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B]
^ >EITRAGE
Beantwortung der Frage
nach der Nationalität
des
NICOLAUS COPEMICUS
>*##
„8unm cuique.'
Breslau. •
Priebatsch's Buchhandlung.
1872.
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9 ß
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»CK
3)as "3{tc}ft der "Uebersetpaiß rrird vorbehalten.
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Vorwort.
Das Büchlein, das wir hier dem lesenden Publikum zu
unterbreiten wagen, bedarf vor Allem dessen rücksichtsvoller
Nachsicht. Es sind nämlich diese unsere «Beiträge» zu der
von deutscher und polnischer Seite seit langen Jahren so eifrig,
hartnäckig, ja leidenschaftlich debattirten und doch noch immer
nicht zum endgültigen Abschluss gebrachten Frage nach der
Nationalität des Nicolaus Copernicus — eigentlich nichts weiter
als eine Sammlung von losen Notizen und rohem Material.
Dieses umzuarbeiten und in eine mehr abgerundete, an-
muthigere Form zu kleiden, hatten wir weder Zeit noch Müsse
genug, so wie uns andererseits vielleicht auch, was wir hier
gern gestehen, die dazu gehörige schriftstellerische Befähigung
und Fertigkeit fehlte. Und doch glauben wir diese Notizen
veröffentlichen zu müssen, um einer dringenden Pflicht Genüge
zu leisten.
Seit einigen Jahren folgten wir dem Fortgange des er-
wähnten literarischen Streites mit lebhaftem Interesse und hatten
dabei Gelegenheit, uns mit den Schriften des Dr. Prowe aus
Thorn, eines der Hauptforscher von deutscher Seite, näher be-
kannt zu machen. Wir mussten in Folge dessen häufig vor
uns selbst das Bedauern aussprechen , dass so manchen Be-
hauptungen Dr. Prowe's polnischerseits die schuldige Antwort
so lange ausbleibe. Das Herannahen des Jahres 1873, in
welchem Deutsche und Polen, jeder Theil für sich und in seiner
Weise das vierhundertjährige Jubiläum des Geburtstages des
grossen Mannes zu feiern sich anschicken, hat nun dieses Be-
dauern in uns in den pflichtgemässen Entschluss verwandelt,
ohne uns nach Anderen umzusehen, dasjenige in aller Euer .
**■
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ans Tageslicht zu fordern, was wir selbst zur Kritik der
Prowe'schen Schriften und zur Erläuterung der ganzen Frage
beizubringen im Stande sind. Wie wir hören, haben sowohl
deutsche als polnische Schriftsteller, letztere noch besonders
aufgefordert durch die von der Posener Gesellschaft der «Freunde
der Wissenschaft» im December 1870 ausgeschriebene Preisauf-
gabe, zur Feder gegriffen, um die kommende Jahresfeier des
Astronomen durch eine erschöpfende, monumentale Bearbeitung
seiner Lebens -Geschichte auf lange Zeiten denkwürdig zu
machen. Wir werden daher die Aufgabe, die wir uns ge-
stellt, als vollommen erfüllt betrachten, wenn unsere Bei-
träge, wie wir hoffen, noch zeitig genug erscheinen, um von
den Schreibenden beider Parteien, denen wir diese unsere
Schrift vorzugsweise zur Verfügung stellen, nicht unberück-
sichtigt zu bleiben.
Dieser durch und durch praktische Zweck der nachstehen-
den Schrift ist es auch, der uns genöthigt hat, die Polemik
in derselben nicht absolut zu vermeiden und häufig bis zu
einem der Darstellung und Beweisführung nachtheilig werden-
den Grade genau und ausführlich zu bleiben. Wir glauben
indess, aus Bücksicht auf die deutsche Welt, welche polnische
Schriften und polnische Schriftsteller noch immer ignorirt,
die Angaben derselben nie ausführlich genug wiedergeben zu
können.
Eine Reihe kleinerer Fehler, die sich in Folge unserer
Entfernung vom Druckorte eingeschlichen haben, wolle der
nachsichtige Leser gütigst entschuldigen, ebenso die wohl auch
vorkommenden Verstösse gegen deutsche Sprache und Aus-
drucksweise, mit welcher der Verfasser überhaupt nur erst seit
wenigen Jahren vertraut geworden.
Zum Schlüsse wollen wir an dieser Stelle noch eine angenehme
und liebe Pflicht erfüllen, indem wir aus vollem Herzen unsern
innigsten Dank allen den Männern aussprechen, die uns beim
Ansammeln des Materials sowohl, als auch bei der Zusammen-
stellung desselben ihre geneigte Hülfe haben angedeihen
lassen.
Breslau, im Juli 1871.
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Der scharfe Begriff der Nationalität, das Erwachen des
sogenannten Nationalbewusstseins bei allen europäischen Völkern
ist erst eine Errungenschaft unseres Jahrhunderts und die
allmähliche Erhebung dieses Begriffes zu einem Staatsgrundsatz
ein Erzeugniss der allerjüngsten Zeit. Nationalgegensätze und
Nationalgefuhl gab es zwar, seitdem Nationalunterschiede
existiren, das unbestreitbare Verdienst unserer Epoche ist es
aber, diese Gefühle zu bestimmten Begriffen gemacht zu haben
und sie aus dem Zustande des Schlummers, in welchem sie
x sich bis jetzt fast überall befanden, dauernd ins Leben gerufen
zu haben.
Es wäre nun ein grober Anachronismus, wenn wir z. B.
einen Copernicus, welcher 400 Jahre vor uns lebte, nach
einem Grundsatz beurtheilen wollten, der ihm als einem Sohne
des XV. Jahrhunderts vollständig fremd gewesen sein muss,
es wäre ein schreiendes Unrecht, wenn wir ihm, dem stillen
Mann der Wissenschaft, den Maassstab eines patriotischen
«Nationalen» unserer Zeit beilegen wollten. Staat und Natio-
nalität waren zu des Copernicus Zeiten zwei Dinge, die unter
einander viel weniger Berührungspunkte hatten, als es heutigen
Tags der Fall ist, und obgleich auch die damaligen Staaten
im Grossen und Ganzen verschiedene Nationalentwickelungen
repräsentirten , so war jedoch gleiche Nationalität noch bei
weitem nicht die bewusste, bestimmt ausgesprochene Losung
der in einen Staat verbundenen Individuen. «Patriotismus»
hing noch keineswegs mit «Nationalität» zusammen.
Beitr. z. Nat. d. Copernicus, \
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Dies Alles mochten wir nun ein für allemal bei der Frage
um den Nationalcharakter von Nicolaus Copernicus festhalten.
Denn, wenn es auch schliesslich unmöglich ist, einen in unserer
Zeit, aus modernem Nationalantagonismus hervorgegangenen
Streit nach anderen Ideen und Begriffen, als nach denen eben
dieser Zeit zu entscheiden, so kann die obige Betrachtung
doch immer dazu beitragen, die Schärfe der gezogenen Schlüsse
zu mildern und unsere Ergebnisse in einer Weise zu modifi-
ciren, welche sie dem Charakter jener Zeit und somit auch
dem Wesen der Sache, der Wahrheit näher bringt. —
Die einzelnen Momente, die wir bei der Frage um die
Nationalität des Nicolaus Copernicus zu betrachten haben und
in denen die Lösung unserer Aufgabe zu suchen ist, sind nun
folgende :
1) Das Land und die Stadt, wo Nicolaus Copernicus geboren
war.
2) Sein Name, seine Abstammung und seine Eltern.
3) Des Copernicus persönliches Auftreten , seine politische
Denk- und Handlungsweise.
Wir gehen nun zur Besprechung dieser einzelnen Punkte
über.
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I.
A. Das Land.
Die Heimath des Nicolaus Copernicus, das heutige West-
preusseu, war, seitdem man Slaven an der Weichsel kennt,
und ist noch heutzutage in ethnographischer Hinsicht ein
slavisches, ein polnisches Land.
Wir wissen, wie sehr dieser Ausspruch von deutscher Seite
so manches Missfallen, so manchen Aerger erregen kann.
Allein wir unserestheils verstehen es leider einmal nicht, das-
jenige, was als Thatsache in der Geschichte feststeht, in
falsche, tendenziöse Ausdrücke zu kleiden. So heisst auch
uns, die wir die Thatsachen mit ihrem rechten Namen nennen
müssen, die erste Theilung Polens nicht, wie es in Deutschland
oft gesagt worden, «die endliche Befreiung Westpreussens
von der polnischen Herrschaft, 1 )» sondern wie jeder Raub und
jede Gewaltthat, ein Unrecht, ein Frevel. Für uns, die wir
in der bevorstehenden Erörterung über die Vergangenheit der
Heimath des Copernicus, so weit es uns möglich ist, unge-
trübten Wahrheitssinn bewahren möchten, für uns können
die Worte, welche einer der Meister der deutschen Geschichts-
forschung, Johannes Voigt, seinem monumentalen Werke über
Preussens Geschichte vorsetzte, nur verwerflich erscheinen:
«Wo ich warm über die Eroberungs- und Bekehrungssache
l ) Von H. v. Sybel in seiner «Geschichte der Französischen Revo-
lution,» und von Prowe: «Westpreussen in seiner geschichtlichen
Stellung zu Deutschland und Polen.» Thorn 1868. S. 63.
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des Ordens schrieb, sagt er, da ward in mir der Gedanke
lebendig, welches Heil und welche grosse Erfolge für freiere
Entwickelung und menschliche Bildung daraus hervorgingen,
dass die Deutschen sich der Küsten des Baltischen Meeres
bemächtigten und der freiere Geist deutscher Eigenthümlichkeit
Raum gewann zu seiner Entfaltung in einem Lande, welches
späterhin vielleicht das Schwert slavischer Geschlechter über-
wältigt hätte, sowie zur Vermittelung deutscher Bildung in
die nahen Völker. 2 )» Wir, die wir in der Geschichte nicht
was geschehen würde, sondern was wirklich war, zu betrachten
haben, und die wir die Unterdrückung des Schwächeren durch
den Mächtigeren immer als ein Unrecht, die Herrschaft eines
Volksstammes über ein anderes und die gewaltsame Nieder-
drückung der freien Entwickelung des Unterworfenen nie als
«ein Heil,» sondern immer nur als eine schwere That ansehen,
welche oft in ferner Zukunft die traurigsten Folgen nach sich
zieht, wir können, wenn wir auf die Vergangenheit des
heutigen Westpreussens zurückblicken, nicht mit Johannes
Voigt 8 ) «zuvörderst immer die Idee und den Gedanken vor-
walten lassen — siegreiche Herrschaft und Verbreitung des
deutschen Geistes über ein Land, welches seit den ältesten
Tagen seiner Geschichte für deutsches Leben, deutsche
Gesinnung und deutsche Sitte bestimmt gewesen war.» — Um
den vermeintlichen Beruf des «grossen» deutschen Stammes
als einzigen und ausschliesslichen Trägers der Cultur andere
Völker «zu ihrem Segen und Heil» ihrer Rechte und ihrer
Eigenthümlichkeit zu berauben, dürfen wir uns wenig kümmern,
solche Phrasen, die sich leider noch heutzutage in Deutschland
so oft hören lassen, gehören vielmehr in das Gebiet tenden-
ziöser Ideologie, als in das der ernsten historischen Forschung.
Uns darf hier nur das Positive, das geschichtlich Gegebene
und Bewährte interessiren.
Geschichtlich gegeben ist nun zuerst, dass das sogenannte
Culmerland (CheJminska), die Landschaft zwischen Weichsel,
2 ) Voigt, Gesch. Pr. Vorrede zum 2ten Bd.
8 ) a. a. 0.
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Ossa und Drewenz, wo Thorn, die Vaterstadt Koperniks,
gelegen ist, vor ihrer Besitzname durch den deutschen Orden
im XIII. Jahrhundert ein bereits christliches, polnisches, aus-
schliesslich von polnischer Bevölkerung bewohntes, mit dem
polnischen Staate seit dessen Entstehung verbundenes Land
war. Diese Thatsache, welche in Polen von jeher bei allen,
Chronisten, Annalisten und neueren Historikern für ausgemacht
gilt, findet merkwürdigerweise von deutscher Seite noch heut-
zutage Widerspruch. «Auch gegen das Kulmerland hin, sagt
der eben erwähnte Voigt (I, 134) — gingen der Masovier
Wohnsitze — zur Zeit, als sie nach Voigt, um das Jahr 550 (!)
mit den ihnen stammverwandten Polen an der Weichsel
erschienen — schwerlich weiter als bis an den Drewenz-Fluss,
denn bis dort hinabwohnten noch Ueberreste vom
gothischen (sie) Volke und bis in spätere Zeiten
war es immer deutsches Leben, welches sich wi
diesem Lande bewegte.»
Diese absonderlich kühne Behauptung hat nun Voigt,
unseres Wissens in seinem umfangreichen Werke nirgends
durch namhafte Argumente zu vertheidigen gewusst 4 ). Es
4 ) Er macht zwar zu dieser Stelle die Bemerkung : «Darüber späterhin
die Beweise,» allein die wenigen Notizen, die man hie und da in seinem
Werke gelegentlich aufgezeichnet findet, und welche sich hauptsächlich
auf eulmische Ortsnamen beziehen, die nach Voigt» Meinung «offenbar
auf gothischen Ursprung hindeuten,» — können als eigentliche Beweise
keineswegs erachtet werden. So sagt z. B. Voigt (I, 73), dass die
Namen «Besen oder Resien, Culm, Thorn, Bogau oder Bogow,
Lob au und manche andere dieser Gegend» (alle diese Namen gehören
mit Ausschluss des ersten und letzten dem eigentlichen Culmerlande
an) «wohl ohne Zweifel» gothische Benennungen seien, und fügt hinzu
(Anm.), dass die skandinavisch-gothische Abstammung von mehreren
derselben sich «ziemlich gewiss» nachweisen lasse. 1) Besonders macht
ihm der erste dieser Namen, Besen (das heutige Biesenburg im alten'
Pomesanien, von dem Volke der Umgegend aber jetzt Prabuty genannt)
viel Freude. Aus den einfachen Worten des Chronisten (Düsburg):
«viri famosi et bellatores strennui in territorio Bysen», macht er,
(II, 234) eingedenk des skandinavischen Biesar und Biesaland (1, 479,
Anm. 2), einen «kampflustigen und tapferen Stamm der Bisen oder
Besier» und scheint nicht zu zweifeln, dass diese in seiner Einbildung
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würde im Gegentheil nicht schwer fallen, aas den Ergebnissen
seiner eigenen Forschung, aus seinem Werke selbst, Beweis-
erzeugte Helden eingefleischte Gothen gewesen seien. Besen heisst nun
bei Düsburg (ed. Hartknoch 1679 p. 94.) auch «Reysen,» in der alt-
deutschen Uebersetzung des Düsburg von Jeroschin aber «Resin,» (Szulc,
Pisma Warszawa 1854, 8. 115) und diese Form führt uns leicht auf die
ursprünglich slavische Resin oder vielmehr Rezin (gebildet aus der
Wurzel r e z , schneiden und der gewöhnlichen Endung -in, vgl. Baiin,
Lubin, Rypin u. a. Ortsnamen) zurück. Zu bemerken ist auch, dass
uns das «gothische» Resen vor der Festsetzung des Ordens nicht
bekannt ist.
2) Gulm ist ferner keineswegs der ursprüngliche Name der Burg,
welche «schon lange vor der Ankunft des Ordens dastand» (Voigt I, 451,
Anm. 2), sondern nur eine spätere, lateinisch-deutsche Corruption dieses
Namens. Derselbe lautete im Munde der einheimischen Bevölkerung
damals wie noch heutzutage Cheimno. «Terram Chelmens,» «terri-
torium Chelmense» lesen wir auch demgemäss in den besten (facsimi-
lirten) Abdrücken der Urkunden Konrads von Mazowien vom Jahre
1228 und 1230 (bei Stronczynski: Wzory pism dawnych. Warschau
1839 No. 1 und No. 3, vgl. Caro's Urtheil über Stronczynski in seiner
Gesch. Polens, Breslau 1863, II, 74) und nicht «Gholmen,» «Golmen,»
«Oholmense,» «Colmense,» oder gar «Culmense» wie man in allen anderen
Abschriften findet. Cheimno kommt her von che Im (altsl. chlumu,
böhm. chlum, russ. chohn) einer Wurzel, welche gleichbedeutend dem
deutschen Holm in einer Reihe von polnischen Ortsnamen wiederkehrt
(Chelm, Chelmo, Chehnek, Chelmiec, Cheimecz, Chehnce u. s. w.) Die
Aehnlichkeit in Klang und Sinn mit dem lateinischen «culmen» bewirkte,
dass man sich schon sehr früh in Urkunden dieser Uebersetzung zur
Bezeichnung des Ortes bediente. So heisst es schon «in Gulmine» in
dem Schenkungsbrief Königs Boleslaw Smialy an das Benidictinerkloster
Mogilno zum Jahre 1060—1068 (S. unten S. 18), «jure Culminensi» lesen
wir in einer Urkunde des Herzogs Wladyslaw Odonicz von Grosspolen
vom Jahre 1223 (Muczkowski und Rzyszczewski. Cod. dipl. Pol. I, 39),
«in terra nomine Culmen» sagt Papst Alexander IV in einer Bulle des
Jahres 1257 (Theiner I, 73) und «provisor in Culmine,» «Commendator
in Culmine» (Voigt II, 236, Anm. 1 und III, 532, Anm. 3) schrieb sich
der erste Ordenskomthur Culms, Ritter Berlewin. Aus «Culmen» hat
sich in der Folge das stehende lateinische Adjectiv «Culmensis» und
dann auch das deutsche «Culm,» lateinisch: «Culma» herausgebildet.
Erwägt man Alles dies, so nützt es der Sache offenbar nicht viel, wenn
Voigt, auf Grund des angeblich gothischen Namenklanges, die Erbauung
der Burg Culm in das sogenannte Jahrhundert der Sage in Preussen,
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gründe hervorzuholen, welche gerade das Gegentheil seiner
Ansichten, das uralt slavische, polnisch christliche Leben
nämlich in jene Zeiten versetzt, wo nach eines armseligen Chronisten
des XVI. Jahrhunderts (David Lucas, 1503 — 1588) Erzählung, die be-
rühmten altpreussischen Helden, Söhne Widewuds, Schalavo, Natango,
Barto, Galindo, Warmo, Hoggo, Pomezo und Chulmo florirten, sich in
das väterliche Erbe theilten und ihre Namen in denen der einzelnen
ihnen zugefallenen preussischen Landschaften: Schalauen, Natangien,
Barterland, Galindien, Ermland, Hockerland, Pomesanien und Culmerland
verewigten (Voigt I, 170). Da uns nun dieselbe Sage auch weiter
erzählt, dass Chulmo für seinen Sohn Poto . die Burg Poto erbaute
(V. I, 171), so fugt Voigt (I, 479, Anm. 2) hinzu: «bei Kulm wurde
damals schon (in jenem gothischen Jahrhundert der Sage) die Burg
Potterberg erbaut.» Möge dies glauben wer es wolle! —
3) Auch Thorn ist ebensowenig wie Culm ein Name, dessen
Ursprung man auf Gothen zurückzuführen braucht, obgleich die Stadt
nachweisbar, — und trotz der entgegengesetzten Meinung Voigts (II, 232)
viel älter ist, als die Herrschaft; des Ordens im Lande. Vgl. unsern
Anhang I.
4) Bog au oder vielmehr Rogöw, Bogowo, nordöstlich von Thorn,
ist auch ein rein polnischer Name. Voigt sagt (I, 452), dass nur die
beiden letzten Sylben polnisch seien (er meinte wahrscheinlich das
Suffix -owo). Indessen heisst rög im Polnischen das Hörn, die Kante,
die Ecke und das davon abgeleitete Bogöw oder Bogowo ist gerade
eine der am häufigsten in Polen wiederkehrenden Ortsbenennungen.
Vgl. Bogowo, See und Stadt im Posenschen, Kreis Mogilno, Bogowo im
Plockischen, Kreis Lipno, Bogöw im Krakauschen, Kreis Miechöw, Bogöw
in Lithauen, Kreis Wilkomiera u. s. w. Wenn Bogowo nach manchen
Urkunden (der oben erwähnten vom J. 1222) auch Buch geheissen haben
mag, wie das Voigt (II, 219) auseinandersetzt (was übrigens noch
keineswegs bewährt ist, da wir in dem besten Abdrucke derselben
Urkunde bei StronczyÄski No. 13 «Buth» lesen und unser Bogowo
wahrscheinlich im Dobriner Lande zu suchen ist, vgl. Bibliot. Warsz.
1861, III, S. 559 — 562), so könnte dies nur ein Beweis mehr für seinen
polnischen Ursprung liefern. Im Worte rög wird nämlich das o in
der Aussprache so gedämpft, dass es vollständig wie ein u klingt.
5) Lob au heisst den Eingebornen noch heutzutage Lubawa und
in einer Urkunde des Jahres 1215 (Acta Borussica I, 261, vgl. Voigt
G. Pr. I, 441, Anm.) — also vor der Ankunft des Ordens — «Lubovia,»
was notwendigerweise auf ein polnisches «Lubowo» zurückfuhrt, wie
sich ein zweites in Schlesien urkundlich nachweisen läset (Grünhagen,
Begesten zur Schles. Gesch. Breslau 1868, I, 42 zum J. 1193 «Lubouo»
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8
im Culmerlande bezeugen. Allerdings wollen wir hier keines-
wegs, wenn wir den Ausdruck uralt gebrauchen, die Zeugnisse
römischer und griechischer Schriftsteller für das Vorhandensein
verschiedener, von den heutigen Gelehrten in der Regel für
germanisch gehaltener Stämme an der Ostsee zur Zeit der
Völkerwanderung ausgeschlossen haben, wir meinen nur, jede
Erinnerung an diese germanischen Durchzüge sei im Mittel-
alter in jenen Landen spurlos verschwunden.
Voigt bezweifelt (I, 294—296, Anm.) die Erzählung der
späteren polnischen Chronisten und namentlich die des
Dlugosz, nach welchem schon König Bolestaw Chrobry (992
— 1025) das Culmerland besessen und nach einem siegreichen
Zuge gegen die Preussen im Ossafluss eine Säule errichtet
haben soll, welche die Gränze seines Reiches kennzeichnete.
«(Boleslaus) — sagt Dlugosz (Francofurti 1711, II, 162)
versus Pruthenorum regionem procedit, illamque per terram
regni sui Culmensem ingreditur.» Allerdings wird die
Glaubwürdigkeit dieser seiner Mittheilung dadurch stark
erschüttert, dass Dlugosz auch die Stiftung des Bisthums Culm
und S. 117 z. J. 1223 «Lubovo»). Die Wurzel lub entspricht dem
deutschen lieb. Vgl. auch die Ortsnamen: Luhin, Lubicz, Lubusz,
Lublin, Lubowla, Lubosin u. s. w. So beweisen die von Voigt ange-
führten Ortsnamen für die im Culmerlande «bis in spätere Zeiten»
angeblich wohnenden Ueberreste des gothischen Volkes, welche dort
«das deutsche Leben» immer rege erhalten sollten, so gut wie gar
nichts, und damit glauben wir auch denjenigen Schriftstellern geant-
wortet zu haben, welche, ohne sich um Beweise zu kümmern, dem Voigt
getrost die Gothenleier nachspielen. Von Manchen derselben erfahren
wir indessen zuweilen auch Neues und Interessantes. Nach Wernicke
(Gesch. Thorns. Thorn 1842, I, 5) war das Culmerland «schon früh,
nach den Spuren der Geschichte, von einem deutschen Stamme, den
Warägern (!), Abkömmlingen der Gothen, bevölkert,» — wofür sich
jedoch Dr. Watterich (Die Gründung des Ordensstaates in Preussen.
Leipzig 1857. S. 18) keineswegs einnehmen lässt, indem er sich
schüchtern mit den blossen Preussen begnügt: «Wenn das Culmerland,
sagt er, auch bisher noch immer als unter polnischer Herrschaft
stehend betrachtet wurde, so waren deshalb seine Bewohner doch keine
Polen, sondern gehörten noch immer zu dem Preussischen Volke»
u. s. w. u. s. w.
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fälschlich dem Bolestaw zuschreibt (I, 163) und er überträgt
dazu offenbar, einen viel späteren Begriff in ältere Zeiten, wenn
er von einer «terra Culmensis» im X. oder XI. Jahrhundert
spricht. Allein den polnischen Analisten des XV. Jahrhunderts
täuschte nicht sein Sinn, wenn er sich die Ossa als die wahre
Beichsgränze schon unter Bolestaw dem Herzhaften vorstellte,
und wir können nur mit allem Nachdruck Voigt beipflichten,
wenn er (1, 319) in jener Sage von der Säule Bolestaws «eine
geschichtliche Hindeutung auf diese Begränzung des Reiches
zu erblicken scheint. — Zwar besitzen wir sonst aus jenen
Zeiten keine genaue, positive Beschreibung dieser Begränzung,
allein der negative Beweisgrund, dass wir auch keinen einzigen
Bericht über die Eroberung des Landes zwischen Drewenz und
Ossa weder durch Bolestaw, noch durch irgend einen seiner
Nachfolger haben, muss hier um so mehr auf Beachtung ver-
dienen, da es doch bekannt ist, dass die Chronisten aller
Länder und Zeiten wohl hie und da einen Verlust des Staats-
gebiets verschweigen, nie aber eine Erweiterung desselben
unerwähnt lassen 5 ).
Diese Erwägung allein erscheint uns schon zwingend genug,
es fehlt uns aber auch nicht an anderweitigen, bestimmteren
Andeutungen.
Es lassen sich die wahren Gränzen Polens nach Preussen
hin aus den Angaben der ältesten polnischen Chronisten, wie
des sogenannten, im ersten Viertel des 12. Jahrhunderts
lebenden Gallus und des im XIII. schreibenden Boguchwal 6 ),
nicht allzu schwierig ermitteln.
6 ) Lelewel. Polska wieköw s*rednich II, 126. «Oczywiscie wiec,
Mieczyslaw posiadal, (b o tego Bolestaw syn jego nie zdobywal
a przecie potomkowie jego do swych dziedzin liczyli),
pröcz Polanöw od Odry (od Krosna) ku Wisle sie. rozcia,gaj$cych;
Mazowszantfw po nadwis*lu siedzacych, od Ossy az ku ujäciu
Pilicy.»
8 ) Die bisherige Ansicht, dass Boguchwal, Bischof von Posen, gest.
1253, Verfasser des im II. Bande der Scriptores rerum Silesiacarum von
Sommersberg gedruckten «Chronicon Poloniae» war, hat jüngst in
August Mosbach in der Schrift: Godyslaw Pawel, dziejopisarz
polsko-lacinski, Lwöw 1867, einen Bekämpfer gefunden. Er vindicirt
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10
Wir schlagen zuerst den Gallus an der Stelle auf, wo er
nach einer Schilderung des ersten Streifzuges Königs Bolestaw III
gegen die Preussen (um 1107 — 1108) die allgemeine Lage
und Beschaffenheit des heidnischen Landes beschreibt. «Terra
enim illa (Prussie) — sagt er (Buch II, cap. 42 bei Bielowski
Monumenta Poloniae historica I, p. 455) — lacubus et
palludibus est adeo communita, quod non esset vel
castellis vel civitatibus sie munita, unde non potuit adhuc ab
aliquo subjugari, quia nullus valuit cum exercitu tot lacubus
et palludibus transportari.» — Preussen war also nach
Polen hin von einer undurchdringlichen Verkettung von Seen
und Morästen geschützt, welche den Zugang zum Lande dem
fremden Heere unmöglich machten, es sei denn, dass die
Winterkälte die sumpfigen Untiefen mit harter Eisoberfläche
bedeckte. Daher wurden auch die Kriegszüge nach Preussen
gewöhnlich in der kalten Jahreszeit — «brumali tempore» —
(Gallus II, 41, p. 455) unternommen, als die anderweitigen
Fehden und Feindschaften ruhten und die Kampflust des
Kriegers keine andere Gelegenheit sich auszutoben, mehr fand.
«Item impiger Bolezlavus — erzählt uns der Chronist zum J.
1110 (III, 24, p. 478) — hiemali tempore non quasi desidiosus
in otio requivit, sed Prussiam terram aquiloni contiguam,
gelu constrietam introivit .... Illuc enim introiens,
glacie lacuum et paludum pro ponte utebatur,
quia nullus aditus alius in illam patriam nisi
lacubus et paludibus invenitur.» — Erst hinter dieser
schützenden See- und Sumpfregion lag nach dem Ausdrucke
des Chronisten eine «terra habitabilis» (1. c), welche in seinen
Augen, und was er nicht oft genug wiederholen kann, weder
Burgen noch Städte zu ihrer Verteidigung brauchte «quippe
situ loci et naturalis positio regionis per insulas, lacubus
et paludibus est munita.»
das ganze Werk für Godystaw-Pawel , Custos von Posen, welchen man
bis jetzt nur als den Continnator Boguchwals ansah. Vgl. Prof.
Nehring's Kritik dieser Schrift in den Göttinger gelehrten Anzeigen
1869, Stück 46, S. 1836—1839. Wir bleiben bei der alten Gewohnheit,
den Namen Boguchwals mit der Chronik zu verbinden.
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11
Dasselbe von den Wohnsitzen der Preussen berichtet
Boguchwal zum Jahre 1161 7 ): «Quorum pro vincie nulla prorsus
arte munite, sed natura situ inaccessibiles extant.
Est autem locus transmeatus de vestibulo densatis diluviorum
undique consertus paludine, in quo limosi bituminis
abissus sub quadam gramiuum virencia degliscit.» (die Stelle
ist sehr verdorben) und es sind auch alle späteren Chronisten
in den Schilderungen des durch undurchdringliches Walddickicht,
durch sumpfige Untiefen geschützten Preussenlandes überein-
stimmend.
Dieser Gränzsaum von Seen und Sümpfen, welcher also
damals Preussen von Masovien schied, ist nun — wie uns ein
Blick auf jede beliebige Landkarte leicht überzeugen kann, —
nichts Anderes, als die heutzutage sogenannte preussische
Seenplatte, welche noch jetzt die Provinz Westpreussen mit
einem breiten Halbkreise von grösseren und kleineren Seen
und Sümpfen vom Drausensee (Druino) an bei Elbing bis zum
Mauersee bei Angerburg (Regierungsbezirk Gumbinnen) um-
schliesst. Die Hauptrichtung dieser auch jetzt die Gränze
zwischen Preussen und dem Königreiche Polen bildenden
Seenstrasse, die man wegen der Unzahl der Wasserbecken,
von denen sie gebildet wird, mit der Sternstrasse am Himmel
vergleichen könnte — geben die grösseren Wassersammlungen
des Geserich- (Jeziorak), Spirding- (Sniardowo) und Loewentin-
sees (Niegocin) an, während einzelne Ausläufer südlich durch
die Gegend um Biskupice (Bischofswerder) und Neumark (den
Kreis Löbau) bis nach Brodnica (Strasburg) an der Drewenz
vordringen. Das Culmerland zwischen der Drewenz und Ossa
und — sei hier bei Gelegenheit erwähnt — theilweise auch
das östlich an dasselbe stossende sogenannte Löbauer Gebiet
bleiben westlich ganz ausserhalb dieses preussischen Seen-
kranzes und es konnten daher nach den obigen Zeugnissen
unmöglich weder der Preussen Wohnsitze je bis ins Culmerland
reichen, noch ist es an eine dauernde Eroberung dieses letzten
7 ) Bei Sommersberg. Rerum Silesiacarum scriptores, Lipsiae 1730,
II, p. 44, vgl. auch Kadlubek (ed. Lipsiae 1712) p. 745.
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12
Gebietes durch dieselben zu denken. Denn die Preussen
waren, besonders in älteren Zeiten, fast nie die Angreifer.
«Non tarn personis, quam animabus constat (eos) esse infestos,»
sagt von ihnen zum # J. 1146 der in dem ersten Viertel des
XIU. Jahrhunderts schreibende Kadlubek 8 ) und es wird uns
bis zum Anfange des 13. Jahrhunderts von keinem namhaften
Einfalle der Preussen in das polnische Gebiet berichtet. 9 ) Es
trieb vielmehr die polnischen Fürsten ihre Eroberungssucht
und ihr frommer Bekehrungseifer immerwährend zu neuen
Eriegszügen in das verhasste, unbeugsame Land der gottes-
lästernden Heiden. Zu wiederholten Malen wurden die Preussen
hinter ihrer Schutzwehr von Seen und Sümpfen von Polen
aus angegriffen und unterworfen 10 ) und Voigt giebt, den Be-
8 ) L. III, Epist. 31, ed. Lipsiae 1712, p. 744.
9 ) Der glaubwürdige Gallus kennt keinen einzigen aggressiven
Schritt der Preussen gegen Polen. Erst der über 100 Jahre nach ihm
lebende Boguchwal berichtet (p. 27) zu den Zeiten Boleslaw des II.
(1058—1079) Folgendes: «Tempore autem, quo in terris Bohemorum et
Australium Rex Boleslaus intraret, eorum terras hostiliter devastando,
Prutheni et aliae nationes paganicae, de reditu Boleslai dubi-
tantes, Pomeraniam hostiliter invadunt.» Kadlubek
erzählt (Lib. IT, epist. XV, ed. Lipsiae 1712, p. 652), und nach ihm
auch Boguchwal p. 26 von der Hülfe, die sie um das Jahr 1042, immer
in Gemeinschaft; mit anderen heidnischen Völkerschaften, dem
Empörer Mieclaw gegen Kasimir von Polen leisteten, und berichtet
von ihrem Abfalle zum Heidenthum nach ihrer Unterwerfung durch
Boleslaw IV. im J. 1146 (L. III, commentarius ad epist. 31, p. 746):
«Qui in ritum paganicum cito post recidivantes, Boleslao in suo regno
multa mala infidelium oppressione ac rapinarum more luporum direp-
tione et asportatione fecerunt.» (Vgl. auch dasselbe mit anderen
Worten in epist. 31, p. 745 und bei Boguchwal p. 44.) Ueberflüssig
zu sagen, dass nur die letztere Notiz verbürgt ist; und das ist nun
einmal Alles, was uns die älteren Chronisten von den Anfeindungen
Polens durch die Preussen vor dem 13ten Jahrhundert überliefert haben!
10 ) Nach Gallus zuerst durch Boleslaw Chrobry (I, 6, p. 400) «Ipse
namque (Bolezlavus) Selenciam (das Land der Luticen an der Oder),
Pomoraniam et Prusiam usque adeo vel in perfidia resistentes con-
trivit, vel conversas infide solidavit.» Dann durch Boleslaw III. (1102
—1139) in zwei Winter-Kriegszügen (Gallus II, 42, p. 455 und III, 24,
p. 478). Ferner sind noch zu nennen die beiden Feldzüge Boleslaw
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13
richten polnischer Chronisten folgend, selbst zu, dass die
Preussen von altersher für den Polen tributpflichtig galten 11 ).
Er lässt Boleslaw IV., wegen Verweigerung des
Tributs (I, 348) jenen unglücklichen Kriegszug in ihr Land
unternehmen, in welchem die Blüthe der polnischen Ritter-
schaft und darunter auch Boleslaws Bruder, Herzog Heinrich
von Sandomierz in den preussischen Sümpfen den Untergang
fand. — Von einer Erweiterung des preussischen Gebiets gegen
das Culmerland hin in Folge dieses, oder eines anderen Sieges,
hören wir jedoch nichts, im Gegentheil sammeln sich — nach
demselben Voigt (1,358), 30 Jahre später (1192) die polnischen
Streitkräfte wieder im Culmerlande, um dann, «die Ossa»
überschreitend, «das Gebiet der Preussen» zu betreten.
Erst als einerseits diese bewaffneten Bekehrungsversuche
der polnischen Fürsten immer häufiger, andererseits aber die
frommen Missionsreisen polnischer Priester und Mönche den
Preussen immer lästiger wurden, erst dann, in den ersten
Jahren des XHI. Jahrhunderts, ergriffen die Preussen, lange
gereizt, entschieden die Offensive gegen Masovien und suchten
es mit wiederholten, planmässigen Verheerungszügen heim.
Auch dann aber, wollten sie das Herz der christlichen Nach-
barlandschaft treffen, nahmen sie schwerlich über das Culmer-
land ihren Weg. Ein kürzerer Zugang stand ja denen offen,
des IV. in den Jahren 1148 und 1161 (Roepell, Gesch. Polens I, 361)
— in der Zwischenzeit sind die Preussen als förmlich unterworfen zu
erachten — und der Zug Kasimir des Gerechten im J. 1192.
") «Während indess die Preussen (um 1040) in Polen für tribut-
pflichtige Unterworfene gelten mochten» (I, 318). Die Umstände
zwingen Voigt auch zu wichtigeren Concessionen. «Fast scheint es
— sagt er I, 319 — dass auch die Preussen (im XI. Jahrhundert) das
Culmerland schon nicht mehr als zu ihrem Gebiete gehörig betrachtet
haben.» Wir fragen nun, wann konnte doch das nicht scheinen?
Voigt ignorirt ferner nicht, «dass man späterhin das Culmerland als
zu Polen gehörig ansah» (I, 319, Anm. 1), weshalb auch der im XVI.
Jahrhunderte lebende Kromer «ganz dreist» (Voigt 1. c.) sagen durfte,
»Ceterum Culmensis tractus et Pomerania Poloniae, non Prussiae partes
fuere» (Cromeri Polonia. Coloniae 1578, p. 15). Allein, fragen wir
wieder, hatte denn Kromer, wenn er das sagte, auch nicht Recht?
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14
welche die trockenen Pfaden und Pässe ihrer heimathlichen
Sümpfe wohl kannten. Das sogenannte Löbauer Gebiet, die
Gegend zwischen der Wkra (Soldau) und der Drewenz, wo sie
bei Osterode nach Süden ihren Lauf nimmt, war die immer
offene Bahn 12 ), auf welcher sie bis tief in Masovien hinein
frei vordringen konnten, um dann mit Feuer und Schwert an
den Christen Repressalien zu üben 13 ). Nach dieser Gegend
hin muss sich auch in der Folge das Gebiet der Preussen
bedeutend erweitert haben , wenn Konrad von Masovien in
der dem Dobriner-Ordsn im J. 1228 ausgestellten Schenkungs-
urkunde das Land südlich von der Drewenz, etwa wo noch
heute das uralte Städtchen ßypin in Polen (Kreis Lipno) liegt,
als «Prussia» bezeichnen konnte. 14 ) Allein auch das Culmer-
1S ) Vgl» den Aufsatz «0 ziemi DobrzyÄskiej» in der Biblioteka
Warszawska 1861, III, 271.
18 ) Von einem dieser Plünderungszüge erzählt uns Boguchwal
S. 58 . . . . qui furtim aliquas terras invadentes ipsis (sie) rapinis
desolabant; Belciam (Plock) quoque, Episcopi oppidum et villas
plurimas eidem oppido adjacentes devastarunt.
14 ) Man vergleiche 1) das Privilegium Konrads auf das Dobrinerland
bei Dogiel IV, No. 7, p. 5: «Contuli .... castrum Dobrin cum spatio
terrarum, quae continentur • inter hos duos rivulos Camenicam et
Gulmenicam, usque in Prussiam.» 2) Die dasselbe bestätigende
Urkunde des Bischofs Günther von Plock bei Voigt Cod. dipl. Prussicus
I No; 19, p. 18 und 3) die den Umfang der Konradianischen Schenkung
näher bestimmenden Worte des Briefes Eckberts, Probst von DobrzyÄ
vom J. 1233 (gedruckt im Cod. diplomaticus v. Valent. Ferd. de Gudenus
p. 517— -518, No. 24): «Totam terram quae infra duas aquas, Mene
scilicet et Wezele continetur, longitudinis XXIV miliarium, latitudinis
vero alieubi XII, alieubi vero XV miliarium tradiderit (dux Conradus).»
— Konrad schenkte demnach dem Dobriner- Orden das südlich durch
die Weichsel (Wezele), westlich durch die in dieselbe Wloclawek
gegenüber mündende Chehnica (Culmenica), östlich durch die bei
Dobrzyn einströmende Eamienica (Camenica), nördlich aber durch das
beim heutigen Lipno vorbeifliessende Flüsschen Mien (Mene) begränzte
Land. Nördlich vom oberen MieiS, zwischen der Drewenz und der Wkra
(Soldau), erstreckte sich das Land, welches Eonrad und der Bischof in
ihren Urkunden als «Prussia» bezeichnen, und welches in die mazowi-
schen Besitzungen vorspringend, unzweifelhaft der Ausgangspunkt der
preussischen Unternehmungen gegen Mazowien bildete. (S. den bereits
angeführten Aufsatz «0. Ziemi Dobrzyüskiej.»)
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15
land wurde damals von den Preussen nicht geschont. Ein-
geschlossen in dem Bausche der grossen Weichselkrümmung
zwischen Thorn und Graudenz, geschützt vom Norden durch
die Ossa und durch seine nach Westen vorspringende Lage
den Preussen vielleicht schwerer, als Mazowien zugänglich —
war dieses Land von jeher die eigentliche Feste der Polen
gegen Preussen, die Basis aller ihrer Unternehmungen gegen
das von dieser Seite zu jeder Jahreszeit leichter zu betretende
heidnische Nachbarland 15 ). Kein Wunder also, dass die
Preussen, denen die wachsende Uneinigkeit und Schwäche der
polnischen Theilfürsten Straflosigkeit versicherten, sich zu
immer kühneren Unternehmungen erdreisteten und ihre Einfälle
nun auch gegen das Culmerland , diese polnische Warte an
der Weichsel richteten, indem sie zu wiederholten Malen in
den Jahren 1250 und 1218 dasselbe mit Feuer und Schwert
durchzogen, die Dörfer und die vielen festen Burgen daselbst
einäscherten und niederrissen 16 ). Wer möchte aber wohl, aus
diesen preussischen Plünderungszügen im XIII. Jahrhundert,
mit einem jüngeren deutschen Geschichtsschreiber die Folge
ziehen, dass das Culmerland ein «während der verschiedenen
Kriegszüge» von den Polen den Preussen abgewonnenes
Gebiet war, welches Konrad von Masovien nur mit genauer
Noth vor denselben zu behaupten vermochte? 17 ) Wie und
wann konnten, nach allem Obengesagten, die Preussen das
Culmer Gebiet je besessen haben?
15 ) Man vergleiche bei Voigt I, 294, 349 u. 858 die Schilderungen
der Kriegszüge in den Jahren 1015, 1161 und 1192, wo die polnischen
Heerschaaren jedesmal durch das Culmerland «über die Ossa» in das
Gebiet der Preussen eindringen.
16 ) Roepell, Gesch. Polens. Hamburg 1840, I, 428 und die Schen-
kungsurkunde Eonrads an den Bischof Christian von Preussen vom J.
1222: «quondam castra Grudenz, Wabsko» etc.
") Watterich, Gründung des Ord. S. 5. Das heisst doch recht «die
Katze umkehren,» wie man in. Polen sagt. Warum nicht lieber gleich
von vornherein erklären, dass es die polnischen Fürsten waren, welche
im «preussischen» Culmerlande plünderten und raubten?
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16
Allein sie konnten es nicht, und weil sie es nicht konnten,
so war auch das Land von jeher ein polnisches Land, welches
der Oberhoheit der polnischen Fürsten ebenso gut, wie jeder
andere polnische Landestheil, unterworfen war.
Um Beweise hierum soll es uns nicht fehlen. — König
Boleslaw II. der Freigebige (1058—1079) beschenkte reichlich
die Benedictiner- Abtei zu Mogilno 18 ) in Grosspolen, deren
Stiftung ihm auch wahrscheinlich zuzuschreiben ist. In der
Schenkungsurkunde, die uns in mehreren Abschriften erhalten
ist 19 ), lesen wir nun folgende Worte: «Animadvertat hoc
testimonii veritas omnis Ecclesia Religionis, quod ego Boleslaus
.... contuli de omnibus ad nie pertinentibus, Ecclesie
Mogylnensi Sancti Johannis Ewangeliste transitus omnes per
18 ) Heutzutage Kreisstadt, Regierungsbez. Bromberg.
lö ) Wir besitzen nicht mehr das Originalprivilegium , obgleich
dasselbe im J. 1835 nach einer damals in der «Hamburger Zeitung»
erschienenen Notiz sicher noch vorhanden war. (Vgl. Biblioteka
Ossolinskich 1865, VI, S. 329 und VII, S. 338.) Der Text der Urkunde
ist uns nur aus späteren Transsumpten und Abschriften von Trans-
sumpten bekannt. Gedruckt ist er bei 1) Maciejowski, Historya
prawodawstw slowianskich. Warszawa 1858, Band VI, S. 386. 2) Bie-
lowski. Monumenta Poloniae Historica, Lwöw 1865, T. I, 359—363.
Sy Wuttke, Städtebuch des Landes Posen. Leipzig 1864. 4) Biblioteka
Ossolinskich. Lwöw 1865. Bd. VI, S. 369—379. Wir haben hier den
letzteren Abdruck benutzt, da er bei Weitem der correcteste, und von
dem Herausgeber, Zygmunt Helcel, dem hochverdienten Forscher auf
dem Gebiete vaterländischer Rechtskunde, mit Anmerkungen über die
Lage der in der Urkunde erwähnten Ortschaften versehen ist. Helcel
hält zwar nicht Boleslaw IL, sondern Boleslaw IV. (1142—1173) für den
Verleiher, August Bielowski hat aber (Bibl. Ossol. Bd. VII, 308—340)
mit aller Entschiedenheit Helcels Bedenken beseitigt und dargethan,
dass das in Folge eines leichten Lesefehlers der Abschreiber unsicher
gewordene Datum der Urkunde nur auf die Jahre 1060, 1065 oder 1068
fallen könne, da «Anno incarnacionis dominice MLXVIII idus Aprilis,
entweder als anno MLX, VIII idus Aprilis, oder als anno MLXV, III
idus Aprilis, oder endlich falls «idus» aus einer falsch entzifferten
Abbreviatur entstand, anno MLXVIII idibüs Aprilis gelesen werden
koniitö. Dlugosz, der die Urkunde in einem Auszuge in seiner Chronik
mittheilt (III, 258) hat für sie das Jahr 1065 «tertio Idus Aprilis.»
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17
Wysslam de Camen 20 ) usque in mare et per totam
Mazoviam nonum forum, nonum denärium, nonum porcum,
nonum poledrum, nonum piscem stim largitus .... Et
hec sunt, nomina castrorum: Grudomzch, Zacrochin,
Sirozch cum medio theloneo per fluuium Bug, Rypin 21 ),
Stethin , Seprech , nowy Radczez , Oselzch , . Siremdzeo ,
Cechonow, Stelpzco, Grzebesco, Nasilzco, Visegrod, Ploczk,
Dobrin, Wlodislaw, Pripust, Slonzch, in LansinX. marcas,
in Sbutimir VII. marcas, in Woyborz IV. marcas, in Sarnow
duas marcas et dimidiam, in Rospir VII. marcas 22 ). Hec
autem nomina villarum prenotantur, quas contulimüs cum
omni libertate et jure Ecclesie sepedicte sancti Johannis
E wangeliste in Mogylna: Cyrnenzch, Chrenow, Bolmo, Vele-
20 ) Dieses Camen ist das heutige Kamieri an der Mündung der
Bzura, Wyszogröd im Plockischen gegenüber, etwa 7 deutsche Meilen
von Warschau entfernt. Man darf sich nicht wundern, wenn Boleslaw II.
den Ueberfahrtszoll auf der Weichsel von hier an bis zu ihrer Mün-
dung ins Meer dem Kloster schenken konnte. Pommern war ja seit
Boleslaw Chrobry den Polen unterthänig; wir erinnern an die oben
(s. Anm. 10) angefahrten Worte des Gallus, wo auch von einem Ver-
suche, das Land zu christianisiren, die Rede ist; auch war, nach dem
Zeugnisse eines Zeitgenossen (des Johannes Canaparius in der Vita et
passio Sti Adalberti bei Bielowski Monumenta I. 162—183) die Handels-
stadt Danzig damals eine polnische Gränzstadt an der See. «Ipse
vero (Adalbertus) adiit primo urbem Gyddanyzc, quam ducis (Pala-
miorum Bolizlavi) latissima regna dirimentem maris confinia tangunt»
(cap. 24 bei Biel. p. 180). — Boleslaw II. war, nach dem ausdrücklichen
Zeugniss des Chronisten, noch Herr über Pommern: «Nam cum in pri-
cipio sui regiminis et Polonis et Pomoranis imperaret» etc. (Gallus I.
cap. 22 bei Bielowski p. 419.)
21 ) Rypin an der in die Drewenz mündenden Rypienica in der
später von Konrad von Mazowien als «Prussia» bezeichneten Gegend.
Zakroczym und Serock, gleich allen darauffolgenden Ortschaften, wie
Sochocin, (das Stethin unseres Abdruckes lautet in anderen, z. B. bei
Bielowski I, 360: Scochin) Sierpc, Raciqi, Osiek, Szrensk, Ciechanöw,
Slupsko, Grzebsko, Nasielsk, Wyszogröd, Ptock, Dobrzyn, Wloclawek,
Przypust, Slonsk lassen sich noch heutzutage bis auf Slonsk, das auf
dem linken Weichselufer liegt und zu Kujawien gehört — in Mazowien
aufweisen.
M ) Spicimierz, Wolborz, Äarnöw und Rosprza liegen links von der
Weichsel in den Gegenden um Kalisz und Piotrköw.
Beitr. z. Nat. d. Copernions. 2
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18
rieh, Tossowo, Cromnow, Golumbino 28 ); Ecclesiam saueti
Laurencii in Ploczch; item in Belzco 24 ). Ecclesiam saneti
Johannis Baptiste cum ipsa villa prenotata, foro, tabernis,
Targowe, et cum omni übertäte ; Ecclesiam saneti Johannis in
Wladislaw, in Culmine nonum forum cum tabernario». 25 )
Grudomzch, das wir hier an der Spitze der masovischen
Burgen genannt finden, ist nun nichts anderes, als das
heutige Grudzi^dz oder Grudziqi an der Weichsel, das Grau-
denz der deutschen Einzöglinge, in fester Lage an der nörd-
lichen Gränze des alten Culmerlandes erbaut 26 ). Lansin,
welches unmittelbar nach der Aufzählung dieser Burgen folgt,
ist, aller Wahrscheinlichkeit nach, das heutige Dorf L^Äyn 27 )
im Kreise Thorn, und jenes zuletzt geuannte Culmen, ohne
allen Zweifel Chelmno, der spätere Hauptort des Culmer-
landes 28 ).
2S ) Diese sieben Ortschalten scheinen dem Helcel alle in Kujawiea
zu liegen (vgl. Biblioth. Ossol VI. 1865 S. 373. Anm.).
*) Bielsk bei Plock.
* 6 ) Es folgt noch eine Anzahl Namen kujawischer Localitäten, wie
auch die der dem Kloster geschenkten hörigen Leute. Wir übergehen
sie, als unserem Gegenstande gleichgültig. Das Datum der Urkunde,
wie es in Helcels Abdrucke angegeben wird, lautet: «Actum et datum
anno incarnacionis Dominice MLXV, IIIo Idus Aprilis, in Plozc. Pre-
sentibus etc.»
8e ) Bielowski hat (I, 360) die Variante Grudomsch. Dlugosz schreibt
ausdrücklich Grudziadz.
27 ) Bei Bielowski lesen wir «Lasin» — Laszyn hat Dlugosz. So
heisst aber genau noch heutzutage das Lessen der Einzöglinge jenseits
der Ossa (Kreis Graudenz). Welches von beiden hier gemeint sei,
wollen wir gerne unentschieden lassen. Ein Dorf Lqiyn existirt übrigens
noch in Polen bei Osiek (Kreis Lipno). Auf welche Weise aber Helcel
aus Lansin Leczyca machen will (S. 372), leuchtet uns nicht ein.
88 ) Dass das Privilegium König Boleslaws II. kein todter Buchstabe
war, sondern dass die in demselben besprochenen Schenkungen dem
Kloster auch wirklich zu Gute kamen, beweist der Umstand, dass es
zu verschiedenen Zeiten von den Aebten von Mogilno den regierenden
Fürsten zur Bestätigung vorgelegt wurde. So im J. 1200 (vgl. über
dies Datum, welches in den Abschriften ebenfalls unrichtig angegeben
wird, Helcel in Bibl. ossol. VI. 355—364 und Bielowski ebendas. VII.
310) Mieczyslaw dem Alten, im J. 1363 Kasimir dem Grossen und im
J. 1402 Wladyslaw JagieHo (s. Bielowski Monum. I. p. 359 und 363).
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19
Dieses Zeugniss setzt uns nun wohl in Stand, Voigts Be-
denken, dass es sich «für diese Zeiten — das XI. Jahr-
hundert — nicht ganz sicher» behaupten lasse, «wiewohl nicht
unwahrscheinlich» sei, «dass schon damals das nahe gelegene
Culnierland in einer gewissen Abhängigkeit von Polen ge-
standen habe» (I, S. 318 — 319), insofern zu beseitigen, dass
wir erklären — war die Abhängigkeit des Culmerlandes von
Polen nur «eine gewisse», so war auch die von Masovien und
jedes beliebigen Landestheils gleichfalls auch nur «eine
gewisse».
Dieser enge Anschluss des Culmerlandes an Masovien, oder
vielmehr die alte Einheit und Identität des Culmerlandes mit
Masovien, war auch die Ursache, warum wir dasselbe so spät
als Etwas für sich bestehendes kennen lernen, wenn es über-
haupt nicht richtiger ist, zu sagen, dass wir es eigentlich —
bis zur thatsächlichen Ablösung von Polen durch den Orden —
nie als eine für sich bestehende polnische Provinz kennen lernen.
Es erwähnt zwar Boguchwat der «Castellania Culmensis» schon
bei der Theilung des Reiches durch Boleslaw III. unter seine
Söhne im J. 1139: «Boleslao Crispo Masoviam, Dobriniam,
Cujaviam et Culmensem Castellaniam . . . legat» (bei Sommers-
berg II. p. 41). Allein die Erwähnung des Culmerlandes so-
wohl, als auch des Dobriner Gebiets ist hier nur eine allzu-
deutliche Uebertragung von Begriffen, die der Zeit, in welcher der
Aufzeichnerlebte, geläufig waren, in die Vergangenheit, undkann,
wie das gleiche eifrige Einschieben des Namens «terra Culmensis»
überall, wo es sich nur um das Drw^ca- und Ossa- Gebiet
handelt, das wir bei Dtugosz 29 ) und anderen späteren An-
89 ) Ausser der erwähnten Stelle IT, 162, wo er Boleslaw Chrobry
«per Culmensem terram» seinen Feldzug gegen die Preussen unter-
nehmen lässt, theilt Dlugosz zum J. 1139 (IV, 450) Boleslaw IV. «Ma-
soviensem, Dobrzihensem, Cuiaviensem et Culmensem» (terras) zu, und
Voigt, der doch von Hause aus so sehr geneigt ist, den Zusammen-
hang des Culmerlandes mit Polen in Abrede zu stellen, lässt sich
merkwürdigerweise durch diese anachronistische Angabe des Dhigoaz
bewegen, Boleslaw IV. Herr von «Masovien, Dobrin, Cujavien und
Culmerland> zu nennen (I, 345). Dlugosz erwähnt ferner des Culmer-
2*
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20
nalisten bemerken, nur den Werth für uns haben, dass es uns
einen Beweis davon liefert, wie tief die traditionelle Ueber-
zeuguDg von der uralten Zusammengehörigkeit dieses Landes
mit Masovien bei allen polnischen Geschichtsschreibern ein-
gewurzelt war.
Die Begriffe c terra, territorium», als Jurisdictionsbezirk
eines vom Landesherrn eingesetzten Burggrafen (Castellanus,
daher auch terra im XTTI. Jahrhundert gleich Castellania), sind
in Polen in der ersten Hälfte des XII. Jahrhunderts noch un-
bekannt 30 ). Polen hatte damals diese Organisation noch nicht,
obgleich der Name Castellanus oder «Comes» für den ein-
fachen Verwalter einer königlichen Burg schon geläufig war.
Der Name cterra» ist, wenn wir ihm bei Gallus begegnen,
gleichbedeutend mit cpatria», «regio», und als solcher noch
ein rein ethnographischer Begriff, wie auch die ersten Anfänge
politischer Eintheilung damals ganz auf ethnographischer Grund-
lage beruhten. — Die «regio Zlesiensis» (Gallus IL, 50 p.459)
welche, ähnlich den deutschen Stammherzogthümern, auch
«ducatus» genannt wird (Derselbe II. 13, p. 436, «ducatum
Wratislaviensem»), «Pomorania, Mazovia» (Derselbe, passim),
«Cuyavia» (s. eine Urkunde Papst Innocenz II. vom J. 1136
bei LelewellV., 124—130 und Kadlubek, Leipzig 1712, p.818
et passim) waren alte Stammgebiete, in welche zu gleicher
Zeit auch politisch das polnische Reich eingetheilt zu werden
anfing. Erst nach dem Tode Boleslaw III. (1139) kommen,
zur Zeit der Regierung seiner Söhne, unter den wechselnden
Benennungen von «provincia, regio», später «castellania» und
endlich auch «terra, territorium» immer häufiger kleinere Ge-
biete vor, welche von einem «castrum» oder« castellum» (grod)
der Umgegend ihren Namen haben und von demselben in ad-
ministrativer Beziehung abhängig sind. Schon zum Jahre 1136
und Dobrinergebiets noch zum J. 1207 bei dem Theilungs- Vertrag
zwischen den Herzögen Konrad und Leszek (VI, 602) «Masoviam propter
amplitudinem diffusam cum Ghelmensi Cuiaviensi et Dobrinensi terris
Gonradus .... accipiat.»
80 ) Dies und das Folgende nach Lelewel. Polska wieköw srednich.
Poznan 1847. II, 458—462.
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21
hören wir von einer «provincia de Znein» S1 ) und von einer
«villa in Zrem, que Dolko nnncupatnr» S2 ) ; später werden
diese Einteilungen immer zahlreicher und allgemeiner.
Wie nun in jedem anderen polnischen Gebiet, so ent-
standen in jener Zeit auch in Masovien ähnliche, mit Juris-
diction verbundene «Castra», Castellaneien , deren jede, mit
ihrer umliegenden «terra», mit ihrem respectiven «territorium»
oder «districtus», einen besonderen Verwaltungsbezirk bildeten.
Es gehört nicht zu uriserm Gegenstand, die Anzahl und das
Alter der masovisehen Castellaneien zu erforschen, — wir
haben nur hier die Thatsache zu constatiren, dass, wie der
«Dux Masoviae et Cujaviae» — so und nicht anders schrieb
sich in allen Urkunden Konrad von Masovien — im XIII. Jahr-
hundert ein «castrum Dobrin cum terra ab eodem [territorio]
nuncupata» 38 ) besass, wie er über das «castrum Wladiz-
laviense» und den «districtus Wladizlaviensis» , über das
«castrum quod vocatur Kychol cum omni suo territorio», dem
«Kycholensis districtus» 84 ) Herr und Herrscher war, wie er
im äussersten Osten seiner Lande ein «castrum» und eine
«terra Drohicin» , ein «territorium Drohicense» besass 85 ) —
81 ) Jlnin im Kreise Szubin im Posenschen. *
M ) Dolßk bei Srem im Posenschen. Beide Citate ans der Urkunde
bei Lelewel III. 124—130.
8S ) So heisst es in der über Dobrzyn dem Dobriner Orden von
Bischof Günther von Plock im J. 1228 ausgestellten Urkunde bei Voigt.
Cod. dipi. Prnss. I, p, 18 No. 19; in der Schenkungsurkunde Eonrads
selbst, lesen wir einfach «castrum Dobrin» mit dem näher bezeichneten
»spatium terrarnm , quae continentur inter» etc. (Tgl. oben Anm. 14.)
Den Ausdruck «limes castri Dobrinensis» für: «Gränze des Dobriner
Burggebiets», finden wir in der Urdunde, in welcher Eonrad im Jahre
1236 Masovien und Eujavien unter seine beiden Söhne Boleslaw und
Kazimierz theilt (bei Muczkowski und BzjszczewskL Cod. dipL Po-
loniae II, p. 15 No. 20.).
w ) Muczk. undRzyszcz. 1. c. Eychol ist das heutige Kikot in Polen,
Kreis Lipno, Wladizlavia das heutige Wloclawek.
**) «Prenominatam terram scilieet Drohicin», «in Drohicensi terri-
torio» lesen wir in dem von Voigt, Gesch. Pr. II, 277—278 angeführ-
ten Fragmente der Schenkungsurkunde Eonrads an die Dobriner-
Brüder vom J. 1287, Drohiczyn liegt am Bug in Polen.
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22
so gehörte ihm auch im Nordwesten ein «castrum» und eine
«terra Chelmen», ein «territorium» oder «dominium Chelmense» 36 )
welches zu der unter dem Namen «Masovia et Cujavia» be-
griffenen Gesammtheit seiner Besitzungen in demselben Ver-
hältnisse eines Theiles zu seinem Ganzen stand, wie jedes
andere mit einer Jurisdiction verbundene masovische «castrum»
oder «territorium». Und daher ist die von späteren Chro-
nisten eingebrachte Gewohnheit, Masovien, Cujavien, Dobrin
und Culmerland in gleicher Reihe zu erwähnen, nicht nur
häufig unrichtig als Anachronismus, sondern immer höchst
unlogisch. Denn richtig zur Bezeichnung dieser Ländereien
kann nur entweder der Ausdruck Eonrads «Masovia et Cu-
javia» sein, oder anstatt dessen, eine genaue Aufzählung
aller Territorien, in welche Mazowien und Kujawien damals
zerfielen. Jede andere Ausdrucksweise, wie etwa Mazowien
mit Dobrin und Culmerland, ist gleichfalls unzulässig; es ver-
steht sich von selbst, dass diese beiden Gebiete, so lange sie
von Mazowien nicht abgetrennt wurden, in Mazowien einbe-
griffen waren 37 ).
88 ) Vgl. Anm. 4. Man vergleiche auch in der die Schenkung
Konrads bestätigenden Bulle Papst Gregors IX. (bei Dogiel IV. No. 15,
p. 11) vom J. 1230, den Ausdruck «castrum, quod Oulmen dicitur, cum
pertinentiis suis» für: Culmerland.
87 ) Wenn sich Voigt an der anachronistischen Ausdrucksweise des
Dlugosz fangen Hess, so ging es auch seinem Exagerator Watterich
mit jener oben (S. 19.) angeführten Angabe Boguchwals noch
schlimmer. Dr. Watterich sagt S. 12, Anm. 15 : «Obgleich das kulmische
Gebiet (um 1215) seit mehr als 100 Jahren zur polnischen Herrschaft
gerechnet wurde, — wir erinnern an die «Eulmische Kastellanei» in
der Landestheilung Boleslaws III. bei Eadlubeck (sie!) B. I. ep. 27,
p. 347. Boguphal ap. Sommersberg I, p. 41. — so sah man es doch
immer als einen eroberten Theil von Preussen an.» Die arm-
selige «Castellania Culmense» des Boguchwal zum J. 1139 ist es also,
welche Prof. Watterich — asoncorpsde'fendant — zu der gewaltigen,
der ganzen Anlage seines Werkes gar widerstreitenden Concession der
100jährigen «Hinzurechnung» Culms znr polnischen Herrschaft zwingt! —
Warum aber Dr. Watterich Masovien, Dobrinien und Kujavien nicht
gleichfalls «für einen erobertenTheil von Preussen» ausgiebt,
ist uns unbegreiflich. Denn nach den Worten Boguchwals zu urtheilen,
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In Anbetracht der zwingenden Consequenz dieses letzteren,
so klaren und einleuchtenden Schlusses, würden wir gewiss
bei anderen Umständen uns nicht die Mühe gegeben haben,
so emsig die Beweisgründe und Beweisstücke für die alte Zu-
sammengehörigkeit des Culmerlandes mit Mazowien zu sammeln.
Die Evidenz dieser Zusammengehörigkeit liegt ja schon einem
jeden klar zu Tage, wenn auch nur aus dem einzigen Um-
stände, dass, wenn Konrad im J. 1222 in diesem Gebiete
Schenkungen an den Bischof Christian von Preussen machen,
und der deutsche Orden sechs Jahre später (1228) nur kraft
einer neuen Schenkung desselben Konrads im Lande festen
Fuss fassen konnte, dasselbe doch unwiderleglich dem Ver-
leiher angehören musste. Auch fehlt es in den betreffenden
Actenstücken nicht an klaren und bestimmten Beschreibungen
der Lage und der Gränzen des Gebiets, das in den Schen-
kungen gemeint war. So in der Urkunde des J. 1222: «in
predicto Colmensi dominio videlicet ab eo loco,
ubi Drevanza dePrussia egreditur, juxta terminos
Pruscie in Ossam, et sie inferius per Wislam sur-
sum usque ad Drevanzam, et sie per Drevanzam
sursum usque ad locum, ubi Drevanza egreditur de
Pruscia» 38 ) und in den beiden Urkunden Konrads vom
J. 1230: »Totum ex integro Chelmense territorium .... ab
eo loco, ubi Drvancha egreditur terminos Prussie
per ipsum fluvium, usque ad Wislam, et per Wis-
lam usque ad Ossam, et per ascensum Osse usque
scheint uns doch dieser Schluss für alle von ihm aufgezählten Gebiete
gleich zwingend. — Allein lassen wir den Scherz. — Wir möchten
nur noch hier bemerken, dass die Quellenangabe Watterichs ganz auf-
fallend unrichtig ist. Denn es hat Kadtubek im ersten Buche seiner
Chronik im Ganzen nur 19 Episteln. Im dritten, wo er in der
27. Epistel von der Landestheilung Bolesiaws III. im J. 1139 spricht,
wird kein einziges Gebiet, geschweige denn das Culmerland, aus-
drücklich erwähnt, und endlich ist die Chronik Boguchwais nicht im
ersten Bande der Silesiacarum rerum scriptores von Sommersberg ge-
druckt, sondern in dem zweiten!
88 ) Stronczynski No. 13. Dogiel IV. No. 2, p. 2.
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ad t er ni in os Prussie» 39 ). — Allein wie sehr auch dies
Alles überzeugend und augenscheinlich ist, — so haben es
doch die den Polen feindlichen deutschen Geschichtsschreiber
von jeher gewusst, durch tendenziöse Verkehrung der That-
sachen diese Evidenzen so sehr in Schatten zu stellen, und
es ist ihnen in Deutschland auf guten Glauben so viel nach-
gesprochen worden, dass nicht nur der alte Zusammenhang
des Culmerlandes mit Polen dort jetzt entweder unbekannt,
oder allgemein bezweifelt wird, sondern es ist auch über die
ganze Angelegenheit der Christianisirung Preussens und der
Berufung des Deutschen Ordens dorthin durch Konrad ein so
falsches Licht verbreitet worden, dass, wer die Sache der
Wahrheit wieder aufnehmen will, der kann zum Kampfe mit
den veralteten, tief eingewurzelten Vorurtheileu nie gut genug
geschützt und gerüstet erscheinen. — Wir fühlen uns auch
glücklich, dass wir in diesem Kampfe Genossen aufzuweisen
haben, die einen grossen — ja den bei Weitem schwereren
und mühsamereren — wie er auch ihrer geübteren Kraft
mehr angemessen war — Theil der Arbeit auf sich genommen
haben, und es ist uns kein geringer Trost und keine geringe
Erleichterung, wenn wir jedem unparteiischen deutschen Leser,
dem es nicht an verkehrter Argumentation ad hoc, und auch
nicht an Ausrufen pathetischer Entrüstung über selbsterdachte
Betrügereien Konrads von Mazowien — sondern an dem
Wesen der Dinge in dieser Frage gelegen ist — auf zwei
durch Wahrheitsliebe, Scharfsinn und Kritik ausgezeichnete
Behandlungen derselben hinweisen können, und zwar, den Be-
hauptungen Voigts gegenüber auf die treffliche Auseinander-
setzung Roepells in seiner Geschichte Polens I. S. 434—444,
*) Stronczyilski No. 3. Dogiel IV. No. 10 p. 8 und No. 12 p. 10.
Wenn wir hierbei die geographische Lage festhalten, und jener
preussischen Seengränze eingedenk sind, von der uns die Chronisten
des XII. Jahrhunderts berichten, so überzeugen wir uns leicht, dass die
Gränze Preussens gegen das Culmerland hin auch im XIII. Jahrhunderte
dieselbe geblieben ist. Dem Watterich ist trotz allem dem das
Cuimerland im 13. Jahrhundert, wenn auch nur «gewissermassen»,
doch immer ein «preussischer Boden» (S. 6).
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25
und den Hypothesen Watterichs entgegen — in dessen Schrift
«Die Grüudung des deutschen Ordensstaates in Preussen», die
tendenziöse Uebertreibung der preussischen Historiographen
ihren Culminationspunkt erreicht — r auf die kernhafte Ab-
handlung des leider zu früh seinem Vaterlande verstorbenen
Jan Nepomucen Romanowski: «De Conradi, ducis Masoviae
atque Ordinis Cruciferorum prima mutuaque conditione» 40 ).
Wer nun einmal das wahre, rechtliche und thatsächliche
Verhältniss des deutschen Ordens zu Polen — wie es durch
die Privilegien Konrads von den J. 1228 und 1230 bestimmt
worden war — durchblickt, wer sich davon überzeugt haben
wird, dass das Culmerland bis zum Jahre 1343 unter polnischer
Oberhoheit stand 41 ), dem wird auch wohl der Grund leicht
einleuchten, warum Hermann Balk, der erste Landmeister in
Preussen, in den ersten Zeiten nach seiner Ankunft bald als
«Preceptor per Slavoniam et Prussiam,» bald wieder unter dem
schüchternen Titel eines «Procurator in Polonia fratrum
hospitalis S. Marie Teutonicorum» auftrat, (Voigt n, 185 — 186
Anm.) und was ebenfalls die Ursache war, warum man, wie
wir es von Voigt selbst erfahren,, das Culmerland fünfzehn
Jahre nach der Festsetzung des Ordens «immer noch» in der
Amtssprache der damaligen Zeit deutlich von Preussen unter-
schied, indem man es «als etwas für sich bestehendes ansah»
(H, 466. Anm.) 42 ). — «Quod terra Culmensis cum omni
40 ) Posen 1857.
41 ) Erst in diesem Jahre leistete Kasimir der Grosse , König von
Polen, durch die Umtriebe des Ordens überwunden, zu Gunsten desselben
auf dem Verhandlungstage zu Kalisz förmlichen Verzicht auf Culmer-
land, Michelau und Pommern (vgl. Caro Gesch. Pol. II, 251). Die
Hoheitsrechte auf das christianisirte oder noch zu christianisirende
Preussen verlor Polen allerdings schon im J. 1234, als Papst Gregor IX.
Preussen unter den besonderen Schutz des h. Petrus nahm und es zum
Bigenthum des apostolischen Stuhles erklärte (Bulle vom 3. August 1234
bei Theiner I n. 57 p. 25 und Voigt Cod. dipl. Pr. I, 35). Die Bulle
bezieht sich aber keineswegs auf das Culmerland, vgl. eine zweite Bulle
desselben Jahres an Konrad bei Theiner I n. 59 p. 26 und Dogiel IV
n. 17 p. 12, Romanowski p. 70—74.
42 ) Ausser den zu dieser Stelle von Voigt angeführten Worten aus
einer Bulle Papst Innocenz IV. vom 29. Juli 1243 »in ipsa Pruscia
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districtu et territorio suo, et cum civitate Colmensi,
Thorun, necnon Omnibus opidis, castris, villis sitis et locatis
infra dictum territorium Culmense a flumine Visla usqae ad
flamen Ossa vulgariter nuncupatum, pertinet ab antiquo ad
Begnum Polonie, et est sita infra metas ejusdem Begni, et
quod Principes Polonie, qui pro tempore fuerunt, ipsam posse-
derunt nomine Begni ejusdem» — das war noch im J. 1339
die öffentliche Meinung iu Polen in Bezug auf die alte Beichs-
gränze nach Preussen hin und das alte Beichsgebiet zwischen
Ossa und Drwgca 43 ). Und wenn es auch am Ende dem Orden
et conjuncta sibi terra Culmensi,» findet sich noch ein ähnlicher
Ausdruck in einer Urkunde des Herzogs Wladyslaw Odonicz von Gross-
polen vom J. 1238: «statuimus igitur, ut omnes tarn peregrini cruce
signati, quam qui cum familiis et supellectilibus transeunt adPrutiam
vel ad terram Culmensem» (bei Dogiel IV Nr. 19 p. 13 vgl. Voigt
Gesch. Pr. II, 359 Anm. 2). Ebenfalls in mehreren Bullen und Ur-
kunden Papst Innocenz des IV. bei Theiner Vetera monumenta Poloniae
et Lithuaniae, Romae 1860, Bd. I. — Vom J. 1243: No, 75 p. 36
(Anagnie. Galendis Augusti) «in ipsa Pruscia et conjuncta sibi
terra Culmensi». No. 76 p. 36—37 «in ipsa Pruscia et terra
Gulmensi». «Verum episcopus ipse tres in Pruscia et unam in terra
Culmensi dioceses limitavit,» «de terra Pruscie vel terra
Culmensi.» Vom J. 1244: No. 80 p. 39—40 «fratres Hospitalis sancte
Marie Tcutonicorum constitutos in terra Culmensi et Pruscie
partibus.» «Culmensem et acquisitas Pruscie terras».
No. 81 p. 40 «propter invasionem Pruscie seu terram Culmensem.»
No. 82 p. 40 «Universis fidelibus christiani exercitus in terra Cul-
mensi et Pruscie partibus constitutis.» «quod vos et ceteri
terre Culmensis et Pruscie fideles.» No. 83 p. 41 «Christi
fideles in terra Culmensi et ipsius Pruscie partibus.» —
Hieraus ist zu schliessen, dass die Urkunden, welche das Culmerland
nicht ausdrücklich neben Preussen erwähnen, dasselbe — wenigstens
vor dem J. 1244 — auch nicht betreffen, ebenso wenig wie die vor dem
Jahre 1222 (dem der ersten Schenkungen Konrads im Culmerlande), in
den päpstlichen Bullen üblichen Ausdrücke «partes Pruscie,» «in
partibus Pruscie» (Theiner I p. 5, 6, 9 u. 13) es betreffen können.
* 8 ) Wer sich dessen überzeugen will, der schlage in Dzialynski's
Lites ac res gestae inter Polonos Ordinemque Cruciferorum. Posnaniae
1855 T. I nach das Protokoll des Zeugenverhörs während des grossen
Rechtsstreites zwischen Polen und dem Orden im J. 1339 (p. 72—354),
wo die einzelnen, fast aus allen Ständen genommenen Zeugen — es
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gelang, durch ein mit bewunderungswürdiger Ausdauer, Um-
sicht und Consequenz Polen gegenüber durchgeführtes Lug-
und Trugsystem sich nicht nur den förmlichen landesherrlichen
Besitz des Culmerlandes zu sichern, sondern auch, sei es durch
List oder durch offene Gewalt, noch andere Ländereien den
Polen zu entwenden, so gelang ihm dies doch eben nur durch
Lug und Trug, durch Raub und List — vor dem Tribunal
der Geschichte hat der Orden auf seine Besitzungen an der
niederen Weichsel keine anderen Rechtstitel aufzuweisen, als
die ehrlosen Eülfsmittel der verworfenen, treulosen Politik, die
er so standhaft befolgte 44 ).
sind deren im Ganzen 126, aus denen aber 31 unsern Punkt betreffen
— die von uns im Texte angeführte Allegation Bartholds von Ratibor,
des Sachwalters des Königs von Polen (bei Dzialyäski I. 29 art. 1)
durch ihre Aussagen bekräftigen.
**) In jüngster Zeit kam Dr. Prowe aus Thorn auf den sonderbaren
Einfall, gerade in dem treulosen, verworfenen Verfahren des Ordens
Polen gegenüber — für die Deutschen einen unverwüstlichen Rechts-
titel zu dem Besitz Westpreussens zu suchen. Dr. Prowe wollte in
seiner Schrift: «Westpreussen in seiner geschichtlichen Stellung zu
Deutschland und Polen,» (Thorn 1868) die er für die «Säcularfeier des
Gymnasiums zu Thorn» schrieb, den Beweis davon liefern, dass des
Copernicus Heimath «nicht erst durch den Frevel vom Jahre 1773 —
worüber er übrigens, um seine angebliche Unbefangenheit zu bekunden,
S. 63—64 ächte Krokodylsthränen weint — zu dem «grossen» deutschen
Vaterlande geschlagen worden, sondern dass sie vielmehr von jeher zu
demselben eigentlich gerechnet werden müsste, er wollte, wie er selbst
sagt (S. 1) «die uns fernen Kreise Deutschlands über den Besitzstand
im Osten aufklären und auch unter uns selbst die wissenschaftliche
Ueberzeugung fest begründen, dass wir hier auf deutschem Boden stehen
und nimmer als Fremdlinge (die Fremdlinge auf diesem deutschen
Boden das sind natürlich die eingebornen Polen!) zu betrachten sind,
welche wieder ausgeschlossen werden könnten von dem Aufbau unseres
deutschen Vaterlandes.» Allein auf welche Weise Dr. Prowe sein
«wissenschaftliches» Resultat erreicht zu haben glaubt, wenn er, nach
der vorausgeschickten gewöhnlichen Assertion von der Streitigkeit des
Culmer Gränzgebietes zwischen den heidnischen Preussen und Polen,
zur ausführlichen Besprechung aller Schlechtigkeiten des deutschen
Ordens übergeht (S. 5—8), wie nämlich derselbe vom Herzog Konrad
zum Schutze seiner Länder berufen und von ihm mit reichen Besitz-
thümern ausgestattet, diese Schenkungen von vornherein nur in der
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28
Wie aber der Orden durch sein tückisches Verfahren die
billigsten Ansprüche Polens zu Nichten zu machen wusste, so
verstand er es auch meisterhaft, die auf dem Rechtstitel Polens
aufs Culmerland begründeten Anforderungen der römischen
Curie zu vereiteln. — In Polen wurde nämlich von jeher —
vielleicht schon seit der Christianisirung des Landes, ge-
schichtlich nachweisbar aber bereits seit Boleslaus dem Grossen
(992 — 1025) — an den römischen Stuhl die unter dem Namen
Peterspfennig bekannte Abgabe entrichtet 45 ). Ob nun dieselbe,
wie es Voigt haben will (IV, 344) «zum Anerkenntnisse der
Unterwürfigkeit» unter des Papstes Obergewalt oder vielmehr
zum Zeichen der Unabhängigkeit Polens vom deutschen Kaiser
geleistet wurde, wollen wir hier dahingestellt sein lassen, da
in dieser Verpflichtung wahrscheinlich beides enthalten war 46 )
verrätherischen Absicht annahm, vermittelst derselben Macht zu ge-
winnen, um dann diese Macht treulos gegen den Wohlthäter zu ge-
brauchen und ihm durch List und Gewalt weitere Ländereien ßnt-
reissen zu können — leuchtet uns , wir gestehen es gern , auch dann
nicht ein, wenn wir von Dr. Prowe erfahren, dass diese ganze Deduction
ihm zu dem Nachweise dienen sollte, «dass der Orden keineswegs im
Dienste polnischer Interessen in unser Land gekommen ist» (S. 8). —
Es ist ein Glück für die Menschheit, dass derartige Herleitungen von
Besitzrechten noch nicht zu den Dingen gehören, die sich alltäglich
hören lassen!
Die ganze Schrift Dr. Prowe's, deren kleinere Inconsequenzen wir
noch hervorzuheben Gelegenheit haben werden, kann überhaupt nur
als ein trauriges Beispiel davon gelten, wie sehr ein falscher Stand-
punkt, Parteigeist und Hass den klaren Blick, selbst bei dem ge-
bildeten Menschen zu trüben und den jedem von uns inwohnenden
Gerechtigkeitssinn zu unterdrücken vermögen — denn wir wollen doch
einem Manne, wie Dr. Prowe ist, nicht zumuthen, dass er auch in
anderen Fällen des Lebens, wenn ihn keine vorgefassten Meinungen
blenden, nach den hier proclamirten Grundsätzen über Besitzrechte
zu urtheilen fähig sei!
45 ) Die älteste Erwähnung dieser Steuer findet sich zum J. 1013
bei Thietmar von Merseburg L. VI cap. 56, bei Bielowski Monum.
Pol. I p. 292 «Insuper antea domno pape questus est (Bolizlavus) per
epistole portitorum, ut non liceret sibi propter latentes regiB insidias,
promissum principi apostolorum Petro persolvere censum.»
46 ) Die Anerkennung der päpstlichen Obergewalt war bekanntlich
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29
und diese Frage unsern Gegenstand weniger angeht. Erwähnt
sei nur, dass, soweit es aus den dürftigen Spuren der Ueber-
lieferung zu ermitteln ist, der Peterspfennig in Polen eine Art
jährlichen Tributs von bestimmter Höhe war, den die Fürsten
nach Rom zu entrichten, hatten und dessen Eintreibung ihnen
überlassen war 47 ). Diesen Tribut beanspruchten nun die
Päpste auch von dem Orden, seitdem sich derselbe im cul-
mischen Gebiet festgesetzt hatte. «Am Römischen Hofe —
sagt Voigt zum J. 1320 (IV, 344) — betrachtete man —
scheint uns doch mit gutem Gründe — das Bisthum Kulm
und Kamin (Pommern) als im Herzogthum Polen gelegen» —
und Papst Johann XXII. erliess, in einer Bulle des J. 1318
an die beiden Bisthümer die Forderung, den Peterspfennig
gleich den übrigen Bisthümern Polens zu entrichten (Cäro,
Gesch. Polens IL 93). Der Orden und die demselben ergebene
deutsche Geistlichkeit dieser Länder wussten indess diesen
Befehl durch standhaftes Verweigern der Zahlungen und zweck-
mässige Bemühungen am päpstlichen Hofe zu hintertreiben
(Voigt IV. 378), und als der Papst die Forderung erneuerte,
und das Land in Folge dessen im J. 1328 mit dem Intefdicte
belegt wurde, willigten zwar zwei Jahre darauf im Culmer-
lande die Stände auf Anrathen des Hochmeisters in die Ent-
richtung der Steuer, jedoch mit dem Vorbehalte ein, dass
man es nicht aus Schuldigkeit thue, sondern lediglich um die
Gunst des apostolischen Stuhles wieder zu gewinnen (Voigt IV,
451 — 454). Noch im J. 1445 musste die Erhebung des
im Mittelalter ein Mittel gegen die Obergewalt des Kaisers. In diesem
Sinne bat auch im J. 1230 Eonrad von Mazowien Papst Gregor IX. um
eine Bestätigung seiner Schenkungen an den Orden und suchte den-
selben auf diese Weise der von ihm angerufenen kaiserlichen Ober-
gewalt zu entziehen. Vgl. die Bulle bei Dogiel IV No. 15 p. 11 und
Romanowski p. 66 u. 69. — Der Peterspfennig wurde ausser in Polen
noch in England, Skandinavien und Portugal entrichtet. S. Sitzungs-
berichte der phil.-hist. Classe der kais. Akad. der Wissenschaften. Wien
1864. Juliheft; Grünhagen im Aufsatze: «König Johann von Böhmen
und Bischof Nanker von Breslau» S. 13.
* 7 ) Grünhagen S. 14.
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Peterspfennigs in den Besitzungen des Ordens Gegenstand
neuer Anforderungen seitens päpstlicher Beamten sein (Voigt
VHL 86).
Wie sehr indessen dieses beharrliche Verweigern eines
Tributes, dessen Entrichtung zu gleicher Zeit eine rechtliche
Anerkennung der alten Angehörigkeit des Culmerlandes an
Polen gewesen wäre, die politische Consequenz und die ge-
schickte Tactik des Ordens bezeugt, ebenso sehr würde sich
derjenige irren, wer in diesem häufig vom Erfolg gekrönten
Widerstand der Deutschritter einen historischen Beweis dafür
erblicken möchte, dass die frühere Verbindung des Culmer-
landes mit Polen keine bleibende und feste, sondern nur eine
lockere und vorübergehende war. Zwar erfahren wir durch
Voigt (IV, 378), dass es im J. 1323 dem Orden sogar gelang,
die römische Curie davon zu überzeugen, «dass der päpstliche
Stuhl diese Abgabe von den Bewohnern des Culmerlandes nie
erhoben und die Herren dieses Landes zur Leistung auch
nicht verbunden seien» , allein das war, wie es uns scheint,
hundert Jahre nach der Festsetzung des Ordens den geschickten
Sachwaltern desselben nicht schwer nachzuweisen. Der Orden,
dessen Absicht gleich beim ersten Betreten des Culmerlandes
war, «eine fürstliche Territorialherrschaffc zu gründen, das zu
erhaltende und noch zu erobernde Besitzthum aber von jedem
Verhältniss zu den Polenfürsten abzulösen und es statt dessen
mit Kaiser und Reich in eine nähere Verbindung zu bringen» 48 ),
der Orden wird sich doch gewiss von vornherein gehütet
haben, durch Zahlung des Peterspfennigs seine herrschsüchtigen
Pläne zu durchkreuzen. Dazu waren die Ritter schon als
Deutsche dieser Abgabe vom Hause aus ungewöhnt und ab-
hold. Es weigerten sich ja selbst in Schlesien im XIII. Jahr-
hundert, das doch wohl noch damals ein Theil Polens war,
die deutschen Kolonisten, dieselbe zu entrichten 49 ). Selbst in
dem erst vor wenigen Jahren (1308) den Polen entrissenen
Pommern verbot der Orden um 1326 die Leistung des Peters-
* 8 ) Roepell. I, 435.
* 9 ) Grünhagen 16.
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31
pfennigs und anderer Abgaben an den Papst 50 ) und es fiel
im J. 1320 den Komthuren von Schwez, Mewe und Danzig
in Verbindung mit den Aebten von Oliva und Pelphin nicht
schwer, zu beweisen, dass «selbst die ältesten Menschen in
Pommern von dieser Abgabe keine Kunde hätten» (Voigt IV,
346). Ein solcher Nachweis dürfte um so leichter im Culmer-
lande sein, zumal da in diesem in der Zeit vor des Ordens
Ankunft auf immerwährende Einfälle der Preussen ausgesetztem
Gebiete, der Peterspfennig, aller Wahrscheinlichkeit nach, seit
Jahren nicht mehr erhoben wurde, wie er auch im übrigen
Polen im Laufe des XII. und XIII. Jahrhunderts, wegen der
Zertheilung des Landes unter einzelne Fürsten, sehr unregel-
mässig entrichtet gewesen zu sein scheint 51 ). Aus allen diesen
Gründen kann — wir wiederholen es — die ganze An-
gelegenheit um den Peterspfennig für unsere Frage keines-
wegs von Belang, und die Leistung oder Nichtleistung des-
selben im Culmerlande zur Ordenszeit, von keinem Einflüsse
sein auf die Entscheidung dessen, ob dasselbe vor dem Jahre
1228 zu Polen oder nicht zu Polen angehörte.
Diese Angehörigkeit in politischer, staatlicher Hinsicht
scheint uns übrigens auch ohnedem nach Allem, was wir hier
gesagt haben, bewährt genug. Dass der Zusammenhang aber
auch in anderen Beziehungen, und zunächst in religiöser,
lange vor der Berufung des Ordens vollständig war, ist eine
Thatsache, die so augenscheinlich ist, dass selbst Voigt, der
die politische Zusammengehörigkeit so gern bezweifelt, jene
nicht leugnen kann.
Wir hören aus seinem eigenen Munde, dass das Culmer-
land bereits vor des Mönches Christian von Oliva Ankunft
(im J. 1208), des ersten namhaften Bekehrers der Preussen
B0 ) In den Rechnungsberichten der Einsammler der verschiedenen
päpstlichen Steuern in Polen im J. 1326 lesen wir (bei Theiner I, 272)
folgende Worte: «Hec est solutio pecunie ejusdem decime sexannalis
a Prelatis, Abbatibus et Rectoribus ecclesiarum de Archidiaconatu
Pomoranie diocesis Wladislaviensis collecte confuse et occulte pro
timore Cruciferorum.»
61 ) Grünhagen 16, vgl. auch S. 15.
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32
nach dem heiligen Adalbert und Bruno — bereits ein christ-
liches Land war, oder wie sich Voigt lieber behutsam aus-
drückt (I, 479, auch Anm. 1) «dass Christen daselbst wohnten».
Er erzählt uns ferner, (I, 433) dass die ersten Bekehrungs-
versuche Christians im Jahre 1208 «unter dem Schutze des
Herzogs Konrad von Masovien vom Kulme rlande aus in
den Gebieten von Löbau und an den Gränzen von Pomesanien»
geschahen, wo das Christenthum den heidnischen Preussen
wohl schon am bekanntesten war «wegen der Nähe der Christen
im kulmischen Gebiete».
Ja, es leugneten — wenigstens in den ersten Zeiten ihrer
Herrschaft — selbst die Ordensritter nicht, dass das Culmer
Gebiet von jeher ein christliches und zu Masovien gehörendes
Land war. Demgemäss lesen wir in der Preussen — (nicht
das Culmerland) — in den Schutz Petri nehmenden Bulle
Papst Gregors IX. vom J. 1234 : «Dilectis filiis JVtagistro et
Fratribus Hospitalis sancti Marie Theutonicorum Jerosolimi-
tani . ..... Sicut restro relatu didicimus, quod vos
ad Prussie partes, salvatoris virtute preambula, procedentes,
in terra nomine Colinen, quam a christianis longis
retro temporibus habitatam, predecessoribus di-
lecti filii Nobilis viri C(onradi) Ducis Polonie
dominantibus in eadem, idem Nobilis vobis pro salute
sua et fidelium in confinio dictarum partium (Pruiscie)
positorum pia liberalitate donavit etc. 52 ).
52 ) Diese Bulle ist gedruckt bei Theiner I. No. 57 p. 25. Dieselben
"Worte finden sich auch in den ähnlichen Bullen Papst Innocenz IV.
vom J. 1243 bei Theiner I. No. 78 pag. 38 und Dogiel IV. No. 21 p. 14
und Papst Alexanders IV. vom J. 1257 bei Theiner I. No. 146 p. 73.
Dogiel IV. No. 31 p. 28. — Dr. Watterich bezeugt zwar (S. 7), dass der
Cistersienser-Mönch Christian, als er um das Jahr 1209 das Werk der
Christianisirung Preussens unternahm, damit beginnen musste, dass er
»zuerst das kulmische Land .... vollständig zum Christenthume be-
kehrte», allein Dr. Watterich ist hier leider einmal kein Augen- oder
Ohrenzeuge und Voigt, wenn er in den J. 1219—1222 von dem Culmer-
lande als von einem eben erst «christlich gewordenen» Gebiete zu
sprechen kommt (I. 450), widerspricht sich ja selbst.
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33
Der gänzliche Mangel an Zeugnissen über das Auftreten
und Wirken christlicher Apostel in dieser Landschaft, während
über die Versuche derart im benachbarten Preussen jedesmal
berichtet wird, würde schon allein zu der Annahme be-
rechtigen, dass das Christenthum hier nie missionsartig ver-
kündet worden ist, sondern dass es vielmehr, wenn wir diesen
Ausdruck gebrauchen dürfen — von Staatswegen, auf des
Herrschers Befehl, durch den weltlichen Arm eingeführt wurde.
Dass dies nun bereits bei der Christianisirung Polens unter
Mieczyslaw I. (965) geschehen musste, und nicht in Folge
einer Eroberung durch seinen kriegerischen Sohn Boleslaw
Chrobry, ist an sich wahrscheinlicher, da, wie wir schon oben
erwähnt haben, Boleslaw dieses Land sicherlich nicht erobert
bat. Diese Hypothese, welche auch in dem im Laufe des
XI. und XII. Jahrhunderts ununterbrochenen Zusammenhange
des Drwgca- und Ossa- Gebiets mit Polen ihre Begründung
findet, erhält eine glänzende Bestätigung in der Thatsache,
dass dasselbe, bevor es im J. 1222 in Folge der bekannten
Schenkung Konrads von Mazowien zum preussischen Episcopat
hinzugeschlagen wurde 53 ), der Hierarchie der polnischen
Kirche förmlich untergeben war, und zum Plockischen Kirchen-
sprengel, ebenso gut wie jedes andere mazowische Gebiet —
angehörte. Um die Bedeutung dieser kirchlichen Lostrennung
des Culmerlandes von Mazowien hier klar an den Tag zu
legen, müssen wir uns hier einen kleinen Excurs erlauben. —
Das Bisthum Plock ist eins der ältesten in Polen. Bo-
guchwat schreibt dessen Errichtung Boleslaw dem Herzhaften
M ) Vgl. folgende Worte der von Konrad in Gemeinschaft mit Gethko,
Bischof von Plock, Christian, dem Bischof von Preussen, am 5. August
1222 zu Lowicz ausgestellten Urkunde. «Bev. Dom. Gethko Episcopus
Plocensis cum suo Capitulo de Tarnowo et Papowo , et de omnibus
villi8 et possessionibus , et de omni jure tarn spirituali, quam tempo-
rali, quod idem Episcopus et suum Capitulum in predicto Colmensi
dominio olim habuerunt, videlicet ab eo loco etc. (Es folgt die Gränz-
beschreibung s. oben S. 23.) ad Episcopatum sepedicti Episcopi
resignarunt.»
Beitr. z. Hat. d. Copernicua. 3
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34
zu 54 ). Noch längere Zeit nach seiner Stiftung trug es den
Namen «episcopatus Masoviae», aus welcher Bezeichnung deut-
lich hervorgeht, für welche Landschaften es von vorn herein
bestimmt war 55 ). So viel über die plockische Diöcese. Werfen
wir jetzt einen Blick auf den «episcopatus Prussie». Derselbe
entstand am Anfange des XIII. Jahrhunderts, als es nach ver-
geblichen Christianisirungs -Versuchen polnischer Fürsten und
Missionäre 56 ) dem Cistercienser- Mönch Christian aus dem
Kloster Oliva in Pommern endlich gelang, «unter dem Schutze
des Herzogs Konrad von Masovien» und unter der Obhut der
polnischen Kirche vorschreitend, für das Christen thum in
Preussen soweit Boden zu gewinnen, dass er im J. 1212 von
dem für das Werk der Christianisirung dieser Gegenden vom
Papste Innocenz IQ. eingesetzten apostolischen Legate, dem
Erzbischof Heinrich Kietlicz von Gnesen — zum Bischof von
Preussen geweiht werden konnte 57 ). Nach diesem Acte war
64 ) Bei Sommersberg II. p. 25 : «Boleslaus primus, magnus dictus
sex Cathedrales Ecclesias, videlicet Foznaniensem
fundaverat .... Ghneznensem, post Mazouiensem, que nunc
Ploccensis dicitur» etc. Dlugosz nennt (II. 95) das Bisthum PJock
fälschlich unter den von Mieczyslaw I. bei der Christianisirung Polens
gestifteten.
55 ) Roepell I, 646. Vgl. die obigen Worte Boguchwals und unsere
Anm. 65.
6e ) Diese Missionäre waren Cistercienser -Mönche aus polnischen
Klöstern, welche, wie das alte Kloster Lenda in Grosspolen, oder das
im J. 1170 gestiftete Kloster Oliva in Pommern u. A. unzweifelhaft auch
auf die Predigt des Evangeliums bei den Heiden angewiesen waren
(vgl. Romanowski 2.). A1b Spur dieser Missionstbätigkeit kann eine
Notiz im Chron. Alberici ap. Leibnitz Accessiones historicae Lipsiae
1698 p. 444—445 dienen: «De principio christianitatis in Prussia».
67 ) Ueber die Zeit und den Ort, wo Christian als Bischof von
Preussen die Weihe empfing, besitzen wir keine zuverlässige Nachricht.
Man nahm früher gewöhnlich an, dass er dieselbe im J. 1215 persön-
lich in Born holte, ungeachtet dessen, dass er in einer Schenkungs-
Urkunde Herzogs Wladyslaw Odonicz, welche «Anno ab incarnatione
Domini MCCXII» datirt ist, mit den Worten «Episcopo et abbati de
Pruzia» bezeichnet wird. (Die Urkunde bei Voigt, Cod. dipl. Pr. I. 7.)
Romanowski hat nun, mit dem ihm gewöhnlichen Scharfsinn, den
Widerspruch zuerst zu beseitigen gewusst, indem er mit höchster
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35
es natürlich sowohl der weltlichen Herrscher Polens, als auch
dessen geistlicher Würdenträger eifrigstes Bemühen, die, wie
man sie in den Urkunden der Zeit häufig nannte — «novella in
Pruscie partibus fidei Christiana plantatio» — die neue
preussische Kirche, diese jüngste Tochter des polnischen Epis-
copats, auf jede Weise zu fordern und zu unterstützen 58 ). Es
ging auch zu Anfang dem neuen Bischof Alles nach seinem
besten Wunsche. Im Lande der Heiden standen schon einige
frischaufgebaute Kirchen und die Bemühungen Christians hatten
bereits hie und da einen angesehenen Häuptling der Preussen
dem wahren Glauben gewonnen. (Romanowski, p. 5 u. 11.)
Allein eine Erhebung der Preussen im J. 1218 (Voigt I, 445
bis 446) vernichtete Alles, und Christian sah sich nun durch
den Verlust seiner Diöcese thatsächlich zu einem Bischöfe
Preussens «in partibus» herabgesetzt. Er musste sich jetzt
Wahrscheinlichkeit nachwies, dass Christian schon am Ausgange des
J. 1212 und zwar nicht in Rom, sondern etwa in Gnesen oder anders-
wo in Polen von dem mit der Vollmacht eines apostolischen Legaten
für Preussen ausgerüsteten Erzbischof von Gnesen geweiht wurde
(Roman. S. 3, Anm. 8, S. 5, Anm. 10 u. 11). Das Legatenamt des Erz-
bischofs bezeugt die Bulle Papst Honorius III. vom 11. Mai 1219, durch
welche er ihn dieses Amtes enthebt «Cum tibi olim pro novella plan-
tatione in Pruscie partibus fidei Christiane legationis fuerit officium
ab apostolica sede commissura» (bei Theiner I, n. 19 p. 9, u. Voigt,
Cod. d. Pr. I, 13) und das von Watterich, S. 223—224 aus Baluzii
Epp. Innoc. III. Tom. II. lib. XIII. ep. 228 abgedruckte Fragment
einer Bulle Innocenz III. an denselben vom J. 1211, in welcher die Er-
nennung zu diesem Amte enthalten zu sein scheint.
68 ) Kraft der obenerwähnten Urkunde des J. 1212 (Voigt, Cod. I, 7)
schenkte Wladyslaw Odonicz, Herzog von Kalisz, an Christian das
Dorf Cecowiz (Ceköw bei Kalisz?). Vom Generalcapitel deB Cistercienser-
Ordens erhielt er noch als einfacher Mönch, und wahrscheinlich in
Folge der von Papst Innocenz am 10. August des Jahres 1212 (und
nicht 1213, wie man bei Watterich, der die Urkunde S. 224—225 ab-
druckt, liest, vgL Romanowski S. 3, Anm. 8.) an dasselbe erlassenen
Ermahnung — also noch im J. 1212 — das Kirchengut Dobrowo mit
Pertinenzen in der Gegend um Konin und L§czyca. (Vgl. Romanowski
1. c. und S. 5, Anm. 11, S. 59 u. 63 — 65, wo das letztere Schenkung
bestätigende Privilegium Wladyslaws Odonicz vom J. 1232 abge-
druckt ist.)
3*
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36
mit der ihm vom Papst am 3. März 1217 ertheilten Vollmacht
begnügen, in den beiden angränzenden Herzogthümern Eonrads,
Mazowien und Kujawien, das Kreuz gegen die Prenssen zu
predigen 59 ) und sich auf die Erwartung derjenigen Erfolge
beschränken, welche ihm der vom Papste Honorius III. im
J. 1218 angekündigte allgemeine Kreuzzug nach Preussen ver-
hiess (Voigt I, 446). Er erhielt sogar im J. 1219, an der
Stelle des Erzbischofs von Gnesen — der nun seines Legaten-
amtes für Preussen entledigt wurde 60 ), aus den Händen des
Papstes den unbeschränkten Oberbefehl über die gesammten
Streitkräfte des Kreuzzuges 61 ), allein es scheint, dass es ihm
trotzdem bis zum J. 1222 nichts namhaftes gegen die Preussen
auszurichten gelang, und selbst als in diesem Jahre Herzog
Konrad von Mazowien in Verbindung mit den Herzögen Leszek
von Krakau und Heinrich von Breslau an der Spitze einer
stattlichen Schaar von geistlichen und weltlichen Grossen
Polens, die das Kreuz genommen hatten, im Culmerlande er-
schien 62 ), wurde kein Angriff gegen die Preussen gewagt.
Das Culmerland, von den Preussen verheert, lag wüste und
schutzlos da, seine zahlreichen Burgen waren in Trümmern.
Christian, der seine preussische Diöcese erst zu erobern hatte,
Hess sich von Konrad, gegen das Versprechen reichlicher
Schenkungen im Culmerlande, bewegen, als Oberbefehlshaber
der Kreuzfahrt die Kreuzbrüder zum Wiederaufbau der ver-
fallenen Feste Chelmno (Culm) zu veranlassen, und vertauschte
so die unsichere Hoffnung preussischer Erwerbungen, um den
sicheren Gewinn von reichen Besitzungen und der bischöflichen
Rechte über ein christliches Gebiet, welches von nun an, wähnte
er, die Grundlage seiner neuen Apostelthätigkeit gegen Preussen
und der feste Kern einer zukünftigen wirklichen preussischen
Diöcese werden sollte 63 ). Diese letztere Hoffnung verbürgte
*) Vgl. Romanowski S. 6, Anm. 13 u. 17, u. S. 10.
60 ) Vgl. oben Anm. 57.
61 ) Romanowski S. 9, vgl. S. 8. Roepell I, 429—430.
6a ) Roepell I, 430-431.
M ) Romanowski p. 13. — Eine besondere Culmer Diöcese bestand
bekanntlich erst seit dem J. 1243.
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37
ihm jene obenerwähnte von Konrad beim Bischof Gethko von
Ptock zu seinen Gunsten ausgewirkte Cession aller von der
mazowischen Kirche im Culmerlande zu eigen besessenen
Güter, wie auch aller ihrer geistlichen Sprengelsrechte über
dasselbe, welchem Acte dann Papst Honorius III. durch seine
im April 1223 demselben ertheilte Bestätigung die gehörige
Sanction des kirchlichen Oberhauptes verlieh 64 ). Und so
hörte Christian, in Folge der Freigebigkeit des polnischen
Fürsten und der polnischen Kirche, definitiv auf, ein «Episcopus
Prussiae in partibus» zu sein 65 ).
i
M ) Bulle bei Theiner I, No. 29, p. 14. Dogiel IV. No. 3, p. 3.
Das Monats- und Tagesdatum wird übrigens bei beiden verschieden
angegeben.
M ) Die Urkunde des J. 1222 wird ausführlich von Romanowski
besprochen S. 12—17. Ueber das Verhältniss Christians zu dem Orden
in den J. 1228—1230 s. denselben S. 37—52. Als Christian im J. 1230
eich veranlasst fand, dem Orden seine Besitzungen im Culmerlande ab-
zutreten (Romanowski S. 49), waren die umsichtigen Ritter des Kreuzes
mit der blossen Urkunde Christians nicht zufrieden, sondern sie Hessen
sich auch vom damaligen Bischof von Plock, Günther , alle weltlichen
Rechte und Besitzungen seines Sprengeis im Culmerlande cediren, wo-
bei sich jedoch der kluge Bischof, die Gelegenheit benutzend, die geist-
lichen Episcopalrechte, wie Spendung der Sacramente und Weihungen
ausdrücklich vorbehielt — mit welchem Rechte, da doch dieselben seit
dem J. 1222 im Culmer Gebiete dem Bischof von Preussen angehörten,
sehe man bei Romanowski S. 56—57. Die Urkunde Günthers «in
Plozk anno dominice incarnacionis MCC tricesimo XV kalendas apri-
Ub» datirt, findet sich bei Voigt Cod. d. Pr. I, 105; Dogiel IV. No. 11,
p. 9 u. A. Mit diesem Günther ist der Bischof des J. 1222, den wir
nach dem besten Abdrucke der Urkunde (bei Stronczynski No. 13)
«Gethko» genannt haben, nicht zu verwechseln, wie dasRoepell I, 647
thut. Günther, unzweifelhaft ein Deutscher von Geburt, muss erst im
Jahre 1228 den Bischofsstuhl betreten haben, da er sich in den beiden
Schenkungs-Urkunden Konrads aus diesem Jahre, — der dem Deutschen
Orden am 23. April (Dogiel IV No. 5, p. 5) und der dem Dobriner-
Orden am 4. Juli (Dogiel IV, No. 7, p. 5) ausgestellten — nur noch
als «electus Plocensis Episcopus» und als «electus Ecclesiae Ma-
soviensis» schreibt. — Der Name Gethko — Roepell, Voigt I, 452,
Anm. 3 und Watterich S. 234 kennen alle nur die verdorbene Form
Geschko — ist ein Deminutiv für «Gedeon», welches nach der heutigen
Rechtschreibung «Giedko» heissen würde. Der Name und die Form
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38
Wie nun das Culmerland seiner politischen und kirchlichen
Stellung nach vor der Pestsetzung des Ordens und selbst
noch nach derselben mit Polen Eins war, so war es auch und
ist es noch heutzutage Eins in ethnographischer Hinsicht. Wir
müssen bedauern, dass es uns bei der summarischen, argumen-
tirenden Weise, die wir hier einzuhalten haben, nicht möglich
ist, ein, wenn nicht vollkommenes, wenigstens doch nach
Kräften vollständiges Bild des Volkslebens im Culmerlande
nach allen seinen mannigfachen Seiten vor wie unter der
Ordensherrschaft zu geben. Denn wahrlich, eine reiche
Fundgrube für diese Verhältnisse sind die zahlreichen Privi-
legien, Briefe und Urkunden, in welchen der fast schreibsüchtig
zu nennende Orden sein Hausen im Lande verewigt hat.
Allein wir dürfen uns hier nur nach dem unserer Beweisführung
unentbehrlichen umsehen.
Es wird heutzutage wohl eine allgemein anerkannte That-
sache sein, dass, wenn in einem Lande die ursprünglichen
Einwohner durch einen fremden, später eingewanderten Volks-
stamm unterworfen, vertrieben, oder auf irgend eine Weise
verdrängt werden, die Erinnerung an die verschwundene Be-
völkerung am längsten an den Ortsnamen des Landes haftet,
welche, wenn auch oft im Munde der Einzöglinge verdorben,
doch immer auf ihren alten heimischen Ursprung hinweisen.
Dieser Nachlass eines ausgestorbenen Menschenschlages muss
notwendigerweise um so reicher und dauernder sein, je höher
der Grad der Cultur, je dichter die Niederlassungen der Ver-
drängten waren; er ist um so frischer und unverdorbener, je
jünger die Zeit, wo die alte Bevölkerung aus dem Lande ge-
wichen. — Steht das eben gesagte einmal fest, so fragen wir
nun, ob es nur irgend wie denkbar ist, dass, während in ganz
Ostdeutschland bis auf den heutigen Tag eine Uuzahl Ort-
schaften durch ihre Namen an die vor mehreren Jahrhunderten
waren übrigens im polnischen Mittelalter sehr gewöhnlich nnd kommen
in den Urkunden der Zeit in den Varianten Gedko, Getco, Gethco,
Geteco vor. Vgl. Baudouin de Courtenay. drevne polskom jazyk'e,
Stovar 1 S. 58.
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39
dort ausgerotteten Wenden erinnern, im Culmerlande, wo
nach Voigt die «Üeberreste vom gothischen Volke» «bis in
spätere Zeiten deutsches Leben» geltend machten, bereits im
Xm. Jahrhunderte auch nicht ein einziger Ort durch seinen
Namen an diese Gothen erinnerte. Denn es ist eine auf der
Hand liegende Thatsache, dass alle Ortsnamen, die uns aus
der Zeit vor der Ordensherrschaft daselbst überliefert werden,
polnischen Ursprungs sind, und dass demnach ein Grund, das
Land damals mit einem andern Volksstamme zu bevölkern,
gar nicht vorhanden sei.
Wir kennen bereits die ^ulmischen Ortschaften Grudziqdz*),
LqÄyn oder Laözyn und Chetmno (s. oben S. 17 u. 18). Es sind
aber noch nicht die einzigen, deren Namen aus jenen Zeiten
bis auf uns gekommen sind. In der mehrfach erwähnten Urkunde
Konrads von Mazowien vom J. 1222 finden wir die von 46
damals im Culmerlande bestehenden Burgen und Dörfern und ob-
gleich sich viele dieser Namen heutzutage im Lande nicht mehr auf-
finden lassen, zumal da sie bei der verworrenen, unbestimmten Or-
thographie des Mittelalters in den zahlreichen Abschriften und
Abdrücken der Urkunde verstümmelt erscheinen und sehr ab-
weichend angegeben werden — so wäre doch, scheint uns,
eine Aufzählung derselben hier nicht an unpassender Stelle.
In der nachstehenden Liste haben wir die Reihenfolge der
Namen, wie sie in der Urkunde vorkommen, beibehalten, und
alle Varianten der uns zugänglich gewordenen Abdrücke der-
selben 66 ), aufgezeichnet. Eine Herstellung nach der heutigen
Schreibweise, wobei wir uns meist nach Stronczynski's Abdruck
richteten, fügen wir, soweit es uns möglich war, bei jedem
Namen hinzu 67 ).
*) Zu diesem Namen vergl. unsern Anhang No. II.
6e ) Stronczynski. Wzpry pism dawnych No. 13. Dogiel Cod. dipl.
regni Polon. IV. No. 2 p. 2. Leibnitz. Cod. jur. gent. dipl. No. 8 p. 6.
Acta Borussica p. 62 und 268.
67 ) Die weitgedruckten Varianten sind die des Abdruckes von
Stronczynski, die cursive gedruckten Herstellungen gehören Ortschaften,
die bis auf den heutigen Tag existiren. Vgl. auch fär die Herstellun-
gen die betreffenden Namen bei Baudouin $e Courtenay, drevne pol.
jaz. Slovar'.
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Als ccastra» werden in der Urkunde zuerst vorgeführt:
1. Graudentz, Grudenz, Grudenc, Grudtzanz 68 ) —
Grudziqdz, Kreisstadt. 2. Wobsko, Wabsko 69 ) — Wabsko
jetzt Wäbc0. Kr. Culm. 3. Koprinen, Coprinen, Copriuen,
Kopriuno, Koprywno 70 ), Koprzywno, jetzt Pokrzywno, Kr.
Graudenz. 4. Wilczylas , Willisas , Villisaz 71 ) — Wielstyk,
Kr. Culm. 5. Colno 72 ), Kolno, Kr. Culm. 6. Ruck, Ruch,
Ruth, Ruda 1 *), Kr. Culm. 7. Rysin, Kyszyn, Kyszin,
Kysin 74 ) — Gzin, Kr. Culm. 8. Glamboki, Gl^bokie —
Gl^bokie 76 ). 9. Turne, Turno — Turzno™), Kr. Thorn.
10. Pin - Pien, Kr. Culm. 11. Ploch, Plotch, Ploth —
Plot, Plotowo, jetzt Plutowo 1 *), Kr. Culm.
Als «ville, possesiones, hereditates» folgen:
12. Cosolko, Coselko, Cosi el co — Kozielsko 78 ). 13. Naosne,
° 8 ) In der Bestätigung des Papstes Honorius III. vom J. 1223 (s.
oben S. 37) bei Theiner I. No. 29, p. 14 «Gruzenz» , bei Dogiel IV.
No. 3, p. 3 u. in Act. Bor. I. 270 «Grodzancz».
69 ) Papst Honor. III. in allen Abdrücken: «Wabsk».
70 ) P. Honor. III. bei Theiner «Capruiense» (castnim) bei Dogiel
«Cobrinen», A. Bor. «Coprinen».
71 ) P. Honor. III. bei Theiner allein «Velsac».
71 ) P. Honor, bei Theiner allein: «Colmo». Vgl. Kolno, See bei
Kolnica, Kreis Augustowo im Königreich Polen.
78 ) Ruda, Rudka, Rudnik u. s. w. gehören bekanntlich zu den am
häufigsten wiederkehrenden Ortsnamen Polens.
74 ) P. Honor. III. bei Th. «Kisin», Dog. und Act. Bor. «Kysin.»
75 ) Glebokie ist, so viel wir wissen, der Name von sechs ver-
schiedenen Seen im Königreiche Polen und von einem im Posenschen,
Kreis Miedzychöd, ferner der eines Städtchens in Lithauen bei Polock.
Vgl. auch «Gt^boczek», See und Dorf im Kreise Strasburg.
76 ) Vergl. Turzno in Polen bei Raciazek und Turznice, Kreis
Graudenz.
77 ) Papst Honor. III. in allen Abdrücken «Plot» — «Paul Plotow»
oder «Plothowski» hiess ein Ermländer Domprobst zum J. 1525 s.
Prowe, Nie. Copernicus in seinen Beziehungen zu dem Herzoge Albrecht
von Preussen, Thorn 1855, S. 10 und Zeitschrift rar die Geschichte und
Alterthumskunde Ermlands 1867—1868, Bd. IV, S. 516, Anm. 84.
78 ) Vgl. Kozielsk, Stadt in Russland, Gouv. Kaluga. Das Hinweg-
lassen des s in der Endung — sko kommt häufig in Urkunden vor.
Vgl. oben S. 21 «Villa . . . que Dolko nuneupatur» anstatt «Dolsko»
und unten No. 34 «Postolko» anstatt «Postolsko».
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Naorsine, Narozsne — Narofcne. 14. Mirche, Mirsche, Mirzhe 79 )
— - Mierze? Mirsko? 15. Harnese, Scarnese, Sarnese (Sar-
nefe?) Sarnowo* ), Kr. Culm. 16. Volmuno, Bolmuno, Bole-
mino — Bdlemin* 1 ), Kr. Culm. 17. Ostromeres, Ostrometz,
Ostroniezh — Ostromecko, Kr. Culm. 18. Samek —
Zamek. 19. Reniz, Leuiz — Lewica 82 ). 20. Croscyno,
Croscino — Kroscino, Chroscino. 21. Pasceno, Pasekno,
Pasecno — Piaseczno 8Ä ). 22. Uczinno, Wetzwino, Wez-
wino — ? 23. Wnyslaw, Vnyzlau, Unislaw — ünislaw,
Kr. Culm. 24. Benkono, Benkouo, Benkowo — Bienkowo 84 ),
Bienkowho? Kr. Culm. 25. Glomno, Glonino (Glouino) —
Gtowino 85 ). 26. Polansche, Polanche — Polgcze. 27. Ne-
il augencz, Nenaugenez, Nenavgeviz, Nesnangewitz —
Nieznajewice? Niediwiedz?* 6 ), Kr. Culm. 28. Nedasmo, Ne-
79 ) P. Honor. III. bei Th. «Muthe», Dog. «Mirsche», Act. Bor.
«Mirche».
80 ) P. Honor. III. bei Th. «Charuse», Dog. «Harnese», Act. Bor.
«Scharnese». Vgl. Sarnowo im Posenschen, Kreis Rawicz.
81 ) P. Honor. in allen Abdrücken «Bolemino». Vgl. Bolemöw an
der Rawka, Kreis Lowicz.
82 ) «Samko-lenis», «Saynsko Lencz», lauten die beiden letzteren
Namen in manchen Abdrücken der Urkunde.
**) Vgl. Piaseczno, Stadt im Kreise Warschau und See im Kreise
Lublin.
M ) Vgl. das schlesische «Benicovo» oder »Bencouo» zu den Jahren
1215, 1235 und 1267 in Grünhagens Regesten z. schles. Gesch. I, 93,
183, Cod. dipl. Silesiae IV, 249, ebendas. zum J. 1283, II, 7 «Ben-
chouiche» (Bieäkowice), alles Derivationen vom Personennamen Bieniek
oder BieÄko. Vgl. Baudouin de Courtenay. Slov. 53.
8B ) Vgl. «Glovina» zum Jahre 1466 bei Dogiel IV. p. 173. «Glovno»
und «Glowno» zu den J. 1277 und 1295 bei Muczk. und Rzyszcz. Cod.
dipl. Polon. IL 95 u. 133. — Glowin bei Ostrowite, Kreis Loebau.
*) Vgl. den Personennamen «Neznawy» zum J. 1136 in Raczynskis
Cod. dipl. Majoris Poloniae, p. 2 und den Ortsnamen Nesnawgewo
(Nieznajewo?) zum J. 1288 bei Muczk. und Rzyszcz. I, 128. Das heutige
«Nied£wied£» könnte um so mehr eine Corruption sein, da die ältere
und richtigere Form des Wortes niedzwiedz" (der Bär) bekanntlich
«miedzwiedä» hiess. Wir finden indessen den Zunamen «Nedzwedzki»
schon in einer nach Okolski Orbis Polon. II, 110 von Lelewel Pol.
wiek. fredn. III, 134—135 abgedruckten Urkunde des Jahres 1163 und
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dalyno — Niedalino. 29. Crobno, Grobno — Gröbno,
Kr. Culm. 30. Zuseph, Tuseph — Tuäew? Turzew? 87 )
31. Kelz — Kiele (wie Sierpc, Kr. Mlawa), Kielce, Kielec 88 ).
32. Dambens, Dambenz — Dqbieniec, Kr. Graudenz. 33. Sel-
novis, Selnowicz, Solnowiz — Solnowice, Selnowo, Kr.
Graudenz. 34. Postolko, Postolsko — Postolsko 89 ).
35. Pomzmo, Pomzino — Pomszyno? 90 ). 36. Duc, Buch,
Buc — Buk* 1 ), Kr. Graudenz. 37. Pojesib, Poyesle, Poresch
— Porzecze? 38. Ceredche, Cerbeche, Cerebche (Terebche)
— Trzebcz, Kr. Culm. 39. Vinche, Unizhe, Vnizhe —
Unize? 40. Partema, Parchenne — Parchanie? 92 ) 41. Gelez,
Gelentz, Gelen cz, Gelenz — Jeleniec, Kr. Culm. 42. Gleszo-
war, Clezchowar — Kleszczowar? 43. Ostrowick, Ostrowich,
Ostrovich, Ostrovith — Ostrowite, Kreis Strasburg 93 ).
44. Lora, Loza — r Loza 94 ). 45. Carnowo, Tarnawo, T ar-
der fragliche Ortsname erscheint in der Schreibung «Nyedzvyecz» schon
zum J. 1535 (s. Muczkowski, Liber promotionum philosophor. ordinis in
Universität e Jagellonica. Krakau 1840, S. 192).
87 ) Vgl. »Tusch» (Tuz? Turz?) Kreis Graudenz.
88 ) Vgl* Kielce, Stadt im Königreich Polen, Kielce (Kieltsch) in
Schlesien, Regierungsbez. Oppeln, Kreis Gr. Strehlitz.
89 ) Vgl. Stolno, Kreis Culm.
M ) Vgl. Mszyn und Mszanno, Kreis Strasburg (von «mech» —
das Moos).
91 ) Vgl. Buk, Kreisstadt im Posenschen.
92 ) Vgl. das heutige Krongut Parchanie, Kreis Inowroclaw im
Posenschen, welches als «Parchan», «Parchane», «Parchanie» zu den J.
1238, 1252 und 1259 in Muczk. u. Rzyszcz. Cod. dipl. Pol. II, 19, 604,
614 vorkommt — auch die Ortschaften «Rachanie» südöstlich und
«Ochanie» nordöstlich von Zamosd (bei Hrubieszöw) in Polen.
9S ) Vgl. Ostrowite im Kreise Löbau, Ostrowite, Kreis Neidenburg,
Ostrowite bei Trzemeszno, Kreis Mogilno im Posenschen.
94 ) Zu diesem Namen vgl . Hartknoch in der «Preussischen Kirchen-
Historia» (Frankfurt und Leipzig 1686) S. 161: «Hendericus oder
Henricus, andere nennen ihn Heidericus, ein Münch Prediger-
Ordens, derselbe hat im Dorff Loza die Stadt Culmsee ge-
bauet und daselbst die Thurmkirche gesetzet.» Dieser Heidenreich
war der erste Bischof der 1243 errichteten Culmer Diöcese, die Kathe-
drale zu Culmsee aber soll er nach Voigt erst im Jahre 1251 gegründet
haben (Voigt II, 475— 478).
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1
43
nowo — Tarnowo, Torun (Thorn). 46. Papawo, Papowo
— Pqpowo, Kr. Thorn.
Von diesen 46 Namen gehören also 22 (Grudzi^dz, Wabsko,
Koprzywno, Wielsaz, Kolno, Ruda, Gzin, Turzno, Plot, Sar-
nowö', Bolemin, Ostromecko, Unisiaw, Gröbno, Dgbieniec,
Solnowice, Buk, Trzebez, Jeleniec, Ostrowite, Tarnowo, Po-
powo) unbestritten bis auf den heutigen Tag bestehenden
Städten und Dörfern an, und bei 37 (Grudzi^dz, Wabsko,
Koprzywno, Wielsaz, Kolno, Ruda, Gzin, Glgbokie, Turzno,
Pien, Plot, Kozielsko, Naroztie, Sarnowo, Bolemin, Ostromecko,
Zamek, Lewica, Kroscino^ Piaseczno, Unisiaw, Bienkowo,
Gtowino, Polgcze, Niedalino, Gröbno, Kielce, D^bieniec, Sol-
nowice, Postolsko, Buk, Trzebcz, Jeleniec, Ostrowite, Loza,
Tarnowo, Popowo) lässt sich ihr slavisch-polnischer Ursprung
vermittelst leichter und sicherer orthographischer Herstellung
mit aller Bestimmtheit nachweisen 95 ).
•*) Dazu kommen noch zwölf Bürgennamen, die sich in einer von
Lucas David, eines preussischen Chronisten des 16. Jahrhunderts, Unter-
lassenen Abschrift derselben Urkunde, nach den Worten Turno, Pien,
Plot, hinzugefügt finden. (Diese Variante geben die Acta Borussica I.
268 — 269 an.) Die Anzahl der neuen Namen reducirt sich jedoch auf
zehn, wenn man die hier unter den Burgen aufgeführten Postolsko,
Ostrowite abzieht, die in allen andern Abdrücken unter den Dörfern
vorkommen (vgl. oben No. 34 und 43). Die übrigen 10 lassen sich
aber alle noch jetzt im Culmerlande aufweisen. Es sind dies: 1. «Ka-
valevo» — Kowalewo , Kr. Thorn; 2. «Beltz» — Bielice, Kr.Löbau;
3. «Colman»— Chelmonie, Kr. Thorn; 4. «Nevir»— Niewierz; Kr.
Strasburg; 5. «Bobrosky» — Bobrowisko, Kr. Strasburg; 6 : . «Wan-
zino» — W^dzyn, Kr. Strasburg; 7. «Myloseno» — Mileszewo,
Kr. Strasburg; 8. «Osechivo» — Orzechowo, Kr. Thorn; 9. «Plo-
venzo» — Plow^z, Kr. Strasburg; 10. «Jablonowo» = Jablonowo,
Kr. Strasburg. Dies würde den gesammten Namenreichthum unserer
Urkunde bis auf 56 steigern, die Zahl aber der etymologisch bewähr-
ten Herstellungen auf 47 erheben. Dieser Zusatz erscheint uns in-
dessen, trotz seines unzweifelhaft sehr alten Ursprunges, nicht verbürgt
genug. Watterich, der S. 233—235 die Urkunde nach dem Manuscript
des Lucas David abdruckt, glaubt so den «allein vollständigen» Text
derselben zu liefern. Er stützt sich dabei auf Cromer, der sie in seiner
Polonia, ed Colon. 1589, pag. 131 in einem Auszuge mit jenen
supplementarischen 12 Burgen mittheilt und welcher, sagt Watterich,
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Voigt, dem die Urkunde wohl bekannt ist, und dem dieser
Hagel von polnischen Ortsnamen 96 ) doch in einige Verlegen-
«die Urkunde selbst vor sich hatte.» Wir wollen nur bemerken, dass
die Worte Cromers, auf die hier Watterich Bezug nimmt: «ut videre
est ex diplomate a Conrado et Gedeone una cum Capitulo supra me-
moratis consignato» eben sowohl in der Ausgabe 1589, als
in den beiden früheren, die uns zugänglich geworden sind: «De origine
et rebus gestis Polonorum», Basileae ohne Jahresangabe und Basileae
1568, sich befinden, und zwar noch mit dem bezeichnenden Zusätze
«cujus exemplum extat in archivo regio», — obgleich die Namen
Postolsko — Jablonowo in beiden letzte A fehlen. Auch kann «Colman»,
woraus Watterich in seinem Abdrucke «Colmen» macht, um es dann
für Chelmno (Culm) auszugeben (S. 235), demungeachtet , dass sich in
der Urkunde über das «castrum Colmense» eine besondere Clausel
findet («Preterea autem in castro Colmensi curiam propriam» etc.), un-
möglich Culm heissen, und auch nicht Culmsee, wie das Romanowski
(S. 14) haben will, da in der Urkunde, wie gezeigt worden, ^oza für
das spätere Culmensee figurirt (vgl. oben Anm. 94), sondern nur Chel-
monie im Kreise Thorn.
Die nähere Besprechung der beachtenswerthen Worte Konrads:
«Preterea quicquid est in lite de mea terra inter me et Prutenos, pro
bono pacis eidem episcopo condonavi», welche sich gleichfalls nur in
des Lucas David Abschrift) der Urkunde befinden, würde uns zu weit
fuhren, da wir es hier eigentlich nur mit dem Cnlmerlande zu thun
haben. Erwähnt sei jedoch gelegentlich, dass in diesen Worten kein
anderes Gebiet, als das Löbauer, gemeint sein könnte. Dasselbe war,
gleich dem Culmerlande, unzweifelhaft eine alte mazowische Besitzung,
wie es noch heutzutage von polnischer Bevölkerung bewohnt ist. Das
Löbauer Land war im 13. Jahrhundert, wie wir es schon oben bemerkt
haben, die Schwelle, über welche die Einfälle der Preussen nach Ma-
zowien geschahen, kam in Folge dessen unter ihre Macht, und wurde
schon im Jahre 1215 als «terra Lubovie» von einem neubekehrten
preussischen Häuptling, Suabuno, dem Bischof Christian urkundlich
vermacht (vgl. die Urkunde in Act. Bor. I, 260 und unsere Anm. 5).
Die nachherige Besitznahme dieses Gebietes durch den Orden geschah
indessen nicht ohne Bestreitung von Seiten der mazowischen und ku-
jawischen Fürsten, und die Ritter mussten sich Kraft des Vertrages
vom Jahre 1255 mit der blossen Hälfte des Landes begnügen (Urkunde
bei Dogiel IV, No. 26, p. 25) worauf jedoch schon im Jahre 1257 Herzog
Kasimir von Kujawien den ihm zugehörenden Theil an die Kirche von
Culmsee verschenkte. (Urk. bei Dogiel IV, No. 32, p. 28.) Vgl. Voigt
II, 394—96 und III, 112-118.
**) Aus der Zeit vor des Ordens Herrschaft ist uns noch eine gleich-
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heit. bringen musste, weiss sich trotzdem aus der Sache mit
den einfachen Worten zu ziehen (I, 478): «Manche dieser
Burgen mögen ihre Gründung von Polen und Masovien aus
erhalten haben, seit das Culmerland der Herrschaft Polens
und Masoviens untergeben war, da man durch sie die Land-
schaft gegen die räuberischen Einfälle der Preussen bewehren,
und den im Lande wohnenden Christen an ihnen sichere Zu-
falls in den Acta Bornas. I, 275 abgedruckte Urkunde bekannt, welche
im Jahre 1223 zu «Bresno» im Culmerlande «coram omni exercitu
Crucesignatorum» datirt ist. Sie enthält eine neue Schenkung Eonrads
von Mazowien an Bischof Christian , und zwar die der drei Dörfer
(villas) «Szarno, Rudko» und «Tuschino quae Naroschnik dicitur». (Man
vgl. oben No. 13 das culmische Dorf Narozne.) Voigt (I. 455—456,
Anm.) hält «Szarno» für das heutige Sarnowo (s. oben No. 15), «Rudko»
für Rudnik zwischen Culm und Graudenz (beides übrigens mit Unrecht,
da Eonrad schou im vorhergehenden Jahre dem Christian alles mög-
liche im Culmischjen geschenkt hatte und diese neuen Schenkungen
folglich andere Gebiete betreffen mussten. Ein Sarnöw liegt in Ma-
zowien, Ereis Mlawa. «Rudko» ist sicherlich verdorben, so konnte ein
polnischer Ortsname nicht heissen, und Rudka jenseits des Nurzec im
Kreise Drohiczyn ist hier unmöglich gemeint), und «Bresno» farBrze*-
z* no nordöstlich von Thorn, oder, wie er es orthographirt , «Brzyszno».
Wenn aber das Vorhandensein in jener Zeit so vieler polnischen Ort-
schaften im Culmerlande dem Voigt noch immer keine Schwierigkeiten
macht, fragen wir, wo will er denn noch sonst seine Gothen dort be-
herbergt haben? Ueber die heutigen Ortsnamen des Culmerlandes vgl.
un8ern Anhang No. III.
Zu allem dem dürften wir hier noch nach der «Culmischen Hand-
feste» des Jahres 1232 (bei Lucas David ed. Hennig, Eönigsberg 1813
Bd. III. S. 137—145) die damaligen Namen von drei Weichselkämpen —
so heissen den deutschen Einzöglingen , nach dem polnischen Worte
k$pa, noch jetzt die Strominseln der Weichsel — bei Thorn hinzu-
fügen: «Lisske, Gorzk, Verbzke» oder, wie wir jetzt schreiben würden:
«Lyska, Görska, Wierbska» (kgpa) und auch die der Ortschaften,
welche in der Bestätigung dieser «Handfeste» vom Jahre 1251 (bei
Dogiel No. 24, p. 21—24) genannt werden: «Ust, Rüde, Lunave, Gro-
bene, Browina, Topulno». Von denselben sind «Rüde» und «Grobene»
uns schon als Ruda und Gröbno bekannt (vgl. oben No. 6 und 29),
«Ust» und «Lunave» aber sich in Uäcie und Lunowo, Ereis Culm,
«Topulna» in Topölno jenseits der Weichsel, Ereis Schwetz, «Browina»
in der gleichnamigen Ortschaft im Ereise Thorn wiederfinden lassen.
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fluchtsorte geben wollte.» Wie wenig indessen diese Worte
anf Trene nnd Genauigkeit Ansprach machen können — ist
klar. In unserer Urkunde finden sich ja, wie man weiss,
nur die ersten 11 (resp. 23 vgl. die Anm. 95) Ortschaften als
«castra» genannt, an welche Jurisdictionsrecht sich knüpft
und mit welchen ganze Dörfer und anderweitige Besitzungen
verbunden sind («cum omnibus eorum villis et attinentiis, cum
utilitate libera et jure ducali»), die übrige bei weitem grössere
Anzahl (35 resp. 32 da in L. Davids Abschrift auch das oben
No, 42 genannte Clezchowar fehlt) dagegen wird von den
Burgen als «ville» deutlich unterschieden.
Wie nun die Namen dieser Dörfer, so war auch das Volk,
welches sie bewohnte, seit Menschengedenken ein slavisches,
ein polnisches Volk. Nach Voigt (III, 407) sollte allerdings
eben dies Volk «durch Ursprung und Abstammung dem deutschen
Geiste schon an sich weit näher verwandt, als irgend einem
seiner Nachbarvölker» sein, nach dem Geschichtlichen und
Thatsächlichen war es aber im Culmerlande ein Zweig jenes
grossen slavischen Nachbarstammes, der in den weiten Flächen
vom Karpathengebirge bis zum Baltischen Meere seine Wohn-
sitze aufschlug. Das Culmerland und die Ossa bildeten indessen
auch damals wie noch heutzutage keineswegs die Gränze der
polnischen Zunge und Sitte nach Norden und Osten hin und
wie wir es schon in Bezug auf das Löbauer Gebiet bei Ge-
legenheit angedeutet haben, so fiele es uns nicht schwer, dep
uralten polnischen Charakter auch der nördlich an das Culmer-
land gränzenden, sich am rechten Weichselufer bis ins Meer
hinziehenden Landschaft Pomesanien nachzuweisen, wenn auch
nur aus den zahlreichen urkundlichen Andeutungen, die sich
zerstreut in Voigts umfangreichem Werke finden. Allein wir
haben hier vor Allem das Culmerland im Auge 97 ). Voigt lässt
97 ) Die polnische Bevölkerung ist bekanntlich noch jetzt in der
Provinz Preussen, ja selbst in Ostpreussen, sehr beträchtlich. Sie be-
wohnt hier die Ost- und Südgränze in einem breiten Saume bis tief
in jene altpreussische Seen- und Sümpfenregion, welche von jeher
Preussen von Polen schied. Den Kern der Bevölkerung in den Kreisen
Neidenburg (Nidbork), Orteisburg (Szczytno), Sensburg (Senshorek),
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es uns auch in Bezug auf das letztere an interessanten, ob-
gleich nicht immer in sein System passenden Nachrichten nicht
fehlen.
So lehrt uns eine gelegentlich von ihm mitgetheilte Notiz
(III, 457), dass noch 60 Jahre nach der Begründung der
Ordensherrschaft das polnische Recht oder vielmehr die polnische
hergebrachte Rechtssitte, in jenen polnischen Dörfern des
Culmerlandes, selbst wenn sie zu Ordensgütern gehörten,
ausschliessliche Geltung hatte. Voigt giebt ferner zu (III.
480), dass dieses «jus Polonicum» noch zu Ende des XIII. Jahrh.
im Culmerlande herrschte, und berichtet endlich (VI, 609),
dass es sogar noch im 14. und 15. Jahrhundert in Preussen
als in Pommern verbreitet war 98 ). — Diesem Rechtsgebrauch
gemäss, hiess auch der Schultheiss in den Dörfern des Culmer-
landes mit dem polnischen Namen «Starost» (Starosta) 99 ).
Lötzen (Lece) , Lyck (Elko) , Oletzko (Margrabowa) , Goldapp (Gofyb)
bilden diese von den Deutschen sogenannten polnischen «Masuren»,
welche alle seit dem Reformationsjahrhundert evangelischen Bekennt-
nisses sind. Für sie verordnete Albrecht der Aeltere, erster Herzog
von Preussen, durch ein zu Königsberg am 1. August 1566 datirtes
Edict eine Uebersetzung des Melanchton'schen Katechismus ins Polnische
(den vollständigen Titel des in demselben Jahre in Königsberg — -Krd-
lewiec — erschienenen polnischen Examen theologicum giebt Bent-
kowski an Histor. liter. polsk. II, 540), und dass auch das in den
Jahren 1551 und 1552 zu Königsberg in 2 Theilen erschienene Neue
Testament des Jan Seklucyan — die erste in polnischer Sprache ge-
druckte evangelische Bibelübersetzung — für diese ostpreussischen
Polen bestimmt war, ist anerkannt.
98 ) Ueber die Ausdehnung und Bedeutung des polnischen Rechtes
in Preussen s. auch Voigt II, 625—626, und Hartknoch : Dissertatio XVII,
de jure Prussorum p. 325. Die älteste Aufzeichnung des polnischen
Rechtes fand in Preussen im XIII. Jahrhundert statt. Sie ist
uns in einer im XV. Jahrhundert zum amtlichen Gebrauch
in Westpreussen — allem Anschein nach in Elbing — verfertigten
Abschrift erhalten. Dieses wichtige und interessante Monument
ist erst vor Kurzem von Dr. Edwin Volckmann in Elbing unter
dem Titel: «Das älteste polnische Rechtsdenkmal» veröffentlicht worden,
worauf es dann auch in Helcels «Starodawne prawa polskiego pomniki»
erschien.
") Voigt in, 452 u. VI, 581,
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Das Grundmaass war das caratrum Slavicam» oder das «aratrum
Polonieale» 1(, °) und auch das einfache Zubehör des ländlichen
Lebens war nach polnischer Art verfertigt und benannte So
hiess schon damals im Gulmerlande das grosse Netz zum
Fischfang, wie noch heutzutage in allen polnischen Landen
niewöd 101 ) und Voigt bemüht sich vergeblich (VI. 637) durch
Entstellung des Wortes in Niwade, Niwathe, dasselbe auf das
altdeutsche «Wathe» zurückzuführen.
Allein es war nicht nur das Landvolk, die polnischen
Bauern und Hintersassen, welche das polnische Leben im
Culmerlande aufrecht hielten. In der bekannten Urkunde
Konrads von Masovien vom Jahre 1222 lesen wir, dass der
Herzog unter anderem den Bischof auch mit den Gütern be-
schenkte, welche einst «der Graf Syro» um Chelmno besasa
(«omnes villas, quas Comes Syro circa Colmen habuit») 102 ).
Dieser «Syro», oder, wie ihn die polnischen Historiker nennen,
2jrou oder Äyrostaw, war in Polen einer der einflussreichsten
Männer seiner Zeit. Kasimir II. machte ihn um das J. 1179
zum Vormunde seines minderjährigen Neffen Leszek, des
Sohnes und Erben Boleslaws IV., Herzogs von Mazowien und
Kujawien, und als Verweser dieser Herzogthümer besass «Zyra,
Palatinus Masoviae» los ) jene reichen Besitzungen um das
10 °) «Et de quolibet aratro Slavico» in der Urkunde der Aebte
von Lukna und Lenda, Bevollmächtigten Bischof Christians , vom Jahre
1230 bei Dogiel IV. No. 29, p. 6. «Et de Polonieali aratro» im Pri-
vilegium Culmense bei Dogiel IV. p. 23.
101 ) «Praeter rete, quod Nevod dicitur». Privil. Culmense bei
Dogiel IV. p. 22.
m ) S. die bekannte Urkunde bei Dogiel, Stronczynski, Leibnitz.
Die Acta Bor. haben hier falsch «Comesyro» (I. 63) und «Comes Syko»
(I. 269).
108 ) So figurirt er unter den Zeugen einer Urkunde aus dem Ende
des 12. Jahrhunderts, die Naruszewicz Histor. nar. polsk. wyd. Bobro-
wieza. Lipsk 1836 VI. S. 136—137 nach Okolski orb. Polon. II, 111 in
extenso mittheilt. Kadlubek IV, ep. 8, p. 778 und ep. 13, p. 786
nennt ihn «prineeps» oder «nobilis Siro». Boguchwal p. 46 «cuidam
nobili Sira nomine». Ausserdem erscheint er als «illustris comes Ziro»,
als «dominus Zyro» in manchen Urkunden der Zeit. Vgl. Naruszewicz
VI, 89—91 und 115-116.
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masovische Chelmno. — Es fand sich vielmehr daselbst, vor
wie nach des Ordens Ankunft , auch polnischer Adel und
Ritterstand in beträchtlicher Anzahl vor. Aus einem Docu-
mente des Jahres 1223 104 ) erfahren wir, dass Krok Krokowic,
Krzeslaw Christian owic und Dzierzykraj Gaworkowic, Vor-
münder der beiden Söhne eines gewissen Christian Pietrkowic,
Namens Swiebör und Pietrko, die Güter Radzin oder Radzyn* —
das Rheden der deutschen Einzöglinge (Kreis Graudenz) —
für 90 Mark Silber an Bischof Christian von Preussen kauften,
und zwar um auf diese Weise Geld zur Auslösung der Geissei
zu gewinnen, welche den Preussen für den von ihnen ge-
fangen genommenen Christian Pietrkowic gestellt werden muss-
ten 105 ). — Gegen das Ende des XIII. Jahrhunderts besassen
zwei Brüder, Bogusz und Gostko, die Voigt unmotivirterveise
als eingewanderte Polen bezeichnet (III. 481, Anm. 3), «jure
Polonico» das Dorf Kawki bei Kowalewo, und während
der grossen Process -Verhandlung zwischen Polen und
dem Orden in Warschau, im Frühling 1339 (vgl. Caro II,
209 — 213), erklärte einer der Zeugen, ein gewisser «Dominus
Pul Judex Lancicensis Miles», dass sein Vater und Grossvater
Güter im Culmerlande besessen hätten, welche ihnen der Hoch-
meister und der Orden später entriss, dessen er sich noch
selbst gut erinnern könne 106 ). Ebenso erklärte Albert, Woje-
m ) Acta Borussica I, 276.
105 ) Die Namen lauten in der Urkunde: «Notum sit universis . .
quod nos Groko, Grokonis filius, Cr es laus filius
Christian!, Dirschwraus (verdorben oder vielmehr nur fälscht vom
Herausgeber gelesen anstatt Dirschicraius oder Dirschicraus , Dirzikraj,
einen im polnischen Mittelalter sehr geläufigen Namen. Vgl. Baudouin
de Courtenay. Slovar' S. 14.) filius Gaworici, existentes Procuratores
puerorum filiorum Christiani, filii Peterconis ac possessionum
Bat z in cum omnibus attinenciis suis venerabili Domino Christiano
Prussiae Episcopo, pro XC marcas puri argenti de consensu et consilio
uxoris praedicti Christiani et filiorum ejus Swebori et Peterconis
et omnium cognatorum suorum et nostrorum» etc.
106 ) S. das Protocoll des Zeugenverhörs in Dzialynski's Lites ac res
gestae inter Polonos Ordinemque Cruciferorum. Posnaniae 1855 I.
S. 113. ... «Respondit quod avus et pater suus habuerunt terras infra
Beitr. z. Nat. d. Copernicus. 4
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wode von Brzesd, er habe «in confinibus terre Culmensis,
inter terram Gulmensem et Michaloviensem» das von seinem
Vater ererbte Dorf «Celanta» (jetzt Cielgta im Kreise Stras-
burg) zu eigen gehabt 107 ).
Wenn sich aber auch dergleichen Beispiele bei gutem
Willen und Fleiss, bedeutend vermehren Hessen, — sicher
bleibt es dennoch, dass, als mit der Befestigung der Ordens-
herrschaft deutsche Sprache, deutsche Sitte und Gesetz überall,
in den neu angelegten oder durch Zuzüge aus Deutschland
erweiterten, mit Privilegien reich bedachten Städten sowohl,
als auch auf dem Lande in den von deutschen Colonisten ge-
gründeten Dörfern und in den Burgen des gleichfalls aus
Deutschland einwandernden hohen Adels zur Herrschaft kam, —
sicher ist es, dass dann die einheimischen Elemente und be-
sonders der eingeborene polnische Adel, der wie in ganz Polen,
so auch hier eben erst im Begriffe war, sich zu einem geschlossenen
Bitterstand heranzubilden, allmählig vor den Einzöglingen
in den Hintergrund treten musste. — Wer seine Stellung
behaupten wollte, musste sich den Eindringlingen assi-
miliren, sich ihre Sprache und Sitte anzueignen suchen. Wer
bei seiner nationalen Eigenthümlichkeit beharrte, wurde
niedergedrückt , in seiner Freiheit , in seinen Rechten
beeinträchtigt. Die schwachen Keime polnisch-christlicher
Cultur, die in dem auf häufige Einfalle der Heiden ausgesetzten
Gränzlande zu keinem Gedeihen gelangen konnten, wurden
von der an materiellen und moralischen Kräften überlegenen
deutschen Art jetzt leicht überwuchert. — Es zog ja die beste
Blüthe der deutschen Bitterschaft, es zogen die tüchtigsten,
fleissigsten Kauf- und Handwerksleute der niederdeutschen
Städte ins preussische Land und diese immerwährenden Zu-
züge und Verstärkungen aus dem deutschen Mutterlande, deren
germanisirende Wirkung für Preussen der Orden durch zweck-
dietam terram Gulmensem: quas dicti Magister et fratres Gruciferi de
Prussia eis abstulerunt et occupaverunt, ut adhuc possident . . . Dbrit
etiam, quod ipse testis qui loquitur, erat bone memorie, et discrecionem
habebat, quando dicti Magister et fratres Oruciferi abstulerunt dictas
terras suas patri suo.»
m ) Ebendas. S. 289.
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massige, mit allem Bewusstsein und Klugheit berechnete
Maassregeln zu fördern und zu unterstützen wusste, hörten nur
auf mit dem endlichen Untergang der Ordensherrschaft an der
Weichsel.
Allein wenn auch das fremde Element auf diese Weise
bald massgebend in Preussen wurde, so blieb die Grundlage,
auf welcher der Orden sein künstliches deutsches Luftschloss
aufgebaut hatte, doch immer aus jenen zum Schlummer ge-
brachten Keimen einheimischen Wesens zusammengesetzt, und
die Vorsehung hat es nicht gewollt, dass diese Keime getödtet
und ausgetilgt würden. Dem polnischen Bauernstände, welcher
neben den zahlreichen deutschen Niederlassungen seinen
Nationalcharakter ungetrübt fortbewahrte, standen im Culmi-
sehen, wie auch in den anderen Gebieten des westlichen
Landestheils, die mit eulmischem (deutschen) Bechte bedachten
sogenannten «Kölmer» zur Seite, welche zum Theil, und die
«Freilehensleute», welche ausschliesslich Eingeborene des Landes
waren 108 ), vielleicht die herabgedrückten Nachkommen alten
einheimischen Adels. — Selbstverständlich waren diese «ein-
geborene Preussen», wie sie Voigt nennt, in dem Culmerlande
und in den slavischen Landschaften, ihrer Nationalität nach —
eingeborene Polen. Es war eine Art niederer einheimischer
Ritterschaft. Die Freilehensleute sassen auf kleineren Lehen,
aus welchen sie dem Orden Kriegsdienst schuldig waren, ihr
Erbrecht war jedoch nur auf ununterbrochene Erbfolge in
männlicher Linie beschränkt. Solches Besitz- und Erbfolge-
recht nannte man «Jus Prutenicum» oder «jus Pruthenicale» 109 ).
Charakteristisch für ihren heimischen, nationalen Charakter ist
die Art und Weise, wie sie dem Orden Kriegsdienst zu leisten
hatten.
Die Freilehensleute dienten zu Bosse, «seeundum morem pa-
triae, seeundum Prutenorumconsuetudinem, cum armis prutheni-
calibus consuetis, videlicet bronia, galea, laneeis et clipeo» 110 ).
108 ) Voigt VI, 568, 678.
109 ) Voigt III, 435 u. VI, 602, Anm. 2.
ll °) Voigt VI, 676, 677.
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Die «bronia», ein leichterer B^oHÖuumiaeh, dessen uralter
Name (er kommt schon in den Gapitolarien Karls des Gr.
Tor) vielleicht slawischen Ursprungs ist (broniti, wehren,
schützen, bronia, brori, poln. noch jetzt soviel wie Schutz-
waffe), unterschied auf dem Schlaehtfelde die Eingeborenen
des Landes Ton den mit der in Form und Beschaffenheit ab-
weichenden «Plate» bepanzerten deutschen Lehenstragern.
Das numerische Uebergewicht, in welchem sich die ein-
heimische Bevölkerung auf dem Lande den deutschen Ein-
wanderern gegenüber stets befunden haben muss, konnte auf
eben diese Einwanderer nicht ohne Einwirkung gewesen
sein. Der Orden suchte daher emsig die Eigentümlichkeit
der deutschen Dorfbewohner durch verschiedene Maassregeln
zu schützen 9 welche ihren Verkehr mit der eingeborenen Be-
völkerung beschrankten und eine Verschmelzung mit derselben
unmöglich machen sollten 111 ). Nicht so leicht war es in-
dessen, einer ähnlichen Gefahr den hohen deutschen Adel zu
entziehen. Die Nachbarschaft Polens, welches im XIV. und
XV. Jahrhundert in raschem Aufschwung zum ßewusstsein
einer europäischen Macht emporstieg, scheint von ganz be-
sonderem Einflüsse auf die deutschen Bitter der preussischen
Gränzlandschaft, des Gulmerlandes, gewesen zu sein. Das
wachsende Ansehen und die steigende politische Bedeutung des
polnischen Adels, dessen Sprache und Sitte einem jeden, der
mit dem culmischen Volke in Berührung kam, unmöglich fremd
bleiben konnte 11 *), wirkte gleich einem verborgenen Magnet
1U ) Voigt VL 739.
nt ) Als Zeichen dessen, dass die polnische Sprache und Sitte dem
culmischen Adel nie ganz fremd gewesen sein muss, dürfen wir die bei
demselben im XIV. und XV. Jahrhundert häufig vorkommenden polnischen
Formen der Taumamen erachten. Wir lassen hier etliche Beispiele
folgen. Zum J. 1347 «Jesco (Jaiko = Hans) Cygenberg» (Voigt,
Gesch. der Eidechsen-Gesellschaft in Preussen. Königsberg 1823 S. 51,
Anm.) Zum J. 1413 «Jon (Jan = Johannes) Sweinchen» (ebendas.
S. 66, Anm.), zum J. 1451 «Jon von Eichholz» (ebend. S. 52, Anm.).
Um 1450 «Jon von der Jene» (ebend. 76, 79 et passim), zum J. 1454
«Jenechen (Janko) von Tergewitz» (ebend. 67), Stibor (Scibör) von
Baisen» (ebend. 67 u. 88). «Petrasch (Pietrasz =■ Peter) vonSmantau»
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auf die deutschen ritterlichen Herren der. Landschaft. Die
schwachen Traditionen eines alten Zusammenhanges mit dem
jetzt mächtigen und blühenden Nachbarstaat belebten sich
allmählich immer mehr, man fing an, die Herrschaft des
Ordens ungerecht, lästig und drückend zu finden. Der west-
liche Theil des Landes und ganz besonders das Oulmer Gebiet
gravitirte seit dem Anfang des XV. Jahrhunderts immer
schwerer gegen Polen hin, wandte sich immer mehr von dem
Orden ab.
Die von dem culmischen Landadel im J. 1397 gestiftete
Gesellschaft der Eidechsen-Ritter, die neben dem in ihrer
Stiftungsacte offen ausgesprochenen Zwecke des gegenseitigen
Beistandes und der Hülfe in jeglicher Noth, auch geheime
Absichten verfolgte, — ihre tHeymelichkeit» hatte «über die
wir keine Aufklärung erhalten» 113 ) — diese culmische Ritter-
Gesellschaft war es hauptsächlich, welche im J. 1454 ganz
Preussen dem polnischen Könige zuführte, uud wenn man die
mehr als fünfzigjährige, rastlose Thätigkeit dieses Vereines
betrachtet, so muss man sich wahrlich der (Konsequenz und der
Ausdauer wundern, mit welcher derselbe, sei es von vorn
herein bewusst zum Ziele strebend, oder vielleicht nur durch
die Macht der Umstände getrieben, das grosse Werk der Ver-
einigung des Landes mit Polen allmählig anzubahnen und
durchzuführen wusste.
Die Eidechsenritter laufen schon auf dem Tannenberger
Schlachtfelde (1410) «unritterlich und feig» davon 114 ) und
(ebend. S. 100, Anm.). Ihn nennt der Ordensvogt von Boggehausen in
einem Briefe an den Hochmeister vom J. 1452 barbarisch «Betterasch»
(ebend. S. 99). «Jocusch (Jakusz, s. Band, de Courtenay. Slovar' p.60,
ist eine Form für Jacob) von Swenten» hiess endlich einer der thätigsten
Mitglieder der Eidechsen-Gesellschaft (ebend. 75 et passim). In der
Stiftungsurkunde des sogenannten Preussischen Bundes vom J. 1440 bei
Dogiel IV, p. 138 finden wir ferner emen «Jakusche von der Trom-
meney», «Bar tu sehe (Bartoez = Bartholomaeus) von der Twernitz»
und «Petrusche von Garden» etc. etc.
118 ) Voigt, Gesch. der Eidechs.-Ges. S. 11—16.
1M ) Voigt VII, G. Pr. 93 u. 145. Wie feindlich schon damals im
Culmerlande, und besonders unter dem Landadel, die Stimmung gegen
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conspiriren ein Jahr darauf gegen den Hochmeister Heinrich
Ton Planen, wobei sie Kriegsvolk ans Polen herbeizurufen nnd
den polnischen König um Hülfe nnd Unterstützung zu bitten be-
absichtigen. Als der Plan entdeckt wird, flüchten sich vier
von den Verschworenen nach Polen, während Niclas von Renys,
einer der Stifter der Gesellschaft, als Verräther an dem Landes-
herrn in Grandenz enthauptet wird 115 ). Die Eidechsenritter
sind unermüdlich in ihrer Feindschaft, in ihrem Hasse gegen
den Orden, nnd das Gulmerland ist immer der Hauptschanplatz
ihrer Bemühungen , der fruchtbarste Boden für ihre Thätig-
keit 116 ). Im Gulmerlande herrschte bereits seit 1410 dem
Orden gegenüber^ ein cverrätherischer und treuloser Geist» ll7 )
und schon im J. 1433 ging es dort — nach dem Ausdrucke
eines Ordensbeamten — cgar wunderlich durcheinander», in-
dem cdie Bitter und Knechte des Gebietes» eine Tagfahrt mit
den Bürgern der Städte zur gemeinsamen Berathung hielten 118 ).
Im Gulmerlande wurde in den Jahren 1439 — 1440, auf An-
regung und bei thätiger Theilnahme der Eidechsenritter, der
sogenannte preussische Bund von Land und Städten gegen den
Orden gegründet 119 ).' Vom Culmerlande aus wurden bereits
im J. 1451 Verbindungen mit dem Landvolke in den Werdern
der Weichsel angeknüpft, für den Fall, dass im Zwiste mit dem
Orden Gewalt gegen Gewalt zu gebrauchen wäre 12 °), im Culmer-
lande wurden schon im J. 1452 hie und da die ersten Stimmen
laut: cwolle der Meister seine Unterthanen nicht befriedigen,
so sei man geneigt, sich den Polen näher anzuschliessen» 181 ).
den Orden war, bezeugt eine von Voigt in seiner Gesch. der Eidechsen-
Ges. S. 38 — 39 mitgetheilte gleichzeitige Notiz, welche manche
interessante Details über die Thätlichkeiten enthält, die sich die
adeligen Herren des Gebiets, zu den Polen haltend, gegen die Ordens-
ritter erlaubten. Man vergl. auch Caro, Gesch. Polens III, 338—342.
218 ) Voigt, Gesch. Pr. VII, 145—148. Derselbe, Gesch. der Eidechs.-
Ges. 34-43.
116 ) Voigt, Eidechs.-Ges. S. 48, 54, 57 etc.
117 ) Voigt VII, 129-130, VIII, 234, 271, 818.
118 ) Voigt, Eid.-Ges. 48-49.
119 ) Ebend. 47—48 u. 50—53.
iW ) Voigt, G. Pr. VIII, 248.
wl ) Voigt, Eid.-Ges. 112, G. Pr. VHI, 260.
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55
Zwei culmische Eidechsen - Ritter 122 ) waren es, welche sich
noch in demselben Jahre zum Erzbischoi Wtadystaw von
Gnesen begaben, ihn zu bitten: er möge beim Könige von
Polen bewirken, dass er den von Land und Städten in Preussen
gestifteten Bund gegen den Orden in seinen Schutz und
Schirm nehme, worauf dann der eine von den beiden 123 ) als
Gesandter nach Erakau ging, um «beim König sich ihrer
Noth zu beklagen und zuzusehen, ob sie in Polen, wenn sie
weiter beschwert würden, eine Rücklehnung haben könnten* 124 ).
Mittlerweile bemühte sich Hans von Czegenberg, einer der
thätigsten Mitglieder der Eidechsen - Gesellschaft , die ein-
geborenen kleinen Freien des Culmerlandes für die Sache des
Bundes zu gewinnen 125 ) und seitdem wurden die Verbindun-
gen mit Polen immer häufiger, die Gährung im Lande aber
immer stärker. Die im J. 1453 auf einer Tagfahrt zu Culmsee
versammelten Eidechsenritter brachten schliesslich ihre polni-
schen Sympathien dadurch zum öffentlichen Ausdruck, dass
sie beschlossen, so viele polnischen Herren als möglich in ihre
Gesellschaft hereinzuziehen, «auf dass, wie es hiess, man desto
mehr Rath und Hülfe von ihnen möchte haben» 126 ). Wir
sehen, «die polnischen Herren» waren bereits keineswegs den
«preussischen» Herren des Culmerlandes fremd, und die Auf-
nahme, welche ihren Gesandten im J. 1452 von Seiten des
polnischen Adels widerfahren 127 ), hatte zu immer häufigeren
und engeren Wechselbeziehungen Bahn gebrochen 128 ).
"*) Gabriel von Baisen und Thielemann von Wege. Voigt VIII, 267.
"*) Gabriel von Baisen. In dieser zweiten Gesandtschaft nach
Polen wurde ihm Habendus Winter, ein Thorner Rathsmann, zugesellt.
Voigt, Gesch. der Eidechs.-Ges. 109.
m ) a. a. 0.
m ) Voigt, Gesch. P. VIII, 285, Eid.-Ges. 119.
m ) Voigt, G. P. VIII, 293, Eid.-Ges. 119-120. Gabriel von Baisen
setzte dabei seinen Standesgenossen auseinander: «Man sei dem Hoch-
meister nicht pflichtig, den Eid der Huldigung zu halten, da er selbst
den Landen nie etwas von dem gehalten, was er ihnen zugesaget und
gelobet.»
w ) Voigt, G. P. VIII, 273. G. d. Eid.-Ges. 111.
"•) Vgl. Voigt, G. P. VIII, 293-294, 296, 307. Eid.-Ges. 121-124,
127, 136, 137.
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56
Endlich war die lang vorbereitete Katastrophe reif und es
brach der Tag an, wo Gabriel von Baisen, ein culmischer
Eidechsen-Bitter, als Gesandter des preussischen Bundes im
Jahre 1453 vor dem Könige Kasimir von Polen in einer feier-
lichen Reichs- Versammlung zu Krakau folgende bedeutungs-
volle Worte aussprechen durfte: «Weil das Land Preussen
von Alters her und die Herrschaft der Kreuziger daselbst aus
der Krone Polens ausgegangen ist und die Kreuziger selbst noch
den König für einen Patron erkennen, so hat keiner billigeres
Recht zu dem Lande als seine königliche Gnade. Deshalb haben
alle Lande und Städte Preussens den König zu ihrem rechten
Herrn erkoren und flehen und bitten , dass er sie wieder in
seine Herrschaft und Beschirmung aufnehmen und ihr Herr
sein wolle, wie ihm solches mit Recht gebühret 189 )». — Und
als nun einmal so dem Orden der Handschuh geworfen war,
als es auf das Handeln ankam, waren es wiederum die Ritter
des Culmerlandes und die Bürger von des Copernicus Vater-
stadt, welche die Losung zum Aufstande gaben 130 ).
Es wurde nun jetzt (1454) eine zweite feierliche Gesandt-
schaft von den Landen und Städten an König Kasimir nach
Krakau abgefertigt; drei Eidechsen-Ritter standen wiederum
an ihrer Spitze 131 ). Sie trugen dem Könige im Namen ihrer
Stände förmlich die Oberherrschaft des Landes an, und setzten
so die Krone ihrem Werke auf. Denn, wenn die Abneigung
gegen den Orden, die Unzufriedenheit mit dessen Regimen te
in Preussen überall gleich gewesen waren, so war es doch
ganz besonders der Ritterschaft des altpolnischen Culmer-
landes Verdienst, dass sie, in die Gesellschaft der Eidechsen
gebannt, früh die Leitung der ganzen Bewegung übernommen
und durch ihre Bemühungen es dahin gebracht hatte, dass
Land und Städte des polnischen Landestheils — Culmerland,
Michelau, Pommerellen — nicht etwa — wie es die Elbinger,
Braunsberger, Königsberger, und die Bewohner des germani-
1
l29 ) Voigt, G. P. VIII, 343-344.* Gesch. der Eid.-Ges. 139-140.
,80 ) Voigt, G. P. VIII, 361-365. Eid.-Ges. 151, 157—160.
131 ) Hans von Baisen, Augustin von der Schewe und Gabriel von
Baisen. Voigt, G. P. VIII, 375. Eid.-Ges. 162.
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57
sirten altlithauischen Ostpreussen thaten — für den Eonig
von Dänemark oder Wladislaus von Ungarn und Böhmen
stimmten, sondern sich von vorn herein Polen, dem alten Mutter-
lande anschlössen und überantworteten 182 ). Mit dem feierlichen
Acte dieser letzten Krakauer Gesandtschaft war die Aufgabe
der Culmischen Eidechsen -Gesellschaft vollbracht. Sie ver-
schwindet nunmehr auch plötzlich ganz aus der Geschichte,
«dunkler in ihrem Untergang, als in ihrem Ursprung» 133 ).
König Kasimir IV. von Polen konnte aber jetzt, gestützt auf
die freiwillige Hinneigung des Landes m ), das seinen Schutz
nachsuchte, dem Orden gegenüber folgende Bede halten:
18 *) Vgl. Voigt, Eid.-Ges. 161-162, auch 77, 113, 121,
1M ) Voigt, EicL-Ges. S. 164.
m ) Die preussischen Stände wussten übrigens sehr gut, was sie
thaten, als sie ihre Vereinigung mit Polen betrieben. Man vgl. die
Worte der Unterwerfungsacte vom Jahre 1454 («in Thorun feria secunda
proxima post dominicam Ramis Palmarum» bei Dogiel IV. No. 108
p. 149—152). «Verum cum Regem et Coronam Poloniae praefati
ordinis Patronum, Fundatorem et Dotatorem, ac terras praedictas
videlicet Prussiae, Culmensis, Pomeraniae et Michaloviensis, a corpore
et proprietate Regni Poloniae praeter justitiam et aequitatem per vim
et arma alienatas constat extitisse, prisco nostro capiti et pri-
mae vo corpori, a quo excideramus, postquam juris nostri esse
coepimus, illico nos reuniendos redintegrandosque censuimus, quo
amplius liquere possit, renunciationem et subtractionem obe-
dientiae Magistro et Ordini < . . . . per nos factam, non solum ven-
dicationem libertatis, sedjustum principatum, imperium
et solium quae sivisse.» Auch dürften wir den Umstand, dass in
den Urkunden dieser Zeit, — denen König Kasimirs sowohl, als auch
denen der preussischen Stände — die zur Ordenszeit vollständig igno-
rirten polnischen Namen der preussischen Ortschaften, sei es ganz die
deutschen verdrängend, oder neben denselben, jetzt plötzlich hervor-
tauchen, mit als ein Wink dafür erachten, dass in der ganzen Be-
wegung gegen den Orden auch Nationales im Spiele war. Wir
fuhren hier als Beispiel eine Stelle ans der Huldigungsurkunde der
Culmischen Stände vom J. 1454 (bei Dogiel IV. No. 110 p. 152) «Proinde
nos prelati, barones, nobiles, militares, terrigenae, nee non civitatum
et oppidorum, videlicet Culmensis, Thorunensis, Brodnicensis, Novi-
Forensis, Graundeczensis , Radzynensis, Laschinensis, Golubiensis,
Kowaloviensis, Ludbariensis, Wahres znensis, Protoconsules,
Consules, Scabini jurati» etc.
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58
«Unsere Vorfahren waren immer des Ordens rechte Schutz-
herren, die ihn in dieses Land gerufen. Nun er aber zu allen
Zeiten sich undankbar bewiesen und seine Gelübde gebrochen,
haben wir das Land wieder zu uns genommen, unserer Krone
einverleibt und werden es nimmer übergeben» 1S5 ). Die Folgen
sind bekannt. Durch den Vertrag zu Thorn im J. 1466
wurde Westpreussen eine Provinz der polnischen Krone, ein
Theil der polnischen Republik — nach 226 Jahren der Ent-
fremdung durch den Orden (1228 — 1454) — lag das alte
Land Chelmno nun wiederum in Polen.
Heutige deutsche Schwärmer mögen hier die Thätigkeit
der deutschen Stände Preussens missbilligen, sie mögen die
Eidechsen-Ritter und die städtischen «Bundesverwandten» als
Verräther .an dem Vaterlande und der gesammten grossen
deutschen Nation verdammen, — wir haben aber zu ihrer
Rechtfertigung kein besseres und schöneres Wort, als das,
welches Voigt in Betreff des Ritters Hans von Baisen Beitritt
zur Eidechsen-Gesellschaft entschlüpft ist: die deutschen Stände
Preussens hatten erkanut, «ihre Kraft gehöre mehr dem Lande
als dem hinsinkenden Orden an» 1S6 ) und wandten sich daher
dem Volke und dem Staate zu, an welchem ihr Land durch
geschichtliche Ueberlieferung, durch Sprache und Sitte seiner
Einwohner gekettet war — sie gaben damit ihre' importirte
deutsche Eigenthümlichkeit zum Wohl der eingeborenen
Bevölkerung auf, welche als solche dem deutschen Wesen,
den deutschen Interessen stets fremd bleiben musste.
Es war nicht der Orden, der diese Ansichten theilte. Der
Orden, dem sein ursprünglicher und eigentlicher Zweck, Be-
kehrung und Christianisirung Preussens und Lithauens nie ein
endgültiger gewesen, der Orden, dessen Blicke gleich beim
ersten Betreten des Landes auf Gründung einer weltlichen
deutschen Macht an der Ostseeküste gerichtet waren, der
Orden, jener heutzutage so hoch gepriesene Träger des für alle
Völker der Erde heilbringenden, segensreichen Germanismus,
186 ) Worte König Kasimirs auf dem Unterhandlungstag zu Mewe im
im J. 1455 bei Voigt VIII. 458.
186 ) Voigt VIII, 315.
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59
der Orden , dieser vorzüglichste Repräsentant des deutschen
«Dranges nach Osten», der Orden erschien auch jetzt, im
Augenblick der höchsten Noth und Bedrängniss ganz anders
gut deutsch und patriotisch gesinnt als seine abtrünnigen
preussischen Unterthanen, die er im machtlosen Zorne jetzt
«hündische Hunde» 187 ) schalt; er war während der ganzen
Kriegszeit rastlos bemüht, ganz Deutschland an seinem Schick-
sale zu interessiren, er trug seine Beschwerden fortwährend vor
Kaiser und Reich, er bat flehentlich die deutschen Fürsten
um Hülfe: «Ihr ehrwürdigen und edlen Fürsten und
Herren, Edle und Edelinge — schrieb im Jahre 1454 der
Hochmeister Ludwig von Erlichhausen an alle Reichsfürsten
geistlichen und weltlichen Standes — sehet an die Beleidigung
euerer Deutschen Nation und euerer Vorältern Pflanzung, —
das sind die Brüder unseres Ordens; sehet an die Zertrennung
und dasVerderbniss eueres trefflichen Eigen thums und Hospitals,
das sind diese Lande, die euere seligen Aeltern dem deutschen
Adel zu Zucht und Trost, Gott dem Herrn und Marien der
reinen Magd, seiner werthen Mutter zu Ehren mit
so schwerer Arbeit und Blutvergiessen gewonnen haben.
Lasset es euch leid sein und erbarmet euch solches Jammers,
Gedränges und solcher Noth. Kommet uns eiligst mit eurer
Macht zu Hülfe» 138 ). Allein die Fürsten und Herren, die
Edlen und Edelinge theilten keineswegs den patriotischen
Enthusiasmus der Ritter des deutschen Ordens. — Freilich
fühlten sie sich durch ihre Bitten «gerührt». Auf dem Reichs-
tag zu Nürnberg wurde gegen Ende des Jahres 1456 «Hülfe be-
schlossen und zugesagt», man «berieth» sogar einen Angriff auf
Polen 1S9 ). Im Jahre darauf kam es auf dem Reichstag zu
Frankfurt selbst dahin, dass ein Reichszug nach Polen förm-
lich beschlossen wurde, und zwar «zur Wahrung der Ehre des
deutschen Reiches, zur Aufrechthaltung des Gehorsams gegen
den Kaiser und zur Bestrafung des an der ganzen Christen-
heit, am römischen Reiche und am gesammten deutschen Adel
187 ) Voigt VIII, 273.
188 ) Voigt VIII, 382.
189 ) Voigt VIII, 516.
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60
in Preussen begangenen Unrechts 140 ). Allein diese pomp-
haften Worte waren auch fast Alles, was das gute alte deutsche
Reich für seinen Orden that. Der Reichszug, wie so manche
gute Absicht hienieden, kam nicht zu Stande
Es hatten die Reichsförsten zu wenig Sinn für die erhabene
Sendung des Deutschen Ordens an der Ostseeküste, zu wenig
Begeisterung für Dasjenige, was heutzutage bei manchen
€ deutsche Nationalpolitik» heisst ........
Wir sind nun hart an die Schwelle des Zeitalters ge-
kommen, wo Nicolaus Copernicus im Jahre 1473 in Thorn
geboren war, in einem Augenblick, wo seine preussisch - cul-
mische Heimath in eine neue Phase ihrer Entwickelung trat.
Man gestatte uns nun einen kurzen Blick auf die sich daselbst
neu gestaltenden Verhältnisse.
Die Herrschaft des Ordens war unwiderruflich dahin. Das
Land hatte sich von freien Stücken Polen angeschlossen. Wie
freiwillig dieser Anschluss, ebenso frei und unabhängig war
nun die Stellung, welche die neu erworbene Provinz zu dem
polnischen Reiche einnahm. Preussen erhielt die ausgedehnteste
Autonomie, die sich nur denken lässt, und blieb Polen gegen-
über so pflichtlos und selbstständig, so sehr in seinen pro-
vinziellen Vorrechten abgeschlossen, dass man fast sagen
könnte, das Band, welches es an Polen knüpfte, lag in der
ersten Zeit einzig und allein in der Person des von den
Ständen der beiden Republiken, der Republik Polen und der
Republik Preussen, gemeinschaftlich zu wählenden Königs.
Sonst hatten die beiden «Staaten» keinen gemeinsamen Be-
rührungspunkt. Nicht einmal gemeinschaftliche Wehrpflicht,
denn die Preussen beriefen sich auf ihre uralten Privilegien,
welche sie nur dann «aufsitzen» hiessen, wenn der Feind die
Weichsel, Ossa oder Drewenz würde überschritten haben. Ein-
heimische Beamten, bald nach polnischem Vorbilde Wojewoden
140 ) Voigt VIII, 523.
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61
und Kastellanen genannt, verwalteten nun das Land an der
Stelle der Komthuren des Ordens und bildeten mit den
Bischöfen einen vom polnischen Senat unabhängigen preussischen
hoben Rath. Die Zusammenkünfte oder «Tagfahrten» dieser
höheren Beamten (Consessus Consiliariorum Prussiae) bildeten
ein Tribunal höchster Instanz in Rechtsstreitigkeiten (die erste
Appellation von demselben an den König geschah erst im
Jahre 1521). Die grösseren Städte des Landes erhielten Münz-
recht und prägten nun Münzen nach eigenem preussischen,
vom polnischen verschiedenen Münzfusse. Das Land blieb
auch in der Pinanzverwaltung von Polen geschieden und er-
hielt einen eigenen preussischen Schatzmeister , der nur den
Ständen Preussens «Rechnung» schuldig war. Endlich brach-
ten die preussischen Stände ihren Widerwillen 141 ) gegen die
bisherige Landes- Verwaltung durch Ordensbrüder, die sich stets
im Auslande recrutirten, dadurch zum Ausdruck, dass sie sich
bei ihrer Vereinigung mit Polen vorbehielten, es solle fortan
in Preussen Niemand, der nicht ein Eingeborener des Landes
wäre, Güter besitzen oder ein Amt bekleiden, es sei denn,
dass ihm die preussischen Bürgerrechte, oder wie es da-
mals hiess, das preüssische «jus indigenatus» von den
Ständen bewilligt worden wäre. Freilich wurde dadurch
auch den eventuellen Einwanderungen aus Polen vorgebeugt,
wo jedoch die . Preussen zu allen Standesrechten zugelassen
waren 142 ). — Indessen wie sehr sich auch Preussen nach
Aussen hin verschanzte, wie sehr es sich in seiner provinziellen
Eigenthümlichkeit abschloss, gegen das Eindringen polnischer
Sitte, Sprache und Gewohnheit war kein Gesetz mächtig. Es
ist kaum denkbar, wie rasch und unvermerkt die vollkommenste
Umwandlung in dieser Beziehung in Preussen geschah, wie
geräuschlos, ohne Zwang und Druck und ohne jeden gewalt-
haberischen Eingriff, sich das polnische Wesen überall im
«königlichen» Preussen — ? denn so hiess nunmehr das heutige
Westpreussen im Gegensatz zum östlichen, später «fürstlichen»
ul ) Vgl. Voigt VIII, 677.
l4 *) Für die Einzelheiten in Bezug auf die Stellung Preussens zu
Polen s. Hartknoch, Alt- und Neues Preussen S. 628—648.
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Landestheil — verbreitete und zur Geltung kam. Es existirt
in der Geschichte schwerlich ein zweites Beispiel eines so
raschen, spontanen Wechsels dessen, was man gewöhnlich die
Physiognomie eines Landes zu nennen pflegt — ein glänzen-
der Beweis dafür, wie schwache Wurzeln das Deutsch thum
trotz der zweihundertjährigen Bemühungen des Ordens hier
fassen konnte* und wie unzuverlässig der Boden war, auf
welchem seine Herrschaft im preussischen Lande beruhte 148 ).
Wo diese Umwandlung besonders leicht geschah, war auf
dem Lande, und am leichtesten und schnellsten im Culmischeu,
wo, wie wir gesehen haben, das polnische Element auch zur
Ordenszeit, in dem Landvolk und unter den kleinen freien
Landsassen eine compacte, massive Vertretung fand. «Jedes
Land richtet sich nach seines Herrn Sitte», sagt ein preussi-
scher Schriftsteller des XVII. Jahrhunderts , indem er diesen
merkwürdigen Wechsel der Zeiten beschreibt U4 ) und es eilten
nun die deutschen adligen Herrn um die Wette, dieser Auf-
gabe Genüge zu leisten. In dem raschen, freiwilligen Trans-
l
U8 ) Wenn wir von Dr. Prowe in seiner schon oben (Anm. 44) er-
wähnten Schrift: «Westpreussen in seiner gesch. Stellung» u. s. w.
in Bezug auf diese rasche Polonisirung des Landes S. 56 die Aeusserung
hören, dass «Westpreussen seines deutschen Charakters in den
beiden Jahrhunderten vor seiner Wiedervereinigung mit Ostpreussen,
entkleidet worden ist», so können wir nur dieser Aussage in allen
Stücken beipflichten, insofern nämlich Westpreussen während der zwei-
hundert ährigen Ordensherrschaft, mit eben diesem deutschen Charakter
nur gewaltsam «bekleidet» worden war. Wenn nun diese Entkleidung,
wie es Dr. Prowe auch weiss, nicht in allen Landestheilen auf gleiche
Weise stattfand, so lag dies einmal daran, dass die deutsche Coloni-
sation in manchen Gegenden, wie z. B. in den Niederungen der
Weichsel, besonders stark gewesen war, und auch an dem Um-
stände, dass sich die Polen nie dazu herablassen wollten, gegen
fremde Stämme und Nationalitäten, die sich auf polnischem Boden
niedergelassen hatten, die Ausrottungs- und Tilgungsmaaasregeln zu
gebrauchen, welche jetzt von so manchen Regierungen, die hierin dem
Vorbilde der deutschen Ordensmeister folgen, gegen sie selbst und auf
ihrem eigenen historischen Boden nicht nur mit Beharrlichkeit ange-
wandt, sondern immer noch verschärft werden.
U1 ) Hartknoch A. u. N. Preussen p. 482.
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63
figurationsprocess wurden selbst die alten deutschen Bitter-
namen nicht verschont, man warf sie ab und ersetzte sie mit
neuen polnischen, welche gewöhnlich von der Benennung des
besessenen Stammgutes hergeleitet wurden und vielleicht schon
längst beim Landvolke der Umgegend gangbar waren. Auf
diese Weise änderten im Laufe des XVI. Jahrhunderts ihre
Namen: die von Felden in Zakrzewski, die von Canden in
Trzciüski, die von Gluchaw in Gotuchowski , die von Nostiz
in B^kowski, die von Elsenau in Elzanowski, die von Schleiwiz
in Konarski, die von Erokau oder von Crochow in Krokowski,
die von Damerau in D^browski, die von Lechwald in Powalski,
die von Goldstein in Kossowski, die von Schaffenburg in Ple-
minski, die von Dorpusch in Dorpowski, die von Konopath
in Konopacki 145 ). — Im XVII. Jahrhundert kannte man in
« Königlich -Preussen» keinen deutschen Adel mehr. «Ja so
weit ist es gekommen, sagt von Westpreussen eiu aus dem
145 ) Hartknoch, S.452. Ausserdem sind uns unter der westpreussischen
Ritterschaft bekannt : die von Starenberg oder Stangenberg später Kostka
genannt, die von Zeibersdorff — Sartawski, die von Baysen — Bazenski, die
von Kleist oder von Gleisten — Dore,gowski, die von Allen oder von Alden
— Meldzynski, die von Schwarzenbach — Czerniewski, die von Wallen-
bach — Bartlinski, die von Rutendorff — Przewoski, die von Estken —
Estko, die von Ziegenberg — Wulkowski, die von Tallen — Wilczewski,
die von Waiden — Luziriski, die von Schonberg — Szembek, die von
Beyersee — Bajerski, die von Machwitz — Machwic u. A. (Man sehe
die betreffenden Namen in Niesiecki 's Herbarz Polski Lipsk 1839 — 1846).
Viele dieser um das 15. und 16. Jahrhundert polnisch gewordenen
scheinbar deutschen Ritterfamilien, welche aber sehr häufig alte ein-
geborene polnische Geschlechter waren, die sich nur, gleich dem
böhmischen hohen Adel im Mittelalter, zur Ordenszeit deutsch be-
nannten, findet man auch aufgezählt in einem im J. 1856 in der Bi-
blioteka Warszawska (III, S. 849—372) erschienenen Aufsatze von Adam
Amilkar Kosinski, betitelt «Szlachta Pruska». Der Verfasser benutzte
ein handschriftliches polnisches Wappenbuch Preussens aus dem XVII.
Jahrhundert und bezeugt (S. 352), dass sich in demselben auch viele
einheimische Familien angefahrt vorfanden, die auch während der
Ordensherrschaft ihre polnischen Namen und Wappen fortbewahrten.
Diese Namen wollte der Verfasser in der Fortsetzung seiner Abhand-
lung angeben, wir haben aber zu unserem Leidwesen diese Fortsetzung
in den folgenden Bänden der Bibl. Warsz. vergeblich gesucht.
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«fürstlichen» Theile gebürtiger Zeitgenosse 146 ), dass, obgleich
noch zur Zeit viele von den alten deutschen adeligen Ge-
schlechtern im Lande übrig seien, man dieselben nunmehr
weder aus den Sitten, Kleidung und Sprache, noch aus dem
Namen von den anderen polnischen Geschlechtern unterscheiden
kann.» — Es genügt, einen Blick auf die in die sogenannten
«Volumina legum» 147 ) eingetragenen Stimmen -Verzeichnisse
der Provinz Preussen bei'Königswahlen des XVII. Jahrhunderts
zu werfen, um sich von der Wahrheit der obigen Worte zu
überzeugen ua ).
Allerdings geschah die Umwandlung nicht ganz mit einem
Schlage und das Deutsche wich zwar rasch aber nur stufen-
weise vor dem Polnischen zurück. So war noch im XVI.
Jahrhundert die officielle Sprache in den Gerichten und die
Sprache der Verhandlungen auf den preussischen Tagfahrten —
die deutsche. «Prussiae incolae, — sagt ein Zeitgenosse 149 )
— in conscribendis actis judiciorum Germanica lingua magis
utuntur, vulgo mixtim Polonica et Germanica loquentes.» Noch
im Jahre 1552 bewillkommnete der marienburgische Wojewode
Achatius Gzema den in Thorn feierlich einziehenden König
Sigismund August — «mit einer zierlichen Teutschen Rede» 15 °).
Noch im J. 1555 war es auf dem Landtage zu Graudenz
für «einige der Räthe, die der Polnischen Zunge nicht mächtig
waren» — Ursache zu Beschwerden, wenn der Botschafter
des Königs seine «Werbung» an die Stände in polnischer und
nicht in lateinischer oder deutscher Sprache, wie es noch da-
"*) Der eben citirte Hartknoch (geb. 1644, gest. 1687) a. a. 0.
U7 ) Officielle Sammlung polnischer Reichstagsbeschlüsse, im vorigen
Jahrhundort veranstaltet.
U8 ) Man lese z. B. die «Suffragia» der Wojewodschaften Chehnno,
Malborg (Marienburg) und Pommern zur Wahl König Johann Kasimirs
im J. 1648 (Vol. leg. IV, S. 250—251). Vgl. Hartknoch, Alt- und Neues
Preussen S. 453, wo er die zu seiner Zeit blühenden Bittergeschlechter
Westpreussens aufzählt.
,49 ) Der Pole Martin Kromer (geb. 1512 t 1589) in seinem Werke
«Polonia, sive de situ, populis, moribus, magistratibus et republica
regni Poloniae.» Ed. 2a. Coloniae 1578 p. 46.
16 °) Zernecke, Thornische Chronica, Berlin 1727 S. 186.
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mals Brauch war, verrichtete m ). Allein bereits im J. 1527
bedienten sich manche der höheren preussischen Beamten auf
den Landtags -Verhandlungen zu Elbing der polnischen
Sprache m ). Die Versuche wurden mit der Zeit immer häu-
figer 15S ) und im J. 1563, also noch um dieselbe Zeit, da auch
in ganz Polen die polnische Sprache das Latein endlich aus
dem Amtsverkehr verdrängte — überreichten auch die preussi-
schen «Landboten» d. h. die Mitglieder der unteren Kammer
des preussischen Landtages ein erstes officielles «Einbringen»
in polnischer Sprache an die sogenannten Landesräthe 154 )
oder an die Obere Kammer des Landtages , welche, nach dem
Muster des polnischen Senats von den höheren Landesbeamten
den Bischöfen, Wojewoden und Kastellanen Preussens gebildet
war. — Drei Jahre nachher verlangten schon «die Landboten
und der kleinen Städte Geschickten, dass die Process- Acten
Polnisch ausgegeben, auch die Sachen vor Gericht in derselben
Sprache geführet werden möchten» 155 ). Allein dieselben
Räthe, welche sich selbst «mehr und mehr» bei den Verhand-
lungen der polnischen Sprache bedienten, glaubten hier noch
an dem «alten Gebrauche» festhalten zu müssen, und be-
schlossen, dass es nur in dem Falle, wo «die Gerichts- An-
walde der Parten Meynung unrecht ausdrückten, denselben er-
laubet seyn könnte, ihre Nothdurfft in der Sprache, der sie
mächtig wären, selbst anzudeuten; wiewohl auch solches eh-
mahls in keiner anderen als der Teutschen geschehen dörf-
fen» 156 ). Indessen kam bereits im J. 1579 auf der Tagfahrt
zu Graudenz der Beschluss durch, «dass künfftig einem jeden
ohne Unterschied, Teutsch oder Polnisch zu rechten erlaubt
seyn sollte» 167 ) und als im Jahre 1587 der königliche Gesandte
lM ) Lengnich, Geschichte der Preussischen Lande königlich polni-
schen Antheils, Danzig 1724, Bd. II, S. 121 Anm.
1M ) Lengnich I, 36.
1M ) Vgl. Lengnich IL 194-195 u. II, 271.
1M ) Lengnich II, 271.
w ) Lengnich II, 336.
lM ) Lengnich II, 271.
l57 ) Lengnich HI, 313—314.
Ifeitr. i. Nat. d. Coporniciu. 5
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sich zum letzten Mal auf einem preussischen Landtage der
deutschen Sprache bediente, musste der Bischof von Culm den
Vortrag in polnischer Sprache wiederholen, cweil die meisten
Laudboten der teutschen nicht mehr kundig waren» 158 ) und
trotzdem wurde die polnische Sprache und Verhandlungsweise
erst noch einige Jahre später, 1591, definitiv auf den Land-
tagen Preussens eingeführt 159 ).
,M ) Lengnich IV, 33.
16e ) Lengnich IV, 122. Alles deutliche Beweise dafür, dass, wenn
die deutsche Sprache im polnischen Preussen sich noch so lange als
Amts- und Gerichtssprache erhielt, es mehr in Folge der Gewohnheit
und aus Rücksicht für das Hergebrachte, «den alten Gebrauch» und «der
Vorfahren Exempel» wie wir es bei Lengnich lesen, als aus Notwendig-
keit geschah. Genau so wie hier mit der deutschen, war es in
Lithauen mit der russischen oder vielmehr ruthenischen Sprache der
Fall, welche dort als ofßcielle Schriftsprache vor der Vereinigung des
Landes mit Polen (1386) mit den ersten Anfängen staatlicher Bildung
eingeführt, noch 200 Jahre nachher ausschliessliche Geltung als Ge-
richts- und Gesetzes-Sprache hatte (wir erinnern an das 1588 in Wilna
in dieser Sprache edirte Landesstatut) und sich in einzelnen herkömm-
lichen Sätzen, namentlich in Beglaubigungsformeln und Transsumpten-
Ueberschriften, mit der ihr eigenthümlichen Kirilicaschrift, bis zum
Anfang des 18. Jahrhunderts erhielt — obgleich die gewöhnliche Um-
gangssprache der Gebildeten dort von jeher die polnische war und alle
Privaturkunden und Briefe schon im 16. Jahrhundert nur in dieser
Sprache ausgefertigt wurden.
Wie aber Dr. Prowe (Westpr. in seiner gesch. Stellung etc. S. 60)
in Bezug auf die Polonisirung Westpreussens im 16. Jahrhundert von
den «Bemühungen der Polen die deutsche Sprache aus dem öffent-
lichen Leben in Preussen ganz zu entfernen» zu sprechen kommt, ist
uns um so weniger begreiflich, als er die betreffenden Vorgänge auf
den preussischen Tagfahrten genau zu kennen scheint und folglich auch
von der vollkommenen Spontaneität dieser «Bemühungen» überzeugt
sein musste. Von welchen «Polen» redet hier auch Dr. Prowe, der doch
sonst so nachdrücklich nur «Preussen» in den Landeseingeborenen, die auf
den preussischen Landtagen einzig und allein vertreten waren, zu erblicken
pflegt ? Diese «Preussen» waren ja nach Dr. Prowes Darstellung nur verfolgte
und bedrängte Deutschen, welche ihre deutschen Rechte, ihre deutsche
Nationalität und ihre deutsche Sprache («quae totius gentis erat» sagt
Dr. Prowe an einem anderen Orte und zwar in der Schrift «De Nie.
Copernici patria, Thorn 1860 S. 14) «unter schweren Kämpfen» gegen
die Angriffe des polnischen Hofes zu vertheidigen hatten. Die ganze
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«Zgoda!» — (Einverstanden!) war nun jetzt wie in ganz
Polen, so auch auf den Versammlungen der preussisehen
cHerrn Brüder» (beliebte Intitulation der polnischen ebene
rein Staats- und standesrechtliche Opposition der preussisehen Stände
im 16. Jahrhundert, die ihre provinzielle Sonderstellung, wie sie bei
der.Uebergabe des Landes an Polen durch Verträge und Privilegien
gewährleistet war, gegen die centralisirenden Bestrebungen der polni-
schen Könige, des polnischen Senats und der Reichstage, die alle
richtig erkannten, wie gefahrlich und in politischer Hinsicht unzulässig
eine solche Stellung war, zu schützen hatten, und, wie es in ähnlichen
Fällen immer geschieht, in der That hartnäckig schützten und ver-
theidigten, diese Opposition, die nichts mit Nationalantagonismus bei
der grossen Mehrheit der damaligen «Preussen» zu thun hatte, da sie
von denselben Individuen geführt wurde, welche polnisches Leben und
polnische Sitte im Lande so rasch zur Geltung brachten, diese Oppo-
sition heisst doch dem Dr. Prowe ein Kampf des Germanenthums gegen
Polenthum !
Das ist nun nicht der einzige Widerspruch in Dr. Prowe's Abhand- ,
lung. Sie strotzt von denselben. Wir führen beispielsweise ' nur deren
Schlussworte an (S. 64) : « Westpreussen ist in alter Zeit durch deutsches
Blut erkämpft, ist dann als friedliche Eroberung der Pflugschaar und
bürgerlichen Arbeit zu deutscher Gesittung emporgeblüht. Nur das
Schwert hat uns zeitweise dem Gesammtvaterlande ent-
rissen.» Abgesehen davon, dass Dr. Prowe selbst am Anfange seiner
Schrift diese «Erkämpfung» des Landes und namentlich Westpreussens,
als mit ganz andern Mitteln, denn durch das ritterlich vergossene Blut
der Helden geschehen, schildert, und dass an und für sich die Polen
doch in ganz gleichen Besitzrechten sein würden, wenn sie das, was
die Deutschen durch ihr Blut — mit ihrem Schwerte gewonnen
hätten — fragen wir, was für ein polnisches «Schwert» meint hier Dr.
Prowe, das irgend wie und wann die Deutschen in Preussen «dem Ge-
sammtvaterlande» sollte entrissen haben? Es war ja gerade der Um-
stand ein Hauptpalladium der von Dr. Prowe so hoch gepriesenen stän-
dischen Opposition in Preussen, dass das Land nicht durch das Schwert,
sondern durch die freiwillige, ungezwungene Wahl seiner Einwohner
sich Polen im 15. Jahrhundert angeschlossen hatte und daher nicht als
ein erobertes, sondern als ein vertragsmässig mit Polen vereinigtes
zu behandeln sei (worüber man sattsam bei Lengnich nachlesen kann).
Wie wir sehen, spielt Dr. Prowe durch diesen Ausspruch dem eben so
eifrig von ihm in Schutz genommenen legitimen Widerstand der
Preussen einen schönen Streich! Er beraubt ihn seiner historisch-
rechtlichen Grundlage! TJebrigens lässt sich von Dr. Prowe erwarten,
dass er in dieser Materie noch weiter gehen werde und eines schönen
5*
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nati») der acclamirende Beifallsruf der «Boten»: cNiema
zgody!» — (Nicht einverstanden!) — «Bitte ums Wort!» —
«Proszg o glos!» riefen dazwischen die mit der Motion Un-
zufriedenen dem «Marschall des Ritterstandes» zu, worauf
dann dieser die Einwürfe und die streitigen Punkte aufzeichnete
und «do gory», der oberen Kammer — zur Entscheidung
zuschickte 160 ). Polnisches Leben, polnisches Wesen herrschte
nun in Preussen und im Culmerlande, ganz als ob dasselbe
nie die fremde Herrschaft des deutschen Ordens zu ertragen
gehabt hätte. «Una gens, unus populus, uno nomine omnes
Poloni censemur» schrieb schon im Jahre 1575 der spätere
Morgens mit einer «wissenschaftlichen», «von der Parteien Hass und
Gunst unverwirrten» (vgl. Dr. Prowe's Westpr. S. 1) Deduction dessen
die Welt überrascht, wie König Kasimir von Polen im Jahre 1454
Westpreussen gegen jedes Recht mit Krieg überzog und gewaltsam
an sich riss! Unglaublich, doch möglich! — denn wahrlich, es fehlt
in Dr. Prowe's bisher erschienenen Schriften nicht an hierauf hin-
weisenden Redensarten und Behauptungen. Wie sollten wir z. B. fol-
gende Worte, die wir seiner lateinischen Broschüre : de Nicolai Copernici
patria S. 11 entnehmen, verstehen? «Ex hac Borussiae deditione Po-
loni genti suae Gopernicum adscribendum esse colligunt quippe qui
lucem aspexerit Septem (!) annis (im J. 1473!) postquam Thorunum
regem Polonorum patronum acceperit (obgleich Dr. Prowe selbst auf
der vorhergehenden S. 10 von der feierlichen Gesandtschaft der preussi-
schen Stände an Kasimir von Polen im J. 1454 spricht, auf welche
dann noch in demselben Jahre die feierlichen Huldigungen der Stände
in Thorn, Danzig u. s. w. folgten, allein das ist noch nur Nebensache).
Quod quidem priusquam refeilere aggrediar, Polonos admonitos
velim amplius quadraginta annos esse, quum Posnaniae
magnus ducatus regni Borussici provincia facta sit, at-
que tantum abesse, ut, qui in illa provincia Polonico ser-
mone patrio utantur, Germani esse velint, ut sint, qui se
Born 8808 esse aegre ferant.» Enthalten diese Worte nicht eine
einfache schmähende Ironie, wie man deren Entwaffneten und Schwachen
gegenüber so leicht und mit solcher Wollust ausspricht, so müssen sie
notwendigerweise aus einer festen inneren Ueberzeugung geflossen
sein und in diesem Falle — müssen wir eine baldige «wissenschaft-
liche» Motivirung derselben erwarten.
160 ) Eine ausführliche Beschreibung der preussischen Landtage
findet man bei Hartknoch: «Respublica Polonica.» Francofurti et
Lipsiae 1687, S. 697—699, zu vgl. Alt- und Neues Preussen S. 637.
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Primat Karnkowski, damals Bischof von Wtoctawek, an den
zum Könige von Polen gewählten Heinrich von Valois in
einem Briefe, in welchem er ihm die Provinz Prenssen und ihr
Verhältniss zu Polen beschrieb 161 ).
B. Die Stadt.
Wenn nun nach allem dem, was in dem vorhergehenden
Abschnitte in Bezug auf das Culmerland gesagt worden, jeder
leicht einsehen wird, dass der Italiener Girolamo Ghilini
(1589—1670), als er im 17. Jahrhundert die Worte schrieb:
«Tom citä grandissima di Masovia in Polonia diede
al mondo Nicolo Copernico» etc. 162 ), sich eigentlich nicht so
sehr irrte, wie es den Uneingeweihten' scheinen möchte — es
war ja auch die allgemeine Stimmung in Preussen im 15. und
16. Jahrhundert eine solche, dass sie jede Erinnerung an die
Herrschaft des Ordens, jenes Urhebers der langen Lostrennung
von Polen und Masovien, zu verwischen und zu tilgen suchte, —
so folgt jedoch hieraus noch nicht, dass des grossen Copernicus
Vaterstadt, um die Zeit, als er in derselben geboren ward,
noch irgend wie dem altmasovischen Tarnowo, aus dem sie
einst entstand 163 ), ähnlich geblieben sein sollte. Thorn und
die übrigen preussischen Städte bildeten vielmehr im 15. und
mehr noch im 16. Jahrhundert einen entschiedenen Contrast zu
der Stimmung, die im Lande herrschte. Sie hatten zur Zeit
der Ordensherrschaft einen bei weitem schärfer ausgeprägten
deutschen Charakter erhalten, als es mit dem Lande der Fall
war, sie blieben diesem Charakter auch in der Folge treu und
,el ) Illustrium virorum epistolae. Cracoviae 1578. L. III. ep. XLV.
Im 2. Bande des Dlugosz. Lipsiae 1712 p. 1797.
,6f ) «Theatro d'huomini letterati aperto dal abbate Girolamo Ghilini
academico incognito in Yenezia 1647 Bd. II. S. 198, angeführt von
Krzyzanowski: Mikolaja Kopernika spomnienie jubüeuszowe Warschau
1844, S. 16.
1M ) VgL unsern Anhang, No. I.
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waren noch fiberwiegend, wenn auch nicht ausschliesslich
deutsch, als sie im Jahre 1793 von Polen losgerissen wurden.
Die polnische Bevölkerung, wenn auch immer zahlreich in
denselben vertreten, spielte doch vor der deutschen Gemeinde
stets nur eine untergeordnete Bolle, das deutsche Element
blieb tonangebend und Hess nie das Ruder der städtischen
Angelegenheiten aus den Händen fallen. Die Stadtbeamten,
der Rath und die Bürgermeister wurden in der Regel aus
deutschen Bürgern gewählt, obgleich man wohl diese That-
sache nicht zu der Bedeutung eines allgemeinen, die polnische
Bevölkerung in den Städten von jedem Amte förmlich ab-
schliessenden Gesetzes erheben darf. — Denn wenn der schon
oben angeführte Kromer 164 ) von den preussischen Städten
im XVI. Jahrhundert auch behauptet: «Civitates (Prussicae)
a decurionibus seu consulibus et quidam Germanicae linguae
et sanguinis — Polonos enim pro externis habent, et neque
ad artes mechanicas perdiscendas admittunt — reguntur,» —
so ist dies nur eine übereilte und übertriebene Angabe, welche,
in Bezug wenigstens auf die Vaterstadt des Copernicus, sich
leicht zurückweisen lässt. — In Marienburg schloss allerdings
in früheren Zeiten die Willkür alle eingeborene Preussen und
Undeutschen von den Bürgerrechten aus 165 ), allein in den
übrigen Städten Preussens und in Thorn durfte sich, laut
eines ausdrücklichen Rathsbeschlusses aus dem Jahre 1389,
ein jeder freie Mann von ehrlicher Geburt und Sitte nieder-
lassen und sich um die Bürgerrechte bewerben «er komme von
wannen er wolle» 166 ).
Wer das Buch, welches der Thorner Bürgermeister Zernecke
am Anfange des vorigen Jahrhunderts über seine Vaterstadt
schrieb, durchblättert, wird sich leicht des Irrthums Kromers
überzeugen können. Allerdings haben die Deutschen auch in
Thorn fast ausschliesslich die Leitung der Stadtangelegenheiten
— fast alle Namen der Stadtbeamten sind deutsch — allein
hie und da taucht auch in der frühesten Zeit ein polnischer
1W ) Polonia S. 200.
,M ) Voigt VI, 700.
,w ) Wernicke, Gesch. Thorne. Thorn 1842 I, 22.
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Name gleichsam zum Beweise seiner Gleichberechtigung
hervor.
Unter den Rathsmännern und Bürgermeistern, die der Hoch-
meister Heinrich von Plauen «nach seinem Gefallen und
Muthwillen, ohne einiges Verschulden» im J. 1411 absetzte,
um andere an deren Stelle eigenmächtig zu ernennen «wider
des Landes Recht und Freyheiten, vermöge welchen die Städte
Macht haben, Bürgermeistere und Rathmanne zu wehlen und
abzusetzen» — führt uns Zernecke vor, sich auf das «Kühr-
buch» des Rathes berufend 167 ), als Bürgermeister: «Pott er
(Piotr = Peter) Reiss» und «Gotcko (Gedko?) 168 ) Reben»,
unter den Rathmännern aber «Petrasch (Pietrasz) Cziras» —
«Czwas» steht in der zweiten Ausgabe der Zernecke 1 sehen
Chronik vom J. 1727 S. 30 — und es weisen diese polnischen
Namensformen nicht zweideutig auf die polnische Herkunft
derer hin, denen sie dienten 169 ).
Zum Jahre 1587 stossen wir auf einen Gregorius Dobrocki,
welcher fünf Jahre lang das Amt eines Rathsecretärs beklei-
dete 17 °) und unter den vielen polnischen Bürgernamen, die
uns fast auf jeder Seite der Chronik entgegentreten, finden
wir zum Jahre 1563 einen George Gawron 171 ), den Wernicke
(II, 116) als vorstädtischen Schoppen kennt, zum Jahre 1580
«Bartholomäus Koscielke, einen hiesigen Bürger und Büttner»
und zum Jahre 1593 einen «Nicolaus Holubicki», der als
m ) Historiae Thoruniensis naufragae tabulae, oder Kern der Thor-
nischen Chronik. Thorn 1711. S. 32.
168 ) «Gothca» nennt Boguchwal bei (Sommersberg II, 48) den Bischof
Gedeon von Krakau, f 1185. Baudonin de Courtenay führt aus Grün-
hagens Regesten zur schles. Gesch. Breslau 1866—1867, I, 60* zum
Jahre 1202 einen andern «Godko» an.
169 ) Bei Wernicke finden wir übrigens diese Namen schon hübsch
deutsch zugeschnitten I, 135. Peter Russ, Gottke Röber, Peter
Cziras.»
m ) Zernecke 2. Aufl. 1727, S. 193. Rathssecretär Thorn's war auch
am Ausgange des XVI. Jahrhunderts der bekannte polnische Dichter
Jan Rybinski, welcher auch daselbst seine Gedichtensammlung : «G^sli
röznorodnych ksigga I» im J. 1593 herausgab.
! ") Zernecke 1711, S. 115, 1727, S. 142. Zernecke 1711, S. 138,
1627, S. 206.
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«Münzmeister» bezeichnet wird< vorgeführt 172 ). Diese wenigen
Beispiele genügen schon, die Geltung der Angabe Kromers,
wenn nicht vollständig zu untergraben, wenigstens doch dahin
zu beschränken, dass nur solche Polen in den preussischen
Städten weder ein Amt bekleiden, noch ein Handwerk erlernen
dürften, welche als besitzlose Ankömmlinge, das Bürgerrecht
noch nicht erhalten hatten 173 ). Ein die ganze polnisch-
"*) Auch bei Wernicke begegnen wir hie und da unter Thorner
Bürgern einem, wenn auch gewöhnlich durch die Schreibung sehr ent-
stellten polnischen Namen. So zum J. 1456: Michael Paluschki
I, 253 Anm.), B er tusch Rabe und Georg Grzegorz (I, 254). Zum
Jahre 1458: Mathias Czerske (I, 262) u. s. w. Nicht zu vergessen
ist, dass sehr viele eingeborne Polen auch unter deutschen Namen
stecken mögen — wir erinnern nur an jenen George Gawron, der «nach
andern» (Wernicke I, 116) auch «George Auschwitz» hiess — und dass
kein Volk so leicht fremde Orts- und Personennamen zu verdrehen
und zu assimiliren versteht, als das Deutsche, ist anerkannt. Es heisst
ja zum Jahre 1559 dem Zernecke (1711, S. 111, 1727, S, 142) der pol-
nische Palatin von Inowroclaw, Sluzewski, «Johann von Schlause» ! und
noch in unseren Zeiten nennt ein moderner deutscher Schriftsteller,
E. F. Apelt (Die Reformation der Sternkunde. Jena 1852. S. 52) den
polnischen Astronomen des XV. Jahrhunderts Albert von Brudzewo
«Albrecht Brudler»!
Ein Beispiel von einem polnischen Bürger Thorns mit einem deut-
schen Namen, bringt uns, wohl nur unversehens, Dr. Prowe selbst in
einer Verhandlung des Thorner Schöppenbuches aus dem Jahre 1474
bei, die um so mehr interessant ist, als in derselben auch des Niclas
Eopernik, des Vaters des Astronomen, Erwähnung geschieht. Die
Worte der Verhandlung, wie sie Dr. Prowe anfuhrt (Neue Preussische
Provinzial-Blätter, 3. Folge, Bd. XI, 1866 im Aufsätze: Das Andenken
des Copernicus bei der dankbaren Nachwelt, S. 389) lauten: «Voytke
der Olsleger vorkoufft hot Stephan Olsleger seynem elichen
zone eyn haws vff Sente annengasse zwischen her Niclas
Koppernigks vnd der Wittwe haws gelegen.» An das Haus Eoperniks
stiess also das eines Wojtko (gewöhnliche Deminutivform für Wojciech,
den slavischen Namen des heil. Adalbert), der seinem Handwerke nach
ein Oelschläger (Oelmüller) war und dessen deutsche Standesbezeichnung
seinem Sohne zum Familiennamen wurde. Dass aber ein Deutscher
nicht Wojtko geheissen haben konnte, braucht wohl nicht erst betont
zu werden.
17S ) Es wird vielleicht hier die passende Stelle sein, zwei Macht-
sprüche Dr. Prowes in Bezug auf Thorn aus seiner Schrift: «De Nie
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redende Bevölkerung so in ihren Rechten beeinträchtigendes
Gesetz wäre aber auch ohnehin in Thorn gänzlich unaus-
führbar gewesen. Denn diese Bevölkerung war dort von jeher
sehr zahlreich, zahlreicher als in einer anderen preussischen
Stadt. Thorn bestand ja schon vor der Festsetzung des
Ordens, und wenn es auch nur erst durch die deutschen Colo-
nisten und in Folge der denselben vom Orden ertheilten Be-
günstigungen zur wahren Blüthe als Handelsstadt gedieh, so
war doch die Anzahl der Eingebornen hier immer so beträcht-
lich, dass selbst der moderne deutsche Geschichtsschreiber
Thorns, Dr. Julius Emil Wernicke, bei aller seiner Abneigung
gegen die Polen, nicht leugnen kann, dass bereits in frühester
Zeitein Theil der Bevölkerung «sla vischen Stammes» war 174 ),
und wenn wir einem Zeitgenossen und Landsmanne des Coper-
nicus, dem Dominicaner-Mönch Simon Grünau 175 ) trauen sollen,
waren zu seiner Zeit Deutsche und Polen in Thorn in gleicher
Anzahl 176 ). Dieses Zeugniss nöthigt auch vielleicht dem Wer-
nicke das Geständniss ab, dass «im Munde des Volkes die pol-
nische Sprache damals (im XVI. Jahrhundert) ebenso häufig
Gop. patria» ohne Commentar mitzutheilen. Er sagt dort S. 19: «Habi-
tabant quidem Thoruni etiam sanguinis Polonioi homines, qui
ex agris snburbanis immigraverant, sed civitate non donati (!)
tenuioris ordinis atque vitae erant» und S. 20: «Senatorum jam inde
ah urbis incunabulis nomina servata sunt, verum usque ad annum
Thorunensibus funestissimum (1724) nulluni, quod originem Polo-
nicam ferat, nomcn deprehendes».
"*) I, 22. «Wenn auch nicht in Abrede gestellt werden kann,
dass ein Theil der Bevölkerung slavischen Stammes war etc.»
175 ) Simon Grünau aus Tolkemit schrieb in den Jahren 1515—1529
und gab seiner preussischen (deutschen) Chronik den Titel «Cronica
und Beschreibung der allerlustigsten, nützlichsten und wahren Histo-
rien des namkundigen Landes zu Preussen bis auf heut, zu wissen
wie einem Menschen möglich ist.» Das Werk ist nie gedruckt worden,
und ist nur in einigen Abschriften vorhanden, deren wichtigste die auf
der Stadtbibliothek zu Königsberg befindliche ist. (S. Toppen, Gesch.
der preuss. Historiographie, Berlin 1853. S. 123—126, 127, 202.)
176 ) Grünau (Tractat 1.) cap. 4, (angefahrt von Dominik Szulc,
Pisma. Warszawa 1854, S. 231)» «Quum praeterea Thorunium miitim
Poloni et Germani habitant et numero pares essent.» (sie.)
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74
gewesen sein mnss, als die deutsche» (II, 120). Und in der That
war Thorn bereits im XVI. Jahrhundert eine halbpolnische
Stadt 177 ). — Der erste öffentliche lutherische Gottesdienst, der
hier abgehalten wurde, ist uns zugleich ein Beweis dafür, wie
zahlreich und angesehen damals die polnische Gemeinde Thorns
gewesen sein muss. Er fand im J. 1540 für polnische Evan-
geliker in der Georgenkirche statt. «Doch haben Sie (die Luthe-
rischen) — erzählt Hartknoch, A. u. N. Pr., 505. — umb das
1540 Jahr erstlich in S. Georgenkirche die Polnische
Psalmen angefangen zu singen. Denen haben die
Teutschen in der St. Marienkirche gefolgt, da der
letzte Münch den Lutherischen Glauben angenommen». Die
Folge war, dass König Sigismund August, durch ein Privilegium
vom 27. März 1557 den protestantischen Bürgern Thorns freie
Religionsübung zusicherte, worauf dann vier der ansehnlichsten
Kirchen der Stadt, die Marienkirche, die Jacobskirche, die
Georgenkirche und die kleine Katharinenkirche in die Hände
der Protestanten übergingen 178 ). Zernecke, der aus archi-
valischen Quellen schöpfte, hat uns in seiner Chronik vom
Jahre 1557 an die Namen aller an diesen Kirchen angestellten
Prediger sorgfaltig aufbewahrt. Auf diese Weise erfahren
wir, dass neben den deutschen Geistlichen zu allen diesen
Kirchen auch polnische Prediger und Oberprediger in gleicher
Anzahl berufen wurden und aus einem uns gleichfalls von
Zernecke mitgetheilten Beschlüsse des Thorner Raths zum
Jahre 1596 geht unwiderleglich hervor, dass polnische und
deutsche Sprache im protestantischen Gottesdienst zu Thorn
von jeher vollständig gleichberechtigt waren 170 ). Allein auch
m ) Thorn ist noch jetzt keineswegs ausschliesslich deutsch. Im
Jahre 1867 gab es in der Stadt 7977 Protestanten und 5134 Katho-
liken, was ungefähr auch das Verhältniss der Deutschen zu den Polen
sein wird. (Boleslawita. Z roku 1868 rachunki. Drezno 1869.)
178 ) Hartknoch 1. c.
m ) «Den 8. März (1596) hat E. E. Rath diese Anordnung im Got-
tesdienste gemacht, dass die polnische Predigt am Donnerstage ein-
gestellt und eine Betstunde um Erhaltung des reinen evangelischen
Gottesdienstes angeordnet, das polnische Predigen aber auf den Mitt-
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in anderen wichtigen öffentlichen Verrichtungen trat diese Gleich-
berechtigung in Thorn bereits sehr früh hervor. Als i. J. 1549,
nach der Thronbesteigung Königs Sigismund- August von Polen,
zwei höhere Beamte des Landes Preussen als königliche Com-
missäre zur Abnahme der Huldigung von der Bürgerschaft in
Thorn erschienen, leisteten die in einer feierlichen Versamm-
lung zusammenberufenen deutschen Bürger der Stadt in deut-
scher, die polnischen dagegen in polnischer Sprache ihren
Eid. 180 ).
Indessen, wie zahlreich und angesehen auch die polnische
Gemeinde in Thorn und in den anderen Städten Preussens
gewesen sein mag, wie sehr auch im XVI. Jahrhundert und
in der folgenden Zeit die sonstigen Verhältnisse im Lande für
das Gedeihen der polnischen Bevölkerung günstig sich gestalten
mochten, die Deutschen wussten dennoch in den Städten eine
woch, da zuvor deutsch gepredigt wurde, verleget worden. Acta Consul».
(Zernecke Thorn. Chron. 1711, S. 162, zu vgl. auch S. 161 ad a. 1595.)
Die Namen der polnischen Prediger in Thorn findet man auf den Seiten
110, 113, 117, 119, 121, 122, 124, 128, 134, 137, 140, 145, 147, 148 der
ersten Aufl. (1711) und S. 135, 140, 146, 151, 153, 154, 155, 160, 161,
169, 171, 174, 188, 191, 192 der zweiten Aufl. von Zernecke's Chronik
aufgezeichnet.
18 °) Eine interessante Beschreibung dieser Feierlichkeit giebt uns
Zernecke in der zweiten Aufl. S. 131 «Eine gute Viertel-
stunde, bevor man zu der Huldigung gangen, ist die Raths- grosse
Glocke geläutet worden, da sich die Bürgerschaft sammt denen Ge-
richten aus beiden Städten (Alt- und Neustadt Thorn), deutsche und
polnische Einwohner gesammelt und gefunden auf dem Stechplatz
Also sind die Gerichte vorn an der Spitzen gestanden und die andere
Gemeine der Stadt über den ganzen Markt und ist ihnen aus dem
Fenster der Stechkammer die Eidesleistung ins erste deutsch durch
den Stadtsecretarium M. Jacobum Siflert in Gegenwart der beiden
Herren Commissarien (Stanislaus Eostka Wojewode von Pomerellen und
preussischer Schatzmeister und Martin Kromer, Krakauer und Erme-
länder Dohmherr) und des ganzen Raths vorgestabet worden, mit fol-
genden Worten: (Es folgt die Eidesformel). Bald nach gesehener
dieser Eidesleistung der Gemeine Teutscher Bürgerschaft, ist der Pol-
nischen Gemeine in polnischer Sprachen gleiches Laut der Eid aus dem
Fenster durch Ambrosium Härder, der Stadt und Gerichte Notarium
vorgestabet worden.»
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Verschmelzung der beiden Elemente zn verhindern, sie Hessen
das. Heft nicht aus den Händen und widersetzten sich mit
Erfolg innerhalb ihrer Mauern den Fortschritten des pol-
nischen Wesens 181 ). Weniger glücklich waren dagegen ihre
Bemühungen, auch in weiteren Kreisen des Landes die deutsche
Eigenthümlichkeit aufrecht zu erhalten. Vergeblich war auf
den Landtagen der Widerstand ihrer Abgeordneten gegen jede
dieselbe gefährende Neuerung, wie gegen die von den Stan-
den im Jahre 1579 beschlossene Einfuhrung der polnischen
Sprache in Gerichtsverhandlungen, vergeblich die Hartnäckig-
keit, mit welcher sie darauf bestanden, als sie sich in deut-
scher Sprache nicht mehr verständlich machen konnten,
lateinisch auf den Landtagen das Wort zu fuhren — das
deutsche Wesen, welches im Lande keine natürliche Grundlage,
so zu sagen keinen festen Boden hatte, dessen Lebenskräfte
sich plötzlich erschöpft fanden, sobald die Macht des Ordens
nicht mehr da war, sie zu unterhalten, das deutsche Wesen
musste sein Geschick in Preussen erfüllen. Und dennoch
fristete es in den Städten ein kümmerliches, vegetirendes
Dasein 182 ) so lange, bis endlich der Tag kam, wo es wiederum
l81 ) S. Hartknoch A. u. N. Pr. S. 637 u. Respubl. Pol. S. 695 ff.
Ein interessantes Document dieser deutschen Gegenbemühungen liefert
Zernecke (1727, S. 201) in einem Beschluss des Thorner Bathes vom
Jahr 1591: «Den 15. Februar hat E. E. Rath geschlossen, dass, sowie
von undenklichen Jahren die polnische Sprache in Theidigung bei den
Gerichten nicht im Brauche gewesen, also soll auch die Annehmung,
Einschreibung und besonders die Ausgebung der polnischen Schriften
unter der Stadt Insiegel eingestellt werden. Acta Consul». Wir
erinnern hiebei daran, dass die polnische Sprache eben damals in den
Gerichten und Landtagen Preussens zur definitiven Geltung ge-
kommen war.
1W ) Mit welch 1 elenden Zwangsmassregeln die hochlöblichen Herren
vom Thorner Stadtrath gegen das Ende des 16, und im Laufe des
17. Jahrhunderts das Hinschwinden des deutschen Wesens in ihren
Städten aufzuhalten suchten, zeigen uns folgende, von Dr. Prowe heraus-
geholten Notizen (S. dessen Schriften : «Westpreussen in seiner geschicht-
lichen Stellung etc. S. 60 und: «De Nicolai Copemici patria S. 20):
Im Jahre 1586 verbot der Rath, dass jemand polnischen Kindern
in einer Privatschule Unterricht ertheile. — Im Jahre 1608 verbot
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neue Kräfte von auswärts her schöpfen durfte, wo es sich
wieder der Gunst der Herrschenden erfreuen und durch frische
Zuzüge verstärken konnte. Die Saat des deutschen Ordens
blühte wieder auf, allein es riss zu gleicher Zeit ein finsterer
Nationalantagonismus, ein grausamer, blinder Hass über das
Land ein, welcher jetzt die Einwohner einer und derselben
Provinz, die Bebauer derselben Scholle entzweit. Das ist das
Heil, das ist der Segen — das ist die traurige Brut der
Ordensherrschaft !
der Bath «mehr als sechs polnische Meister zu dulden in der Schneider-
zunft». Im Jahre 1616 beschränkte noch der Bath diese Zahl auf
fünf. Im Jahre 1611 befahl der Bath den Hutmachern, «keinen
Jungen anzunehmen, der nicht deutscher Zunge ist» u. s. w. Finden
nun unsere Leser das nicht sonderbar, dass dieselbe Person, welche
derartige Denkmale der Finsterniss und der Barbarei ihrer gepriesenen,
«Oultur bringenden» Vorfahren an der Ostseeküste veröffentlicht, noch
von einer gleichzeitigen nationalen Verfolgung der preussischen Deut-
schen durch die Polen sprechen kann? Wer waren wohl hier die wegen
ihrer Nationalität verfolgten?
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IL
Des Copernicus Herkunft und Eltern.
Selten wurde von Seiten der Nachlebenden der Abstam-
mung eines grossen Mannes so grosses Gewicht und so viel
Werth beigelegt, wie das mit Nicolaus Copernicus in unseren
Tagen geschehen ist, und es ist wirklich eine merkwürdige
Ironie des Schicksals, dass wir gerade über diese seine Ab-
stammung so wenig zuverlässige, bestimmte Nachrichten be-
sitzen. Das Leben des Copernicus ist seit dem vorigen 'Jahr-
hundert und namentlich seit der Katastrophe, welche seine
preussische Heimath einem neuen Staatsorganismus einverleibte
und dadurch Anlass zu einem Streite über die Nationalität
des Mannes gab, Gegenstand vieler Erörterungen geworden.
Allein der Vater des Thorner Astronomen erscheint uns in
diesen Untersuchungen der Reihe nach bald als ein «polnischer
Bauer und Sklave», bald wiederum als ein westphälischer Bauer,
bald als ein Wundarzt, bald als ein Bäcker, genauer ein
«Krakauer Bäcker», endlich als ein Eisenschmied *). Das Ver-
dienst, diesen bunten Erdichtungen ein Ende gemacht zu haben,
gehört unstreitig Dr. Prowe aus Thorn an, der durch müh-
same und mit einem anerkennenswerthen Fleiss und be-
wunderungswürdiger Ausdauer fortgeführte archivalische For-
schungen uns über das Leben und die Standesverhältnisse des
') S. Prowe, Zur Biographie des Nie. Copernicus. Thorn 1853, S. 15.
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Vaters von Copernicus, ein wenn auch nur spärliches, doch
endlich sicheres Licht geworfen hat. . — Wenn wir aber auch
Dr. Prowe dafür zu Dank verpflichtet sind, dass wir nun, auf
seiner Arbeit fussend, die sich widersprechenden Angaben der
früheren deutschen und polnischen Biographen des Nicolaus
Copernicus hier ohne Weiteres bei Seite lassen dürfen, so
können wir doch mit ihm in allen Punkten und manchen oft
scheinbar unbedeutenden, doch für das Thema, das wir uns
gestellt haben, charakterischen Einzelheiten nicht überein-
stimmen. Dr. Prowe ist einer jener deutschen Localpatrioten
Westpreussens , welche ihr germanisatorischer Eifer und ihre
Abneigung gegen Alles polnische verhindern, in Dingen, in
welchen es sich um eine Entscheidung zwischen beiden National-
elementen handelt, ein unbefangenes Urtheil abzulegen.
Dr. Prowe eifert in der Vorrede zu seiner Schrift gegen die
cnationalen Vorurtheile», gegen die «nationalen Sympathien
und Antipathien», welche die «ostlichen Nachbarn» ermuthig-
ten, «sich den grossen Namen anzueignen», und lässt sich
doch selbst in seiner ganzen Schrift von ähnlichen «nationalen
Vorurtheilen und Antipathien» blindlings leiten. Er behandelt
seinen Gegenstand nach einer im Voraus sich selbst gestellten
These: «Geboren in einer Stadt, die in den Grenzmarken
des Germanenthums gelegen ist 2 ), muss ihm Copernicus «un-
bestrittenes Eigen thum seiner Nation» — der germanischen,
bleiben, es muss seine «slawische» Abstammung per fas et
nefas zurückgewiesen werden. Und dieser These gemäss reihen
sich nun in Dr. Prowe 1 s Werke alle Thatsachen und Umstände
wie durch ein Wunder an. Sie dienen ihm alle zu der freu-
digen, bei einer andern Gelegenheit von ihm ausgesprochenen
Conclusion, «dass demnach Copernicus dem deutschen, nicht
dem polnischen Stamme angehöre» 3 ). Indessen sind die Gründe
Dr. Prowe's nur selten stichhaltig und sein Urtheil ist nicht
*) Prowe, z. Biogr. S. VI. und V.
8 ) Bede des Dr. Prowe zur Jahresfeier des Geburtstages von Nie.
Copernicus, am 19. Februar 1852 zu Thorn gehalten. S. Thorner
Wochenblatt 1852 Nr. 16.
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scharf genug, wo es um eine endgültige Entscheidung sich
handelt. Eine bessere Kenntnis der polnischen Sprache, oder
wenn man lieber will «des Slawischen», würde ihm ebenfalls
wie auch allen seinen Landsleuten, die sich mit der Geschichte
Westpreussens befassen, grosse Dienste geleistet haben.
Wenigstens würde sie ihm das mitleidige Erbarmen ver-
schonen, das jeder polnische Leser unwillkürlich ihm zollt,
wenn er bei der Leetüre seiner Schrift auf die Stelle (zur
Biogr. S. 18) kommt, wo Dr. Prowe auf die altdeutschen Orts-
namen im Gulmerlande, wie Orsichau (Orzechowo), Schlommau
(Stomowo), Trebisch (Trzebcz), Preussisch-Lanke (Pruskal^ka)
u. a. Bezug nimmt, um gegen die «polnische Fremdherrschaft»
daselbst zu eifern. —
Allein zur Sache. Unsere Aufgabe ist nun zunächst, des
Copernicus Herkunft in Bezug auf Stamm und Nationalität
zu untersuchen.
A. Der Name.
Vor Allem haben wir den Familiennamen des Astronomen
in Betracht zu ziehen, welchen Dr. Prowe in seinem patriotischen
Eifer für das deutsche wo möglich mit verdoppelten Conso-
nanten schreibt. «Koppernigk» heisst ihm demnach «der
grosse Mann.» Um diese, wie er sie nennt (S. 10), «Guttural-
gemination» zu rechtfertigen, beruft sich Dr. Prowe auf die
Thorner Schöppenbücber des XV. Jahrhunderts , wo dieselbe
ganz besonders beliebt gewesen sein soll, und wo sie, wie uns
Dr. Prowe belehrt, nicht nur an des Copernicus Namen, son-
dern auch an vielen andern applicirt wurde: «czynnigk, flen-
wigk, dornigk, geylingk, bellingk, thutingk, lybingk, strubingk,
hennigk oder hennyngk, heufflingk, czeissbergk, rennebergk,
lodowigk, bedwigk, u. a.; ferner: konigk, honigk, dingk,
mechtigk, scholdigk, kegen wertig, zwenezigk, sechsezigk,
newnezigk u. a. ni.» Dies ist alles recht kurzweilig und in-
teressant zu lesen, um nur die geistreiche Orthographirung
der Worte: gegenwärtig, zwanzig, sechzig, neunzig hervor-
zuheben, desgleichen auch die gelehrte Anmerkung Dr. Prowe' s,
dass er bei Allem dem doch «die Möglichkeit einräume», dass
die Gemination ck ebenso häufig bei der Endung vorgekommen
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81
sein möge. Nun aber fragen wir, soll nns bei allem Ernste
diese ganze schöne Auseinandersetzung zu dem Resultate führen,
dass wir heutzutage in Schreibung von Eigennamen nach
Brauch des XV. Jahrhunderts verfahren, und etwa von Neuem
Dantczigk statt Danzig, Frawenburgk statt Frauenburg und
Kunigspergk statt Königsberg schreiben sollen? — Wir
nnserestheils müssen aber gestehen, aus Dr. Prowe's langer
Namenliste den Nutzen gezogen zu haben, dass wir bei jedem
dieser Namen, trotz der absonderlichen Schreibweise, doch
immer den rechten deutschen Laut ausfindig machen konnten,
während uns bei dem Worte «Koppernigk», wie man es auch
immer orthographirt denken möchte, dieser deutsche Laut und
Klang durchaus nicht einleuchten will. Allein auf die Frage
kommen wir später zurück. Soll aber jetzt die Schreibung
von Gopernicus Namen eine Frage sein, so scheint uns dabei
folgendes Verfahren als rationell und einzig zweckmässig zu
empfehlen zu sein. Man schreibt sich alle bekannten authen-
tischen Varianten des Namens auf: Kopperingk, Cuppernick,
Kuppernik, Cupernick, Kupernik, Cupernic, Cöppernick, Kop-
pirnick , Koppirnik , Koppernigk , Coppernigk , Koppernick,
Cöppernick, Koppernig, Coppernig, Coppernic, Coppernik,
Koppernik, Copernik 4 ). Da die ersten 9 Varianten offenbar
nur Verstümmelungen sind 5 ), so hat man eigentlich nur die
zehn letztern zu betrachten. Die latinisirte, einfachere Form :
Copernicus, deren sich Nicolaus nach der Sitte seiner Zeit
meist bediente, wird auch bedeutend ins Gewicht fallen müssen.
Nun kann es wohl weniger auf die willkürliche Wahl einer
der 18 oben angeführten Varianten, als hauptsächlich nur
darauf ankommen, den Klang des Namens möglichst richtig
und genau nach den bestimmten Gesetzen der heutigen Recht-
schreibung wiederzugeben. Hält man dieses fest, so wird ein
Vergleich aller Varianten notwendigerweise für die moderne,
4 ) Vgl. Prowe, 2. Biogr. S. 9, 10 u. 27. Die letzte Variante haben
wir einigen von Dr. Prowe übersehenen Verhandlungen der Krakauer
Acten hinzugefügt. Vgl unten Anm. 51.
, 8 ) Vgl. Prowe, aur Biogr. S. 10.
Beitt. b* Hat. d. Coparnioui, (J
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82
sei es deutsche oder polnische Schreibart die einzig mögliche
und richtige Form «Kopernik» ergeben müssen.
Diese Form gebraucht bereits der am Anfange des vorigen
Jahrhunderts lebende Zernecke 6 ) und cCopernik» hat gleich-
falls der vor dem Jahre 1521 schreibende (vgl. Toppen, Gesch.
der preuss. Historiogr. S. 223), bekannte preussische Chronist
Simon Grünau 7 ). «Kopernik» schrieben endlich von jeher und
schreiben auch jetzt ohne Ausnahme den Namen alle Polen — ge-
lehrte oder ungelehrte. Nicht so einig sind indessen hierin die
Deutschen. In Deutschland ist noch jetzt nicht einmal die Ge-
lehrtenwelt über die Schreibung des Namens in Einklang. Ab-
gesehen davon , dass uns bereits in den oben nach Dr. Prowe
angeführten Namens- Varianten ein eclatantes Beispiel dieser
deutschen orthographischen Verwirrung in ältester Zeit vorliegt,
abgesehen von den weitern , von Dr. Prowe nicht angegebenen
Verstümmelungen, die dem Namen des Astronomen noch zu dessen
Lebzeiten deutscherseits widerfahren sind, wie «Copphernicus» 8 )
«Coppernieck» und «Copperniegk» 9 ), abgesehen endlich von
6 ) Thornische Chronica 1727 S. 76. Nicht aber «Kopernik», wie
das Lichtenberg bei ihm gelesen haben will (Verm. Schriften, Göttin-
gen 1844, Bd. V, S. 161). Auch hat hier Lichtenberg eine falsche
Jahreszahl, denn Zernecke schreibt 1462 und nicht 1463. Nach Lichten-
berg schrieb auch Gartz «Kopernik» in der Ersch und Gruber'schen
Encyclopädie XIX, S. 248.
7 ) «Dr. Nicolaus Copernik zu Frauenburg.» Grünau, XXI, p. 1468
bis 1469, angeführt von Toppen, Gesch. d. pr. Historiogr. S. 142.
8 ) Aus dem Briefe des Ermländer Domherrn Tidemann Giese an
Felix Reich, Stiffcsprobst zu Guttstadt, d. d. Allenstein, 8. April 1524,
gedruckt als Vorrede zur Schrift: «Tidemanni Gisonis, flosculorum
Lutheranorum de fide et operibus avnrjXoYixov. Impressum Cracoviae
per Hieronymum Vietorem.1525.» Vgl. Hipler's Abhandlung: «Nikolaus
Kopernikus und Martin Luther» im IV. Bande der Zeitschrift für Gesch.
u. Alterth. Ermlands 1867 — 1868 S. 482, Anm. 14. Dieselbe Form
findet sich in der von fremder Hand gezeichneten Aufschrift, die sich
auf einem einst dem Copernicus angehörigen Quartbande der Bibliothek
zu Upsala befindet: «Nicolai Copphernici. In testamento Fabiano
Emerich assignatus». S. Prowe, Mittheilungen aus schwedischen Archi-
ven und Bibliotheken. Berlin 1853, S: 13.
9 ) Diese beiden Varianten werden von Hipler a. a. 0. S. 494,
Anm. 40 nach den Adressen zweier Briefe des Ermländer Domcantors
J, Beultet! an Copernicus vom Jahre 1521 mitgetheilt.
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83 '
der Form «Coopernick» , die uns in den Acten des Frauen-
burger Capitels noch zum Jahre 1767 begegnet 10 ), wird in
neueren Zeiten der Name des Copernicus fast von jedem
deutschen Schriftsteller anders orthographirt. Der in der
zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts lebende Thorner
Burgermeister S. L. von Geret schreibt ihn in seinen (unedirten)
Schriften durchweg «Kopernick» n ), bei Dr. Prowe lautet er,
wie schon erwähnt, in seiner älteren Schrift: «Zur Biographie
des Nicolaus Copernicus»: «Koppernigk», in einem neueren
Aufsatze dagegen: «Das Andenken des Copernicus bei der
dankbaren Nachwelt*, S. 389 (vgl. unsere Anm. 11) «Kopper-
nick.> — Humboldt war im Kosmos II. S. 343 nahe daran,
«Koppernik» anstatt Copernicus zu schreiben und gerade so
nennt unsern Astronomen durchweg Dr. Watterich in seinem
im ersten Bande der «Zeitschrift für die Geschichte und Alter-
thumskunde Erinlands» 1860, S. 400 — 405 erschienenen Auf-
satze: «Nicolaus Koppernik ein Deutscher.» Am meisten Ein-
gang scheint aber in Deutschland die Form «Kopernikus»
gefunden zu haben. Es gebrauchen dieselbe schon im vorigen
Jahrhundert: «Der Teutsche Mercur» 1776, Biester in seiner
«Berlinischen Monatsschrift» 1792; in neuern Zeiten West-
phal 1822, Apelt 1852, Hipler 1868 u. A. Sie ist jedoch fast
ebenso schwer zu rechtfertigen, wie die Schreibung «Koper-
nicus», die wir von Feuerbach 12 ) und von Voigt (IX, 649),
und «Copernikus» oder «Copernik», die wir von der «Alt-
preussischen Monatsschrift» (der Neuen Preussischen^Provinzial-
Blätter 4. Folge, Bd. VI, 1869, S. 284 u. 382) dem Organe
des Thorner «Copernicus- Vereines» angewandt finden. Diese
letzten drei Formen sind weder deutsch noch polnisch, und
10 ) S. Prowers Aufsatz: «Hat Copernicus Wasserleitungen ange-
legt?» in den Neuen Pr. Prov.-Blättern, 3. Folge, Bd. X, 1865, S. 331.
") S. N.Pr.Prov.-Bl. 3. F., Bd. XI. 1866 «Ueber den Sterbeort und
die Grabstatte des Copernicus, von Dr. Prowe» S. 222 und ebendaselbst:
«Das Andenken des Copernicus bei der dankbaren Nachwelt», von dem-'
selben S. 377.
lf ) Blätter fär literarische Unterhaltung 1850, No. 269 im Aufsatz:
«Die Naturwissenschaft und die Revolution.»
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84
auch nicht lateinisch nnd daher noch weniger zu empfehlen,
als die Geminationsproben Dr. Watterichs, oder Dr. Prowes.
Unserer Ansicht nach haben die Deutschen, wenn sie hierbei
vernünftig verfahren wollen, nur zweierlei zur Wahl. Ent-
weder müssen sie sich dazu bequemen, den Namen nach der
Polen Vorbilde «Kopernik» zu schreiben oder sie lassen ihn
in der latinisirten Form «Copernicus» bestehen — wie ihn der
grosse Mann auf seinem unsterblichen Werke selbst schrieb.
Nach der Schlichtung dieser orthographischen Bedenken,
an denen bloss der Umstand merkwürdig ist, dass sie nur für
die eine der beiden streitenden Parteien, für die deutsche,
existiren, dürfen wir nur zu einer bereits oben (S. 81) ange-
deuteten bei weitem wichtigeren Frage schreiten, nämlich zur
Erörterung dessen, welchem Sprachstamme, dem germanischen
oder dem slavischen, dem deutschen oder dem polnischen, der
Name Kopernik seinem Klange und Sinne nach angehöre.
Eine indirecte Antwort hierauf, oder richtiger gesagt, einen
Wink zur Entscheidung dieses Problems, geben uns schon
offenbar jene orthographischen Zweifel, die hier natürlich der
deutschen Sache keine guten Dienste leisten können. Allein
wir dürfen nicht mit unserm Urtheile in der Untersuchung
vorgreifen und lassen daher dem Fortgang derselben freien
Lauf. Zunächst nun das Verhör der deutschen Zeugen:
Dr. Prowe hält in seiner Hauptschrift (Zur Biographie des
Nie. Copern. S. 15, Anm.) den Klang des Namens für einen
«niederdeutschen», hat aber zur Bekräftigung dieser allerdings
nur leise und gelegentlich ausgesprochenen Behauptung leider
nur jene «Gutturalgemination» am Auslaute (vgl. Prowe, zur
Biogr. S. 10, Anm.). In einer später erschienenen Abhand-
lung: «De Nicolai Copernici patriae. (Thorn 1860.) spricht
er sich indessen schon viel entschiedener aus und stellt den
etymologischen Erklärungen Krzyäanowski's, die ihm übrigens
schon vor der Veröffentlichung seiner ersten Schrift bekannt
sein mussten, folgende Herleitung entgegen (S. 23, Anm.):
«Vox ««kopper»» (i. e. aes cyprium, cuprum) quod nunc in
'««kupfer»» mutatum est, in actis, tabulis, literis Thorunen-
sibus illius temporis saepissime legitur, et terminatio ««igk:»»
usitatissima est in civium Thorunensium nominibus illius sae-
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85
culi, ut: czynnigk, dornigk, schreinick, liebigk, fleewigk, hen-
nigk, blümigk.» Dr. Prowe scheint aber hier nicht merken
zu wollen, dass, wenn er von einem Thema «kopper» spricht,
zu dem das Suffix « — igk» hinzukommen soll, er wohl etwas
behauptet, leider aber niehts, was für eine etymologische Er-
klärung des Wortes «Koppernigk» genommen werden könnte.
Auch zeigen die von ihm angeführten Beispiele wohl, dass
ein deutscher Familienname «Kopperigk» sich vielleicht denken
liesse, eine Analogie zu «Koppernigk» würde man aber unter
diesen Beispielen vergeblich suchen, denn es gehört wahrlich
keine eingehende Kenntniss der deutschen Sprache dazu, um
einzusehen, dass in den Bildungen wie: czynnigk, dornigk,
schreinick, hennigk, das n welches der Endung — igk voran-
geht, nicht zu derselben, sondern nur zum eigentlichen Wort-
stamme angehöre.
Etwas besser als Dr. Prowe erscheint Dr. Watterich in
seinem schon erwähnten Aufsatze «Nicolaus Koppernik ein
Deutscher» ausgerüstet. «Es Hessen sich — sagt er (S. 403
im Bd. I. der Erml. Zeitschrift) — die auf — nich (nieder-
deutsch — nik) endigenden Ortsnamen zu hunderten anführen,
und unser heutiges ««Kupfer»» heisst in der plattdeutschen
Sprache noch jetzt nicht anders als ««Kopper»». Dr. Watterich
hätte aber viel zweckmässiger gehandelt, wenn er anstatt des
leeren Versicherns, dass es «am Niederrheine und in West-
falen» zu hunderten Ortsnamen gäbe, die auf « — nich» endigen
— was wir übrigens gar nicht bestreiten wollen — nur einige
wenige jener auf « — nik» auslautenden Namen angegeben
hätte, die den westfälischen und niederrheinischen auf « — nich»
«in Niederdeutschland» (lagen denn bis dahin Niederrhein und
Westfalen auch» nicht in Niederdeutschland?) entsprechen sollen,
was letztere wir uns wohl zu bezweifeln erlauben dürften. Da
aber einmal Dr. Watterich mit solcher Sicherheit bei seiner
Behauptung auftritt, so berechtigt er uns nicht nur dazu, eine
Hinweisung auf Analogien unter den ostdeutschen Orts.- und
Personennamen der Zeit zu verlangen, sondern auch, ihn zur
Angabe desjenigen «niederdeutschen» Dorfes «Koppernik» auf-
zufordern, aus welchem er die Familie des Astronomen her-
leiten zu wollen scheint. — Das Nachschlagen eines beliebigen
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86
topographischen Lexicons Deutschlands ist ja keine so grosse
Mühe! — Bis das nicht geschieht — und das kann, sei hier
gleich hinzugefügt, wohl nimmer geschehen — «ist der Beweis
nicht geliefert» dürfen wir hier unser Zeugen- Verhör mit Dr.
Watterich's eigenen Worten (a. a. 0. S. 403) kurz beendigen.
Der Beweis ist nicht geliefert, müssen wir concludirend
wiederholen und somit eine Erklärung des Wortes deutscher-
seits aus dem einfachen Grunde nicht gegeben, weil sie
deutscherseits überhaupt nicht gegeben werden kann. Denn
es giebt, nachdem die Versuche mit dem plattdeutschen
«Kopper» für gescheitert anzusehen sind, in dem gesammten
Wortschatze der deutschen Sprache keinen einzigen Laut,
welcher an »Kopernik» irgend wie anklänge. Ein Umstand
welcher, neben der manifesten Schwierigkeit des orthogra-
phischen Ausdruckes, wohl was zu sagen hat.
Wir wollen nun sehen, ob eine Prüfung vermittelst der
polnischen Sprache, oder im Allgemeinen der slavischen
Sprachen, uns nicht zu bessern Resultaten führt. Und zunächst
sehen wir uns in der Topographie der slavischen Länder um.
Der Name «Kopernik» erscheint derselben nichts weniger als
fremd. «Kopernik» oder genauer, nach den Regeln der
V
cechischen Rechtschreibung, «Koprnik» heisst ein Dorf in
Böhmen, im Bunzlauer Kreise, in der Nähe von Kosmonosy 13 ).
Der Name desselben kommt bereits in einer Urkunde vom
25. October 1391 vor. Ein «Ulricus de Kopernik» tritt da
als fünfter unter den Zeugen auf, welche die Urkunde be-
siegeln 14 ). «Kopernik», deutsch «Köpernikstein», wird ferner
t8 ) S. Järoslaus Schaller, Topographie des Königreiches Böhmen.
Prag 1785—1791. 16 Theile in 8 Bdn. Wir müssen bedauern, dass
uns nur der neunte, supplementarische Band dieses schätzbaren Werkes,
ein Universalregister der Ortschaften enthaltend, zugänglich geworden
ist. S. 254 fanden wir daselbst den Namen «Kopernik» mit einer Hin-
weisung auf die Beschreibung des Bunzlauer Kreises im 2. Bande
(Theü 3 und 4.).
14 ) Diese Nachricht entlehnen wir einer kurzen Mittheilung in
Jordan's Jahrbüchern für slavische Literatur, Kunst und Wissenschaft.
1845, 3. Jahrgang, S. 20. In derselben wird auf Bohuslai Balbini
Miscellanea historica Bohemiae, Decadis I, Üb. V, p. 239 hingewiesen
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eine 4344' hohe Bergspitze des Mährischen Gesenkes (hory
Jesenicke) genannt, die man auf jedem beliebigen Schulatlas
in der Nähe der grossen Altvaterkoppe (Praded) angegeben
findet; «Kopernik» ist endlich bei der eingeborenen, . polnischen
Bevölkerung Oberschlesiens der Name eines Dorfes, welches
von den deutschen Ansiedlern und in der heutigen preussischen
Kegierungssprache «Köppernig» genannt wird 15 ). Die Existenz
dieses Dorfes lässt sich urkundlich bis in das 13. Jahrhundert
zurückverfolgen 16 ).
und daraus folgender Auszug aus dem Volumen XII. erectionum der
Prager Metropolitankirche angeführt: «Laneus emtus pro ecclesia in
Kosmonos a Nicoiao plebano ecclesiae praedictae, decano Boleslaviensi,
ab honesta matrona Elssca conthorali Martini dicti'Zly, clientis de
Stakor, seu Borzeiow 1391, 25 ctobris.» «In quinlo (sigillo)
— setzt Baibin hinzu — humana imago securim in manibus tenens,
sigillum Ulrici de Koprnik.» Und in der Anmerkung: «quintum
(sigillum) equitum de Koprnik.» Diese Notiz des Balbinus soll
übrigens schon früher Palacky 1831 in der Böhmischen Museumszeitschrifb
(p. 435) veröffentlicht haben. Vgl. Prowe, zur Biographie des Nicolaus
Copernicus, S. 38.
16 ) Das Dorf Köppernig liegt im Regierungsbezirk Oppeln, Kreis
Neisse, Post Wie sau und ist der Sitz eines katholischen Kirchspiels,
das zum Archipresbyterat Ottmachau (Odmuchöw) gehört. S. Sche-
matismus des Bisthums Breslau und seines Delegatur-Bezirks für das
Jahr 1869, S'. 106. Der Doppellaut — oe— , der uns sowohl in dem
Namen dieses Dorfes als auch in dem des mährischen Berges und selbst
manchmal in dem Familiennamen des Astronomen (vgl. «Cöpperniek»
aus den Verhandlungen der Thorner Schöppenbücher bei Prowe zur
Biographie S. 9. «Nicolaus Köppernik» in einer Verhandlung des
Ermländer Capitels vom Jahre 1521 bei Watterich : «DeLucae Watzel-
rode in Nicolaum Copernicum meritis.» Königsberg 1856, p. 28 und
«Kopernik» aus unwillkürlichem lapsus anstatt «Kopernik». bei Lichten-
berg und Gartz, vgl. unsere Anm. 6) in der jedesmaligen deutschen
Corruption des Wortes entgegentritt, ist ein unwiderleglicher Beweis
dafür, dass der Laut «Kopernik» der deutschen Zunge fremd ist — wie
ihn auch in der That kein Deutscher richtig ausspricht — und dass er
demnach mit dem plattdeutschen «Kopper» nichts gemein haben kann.
16 ) Vgl. Urkunden zur Geschichte des Bisthums Breslau im Mittel-
alter, herausgegeben von Gustav Adolph Stenzel. Breslau 1845. S. 56
lesen wir hier in einer Urkunde (No. 50) Bischof Thomas von Breslau
vom 24. März 1272. «Iterato publicata fuit eadem sententia de eodem
ante missam per dominum episcopum in choro S. Johannis, quasi
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Als Famlienname tritt uns das Wort «Eopernik», beson-
ders in polnischen Ländern, noch häufiger entgegen. Ausser
den beiden Thorner und Krakauer Geschlechtern zwischen
coram eisdem canonicis ut insuper coram Henrico plebano de
Coprnih, Bogdalo canonici) S. Egidii» etc. Unter den Namen von
66 «in districtu et territorio Ottmuchouiensi et Nyzensi» gelegenen
Dörfern, die uns gleichfalls eine Urkunde desselben Bischof Thomas
vom 3. Juli 1284 (Stenzel, S. 103—104 No. 94) als von' dem Herzoge
Heinrich III. von Breslau der Breslauer Kirche, zu der sie angehörten,
gewaltsam entrissen und widerrechtlich besetzt vorführt, lautet der
49. Name «Copirnik« und «Copirnich» lesen wir. wiederum in
der Excommunicationssentenz, welche Bischof Thomas am 30. Juli des-
selben Jahres 1282 gegen Heinrich, den gottvergessenen Berauber
der Kirche, zu fällen sich veranlasst fand (Stenzel, S. 122 No. 110).
Nur ist hier bei der Aufzählung der entrissenen «ville et possesiones»
der zehnte Name «Drogussow» weggelassen, was die Gesammtsumme
auf 65 reducirt und den Namen «Copirnich» um eine Stelle höher —
auf die 48 anstatt der 49 — versetzt.
In den von Dr. Colmar Grünhagen und Dr. Georg Korn heraus-
gegebenen «Begesten des Bisthums Breslau (Erster Theil. Bis zum
Jahre 1302. Breslau 1864)» finden wir ferner (S. 102) unter den Zeugen
einer Urkunde des Jahres 1291 d. d. bei Neisse am 8. Juni, einen
«Henricus, Pfarrer zu Copernik», welcher unzweifelhaft mit
dem bei Stenzel zum Jahre 1272 genannten identisch sein wird, wie
auch aller Wahrscheinlichkeit nach — mit dem in einem Bestätigungs-
Brief Bischofs Thomas von Breslau d. d. bei Neisse am 21. Mai des-
selben Jahres (1291) als Zeuge auftretenden «Henricus de Copriw-
niza», welcher mit dem nächstfolgenden Zeugen: «Henricus de Coscheth»
als «ecclesie rector und capellanus curie» bezeichnet wird (Grünhagen
und Korn a. a. O. S. 101. In Folge eines leichterklärlichen Lesefehlers
der deutschen Herausgeber ist der Name Copriwniza «Copriwinza» ge-
druckt worden). Die hier in Anwendung gebrachte Form «Koprivnica»
ist als eine von derselben Wurzel wie «Kopernik» abgeleitete Variante
des noch nicht definitiv festgestellten Ortsnamens zu betrachten, eine
Erscheinung, welche in der slavischen Topographie des Mittelalters
nichts weniger als ungewöhnlich ist.
Wenn wir bei allen diesen Details so lange verweilen, so sind wir
auch, dünkt uns, dem Leser schuldig, ihm den Grund dieses Verweilens
zu eröffnen. Unser Grund ist nun hier nichts geringeres, als das An-
denken eines unbescholtenen Mannes gegen eine demselben — linde
gesagt — mit einem ganz unglaublichen Leichtsinn angethane Ver-
unglimpfung zu schützen. Der erste unter des Copernious Biographen
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89
denen über die Abstammung des Astronomen zu entscheiden
ist, kommt in dem Gerichtsbache der Altstadt Thorn: «Liber
nämlich, welcher auf das Vorhandensein des schlesischen Dorfes Eopernik
aufmerksam machte, war der vor Kurzem in Warschau verstorbene
talent- und verdienstvolle Geschichtsforscher Julian Bartoszewicz, der
durch ein Leben voll Mühe und Arbeit sich die beste Erinnerung seines
Volkes für alle Zeiten erworben hat. In seiner in lateinischer und
polnischer Sprache erschienenen Lebensbeschreibung des Copernicus,
die der Warschauer Ausgabe (1854) der Gesammtschriften unseres
Astronomen hinzugefügt ist, finden sich S. XLIII folgende Worte:
«locum unde Copernici nominati esse possint quaerentes, in
Silesia non longo intervallo a Cracovia disjunctam veterem coloniam
invenimus astronomi nostri nomine indutam. Cujus quum jam XIII
saeculo in actis publicis, quae Stenzelius typis excudenda curavit, mentio
fiat, temput optime quadrat in ea, quae de Copernicis comperta attu-
limus.» Bartoszewicz bezeichnet hier seine Quelle nicht genauer, wie
auch seine ganze Abhandlung jeglichen Citats, jeder Anmerkung ent-
behrt. — Dr. Watterich aus Braunsberg nun, welcher sechs Jahre nach
dem Erscheinen des Elaborats von Julian Bartoszewicz es in einem
flüchtigen, kaum fünf Druckseiten umfassenden Aufsatze (es ist dies der
schon von uns angefahrte Artikel «Nie. Eoppernik ein Deutscher», im
ersten Bande der Zeitsch. für Gesch. u. Alterth. Ermlands) tapfer
unternahm, «die — wie er sagt — fast sämmtlich dahin abzielenden
Behauptungen Bartoszewicz^, dass Eoppernik ein Pole gewesen», aus-
einanderzuwerfen, zu Staube zu machen- und in alle Winde zu zer-
streuen, leugnete in demselben dreist und formell das Vorkommen in
Stenzel's Urkundenbuche eines mit dem Namen des Astronomen «auch
nur etwas Aehnlichkeit» habenden Ortsnamens Schlesiens. Obendrein
wagte Dr. Watterich (S. 402) die kühne, beleidigende Vermuthung,
Bartoszewicz habe «die S. 514 stehende Urkunde Herzog Heinrichs VI
von Breslau vom Jahre 1327 — also 14. Jahrh.» — gemeint, «wo aller-
dings von einer villa Cobilnic die Bede ist», indessen fahrt er fort,
findet zwischen Cobilnic und dem Namen des Astronomen eine wesent-
liche Verschiedenheit statt und dieselbe «verbietet schlechterdings
beide mit einander zu verwechseln» — «und der Nachweis eines Cop-
pirnig genannten Ortes ist nicht geliefert» lautet kurz Dr. Watterichs
bequeme Conclusion. Wir fügen hier zu dieser ganzen sonderbaren
Mystifikation keinen weiteren Commentar hinzu, als, dass das in Bede
gestellte Urkundenbuch, wie alle Publicationen der Art, mit einem
sorgfaltig ausgearbeiteten alphabetischen Verzeichnisse aller in dem-
selben vorkommenden Eigennamen versehen ist und dass wir selbst
vermittelst dieses Verzeichnisses zu den von Bartoszewicz gemeinten
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judiciorum veteris civitatis Thornnensis» zum Jahre 1422 ein
Peter Kopernik mit dem Zusätze «aus Frankenstein» vor 17 ), und
der. Krakauer Localgelehrte und Antiquar Ambroäy Grabowski
hat uns in seinem 1852 erschienenen Werke «Starozytnicze
wiadomosci o Krakowie» S. 268 zwei ähnlich klingende Krakauer
Bürgernamen aus dem 17. Jahrhundert — Kopernak und
Kopiernicki — beigebracht. Der erstere dieser Namen
findet seinesgleichen in dem von Krzyzanowski (Spomnienie
jubileuszowe S. 8, Anm.) angeführten Familiennamen eines
alten Bauerngeschlechtes, welches im Dorfe Laskowice, das
zum Gütercömplex von Pabianice bei Sieradz" (Königreich Polen)
gehört, noch jetzt ansässig sein soll und deren Existenz
schon um die Hälfte des 17. Jahrhunderts aus alten, von dem
Krakauer Domcapitel, zu dem diese Güter gehörten, geführten
Registern sich nachweisen lässt 18 ). An den zweiten von Gra T
bowski mitgetheilten Namen schliesst sich dann wiederum
derjenige einer heutzutage existirenden polnischen Familie
Kopernicki an, welche auch in Krakau gegenwärtig an*
sässig ist.
oben von uns angeführten Stellen des Buches gelangt sind! Wie doch
die Menschen manchmal nicht zu sehen vermögen, was sie nicht sehen
möchten.
17 ) Frankenstein in Schlesien, gegenwärtig Kreisstadt im Breslauer
Regierungsbezirke. Adryan Krzyzanowski, der die Notiz von Peter
Kopernik in seiner 1844 in Warschau erschienenen Gedächtnissschriffe :
«Mikolaja Kopernika spomnienie jubileuszowe» S. 12 zuerst veröffentlichte,
giebt die genaue Schreibung des Familiennamens nach dem Originale
nicht an, was den Dr. Prowe, der den Peter Kopernik nur aus Krzy-
zanowski's Angabe kannte (vgl. zur Biogr. S. 12), keineswegs hinderte,
dessen Namen dreimal (zur Biogr. S. 12 u. 13, de Nie. Copern. patria
S. 23) in der ganz willkürlichen Schreibung «Koppernigk» seinen Lesern
zu unterbreiten.
18 ) Krzyzanowski nennt a. a. 0. aus dem Einwohnerverzeichnisse
des Dorfes Laskowice, welches seiner Aussage nach zur Zeit einer von
den Domherren Sebastyan Starczewski und Stanislaw Cienski im Auf-
trage des krakauer Capitels vorgenommenen «Lustration» des Gutes
Pabianice ausgefertigt wurde — einen «Pawel Kopernog» (fehlerhafte
Schreibart für «Kopernak» entstanden in Folge des gedämpften a der
Endsylbe, «a pochylone») iram Jahre 1651 und einen »Wawrzyniec
gopernig (sie!)» zum Jahre 1677.
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Unter den Ortsbezeichnungen Polens steht «Kopernik»
keineswegs vereinzelt, ohne Analogien da. Dieselben sind im
Gegentheil zahlreich genug. Wir führen beispielsweise einige
an: Chmielnik, im Sandomir'schen bei Szydtöw, Gromnik,
südlich von Tarnow in Galizien, Iz de bnik bei Wadowice im
Krakau'schen. Jawornik bei Rzeszöw in Galizien, Kräsnik
bei Urz^dow im Lublin'schen, Kornik bei Posen, Kreis Srem,
Kurzgtnik an der Drwgca, Kreis Löbau, MielnikamBug
bei Drohiczyn, Pr^dnik bei Krakau, Pniewnik bei Stani-
slawow, unweit Warschau, Prudnik — deutsch Neustadt —
in Schlesien, Regierungsbezirk Oppeln, Prochnik bei Jarostaw
und Budnik an dem niederen San in Galizien, Rudnik im
Culmerlande, Rybnik in Schlesien, Regierungsbezirk Oppeln,
Srednik am Niemen, Gouvernement Kowno, Wierzbnik im
Sandomir'schen, an der in die Weichsel mündenden Kamionna.
Alle diese Namen — Kopernik mit eingeschlossen — ge-
hören nun in der polnischen Grammatik zu der Substantiv-
bildung vermittelst des (männlichen) Suffixes -ik (weiblich
-ica), welches entweder 1) an das Thema eines Substantivs sich
unmittelbar anschliesst, um dessen Bedeutung zu modificiren,
wie in den Deminutivbildungen : stolik, konik, wietrzyk, chtop-
czyk, Poznanczyk, die aus den ursprünglichen stot — der
Tisch, koii — das Pferd, chlopiec — der Knabe, Poznaniec ?
— der Posener, entstanden sind, oder 2) an den Stamm von
Adjectiven gefügt wird, welche vor ihrer Genusendung -y -i
(fem. -a, -(i)a, neutr. -e, -(i)e), noch ein n hinzunehmen,
wie : wietrz-n-y, windig, marnotraw-n-y, verschwenderisch,
plat-n-y, zahlbar, und dann Substantive bildet, welche das
Gepräge ihres Ursprungs in der ihnen anklebenden adjec-
tivischen Bedeutung deutlich an sich tragen, indem sie immer
die charakteristische Eigenschaf); dessen, was sie bezeichnen,
mit Nachdruck hervorheben l9 ). Und so , falls sie sich auf
19 ) Bei manchen dieser Substantiva, und ganz besonders bei den
nomina propria, lasst sich zwar das Adjectiv, aus dem sie entstanden
sind, im Sprachgebrauch nicht immer nachweisen, dasselbe kann aber
jedesmal leicht und ohne Verstoss gegen die Regeln und den Geist der
Sprache ergänzt werden. So dürfte man z. B. zu den Substantiva:
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abstracte Begriffe beziehen, weisen sie auf deren Function,
deren Bedeutung hin: czynnik — der Factor (czynny — •
thätig) pewnik — das Axiom (pewny — sicher), }%cznik —
das Verbindende, das Band (l^czny — verbindend); beziehen sie
sich auf Personen, so deuten sie ihre Eigenschaft, ihre Be-
schäftigung, ihren Stand an: ngdznik — der Elende, (n^dzny
— elend), przewodnik — der Führer, (przewodny — leitend),
ptatnik — der Zahlmeister, (ptatny — zahlbar), najemnik —
der Miethling (najemny — zu dingen, zu miethen), lucznik —
der Bogenschütz (luczny — zum Bogen gehörig); dienen sie
endlich zur Bezeichnung von Gegenständen und überhaupt der
leblosen Natur, so geben sie entweder den Gebrauch, den
Zweck, zu welchem diese Gegenstände da sind, oder wohl
wiederum nur die Eigenschaft und Beschaffenheit derselben
an: rgcznik — das Handtuch (rgczny — zur Hand gehörig),
naszyjnik — die Halskette (na — auf, praepos. szyja, der Hals),
dymnik — der Schornstein (dymny, rauchig), kurnik — das
Hühnerhaus (kura — das Huhn), smietnik — die Stelle, wo
das Kehricht geworfen wird, der Kehrichthaufen (smiecie —
das Kehricht), chmielnik — eine von Hopfen bewachsene
Stelle, der Hopfengarten, (chmiel — der Hopfen) 20 ). Dass
ogrodnik, der Gärtner (ogröd — der Garten), wyrobnik, der Arbeiter,
(wyröb — das Ausgefertigte, das Erzeugniss), katnik — Provinzion. der
Stubeneinwohner, (kq,t, der Winkel), chodnik, der Trottoir, (chöd, das
Gehen); die Adjecfciva: ogrodny, wyrobny, ka^tny (vgl. po-kq,tny, heimlich,
verstohlen), chodny, (vgl. po-chodny — abgeleitet), hinzudenken. Der-
artige Substantiva sind also — wie der technische Ausdruck lautet —
als per analogiam gebildet, anzusehen.
20 ) Dass der so scharf hervortretende adjectivische Ursprung und
Character dieser Gruppe von Substantiven von einem so scharfsinnigen
und gelehrten Sprachkenner wie der hochverdiente Autor der ersten
vergleichenden polnischen Grammatik, P. Franz Xaver Malinowski ist,
unberücksichtigt worden, muss uns um so mehr befremden, als dies des
Miklosich Autorität zum Trotze geschieht. F. Malinowski behauptet
nämlich in seiner «Krytyczno poröwnawcza gramatyka jezyka polskiego».
Poznan 1869, S. 300, das fragliche Suffix, welches nicht -ik, sondern
-nik bei ihm heisst, schliesse sich entweder unmittelbar oder nur ver-
mittelst des Einschiebsels -ow- an die Wurzel oder den Stamm eines
andern Substantivs an.
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nun die so dicht auf polnischen Boden gestreuten Ortsbezeich-
nungen auf -(n)ik 21 ) im Sinne djer hier zuletzt angeführten
Beispiele zu fassen seien, dass sie Eigenschaften der Lage, des
Bodens u. s. w. der betreffenden Localitäten bezeichnen, wird
wohl jedem nach dem Vorhergesagten einleuchten. Allerdings
geht es manchmal mit der sprachlichen Erläuterung von Orts-
namen nicht so leicht, wie es mit den Gemeinnamen zu ge-
schehen pflegt, da hier häufig zur Enträthselung eines im
Sprachgebrauche verschollenen Lautes eingehende etymologische
Studien noth wendig sind; allein wie fiberall, so giebt es auch
hier Ausnahmen von der Regel. Unter den von uns oben
angeführten Ortsbenennungen genügt z. B. schon ein Blick,
um einzusehen, dass Rybnik einen fischreichen (ryba — der
Fisch), Rudnik aber einen Ort verräth, wo Eisenerz (ruda —
das Erz) in Fülle vorhanden ist, Ghmielnik ferner eine mit
Hopfen bepflanzte, Jawornik eine von Ahornen (jawor) und
Wierzbnik eine von Weidenbäumen (wierzba) bewachsene Loca-
lität bezeichnen.
Was wäre nun aber der Sinn des Ortsnamens Kopernik ?
Auch hier ist die Antwort nicht schwer zu finden. Kopr
oder koper 22 ) ist im polnischen die Bezeichnung einer Pflanze,
ai ) Beinahe noch häufiger sind die auf das weibliche «-(n)ica»
auslaufenden Ortsnamen: Brzeznica, Jagielnica, Kuznica, Lipnica, Miel-
nica, Mogilnica, Oleänica, Pierzchnica, Siennica, Sinica, Stobnica,
Wawolnica u. s. w. — Auch nicht selten ist das auf -i auslautende
xnasc. plur. Bobrownik-i, Dusznik-i, Obornik-i, Rudnik-i, Siomnik-i,
Srebrnik-i, Swiatnik-i, Woznik-i, £ernik-i u. s. w.
") Das e der Endsylbe ist hier anorganisch. Es ist das in der
polnischen Grammatik sogenannte einsetzbare (wstawne) oder bewegliche
(ruchome) c, welches häufig, zur Erleichterung der Aussprache, zwischen
zwei Consonanten eingeschoben wird, (so auch in der Form kop-e-rnik,
wenn man sie als von «kopr» und nicht von «koper» gebildet, ansieht).
Dieser Fall tritt besonders häufig ein bei den im heutigen Sprach-
zustande consonantisch auslaufenden Casus der auf mehr als einen
Consonanten auslautenden Stämmen. So heisst von den Stämmen bz,
piask, wichr, der Nominativus und Accusativus b-e-z, pias-e-k, wich-e-r,
der Genitivus und Dativus aber bz-u, piask-u, wichr-u u. s. w.
Ebenso hat auch kopr in diesen Casus kop-e-r und kopr-u. Diese Er-
scheinung, die wir uns hier blos zu constatiren begnügen, findet ihre
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deutsch der Dill, das Dillkraut, Anethnm graveolens
Lin. Kopernik weist demnach nach Analogie von Chmielnik,
Jawornik, Wierzbnik, auf eine Stelle hin, wo Dill sich häufig
findet, wo Dillkräuter besonders heimisch sind 23 ). Leicht er-
klärlich ist daher, wenn der Name auf slavischem Boden mehr
als einmal vorkommt! Denn das Wort «kopr» ist, in der
Bedeutung von anethum allen sla vischen Sprachen gemein-
sam. Kopru lautet es in altkirchenslavischen (altslovenischen
oder altbulgarischen), kopur im neübulgarischen, koper im
neuslovenischen, kopr im cechischen, krop (p. metath.) oder
ükrop im russischen, endlich kopur in der albanischen und
kapor in der magyarischen Sprache. Eine der nächsten Deri-
vationen ist das ^polnische koperek (anders: koper wloski)
— der Fenchel: foeniculum officinale All.; dann das
altkirchenslavische koprina, davon das Adjectiv koprininu, —
die Seide, sericum, bulgarisch: koprinu die Borste — s e t a ,
serbisch: koprena, eine Art Tuches — panni genua,
rumänisch: koprinu, der Narcisse. Eine weitere Derivatiou
lautet im altkirchensl. : kopriva, die Nessel, nrtica, cechisch
V
in derselben Bedeutung «kopriva», polnisch durch Umstellung
«pokrzywa», russisch durch eine ändere Umstellung «kropiva».
Die Form «koprnik* selbst ist dem cechischen Sprachgebrauche
heimisch, sie dient zur Bezeichnung einer Pflanze und zwar
der Bärwurz, meum. «Koprownik», was wiederum nur eine
vermittelst des bei manchen Adjectiven gewöhnlichen Ein-
schiebsels -pw- entstandene Modification des primitiven
sprachwissenschaftliche Erklärung nur in dem Vergleiche mit anderen
slavischen Sprachen und namentlich mit dem sogenannten Altkirchen-
slavischen.
28 ) Das Adjectiv, welches der Form «kopernik» zu Grunde liegt,
würde, wenn es im Sprachgebrauche existirte, etwa «koperny» gcheissen
haben. Von kopr ist indessen nur die Adjectivform koprowy, a, e ge-
bräuchlich (vgl. was die doppelte Adjectivbildung auf -ny und -owy
anbetrifft: polny und polowy von pole, das Feld, cigzarny und ci§4a-
rowy von ci§zar die Last, glodny und glodowy von glöd, der Hunger
u. s. w. Ganz dieselbe Bildung wie «kopernik» mit den gleichen Acei-
denzen (dem eingeschobenen e) zeigt der Krakauer Localausdruck
«futernik» futr-o, der Pelz) für «Pelzwaarenhändler».
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ckoprnik» ist (vgl. das polnische cud-ny, wunderschön, cud-
ow-ny, wunderthätig) heisst sowohl im cechischen als auch im
polnischen die Seselpflanze, Seseli Lin. und «koprivnik» eben-
v
falls eine Modification von «koprnik» im cechischen — die
Flachsseide, cuscuta 24 ).
Wie nun «kopernik* als Wortform in den slavischen
Sprachen nicht vereinzelt dasteht, so hat es auch als Orts-
name so manche Genossen und zunächst auf polnischem Boden
aufzuweisen. Denn auf die nämliche Wurzel «kopr», die,
wie wir gesehen, nichts weniger als unfruchtbar zu nennen
ist, müssten noch folgende Ortsnamen zurückgeführt werden:
Koprzywo in Westpreussen, Kreis Cztuchow (Schlochau),
Pokrzywno im Culmischen, Kreis Graudenz (in der Urkunde
des Jahres 1222 noch Koprzywno genannt. S. oben S. 40);
Pokrzywnica, im Krakauschen, Kirchspiel Piotrkowice bei
Wodzistaw (im Mittelalter ebenfalls Koprzywnica genannt,
S. Monografia Cystersow w Mogile. Urkunden. S. 2, 15, 127.)
Pokrzywnica bei Lautenburg, im Kreise Brodnica (Stras-
burg); Koprzywnica, ein uraltes Städtchen im San-
domirschen, berühmt durch seine im 12. Jahrhundert gestiftete
Cistercienserabtei 25 ) und gelegen an der Koprzywianka,
einem Nebenfluss der Weichsel, endlich Koprivstica, türkisch
Avraladan, ein bulgarisches Dorf von 5000 Einwohnern, gelegen
im obern Haemus, am Flusse Topolka.
24 ) S. für die hier angeführten Vocabeln: Miklosich, Lexicon,
Palaeo-Slovenico-Graeco- Latinum, emendatum auctum. Wien 1862
bis 1865. Jungmann. Böhmisch- Deutsches Wörterbuch. Prag 1836.
Linde, Slownik j§zyka polskiego, Lwöw 1854—1860.
*) Es scheint, als ob der Name dieser letzten Ortschaft in älteren
Zeiten zuweilen auch «Kopernica» (fem. von Kopernik) geheissen habe.
Wenigstens finden wir in einer Urkunde des Jahres 1250 einen «Abbas
Cisterciensis ordinis Theodoricus de Copirniz», S. Monografia opactwa
cystersow we wsi Mogile. Krakow 1867, S. 18 der Urkundensammlung,
Nr. 23.) In diesem Falle würde zwischen diesem Orte und jenem
schlesischen Dorfe Kopernik, das, wie wir gesehen haben, einmal in der
Variante «Copriwniza» urkundlich vorkommt, ein förmliches Tausch-
verhältniss von Namen bestehen.
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Damit wäre, dünkt uns, für den slavisch-pohrischen Ursprung
von des Copernicus Familiennamen genug gesagt. Wir möch-
ten hieraus zunächst für Dr. Prowe die Lehre ziehen, dass es
ihm im Jahre 1852 eigentlich noch zu früh war, in TJiorn
öffentlich mit der absoluten Behauptung aufzutreten, «dass
Copernicus dem deutschen, nicht dem polnischen Stamme an-
gehöre» 26 ). Dr. Prowe hätte doch lieber mit dieser Sentenz
M ) Wenn dieser Machtspruch Dr. Prowe's als voreilig und daher
fehlschlagend zu taxiren ist, so sind die Voraussetzungen und Behaup-
tungen, vermittelst deren Dr. Watterich in seinem schon vielfach von
uns angeführten Aufsatze zu dem nämlichen Resultate zu gelangen
glaubte, wegen ihrer Hinfälligkeit und Haltlosigkeit ebenso unschädlich.
Dr. Watterich will (S. 402) «an der Spitze» seiner ganzen Erörterung
die Bemerkung gestellt haben, «dass der Beweis des polnischen Ur-
sprungs einer Familie noch nicht geliefert ist, wenn auch ihr Name
als ein polnischer feststeht.» Eine wahrlich zu spitzige und als solche
auch zerbrechliche Spitze für eine Abhandlung, die den brillanten Titel
führt: «Nikolaus Koppernik, ein Deutscher»! Allerdings, werden wir
antworten, ist nach dem Satze : keine Eegel ohne Ausnahme, aus einem
polnischen Namen der unumstössliche Beweis eines polnischen Ursprungs
noch nicht zu schöpfen, allein angenommen, wir hätten nichts als den
leeren polnischen Namen gegeben (wie es gerade hier der Fall ist),
so würde der Schluss auf polnischen Ursprung als zunächst liegend, ja
sogar zwingend sein. Für uns ist derselbe an diesem Stadium unserer
Abhandlung um so mehr der einzig denkbare, als wir bereits den
Beweis geliefert haben, dass der Name des Astronomen nicht nur
polnisch sei, sondern auch, dass er in seinem polnischen Laut und
Klang wohlerhalten, keineswegs durch deutsche Aussprache verzerrt
erscheine (vgl. unten Anm. 15). Was nun Dr. Watterich zur Unter-
stützung seiner Voraussetzung weiter zu behaupten geruht, dass, wie
«bekannt», — «die Colonisirung, namentlich des flachen Landes
in Polen (wohlgemerkt, die Karpathen also ausgenommen!) weitaus
zum grössten Theil von eingewanderten deutschen Bauern
ausgeführt wurde», ist über das Bedürfniss einer Widerlegung erhaben
und wir müssen schon einmal den Dr. Watterich in der süssen Ueber-
zeugung belassen, dass Polen nichts weiter als das Leben einer deutschen
Colonie in der Geschichte darstelle! Die Polen sind dem Dr. Watteiich,
unserer Ansicht nach, wohl noch zum Danke verpflichtet, da er doch
gütig zugiebt, dass die haufenweise nach Polen einziehenden Deutschen
«nicht überall die Dörfer erst anzulegen und zu benennen
hatten, sehr oft galt es, sagt er, halbentvölkerte Dörfer
vorwärts zu bringen. In diesem Fall haben wir deutsche
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etwas temporisirt und sich mitunter einige Kenntniss des «sla-
vischen» erworben ! Der Schluss, den wir uns aber aus der obigen
Auseinandersetzung vorläufig zu ziehen erlauben, ist, dass der
grosse Copernicus einen polnischen Namen trug.
Hieraus entwickelt sich nun wiederum für uns eine neue
Frage: auf welche Weise die Familie Kopernik zu ihrem
Namen gelangt ist? Das Problem ist indessen, wie man es
vielleicht schon bemerkt hat, bereits zur Hälfte gelöst, denn
es ist evident, dass der Name Kopernik, dem, wie wir gesehen
haben, ein so entschieden örtlicher, wir möchten fast sagen,
topographischer Charakter innewohnt, von einer Localität auf
die Person herübergekommen sei. Allerdings ist das Wort
auch als eigentlicher Personenname keineswegs undenkbar und
beispiellos. Der gelehrte Miklosich führt in seiner Abhandlung:
«Die Bildung der sla vischen Personennamen» (s. Denkschriften
der kaiserl. Akad. der Wiss. Philos. histor. Classe Bd. X.
Wien 1860, S. 215 — 330) aus den verschiedenen slavischen
Sprachen die Namen: Vlachnik, putnik, ratnik, slawnik u. A.
an und falls es Noth thäte, würde sich auch sogar der Sinn
ermitteln lassen, welchen «Kopernik» in der Anwendung als
Personenname haben könnte. Gleich wie olejnik den Oel-
schläger (olej das Oel), ogrodnik, den um den Garten (ogröd)
beschäftigten, den Gärtner, kapustnik, den Kohlgärtner,
Bauern unter polnischen Ortsnamen». Es mag also, nach Dr. Watterich,
in Polen noch hie und da ein polnisch benanntes Dorf gegeben haben,
wenn auch die Einwohner desselben deutsch waren. — Diese Grossmuth !
Allein am naivsten und kurzweiligsten in seiner ganzen Abhandlung
ist der Schlusssatz Dr. Watterich's, in welchem er, die Spitze der
Beweisführung erreichend, den Astronomen selbst zur feierlichen
Zeugnissablegung herbeiruft. «Er selbst — ruft dann Dr. Watterich
(S. 405) aus — bestätigt unsern Anspruch auf ihn mit bedeutungsvollem
— risum teneatis! — mit bedeutungsvollem Schweigen.»
Ob das nun wirklich die rechte Art ist, den alten Cicero mit seinem
pathetischen Ausruf «cum tacent, clamant» lächerlich zu machen —
wissen wir nicht, — allein was sich, wie wir hoffen, noch im Laufe
dieser Arbeit herausstellen wird, ist, dass Dr. Watterich in Bezug auf
Copernicus doch sehr die Wahrheit des alten Satzes verkannte:
«volenti non fit injuria.»
Btit. s. Nat. d. Copernicus, 7
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(kapusta, der Kohl) bezeichnet, so dürfte auch einer, der Dill-
kräuter zöge, oder durch seinen Erwerb, seine Hauptbeschäftigung,
irgend eine Beziehung zu dieser Pflanze hätte, «kopernik»
genannt worden sein. Allein dass diese Auslegung eine weit her-
geholte ist und bei dem urkundlich bewährten mehrfachen
Vorkommen des Namens als Ortsbezeichnung als ganz unwahr-
scheinlich sich erweist, ist einleuchtend.
Es wird hier vielleicht jemand einwenden, dass, wenn ein
Name von einem Orte auf eine aus demselben herstammende
Person hinübergetragen wird, derselbe doch nothwendiger
Weise zum Zeichen der neuen Beziehung, in welcher er an-
gewandt wird, entweder selbst eine Modification erleiden, oder
wenigstens mit der Praeposition «aus», oder «von» verbunden
werden müsse. Die Einwendung wäre scheinbar ganz an
ihrer Stelle, nicht destoweniger aber in unserem Falle unbe-
gründet. Denn es gehört keine grosse Kenntniss der Bräuche
des Mittelalters — wir meinen hier nur das polnische Mittel-
alter — dazu, um sich zu überzeugen, dass einerseits die von
Ortsbenennungen abgeleiteten Personennamen mit substan-
tivischem Charakter, wie : Piotrkowczyk, Lubelczyk, Lwowczyk,
den deutschen Berliner, Breslauer, Königsberger entsprechend,
in Polen bei Weitem seltener als in Deutschland sind, anderer-
seits aber, dass das Auslassen der Präposition: «de», schon
bei dem Namen derjenigen Person, die damit auf ihren eigenen
Heimathsort hinweist und um so mehr in zweiter und dritter
Generation, in Polen ganz gewöhnlich war. So heissen z. B.
die in dem Verzeichnisse der Rectoren der Krakauer Uni-
versität im 15. Jahrhundert (S. Wiszniewski, historya literatury
polskiej, Ende des 5. Bandes) unter den Namen von «Johannes
de Oswiecim«, «Nicolaus de Pilcza», «Clemens de Gorka» auf-
geführten Männer in einem Lectionskataloge derselben Univer-
sität vom Jahre 1487 (S. Wiszn. a. a. 0.) kurz: «Oswiecim»,
«Pylcza», «Gorka», obgleich in demselben bei Andern entweder
der volle Name, wie «Leonardus de Cracovia», «Stanislaus de
Ilkusz», oder nur der Heimathsort mit der Präposition, wie
«de Brudzew», angegeben wird. Der zum Jahre 1453 als Rector
genannte «Nicolaus de Kalisz» tritt uns in dem gleichzeitigen Ver-
zeichnisse der Professoren (Wiszniewski a. a. 0.) als «Nicolaus
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Kalisz» entgegen und es fehlt auch nicht an Beispielen, wo
der Ortsname ohne Präposition schon gänzlich die Stelle des
Familiennamens vertritt. So heisst der Rector des Jahres
1416 «Nicolaus Baudiszyn» (der slavische Name von Bautzen),
der vom Jahre 1439 «Nicolaus Spicimir» (Spicimierz an der
Warta, unweit Lgczyca), der vom Jahre 1475 «Jacobus
Schadek» (Szadek bei Sieradä). Ferner finden wir (Wiszn. V,
374) zum Jahre 1431 einen «magister Paulus Pysckowycze»,
(Pyskowice, der Name des von den Deutschen jetzt «Peis-
kretscham» genannten Städtchens in Oberschlesien, Kreis
Gleiwitz) und gleichfalls aus dem 15. Jahrhundert führt uns
Wiszniewski (Band VI, 139) einen «Jan Warta (Stadt an der
Warta unterhalb Sierad£) aus der Umgegend von Sieradz» auf.
Endlich sei noch erwähnt, dass der in der polnischen Literatur
des XVI. Jahrhunderts rühmlichst bekannte Botaniker Martin
von Urzgdow (Stadt im Lublinschen) sich auf dem Titelblatte
seines Werkes: «Herbarz polski» (Krakau 1562? und 1595)
gleichfalls ohne der Präposition und zwar im Genitiv: «Mar-
cina Urzgdowa» schrieb, was zu einem 1854 in dem «Dziennik
Warszawski» von Julian Bartoszewicz definitiv entschiedenen
literarischen Streite Anlass gab, über die Art und Weise,
wie Marcin von Urzgdow eigentlich und richtig zu nennen
sei. Selbst bei dem hohen polnischen Adel lassen sich Bei-
spiele des Weglassens der Partikel «z» (de) auffinden. So
nannten sich die Herren von Görka («z Gorki»), eine der ein-
flussreichsten adeligen Familien Grosspolens im 16. Jahr-
hundert, in der Regel nur einfach «Görka» und sind auch
unter diesem Namen in der polnischen Geschichte bekannt.
— Handelte es sich nun noch darum, eine auch in sprach-
licher Form mit dem Namen «Kopernik» übereinstimmende
Analogie dieser Uebertragung von Ortsnamen auf Personen
und ganze Geschlechter aufzuweisen, so dürfte Verfasser aus
eigenem Erlebniss anführen, dass Krasnik, was bereits als
Name eines Städtchens angeführt worden, auch als Familien-
name in Polen heimisch sei.
Die sich hier zuletzt bietende Schlussfrage: welche von
den «Kopernik» benannten Ortschaften dem Geschlechte des
Astronomen ihren Namen verlieh? lässt sich bei dem voll-
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ständigen Mangel einer positiven Nachricht darüber, nicht
leicht aus dem Stegreife beantworten, wir behalten uns daher
vor, auf dieselbe noch später bei passender Gelegenheit zurück-
zukommen ; für jetzt mag das hier über des Copernicus Namen
Gesagte genügen.
B. Der Vater.
Die Frage, die sich uns nun der Reihe nach zur Behand-
lung bietet, ist für unsern Gegenstand zugleich eine der
schwierigsten und wichtigsten. — Sie lautet: war der Vater
des Nicolaus Copernicus ein geborener Thorner Bürger oder
ein Einzögling aus Krakau, oder was dasselbe ist, stammt
Nicolaus Copernicus aus einem alten Thorner, oder einem nach
Thorn aus Krakau eingewanderten Bürgergeschlecht?
Die Genesis und die ganze Geschichte dieser Streitfrage
ist höchst charakteristisch. Sie ist ein Beweis dafür, mit
welcher Leidenschaftlichkeit man bei der Behandlung von
des Copernicus Leben von polnischer Seite sowohl als
auch von deutscher zu Werke ging. Es ist mehr als
zweifellos, dass die Frage ohne dem bereits fast hundert-
jährigen Natiönalantagonismus, der dieselbe nährt und
unterstützt, gar nicht existiren würde, denn die eine Seite
würde sich längst für besiegt erklärt haben. Wie die Dinge
aber jetzt stehen, wird die Krakauer oder Thorner Abkunft
als ein Grund für die polnische oder deutsche Nationalität
des Copernicus aufgefasst und der Streit wird auf beiden
Seiten immer von neuen Kämpfern aufgenommen, welche jedes-
mal mit neuem Eifer und neuen Beweisgründen ausgerüstet
auftreten. Er hat aber bis jetzt nur den Nutzen getragen,
dass er zur Entdeckung mehrerer auf den Astronomen und
dessen Familie bezüglichen Einzelheiten geführt hat, die sonst
vielleicht nie oder nur spät zum Vorschein gekommen sein
würden. Der eigentliche Anlass ist erst im zweiten Viertel
des vorigen Jahrhunderts gegeben worden. Sonderbarerweise
ging von demselben Schriftsteller, auf dessen Zeugniss sich
nun die Anhänger der Krakauer Abstammung berufen konnten,
auch für ihre Gegner ein stillschweigender Wink aus, der
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ihnen gleichsam zur Richtschnur der Verfahrungsveise dienen
sollte. Bis zum Ausgange des vorigen Jahrhunderts fragte
jedoch Niemand nach der Nationalität des grossen Begründers
der modernen Sternkunde. Die deutschen Gelehrten und Bio-
graphen nahmen ihn arglos unter die Berühmtheiten Ger-
maniens auf, was wiederum die Polen keineswegs hinderte,
ihn zu den Ehren ihres Vaterlandes zu rechnen 27 ). Es ge-
nügte noch die Nachricht vollständig, dass der grosse Mann
«zu Thorn in Preussen» geboreü war 28 ), niemand schien sich
um seine weiteren Familienverhältnisse zu bekümmern. Bald
sollte sich indessen dieser Zustand ändern. Schon im Jahre
1727 trat Jacob Heinrich Zernecke in der zweiten Ausgabe
seiner «Thornischen Chronica» mit der Nachricht auf, des
Copernicus Vater sei ein geborner Krakauer gewesen, welcher
im Jahre 1462 das Thorner Bürgerrecht erhielt 29 ). Zernecke
hatte aber zugleich in beide Ausgaben seiner Chronik (1711
und 1727) zum Jahre 1601 folgende Notiz einrücken lassen:
«Die 11 Augusti obiit hie Martinus Copernik, barbitonsor, ex
pbsterisetcognatis Nicolai Copernici; adhuc juvenis,
quamvis aetate virili, extra conjugium, dives in nummis, repen-
tina morte, forte apoplexia, in suburbano suo pomario. Sic
Molleri ms.» 30 ) Bei diesem Citate beging jedoch Zernecke «eine
doppelte Ungenauigkeit, denn einerseits wird in der Hand-
schrift, die er hier copirte, der «barbitonsor» nicht Copernik,
sondern «Czeppernick» genannt, andererseits aber steht in der-
selben die Bemerkung von der Abstammung dieses Czep-
pernik vom Astronomen], nicht in dem Texte selbst der
") Man vergleiche z. B. die kurzen Biographien, die sich in Mel-
chior Adams vitae Germanorum philosophorum (Heidelberg 1615) und
in desJ3zymon Starowolski «Scriptorum Polonorum hecatöntas», (Venetiis
1625) finden.
S8 ) Selbst der ausführlichste unter den älteren Biographen des
Copernicus, der Pariser Professor der Mathematik, Peter Gassendi, dessen
Werk: Tychonis Brahei, Copernici, Peurbachii et Regiomontani vitae,
1654 in erster Auflage erschien, hat iiber seine Abkunft keine weiteren
Nachrichten.
M ) Zernecke, S. 76 und 81.
80 ) Zernecke 1711, p. 173.
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Nachricht, sondern in ihrer Ueberschrift 81 ). Zernecke Hess
sich also hier, wenn auch wahrscheinlich bona fide, eine
Fälschung zu Schulden kommen. Dieselbe wurde jedoch von
seinen Zeitgenossen und Mitbürgern gläubig und freudig auf-
genommen. Denn wie sehr auch die von ihm zuerst mitge-
theilte Nachricht von der Krakauer Abkunft der Koperniks, sie,
die allmälig auf ihren Nicolaus Copernicus immer mehr stolz zu
werden anfingen, mit tiefem Missfallen und Aerger erfüllen
musste, eben so sehr war ihnen diese zweite Mittheilung ihres
Chronisten dadurch trostreich, dass sie ihnen die Gewissheit
bot, Nachkommen des grossen Mannes längere Zeit in ihren
Mauern beherbergt zu haben.
Die Thorner sollten es aber auch bei diesem bescheidenen
Vergnügen nicht bewenden lassen. — Unter den Manuscripten
der Thorner Rathsbibliothek wird eine Handschrift aufbe-
wahrt (A, I, 91), welche Nachrichten aus der Stadtgeschichte
in den Jahren 1345 — 1548 enthält. Es ist jedoch nicht mehr
das ursprüngliche Manuscript, sondern nur eine spätere Ab-
schrift. Zu dem Jahre 1398 fand sich nun in derselben fol-
gende kurze Notiz: «Michael Czeppernick receptus in vigilem
turris Culmensis» 33 ). Natürlich sah sich Thorner Local-
patriotismus sofort mit Freuden veranlasst, jenen Czeppernick,
dem Zernecke zum Trotz, der die Notiz in seine Chronik nicht
aufnahm , für des Copernicus Ahnherrn zu erklären , um so
mehr, da doch die Identität des Namens mit dem des neu-
lich von demselben zum Nachkommen des Astronomen ge-
stempelten «barbitonsor» nicht zu leugnen war. Es missfiel
jedoch den «löblichen» Thorner Herren das geringe Amt eines
Thurmwächters, das doch für den Stammvater des grossen
81 ) Die Notiz lautet in Möllers Handschrift: «Martinus Copernick
barbitonsor, ex posteris et cognatis Copernici, insignis Mathematici —
Undecima Augusti nocte praeterita (Anni 1601) Martinus Czepper-
nick barbitonsor, adhuc juvenis, quamvis aetate virili, extra conjugium,
dives in nummmis, repentina morte, fortassis apoplexia, in suburbano
suo horto (pomario) exstinguitur. Gott sey ihm gnedig, das heisst:
Heute rott, Morgen todtt!» (S. Prowe, z. B. 30.)
88 ) Prowe, z. B. S. 11.
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Astronomen gar unangemessen schien. Daher schlug der ge-
lehrte Kector des Thorner Gymnasiums Jaenichius 34 ) für
«turris» die Conjectur «juris» vor, und erklärte «vigil juris
Culmensis» als Landschöppe oder Schöppe des adligen Ge-
richts 35 ). Allein mit diesen glücklichen Entdeckungen und
der trefflichen Rehabilitation des muthmasslichen Ahnherrn,
war noch nicht alles geschehen. Zwischen dem Ahnen und
dem Nachkommen musste die verbindende Kette herge-
stellt werden, deren mittleren Ring «der grosse Mann» bilden
sollte. Dies fehlte indessen auch nicht lange. Im Thorner
Stadtarchiv zeigt man noch gegenwärtig ein loses Blatt,
worauf eine «kleine genealogische Tafel» der Koperniks aufge-
zeichnet ist und welche «nach den Schriftzügen der zweiten
Hälfte des 18. Jahrhunderts angehört» 86 ). Die kleine Tafel
enthält nichts Wenigeres als den vollständigen Stammbaum
der Familie, von jenem «vigil» an bis auf den «barbitonsor»
herab. Der Vater des Nicolaus erscheint hier als ein Enkel
des Michael Czeppernick und sein ältester Sohn Martin, an-
geblich % ein Bruder des Astronomen, ist wiederum Grossvater
des Bartscheerers , der aber hier aus unbekannten Gründen
den Namen «Georg» führt. Sehr ingeniös ist der Kunstgriff,
durch welchen der geehrte, leider der Nachwelt unbekannt
gebliebene Autor der Stammtafel die zwei verschiedenen Namen
Zepernik (Czeppernick) und Kopernik in einen neuen zu ver-
einigen wusste. Er schreibt den Namen durchweg «Czöpernik» !
Ebenso anerkennenswerth ist die sorgfältige Umsicht, welche
«eine spätere Hand» dazu trieb, in das Taufbuch der Thorner
Marienkirche (1616 — 1676) die dieser Genealogie entsprechen-
den Zusätze einzutragen 37 ).
Nachdem nun so vorgearbeitet worden, dürften die Thorner
Gelehrten zur Ausbeutung und Veröffentlichung des Materials
schreiten. — In der That publicirte im J. 1762 Gottfried
M ) Zu Fürstenberg in der Niederlausitz geboren, bekleidete das
Rectoramt in Thorn 1706—1738.
86 ) Prowe, z. B. S. 11.
86 ) Prowe, S. 27.
87 ) Prowe, z. B. S. 28.
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104
Centner, Lehrer am Thorner Gymnasium, zuerst in den «Thorner
wöchentlichen Nachrichten* (p. 244) und bald darauf auch in
einer besonderen Schrift u. d. T. «Geehrte und Gelehrte
Thorner» (1763, p. 11), eine copernicanische Stammtafel, welche
jedoch erst mit dem Vater des Astronomen beginnt und auf
dem «barbitonsor» endigt, obgleich sie offenbar nur ein Aus-
zug der eben besprochenen ist 38 ). Den «vigil turris» oder
«vigil juris» trotz Zernecke's Angaben an die Spitze des Ge-
schlechtes zu setzen, dazu hatte Gentner nicht Muth genug.
Ueberhaupt aber waren die Folgen dieser Thprner Be-
mühungen, den Astronomen mit seiner Vaterstadt enger zu
verknüpfen, keineswegs glänzend zu nennen. Es verlautete
zwar hie und da in manchen Druckschriften, dass der Name
des grossen Mannes «Zepernik» zu schreiben sei 39 ), allein
weder dieser neue Nansen, noch die ebenfalls neue Thorner
Abstammung wurden in weiteren literarischen Kreisen be-
kannt, und die Autorität Zernecke's, der des Copernicus Vater
aus Krakau kommen lässt, blieb im Allgemeinen - unange-
fochten 40 ).
Allerdings nahm Dr. Julius Emil Wernicke, der moderne
Historiograph Thorns (Gesch. Thorns. Thorn 1842, 1, 118), zum
88 ) Prowe, z. B. S. 28.
89 ) So lesen wir z. B. in Biester's «Berlinischen Monatsschrift»
(Augustheft 1792 S. 177) «durch seinen Namen, welcher wahrscheinlich
Zepernik oder so ungefähr hiess» Der Autor des Auf-
satzes, dem diese Worte .entnommen sind, und welcher durch Reise-
mittheilungen dem deutschen Publicum die von Preussen damals neu-
erworbenen Lande näher bekannt machen will, hält den Thorner Astro-
nomen ohne Weiteres für den Sohn «eines polnischen Bauers». Naiv
sind die Bemerkungen, welche ihm des Copernicus «gemaltes Bildniss,
das auf der Bibliothek (in Thorn) hängt» einflösst: «Eine lange Nase,
scharfblickende Augen und dem ganzen Schnitt nach ein polnisches
Gesicht». — «Zopernic» heisst noch unser Astronom bei dem Franzosen
de Lalande (Bibliographie astronomique , Paris 1803) und auch bei.
Delambre (Histoire de Tastronomie moderne, Paris 1821, I, .85). *- S.
Prowe, z. B. S. 9 und 15.
40 ) Vgl. Lichtenberg^ Aufsatz : «Nicolaus Copernicus» im Pantheon
der Deutschen, Leipzig 1800. (Vermischte Schriften, Göttingen 1844,
Bd. 5) und Westphal's «Nikolaus Kopernikus», Konstanz 1822, S. 33.
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J. 1398 in seinen Text die Nachricht auf, dass sich zu diesem Jahre
«in einem Vermerk» «die erste Spur des nachmals so berühmt
gewordenen Kopernikus» finde und gab dabei, angeblich «nach
diesem Vermerk» (und doch, wie wir wissen, «diesem Ver-
merk» sowohl, als auch nicht minder den späteren etymo-
logischen Herleitungen Dr. Prowe's und Dr. Watterich's zum
Trotz!) den Namen des «Wächters auf dem Kulmer Thore»
in der Schreibung «Cöpernik» an. Allein wie sehr auch Dr.
Wernicke gut preussisch gesinnt, und wie wenig er von
Hause aus geneigt war, den Polen in die Hände zu arbeiten —
der Gedanke an die polnische Nationalität des in Thorn ge-
borenen Copernicus erscheint ihm (I, 277) geradezu «absurd» —
er selbst war nicht einmal im Stande, Zernecke's Zeugniss
vollkommen zu beseitigen und musste, um die Thorner Ab*
kunft des «grossen Landsmannes» 41 ) zu retten, sich dadurch
zu behelfen suchen, dass er dem Vater des Nicolaus zwar das
Praedicat «Krakauer» einräumte (I, 276), es aber auf sein
Handwerk («er soll- ..... sagt Dr. Wernicke — Bäcker ge-
wesen sein») bezog, welches er vielleicht dort (in Krakau)
ausgelernt haben mag.»
Unterdessen war der patriotische Enthusiasmus der deut-
schen Bürger Thorns für ihren «grossen Landsmann» immer
im Steigen begriffen. Sie gaben ihm endlich dadurch einen
Ausdruck, dass sie im J. 1853 dem Astronomen in ihrer Stadt
eine Bronce-Statue widmeten, deren Kosten theils durch die
persönliche Freigebigkeit (3500 Thaler) König Friedrich Wil-
helms IV., welcher das Patronat der aus der Mitte der Ein-
wohnerschaft Thorns hervorgegangenen Unternehmung über-
nommen hatte, theils durch eine von Kaiser Nicolaus im ganzen
Kussischen Reiche officiel angeordneten freiwilligen Bei-
steuer (Sibirien: 120 Thaler, das Gouvernement Kasan: circa
400 Thaler, im Ganzen aus Russland über 2000 Thaler), theils
durch «zinsbare Belegung» der Einwohner Thorns durch den
Stadtrath (819 Thaler), theils durch eine von den preussischen
") Es ist dies eine von Dr. Prowe in Bezug auf Copernicus con
amore gebrauchte Bezeichnung. S. Thorner Wochenblatt 1852, No. 15,
Neue Preussische Prov.-Blätter 3. Folge, Bd. XI, 1866, S. 213 etc. etc.
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Bezirks-Regierungen und Landraths-Aemtern eröffneten Sub-
scription im ganzen Reiche (ca. 2090 Thaler, darunter die
Rheinprovinz ca. 60 Thaler = also der Hälfte des sibirischen
Beitrags), theils durch eine Collecte in ganz Deutschland , die
von den preussischen diplomatischen Agenten vermittelt wurde
(396 Thaler, etwa so viel, wie das Gouvernement Kasan), theils
durch Sammlungen im Auslande (236 Thaler), theils durch
eine kleine Summe (150 Thaler), die in früherer Zeit, im Jahre
1809 zu einem polnischerseits projectirten Copernicus- Denk-
mal (vgl. unten Anm. 43) gesammelt worden war, theils end-
lich durch freiwillige Gaben der Thorner Bürger (gegen 50O
Thaler) bestritten wurden 42 ). Und auf diese Weise ward nun
auch den Polen auf das bereits im Mai 1830 zu Warschau
inaugurirte Copernicus-Denkmal 43 ) eine Antwort gegeben!
42 ) Wir wiederholen hier diese Zahlen nach dem Aufsatze Dr.
Prowe's «Das Andenken des Copernicus bei der dankbaren Nachwelt»
im XL Bande der 3. Folge der Neuen Preuss. Prov.-Blätter 1866 S. 379,
381—383, weil sie uns in vielfacher Beziehung recht charakteristisch
erschienen. Bei dieser Wiederholung haben wir jedoch einen Posten,
und zwar jenen von der «zinsbaren Belegung» der Einwohner Thorns,
abweichend von Dr. Prowe angeben müssen. Bei Dr. Prowe lautet
nämlich derselbe : «hierzu bewilligten die städtischen Behörden aus
Communalmitteln noch 650 Thi.» In dem im 4. Bande der 2. Folge
derselben Zeitschrift (1853) S. 443—456 veröffentlichten Berichte über
die in demselben Jahre stattgefundene Enthüllungsfeier des Denkmals,
steht indessen S. 448 deutlich ausgesprochen, dass «das Fehlende» zur
Deckung der 10,449 Thaler betragenden Gesammtkosten des Denkmal-
baues — da aus den Sammlungen nur 9,630 Thaler einkamen (10,449
— 9,630 = 819) — durch «zinsbare Belegung erzielt wurde.» — Diese
«Belegung», das sind offenbar «die Communalmittel» Dr. Prowe's.
48 ) Es ist dies eine schöne, von Thorwaldsen modellirte Bronce-
Statue. Der Gedanke, dem Copernicus ein Denkmal zu weihen, ent-
stand schon zu Zeiten des Herzogthums Warschau. Das Monument
sollte ursprünglich in Thorn aufgestellt werden, wo auch in der That
eine feierliche Grundsteinlegung am 20. September 1809 stattfand.
(Szulc, zycie Mik. Kopernika, Warszawa 1855. S. 93.) Der Wiener
Congress, welcher Posen und das Culmerland Preussen wieder zutheilte,
machte indessen die Verwirklichung dieses Planes unmöglich und man
beschloss nun in Warschau das Denkmal aufzustellen. Die Kosten der
Errichtung wurden durch freiwillige, im ganzen polnischen Lande ge-
sammelte Beiträge bestritten. — Das Nähere über das Warschauer
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107
Es blieb aber den Thornern noch ein anderer Wunsch un-
befriedigt, «das Anrecht, welches Thorn auf Copernicus hatte»
musste erst «tiefer begründet» werden. Diese Aufgabe über-
nahm nun der uns schon bekannte Dr. Prowe und beschloss,
die bis jetzt schwach vertheidigte , zum Theil auf plumpen
Fälschungen beruhende Tradition, die den Vater des Astronomen
zu einem geborenen Thorner machte , mit neuen Argumenten
zu unterstützen und sie zur möglichsten historischen Wahr-
scheinlichkeit zu erheben. Dr. Prowe hat auch in der That
der Frage eine neue Wendung gegeben, er hat sie glücklich
auf das Gebiet ernster historischer Forschung hinübergeführt,
allerdings aber zu gleicher Zeit dazu beigetragen, sie zu ver-
Monument findet der deutsche Leser von Dr. Prowe nach Szulc und
Czynski (Kopernik et ses travaux. Paris 1846) in der oben (Anm. 42)
genannten Abhandlung S. 395 zusammengestellt.
Wir können hier bei Gelegenheit noch einen kleinen aber recht
bezeichnenden Zug nicht unberührt lassen, welcher entweder die Un-
empfanglichkeit Dr. Prowe's für dasjenige, was wir Würde- und
Nationalgefühl eines Volkes nennen würden, bezeugt, oder die Absicht
verräth, dasselbe bei den Polen zu kränken. Nachdem er sich in dem
erwähnten Aufsatze über die geringfügigen Resultate der Geldsamm-
lungen für das Thorner Denkmal in Preussen und in Deutschland be-
klagt (S. 381), hebt Dr. Prowe (S. 382) das Beispiel Russlands aus-
zeichnend hervor, welches, Dank sei es dem Kaiser Nicolaus, «eine
rühmliche Ausnahme machte.» — «Zum Theil — fügt er dann (S. 381)
hinzu — wirkten auch nationale Antipathien nachtheilig ein.
Die Polen hielten sich meist zurück.» Dr. Prowe scheint also
zunächst daraus den Polen einen Vorwurf machen zu wollen, dass sie
zur Verherrlichung eines angeblich deutschen Gelehrten nicht beitrugen,
als ob man in Deutschland selbst nicht die Mittel dazu hätte, das An-
denken der «grossen Landsleute» zu feiern! — Ja, Dr. Prowe muthet
dem unglücklichen, misshandelten Volke zu, dass es aus freien Stücken
an einer Manifestation Theil nehmen sollte, welche, durch ein auf dem
alten Boden der Heimath von fremder Hand zu errichtendes Denkmal
in den Augen der Nation den Raub desjenigen Mannes bekunden sollte,
den sie, als ihren Ruhm und ihre Ehre zu betrachten, seit Jahr-
hunderten gewohnt war, dem sie vor Kurzem auch feierlich ein Denkmal
geweiht hatte, ein Denkmal, dessen Aufstellung dieselbe Regierung
zu erschweren und verhindern versuchte (s. Prowe a. a. 0. S. 395), die
zur Errichtung des jetzigen so willig die Hand bot. Hat hier nun
Dr. Prowe wohl bedacht, was er sagen wollte?
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wickeln und ihre endgültige Entscheidung zu erschweren.
Denn Dr. Prowe ist weit entfernt, selbst irgend ein Urtheil
zu fällen, und während der erste Theil seiner Schrift schein-
bar dahin gerichtet ist, dem Zernecke jede Glaubwürdigkeit
zu benehmen, stossen wir im «Anhang» (S. 37) ganz unverhofft
auf die Erklärung, dass Dr. Prowe «die Möglichkeit der Einwande-
rung des NiclasKbppernigk aus Krakau gar nicht bestreite» und
sich nur damit begnügen wolle, «die Unsicherheit der Quelle»
nachgewiesen zu haben, auf welche man bisher diese Nachricht
stützte. Ein allerdings wenig tröstendes Resultat für den
Forscher, eine bestehende Meinung zu untergraben und doch
nicht im Stande zu sein, eine andere an ihre Stelle irgendwie
geltend zu machen!
Und dennoch wäre, wie es uns scheint, eine Entscheidung
der Frage, nach der sorgfältigen, mühsamen Ansammlung und
Besprechung des Materials durch Dr. Prowe, vielleicht nicht
ganz unmöglich, und wer weiss, ob auch nicht manche Rück-
sichten auf das berühmte «Anrecht» Thorns auf Nicolaus
Copernicus den Dr. Prowe vor einem Urtheil zurückgehalten
haben, das vielleicht diesem Anrechte ungünstig würde aus-
fallen müssen! — Wie dem auch sei, wir, die wir uns durch
dergleichen Rücksichten nicht gebunden fühlen, wir dürfen
und müssen hier eine Entscheidung versuchen und wagen.
Dr. Prowe selbst sei dabei unser Führer.
Wir wiederholen nun die Frage: war des Copernicus Vater
ein Krakauer Ankömmling oder ein geborner Thorner?
Für seine Krakauer Abkunft steht vor Allem der mehrfach
erwähnte Zernecke ein. Wir lesen in der zweiten Ausgabe
seiner «Thornischen Chronica» (Berlin 1727, S. 81): «Den
19. Februar (a. 1473) ist allhier der weltberühmte Mathe-
maticus, Nicolaus Copernicus ..... geboren — patre Nie.
Copernico, Cracoviensi, et cive Thorunensi» — Zum
Jahre 1462 hat dann Zernecke gleichfalls in der zweiten Aus-
gabe seines Werkes — in der ersten fehlen die beiden hier
angeführten Nachrichten vollständig — p. 76 die Notiz: «In
diesem Jahre ist Nicolaus Kopernik allhier ein Bürger ge-
worden. Sic Msctum Austenianum.»
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Ein zweites, die Krakauer Abstammung gleichfalls positiv
bekräftigendes Zeugniss, ist erst von Dr. Prowe aufgefunden
worden. Es ist dies «eine Stammtafel, die sich in einem
Folianten des Danziger Stadt-Archivs (S. 1. 28) befindet» 44 ).
Derselbe führt den Titel: «Genealogiae, Stamm Register und
Abkünfte etzlicher vornehmen Geschlechter und Familien in
der Kön. Stadt Danzig.» — S. 41 und 42 sind darin in der
«Continuatio Schachmannorum Genealogiae» die Nachkommen
von Lucas Watzelrode, dem mütterlichen Grossvater von
Nicolaus Copernicus, verzeichnet. Der Vater des Astronomen
hat hier den Zusatz «von Cracau». — Die Nachrichten, welche
diese genealogische Tafel enthält, sind, nach Dr. Prowe's
eigenem Zeugniss, ganz anders zuverlässig und richtig als
jene der obenerwähnten thorner Fälschungen 45 ). Dr. Prowe
hält die Danziger Stammtafel für einen glücklichen Fund, der
ein neues und sicheres Licht über des Niklas Kopernik
Familien- Verhältnisse und dessen Nachkommenschaft wirft,
und er nimmt keinen Anstand, da er einige Angaben der-
selben auch anderweitig bestätigt fand 46 ), ihr bis auf einige
falsche chronologische Bestimmungen und bis auf jenen leidigen
Zusatz «von Cracau» völlige Glaubwürdigkeit beizumessen.
Es ist zu bedauern, dass uns Dr. Prowe die Schreibung des
Namens Kopernik nach diesem Document nicht mittheilt und
auch über die Zeit, wo dasselbe möglicherweise entstanden ist,
nichts Genaueres sagt, er nennt es nur ausdrücklich «ein Zeug-
niss, das älter ist, als Zernecke» 47 ).
Diese beiden übereinstimmenden , positiven Nachrichten
werden nun auf indirecte Weise einerseits dadurch bestätigt,
dass die Handels- Verbindungen und gegenseitigen Beziehungen
zwischen Thorn und Krakau bereits seit dem XIV. Jahrhundert
u ) Vgl. Prowe, zur Biogr. 14, 28 u. 37.
46 ) Vgl. Prowe, zur Biogr. S. 29.
4e ) Vgl. Prowe, zur Biogr. S. 29 u. 48.
47 ) Prowe, z. B. S. 14. Erst durch Dr. Watterich («Nikol. Kop-
pernik ein Deutscher». Erml. Zeitschr. I. S. 403) erfahren wir, dass
die Danziger Stammtafel «in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts»,
also in die Zeit unmittelbar nach dem Tode des Astronomen, gehört,
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sehr häufig waren, und selbstverständlich seit dem Anschlüsse
Westpreussens an Polen noch zunehmen mussten, was die
Uebersiedlung einer Bürgerfamilie aus der einen Stadt in die
andere nichts weniger als undenkbar macht 48 ) — andererseits
aber auch durch die Thatsache der nachweisbaren Existenz
einer Bürgerfamilie Kopernik in Krakau. Und daher wüssten
wir nicht, warum wir Julian Bartoszewicz nicht beipflichten
sollten, wenn er in den schon oben von uns (Anm. 16) gelegent-
lich angeführten Worten die Vermuthung ausspricht, dass das
in einer geringen Entfernung von Krakau gelegene polnische
Dorf Oberschlesiens: Kopernik, die Wiege des Geschlechtes
gewesen, aus welchem Nicolaus Copernicus inThorn entsprossen
ist. Denn, nachdem bewiesen worden, dass der Familienname
einem Orte hergenommen sein muss, welcher Kopernik hiess,
liegt doch die Annahme am Nächsten, dass ihn diejenige
Localität dieses Namens geliefert hat, welche Krakau, dem
Orte, wo die Familie zuerst mit Sicherheit aufzuweisen ist,
am wenigsten entfernt liegt. Aus diesem einlachen Grunde
ist nun, so lange hiegegen nichts Positives widerspricht, das
schlesische «Kopernik» als muthmasslicher Heimathsort der
Koperniks dem böhmischen «Koprnik» entschieden vorzuziehen.
Aus der geringen Entfernung des Dorfes von Krakau dürfte aber
umgekehrt gefolgert werden, dass der Sitz der Familie zunächst
Krakau und dann erst das preussische Thorn gewesen sei.
Die älteste Erwähnung des Namens in Krakau geschieht
nun, wie wir es aus einer in einem Bande der städtischen
Gerichtsacten betitelt: «Acta consularia» sich befindenden
Notiz erfahren, — zum Jahre 1396, in welchem ein Nicolaus
Kopernik in die Zahl der Krakauer Bürger aufgenommen
wird. Die betreffende Notiz lautet: «Nicolaus Koppirnig
habet ius (civile), Dambraw fideiussit pro litera» 49 ). Zur Er-
48 ) Vgl. auch Prowe, z. Biogr. S. 36.
i9 ) Dr. Prowe bestreitet die Glaubwürdigkeit dieser Mittheilung
und nimmt sie in seine Schrift «zur Biographie des Nicolaus Copernicus»
nur auf, um sie zu discreditiren. Dieselbe ist zuerst von dem im
August 1852 verstorbenen Professor der Mathematik an der ehemaligen
Universität zu Warschau, Adryan Krzyzanowski, aus den Krakauer
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läuterung namentlich des letztern Ausdruckes, sei hier be-
merkt, dass, nach einem damals in allen Städten, die sich, wie
Acten hervorgeholt, und zunächst von ihrem Entdecker in einem Auf-
satze der «Biblioteka Warszawska» für 1841 (Bd. III, S. 27 — 40.
«0 rodzinach spölczesnych w Krakowie z Eopernikami» , dann aber in
einer besonderen 1844 in Warschau erschienenen Schrift: «Mikolaja
Kopernika spomnienie jubileuszowe» (S. 8) veröffentlicht worden.
Bei Gelegenheit sei hier in Bezug auf die zuletzt genannte Schrift
erwähnt, dass sie, trotz vieler Fehlgriffe und manchen unhaltbaren,
übertriebenen Behauptungen, die Dr. Prowe zu bekämpfen und zu ver-
nichten nicht unterliess, doch im Ganzen ein schätzbares Material an
einer Anzahl bis dahin unbekannt gebliebenen, werthvollen Nach-
richten zur Lebensgeschichte des Copernicus lieferte, und daher für
die spätem Biographen, Dr. Prowe nicht ausgenommen, in vielfacher
Beziehung von grossem Nutzen gewesen ist, was letztere Dr. Prowe
allerdings klugerweise zu verschweigen versteht.
Aus den Aufsätzen Erzyzanowski's ging nun die obenerwähnte
Notiz in alle spätem, des Copernicus Leben betreffenden literarischen
Producte der polnischen und überhaupt der slavischen Schriftsteller
(wie Czvdski, Bartoszewicz , Szulc, Winarzicky u. A.) über. Weiter
aber, und namentlich in die deutschen Bearbeitungen desselben Gegen-
standes zu dringen, hinderte sie Dr. Prowe, der erste Schriftsteller, der
sich mit demselben in Deutschland nach Erzyzanowski befasste. Denn
Dr. Prowe machte sich mit dem nämlichen Eifer, mit welchem er des
Zernecke Autorität betrefflich der Krakauer Abstammung von Eoperniks
Vater (s. unten S. 126) bekämpfte, daran, auch des Erzyzanowski sämmtlich
die polnische Abkunft des Copernicus bekräftigenden Resultate, zu er-
schüttern und, wo es ging, vollends umzuwerfen. Dr. Prowe unterwarf
daher die Behauptungen seines Gegners einer misstiauischen, müh-
samen Eritik und scheute die weite Reise nach Erakau nicht, um nur
die Angaben desselben an der Quelle selbst, wo er sie geschöpft, veri-
ficiren zu können. Es gelang ihm auch in der That in Folge dessen"
oft mit gar leichter Mühe, so manche patriotische Uebertreibung des
bejahrten Professors zurückzuweisen und auf ihren wahren Werth zu
reduciren (vgl. z. B. zur Biogr. S. 51). Wenn aber Dr. Prowe auch in
Bezug auf die obige Mittheilung, welche die Niederlassung der
Eoperniks in Erakau am Ausgange des 14. Jahrhunderts bezeugt, durch
seine, wie er sie nennt, «Erakauer Forschungen» (zur Biogr. S. 26)
irgend wie berechtigt zu sein glaubte, nach dem dazwischengetretenen
Tode Erzyzanowski's mit der Behauptung aufzutreten, derselbe habe
die betreffende Nachricht ohne Weiteres aus der Luft gegriffen, so
täuschte sich hierin Dr. Prowe gar zu arg. Wir lassen Dr. Prowe selbst
den ganzen Vorgang erzählen: «Bei der Bestimmtheit — sagt er zur
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die polnischen, nach sächsischem Rechte regierten, geltenden
Brauche, die neu aufzunehmenden Bürger sich mit einem be-
glaubigten «Briefe» gewöhnlich «Geburtsbrief» genannt, den
Biogr. S. 38 — mit der Krzyzanowski einzelne Details seiner Angabe
hinzugefügt, schien auch mir kein Zweifel daran erhoben werden zu
können, zumal da die ganze Nachricht durchaus nichts Unwahrschein-
liches enthält. Um so mehr war ich erstaunt, als ich in Krakau zwar
das von Krzyzanowski bezeichnete Buch fand, vergebens aber die von
ihm mitgetheilte Nachricht suchte. Dieser erste Band der Acta
consularia reicht, wieKrzyzano wski angegeben, von 1302
bis 1422, die Seiten in demselben sind paginirt und man kann hier-
aus ersehen, dass kein Blatt fehlt, am allerwenigsten seit Krzyzanowski T a
Durchsicht herausgenommen sein kann. Das Jahr 1396 beginnt mitpag, 61 ;
es kommt auf dieser und den folgenden Seiten aber der Name «Kop-
pirnig» gar nicht vor. Ebenso wenig findet derselbe sich in den
Jahren 1392 — 1400, die ich einer genauen Durchsicht
unterworfen habe, da ich glaubte, es könnte sich Krzyzanowski
vielleicht in der Jahresangabe geirrt haben; auch fand ich keine Stelle,
in der die von Krzyzanowski angeführten Worte in Verbindung mit
einem ähnlich klingenden Namen vorkämen!» Die Ergebnisse jener
«genauen Durchsicht» der Jahre 1392 — 1400 theilt dann Dr. Prowe
S. 39 in einer Anmerkung mit : «Unter den neu aufgenommenen
Bürgern» fand er, nach derselben, im Jahre 1392 einen «Nicolaus
Czuppnik», 1393 «Albert Reipnik», 1394 «Dornigk», 1396 «Mathias
Czirnigk» erwähnt — keinen derselben aber in Verbindung mit Dani-
braw, der übrigens in dem Buche häufig erwähnt war, jedoch nicht
mit einem näher an «Koppernigk» erinnernden Namen.
In seiner Noth wandte sich nun Dr. Prowe «an die Krakauer Ge-
lehrten», die ihm aber leider nicht helfen konnten, da selbst Ambrosius
Grabowski, der in der Schrift: «Starozytnicze wiadomos'ci o Krakowie»
die Stelle über Nicolaus Koppirnig abdruckte, ihn versicherte, dieselbe
einfach Krzyzanowski's Citate entlehnt zu haben, da er die von ihm
mitgetheilten Worte in den Acten nicht aufzufinden vermochte.
Nachdem er so an dem Erfolge seines Nachfragens in Krakau ver-
zweifeln musste, hatte Dr. Prowe — wie er uns weiter erzählt. — noch
die gute «Absicht», sich an Krzyzanowski selbst zu wenden, reiste aber
unterdessen nach Schweden ab, kam auch glücklich von seiner Reise
zurück, darauf aber starb Adryan Krzyzanowski und Dr, Prowe
durfte nun getrost in seiner im folgenden Jahre veröffentlichten Schrift
die Resultate seiner «Krakauer Forschungen» in Bezug auf das frag-
liche Citat in der Ausdrucksweise formuliren: «Nicolaus Koppirnig,
den Krzyzanowski in den Krakauer Rathsbüchern angeblich auf*
gefunden hatte» .... (zur Biogr. S. 12).
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sie sich aus dem Orte ihrer Abstammung «von Städten oder
von anderen Herrschaften, darin sie geboren sind oder bei
Kaum waren indessen ^diese Worte im Drucke erschienen, da eilte
der Sohn des Verstorbenen, Bronistaw Krzyzanowski, das Andenken
seines Vaters von der ihm durch Dr. Prowe zugefügten Verunglimpfung
dadurch zu reinigen, dass er in der «Gazeta Warszawska» 1853 No. 317
einen beglaubigten, auf die von Dr. Prowe bestrittene Notiz bezüglichen
Auszug aus den Krakauer Bathsacten veröffentlichte, den er aus den
Papieren seines Vaters heraussuchte. Das am 29. September 1830
datirte, mit den Unterschriften 1) des «Regenten» des Hypotheken-
archivs, 2) des Appellations-Gerichts - Praesidenten der freien Stadt
Erakau und 3) des russischen Consuls daselbst versehene Excerpt, wies
auf die pag. 489 des «librum primum actorum consularium Craco-
viensium» hin.
Fühlte sich nun wohl Dr. Prowe durch diese Publicirung veran-
lasst, die Worte, in denen er so leichtfertig (darüber unten die
Beweise!) einen bereits verstorbenen, unbescholtenen Mann in den
Verdacht einer Fälschung öffentlich zu bringen wagte, zu widerrufen?
Keineswegs. Sieben lange Jahre vergingen nach der Veröffentlichung
des Actenexcerptes in der Warschauer Zeitung, ehe Dr. Prowe in dieser
Materie wieder was verlauten Hess. Und nach diesen sieben Jahren
schrieb Dr. Prowe in einer Anmerkung zu seiner lateinischen
Brochüre über Nicolaus Copernicus («De Nicolai Gopernici patria.»
Thoruni 1860, S. 22) mit aller Buhe und Gelassenheit folgende Worte,
in denen, wohl nicht ohne Absicht, die wahre und eigentliche Ansicht
des Verfassers über die ganze Frage hinter der anscheinlich arglosen
Objectivität der Darstellung verborgen ist: «Miratus ego — sagt er —
quod Krzyzanowski tarn levis rei a nemine illo tempore in dubium
vocatae testimonia necessaria duxerit» (wie sanft wird hier gleich dem
Leser der Gedanke vorgeschoben, Krzyzanowski habe eben durch jenes
beglaubigte Zeugniss, womit er sich — wie wir bald sehen werden —
mit vollem Recht gegen eines derartigen ungläubigen Thomas Ver-
dächtigungen, wie Dr. Prowe ist, zu retten glaubte, — den Verdacht
der Fälschung, indem er sie zu decken suchte, um so mehr begründet
gemacht 1) rem amico Gracoviensi detuli petens, ut ipse librum iterum
inspiceret. Qui quidem verba illa reperit, sed non justo
loco, in fine libri p. 489 collocata (ea quae ex anno 1396
ibi commemorantur, p. 61 sqq. relata sunt); cujus rei causam
quum quaereret, professores Poloni (dass doch Dr. Prowe seine
Zeugen unter der pleuralen Form eines nomen commune immer bei der
Hand hat, sei es, dass er, wie oben, in eigener Person «die Krakauer
Gelehrten», oder wie hier, durch einen Boten, das Krakauer corpus
academicum zur Besichtigung des alten Actenbuches zusammenzurufen
Boitr. s. Kai. d. Coperaicm. §
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denen sie gewohnt haben» zu holen hatten, — sich über ihre
freie und ehrsame Abkunft ausweisen mussten. Falls nun der
für gut findet!) responderunt, glutinatoris culpa paginas haud dubie
aliquando excidisse»! Dass aber Dr. Prowe seine Ansicht nicht ge-
ändert, oder vielmehr, dass er den Anschein nicht geben will, sie ge-
ändert zu haben, zeigen die ein Paar Zeilen weiter in lateinischer
Uebersetzung wiederholten Worte., die wir bereits oben im deutschen
Urtexte kennen gelernt : «Nicolaus ille Koppirnig, quem Krzyzanowski
anno 1396 narrajb inter cives, Cracovienses receptum esse» u. s. w.
Wir müssen nun gestehen, dass uns, die wir an der endgültigen
Richtigkeit der Angabe Krzyzanowski's nie gezweifelt, das über die-
selbe schon in der ersten Schrift Dr. Prowe's erhobene Gejammer, auf-
fallend einer Mystificatiön ähnlich erschien. Die hier zuletzt ange-
führten Worte aus einer Schrift, die Dr. Prowe für internationale Leser-
kreise bestimmte und daher auch in lateinischer Sprache abfasste,
steigerten in uns den schlimmen Eindruck und erhoben ihn fast zu der
Ueberzeugung, dass Dr. Prowe bei der Behandlung dieser Frage sich
nicht in geringem Maasse jener kleinen Mittelchen bediene , womit
man in der Polemik mit leichter Mühe die Behauptungen der Gegner
abschwächt und sie bei den uneingeweihten Zeugen, den Lesern, all-
mählich discreditirt. Dies rief in uns den Beschluss hervor, keine
Mühe zu sparen, um die Wahrheit über «Nicolaus Koppirnig» klar
an den Tag zu bringen. Dem Beispiel Dr. Prowe's folgend, scheuten wir
gleichfalls nicht, eine Reise nach Krakau zu unternehmen, in der Absicht,
seine Behauptungen, wie er es mit Krzyzanowski einst that, an Ort
und Stelle zu prüfen. Im Krakauer Gröd- Archiv («Archiwum akt
grodzkich wojewödztwa Krakowskiego») legte man uns, auf die Bitte
um das älteste Buch der «Acta consularia» einen Band vor, welcher
das bei den Actenbüchern des 14. Jahrhunderts gewöhnliche Format
eines seiner Länge nach gebogenen Folioblattcs, einer von den polnischen
Archivisten so charakteristisch benannten «dudka» hatte. Die Ueber-
schriffc: «Acta consularia ab anno 1392 ad 1422» bezeugte, dass wir
keinen andern Band, als den von Krzyzanowski und Dr. Prowe inspi-
cirten in den Händen hatten. Nachdem wir , um die erste Neugierde
zu befriedigen, S. 489 aufgeschlagen und darauf auch wirklich die von
Krzyzanowski citirte Stelle gefunden hatten, suchten wir uns mit dem
Inhalt des Buches näher bekannt zu machen. Hierbei überzeugten wir
uns leicht, dass dasselbe keine eigentlichen Gerichts- Verhandlungen
enthalte. Es sind vielmehr darin verschiedene vor dem Rathsamte
«bekannte» Privatverhandlungen der Stadteinwohner unter einander,
jede zu ihrem respectiven Jahres- und Tagesdatum, meist in lateinischer,
doch hie und da auch in deutscher Sprache verzeichnet, desgleichen
auch Verpflichtungen einzelner Bürger dem Rathsamte gegenüber,
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115
Petent seinen Brief nicht mitbrachte, bürgten in der Regel
zwei oder auch nur ein bewährter Zeuge aus den Bürgern
geleistete Bürgschaften in Geldangelegenheiten u. s. w., kurz und gut*
das Buch umfasst, was man in jener Zeit unter dem Namen «in-
scriptiones» verstand, kurze, nach der mündlichen Aussage der
Interessenten gemachte amtliche Eiuzeichnungen , welche den damals
so langwierigen und kostspieligen Frozess des Urkundenausstellens ver-
kürzen und ersetzen sollten. — Einer besonders sorgfaltigen Durch-
sicht unterwarfen wir die Anfangeseiten des Bandes, denn es lag uns
zunächst daran, die Namen wiederzufinden, die Dr. Prowe «unter denen
der neu aufgenommenen Bürger» als an Kopernik anklingend aus-
wählte und in seiner Schrift; angab. Das Aufsuchen derselben er-
leichterte uns der Umstand, dass das Buch, nicht nur, wie es Dr. Prowe
angiebt, paginirt ist, sondern dass auch durchweg auf jedem Blatte
von einer späteren Hand — die aber viel älter ist, als die Pagination
und etwa aus dem Ausgange des 15. oder dem 16. Jahrhundert sein
mag — das Jahresdatum in arabischen Ziffern sich vermerkt findet. —
Gross war nun unser Erstaunen, als wir zwar die Namen unter der
richtigen Jahreszahl alle wiederfanden, von einer Aufnahme aber der-
jenigen, denen sie dienten, in den Bürgerverband bei keinem die
Bede war. Zum Beweise dessen lassen wir hier die betreffenden
Gitate folgen:
1. S. 4 zum Jahre 1392. «Dominus Nicolaus Zuppnik (nicht
Czuppnik! Äupnik ist so viel als: der Salzbergwerksbeamte,
Salzrichter, Salzgraf) debet facere racionem cum domino Gocz
Czein super festo sancti Marthini»
Derselbe Zuppnik zu demselben Jahre S. 9. «Item eodem
die promisit Johannes Warschow domino Nicoiao Zuppnik X
marcas grossorum infra XIIII diebus (sie) solvere sine dilacione
et recusacione qualibet.»
2. S. 27 zum Jahre 1393. «Jacob Czipser et AlbrechtReibnik
(nicht Beipnik !) fideiusserunt .... pro duobus .... ad statuen-
dum eosdem feria Ulla, proxima coram dominis consulibus.»
3. S. 41 zum Jahre 1394. «Jacob Dornig (keine «Guttural-
gemination!») promisit statuere Lodovicum» etc.
4. S. 69 zum Jahre 1396. «Martinus Czirnyk (wiederum keine
Gemination!) de suburbio civitatis Wratislaviensis (also kein'
Krakauer Bürger!) nomine tutorio sue conthoralis Anne Quorum
puerorum reeepit decem marcas grossorum . . . . a provido
Nicoiao Dambraw nostri collega consilii»
Auf welche Weise Dr. Prowe zu der Gewissheit gelang, dass die
hier genannten «neu aufgenommene Bürger» waren, wird wohl nicht
für uns allein ein Bäthsel sein. Allein Dr. Prowe zeigt uns hier nicht
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116
dafür, dass der Neuaufgenommene denselben nachträglich ein-
reichen werde, wobei auch häufig — wie es die Krakauer
blos, wie oben Dr. Watterieb, dass man bäufig dasjenige niebt zu sehen
vermag, was man niebt seben will, sondern, dass man zuweilen die
Dinge nicht, wie sie wirklieb sind, seben kann , sondern sie gerade so
siebt, wie man sie seben will!
Wir nehmen nun die Beschreibung unseres Bucbes wieder auf.
Die verschiedenartigen Verhandlungen, die wir oben gekennzeichnet
haben, nehmen den bei weitem grösseren Theil desselben ein, reichen
jedoch nur bis zum Jahre 1412 und brechen hier (auf den letzten
Blättern kehrt allerdings, aus einer Ursache, die wir nicht näher er-
mittelten, das Jahr 1411 wieder) S. 466 plötzlich ab. Es folgen drei
unbeschriebene Blätter. Die Seite 473 ist wieder von oben bis unten
beschrieben, allein ein Blick auf dieselbe genügt schon, um sich zu
überzeugen, dass der Inhalt der Schrift von dem der voraufgehenden
Verhandlungen verschieden sein muss. Es sind in der That zwar noch
immer amtliche «Einzeichnungen», allein Einzeichnungen einer einzigen,
bestimmten Art, nichts anderes, als die Listen der neu auf-
genommenen Bürger! Die Namen derselben wurden also hier
auf den am Ende des Buches dazu reponirten Blättern, je nachdem
den einzelnen Bewerbern die Bürgerrechte bewilligt worden waren, von
dem jedesmaligen Rathsnotar eingetragen — so wenigstens ist der
Umstand zu erklären, dass die Vermerke nicht von derselben Hand
und mit verschiedener Tinte geschrieben sind. Die Liste hebt ohne
jeglicher Ueberschrift einfach mit den Worten an: «Mathis Streucb
(Strencb? Strgcz?) habet ius civile» und nur die Auslassung des letzten
Wortes («civile») bei allen folgenden Namen deutet auf einen Anfang hin
und bezeugt, dass hier kein Blatt ausgefallen sein kann. Das Jahr, das
hier wie überall am oberen Blattrande aufgezeichnet worden, ist dasselbe
Jahr 1392, mit dem auch die Verhandlungen am Anfange des Buches be-
ginnen. S. 476 tritt das folgende Jahr mit der Ueberschrift ein : «Anno
domini MCCCXCo tertio consules suut electi». S. 480 folgt dann das
Jahr 1394, S. 485 das Jahr 1395 und endlich S. 489 das Jahr 1396,
welches mit den Worten: «Concives de anno etc. (MCCC) XCo sexto»
eingeleitet wird. In der siebzehnten Zeile von oben erscheint
hier als der achte von den in diesem Jahre aufgenommenen «concives»
jener im Texte von uns angeführte «Koppirnig». Das Buch schliesst
mit S. 582, auf der die Bürgereinzeichnungen des Jahres 1422 beginnen.
Wie soll man nun nach Allem dem nicht mit der höchsten
Leichtfertigkeit des Dr. Prowe Benehmen taxiren, welcher Listen
von neu aufgenommenen Bürgern erblickte, wo nicht die geringste
Spur davon war und welcher, obgleich er wohl das Buch umgeschlagen
und durchblättert hatte, da er einmal die Richtigkeit der An«
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117
Actenbücher zeigen, der Termin dieser Einreichung zu Pro-
tokolle genommen wurde. Bei unserem «Koppirnig» ist der-
selbe weggelassen, wahrscheinlich aus Rücksicht für den Bürgen,
welcher ein wohlhabender und angesehener Stadtbürger ge-
wesen zu sein scheint, da er gerade in diesem Jahre das
Amt eines ßathsherrn bekleidete 50 ).
In den Jahren 1433, 1434, 1438 und 1441 wird uns
dann in denselben Krakauer Acten fünfmal ein Johannes
Kopernik vorgeführt, welcher ein reichbegüterter Geschäftsmann
gewesen sein muss, da wir ihn bald (im Jahre 1434) einem
seiner Mitbürger eine Vollmacht «ad omnes causas et debita,
ad faciendum et dimittendum omnia ac si ipse constituens ibi
presens esset cum potestate constituendi alium» ertheilen, bald
wiederum (im Jahre 1441) mit einem andern Krakauer Bürger
Bürgschaft für 1200 ungerische Gulden leisten sehen, die er für
einen «Petrus Basgerth concivis noster», dem Krakauer «Sub-
camerarius» (Podkomorzy) Peter Szafraniec («Schaffrancz»)
auszuzahlen sich verpflichtet, falls Basgerth die 600 ungerische
Gulden, die er dem Szafraniec schuldig bleibt, nicht an dem
richtigen Termin abträgt, ulid zwar: «medium (die Hälfte der
Summe von 1200 Gulden) nomine debiti principalis (der Schuld
gäbe, dass es mit dem Jahre 1422 endige, constatiren konnte, doch
die so sehr in die Augen fallenden Namenverzeichnisse am Ende
desselben zu sehen nicht vermochte, der endlich auf Grund dergleichen
«Forschungen» (!) den verstorbenen Krzyzanowski vor aller Welt
des Betruges zu verdächtigen wagte?
Wir appelliren in dieser Hinsicht an das gesunde Urtheil aller
unserer Leser und haben hier noch nur in Bezug auf Krzyzanowski
zu bemerken, dass, wenn ihm eine Ungenauigkeit bei seiner Angabe
vorgeworfen werden kann, so ist es höchstens nur die, dass er —
— übrigens durch ein höchst unschädliches und leicht erklärliches
Versehen — den «Koppirnig» als an «siebzehnter Stelle unter den im
Jahre 1396 aufgenommenen Bürgern» genannt, vorführt, während er
vielmehr «in siebzehnter Zeile» genannt, sagen sollte. Auch macht
er den Dambraw unmotivirterweise zu einem Böhmen, obgleich diese
Namensform in hohem Grade uncechisch und vielmehr eine rein
polnische ist.
60 ) Vgl. in der vorhergehenden Anmerkung die Worte: «a provido
Nicoiao Dambraw nostri collega consilii.»
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118
Basgerth's) et medium nomine pene ob non factam solu-
cionem» 51 ).
81 ) Wir theilen hier letztere Verhandlung deswegen so ausführlich
mit, weil Dr. Prowe, der übrigens nar die Anfangsworte derselben
anfahrt (zur Biogr. S. 40) * sich ganz den Anschein geben will, als ob
er es wäre, der sie, gleich den übrigen beiden von ihm angeführten
Notizen über Johannes Kopernik, zum ersten Male durch Druck ver-
öffentlichte. Dieses Citat war indessen schon drei Jahre vor dem
Erscheinen der Schrift Dr. Prowes, von demselben Ambr. Grabowski,
mit dem Dr. Prowe, wie wir es selbst von ihm wissen (vgl. oben
Anm. 49, S. 112), in Krakau umgegangen, in den Jahrbüchern der
Krakauer Gesellschaft der Wissenschaften («Roczniki Towarzystwa
Naukowego Krakowskiego») 1850, Band V (XX), S. 620, Artikel.
Nr. XVIII in extenso mitgetheilt worden! Und Grabowski erklärte
dabei nicht nur mit aller Bestimmtheit, dass er seine Nachricht einem
Bande der «Acta Consularia» («z ksiegi aktöw radzieckich») entlehnt
habe, sondern er gab auch die Ordnungsnummer desselben im Krakauer
Archiv (1536), die Jahre, die er umfasst (1412—1449, es ist also, wie
wir sehen, genau die Fortsetzung des oben besprochenen Bandes der-
selben Acten) die Seite, wo er seine Notiz gefanden (440) aufs Gewissen-
hafteste an.
Allein es ist dies noch nicht die schlimmste der Ungenauig-
keiten, deren sich Dr. Prowe beim Anführen seines «Johannes Kop-
pernick» schuldig machte. Er wirft, S. 39 seiner Schrift, dem
Krzyzanowski vor, er habe in dem oben angeführten zweiten Bande
der «Acta Consularia» denselben «übersehen». Wäre nun Dr. Prowe
selbst, wenn auch nur in diesem einzigen Falle, des gleichen Vergehens
ledig! — Aus den Auszügen aber, die Herr Theodor LuszczyÄski aus
dem nämlichen Actenbuche in dem «Pamietnik krakowski» für 1866,
Nr. 2, publicirte, erfahren wir, was Dr. Prowe hier seinerseits «über-
sehen» hat. Es sind — doch recht merkwürdig — gerade die beiden
einzigen Stellen in den Acten, wo der Name Kopernik in der «ungemi-
nirten» Form »Copernik» erscheint! — Die älteste Erwähnung des
«Johannes Copernik» geschieht aber demnach nicht, wie es Dr. Prowe
angiebt, S. 331 des 2. Bandes der «Acta Consularia», sondern viel-
mehr schon S. 319 desselben zum Jahre 1433. Kopernik tritt hier als
ein «familiaris» des «Johannes Bank de Wratislavia» auf und zahlt im
Namen desselben eine Geldsumme Peter Gleiwicz von Sosnow Edlen
zu Eraltitz aus. Die andere Erwähnung des Johann «Copernik» ist
vom Jahre 1438. Es theilte sie mit Ainbrozy Grabowski in: «Skarb-
niczka naszej archeologii.» Lipsk 1854, S. 191. Sie lautet: «Johannes
Copernik resignavit conciyium fer. 2. post Francisci». (Demnach war
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119
Im Lemberger Stadtarchiv fand sich ferner eine Notiz, die
sich auf einen aus der Krakauer Vorstadt Kleparz stammenden
Seiler, Namens Nicolaus Kopernik, bezieht. Dieselbe wurde
zuerst von Jan Nepomucen Kamienski in der von ihm heraus-
gegebenen Zeitschrift: «Rozmaitosci Lwowskie» Nr. 18, 16. Mai,
1843 veröffentlicht. Sie ist aus dem Jahre 1439 und lautet
nach Kamieriski's Angabe: «Nicolas Koppernik Zayler cum
literis bonis de Cloppars acceptavit ius civile» 52 ).
Ausser • diesen Zeugnissen aus älterer Zeit, finden sich in
den Krakauer Acten noch Spuren, dass die Familie Kopernik
noch im 17. Jahrhundert die polnische Hauptstadt bewohnte.
J. Kopernik nicht mehr ein krakauer Bürger, als er im Jahre 1441
für Peter Basgerth einstand.) —
Das ist aber noch nicht Alles. Dr. Prowe wird doch gewiss am
allerwenigsten behaupten können, die Schriften Krzyzanowski's, auf die
er so häufig in seiner Abhandlung zurückkkommt — nicht gelesen zu
haben. Nun beschwert sich Krzyzanowski S. 9 seiner Hauptschrift:
«Mikolaja Kopernika spomnienie jubileuszone» ausdrücklich darüber,
dass der die Verhandlungen der Jahre 1431 — 1450 (richtiger übrigens
hätte er gesagt 1412—1450, oder wenigstens 1422— 1450) umfassende
Band, in welchem sich vermuthlich manche schätzbaren Beiträge
zur Geschichte der Koperniks in Erakau würden gefunden haben, in
dem krakauer Archive fehle und aller Wahrscheinlichkeit nach ver-
loren gegangen sei. Der Band hat sich indessen in der Folge wieder
gefunden und sein Abhandensein zu Zeiten KrzyzanowskTs erklärt
Theodor Luszczynski a. a. 0. dadurch, dass er aus Versehen verlegen
und wahrscheinlich in Folge dessen auch falsch einregistrirt worden
war. Daher führt er auch noch jetzt die hohe Ordnungsnummer 1536,
welche bei einem Actenbande, der zu den ältesten des Archivs gehört,
billigerweise befremden dürfte. — Mit welchem Recht, fragen wir,
darf nun Dr. Prowe, nach dem obenerwähnten Geständniss Krzyza-
nowski's, mit solch 1 einer gelassenen Suffisanz (z. B. S. 39) die Worte
schreiben: «In dem folgenden Bande der ««Acta consularia»», die bis
zum Jahre 1449 reichen, findet sich einigemal — was Krzyza-
nowski übersehen hat — ein ««Johannes Koppernick»» erwähnt»» — ?
Ist das nun noch immer nur Leichtfertigkeit oder ist es schon
etwas Anderes!
5S ) Kamienski beruft sich hiebei auf das Buch Nr. 1166 des Lern*
berger Stadtarchivs p. 210. Wir haben die Nachricht nach Krzyza-
nowskTs «Spomnienie jubileuszowe» S. 10 mitgetheilt. Dr. Prowe
ignorirt sie vollständig. Dürften wir fragen warum?
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120
In dem Buche Nr. 35 des Krakauer Gr6d- Archivs, überschrieben :
«Acta inscriptionum officii consularis Cracoviensis ab A. 1621
ad 1629» fanden wir auf der Seite 499 zum Jahre 1625 einen
«Georgius Kopernik revenditor (Vorkäufer, Höker) eins Cra-
coviensis» erwähnt 5S ) und Ambroiy Grabowski fuhrt in seinem
Werke: «Starofcytnicze wiadomosci o Krakowie» S. 268 eine
von Dr. Prowe nur mit höchstem, wenn auch keineswegs ge-
rechtfertigten, Misstrauen aufgenommene Nachricht an von
einem «Grzegorz Kopernik», welcher im Jahre 1626 «in der
Angelegenheit des Kaufes eines Töpferladens vor das Raths-
amt sich stellt». Im Ganzen sind uns also unter den Bürgern
Krakau's zu verschiedenen Zeiten fünf verschiedene Per-
sonen 84 ) überliefert, die mit dem Thorner Astronomen den
M ) Die Verhandlung, in welcher uns jener Georgius Kopernik vor-
geführt wird, ist datirt: «feria 6 a ante Dominicam Misericordiae proxima
A° Dni 1625.» Es ist das Protokoll eines Zeugenverhörs «ad affec-
tationem et instantiam honorati Mathiae Jarmusz pellionis
propter recognoscendam de legitimo ipsius ortu genealogiam.» Nach
der Aussage des ersten Zeugen, des «honoratus Bartholomaeus Gaiowski
civis Cracoviensis» folgen die Worte: «Secundus testis honoratus
Georgius Kopernik revenditor civis Cracoviensis sub simili jura-
mento elevatis versus coelum duobus manus dextrae digitis praestito,
idem quod et prior testis recognovit.»
M ) Von diesen fünf wird hier nur jener «Georgius Kopernik» vom
Jahre 1625 zum ersten Mal aufgeführt, die übrigen vier waren alle schon
vor der Herausgabe der ersten Schrift Dr. Prowe's (1853) aus Krzyza-
nowski's und Grabowski's Mittheilungen Allen und speciell dem Dr.
Prowe bekannt. Trotzdem schreibt derselbe Dr. Prowe noch im Jahre
1860 folgendes: «Cracoviae fortuna minus invida (quam Thoruno)
actis et consularibus et iudiciariis pepercit; attamen Poloni non
indagarunt nisi unum (!) huius nominis civem Nicolaum ««Cop-
pirnig»», qui anno 1396 civitatem Cracoviensem impetrasse dicitur.
Alterum ex hac gente civem Cracoviensem ipse (!) reperi in
actis consularibus ««Johannem Coppernik»», Nicoiao Koppernigk Thoru-
nensi, patri astronomi, fere aequalem.» (S. Prowe «de Nicolai Coper-
nici patria» S. 24.) Wie wenig Richtigkeit diese ganze Erzählung
in sich schliesse, wird der Leser, der uns aufmerksam gefolgt, leicht
einsehen und sich danach, wie auch aus so manchem Vorherangefuhrten
über des Dr. Prowe schriftstellerische Gewissenhaftigkeit und Zuver-
lässigkeit ein Urtheil bilden können.
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121
gleichen Familiennamen führten 55 ). Erwägt man diesen
Umstand, so wird man, wenn man anch von Hanse ans so
66 ) Wir finden in Bartoszewicz's Lebensbeschreibung des Copernicus
(Warsch. Ausg. S. XLIV) an der Stelle, wo er die krakauer Namens-
vetter des Astronomen aufzählt, unter anderem folgende Worte: «Ita
unus (seil, e gente Copernicana) apud Capitulum Cracoviense ministerio
aliquo fungebatur, quod occasionem ei praebuit visitandi oppidi Pabiani-
carum; alius honore erat habitus apud Petrum Schafranium Subcame-
rarium Cracoviensem aut optime quidem ei notus. Alius erat Cister-
ciensis, ut videtur, in vico Mogila, ubi (? et ?) una cum matre domum
habebat in via Slavcovia (Slawkowska heisst bekanntlich eine der
Hauptstrassen Erakaus). Alius deinde Joannis non semel mentio fit in
actis publicis ad Ladislai ejusque fratris Casimiri regnum pertinentibus.»
Die hier zuerst angefahrte Person ist, allem Anschein nach, eine zum
Theil von Erzyzanowski fingirte. Derselbe erzählt nämlich (Spomnienie
jubileuszowe S. 9), dass naoh einer angeblichen «Ueberlieferung», das
Städtchen Pabianice jenem Nicolaus Eopernik des Jahres 1396, den er
hier «den Grossvater des Astronomen (?) nennt, «nicht fremd» gewesen
sein soll und dass er dasselbe «in Angelegenheiten des krakauer Dom-
capitels» zu besuchen pflegte. Anlass zu dieser «Ueb er lieferung» mag
indessen jenes urkundlich bewährte Vorkommen bei Pabianice einer
Bauernfamilie des Namens Kopernik gegeben haben — Erzyzanowski
deutet es ja ohnehin an durch die Bemerkung, dass diese Bauern ihren
Namen doch wahrscheinlich, wie es noch jetzt so häufig unter dem
polnischen Landvolke geschieht, jenem Eopernik bei einem seiner häu-
figen Aufenthalte in Pabianice werden abgelauscht haben. — Der in
zweiter Reihe von Bartoszewicz genannte Eopernik ist, wie leicht zu
ersehen, mit Johannes Eopernik, den er an vierter Stelle erwähnt, voll-
kommen identisch, (vgl. oben S. 117) und was den dritten anbetrifft,
jenen «Cisterciensis», auf den Bartoszewicz noch einmal in seiner Ab-
handlung zurückkommt, um mit dessen Namen, welcher «de öoppirnig»
lauten soll, seine Hypothese von der Abstammung der ganzen Familie
aus dem bekannten oberschlesischen Dorfe zu belegen — so gehört
derselbe, wie wir es hier gleich darthun wollen, wohl gar nicht unter
die Namensvetter oder Geschlechts verwandten des Thorner Astronomen.
Die Sache verhält sich folgendermassen: Das auf unsern Cistercienser-
mönch bezügliche Actenexcerpt publicirte im Jahre 1854 in extenso
Ambroey Grabowski in der Schrift: «Skarbniczka naszej archeologii»
S. 191 mit Hinweisung auf die «Acta judiciaria ab A. 1416 usque ad
A. 1430» des krakauer Archivs. Der Inhalt der Verhandlung, welche
von dem Jahre 1424 sein soll, lautet, dass «Anna», Wittwe des
«Michael Rothals» nebst ihrem Sohne, welcher «Dominus Johannes,
frater ordinis Cisterciensis de Coppirnig» genannt wird, zu Gunsten
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122
misstrauisch, und in unserm speciellen Falle Koperniks krakauer
Abkunft von vornherein so sehr abhold ist, wie Dr. Prowe,
doch immer wenigstens ebenso viel wie er zugeben müssen,
nämlich, die Wahrscheinlichkeit dieser krakauer Ab-
kunft. Stosst mau einmal diesen Gedanken nicht absolut von
sich ab, so wird die Nachricht, dass Niclas Kopernik, Vater
des Astronomen, auch nach dem Jahre seiner Uebersiedlung,
wie es Zernecke angiebt (1462), in häufigen Beziehungen zu
Krakau stand, mit zu einer neuen Bestätigung seiner dortigen
Abstammung werden. Denn es passt nichts zu einer derartigen
Annahme besser als jene wiederholte Anwesenheit Kopernik's
eines «Heinricus Sold» auf ihr Haus in Krakau verzichtete : «domum
suam in platea Slaukouiensi sitam, que singnlis annis oen-
suerat tres marcas census terragii Martino Kestener, amico quondam
Nicolai Cromer.» Wäre nun «de Coppirnig» der richtige Familien-
name des Cisterciensers, so würde schon von vornherein der Umstand
auffallen müssen, dass der Sohn anders als seine Mutter geheissen.
Grabowski sucht auch diesen Widerspruch dadurch zu beseitigen, dass
er annimmt, der Mönch sei ein Sohn der Anna Bothals aus ihrer ersten
Ehe mit einem Kopernik gewesen. Wie sehr aber ein solcher Fall an
sich noch immer denkbar wäre, so schliesst ihn hier doch eine andere
Erwägung aus. Denn «de Goppirnig» kann in dem Zusammenhange,
wie es hier steht, kein Familienname sein. «Dominus Johannes, frater
ordinis Cisterciensis de Goppirnig», kann nur heissen, dass »Dominus
Johannes» ein Mönch Cistercienser Ordens zu Coppirnig war, — als
Familienname würde «de Coppirnig», wie leicht zu begreifen, unmittelbar
nach dem Vornamen folgen müssen. Die Cistercienser -Abtei, in
welcher unser Mönch zu Hause war, ist aber gewiss nicht in jenem,
viellach erwähnten schlesischen Dorfe zu suchen. Es kann hier keine
andere gemeint sein, als das in ganz Polen berühmte Kloster zu
Koprzywnica, welches, wie sich unsere Leser wohl erinnern werden,
zuweilen auch in der Form «Copirniz» in alten Urkunden erscheint.
Ambrozy Grabowski las nun «Coppirnig» für «Coppiraicz» und hieraus
ging das ganze Missverständniss hervor. In dieser Ueberzeugung wur-
den wir in Krakau von einer zweiten Person bestärkt, die uns ohne
Aufforderung unsererseits versicherte, aus eigener Einsicht zu
wissen, dass Grabowski sich hier in der That das oben besprochene
Versehen habe zu Schulden kommen lassen und dass Koprzywnica,
nicht Kopernik in den Acten gemeint sei. Nach diesem Zeugniss erach-
teten wir uns als der Mühe erledigt, das Citat Grabowskfs, zu dem er
keine Seitenzahl angab, in dem umfangreichen Actcnbande aufzusuchen.
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123
in seiner Vaterstadt, wo ihm unzweifelhaft viele Freunde,
viele verschiedenartigen Angelegenheiten zurückgeblieben waren-
Das Andenken an manche Geldgeschäfte, die er dort zu ver-
richten hatte, haben uns die krakauer Actenbücher auf-
bewahrt 56 ). Wir wissen aber, dass es nicht blos Sachen des
materiellen Gewinns waren, welche Kopernik in der polnischen
Hauptstadt betrieb. Er suchte dort auch Pflichten von ganz
entgegengesetzter Natur obzuliegen. — Nach der schlichten,
biederen Sitte seiner Zeit, wo jeder, noch so sehr thätige und
regsame Geschäftsmann, mitten im wirtren Treiben des alltäg-
lichen Lebens doch immer hin uud wieder an das Jenseits
dachte und mit kindlicher Hingabe nach den Mitteln griff,
die ihm die Kirche zum Trost und zur Sühnung entgegen-
bot, — hatte auch unser Kopernik zur Zeit eines seiner
krakauer Aufenthalte, c damit ihm der Lohn des ewigen
Lebens glücklich mochte zu statten kommen», zu einem jener
segensreichen Mittel seine Zuflucht genommen. Er trat mit
seiner Frau und seinen Kindern als sogenannter «frater ter-
tiarius» dem Dominicanerorden bei und sicherte sich dadurch
im Leben und nach dem Tode Antheil an der Gnade, die aus
den Messen, Gebeten und geistlichen Verrichtungen aller Art
floss, welche der genannte Orden für seine Brüder und
Schwestern veranstaltete. Das Zeugniss, welches uns mit
diesem Umstände aus des Niclas Kopernik Leben in Kenntniss
setzt, ist das lateinische Originalattestat, welches ihm über
seinen Beitritt im Jahre 1469 (am 10. März) von Jacob
Zargba, dem «provincialis Poloniae ordinis Praedicatorum» zu
Krakau ertheilt wurde. Warum suchte nun Kopernik das-
selbe geradezu in Krakau nach, während er sich doch ein
gleiches in Thorn von dem Prior des dort existirenden Domi-
68 ) Die drei Stellen, an denen Niclas Kopernik in den krakauer
Acten und zwar zu den Jahren 1470, 1473 und 1476 erscheint, gab
zuerst Krzyianowski (spömn. jubil. S. 11) an. Nach ihm Dr. Prowe
z. ßiogr. S. 26 — 27. Die Resultate der «krakauer Forschungen»
Dr. Prowe's reduciren sich demnach genau avf die zweimalige Er-
wähnung zum Jahre 1434, in den «Acta consularia», des damals schon
anderweitig aus denselben bekannten Johannes Kopernik!
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nicanerklosters leicht hätte holen können, ist eine nicht ganz
geläufig zu beantwortende Frage, welche anch zn mannigfachen
Conjecturen Anlass gegeben hat 5 ?). So hat einer der neueren
87 ) Wir theilen hier die Urkunde in extenso mit, da dieselbe
den deutschen Biographen des Copernicns ganz unbekannt geblieben
ist. Dr. Prowe, der von ihrer Existenz durch Krzyzanowski (spomnienie
jubil. S. 11) benachrichtigt war und welcher doch sonst so gern auch
die geringfügigsten Details über des Copernicus Familienverhältnisse
aufsuchte und in seine Schrift aufnahm, übergeht unser Actenstück
mit Schweigen. Dasselbe ist gedruckt in dem von Felix Bentkowski
herausgegebenen «Pamigtnik Warszawski,» 1819, Nr. 7, Juliheft S. 372
und zwar nach dem auf Pergament geschriebenen, mit dem wohlerhal-
tenen, an einem Pergamentstreifen hängenden Siegel des Ausstellers
versehenen Originale, welches dem gelehrten Bedacteur nach seiner
Aussage von brist Joseph Regulski, Commandanten des Cadettencorps
zu Ealisz, mitgetheilt wurde. Die Urkunde kam darauf in den Besitz
der Warschauer Gesellschaft der Wissenschaftsfreunde, in deren Samm-
lungen sie Krzyzanowski noch sah. Sie theilte wahrscheinlich nach
1831 die Geschicke dieser Sammlungen und wanderte mit denselben,
nach der Auflösung der Gesellschaft, nach Petersburg, in die kaiserliche *
Bibliothek.
«Provido Nicoiao Kopernik (dass diese Schreibart die des Ori-
ginals sei, wollen wir trotz aller Wahrscheinlichkeit, die dafür spricht,
nicht verbürgen) civi Thorunensi et devotae Barbarae consorti ipsius,
cum liberis eorum, Culmensis dioecesis frater Jacobus de Bidgosüa
(Zargba), Provincialis Proloniae ordinis praedicatorum, salutem in do-
mino Jesu et spiritualem consolationem! Exigente vestrae devotionis
affectu, quem ad nostrum geritis ordinem, vobis omnium missarum,
orationum, praedicationum, jejuniorum, vigiliarum, abstinentiarum, dis-
ciplinarum, studiorum, laborum ceterorumque bonorum operum, quae
dominus noster Jesu Christus propter fratres et sorores provinciae
nostrae fieri dederit, universorum participationem, tenore praesentium
in vita pariter et in morte concedo specialem, ut multiplici suffragiorum
praesidio hie augmentum gratiae et in futuro mereamini praemium
vitae aeternae beatifice adipisci. Volens insuper ex speciali gratia et
dono singulari, ut, cum obitus vester, quemDeus felicem faciat, nostro
in provinciali Capitulo fuerit nunciatus, pro vobis, sicut pro ceteris nostri
ordinis defunetisfratribus fieri consuevit, orationum suffragia devotius pera-
gantur. In quorum testimonium sigillum officii mei provincialatus prae-
sentibus (jluxi appendendum. Datum in conventu Cracoviensi deeima die
Mensis Martii. Anno Domini Millesimo quadringentesimo sexagesimo
nono.» —
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125
polnischen Biographen des Nicolaus Copernicus (Szulc. Äycie
Mikotaja Kopernika, Warschau, 1855, S. 23) in dieser That
seines Vaters einen Act patriotischer Gesinnung erblicken
wollen. Es war damals, meint derselbe, erst kurz nach dem
grossen Kriege zwischen Polen und dem Orden. Die Thorner
Dominicaner . sollen sich während des ganzen Verlaufes des-
selben stets als ganz besondere Freunde des Ordens erwiesen
haben und daher wollte lieber der patriotische Niclas Kopernik
mit Frau und Kind die mühsame Reise nach Krakau, seiner
Vaterstadt, unternehmen, wo er im Kloster noch gute alte
Bekannte hatte, als es mit dem verrätherischen Thorner
Convent zu thun haben. Wie sehr eine derartige Erklärung
weit hergeholt und geradezu lächerlich ist, bedürfte wohl
hier keiner langen Auseinandersetzung. — Aus dem Wort-
laut der Urkunde geht nicht einmal die persönliche
Anwesenheit Kopernik's — geschweige denn die seiner Familie
— in Krakau mit Sicherheit hervor und es liegt die Ver-
mnthung nahe, dass er das Zeugniss gerade durch die Ver-
mittelung der Thorner Dominicaner erhielt. Indessen, da wir
Koperniks anderweitige Beziehungen zu Krakau und seine
wiederholten Besuche daselbst kennen, da ferner in der Urkunde
von einer dritten Person nicht die Rede ist, so wird die An-
nahme, er habe es sich auf einer seiner Reisen nach Krakau
persönlich ausgewirkt, das Meiste für sich haben. Wir
möchten aber darin anstatt des patriotischen Eifers höchstens
nur einen Wink mehr dafür erblicken, wie innig die Bande
waren, welche den Vater des Copernicus an seine Vaterstadt,
an das polnische Krakau, knüpften.
So haben wir nun alle Zeugnisse angeführt, welche für die
Krakauer Herkunft des Niclas Kopernik irgend wie geltend
sein konnten. Es folge jetzt die Kehrseite des Bildes. Wir
dürfen nun Dr. Prowe reden lassen, dessen Bemühung es
doch hauptsächlich war, «die Unsicherheit der Quelle nach-
zuweisen, auf welche man die Einwanderung aus Krakau bis-
her allein stützte» 58 ). *
M ) Zur Biogr. S. 37. Dr. Prowe ist indessen selbst zu seinem
Jammer der unwillkürliche Entdecker eines zweiten, mit Zernecke
gleichlautendem Zeugnisses (der Danziger Stammtafel) geworden.
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Dr. Prowe macht sich in seiner Schrift zuerst daran, das
Zeugniss des Zernecke, jenes «einzigen Gewährsmannes für die
Herkunft des Niclas Koppernigk aus Krakau» 59 ) zu prüfen
und zu untergraben. Nach Zernecke ist der Vater des Nico-
laus im Jahre 1462 Bürger zu Thorn geworden. Allein
Niclas Kopernik tritt bereits im Jahre 1459 in den Thorner
Schöppenbüchern auf, als Bevollmächtigter eines Danziger
Bürgers, für welchen er eine Klage wegen einer Schuldforde-
rung desselben vor dem Gerichte der Altstadt Thorn anstellt.
Diese Nachricht genügt dem Dr. Prowe, die ganze Angabe des
Zernecke «vorläufig in Zweifel zu ziehen , so lange bis sich
genauere urkundliche Belege dafür auffinden lassen». Seine
Gründe zu dieser Erklärung reduciren sich 1. auf die aus dem
Schöppenbuch hervorgehende Thatsache, dass Niclas Kopernik
nicht, «wie man früher anzunehmen pflegte», erst in späteren
Jahren in Thorn eingewandert sei, sondern wenigstens schon
im Jahre 1459 «in Thorn seinen Wohnsitz gehabt hat»; 2. auf
die «Un Wahrscheinlichkeit» , dass einem Krakauer die Voll*
macht zur Klage vor dem Thorner Gerichte von einem Dan-
ziger übergeben worden wäre; 3. Dr. Prowe hebt endlich den
Mangel einer Angabe von Kopernik's Heimath im Schöppen-
buche hervor, was in dem Fall, wenn er als Auswärtiger vor
Gericht erschienen wäre, nicht weggelassen sein würde G0 ).
Ausserdem bemerkt noch Dr. Prowe mit Nachdruck , dass die
beiden Angaben Zernecke's über die Abstammung aus Krakau
sowohl, als auch über die Erwerbung des Thorner Bürger-
rechts erst in der zweiten Auflage seiner Chronik sich be-
finden , dass er für die erste seinen Gewährsmann nicht an-
führt und sich für die zweite auf eine Thorner Handschrift
aus dem Ende des XVII. Jahrhunderts — das ms. Austenia-
num — beruft, «in welcher ich jedoch, sagt Dr. Prowe t die
Notiz nicht habe auffinden können» 61 ).
Wir möchten nun in Bezug auf den ersten der obigen drei
Einwürfe bemerken, dass aus jener Angabe des Schöppen-
5Ö ) Eine beliebte Locution des Dr. Prowe in Bezug auf Zernecke.
Vgl. z. Biogr. S. 14 u. 37.
60 ) Prowe, z. Biogr. S. 13—15.
61 ) Prowe, z. Biogr. S. 14 u. 37,
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buches zunächst nichts Anderes gefolgert werden kann als
nur, dass sich Niclas Kopernik im Jahre 1459 in Thorn
aufhielt, keineswegs aber, dass er «wenigstens schon da-
mals in Thörn seinen Wohnsitz gehabt hat.» Die Angabe
Zernecke's, er habe erst 1462 dort das Bürgerrecht erhalten,
schliesst ja einen früheren Aufenthalt des wohlhabenden
Krakauer Geschäftsmann in Thorn gar nicht aus. — Die «Uh-
wahrscheinlichkeit» , auf welche sich dann die zweite Ein-
wendung Dr. Prowe's stützt, leuchtet uns ebenfalls wenig ein ;
es konnte ja Kopernik ein angesehener, durch seine ausge-
breitete Handelspraxis in Krakau und in Thorn wohlbekannter
Mann gewesen sein — und übrigens, fragen wir, bringt uns
Dr. Prowe auch nur irgend einen Beleg bei, die von ihm aus-
gesprochene Unwahrscheinlichkeit, wenn auch nur etwas wahr-
scheinlich zu machen? Im Gegentheil sind wir schon aus
den wenigen Actenexcerpten, die wir hier beigebracht haben,
im Stande, ein gegen diese «Unwahrscheinlichkeit» sprechen-
des Beispiel anzuführen. Es durfte ja Johannes Kopernik in
Krakau, nachdem er im J. 1438 auf das Bürgerrecht daselbst
verzichtet hatte, drei Jahre nachher (1441) doch vor dem
Krakauer «officium consulari um» erscheinen, und zwar als Bürge
für eine» Krakauer Bürger ; warum durfte also in Thorn nicht
ein Auswärtiger im Namen eines Auswärtigen eine Klage er-
heben ? Oder will uns etwa Dr. Prowe den Paragraphen des
in Thorn geltenden Stadtrechtes angeben, wonach nur Thorner
Bürger die Befugniss hatten, vor den städtischen Gerichten
gegen Thorner Bürger zu klagen? Noch weniger kann uns
der dritte Punkt befriedigen: da nun einmal von Niclas Ko-
pernik bei der Erwähnung seines Namens nicht gesagt wird,
dass er aus Krakau stamme, muss er notwendigerweise ein
geborner Thorner sein. Derartige negativen Beweise werden
selten zwingend, um so mehr in unserem Falle, wo nicht zu
vergessen ist, dass wir es mit der uncorrecten, unbestimmten,
keine feste Normen beobachtenden Ausdrucksweise der mittel-
alterlichen Amtssprache zu thun haben. Dr. Prowe stellt sich
aber, indem er den Zusatz des Heimathortes in den Thorner
Schöppenbüchern, wenn Fremde vor Gericht erscheinen, zu
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einer Regel erhebt, die keine Ausnahme duldet 62 ), einiger-
massen mit sich selbst in Widerspruch. Denn er weist ja
selbst mehrfach auf jene Unstätigkeit der Ausdrucksweise in
den Gerichtsacten jener Zeit hin 63 ). Allein dieser Umstand
ist ihm leider nur dann gegenwärtig, wo er sich desselben zur
Schwächung der ihm missfallenden Behauptungen seiner Gegner
bedienen kann, und wohlverstanden: quod licet Jovi non
licet bovi. Dr. Prowe darf wohl Erzyzanowski zurecht-
weisen 64 ) , wenn derselbe auf eine ähnliche Weise die Un-
genauigkeit der Amtssprache des XV. Jahrhunderts benutzen
wollte, um ein Argument mehr für die polnische Nationalität
seines Copernicus dadurch zu gewinnen 65 ), er selbst aber darf
es z. B. übersehen, dass Niclas Eopernik, im Jahre 1476 ein
anerkannter, unzweifelhafter Thorner Bürger, in den Krakauer
Gerichtsbüchern doch ganz ohne dem «üblichen Zusatz» «aus
Thorn» und dazu noch dreimal nach der Reihe in einer und
derselben von Dr. Prowe ausführlich niitgetheilten Verhandlung
genannt wird 66 ). Was die übrigen Einwendungen Dr. Prowe's
anbetrifft, scheinen sie uns ebenfalls auch von keinem ent-
scheidenden Gewichte zu sein. Wenn ein Schriftsteller in der
zweiten Ausgabe seiner Schrift, die er eine «vermehrte» nennt,
Zusätze einrücken lässt, die in der ersten fehlen, so verdienen
diese Zusätze, als Frucht einer verbessernden, ergänzenden
Durchsicht, eher mehr als weniger Glaubwürdigkeit, wie der
ursprüngliche Text, es sei denn, dass nachgewiesen wird, der
Verfasser habe sich in jenen Zusätzen ganz besonders falsch
und parteiisch erwiesen und dass er durch dieselben eine durch-
greifende Aenderung der ursprünglichen Tendenz seiner Schrift
•*) «Der Zusatz .... wird nie ausgelassen». Zur Biogr. S. 14.
• 8 ) Zur Biogr. S. 20, Anmerk.
M ) Zur Biogr. S. 50 u. 51.
**) Er behauptete nämlich von dem Inscriptionsbuche der Krakauer
Universität im XV. Jahrhundert, dass der Familienname der polnischen
Jünglinge nicht in dasselbe eingetragen wurde, sondern bloss der Tauf-
name, und dass nur bei fremden Jünglingen Tauf- und Familienname
angegeben wurden.
66 ) S. Prowe, zur Biogr. S. 27.
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zu Gunsten einer neu ergriffenen Idee oder Partei habe er-
zielen wollen. So lange uns nun dies Dr. Prowe in Bezug
auf Zernecke nicht zeigt, so lange er uns nicht nachweist,
dass er den Zusatz über die Krakauer Abstammung Eoperniks
etwa aus Schmeichelei für die Polen und in der Absicht habe
einrücken lassen, den Ruhm seiner Vaterstadt zu schmälern,
so lange dürfen wir, und müssen sogar seiner Nachricht bei-
pflichten , wenn sie auch Dr. Prowe im «Msc. Austenianum»
nicht wiederzufinden vermochte 67 ).
Wir hoffen nun, es werde nach Allem dem obengesagten
wohl jedem eiuleuchten müssen, wie wenig es doch Dr. Prowe
67 ) Das letztere kann übrigens, wie uns die Erfahrung lehrt»
wieder nur in einem Versehen des Dr. Prowe selbst begründet sein.
Denn, sollte man annehmen, dass Zernecke seine Nachricht erdichtet
habe und dass folglich Niclas Kopernik zu Thorn geboren sei, wie
würde man sich dann die Angabe des wohlbenachrichtigten Verfassers
der Danziger Stammtafel, — dass er «von Cracau» stammte, — er-
klären können, zumal da die Stammtafel bekanntlich «ein älteres Zeug-
niss ist, als Zernecke»? — Wie wenig man aber den Zernecke der
Schmeichelei den Polen gegenüber zeihen kann, wird ein Jeder, dem
sein sonstiges Leben und besonders die Rolle, die er im berühmten
Thorner Prozess des J. 1724 gespielt hat, nicht bekannt ist, schon aus
folgender in beide Auflagen seiner Chronik aufgenommenen Nachricht
ersehen, die doch ein polnischer Parteigänger ohne allen Zweifel würde
gestrichen haben. «Eodem anno (1479) streiflten die Pohlen als Feinde
im Culmischen, und thaten insonders den Thornern den grossesten
Schaden, dies thate ihnen wehe, und erwürgeten hinwieder manchen
Pohlen, sollen sich auch nach Grunovii Zeugniss dieser unverantwort-
lichen Worte öffentlich gebrauchet haben: ««Es würde doch in Preussen
nicht ehe gut, biss man die Pohlen am Galgen erhängete, und sich wieder
zum Creutze gäbe, mit welchem man mag dem Diabolo widerstehen.»»
Solche Worte kamen für den König, der kam Anno 1480 am Trium
Regum Markt nach Thorn mit 4000 Reisigen, rathschlagende 'allda mit
den Seinigen, was er mit den Thornern desfalls thun sollte? Die Polen
riethen: Man sollte sie plündern, die Bürgere an einen andern Ort
versetzen, und Polen dagegen in Thorn setzen, dies widerrieth ein
mächtiger Senator aus Lithauen, Gastholdus (Gasztotd) und bewiese
gründlich dar, was hieraus erwachsen würde etc., so dass der König
erweichet und den Zorn sinken Hess. Sic Hennenberg 1. c.» (p. 458).
Zernecke 1727, p. 88.
Beitr. z. Hat. d. Copernicus. 9
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vermocht hat, seine frommen Wünsche in Hinsicht auf Co-
pernicus in Erfüllung zu bringen. Uebrigens hat er schon
selbst auf den guten Erfolg seiner Bemühungen durch die
offen ausgesprochene Erklärung verzichtet, dass auch das
Gegentheil seiner Behauptungen eine «Möglichkeit» sei und
wir dürfen dieses Geständniss festhalten, wenn wir jetzt zur
Prüfung seiner Deductionen über die einheimische Thorner
Abstammung des Astronomen übergehen.
Gleich die erste Angabe oder vielmehr die erste Annahme
Dr. Prowe's, die sich darauf bezieht, ist eine derartige, dass
man sich wundern muss, wie doch der bekannte, ihm eigen-
tümliche prüfende Geist, ihn in gewissen Fällen, so urplötz-
lich und treulos im Stiche lassen kann. Dr. Prowe hält den
«Michael Czeppernick», jenen Culmer Thurmwächter, für den
muthmasslichen Ahnherrn des Astronomen 68 )! Eine not-
wendige Folge dieser Annahme wäre nun , dass er auch
den «barbitonsor» Czeppernick, so wie die von dem un-
bekannten Fälscher hergestellte genealogische Verbindung
desselben mit dem Vater des Nicolaus uud auch die ver-
mittelnde Schreibart Czöpernik für richtig anerkannte. Diese
Consequenzen zu ziehen fehlte jedoch Dr. Prowe der Muth.
Er wusste ja wohl, dass Niclas Kopernik, ausser den beiden
Söhnen Andreas und Nicolaus, welche sich dem geistlichen
Stande widmeten und folglich auch kinderlos starben, keifte
männlichen Erben hinterliess 69 ). Die Fälschung, welche ihm
Nachkommen in zweiter und dritter Generation zuschrieb, war
nun einmal allzu offenbar. Dr. Prowe sah sich veranlasst, zu
erklären, «dass er es nicht wage, (!) die Nachrichten (der
gefälschten Stammtafel!) als verbürgt zu bezeichnen» 70 ). (!) —
Wenn aber ein Czeppernick nachweisbar nicht ein Nachkomme
des Niclas Kopernik war , wie konnte nun derselbe Niclas
Kopernik Nachkomme eines Czeppernick sein? Michael Czep-
pernick und Martin Czeppernick sind offenbar zwei identische
Familiennamen. Wenn aber Martin Czeppernick nichts mit
]
68 ) Prowe, z. Biogr. S. 10—11,
e9 ) Prowe, z. Biogr. S, 29.
70 ) Prowe, z. Biogr. S. 28.
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Eopernik zu schaffen hatte, was konnte Michael Czeppernick
mit ihm gemein haben? —
Der Name Kopernik erscheint übrigens unabhängig vom
Vater des Astronomen, nach Dr. Prowe dreimal in den Thorner
Handschriften. Das eine Mal ohne Angabe des Jahres «auf
Zins Verzeichnissen, die auf Wachstafeln geschrieben sind» —
die Schriftzüge sollen auf das Jahr 1400 hinweisen 71 ), —
das zweite Mal ohne Beifügung eines Vornamens gleichfalls
zum Jahre 1400 72 ), endlich wird das dritte Mal der schon
oben erwähnte Peter Kopernik aus Prankenstein uns zum Jahre
1422 vorgeführt. Der letztere ist übrigens, wenn er überhaupt
ein Thorner Bürger war, wenigstens sicher nicht in Thorn
geboren. Vielleicht stammte auch er durch seine Ahnen aus
demselben schlesischen Dorfe Kopernik , welches wir nach
Bartoszewicz muthmaasslich als die Wiege von Copernicus'
Geschlechte bezeichnet haben 78 ).
Wir fragen nun, ob diese drei dürftigen Notizen, welche
nicht einmal die Ansässigkeit in Thorn einer Bürgerfamilie
des Namens mit Entschiedenheit beweisen 74 ), was übrigens keines-
71 ) Prowe, z. Biogr. S. 37.
7S ) Krzyzanowski Spomn. jubil. S. 12. Prowe, z. Biogr. S. 12.
7S ) Es ist wirklich einem ganz eigentümlichen Muthwillen des .
Schicksals zuzuschreiben , wenn Dr. Prowe genöthigt wird, die beiden
letzteren Notizen, welche scheinbar gerade die besten Beweise für das
ihm am Herzen liegende «Anrecht» seiner Vaterstadt auf Nicolaus
Copernicus enthalten, anderen Schriftstellern, die zum Theil seine
Gegner sind (zur Biogr. S. 12 u. 13), auf guten Glauben zu entnehmen,
ohne selbst Etwas erheblich Neues für seine Sache beibringen zu
können — während sein fleissiges Prüfen der Beweisgründe und
Quellenangaben dieser seiner Gegner ihn im Gegentheil meist zu Re-
sultaten führte, die nur denselben zu Gute kommen konnten. (Ich er-
innere nur an den von Dr. Prowe übrigens nur angeblich zuerst in
Krakau entdeckten Johannes Eopernik und an die die Krakauer Ab-
kunft bekräftigende Danziger Stammtafel.) Wer weiss nun, ob auch
eine Prüfung dieser seinen Gegnern entlehnten Mittheilungen, zu welcher
er jedoch gegen seine Gewohnheit nicht die mindeste Lust kund thut
(vgl. zur Biogr. S. 12) ihn nicht zu noch viel traurigeren Enttäuschungen
geführt haben würde!
u ) In seiner lateinischen Abhandlung «de Nicolai Coperaici patria»
läset Dr. Prowe auf eine Aufzählung dieser drei Thorner Eoperniks
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wegs undenkbar wäre, bei der theilweise «slawischen» Be-
völkerung Thorns und der sonstigen ziemlichen Verbreitung
des Namens — ob diese drei Notizen irgend wie im Stande
sein können, ernstliche Bedenken gegen die mehrfach bezeugte
Krakauer Abstammung des Niclas zu erwecken, und ob Dr.
Prowe wohl diesfalls in seinem Rechte ist, wenn er zu Gunsten
seiner Vaterstadt «den alten richtigen Grundsatz» in Anspruch
nimmt, nach welchem «derjenige Ort als die ursprüngliche
Heimath einer Familie anzusehen ist, an dem sie zuerst in
Urkunden erwähnt wird» ? 76 ). Die beste Antwort hierauf findet
man in der aus dem bereits häufig erwähnten Geständnisse
Dr. Prowe's hervorgehenden Thatsache , dass es ihm mit dem
Glauben an die Thorner Abstammung doch nie ein Ernst ge-
wesen 76 ).
(von denen übrigens der dritte, wie schon bemerkt, ausgesprochener-
weise kein Thorner ist und die beiden andern leicht in eine Person
zusammenfallen könnten, da sie einerseits beide zu derselben Zeit auf-
treten, andererseits aber bei dem Einen, wie gleichfalls schon bemerkt
worden, der Vorname fehlt) an deren Spitze er, wie billig, noch den
Thurmwächter «Michael Czeppernick» hinzusetzt, S. 24 die pompösen
Worte folgen: «Pauca etiamsi Copernicorum vestigia in actis Thorunen-
sibus.inveniuntur, dilucide tarnen demonstrant, iam centum
fere annis ante natumNicolaum Magnum gentemCoperni-
canam Thoruni floruisse». Und nach dieser emphatischen Wen-
dung geht Dr. Prowe zu den Krakauer Kopemiks über, von denen:
«Poloni non indagarunt nisi unum» ! (Vgl. oben Anm. 54.) Wahrlich,
soll man hier die Uebertreibungs- oder die Verkleinerungskunst mehr
bewundern! — oder gar die schriftstellerische Treue?
75 ) Prowe, z. Biogr. S. 36.
76 ) Dr. Prowe wiederholt auch später dieses Geständniss: «Neque
Copernicanae gentis stirpem Cracoviae sedem habuisse nega-
verim — sagt er in Cop. patria p. 24 — Huc accedit, fahrt er dann
fort, quod patrem astronomi ipsum Cracovia Thorunum immigrasse
fama pervulgata circumfertur. Quae etsi nullis adhuc confirmatur certis
argumentis, non est cur in dubitationem vocetur.» Allein diese
Worte lassen ihm offenbar keine Buhe, denn er widerruft sie fast
ganz in der zu denselben gefugten Anmerkung: «Nicolaum Kop-
pemigk, patrem astronomi, Cracovia Thorunum anno 1462 immigrasse,
Zernecke in altera annalium Thorunensium editione primus narrat . . .
acta judiciaria eum de anno quoque erravisse docent, quibus confirmatur,
Nicolaum Koppernigk iam anno 1459 civem (!) fuißse. Quae quum
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133
Wenn nun aber einmal Dr. Prowe daran verzweifeln musste,
den Vater des Astronomen für Thorn zu retten, so suchte er
doch, als ein erfahrener Kämpe, der, vor der Uebermacht
weichend, den Boden noch Schritt vor Schritt vertheidigt, ihn
wenigstens für die grosse Gesammtheit der Deutschen Nation
auch in dem Falle zu erhalten, wenn seine Thorner Herkunft
vollständig aufgegeben werden sollte. Zu diesem Zwecke
weist er einfach und ohne Weiteres auf die Thatsache hin,
«dass die Bürger Krakaus, wie der meisten polnischen Städte,
bis in die Mitte des XVI. Jahrhundert s fast aus-
schliesslich Deutsche gewesen sind» 77 ). Dies ist aber un-
ita eint, Zerneckii auctoritatem , nisi testimonia certa adduci posaunt,
hac de re in dubium vocabimus.» Ueber die Danziger Stamm-
tafel herrscht, wie wir sehen, in «Nicolai Copernici patria» vollkommenes
i Schweigen !
77 ) Prowe, zur Biogr. S. 37. Die lateinische Abhandlung Dr. Prowe's
i erscheint auch hier, wie an anderen Stellen, um einen Ton höher als
die eben angeführte in der Uebertreibung gestimmt. S. 25 stehen da
die Worte: «Cives enim Cracovienses Ulis temporibus, de quibüs
! agitur, dico saeculum XIV et XV Polonos fuisse, nemo jure
1 affirmabit.» Und dazu findet sich in einer Anmerkung, die wir
hier mittheilen, ein aus emsig in den Krakauer Acten gesammelten
Notizen gefolgerter Schluss, den Dr. Prowe, allem Anschein nach, schon
zu seiner ersten deutschen Schrift vorbereitete (er ist nachmals in
Krakau nicht gewesen), mit dem er aber offenbar noch damals nicht
ans Tageslicht sich wagte. Diese Anmerkung lautet nun vollständig:
«Si qui Poloni in actis publicis Cracoviensibus commemorantur, adjecta
; voce quadam originem Polonicam testante discerni solent, cujus rei
exempla nonnulla ex actis consularibus petita proponam: a. 1431
commemoratur «Schultis Polonus»; a. 1431 ,/.potnifdje SftatljtS ber
©erfeer" etc.; a. 1447 «inter seniores sutorum nominatur $olnifd)
, 2Rerttn"; a. 1449 „cjttriföen ntertut gotbftneb cmberS polntfc§ mertin ge-
nannt" *c; a. 1460 „advocatus *ßolnif$ $an"; a. 1473 „polntfc&e
imertinS beS mefferfmtbeS $on"; 1478 inter seniores balneatorum nomi-
Inatur: „3an polntfcty"; a. 1457 legitur: 3°^ a J>oIntf<$ JJan^n
i$ot oefannt, baff 9 febenjtg tnarg entgangen l)at bty tr oon irent
jöorigen manne pofntfd) 3>an ©oftftneb gentorgengobit fetyn tc." — Alle in
! den Acten erwähnte Bürger also, lehrt mit andern Worten Dr. Prowe —
bei deren Namen nicht der ihren polnischen Charakter bezeichnende
Zusatz steht, sind als anerkannte Deutsche zu betrachten.
Wir wollen uns nun hier nicht die unnütze Mühe geben, den Dr.
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glücklicherweise keine Thatsache, sondern nur ein Machtspruch,
der sich bei einem Manne, der Ansprache auf Eenntniss der
polnischen Zustände in jenen Zeiten macht, anf keine Weise
Prowe durch eine umständliche Argumentation zu widerlegen, wir
werden ihm nicht zu beweisen suchen, dass das Prädicat «polnisch»
keineswegs als ein stehendes amtliches Epitheton für alle polnischen
Bürger Krakaus zu fassen, sondern nur höchstens als ein accidenteller,
in einer Stadt mit gemischter Bevölkerung leicht entstehender Bei-
name einzelner Personen oder Geschlechter zu betrachten sei, wir be-
absichtigen keineswegs die Inconsequenz seiner Behauptung an einzelnen
Beispielen an den Tag zu legen, wie z. B. daran, dass der von ihm
zum Jahre 1457 aufgeführte Goldschmied, «polnisch Jan» notwendiger-
weise noch 22 Jahre vorher ein Deutscher gewesen sein müsste, da er
in demselben zweiten Bande der «Acta consularia», aus welchem
Dr. Prowe seine Notiz genommen, S.,336 unter den «seniores aurifa-
brorum» des Jahres 1435 ohne jeden Zusatz, einfach als «Jan» auftritt,
obgleich er wiederum zwei Jahre nachher in demselben Amte als
«polnisch Jan» wiederkehrt (a. 1437, S. 370 des Actenbuches) — wir
sind gleichfalls weit entfernt, an Dr. Prowe dadurch eine Revanche zu
nehmen, dass wir auf Grund eines — immer in denselben Acten S. 399
— zum Jahre 1439 zufällig aufgefundenen «deutcz ulrich» und eines
«Nicolaus teuczer» zum Jahre 1394 (p, 38 des ersten Bandes der Acta
cons.), nach seinem Vorbilde behaupten, dass «si qui Germani in actis
publicis Cracoviensibus commemorantur, adjecta voce quadam originera
Germanicam testante discerni solent» und dass daher «cives Craco-
vienses illis temporibus Germanos fuisse, nemo jure affirmabit» —
im Gegentheil, wir wollen uns hier ganz damit begnügen, ad usum
unserer deutschen Leser eine kleine Sammlung von Namen dieser, wie
Dr. Prowe sie nennt, so «ausschliesslich deutschen» Bürger Krakaus
aus denselben beiden ältesten Volumina der «Acta consularia»
(I, 1392—1412 [1422], II, 1412—1449) zu veranstalten, die dem Dr. Prowe -
so durch und durch bekannt sind, und hätten dabei sowohl an diese
unsere Leser im Allgemeinen, als auch speciell an Dr. Prowe, nur die
bescheidene Bitte, sie möchten doch die nachstehenden «deutschen»
Namen richtig aussprechen.
Der Genauigkeit wegen geben wir den Band, die Seite und das
Jahr dieser Namen, die wir in der Schreibung des Originals mittheilen,
gewissenhaft an, desgleichen auch, wo es Noth that, eine Herstellung
nach heutiger Orthographie.
Wir fangen mit den Bürgeraumahme-Listen des ersten Bandes an,
indem wir jedoch dabei nur das einzige Jahr 1396 in Betracht ziehen,
in welchem «Nicolaus Eoppirnig» eingezeichnet wurde.
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rechtfertigen lässt. Um denselben zu widerlegen, brauchen
wir uns hier in keine lange Erörterung einzulassen. Was
I. a. 1396 p. 489. «Jacub de Proschawiz (Jaköb z Proszowic)
habet ins, literam Pasche, fideiussor Schimko (Szymko).» «Maczko
mechowsky (Madko Miechowski)». «Mertin Milusch de Teschin (Marcin
Milosz z Cieszyna).» «Stanislaus de Oswenczin (Stanislaw z Os*wi§-
cima).» « Nicola« s Parchawicz.» — «Jacussius de Salessy (Jakusz z
Zalesia?) habet ius, literam domino Sandziuogio (S^dziwöj) constat de
fama'» — «Eathussa (Katusza) de prussia.» — «Maczko de Czeschkowicz
(Ma<5ko z Cigzkowic).»
I. p. 490. «Micolaus Possczisz (Mikolaj Polcisz) thabernator de
prandoczny (Prandocin im Kreise Miechöw) habet ius fideiussor
Stanislaus Wysskonis (Wyszköw syn).» — «Jacusch nynoga (Jakusz
Ninoga) literam ad VIII dies, fideiussores Bartko et Hanus sutores
polonorum. (Es gab noch damals in Krakau, wie aus den jährlichen
Verzeichnissen der «seniores mechanicorum» in denselben «Acta con-
sularia» zu ersehen ist, eine deutsche und eine ^polnische Schuster-
zunft, die sich jedoch bereits in den ersten Jahren des 15. Jahrhunderts
in eine gemeinschaftliche vereinigten.) «Jacusch Erzyuonos (Jakusz Krzy-
wonös)» — «Stanislaus Gawronis (Gawron) filius de Wylczahssy (Wil-
cz^sy?). — «Welislaw de Copriunicza (Wielislaw z Koprzywnicy).»
I. p. 491. «Petrus kopczin de weliczka (Piotr Eopczyn z Wieliczki)
fideiussor Franczko Selczer (Francko Solnik).» « Jan . Gorczicza
(Gorczyca) braxator fideiussor Czechon de plathea Sti Nicolai.»
«Micolaus de mogila habet ius ..... fideiussor Woytko dramator et
przeczlaus (Przeetaw) gladiator.» «Swantoslaus (Swi^toslaw) sutor.»
«Hanus Possemka (Poziemka) de Strym (Srem?)» — «Andreas OrzeL»
Jacussius Bogusslawsky.»
L p. 492. «Stanislaus prossowski (Proszowski).» »Maczey ponczy-
pywo (Maciöj P^czypiwo?).» «Elzbetha widzgowa (Wydzgowa).» «Jacobus
de Bantkowicz (Jacob z B$tkowic) .... fideiussor Nicolaus milczanczi
(Mikolaj Milcz$cy).»
I. p. 493. «Swantoslaus de Sandecz.» Bartholomeus de Dupye
(Bartlomäj z Dupiego).» «Nicolaus Wysliczka (Wisliczka)». «Clymak
Zambak de Philippowicze (Klimek Zi§bak z Filipowic.)»
Aus den Anfangsseiten desselben Bandes, die, wie bekannt,
Dr. Prowe «einer. genauen Durchsicht unterwarf»:
I. a. 1393, p. 12. «Johannes Spiczmir (Spicimierz)» p. 24 «Johannes
Bözenecz (Bozeniec)». «Erasmus Grzymala.» p. 28. «Stanislaus et Jan
Koslek (Koälek.)» '
I. a. 1394, p. 29 «Michael de Zarnow», p. 31. «Domina Margaretha
Sczepankonis (Szczepanko) relicta.» p. 34 «Michael Trawski» p. 44.
«Eozeoko (Kozie-oko), maczko richlobogat (Madko Rychlobogat) et miczko
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136
wir sagen werden, ist jedem bekannt, dem Polens Vergangen-
heit nicht, wie es leider noch bei den meisten Deutschen
Czeszkonis (Mi<5ko Czeskowic).» p. 48. «Johannes Warschonis (War-
szöw syn)» p. 49. «Adam filius Drogosszii (Drogosoic) iudicis Crac.»
«Salsatores Micolay, Marczin et Jacussius.»
I. a. 1395 p. 53. «Bochenek.» «Queton Jacussinis (K wieton syn
Jakuszyn)» p. 54. «Stanislaus Osep.» p. 58 «Jacupko (Jaköbko) et
Valentinus Folcz» p. 60 «Goworko.»
I. a. 1396 p. 62 «Kurzantka (Kurz§tka)». «Jacusz Dzeczantka
(Dzieci^tko),» »Elyzabeth Peszkonis (Pieszkowa)» p. 67. «Polachus
(Polach) Ungaricali8, Johann Ploczennig (Plöciennik) et Nicdlaus Mil-
czanczi fideiusscrunt pro Jacobo de Smerdzancza (Smierdz^ea).»
«Staszko (Stasko) Kanawa.» 72. «Miczko ofczars (Miöko Owczarz)»
p. 73. »Jacupko Salsator», p. 75 «Franciscus filius Neorze (?).»
«Domina Anna Czartkyn (Czartkowa)». «Dominus Petrus Transsywor
(Trzgsiwtfr).»
I. a. 1397 p. 88 «Jacob Ostroszka (Oströzka)» p. 90. «Dorothea
Capustniczcze (Dorota Kapustnica).» «Jacusch Strbanczka.» «Lucas
Kurniczka» p. 91. «Swanchna labusowa (Swi§chna Labuzowa)» etc. etc.
Aus dem zweiten Bande derselben Acten, der, wie es Dr. Prowe
zur Biogr. S. 39 auch angiebt: «Liber inscriptionum Nr. 2» über-
schrieben ist, entnehmen wir den alljährlichen Verzeichnissen der Ge-
werksältesten folgende Namen:
II. a. 1431 p. 288 «Rufficerdonum: Jankowicz.» «Institorum (seil.
«seniores») Woitko.» — «Cirothecariorum : «Petrasch Zbozny
(Pietrasz Zbozny).» — «Sutorum: Marczin loctek (Marcin Loktek),
Maczey Belza (Maciej Belza).» — «Sartorum: Scholdra (Szoldra), Andrzey.»
— «Lutifigulorum : Micolai Colibaba, Stanislaus Glomb (Glab.)» —
«Parchener: Simon Bromboze (Broüboze).» — «Brascatorum : Hannos
Zatorsky, Pyotr Kmycznibratr, Jan Smolka». — «Tendlariorum: Maczek
Scawinsky, Woitel Jelito, Piotr Czesla (Ciesla), Micolai Cleparsky.» —
«Salsatorum: Byali (Bialy) Stanislaw, Michal Krzikawsky, Jan Schepelag
(Szepielak).» «In foro piscium: Siekirka» etc.
II. a. 1435 p. 336. «Fabrorum et cuprifabrorum : Mertin Pasternak.»
«Tabernatorum: Panke (Panko), Woitek, Marczin, Maczek (Maciek).»
«Lutifigulorum: Jan Zlotowlos.» «Salicidarum: Woitek Goli (Goly),
Stanek.» «Sutorum: Jan mechowsky, maczek bonk (Maciek Bak)»
«Brascatorum: Maczek, Micolai.» «Sartorum: Grzegors, Marczin.» «In
foro piscium: Woitke, Peter mlinars (Mlynarz), Hanus Welun (Wieluri).«
«Armatorum: Paschke (Paszke), Peter Krziglow.» «Tendlariorum:
Micolai, Swenschek (Swi^szek) Woitek» etc.
IL a. 1436 p. 352. «Sartorum: Maczek Jawor, Thomek de Skala»,
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137
unserer Zeit der Fall ist, eine Art von terraincognita
bildet. — Die deutschen Handwerker und Kaufleute waren
nun allerdings im Mittelalter in den polnischen Städten sehr
zahlreich, und wenn auch nicht immer an Zahl, doch gewiss
an Tüchtigkeit, Bildung, Vermögen und Stellung in der
Gemeinde den Polen überlegen. Allein die Zeit, wo ihre
Macht kulminirte, fällt schon in die 2. Hälfte des XIII.
und in die erste des vierzehnten Jahrhunderts. Seitdem
gewann das nationale polnische Wesen in allen Städten und
auch in Krakau, das wir hier insbesondere zu betrachten haben,
allmählich die Oberhand. Wenn sich auch die deutsche Sprache
in den Gerichten noch hier und da bis über das zweite Viertel
des XVI. Jahrhunderts erhielt — z. B. in Krakau (Prowe,
z. Biogr. S. 38) — so war es mehr eine Sache der Gewohn-
heit und eine Folge des uncultivirten Zustandes der polnischen
Sprache, welche sich erst im Laufe des XVI. Jahrhunderts zu
einer Literatursprache im eigentlichen Sinne ausbildete 78 ),
»Sutorum: Hanus Zaden, Jurek, Jan Dambek, Swarcz marek.» «In
foro piscium: Petrus Coczwara (sie!).» «Tendlariorum: Benesch,
Sczepan Rzoncza.» «Lutifigulorum: Jacub Copecz, Pyotr Wircziga.»
«Tabernatorum: Jan Grifrhik, Micolai Manszik (M§zyk), Nynotha.» —
«Brascatorum: Jacub Boly, Micolay Symonow» etc.
IL a. 1439 p. 399. »Institorum: Passeck (PaszSk? Pasek)?* «Sar-
torum: Swenschek, Grzegorz de Cruczberg, Stanislaw Zoldnya (Zoldnia).»
«Sutorum «Grzegorz pozdze (Poz"dzie).» «Salicidarum: Micolai Ozaszlaw
(Czaslaw?) Andris folmoz(Wielmoz?), Mathias Czarny.» « Aurifabrorum :
Michalke (Michalko).» — «Tendlariorum: Micolai Lorkowicz» etc.
Wir glauben nun, dass es uns Niemand verargen wird, wenn wir
dies lange Register mit den Worten beschliessen, mit denen Dr. Prowe
(zur Biogr. S. 51) seine oben (S. Anm. 65) von uns erwähnte Wider-
legung eines von Krzyzanowski zur Geltung gebrachten Arguments zu
rechtfertigen suchte :
«Zur Beurtheilung der Art, wie der leidige Streit über die Natio-
nalität von Nicolaus Copernicus geführt ist, musste ich etwas näher
auf die Sache eingehen.»
78 ) Noch im Jahre 1578, im Jahrhundert der Rej, der Kochanowski,
der Görnicki, der Zbylitowski u. A. durfte der gelehrte und vaterländisch
gesinnte Geschichtsschreiber seines Volkes, Martin Kromer, der sich in
manchen (um 1550 veröffentlichten) Schriften selbst der polnischen
Sprache bedient hatte, sich über diese seine Muttersprache folgen der-
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138
als eines thatsächlichen Obwaltens des deutschen Elements unter
den polnischen Bürgern. Dr. Prowe giebt übrigens selbst zu,
dass die meisten Gerichtsbücher Erakaus (die bis in den Anfang
des 14. Jahrhunderts zurückreichenden Acta judiciaria und Acta
scabinalia) nicht deutsch, sondern nur lateinisch geschrieben
sind und dass selbst in den Verhandlungen der «Acta consu-
laria», in welche allein das Deutsche Eingang fand, die
lateinische Sprache doch «im Ganzen und namentlich seit der
Mitte des XV. Jahrhunderts praevalire» 79 > und im XVI. Jahr-
hundert den Uebergang zur polnischen Sprache anbahne.
Einen richtigen Blick auf das Verhältniss der Deutschen' zu
der übrigen Bevölkerung Krakaus im XVI. Jahrkundert ge-
währen uns die kurzen Worte, welche Kromer in seiner Be-
schreibung Polens in dieser Hinsicht äussert: «Germanis autera
mercatoribus abundat (Cracovia) antiquitus. Neque caret
Italis» 80 ). Wie wir sehen, stellt Kromer die Deutschen in
Krakau mit den Italienern fast auf gleichem Fusse. Von
diesen letzteren wird es aber doch wohl schwerlich jemanden
einfallen zu behaupten, dass sie «bis in die Mitte des XVI.
Jahrhunderts fast ausschliesslich» die polnischen Städte be-
völkerten.
Wir sind Dr. Prowe noch in einer der eben besprochenen
nahe verwandten Frage eine Antwort schuldig. ^- Nachdem
massen äussern: «Nostras enim lingua neque tarn copipsa est, quam
aliae — gemeint sind die lateinische und die deutsche — neque
scriptu lectuque facilis.» (Kromer. Polonia, 1545, S. 78.)
79 ) Prowe, zur Biogr. 37, 38.
80 ) Polonia, sive de situ etc. regni Poloniae, Köln 1578, p. 47. Als
Beispiel dessen, wie doch Dr. Prowe seine Citate immer so richtig zu
wählen versteht, sei hier angeführt, dass er in Patria Nie Copernici
p. 25 an der Stelle, wo er die Nationalität der krakauer Bürger ermittelt,
die von uns angeführten, direct hierauf bezüglichen Worte des Kromer
wohlweislich verschweigt — wohl aber statt dessen eine andere lange
Stelle aus demselben copirt, in welcher von der Verbreitung der
deutschen Colonisten in Polen im Allgemeinen und speciell von deren
Ansiedelungen in Preussen, Schlesien, an der westlichen Gränze Gross-
polens und am karpatischen Gebirgsabhange, in Ruthenien und in der
Grafschaft Zips, gehandelt wird.
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139
er sich zum Hauptverfechter der Thorner Herkunft Koperniks
gemacht hat, nachdem er die Sache eigentlich selbst zu der
Bedeutung einer Streitfrage erhoben, statt, wie zu erwarten
war, durch eine seiner ganzen Tendenz entsprechende Cönclu-
sion sie zur Entscheidung zu bringen schliesst Dr. Prowe
(S. 37 zur Biogr.) naiv mit der Aeusserung: «Die ganze
Frage um die Abstammung der Familie Koppernigk aus Krakau
sei an sich ziemlich gleichgültig.» Uns. scheint es, dass,
wenn man sich nicht blos aus Muthwillen oder zum Zeit-
vertreib an einer anerkannten Thatsache versucht, um eine der-
selben widersprechende Meinung zur Geltung zu bringen, man
dadurch schon das Recht verliert, diese Frage für eine ledige,
nichtsnutzige oder gleichgültige zu erklären. Dr. Prowe stellt
dann die Behauptung auf, dass für den »Geschichtskundigen»
aus der krakauer Abstammung noch nichts für die polnische
Nationalität hervorgehen könne. Wir meinen nun, dass, wie
wenig auch Positives aus dieser einzigen Thatsache gefolgert
werden könne, die polnische Nationalität, wenn nichts weiter
angegeben sein würde, für einen geborenen Krakauer des XV.
Jahrhunderts doch immer wahrscheinlicher wäre, als die
deutsche — einfach wegen des damaligen bedeutenden nume-
rischen Uebergewichtes der Polen in Krakau. In unserm
speciellen Falle besitzen wir aber an dem Namen Kopernik
ein Kriterium, welches den polnischen Charakter der Familie
ausser Zweifel setzt und die Frage um die Abstammung aller-
dings in dieser Hinsicht gleichgültig macht, denn, wer
«Kopernik» hiess, war, seiner Abstammung nach, sei er in
Krakau oder in Thorn geboren — ein Pole.
Der Vater des Thorner Astronomen war demnach ein pol-
nischer Bürger der polnischen Hauptstadt, so möchten wir das
Resultat unserer obigen Untersuchung formuliren. — Wenn
es aber auch unsere Ueberzeugung ist, dass, wenigstens bei
der gegenwärtigen Sachlage, eine andere Entscheidung nicht
zulässig sei 81 ), wenn wir auch im Namensklange ein Argument
81 ) Die Einwanderung aus Krakau wird noch indirect durch den
Umstand unterstützt, dass die Familie in Thorn nicht zu den alten
Geschlechtern gezählt wurde. S. Prowe z. Biogr. S. 43.
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140
für den polnischen Ursprung der Familie erblicken, so sind
wir doch dabei weit entfernt, die Meinung derjenigen zu
theilen, welche (wie z. B. Dominik Szulc) den Vater des
Nicolaus als einen mit Deutschenhass erfüllten fanatischen
Polen zu schildern bereit sind. — Wir behaupten im Gegen-
theil, dass Niclas Eopernik mit der deutschen Sitte und
Sprache wenigstens ebenso vertraut gewesen sein muss, wie
mit der polnischen. cLibenter autem et Poloni propter multum
usum et commercia cum Germanis condiscunt liuguam Ger-
manicam», sagt Kromer 82 ), und nirgends waren die Beruh-
rungen mit den Deutschen leichter und häufiger als in der
mächtigen Handelsstadt Krakau, in welcher Eopernik das
Tageslicht erblickte. Es war sowohl eine Folge dieser seiner
Kenntniss des Deutschen, so wie auch keine geringe Aner-
kennung seiner geistigen Anlagen, seiner Lebenserfahrung und
seines Gerechtigkeitssinnes, wenn ihn seine neuen Thorner
Mitbürger bereits im Jahre 1465 zum Schoppen des alt-
städtischen Gerichtes wählten — einem Amt, das er bis zum
Jahre 1483, dem seines Todes, bekleidete 83 ).
C. Die Mutter.
Wie über die Geburt und Herkunft des Vaters von Nico-
laus Copernicus, so herrscht auch über die Abstammung seiner
Mutter grosse Unsicherheit, welche ebenfalls verschiedenen
Streitigkeiten, Voraussetzungen und Hypothesen Baum ge-
geben hat, die nach den verschiedenen Sympathien und Anti-
pathien, nach den verschiedenen Zwecken und Tendenzen
der Schriftsteller verschieden sich gestaltet haben. — Auch
hier ist es aber Dr. Prowe , der Grund und Boden zuletzt
durchforscht und ausgekundschaftet hat, auch hier dürfen wir
ihn daher zu unserem Führer nehmen, leider aber auch hier
M ) Polonia 1578, S. 45.
M ) Prowe z. Biogr. S. 16.
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141
werden wir ihn nur allzubald verlassen müssen, um auf eigene
Gefahr einen Weg einzuschlagen, der unserer Ueberzeugung
nach allein zum Ziele führt.
Die Mutter von Nicolaus Copernicus hiess Barbara Watzel-
rode. Sie war einem Geschlecht entsprossen, welches zu den
ältesten und angesehensten in Thorn gehörte. Die Watzel-
rode starben aber bereits gegen das Ende des XV. Jahrhun-
derts aus und Barbara war eine der Letzten ihres Stammes.
Sie war eine Tochter von Lucas Watzelrode, eines wohlhaben-
den, einflussreichen Mannes, welcher in hohem Grade das
Vertrauen seiner Mitbürger besass, von denselben mehrmals
zu verschiedenen öffentlichen Verrichtungen berufen wurde
und endlich im Jahre 1462 in der Würde eines Schöppen-
meisters des altstädtischen Gerichtes zu Thorn starb 84 ).
Dass nun die Watzelrode ein deutsches, eingewandertes
Geschlecht waren, ergiebt sich aus dem echt deutschen Klang
ihres Namens und es hat daran, so viel wir wissen, ausser
Krzyzanowski bisher noch Niemand ernstlich gezweifelt. Nicht
so bestimmt dürfen wir uns indessen in der Frage aussprechen,
wer die Mutter der Barbara Watzelrode, des Copernicus
Grossmutter gewesen ist. Diese Frage ist zu einer interessanten
und für unsern Gegenstand wichtigen geworden, seitdem sich
der hitzige, sich leicht übereilende Professor Krzyzanowski
durch dieselbe veranlasst fand, auszurufen, «dass kein Tropfen
deutschen Blutes weder dem Schwerte, noch der Spindel nach
in den Adern des Copernicus floss», Dr. Prowe aber diesen
Erguss des aufwallenden patriotischen Gefühls nach seiner
Weise abzukühlen gesucht 85 ).
Was wir von der Mutter der Barbara und der Gattin des
Lucas Watzelrode mit aller Bestimmtheit wissen, ist leider
nur ihr Taufname. Sie hiess «Catharina» oder «Käthe» nach
dem damaligen Thorner Sprachgebrauch 86 ). Ueber ihren
Familiennamen existiren zwei einander widersprechende Zeug-
nisse. Das eine — die «Genealogia Reinholdi Feldstetten»
•*) S. Prowe, z. Biogr. S. 44—48.
8ß ) Prowe, z. Biogr. S. 48.
86 ) Prowe, z. Biogr. S. 17 u. 48.
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142
die Stenzel Bornbach 87 ) seuier «Historia vom Aufruhr zu
Dantzig vom Jahre 1522 bis 1526», vorsetzte — nennt sie
eine Tochter des Thorner Rathmannes Albrecht Russe, der,
nachdem er schon seit 1392 dieses Amt bekleidet, im Jahre
1398 nach dem von den Hanseaten besetzten Stockholm als
Hauptmann des prenssischen Contingeuts berufen wurde 88 ).
Das zweite Zeugniss — eine kleine genealogische Tafel der
Watzelrode, auf welche sich der im vorigen Jahrhundert
lebende, schon oben erwähnte Thorner Gelehrte Gottfried
Centner in seinen Schriften 89 ) beruft — giebt an, dass die
Grossmutter des Nicolaus Coperiiicus dem Geschlechte der
Modlibög angehörte 90 ). Modlibög ist nun ein polnischer, echt
87 ) Stenzel Bombach, ein geborener Warschauer, lebte zu Danzig,
wo er auch im J. 1597 starb. Seine Chronik des «Danziger Aufruhrs»
ist, so viel wir wissen, noch nicht veröffentlicht worden. Die Original-
Handschrift wird in der königl. Dresdener Bibliothek aufbewahrt.
88 ) Prowe, z. Biogr. S. 11, 28, 43, 48.
89 ) «Thorner wöchentl. Nachrichten» 1762, S. 406 ff. «Geehrte und
Gelehrte Thorner» 1763, S. 49.
•°) Trotz vielfacher Bemühungen ist es uns nicht gelungen, uns die
in der vorigen Anmerkung bezeichneten Schriften Gottfried Centner's
zugänglich zu machen. Wir sind daher in Betreff derselben einzig
auf die Angaben Krzyzanowski's und Dr. Prowe's angewiesen. —
Krzyzanowski (Spomnienie jubil. S. 13) sagt nun mit aller Bestimmtheit,
Centner gebe in seinen «Geehrten und Gelehrten Thornern» nicht nur
an, dass des Copernicus Grossmutter aus dem Hause der Modlibög
stammte, sondern «er beweise zugleich, dass die Familie Modlibög
polnisch und vom Adel gewesen sei.» In Dr. Prowe's ersten Schrift
(zur Biogr. p. 48) lautet Centner's Nachricht einfach, «dass die Gross-
mutter des Nicolaus Copernicus dem Geschlechte der Modlibög an-
gehört habe», — offenbar jedoch in keinem Widerspruche mit
Krzyzanowski's Berichte, denn aus beiden geht in gleicher Weise her-
vor, dass, Centner's Zeugniss gemäss, die Gattin des Lucas Watzelrode
selbst Mitglied des Geschlechtes der Modlibög war, und
auch Modlibög gehe issen habe. In seiner spätem (lateinischen)
Abhandlung (de Nie. Cop. patria. S. 27) theilt indessen Dr. Prowe die-
selbe Nachricht Centners in folgender Weise mit: «Centner enim . . .
literis incautius mandaverat, .... aviam Copernici maternam pro -
pinquitate quadam cum gente Modlibogiana conjunetam
fuisse,» — was wiederum nichts anderes heissen kann, als nur, dass
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slavischer Klang, ja sogar ein bekannter westslavischer Eigen-
name 91 ), und wäre diese Angabe die richtige, so würde wohl
der Ausruf Krsyzanowski's keine bedeutende Modification zu
erleiden haben. Dr. Prowe entscheidet sich indessen für das
erste Zeugniss. Die Angabe Centner's erscheint ihm «mehr
als unsicher», weil sie sich «lediglich auf den Bericht
eines Ungenannten stützt» und weil es «mit Recht Verdacht
erregen muss, dass Centner, ein Thorner, sich über die Ver-
hältnisse von Thorner Familien auswärts her Rath gehölt.»
Centner gesteht nämlich, er habe die genealogische Tafel,
welcher er seine Angaben entnommen, «der Dienstfertigkeit
eines geneigten Freundes in Elbing zu verdanken». Wir
müssen nun unsererseits gestehen , dass uns keineswegs -die
Richtigkeit besonders der letzteren Einwendung Dr. Prowe's
einleuchten will, zumal wenn sie ihjn dazu dienen soll, die
ganze Angabe Centner's als unwahrscheinlich von vornherein
zu verwerfen. Der Ungenannte, der sich in Elbing aufhielt,
konnte ja mehrmals in Thorn gewesen sein, konnte ebenso
gut wie mancher Thorner, und vielleicht noch besser wie
mancher, Thorner, sich mit den Alterthümern Thorns befasst,
und dieselben durchforscht haben. Uebrigens liesse es sich
des Copernicus Grossmutter dem Geschlechte der Modlibög zwar ver-
wandt gewesen sei, nicht aber selbst, wie Dr. Prowe's erste Version
lautete, demselben «angehörte». Wie liesse sich nun ein solcher Wider-
spruch erklären und in welcher der beiden Anführungen wäre hier
das Versehen Dr. Prowe's zu suchen? Eine Frage, die uns wahr-
lich in eine grosse Verlegenheit würde gebracht haben, wenn wir nicht
bereits mit allen Manövern und den gewöhnlichen Hülfsmitteln Dr.
Prowe's so gut vertraut wären. Wie aber jetzt die Dinge stehen, kann
wohl auch nicht der mindeste Zweifel darüber obwalten, dass die der
Wahrheit nähere Angabe Dr. Prowe's nicht die der zweiten Emission
seiner Thesen ist.
91 ) Der Name kommt vor in dem «Mortuarium Podlazicense»,
welches sich in dem bekannten «Codex giganteus» der Stockholmer
Bibliothek befindet. Vgl. Hanns , Das Schriffcwesen der böhmisch-slo-
venischen Völkerstämme. Prag 1867, S. 33. Die weibliche Form:
«comitissa Modliboga» führt Baudouin de Courtenay, Slovar*, S. 25 an,
aus einer Urkunde vom. Jahre 1299, bei Muczkowski und Rzyszczewski,
Cod. dipl. Poloniae, II, 150—152.
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auch sehr leicht denken, dass manche Urkunden, die sich auf
die Familie des Astronomen bezogen, irgend wie nach Elbing
gekommen waren und dort von dem Aufzeichner der Genealogie
benutzt worden seien. Warum aber gleich bei Dr. Prowe das
rücksichtslos verwerfende Urtheil?
Ganz anders schwer ins Gewicht fallende Einwürfe kann
man indessen wohl gegen dasjenige Zeugniss erheben, welches
Dr. Prowe so ohne Weiteres in Schutz nimmt und für richtig
erklärt. Denn, fragen wir, lässt sich die Angabe, dass Lucas
Watzelrode, des Copernicus mütterlicher Grossvater mit einer
Tochter von Albrecht Russe vermählt war — mit der urkund-
lich feststehenden Thatsache recht vereinigen, dass ein Lucas
Russe, der um 1444 starb, Oheim desselben Lucas Watzel-
rode und seiner Schwester «Barbara Frysynne» gewesen? 92 ).
Aus dieser Thatsache geht notwendigerweise hervor, dass
Lucas Watzelrode selbst anderweitig dem Russe verwandt war,
und zwar, dass seine Mutter ans diesem Hause
stammte. Kann man aber dann ohne Bedenken von ihm
annehmen, dass er selbst eine Frau aus derselben Familie sich
zur Gattin nahm? An sich wäre allerdings ein solcher Fall
nicht ganz undenkbar, allein er ist im XV. Jahrhundert
geradezu unmöglich — man erwäge nur die strengen Kirchen-
vorschriften, welche damals die Ehe zwischen Verwandten ver-
pönten. Viel näher liegt hier daher die Annahme, Stenzel Born-
bach habe in seiner Stammtafel den Lucas Watzelrode mit seinem
Vater verwechselt, ein Versehen, welches in den menschlichen
Dingen etwas viel häufigeres ist, als gleicher Familienname
von Schwiegermutter und Schwiegertochter. Dazu kommt
noch, dass viele Nebenumstände unsere Hypothese unterstützen.
9S ) Dr. Prowe theilt in seiner Schrift : Zur Biographie etc. S. 11
ohne sie viel zu besprechen, folgende Verhandlung des Altstädtischen
Gerichtes zu Thorn aus dem Jahre 1444 mit: «Lucas Watzilrode mit
seiner elichen swester Barbara frysynne sein komen vor gehegt ding
und haben becant, das sie sich* gutlich und frundlich endscheiden
haben, umme das andirstorbene gut das en von irem keinen
Lucas Rewssen dem got genade andirstorben was das en beiden ge-
nügt.» etc.
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145
Es scheint vor Allem zwischen der Lebenszeit des Lucas
Watzelrode, oder vielmehr zwischen der seiner Gattin und
der Albrecht Russe's — von dem uns allerdings nur die zwei
Jahreszahlen 1392 und 1398 bekannt sind 9S ), ein für die ge-
wöhnlichen menschlichen Verhältnisse etwas langer Zeitraum
zu liegen, welcher schon allein genügen würde, die Vater-
schaft des Letzteren in Bezug auf Katharina Watzelrode mehr
als bedenklich zu machen. Lucas Watzelrode , der «Frau
Käthe» Gemahl, starb, wie oben erwähnt, schon im J. 1462,
wahrscheinlich nicht als Greis, sondern als Mann in der Reife
der Jahre 94 ). Nimmt man an, er sei um 1410 geboren, so
wird für die Geburtszeit seiner Frau ungefähr das Jahr 1415
imzusetzen sein, welches Jahr ungefähr auch andererseits eine
Bestätigung findet, wenn man nämlich annimmt, dass die
Mutter des Astronomen, als ihr derselbe im Jahre 1473 als
jüngstes Kind geboren war 95 ), etwa 30 Jahre, und wiederum
als sie selbst zur Welt kam (also um 1443) ihre Mutter eben-
falls 30 Jahre alt gewesen war 96 ). Wäre nun Katharina
Watzelrode auch wirklich um das Jahr 1415 geboren — und
sie wurde es eher nach als vor demselben, — so würde es
nur zu einer höchst seltenen Ausnahme gehören, wenn ihr
angeblicher Vater, Albrecht Russe, der sich schon um 1392
als Thorner Rathmann in voller Reife des Mannesalters be-
fanden haben muss, noch ein Viertel Jahrhundert später
Kinder gezeugt haben würde. — Zu dem nämlichen Resultate
kommen wir auch auf einem anderen Wege. Es werden ge-
wöhnlich für die Dauer eines Menschenalters 30 Jahre ange-
setzt, 60 odef 70 Jahre aber für die durchschnittliche Lebens-
M ) S. oben S. 142.
w ) Sein Sohn, der Ermländer Bischof Lucas, lebte noch ein halbes
Jahrhundert nach des Vaters Tode und starb erst 1512. S. Prowe, zur
Biogr, S. 52.
as ) Prowe, z. Biogr. S. 28.
öc ) Der Umstand, dass des Copernicus Grossmutter, bevor sie sich
mit Lucas Watzelrode vermählte , schon die Wittwe eines gewissen
Hans Peckaw war (s. Prowe, zur Biogr. S. 48), begünstigt unsere An-
nahmen.
Beit. z. Nat. d. Copernicus. 10
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146
zeit eines Menschen. Berechnet man nnn danach die Gene-
rationen der copernicanischen Familie von dem bekanntlich
im Jahre 1543 verstorbenen Nicolaus Copernicus an, bis auf
dessen vermeintlichen Urahnen Albrecht Russe, so ergeben
sich für die Geburt des Letzteren die Jahre 1380 — 1390, für
seinen Tod aber das Jahr 1450, Zeitangaben, die doch ge-
wiss nicht auf einen Thorner Rathsherrn des Jahres 1392
bezogen werden, und nur höchstens mit der Lebenszeit seiner
unmittelbaren Nachkommen zusammenfallen könnten. — Die
Gattin des Lucas Watzelrode war also nicht eine Tochter
von Albrecht Russe. — Lucas Watzelrode war aber, wie wir
wissen, Neffe eines im Jahre 1444 verstorbenen Lucas Russe 97 ).
Seine Mutter war demnach eine geborene Russe, offenbar die
Schwester des Lucas Russe und die Tochter des Rathmannes
Albrecht, von welcher Stenzel Bornbach spricht. Nicht also
Lucas Watzelrode selbst war des Albrecht Russe Schwieger-
sohn, sondern sein Vater. Diese Hypothese — wenn es noch
eine ist — füllt unsere Lücke aus, und setzt die Chronologie in
Ordnung. Sie ist, wie die Dinge stehen, der einzig mögliche
und daher auch der richtige Ansatz.
Wenn es nun einmal feststeht, dass die Tochter des Albrecht
Russe Grossmutter, und nicht Mutter der Barbara Kopernik
war, wer könnte dann ihre Mutter sein, die mehrmals er-
wähnte «Frau Käthe Watzelrodin?» Diese Frage beantwortet
positiv jenes von Dr. Prowe verworfene Zeugniss des Elbinger
«Ungenannten». Nach demselben stammte, wie wir schon
wissen, «Frau Käthe Watzelrodin» aus dem polnischen Ge-
schlechte der Modlibog. Es ist zwar zu bedauern, dass wir
über die Quelle dieser Mittheilung so gar nichts wissen, allein
wir besitzen bis jetzt weder Grund noch Mittel, sie irgend wie
anzufechten und müssen sie daher auch ohne Weiteres für
baares Geld hinnehmen. Diese Nachricht ist aber noch
andererseits dadurch empfehlenswerth, dass sie das einzige
Mittel bietet, die einander widersprechenden Angaben der Born-
07 ) Es scheint auch der Name Lucas dem Watzelrode zur Erinnerung
an diesen seinen Oheim bei der Taufe gegeben zu sein.
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147
bach'schen und der Elbinger Stammtafel zu vereinigen, zwischen
denen eine Wahl doch recht schwierig, ja sogar bei der voll-
ständigen Unmöglichkeit, diese Angaben zu prüfen, gar nicht
zu treffen wäre 08 ).
98 ) Es wird hier nicht am unrechten Orte sein, den wahrhaft
tadelnswerthen Leichtsinn und die Leichtgläubigkeit zu constatiren,
mit welchen alle deutschen Schriftsteller, die sich nach Dr. Prowe
mit den Lebensverhältnissen des Copernicus befassten, manche seiner,
wie wir gesehen haben, nichts weniger als genau und kritisch zu
nennenden Behauptungen in ihre Schriften aufgenommen und so zur
Verbreitung derselben beigetragen haben. Der anonyme Verfasser der
im Jahre 1856 zu Berlin (bei Bosselmann) unter dem Titel «Nicolaus
Copernicus, sein Leben und seine Lehre» erschienenen Biographie war der
erste, der dem Dr. Prowe die Namensform «Koppernigk» und die
Aeusserung entlehnte, von dem «niederdeutschen Klange» dieses
Namens. — Darauf kam Dr. Johannes Watterich mit seiner lateinischen
Dissertation : «De Lucae Watzelrode episcopi Warmiensis in Nicolaum
Copernicum meritis.» Königsberg 1856. Er überhäufte Dr. Prowe mit
Lobsprüchen: «Germanicae originis Copernici esse familiam, — sagt
er unter Anderm S. 6, Anm. 2 — ita Prowius demonstravit, ut qui
secus sentiant, temere id eos facere iam pateat.» S. 7 wiederholte er
dann ohne Weiteres die Behauptung, dass des Copernicus Grossmutter
eine Tochter von Albert Russe gewesen. In dem bekannten Aufsatze,
den er vier Jahre später publicirte («Nicolaus Koppernik ein Deutscher»
1860 in der Zeitschr. für Gesch. Ermlands), erscheint ihm, wiederum
nach Dr. Prowe, des Copernicus Vater im Jahre 1459 «als Thorner
Bürger beurkundet», weil es «ausser Zweifel ist, dass derselbe schon
1459 als Bürger von Thorn auftritt» (S. 403). Selbst der sonst so zu-
verlässige und gründliche Dr. Franz Hipler, Subregens des Clerical-
Seminars zu Braunsberg, welcher deutscherseits mit einer in vielfachen
Hinsichten werthvoll zu nennenden Quellenarbeit über Copernicus zu-
letzt auftrat, («Nikolaus Kopernikus und Martin Luther», gedruckt in
der Zeitschrift für Gesch. u. Alterthumsk. Ermlands. 1868, Bd. IV.
S. 475—549) konnte sich, trotz des Versicherns, er wolle kritisch zu
Werke gehen und nur «glaubwürdige Nachrichten» über den Lebens-
gang des Astronomen mittheilen (vgl. S. 483 u. 485), der Verfuhrung
nicht erwehren, die fertigen «Resultate dieser fleissigen Schrift» — so
nennt er S. 486 Anm. 23 die erste Abhandlung Dr. Prowers — ohne
jegliche Prüfung und jeglichen Vorbehalt mitzutheilen. In Folge
dessen heisst auch ihm der Vater des Astronomen mit Gutturalgemination
«Koppernigk», ist auch «allem Anscheine nach in Thorn geboren» und
erscheint «urkundlich seit dem Jahre 1459 als ein in Thorn ansässiger
10*
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148
War nun die Mutter der Barbara Kopernik eine Polin,
stammte sie aus einem eingeborenen westpreussischen Ge-
schlechte, so wird man vielleicht in der ganz besonderen Treue
und Anhänglichkeit gegen Polen, welche ihr Sohn, der spätere
Ermländer Bischof Lucas, des Copernicus Oheim und Gönner,
in so manchen Streitigkeiten mit dem deutschen Orden be-
wies ") auch einen Theil mütterlichen Einflusses erblicken
müssen, der unbewusst wirkend und sich im späteren Leben
von selbst fortpflanzend und stärkend, oft von weit grösserer
Bedeutung für eine ganze Lebensrichtung ist, als man gewöhnlich
zu glauben pflegt. Dieser leise mütterliche Einfluss wird
möglicherweise auch in der Laufbahn unseres Astronomen, den
wir bald als den treuesten Anhänger Polens, sein Lebenlang
eifrigen Beschützer und Verfechter polnischer Interessen sollen
kennen lernen, kein unwichtiges Moment gebildet haben.
So werden wir vielleicht, wenn wir dieses erwägen, leichter
begreifen können, warum Nicolaus Copernicus, von einer —
wenigstens dem Namen nach — deutschen Mutter in einer über-
wiegend deutschen Stadt geboren, sich doch in seinem ganzen
Lebenswandel so durch und durch undeutsch, so durch und
durch als ein wahrer Preusse 10 °), als ein Pole erweisen konnte.
Bürger ». Katharina Watzelrode wird aber einfach als «geboren Russe»
dem Leser vorgeführt (S. 486). Dass Unkraut doch immer so leicht
Wurzel fasst und gleich so üppig wuchert!
") Diese Treue und Anhänglichkeit des Lucas Watzelrode gegen
Polen, ist eine von jeher so notorische Thatsache (man vgl. dessen
Lebensbeschreibung in Rzepnicki's Vitae praesulum Poloniae. Posnaniae
1761—1763. 3 Bde.), dass sie selbst von den so antipolnisch, so
specifisch preussisch gesinnten Herausgebern der Ermländer Zeitschrift
für Geschichte und Alterthumskunde zugegeben werden musste. Man
vgl. z. B. im ersten Bande derselben (1858 — 1860) den Aufsatz des
Prof. A. Thiel «Das Verhältniss des Bischofs Lucas von Watzelrode
zum deutschen Orden».
ioo) ^ e senr a er ]^ ame «Preusse» als bezeichnend den Einge-
borenen des Landes ein Gegensatz zu dem «Deutschen» zu dem «Ein-
zöglinge» während der ganzen Dauer der Ordensherrschaft blieb, kann
man sich leicht aus unzähligen Stellen bei Voigt überzeugen. (Bei-
spielsweise fuhren wir hier Bd. VI, 700 und VIII, 677 an.) Die ein-
heimische Benennung «Prus», «Prusak» wurde für jeden Landesgeborenen
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149
von «Königlich-Preussen» nur dann allgemein, als die Spuren der
deutschen Herrschaft allmählich im Lande verschwanden. Dafür Hessen
sich wiederum unzählige Belege beibringen. Noch heutzutage liegt
für den Polen im Worte «Prusak» ein doppelter Begriff. Es bezeichnet
zuerst jeden Unterthanen des (deutschen) preuasischen Staates, dann
aber und vorzugsweise den (polnischen) Eingeborenen Westpreussens.
Noch im XVI. Jahrhundert versuchte man in Deutschland, Preussen
cNova Germania», «das neue Deutschland», zu nennen (Voigt IX, 426). —
Es täuscht sich daher Alexander von Humboldt (Kosmos II, 497) auf
eine bittere Weise, wenn er das Wort «Prussia» im XVI. Jahrhundert
im Sinne der heutigen Monarchie und der «nation Prussienne» Friedrichs
des Grossen hinnimmt, um dann in Bezug auf unseren Astronomen
folgende Worte, die er einem Briefe des ermländer Bischofs Martin
Kromer vom 21. November 1580 entlehnt, mit Nachdruck hervorzu-
heben: «Cum Nie. Copernicus vivens ornamento fuerit, atque etiam
nunc post fata sit, non solum huic Ecolesiae, verum etiam toti Prus-
siae patriae suae, iniquum esse puto, eum post obitum carere
honore sepulchri sive monumenti.» Wahrlich, aus dieser Anerkennung,
die ihm ein polnischer Bischof zollte, geht doch nichts weniger als
deutsche Nationalität für Nicolaus Copernicus ^hervor !
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Des Nicolaus Copernicus Denk- und
Handlungsweise.
Nicolaus Copernicus ward, wie wir gesehen haben, durch
den Ort und die Zeit, wo er die Welt erblickte, so wie durch
die Herkunft seiner Eltern und alle diese von dem mensch-
lichen Willen unabhängigen Factoren des Schicksals, die jedem
Individuum gleich bei seiner Geburt einen bestimmten Cha-
rakter einprägen, ihm bereits in der Wiege das Loos voraus-
bestimmen und oft mit Gewalt in eine Bahn stossen, aus
welcher ihn im späteren Leben sein Wille nur selten heraus-
bringen kann — Nicolaus Copernicus war durch das, was wir
den Zufall seiner Geburt nennen würden, auf der Gränzscheide
zweier verschiedenen Volkswesen, des germanischen und des
slavischen, auf der Gränzscheide zweier bestimmten und aus-
gebildeten Nationalitäten, der polnischen und der deutschen,
auf der Gränzscheide endlich zweier für seine preussische
Heimath verschiedenen Zeitalter, des deutschen und des polnischen
gestellt worden. Polnisches Blut floss in seinen Adern, allein
deutsche Atmosphäre umschwebte seine Wiege und die deutsche
Sprache muss ihm von Kindheit an wenigstens ebenso ver-
traut gewesen sein, wie die polnische, die angeborene Sprache
seines Vaters, die angeborene seines preussischen Volkes
«Es durfte sich nun Kopernik seine Nation selbstständig
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i
151
wählen, er durfte durch seine Thaten als Mann beweisen,
welchem Volke er angehören, welches Volk er das Seinige
nennen wolle; — Kopernik hat seine Wahl getroffen, und
durch sein ganzes Leben bezeugt, dass er sich als Pole fühlte,
dass er ein Pole war!» — So würde vielleicht heutzutage
nrtheilen wollen, wer einem Volke angehört, bei dem hundert-
jährige nationale Leiden und die grausame Verfolgung selbst
des Nationalgefühls, dasselbe bis zu einem Grade gesteigert
haben, welchen man so bezeichnend eine «Leidenschaft» nennt —
allein ein solches Urtheil würde die Stellung und den Cha-
rakter des grossen Mannes und seiner Zeit gründlich ver-
kennen. — Copernicus war vor Allem ein Mann der Wissen-
schaft, er war nach der vortrefflichen, kurzen, aber Alles
sagenden Charakteristik Keplers: «Vir maximo ingenio, et,
quod .... magni momenti est, animo liber» *). Um die
Gemüthsruhe, die ihm zur Durchführung seiner grossen Ideen
erforderlich war, zu erlangen, um diese «libertas animi» sich
anzueignen, musste Copernicus jeder Leidenschaft, jedem welt-
lichen, materiellen Streben entsagen. Er musste anstatt dessen
das strenge Pflichtgefühl, das jede Leidenschaft ausschliesst
und vertilgt, über sich hinwalten lassen, er musste es in allen seinen
Beziehungen zu seinen Mitmenschen einhalten. Dieses streng
beobachtete Pflichtgefühl war nun auch das Band, welches den
grossen Denker an seine Heimath, an seine Mitbürger knüpfte,
es war ihm der Antrieb, nicht blos für die Wissenschaft,
sondern auch für seine Mitwelt, für sein Volk und sein Vater-
land zu leben und zu wirken.
Welchem Volke aber und welchem Vaterlande dieses Wir-
ken gelten sollte, darüber hatte er nicht erst sich zu ent-
scheiden, — das Pflichtgefühl, das sein Wegweiser war, kennt
die Wahlfreiheit nicht; dasselbe zeigte ihm deutlich genug,
dass sein Volk und sein Vaterland nicht etwa in Italien, in
Frankreich, auch nicht in Deutschland zu suchen war. Die
Anhänglichkeit an Land und Krone Polen war in seiner
Familie, bei seinen Verwandten und Gönnern zu einer Tradition
J ) Tabulae Rudolphinae. Ulm 1627. Praefatio p. 4.
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152
geworden 2 ). In dieser traditionellen Hingebung erwuchs auch
der junge Copernicus. Gleich seinen Verwandten und allen
Theueren, hegte auch er das feste Bewusstsein in sich, dass,
wie sich jemals seine Heimath, das Land Preussen, von dem
Orden hart bedrückt, aus freien Stücken dem König von Polen,
seinem rechtenHerrn, zuwandte und demselben ewigeTreue schwur,
diese Treue ihm auch jetzt und in alle Zeiten unerschütterlich zu
bewahren sei, vielmehr die Bande, welche Preussen, diesen
lange dürre gebliebenen, jetzt wieder auflebenden Ast des
grossen polnischen Stammes an Polen knüpften, immer fester
und enger anzuziehen seien. Das war der lautere Quell, aus
welchem Copernicus jene männliche, unerschütterliche, patrio-
tische Gesinnung schöpfte, die ihn sein Lebenlaug auszeichnete,
und als deren Ausfluss jede seine That, die aus dem Umkreise
seines Privat- und wissenschaftlichen Lebens hervortrat , an-
gesehen werden muss. Und daher ist Nicolaus Copernicus
nicht nur zum Helden der allumfassenden Wissenschaft, zum
Weltweisen geworden, dem alle Völker huldigen und den alle
Gelehrten bewundern, — er: ist auch daneben ein um seine
preussische Heimath, um sein polnisches Vaterland wohlver-
dienter Bürger, dem sein Volk stets ein dankbares Andenken
bewahren wird. —
So viel über den Gesichtspunkt, aus welchem wir andere
Polen, den Copernicus in seinem bürgerlichen Thun und
Wirken zu betrachten haben. Dass dieser Gesichtspunkt nun
den Deutschen, die den Copernicus zu ihrem Landsmann
machen möchten, notwendigerweise fehlen muss, wird sich,
wie wir hoffen, aus den auf das politische Auftreten des Astro-
nomen bezüglichen biographischen Einzelheiten, zu deren Be-
sprechung wir jetzt übergehen, sattsam herausstellen. Unter
so bewandten Umständen darf es uns aber auch nicht wundern,
wenn diejenigen Biographen des Thorner Astronomen, die ihn
zu einem in jeder Beziehung tadellosen deutschen stempeln,
*) "Wir erinnern anKopernik's Oheim, den Ermländer Bischof Lucas
Watzelrode, und an Kopernik's Schwager, den Thörner Burggrafen
Tilmann von Allen, der sich des besten Vertrauens König Kasimirs IV.
erfreute.
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153
gerade diese Einzelheiten aus seinem Leben entweder ganz
verschweigen oder wenigstens sie zu verwischen suchen, oder
endlich sie in einem falschen Lichte darstellen. Allerdings
ist auch hier, wie bei jeder menschlichen Unternehmung, das-
jenige, was bei Manchen aus einer bewussten, innern Tendenz
hervorgeht, bei Andern nur Unkenntniss und argloses Nach-
sprechen auf guten Glauben Unsere Pflicht ist aber,
das Entfallene i oder ausser Acht gelassene zu ergänzen, das
falsch Dargestellte zu berichtigen, gleich wohl aus welchen
Ursachen und Beweggründen die Fehler begangen worden.
Diese Pflicht, wohlan, sie sei erfüllt, soviel es in unsern
Kräften steht!
Ueber die Jugendjahre des Copernicus ist uns nicht die
geringste Ueberlieferung erhalten. Das erste sichere Datum,
das wir, nach dem Geburtsjahre, aus seinem Leben besitzen,
ist das Jähr 1491, wo der 18jährige Jüngling sich als «Ni-
colaus Nicolai de Thuronia» in das Album der Studirenden
auf dem «Studium Jagellonicum» zu Krakau einzeichnen Hess 3 ).
Alles, was wir daher über sein erstes Jugendalter schliessen
können, muss sich darauf beschränken, dass er fleissig in
Thorn zur Schule ging 4 ) und eifrig das Latein studirte, wenn
er so früh dazu reif war, seine Studien auf der Universität
fortzusetzen. Was nun den jungen Thorner dazu bewog,
geradezu Krakau und nicht eine der zahlreichen Hochschulen
Deutschlands zu wählen, wird uns nicht berichtet. Nicolaus
hatte, als er kaum in einem Alter von zehn Jahren stand,
seinen Vater verloren. Vielleicht war es der Wille des Ver-
storbenen gewesen, dass sein junger, hoffnungsvoller Sohn sich
8 ) Diese Einzeichnung geschah «in rectoratu nono Venerabilis viri
magistri Matthie de CobiHno Sacre theologie professoris lectoris ordi-
narii ejusdem, commutatione hyemali.» Vgl. Krzyzanowski, Sjjpmn.
jubil. S. 18. Prowe, z. Biogr. S. 50. de Nie. Copern. patria S. 28.
*) Wernicke (Gesch. Thorns I, 344) stellt die Vermuthung auf,
Nicolaus habe seine erste Ausbildung in der Johannisschule zu Thorn
erhalten «von der aus die Hochschule besucht werden konnte».
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154
in derselben Stadt, wo auch er seine Jugend zubrachte, zum
Manne heranbilde, unter der Obhut der zahlreichen Freunde,
Verwandten und Gönner, die ihm doch gewiss dort zurück-
geblieben waren. Vielleicht war es nur in Nicolaus eine
n Nachwirkung der väterlichen Erzählungen , die ihn in seiner
Kindheit fesselten, von der Pracht, dem Reichthum und der
Schönheit der polnischen Hauptstadt, — was ihn bewog, die-
selbe für seine Studienjahre zu seinem Aufenthaltsorte zu
wählen; vielleicht endlich, und was das wahrscheinlichste ist,
zog den künftigen Reformator der Sternkunde schon damals
nach Krakau der ganz besondere mathematische Ruhm der
polnischen Hochschule, durch welchen sie zu jener Zeit unter
allen Universitäten Deutschlands hervorglänzte 5 ). Wie dem
auch sei, es bleibt die Thatsache, dass Nicolaus Copernicus,
nach Beendigung seiner Schulstudien, keine andere, als die
Krakauer Universität bezog, für die uns hier beschäftigende
Frage nicht ohne eine gewisse Bedeutung. Der Umstand,
dass eine polnische Hochschule und polnische Lehrer zu seiner
Ausbildung als Jüngling beigetragen, knüpft noch enger die
Bande, welche den Thorner Astronomen an sein gesammtes
Vaterland fesseln, er steigert und erweitert das Anrecht,
welches das gesammte Polen auf seinen Copernicus hat.
Der Mann, der zur Zeit als Copernicus in Krakau erschien,
vorzugsweise jenen weit verbreiteten mathematischen Ruhm
der Jagelionischen Universität repräsentirte, war unstreitig
Albert von Brudzewo, einer der begabtesten und bekanntesten
Astronomen seiner Zeit. Dieser Umstand veranlasste nun,
aller Wahrscheinlichkeit nach, den ältesten unter des Copernicus
Biographen, Szymon Starowolski 6 ) , den Nicolaus zu einem
6 ) «Celebre gymnasium Craeoviense multis claris doctissimisque
viris pollet, aatronomiae tarnen studium maxime viret, nee in tota
Germania illo clarior reperitnr» — sagt der Zeitgenosse Hartmann
Schedelius in «Chronica Norimbergensia.» Nürnberg 1493.
* Grassendi («Tychonis Brahei vita, accessit Nicolai Copernici,
Georgü Peurbachii et Joannis Regiomontani vita.» Hagae Comitum 1654)
ist, namentlich in Deutschland, lange Zeit irrthümlich für den ersten
Biographen des Copernicus gehalten worden. Zur Bekräftigung dieser
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155
unmittelbaren Schüler des Brudzewski in Krakan zu machen.
Dem Starowolski folgte dann der Franzose Peter Gassendi
und aus der Schrift desselben ging diese Nachricht ohne Aus-
nahme in alle bis auf den heutigen Tag in allen beliebigen
Sprachen erschienenen Biographien unseres Astronomen über.
Und trotzdem steht es im jetzigen Augenblick fest, dass
Albert von Brudzewo, wenigstens nicht officiell, nicht in den
Hörsälen der Krakauer Akademie, ein Lehrer des Nicolaus
Copernicus in der Mathematik sein konnte. Denn Albert von
Brudzewo hat während der ganzen Aufenthaltszeit des Nicolaus
in Krakau (1491 — 1494 oder 1495) keine mathematischen
Vorlesungen mehr gehalten. Er hatte sich damals ganz auf
den Aristoteles gelegt und behandelte nunmehr in seinen Vor-
lesungen, bis zu seiner im Jahre 1494 erfolgten Abreise nach
Lithauen, wohin ihn der Grossfürst Alexander rief, einzelne
Schriften des griechischen Philosophen. Wenn demnach die
Ansiebt trug noch vor wenigen Jahren Dr. Prowe bei, der in seinen
«Mittheilungen aus schwedischen Archiven und Bibliotheken» (Berlin
1853, Einleitung § 1) nachdrücklich betonte, dass «die erste Biographie
des Copernicus im Jahre 1654 erschien.» Dieser Behauptung entgegen
wies zuerst Dominik Szulc in seiner zwei Jahre darauf (1855 zu
Warschau) erschienenen Abhandlung: «2ycie Mikolaja Koperaika» auf
eine Schrift des bekannten polnischen Historikers und Publicisten des
17. Jahrhunderts Szymon Starowolski hin, betitelt: «Elogia ac vitae
centum Poloniae scriptorum.» Venetiis 1627. (Die erste bei weitem
schlechtere und unvollständigere Ausgabe dieser Schrift erschien zu
Frankfurt 1625 unter dem Titel: Scriptorum Polonorum hecatontas).
In diesem Buche ist S. 158—159 eine kurze, ihrem Inhalte nach aber
gedrängte und kernhafte Biographie des Astronomen enthalten, aus
welcher, wie es aus dem Vergleiche sich ergiebt, Gassendi fast alle
auf das Leben des Copernicus bezüglichen Data und Einzelheiten ge-
nommen hat. Ein Pole ist es also, dem der Name des ersten Bio-
graphen des Copernicus mit Ehren gebührt, und es ist jetzt dem
Starowolski in dieser Hinsicht auch in Deutschland Gerechtigkeit zu
Theil geworden: Dr. Franz Hipler hat in seiner bereits hier erwähnten
Abhandlung der Ermländer historischen Zeitschrift nicht nur den Irr-
thum, welcher den Gassendi zum ältesten Biographen des Copernicus
machte (S. 496 Anm. 44) constatirt, sondern er hat auch den ganzen
Aufsatz Starowolski's, der Seltenheit dessen Schrift wegen, im Anhang
zu seiner Abhandlung abdrucken lassen.
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156
kurze Angabe Starowolski's 7 ), die.Gassendi dahin aroplificirt 8 ),
dass er angiebt, Gopernicus habe nicht nur des Brndzewski
mathematische Vorlesungen fleissig besucht, sondern er sei
auch mit seinem Lehrer in vertrautem persönlichen Umgange
gewesen — nicht jeder thatsächlichen Grundlage entbehrt, so
müs8te ihre Geltung eben nur auf jenen Privatumgang des
jungen Adepten mit dem gelehrten Manne beschränkt werden.
Denn das hier über Brndzewski Gesagte leidet keinen Zweifel.
Unsere Mittheilung ist dem handschriftlichen Lectionskataloge
der Krakauer Universität, dem sogenannten «Liber dili-
gentiarum» entnommen, welcher bis jetzt in der Universitäts-
Bibliothek (E. E. II, 12, oder No. 249) aufbewahrt wird und
mit dem Jahre 1487/8 beginnt 9 ). — Ist nun aber Brndzewski
nicht mehr mit der früheren Bestimmtheit als Lehrer des
Copernicus zu bezeichnen 10 ) — wem gebührt dann die Ehre,
7 ) p. 158. «Copernicus igitur cum in Academia Cracoviensi sub
Alberto Brudzevio Mathematicas artes didicisset» etc.
8 ) Gassendi S. 292 (Ed. 1655): «Interim vero, quia a primis annis
ardore Matheseos magno tenebatnr, non neglexit sane praelectiones
Alberti Brudzevii in eadem Academia Mathematicas artes profitentis,
quem etiam fuit solitus et convenire, et audire privatim. Astrolabii
usum, et rationem cum ab eo didicisset» etc.
•) Nach dem «Liber diligentiarum» hielt Brndzewski in der Zeit vor
der Ankunft des Copernicus nach Krakau folgende mathematische Vor-
lesungen: 1487/8 «Arithmeticam», 1488 «Theoricas planetarum», 1488/9
«de scientia motus orbis Messahalae», endlich 1489 «Perspectivam»
und das war die letzte.
Alle Nachrichten des «Liber diligentiarum», die wir hier mit-
theilen, sind einem Aufsatze des Prof. Karlinski in Krakau entnommen,
der sie zuerst zusammengestellt und durch Druck veröffentlicht hat.
Der Aufsatz Karlinski's führt den Titel: «Rys dziejtfw obserwatoryum
astronomieznego uniwersytetu Krakowskiego» und ist S. 70—143 der
1864 zu Krakau herausgegebenen Gedächtnisschrift: «Zaklady uni-
wersyteckie w Krakowie, przyczynek do dziejow oswiaty krajowej
podany i pamigei pieciusetletniego istnienia Uniwersytetu Krakowskiego
poswiecony przez c. k. Towarzystwo Naukowe Krakowskie» gedruckt.
10 ) Die neuen Freunde und Biographen des Copernicus in West-
preuBsen scheinen sich ganz wunderbar um frische und genaue Nach-
richten darüber zu kümmern, was in Polen betrefflich des von ihnen
behandelten Gegenstandes Neues im Druck erscheint. Ein ganzes
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ihn für diejenige Wissenschaft begeistert und dauernd gewonnen
zu haben, durch welche er später so hoch erglänzen sollte?
Jahr nach der Herausgabe in Krakau, der von uns in der vorher-
gehenden Anmerkung angefahrten Schrift, lässt Dr. Prowe in die
Neuen Preussischen Provinzialblätter (1865, 3. Folge, Bd. X, S. 55)
einen Bericht einrücken, in welchem er noch von der zu erwarten-
den Veröffentlichung der interessanten Forschungen Prof. Kar-
linski's über den Krakauer Aufenthalt des Copernicus spricht. Drei
Jahre darauf, 1868, weiss wiederum Dr. Hipler, trotz allem Fleiss
und aller Sorgfalt, mit denen er an seiner Abhandlung: «Nikolaus
Kopernikus und Martin Luther» gearbeitet, noch nichts von Professor
Karlinski's Publication. Copernicus ist ihm noch immer ein unzweifel-
hafter Schüler des Albert Brudzewski. Etwas mehr Rücksicht indessen
auf Bücher, die in polnischer Sprache erscheinen , würde ihm diesmal
den Dienst geleistet haben, dass er des unangenehmen Zwanges ledig
wäre, einen bestimmten, durch und durch polnischen Professor, dessen
Namen nicht etwa «Brudler», sondern wirklich «von Brudzewo» war
(vgl. Hipler S. 490, Anra. 16), speciell als Lehrer des Copernicus auf
der polnischen Hochschule zu nennen. Allerdings, sei hier bei Gelegen-
heit hinzugefugt, hat sich Dr. Hipler durch das Aufzählen in seiner
Schrift von muthmasslichen , früheren deutschen Professoren des Co-
pernicus, diesen Zwang reichlich zu vergüten, so wie auch meisterhaft
den schlechten Eindruck zu paralysiren gewusst, welchen ein polnischer
Lehrer auf deutsche Leser vielleicht machen könnte. Nachdem er
S. 485 (11) seiner Abhandlung die Erklärung vorausgeschickt, er wolle
die Jugendjahre Koperniks mit «eingehender, gründlicher Kritik» be-
handeln, wie nie zuvor geschehen, wiederholt Dr. Hipler die Ver-
muthung Wernicke's von dem Besuchen der Johannis-Schule zu Thorn
durch Nicolaus nicht nur, sondern er setzt noch bescheiden hinzu, dass
68 «nicht ganz sicher sei», ob «der gelehrte Magister Johannes Wohl-
gemuth von Heilsberg, der eine Zeitlang Rector dieser Schule gewesen,
auf die Ausbildung des jungen Schülers irgend welchen Einfluss geübt.»
Denn möglicherweise — fährt Dr. Hipler fort — kann Johannes
Teschner, der 1477 Rector war, sein Lehrer gewesen sein. Nachdem
nun so Nicolaus die Johannis-Schule zu Thorn unter deutschen Meistern
glücklich beendigt, lässt ihn Dr. Hipler noch nach Culm wandern, um
auch bei den dortigen deutschen Lehrern Unterricht zu geniessen, ob-
gleich es, wie uns Wernicke belehrt, schon genügte, die Thorner Schule
durchgemacht zu haben, um für die Universität reif zu sein, und ob-
gleich, wie Dr. Hipler es selbst angiebt, die Culmer Schule «ein so-
genanntes Particular» war, welches «den preussischen Jünglingen aus-
gesprochenermassen Vorbereitung und Ersatz für die Universi-
tät sstudien bieten sollte.» Und noch nicht damit zufrieden,
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Eine Antwort hierauf giebt wiederum am besten das eben
erwähnte Krakauer Lections-Verzeichniss. Es nennt uns, sicher
und genau, die Lehrer, welche während des akademischen
Trienniums resp. Quadrienniums unseres Copernicus in Krakau
mathematisch- astronomische Vorlesungen hielten. Dieselben
waren zum Theil Collegen, zum Theile auch Schüler des
Brudzewski. Ihre Namen lauten im «Liber diligentiarum»
wie folgt:
1. Albert von Pniewy (1492/3 «Theoricam planetarum»,
1493/4 «Perspectivam»);
2. Johannes von Gromadzice (1492/3 «des Regiomontanus
Kalender») ;
3. Bernhard von Biskupie (1492/3 «Tabulas resolutas», 1493
«de eclipsibus») ;
4. Stanislaw von Olkusz (1493 « Arithmeticam» , 1494/5
«Theoricam planetarum»);
5. Johannes von Szadek (1492 «Novam theoricam plane-
tarum») ;
6. Martin von Zeburg (1494/5 «Arithmeticam», 1495 «Ta-
bulas resolutas»);
7. Albert von Szamotuiy (1493 «Astrologiam» , 1494/5
«Ptolemaeum») ;
dass er so den Knaben, bevor derselbe die polnische Universität bezog,
in alle möglichen deutschen Schulen seiner Heimath geschickt hatte,
lässt Dr. Hipler den Jüngling (S. 507), nachdem er die Krakauer Hock-
schule verlassen «ein und das andere Mal/ auf seinen Reisen nach
Italien, Nürnberg besuchen und dies auf Grund eines vagen, allgemeinen
Ausdruckes Starowolski's («diversas Germanorum Academias invisit,
tum et aliorum, ubi tum studia florebant») den er, im Mangel genauerer
Nachrichten über des Copernicus Wanderjahre, in die erste (schlechtere)
Ausgabe seiner Hecatontas (S. 88) einrücken Hess. Endlich, um jede
Erinnerung an die Krakauer Universität vollends zu verwischen, lässt
Dr. Hipler (S. 509) die Wahrscheinlichkeit durchleuchten, dass Nicolaus
Copernicus vielleicht Professor an der preussischen, von Lucas Watzel-
rode projectirten Hochschule, würde geworden sein, wenn diese Hoch-
schule — würde zu Stande gekommen sein! — Wie erfindungsreich
wird nicht der Schriftsteller, dem eine vorgefasste Meinung, eine be-
stimmte Tendenz zum Ziele voranleuchtet 1
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159
8. Martin von Szamotuty (1492 «Arithmeticam»);
9. Bartholomaeus von Oraczöw (1495 «Euclides»);
10. Simon von Sierpc (1494 «Tabulas resolutas», 1495 «Per-
spectivam») ;
11. Bartholomaeus von Lipnica (1492/3 «Euclides»);
12. Martin von Olkusz der Aeltere (1492/3 «Perspectivam»,
1493/4 «Des Regiomontanus Kalender», 1496 «Astro-
logiam») ;
13. Stanislaw von Kleparz (1493 «Euclides», 1493/4 «Arith-
meticam», 1494/5 «Euclides»);
14. Matthias von tazy;
15. Nicolaus von Labiszyn (1492 «Scientiam motus orbis»,
1492/3 «Arithmeticam», 1493 «Perspectivam», 1493/4
«Theoricam planetarum»).
Welche von diesen Professoren Copernicus während seiner
Studienzeit hörte und welche er nicht hörte, wer von den-
selben auf die Entwicklung und Richtung seiner wissen-
schaftlichen Bestrebungen den meisten Einfluss geübt, bleibt
uns wiederum nur zu errathen. Wir dürfen jedoch mit vieler
Wahrscheinlichkeit behaupten, dass den wissensdurstigen auf-
strebenden Jüngling unter Anderem die von Johannes Szadek
docirte «nova theorica planetarum» ganz besonders ansprach;
denn es war die nämliche damals berühmte Theorie des
deutschen Astronomen Penerbach, welche Albert von Brudzewo
so trefflich commentirte in der von einem seiner Schüler 1495
zu Mailand herausgegebenen Schrift: «Commentariolum supra
theoricas novas Georgii Purbachii in studio generali Craco-
viensi per Magistrum Albertum de Brudzewo, pro introductione
juniorum, corrogatum. » — Copernicus wird ferner ohne
Zweifel den specifisch astronomischen Vorlesungen (dem Pto-
lemaeus) des Albert von Szamotuly gefolgt sein, und er muss
sich noch in Krakau mit den astronomischen Instrumenten
(wie dem Astrolabium) und deren Gebrauch wohl vertraut
gemacht, sowie auch keine unbedeutende Observationsfertigkeit
sich daselbst angeeignet haben, wenn er zwei Jahre später
(1497) in Bologna, nach dem ausdrücklichen Zeugnisse des
Rheticus «non tarn discipulus, quam adjutor et testis obser-
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160
vationum» des berühmten dortigen Professors der Mathematik
Dominicus Maria werden konnte 11 ).
Wir achten uns für glücklich, wenn wir diese summarische
Zusammenstellung dessen, was uns über die Krakauer Studien
des Copernicus historisch gegeben ist, mit einigen uns gleich-
falls erhaltenen Namen derjenigen Mitschüler des grossen
Mannes beschliessen können, mit denen er in den Räumen der
Krakauer «Alma mater» Freundschafts- Verbindungen schlosa,
welche die kurze Zeit der Stadiengenossenschaft überdauerten
und dem später im entlegenen Frauenburg an der Ausführung
seines unsterblichen Werkes arbeitenden Manne, von Krakau
aus, dem Mittelpunkt des staatlichen und wissenschaftlichen
Lebens Polens, in vielfacher Hinsicht behülflich wurden. Die
Freunde des Copernicus waren gleich ihm junge Leute, welche
dem allgemeinen, mächtigen Impuls nach Bildung und Wissen-
schaft nachdrangen, welcher damals alle Gemüther ergriffen
hatte und eine neue Aera im grossen Menschenleben ver-
kündigte. Ihre Namen gehören alle zum wissenschaftlichen
Ruhm Polens im 16. Jahrhundert. Es waren dies :
Jaköb vonKobylin, der sich vorzugsweise dem Studium
der Astronomie hingab und eine seiner Zeit geschätzte Schrift
über den Gebrauch des Astrolabiums verfasste.
Bernhard Wapowski. Er ist bekannt als Autor einer
im Auftrage König Sigismunds I. in lateinischer Sprache ge-
schriebenen ausführlichen Geschichte seines Vaterlandes.
Martin vonOlkusz der Jüngere wurde bereits im Jahre
1488 zum Baccalaureus in Krakau promovirt und erhielt, im
Jahre 1491, den Magistergrad. Daher ist er auch eher ab
ein älterer Freund des jungen Copernicus, denn als ein Mit-
schüler desselben zu erachten. Er wurde in der Folge a» 1517
Professor der Theologie, dann mehrmals Rector der Universität
und starb 1540 im Amte eines Vice-Kanzlers derselben. Sein
wichtigstes Werk ist das Gutachten : «De . nova calendarii
Roinani reformatione», welches er im Jahre 1517 im Auf-
trage der Universität für den Papst Leo X. ausarbeitete, zur
Zeit als sich derselbe mit dem Gedanken einer Kalender-
") Rhetici narratio prima ad Schonerum in der Warsch. Ausg. S. 490.
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161
besserung trug. Das Maimscript Martins von Olkusz wird bis
auf den beutigen Tag in der Krakauer Bibliotbeca Jagellonica
aufbewahrt.
Zu diesen drei Männern ist nun noch ein jüngerer Zeit-
genosse unseres Astronomen hinzuzurechnen, mit dem sich
Kopernik, aller Wahrscheinlichkeit nach, erst später, zur Zeit
eines seiner nachherigen Aufenthalte in Krakau in Bekannt-
schaft setzte. Es ist der im Jahre 1489 geborene, durch seine
astrologischen Studien und vielfachen Schriften ähnlichen
Inhalts bekannte Nicolaus von Szadek, Professor der
Theologie und Rector der Krakauer Universität 12 ).
u ) Die Namen dieser Krakauer Freunde des Copernicus giebt
Szymon Starowolski a. a. 0. S. 158 an: «Copernicus igitur, cum in
Academia Cracoviensi . . . . una cum Jacobo Cobilinio, qui Astro-
labii declarationem scripsit, Mathematicas artes didicisset» etc. und
S. 159: «Vita incolumi solitudinem amavit, nee jungebatur amicitia
nisi viris doctis, inter quos familiäres habuit Vapovium
Cantorem Cracoviensem, ad quem scripsit epistolam de motu Octavae
sphaerae (dieser Brief ist in der Warsch. Ausg. S. 575 — 582 abgedruckt),
Nicolaum de-Schadek, Martin um de Ilkus olim condiseipulos
suos.» Nach Starowolski hat sie dann Gassendi (ed. 1655) S. 293
wiederholt. Die späteren deutschen Biographen des Copernicus, wie
Lichtenberg, Westphal, der Anonyme des Jahres 1856 haben sich, bis
auf Hipler (1868), wohlweislich gehütet, etwas von den polnischen
Freunden des Thorner Astronomen verlauten zu lassen.
An dieser Stelle sind wir noch unsern Lesern die Mittheilung des
an die eben genannten Freunde des Copernicus anknüpfenden Resultates
schuldig, zu dem uns eine Untersuchung geführt hat, die wir über die
hier nachstehenden Worte Krzyzanowski's anstellten. Derselbe sagt
nämlich (Spomnienie jubil. S. 16—17): «Aus einer Handschrift der alten
Bursa der Ungarn zu Krakau ermittelten wir, dass die Zöglinge derselben
den Copernicus nicht einen Preussen, sondern vielmehr einen Mas uren
nannten.» Die hier von Krzyzanowski gemeinte Handschrift; ist nun
ein Codex der «Bibliotheca Jagellonica», welcher unter dem Titel:
«Regestrum bursae Cracoviensis Hungarorum nunc primum ex auto-
grapho codice bibliothecae Cracoviensis editum» zu Ofen 1821 abge-
druckt worden ist. Es ist dies nichts Anderes, als die offizielle
Matrikel der ungarischen Bursa, welche in Krakau an der Universität
bis zum Jahre 1539 bestand, wo sie wegen der geringen Anzahl der
Zöglinge, die das Haus zu unterhalten nicht mehr im Stande waren,
aufgelöst werden musste. Diese Auflösung wird uns am Ende . des
Beitr. z. Hat. d. Copernicus. \\
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162
Wie nun Copernicus diese seine Jugendfreundschaften im
späteren Leben zu erhalten und zu pflegen wusste, so be-
wahrte er auch der Krakauer Universität, obgleich er, in der
Folge andere, berühmtere Lehranstalten kennen lernte, stets
eine wohlwollende, erkenntliche Erinnerung und erklärte offen,
er habe derselben, als dem Urquell seines Wissens, alle seine
Errungenschaften zu verdanken 13 ).
«Regestrum» (S. 53) von einem der letzten Mitglieder der Bursa in
grellen Farben erzählt, in jenem charakteristischen, verdrossenen,
baroken Tone, der den Scholaren des 15. und 16. Jahrhunderts so sehr
eigenthümlich ist. — Nachdem die Zöglinge das Local der Bursa ver-
lassen und das Hausgeräth zu ihrem eigenen besten verkauft; hatten,
berichtet unser Ungenannte, wurden ihnen Wohnungen in der «bursa
philosophorum» angeboten. «Sed cum difficile esset agnis — fahrt er
fort (S. 54) — inter lupos Masovitas versari, maluimus praetio habi-
tationes conducere, ac passim in Civitate manere, quam cum inimicis
omnium versari.» Unsere Ungarn hatten offenbar einen schweren
Stand unter den Polen der Bursa Philosophorum, denn es folgt in dem
Texte eine Reihe der heftigsten, lateinischen und griechischen In-
vectiven gegen die Mitglieder derselben, die aber allem Anschein nach
mehr gegen den gelehrten Vorstand der Bursa, als gegen die Mitschüler
selbst gerichtet zu sein scheinen. «Hi soli sunt (cum alii omnes tarn
Doctores, quam Magistri summa semper nos prosequuti sunt bene-
volentia) qui nostris in Universitate hac in vident successibus ....
(S. 55). Sed' perdet Deus eorum conatus, consiliumque , quod contra
nos machinati sunt, in eorum caput sceleratissimum convertat. Nos
autem dum vivemus omnium Universitatis hujus procerum in nos collata
beneficia, plenis semper apud nostros homines praedicabimus encomiis,
quorum in numero primus est piusille Nicolaus a Schadek, Bene-
dictus a Kozmin» etc. etc. — Wie man sieht, hat Krzyzanowski aus
dem Umstände, dass Nicolaus von Szadek, ein Freund des Copernicus,
hier ohne denselben als Freund und Gönner der Ungarn genannt
wird, den Schluss gezogen, dass Copernicus selbst notwendigerweise
unter den Feinden derselben, jenen «lupi Masovitae» verstanden war.
Wie tollkühn indessen ein solcher Schluss, und wie er hier wegen des
Datums 1539 geradezu unmöglich ist, sieht jeder ein.
1S ) «Ex hoc enim (Cracoviensii) Gymnasio multi mathemata hause-
runt, qui in Germania magna cum laude et emolumento studiosorum
eadem profitentur, quorum honoris gratia nomino Nicolaum Copernicum,
Canonicum Varmiensem, qui hujus urbis olim hospitio usus erat, et
haec, quae scripsit in rebus mathematicis admiranda, plura etiam
edenda instituit, ex hac nostra Universitate ceu ex fönte
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163
Auffallend ist, dass unser Astronom, der während seiner
Studienzeit notwendigerweise mit den zahlreichen deutschen
Jünglingen, die sich damals in Krakau aufhielten, zusammen-
kommen musste, doch mit keinem derselben in ein engeres,
dauerndes Preundschaftsverhältniss trat. Zu seinen Kameraden
gehörten ja, wie wir durch Dr. Prowe erfahren 14 ), junge
Leute, die aus der Bamberger, Konstanzer, Regensburger,
Würzburger, Hamburger, Mainzer, Meissener Diöcese stamm-
ten, allein keiner hat es verdient, als Freund des Copernicus
der Nachwelt überliefert zu werden. — Copernicus blieb sein
Lebenlang der ganzen damaligen deutschen Welt fremd, er
blieb fremd den geistigen, religiösen Bewegungen im deutschen
Vaterlande, zwischen ihm und den Männern, die dort an der
Spitze standen, fand kein Austausch von Gedanken, keine
Verbindung statt. Daher war auch seine Entdeckung — um
den Ausdruck eines modernen deutschen Schriftstellers zu ge-
brauchen «in keiner Beziehung zu den weltgeschichtlichen
Vorgängen in Deutschland» 15 ).
primum accepit. Id quod ipse non solum non diffitetur —
benignum esse et plenum ingenui pudoris, judicio Pliniano existimans
profiteri per quos profeceris — verum hoc, quidquidest, totum
nostrae fert acceptum Academiae. » — (Aus der an Samuel
Maciejowski gerichteten Zueignungsepistel der Schrift Alberts von
Bukowo: «Judicium Astrologicum». Cracoviae 1542. Die Epistel ist
abgedruckt in der Warsch. Ausgabe von Kopernik's Werken (1854)
S. 642.)
") Z. Biogr. S. 51.
18 ) S. Apelt. Die Reformation der Sternkunde. Jena 1852. S. 116.
Alles, was wir aus dem Leben des Copernicus über seine Theilnahme
an diesen weltgeschichtlichen Vorgängen erfahren, reducirt sich auf die
einzige Thatsache, dass er seinem Freund, dem ermländer Domcustos
und späteren Bischof von Culm, Tiedemann Giese, die Veröffentlichung
durch Druck seiner gegen Luther gerichteten Schrift: «Plosculorum
Lutheranorum de fide et operibus <zvtt)Xoyixov» anrieth. Giese gab sie
auch in der That 1525 zu Krakau bei Hieronymus Vietor heraus und
schrieb in der Zueignungsepistel an Felix Reich, Stiftsprobst zu Gutt-
stadt: «Ne propensitate amoris in me tui patiaris iudicii puritatem
falli, quod Nicoiao Copphernico alioqui acuti iudicii uiroevenisse
existimo, qui illas meas nugas typis excusas vulgari suadebat.» Diese
Worte Gieses, so wie auch der Umstand, dass ein anderer Freund
11*
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164
Denn unseres Astronomen Mittelpunkt lag nicht im Lande
der Deutschen und Nicolaus Copernicus wusste, mitten in. den
abstracten mathematischen Berechnungen und Combinationen,
die seine Lieblings-Beschäftiguug waren, doch deutlich genug
auf den Ort hinzuweisen, der ihm als Schwerpunkt für seine
irdischen Beziehungen galt, er wusste es klar anzudeuten,
welches Volk er in der Zukunft des Ruhmes seiner grossen
Entdeckung theilhaftig haben wolle. In der Schrift , die ihn
unsterblich gemacht hat, in jenen sechs Büchern De revo-
lutionibus, welche dazu bestimmt waren, eine der gross-
artigsten Umwälzungen in allen Gebieten des menschlichen
Wissens und Denkens hervorzurufen, in jenem Werke, welches
in der ganzen Masse der geistigen Erzeugnisse der Menschen
kaum seines gleichen an Werth und Bedeutung findet, in
jenem Werke bezog Copernicus alle astronomischen Berech-
nungen, die eines örtlichen, geographischen Anhaltspunktes
bedurften — auf die polnische Hauptstadt Erakau 16 ), deren
Meridian er selbst mit Hülfe seiner Krakauer Freunde mühsam
unseres Copernicus, der berühmte Johannes Dantiscus, auf einer seiner
Reisen, den Luther in Wittenberg im J. 1523 besuchte und in einem
Briefe eine interessante Charakteristik desselben entwarf, während um-
gekehrt 16 Jahre darauf ein eifriger Anhänger Luthers, Joachim Rhe-
ticus aus Wittenberg nach dem Ermlande kam, um den Copernicus
kennen zu lernen, und nachher gleichfalls die Eindrücke seiner Reise
in einem Briefe niederzulegen für gut fand — dieses an sich so harm-
lose Zusammentreffen ward dem bereits einigemal von uns angeführten
Dr. Hipler zu der Veranlassung, mit einer Schrift aufzutreten, in welcher
manche schätzbaren Nachrichten aus dem Frauenburger Leben unseres
Astronomen unter dem monstruösen Titel: «Nikolaus Eopernikus und
Martin Luther» ( ! ) sich bergen. Es ist leider aber nicht mehr der
erste Versuch deutscherseits, den Copernicus so zu sagen an den Haaren
herbeizuschleppen, um ihn dann mit einer beliebigen deutschen Grösse
zusammenzubringen. Es ist eins der Mittel, womit man stillschweigend
die deutschen Leserkreise an den Gedanken gewöhnt, dass Copernicus
doch selbstverständlich keinem anderen Volke, als dem deutschen, zu-
zurechnen sei.
16 ) Die Belegstellen hierzu schlage man in des Copernicus Schrift
L. IV. c. 7, 10, 13, 14 und 27, S. 271, 272, 277, 286, 288 und 323 der
Warsch. Ausg. nach.
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165
zq bestimmen gesucht hatte 17 ). Kann man noch ein ernsteres,
feierlicheres Bekenntniss von einem Copernicus verlangen 18 )?
") Starowolski (ed. 1627) p. 159. .... «olim condiscipulos suos
(vgl. oben Anm. 12), cum quibus conferebat de eclipsibus et earum
observationibu8 , ut patet ex epistolis manu illius ipsius
scriptis, quas habet in Academia Cracoviensi Johannes
Broscius, author Ar ithmeticae Integrorum.» — S. anch
Gassendi (ed. 1655) p. 293. Dazu vgl. des Copernicus eigene Worte
L. IV. c. 7 in der Warsch. Ausg. S. 272. «Omnia haec ad meridianum
Cracoviensem. Quoniam Frauenburgum, ubi plerumque nostras habui-
mus observationes .... huic subest meridiano, ut nos lunae solis-
que defectus utrobique simul observati docent.» Uebrigens
war Copernicus bei dieser Behauptung im Irrthum, denn es existirt
nach späteren, genaueren Beobachtungen, zwischen Krakau und Frauen-
burg ein Bogenunterschied von 17' 30" (S. Baranowski in der Warsch.
Ausg. S. XXXVIII).
18 ) Es wird hier die Stelle sein, diesem so direct, so positiv be-
kräftigenden Zeugnisse des Mannes selbst das Hauptargument der
heutigen deutschen Vertheidiger seiner angeblich deutschen Nationalität
und Gesinnung entgegenzustellen. In diesem Argumente sind Dr. Prowe
und Dr. Watterich, sei hier vorübergehends gesagt, in ihren gleich-
zeitig (im Jahre 1860) erschienenen Schriften so einstimmig und gleich-
lautend, dass es dem Uneingeweihten wahrlich nicht leicht fiele, zu
entscheiden, wem von Beiden das Recht der Erfindung hier zusteht.
Bei Beiden bildet dieses Argument die Spitze und den Schluss der Be-
weisführung. Es lautet bei Dr. Prowe (de Nicolai Copernici patria
S. 33): «Jam vero ad finem posteaquam haec disputatio adducta est,
argumentum afferatur, quod equidem gravissimum judico. Viri
enim immortalis epistolae aliaque, quae litteris custodita ad memoriam
nostram pervenerunt, omnia autLatina aut Germanica lingua conscripta
sunt, neque unum Copernici verbum, quod Polonice scriptum sit, a
Polonis proferri protest.» Und bei Dr. Watterich, der hier zuvor zur
Hebung des Eindruckes etwas Rhetorik anwendet (vgl. oben Anm. 26.)
«Man wird vergebens fragen, ob er jemals polnisch geschrieben,
polnisch gesprochen. Sein Hauptwerk ist in lateinischer Sprache ver-
fasst; die Schriften und Briefe, welche er nicht lateinisch
geschrieben, sind sämmtlich deutsch. («Nikolaus Koppernik
ein Deutscher.» Erml. Zeitschr. I, S. 405.)
Unnütz, hier die Amplification zu bekämpfen, und zu bemerken,
dass jene nnlateinischen «Schriften und Briefe» des Copernicus,
«die sämmtlich deutsch sind», sich genau auf zwei kurze, an
Herzog Albrecht von Preussen gerichteten Antwortschreiben, beide
vom Jahre 1541 , reduciren, die zuerst in der Warschauer Aus-
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166
Und wie harmonisch reiht sich nicht an dieses Bekennt-
niss die nns durch einen glücklichen Zufall erhaltene Nach-
richt an, dass der Name unseres grossen Astronomen nicht
nur auf den Blättern der Krakauer Universitätsmatrikel in
Gemeinschaft derer von unzähligen polnischen Jünglingen aus
allen Gegenden und Enden ihres Vaterlandes figurire, sondern
gäbe von Kopernik's Gesammt-Schriffcen S. 636—687, dann aber von
Dr. Prowe in seiner zu Thorn 1855 erschienenen Broschüre: «Nicolaus
Coperaicus in seinen Beziehungen zu dem Herzoge Albrecht von
Preussen» S. 30—31 abgedruckt worden sind.
Was hier aber wohl hervorgehoben zu werden verdient, ist die
traurige Unwissenheit, welche derartige Argumente, ja sogar noch
Hauptargumente, wie das hier angeführte, zu Tage fördert. Denn wenn
dasselbe bei Dr. Prowe und Dr. Watterich nicht etwa aus ihrer eigenen
Unkenntniss der polnischen Vergangenheit und speciell des Zustandes,
in welchem sich die polnische Sprache und Literatur im 16. Jahrhundert
befanden, hervorging, so kann, allerdings desto schlimmer für sie
Beide, nur der Fall angenommen werden, sie hätten hier die Unwissen-
heit des Publicums darüber benutzen und zu Gunsten ihrer Tendenzen
ausbeuten wollen. Wir müssten uns aber wahrlich für die gelehrten
Herren schämen, wenn wir sie erst auf ein beliebiges Compendium der
polnischen Literatur anweisen sollten, damit sie daraus lernten, wie
sehr ihre Voraussetzung, Copernicus würde, wäre er ein Pole gewesen,
auch polnische Schriften hinterlassen haben, die Zeiten verkennt, in
welchen der grosse Mann gelebt.
Und daher wollen wir auch hier zur Widerlegung Dr. Prowe's und
Dr. Watterich's nicht etwa einzelne Individuen aus des Copernicus
Zeitgenossen aufzählen und diese unsere Gegner fragen, ob sie es z. B.
wüssten, dass man auch von einem Martin von Olkusz, von einem
Nicolaus von Szadek, einem Szymon von Lowicz, einem Stanislaw von
Lowicz, einem Grzegörz von Szamotuly, einem Stanislaw Görski
u. s. w., ja selbst von gleichzeitigen und noch späteren polnischen
Dichtern, die damals nur lateinisch schrieben, wie Andreas Erzycki
(1477—1557), Klemens Janicki (1516—1543), Grzegörz von Samborz
(1523—1573) «vergebens fragen würde, ob sie jemals polnisch ge-
schrieben», — wir wollen lieber Dr. Prowe und Dr. Watterich einfach
dazu auffordern, sie möchten doch nur einen einzigen Zeit ge-
nossen des Copernicus in Polen aus dem Gelehrtenstande
vorbringen, der irgend welchepolnische Schriften hinter-
lassen hätte! Auf diese Weise werden sie sich selbst und die
Anderen erst recht davon überzeugen, wie sehr ihr «argumentum gra-
vissimum» doch nichts weniger als ein «argumentum» ist.
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167
dass diese Gemeinschaft auch weit vom heimischen Boden, in
den Inscriptionsbücheru der Universität zu Padua gleichfalls
erhalten sei!
Es strömte damals aus Polen die strebsame, lernbegierige
Jugend schaaren weise nach Italien, um auf den berühmten
Hochschulen zu Bologna, Padua, Pavia und Rom ihren Wissens-
durst zu stillen; neben dem wohlhabenden, ritterlichen Jüng-
ling, nahm auch der Arme dahin den Wanderstab — denn
das Land der klassischen Kunst galt «im nordischen Sar-
matien» von jeher nicht nur für die Heimath der feinen
Sitte, sondern auch für den Ursitz aller Bildung und alles
Wissens. Unser Copernicus richtete bekanntlich, nach beendig-
ten Studien in Krakau, auch dahin seinen Weg. Er studirte
zu Bologna, zu Rom und zu Padua und hier ist es, wo er
das Album der «natio Polona» mit seinem Namen schmückte 19 ).
Allein Copernicus begnügte sich keineswegs, seinen Zu-
sammenhang mit Polen durch blosse Aussagen, durch blosse
Worte anzudeuten — er bethätigte ihn auf Schritt und Tritt
durch seine Handlungen.
19 ) «Nicolaum Copernicum Patavii philosophiae ac medicinae oper am
dediflse per annos quatuor, constat ex Polonorum albis» sagt
Nicolau 8 Comnenes Papadopoli in seiner Historia Gymnasii Patavini.
. Venetiis 1728, II, 195, und etwas höher p. 132: «Stanislaum Lubienski
nobilem Polonum, qui denique Plocensis episcopus fuit, Patavii studuisse
certum est ex albo Polonorum, quod habemus prae manibus
traditum a quodam Athanasio Rutheno, qui Polonam bibliothecam
Patavii nostra aetate diripuit, venditisque codicibus fugit.» Fast alle
deutschen Biographen des Copernicus (bis auf Hipler) übergehen diesen,
wenn auch für die Nationalität an sich wenig sagenden, doch immer
dem deutschen Ohre recht unlieb klingenden Umstand aus des Coper-
nicus Leben. Dr. Prowe nimmt ihn in seine Schrift: «de Nicolai
Copernici patria» nur zu dem Zwecke auf, um dabei den Beweis seiner
vollständigen Nullität in nationaler Hinsicht zu liefern. Denn, lehrt
Dr. Prowe , es konnte Copernicus als ein Preusse , unmöglich sich in
Padua in ein anderes Album als in das der dort existirenden «natio
Polona» eintragen lassen. Wir haben nichts dagegen einzuwenden, um
so mehr, da doch Copernicus, wenn auch ein Preusse, zu gleicher Zeit
ein guter Pole war. — Ueber die «natio Polona» in Padua vergleiche
man auch: Jacobi Philippi Tomasini Episcopi Aemonensis Gymnasium
Patavinum. Utini 1654 cap. 17, p. 53.
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168
Von seinen Studienreisen nach Polen zurückgekehrt, soll
er, nach einer alten Krakauer Ueberlieferung, die Absicht ge-
habt haben,' sich um eine Stelle an der Jagelionischen Uni-
versität zu bewerben. An der Erfüllung dieses Wunsches
hinderte ihn sein Oheim, der Ermländer Bischof Lucas, der
ihn nach Preussen zurückrief 20 ).
"°) S. Sottykowicz, stanie akademii Krakowskiej, Krakau 1810,
S. 104: «Powrdciwszy Kopernik do Erakowa w roku 1504, bylo jego
przedsiewzieciem zosta<$ przy Akademii; lecz namowa wuja jego,
Lukasza Watzelrode Biskupa Warmijskiego, aby ai§ do stanu duchow-
nego udal i onarowana mu kanonia Warmijska pozbawüa nas tego
wielkiego professora.» Vgl. auch Bartosze wicz in der Warsch. Ausg.
von Kopernik's Schriften S. LVII. und Szulc, Äycie Mik. Köpern. S. 39.
Die deutschen Biographen erwähnen des Sottykowicz Angabe nicht,
obgleich dieselbe besonders seit der Veröffentlichung der Schrift Prof.
Muczkowski's : Re,kopisma Marcina Radyminskiego , Krakow
1840, keineswegs mehr als ganz haltlos bezeichnet werden darf.
Muczkowski beschreibt hier nämlich S. 138 — 140 eine 25 Blätter um-
fassende Handschrift der Bibliotheca Jagellonica zu Krakau, welche
einen auf das Jahr 1501 berechneten astrologischen Almanach enthält,
der von seinem Verfasser laut der Ueberschrift auf dem Deckel:
Almanach pro Rev. Do. Cardinali für den damaligen Erzbischof
von Gnesen, den Cardinal Friedrich, Sohn König Kasimirs IV. von
Polen, und welcher als Bischof von Krakau auch Kanzler der
Krakauer Universität war, bestimmt wurde. Zu den auf der
ersten Seite sich befindenden Buchstaben : m. n. c. h. c A., welche um
ein an die polnische «Gozdawa» erinnerndes Wappenzeichen umschrieben
und mit demselben unter einen das Wappen des Cardinais darstellen-
den Schild angebracht sind, ergänzte Muczkowski folgendes: m(agister)
N(icolaus) C(opernicu8) h(oc) c(omposint) A(lmanach) und. es wird diese
Auslegung noch durch die Worte unterstutzt, mit denen der Verfasser
S. 30 der Handschrift seine Dedicätion an den Cardinal beendigt:
«mihi vero, quem assidui itineris diversitas sollicitat,
si quid indigestum Reverendissima Dominatio Vestra (musa etenim
nondum stabili) dicta offenderit, veniam dabit. » Diese Erwä hnung
einer bevorstehenden Reise, sowie die des noch nicht bestimmten
Lebensberufes, stimmen ganz auffallend mit des Copernicus Lebens-
umständen überein. Derselbe war nämlich Ende 1500 aus Rom nach
Polen zurückgekehrt und reiste schon Mitte 1501 wieder nach Italien
ab, wo er in Padua Medicin zu studiren sich anschickte (s. Hipler a.
a. O. S. 500). . Copernicus wird sich also durch diese Schrift vielleicht
die Gunst des einflussreichen Universitätskanzlers wollen versichert
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169
Das erste öffentliche Auftreten des Frauenburger. Domherrn
in seiner preussischen Heimath war nun ein Act zur Wahrung
der oberherrlichen Rechte seines Königs, zur Autrechthaltung
und engeren Verknüpfung der Bande, welche Preussen, seine
Heimath, mit Polen vereinigten. Am 29. März 1512 war der
Oheim des Coperaicus, der ermländer Bischof, Lucas Watzel-
rode, gestorben. Das Domcapitel, welchem nach alten Privi-
legien freie Wahl seines Bischofs zustand, erhob sofort zu
dieser Würde den Domherrn Fabian von Lusianis. Allein
König Sigismund von Polen, der die Nomination auch der
preussischen Bischöfe gern, wie es in Polen war, für die Krone
in Anspruch nehmen wollte, verweigerte dem neuerwählten
haben, auf den Fall, dass ihm nach beendeten Studien eine gelehrte
Carriere in Erakau offen stände. Mit dieser Annahme steht indessen
allerdings in einigem Widerspruche der Umstand, dass unserem Astro-
nomen von dem Frauenburger Capitel im Jahre 1501 nur unter der
Bedingung zu einer zweiten Studienreise Urlaub ertheilt wurde «ut
medicinis studere promisit consulturus olim Antistiti nostro Reveren-
dissimo (dem Bischöfe) ac eciam dominis de capitulo medicus sälutaris.»
(Hipler a. a. 0. S. 501, Anm. 53.)
Es scheint übrigens Copernicus auch spater, von Frauenburg aus,
die Hauptstadt Polens besucht zu haben und namentlich im Jahre 1509.
Denn es erschien seine lateinische Uebersetzung der Briefe des Theo-
phylaktes Simokattes in diesem Jahre in Erakau (bei Haller) und es
scheinen auch die Worte: «Secundam (eclipsin) observavimus sub
eodem meridiano Cracoviensi anno Christi 1509, quarto nonas Junii»,
die sich L* IV. c. 13 (p. 286 der Warsch. Ausg.) befinden, auf einen
persönlichen Aufenthalt an Ort und Stelle hinzuweisen. Dazu kommt,
dass Lucas Watzelrode sich damals am Hofe aufhielt und Copernicus
die Reise in seiner Begleitung gemacht haben konnte. — So erklärt
sich auch, was den Erzyzanowski zu der (übrigens irrthümlichen) An-
nahme veranlasste, Copernicus habe bis zum Jah*e 1509 seinen Wohn-
sitz in Erakau gehabt, und habe auch daselbst 1502—1509 sein Haupt-
werk geschrieben, eine Annahme, welche Dr. Prowe (zur Biogr. S. 32)
so ohne weiteres zu einer jeder Authenticität entbehrenden puren Er-
dichtung stempelt, demungeachtet, dass Erzyzanowski (Spomn. jubil.
S. 23) für die erste Jahreszahl (1502) und die zu derselben erzählte
Begebenheit (den angeblich in Erakau stattgefundenen Eintritt des
Copernicus in den geistlichen Stand) ausdrücklich seine Quelle (die
Handschriften des Thorner Bürgermeisters L. Göret) angiebt.
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170
Bischof seine Anerkennung. Er dachte dabei mit gutem
Rechte zu handeln, denn das Stift Ermland war der Verfügung
der polnischen Krone thatsächlich verfallen, seitdem der trotzige
Bischof Nicolaus von Tungen auf dem Reichstage zu Piotrköw
im Jahre 1479 sich vor König Kasimir IV. gedemüthigt, auf
jedes Vorrecht und Privilegium in seines und seines Capitels
Namen verzichtet, und aus den Händen des Königs sein Bis-
thum wieder erhalten hatte. Der neuerwählte Fabian von
Lusianis, nachdem er einmal Bischof geworden, Hess sich nun
auch durch die drohende Stellung des Königs bald erweichen.
Er eilte noch im Laufe desselben Jahres nach Piotrköw, wo
König Sigismund eben einen Reichstag hielt, leistete den Hul-
digungseid und schloss mit dem König am 7. December 1512
einen Vertrag, kraft dessen dem Letzteren fortan das Recht
zustehen sollte, bei Erledigung des Bischofsstuhles vier Can-
didaten zu demselben aus der Zahl der Domherren vorzuschlagen.
Während nun ein Theil der Domherren, darunter Nicolaus
Copernicus, Georg von der Delau (Dziatowski) Johannes
Scultetus, Johannes Chrapicius, Tiedemann Giese u. A. den
besonnenen Schritt des Bischofs durch ihren Beitritt zum Ver-
trage unterstützten, erblickten die Uebrigen darin eine Ver-
letzung der hergebrachten Privilegien und Freiheiten des
Capitels, und thaten nun das mögliche, um denselben in Rom
zu hintertreiben. Kopernik und seine Genossen sahen sich in
Folge dessen veranlasst, am 28. December 1512 einen feier-
lichen Protest in die Capitelsacten einrücken zu lassen, in
welchem sie erklärten, dass die mit dem König von Polen
getroffene Vereinbarung in keiner Weise den Rechten des
römischen Stuhles Abbruch thun könne. — Trotzdem wurde
ihr Verhalten von dem durch die Gegenpartei gewonnenen
Papst Julius IL gemissbilligt und der Piotrkower Vertrag in
Rom verworfen.
Zu den Gegnern desselben schloss sich nun wohl nicht
ohne Grund der deutsche Orden und selbst der deutsche Kaiser
an. Allein der Bischof hielt mit den wenigen Domherren,
die ihm treu geblieben waren, an den seinem König be-
schworenen Verpflichtungen unerschütterlich fest, bis es endlich
den Bemühungen des Erzbischofs von Gnesen, Johannes Laski,
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171
gelang, Papst Leo X. zur Bestätigung des Vertrages zu be-
wegen. Dieselbe erfolgte nun am 25. November 1513 und die
Piotrkower Artikel bildeten seitdem die rechtliche Grundlage
für die ermländer Bischofswahlen 21 ).
Eine andere noch viel wichtigere Angelegenheit, in welcher
Copernicus wiederum als Vertreter der Interessen der ganzen
") Wie sehr Nicolaus Copernicus, als er sich von vorn herein für
den Vertrag erklärte und standhaft denselben zu vertheidigen half, aus
dem Sinne des ganzen Landes Preussen und auch aus dem seines eben
verstorbenen Oheimes und Vormundes, des Bischofs Lucas Watzelrode
handelte, davon dürfte wenn auch nur folgende Notiz überzeugen,
die wir hier aus einem Aufsatze des Ermländer Domcapitulars Dr.
Eichhorn im Bande I. der Erml. Zeitschrift für Gesch. und Alterthumsk.
(«Geschichte der ermländer Bischofs wählen» S. 280, Anm. 4) wortgetreu
wiedergeben: «Die preussischen Räthe waren um jene Zeit so polnisch
gesinnt, sagt Dr. Eichhorn, dass sie nach des Bischofs Lucas Tode eine
Deputation ans ermländische Gapitel sandten, mit der Aufforderung,
die Wahl nur mit Wissen des Königs zu vollziehen und mit dem
Rathe, den polnischen Reichskanzler zu postuliren. Selbst Lucas
Watzelrode hatte in seinem Testamente dem Gapitel gerathen, einen
Polen zum Bischof zu wählen und dazu Raphael Leszynski (Leszczynski)
den späteren Bischof von Plock, gest. 1527) oder Johann 01es"nicki in
Vorschlag gebracht. So erzählt es Bischof Fabian. Bisch. Archiv zu
Frauenburg 103, fol. 12.» — Soweit Dr. Eichhorn, dem wir auch bei
unserer Darstellung der Angelegenheit der Wahl Bischof Fabians
im Grossen und Ganzen hier gefolgt sind. Jedoch nicht ohne einer
Abweichung, die wichtig genug ist. Dr. Eichhorn schreibt unmotivirter-
weise den Protest des 28. December 1512 der Reue und Besorgniss zu,
die den Bischof Fabian und die zu ihm haltenden Domherrn über den
mit dem König geschlossenen Vertrag plötzlich ergriffen hätte. Dieser
Protest sollte, seiner Ansicht nach, nur dazu dienen, die römische
Curie nachdrücklich daran zu mahnen, dass der Vertrag von derselben
nicht bestätigt sei und folglich noch rückgängig gemacht werden
könne. Wie gezwungen indessen schon an sich eine derartige Aus-
legung eines Entschuldigungsschreibens erscheint, ist einleuchtend;
was aber am besten gegen sie spricht, ist der Umstand, dass allein
das standhafte Festhalten an dem Buchstaben des Piotrkower Vertrages
von Seiten des Bischofs und dessen Anhanges unter den Domherren,
es dahin zu bringen vermochte, dass der Vertrag in dem Augenblicke
nicht gescheitert, wo er nicht nur die capitularische Mehrheit unter
den Domherren, nicht nur den deutschen Orden und den Kaiser, sondern
auch selbst den Papst in Rom gegen sich hatte.
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172
Monarchie den localen , spiessbürgerlichen Anforderungen
mancher seiner preussischen Landsleute mit aller Entschieden-
heit entgegentrat, war die im Jahre 1521 und 1522 von
polnischer Seite angeleitete, von Copernicus aber mit allem
Nachdruck und Eifer unterstützte Frage um die Reform des
preussischen Münzwesens.
Das preussische Münzwesen war seit der grossen Tannen-
berger Katastrophe im J. 1410, welche der Blüthe des Ordens
ein Ende machte, in Folge der inneren Unruhen im Lande
und der langwierigen Kriege mit Polen immer mehr verfallen.
Die einst so blühenden Finanzverhältnisse des Ordens wurden
zu den traurigsten, seitdem die Stände die Zahlung der höhen
Steuern verweigerten, die Kriegsbedrängnisse aber die Aus-
gaben mehrten und die Noth bis zum höchsten Grade steiger-
ten. Der Orden fing an, falsche Münze von immer geringerem
Werthe zu prägen. — Als nun der westliche Theil des Landes
im Jahre 1466 unter Polen kam, erhielten die grösseren Städte
daselbst, Thorn, Danzig und Elbing, durch königliches Privi-
legium eigenes Münzrecht 22 ). Eine Verbesserung des Geldes
wurde aber hierdurch lange nicht erzielt. Denn es lag im
Interesse der Städte, dass ihre Münze die im Lande gangbare
Ordensmünze an Werth nicht übertreffe, und da ausserdem
das Münzrecht von den «löblichen» Bürgern als Quelle von
Einkünften angesehen war, so wurde bald das in den preussi-
schen Städten geschlagene Geld noch schlechter, als das des
Ordens. Da aber das Letztere in königlich Preussen noch
immerfort angenommen wurde, so entspann sich in der Folge
ein förmliches Wetteifern beider Theile in Aussicht auf Ge-
winn, ihren Münzfuss gegenseitig zu erniedrigen. Von wie .
schädlichem Einfliiss diese Verschlechterung des preussischen
Geldes auf die Nachbarländer und besonders auf das mit
Preussen politisch zusammenhängende Polen und dessen
Handel gewesen sein muss, ist einleuchtend. Es fehlte auch
nicht lange, dass von polnischer Seite Stimmen laut wurden,
w ) Vgl. das «Privilegium incorporationis» in den Volumina legum,
I, S. 171.
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173
welche Abschaffung des Missbrauches und Besserung des
preussischen Geldes dringend verlangten. Auf die im März 1522
anberaumte preussische Tagfahrt zu Graudenz erschienen
königliche Commissäre aus dem polnischen Senate delegirt 23 ).
Zweck ihrer Sendung waren allerdings zunächst nur Verhand-
lungen mit dem Hochmeister, da derselbe aber durch seine
Bevollmächtigten nicht auf der Tagfahrt erschien, schritt man
zu den inneren Angelegenheiten der Landschaft und vor Allem
zur wichtigen Frage um Besserung der preussischen Münze.
Die polnischen Commissäre drangen im Namen des Königs
mit allem Nachdruck darauf, das preussische Geld solle mit
dem polnischen und lithauischen in Schrot und Korn verglichen
werden und im ganzem Reiche Geltung erhalten, auch sollte
fortan kein sogenannter «Schlageschatz» vom Münzen ange-
sammelt und der Gewinn nur so hocH angeschlagen werden,
wie viel zur Deckung. der Münzkosten nothwendig war. Alle
diese Vorschläge, wie richtig sie auch an sich waren und im
Interesse des ganzen Staates sowohl als auch der Landschaft
selbst begründet, liefen doch dem kleinlichen provinziellen
Egoismus der deutschen Städte Preussens schnurstracks zu-
wider. Ihre Abgeordneten auf der Tagfahrt wollten von dem,
was sie ihr hergebrachtes, durch königliche Privilegien fest-
gestelltes Recht nannten — nichts nachgeben. — Da über-
reichte Nicolaus Copernicus, der als Abgeordneter des erm-
länder Domcapitels an den Verhandlungen des Tages Theil
nahm 24 ), den Räthen ein Memorial, in welchem er in über-
zeugender Weise und mit mathematischer Kernhaftigkeit seine
Ansichten über die Münzfrage in Preussen niederlegte und
2S ) David Braun, dessen «Ausführlich -historischem Bericht vom
Polnisch- und Preussischen Münzwesen.» Elbing 1722, wir diese Um-
stände meistentheils entnehmen, hat S. 49 das Jahr 1521 für diese
Verhandlung. Allein es scheint, dass die Münzfrage erst auf der
zweiten Tagfahrt zu Graudenz 1522 ernstlich zur Debatte kam. Vgl.
Voigt IX, 648—649. — Schütz, hist. rer. Pruss. p (1599) S. 480.
* 4 ) Gassendi, 295. Cum forent Prutenorum celebranda Grudenti
Comitia, delectus fuit uno consensu a canonicorum Gollegio (Copernicus)
ut nomine ipsius Ulis interesset.»
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Mittel zu deren Schlichtung vorschlug. — Diese thätige Ein-
mischung Koperniks in eine Angelegenheit, die zu den
brennendsten Fragen für Preussen und dessen Verhältniss zu
Polen angehörte, war wiederum eine Folge des edlen, patrio-
tischen Pflichtgefühls, das ihn beseelte. Mit jenem scharfen
Blick, mit welchem die hervorragenden Geister immer das
Ganze zu umfassen und das Richtige zu treffen verstehen,
übersah er auch jetzt die Situation, erkannte deren Wichtig-
keit. Sein Gewissen, das Bewusstsein der Pflichten, die ihm
als Gesandten des Gapitels, als einem Sohne des Landes
Preussen, als einem Polen oblagen, trieb ihn zur That, zum
Handeln, zum Beden. Er schlug nun vor: das Münzrecht
solle den drei Städten abgenommen, statt dessen aber auf ge-
meine Landeskosten an einem einzigen Orte eine Münze ein-
gerichtet werden, in welcher gutes Geld nicht im Namen
einer Stadt und auf ihr Gepräge, sondern im Namen des ganzen
Landes und unter dessen Aufsicht gemünzt werden könnte.
Dieser Antrag, welcher nichts anderes, als Landeswohl be-
zweckte, indem er eine öffentliche Verrichtung aus den
Händen derer spielte, die mit derselben zum Schaden der
Allgemeinheit speculirten, musste notwendigerweise mit Zorn
und Groll diejenigen erfüllen, gegen welche er gerichtet war.
Die Abgeordneten der Städte boten alle Kräfte auf, um des
Copernicus Motion zu vereiteln. Sie wollten es lieber bei dem
alten Unwesen bewenden lassen, als sich zu Gunsten des
Landes eines ihrer lucrativsten Anrechte zu begeben. Ihren
Bemühungen gelang es auch, dass sie es auf der Tagfahrt zu
keinem Beschlüsse kommen liessen 25 ).
Mittlerweile verbreitete sich Kopernik's Schrift bald im
ganzen Lande. Sie hatte die Folge, dass sie überall und be-
sonders bei dem preussischen Adel Misstrauen gegen die
Städte erweckte, die so hartnäckig ihr Münzrecht verteidig-
ten. Der Adel, der doch hauptsächlich das einheimische,
polnische Element im Lande repräsentirte, blickte nun miss-
günstig auf den Vortheil, den die deutschen Bürger von ihrem
*) Schütz, a. a. 0., p. 480—482.
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schlechten Gelde zogen, die Städte aber warfen dem Adel
vor, sein einziges Absehen sei nur, die Münze auf Kosten und
zum Nachtheile der Städte gebessert zu sehen, um dann seine
Zinsen und Einkünfte vom Lande ohne Beschwerde in gutem
Silber beziehen zu können 26 ). Die Persönlichkeit des Frauen-
burger Ganonicus, durch dessen Einfluss und Bemühungen
die Frage zu einer allgemeinen gemacht worden war, der
durch seine Schrift den Missbrauch aufdeckte und so energisch
für dessen Abschaffung rief, die Persönlichkeit des Nicolaus
Copernicus wurde nun bei den deutschen Bürgern der Städte
Gegenstand eines allgemeinen und bitteren Hasses. In Elbing
wagte man es sogar, dieser feindlichen Stimmung einen öffent-
lichen Ausdruck zu verleihen. Es wird uns erzählt, dass ein
dortiger Schulmeister, von den Feinden des Copernicus dazu
gedungen, durch eine Strassenposse zur Freude und Kurzweil
des städtischen Gesindels den grossen Mann und sein Welt-
system zu verspotten suchte 27 ).
2e ) David Braun, a. a. 0. 49 ff.
* 7 ) Starowolski a. a. 0. p. 158 «atque ludimagistrum quen-
dam Elbingensem (inimicum sensit Copernicus), qui opinionem illius
de terrae motu in Theatro scenica maledicentia derisit, ut intelligi
potest ex Tidemanni epistolis.» Vgl. auch Gassendi a. a. 0. p. 323
und Dominik Szulc: iycie Mikolaja Kopernika S. 60, welcher, mit
Hinweisung auf einen Aufsatz der Gazeta Warszawska vom 2. Januar
1851, einige nähere Details über die Elbinger Komödie zu erzählen
weiss. Weder Starowolski noch Gassendi geben zu diesem Vorfalle
eine Jahreszahl an. Dass aber eine derartige Verhöhnung des ange-
sehenen und nach seiner geistlichen Würde hochgestellten Mannes nur
bei einer erbitterten öffentlichen Stimmung gegen denselben möglich
war, wird wohl schwerlich jemand leugnen. Eine solche Stimmung
gegen Eopernik herrschte nun in den preussischen Städten in den
Jahren 1522—1528. Daher wussten auch die deutschen Biographen
recht wohl was sie thaten, wenn sie diese Anecdote aus dem Leben
des Copernicus meistentheils strichen. Von den älteren erzählte sie
nur der naive Verfasser des Aufsatzes «Etwas über Nicolaus Kopernikus»
im «Teutschen Merkur» (1776) arglos dem Gassendi nach, bei den
neueren (dem Anonymen des Jahres 1856, S. 34 und Hipler S. 480)
hat sie zwar Eingang gefunden, aber ohne Berücksichtigung des poli-
tischen Momentes — wir meinen den Parteihass der Städter gegen
den Frauenburger Domherrn — was hier ausser Zweifel ganz gehörig
im Spiele war.
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1
Gopernicus Hess sich indessen durch diese Anfeindungen,
die ihm sein patriotisches Auftreten in Graudenz zuzog, keines-
wegs einschüchtern, und von dem, was er als seine heiligste
Pflicht erachtete, von der Sorge um das allgemeine Beste ab-
bringen.
Die Angelegenheit der Münzreform ging Unterdessen, bei
den eifrigen Gegenbemühungen der Städte, nur langsam von
Statten. Es wurde darüber auf den verschiedenen Tagfahr ten
der Jahre 1523, 1524 und 1525 fruchtlos verhandelt. Endlich
erschien im Jahre 1526 eine «Landes-Ordnnng» des Königs,
die er, ohne die widerspenstigen Städte zu Rathe gezogen zu
haben, mit den Land-Abgeordneten Preussens zu Danzig be-
schloss. In dem 14. Artikel derselben waren des Copernicus
Vorschläge wiederholt. Die preussische Münze sollte «in
Marken, Groschen, Schillingen und Pfennigen, an Schrot und
Korn» mit der polnischen verglichen werden 28 ), so lautete
jetzt nicht mehr ein schlichter Antrag eines Abgeordneten
vom geistlichen Stande, sondern der ausdrückliche, gemessene
Wille des Monarchen. Das Edict des Königs kam nun auf
den Tagfahrten des folgenden Jahres zur Besprechung. Die
Sache erhielt jedoch auch jetzt nicht den erwünschten Ab-
schluss, theils wegen des noch immer ungebrochenen, hartnäckigen
Widerstandes der Städte, theils wegen der. Schwierigkeiten,
die ihr auch Herzog Albrecht von Preussen, dessen Ge-
biet sie gleichfalls betraf, in den Weg stellte. Trotz der
festen Haltung König Sigismunds, trotz der wiederholten
Mahnungen seiner Gesandten auf den preussischen Landtagen
verzog sich die ganze Angelegenheit bis in das Jahr 1528,
in welchem es endlich auf dem nach Elbing auf den Montag
nach Oculi anberaumten Tage 29 ) zur definitiven Schlussbe-
rathung kommen sollte. Zu Vertretern des ermländer Dom-
capitels wurden diesmal der Domherr Felix Reich und der
Bruder des damaligen Bischofs gewählt 30 ). Copernicus blieb,
M ) David Braun a. a. 0.
29 ) S. Lengnich, Geschichte des Landes Preussen I, 43.
80 ) S. Prowe, Mittheilungen aus Schwedischen Archiven und Biblio-
theken. Berlin 1853. S. 25.
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allem Anschein nach, in Frauenburg zurück, trotz der Vor-
stellungen des Bischofs und des Capitels, die ihn zur persön-
lichen Theilnahme an den so wichtigen Verhandlungen
dringend ermahnten 31 ): Wenn er sich aber jetzt zum öffent-
lichen Auftreten auch nicht bewegen liess 32 ), so vernachlässigte
er es doch nicht, aus seiner Frauenburger Zurückgezogenheit
für die Sache zu wirken, welcher er sich vor einigen Jahren
mit solchem Eifer angenommen hatte. Durch die gute Auf-
nahme ermuthigt, die seine Schrift bei Allen, denen das Wohl
des Ganzen am Herzen lag, gefunden hatte, so dass sie sogar
von den preussischen Räthen als grundlegend anerkannt wurde
und zur Richtschnur dienen sollte 33 ), unternahm er nun eine
neue Redaction derselben, welche er dem nach Elbing ab-
gehenden Reich mitgab 84 ). Die ganze Schrift ist ein schönes
81 ) Vgl. einen Brief Bischof Mauritius Ferber's beiProwe: Nicolaus
Copernicus in seinen Beziehungen zu dem Herzoge Albrecht von Preussen.
Thorn 1855. S. 15. «Quoniam monetarium negotium multis est diffi-
cultatibus implicatum, ut ad illud probe conficiendum pluribus viris
iisque hujii8ce negociis peritis opus esse arbitremur, unde venerabilem
fratrem nostrum Dominum Doctorem Nicolaum Coppernic eligimus ac
deputamus et ut Fraternitates Vestrae ipsum eligant et deputent ut
una cum prioribus dominis Decano et Feiice Reich pro feria secunda
post Oculi Elbingi constituatur desideramus, consulturus et pro sua
eiusmodi monetariae rei peritia in medium adducturus quae necessaria
visa fuerint et opportuna. Fraternitates Vestras bene valere cupimus.
Ex arce nostra Heilsberg feria secunda post Reminiscere anno 1528.»
8S ) Die Motivirung dieser unserer Annahme unten Anm. 36.
88 ) Gassendi (1655) S. 295. «ac senatores eum (Canonem, quem
Copernicus de re monetaria confecerat) asservarunt, interque acta retu-
lerunt, ut si daretur forte, extremam operi manum adhibere, haberent
quo respicerent, et ne cuipiam emergeret aliquid damni providerent.»
M ) Dass der zum ersten Male in dem «Pamietnik Warszawski» 1816,
Bd. V. S. 402, in einer polnischen Uebersetzung veröffentlichte und
später in der Warschauer Ausgabe von Kopernik's ■Schriften (1854)
S. 563—572 wieder abgedruckte lateinische Tractat Kopernik's «Monetae
cudendae ratio» mit dem von Schütz (Historia rerum Prussicarum,
p. 480 — 481) in deutscher Uebersetzung zum Jahre 1522 mitgetheilten
«Aufsatze von der Münze» nicht identisch ist, — davon überzeugt ein
flüchtiger Vergleich, dass ferner der hier in Rede gestellte später als
im J. 1522 und zweifellos für den nach Elbing abgefertigten Reich
Beitr. z. Hat. d. Copernicus. 12
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Bekenntniss von des Copernicus vaterländischer Gesinnung.
In jedem Worte spiegelt sich in derselben besonnene, edle Vater-
landsliebe ab, die sich über jeden engherzigen Antagonismus
und jede Leidenschaft hinwegsetzt. Nach einer kurzen histo-
rischen Auseinandersetzung, in welcher der allmähliche Verfall
des Münzwesens in Preussen dem Leser veranschaulicht wird,
geht Copernicus mit der pathetischen Wendung: «Sed vae
tibi Prussia, quae tuo, proh dolor, interitu malae admi-
nistratae reipublicae poenas pendis!» zu seinem eigentlichen
Gegenstande über, zur Besprechung des dringenden Bedürf-
nisses einer durchgreifenden Reform des preussischen Münz-
wesens. Er bricht in heftige Klagen über die Fahrlässigkeit
und Gleichgültigkeit derjenigen aus, in deren Händen es doch
liegt, das immer mehr um sich greifende Uebel abzustellen.
«Hanc tarnen ingentem Reipublicae Prussianae cladem hi,
quorum interest», contempti despiciunt et dulcissimam sibi
patriam, cui post pietatem in Deum, nedum officii plurimum
sed etiam ipsam vitam debent, in dies magis ac magis supina
negligentia miserabiliter labi ac periri sinunt.» ■■ — Er sucht
die Einwendungen der Gegner im Voraus zu widerlegen und
zieht gegen den blinden Egoismus und die kleinliche Habgier
der Städte los: «At contendet fortasse aliquis, exilem mone-
tam usibus humanis commodiorem esse; nempe subvenientem
paupertati hominum, reddentem levi pretio annonam et cetera
vitae mortalium necessaria facilius suppeditantem, per bonam
autem monetam omnia cariora reddi, colonos ac censu annuo
oneratos praeter solitum gravari. Laudabunt hanc sen-
tentiam spe lucri privati, quibus hactenus per-
missa est cudendi monetam facultas, nonfortassis
mercatores, quibus nihil propterea perit, eam im-
probabunt, quum quidem ad auri valorem merces et res
suas vendunt, et quo moneta est exilior, eo majore pecuniarum
verfasst wurde, bezeugt einerseits der darin vorkommende Ausdruck
«princeps» für den Hochmeister Albrecht von Brandenburg, der vor
1525 unmöglich wäre, andererseits aber ein in der Warschauer Aus-
gabe (S. 590—591) abgedruckter Brief des Copernicus an Felix Reich,
auf den wir noch zurückkommen werden.
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numero eas commntant. Verum si communem utilitatem
respicient, negare utique non poterunt, praestantem monetam
non modo reipublicae, verum etiäm sibi äc omnium hominum
ordini salutarem, exiguam vero perniciosam esse.» Was ihn
am meisten betrübt und erbittert, ist die Ausbeutung Aller
durch einige wenige Speculanten. «Cum ergo tantis vitiis
laborat Prussiana moneta et per eam tota patria, soli auri-
fices et hi, qui bonitatem metalli callent, ejus erumnis fruun-%
tur.» Um diesen traurigen Uebelstand zu beseitigen, scheint
ihm auch jetzt nur ein Mittel zweckmässig; Aufhebung der
Privilegien der Städte. «Cavenda in primis erit confusio ex
varietate diversarum officinarum, in quibus cudenda est (moneta)
proveniens Duo igitur ad summum designentur loca.»
Eine Münze möge für ganz Königlich-Preussen, eine andere in
Fürstlich-Preussen fungiren, in beiden aber gleiches Geld und
zwar nach polnischem Fusse geschlagen werden, «ita . . . ut
viginti grossi Prussiani simul ac Polonici marcham Pruthe-
nicam constituant.» Das Geld des königlichen Landestheils
sollte auf der einen Seite mit dem Abzeichen des Königs, auf
der anderen mit denen des Landes versehen werden, das des
fürstlichen dagegen das Gepräge des Königs und das des
Fürsten tragen. Dies Alles sollte geschehen, «ut utraque
moneta imperio regio subsit et suae majestatis mandato in
usum totius regni sit accepta. Quae res ad animorum
conciliationem et negotiationum communionem non
parum ponderis sit habitura.»
Vollständige Vergleichung des preussischen und des pol-
nischen Münzwerthes, um dadurch eine «Versöhnung der Ge-
müther», eine «Gemeinschaft der Verbindungen» zwischen
Polen und Preussen zu erreichen, war also des Copernicus
Endzweck in der preussischen Münz- Angelegenheit, wie die
allmähliche Verschmelzung der preussischen Provinz mit dem
polnischen Reiche auf Kosten der localen, politischen und
kirchlichen Sonderrechte und Privilegien einer der leitenden
Gedanken war, denen sein grosses Leben galt!
In der höchsten Spannung folgte nun Copernicus von
Frauenburg aus den Verhandlungen der Tagfahrt, welche eine
Entscheidung in der ihm so sehr am Herzen liegenden Frage.
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beibringen sollten. Felix Reich bat ihn brieflich um manche
Aufschlüsse über einige unklar gefasste Punkte seiner Ab-
handlung S5 ). Kopernik beeilte sich sofort in einer ausführ-
lichen Antwort ihm die nöthigen Aufklärungen zukommen zu
lassen, wobei er mit der ihm eigenthümlichen Bescheidenheit
hinzufügte: «Si praeterea aliud quiddarn difficultatis emerserit,
operam meam pro posse offero: modo quid boni efficere
possit.» Die Besorgniss, dass die Verhandlungen der Elbinger
Tagfahrt, wie so vieler vorhergehenden, fehlschlügen, und
manche beängstigenden Nachrichten, die er über den Verlauf
derselben gelegentlich erhalten, flössen ihm folgende Be-
merkungen ein, in welchen sich so anschaulich sein rastloser
Eifer für die Sache kundgiebt: «Vereor autem, nisi aliter
fuerit pro visum quam antea, ad pejora rem processuram,
non enim cessabunt hoc modo cudere monetam. Cur enim
cessabunt, qui ex eo lucrum, damnum vero nullum exspectant
in quemcumque eventum? Domino Agathio (Achatius von der
Trenk, ermländischer Domherr) referente, de contributione
tractari, unde accipio nihil hoc tempore futurum de moneta —
neque enim convenit, ut duplici gravamine onerentur subditi.
Itaque contribue mus qui dem, moneta autem jacebit,
imo non jacebit, sed faciemus adhoc pejorem et dabimus
Regi Domino Nostro grandem pecuniam — id est
paleas — grana autem ubi manebunt» 86 )?
n ) «Non est parvi momentii iis, quae suapte natura obscura caligine
premuntur, lucem dare posse, cum etiam fieri possit, tale quiddarn et
mihi interdum evenire vereor. Talis est autem de moneta Prussiana
ratiocinatio propter variam ipsius commixtionem, ne dicam confusionem,
et ideo nihil miror si ea quae scripsi non statim intelligantur ab
omnibus. Tentabo igitur quod D. T. queritur intellectum non fuisse,
apertius reddere» etc. Aus dem erwähnten Briefe des Copernicus an
Felix Reich.
* 6 ) Der Brief, an dem sich die Uebereilung und Spannung , in der
er geschrieben wurde, deutlich merken lässt, ist datirt: «Ex Varmia
(so wurde zuweilen Frauenburg bezeichnet, vgl. Prowe «Ueber den
Sterbeort und die Grabstätte des Copernicus.» Neue Preuss. Prov.-
Blätter, 3. Folge, Bd. XI, 1866, S. 229 Anm.) octava Paschae». Eine
Jahreszahl ist nicht angegeben, allein es ist aus dem Inhalte leicht er-
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Kopernik's Befürchtungen waten leider, wenigstens was die
unmittelbaren Resultate der Elbinger Verhandlungen betrifft —
nur allzu begründet. Es kam auch diesmal noch mit der
Sache zu keinem Abschlüsse, weil man sich mit den Bevoll-
mächtigten des Herzogs von Preussen nicht vereinigen konnte.
Auf den Antrag des Bischofs von Ermland ward man jedoch
darüber einig, dass ein neuer Tag zur endgültigen Schlichtung
des Münzhandels gehalten werden solle. Derselbe wurde nun
nach Marienburg auf Stanislai (8, Mai) desselben Jahres an-
gesetzt. Der Bischof von Marienburg erschien dort in Be-
gleitung von Nicolaus Copernicus 37 ) und es wurde auch jetzt
in der That, in der Anwesenheit unseres Astronomen, ein
definitiver Beschluss gefasst, allein die Vorschläge des Co-
pernicus fanden in demselben nur theilweise Berücksichtigung.
Denn wenn auch beschlossen wurde, dass fortan der gleiche
Münzfuss wie in Polen und Lithauen, so auch in Preussen
gelfen und eine königliche Münze für Preussen eröffnet wer-
den sollte, so hatten die Städte doch dabei durchgesetzt, dass
sie ihrerseits auch bei ihrem Münzrechte belassen wurden 38 ).
sichtlich, dass er mit der Sendung Reichs auf den Landtag zusammen-
hängt und es passt auch dazu das Datum «octava Paschae» ganz recht,
da der Landtag, wie schon erwähnt, am Montag nachOculi (dem dritten
Sonntag der Fastenzeit) eröffnet worden war. Dieser Brief nö'thigte
uns auch zur Annahme, Copernicus habe diesmal der Aufforderung
Bischof Ferbers, als Abgeordneter nach Elbing zu gehen, keine Folge
geleistet.
87 ) Bischof Mauritius schrieb von Heilsberg d. 7. April 1528 an
das Frauenburger Domcapitel: «Quoniam in comitiis pro festo Sancti
Stanislai proximo Marienburgi celebrandis, monetarum negotium tracta-
bitur ad quod probe conficiendum opus est viris doctis ac istiusmodi
rei penitus peritis. Unde a fraternitatibus vestris desideramus ut
venerabilem fratrem nostrum dominum Doctorem Nicolaum Coppernic
eligatis ac capitulariter deputetis ut una nobiscum ad eadem comitia
proficiscens, quae sua est in hac re peritia et vestra instructione suf-
fdltus nobis adsit ac nobiscum ea in medium consulat, quae necessaria
visa fuerint et opportuna.» S. Prower Nie. Copern. in seinen Bez.
z. d. H. Albrecht von Pr. S. 15.
88 ) Lengnich, Gesch. der Lande Preussen I, 48—50. David Braun
a. a. 0. S. 55.
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Der König suspeniiirte nun dieses Recht für einige Zeit gegen
eine entsprechende Geldcompensation 39 ) und setzte sofort in
Thorn seine Münze in Thätigkeit. Noch im Juni desselben
Jahres 1528 erschien das neue Geld im Umlaufe und das
königliche Münzhaus zu Thorn blieb unter des zum Verweser
desselben ernannten Jost Ludwig Decius Aufsicht zwei ganze
Jahre thätig 89a ). Allein wenn auch die neuen Groschen, an
Werth den polnischen gleich, auf der einen Seite die Um-
schrift: «Solidus communis terrarum Prussiae» trugen 40 ), so
vertraten sie nicht destpweniger keineswegs die gemeinschaft-
liche Landesmünze, wie sie Copernicus gewollt, und welche
in des Königs Namen unter der Stände Aufsicht geschlagen
werden sollte; das königliche Bildniss, das hier, anstatt, wie
er eä vorschlug, des Wappens des Landes figurirte 41 ), zeigte
nur allzudeutlich, dass das neue Geld nichts weiteres als ein
von dem polnischen König für die Provinz Preussen ge-
schlagenes Geld war, welches von dem von den Städten ge-
prägten specifisch preussischen nur allzugut ersetzt und bei
Gelegenheit verdrängt werden konnte, wenn das königliche
Münzhaus je ins Stocken gerathen sollte. Das Uebel war
demnach nicht abgethan und nur eine neue Verwickelung ge-
schaffen, deren Folgen sich auch bald fühlen liessen. Auf
der Tagfahrt zu Marienburg im Jahre 1529 wurden die alten
Streitigkeiten wegen der Münze wieder erneuert und Coper-
nicus musste wieder um Rath und Beihülfe vom Bischof von
Ermland angegangen werden 42 ). Auch 1530 ist uns die
Theilnahme des Astronomen an fruchtlosen Verhandlungen
in dieser Angelegenheit beurkundet 43 ). Trotz aller dieser
89 ) S. Lengnich I; 53 und Szulc, tjcie Mikolaja Kopernika S. 58.
89 *) Vgl. die «Quietatio Directoris officinae monetariae Torunensis»
d. d. Krakau den 5. März 1531 bei Dogiel. Cod. dipl. regni Polon. IV,
p. 276, No. 195.
40 ) S. Szulc, fcycie Mik. Kop. S. 58.
41 ) S. Lengnich I, 50.
42 ) Vgl. Lengnich I, 76—78 und einen Brief des Bischofs an das
Domcapitel zu Erauenburg vom 27. April 1529 bei Prowe: Nicol. Cop.
in seinen Bez. z. d. H. Albrecht v. Pr. S. 16.
**) Auf der Ton den Preussischen Landesräthen mit den Bevoll-
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Bemühungen aber blieb eine definitive Regulirung des preussischen
Münzwesens unausgeführt, denn es setzten derselben die
Städte Und der Herzog Albrecht unübersteigliche Schwierig-
keiten entgegen. Das alte schlechte Geld * wurde nicht ab-
geschafft, die Städte fuhren fort, ein fast ebenso schlechtes
Geld zu münzen und schlössen, wenn sie vom Könige bedrängt
wurden, ihre Häuser nur, um sie bei der ersten Gelegenheit
wieder zu öffnen 44 ). Es blieb also, trotz des Königs besten
Willens, und trotz der Unterstützung, die derselbe bei den
wahren Patrioten gefunden, mit der preussischen Münze bei
dem alten Unwesen; aber noch im Jahre 1540 sah sich der
Thorner Bürgermeister Konrad Braun auf einer Marienburger
Tagfahrt veranlasst, gegen so manche vom König in derjenigen
Angelegenheit angeordnete Massregel zu protestiren 45 ),
deren wesentlicher Beförderer und Haupturheber der Thorner
Bürger Nicolaus Copernicus war 46 ).
mächtigten des Herzogs in Geldangelegenheiten und namentlich zur
Normirung des Goldwcrthes an dem Tage Simonis und Judae zu Elbing
gehaltenen Zusammenkunft. Copernicus erschien auf derselben nach
Lengnich (I, 94) in Gesellschaft des Domherrn Alexander Sculteti. Vgl.
auch einen Brief Bischof Ferbers an Felix Reich vom 15. October 1530
bei Prowe, Nicol. Copern. in seinen Bez.. zu dem H. Albrecht von
Pr. S. 16.
**) David Braun a. a. 0. S. 60.
«) Zernecke (1711) S. 100, (1727) S. 127.
46 ) Die ganze Angelegenheit der preussische Münze, die eine
ihrem Wesen nach so rein politische, rein staatsrechtliche Frage war,
wird von den deutschen Biographen Kopernik's — was aus ihrem Stand-
punkt allerdings leicht erklärlich ist — in der Regel dieses ihres
wesentlichen Charakters beraubt. In der Darstellung der deutschen
Bipgraphen ist die Theilnahme des Astronomen an dem preussischen
Münzhandel ein ebenso harmloser Detail seines Lebens, wie etwa der
Umstand, dass er neben seinen mathematischen Studien auch huma-
nistische und medicinische betrieb. Manche Einzelheiten seines Auf-
tretens werden dabei, wie billig, verschwiegen, manche andere unrichtig
aufgefasst oder mit Absicht falsch dargestellt. Von dem so durch-
greifenden Vorschlage des Copernicus, die preussische Münze mit der
polnischen zu vergleichen, wissen z. B. diese Herren gar nichts. Dr.
Johann Heinrich Westphal sagt in einer «Nikolaus Kopernikus» betitel-
ten Abhandlung (Eonstanz 1822, S. 48), unser Astronom habe «sogar»
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184
Wenn man nun erwägt, wie sehr die Persönlichkeit des
Frauenhurger Canonicus in Folge aller dieser Händel bei den
vorgeschlagen, «dass dieselben (die Städte) an einem besonderen Orte,
unter öffentlicher Aufsicht, ihre Münzen gemeinschaftlich
schlagen lassen sollten.» Der Antrag habe aber in Preussen
wenig Anklang gefunden, «vorzüglich weil KopernÜus, nur das ganze
berücksichtigend, dem Interesse der drei grossen Städte keineswegs
entsprochen habe.» Dieselbe verkehrte Nachricht finden wir auch bei
Lichtenberg (V, 176), welchem sie Westphal wahrscheinlich entnommen
haben wird. Auch bei Gartz im 19. Bande derBYsch und Gruber'schen
Encyclopädie (Artikel: Copernicus); nur mit dem noch verkehrteren
Zusatz, dass Copernicus «eine Vergleichungs- und Reductionstafel aller
in den verschiedenen Provinzen des Königreichs gangbaren Münzen» (!)
verfertigte und dass diese Arbeit «vom polnischen Reichsrath (! so
steht es auch bei Westphal S. 48) dankbar aufgenommen und zu den
Acten gelegt wurde». Ganz nach Gartz und Westphal lautet endlich
die Nachricht in einer der neuesten Biographien des Copernicus (der
anonymen vom Jahre 1856, S. 31). Zur Charakteristik der Auflassungs-
weise Lichtenberg^ sei hier noch hinzugefügt, dass er nach seiner phi-
losophirenden Weise in der Münzangelegenheit hauptsächlich das
«Ordnungsgefühl» des Mannes bewundert und seinen Plan (dass die
Städte ihre Münzen an einem dritten Orte gemeinschaftlich sollten
schlagen lassen!) zwar «copernicanisch und schön, aber wahrscheinlich
unausführbar» nennt; übrigens weidet er sich mit Selbstzufriedenheit
an einem gelungenen Witze, zu welchem ihm die bekannte Thatsache
Anlass bot, dass auch der grosse Newton sich mit Münzfragen als
Münzwardein im Jahre 1696 befasste. «So trafen sich also hier, sagt
er, Copernicus und Newton, die sich so glücklich und zur Ehre der
Menschheit bei dem grossen Weltsystem getroffen haben, einander,
wie von ungefähr, bei dem kleinern — der Münze» (V, 175). Den Ge-
danken mag indess dem Lichtenberg der Ungenannte des «Teutschen
Merkurs» (1776 S. 177) eingeflossen haben, der übrigens über die ganze
Münzsache nur folgende nicht allzu geistvolle und sinnreiche Worte zu
machen weiss. — «Und wenn er, bey damaliger Verwirrung (?) für
Polen (?) und Preussen, den Münzfuss in Ordnung zu bringen hatte,
so war er so ganz in der Münze wie sein Nachfolger Newton. Nach
seinem System war Schwere die Eigenschaft der Körper, die abzweckte,
sie zum Eins, zum Ganzen in sich Belbst zu machen, vielleicht ist's
ebenso die göttliche Eigenschaft eines Geistes, dass er totus und in-
genuus, bey jedem Geschäft in sich wohne, und nicht in Rauch
zerfliege.»
Dr. Franz Hipler, welcher in seiner Abhandlung: «Nikolaus Ko-
pernikus und Martin Luther» scheinbar nur aus dem Leben des Astro-
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185
deutschen Bürgern Preussens und ganz besonders bei den
Bürgern seiner Vaterstadt unpopulär und ihnen geradezu ver-
nomen willkürlich gewählte Episoden, in der That aber dessen ganze
Lebensgeschichte eingehend und gründlich behandelt, kommt nur im
Vorbeigehen (S. 495) von dem «staatsmännischen Blick» zu sprechen,
«den Kopernikus bei der Regelung der schwierigen preussischen Münz-
Verhältnisse zeigt», und Dr. Prowe, der in einer speciellen Arbeit über
«die Beziehungen» des Copernicus zum Herzoge Albrecht von Preussen,
die beste Gelegenheit hatte, auf die Münzhändel, in welchen Copernicus,
wie wir gesehen haben, zu Unterhandlungen mit den Bevollmächtigten
des Herzogs gebraucht wurde, näher einzugehen, zieht sich mit einer
summarischen Erwähnung derselben aus der Sache, wobei er auch kurz
anfuhrt (S. 16), dass Copernicus auf dem Landtage zu Graudenz 1522
«ein Gutachten ausarbeitete, welches, so vortrefflich die Principien
waren, auf denen es beruhte (welche Principien? erfahren die Leser
nicht), so sehr die Anwendung derselben den praktischen Blick bezeugte,
nicht zur Ausführung gekommen ist, weil es dem Sonderinteresse
namentlich der grossen Städte desLandes, Thorn, Elbing,
Danzig, welche die Münzgerechtigkeit besassen, wider-
sprach.» Wie wir sehen, besitzt Dr. Prowe im hohen Grade die
Kunst, seinen Standpunkt nach Belieben zu wechseln und jedesmal
leicht denjenigen zu treffen, der ihm am besten passt. So heisst ihm
auch hier die Opposition der deutschen Städtebewohner Preussens nur
eine (für die Gesammtheit schädliche) Wahrung des «Sonderinteresses»,
während er an einem andern Orte dieselbe Opposition als den nationalen
Widerstand des ganzen preussischen Volkes gegen die polnische
Oppression so hoch feiert! Allein so verlangen es jedesmal die Um-
stände und wer würde sich denselben nicht zu accomodiren suchen?
Die hier in Rede gestellte Schrift; Dr. Prowe's gehört übrigens
ganz zu der Kategorie derjenigen Schriften, welche zu bekannten
Zwecken unsern Astronomen mit irgend einer deutschen Illustration
seinerzeit gewaltsam zu paaren suchen. Sie kann auch für einen ver-
unglückten Versuch deutscherseits gelten, die Handlungen des grossen
Mannes von demjenigen Standpunkte aus zu betrachten, auf welchem
wir im Laufe dieses Abschnittes unserer Abhandlung polnischerseits
stehen. Es weisen hierauf die Worte hin, womit Dr. Prowe gleich am
Anfang seiner Abhandlung das Thema derselben zu rechtfertigen für
gut fand: «In doppelter Hinsicht, sagt er (S. 5), wird das gewählte
Thema Ihr patriotis ches Interesse in Anspruch zu nehmen
geneigt sein (Dr. Prowe trug seine Abhandlung in öffentlicher Sitzung
des «Copernicus- Vereines» in Thorn vor). Indem ich den Beziehungen
nachgehen will, in welchen Copernicus zu dem Herzoge Albrecht von
Preussen gestanden, wird in meiner Skizze neben den Mann, der,
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186
hasst war, so wird man sich wahrlich nicht wundern dürfen,
wie das oft genug geschehen ist, warum es mit einer einzigen
durch Geburt und Ahnen uns angehörig (wir erinnern hier an
die von Dr. Prowe vor zwei Jahren zugegebene «Möglichkeit» der Ein-
wanderung des Nicolaus Kopernik aus Krakau), den Namen unserer
Stadt und Provinz über den ganzen Erdkreis getragen, ein Fürst
treten, der einem Zweige unseres erhabenen Herrscher-
hauses entsprossen, den ersten Anstoss zur Wiederer-
langung unserer nationalen Selbstständigkeit gegeben»
u.- s. w. — Dass aber der Versuch Dr. Prowe's als ein gescheiterter an-
zusehen ist, deutet schon der Umstand genugsam an, dass der Verfasser
selbst an dem Gelingen seines Werkes von vornherein kein Vertrauen ge-
habt zu haben scheint. Wir hören ihn schon auf der zweiten (6ten
nach der Paginirung) Seite seiner Schrift darüber klagen, dass er «von
näheren urkundlichen Belegen verlassen sei.» Trotzdem hat er «ein
vollständi ges Recht anzunehmen, dass ein be-stimmtesVerhältniss
zwischen Copernicus und Albrecht stattgefunden.» Doch findet sich
in dem noch erhaltenen gelehrten Briefwechsel des Herzogs «kein
Brief an ihn; kaum dass seiner an wenigen Stellen gedacht wird.»
Und daher muss sich Dr. Prowe die Geringfügigkeit der Resultate im
Voraus vorbehalten und «ein milderes Urtheil» bei seinen Zuhörern
resp. Lesern nachsuchen. Denn sie können von ihm «kein glänzendes
Bild erwarten»; «es wird, ich fühle es — fügt er hinzu — dem Bilde, .
das ich zu entwerfen suche, die volle . harmonische Rundung fehlen.»
Und in der That strotzt zwar «das Bild» Dr. Prowe's von Klagen auf
«die Ungunst der Jahrhunderte» (S. 20 u. S. 34), welche die urkund-
lichen Belege entwenden; von Fragen wie: «Wer sollte da wohl
meinen, dass Albrecht den Forschungen des genialen Landmannes fremd
geblieben sei?» (S. 33); von Versicherungen: «aber sicherlich wird
Albrecht liebevolle Theilnahrae und herzliche Anerkennung, deren der
strebende Mensch in allen Verhältnissen so sehr bedarf, den mühevollen
Studien des Copernicus nicht versagt haben» .(a. a. 0.) oder: «so sind
wir gewiss berechtigt anzunehmen, dass auch zwischen Copernicus und
. dem Herzoge (wie zwischen dem letzteren und «einigen» andern Mit-
gliedern des Frauenburger Domstiftes) noch andere Briefe gewechselt
sind, als die auf die Krankheit des Kunheim bezüglichen, und dass
diese schätzbare Correspondenz nur durch die Ungunst der Jahr-
hunderte verloren gegangen ist» (S. 34). Was man aber bei diesem
«Bilde» vermis8t, sind — Züge und Farben. Und wie konnte es wohl
anders geschehen, wenn die eben erwähnten, zwischen dem Herzoge
und Copernicus im Jahre 1541 gewechselten kurzen fünf Briefe (von
denen nur 2 vom Astronomen herrühren) bezugsweise einer schweren
Erkrankung Georgs von Kunheim, Hauptmanns zu Tapiau und Lieblings
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187
Ausnahme bis vor Kurzem doch immer nur Polen gewesen
sind, welche das Andenken des grossen Mannes, sei es in Tkorn
oder anderswo in Polen, zu ehren und zu feiern bestrebt
waren 47 ). Erst in unserem Jahrhundert, über 300 Jahre
des Herzogs, für den er auch des Copernicus ärztliche Hülfe in An-
spruch nahm, auch die ganze und einzige urkundliche Grundlage Dr.
Prowe's bilden, für die persönlichen «Beziehungen» des Copernicus zum
Herzoge von Preussen? Und aus diesen 5 Briefen machte nun Dr.
Prowe einen pomphaften Titel und 41 Druckseiten in 8° maj.! Und
daher dürfen wir hier wiederholen: wie erfindungsreich wird nicht
u. s. w. (vgl. oben Anm. 10).
47 ) So im Jahre 1581 der Ermländer Bischof Martin Kromer, im
Jahre 1766 Joseph Alexander Fürst Jablonowski Wojewode von Nowo-
grödek (Stifter der «Societas Jablonoviana» zu Leipzig), 1787 König
Stanislaw August, um die nämliche Zeit der Ermländer Bischof Ignacy
Krasicki, im Jahre 1809 der Staatsrath des Herzogthums Warschau,
im Jahre 1823 die Krakauer Universität oder vielmehr ihr damaliger
Rector, Sebastyan Sierakowski, dann der Krakauer Kanzler Dubiecki,
im Jahre 1830 das gesammte Polen auf die Initiative der Warschauer
Gesellschaft der Wissenschafts -Freunde, endlich im Jahre 1862 die
Krakauer Gesellschaft der Wissenschaften. Dazu ist zu bemerken, dass
im Jahre 1854 zu Warschau eine Prachtausgabe von des Copernicus
8ämmtlichen Schriften, mit beigefügter polnischer Uebersetzung der-
selben veranstaltet wurde, deren Kosten ebenfalls freiwillige Beiträge
deckten.
Die deutschen Bemühungen, das Andenken des angeblichen. «Lands-
mannes» zu ehren, sind dagegen nicht einmal so alt wie die Er-
werbungen des neuen preussischen Staates an der niederen Weichsel.
Aus älterer Zeit dürfte zu diesen Bemühungen höchstens nur das
schlichte Denkmal gerechnet werden, welches der Thorner Stadtphysicus
Dr. Melchior Pyrnesius, ein jüngerer Zeitgenosse unseres Astronomen
(t 1589), in der Johanniskirche zu Thorn zu Ehren desselben errichten
Hess. Der polnische Heraldiker Paprocki bezeugt übrigens (Herby
ryccrstwa polskiego S. 893 der Turowskischen Ausgabe), Pyrnesius sei,
seiner Abstammung nach, ein Krakauer Bürger gewesen. — Dr. Prowe
hat in einem von uns schon angeführten Aufsatze, betitelt: «Das An-
denken des Copernicus bei der dankbaren Nachwelt» (Neue Preuss.
Prov.-Bl, 1866, XI, 353—402), wo er, trotz alles Einleuchtens des Gegen-
theils, doch immer dargethan zu haben glaubt, dass des Copernicus
Andenken auch von seinen deutschen Landesgenossen stets geehrt
worden sei, unter Anderem auch zwei Stellen aus Friedrichs II. Brief-
wechsel beigebracht, wo der König, allerdings nur in unbestimmter
Weise, von einem Denkmal spricht, das er dem Copernicus aufstellen
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188
nach dem Tode des Mannes, als im Laufe der Zeit die alten
Leidenschaften erloschen waren, und der Untergang Polens
neue hervorgerufen hatte, erst dann wurde der Erinnerung des
Frauenburger Canonicus auch von den deutschen Bürgern
seiner Vaterstadt die so lange schuldig gebliebene Verehrung
abgestattet, erst dann wurde ihm in Thorn das Denkmal auf-
zu lassen gesonnen ist. Der Plan kam natürlich nicht zur Ausführung
und was Friedrich II. von der Verwirklichung desselben abhielt, leuchtet
in den Worten eines der beiden Briefe, des an Voltaire am 12. August
1773 gerichteten (Bd. XXIII, S.250 der «Oeuvres de Fre*denc le Grand»),
durch. Der König sagt hier mit Anspielung auf den berühmten
Thorner Prozess vom Jahre 1724 (über diese bis auf den heutigen Tag
noch immer von den Feinden Polens bei jeder Gelegenheit als Waffe
gebrauchte Angelegenheit, ist übrigens vor Kurzem durch eine auf
Forschungen im königl. geheimen Staatsarchiv zu Dresden beruhende
Arbeit ein neues Licht geworfen worden, an welchem sich deutlich
zeigt, wie sehr die Schuld dieser angeblichen Gräuelthat des polnischen
Fanatismus auf ganz andere Köpfe als auf die der polnischen Nation
zurückfallt. S. die Abhandlung von Kazmierz Jarochowski: «Epilog
sprawy Torunskiej» in den Roczniki Towarzystwa Przyjaciöl Nauk
Poznanskiego. 1871, Bd. VI, S. 53—82): «Je ne vengerai point
le massacre des innocents, dont les prStres de cette ville (Thorn) ont
a rougir; mais j'e*rigerai dans une petite ville de la Warmie un
monument sur letombeau du fameux Copernic, qui s'y trouve enterre.
Croyez moi, il vaut mieux, quand on le peufe, re*compenser que
punir, rendre des hommages au gänie que venger des
atrocite's depuis longtemps commises.» In den Augen Friedrichs II.
war also Copernicus — wie aus diesen Worten zu ersehen ist — ein Pole.
So neu ist allerdings in Preussen der jetzt dort so eifrig verflochtene
Gedanke von dem Deutschthum des Thorner Astronomen!
Bei diesem vollständigen Mangel jeder älteren Tradition in der
Verehrung des Copernicus von Seiten seiner deutschen Thorner Mit-
bürger, darf auch Niemanden wundern , wenn noch der im Jahre 1816
von der königlich preussischen Bezirksregierung zu Marienwerder an-
geregte Plan der Errichtung eines Copernicus-Denkmals an der hierbei
von Seiten des Thorner Magistrates bewiesenen Nachlässigkeit scheitern
musste und wenn das alte Thorner Haus, in welchem der jetzt so hoch
gepriesene «grosse Landsmann» geboren ward, und an das der so-
genannte «Copernicus- Verein» neulich eine Gedenktafel hat anbringen
lassen, noch im Jahre 1849 von seinem damaligen Besitzer straflos von
Grund aus umgebaut und seines alterthümlichen Ansehens gänzlich be-
raubt werden konnte.
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189
gerichtet, das zu gleicher Zeit manchen Thorner Patrioten
eine Art Losung zum Federkampfe um die Nationalitat des
grossen Mannes sein sollte. —
Um die dürftigen Notizen, die wir über des Copernicus
politische Thätigkeit, über sein Auftreten als Bürger, als Sohn
des Vaterlandes besitzen, hier alle zusammenzustellen, bleibt
uns noch übrig, der Stellung, die er dem Orden gegenüber,
diesem, wie er sich selber nannte, «Hospital der ganzen deutschen
Nation», einnahm, zu erwähnen. Diese Stellung war nun
seinem übrigen politischen Handeln vollkommen entsprechend.
Copernicus erblickte in den deutschen Bittern des Kreuzes,
wie sie es wohl verdienten, stets nur die Feinde seines Königs,
die Feinde seiner Heimath und die des ganzen Reiches. Sein
Auftreten gegen dieselben noch zu Lebzeiten seines Oheims,
des Bischofs Lucas Watzelrode, den er, als derselbe sich in
Angelegenheiten seines Stiftes am Hofe aufhielt, von Frauen-
burg aus brieflich zum energischen Handeln gegen den Orden,
zur kräftigen Wahrung des Gesammtwohls gegen den Reichs-
feind ermahnte 48 ), zog dem Frauenburger Domherrn den
bittern Hass der Deutschritter zu. In diesem Hasse machten
sie ihm eine Auszeichnung, welche deutlich bezeugt, wie sehr
unser Astronom den herrschsüchtigen Plänen des Ordens und
seinen verrätherischen Absichten gegen Polen schädlich zu
werden wusste. Im Jahre 1510 kam nämlich zu Posen, zur
Schlichtung der langwierigen und immer drohender werdenden
Streitigkeiten zwischen Polen und dem Orden ein Verhand-
lungstag zu Stande, auf welchem die Abgeordneten des letztern,
von den Bevollmächtigten Kaiser Maximilians, wie auch von
denen der deutschen Kurfürsten, der deutschen Reichsstände
und des Königs von Ungarn, die alle in Folge der vorherigen
Bemühungen des Hochmeisters sich auf dem Tage eingefunden
48 ) S. Gassendi S. 294. «Non possedit tarnen initio (Copernicus)
pacifice satis eum Canonicatum (Warmiensem) ut non semel conquestus
est literis conscriptis ad Avnnculum in Aula praesertim morantem, ut
publicae rei causam tueretur adversus Cruciferos, Teu-
tonicosve Equites, qui idciro illi infensi per Posnaniensia comitia
libello famoso ipsum impetierunt.»
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hatten, unterstützt, dem Könige von Polen die kühne Forde-
rung um Bückgabe des durch den Thorner Frieden 1466
demselben abgetretenen Niederweichsellandes. (Pomerellens, des
Culmer Gebietes n. s. w.) zu stellen wagten. Die Verhand-
lungen führten natürlich in Folge dieser trotzigen Ansprüche
zu keinem Resultate; aus ihrem Verlaufe ist uns. aber die
interessante Nachricht überliefert, dass die Gesandten des
Hochmeisters hier unter Anderm auch mit einer gegen Ni-
colaus Copernicus gerichteten «Schmähschrift» auftraten, wahr-
scheinlich einer in heftigen Worten abgefassten Beschuldigung
seiner dem Orden feindlichen Thätigkeit und Gesinnung 49 ).
Copernicus liess sich indesssen durch diese öffentliche
Feindschaftserklärung von Seiten des mächtigen Ordens, der
dem schlichten Geistlichen zu Frauenburg doch wohl gefahr-
lich werden konnte, keineswegs erschrecken und wich von der
demselben gegenüber stets bewiesenen festen, patriotischen
Haltung keineswegs ab.
Als im Jahre 1518 der Hochmeister Albrecht von Bran-
denburg, der nunmehr zu einem offenen Kriege gegen Polen
rüstete, seine Hoffnungen auf eine thätige Unterstützung von
Seiten des Grossfürsten von Moskau vereitelt sah (vgl. Voigt
IX, 535 — 538, 557), schrieb der sich in Melsack bei Heils-
berg aufhaltende Copernicus an das Domcapitel zu Frauen-
burg, indem er demselben die freudige Nachricht mitzutheilen
sich beeilte, folgende für seine Gesinnung gegen den Orden
charakteristische Worte : «Novitates etiam accepit Paternitas
sua (Episcopus Warmiensis), quod Moscovita suscepit cum
Rege perpetuam pacem, quibus conditionibus constet, exspectat
Paternitas sua in horam intelligere. Sic tota confidentia
49 ) Ueber den Verhandlungstag zu Posen vgl. Voigt, Gesch. Pr. IX.
380—386; über die Schmähschrift gegen Copernicus die Worte GassendTs
(s. die vorhergehende Anmerkung): .... «qui idciro illi infensi
per Posnaniensia comitia libello famoso i.psum impeti-
erunt.» Manche von den deutschen Biographen erwähnen zwar «die
Schmähschrift, die man gegen den muthigen Verfechter der Rechte
seines Stiftes verfasste» (Gartz und der Ungenannte vom J. 1856, S.29),
sie wissen sie aber nicht mit dem Verhandlungstag zu Posen vom
Jahre 1510 zu verknüpfen.
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vicinorum jam corruit» 50 ). Der Orden blieb also dem
Copernicus immer der fremde, dem König und dem Lande
feindliche «Nachbar», Kampf gegen dessen Ansprüche auf das
westliche, polnische Preussen gehörte zu einer jener Pflichten,
die den schlichten Mann der Wissenschaft dem Treiben seiner
Mitmenschen von Zeit zu Zeit näher brachten, ihn von seinem
einsamen Studium abriefen und zum thätigen Eingreifen in
die Angelegenheiten seines Vaterlandes zwangen.
Man kann wohl schwerlich eine bessere Charakteristik
seiner ganzen Handlungsweise dem Orden gegenüber geben,
als die, welche ein naiver Mitarbeiter des «Teutschen Merkurs»
aus dem vorigen Jahrhundert vielleicht unwillkürlich in folgen-
den Worten ausdrückte: «Wenn sein Kapitel ihm Geschäfte
anvertraute, focht er sie gegen Teutsche Herren und Schwert-
ritter so gerade und recht aus, als ob diese keine Teutsche
Herren und Schwertritter wären» 51 ). Der schlichte Frauen-
burger Domherr hatte für jene heutzutage vielgepriesene, gross-
artige Sendung des Deutschen Ordens zur Germanisirung der
Ostseeküsten allerdings so wenig Sinn!
Nach dem Tode des Bischofs Fabian von Lusianis, der am
Anfange des Jahres 1523 erfolgte 52 ), wurde Copernicus von
dem Domcapitel zu Frauenburg zum Administrator des Stiftes
eingesetzt. Auf diesem wichtigen Posten wusste er nun eine
Thätigkeit zu entwickeln, die seine Gesinnungen gegen den
Deutschen Orden wiederum klar und unumwunden an den
Tag legen sollte. Der Orden, der die Treue, mit welcher
das ermländische Stift von jeher an Polen hing (darüber
Näheres bei Voigt, im IX. Bde.), stets mit neidischem Blick
wahrnahm, hatte die langjährigen Kriegswirren mit Polen
benutzt, um verschiedene Besitzungen des Bisthums an sich
zu reissen. Diese rechtswidrigen Erwerbungen hielt er
60 ) Der Brief d. d. «ex Melsac XXII. Octobris 1518» ist S. 589 der
Warschauer Aasgabe abgedruckt. Die deutschen Biographen erwähnen
ihn nicht. Dr. Prowe ignorirt ihn auch selbstverständlich in seiner
bekannten Schrift von den «Beziehungen» des Nicolaus Copernicus zu
Albrecht von Preussen.
61 ) Der «Teutsche Merkur» a. a. 0.
") S. Voigt, G. Pr. IX, 667.
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auch nach dem im J. 1521 mit Polen geschlossenen Waffen-
stillstände 53 ) in seiner Macht. Die erste Pflicht des Copernicus,
sobald er das Amt des Administrators angetreten, war nun,
muthig und entschlossen Rückgabe der entzogenen Güter zu
fordern. — Er hatte hierzu noch zu Lebzeiten des Bischofs
den ersten Schritt gethan. Unter den nach Schweden ini
17. Jahrhundert gekommenen Papieren des Frauenburger Ca-
pitels findet sich — gegenwärtig im Stockholmer Reichs-
archive — das Concept der von ihm entworfenen Beschwerde-
schrift, welche das Capitel im Jahre 1521 den königlichen
Käthen überreichte, die zur Schlichtung anderweitiger streitiger
Punkte mit den Bevollmächtigten des Herzogs auf einer Tag-
fahrt zu Graudenz zusammengekommen waren 54 ). Nun nahm
Copernicus den Kampf mit neuem Eifer auf. Nichts kümmer-
ten ihn die zahlreichen Anfeindungen, ja sogar die ausdrück-
lichen Drohungen, durch welche der Orden sein keckes Ver-
halten und seinen Widerstand zu brechen suchte 55 ), er war
sich seines guten Rechtes, seiner Pflicht bewusst, und bestand
auf seiner Forderung mit der Zuversicht und dem Muthe, den
eine gute Sache immer mit sich bringt. Als aber seine
wiederholten Mahnungen beim Hochmeister kein Gehör fanden,
wirkte sich der rastlose Domherr ein königliches Mandat aus,
welches dem Hochmeister gegenüber den gemessenen Befehl
enthielt, die widerrechtlich besetzten Schlösser und Güter des
M ) S. Voigt IX, 630 ff.
54 ) Ein Abdruck dieses Documentes findet sich in Prowc's Mit-
theilungen aus schwedischen Archiven S. 6 — 9.
68 ) Gassendi S. 295. «Nam facti quidam (ab equitibus Teutonicis)
varii insultus, intentaeque minae variae: verum ille animo infracto
suam constanter tenuit viam, id semper defixum in animo habens, ut
quidque summa semper fide, integritateque praesfcaret.» Und S. 328:
«Cum generöse porro minas technasque caeteras istorum pro nihilo
habuerit etc.» -— Ueber alle diese «Beziehungen» des Copernicus zum
Deutschen Orden und zu dessen damaligem Hochmeister, dem späteren
Herzog Albrecht von Preussen, versteht es Dr. Prowe in seiner Schrift
«Nicolaus Copernicus in seinen Beziehungen» etc. S. 18 — 19 allerdings
wohl die kürzesten Worte zu machen. Dr. Hipler übergeht sie lieber
gänzlich.
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Bisthums ohne Verschub zu räumen. Erst dann fugte sich
Albrecht von Brandenburg, Kopernik aber hatte wiederum
einer seiner Pflichten Genüge geleistet, er hatte sich um sein
Domcapitel, um seine preussische Heimath, um ganz Polen ein
neues Verdienst erworben 86 ).
Wenn nun diese stets feindliche Stellung des Copernicus
gegen den Deutschen Orden eine so offenkundige, so aus-
gemachte Thatsache ist, dass sie selbst Solche nicht leugnen
können, welche als Verfechter der deutschen Nationalität des
Copernicus auftreten 57 ), wenn Copernicus sein Lebenlang
*•) Starowolski p. 158. «Et vivens qnidem Theutonicorum Cruci-
ferorum Magistrum inimicum sensit, quod bona Episcopatus illius ab
eo injuste possessa mandato regio reciperet, restitueretque Ecclesiae,
tum Aulico8 quosdam (seil, inimicos sensit)» etc. Gassendi p. 295.
«Dignum autem est memoratu, cum mortuo speciatim Fabiano de Lu-
sianis Episcopo, Administrator! s gereret personam, ferre enm non
potuisse, ut Teutonici equites aulicique varii Ecclesiae bona injuste
usurpata diutius detinerent; sed mandato Regis obtento, ea generöse
vindicasse.» Das Datum dieses königlichen Mandates giebt Krzyza-
nowski (Spomn. jubil. S. 25) nach Geret's Handschriften als den 10. Juli
1524 an. Es ist jedoch ohne Zweifel 1523 zu verstehen, da die Wahl
des neuen Bischofs (Mauritius Ferber) schon am 14. April dieses Jahres
stattfand. Vgl. Prowe, Nicol. Copern. in seinen Beziehungen u. s. w.
S. 19 und auch unser Citat aus Treter in der nächstfolgenden An-
merkung.
6T ) Der bereits mehrfach erwähnte Westphal weiss, in Gesellschaft
derjenigen, die seine Angaben fast wörtlich abschreiben (wie Gartz in
der Ersch- u. Gruber'schen Encyclopädie XIX, 294, der Anonyme vom
J. 1856 S. 30), allerdings von einer «Abneigung» (Westphal S. 45) Ko-
perniks gegen den Orden und von den ihm von demselben zu Theil
gewordenen «Kränkungen» (der Posener Schmähschrift) zu reden, allein
tun den schlechten Eindruck dieser Aussage zu neutralisiren, fugt er
gleich die etwas seltsam klingende Nachricht hinzu, dass «viele
polnische Grosse» mit dem Orden hielten, «denen es ganz recht
war, den Orden durch Besitzungen eines Bisthums und eines Capitels
zu beruhigen, die beide ihre Rechte gegen Polen so lebhaft
vertheidigten und sich der Einschränkung einer freien Bischofswahl
oft muthig widersetzten». Wie sehr nun Copernicus nicht zu denjenigen
gehörte, welche die angeblichen «Rechte des Kapitels gegen Polen
vertheidigten», wissen unsere Leser zunächst schon aus dem oben von
uns Erzählten. Was aber die hier von Westphal und seinen Jüngern
Beil b. Nat. d. Copernicus. 13
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gegen die Interessen des Deutschen Ordens sowohl, als gegen
die der in den preüssischen Städten das Heft führenden
deutschen Bürger, also im Allgemeinen gegen die des Deutsch-
thums in Preussen mit allem Eifer, rastlos, unermüdlich ge-
hervorgehobenen «polnischen Grossen» (denen «verschiedene Personen
am Hofe» bei Lichtenberg entsprechen) betrifft, so steht es zu ver-
muthen, dass diese Herren damit auf die «aulici quidam» des Staro-
wolski, die «aulici varii» des Gassendi (vgl. die vorhergehende Anm.)
wollten hingewiesen haben. Wer nun diese «aulici» wirklich waren,
deutet schon der 1550 zu Posen geborene Frauenburger Domherr
Treter in seinem Werke: «De Episcopatu et Episcopis Ecclesiae Var-
miensis» (Krakau 1685) an. Er sagt da p. 90: «Allensteiniensis arx
et oppidum Ecclesiae liberum remansit, reliquae vero arces et oppida
partim a Magistro Teutonicorum, partim a Regiis Capitaneis tene-
bantur usque ad Episcopi Mauritii approbationem, quae mandato Regio die
decima Julii Nicoiao Copernico tanquam administratori, Joanni Crapitio
et Felici Reich Episcopi et Capituli Nuntiis post modum restituta fuere.»
Die polnischen Grossen reduciren sich demnach schon auf «königliche
Hauptleute», welche die Schlösser des Capitels widerrechtlich besetzt
hielten. Genaueres hierüber berichtet Voigt IX, 667. Nach demselben
ist unter den «königlichen Hauptleuten» Treter's ein «polnischgesinnter»
Ermländis eher Stiftsvogt Namens Preycke, zu verstehen, welcher
nach dem Tode Bischof Fabians sich auf gewaltsame Weise des Schlosses
von Heilsberg bemächtigte und es zur Verfügung des Königs von Polen
stellte. Denselben Preycke oder Preuck nennt endlich Dr. Eichhorn in einem
Aufsatze der Zeitschrift für die Gesch. u. Alterthumsk. Ermlands (1863,11,
S. 271. «Die Preuck'sche Stiftung in Rom») «einen Mann von grossem
Scharfblick, unerschütterlicher Treue und felsenfesten Charakter, welcher
nach Bischof Fabians Tode (1523), als Ermland, kirchlich und politisch
unterwühlt, fast in den. letzten Zügen lag, mit Muth und Kraft an die
Spitze der Regierung trat und das Ländchen so lange in seiner Bot-
mässigkeit hielt, bis er in die Lage kam, es dem Bischöfe Mauritius
Ferber, als dem rechtmässigen Herrn, wieder zuzustellen. Diese Wohl-
that vergalt ihm Ermland mit besonderer Liebe. Er stand unter
Mauritius Ferber, Johann Dantiscus und Tidemann Giese als Hauptmann
auf Braunsberg und Bisthums-Vogt in hohen Ehren und erlebte in
seinem Alter die Freude, seinen Sohn Johann v. Preuck als Nachfolger
im ersteren Amte zu sehen.» Soweit Dr. Eichhorn, der sich hiebei auf
Th. Treter p. 143—146, 153; M. L. Treter p. 88—90, 94; Leo, hist.
Pruss. p. 372—373, 410—411 beruft; uns mögen diese drei Citate zum
Beweise genügen, wie gewissenhaft und genau man bis jetzt deutscher-
seits in der Lebensgeschichte des Copernicus zu Werke gegangen ist.
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195
fochten und daher ihm von Seiten dieses Ordens und dieser
deutschen Bürger sein Lebenlang nur Hass und Verfolgungen
jeglicher Art widerfahren sind — fragen wir, was sollten
im Jahre des Herrn 1853 jene patriotischen Jubelergüsse
der deutschen Bürger Thorns bei Gelegenheit der Ent-
hüllung des bekannten «Kopernikus- Denkmals» daselbst,
was sollte endlich die damals in des Copernicus Vaterstadt er-
schienene gelehrte Schrift Dr. Prowe's, welche «das Anrecht
Thorns» auf seinen «grossen Landsmann tiefer zu begründen
suchte?»
Als beste Antwort hierauf fassen wir hier die endgültigen
Resultate unserer Untersuchung zusammen:
Nicolaus Copernicus, geboren in einem polnischen Lande,
zu gleicher Zeit aber in einer überwiegend deutschen Stadt,
von einem polnischen Vater, der aber keineswegs der deutschen
Sitte fremd war und von einer deutschen Mutter, die ihn
wiederum in traditioneller Hingebung an Polen und dessen
König auferzog, Nicolaus Copernicus war zwar durch seine
Abstammung mit beiden Nationen verwandt, allein er hat
durch seinen ganzen Lebenswandel bethätigt, dass er seinen
Bürgerpflichten gemäss nur als ein Sohn seines Landes Preussen
und als solcher, auch als ein guter Pole sich fühlte. Er hat dies
durch eine Reihe von Thaten bezeugt, die ihm eine dankbare
Anerkennung von Seiten aller seiner Landsleute für immer
versichern ; es ist daher ein hartes Unrecht, ihm nach seinem
Tode denjenigen Charakter absprechen zu wollen, den er in
seinem Leben auf Schritt und Tritt zu bewähren als eine
heilige Aufgabe erachtete 88 ).
68 ) Gerechtigkeit ist jedoch — wir heben es mit Freude hervor —
dem Nicolaus Copernicus auch von manchen deutschen Schriftstellern —
um die anderer Nationen zu übergehen — widerfahren. So sagt
Wachler in seinem Handbuch der Geschichte der Literatur, Frank-
furt a. M., 1824, Bd. IV, S. 207 : «Von den andern Nationen ist die
polnische mit vollem Recht stolz auf ihren Nicolaus Copernicus aus
Thorn», L. Feuerbach in seinen Blättern für literarische Unterhaltung
No. 269, vom 9. November 1850, im Aufsatze : «Die Naturwissenschaft
und die Revolution», erkennt ihn auch für einen Polen an, fügt aber —
13*
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196
1
Wenn aber heutzutage diesem um die ganze Mensch-
heit und um seine Heimath so hoch verdienten preussischen
Polen seine deutschen Landesgenossen Denkmale errichten, so
möge dies — und das ist unser innigster Herzenswunsch —
als ein gutes Omen für die Zukunft gelten, dass der Tag
vielleicht einmal kommen werde, wo die beiden auf demselben
preussischen Boden neben einander wohnenden sich jetzt
gegenseitig anfeindenden Nationalitäten, vor dem Bilde des
grossen Mannes, der, wie Kepler sagt, vorzugsweise canimo
liber» zu nennen ist — zusammentretend, sich die Hände zur
Versöhnung reichen, nachdem der schöne Spruch: «Suum
cuique» endlich einmal zur Realität geworden sein wird!
wenn auch arglos — eine der bittersten Ironien hinzu, die gegen ein
verfolgtes, unglückliches Volk gerichtet werden kann: «Der erste
Revolutionär der neuen Zeit, sagt er, war daher — merk-
würdigerweise ein Pole — der Verfasser der Schrift: De revo-
lutionibus orbium coelestium, Nicolaue Kopernicus.»
Es fehlt aber in Deutschland auch nicht an glänzenden Demon-
strationen entgegengesetzter Art. Und so hat man in der bayerischen
Walhalla Kopernik's Brustbild unter den Helden deutscher Vorzeit
aufgestellt und schon 1800 finden wir in der Schrift: «Das Pantheon
der Deutschen» den stillen Domherrn von Frauenburg in Gesellschaft
von Ulrich von Hütten, Moritz von Sachsen u. A.
Wird man es wohl endlich einmal in Deutschland lernen, die Nach-
barvölker, wenigstens in ihrer geschichtlichen Vergangenheit, gerecht
und unparteiisch zu behandeln!
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1
Anhang.
I.
Die Entstehung Thorns
ist streitig sowohl in Bezug auf die Zeit, als auch was
den Ort der ursprünglichen Gründung betrifft. Die Schuld
daran trägt hauptsächlich der Ordenschronist Düsburg, welcher,
nachdem er mit den Worten (ed. Hartknoch HI, cap. 1):
«Frater Hermannus Balk magister Pruschiae
transivit Wisselam ad terram Colmensem et in littore in
descensu fluminis aedificavit anno Domini MCCXXXT castrum
Thorun» etc. von der Entstehung der Stadt berichtet,
gleich darauf von einer Verlegung derselben spricht: «quae
(civitas) postea manente Castro translata fuit ad
eum locum, ubi nunc sita sunt et castrum et civitas Thoru-
niensis». Voigt (II, 233) hält nun mit gutem Grunde diese
Verlegung für unwahrscheinlich und glaubt, der Bericht
des Düsburg beziehe sich nicht auf Thorn, sondern auf die
schon vor des Ordens Ankunft im Culmerlande bestehende,
in einer Urkunde des Jahres 1222 genannte, verfallene, von
den Rittern aber neu befestigte Burg Turno, deren Namen,
sagt er (II, 223), «wohl schwerlich deutsch» ist. Ganz der-
selben Meinung ist nun auch Wernicke (Geschichte Thorns,
Thorn 1842 I, 12) und er fügt hinzu, dass es «mehr als wahr-
scheinlich» ist, dass dieses Turno, das «castrum Thorun» des
Düsburg, in der Gegend des heutigen Dorfes Altthorn (unter-
halb Thorns, an der Weichsel) zu suchen sei, welches schon
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198
in Urkunden des XIV. Jahrhunderts «Aldenthorun» heisse
(Wernicke I, 13), wobei er jedoch (I, 15) meint, dass «der
Name der Stadt selbst gewiss ursprünglich ein deutscher
Name* sei. Bis auf das letztere dürften wir mit Allem ein-
verstanden sein, wenn wir auch nicht verschweigen möchten,
dass unter «Turno» das heutige Turzno, Kreis Thorn, ver-
standen sein könnte. Es sei dem übrigens wie es wolle ; wenn
aber einmal in Düsburg's Worten keineswegs die Nachricht
von der Gründung der Stadt Thorn uns vorliegen kann, —
Dr. Watterich (Die Gründung des Ordensstaates in Preussen,
Leipzig 1857, S. 91, Anm. 180) ist der einzige, dem trotz der
Bedenken aller anderen Schriftsteller Düsburg gerade für die
Gründung Thorn 1 s im Jahre 1231 so ohne Weiteres «auffallend
richtig in die Folge der Begebenheiten passt» . — so sind nur
zwei Fälle denkbar und zwar: entweder existirte die Stadt
bereits vor des Ordens Ankunft, oder ist sie erst nach 1231
entstanden. Voigt und Wernicke nehmen natürlich das Letztere
an. Nur spricht sich klugerweise Wernicke nicht bestimmt
über die Zeit der Gründung aus, während Voigt (II, 231 bis
232) die Stadt im Sommer 1232 von «deutschen Einzöglingen»
im offenen Felde erbauen lässt. Es ist allerdings zwischen
dem Jahre 1231, «wo die Stadt noch nicht vorhanden war»
(Voigt II, 232, Anm. 3) und dem 28. December 1233, wo, wie
wir gleich sehen werden, sie schon als «civitas» dastand, der
einzige historisch mögliche Augenblick, allein es liegt uns
einerseits über diese wichtige Begebenheit gar kein Bericht
vor, andererseits aber erweist sich Voigt's Hypothese als un-
haltbar, sobald man erwägt, dass die sogenannte «Guimische
Handfeste» oder das den Städten Culra und Thorn von Her-
mann Balk, dem ersten Landmeister Preussens ertheilte Ver-
fassungs-Privilegium am 28. December 1233 zu Thorn datirt
ist (vgl. übrigens über dies Datum Voigt H, 237, Anm. 1, und
Toppen, Gesch. der preuss. Historiogr. S. 279, welcher Voigt's
Meinung widerlegt) und von einer «civitas nostra Thorunensis»
spricht, deren Einwohner — welche, wohl gemerkt, nach
Voigt erst im Sommer des Jahres 1232 den Aufbau ihrer
Stadt im freien Felde begonnen haben sollen — «tum pro
christianitatis defensione, tum pro domus nostrae promotione
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199
(plura et magna) discrimina sustinebant» (s. das «Privilegium
Culmense» bei Dogiel, Cod. dipl. regni Pol. IV, No. 24, p. 21).
Obendrein passt — da die Urkunde ganz auf dieselbe Weise
für Culm wie auch für Thorn geschrieben ist — das von
Watterich (S. 104, Anm. 208) in Bezug auf Culm Gesagte
auch ganz und mit gleichem Rechte auf Thörn. «Es ist nicht
zu übersehen, sagt er, dass das culmische Privilegium keine
Gründungs-Urkunde ist. Die Stadt existirte vorher schon. . . .
In diesem (Privilegium) kommt nirgendwo eine An-
deutung vor, dass die Stadt vom Orden gegründet sei, was
sonst immer geschieht.» Möglich kann also nur der Fall
sein, dass Thorn vor 1231 bereits existirte. Die Wahrschein-
lichkeit dieser Annahme erhebt fast zu der Bedeutung einer
Thatsache folgende Stelle aus der oben erwähnten Schenkungs-
Urkunde Konrads von Masovien vom Jahre 1222: «Bev.
Dom. Gethko, Episcopus Plocensis, cum suo Capitulo de Tar-
nowo et Papowo, et de omnibus villis et possessibnibus et
de omni jure tarn spirituali, quod idem Episcopus et suum
Capitulum in predicto Colmensi dominio olim habuerunt
ad Episcopatum sepe dicti Episcopi (Prussie Christiani)
resignarunt.» Tarnowo und Popowo waren demnach bis zum
Jahre ^222 die Hauptbesitzungen der Plockischen Kirche im
Culmerlande. «Papowo» ist nun das heutige Popowo nördlich
von Thorn, «Tarnowo» aber kann nichts anderes sein, als
Thorn selbst. Das ist so einleuchtend, dass es bereits dem
im XVI. Jahrhunderte lebenden Kromer nicht entgehen konnte.
Er sagt in der ersten Ausgabe seines Buches «De origine et
rebus gestis Polonorum», Basileae (1555), zum Jahre 1222:
«Adjecit-etiam Gedeon episcopus Plocensis .... Tarnoviam,
quae fortassis Torunia est, et Papoviam» und in der dritten
Ausgabe desselben Werkes (Basileae 1568, S. 131) lesen wir
einfach: «Tarnovum sive Toruniam». Ebenso sagt sein jüngerer
Zeitgenosse Stanislaw Sarnicki (Annales Polonici Hb. VI, ad a.
1227), «Hoc tempore Torunia ab eis (Cruciferis) excitatur
olim Tarnovia dicta» und der im XVII. Jahrhundert lebende
preussische Geschichtsschreiber Leo hat auch in seiner «Historia
Prussiae» (Braunsberg 1725, p. 67): «Tarnoviam, quae
Thorunia est.» Endlich hält der scharfsinnige, mit genauer
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•200
Eenntniss der Localitäten ausgerüstete Verfasser des Aufsatzes
über das Dobriner Land in der Biblioteka Warszawska (1861,
HI, S. 232—283 u. 525, 572 «0 ziemi Dobrzynskiej, badanie
historyczne»), dem man sehr genaue und zutreffende Auf-
klärungen über die Lage von verschiedenen, für die Anfänge
der Ordensherrschaft, wichtigen Ortschaften wie Vogelsang,
Rogöw u. s. w. verdankt — die Existenz Thorns als Tarnowo
vor des Ordens Ankunft für ausgemacht. Wie nun aus Tar-
nowo Thorn — in älteren Zeiten wohl zweisilbig Thoran
(Wernicke I, 8), Thoren (Dogiel IV, p. 137), Thoron (Dogiel
IV, p. 59), meist aber Thorun (Wernicke I, 15) geschrieben —
entstehen konnte, ist nicht schwer nachzuweisen, denn einmal
ist die Corruption polnischer Ortsnamen vermittelst der Aus-
lassung der Endung -owo im Munde der Deutschen nichts
Ungewöhnliches (das polnische Slomowo, Kreis Thorn, heisst
ihnen «Schlemmo», Voigt II, 220, Anm. 2; Cujavien, poln.
Kujawy, regelmässig «die Coya», Schütz, histor. rer. Prussicar.
passim) und dann kommt die Dämpfung des a in o in der
deutschen Sprache des Mittelalters überaus häufig vor. So
sagte man und schrieb: der Roth, die Worheit, Strosberg,
Glocz, Onspach, anstatt der Rath, die Wahrheit, Strasburg,
Glatz. — Tarnowo ist aber ein acht polnischer Klaijg, ein
Ortsname, zu dem sich auf polnischem Boden unzählige Ana-
logien aufweisen lassen: Tarnöw, Tarnöwko, Tarnowice, Tar-
nawa, Tarnogröd, Tarnobrzeg, Tarnopol, Tarnoruda, Alles ab-
geleitet von der slavischen Wurzel tarn, welche mit dem
deutschen «Dorn» identisch ist. — Ist einmal Thorn gleich
Tarnowo und wäre Altthorn gleich Turno, so liesse sich auch
vielleicht die Entstehung jener so unwahrscheinlichen und so
sehr bestrittenen Erzählung von der Verlegung der Stadt bei
Düsburg erklären. Als deutsche Einzöglinge die Stadt be-
setzten und erweiterten, fand es sich, dass die alte Burg
Turno (Turno ist ein Name, der so oft wiederkehrt, dass man
die Existenz zweier Orte dieses Namens im Culmerlaude leicht
annehmen darf, vgl. Turznice, Kreis Graudenz, Turzno bei
Raciqäek in Polen) in ihrem Munde fast denselben Namen
führte, wie die Stadt, in welcher sie ihre neuen Wohnsitze
aufgeschlagen hatten. Daher musste die Burg zum Unter-
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201
schiede den Namen. von «Alt-Thorn» erhalten und das gab
zu der Sage die Veranlassung.
Erwähnt sei noch hier, dass der polnische Annalist Dlugosz,
bei Gelegenheit des Feldzuges Kasimirs des Gerechten gegen
die Preussen die Existenz Tborns im Jahre 1192 in den
Worten «oppidum (nicht «pastrum» ! wie das Prowe in Nicolai
Copernici patria» S. 18 auseinandersetzt) Thoruü super Wislam
situm» ausdrücklich bezeugt (ed. Francofurti 1711, I, 565).
Wir können nicht umhin an dieser Stelle noch eine Un-
genauigkeit Wernicke's zu berichtigen. Er hält nämlich (I,
11) das «Turno» der Urkunde Konrads von Masovien für Eins
mit der «Tarnovia» des Kromer und des Sarnicki und be-
hauptet ausserdem, dass derselbe Ort (Turno) «in der zweiten
Schenkungs-Urkunde vom Jahre 1230» «Tarnowo» genannt
werde. Wir können nun versichern, dass «Tarnowo» in keiner
Schenkungs-Urkunde des Jahres 1230 mehr vorkomme, wie
es überhaupt nur einmal, und zwar in derselben Urkunde des
Jahres 1222 erscheine, wo auch Turno erwähnt wird, so dass
demnach wohl Tarnowo und Tarnovia, 'nicht aber Tarnowo
und Turno Eins sein können.
IL
Ueber den Namen von Grandenz.
Graudenz ist allerdings ein Ortsname, welcher in der bei
der eingeborenen Bevölkerung von jeher gangbaren und daher
allein massgebenden Form Grudzi^dz oder Grudziqz einen frem-
den, unsla vischen Ursprung zu verrathen scheint. Man bezog
früher eine Stelle des Gallus, wo er zum J. 1058 eines «castrum
Grodeck», nach anderen Handschriften eines «castrum Gradec»,
erwähnt, auf Graudenz an der Weichsel, ßoepell (Gesch.
Polens I, 190) hat die Grundlosigkeit dieser Annahme nach-
gewiesen. Voigt (I, 319 — 320, Anm.) leitet den Namen vom
altpreussischen Worte Grauden her, «einer auch in späterer
Zeit in Preussen gewöhnlichen Benennung für Wildniss, dicht
und wild verwachsene Waldung». Wie dem auch sei, es
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202
weist, wie gesagt, die Endung -(i)$dz oder -(i)$4 entschieden
auf einen fremden und zwar germanischen Ursprung des
Namens hin. Denn so klingt regelmässig im Polnischen —
altslavisch -$2, cechisch -ez, russisch -(i)a£ — das deutsche
Nomensuffix -ing in den Worten, die in ältester Zeit von
den Slaven ihren deutschen Nachbarn entlehnt worden sind.
Wir sagen ausdrücklich, in ältester Zeit, denn alle der-
artige Worte, wie die noch jetzt geltenden: pieni^dz —
phening, mosi^dz — messing, ksiqdz und ksiqÄe — kuniüg etc.
konnten von den Slawen keineswegs später, als im VII. oder
VIII. Jahrhundert aufgenommen werden , wie denn auch die
jüngeren Entlehnungen, als: rynek — der Ring, szel^g —
der Schilling, Elblqg — Elbing, diese charakteristische Um-
formung nicht mehr zeigen.
Grudzi^dz oder Grudzi^ä wäre demnach auf ein germanisches
«Gruding» zurückzuführen und in diesem Falle wäre zu be-
achten, dass das Privilegium Konrads vom J. 1222 von einer
Waldung «Gruth» (Grud?) spricht — «et omnes villas meas
circa silvam Gruth, cum ipsa silva Gruth» — welche vielleicht
in dem etwa l 1 /» Meilen östlich von Graudenz auf deutschen
Landkarten als Grutta (Gruda?) bezeichneten Flecken zu suchen
ist, — und dass das deutsche (männliche) Suffix -ing im Worte
Grud -ing ganz dieselbe Function bei dem Thema grud verrichtet,
als das polnische (weibliche) Suffix — (n)ica in der von Simon
Grünau, einem preussischen Chronisten des XVI. Jahrhunderts,
angeführten und für den ursprünglichen und einheimischen
Namen von Graudenz ausgegebenen Variante Grudnica
(Grundnyza). S. Toppen, Gesch. der preuss. Historiographie.
Berlin 1853. S. 197. Diese letztere Form könnte dann viel-
leicht manchen verfuhren ^ in dem Namen eine Derivation des
polnischen Wortes gruda — gefrorene Erdscholle, zu er-
blicken, — Grudziqdz steht indessen, selbst im Culmerlande
allein, nicht vereinzelt da: das gleiche Suffix zeigt der Orts-
name Rzqdz (See und Dorf an der Gränze der Kreise Graudenz
und Culm, in der renovatio der culmischen Handfeste vom
Jahre 1251, Dogiel IV, No. 24, p. 21, schon in der deutschen
Corruption von «Rensehe» aufgeführt, sonst in den Annalen
des Ordens als Rensen oder Ronsen bezeichnet, Voigt II, 500,
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203
Anm. 2), und es gehören vielleicht auch Wiels%z, Kreis Culm
und Ptow%z, Kreis Strassburg, zu der nämlichen Bildungs-
gruppe. —
Trotz allem dem, unendlich würde sich derjenige irren,
der in diesen Ortsnamen einen Beleg für die Behauptung
Voigt's von den «bis in spätere Zeiten» im Culmerlande flo-
rirenden Gothen suchen würde. Eher würde es sich schon
vielleicht von ihnen annehmen lassen, sie seien ein Nachlass
der normannischen Herrschaft in der Weichselebene; wenigstens
dürfte eine derartige Annahme seit Szajnocha's trefflicher
Abhandlung: «Ueber den Lechitischen Ursprung Polens»
(Lechicki poczq,tek Polski. Lwöw 1858) bekannt ist, bei Nie-
manden Anstoss erregen, besonders im Falle, wo es sich um
die unmittelbar am unteren Laufe des Flusses gelegene Gegend
handelt. Die Erforschung des historischen Räthsels, das in
diesen Namen enthalten ist, gehört hier nicht zu unserer Auf-
gabe. Wir begnügen uns daher zum Schlüsse dieses Excurses
folgendes zu constatiren: 1. dass diese Namen, überall, wo
sie vorkommen, durch ihre alte sprachliche Form auf altes
Slaventhum hinweisen; 2. dass sie für das Culmerland von
keiner speciellen historischen Bedeutung sein können, und zwar
aus dem einfachen Grunde, weil ihr Vorkommen sich keines-
wegs auf das Culmerland beschränkt, sondern überall iu Polen
gleich häufig ist. Yergl. die Ortsnamen: Goni^dz an der
Biebrza im heutigen Gouvernement Grodno, Kreis Biatystok,
inmitten mazowischer Bevölkerung, Baci%z im Ptockischen,
Kreis Mtawa, Raci^z oder Raci^zek an der Weichsel, nord-
westlich von Wtoclawek, War§z (in Urkunden des XVI. Jahr-
hunderts noch WarqÄ geschrieben) bei Beiz, Kreis ßotkiew in
Galizien, Swarzgdz (Swarz^dz?) im Kreise Posen, Ksi^z
im Posen'schen, Kreis Srem, Ksi^z im Kraukau' sehen, Kreis
Miechöw, Kotodzi^z am Bug, Kreis W^gröw. — Lubiq,z
(Leubus) in Schlesien, Kreis Wohlau u. s. w.
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204
m.
Die Ortsnamen des Culmerlandes.
Es wird für manchen Leser vielleicht von Interesse sein,
zu erfahren, wie doch das culmische Landvolk heutzutage,
nach vorausgegangener zweihundertjähriger Herrschaft des
Ordens und nachdem in jüngeren Zeiten Friedrich IL «das
formale Unrecht» der Theilung Polens so grossmüthig dadurch
zu «sühnen» gewusst, dass er «mit rastlosem, kein Opfer
scheuendem Eifer an die Aufgabe herantrat, das ihm gewordene
ehemals polnische Land zu germanisiren» (diesen tief sittlichen,
humanen Gedanken verdanken wir einem Herrn U. in H. v.
Sybel's Historischer Zeitschrift XJII, 545), — wie doch dieses
alte culmische Volk, das immer dasselbe geblieben ist, gegen-
wärtig die Dörfer und Städte seines Landes nennt. Wir lassen
hier daher etliche Beispiele davon folgen:
Babiebloto, Beczkowo, Biala, Bielczyny, Bielawy, Biskupiec,
Blizno, Blgdowo, Bobrowo, Boguszewo, Borowno, Brodnica,
Brzefno, Brzezinko, Budziszewo, Bukowiec, Cepno, Chojno,
Chräpice, Chrosle, Cichoradz, Ciechanowo, Czarnowo, Czarze,
Czekanowo, Czerwona, Czyste, D^browka, D§bie, Dgbowat^ka,
Dotki, Dworzysko, Dtfwierzno, Digalewo, Dylewo, Pal^cin,
Gladziejewo, Gajewo, Galczewo, Galczewko, Gniazdowo, Görsk,
Goscieniec, Gostkowo, Grgbocin, Gotebiewo, Grodno, Görale,
Grzywna, Gryzliny, Gröbno, Izbice, Jajkowo, Jakuszewice,
Jankowice, Janowo, Jar^towice, Jarz^biniec, Kamieii, Kamionka,
Karbowo, Kawki, Kietoasin, Kijewo, Kitnowo, Klödka, Kolno,
Konojady, Konojadki, Korab, Krotoszyn, Kruszyn, Kurkocin,
Kowroz, Leszcz, Linowice, Linöwek, Lisewo, Lipnica, Lipniczki,
Lipowiec, Lubianka, Lulkow, Lunowo, Lqiyn, Lobdzowo,
L^korz, tqkorek, Lopatki, Lysomice, Matki, Mczanno, Melno,
Mgowo, Mgoszcz, Mirakowo, Mlewo, MJewiec, Mtyniec, Mokre,
Morczyny, Murawa, Nal^cz, Najmowo, Nawra, Nied2wied£,
Nielub, Nieiywi§(5, Niewierz, Nowawies, Obory, Obr^b, Okonin,
Okr^glak, Oleck, Orle, Orlowo, Orzechowo, Orzechowko,
Osieczek, Piaski, Pi^tkowo, Piecewo, Pigrze, Piwnice, Pokrzy-
dowo, Pölkowo, Popielno, Pl^choty, Pluskowesy, Plenigta,
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205
Pniewite, Ptow^fc, Plowqiek, Ptywaczewo, PtuÄnica, Pokrzywno,
Porgba, Pruskalqka, Przeczno, Przydwörz, Przysiek, Radzyniewo,
Racfowiska, Rawka, Robakowo, Rogowo, Rogowko, Rybienice,
Rynsk, Rzeczkowo, Sadlinek, Salno, Siemonie, Skarlin, Skgpe,
Skurzewo, Slawkowo, Stoszewy, Smolne, Sokolowo, Srebrniki,
Stolno, Strgbaczno, Strugaj, Strzemocin, Strzyfcowo, Swiecie,
Swi§toslaw, Swierczyny, Swierczynki, Sumowo, Sumowko,
Szczepanki, Toporzysko, Trzciano, Tyiice, WqJbrzeäno, War-
szewice, W^dzyri, Wichulec, Wieczorkowo, Wielkalqka, Wierz-
bowo, Wilczyny, Witkowo, Wrocki, Wymiany, Wymokle,
Wymystowo, Wytr§bowice, Zaj^czkowo, Zakrzewo, Zakrzewko,
Zalesie, Zaskocz, Zbyczno, Zieleü, üJmijewo, 2mijewko u. s. w.
u. s. w.
Man kann wohl schwerlich einen mehr entschiedenen und
augenfälligen, mehr umfassenden und handgreiflichen Beweis
für den ethnographischen Charakter eines Landes geben, als
den, der in der sprachlichen Betrachtung der Ortschafben
dieses Landes liegt. Es dürften demnach, wie es scheint, von
dem so durch und durch polnischen Charakter des Culmer-
landes diejenigen immer am besten überzeugt sein, bei welchen
die Lage ihres Wohnortes die topographische Eenntniss dieses
Landes am meisten erleichtert. Vor allem also die heutigen
preussischen Historiker. Ganz anders indessen geschieht es
in der Wirklichkeit. Denn obgleich die Aufmerksamkeit dieser
deutschen Geschichtsschreiber Preussens von Voigt an häufig
auf die culmischen Ortsnamen sich lenkte, so sind sie bis
jetzt noch weit entfernt, die einfache, so klare Thatsache des
polnischen Ursprungs dieser Ortsnamen anerkennen zu wollen.
Es durfte ja erst noch im Jahre 1863 ein gewisser Herr
H. A. in einer Sitzung des gelehrten Thorner «Copernicus-
Vereines» als eine «ebenso eigenthümliche als über-
raschende Wahrnehmung» die Thatsache mittheilen,
dass die Ortsnamen des Culmerlandes, die er übrigens immer
nur in hübsch auf deutsche Manier zugeschnittenen Formen,
wie Brochnowken, Dombrowken, Gurken, Lippinken, Pri-
schek etc. anfährt — dass die Ortsnamen des Culmerlandes —
o Wunder! — «wendischen» Ursprungs seien! Und Herr
H. A. wusste seine «interessanten, selbst für die Geschichte
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206
wichtigen Resultate» (!) vor dem Thorner Gelehrteufomm
nicht anders zu erklären, als durch die Annahme, «dass die
Wenden in Sachsen, durch die andauernden harten Angriffe
der Germanen seit Karl d. G. gedrängt, aus ihren Sitzen an
der Spree und Elbe geflüchtet seien und sich im Culmerlande
von Neuem angesiedelt hätten» (!), wenn nicht vielmehr «die
Geschichtsforscher» «den Beweis anzutreten (!) hätten, dass
das Gebiet der Wenden ununterbrochen zu einer Zeit von der
Weichsel bis an die Elbe gereicht habe (!)» u. s. w. (S. den
Aufsatz: «Die Uebereinstimmung alter wendischer Ortsnamen
in der Lausitz mit denjenigen des Culmer Landes, Vortrag
im Kopernicus- Verein zu Thorn im Juni 1863 gehalten von EL
A.» gedruckt im IX. Bde. der 3. Folge der Neuen Preussischen
Provinzialblätter 1864, S. 344—351.)
Nach der Ansicht eines anderen Thorner Gelehrten, des
uns wohl bekannten Dr. Prowe, sind im Culmerlande die
deutschen Ortsnamen die ursprünglichen, die polnischen da-
gegen stammen erst aus den Zeiten «der polnischen Fremd-
herrschaft». Diese Meinung sprach Dr. Prowe in seiner
ältesten Schrift: «Zur Biographie des Nie. Cop.» S. 18 wohl
unzweideutig aus. Nachdem er festgestellt, dass Stawkowo
im Culmerlande, 2 Meilen von Thorn, zur Ordenszeit «Fredaw*
geheissen habe, fährt er folgendermassen fort: «Die Verände-
rung des deutschen Namens Fredau steht keineswegs ver-
einzelt da; vielmehr sind zur Zeit der polnischen Ober-
herrschaft über Preussen in vielen Gegenden die ur-
sprünglich deutschen Ortsnamen durch polnische verdrängt
worden, indem man jene, wo es anging, übersetzte, oder mit
einer polnischen Endung versah, oder endlich mit ganz neuen
Namen vertauschte. Bei der langen Dauer der Fremd-
herrschaft ist es erklärlich, dass die alten deutschen Orts-
namen fast ganz aus dem Gedächtnisse der Jetztlebenden ver-
schollen sind.» Wir unserestheils denken nun bei der Leetüre
dieser Worte unwillkürlich an die Zeiten, wo allerdings viel*
leicht noch nicht Dr. Prowe, jedenfalls aber ein Anderer ihm
ähnlicher, auf die altdeutschen Namen im Posenschen, wie
Bomst, Dolzig, Görchen, Grätz, Kempen, Kosten, Kriewen,
Storchnest, Pudewitz, Schrimm, Schwetzkau u. s. w. Bezug
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207
nehmen wird, um auf die so lange «polnische Fremdherrschaft»
daselbst zu eifern, welche diese Namen inßabimost, Dolsk, Görka,
Grodzisko, K§pno, Koscian, Krzywin, Osieczno, Pobiedziska,
Srem, Swigcichowa u. s. w. umzuwandeln Zeit fand! Wir
sind indessen diesmal dem Dr. Prowe auch eine mehr katego-
rische Antwort schuldig. Denn, nachdem schon Dominik
Szulc (2ycie Mikotaja Kopernika. Warszawa 1855, S. 13) zwei
Jahre nach dem Erscheinen der Schrift Dr. Prowe's die Halt-
losigkeit seiner Behauptung von dem deutschen Ursprung der
culmischen Ortsnamen hervorgehoben hatte, fand sich Dr.
Prowe in der lateinischen Broschüre, die er 1860 veröffent-
lichte (De Nie. Cop. patria S. 17), sonderbarerweise veranlasst,
zu erklären, dass er von Szulc missverstanden worden sei,
ganz als ob man seinen Worten je einen anderen Sinn bei-
legen könnte, als denjenigen, den sie wirklich hatten. Dr.
Prowe wiederholte jetzt wieder eine Anzahl der in seiner
ersten Schrift angeführten angeblich deutschen Ortsnamen des
Culmerlandes, nahm noch denjenigen von Schönsee (Kowalewo)
hinzu (vgl. «Kavalevo» in einer Variante der Urkunde vom
J. 1222 oben I, Anm. 95) und erklärte nunmehr mit genauer
Zeitbestimmung zweimalig, dass die polnischen Namen, aus
den ursprünglich deutschen «saeculo superiore» ent-
standen seien. «Neque enim — versichert er — Polonorum
vicos in terra Culmensi ante crueiferorum adventum fuisse,
unquam negavi, sed vicorum praediorumque nomina, quae cruei-
ferorum tempore Germanica erant, saeculo superiorea
Polonis immutata esse, exemplis allatis confirmavi.» Allein
wie wenig diese seine «exempla allata» seine Behauptung
auch in deren zweiter modificirter Version zu belegen im
Stande sind, überzeugt schon die oberflächlichste Prüfung der-
selben. Auf vierzig (das nachträglich hinzugefugte Kowalewo
mit eingerechnet) doppelnamige Ortschaften, die er anführt,
sind bei 20 die alten deutschen Benennungen nur
Corruptionen der jetzt gangbaren polnischen und
folglich eo ipso nicht die ursprünglichen, was, wie wir nicht
zweifeln, Dr. Prowe selbst einsehen und anerkennen wird, so-
bald er sich mit dem «sla vischen» in Eenntniss wird gesetzt
haben. Diese letzteren Namen lauten nun: Preussisch-Lanke
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208
(Pruskal%ka) , Gross - Lanke (Wielkat^ka) ,. Lansen (Lqiyn),
Niederbriesen (Brzezinko), Simnau (Siemonie), Rogau* (Rogowo),
Glasau (Gladziejgwo), Ostichau (Ostaszewo), Gross- und Klein-
Orsichau (Orzechowo , Orzechowko) , Sackerau (Zakrzewo),
Schlommau (Stomowo), Piothen (Ptotowo), Trebisch (Trzebcz),
Weybitsch (Wybcz), Grammitsch (Grgbocin), Wengerau (Wg-
gorzyn), Gross-Tauer (Turzno), Leben und Hofleben (Mlewo,
Mlewiec). — Die Hälfte der ton Dr. Prowe angeführten Bei-
spiele gehört also von vornherein' nicht zu der Kategorie der
angeblich «superiore saeculo» polnisch umgetauften Ortschaften
des Culmer Gebiets, auch abgesehen davon, dass uns einige
derselben/hierunter Ptotowo, Trzebcz, Turzno, schon in ältester
Zeit (zum J. 1222 s. oben S. 42 u. 40) unter ihren polnischen
Namen bekannt sind. Was die übrigen Beispiele anbetrifft,
so führt Dr. Prowe fünf Namen an, an denen die deutschen
Formen Uebersetzungen der polnischen sind (Kuhwerder —
Krowiniec, Wurst oder Wurstenau — Kielbasin, Hunger —
Glodowo, Lindenhof — Lipniczki, Schönbi;od — Czystochleb)
und wieder fünf, wo polnische und deutsche Form vollständig
von einander abweichen (Kirch-Tauer — Gostkowo, Posmanns-
dorf — Lysomice, Kasmannsdorf — Zakrzewko, Häselicht —
Leszcz, Schönsee — Kowalewo); endlich giebt er zehn
Namen an, wo die polnischen Benennungen in der That Cor-
ruptionen der deutschen zu sein scheinen: Klosterchen (Kasz-
czorek), Segeland (2ygl%d), Seigersdorf (ßegartowice), Trips-
busch (Treposz), Vogelsang (Folsqg), Grünau (Gronowo),
Elsau (Elzanowo), Brockenau (Brochnowo), Kunzendorf (Kori-
czewice), Konrads walde (Kuczwaly). Hier mögen die deutschen
Namen allerdings die primitiven sein; wer wird aber, dem
die Vergangenheit des Landes bekannt ist, mit Dr. Prowe da-
fürhalten können, dass die polnische Umformung derselben
erst vor hundert Jahren stattfand? Wer wird nicht vielmehr
in dieser Umformung einen Beweis mehr dafür anerkennen,
wie sehr deutsche Klänge diesem polnischen Lande fremd
waren, wer wird endlich nicht einsehen, dass, wenn bei dem
so durch und durch heimischen Charakter jener, wie sie Dr.
Prowe zu nennen beliebt, «polnischen Fremdherrschaft» über
Preussen die importirten deutschen Ortsnamen so rasch aus
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209
denj Gedächtniss der eingeborenen Bevölkerung schwanden,
es eben 'desshalb nur geschah, weil diese deutschen Namen,
«ur den Einzöglingen geläufig und zur Zeit ihrer Herrschaft
durch die Schrift verewigt, der einheimischen Bevölkerung
stets fremd geblieben waren, oder sich in ihrem Munde der
heimischen Sprache gleich assimilirten? Heutige gelehrte Forscher
und Alt^rthumsgräber mögen diese Namen aus dem archi-
valischen Schutt und Moder, in welchen ihre Erinnerung einzig
fortlebt, emsig ans Tageslicht fordern und so lange damit
spielen, so länge sie ein Vergnügen daran finden; sollte man
es aber auch je* versuchen, sie wieder ins alltägliche Leben
einzuführen, so würden sie doch immer nur Papiernamen
bleiben, welche einst mit diesen Papieren wieder in die Archive
wandern, denn die ächten, wahren Ortsnamen einer Landschaft
lassen sich einmal nicht verändern, und lauten nicht, wie sie
die jedesmaligen Beherrscher derselben schreiben wollen, son-
dern wie sie das Volk, das diese Landschaft bewohnt, in der
ihm von Gott gegebenen Sprache ausspricht. —
IV.
Einige Hauptschriften der polnischen Literatur über
Copernicus.
1. Starowolski Szymon. Elogia ac vitae centum Po-
loniae scriptorum (zweite, vermehrte Ausgabe der «Scriptorum
Polonorum hecatontas». Frankfurt 1625). Venetiis 1627. 4°.
S. 158 — 159. Artikel: «Nicolaus Copernicus».
2. Sienieüski. Biographie des Copernicus, unedirt. Janocki
führt sie in seinen «Kritischen Briefen» (Dresden 1743) S. 48
mit den Worten an : «Des ehrwürdigen Sienenski, Leben des
Copernicki, fein Papier, 12, 7 Bogen», und berichtet, dass das
Manuscript unter den von der Gräfin Swidzinska in die Marien-
bibliothek zuCzgstochowa geschenkten Handschriften Tucholskys
sich befinde. Dieser Sienienski soll um 1723 Domherr au
Frauenburg gewesen sein.
Beitr. z. Nat. d. Copernicus. 14
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210
3. Sniadecki Jan. Eoperniku. Rozwi^zanie zadania,
ktore Towarzystwo Warszawskie Przyjaciot Nauk do odpo-
wiedzi ogtosito u. s. w. Sniadecki überreichte diese Abhand-
lung der Warschauer Gesellschaft der Wissenschaftsfreunde
am 31. August 1802. Gedruckt wurde sie im ersten Bande
der «Roczniki Towarzystwa Warszawskiego Przyjaciot Nauk»
1803, S. 83—192. Darauf im Jahre 1818 im zweiten Bande
der Wilnaer und 1837 im zweiten Bande der von Micha!
Balinski zu Warschau veranstalteten zweiten Ausgabe von
Sniadecki' s «Pisma rozmaite».
Eine franzosische Uebersetzung dieser Schrift erschien schon.
1802 zu Warschau, von Tggoborski, eine zweite vom Autor
selbst ausgearbeitete 1803 ebendaselbst und 1820 zu Paris.
Die 1823 zu Dublin erschienene englische Uebersetzung
führt den Titel: Prize Essay on the literary and scientific
labors of Nicolaus Copernicus the Founder of modern astro-
nomy. Written oryginally in the polish language by J.
Sniadecki, translated from the french of Mr. Tengoborski, by
Justin Brenan.»
Die italienische Uebertragung : Di Niccolo Copernico,
astronomo polacco, Ragionamento del Caval. Giovanni Sniadecki
Rettore dell' Universitä di Vilna etc. Tradotto dalla lingua
polacca neu' italiana dal Dottore Bernardo Zaydler etc. Firenze
1830 in 8°. 192.
Als deutsche Uebersetzung wird eine Abhandlung ange-
führt, welche Prof. Ideler, im Jahre 1811 den Namen Snia-
decki's verschweigend, für sein eigenes Werk ausgegeben und
der Berliner philomathischen Gesellschaft zugeeignet haben soll.
4. Hube Kar 61. O zastugach Kopernika w astronomii,
rzecz czytana na posiedzeniu publicznem Towarzystwa Nau-
kowego Erakowskiego, dnia 14 Lutego 1834 roku. Abgedruckt
in den Roczniki Towarzystwa Naukowego Krakowskiego 1841
Band L (XVI.).
5. Krzyzanowski Adryan. O rodzinach spotczesnycli
i zazytych w Krakowie z Kopernikani. Ein in der Biblioteka
Warszawska 1841 , Band HE, Seite 27—40 veröffentlichter
Aufsatz.
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_ 2 U
6. Krzyzanowski Adryan. Eine zuerst in Warschau,
darauf im Posener «Tygodnik literacki», endlich in Jordan's
«Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft»,
Jahrgang I, 1843, S. 247—252 unter dem T'itel : «Kopernik
gehört nicht in die Walhalla» in einem deutschen Auszuge
publicirte Abhandlung.
7. Krzyzanowski Adryan. Mikotaja Eopernika za-
tozyciela dzisiejszej astronomii, w trzysta lat od jego skonu i
objawienia jego uktadu spomnienie jubileuszowe, w Warszawie,
1844. 8°. 32.
8. Krzyzanowski Adryan. Dawna Polska, ze stano-
wiska jej udziatu w dziejach pöst^puj^cej ludzkosci skreslona
w jubileuszowym Mikotaja Kopernika roku 1843. Warszawa
1844. Einleitung LXXXVI S. Text 565 S. Anhang 269 S.
9. Lach-Szyrma Krystyn. Copernicus and his native
land. London 1844.
10. Czyiiski Jan. Kopernik et ses travaux. Paris 1846.
11. Badwadski, J. 2ywot Mikotaja Kopernika gwiaz-
durza. Krakow 1853. .
12. Bartoszewicz Julian. Biographie des Copernicus
S. XLI — LXXV der. Warschauer Ausgabe von Kopernik's
sämmtlichen Schriften: Nicolai Copernici Torunensis de re-
volutionibus orbium coelestium libri sex. Accedit G. Joachimi
Rhetici narratio prima cum Coperuici nonnullis scriptis mi-
noribus nunc primum collectis, ejusque vita. Varsaviae 1854.
13. Szulc Dominik. 2ycie Mikotaja Kopernika. War-
szawa 1855, 8°. 102.
14. Chtgdowski Kazimierz. Mikotaj Kopernik, szkic
biograficzny. Gedruckt in dem Lemberger «Dziennik literacki»
1866, S. 407—409, 421-425.
15. Stow kilka w sprawie uczczenia Mikotaja Kopernika.
Poznan 1870, 8°. 24.
16. Feldman owski Hieronim. Jubileusz urodzin Mi-
kotaja Kopernika. Gedruckt in dem Warschauer «Tygodnik
illustrowany», 1871, Seriell, Band VII, S. 73—75 u. 93— 94.
(No. 164 u. 165).
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212
Wir möchten hier noch endlich auf die Worte hinweisen,
welche Dominik Szulc zwei von ihm in der Bibliotheka War-
szawska 1857, Band IV, S. 781—783 veröffentlichten Briefen
des Copernicus an Dantiscus vorausschickte:
«Seit der Veröffentlichung der letzten Biographie des Astro-
nomen — sagt Szulc mit Andeutung auf seine 1855 heraus-
gegebene Schrift — haben sich, in den Archiven der
Universität Padua sowohl, als auch in denen von
Danzig und Wloctawek, viele Belege und Beweisstücke
gefunden, die seine polnische Nationalität bestätigen.» («Od
czasu ogloszenia ostatniej biografii astronoma, wiele si§ znalazlo
zasoböw utwierdzaj^cych jego narodowosd polsk^, tak w
archiwach akademii padewskiej, jakoteä w gdaris-
kiem i wlociawskiem.»)
Von diesen archivalischen Funden besitzen wir sonst keine
Nachricht, vielleicht würde sich eine Spur derselben in den
von Szulc, der, wie bekannt, eines fast plötzlichen Todes im
December 1860 zu Warschau starb, nachgelassenen Papieren
entdecken lassen!
Breslau. F. W. Jungfer's Buchdruckern.
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Druckfehler.
S. 14, Z. 1 t. o. statt Pfaden 1. Pfade.
S. 17, Z. 16 v. u. statt Palamiorum 1. Palaniorum.
8. 31, Z. 3 y. o. statt Pelphin 1. Pelplin.
S. 82, Z. 17 v, o. statt sancti 1. sancte.
8. 32, Z. 18 t. o. statt restro 1. yestro.
S. 49, Z. 19 y. u. statt Fol 1. Fal.
3. 57, Z. 6 y. n. vor „Proinde zu ergänzen: an:
8. 72, Z. 6 y. o. statt dürften 1. durften.
8. 90, Z. 1 y. u. statt -pornig (sie!) 1. Köpern ig (sie!)
8. 97, Z. 13 y. u. statt Diese 1. Dieser.
8. 103, Z. 8 y. u. statt durften 1. durften.
8. 109, Z. 4 y. o. statt (8. 1. 28) 1. (L. 1. 28).
8. 142, Z. 1 y. o. statt senier L seiner.
8. 144, Z. 16 y. o. statt dem Russe 1. den , Süsse.'
8. 169, Z. 18 y. u. statt c(omposint) 1. c(omposuit).'
8. 174, Z. 11 y. u. statt zu bogeben 1. begeben.
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:
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1
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,
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