeutung „Verzeichnis" hat Register aus 



1) Vgl. Stöcklein S. 26 f. 

2) Vgl. Thomas 30 S. 711. Vielleicht jedoch schon als bildliche Anwen- 
dung der Spezialisierung zu fassen, vgl. Heyne, Wörterbuch. 

8) Vgl. Stöcklein S. 61. 



Ausdrücke aus Standessprachen. 49 

der Sprache der Orgelbauer auch noch den speziellen Sinn „Pfeifen- 
reihe" angenommen, wie es sich dagegen aus der Bergmanns- 
sprache erklärt, dass unter Hütte zunächst „ein Schuppen zum Auf- 45 
bewahren der Geräte und Erze", hierauf auch „ein Schmelzwerk*' 
verstanden wurde, wie z. B, in Hüttenwesen. Aus der Jägersprache 
sodann begreift sich die Spezialisierung von Anstand im Sinne von 46 
„Standplatz, von dem aus der Jäger das Wild zum Schuss erwartet", 
und ebenso die von dem Wort Wild, das ursprünglich alle in unge- 
zähmtem Zustande lebenden Tiere bezeichnet, jetzt aber fast immer 
auf solche Tiere beschränkt wird, die gejagt werden, um als Nahrung 
zu dienen. Andrerseits ist die Angel, eigentlich allgemein „Stachel", 47 
„spitzer Hacken", vom Standpunkt des Fischers spezielle Bezeichnung 
für die Fischangel geworden, während im übrigen bei dem Worte 

r 

jetzt besonders an eine Thürangel gedacht wird. Für den Schreiber 
ferner lag es nahe, bei dem Wort Zeile, das ursprünglich allgemein 48 
„Reihe" bedeutet, im besonderen an „Buchstabenreihe" zu denken, 
und dies ist so zur eigentlichen Bedeutung geworden, [dass uns an- 
dere Verwendungsweisen als daraus abgeleitete, bildliche erscheinen, 
wenn wir von der Zeil als der Hauptstrasse in Frankfurt a. M. hören, 
oder wenn Goethe von Rehen in Zeilen, Schiller fvon der Strasse 
langer Zeile spricht. Aus der Sprache der Buchdrucker schliesslich 
erklären sich die Spezialisierungen Druck und drucken, was nur ober- 49 
deutsche Lautform zu dem ursprünglich identischen drücken ist, 
ferner Letter, das im 17. Jahrhundert auch sonst „Buchstabe" be- 
zeichnet, Setzer schlechthin für „Schriftsetzer", Verlag und Verleger 50 
zu verlegen, was früher allgemein „etwas auf seine Rechnung neh- 
men" bedeutete, wie noch Goethe von einem Verleger heim Tuch^ 
macherhandwerk spricht ; neu aufgekommen ist dazu jetzt Bierverlag 
und Bierverleger, was für den Kulturhistoriker lehrreich ist. 

§ 14. Weiterhin können wir uns vorstellen, dass aus der Fach- 
sprache der einzelnen Künste heraus, deren allgemeiner Bedeutung 

2* 



20 Kapitel I. Verengung. 

51 entsprechend, Bild früher namentlich auf Werke der Bildhauerkunst, 
wie noch in Standbild, Bildsäule, Erzbild, und erst in neuerer Zeit 
auf die Arbeit des Malers beschränkt wurde (vgl. 339). Stich wird 

52 auch für sich als „Stahlstich" oder „Kupferstich" verstanden. Dichten^ 
aus lat. dictare mit der mittellateinischen Bedeutung „abfassen'% 
wurde erst seit dem 17. Jahrhundert auf die Abfassung poetischer 
Werke beschränkt, woraus sich dann erst die übertragene Bedeutung 
„sinnen", „aussinnen" entwickelt hat, die wir besonders noch in der 

53 Verbindung dichten und trachten fortführen. Rolle aus lat. rotula, 
rotulus, zunächst eine Urkunde auf einem Pergamentblatt, welches 
zusammengerollt wurde, daher noch jetzt als „amtliches [Verzeichnis'' 
in Stammrolle, Bürgerrolle, im Süddeutschen auch in der Form Rodel 
üblich, konnte in Theaterkreisen auch verwendet werden für die auf 
ein Blatt, das zusammengerollt zu werden pflegte, ausgeschriebene 
Partie eines Schauspielers und danach weiter für alles, was ein Schau- 
spieler in einem Stücke zu leisten hat, wonach wiederum häufige 
Übertragung stattfand auf das, was jemand im Leben leistet. Andrer- 

54 seits wurde Weise, seit alter Zeit synonym mit Art, auf dem Boden 
der Musik zur speziellen Bezeichnung für „Melodie", so dass Wort. 
(Text) und Weise formelhaft gegenüber gestellt wurden. 

§ 15. Aus der Sprache des kaufmännischen Ver- 
kehrslebens heraus müssen wir uns sodann erklären, dass der 

55 Kunde, ursprünglich eine Substantivierung von kund mit dem allge- 
meinen Sinn „der Bekannte", jetzt verstanden wird als „der in einem 
Geschäft Bekannte, der dort zu kaufen pflegt", während aus der 
Sprache der Gauner und Landstreicher, die sich untereinander als 
Kunden bezeichnen, die volkstümliche Verwendung des Wortes für 

56 „Kerl" stammt. Billig, synonym mit recht, allerdings mehr auf das 
natürliche Rechtsgefühl bezogen, hat sich erst im 18. Jahrhundert in 
der Sphäre des Handelsverkehrs zur Bedeutung „wohlfeil" entwickelt, 
eigentlich „nicht teuerer als sich gehört'S während das Zeitwort hil- 



Ausdrücke aus dem Verkehrs- und Eechtsleben. 21 

ligen nur die Grundbedeutung fortführt^) Aehnlich erklärt sich, 
wie Schuld, das der Grundbedeutung des dazugehörigen sollen ent- 57 
sprechend „Verpflichtung zu einer Leistung" bedeutete, auf „Ver- 
pflichtung zu einer Zahlung" eingeschränkt wurde, gerade wie das 
Soll in dem kaufmännischen Soll und Haben (vgl. 552). Auf dem 
Boden des Verkehrslebens spezialisierte sich auch Zins aus „Abgabe" 58 
zu „Ersatz für geliehenes Kapital", Miete aus „Lohn", „Vergeltung" 
zu „Zahlung für etwas Geliehenes, besonders für die Benutzung von 
Räumlichkeiten in einem Gebäude", in welch letzterem Sinne vor- 
nehmlich süddeutsch auch Zins gesagt wird. Schliesslich mag Wäh- 
rung, eigentlich „Gewährleistung", dann speziell „staatliche Fest- 
setzung des Wertes einer Münze", hierher gestellt werden. 

§ 16. Der Rechtssprache werden wir zuweisen dürten 
die Bedeutungsentwicklung von Lehen, zu leihen gehörig, das ur- 59 
sprünglich und so noch im Altneuhochdeutschen, jetzt noch in Dar^ 
lehen nicht auf das Lehnsverhältnis beschränkt ist. Aus der gleichen 
Sphäre stammt vermachen, früher allgemein „in den Besitz jemandes 
tibertragen", jetzt nur wie die Ableitung Vermächtnis auf testamenta- 
rische Bestimmung bezogen. Anwalt ist ursprünglich Oberhaupt „je- 60 
mand, der an Stelle eines andern zu verfügen hat", jetzt auch 
schlechthin „Rechtsanwalt" ; Mschen hat im Altneuhochdeutschen 
auch die spezielle Bedeutung „gefänglich einziehen" angenommen, 
woraus sich das jetzt noch bekannte Häscher als „Gerichtsdiener", 
„Scherge" erklärt. 

§ 17. Auf dem Boden der Soldatensprache ist schliess- 
lich erwachsen die Bedeutungsspezialisierung von Gewehr für „Flinte" 61 
als wichtigste Waffe in der modernen Kriegsfiihrung, während es bis 
ins 18. Jahrhundert, das dazugehörige Verbum wehren ja noch bis 



^) Vgl. Stöcklein S. 16, wo ausgeführt ist, wie sich in den Verbindungen 
billiger Preis, hillig verkaufen die Nebenvorstellung „niedrig", „gering" an- 
geknüpft hat. 



22 Kapitel I, Verengung. 

heute im allgemeinen Sinn zu finden ist, wie Lessing dies tödliche 
Gewehr von einem Dolche braucht und Schiller von Maria Stuart 
sagt: alles wird Gewehr in ihrer Hand; [ebenso knöpft die Zusam- 
mensetzung Seitengewehr für „Degen" und früher Stechgewehr, [Stoss- 
gewehr an die Grundbedeutung an. Interessant ist es übrigens zu 
bemerken, dass mhd. wäfen^ die frühere Form von nhd. Waffe, der 
damaligen KampfausrUstung entsprechend, schlechthin „das Schwert^^ 
bezeichnet, was damals das wichtigste Stück war. Aus der gleichen 

62 Sphäre heraus begreift sich, dass werben aus der Grundbedeutung 
„sich drehen" (vgl. Wirhel\ daher „sich bemühen um", den speziellen 
Sinn „zum Militärdienst werben" entwickelt hat, im Gegensatz zu der 
andern noch lebendigen Spezialisierung „um ein Weib werben". Eben 
falls aus der Soldatensprache erklärt sich pressen, eigentlich „drücken",, 
in der Beschränkung „mit Gewalt zum Dienst zwingen" (vgl. 393) und 

63 Urlauber als „Soldat auf Urlaub", nachdem Urlaub (zu erlauben ge- 
hörig) schon im Mittelhochdeutschen aus der allgemeinen Bedeutung 
„Erlaubnis" den speziellen Sinn „Erlaubnis sich zu entfernen" ent- 
wickelt hatte. Selbstverständlich ist aus diesem Kreise heraus die 
Spezialisierung der verschiedenen Ausdrücke für militärische Rang- 

64 stufen erwachsen wie Gemeiner (vgl. 509), Hauptmann (bei Luther 
noch allgemein „Leiter einer Gemeinschaft", wie jetzt noch in Kreis- 
hauptmann u. dergl.) im Gegensatz zu Häuptling, endlich der sub- 
stantivierte Superlativ Oberst, altertümlich Obrist, während im all- 
gemeinen Sinne die unverkürzte Form der Oberste angewendet wird. 

65 Auf keinem andern Boden hat wohl auch tapfer seine heutige Fär- 
bung angenommen, das noch im Altneuhochdeutschen den allgemei- 
nen Sinn „wichtig", „bedeutend" (von Sachen), „tüchtig" (von Per- 
sonen) besitzt, wie heute noch im Adverbium, z. B. in tapfer schmälen, 
tapfer trinken. 

Daran seien schliesslich noch vier Zeitwörter gereiht, deren 
interessante gleichlaufende Entwicklung aus dem Kampf zu Pferde 



Ausdrücke aus der Soldatensprache. 23 

vom Standpunkt des Reiters aus zu begreifen ist, nämlicb die Be- 
wirkungswörter (Causativa, Factitiva) sprengen, setzen, rennen und 
schwenken. Sprengen heisst eigentlich „springen machen", wozu ins- 66 
besondere das Pferd als Objekt gesetzt wurde, und schon im Mittel- 
hochdeutschen war es infolge häufiger Anwendung üblich, dies als 
selbstverständlich hinzuzudenken (vgl. gerben 41), wodurch sich ein 
Gebrauch des Wortes herausgebildet hat, an dessen Ursprung wir 
jetzt nicht mehr denken, so dass es als Intransitivum erscheint und 
sogar das Pferd an Stelle des Reiters als Subjekt gesetzt werden 
kann, wie z. B. schon Voss sagt : es sprengten die stampfenden Rosse 
nach der Stadt. Ebenso wurde das heutige intransitive setzen zu- 67 
nächst vom Reiten gebraucht, wobei allmählich das Pferd als Objekt 
ausgelassen wurde ; so sind die Worte der Beiter setzt über den 
Graben eigentlich zu verstehen als „der Reiter macht das Pferd über 
den Graben sitzen", wobei zu beachten ist, dass sitzen in der älteren 
Sprache nicht nur den bestehenden Zustand, sondern auch den Ein- 
tritt des Zustandes bezeichnet wie noch jetzt im Süddeutschen — 
das Huhn sitzt auf das Ei — und allgemein in aufsitzen und ab- 
sitzen. Weiter ist rennen das Bewirkungswort zu rinnen, und die 68 
frühere Verwendung ein Ross rennen heisst eigentlich „ein Ross 
laufen machen", „antreiben" ; aber da auch hier, und zwar schon im 
Mittelhochdeutschen, das Objekt gewöhnlich hinzugedacht wurde, er- 
schien rennen allmählich als Intransitivum und wurde synonym mit 
dem auf den Fussgänger bezogenen laufen, während es allerdings 
teilweise auch jetzt noch auf Ross und Reiter angewendet wird, wie 
z. B. in Rennplatz, Wettrennen im Gegensatz zu Wettlauf. Nicht 
anders als bei sprengen, setzen, rennen liegt es schliesslich bei schwen- 69 
ken, das zu schwingen gehört; auch hierbei ist eigentlich das Pferd 
als Objekt zu ergänzen, und erst später hat sich intransitiver Ge- 
brauch und auch Anwendung auf den Fusssoldaten und Fussgänger 
überhaupt eingestellt (vgl. 545). 



24 Kapitel I. Verengung. 

§ 18. Dabei haben wir gesehen, dass das gleiche Wort aus 
verschiedenen Gebrauchsspbären heraus in der Gesamtsprache mehrere 
ungestört nebeneinander lebende Spezialisierungen angenommen hat, 
wie Frucht (3), Korn (4 und 11), Laden (16), Gut (36), und es darf 
uns dies nicht befremden : können wir doch bei etlichen Wörtern eine 
auf gleichem Wege entstandene noch weit vielgestaltigere Färbung 
des gleichen Wortes beobachten, ohne dass im Gebrauch der leben- 
digen Sprache im Zusammenhang des Satzes irgendwie die Gefahr 
oder nur der Gedanke einer Unklarheit vorhanden wäre. So wird 

70 Spiel, ursprünglich ganz allgemein, wie jetzt noch z. B. vom Spiel 
des Kindes, „Beschäftigung, die zur Unterhaltung getrieben wird", 
bald vom Standpunkt des Spielers als Glücksspiel mit Würfeln, Kar- 
ten u. s. w. verstanden, bald vom Standpunkt des Spielmanns (im 
Mittelalter allerdings in weiterem Sinne gebraucht, da zu dem Ge- 
werbe eines solchen alle möglichen sonstigen Ergötzungen des Publi- 
kums gehörten) als musikalisches Spiel, bald vom Standpunkt des 
Schauspielers wie lat. ludus als dessen nachahmende Thfttigkeit. Er 

71 macht einen Satz wird in verschiedenem Sinn bezogen auf einen 
Turner, einen Drucker (vgl. Setzer 49), einen Komponisten oder einen 

72 Grammatiker. Lehrreich ist hier besonders das Wort Lot^ das sich 
aus der jetzt verdunkelten Grundbedeutung „Bleiklumpen" je nach 
dem verschiedenen Gebrauch eines solchen in den einzelnen Berufs- 
arten in fünffacher Weise spezialisiert und modifiziert hat, wie Paul 
in seinem Wörterbuch (S. 286) in der wörtlich folgenden Darstellung 
zeigt : 1) „Blei zum Schiessen verwendet", so am längsten gebraucht 
in der Verbindung Kraut und Lot = „Pulver und Blei". 2) „Richt- 
blei der Bauhandwerker" ; daher im Lote stehen = „senkrecht stehen", 
lotrecht = „senkrecht". 3) „Senkblei der Schiffer". [4) „Blei als Ge- 
wicht verwendet", dann überhaupt „Gewicht", endlich und so jetzt 
allein für ein bestimmtes Gewicht. 5) bezeichnet Lot eine Metall- 
mischung, die zum Verbinden von Metallstücken dient; daher löten. 



Verengung nach dem guten Sinne. 25 

So haben wir den Versuch gemacht, eine Reihe von Speziali- 
sierungen als auf dem Boden einer bestimmten Standes-, Berufs- oder 
Klassensprache erwachsen begreiflich zu machen. Selbstverständlich 
ist jedoch, wir wir zum Beginn bemerkt haben, der weitere Schritt 
der üebernahme in die Gemeinsprache nur dadurch zu erklären, dass 
der betreffende Fachausdruck durch die allgemeine Wichtigkeit für 
die Gesamtheit sich aus der engeren Sphäre herausgehoben hat, so 
dass Paul, Pr. S. 81 den kulturhistorischen Gesichtspunkt gewinnt : 
„Man erkennt die Bedeutung, welche die verschiedenen Berufsklassen 
für das Volksleben im ganzen haben, an der Zahl der Spezialisie- 
rungen, die sie in die allgemeine Sprache eingeführt haben." 

§ 19. War den bisher besprochenen Fällen von Bedeutungs- 
verengung das gemeinsam, dass das Bedeutsamste, das Wichtigste in 
seiner Art, zum Teil vermischt durch das für eine einzelne Standes- 
spräche Zunächstliegende, unter einem ursprünglich weiter gefassten 
Worte verstanden wurde, so lässt sich andrerseits eine Gruppe von 
Spezialisierungen unter dem Gesichtspunkt betrachten, dass sich die 
Bedeutung innerhalb der verschiedenen Möglichkeiten nach dem 
guten oder besten Sinne hin entwickelt hat. Wenn es 
z. B. von jemand heisst: er ist von Familie, so wird darunter eine gute, 73 
geachtete Familie verstanden,^) und in ähnlicher Weise unter den Ge- 
schlechtern nur die bekanntesten, besten Familien, in den Reichs- 
städten speziell die alten Patrizierfamilien. In diesem prägnanten 
Sinne erscheint auch Name für „bekannter Name", „Berühmtheit" in 
Wendungen wie sich einen Namen machen, und dementsprechend 
namhaft für „angesehen", „beträchtlich". So hat Art auch den Sinn, 74 
„gehörige Art", wenn man sagt das ist keine Art oder wenn man von 
artigen Kindern spricht, wozu dann Unart den Gegensatz bildet. Und 
ähnlich begegnet uns Sitte, eigentlich nur „Gewohnheit", geradezu für 75 
„Anstand", „Anstandsgefühl", wozu sich sittig und sittsam stellen, 



») Vgl. Behaghel S. 96. 



26 Kapitel !• Verengung. 

während sittlich, allgemein üblich für „moralisch", noch eine weiter- 
gehende Ablösung von dem Grundbegriff zeigt und in der ursprüng- 
lichen Bedeutung nur noch in der Wendung Ländlich^ sittlich auf- 

76 tritt (vgl. 664). Weiter ist Mass vielfach auch „das rechte Mass^ 
wobei nicht über das Angemessene hinausgegangen wird", wie in Mass 
halten, kein Mass kennen, und auch in massvoll, masslos und massig; 
hat ja doch schon bei den mittelhochdeutschen Dichtern diu mäze 
einen hohen Sinn, so dass es bisweilen der Sophrosyne der Griechen 

77 entspricht. In gleicher Richtung hat auch achten aus der Bedeutung 
„die Aufmerksamkeit worauf richten" den Sinn von „Respekt haben", 
„hochachten" entwickelt im Gegensatz zu missachten und verachten, 
entsprechend das Substantiv Achtung. Schliesslich sei als Beispiel 
für derartige prägnante Verwendung noch die jetzt gewöhnliche Be- 

78 deutung des Wortes Mut aufgeführt, das ursprünglich allgemein für 
„Gesinnung" oder „Stimmung" gebraucht wurde, wie es in dichteri- 
scher Sprache noch lebendig ist, [aber auch in der Umgangssprache 
durchblickt in festen Verbindungen wie guten Mut haben, getrosten 
Mutes sein, abgesehen davon, dass auch die meisten Zusammensetz- 
ungen wie Sanftmut, Hochmut und Ableitungen wie vor allem Gemüt 
noch davon Zeugnis ablegen (vgl. Hochmut 89). 

§ 20. Demgegenüber findet bisweilen an einem und demselben 
Wort nicht nur Spezialisierung zum guten, sondern zugleich 
auch zu einem, schlimmen Sinn statt. So kann in dem 

79 Verbum schmecken die Vorstellung des Angenehmen liegen, wenn es 
heisst: es schmeckt ihm, er lässt es sich schmecken; aber in Beziehung 
auf den Geruchssinn, die wie in der älteren Sprache so jetzt noch im 
Oberdeutschen, im Stidwestdeutschen sogar zum Teil ausschliesslich 
stattfindet, bedeutet es auch „übelriechen", „stinken", was offenbar 
von der Anwendung auf Dinge ausgegangen sein wird, die in unver- 
dorbenem Zustande keinen oder doch beinahe keinen Geruch von sich 

80 geben (vgl. 297). Ferner ist hier reizen anzuführen, das allgemein 



Verengung zum guten und schlimmen Sinne. 27 

eine auf ein lebendes Wesen ausgeübte Erregung ausdrückt, die Be- 
wegung, Thätigkeit hervorbringt; damit kann nun einerseits eine ün- 
lustempfindung verknüpft sein, wie Zorn oder Verdruss, was als Neben- 
sinn an dem adjektivisch gebrauchten Particip gereizt haftet und 
ebenso in dem Substantiv Reiz z. B. Hustenreiz hervortritt, andrer- 
seits aber auch eine Lustempfmdung, wie sich an dem adjektivisch 
gebrauchten Particip reizend und wiederum an dem Substantiv Reiz, 
die Reize im Sinn von Liehreiz beobachten lässt. Zum Witz fordert 
öfters heraus die zwiefache Möglichkeit bei ausschiessen im Sinne von 84 
„aussondern", indem Avsschuss von Waren gewöhnlich auf Mangel- 
haftes, Unbrauchbares bezogen wird, wogegen der Bürgerausschuss, 
oder der Ausschuss der Studentenschaft mit Recht (verlangen wird 
als eine Aussonderung der Besten in ihrer Art betrachtet zu werden. 

§ 21. Aber der besprochenen Entwicklung eines guten oder 
zugleich auch eines schlimmen Sinnes treten nun manche Wörter 
gegenüber, die sich durch ausschliessliche Aufnahme eines üblen 
Nebensinns spezialisiert haben. Abgesehen von dem Bedürfnis, 
immer feinere Unterscheidungen zum Ausdruck zu bringen, mag hier 
häufig euphemistisch verhüllende Redeweise mitgewirkt haben, die 
das Tadelnswerte als solches schonender Weise nicht bezeichnen 
will, wodurch aber bei wiederholtem Gebrauch unter siegreichem 
Durchbruch der Wahrheit der Wert des Wortes sinkt (vgl. Euphe- 
mismus Kap. V); dabei hat aber auch die Konventionslüge mitgewirkt, 
die sich nicht scheut, wider besseres Wissen, aber durch den Gebrauch 
in verfeinerten Kreisen geduldet, ja sogar für vornehm erachtet, die 
Wahrheit zu verschleiern, wogegen diese aber immer wieder ihr un- 
geschminktes Antlitz zur Geltung bringt. 

So bedeutet sich stellen früher, auch noch bei Luther, allgemein 82 
„sich gebärden", in der neueren Sprache aber wird es so nur ge- 
braucht, wenn der äussere Schein, den man annimmt, nicht der Wirk- 
lichkeit entspricht, wie er stellt sich taub; und ebenso brauchen wir 



28 Kapitel I. Verengung. 

ihun mit einem Adverbiura verbunden im gleichen Sinne jetzt immer 
von etwas Erheucheltem, wie betrübt thuriy freundlich ihun, während 
es bis ins 18. Jahrhundert nur ,,sich benehmen^^ bedeutet. Ähnlich 

83 haben wir bei vorgeben und vorgeblich, bei vorschützen, vorwenden 
und dementsprechend bei dem gebräuchlicheren Substantiv Vot^and 
stets die Nebenvorstellung, dass das Vorgebrachte etwas Falsches, Er- 
dichtetes ist, wogegen dies bei dem erst- und dem letztgenannten Ver- 
bum noch bis zu Luthers Zeiten, beim zweiten noch bis ins 18. Jahr- 
hundert nicht der Fall war. Unzertrennlich scheint uns jetzt der Begriff 

84 der Vorspiegelung bei einem etwas weis machen; aber mhd. einen eines 
Dinges wis tuon heisst nichts als „ihn wissend machen in Bezug auf 
etwas", und erst vom 16. Jahrhundert ab erscheint es auch mit dem 
Sinn „jemandem ein feilsches Wissen beibringen**, worauf dann später- 
hin, mit der Verschiebung der Konstruktion zusammenhängend, im 
Sprachbewusstsein sogar Anlehnung an weiss stattfindet, wie die 

85 häufige Schreibung mit sz zeigt. Sogar verleumden (von Leumund 
„Ruf", das mit laut verwandt ist, fälschlich als der Leute Mund auf- 
gefasst) ist zunächst nur ,,in schlechten Ruf bringen", und dass die 
dazu gemachten Aussagen falsch seien, ist eine Vorstellung, die sich 
erst sekundär angeschlossen hat. Die gelehrten Glossen, eigentlich 
„erklärende Bemerkungen zwischen den Zeilen oder am Rande'*, sind 
in übertragener Bedeutung in der Wendung Glossen machen volks- 
tümlich geworden, aber gewöhnlich mit üblem Beigeschmack im Sinne 
von „mündliche, hämische Bemerkungen über etwas" ; und so ist es 

86 auch mit anzüglich werden^ anzügliche Reden führen, Anzüglichkeiten 
machen, wobei zu beachten ist, dass das Stammwort anziehen früher 
auch für „eitleren" gebraucht wird, schon im Altneuhochdeutschen 
auch für ein tadelndes Anfahren, auch für Verklagen vor Gericht. 
Aus der Schülersprache sei hier noch erinnert an die Spezialisie- 

87 rungen anzeigen, angeben, den Angeber machen mit dem verächt- 
lichen Beigeschmack des Verratens und an vorsagen mit dem Neben- 
sinn des unerlaubten heimlichen Einhelfens. 



Verengung zum schlimmen Sinne. 29 

§ 22. Auf dem Gebiet subjektiver Vorstellung verbinden wir 
heute den Begriff des Irrigen mit dem Worte Wahn ; aber mhd. wän 88 
ist ursprünglich eine Vermutung, die zwar der Gewissheit entbehrt, 
jedoch nicht irrig zu sein braucht, wie noch aus der Zusammen- 
setzung Argwohn, mhd. arcvoän „schlimme Vermutung", ersichtlich 
ist.i) Hochmut hatte früher auch die allgemeinere Bedeutung „ge- 89 
hobene Stimmung" ohne tadelnden Nebensinn, wie hohen Mutes und 
hochgemut in diesem Sinne in der Dichtersprache aus dem Mittel- 
hochdeutschen wieder aufgenommen worden sind (vgl. Mut 78). Dünkel 90 
ist noch bis Anfang des 18. Jahrhunderts allgemein „das Bedünken", 
„die Meinung" und dann erst speziell „die zu hohe Meinung, die einer 
von sich selbst hat". In ähnlicher Richtung haben sich entwickelt 
die synonymen Ausdrücke sich etwas anmassen, adjektivisch an- 91 
massend, eigentlich „etwas als sich angemessen erkennen", sich 
unterfangen, sich unterstehen; alle drei haben erst sekundär, die 
beiden ersten allerdings frühzeitig, den Nebensinn angenommen, dass 
der betreffende Ausspruch nicht berechtigt, das betreffende Unter- 
nehmen ein verwegenes ist. 

§ 23. Nur schlimme Handlungen verstehen wir heute unter 
Thätlichkeiten und thätlich werden, indem dabei an einen gewaltsamen 92 
Akt gedacht wird, im Gegensatz zu den ursprünglich damit unter- 
schiedslos gebrauchten Formen thdtig und Thätigkeit Etwas, das 
verübt ist, wird jetzt nur auf Tadelnswertes bezogen, früher auch auf 
anderes ; und nur bei etwas Unerlaubtem, früher auch bei sonstigem, 
wird heute einer betreten, z. B* bei einer Lüge, oder bei einem Dieb- 
stahl, wenn er etwas entwendet hat : aber auch an diesem Wort haftet 93 
ursprünglich nicht die Vorstellung des Unrechtmässigen, wie es bei 
Luther mit Hervortreten der Grundbedeutung noch heisst: darum 



1) Dem Ursprung nach ganz verschieden, nur im Sprachgefühl angelehnt 
sind die Bildungen Wahnsinn, Wahnwitz, die mit einem untergegangenen Ad- 
jektiv, mhd. tvan „leer", „mangelhaft", zusammengesetzt sind. 



30 Kapitel I. Verengung. 

hat Gott unserm Vater entwendet seinen Reichtum zu uns und unsern 

94 Kindern. So bedeutet auch heimsuchen in der älteren Sprache all- 
gemein „besuchen", dann gewöhnlicher „einen in seiner Wohnung 
feindlich überfallen" und wird jetzt meistens von einer Plage ge- 

95 braucht, von der man betroflfen wird. Das Wort Wucher, zu wach- 
sen gehörig, bedeutet ursprünglich „Ertrag eines Kapitals**, wird aber 
jetzt für eigentlichen Kapitalzins nur noch gebraucht, wenn derselbe 
als ungebührlich hoch bezeichnet werden soll (vgl 431). ünzertrenn- 

96 lieh von [üblem Nebensinn erscheint uns heute das Wort List, und 
doch hat es diesen erst allmählich angenommen und bedeutet (mit 
lehren und lernen verwandt) von Hause aus nur „Wissen", „Weis- 
heit", „Klugheit". Nicht minder überraschend ist für das heutige 

97 Sprachgefühl die Wahrnehmung, dass Gift^), als zu geben gehörig, 
nur eine Spezialisierung aus der früheren Bedeutung „Gabe" ist (mit 
ähnlicher Entwicklung franz. poison aus lat. potio, potionem „Trunk") 
und sogar noch von Goethe in diesem Sinne gebraucht werden konnte: 
das ist Gottes wahre Gift, wenn die Blüte zur Blüte trifft; denn bei 
der grossen Abschweifung wird heutzutage auch an den Zusammen- 
hang mit dem Wort Mitgift kaum gedacht. 

§ 24. Als eine Spezialisierung nach dem Geringeren bin ist 
es auch aufzufassen, wenn einige Wörter auf Tiere einge- 
schränkt werden, während sie früher für lebende Wesen im all- 
gemeinen, also auch für Menschen gebraucht wurden. Nur Tiere 
58 fressen jetzt ihr Futter, saufen mit dem Maul und sind mit einem 
Fell bedeckt, während die Menschen mit dem Munde essen, trinken 
und eine Haut haben, abgesehen von verächtlicher oder burschikoser 



*) Schmidt S. 28 möchte Beeinflussung annehmen durch ahd. fargeban, 
mhd. vergeben, „geben, was zum Verderben gereicht", Vergebung „Vergiftung". 

Von andern wird ironischer Ursprung vermutet; vgl. über derartige „grausame 
Ironie" 610 und Scheffler, Wiss. Beiheft zur Zeitschr. des allg. deutsch. Sprach- 
vereins 1898 S. 135. 



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» 



Ausdruck eines bestimmten Empfindungstons. 31 

Rede ; aber fressen, mit der gotischen Vorsilbe fra- (= nhd. ver-) 
zusammengesetzt, heisst eigentlich nur ,, vollständig aufessen'^ und 
hatte wie saufen ursprünglich keinen unedeln Nebensinn, gerade wie 
dieser bei Maul nicht vorhanden war, wenn Luther z. B. den be- 
kannten Grundsatz seiner Übersetzungsweise aussprach : man müsse 
dem, gemeinen Mann auf das Maul se/ien.'^Fruhzeitig wurde zwar 
Futter überwiegend von der Nahrung der Tiere gebraucht, dagegen 
konnte noch in der Blütezeit der mittelhochdeutschen Dichtung der 
Ritter in durchaus edler Sprache das Fell seiner Dame besingen. 

§ 25. Vom Standpunkt der Spezialisierung nach der guten oder 
schlechten Seite lassen sich aber auch jene feinen Unterscheidungen 
betrachten, durch welche zwar der gleiche Begriff bezeichnet, bisweilen 
jedoch schwer definierbar ein bestimmter Empfindungston aus- 
gedrückt wird, durch welchen ein Wort der edlen oder der gemeinen 
Sprache, höherer oder niederer Redegattung angemessen ist; und es ist 
vielfach interessant zu beobachten, aus welchen Gebrauchssphären heraus 
die den Gefühlswert bestimmenden Ideenassoziationen sich erklären. *) 
Nehmen wir z. B. das Nebeneinander von Pferd und Ross, so ist kein 99 
Zweifel, dass das letztere in der neueren Schriftsprache als das edlere 
Wort empfunden wird; verfolgen wir aber die Entwicklung zurück, 
so bezeichnet im Mittelhochdeutschen ros nur das Streitross, pfert 
dagegen nur das leichtere Reitpferd: dann aber trat Vermischung der 
Bedeutung ein, Pferd wurde in der Schriftsprache das häufigere, Ross 
dagegen das seltenere und somit als das gewähltere, edlere Wort 
gefühlt, während im Oberdeutschen dagegen Ross häufiger gebraucht 
und dadurch Pferd als feineres Wort aufgefasst wird. Andrerseits 
haben die synonymen Wörter Klepper [und Mähre noch bis ins 18. 100 
Jahrhundert nicht den heutigen verächtlichen Nebensinn eines schlechten 
Pferdes, sondern Klepper bedeutet vordem ein ,, Reitpferd, das auf 



') Vgl. stöcklein S. 7. 



32 Kapitel I. Verengung. 

Reisen gebraucht wird" und Mähre ist „Stute", mhd. merhe^ das 
Femininum zu march „Pferd", welches in Marschall und Marstall 
(vgl. 642) steckt; nachdem aber diese Unterschiede sich verwischt 
und sich der allgemeine Sinn „Pferd" eingestellt hatte, hielten sich 
die beiden Wörter nur in der niederen Sprache und sanken so in 
iOl ihrem Wert. Auch Pfaffe war ursprünglich nicht verächtlich, sondern 
allgemeine Bezeichnung des Weltgeistlichen, bis es dann als häufigste 
Benennung des Standes in den Schmähschriften der Religionskriege 
herabgezogen wurde, während das seltenere Pfarrer und Geistlicher 

102 unberührt blieb. Eine doppelte Färbung hat heute das Wort Weih; 
während es im Mittelhochdeutschen allgemein „weibliches Wesen" 
oder „Ehefrau" bedeutet und von Walther von der Vogelweide höher 
gestellt wird als das ritterliche vrouwe i), nimmt es dennoch nach 
Luthers Zeit einen verächtlichen Nebensinn an, indem es durch das 
früher nur adeligen Personen zukommende Frau verdrängt wird, 
worüber später bei der Entwertung von Titeln zu sprechen ist (vgl. 
477). Aber in eigenartiger Gegenwirkung wird durch den Einfluss der 
Bibel und somit der Kirche im 18. Jahrhundert die Verwendung in 
dem älteren edleren Sinne namentlich in der poetischen Sprache 
erneuert, allerdings nicht für den Plural Weiher, Aus der Sprache 
der Bibel ist es übrigens auch zu erklären, dass das ursprünglich 

103 mitteldeutsche harren gegenüber dem synonymen warten als Ausdruck 
des höheren Stiles üblich geworden ist, wie auch die gewähltere 

104 Nuancierung von Odem, der Nebenform von Atem, auf die Luthersche 
Bibelübersetzung zurückzuführen ist. 

§ 26. Lehrreich ist es sodann bei einigen Wörtern zu verfolgen, 
wie sie durch neu aufkommende eingeschränkt, dadurch in ihrem Ge- 
brauche seltener und somit als die gewählteren empfunden werden. 

105 So gehört Haupt in seiner eigentlichen Bedeutung jetzt nur dem 



^) So in dem Lied, das beginnt: „Wip muoz iemer sin der wibe hohste 



name". 



Ausdrücke der Di.chtersprache. 33 

höheren Stile an, indem das auf einer Metapher beruhende Kopf in 
der modernen Umgangssprache zur Herrschaft gelangte (vgl. 202, 327). 
Knabe ist jetzt ein vornehmeres Wort, weil es im Oberdeutschen 106 
durch Buh, im Norddeutschen durch Junge aus der Alltagssprache 
verdrängt ist (vgl. 516 und 562). Zähre, den meisten mitteldeutschen 107 
Mundarten urspi'Onglich fremd, klingt gewählter als das auch der 
Volkssprache angehörige Thräne. Nur im höheren Stile üblich ist jetzt 
getreu gegenüber dem alltäglichen treu; im Mittelhochdeutschen jedoch 108 
ist überraschenderweise zunächst nur getriuwe zu finden, wurde 
aber dann durch das einfache Wort zurückgedrängt und so geadelt. 
Das Adjektiv licht ist zu einem gewählten, poetischen Ausdruck ge- 109 
worden, indem es in der Alltagssprache durch das von den Gehör- 
auf die Gesichtseindrücke übertragene hell (vgl. 292) abgelöst wurde, 
und über dem Worte Lenz, das noch im Altneuhochdeutschen all- 110 
gemeine Bezeichnung war, ruht jetzt poetischer Schimmer, indem 
statt dessen das jüngere Frühling volkstümlich wurde. 

§ 27. Bisweilen sind auch Wörter, die früher nur dem Dialekt 
einer bestimmten Landschaft angehört hatten, durch Aufnahme in 
die Dichtersprache neben dem synonymen Alltagswort zu einer edlen 
Färbung gekommen. So ist Gestade, verwandt mit Staden (alte Stras- 111 
senbezeichnung in Strassburg), ursprünglich nur süddeutsch gegen- 
über dem anfänglich nur norddeutschen Ufer und wird jetzt als 
edleres, poetisches Wort verwendet. Matte gehört ursprünglich nur 112 
dem Alemannischen als volkstümlicher Ausdruck an und ist erst 
von da aus in die allgemeine poetische Sprache übergegangen. Und 
auch das süddeutsche Verkleinerungswort Mägdlein ist jetzt als edles 113 
Wort in der Dichtersprache üblich, während die hochdeutsche Form 
Mädchen gesunken ist (vgl. 473). 

§ 28. Der gleiche Wortstamm kann uns hinüberführen zu 
einer andern Fundgrube, aus der unsere Dichter geschöpft haben : es 
ist das alte, im Volksbewusstsein längst verges- 

Waag, BedeutaDgsentwickluDg. 3 



34 Kapitel I. Yerengang. 

sene Spracbgut, das sie zu neuem, glanzvollem Dasein wieder 
hervorzaubern. Dahin gehört nämlich auch von dem ebengenannten 

114 Stamm die Form Maid, die ursprünglich mit Magd identisch, im 
Mittelhochdeutschen allgemein gebraucht, dann aber untergegangen 
war, bis sie durch Wieland neu belebt wurde. Einige Neubeseelungen 
dieser Art können wir besonders auf Klopstock zurückfahren, in 
welchem wir ja überhaupt den Begründer unserer klassischen Dichter- 
sprache zu erblicken haben ; er hat z. B. das in der lebendigen 

115 Sprache schon im 17. Jahrhundert ausgestorbene kiesen (h&ufiger jetzt 
erkiesen, am häufigsten 'das Participium erkoren) zu neuem Leben 

116 gebracht und den Hain (zu Hag gehörig) als poetisches Wort üblich 
gemacht, wie er ihn in der Ode „Der Hügel und der Hain" als Sitz 
und Symbol der germanischen Dichtkunst feiert im Gegensatz zur 
griechischen. Andrerseits hat der danach in jüngerer Zeit Hainbund 
benannte Göttinger Dichterkreis durch die Nachbildungen der ritter- 

117 liehen Liebeslyrik das Wort Minne neubeseelt, das im Mittelhoch- 
deutschen die gewöhnliche Bezeichnung für „Liebe" war. Ferner 
wurde in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts das jetzt so weihe- 

118 volle Adjektiv hehr wieder erweckt, das im Mittelhochdeutschen „vor- 
nehm" bedeutete und nach Luther ausser Gebrauch gekommen war. 

119 Gleichzeitig wird auch Recke wieder aufgenommen ; aber während es 
im Mittelhochdeutschen als „Vertriebener", „fremder Krieger", dann 
„Krieger" im allgemeinen sein Dasein führt, wird es durch die Dich- 
tersprache zu „Held" geweiht. Zu gleicher Zeit wurde auch das nun 

120 so stimmungsvoll klingende Substantiv Heim wieder üblich, allerdings 
weniger als Fortsetzung des altgermanischen Wortes, das „Nieder- 
lassung" bedeutete, sondern dem Sinne nach eher Substantivierung 
des Adverbiums heim (ich gehe heim, ich hin daheim, eigentlich 
Accusativ und Dativ des alten Substantivs). Damals wurde ebenfalls 

12 1 als edlere, vorzugsweise poetische Bezeichnung das Wort Aar wieder 
in Gebrauch genommen, wobei sich jedoch ein eigentümliches Spiel 



Bedeutungsdifferenzierung. 35 

der Bedeutungsentwicklung zeigt : im Mittelhochdeutschen ist ar das 
allgemein übliche Wort, wird dann im Neuhochdeutschen zunächst 
durch die Zusammensetzung Adler (d. h. „Edelaar" aus adel-ar) 
verdrängt, und dies muss dann in der Rangordnung des Gefühlswertes 
hinter dem einfachen Worte zurücktreten! Wie rasch dagegen der 
poetische Schimmer sich wieder verflüchtigen kann, zeigt uns die 
Entwicklung von Halle : ursprünglich Bezeichnung für irgend einen 122 
Oberdeckten Raum oder Vorraum, nach Luther beinahe ausgestorben, . 
wird es von unsern Klassikern neu belebt als weihevolles Wort für 
einen Saal, z. T. unter dem Einfluss englischer Dichtung, bis es dann 
neuerdings auch in der gewöhnlichen Sprache wieder ganz üblich 
wird und auch als Markthalle und Bierhalle erscheint. 

§ 29. In den besprochenen Beispielen von Spezialisierung haben 
wir nun in etlichen Fällen beobachtet, dass der gleiche Wortstamm 
sich in zwei verschiedene Formen mit verschiedener Bedeutung ge- 
spalten hat, wie drücken — drucken (49\ Atem— Odem (104), weiterhin 
Schneider — Schnitter (39), Vorsehung — Vorsicht (35), oder dass Wörter, 
die von Anfang an oder durch spätere, konvergierende Entwicklung 
einmal gleichbedeutend waren, sich später wieder in der Bedeutungs- 
färbung voneinander entfernt haben, wie einerseits Mund—Maul^ 
trinken— saufen (98), andrerseits Ross — Pferd (99), Haupt-^Kopf 
(105), licht^hell (109). Die Art der verschiedenen Färbung haben 
wir aus dem Gebrauch der Wörter in verschiedenen Volksgemein- 
schaften oder Stilgattungen zu erklären versucht ; dass aber über- 
haupt eine Verschiedenheit eingetreten ist, das hängt mit einem all- 
gemeinen sprach psychologischen Entwicklungsgesetz zusammen, das 
Bedeu tungsdifferenzie ru ngi) genannt zu werden pflegt 
und an dieser Stelle erwähnt sein mag. Es ist nämlich durch viel- 
fache Beobachtung festgestellt, dass gleichbedeutende Wörter auf 



1) Vgl. Paul, Pr. Kap. XIV, Aufgaben S. 82—84 ; Stöcklein S. 7, 9 u. 75 ; 
Thomas 32 S. 209—212. 

3» 



36 Kapitel I. Verengung. 

längere Dauer nicht nebeneinander von Bestände sind, sondern dass 
sie entweder in der Bedeutung auseinandergehen oder dass sie durch 
eine radikale Lösung bis auf eines derselben absterben, was mit der 
aligemeinen Erscheinung zusammenhängt, da3s die Sprache, abge- 
sehen von verfeinerten Litteraturzwecken, jedem Luxus abhold ist. 
Von so entstandenen Wortspaltungen*) seien hier noch her- 

123 vorgehoben: zucken— zücken (oberdeutsch — mitteldeutsch); Brunnen — 
Bronn— Born (oberdeutsch— mitteldeutsch— niederdeutsch); die Quelle 

124 —der Quell (junge Bildungen aus dem Verbum quellen); Fahrt — 
Fährte, Stadt und Statt— Stätte (mhd. vart — Gen., Dat. Sing, und Nom., 
Acc, Gen. Plur. verte, ebenso stat— stete); Grat (Rückgrat) — Graste 
(mhd. grät— Plur. graete); fahl— falb (mhd. val — Gen. valwes); mit 

125 verschiedenem Geschlecht der— die See (ursprünglich Masc, Fem. 
zuerst im Niederdeutschen), der— das Mensch (vgl. 473); mit Mischung 

126 starker und schwacher Deklinationsweise Fleck— Flecken, Tropf- 
Tropfen, Lump— Lumpen (vgl. 465) ; mit mehrfachem Plural Männer 

127 — Mannen, Länder — Lande, Bänder — Bande, Wörter — Worte, wobei 
es wohl kein Zufall ist, dass die erstgenannte Form der drei letzten 
Paare entsprechend der lautlich weit ausgeprägteren Pluralform (-er 
mit Umlaut gegenüber -e ohne Umlaut) jetzt diejenige Bedeutung hat, 
in welcher der Pluralbegriff schärfer hervortritt. Bei allen diesen 
Wortpaaren, die durch Uebernahme aus verschiedenen Dialekten oder 
durch das Wirken der Analogie entstanden sind, lässt sich nun über- 
einstimmend nachweisen, dass die ursprünglich einheitliche Form die 
später durch die Spalteformen vertretenen Bedeutungen in sich um- 
fasst hat und dass die Spalteformen zunächst unterschiedslos für 
letztere verwendet werden. So wäre es ein grosser Irrtum, wenn 
man annehmen wollte, die Spaltung sei absichtlich herbeigeführt wor- 



1) Vgl. Andresen, „Wortspaltungen auf dem Gebiet der nhd. Schrift- und 
Verkehrssprache", Zeitschr. für deutsche Philologie 23 S. 265—285; Behaghel 
„Die neuhochdeutschen Zwillingswörter", Germania 23 S. 257—292. 



Wortspaltungeii, Eigennamen. 37 

den, um die verschiedenen Färbungen auszudrücken ; sondern der 
Weg ist der, dass die unabsichtlich entstandene Vielheit der Formen 
sich entweder von selbst wieder vereinfachte oder sich allmählich auf 
die verschiedeneu Färbungen verteilte, indem der etwas verschiedene 
Latrt das Gefühl hervorrief, dass damit auch eine verschiedene Be- 
deutung verbunden sei. 

§ 30. Bevor wir das Gebiet der Spezialisierung verlassen, sei 
nur noch darauf hingewiesen, dass auch die Eigennamen in 
ihrem Ursprung hierher gehören, indem sie alle aus Gattungsbezeich- 
nungen entstanden sind, die zuerst im engsten Kreise, dann auch 
sonst auf bestimmte Einzelpersonen oder -Sachen bezogen und da- 
durch eindeutig wurden. i) Der Vater, die Mutter sind z. B. für die 
Kinder einer Familie nur eine bestimmte Person und zeigen den 
Uebergang zu Eigennamen, indem in Norddeutschland wie bei solchen 
ohne Artikel gesagt wird: Vater kommt, Mutter ist da. So ist Karl 128 
nur eine im Ablautsverhältnis stehende Nebenform von Kerl und be- 
deutet ursprünglich allgemein „Mann*^ wurde dann aber zu einer 
Einzelbezeichnung (vgl 462), und die Familiennamen Müller, Schmidt, 
Schneider erklären sich aus den Berufsarten der ursprünglich damit 
benannten Personen von selbst. Das Münster ist für die Umwohner 129 
nur eines und zwar das für sie nächstliegende, wichtigste ; wird aber 
auch in weiterem Umkreise bei der Nennung des Wortes nur an 
diese eine Kirche im Unterschied von andern gedacht, so ist der 
Ortsname fertig, ohne dass die vielen unterscheidenden Beifügungen, 
die dann z. T. von Amts wegen hinzugesetzt werden können, dazu 
nötig wären : werden sie doch im lebendigen Sprachverkehr meistens 
nicht beachtet. So sind die Eigennamen ein Teil des allgemeinen 
Wortschatzes und können uns nicht nur in kulturhistorischer, sondern 
auch in lautlich-formaler Hinsicht zu mancher Betrachtung anregen. 



1) Vgl. Behaghel S. 214—231 ; Hildebrand S. 117—121. 



38 Kapitel I. Verengung. 

Die Ortsnamen Paderborn, Heilbronn, Brunnen sind z. B. eine Pa- 
rallele zu der landschaftlichen Verteilung von den vorhin besprochenen 

130 Formen Born, Bronn, Brunnen (vgl. 123) ; in Soden steckt das auf- 
gegebene Substantiv Sod „Brunnen** (zu sieden gehörig, vgl. Sod- 
brennen), in Berchtesgaden das in der Schriftsprache im 17. Jahrhun- 
dert abgestorbene, in manchen Mundarten noch lebende gadem „Saal- 
bau" ; Baden zeigt den ursprünglichen Dativ Plural ohne das später 
eingedrungene —er {ze den Baden „bei den Bädern") ; der Familien- 

131 namen Hartknoch bewahrt die alte Form des Nominativs an Stelle 
der jüngeren Form Knochen, Nachbauer die volle Form von Nachbar, 
mhd. nächgebür (vgl. 267). Frühere Berufs- oder Standesbezeichnungen 

132 haben sich erhalten in : Huber, Hübner, Hüfner „Besitzer einer Hufe 
Ackerland" (vgl. 589) ; Kastner, Kästner, Kestner „Rentmeister" von 
Kasten „Geldkasten" ; Krüger „Gastwirt" von norddeutsch ^n«gr „Wirts- 
haus"; Kretschmar, Kretschmer „Schenkwirt" von ostmitteldeutsch- 
slavisch Kretscham „Dorfschenke"; Kärcher „Kärrner" von west- 
deutsch Karch „Karren" ; Venner „Fähnrich" aus mhd. venre, vener ; 

133 Pfister „Bäcker" aus lat. pistor ; Schröter, Schröder, Schrader (von 
mhd. schroten „schneiden", vgl. 624), früher Bezeichnung verschiede- 
ner Handwerker, zuerst des Schneiders ; Kramer, oberdeutsch Kromer 
ist ältere Form für Krämer, Müllner aus mhd. mulnaere für Müller, 
Keller alte Nebenform von Kellner, beide ursprünglich mit dem Sinne 
„Kellermeister". Aber so viel Interessantes dieser Art sich noch an- 
reihen Hesse: vom Standpunkt der Bedeutungsentwicklung scheidet 
jedes Wort aus dem Kreis der Betrachtung aus, sobald es als Eigen- 
namen gefühlt wird ; denn von diesem Augenblicke ab giebt es das 
innere Leben der ewig veränderlichen Wortseele auf und wird nur 
als erstarrtes, lebloses Sprachgut weitergeführt. 



Kapitel IL 

Erweiterung des Bedeutungsumfangs. 

§ 34. Der Verengung des Bedeutungsumfangs steht als zweite 
Hauptart der Bedeutungsentwicklung die Erweiterung des Be- 
deutungsumfangs (Generalisierung) entgegen, mit der 
also im Gegensatz zur ersten Hauptart eine Verarmung des Bedeu- 
tungsinhalts verbunden ist. Die Möglichkeit dieses Wandels erklärt 
sich daraus, dass die verschiedenen Einzelvorstellungen, welche die 
Gesamtheit des betreffenden Begriffs ausmachen, uns nicht bei jeder 
gelegentlichen (oceasionellen) Anwendung des Wortes bewusst zu 
werden brauchen, sondern dass einzelne derselben als wesentlich be- 
sonders hervortreten können, während die anderen zurücktreten; und 
wenn nun diese Anwendung verschiedentlich und bei verschiedenen 
Individuen sich wiederholt, so wird sie allmählich allgemein gebräuch- 
lich (usuell), womit dann eben die Erweiterung des Bedeutungsum- 
fangs oder mit andern Worten die vielseitigere Anwendungsfähigkeit 
eines Wortes vollzogen ist. Viel seltner jedoch sind die hierher- 
gehörigen Fälle des Bedeutungswandels als die bei der Verengung 
besprochenen, indem die fortschreitende Kultur und die sich immer 
feiner ausgestaltende Abgrenzung der Begriffe im allgemeinen zur 
Spezialisierung drängt; allerdings werden wir sehen, dass die später 
unter den Metaphern zu besprechenden Wörter bildlichen Ursprungs 
sich zum Teil als Erweiterung darstellen, zu der sich jedoch alsdann 
neue Vorstellungen hinzugesellen, wie überhaupt ein und dasselbe 
Wort im Laufe der Zeit nacheinander verschiedene Richtungen des 
Bedeutungswandels einschlagen kann. Dabei sei auch bemerkt, dass 



40 Kapitel II. Erweiterung. 

andrerseits eine grosse Anzahl von Erweiterungen von bildlicher 
(metaphorischer) Anwendung eines Wortes ausgeht. Stellen wir zu- 
nächst einige Ausdrücke zusammen, die als einfache Fälle der Er- 
weiterung aufgefasst werden können.^) 

134 § 32, Da haben wir z. B. nebeneinander die Synonyme Gefährte 
und Genosse in der höheren Sprache, in der Volkssprache in gleichem 
Sinn Geselle als Bezeichnung für die Gemeinschaft mit einem andern; 
aber ursprünglich liegt in jedem dieser Wörter ein spezieller Sinn, 
wie die Herkunft ergiebt: mein Gefährte ist eigentlich „der mit mir 
zusammen föhrt" (im früheren allgemeinen Sinne der Fortbewegung), 
wie es Luther noch braucht: sie meineten aber, er wäre xmter den 
Gefährten und kamen eine Tagereise (Luk. 2, 44), und wie es in Reise- 

135 geführte noch gefasst werden kann; mein Genosse ist ursprünglich 
„der mit mir eine Sache geniesst" (im älteren allgemeinen Sinne 
„Gebrauch von etwas haben"), wie noch deutlich in Hausgenosse oder 

136 Markgenosse in der neueren Rechtsterminologie; mein Geselle ist 
buchstäblich „der mit mir den Saal teilt", war in der erweiteren Be- 
deutung „der irgend etwas mit mir gemein hat" in der älteren Sprache 
sehr üblich, wurde aber allmählich in der Umgangssprache zurück- 
gedrängt durch die fremden spezielleren Ausdrücke Kamerad (von 
gleicher Grundbedeutung), Kollege, Compagnon, in der höheren Sprache 
durch das eben genannte Genosse und Gefährte, und entwickelte dann 
den Sinn „Gehilfe," wovon später zu reden sein wird (vgl. 563). 

§ 33. Daran reihen wir einige Ausdrücke, die ursprünglich auf 
kirchliches Gebiet beschränkt sind. So wurde das griechisch-lateinische 

137 Fremdwort Chor zuerst in kirchlicher Verwendung als „Chor der in 
der Kirche singenden Geistlichen", in neuerer Zeit mit Wiederauf- 
nahme der alten Bedeutung für den Chor der griechischen Tragödie 
und in allgemeinem Sinn auch weltlich für irgend eine Schar von 



i) Vgl. Paul, Aufgaben S. 72— 75 ; Thomas 30 S. 707, 711— 713; Stöcklein S.63; 
der letztgenannte hält bei Abgrenzung dieser Gruppe grosse Vorsicht geboten. 



Kirchliche Ausdrücke. 41 

Sängern gebraucht; in der volkstümlicheren P'orm des Neutrums er- 
scheint es nun auch in der Bedeutung „Schar", „Menge" überhaupt, 
was als abermalige Erweiterung zu betrachten ist (vgl. 368). Die ur- 
sprüngliche Beziehung auf ein kirchliches Fest ist zurückgetreten in 
Feier (mhd. vire aus lat. feria^ woher auch Ferien kommt), ebenso 
in Jubeljahr, Jubiläum, das nach dem Muster des alle 50 Jahre wieder- 138 
kehrenden Erlassjahrs der Juden (hebräisch jobel) seit 1300 ein vom 
Papst eingerichtetes Ablassjahr bezeichnete, dann auf die Feier des 
fünfeigsten Jahrestages des Eintritts in einen Orden oder der Priester- 
weihe übertragen und endlich zu der heutigen Bedeutung von Jubi- 
läum verallgemeinert wurde, wobei übrigens volksetymologische An- 
lehnung an Jubel (als vulgärlateinischem jubilus) stattgefunden hat, 

I 

besonders in Zusammensetzungen wie Jubelfeier, Jubelfest und Jubel- 
greis. Nur für die Kopfbedeckung eines Geistlichen wurde ursprüng- 
lich Mütze (aus mlat. almucia) gebraucht, und das im Südwestdeut- 139 
sehen volkstümliche, bei Hebel und Pestalozzi erscheinende Helge 140 
„Bild" bezeichnete anfänglich nur speziell ein ,, Heiligenbild", denn 
Helge ist nichts als der Heilige; unter dem Zehnten verstand man 141 
zuerst nur ,,die in dem zehnten Teil des Ertrages bestehende Abgabe", 
wie sie namentlich auf Grund alttestamentlicher Vorschriften an die 
Kirche entrichtet wurde, dann aber auch eine beliebige Abgabe. Aus- 
schliesslich kirchlichen Charakter hatte auch ursprünglich weihen 142 
„heiligen", ist aber jetzt überhaupt „feierlich seiner Bestimmung 
übergeben" ; ebenso ist stiften nicht mehr beschränkt auf „das Gründen 143 
eines Stiftes, d. h. einer kirchlichen Anstalt, die auf Grund einer 
Schenkung zu bestimmtem Zwecke (wie Kirche, Kloster, Spital) er- 
richtet ist", sondern wurde frühzeitig verallgemeinert, so dass es jetzt 
so viel wie „begründen", „bewirken" ist, wie man sagen kann: ein 
Reich, Frieden, Gutes, sogar Unheil stiften ^ während mit scherz- 
haftem Anklang einem etwas stiften so viel wie „schenken*' ist. Aus- 
gehend von kirchen-, aber auch von privatrechtlicher Bedeutung hat 



42 Kapitel II. Erweiterung. 

144 sich endlich widmen erweitert, das sich jetzt mit weihen berührt, aber 
weniger feierlich ist; im Mittelhochdeutschen bezog es sich einmal 
auf „das der Frau bei der Verheiratung Ausgesetzte, was sie nach 
dem Tode ihres Mannes für sich behält" (daher noch Wittum, im 
Sprachbewusstsein an Witwe angelehnt), zum andern auf „die Aus- 
stattung eines kirchlichen Instituts" (daher noch niederdeutsch Wedem, 
Widem „Pfarrhof"). 

§ 34. Innerhalb der heutigen Bezeichnungen füi' R ä u m 1 i c h- 
k e i t e n ist Erweiterung des Bedeutungsumfanges zu beobachten z. B. 

145 in dem Wort Speicher, aus lat. spicarium zu spica „Aehre", was 
daher eigentlich ein Gebäude oder Gemach zur Aufbewahrung von 
Getreide, dann aber überhaupt zur Lagerung von Waren bedeutet, 
während es im Süd westdeutschen sich speziell für „Bodenraum" fest- 

146 gesetzt hat ; andrerseits bezeichnet Stube (verwandt mit englisch stove 
„Ofen"), ursprünglich nur ein heizbares Gemach, wie es früher auch 
speziell im Sinne von Badestube, jetzt noch mit Anklang an die ur- 
sprüngliche Bedeutung in Backstube erscheint; ferner sei angereiht 

147 Revier, das im Mittelhochdeutschen aus franz. riviere in der Bedeu- 
tung „Ufergelände" aufgenommen wurde, woraus dann erst die heutige 
Bedeutung verallgemeinert ist. 

§ 35. Von andernBezeichnungen für materielle 
Gegenstände, bei denen einzelne Vorstellungen im Lauf der 
Entwicklung zurückgetreten sind, lässt sich z. B. noch aufführen das 

148 Wort Nadel, was zu nähen gehört und daher ursprünglich „Näh- 
nadel" bedeutet, so dass die Verwendung für Steck-, Strick-, Haar-, 
Magnetnadel u. s. w. eigentlich eine abgeleitete ist, während nach 
Eintritt der Begriffserweiterung im heutigen Sprachgefühl auch die 
Zusammensetzung Nähnadel im gleichen Ableitungsverhältnis zum 
Grundwort zu stehen scheint Ferner ist ein bisschen, süddeutsch ein 
bissei, was uns jetzt als allgemeiner Ausdruck für eine kleine Quan- 
tität erscheint, eigentlich Verkleinerungswort zu Biss, Bissen, also 



Substantive. 43 

„SO viel man mit einemmal abbeisst"; jetzt aber ist uns ein bisschen 
Wein ebenso geläufig wie ein hisschen Brot, und so wenig bewusst ist 
uns der Ursprung, dass wir auch sagen: es ist ein hisschen warm, 
komm ein hisschen herein. Weiter ist für uns jetzt allerlei Kram so 149 
viel als „allerhand Sachen von geringem Wert" und in etwas kramen, 
herumkramen und auskramen so viel als „mit Sachen hantieren", 
„hin- und herstellen oder -legen"; aber diese allgemeine Bedeutung 
hat sich erst verflüchtigt aus dem früheren Sinn „Ware" und „Kram- 
handel treiben", „kaufen", wie er im süddeutschen Marktkram, Mess- 
kram und kromen z. B. bei Hebel und Auerbach noch vorhanden 
ist und auf das früher vielgebrauchte Kram „kleiner Kaufladen", 
Krämer „Kleinhändler'' (vgl. 433) zurückgeht. Körper (aus lat. 150 
corpus) wurde ursprünglich nur vom menschlichen und tierischen 
Leibe gebraucht, erst weiterhin aber für jeden materiellen Gegenstand, 
und auch die beiden uns als Bezeichnungen hierfür geläufigsten Aus- 
drücke, nämlich Ding und Sache, sind erst durch Bedeutungserwei- 151 
terung dazu geworden: Ding ist von Haus aus „Rechtshandlung", 
„Gerichtsverhandlung" (wie noch in dingen und hedingen durchblickt), 
dann deren Gegenstand, und Sache ist ursprünglich „gerichtlicher 
Streit", dann „Streitsache" (Streitobjekt), wie der Begriff des Gerichts- 
streits noch in Widersacher, Sachwalter, in Sachen Meier gegen Müller 
ersichtlich ist (vgl. 414); aber nach dieser metonymischen Bedeutungs- 
entwicklung haben hierauf beide Wörter sich zu dem heutigen all- 
gemeinen Begriff erweitert. *) 

§ 36. Von andern Substantiven, die ihre Bedeutung 
erweitert haben, seien noch die folgenden herausgegriffen. Rede 152 
bedeutet, dem urverwandten lat. ratio entsprechend, ursprünglich 
„Rechnung", dann „Rechenschaft" und setzt sich so in mehreren 



*) Als Beispiel besonders hervorgehoben von Thomas 30 8. 713 mit Be- 
ziehung auf F. Schröder „Zur griechischen Bedeutungslehre", Progr. Gymn- 
GebweUer 1893 S. 4. 



44 Kapitel II. Erweiterung. 

Wendungen fort, wie zur Rede stellen, Rede stehen, Red' und Antwort 
gehen und auch in redlich, das zunächst von dem Sinne „so, wie 
man es verantworten kann" ausgegangen ist; aber die Erweiterung 
zu „Bericht über etwas Geschehenes", überhaupt ,, Gespräch" hat so 
um sich gegriffen, dass vom Sprachgefühl aus auch jene Ausdrücke 

153 als hiervon abgeleitet betrachtet werden. Nachricht, im 17. Jahrhun- 
dert für älteres Nachrichtung aufgekommen, bedeutet eigentlich „das, 
wonach man sich zu richten hat", dann eine Mitteilung, die dies an- 
giebt, jetzt aber eine Mitteilung jeder Art. Nur für den gerichtlichen 

154 Zweikampf wurde ursprünglich Kampf verwendet, während im heutigen 
weiteren Sinn früher Streit gebraucht wurde, das im höheren Stile 
auch jetzt noch so erscheint, dagegen in der Umgangssprache fast 
ausschliesslich auf einen mit Worten geführten Streit bezogen wird. 

155 Lärm, von Hause aus identisch mit Alarm aus franz. alarme, ital. 
alVarme „zu den Waffen", ist anfänglich demnach nur der Aufruf, 
sich kampfbereit zu machen, wie noch in Lärm schlagen oder blasen, 
dann Aufruf bei irgend einer plötzlichen Gefahr, wie z. B. in Feuer- 
lärm; jetzt aber ist „Getöse" schlechthin die eigentliche Bedeutung. 

156 Als eine Parallele hierzu stellt sich holla dar, falls die Erklärung 
richtig ist, dass es eigentlich Imperativ von holen ist und ursprüng- 
lich als Zuruf an den auf dem jenseitigen Ufer befindlichen Fährmann, 
danach dann allgemein zur Erregung der Aufmerksamkeit angewendet 

157 wurde. Endlich lässt sich auch noch das Fremdwort Laune (mhd. 
lüne aus lat. luna „Mond") hierherziehen, indem es im Mittelhoch- 
deutschen zunächst den ,, Mondwechsel" bezeichnet, dann aber über- 
haupt „Wechsel, der sich an irgend etwas vollzieht", worauf dann 
allerdings wieder spezielle Beziehung auf „Wechsel in der Stimmung" 
eintrat. 

§ 37. Von Adjektiven, deren heutiger Sinn auf Be- 

158 deutungserweiterung zurückgeht, sei zunächst fertig genannt, das 
zu Fahrt gehört und eigentlich „zur Fahrt (im früheren allgemei- 



Adjektive. 45 

neren ;S)nn von Bewegung jeder Art) imstande, zurecht gemacht, 
bereit" bedeutet, wie es in reisefertig heute noch gefasst werden 
könnte; hierauf erweiterte sich der Sinn zu „bereit" überhaupt, 
wie er z. B. in huss fertig, dienst fertig^ friedfertig , schlagfertig vor- 
liegt, und erst nach Vollzug dieser Erweiterung trat dann die Vor- 
stellung in den Vordergrund, dass eine Bereitmach ung vollendet ist, 
woraus sich schliesslich die heutige, normale Bedeutung entwickelte: 
von Personen „zu Ende gekommen mit einem Geschäfte", von Sachen 
„zu Ende gebracht*' *) Dass die Beziehung zu Fahrt jetzt nicht mehr 
gefühlt wird, zeigt sich übrigens äusserlich darin, dass die ältere 
Schreibung mit e beibehalten ist im Gegensatz zu kräftig von Kraft, 
mächtig von Macht u. s. w. mit ä. Femer hat hurtig, von mhd. 159 
hurt „Anprallen im Lanzenkampf', bis in das 17. Jahrhundert noch 
die Bedeutung „tüchtig zum Angriff', wird dann überhaupt zu „ge- 
wandt" und ,, schnell", und ähnlich hat sich rüstig von rüsten schon 160 
zu Luthers Zeiten zu dem heutigen Sinn erweitert und die Grund- 
bedeutung „kampfbereit" im 17. Jahrhundert ganz aufgegeben. Weiter- 
hin ist drall von drillen, aus dem Niederdeutschen aufgenommen, 161 
eigentlich ,,fest gedreht" in Bezug auf Fäden, dann überhaupt „straff*, 
„stramm". Garstig, aus einem untergegangenen Substantiv mhd. 162 
garst gebildet, ist eigentlich nur „ranzig", „verdorben" (von Speisen), 
wie noch im 18. Jahrhundert von garstigem Fett, Oel, Fleisch zu lesen 
ist, und erst dann ist es in den allgemeinen Sinn „widerwärtig" 
übergegangen. Als Erweiterungen, die von verdunkelter metaphorischer 
Anwendung ausgehen, stellen sich die beiden wie Adjektive gefühlten 
Partizipien verquickt und verzwickt dar^ denn verquicken ist eigent- 1()3 
lieh „mit Quecksilber verbinden" (dazu erquicken, mhd. „lebendig 
machen", Quecksilber „lebendiges Silber", keck = mhd. quec „leben- 
dig"), und verzwicken heisst eigentlich „mit Zwecken (in komplizierter 



1) Vgl. Paul, Pr. S. 83, wo bei der Erweiterung von diesem Beispiel aus- 
gegangen ist, ebenso in Paul, Aufgaben S. 73. 



46 Kapitel II. Erweiterung. 

Weise) zusammensetzen" (vgl. Zweck 496). Sehr überraschend aber 

164 ist, wie das Adjektiv matt sich als eine Erweiterung auf metaphori- 
scher Grundlage darstellt: ursprünglich nur Ausdruck im Schachspiel, 
aus dem Persischen stammend, bedeutet Schach matt eigentlich „der 
König tot", nahm aber infolge häufiger bildlicher Verwendung seit dem 
14. Jahrhundert zunächst in Mitteldeutschland den allgemeinen Sinn 
„entkräftet" an, in der neueren Sprache auch den von „schwach", 
„geringe Wirkung habend", wobei das ebenfalls uneigentlich gebrauchte 
Adjektiv schachmatt noch auf die Herkunft hindeutet. 

165 Endlich erscheint heurig (zu heuer, mhd. hiure aus ahd. hiu 
järu, gehörig) „diesjährig" zuweilen auch abgeblasst als „der Jetztzeit 
angehörig", so z. B. bei Claudius : sie waren nach heurigem Gehrauch 

166 dem Versemachen ergehen, wie entsprechend heute (mhd. hiute aus 
ahd. hiu tagu), namentlich in der Verbindung heutzutage in ungenauem 
Sinne auch allgemein „in jetziger Zeit" bedeutet.^) 

§ 38. Sehen wir uns sodann in der Bedeutungsentwicklung 
unserer heutigen Zeitwörter um, so tritt uns unter andern bei 
den folgenden Erweiterung des Umfangs unter Verlust einzelner Vor- 

167 Stellungen entgegen. Bei schenken kommt uns jetzt nicht mehr ins 
Bewusstsein, dass es von der Bedeutung „Getränk eingiessen" aus- 
gegangen ist, und wir haben kein Gefühl mehr für den Zusammenhang 
mit der Schenk, die Schenke, der Weinschank, die Schankwirtschaft] 
aber in diesen Ausdrücken liegt der ursprüngliche Sinn vor, dem die 
volkstümliche Wendung ein Kind schenken und Schenkamme am 
nächsten steht, wogegen die Bedeutung „darreichen" erst durch Ver- 
allgemeinerung entsprungen ist, woran sich dann allerdings die Vor- 
stellung angeschlossen hat, dass es ohne Entgelt geschieht. Wenn 

168 wir etwas gelohen^ so denken wir nicht mehr daran, dass es als eine 
Zuzammensetzung mit lohen von der Bedeutung „billigen", ,jbei- 



') Vgl. stöcklein S. G4. 



Zeitwörter. 47 

stimmen" ausgeht und demnach ursprünglich nur dann gebraucht 
wurde, wenn jemand etwas versprach, was von einem andern vor- 
geschlagen war, während wir es jetzt allgemein als „versprechen" 
verstehen. Femer ist in hegleiten (aus hegeleiten), das im 17. Jahr- 
hundert für älteres heleiten und geleiten aufgekommen ist, der ur- 
sprüngliche Sinn des Führens ganz verblasst, und es ist nur noch 
allgemein so viel als „mit einem gehen". Verflüchtigung der Be- 
deutung zeigt auch nachahmen, das erst im Neuhochdeutschen zu 169 
mhd. Urnen gebildet wurde; dies aber ist eine Ableitung aus äme 
„Gefäss", nhd. Ohm (Flüssigkeitsmass von Wein etc.) und heisst 
eigentlich „ein Gefäss ausmessen'S woraus die allgemeine Bedeutung 
„bemessen", „einrichten", „gestalten" hervorgegangen ist, und da- 
nach hat sich sodann die Bedeutung von nachahmen entwickelt. Der 
beutige Sinn von schildern „mit Worten beschreiben" ist erst eine 170 
Ableitung von „malen", wofür bei den Schriftstellern des 18. Jahr- 
hunderts das Bewusstsein noch lebendig gewesen zu sein scheint, 
wenn Lessing z. B. sagt : Beiwörter, deren jedes dem Leser ein he- 
sonderes Bild in die Gedanken schildert, wie auch Schilderei bis in 
den Anfang des 19. Jahrhunderts für „Gemälde" gebraucht wird ; das 
Verbum aber ist aus untergegangenem Schilder, mhd. schiltaere „Schild- 
bemaler** abgeleitet, woraus eben durch Verallgemeinerung „Maler" 
überhaupt geworden ist, eine Bedeutung, die das Niederländische bis 
auf den heutigen Tag festgehalten hat. Eine früher wesentliche Vor- 
stellung ist auch zurückgetreten in hauen, nach dessen Ursprung- 171 
lichem Sinne stets ein scharfes Werkzeug dazu gehört und zwar mit 
breiter Schneide, wodurch es im Gegensatz zu dem mit einer Spitze 
ausgeführten Stechen steht, yvie in Haudegen gegenüber Stossdegen 
und in der vom Fechten hergekommenen Wendung es ist nicht ge- 
hauen und nicht gestochen (nach keiner Seite hin etwas Rechtes) ; 
während nun dieser engere Sinn in Holzhauer, Steinhauer, Bildhauer, 
süddeutsch Haue ,, Hacke" und auch sonst noch lebendig ist, stellt 



48 Kapitel IL Erweiternng. 

sich seit Luther auch die Verwendung von hauen für schlagen all- 
gemein ohne Anwendung eines schneidenden Werkzeuges ein, was 
uns jetzt am geläufigsten ist. Auch ist uns nicht mehr recht bewusst, 

172 dass wichsen, früher wechsen, zu Wachs gehört und eigentlich nur 
bedeutet „mit Wachs bestreichen (um etwas steif oder glänzend zu 
machen)" und dann erst überhaupt ,, glatt, blank machen"^ so dass 
der Wichs jetzt für den vollständigen studentischen Aufputz bei feier- 
lichen Gelegenheiten stehen kann; am gewöhnlichsten allerdings ist 
nunmehr die Spezialisierung Stiefel wichsen, daher die Wichse. Ver- 
blassung des Grundbegriffs in einzelnen Anwendungen können wir 

173 z. B. auch beobachten bei treiben als „sich womit abgeben" in Acker- 
bau, Politik, Luxus treiben, bei hüten in das Zimmer, das Bett hüten 
für „im Zimmer, im Bett bleiben", endlich bei bilden, eigentlich „ge- 
stalten", für „sein" in Wendungen wie der Bhein bildet die Grenze 
Deutschlands, er bildete den Gegenstand ihrer Unterhaltung. 

§ 39. An den besprochenen Beispielen haben wir gesehen, 
wie ein Teil des Vorstellungsinhalts allmählich ausscheiden kann, 
indem ein Vertreter einer Gattung durch häufige gelegentliche Ver- 
wendung für den weitergefassten Gattungsbegriff sich zu diesem selbst 
entwickelt; welche Vorstellungen aber gerade im Bewusstsein zurück- 
treten, lässt sich vielfach auf den Gegensatz zurückführen, 
den man bei der Anwendung eines Wortes im Sinne 

174 h a t. So hat das Verbum gehen ursprünglich die begrenzte Bedeutung 
„mit den Füssen schreiten'' (von Menschen und Tieren); es kann 
nun einerseits den Gegensatz zu andern Bewegungsarten wie fahren 
(im heutigen Sinn), reiten u. s. w. bezeichnen, andrerseits aber auch 
den Gegensatz zur Ruhe, welche gewöhnlich durch stehen ausgedrückt 
wird, das dabei seinerseits die spezielle Bedeutung „auf die Füsse 
gestützt an einer Stelle verharren" (von Menschen und Tieren) zur 
allgemeinen Ruhelage erweitert, und so ist es gekommen, dass die 
Fortbewegung an sich ohne Rücksicht auf die Forlbewegungsart zum 



Abhängigkeit von dem Gegensatz. 49 

wesentlichen und schliesslich alleinigen Bedeutungsinhalt wurde, wie 
z. B. wenn wir sagen: die Uhr, das Schiff geht im Gegensatz zu steht 
(vgl. 268, 316). Aehnlich kann spielen von Spiel, das Zunächst ,,eine 175 
Beschäftigung, die zur Unterhaltung getrieben wird" bezeichnet, den 
Gegensatz zu andern Beschäftigungsarten aufgeben und nur den 
Gegensatz zur Ruhe hervorheben, so dass es nur noch den allge- 
meinen Sinn von „Bewegung", „Thätigkeit" behält, wie Spiel der 
Hände, der Mienen (Mienenspiel), der Wellen, der Winde und der 
Wind spielt in den Zweigen, der Zweig spielt im Winde, seine Augen 
spielen lassen, der Sonnenschein, ein Geschütz spielt, und an diese 
Verwendung anschliessend Spielraum (vgl. 70). Entsprechend kann 
bei fliegen, das eigenthch speziell „die Fortbewegung durch Flügel'* 176 
bezeichnet, der Gegensatz zu andern Fortbewegungsmitteln zurück- 
treten, so dass es in blossem Gegensatze zur Ruhe für jede Be- 
wegung gebraucht wird, die in Bezug auf Schnelligkeit dem Fliegen 
gleichgestellt werden soll. Das Adverbium fort, eine Weiterbildung 177 
zu vor, hat die Grundbedeutung „vorwärts", die namentlich noch in 
fortschreiten, Fortschritt als Gegensatz zu rückschreiten, Rückschritt, 
auch in der zeitlichen Uebertragung hinfort, eigentlich „von hier vor- 
wärts" (vgl. 257) lebendig ist ; aber indem das Moment der Entfernung 
von einem Punkte als Gegensatz zum Verharren hervorgehoben wurde, 
trat das der Richtungsbezeichnung in den Hintergrund, und so wurde 
fort zum Synonym von weg (aus mhd. enwec, ahd. in weg, also eigent- 
lich „auf den Weg"), wie in er ist fort, er will fort, forteilen, Forl- 
fall. Sodann haben auch gewinnen und verlieren in ihrer Ausbildung 178 
als Gegensätze einen Teil ihres Vorstellungsinhalts aufgegeben : denn 
gewinnen, mit mhd. überwinnen „tiberwinden" zusammengehörig, be- 
deutet ursprünglich „durch Anstrengung, durch Kampf erlangen", 
wird aber schon lange auch gebraucht, wo etwas ohne Anstrengung 
und sogar ohne Absicht jemandem zuteil wird, wie bei der Lotterie ge- 
winnen^ die Ueberzeugung gewinnen ; und verlieren, mit los verwandt, 

Waag, Bedeutungsentwicklang. 4 



50 Kapitel IL Erweiterung. 

hat neben der engeren Bedeutung „etwas, das man bei sich führt, 
unvermerkt fallen lassen", wobei es also Gregensatz zu finden ist, 
noch eine weitere Bedeutung, die eben den Gegensatz zu gewinnen, 
zum Teil auch zu behalten bildet, indem man in ausgedehnter An- 
wendungsfähigkeit so ziemlich von allem, von dem man sagen kann, 
dass man es hat, auch sagen kann, dass man es verliert, wie sein 
Vermögen, sein Leben, seine Ehre, seine Eltern, einen Freund ver- 

179 Heren. Auch schliessen erweitert seinen eigentlichen Sinn, zu dem 
als wesentliches Moment Schloss und Schlüssel, ein Riegel, eine Klinke 
oder eine ähnliche Vorrichtung gehört, und verallgemeinert sich als 
Gegensatz zu öffnen z. B. in die Hand, die Lippen schliessen. End- 

180 lieh haben auch die Wörter Tier und Vieh, wenn sie jetzt als Gegen- 
satz zu Mensch gedacht werden, einen Teil ihres Bedeutungsinhalts 
eingebüsst, indem Tier ursprünglich ein vierfüssiges, in der Wildnis 
lebendes Tier bezeichnete, wobei also Vögel, Fische, Würmer u. s. w. 
nicht eingeschlossen waren, ebensowenig die Haustiere, für die eben 
Vieh die alte zusammenfassende Benennung war; wie sonst noch in 
der Volkssprache, so blickt auch in den Zusammensetzungen Tier- 
garten gegenüber Viehhof das ursprüngliche Verhältnis durch. i) 

§ 40. Während bei den letztbesprochenen Fällen der vor- 
schwebende Gegensatz als treibende Kraft der Bedeutungserweiterung 
zu erkennen war, geht bei etlichen Wörtern das Zurücktreten eines 
Teils des Bedeutungsinhalts zunächst auf eine bestimmte Verbindung 
zurück, in welcher derselbe durch ein syntaktisch ange- 
knüpftes Wort noch einmal ausgedrückt ist. ^j So 

181 gehört ungefähr, wie aus der älteren, im 18. Jahrhundert noch ziem- 
lich häufigen Form ohngefähr erhellt, zu Gefahr und bedeutet eigent- 



1) Thomas 32 S. 199 bringt die Wörter Tier und Vieh als Beispiele für 
das Wachstum der Kultur, die sich auch in dem Hedürfnisse nach Allgemein- 
begriffen äussert. Vgl. auch Hildebrand S. 93. 

«) Vgl. Paul, Aufgaben S. 73 f. 



Abhängigkeit vom syntaktischen Zusammenhang. 51 

lieh „ohne Hinterlist", „ohne böse Absicht"; wenn aber daraus die 
Erweiterung „ohne Absicht überhaupt", ,, zufällig" entstand, so erklärt 
sich das aus der Verwendung des Adverbs in Bezug auf Handlungen, 
aus denen einem andern ein Schaden erwachsen könnte, worin also 
das Böse schon enthalten war. Wenn Luther z. B. sagt: wenn er 
ihn ohngefähr stösst ohne Feindschaft^ so kann noch der ursprüng- 
liche Sinn angenommen werden; wenn es aber bei ihm heisst: es 
begab sich ohngefähr, dass ein Priester dieselbige Strasse hinabzog , so 
zeigt diese Stelle und andere der Art, dass bereits die Verallgemeine- 
rung eingetreten ist. Nein ist heute blosser Ausdruck des Erstaunens 182 
in Verwendungen wie nein, es ist unglaublich ; nein, das ist ein köst- 
licher Spass ; nein, so etwas ! oder auch als für sich stehendes nein ! 
Aber diese abgeblasste Bedeutung erklärt sich nur daraus, dass nein 
ohne vorhergehende Frage als leidenschaftliche Ablehnung von etwas 
in Gedanken Vorschwebendem gebraucht wird, die dann in einem 
darauffolgenden Satze spezielleren Ausdruck findet, wie z. B. nein, ich 
kann mich nicht dazu entschliessen ; nein, er darf nicht ; und infolge 
der nochmals enthaltenen Ablehnung ist die erste, vorbereitende, all- 
mählich als ein allgemeiner Ausruf gefühlt worden. 

§ 41. Aber unter dem gleichen Gesichtspunkt der ursprüng- 
lichen Verwendung in bestimmten Verbindungen, in denen ein Teil 
des ursprünglichen Bedeutungsinhalts zurücktritt, begreifen sich auch 
eine grosse Zahl von Verstärkungen, die uns an und für sich 
bei einiger Ueberlegung sehr befremden müssen. So können wir in 
lebhafter Unterhaltung hören sie ist furchtbar nett, ich freue mich 183 
schrecklich darauf, und dass eine liebende Tochter die höchste Summe 
ihrer Wünsche zusammenfasst in den Worten : Vater, ich gratuliere 
dir schauderhaß zum Geburtstag! Zunächst traten derartige Adver- 
bien naturgemäss nur verstärkend zu etwas Unangenehmem, Schlim- 
mem wie z. B. in den Verbindungen er ist furchtbar zornig, sie hat 
sich schi^ecklich gefürchtet; indem aber die Vorstellung des Schlim- 



52 Kapitel 11. Erweiterung. 

men schon in dem damit verbundenen Worte enthalten ist, konnte 
sie in dem Adverbium zurücktreten, das so als blosse Verstärkung 
gefühlt und allgemein auch bei etwas Gutem, Angenehmem verwendet 
wurde. Auf gleiche Weise sind auch andere Wörter von schlimmer 
Bedeutung zu blossen Verstärkungen verallgemeinert worden, wie z. B. 

184 entsetzlich (vgl. sich entsetzen 377), ferner ungeheuer^ was ursprüng- 
lich „widerwärtig" (geheuer eigentlich „lieblich"), dann „fürchterlich' % 
„grausig" bedeutet, so dass ein ungeheurer Frevel noch in letzterem 
Sinne gefasst werden könnte, während ein ungeheurer Wald, eine 
ungeheure Menge den Uebergang zu „ungewöhnlich gross" als schon 
vollzogen darstellen. Ebenso ist die Vorstellung von etwas Schreck- 
lichem, die sich in Erinnerung an frühere Kriegszeiten in der Volks- 

185 Phantasie an die Heiden knüpfte und die Verbindungen Heidenangst, 
heidenmässige Furcht hervorrief, zur blossen Verstärkung verblasst 
in den Zusammensetzungen Heidengeld, heidenfroh. Andrerseits ver- 
flüchtigt sich auch in gleichem Sinne das Schreckliche von Fluch- 

186 und Scheltwörtern, so dass verdammt, heillos, höllisch in volkstüm- 
licher Rede allgemein verstärkend gebraucht werden, und so erklärt 

187 sich wohl auch kreuzbrav, kreuzfidel aus der Verwendung von Kreuz 
in Flüchen wie Kreuzdonnerwetter u. dergl. Aus einem Satzverband 
heraus, der von moralisch Verwerflichem handelt, begreifen sich so- 

188 dann verstärkende Wendungen wie schmählich kalt, schändlich reich, 
es regnet niederträchtig, 

§ 42. Aber auch dieallerhäufigsten Verstärkungen, 
nämlich arg in der süddeutschen Umgangssprache und sehr in der all- 
gemeinen Schriftsprache, haben die gleiche Entwicklung durchgemacht: 

189 ein arger („schlimmer") Sünder, arge Unannehmlichkeiten konnte 
man zwar von jeher sagen, aber es hat mich arg gefreut ist erst nach 

190 jener Verschiebung im Sprachgefühl möglich geworden, und sehr hatte 
ursprünglich die jetzt ganz verdunkelte Bedeutung „schmerzlich", als 
Adverbium zu dem untergegangenen mittelhochdeutschen Adjektiv 



Verstärkungen. 53 

sir „verletzt", mit den^ auch versehren mit unversehrt zusammen- 
gehört ; dass die Verwandtschaft hiermit jetzt nicht mehr gefühlt wird, 
ist nicht befremdlich, da eben das adverbiale sehr schon im Mittel- 
hochdeutschen zu einer allgemeinen Verstärkung abgeblasst ist. Be- 
merkenswert ist die gleichsam rückläufige Entwicklung des Adver- 
biums hart, das im Alt-, Mittel- und Altneuhochdeutschen als allge- 191 
meine Verstärkung wie sehr verwendet wird, während wir es jetzt 
nur so brauchen, wenn noch die Vorstellung des Angestrengten, Un- 
angenehmen darin liegt, wie in hart arheiten, hart bedrängen u. s. w ; 
aus der früheren Verwendung als allgemeine Verstärkung hat sich 
jedoch die jetzt noch geltende Bedeutung „dicht" vor Ortsbestim- 
mungen entwickelt : hart an der Grenze, hart hei ihm vorbei (vgl. 
302). Wahrscheinlich hängt übrigens die Rückkehr von dem Adver- 
bium hart zur ursprünglichen Bedeutung des Wortes damit zusam- 
men, dass die früher davon lautlich unterschiedene Adjektivform 
hert(e) durch die Adverbialform hart allmählich aus der Schriftsprache 
verdrängt worden ist, während dagegen die neue Bedeutung von sehr 
durch den vorhin erwähnten Untergang des Adjektivs begünstigt 
wurde. 

Schliesslich sei noch bemerkt, dass das Adverbium herzlich um- 192 
gekehrt aus Verbindungen heraus, die etwas Angenehmes ausdrücken, 
sich zu allgemein verstärkendem Sinn verflüchtigt hat, indem aus- 
gehend von Wendungen wie herzlich gern auch herzlich sauer (dies 
schon bei Luther), herzlich dumm oder schlecht gebildet wurde. 



Kapitel IH. 

Metapher. 



§ 43. Aus der Betrachtung poetischer und rhetorischer Aus- 
drucksweise ist die Metapher als wohlgefälliger Bilderschmuck 
menschlicher Rede allen Gebildeten bekannt. Weniger jedoch kommt 
zum Bewusstsein, wie sehr diese Ausdrucksform auch ein unentbehr- 
liches Mittel ist, um neuaufkommende oder doch neuerkannte Gegen- 
stände und Begriffe zu bezeichnen, obwohl sie von Haus aus ja ein 
Spiel der Phantasie ist. i) Aber wir wissen es ja : wie Goethe die 
Phantasie seine Göttin genannt hat, so hat uns Herder, erleuchtet von 
Hamann, „dem Magus aus Norden", die Wahrheit verkündet, dass 
die Poesie die Muttersprache des Menschengeschlechts ist. Und gerade 
auf dem Gebiet der Metapher zeigt sich nun diese poetische Schöpfungs- 
kraft der volkstümlichen Rede von alter Zeit her; aber die Bilder 
werden uns oft so geläufig, dass ihre Grundbedeutung allmählich ganz 
verloren geht und dass sie als solche nicht mehr empfunden werden. 
Gerade diese Fälle erstarrter Uebertragungen sind es natürlich beson- 
ders, die unsere Aufmerksamkeit vom Standpunkt der Bedeutungs- 
entwicklung in Anspruch nehmen ; und wir behandeln sie in unmittel- 
barem Anschluss an die zuletzt besprochene Erweiterung des Bedeu- 
tungsumfanges, weil sie eine Verbindung von dieser zweiten Haupt- 
art des Bedeutungswandels mit der erstbesprochenen Hauptart, näm- 
193 lieh der Verengung, darstellen. Wenn wir z. B. unter einer Linse den 



*) Besonders sei hier verwiesen auf Alfred Biese, „Die Philosophie des 
Äletaphorischen" (1893), der über die Wurzeln der Metaphernbildung in geist- 
voller Weise abhandelt, 



Aehnlichkeit der Gestalt. 55 

durchsichtigen Körper im Auge oder geschliffene Glftser bestimmter 
Form verstehen, so liegt einerseits eine Erweiterung vor, indem hierbei 
unter Verarmung des ursprünglichen Bedeutungsinhalts nur an die 
äussere Form der wirklichen Linse gedacht wird, andrerseits aber auch 
zugleich eine Verengung, indem wir unter Bereicherung des Bedeu- 
tungsinhalts mit dem Begriff Linse im metaphorischen Sinne wiederum 
neue Vorstellungen über die Art des Stoffes und sonstige Eigenschaften 
verbinden. Unmöglich wäre es nun, alle diese Geistesblitze, wie man 
die Metaphern treffend bezeichnet hat,^) auf ihre Entstehung zu prüfen 
und einzuteilen; immerhin aber ist es reizend und lohnend, bei den 
wichtigsten usuell gewordenen Fällen nachzuempfinden, aus welchen 
Uebereinstimmungen sich die Schöpfung der Metapher erklärt. 2) 

§ 44. Da kann zunächst dieAehnlichkeit der äusseren 
Gestalt das Ausschlaggebende, das „tertium comparationis" sein, 
wie der gelehrte Ausdruck lautet. So werden, um mit dem Nächst- 
liegenden zu beginnen, Körperteile für Dinge ähnlicher 
Gestalt gesetzt, wie Ko'pf als Kohl-, Kraut-, Salatkopf und so 194 
auch Kopf allein durch die Situation gestützt (vgl. 202); Auge als 195 
„Keim an einer Pflanze*', „Punkt auf dem Würfel", Pfauenauge, 
Fettauge, ebenso landschaftlich Ochsenauge als „Spiegeleier*' und 
„Dachfenster" (franz. oeil-de-hoeuf) ; Zunge als Erd-, Landzunge, 196 
femer Seezunge als Bezeichnung einer Fischart, Zunge oder Zünglein 
an der Wage (vgl. 390); Nase für den Vorsprung eines Berges (vgl. 197 
595); Ohr und Eselsohr als „umgeknickte Ecke eines Blattes", Ohr 
als ,, Handhabe eines GefiLsses, eines Schlüssels", das davon abgeleitete 
Oehr auch als ,,Loch an der Axt", „Bing zum Aufhängen von Gegen- 
ständen", am häufigsten aber im Sinn von Nadelöhr (vgl. 596); end- 
lich Nagel, dessen ältere schon indogermanische Hauptbedeutung 198 
„Nagel am Finger oder an der Zehe" bereits in frühester germanischer 



1) Vgl. Stöcklein S. 52—55. 

ä) Vgl. Hildebrand S. 89 „Vom Bildergehalt der Sprache", 



56 Kapitel III. Metapher. 

Zeit die andere „spitzes Werkzeug zum Einschlagen in einen Gegen- 
stand" neben sich hat (vgl. 219). 

§ 45. Umgekehrt werden Körperteile nach ähnlich 
gestalteten Dingen bezeichnet, wie dies bei dem eingangs 

199 besprochenen Linse der Fall ist; ferner ist hier zu nennen Mandel 
im Halse; Zapfen, gewöhnhcher Zäpfchen ,, Verlängerung des Gaumen- 
segels*', aber auch für andere einem Zapfen ähnliche Gegenstände 

200 wie in Eis-y Tann-, Fichtenzapfen (vgl. 433); Ballen, Zwillingsform 
von Ball (vgl. 126 Lump, Lumpen u. s. w.), das sich allmählich in 
abweichender Bedeutung festgesetzt hat als „rundliche Erhöhung am 
Fuss oder der inneren Handfläche**, aber auch als „zusammenge- 

201 schnürtes Packet**; Tolle, landschaftliche Nebenform zu Dolde „Blumen- 
büschel** = mhd. tolde, für „die über dem Ohr vorgebürsteten Haare** 
(die bei der militärischen Haarfrisur eine Rolle spielen), vielleicht auch 
mit Anspielung auf die Sitte der Bauern, sich eine Blume ans Ohr 
zu stecken; und schliesslich tritt auch hier wieder das vorhin be- 

202 sprochene Kopf auf, dessen jetzige gewöhnliche Bedeutung „Haupt" 
uns die ursprüngliche zu sein scheint, während diese selbst wieder 
metaphorischer Herkunft ist und auf die Grundbedeutung ,,GeflLss", 
speziell ,,Trinkgefäss von kuglichter Gestalt*' zurückgeht durch die 
Zwischenstufe „Hirnschale**, die im mhd. himkopf mehrfach belegt 
ist: jene Grundbedeutung hat sich noch erhalten in Tassen-, Schröpf-, 
wohl auch in Pfeifenkopf, aber nach jetzigem Sprachgefühl haben 
wir die Empfindung, als ob hier uneigentliche Verwendung des Wortes 
in seiner jetzigen Bedeutung vorliege (vgl. 194). 

§ 46. Dabei sei auch darauf hingewiesen, dass von alter Zeit 
her Körperteile als Massbezeichnungen erscheinen, 
wobei nur an die Ausdehnung derselben gedacht wird ohne eigentliche 
Aufnahme neuer Vorstellungen, weshalb diese Fälle vielleicht auch als 
blosse Erweiterungen aufzufassen sind.^) So erscheint heute noch, 

^) Paul, Pr. 2. Aufl. S. 80. 



Körperteile, Tiernamen. 57 

obwohl die Meterrechnung seit mehr als 3 Jahrzehnten eingeführt ist, 
im Gebrauch des Volkes gut bewahrt Fuss, daneben Schuh, beide im 203 
Plural nach Zahlwörtern flexionslos ; ferner Elle, dessen Grundbedeutung 
„Unterarm" in Ellenbogen erhalten ist. Weiter ist zu nennen Spanne 
eigentlich „ausgespannte Hand", dann „Mass der ausgespannten Hand" 
entsprechend Klafter, das ursprünglich den Abstand der Enden beider 204 
ausgestreckten Arme eines Menschen bedeutet, dann zu einem Längen- 
mass und zum Geviertmass für Scheitholz wurde, wobei Länge und 
Tiefe gleich einem Klafter ist; dazu gesellt sich noch im 18. Jahr- 
hundert öfters als Längenmass Palm, aus franz. palme = lat. palma, 205 
ursprünglich die Breite der flachen Hand bezeichnend, woher auch 
Palme als Pflanze nach der Aehnlichkeit der Blattform benannt ist. 
Schhesslich mag in diesem Zusammenhang auch auf das zu werfen ge- 
hörige Wort Würfel hingewiesen sein, dessen Verwendung als Form- 206 
begriff ebenfalls auf Aehnlichkeit der Gestalt mit dem zum Würfelspiel 
dienenden Körper beruht. (Wegen Massbestimmungen auf anderer 
Grundlage vgl. 554—557). 

§ 47. Weiter werden nach der Aehnhchkeit der äusseren Gestalt, 
besonders der Farbe, Tiere als Bezeichnung für etwas anderes ge- 
setzt. Die reichste Verwendung zeigt hier wohl das Wort Fuchs, das 207 
für ein Pferd von entsprechender Farbe, für einen rothaarigen Men- 
schen und für ein Goldstück (rotes Gold war früher die stehende 
Bezeichnung), erscheint, das letztere ursprünglich in der Gauner- 
sprache. Wenn Fuchs ausserdem als Bezeichnung für einen schlauen 
Menschen verwendet wird, so ist dabei natürlich nicht die äussere 
Erscheinung, sondern eine Charaktereigenschaft verwertet, die dem 
Tiere zuerkannt wird; derartige Metaphern sind zahlreich vorhanden 
und werden meistens noch als solche empfunden, ausser etwa Kauz, 208 
das als Bezeichnung für einen seltsamen Menschen in seinem Ursprung 
als Name einer kleinen Eulenart nicht mehr ganz klar ist, und ferner 
Gauch, das bis ins 16. Jahrhundert allgemein den „Kuckuck*' be- 209 



58 Kapitel III. Metapher. 

nannte, i) aber schon im Althochdeutschen daneben ,,Narr" oder 
„Schelm" bedeutete, wie es noch vereinzelt bei neueren Schriftstellern 
erscheint 

Mit Untergang der Verwendung für das ursprünglich so bezeich- 
nete Tier zeigt sich Rappe, das jetzt nur schwarzes Pferd bedeutet, 

210 während es thatsächlich nur eine Nebenform zu Bähe ist wie Knappe 
zu Knabe (vgl. 640). Für Geräte brauchen wir Hahn als Wetterhahn, 
Hahn am Fasse und am Gewehr, ferner mit Verdunkelung der eigent- 

211 liehen Bedeutung Kran, das eigentlich nur die einfachere Form 
neben der Weiterbildung Kranich ist, wegen der Aehnlichkeit mit 
einem Kranichhalse als Bezeichnung des Werkzeuges zum Verladen 
von Lasten. Auch das Adjektiv ruppig mag hier angereiht werden, 
das als nieder- und mitteldeutsche Form des oberdeutschen dialek- 
tischen rupfig zu rupfen gehört und ursprünglich wohl auf das Aus- 
sehen eines gerupften Vogels bezogen wurde. 

§ 48. Ferner schliesst sich eine Gruppe von Bezeichnungen 
für Gebäck zusammen, die auf der Aehnlichke.it der Form mit an- 
dern Gegenständen beruhen und demnach metaphorischen Ursprungs 

212 sind. Dieser Zusammenhang ist uns noch klar bei Hom und dem 
üblicheren Hörnchen, bei Stollen landschaftlich für einen Kuchen in 
Form eines länglichen Brotes, eigentlich eines Pfostens (vgl Tisch-, 
Bettstollen'), wie es namentlich an Weihnachten gebacken wird, ur- 
sprünglich als Symbol für Christus als Wickelkind. Besonders inter- 

213 essant ist sodann Kringel „Gebäck in gewundener Gestalt", weil die 
Grundbedeutung dieser Verkleinerungsform wie die des Grundwortes 
Kring „Kreis", „kreisförmiges", nur landschaftlich noch lebendig ist, 

214 und Weck, dessen Grundbedeutung „Keil" noch mundartlich vorhanden 
ist, das aber jetzt allgemein für ein nach der keilförmigen Gestalt 



*) Bemerkenswert ist die Vermittlungsform Ouckgauch, die den Ueber- 
gang zu dem neueren schallnachahmenden Worte zeigt. 



Gebäck, geographische Formationen. 59 

benanntes Gebäck gebraucht wird, bisweilen auch für ein Stück Butter 
in keilförmiger Gestalt. Endlich ist mit vollständigem Untergang der 
Grundbedeutung zu nennen Krapfen^ ursprünglich ,, Haken'* für 
„Pfannkuchen" (in norddeutschem Sinne), dazu das Verkleinerungs- 
wort Kräpfel, in md. Form Kräpel, Kräppel, und Waffel, wohl mit 
Wabe verwandt, also von der Ähnlichkeit der Gestalt mit einer Honig- 
wabe benannt 

§ 49. Als metaphorische Bezeichnung für geographische 
Formationen sind anzuführen das auch in der vorigen Gruppe 
genannte Hom (vgl. 212) für eine Felsspitze, vielfach in den Alpen zu 215 
treffen me Stanzer, Buochser Hom; femer das ebenfalls bereits (vgl. 
197) erwähnte Nase und Zunge; Kamm für den Grat eines Gebirgs- 
zuges (aber auch für den kammartigen Auswuchs des Hahns und 
den Stiel der Traube); Kasten oberd. für Berge in Eigennamen wie 216 
der hohe Kasten (Appenzell), der Erzkasten (Schwarzwald); Mulde 
„längliches ausgehöhltes Gefäss" tür eine Vertiefung des Erdreichs von 
entsprechender Form; schliesslich auch Stauf = mhd. stouf, noch 217 
südd. mundarthch „Becher", früher auch für einen kegelförmigen 
Berg, wie Hohenstaufen^ ebenso in vielen Ortsnamen, wie Donaustauf 
und Staufen. 

§ 50. Von Metaphern aus andern Gebieten, die ebenfalls 
auf Aehnlichkeit der äussern Gestalt beruhen, seien noch erwähnt: 
Kanone im Sinne von Kanonenofen \m^ Kanonenstiefel (studentisch); 218 
Tulpe in neuerer Zeit für ein kleineres kelchförmiges Bierglas; Kelch, 
altes Lehnwort aus lat. cälix, seit dem 17. Jahrhundert im Sinne von 
Blütenkelch, allerdings unter dem Einfluss des entsprechenden griechi- 
schen Grundwortes; die Verkleinerungsform Nägelein (Nägele) und 219 
Nägelchen im Sinne von Nelke, das seinerseits aus niedd. negelken 
zusammengezogen ist (vgl. oben in der ersten Gruppe Nagel 198); 
Netz von Strassen, Eisenbahnen, Kanälen, Telegraphen, sodanr Netz 220 
für natürliche Gewebe in dem menschlichen und tierischen Körper, 



60 Kapitel m. Metapher. 

wie Netz um die Eingeweide, Netz im Auge, dafür üblicher Netzhaut; 
ebenso Gewehe selbst, wie Spinn-, Zell-, auch Muskel-, Nervengewebe 

221 unddergl.; Flechte, eigentlich „Geflochtenes", „Flechtwerk", für eine 
Gruppe von Pflanzen wegen der für dieselbe charakteristischen Ver- 

222 schlingungen und fttr verschiedene Hautausschläge; Schiff für das 
Wassergefäss in einem Herde sowie in Kühlschiff (in Brauereien), 
ferner für den Hauptteil der Kirche (vgl. mittellat. navis) zunächst 
im Gegensatz zum Chor, dann bei weitergehender Gliederung für die 
verschiedenen Teile in Mittel-, Seiten-, Lang-, Querschiff, schliesslich 

223 für das Werkzeug beim Weben etc., gewöhnlich Sc/it/fchen; Trommel 
in Kaffeetrommel (zum Rösten), Botanisiertrommel (vgl. 247); Pfeife 
aus mittellat. pipa, ursprünglich nur Bezeichnung des Blasinstruments, 
dann erst nach Aehnlichkeit auf andere Gegenstände übertragen, ins- 
besondere in Tabakspfeife; ferner mit Verdunkelung der Grundbedeu- 
tung Tute, Tüte, auch Düte geschrieben und mit dem landschaftlichen 
Tute, Tüte, „Pfeife", „Blashorn**, „Röhre" identisch, wozu auch tuten 

224 gehört; Griess, dessen jetzige allgemeine Bedeutung „grob gemahlenes 
Getreide" erst eine Ableitung ist aus der nicht mehr allgemein üb- 
lichen Bedeutung „Kies", die es schon im Urgermanischen hatte, dazu 
das alte Wort Griesswart „Aufseher beim gerichtlichen Zweikampf' 

225 {Griess = „Kiesboden als Kampfplatz"); schliesslich Wanne, wahr- 
scheinlich entlehnt aus lat. vannus und wie dies ursprünglich „Schwinge 
zum Reinigen des Getreides": aus dieser jetzt auf einzelne Land- 
schaften beschränkten Bedeutung ist erst die jetzige in Bade- 
wanne hervorgegangen, indem nur die Form des Gefässes als das 
Charakteristische übrig geblieben ist, obwohl uns nach dem heutigen 
Sprachgefühl ganz selbstverständlich das Umgekehrte vorzuliegen 
scheint. 

§ 51. Bei andern Metaphern beruht das Uebereinstimmende 
weniger in der allerdings oft kühne Phantasie voraussetzenden Aehnhch- 
keit der Gestalt der beiden vergUchenen Gegenstände als vielmehr darin, 



Aehnlichkeit im Lageverhältnis. 61 

dass Teile eines grösseren Ganzen in dem Lagever- 
hältnis innerhalb desselben etwas Entsprechen des 
haben. So lassen sich auffassen Kopf in Mohnkopf, Kopf eines Berges, 226 
Balken-, Säulen-, Brücken-, Nadel-, Nagelkopf, indem von einer 
Aehnlichkeit dieser Gegenstände mit einem Kopf kaum noch die Rede 
sein kann und vielmehr die Uebereinstimmung darin besteht, dass die- 
selben den oberen oder doch äussersten Teil eines Ganzen bilden, 
wie der Kopf an einem menschlichen Körper (vgl. übrigens 194, auch 
327); umgekehrt steht Oberstübchen scherzhaft für den Kopf. Ferner 
ist hier anzuführen Schnauze, südd. landschaftlich Schnaube an einer 
Kanne, bei Auerbach Schnäuzle am Topf; Bart für den Teil des 227 
Schlüssels, mittelst dessen das Schloss bewegt wird, wobei ofTenbar 
die früher stark ausgeprägte Spitze als Kopf, der Griff als Fuss ge- 
dacht wurde;*) Hals an einer Flasche (mit scherzhafter Anspielung 
sodann auch in der Wendung einer Flasche den Hals brechen) , an 
einem Saiteninstrumente, einer Säule, einem Turm, endlich in Keller- 
hals; Arm eines Wegweisers, eines Flusses; Bauch einer Flasche; 228 
Bücken eines Berges, Messers, Buches; Sohle in Schachtsohle (im 
Bergbau) und in Thalsohle (über die Grundbedeutung ,, Sohle des 
Schuhs" vgl. 349); von tierischen Körperteilen ausgehend Schwanz 229 
eines Gewandes, Papierdrachens, Schweif eines Kometen, der danach 
als Schweifstern bezeichnet wird. Dabei ist jedoch zu beachten, dass 
die heutige normale Bedeutung der beiden letztgenannten Wörter 
selbst wieder auf einer Metapher gleicher Art beruht: im Mittelhoch- 
deutschen bedeuten beide zunächst „Schleppe", Schleppkleid" und 
wurden erst spätmhd., bezw. anhd. auf den hinten nachschleppenden 
Körperteil eines Tieres tibertragen, während die ältere Sprache für 
diesen Begriff das Wort zagel (engl, tail) verwendete, das in Bübezahl 
(Rübenschwanz) fortgeführt ist; so gebraucht noch Goethe den Schweif 



*) Nach Paul, Wörterbuch (s. „Bart") unklaren Ursprungs. 



62 Kapitel III. Metapher. 

seines Mantels im ursprünglichen Sinn, und schwänzen ist eigentlich 
„im Schleppkleid einherstolzieren'*, wie Luther sagt, die Töchter Zions 
treten einher und schwänzen, hat dann den Sinn „müssig umher- 
schlendern" angenommen und erscheint zuerst in der Studenten- 
sprache auch transitiv in der Verbindung das Kolleg schwänzen, da- 
nach auch die Schule, die Predigt schwänzen, wobei wir aus der 
Entstehung dieser neuen Konstruktionsweise das Schwinden der eigent- 
lichen Bedeutung entnehmen können. Vielfache bildliche Verwen- 

230 düng eines tierischen Körperteils zeigt ferner Flügel, wovon nur 
diejenige für eine Klavierart auf Aehnlichkeit der Gestalt, die meisten 
andern aber besonders darauf beruhen, dass zwei symmetrische Teile 
die Seiten eines Ganzen bilden, wie die Flügel einer Haube, der 
Lunge, einer ThOr, eines Gebäudes, eines Heeres. Weiter sei hier 

231 noch genannt Saum des Waldes, der Wolken; Zelle, aus lat. cella, 
das zunächst nur die „Klosterzelle" bezeichnete und in neuerer 
Zeit auf ähnlich eingerichtete Zimmer einer grossen Anstalt, z. B. 
eines Alumnates, einer Irrenanstalt, eines Gefängnisses, aber schon 
im Mittelhochdeutschen nach der Aehnlichkeit der Gestalt und der 
Anordnung auf die „Bienenzellen" übertragen wurde, von wo aus 
das Wort in der modernen Naturwissenschaft zur Bezeichnung für 
die kleinsten selbständigen organischen Gebilde geworden ist. Viel- 

232 leicht kann zu dieser Gruppe auch noch gezogen werden Butzen- 
scheibe, wenn es zu Butze „Kerngehäuse" gehört (vgl. putzen 535), 
wobei dann die Verdickung in der Mitte der alten Glasscheiben wie 
das Kerngehäuse beim Obst aufgefasst wäre, und Galgenschwengel, 
das auf scherzhaftem Vergleich mit dem Schwengel einer Glocke 
beruht {Schwengel zu schwingen, meist in Zusammensetzungen, wie 

233 Glocken-, auch Pumpenschwengel) ; ferner Sternschnuppe, von Schnuppe, 
eigentlich „verkohlter Teil eines Dochtes", zu schnuppen gehörig, 
welches nieder- und mitteldeutsche Form für schnupfen ist und 
mundartlich wie schneuzen gebraucht wird, und wie dieses auch für 



Gleichheit der Funktion. 63 

das Putzen eines Dochtes;*) endlich lässt sich auch an Sehne denken, 234 
das nach der Bogensehne, die meist aus der Sehne eines grösseren 
Tieres verfertigt wurde, zu einem mathematischen Begriffe geworden 
ist (vgl. 8). 

§ 52. Andrerseits kann sich mit der Aehfilichkeit 
der Gestalt auch Gleichheit der Funktion bei der 
Entstehung von Metaphern verbinden. So ist z. B. das vorhin wegen 
andern bildlichen Gebrauchs erörterte Wort Flügel (vgl. 230) in der 235 
Verwendung Flügel der Windmühle aufzufassen, indem die Vorstel- 
lung des Bewegungs-, Beförderungsmittels hier hineinspielt; ferner 
Fächer, eine Ableitung aus fachen (häufiger anfachen, auch entfachen), 236 
zunächst ein „Werkzeug zum Anfachen des Feuers", als welches man 
ausser dem Blasebalg ein aus Schwingfedern verfertigtes und mit 
einem Griff versehenes Gerät verwendete : mit diesem hatten aber die 
aus Federn verfertigten und ebenfalls die Luft bewegenden Fächer 
grosse Aehnlichkeit, und so erklärt sich die im 17. Jahrhundert erfolgte 
Uebertragung. Bei der Mehrzahl der hierher gehörigen Wörter jedoch 
ist die Uebertragung dadurch begünstigt worden, dass der Gegenstand, 
auf den die Bezeichnung übertragen worden ist, denjenigen, von dem 
sie ausging, in der Verwendung kulturgeschichtlich abgelöst hat. So 
ist Feder, auf die zum Schreiben zugeschnittene Schwungfeder spe- 237 
zialisiert (vgl. 6), auch auf die als Ersatz eintretende ähnlich geformte 
Stahlfeder übertragen worden, indem eben die Funktion in der Vor- 
stellung als das Wesentliche hervortrat. Wenn andrerseits Feder 
seit dem 17. Jahrhundert auch für verarbeitete „federnde" Metall- 
stücke verwendet wurde, so wird jedenfalls eben die Elastizität der 
natürhchen Feder die Veranlassung zur Uebertragung gegeben haben ; 
dabei ist aber wohl zu beachten, dass diese Bedeutung weniger selb- 



1) Dazu auch das vulgäre das ist mir schnuppe ^^das ist mir einerlei'', 
das jetzt adjektivisch aufgefasst wird, worin aber jenes Substantiv vorliegt als 
Bild von etwas Geringwertigem, Unwichtigem, Gleichgültigem. 



64 Kapitel III. Metapher. 

Ständig entwickelt ist und daher meist durch nähere Bestimmungen, 
namentlich durch Zusammensetzungen wie Sprung-, Trieb-, Uhrfeder 
angedeutet wird, während unter Feder ohne weiteren Beisatz gewöhn- 

238 lieh die Schreibfeder verstanden wird. Aehnh'ch bezeichnete Griffel 
(wahrscheinlich nicht zu greifen gehörig, sondern umgedeutet aus 
griech. graphion unter Anlehnung an Griff, greifen) ursprünglich das 
aus dem Altertum überkommene Schreibwerkzeug, womit man Buch- 
staben in Wachstafeln einritzte, während es jetzt auf den Schieferstift 
übergegangen ist, mit dem man auf die Schiefertafel schreibt. Auch 

239 denken wir bei einem Hörn als Blasinstrument aus Metall fast gar 
nicht, bei einem solchen als Trinkgefäss nicht sehr deutlich daran, 
dass beide ursprünglich nur aus verarbeitetem Hörn bestanden (vgl. 

240 7, 215, 625), wie auch die Bezeichnung Stein im Brettspiel beibe- 
halten ist, wenn auch anderes Material dazu verwendet wird, wie 

241 Holz, Bein u. s. w. Bei Rohr und noch mehr bei dem zugehörigen 
Wort Bohre ist uns nicht mehr deutlich bewusst, dass anfangs nur 
ein Rohrstengel als Gewächs und dann ein Geräte aus einem solchen 
darunter verstanden wurde, sondern wir verwenden es ohne weiteres 
für das Bohr an einer Schusswaffe oder für ein Blas-, Pfeifen-, Was- 
ser-, Gas-, Hör-, Seh-, Sprachrohr aus Holz, Thon, Metall u. s. w. 

242 (vgl. 13). Ebenso war Schale eigentlich nur Bezeichnung für die 
äussere Hülle von Früchten, Stämmen oder von Eiern, Muscheltieren 
oder vom Gehirn, und Trink-, Wagschale u. s. w. wurden erst nach 
der ursprünglichen Verwendung natürlicher Schalen und weiterhin 
nach der ähnlichen Form benannt ; aber der Ausdruck wurde auch 
dann beibehalten, wenn nicht nur der Stoff, sondern auch die Form 
eine andere war, wie letzteres bei der Wagschale häufig der Fall ist 

243 (vgl. 353). Weiter ist so Kohle von der Holzkohle auf die Braun- 
und Steinkohle übertragen {steinkolen schon im 15. Jahrhundert 
belegt), Oel (aus lat. oleum) von dem Olivenöl (vgl. Oelzweig, Oelherg) 
auf viele ähnlich aussehende und verwendbare Substanzen, Nesseltuch 



Aehnlichkeit in Lage und Funktion. 65 

von einem aus der Faser der Brennessel bereiteten Gewebe auf ein 
ähnliches aus Baumwolle. Schliesslich sind ja auch jene von der 
Logik zu beanstandenden Verbindungen wie Silhergulden (eigentlich 244 
y^Goldmünze aus Silber" vgl. 639) und Wachsstreichhölzchen aus dem 
gleichen psychologischen Vorgang zu erklären, indem eben die Vor- 
stellung von der Funktion eines Gegenstandes, von seiner praktischen 
Brauchbarkeit gegenüber dem Stoff und der Form in den Vorder- 
grund tritt. Dass dieser Wandel sich auch noch von einem andern 
Gesichtspunkt aus betrachten lässt, werden wir später sehen (vgl. 
Kap. VIII 625 ff.). 

§ 53. eine andere Möglichkeit bei der Entstehung von Meta- 
phern ist die, dass sich bei den verglichenen Gegenständen Aehn- 
lichkeit der Lage innerhalb eines Ganzen mit 
Aehnlichkeit der Funktion verbindet. Dieser Fall liegt vor, 
wenn wir mit Uebertragung von Körperteilen von dem Fuss eines 245 
Tisches, Stuhles oder Berges reden (vgl. 203) oder von der Eippe an 
Pflanzen, Schiffen, Gewölben als dem die Nebenteile tragenden Haupt- 
teil. Aber auch das Wort Gelenk ist ursprQnglich von einem be- 246 
stimmten Körperteil ausgegangen, indem es von einem untergegange- 
nen Lanke (dazu auch lenken) abgeleitet ist, welches den weichen 
Teil des Leibes zwischen Ober- und Unterkörper bezeichnet, wofür 
dann Weiche eingetreten ist (vgl. 402) ; es wurde dann auf die an- 
deren biegsamen Teile des Körpers, weiterhin auch auf ähnlich bieg- 
same Teile von Geräten, Maschinen u. s. w. tibertragen. Andrerseits 
werden derart Körperteile nach andern Gegenständen bezeichnet wie 
das Trommelfell auf der Trommel im Ohre, das ähnlich eingefugt ist 247 
wie das Urbild und wie dieses, durch Erschütterung in Schwingung 
versetzt. Töne hervorbringt (vgl. 223). Ferner können hierher ge- 
zogen werden Herd in bildlicher Verwendung als Mittelpunkt des 248 
Brennspiegels, ferner in Krankheits^, Ansteckungsherd, Herd politischer 
Unruhen (vgl. 322); Joch in Bruckenjoch, oder als „Verbindung zwi- 

Waag, Bedeutangsent wicklang. 5 



66 Kapitel lll. Methapher. 

sehen zwei Bergspitzen" wie Stilfser Joch u. s. w. ; Himmel in TTiron- 
himmel „Baldachin", Betthimmel (dazu Himmelbett) als über dem 
Thron, dem Bett befindlich und sie bedeckend. 

§ 54. In vielen Fällen aber genügt die Uebereinstimmung 
in der Funktion allein als Grundlage für Metaphern, die uns 
meistens noch in ihrer Anwendung bewusst und in ihrem Ursprung 

249 erkenntlich sind. So bezeichnet Haupt den Obersten, den Leiter 
einer Genossenschaft in Haupt der Familie, der Stadt, des Landes, 
ebenso Oberhaupt, wie das Haupt den Körper lenkt (vgl. 405, 328); 
ähnlich steht Hand in Wendungen wie er ist seine rechte Hand. So 

250 erklärt sich auch die jetzt gewöhnliche Bedeutung von Strahl, das 
als Sonnen-, Lichtstrahl nicht ursprünglich ist, sondern sich als bild- 
liche Verwendung des mhd. sträle „Pfeil" darstellt, worauf Blitzstrahl 
mit der Vorstellung des Treffens und Verletzens, sowie Wasserstrahl 
unmittelbar zurückgehen, obwohl wir dies jetzt nicht mehr empfinden 
(vgl. auch das verwandte ursprünglich russische Strelitze, eigentlich 

251 „Bogenschütze"). Von Zeitwörtern stellt sich hierher z. B. impfen, 
dessen Grundbedeutung „pfropfen" (vgl. indessen impfet der Herr 
des Gartens Zweige von Kirschen durchsägten Schlehstämmen ein, 
noch bei E. v. Kleist) jetzt fast erloschen ist gegenüber der üeber- 
tragung auf die im 18. Jahrhundert eingeführte Blatternimpfung, wobei 
zunächst als Objekt der Impfstoff stehen musste wie noch neben 
einimpfen, während schon Goethe sagt Kinder impfen, mit Aenderung 
der Konstruktion, woraus das Verblassen des Bildes hervorgebt. 

252 Ferner sei genannt umzingeln, dessen Grundwort Zingel aus lat. 
cingulum in dem Sinne „Umfassungsmauer" veraltet ist, weshalb die 
eigentliche Bedeutung „mit Soldaten wie mit einer Umfassungsmauer 
umgeben" uns kaum mehr bewusst wird. 

§ 55. Wie uns die Vorstellung des in der unmittelbaren An- 
schauung liegenden Raumes weit näher steht als die der Zeit, so 
ergiebt sich aus der Betrachtung unserer Bezeichnungen für 



üebertragang räumlicher Verhältnisse auf zeitliche. 67 

zeitlicheVerhältnisse, dass sie grossen Teils von solchen 
für räumliche Verhältnisse hergenommen sind und 
somit eine Gruppe von Metaphern bilden, die allerdings ebenfalls 
nicht mehr immer als solche empfunden werden. *) So sagen wir 
lange oder kurze Zeit, substantiviert über kurz oder lang, es dauert 253 
lang oder kurz, wobei sich in zeitlichem Sinne auch eine besondere 
Adverbialform lange erhalten hat, dessen Form den mittelhoch- 
deutschen zu Adjektiven gehörigen Adverbien auf -e entspricht; wir 
übertragen letzt von der Reihenfolge räumlich nebeneinander befind- 254 
lieber Gegenstände auf die zeitliche Folge, sprechen so vom letzten 
Tag im Jahre, und indem letzt stillschweigend von dem bereits wirk- 
lich ICingetretenen verstanden wird, bekommt es die Beziehung auf 
das der Gegenwart zunächst liegende Vergangene: letzten Sonntag, 
letzte Woche war er da. 

§ 56. Zu diesen räumlichen Adjektiven gesellen sich dann 
weiter räumliche Substantive in zeitlicher Verwendung, wenn 
wir sagen: sei getreu bis zum Ende, am i. Juli ist das Ziel (in der 255 
Bedeutung „festgesetzter Zeitpunkt" schon im Mittelhochdeutschen, 
jetzt namentlich südd. zuweilen mit dem Plural Zieler, der dann 
vulgär auch als Singular steht), oder wenn wir ferner von Zeitraum, 
Zeitpunkt, Zeitabschnitt, Zeitspanne (vgl. 203) sprechen; aber auch 
das alte Substantiv Mal ist hierherzuziehen, bei dem sich aus der 256 
Bedeutung „markierter Punkt im Räume" frühzeitig die Bedeutung 
„Zeitpunkt'* entwickelt hat, woraus eine Reihe von Adverbialver- 
bindungen hervorgegangen sind, wie {es war) einmal, in volkstüm- 
lieber Rede zu blossem mal abgeschwächt, dermalen (Gen. Plural), 
{da)zumal, sintemal (= sint dem Male, mhd. sint = „seit"), dermal- 
einst, ehemals, damals, auf die Wiederholung der gleichen Situation 



*) Vgl. Stöcklein S. 56: „Wie das Geistige unzertrennlich verbunden ist 
mit dem räumlich Konkreten, so giebt es auch keine Zeit ohne Raum". 

5* 



68 Kapitel in. Metapher. 

in verschiedenen Zeitpunkten bezogen in ünmal, zweimal, jedesmal, 
schliesslich mit Schwund des zeitlichen Momentes als blosser Aus- 
druck der Multiplikation in zweimal zwei, zweimal so viel (vgl. 525). 
§ 57. An diese aus Substantiven entstandenen Adverbial- 
formen reihen sich andere räumliche Adverbien in zeitlicher Ver- 

257 Wendung wie her in bisher, wofür früher einfaches her genügte, ferner 
in von alters her, früher auch von Anfang^ von Ewigkeit her^ sodann 
in seither und in Sätzen wie es ist ein Jahr her^ es ist zwei Monate her, 
wobei ein Jahr eigentlich Prädikat und her nähere Bestimmung ist, 
während jetzt vom Sprachgefühl her als Prädikat und ein Jahr als nähere 
Bestimmung dazu wie ein adverbialer Akkusativ gefasst wird, so dass 
man auch sagt es ist einen Monat her; entsprechend hin in den Ver- 
schmelzungen hinfort (vgl. 177), hinfür, hinfürder, in umgekehrter 
Anordnung forthin, fürderhin, weiterhin, fernerhin ; sodann die Ver- 

258 bindung hie (selten hier) und da, die in räumlichem Gebrauch fast 
gar nicht, in zeitlichem für „zuweilen" aber häufig erscheint, im Gegen- 
satz zu einfachem hier, das jetzt selten auf ein Zeitverhältnis übertragen 
wird, während Luther noch sagt: die Stunde ist hier, meine Zeit ist 
noch nicht hier; ferner wieder, das auf die Zeit übertragen den Sinn 
übernimmt, den früher aber hatte wie z. B. bei Luther und aber über 
ein Kleines, so werdet ihr mich sehen, jetzt noch in abermals, während 
wir im übrigen sagen: er geht dieses Jahr wieder in die Alpen, es ist 
immer wieder das Gleiche, ein Sinn, den auch wiederum angenommen 
hat, ebenfalls von der lokalen Grundlage ausgehend; gleichen ür- 

259 Sprungs ist auch vorderhand im Sinne von „zunächst", „einst- 
weilen", und stracks, ein adverbial gebrauchter Genitiv von dem ab- 
gekommenen Adjektiv strack „straff ausgereckt oder ausgespannt" 
(zu strecken gehörig), der ursprünglich „gerade aus" bedeutete, diesen 
Sinn aber nur in schnurstracks (Schnur im Sinne von „Richtschnur") 
nebenbei bewahrt, im übrigen aber ausschliesslich die zeitliche Be- 
deutung „sofort" angenommen hat (eigentlich „gerade auf das Ziel 



Zeitliche Adverbien und Präpositionen. 69 

losgebend, ohne abzuschweifen"). Schliesslich ist noch das Adver- 
bium etwa hier zu erwähnen, weil aus der lokalen Grundbedeutung 260 
„irgendwo" (nhd. wo aus mhd. wä, ahd. hwär, daneben hwara, er- 
halten mit dem ursprüngüchen Vokal in warum), die noch bei Luther 
erscheint, ausser der heutigen allgemeinen Vorstellung der Unbestimmt- 
heit sich auch eine temporale entwickelte, die im Altneuhochdeutschen 
die Funktion des froheren etwan „irgendwann" übernahm; dass die 
heutige modale Bedeutung ebensogut aus dieser temporalen wie aus 
der ursprunglichen lokalen entstehen konnte, zeigt sich z. B. an dem 
Lutherschen Satze: dass du nicht etwa deinen Fuss an einen Stein 
stossest, wobei es keinen wesentlichen Unterschied macht, ob man 
etwa als „irgendwo" oder als „irgendwann" oder schon im jetzigen 
Sinne nimmt, während allerdings der griechische Grundtext für 
„irgendwann" spricht. 

§ 58. Weiterhin gehen eine grosse Zahl von temporalen Prä- 
positionen auf lokale Bedeutung zurück, die dem heutigen Sprach- 
gefühl meistens noch leicht bewusst wird; daher gehören einzelne 
Verwendungen von in, an, zu, auf, über, unter, um, von, vor, nach. 
So sagen wir z. B. in dieser Woche, im Mittelalter, in Zukunft 261 
(wann?), es soll in der nächsten Woche besorgt werden (innerhalb 
welcher Frist?), in einer Stunde (nach Verlauf von); am Mittag, 
Morgen, Abend, ursprünglich gedacht als „in der Nähe des Mittags 
u. s. w. als eines einzelnen Zeitpunkts", dann aber auch am Tage, 
dem in der Nacht gegenübersteht (Zeitraum), südd. an Ostern, vulgär 
auch am 6 Uhr statt Schriftdeutsch um; zur Zeit, zu jener Zeit, zu 262 
Zeiten, zu Mittag speisen, zu Ostern (wann?); es geht auf iO Uhr, 
er wird auf den Abend erwartet (wann?), auf ein Jahr mieten, auf 
Lebzeit, auf ewig (wie lange?), bis auf den Abend (bis wann? Er- 
reichung eines Zielpunktes); über Nacht, mit umgekehrter Stellung 263 
den Tag über (Erstreckung), über 14 Tage, über kurz oder lang (Ab- 
lauf einer Frist, jetzt nur mit Beziehung auf die Zukunft, früher auch 



70 Kapitel III. Metapher. 

auf die Vergangenheit: über acht Tage waren abermal seine Jünger 
darinnen Luther); miterweilen (vgl. weil 503), unter der Arbeit^ unter 
Thränen, unter Donner und BlitZy sodann mit Genitiv in unterdessen, 
früher unterdes, südd. noch unter TagSy wobei der Genitiv wohl auf 
Einwirkung der nicht von einer Präposition abhängigen genitivischen 

264 Zeitbestimmungen beruht {tags wie morgensy abends u. s. w.); wm 
Mittag^ um Ostern, um diese Zeit zunächst für ungefähre Bestimmungen, 
im Sinne von „kurz vorher oder nachher", weiterhin aber mit gänz- 
licher Yerblassung des ursprünglichen Sinnes für genaue Zeitangaben 
neben Zahlen um 7 Uhr S Min., um 6 Uhr, was dann wieder durch 

265 Hinzufügung von herum zur ungenauen Angabe wird; von, auf die 
Zeit übertragen, wenn zugleich der Endpunkt angegeben wird: vom 
Morgen bis zum Abend, von Stunde zu Stunde, femer in Verbindung 
mit an : von dieser Zeit an, von Stund an, seltener mit ab, mit da- 

266 von abhängigen zeitlichen Adverbien : von heute bis morgen, von nun 
an oder ab; vor, uralte Uebertragung auf die Zeit, im Gegensatz zu 
nach, von solchen Fällen ausgegangen, in denen es sich um Ver- 
gleichung zweier Gegenstände handelt, die sich von dem nämlichen 
Ausgangspunkte nach dem nämlichen Ziele bewegen, z. B. er kam vor 
mir an, vordem (gewöhnlich zusammengeschrieben wie ehedem), vor 
drei Tagen u. s. w. immer vom Standpunkt der Gegenwart aus ge- 
braucht, dagegen in der Erzählung drei Ta^e vorher; schliesslich ist 

267 hier auch nach zu nennen, das zum allgemeinen Ausdruck für das 
zeitlich Spätere geworden ist, als Gegensatz zu vor, ohne dass dabei 
irgend ein Rest einer Ziel- oder Richtungsvorstellung übrig geblieben 
ist, während doch nach (zu nahe gehörig, Grundbedeutung noch in 
Nachbar, aus mhd. nächgebür „in der Nähe Angesiedelter", vgl den 
Familiennamen Nachbauer 131) in Verbindung mit Verben derBe- 
wegung aus der Bedeutung ,,in der Nähe von etwas" sich erst zu der 
Bedeutung „auf etwas zu" entwickelt hat, worauf es dann auf zeitliche 
Verhältnisse übertragen worden ist. 



Räumliche Verhältnisse für Intensität und Rang. 71 

§ 59. Aber auch für die räumliche Anschauung geschaffene 
Zeitwörter, die eine Bewegung ausdrücken, können auf die Zeit 
übertragen werden. So ist uns geläufig: die Tage gehen dahin, die 268 
Zeit vergeht, das Jahr geht vorüber (vgl. 174) oder vorbei, die Stunde 
kommt; ferner folgen, mit der Grundbedeutung „hinter jemand (etwas) 
hergehen", indem Nebenordnung im Räume und zeitliche Ordnung 
einander sehr nahe berühren, wie z. B. das, was in einem Buche 
nebeneinander steht, beim Lesen aufeinander folgt: ein Witz folgte 
dem andern, eine Bede folgte auf die andere (vgl 501); weiterhin 
reichen und erstrecken in Sätzen wie dies Geschlecht reicht bis ins Mittel- 
alter zurück, die Schulpflicht erstreckt sich bis ^um i4, Lebensjahre, 

§ 60. Andrerseits werden Ausdrücke für Raumverhält- 
n i s s e nicht nur zu zeitlichen Bezeichnungen, sondern auch zu solchen 
für die Stärke eines Z u st andes , f ür die Int e nsität; 
so sprechen wir von grosser Kälte und Hitze, von grosser Güte, von 269 
grosser Sünde, entsprechend von einem grossen Sünder; von einem 
hohen Grad, einer hohen Summe, einem hohen Alter, selbst von 
höchster Erniedrigung (Schiller), wie auch das Adverbium dazu in 
verstärkendem Sinne erscheint in hocherfreut, höchst begünstigt, ähn- 
lich aufs höchste. Entsprechend heisst es die Temperatur fällt, die 
Begeisterung steigt. 

§ 61. Ebenso entstehen aus räumlichen Bezeichnungen solche für 
Wertschätzung und für Rangverhältnisse: der Preis 270 
fällt, die Wertpapiere steigen, sein Ansehen sinkt; er wird den andern 
vorgezogen, dazu Vorzug, vorzüglich, bevorzugen; er stellt Ossian über, 
neben, unter Homer, er geht seinem, Freunde weit vor, steht tief unter 
ihm, kommt nach ihm ; hochachten, von hoher Geburt, von hohem Adel, 
hohe Schule; Karl der Grosse, ein grosser Charakter, grossherzig, 
grossmütig, 

§ 62. Desgleichen dienen uns die Raumverhältnisse zur Be- 
zeichnung von Tonabstufungen. So unterscheiden wir hohe 271 



72 Kapitel III. Metapher. 

und tiefe Töne, wie wir auch sagen der Ton steigt oder fällt, die 
Stimme geht in die Höhe oder sinkt, hebt sich oder senkt sich, 

§ 63. Aber damit ist die metaphorische Anwendung des Räum- 
lichen nicht erschöpft, sondern es verbleibt uns noch das grosse 
Gebiet von Ausdrücken zur Betrachtung, in denen die Verhältnisse 
und Vorgänge im Räume auf das Unräumliche, Seelische, 
Abstrakte übertragen werden, indem eben der menschliche Ver- 
stand sich das Geistige nur unter dem Bild des sinnlich Wahrnehiü- 
baren anschaulich und begreiflich machen kann. „So wird alles 
Seelische als in unserm Innern ruhend oder sich bewegend vor- 
gestellt, entweder in bestimmte Teile des Körpers verlegt oder in die 
Seele hinein, der dann Attribute des Raumes beigelegt werden, vgl. 

272 ein Gedanke geht mir im Kopfe herum, fährt mir durch den Kopf, 
das will mir nicht in den Kopf; das liegt mir am Herzen, einem 
etwas ans Herz legen, sich etwas zu Herzen nehmen; das fährt mir 
durch den Sinn, das kommt mir nicht in den Sinn, aus dem Sinn^^ 
(Paul, Pr. S. 88). So sprechen wir auch auf Geistiges übertragen 

273 von poetischem Schwung, von dem Schwung einer Hede, von Ge- 
dankensprüngen oder mit Herder und anderen nach ihm von dem 
Wurf der Volkslieder, um das Kühne, Gewagte des Ausdrucks an- 
zudeuten, und auf der gleichen Vorstellung der in unruhiger Be- 

274 wegung befindlichen Gedanken beruht es, wenn Grille — schon im 
16. Jahrhundert — als bildliche Bezeichnung für „wunderliche Idee" 
erscheint, wobei in manchen Wendungen die ursprüngliche Bedeutung 
noch durchklingt: mir sollte eine Grille im Kopfe surren (Schiller), 
besonders in Grillen fangen, dazu Grillenfang, Grillenfänger, in ähn- 
lichem Sinne Mücke für „unangenehme Eigenheit"; er hat seine 
Mucken (oberd. Form), wortspielend bei Goethe: wollt eure dummen 
Köpf belehren und euren Weibern die Mücken wehren, und ferner 
auch Ratte für „Laune": er hat sonderbare Batten. 

§ 64. Dementsprechend gehen alle Ausdrücke fiir Denk- 



Räumliche Verhältnisse für Seelisches. 73 

Vorgänge auf eine sinnliche, räumliche Grundbedeutung zurück, 
soweit wir den Ursprung verfolgen können. So ist hegreifen eigentlich 275 
„mit einem Griffe umspannen", aber schon im Mittelhochdeutschen 
und jetzt am üblichsten „mit dem Verstände erfassen, verstehen", 
dazu hegreiflich, und eine entsprechende Bedeutung hat Begriff in der 
neueren philosophischen Sprache, wohl durch Christian Wolf ge- 
bräuchlich geworden: eineji deutlichen Begriff von etwas haben; in 
gleicher Bedeutung fassen: ich Hannos nicht fassen, nicht glauben 276 
(Chamisso), dazu auffassen, erfassen, fasshar, fasslich, bisweilen in 
diesem Sinn auch Fassung, allgemein in Fassungskraft und -vermögen-, 
entsprechend fähig, abgeleitet aus fahen = fangen, eigenthch „im 277 
Stande zu fassen", anhd. noch in eigentlicher Bedeutung, aber früh- 
zeitig auf geistiges Fassen übertragen und dann darauf beschränkt, 
wobei die Verdunkelung der Grundbedeutung aus dem Aufkommen 
der Konstruktion mit zu erkennbar ist, während Wendungen wie 
neuer Eindrucke fähig sich noch direkt aus der Grundbedeutung ab- 
leiten lassen. Weiter stellen wir uns unsere Wahrnehmungskraft 
gleichsam in dem Reich des Geistes wandernd vor und gebrauchen 
finden auch in dem Sinne von „in der Betrachtung, Ueberlegung auf 
etwas geraten": ich fand, dass er mich getäuscht hatte; ähnlich wird 
erfahren (eigentliche Bedeutung „erreichen", „einholen", „durch- 278 
ziehen", ,, durchreisen**, vgl. fertig 158) schon im Mittelhochdeutschen 
für die Erlangung eines Wissens durch absichtliche Bemühung ge- 
braucht, dann auch für eine solche, die einem zufällig zuteil wird, 
und in gleichem geistigen Sinne wie das adjektivische Particip er- 
fahren (erscheint in aktivem Sinne auch bewandert, eigentlich „einer 
der viel gewandert ist". Was wir geistig erfasst haben, das prägt 279 
sich in die Seele, ins Gedächtnis, wir suchen es uns einzuprägen, 
was als bildlicher Ausdruck kaum mehr empfunden wird, oder zu 
behalten, „nicht zu vergessen", me es in räumUchem Sinne noch 
heisst: den Hut auf dem Kopfe behalten. Geistiges Urteil wird ver- 



74 Kapitel III. Metapher. 

280 sinnbildlicht durch ermessen, das in eigentlichem Sinne unüblich ge- 
worden ist, den jedoch unermesslich, auch messen und ausmessen be- 
wahrt hat, während Masstab wiederum hftuäg uneigentlich erscheint: 
er urteilt nach einem anderen Masstab, ebenso sich vermessen in 
dem geistigen Sinne „zu einem Wagnis bereit sein, sich dazu bereit 
erklären'^ wobei die Anschauung zu Grunde liegt, dass jemand die 
eigene Kraft unrichtig gemessen, also falsch beurteilt hat. Auf einem 

281 anderen Bilde beruht erwägen, das nur in übertragenem Sinne üblich 
ist für „überlegen", und von demselben geht auch aus wagen, von dem 
Substantiv Wage abgeleitet, das schon im Mittelhochdeutschen auch 
die Bedeutung „zweifelhafte Lage", „Gefahr'* annimmt durch die Ver- 
mittlung „Zustand, bei dem wie bei einer Wage leicht eine Neigung nach 
dieser oder nach jener Seite eintreten kann", wobei jedoch der Ursprung 
für das heutige Sprachgefühl verdunkelt ist, zumal die Bedeutung von 
erwägen und wagen, jenes auf besonnenes, dieses oft auf unbesonnenes 
Urteil hinweisend, jetzt weit auseinandergeht. Die Ausbreitung von 
wagen wurde übrigens dadurch begünstigt, dass das gleichbedeutende 
Präteritopräsens türren (verwandt mit engl, to dare) ausgestorben ist; 
während sich dies in den älteren Bibelausgaben noch findet, wurde 
es in den jüngeren durch dürfen ersetzt, dessen Verwendung im 
Sinne von „wagen" jedoch nur mundartlich geblieben ist (vgl. 551). 

282 Wieder eine andere Vorstellung liegt vor in grübeln, zu graben, das 
zunächst „in etwas herumgraben, bohren" bedeutete, dann überhaupt 
„Nachforschungen anstellen" und jetzt nur auf innerliches Nach- 
denken bezogen wird mit dem Nebenbegriff des peinlich Genauen 

283 oder Spitzfindigen; eine ähnliche Entwicklung zeigt klauben, mit der 
Grundbedeutung „mit den Fingerspitzen (auch mit Nägeln oder 
Zähnen) an etwas herumarbeiten", daher „pflücken", „lesen" (z. B. 
Aehren klauben), dann in bildlichen Verwendungen ähnlich wie lesen, 
besonders in herausklauben und in Wortklauberei; und damit ver- 
gleicht sich auch die Wendung sich in etwas verbohren „sich fest- 



Denk Vorgänge und geistige Aeusserungen. 75 

bohren", „sich auf etwas versteifen", zugleich mit der Vorstellung 
einer verkehrten Richtung der Gedanken, dazu das üblichere Particip 
verbohrt. 

§ 65. Aber auch die produktiven Bethätigungen 
der in Erscheinung tretenden Geisteskräfte lassen 
sich wie die vorhin besprochenen receptiven noch grossenteils in 
ihrem Entwicklungsgang auf ihre räumliche Grundbedeutung zurOck- 
verfolgen, wie an einigen Beispielen gezeigt sei. So hat ausdrücken 284 
noch die eigentliche Bedeutung in Saß aus einer Traube ausdrücken, 
daneben aber schon bei Luther und jetzt überwiegend die uneigent- 
liche „etwas Seelisches durch sinnlich Wahrnehmbares zu erkennen 
geben", dazu das Substantiv Ausdruck seit dem 18. Jahrhundert, statt 
dessen früher Ausdrückung; darstellen, noch bei Pestalozzi im eigent- 285 
liehen Sinne: sie stellt ihm den Krug dar, erscheint andrerseits schon 
bei Luther bildlich und wird jetzt allgemein vom Maler, Schauspieler, 
Dichter, aber auch in Bezug auf nicht kunstgemässe Erzählung ge- 
braucht: er stellt die Sa^he so dar, als sei er ganz unschuldig; aus- 
einandersetzen, eigentlich „entwirren", jetzt „klarmachen", „darlegen"; 286 
darthun, anhd. „aufwenden", „leisten": so du was mehr wirst dar- 
thun, will icKs dir bezahlen (Luther), jetzt nur uneigentlich „beweisen"; 
ähnlich darlegen, anhd. noch in eigentlichem Sinne : und legte andere 
fünf Zentner dar, jetzt nur „vortragen", „auseinandersetzen"; aus- 
legen, einerseits zwar in mehreren räumlichen Spezialisierungen wie 
Waren, einen Tisch (Einlegearbeit), Geld für jemand auslegen, sich 
auslegen (als Fechtausdruck), am gewöhnlichsten aber im Sinne von 
„erklären", eine Bedeutung, die wohl aus der speziellen „zum Be- 
schauen auslegen" entsprungen sein muss, dazu Auslegung; behaupten, 287 
mit der älteren Bedeutung „siegreich gegen Angriffe verteidigen" noch 
in Verbindungen wie die belagerte Festung konnte sich behaupten, 
während die jüngere, jetzt gewöhnliche „als Meinung aufstellen" ver- 
mittelt wird durch die von „beweisen" (gleichsam „mit Worten ver- 



76 Kapitel III. Metapher. 

leidigen")» die sich noch bei Goethe findet; sie hatten, um diese 
Gesinnungen zu behaupten, ein unendliches Detail anzuführen; er- 
härten, eigentlich „hart machen", daneben schon mhd. auch „beweisen" 

288 (durch Gottesurteil, Eid u. s. w.); endlich bieten, das die Bedeutungen 
„darreichen" und „wissen lassen" (gewissermassen „geistig aus der 
Entfernung darreichen") in sich vereinigt, und zwar herrscht die 
erstere im einfachen Worte, die letztere in entbieten und in Bote 
(Verkündiger), weiterhin auch in gebieten und verbieten. 

§ 66, Ganz geradeso knüpfen auch die Bezeichnungen für 
Rechtsverhältnisse an sinnliche Verhältnisse in der räum- 
lichen Welt an. So bedeutet der Grundausdruck für den Besitz, 

289 nämlich haben, eigentlich „halten", wie^noch aus Handhabe ersichtlich 
ist; recht ist eigentlich „gerade", erhalten in den Zusammensetzungen 
aufrecht, senkrecht, wagrecht, wurde danach übertragen auf das, was 
den Gesetzen oder den Geboten der Sittlichkeit entspricht, und damit 
stimmt überein die alte Substantivierung des Adjektivs, das Becht, 
und die Zusammensetzung gerecht, deren Verwendung erst all- 
mählich von recht geschieden wurde in dem jetzigen Sinne „dem 
Rechtsgefühle entsprechend", wozu weiter richten gehört, das als 
Thätigkeit des Bichters ausgeht von der Bedeutung „in Ordnung 

290 bringen"; auch besitzen ist in seinem Ursprung noch deutlich zu er- 
. kennen, und erscheint bisweilen im eigentlichen Sinne, wie Goethe 

noch sagt: imd findet dann von einem Müssiggänger den Schatten 
breit besess&n, 

§ 67. Ebenfalls als metaphorische Bedeutungsentwicklung ist 
es aufzufassen, wenn der Eindruck eines Sinnes auf einen 
andern Sinn oder auch auf mehrere andere Sinne übertragen 
wird, ein Vorgang, der sich daraus begreift, dass die durch ver- 
schiedene Sinne in unserm Innern erweckten Empfindungen etwas 
Verwandtes haben, wie es ja auch Leute giebt, die mit einem be- 



Uebertragung von einem Sinn auf einen andern. 77 

Stimmten Geruch oder Ton ständig die gleiche Farbenempfindung 
verbinden.*) 

§ 68. Wir übertragen z. B. Eindrücke des Gehörs auf 
solche des Gesichts, indem wir von schreienden Farben (vgl. 291 
316) sprechen, die den Gesichtssinn beleidigen, wie wirkliches Schreien 
den Gehörsinn, oder von einem knallroten Kleide im Sinne von „grell- 
rot", was ja zu knall und knallen gehört. Aber auch grell selber ist 
erst im 18. Jahrhundert vom Gehörseindruck auf den Gesichtseindruck 
übertragen, indem es sich zu mhd. grellen „laut schreien" und wohl 
auch zu Grille^) stellt, wie Goethe noch sagt: rauher Schall grellt 
ins Ohr; und nicht anders ist es bei hell^ das mit hallen verwandt 292 
ist, demgemäss ursprünglich als Gegensatz zu dumpf nur von Gehörs- 
eindrücken gebraucht, dann aber schon bei Luther als Gegensatz zu 
dunkel auf Gesichtseindrücke übertragen wird, weiterhin ebenso wie 
grell auch auf nicht sinnliche, geistige Wahrnehmung bezogen, wie z. B. 
einerseits: das steht in grellem Gegensatz, sticht grell ab, andrerseits: 
im Geiste ward mir's helle (Rückert), das ist die helle Unmöglichkeit, 
üblicher noch in Beziehung auf das, was zu klarer Einsicht taugt: 
heller Kopf, Geist, Verstand, Damit vergleicht sich, wenn man in 
der Malerei von Farhentönen, oder mit Einmischung einer Empfindung 293 
des Tastsinns sogar von warmem oder kaltem Tone spricht. 

§ 69. Der umgekehrte Vorgang findet statt bei schön, 
das mit schauen verwandt ist und ursprünglich nur auf das angewandt 
wurde, was einen angenehmen Eindruck auf den Gesichtssinn macht; 
aber schon im Althochdeutschen wird es auch auf Gehörseindrücke 
bezogen, wie heute noch in das klingt schön, ein schöner Ton, später- 29 i 
hin auch auf Empfindungen des Geschmacks und Geruchs wie das 



^) Vgl. Stöcklein S. 73; B. Erdmann, Archiv für systematische Philosophie 
III 166 ff. 

*) Kluge, Wb., nimmt Entlehnung aus griech. gryllos „Heuschrecke" an, 

während Heyne, Wb., dies ablehnt und an Zusammenhang mit grell festhält. 



78 Kapitel in. Metapher. 

schmeckt schön, das riecht schön für gut: dieser letztere Gebrauch 
jedoch, der schon von Aeslhetikern des 18. Jahrhunderts verpönt 
wurde, gilt auch jetzt noch besonders in Süddeutschland vielfach als 
unerlaubt. Aehnlich wird hübsch auf das Gehör übertragen : hübsche 
Musik, ein hübsches Lied, ebenso heiter, das ursprünglich „glänzend" 
bedeutete, z. B. von der Sonne gebraucht, alsdann von der Bedeutung 
„hell** ausgehend, die jetzt noch im Südwestdeutschen vorhanden ist 
(vgl. auch der Vollmond macht nunmehr die ganze Gegend heiter Wie- 
land), auch auf das Gehör bezogen wurde, so bei Goethe : heiter klangen 
sogleich die Gläser, Eine reiche Entwicklung auf gleicher Grundlage 

295 zeigt auch das aus dem Romanischen stammende fein, das unter 
französischem Einfluss aus der durch das Gesicht wahrnehmbaren 
räumlichen Bedeutung „von kleinem Umfang" auf das Gehör über- 
tragen wird wie in feiner Ton, aber auch auf die anderen Sinnes- 
eindrücke wie in feiner Geruch, feiner Geschmack. Uebertragung vom 
Gesicht aufs Gehör ist es endlich auch, wenn geschmacklose Ver- 
zierungen in der Musik als Schnörkel bezeichnet werden. 

§ 70. Vom Geschmackseindruck ausgehend wird so- 

296 dann süss frühzeitig auf Gehör und Geruch tibertragen in süsser Klang, 
süsser Duft, in neuerer Zeit auch auf Gesichtseindrücke und auch auf 
die innere Empfindung, wenn von einem liebreizenden Mädchen als 
von einem süssen Geschöpf die Rede ist Als eine Uebertragung vom 
Geschmack aufs Gehör stellt sich auch der Ausdruck Ohrenschmaus 
dar, ebenso Ohrenweide, wie Augenweide als eine solche auf den 
Gesichtssinn. Uebertragung vom Geruch auf den Geschmack hat 

297 wohl dagegen bei schmecken stattgefunden, das sich in der älteren 
Sprache auch auf den Geruchssinn bezieht, wie noch jetzt im Ober- 
deutschen, im Südwestdeutschen zum Teil ausschliesslich, wo dann 
die Böse gut schmeckt, wie auch noch Schiller sagt: dass hier 
des Himmels Atem lieblich schmeckt (vgl. 79); zweifelsohne jedoch 

298 geht vom Geruchssinn aus das Adjektiv dumpf, das mit Dampf ver- 



üebertragung von einem Sinn auf einen andern. 79 

wandt ist, ursprünglich „feucht", „moderig" bedeutet, zunächst mit 
Bezug auf Gerüche verwendet, dann aber auf das Gehör tibertragen 
wird im Sinne von „tief und gedämpft." Mit umgekehrter üebertragung 
vom Gehör auf den Geruch heisst es in volkstümlicher Rede: das 
Haar öl riecht laut, 

§ 71. Ebenso finden üebertragungen vom Gefühls-, genauer 
Tastsinn auf andere Sinneseindrttcke statt. So wird kitzeln auf 
Vorgänge bezogen, die eine dem Kitzel verwandte Empfindung er- 
zeugen, indem man sagt: die Zunge, ^ den Gaumen kitzeln (von 299 
Geschmackseindrücken), da^ Ohr kitzeln ^mit angenehmen Tönen). 
Damit vergleicht sich prickeln, das zu mundartlichem Prickel „Stachel" 
gehört, ursprünglich eine schmerzhafte körperliche Empfindung be- 
zeichnet, so z. ß. in prickelnde Nesseln (Paul Heyse), andrerseits aber 
auch eine nicht unangenehme Erregung wie prickelnder Champagner 
vom Geschmack, prickelnder Duft vom Geruch, weiterhin von der 
inneren Empfindung auch eine prickelnde Novelle im Sinne von dem 
ganz entsprechend entwickelten piquant. In ähnlicher Weise wird 
das sinnverwandte stechen übertragen, indem man sagt: etwas sticht 300 
in die Augen, auch in die Nase (macht einen so starken Eindruck, 
dass es leicht bemerkt wird), womit sich der Gebrauch von hervor- 
stechen, abstechen berührt, wie es andrerseits mit üebertragung auf 
das Gefühlsleben heisst: jemanden sticht {reizt) der Kitzel, der Fürwitz, 
die Neugier, der Mutwille. Vom Eindruck auf den Tastsinn geht 
ebenfalls aus das Adjektiv sanft (vgl. engl, soft „weich"), das als- 301 
dann nach dem analogen Eindruck auf das Gehör, das Gesicht und 
die innere Empfindung ausgedehnt wird: sanßer Laut, sanfte Linien, 
sanfter Sinn; ebenso gilt scharf zuerst für den Tastsinn, dann aber 
auch für das Gesicht, das Gehör, den Geschmack oder den Geruch, 
weiter auch für die innere Empfindung: scharfe Linie, scharfer 
Klang, scharfer Essig, scharfer Pfeffer, scharfe Worte; ähnlich wird 
hart auf den Gehörseindruck übertragen, wie harter Ton, harter 302 



80 Kapitel m. Metapher. 

KonHonanty harte AtissprcLchey bisweilen auch anf den Gesichtsein- 
druck z. B. die Zeichnung war ncu^hdrücklichy aber hart (Winckel- 
mann), häufig dagegen auf die innere Empfindung für alles, was mit 
Mühsal verknflpft oder schwer zu erdulden ist: harte Arbeit^ hartes 
Lo8y harte Bedingung (vgl. 191), entsprechend schu^er^ drückend^ lastig, 
immer im Gegensatz zu leicht. 

§ 72. Bei dieser Betrachtung von Ausdrücken, die von einem 
Sinn auf einen andern Obertragen werden, haben wir gelegentlich be- 
obachtet, dass sie auch auf das Seelenleben bezogen werden wie z. B. 
bei prickeln, stechen^ sanft, scharf und hart angedeutet ist, und der- 
artige Beobachtungen hätten sich ebenso anführen lassen bei Aus- 

303 drücken wie schön (das ist schön von ihm), heiter (heiteres GemiU), 
fein (feine Sitte). Nunmehr seien noch einige Bezeichnungen far 
Sinneseindrücke angereiht, die ausschliesslich auf die 
innere Empfindung übertragen werden, ohne dass eine 
Anwendung auf einen andern Sinn stattfindet. So liegt ein Gehörs- 

304 eindruck zu Grunde bei Takt, das von Rhythmus auf das Schicklich- 
keitsgefühl übertragen wird, ebenso bei einhellig, missheilig und 
Misshelligkeiten, die zu Hall und hallen gehören (ohne dass die 
vorbin besprochene Uebertragung von hell mitgewirkt hätte, vgl. 292), 
wozu mhd. enein hellen „übereinstimmen", eigentlich „in eins hallen", 

305 zu vergleichen ist. Der Gesichtseindruck trühe „nicht oder mangel- 
haft durchsichtig" erscheint auf Seelenzustände übertragen in trühe 
Gedanken, trüber Sinn, zusammengewachsen Tri'ibsinn, davon trüb- 
sinnig im Gegensatz zu heiter (vgl. 294). Von der Geschmacks- 

306 empfindung ausgehend werden auf innere Empfindung bezogen he^*h 
und bitter: herbes oder bitteres Wort, Urteil, Geschick; dabei sei be- 
merkt, dass bitter, dazu auch erbittern und verbittern, übrigens ver- 
wandt mit beissen^ ursprünglich einen scharfen unangenehmen Ge- 
schmack aligemeiner Art bezeichnet und erst allmählich die jetzige 

307 bestimmte Bedeutung erlangt hat, wie dies ganz ähnlich bei sauer 



Üebertragung auf die innere Empfindung. 81 

der Fall ist, dessen heutige bildliche Verwendung wie saure Arbeit, 
es wird ihm sauer auf die frühere allgemeinere Bedeutung zurück- 
geht Eine Geruchsempfindung liegt sodann zu Grunde bei der 
Redensart einem etwas unter die Nase reihen (so dass er es riecht, 
d. h. gehörig empfindet). Schliesslich finden aucb Uebertragungen 
von Eindrücken des Tastsinns auf die innere Empfindung statt. So 
wird erhaben (eigentlich ältere Form des Participiums von erheben'), 308 
in sinnlicher Bedeutung noch üblich für getriebene Arbeit (Relief), 
im 18. Jahrhundert zu einem moralisch-ästhetischen Begriff ähnlich 
wie hoch (vgl. 269, 270, 271): erhabner oder hoher Sinn^ Stil. Kummer 
ist jetzt immer auf die innere Empfindung übertragen, hat aber die 
sinnliche Grundbedeutung „Belastung", die in dem altneuhochdeutschen 
und jetzt noch westmitteldeutschen Gebrauch für „Schutt" durchblickt; 
auf gleicher Grundlage erklärt sich zerknirscht, „innerlich nieder- 309 
geschlagen, namentlich durch Reue", indem es eigentlich bedeutet 
„so zusammengepresst, dass es knirscht", und wohl auch bestürzt^ 
dessen jetziger Sinn hervorgegangen sein wird aus der Bedeutung 
„mit etwas Umgestülptem beschüttet", also plötzlich belastet; und 
schliesslich werden ja auch die durch äussere Empfindungseindrücke 
wahrnehmbaren Temperaturunterschiede auf das Seelische tibertragen, 
wie uns heiss und warm, kalt und kühl, ebenso lau in diesem Sinne 310 
ganz geläufig sind, wie heisse Liebe, warrn^ Anteilnahme, kaltes Be- 
nehmen, kühles Verhalten, laus Aufnahme. 

§ 73. Weiterhin seien noch einige Ausdrücke besprochen, die 
von sinnlicher Wahrnehmung ausgehend auf geistige 
übertragen sind. So wurde fühlen, fi'üher übrigens nur im Nieder- 311 
und Mitteldeutschen vorhanden, ursprünglich nur auf den Tastsinn 
bezogen mit der Grundbedeutung „tastend untersuchen", die z. B. 
noch hervortritt in einem den Puls fühlen. Femer wird sehen viel- 312 
fach auf ein geistiges Wahrnehmen übertragen, ebenso die Zusammen- 

Waag, Bedeutungsentwickluiiff. Q 



82 Kapitel 111. Metapher. 

Setzungen, wie besonders einsehen^ aber auch ansehen, absehen, sich 
vorsehen^ übersehen, versehen, wobei dann gewöhnlich als Objekt ein 
abhängiger Satz steht: ich sehe, wer die Schuld hat (vgl. 317, 536); 
ebenso gehen von der Gesichtswahmehmung aus zahlreiche Ver- 

313 bindungen mit Auige wie ins Auge fassen, es fällt in die Augen, in 
meinen Augen, es dämmert ihm, es geht ihm ein Licht auf, es leuchtet 
ein, wobei jetzt die sinnliche Bedeutung abgeblasst ist, während sie 
z. B. noch bei Lessing hervortritt: weil ihm in eurer Mien\ in eurem 
Wesen so was von seinem Bruder eingeleuchtet. Ursprünglich von 
der verschiedene Sinne anspannenden Thätigkeit des Jägers und von 

314 der des Jagdhundes sind gebraucht spüren und wittern, jenes ab- 
geleitet von dem Substantiv Spur „Fusspur", dieses zu Wetter im 
Sinne von „Luftbeschaffenheit" gehörig: beide auf analoge Thätig- 
keiten übertragen, z. B. nach Handschriften spüren, dann aber auch 
auf jedes Gewahr werden, selbst wönn es ohne Aufmerksamkeit zu- 
stande kommt: ich spüre, dass es kalt wird; und von der sinnlichen 
auf die geistige Wahrnehmung übertragen heisst es dann auch: ich 
spüre seinen HasSy er wittert Verrat. 

§ 74. Noch bleibt uns eine letzte Gruppe von Metaphern zu 
besprechen. Allbekannt ist es ja, dass dichterisch gewählte Aus- 
drucksweise das Leblose gerne unter dem Bilde des 
Lebenden darstellt, und kritische Betrachtung lehrt uns, dass es 
eine besondere Eigentümlichkeit mancher Dichter ist, in reichem 
Masse davon Gebrauch zu machen, wie bei Schiller in gelehrtem 
Anschluss an die Antike, bei J. P. Hebel in volkstümlicher Weise, 
so dass Goethe an dessen „Alemannischen Gedichten" rühmt, dass 
er es trefflich verstanden habe, „die Natur zu verbauern", d. h. 
unter dem Bilde von Bauersleuten anschaulich zu machen. Viel 
weniger aber ist es bekannt, in welch grossem Umfang auch die 
Alltagssprache seit alter Zeit dieses Darstellungsmittel der Personi- 



Beseelung des Leblosen. 83 

fikation gebraucht, und doch kann auch diese Art von Metaphern zu 
interessanten Beobachtungen Anlass geben.*) 

§ 75. Deutlich empfinden wir noch den Vorgang, um aus den 
vielen Fällen einige herauszugreifen, wenn es bei Schiller heisst: 
goldne Früchte seh' ich glühen, winkend zwischen dunklem Lauh^ 315 
oder bei Schenkendorf wie mir deine Freuden winken, wenn das 
Unglück schnell schreitet und der Sturtn durch die Felder fegt, wenn 
die Thür in den Angeln kreischt und ein Verbrechen zum Himmel 
schreit, wie auch von himmelschreiendem Unrecht und von schreienden 316 
Farben (vgl. 291) gesprochen wird. Weniger schon ist uns bewusst, 
dass stehen, sitzen und liegen so gut wie gehen ursprünglich einzig 
und allein auf Menschen und Tiere bezogen wurden, so dass jeweils 
eine Metapher vorliegt, wenn es heisst: das Haus steht auf dem 
Marktplatz, der Hut sitzt auf dem Kopfe, der Baum liegt auf der 
Erde, der Wagen geht nach Berlin, die Uhr oder die Sonne geht 
(vgl. 174). Auch denken wir kaum an die stattgehabte Verschiebung 
in Verbindungen wie da^ Fenster, das auf die Palmen sieht (Lessing, 317 
vgl. 312, 536); ein Gewehr versagt (eigehtlich „weigert sich", „giebt 
eine abschlägige Antwort"); dieses Klima sagt mir zu (eigentlich 
„giebt eine zusagende, verheissungsvoUe Antwort"). Ganz verdunkelt 
aber ist der Entwicklungsgang bei ätzen in V^Tendungen wie ätzende 318 
Säuren, denn ätzen heisst wie atzen (beides Bewirkungswörter zu 
essen) eigentlich „fressen lassen" und man sollte als Objekt dazu die 
Säuren erwarten, die zum Aetzen verwendet werden: statt dessen 
steht der damit behandelte Gegenstand als Akkusativ dabei, wie z. B. 
eine Metallplatte ätzen, wobei sich aus der Konstruktionsverschiebung 
auf den Vollzug des Bedeutungsüberganges und die somit eingetretene 



*) Mit Recht weist Rudolf Hildebrand in seinem segensreichen Buche 
„Vom deutschen Unterricht" S. 103—106 darauf hin, dass an Stelle des Schlag- 
wortes „Personifikation" gerade hier lebendiges Nachempfinden des Vergleichs 
eintreten sollte. 

6* 



g4 Kapitel III. Metapher. 

Verdunkelung des Ursprungs schliessen lässt; die Entwicklung von 

319 beizen, Bewirkungswort zu heissen^ wie ätzen zu esseny ist übrigens 

320 ganz genau entsprechend. Auch auf gehören sei hier hingewiesen, 
dessen heutige abgeblasste Bedeutung offenbar ausgegangen ist von 
Sätzen wie das Kind gehört ihm, der Hund gehört ihm, d. h. vom 
lebenden Wesen im eigentlichen Sinne „hört auf ihn", wie gehorchen 
und gehorsam auf gleicher Grundlage zum Ausdruck für ein Unter- 
thänigkeitsverhältnis geworden ist; dabei ist auch an hörig zu denken, 
das von neueren Schriftstellern in letzterem Sinne verwendet wird, 
während es allerdings in der älteren Rechtssprache nur in Zusammen- 
setzungen wie hofhörig „zu einem Gute gehörig" in ähnlicher Weise 
zu finden ist. Alles in allem genommen können fast alle Yerba, die 
ursprünglich die Thätigkeit eines lebenden Wesens bezeichnen, meta- 
phorisch von leblosen Dingen gebraucht werden, und H. Paul weist 
ausserdem darauf hin, dass in der Verwendung des Verbums überhaupt 
in Anbetracht der grammatischen Personen schon ein gewisser Grad 
von Personifikation des Subjekts liegt (s. Paul, Pr. S. 89). 

§ 76. Ueberblicken wir aber unsere gesamte Betrachtung über 
das Metaphorische in unserer Sprache, so zeigt sich uns zur Genüge, 
dass die Metapher kein willkürlicher Redeschmuck, sondern eine not- 
wendige Form menschlichen Denkens und Sprechens ist, und wir 
begreifen auch, dass Jean Paul mit Recht sagen konnte : „Jede Sprache 
ist in Rücksicht geistiger Beziehungen ein Wörterbuch erblasseter 
Metaphern."*) 



1) VgJ. Biese a. a. O. S. 12, Thomas 30 S. 714. 



Kapitel IV. 

Metonymie. 



§ 77. Unter den Begriff der Metapher wird häufig die Metonymie 
gestellt, wie sie auch z. B. von Alfred Biese in seiner mehrfach ge- 
nannten „Philosophie des Metaphorischen" behandelt ist,^) jedoch lässt 
sich zweifelsohne eine bestimmte Abgrenzung treffen. Wohl tritt auch 
bei der Metonymie wie bei der Metapher ein Wort aus seiner Begriffs- 
sphäre heraus, während es bei der Verengung und Erweiterung der 
Bedeutung in jener bleibt, nur dass sie eben enger oder weiter wird ; 
aber während bei der Metapher eine dem Geiste sich aufdrängende 
Aehnlichkeit den Uebergang zwischen zwei Vorstellungskreisen 
vermittelt, gründet sich derselbe bei den Verschiebungen, die wir mit 
dem alten Kunstausdruck der Rhetorik als Metonymie bezeichnen, auf 
einen thatsäch liehen Zusammenhang, auf eine erfahrungs- 
gemässe reale Abhängigkeit des Raumes, der Zeit 
oder der Kausalität. 2) Aber auch hier bekundet sich der be- 
wegliche Menschengeist in einer grossen Fülle von Möglichkeiten, die 
nicht etwa nur der dichterisch gehobenen Sprache zukommen, sondern 
sich bei vielen Wörtern der Alltagsrede als treibende Kraft des Be- 
deutungswandels herausstellen. 



^) Vgl. die Besprechung hierüber von Robert Thomas in den Bayer. 
Blättern fttr das Gymnas.-Schulwesen Bd. 30 S. 733—736. 
«) Vgl. Thomas 30 S. 713 ff. 



86 Kapitel IV. Metonymie. 

§ 78. Innerhalb dieser Fälle, bei denen ein Wort statt des 
Grundbegriffs etwas nach allgemeiner Erfahrung rftumlich, zeit- 
lich oder kausal damit Zusammenhängendes bezeichnet, 
betrachten wir, um vom Einfachsten auszugehen, zunächst diejenige 
Erscheinung, die von der lateinischen Stilistik „pars pro toto" benannt 
wird, wo also ein charakteristischer Teil stellver- 
tretend für das zugehörige Ganze gesetzt wird. Auch 
hier tritt eine solche Verwendung zunächst nur gelegentlich (occasio- 
nell) auf, wird aber bei einzelnen Ausdrücken so sehr üblich (usuell), 
dass die ursprüngliche Bedeutung nicht mehr empfunden wird. 

§ 79. Fassen wir zum Beginn einige Ortsbezeichnungen 

321 ins Auge, so dient Schwelle, vorzugsweise von der Thürschwelle ge- 
braucht, als Symbol für den Eingang in ein Haus und zugleich für 
das ganze Haus, wie es z. B. heissen kann: der kommt mir nicht über 

322 die Schwelle, wie andrerseits Schiller seinen Ibykus um ein wirtlich 
Dach flehen lässt. Als Mittelpunkt des Hauses gilt uns der Herd und 
daher als Symbol des ganzen Hausstandes: so gründet sich ein 
Junggeselle einen eignen Herd und stimmt ein in das Sprichwort 
Eigner Herd ist Goldes wert! (vgl. 248). In der Kirche bezeichnete 

323 Kanzel zunächst nur die Schranke, welche die Geistlichkeit von den 
Laien trennte (aus lat. cancelli „Gitter"), dann aber auch den durch 
eine solche abgetrennten Raum, woraus die heutige Bedeutung er- 
wachsen ist, nachdem der Geistliche nicht nur vom Altar aus sprach, 
sondern auch von einer erhöhten für das Verstehen besonders geeig- 
neten Stelle, für welche eben die alte Bezeichnung übernommen 
wurde; eine Ableitung aus der gleichen Grundlage ist Kanzlei, was 
zunächst den für den Beamten und die Schreiber durch Schranken 
abgesonderten Raum bezeichnete, wie noch jetzt, ausser den Schranken 
bei Gericht und den Verschlagen der Kassenstellen, auch in manch 
altertümlichem Amthaus kunstvoll verschnörkelte Holzschranken zu 



Ein Teil für das zugehörige Ganze. 87 

treffen sind, hinter denen der Amtsvorstand mit seinen Aktuaren und 
Kanzlisten thront, während das herbeibeorderte oder des Rats be- 
dürftige Volk sich davor einfindet. Wenn Schiller im „Gang nach 
dem Eisenhammer** seinen Fridolin zum Hammer schicken lässt 324 
(Str. 16), so meint er damit die „Eisenhütten** (Str. 24), wo „die 
Werke klappern Nacht und Tag, Im Takte pocht der Hämmer Schlag** 
(Str. 12), indem Hammer allgemein auch eine Werkstatt bedeutet, in 
welcher grosse Hämmer zum Zurichten der Metalle verwendet werden. 
Unter einem Ort stellen wir uns jetzt einen Teil des Raumes vor und 325 
gebrauchen es synonym mit Stelle, mit dem wir es formelhaft ver- 
binden: an Ort und Stelle, oder wir brauchen es als zusammenfassende 
Bezeichnung fQr eine Stadt, besonders für einen Flecken oder ein 
Dorf im Sinne von Ortschaft (oberd. das Ort): ursprünglich jedoch 
bedeutete es nur „Spitze**, wie es im Alt- und Mittelhochdeutschen 
oft fQr die Spitze eines Speeres oder Schwertes (daher Eigennamen 
wie Ortlieh, Ortrun), weiterhin für die Spitze eines Werkzeuges, und 
noch jetzt landschaftlich als „Ahle** erscheint; erwähnt sei auch die 
oberdeutsche Bezeichnung Ortstück für das äusserste Stück z. B. eines 
Brotlaibes. Eine analoge Entwicklung weist das sinnverwandte Ecke 326 
auf, indem es von der ursprünglichen Bedeutung „scharfe Kante** 
(mhd. von der Schneide des Schwertes gebraucht, noch jetzt von dem 
Grat eines Berges in Ortsnamen wie Rigi Scheidegg oder die Lange 
Eck und Eck für sich im Schwarzwald) Obergeht zu der Benennung 
der Stelle, wo mehrere Kanten zusammentreffen, und des der eigent- 
lichen Ecke zunächst liegenden Raums. 

§ 80. Besonders häufig sind ferner Bezeichnungen von Per- 
sonen nach charakteristischenTeilen des Körpers, 
so vor allem nach äusserer oder innerer Beschaffenheit ihres Kopfes, 
wie ein kluger, feiner Kopf und viele Zusammensetzungen wie Kahl- 327 
köpf, Lockenkopf, Dickkopf, Dummkopf, Kindskopf, Schafskopf, 
Strohkopf, dies als Schimpfwort für einen dummen Menschen, weil 



88 Kapitel IV. Metonymie. 

sein Kopf gehaltlos ist wie Stroh (vgl. 494, 202);^) ebenso er- 

328 scheint das synonyme Haupt, jedoch fast nie mit Rücksicht auf die 
geistigen Funktionen, wie graues, gekröntes, bemoostes Haupt^ früher 
auch häufig bei Zählung von Menschen, wie es auch bei Schiller 
heisst: er zählt die Häupter seiner Liehen, bei Tieren gerne in der 
Verkleinerungsform wie Häuptlein Vieh (vgl. 405, 249). Dabei wieder- 
holt sich bei dem Begriffe „Kopf* selbst die gleiche Erscheinung, 
wenn stellvertretend dafür, allerdings nur volkstümlich in verächtlicher 
Weise, das Wort GhHnd gesetzt wird, eigentlich „Schorfe bildender 
Ausschlag, besonders auf dem Kopfe" 2); und auf gleiche Weise er- 

329 klärt sich Gesicht in der Bedeutung „Antlitz", indem man es zunächst 
für die Sehorgane verwendete, dann aber weiterhin auch die Um- 
gebung derselben mit einbegriff, was sich so festgesetzt hat, dass 
wir es auch in Wendungen, die noch zur früheren Bedeutung ge- 
zogen werden könnten, nach dem jetzigen Sprachgefühl als „Antlitz" 
fassen, wie einem ins Gesicht lachen, einem etwas ins Gesicht sagen 
(vgl. 429). Weiter sprechen wir in Vertretung der ganzen Person 

330 von einem Knasterhart, um einen brummenden alten Mann zu be- 
zeichnen, indem das lautmalende knastern, im 46. Jahrhundert und 
jetzt noch mundartlich üblich, im Ablautsverhältnis zu knistern 
stehend, auch „knurren", „verdriesslich brummen" bedeutete; nichts 
zu thun hat es dagegen mit der aus dem Spanischen stammenden 
Bezeichnung einer Tabaksorte, obwohl wir das jetzt anzunehmen 

334 geneigt sind. Einen geizigen Menschen nennen wir Geizhals, weil er 
gleichsam alles gierig in sich hineinschlingen möchte — Geiz bedeutet 



*) Stöcklein S. 69 vermutet wohl mit Recht, dass bei der ersten Schöpfung 
von Zusammensetzungen wie Rothart (statt: Der mit dem roten Barte), Diek- 
kopf etc. Bequemlichkeit im Spiele gewesen sein mag. 

2) Diese Entwicklung nimmt auch Heyne, Wb., an, während Kluge, Wb., Ur- 
verwandtschaft mit lat. frons „Stirne" für wahrscheinlich hält und so von der 
Bedeutung „Kopf" ausgehen möchte. 



Personenbezeichnungen nach Körperteilen u. s. w. 89 

nämlich ursprünglich „Gier" — oder auch Geizkragen^ indem Kragen 
früher mit Hals gleichbedeutend war (vgl. 351);^) einen feisten ge- 
frässigen Menschen bezeichnen wir nach dem besonders hervor- 
tretenden Körperteil als Wanst. Schliesslich erscheint als Vertretung 
für die ganze Person von körperlichen Bestandteilen auch die Haut 332 
mit verschiedenen Beiwörtern, früher beschimpfend ühle Haut, jetzt 
harmlos eine gute^ ehrliche^ närrische Haut, und die verächtliche 
Bezeichnung dafür, der Balg (eigentlich „die abstreifbare Haut von 
Tieren"), als Schimpfwort früher namentlich für ein unzüchtiges Weib, 
jetzt üblich für Kinder (vgl. 462), wie andrei'seits nach dem geistigen 
Wesen von einem grossen, kleinen, starken Geist, einem Freigeist, 333 
Schöngeist (nach franz. bel-esprit) oder Quälgeist (vgl. 25, 668) und 
von einer guten, schönen, ehrlichen Seele, von einer Krämer-, Helden-, 
Tyrannenseele und von der Zahl der Seelen einer Stadt die Rede ist. 

§ 81. Auf gleiche Linie sind zu stellen Bezeichnungen von 
Personen nach einem Kleidungsstück, das als deren inte- 
grierender Bestandteil gefasst wird. So nennt man eine maskierte 
Person kurzweg eine Maske, einen trägen Menschen eine Schlafhaube 334 
oder Schlafmütze (vgl. 439, 383J, wie andrerseits Schiller im Wallen- 
stein von der alten Perücke aus Wien (Questenberg) spricht. Eine 
Blaujacke bezeichnet einen Matrosen, die Schürze symbolisch ein 
Frauenzimmer, seitdem sich diese ursprüngliche Pluralform von dem 
alten Singular Schurz abgespalten und in der Schriftsprache im 
Gegensatz hierzu auf das von Frauen getragene Kleidungsstück spe- 
zialisiert hat. 

§ 82. Aus den gleichen Denkvorgängen begreift es sich, wenn 
ein ständig begleitendes Geräte oder Werkzeug zugleich die 
Vorstellung der damit ausgerüsteten Person hervorruft. So wird 



^) Dabei sei bemerkt, dass im Mittelhochdeutschen auch das einfache 
Wort Kragen als Scheltwort erscheint, wofür Heyne, Wb., anführt oeder krage 
für einen groben Bauern bei Neidhart. 



90 Kapitel IV. Metonymie. 

335 Flegel als Scheltwort wohl zunächst für den mit dem Flegel han- 
tierenden Bauer gebraucht, während es in der eigentlichen Bedeutung 
als Geräte fast ganz durch die Zusammensetzung Dreschflegel ver- 
drängt ist. Besen ist studentischer Ausdruck für die damit hantierende 
Magd, dann auch sonst für ein Mädchen. Pfeffersdck steht in spöt- 

336 tischer Weise für einen Kaufmann, Pennal, eigentlich „Federkasten", 
studentisch verächtlich für den Gymnasiasten als Pennalträger, auch 
für den angehenden Studenten {Pennal auch für Gymnasium, wonach 
dann Pennäler für den Schüler), Rosskamm verächtlich für den 
Pferdehändler, wobei vielleicht jedoch volksetymologische ümdeu- 
tung mitspielt. 1) 

§ 83. Eine Speise wird nach einem einzelnen ßestand- 

337 teil benannt, wenn z. B. Pfeffer zunächst die mit Pfeffer, dann über- 
haupt mit Gewürz bereitete Sauce, weiterhin aber auch das Gericht 
bezeichnet, zu dem die Sauce gehört, wie in Hasen-, Ganspfeffer, 
oder wenn oberdeutsch Sulz oder Sülze (mitteldeutsch Sülze), das 
zu Salz gehört und zunächst „Salzbrühe", „salzige Sauce" bedeutet, 
danach oberdeutsch für eine zu Gallert eingekochte Fleischbrühe oder 
Fleisch, das mit einer solchen umgeben ist, norddeutsch für eine 
aus Schweinskopf bereitete Wurst {Kopfsülze, Schwartensülze) ge- 
braucht wird. 

§ 84 Ferner bezeichnet jetzt, um zu andern Gegenständen 
überzugehen, ebenfalls ein Teil das zugehörige Ganze, wenn wir unter 

338 einem Gedeck die Gesamtheit des Tischzeuges für eine Tafel, gewöhn- 
licher noch das Tischgerät für den einzelnen verstehen im Sinne von 
Couvert, während es früher naturgemäss nur „Tischdecke" bedeutete; 
sodann ist uns bei Besteck nur noch in wenigen Fällen bewusst, dass 
es eigentlich das Futteral benennt, in das etwas gesteckt wird, dann 



1) Paul, Wb., denkt an rotwelsch Kümmerer „Händler", Heyne, Wb. 
an das volksitalienische cambio „Wechsler", „Tauscher." 



Bezeichnung von Speisen u. s. w. nach einem einzelnen Teil. 91 

erst Futteral und Inhalt, woran uns noch das Besteck des Arztes er- 
innern kann, und dann nur den Inhalt desselben und so schliesslich 
eine zusammengehörige Menge von Gerät. Eine Bildsäule bezeichnet 339 
ursprünglich nur die Säule, auf die ein gehauenes oder gegossenes 
Bild gestellt wurde, dann aber auch dieses selbst dazu, und geradeso 
ist es mit Bildstock, welches noch oberdeutsch für ein geschnitztes 
Kruzifix oder Heiligenbild auf hölzerner Unterlage gebraucht wird, 
häufig in der Verkleinerungsform Bildstöckle (vgl. 51). Wenn der 
Soldat dem KcUbsfell folgte oder zum Kalbsfell schwor^ so meinte er 340 
damit nach alter Bezeichnung die Trommel nach ihrem dröhnenden 
Bestandteil, und wenn er sich zur Fahne scharte und treu zu ihr 
hielt, so war damit eigentlich nur das zum Zeichen für eine Kriegs- 
schar an eine Stange geheftete Tuch gemeint (die Grundbedeutung 
„Tuch" wirkt vielleicht noch in Fahne als verächtliche Bezeichnung 
für ein schlechtes Gewand nach), während erst später auch die Stange 
mit inbegriflfen wurde, wie es uns jetzt geläufig ist.*) Mit nochmaliger 
Verwendung eines Teiles für das Ganze bezeichnet Fähnlein und 341 
früher auch Fahne die dazu gehörige Kriegsschar, wie auch Bande, aus 
franz. bände übernommen, ursprünglich aus einem altgermanischen 
Wort für „Fahne" stammt (verwandt mit binden), während allerdings 
die Bedeutung „Kriegerschar'* sich späterhin zu „Genossenschaft" 
erweitert hat, jetzt fast nur mit üblem Nebensinn. Eine ähnliche 
Entwicklung zeigt übrigens Koppel aus franz. couple (lat. copula), das 342 
am frühesten gebraucht wird für das Seil, an dem die Jagdhunde ge- 
führt werden, wie noch Bürger sagt: laut klifftund klafft es frei vom 
Koppel, dann aber auch, und zwar schon mittelhochdeutsch, für die 
an dem Seil zusammengekoppelten Hunde, später auch für zusammen- 
gekoppelte Pferde. 



*) Im Althochdeutschen erscheint dafür die Zusammensetzung gundfano, 
eigentlich „Kampftuch", wovon franz. gonfalon abstammt. 



92 Kapitel IV. Metonymie. 

§ 85. Eine Entwicklung zum Kollektivbegriff gleicher 
Einzelgegenstände, wie in Berg im Verhältnis zu Gebirge, Wolke zu 

343 Gewölke u. s. w. zeigt sich bei Rute, das zunächst die lebendige, 
gewöhnlicher eine abgeschnittene Gerte bezeichnet, hauptsächlich als 
Züchtigungswerkzeug, am häufigsten jedoch, indem nur an diese Ver- 
wendung gedacht wird, eine Mehrheit von dünnen Zweigen, die zu- 
sammengebunden sind (vgl. 555). Hiermit vergleicht sich Ried 
„Schilfrohr" (dazu Riedgras\ das für die einzelne Pflanze oder einen 
einzelnen abgeschnittenen Stengel gebraucht wird, aber auch kollektiv, 
woraus sich die Bedeutung „mit Ried bewachsene Gegend", dann 
überhaupt „sumpfige Gegend" entwickelt hat als häufig wiederkehrende 
geographische Bezeichnung. Den umgekehrten Weg vom Kollektiv- 

344 begriff zum Einzelwesen schlagen übrigens ein Frauenzimmer und 
Bursche (vgl. 363), ferner Imme „Biene", das mhd. {imhe) und noch 
anhd. „Bienenschwarm" bedeutet. 

§ 86. Schliesslich findet sich ein solches Uebergreifen der Be- 
deutung auch bei Bezeichnungen für Begriffe der Zeit, indem 
auch hier unter einem kleineren Teil ein grösserer Abschnitt mit- 

345 verstanden werden kann. So bedeutet Stunde ursprünglich einen 
Zeitpunkt oder einen kürzeren Zeitraum von unbestimmter Dauer, 
wie noch in Wendungen wie bis auf diese Stunde^ von Stund ab, zu 
allen Stunden durchblickt, und erst spätmittelhochdeutsch erscheint 
es wie jetzt für einen bestimmten Zeitabschnitt. Mittag, zusammen- 
gewachsen aus mitte tag „der mittlere Tag", schliesst in SQddeutsch- 
land auch den Nachmittag ein, z. B. heut Mittag ist kein Unterricht, 
und ebendaselbst isst man zu Nacht oder geht heut Nacht nicht ins 
Wirtshaus mit Ausdehnung des Begriffes Nacht, während man in 
Norddeutschland Abend vorzieht. Andrerseits ist in der AUgemein- 

346 spräche der Dativ des Substantivs Morgen in dem Adverbium morgen 
aus dem speziellen Sinn „am Morgen des folgenden Tages" zu einer 
Bezeichnung des ganzen folgenden Tages geworden, daher auch 



Ißin l'eil für einen andern Teil eines Ganzen. 9ä 

die ja an und für sich widersinnige Verbindung morgen abend. Aus 
dem gleichen Vorgang erklärt sich Sonnabend (mhd. sunnenäbent), 
eigentlich den Abend vor dem Sonntag bezeichnend, dann den ganzen 
Tag, jetzt nur norddeutsch für süddeutsch Samstag („Sabbathstag") 
und entsprechend Weihnachtsahendy heiliger Abend für den ganzen 
Festtag, wie auch Weihnacht für sich allein. Früher bezeichnete 
übrigens Nacht wie Abend bisweilen den Tag vor einem Feste, wie 347 
noch aus Fastnacht hervorgeht, und entsprechend begegnet anhd. 
der erstarrte Dativ nächt(en) im Sinn von „gestern abend", auch 
schlechthin „gestern" (vgl. oben morgen), von Uhland z. B. erneuert: 
nacht ist in unsern Trieb der gleissend Wolf gefallen. Endlich ist 
auch Tag hier zu erwähnen, indem es ursprünglich die helle Zeit 348 
bezeichnet im Gegensatz zur dunkeln wie es wird Tag, es tagt, bild- 
lich es kommt an den Tag, und erst in Angaben über den Ablauf 
von mehreren Tagen zu einer Benennung eines Zeitraumes von 24 
Stunden geworden ist, während die alten Germanen umgekehrt nach 
Nächten zählten (vgl. engl, fortnight und ferner dichterische Um- 
schreibungen für Jahr wie er zählt zwanzig Lenze; 60 Winter sind 
über seinem Scheitel dahingegangen), 

§ 87. Auf ähnlichen Denkvorgängen beruht es, wenn ein Teil 
zwar nicht für das Ganze, wohl aber für einen andern Teil 
des gemeinschaftlichen grösseren Ganzen gesetzt 
wird. Schon auf der Grenze zu dieser Gruppe hin stehen einige der 
eben besprochenen Bezeichnungen für eine Person nach dem Kleidungs- 
stück {Maske u. s. w., vgl. § 81) oder nach ihrem Werkzeug {Flegel 
u. s. w., vgl. § 82), auch die schliessliche Bedeutungsentwicklung von 
Besteck (vgl. 338), aber jedenfalls hierher zu ziehen sind Fälle, wo 
ein Kleidungsstück zur Bezeichnung des dadurch 
bedeckten Körperteils oder umgekehrt ein solcher zu 
der des bedeckenden Gewandstückes übergeht. So bedeutet Sohle 349 
(aus lat. solea) ursprünglich nur „Sohle des Schuhes" oder „Sandale", 



94 Kapitel IV. Metonymie. 

aber erst späterhin „den unteren Teil des menschlichen oder tierischen 
Fusses" (vgl. 228), Schoss ursprünglich nur „Zipfel, unteres Ende 
eines Kleidungsstückes^' (vgl. sich einem an die Rockschösse hängen), 
in der genaueren Vorstellung natürlich mit der Kleidertracht wechselnd, 
und wurde eröt auf die vom ünterleibe und den Oberschenkeln beim 
Sitzen gebildete, von jenem Teil des Gewandes bedeckte Krümmung 
übertragen. *) U m g e k e h r t ist sodann die Bedeutungsentwicklung 

350 bei dem Wort Leih, wenn es zur Bezeichnung eines Kleidungsstückes 
wird, ebenso bei Schnürleih oder Schnürbrust, ferner bei den Ver- 
kleinerungsformen Leibchen, Aermel (eigentlich „A^ermchen"), Däum- 
ling, Fäustling „Fausthandschuh", und landschaftlich FüssUng „Teil 
des Strumpfes, der den Fuss bedeckt"; die Verkleinerungsformen, 
(vgl. zu -ling auch Dichterling , Vierling „Viertel'*) drücken hier 
offenbar das äusserlich Nachahmende, Stellvertretende aus, wobei man 
auch an die Wendung ein Männchen machen denken könnte, was 
ja ausdrückt, dass ein vierfüssiges Tier die Haltung des Men- 
schen nachahmt. Viel weniger sind wir uns bewusst, dass auch bei 

351 Kragen die gleiche Uebertragung stattgefunden hat, indem wir in 
Verbindungen, wo die ursprüngliche Bedeutung „Hals" noch durch- 
blickt, wie es geht ihm an den Kragen, einem den Kragen herum- 
drehen, einen beim Kragen nehmen, den Kragen strecken, Geizkragen 
= Geizhals (vgl. 331) eher geneigt sind, die umgekehrte Uebertragung 
von dem Kleidungsstück auf den davon bedeckten Hals anzunehmen, 
wie wir auch die Zusammensetzung Halskragen gebrauchen, ohne 
daran zu denken, dass die beiden Bestandteile ursprünglich das gleiche 

352 bedeuten. Weiter ist wohl auch noch Schiene hierherzustellen, 
indem die ursprüngliche Bedeutung des Wortes die der Zusammen- 



^) Paul, Wb., lehnt den häufig angenommenen Zusammenhang mit schiessen 
ab, da die Versuche, die Bedeutung des Wortes damit zu vermitteln, auf un- 
sicherer Vermutung beruhen. 



Ein Teil für einen andern Teil eines Ganzen. 95 

Setzung Schienhein gewesen zu sein scheint; frühzeitig bezeichnet es 
aber auch einen Metallstreifen als Teil der Rüstung, wie in Arm- 
schiene, Beinschiene oder als Verband für gebrochene Glieder u. s. w. 
§ 88. In ähnlicher Weise kann auch sonst die Hülle in 
die Bedeutung des ganz oder teilweise umhüllten 
Gegenstandes übergehen. So wird unter Platte, das hauptsächhch 353 
süddeutsch ist als „flache Schüssel, in der Speisen aufgetragen werden", 
auch das aufgetragene Gericht verstanden, ebenso unter SchiJLssel und 
Schale (vgl. 242), wie in der Verbindung kalte Schale, Ganz ver- 
schwunden aber ist uns das Bewusstsein für diesen BedeutungsOber- 
gang bei Mörtel aus mlat. mortarium, welches ursprünglich das Ge- 354 
fäss für den Mörtel bezeichnet und daher mit dem aus dem gleichen 
lateinischen Grundwort umgebildeten Mörser gleicher Herkunft ist; 
ebenso ist es bei Küpe^ einer bei den Färbern gebrauchten Bezeich- 
nung der aufgelösten Farbe, das aber ursprünglich nur den Kessel 
benennt, in dem die Farbe gekocht wird, und das nur eine nieder- 
deutsche Form zu Kufe ist. Umgekehrt lässt sich Uebergang 
vom Inhalt zu dem umhüllenden Gegenstand beobachten bei Finge- 355 
weide, indem es (entsprechend der Grundbedeutung von Weide „das 
Ausgehen der kräuterfressenden Tiere nach Futter") ursprünglich 
„die ins Innere aufgenommene Speise der weidenden Tiere" bezeich- 
net, erst weiterhin die mit dieser Speise angefüllten Verdauungswerk- 
zeuge und dann überhaupt die inneren Organe, wozu sich dann auch 
ausweiden stellt (vgl. Augenweide 296). Etwas Aehnliches liegt vor 
bei Mappe, das aus mlat. mappa (mundi) in der Bedeutung „Land- 35G 
karte" aufgenommen (vgl. engl, map), dann für den steifen Umschlag 
von Landkarten gebraucht wurde, woraus durch Verallgemeinerung 
die heutige Bedeutung entstanden ist; bei Jean Paul findet sich noch 
mappieren im Sinn von „eine Landkarte entwerfen". Schliesslich 
darf hier noch an das landschaftlich gebrauchte Wort Bippenspeer 857 
„Rippenstück" gedacht werden, wobei Speer das Küchengerät meint 



Ö6 Kapitel IV. Metonymie. 

und alsdann auf das an den Küchenspiess Gesteckte übertragen ist, 
wie mhd. spiz „Bratspiess" auch in der Bedeutung „Spiessbraten" 
erscheint. 

§ 89. Bei einer anderen Gruppe von Wörtern tritt insofern ein 
Teil eines gemeinschaftlichen Ganzen an die Stelle eines andern Teils, 
als ein Raum für die Bewohner desselben oder die 
darin beschäftigten Personen gebraucht wird. So sagen 

358 wir: das ganze Haus vmrde aus dem Schlaf geschreckt und meinen 
die Hausbewohner, wir verstehen unter dem Haus Wittelshach die 
fürstliche Familie, unter dem Haus Rothschild die Teilhaber dieser 
Firma, unter dem Haus der Abgeordneten oder Herrenhaus die darin 

359 tagenden Abgeordneten, wie wir das Lehnwort Kammer aus lat. 
camer a^ allerdings in Anlehnung an das franz. chamhre, für die beiden 
Körperschaften der Landesvertretung gebrauchen, während es im 18. 
Jahrhundert häufig das gesamte Personal bezeichnete, das zur näheren 
Umgebung, eigentlich zum Wohnzimmer eines Fürsten gehörte, was 
noch in Kammerherr und Kammerjunker sowie in Kammermusik 
nachwirkt; auch wird Kammer (vgl. 478 und 642) für jede Art von 
Kollegium verwendet, das sich mit öffentlichen Angelegenheiten be- 
schäftigt, wie Strafkammer^ Gewerbe- und Handelskammei\ Während 
wir nun bei Sätzen wie das ganze Land ist in Aufregung ^ die ganze 
Stadt lacht darüber, die Schule macht einen Ausflug uns der Grund- 
bedeutung deutlich bewusst bleiben, ist dies schon weniger der Fall 

360 bei Hofy das als Bezeichnung für den Fürsten mit seiner Umgebung 
(daher auch einem den Hof machen, das ursprünglich wirklich be- 
deutet „die Umgebung des Fürsten bilden", ebenso hofieren und 
höfeln) aus der Grundbedeutung „eingefriedigter Raum" durch die 
spezialisierende Vermittlungsstufe „Grundstück und Gebäudekomplex 

361 des Fürsten" hindurchgegangen ist. Kapelle hat die Bedeutung in 
musikalischem Sinn erst dadurch erhalten, dass es als Bezeichnung 
für die Gesellschaft von Sängern und Musikanten gebraucht wurde, 



Yertauschung von Baum und Bewohnern desselben. 97 

die ein Fürst für den Gottesdienst in der Schlosskapelle, dann aber 
auch tür weltliche Konzerte verwendete. Frauenzimmer ist Ursprung- 362 
lieh „Zimmer, in welchem sich die Hausfrau mit dem weiblichen Teil 
der Hausgenossenschaft aufhält'S so öfters bei Luther (im Sinn des 
mhd. Kemenate „Gemach mit Kamin, Feuerstätte", „Frauengemach") 
und bedeutet erst späterhin „Gesamtheit der darin befindlichen Per- 
sonen", weiterhin „Gesamtheit des weiblichen Geschlechts", wie noch 
Wieland sagt mit dem sämtlichen Frauenzimmer von Abdera; im 
48. Jahrhundert wird es dann auch für eine einzelne Person üblich, 
wie Lessing auch die Verkleinerungsform Frauenzimmerchen ge- 
braucht. £ine ganz entsprechende, allerdings ganz verdunkelte Ent- 
wicklung hat ^Bursche durchgemacht: gleicher Herkunft wie Börse, 363 
aus mlat. hursa „Geldbeutel'% bezeichnet e& ursprQnglich einerseits ein 
Haus, 'das von einer aus gemeinschaftlicher Kasse lebenden Gesell- 
schaft bewohnt wurde (noch jetzt ist Burse bisweilen als altertüm- 
liche Bezeichnung von solchen Häusern erhalten), andrerseits eine 
solche Gesellschaft selbst namentlich von Studenten, Handwerks- 
gesellen oder Soldaten, bis es schliesslich wegen der Kollektivbedeu- 
tung in seiner Form die Bursch{e) im 17. Jahrhundert als Plural 
aufgefasst und mit einem den einzelnen Teilnehmer bezeichnenden 
männlichen Singular der Bursch(e) ausgestattet wurde (vgl. 344). 

§90. In weiterem Sinne der üebertragung von Bezeich- 
nungen für etwas Räumliches auf die dabei befindlichen Personen 
kann hier noch gedacht werden an Tafelrunde aus franz. table ronde^ 364 
also eigentlich „runde Tafel", ursprünglich die Tafel des sagenhaften 
Königs Artus, die deshalb rund ist, damit an ihr keiner der Artus- 
ritter eiuBn Torzug hat, danach auch sonst eine runde oder anders- 
förmige Tafel und endlich die Gesellschaft, die sich daran zusammen- 
findet; ferner sei erinnert an Liedertafel als Name von Gesang- 
vereinen, von Zelter In Berlin 1808 für einen von ihm gegründeten 
„gesanglichen Tischverein" mit Erinnerung an die Tafelrunde des. 

Waag, Bedeatangsentwicklang. • 



98 Kapitel lY. Metonymie. 

365 Königs Artus erfunden, i) und weiterhin ist zu denken an den Stab 
eines Generals, eines Corps als Umgebung eines Kommandierenden, 
eigentlich seines Kommandostabs, wie es auch heisst er ist beim Stab, 
heim Generalstdb (vgl. 385). Vielleicht darf noch angereiht werden 

366 Tross und Pack, ursprünglich „Gepäck", vorzugsweise eines Heeres, 
dann auch von dem dazu gehörigen Personal gebraucht, weiterhin 
Tross uneigentlich von einer Schar Menschen, die mit einem kommt 
oder sich an einen anheftet. Pack verächtlich von einem Menschen- 
haufen oder einer Menschenklasse. 

§ 91. Umgekehrt werden in andern Fällen Persönlich- 
keiten zur Bezeichnung des Raums, in dem sie ihr 

367 Wesen haben. Ausgehend von Amt^ das auch für einen Verwaltungs- 
beamten oder ein Kollegium von Beamten steht, wird das Amt, Stetier- 
amt, Zollamt auch zu einer Benennung für das betreffende Gebäude, 
(vgl. 419), und ähnlich sagen wir das Ministerium ist ein altes Ge* 
häude, die Universität (universitas „Körperschaft") ist ein Neubau. Wäh- 
rend wir aber hier uns der Grundbedeutung noch bewusst sind, haben 

368 wir keine Empfindung mehr dafür, dass Chor (aus griech.-lat. chorus 
„Reigentanz mit Gesang") ursprünglich nur die in der Kirche singenden 
Geistlichen bezeichnet und danach erst den Ort, den die Sänger in 
der Kirche einnehmen (vgl. 137); auch ist uns entschwunden, dass 

369 Welt, ahd. weralt, mhd. werlt (vgl. engl, world) ursprünglich soviel 
wie „Menschenalter", „Generation", „Menschenmenge" bedeutet, so 
dass unter den jetzigen Bedeutungen die von „Gesamtheit der Men- 
schen, unter denen man lebt" oder „Gesamtheit überhaupt" älter ist 
als die von „Wohnplatz der Menschen", „Erdoberfläche", obwohl wir 
nach dem heutigen Sprachgefühl von dieser auszugehen geneigt sind 
(vgl. 438). 

§ 92. Eine weitere Gruppe von metonymischen Uebertra- 
gungen wird dadurch gebildet, dass wir Gemütsbewegungen 

1) Vgl. Heyne, Wb., unter „Lied". 



Vertauschung von Gemütsbewegungen und Reflexen. 99 

nach den sie begleitenden Reflexen bezeichnen. So heisst es 
7^ B.: er fahrt auf „bricht in Zorn aus% ist aufgebracht^ empört 370 
■(eigentlich „in die Höhe gehoben") ; süddeutsch, besonders schwä- 
bisch er bekommt die Gichter „erschrickt heftig" (eigentlich „gerät 
in krampfhafte Zuckungen") ; es wird ihm grün und blau vor de}i 
Augen; er ärgert sich grün und gelb „ärgert sich furchtbar'' (eigent- 
iich „so, dass sich die Gesichtsfarbe vor Aerger verändert"); die 
Galle läuft ihm über. Während uns bei diesen Wendungen der ur- 
sprüngliche Sinn im allgemeinen klar ist, liegt uns bei andern der 
Oedanke an den zu Grund liegenden körperlichen Reflex schon ferner. 
So sind wir bei Ekel, ekelhaft und ekeln und gar bei dem wohl damit 371 
identischen heikel uns nicht immer deutlich bewusst, dass „Reiz zum 
Erbrechen" die Grundbedeutung und „Widerwille" erst abgeleitet ist; 
bei schaudern, das mit schütteln verwandt ist, zunächst von der Frost- 
empfindung (vgl. Schüttelfrost), gewöhnlich von der des Schreckens 
gebraucht wird, denken wir noch an den Grundbegriff, ebenso bei 
Schauder, während dies bei den Nebenformen schauern und dem 
häufigeren Schauer in der Bedeutungsdifferenzierung „ehrfurchtsvolle 
Scheu" schon weniger der Fall ist; sich sträuben heisst eigentlich 372 
„sich starr emporrichten" (früher nicht nur reflexiv, sondern allgemein 
transitiv, wie noch in das ist haarsträubend „macht die Haare zu 
Berge stehen"); stutzen, stutzig werden im Sinne von „plötzlich be- 
denklich werden" ist ursprünglich „plötzlich slill stehen (als ob man 
an etwas gestossen wäre)" und gehört zu stossen; sich scheuen war 373 
zunächst transitiv und hatte den Sinn von „zurückscheuen, scheu 
zurückfahren vor etwas," wie noch durchsichtig ist in gebranntes Kind 
scheut das Feuer, wurde hierauf intransitiv in Bezug auf Tiere ge- 
braucht wie das Pferd scheut, dann häufig mit vor verbunden, wie 
Goethe sagt: fatale Kapitel meines Romans, vor denen ich schon so 
lange scheue, und wurde erst statt dessen als Reflexiv üblich; scheel. 374 

erscheint jetzt in der Schriftsprache als „missgünstig", während es 

7* 



• • *-• • • " • 



100 Kapitel IV. Metonymie. 

zunächst nur „schielend" bedeutet und erst späterhin auf den Blick 
des Missgünstigen beschränkt wurde. Daran reihen sich schliesslich 
Ausdrücke, bei denen im Lauf der Zeit der ursprüngliche Sinn des 
körperlichen Reflexes so sehr verdunkelt ist, dass sie als ausschliess- 
liche Bezeichnungen der betreffenden Gemütsbewegung empfunden 

375 werden. So überrascht es uns zu hören, dass staunen^ das für uns 
jetzt die Empfindung der Verwunderung oder Bewunderung ausdrückt, 
noch im 18. Jahrhundert, wo es sich von der Schweiz her allmählich 
in die Schriftsprache einbürgerte, die Bedeutung „starr vor sich hin- 
sehen" hat und erst hiervon ausgehend auf das starre Blicken als 

376 Ausdruck jener Empfindungen beschränkt wurde; bei Angst und hange 
(aus he-ange) bleibt der Zusammenhang mit dem Grundwort enge 
und die Beziehung auf das Getühl der Beengung verborgen, und in 
der häufigen Verbindung der beiden Wörter wird die Wiederholung 
des gleichen Wortstammes nicht mehr empfunden; wenn einer sagt: 

377 das entsetzt mich, ich bin entsetzt, das ist entsetzlich und sitzt dabei 
etwa auf einem Stuhle, so bedenkt er nicht, dass er eigentlich von 
seinem Sitze auffahren müsste, um nicht mit seinen Worten in Wider- 
spruch zu kommen, weshalb auch eigentlich keine so grosse Unwahr- 

378 scheinlichkeit liegt in den Worten: ich hin vor Entsetzen fast vom 
Stuhle gefallen; erschrecken ist eigentlich nichts als „aufspringen", 
indem schrecken die Grundbedeutung „springen" hat, wie noch aus 
der Ableitung Heuschrecke (auch Grashopfer genannt) ersichtlich ist, 
und bezeichnet also das plötzliche Auffahren oder Erschüttertwerden, 
das dann auf die veranlassende Gemütsbewegung übertragen wurde, 
wobei in zurückschrecken und zusammenschrecken die sinnliche Be- 

379 deutung noch einigermassen hervortritt; unter einem Griesgram, einem 
griesgrämigen Menschen denken wir uns jetzt nur einen Menschen von 
mürrischer Stimmung, während mhd. griesgramen (vgl. 404) eigentlich 
„mit den Zähnen knirschen" bedeutet, welch letztere Wendung wir 
gegenwärtig ja auch als Ausdruck einer Gemütsbewegung gebrauchen; 



. . - •• 



Symbolische Handlungen für Vorgänge. 101 

und endlich bedeutet Scherz ursprünglich „muntere, hupfende Be- 380 
wegung" und hat in dem jetzt gewöhnlichen Sinne erst im 18. Jahr- 
hundert das früher dafür übliche Schimpf (vgl. 521) vollständig ver- 
drängt, so dass es möglich erscheint, dass Schiller bei der zu seiner 
Zeit üblichen Personifizierung jenes Begriffes in der Stelle ein lieblich 
Kindy von Grazien und Scherzen umhvpft noch eine Empfindung für 
die sinnliche Grundbedeutung gehabt hat. 

§ 93. Bei einer andern Gruppe von Ausdrücken deuten wir 
Vorgänge, die von .einer symbolischen Handlung be- 
gleitet sind, oft bloss durch die letztere an. - So heisst es: einem ein 381 
Schnippchen schlagen (zu schnippen ,,das Schnellen eines Fingers 
vermittelst des Daumens") als Symbol dafür, dass man sich nicht 
durch ihn bestimmen oder behindern lässt. Ein Mädchen zum Altar 
führen, als Braut heimfuhren sagt soviel als „heiraten", und die 
letztere Wendung wird auch dann gebraucht, wenn der Bräutigam 
keineswegs daran denkt, die Braut nach der Hochzeit in feierlichem 
Zuge in sein Heim zu führen (vgl. Brautlavf eigentlich „Brautzug", 
noch von Schiller im Teil gebraucht). So giebt es manche symbo- 
lische Ausdrucksweisen, die jetzt noch für die betreffenden Handlungen 
zu Recht bestehen, obwohl die Symbole selbst ausser Gebrauch ge- 
kommen sind. So sagt man bei dem eben besprochenen Vorgang einem 
die Hand seiner Tochter gehen, obwohl das früher angewendete Symbol 382 
des Ineinanderfügens der Hände nicht mehr üblich ist, und der Oester- 
reicher sagt vielfach küss die Hand als Zeichen respektvoller Dank- 
barkeit, ohne es wirklich zu Ihun (vgl. mit Kusshand „sehr gern"); 
auch [legt man die Hand auf etwas „ergreift Besitz", ohne die ur- 
sprtinghch symbolische Handlung auszuführen, und giebt dem Dienst- 
boten bei der Anwerbung das Handgeld, ohne daran zu denken, dass es 
zu rechtsbindender Kraft auf die gelobende Hand gezahlt wurde 
(vgl. 249, 391). Unter die Haube bringen für „verheiraten" begreift 383 
sich daraus, dass die Haube (in älterer Zeit öfters auch männliche 



102 Kapitel IV. Metonymie. 

Kopfbedeckung wie noch in Pickelhaube, Sturmhaube, in neuerer Zeit 
gewöhnlich weibliche Kopfbedeckung, vgl. 334), vielfach der ver- 
heirateten Frau vorbehalten und am Hochzeitsabend feierlich auf- 

384 gesetzt wurde. Man besiegelt einen Bund, weil früher, um eine 
Urkunde rechtskräftig zu machen, das Siegel erforderlich war. Man 

385 bricht den Stab über einen, weil der Richter seinen Stab, der früher 
vielfach eine symbolische Rolle spielte, zum Zeichen, dass das Todes- 
urteil zu vollstrecken sei, wirklich zerbrach, ein Brauch, der in 

386 neuester Zeit wieder aufgenommen wird (vgl. 365). Ein Fürst wird 
auf den Thron erhoben, auf den Thron gesetzt oder vom Throne ge- 
stossen, indem in früheren Zeiten diese Handlungen thatsächlich vor- 
genommen wurden, wobei an die Schilderhebungen erinnert sei, 
während jetzt Thron allgemein zum farblosen Symbol für „Herrschaft*^ 
geworden ist, wie in Thronfolge, Thronfolger, Thronwechsel. In der 

387 Bibel finden wir häufig Stuhl als Symbol im gleichen Sinne, wie auch 
Schiller vom Stuhl der Ottonen spricht und noch jetzt allgemein vom 
päpstlichen, bischöflichen Stuhl und a^uch vom Richterstühl, von einem 
Lehrstuhl als „Professur an einer Hochschule" die Rede ist, so dass 
es auch heisst einen neuen Lehrstuhl gründen (vgl. 471). Auch sagt 

388 man heute noch sich die Sporen verdienen „sich zum erstenmal 
hervorthun", obwohl der Ritterstand längst untergegangen ist und 
mit ihm das Verständnis für das Symbol seiner Würde, als welches 
die Sporen von demjenigen, der den Ritterschlag vollzog, dem neu 

389 Aufgenommenen angeschnallt wurden. Und heute noch wirft der 
eine dem andern den Handschuh hin und hebt ihn der andere auf, 
wenn Kampf oder Streit angetragen und angenommen werden, ob- 
gleich uns nur die Geschichte von diesem Symbol für die Einleitung 
der Fehde erzählen kann. 

§ 94. Bei einer kleinen Gruppe von Wörtern besteht sodann 
die Uebertragung auf das damit Zusammenhängende darin, dass 
Gegenstände, durch die etwas hervorgebracht 



Vertauschung von Hervorbringendem u. Hervorgebrachtem. 103 

wird, stellvertretend für das Hervorgebrachte gesetzt 
werden. So wird bei vielen Völkern die Zunge, bei der man vor 390 
allem an ihre Funktion beim Sprechen denkt, und so auch bei uns 
von alter Zeit her zur Bezeichnung für „Sprache", so dass schon der 
Mönch Otfried, der Verfasser des ältesten deutschen endreimenden 
Epos, von seiner „fränkischen Zunge" (frenkisga zunga) redet, die 
an Geschmeidigkeit und Ausdrucksfähigkeit hinter der römischen 
nicht zurückbleiben solle, wie er in einem ütterarischen Einleitungs« 
gedieht voll Vaterlandsliebe verkündet (vgl. 196). Man sagt von 
jemand: er schreibt eine schöne Hand, das ist seine Hand nicht und 391 
meint damit „die Art, wie er schreibt", „seine Handschrift" (vgl. 249, 
382), und in derber Rede heisst es dafür dann auch, wie Oberhaupt 
für die menschliche Hand: was ist das für eine Pfote? Unter dem 392 
Worte Stempel (eigentlich nd.— md. Form statt des oberdeutschen 
Stempfei zu stampfen) verstehen wir jetzt nicht nur ein Werkzeug, 
das dazu dient, ein Zeichen einzuprägen, sondern auch dies ein* 
geprägte Zeichen selbst, wie wir bei Presse nicht nur an eine Press- 393 
maschine, im besondern an eine Druckpresse, sondern auch, aller- 
dings unter Einfluss. des Französischen, an das Zeitungswesen denken, 
sei es die Gesamtheit der Zeitungen oder auch eine einzelne, wie 
z. B. in Badische Presse als Titel eines Zeitungsblattes (vgl. 62). 
Auch das Umgekehrte kann übrigens vorkommen, dass also das 
Hervorgebrachte stellvertretend für den hervorbringenden Gegenstand 
gesetzt wird, wie Zirkel aus lat. circultis ursprüngUch nur „Kreis- 394 
linie" bedeutet, dann aber auch „Instrument zum Ziehen von 
Kreislinien." ^) 

§ 95. Eine andere Art der Uebertragung auf etwas Zusammen- 
gehöriges findet statt, indem eine Eigenschaft zur Bezeich- 
nung dessen übergeht, dem die Eigenschaft an- 



*) Nach Heyne, Wb., liegt jedoch hier lat. eireinua zu Grunde, das in der 
deutschen Umformung dem andern Worte angeschlossen sei. 



404 Kapitel IV. Metonymie. 

haftet, sei dies nun eine Benennung für einzelne Personen und 

395 Dinge oder für Kollektivbegriffe. So sind Jugend und Alter^ ebenso 
Menge und Macht ursprünglich Eigenschaflsbezeichnungen und werden 
erst später Kollektivbenennungen (Macht auch für „Truppenmassen'*). 

396 Vor allem geboren hierher viele Zusammensetzungen mit -schaft (ur- 
sprünglich als selbständiges Wort „Beschaffenheit'') und -heit oder 
'keit (ursprünglich „Eigenschaft", „Zustand"), wie Bürgerschaft, Ritter^ 
Schaft, Knappschaft, Kundschaft, Christenheit, Menschheit mit Kollektiv- 
bedeutung, seltener für Einzelwesen wie die Gottheit, eine Schönheit, 
als Titulatur Hoheit, früher als ehrende Umschreibung für die Person 
(vgl. 480) auch Herrlichkeit, in gleicher Entwicklung wie die Fremd- 

397 Wörter Majestät und Excellenz. Auf gleicher Stufe damit stehen die 
Anreden Euer Gnaden (nach dem lat. vestra dementia) und Eu^er 
Liehden (das sich in der Form zu dem früher dafür gebrauchten Liebe 
verhält wie Gemeinde zu Gemeine), beide wie andere Eigenschafts- 
oder Zustandsbezeichnungen seit alter Zeit gerne im Plural gebraucht 
(vgl. mit Freuden, in Treuen, mit Schmerzen). Dabei sei auch auf 

398 das altertümliche Hausehre hingewiesen, das schon spätmittelhoch- 
deutsch als Bezeichnung der Frau erscheint, wozu Agricolas Sprich- 
wort zu vergleichen ist : Hausehre ligt am weih und nit am man. 
Andrerseits bezeichnen Eigenschaften späterhin auch Dinge, denen 

399 sie anhaften; so ist Hang einerseits „Geneigtheit", „Abschüssigkeit" 
(noch bei Kant in dieser Bedeutung), andrerseits „abschüssige Stelle" 
im Sinne von dem häufigeren Abhang ; Farbe ist zunächst nur Eigen- 

400 schaftsbezeichnurg, erst abgeleitet „Stoff zum Färben"; Licht, eine 
alte Substantivierung des Adjektivs, steht ursprünglich nur für „Glanz", 
„Helligkeit", jünger erst für einen leuchtenden Gegenstand, in der 
neueren Sprache insbesondere für „Kerze", daher meint bei Licht 

401 arbeiten „bei (künstlichem) Kerzen- oder Lampenlicht"; Kunst, zu 
können gehörig (vgl. 548), ist zunächst „Wissen", „Wissenschaft", end- 
lich auch „künstliche Vorrichtung**, besonders im Bergbau für eine zum 



Bezeichnung von Personen u. Gegenständen nach Eigenschaften u. s. w. 105 

Heben verwendete Maschine, wonach dann Wasserkunst in allgemeinen 
Oebrauch kam und in diesem Sinne zuweilen auch einfaches Kunsty 
was übrigens im Südwestdeutschen auch einen „grossen Ofen, der 
von der Küche in das Zimmer reicht*' bezeichnet. Schliesslich ge- 
hören auch zwei Wörter hierher, deren ursprüngliche Bedeutung uns 
ganz entschwunden ist und die unserem Sprachgefühl jetzt nur als 
Dingbezeichnungen erscheinen, nämlich Sänfte für „Tragstuhl", früher 402 
nichts als „Sanftheit", „Bequemlichkeit", und Weiche, gewöhnlich im 
Plural, „der weiche Teil des Rumpfes zwischen Brustkasten und 
Hüften" (früher als Lanke bezeichnet, vgl. Gelenk 246), ursprünglich 
nichts als „Weichheit" wie noch Arndt von der Schönheit und Weiche 
der Jugend spricht; beide Substantive sind gebildet von sanft und 
weich wie Grute von gut.^^ 

§ 96. In ähnlicher Weise gehen Thätigkeits- und Zu- 
standsbezeichnungen, d. h. die von Verben abgeleiteten so- 
genannten nomina actionis, zu Bezeichnungen für dabei be- 
teiligte Personen und Gegenstände über, wobei es sehr 
interessant ist, die verschiedenen Wege zu verfolgen, die derartige 
Wörter im zufälligen, absichtslosen Spiel der Bedeutungsentwicklung 
einschlagen können. 

Erstens kann Handlung oder Zustand zum Subjekt werden, 
dem sie zukommen : Rat „Beratung'* bedeutet so auch „beratende 403 
Versammlung", „Behörde", wie der grosse Rat der Hochschule, oder 
„einzelnes Mitglied einer solchen Behörde" (vgl. über die Grundbe- 
deutung 432); Person (aus lat. persona) ist ursprünglich „Maske des 
Schauspielers", dann zunächst „Rolle desselben", in dieser Bedeutung 
früher auch noch im Deutschen, und hierauf erst „Figur", „äussere 
Erscheinung", schliesslich „Individuum" ; Griesgram ist früher Zu- 404 



*) Als Parallele zu Weiche sei an mhd. herte^ ahd. hartin, harti „Schulter- 
blatt" erinnert, das offenbar mit mhd. herte, ahd. harti „Härte" identisch ist. 



106 Kapitel IV. Metonymie. 

Standsbezeichnung für „mürrische Stimmung^^ und wird erst im 18. 
Jahrhundert auf die in dem Zustand befindliche Person übertragen 
im Sinne von „mürrischer Mensch** (vgl. 379) ; Gespenst (aus mhd. 
Spanen „verlocken", wozu abspenstig machen gehört) ist ursprünglich 
„Verlockung", dann „verlockende, trügerische Erscheinung", jetzt 

405 gewöhnlich „Geistererscheinung" ; Regierung bezeichnet „die Organe,. 
Vertreter der Staatsgewalt"; Zunft zu ziemen, eigentlich „was sieb 
ziemt", daher „Regel, nach der eine Genossenschaft lebt", wird zur 
Bezeichnung der Genossenschaft selbst; ganz entsprechend bedeutet 

406 Orden „Ordnung", „Reihenfolge", danach „Regel einer Genossenschaft" 
und diese selbst, sowie deren äusseres Abzeichen. Eine lange Reihe 
von Entwicklungen weist Zeche auf: ursprünglich ist es „Reihenfolge", 
weiterhin „Gesellschaft von Personen (die etwas in bestimmter Reihen- 
folge verrichten)", so früher „Gewerkschaft von Bergleuten", danach 
noch jetzt das von einer solchen bearbeitete Feld, dann auch „Gesell- 
schaft, die zu gemeinsamem Essen und Trinken zusammenkommt", da-> 
nach überhaupt „Schmauserei", „Trinkgelage" und „Anteil, der auf den 
einzelnen fiel", endlich „Betrag, den man für das Verzehrte zu zahlen 
hat", was jetzt die gewöhnlichste Bedeutung ist. Wie in den ge- 
nannten Beispielen Bezeichnungen für Personen, entstehen solche für 
leblose Gegenstände, welche das Subjekt zu der betreffenden Hand- 

407 lung darstellen. So ist Verzierung „dasjenige, was verziert"; Fluss^ 
zunächst „Vorgang des Fliessens", wird frühzeitig Benennung für ver- 
schiedene Krankheitserscheinungen, aber erst im Neuhochdeutschen 
Bezeichnung für „fliessendes Gewässer", wofür im Mittelhochdeutschen 
gewöhnlich wazzer steht, während z. B. des [Bines fluz „nur da» 

408 Fliessen des Rheines" bedeutet; Leih, verwandt mit bleiben und leben^ 
ist in der älteren Sprache auch noch „Leben", durchblickend in Lciö- 
rentCj Leibgeding (auf Lebenszeit) und in der Wendung bei Leibe 
nichts eigentlich „bei Strafe des Lebens" (vgl. 350). 

§ 97. Zweitens geht eine Handlung auf das sogenannte 



Bezeichnung von Personen u. Gegenständen nach Thätigkeiten u. s. w. 107 

innere Objekt über, wodurch dann eine Bezeichnung des Re- 
sultates entsteht. Hier ist zu nennen z. B. Anlage, eigentlich „das 409 
Anlegen", „die Anlegung", als Resultatsbezeichnung in Parkanlagen, 
welche^ Sinn auch Anlagen für sich haben kann; Auflage in zweite, 
dritte Auflage eines Buches, im ursprünglichen Sinn das Buch erlebt 
eine neue Auflage, im abgeleiteten ich kaufe mir die neue Auflage ; 
auch das einfache Lage als „Zusammengelegtes", „Schicht" in eine 
Lage Papier, Staub, Thon, Schiefer-, Arbeit auch im Sinn des Pro- 410 
duktes einer solchen: sie schenkt ihm eine hübsche Handarbeit, Häckel-, 
Näharbeit (vgl. 663); Zucht in die Zucht dieses Jahres (von Zucht- 
tieren) öder in freierer Weise in Schillers Teil der glatten Pferde 
wohlgenährte Zucht', ferner z. B. Druck, Stich, Abhandlung, Versamm- 
lung, Bildung. 

§98. Drittens kann die Handlung auf das äussere Ob- 
jekt übergehen^ welches irgendwie von der betreffenden Thätigkeit 
berührt wird. So ist Sendung eigentlich „das Senden", dann auch 411 
„das, was man sendet", Hub zu heben gehörig, eigentlich „das Heben", 
dann auch „das Gehobene", mehrfach in der Gewerbesprache ge- 
braucht, allgemeiner üblich in Abhub; Trunk ist einerseits noch Vor- 
gangsbezeichnung und zwar einen Trunk thun auf einmaliges, dem 
Trunk ergeben sein auf wiederholtes, gewohnheitsmässiges Trinken 
bezogen, andrerseits in ein Trunk Wasser, Wein (älter Wassers, 
Weines^ „das, was getrunken wird**, daneben steht Trank, aber nur 
in der letzteren Bedeutung, meist auf „Arznei" (Tränklein) einge- 
schränkt ; Schluck ist Bezeichnung für den Torgang des Schluckens in 412 
einen tüchtigen Schluck thun, sonst für das Quantum, das mit einem- 
male verschluckt wird, endlich für „Getränk", speziell norddeutsch 
für „Schnaps"; Schnaps selber, ursprünglich wie der Schnapp „das 
i Schnappen" (im gleichen Verhältnis Klaps zu Klapp), bezeichnet zuerst 

j auch nur einen Schluck (Branntwein) und ist ebenfalls erst weiterhin 

^1 Stoflfbezeichnung geworden; Sprache ist ursprünglich „Thätigkeit des 413 

i 



1^ 

j 



108 Kapitel IV. Metonymie. 

Sprechens'^, am gewöhnlichsten jetzt mit einer näheren Bestimmung 
„die Gesamtheit der innerhalb eines bestimmten Gebietes zur Ver- 
fügung stehenden Ausdrucksmitter^ wie die deutsche, philosophische 
414 Sprache, Schriftsprache ; auch Ding endlich, das jetzt vorherrschend 
als „substantielle Sache** verstanden wird, ist, entsprechend dem ver- 
wandten, dtngfßn mit der Grundbedeutung „gerichtlich verhandeln" 
ursprünglich eine Thätigkeitsbezeichnung mit der Bedeutung 9,Gt 
richtsverhandlung*', dann überhaupt „Verhandlung", weiter „Angt 
legenheit", „Sache", eine Bedeutungsentwicklung, die ebenso L 

445 Sache selbst (ursprünglich nur „gerichtlicher Streit", endlich „gre 
bares Ding" vgl. 451) und lat.-roman. causa (franz. chose) zu 1 
obachten ist. 

§99. Viertens wird die Vorgangsbezeichnung öfters ^ 
Benennung des Ortes, wo etwas geschieht (äussc 

446 Objekt in weiterem Sinne). So ist Gang, ursprünglich „das Gehe 
schliesslich auch „der Raum, durch den man gehen kann", Gamj 
einem Hause, ebenso in Ausgang, Eingang „Pforte", „Thüre", fei 
in Kreuzgang (früher „Gang mit dem Kreuze", „Prozession", sod 
„Halle, die sich an eine Kloster- oder Stiftskirche anschliesst, e^ 
Hof umgebend", offenbar so genannt, weil darin bei schlech 

447 Wetter die Prozessionen stattfanden); ähnlich ist Weg, zu hewe 
zunächst „Vorgang des Sich-Bewegens", dann die Strecke, d* 
welche, endlich der Flächenstreifen, auf welchem man sich bev 
Tritt „Aufsetzen des Fusses beim Gehen", ist dann auch „Vor 
tung zum Treten", z. B. an Kutschen, an einem Fenster, am Si 

448 rad; Handlung bedeutet auch „kaufmännisches Geschäft", namei 
in Zusammensetzungen wie Blumenhandlung', Gemach, wie uns 
nicht mehr bewusst, ursprünglich „Bequemlichkeit", wie no< 
Ungemach, Gemächlichkeit, ist dann auf den Raum bezogen, in 
man Bequemlichkeit findet, und so allmählich zur heutigen Bede. 



429 



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nun ist" abge- 



liO Kapitel lY. Metonymie. 

„Bekundung'', „Bezeugung*', als Thätigkeitsbezeicbnung am längsten 
erbalten in der Formel dessen zu Urkunde, gewöbnlicb „recbtskräftige, 
schriftliche Aufzeichnung, wodurch etwas bekundet wird.'' 

§ 101. Selbstverständlich ist es nicht ausgeschlossen, dass eine 
Thätigkeitsbezeicbnung in dieser zufälligen, unabsichtlichen Entwick- 
lung mehrere der fünfsoeben besprochenen Bedeu- 
tungsrichtungen einschlägt, wie diese ja auch im einzelnen 

424 ineinander Oberfliessen; so gehört die Hut (von dem Masculinum der 
Hut, vielleicht anderer Herkunft^ ist abzusehen) als „wachthabende 
Mannschaft", wie noch in Vorhut, Nachhut, hiervon ausgehend auch 
die Wendung auf der (^seiner) Hut sein zur ersten Gruppe, als 
„Vieh, das zusammen gehütet wird", eine Hut Schafe, Ochsen, zur 
dritten, als „Platz, wo gehütet wird", „Weide" zur vierten; 

425 ebenso Trift, zu treiben, als nordd. „Strömung", zur ersten Gruppe, 
als „Herde", die Binder und Schafe, Helios' Trift (Voss) zur dritten, 
als „Weideland", in poetischer Sprache „Flur", jetzt die einzige noch 

426 allgemein bekannte Verwendung, zur vierten; Werk, ursprünglich 
„Thätigkeit" zu wirken, als „Resultat einer Thätigkeit'* wie Werk 
eines Schriftstellers, ferner abgeblasst in Flechtwerk, Schuhwerk, zur 
zweiten Gruppe, als „Anstalt zur Verrichtung von Thätigkeiten", 
wie in Bergwerk, Hammerwerk, Räderwerk zur fünften, als „Mate- 
rial zur Verarbeitung", wie in dem völlig identischen Werg (am 
Rocken, an der Kunkel) zur dritten. Gegenüber dieser dreifachen 
Entwicklung lässt sich bei einigen andern Wörtern wenigstens zweifache 

427 beobachten. So stellt sich Wcuihe als „Gesamtheit der Wache haltenden 
Personen" oder „ein einzelner, der Wache hält", z. B. Schildwache 
(vgl. 651) zur ersten Gruppe, als „das der Wache dienende Ge- 

428 bände", z. B. Hauptwache, zur vierten; ebenso Wesen als „ein 
Seiendes", „eine Substanz", „Einzelding'*, allgemein üblich nur von 
etwas Lebendigem, zur ersten Gruppe, als „Ort, wo jemand sich 
aufhält und sein Geschäft treibt", „Grundstock" (so noch Luther), 



Bezeichnung von Vorgängen nach Dingen. ^H 

dazu die Zusammensetzungen Heimwesen, Anwesen^ zur vierten; 
endlich Gesicht, ursprünglich „Vorgang des Sehens", als „Gesichts- 429 
Organe" (vgl. 329) zur fünften Gruppe, als „was gesehen wird", 
„Erscheinung", speziell auf nicht wirkliche {Traumgesichte), m^- 
hesondere dann auf übernatürliche Erscheinungen bezogen^ zur 
dritten Gruppe. 

§ 102. Auch der umgekehrte Vorgang lässt sich beobachten, 
dass also eine Dingbezeichnung sich zu einer Vorgangs- 
bezeichnung entwickelt, aber er ist viel seltener, wenigstens in 
dem deutschen Woi-tschatz. So zieht Paul in den „Prinzipien der 
Sprachgeschichte" (3. Aufl. S. 91) nur zwei Wörter hierher, nämlich Wette 
und Wucher. Wette hat die Grundbedeutung „Pfand", wurde dann 430 
speziell fttr den Einsatz bei einer Wette gebraucht und ist endlich 
zur Bezeichnung für die Handlung des Wettens geworden, auch dann, 
wenn kein wirklicher Einsatz gemacht wird; die ursprüngliche Be- 
deutung blickt noch durch in etwas weit machen, entsprechend dem 
mhd. des tuon ich wette, „dafür leiste ich ein Pfand, etwas Gleich- 
wertiges." Wucher andrerseits bedeutete ursprünglich nur „Ertrag" 431 
(auch vom Ertrag des Ackers gebraucht), spezieller dann „Ertrag 
eines Kapitals", „Zinsen", besonders ungebührlich hohe, von wo aus 
es zu einer Thätigkeitsbezeichnung umgebildet wurde, so dass es jetzt 
heissenkann: Wucher treiben (vgl. 95). Allerdings macht Paul darauf 
aufmerksam, dass diese beiden Substantive, auch wenn sie nicht von 
alters her bestanden hätten, leicht zu den betreffenden Verben mit 
dem Sinne von Vorgangsbezeichnungen hätten gebildet werden können, 
so dass hierdurch möglicherweise jener Bedeutungsübergang beför- 
dert worden ist. Ferner liesse sich noch denken an Rat, das aus der 432 
Grundbedeutung „Summe der Vorratsmittel" (so noch in Vorrat, 
Hausrat) übergeht zu „Beschaffung von solchen Mitteln", daher 
„Fürsorge", „Ausweg*', „Abhilfe", wovon erst die jetzige Bedeutung 
„Vorschlag, Empfehlung, wie zu helfen, was zu thun ist" abge- 



112 Kapitel IV. Metonymie. 

leitet ist (vgl. 403). Endlich darf vielleicht noch genannt werden: 
433 Zapfj seltene Nebenform von Zapfen, das oberd. auch „Ausschank" 
bedeutet: der Zapf einer Restauration ist zu verpachten (vgl. 199); 
Spritze, in der Studentensprache Bezeichnung für ein Fuhrwerk, das 
zu einem Ausflug gemietet ist, dann auch für den Ausflug selbst: 
eine Spritze, Pfingstspritze machen, in dem letzteren Sinne auch 
weiter verbreitet neben Spritzfahrt, 



Kapitel V. 

Andere Arten des Bedeutungswandels. 



§ 103. In unsrer bisherigen Darstellung haben wir zunächst 
unter Verengung und Erweiterung (Kapitel I und II) die beiden Grund- 
formen des Bedeutungswandels besprochen, bei denen ein Wort in 
seiner Begriffssphäre bleibt, nur dass diese enger oder weiter wird, 
und daran haben wir die Metapher und die Metonymie (Kapitel III 
und IV) gereiht, bei denen ein Wort aus seinem Vorstellungskreis 
heraustritt, indem der Uebergang bei jener durch die Aehnlichkeit, 
bei dieser durch den wirklichen Zusammenhang mit einem andern 
Begriff vermittelt wird. Nunmehr haben wir einige Bedeutungs Ver- 
schiebungen zu betrachten, die sich nicht unter die vier Hauptklassen 
unterordnen lassen. Die hier zu besprechenden Ausdrucksformen 
haben schon in der Bhetorik der Alten meistens technische Bezeich- 
nungen gefunden ; aber sie sind, wie Metapher und Metonymie, eben- 
falls hier zu erwähnen, weil sie durch häufige traditionelle Anwen- 
dung so üblich werden können, dass sie in ihrer ursprünglichen Auf- 
fassung ganz verblassen und sich zu einfachen, normalen Bezeich- 
nungen entwickeln. Da ist nun zunächst von der Hyperbel zu reden. 

§ 104. Dass sich die dichterische und rednerische Ausdrucks- 
weise vielfach in Uebertreibungen bewegt, um nachdrücklich 
zu wirken, ist eine allbekannte Erscheinung. Aber auch der allge- 
meinen volkstümlichen Rede ist sie in hohem Grade eigen und muss 

Watig, BedeutuDgsentwickluDg. g 



144 Kapitel V. Andere Arten des Bedeutungswandels. 

auch im Zusammenhang der Bedeutungsentwicklung besprochen wer- 
den, weil manche Wendungen der A.rt, infolge des häufigen Gebrauchs 
sich abschwächend, von dem Sprachgefühl auf das richtige Mass herab- 
gesetzt werden und demnach ihre ursprüngliche Bedeutung ändern. 
Dabei kann in Anpassung an die Wirklichkeit die unQberwindliche 
Wahrheit in einem solchen Grade durchdringen, dass im Lauf der 
Zeit das Verständnis für die Obertreibende Grundbedeutung vollständig 
abhanden kommt. ^) 

§ 105. Da sind es zunächst grosse Zahlen, von denen wir 
verschwenderisch Gebrauch machen, ohne uns immer im einzelnen 
Fall der übertreibenden Ausdrucksweise bewusst zu sein ; so heisst 

434 es : ich hob* dir's schon hundertmal gesagt^ und es hat vielleicht drei- 
mal stattgefunden; er kommt vom Hundertsten ins Tausendste^ und 
doch ist der Betreffende nur einigemale vom eigentlichen Gegenstand 
des Gesprächs abgesprungen ; und tausend tritt als Bezeichnung für 
eine grosse Menge nicht nur zu Pluralen, sondern schliesslich zu- 
weilen auch zu Singularen, am üblichsten in tausend Dank, ferner 
dient es als Verstärkung in Zusammensetzungen, wie in Tausendschön 
(als Adjektiv im 46. und 17, Jahrhundert, dann substantiviert, jetzt nur 
noch als Blumenbezeichnung) und jetzt noch in Tausendsasa. Auch 

435 mit dem ZahlbegrifT halb nehmen wir's nicht immer genau und sagen 
von einem: er ist halb tot vor Kälte^ wenn er gefroren hat, wie der 
Feldwebel einen Soldaten anherrschen kann: kommt der Kerl halb 
nackt zum Dienst, wenn ein Knopfloch offen steht. 

§ 106. Aber auch nach der negativen Seite hin über- 
treiben wir bisweilen bei Zahlbegriffen, wobei jedoch in gleicher Weise 
die Wahrheit sich rächt und bei dem Hörer das richtige Mass zur 
Geltung bringt; so denken wir kaum mehr an die innere Unmöglich- 



1) Vgl. Stöcklein 8. 48—52; Hildebrand S. 122, 124—126. 



Uebertreibende Zahlen u. s. w. 445 

keit der Wendung eine Hand voll Leute^ und wenn man einem Kinde 436 
ein paar Kirschen verspricht, so versteht es ruhig darunter „einige", 
wie auch der Erwachsene sich kaum bewusst ist, dass das jetzt als 
Adjektiv aufgefasste und deshalb klein geschriebene ein paar eigent- 
lich mit dem Substantiv ein Paar (z. B. Schuhe, sodann Brautpaar, 
Ehepaar) völlig identisch ist, also ursprünglich „eine Verbindung von 
zwei gleichen Gegenständen" bedeutet (aus lat. par, eigentlich „ein 
Gleiches") und nur in ungenauer Weise für eine geringe Anzahl ge- 
braucht ist (vgl. 605). So wissen wir auch, was wir zu erwarten haben, 
wenn jemand erscheint und uns nur zwei Worte sagen, uns auf drei 
Worte sprechen will oder wenn uns auf eine ungeduldige Aufforde- 
rung die Antwort entgegenschallt: ich komme gleich^ im Augenblick, 
§ 407. Mit Bezug auf die grosse Entfernung des Himmels- 
gewölbes sprechen wir ferner von einem himmellangen Menschen, me- 437 
taphorisch von einem himmelweiten Unterschied^ danach verstärkend 
von Himmelangst, und besonders im Munde des weiblichen Geschlechts 
hören wir himmlische Gestalt, himmlisch schön als stark verbrauchte 
und abgeblasste Ausdrücke. Da sprechen wir weiter, übertreibend 
von einer grossen, schwer zu erschöpfenden Menge als von einer Welt 438 
von Gedanken (vgl. 369), wie es von einer grossen Fülle heisst: es 
regnet in Strömen, ein Strom von Thränen brach aus seinen Augen, 
danach dann auch ein Strom von Licht, von Klagen, von Verwün- 
schungen. Wir reden von einem Thoren, einem Narren, einem tollen 439 
Menschen, ohne uns bewusst zu sein, dass alle drei Ausdrücke ur- 
sprünglich ausschliesslich „irrsinnig" bedeutet haben ; wir finden etwas 
hässlich und haben kaum ein Gefühl für die starke Grundbedeutung 
„Hass erregend", wie in Studenten- und Leutnantskreisen das häufige 
fabelhaft, kolossal (scherzweise pyramidal) sich zu „ausserordentlich", 
„aussergewöhnlich", allerliebst^ eigentlich „das liebste von allen", zu 
„hübsch", „nett" abgeschwächt hat. 

§ 408. Bei dem letztgenannten Wort können wir auch den Ver- 

8«^ 



iiCi Kapitel V. Andere Arten: Uebertreibunj:?. 

lusl der superlativischen Natur beobachten, und dies führt uns weiter 
zu einer Gruppe von komparativen Adverbien, die infolge 
häufigen unbegründeten Gebrauchs — es sind Ausdrücke gerade für 
die gangbarsten Begriffe i) — ihre steigernde Kraft ver- 
lieren und so als Positive gefühlt werden. So geht es sogar schon 

440 in die althochdeutsche Zeit zurück, dass leider (ahd. leidör, eigent- 
lich adverbialer Komparativ zu dem untergegangenen Adjektiv leid) 
die auch jetzt noch bestehende Bedeutung eines Positivs „bedauer- 
licher, unangenehmer Weise" angenommen hat. Seit dem 18. Jahr- 

441 hundert sodann findet sich hass (die alte Form des Adverbiums zu 
dem Komparativ hesser), so weit sie überhaupt noch verwendet wird, 
häufiger im Sinne eines Positivs „wohl", sodann „sehr** : er thät sich 
hcuis hervor (Schiller), altertümlich er freut sich hass daroh, bei üh- 
land sogar so hass ; dagegen hat sich in dem altertümelnden furhass 
gehen die komparativische Bedeutung noch insofern erhalten, als man 
es mit dem landschaftlich gebrauchten „besser vorwärts" umschreiben 
kann, obwohl allerdings „besser** eigentlich hier pleonastisch ist. Eben- 

442 so hat sich der Gegensatz von hass, der alte Komparativ wirsch (mhd. 
wirs zu dem Positiv übele, vgl. engl, worse) im Südwestdeutschen zum 
Positiv abgeschwächt in Wendungen wie es macht sehr wirsch „es ist 
sehr schlechtes Wetter, regnet arg**. (Von unwirsch aus mhd. wn- 
wirdesch „entrüstet** zu wert, Würde gehörig, ist hier abzusehen, 
während bei dem bisweilen im gleichen Sinne gebrauchten wirsch 
allerdings an eine Vermischung mit jenem alten Komparativ wirsch 
gedacht werden kann.) Ferner findet sich in der süddeutschen üra- 

443 gangssprache noch der alte Komparativ halt (mit Verlust der Endung 



1) Dass gerade diese infolge ihrer reichen Ausgestaltung und Urwtichsig- 
keit sieh der starren grammatischen Regelung durch die Sprachlogik wider- 
setzen und so ein Stück poetischer Beweglichkeit aus dem Urzustand der 
Sprache bewahrt haben, zeigt Herm. Osthoff in seiner feinsinnigen Festrede 
„Vom Suppletivw^esen der indogermanischen Sprachen", Heidelberg 1899. 



Verblassung von Komparativen. 117 

wie in bass^) in abgeblasster Bedeutung; ursprünglich (ahd. halt, 
gotisch haldis) ist es ebenfdlls so viel als ,.besser" oder „mehr", 
während es sich jetzt durch „eben", „nun einmal" umschreiben lässt. 
Mit ausschliesslich dialektischer Verwendung ist noch das oberd. 
'f^äger „gehörig*^ „wahrlich" zu nennen (von dem mhd. Adjektiv waege, 444 
ahd. wägi „das Uebergewicht habend", „gewichtig", „tüchtig^O, z. B. 
bei Hebel im „Spinnlein** 's göt waeger z'ruck^ im „Statthalter von 
Schopfheim" 's isch waeger e schlag gsi, hier als „wahrlich", dagegen 
im Schwäbischen als „gehörig", besonders in der daselbst beliebten 
Verkleinerungsform, wie z. B. in dem Volksreim Gang mer net über 
mei Aeckerle^ gang mer net über mei Wies\ oder i hau di wägerle, 
oder i hau di g'wiss. Und so lässt sich in der alltäglichsten, wie in 
der gewähltesten Ausdrucksweise dieser Wandel beobachten: hören 
wir doch den Marktschreier eine Ware wie die andere mit heiserer 
Stimme als etwas Besseres, etwas Feineres anpreisen, wobei ja jeder 
Vergleich wegfällt, wie andererseits Klopstock, der Schöpfer unserer 
Dichtersprache, den Komparativ mit Verhebe als blosse Hervorhebung 
(Elativ) verwendet, z. B. in den Worten die geliebtere Cidli oder hör 
es, mein leiseres Ohr, allerdings mit Rücksicht auf bequeme Einfügung 
in das daktylische Versmass. 

§ 109. Ebenfalls als eine Folge übertreibender Verwendung und 
darauf eintretender Rückwirkung ist es zu betrachten, wenn einige 
andere verstärkende Adverbien, die jedoch ihres Ursprungs 
Positive sind, ihre Bedeutung im Laufe der Zeit abgeschwächt haben. 
So ist es gekommen, dass die Versicherungen gewiss und wohl, ob- 445 



^) Der interessanten Formentwicklung wegen sei hier erwähnt, dass sieh 
zu bas8, wirsch, halt als ursprünglicher adverbialer Komparativ auch noch seit 
gesellt, das jedoch zur Präposition geworden ist; so bedeutet seit seiner Gehurt 
eigentlich „später als seine Geburt". Auch sei darauf hingewiesen, dass die 
Abschwächung der besprochenen adverbialen Komparative zu Positiven durch 
die Isolierung der Formen begünstigt wurde, indem die zugehörigen Adjektive 
ausgestorben sind. 



148 Kapitel V. Andere Arten: Üebertreibung. 

gleich deren Grundbedeutung uns noch vollständig bewusst ist und 
in anderm Zusammenbang ungeschwächt zur Geltung kommt (es ist 
gewiss, ich hin meiner Sache gewiss, er handelt wohl, es ist ihm wohl 
stark betont) geradezu zum Ausdruck der Ungewissheit, der Ver- 
mutung und des Zweifels werden. Du hast gewiss all dein Geld afis- 
gegeben begrüsst die besorgte Mutter ihren kleinen Verschwender, der 
von den Kameraden auf den Jahrmarkt geführt worden ist, und hofift 
doch im stillen, dass das Gegenteil der Fall ist; nach einer längeren 
Ausführung des Jungen tönt ihm vielleicht entgegen : Gewiss, aber . . ., 
und schon dieses einleitende gewiss giebt ihm zu verstehen, dass seine 
Angaben als unsicher und zweifelhaft betrachtet werden. Und ebenso 

446 hat sich wohl aus einer Bekräftigung zum gewöhnlichsten Ausdruck 
der Unsicherheit entwickelt in Sätzen wie er wird wohl kommen, er 
handelt wohl klug, er mag wohl manchmal den Mut verloren haben; 
und wie gewiss, so ist auch wohl vor einem folgenden aber . . . keines- 
wegs eine Zustimmung, dass alles Gesagte „gut*' ist, sondern bisweilen 

447 im Gegenteil die Einleitung für den heftigsten W^iderspruch. Ich glaube 
es gern, ich will es gern glauben drückt jetzt nur aus, dass man sich 
nicht zum V\riderspruch veranlasst sieht, und lässt die Grundbedeutung 
von gern „begierig", zu {be)gehren gehörig, kaum mehr erkennen, die 
allerdings auch schon in der gewöhnlichen Verwendung des Wortes, 
z. B. ich esse gern Aepfel, sich frühzeitig abgeschwächt hat. 

§ 110. Andrerseits können Verstärkungen geradezu sich 

448 zu AbSchwächungen entwickeln. So ist gar, indem es über- 
treibend von Begriffen angewendet wurde, bei denen sich Vollständig- 
keit im eigentlichen Sinne nicht bestimmen lässt, von der Bedeutung 
„vollständig** zu einer unbestimmten Verstärkung herabgesunken, wie 
gar schön, gar lieblich, volkstümlich allerdings nur im Süddeutschen, 
abgesehen von dem allgemeinen gar zu (vgl. 41). In ähnlicher Weise 

449 hat ziemlich (eigentlich „in geziemendem Masse, wie es sich gehört") 
neben Ausdrücken, die an sich etwas Absolutes bezeichnen und keine 



r 



AbSchwächung von Verstärkungen. ii9 

Abstufung zulassen, die Bedeutung „beinahe", „fast" angenommen, 
z. B. ziemlich fertig, ziemlich aufgehraucht, ziemlich so gross wie ich. 
Die gleiche Entwicklung hat fast durchgemacht, wobei allerdings der 450 
Ausgangspunkt mhd. vaste „sehr" (in dieser Bedeutung bis ins 17. Jahr- 
hundert allgemein gebraucht, sehr häufig bei Luther) als Adverbium 
zu veste = nhd. fest infolge der Bedeutungsdifferenzierung von dem 
heutigen Sprachgefühl nicht mehr empfunden wird (vgl. wegen des 
Formverhältnisses schon zu schön, altertümelnd spat zu spät, früh zu 
früh) ; „die jetzige Bedeutung, mit welcher fast das ältere schier ver- 
drängt hat, ist wohl von solchen Fällen ausgegangen, in welchen, 
genau genommen, keine Verstärkung möglich ist, wie fast alle, fast 
nichts, fast nicht, in denen daher die Setzung eines fast gerade durch 
den Mangel völliger Gewissheit veranlasst werden kann, daher auch 
schon bei Luther fast die ganze Stadt^* (Paul, Wb., unter fast). In 
ähnlicher Weise ist auch bereits, was eigentlich die Vollendung einer 
Handlung ausdrückt, in der südwestdeutschen Volkssprache zu der 
Bedeutung „fast" herabgesunken. 

§ 111. Wir schliessen die Reihe der übertreibenden, auf das 
richtige Mass herabgesetzten Wörter mit dem mundartlichen als, das 451 
wie das vorhin besprochene halt (443) ein Leibwort des Süddeutschen 
ist, das er in der Schriftsprache so ungern vermisst und das andrer- 
seits den Norddeutschen bei uns so befremdet; wir gehn als am 
Sonntag spazieren, er holt uns als ah, wie klingt das anheimelnd und 
fast unersetzlich, durch „gewöhnlich", „öfters", oder „bisweilen" kaum 
wiedergegeben! Dies Wörtchen gehört hierher, weil es, aus mhd. 
allez (Akkusativ Sing. Neutr. von all) entstanden, sich aus der mittel- 
hochdeutschen Bedeutung „immerfort" zu der heutigen abgeschwächt 
hat; der Sinn von „immer" blickt dabei noch durch in Verwendungen 
wie: kommt er als noch nicht? In absichtlicher Nachahmung der 
Volkssprache verwendet es z. B. Schiller, wenn es in „Kabale und 
Liebe" heisst: die Billeter, die der gnädige Herr an deine Tochter 



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• • • • 



120 Kapitel V. Andere Arten: Derbheiten. 

als schreiben thut. Nur zufällig ist demnach der lautliche Zusammen- 
fall mit der Konjunktion als, die aus also hervorgegangen ist. 

§ 112. Eine besondere Art von Uebertreibungen sind die Der b- 
h e i t e n , in denen sich der Nachdrücklichkeit, der Anschaulichkeit 
wegen die volkstümliche Rede gefällt. *) Wo immer man „dem ge- 
meinen Manne", um den Lutherschen Ausdruck zu gebrauchen, „auf 
das Maul siebtes da hat man bald eine eigenartige Blütenlese, und 
es will fast scheinen, als dünke es manchem kraftstrotzenden Burschen 
eine Schande oder doch unpassend, sich anständig auszudrücken, und 
als sei es ihm nicht behaglich, wenn seine Umgebung nicht im 
gleichen Tone redet. So ist es heute, und dass es früher so war, 
lehrt uns auch die Geschichte der Bedeutungsentwicklung, denn gerade 
aus dem häufigen Gebrauch solcher Wörter, die den Dingen eigent- 
lich eine schlimmere Bezeichnung beilegen, als ihnen eigentlich zu- 
kommt, erklärt es sich, dass sie im Lauf der Zeit sich abgenützt und 
an derber Kraftfülle eingebüsst haben. So kann es kommen, dass 
ein niedriges Wort allmählich hoffähig wird und jetzt auch aus dem 
Munde der empfindlichsten Dame erklingt, die entsetzt wäre, wenn 
sie wüsste, welche Bedeutung sich damit vor etlichen hundert Jahren 

452 verbunden hat. Da heisst es jetzt in neckischer Unterhaltung: Sie 
sind ein Schelm! und die Dame, die so sagt, ahnt nicht, dass dies 
Wort einst so viel wie „Aas" war, dann zum Schimpfwort für einen 
gemeinen, namentlich betrügerischen Menschen wurde und von hier 
aus erst wie Schalk „Knecht", „gemeiner Mensch" in neuerer Zeit 
seinen Sinn gemildert hat. Eine liebende Mutter kann mit einem 

453 gewissen Stolz von ihren drei Rangen sprechen und wird höchst er- 
staunt sein zu hören, dass Range eigentlich „Mutterschwein" bedeutet 
hat, hierauf als Scheltwort, insbesondere für Knaben, und für solche 
schliesslich als allgemeine Bezeichnung gebraucht wurde. 



») Vgl. Schmidt S. 41. 

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Abschwächung von Derbheiten. 1^1 

V 

§ 143. Unter den Derbheiten spielen selbstverständlich Aus- 
drücke für „Excr ement" eine wichtige Rolle, aber auch bei diesen 
kann die Bedeutung sich mildern. So wird Dreck nur noch in an- 454 
schaulichen Zusammensetzungen wie Mäusedreck u. s. w. in jenem 
ursprünglichen Sinne empfunden^ deshalb vielfach noch als anstösslg 
betrachtet, hat sich aber im allgemeinen zu „Unreinigkeit^^ abge- 
schwächt, wenn es auch noch derber ist als Schmutz, Ebenso ist uns 
jene Grundbedeutung bei Kot nicht mehr deutlich bewusst, so dass es 455 
zuweilen ohne jeden tibeln Sinn als „feuchte Erdmasse" erscheint, wie 
bereits Luther tibersetzen konnte: spützete er auf die Erde und 
machte einen Kot aus dem SpeicheL Aber noch weit mehr verdunkelt 
ist jener derbe Sinn in schmeissen, das ursprünglich nichts andres be- 456 
deutet als „Kot absondern" und so noch von Adelung ^) aufgeführt wird 
(das Kind hat in das Bett geschmissen), erst weiterhin derber Aus- 
druck für „werfen" wurde und dieses Zeitwort in den meisten Mund- 
arten ganz verdrängt hat; auch bei dem zugehörigen Geschmeiss, der 
verächthchen Bezeichnung für Insekteneier und für Insekten selbst, 
dann auch für Menschen, haben wir keine rechte Empfindung mehr 
von der Grundbedeutung „Kot", vielleicht noch etwas mehr bei 
Schmeissfliege, aber jedenfalls ist schmeissen selbst ganz aus jenem 
Bannkreis entwichen, und der Student schmeisst ein Fass Bier und 
ist stolz auf seine Schmisse (auch die Bedeutung „schlagen" hat sich 
bisweilen neben „werfen" entwickelt: er hätf dir ins Gesicht ge- 
schmissen und ein Schrämmchen über die Nase gehauen Goethe), ohne 
in diesem Falle das Bewusstsein zu haben, dass auch in diesem Wort- 
stamm ursprünglich eine der so beliebten Derbheiten steckt. 

§ 114. Sodann spielt unter solchen Ausdrücken nicht nur bei 
dem bereits erwähnten Schelm, sondern auch sonst der Begriff „Aas" 
als Schimpfwort eine bedeutende Rolle, wie denn vor allem Aas 



J. Ch. Adelung, Wörterbuch der hochdeutschen Mundart. 4 Teile. 
1793—1801. 



122 Kapitel V. Andere Arten: Derbheiten. 

457 selber als solches erscheint. Ferner hat Luder (eigentliche Grund- 
bedeutung ,,Lockspeise'0 froher die gleiche Bedeutung^ aus der sich 
auch die Zusammensetzung Schindluder erklärt, die am üblichsten 
ist in der Wendung mit einem Schindluder treiben ,4hu zum GespOtt 
haben'^; dabei sei an das im Süddeutschen sehr beliebte, mir aus der 
Schulzeit wohl erinnerliche du Schinnoos erinnert, das der sonstigen 
Lautentwicklung entsprechend aus Schindaas entstanden ist, woneben 
auch einfaches du Oos (z. B. bei Nadler) gebraucht wird. Dazu ge- 

458 seilt sich noch das südwestdeutsche Schimpfwort Keib{e) mit gleicher 
Grundbedeutung und unter den Adjektiven das sinnverwandte fauly 
das ursprünglich bedeutete „in stinkende Zersetzung obergegangen'' 
(wie jetzt noch faule Eier, bildlich das sind faule Fische) und davon 
ausgehend starker Ausdruck fOr „träge'' wurde, also eigentlich „schon 
in Verwesung übergegangen, so dass die Organe ihren Dienst nicht 
mehr versehen", daher auch stinkfaul und er stinkt vor Faulheit 
Wenn auch nicht gleichbedeutend, so doch begriffsverwandt ist auch 
noch das über ganz Deutschland verbreitete, bisweilen auch für ein 

459 Pferd gebrauchte Schimpfwort Racker, das im Norddeutschen die 
Grundbedeutung „Schinder" zum Teil bewahrt hat; daraus begreift 
sich auch sich rackern und das häufigere sich äbrcuikem im Sinne 
von „mühselige Arbeit verrichten", eigentlich „sich (ab-)8chinden.*' 
Schliesslich sei hier noch auf schäbig hingewiesen, dessen heutige 
Bedeutung „armselig", „erbärmlich", von Personen „schmutzig geizig", 
wir nach dem jetzigen Sprachgefühl unmittelbar von schaben ableiten 
möchten, das aber von dem allerdings stammverwandten Schabe 
„Krätze" kommt und ursprünglich „mit der Krätze behaftet" bedeutet 

§ 145. Wenn wir nun im Eingang unserer Betrachtung über 

460 die Derbheiten gesehen haben, dass Schelm von der Bezeichnung für 
,,Aas", Range von der für ,, Mutterschwein" jetzt zu einem besseren 
Sinne übergegangen sind und die schlechte Herkunft gar nicht mehr 
verraten, so ist es für die allmähliche Verschiebung der Bedeutung 



Uebergang zu lobendem Sinne. 123 

sehr lehrreich zu beobachten, wie heute manchen der eben besproche- 
nen Derbheiten infolge des übertriebenen Gebrauchs trotz unseres 
vollen Verständnisses für den schlimmen Sinn bisweilen abmildernd 
etwas Lobendes, Schmeichelndes beigemischt ist.^) So können Aeusser- 
ungen wie du Aas! das ist ein Luder! geradezu etwas die Gerieben- 461 
heit, Verschmitztheit Bewunderndes enthalten, ebenso das Südwest- 
deutsche Keib, und jener Professor, der seinen badiscben Schülern 
den Sinn des homerischen daimönie klar machen wollte, hatte recht, 
wenn er es mit Keib (vgl. oben 458) umschrieb, wenn es auch 
als Uebersetzung nicht gut ansteht. Ebenso ist es mit Racker^ das 462 
besonders als Bezeichnung für ein junges Mädchen die Findigkeit, 
Schlagfertigkeit, ja den unwiderstehlichen Reiz der so Benannten zum 
Ausdruck bringen kann, wie Kerl (ursprünglich ganz allgemein „Mann^', 
aber schon seit lange nur in derber volksmässiger oder burschikoser 
Rede üblich, vgl. 128) das kraftvolle bezeichnet, und sogar das beliebte 
Schimpfwort Vieh bezw. Viech hat bisweilen etwas Liebevolles in sich 
(vgl. 180), wie auch Balg als Bezeichnung für Kinder (vgl. 332). Aehn- 
lich verhält es sich auch mit fluchenden Beiwörtern, wie verdammty 463 
verteufelt, verflucht, dies besonders in der volkstümlichen Form ver- 
flixt (vgl. 474), und nd. vertrackt (eigentlich „verzerrt" von trecken 
„ziehen'^' ^^^ ^^^^ können zum Ausdruck der Bewunderung für die 
damit beehrte Persönlichkeit werden. 

§ 116. Dass übrigens auch bei andern Schimpfwörtern, die nicht 
aus eigentlichen Derbheiten hervorgegangen sind, der ursprüngliche 
Sinn vergessen werden kann, dafür Hessen sich manche Belege an- 
führen. So ist vollständig verdunkelt die Grundbedeutung von Memme, 464 
das ursprünglich „die Mutterbrust", dann „die säugende Mutter** be- 
zeichnet, von wo aus es Schimpfwort für einen Feigling wurde. 
Wicht ist ursprünglich „unbedeutendes Ding" (vgl. dazu Wichtelmann, 



1) Vgl. stöcklein S. 47. 



124 Kapitel V. Andero Arten: Derbheiten. 

Bösewicht und die Verneinung nicht, die aus ahd. ni iviht zusammen- 
gezogen ist) und wurde erst später verächtliche Bezeichnung für einen 
kleinen Menschen, dann auch ohne den Begriff der Kleinheit für 
einen Menschen Oberhaupt, wobei wegen ähnlichen Ursprungs an die 
Ausdrücke dummes, einfältiges Ding (namentlich von Kindern und 
weiblichen Personen, für männliche landschaftlich Dingerich) mit 
dem Plural Dinger gegenüber dem sonstigen Dinge erinnert sei (vgl. 
451). Auf derselben Grundlage, dass nämlich etwas Kleines, Gering- 
wertiges verächtlich für einen Menschen gesetzt wird, beruht wohl 

465 auch das Scheltwort Tropf, das mit Tropfen identisch ist.^) Durch 
den Vergleich mit einem wertlosen Stück Tuch, oder auch nach der 
lumpigen Kleidung sind sodann entstanden Lump, von Hause aus 

466 identisch mit Lumpen, dazu lumpig, lumpen, Lumperei, und Laffe 
neben Lappe, läppisch, Lappalie (mit lat. Endung), die offenbar zu 
Lappen gehören, worauf auch das zusammengesetzte Schimpfwort 
Waschlappen (südd. „haltloser Mensch"), ferner leichtes Tuch und 
Tüchle hinzudeuten scheinen. Bei den drei letztgenannten Tropf, 
Lump, Laffe = Lappe, hat sich allmählich nach der Differenzierung 
der Bedeutung auch eine solche der Form herausgebildet (vgl. § 29), 
indem aus der schwachen Deklination mhd. der tropfe — des tropfen, 
der lumpe — des lumpen^ der läppe — des läppen u. s. w. das -n auch 
in den Nominativ eingedrungen ist und dann als stammhaft gefühlt 
wurde, infolge dessen auch Abwandlung nach der starken Deklination 
eintrat (wie bei Balken, Ballen, Bogen, Braten und vielen andern); 
interessant ist nun, dass gerade die alte Nominativform sich in der 
abgeleiteten Bedeutung des Schimpfworts erhalten, dagegen sich die 
neue Form in der eigentlichen Bedeutung festgesetzt hat, und dies 



1) Paul, Wb.: „Entstellung der Bedeutung ist nicht klar, schwerlich aber 
hängt sie damit zusammen, dass Tropf, Tropfen in der älteren Sprache auch 
„Schlagfluss" bedeutet." 



Litotes. ^25 

begreift sich jedenfalls daraus^ dass als Schimpfwort eben gewöhnlich 
der Nominativ bezw. Vokativ in der Anrede vorkommt: du bist ein 
Tropf, du Lump u. s. w.^) 

§ 117. Wie die Hyperbel, so spielt auch die ihr entgegen- 
gesetzte Redefigur, die Litotes, in der Bedeutungsentwicklung 
eine gewisse Rolle, indem die ursprüngliche Absicht, zur Hervor- 
hebung einer Sache einen verkleinernden Ausdruck zu setzen, bis- 
weilen kaum noch als solche empfunden wird, so dass eben eine Art 
von Bedeutungswandel vor sich gegangen ist. So ist nicht faul in 467 
volkstümlicher Rede unmittelbar „geschwind": der Bär, nicht faul, 
sucht ihn (Lessing), er, nicht faul, schlägt ihm eins hinter die Ohren 
(vgl. 458); nicht klug ist geradezu „unsinnig", „verrückt": er ist wohl 
nicht ganz klug (vgl. 532). Bei der beliebten Redensart das ist nicht 468 
von Pappe ,,das ist kein Scheinwerk, etwas Solides, Ordentliches", 
denkt man kaum mehr an die eigentliche Bedeutung: ,, breiartige 
Masse, aus der Papier bereitet wird" und „daraus geformte Tafeln" 
= Pappdeckel. 2) Sehr verbreitet ist sie ist nicht ühel, das ist nicht 469 
übel oder bloss nicht übel im Sinne von „angenehm", „hübsch" u. s. w. 
Im Mittelhochdeutschen näherte sich übrigens das Adverb übele, wie 
manch andere Wörter, die etwas Unbedeutendes, Wertloses bezeichnen 
(vgl Paul, Pr. S. 92), dem Sinne einer Negation; so heisst es noch in 
der Umgangssprache das wird ihm übel passen, da? gefällt ihm übel, 
und in der Schriftsprache ist nicht übel Lust haben ein vereinzelter 
Rest, worin dann der negative Sinn durch eine direkte Negation ins 
Positive übergeht. Sehr lehrreich ist die Entwicklung von ich mag 470 
ihn wohl leidest, kann ihn (gut) leiden; ausgehend von der Grund- 
bedeutung „Unangenehmes durchmachen", bedeutet leiden in manchen 



*) VgL Behaghel, „Die neuhochdeutschen Zwillingswörter", Germania 
23 S. 271. 

*) Heyne, Wb., bezeichnet die Wendung als aus Berlin stammend. 



426 Kapitel V. Andere Arten: Euphemismus. 

Fällen ,,ausbalten^S „unter dem, was man durchzumachen hat, nicht 
erliegen", woraus sich in den genannten Wendungen entwickelt 
„keinen Widerwillen gegen jemand haben^% dann geradezu „gern 
haben" (vgl. 540). 

§ 118. Auch das Gegenstück der übertreibenden Derbheiten, 
das ist der verhüllende Ausdruck oder Euphemismus, muss bei 
der Bedeutungsentvvicklung zur Sprache kommen, weil wie dort, so 
auch hier eine Reaktion stattfinden kann, indem derartig gebrauchte 
Wörter infolge der häufigen Anwendung unter sieghaftem Durchbruch 
des wirklich Gemeinten in ihrer Bedeutung sinken : von manchen zwar 
in der Endwirkung bedauert, deshalb auch pessimistische Bedeutungs- 
entwicklung genannt, aber nach den treibenden Motiven als Zeugnis 
für die unwiderstehliche Wahrheitsliebe der Sprache erfreulich.*) 

§ 119. Sehen wir von den verhüllenden Bezeichnungen für un- 
aussprechliche Körperteile ab, so haben wir von Ausdrücken, die das 
Schamgefühl schonen wollen, einmal zu nennen eine Gruppe wie 

471 Abtritt (vgl. Tritt 417), Abort (eigentlich „abgelegener Ort"), Gelegen- 
heit, Stuhl, Nachtstuhl, Stuhlgang^ austreten (beim Militär), hinaiw- 
gehen (in der Schule), abseitsgehen, nicht zu vergessen machen und 
andere mehr, wobei auch eine Reihe Fremdwörter aufzuzählen wären, 
die ja überhaupt zum Teil aus euphemistischen Bestrebungen an- 
gewendet wurden. Ein Bedeutungswandel ist bei diesen Wörtern 
zweifelsohne insofern festzustellen, als sie von ursprünglich harmloser 
Verwendung herabgesunken und in guter Gesellschaft Oberhaupt oder 
doch in gewissen Verbindungen vermieden werden, um peinliche Zwei- 

472 deutigkeiten zu verhüten. Und wie riechen, ja auch schon duften 
ohne nähere Bestimmungen infolge des vielfach verhüllenden Ge- 



1) Vgl. stöcklein S. 40—43; Schmidt S. 39—41; B. Bechstein, ,,Ein pessi- 
mistischer 2ug in der Entwicklung der Wortbedeutungen", Germania S S. 330 
bis 354; Karl Scheffler, „Der yerhüllende oder euphemistische Zug in unserer 
Sprache". Wiss. Beihefte zur Zeitschr. d. allg. deutschen Sprachvereins 1898. 



Religiöse und abergläubische Scheu. 127 

brauchs fttr schlechte Gerüche jetzt unmittelbar solche bezeichnen, 
so ist es ebenso vor etlichen hundert Jahren mit stinken gegangen, 
das ursprünglich ebenfalls bis ins frohe Mittelhochdeutsche eine all- 
gemeine Bedeutung hatte und auch auf angenehme Gerüche bezogen 
wurde. Andrerseits stellt sich zusammen die Entwicklung von Dirne 473 
(ursprünglich „Dienerin" zu dienen)^ Mädchen (vgl. 113 und 559), 
Person (vgl. 403), Mensch als euphemistische Bezeichnung für „Kon- 
kubine" ; Mensch hatte schon im Mittelhochdeutschen neben dem 
Masculinum ein ursprünglich gleichwertiges Neutrum, nhd. mit dem 
Plural Menscher^ wurde aber seit dem 17. Jahrhundert allmählich auf 
weibliche Personen beschränkt, für die es sich im Gegensatz zum 
Masculinum besonders eignete. 

§ 120. Andre Euphemismen haben ihren Ursprung in religi- 
öser oder abergläubischer Scheu.. Aus Gründen des Be- 
deutungswandels haben wir keine Veranlassung, des näheren einzu- 
gehen auf verhüllende, zum Teil in ihrem Ursprung allerdings nicht 
mehr verstandene Entstellungen wie Sackerment, Sapperment aus Sa- 474 
kramenty Sackerlot wohl aus stiere nom de dieu, jemine, jemini aus 
Jesu domine, anno Duwak, anno dazumal aus anno domini, (bei) 
meiner sechs{e) (schon bei Adelung und Goethe), auch meiner Six 
jedenfalls aus hei meiner Seele, verflixt aus verflucht (vgl. 463) ; wohl 
aber ist in hohem Graije für uns interessant der umschreibende Aus- 
druck Gottseibeiuns^ da hier die Reaktion des verhüllend umgange- 475 
nen Begriffs aufs schärfste hervortritt : eigentlich nur so viel als „der- 
jenige, bei dessen Anblick man jenen Ruf ausstösst", wird es voll- 
ständig zu „Teufel" und erscheint, obwohl einen ganzen Satz dar- 
stellend, wie ein Substantiv sogar mit einem adjektivischen Attribut 
in der leibhaftige Gottseibeiuns, i 

§ 121. Neben dem besprochenen Euphemismus, der religiöse 
Empfindungen oder das Schamgefühl schonen will, lässt sich eine 



128 Ktipitel V. Andere Arten: KiiphenüHinus. 

weitere Art beobachten, die das Ehrgefühl nicht verletzen möchte, 
allerdings das falsche, indem gegenüber eitlen Personen, die auf eine 
ehrende Anrede rechnen, womöglich eine höhere, als ihnen wirklich 
zukommt, eine solche in schmeichelnder, unterwürfiger Weise an- 
gewendet wird. Aus dieser menschlichen Schwäche erklärt sich die 
fortgesetzte Entwertung ehrender Bezeichnungen, die 
bei allen Kulturvölkern bis zur Stunde vor sich geht und in ihrer 
Endwirkung einen thatsächlichen Bedeutungswandel darstellt, i) 

§ 122. Betrachten wir zunächst die Geschichte der häufigsten 
476 Anrede Herr, Als Komparativ des althochdeutschen Adjektivs hir 
(nhd. hehr), zuerst hiriro, dann hSrrOy bedeutet es ursprünglich „der 
Vornehmere**, und war zunächst eine Bezeichnung, die der Abhängige 
demjenigen beilegte, dem er unterstellt war, wurde dann aber auch 
zu einer Standesbezeichnung für alle freien Vasallen, welche Dienst- 
mannen unter sich hatten (wie noch in Standesherr, Herrenhaus durch- 
blickt), ferner für Geistliche von entsprechendem Range wie Bischöfe, 
Aebte, endlich in den Städten für die Mitglieder des Rats, daher 
Ratsherr. Aber „die Etikette verlangte frühzeitig, dass man den 
Höhergestellten, auch wenn man nicht von ihm ^abhängig war, als 
hirro und sogar ml^i hSrro anredete; demnächst wurde es Forderung 
der Höflichkeit, auch dem Gleichgestellten dies Prädikat 
zu geben. Nach der Ausbildung des Ritterstandes wurde es üblich, 
dass sich sämtliche Glieder desselben gegenseitig, auch die Höheren 
den Niederen den Titel Herr beilegten und ihn von den ausser- 
halb stehenden empfingen. So wurde Herr für eine Zeit lang das 
Zeichen des Adels wie unser von, ging dann als gesellschaftliche Höflich- 
keitsbezeichnung zunächst auf die an Bildung sich dem Adel gleich- 
stellenden bürgerlichen Klassen über und verbreitete sich schliesslich 
auf immer niedrigere Schichten." (Paul, Wb., S. 216). Und so mussten 



') \^]. Schmidt S. 41—44; Stöcklein S. 44— 4r,. 



ßntwertiing ehrender Aureden. 129 

eben andere Anreden gefunden werden, um den Vornehmeren hervor- 
hebend auszuzeichnen. 

jj 123. Vollständig mit mhd. herre auf gleicher Stufe stand 
mhd. frouwe, das jetzige Frau, das die Grundbedeutung „Herrin" hat 477 
und Femininbildung zu dem verlorenen Masculinum ahd. frö „Herr" 
ist, das z. B. in Frondienst, frönen, Fronleichnam steckt; ursprüng- 
lich also nur „die Höhere", „die Vorgesetzte" bedeutend, wurde 
es dann ehrende Bezeichnung für Personen adeligen Standes, gleich- 
viel, ob sie verheiratet waren oder nicht, sowohl vor Namen und 
Titeln als für sich stehend, während es heute jedem verheirateten 
weiblichen Wesen zukommt und so an die Stelle des Mittelhochdeut- 
schen wip = Weib getreten ist (vgl. 102). Jedoch liegen Reste der 
älteren Bedeutung „Herrin" noch vor in unsere (fliehe) Frau „Jung- 
frau Maria" (franz. notre dame) und Liebfrauenkirche in der dem 
Masculinum entsprechenden religiösen Spezialisierung. Als ehrende 
Bezeichnung vor Namen und Titeln wie Frau Maier, Frau Rätin, hat 
es sich auf Verheiratete beschränkt, abgesehen von Frau Aebtissin 
und dergl., kann aber für sich stehend nicht so gebraucht werden 
und ist demnach tiefer gesunken als Herr, indem ja Frau ohne Bei- 
fügung als Anrede etwas Geringschätziges, fast Verletzendes hat und 
auch als aligemeine Bezeichnung für ein weibliches Wesen vorneh- 
meren Standes durch das franz. Dame ersetzt ist, während Herr sich 
hierfür in entsprechendem Sinne erhalten hat. Zweifelsohne hängt das 
damit zusammen, dass besonders Frauen gegenüber der schmeichelnde 

Ausdruck seit der höfischen Ritterzeit gepflegt wurde. So ist auch bei 
den analogen Zusammensetzungen Junker aus rahd. junc-herre und 478 
Jungfrau aus mhd. junc-frouwe die . männliche Form auf höherer 
Stufe geblieben, indem sie, ursprünglich Bezeichnung für den adeligen 
Knaben und Jüngling vor dem Ritterschlag, nur die Rücksicht auf das 
Altersverhältnis teilweise aufgiebt, während Jungfrau, ursprünglich 
eine unverheiratete Dame ritterlichen Standes bezeichnend, in die 

Waag, BedeutttogsentwickluDg. ^ 



i30 Kapitel V. Andere Arten: Euphemismus. 

bürgerlichen Kreise dringt, wo es noch im 18. Jahrhundert, in der 
Schweiz zum Teil noch jetzt, eine dem späteren Fräulein nahe- 
stehende ehrende Bezeichnung ist; und dem entsprechend steht auch 
die abgeschwächte Form Jungfer in der weiteren Zusammensetzung 
Kammerjungfer weit tiefer als Kammerjunker (vgl. Kammer 359). 
Aber auch das nach der Bedeutungsverschiebung von Jungfrau an 

479 dessen Stelle rückende Fräulein konnte sich alleinstehend für höhere 
Stände nicht halten, sondern bedurfte stärkender Stütze durch Vor- 
setzung von gnädiges, gnädigstes, allergnädigstes, nachdem im 18. Jahr- 
hundert zwischenhinein Mamsell (aus franz. mademoiselle) als ehrende 
Benennung für junge Mädchen bürgerlichen Standes eine angesehene 
Rolle gespielt hatte, und geradeso musste Frau, vom Ende des 16. 

480 bis ins 18. Jahrhundert durch das französische Madame (mhd. genau 
entsprechend min frouwe) als Anrede für vornehme Damen ersetzt, 
durch Beifügung von (meine) gnädige, gnädigste, allergnädigste ge- 
stützt werden, wie auch für Herr nach Entwertung des Titels zur 
Hervorhebung der Vornehmeren im späteren Mittelalter die Attribute 
gestrenger, gnädiger hinzutraten und weitere Titel aufkamen wie 
Gnaden, Hoheit, Majestät u. s. w. (vgl. 396 f). 

§ 124. Auf der gleichen Grundlage, also Unterwürfigkeit der 
Anredenden, Eitelkeit der Angeredelen, erklärt es sich, dass Wörter, 
die ursprünglich eine wirkliche Funktion bezeichnen, z u 

481 blossen Titeln herabsinken. So ist durchlaucht (Part. Perf. zu 
durchleuchten) und das davon gebildete Substantiv, seit dem 15. Jahr- 
hundert als Uebersetzung von lat. Ulustris Titel fürstlicher Personen, 
jetzt nur Bezeichnung des Fürsten r a n g s , ebenso Herzog, Fürst, 
Graf, die aus der Stellung, aus dem Amte heraus zu blossen erblichen 
oder willkürlich verliehenen Titeln werden. Auch ist es uns jetzt 

482 etwas ganz Geläufiges, bei den Titeln Bat, Hofrat, Geheimerat durch- 
aus an keine spezielle Thätigkeit der so Geehrten zu denken, die 



Entwertung der höflichen Anrede. 131 

doch zur Zeit des Entstehens dieser Bezeichnungen von grosser 
Wichtigkeit war. 

§ 125. Aus den gleichen Triebkräften wie die Herabdrückung 
der Titulaturen begreift sich auch schliesslich die Geschichte der 
höflichen Anrede in der Pronominal- und Verbalflexion. Wie 
sich nach dem Vorbilde der oströmischen Kaiser in Byzanz (man 
denke dabei an das Wort Byzantinismus) die deutschen Könige, später 
auch die Fürsten, mit dem Plural wir (pluralis majestaticus) bezeich- 
neten, so kam dem einzelnen Fürsten als Anrede der Plural Ihr zu, und 483 
dieser Gebrauch dehnte sich allmählich weiter aus, zunächst auf alle 
Ritterbürtigen, bis endlich dies Ihr etwa die Ausdehnung des heutigen 
Sie erlangte. Jetzt ist es nur noch landschaftlich üblich, zum Teil 
auf die Anrede an Niedrigerstehende beschränkt, wirkt jedoch nach 
in Ew. (mhd. itiwer, iwer, nhd. ewer) Majestät, Ew. Hochwohlgehoren 
(vgl. 480). Während nun z. B. das Französische und Englische mit 
vous und you auf dieser Stufe stehen blieben, trat im Deutschen als 
Höflichkeitsanrede die 3» Pers. Sing, er (Femin. sie) hinzu, zunächst 484 
rückbezüglich auf ein vorangegangenes der Herr, z. B. der Herr ist 
so gütig, er wird erlauben, indem man gleichsam sich nicht getraut, 
eine höhere Person ins Angesicht anzureden, sondern nur über sie 
zu sprechen, als ob sie abwesend wäre. Zunächst ehrender als das 
ältere Ihr, sinkt Er an Wert durch das Aufkommen des Plurals Sie, 485 
ist aber bis über die Mitte des 18. Jahrhunderts noch üblich als 
Anrede an jemand, der nicht vornehmen Standes ist, wie an dem 
Dialog in Lessings „Minna von Barnhelm" interessant zu beobachten 
ist. Der Gebrauch von Sie erklärt sich aus Sätzen wie Euer Gnaden 
sind so gütig, sie erlauben (vgl. 397) und aus abermaliger Anwendung 
des ehrenden Pluralitätsprinzips, diesmal auf die 3. Pers. Sing., wie es 
vorher von Du zu Ihr geführt hat. Aber auch Sie ins Gesicht der zu 
Ehrenden ist jetzt wieder entwertet, und so entstehen mit dessen Um- 
gehung die grammatisch so anstössigen Verquickungen: Was befehlen 

9* 



132 



Kapitel V. Andere Arten: Ironie. 



dtsr Herr Hauptmann? Wünschen gnädige Frau Weissen oder Boten? 
Weiteres bleibt der Zukunft vorbehalten. 



§ 126. Auch die Ironie kann schliesslich als treibende Kraft 
in der ßedeutungsentwicklung zur Geltung kommen, sobald sie als 
solche nicht mehr empfunden wird. Jedermann weiss, dass es humo- 
ristische Naturen giebt, die fast gar nicht anders können, als mit 
ernstem Gesicht das Gegenteil von dem zu sagen, was sie meinen, so 
dass der Hörer nur stutzig wird, wenn es einmal nicht der Fall ist; bei 
vielen andern bedarf es oft nur einer bestimmten Umgebung, um sie 
in solche Stimmung zu versetzen. Kein Wunder also, wenn einzelne 
naheliegende Wendungen dieser Art stabil werden und in solchem Grade 
erstarren, dass sie zuletzt auch in ernster Rede den umgekehrten 
Sinn annehmen und in dem ursprünglichen bisweilen kaum mehr ge- 
braucht werden können. So ist, um mit einem schlagenden Beispiel zu 

486 beginnen, entsprechend dem häufigen ironischen Gebrauch von ja wohl^ 
in einigen iMundarten awol (pfälzisch, z. B. bei Nadler, aus ach wohl) 
geradezu „nein". Wie sodann der syntaktische Zusammenhang mit 
einer solchen Verneinung als grammatischer Thatsache rechnet, zeigt 
eine von Paul, Pr. S. 93 angeführte Stelle bei Lessings Freund Chr. 
F. Weisse: es ist dem Junker viel um seinen Kammerdiener zu thun, 
sondern um sich, womit zu vergleichen ist: ick frage viel danach^ ich 
kümmere mich viel darum. Ferner sei erinnert an die ironisch ge- 
meinten und darum abweisenden Wendungen : warum nicht gar? 
lieber gar? (vgl. 41, 448) sonst noch etwas! ich danke dafür! 

§ 127. Sodann werden eine Reihe von lobenden Adjek- 
tiven häufig ironisch angewendet, so dass sie zum Teil in bestimmten 

487 Verbindungen in ernstem Sinne vermieden werden, wie schön {daf^ 
ist eine schöne Geschichte, eine schöne Bescherung, ein schöner Streich, 
das sind ja schöne Aussichten, da kam ich schön an, er hat mich 
schön anlaufen lassen), nett {ein nettes Früchtchen, eine nette Pflanze^ 



Erstarrung ironischer Adjektive u. s. w. 133 

besonders berlinisch), sauber (ein sauberer Kerl, eine saubere Ge- 
schichte, diese neuen sauberen Forderungen Schiller), erbaulich (das 
ist eine erbauliche Geschichte, womit vgl. darüber wird er sehr erbaut 
sein), recht (du bist mir der rechte Held, du bist mir der Fechte, da 
bist du an den Hechten gekommen, so ist's recht, das ist die rechte 
Höhe), gelungen (gelungener Mensch im Sinne von „seltsam", wohl 488 
aus der Studentensprache). 

§ 128. Auch ein Hauptkerl^ kapitaler Kerl haben oft ironische 
Färbung, und meine Wenigkeit ist durch die ironische Bescheidenheit 
fast anmassend geworden. Stärkere Rückwirkung ist zu beobachten, 
wenn Kammerjäger, ursprünglich „fürstlicher Leibjäger" (vgl. Kammer* 489 
359, 478), anfangs ironisch mit der mehrfachen Bedeutung von Kammer 
spielend, dann aber thatsächlich zur Bezeichnung eines gewerbsmässigen 
Ratten- und Mäusefängers wird, oder wenn Tanz schon seit dem 
16. Jahrhundert ironisch für „Krieg" erscheint wie z. B. der Tanz 
geht loSy ich will einen Tanz mit ihm wagen, Waffentanz, Auch 
naseweis, ursprünglich „mit feinem Geruch, Spürsinn begabt", ist 490 
durch ironische Anwendung zu der jetzigen Bedeutung gelangt, ebenso 
jedenfalls einem heimleuchten, eigentlich „sorgen, dass er auf dem 
Heimwege nicht zu Falle kommt", im Sinne von heimschicken. Ironi- 
schen Ursprungs ist auch Ohrfeige, dafür landschaftlich Backfeige 491 
(auch Backpfeife), wobei mit den Wörtern backen und Backe gespielt 
wird : derjenige, der sie gegeben hat, oder der Zuschauer könnte heute 
noch ironisch sagen, dass er dem Empfönger eine süsse Frucht ver- 
abreicht habe; wenn aber dieser heulend zur Mutter oder klagend 
zum Richter komnit und von der erhaltenen Ohrfeige spricht, so hat 
sich der Bedeutungswandel zum Ernsthaften vollzogen. Auch Maul- 
schellcy als Bezeichnung für einen schallenden Schlag ins Gesicht, 
beruht ebenso auf einem Scherze.^) 

^) Kluge, Wb., bemerkt dagegen bei „Ohrfeige" : „Es mag wie Backpfeife, 
Dachtel (Dattel), Kopfnüsse, Maulschelle (eigentlich der Name eines Gebäcks) 
euphemistisch gemeint sein." 



Kapitel VI. 

Aufeinanderfolge verscliiedener Arten des 

Bedeutungswandels. 



§ 129. Verschiedentlich schon haben wir beobachtet, dass ein 
Wort im Lauf der Entwicklung sich unter mehreren Kategorien ein- 
ordnen lässt, und zwar nicht nur, dass es von der Grundbedeutung 
nach einigen Richtungen ausstrahlt, sondern auch nach Ausgestaltung 
in einer bestimmten Richtung alsdann nach einer andern vor- 
schreitet, eine Erscheinung, die Ars6ne Darmesteter als „enchalnement" 
bezeichnet im Gegensatze zu „rayonnement." *) Auf diese Weise kann 
es kommen, dass von dem ursprünglichen Wortsinn schliesslich gar 
nichts mehr übrig bleibt. Aber ohne uns weiter in theoretische 
Betrachtungen über derartige verschiedene Möglichkeiten einzulassen, 
wollen wir nun eine Reihe von interessanten Fällen besprechen, bei 
denen ein zuRlllig und nur in gewissem Zusammenhang, nur in be- 
stimmten Satzverbänden vorhandener accidentieller Nebenumstand 
allmählich so sehr in den Vordergrund tritt, dass er endlich zur aus- 
schliesslichen Bedeutung wird, während die Grundbedeutung schwin- 
det.2) In psychologischer Ausdrucksweise lässt sich der Vorgang auch 
dahin bestimmen, dass eine Nebenvorstellung zur Haupt- 
vorsteliung wird ; andrerseits kann er nach unsern bisherigen 



*) La vie des mots S. 73, vgl. oben § 3 und Stöcklein, Progr. S. 21. 
2) Vgl. die feinen Ausführungen von Stöcklein S. 15—19. 



Uebergang räumlicher Verhältnisse in kausale. 135 

Kategorien in gewissem Sinne als eine Aufeinanderfolge von Ver- 
engung und fundamentaler Erweiterung aufgefasst werden, wie um- 
gekehrt die Metapher sich als Erweiterung mit nachheriger Verengung 
deuten lässt (vgl. § 43). 

§ 130. Da können wir zunächst eine Gruppe von Ausdrücken 
zusammenstellen, die ursprünglich nur räumliche Verhält- 
nisse bezeichnen, dann aber auch kausale, indem bei 
räumlichem Zusammensein eine Beziehung von Ursache und Wirkung 
vorhanden sein kann. So wird Grund, eigentlich „die Unterlage, von 492 
der etwas getragen wird, auf der etwas ruht", einmal zu demjenigen, 
worauf man sich bei einer Beweisführung stützt (^eine Behauptung 
mit guten Gründen verteidigen), alsdann zu dem, worauf sich die 
eigene Ueberzeugung stützt (ich habe Grund anzunehmen}, ferner zu 
dem, was als Bestimmung des Willens dient (aus diesem Grunde 
mag ich nicht, Beweggrund), seltener zu der objektiven Bedingung 
eines Geschehens, wofür Ursache vorgezogen wird. In ähnlicher 
Weise kommt Mittel, eigentlich „der in der Mitte befindliche Teil 493 
einer Sache", „das zwischeA zwei Dingen Befindliche", zu der jetzt 
gewöhnlichen Bedeutung „was dazu dient, um zu einem Zwecke zu 
gelangen", wobei das Mittel also als dasjenige gedacht wird, was 
zwischen dem thätigen Subjekt und dem Zwecke steht, durch welches 
deshalb das Subjekt hindurchgehen muss; davon ist dann abgeleitet 
mittelst aus älterem mittels, das nur sekundär -t angenommen hat 
und eigentlich Genitiv zu Mittel ist, ebenso vermittelst, dessen Vor- 
silbe sich wohl aus Beeinflussung durch vermitteln erklärt. Und wie 
häufig Mittel und Weg verbunden erscheint, so hat Weg für sich oft 494 
kausale Bedeutung, vgl. z. B.: Wo ein Wille ist, da ist ein Weg, 
besonders ausgeprägt in wegen, das auf älteres von — wegen (Dat. Plur.) 
zurückgeht: von Rechts wegen; gebt Rechenschaft von wegen des ver- 
gossenen Bluts (Schiller); deswegen, weswegen, meinetwegen; süd- 
deutsch mit Dativ: wegen dem Regen^ worin sich die Verdunkelung 



136 Kapitel VI. Aufeinanderfolge verschiedener Arten. 

der Grundbedeutung bekundet (vgl. 417). Entsprechend steckt mit 

495 ähnlicher Bedeutungsentwicklung in deshalb und weshalby in meinet- 
halben und unserthalben das mit dem Adjektiv halb verwandte Sub- 
stantiv Halbe „Seite", das als solches aber nur noch im heutigen 
Niederdeutsch lebendig ist, und zwar liegt in halb ein verkürzter 
Akkusativ Singular, in halben ein Dativ Plural als erstarrter Kasus 
vor; dagegen ist noch nicht befriedigend erklärt, wie die seit dem 
15. Jahrhundert vorkommende Form halber entstanden ist, wie in 
vieler Ursachen halber, krankheitshalber, wodurch die andern Formen 
verdrängt wurden. Aber auch das begrifflich hierhergehörige Wort 

496 Zweck hat die gleiche Entwicklung durchgemacht; denn ursprünglich 
so viel wie „zugeschnitzter Pflock", so noch bekannt in Schuhzweck(e) 
für die Nägel des Schusters, bezeichnete es dann den Mittelpunkt 
der Zielscheibe, eigentlich den in denselben geschlagenen Pflock, er- 
scheint hierauf überhaupt für „Ziel" und wurde von dem Schiessen 
auf den Mittelpunkt der Scheibe auf die jetzt gebräuchliche unsinn- 
liche Bedeutung übertragen (vgl. verzwicken 163). Auf gleiche Weise 

497 entstehen kausale Präpositionen aus räumlichen wie z. B. vor, dessen 
häufiger Gebrauch zur Anknüpfung einer Veranlassung sich eben 
daraus verstehen lässt, dass die Gegenwart eines Gegenstandes die 
Veranlassung sein kann, dass eine Wirkung von ihm ausgeht, wie 
z. B. in den Verbindungen: er sieht den Wald vor (lauter) Bäumen 
nicht i vor Hunger, vor Durst, vor Frost, vor Hitze umkommen; vor 
Zorn beben (vgl. 26i5 und 270). Ebenso erklärt sich der kausale 
Sinn in Verbindungen mit der eigentlich nur räumliche Nähe aus- 

498 drückenden Präposition bei, wie: bei seiner Begabung sollte er mehr 
leisten; bei diesem Stande der Dinge musste er seine Absicht aufgeben; 

499 und wie die Präposition durch führt auch mit die Bezeichnung für 
das Mittel oder Werkzeug ebenfalls auf räumliche Grundbedeutung 
zurück, indem der begleitende Gegenstand je nach der Situation auch 
als Mittel für den andern gedacht werden konnte. So bedeutet der 



Uebergang zeitlicher Verhältnisse in kausale. iSl 

Satz der Gärtner schjieidet mit dem Messer eigentlich nur so viel als 
„der Gärtner schneidet in einer Weise, dass ein Messer dabei ist." 
§ 131. In ähnlicher Weise gehen Bezeichnungen für z e i t- 
liche Verhältnisse in solche für Kausalverhältnisse 
über, wobei zum Teil der zeitliche Sinn sich wieder auf einen räum- 
lichen zurückverfolgen lässt, wie dies bei indem der Fall ist, an 500 
dessen zeitliche Bedeutung sich leicht eine kausale Beziehung an- 
knöpft: indem er bedürftigen Talenten half, gewann er sich viele 
Freunde; meine Offenheit schien ihm zu gefallen, indem er sie mit 
grosser Freundlichkeit erwiderte (beides bei Goethe). Geradeso hat 
sich folgen (vgl. 268) aus räumlichem zu zeitlichem, dann aber auch 501 
zu kausalem Sinn entwickelt, indem das zeitliche Folgen ein Kausal- 
verhältnis einschliessen kann: dass Lehen oder Tod daraus folge 
(Luther), dafür auch erfolgen, während einfaches folgen häufiger für 
das logische als für das reale Ergebnis gebraucht wird: daraus folgt, 
dass deine Behauptung falsch ist, womit folgern und folglich zu ver- 
gleichen ist. Dieser Uebergang ist besonders naheliegend, da ja der 
Gedankengang „post hoc, ergo propter hoc" sehr volkstümlich ist 
(man denke an die oft vermeintliche Wirkung von Heilmitteln) und 
oft auch die wissenschaftliche Empirie nicht tiefer eindringen kann, 
sondern auf diese Quelle der Erkenntnis beschränkt bleibt. Ohne 
dass auf eine räumliche Grundlage zurückgegangen werden könnte, 
sondern aus ursprünglich zeitlicher Bedeutung hat sich sodann die 
Konjunktion wenn (eigentlich identisch mit wann und zunächst damit 502 
untermischt gebraucht wie denn neben dann) unter Zurücktreten des 
zeitlichen Moments zu einer reinen Bedingungspartikel entwickelt: 
ich reise heute ah, wenn ich mit m.einen Geschäften fertig werde, eine 
Funktion, in der wenn das althochdeutsche oh allmählich verdrängt 
bat. Geradeso hat sich aus zeitlicher Bedeutung heraus das eben 
erwähnte denn aus dann am Ende des Mittelalters statt des früher 
in diesem Sinne gebrauchten wände, wan in kausaler Bedeutung fest- 



138 Kapitel VI. Aufeinanderfolge verschiedener Arten. 

gesetzt, und auch in der jetzt gebräuchlichsten kausalen Konjunktion 

503 weil^) liegt zeitliche Bedeutung zu Grunde (vgl. engl, while „während"): 
eigentlich Verkürzung aus dem noch altertümelnd gebrauchten dieweil 
(vgl noch alldieweil und das volksmässige allweil), ist es von Hause 
aus adverbialer Akkusativ von dem Substantiv Weile „Zeitabschnitt" 
und hat zunächst den rein zeitlichen Sinn „solange als": dieweil Mose 
seine Hände emporhielt, siegele Israel (Luther); das Eisen muss ge- 
schmiedet werden, weil es glüht (Schiller) oder „während": dieweil 
sie so redete, schaueten sie sie an (Luther); die hier, weil ihre Brüder 
darbten, prassten (Rückert); aber schon in der älteren Form erscheint 
es im Altneuhochdeutschen begründend, so auch bei Luther: ihr 
wisset um der Fremdlinge Herz, dieweil ihr auch seid Fremdlinge 
in Egyptenland gewesen, und es hat jetzt ausschliesslich diesen Sinn, 
während der zeithche ganz verdunkelt ist. 

§ 432. Weiter stellt sich eine Gruppe von Ausdrücken zu- 
sammen, die an und für sich gute oder doch neutrale 
Eigenschaften bezeichnen, aber möglicherweise eine tadelnde 
Beimischung haben, die schliesslich den Sieg davontragen kann.^) 

504 So liegt in Verbindungen wie ein guter Mensch, eine biedere Frau 
ursprünglich nur Lobendes; weil aber mit Herzensgüte und ehrlichenn 
Sinn geringere Geisteskräfte bisweilen Hand in Hand gehen, mischt 
sich ein Anflug von mitleidiger Geringschätzung ein. Darin ist eine 

505 Vorstufe für die Entwicklung von einfältig zu erblicken, bei denn 
im Gegensatz zu dem Substantiv Einfalt die Grundbedeutung „ein- 
fach", „nicht zusammengesetzt" zurückgetreten und jetzt der tadelnde 
Sinn, der schon frühzeitig gelegentlich darin liegen konnte, herrschend 
geworden ist, womit sich das spätmittelhochdeutsche aus dem lat. 
Simplex aufgenommene Simpel unmittelbar vergleicht. Und ganz 



1) Vgl. Paul, Aufgaben 8. 73. 

2) lieber Aufnahme eines üblen Nebensinnes unter Beibehaltung des 
Hauptbegriffs vgl. Kap. 1 Verengung, §§ 21—23. 



Vordringen eine? schlechten Nebensinns. 139 

entsprechend hat sich alhern entwickelt, nur dass hier infolge der 506 
starken lautlichen Veränderung der Zusammenhang ganz verdunkelt 
ist: aus mhd. cUwaere, d. h. aus al und war entstanden (tu nach l 
ging wie sonst in b über), bedeutete es ursprünglich „ganz aufrichtig" 
dann schon mhd. „einfältig" und bezieht sich in der neueren Sprache 
im besonderen auf das Unschickliche im Verhalten, während es früher 
allgemeiner den Mangel an üeberlegung und Vorsicht ausdrückte, wie 
bei Luther: ein Alberner glaubt alles. Aber auch schlecht zeigt den 507 
gleichen Gang, indem es wie die Nebenform schlicht eigentlich „ge- 
rade", „einfach" bedeutet, wie noch in schlechtweg, schlechthin, 
schlechterdings^ schlecht und recht (vgl. 617) durchblickt. Enthielt 
schlecht auch ursprünglich keinen Tadel, so konnte es doch den 
Gegensatz zu dem Vornehmen und auch zu dem wirklich Vor- 
züglichen ausdrücken: ein schlechter Reitersjunge (Goethe), ein 
schlechter geringer Bürgersmann (Schiller); von hier aus konnte 
es dann leicht zur Bezeichnung für das werden, was unter dem 
Normalen bleibt, und so entstand die jetzt übliche Bedeutung 
„geringwertig". In ähnlicher Weise nahm mittelmässig einen ta- 508 
delnden Nebensinn an und wurde nun von dem gebraucht, was 
eigentlich noch etwas unter dem Durchschnitt steht, indem aus- 
schliesslich der Gegensatz zu dem Grossen, Bedeutenden hervor- 
gekehrt wurde. Andrerseits bezeichnen gemein, ebenso gewöhnlich 509 

« 

und ordinär, zunächst nur das allgemein Verbreitete, das sich durch 
nichts Besonderes abhebt; da dieses aber nicht hoch zu stehen pflegt, 
kann es als Gegensatz zu edel zu einem verächtlichen Ausdruck 
werden: gemeiner Mensch, gemeine Gesinnung;^) und auf gleiche 



^) Vgl. Hiidebrand S. 229, der darauf hinweist, dass gemein noch bei 
Goethe und Schiller „das Alltäglich -Gewöhnliche" bezeichnet ohne schlimmen 
Nebensinn wie im Wallenstein: „denn aus Gemeinem ist der Mensch gemacht'' 
und im Epilog zur Glocke: „Denn hinter ihm, im wesenlosen Scheine, Lag, 
was uns alle bändigt, das Gemeine." 



•140 Kapitel VI. Aufeinanderfolge verschiedener Arten. 

510 Weise erklärt es sich, wenn Volky Masse, Menge, der grosse Haufe 
auch eine verächtliche Bedeutung haben können, wie solche an Pöhel, 
Sippschaft, Gelichter jetzt ständig haftet, während Pöbel als „Volks- 
menge" noch bei Luther, Sippschaft und Gelichter noch bei Goethe 
und Wieland ohne verächtlichen Nebensinn erscheinen. Umgekehrt 

511 ist ein eigener Mensch ursprünglich nur einer „von besonderer Art", 
der von den andern verschieden ist; aber es nähert sich dann häufig 
der Bedeutung von „seltsam" in tadelndem Sinne, indem die Ge- 
samtheit im Gegensatz dazu als vernünftige Norm betrachtet werden 

512 kann. Ein eitler Mennch wiederum ist eigentlich nur „leer", „gehalt- 
los", denn „leer" ist die Grundbedeutung, aus der sich auch in 
anderer Abzweigung der Sinn „für sich", „unvermittelt mit anderem'% 
„nichts als" entwickelt hat wie in eitel Gold; aber indem angenommen 
werden konnte und sich aus der Situation oft ergab, dass Gehalt- 
losigkeit mit einer dazu im Missverhältnis stehenden Selbstschätzung 
verbunden sei, wurde diese allmählich ein Moment, schliesslich das 
Wesentlichste der Bedeutung, so dass der Sinn des Wortes zu „ein- 
gebildet" überging und jetzt jemand eitel heisst, wenn jenes Miss- 
verhältnis kaum noch vorhanden ist und wenn man ihm nur anmerkt, 
dass er von seinen persönlichen Vorzügen sehr überzeugt ist. Wenn 

513 ferner einer satt ist, also „in Bezug auf Nahrung befriedigt", kann 
der Fall eintreten, dass er nichts mehr von einer Sache mag, sondern 
ihrer „überdrüssig" ist; so entsteht der jetzige Sinn von ich hin es 
satt (wobei der alte Genitiv es vom Sprachgefühl als Akkusativ ge- 
fasst wird) und von er wird nicht satt ihn zu lohen. In ähnlicher 
Weise kann einem etwas, mit dem man lange zu thun gehabt hat, 
schliesslich zu viel werden, so dass der Sinn von „unangenehm" ent- 

514 steht, wie z. B. gesagt wird: er ist ein alter Rechthaber, lass mich 
mit der alten Geschichte in Buh, auch wenn alt im eigentlichen 
Sinn durchaus unzutreffend ist; aber auch das Umgekehrte kann ein- 
treten, indem einem etwas durch das lange Zusammensein lieb und 



Vordringen eines schlechten Nebensinns. 141 

vertraut wird, wie z. B. alter Freund, beides besonders im Nord- 
deutschen in vulgärer Rede in der Form oller u. ^ w. 

§ 133. Bemerkenswerte Entwicklung einer schlechten 
Nebenvorstellung, durch welche die ursprünglich neutrale 
Hauptvorstellung verdrängt worden ist, hat ferner z. B. 
stattgefunden bei Knecht (über die ursprüngliche Bedeutung vgl. 560), 515 
das im Mittelhochdeutschen für verschiedene Dienstverhältnisse er- 
scheint wie z. B. in Edelknecht „Knappe", Kriegsknecht^ Stadtknecht , 
immer in ehrender Weise; allmählich aber wurde es durch das als vor- 
nehmer geltende Diener zurückgedrängt und auf niedrigere Stellungen 
beschränkt wie Hausknecht^ Fuhr- und Beitknecht^ andrerseits auch 
schon in der älteren Zeit geradezu für „Unfreier", „Sklave" gebraucht 
an Stelle des genaueren (lei}>)eigener Knecht, woraus sich die heutige 
schlimme Bedeutung von Knechtschaft, knechtisch und knechteyi be- 
greift. Gerade so hat Buhe durch die Vermittelung „Knecht" im 
Spätmittelhochdeutschen die jetzt in Norddeutschland allein übliche 
Bedeutung „Schurke" angenommen, und in ähnlicher Weise hat sich 
Schalk aus der Grundbedeutung „Knecht" im Alt neuhochdeutschen 516 
verschlimmert zu „Mensch von knechtischer, gemeiner, namentlich 
untreuer und hinterlistiger Gesinnung", indem ein Diener eine solche 
haben kann, worauf dann allerdings seit dem 18. Jahrhundert wieder 
eine Milderung des Sinnes eintrat (vgl. 452 und Marschall 642). Da- 
mit vergleicht sich Kalfakter aus lat. calefactor, also eigentlich „Ein- 517 
heizer", dann überhaupt „Aufwärter", das von dieser harmlosen Be- 
deutung ausgehend landschaftlich für einen Menschen gebraucht wird, 
der sich überall zu schaffen macht und sich einzumischen sucht, in- 
dem er andere verschwätzt, also für einen Angeber. Ehrend für 
unsere Wertschätzung des Heimatlandes ist die Entwicklung von 
Elend, das eigentlich nur „anderes Land" (mhd. eilende, et- = lat. 518 
aliiis liegt wohl auch in Elsass vor), „Fremde" bedeutet im Gegensatz 
zu iniende „Heimat", aber als etwas Unangenehmes gedacht wurde, 



14-2 Kapitel Vt. Aufeinanderfolge verschiedener Arten. 

wohin man sich ungern begiebt, wie es noch Goethe gebraucht: 
streifen nicht herrliche Männer von hoher Geburt nun im Elend, 
während das Unangenehme, seit dem 16. Jahrhundert herausgebildet, 
heute zur ausschliesslichen Geltung gekommen ist wie auch in dem 

519 zu Grunde liegenden Adjektiv elend, i) Bei dem Adjektiv frevel und 
dem abgeleiteten Substantiv Frevel hat sich zu dem Sinne „kühn" der 
des Gesetzwidrigen, Verbrecherischen gesellt und wie in freveln, frevel- 
haft, die alleinige Herrschaft erlangt. Heucheln ist ursprünglich so viel 
wie „schmeicheln*^ so öfters bei Luther, z. B. meinest du, er werde 
dir viel Flehens machen oder dir heucheln, und so auch noch im 
17. Jahrhundert; unmerklich aber findet üebergang statt in die jetzige, 
auch schon bisweilen bei Luther vorhandene Bedeutung „sich ver- 
stellen (um sich angenehm zu machen, einzuschmeicheln)", bis schliess- 

520 lieh die Hauptvorstellung des Schmeicheins ganz schwindet. Schwelgen 
bedeutet eigentlich nur „verschlucken", hat aber durch die Zwischen- 
stufe „unmässig essen und trinken" den heutigen Sinn unmässigen 

521 Geniessens jeder Art entwickelt. Schimpf ist ursprünglich nur so 
viel wie „Scherz" und wurde in diesem Sinne durch das letztere Wort 
ersetzt (vgl. 380), während es wie auch das Verbum schimpfen durch 
die Uebergangsstufe „Verhöhnung" (Scherz mit verletzender Absicht) 
zu seiner heutigen Bedeutung gelangt ist, die das Verletzende aus- 
geprägt, das Scherzende aber aufgegeben hat; am längsten hat sich 
die ältere Bedeutung in der Verbindung Schimpf und Ernst erhalten, 

522 die sich noch öfters bei Wieland und auch bei Lessing findet. Ver- 
heeren heisst ursprünglich „mit einem Heere überziehen" wie noch 
bei Luther: verheere und verbanne ihre Nachkommen ; daran schloss 
sich aber der naheliegende Sinn „durch ein Heer verwüsten", bis 
endlich auch die Vorstellung, dass die Verwüstung durch ein Heer 



1) Im Mittelalter dagegen konnte ein Wirt seinen Wein als eilenden u>in 
anpreisen, v^l. Zeitschrift für den deutschen Unterricht 3 S. 310. 



Vordringen Verschiedener Nebenvorstellungen. 443 

geschiebt, zurückgetreten ist. Aber auch vergebens und vergeblich ist 523 
hierberzuziehen ; denn aus der älteren Bedeutung „schenkweise" (= 
lat. gratis), die in der Schweiz noch üblich ist (bis kein Mensch mehr 
das Haus vergebens genommen hätte Pestalozzi), entwickelte sich 
durch die Zwischenstufe „geschenkt, so dass man nichts bekommt** 
der heutige allgemeine Sinn „so dass man nichts ausrichtet", .,ohne 
die beabsichtigte Wirkung", wobei dann die ursprüngliche Hauptvor- 
stellung des Gebens, Schenkens vollständig zurückgetreten ist ; die 
entsprechende Bedeutungsentwicklung hat übrigens auch bei dem syn- 
onymen umsonst stattgefunden, indem sich auch hier aus mhd. umbe 524 
sus „ohne Entgelt" (eigentlich „um so", wozu man sich ursprünglich 
wohl eine hinweisende Gebärde denken muss) neben dieser Bedeutung 
der Sinn „ohne Wirkung, ohne Erfolg" herausgestaltet hat. 

§ 134. Haben wir hiermit eine Reihe von Ausdrücken be- 
sprochen, bei denen eine schlimme Nebenvorstellung die ursprünglich 
gute oder doch neutrale Hauptvorstellung verdrängt hat, so seien nun 
noch eine Reihe von andern Fällen herausgegriffen, wo Neben- 
Vorstellungen verschiedener Art den Sieg davon- 
tragen^ und zwar zunächst einige Substantive. Da ist es z. B. 
beachtenswert, wie Tisch und Tafel^ indem man dabei in vielen Ver- 525 
bindungen vorzugsweise an den Esstisch denkt (zu Tische laden, sitzeti, 
einen guten Tisch führen), schliesslich geradezu verwendet werden 
können wie Essen: über Tisch, vor, nach Tische, Nachtisch^), ent- 
^sprechend vor, nach der Tafel, ferner die Tafel dauert lange, tafeln 
für „speisen" (vgl. 597 beide Wörter). Wenn Mahl jetzt als begrifTs- 
verwandtes Wort im Sinne von „Essen" erscheint, so hat dabei zu- 
nächst im Spätmittelhochdeutschen eine Verengung stattgefunden, in- 



') Vgl. Stücklein, S. 13 t'., wo die psychologische Entwicklung eingehend 
geschildert ist. 



144 Kapitel VI. Aufeinanderfolge verschiedener Arten. 

dem die Bedeutung „Zeitpunkt" (vgl. 256) als „bestimmter Zeit- 
punkt" verstanden wurde, wo man das Essen einnahm; schliesslich 
wurde auch der Vorgang des Essens und die Speisen damit bezeich- 
net, und in der Zusammensetzung Mahlzeit hat dann noch einmal 
dieselbe Uebertragung stattgefunden, wie bei dem einfachen Worte*) 

526 (vgl. auch Abendmahl 28). Bei Kirchweih, eigentlich „Einweihung 
einer Kirche", dann „Fest zur Erinnerung an diese Einweihung", 
treten gewöhnlich die damit verbundenen weltlichen Lustbarkeiten, 
insbesondere der Jahrmarkt in den Vordergrund, und in den süd- 
deutschen mundartlichen Abschwächungen Kirwe, Ke)*we bzw. Kirbe, 
Kerbe, Kilbe (aus der alemannischen Form Kilche =. Kirche), wird an 
den eigentlichen Zweck der Festlichkeit kaum gedacht, wie es z. B. 
in Süddeutschland heissen kann : des isch e rechte Baurekerwe, um 
irgend etwas Ordinäres, Geschmackloses zu bezeichnen. Für Kirch- 
weih erscheint mitteldeutsch Kirchmesse (abgeschwächt Kirmesse, 

527 Kirmes, Kirmse, Kirms), und ähnlich ist es mit dem Grundwort Messe 
(aus lat. missa) gegangen : ursprünglich Bezeichnung für die kirch- 
liche Feier, ist es auch zu einer solchen für den Festtag geworden, 
an dem eine Messe gelesen wurde, weiterhin aber auch für den an 
einem solchen Festtage abgehaltenen Jahrmarkt, dann überhaupt für 
einen grösseren periodisch wiederkehrenden Jahrmarkt, so dass jetzt 
das Wort in der kirchhchen und weltlichen Bedeutung in unserm 
Sprachbewusstsein ein ganz getrenntes Dasein führt. Als ein weiteres 

528 kirchliches Wort gehört Segen hierher, indem es (aus lat. signum 
„Zeichen" entlehnt) ursprünglich das Zeichen des Kreuzes meinte, 
welches zum Schutze über eine Person oder Sache gemacht wurde, 
dann aber auch eine damit verbundene Formel, weiterhin überhaupt 



^) Paul, Wb., nimmt diese Entwicklung als sicher an, Kluge hält sie für 
wahrscheinlich, während Heyne sich für Zusammenhang mit Mahl „Verhand- 
lung", „Versammlung" entscheidet, was zu Mahlschatz, Mahlstatt, rermShlpn 
gehört, vgl. 22. 



Vordringen einer Neben Vorstellung. -145 

eine Formel, der man schützende oder rettende Kraft zuschrieb, 
mochte sie nun christlicher Natur und vom Priester gesprochen sein, 
oder sogar heidnischem Aberglauben entstammen, wie die altdeut- 
schen Zaubersprüche als Hundesegen, Bienensegen u. s. w. benannt 
werden. Und welchen Wandel hat das frommklingende lat. salve „sei 529 
gegrüsst" im Verlauf der Zeiten durchgemacht : von der allgemeinen 
Begrüssung auf einen Begrüssungsschuss bezogen, wie noch in Salven 
an Kaisers Geburtstag, eine Salve übers Grab abgeben durchblicken 
mag, bezeichnete es dann eine Menge gleichzeitig abgegebener Schüsse 
und wurde so zu einem militärisch-technischen Ausdruck, bei dem an 
eine Begrüssung nicht mehr gedacht wird. Eine Standrede ist nach 530 
Adelungs Wörterbuch (1793 ff.) „eine kurze Rede, welche stehend 
gehalten und stehend angehört wird", jetzt aber so viel wie eine Straf- 
rede: eine kurze Rede kann unfreundlich sein, wie man ja auch sagt: 
er war kurz gegen mich, behandelte mich kurz, und so entstand 
offenbar die jetzige Bedeutung des Wortes, das nun aber auch für 
eine sehr lange Strafrede gelten kann ; auch der Ausdruck Standrecht 
für „kriegsgerichtliches Verfahren" kommt übrigens wohl daher, weil 
es ursprünglich im Stehen vor sich ging. Unter einem Stammbuch 531 
verstand man in der älteren Sprache nur ein „Geschlechtsregister", 
und die heutige Bedeutung ist wohl daraus hervorgegangen, dass es 
alsdann ein Buch benannte, in das die Angehörigen eines Geschlechts 
ihren Namen mit einem Denkspruch einzeichneten. 

§ 135. Diesen Substantiven mögen einige Adjektive folgen, 
bei denen eine Nebenvorstellung in gleicher Weise über die ursprüng- 
liche Hauptvorstellung die Oberhand gewinnt. So hatte klug die 532 
Grundbedeutung „hübsch", „fein", die noch in oberdeutschen Mund- 
arten nachwirkt ; ein Gefallen erweckender, feiner Mensch kann sich 
auch durch Verstandeskräfte auszeichnen, und diese Eigenschaft ist 
schon bei Luther die herrschende Bedeutung (vgl. 7iicht klug 467). 
Umgekehrt hatte karg früher den Sinn von „klug", „schlau", wurde 533 

Waag, Bedeutangseutwicklang. 10 



146 Kapitel VI. Aufeinanderfolge verschiedener Arten. 

dann auf Schlauheit in Geldsachen bezogen und hat jetzt, nachdem 
das schlaue Kalkulieren sich zum Geiz verstärkt hat^ mit der Klug- 
heit die Fühlung verloren, indem ja ein Geizhals oft genug unklug 
verfährt. Und wie sauber im Süddeutschen auch für „schmuck", 

534 „hübsch" erscheint, so hat nett, aus franz. net, die gleiche Entwick- 
lung durchgemacht, indem es zunächst „sauber" und dann erst 
„schmuck", „zierlich" bedeutet, und heute kann es ja auch heissen: 
wie schmutzig das nette Kind ist! ohne dass ein Widerspruch gefühlt 
würde (vgl. 487). 

§ 136. Sodann seien einige Zeitwörter mit entsprechender 

535 Bedeutungsentwicklung besprochen. So zunächst putzen, das sich 
unmittelbar mit sauber und nett vergleicht: im Altneuhochdeutschen 
auch butzen geschrieben, gehört es zu Butze (vgl. 232) und bedeutet 
eigentlich „von dem Butzen befreien", so in: die Nase putzen, das 
Licht putzen, dann überhaupt „von Schmutz reinigen", nahm aber 
dann den Nebensinn des Schmückens an, und jetzt kann von einer 
geputzten, nur auf Putz bedachten, putzsüchtigen Frau die Rede sein, 
die aber deshalb nicht sauber zu sein braucht ; dazu kommt noch 
als weitere Ableitung die Bedeutung „(Mauerwerk) mit Mörtel be- 
kleiden", dazu verputzen, der Verputz. Sehr interessant ist die Ent- 

536 Wicklung von sehen, das nicht immer auf eine Wahrnehmung, sondern 
auch auf den Ausdruck des Blicks bezogen wurde, wie sauer sehen, 
scheel sehen bei Luther, böse dreinsehen ; von hier aus wurde nun der 
Uebergang dazu gemacht, durch sehen die Art der äusseren Erschei- 
nung überhaupt zu bezeichnen, wofür die jetzige Schriftsprache aus- 
sehen verwendet: Luise, du siehst blass (Schiller); du siehst wie ein 
Gespenst (Goethe) ; es stehet, als wollte er neue Götter verkündigen 
schon bei Luther ; und allgemein ist jetzt auch in diesem Sinne gleich 
sehen, ähnlich sehen (vgl. 312, 317). Eine andre Nebenvorstellung 

537 hat das begriffsverwandte warten ausgestaltet, das aus der Grund- 
bedeutung „schauen", „spähen" einmal die Spezialisierung „auf etwas 



Vordringen einer Nebenvorstoilung bei Zeitwörtern. l47 

acht haben", dann aber auch eine andere entwickelt hat, nämlich 
„ausschauen nach einer Person oder Sache, von der man annimmt 
oder für möglich hält, dass sie kommen soll": daraus entstand dann 
die gewöhnliche Bedeutung „harren", auch ohne dass noch die Grund- 
bedeutung einer Ausschau dabei vorhanden zu sein braucht, die da- 
gegen in Warte, Sternwarte, auch in Wartburg und Wartherg noch 
durchblickt. Kosen (ahd. kösön „verhandeln" zu ahd. kösa „Rechts- 538 
Sache", alte Entlehnung aus lat. causa) ist ursprünglich nur „sich 
unterhalten", „plaudern", wurde jedoch eingeschränkt auf das ver- 
trauliche, freundliche Plaudern zwischen Liebenden (vgl. bei Bürger 
ich hob ein gut Wörtchen zu kosen mit dir) und dann auch auf andere 
als wörtliche Aeusserungen der Zärtlichkeit bezogen, wodurch das, 
was zuerst nur Nebenvorstellung war, eben zur Hauptvorstellung 
geworden ist : ist^s möglich ^ dass ich, Liebchen, dich kose (Goethe) ; 
er streichelte und koste den Nacken (Schiller) ; noch früher ist übrigens 
diese Entwicklung bei liebkosen eingetreten, dessen ursprüngliche 
Bedeutung „freundlich, schmeichlerisch reden" schon im 16. Jahr- 
hundert erloschen ist. Eigenartig ist die Verschiebung bei lassen, 539 
das entsprechend der Verwandtschaft mit lass und lässig (vgl. Letze 
4i22y letzen 547) ursprünglich nur einen Zustand der ünthätigkeit, 
das Nichtfesthalten eines Gegenstandes, das Nichtverhindern einer 
Bewegung oder eines Vorgangs bezeichnet {Haare lassen, das Leben 
lassen, er Idsst es ruhig geschehen), dann aber die Bedeutung in mehr- 
facher Weise so gewandelt hat, dass es auch zur Bezeichnung einer 
positiven Thätigkeit geworden ist, und zwar in ausgedehntestem Masse 
in dem Uebergang von „zulassen" zu „veranlassen", „bewirken", wie 
der Anführer Hess zum Aufbruch blasen, der Richter lässt den Ver- 
brecher vorführen. „Der Uebergang hat sich wohl zunächst in solchen 
Fällen vollzogen, wo das im Infinitiv stehende Verbum einen nicht 
auf einem Willensakt beruhenden Vorgang bezeichnet, vgl. er Hess 

die Schlüssel fallen (kann unabsichtlich oder absichtlich sein). Heute 

10* 



14f8 Kapitel Vi. Aufeinanderfolge verschiedener Arten. 

ist lassen = „bewirken" sehr häufig, da die früher hierfür zur Ver- 
fügung stehenden Verba thun und machen in dieser Verwendung 
ausser Gebrauch gekommen sind." (Paul, Wh., S. 271.) Damit ver- 
gleicht sich unmittelbar die Entwicklung von verhängen, das aus der 
Bedeutung „hängen lassen" (im eigentlichen Sinn erhalten in mit ver- 
hängteji Zügeln) von der Beziehung auf den Reiter ausgehend den 
allgemeinen Sinn „zulassen", „gestatten" angenommen hat, woraus 
dann erst die jetzige Bedeutung entstanden ist, bei der aus dem 
negativen Zulassen ein positives Veranlassen, Bestimmen geworden 
ist, z. B. eine Strafe über jemand verhängen. Wie hier die Neben- 
vorstellung des Absichtlichen zur Hauptvorstellung geworden ist, so 

540 entwickelt in ähnlicher Weise leiden aus der Grundbedeutung „etwas 
(Unangenehmes) durchmachen, was einem widerfährt" {er leidet Hunger^ 
er leidet an der Gicht) zunächst den Nebensinn, dass man sich dem, 
was über einen ergeht, auch entziehen könnte, und von hier aus hat 
dann leiden geradezu die Bedeutung angenommen „einer Sache keinen 
Widerstand entgegenstellen", „sie zulassen", wie: ich leide es nicht, 
dass er mitgeht (vgl. 470); und in ganz analoger Weise hat sich 

541 dulden entwickelt, für dessen ursprünglichen Sinn jetzt erdulden vor- 
gezogen wird, während das einfache Wort heute gewöhnlich bedeutet 
„sich gefallen lassen", „nicht auftreten gegen etwas". Umgekehrt ist 

542 der Begriff des Absichtlichen zurückgetreten bei kriegen, dem in der 
gewöhnlichen Umgangssprache so beliebten Wort, das zu Krieg ge- 
hört und ursprünglich „streben" bedeutet, so dass die alte Verbindung 
wider einen kriegen „mit einem streiten" von dem Sinne „gegen einen 
streben" ausgegangen sein wird; daneben erscheint dann die Bedeu- 
tung „erlangen", d. h. „mit Erfolg erstreben". „Da aber das Resultat 
nicht bloss von dem Willen des Subjekts abhängt, sondern auch von 
den äussei'n Umständen, so konnten diese in der Vorstellung in den 
Vordergrund treten, so dass an die Absicht gar nicht mehr gedacht 
und schliesslich kriegen auch fur Unbeabsichtigtes gebraucht wurde. 



Vordringen einer Nebenvorstellung bei Zeitwörtern. |49 

Somit hatte es die gleiche Funktion, die später in der vornehmeren 
Sprache bekommen übernahm, dem es jetzt vollkommen parallel steht*' 
(Paul, Wb., S. 262), wie seinen Lohn, Schläge, graue Haare kriegen, 
etwa^^ geschenkt kriegen. Schicken (zu geschehen gehörig)^) bedeutet 543 
ursprünglich nur „einrichten", „ordnen", wie es Luther gebraucht: 
schicket das Haus eurer Väter in eurer Ordnung, wie es ähnlich bei 
ihm heisst beschicke dein Havs „ordne deine Angelegenheiten", was 
altertümelnd jetzt noch gebraucht wird. Der Grundbedeutung steht 
von den heutigen Verwendungen am nächsten sich in etwas schicken 
„fügen", es schickt sich „es fügt sich", „es kommt dazu", ferner sich 
schicken „passen", „angemessen sein", „geeignet sein", wie bei Schiller 
das nämliche Lied schickt sich zu beider Schicksal, dazu das adjekti- 
vische geschickt und allgemein das schickt sich „das ist anständig*' ; 
den uns jetzt aber geläufigsten Sinn von „senden", von dem wir alle 
anderen Bedeutungen abzuleiten geneigt sind, hat schicken erst durch 
Kürze des Ausdrucks erhalten, indem ein Packet nach Berlin schicken 
eigentlich heisst „es zurechtmachen, damit es nach Berlin gehe", wie 
wir auch abgekürzt sagen: er ist nach Berlin, er ist zum Vater für 
„er ist nach Berlin, zum Vater gegangen, gereist": der NebenbegrifT 
„senden", der eigentlich nur in nach angedeutet ist, hat sich aber als 
Hauptbegriff entwickelt, und an das „zurechtmachen" denken wir 
nicht mehr.2) Schmücken, zu schmiegen gehörig (zu dem es sich 544 
lautlich verhält wie bücken zu biegen), ist im Mittelhochdeutschen in 
der Bedeutung von schmiegen nicht wesentlich verschieden, wie denn 
diese Gebrauchsweise im Oberdeutschen in der Nebenform schmucken 
mundartlich bis heute fortdauert; aber „man sagte mhd. auch sich 
in ein Kleid smucken, eigenthch „sich in ein Kleid schmiegen", „es 
anziehen" (vgl. sy lag in ainem hembdlin weisz, darein gar schon 



1) In Paul, Wb., und Heyne, Wb., als sicher angenommen, während Kluge, 
Wb., bemerkt : „Zusammenhang mit geschehen ist formell nicht klar." 
^) Vgl. Paul, Pr. S. 295, Aufgaben S. 75. 



150 Kapitel VI. Aufeinanderfolge verschiedener Arten. 

geschmucket Liederbuch der Clara Hfitzlerin 1471). Von hier aus hat 
sich der jetzige Sinn entwickelt, zuerst in Mitteldeutschland. Der 
Uebergang ist vollzogen und die Grundbedeutung vergessen, sobald 
man mit etwas statt in etwas schmücken sagt. Zunächst war es noch 
„kleiden", weiterhin „sauber, prächtig kleiden", endlich ist auch die 
Beschränkung auf Kleidung geschwunden" (vgl. Paul, Wb., S. 395). 
Und an diese moderne Bedeutung hat sich auch die jetzige von 
Schmuck angelehnt, während dies Substantiv noch bei Luther im 
Sinne von „Kleidung" und einzelnes „Kleidungsstück" erscheint : am 
dritten Tage legte sie ihre täglichen Kleider ah und zog ihren könig- 
liehen Schmuck an; und sollen leinenen Schmuck auf ihrem Haupte 

545 haben. Dass schwenken zu schwingen gehört, ist uns begreiflich in 
Verbindungen wie den Hut, den Degen schwenken, wohl auch noch 
in der Spezialisierung ein Glas, eine Kanne schwenken, eigentlich 
„schwingen zum Reinigen"; wenn es aber süddeutsch heisst den 
Steinhoden, die Einfahrt eines Haukes schwenken, so ist hier der 
Begriff des „Schwingens" der zu reinigenden Gegenstände vollständig 
aufgegeben und der des „Reinigens" zum Hauptbegriff geworden 

546 (vgl. 69). Ganz vergessen aber ist es vom Sprachgefühl, dass sengen 
Bewirkungswort zu singen ist, also eigentlich „singen, d. h. knistern 
machen" bedeutet, wie singen in der älteren Sprache und bisweilen 
noch heute auch von dem Tone gebraucht wird, den Flüssigkeiten 
vor dem eigentlichen Sieden von sich geben, auch von dem Ton beim 
Braten in der Pfanne (vgl. Fett kreischt üher dem Feuer 315) und 
von dem Knistern des Feuers selber; indem aber sengen jetzt auch 
von Einwirkungen der Hitze gebraucht wird, bei denen kein Ton ver- 
nommen wird, ist die Hauptvorstelluug aufgegeben. Ebenfalls ganz 

547 verdunkelt ist der Entwicklungsgang von letzen, das jetzt für „laben", 
„erquicken" erscheint ; zu lass „träge" gehörig, wozu letzte eigentlich 
Superlativ ist, bedeutet es ursprünglich „träge machen", „aufhalten", 
„hemmen" und hat einerseits die Bedeutung „schädigen", „versehren" 



Vordringen einer Neben Vorstellung bei Zeitwörtern. J51 

entwickelt, die jetzt nur noch in verletzen erhalten ist, andrerseits aber 
erscheint im Mittelhochdeutschen etwas letzen im Sinne von „ein Ende 
womit machen", unpersönlich jetzt muss es sein geletzet , jetzt muss ein 
Ende gemacht, Abschied genommen werden": sich mit einem letzen 
ist dann auch so viel wie „Abschied feiern", „den Abschiedsschmaus 
oder Abschiedstrunk einnehmen", und von hier aus hat sich letzen 
im 18. Jahrhundert die jetzt allein Obrig gebliebene Bedeutung „sich 
laben" angenommen, auch ohne dass ein Abschied die Veranlassung 
wäre, und zwar nicht mehr bloss auf Speise und Trank, sondern ganz 
allgemein auf Labung und P>quickung bezogen, jetzt auch in transi- 
tivem Gebrauch einen letzen (vgl. Letze 4t^2, lassen 539). 

§ 437. Aber auch diejenigen Zeitwörter, die am häufigsten 
gebraucht werden und die einfachsten Begriffe ausdrücken, d. h. die 
sogenannten modalen Hilfszeitwörter, haben gewisse Ver- 
schiebungen erfahren, die sich als Entwicklungen einer Nebenvor- 
stellung zu der Hauptvorstellung auffassen lassen. So hat zunächst 
können die Grundbedeutung „wissen", welche in den verwandten 548 
Wörtern kennen, Kunst (vgl. 401, 665), kund (vgl. 55), Kunde noch 
deutlich hervortritt; aber schon im Mittelhochdeutschen wird es 
meistens nur gebraucht, wenn es sich um ein auf Thätigkeit be- 
zogenes Wissen, um eine erlernte Fertigkeit handelt, wie es heute 
noch heisst aufwendig können und dafür auch können für sich: er 
kann viele Gedichte, andrerseits er kann eine Sprache, ein Handwerk, 
lesen, geigen u. s. w. „Indem nun weiter der ursprüngliche Begriff 
des Wissens, Verstehens ganz in den Hintergrund getreten ist gegen 
die Vorstellung des Imstandeseins, ist die heutige Bedeutung ent- 
standen, der sich auch die zu dem älteren Gebrauch stimmenden 
Fälle unterordnen. Damit hat können die Funktion übernommen, die 
im Mittelhochdeutschen mugen (= nhd. mögen) hatte" (Paul, Wb., 
S. 257). So könnte man in dieser Bedeutungsentwicklung gleichsam 
eine Illustration erblicken zu dem vielgebrauchten Wort : „Wissen ist 



152 Kapitel VI. Aufeinanderfolge verschiedener Arten. 

549 Macht !"^) Mögen seinerseits zeigt seine Grundbedeutung, aus der es 
also durch können verdrängt worden ist, noch in den Ableitungen 
Macht (vgl. 3Ö5) und möglich^ in abgeblasster Weise auch noch in 
Sätzen wie: wie mag das gekommen sein? das may sein; die gegen- 
wärtig übliche Bedeutung aber, die als „gern haben", „Lust zu etwas 
haben" zu bestimmen ist, geht offenbar zunächst von negativen 
Sätzen aus und erscheint schon im Mittelhochdeutschen in Bezug auf 
Speisen: eine Speise nicht mögen, was wohl eigentlich so viel ist als 
„sie nicht hinunterbringen können " Schon im Altneuhochdeutschen 
ist dann nicht mögen überhaupt „Widerwillen gegen etwas haben", 
auch in Bezug auf Personen, und alsdann erscheint auch positives 
mögen in dem uns jetzt geläufigen Sinn. Sehr bemerkenswert ist 

550 sodann, wie sich müssen und im Vergleich damit das verwandte 
Müsse von einem und demselben Ausgangspunkt nach verschiedenen 
Seiten hin entwickelt haben. „Müsse ist ursprünglich der Zustand, 
bei dem man sich in der Lage befindet, etwas zu thun, vgl. leicht 
könnif es an Müsse mir gehrechen, alles persönlich mit ihm abzuthun 
(Schiller). Es ist dabei erforderlich, dass man nicht durch etwas 
anderes abgehalten wird, und diese Vorstellung ist in den Vorder- 
grund getreten, während die Vorstellung von einer Verwendung der 
freien Zeit zu einem bestimmten Zweck ganz zurücktreten kann.** 
(Paul, Wb., S. 313.) So entwickelt sich Musse zu „Unbeschäftigtheit", 
und entsprechend verhält es sich mit müssig, welches auf Personen 
bezogen gewöhnlich „ganz unbeschäftigt", auf Sachen übertragen 
„nichts wirkend", „überflüssig" bedeutet, wie in Müssiggänger, müssiges 
Geschwätz. Ganz anders aber hat sich nun müssen ausgestaltet, 
dessen Grundbedeutung derjenigen von Müsse entsprechend zu be- 
stimmen ist als „in die Lage kommen etwas zu thun, in einen Zu- 
stand zu geraten." „Indem dabei die Vorstellung in den Vordergrund 
trat, dass diese Lage durch die Verhältnisse herbeigeführt wird, ohne 



1) Vgl. Hüdebrand S. 232. 



Vordringen einer Neben Vorstellung bei Zeitwörtern. J53 

dass der Wille des Subjekts mitwirkt, und selbst gegen den Willen 
desselben, ist die heutige gewöhnliche Bedeutung entstanden" (Paul, 
Wb., S. 313). Als direkt aus der Grundbedeutung entsprossen, sei von 
früheren Verwendungsweisen diejenige von müssen im Konjunktiv in 
Wunschsätzen hervorgehoben, die im Mittelhochdeutschen allgemein 
war und in der Bibel noch ganz üblich ist, wo wir heute mögen 
setzen: des Lehen müsse gottlos sein, und sein Gebet müsse Sünde 
sein, und auch noch bei Schiller: so müsse mir Gott helfen. Bemerkt 
sei noch, dass müssigen, jetzt noch erhalten in sich gemüssigt oder 
hemüssigt sehen, zwar von müssig abgeleitet ist, aber in der Bedeu- 
tung „nötigen" die Richtung von müssen eingeschlagen hat. Weniger 
ausgeprägt ist die Bedeutungsverschiebung bei den modalen Hilfszeit- 
wörtern dürfen und sollen; jenes mit darben, vielleicht auch mit 551 
verderben verwandt, hat wohl von der Grundbedeutung „gebrauchen" 
ausgehend offenbar zuerst in negativen Sätzen die Bedeutung „nötig 
haben", ,jbrauchen" (so noch jetzt im Sprichwort: wer den Schaden 
hat, darf für den Spott nicht sorgen und auch sonst noch landschaft- 
lich) und von hier aus die gegenwärtige „Erlaubnis zu etwas haben" 
angenommen. Sollen seinerseits, zu Schuld (vgl. 57) gehörig, hat 552 
die Grundbedeutung „rechtlich verpflichtet sein", drückt aber in Ver- 
bindung mit einem Infinitiv gewöhnlich aus, dass ein fremder Wille 
eine Verpflichtung geltend macht, etwas verlangt, wodurch ein Ge- 
bot oder Verbot entsteht. Auf weitere Schattierungen der Bedeutung 
sei hier nicht eingegangen und hinsichtlich des übrigbleibenden 
modalen Hilfszeitwortes wollen nur noch erwähnt, dass hier ein 553 
eigentlicher Bedeutungswandel nicht zu beobachten ist: so nimmt 
dies Zeitwort auch nach seinem inneren Leben unter den modalen 
Hilfszeitwörtern eine vereinzelte Stellung ein, wie es sich auch in 
seiner Form abhebt, indem es nicht wie jene zu den Präteritoprä- 
sentien gehört, sondern in der Form ich will als ein alter Optativ 
aufzufassen ist. 



154 Kapitel VI. Aufeinanderfolge verschiedener Arten. 

§ 138. In diesem Kapitel Ober Ausdrücke, bei denen ein als 
möglich zu erachtender, aber keineswegs aus einem bestimmten Ge- 
dankengang sich notwendig ergebender Nebenbegriff zum HauptbegrifT 
wird, sind nun weiter auch einige Massbezeichnungen zu 
betrachten, deren Ursprung im Gegensatz zu den früher behandelten 
Wörtern Fuss, Schuh, Elle u. s. w. (vgl. § 46) nicht auf eine Metapher 
zurückzuführen ist. Während bei den genannten Massen ein wirk- 
licher Vergleich mit wenigstens im allgemeinen in ihren Dimensionen 
feststehenden Körpern stattfindet, trifft dies nicht mehr zu, wenn 

554 z. B. Bute, ursprünglich nichts als „Gerte", ein Mass von bestimmter 
Länge bezeichnet; denn diese Bedeutung konnte sich nur einstellen, 
nachdem Messtangen (in diesem Sinne erscheint Rute schon in alter 
Zeit) von einer gewissen Länge in allgemeinen Gebrauch gekommen 
waren, und nur diese gewohnheitsmässige Länge wurde dann durch 
das Messwerkzeug bezw. den Stoff desselben ausgedrückt, wobei 
jedoch an den letzteren nicht mehr gedacht wurde (vgl. 343). Ferner 
ist Zoll als Massbestimmung wahrscheinlich identisch mit mhd. Zol 
„Klotz" und hat nichts mit Zoll „Abgabe" zu thun (letzteres früh 
entlehnt aus vulgär-lat. toloneu7n statt teloneum „Zollhaus"). Als 
ganz selbstverständlich aber nehmen wir nach dem heutigen Sprach- 

555 gefühl an, dass Faden als Massbezeichnung in ähnlicher Weise aus 
der uns geläufigen Stoffbezeichnung entstanden sei; jedoch ist hier 
der Gang gerade umgekehrt, indem das Wort im Urgermanischen 
„beide ausgebreitete Arme** und dann deren Mass (vgl. Klafter 204) 
bezeichnet, woraus sich dann erst nach den hierfür verwendeten 
Messchnüren die uns jetzt geläufige Bedeutung entwickelt hat. Etwas 

556 weiter noch ist der Gedankengang bei Schock, das im Mittelhoch- 
deutschen wie das verwandte schoche (so jetzt noch im Schwäbischen) 
auch einen aufgeschichteten Haufen bezeichnet und zur Zahlenbezeich- 
nung (früher auch Schock Groschen) wohl infolge der Gewohnheit 
geworden ist, je 60 Bündel zusaramenzuordnen; ähnlich wird Schober^ 



Bezeichnungen für Masse und Abhängigkeitsverhältnisse. 155 

das im Mittelhochdeutschen „aufgeschichteter Haufe von Halmen" 
bedeutete, auch für eine Zahl von 60 Bündeln verwendet. Geradeso 
erklärt sich Mandel „Anzahl von 45" aus der Bedeutung „Haufe von 557 
Garben (in der Regel 15)", wie Zimmer für eine bestimmte Anzahl 
von Fellen, in der Regel 40, wohl aus übertragener Anwendung zu 
deuten ist als „soviel wie (in einem Zimmer) aufgeschichtet wurden" 
(vgl. 15). Und so wird auch Stiege für „eine Anzahl von 20" wohl 
identisch sein mit dem im Süddeutschen geläufigen Worte Stiege, das 
dem nordd. Treppe entspricht, und so eigentlich eine Anzahl von 
Gegenständen bedeuten, die man gewohnheitsmässig in Treppenform 
übereinanderzusetzen pflegte, wobei etwa die normale Treppe zu 
20 Stufen gerechnet wurde. ^) 

§ 139. Alsdann schliesst sich noch eine kleine Gruppe von 
Altersbezeichnungen zusammen, bei denen die Möglichkeit 
eines Abhängigkeits- oder Dienstverhältnisses zum 
HauptbegrifT geworden ist. Da haben wir zunächst das Wort Jünger, 558 
das als frühzeitig substantivierter Komparativ von jung zu einer all- 
gemeinen Bezeichnung für den Untergebenen wurde, und sich erst 
dann speziell auf die Jünger Jesu bezog, bis es in neuerer Zeit 
wiederum auf ähnliche Verhältnisse von Schüler- und Anhängerschaft 
übertragen wurde; entsprechend hat sich lat. senior „der Aeltere" in 
den romanischen Sprachen zu einer Bezeichnung für ,^err" (ital. 
signore, franz. monsieury engl. StV) entwickelt, während im Deutschen 
die Substantivierung Eltern (eigentlich „die Aelteren") eine andre Bahn 
eingeschlagen hat. Ferner hat Magd, das ursprünglich nur „Jungfrau'* 559 
bedeutet, den Sinn von „Dienstmädchen" angenommen, der schon 
bei Luther der gewöhnliche ist, wofür übrigens im Norddeutschen 
jetzt die ursprüngliche Verkleinerungsform Mädchen bevorzugt wird 
(vgl. 113 und 473). Ganz entsprechend ist die Entwicklung des 



*) Nach Paul, Wb., dunklen Ursprungs, während Kluge, Wb., und Heyne, 
Wb., diese Auffassung für wahrscheinlich halten. 



456 Kapitel VI. Aufeinanderfolge verschiedener Arten. 

560 männlichen Parallelwortes Knecht, nur dass die ursprüngliche Ver- 
wendung „männliches Kind'* und „junger Mann" uns nicht mehr be- 
wusst ist; aber bis ins 16. Jahrhundert setzte sie sich in der Litteratur 
fort und lebt in mundartlichen Resten heute noch (vgl. 515). Ebenso 

561 hat sich das in der Bedeutung ursprünglich sehr nahestehende Knappe 
entwickelt, indem es auf dienende Stellung bezogen und allmählich 
auf diese beschränkt wurde; uns ist es jetzt besonders als Vorstufe 
des ritterlichen Standes geläufig, es begegnet uns aber auch bei ge- 
wissen Gewerben als Bezeichnung für den Gesellen, so z. B. früher 
bei den Wollenwebern und den Müllern (^Mühlknappe, MüUerknappe), 
und noch jetzt allgemein Bergknappe, dazu gehörig Knappschaft 
,;Zunft der Bergleute." Aber auch die häufigere ursprünglich gleich- 

562 bedeutende Nebenform Knabe (die sich lautlich zu Knappe verhält 
wie Bähe zu Bappe, vgl. 210) drückte in älterer Zeit öfters ein Dienst- 
verhältnis aus, wie noch heute in Edelknabe im Sinne des moderneren 
„Page"; so erscheint es in der Bibel bisweilen in der Bedeutung 
„Diener", „Knecht", und bei den Handwerkern wurde es früher ent- 
weder für „Lehrling" (Lehrknahe) oder „Geselle" gebraucht (vgl. 106). 

563 Daran mag noch das Wort Geselle selbst gereiht sein, das zwar in 
seinem Ursprung kein Altersverhältnis, sondern eine Gemeinschaft 
irgendwelcher Art ausdrückt (vgl. 136), aber in seiner Entwicklung 
parallel läuft ; denn wie der Jünger(e) u. s. w. kann auch der Ge- 
selle einem andern nicht gleich-, sondern untergeordnet sein, und 
so erhält das Wort den Sinn „Gehilfe" und ist besonders bei den 
Handwerkern üblich geworden (eben statt des älteren Knecht oder 
Knappe)^ was uns jetzt am geläufigsten ist. 

§ 140. In noch loserer Weise jedoch hat sich die Anreihung 
einer Nebenvorstellung bei einigen Verwandtschaftsbezeich- 
nungen vollzogen, die zu Gattungsbegriffen übergehen, 
die mit dem Verwandtschaftsgrad an und für sich durchaus nicht 



öattungsbegriffe aus Verwandtschaftsnamen. l57 

zusammenzuhängen brauchen.^) Vollständig begreiflich ist es uns 
ja, dass bei Kind, das ursprünglich, die Begriffe „Sohn" und „Tochter" 564 
zusammenfassend, nur das Abstammungsverhältnis bezeichnete, sich 
die Vorstellung des Nichterwachsenseins einstellte, indem es vor- 
nehmlich für die noch im elterlichen Hause befindlichen Kinder ge- 
braucht wurde, weshalb es alsdann auch bloss zum Ausdruck für 
diese Vorstellung wurde ohne Rücksicht auf die Abstammung. Und 
ebensowenig erstaunlich ist es, wenn Tochter in Töchterschule , ferner 505 
als höhere Tochter scherzhaft, im Süd westdeutschen Tochter allein 
für „Müdchen" erscheint, wenn Grossvater einen alten Mann, Mütter- 
chen eine alte Frau bezeichnet, oder wenn Tochter wie Sohn und 
Kind, auch der Plural Kinder, zu vertraulicher Anrede wird. Befremd- 
licher aber ist es schon, wenn Onkel in scherzhafter Rede in der 566 
Verbindung komiscJier Onkel, sonderbarer Onkel — ausgehend wohl 
von dem unverheirateten, als unveräusserliches Erbstück erachteten 
Exemplar — für einen Sonderling gebraucht wird und in Cigarren- 
onkel u. s. w. gar für einen Kaufmann. Erstaunlich aber ist es ge- 
radezu, wie fest sich der Nebenbegriff der Geschwätzigkeit an Base 567 
angekettet hat, an das alte gute Wort, das ursprünglich „Vaters- 
schwester", dann überhaupt „Tante", in der neueren Sprache auch 
„Geschwisterkind" bedeutet: so giebt es sogar ein Verbum basen im 
Sinne von „schwatzen", Fraubase ist im Südwestdeutschen eine 
„Schwätzerin", wozu wieder mundartlich frabasen gebildet wird und 
bei Goethe Fraubaserei erscheint. Goethe ist es auch, der die Ver- 
wendung der Verwandtschaftsbezeichnung Schwager als Galtungs- 568 
begriff in dem Gedicht „An Schwager Kronos" (darin die Worte: 
„Töne, Schwager, ins Hörn, Rassle den schallenden Trab") littera- 
risch verewigt hat, indem diese in studentischen Kreisen um die 
Mitte des 18. Jahrhunderts aufgekommene scherzhafte Anrede an den 



') V^I. Behatrhel S. 102. 



158 Kapitel VI. Aufeinanderfolge verschiedener Arten. 

Postillon, die dann geradezu zur Benennung desselben wurde, sonst 
vielleicht heute vergessen wäre; kein Wunder übrigens, dass sich 
bei dem oft engen Zusammensein und den gemeinschaftlich erduldeten 
Erschütterungen in der einstmaligen Postkutsche das Gefühl ver- 
wandtschaftlicher Zusammengehörigkeit einstellen konnte! Dabei ist 
allerdings zu beachten, dass man sich des Wortes Schwager früher 
allgemein zu vertraulicher Anrede bediente.*) 

569 § 141. Neben dem soeben erörterten Cigarrenonkel (vgl. 566) 
steht nun bei dem Berliner der Cigarrenfritze für „Cigarrenhändler"^), 
und das mag uns hinübergeleiten zu einer weiteren Gruppe von Aus- 
drücken, dfe eine ebenso lose Anreihung einer Nebenvorstellung auf- 
weisen wie die besprochenen Verwandtschaftsbezeichnungen : es sind 
dies Eigennamen von Personen, die sich zu Gattungsnamen 
entwickeln und so gleichsam den umgekehrten Prozess durchmachen, 
den wir bei der Entstehung von Eigennamen aus Gattungsnamen als 
Verengung (§ 30) dargestellt haben.^) Aber während dort jede Gat- 
tungsbezeichnung unter Umständen zu einem Eigennamen werden 
kann, sind es hier nur die allerhäufigsten Eigennamen, die gerade 
infolge ihrer grossen Verbreitung bisweilen appellativische Natur an- 
nehmen, wobei sie zum Teil in ihrer Bedeutungsentwicklung mit Wörtern 
wie gemein, gewöhnlich, ordinär parallel laufen, indem eben das all- 
gemein Verbreitete nicht hoch geschätzt zu werden pflegt (vgl. 509). 

§ 142. Da tritt uns zunächst mit reichster Ausgestaltung unter 

570 den Vornamen der allzeit dienstbereite Johann *) entgegen, ein Name, 



1) Vgl. Borchardt Nr. 1074. Kluge, Wb., weist darauf hin, dass Schwager 
in der 1. Hälfte des 18. Jahrhunderts zuerst als studentische Anrede an Nicht- 
studenten auftritt (im Gegensatz zu Bruder als gegenseitige Anrede der Stu- 
denten untereinander), und daraus sei die Bedeutung „Postillon" als Speziali- 
sierung hervorgegangen. 

'^) Vgl. Behaghel S. 103. 

8) Vgl. Wilh. Wackernagel, „Die deutschen Appellativnamen", Germania 
4 S. 129—159. 

*) Ausführliche Zusammenstellungen bei Richter Nr. 70, Borchardt Nr. 523. 



Gattungsnamen aus Eigennamen. 459 

der dem Hausknecht im Gasthause oder dem Herrschaftskutscher erst 
das richtige Gepräge zu geben scheint. Viele Jahrhunderte schon 
war dieser Name bis in die untersten Schichten des Volkes verbreitet 
und in der Koseform Hans gleichsam als Verkörperung der deutschen 571 
Persönlichkeit erachtet, wie uns die Verbindungen Hans im Glück, 
Hansel und Gretel im Märchen, Hanswurst in der Zusammensetzung 
mit der deutschen Lieblingsspeise ^) zur Genüge beweisen. Heisst es 
doch auch im Sprichwort: Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans 
nimmermehr ! Schwer zu erschöpfen wäre die Reihe der Zusammen- 
setzungen wie Prahlhans^ Saufhans^ Schmalhans (bei dem es knapp 
hergeht, z. B. da ist Schmalhans Küchenmeister), Dampf hans (für 
einen windigen, thörichten, eingebildeten Menschen), daneben noch 
häufiger Hans Dampf gebildet wie Hans Liederlich, Hans Narr, Hans 
Ohnesorge, Hans in allen Ecken, Hans in allen Gassen, wobei Be- 
stimmungen hinzutreten, die wie Beinamen oder Familiennamen ge- 
fasst, allerdings aber auch öfters mit Hans zusammen geschrieben 
werden. Besonders aber sei darauf hingewiesen, dass der gleiche 
Name in der niederdeutschen Form Jahn auch in Dummerjahn (vgl. 572 
dummer Peter, dumme Liese) und Liederjahn steckt, ebenso in 
Janhagel, der aus dem Niederländischen stammenden Bezeichnung für 
den Pöbel, die aus dem Eigennamen Jahn Hagel entstanden ist; 
anders ist dagegen wohl der Ursprung von Grobian und Schlendrian 
(letzteres früher auf Personen, jetzt auf träges Treiben bezogen), 
worin scherzhafte Ableitung mit lateinischer Endung vorzuliegen scheint, 
worauf die Form Grohianus des 15. Jahrhunderts hinweist. Dass ttbri- 



1) Bekanntlich ist die lustige Person, die von den englischen Komödianten 
zu den andern Kulturvölkern gebracht Avorden ist, je mit dem häufigsten 
Vornamen und der Lieblingsspeise des betreffenden Volkes oder mit dieser 
allein bezeichnet worden: bei den Engländern Jack Pudding, bei den Nieder- 
ländern Pickelhering, bei den Franzosen Jean Potage, bei den Italien^'rn 
Maeearoni. 



i60 Kapitel Vi. Aufeinanderfolge verschiedener Arten. 

gens der zweite Bestandteil eines Eigennamens geradezu als ein 
Suffix für Personenbezeichnungen gefühlt werden kann, zeigen auch 

573 die Bildungen Trunkenhold, Raufhold, Saufhold, Witzhold, auch 
Tugendhold, die den Eigennanien auf -hold (= hald^ ursprünglich 
„kühn") wie Leopold, Diehold, Humhoid(t) nachgeformt sind und ihrer- 
seits wiederum dazu geführt haben, dass Bold zuweilen auch als selb- 
ständiges Wort erscheint: trunkener Bold im 16. Jahrhundert, kleine 
Bolde bei Rückert. Als Verbindung von zwei häufigen Namen finden 
wir sodann Hans und Kunz (Konrad) wie auch Hinz (Heinrich) und 
Kunz 1) im Sinne von ,jeder beliebige, gewöhnliche Mensch". 

574 § 143. Eine direkt tadelnde Bedeutung haben entwickelt Stoffel 
(dazu gehörig stofflig), zuweilen in der Form Stoffel und Töffefi) aus 
Christoph als Bezeichnung für einen einfältigen, unbeholfenen Men- 
schen und Rüpel (davon abgeleitet rüpelhaft) aus Ruprecht für einen 
ungeschliffenen Kerl. 3) Nach verschiedenen Richtungen hat sich 

575 Nickel, eine Kürzung aus Nikolaus, ausgestaltet, indem es für einen 
eigensinnigen Menschen, entsprechend in der Zusammensetzung Zorn- 
nickel, aber auch für eine Dirne und für ein schlechtes Pferd er- 
scheint ; auch in der Bezeichnung für einen Wassergeist, gewöhnlich 
Nickelmann, steckt wohl der Eigenname, aber mit Anlehnung an Nix, 
Nixe, ebenso in Pumpernickel, das nicht nur für die bekannte Brot- 
sorte, sondern mundartlich auch für eine dicke, plumpe Person, 
namentlich ein Kind erscheint, was vielleicht das Ursprünglichere 

576 ist. Aber auch in dem Zeitwort uze^i „verspotten" haben wir zweifels- 



*) Hildebrand S. 121 glaubt, dass in dem formelhaften Bim und Kunz 
wahrscheinlich unsere alten Kaisernamen Heinrich und Konrad stecken. 

^) „Dass Glück ihm günstig sei, Was hilft's dem Stoffel? Denn regnet's 
liroi. Fehlt ihm dor Löffel." Spruch von Goethe. „Der kleine Toffel", Gedicht 
von Lichtwor. 

3) Nach Kluge, Wb., gab der bäuerliche Knecht Ruprecht zur Ausbildung 
der Bedeutung Anlass. 



Gattungsnamen aus Eigennamen. |g| 

ohne eine Koseform zu Grunde zu legen, nämlich ütz aus dem häu- 
figen Eigennamen Ulrich, Dass sich ein derartiges Wort als Gattungs- 
begriff so sehr festsetzen kann, dass auch Zeitwörter davon abgeleitet 
werden, dafür können als weitere Belege in Bezug auf die eben be- 
sprochenen Eigennamen stoffein „schwerfällig, ungeschickt gehen" und 
sich nickein „sich ärgern" (das hat ihn genickelt) angeführt werden; 
aber auch an hänseln ist zu denken, indem Hans^ wie wir gesehen 577 
haben, auch als Bezeichnung des Narren erscheint, besonders in der 
Verkleinerungsform Hansel. ^) Weiter besitzen wir eine derartige 
verbale Ableitung in scharwenzeln oder scherwenzeln „sich durch 578 
Dienstbeflissenheit angenehm zu machen suchen" ; es kommt nämlich 
von dem jetzt weniger üblichen Scharwenzel, das ursprünglich den 
Buben in einem bestimmten Kartenspiel, dann aber auch einen Men- 
schen bezeichnete, der sich jedermann gefällig zeigen will, und Wenzel 579 
wiederum, auch für sich in ersterer Bedeutung gebräuchlich, ist eben 
der gleichlautende Eigenname, der landschaftlich mehrfach den Cha- 
rakter einer Gattungsbezeichnung angenommen hat. Auch faulenzen 580 
darf hier genannt werden, denn im 16. Jahrhundert ist der faule Lenz 
(= Leonhard)y zusammengezogen Faulenz, eine übliche Bezeichnung 
für einen trägen Menschen ; „doch kommt in Betracht, dass schon im 
Spätmittelhochdeutschen ein aus fül abgeleitetes Verbum vülezen 
nachgewiesen ist, so dass vielleicht volksetymologische Umdeutung 



^) In diesem Sinne hat der Hansel, Fastnachtsh ansei z. B im südlichen 
Baden, besonders in der Gegend von Konstanz, Stockach, Villingen, wo ja 
überhaupt das Fastnachts- und Narrengetriebe noch stark ausgeprägt ist, z. T. 
mit feststehendem Kostüm grosse Verbreitung. — Paul, Wb., S. 204 macht übri- 
gens darauf aufmerksam, dass hänseln in der älteren Sprache auch bedeutet 
„unter Anwendung bestimmter Gebräuche in eine Genossenschaft aufnehmen" 
und in diesem Sinne jedenfalls Ableitung aus Hanse „Schar" ist (daher Hansa) ; 
er zieht sogar daraus die Folgerung: „Da mit solcher Aufnahme in gewissen 
Kreisen Foppereien verbunden sind, so lässt sich aus dieser Bedeutung auch 
die heutige ableiten." Heyne, Wb., hält dies für sicher, während Kluge, Wb., 
zwiefachen Ursprung von Hanse und Hans annimmt. 

Waair. BedeutangsentATicklaug. H 



462 Kapitel VI. Aufeinanderfolge verschiedener Arten. 

vorliegt" (Paul, Wb., S. 435, *) vgl. auch faul 458). Von weiblichen 

581 Personennamen ist besonders Metze bemerkenswert, worin sich eine 
Koseform zu Mechtüd (Mathilde) vereteckt ; auch dieser Eigenname 
wurde wegen seiner Häufigkeit zu einem Appellativum im Sinne von 
„Mädchen", ursprünglich, so bei Luther, ohne übeln Nebensinn, bis 
es dann später (wohl infolge euphemistischer Verwendung, vgl § 119) 
verächtlich für „Konkubine" gebraucht wurde. 

§ 144. Aber auch zu ständigen Tierbe Zeichnungen 
^ können sich solche Koseformen herausgestalten. Wenn wir die Katze 

582 schmeichelnd Mieze, Miezchen nennen, so ist uns nicht immer be- 
wusst, dass wir eigentlich eine Koseform von Marie gebrauchen; 
dazu gehört denn wohl auch Misekatze, die schmeichelnde Bezeich- 
nung der Katze in der Ammensprache. Als weitere Tierbezeichnung 

583 der Art ist Matz zu nennen, das sich nach Zurückziehung des Ac- 
centes (Umdeutschung) aus Matthäus entwickelt hat ; es erscheint wie 
Hhiz u. s. w. appellativisch als verächtliche Bezeichnung für einen 
beliebigen Menschen (vgl. auch Hosenmatz für „Knabe in den ersten 
Hosen", Mätzchen machen „seltsames Zeug treiben"), ferner aber auch 
als Schmeichelwort für einen Vogel, wovon dann wieder Piepmatz 

584 mit Beiziehung von piepen und Piepvogel gebildet ist. Auch auf Petz, 
Betz mag noch hingewiesen werden, indem diese Bezeichnung des 
Bären wohl identisch ist mit einer gleichlautenden Koseform zu Bern- 
hard, wobei allerdings der lautliche Anklang an Bär mitbestimmend 
gewesen sein kann. Wenn übrigens so, dem alten Zug des Tiermär- 
chens folgend, Personennamen zu Tiernamen werden, so haben wir 
hier gewissermassen ein Gegenspiel von jener Bedeutungsentwicklung, 
nach welcher, wie wir früher gesehen haben, Tierbezeichnungen wie 
Fuchs u. s. w. metaphorisch auf Menschen Obertragen werden (vgl. 207). 



1) Auch in Andresen, „Deutsche Volksetymologie" (6. Aufl. 1899, S. 383 f.) 
unentschieden gelassen. 



Gattungsnamen aus Eigennamen. 163 

§ 145. Aber nicht nur auf Tiere, sondern auch auf leblose 
Dinge werden Eigennamen von Personen bisweilen bezogen; so 
erscheint schon seit dem 45. Jahrhundert Dieterich in scherzhafter 585 
Personifikation für „Nachschlüssel", wobei höchst wahrscheinlich dieser 
häufige Eigenname sich zunächst für einen diebischen Menschen her- 
ausgestaltet hat. ^) Wenn andrerseits Peter landschaftlich auch ein 586 
Kleidungsstück (jetzt eines für Frauen) bezeichnet, so haben wir 
hierin eine Verbindung mit jenem metonymischen Bedeutungswandel, 
wonach der bekleidete Körper zu einer Bezeichnung für das be- 
deckende Kleidungsstück werden kann (vgl. Leih u. s. w. 350 — 352). 

§ 146. Auf ganz gleiche Stufe mit der Entwicklung von Hinz, 
Kunz u. s. w. zu dem verächtlichen Sinn , jeder beliebige" ist es so- 
dann zu stellen, wenn häufige Familiennamen in ähnlicher 
Weise verwendet werden. Mit dem vorhin erwähnten Sprichwort 
Was Häuschen nicht lernt, lernt Hans nimmefrmehr (vgl. 570) ver- 587 
gleicht sich so z. B. die öfters zu hörende Wendung Lieher zum 
Schmied als zum Schmiedle, was in volkstümlicher Weise ausdrücken 
soll, dass man besser zu dem Höheren geht als zu dem Niederen. Kein 
Wunder, dass gerade der häufigste Familienname, nämlich Meier, sich 588 
ebenso in Zusammensetzungen findet wie die häufigen Vornamen Pete7\ 
Hans u. s. w. ; da giebt es z. B. Angstmeier und Vereinsmeier^ und 
wie fest diese Ausdrücke zusammenwachsen, zeigen die weiteren Ab- 
leitungen Angstmeierei und Vereinsmeierei. Und ähnlich hat sich in 
neuester Zeit Huher (vgl. 132) aus dem Familiennamen wieder zu 589 
einer Gattungsbezeichnung entwickelt, besonders in Wühlhuher für 
,jemand, der sich viel mit Wühlereien abgiebt", ein Ausdruck, der zu 
Zeiten einer öffentlichen Wahl gern gebraucht wird. Dass übrigens 



*) Nach Audresen a. a. O. S. 323 wahrscheinlich mit wortspielendem Be- 
zug auf das Diebeshandwerk, also gleichsam „Dieberich". Jedoch erscheint 
auch Peterchen (Peteiken) und Klaus (Klöschen) als Bezeichnung für „Nach- 
schlüssel", vgl. Kluge, Wb. 

11* 



164 Kapitel VI. Aufeinanderfolge verschiedener Arten. 

auch der Familienname von bestimmten Einzelpersonen appellativische 
Natur annehmen und zu verschiedenen Weiterbildungen fuhren kann, 
lässt sich häufig beobachten ; es sei jedoch hier nur aut Ausdrücke 
wie fuggem, verballhornen hingewiesen. 

§ 147. An diese Vor- und Familiennamen seien noch einige 
Völkernamen angereiht, die infolge gewisser Ideenassoziationen 
appellativische Natur angenommen haben, ohne dass in dem Namen 
an und für sich der betreffende Gattungsbegriff enthalten wäre. Hier 

590 ist z. ß. Heiduck zu nennen, das eigentlich einen ungarischen Volks- 
stamm bezeichnet, dann einen leichten Reiter, endlich einen Bedienten 
in der Tracht dieses Stammes, auch wenn er demselben nicht an- 

591 gehörte. Fast komisch jedoch mutet uns der Ursprung von Hüne an, 
jener durch Wieland in die allgemeine Schriftsprache eingeführten 
Bezeichnung für „Riese", uns besonders in Hünengräber geläufig: 
nichts andres liegt nämlich zu Grunde, als die niederdeutsche Form 
des Völkernamens der Hunnen (mhd. Hiune), und die waren doch 
von kleiner, unansehnlicher Gestalt! Aber es ist doch eine Vermitt- 
lung dafür vorhanden, dass das Wort schon im Mittelhochdeutschen 
zuweilen die Bedeutung „Riese'^ annahm, indem sich die Volksphan- 
tasie im Laufe der Zeiten unter diesen gefürchteten Scharen, die wie 
die Ungarn zu einem Schreckwort für die Kinder wurden, etwas 
Grosses , Gewaltiges vorstellte, i) Keinem Zweifel unterliegt es, 

592 dass Sklave von Hause aus mit dem Volksnamen Slave (lateinisch 
auch Sclavi) identisch ist; es bezeichnete also zunächst gefangene 
Siaven, dann Gefangene oder Geknechtete überhaupt. ^) Selbstver- 



^) Während Paul, Wb., und Heyne, Wb., diesen Ursprung von Hüne an- 
nehmen, möchte Khige, Wb., darin eine alte Bezeichnung eines germanischen 
Volksstamms erblicken. 

*) Nach Kluge, Wb., der auf Baist verweist, liegt die byzantinische Be- 
zeichnung der Stidslaven zu Grunde, die in Italien im 8./9. Jahrhundert die 
Bedeutung „Sklave" (als Sclavus) annahm. 



Gattungsnamen aus Völkernamen. 165 

ständlicli können auch Adjektive von Völkernamen appellativische 
Bedeutung annehmen. So findet sich schon im ausgehenden Mittel- 
alter altfränkisch im Sinne von „aus der Mode gekommen", und ahn- 593 
lieh wurde gotisch im 48. Jahrhundert wie franz. gothique unter der 
Herrschaft des Klassizismus zu einer verächtlichen Bezeichnung für 
„mittelalterlich", mit dem Nebensinn des Barbarischen, Geschmack- 
losen, bis das Wort durch Goethe in dem Aufsatz „Von deutscher 
Baukunst" (in Herders „Blättern von deutscher Art und Kunst" 1773) 
wieder zu Ehren gebracht wurde und danach als Bezeichnung f^r 
einen bestimmten Stil geblieben ist. Erwähnt sei noch flämisch, das 594 
in der Volkssprache den Sinn „mürrisch", „verdriesslich" angenommen 
hat ; ganz anders gewertet war jedoch dieser Volksstamm zur Blüte- 
zeit der mittelhochdeutschen Litteratur, wo Vlaeminc (FlamländerJ 
auch „Mann von feiner Bildung" bedeutete und mit der rede vlaemen 
(nach Art der Flamländer sprechen) für ein grosses Lob galt, da ja 
in jenen Landen die Wiege ritterlicher Sitte stand. 



Kapitel VII. 

Bedeutungswandel von Wortgruppen. 



§ 148. Verschiedentlich schon haben wir beobachtet, dass 
sich der Bedeutungswandel nicht nur am einzelnen Worte vollzieht, 
sondern vielfach durch den Satzzusammenhang bestimmt wird, wie 
ja das Wort überhaupt kein Sonderleben führt und erst durch die 
Verwendung im einzelnen Falle eine bestimmte Umgrenzung erhält: 
viele Verengungen des Bedeutungsumfangs haben wir z. B. aus dem 
wiederholten Gebrauch eines Wortes in einer gewissen Interessen- 
sphäre erklärt und andrerseits bei der Erweiterung gezeigt, dass sich 
der Verlust eines Teils des Bedeutungsumfangs aus syntaktisch an- 
geknüpften Worten begreifen lässt (vgl. § 1, 6, 40). So haben auch 
sonst viele Wortverbindungen durch eine besondere Entwick- 
lung ihrer Bedeutung eine grössere oder geringere Selbständigkeit 
gegenüber dem einzelnen Worte erlangt, dessen eigentlicher Sinn im 
Bewusstsein zurücktritt, ohne dass sich dabei eine dem Einzelwort 
eigentümliche neue Bedeutung entwickelte. i) 

§ 449. Vor allem werden in stehender Form zahlreiche Wen- 
dungen mitgeführt , die auf bildlicher Anwendung der 
nächstliegenden Gegenstände beruhen. Da tritt uns z. B. 
595 von Körperteilen besonders häufig Nase entgegen in Ausdrücken wie 
die Nase in alles stecken, einen mit der Nase auf etwas stossen, eineth 
etwas unter die Nase reiben, einem etwas auf die Nase binden, es 

') Vgl. Paul, Aufgaben S. 71 f.; Behaghel S. 102 u. 115; Stöcklein S. 11. 



Bedeutnngswaftdel von Wortgruppen. 167 

sticht mir in die Nase, die Nase rümpfen^ die Nase hochtragen, einem 
etwa^ an der Nase ansehen, er mag sich an seiner Nase fassen, einem, 
etwas vor der Nase wegnehmen, einen an der Nase herumführen, einem, 
auf der Nase herumtanzen, einem eine lange Nase machen u. s. w.; 
ferner begegnen uns besonders häufig Auge, Ohr, Hals, Zahn, Hand und 596 
Fuss, von der Körperbekleidung Schuh und Tasche, von Hausgeräten 
die Wage, von Teilen des Hauses die Thür, von den Haustieren Hund 
und Katze, von dem Geschirr der Nutztiere Sattel und Strang. 

§ 450. Während nun die meisten formelhaft traditionellen 
Wendungen dieser Art infolge der geringen Veränderung der dabei 
vorliegenden Grundverhältnisse bei genauerem Zusehen heute noch 
verständüch sind, bedarf es bei einer grossen Zahl anderer Wendungen 
teils kultur-, teils sprachgeschichtlicher Kenntnisse, um den im Lauf 
der Entwicklung verdunkelten Sinn zu erkennen. Es ist hier 
nicht unsere Aufgabe, eine Zusammenstellung und Erklärung von 
derartigen Redensarten zu geben, wie eine solche in den mehrfach 
anzuführenden Sammlungen von Albert Richter und Borchardt-Wust- 
raann^) enthalten ist; wohl aber ist es vom Standpunkt der Be- 
deutungsentwicklung interessant, an einigen Beispielen zu verfolgen, 
aus welchen verschiedenen Gründen die heutige 
Verdunkelung des ursprünglichen Wortsinns ei n- 
getretenist. 

§ 151. Diese ist z. B. verursacht durch die veränderte 
Beschaffenheit des betreffenden Gerätes in der Wen- 
dung die Tafel, den Tisch aufheben, was jetzt nur noch verstanden 597 
wird als „das Zeichen zur Beendigung der Mahlzeit geben"; im Mittel- 
alter aber wurden die Tischplatten erst, wenn gespeist werden sollte, 
auf Gestelle gelegt und nach dem Essen wieder aufgehoben oder 
fortgenommen, welcher Vorgang eben noch unbewusst in jener Aus- 

Vgl. das Verzeichnis der Abkürzungen. 



168 Kapitel VII. Hedontungswandel von Wortgruppen. 

drucksweise fortlebt (vgl. 525). Andrerseits erklärt sich aus einem 
jetzt abgekommenen Brauche die mit dem gleichen Verbum 

598 gebildete Redensart viel Aufhebens machen, indem bei dem Aufheben 
der Waffen zum Fechten vor dem Zweikampfe vielfach ein prah- 
lerisches Getöse gemacht wurde, und Lessing ist sich dessen noch 
ganz deutlich bewusst , wenn er schreibt : „Endlich scheint der 
Herr Hauptpastor Göze, nach so langem, ärgerlichem Aufheben, 
welches nur bei der schlechtesten Art von Klopffechtern im Gebrauch 
ist, zur Klinge kommen und bei der Klinge bleiben zu wollen." i) 
Ebenfalls aus einer früheren Sitte begreifen sich die Wendungen 

599 einem einen Korb geben und einen Korb bekommen, woneben in 
gleichem Sinne früher durch den Korb fallen stand, so noch bei 
Jakob Ayrer; diese Form weist auf den Ursprung zurück, denn „es 
wird mehrfach berichtet, dass Burgfrauen den heimlich Geliebten in 
einem Korbe zu sich heraufeiehen liessen, aber auch, dass andere 
einen unbequemen Liebhaber einen mit leicht durchbrechbarem Boden 
versehenen Korb herabliessen und so Durchfall und Absturz des Be- 
trogenen herbeiführten." 2) Noch im 47. und 18. Jahrhundert war 
dann ein bodenloser Korb das Symbol der Abweisung, und heute noch 
kann man in verschiedenen Gegenden Deutschlands hören: einen 
Korb kann man schon krieg&ti, aber einen Boden muss er haben, 

600 Wenn es heute heisst er hat sich zum Prügelknaben hergegeben oder 
er muss als Prügeljunge herhalten, so denkt man gewöhnlich nur 
allgemein, dass einer an Stelle eines andern Strafe oder Tadel er- 
leidet; eigentlich ist aber damit einer früheren Sitte entsprechend 
ein Knabe gemeint, der dazu gehalten wurde, um an Stelle eines 
Fürstensohnes die diesem zukommende Züchtigung zu empfangen. 
Der zu Grunde liegende kirchliche Brauch ist in der Redensart 



1) Vgl. Borchardt Nr. 67. 

») Vgl. Richter Nr. 58; ferner Borchardt Nr. 689. 



Folge von abgekommenen Bräuchen u. s. w. 169 

am Hungertuch nagen ganz vergessen; denn im 16. Jahrhundert (so 601 
bei Hans Sachs) hiess es am Hungertuche nähen, woraus die spätere 
Wendung mit Anlehnung an das ähnlich klingende nagen umgestaltet 
ist: Hungertuch hiess nämlich früher das schwarze Tuch, womit zur 
Fastenzeit der Altar verhangen wurde.^) Auf einen vergessenen 
Volksglauben weist die Wendung einen Narren an jemand ge- 602 
fressen haben: man dachte sich die verschiedenen Arten von Narr- 
heiten als Personen und die Menschen als von denselben besessen, 
wie ja „Die Narrenbeschwörung" Murners, der Schwank „Der Narren- 
fresser'*, sowie das Fastnachtsspiel „Das Narrenschneiden" von Hans 
Sachs auf dieser Vorstellung beruhend die Befreiung der Menschen 
von den Narrheiten darstellen; ursprunglich hiess übrigens die Redens- 
art nur den Narren gefressen haben in dem allgemeinen Sinne „ein 
Narr sein", und als der Zusatz an jemand hinzutrat, dachte man 
wohl schon nicht mehr an den eigentlichen Sinn. 2) 

§ 152. Manche Redensarten sind sodann verdunkelt, weil ein 
darin vorkommendes Wort eine frühere Bedeutung 
im allgem ei n en G ebrauch zugunsten einerandern 
aufgegeben hat. Wenn es z. B. heisst etwas aufs Tapet bringen 603 
„zur Verhandlung bringen", „die Sprache worauf bringen" oder aufs 
Tapet kommen, so können wir aus der heutigen Bedeutung von 
Tapete die Herkunft der Wendung nicht begreifen, wohl aber, wenn 
wir wissen, dass Tapet und Tapete dasselbe bezeichneten, wie das^ 
verwandte Wort Teppich, und dass man früher nicht nur Fussböden 
und Tische, sondern auch die Wände mit Teppichen bedeckte, woraus 
sich eben später die Sitte des Beklebens mit Papiertapeten entwickelte; 
in unserer Redensart meint Tapet nun den Tischteppich und zwar 
speziell den Ueberzug des Tisches in Sitzungszimmern, gewöhnlich 
von grüner Farbe, woraus sich ja auch der Ausdruck am grünen 



1) Vgl. Borchardt Nr. 604. 

^) Vgl. Borchardt Nr. 28 u. 843. 



170 Kapitel VII. Bedeutungswandel von Wortgruppen. 

604 Tisch erklärt.*) Einem den Rang ablaufen wird jetzt irrtümlicherweise 
auf das dem Französischen entlehnte Wort Bang bezogen und ge- 
deutet als „im Rang um eine Stufe überflügeln"; Rang ist aber 
eigentlich hier ein echt deutsches, mit Rank „Krümmung" (nur noch 
im Plural Ränke bildlich für „List" üblich) verwandtes und synonymes 
Wort, und die Redensart bedeutet ursprünglich: „einem Läufer, der 
einem ein Stück voraus ist, doch noch zuvorkommen, dadurch dass 
man die Krümmung, die er macht, den Rank, vermeidet, sie auf einem 
geraden Wege gleichsam abschneidet." ^j 

§ 153. Infolge eines im sonstigen Gebrauch untergegange- 
nen Wortes hat sodann eine noch weitergehende volksetymolo- 

605 gische Umdeutung stattgefunden in der; Wendung zu Paaren treiben, 
die wir uns jetzt als „paarweise in die Flucht treiben" auslegen, 
während es ursprünglich bedeutete „zur Krippe treiben" (mhd. bam^ 
zerdehnt baren „Krippe") und danach wie ein dem Stall entflohenes 
Tier „zur Ruhe bringen", „überwältigen", wie es noch bei Hans 
Sachs heisst: ich wil dich wol zum paren bringen,^) Sodann wird 

(306 jetzt mit der üblichen Wendung die Sonne geht zur Rüste in vielen 
Gegenden kein klarer Wortsinn verbunden, sondern es ist nur ein 
dunkles Gefühl vorhanden für den gesamten Bedeutungsinhalt, indem 
Rüste^ eine ablautende Nebenform zu Rast, nur noch in Norddeutsch- 
land mundartlich bekannt ist. 

§ 154. Vielfach kommt uns ferner der ursprüngliche Wortsinn 
nicht mehr zum Bewusstsein, weil ein spezieller Fachaus- 
druck , eine in der Fachsprache oder in einer gewissen Interessen- 
sphäre eingetretene und dann allgemein angenommene Spezialisierung 
(vgl. § 14-18) jetzt nicht mehr geläufig ist. Nicht allgemein 

607 klar ist so die Herkunft der bildlichen Wendung zu Faden schlagen, 

1) Vgl. Richter Nr. 114, ßorchardt Nr. 1171. 
^) Vgl. Richter Nr. 86, Borchardt Nr. 968. 
3) Vgl. Richter Nr. 77, Borchardt Nr. 894. 



Folge von untergegangenen Wörtern u. s. w. 171 

was bei den Webern „die Kette einrichten" bedeutet, wie W. Hauff 
mit Fortsetzung des Bildes noch sagt : so waren die Personen arran- 
giert, das Stück zu Faden geschlagen, und jetzt musste gewoben werden 
(vgl. 555). Einen Dämpfer aufsetzen beziehen wir jetzt unmittelbar 608 
auf dämpfen im Sinne von ,ymässigen'% „mildern" (eigentlich „etwas 
Hellbrennendes auf blosses Dampfen herunterbringen"), während die 
Redensart aus der Sprache der Musik herstammt, in welcher der 
Dämpfer eine mechanische Vorrichtung ist, wodurch der Klang eines 
musikalischen Saiteninstruments abgeschwächt wird, so dass es sanfter 
tönt. 1) Speziell die Richtschnur der Zimmerleute ist eigentlich ge- 
meint in der Redensart liber die Schnur hauen, indem jene auf dem 609 
Holze eine Schnur hinspannen, um die Linie festzulegen, die beim 
Behauen des Balkens streng eingehalten werden muss.^) Nicht mehr 
verstanden wird jetzt auch der grausame Humor und die drastische 
Naturwahrheit der aus der alten Kriegersprache stammenden Redens- 
art einen über die Klinge springen lassen ; denn der über die Klinge 610 
Springende ist kein anderer als der abgeschlagene Kopf, wie Luther 
noch deutlich einmal sagt : die ihm den Kopf hatten über eine kalte 
Klinge lassen hüpfen, und in einem altdeutschen Fastnachtsspiel heisst 
es : dein houpt muoss dir über ein swertsklingen hopfen. ^) 

§ 155. Bei dieser Betrachtung über den Bedeutungswandel von 
Wortgruppen sei auch darauf hingewiesen, dass manche von den in 
fester traditioneller Form wiederkehrenden verschwisterten 
Wortpaaren*), die vielfach durch Allitteration oder Reim zusammen- 
gehalten werden, in der Entwicklung ihrer Bedeutung bemerkens- 
werte Verschiebungen durchgemacht haben. Wie fest sich solche 

1) Vgl. Borchardt Nr. 238. 

2) Vgl. Richter Nr. 93, Borchardt Nr. 1058. 
») Vgl. Richter Nr. 55, Borchardt Nr. 673. 

*) Eine ausführliche Aufzählung solcher heute nocli üblichen Zwillings- 
formeln findet sich bei Borchardt S. 8—13. 



472 Kapitel VII. Bedeutungswandel von Wortgruppen. 

Verbindungen in der äusseren Form zusammenschliessen, können wir 

(iil zunächst daran sehen, dass z, B. HaV und Gut (immer mit Elision, 
niemals Habe I) so sehr als Einheit empfunden werden, dass man sagt 
sein Hab' und Gut und bei Goethe sogar liest mit allem mobilen Hab' 
und Gut, wobei also der ganze Ausdruck nach dem zweiten Bestand- 
teil als Neutrum behandelt ist ; ebenso liegt es bei in die Kreuz und 
Quer, wie auch die Zusammensetzung Kreuz- und Quersprünge die 

642 Einheitlichkeit zeigt, und ferner ist jammerschade erwachsen aus häufig 
verbundenem Jammer und Schade. 

§ 456. Betrachten wir nun solche Formeln nach ihrer heutigen 
Bedeutung, so zeigt sich bei etlichen, dass das eine Glied der- 
selben zumTräger des Begriffes geworden ist, wäh- 
rend das andere Glied nur als ein ausmalender Zusatz gefühlt wird. 

613 So bedeutet Hiklle und Fülle jetzt allgemein „Ueberfluss", wobei wir 
uns auf das Wort Fülle stützen und dies in dem jetzt üblichen Sinne 
fassen, während die Formel ursprünglich „Hüllung und Füllung", d. h. 
„Kleidung und Nahrung", und im 46. Jahrhundert so den notwendigen 
Lebensunterhalt bezeichnet, sogar im ausdrücklichen Gegensatz zum 
Ueberfluss, wie Luther sagt: des wir nicht überleng (überflüssig) haben, 
sondern nur Hülle und Fülle ; aber im 47. Jahrhundert fand dann die 
Umdeutung unter Anlehnung an den gewöhnlichen Sinn von Fülle 
statt, worauf sodann mit Hülle keine klare Vorstellung mehr verbunden 
wurde. So stark wurde aber dann der Einfluss des Wortes Fülle, 
dass nunmehr Hülle auch für sich im Sinne von „Ueberfluss" auf- 
treten kann in Sätzen wie: er hat Geld in HülleA) Nur in Bezug auf 

644 Münzen wurde zunächst gäng{e) und gäbe gebraucht im Sinne von 
„Kurs habend", dann überhaupt „üblich", wobei gange eigentlich be- 
deutete „im Gange befindlich" und gäbe „was sich leicht geben lässt", 
„was also von jedermann genommen wird"; beide Wörter, nur in 



') Vg]. Paul, Aufgaben S. 76. 






Verschwisterte Wortpaare. 473 

dieser Formel erhalten, sind jetzt für sich nicht mehr gebraucht, 
und nur mit dem ersten verbinden wir noch einen bestimmten Wort- 
sinn, was sich auch daran zeigt, dass nach dem zugehörigen Sub- 
stantiv vielfach Umformung zu gang und gäbe eingetreten ist. Die 
Formel in Bausch und Bogen im Sinne von „im grossen und ganzen" 615 
gründen wir bei der Erklärung nach dem heutigen Sprachgefühl auf 
das erste Glied, indem wir dabei an Bauschsumme, Bauschhetrag 
(auch Pausch geschrieben, in der Kanzleisprache Pauschalsumme) 
anknüpfen ; aber auch das zweite Glied hatte ursprünglich seine Be- 
deutung, indem bei Grenzen Bausch eine nach aussen. Bogen eine 
nach innen gehende Biegung bezeichnete, so dass das Ganze eigent- 
lich besagte „ohne Besichtigung und Berechnung im einzelnen, indem 
angenommen wird, dass die Abweichungen nach verschiedenen Rich- 
tungen sich ausgleichen".^) Klipp und klar ist uns so viel wie „ganz 61G 
klar", und wir führen das erste Stück nur als ein Kiangwort mit; 
wahrscheinlich aber ist es so viel wie klappen und mit volkstümlichem 
es will nicht klippen und nicht klappen in Zusammenhang zu bringen, 
wobei klippen in lautmalender Weise im Ablaut zu klappen gebildet 
ist, wie klipp klapp. 

§ 157. Bei andern Formeln verbinden wir zwar mit beiden 
Gliedern auch jetzt noch einen bestimmten Wortsinn, lehnen aber 
das eine Glied, in welchem eigentlich ein ver- 
einzelter Rest einer früheren Bedeutung erhalten 
ist, mehr oder weniger an die gegenwärtig übliche 
Wortbedeutung an, indem sich wie bei volksetymologischer 
Ausdeutung das Bestreben geltend macht, das Vereinzelte durch An- 
lehnung in einen grösseren Zusammenhang zu bringen. 2) So beruht 
die aus der Bibel stammende Verbindung schlecht und recht auf dem 617 
älteren Sinn von schlecht, das als Gegensatz zu krumm ursprünglich 



') Vgl. Horchardt Nr. 120. 
-«) Vgl. Paul, Aufgaben S. 76. 



174 Kapitel VII. Bedeutungswandel von Wortgruppen. 

„gerade", dann „einfach", „ohne Kunst oder Aufwand" bedeutete, 
weiterhin aber nach Entwicklung der heutigen Bedeutung (vgl. 507) 
in jenem Sinne durch die zuerst im Niederdeutschen auftauchende 
Nebenform schlicht (wohl nach dem Muster von schlichten, Schlichte 
gebildet) verdrängt wurde. Wohl setzen die ferner stehenden Ad- 
verbien schlechtweg, schlechthin, ferner schlechterdings die Grund- 
bedeutung fort, aber in der genannten Formel sind wir doch geneigt, 
an den heutigen Begriff von schlecht anzuknüpfen, und können von 
der Vorstellung des Geringwertigen nicht loskommen. ^) Ferner wür- 

618 digen wir in der formelhaften Wendung etwas unter Dach und Fach 
bringen jetzt nur das erste Substantiv in dem eigentlichen Sinne und 
sind uns nicht mehr deutlich bewusst, dass das zweite wie in Fach^ 
werk hier ursprünghch „die durch Balken eingeschlossene Abteilung 
einer Mauer" meint, sondern denken mehr an die jetzt gewöhnlichste 
Bedeutung „Abteilung eines Schrankes, Gestelles und dergleichen". 
Aehnlich haben wir keine deutliche Empfindung davon, dass in dem 

619 Wortpaar Handel und Wandel das letztere Wort die alte Bedeutung 
„Verkehr" bewahrt, sondern denken dabei an die jüngere, erst durch 
Anlehnung an das Verbum wandeln entstandene Bedeutung „das 
Einhergehen". EndUch haben wir in der auf die Bibel zurück- 

620 gehenden Formel leben und weben das Gefühl, als sei das zweite 
Wort in poetisch-metaphorischer Weise hinzugetreten, wie uns auch 
das dichterische weben allein in diesem Lichte erscheint, wenn Goethe 
sagt : der Frühling webt schon in den Bh*ken oder ach, könnt ich 

auf Wiesen in deinem Dämmer weben ; aber in Wirklichkeit 

liegt hier eine im Mitteldeutschen weit zurückgehende und weit 
verbreitete Verallgemeinerung zu der Bedeutung „sich hin und her 
bewegen" (wie bei dem Geschäft des Webens) zu Grunde 2), die von 



M Vgl. Borchardt Nr. 1037. 

-) Jedoch nach Heyne, Wb., „eine wohl ursprünglich andere Bildung, 
zu der weiteren Bedeutung der Wurzel von weben gehörig" und dann erst 
daran angelehnt. 



Verseil wisterte Wortpaare. 175 

Luther häufig angewendet, in den neuesten Bibelausgaben aber meist 
durch wehen ersetzt wurde und nur geblieben ist in der Stelle in 
ihm leben und wehen und sind wir, wonach eben unsere Formel 
üblich geworden ist. 

§ 158. Eine andere Gruppe von verschwisterten Wortpaaren ist 
in der Weise zu einer Begriffseinheit verschmolzen, dass jetzt keines 
der beiden Elemente an Bedeutungsstärke über- 
wiegt, aber auch keines dem ursprünglich in der 
Verbindung vorschwebenden Wortsinn gerecht 
wird. So kommt uns jetzt nicht mehr zum Bewusstsein, dass die 
häufige, zu einer allgemeinen Versicherung verblasste Formel auf 
Treu' und Glauben ursprünglich ein Wechselverhältnis ausdrückt, näm- 621 
lieh Treue auf. Seiten dessen, dem etwas anvertraut wird, Glaube auf 
Seiten des Anvertrauenden; verdunkelt ist auch schon die Verbindung, 
wenn Goethe z. B. sagt: der Lügner hofft vergeblich Treu und Glauben, 
Unklar ist uns jetzt auch der eigentUche Sinn von der bildüchen 
Wendung atis Band und Band kommen, was ursprünglich von einem 622 
Fasse zu verstehen ist und einerseits die Fügung an den Rändern, 
andrerseits die Reife, die Fassbänder, meint, wie Bandhaus auch als 
„Küferei" üblich war, wo der Fassbinder thätig war. Ganz wie ein 
Adverbium gebrauchen wir jetzt {auf) Knall und Fall im Sinne 623 
von „plötzlich" und haben keine klare Empfindung mehr für das 
dabei zu Grunde liegende Bild, das uns eigentlich schildert : „so rasch 
wie auf den Knall der Büchse der Fall des Gegenstandes, auf den 
geschossen wird, folgt", wie man früher auch in etwas deuthcherer 
Form sagte dass Knall und Fall eins {ein Ding) war; ganz dem 
sinnhchen Hintergrund entsprechend heisst es in „Emilia Galotti": 
er schoss Knall und Fall den einen (der Mörder) nieder A) Und end- 
lich, wie verbreitet ist die Formel Schrot und Korn, besonders in 624 

i) Vgl. Richter Nr. 57. 



176 Kapitel VII. Bedeutungswandel von Wortgruppen. 

der Verbindung ein Mann von altem Schrot und Korn, ohne dass 
mit einem der Glieder ein klarer Wortsinn verbunden oder der Ur- 
sprung des Bildes verstanden würde, was aber keineswegs von der 
Verwendung abhält, sondern worin sogar eher ein gewisser geheimnis- 
voller Reiz zu liegen scheint; Schrot bezeichnet aber im Münzwesen 
früher ein ausgeschnittenes, zum Prägen bestimmtes Stück (schroten 
ist im Mittelhochdeutschen „zerschneiden", daher noch Korn schroten, 
vgl. Schröder 133), dann die Gewichtsmenge des Ganzen, während 
Korn für die Beschaffenheit, den Feingehalt des Metalls angewendet 
wurde, wie es auch für die kleinsten fest zusammenhängenden Stücke 
anorganischer Massen {Sandkorn, Goldkorn) erscheint unter Erweite- 
rung des ursprünglichen VVortsinnes (vgl. 4). i) 



Vgl. Richter Nr. 95, Borchardt Nr. 1064. 



Kapitel VIII. 

Anpassung an die Kulturverhältnisse. 



§ d59. Aber noch von einem andern Gesichtspunkt aus lässt 
sich der Bedeutungswandel vieler Wörter betrachten, indem die Wort- 
geschichte im engsten Zusammenhang steht mit der Kulturgeschichte. 
Bereits bei der Besprechung einiger Metaphern haben wir darauf 
hingewiesen, dass die Uebertragung eines Wortes auf Gegenstände 
von ähnlicher Gestalt und gleicher Funktion dadurch begünstigt 
werden kann, dass unter dem Fortschritt der Kultur der Gegenstand, 
auf den die Bezeichnung übergegangen ist, denjenigen, von dem sie 
genommen ist, in der Funktion abgelöst hat (vgl. § 52), was wir 
dort im einzelnen an der Bedeutungsentwicklung von Wörtern wie 
Feder, Hörn, Stein, Rohr, Schale, Kohle und Oel (vgl. 237—243) ge- 62b 
sehen haben. Wie sich der gesamte Vörstellungsreichtum, soweit er 
überhaupt in sprachlicher Form zum Ausdruck kommen kann, an 
den zur Verfügung stehenden Wortschatz anzuheften sucht, so passt 
sich eben der Bedeutungsinhalt des Wortes an die jeweilige Kultur- 
stufe an, so dass wir auch von einer Bedeutungsentwick- 
lung reden können, die durch die Veränderung des* mit 
dem betreffenden Worte bezeichneten Objekts veranlasst wird. 
Dabei liegt auf der Hand, dass die Kulturgeschichte uns über den 
Vorstellungsinhalt der Bezeichnungen früherer Zustände Licht spenden 

Waag, BedeatunffseutwickluDfir. 12 



178 Kapitel Vtlt. Anpassung an die l^ultarverhältnisse. 

muss; umgekehrt kann sie aber auch aus der Wortgeschichte 
mancherlei Aufbellung gewinnen. i) 

§ 160. Reihen vrir an die eben angeführten, bereits früher 
erläuterten Wörter zunächst die Betrachtung weiterer Fälle an, wie 
Bezeichnungen für sinnlich wahrnehmbare Gegenstände sich an die 
Kulturverhältnisse anpassen, so sehen wir z. B., dass wir jetzt von 
6^ Fensterscheiben, kurzweg in diesem Sinne auch von Scheiben sprechen, 
obwohl dies Wort eigentlich eine kreisrunde Platte bezeichnet, wie 
aus Drehscheibey Scheibe der Sonne oder des Mondes, Schiessscheihe 
noch ersichtlich ist, während es sich doch nunmehr meist um vier- 
eckige Glasplatten handelt; aber die Benennung ist aufgekommen, als 
in Kirchen und Schlössern die runden Butzenscheiben (vgl. 232) mit 
Bleiumrahmung zusammengefügt wurden, und als dann eine andere 
Form der Platten üblich wurde, schmiegte sich eben die alte Be- 
zeichnung an den Begriffsinhalt des veränderten Gegenstandes an. 

627 Wir sprechen von eisernen Kloben und haben kein Gefühl dafür, dass 
das Wort ursprünglich nur so viel ist als „ein gespaltenes Holz, das 
zum Klemmen oder Festhalten dient", wie es von einem untergegan- 
genen Verbum klieben „spalten" kommt, zu dem auch Kluft gehört. 

628 Ein Laden im Sinne von Kaufladen ist für uns „ein Verkaufslokal 
in einem Hause", während früher damit, den Zeitverhältnissen ent- 
sprechend, „ein aus Brettern hergerichteter Verkaufsstand" gemeint 
war, ausgehend von der Grundbedeutung „Brett", von welcher auch 
Laden im Sinne von Fensterladen nur eine andere Spezialisierung ist 

629 (vgl. 16). An dem Kaufladen ist ein Schild, das uns aber nicht verrät, 
dass es wie das Amtsschild und das Wirtshausschild dem einstigen 
Wappenschild des Ritters nachgebildet ist, den dieser an der Her- 



») Vgl. Thomas 32 S. 194—199; Schmidt S. 7—14; Stöcklein S. 34-40: 
^Adäquation veranlasst durch die Veränderung des Objekts" (für ^Adäquation" 
brauche ich den Ausdruck „Anpassung", wie ich in einer Besprechung Litteratur- 
blatt für germ. u. rom. Philologie XXI, 1900 Nr. 5 vorgeschlagen habe). 



Kleidungsstücke ü.s. W. 1'79 

berge, wo er gerade Rast hielt, als Abzeichen hinaushing; dabei darf 
uns die von Regelbachern verlangte, in der lebendigen Sprache aber 
vielfach nicht beachtete Unterscheidung zwischen Masculinum als 
„Kampfschild" und Neutrum als „Wirtshausschild" nicht irre machen, 
denn das Wort war ursprünglich in beiden Bedeutungen nur Mascu- 
linum, und erst im 18. Jahrhundert erscheint es auch als Neutrum« 
Wir treten aus dem Laden hinaus auf das Pflaster, das wir uns nicht 630 
anders denn als Belegung des Bodens mit Steinen vorstellen, und wir 
ahnen nicht dabei, dass sich dieser Sinn erst seit dem 19. Jahrhundert 
an das Wort angeheftet hat, während es nach dem Mittellateinischen 
früher einen cementartigen Ueberzug aber den Boden, dann auch den 
steinernen Boden eines Zimmers bezeichnete, wobei bildliche An- 
wendung der griechischen uns jetzt noch geläufigen Grundbedeutung 
„mit Salbe bestrichenes Stück Zeug" eingetreten ist. Ferner kann 
uns das Wort Bitchy das nur eine Nebenform von Buche (ahd. huoh, 631 
noch häufig Fem., die alte Nominativform gegenüber der Akkusativ- 
form huocha) ist,^) von dem ältesten Schreibmaleris^l der Germanen 
erzählen, nämlich von dem Holzstab (daher Buchstäbe) oder von der 
Holztafel, in welche die Buchstaben eingeritzt wurden, und bezeich- 
nender Weise wird für ein Schriftstück in ältester Zeit der Plural 
gebraucht, da es aus mehreren solcher Tafeln oder Stäbe zusammen- 
gesetzt war. 

§ 161. Weiterhin können wir auch an verschiedenen Benen- 
nungen unserer Kleidungsstücke deutlich verfolgen, wie sich 
an den veränderten Gegenstand ein entsprechend veränderter Wort- 
begriff angeschmiegt hat. So bezeichnete Kappe ursprünglich einen 632 
den ganzen Körper, auch den Kopf bedeckenden Mantel, wie die 
Tarnkappe im Nibelungenlied zu denken ist und wie auch eigentlich 
gemeint ist in dem Sprichwort Gleiche Brüder (d. h. Ordensbrüder) 
gleiche Kappen (nämlich Mönchsgewänder) sowie in dem andern Jedem 



1) Vgl. Paul, Pr., S. 234. 

12* 



480 Kapitel Vlli. Anpassung an die Kultur Verhältnisse. 

Narren gefällt seine Kappe (beachte auch verkappt); als aber der- 
artige Kleidungsstücke abkamen, heftete sich an das Wort der Begriff 
(333 einer Kopfbedeckung. „Hose bezeichnete ursprünglich eine Bekleidung 
der Schenkel, eine Art weit hinaufgehenden Strumpf, während das 
den Unterleib und den obersten Teil der Schenkel bedeckende Klei- 
dungsstück im Mittelhochdeutschen bruoch genannt wurde. Indem 
sich später ein Kleidungsstück herausbildete, welches den Unterleib 
und die Schenkel bis an die Füsse zugleich bedeckte, ging das Wort 
auf dieses über, naturgemäss zunächst im Plural, worin also die 
Grundbedeutung nachwirkt (ein Paar Hosen) ; doch wird jetzt auch 
häufig der Singular gebraucht" (Paul, Wb., S. 227). Nicht verwundern 
kann es uns auch, dass die Benennungen Strumpf und Socke in der 
älteren Sprache etwas anderes bezeichneten, da ja dieses Kleidungs- 

634 stück erst im Ausgang des Mittelalters üblich wurde. So hatte Strumpf 
im Mittel- und auch noch im Altneuhochdeutschen die Bedeutung 
„Stumpf", wie es auch noch Luther gebraucht hat, wofür in den 
neueren Bibelausgaben Stumpf oder Rumpf gesetzt ist; dann be- 
zeichnete es aber auch den untersten Teil der Hose, endlich die 

635 selbständige Fussbekleidung. Socke andrerseits ist aus lat. soccus ent- 
lehnt, wie bei den Römern der nur von Weibern und Weichlingen 
getragene griechische Niederschuh benannt war; darauf geht die 
norddeutsche Bedeutung „weicher Schuh" noch unmittelbar zurück, 
und es ist uns nun auch leicht begreiflich, dass sich in Süddeutsch- 
land die Unterscheidung zwischen Socke als kurzes, Strumpf als 
längeres Kleidungsstück bis zum oder über das Knie gerade in dieser 
Weise herausgebildet hat, indem jene Bedeutung dem Schuhwerk, 
diese der Hose räumlich näher steht. Mit der Entwicklung der Klei- 

636 düng hängt es auch zusammen, dass Latz aus der ursprünglichen 
Bedeutung „Schleife", „Schlinge" (von dem ital. Grundwort lacdo 
gleichen Sinnes) jetzt zu einer Bezeichnung für an deren Stelle ge- 
tretene Zeugstücke geworden ist, die durch Schleifen oder durch 



Kleidungsstücke, Münzen. 181 

Knöpfe u. s. w. befestigt werden, wie z. B. in Brustlatz. Aber auch 
bei der jetzigen Bedeutung des Wortes Knopf, die dem heutigen 637 
Sprachgefühl am geläufigsten ist, hat eine ähnliche Anpassung an die 
veränderte Kleidungsweise mitgewirkt ; denn wir haben wohl nicht 
nur Spezialisierung der Grundbedeutung „kugelartige Anschwellung 
an einem Gegenstand" anzunehmen, woraus z. B. Knopf an einem 
Spazierstock , Stecknadelknopf und das landschaftliche Knopf als 
„Knospe" hervorgegangen ist, sondern es ist zu beachten, dass früher 
die Verwendung für „Knoten" sehr verbreitet war, woraus sich die 
noch jetzt fortdauernde Bedeutung der Ableitung knüpfen erklärt: 
und an die Stelle eines Knotens, einer Schleife ist eben vielfach ein 
Knopf getreten. 

§ 162. Ebenso können uns die Benennungen der Münzen 
davon erzählen, wie sie ihren Begriff an später aufkommende Münz- 
arten und Münzformen angepasst haben. So ist die Mark (aus mhd. 638 
marke) anfänglich ein Geldstück aus einem halben Pfund Edelmetall, 
aber der Name blieb, als die Münze auch allmählich kleiner wurde, 
lange erhalten, am längsten in Hamburg, bis er dann im deutschen 
Reiche neu eingeführt wurde. Nur eine Goldmünze bezeichnete^ ur- 
sprünglich der (xulden, denn das Wort ist nichts als eine Substanti- 639 
Vierung des oberdeutschen Adjektivs gülden (mitteldeutsch gülden), 
das erst seit Anfang des 18. Jahrhunderts mit Angleichung an das 
Grundwort durch die Form golden verdrängt wurde; späterhin aber 
giebt es auch Silbergulden, sowie Papiergulden, und Gulden für sich 
bezeichnet eine Silbermünze (vgl. 244). So gilt auch Krone ursprünglich 640 
als Münzbenennung nur für eine wirklich mit einer Krone bezeichnete 
Münze, der Kreuzer trug früher ein Kreuz, der Bappen (Nebenform 
von Babe vgl. 210), zuerst in Freiburg i. Br. geprägt, einen Vogelkopf. 

§ 163. Mannigfachen Begriffs wandel im Laufe der Zeiten zeigen 
auch die Benennungen für Aemter und Berufe. So heissen die 
Vorsteher einer Genossenschaft die Aeltesten, auch wenn sie nicht 641 



182 Kapitel YIII. Anpassung an die Kulturverhftltnisse. 

mehr wie zu der Zeit, wo diese Benennung entstand, wirklich die an 
Lebensjahren ältesten sind, und welch vornehme Entwicklung haben 

642 mit der fortschreitenden Verfeinerung des Mittelalters Marschall^ 
Kämmerer, Schenk und Tntchsess durchlaufen, die vom „Pferdeknecht" 
(vgl. Mähre 100 und Schalk 452 und 516), vom „Verwalter einer Vor- 
rats- und Schatzkammer" (vgl. Kammer 359), vom „Diener, der für 
die Getränke zu sorgen hat" (vgl. schenken 167), endlich vom „Speisen 
auftragenden Diener" zu den vier höchsten Hof- und Reichsämtem 
aufgestiegen sind ! Wenden wir uns zu den heutigen' Berufsbenen- 

643 nungen, so finden wir z. B., dass Schriftsteller zunächst von jemand 
gebraucht wird, der eine gerichtliche Schrift für einen andern auf- 
setzt; der reiche Inhalt aber, den wir jetzt mit dem Worte ver- 
knüpfen, konnte sich erst daran anheften, als die Zeiten kamen, wo 
Justus Moser den Journalismus begründete und Lessing als erster 
berufsmässiger Schriftsteller von der Feder zu leben wagte. Der jetzt 

644 so vielseitige Taschenspieler ist aus den Zeiten übernommen, wo es 
ein Hauptkunststock des Gauklers war, atis der Tasche zu spielen, wie 
man froher sagte, d. h. „aus einer scheinbar leeren Tasche allerhand 

645 Dinge hervorzuziehen". Der Flaschner als Benennung für den „Klemp- 
ner", „Blechner" kann uns daran erinnern, dass froher bei der Selten- 
heit und dem teuren Preise des Glases metallene Flaschen vielfach 

646 im Gebrauch waren. Wenn Bader in einigen Gegenden als „Barbier*^ 
in andern als „Chirurg'* fortlebt (abgesehen von der vielfachen Er- 
haltung als Familiennamen), so kann uns dies erzählen, dass die ehr- 
same Baderinnung früher nicht nur för die öffentlichen Bäder sorgte, 
sondern auch zugleich in der Badeanstalt das Geschäft des Barbiers 
und Chirurgen versah; was aber einstens ihre Nebenaufgabe war, 
ist heute ihr ausschliessliches Geschäft, nachdem die öffentlichen 
Bäder, die früher bisweilen sogar polizeilich geboten waren, immer 
weniger gepflegt wurden.*) Kurschmied erscheint volkstümlich fOr 



Vgl. Borchardt Nr. 98. 



Aemter und Berufe, reale Vorgänge. 183 

„Tierarzt", weil auf dem Lande, wie jetzt noch bisweilen, der Schmied 
bei Krankheiten der Tiere zu Rate gezogen wurde, und Henker ist 648 
heute noch Benennung für den Scharfrichter, wenn auch Galgen und 
Strang der Vergangenheit angehören und die Art der Todesstrafe eine 
andere geworden ist. 

§ 164. So können uns auch manche Benennungen für heutige 
reale Vorgänge von vergangenen Zuständen Kunde geben. Wenn 
wir eine Taschenuhr oder ei7ien Regulator aufziehen, denken wir 649 
nicht daran, dass dies ursprünglich von Uhren galt, bei denen ein 
Gewicht in die Höhe gezogen wird. Bei dem Verbum laden (aus 
ahd. hladan „aufladen", eigentlich ganz zu trennen von dem ur- 
sprünglich schwachen Verbum laden aus ahd. laddn „auffordern zu 650 
kommen") empfinden wir die Verwendung in ein Gewehr u. s. w. 
laden als eine selbständige Bedeutung, wie auch die Bildungen Hinter- 
lader, Vorderlader zeigen, und es ist uns nicht mehr bewusst, dass 
der Ausdruck uns auf die Zeit unmittelbar nach der Erfindung des 
Schiesspulvers weist, wo zunächst nur grosse Geschütze im Gebrauch 
waren, bei welchen ein wirkliches Laden, das Aufladen einer Last 
stattfand, wie man entsprechend jetzt noch sagt ein Schiff, einen 
Wagen laden. Die Soldaten müssen auch heute noch Schildwaxhe 651 
stehen^ womit im mittelalterlichen Kriegswesen ein Wachen in voller 
Rüstung mit dem Schilde gemeint war, und jetzt ist doch der Schild 
längst ausser Gebrauch gekommen; so wird auch Schilderhaus den 
heutigen Verhältnissen nicht mehr gerecht, denn es ist aus dem in 
der älteren Militärsprache üblichen schildern „Posten stehen", gleichen 
Ursprungs wie Schildwache, abgeleitet. Und auch heute noch wird in 
Lager und Kaserne der Zapfenstreich gehlasen und getrommelt^ der 652 
die Soldaten in ihre Quartiere ruft; aber längst vergessen ist der 
ursprünglich im lustigen Lagerleben damit gemeinte Befehl, den Zapfen 
des Fasses zuzuschlagen (streichen ist früher auch so viel wie „scbla* 



184 Kapitel VIII. Anpassung an die Kulturverhältnisse. 

gen", vgl. mit Buten streichen), das nicht länger für die zechenden 
Soldaten laufen soll. *) 

§ 165. Aber auch Benennungen, die einst Volks- und 
Aberglaube geschaffen, haben sich so an die bezeichneten Gegen- 
stände angeschmiegt, dass sie heute deren jetzigen BegrifT ausdrücken, 
obwohl die einstens massgebenden Anschauungen längst tiberwunden 

653 und vergessen sind. So sprechen wir noch von dem Schwanengesang 
oder Schwanenlied als dem letzten Gesang eines Dichters, da ja nach 
jenem alten Glauben der Schwan vor seinem Tode singt ; dabei sind 
wir versucht, den Ausdruck mir schwant etwas „ich habe ein Vor- 
gefühl von etwas" hiervon abzuleiten, aber der Zusammenhang ist 

654 zweifelhaft. Wir brauchen Wechselhalg als Schimpfwort für ein miss- 
ratenes Kind, während ursprünglich der Volksglaube ein von Hexen 
stammendes, untergeschobenes, eigentlich umgewechseltes Kind dar- 

655 unter verstand (vgl Balg 332, 462) ; und ähnlich wird Mondkalb jetzt 
als Schimpfwort verwendet, ohne dass noch eine Empfindung vor- 
handen wäre, dass damit eine Missgeburt bezeichnet war, von der 
man glaubte, dass sie unter dem Einfiiuss des Mondes entstanden sei. 
Auch der Mediziner spricht noch vom Veitstanz als von jener Krank- 
heit, die sich in nervösen Zuckungen äussert, ohne noch anzunehmen, 
dass sie durch die Fürbitte des heiligen Veit geheilt würde. Ebenso 

656 bezeichnet Ueberbein auch heute noch eine Art harte Geschwulst, wie 
sie sich besonders an Hand-, Fuss- oder Kniegelenk bildet, obwohl 
sie nur irrtümlicher Weise als Knochenauswuchs betrachtet wurde ; 
dabei sei erklärend bemerkt, dass Bein früher die allgemeine Be- 
nennung für Knochen war, bis es durch dies letztere, ursprünglich 
nur mitteldeutsche Wort in dessen heutiger Bedeutung zurückgedrängt 
wurde (vgl. jedoch Schienbein, Elfenbein, Beinhaus, Gebein u. s. w.). 

657 Und so gilt auch Mitesser noch für eine Art Finnen, da diese im 



1) Vgl. Borchardt Nr. 1260. 



Volks- und Aberglaube, Abstraktes. 485 

Volksglauben nach ihrer Gestalt für Würmer angesehen wurden, die 
Abmagerung bewirkten. 

§ 166. Aber nicht nur aut dem Gebiet der realen Welt lässt 
sich verfolgen, wie die Benennung eines Begriffs sich dem Wandel der 
Gegenstände und Verhältnisse anzuschmiegen sucht, 'sondern die 
Sprachgeschichte kann uns auch wunderbare Aufschlüsse geben, wie 
sich unser gesamter geistiger Besitz im Fortschritt der Mensch- 
heit aus einfachen Grundbegriffen zu seiner heutigen Höhe empor- 
gerungen hat. 1) Beständig vollzieht sich die Umwälzung der Begriffe 
und dementsprechend die der Wortbedeutungen ; unendlich fein und 
oft schwer zu fassen sind die Uebergänge, aber lehrreich genug ist 
es, auch nur Anfang und Ende der durch Jahrhunderte laufenden 
Vorstellungskette einer vergleichenden Betrachtung zu unterziehen. 

§ 167. Sehen wir zunächst, wie die Bedeutungsgeschichte 
mancher Wörter die Entwicklung ethischer Begriffe wieder- 
spiegelt. So ist Demut eine Zusammensetzung mit dem Wortstamm 658 
von dienen (mhd. diemüete) und bezeichnet ursprünglich das Wesen 
eines Menschen, „der das Gemüt eines Knechtes hat"; welche Kluft 
bis zu dem hohen Sinn, der uns z. B. entgegentritt in Schillers „Kampf 
mit dem Drachen": „Nimm dieses Kreuz. Es ist der Lohn der Demut, 
die sich selbst bezwungen." Auch das Wort Tugend hat bis zu der 659 
heutigen Höhe einen langen Weg zurückgelegt: von taugen abgeleitet, 
bezeichnet es anftlnglich entweder den Inbegriff alles dessen, was 
einen Gegenstand tauglich und wertvoll macht, oder eine einzelne 
bestimmte Eigenschaft an ihm, die tauglich und wertvoll ist, und 



^) In sinniger Betrachtung handelt hierüber Otto Kares, „Poesie und 
Moral im Wortschatz mit besonderer Berücksichtigung der deutschen und eng- 
lischen Sprache. "" £ssen 1882. 



186 Kapitel VIII. Anpassung an die Kulturverhältnisse. 

erst allmählich hat es sich auf das moralische Gebiet und somit 
auf menschliche Eigenschaften beschränkt. Aber manche Reste des 
früheren Sprachgebrauchs reichen in die neuere Zeit hinein, wenn 
sie auch vom Sprachgefühl jetzt als uneigentliche Anwendungen des 
heutigen eingeschränkten Sinnes empfunden werden; so spricht man 
jetzt noch z, B. von Tugenden eines Pferdes, wie im Mittelalter von 
den Tugenden der Steine, Kräuter, Tränke als von deren heilkräftigen 
und zauberischen Eigenschaften die Rede ist, und auch Untugend 
wird noch für eine schlechte Angewöhnung angewendet, die nicht 

660 gerade moralisch tadelnswert zu sein braucht. In dem Wort edel 
fassen wir jetzt die höchste Summe menschlicher Tugenden zusammen 
In dem Sinne, wie uns Goethe zuruft „Edel sei der Mensch", aber 
ursprünglich war damit, dem Zusammenhang mit Adel entsprechend, 
nur die vornehme Abkunft, dann der hohe Rang irgend welcher Art 
bezeichnet, und erst allmählich wurde es auf sittliche Eigenschaften 
und deren Erscheinungsformen bezogen, bis endlich bei Klopstock die 
Edeln als Bezeichnung für den auserlesenen Teil der Menschen er- 
scheint, der zu feinerer und tieferer Empfindung fähig ist; aber in Ver- 
bindungen wie edles Geschlecht und Edelmann liegt noch die Grund- 
bedeutung vor, und daraus hat sich auch die Artbezeichnung für 
Tiere, Pflanzen und Steine wie in Edelhirsch, Edelweiss, Edelstein 
unmittelbar entwickelt. Ebenso hat sich aus einfachen Verhältnissen 

661 der Begriff des Wortes Pflicht aufgebaut; denn wie das Grundwort 
pflegen früher den allgemeinen Sinn hatte „Anteil an etwas haben", 
„sich womit abgeben" (Reste davon z. B. in des Dienstes pflegen 
Wieland, der Buhe pflegen Schiller; hierauf in zweifacher Speziali- 
sierung „sich der Fürsorge für das Wohl einer Person oder Sache 
unterziehen" oder „die Gewohnheit haben"), so bezeichnete Pflicht zu- 
nächst jedes Verhältnis, in dem mehrere Personen zueinander stehen, 
und die heutige Bedeutung entsprang, indem es auf ein Verhältnis 
beschränkt ward, in welchem der eine Teil zu einer Leistung gegen 



Ethische Begriffe. 187 

den andern rechtlich gebunden war, worauf sich alsdann aus diesem 
juristischen Sinne der heute gewöhnliche moralische entwickelt hat. 
Unter dem Wort Ehre werden zwar wie früher auch noch heute 662 
„Ehrenbezeigungen" verstanden, wie es in der mittelhochdeutschen 
Dichtung bald als „Ruhm", „Ansehen", bald als „Etikette", „Cere- 
moniell" zu deuten ist; aber indem die äusserliche Ehrung als etwas 
Verdientes aufgefasst wurde, erhielt sie moralische Bedeutung, die 
sich dann besonders in Bildungen wie ehrbar, Ehrenmann und Ehr- 
gefühl ausgeprägt hat. In der Arbeit ruht nach dem heutigen Begriff 663 
das höchste Glück des Lebens; aber der hohe Sinn, den wir in das 
Wort legen, ist ihm nicht immer zugekommen, sondern ursprünglich 
überwog die Vorstellung des Lästigen, Beschwerlichen, so dass es 
früher auch hiess Arbeit leiden und Klopstock noch sagen konnte: 
wie hat in unaussprechlicher Arbeit seine Seele gerungen^ und erst ali- 
mählich in den Vordergrund getreten ist die Vorstellung einer zweck- 
mässigen, zielbewussten, selbstauferlegten Beschäftigung. Schliesslich 
ist es nicht überraschend, dass auch das Grundwort, an das sich 
unsere ethischen Vorstellungen angliedern, nämlich das Wort Sitte 664 
sich mit dem Begriff von niederer Stufe emporgeschwungen hat. 
Zunächst bezeichnet es nur Gebräuche, Gewohnheiten einer zusammen- 
lebenden Gruppe von Menschen; da aber solche durch die Dauer des 
Bestehens geheiligt und wertvoll erscheinen, tritt an den Einzelnen 
die Forderung heran, sich danach zu fügen, so dass sich die Be- 
ziehung von Sitte zu Anstandslehre und Moral ergiebt, wobei aber 
gewiss auch lat. mores, moralis eingewirkt hat. So erscheint Sitte 
geradezu im Sinne von „Anstand", „Anstandsgefühl", bis dann die 
Ableitung sittlich in weitergehender Ablösung von dem Grundbegriff 
die höhere Bedeutung von moralisch annimmt; welcher Fortschritt 
damit geschehen ist, zeigt sich auch darin, dass nunmehr Sitte und 
Sittlichkeit geradezu in Gegensatz zueinander gestellt werden können 
(vgl. 75). 



188 Kapitel VIII. Anpassung an die Kulturverhältnisse. 

§ 168. Geradeso lassen sich auf dem Gebiet der ästhe- 
tischen Ausdrücke ähnliche Entwicklungen von Begriff und Wort 
nachweisen, wir beschränken uns hier aber auf ein gewichtiges Bei- 
665 spiel. Wie gehaltvoll ist unsere Vorstellung von der Kunst, wie sie 
Schiller in seinen „Künstlern^' als das eigenste Besitztum des Menschen 
preist; verfolgen wir jedoch das Wort in seine Anfönge zurück, so 
finden wir in üebereinstimmung mit dem zu Grunde liegenden Verbum 
können als älteste Bedeutung „Wissen", „Wissenschaft", die noch 
jetzt traditionell in den sieben freien Künsten aus dem Mittelalter 
bewahrt ist. Dann bezieht es sich wie können gleichfalls auf durch 
Uebung gewonnene Fertigkeit wie in Heilkiinst, Zauberkunst und wird 
erst seit dem 18. Jahrhundert, wo sich der Begriff der Aesthetik 
hauptsächlich unter dem Einfluss der Schriften von Baumgarten 
(Hauptwerk „Aesthetika" 1750—58) herausbildet, schlechthin mit 
Einschränkung auf die für den ästhetischen Genuss arbeitende Thätig- 
keit gebraucht, wofür anfangs auch schöne Kunst erscheint (vgl. 
können 548). 

§ 169. Was sodann weiter die Entwicklung unserer religiösen 
G66 Vorstellungen betrifft, so können wir an Beispiele wie Andacht, Busse 
und Vorsehung erinnern, die wir früher unter dem Gesichtspunkt von 
Spezialisierungen betrachtet haben, die im kirchlich-religiösen Leben 
erwachsen sind (vgl. 30, 31, 35) und beschränken uns hier daraut, 
667 das bedeutsame Wort fromm zu verfolgen, das jetzt die religiösen 
Eigenschaften zusammenfasst. Da finden wir als Grundbedeutung 
„nützlich", wie noch aus dem Verbum frommen und aus dem alten 
Substantiv Fromme „Vorteil" m der stehenden Verbindung zu Nutz 
und Frommen zu ersehen ist; auf Personen bezogen erscheint es als 
„tüchtig", dann im moralischen Sinn als „rechtschaffen", bis sich die 
spezielle Beziehung auf das religiöse Verhalten besonders durch die 
Bibel verbreitet. Wenn wir dann in der Verbindung frommes Pferd 



Aesthetische, teliglöse, philosophische Begriffe. 489 

und in lammfromm der Bedeutung „fügsam" begegnen, so ist diese 
wohl erst aus der religiösen abgeleitet oder doch unter deren Einfluss 
entstanden. 

§ 170. Wenden wir uns schliesslich zu den philosophi- 
schen Vorstellungen, so Hesse sich an dem Wandel des Bedeutungs- 
inhalts des einen Wortes Geist ein reiches Bild innerer Entwicklung 
entwerfen. 1) Was ist auch nicht alles im Lauf der Zeiten und in 
den verschiedenen Gebrauchssphären in das Wort Geist hineingelegt 668 
worden ! Es sei versucht, eine Andeutung in Schlagwörtern zu geben 
und dabei auf die Nachwirkungen in der heutigen Sprache hinzu- 
weisen. Da erscheint es im Anfang als belebendes Prinzip in Men- 
schen und Tieren, dann, auf die Menschen beschränkt, als etwas vom 
Leibe Trennbares {den Geist aufgehen^ nach antiker und zugleich 
mosaischer Anschauung als Hauch aufgefasst (den Geist aushauchen), 
nach der mittelalterlichen Philosophie auch als eine Mehrheit von 
Geistern im menschlichen Körper angenommen (die Lehensgeister), 
nach dem Tode als selbständig fortexistierend gedacht (Geisterseher), 
ausser den Geistern der Verstorbenen nach mythischer und religiöser 
Vorstellung in einer Menge anderer überirdischer Wesen {Haus-, 
Berg- , Wassergeister , Schutzgeist) , nach christlicher Vorstellung 
schlechthin als der heilige Geist (vgl. 25), als Erzeuger des dem 
Menschen eigenen Wesens (wes Geistes Kind), als im Innern des 
Menschen wohnend (begeistert, von bösen Geistern besessen)', endlich 
hat sich dann Geist unter dem Einfluss des franz. esprit zur Bezeich- 
nung eines Teiles der seelischen Fähigkeiten entwickelt, indem es zu 
Gemüt und Herz in Gegensatz tritt, und wird zum Ausdruck einer 
besonderen Begabung, der Gewandtheit in der Schöpfung neuer und 



1) Rudolf Hildebrand hat im Grimmschen Wörterbuch über das Wort 
Geist tiefdringende Forschungen niedergelegt, auf die besonders hingewiesen sei. 



^90 Kapitel Ylli. Anpassung an die Kulturverhältniss^. 

anmutender Kombinationen von Vorstellungen {geistreich, geistvoll). 
Aber auch über die Einzelperson hinaus schreibt man einer Gruppe 
von Menschen einen gemeinsamen Geist zu, worunter man das be- 
greift, was ihr in Yorstellungsart und Gesinnung gemeinsam ist 
{Corpsgeist, Volksgeist, Nationalgeist, Zeitgeist). 



Schlusswort. 



Damit haben wir unsere Betrachtung über die Bedeutungsent- 
wicklung unseres Wortschatzes zum Abschluss gebracht. Hat sich 
besonders in dem letzten Abschnitt gezeigt, wie sich die Wörter in 
ihrem Bedeutungsinhalt an die veränderten Gegenstände und Begriffe 
der jeweiligen Kulturstufe anpassen, so ist auch sonst zur Genüge 
hervorgetreten, dass sich in dem Wandel der Wortbedeutung, in der 
Verschiebung der Vorstellungsgruppierung die gesamte Entwicklung 
des Denkens und Fühiens unsres Volkes widerspiegelt. Wem nur 
erst durch sprachgeschichtliche Betrachtung die Augen geöffnet sind, 
wer gelernt hat, das jetzt nebeneinander Gelagerte in der Reihenfolge 
seines Werdens zu begreifen, der besitzt in seiner Muttersprache 
einen unerschöpflichen Stoff zum Nachdenken, den er immer bei sich 
trägt, ohne ihn als lästiges Gepäck zu empfinden. i) Glücklich der 
Gebildete, der schon auf der Schule durch solch historisch-psycho- 
logische Betrachtung der Sprache, das Gewordene gleichsam nach- 
schaffend und in den inneren Beweggründen nachempfindend, in das 
Verständnis aller Kulturentwicklung und damit zugleich unseres ge- 
samten Vorstellungslebens in anschaulicher Weise eingeführt worden ist. 



^) Vgl. hierzu die Festrede von Hermann Paul: „Die Bedeutung der 
deutschen Philologie für das Leben der Gegenwart" in der Beilage zur Allge- 
meinen Zeitung 1897 Nr. 258. 



192 Schlusswort. 

Glücklich aber auch der Erzieher, der auf den Bahnen Rudolf Hilde- 
brands wandelnd*) den Weg zu dem unermesslich reichen Schatze 
findet, der jedem Schüler, wenn auch unbewusst, in der Muttersprache 
beschert ist: nirgends wie gerade hier kann ein Lehrer im lebens- 
vollen Wechselverkehr, oder, wenn der pädagogische Ausdruck ge- 
geben sein soll, nach der sokratischen Methode verfahrend, dem 
höchsten Ziel jeglichen Unterrichts dienen, das doch nicht in einer 
Summe von starren Einzelkenntnissen, sondern in allseitiger Ver- 
standes- und Gemütsbildung bestehen soll. Wer sich aber mit uns 
bemüht, durch entwickelnde Betrachtung der uns überkommenen 
Sprache zu erkennen, was frühere Zeiten an geistiger Kultur in ihr 
niedergelegt haben, der erfüllt zu seinem eignen Heile die Forderung, 
die da liegt in Goethes ewigwahrem Worte: „Was du ererbt von 
deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen!" — 



^) Ich möchte nicht versäumen, an dieser Stelle auf die „Stoffe für 
sprachliche Denkübungen" hinzuweisen, die Edwin Wilke in seiner „Deutschen 
Wortkunde" (1893) im Geiste Hildebrands veröffentlicht hat. — Rühmend sei 
auch die „Zeitschrift für den deutschen Unterricht" genannt, die unter Mit- 
wirkung Hildebrands 1887 begründet wurde; dass dessen Bestrebungen darin 
verständnisvolle Förderung finden, beweisen die Worte des Herausgebers Otto 
Lyon: „Nichts fesselt den Schüler so lebhaft, als wenn er Einblick erhält in 
die Entwicklung der Worte und der Wortbedeutungen und an sprachlichen 
Erscheinungen den Gang der Kulturgeschichte betrachten lernt." (Bd. XII S. 27.) 
Neben verschiedenen kleineren Artikeln bewegt sich auf diesem Gebiete 
der Aufsatz von Karl Müller, „Ueber den Bedeutungswandel der Worte" 
(III. S. 307—332). 



Wörterverzeichnis 

mit Bezug auf die fortlaufenden Zahlen am äusseren Rande der Seiten. 



A 


1 Arm 228 


begleiten 168 


Aermel 350 


1 begreifen 275 


Aar 121 


Art 74 


behalten 279 


Aas 461 


Atem 104 


behaupten 287 


Abend 347 


ätzen 318 


bei 498 


Abendmahl 28 


auf 262 


Beichte 30 


aber 258 


aufbringen 370 


beizen 319 


Ablass 32 


auferstehen 34 


Berchtesgaden 130 


achten 77 


auffahren 370 


Besen 335 


Adler 121 


Aufhebens machen 598 


besiegeln 384 


Alarm 155 


Auflage 409 


besitzen 29() 


albern 506 


aufziehen 649 


Besteck 338 


allerliebst 439 


Auge 195, 313 


bestürzt 309 


als 451 


Augenweide 296 


betreten 92 


alt 514 


Ausdruck 284 


bewandert 278 


Alter 395 


auseinandersetzen 286 


bieder 504 


Aelteste 641 


auslegen 286 


bieten 288 


altfränkisch 593 


Ausschuss 81 


Bild 51, 339 


Amt 27, 367, 419 




bilden 173 


an 261 


B 


Bildsäule 51, 339 


Andacht 30, 666 


Baden 130 


Bildstock 339 


Andenken 422 


Bader 646 


billig 56 


Angel 47 


Balg 332, 462 


billigen 56 


angeben 87 


Ballen 200 


bisschen 148 


Angst 876 


Band 127 


bitter 306 


Anlage 409 


Bande 341 


Blaujacke 334 


anmassen (sich) 91 


bange 376 


-bold 573 


Anstand 46 


Bann 33, 419 


Born 123, 130 


Anwalt 60 


Bart 227 


Bronn 123, 130 


anzeigen 87 


Base 567 


Brunnen 123, 130 


anzüglich 86 


basen 567 


Bube 516 


Arbeit 410, 663 


bass 441 


Buch 631 


arg 189 


Baucli 228 


Burgfrieden 420 


Argwohn 88 


Bausch und Bogen 615 


Bursche 344, 363 


Waaff. Bedeatanffdentwiokl 


auff. 


13 



194 



Wörterverzeichnis. 



Burse 363 


Einfalt 505 


Busse 31, 666 


einfältig 505 


Butze 535 


Eingeweide 355 


Butzenscheibe 232, 626 


einhellig 304 


^^ 


einleuchten 313 


c 


einprägen 279 


Chor 137, 368 


eitel 512 


p^ 


Ekel 371 


D 


Elend 518 


Dach 43, 322 


Elle 203 


Dachdecker 43 


Ellenbogen 203 


Dach und Fach 618 


empören 370 


Dämpfer 608 


Ende 255 i 

1 


Dank 423 


entsetzen (sich) 377 


darlegen 286 


entsetzlich 184 


Darlehen 59 


entwenden 93 


darstellen 285 


er 484 j 


darthun 286 


erbaulich 487 


Däumling 350 


erfahren 278 


Demut 658 


erhaben 308 


denn 502 


erhärten 287 


dichten 52 


ermessen 280 


Diele 14 


erschrecken 378 


Dietrich 585 


erstrecken 268 


Ding 151, 414, 464 


erwägen 281 


dingen 414 


etwa 260 


Dirne 473 


Excellenz 397 


drall 161 


F 


Dreck 454 


Druck 49 


fabelhaft 439 


drucken 49 


Fächer 236 


drücken 49 


Faden 555, 607 


dulden 541 


fähig 277 


dumpf 298 


fahl 124 


Dünkel 90 


Fahne 340, 341 


durch 499 


Fähnlein 341 


Durchlaucht 481 


Fahrt 124 


dürfen 551 


Fährte 124 


' m^ 


falb 124 


E 


fallen 269, 270, 271 


echt 23 


Farbe 899 


Ecke 326 


Farbenton 293 


edel 660 


fassen 276 


Ehe 23 


fast 450 


Ehre 662 


Fastnacht 347 


eigen 511 


faul 458, 467 



faulenzen 580 

Fäustling 350 

Feder 6, 237, 625 

Feier 137 

fein 295, 303 

Fell 98 

Fensterscheiben 626 

fertig 158 

finden 277 

flämisch 594 

Flaschner 645 

Flaus 10 

Flechte 221 

Fleck 126 

Flecken 126 

Flegel 335 

fliegen 176 

Fliess 10 

Flügel 230, 235 

Fluss 407 

folgen 268, 501 

fort 177 

Frau 477 

Frauenzimmer 344, 362 

Fräulein 479 

fressen 98 

Frevel 519 

fromm 667 

frommen 667 

Frondienst 477 

Fronleichnam 477 

Frucht 3 

Fuchs 207 

fühlen 311 

furchtbar 183 

fürbass 441 

Fuss 203, 245 

Füssling 350 

Futter 98 



Galgenschwengel 232 

Galle 370 

Gang 416 

gäng und gäbe 614 

gar 41, 448, 486 



Wörterverzeichnis. 



195 



garstig 162 
Gatte 21 
Gaucli 209 
Gedeck 338 
Gefährte 134 
gehen 174, 268, 316 
gehorchen 320 
gehören 320 
Gehorsam 419 
gehorsam 320 
Geist 25, 333, 668 
Geistliche 25 
Geizhals 331 
Geizkragen 331 
Geld 421 
Gelenk 246 
geloben 168 
gelungen 488 
Gemach 418 
Gemahl 22 
gemein 509 
Gemeiner 64, 509 
Gemüt 78 
Genosse 135 
gerben 41, 448 
gern 447 
geruhen 32 
Geschlecht 73 
Geschmeiss 456 
Geselle 136, 563 
Gesicht 329, 429 
Gespenst 404 
Gestade 111 
Getreide 5, 11 
getreu 108 
Gewebe 220 
Gewehr 61 
gewinnen 178 
gewiss 445 
gewöhnlich 509 
Gift 97 
Glossen 85 
gotisch 593 
Gottseibeiuns 475 
Grat 124 
Gräte 124 



grell 291 

Griesgram 379, 404 
Griess 224 
Griffel 238 
Grille 274, 291 
Grind 328 
gross 269 
grübeln 282 
Grund 492 
Gulden 639 
gut 504 
Gut 36 

H 

haben 289 
Hahn 210 
Hain 116 
halb 435 
halber 495 
Hälfte 20 
Halle 122 
Hals 227 
halt 443 
Hammer 324 
Hand 249, 382, 391 
Handel u. Wandel 619 
Handhabe 289 
Handlung 418 
Handschuh 389 
J Hang 399 
Hans 571 
hänseln 577 
harren 103 
hart 191, 302 
haschen 60 
Häscher 60 
hässlich 439 
hauen 171 
Haupt 105, 249, 328 
Hauptmann 64 
Haus 358 
Hausehre 398 
Haut 332 
hehr 118 
Heidenangst 185 
heidenfroh 185 



Heidengeld 185 

heidenmässig 185 

Heiduck 590 

heikel 371 

heillos 186 

Heim 120 

heimleuchten 490 

heimsuchen 94 

heiss 310 

-heit 396 

heiter 294, 303 

Helge 140 

hell 292 

Henker 648 

her 257 

herb 306 

Herd 248, 322 

Herr 476 

herzlich 192 

heucheln 519 

heurig 165 

Heuschrecke 378 

heute 166 

hier 258 

Himmel 248 

himmellang 437 

himmlisch 437 

hin 257 

hinfort 177 

hoch 269, 271, 308 

Hochmut 78, 89 

Hochzeit 24 

Hof 360 

holla 156 

höllisch 186 

hörig 320 

Hörn 7, 212, 215, 239, 625 

Hose 633 

Hub 411 

Huber 589 

hübsch 294 

Hülle und Fülle 613 

hundert 434 

Hüne 591 

Hungertuch 601 

hurtig 159 



1 



196 



Wörterverzeichnis. 



I 



Hut 424 
hüten 173 
Hütte 45 



Ihr 488 
Imme 344 
impfen 251 
in 261 
indem 500 
irdisch 26 



Jahn 572 

jammerschade 612 
jawohl 486 
Joch 248 
Johann 570 
Jubeljahr 138 
Jugend 895 
Jünger 558 
Jungfer 478 
Jungfrau 478 
Junker 478 

K 

Kalbsfell 840 
Kalfakter 517 
kalt 810 
Kamm 215 
Kammer 859 
Kämmerer 642 
Kammerjäger 489 
Kampf 154 
Kanone 218 
Kanzel 828 
Kanzlei 828 
Kapelle 861 
Kappe 682 
karg 583 
Karl 128 
Kasten 216 
Kauz 208 
Keib 458, 461 
-keit 896 
Kelch 218 



Kerl 128, 462, 489 

kiesen 115 

Kind 564 

Kirchweih 526 

Kirsch 11 

kitzeln 299 

Klafter 204 

klauben 288 

klein 269 

Klepper 100 

klipp und klar 616 

Kloben 627 

klug 582 

Knabe 106, 562 

Knall und Fall 628 

knallrot 291 

Knappe 561 

Knasterbart 880 

Knecht 515, 560 

Knöchel 9 

knobein 9 

Knopf 687 

knüpfen 687 

Kohl 2 

Kohle 248, 625 

kolossal 489 

kommen 268 

können 548, 665 

Kopf 105, 194, 202, 226, 

327 
Koppel 842 
Korb 599 
Kork 12 
Korn 4, 11, 624 
Körper 150 
kosen 588 
Kot 455 
Kragen 351 
Kram 149 
kramen 149 
Krämer 149 
Kran 211 
Kranich 211 
Krapfen 214 
Kraut 2 
kreuzbrav 187 



Kreuzer 640 
kreuzfidel 187 
kriegen 542 
Kringel 218 
kromen 149 
Krone 640 
Krummstab 83 
kühl 810 
Kümmel 11 
Kummer 808 
Kunde 55 
Kunst 401, 665 
Küpe 854 
Kurschmied 647 
kurz 253 



Laden 16, 628 

laden 650 

Laffe 466 

Lage 409 

Land 127 

lang 258 

Lappe 466 

Lärm 155 

lassen 539 

Latz 636 

lau 310 

Laune 157 

leben und weben 620 

Leder 10 

ledig 19 

Lehen 59 

Leib 850, 408 

Leibchen 850 

leiden 470, 540 

leider 440 

Lenz 110 

lesen 288 

Letter 49 

Letze 422 

letzen 547 

letzt 254, 547 

Leumund 85 

Licht 400 

licht 109 



Wörterverzeichnis. 



197 



liebkosen 538 
Liedertafel 364 
liegen 316 
Linse 193 
List 96 
Lot 72 

Lücken büsser 31 
Luder 457, 461 
Lump 126, 465 
Lumpen 126 

M 

Macht 395, 549 

Mädchen 113, 473, 559 

Magd 559 

Mägdlein 113 

Mahl 525 

Mahlschatz 22, 525 

Mahlstatt 22, 525 

Mahlzeit 525 

Mähre 100 

Maid 114 

Majestät 397 

Mal 256 

Mandel 199, 557 . • 

Mann 127 

Mappe 856 

Mark (die) 638 

Marschall 100, 642 

Maske 384 

Mass 76 

matt 164 

Matte 112 

Matz 583 

Maul 98 

Maulschelle 491 

Meier 588 

Memme 464 

Menge 395 

Mensch 125, 473 

Messe 527 

Metze 581 

Miete 58 

Mieze 582 

Minne 117 

mit 499 



Mitesser 657 
Mitgift 97 
Mittag 345 
Mittel 493 
mittelmässig 5u8 
mögen 549 
Mondkalb 655 
morgen 346 
Mörtel 354 
Mücke 274 
Mulde 216 
Münster 129 
murren 370 
Müsse 550 
müssen 550 
müssig 550 
Mut 78 
Mütze 189 

N 

nach 267 
nachahmen 169 
Nachbar 131 
Nachricht 153 
Nacht 347 
Nachtisch 525 
Nadel 148 
Nagel 198 
Nägelein 219 
Nahrung 421 
namhaft 73 
Narr 439, 602 
Nase 197, 215, 595 
naseweis 490 
nein 182 
Nelke 219 
Nesseltuch 243 
nett 487, 534 
Netz 220 
Nickel 575 
niederträchtig 188 
Nothelfer 29 



Oberst 64 
Odem 104 



Ohm 169 
Ohr 197 
Oehr 197 

Ohrenschmaus 290 
Ohrfeige 491 
Oel 243, 625 
Onkel 566 
Orden 406 
Ort 325 



Paar 436, 605 
paar 436 
Pack 366 
Palme 205 
Pappe 468 
Pennal 836 
Person 408, 473 
Perücke 384 
Peter 586 
Petz 584 
Pfaffe 101 
Pfeffer 887 
Pfeffersack 835 
Pfeife 228 
Pferd 99 
Pflaster 680 
pflegen 661 
Pflicht 661 
Platte 358 
Presse 898 
pressen 62, 393 
prickeln 299 
Prügeljunge 600 
Putz 585 
putzen 585 



QueUe 128 



Racker 459, 462 
Rand und Band 622 
Rang 604 
Range 458, 460 
Ränke 604 



198 



Wörterverzeichn is. 



Rappe 210 
Rappen 640 
Rat 408, 432, 482 
Ratte 274 
rauchen 42 
Recht 289 
recht 289, 487 
Recke 119 
Kede 152 
redlich 152 
Regierung 405 
Register 44 
reichen 268 
reizen 80 
rennen 68 
Reue 30 
Revier 147 
riechen 472 
Ried 343 
Rippe 245 
Rippenspeer 357 
Rodel 53 
Rohr 13, 241, 625 
Röhre 13, 241 
Rolle 53 
Ross 99 
Rosskamm 33i) 
ruchlos 32 
Rücken 228 
Rüpel 574 
ruppig 211 
Rüste 606 
rüstig 160 
Rute 343, 554 



Sache 151, 415 
Salve 529 
sanft 301 
Sänfte 402 
satt 513 
Satz 71 

sauber 487, 534 
sauer 307 
saufen 98 
Saum 230 



schäbig 459 
schachmatt 164 
-Schaft 396 
Schale 242, 353, 625 
Schalk 516 
schändlich 188 
scharf 301 
scharwenzeln 578 
schauderhaft 183 
schaudern 371 
Schauer 371 
scheel 374 
scheiden 19 
Schelm 452, 46o 
Schenk 167, 642 
Schenke 167 
schenken 167 
Scherz 380 
scheuen 373 
schicken 543 
Schiene 352 
Schiff 222 
Schild 629 
Schilderhaus 651 
schildern 170 
Schild wache 651 
Schimpf 380, 521 
Schindluder 457 
Schirm 1 
Schlafhaube 334 
schlecht 507 
schlecht und recht 617 
schlicht 507 
schliessen 179 
Schluck 417 
schmählich 188 
schmauchen 42 
schmecken 79, 297 
schmeissen 456 
Schmeissfliege 456 
Schmuck 544 
schmücken 544 
Schnaps 412 
Schnauze 226 
Schneider 39 
Schnippchen 381 



I Schnitt 38 

Schnitter 38 
4 Schnörkel 295 

schnupfen 42 

Schnuppe 233 

Schnur 609 

Schnürleib 350 

schnurstracks 259 

Schober 556 

Schock 556 

schön 294, 303, 487 

Schoss 349 

schrecklich 183 

schreien 291, 316 

Schriftsteller 643 

Schröder 183 

Schrot und Korn 624 

Schuh 203 

Schuld 57, 552 

Schürze 334 

Schüssel 353 

Schwager 568 

Schwanengesang 653 

Schwanz 229 

schwänzen 229 

Schweif 229 

schwelgen 520 

Schwelle 321 

schwenken 69, 545 

Schwung 273 

See 125 

Seele 333 

Segen 528 

sehen 312, 317, 536 

Sehne 8, 234 

sehr 190 

Semmel 17 

Sendung 411 

sengen 546 

setzen 67 

Setzer 49 

Sie 485 

Silbergulden 244 

Sippschaft 510 

Sitte 75, 664 

sittig 75