ai
„rt
2‘ bi; > n‘
u :
5 3 >;
Bi -
EEE 2 en 5 en 2 < BCE
EEE 5 GE
= E ER Era = er eTT
SE REN EN EEE TEEN
eV "#,
=
R
is
.
.
a
18]
R
$
>
fl
ä
i
‘
N
‘
i
‘
e
%
la
‘
‘
ana arm, A, arm
PURCHASED 1923 FROM
GENEVA BOTANICAL GARDEN
DUPLICATA DELA N.
DU CONSERVATCIRE BOTANIQUE DE GEN
gs Im jasa 7
Beiträge
zur
Biologie der Pflanzen.
Herausgegeben
von
Dr. Ferdinand Cohn.
Dritter Band.
Mit dreiundzwanzig Tafeln.
93 \ f AT i H =,
LIBR AI A 5
, Rare
WEW YORK AS ode
BOTAREERL Gag9fr TB
GAKDEN Re in
= En n v =
on ab ee
gi
Breslau 1883.
J. U. Kern’s Verlag
(Max Müller).
DUPLICATA DE LA BIBLIOTHEQUE
DU CONSERVATCITE BOTANIQUE DE CENEVE
VERDU EN 1922
Inhalt des dritten Bandes.
Anatomie und Biologie der Gattung Streptocarpus. Von Dr. T. Hiel-
Schere (Mine Ralel.) ME)... san Asa aha en
Untersuchungen über die Entstehung der adventiven Wurzeln und
Laubknospen an Blattstecklingen von Peperomia. Von Dr. Ernst
Bonner Mid Vatel: IV undg Vest ussn. ann...
Entwickelungsgeschichte einiger Rostpilze. Von Dr. J. Schroeter.
(Fortsetzung: von Band I. Heft 3. Seite 1.) ..... “esse ..:...
Zur Entwiekelungsgeschichte von Volvox minor (Stein). Von Dr.
Oskar Kirchnerzi(Mim Fafel VI. 22.23. 27.00 000er
Untersuchungen über Bacterien. VII. Versuche über die Infection
mit Micrococcus prodigiosus. Von Dr. A. Wernich, Universi-
tatsdogenteuet Berlin. 4 24: 2unied aaa elegant:
VII. Untersuchungen über die in der Luft suspendirten Bacterien.
Von Dr. Miflet aus Kiew. Mit einer Einleitung von Dr.
Eerdinand. Gohn:Wi(Mit: Taf. VII und VII.) „=. . ..0..22..
IX. Ueber die Einwirkung des electrischen Stromes auf die Ver-
mehrung von Bacterien. Von Dr. Ferdinand Cohn und Dr.
Benno Mendelsohn. Mit einer Einleitung von Dr. Fer-
Bin ana egal ah a
inguieula alpina, als insektenfressende Pflanze und in anatomischer
Beziehung. Von Professor Julius Klein, Budapest. (Mit
WateHER undk Kaas. Id. dee Yrlsadatert heuer
Untersuchungen über Bacterien. X. Studien über die blaue Milch.
Von Dr. F. Neelsen, Privatdocent und Assistent am patholo-
‚gischen Institut zu Rostock. (Mit Tafel XL)................
Chemisch-botanische Studien über die in den Flechten vorkommenden
Flechtensäuren. Von Dr. Frank Schwarz in Graz.........
Beitrag zur Kenntniss der Gymnoasceen. Von Dr. Eduard Eidam
BE Batel REIRV.) N ae. has ie Na
Beiträge zur Kenntniss der Wurzelverwachsungen. Von Dr. Max
Berankes. (Mit, Tafel X VI und RM) Aa al aallarete
Ueber das Längenwachsthum von Pflanzenorganen bei niederen Tem-
peraturen. Von Dr. Oskar Kirchner in Hohenheim .......
Enndoclonium polymorphum. Von Dr. Max Franke, Assistent am
botanischen Institut der Universität Messina. (Mit Tafel XVIIL)
Zur Kenntniss der Entwicklung bei den Ascomyceten. Von Dr.
Eduard Eidam. (Mit Tafel XIX—XXIL) ...............
Heft. Seite.
Tl
1.
1.
I.
1
25
. 105
‚119
. 141
163
. 877
Register zum dritten Bande.
Beinling, Dr. Ernst, Untersuchungen über die Entstehung der ad-
ventiven Wurzeln und Laubknospen an Blattstecklingen von
Peperomia.! Mit’ Tafel! IV ruad IV) Era EN OR
Cohn, Dr. Ferdinand, Untersuchungen über Bacterien IX. Ueber
die Einwirkung des electrischen Stromes auf die Vermehrung von
Bacterien. Von Dr. Ferd. Cohn und Dr. Benno Mendel-
sohn. Mit einer Einleitung von Dr. Ferdinand Oohn......
Eidam, Dr. Eduard, Beitrag zur Kenntniss der Gymnoasceen. (Mit
Fate! XIV) are RR AN EEE
— Zur Kenntniss der Entwickelung bei den Ascomyceten. (Mit
Datel -AIREXRRIEN IN. 2 RE RR NUR
Franke, Dr. Max, Beiträge zur Kenntniss der Wurzelverwachsun-
gen. (Mit! Tate! RV I’ anda X NIE). N re
— Endoclonium polymorphum. (Mit Tafel XVIIL)..............
Hielscher, Dr. T., Anatomie und Biologie der Gattung Streptocar-
pus. (Mit. Rate J II. nl. an en. er ei
Kirchner, Dr. Oskar, Zur Entwickelungsgeschichte von Volwox minor
(Stein)! AM -Dafek VERA RER SEI TE
— Ueber das Längenwachsthum von Pflanzenorganen bei niederen
Demperatuzenv Hrn. IR I NR NEE GE HEHE
Klein, Professor Julius. Pingwicula alpina als insektenfressende
Pflanze und in anatomischer Beziehung. (Mit Tafel IX u. X.)
Mendelsohn, Dr. Benno, Untersuchungen über Bacterien IX. Ueber
die Einwirkung des electrischen Stromes auf die Vermehrung
von Bacterien. Von Dr. Ferdinand Cohn und Dr. Benno
Mendelsohn. Mit einer Einleitung von Dr. Ferd. Cohn...
Miflet, Dr., Untersuchungen über Bacterien VIII. Untersuchungen
über die in der Luft suspendirten Bacterien. Mit einer Ein-
leitung von Dr. Ferdinand Cohn. (Mit Tafel VII und VIII.)
Neelsen, Dr. F,, Untersuchungen über Bacterien X. Studien über
dietblaue- Milch. (Mita LateloXT.)r 22 Deere en.
Schroeter, Dr. J., Entwickelungsgeschichte einiger Rostpilze .....
Schwarz, Dr. Frank, Chemisch-botanische Studien über die in den
Flechten vorkommenden Flechtensäuren ........=-cussree0e
Wernich, Dr. A., Untersuchungen über Bacterien VII. Versuche
über die Infeetion mit Mierococceus prodigiosus.....-.urrenrr..
Heft. Seite.
Il.
Il.
. 141
‚ 119
187
51
249
. 105
Beiträge
zur
Biologie der Pflanzen.
Herausgegeben
Dr. Ferdinand Cohn.
Dritter Band. Erstes Heft,
Mit acht zum Theil farbigen Tafeln.
un Er
Breslau 1879.
J. U. Kern’s Verlag
(Max Müller).
Inhalt von Band Ill. Heft I.
en
Anatomie und Biologie der Gattung Streptocarpus. VonDr. T. Hielscher.
(Mit Tafel I-IIL) .2.2202.--.0. 000m eenenenennenerenennenn anne.
Untersuchungen über die Entstehung der adventiven Wurzeln und Laub-
knospen an Blattsteeklingen von Peperomia. Von Dr. Ernst Bein-
ling. (Mit Tafel IV und V.).......errerer- De EEE
Entwiekelungsgeschichte einiger Rostpilze. Von Dr. J. Schroeter.
(Fortsetzung von Band 1. Heft 3. Seite 1.) ....rerenrnenneenneene
Zur Entwickelungsgeschichte von Volvox minor (Stein). Von Dr. Oskar
erehmer- (Mit Tatele VIoyee ee ernennen en an ee een»
Untersuchungen über Bacterien. VII. Versuche über die Infection mit
Micrococcus prodigiosus. Von Dr. A. Wernich, Universitätsdocenten
ee | ee ne er st elehatet si oral eLenere che, nelenetenekere
VIII. Untersuchungen über die in der Luft suspendirten Bacterien. Von
Dr. Miflet aus Kiew. Mit einer Einleitung von Dr. Ferdinand
Cohn (Mit-Tafel VH und VIIL) .....20...0cnneennenenarur en.
IX. Ueber die Einwirkung des electrischen Stromes auf die Vermehrung
von Bacterien. Von Dr. Ferdinand Cohn und Dr. Benno Men-
delsohn. Mit einer Einleitung von Dr. Ferdinand Gong
Annan
Seite
al
95
105
119
Re,
.
sarsı)
ale
Alt (= IW20
NEW York
BOTANICAL
h HARDEN
Anatomie
und Biologie der Gattung Streptocarpus').
Von
Dr. 71 Hielscher.
Hierzu Tafel I— III.
Bekanntlich enthält der Embryo der Phanerogamen bereits die
Anlage der künftigen Pflanze. An dem einen Ende seiner Axe
befindet sich die Wurzelanlage, am andern die primäre Knospe,
letztere bei den Monokotylen von einem, bei den Dikotylen von
den beiden Keimblättern umgeben. Bei der Keimung wird die
Samenschale zunächst von der sich vergrössernden Wurzel durch-
brochen, welche in den Boden eindringt und das ganze unterirdische
Wurzelsystem erzeugt. Der hypokotyle Stengel streckt sich, hebt
meistens die Keimblätter über den Boden empor, und während die
1) Als der Docent an der Züricher Hochschule, Dr. Wilhelm Kabsch,
einer der befähigtsten Schüler unserer Universität, am 19. Juni 1562 auf einem,
für pflanzengeographische Zwecke unternommenen Ausfluge in die Appenzeller
Alpen, durch einen Sturz von den Felsen des Hohenkastens verunglückte,
fand sich in seinem Nachlass der Entwurf einer Arbeit über die Entwickelung
der Gattung Streptocarpus, welche denselben in seinen letzten Monaten beschäf-
tigt hatte. Das von dem Freunde des Verstorbenen, Herrn v. Berlepsch,
mir übergebene Manuscript nebst 4 Blättern Zeichnungen, zu denen jedoch
die Erklärung fehlte, war in seinem unfertigen Zustande für die Veröffent-
lichung nicht geeignet; die überraschenden Thatsachen jedoch, welche Kabsch
gewonnen hatte, legten mir die Pflicht auf, die Untersuchung bei gelegener
Zeit wieder aufzunehmen. Ich habe deshalb Herrn Dr. Traugott Hielscher
veranlasst, die Biologie der Gattung Streptocarpus zum Gegenstand einer
neuen, selbstständigen Untersuchung zu machen; durch diese Arbeit sind
die von Rabsch angedeuteten Resultate zwar in mehreren Punkten berichtigt,
in anderen erweitert, in der Hauptsache aber für die Wissenschaft sicher
gestellt worden. Ferdinand Cohn.
Cohn, Beiträge zur Biologie der Pflanzen. Band III. Heft1, 1
2
Blattanlagen der primären Knospe zur Entwicklung gelangen, treten
die Kotyledonen allmählich ausser Function und sterben schliesslich
ab. Aus der primären Knospe des Embryos entwickelt sich das
gesammte oberirdische System der Pflanze mit seiner mehr oder
weniger reichen Verzweigung bis zur Ausbildung der Blüthen, Früchte
und Samen. Jede Abweichung von diesem Gange ist als Ausnahme
zu betrachten. Dahin gehört unter Anderm die Erscheinung, dass
bei Trapa natans die Hauptwurzel keine Wurzelhaube besitzt,
sondern ihre Stelle nur durch Tangentialtheilungen angedeutet ist,
und dass statt der Hauptwurzel zahlreiche Adventivwurzeln hervor-
brechen, welche die Ernährung der Pflanze bewirken'). Bei den
Orchideen wird am jungen Embryo überhaupt keine Wurzel gebil-
det?). Die merkwürdigsten Anomalien von den bis jetzt bekannten,
hierher gehörigen Pflanzen zeigt Welwitschia mirabilis. Bei der-
selben sind die Keimblätter die einzigen Blätter, welche die Pflanze
im erwachsenen Zustande besitzt, sie nehmen grosse Dimensionen
an, haben eine lange Lebensfähigkeit und umschliessen mit ihrer
Basis einen Stamm, der sich durch complicirtes Diekenwachsthum
vergrössert und ohne Endknospe abschliesst.
Die zur Gattung Streptocarpus Lindl. gehörigen Pflan-
zen sind dadurch ausgezeichnet, dass bei ihnen die bei-
den eben geschilderten Verhältnisse zugleich vorkom-
men: sie besitzen einen Embryo, bei welchem weder die
primäre Wurzelanlage, noch die primäre Endknospe zur
Ausbildung gelangt.
Die Gattung Streptocarpus gehört nach Endlicher?) zu der Tri-
bus der Didymocarpeen, diese bilden mit den Eucyrtandreen (gen.
Cyrtandra u. a.) den Subordo der Cyrtandreae. Die Cyrtandreen
unterscheiden sich von den Gesnereen, mit denen sie gewöhnlich
in die Familie der Gesneraceen vereinigt werden, hauptsächlich da-
durch, dass die ersteren kein Sameneiweiss besitzen, während es
bei den letzteren vorhanden ist. Aus diesem Grunde haben mehrere
Autoren *) die Uyriandreen als eigene Familie abgetrennt und den
Namen Gesneraceen auf Endlicher’s Gesnereen übertragen.
1) Vgl. Sachs Bot. ed. IV. p. 569. De Bary Vergl. Anatomie der Vege-
tationsorgane p. 430.
2) Sachs a. a. O. 167.
3) Gen. pl. vol. I. p. 717.
4) z. B. Hanstein in seinen Abhandlungen über die Gesneraceen des
botanischen Gartens etc. zu Berlin, Linnaea Jahrg. 1854 und 1855.
3
Die Heimath der Gesnereen ist ausschliesslich das tropische
Amerika, während die Uyrtandreen in Australien, Asien (tropische
Inseln, am Himalaya), endlich in Süd-Afrika einheimisch sind. Nur
von hier war eine Zeitlang unsere Gattung Streptocarpus bekannt
und zwar mit der einzigen Species Str. Rexü, welche Lindley
1828 (Bot. Reg. XIV. t. 1173) beschrieben und abgebildet hat.
Horsfield pl. Jav. var. 1838 p. 119 beschrieb sodann eine ganze
Reihe neuer Arten. Im Botanical-Magazine vom 1. Mai 1855 end-
lich findet sich die erste Mittheilung von Sir W. Hooker über
Streptocarpus polyanthus, diejenige Art, die wir bei unsern Unter-
suchungen hauptsächlich zu Grunde gelegt haben. Später erschienen
im Bot. Mag. noch Abbildungen und Beschreibungen anderer Species
von südafrikanischen Streptocarpus-Arten, welche sich hiernach dem
Str. polyanthus in allen wesentlichen Stücken gleich verhalten ').
Wir lassen die betreffende Stelle unten im Original folgen ?).
Die erste etwas ausführlichere Notiz über die Entwicklung der
Pflanze dürfte eine vorläufige, aus dem Jahre 1859 datirende Mit-
1) Auch andere Cyrtandreen- Gattungen scheinen sich analog wie Strepto-
carpus zu verhalten z. B. Acanthonema strigosum (Schnitzlein Iconogr. 152b);
doch habe ich darüber keine sichern Beobachtungen ermitteln können.
2) Among the roots of some living Ferns, kindly brought to us from Natal
by Captain Garden, there appeared, in the summer of 1853, sendlings of a
plant, whose leaes, few in number, and pressed close to the soil, gradually
developped thernselves, till the larger ones, in the following season (December)
became a foot long. From between the sinuses of these leaves or directly
from the root there emerged one to three scapes, attaining altogether a foot
in hight, bearing good-sized panicles of an undescribed, if not wholly unknown,
species, of the curious genus Streptocarpus, .. . but it was quite impossible
to include the entire foliage in an octavo page. ... It is a species widely
different from the only hitherto described South-African species Streptocarpus
Rexii, and equally, or more so, from the Madagascar species of Brown and
DeCandolle, all of which are caulescent, with axillary inflorescence. Deserip-
tion: Leaves few, about two pair lying close to the ground, and, as it were,
pressed down upon the soil, these pairs are extremely inequal in size; one
is nearly a foot long in one living plant, the opposite one scarcely two inches,
both are alike in shapes cordato-oblong, rugose, downy, reticulately veined,
the margin somewhat undulated and elosely crenated: beneath, the veins are
prominent, and the surface more downy. From one to three scapes arise from
the sinus, of the large leaf, a foot and more high, bearing a panicle, often
bifid in the primary ramification, and many short divaricating subfasciculated
pedicels, rarely bracteated, downy. Calyx hairy, with a short ovate tube,
and five erect linear teeth or lobes to the limb, of which one is nearly twice
the length of the rest. Corolla an inch and a half long, and as broad in the
limb, delicate pale-blue, veined. Tube much curved, limb very oblique, of five,
1*
4
theilung Prof. Caspary’s sein'). Etwas später beschäftigte sich
Kabsch mit der anatomischen und entwicklungsgeschichtlichen Unter-
suchung der merkwürdigen Pflanze. Sein früher unglücklicher Tod
im Jahre 1862 hinderte ihn jedoch am Abschluss der Arbeit. In
das hinterlassene Manuscript desselben erlangte ich durch die Güte
des Herrn Prof. Dr. Cohn Einsicht; derselbe forderte mich auf,
die interessante Untersuchung von Neuem vorzunehmen und mit den
inzwischen so verbesserten Mitteln der Wissenschaft womöglich zum
Abschluss zu bringen.
Es sei mir gestattet, Herrn Prof. Dr. Ferd. Cohn, in dessen
pflanzenphysiologischem Institut die vorliegende Arbeit vor drei
Semestern begonnen wurde, für die Anleitung, die ich von demsel-
ben während meiner Studien empfangen habe, besonders aber für
die unausgesetzt bereite Unterstützung und thätige Förderung dieser
Arbeit, meinen aufrichtigsten Dank ehrerbietigst auszusprechen.
Gleichfalls zu Dank verpflichtet bin ich Herrn Geh. Rath Prof. Dr.
Goeppert für die aus dem Breslauer botanischen Garten mir gütigst
überlassenen Pflanzen, sowie demselben und Herrn Prof. Dr. Paul
Ascherson für bereitwillige Mittheilung der betreffenden Literatur;
endlich dem Königl. botanischen Garten zu Berlin, aus dem ich durch
freundliche Vermittlung des Gärteninspeetors Herrn Bouch& den
grössten Theil des verwendeten Materials erhalten habe.
Wir betrachten nach einander folgende Hauptpunkte:
I. Same, Keimung.
II. Anatomie und Entwicklung der Vegetationsorgane.
III. Anatomie und Entwicklung der reproductiven
Organe; Embryologie.
I. Same, Keimung.
1. Die Samen von Streptocarpus (polyanthus) sind entsprechend
der grossen Zahl, in der sie in einer Frucht entstehen, ausserordent-
lich klein; sie erreichen kaum 0,2”"” in der Breite und etwa das
Doppelte bis Dreifache in der Länge. Sie sind von länglich-eiför-
miger Gestalt, an beiden Enden zugespitzt, ihre braune Oberfläche
mit unregelmässigen Längs- und Querleisten, (entsprechend den Gren-
spreading, reticulated, euneated, trothed lobes. Stamens inelined; fertile ones
two, inserted near the middle of the tube: sterile ones near the base,
Filament hairy. Ovary eylindrieal, hairy, with a short eylindrical style and a
conical stigma.
!) In den Verh. des naturhist. Ver. der preuss. Rheinl. und Westfalens.
XV. Bd. (abgedr. in Flora J. 1858 p. 120).
5
zen der Oberflächenzellen), verdickt. Um ihre Anatomie festzu-
stellen, wurden sie nach der von Kerner angegebenen Methode
etwa eine Minute in Alkohol gelegt, um jegliche Spur von Wasser
von ihrer Oberfläche zu entfernen, sodann in ein flüssig gemachtes
Gemisch von etwa 2 Th. Paraffin und 1 Th. Talg eingebettet, und
da man sie leicht in jeder beliebigen Lage festlegen kann, gelang es
auf diese Weise, sowohl Längs- als Querschnitte von ihnen herzustellen.
Die den Samen umgebende Schale ist eine derbe, mehrschich-
tige Haut. Ihre äussersten Schichten sind, wie die Entwick-
lung des Embryo zeigen wird, aus dem halb abgestorbenen Integu-
ment der Samenknospe hervorgegangen und die Zellen derselben
erscheinen nach der Behandlung mit Kali als eine braune structur-
lose Masse (in Fig. 2 T. I. angedeutet). Die innerste Zellschicht
der Samenschale, welche aus dem Knospenkern hervorgeht, besteht
aus nahezu würfelförmigen, in Kali stark quellenden Zellen. Im
Leben sind sie mit dichtem körnigem Inhalt angefüllt. Derselbe
ergiebt auf Jodjodkalium keine blaue Reaction, ist also stärkefrei;
(Fig. 2 zeigt diese Zellschicht im Querschnitt.)
2. Der Embryo füllt, da Endosperm nicht vorhanden ist, die
Samenschale fast vollständig aus; seine Structur deutet schon auf
eine völlig anormale Entwicklung hin. Die Gliederung ist nicht so
weit fortgeschritten, dass man Stengel, Keimblätter, Knospe und
Wurzel unterscheiden kann, vielmehr lässt er nichts weiter als einen
hypokotylen Stengel und 2 Kotyledonen erkennen. Letztere sind
von gleicher Grösse und beide etwas um einander gebogen. Die andre
Hälfte des Embryos ist als hypokotyler Stengel zu betrachten. Beide,
sowohl Kotyledonen als Stengel zeigen auf dem Querschnitt sehr schön
die Differenzirung von Plerom und Periblem, ersteres scharf gegen das
letztere abgesetzt. Der Scheitel des Stengelchens, an dem man die
Knospenanlage erwarten sollte, zeichnet sich durch nichts von dem
übrigen Gewebe aus und die spätere Entwickelung macht es vollends
klar, dass eine Endknospe, ja sogar ein Vegetations-
punkt überhaupt nicht vorhanden ist.
Am entgegengesetzten Ende setzt sich das Plerombündel des
Stengels scharf gegen die umgebenden Zellen ab und diese lau-
fen von einer Seite über den Scheitel nach der andern ununter-
brochen fort, ohne dass auch nur eine Spur einer Wurzelhaube zu
entdecken ist.
Der Embryo von Streptocarpus (polyanthus) entbehrt
daher einerseits einer Wurzelanlage, andrerseits des
Vegetationspunktes an der Stelle der Endknospe.
6
Fast alle übrigen Verhältnisse folgen aus diesen beiden That-
sachen.
3. Keimung. Um die Samen zur Keimung zu bringen, wurden
dieselben theils in feuchter Erde ausgesät, theils in den Keimappa-
raten, welche im Pflanzenphysiologischen Institute benutzt werden,
einer feuchten Wärme von 20— 25°C. ausgesetzt. Dieselben beste-
hen aus einem doppelwandigen blechernen Kasten, der durch einen
gläsernen Deckel geschlossen werden kann. Der Raum zwischen
den beiden Wänden wird mit Wasser gefüllt und dies durch eine
kleine Gasflamme erwärmt. Um die Wärme auf einem bestimmten
Punkt erhalten zu können, ist ein Gasregulator, sowie zur Controle
ein Thermometer in das Wasser eingesenkt. Die Samen, welche
keimen sollen, kommen, nachdem sie 24 Stunden im Wasser gequellt
sind, auf feuchtgehaltenen Thonschalen (gewöhnliche Untersätze von
Blumentöpfen, mit einem Thondeckel bedeckt, sind dazu verwendbar)
in das Innere des Kastens. In feuchter Erde keimen die Samen
nach ungefähr 14 Tagen, im Keimapparat jedoch brauchen sie etwas
längere Zeit; indessen sind auch hier die meisten nach 3 Wochen
gekeimt.
Manche Samen von Streptocarpus polyanthus sind trikotyl,
und diese Exemplare befanden sich regelmässig unter den zuletzt
gekeimten.
Nachdem man die Samen in die zur Keimung erforderliche Um-
gebung gebracht hat, quellen sie zunächst durch Wasseraufnahme
beträchtlich auf und nach Verlauf der angegebenen Zeit wird die
Samenschale gesprengt. Das Zerreissen derselben tritt meistens an
demjenigen Ende ein, welches dem Wurzelende entspricht, indessen
kommen auch Fälle vor, wo die Keimblätter zuerst sichtbar werden.
Nach wenigen Tagen wird die Samenschale ganz abgestreift, die
obern Theile des jungen Pflänzchens, die vorher blass gelbgrün ‘
erschienen, färben sich bald lebhaft grün; die beiden Kotyledonen
breiten sich auseinander, man kann ihre fast kreisrunde Form deut-
lich erkennen. In der Grösse (etwa 0,5”®-) ist in der Mehrzahl
der Fälle mit blossem Auge kein Unterschied der beiden Keim-
blätter zu erkennen, genaue mikroskopische Messungen haben aber
an vielen Exemplaren schon unmittelbar nach der Keimung ergeben,
dass der eine Kotyledon etwas grösser ist als der andere. Das ent-
gegengesetzte Ende der Keimpfianze krümmt sich nach der Erde
zu, dringt in dieselbe ein, durch Streckung der Zellen auf der con-
caven Seite wird dann der Stengel wieder gerade, die Keimblätter
vom Boden erhoben.
7
Das in die Erde eingedrungene Stengelende ist wegen Mangel
eines terminalen Vegetationskegels nicht befähigt, sich weit zu
entwickeln; sein Wachsthum, das nur auf Streckung des meristema-
tischen Zellgewebes beruht, ist vielmehr von äusserst kurzer Dauer.
4. Die Anatomie des Stengels selbst zeigt ein axiles vom
Rindenparenchym umgebenes Gefässbündel. Eine Epidermis ohne
Spaltöffnungen giebt die äussere Begrenzung.
Das Ende des Stengels wächst durch Streekung und beschränkte
Theilung seiner Zellen zu einer keuligen Anschwellung aus, welche
aus parenchymatischen grösseren und kleineren Zellen, durchweg
von gleicher Beschaffenheit, besteht. Eine Anzahl der Oberflächen-
zellen wächst in lange Haare aus, die mehr oder weniger gebogen,
das abgerundete Ende des Stengels umgeben und im Boden befestigen.
Inmitten dieser Zellmasse liegt ein axiler schon nach kurzer Zeit
fertig ausgebildeter Gefässbündelstrang. Im Plerom treten nämlich
schon kurz nach der Keimung zunächst in einer axilen Zellreihe
zarte ringförmige oder spiralige Verdiekungen auf, bald zeigen die-
selben Verdiekungen sich auch in den benachbarten Reihen von
Zellen; die auf solche Weise entstandenen Tracheen bilden dann
mehrere Reihen. Rings umgeben sind dieselben von länglichen
Zellen, welche zarte, etwas gefaltete Wände haben und ohne Zweifel
dem Siebtheil entsprechen. Eine besondere Endodermis konnte ich
nicht unterscheiden,
5. Adventivwurzeln. Unmittelbar nachdem das untere Stengel-
ende die beschriebene Form angenommen hat, entsteht dicht ober-
halb desselben die erste Adventivwurzel und zwar, wie gewöhn-
lich, an der Peripherie des Gefässbündels. Die Anlage der Seiten-
wurzel drängt die Rinde und Epidermis des Stengelchens zuerst
hervor und durchbricht diese Gewebe nach einiger Zeit. Soweit bei
genauer Einstellung an unverletzten Wurzeln die Verhältnisse erkenn-
bar waren (Fig. 5. T.I.), wird die Wurzelhaube aus einer einzigen Zell-
schicht gebildet, Flerom und Periblem werden deutlich getrennt.
Die Epidermis besteht aus länglichen, etwas verschobenen Zellen.
Oberhalb dieser ersten Adventivwurzel entsteht dann auf die näm-
liche Weise eine zweite, weiter eine dritte in basifugaler Richtung,
jede folgende (zuerst wenigstens) immer näher an den Cotyledonen.
Alle Adventivwurzeln sind auf ihrer Oberfläche von zarten einzelligen
Haaren bedeckt. Da diese Haare sich eng an ihre Umgebung an-
schliessen, so ist es schwer, die Wurzeln selbst von anhaftenden
Erdtheilen und Fragmenten von kleinen Steinen zu isoliren, und
es sind deshalb die Exemplare, wie sie im Keimkasten erhalten
8
werden, für das Studium der ersten Stadien vorzuziehen. Diese
Adventivwurzeln übernehmen bald die Ernährung der jungen Pflanze,
denn allmählich stirbt der primäre Stengel ab.
Nur wenn, wie es bisweilen geschieht, gerade am Scheitel des
Stengelchens sich ebenfalls eine Adventivwurzel bildet, diese dann
die beschriebene Anschwellung durchbricht, so dass sie als unmittel-
bare Fortsetzung des Stengels erscheint, bleibt das Ende des Stengels
selber erhalten. Eine genaue Uutersuchung zeigt aber jedesmal,
dass wir es auch in den wenigen Fällen, wo diese Bildung eintritt,
mit einer adventiv und endogen entstandenen Wurzel zu thun haben.
6. Die Keimblätter stellen, wenn sie aus der Schale hervor-
gebrochen sind, vorerst, mit Ausnahme des durch ihre Mitte gehenden
schmalen Pleromstranges, ein gleichmässiges Gewebe zartwandiger
parenchymatischer Zellen dar. Gleichzeitig mit der Umbildung des
Stengelpleroms in Gefässbündel geht derselbe Vorgang auch im
Plerom der Kotyledonen vor sich, welche demzufolge von einem radialen
sehr einfachen Gefässbündel durchzogen werden; schon wenige Tage
nach der Keimung sind in diesen Ring- oder Spiraltracheiden erkenn-
bar. Zur selben Zeit sind auch schon die Spaltöffnungen auf beiden
Kotyledonen in grosser Zahl auf der Unterseite, selten und vereinzelt
auf der Oberseite, gebildet.
War nun schon bei vielen Exemplaren während der Keimung
durch mikroskopische Messung eine Differenz in der Grösse der
beiden Keimblätter zu erkennen, so tritt dies nach kurzem Wachs-
thumsverlauf so deutlich zu Tage, dass sie auch makroskopisch gut
sichtbar wird. Während der eine Kotyledon, sich fort und
fort vergrössernd, bedeutende Dimensionen erreicht,
bleibt derandereimmer mehr zurück und stirbt schliess-
lich ganz ab.
Vierzehn Tage nach der Keimung haben die Pflänzchen etwa
3—5"m. Länge, ihr grösserer Kotyledon ist dann etwa 1,5". in der
Breite ausgedehnt; er übertrifft dann den andern bereits um das
Vierfache seiner Länge. Ihre früher kreisförmige Gestalt ist eine
etwas andere geworden, der kleinere ist jetzt nierenförmig, der
grössere eiförmig, am Grunde herzförmig.
Inzwischen ist auch eine deutliche Scheidung der das Blatt zusam-
mensetzenden Zellschichten eingetreten. Unmittelbar unter der
Epidermis befindet sich eine einreihige, chlorophyllreiche Pallisaden-
schicht, unter dieser liegen (anfangs nur 2) Schichten eines ziemlich
festen Parenchymgewebes, die Hauptmasse des Blattes bildend, welche
von der Epidermis der Unterseite bedeckt wird. Vie Spaltöffnungen
9
werden wir gelegentlich der Anatomie des erwachsenen Blattes
betrachten.
Bekanntlich sind in der grossen Mehrzahl der Gewächse die
Gewebe der Blätter nur kurze Zeit theilbar und später geschieht
die weitere Vergrösserung des Blattes ausschliesslich nur noch durch
Streckung der schon vorhandenen Zellen. Ganz anders bei unserer
Pflanze. Der grössere Kotyledon wächst hier zu einem
grossen Laubblatt aus (welches in der Heimath bis einen Fuss
lang wird), und dieses Laubblatt ist bis nach der Blüthe
das einzige Blatt, welches die Pflanze überhaupt besitzt.
Diese aussergewöhnliche Vergrösserung beruht darauf, dass das
Gewebe am Grunde des Blattes und im Blattstiel sehr
lange Zeit hindurch theilungsfähig bleibt, während am
Blattrande die Theilungsthätigkeit zuerst zum Stillstand kommt und
das Meristemgewebe in Dauergewebe übergeht. Dieser Unter-
schied ist auf Fig. 6 und 7 T. I. (beide mit derselben Ver-
grösserung mit Hilfe des Zeichenapparates hergestellt) für die Epi-
dermiszellen dargestellt. Dieselben sind am Rande von unbestimmt
vieleckigem Umriss, fast jede Wand winkelartig gebrochen, am
Scheitel dieser Winkel (auf der convexen Seite) ragen meist noch
kleine Fortsätze in die Zellen hinein, die dann später bei fortschrei-
tendem Wachsthum allmählich wieder verschwinden. Die Zellen am
Grunde des Blattes dagegen zeigen 4—8fach kleinere Zellen, sämmt-
lich mit graden und zarteren Wänden und viel dichterem Inhalt.
Am kleineren Kotyledon finden wir zu derselben Zeit nur die
ersterwähnten Epidermiszellen mit gebrochenen Wänden, theilungs-
fähiges Gewebe ist dagegen nicht vorhanden, daher kann Vergrösse-
rung desselben nur noch durch Zellstreckung zu Stande kommen,
und da diese naturgemäss beschränkt ist, so liegt auch das Wachs-
thum des ganzen Blättchens innerhalb bestimmter, ziemlich enger
Grenzen.
Das mediane Gefässbündel verzweigt sich in dem rudimentär
bleibenden Kotyledon gar nicht, sondern durchläuft denselben auch
am Schluss seiner Vegetationszeit noch als ein einfacher Strang
in dem grösseren Kotyledon tritt Verzweigung des Gefässbündels schon
in der bis jetzt betrachteten Zeit ein. Durch Theilung von Zellen
des Grundgewebes in der Nähe des ursprünglichen Bündels entste-
hen am Blattgrunde zunächst Stränge von procambialen Zellen, aus
denen Bündeläste hervorgehen. Die Verzweigungen gehen vom pri-
mären Bündel ab, laufen zum Rande, biegen dort nach rechts oder
links rechtwinklig um, laufen ein Stück mit dem Rande parallel und
10
treffen schliesslich auf einen andern Ast derselben Ordnung, indem
sie Schlingen bilden. Die secundären Nerven werden durch tertiäre
verbunden, diese durch quaternäre u. s. w. und so entsteht schliess-
lich die vollständige netzadrige Nervatur.
7. Trichome. Kotyledonen sowie Stengel tragen auf ihrer Ober-
fläche verschiedenartige Triehome. Zuerst sind drüsenähnliche
Köpfchen zu erwähnen, die in grosser Anzahl am Grund und Rand der
Keimblätter, weniger auf der Oberfläche derselben und des Stengels
entstehen. Sie entstehen durch Theilung einer Epidermiszelle und
stellen im ausgebildeten Zustande ein 2- (oder 4-) zelliges kugliges
Köpfchen dar, von einem einzelligen Stiel getragen. Die eigentlichen
Haare sind sehr lang, kegelförmig und bestehen meist aus einer
einfachen Reihe von 4 Zellen; bei den einen ist die Endzelle keulig
angeschwollen, bei den andern läuft sie in eine scharfe Spitze aus.
Jene scheinen den jüngeren Pflanzentheilen anzugehören, diese kom-
men zwar auch schon auf solchen vor, ihre eigentliche Stelle aber
ist auf allen älteren Organen und übrigens ist zwischen beiden eine
scharfe Grenze kaum zu ziehen. Die kleine Basalzelle des Haarfusses
ist von 8 über die andern etwas erhobenen Zellen umgeben.
II. Entwicklung und Anatomie der Vegetationsorgane.
1. Entwicklung der Kotyledonen. Während der eine Koty-
ledon den andern an Grösse beträchtlich überflügelt, erhebt er sich
zugleich über denselben. Die Kotyledonen sind nämlich zuerst fast
sitzend, erst mit fortschreitendem Wachsthum entwickelt sich am
Grunde des grösseren, welcher sich zu einem Laubblatt ausbildet,
ein kurzer Blattstiel. Der kleinere bleibt sitzend, wie er von Anfang
an gewesen ist. Das ganze untere Ende des Stengels wird von
einem Gewirre von Adventivwurzeln vollständig bedeckt, die-
selben, reich verzweigt, überschreiten schliesslich die Stelle, wo sich
der zweite Kotyledon abzweigt und brechen nunmehr auch aus dem
Blattstiel des ersten heraus, Letzterer verdickt sich sehr beträchtlich
in Länge und Breite, das Laubblatt selbst vergrössert sich bedeu-
tend, der andre nicht entwickelte Kotyledon aber wird welk und
stirbt endlich ab, doch tritt der Punkt, an dem dies geschieht, bei
verschiedenen Individuen nicht zu gleicher Zeit ein; die äusserste
Zeit, wo ich den zweiten Kotyledon noch auffand, waren 2 Monate
nach der Keimung, seine Grösse wechselte zwischen 2 und 5m;
während das grössere Laubblatt bereits bis 3 “®- Länge erreicht
hatte. Mit dem zweiten Keimblatt zugleich stirbt auch der primäre
Stengel ab; die Stelle, wo sein Platz gewesen ist, kann später nur
11
an einer dünnen Korkschicht erkannt werden, welche den
weiter fortwachsenden Kotyledon am Grunde abgrenzt.
Indem dieser sich zum Laubblatt bildet, verändert er seine
Gestalt nur in sofern, dass dieses etwas spitzer wird. Sein Rand ist
gekerbt, die viel verzweigten meist unter rechtem Winkel an
einanderstossenden Rippen treten auf der Unterseite ungewöhnlich
kräftig hervor, so dass die Blattfläche auf der Oberseite zwischen
dem Rippennetz gewölbt erscheint, während letzteres auf der Unter-
seite im starken Relief vorspringt; das ganze etwas wellige Blatt
ist sowohl auf der Ober- als besonders auf der Unterseite dicht mit
den oben erwähnten, in eine Spitze auslaufenden, kegelförmigen Haaren
bedeckt; die Lamina neigt sich an dem herzförmigen Blattgrunde von
beiden Seiten über dem Blattstiel zusammen. (Vgl. Fig. 8, T. I.)
So besteht denn nunmehr unsere ganze Pflanze aus diesem
einzigen Blatte, welches nach Art eines Blattstecklings') mit der
Unterseite seines Stieles durch Adventivwurzeln im Boden befestigt
wird und auf demselben dicht aufliegt. Im Verlauf bleibt nun,
bis das Blatt vollständig ansgewachsen ist, die Form wesent-
lich dieselbe, die Farbe auf der Oberseite wird dunkler, auf der
Unterseite röthlich. Die Grösse dieses Blattes war sehr verschieden.
An den meisten Exemplaren betrug seine Länge nur 10—15 em., es
kamen jedoch auch einzelne Exemplare vor, welche sich den riesigen
Dimensionen, die sie in der Heimat erreichen (bis 1 Fuss) stark
annäherten. Ein aus Erfurt bezogenes blühendes Exemplar (Fig.1.T. I.)
besass ein dickes, ovales, fast kreisrundes Blatt von 20 cm. Länge
und, 17 em. Breite, die in der Erde steckende zusammengedrückt
ceylindrische Blattstielbasis hatte einen Querdurchmesser von 14 mm.
erreicht und war von einem Gewirr von Adventivwurzeln bedeckt.
Die von uns cultivirten Exemplare hatten die völlige Grösse jedoch
nicht erreicht, vielmehr legten dieselben, weil zweijährig, in
einem Sommer nur die Hälfte ihrer Entwicklung zurück, während
die Ausbildung der Blüthenstände, sowie der etwa entstehenden
adventiven Laubsprosse dem zweiten Jahre vorbehalten bleibt.
2. Die Adventivwurzeln entstehen am Blattstiel endogen in
derselben Weise, wie wir dies für den Stengel angegeben haben,
doch habe ich die ersten Entwicklungsstadien nicht auffinden können.
Der Centraleylinder, welcher die Adventivwurzeln durchzieht,
enthält zuerst, wie wir oben gesehen haben, nur eine einzige axile
Trachee, später entsteht parallel mit dieser eine zweite, dann eine
!) Vergl. die folgende Abhandlung von Dr. E. Beinling.
12
dritte u. s. w. Selten liegen diese unmittelbar nebeneinander, vielmehr
sind sie meist durch Grundgewebe getrennt. (Füllgewebe.) Nach Präpa-
raten von jungen Wurzeln (vgl. Fig. 9. T. I. Querschnitt) sind dieselben
als triarch zu bezeichnen, d. h. die Elemente des Xylems sind in 3 Reihen
radial angeordnet, mit denen 3 Bündel äusserst zarter Phloemparthien
alterniren, die Wurzel zeigt daher normalen Bau; bei älteren
Wurzeln lässt sich allerdings eine derartige Vertheilung nicht mehr
erkennen, die Gefässe liegen einzeln oder zu zwei und drei ohne
erkennbare Ordnung in dem Verbindungsgewebe zerstreut, und ebenso
scheint der Weichbast unregelmässig zerstreut zu sein. Die Tracheen
sind, wie schon erwähnt, netz- oder ringfaserig verdickt.
Rings ununterbrochen umgeben ist der ganze Centraleylinder
der Wurzel von der Endodermis oder Schutzscheide, die als die
innerste Schicht des Rindenparenchyms bezeichnet werden muss.
Die Zellen derselben sind in der Jugend zart, dagegen bei älteren
Wurzeln stärker verdiekt (so zwar, dass die an das Rinden-
parenchym angrenzende Wand immer bedeutend stärker ist als
diejenige, welche auf der Innenseite liegt und das Füllgewebe des
Gefässeylinders umschliesst). Die Casparischen Punkte sind nur
an jungen Exemplaren zu erkennen.
Das übrige Rindengewebe lässt bei vollkommen ausgewachsenen
Wurzeln hier, wie bei allen Phanerogamen, zwei Schichten erkennen.
Die äussere Schicht ist in concentrische Reihen angeordnet, etwa
3—4 Kreise dick, sie besteht aus dünnwandigen Zellen ohne Inter-
cellularräume und Tüpfel und ist gegen die andre ziemlich scharf
abgesetzt. Die innere dagegen, welche wir mit De Bary als hypo-
derme Rindenschicht bezeichnen, ist etwa 5 Reihen stark und zusam-
mengesetzt aus stärker verdickten, deutlich getüpfelten Zellen mit
Intercellularräumen, ebenfalls in concentrischer Anordnung. Auf dem
Längschnitt erscheinen die Zellen der äusseren Schicht etwa würfel-
förmig, die der innern dagegen etwa 2—3mal so lang als breit.
Die Wurzelspitze (vgl. Fig. 12 T. II.) lässt einen umfangreichen
Pleromeylinder erkennen, von ihm scharf getrennt eine Hülle von
Periblem, die Initialschieht liegt über dem Periblem, das Plerom-
bündel ist geschlossen, Wurzelhaube und Dermatogen deutlich ent-
wiekelt. Die Wurzel gehört daher nach Janczewski dem dritten
Typus an, wo das Periblem, vom Plerom scharf getrennt, über dem
Pleromscheitel mit einer gemeinsamen Initialschicht für Dermatogen
und Wurzelhaube versehen ist.
Die adventiven Wurzeln verzweigen sich mehrfach und erreichen
13
etwa 7 em. Länge, sie umfassen den Blattstiel, an dem sie entstanden
sind, zuletzt fast vollständig.
3. Der Blattstiel ist, wie wir oben sahen, erst einige Zeit,
etwa einen Monat nach der Keimung, von der Spreite deutlich abge-
setzt. Die Anatomie desselben ist anfänglich der des Stengels voll-
ständig gleich: parencehymatisches Gewebe mit einem medianen Ge-
fässbündel. Da diese Gewebe jedoch, statt in Dauergewebe über-
zugehen, in theilungsfähigem Zustande verharren, so entstehen nach
und nach im Blattstiel neue Stränge, die so geordnet sind, dass sie
eine nach der Oberseite des Blattes offene Rinne bilden und daher
einen halbkreisförmigen Querschnitt zeigen; die jüngsten Bündel
liegen an den beiden Enden dieses Halbkreises. Durch dieses suc-
cessive Entstehen neuer Gefässbündel und durch seine lange Thei-
lungsfähigkeit ist das Gewebe des Blattstiels wie des Blattgrundes
zu so anhaltendem Wachsthum und so langem Leben befähigt. Der
Blattstiel erreichte in den von uns eultivirten Exemplaren schliesslich
eine Dieke von 5—8 "m. seine Länge betrug ungefähr ebensoviel;
bei dem auf p. 11 erwähnten Erfurter Exemplar hatte der Blattstiel
die Stärke eines Mannesdaumens erreicht; in der Heimat mögen die
Dimensionen entsprechend der noch bedeutenderen Grösse des Blattes,
beträchtlicher sein.
Auf einem Querschnitte (Fig. 13 T. II.) erblickt man den Halb-
kreis der Gefässbündel, jedes derselben lässt in collateraler An-
ordnung Holz- und Basttheil unterscheiden, letzteren nach aussen
gewendet, zwischen beiden liegt eine Cambialzone, die nach aussen
neues Phloöm, nach innen neues Xylem erzeugt und sich als inter-
fascieulares Cambium über die Grenzen der Gefässbündel durch die
Zwischenräume von einem zum andern fortsetzt. Das parenchyma-
tische Gewebe innerhalb und ausserhalb des Gefässbündelkreises ist
von gleicher Beschaffenheit und besteht aus Zellen, die zu langer
Vermehrung durch Theilung befähigt sind. Fig. 15. T. Il. zeigt
einen Theil desselben mit vielen seeundären und tertiären Scheide-
wänden. Das Parenchym grenzt nach aussen an eine schön ent-
wickelte Collenchymschicht, und diese, etwa 2 Zellschichten stark,
wird unmittelbar von der auf der Blattoberseite mehrschichtigen
Epidermis umschlossen.
Auf dem Längsschnitt des Blattstiels erscheinen die Parenchym-
zellen in geraden Längsreihen angeordnet, die oben isolirten Gefäss-
bündel anastomosiren nach unten zu vielfach und um den Grund des
Blattstiels herum finden wir ganze Lagen von unregelmässig nach
14
allen Richtungen orientirten, untereinander zusammenhängenden
Tracheiden (netzförmig verdiekten Zellen, während im Blattstiel
weiter oben wirkliche Spiralgefässe vorhanden sind). Unterhalb dieser
Stelle schliesst eine dünne Korkschicht den Blattstiel gegen den
Boden ab, nachdem das primäre Stengelglied abgestorben ist.
Die Stelle, wo der unentwickelte Kotyledon mit der übrigen
Pflanze in Verbindung gestanden hatte, ist wegen der Kleinheit dessel-
ben und wegen der Ueberwucherung durch Wurzeln, die auch
manchmal absterben, an erwachsenen Exemplaren nicht auffindbar
gewesen.
Ausserordentlich reich entwickelt ist die Nervatur des Blattes;
selbst zu der Zeit, wenn schon die Blüthenstände angelegt sind, ist
der unterste Theil des Blattes noch nicht ganz ausgewachsen, vielmehr
stehen hier die Rippen noch ganz nahe neben einander und die Lamina,
von langen Haaren fast zottig, zeigt ein sehr zartes Grün. Der
anatomische Bau der Blattrippen ist wesentlich dem des
Blattstiels analog.
4. Das Blatt selbst, welches bei den früher besprochenen
Keimpflanzen aus nur 3 Zellschichten zwischen der beiderseitigen
Epidermis bestand, hat sich bei der Entwicklung des Kotyledonen
zum Laubblatt bedeutend verändert. Die unter der Epidermis der
Blattoberseite gelegene Pallisadenschicht besteht aus einer Reihe von
prismatischen Zellen, welche an einander dicht anliegen und mit
Chlorophyll fast vollständig angefüllt sind. Die übrige Masse des
Blattgewebes bis zur unterseitigen Epidermis ist jetzt aus kugligen
Zellen mit zahlreichen Interceliularräumen gebildet, welche meist
auffällige ringförmige Verdiekungen, eine oder mehrere auf einer
Zellfläche zeigen. Diese Kreise rühren daher, dass die Zellwand
an den Intercellularräumen stark verdickt ist, während diejenigen
Seiten, wo je zwei Zellwände unmittelbar auf einander stossen, wenig
oder gar nicht verdiekt sind. (Fig. 14. T. I.)
Die Spaltöffnungen befinden sich fast ausschliesslich auf der
Unterseite des Blattes, auf allen Seiten von Haaren umgeben und
fast verdeckt. Die beiden Schliesszellen sind klein, von ovaler Form
und ragen dadurch, dass sie auf 2, an und für sich schon etwas
erhabenen Zellen aufsitzen, über die Blattfläche hervor. Die Athem-
höhle ist etwa so gross, wie die 4 Zellen zusammengenommen.
Ehe wir aber diesen Zustand der Pflanze verlassen, müssen wir
noch einer Erscheinung Erwähnung thun, die sich mit fortschreitendem
Wachsthum häufig bei unserer Pflanze zu zeigen pflegt.
Es tritt nämlich bei Exemplaren, die ungefähr ein Drittel ihrer vollen
15
Grösse erreicht haben, etwa "s von der Spitze des Blattes entfernt
eine gelbe, quer über dasselbe verlaufende Linie auf. Die Zellen in
einer durch die ganze Dicke des Blattes gehenden Schicht nämlich
verlieren ihren Inhalt, ihre Wände werden dunkler, sekundäre
Theilungen treten in denselben ein. (Vgl. Fig. 10 u. 11. T. IL)
Diese Umstände zeigen, dass wir es mit der Bildung
einer Korkschieht zu thun haben, welche einenkleinern
Theil des Blattes abtrennt. Kaum ist diese Linie aus-
geprägt, so fängt das Blatt an, von der Spitze her abzusterben
und diesem Zerstörungsprocesse setzt endlich die Korkschicht eine
Grenze. Gebildet ist sie jedoch schon, wenn die auf beiden Seiten,
rechts und links, liegenden Zellen noch genau das gleiche Aussehen
zeigen. Nach einiger Zeit bildet sich eine ähnliche Korklamelle quer
durch das Blattgewebe an einer tieferen Stelle und bald schreitet
der Process des Absterbens weiter bis zu dieser Grenzlinie vor.
So beschaffen ist unsere Pflanze, nachdem sie die Vegetations-
zeit eines Sommers hinter sich hate Am Schluss derselben
füllen sich die Zellen des Blattstiels mit Stärke, das
so mit Reservestoffen versehene Blatt verhält sich nun vollkom-
men wie ein Blattsteckling einer Begonie oder eines anderen sich
auf diese Weise fortpflanzenden Gewächses. Es entstehen im
weiteren Verlaufe des Wachsthums zunächst adventiv eine Reihe
von Blüthenständen, und während diese ihre Blüthen entwickeln,
brechen ebenfalls am Stiel des primären Blattes ein oder mehrere
Laubsprosse hervor.
HI. Entwicklungsgeschichte und Anatomie der reproductiven Organe.
1. Adventive Entstehung der Blüthenstände. In Bezug
auf die Entwicklung der Blüthenstände und adventiven Laubsprosse,
sowie der Embryone bis zum Samen, muss ich zunächst voraus-
schicken, dass es mir nicht möglich war, die Bildung derselben bei
Streptocarpus polyanthus von Anfang an zu verfolgen und zwar
aus dem Grunde, weil das mir zu Gebote stehende Material die ersten
Zustände nicht repräsentirte; meine eigenen Exemplare, die Herr
Kunstgärtner Schütze in Breslau die Güte hatte zu kultiviren,
kamen, wie oben erwähnt, in ihrer Entwicklung überhaupt nicht so weit.
Um jedoch die Lücke auszufüllen, füge ich hier Beobachtungen
ein, die an Str. Rex“ gemacht worden sind und einen Schluss auf
die Verhältnisse von Str. polyanthus wohl gestatten, da sich, wie die
von Hooker im Bot.-Mag. publieirten Abbildungen zeigen und die
16
Pflanzen selber lehren, beide augenscheinlich, wenigstens in der
Hauptsache, gleich verhalten.
Auch bei Str. Rexil nämlich entwickelt sich ein Kotyledon zu
einem Blatte, indessen ist dies viel schmäler und länger als bei
polyanthus, ausserdem langgestielt'). Ausserdem besitzt Str. Rex
eine grosse Menge ganz ähnlich gestalteter, kurzgestielter Blätter,
die wechselständig zu einander entstanden sind, und von denen immer
die um einen gemeinsamen Mittelpunkt vertheilten zusammenge-
hören. Solcher Centra sind am Blattstiel des primären Blattes eine
ganze Reihe vorhanden. Ferner entstehen gleichzeitig mit diesen
Laubsprossen, oder etwas früher in einfacher basifugaler Reihe
eine Anzahl von (bei Rexil ein-, bei polyanthus und den meisten
anderen Arten vielblüthigen) Blüthenständen, jeder folgende weiter
nach der Blattspitze zu, so dass die jüngsten ihr am nächsten stehen,
einer ganz dicht am andern.
An günstigen Präparaten (Fig. 16 T. II.) kann man zwischen
dem letzten, noch wenig entwickelten Blüthenstiel und dem Blatt-
stiel selbst einen Vegetationskegel wahrnehmen (Fig. 17 T. II.).
Derselbe liegt genau an der Grenze, wo beide Organe in einander
übergehen, ja manchmal scheint es, als ob er direkt auf dem Blü-
thenstiel entstanden wäre. Die Epidermis des Blattstiels setzt sich
über den Meristemkegel fort.
Die Entstehung der Blüthenstände geht also folgendermassen vor
sich: Wenn das Blatt vollständig ausgewachsen ist, so entsteht auf
der Oberseite des Blattstiels, wo zwischen den beiden Flügelsäumen
der Lamina das Blattgewebe theilbar bleibt, durch radiale und
tangentiale Theilung gewisser oberflächlicher Zellgruppen ein exogener
Vegetationskegel in Form eines sich über die Blattstielfläche erheben-
den Zellhügels, in der Mitte desselben bildet sich ein procambialer
Strang, welcher mit dem Gefässsystem des Blattstiels in Verbindung
tritt, und zwar in der Weise, dass er sich nach innen theilt und die
Aeste sich mit den beiden Rändern der halbeylindrischen Rinne, in
der, wie wir oben sahen, das Gefässbündelsystem des Blattstiels
angeordnet ist, in Verbindung setzen. Allmählich wächst dieser
Zellbügel, an der Spitze Braeteen und Blüthen anlegend, zu einem Axen-
organe (Blüthenstengel) aus. Da wo der Blüthenstengel an die Blattfläche
angrenzt, und zwar an seiner basifugalen Kante, tritt sodann dieselbe
1) An diesem langen Stiel kann man an der erwachsenen Pflanze das Mut-
terblatt erkennen.
17
Erscheinung von Neuem auf; es entsteht ein neuer Vegetationskegel,
und es geht ein zweiter Blüthenstand daraus hervor u. s. w.; jeder
jüngere wird von den älteren behindert und neigt sich gegen die
Blattfläche.
Die weitere Ausbildung bis zur Blüthe folgt, so weit sie beobachtet
wurde, weiter unten.
Die adventiven Blätter entstehen gleichzeitig mit oder erst nach
den Blüthen und zwar wahrscheinlich auf folgende Weise. Ausserhalb
der Region der Blüthenstiele, entweder seitwärts oder unterwärts
erhebt sich über dem Blattstiele ein flacher Vegetationspunkt, an
welchem der Reihe nach rechts und links alternirende Blätter her-
vorsprossen; man kann ihn in vielen Fällen bei Str. Rexik leicht
als schwache Erhebung der obersten Meristemschichten am Grunde
des jüngsten Blattes erkennen. (Vgl. Fig. 18. T. II.) Dadurch,
dass diese Bildungen in grosser Anzalıl am Blattstiel auftreten, werden
die Verhältnisse meistens so verwickelt, dass man den Zusammen-
hang selten auf den ersten Blick erkennen kann.
Bei Streptocarpus polyanthus habe ich bisher nur Blätter mit
vollkommen ausgebildeter Laub- und Blüthensprosse aus dem Berl.
botanischen Garten erhalten können; die Betrachtung derselben lehrte
aber, dass sie sich in Bezug auf die Blüthensprosse ebenso verhal-
ten müssen; die adventiven Laubsprosse allerdings stehen so unregel-
mässig vertheilt, dass es an weiter entwickelten Exemplaren kaum
möglich ist, ihre Zusammengehörigkeit zu ermitteln. Das oben
erwähnte Erfurter Exemplar besass nur einen vollkommnen Blüthen-
stengel, und hinter diesem die Anlage eines zweiten und ausserdem die
eines Laubsprosses, so dass hier die adventive Entstehung beider aus
dem Blattgrunde deutlich erkennbar war; die Blättchen des adventiven
Laubsprosses waren mit ihrer Oberseite der Oberseite des Blattes
zugewendet; kleine Blättchen sprossten auch aus dem Blattstiel
unterhalb des ersten Blüthensprosses hervor. Die Klarstellung dieses
Punktes, sowie die Frage, wie sich diese Laubsprosse später ver-
halten und ob sie ihrerseits neue Blüthenstände hervorbringen können,
muss späteren Untersuchungen mit reicherem Material vorbehalten
bleiben.
Was die Blätter der adventiven Laubsprosse betrifft, so ist nur
noch zu erwähnen, dass ihre Beschaffenheit derjenigen des primären
Blattes analog ist, nur dass sie viel kleiner sind; sie erreichten
in den von mir gesehenen Exemplaren selten 2 em. Länge.
Der Blüthenstand von Streptocarpus polyanthus ist nicht, wie
bei Str. Rexü, einblüthig, sondern er stellt eine reichverzweigte
Cohn, Beiträge zur Biologie der Pflanzen, Band II, Heft 1. 2
18
rispenförmige Cyma dar, mit einer grossen Anzahl durch Hoch-
blättehen gestützter Blüthen. Bei der Verzweigung treten rechts und
links von der Axe zwei subflorale Zweige auf, die Axe selbst endigt
mit einer Blüthe, desgleichen einer der Zweige; der andere dagegen
verlängert sich und verzweigt sich später in derselben Weise. Indem
sich dann die Stengelglieder nicht gleichmässig vergrössern, entfer-
nen sich diese Blättchen von den zugehörigen Blüthen und stehen
zuletzt meist in der Mitte zwischen zwei Verzweigungen. Die letzten
Knospen sind wickelartig eingerollt. Die Stengelglieder zwischen je
zwei Verzweigungen sind meist mehr oder weniger gekrümmt.
2. Die Blüthe ist dem allgemeinen Typus der Familie gemäss
folgendermassen gebaut:
Der Kelch ist verwachsenblättrig 5theilig, die Kelchzähne lanzett-
lich, zugespitzt; die Blumenkrone verwachsenblättrig, mit 5spaltigem
Rande, undeutlich zweilippig, mit langer, am Grunde bauchiger Röhre,
letztere etwa 3—4 mal so lang als der Kelch. Die Farbe ist ein
zartes, auf der Aussenseite helleres Lichtblau, gegen die Mündung
gelb. In der Kronröhre vollständig eingeschlossen liegen die bei-
den Staubgefässe, sie sind etwa auf '/s ihrer Länge mit derselben
zusammengewachsen, ihre Enden neigen zusammen, ihre Pollensäcke
sind mit einander verklebt. Zwei andere Staubgefässe abortiren
regelmässig und sind als kleine Schüppehen erkennbar. Die kurz-
gestielte, kopfige, 2lappige Narbe sitzt auf dem rechtsgedrehten
Fruchtknoten (daher der Name Streptocarpus!) auf, letzterer ist ober-
ständig und in der Blüthe ungefähr von der halben Länge der
Kronröhre, im angewachsenen Zustande etwa 3mal so lang. Das
Pistill besteht aus 2 Carpellen, die zu einem 2fächrigem, und durch
später zu schildernde Verwachsung 4kammerigem Fruchtknoten ver-
einigt sind.
Auf einem Längsschnitt des frühesten Zustandes, den ich aufn-
den konnte, (Fig. 19. T. Il.) erkennt man dem Stengelende gegen-
über einen eben hervorgebrochenen Blüthenstand. Derselbe lässt schon
in diesem Stadium eine Reihe von Knospen erkennen, welche im
Anfangszustand aus einem kegelförmigen Vegetationspunkte bestehen,
an dessen Grunde bald blattartige Gebilde sich entwickeln. Diesel-
ben vergrössern sich schnell, überwachsen den Vegetationspunkt,
neigen sich über demselben zusammen, bringen Haare hervor, und
indem sich diese dieht an einander legen, bilden sie den Kelch als die
schützende Hülle über der heranwachsenden Knospe. Im Innern der
Blüthenknospe entwickelt sich dann zunächst die Korolle mit den
aufsitzenden Antheren und schliesslich wird der Scheitel zum Pistill.
19
Zwischen Fruchtknoten und Korolle entsteht ein ringförmiger hypogyner
Diseus. (Vgl. Fig. 20. T. II.) Dieser Entwickelungsgang ist voll-
ständig normal und habe ich nichts über denselben zu bemerken.
Gehen wir sofort zur Anatomie dieser Organe über.
3. Anatomie der Blüthen. Der Blüthenstengel enthält in den
Zellen seiner Epidermis einen rothen Farbstoff, welcher auch in die Neben-
zellen der Haarfüsse verbreitet ist, während letztere selbst farblos sind.
Unter der Epidermis liegt (Fig. 21. T. II.) eine Collenchymschicht,
darunter (meist 2reihiges) Parenchym, welches mit der alsdann fol-
genden Endodermis das Rindengewebe bildet. Letztere ist zartwan-
dig und ihre radialen Wände zeigen deutlich dle Caspari’schen
Punkte. Der von der Endodermis umschlossene Gefässbündeleylin-
der ist nach aussen von einem geschlossenen Ring von Sklerenchym-
zellen umgeben, diese sind sehr stark verdickt und bilden mehrere
Reihen. Innerhalb derselben sind eine Anzahl Gefässbündel in einen
Kreis gestellt. Die Gefässbündel bestehen in normaler Weise aus
collateral gestelltem Gefäss- und Siebtheil, ersterer aus Gruppen von
Spiral-, Ring- und Netzgefässen, letzterer von zartwandigen Sieb-
zellen gebildet, welche von Sklerenchym umgeben, auf der Aussen-
seite der Gefässbündel liegen. Der so gebaute Gefässbündelring ist
in grosszelliges Markparenchym eingelagert. Ueber die Korolle,
die verwachsenen Antheren, sowie die rundlichen, glatten Pollen-
körner ist anatomisch nichts weiter zu bemerken.
Der sehr kurze und in den Fruchtknoten allmählich verschmälerte
Griffel ist im Innern von einem Canal durchzogen, in dem ich die
hineinwachsenden Pollenschläuche auffinden konnte. Uebrigens, um
diese Bemerkung hier einzuschalten, scheint die Blüthe ihrem ganzen
Bau nach auf Selbstbestäubung eingerichtet zu sein. Die Narbe
liegt nämlich zur Blüthezeit den Antheren fest angedrückt, so dass
wohl nicht zu bezweifeln ist, dass die Pollenkörner, nachdem sie
auf dieselbe gefallen sind, auch keimen.
Der Fruchtknoten, wie schon erwähnt, besteht aus 2 Car-
pellen. Dieselben verwachsen so mit einander (vgl. hierzu Fig. 22.
T. III), dass nur die Ränder der beiden Blätter frei bleiben, welche
sich nach innen halbkreisförmig umrollen und auf ihrem äussersten Rande
die Placenten bilden. Auf diese Weise entstehen 4 Kammern, jedoch
so, dass je zwei nicht durchaus von einander getrennt sind, sondern
durch einen schmalen Canal verbunden bleiben. Der Fruchtknoten
wird von 5 Gefässbündeln durchzogen, von denen je eins in der
Mediane der beiden Fruchtblätter, je eins am Rande derselben, wo
sie zusammengewachsen sind, und eins in der Mitte verlaufen. Das
9%
20
Xylem ist aus abrollbaren Spiralgefässen gebildet und an beiden
Enden von Siebtheilen begrenzt. (Vgl. Fig. 20. T. II.) Das Grundgewebe
ist parenchymatisch, die Zellen vielfach erfüllt von schön ausgebil-
deten Krystallen von oxalsaurem Kalk,
Die innere Auskleidung der Fruchtknotenkammern wird durch
2 Zelllagen gebildet, deren jede aus lang gestreckten, sehr stark
verdickten, getüpfelten Zellen besteht. Diese beiden Schichten liegen
in der Weise übereinander, dass die Längsrichtung der Zellen in
der einen in spitzem, ja sogar unter grösserem (bis 90°) Winkel
gekreuzt ist. Auf diese Weise erhält die Membran ein eigenthüm-
lich gestreiftes Ansehen (vgl. T. III. Fig. 22 u. 23). Diese Schichten
überziehen gleichmässig die Innenflächen beider Carpelle und sind nur
am Rande derselben durch das kleinzellige Gewebe der Placenten
unterbrochen; sie sind augenscheinlich der Grund der eigenthüm-
lichen Drehung des Fruchtknotens.
4. Ovula, Embryogenie. Auf den Placenten sitzen in
ausserordentlich grosser Zahl die Ovula auf, so zahlreich, dass man
bei jedem Querschnitt durch den Fruchtknoten 30—40 freilegt.
Bei den jüngsten Exemplaren, die ich auflinden konnte, erhob sich
schon rings um den Knospenkern des Ovulums ein Wall, welcher die
Anlage des Integuments darstellt. Dieser Wall vergrössert sich, umfasst
den Knospenkern schliesslich vollkommen, so dass nur eine kleine
Oeffnung am Scheitel, die Mikropyle, übrig bleibt. Während dies ge-
schieht, vergrössert sich eine Zelle des Knospenkerns, verdrängt die
übrigen mehr und mehr, so dass sie schliesslich ringsum von nur einer
einzigen Zellreihe umgeben ist (ausser dem Integument); d. h. diese
Zelle wird zum Embryosack. An der Kernwarze werden auch noch
die letzten Zellen verdrängt, so dass die Spitze des Embryosacks sich
unmittelbar unter der Mikropyle befindet. (Fig. 24. T. II.) Inzwischen
hat das Ovulum sich um 90° gegen seinen Funiculus geneigt. Das
Integument wird durch tangentiale Theilung seiner Zellen mehr-
(2 oder 3) schichtig, das der Mikropyle zugekehrte Ende des
Embryosacks verlängert sich schlauchartig, das dem Knospengrund
zugewendete Ende treibt 4 Fortsätze von birnförmiger Gestalt,
welche in dem umgebenden Gewebe blind endigen und sich gegen
den Sack selbst durch Scheidewände abschliessen. (Fig. 25. T. III.)
Sodann entstehen im Innern des Embryosackes eine Anzahl freier
Zellen, von denen 2, die Keimbläschen, sich nicht weit von der
Mikropyle an die Innenwand anlegen. Hier bildet sich eine Aus-
weitung des Embryosackes; die Pollenschläuche treten heran, eins
der Keimbläschen wird befruchtet. Dasselbe theilt sich zunächst durch
21
eine Querscheidewand in 2 Zellen, die eine wächst zu einem langen
in seltsamer Weise hin- und hergebogenen Schlauche aus, dem Embryo-
träger, der am Scheitel des Embryosacks (Fig. 27. T. II.) anwächst;
die kuglige Endzelle wird zum Embryo. (Fig. 28.) Vorübergehend
zerfällt, während dies geschieht, der Embryosack durch Theilung
in 2, 4, 8, 16 Zellen, und so entsteht ein transitorisches Endosperm,
dasselbe wird aber sehr bald von dem sich vergrössernden Embryo
resorbirt.
Die weitere Entwickelung des Embryos geschieht in normaler
Weise: Die Zelle theilt sich durch 3 auf einander senkrechte Scheide-
wände in 8 Kugeloctanten; dann werden durch concentrische Wände
Dermatogen und Innengewebe getrennt. Nach einer Reihe weiterer
Theilungen erhält der Embryo, indem die Kotyledonen als Hervorra-
gungen auftreten, eine schwach 3seitige Form, das Plerom sondert
sich vom Periblem (Fig. 29. T. III). Gleichzeitig hat sich auch der
Träger in eine Reihe kleiner Zellen getheilt. Die Membran der
Oberhaut des Embryos ist in Kali sehr stark quellbar und umgiebt
ihn dann als durchsichtige Hülle. Eine Wurzeihaube wird nicht ge-
bildet. Dass ein Vegetationskegel am entgegengesetzten Ende der
Axe, zwischen den Cotyledonen, gleichfalls fehlt, braucht nach der
Untersuchung der Samen hier bloss erwähnt zu werden.
Die Oberflächenzellen des Integuments besitzen bei fast reifen
Samen bräunliche Membranen, die stark verdickt sind, wenigstens an
der Oberfläche. Die innern Schichten des Integuments sind undeut-
lich geworden; während man sie bei frischen Präparaten noch
erkennen kann, sind sie bei solchen, die mit Kali behandelt wur-
den, fast gar nicht mehr zu unterscheiden; die Aussenzellen quellen
zunächst auf und werden dann auch, je nach dem Grad ihrer Reife,
mehr oder weniger zerstört. Die Zellen des Knospenkerns dagegen
sind sehr deutlich gegen das Integument abgesetzt, ihre Wände
stark verdickt, und mit Kali behandelt zeigen sie ganz das Aussehen,
welches p. 5. von der innersten Schicht der Samenschale beschrieben
wurde. Die Samen trennen sich von der Placenta, der Frucht-
knoten springt der Länge nach in einer Karpellnath auf und lässt
die Samen frei.
5. Resultate. Der Embryo von Streptocarpus (polyanthus),
von einer mehrschichtigen Samenschale, die theils als Integument,
theils als Knospenkern zu deuten ist, umschlossen, ist endospermfrei,
dikotyl, besitzt aber weder Wurzelanlage noch Endknospe. Nach der
Keimung brechen am Grunde des primären Stengelendes in grosser
Zahl endogene Adventivwurzeln hervor, Von den beiden Kotyledonen
22
stirbt der eine nach kurzem Wachsthum ab, der andere dagegen
vergrössert sich ausserordentlich und wird zu einem Laubblatt von mehr-
jähriger Lebensdauer. Am Stiele dieses einzigen Blattes, dessen Ge-
webe am Grunde im theilungsfähigen Zustande verharren, entstehen
zahlreiche Adventivwurzeln, während die am primären Stengelchen nach
der Keimung hervorgebrachten zugleich mit ersterem absterben; der
Blattstiel wird alsdann durch eine Korkschicht unten abgeschlossen.
Im Gewebe des Blattstiels sammelt sich Stärke an; das Blatt verhält
sich nun ganz wie ein Blattsteckling, indem es im zweiten Jahre
auf der Oberseite seiner Blattstielbasis in acropetaler Folge die
cymösen Blüthenrispen als Adventivsprosse hervorbringt, reich ver-
zweigte Inflorescenzen mit hellblauen Blüthen, die dem allgemeinen
Typus der Gesneraceen, speciell der Cyrtandreen, entsprechend
gebaut sind. Ebenfalls adventiv entstehen gleichzeitig oder meist
etwas später auf dem Blattstiel eine Reihe von Laubsprossen.
Diese Sprosse erheben sich als Meristemhügel über den Blattstiel-
grund und ihre Gefässbündel setzen sich mit dem freien Rande
der halbeylindrischen nach oben offnen Gefässbündelrinne in Ver-
bindung. Bei Str. Kexik sind die adventiven Blüthenstiele einblüthig.
Aus allen diesen Angaben, die im Verlauf unserer Arbeit speciell
begründet wurden, erhellt, wie viel Abweichendes die Entwicklung
von Streptocarpus (polyanthus) bietet, und wie sehr die Pflanze ver-
dient, unter den entwicklungsgeschichtlich bedeutenden eine hervor-
ragende Stelle einzunehmen.
Breslau, October 1878.
erannpne
ig. 10.
Elle
. 12.
„18.
. 14.
. 15.
„16.
Salt:
“18,
>19:
ig. 20.
Erklärung der Abbildungen.
Tafel 1.
Ansicht einer ganzen Pflanze in !% der natürlichen Grösse, mit
einem entwickelten Blüthenstand (B.) und einem Laubsprosse (L.).
Same, Längsschnitt. Die Kotyledonen erscheinen ungleich, weil der
Schnitt zwar dureh die Mittelaxe gegangen ist, aber nicht beide
Kotyledonen senkrecht auf ihre Fläche getroffen hat. 29%.
Same, Querschnitt. 200),.
Das primäre Stengelende. Längsschnitt. 200).
Adventivwurzel, Längsschnitt durch die Spitze, 200),.
Epidermis des wachsthumsfähigen Kotyledon. Parthievom Rande. 150/,.
Id. Parthie am Blattgrunde. 150).
Ganze Pflanze, etwa 3—4 Monate alt, nat. Gr.
Wurzel Querschnitt. G. Gefässtheil. S. Siebtheil. E. Endodermis.
h. R. hypodermes Rindenparenchym. 300).
Blatt, Querschnitt, in der Mitte die Korkschicht, welche die Spitze
des Blattes von dem Uebrigen abtrennt. 100/,.
Id, Ansicht von oben. 100),.
Tafel I.
Wurzelspitze, Längsschnitt. 300/,.
Blattstiel, Theil des Querschnitts. 200).
Theile des parenchymatischen Blattgewebes mit den ringförmigen
Verdiekungen. (S. Text S. 14.) 200).
Parthie des theilungsfähigen Gewebes aus dem Bilattstiel. 100),.
Streptocarpus Rezxü, primäres Blatt mit 3 Blüthen. 15.
Id. Längsschnitt. Die Reihenfolge der Blüthenstände ist in beiden
Figuren dieselbe. 3.
ld. Laubsprosse, Längsschnitt. ?/-
Str. polyanthus, Blüthenstand unentwickelt, Längsschnitt. 109.
Blüthe, Längsschnitt. F. Fruchtknoten h. D. hypogyner Discus,
P. Blumenkrone. C. Kelch. 5.
Fig.
Fig. 2
Fig.
Fig.
AL
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
24
Tafel II.
Blüthenschaft, Querschnitt. G. Gefässbündel. S. Sclerenchym. End.
Endodermis. C. Collenchym. Ep. Epidermis. 200).
Fruchtknoten, Querschnitt. #5),.
Ein Theil der den Fruchtknoten innen auskleidenden Membran. 300, .
Ovulum, Längsschnitt. I. Integument. K. Knospenkern. E. Embryo-
sack. #50).
Id. Querschnitt. 950.
Id. Späteres Stadium, 200),.
Id. Nach der Befruchtung. 250.
Die ersten Theilungen des Embryo. 300).
Embryo weiter entwickelt. C. Kotyledonen. 450/,.
Untersuchungen über die Entstehung
der adventiven Wurzeln und Laubknospen an
Blattstecklingen von Peperomia.
Von
Dr. Ernst Beinling.
Hierzu Tafel IV. und V.
ann
I. Historischer Theil.
Bringt man abgeschnittene Blätter gewisser Pflanzen, sogenannte
Blattstecklinge, entweder noch mit Blattstiel versehen, jedoch ohne
die an seinem Grunde sitzende Achselknospe, oder ohne Stiel, oder
auch nur Abschnitte eines Blattes in geeignete Verhältnisse, d. h.
in genügende Wärme, Feuchtigkeit und Licht, so sind sie oft im
Stande, adventive Wurzeln — Beiwurzeln nach Reinke') — und
in einigen Fällen auch Adventivknospen hervorzubringen und es wird
daher diese Eigenschaft in der gärtnerischen Praxis seit sehr langer
Zeit mit gutem Erfolg angewendet, um neue Pflanzenindividuen
entstehen zu lassen.
Diese Thatsache ward schon in der älteren gärtnerischen Litteratur
angeführt und F. Regel”) hat am Schluss seiner höchst verdienst-
vollen, im Botanischen Institut zu Jena angestellten Arbeit diese so
vollständig zusammengetragen, dass hier sie anzuführen zwecklos
wäre. Doch sind wissenschaftliche Untersuchungen über diesen
Prozess erst seit kurzer Zeit aufgenommen und können daher im
Hinblick darauf noch nicht allgemeine Gesetze gefolgert werden.
1) J. Reinke, Untersuchungen über Wachsthum und Morphol. der Phan.-
Wurzel. 1871, pag. 41.
2) F. Regel, Die Vermehrung der Begoniaceen aus ihren Blättern ete.
Jen. Zeitsch. f. Nat. 1576, pag. 477.
Man hat sich bei einer derartigen Untersuchung drei Fragen zu
stellen und zwar:
1) Wie verändern sich die Gewebe an und über der Schnitt-
‚fläche des Stecklings?
2) Wie entstehen die Beiwurzeln?
3) Wie entstehen die Adventivknospen?
. Abschluss der Schnittflächen. Die ersten Untersuchungen
ed die Veränderungen bei Stecklingen im Allgemeinen hat
H. Crüger') veröffentlicht. Verselbe kam zu dem Resultat, dass
in dem Gewebe, welches zunächst der Schnittfläche gelegen ist, eine
lebhafte Zellenbildung vor sich geht; der Steckling wird durch eine
Grenzschicht von aussen abgeschlossen: „man kann diese Zellen-
bildung als den ersten Schritt zur Individualisirung des Pflanzen-
theils bezeichnen, mit dem man experimentirt.“ Cambium, Rinden-
und Holzparenchym und Mark sind obiger Veränderung fähig; auch
schrieb Crüger jungen Spiralgefässen diese Fähigkeit zu, was
R. Stoll?) bezweifelt und ich nach eigenen Untersuchungen eben-
falls als unrichtig bezeichnen muss.
„Die ersten Gefässzellen (oder Gefässschläuche, wie Crüger
sie weiter nennt) bilden sich im Cambium, sie sind weder in unmittel-
barer Berührung mit alten Gefässen, noch ist es nöthig, dass sie
sich später mit diesen verbinden.“ Kallus wird an der Schnitt-
fläche nicht erzeugt.
Genauere und ausgedehntere Untersuchungen verdanken wir
Stoll)
Er kommt zu dem Resultat, zwei Hauptgruppen von Stecklingen
machen zu müssen: „zu der einen gehören solche Pflanzen, die keinen
eigentlichen Kallus (Gewebswucherung an der Schnittfläche) bilden,
sondern bei denen sich dicht über der Schnittfläche des Stecklings
eine derselben parallele Korkschicht differenzirt, die die Gewebe
abschliesst; zu der zweiten Gruppe gehören jene, deren Schnittfläche
durch einen aus derselben gebildeten Kallus von mehr oder weniger
bedeutender Entwickelung geschlossen wird.“
An der Bildung des Kallus können sich je nach den verschiedenen
Pflanzen alle Gewebe, ausgenommen die Holz- und echten Bastzellen
!)H. Crüger, Einiges über die Gewebsveränderungen bei der Fort-
pflanzung durch Stecklinge. Bot. Ztg. 1860, pag. 369.
2) R. Stoll, Ueber die Bildung des Kallus bei Stecklingen. Bot. Ztg.
1374, No. 46.
3) R. Stolll. c.
27
und Epidermiszellen betheiligen, wobei jedoch der erste Anstoss zur
Bildung von Kallus immer vom Cambium ausgeht.
R. Stoll’s im Bot. Laboratorium zu Leipzig gemachte Unter-
suchungen beziehen sich auf Zweigstecklinge, die auch Crüger
theilweise zur Besprechung dieser Vorgänge benützt hatte.
Speeielle Untersuchungen über das Verhalten der Blattsteeklinge
sind zuerst von P. Magnus!) angestellt worden. Derselbe fand
bei Untersuchung von in feuchte Erde gesteckten Blättern von
Hyacinthus orientalis, dass die Parenchymzellen der daselbst befind-
lichen Blatttheile durch Wachsthum anschwellen und sich darnach
durch successive Zelltheilung in ein Fächerwerk von Zellen theilen, wie
auch die Epidermiszellen es thun. „Die Richtung des Wachsthums
der Zellen der Epidermis und der darunterliegenden Parenchym-
schicht findet vorzugsweise senkrecht zur Blattfläche statt und thei-
len sich dieselben durch zahlreiche Quer- und spärliche Längs-
theilung, wodurch sie sich zu hier und da verdoppelten Zellreihen
entwickeln, die auch mehr oder minder senkrecht zur Blatt-
fläche gestellt sind.“ Späterhin theilen sich auch die inneren
Parenchymzellen in zahlreiche Zellen, die sich zu einem beträchtlichen
Theile in spiralig- bis ringförmig verdickte Leitbündelzellen (die
Gefässschläuche Crügers) umbilden, welche zu einem mannigfaltig
knorrig gewundenen Gefässbündel zusammenfliessen, das hier und da
mit dem Gefässbündel des Blattes anastomosirt. Es wird also durch
mehrfache Theilung der Epidermis- und der innern Parenchymzellen
ein Abschluss nach Aussen hergestellt. In wie weit die Gefäss-
bündel des Blattes bei diesem Abschluss betheiligt sind, sagt uns
P. Magnus in seiner Mittheilung nicht.
Ueber das Verhalten der Blattstecklinge und besonders der von
Begoniaceen giebt uns F. Regel”) Aufschluss. Es wird hier, wie
bei krautartigen Zweigstecklingen (R. Stoll) kein Kallus gebildet,
es schwellen die über der Schnittfläche gelegenen Gewebe an, die
Zellen derselben theilen sich vielfach in Tochterzellen und es wird auf
diese Weise ein fester Abschluss als ein „Wundkork“ hergestellt,
besonders begünstigt durch die Bildung von schraubig verdickten
Leitbündelzellen, die sich oft in grossen Nestern zusammenfinden,
Es sind bei der über der Schnittfläche sich bildenden Anschwellung
des Blattstieles oder der Spreite betheiligt besonders die Epidermis,
1) P. Magnus, Bot. Verein d. Prov. Brdbg. 30. Mai 1873.
2) F. Regell. c.
28
das Collenchym (beim Blattstiel), das Grundgewebe und die Cambial-
zone des Gefässbündels. Ausserdem erzeugt die Epidermis, ehe die
Beiwurzeln erscheinen, in der Nähe der Schnittfläche zahlreiche
wurzelhaarähnliche Trichome. Regel schreibt ihnen die Functionen
der Wurzelhaare wohl nicht mit Unrecht zu. Nicht allein die
Epidermiszellen des Blattstiels, sondern auch die der Blattspreite
auf der Unterseite an den durchschnittenen Stellen der Nerven
erzeugen derartige „Pseudowurzelhaare.“
Die früher erwähnten Autoren führen dieses in ihren resp.
Arbeiten nicht an.
Schliesslich ist die Arbeit von $. Arloing!) zu nennen. Er
brachte Stecklinge von Caeteen in Erde und fand bei der Unter-
suchung, dass die Schnittfläche an ihrem Rande durch Umbildung
der Hypodermzellen in Kork zuheilte, es wurden so alle Zellgewebe
des äussersten Endes des Stecklings mit einer Korkschicht bedeckt.
Ebenso verhielten sich auch Abschnitte von Cacteenzweigen, die
eine Zeit lang an der Luft lagen. In letzterem Falle trocknen
ausserdem noch die Parenchymzellen von der Schnittfläche durch
Wasserabgabe ein, wodurch die Gefässbündel deutlich an der Schnitt-
fläche hervortreten. Nachdem der Steckling gepflanzt ist, wird das
äusserste Ende des Gefässbündels zerstört und vom Cambium aus
wird ein Peridermgewebe gebildet, welches das Gefässbündel von
Aussen verschliesst. Aber ein eigentlicher Kallus wird bei den
Cacteenstecklingen nicht erzeugt, nur selten hat S. Arloing eine
derartige Bildung beobachtet; er glaubt, dass sie zum Gedeihben des
Stecklings nicht nöthig sei.
Aus allen diesen Beobachtungen gehthervor, dass das erste Bestreben
des von der Mutterpflanze abgetrennten Pflanzentheils ist, die Schnitt-
fläche von Aussen abzuschliessen. Dieses geschieht bei krautartigen
Zweigen und bei Blattsteeklingen durch zahlreiche Theilung der
Zellen verschiedener über der Schnittfläche gelegenen Gewebe. Aus-
genommen die Holz- und echten Bastzellen, betheiligen sich an
dieser Bildung alle Gewebe des Stecklings; darauf folgt gewöhn-
lich Korkbildung (Wundkork). Oder es bildet sich, namentlich
bei verholzten Zweigstecklingen und bei einigen Blattsteeklingen
(Gloxinie) Kallus, der, wie der Kork ebenfalls die Schnitt-
fläche vor schädlichen Einflüssen von Aussen schützen soll. Ausser-
dem werden im lockeren Parenchymgewebe der Blattstiele und des
1)S. Arloing, Recherches anatomiques sur le bouturage des Cactees,
Ann. sc. nat. Avril 1877, 47 an. VI. serie No. 1.
29
Blattes zahlreiche, oft in Nestern zusammenliegende schraubig ver-
dickte Leitbündelzellen (Gefässschläuche) gebildet, die entweder
mit dem Gefässbündel des Stecklings in Berührung treten oder
auch nicht.
2. Entstehung der Beiwurzeln. J. Reinke') berücksichtigt
ihre Entstehung nur mit wenigen Worten. Wurzeln bilden sich
immer endogen. Am Stamme entstehen Wurzeln entweder aus dem
Interfascicularcambium oder an den Gefässbündeln, letzteres ist der
häufigere Fall.
Nach F. Regel?) erfolgt bei den Begoniaceen die Anlage ent-
weder „seitlich an einem der dem peripherischen Kreise angehörigen
Gefässbündel und zwar in dessen Cambialregion unter Betheiligung
der das Bündel gegen das übrige Parenchym angrenzenden Zell-
schicht“ oder es entstehen Wurzeln auch allein aus dem Inter-
fascicularcambium. Der letzte Fall wurde bei Zweigstecklingen von
Begonia argyrostigma beobachtet. Bei Veronica Beccabunga L.
und ZLysimachia Nummularia L. wurde von Regel die Anlage vor
dem Gefässbündel in der „Strangscheide* und einer unter dieser
befindlichen (dem Pericambium der Nebenwurzeln vergleichbaren)
Zellreihe und bei Hedera Helix L. „an der Seite eines Fibrovasal-
stranges aus dem Cambium und den an dieses stossenden Parenchym-
zellen“ gefunden.
H. Berge hat in seiner Entwickelungsgeschichte von Bryophyllum
calycinum?) der Entstehung von Wurzeln an auf feuchten Sand
gelegten Blättern gedacht. Wie bei allen „Blattstecklingen“ brechen
auch hier die Wurzeln vor dem Erscheinen der jungen Adventiv-
knöspchen nach Aussen hervor. Ueber die Entstehung der Wurzel
sagt Berge: „Trotz der frühzeitigen Bildung des Knöspchens am
Mutterblatte scheint die erste Wurzel doch nicht aus Theilen des
Bildungsgewebes zu entstehen, sondern vielmehr aus dem dem
Blattrande nahe liegenden Cambium, oder wenigstens aus der diesem
seitlich unmittelbar angrenzenden Partien hervorzugehen, worauf
auch oft der Verlauf der Gefässstränge an jener Stelle hindeutet.*
Nach S. Arloing erscheinen an den Stamm- und Zweigsteck-
lingen der Caciteen zwei Arten von adventiven Wurzeln.
Einmal entstehen Wurzeln an den innern Gefässbündeln des
Stammes d. h. an denen, die, im Kreise stehend, einen geschlossenen
1) J. Reinke, |. c. pag. 41.
2) F. Regel, ]. c. pag. 489.
®) H. Berge, Beitr. z. Entw. von Bryophyllum calyeinum. Zürich 1877, pag. 18.
30
Ring bilden. 8. Arloing nennt diese Art von Wurzeln ‚racınes
adventives ordinaires.“
Die zweite Art von adventiven Wurzeln erscheint an den Gefäss-
bündeln, die zerstreut im Mark liegen, sie werden als ‚racines
adventives heterotopiques“ bezeichnet. In ihrem Ursprung, wie in
der Bildung und Weiterentwickelung unterscheiden sie sich aber nicht
von einander. Arloing führt nur an: „die einzige, durchaus noth-
wendige Bedingung zur Entstehung einer adventiven Wurzel ist die
Gegenwart einer erzeugenden Gewebsschicht,“ also des Cambiums.
Wir sehen also nach den Beobachtungen der angeführten Autoren,
dass die adventiven Wurzeln am Stamm oder Blatt in der Cambial-
region des betreffenden Gefässbündels entstehen, dass eine erzeugende
Schieht (Cambium) immer vorhanden sein muss (ausser dem von
F. Regel beobachteten Fall von Veronica und Lysimachia) und dass
mehr oder weniger die an das Cambium stossenden Theile des Ge-
fässbündels an der Bildung einer Wurzel Theil nehmen können.
Noch zum Schluss will ich eine interessante Notiz von Carriere!)
hinzufügen. Nicht allein aus Stamm, Wurzel, Blättern, also den
vegetativen Organen können Wurzeln entstehen, sondern auch die
zur Fruchtbildung dienenden Organe können Wurzeln erzeugen.
Carriere fand an zwei Früchten von zwei in Töpfen gezogenen
Exemplaren von Zilium speciosum Sieb. (L. lancifolium Hort.)
an ihrer Basis je zwei Wurzeln. Eine nähere Untersuchung hat
Carriere leider nicht angestellt. Auch ist bekannt, dass Blüthenstiele
von Primula in Sand gesteckt Wurzeln treiben, wie ich dies auch
von Echeveria (Crassulaceae) bestätigen kann.
3. Entstehung der Adventivknospen am Blatt. Erst durch
die Untersuchungen von P. Magnus?) und F. Regel?) wissen
wir Näheres über die hier stattfindenden Vorgänge, in Folge dessen
sind auch die Angaben von Sachs*) und Hofmeister’) in
mancher Beziehung berichtigt. Beide, Magnus wie Regel, fanden,
dass auf den Blättern einiger Pflanzen (Ayacinthus, Lilium und
Degonia) die Adventivknospen nicht endogen, wie dies Sachs
und Hofmeister bei Degonia annehmen, sondern exogen entstehen.
F. Regel sagt: „Die Anlage sämmtlicher beobachteter Knospen
1) Carriere, Revue horticole. 1877, No. 11. pag. 207.
2) P. Magnus, Bot. Ver. d. Pr. Brdbg. 30. Mai 1873, pag. 6.
3) F. Regel, l. ec. pag. 483 u. 469.
4) Sachs, Lehrb. d. Bot. IV. Aufl. pag. 175 ff.
5) Hofmeister, Allg. Morph. d. Gew. 1868. pag. 423.
31
(nämlich an Degonia-Blättern) waren niemals endogen, vielmehr stets
exogen“ und weiter: „die Zwiebelchen auf der Innenfläche der
Schuppen von Zilium auratum entstehen gleichfalls aus ganz peri-
pherischen Gewebetheilen“ und nach Magnus') entstehen ebenfalls
bei Hyacinthus die Sprosse aus den durch Wachsthum und Theilung
umgewandelten peripherischen Zellen des Blattgewebes, während er
schon vor dem Erscheinen der Regel’schen Arbeit in einer Notiz
erwähnt, dass „an der Schnittfläche der Blattstiele von einer Degonia-
Art oberflächliche Adventivknospenbildung vorkomme.“
Vor Magnus und Regel war wohl v. Mohl?) der erste, der
auf die exogene Entstehungsweise von Adventivknospen am Stamme
von Degonia phyllomaniaca Mart. aufmerksam machte. Aber nicht
allein am Stamme, sondern auch auf dem Blattstiel und der Spreite
dieser merkwürdigen Pflanze selbst entstehen ohne künstliche An-
regung Blättchen und Knospen. Die von mir eingehend untersuchte
Entstehungsweise dieser oberflächlichen Gebilde stimmt vollkommen
mit der von F. Regel beschriebenen überein und kann ich nichts
neues hinzufügen.
Auch T. Caruel°) bespricht in einem Aufsatze die Umwandlung
von Begonia-Haaren in Knospen. Verlot 1863 und Hooker 1864
sollen diese zuerst beobachtet haben, was jedoch nach dem oben
gesagten schon v. Mohl 1858 gethan hatte. Caruel fand besonders
am Blattstiel die Haare und die Schuppen an der Basis verdickt, und
oberhalb dieser Verdiekung verbreiteten sie sich oft zu einem
vollständig ausgebildeten kleinen Blatte. Es stehen oft mehrere
zusammen und bilden so eine wirkliche Knospe, die abfallen und zu
einer neuen Pflanze werden kann. Caruel meint, dass jede Zelle
für sich zur Grundlage einer Knospe werden kann, was durch
Regel’s und meine Untersuchungen bestätigt ist.
An dieser Stelle will ich mir erlauben, Sir J. D. Hooker in
Kew für die auf Ersuchen des Herrn Prof. Cohn erfolgte zwei-
malige Uebersendnng von Degonia phyllomaniaca Mart. meinen
wärmsten Dank auszusprechen.
Exogenen Ursprungs sind auch die in den Blattkerben der
Blätter von Dryophyllum calycinum auftretenden Adventivknospen
1) P. Magnus, |. c. pag. 6.
2) H. v. Mohl, Bot. Ztg. 1858, No. 27.
3) T. Caruel, Nota su di una transformazione di peli in gemme. (Nuov.
giornale bot. Ital. 1875 pag. 212—294.) Vergl. Bot. Jahresbericht, 1875 pag. 532.
32
nach einer jetzt von H. Berge!) durch eine ausführliche Uhnter-
suchung bestätigten Angabe Hofmeisters?).
Durch diese, allerdings wenigen Angaben, könnten wir zur An-
nahme berechtigt sein, dass die auf Blättern und Blattstielen auf-
tretenden Adventivknospen exogenen Ursprungs sind, jedoch giebt es
nach der von Regel’) so sorgfältig gesammelten Zusammenstellung
noch sehr viele Fälle, wo Knospen an Blättern entstehen, die einer
Untersuchung bedürfen, so dass wir daher die Frage offen halten
müssen.
Von meinem hochverehrten Lehrer, Herrn Prof. Dr. Ferd. Cohn,
aufgefordert, nahm ich unter seiner Leitung im pflanzenphysiolo-
gischen Institut an der Universität Breslau eingehende Studien über
Wurzel- und Adventivknospen-Bildung bei Blattstecklingen von Pflan-
zen aus verschiedenen Familien vor. Diese Arbeit wurde begonnen
noch ehe uns die Untersuchungen von Regel über das nämliche
Thema bekannt waren; in Folge dieser Arbeit sollen hier nur die
Vorgänge an der Gattung Peperomia aus der Familie der Piperaceen
beschrieben werden.
Ehe ich jedoch zum eigentlichen Thema übergehe, ist es nöthig,
sich über die Anatomie der Laubblätter und über das
Wachsthum der Wurzel von Peperomia Ruiz. et Pav. zu
orientiren.
Es wurden folgende vier Species gewählt:
1) Peperomia peltiformis, Hort.
2) marmorata Hook. fil.
3) 5 resedaeflora Lind. et Andre.
4) N rubella Hook.
und mit diesen Versuche in Betreff der Erzeugung von Wurzeln und
Knospen an ihren Blättern angestellt.
II. Anatomie der Laubblätter und Wurzeln von Peperomia Ruiz. et Pav.
1. Der Blattstiel. Die Querschnitte der Stiele der vier unter-
suchten Species zeigen verschiedene Formen. P. peltiformis
zeigt einen kreisrunden (Taf. IV. Fig. 1.), P. marmorata einen etwas
platten und mit zwei Flügeln versehenen (Taf. IV. Fig. 2.), P. resedae-
He Berse, le page.
2) Hofmeister, 1. ec. pag. 422.
8) F.'Regel;l. ce. page. 477 E
33
‚flora einen schwach nierenförmigen (Taf. IV. Fig. 3.) und P. rubella
einen halbkreisförmigen Blattstiel. (Taf. IV. Fig. 4.)
Die Epidermis ist einschichtig; ihre einzelnen Zellen sind bei
P. peltiformis und P. marmorata so lang als breit und meist vier-
eckig, tragen nie Haare, nur papillenartige Drüsenköpfehen, welche
einzellig und mit stark verdickter Wandung!) auf einer kleineren
Epidermiszelle aufsitzen, aber selten über die Epidermis hinausragen.
Bei P. resedaeflora und P. rubella sind die Zellen der Epidermis
mehr konisch gestaltet, nach aussen stark gewölbt mit gleichen Drüsen-
köpfehen, aber ausserdem noch viele kurze spitze ein- oder zwei-
bis mehrzellige Haare tragend auf breiter Basis und mit verdickter
- eutieularisirter Wandung. Während bei P. peltiformis und P. mar-
morata die Aussenfläche der Epidermiszellen mehr oder weniger
eutieularisirt ist, tritt dies bei den anderen beiden Species in noch
stärkerem Maasse hervor.
Der Inhalt ist farblos, einige Zellen, jedoch nicht zu häufig, ent-
halten Oel und das den Piperaceen eigene Alcaloid, Piperin, der
Inhalt ist dann gelb gefärbt. Spaltöffnungen fehlen bei allen Species.
Auf die Epidermis folgt das schön ausgeprägte Collenchym
und zwar bei P. marmorata, resedaeflora, rubella ein bis drei,
bei P. peltiformis fünf bis sieben Zellreihen stark.
Im Querschnitt poly@drisch, im Längsschnitt länglich, oft sehr
lang im Verhältniss zur Breite, enthalten die Zellen entweder gemein-
schaftlich Chlorophyll, Stärkekörner und schöne Krystalle von
oxalsaurem Kalk (entweder in Drusen oder prachtvolle Octaöder)
oder jedes für sich allein; ausserdem tritt hier ein rother, gelöster
Farbstoff (Erythrophyll) meistens in einer nicht unterbrochenen
Zellreihe auf. In einigen Zellen ist auch Piperin enthalten.
Den grössten Theil des Blattstieles nimmt grosszelliges Parenchym
oder Mark ein. Dünnwandig, rundlich mit Intercellularräumen,
zeigen die Zellen den nämlichen Inhalt wie oben. Der rothe Farb-
stoff ist gewöhnlich in den an das Collenchym stossenden Zellen
enthalten, ausserdem in einzelnen Zellen am Gefässbündel.
Die Zahl der Gefässbündel (Taf. IV. Fig. 1, 2, 3 u. 4, gf.)
ist bei den verschiedenen Species verschieden, dann aber bei einer
Art gewöhnlich constant. So besitzt der Blattstiel von P. marmorata
entweder immer 3 oder 5, von P. rubella immer 3, und zwar zwei nach
1) Im jugendlichen Alter ist die Wandung zart. Siehe de Bary, Vergl.
Anatomie der Vegetat. etc. pag. 69.
Cohn, Beiträge zur Biologie der Pflanzen. Band III. Heftl, 3
34
der unteren, platten und das dritte nach der convexen Seite des
Stieles zu; bei P. resedaeflora stehen gewöhnlich vier im Kreise,
ein fünftes eentrales einschliessend, während bei P. peltiformis
sechs bis acht Gefässbündel um ein centrales stehen.
Die Gefässbündel zeigen, wie die Nervatur des Blattes, einen
monocotylen Typus; sie stehen isolirt und sind in gewöhnlichen Ver-
hältnissen nie durch Interfaseieularcambium verbunden; wir haben
hier also geschlossene Gefässbündel.
Der einzelne Fibrovasalstrang zeigt auf der Innenseite
Xylem (Taf. V. Fig. 2 x.), dünnwandiges Holzparenchym mit Ring-
und Spiralgefässen, und nach der Peripherie des Blattstieles zu Phlo&m.
(Taf. V. Fig 2 ph.)
Was Weiss!) von den Gefässbündeln des Stammes der von ihm
untersuchten Peperomien sagt, gilt auch von denen des Blattstiels.
Die an das Cambium anstossenden Zellen sind klein, selten verdickt;
es ist dies der dünnwandige Bast (Taf. V. Fig. 2 1b.) oder nach
Sanio?) die Leitzellen, während die nach der Aussenseite des
Bündels zu liegenden Phloöm-Zellen weitmaschiger als die vor-
hin erwähnten und auch meistens verdickt sind (Taf. V. Fig. 2 db.).
Die Verdiekung der Wandung dieser Bastzellen ist nicht gleich-
mässig, fast immer collenchymatisch, wie dies Weiss?) auch bei
einigen Peperomien-Arten im Stamme gefunden hat. Durch Be-
handlung mit Kali tritt diese Verdickung besonders schön hervor
und zeigt dann die Verschiedenheit von den „Leitzellen,“ dem dünn-
wandigen Bast, sehr deutlich.
Dieser dünnwandige Bast ist eigentlich in seiner Entwicklung
stehen geblieben; Hildebrand*) legte dem ganz ähnlichen Bast
der Begoniaceen den Namen „Hemmbast“ zu, welcher hier ebenfalls
angenommen werden kann. Im Längsschnitt zeigen beide Bastarten
langgestreekte, prosenchymatische Zellen. Zwischen Xylem und
Phloöm finden wir das in vielen Fällen schon in Dauergewebe über-
gegangene Cambium. Abgegrenzt wird das Gefässbündel gegen
das Parenchymgewebe des Stieles durch eine Gefässbündel-
scheide (Taf. V. Fig. 2 gs.), kenntlich an der das ganze Bündel
umgebenden, einzelligen Reihe von kleineren Zellen, die hier besonders
1) J. E. Weiss, Wachsthumsverhältnisse und Gefässbündelverlauf der
Piperaceen; Flora 1876, No. 21.
2) C. Sanio, Ueber endogene Gefässbildung. Bot. Ztg. 1864. 27—50.
3) J. E. Weiss, l. c. pag. 328.
4) T. Hildebrand, Anat. Unters. über die Stämme der Begoniaceen.
1859. pag. 22.
35
stark mit Amylumkörnern, Krystallen von oxalsaurem Kalk und
gelöstem rothem Farbstoff oft erfüllt sind.
2. Die Blattspreite. DieEpidermis der Oberseite (Taf. IV.
Fig. 5 eo.) ist bei allen vier untersuchten Species mehrschichtig
und zwar folgen nach der äussersten, (Taf. IV. Fig. 5, oeo.) klein-
zelligen noch 2—3, auch 7 (bei P. rubella) Reihen, deren Zellen
viel länger als breit sind. Die Epidermiszellen bei P. marmorata
treten papillenartig an der Oberfläche hervor, wodurch der Blatt-
fläche ein etwas sammetartiges Aussehen verliehen wird. Spalt-
öffnungen kommen auf der Oberseite nicht vor.
Haare sind nur bei P. resedaeflora und P. rubella auf der Ober-,
wie Unterseite in grosser Anzahl vorhanden, sie gleichen denen des
Blattstieles vollkommen. Aber bei allen vier Species treten eben-
falls in grosser Anzahl die schon beim Blattstiel erwähnten einzelligen,
papillenartigen Drüsenköpfchen (Taf. IV. Fig. 5 d.) auf, bei denen ent-
weder der Inhalt, oder auch die Zellwand braun gefärbt ist. Von einem
solchen Köpfchen gehen die Wände der anstossenden Epidermis-
zellen strahlenförmig aus (d. h. in der Flächenansicht). Der Inhalt
der Epidermiszellen ist farblos, ausser einigen Zellen, welche Piperin
enthalten und dann abgerundet sind, im Gegensatz zu denen mit
farblosem Inhalte, deren Wände mit scharfen Ecken aneinanderstossen.
Der Epidermis folgt nun die Pallisadenschicht (Taf. IV.
Fig. 5, p.), deren Zellen in einer Reihe stehend, doppelt so lang
als breit, an die Epidermiszellen flach anstossen, gegen das Blatt-
parenchym abgerundet sind und in dieses hineinragen. Diese Schicht
setzt sich durch das ganze Blatt über die Gefässbündel hinweg
ununterbrochen fort.
Als Inhalt zeigen sich, und zwar immer, Chlorophyllkörner, un-
regelmässig gelagert, und eine so grosse Anzahl von Amylumkörnern,
dass nach Behandlung mit Jod die Schicht sieh als eine tiefschwarze
Linie darstellt. Ausserdem kommen noch in reichlicher Anzahl
schöne Drusen und Einzel-Krystalle von oxalsaurem Kalk vor.
An die Pallisadenschicht sieh anschliessend folgt das Blatt-
parenchym oder das pneumatische Parenchym (Taf. IV.
Fig. 5, pp.).
Die Anzahl der Reihen ist nach den Species verschieden, inner-
halb einer Species jedoch meistens constant.
Die Zellen zeigen eine rundliche Gestalt und lassen grosse mit
Luft erfüllte Intereellularräume zwischen sich, wodurch das Blatt
auf der Fläche weisse Stellen zeigt und deshalb eine besonders
dadurch ausgezeichnete Speeies mit ‚„‚marmorata‘“ bezeichnet wurde.
3*+
36
Der Inhalt besteht aus den schon oft erwähnten Stoffen, wie
Chlorophyll, Amylum, oxalsaurem Kalk und rothem gelösten Farb-
stoff (Erythrophyli), letzterer namentlich bei P. resedaeflora und
P. rubella. Ausserdem enthalten einige Zellen wiederum Piperin.
Abgeschlossen wird das Blatt nach unten von der Epidermis
der Unterseite (Taf. IV. Fig. 5, eu.), deren Zellen rundlich, oft
breiter als lang, bei P. marmorata ebenfalls wie auf der Oberseite
papillenartig hervorragen,
Spaltöffnungen (Taf. IV. Fig. 5, sp.) treten auf der Unterseite
des Blattes in grosser Anzahl zerstreut, nie in Gruppen, in gewöhn-
licher Form auf, deren Schliesszellen Chlorophylikörner enthalten.
Der Inhalt der Epidermiszellen der Unterseite ist farblos, nur hin
und wieder ist eine Zelle mit Piperin erfüllt. Das bei Besprechung
der Haare und Drüsenköpfchen des Blattstieles und der Blattoberseite
angeführte gilt auch von denen der Unterseite.
Aus dem Blattstiel treten in die Spreite die Gefässbündel
immer direct in derselben Anzahl hinüber, die im Stiele vorhanden
ist. Immer ist ein Mittelnerv, der deutlich an der Spitze des
Blattes endigt, vorhanden; die übrigen Hauptnerven (bei P. pelti-
formis 6—8, bei P. marmorata 2—4, bei P. resedaeflora 4—6,
und bei /. rubella 2) gehen vom Blattstiel strahlenförmig, vom
Mittelnerv aus in convexem Bogen, ins Blatt über, um an der Spitze
des Blattes zusammenzustossen, wodurch wir einen monocotylen
Typus erbalten. Seitennerven kommen bis zum dritten Grade vor
und anastomosiren. Auf der Unterseite des Blattes treten die Ge-
fässstränge deutlich hervor.
Das einzelne Getässbündel zeigt denselben Bau wie das des
Blattstieles, das Xylem ist nach der Pallisadenschicht, also nach der
Oberseite des Blattes und das Phloöm nach der Unterseite zuge-
kehrt. Die dem Gefässbündel gegenüberliegende und an die Epidermis
der Unterseite anstossende Zellreihe des Blattparenchyms ist bei allen
Species collenchymatisch verdiekt (Taf. IV. Fig. 5, coll.), wodurch
das sichtliche Heraustreten der Gefässbündel an der Unterseite
verstärkt wird. Zwischen Gefässbündel und der Epidermis der
Unterseite liegen gewöhnlich zwei bis fünf Zellreihen des Blatt-
parenchyms.
3. Wachsthum und Anatomie der Wurzel. Der Vege-
tationspunkt der Wurzelspitze zeigt drei Histogene. Wir haben
ein centrales Plerom (Taf. V. Fig. 2, pl.), aus 8—11 Zellreihen
bestehend, deren Zellen länger als breit, prismatisch sind. Umgeben ist
das Plerom vom Periblem (Taf. V. Fig. 2, pi.), aus 5—8 Zellreihen,
37
deren Zellen, wenn nicht kubisch, so doch fast isodiametrische Form
besitzen. Umhüllt werden beide Gewebsformen von der Epidermis,
die, einschichtig, grosse breite Zellen aufweist, meistens jede Zelle
mit einem grossen Oeltropfen als Inhalt. Entstanden ist die
Epidermis aus dem Dermatogen (Taf. V. Fig. 2, de.), welches
gleichmässig die Wurzelspitze umgiebt.
An der Spitze befindlich ist die Wurzelhaube (Taf. V. Fig. 2, wh.),
vom Dermatogen sich ergänzend.
* Die Entwicklungsgeschichte der Wurzel der Peperomien ist
die nämliche, wie die der Piperaceen.
Ev. Weiss!) hat in seiner schon eitirten Arbeit diese eben-
falls in kurzem berücksichtigt und lasse ich, da ich nur gleiches
gefunden habe, seine Ausführungen hier folgen:
„Die Wurzelhaube wird von der Epidermiszelle aus ergänzt,
selbst in den Regionen noch, wo die Wurzelhaube nur mehr aus
2—3 Zellreihen besteht, also verhältnissmässig schon ziemlich ent-
fernt vom Scheitel. Die Epidermiszellen theilen sich durch eine
tangentiale Wand in zwei ungleich grosse Zellen, von welchen
die äussere die kleinere ist; in der so abgeschnittenen Wurzel-
haubenzelle tritt alsbald eine radiale Wand ein.
Oft kann man bei zwei nebeneinanderliegenden Epidermis-
zellen in der einen erst die tangentiale Wand erkennen, während
in der anderen bereits auch die darauffolgende radiale aufge-
treten ist.
Sobald eine Wurzelhaube nicht mehr vorhanden ist, begin-
nen die Epidermiszellen sich auszustülpen und bilden so die
Wurzelhaare. Diese Ausstülpungen werden von der Oberhaut-
zelle nicht durch eine Scheidewand getrennt.“ —
— „Collenchym und Mark bilden sich in centrifugaler,
Innen- und Aussenrinde in centripetaler Richtung aus. Die
Zellen des Procambiums gehen in Dauerzellen über, indem die
Theilung durch radiale und tangentiale Längswände zuerst in
den Pericambiumzellen und darauf von hier nach innen und
entsprechend der Ausbildung der Gefässe in seitlicher Richtung
erlischt. Innerhalb des Phlo&ms tritt zuerst Reihencambium
auf, dessen Bildung seitlich rechts und links fortschreitet." —
„Bei der Peperomien-Wurzel sind die Gefässe allein ver-
holzt, wie auch im Stamm.“
N) J. Ev. Weiss |. c. pag. 359 ff.
38
III. Die Neubildungen an den Blattstecklingen von Peperomia.
Es wurden zum Zwecke der Untersuchung von den pag. 32 ange-
führten vier Speeies theils ältere, theils jüngere Blätter von kräfti-
gen Mutterpflanzen geschnitten und zwar entweder unverletzte Blät-
ter mit Blattstielen, deren Längen variirten (bis zu 15 "=.) oder
Blätter mit Stielen, deren Spreite 4—6 ""- über dem Stiel durch-
schnitten waren oder endlich nur Stücke von Blattspreiten von ver-
schiedener Grösse. Es wurden noch Neubildungen an Blattstücken
von 50" "m. erzeugt. Zum Versuche diente ein heizbarer mässig
grosser Kasten mit Satteldach, wie sie im Pflanzenphysiologischen
Institut zu Keimversuchen dienen. Der Einsatz des Kastens war
mit Sand gefüllt, in welchen die Blätter unmittelbar nach dem Schnei-
den gesteckt wurden. Dieses Sandbeet war von Wasser umgeben,
welches beliebig erhitzt werden konnte; hier wurde gewöhnlich eine
constante Temperatur von 30° C. unterhalten.
Nach kurzer Zeit, 2—4 Tagen, wurden die Schnittflächen braun,
der Blattstiel und das Blatt schwollen über der Schnittfläche an;
bald, nach 4—6 Tagen, brachen aus den Schnittflächen und zwar
immer in unmittelbarer Nähe der Gefässbündel Wurzeln hervor;
ausnahmsweise auch durch die Epidermis des Blattstieles über der
Schnittfläche, aber nie wurde die Epidermis des Blattes
von einer Wurzel durchbrochen. Bei Pep. peltiformis und
Pep. resedaeflora, die im Blattstiel ein centrales Gefässbündel besitzen,
wurde an diesem nie eine Wurzelbildung beobachtet, es erzeugten
sich Wurzeln nur an den Gefässbündeln der Peripherie und zwar
dann an allen, oft traten sogar zwei Wurzeln an einem Gefässbün-
del auf. Die nun hervorgebrochenen Wurzeln zeigten ein freudiges
Wachsthum und verzweigten sich vielfach. Haben die Wurzeln eine
gewisse Länge erreicht, so bemerkt man ungefähr nach 10—14 Tagen
und wiederum nur an der Schnittfläche kleine, mit blossem Auge
wahrnehmbare Hügel (Taf. IV, Fig. 8, hg.), deren helle weissgelbe
Farbe grell gegen die sechmutzigbraune der Schnittfläche zwischen
den Wurzeln absticht. Die Gestalt dieser Hügel ist erst eine halb-
kugelförmige, bald aber strecken sie sich zu Kegeln und wachsen
schliesslich weiter aus, jedes zu einem Blatte, das die Form des
der Mutterpflanze besitzt und an dessem Grunde ein Knöspchen zum
Vorschein kommt. Die Anzahl dieser Hügel ist meistens eine sehr
grosse (bis zu fünfzehn Hügel wurden einmal gezählt); sie erscheinen
nicht zu gleicher Zeit, sondern zeigen verschiedenes Alter. Aus allen
Hügeln werden aber nicht immer Pflanzen; selten ist es, wenn mehr
39
als drei junge Pflänzchen am Blatte ausgebildet werden. Die
Hügel kommen nur an der Schnittfläche am Stiel (wieam
Blatt) zum Vorschein.
Die Anordnung der Wurzeln und der Knospen an der Sehnitt-
fläche des Blattstieles ist derart, dass nach aussen zu die Wurzeln
in einem Kreise stehen; von diesen umrahmt oder auch zwischen
ihnen entstehen im Innern der Schnittfläche die Knospen. An den
Schnittflächen der Spreite entstehen immer eine oder zwei Wurzeln
an je einem Gefässbündel und seitlich von diesem erscheint später
die Knospe.
Kallus wird nicht erzeugt').
Wie bei Begonien, Gloxinien und überhaupt bei allen bis jetzt
zur Vermehrung durch Blattstecklinge benützten Pflanzenarten, ent-
stehen auch hier zuerst die Wurzeln und erst später, nachdem die
Wurzeln eine gewisse Länge erreicht haben, erscheinen die Laub-
knospen, die bald in junge Pflänzechen auswachsen. Die Figuren 6,
7 und 10 auf Tafel IV. zeigen Ansichten von in Sand gesteckten
Blättern, an denen Wurzeln und junge Pflanzen entstanden sind.
1. Veränderungen der Gewebe in der Nähe der Schnitt-
fläche. In Betreff der inneren Vorgänge verhielten sich sämmtliche
vier Species vollkommen gleich. Steckten die Blätter 3—4 Tage
im Sande, so zeigte die Untersuchung, dass die erste vom Schnitt
getroffene, oft auch die zweite Zellreihe abstarben und braun wur-
den; der Inhalt verschwand, einzelne der Zellen blieben länger
lebensfähig, rundeten sich nach aussen zu ab, (Taf. IV. Fig. 11, r)
zeigten eine kleine Verlängerung; jedoch auch diese Zellen starben
dann bald ab. Trichome oder Pseudo-Wurzelhaare, wie sie F. Regel?)
bei den Begonien fand, werden bei Peperomia nicht gebildet. Nach
2—4 Tagen zeigen die Zellen über den abgestorbenen Zellreihen
der Schnittfläche am Blattstiel, wie an der Spreite lebhafte Theilun-
gen, es treten tangentiale Wände auf, so dass das Gewebe das Aus-
sehen von Korkgewebe erhält. Besonders werden die Zellen des
Markes und des Blattparenchyms getheilt, weniger die des Collenchyms,
während die Epidermis meistens unverändert bleibt. Am Blatt hin-
!) Ausser an Peperomia stellte ich an einigen Crassulaceen (Crassula,
Echeveria, Sempervivum) Versuche an und will hier nur ganz kurz bemerken,
dass bei den drei untersuchten Gattungen dieser Familie der Wurzelbildung
eine Kallusbildung voranging. Ich behalte mir die ausführlichere Mittheilung
über eine Untersuchung an Orassulaceen für später vor.
2) F. Regelll. c. pag. 458.
40
gegen nimmt ausser dem Parenehym und der Pallisadenschicht die
Epidermis der Oberseite hervorragenden Antheil; auch hier am Blatt
(Taf. IV. Fig. 12) schliesst sich das Gewebe durch ein Feriderma ab.
Der Inhalt der Zellen verschwindet, er wird zur Bildung der
neuen Wände verbraucht. Einige der Zellen theilen sich nur in
zwei oder vier Tochterzellen; jedoch die meisten Zellen erfahren
durch Auftreten radialer Wände weitere Theilungen; es erscheinen
nun wieder in den neuen Tochterzellen tangentiale, darauf radiale
Wände und so fortgehend entsteht endlich ein Maschenwerk (Gitter)
von Zellen. Die Figur 11 auf Tafel IV. zeigt bei gm derartige
Zellen in verschiedenen Theilungsstufen. In einer Mutterzelle wur-
den auf einem Längsschnitt nicht weniger als neunzig neue Toch-
terzellen gezählt.
Die Zellwände der so gebildeten neuen Zellen, als auch die der
Mutterzellen werden nach einiger Zeit braun. Betheiligt sind, wie
schon oben erwähnt, bei diesem Vorgange namentlich das Grundge-
webe zwischen den peripherischen Gefässbündeln und das Collenchym
des Stiels, das pneumatische Parenchym, die Pallisadenschicht, die
obere Epidermis der Spreite und weniger die Epidermis des Blatt-
stiels und die untere der Blattspreite.
Diese so lebhafte und so oft wiederholte Theilung des Grund-
gewebes tritt an der Blattspreite nicht in dem Maasse auf, als es so
häufig am Stiel der Fall ist. Vor der Anlage der Wurzeln
theilen sich die Zellen der verschiedenen Gewebe nur in zwei oder
vier Tochterzellen und erst nachher zerfallen sie in eine so grosse
Anzahl von Tochterzellen.
Ist die Anlage der neuen Wurzel deutlich zu erkennen, so gehen
noch weitere Theilungen und Umbildungen des Gewebes unterhalb
der Schnittfläche vor sich. Es treten nämlich zwischen den einzel-
nen Gefässbündeln des Blattstieles und zwar an bestimmter Stelle,
in den grossen Parenchymzellen zwischen den Cambialzellen des einen
und denen des benachbarten Gefässbündels, tangentiale Zellwände auf,
oft vier bis fünf parallele, von der Art (Taf. V. Fig. 3, cz.), so dass
wir, an den Ursprung denkend, dies neue Wachsthum als Bildung
von Interfaseicularcambium auffassen müssen. Die Zellen dieses
neu entstandenen Cambiums erleiden nun weiterhin eine Umbildung.
Zuerst werden die an das Cambium des Gefässbündels angrenzenden
neuen Zellen zu schraubig verdickten Gefässzellen umgebildet (Taf. V.
Fig. 3, It... Diese Umbildung erstreckt sich auf einen grossen
Theil des nachträglich gebildeten Interfaseieularcambium und so ent-
stehen grosse Knäuel derartig verdickter Gefässzellen an jeder Seite
41
des Gefässbündels, so weit dieses nicht von der Bildung einer Wur-
zel in Anspruch genommen ist. Nach einiger Zeit erfahren auch
die zwischen ihnen liegenden Zellen die gleiche Umbildung, ohne
jedoch Anlass zur Bildung eines Knäuels zu geben.
Auf diese Weise wird eine ununterbrochene Reihe von Gefäss-
zellen zwischen den Gefässbündeln hergestellt und diese somit eng
verbunden. Auch Tochterzellen von anderen, über den Gefässbün-
deln liegenden Parenchymzellen werden derartig umgebildet; jedoch
ist eine Verbindung dieser mit dem zwischen den Bündeln liegenden
Zuge fast immer zu finden; diese letztere Bildung erstreckt sich oft
weit in’s Innere des Blattstiels. An der Blattspreite gehen ähnliche
Bildungen vor sich. Auch hier, wenn die Wurzelanlage zu erkennen
ist, zweigen sich vom Cambium des Gefässbündels cambiale Züge
ab, indem sich die an das Bündel anstossenden Zellen des pneuma-
tischen Blattparenchyms durch tangentiale Zellwände theilen; derar-
tige Züge verlieren sich aber bald in dem Gewebe, ohne mit denen
der benachbarten Gefässbündel zusammenzutreffen, was ja in der
Natur der Sache liegt. Ganz analog den neuen cambialen Zellen
im Blattstiel verdieken sich hier auch die Wände dieser Zellen
schrauben- oder netzförmig zu Gefässzellen, die in der Nähe der
Gefässbündel ebenfalls knäuelweise zusammenliegen.
Durch diese Vorgänge wird dem von der Mutterpflanze abgetrennten
Theil ein gegen äussere schädliche Einflüsse entsprechender Schutz
gewährt, um dann gehörig vorbereitet zur Bildung von Wurzeln und
Knospen zu schreiten.
2. Entstehung der Beiwurzeln. Während der hier beschriebene
Process über der Schnittfläche an Stiel und Spreite vor sich geht,
finden wir, dass auch innerhalb des Gefässbündels nach drei bis
vier Tagen, oft auch etwas früher, je nach dem Alter der betreffen-
den, in den Sand gesteckten Blätter, sich alle Zellen des Gefäss-
bündels, nur die Gefässe allein ausgenommen, mit Protoplasma füllen;
der Inhalt wird verbraucht; es treten Zellkerne auf, die fast den
ganzen Raum der Zelle einnehmen. In den hier zugehörigen
Zeiehnungen wurde die Darstellung des Inhaltes der Zellen im
Interesse der Deutlichkeit unterlassen. Man hat sich aber alle Zellen
mit Protoplasma und Zellkern gefüllt zu denken.
Ebenso, wie schon im vorigen Abschnitt gezeigt, nehmen die
den Gefässbündeln anliegenden Parenchymzellen des Grundgewebes
Antheil an dieser Thätigkeit. Ist diese nun eingetreten, so zeigen
weitere Querschnitte Theilungen im Cambium (Taf. IV. Fig. 13, c.)
und auch Streckung der Cambialzellen und, wenn das Cambium
42
schon in Dauergewebe übergegangen, auch in diesem gleiche Vor-
gänge. Man glaubt ein nachträgliches Diekenwachsthum vor sich zu
haben, namentlich bei Betrachtung des nach der Peripherie des
Stieles oder der Epidermis der Spreite vorgeschobenen Bastes. (Taf. 1V.
Fig. 13, db und Ib.) Allerdings tritt dies nieht immer so deutlich
auf, wie es in Figur 13 auf Tafel IV. dargestellt; nur wenige Male
habe ich das Glück gehabt, es in dieser Weise zu sehen.
Nach ungefähr sechs bis zehn Tagen zeigt ein Querschnitt des
Blattstieles folgendes:
Auf den ersten Blick fällt dem Beobachter ein halbkugelförmiges
Meristemgewebe von neuentstandenen Zellen auf (Taf. V. Fig. 1, Wz.);
wir haben hier die Anlage der neuen Wurzel vor uns, hervor-
gegangen durch Theilung der Cambialzellen. Die Theilwände stehen
aber hier tangential und nicht radial, wie F. Regel!) bei Degonia
gefunden und was ich bestätigen muss.
Bei der Untersuchung der Entstehung der Beiwurzeln von Degonia
glaubt F. Regel annehmen zu müssen, dass
„die Herausbildung der Histogene, welche das Wachsthum der
Wurzeln vermitteln, aus dem indifferenten Zelleneomplex der
ersten Anlage von Innen nach Aussen hervorzugehen scheine,
also vom Plerom ausgehe.“
Von Peperomia muss ich dasselbe annehmen. Immer theilen sich
von neuem die dem Plerom zunächstliegenden Cambialzellen und
ebenfalls die als Plerom (pl) in der Figur bezeichneten Zellen.
Weitere Betrachtung des Querschnittes zeigt, dass aus der das
Plerom (pl) überlagernden Zeilreihe das Periblem (pi), aus der folgen-
den das Dermatogen (d) und endlich aus der über d liegenden Zell-
reihe die durch Theilung des Dermatogens entstandene Wurzelhaube
hervorgeht. Durch weitere Theilung der Plerominitialen geht dann
rasch ein Pleromeylinder mit acht bis elf Zellreihen hervor, umgeben
von den ebenfalls rasch in Theilung zerfallenen Periblemzellen, die
im Gegensatz zum Plerom deutlich regelmässig-polygonale Gestalt
zeigen, während die Pleromzellen schmal länglich gestreckt sind.
Ist die Wurzel in ihrem Wachsthum noch weiter fortgeschritten
und wie hier auf Tafel V. Figur 2, an der Spitze schon mit drei
Zellreihen der Wurzelhaube umgeben, so siebt man deutlich, wie die
Gefässe des Pleromeylinders durch Vermittelung von Tracheiden-
zellen mit den Gefässen des betreffenden Bündels des Blattstieles
in Verbindung treten, während Periblem und Dermatogen der Wur-
1) F. Regel l. c. pag. 464.
43
zel sich den übrigen Elementen des Bündels (das Dermatogen an
die Zellen der Gefässbündelscheide) anschliessen.
Der erste Schritt zur Neubildung einer Beiwurzel bei Pepero-
mia wird also in der Cambiumzone des Gefässbündels gethan; hier
entsteht das Plerom, von dem das Wachsthum der Wurzel ausgeht.
Die Anlage der Wurzel geschieht, wie mir dies zahlreiche Quer-
schnitte bewiesen, immer endogen und zwar immer von der Cambium-
zone eines Gefässbündels aus, diesem seitlich aufsitzend; indem sich
aber die Wurzelanlage später in etwas schiefer Richtung verlängert,
so scheint dieselbe aus dem Phloömtheil des Bündels hervorzugehen;
immer aber wird man die Pleromzellen bis an das Cambium des
Gefässbündels verfolgen können.
Die neue Wurzel wächst im Innern des Blattstiels zuerst in
radialer Richtung, indem die vor ihr liegenden Zellwände des Grund-
parenchyms theils resorbirt, theils gedrückt und bei Seite ge-
schoben werden; später aber, ehe sie ganz an den Rand des Blatt-
stieles gelangt, gewöhnlich. vor der Collenchymschicht, wächst sie
nach unten, parallel der Axe des Stieles und gelangt durch die
Schnittfläche nach aussen.
Wie schon auf pag. 33 gesagt, brechen selten Wurzeln durch
die Epidermis des Blattstieles.
Ist das Wachsthum der Wurzel im Innern des Blattstieles so weit
vorgesehritten, wie dies die Figur 2 auf Tafel V zeigt, so macht
sich gewöhnlich schon das erste Gefäss bemerkbar; es werden die
am Cambium liegenden Holzzellen des Xylems zu den auf pag. 40
beschriebenen Gefässzellen (lt) umgewandelt, die daran stossende
Zelle des Pleroms macht dieselbe Umwandlung durch, die darauf
folgende ebenfalls und so fort; die Zwischenwände werden resorbirt
und das erste Gefäss ist fertig (Tafel V. Figur 2, 1 gf.). Sind erst
einige Wurzeln an das Tageslicht getreten und werden noch andere
angelegt, so haben wir dann durch einen Querschnitt ein Bild, wie
es uns die Figur 3 auf Tafel V bietet.
Die erste Anlage der Wurzel in der Blattspreite, wie auch
die weitere Entwickelung, ist die ganz gleiche, wie die so eben
beschriebene des Blattstieles. Wiederum ist hier die Cambiumzone,
oder in alten Blättern das daraus hervorgegangene Dauergewebe
der Ursprung der Plerominitialen, von diesen geht das Wachsthum
der Wurzel aus. Auf Tafel V zeigt die Figur 4 die Richtung des
Wachsthums der Wurzel. Die die Wurzel umgebenden Zellen des
pneumatischen Parenchyms werden ebenso, wie die des Parenchyms
des Blattstiels, resorbirt, gedrückt, bei Seite geschoben und gestat-
44
ten so der Wurzel den Austritt durch die Schnittfläche; nie wurde
ein Durchbrechen der Wurzel durch die Epidermis der Spreite beob-
achtet. Figur 15 auf Tafel IV. zeigt eine ältere ausgetretene, schon
mit Wurzelhaaren versehene Wurzel; man sieht hier deutlich, wie
dieselbe das sie umgebende Gewebe beim Austritt bei Seite ge-
schoben (ab) hat. Gewöhnlich findet die Wurzel ihre Ausbildung
und ihren Austritt im pneumatischen Parenchym der Blattspreite;
in einigen Fällen jedoch war, natürlich immer bei seitlicher Ent-
stehung der Wurzel am Gefässbündel, eine andere Wachsthums-
richtung eingetreten; die junge Wurzel durchbrach dann das Palli-
sadengewebe, wuchs in der oberen Epidermis weiter und bog sich
dann nach der Schnittfläche zu, um den Austritt zu erlangen.
Die die neue Wurzel im betreffenden Gewebe umgebenden Zellen
werden vielfach getheilt; jedoch kommt es nie zu einer vollständigen
Korkumhüllung der Wurzel, wie es 8. Arloing in seiner Unter-
suchung an Cacteen-Stecklingen beobachtete '); ebenso fand ich nie,
dass sich eine Wurzel schon vor dem Austritt in's Freie im betreffenden
Gewebe verästelte, was $S. Arloing ebenfalls von den Cacteen anführt.
Hieran anschliessen will ich noch, dass bei Peperomia nie direct
an der Schnittfläche gelegene Zellen zu Pseudo-Wurzelhaaren aus-
wachsen, was nach F. Regel”) bei Begonia in den Epidermiszellen
des Blattstiels immer der Wurzelbildung vorausgeht?).
3. Entstehung und Entwickelung der Adventivknospen.
a. Am Blattstiel: Haben die an der Schnittfläche des Blattstieles
erschienenen Wurzeln eine gewisse Länge erreicht, so sieht man bald
mit blossem Auge auf der Schnittfläche mehrere kleine weisse Hügel
entstehen, die sich bald strecken und zu jungen Pflänzchen auswachsen.
Die Schnittfläche schliesst sich, wie schon früher beschrieben
(pag. 39), durch Bildung von Korkgewebe von aussen ab. Die
direct unter dieser Gewebeschicht liegenden Parenchymzellen theilen
sich schon frühe, gleichzeitig mit Bildung der Korkschicht, durch
tangentiale Wände. Sind dann die jungen Wurzeln hervorgebrochen
und in ihre Funetionen eingetreten, so gehen in einzelnen Gruppen der
vorhin erwähnten Parenchymzellen noch weitere Radial- und Tangential-
theilungen vor sich, in Folge deren dieselben in eine grosse Anzahl
1) S. Arloing |. ce. pag. 59.
2) F. Regel l. c. pag. 458.
3) Etwas Aehnliches beobachtete ich an Blattstecklingen von Zcheveria.
Hier rundeten sich einige Zellen des Blattparenchyms, nicht der Epidermis,
an der Schnittfläche ab, wurden länger, so dass sie weit über die Schnittfläche
herausragten.
45
von Tochterzellen zerfallen. Es werden so Meristeme erzeugt, welche
sich stetig vergrössern und die Korkschicht durchbrechen,
Diese Meristeme kommen dann immer in Form von Hügeln an
der Schnittfläche zum Vorschein. Niemals wird die Epidermis des
Blattstieles durchbrochen, noch setzt sich dieselbe über die Hügel fort.
Während die Gefässbündel an der Schnittfläche frei liegen, wenn
sich keine derartigen Hügel am Blattstiele bilden, so erscheint es
im anderen Falle, als ob dieselben durch die die Bündel umgeben-
den Parenchymzellen überwallt werden, indem die Meristemhügel auf
ihre Umgebung einen Druck ausüben.
Das Meristem nun differenzirt sich nach einiger Zeit. An der
Spitze desselben ist der oft sehr verlängert kegelförmige Vegetations-
punkt (Tafel IV. Fig. 16, v.) zu beobachten, unterhalb dieses
kommt dann das erste Blatt, oder mehrere zugleich, je nach der
Species von Peperomia zum Vorschein. Der Stamm der neuen
Pflanze kann oft sehr lang werden, bevor das erste Blatt zur Ent-
wickelung kommt (Tafel IV. Fig. 6).
Der Vegetationspunkt liegt immer sehr versteckt am Grunde des
obersten Blattes, wie dies auch bei natürlich an der Mutterpflanze ent-
standenen Knospen der Fall ist. Die Blattstiele der Peperomien zeigen
nämlich auf ihrer Oberseite eine mehr oder weniger tiefe Furche, in
welcher die junge Knospe tief eingebettet liegt und selten auf den
ersten Blick zu sehen ist. Die Anzahl der hervorbrechenden Hügel
ist oft eine sehr grosse (Tafel IV, Fig. 8, hg.); es entwickeln sich
aber gewöhnlich nur zwei, selten mehrere Pflanzen aus denselben.
Sehr häufig ist der Fall, dass unterhalb der Spitze der neu entstan-
denen Pflanze an dem nun zum Stamm entwickelten ehemaligen
Vegetationskegel noch andere Knospen entstehen, die dann wirkliche
Adventivknospen und endogenen Ursprungs sind (Taf. IV. Fig. 7, ad.).
Noch ehe das erste Blatt zur völligen Entfaltung gekommen ist,
entstehen in dem meristematischen Gewebe des Stammes, . welcher
das Blatt und die Endknospe trägt „procambiale Züge,“ die zu den
schon früher beschriebenen schraubig verdickten Leitbündelzellen
umgewandelt werden, schliesslich zu einem Gefässbündel werden ; dieses
schliesst sieh dann entweder an einen alten Gefässstrang des Blattstieles
an oder bleibt auch ohne Verbindung mit diesen. Ausserdem bil-
den sich an dem Stamme des jungen Pflänzchens, soweit er vom
Sande bedeckt ist, eine Menge von Adventivwurzeln (Taf. IV. Fig. 6), -
die ebenfalls aus dem Cambium des neuen Gefässbündels entstehen.
b. An der Blattspreite: Gerade so wie beim Blattstiel, ver-
narben erst die Schnittflächen des Blattes, und nachdem Wurzeln
46
zum Vorschein gekommen sind, sieht man und zwar meist in unmit-
telbarer Nähe des Entstehungsortes der Wurzeln, selten weiter davon
Hügel, die den am Blattstiele auftretenden völlig gleichen und
ganz in derselben Weise auswachsen und zu jungen Pflänzchen wer-
den, wie am Blattstiel (Taf. IV. Fig. 10).
Während beim Blattstiel die Zellen des Grundparenchyms den
Ursprung eines solchen Hügels geben, sind es bei der Spreite die
Zellen des Blattparenchyms (Taf. IV. Fig. 14 und Taf. V. Fig. 5).
Betheiligt an der Entstehung eines Hügels ist immer nur das Blatt-
parenchym; auch bilden nur einige Zellen desselben direct unter
der Schnittfläche die Initialen eines Hügels.
Die Weiterentwickelung der Meristemhügel zu Laubsprossen ist
die nämliche, wie die der am Stiele erzeugten.
Wenn die jungen Pflänzchen älter werden, so lösen sie sich von
dem Mutterblatte ab, d. h. es wird zwischen dem Mutterblatte
und der Ansatzstelle der jungen Pflanze im Grundparenchym des
Blattstieles, resp. in den Geweben der Blattspreite eine vollständige
Korkschicht gebildet und dann das alte Blatt abgestossen, wodurch
die junge Pflanze jetzt auf sich angewiesen ist. Ehe aber das
Loslösen vor sich geht, haben sich eine Menge Wurzeln am Stamm
der jungen Pflanze gebildet, die dann allein die Ernährung über-
nehmen. Die am Mutterblatte erzeugten Wurzeln haben nur dieses
zu ernähren und die Bildung neuer Pflänzchen zu begünstigen.
Das Loslösen vom Mutterblatte geschieht oft sehr spät; an einige
Jahre alten Blattstecklingen ist oft das Mutterblatt noch vorhanden.
Hat die junge Pflanze erst selbst neue Wurzeln gebildet, so sind
die blattständigen Wurzeln nicht mehr zu ihrer Ernährung nöthig; es
treten auch die Gefässbündel der neuen Pflanze höchst selten in eine
Verbindung mit denen der am Mutterblatte erzeugten Wurzeln.
Vergleicht man die Entstehungsweise der Beiwurzeln an Blatt-
stecklingen verschiedener Pflanzen, namentlich an Degonia und
Bryophyllum, so wird man finden, dass bei Peperomia die Wurzeln
auf gleiche Weise erzeugt werden; es kann daher nur das schon
bekannte auch für Peperomia bestätigt werden.
In Bezug auf die Entstehungsweise der Adventivknospen dagegen
weichen die Peperomia-Blattstecklinge von allen bisher beobach-
teten Fällen ab.
Nach den Beobachtungen von Regel entstehen die Knospen
an Stiel und Spreite der Degoniaceen aus den Epidermiszellen,
nach Berge bei Dryophyllum aus dem unmittelbar unter der
47
Epidermis liegenden Urparenchym, die Epidermis des Blattes
geht hier vollständig auf die Knospe über, man sieht kein „bei
Seite schieben“ von Geweben, um den Austritt den Knospen zu
ermöglichen, nach Magnus gehen die Knospen aus den peri-
pherischen Zellen des Blattes von Ayacınthus hervor.
Bei Peperomia entstehen die Knospen aus dem Grund-
parenchymdesBlattstieles, resp. ausdemBlattparenchym
der Spreite, in beiden Fällen jedoch immer unabhängig
von den Gefässbündeln. Die erste Anlage einer Knospe bildet
sich immer aus einer Zellgruppe in einer oder mehreren Schich-
ten der betreffenden Gewebe hervor, die direct unter der vernarbten
Schnittfläche liegen. Wenn die Vernarbung der Schnittfläche des
Stecklings nieht nöthig wäre und somit nicht geschähe, so würden
vermuthlich die gesunden, nicht vom Schnitt betroffenen Zellen der
Schnittfläche der oben genannten Gewebe die Grundlage zur Bildung
einer Knospe geben.
Allerdings findet jedesmal ein Durchbreehen der sehr wenig
mächtigen Korkschicht statt, aber nur dieser; der endogene Ursprung
der Knospen ist daher nur scheinbar; vielmehr sind dieselben als
exogen aufzufassen.
IV. Zusammenstellung der Ergebnisse der Untersuchung.
1. An der Schnittfläche von Blattstecklingen von Peperomia
wird kein Kallus erzeugt; die Schnittfläche wird allein durch eine
Korkschieht — Wundkork — abgeschlossen.
2. Am Blattstiel nehmen an der Bildung des Wundkorkes Theil:
immer das Grundparenchym, weniger die Collenchymzellen und sehr
selten die Epidermis; an der Spreite: ausser dem Blattparenchym die
Pallisadenschicht, die Epidermis der Oberseite mehr als die der Unterseite.
Der Inhalt der Zellen wird vollständig zur Bildung der neuen
Zellwände verbraucht.
3. Im Blattstiel werden die Cambialregionen der peripherischen
Gefässbündel bei der „Verheilung“ der Schnittwunde durch procam-
biale Züge mit einander verbunden, deren Zellen fast immer in
schraubig verdickte Gefässzellen (Leitbündelzellen) verwandelt wer-
den. Auch in der Spreite finden gleiche Vorgänge statt.
4. Nach einer gewissen Zeitdauer des Versuches füllen sich, die
Gefässe ausgenommen, alle Theile des Gefässbündels mit Protoplasma
und werden so theilungsfähig.
5. Ist das Cambium der Gefässbündel schon in Dauergewebe
übergegangen, so wird dies nach einiger Zeit wieder theilungsfähig.
48
6. Die Anlage der Beiwurzeln geschieht immer endogen und
immer in der Cambialregion des Gefässbündels. In dieser Region
entsteht zuerst das Plerom, von dem das Wachsthum ausgeht; Peri-
blem und Dermatogen gehen durch Theilung der Plerominitialen aus
diesen hervor und schliesst sich ersteres im weiteren Wachsthum an
den Holz- und Basttheil des Gefässbündels und das Dermatogen an
die Gefässbündelscheide an.
7. Die Wurzel von Peperomia wächst mit drei Histogenen.
8. Die Wurzeln durchbrechen am Blattstiel sehr selten die Epi-
dermis, gewöhnlich aber den Wundkork der Schnittfläche. An der
Spreite treten die Wurzeln mit Durchbreehung der verschiedenen
Blattgewebeschichten immer an der Schnittfläche heraus.
9. Sind die Wurzeln einmal herausgetreten, so wachsen sie sehr
schnell und verästeln sich bald. Nie ist eine Wurzel schon im
Innern des sie umgebenden Gewebes verästelt.
10. Pseudo-Wurzelhaare werden bei Peperomia nie gebildet.
11. Die Anlage der adventiven Laubsprosse geschieht stets in
dem Grundparenchym des Blattstieles und in dem Blattparenchym
der Spreite direet unter der Schnittfläche, niemals aber am Gefäss-
bündel. Zuerst bildet sich durch wiederholte Theilungen gewisser
Zeilgruppen genannter Gewebe ein Meristemhügel, der sich über
die Schnittfläche erhebt und fast immer zu einem kegelförmigen
Stämmchen auswächst, dessen Spitze aus kleinzelligem Meristem ge-
bildet ist und den Vegetationspunkt darstellt, aus welchem sich die
Laubknospe entwickelt. Die Adventivknospen entstehen daherexogen
und durchbrechen nur den Wundkork.
12. Das im Stamm der neuen Pflanze neu gebildete Gefässbündel
entsteht zeitig, lange bevor die ersten Blättchen zur Entfaltung
gekommen sind, es schliesst sich an eines der Gefässbündel des
Mutterblattes an oder tritt auch mit diesen in keine Verbindung.
13. Die neue Pflanze schliesst sich durch eine Korkschicht vom
Mutterblatt ab und ernährt sich durch adventive Wurzeln, die aus
dem Stamme hervorbrechen; mit den Wurzeln des Mutterblattes tritt
sie in keine Verbindung.
14. An Blattstecklingen von Ürassulaceen wird Kallus erzeugt.
Breslau, Januar 1878.
Bio:
Fig. 2
Fie
8°
Fig. 12.
Fig. 13.
Fig. 15.
Fig. 16.
Erklärung der Abbildungen.
mmumn
Tafel IV.
Querschnitt durch den Blattstiel von Peperomia peltiformis. Vergr. 4.
- - s - : Pep. marmorata. Vergr. 4.
- - . - = Pep. resedaeflora. Vergr. 4.
- - . . - Pep. rubella. Vergr. 20.
Querschnitt durch die Blattspreite von Pep. peltiformis. Vergr. 60.
Ein Blatt von Pep. peltiformis mit einer am Blattstiel entstandenen
jungen Pflanze. 1/, d. nat. Gr.
Ein Blatt von Pep. marmorata mit 2 jungen Pflanzen. Y/, d. nat. Gr.
Ansicht einer Schnittfläche am Blattstiel von Pep. peltiformis (nach
sechs Tagen des Versuches). Vergr. 3.
Längsschnitt durch diesen Blattstiel. Vergr. 5.
Stück eines Blattes von Pep. peltiformis mit neu gebildeten Wurzeln
und Laubknospen. 1/, d. nat. Gr.
Längsschnitt durch das Parenchym des Blattstieles von Pep. peltiformis ;
Neubildung; er zeigt die mehrfach getheilten Zellen. Vergr. 170.
Längsschnitt durch die Blattspreite von Pep. marmorata; er zeigt
ebenfalls die mehrfach getheilten Zellen. Vergr. 60.
Querschnitt durch ein Gefässbündel des Blattstieles von Pep. mar-
morata nach ca. 8 Tagen des Versuches. Theilung des Cambiums
und Verschieben des Phloöms des Bündels. Vergr. 170.
Längsschnitt durch die Blattspreite von Pep. peltiformis. Bildung
des Meristemhügels, aus welchem die Laubknospe entsteht. Vergr. 40.
Längsschnitt durch die Blattspreite von Pep. peltiformis mit einer
ins Freie getretenen Wurzel und deutlichem Abschlusse der Schnitt-
fläche. Vergr. 20. Schematisch.
Längsschnitt durch eine am Blatt erzeugte Laubknospe von Pep.
peltiformis. Vergr. 40.
Cohn, Beiträge zur Biologie der Pflanzen, Band II, Heft IL 4
50
Tafel V.
Fig. 1. Querschnitt durch ein Gefässbündel des Blattstieles von Pep. marmo-
rata mit erster Anlage der Beiwurzel. Vergr. 200.
Querschnitt durch ein Gefässbündel des Blattstieles von Pep. resedae-
e
3
10
flora mit junger Beiwurzel. Vergr. 170.
Fig. 3. Querschnitt durch den Blattstiel von Pep. resedaeflora. Derselbe zeigt
in verschiedenen Stadien befindliche Beiwurzeln. Vergr. 90.
Fig. 4. Längsschnitt durch die Blattspreite von Pep. peltiformis mit junger
Beiwurzel. Vergr. 40.
Fig. 5. Querschnitt durch die Blattspreite von Pep. marmorata mit junger
den Kork durchbrechenden Laubknospe. Vergr. 60.
Fig. 6. Längsschnitt durch eine junge Pflanze von Pep. marmorata, auf der
Schnittfläche der Blattspreite aufsitzend. Vergr. 20. Schematisch.
Bedeutung der Buchstaben der Figuren.
e = Epidermis, eo = obere Epid., eu = untere Epid., oeo — äusserste
Zellen der Epid., coll = Collenchym, m = Grundparenchym, Mark, o —= Zellen
mit Piperin, p = Pallisadenschicht, pp = Blattparenchym (pneumatisches
Par.), n = Blattnerv, Bl = Blatt, wz = Wurzel, Wtr = Wurzelhaare,
we — Epidermis der Wurzel, de = Dermatogen, pi = Periblem, pl = Plerom,
wh — Wurzelhaube, s = Scheitel, gf = Gefässbünde, x = Xylem,
h = Holzzellen, g = Gefässe, ph = Phloem, de = Dauercambium,
ce = Cambium, db — diekwandiger Bast, Ib = dünnwandiger Bast, gs = Ge-
fässbündelscheide, bg = Hügel (Meristem-Hügel), kn — Laubknospe, r — ab-
gerundete Zellen, gm —= maschenwerkartig getheilte Zellen, k = Kork,
cz = procambiale Züge, It = schraubig und netzförmig verdickte Zellen,
V — Vegetationspunkt, d — Drüsenköpfehen, ab — abgestorbene Zellen.
Entwicklungsgeschichte einiger Rostpilze.
Von
Dr. J. Schroeter.
trı
(Fortsetzung von Band I. Heft 3. Seite 1.)
IL
v. Albertini und v. Schweiniz fanden zuerst in der
Schlesischen Oberlausitz bei Niesky einen rothen Rost auf Ledum
palustre L., den sie in ihrem Üonspectus fungorum 1805 als Uredo
Ledi beschrieben haben ').
Späterhin ist der Pilz fast ganz in Vergessenheit gerathen; in
der mir zugänglichen Literatur finde ich U, Led‘ immer nur unter
der Autorschaft von Alb. et Schw. eitirt ohne Angabe neuer Fund-
orte. Auch in den Herbarien, die ich bezüglich der Uredineen durch-
zusehen Gelegenheit hatte, fand ich ihn nur einmal in einer klei-
nen Probe, die von der Hand Auerswald’s die Bezeichnung trug:
Aecidium Ledi Awd., Labradori Hebron. ad fol. Ledi latifolüi.
Nach alledem war es mir erfreulich, dass ich diese anscheinend
seltene oder doch vernachlässigte Uredinee nach und nach von
verschiedenen neuen Standorten erhielt, nämlich durch Prof.
Kny, welcher sie Mitte Juni 1867 im Swinemoor auf Usedom
in Pommern sammelte, sodann von Lehrer Gerhardt, der sie
Ende Juli 1871 auf der Lomnitzer Haide im Schlesischen Riesen-
gebirge antraf, und endlich von Pfarrer Schoebel von Brinnitz
bei Kupp in Oberschlesien. Letzterer hatte die Freundlichkeit
mir zu verschiedenen Zeiten im Jahre frisches Material des
Pilzes einzusenden, und durch diese Sendungen besonders war ich
!) J.B. de AlbertinietL.D. de Schweiniz. Conspectus fungorum in
Lusatiae superioris agro Niskiensi crescentium. Lipsiae 1805. S. 125.
4*
52
im Stande die Entwicklung des Pilzes so weit zu beobachten, wie
dies ohne Culturen auf lebenden Nährpflanzen möglich war.
Die Uredo-Häufchen finden sich nur auf der Unterseite der
Blätter. In der Mitte Juni bis in den Juli hinein, wo sie an den
jungen am Rande eingerollten Blättern am üppigsten entwickelt
sind, sind sie schwer zu erkennen, weil sie flach ausgebreitet und
zwischen den dichten rothbraunen Filzhaaren ganz versteckt sind,
man entdeckt ihre Anwesenheit aber auch zu dieser Zeit leicht
dadurch, dass die Oberseite der Blätter an der Stelle, wo sie sich
befinden, in grösserem Umfange röthlichgelb oder gelbbräunlich
verfärbt ist. Leichter sind sie in der ersten Zeit ihres Auf-
tretens, im Mai bis Anfang Juni zu erkennen, wenn sie an den
grösseren, flachen und auf der Unterseite fast glatten Blättern auf-
treten. Diese sind in den mir eingesendeten Exemplaren oft bis
6 cm. lang, 1 cm. breit, oder 4 cm. lang, 12 mm. breit; an ihnen
stehen die Uredohäufchen in kreisförmigen Gruppen von 2—3 mm.
Dehm. von einander getrennt zusammen, auf einem gemeinschaft-
lichen gelblich verfärbten Flecke, und zwar oft 4 bis 5 solcher
Flecke auf demselben Blatte. Manchmal bilden sie auch nur ein-
fache kreisförmige Ringe. Die besondere Grösse und Breite dieser
Blätter scheinen Alb. et Schw. der Einwirkung des Pilzes zuzu-
schreiben, ich glaube aber nicht, dass dies der Fall ist.
Die einzelnen Häufchen sind rund, von sehr geringem Durch-
messer, kaum "/a mm. breit, sie werden am Grunde von einer kurzen
Scheide umgeben, über welche sich die Sporen noch weit erheben,
so dass sie kleine Säulchen von etwa 1 mm. Höhe bilden. Sie
sehen dadurch einem Aeeidium ähnlich und schon Alb. und Schw.
meinten, man könne diesen Rost im ausgebildeten Zustande zu den
Aeeidien rechnen; auch Auerswald hat ihn, wie erwähnt, als
Aecidium bezeichnet. Ich finde im Bau seines Aec. Ledi nicht den
geringsten Unterschied von Ur. Ledi Alb. et Schw.
Auf Durchschnitten sieht man, dass die Blattsubstanz im Be-
reiche der gelblichen Verfärbung von einem reich verzweigten, 5 bis
6 Mik. breiten, von orangerothen Oeltropfen erfüllten Mycel durch-
setzt ist, das sich unter der Epidermis zu einem dichten Lager ver-
webt. Von diesem werden die Uredo-Sporen kettenförmig abge-
schnürt. Am Grunde sieht man meist mehrere Reihen junger Zellen,
die stark zusammengedrückt, auf dem Durchschnitte quadratisch
oder oblong erscheinen mit stark lichtbrechendem Inhalt erfüllt.
Sie gehen allmählich in die ausgebildeten Uredosporen über. Diese
sind ebenfalls sehr dicht gelagert, im Einzelnen elliptisch, oft aber
93
durch den gegenseitigen Druck eckig oder stellenweise zugespitzt,
22 bis 26 Mik. lang (meist 22 bis 23), 14 bis 20 Mik. breit. Ihre
Membran ist gleichmässig, etwa 2 Mik. dick, farblos, dicht besetzt
mit stumpf abgerundeten, durchsichtigen Körnchen, die sich durch
Verschiebung des Deckglases theilweise leicht abstreifen lassen.
Durch diese erscheint die Membran auf der Fläche körnig punktirt,
auf der Durchschnittsansicht stäbchenförmig gestreift; Keimpunkte
sind nicht deutlich sichtbar. Der Inhalt ist durch orangerothes
Oel gefärbt. — Die äusserste Lage der Sporen ist meist verflacht,
und die einzelnen Sporen sind hier oft membranartig verklebt, es
wird dadurch eine Art falschen Peridiums gebildet, dieses ist aber
sehr unvollkommen, indem sich auf dem Durchschnitte seine Zellen
von den benachbarten Sporenlagen fast gar nicht unterscheiden.
Der deutlich unterschiedene Theil der Röhren, welche den unteren
Theil des Säulchens umfasst, wird von der emporgehobenen Epider-
mis gebildet. Spermogonien konnte ich nicht finden.
Manchmal brechen die Sporenlager des Pilzes auch aus der
Oberhaut junger Zweige und Blattstiele hervor. Sie bilden hier
grössere, oft reihenweise gestellte Polster von 5 bis 1 mm. Länge
und Breite, verhalten sich aber im Uebrigen so, wie auf den
Blättern.
Die Uredosporen breiten sich den ganzen Sommer über aus,
die Häufchen werden später breiter, die kettenförmige Verbindung
der Sporen lockerer. Der Inhalt der Sporen verblasst sehr bald,
und die Häufchen erscheinen dem blossen Auge dann weiss, sie
bleiben aber lange noch erkemntlich. An überwinterten Ledum-
Blättern, die ich im März erhielt, fand ich Haufen von Sporen,
deren Inhalt unter dem Mikroskop noch blass orangeroth erschien,
sie waren aber nicht keimfähig.
An diesen überwinterten Blättern fand ich in verfärbten Stellen
der Blätter ein sehr stark entwickeltes, offenbar lebensfähiges, leb-
haft orangefarbenes Mycel von der geschilderten Beschaffenheit, und
es erschien mir daher wahrscheinlich, dass der Pilz in seinem Mycel
überwinterte und sich im Frühjahre daraus weiter entwickeln würde,
Dies traf auch zu. Vom Ende April ab erhoben sich auf der
Unterseite überwinterter Blätter, entsprechend den verfärbten Stellen
und den in ihnen wuchernden Mycelien, sobald die Blätter auf
eine feuchte Unterlage gebracht wurden, flache, braune Schwielen.
Sie verstärkten sich und bildeten zuletzt glänzend braunrothe oder
blutrothe Polster, etwa 5 Mm. breit, die anfangs vereinzelt, später
54
zu grösseren Flecken zusammengestellt waren, und so zuweilen fast
die Hälfte der Blattunterseite einnahmen.
Das Mycel, welches unter diesen Flecken in der Blattsubstanz
wucherte und sich besonders in den Lufthöhlen reich verzweigte,
war dem, von welchem sich die Uredo-Häufchen bildeten, ganz gleich,
unter der Oberhaut verwebte es sich hier ebenfalls zu einem dichten
orangerothen Lager von 12 bis 13 Mik. Dieke. Von diesem erho-
ben sich zu einem dichten Polster verbunden, senkrecht stehende
Schläuche von 70 bis 90 Mik. Länge 13 bis 15 Mik. Breite, von
denen jeder durch Querwände in 5 bis 6 Fächer getheilt war,
so dass jedes einzelne Fach 15 bis 22 Mik. lang war. Die Membran
war farblos glatt, der Inhalt bestand aus stark lichtbrechendem
orangerothem Oel. Diese Lager stellen Teleutosporen dar, sie
erhoben die Epidermis, blieben aber zunächst noch von ihr bedeckt.
Wurden Blätter mit solchen Teleutosporen auf Wasser gelegt,
die Unterseite nach oben gerichtet, so war nach 24 Stunden die
Epidermis über den Pusteln gerissen, und diese hatten sich mit
einem chromgelben Pulver bedeckt; die Teleutosporen waren ge-
keimt und hatten Sporidien gebildet.
Der Vorgang dabei ist folgender. Das Oel in dem Inhalt der
Fächer vertheilt sich gleichmässig, und dieser bildet ein hellrothes,
schaumiges Plasma. Die Fächer der Schläuche keimen einzeln und
nach einander, zuerst das oberste Fach, wenn dieses entleert ist
das tiefere und so fort. Jedes Fach treibt einen Keimschlauch an der
Seite, dicht unter der Spitze resp. der Scheidewand. Dieser wird etwa
50 bis 60 Mik. lang, 6 bis 7 Mik. breit, steigt grade nach oben und ist
an der Spitze abgerundet, das orangerothe Plasma wandert ganz in
ihn ein, wenn dies erfolgt ist, grenzt es sich nach unten durch eine
Scheidewand ab, und theilt sich dann durch Querwände meist in
4 Segmente. An den Scheidewänden bilden sich meist Einschnürun-
gen. Aus jedem Segmente treibt ein pfriemlicher Ast aus, an
dessen Spitze sich eine eiförmige 11 Mik. lange, 7 Mik. breite
Sporidie bildet, die meist sofort mit einem 3 Mik. breiten Keim-
schlauch auskeimt.
Zuweilen fand ich zwischen den Sporidien und Keimschläuchen
grosse elliptische Zellen, 30 Mik. lang, 22 Mik. breit, mit glatter
Membran und orangerothem Inhalt, die mit einem 6 Mik. dicken
Keimschlauche keimten, sie schienen aus dem vollen Inhalt eines
Sporenfaches hervorzugehen.
Nach 48 Stunden waren bei der gewöhnlichen Tagestemperatur
55
Anfang Juni alle Sporenfächer einer Pustel ausgekeimt, die entleer-
ten Sporen erschienen nun ganz farblos, die einzelnen Schläuche
waren etwas auseinander gedrängt, und an der Seite, wo die Keim-
schläuche ausgetrieben, gewissermassen sägeförmig.
Die Teleutosporenpusteln bewahren eine gewisse Zeit lang
ihre Keimungsfähigkeit. Sie keimten immer noch sehr gut aus,
wenn sie auch vier Wochen nach dem Einsammeln trocken aufbe-
wahrt worden waren. Wie lange darüber hinaus sie etwa die
Keimfähigkeit bewahren mögen, war ich verhindert festzustellen.
Bei dem Wachsthum im Freien werden die Pusteln in der ersten
Periode der Frühjahrsregen schnell auskeimen und bald verschwin-
den. Es scheint, dass sich nur eine Generation von Teleutosporen
auf den überwinternden Blättern bildet, an den später entwickelten
Blättern habe ich immer nur die Uredo-Häufchen gefunden.
Bei einer Sendung von Ledum-Blättern, die ich Anfang Juni
erhielt, fanden sich Teleutosporen und Uredo-Lager auf deaselben
Blättern ziemlich reichlich vermengt. Es möchte daraus für wahr-
scheinlich erscheinen, dass die Sporidien der Teleutosporen direet
wieder in die Ledum-Blätter einkeimten und Uredo-Bildung hervor-
rufen. Ob und wie die Sporidienkeimschläuche eindringen, wäre
noch zu prüfen. — Es ist vorläufig noch nicht als unmöglich zu
bezeichnen, dass der Vegetationskreis des Pilzes mit der Ausbildung
von Uredo- und Teleutosporen-Bildung noch nicht abgeschlossen
sein dürfte. Es ist immerhin noch sehr wohl möglich, dass eine
Aeeidium-Bildung (mit Spermogonien) auf einer anderen Pflanzen-
art vegetirend, in den Entwickelungs-Kreis dieses Pilzes gehört').
Die Kenntniss der Teleutosporen des Pilzes ermöglicht jetzt jeden-
falls seine systematische Bestimmung. In allen Hauptsachen stimmen
jene mit den Teleutosporen-Lagern der bekannten Coleosporium-
Arten überein.
Es ist jetzt auch leicht zu erkennen, dass auch die Uredo-
Sporen durch ihre kettenförmige Anordnung, die dichten körnchen-
artigen Auflagerungen auf die farblose Membran und den orange-
rothen Inhalt ganz denen der CÜoleosporium-Arten gleichen. Es
ist daher angezeigt, den Pilz als (oleosporium Ledi (Alb. et Schw.) zu
bezeichnen.
1) Nach den Beobachtungen von W olff über Entwicklung von Coleosporium
Senecionis wäre es nicht unwahrscheinlich, dass eines der auf Coniferen vor-
kommenden Aeeidien in den Entwicklungskreis von Uredo Ledi gehörte, z. B.
Aeeidium abietinum Alb. et Schw., welches diese Autoren auch bei Niesky
gefunden haben.
56
In die Gattung Coleosporium gehören wahrscheinlich noch meh-
rere andere rothsporige Uredo-Formen, deren Teleutosporen bis jetzt
noch nicht bekannt sind. Bonorden hat Uredo Agrimoniae DC.,
Fuckel') später Uredo Symphyti DC. zu dieser Gattung gerechnet,
bei diesen beiden Pilzen finde ich aber grade die Wahrscheinlichkeit,
dass sie hierher gehören, sehr gering. Dagegen erscheint es mir kaum
zweifelhaft, dass Uredo Rhododendri Bonjean?) hierher zu rech-
nen ist.
Fuckel hat diese Uredo-Form zu einer Puccinia gezogen, die
er auf Rhododendron ferrugineum gefunden hatte?), Voss*) hält
die Zusammengehörigkeit nicht für wahrscheinlich und glaubt, dass
der Uredo ein Melampsora folgen dürfte. Mir ist auch dies nicht wahr-
scheinlich, denn die Uredo-Sporen der bisher bekannten Melampsora-
Arten haben ein mit spitzen, getrennt stehenden Stacheln besetztes
Epispor, werden einzeln von ihren Sterigmen abgestossen, und sind
von Paraphysen begleitet oder in ein deutlich differenzirtes Pseudo-
peridium eingeschlossen. Bei U. Rrhododendri werden die Sporen
kettenförmig abgeschnürt, ihre Structur ist ganz gleich der von
Uredo Ledi und anderen Coleosporium-Uredines. Zuweilen brechen
auch hier die Uredo-Rasen aus der Rinde junger Zweige reihenweise
oder spaltförmig hervor, wie ich an Exemplaren sehen konnte, die
Professor Kny im August 1876 im Ober-Engadin gesammelt
hatte; grade hier zeigte sich auch die kettenförmige Abschnürung
der Sporen sehr deutlich. Junge Räschen des Pilzes, die ich durch
freundliche Vermittlung im Juni dieses Jahres aus Berchtesgaden
erhielt, zeigten dasselbe sänlenartige Ansehen wie U. Ledi. Die
Grössenverhältnisse der Sporen sind auch bei beiden Pilzen ganz
dieselben. Bei der nahen Verwandtschaft der Nährpflanzen wäre es
gar nicht unmöglich, dass beide Uredo-Formen zu derselben Species
gehörten, die dann den älteren Namen ('. Zedi (Alb. et Schw.) tra-
gen müsste.
In ihrem biologischem Verhalten weichen die Teleutosporen von
©. Ledi etwas von denen der anderen (oleosporium-Arten ab, indem
sie nicht, wie bei diesen, während der ganzen Sommervegetation
!) L. Fuckel, Symbolae mycologicae. Wiesbaden 1869, S. 43.
2) M. De Candolle, Flore francaise. T. V. ou VI, vol. Paris 1815,
S. 86, No, 625e. ‘
3) Ar a.r0, SL
*) W. Voss, Zur Pilzflora Wiens, Verhandl.d. k. k. zool. bot. Gesellsch.
in Wien 1877. S. 77.
97
gleichzeitig mit den Uredo-Sporen ausgebildet werden und keimfähig
sind, sondern nur einmal aus einem überwinterten Mycel nach einer
Winterruhe. Sie gleichen darin den meisten Melampsora-Arten und
noch vollständiger den Sporen von Ohrysomysa Abietis (Wallr.).
Diese Gattung zeigt überhaupt die grösste Aehnlichkeit mit
Coleosporium, und wollte man den Gattungsbegriff so weit fassen
wie bei Puccinia, so müssten beide zusammengezogen werden, denn
Chrysomyxa verhält sich zu Coleosporium genau so wie „Lepto-
puccinia zu Hemipuceinia.
Die jetzt bekannten Coleosporeen lassen sich nach diesen Be-
trachtungen in der folgenden Weise gruppiren:
Gruppe Coleosporei.
Teleutosporen zu einem festen flachen Lager verbunden. Einzelne
Sporen durch Querwände in mehrere übereinanderstehende Fächer
getheilt.
a. Auf der Nährpflanze, auf der sich die Teleutosporen ent-
wickeln, werden nur diese, aus einem überwinternden Mycel gebildet,
nie aber Uredo-Sporen . . . Ohrysomyza Ung.
b. Auf der Nährpflanze, auf welcher sich Teleutosporen ent-
wickeln, werden auch Uredo-Sporen gebildet. — Diese werden ket-
tenförmig abgeschnürt, besitzen ein farbloses Epispor mit körnchen-
förmigen, theilweise ablösbaren, stumpfen Auflagerungen und lebhaft
orangerothem Inhalt . . . Coleosporium Leveille.
+ U. G. Eucoleosporium. Uredo- und Coleosporium-Lager gleichzeitig, den
ganzen Sommer hindurch gebildet.
Arten: z. B. C. Campanulae (P.)
©. Sonchi (P.)
©. Pulsatillae (Steud.)
++ U. G. Melampsoropsis. Teleutosporen aus einem überwinternden Mycel (der
Jahreszeit nach) vor den Uredo-Sporen gebildet, später nur Uredo-Sporen.
©. Ledi (Alb. et Schw.)
wahrschl. auch ©. Rhododendri (Bonjean).
Rastatt, December 1877.
III
Seit längerer Zeit bin ich damit beschäftigt, Material für eine
Monographie der Uredineen zu sammeln. Eine systematische Zu-
sammenstellung dieser Pilze würde ich für unvollständig halten, wenn
bei ihr nicht auch diejenigen Merkmale benützt würden, welche die
Entwicklungsgeschichte derselben bietet. Die Beobachtungen über die
Entwicklung der einzelnen Arten, welche durch häufige Untersuchung
lebender Formen und Culturen derselben unter genauerer Controle
im Zimmer gewonnen werden, rechne ich daher mit zu den noth-
58
wendigen Vorarbeiten für eine solche Monographie. Ich habe auf
den folgenden Blättern einen Theil der durch solche Beobachtungen
gewonnenen HErgebnisse mit einigen daran sich anschliessenden
Betrachtungen mitgetheilt, weil es mir nicht ganz unzweckmässig
erschien, mich etwas weitläufiger auszusprechen, als es für eine knapp
gefasste systematische Arbeit zuträglich sein möchte. Auch möchte
ich hier einen anderen Standpunkt einnehmen. Die Untersuchung
und Beobachtung vieler lebender Formen führt dazu, nicht allein
ihre individuellen Merkmale, sondern auch ihre vielfachen Beziehun-
gen zu anderen Formen kennen zu lernen und ihre mehr oder weni-
ger ausgesprochene Verwandtschaft wahrzunehmen. Es drängten sich
uns dabei oft Erscheinungen über die Entwicklung der einzelnen
Formen auf, wie ich sie hier theilweise berührt habe. Andererseits
finden wir oft einzelne Formen weit weniger scharf getrennt, als es
für eine scharf scheidende Systematik wünschenswerth wäre, es wür-
den, die Grenzlinien genauer festzustellen, noch eine ganze Reihe
von Versuchen erwünscht sein. Auch solche Lücken in der Erkennt-
niss der Formen möchte ich nicht verschwiegen wissen.
Von diesem wechselnden Standpunkte aus habe ich hier eine
Anzahl Formen und einzelne grössere Gruppen der Gattungen
Uromyces und Puccinia in ihrer Entwickelungsgeschichte zusammen-
gestellt.
1) Das grösste Hemmniss für die richtige Erkenntniss der
Uredineen bietet die Schwierigkeit, für die heteröeischen Formen die
zugehörigen Aecidien festzustellen und für die Aecidien, welche auf
ihren Nährpflanzen keine anderweitigen Sporen bilden, die Pflanzen
aufzufinden, auf denen sich ihre Sporen weiterentwickeln. Jeder, auch
der am nächsten liegende Schluss nach der Analogie führt hier
leicht zu Täuschungen, jede, auch noch so wahrscheinliche Ver-
muthung über die Zusammengehörigkeit einer heteröcischen Aecidien-
und Teleutosporenform bedarf des Beweises durch die Cuitur.
Anknüpfend an die früher mitgetheilte Erfahrung über die Ent-
wicklung des Uromyces Dactylidis Otth., dessen Sporidien die
Aecidien auf Kanunculus bulbosus L. und Z. repens L. hervorrufen,
vermuthete ich, dass sich die Aecidien dieses Rostpilzes auch auf
anderen Ranunculaceen, wenigstens auf anderen Ranunculus-Arten
entwickeln würden. Da ich mir überwintertes, leicht keimendes
Sporenmaterial des Uromyces an meinem Wohnorte immer habe
leicht verschaffen können, war es mir nicht schwer, diese Vermuthung
für einige Fälle weiter zu prüfen. Ich brauche wich bei Beschreibung
der Versuche nicht aufzuhalten, es genügt wohl, um den Grad ihrer
59
Beweiskraft festzustellen, zu erwähnen, dass die Nährpflanzen schon
einen oder einige Monate vor ihrer Infieirung im Zimmer unter
Glasglocke eultivirt wurden, dass die Infieirung auf der unter der
Glocke isolirten Nährpflanze stattfand, dass in den Fällen mit positi-
vem Erfolge die ersten Zeichen gelungener Infection, die an dem
Ort der Ansteckung hervorbrechenden Spermogonien in einer bestimm-
ten Zeit nach der Uebertragung, meist nach 10—12 Tagen, zu be-
merken waren.
Ich erhielt nun ferner Aeeidien durch Uebertragung der keimen-
den Uromyces-Sporen auf Banunculus acer L. und Ft. polyanthemos L.,
dagegen blieb mir die Infieirung erfolglos auf A. Flammula L. und
R. auricomus L. Der positive Erfolg der Infieirung von A. polyan-
themos war für mich darum etwas interessanter, weil ich in der
Umgegend von Rastatt bisher im Freien noch kein Aecidium auf
dieser Nährpflanze gesehen habe, während es z. B. in Schlesien auf
derselben nicht selten angetroffen wird. Dies liegt also wohl nur
daran, dass diese Pflanze bei Rastatt nur an schattigen Waldstellen
auftritt, und da, wo Dactylis mit seinem Parasiten nicht vorkommen,
während ich in Schlesien die Pflanze mit dem Aecidium auf grasi-
gen Dämmen gefunden hatte.
Die negativen Erfolge von Infectionsversuchen haben im Allgemeinen
einen geringen Werth, sie scheinen mir hier etwas mehr Wichtigkeit
zu besitzen, da zur gleichen Zeit und unter gleichen Umständen,
wo die Infieirung von R, auricomus und R. Flammula erfolglos
blieben, die von R, bulbosus, repens, acer und polyanthemus wieder-
holt mit Erfolg ausgeführt wurden, die zuerstgenannten Kanunculus-
Arten scheinen mir also für die Entwickelung der Aecidien von
Uromyces Dactylides ungeeignet zu sein.
Keine andere Pflanzenfamilie ist so reich an Aeeidien, wie die
der Ranunculaceen.
Zunächst sind sie auch auf anderen als den schon genannten
Ranunculus-Arten nicht selten.
Auf R. auricomus kommt bekanntlich Aeeidium sehr reichlich
vor, ferner soviel mir bekannt auf KR. aconitifolius L. (z. B. im
mährischen Gesenke von v. Niessl gefunden), R. pyrenaicus (im
Herb. der Univ. Strassburg von Bonjean am Mont Cenis), KR. pla-
tanifolius? (8. Frankreich von Prost. im Herb. der Universität
Strassburg), A. lanuginosus L. »(z. B. in Schlesien bei Canth),
R. cassubicus L. (bei Liegnitz in Schlesien von Gerhardt ge-
funden), R. Lingua L. (ebendaselbst), i. Gouani (nach DC. Fl.
Fr. VI. S. 97).
60
Ausserdem an Fcaria verna Huds., Caltha palustris L., Helle-
borus viridis L. (im Jura von Morthier gefunden), Isopyrum
thalictroides L. (z. B. in Schlesien bei Canth), Aguslegia vulgaris L.
(durch Frankreich, Deutschland und im Norden bis nach Finnland und
nach Osten bis östlich von Moskau verbreitet), Agusl. nigricans Lof.
(bei Salzburg von Spitzel gesammelt), Aguxl. Sternbergii (Krain von
Voss gefunden), Aconitum Napellus L. (z. B. im Herb. der Univ.
Strassburg aus dem Herb. Nees), Aconitum septentrionale (Norwegen),
Thalictrum minus L. (in Deutschland um Regensburg und um
Berlin, in Mähren: Niessl), 7%. flavum (z. B. in Dänemark von
Rostrup gefunden), Th. angustifolium (z. B. bei Breslau in Schlesien
von Kirchner gefunden).
Alle diese Formen sind habituell und in ihren Einzelheiten von
den Formen auf A. bulbosus e. e. nicht sicher zu unterscheiden, sie
sind wohl auch als Aec. Ranunculacearum DC. zusammengefasst
worden, die Formen auf Thalictrum als Aec. Thalictri Greville.
Mehr abweichend sind die Formen auf Ölematis-Arten (Aec. Olema-
tidis DC.) und zwar auf Ol. Vitalba L. (von Süd-Deutschland durch
Frankreich und Italien verbreitet), Ol. recta L., (Mähren: Niessl,
Ungarn, Italien), 07. Viticella L. Cl. Flummula (Süd-Frankreich:
Prost, im Herb. d. Univ. Strassburg) und die auf Actaea spicata
(Aec. Actaese Opiz) von Süd-Europa bis Lapland verbreitet
(Karsten).
Durch vereinzelt stehende Peridien sind unterschieden, erstlich
die Form mit farblosen Sporen (Aec. Anemones Pultney) auf
Anemone nemorosa L., und solehe mit bräunlichen Sporen 4ec.
punctatum Pers., _Aec. quadrifidum DC., (beide vielleicht nicht ver-
schieden) auf Anem. ranunculoides L., A. coronaria, (Ital., Frank.,
England), und Eranthis hyemalis (bei Parma von Passerini
gefunden).
Durch sehr verlängerte, flache Becher zeichnet sich eine Form
aus, die auf Aconitum Lycoctonum (in den Bayrischen, Schweizer
und Französischen Alpen) gefunden wird.
Auf den meisten der hier aufgezählten Nährpflanzen sind ent-
weder gar keine Teleutosporen bekannt, oder der Zusammenhang
der Aecidien mit den auf ihnen vorkommenden Teleutosporen ist
ganz unbewiesen. Viele der erwähnten Formen sind in Europa
sehr weit verbreitet, sie gehören daher auch wohl zu in ihrer Teleu-
tosporenform weit verbreiteten Uredineen. Welche dies sind, darüber
können nur eingehende Einzeluntersuchungen Gewissheit geben, das
Verzeichniss, in dem ich nur die mir bekannten Europäischen Formen
61
zusammengestellt habe, mag daher zeigen, wie viel in dieser
Richtung noch zu thun ist ').
Bekanntlich kommt auf Ficarıa verna Huds. sehr häufig und
1) Um eine vollständigere Uebersicht der auf den europäischen Ranun-
culaceen vorkommenden Uredineen zu ermöglichen, führe ich hier die mir
bekannten, auf Pflanzen dieser Familie vorkommenden Rostpilze auf, es
sind dies:
1) Uromyces Ficariae (Schuhmacher).
2) Ur. Acoiti Fuckel Symb. mye. S. 61.
3) Puceinia (Eupuecinia?) Calthaecola Schröt. (Calthae Link?).
I. Aecidium — Aec. Calthae Greville Flor. Edinb. S. 446.?
II. Uredo = Caeoma Calthae Link. Speec. pl. II. S. 32.? — Sporen
kuglig, elliptisch oder eiförmig 26—32 : 20—24 Mik., Membran
hell kastanienbraun, stachlig, am Aequator meist mit 3, nach
innen verdickten Keimstellen.
III. Teleutosporen — Puceinia Calthae Link. Spee. pl.?
Sporen elliptisch, in der Mitte merklich, um 2—4 Mik. zusam-
mengeschnürt, meist 40—46 (einzeln bis 48) Mik. lang, 22—26 breit,
an beiden Enden abgerundet, unten oft etwas verschmälert. Membran
lebhaft kastanienbraun, glatt, am Scheitel mit geringer, oft flach
schalenförmiger Verdieckung, Stiel dünn, leicht ablöslich, etwa von
gleicher Länge wie die Sporen.
Ich besitze die Form aus dem Schwarzwalde (hier an derselben Stelle mit
Aec. Calthae vorkommend), Oesterreich (bei Krems: von Thümen), der
Schweiz (bei Interlaaken, Ober-Engadin), Italien (z. B. ausgegeben in Erb.
eritt. Ital. II. No. 48).
4) P. (Eup.) elongata Schröt. in lit.
I. Aec. wie oben.
II. Uredo. Sporen kuglig oder elliptischh 24—28 : 20—22 Mik.
Membran hell kastanienbraun, kurzstachlig, Keimpunkte undeutlich,
nach innen nicht verdickt.
III. Teleutosporen = P. Calthae Link. Spec. II. S. 79? u. d. Aut. z. Th.
Sporen spindelförmig, in der Mitte wenig oder gar nicht zusam-
mengeschnürt, 33—40 (einzeln bis 44) : 13—17 (meist 15) Mik.;
obere Zelle am Scheitel zugespitzt mit 5 Mik. dicker, oben helle-
rer, oft warzenförmiger Verdiekung über der Keimzelle, untere Zelle
keilförmig nach dem Stiele verschmälert, mit farbloser Verdickung
über einer, dicht unter der Scheidewand gelegenen Keimstelle. Stiel
dick, ziemlich fest anhaftend, so lang oder wenig länger als die Sporen.
Ich besitze diese Form aus Schlesien (bei Liegnitz von H. Gerhardt
an derselben Stelle mit Aecidium Calihae gefunden), dem Böhmerwalde
(Kirchner), aus Mähren (v. Niess]), aus Dänemark (von Rostrup gef.),
Italien (Parma: Passerini).
Welche von diesen beiden Formen die ächte ?. Calthae Link ist, kann
wohl nur dann entschieden werden, wenn Originalexemplare von Link
62
durch ganz Europa verbreitet, ein Aecidium vor, welches dem auf
Ranunculus repens u. s. w. ganz ähnlich sieht, und ist schon
untersucht werden können. Ebenso werden Culturen erst über das richtige
Verhältniss des Aeeidiums zu diesen Puceinien sicher entscheiden können.
5) P. Troll, Karsten Enum. fung. Lapp. und Mycologia fennica IV.
S. 40. — Auf Trollius europaeus L.
6) P. Lycoctoni, Fuckel Symbolae mycol. III. Nachtrag S. 11. — Auf
Aconitum Lycoctonum L. Fuckel zieht zu dieser Pucc. das Aecidium
auf Aconitum Lycoctonum.
7) P. (Micropuceinia) gibberulosa n. sp. Aecidium und Uredo unbekannt. —
Puceiniasporen in dunkel kastanienbraunen 1—2 mm. breiten, flachen,
staubigen und zusammenfliessenden Häufchen vorbrechend. Sporen auf
kurzen, farblosen leicht ablöslichen Stielen, 35—45 Mik. lang, 19—22 breit,
in der Mitte wenig eingeschnürt, am Scheitel abgerundet oder fast abgeflacht,
selten mit schwachen bräunlichen Spitzchen über der Keimstelle. Membran
gleichmässig hell kastanienbraun, durch sehr flache gleichfarbige Höcker
(besonders in der oberen Zelle und am Scheitel deutlicher wahrnehmbar)
wellig uneben.
Auf einem alpinen Ranunculus in den Pyrenaeen (Herb. der Universität
Strassburg).
Die flachen Höcker der Sporen-Membran sind ähnlich wie die bei P. Cicutae
Lasch und (nur schwächer) wie bei P. Smyrni Corda.
8) P. Castagnei Schröt. = P. Thalietri Castaqne. „Häufchen sehr klein,
rundlich, unregelmässig, von Resten der Epidermis umgeben. Sporen
elliptisch,h stumpf mit einer Scheidewand in der Mitte, braun, gestielt.
Auf Thalistrum angustifolium, beiderseits. Isles (S. Frankreich) Oetbr.“
Castagne a. d. Etiqg. im Herb. der Univ. Strassburg.
Sporen elliptisch oder eiförmig, in der Mitte wenig, oft gar nicht einge-
schnürt, 23—35 : 18—22 Mik. Membran glatt, kastanienbraun. Stiel sehr kurz,
farblos, leicht ablöslich.
9) P. Thalictri Chevallier auf Thalietrum foetidum L. (Exempl. aus Duby’s
Herbar. i. d. Herb. d. Univ. Strassburg gef. v. Prost 1819 zu Mende
Süd-Frankreich).
Auf Thalictrum minus = P. tuberculatas Körnicke in Fuckel Symb.
mye. 3. Nachir. S. 11. Die Sporen sind mit warzigen Erhabenheiten besetzt
und gleichen ganz denen der P. fusca.
10) P. fusca (Sowerby) = P. Anemones Pers. Obs. mye. 2. S. 6.
Auf Anemone nemorosa L., A. ranunculoides L., A. silwestris L. (S. Italien:
Bagnis.) Pulsatilla vulgaris Mill., P. pratensis (L.), P. vernalis (L.) (nach Fuckel
Symb. myc. 3. Nacht. S. 11).
ll) P. De Baryana Thüm. = P. compacta De Bary auf Anemone silvestris L.
und Atragene alpina L. = Puce. Atragenes. Fuckel Symb. myc. S. 49.
12) P. (Micropuce.) Atragenes Hausmann in Erb. Critt. Ital. No. 550 gef.
bei Bozen 1860. = P. Hausmanni Niessl.
13) Triphragmium Isopyri Mougeot.
63
von Persoon (Obs. myc. 2. 8. 23) als Aecidium Ficariae unter-
schieden worden. Auf derselben Nährpflanze findet sich ebenso
häufig ein Uromyces, der fast ausschliesslich in der Teleutosporen-
form auftritt, sehr selten kann man unter den glatten dunkelbrau-
nen Teleutosporen einige blässere, mit wässrigem Inhalt gefüllte und
von einem stachligen Epispor umschlossene Sporen finden, die ich
als abortive Uredo-Sporen ansehe. Das Aecidium und der Uromyces
finden sich zuweilen auf derselben Nährpflanze, sehr viel häufiger
aber treten sie gesondert von einander auf, so zwar, dass man oft
in einer grossen Ausdehnung auf der Frcaria nur Aecidium, auf
einer anderen Strecke nur Uromyces findet. Das Vorkommen der
beiden Fruchtformen auf derselben Nährpflanze und selbst auf dem-
selben Blatte kann nicht als Beweis angesehen werden, dass die-
selben in den Entwicklungskreis derselben Species gehören, auch
andere Nährpflanzen werden manchmal zu gleicher Zeit von zwei
Uredineen bewohnt, z.B. kann man auf Lolium perenne und anderen
Gräsern oft Puccinia graminis und P. coronata an derselben
Pflanze finden. Gegen die Annahme einer Zusammengehörigkeit der
beiden Formen kann man anführen, dass beide, wie erwähnt, über-
wiegend getrennt von einander auftreten, und dass die Aecidium-
Form nicht vorangeht, sondern dass sich beide Formen in den
ersten Frühlingstagen mit dem Erscheinen der Nährpflanze ent-
wickeln.
Nur Versuche können diese Frage entscheiden. Ich habe
Pflanzen mit Aecidium Ficariae behaftet im Zimmer eultivirt, es ent-
wickelte sich bis zu ihrem Absterben kein Uromyces auf den
Blättern, ebenso wenig konnte ich durch Aussaat der Aeecidium-
Sporen auf Frcaria-Blätter eine Uredineenfruchtform erzielen. Dies
macht wenigstens vorläufig die Zusammengehörigkeit der beiden
Fruchtformen unwahrscheinlich, es könnte immerhin möglich sein, dass
sie zusammengehörten, wenn sich etwa die Uromycesform aus einem
überwinternden, das Aeeidium aber aus einem durch frisches Ein-
keimen der Sporidien erzeugten Mycel entwickelten.
14) Cronartium flaccidum (Albertini et Schweiniz Consp. fung. Niesk. 1805.
S. 32 unter Sphaeria.) — Cronart. Paeoniae Castagne. (Auf Paeonia
offieinalis L., P. tenuifolia (z. B. Bot. Garten in Freiburg.), P. sinensis.)
Die Aecidien auf den verschiedenen Ranuneulaceen sind im Text aufge-
führt. Es empfiehlt sieh wohl, dieselben vorläufig nicht mit Colleetivnamen,
sondern unter dem vollen Namen der Nährpflanzen, also z. B. Aec. Ranunculi
Linguae, Aec. Thhalictri angustifolüü, Aee. Aconiti Napelli u. s. w. aufzuführen,
den Begriff einer Species darf man mit einer solchen Formbezeichnung doch
nicht verbinden.
64
Auf die Erscheinungen, welche durch ein perennirendes Mycel her-
vorgerufen werden können, muss ich bei einer anderen Gelegenheit
später zurückkommen, ich kann hier nur darauf Bezug nehmen, dass
die folgenden positiven Beobachtungen gegen den genetischen Zu-
sammenhang von Aecidium Ficariae und U. Fie. sprechen.
Die Aehnlichkeit des Aeeidium mit dem auf Ran. bulbosus und die
der beiden Nährpflanzen untereinander, mussten mich darauf führen,
Uromyces Dactylidis auf Ficaria-Blätter auszusäen. Mehrere
daraufhin unternommenen Versuche hatten keinen Erfolg. Ich ver-
suchte nun Gräser durch Aeeidium-Sporen zu infieiren, setzte zu
diesem Behufe junge Rasen von Poa nemoralis in Blumentöpfe,
hielt sie einige Wochen unter Glasglocken im Zimmer, um mich zu
überzeugen, dass sie von Hause aus nicht infieirt waren, und säete dann
Sporen von Aecicium Ficariae auf sie aus. Nach etwa 8 Tagen
brachen rothe Rosthäufchen aus der Oberseite der besäeten Gras-
blätter hervor. Der Versuch wurde mehrmals mit gleichem Erfolge
wiederholt. Die Sporen waren elliptisch, kuglig oder eiförmig,
17—22 Mik. lang, 15—18 breit, ihre Membran farblos, kurzstachlig,
der Inhalt orangefarben, sie wurden auf kurzen gleichmässig dicken
Stielen abgeschnürt, niemals fand ich zwischen ihnen oder am
Rande der Häufchen die an den Enden kopfförmig aufgetriebenen
Paraphysen, welche für die Uredo-Form von Uromyces Dactyhidis
so charakteristisch sind. Die Uredo-Häufehen vermehrten sich, und
Anfangs Mai schon traten in ihrer Umgebung die Teleutosporen
auf in kleinen, anfangs rothbraunen später pechschwarzen, von der
Oberhaut bedeckten Häufchen, die wenigstens anfangs in ceoncen-
trischen Linien um Uredohäufchen gestellt waren. Die Sporen waren
einzellig, elliptisch oder eiförmig, 19—25 Mik. lang, 13—16 breit,
ihre Membran gleich dick, sehr hellbräunlich, glatt, ihr Stiel war
kürzer oder eben so lang wie die Sporen.
Aus diesen Erfahrungen glaube ich schliessen zu müssen, dass
Aecidium Ficariae Pers. die Aecidium-Frucht eines grasbewohnen-
den Uromyces ist. Der Pilz ist dem U. Dactylidis ähnlich, aber
durch den Mangel der Paraphyseen bei der Uredo-Form unterschie-
den, was mir um so bemerkenswerther erschien, als Urom. Dacty-
lidis mit der von Paraphysen begleiteten Uredoform ebenfalls auf
Poa nemoralis vorkommt. — Ich glaube dass für diese zweite gras-
bewohnende Uromyces-Form passenderweise der Name Urom. Poae
Rabenhorst (Mareucei. Un Itin. erypt. 1866) angenommen wer-
den kann.
2) G. Winter hat durch seine im Sommer 1875 angestellten
65
Untersuchungen !) nachgewiesen, dass Aecidium Rumicis Schlecht. die
Aecidien-Fruchtform einer auf Phragmites lebenden Puceinia ist,
die er als P. arundinacea Hedw. bezeichnet. Bekanntlich kom-
men auf dieser Pflanze zwei verschiedene Puccinien vor, die neuer-
dings von Fr. Körnieke”?) sehr genau beleuchtet und auseinander
gehalten worden sind. Winter selbst hat die beiden Puceinien
nicht unterschieden und auch keine Beschreibung der bei seinen
Untersuchungen verwendeten Teleutosporen gegeben. Da die Be-
zeichnung P. arundinaces Hedw. nicht unzweifelhaft die Species
bestimmt, (wiewohl sie, wie ich glaube, für die P. Phragmitis (Schum.)
Körn. passt, da die ersten Autoren Hedwig fil. und De Candolle
ihr langgestielte Sporen zuschreiben), und weil beide Species oft
gemeinschaftlich auf demselben Blatte vorkommen, schien eine
Nachuntersuchung nöthig, um die Zweifel darüber, welcher der bei-
den Puceinien das Aecidium Rumicis zugehöre, zu heben.
Diese Winter’sche Untersuchung hat Dr. E. Stahl schon im
Jahre 1876 nachgeprüft, er fand dabei dessen Ergebniss bestätigt,
und zwar verwandte er, wie er mir brieflich mittheilt, zur Infection
von Zumex diejenige Puceinia, welche in den Blättern die kurzen,
breiten braunen Streifen bildet, nicht die, welche die schmalen,
langen, schwarzen Linien verursacht. Ich kann aus dieser Be-
schreibung nicht sicher erkennen, auf welche der beiden Puceinien
sie sich bezieht.
Im Januar 1876 schon hatte ich mir überwinterte Sporen von
Uromyces Rumiecis (Schumacher) auf kumex Hydrolapathum eingesam-
melt. Im April keimten dieselben und bildeten Sporidien in der für die
Uredineen regelmässigen Weise, durch Aussaat derselben auf Rumex-
Blätter hatte ich keine Infection erzielt und mich dadurch überzeugt,
dass das Aecidium Rumieis nicht durch diesen Uromyces hervorge-
rufen wird. Im März 1877 sammelte ich im Freien überwinterte
Sporen von Puccinia Phragmitis (Schum.) (charakterisirt durch die
breiten, oft sehr verlängerten dicken Häufchen, die langgestielten,
am Grunde meist abgerundeten Sporen und den Mangel an Cysti-
den), und von P. Magnusiana Körn. (charakterisirt durch die kleinen
und schmalen Häufchen, die keulenförmigen, kurzgestielten Sporen)
ein. Beide Sporenarten trieben, auf feuchten Grund gelegt, bald
Keimschläuche und bildeten Sporidien. Mit diesen wurden die Blätter
1) Georg Winter, Ueber das Aeceidium von Puceinia arundinacea Hedw.
Hedwigia 1875. S. 113.
2) Fr. Körnicke, Mykologische Beiträge. Hedwigia 1876. S. 178.
Cohn, Beiträge zur Biologie der Pflanzen, Band III. Heft l. 5
66
von gesondert unter Glasglocken gehaltenen Pflanzen von Rumex
Hwydrolapathum, die ich schon ein Jahr lang im Zimmer eultivirt
hatte, besäet. Durch die Aussaat von P. Phragmitis wurde keine
Infeetion erzielt, an den mit P. Magnusiana besäeten Pflanzen
erschienen naeh 10—12 Tagen Spermogonien, (die ersten am 2. April)
etwa 14 Tage darauf Aecidien, die sich weiter verbreiteten und
eine solehe Ausbreitung erlangten, wie ich es bei freiwachsenden
Pflanzen nie gefunden hatte. Die Aecidien zeigten alle Merkmale
des Aec. Rumieis, d. h. besonders weissliche Sporen und eine
Stromabildung, wie sie von Magnus') beschrieben worden ist.
Das Aecidium Rumicis auf Rumex Hydrolapathum gehört also
in den Entwieklungskreis von Puccinia Magnusiana Körn., nicht in
den von P. Phragmitis (Schum.).
3) Fast Jedem, der sich in neuerer Zeit mit einer genaueren Unter-
suchung der Rostpilze beschäftigt, haben die auf den verschiedenen
Carex-Arten vorkommenden Formen derselben Schwierigkeiten ge-
macht, die meist zu Aufstellung neuer Arten führten. Ich habe im
Jahre 1869 ?) zwei Arten angenommen, deren Typus für mich einerseits
die gewöhnlich auf (arex riparia vorkommende Form (Pucc. Caricis),
andererseits eine andere Form war, die ich auf ©, vulpina gefunden
hatte und die ich damals als P. punctum Link, später aber°®), als
ich mich überzeugte, dass Link unter diesem Namen nicht eine von
P. caricina verschiedene Uredinee verstanden, und als ich diese
Form besser kennen gelernt hatte, als P.. Vulpinae bezeichnete.
Letztere ist besonders charakterisirt durch kurz gestielte, oft ein-
zellige blasse, am Scheitel wenig verdickte, am Grunde nicht keil-
förmige, sondern etwas bauchige Teleutosporen, die in kleinen, von
der Oberhaut bedeckten, lange Reihen bildenden Häufchen stehen,
sowie durch fast kugelige Uredosporen mit röthlichem Inhalt *).
Dass aus P. Carieis auch noch andere Species auszuscheiden sein
würden, schien mir immer wahrscheinlich, durch einseitige Unter
suchung der Sporenformen glaubte ich aber nicht zu einer sicheren
Umgrenzung der Arten kommen zu können, denn der Hauptunter-
1) P. Magnus, Mykologische Bemerkungen. Hedwigia 1873. S. 53.
2) Die Brand- und Rostpilze Schlesiens S. 18. 19.
3) Rabenhorst fung. europ. 1868.
*) Andere durch morphologische Merkmale unterschiedene Formen sind
bis jetzt von Fuckel (Symb. mye. II. Nachtr. S. 16) als P. caricicola, von
Körnicke (das. Ill. Nachtr. S. 14) als P. microsora, und von Magnus
(Sitzungsberichte der Naturforscher-V ersammlung, München 1877) als P. dioicae,
und (auch durch biol. Verhalten verschieden) P. limosae, aufgestellt worden,
67
schied derselben besteht in den Grössenverhältnissen und in der
Formation ihrer Scheitelzelle, inwieweit aber diese Merkmale in
dem Rahmen einer Species, namentlich einer Gras- oder Rietgräser
bewohnenden Uredineen-Species schwanken können, schien mir nicht
von vornherein festzustehen.
Ich ging von der Voraussetzung aus, dass heteröeische Uredineen
durch ihren Parasitismus auf zwei verschiedenen Nährpflanzen ein
gutes biologisches Merkmal besitzen, um die zu derselben Species
gehörigen Formen von anderen, die mit ihnen ähnlich sind, zu unter-
scheiden, und prüfte daher einige Formen der Puceinien auf Carex-
Arten, die ich häufiger vorfand, darauf, ob sie durch Aussaat auf
Urtica dioica ein Aecidium entwickelten. Ich habe dabei bis jetzt
gefunden, dass dies sehr regelmässig erfolgte, abgesehen von der
Form auf ©. hirta, durch P. Caricis'), die auf ©. riparia Cart.,
©. paludosa Good., und auf Ö. pendula Huds. in der Gegend von
Rastatt sehr häufig vorkamen. Durch die Aussaat von überwinter-
ten keimenden Sporen dieser Formen auf Urtica dioica im April
oder Anfang Mai wurde immer das Aecidium erzogen. Diese For-
men baben auch unter einander und mit der auf Ü. Airta die
grösste morphologische Aehnlichkeit, sie sind sämmtlich habituell fast
gleich, bilden schwarze, offene Häufchen, die oft (bei der auf ©. hirta
seltener) zu kürzeren oder längeren Linien zusammenfliessen, die
Sporen selbst sind in der Mehrzahl keulenförmig, 45 meist aber
darüber bis 60 Mik. lang, ihr unteres Fach meist länger als das
obere, nach unten keilförmig verschmälert. Diese Formen wird man
daher zu derselben Species rechnen müssen.
In den Wäldern um Rastatt, ebenso in der Umgegend von Frei-
burg in Baden, kommt ausserordentlich häufig eine Puceinia auf
Carex brizoides L. vor. Mit derselben habe ich in mehreren Jah-
ren hintereinander Infectionsversuche auf Urtica dioica gemacht, sie
blieben immer erfolglos. Diese Puceinia-Form unterscheidet sich
auch merklich von der auf den besprochenen Carex-Arten, die
Häufehen sind polsterförmig, bis etwa 1 Mm. breit, schwarz, die
Sporen sind in der Mehrzahl 35 bis 44 Mik. lang, am Scheitel
meist abgerundet, mit 6—8 Mik. dicker, dunkel kastanienbrauner
Verdiekung. Sie kommt in der Sporenform ganz überein mit
1) Puceinia Cariecis ist von Rebentisch (wie ich z. B. bei Wallroth
Fl. erypt. Germ. S. 223 eitirt finde), Flora neomarchica S. 356, also i. J.
1804 aufgestellt worden, P. caricinia De Candolle erst 1815, Fl. frane.,
V.S, 60.
5*
68
P. limosae Magn., wie ich durch Vergleich von Originalexemplaren
fand, die mir Dr. Magnus freundlichst mitgetheilt hatte. An den
Stellen, wo ich diese Puceinia am häufigsten auftreten sah, wuchs
sie in Gesellschaft von Tarawacum officinale Wigg., und auf dessen
Blättern fand ich schon seit mehreren Jahren an den betreffenden
Waldstellen ausserordentlich reiche Aeeidienbildung. Ich habe lange
Zeit auf das gesellige Vorkommen beider Uredineen, welches ja natür-
lich ein ganz zufälliges sein konnte, kein Gewicht gelegt, entschloss
mich aber in diesem Frühjahr die Sache doch einmal zu prüfen. Ich
holte schon im Februar Taraxacum-Pflanzen, reinigte sie, setzte
sie in Töpfe und liess sie bis zur Entfaltung neuer Blätter wachsen.
Eine Uredineenform entwickelte sich dabei auf ihnen nicht. Anfang
März stellte ich die ersten Infeetionsversuche der Pflanze mit im
Freien überwinterten Sporen der Puce. auf ©. brizoides an. Es
entwickelten sich nach 10—12 Tagen an den infieirten Stellen Spermo-
gonien. Der Versuch wurde mehrmals mit gleichem Erfolge wieder-
holt. Die ersten inficirten Pflanzen gingen nach einiger Zeit zu
Grunde ehe sich Aecidien ausgebildet hatten, gegen die Mitte des
Aprils erhielt ich aber an Pflanzen, die ich von einer Waldstelle geholt
hatte, wo Carex brizoides nicht vorkommt (und wo ich bei späterem
Nachsehen auch keine Puceinia auf Taraxacum fand) durch Infieirung
mit der Puceinia sehr reichliche Aecidien, die sich nicht nur
auf einem grossen Theil der Blattflächen, sondern auch an den
inzwischen vorspriessenden Blüthenschaften und den Blättehen des
Hüllkelches entwickelten. Auf nicht infieirten Pflanzen, die unter
denselben Bedingungen gehalten wurden, trat keine Aecidium-
bildung ein.
Durch Infection der Blätter von Carex brizoides mit Sporen von
Aecidium Tarasxaci erhielt ich, zuerst Anfang Mai, Häufchen von
Uredo-Sporen. Sie traten auf gelblich verfärbten Flecken auf, waren
schwarzbraun, die einzelnen Sporen kuglig, elliptisch oder eiförmig,
22—26 Mik. lang, 15—17 breit, mit stachliger Membran und
farblosem Inhalte. An den unter Glasglocke gehaltenen Pflanzen
vermehrten sich im Laufe des Mai die Uredo-Häufchen sehr stark,
und Anfang Juni, zu einer Zeit, wo im Freien erst die Uredo sich
auszubreiten begann, traten an ihnen Häufchen der oben charakterisir-
ten Puceinia auf. Ich konnte demnach wohl nicht zweifeln, dass
diese Puceinia, die ich weiterhin als P. silvatica bezeichnen will,
ihr Aeeidium auf Taraxacum entwickelt. — Das Aecidium glich
ganz dem, welehes überall häufig auf Taraxacum gefunden wird,
ich hatte dies immer, allerdings bisher ohne experimentelle Prüfung,
69
in den Formenkreis einer auf jener Pflanze häufig vorkommenden
Puceinia gezogen. In den Fällen, die ich dieses Frühjahr unter
Cultur hielt, sah ich auf den mit Aecidium besetzten Taraxacum-
Blättern bis zu ihrem Welken und Absterben keine andere Uredineen-
Form auftreten.
Ob das Aecidium Taraxaci in allen Fällen durch P. silvatica
veranlasst wird, lässt sich natürlich nicht ohne Weiteres entscheiden.
Um dem Zweifel zu begegnen, dass ein so häufiges Aecidium nicht
durch eine, in einer bestimmten Localität und auf einer immerhin
nicht allverbreiteten Nährpflanze vorkommende Puceinia gebildet
sein könnte, will ich erwähner, dass ich in meiner Sammlung, in
der ich mir nur eine kleinere Zahl von Exemplaren für Unter-
suchungszwecke aufbewahrt habe, ganz die gleiche P. Form auf
©. brizoides von Striegau in Schlesien, und auf ©. divulsa Good. von
Liebau” in Schlesien, mindestens sehr ähnliche Formen auch auf
anderen waldbewohnenden Carex-Arten besitze, es ist demnach
wohl möglich, dass die Puccina ganz allgemein auf verschiedenen,
besonders waldbewohnenden Carex-Arten verbreitet ist.
Wahrscheinlich ist P. silvatica nicht die einzige Form der Carex-
Pueeinien, welche ihre Aecidien auf Compositen ausbildet, ich habe
Grund zu der Vermuthung, dass dies auch bei P. Vulpinae der
Fall ist. Nach Aussaaten ihrer Sporidien auf junge Pflänzchen von
Achillea Ptarmica L. brachen an Stengeln und Blättern derselben
reichliche Spermogonien vor. Die Pflanzen gingen leider zu Grunde
ehe sie sich weiter entwickelt hatten.
Die Form, welche Magnus als P. dioicae bezeichnet, kommt
mit den Merkmalen, wie sie ihr Autor angiebt, auf feuchten Wiesen
in der Nähe von Rastatt in Baden in grosser Menge auf (arex
Davalliana Sm. vor. Auch auf dieser Art von Nährpflanzen sah
ich. von Mitte Mai an die Uredo-Sporen reichlich auftreten, an
Stellen, die auf weithin das Vorkommen von Aecidium Urticae aus-
schlossen. Die Uredo-Sporen sind denen der P. Caricis auf Carex
hirta, und der P. silvatica gleich gebildet. Die Entwickelungsge-
schichte dieser Form muss noch festgestellt werden.
Die Zerspaltung der alten P. Caricis in eine sehr grosse Menge
von Formen, deren Zahl sich jetzt schon auf 7 beläuft, deren Ver-
mehrung aber noch sicher zu erwarten ist, und die sich unter
einander nur durch geringe morphologische Merkmale unterscheiden,
ist ganz dazu angethan, die strengen Ansichten über Speciesbegriff,
welche bei vielen Mykologen noch herrschend sind, zu erschüttern.
Handelte es sich nur um morphologische Differenzen, so würde man
70
sich mit der Annahme helfen können, dass die aufgeführten Formen
sämmtlich nur Varietäten einer Species sind, nimmt man aber auf die
ganze Lebensweise Rücksicht, so müsste man Varietäten annehmen,
die ausser den morphologischen Verschiedenheiten ganz verschiedene
biologische Eigenschaften besitzen. Solche Formen getrennt zu halten
ist gewiss für die Kenntniss von der Entwicklung der Pflanzenarten
von Interesse und es kann als gleichgültig erscheinen, ob man sie
als Species oder als Abänderungen mit constanten Merkmalen
bezeichnet.
Eine ähnliche Zersplitterung erfahren in neuerer Zeit die gras-
bewohnenden Puceinien. Es sind, soweit mir bekannt, bis jetzt
allein auf europäischen Grasarten 18 Puceinia-Formen unterschieden !).
Man wird kaum irren, wenn man annimmt, dass alle diese For-
men, wie ja schon für viele von ihnen bewiesen ist, heteröcische Arten
sind. Ich will hier auf die morphologischen und biologischen Unter-
schiede der einzelnen Gras-Puceinien nicht weiter eingehen, es ist
auch bei ihnen ersichtlich, dass es Formen sind, die durch geringe aber
constante Differenzen um wenige allgemeinere Typen schwanken.
1) Es sind dies:
I. 1. P. graminis Pers. 2. P. Cynodontis Desm. 3. P. Anthoxanthi Fuck.
4. P. Sesleriae Reichardt. 5. P. serotina Körn.
II. 6. P. Phragmitis (Schum.). 7. P. Sorghi Schweiz. 8. P. Moliniae Tul.
III. 9. P. Oesatii (= P. Andropogonis Fuckel. Der Name muss umgeändert
werden, weil v. Schweiniz früher schon eine von der Fuckel’schen
verschiedene P. Andropogi aufgestellt hat. Als Uredo-Frucht gehört
hierher die charakteristische Podocystis Andropogonis Cesatii.)
IV. 10. .P. striaeformis Westd. (P. straminis Fuckel). 11. P. Poarum Nielsen.
12. P. anomala Rostrup. 13. P. Magnusiana Körn. 14. P. Brachy-
podi Fuckel. 15. P. sessilis Schneider. 16. P. Hordei Fuckel.
V. 17. P. coronata Corda. 18. P. sertata Preuss.
P. paliformis Fuckel scheint mir wenigstens nach einem von Dr. Morthier
erhaltenen Exemplar zu schliessen, nicht auf Koeleria cristata, vielleicht gar
nicht auf einem Grase zu wachsen. Auf dieser Pflanze kommt eine andere
Puceinia, welche ich kürzlich durch H. Gerhardt in Liegnitz erhielt und
die ich hier als P. longissima beschreiben will vor. Sie ist mir nur in der
Teleutosporenform bekannt. Sie bildet schwarzbraune breite und dicke Polster,
die nicht von der Oberhaut bedeckt sind. Die Sporen sind kurzgestielt
(Stiel kaum 10—12 Mik. lang), 60 bis 110 Mik. lang, 13 bis 20 Mik. breit,
Sporen von 90—110 Mik. Länge sind sehr häufig, solche unter 70 selten. Das
untere Glied ist lineal und besonders lang (bis 70 Mik.), an der Scheide-
wand findet manchmal keine, manchmal eine beträchtliche Einschnürung statt.
Die obere Zelle ist an der Spitze abgerundet, oft etwas zugespitzt, ihre
Membran glatt, am Scheitel dunkler und auf 5—10 Mik. verdickt. Paraphysen
sind nicht vorhanden.
TE -
Wir können uns denken, dass wir uns hier einer weit fortge-
schrittenen Formdifferenzirung gegenüber befinden, deren Entstehung
gewiss durch die heteröcische Lebensweise dieser parasitischen Pilze
sehr begünstigt worden ist. Schon die Entstehung der Heteröcie
können wir uns kaum anders vorstellen als durch Accommodation
einer autöcischen Puceinie für besondere Lebensbedingungen. In der
That muss in einer solchen Theilung der Fruchtformen auf ver-
schiedene Nährpflanzen, wenn sie sich zufällig einmal hat voll-
ziehen können, eine grosse Sicherung des Fortbestandes liegen, so
z. B. besonders für die grasbewohnenden Uredineen, denn während
aus uns vorläufig noch unbekannten Gründen die Bildung der
Aecidium-Früchte auf Gräsern nicht zu Stande zu kommen scheint,
bilden diese Pflanzen durch ihr geselliges Wachsthum für die ein-
keimenden Aecidium- und Uredo-Sporen die Möglichkeit einer weiten
Ausbreitung, für die Teleutosporen durch die dauerhafte Beschaffen-
heit ihrer Blätter und Halme die Sicherung ihrer Erhaltung bis zur
Reife im nächsten Frühjahre.
Die Beziehungen der verschiedenen Nährpflanzen der Aecidien einer
heteröcischen Uredinee sind, soweit die Beobachtung gelehrt hat, nicht
durch natürliche Verwandtschaft, sondern nur durch geselliges Vor-
kommen mit den Nährpflanzen der Teleutosporen bedingt. Hierin liegt
schon ein Hinweis darauf, dass die Heteröcie zufällig oder wenn man
es so bezeichnen will, durch Accommodation entstanden ist. Man muss
demnach aber auch zugeben, dass dieselbe Uredinee auf verschiedene
Nährpflanzen überwandern konnte, die in ihrer Nachbarschaft vor-
kamen. Nimmt man an, wie es aus den bisher bekannten That-
sachen hervorzugehen scheint, dass sich die heteröcischen Formen
in ihren Wechselbeziehungen zu bestimmten Nährpflanzen fixiren,
so wird man darin auch ein Moment für die Bildung constanter
Arten oder Abarten sehen.
Vom biologischen Standpunkte aus können wir uns einen For-
menkreis construiren, der von einer supponirten autöcischen Uredinee
ausgehend, von den jetzt lebenden Arten unter sich ähnliche autöcische
und heteröcische Arten vereinigt. In einen so aufgebauten Formen-
kreis, in welchen die Carex-Puceinien gehören, würde man vielleicht
rechnen können:
IAutocische@Horm-; m een ren srl P. Galiorum Link.
Formen bei denen nur Uredo- und Teleuto-
Sporen bekannt sind ......::0...euHensur.« P. Polygonii amphibii Pers.
HeteroeisehesKorm.. ...... 0.22.00 00 He. P. Carieis (Reb.) und andere
Carex-Puceinien.
Wahrscheinlieh auch‘. ...::..22...0.-0. 280.2 P. Scirpi DC.
72
4) Ich habe es noch für zweifelhaft erklären müssen, ob das
Aecidium Taraxacı in allen Fällen durch P. silvatica veranlasst
wird. Es wäre nicht unmöglich, dass zu der auf Taraxacum so
häufig vorkommenden Puceinia ein autöcisches Aecidium gehört,
dieser Annahme fehlt aber jede Stütze durch einen Versuch. Jeden-
falls wäre es wünschenswerth festzustellen, ob und wie sich die
Teleutosporen dieser Puceinia auf Taraxacum. weiter entwickeln, und
das Gleiche wäre für die meisten der auf Compositen lebenden, von
Uredo begleiteten Puceinien nöthig.
Eine in ihrer Entwicklung ziemlich vollständig beobachtete Form
ist die, welche auf Cirsium arvense (L.) so häufig vorkommt,
und die in ganz gleicher Entwiekelung von mir selbst und von
Magnus auch auf Oentaurea Oyanus L. gefunden worden ist. Die
Form ist schon von Persoon') erwähnt worden und kann als Puceinia
suaveolens (Pers.) bezeichnet werden. Rostrup und Magnus haben
die Entwicklung dieser Puceinia auf ihren beiden Nährpflanzen mit-
getheilt”). Sie zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass auf
die Spermogonien kein Aecidinm sondern direet Uredo-Sporen folgen.
In diesem Entwieklungsgange sehe ich den Typus einer Gruppe,
die ich als Brachypuccinia bezeichnen will. Sehr ähnlich der
P. suav. ist besonders auch in ihrer Entwieklung die Puceinia, die
so häufig auf Aieracium-Arten und verwandten Pflanzen aus der
Familie der Compositen, besonders der Abtheilung der Cichoraceen,
auch wohl in der der Cynareen vorkommt. Auf Corymbifloren habe
ich sie bisher noch nicht gefunden. Sie ist von Martius?) als Puccinia
Hieracii, aber schon früher von Schumacher?) als Uredo Hieracii
unterschieden worden, ist also als P. Feracii (Schumacher) zu be-
zeichnen. Ich habe ihren Entwicklungsgang auf mehreren Mieracium-
Arten (M. Prlosella L., H. vulgatum Fr.), Picris Hieracioides L., und
Hypochoeris radicata L. von dem ersten Auftreten im Frühling an öfter
\) Dredo suaveolens Persoon. Observ. mycol. 2. p. 24 (1796). — Synops.
meth. fung. S. 221 sagt Pers. von dieser Uredo: Pulvis ab initio puneta nigra
sistit, dies trifft für die mit Teleutosporen untermischter Uredo-Häufchen zu.
?2) Rostrup in Forhandlingerne ved de skandinaviske Naturforsekeres,
Kjöbenhavn 1873.
P. Magnus, Epidemisches Auftreten einer Puceinia auf Oentaurea Oyanus.
Verhdl. des Bot. Vereins der Prov. Brandenburg 1875.
M. bemerkt hier, dass er durch Aussaat der Sporen von Aecidium Taraxaci
auf Fieracium Uredo-Sporen erzogen hat.
3) Martius, Flor. mosq. S. 226.
4) A. a. 0. S. 232. Uredo Hieracii (auf Hier. silvaticum) auch U. Hyoseridis
(auf Hypochoeris radicata) das. S. 233.
73
controlirt. Ihre erstenAnfänge erschienen an den überwinterten Blatt-
rosetten dieser Pflanzen schon sehr früh im Jahre, im März oder Anfang
April, in Form von gelbrothen schwieligen Erhabenheiten auf der
Unterseite der Blätter besonders im Verlauf der Haupt-Rippe. In
diesen Flecken, die von einem reichlich wuchernden Mycel durch-
setzt sind, erscheinen bald die Spermogonien zu 3 bis 10 in kleinen,
kreisförmigen oder elliptischen Gruppen zusammenstehend. Sie sind
kuglig, 90—100 Mik. im Durchmesser, eingesenkt, rothgelb, am
Scheitel mit wenig vorragenden pfriemlichen Borsten besetzt, die
Spermatien sind elliptisch 3 bis 5 zu 2 bis 2,5 Mik. Die Uredo-
Sporen brechen bald nach dem Erscheinen der Spermogonien aus
denselben Mycel-Lagern hervor und verdrängen diese sehr bald, so
dass sie schnell verschwinden. Bei Picris habe ich indess auch
später noch kleine, aus Spermogonien bestehende Flecke an den ,
Stengelblättern gefunden. Die ersten Uredosporen sind kurz-elliptisch
oder fast kuglig 24 bis 28 zu 21 bis 24 Mik., ihre Membran ist
dunkel kastanienbraun (der der Teleutosporen gleichfarbig), überall
mit gleichfarbigen Stacheln besetzt, an den Seiten mit 2 bis 3 kreis-
förmigen, bei Wasserzusatz nicht aufquellenden Keimpunkten ver-
sehen, ihr Inhalt ist farblos. Teleutosporen bilden sich in den ersten
Uredo-Häufchen meist sehr bald aus, sie sind elliptisch oder eiförmig,
am Scheitel, meist auch am Grunde halbkuglig abgerundet, in der
Mitte nicht eingeschnürt, am Grunde öfter etwas verschmälert meist
26 bis 33 Mik. lang, 20 bis 22 breit, die Membran ist dunkel
kastanienbraun, mit wenig erhabenen und bei Wasserzusatz ver-
schwindenden Punkten besetzt, am Scheitel oder etwas unterhalb
desselben, an der unteren Zelle meist in der Mitte der Seitenwand,
mit einem kreisförmigen Keimflecke versehen. Die Stiele sind von
verschiedener Länge, bald so lang oder kürzer als die Sporen, bald
mehrmals länger, immer aber farblos, zart, leicht abreissend. — In
der nächsten Zeit verbreitet sich der Pilz durch Uredosporen, die
meist nur auf der Oberseite der Blätter zerstreut auftreten und von
einem weisslich verfärbten Flecke umgeben werden. Erst später,
gewöhnlich von August an, treten zwischen den Uredosporen wieder
Teleutosporen auf, oder diese erscheinen auch, besonders an Blatt-
stielen und Stengeln, in eigenen Häufchen.
Diese Puceinienform unterscheidet sich von der P. suaveolens
nur wenig, besonders durch das nur local in der Nährpflanze ver-
breitete Mycel, die spärlichen und flüchtigen Spermogonien.
Sehr ähnlich wie bei P. Heieracii ist die Entwicklung bei einer
auf mehreren Umbelliferen häufig vorkommenden Puceinie, die man, um
74
den ältesten Namen für eine auf diesen Nährpflanzen vorkommende
Uredinee zu, erhalten, als P. bullata (Persoon ') bezeichnen kann.
Auf Aethusa Oynapium L., Silaus pratensis Bess., Petroselinum
sativum Hoffm. und Conium maculatum L. habe ich die Entwicklung
des Pilzes verfolgt, sie verhält sich auf diesen Nährpflanzen ganz
gleich. Als erste Erscheinung treten hier auf der Oberseite der
Blätter in kleinen kreisförmigen Flecken meist zu 6 bis 10 zusam-
menstehend, honiggelbe, kuglige Spermogonien mit kegelförmiger
Mündung auf. Bald folgen zerstreute hell zimmtbraune Uredo-
häufchen. Die Uredosporen sind sehr charakteristisch gebildet, sie
sind eiförmig, nach unten meist stark verschmälert, sie werden bis
28 Mik. lang, 20 breit. Ihre Membran ist hell ocherfarben, am
Scheitel kappenförmig ziemlich stark verdickt und hier besonders
deutlich stachlig, an den Seiten sind meist zwei stark verdickte
Keimstellen bemerklich; der Inhalt enthält rothe Oeltropfen. Die
Teleutosporen sind länglich, elliptisch keulenförmig, meist werden sie
bis 38 Mik, lang. Ihre Membran ist ganz glatt, am Scheitel sehr
schwach verdickt, doch so, dass man die Keimstelle meist als einen
kurzen Kanal deutlich erkennen kann; der Inhalt ist bei den jungen
Sporen immer hellroth.
Bei Sporen, welche auf den Stengeln von Conium überwintert
waren, habe ich im Mai die Keimung eintreten sehen. Es ist über
dieselbe kaum etwas zu bemerken. Die Sporidien waren eiförmig,
farblos, an den kurzen Promyeelien bildeten sich, vielleicht durch
Zufälligkeiten bedingt, meist nur 2 Sporidien.
Ihr nahe steht die auf Pencedanum ÖOreoselinum häufig vor-
kommende Pucecinie, welche ich als P. Oreoselini (Strauss) be-
zeichne?). Den Mittheilungen von Magnus über die Entwicklung
1) Persoon, Obs. mye. (1796) I. S. 93. — Synops. meth. fung. S. 222:
Uredo bullata: in herbarum caule bullatim prominens suborata, pulvere
spadiceo: sporulis bilobis (numero 8 similibus) in planta quodam umbellata
observari . . 5
Albertini et Schweiniz, Consp. fung. S. 129 begreifen unter T. bullata
die Puce. Aegopodi, für welche indess die Persoon’sche Beschreibung
weniger gut passt. Diese stimmt sehr gut für die Form der Puce., die man
an alten Umbelliferenstengeln z. B. den von Conium im Frühjahr noch häufig
auffindet. — Mit Sicherheit sind in den Formenkreis, den ich hier im Auge
habe, zu rechnen: Puce. (Uredo) Conii (Strauss), P. Aethusae Link. und
P. rubiginosa Schröt., wohl auch P. Apii Corda.
2) Vielleicht gehört hierher schon Uredo Athamanthae De Candolle fl. fr. II.
S. 228 und Pucc. Umbelliferarum De Candolle fl. fr. VI. S. 58 wenigstens
grösstentheils.
75
dieses Pilzes') habe ich nichts zuzufügen, nur bemerke ich, dass
er morphologisch der oben beschriebenen Form sehr nahe steht, die
Uredosporen haben dieselbe charakteristische Scheitelverdiekung, der
Inhalt der frischen Uredo- und jungen Teleutosporen ist ebenfalls
röthlich, letzere jedoch am Scheitel schwach punctirt.
Uredo Terebinthi De Candolle auf Pistacia Terebinthus und
P. Lenthiscus besitzt eine ähnliche Entwicklung, auf welche ich
allerdings nur aus der Untersuchung trockener Exemplare schliesse.
Die Spermogonien stehen hier meist in sehr grosser Zahl zu einem
2 bis 3 Millim. breiten rundlichen Flecke vereinigt auf der Oberseite
der Blätter, in kleinerer Zahl an der entsprechenden Stelle auf der
Unterseite. Um sie herum, gewöhnlich in einem breiten Kreise,
manchmal zu einem Ringe zusammenfliessend, erscheinen die Uredo-
haufen von der abgehobenen Epidermis eingefasst. In Gesellschaft
der Uredo findet sich an älteren Exemplaren meist auf der Oberseite
der Blätter die Prleolaria Terebinthi Castagne, die man wohl mit
einiger Wahrscheinlichkeit als die Teleutosporenform von Uredo
Terebinthi ansehen kann. — Die Spermogonien finde ich von den
meisten Uromyces- und Puccinia-Spermogonien etwas abweichend,
dem Typus der Sporenlager bei Caeoma näherstehend. Sie bilden
halbkuglig gewölbte oder abgeflachte, der Blattsubstanz flach
aufsitzende bräunliche Polster von 60 bis 80 Mik. Breite und 40
bis 50 Mik. Höhe. Die Sterigmen sind pfriemlich, unten etwa
25 Mik. breit, oben etwas zusammengeneigt; die Spermatien sind
elliptisch. -
5) Auf Adoxa Moschatellina L. sind schon seit sehr langer Zeit
zwei Uredineenformen bekannt: Aecidium albescens Greville 1824
und Puccinia Adoxae De Candolle 1805. Beide Formen sind nicht
selten und ich habe, wenn ich mich genügend umsah, bis jetzt immer
da, wo ich die eine Form auffand, auch in nicht allzugrosser Ent-
fernung die andere angetroffen. Fast niemals kommen beide auf der-
selben Pflanze zusammen vor, indessen habe ich schon im Jahre 1871
einzelne Fälle ausnahmsweise gefunden, in denen beide aus demsel-
ben Stengel oder Blatte hervorbrachen.
Beide Formen zeigen ein sehr gleichartiges Auftreten. Bei bei-
den durchzieht ein Mycel die ganze Pflanze, auch die Puceinien-
häufchen treten pustelförmig, ähnlich wie Aecidium-Becher an
Stengel und Blattfläche, selbst an den Kelchen und Früchten auf,
'; P. Magnus, Bemerkungen über einige Uredineen. Hedwigia 1377. S. 65.
76
meist in regelmässigen Abständen von einander, sich oft excentrisch
ausbreitend, später erst zusammenfliessend; dies Verhalten zeigten
sie auch da, wo ich sie mit Aecidium auf der gleichen Pflanze fand.
Diese Wahrnehmungen genügten «mir früher, um Aecidium und
Puceinia zu einer Species zu rechnen.
In den früher von mir beobachteten Fällen (auch da, wo
beide Formen auf demselben Blatte wuchsen), ebenso bei Durch-
sicht zahlloser Herbarienexemplare von verschiedenen Theilen
Europas, hatte ich nie Uredosporen gefunden '), ich stellte daher
den Pilz in die Unterabtheilung Puccintopsis, die sich von den
Puceinien mit drei Sporenformen durch das Fehlen der Uredo-
Sporenform unterscheidet.
Gegen das Zusammengehören der Puceinia und des Aecidium
können dieselben Gründe aufgeführt werden, wie sie oben bei Be-
sprechung von Uromyces und Aecidium Ficariae geltend gemacht
worden sind. Insbesondere ist nicht zu verkennen, dass die ein-
zelnen Formen oft territorial ziemlich weit getrennt gefunden werden.
In der Umgegend von Breslau z. B. wurde viele Jahre hinter-
einander an einem Bachufer bei Sibyllenort das Aeeidium weit ver-
breitet, doch nie Puceinia, dagegen mehr als 10 Kilom. entfernt
auf der andern Oderseite im Park von Lissa die Puceinia und nie
Aecidium gefunden.
Durch anderweitige Beobachtungen gewarnt, hielt ich es später
immerhin für möglich, dass das Aecidium zu einer heteröcischen
Uredinee gehören könnte. Ich wurde darauf aufmerksam gemacht,
dass dasselbe vielleicht in den Entwicklungskreis der Puccinia
Nolitangere Corda zu rechnen sein könnte, die wenigstens in der
Umgegend von Breslau in der Nachbarschaft des Aecidiums häufig
auftritt. Für die Möglichkeit dieser Annahme schien mir zu
sprechen, dass ich auf I/mpatiens nie ein Aecidium oder Spermo-
gonien angetroffen hatte, wiewohl ich eifrig danach gesucht und
schon an den Cotyledonen der jüngsten Keimpflanzen Uredo gefun-
den hatte.
Als ich im Frühjahr 1876 Aecidium Adoxae an einer bestimm-
ten Waldstelle auffand, machte ich den Versuch, die mir geäusserte
Vermuthung, zugleich aber auch die Frage, ob die Aecidium-Sporen
auf Adoxa die Puceinia hervorriefen, zu prüfen. Ich will kurz erwäh-
nen, dass die Infectionsversuche von /mpatiens gar keinen Erfolg
!) Rabenhorst, fung. europ. I. 1197. Uredo Adoxae Auerswald. Auch
hier fand ich in den von mir untersuchten Exemplaren nur Puceinia.
77
hatten, auch im Freien, auf der bezeichneten Waldstelle, wo /mpatiens
in der Nähe der mit Aecidium besetzten Adoxa-Heerde wuchs, trat
auf jener keine Uredinee auf. Dagegen stellte sich bald heraus,
dass die Infeetion der Adoxa-Blätter durch die Aecidium-Sporen
gelungen war. Auf der Unterseite der Blätter traten zerstreute
kleine rundliche Pusteln auf, von einem kreisförmigen weisslichen
Flecke umgeben. Die Pusteln enthielten gut ausgebildete Uredo-
Sporen, die einen hell bräunlichen Staub bildeten. Die einzelnen
Sporen waren elliptisch oder eiförmig 22—27 Mik. lang, 17—21 breit,
ihre Membran ocherfarben, sehr deutlich und regelmässig mit
Stacheln besetzt, der Inhalt farblos. Die Uredo-Häufchen boten durch
ihr isolirtes Auftreten, ihre helle Farbe und den weisslichen Hof,
der sie umgab, ein von dem gewöhnlichen Auftreten der Puccinia
Adoxae ganz verschiedenes Ansehn. Eine Zeit lang wurde nur
Uredo in den Häufchen gebildet, später aber auch reichliche Teleuto-
sporen, die sich von den gewöhnlichen Sporen, die sich aus einem die
ganze Pflanze durchziehenden Mycel entwickeln, nicht unterschieden.
Auch an den im Freien .wachsenden Pflanzen war auf dem be-
zeichneten Waldplatze die Entwicklung eine gleiche, sie trat nur
etwas später ein als bei den Culturen im Zimmer. Im Frühjahr
1877 suchte ich die Stelle wieder auf und fand wieder das gleiche
Verhalten des Pilzes. Schon Anfang März erschienen an Stengeln
und Blättern Spermogonien, bald darauf die Aecidien über die
ganze Pflanze verbreitet. Anfang April waren, zumeist an solchen
Blättern, die keine Aecidien trugen, aber auch an solchen, die theil-
weise mit diesen besetzt waren, die Uredo-Häufchen zu finden, in
denen sich jetzt bald Puceinia-Sporen bildeten; dass nur mit Pucecinia-
Sporen erfüllte Häufchen gleichzeitig mit dem ersten Auftreten der
Aecidien oder vor dem Uredo aufgetreten wären, habe ich an diesen
Pflanzen bisher nicht gesehen.
Puecinia Adoxae entwickelte sich also hier so wie ich es für
die Gruppe Zupuccinia annehme mit Bildung von Spermogonien,
Aecidium, Uredo und Puceinia auf derselben Nährpflanze.. Woher
es kommt, dass für gewöhnlich der Pilz nur in den zwei Frucht-
formen auftritt, kann nach den bisherigen Erfahrungen noch nicht
mit Sicherheit entschieden werden. Die einfache Annahme, dass das
Einkeimen der Teleutosporen in die Pflanze ein perennirendes
Aecidium-Mycel erzeugt, kann noch nicht erklären, wodurch das
perennirende Puceinia-Mycel gebildet wird. Man kann sich vor-
stellen, dass das perennirende Aecidium-Mycel in einem gewissen
Alter vielleicht nur Teleutosporen erzeugt, wie wir dies bei der
78
Vegetation der Gruppe Zuuromyces und Eupuccinia auf einer Nähr-
pflanze als regelmässige Erscheinung kennen.
Eine andere Art, wie sich ein perennirendes Teleutosporen-
mycel bilden kann, zeigte mir eine von Uromyces Trifolii (Hedw. f.)')
besetzte Pflanze von Trifolium repens L., die ich etwa ein Jahr lang im
Zimmer gezogen habe. Diese Uredinee besitzt ebenfalls alle Frucht-
formen, das Aecidium wird selten angetroffen und ist von kurzer Dauer,
die Uredo-Sporen findet man dagegen sehr häufig, das ganze Jahr hin-
durch, gegen den Herbst zu mit den Teleutosporen reichlich in denselben
Häufehen gemischt, zuletzt finden sich nur diese vor. Die beobachtete
Pflanze nahm ich im October ins Zimmer, sie trug damals schon nur
Uromyces-Sporen, und entwickelte dieselben nun den ganzen Winter
hindurch bis in den nächsten Sommer. Jedes neue Blättchen zeigte von
seinem Hervortreten an die schwarzen, blasenförmig aufgetriebenen
Sporenhäufchen an den Blattstielen, besonders aber an den Gelenk-
verbindungen der Blättehen mit ihren Stielehen und auf der Rückseite
der mittleren Blattrippe. Blattstiele und Blättchen wurden dadurch
stellenweise stark aufgetrieben und vielfach verkrümmt. Hier war
also das Mycel, welches im Freien auf kleine Blattstellen beschränkt
war und vielleicht durch die Winterkälte getödtet worden wäre, aus-
dauernd geworden.
Ob ein ähnlicher Vorgang auch bei Aecidium Adoxae eintritt,
kann die fortgesetzte Beobachtung zeigen, meine Wahrnehmung in
zwei aufeinanderfolgenden Jahren spricht noch nicht dafür.
Die Fälle, in denen auf derselben Nährpflanze Aecidium und
später keine Uredo, wohl aber Uromyces oder Puceinia folgen, finden
sich in der Natur nicht selten, häufig unter solchen Umständen, dass
man an dem Zusammenhange der beiden Fruchtformen nicht zweifeln
kann, doch bieten sich immer für eine systematische Darstellung grosse
Schwierigkeiten, weil auch hier wieder nur Culturen über diese
Zugehörigkeit endgültige Entscheidung bringen können. Eine der
hierher gehörigen Formen ist Puceinia Tragopogi (Pers.), eine ähn-
liche P. Sii Falcariae (Pers.)?). Diese beiden Pilze bieten Gelegen-
1) Puccinia trifolii Hedw. f. Fung. ined. beiDe Candolle flore frang. U.
5722521809.
2) Accidium Tragopogi Persoon Synops. meth. fung. S. 211. — Aecidium
Sii Falcariae Persoon Disp. meth. fung. S. 12. Synops. meth. fung. S. 212.
Ich halte den Speciesnamen des Autors fest, welcher zuerst den Pilz in
einer seiner Fruchtformen bekannt gemacht hat. Bei heteröcischen Uredineen,
deren Aecidium zuerst bekannt, aber nach der Nährpflanze benannt ist, muss
natürlich von diesem Prinzip Abstand genommen werden,
79
heit, zu bemerken, wie in dem Entwicklungskreise einer Uredinee
die Ausbildung der Uredosporen unterdrückt und dadurch die
Differenzirung der Arten herbeigeführt wird.
Ich habe bei Untersuchung der selbst gesammelten nnd in frem-
den Herbarien vorgefundenen Pucc. Trag. auf Tragopogon pratensis L.
und P. orientalis L.') nie Uredosporen gefunden, sondern nur die
Puceinia-Sporen, die eine sehr charakteristische Gestalt besitzen.
Sie sind an beiden Enden abgerundet, von sehr verschiedener Grösse,
37—48 Mik. lang, aber fast immer sehr breit, 29—38 Mik., dabei
in der Mitte gar nicht oder nur sehr wenig eingeschnürt, so dass
die kurzen Sporen oft ganz kuglig erscheinen. Ihre Membran ist
sehr dick, lebhaft kastanienbraun, mit flach halbkugligen, aber meist
sehr deutlichen gleichfarbigen Warzen besetzt; sie stehen auf zarten
leicht abreissenden Stielen.
Eine dieser in ihrer Teleutosporenform ganz gleiche Form kommt
auf Podospermum laciniatum L. in Deutschland und Frankreich, auf
Puce. Jacguini in Oesterreich (bei Wien), auf Rhagadiolus stellatus
in S. Frankreich vor. (Collines au nord du Lue. J. Mueller im Herb.
der Univ. Strassburg.) Es ist dies die Puccinia Podospermi
De Candolle?). Ein Aeeidium, welches besonders durch die über
die ganze Blattfläche oft auch über Stengel und Hüllkelchblätter
zerstreute Becher, dem der P. Targopogi gleicht, findet sich auch
auf diesen Nährpflanzen, es war schon De Candolle an Podospermum
bekannt, er rechnete es zu seinem Aecidium cichoracearum?), die
Form auf Rhagadiolus*) ist von Passerini in Italien aufgefun-
den worden. Man würde daher beide Puceinien vereinigen können,
wenn sich nieht P. Podospermi durch das Vorkommen von Uredo-
Sporen unterschiede, welche regelmässig, gut ausgebildet und reich-
lich den, in denselben Häufchen auftretenden, Teleutosporen voran-
gehen. Sie sind fast kuglig, elliptisch oder eiförmig, 23 bis 26 Mik.
1) Eine auf Tragopogon floccosus W. K. vorkommende Uredinee, welche
ich durch Dr. P. Magnus erhielt (bei Memel gesammelt), zeigt Uredo- und
Teleutosporen, sie gleicht der P. Hieracii Mart. Ebenso verhält sich eine
Puceinia auf Scorzonera humilis L., die ich aus Schlesien und von einigen
Standorten in Frankreich kenne.
2) P. Podospermi De Candolle Flor. franeaise II. Additions S. 595. 1805.
3) Aec. Cichoracearum & Scorzonerae laciniatae De Candolle Fl. fr. II.
S. 239.
4) decidium Rhagadioli G. Passerini. Fungi Parmensi. Nuovo Giornal.
bot. Ital. 1877. S. 267.
80
lang, 21 bis 24 breit, ihre Membran hellbraun mit kurzen, spitzen
Stacheln besetzt und mit drei im Aequator stehenden Keimflecken
versehen. Diese Puce. gehört also in die Gruppe Eupuceinia,
P. Tragopogonis in die Gruppe Pucciniopsis.
Prof. De Bary, welcher P. Tragopogonis durch Aussaat der
Aecidium-Sporen auf Blätter von Tragop. pratensis und Tr. porri-
‚fFolius erhielt'), hat zwischen den sogleich auftretenden Puceinia-
Sporen eine kleine Zahl Uredo-Sporen gefunden, dies deutet darauf
hin, dass die Puceinia die Fähigkeit Stylosporen zu bilden noch
nicht ganz verloren hat, wenn sie auch für gewöhnlich ganz unter-
drückt wird.
Aecidium Sii Falcariae Pers. ist dem Aec. Tragopogonis fast
ganz gleich. Die zu ihm gehörigen Puceinia-Sporen treten häufig
zwischen den Bechern, ja oft in diesen selbst auf. Ich habe hier
bei Untersuchung sehr vieler, aus Deutschland, Oesterreich und
Frankreich stammender Exemplare nie Uredosporen gefunden. Blasse,
einzellige Speren, welche zwischen der Puccinia vorkamen, konnte
ich immer als einzellige Teleutosporen (welche übrigens auch bei
P. Tragop. nicht selten sind) oder als eingestreute alte Aecidium-
Sporen erkennen. Die Teleutosporen sind elliptischh, kurz und
schwach gestielt, 30 bis 37 gewöhnlich 36 Mik. lang, 18 bis 22
Mik. breit, in der Mitte etwas weniges eingeschnürt, am Scheitel
und am Grunde meist abgerundet, seltener gegen den Stiel etwas
verschmälert, ihre Membran ist glatt, etwas trüb kastanienbraun, an
dem Scheitel um die Keimstelle sehr schwach verdickt. Auf
Bupleurum-Arten in Deutschland und Oesterreich an BD. falcatum L.
an mehreren Orten nicht selten, stellenweise auch auf B. longi-
‚Folium L. kommt eine Puceinie vor, die dieser ganz ähnlich ist, die
P. Bupleuri Rudolphi. Bei dem Aecidium (A. Bupleuri Opitz)
sind Spermogonien und Aecidium-Becher über die ganze Blattfläche und
fast über die ganze Pflanze verbreitet. Die Puceinia ist der auf
Falcaria ebenfalls sehr ähnlich, vielleicht etwas kürzer, 28 bis 33
Mik. lang, 18 bis 22 Mik. breit, sonst aber ganz gleich gebildet.
Auch bei dieser Puceinie habe ich jetzt noch keine rein aus Uredo
gebildeten Sporenhäufchen gefunden, welche den Teleutosporen vor-
angehen, wohl aber finden sich zwischen den Puceinien-Sporen häufig
Uredo-Sporen, die meist kuglig oder kurz-elliptisch 20 bis 22 Mik.
1) A. de Bary, Recherches sur le d&veloppement de quelques champignons
parasites (Annales des sciences Natur. IV. Ser. Bot. T. XX.) S. 80,
S1
lang, 17 bis 20 breit, mit hellbrauner, kurzstachliger, mit 3—4 Keim-
stellen versehener Membran. Ich fand sie an Zahl bis jetzt immer
viel geringer als die Puceinia-Sporen, manchmal ganz fehlend, im
Uebrigen aber gut ausgebildet. Diese Uredo-Bildung ist hier auch
entschieden unterdrückt, aber nicht vollständig wie bei P. Tragopo-.
gonis und P. Si Falcariae, P. Bupleuri muss desshalb immer noch
in die Gruppe Eupuccinia gestellt werden ').
1) Die mir bekannten auf europäischen Umbelliferen vorkommenden Ure-
dineen lassen sich in folgender Weise gruppiren:
Puceinia.
I. Eupuceinia. Spermogonien, Aecidium, Uredo und Puccinia auf derselben
Nährpflanze.
a. Membran der Puceinia-Sporen durch dichtstehende feine Eindrücke
anscheinend netzförmig gezeichnet ........ l. P. Pimpinellae (Strauss)
— P.reticulata De Bary. Auch P. Heraclei
Greville, P. Eryngiü DC. und P. Sileris Voss.
b. Membran glatt.
aa. Aecidien fleckenweise zusammengestellt.
* Aecidien lang röhrenförmig, Inhalt der
Aec.-Sporen orangeroth. Teleuto-
sporen lang gestielt, lang.......... 2. P. Ferulae Rudolphi.
** Aecidien kurz becherförmig, Inhalt der
Aec.-Sporen fast farblos........... 3. P. Saniculae Greville.
bb. Aecidien gleichmässig über die Blattfläche
VELDTEHELA NORA SE TEE URAN 4. P. Bupieuri Rudolphi.
11. Brachypueeinia. Spermogonien, Uredo und Pueei-
nia auf der gleichen Nährpflanze (Aecidium fehlt).
a. Membran der Teleutosporen ganz glatt.... 5. P. bullata Persoon.
b. Membran d. Teleutospor.am Scheitel punktirt 6. P. Oreoselini (Strauss).
III. Hemipuceinia. Uredo und Puceinia-Sporen be-
kannt. Spermogonien und Aeeidien unbekannt.
Membran der Teleutosporen grobhöckerig..... 7. P. Cieutae Lasch.
IV. Puceiniopsis. Spermogonien, Aeeidium und Puc-
einia auf derselben Nährpflanze (Uredo-Bildung
unterdrückt).
a. Membran der Teleutosporen ganz glatt.... 8. P. Sü Falcariae (Pers.).
b. Membran der Teleutosporen durch feine
Eindrücke netzförmig gezeichnet .......... 9. P. Bunii (De Candolle)
= P. Bulbocastani Fuckel.
c. Membran der Teleutosporen grobhöckerig . 10. P. Smyrnii Corda.
V, Mieropuceinia. Nur Teleutosporen sind bekannt.
a. Teleutosporen an der Spitze mit einem farb-
losen Wärzchen. Membran glatt......... 11. P. Aegopodii (Strauss).
Hierher gehört auch P. Astrantiae Kelchbr. 12. P. enormis Fuckel.
b. Teleutosporen am Scheitel abgerundet .... 13. P. Angelicae (Strauss).
Triphragmium.
Sporen mit strahligen Auswüchsen besetzt . 14. Tr. echinatum Lev.
Unbekannt sind mir die Teleutosporen von Aecidium Foeniculi Castagne,
Adec. Seseli glauei, Aec. Mei athamanthiei, Aec. Angelicae silvestris und von
Uredo Hydrocotylis Montagne.
Cohn, Beiträge zur Biologie der Pflanzen, Band If, HeftI, 6
82
Die hier besprochenen Formen lassen sich unter einem allgemei-
neren Gesichtspunkte zusammenfassen. Es handelt sich in diesen Fällen
um autöcische Rostpilze, deren Aeeidium sich aus einem perennirenden
Mycel entwickelt. Sie bilden ihre Teleutosporen zum Theil aus einem
Mycel, welches vorher keine oder nur spärliche Uredosporen abschnürt,
und man kann die Formen, bei denen sich Uredosporen entwickeln,
als Uebergangsformen erkennen, zu denen, bei welchen die Bildung
der Uredo-Sporenform ganz unterdrückt wird. Nach der bei solchen
Fragen jetzt gebräuchlichen Folgerung, kann man sich diesen Vor-
gang aus Zweckmässigkeitsgründen erklären. Bei den vielen autö-
cischen Uredineen, die schnell vergängliche Aeeidien-Formen besitzen,
ist die Uredo-Sporenform das Haupt-Mittel die Species zu erhalten,
sie ermöglicht die Verbreitung auf einen weiteren Bezirk, auf dem
dann die Ausbildung der Teleutosporen erfolgen kann, die beim Er-
löschen der einjährigen Generation die Species im nächsten Jahre
fortpflanzen. Für die heteröcischen Formen ist die Uredo-Sporenform
aus zwei Gründen zweckmässig, ausser dem angeführten Grunde darum,
weil das Zusammenfinden der Teleutosporen heteröeischer Uredineen
mit den für die Entwicklung der Aceidien nöthigen Nährpflanzen
durch eine grössere Zahl von Zufällen gehindert sein kann, und
darum durch eine weitere Ausbreitung ein günstigeres Moment dazu
geboten wird. Für die mittelst eines perennirenden Myeels der Aeeidien
lebenden Uredineen sind die längere Zeit hervorgebrachten Aeeidium-
Sporen ein genügend reichliches Verbreitungsmittel. Zur Erhaltung
der Art genügt die Ausbildung der Teleutosporen, und auch diese
braucht nicht jedes Jahr zu gelingen, da ja das perennirende Mycel
mehrere Jahre Zeit hat, auf die Bildung von Teleutosporen hin
Aecidium-Sporen auszusenden. — Ich brauche wohl nicht ausführ-
licher zu erläutern, dass diese Darstellung nur giltig ist, indem man
das was hier als Zweckmässigkeit erwähnt wird, als Folge ansieht,
d. h. die erwähnten autöcischen Uredineen mit perennirendem
Aecidium-Mycel haben sich auch in den Formen erhalten, bei denen
die Uredo-Bildung unterdrückt wird, weil auch ohne diese Sporenform
ihre Existenz gesichert ist.
Bei aufmerksamer Beobachtung der frei lebenden Uredineen finden
wir öfters solche Formen, bei denen sich eine Anbahnung zur
Unterdrückung der Uredosporenbildung bemerken lässt, bei gleich-
zeitiger Vermehrung der Aecidium-Bildung. Solehe constante For-
men sind z. B. die des Uromyces Viciae Fabae auf Ervum hirsu-
tum und die der Puccinia Galiorum auf Galium Aparine. Bei
beiden Formen sind Aecidium, Uredo und Teleutosporen der
33
Normalart ganz gleich, während aber das Aecidium bei dieser
eine schnell verschwindende Frühjahrsfruchtform ist, bricht es
bei jenen Abänderungen den Sommer und Herbst hindurch bis zum
Spätherbst hervor in Begleitung reichlicher Teleutosporen, während
die Uredo-Sporen nur spärlich gebildet werden. — Ich erwähne
hierbei, dass diesen Sommeraecidien die Begleitung der Spermo-
gonien fehlt, welche ich mit einer einzigen mir bekannten Ausnahme
stets den Frühjahrs-Aeeidien habe vorausgehen sehen !).
6) Die Puceinien, welche bald nach ihrer Reife, ohne eine Ruhe-
pause einzugehen, keimen und Sporidien bilden, besitzen so viele
gemeinsame Merkmale, dass man sie in eine geschlossene Gruppe
allen anderen Puceinien gegenüber stellen kann. Ich habe dieselbe
als Leptopuceinia bezeichnet.
Das wichtigste Merkmal der hierher gehörigen Formen ist natür-
lich nur durch Culturen lebender Exemplare zu erkennen und dieser
Umstand bewog mich besonders, die Gruppe hier zu besprechen.
Zuweilen kann man indess auch bei Untersuchung trockener Exemplare
ausgekeimte Sporen mit wohlerhaltenen Keimschläuchen finden, wie
ich sie z. B. an trocknen Exemplaren von Pucc. Siülphii Schwz. u.
P. grisea (Strauss) (P. Globulariae DC.) häufig und reichlich gese-
hen habe, solche Formen wird man gewiss unbedenklich in diese
Gruppe stellen können.
Bisher hat man bei diesen Puceinien weder Uredo- noch Aecidium-
Bildung gefunden. Der Ausfall der Uredo-Bildung wird durch die
Entwicklungsweise bedingt, die Uredo-Sporen werden hier durch die
Sporidien ersetzt, die durch ihre grosse Menge den Pilz weithin und
lange Zeit hindurch verbreiten helfen. Die Möglichkeit, dass auch diese
Puceinien Aecidium bilden könnten, lässt sich nicht abstreiten, doch
ist dafür noch kein Beispiel bekannt, auch sind auf den meisten
Nährpflanzen, die Leptopuccinien ernähren, entweder überhaupt keine
Aecidien gefunden worden oder diese werden zu anderen Puceinien
gerechnet. In morphologischer Beziehung kommen sie alle darin
überein, dass ihre Membran glatt ist, dass sie an festanhaften-
den Stielen auf einem stark entwickelten Hypothallus stehen und
in dichten, gewöhnlich rundlichen Polstern auftreten.
1) Die Ausnahme betrifft das Aecidium der Puccinia Alliorum (DC.)
(P. mixta Fuck.). Bei dem ersten Auftreten desselben, welches ich im
Bot. Garten in Breslau an Keimpflanzen und aus älteren Zwiebeln vor-
schiessenden Blättern beobachtete, sah ich nur Aecidium-Becher, keine Sper-
mogonien. Ebenso erschien nach Aussaat gekeimter Puceinia-Sporen auf
Allium Schoenoprasum Aceidium ohne Spermogonien.
6*
34
Die Unterscheidung der Species ist in dieser Gruppe oft
ziemlich schwer, und es ist darin zumeist ganz willkürlich oder
auf flüchtige Untersuchungen hin verfahren worden, namentlich
scheint das verschiedene Ansehen, welches bei einigen Arten die
ausgekeimten und die noch mit Inhalt versehenen Sporen bieten, zu
Annahme verschiedener Arten Veranlassung gegeben zu haben,
ferner die hellere oder dunklere Membranfärbung, besonders der
Spitzenverdickung, die bei einigen Formen, wie es scheint nach dem
Alter der Sporen, vielleicht auch nach dem Alter des Mycels, aus
dem die Sporenpolster gebildet sind, verschieden ist.
Ganz besonders gross ist die Zahl der hierher gehörigen For-
men auf Sileneen und Alsineen, welche selbst viele derjenigen
Mycologen, die über Zersplitterung der Arten klagen, in eine mehr
oder weniger grosse Artenzahl spalten. Link') hatte die hierher-
gehörigen ihm bis 1825 bekannten Formen auf Dianthus, Stellaria,
Spergula und Sagina als P. Lychnidearum (auch die nicht hier-
hergehörige P. Frankeniae) zusammengefasst, Fuckel unterschied
1869?) wieder 5 Arten (wobei P. Dianthi DC. noch nicht mit
inbegriffen ist) auf 11 Nährpflanzen. Die Unterschiede, die er an-
nimmt, sind zum Theil dadurch bedingt, dass er verschiedene auf
einer Nährpflanze vorkommenden Uredineen, ohne ihre Zusammen-
gehörigkeit zu prüfen, in den Entwicklungskreis der gleichen Species
stelit. Ich kenne jetzt auf 26 Pflanzen (nur die europäischen For-
men gerechnet) aus der Familie der Öaryophylleen Leptopuccinien,
nämlich auf: Tunica prolifera Seop., Dianthus barbatusL.,
Cuccubalus baccifer L., Melandryum rubrum P. M. E.,
Agrostemma GithagoL., Sagina procumbens L., 8. apetala
L., S.nodosa (L.), S. saxatilis Wimm., Möhringia muscosa
L., M. trinervia L., Arenaria serpyllifolial., Stellaria
nemorumL., St. media Vill., St. HolosteaL., St. gramineal.,
St. uliginosa Murr., Malachium aquaticum (L.), Cerastium
glomeratum Thuill., ©. triviale Link., Spergula arvensis
L., Sp. pentandra L., Alsine verna (L.); in den Gärten
auch an Dianthus chinensis, Saponaria persica und
1) H. F, Link, Speec. plant. VI. P. II. S. ‚30.
2)L. Fuckel, Symbolae mycologiecae S. 50: 12. P. Agrostemmae +,
13. P. Stellariae 7, 14. P. Spergulae DC., 15. P. Möhringiae +, 16. P. Saginae *.
— Als P. Lychnidearum "}, wozu P. L. Link als Synonym gezogen wird,
beschreibt er die Puccinia (Eup.) auf Silene inflata, sie ist in v. Thümen
Mykoth. univ. No. 635 als P. Behenis Schröt. ausgegeben und näher beschrie-
ben worden.
85
Cerastium sp. Ich habe bei einer Anzahl derselben die Keimung
und Sporidienbildung gesehen, und einzelne von ihnen längere Zeit
eultivirt.
Den Versuch durch morphologische Merkmale unter diesen For-
men constante Arten zu unterscheiden, habe ich aufgeben müssen.
Die Sporen sind bei allen lang gestielt, im allgemeinen spindel-
förmig, die obere Zelle vor dem Auskeimen meist zugespitzt, die
Membran vor dem Auskeimen ocherfarben; die Länge schwankt
auf derselben Nährpflanze in sehr weiten Grenzen zwischen 33 bis
44 Mik. Ob sich einzelne Formen auf ihren Nährpflanzen fixirt
haben und auf andere nicht übergehen, kann nur durch umfassende
Culturen festgestellt werden.
Bei den meisten dieser Formen, z. B. der auf Stellaria, auf
Melandryum, Dianthus, Möhringia trinervia, Sagina procumbens ist
das Plasma der jungen Sporen farblos, ebenso das der Promycelien
und Sporidien. Bei einigen wenigen von ihnen, soweit mir bekannt
nur bei denen auf Spergula (Sp. arvensis, die auf $. pentandra
habe ich nicht frisch untersucht) und Alsine verna ist das Plasma
der jungen Sporen, der Promycelien und Sporidien hellroth gefärbt. Man
kann hiernach wohl zwei differente Species unterscheiden, die erst-
erwähnte wird als P. Arenariae (Schumacher) ') zu bezeichnen sein,
weil Sch. zuerst 1803 eine Form aus dieser Reihe als Uredo
Arenariae unterschieden hat, (bald darauf 1805 stellte DeCandolle
seine P. Dianthi auf), die zweite Form ist Puccinia Spergulae
De Candolle ?).
Bei Pucc. Corrigiolae Chevallier habe ich die Sporidienbildung
ganz so gefunden, wie bei P. Arenariae, auch morphologisch würde
ich beide Formen ohne Berücksichtigung der Nährpflanze nicht
unterscheiden können?). Das Gleiche gilt für P. Herniariae
Unger?),. FP. COhrysosplenii Greville, welche ich nicht frisch
1) a. a. 0.S. 232. 66. Uredo Arenariae (= Pucc. auf Moehringia trinervia).
67. U. Alsines (Puce. auf Stellaria media.)
2)’a.. 2. 0. 5. 219:
3) Ich habe diese Puce. in Rabenhorst fung. eur. 1673 ausgegeben. Ich
hielt sie, die bis dahin in Deutschland noch nicht beobachtet war, für eine neue
Art. Exemplare im Herb. Duby (Univ. Herb. Strassburg) aus Frankreich,
dort als P. C. Chev. bestimmt, sind aber der von mir gefundenen Form
ganz gleich.
*) F. Unger, Ueber den Einfluss des Bodens auf die Vertheilung der
Gewächse 1836. S. 218. — P. Herniariae Lasch., Rabenhorst, Herb. mye.,
ll. No. 1397, ist nicht verschieden.
86
untersucht, bei der ich aber vielfach ausgekeimte Sporen gefunden,
ist ebenfalls sehr ähnlich. Für alle diese und noch einige der hier
zunächst zu besprechenden Formen mag der Grundsatz gelten, dass
man morphologisch nur wenig oder gar nicht unterscheidbare
Uredineen als verschiedene Species rechnet, welche auf Nährpflanzen
aus verschiedenen natürlichen Pflanzenfamilien vorkommen, dagegen zu
derselben Species, wenn die Familie der Nährpflanzen dieselbe ist.
Es ist dies eine künstlich gezogene Scheidegrenze,. die vielleicht nicht
richtig ist, bisher sind aber keine Fälle nachgewiesen, in denen die
Teleutosporen einer Uredinee durch künstliche Infeetion auf Nähr-
pflanzen von verschiedenen Familien erzogen worden wären.
Die Räschen der Puccinia Thlaspeos Schubert, auf Tihlaspt
alpestre und Arabis hirsuta nicht selten vorkommend, überziehen die
Unterseite der Stengelblätter ihrer Nährpflanzen bis zu ihren Spitzen
mit hellbraunen Krusten. An den Stengeln und den überwinternden
Blattrosetten habe ich sie nie hervorbrechen sehen. Ich habe vor
vielen Jahren den Pilz auf Wiesen zwischen Jülich und’ Eschweiler
in der Rheinprovinz auf T’hlaspi alpestre sehr häufig, und jedes
Jahr an denselben Stellen angetroffen. Die ergriffenen Pflanzen
machen sich schon bei ihrem ersten Sprossen Ende März durch ein
gelbes kränkliches Wachsthum bemerklich, der Stengel ist aufge-
trieben und häufig verkrümmt. Man kann aus diesem eigenthüm-
lichen Wachsthum, welches die Puceinia sehr leicht kenntlich macht,
schliessen, dass sie sich aus einem die ganze Pflanze durchziehen-
den und wahrscheinlich perennirenden Mycelium entwickelt. Die
Sporen sind an Gestalt und Grösse denen von P. Arenariae ähn-
lich, nur gewöhnlich kürzer gestielt und am Scheitel gewöhnlich
abgerundet. Sehr häufig finden sich in den Räschen ausgekeimte
und noch mit Promycelien besetzte Sporen, die Puceinie gehört
daher zweifellos in die hier betrachtete Gruppe.
Dies gilt auch, wie oben erwähnt, für Puccinia grisea (Strauss),
die auf Globularia vulgaris und Gl. nudicaulis in der ganzen Alpen-
kette von Steyermark bis Savoyen verbreitet ist. Ihre Sporen sind
morphologisch sehr gut characterisirt durch meist lineal-lanzettliche,
nach beiden Enden verschmälerte, an der Scheidewand nicht zusam-
mengeschnürte, 35 bis 52 (meist 40 bis 45) Mik. lange und 11 bis
15 (meist 13) Mik. breite Sporen mit sehr hellfarbener fast farb-
loser Membran.
Auf verschiedenen Galium-Arten kommt, wie es scheint in ganz
Europa, wenigstens in Mittel- und Nord-Europa, eine Leptopuceinia
vor, welche auch die erste bekannt gewordene Puceinie aus dieser
87
Gruppe ist, da sie schon Persoon als P. Valantiae beschrieben
hat!). Ich kenne sie von Galium Cruciata (L.), @. glabrum (L.),
@. Aparine L., @. rotundifolium L., @. sawatile L., G. Mollugo L.,
@. silvaticum L., @. silvestre Poll. Diese Formen haben zu vielen Syno-
nymen Veranlassung gegeben; die Form auf @. glabrum z. B. ist von
Roberge als P. heterochroa, von Cesatials P. Gali verni, die auf
@. saxwatıile von Fuckel als P. acuminata beschrieben worden, ich
finde sie auf den einzelnen Nährpflanzen aber nicht verschieden. Die
Sporenpolster sind an den Stengeln lang ausgedehnt und breit, an den
Blättern rundlich und klein, an den Blüthen und Fruchtstielen bilden
sie oft lange, ziemlich dünne Schwielen und verursachen mannigfache
Verkrümmungen, sie gehen auch auf die Früchtchen selbst über. Die
Sporen sind spindelförmig, bis 65 Mik. lang, 15 bis 15 breit, an
der Spitze abgerundet oder zugespitzt, und darin ebenso variabel
wie P. Arenariae. In Baden ist diese Puce. besonders auf Gal.
Mollugo, auf den höheren Bergen auch auf Gal. silvestre häufig.
Im frischen Zustande zeichnen sich die jungen Sporenrasen durch
einen lebhaft honiggelben schwieligen Rand aus, welcher sie begrenzt,
durch das reichliche in ihrer Umgebung wuchernde Mycel veranlasst.
Die Sporen keimen leicht bis in den December hinein, das Plasma
der Promycelien und Sporidien ist hell röthlich.
Dieser Pucc. ist die P. Malvacearum Montagne sehr ähnlich,
nur sind die Sporen noch etwas länger (häufig bis 60 Mik.), und
besonders breiter. Nach dem, was ich schon im Jahre 1873 über
das Wachsthum und die Sporidienbildung derselben mitgetheilt habe ?)
und den vielen in den letzten Jahren über diese Puceinia erschienenen
Berichten brauche ich hier auf dieselbe nicht näher einzugehen.
Von den Pflanzen aus der Familie der Labiaten sind mehrere
als Nährpflanzen von Leptopuccinien bekannt, welche Letztere
wenigstens zu zwei morphologisch gut zu unterscheidenden Arten
gehören. Als eine Art fasse ich die Formen auf, welche auf
Teuerium-Arten vorkommen, die als Pucc. annularıs (Strauss) zu
bezeichnen ist. Die Sporen dieser Formen sind spindelförmig,
ihre Membran hellbraun, sie stehen daher den bisher besprochenen
Leptopuccinien nahe. Die Formen auf Teucrium Scorodonia L.,
T. Chamaedrys L. und T. fruticans, welche von einzelnen
!) Persoon, Obs. myecol. 2. p. 25 L. 6 f.4. Synops. meth. fung. S. 227. —:
Puceinia Valantiae in Valantiae conciatae folüs.
2) J. Schröter, Bemerkungen über eine neue Malvenkrankheit. Hedwigia
1873. S. 183. —
88
Autoren als besondere Arten unter eigenen Namen unterschieden
worden sind, halte ich nach eigener Untersuchung nicht für ver-
schieden. Diese Puceinia auf Teuerdum Scorodonia ist in ganz Baden
sehr verbreitet. Sie bildet, wenn die Witterung ihrer Entwicklung
günstig ist, bis Ende November neue Sporenpolster, und geht dann
auch auf alle grünen Theile, Kelche und selbst junge Früchtehen
über, wie dies überhaupt für die Leptopuceinien vecht bezeichnend
ist. Die Sporidienbildung tritt bis in die späteste Jahreszeit an
jungen Häufehen, die sich auf noch lebenden Blättern entwickelt
haben, sofort ein, wenn man ein solches Blatt auf Wasser legt.
Promycelien und Sporidien sind farblos, Letztere elliptisch, einseitig
abgeflacht, 9 bis 10 Mik. lang. Ist die Blattsubstanz abgestorben,
sei es in der Umgegend des Pilzes durch dessen Wachsthum bedingt,
oder durch Absterben und Vertrocknen des ganzen Blattes, so kei-
men die Sporen erst nach einer Ruhepause. Solche vertrocknete Blätter
mit ausgetrockneten Sporen-Häufchen habe ich nach ihrer Ueber-
winterung im Mai eingesammelt. Auf feuchten Grund gelegt keim-
ten sie jetzt wieder und bildeten Sporidien ganz in derselben Weise
wie die Sommer-Sporen. Ich habe die so gekeimten Sporen zu
resultatlosen Versuchen verwendet, eine von mir damals vermuthete
Heteröcie des Pilzes zu prüfen, habe daher leider nicht erfahren, wie
sie sich der eigenen Nährpflanze gegenüber verhalten.
Habituell sehr ähnlich der Form auf Teucrium Scorodonia ist
eine Leptopuccinia auf Veronica montana, sie weicht indessen etwas
in der Grösse von ihr ab, denn ihre Sporen sind meist nur 28 bis
33, selten über 35 Mik. lang. Dieser Pilz ist auf dieser Pflanze
an vielen Orten Baden’s, besonders auch in der Umgegend von Rastatt,
sehr häufig, ich habe ihn an mehreren Standorten jahrelang controlirt
und auch mehrmals länger als ein Jahr im Zimmer ceultivirt.
Seine Räschen sind in frischem Zustande hell zimmtfarben und bilden
oft kreisförmige Flecke oder concentrische Kreise. In feuchter Luft
keimen die auf lebenden Blättern oder Stengeln wachsenden Sporen
sofort aus und bilden farblose Promycelien und Sporidien. Wur-
den die Pflanzen im Zimmer unter Glasglocken gehalten, so bildeten
sich das ganze Jahr hindurch an Blättern und Stengeln frische
Puceinia-Rasen und zwar bei directer Uebertragung der keimenden
Sporen an den infieirten Stellen. Versuche, die Puccinia auf Teuerium
Scorodonia, auf Oircaea oder auch auf Veronica Uhamaedrys zu über-
tragen, hatten keinen Erfolg. Ich will hier erwähnen, dass ich
an einigen Standorten in Gesellschaft der sehr reichlich auf Ver.
montana vorkommenden Puccinia das Aecidium auf Oircaea lutetiana
89
fand, ich vermuthete deswegen eine Zeitlang einen genetischen Zu-
sammenhang dieser beiden Rostpilze; die Versuche, die ich daraufhin
angestellt, haben mir indess nichts ergeben, wodurch diese Ver-
muthung gestützt würde. Die erwähnte Leptopuccinia will ich hier
als P. Veronicae') bezeichnen, um sie wenigstens vorläufig noch von
P. veronicarum De Candolle?) zu trennen.
Ueber letztere hat Körnicke vor Kurzem einige Bemerkungen
mitgetheilt?). Körnicke unterscheidet dort zwei Formen derselben:
a. fragilipes mit leicht abbrechenden und ß. persestens mit fest anhaften-
den Sporen-Stielen. Die erstgenannte Form ist besonders auf Veronica
urticaefolia L. in derganzen europäischen Alpenkette, und wie es scheint
durch ganz Italien verbreitet, ich fand sie auch auf einer kleinblättrigen
Ver., die ich als Ver. montana bestimmte, am Gotthardpasse und an
der Maienwand in der Schweiz. Der von Körnicke gegebenen
Beschreibung der Sporen habe ich nicht viel hinzuzufügen, ich hebe
nur hervor, dass ihre Membran ziemlich dunkelbraun ist, sie tragen
am Scheitel eine ziemlich starke, stumpfe, oben hellere Verdiekung,
die meist zu einem Spitzchen verschmälert ist und deutliche
Schiehtung zeigt; eine ähnliche Verdiekung ist auch an der unteren
Zelle an einem Punkte dicht unter der Scheidewand zu erkennen.
Bei dieser Form ist eine Keimung der Sporen noch nicht beobachtet
worden, es scheint, dass sie nicht auf der lebenden Nährpflanze aus-
keimen. Die zweite Form kommt besonders auf Veronica spicata
und Ver. longifolia im nördlichen Deutschland bis nach Lappland
(P. A. Karsten) vor. Die Sporen dieser Form stehen in festen
schwarzbraunen Häufchen, ihre Membran ist hell kastanienbraun, am
Scheitel mit einer helleren zugespitzten Verdickung versehen. Ich
habe diese Form nur an trockenen Exemplaren untersucht und kann
über ihre Entwicklung keine eigenen Beobachtungen anführen.
Körnicke sagt, dass sie sehr bald nach ihrer Reife auskeimen. Das
gemeinschaftliche Vorkommen beider Formen auf Veron. urticifolia
1) Chr. Fr. Schumacher, Enumer. plantar. in part. Saellandiae in d. Pars
posterior. Hafn. 1803 führt S. 40 eine Uredo Veronicae auf, die er folgender-
maassen beschreibt: Peridiis suborbieularibus depressis, subconfluentibus,
minutis pallide sulphureis, pulvere concolore. — In fol. Veronicae officinalis!
— Spätere Autoren eitiren diese Uredo weiter. Ich habe sie nie gesehen
und halte es für sehr wahrscheinlich, dass Schumacher, welcher zwischen Uredo
und Puceinia keinen Unterschied machte, die Puccinia auf Ver. montana ge-
meint hat, die auch in Dänemark vorkommt.
2) Fl. frang. II. Additions. S. 594.
3) Fr. Körnicke, Mykologische Beiträge. Hedwigia 1877. S. 1.
90
und V. Zongifolia habe ich ebenfalls an mehreren Herbarexemplaren
gesehen. Wie mir scheint wird man annehmen können, dass die
Puceinien auf Veronica-Arten einer Species angehören, welche sich
auf ihrem grossen Verbreitungsbezirke in zwei verschiedene Formen
differenzirt hat, deren Trennung dadurch, dass die Mittelglieder
noch nicht verschwunden sind, Schwierigkeiten bietet. Die Form:
P. Veronicae ist eine reine Leptopuceinia mit gleichmässigen, hell-
häutigen Sporen, die Form P. Veronicarum a. fragilipes bildet
vielleicht (ob auch auf Ver. urticif., wird durch Versuche an leben-
den Exemplaren noch festzustellen sein) eine kurze Zeit lang sofort
auskeimende Sporen, später schnell abfallende spätkeimende Sporen.
Morphologisch von den bisher besprochenen Leptopuceinien sehr
leicht zu unterscheiden ist P. Glechomae De Candolle auf Glechoma
hederacea L., ihre Sporen besitzen bekanntlich bei völliger Reife eine
dunkel kastanienbraune Membran, sie sind gewöhnlich kurz elliptisch,
in der Mitte wenig oder gar nieht zusammengeschnürt, am Scheitel
mit einem warzenförmigen, meist ziemlich langen, oft schiefen und
seitlich gestellten Spitzchen versehen. Ganz so sehen auch die voll-
ständig reifen Sporen von P. Salviae Unger aus, die auf Salvia glutinosa
in Süd-Europa nicht selten vorkommt, man hat daher wohl keinen
Grund, die beiden Puceinien als verschiedene Arten anzusehen. Die
Form auf Glechoma habe ich lange eultivirtt und Keimung und
Sporidienbildung bei ihr beobachtet. Die Sporidien sind farblos,
eiförmig, abgeflacht, etwa 11 Mik. lang. Die ausgekeimten Sporen
erscheinen sehr hell bräunlich, fast farblos und sehen den unge-
keimten reifen Sporen wenig ähnlich, man könnte glauben, dieselben
gehören verschiedenen Species an. Auch auf Salvia glutinosa
findet man häufig Häufehen ausgekeimter, blasswandiger Sporen.
Puceinia Üircaeae Persoon gehört zu den kleinsten europäischen
Leptopuceinien, ihre Sporen sind 24 bis 33, jedoch meist nur bis
30 Mik. lang, 9 bis 13 Mik. breit, die nicht ausgekeimten Sporen
sind am Scheitel meist zugespitzt, die Membran hier bis zu 7 Mik.
verdickt. Die frischen auf der Unterseite der Blätter in grosser
Menge vorbrechenden Häufchen sind rundlich, meist vereinzelt, selt-
ner in kleine Ringe oder kreisförmige Flecke zusammengestellt, und
von hell zimmtbrauner oder hell chocoladenbrauner Farbe, ihre
Sporen besitzen eine sehr hellbräunliche Membran. Werden frische
Blätter mit diesen Sporenhäufchen nach oben auf Wasser gelegt,
so keimen die Sporen sofort aus und haben nach 24 Stunden farb-
lose Sporidien gebildet. An den Blattrippen und später auch an den
Stengeln treten später grössere Sporenhaufen von dunkelbrauner,
91
fast schwärzlicher Farbe auf, sie bilden an den Stengeln, besonders
an den knotigen Anschwellungen desselben, häufig auch an dem
verdiekten Grunde der Blattstiele ringsum verbreitete, oft 1 bis 2 Cm.
lange, schwärzliche Krusten. Habituell sieht diese Form den hellbraunen
Polstern sehr unähnlich und man könnte sich versucht fühlen, sie für
eine zweite auf Öfrcaea lebende Puceinia zu halten, die Sporen sind
indess von gleicher Gestalt und Grösse wie bei jener, nur ist die Membran
gleichmässig dunkeler gefärbt und etwas dieker. Diese Sporen keimten
auf feuchten Grund gebracht nicht sofort, auch nicht einige Wochen
nach der Reife. Sporenhaufen auf trockenen Stengeln im Winter
eingesammelt, konnte ich bis zum Frühjahr zu keiner weiteren Ent-
wicklung bringen, im Mai aber keimten sie in feuchter Luft aus und
bildeten Sporidien. Hier findet also derselbe Vorgang statt, wie bei
P. annularis, nur bilden sich die spätkeimenden Sporen schon früh,
gewöhnlich im August, und halten demnach eine ebenso lange Ruhe-
pause ein, wie die der meisten anderen, nicht in diese Gruppe gehö-
rigen Puceinien. Die Differenzirung der beiden Sporenformen erinnert
au die eben erwähnte, allerdings viel stärker ausgeprägte gleiche
Thatsache bei P. Veronicarum.
Es ist schon erwähnt worden, dass in der Nähe von Rastatt an
einigen Standorten auf Circaea lutetiana reichlich das Aecidium
Circaeae Üesati vorkommt. Es lag nahe einen genetischen Zusam-
menhang zwischen der Puceinie und dem Aecidium zu vermuthen.
Ich habe im letzten Frühjahr einige im Zimmer eultivirte Ürrcaea-
Stöcke durch die überwinterten Sporen infieirt, habe aber kein
Aecidium folgen sehen, vielmehr trat an den infieirten Stöcken an
Blättern und Stengeln sofort wieder sehr reichliche Puceinia-Bildung
auf, und zwar zeigte sich hier schon im Juni an den Stengeln die
dunkelsporige Form.
Puccinia Asteris Duby ist vielleicht der Repräsentant einer
grösseren Gruppe von Leptopuceinien, welche auf Compositen vor-
kommen. Ich habe hier die Puceinien im Sinne, welche auf diesen
Nährpflanzen festen Rasen oder Polster bilden, denen keine Uredo
vorausgeht. Solche Puceinien sind ausser als P, Asteris Duby (1828)
auch als P. Tripolii Wallroth (1833), P. Asteris Schweiniz (1835),
P. Virgaureae Libert, P. Ptarmicae Karsten (fung. fen.), P. Asteris
Fuckel (1869), P. Miltefolii Fuckel (1869), P. Syngenesiarum Lk.
auf Artemisia campestris Schröt. (1869), P. Doronici Niessl (1872) '),
!) Im Univ. Herb. Strassburg liegt die P. Doronici von Prost etwa 1820
gesammelt. Sie ist von Duby als Uredo Arnicae DC. bestimmt. — Andere
92
P. Leucanthemi Passerini (1874). Auch manche Amerikanische For-
men gehören wohl hierher. Bei einer dieser Formen, auf Öentaurea
Scabiosa L. vorkommend'), habe ich die Bildung der Sporidien
beobachtet, sie sind farblos, eiförmig, etwas abgeflacht, 11 Mik.
lang, 6 Mik. breit. Nach Vergleich mit Duby’schen Original-
Exemplaren im Universitäts-Herbar Strassburg halfe ich diese Form
für ganz gleich der P. Asteris Duby (auf Aster salignus L.), ihre
Sporen sind charakterisirt durch keulenförmige Gestalt, nach unten
keilförmig in einen dieken gelbbraunen festen Stiel übergehend, am
Scheitel mit einer 6 bis 11 Mik. dicken, meist kappenförmigen
(seltener zugespitzten), dunkleren, geschichteten Verdickung versehen.
— Ueber den Species-Unterschied der oben genannten Formen
gehen die Ansichten sehr auseinander, ich glaube man wird darüber
ein sicheres Urtheil erst gewinnen können, wenn man die Formen
genauer im lebenden Zustande untersucht, wenigstens ihre Keimung
beobachtet, und versucht hat, ob sie auf andere Nährpflanzen über-
tragbar sind.
Die ansehnlichste, und von allen mir bekannten Leptopuceinien am
weitesten abweichende Art ist Puccinia Busxi De Candolle. Ich konnte
dieselbe an frischen Exemplaren untersuchen, die Professor Passerini
die Freundlichkeit hatte mir Anfang Mai dieses Jahres aus Parma zuzu-
schieken. Die Sporenhäufchen brechen besonders an der Unterseite der
Blätter, zuweilen auch aus den Aestchen vor. Die reifen Sporen, wie man
sie bei Untersuchung trockener Exemplare sieht, sind 66 bis 88 Mik.,
selten unter 75 Mik. lang, 22 bis 26 Mik. breit, ihre Membran ist
glänzend, dick, hellbraun, bis kastanienbraun, jede Zelle ist länglich,
nach den Enden zu meist etwas verschmälert; an der Scheidewand
sind die Sporen scharf eingeschnürt, und es ist charakteristisch, dass
sie hier sehr leicht durchbrechen; der Stiel ist farblos, etwa bis
120 und meist 80 Mik. lang; an der Spitze ist eine leichte Ver-
diekung, und meist auch eine schwache Einwölbung um das Innere
der Sporen wahrzunehmen; das Plasma der trockenen Sporen ist
vielfach von der Wand abgelöst und zu einer gefalteten Masse ver-
trocknet. Bei den frischen Exemplaren findet man in der Umgebung
der Sporenhaufen ein sehr reichliches Mycel von 3 bis 4 Mik. Dicke,
dessen Plasma rothe Oeltropfen enthält; es bildet um die Zellen der
Nährpflanze dicke Stränge, dringt auch in dieselben ein, doch
Exemplare der U. Arn. DC. habe ich bis jetzt noch nicht gesehen, sie ist auch
in neuerer Zeit nieht mehr beschrieben worden.
1) Rabenhorst, fung. eur. 2088.
93
zeigen sich keine morphologisch zu unterscheidende Haustorien. Die
jungen Sporen haben eine farblose Membran und lebhaft gelbrothen
Inhalt. Sie keimen nach Beendigung ihres Wachsthums sofort, wenn
sie in feuchte Luft gebracht werden, ich sah sie schon auskeimen,
wenn sie noch von der Oberhaut bedeckt waren. Jede Zelle keimt
mit einem Keimschlauche, welcher bei der oberen Zelle genau an
der Spitze, bei der unteren an einem Punkte dicht unter der Scheide-
wand hervortritt. Die Keimschläuche werden 7 bis 11 Mik. breit,
oft bis 100 Mik. lang, und sind mit lebhaft gelbrothem Inhalt er-
füllt. Die Sporidien werden auf die gewöhnliche Weise gebildet,
sie sind sehr gross, eiförmig, an einem Ende ziemlich stark zuge-
spitzt, 19 bis 24 Mik. lang, 9 bis 11 breit, ebenfalls lebhaft gelb-
roth, die keimenden Sporenhaufen sind von ihnen vollständig orange-
roth gefärbt. Die Sporidien keimen auf feuchter Unterlage sofort aus.
Ich habe versucht lebende Duzwus-Pflanzen zu inficiren, habe aber
keinen Erfolg gehabt.
Die lebhaft gelbrothen grossen Sporidien erinnern an diejenigen
von Gymnosporangium, doch ist die Sporen-Keimung bei der letzt-
genannten Gattung sehr verschieden, da jede Sporenzelle zwei Keim-
schläuche entwickelt.
Die Entwicklung der P. Buxi wird natürlich erst dann vollständig
bekannt sein, wenn man weiss, ob die Sporidien in Duzxus-Blätter
einkeimen, was meine negativen Ergebnisse, vielleicht unter ungünstigen
Verhältnissen angestellt, nicht sofort widerlegen, oder ob sie vielleicht
in eine andere Nährpflanze übergehen, und hier ein Aecidium her-
vorrufen.
P. Jasmini! De Candolle, die in mancher Beziehung Aehnlichkeit
mit P. Duxi hat, wird wahrscheinlich eine ähnliche Entwicklung haben.
Unter den Uromyces-Arten ist der Typus von Leptopuccinia
(Lepturomyces) durch Uromyces pallidus Niessl') vertreten. Vielleicht
gehört auch U. Solidaginis Niessl?”) in diese Gruppe, wie ich aus
der Aehnlichkeit seines Wachsthums mit dem der Puccinia Asteris DC.
schliessen möchte.
Rastatt, 15. November 1878.
1) Beiträge zur Kenntniss der Pilze. (Verhandl. des naturforschenden
Vereines in Brünn. X. Bd. 1872. S. 14 des Separat-Abdrucks.)
2) Das. S. 13.
nnnmnnannnan
" A Y Pl
j Ra EC? 19 HREURT) kan, Ya! Wöhh P% Hi ö
an ya NE Br DT Branası Ban 2, Ba Ha
ee ke JE Mir nu IM U en BE, "3 ee
PETE TERM In HE ander Pa Ira Amin Erd De
Ve oe ee! he Dan Er? “au ON PER IRE
T RUE TO ZA H4 Y vu RR
er I NETT ae nee ey
day ‚) .
121% € “ 4 n
"EINE TADTRBUH BEDID. GYA HD
B is Hast Eee IRRE IM Bull h ‚url SE,
i j , f 4
Wahl 7% a Me 5” ß L j
w, Kabllaon ls Ver nögAneilne N De Al angel Bu
= SENAT HET AI A BEI TRON FEN “ru
Br 5 ig IH ns } Mi a BE LEE: H anf 2 Kt R N ua
Br
en D { v® FLIETa EL } ! I zur 4 { w, /
Ne e ei T ft N NIE
. . ' Anna
u . \ ' y EU Hr TETT, uni 100 F
+ \ h R
rk - a t ‚
5 DENE,
A -
B - j ‘ 2 f
wurst} Fi f h7E ypr m ig
= A 4 > r
ES „INIH an f BI k Fa { N BIT ET,
i | j } a ah
£ PER 9 Br 7 IP. . { L 8 D
22 CARERB hi NET eK u
j {
d j ! f a ö A BR & ui 64
F j j m MLLICHAR In E
A ı yj BR u » un By \ EN Zu
2 BBRBASIO ERSTE RETRERN DRRELN ATERNTIVORETEERERR
ı YET N BO NE ch BT, RR Lumpahi “
Be, EL ie n 5
AU h inet! IH a RD EU DIET ER vu 8 ’ ’ N TR re
a.
nn ri tan en a a EI 1 BE FL DIT ET
f f: u '
4 + LE HERNE \ #3 N tan 2 i A . Fe
a
(1 n
EL Y «
AB RT ET Pe‘ r : ; 1 wie E
BR, IRINA: Ra SE U LT Pic FE 3 ’ F na ar I nsunee
“27 u
“, ‚ Br pi, 4 ‘2. E ‘ } ri’? £
TEEN PER DTRANEDRETETHIEK ET IE TREE De EDEN \ HR
“ or . >
h ) ERTL | HPA; } TEEN HRS r F er ’
> | U EN ER 4, y 1 ar *, i ne a AN;
’ $ un it RW I TIER 17a) ic BUN UTST r) dr td 1% NE ri
. j nl f
. PZ . 6 a w s s “ a;
Br Anman N Re) H Se OT EN RN FA 1223 ,
£ RER ET OHR, Se NaBHshoNE
IT KRSPBTER EEE RE EFRDIER (0b TR ARDFRE ENB 374 KM REN rt
f, ei ) ö 1 ‚4 ru
TER hen eh
Zur
Entwickelungsgeschiehte von Volvox minor (Stein).
Von
Dr. Oskar Kirchner.
Mit Tafel VI.
Am 9. September v. J. fand ich in einem nahe beim Hohen-
heimer Schloss befindlichen, künstlich angelegten kleinen Teich
einen Volvox in grosser Menge, den ich bis Mitte October an diesem
Standorte fortgesetzt bemerkte, und zu wiederholten Malen einsam-
melte. Bei genauerer Prüfung stellte sich die Alge als Volvox minor
(Stein) heraus, ohne dass sich unter den vielen Tausend gesammel-
ten Exemplaren ein einziges von Volvox Globator (Ehrb.) gefunden
hätte.
In einem mit Wasser gefüllten Glasgefäss an freier Luft aufbe-
wahrt, zeigte das Pflänzchen sogleich nach seiner Entnahme aus
dem Teich reichiiche Fructifieation, bei deren Beobachtung es mir
gelang, die von Cohn (Die Entwickelungsgeschichte der Gattung
Volvox, Beitr. zur Biologie der Pflanzen. Bd. I. Heft 3) über diese
Species gemachten Angaben zu bestätigen und in einigen Punkten
zu erweitern, namentlich aber die Frage nach dem weiteren Schicksal
der Oosporen zu beantworten.
Die Grösse der Familien ist im allgemeinen geringer, als bei
Volvox Globator; die meisten zeigten einen Durchmesser von etwa
200—300 u. Auch die Anzalıl der in jeder einzelnen Familie ent-
haltenen Zellen ist bedeutend kleiner. Bei der ersten Untersuchung
glaubte ich auch zu erkennen, dass diese Species diöcisch sei, wie
es von Cohn angegeben wird; denn es fanden sich Familien vor,
welehe neben den vegetativen Zellen nur Oogonien trugen, andere,
96
die ausser vegetativen Zellen nur Antheridien besassen. Allein länger
fortgesetzte Beobachtung lehrte, dass der Sachverhalt etwas anders
sei. Es stellte sich nämlich heraus, dass an solchen Familien, welche
Oogonien trugen, nach der Befruchtung der letzteren sich regelmässig
Antheridien ausbildeten, deren Spermatozoiden später die Oogonien
anderer, etwas jüngerer Familien aufsuchten. Ausserdem, aber in
seltenen Fällen, wurde beobachtet, dass Antheridien sich auch inner-
halb soleher Familien bildeten, die nur noch vegetative Zellen
besassen. Man kann also von der hier beschriebenen Form im all-
gemeinen sagen, dass sie zwar monöcisch ist, dass aber jede Familie
erst einen rein weiblichen, später einen männlichen Zustand durch-
macht. Dies könnte als eine Art von Protogynie bezeichnet werden,
von der sonst meines Wissens bei den Thallophyten kein Fall
beobachtet worden ist.
Die Oogonien sind kugelig, haben einen Durchmesser von 50—60 u,
und zeigen auch beim Eintritt der Geschlechtsreife keinen nach aussen
gerichteten, halsförmigen Fortsatz.
Die Antheridien sind kleiner als die von Volvox Globator, von
einem Durchmesser von 15—17,5 w; auch enthalten sie viel weni-
ger Spermatozoiden. Ich zählte deren in mehreren Fällen 16 in
einem Antheridium (Fig.1b). Siesind bündelförmig an einander gedrängt,
jedes einzelne langgezogen birnförmig, hellgrün gefärbt mit hyalinem
dünn ausgezogenem vorderem Ende, und mit 2 Geisseln ausgerüstet.
Dort wo das hyaline Schnäbelchen (das verhältnissmässig viel kürzer
ist als bei Volvox Globator) an den grün gefärbten Theil grenzt,
sitzt ein rother, erhabener Augenfleck; im grünen Inhalt befinden
sich 2 ungleich grosse Vacuolen. Die Länge der Spermatozoiden be-
trägt 10—13 gu, ihre Dicke 3,3 uw (Fig. lcd).
Die Spermatozoiden bleiben in der blasenförmigen Antheridium-
Zelle eingeschlossen und neben einander gedrängt, bis diese sich
aus dem Familien-Verbande lostrennt. Dann löst sich das Bündel
in die einzelnen Samenkörperchen auf, die sich nun mit lebhafter
Bewegung in der Blase herumtummeln, nachdem sie schon vorher
die Cilien in peitschender Bewegung erhalten hatten. Mit dem
Zerfliessen der Blase werden sie einzeln oder alle zugleich frei
(Fig. 1 c) und sammeln sich in grösseren Mengen an denjenigen
Stellen der Oogonien, wo dieselben die Aussenfläche der Hohlkugeln
berühren. An dieser Stelle machen nun die Spermatozoiden jene
mehrfach beschriebenen Centrumbohrer-ähnlichen Bewegungen, indem
sie sich mit dem hyalinen Schnabel an die Oberfläche des Oogoni-
ums festsetzen und das hintere Ende schnell im Kreise herumführen
97
(Fig. 2). Diese Bewegungen wurden stundenlang beobachtet, ohne
dass es gelang, ein Eindringen der Spermatozoiden in die Oogonien
zu sehen. Mitunter kam es vor, dass einige Spermatozoiden, der
vergeblichen Mühe überdrüssig, nach längerem Bohren davon-
schwammen.
Die nach erfolgter Befruchtung um die Oosphaere ausgeschiedene
Membran spaltet sich in zwei Häute, von denen die innere dem
sich bedeutend contrabirenden Inhalte eng anliegt, während die
äussere weit bleibt. Der Inhalt der Oosporen färbt sich noch inner-
halb der rotirenden Familien braunroth; er ist fast undurchsichtig
und enthält zahlreiche kleine Stärkekörner. Endospor und Epispor
verdicken sich, bleiben aber beide völlig glatt, das letztere ist farb-
los, das Endospor nimmt einen gelblichen Farbenton an, ist ziemlich
dick und sehr quellungsfähig. Es zeigt an seiner Innenschicht
unregelmässig vertheilt einige (I—5) linsenförmige Wärzchen, welche
etwas in den Sporeninhalt hineinragen (Fig. 3). Unter Zusatz von
Jod und Schwefelsäure tritt weder beim Endospor, noch beim Epispor
eine Blaufärbung ein: ersteres färbt sich gelb, letzteres bleibt farb-
los. Der Zusatz der Schwefelsäure bringt bei längerer Einwirkung
bedeutendes Aufquellen beider Sporenhäute hervor; es löst sich
sodann erst das Endospor, später das Epispor auf.
Der Durchmesser des Sporen-Inhaltes beträgt 31 —40 u,
der des Endospors 37 —45 u,
der des Epispors 48 —63 u.
Die Dicke der Wand: beim Endospor 2,5— 5 u,
Epispor 2,5— 3 u.
Den Eintritt der Färbung der Oosporen kann man mit blossem
Auge daran erkennen, dass die rotirenden Familien eine goldgelbe,
später eine röthliche Farbe annehmen. Nach einigen Tagen hatten
sich Oosporen in grosser Menge als rother, flockiger Absatz auf
dem Boden des Culturgefässes niedergelassen, und 5 Wochen nach
dem Einsammeln der Alge waren keine rotirenden Familien mehr
aufzufinden.
Das die Oosporen enthaltende Gefäss wurde eine Zeit lang noch
an freier Luft aufgestellt; erst als Fröste eintraten, brachte man
es in ein ungeheiztes Zimmer, in welchem es nie dem direeten
Sonnenlicht ausgesetzt war. Bei einmal eintretender sehr niederer
Temperatur gefror die Oberfläche des Wassers etwa !s em tief.
Während des December und Januar blieben die Sporen unverändert,
in der Mitte des Februar bemerkte ich mit blossem Auge ein leich-
tes Erbleichen und Verfärben der Oosporen-Haufen.
Cohn, Beiträge zur Biologie der Pflanzen, Band II. Heft I 7
98
Dies war das erste Anzeichen ihrer weiteren Entwiekelung, die,
einmal begonnen, mit Schnelligkeit, aber bei verschiedenen Sporen
zu verschiedenen Zeitpunkten vor sich ging. Die erste Vorbereitung
zu der beginnenden Veränderung besteht in einem Anschwellen des
rothbraunen, körnigen Inhaltes, einem Vorgange, dem durch das
elastische und quellbare Endospor kein Hinderniss bereitet wird.
Dasselbe verliert seinen gelblichen Schein und quillt entweder überall
gleichmässig oder an einem Punkte am stärksten auf (Fig. 3); auch
die Wärzchen des Endospors schwellen zu farblosen Halbkugeln an.
Das Epispor ist nicht quellbar, daher gelt die Wasseraufnahme
der inneren Partien nur so lange im Epispor vor sich, bis das
Endospor die innere Fläche des ersteren erreicht hat. Dann reisst
das Epispor mit einem langen Spalt von der Form eines grössten
Kugelkreises derartig auf, dass die zwei halben Hohlkugeln nur
noch mit einer schmalen Stelle mit einander im Zusammenhang bleiben
(Fig. 4, 16, 18). Der gesammte Inhalt tritt in Kugelform aus dem Riss
heraus unter schnellem Aufquellen des Endospors, welches nun als
weite farblose Blase das bedeutend weniger voluminöse Protoplasma
umgiebt (Fig. 5). Der Raum zwischen der Membran dieser Blase
und dem Protoplasma ist mit farbloser Gallerte (den aufgequollenen
inneren Schichten des Endospors) angefüllt, welche bei Jodzusatz
an ihrer gelben Färbung zu erkennen ist.
An der eingeschlossenen Plasmakugel bemerkt man zunächst
eine Differenzirung in der Art, dass an der Oberfläche der Kugel
eine hyaline Stelle sich ausbildet (Fig. 5), welche manchmal kegel-
förmig vorgestülpt ist; diese Stelle mag der vordere, die diametral
entgegengesetzte der hintere Pol der Plasmamasse genannt werden.
Die Kugel plattet sich an diesen beiden Polen ein wenig ab, und
12 —2 Stunden nach dem Auftreten des hyalinen Fleckes zeigen
sich die Anfänge der ersten Theilung (Fig. 6). Zuerst am vor-
deren, hyalinen, später auch am hinteren Pole, bemerkt man eine
Einschnürung, und nach etwa einer Stunde ist die Theilung in der
Art vollendet, dass jede der beiden nahezu halbkugeligen Tochter-
zellen am vorderen Pol wieder eine hyaline Stelle besitzt (Fig. 7.
Fig. 8). Dort klaffen die beiden Plasmamassen etwas weiter aus-
einander, als am hinteren Ende; beide sind von einer gemeinsamen
dünnen Gallerthülle umgeben, die sich im Innern der zu Gallerte
aufgequollenen Endosporschichten durch eine zarte Linie abgrenzt,
und auch bei den späteren Theilungen erhalten bleibt. (Fig. 8, 9.)
Nach weiteren 2 Stunden hat sich jede der beiden Schwester-
zellen aufs neue getheilt, und zwar durch eine Ebene, welche senk-
99
recht auf der ersten Theilungsebene steht und gleichfalls den vor-
deren und den hinteren Pol trifft (Fig. 9. Fig. 10, 11). Die so
entstehenden 4 Zellen zeigen bald nach der Theilung noch jede
ein hyalines Ende, weichen an demselben wiederum mehr auseinan-
der, als am Hinterende und verkürzen sich in der Richtung ihrer
Längsaxe. Der hyaline Fleck wird allmählich unkenntlich und ist
verschwunden, wenn die drittmalige Theilung eintritt.
Schon vorher sind die 4 Zellen derartig auseinander gewichen,
dass sie nur am hinteren Ende mit einander verbunden bleiben, am
vorderen dagegen klaffen und in der Axe zwischen sich allmählich
eine Höhlung ausbilden. Die bei der nächsten Theilung auftreten-
den Klüfte sind nicht mehr in Beziehung auf die ursprüngliche
Kugel orientirt, sondern sie stehen in einer eigenthümlichen Weise
schräg in jeder Zelle (Fig. 12). Vom hinteren (fester verbundenen)
Ende des Complexes gesehen setzen die Theilungsebenen an der
einen Seitenfläche der Mutterzelle an und erscheinen ziemlich parallel
der anderen Seitenfläche, wenden sich dieser aber in ihrem weiteren
Verlaufe so zu, dass sie dieselbe noch vor dem vorderen Ende
der Mutterzelle erreichen. Die beiden Toochterzellen besitzen also
ein abgerundetes und ein keiliges Ende, und stehen so schräg über
einander, dass die eine mit dem abgerundeten, die andere mit dem
keiligen Ende nach dem vorderen Pole des Complexes gewendet
ist (Fig. 12. 15). Die keiligen Enden runden sich sehr schnell ab.
In den 4 Mutterzellen treten nun diese Zerklüftungen in demselben
Sinneauf, indem die Theilungsebene jedesmal an der gleichnamigen Seiten-
fläche ansetzt und nach der anderen hin verläuft. So entsteht eine
Familie von 8 Zellen, von denen 4 (hintere) an dem ursprünglich
hinteren Pole in fester Verbindung bleiben, während die 4 anderen
(vorderen) tiefer unter dem hinteren Pole stehen und weiter nach
dem klaffenden Ende der jungen Familie reichen. Vom hinteren
Pole gesehen bieten diese 8 Zellen ein sehr ähnliches Bild, wie es
Alexander Braun (Bot. Zeitg. 1875, 8. 192) bei der von ihm
beobachteten „radförmigen“ Theilung der ungeschlechtlichen Fort-
pflanzungszellen von Kudorina elegans beschrieben und Cohn (Bei-
träge zur Biologie der Pflanzen, Bd. I, Heft 3, S. 96) von den
Parthenogonidien von Volvox Globator abgebildet hat. Indessen
stehen die oben beschriebenen 8 Zellen nie in einer Ebene ange-
ordnet, sondern bilden mantelförmige oben offene Kappen, an denen
man die Anfänge der Gruppirung zu einer Hohlkugel bereits deut-
lich erkennt.
Diese 8 Zellen schlüpfen aber nicht, wie Cienkowski früher
A 7*r
100
vermuthet hatte, als selbstbewegliche Schwärmer aus dem Endospor,
sondern sie erleiden noch weitere Theilungen. Dieselben gehen
nur noch in 2 sich kreuzenden Richtungen vor sich, ohne dass
dabei eine Massenzunahme des gesammten Protoplasmas eintritt
(Fig. 14. 15. 16). Die einzelnen Zellen jeder späteren Generation
werden vielmehr immer kleiner und dünner; sie zeigen eine poly-
gonale Gestalt und bilden eine im Verhältniss zu der sich erwei-
ternden centralen Höhlung immer weniger mächtige Aussenschicht.
Ungefähr innerhalb 2 Stunden haben sich die Zellen immer wieder
aufs neue getheilt.
Etwa neun Serien von Theilungen scheinen in der Regel auf einan-
der zu folgen, bis dieselben aufhören und eine junge, zum Schwärmen
bereite hohlkugelige Familie ausgebildet ist; wenigstens berechnete
ich in zwei Fällen die Anzahl der Zellen solcher fertiger Familien
auf einige über 500 (2° = 512).
Bei jeder folgenden Theilung rücken die um den vorderen Pol
stehenden und die daselbst befindliche Lücke umgebenden Zellen
näher an einander; doch ist noch sehr lange, in einigen Fällen
an bereits frei beweglichen Familien der ursprünglich vordere Pol
des Zellkörpers daran zu erkennen, dass einige Zellen der Familie
nicht völlig zusammenschliessen, sondern einen bald kleinen, bald
auffällig grossen Zwischenraum zwischen sich lassen (Fig. 14. 15.
16. 174°78.719).
Bis zum Aufhören der Theilungen sind die Zellen (mit Ausnahme
derer am vorderen Pole) dicht an einander gedrängt; alle besitzen
den braunroth gefärbten körnigen Inhalt, der die Oospore charak-
terisirtte. Nach Beendigung der Theilungen tritt eine allmähliche
Umfärbung in grün ein, während zugleich die Körner im Plasma
zum Theil verschwinden. In einem Zustand, wo die Umfärbung
noch nicht völlig durchgeführt ist, und die jungen Familien oliven-
farbig aussehen (Fig. 20), entwickeln die einzelnen Zellen ihre
Cilien. Dieselben entstehen nicht als lokale Verdiekungen der
Hautschicht, um sich später von derselben abzulösen, wie es Dodel-
Port für die Schwärmzellen von Ulothrix zonata beschrieben hat
(Pringsheims Jahrbücher, Bd. X, S. 417), sondern sie wachsen
von dem nach aussen gerichteten kuppelförmigen Scheitel jeder
Zelle allmählich in die Länge. Ich fand Zustände, wo die bereits
nach aussen gerichteten Cilien eine Länge von 3,5 —4,8 u hatten,
und noch keine Bewegung besassen; später solche Cilien, die 8 u
lang waren und sich langsam peitschend bewegten, indem ihr oberes
Ende sich langsam bis auf die Gallerthülle der Familie herunterbog
101
und dann wieder in die Höhe schnellte.e Dadurch dass bei den
benachbarten Zellen diese Cilienbewegungen noch ohne bestimmte
Ordnung vor sich gehen, werden unsichere, drehende Bewegungen
der jungen eingeschlossenen Familien hervorgebracht. An noch sehr
jungen, aber bereits sich frei bewegenden Familien mass ich Cilien
von 13 u Länge. Aus der Thatsache, dass an älteren, weiter ent-
wickelten Familien die Cilien länger sind, als an solchen, deren
Entwickelung noch etwas zurück ist, wird man schliessen dürfen,
dass die Cilien aus dem Plasma der Zelle am Scheitel hervorge-
schoben werden.
Die ausgesprochene Grünfärbung der einzelnen Zellen geht noch
innerhalb des erweiterten Endospors vor sich. Zum freien Umher-
schwärmen ist die Familie bereit, wenn sich im Inhalt der Zellen
nur noch einige wenige Körnchen vorfinden, im Plasma sich ein
rother Augenfleck gebildet hat, und die Zellen selbst ihre Ecken
abgerundet haben. Doch kommt es auch vor, dass man frei schwim-
mende Familien erblickt, deren Zellen eine von oben gesehen
5—6eckige Gestalt besitzen. Die Form der ganzen Familie ist
nicht immer kugelrund, sondern häufig eiförmig. In diesem Zu-
stande beträgt der Durchmesser der Familien 65—75 x, der der
einzelnen Zellen 4—4,5 u.
Der Austritt der Familie aus dem dieselbe umschliessenden
Endospor wird dadurch zu Wege gebracht, dass das letztere unter
fortgesetztem Aufquellen seiner inneren Schichten sich endlich ganz
auflöst. Noch scheint aber die Familie eine Zeit lang von einer
weiten Hülle zarter Gallerte umgeben zu sein, denn man sieht zwar
die Cilien lebhaft peitschen, die Familie auch rollende Bewegungen
ausführen, aber eine deutliche Ortsveränderung erfolgt erst später,
wahrscheinlich nach dem völligen Zerfliessen der optisch nicht mehr
nachweisbaren Gallerte..e Nun sind die jungen Familien nur noch
von der consistenten, bei der ersten Theilung des Sporeninhaltes
aufgetretenen Gallertmembran umschlossen und rollen in lebhafter
Bewegung in der Richtung nach der Lichtquelle fort.
Bald nach dem Freiwerden runden sich die einzelnen Zellen ab,
wenn dies nicht bereits vorher geschehen ist, und rücken weiter
auseinander, indem die sie trennende Gallertschicht sich erweitert.
Bereits ehe dies Auseinanderrücken und die Abrundung beendet
sind, lassen sich zwischen den vegetativen Zellen einzelne von
anfangs sechseckiger Gestalt und bedeutenderer Grösse wahrnehmen,
die einen helleren Inhalt besitzen, weiter ins Innere der Hohlkugel
hineinragen, und sich später ebenfalls abrunden; sie zeichnen sich
102
vor den übrigen Zellen auch dadurch aus, dass sie keine Cilien be-
sitzen. Wahrscheinlich sind es diejenigen Zellen, die sich später zu
Parthenogonidien ausbilden, doch wurde ihre weitere Entwickelung noch
nicht beobachtet.
Familien, bei denen die vegetativen Zellen bereits abgerundet
und aus einander gerückt waren, und welche bereits abgerundete
Junge Parthenogonidien (meist 3) zeigten, hatten einen Durchmesser von
100— 120 u, die vegetativen Zellen einen solchen von 5 u, die
grösseren Zellen von 10—12 u.
Hohenheim, den 27. Februar 1379.
Fig.
Fig.
Fig.
oO
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Figuren-Erklärung.
Taf. VI. Volvox minor Stein.
Alle Vergrösserungen 1 : 380.
Die Figuren sind sämmtlich mit der Camera lueida entworfen.
. Ein Stück aus einer geschlechtsreifen Familie mit einem Antheridium,
. ein Antheridium, isolirt von unten,
. Spermatozoiden,
. Sperm. stärker vergrössert 1:1000.
Befruchtung; Spermatozoiden heften sich an die Oosphaere.
Reife Oospore, Quellung des Endospors beginnt.
Beginnende Zerreissung des Epispors.
Zerreissung des Epispors, Aufquellen des Endospors, Sporeninhalt
noch ungetheilt, hyaline Stelle am vordern Pol gebildet.
Beginn der Theilung des Sporeninhalts (? Stunden später als Fig. 5).
Vollendete Zweitheilung des Sporeniunhalts (134 Stunden später als
Fig. 6).
Das getheilte Sporenplasma ist bereits von einer Gallerthülle umgeben.
Weitere Entwickelung der Oospore; Viertheilung des Inhalts; die
vier Zellen vom Rücken gesehen (2 Stunden später als Fig. 7).
Dieselben von der Seite gesehen.
. Dieselben von unten gesehen.
. Szelliger Complex von hinten,
derselbe vom vordern Pole gesehen; die Buchstaben bezeichnen in
beiden Figuren die nämlichen Zellen.
16zelliger Complex vom vorderen Pole gesehen.
Derselbe vom hinteren Pole gesehen.
. Eine Spore mit 16zelligem Complex, das Epispor haftet noch am
Endospor.
Sporeninhalt in 64 (?) Partien zerklüftet, in der Mitte noch eine
kleine Lücke, dem vorderen Pole entsprechend.
Ovale, aus über 100 Zellen bestehende junge Familie.
Junge Familie, die eine ausnahmsweise grosse Lücke zeigt.
. Jugendliche, noch bräunlichgrün gefärbte Familie, innerhalb des
Endospors bereits beweglich.
B Kerr R
„ i HnT
ii all ra ha IF
uLTTE orkolukag y
En
ATWLTR,
2
Untersuchungen über Bacterien.
VI.
Versuche über die Infection mit ‚ALICTOEDSSLE Drpüigigang,
Von yY yV“ N i
Dr. en
Universitätsdocenten in Berlin;
1. Als ich Anfangs März d. J. das pflanzenphysiologische Institut
in Breslau aufsuchte, um während der Ferienwochen unter der Lei-
tung des Herrn Prof. Ferd. Cohn mir einige Uebung im Experi-
mentiren mit Bacterien anzueignen, wollte ein günstiger Zufall, dass
im Institut reiches Material zur Anlage von Culturen des Micro-
coceus prodigiosus Cohn (Monas prod. Ehrbg.) vorhanden war.
Herr Prof. Cohn stellte — mit Hinweis auf die ausserordentlichen
Vortheile, welche grade dieser Organismus Untersuchungen über Art
und Weise der Infectionen gewähren könnte — mir dasselbe zur
Disposition und schlug mir die im Wesentlichen nachstehend benutzte
Methode der Untersuchung vor, bei deren Ausführung mich auch Herr
Dr. Eidam freundlichst unterstützte.
Vor zehn Jahren hat J. Schröter mit gleichem Material syste-
matische Versuche angestellt und dieselben in diesen Beiträgen
(Bd. I. Heft II. 109) veröffentlicht. Seine Arbeiten fassten vornehm-
lich die chromogene Eigenschaft des Micrococcus in's Auge, geben
aber auch für die Auffassung seiner Lebensbedingungen einige werth-
volle Anhaltspunkte. Mir war es um die Beantwortung folgender
Fragen zu thun:
1. Auf welche Weise findet bei M. prodigiosus die Uebertragung
der Keime statt?
2. Durch welche Mittel und Vorkehrungen werden die Keime
zerstört oder die Folgen der absichtlichen Uebertragung auf-
gehoben?
Es handelte sich, mit anderen Worten, um den Modus der Infection
und um die Vernichtung der infieirenden Keime. Einige Vorversuche
über die allgemeinen Eigenschaften des Micrococcus prod. und über die
Auswahl des vortheilhaftesten Nährbodens mögen als Einleitung dienen.
106
I. Wie verhält sich Mierococeus prodigiosus zu seinem Nährboden?
2. Trägt man einen kleinsten Theil des rothen Schleimes einer.
älteren Micrococeuseultur in der Art auf die Fläche eines neuen
Nährbodens auf, dass man durch sorgfältiges Verstreichen die röth-
liche Färbung fast unsichtbar macht, so zeigt die neu inficirte Fläche
bei einer Zimmertemperatur von 18° C. in den ersten 12 Stunden
keine mit blossem Auge sichtbare Veränderung. Das früheste
Zeichen der gelungenen Ueberimpfung konnte ich 15 Stunden
nach dem Zeitpunkte derselben mittelst Loupe auf der sehr glatten
und reinen Oberfläche einer gekochten Kartoffel entdecken. Nach
24— 30 Stunden treten an vielen Stellen gleichzeitig äusserst
kleine (0,3—0,5 mm grosse) rosenrothe oder etwas hellere Tröpf-
chen auf, die bis zur Grösse von 3—4 mm anwachsen, dann zu-
sammenfliessen und im Verlauf von 60—72 Stunden durch immer
noch nachschiessende Tröpfchen zu einem continuirlichen Ueber-
zuge der ernährenden Fläche umgewandelt werden '). Farben-
nüance, Dicke, Unregelmässigkeiten in der Entwicklung desselben
hängen von einer Reihe äusserer Momente ab, von denen wenigstens
einige mit solcher Regelmässigkeit auftreten, dass sie bei Besprechnng
der einzelnen Nährmaterialien erwähnt werden sollen.
Das Mikroskop löst mittelst starker Vergrösserungen (Hartn. J. XII.)
den rothen Schleim in unzählige, ganz dicht zusammenliegende, sphäro-
ellipsoidische Körperchen auf, welche chagrinartig den röthlichen
Schleimtropfen erfüllen. Die Körperchen sind alle vollkommen
gleich gross und gleich geformt und zeigen keinerlei Bewegungen.
Die schon von Schröter ausgesprochene Vermuthung, dass die
Körperchen selbst nicht die Träger der rothen Färbung seien, dass
vielmehr das Pigment nur in den sie umgebenden Schleim secernirt
sei, theile ich vollkommen, obgleich ihr Beweis auf einige Schwie-
rigkeiten stösst. Macht man durch die Grenze des Kartoffelnähr-
bodens und der aufgetrockneten Micrococeuswucherung einen mikros-
kopischen Schnitt, so zeigt sich, wie an der Oberfläche die Kör-
perchen massig in deutlich gefärbten Wolken aneinander liegen.
Sie dringen aber auch in ihren Nährboden ein: Micrococ-
cus-Häufchen umlagern netzartig die Kartoffelzellen, indem sie in der
durch das Kochen aufgeweichten Intercellularsubstanz bis zu deren
!) Im Sommer bei einer Zimmertemperatur von 22—270 C. sind die Nähr-
flächen (Kartoflelscheiben) schon nach 20 Stunden gleichmässig mit rothem
Ueberzuge bedeckt. Cohn.
107
vierter und fünfter Sehicht sich entwickeln. Diese tief eingedrun-
genen Mierocoecenhäufehen erschienen stets farblos; doch liess sich
nieht mit Sicherheit entscheiden, ob die Färbung wegen der gerin-
geren Mächtigkeit der Schieht unkenntlich wurde, oder ob wirklich
die von der Luft abgeschlossenen, ins Innere der Kartoffel vorge-
drungenen Massen einer röthlichen Farbe entbehrten. — Ein gewis-
ses Interesse gewährten derartige Durchschnitte noch gleichzeitig
durch die Aehnlichkeit unserer Micrococcen und ihres Verhaltens
zur Kartoffelsubstanz mit in die tieferen Gewebsschichten der Schleim-
haut vordringenden Diphtheriekeimen.
3. Der Micrococcus prodigiosus greift seinen Nährboden in sehr
energischer Weise an; auf vorwiegend amylumhaltigen Substanzen
wie auf eiweiss- und kleberhaltigen Materialien vegetirend erzeugt er
den charakteristischen Geruch, weicher seine Bildung stets beglei-
tet: den sehr prägnanten und unverkennbaren, von Cohn auch durch
Salzsäure-Reaction eonstatirten Trimethylamingeruch. Erst wenn nach
einer Entwicklung von 100 —120 Stunden Dacterium Termo den
Micrococcus prod. verdrängt und die Nährfläche mit einer oft 2—3 mm
dieken Schicht gelblicher Schmiere überdeckt, so dass die rothe Fär-
bung bis auf Spuren verschwindet, stellt sich auch Seitens dieser
Substanzen ein starker Fäulnissgeruch ein. — Der Farbstoff liefert,
wenn man trockne oder feuchte mit Meerococcus prod. bedeckte Kar-
toffelscheiben durch Alkohol extrahirt, eine schön carmin- bis rubin-
rothe Tinktur, deren charakteristische Eigenschaften von Schröter
in der bereits angeführten Arbeit erschöpfend dargelegt sind. Auf
besonders üppigen und reinen Culturen des M. prodigiosus, wenn
derselbe in dichter gleichmässiger Schicht die ganze Oberfläche des
Substrats überdeckt, zeigt er eine andere merkwürdige Eigenschaft,
auf welche mich Dr. Eidam zuerst aufmerksam machte. Sie be-
steht in einem grüngoldenen metallischen Glanz der dunkelblutrothen
Culturen, der sehr intensiv sein kann, mit dem Schimmer aufge-
troekneten Fuchsins die grösste Aehnliehkeit zeigt, von mir nur auf
Kartoffeln erzielt wurde und noch nicht beschrieben worden ist.
4. Um einen für die eigentlichen Versuche besonders geeigneten
Nährboden zu ermitteln, wurden die Vorversuche 1— 22 angestellt,
in welchen absichtliche Uebertragungen gut gelungener Culturen auf
feuchtes Filtrirpapier, Collodium, feuchte Watte, Stärkekleister, Reis-
brei, Kartoffeln in verschiedenem Zustande, Mohrrüben in verschie-
denem Zustande, Eiweiss und Eigelb ausgeübt wurden. Die Ent-
wieklung fand im Brutofen bei 30— 35°C. statt.
‘Die Uebertragungsversuche auf die drei zuerst genannten Medien,
108
sowie auf bloss in kaltem Wasser aufgequollenen Reis, auf rohe
Kartoffeln, auf rohe Mohrrüben, auf ungekochte Eibestandtheile schlu-
gen constant und ohne Ausnahme fehl.
Stärkekleister nahm die Infeetion an und zeigte nach 30 bis
36 Stunden einen sehr dünnen carmoisinrothen Ueberzug, der sich
hier und da zu etwas dunkler gefärbten Streifen verdichtete. Eine
im Laufe der nächsten 24 Stunden stattfindende Verbreitung bestand
nur in einem geringen Saum, dessen Ränder ebenfalls etwas dunkler
gefärbt erschienen. Nach 72 Stunden hatte der Kleister meistens
bereits den charakteristischen sauren Geruch angenommen und die Mi-
crococeus-Entwicklung stand vollkommen still, war auch durch Zusatz
erprobter Bacterien- Nährlösung (saures phosphors. Kali, schwefels.
Magnesia ää 1,0 — neutrales weinsteinsaures Ammoniak 2,0 — Chlor-
ealeium 0,1 — Ag. destill. 200,0) nicht wieder zu erwecken.
Reisbrei erschien bereits nach 30 Stunden deutlich infieirt.
Der rothe Ueberzug, der wie bei Stärke eine karmoisin- oder pfir-
sichblüthfarbene hellere Nüance zeigte, umwuchs die einzeln aus dem
Brei ragenden Reiskörner und nahm auf den unteren Flächen derselben
einen etwas dunkleren Farbenton an. Die Ausbreitung in die Fläche
schien auch hier (vielleicht durch Austrocknung) beschränkt; das
Uebergiessen mit der angeführten Nährlösung führte jedoch noch am
fünften Tage eine weitere Ausbreitung herbei. Der sich entwickelnde
Geruch muss als Modergeruch bezeichnet werden; er ist wohl der
Entwicklung anderer Organismen zuzuschreiben.
Eiweiss und Eigelb werden in rohem Zustande von Micro-
coccus prod. nicht angesteckt. Gekocht nehmen sie ihn begierig an
und zeigen schon nach 24 Stunden grössere blutrothe Tropfen, die
stark über die Oberflächen emporragen. Im Eigelb dringen die Keime
in die Tiefe vor soweit die Substanz noch gelockert ist; auf der
Fläche des Eiweisses trat bereits im Lauf der nächsten 24 Stunden
eine Degeneration der Oulturen ein, indem dieselben sich mit einem
sehr feuchten, nur noch schwach röthlichen Hof umgaben, welcher
ein unzuverlässiges Impfmaterial lieferte: Zwei Drittel der mit dem-
selben versuchten Kartoffel-Infeetionen schlugen fehl. Mit der fort-
schreitenden Verwässerung der auf Eiern angestellten Culturen schlug
auch der Anfangs deutliche Trimethylamingeruch in einen (schwa-
chen) Fäulnissgeruch um.
Mohrrübenschnitte sind ungekocht gegen Micrococcus prod.
immun. Gekocht entwickeln sie ihn innerhalb 24 Stunden in Gestalt
eines röthlichen glasigen Schleimes, der die ganzen Oberflächen über-
zieht und ein sehr schönes Impfmaterial liefert. Die mit demselben
109
auf Kartoffeln angestellten Culturen zeigten ausnahmslos den oben
beschriebenen merkwürdigen Metallglanz. Auf den Mohrrübeneul-
turen selbst entwickelt er sich nie; dieselben gingen übrigens sehr
schnell zu Grunde und verloren bereits am vierten Tage ihre Ueber-
tragungsfähigkeit.
Kartoffeln. Die aufiallende Thatsache, dass nur diegekochte
Kartoffel die Micrococeus-Infeetion bereitwillig annimmt, die rohe
dagegen sich absolut abweichend verhält, veranlasste mich zu einer
grösseren Anzahl von vergleichenden Versuchen, die durch die leichte
Beschaffung und Handhabung grade dieses Materials besonders geför-
dert wurden. Von befreundeter Seite darauf hingewiesen, dass die
rohe Kartoffel vielleicht einen hindernden Säuregehalt habe (acid.
hydrochlor.?), stellte ich zunächst die Reaction beider Zustände als
eine schwach saure fest. Mehrstündiges Einlegen rober Kartoffeln
in schwache und starke Lösungen von Natr. carb. machte dieselben
zur Annahme der ıInfeetion nicht willfähriger. Kochen in starkem
Essig zerstörte die Disposition der weichgekochten nicht im Gering-
sten, während allerdings Einlegen in Salzsäure ihre Eigenschaft als
Nährboden für unseren Micrococeus aufhebt. Wurden mehrere Kar-
toffelschnitte in starker Natr, sulf.-Lösung, andere in Essig gekocht,
so zeigte sich nach der Infection in der Entwicklung und im Ge-
deihen der Culturen nicht der geringste Unterschied; — ich muss
also die Frage, „ob die Imprägnation mit alkalischen oder sauren
Flüssigkeiten (abgesehen von der energischen Einwirkung concen-
trirter Säuren) die Disposition des Kartoffelnährbodens wesentlich
alterire,‘‘ — verneinen. Schon Schröter weist auf die Analogie hin,
welche das Verhalten der Kartoffelnährfläche mit dem verschiedenen
Widerstande darbietet, welchen die menschlichen Schleimhautflächen
inficirenden Keimen entgegensetzen; es ist zur Weiterverbreitung,
zum Wachsthum und zur Vermehrung derselben nicht blos eine Nähr-
substanz nöthig, sondern dieselbe muss sich auch in einem besonders
prädisponirten Zustande befinden. Micrococcus prodigiosus ist eben
kein Parasit, sondern ein Saprophyt; er vermag wie alle saprophy-
tischen Pilze den Widerstand lebender Gewebe nicht zu überwinden,
und bedarf neben der Quellung, Lockerung und theilweisen Auflösung
der Intercellularsubstanz auch der Abtödtung der Zellen, um sich
anzusiedeln. —
Die gekochte und wieder abgekühlte Kartoffel bietet in ihrer
Schnittfläche den sichersten und bestdisponirten Boden für die Weiter-
verbreitung unseres Micrococcus dar; an ihr wurden demnach die
weiteren Versuchsreihen ausnahmslos angestellt.
II. Auf welche Weise findet die Uebertragung der Keime von
Micrococeus prodigiosus statt?
5. Es ist weit weniger Sorgfalt nöthig, die Impfung auszuführen,
als sie zu vermeiden. Wer mit Mierococcus prod. arbeitet, impft
unabsichtlich alle disponirten Körper, mit denen er in Berührung
kommt. Keine der gewöhnlichen Vorsichtsmassregeln ist hier aus-
reichend; ich sehe von so groben Versuchsfehlern ab, etwa Messer,
die man gereinigt zu haben glaubt, zur Herstellung der Schnitt-
flächen zu benutzen; Gefässe anzuwenden, die nach der Entfernung
vorheriger Culturen einfach ausgespült wurden; mit den eigenen
noch so sorgfältig gewaschenen Händen die herzustellenden Ver-
suchsobjeete zu berühren: unabsichtliche Aussaaten von Micrococeus-
keimen sind die unausbleiblichen Folgen so grober Vernachlässigungen.
Aber auch die Fläche des Arbeitstisches, ein neuer Draht, (den
man im ungeglühten Zustande zur Herstellung der Schnittfläche be-
nutzen will),. das Handtuch, mit welchem man in naiver Fürsorge
die zu schneidende Kartoffel fasst, kann verunreinigt sein und durch
eine der Aufmerksamkeit entgangene vorherige Berührung verschleppte
Keime aufgenommen haben. Kurz — nach einiger Zeit des Arbeitens
mit diesen exquisit contagiösen Keimen sieht man sich in der Lage,
ein System raffinirtester Cautelen auszudenken, durch deren unab-
lässig eingedenke Anwendung es allein möglich ist, mierococeus-
freie Kartoffelschnitte zu erhalten. Dann erst enthüllt sich die
durch die fortwährenden Infectionen aller in einem Institut ausge-
stellten disponirten Materialien entstandene Vermuthung, dass die
Verschleppung der Keime ohne weiteres durch die Luft stattgefunden
habe, als ein Irrthum, und die Annahme gewinnt an Wahrschein-
lichkeit, dass die Epidemien von Micrococcus prodigiosus, wie sie
in Häusern, Instituten, Strassen, kleinen Orten zuweilen die aufge-
stellten Speisereste — Kartoffelgerichte, Eiersalate, gekochtes Fleisch,
Mehlspeisen und andere breiartige Substanzen — überfallen haben,
auf unbeachtete Berührungen, auf Verschleppung zurückzuführen seien.
Mit anerkennenswerther Vorsicht äussert sich Schröter über die von
ihm beobachteten derartigen Vorgänge: Von einer dem pflanzenphysiolo-
gischen Institut im Herbst 1868 eingelieferten, an ihrer ganzen Fläche
rothgewordenen Kartoffel wurde 6 Wochen später das Material zu
Culturen entnommen, die den ganzen Winter hindurch fortgeführt
wurden. „Hierdurch schienen sich reichliche Keime in den Insti-
tutsräumen verbreitet zu haben, denn in der Folge bedurfte es
nur des Auslegens von Nährsubstanz, um ziemlich sicher zu
sein, das Auftreten von rother Färbung in kleinen Theilchen zu er-
111
halten, die dann beliebig vermehrt werden konnten. Nachdem in
den letzten Jahren die absichtlichen Culturen eingestellt worden sind,
scheinen sich die Keime ganz verloren zu haben.“ Für die Frage
nach der Verbreitung inficirender Keime durch die Luft schien mir
eine relativ vollständige Feststellung des Verbreitungsmodus, dem
unser Micrococcus unterworfen ist, so wichtig zu sein, dass ich die
folgenden 28 Experimente ausschliesslich dieser Untersuchung wid-
mete. Es dürfte eben kaum einen Organismus geben, dessen Ueber-
pflanzung — wenn gelungen — sich so prägnant und zweifellos docu-
mentirt, wie dies beim Micrococcus prod. der Fall ist. Die Unter-
suchung eines einzigen Krankheitsgiftes, welches in gleicher Rein-
heit und Sicherheit die Spuren seiner Weiterverbreitung verfolgen
liesse, würde über die Fragen „Miasma oder Contagion“ manche Auf-
klärung verschaffen.
6. Die Voraufgabe, nicht da zu infieiren, wo man nicht infieiren
wollte, wurde auf folgende Weise gelöst. Die 15 Minuten gekochte
Kartoffel wurde aus dem siedenden Wasser mit einer geglühten Zange
herausgenommen, auf ein reines erhitztes') Becherglas gelegt, mit
erhitzter Watte umstopft, um fest zu stehen und dann mit einem
neuen geglühten Draht durchschnitten; der zum Versuch dienende
Theil fiel, ohne dass auch nur seine Schale berührt worden wäre,
nach Entfernung der erhitzten Watte mittelst geglühter Zange von
selbst in das Becherglas hinab. Auch dieses letztere wurde beim
Schneiden nicht mit den Händen direct, sondern nur, nachdem sie
mit erhitzter Watte armirt worden waren, berührt. Auf diese Weise
gelang es, Kartoffelscheiben zu erhalten, die bei Brutwärme von
jeder unbeabsichtigten Cultur ausnahmslos frei blieben; an ihnen
liessen sich die Fragen nach der Wirkung des Contactes und nach
etwaiger Infection durch die Luft lösen.
7. Contact. Feuchte Beschaffenheit und Reibung
der gegenseitigen Flächen sind für die Uebertragung des Microecoc-
cus von einem infieirten auf ein neues Kartoffelstück Bedingung.
Während auf einer ausgetrockneten Fläche auch das Bestreichen
mit feuchter Impfmasse keine Wirkung erzielte, erfolgte, wenn man
eine alte Mierococceneultur mit einem normal feuchten Stücke zusam-
menlegte, die Uebertragung auch durch die minimalen Reibungen,
I) Wenn mehrfach vom Erhitzen verschiedener Gegenstände — Becher-
gläser, Watte ete. — die Rede ist, so wird darunter ein 10—15 Min. langer
Aufenthalt dieser Gegenstände im Gasofen bei einer Temperatur von 130— 1500 C.
verstanden; Zangen und Drähte wurden in der Gasflamme geglüht.
112
welche in einem begangenen Zimmer stets unvermeidlich sind; die
frischgeschnittene Kartoffel gab am Berührungspunkte genügende
Feuchtigkeit ab, um den entsprechenden Theil des eingetrockneten
Micrococeus-Ueberzuges aufzuweichen. Die so erzielten Infieirungen
waren jedoch beschränkt und unkräftig. Sehr üppig wurden sie, wenn
man die Stücke mehrere Male an einander rieb; ausreichend für die
contagiöse Uebertragung auch das Wischen und Reiben der frischen
Kartoffelstücke auf den Glas- und Tischplatten, auf welchen mit
Micrococeus-Material gearbeitet worden war. Instructiv war für diese
Art der Infeetion die Fläche einer Kartoffel, welche, auf dem Ar-
beitstisch mit der Fläche gewischt, alle die Organismen in gleich-
zeitigen Culturen zeigte, welche im Verlauf derartiger Arbeiten auf-
zutreten pflegen !).
Um die verschiedenen Arten des Contactes noch näher zu ver-
gleichen, wurden drei Versuchsreihen angestellt, welche die Zufäl-
ligkeiten der unbeabsichtigten Infection darthun sollten. An drei
Arbeitsplätzen, an welchen mehrere Tage mit Micrococceus -Mate-
rial stark manipulirt worden war, wurden je drei in oben beschrie-
bener Art infectionsfrei vorbereitete Kartoffelflächen in Bechergläsern
aufgestellt: die erste auf der Platte des Arbeitstisches einige Male
leicht angewischt — die zweite mit einem Glasdeckel geschützt,
auf dessen untere Fläche Micrococeus-Impfschleim aufge-
trocknet war, — die dritte nur der Berührung mit der Luft
ausgesetzt und vor Vertrocknung durch eine Wasserschicht (Ag.
dest. — vorher gekocht) am Boden des Glases geschützt. Die gewisch-
ten Kartoffeln zeigten sämmtlich nach 30—36 Stunden das Aufgehen
punktförmiger Culturen auch bei gewöhnlicher Stubenwärme, die
mit dem beschmierten Deckel versehenen blieben bei dieser Tempe-
ratur frei; im Wärmekasten jedoch, wo sich der aufsteigende Wasser-
dampf an der Glasfläche zu Tropfen verdichtete, weichten diese
Tröpfehen die Impfmasse auf und bewirkten minimale aber deutliche
Infeetion (wie sich aus dem Verhalten des Micrococcus zum Wasser
zeigen wird, mussten die Tröpfchen herabfallen, bevor die Keime
zur Auflösung im Wasser gebracht waren). — Dagegen blieben
diederLaboratorium-Luft ausgesetztenFlächen absolut
frei. Auch die zahlreichen, in dem den Micrococcen-Culturen die-
nenden Brutofen aufgestellten Nährflächen wurden durch die Luft
desselben nicht infieirt.
1) Mierococcus prodigiosus, Mier. candidus, Mier. aurantiacus, Penicillium
glaucum und Bacterium Termo.
113
8. Luftübertragung. Die den gewöhnlichen Bewegungs-
momenten unterworfene Luft übertrug also die in ihr möglicherweise
befindlichen Keime nicht. Es musste, um dieser Thatsache eine
Erklärung hinzufügen zu können, vor Allem ermittelt werden, ob
eine Luft, welcher direct Keime in grösserer Masse dargeboten wurden,
positivere Resultate herbeizuführen im Stande wäre — und ob es
etwa nur stärkerer Luftbewegung bedürfe, um die in der Zimmerluft
vermutheten Keime zu einem wirksamen Contact mit der exponirten
Nährfläche zu bringen.
Für die hierauf gerichteten 23 Versuche erwies sich die Arz-
berger-Zulkowskysche Wasserstrahl-Luftpumpe von Böhme!) in
Brünn vorzüglich brauchbar. Mit dem Zuleitungsrohr an den
Hahn einer Wasserleitung angeschraubt bewirkt dieselbe in dem
Luftsaugerohr einen beträchtlichen negativen Druck und saugt eine
Quantität Luft ein, deren Volumen man an dem aus dem dritten,
dem Ausflussrohr wieder abströmenden Wasser direct messen kann.
Der Wasserstrom wurde durchschnittlich so stark gewählt, dass
in 10 Sec. 0,5 Liter Luft, also in einer Stunde 180 Liter Luft
durch den Apparat gesogen wurden. Das Luftzuleitungsrohr
wurde durch eine Glasgabel doublirt, so dass an jedes Zweigrohr
derselben Apparate, welche von der aspirirten Luft durchströmt
werden sollten, befestigt werden konnten. Diese Apparate waren,
in unserem Falle, Systeme von mehreren cylindrischen Gläsern
(I. I. IIL), durch deren festschliessende Gummipfropfen Glasrohre
traten, welehe das Durchtreten der Luft durch die einzelnen Cylin-
der vermittelten. Das Glasrohr des am meisten von der Luftpumpe
entfernten Cylinders (I.) mündete, gegen das Eindringen fremder
Keime am äusseren Ende durch einen Wattebausch geschützt, in den
Luftraum des Zimmers, das andere Ende reichte bis auf den Boden
dieses „hinteren“ Cylinders (I.). Dicht unter dem Verschluss des
letzteren begann ein zweites Glasrohr, welches, zweimal rechtwink-
lig gebogen, schliesslich in den zweiten „vorderen“ Cylinder (II.)
hinüber leitete, und zwar auf den Boden desselben. Wenn es im
Gange der Versuche lag, konnte diesem Cylinder mittelst einer glei-
chen Vorrichtung nun noch ein dritter (III.) angefügt werden; mei-
stens ging sein unter dem Pfropf ansetzendes Ausgangsrohr in einen
Zweig der Glasgabel über. So passirte der Luftstrom gleichzeitig zwei
resp. drei jener Glascylinder, indem er stets den Boden des äusser-
sten derselben (I.) zuerst erreichte, ihn durch das Ausgangsrohr
1) Vergleiche die folgende Abhandlung p. 121.
Cohn, Beiträge zur Biologie der Pflanzen, Band III. Heft I. 8
114
verliess, auf den Boden des vorderen (II.), resp. vordersten Gla-
ses (IIL.) geleitet wurde und auf diese Weise alle in den Gläsern
ihm exponirten Gegenstände scharf bestrich. Die hinteren Cylinder (I.)
wurden mit Infeetionsmaterial, die vorderen (II.) mit infeetionsfähi-
gen gekochten Kartoffelstücken gefüllt. Es braucht wohl kaum
bemerkt zu werden, dass die Präparation und Aufstellung des zu
infieirenden Materials unter aller erdenklichen Sorgfalt unter den
beschriebenen Cautelen erfolgte, und dass der regelrechte Gang des
Luftstroms durch zeitweilig am hintersten Ende des Systems ange-
fügte Wassereylinder controlirt wurde.
9. a) Bewirkt der über feuchte stark entwickelte Micrococcus-
culturen geleitete Luftstrom Keimübertragung auf vorgelegte Nähr-
flächen? - 7ur Entscheidung dieser Frage wurden in 7 Versuchen
in den hinteren Cylindern (I.) ausgebildete ganz mit rothem Schleim
überdeckte Kartoffelstücke, im vorderen intakte Scheiben gekochter
Kartoffel angebracht und der Luftpumpenapparat 2/2 —8 Stunden
lang in Thätigkeit gesetzt. Auf dem Inhalt von 6 (vorderen) Glä-
sern, welche intaktes Material enthalten hatten, fanden sich rothe
Pünktchen in verschiedener Zahl — drei, vier bis acht, — welche
grösstentheils an den unteren, dem vom Boden aufsteigenden zuge-
leiteten Luftstrom zugekehrten Flächen der Kartoffelscheiben sassen.
In einem nur auf 2 Stunden ausgedehnten Versuche liessen sich
auf den Scheiben des vorderen Glases rothe Pünktchen schlechter-
dings nicht auflinden.
10. b) /st ein starker Luftstrom im Stande, von einer Monate
lang eingetrockneten Oultur Partikeln mit sich ‚Fortzureissen? — Bei
drei Versuchen, in welchen sich der Luftpumpe zunächst Gläser mit
empfänglichem Material, hinter jedem derselben ein Cylinder mit
alten fest zusammengetrockneten Kartoffelscheiben, auf deren Fläche
Mieroeoeeus-Culturen eingetrocknet waren, befanden, blieben die vom
Luftstrom bestrichenen frischen Stücke vollkommen — auch nach
4—b5tägigem Aufenthalt im Brutofen — von rothen Pünktchen ire1.
11. c) Kommt eine Infection zu Stande, wenn der ansteckende
Stoff in Pulverform dem Luftstrom dargeboten wird? — Es wurde
in vier Versuchen der Boden des hinteren Cylinders mit einer 2—3 mm
hohen Schicht abgeraspelten Pulvers von einer getrockneten Oultur-
fläche überdeckt, der vordere Cylinder in gewohnter Weise mit Kar-
toffelstücken gefüllt, nach 3—5stündiger Thätigkeit des Apparats
die zu infieirenden Gefässe in den Brutofen gebracht. Hier zeigten
sich schon nach 15—18 Stunden auf den exponirt gewesenen Nähr-
flächen einzelne rothe Pünktehen, und wuchsen auf zwanzig und
115
mehr an. Sie sassen, wie bemerkt zu werden verdient, meistens
auf der dem Verschluss des Glases zugekehrten oberen Fläche der
Scheiben,
12. d) Ist eine continuirliche Feuchterhaltung der durchgesaugten
Luft im Stande, das Ablösen inficirender Keime von frischen (einen
Schleimüberzug bildenden) Micrococcus-Oulturen vollständig zu hin-
dern? — Die zur Lösung dieser Frage unternommenen Versuche
wurden so angestellt, dass am entferntesten von der Luftpumpe zwei
mit Wasser gefüllte Cylinder Platz fanden, durch welche der Luft-
strom also zuerst hindurchtrat. Jedem Wassereylinder schloss sich
ein, mit feuchter Micrococeensschicht überdeckte Kartoffelstücke ent-
haltender Cylinder an und diesem war je ein in gewohnter Weise
mit disponirtem Material gefülltes Gefäss vorgesetzt. Das Ergebniss
der so angeordneten drei Versuche war nicht ganz leicht zu ermit-
teln, bei einfacher Besichtigung nach 42 — 70stündigem Aufenthalt
im Brutofen erschienen die exponirten Stücke unverändert. Erst
nach sehr genauer Durchmusterung jeder einzelnen Fläche liessen
sich in jedem Cylinderinhalt 2—3 ganz schwach markirte rothe
Pünktchen aufänden.
13. e) Hindert eine Einschaltung von Watte in dem vom infi-
cirenden zum escponirten Material gehenden Luftstrom die Ueber-
tragung? — Da durch Einbringung der Watte in die verbindenden
Glasröhren stets luftdichte Verstopfung derselben herbeigeführt wurde,
suchte ich zuerst die Bedingung des Experimentes so zu erfüllen,
dass ich den mit infieirendem Material gefüllten Cylinder in einen
grösseren Cylinder brachte, des ersteren Ausgangsrohr in eine 1,5 Cm.
dieke Watteschieht münden liess und im oberen durch ein Drahtnetz
(und die Watteschicht) vom Infectionseylinder abgegrenzten Raum
des grösseren Gefässes die zu inficirenden Kartoffelscheiben plaeirte.
Durch die schwierige Manipulation war indess eine unbemerkte Ver-
schiebung der Watteschicht erfolgt, so dass eine kleine freie Pas-
sage für den von unten aufsteigenden Luftstrom entstanden war, in
deren Umgebung bereits nach 15 Stunden rothe Pünktchen an den
exponirten Stücken auftraten. — Es wurden dann weitere Versuche
in der Art aufgestellt, dass zwischen die mit Mierococeus (auf feuch-
ten Flächen oder in Pulverform) gefüllten und die zu infieirenden
Cylinder ein solcher mit loser Watte eingeschaltet wurde. Bei die-
ser Anordnung blieben die vorderen Cylinder ausnahmslos frei.
14. f) Bewirkt die unmittelbar aus dem Laboratorium aspirirte
Luft Infection? — Die mit Kartoffelstücken gefüllten Gläser, welche
23—33—5 Stunden von einer direct aus dem Zimmerraum aspirir-
+
116
ten Luft bestrichen wurden, zeigten keine auf Infection deutende
Veränderung des in ihnen enthaltenen Materials.
(Die negativen Ergebnisse wurden durch längeren, mindestens
5tägigen Aufenthalt der Cylinder im Brutkasten sicher gestellt.)
15. Die aus obigen Versuchen sich ergebenden Schlussfolgerun-
gen sind besonders mit Rücksicht auf die von Naegeli in seinem
Buche über die niederen Pilze und ihr Verhältniss zu den Infeetions-
krankheiten ausgesprochenen Theorien von allgemeiner Bedeutung, so
dass ich dieselben in einigen präcisen Sätzen zusammenzustellen
nicht unterlassen will:
Ein starker continuirlicher Luftstrom, der eine mit Mecrococcus
prodigiosus überzogene Oberfläche bestreicht und von da über dis-
ponirte Nährflächen geleitet wird, reisst trotz der zwei rechtwink-
lichen Krümmungen des Verbindungsrohres, wie unsere Anordnung
sie mit sich brachte — Keime fort und setzt sie auf den exponirten
Nährflächen ab. Und zwar findet dies statt, wenn die mit M. pro-
digiosus überzogene Oberfläche, wie das unter natürlichen Verhält-
nissen der Fall ist, feucht und der Luftstrom trocken ist, schwieriger
und in geringerem Maasse, wenn derselbe feucht erhalten wird. Am
leichtesten gelingt die Uebertragung der Keime, wenn dieselben dem
Luftzuge in Staubform dargeboten werden. Dagegen werden von
einer Oberfläche, auf welcher M. prodigiosus fest aufgetrocknet ist,
keine Keime losgerissen. Ebenso wenig überträgt die gewöhnliche
Bewegung der Luft des Zimmers Infektionskeime, auch wenn in dem-
selben sich Micrococeus-Culturen befinden. Auch durch Watte wird
die Uebertragung von Micrococcuskeimen durch die Luft verhindert
unter Verhältnissen die sonst Infektion veranlassen würden. Contakt
mit feuchten Micrococcusmassen dagegen bewirkt sofort Infektion.
III. Welche Mittel und Vorkehrungen zerstören die Keime
des Micerococeus prodigiosus oder heben die Folgen der absichtlichen
Uebertragung auf?
16. Die Bemerkungen von Schröter, dass der Zutritt von Licht
für die Entwicklung des Micrococeus ohne Bedeutung sei, dass er
andererseits nur bei Luftzutritt gedeihe, konnten unsere auf die-
sen Punkt gerichteten Versuche lediglich bestätigen. Dagegen erge-
ben dieselben hinsichtlich der Temperatur einige Abweichungen.
Die gewöhnliche Zimmertemperatur (des Monats März) hielt die Ent-
wicklung der Culturen wesentlich auf, so dass erst nach 60 Stunden
unter ihrem Einfluss ein deutliches Angehen derselben erfolgte, wäh-
rend zu gleicher Zeit geimpfte und im Wärmekasten (35° C.) unter-
117
gebrachte Stücke schon nach 30 — ja zuweilen schon nach 20 Stun-
den lebhafte Entwicklung zeigten; mit anderen Worten: die Incu-
bationszeit wird durch eine auf 12—15° herabgeminderte Tempera-
tur auf mindestens das Doppelte verlängert. — Die Vernichtungs-
temperatur für den Mecrococcus prodigiosus liegt zwischen 68°
und 80° C. trocken: während Stücke, welche im Gasofen 10—15 Min.
lang der ersteren ausgesetzt wurden, noch gutes Impfmaterial liefer-
ten, waren bis auf 78° und 80° erhitzte nicht mehr ansteckungs-
fähig. Das Aussehen der Culturen giebt hier keinen Anhaltspunkt,
da es noch bei viel stärkerer Erhitzung (125°— 160°) sich nur durch
eine blanke Kruste von dem unerhitzten Material unterscheidet, ohne
dass in der Farbennüance oder im mikroskopischen Bilde eine Ver-
änderung eingetreten wäre. — Bei gelinder Wärme eingetrocknet,
behalten die aufbewahrten Culturen ihre Keimfähigkeit Monate lang.
So waren meine ganzen Impfungen mit einem Material bewerkstel-
ligt, das bereits im October 1878 getrocknet worden war. — Wird die
Schnittfläche der gekochten Kartoffel im heissen Zustande geimpft,
so zeigen die entstehenden Culturen ein kümmerliches und fleck-
weises Aussehen.
17. Wasser erweist sich im heissen und kalten Zustande der
Vermehrung des Micrococcus feindlich, indem es ihn vom Nährboden
löst und fortspült. Legte man gut entwickelte feuchte Culturen
20—36 Stunden in kaltes Wasser, so zeigten sie, herausgenommen,
noch einen leichten pfirsichfarbenen Schimmer, in welchem fortpflan-
zungsfähige Keime nicht mehr enthalten waren; die so behandelten
Stücke blieben auch unter sonst guten Brutverhältnissen steril. Der
im Wasser zu Boden gesunkene leicht rosenfarbene Schlamm enthielt
ebenfalls keine impffähigen Keime mehr. Die Auflösung der Micro-
coceuskörperchen im Wasser lässt sich auch unter dem Mikroskop
direet beobachten.
Glycerin conservirt diese Körperchen mehrere Tage (auf 3 Tage
Zeitdauer beobachtet). — Heisses Wasser bewirkt die Abspülung
und Auflösung der Culturen in wenigen Minuten.
Alkohol zieht schnell den rothen Farbstoff aus und macht die
Körperchen zur Impfung unfähig. Mit Alkohol behandelter Nähr-
boden nahm zuweilen frisches Impfmaterial noch an und bewirkte
ein kümmerliches Angehen desselben.
Carbolsäure macht nach kurzer Berührungsdauer sowohl den
Keim unwirksam, als auch den Nährboden steril. — Kali hyper-
manganicum bewirkt in 2—5°% Lösung keine Tödtung des Keims,
alterirt dagegen die Beschaffenheit des Nährbodens. Salicylsäure
118
schien in verdünnter Lösung den Nährboden sogar ergiebiger zu
machen, der Keim wurde durch sie nicht alterirt; stärkere wurden
nicht versucht. — Von anorganischen Säuren erwiesen sich Salz-
und Salpetersäure als absolut tödtlich.
18. Abgesehen von diesen Vernichtungsbedingungen (22 Versuche),
deren Zahl ja noch bedeutend vermehrt werden könnte, existiren
für den Micrococcus prod. solche in Gestalt anderer niederer
Organismen, deren Keime, sei es dass sie mit überimpft wurden,
sei es dass sie aus der Luft oder den Gefässen in die Cultur-
flächen hineingelangten, ihn nach Verlauf von 5—6 Tagen von
seinem Nährboden verdrängen. Es sind einmal Micrococcus can-
didus und aurantiacus, Penicillium glaucum, die sich an ein-
zelnen beschränkten Stellen der Nährflächen ansiedeln. Wird aber
der Micrococcus prod. nicht am vierten Tage nach der Uebertragung
dureh Eintrocknung fixirt, so beginnt ein schleimig-klebriger, heil-
wachsgelber Ueberzug von den nicht durch Mecrococcus bepflanzten
Stellen aus sich über die ganze Fläche zu verbreiten. Derselbe
besteht aus reinem Bacterivum Termo, welches nach 48—60 Stunden
die rothen Stellen so redueirt, resp. unsichtbar gemacht hat, dass
die ganze Oberfläche des Kartoffelschnitts nun schmierig und gelb
erscheint. Doch stecken unter diesem Schlamm noch immer cultur-
fähige Micrococeus-Keime, wie man sich durch Ueberimpfung eines
anscheinend rein gelben Klümpchens auf eine frische Kartoffel-
fläche überzeugen kann. Dieselbe geht dann roth an, — eine That-
sache, die ohne Controlexperimente wohl im Interesse der polymor-
photischen Theorie ausgebeutet werden könnte. Wiederholt man
jedoch diesen Versuch (selbstverständlich unter den Cautelen gegen
unabsichtliche Micrococcusübertragung) häufiger, so wird man sich
bald überzeugen, dass aus noch älteren oder einmal wirklich reinen
gelben Klümpchen sich immer nur Bacterium Termo — auch auf
ganz frisch gekochten Kartoffeln — erzeugen lässt, mit anderen
Worten, dass die verhängnissvolle, meistens nicht zu vermei-
dende Keimvermengung auch hier ihre Rolle spielt. —
Die vorher erwähnten Organismen — Micrococcus candıdus und auran-
tiacus, sowie Penicillium glaucum — lassen es zu, dass die blut-
rothen Tröpfchen des M. prodigiosus sich noch etwas erhöhen und aus-
breiten; doch hat sich niemals gezeigt, dass — ebensowenig wie
gegenüber dem Dacterium Termo — unser Micrococcus diese After-
wucherungen verdrängt und sein Terrain wiedererobert hätte.
Breslau, 4. April 1879, |
VI.
Untersuchungen über die in der Luft suspendirten
Bacterien.
Von
Dr. Miflet aus Kiew.
Mit einer Einleitung von Dr. Ferdinand Cohn.
Hierzu Tafel VIL. und VII.
1. Wenn auch schon von vielen Forschern seit Ehrenberg das
Vorkommen von Pilzkeimen in der Luft theils direkt nachgewiesen,
theils aus dem Auftreten von Pilzen auf oder in sich zersetzenden
organischen Substanzen erschlossen wurde, so ist doch das allge-
meine Interesse in neuester Zeit erst durch Pasteur auf diese
Keime, insbesondere die von Hefepilzen und Bacterien, in ihrem Zu-
sammenhang mit den Fermentationen, gerichtet worden. In seiner
berühmten Abhandlung über die organisirten Körperchen in der
Atmosphäre glaubte Pasteur') entscheidende Beweise für die An-
nahme zu liefern, dass alle bei der Gährung und Fäulniss auftre-
tenden mikroskopischen Organismen, in denen derselbe theils Pflan-
zen, theils Thiere erblickte, soweit sie nicht in dem für die
Versuche benützten organischen Substrat, dem Wasser oder den
Gefässen präexistirten, oder durch Verunreinigung hineingebracht
wurden, nothwendig von Keimen herstammen, die aus der Luft hin-
eingefallen und durch Abhalten oder Abfiltriren der Luft abgehalten
werden können.
Die wichtigsten der durch Pasteur angeregten Untersuchungen
über die organisirten Gebilde in der Luft, deren vollständigste
!) Pasteur, Mem. s. ]. corpuse. organisds qui existent dans l’atmosphe£re.
Journ, de Chim. et de Phys. 1862. ser. III. tom. 64 p. 5.
120
Zusammenstellung die Abhandlung von Douglas Cunningham
giebt"), habe ich in meinem Aufsatze „Unsichtbare Feinde in der
Luft?)“ besprochen. Ich habe dabei hervorgehoben, dass durch die
bisher zur Aufsammlung mikroskopischer Organismen aus der Luft
benutzten Methoden im Allgemeinen nur grössere Pilzsporen und
andere fremde Körper (Algen, Moosfragmente, Pollen, Gewebsfasern,
Federn, Stärke, hauptsächlich aber Kieselfragmente) nachgewie-
sen werden, denen vom hygienischen Gesichtspunkte aus nur eine
untergeordnete Bedeutung zukömmt, dass sich jedoch über Gegen-
wart oder Abwesenheit der für Fermentationen und pathogene
Infectionen in erster Reihe in Frage kommenden Bacterien kein
sicheres Urtheil durch dieselben gewinnen lässt. Noch weniger
konnte bisher die Kardinalfrage zur Entscheidung gebracht werden,
ob die in der Luft etwa suspendirten Bacterienkeime noch entwick-
lungsfähig sind, ob sie sich noch vermehren und Fermentwirkungen
äussern können, oder ob sie nicht durch Austrocknen ihre Keimfä-
higkeit völlig verloren haben ?)?
In der That ist es durch eine Anzahl neuerer Untersuchungen,
unter denen die von Burdon Sanderson hervorzuheben sind, in
hohem Grade zweifelhaft geworden, ob die Keime der bei Gährung
und Fäulniss sich entwickelnden Bacterien wirklich aus der Luft
1) Cunningham Douglas, Microscopie examination of air. Caleutta. Ohne
Jahresangabe. 1373?
2) Rede in der dritten allgemeinen Versammlung deutscher Naturforscher
und Aerzte zu Breslau am 24. Sept. 1874; abgedruckt in dem Bericht der
Versammlung p. 138.
3) Die nämlichen Einwürfe müssen auch gegen die neusten Untersuchun-
gen erhoben werden, welche P. Miquel im Observatorium des Park zu
Montsouris bei Paris über die in der Atmosphäre suspendirten organisirten
Staubtheilchen angestellt hat. (Les poussieres organisdes tenues en suspen-
sion dans l’atmosphere, Compt. rend. hebd. de l’Acad. des sciences. Paris 1878.
Tom. 86. p. 1552.) Die durch den Trichter eines Aöriskops mit einer Oefl-
nung von 0,5 mm Durchmesser hindurch gesaugte Luft setzte ihre Unreinig-
keiten auf einem Plättchen ab, auf dem sich ein Gemisch von Glycerin und
Glycose befand. Die aspirirte Luftmenge konnte vermittelst eines Zählappa-
rats gemessen werden und betrug etwa 20 Liter in der Stunde, die Zahl der
organisirten Körperchen variirte von 500 — 120,000 für den Kubikmeter Luft,
100mal grösser als Maddox und Cunningham sie früher gefunden; sie
variirte nach den Jahreszeiten, von Temperatur und Feuchtigkeit beeinflusst.
Aber diese „Microbes oder mierogermes‘ waren auch nur „spores des Muce-
dinees et semences de nombreuses productions eryptogamiques, ensuite fruc-
tifications de certains champignons“ neben Algen und verschiedenen Frag-
menten, auch Eier (!) grosser Infusorien.
121
stammen, oder ob nicht die Infektion ausschliesslich durch das
Wasser oder durch Contakt mit unreinen Oberflächen stattfindet.
2. Zur experimentellen Lösung der Frage, ob in der Luft eent-
wieklungsfähige Schizomycetenkeime vorhanden resp.
nachweisbar seien, habe ich eine andere Methode vorgeschlagen,
nämlich grosse Volumina Luft in Nährflüssigkeiten zu waschen, in denen
die Keime derselben sich später vermehren und dadurch mikroskopisch
und selbst makroskopisch zur Wahrnehmung kommen. Der von mir
früher benutzte Apparat!) bestand aus einer Reihe durch Glas- oder
Kautschukröhren unter einander verbundener, und mit mineralischer
Bacteriennährlösung theilweise angefüllter Glascylinder, durch welche
die Luft vermittelst eines Aspirators hindurchgesaugt wurde, so dass
die nämliche Luftmenge sämmtliche Glascylinder hinter einander
durchstreichen und in ihnen die suspendirten Körperchen absetzen
musste, welche sodann im Wärmkasten zu weiterer Entwicklung
gebracht wurden.
Eine sehr vortheilhafte Modifikation dieses Apparats habe ich
dadurch herbeigeführt, dass ich als Aspirator die nach Arzberger
und Zulkowsky?) von Paul Böhme in Brünn construirte trans-
portable Wasserstrahlluftpumpe verwendete und die Verbindung
zwischen den Wascheylindern derartig herstellte, dass in jedem der-
selben ein separater Luftstrom, nach Bedarf in verschiedener Nähr-
lösung, gewaschen werden kann.
Die genannte Luftpumpe hat vor allen anderen Aspiratoren den
Vorzug, dass sie einen durch unbegrenzte Zeiten ununterbrochenen
regulirbaren Luftstrom gestattet. Um denselben in Gang zu bringen
ist weiter nichts erforderlich, als das Wasserzuflussrohr mit dem
Hahn einer Wasserleitung durch einen Kautschukschlauch (bei A in
umstehender Figur) in Verbindung zu setzen und den Lufthahn R
richtig zu stellen, während das Wasserabflussrohr durch einen Kaut-
schukschlauch bei B in das Becken der Wasserleitung gelegt wird.
Das Luftrohr D der Wasserstrahlluftpumpe C wird mit einem
1 em starken Glasrohr in Verbindung gesetzt, welches sich am ent-
gegengesetzten Ende in zwei gleiche Gabeläste theilt (E). Jeder
derselben wird durch einen Kautschukschlauch mit einem Glascylin-
der verbunden, welcher eine Höhe von 15 Centimeter und einen
inneren Durchmesser von 3 Centimeter besitzt und mit doppelt
durehbohrtem Kautschukstopfen verschlossen ist (FF’). Durch die
1) Beiträge zur Biologie der Pflanzen Bd. ]J. Heft 3. p. 148.
2) Annalen der Chemie und Physik Bd. 176 p. 327.
122
eine Oeffnung des Stopfens reicht ein grades Glasrohr von 0,5 Cen-
timeter Durchmesser bis nahe auf den Boden des Cylinders (aa‘); durch
C. Wasserstrahlluftpumpe. A. Zuleitungsrohr des Wassers. B. Ableitungs-
rohr des Wassers. D. Luftsaugrohr der Luftpumpe. R. Hahn zur Reguli-
rung des Luftstroms. E. Glasgabel. F.F’ Wascheylinder. a.a’ Luftsaugrohr
der Wascheylinder. b.b‘ Verbindungsrohr mit der Luftpumpe.
dieses dringt die von der Luftpumpe aspirirte Luft in die Cylinder
ein. In das andere Loch wird eine zweimal rechtwinklig gebogene
Glasröhre von gleichem Durchmesser eingesetzt, welche direet unter-
halb des Stopfens mündet; das freie Ende dieser Röhre wird mit
einem der beiden Gabeläste (E) durch Kautschuk verbunden (bb‘).
Vermittelst dieser Vorrichtung kann die Luft gleichzeitig durch zwei
Cylinder in völlig gleiehmässigem Strome hindurchgesaugt und, wenn
letztere mit Flüssigkeit etwa bis zur Hälfte gefüllt worden, gleich-
zeitig auch gewaschen werden. Werden zwei Paar so verbundener
Glascylinder durch eine ähnliche Glasgabel in Verbindung gesetzt,
so ergiebt dies vier gleichzeitig für Parallelversuche benutzbare
Waschapparate.. Bei Bedürfniss kann selbst noch eine grössere
Zahl von Cylindern nach Belieben zusammengestellt werden, wobei
allerdings sorgfältige Regulirung vermittelst Quetschhähnen erforder-
lich ist. Bei dieser Einrichtung ist eine Vermischung der Wasch-
flüssigkeiten benachbarter Cylinder unmöglich, wie sie in den frühe-
ren Apparaten bei direeter Communication derselben und bei einiger-
massen kräftigem Luftstrom nicht vermieden werden konnte. Nicht
minder wird eine gleichmässige Anhäufung der Keime aus der Luft
123
in den verschiedenen Waschflüssigkeiten erzielt, während bei der frühe-
ren Verbindung ein progressives Abnehmen stattfand, da der nämliche
Luftstrom mehrere Wascheylinder hintereinander passiren musste.
3. Herr Dr. Miflet, welcher im Sommersemester 1873 in unserem
Pflanzenphysiologischen Institut sich mit Studien über Bacterien
beschäftigte, wurde von mir ersucht mit Hülfe des eben beschrie-
benen Apparats eine zusammenhängende Untersuchung über die in
der Luft enthaltenen Bacterien anzustellen, deren Ergebnisse ich mit
ihm mikroskopisch geprüft habe. Als Waschflüssigkeiten wur-
den für diese Versuche gewählt:
1. Eine mineralische Nährlösung von folgender Zusammensetzung:
Saures phosphorsaures Rali ....... l gm
Schwefelsaure Magnesia ........... l
Neutrales weinsteinsaures Ammoniak 2
Ohlorealeium sen ee 0,1:
Destillirtes Wasser... 2... 22en 0.0. 200
2. Eine zehnprocentige Lösung von Malzextract.
3. Eine einprocentige Lösung von Liebig’schem Fleischextract.
4. Bevor wir unsere Untersuchung begannen, musste dafür Sorge
getragen werden, dass die in den benutzten Flüssigkeiten und Appa-
raten bereits früher vorhandenen Keime, die als primäre Keime bezeich-
net werden können, getödtet, d.h. dass der Apparatvollständig
desinficirt werde; als der geeignetste Weg dazu ergab sich eine hin-
länglich lange Einwirkung einer Temperatur über 100° C, Folgende
Vorversuche wurden angestellt, um ein völlig sicheres Desinfektions-
verfahren zu ermitteln. Die Cylinder wurden jeder mit 25 Gramm
obiger Nährlösungen gefüllt, auf einem schweren Stativ zur Verhin-
derung des Umfallens festgebunden und, nachdem die Glasröhren
durch Kautschukkappen verschlossen, in einem zu 3 mit Wasser
gefüllten geräumigen Papin’schen Topf 20 Minuten lang gekocht,
hierauf in den schon früher beschriebenen ') Wärmkasten gebracht,
in welchem sie bei einer Temperatur von etwa 30° C. längere
Zeit verblieben. Schon nach drei Tagen zeigten die Cylinder mit
Malzextract und Fleischextract eine deutliche Trübung, die mit der
mineralischen Lösung dagegen blieben klar. Die mikroskopische
Untersuchung lehrte, dass die Trübung bei den ersteren Cylindern
ausschliesslich von Bacillen herrührte. 20 Minuten andauerndes
Kochen hatte also nicht genügt zur Vernichtung der primären Keime
im Malz- und Fleisch-Extract, wohl aber war dasselbe ausreichend
1) Band 1. Heft 2 pag. 196 dieser Beiträge.
124
für die mineralische Nährlösung, vermuthlich weil in ersteren, nicht
aber in letzterer widerstandsfähige Bacillussporen vorhanden waren.
Durch successives Vorgehen nach dieser Methode wurde endlich
das Resultat gewonnen, dass zur absolut sichern Desinfektion
der Apparate, wenn dieselben mit Fleisch- und Malzextract ge-
füllt waren, ein 1"2 stündiges Kochen im Papin’schen Topf erfor-
derlich sei. DBehufs der Controle wurden fortan die in dieser
Weise desinfieirten Apparate noch mindestens drei Tage im Wärm-
kasten belassen; von denjenigen, welche auch dann völlig klar
geblieben waren, konnte angenommen werden, dass sich auch später
in ihnen nichts entwickeln werde, und nur solche Wascheylinder
wurden zu den ferneren Versuchen verwendet. =
5. Hierauf suchten wir uns darüber Gewissheit zu verschaffen, ob
die oben erwähnten Nährflüssigkeiten für die Entwicke-
lung der Bacterien überhaupt einen günstigen Boden
liefern. Zu diesem Zwecke wurden die desinfieirten Nährlösungen
mit Bacterium Termo, verschiedenen Bacillus und anderen Arten geimpft,
in den Wärmkasten gebracht und nach drei Tagen mikroskopisch
untersucht. Es ergab sich die Thatsache, dass verdünnter Fleisch-
und Malzextraet im allgemeinen für die Entwicklung aller Bacterien
ein sehr vortheilhaftes Medium ist, während die mineralische Nähr-
lösung vorzugsweise nur für die Vermehrung von Bacterium Termo
geeignet zu sein scheint.
6. Hierauf fussend wurden mit diesen drei Flüssigkeiten
eine Reihe von systematischen Untersuchungen ange-
stellt, bei denen der obige Apparat angewendet wurde. Durch
Oeffnung des Wasserleitungshahnes wurde die Luftpumpe in Thätig-
keit gesetzt und 24 Stunden lang ohne Unterbrechung die Luft durch
die Wascheylinder gesaugt. Das Volumen der gewaschenen Luft
liess sich durch Stellung des Wasserleitungshahns reguliren. Directe
Messungen in einzelnen Fällen ergaben, dass pro Stunde eirca
150 Liter, also in 24 Stunden 2550 Liter Luft hindurch gesaugt wur-
den. Nach Beendigung des Versuchs wurden die Wascheylinder in den
oben erwähnten Wärmkasten gebracht und daselbst bis zu 3 Tagen
belassen. Die Entwicklung von Bacterien liess sich schon makrosko-
pisch durch Trübung erkennen; oft bildeten sich schwimmende Häutchen
oder Absatz. Blieben die Nährflüssigkeiten innerhalb dieser Zeit klar,
so trat auch bei längerem Verweilen im Wärmkasten keine Trübung
mehr ein, und die mikroskopische Untersuchung ergab, dass sich
dann überhaupt keine Bacterien entwickelt hatten. Im entgegen-
gesetzten Falle wurden vermittelst ausgeglühter Pipetten kleine Proben
125
von Nährflüssigkeit herausgenommen und mit Hartnack, Immersion
XI. untersucht, die Baeterien selbst nach Weigert-Koch’scher Me-
thode durch Methylviolett und Anilinbraun gefärbt und sofort gezeichnet.
7. Um darüber Gewissheit zu erlangen, ob die bei unsern Versuchen
sich entwickelnden Bacterien wirklich von Keimen herstammten,
welche aus der Luft ausgewaschen waren, wurde folgender Versuch
angestellt: Die geraden zum Eintritt der Luft in die mit Fleisch-
und Malzextract gefüllten Wascheylinder dienenden Glasröhren wur-
den mit Watte verstopft, sodass nur solche Luft die Waschflüssig-
keit durchströmte, welche vorher die Watte passirt hatte. Bei
Anwendung von gewöhnlicher Baumwollenwatte stellte sich in der
Regel eine deutliche Trübung ein, die von Bacterien herrührte. Bei
Anwendung von Watte dagegen, welche durch Salieylsäure, absoluten
Alkohol oder durch Erhitzen desinfieirt worden war, entstand keine
Trübung. Diese Versuche ergaben also, dass die in der Luft ent-
haltenen Keime durch desinfieirte Watte vollständig abfiltrirt werden,
dass dagegen das Auftreten von Bacterien bei Benutzung eines
Filters gewöhnlicher Watte auf die in letzterer enthaltenen und
durch den starken Luftstrom fortgerissenen Unreinigkeiten zurück-
zuführen sei. In Folge dieses Ergebnisses wurde bei allen wei-
teren Versuchen jedesmal ein Wascheylinder zum Zwecke der Controle
eingeschaltet, bei welchem die Luft durch desinficirte Watte filtrirt
war. Blieb dieser (im Folgenden als Controleylinder bezeichnet)
klar, während die übrigen Cylinder, in denen die Luft nicht filtrirt
wurde, sich trübten, so konnte mit voller Gewissheit an-
genommen werden, dass die Keime der in den Wasch-
flüssigkeiten entwickelten Bacterien einzig und allein
nur aus der Atmosphäre herstammen mussten.
8. Die Fragen, deren Lösung durch unsere Untersuchungen an-
gestrebt wurde, waren folgende:
1. Sind in der Luft Keime von Bacterien vorhanden und lassen
sich dieselben nachweisen ?
2. Ist es möglich diese Keime zur Entwickelung und Vermeh-
rung zu bringen und durch welche Methode?
Beide Fragen mussten gesondert untersucht werden. Denn es
liess sich die Möglichkeit denken, dass zwar in der Luft Bacterien-
keime existiren, dass unsere Methoden aber nicht ausreichen, um
dieselben aufzufinden, ihre Formen zu unterscheiden und die Medien
zu wählen, welche für ihre weitere Entwickelung geeignet sind.
In der That hatten meine früheren Versuche mit der Luftwäsche')
1) Beiträge ete. Bd. I. Heft 3. p. 150.
126
das Resultat ergeben, dass sich in der Regel in den Waschflüssig-
keiten zwar Hefe und Schimmelpilze, aber nur ausnahmsweise Bacte-
rien entwickelten; gleichwohl durfte ich daraus nicht den Schluss ziehen,
dass in der Luft entwicklungsfähige Bacterien in der Regel überhaupt
nicht vorhanden seien, sondern ich wurde zu der Annahme geführt, „dass
dieselben als leichte und von einer Gallerthülle umgebene Körperchen
im Wasser nur mit besonderer Schwierigkeit festgehalten, meist aber
von den aufsteigenden Luftbläschen wieder fortgerissen werden,
ohne benetzt zu sein.“ Bei den im Weiteren zu berichtenden Unter-
suchungen hat sich ebenfalls herausgestellt, dass in der früher von
mir allein benutzten mineralischen Nährlösung viel schwieriger
die Bacterien zur Entwicklung gelangen, als in den Lösungen von
Malz- und Fleischextrakt. Uebrigens ist die Möglichkeit nicht zu
bestreiten, dass neben den von uns nachgewiesenen und zur Ver-
mehrung gebrachten höchst mannigfaltigen Bacterienformen noch eine
grosse Menge anderer Arten in der Luft suspendirt seien, die uns
nur darum entgingen, weil wir für sie eben nicht den günstigsten
Nährboden ermittelt hatten. Nichtsdestoweniger glaube ich anneh-
men zu dürfen, dass unser Apparat ein werthvolles Hilfsmittel ab-
geben wird, um manche, insbesondere hygienisch wichtige Fragen
über Reinheit oder Verunreinigung der Luft durch zymogene oder
pathogene Keime, Wirksamkeit der Desinfektionen, Malaria u. s. w.
zur Entscheidung zu bringen.
9. Bei dieser ersten systematischen Untersuchung haben wir uns
bereits bemüht, die Luft von möglichst verschiedenartigen
Lokalitäten zu untersuchen; von solchen, von denen anzunehmen
war, dass die Luft relativ am reinsten, und von solchen, von denen
man vermuthen konnte, dass sie am meisten verunreinigt sei. Es
wurde deshalb der geschilderte Apparat in folgenden Räumlich-
keiten aufgestellt und in Thätigkeit gesetzt:
1. Im Arbeitszimmer des Pflanzenphysiologischen Instituts, im
Hofe und im Kloakenraum des betreffenden Gebäudes.
2. Im botanischen Garten (Waldluft und Bodenluft).
3. Im Operationszimmer der chirurgischen Klinik.
4. Im Sectionszimmer des pathologischen Instituts.
5. Im Wenzelschen Krankenhaus, in der Station für Flecktyphus-
kranke ''), Breslau, Juli 1879. F. Cohn.
I) Zur Zeit der Versuche bestand in Breslau eine Flecktyphus-Epidemie.
Sämmtliche Kranke wurden nach dem ausserhalb der Stadt auf freiem Felde
gelegenen Krankenhaus geschafft. Die Zimmer, in denen die Apparate aufge-
stellt waren, waren mit 5 bis 7 Kranken belegt.
127
Bericht über die im Sommer 1878 zu Breslau angestellten
Untersuchungen der in der Luft suspendirten Bacterienkeime.
Von Dr. Miflet.
Auf Veranlassung und unter Leitung des Herrn Prof. Ferdinand
Cohn habe ich von Mitte März bis Ende Juli 1878 eine zusammen-
hängende Reihe von Untersuchungen über die in der Luft enthal-
tenen und entwicklungsfähigen Bacterienkeime angestellt, deren Er-
gebnisse ich im Folgenden zusammenstelle. Herrn Prof. Cohn,
sowie Herrn Dr. Eidam spreche ich meinen Dank für die mir zu
Theil gewordene Förderung aus.
I. Zimmerluft der Arbeitsräume im pflanzenphysiologischen
Institut.
In dem Zeitraum vom 30. März bis 7. Mai 1878 wurde die Luft
dieser Localitäten fünf Mal untersucht. Hierzu wurde stets der
Apparat mit vier Wascheylindern in Verbindung gesetzt, welche je
desinfieirtes Malz- und Fleischextract sowie mineralische Nährlösung
enthielten. Einer der vier Cylinder diente zur Controle, er wurde
abwechselnd mit obigen Flüssigkeiten gefüllt, und während die übri-
gen drei Cylinder unmittelbar vom Aussenraum durch offene Röhren
Luft einsaugten, musste dieselbe bei dem Controleylinder erst einen
im Saugrohr befindlichen desinfieirten Wattepfropf passiren. Naclı
24stündiger Lufteinsaugung, darauf erfolgtem Einsetzen in den Wärm-
kasten ergab sich im Verlauf von 2—3 Tagen folgende Resultat:
Controleylinder. Versuch 1—5. Die in den 5 Gläsern ent-
haltenen Flüssigkeiten, welche ausschliesslich nur filtrirte Luft auf-
senommen hatten, blieben immer klar.
Malzextraet-Lösung. Versuch 1. Sehr trübe, es bildet sich
ein weisser Absatz, welcher aus einem Mierococeus besteht.
Versuch 2. Trübe; weisslich schleimiges Häutchen auf der Ober-
fläche und schleimiger weisser Absatz. Die Häutchen bestehen aus
Bacillen, die in Schleim eingebettet sind; der Absatz dagegen aus
Sareina und kugligen Micrococcuszellen, welche perlschnurartig zu
kurzen oder langen, verfilzten oder freien, geschlängelten Fäden
gereiht (Torulaform) sind. (Fig. 2.)
Versuch 3. Klar; in der Flüssigkeit schwimmen Mycelien, die
später fructifieiren und zu Krhizopus nigricans gehörig sich erweisen.
Versuch 4. Sehr trübe, mit schleimigem Absatz. Letzterer ent-
hält bewegliche, ziemlich dieke Bacillen; einige derselben haben
128
ovale Sporen entwickelt (Fig. 6a). Ferner sind sehr dicke, eylindrische,
abgerundete oder scharfeckige Zellen vorhanden, zuweilen zwei oder
mehr mit einander reihenförmig verbunden, deren Protoplasma sehr
reichlich dunkel gekörnelt und Vacuolenfrei ist (Fig. 6b).
Versuch 5. Wenig trübe; die Oberfläche bedeckt ein Häutchen,
durchaus nur aus rundem Micrococcus bestehend, der eine Art Zoo-
gloeamasse bildete (Fig. 7a).
Fleischextract-Lösung. Versuch 1. Klar, auf der Ober-
fläche schwimmen Schüppchen, welche im Centrum ziegelroth, am
Rand farblos erscheinen und sich zum Theil zu einer Haut vereinigt
haben. Intensiver spermatischer Geruch. Die Schüppchen zeigen
bewegliche kurze dünne Bacillen, zum Theil in längere Fäden ausge-
wachsen, in welchen sich röthliche, oval oblonge, stark glänzende Spo-
ren kettenförmig nach Art der Heubacillen entwickelt hatten. Dieselben
isoliren sich nach Vergallertung der Fäden und sammeln sich dann
in kleinen ziemlich dieken Gallerthäufchen an (Fig. 1), welche auf
den Boden der Flüssigkeit herabsinken. Jedesmal, wenn ein solches
Sporenhäufchen niedersank, entstand an dessen Stelle ein rundliches
Loch in der Bacterienhaut. Diese Bacillusform ist durch die schmutzig-
rothe Farbe ihrer Sporen sehr charakteristisch, sie wurde zuerst von
Eidam') in faulender Eiweissflüssigkeit, sowie auf putridem Fleisch-
wasser beobachtet. Herr Prof. Cohn schlug für diesen Organismus
den Namen „Baeillus erythrosporus“ vor; er liess sich innerhalb
24 Stunden auf frische Fleischextractlösung, nicht aber auf Malz-
extract und mineralische Nährlösung übertragen.
Versuch 2. Trübe, weisses hart und spröde anzufühlendes Häut-
chen, weisser Absatz. Das Häutchen besteht aus lebhaft beweglichen
Baeillen, einzeln oder zu mehreren vereinigt, mit beiderseits abge-
rundeten Enden; sobald die Stäbchen ihre Bewegung einstellen, hüllen
sie sich in Schleim und bilden einen Zoogloeaartigen Ruhezustand
(Fig. 4). Der Absatz besteht aus Sareina-Gruppen, welche in ausser-
ordentlich weite Gallerthüllen ganz nach Art eines Ascococcus?)
eingehüllt sind (Fig. 3); diese Gallertkapseln werden von Bacillus-
schwärmen umgeben von genau der nämlichen Gestalt wie diejenigen,
welche das oberflächliche Häutchen darstellten; ausserdem waren
die Bacillen mit reichlichen Perlschnurketten (Torulaform) unter-
mischt, wie sie sich in Versuch 2 (Malzextractlösung s. 0.) ent-
wickelt hatten (Fig. 3 und 2).
1) F. Cohn, Beitr. z. Biol. d. Pflanzen. Bd. I. Heft 3. S. 216.
2) Cohn, Beitr. z. Biol. d. Pfl. Bd. I. Heft 3. Taf. VI.
129
Versuch 3. Trübe; unter dem Mikroskop grosse Micrococcen,
oft 2, 4 und mehr in regelmässiger, quadratartiger Anordnung mit
einander verbunden (Fig. 5).
Versuch 4. Trübe; mikroskopisch eine Bacillusform mit Sporen,
welche von Bacillus subtilis nicht zu unterscheiden ist.
Versuch 5. Trübe; grosse Mierococcen (Megacoccus Billroth),
jedoch von verschiedener Grösse, rund, oval einzeln, zu zweien oder
mehreren hinter einander, untermischt mit kegel- oder bisquitförmi-
gen, eylindrischen oder an den Enden in einen feinen Fortsatz aus-
gezogenen Formen (Fig. 7b). Ferner finden sich unbewegliche, ab-
gerundete oder reihenförmig in Fäden angeordnete dieke Baeillen,
durchweg mit sehr feinen Körnchen erfüllt, so dass sie in Folge
dessen ein trübes Aussehen besitzen; sie sind gewöhnlich an beiden
Enden mit je einer grösseren Vacuole versehen vielleicht D. Ulna?
Cohn (Fig. 7e).
Mineralische Nährlösung. Versuch 1—5. Die Flüssigkeit
blieb, ganz wie bei den Versuchen in den Controleylindern, in sämmt-
lichen Gläsern klar und Bacterienfrei.
Fassen wir die Ergebnisse dieser fünf Versuche zusammen, so
bekommen wir folgendes Resultat: in Malz- und Fleischextraet-Lösung
stets Trübung durch massenhaftes Auftreten verschiedener Arten von
Baeillus und Micrococeus. Die Mineral-Lösung blieb stets klar; als
obige im Malz- und Fleischextract erhaltenen Bacterien durch Impfung
direet in die mineralische Nährlösung übertragen wurden, vermehrten
sie sich nicht; hieraus ergiebt sich, dass die mineralische Nährlösung
nur darum frei blieb, weil sie für die betreffenden Bacterien keine
geeignete Nährlösung ist. Ich stellte mit den erhaltenen Baeterien
Impfungen von Kaninchen an durch directe Einspritzung je einer
ganzen Pravaz’schen Spritze in die Vena jugularis interna, sowie durch
subeutane Injektion; die Kaninchen blieben jedoch völlig gesund, sie
liessen auch nicht die geringste Temperaturerhöhung bemerken.
II. Zimmerluft in der Station für Flecktyphuskranke.
(Wenzel’sches Krankenhaus.)
Die Luft dieser Loealitäten wurde vom 1.—8. April 1878 drei Mal
auf dieselbe Weise wie im Pflanzenphysiologischen Institut untersucht.
Die Apparate wurden direet in den Zimmern, woselbst 5 bis 7 Fleck-
typhuskranke, zum Theil im höchsten Fieberdelirium, lagen, für 24 Stun-
den aufgestellt: Das Ergebniss war ein constantes Klarbleiben
aller Nährlösungen. Vermuthlich spielte hier die kräftige Des-
Cohn, Beiträge zur Biologie der Pflanzen, Band ill, Heft I, 3)
130
infektion der Zimmer mit Carbolsäure eine Rolle, deren mächtig
desinfieirende resp. Bacterienwidrige Eigenschaften dadurch aufs Neue
gestützt werden dürften.
III. Luft des Seetionszimmers im pathologischen Institut.
Untersuchung vom 9.— 12. Juli 1878; zwei Mal. Hiezu habe
ich je vier Wascheylinder verwendet und erhielt folgendes Resultat:
Controleylinder. Versuch I u. 2. Die Flüssigkeiten blieben
völlig klar und Bacterienfrei. —
Malzextract-Lösung. Versuch 1. Wenig trübe, unter dem
Mikroskop feine unbewegliche Bacillen, einige mit torulosem Inhalt,
vielleicht Sporen? (Fig. 14a). Ferner ein grosser ovaler Micrococeus,
je vier Zellen desselben oder ganze Gruppen nach Art von Sarcina
vereinigt (Fig. 14b.).
Versuch 2. Wenig trübe, pulverförmiger Absatz und Mycelbildung.
Der Absatz besteht mikroskopisch aus demselben Sarcinaartigen Micro-
coceus wie bei dem vorhergehenden Versuche (Fig. 14b.). Da das
Mycel nicht zur Fructifieation gelangte, so konnte der Pilz nicht
bestimmt werden.
Fleischextraet-Lösung. Versuch 1. Sehr trübe. Dicke,
kurzgliedrige Bacillen in Fadenform; die einzelnen Glieder scharf
rechteckig, im Innern mit ebenfalls vierkantigen Protoplasmakörpern
rfüllt (Fig. 15a.), die sich zu stark lichtbreehenden, mit einem
Schleimhof versehenen Sporen entwickelten. Die freien Sporen sind
häufig in Gruppen vereinigt (Fig. 15b). Die Flüssigkeit enthält ausser-
dem feine bewegliche Bacillen, die bei der Sporenbildung an einem
oder an beiden Enden stark keulen- oder löffelförmig angeschwollen
sind (Fig. 15c). Endlich finden sich freie grössere Micrococeus-
kügelehen (Fig. 15d) und feinere Microcoecusmassen, in dichtlappige
chagrinartige Häute vereinigt (Fig. 15e).
Versuch 2. Sehr trübe; weisse schwimmende Flöckchen. Es
ergiebt sich Mierococeus von gewöhnlich deutlich ausgesprochener
ovaler Form, häufig zwei zusammen, und kurze, dicke unbewegliche
Bacillen (Fig. 17a und b).
Mineralische Nährlösung. Versuch 1, Gleichmässige Trübung,
herrührend von kurzen feinen unbeweglichen Baeillen (Fig. 16a).
Versuch 2. Sehr trübe. Dieselben Bacillen wie bei dem vorher-
gehenden Versuche; ferner sehr zarte oblonge und bewegliche Ba-
cillen, zu längeren deutlich gegliederten Fäden ausgewachsen (Fig.
16b); Micrococcus von ungleicher aber sehr bedeutender Grösse
151
häufig zwei oder drei zusammen (Fig. 16c) und endlich sonderbare
Formen von lappig-knolliger und ganz unbestimmter Gestalt und von
beträchtlichem Durchmesser (Fig. 16d).
Bei diesen zwei Versuchen trübten sich also sowohl Malz- als
Fleischextraet-Lösung, ebenso auch die mineralische Nährlösung;
besonders interessant sind die eigenthümlichen, soeben beschriebenen
und abgebildeten Bacterien, (Fig. 15a, b, e und Fig. 16b) und
die schwer zu deutenden Formen (Fig. 16d). Beide Malzextract-
Lösungen zeigten jedoch dieselben Mierococcen und beide Mineral-
Lösungen die nämlichen Baeillen.
IV. Luft im Operationszimmer der chirurgischen Klinik.
Vornahme des Versuches zwei Mal vom 12. bis 16. Juli 1878.
Controleylinder, Versuch 1 und 2. Die Flüssigkeiten blieben
klar und Bacterienfrei.
Malzextract-Lösung. Versuch I u. 2. Wenig trübe; schwache
Mycelbildung. Unzählige kuglige Mierococcen, einzeln oder zu zweien
vereinigt, schwimmen in der Flüssigkeit (Fig. 19e). Aus dem Mycel
wachsen die schwarzen Sporangien von Arhizopus nigricans hervor.
Fleischextraet-Lösung. Versuch 1. Ganz trübe und mit
weisslicher, schleimiger Haut bedeckt. Die letztere besteht aus sehr
langen gekrümmten Bacillusfäden (Fig. 18a), aus dicken kurzgeglie-
derten Baecillen mit langen vierkantigen oblongen Sporen wie in
Fig. 15a, aus eigenthümlichen wurstartigen eingekerbten Massen,
die selbst wieder von Gruppen feiner Mierocoecen gebildet scheinen
(Ascococeus „mit palmelloider Wucherung und Furchung“ nach Bill-
roth s. u.) (Fig. 18b), Die trübe Flüssigkeit enthielt dagegen
grössere Mierococeus-Kügelchen, meist 2 oder 3 zusammen (Fig. 13e)
und feine, kleine, bewegliche Bacillen (Fig. 18d).
Versuch 2. Ebenfalls sehr trübe und mit weisslichen Schleim-
häutchen bedeckt. Es findet sich derselbe Mierococeus wie bei dem
Versuch 1, nämlich Fig. 18e und dieselben Bacillen Fig. 18d.
Mineralische Nährlösung. Versuch 1. Ist klar, auf der
Oberfläche ein gelbliches, rahmartiges Häutchen, unter demselben
eine wenig getrübte Schicht von sehr geringem Durchmesser. Kleine
Schüppehen schwimmen in der Flüssigkeit und setzen sich zuletzt
ab. Haut und Schüppchen bestehen aus chagrinartigen Massen feiner
Microcoecen und einer Ascococeusform, welche vielleicht mit Bill-
roth’s „Ascococeus parvus“ identisch ist '), die derselbe in Hydrocelen-
1) Coceobacteria septica Berlin 1874. p. 15. 35. 98, Taf. II. Fig. 18a und
Taf. III. Fig. 23.
g*
132
flüssigkeit beobachtet hat (Fig. 19a und b). Die Haut wird sehr
zähe, faltig, zuletzt fast lederartig wie eine diphtheritische Membran ;
in eine chagrinartige feine Micrococeusgallert eingebettet sind kuglige
Massen von der Grösse der Blutkörperchen, stärker lichtbrechend,
frei oder zu unregelmässigen knolligen Gruppen verbunden, deren
Natur uns noch völlig unklar blieb. Eine trübe Schicht unterhalb der
Haut enthält freie grössere Micrococcen, entsprechend der Fig. 19e.
Versuch 2. Sehr trübe, mit rahmartiger Haut bedeckt. Mikros-
kopisch finden sich frei schwimmende Micrococcen (Fig. 19e), ferner
zoogloeaartige Massen von feinem Micrococeus mit eingelagertem
„Ascococous parvus‘ (Fig. 19a und b). Häufig sind in Mierococeus auch
kuglige Gallertkapseln eingebettet, welche eine kleinere Zahl von
Micrococeuskügelchen einschliessen, wie sie Billroth auf Taf. III. Fig. 22
als Entwicklung seines Ascococcus abgebildet hat. In dieser Flüssig-
keit trat auch — überhaupt das erste und letzte Mal bei meinen
Luftwaschungen — Bacterium Termo auf, welches aber höchst
wahrscheinlich nicht durch die Luft, sondern durch nachträgliche
Infieirung vermittelst Contact in die Flüssigkeit gelangt war, indem
beim Anbringen des Gefässes an die Luftpumpe der Kautschukpfropf
sich lockerte und so vielleicht durch Berührung desselben beim
sofort wieder hergestellten Verschluss eine Verunreinigung erfolgt war.
Von diesem Umstand abgesehen, war das Ergebniss dieser
Versuchsreihe folgendes: In den beiden Malzextraet-Lösungen fanden
sich dieselben grösseren Micrococcen, wie in der mineralischen Nähr-
lösung (Fig. 19e). Auch die Fleischextraet- Lösung enthielt zwei
Mal die nämlichen Keime. Die Wascheylinder mit Mineral- und
mit Fleischextraet- Lösung waren von denselben zoogloeaartigen
Micrococeus-Ballen und dem räthselhaften „Ascococeus“ erfüllt.
V. Die Luft im freien Waldterrain des botanischen Gartens.
Die Atmosphäre des botanischen Gartens wurde vom 23. Juni
bis 5. Juli 1878 vier Mal von mir untersucht. Hiezu habe ich für
jeden Versuch nur zwei Wascheylinder genommen, während zwei
andere gleichzeitig in später zu schildernder Weise die Bodenluft
der betreffenden Stelle einsaugten. Zwei Versuche wurden also mit
' Malz- und Fleischextract-Lösung, ein dritter mit Malzextraet und
mineralischer Nährlösung und ein vierter endlich mit letzterer und
mit Fleischextract-Lösung angestellt. Das Resultat war folgendes:
Malzextract-Lösung. Versuch 1. Wenig trübe; Mycelfllöck-
chen. Die Trübung rührt her von beweglichen, undeutlich geglieder-
133
ten Bacillen, zu zweien oder mehreren hintereinander, oder in unregel-
mässigen Gruppen vereinigt (fig. 11b). Im Innern der Baeillen
befinden sich kleine reihenförmig geordnete dunkle Körnchen. Das
Mycel erweist sich als zu Rhizopus nigricans gehörig.
Versuch 2. Trübe; unter dem Mikroskop erkennt man dieselben
Bacillen, wie bei dem vorhergehenden Versuche und ausserdem
Micrococcen, meist paarweise frei schwimmend (Fig. 11d).
Versuch 3. Sehr trübe. Das Mikroskop zeigt sehr viele Micro-
phyten: ziemlich lange, gebogene Fäden in Leptothrixform, wahr-
scheinlich einem Bacillus angehörig; die einzelnen Glieder der Fäden
sind lang und an beiden Enden abgerundet (Fig. 11a). Ausserdem
finden sich dieselben Baeillen und Mierococeen wie bei dem vorher-
gehenden Versuche (Fig. 11b). Grosse, körnige eylindrische Zellen,
scharf vierkantig oder abgerundet, seltener concav eingedrückt, zwei
oder mehrere hintereinander in mehr oder weniger weiten Abstän-
den (Fig. Ile u. e), sind in Gruppen oder vereinzelt unter die genann-
ten Organismen eingestreut.
Fleischextract-Lösung. Versuch l. Trübe. In Klumpen
zusammengebaliter Micrococeus von beträchtlicher Grösse vorhanden
(Fig. 12a).
Versuch 2. Wenig trübe; Absatz. Das Mikroskop zeigt den
soeben genannten Micrococeus (Fig. 12a) und unbewegliche Baeillen
(Fig. 12b).
Versuch 4. Trübe. Es sind kurze und schmale, an den Ecken
abgerundete Bacillusstäbchen vorhanden, welche nicht in Reihen zu-
sammengekettet, sondern stets isolirt, aber in grossen Massen ange-
häuft sich vorfinden (Fig. 13). Untermischt sind diese feinen Stäbchen
mit einer robusteren Baeillusform (Fig. 13 oben), welche bei der
Sporenbildung in lange und dicke, deutlich gegliederte Leptothrix-
Fäden auswächst; diese haben zahlreich in wirren Schlingen und
Bogen die Flüssigkeit durchwachsen, während die feineren Bacillen
massenbaft an ihnen gleich Haftpunkten sich festsetzten (Fig. 13).
Die Sporenbildung erfolgt bei dieser Leptothrix nach Art des Bacillus
subtilis derart, dass sich in jedem Fadenglied eine glänzende oblonge,
Spore, 2—3 mal so lang als breit, entwickelt (Fig. 13).
Mineraliseche-Nährlösung. Versuch 3 u. 4. In beiden Fällen
bleibt die Flüssigkeit klar und Bacterienfrei.
Es ergab also die Untersuchung der Atmosphäre sowohl in Malz-
als Fleischextraet-Lösung stets Trübung, von eigenthümlichen Miero-
eoceus- und Baeillus-Formen herrührend. Dagegen zeigte sich hier
wieder, was schon aus früheren Versuchen hervorgegangen war, das
Klarbleiben der mineralischen Nährlösung und die Abwesenheit des
gemeinsten aller Bacterien, des 5. Termo, welches ja in dieser
Nährflüssigkeit alle Bedingungen seines Gedeihens vorgefunden hätte.
VI. Die Bodenluft.
a) Im botanischen Garten.
Dieselbe wurde vom 23. Juni bis 5. Juli 1878 drei Mal unter-
sucht. Hierzu habe ich zwei Mal die Wascheylinder mit Malz- und
Fleischextract-Lösung und ein Mal mit Malzextract und mineralischer
Nährlösung gefüllt. Während der ganzen Versuchsdauer herrschte
stets schönes Wetter; der Boden selbst bestand aus fester, sehr humus-
reicher Dammerde. Die Anordnung des Apparats war derart, dass
die Bodenluft in die mit Nährlösungen gefüllten Wascheylinder durch
4 Fuss lange zinnerne Röhre gelangte, deren eines Ende stark gebogen,
mit dem saugenden Glasrohr des Wascheylinders in Verbindung stand
und vermittelst Wachs hermetisch daran befestigt wurde; das andere
freie Ende dagegen habe ich bis zwei Fuss tief in den Boden hin-
eingelassen. Ehe ich diese Zinnröhren jedoch an dem Apparate an-
brachte, waren sie stark erhitzt und gleich darauf an beiden Enden
mit Salieylwatte verstopft worden. Letztere wurde erst unmittelbar
vor dem Gebrauch entfernt. Nach vorsichtigem Eingraben der
Röhren in den Boden suchte ich durch Feststampfen des Erdreichs
rings um dieselben etwaige direete Communication mit der Atmo-
sphäre zu verhindern. Das Resultat war folgendes:
Malzextract-Lösung. Versuch 1—3. Blieb klar und Bacte-
rienfrei.
Fleischextraet- Lösung. Versuch 1. Wenig trübe. Das
Mikroskop zeigt sehr lebhaft bewegliche und schlanke Bacillen,
häufig zu zweien vereinigt (Fig. 10).
Versuch 2. 'Trübe, später erfolgt geringe Klärung der Flüssig-
keit. Auf der Oberfläche schwimmt ein zusammenhängendes faltiges
Häutchen; dasselbe ist blassziegelroth gefärbt, von oben gesehen
besitzt es rosarothe Farbe. Diese Haut sowohl als die Färbung
der Flüssigkeit wird von Unmassen ruhender Bacillen gebildet, die
zum Theil in lange bogig gekrümmte Leptothrixfäden ausgewachsen
sind, (Fig. 12); in den Fadengliedern, welche später auseinander-
fallen, bilden sich im Innern langelliptische, nieht besonders scharf
abgegrenzte Sporen aus (Fig. 12c. u. d). Hiebei gewinnen die
Fäden durch Verschleimung ihrer Membranen an Breitendurchmesser
und nicht selten findet man nach erfolgter Reife die Sporen im
135
Schleim freiliegend, grössere oder kleinere Gruppen darstellend (Fig.
12d). Diese Baeillenform erinnert in der Farbe ihrer Sporen an
unseren bereits oben beschriebenen Dacıllus erythrosporus.
Mineralische Nährlösung. Versuch 3. Ist klar und Bac-
terienfrei geblieben.
Merkwürdig bei diesen Versuchen ist, dass sowohl Malzextraet
als mineralische Nährlösung klar geblieben sind, gegenüber der in-
folge Entwicklung von Bacterien im Fleischextraet aufgetretenen
Trübung.
b) Bodenluft im Hofraum des pflanzenphysiologischen Instituts.
Einmaliger Versuch am 30. Mai 1878. Der betreffende Boden
ist hart und steinig; er besteht aus Schutt, altem Mauerwerk, thieri-
sehen Knochenresten etc. Die freien Enden der zinnernen Röhren
ragten 2 Fuss tief in den Boden hinein. Es wurde der Versuch
angestellt mit zwei Wascheylindern, deren einer mit Malz-, der an-
dere mit Fleischextract-Lösung gefüllt war. Während der Versuchs-
dauer regnete es ziemlich stark.
Malzextraet-Lösung. Versuch 1. Ist klar und Bacterien-
frei geblieben.
Fleischextraet-Lösung. Versuch 1. Ist trübe geworden
und hat einen Absatz gebildet, welcher aus verwirrten Fäden einer
Torulaform besteht, d. h. einer Micrococcusform, deren kuglige
Zellen zu Rosenkranzketten aneinander gereiht sind. Es finden sich
ferner „Ascococcus“-Kugeln und kurze Fädenbildende Baeillen.
VII. Kloakenluft.
Diese Untersuchung wurde am 18. Juni ebenfalls im Hof des pflan-
zenphysiologischen Instituts vorgenommen und die Methode der Luft-
aufsaugung war der bei der Bodenluft in Anwendung gebrachten analog,
mit Ausnahme der Abänderung, dass die freien Enden der Zinnröhren
durch ein in den Deckel des Kloaken-Reservoirs geschnittenes Loch
eingeführt wurden. Der Versuch wurde vier Mal mit je zwei Wasch-
cylindern wiederholt. Für die ersten zwei Versuche diente einmal
mineralische Nährlösung und Malzextraet, das andere Mal die minera-
lische und Fleischextract-Lösung. Bei den anderen zwei Versuchen wur-
den beide Wascheylinder einmal nur mit Malz-, ein zweites Mal nur mit
Fleischextraet-Lösung gefüllt. In letzterem Falle wollte ich nämlich
je einen Wascheylinder als Control-Versuch benutzen und habe zu die-
sem Zweck die freie Oeffnung des mit ihm verbundenen Zinnrohrs mit
136
Watte verstopft. Auf diese Weise war es ermöglicht, dass in den einen
Cylinder ausschliesslich nur filtrirte Kloakenluft gelangen konnte,
während der zweite dieselbe Nährflüssigkeit enthaltende Cylinder
durch sein offen gelassenes Zinnrohr ohne Weiteres und unfiltrirt die
Kloakenluft aufsaugte. Folgendes ist das Ergebniss:
Controleylinder. Versuch 3 und 4. Durchaus klar und Bac-
terienfrei geblieben.
Malzextract-Lösung. Versuch 1. Wenig trübe. Dicke, langsam
bewegliche Bacillen vorhanden, häufig zwei zusammen (Fig. 8a).
Versuch 3. Sehr trübe. Mikroskopisch finden sich lange, gewun-
dene und gedrehte Leptothrix-Fäden (Fig. 9a), ferner dieselben
beweglichen Bacillen wie bei dem vorhergehenden Versuche (Fig. 8a).
Fleischextract-Lösung. Versuch 2. Sehr trübe. Mikros-
kopisch untersucht, erkennt man zahllose grössere Micrococcen, dicht
aneinander gelagert und unregelmässige Gruppen in Form ausge-
dehnter Netze darstellend (Fig. 8b).
Versuch 4. Trübe. Ovale, sehr grosse Micrococeus-Zellen, zwei
oder mehrere in einer Reihe perlschnurartig verbunden (Fig. 9b).
Auch bei dieser Versuchsreihe waren also wie bei meinen sämmt-
lichen Experimenten die Controleylinder rein und klar geblieben und
auch die mineralische Nährlösung blieb völlig frei von Organismen.
Dagegen haben sich Malz- und Fleischextract-Lösung zwei Mal durch
Entwickelung von Bacterien getrübt.
Um mir über eine eventuell pathogene Wirkung der hierbei er-
haltenen Bacterien Gewissheit zu verschaffen, applieirte ich dieselben
zwei Kaninchen vermittelst eines Klystiers von etwa 60 Gramm Flüssig-
keit und zwei anderen führte ich je ein Gramm derselben mittelst
der Pravaz’schen Spritze direet in die Vena jugularis interna ein.
Alle diese Infieirungen waren jedoch ohne irgend welche schädliche
Folgen für die Versuchsthiere.
Aus obigen Beobachtungen lassen sich folgende Schlüsse ziehen:
1) In der Luft sind zahlreiche entwicklungsfähige Baeterienkeime
suspendirt.
2) Durch die von uns angewendete Methode können diese Keime
aufgesammelt, zur Entwicklung und Vermehrung gebracht, und in
Folge dessen auch systematisch unterschieden und bestimmt werden.
3) Für sehr verschiedene Arten von Bacterien, insbesondere von
Micrococcen und Baecillen, ist die Anwesenheit entwieklungsfähiger
Keime in der Luft durch unsere Methode bereits nachgewiesen; zum
137
grössten Theil waren dieselben in anderen Medien bereits früher
aufgefunden; ein Theil von sehr eigenthümlichen Formen war bis-
her noch nicht sicher erkannt worden.
4) Dagegen hat sich für viele Bacterien, welche sich in gähren-
den Substanzen gewöhnlich entwickeln, die Anwesenheit von Keimen
in der Luft noch nicht nachweisen lassen; dies gilt insbesondere
für das geminzte Bacterium Termo, das wir als das eigentliche
Ferment der Fäulniss ansehen, ebenso auch für die Spirillen, Spi-
rochaeten und viele andere.
5) In der aus dem Boden aufgesaugten Luft ist die Anwesen-
heit von Baecterienkeimen für einzelne Fälle nachgewiesen worden.
6) Dagegen hat sich die Luft der stark belegten Krankenzim-
mer eines Flecktyphushospitals frei gezeigt von entwicklungsfähigen
Bacterienkeimen, vermuthlich in Folge wirksamer Ventilation und
Desinfection.
7) Die aus einer Kloake aufsteigende Luft war reich an ent-
wicklungsfähigen Bacterienkeimen.
8) Die Zahl der in dieser ersten systematischen Untersuchung
gemachten Beobachtungen und Experimente ist nicht ausreichend um
festzustellen, ob der Verschiedenheit der in verschiedenen Orten aus
der Luft aufgesammelten Bacterien eine wesentliche, insbesondere
in gewissen Lokalitäten eine pathogene Bedeutung, zukommt; die
bisherigen Versuche ergaben jedoch ein negatives Resultat.
rt, f f,
EU Kaltı HR ß
Fi u r
I Er a! u warst! u
dröns re
la Khrssen ik Babe le nl ar RE eisninisg Er
E; ‘ pe ıeniec), Deren ayite: rÄrdartuR ec
r ER: f a ar Ku, PER
en Br ? FIR: 4 nat ni Be? a Ah ur he 7.
aa Klara
‚
a -
u = “mnNIUDr RD lualy 31:
e iR tönt 18
2 >. wei Abraeiatelın nold. aufs 20m old ir Br
2 Bo NIT DT niit tauklz ran
E; ETUI ER RE PIE BET y eh ideas to (&it> .
j kiraH ser aldäginee
E
3 j 2 { Banzı ‚Iyr f ( r j . f } tANas DIE 723
IST:
62 le
Fig: 1
Bie;. 9;
Fio 3
v io. 4,
Fig. 5
Fig. 6
Bio.’ 7
Fig. 8
Hioge%
Fig. 10.
Figuren - Erklärung.
Tafel VII.
Zimmerluft des Pflanzenphysiologischen Instituts, in Fleischextrakt
gewaschen, Häutchen: Baeillus erythrosporus, längere und kürzere
Stäbehen, beweglich*) oder ruhend, später in Fäden auswachsend,
die in Bündel gelagert, schwimmende Schüppchen oder Häutchen
bilden, und in deren Gliedern ovale rothe Sporen in Ketten entste-
hen, die durch Schleim verbunden bleiben p. 128.
Zimmerluft des Pflanzenphysiologischen Instituts, in Malzextrakt
gewaschen, Absatz: Micrococcuszellen, perlschnurartig in Fäden
gereiht (Streptococeus Billroth Coecob. sept. Tab. I. Fig. S; Torula-
form Cohn) p. 127.
Desgl., Fleischextrakt, Absatz: Sareinaartige Micrococeus-Gruppen
(Sareinoide Billvoth 1. e. Tab. I. Fig. 5), in weiten Gallertkapseln
nach Art von Ascococcus eingeschlossen, umschwärmt von den Bacil-
len aus Fig. 4, und einzelnen Torulaketten (vgl. Fig. 2) p. 128.
Desgl., Fleischextrakt, Häutehen: Schwärmende Bacillen, später
unbewegt, zu schleimigen Massen vereinigt p. 128.
Desgl., Fleischextrakt, trübe Flüssigkeit: freie Mierococeuszellen zu
2, 4 und mehreren gruppirt p. 129.
Desgl., Malzextrakt, Absatz: a. schwärmnende Bacillen mit beginnen-
der Sporenbildung;
b. dunkelkörnige, dieke eylindrische Zellen in kurze Fäden gereiht
P. „128.
Desgl., a. Malzextrakt, Häutchen: aus Mierococeus gebildet, der eine
schwimmende Zoogloeamasse bildet;
b. Fleischextrakt, Flüssigkeit: schwimmende Micrococcen, oval
oder rund, grössere und kleinere, meist paarweis verbunden, unter:
miseht mit sehr unregelmässigen bisquitförmigen Formen;
e, dazwischen dieke unbewegliche Baeillen (B. Ulna® Cohn) p. 129.
Kloakenluft aus dem Physiologischen Institut, a. Malzextrakt, trübe
Flüssigkeit: Bacillen beweglich, einzeln oder paarweise;
b. Fleischextrakt, trübe Flüssigkeit: schwimmende Mierocoecen
dicht aneinander gelagert und zu netzförmigen Gruppen verbunden
p- 156.
Desgl., a. Malzextrakt: Leptothrixfäden, aus den Baeillen Fig. Sa
hervorgangen;
b. Fleischextrakt, trübe Flüssigkeit: ovale grössere Mierococcen
p- 136.
Bodenluft des botanischen Gartens, Fleischextrakt; Flüssigkeit:
bewegliche Baeillen schlank und lang p. 134.
*) Die beweglichen Zustände sind auf den Tafeln durch Punkte an den
Enden der Stäbchen angedeutet,
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Ir
. 14.
Eh
140
Tafel VII.
Waldluft, botan. Garten, Malzextrakt, trübe Flüssigkeit: a. lange
schlanke Bacillen, in Leptothrixfäden auswachsend; b. kurze dünne
Bacillen, beweglich, in Ziekzackketten; ce. grosse feinkörnige eylin-
drische Zellen in kurzen Reihen (vergl. Fig. 6 Tab. VII.); d. kleine
Mierococcen, meist zu 2 p. 132—133.
Desgl., Fleischextrakt, Absatz: a. grössere Mierococcen zu Bacillen
vereinigt; b. unbewegliche schlanke Bacillen p. 133.
Desgl., Fleischextrakt, Häutchen: dicke Bacillen in bogigen Fäden
mit langen cylindrischen Gliedern auswachsend, in denen oblonge
Sporen sich bilden (vergl. Billroth Taf. III. Fig. 39 Streptobacteria
Pericardü), untermischt mit einer dünnen und kurzen Bacillusform
(am oberen Rande der Zeichnung) p. 133.
Sectionszimmer des path. Instituts, Malzextrakt: a. lange schlanke
Baeillen mit toruloser Gliederung; b. Mieroeoecen in sareinoiden
Gruppen (vergl. Billroth 1. e. Tab. I. Fig. 5) p. 130.
Desgl., Fleischextrakt: a. dieke, kurze, unbewegliche Baeillen in
deutlich gegliederten langen Fäden gereiht, in deren Gliedern vier-
kantige, stark Lichtbrechende Sporen entstehen; b. letztere durch Zer-
fallen der Glieder isolirt; e. bewegliche Bacillen, fein, am Ende oft
löffelförmig angeschwollen, behufs Sporenbildung (vergl. Billroth
Taf. IV. Fig. 39 von saurem Milchserum); d. Mierococcen frei oder
(e) in dieke chagrinirte Häutchen vereinigt p. 130.
Desgl., Mineral. Nährlösung: a. unbewegliche schlanke Bacillen;
b. eine andere stärkere Bacillusform mit kürzeren ovalen, oft in Ket-
ten vereinigten Gliedern; ce. Mierococcen; d. grössere Gebilde von
unbestimmter Gestalt (vergl. Billroth 1. e. Tab. I. Fig. 3e.) p. 130—131.
Desgl., Fleischextrakt, Flöckchen: a. ovaler Mierocoeeus; b. kurze
unbewegliche Bacillen.
Operationszimmer der chirurgischen Klinik, Fleischextrakt, Häutehen:
a. lange Baeillus- (Leptothrix-) Fäden; b. dicke, wurstförmige, unre-
gelmässig eingekerbte, feinkörnige Massen (Ascococcus parvus Bill-
rot; vergl. insbesondere ]. c. Tab. IV. Fig. 36c. palmelloide Wu-
eherung und Furchung von Ascococcus aus gekochtem Fleischwas-
ser und Eiweisslösung); c. Mierococeus, kleine Kügelchen, frei-
schwimmend, meist paarweise; d. feine bewegliche Bacillen mit
ovalen, oblongen, röthlichen Sporen (Köpfchenbaecillen) p. 131.
Desgl., Mineral. Nährlösung: dieke Rahmhaut, gebildet aus frei-
schwimmendem Micrococeus e. und kugligen Massen kleiner Micro-
eoceusähnlicher Kügelchen, in unregelmässig knolligen Gruppen ver-
einigt, nackt a. oder mit Gallerthof umgeben b; (Ascococeus parvus
Billroth ]. e, T. III. Fig. 22) p. 131.
IX.
Ueber Einwirkung des eleetrischen Stromes
auf die Vermehrung von Bacterien.
Von
Dr. Ferdinand Cohn und Dr. Benno Mendelsohn.
Im Jahre 1875 veröffentlichte Schiel eine Reihe von Versuchen
über die Einwirkung des electrischen Stromes auf Bacterienhaltige
Flüssigkeiten '). Er glaubte hierbei folgende Resultate erhalten zu
haben:
1) Der Gährungspilz ist gegen einen starken Strom unempfind-
lich; wird letzterer durch eine gährende Flüssigkeit geleitet, so
veranlasst er eine noch stürmischere Gährung.
2) Die in einem Heuaufguss befindlichen Organismen besitzen
eine grosse Widerstandsfähigkeit gegen den galvanischen Strom, erst
nach halbstündiger Einwirkung eines starken Stromes wird alle Zell-
bewegung vollständig aufgehoben, so dass selbst nach 24 Stunden
sich keine Bewegnng zeigt.
3) Die Organismen in faulendem Fleischsaft vermindern die Leb-
haftigkeit ihrer Bewegung nicht durch einen fünf Minuten hindurch
geleiteten starken Induktionsstrom, dagegen wurde durch einen
Batteriestrom von 6 Elementen nach 10 Stunden die Bewegung der
Zellen aufgehoben und allem Anscheine nach ihre Zahl vermindert.
4) In Pasteurscher Flüssigkeit gezüchtet, zeigten diese Orga-
nismen nach 6 Tagen keine Ortsveränderung; ihre wenig grosse
Beweglichkeit wurde durch einen mässigen Induktionsstrom noch
mehr herabgesetzt, bei vielen ganz aufgehoben; gegen den constan-
ten Strom zeigten sie sich ausserordentlich wenig widerstandsfähig.
t) Eleetrotherapeutische Studien. Deutsches Archiv für klinische Medizin,
Band 15 p. 190—194.
142
5) In einem Gemisch von Fleischflüssigkeit und Pasteurscher
Flüssigkeit zeigte sich nach 24stündiger Einwirkung eines Stromes
von 2 Kohlenzinkelementen selbst nach Verlauf von weiteren
24 Stunden noch keine Zellbewegung.
6) Wurde eine Fleischinfusion mit einigen Kubikcentimetern obiger
Bacterienbrut versetzt und durch dieselbe mehrere Tage hindurch
der Strom von 2 Kohlenzinkelementen hindurch geleitet, so zeigten
die Bacterien nur schwach osecillirende Bewegung ohne Ortsver-
änderung. Die Flüssigkeit war am vierten Tage klarer und es zeigte
sich kein Fäulnissgeruch.
7) Wurde durch geeignete Vorrichtungen der Einfluss der electro-
Iytischen Gase eliminirt, so hörte im faulenden Fleischsaft die Orts-
veränderung derselben nach 'a— "2 Stunde vollständig auf. —
Hieraus schliesst Schiel: „dass ein schwacher Strom
genügt, um dieEntwickelung der Bacterien zu hemmen.“
Ausser der oben erwähnten Arbeit und einer kurzen Notiz von
Schiel'), welche die obigen Resultate im Wesentlichen bestätigt, ist
keine Untersuchung über das Verhalten der Bacterien gegen den
eleetrischen Strom erschienen. Hiernach gebührt Schiel das Ver-
dienst, diese interessante Frage zuerst angeregt, und ihre Lösung
auf experimentellem Wege versucht zu haben. Allein’ es liegt auf
der Hand, dass die von Schiel angestellten Versuche in keiner
Weise geeignet sind, die Frage zum Austrag zu bringen, und es
schien mir um so wünsehenswerther, durch eine neue Untersuchung
das Verhalten der Bacterien zum eleetrischen Strom klarzustellen, als
Schiel selbst die Aussicht eröffnet hatte, dass aus demselben sich
auch praktisch wichtige Schlussfolgerungen, namentlieh mit Rücksicht
auf pathogene Bacterien, würden ziehen lassen. Ich habe demnach mit
Herrn Dr. Benno Mendelsohn in unserem Institute eine Reihe
von Versuchen begonnen, deren Resultate nachstehend dargelegt wer-
den sollen.
Schiel erschliesst die hemmende Wirkung des zgalvanischen
Stromes auf die Entwickelung der Bacterien einzig und allein aus
dem angeblienen Aufhören ihrer Bewegung. Dass derartige Beobach-
tungen aber nichts beweisen, ergiebt sich schon aus der bekannten
Thatsache, dass Bacterien ihre Bewegungen für kürzere oder längere
Zeit einstellen können, um später ihr Schwärmen von Neuem zu
beginnen; viele Bacterien gehen selbst dauernde Ruhezustände ein,
!) Berichte der deutschen chemischen Gesellschaft 1879. April.
143
ohne deshalb abgestorben zu sein, vielmehr sind sie in diesem
Zustande (der Zoogloeaform) der lebhaftesten Entwicklung und Ver-
mehrung fähig.
Wir besitzen nur folgende zuverlässige Kennzeichen für den Nach-
weis, ob in einer Flüssigkeit die Bedingungen zur Entwickelung
von Baecterien enthalten sind oder nicht:
a. Wenn eine durch längeres Kochen keimfrei gemachte Nährlösung,
welche alle für diese Organismen erforderlichen Nährstoffe voll-
ständig enthält, mit einem Tropfen der zu untersuchenden Flüssig-
keit versetzt wird und nach 24 Stunden bei 30° C. keine Ver-
änderung zeigt, sondern vollständig klar bleibt, so ist dadurch der
Beweis gegeben, dass die geprüfte Flüssigkeit von entwicklungs-
fähigen Bacterienkeimen frei ist. Sind hingegen letztere in der
zu untersuchenden Flüssigkeit vorhanden, und wird mittelst derselben
eine Nährlösung unter den oben angegebenen Cautelen infieirt, so
zeigt sich nach 24 Stunden die Nährlösung milchig getrübt und trägt
an der Oberfläche eine grünliche Scheimschieht von ce. 1 cm Dicke,
welche, wie die Trübung, von schwärmenden Bacterien veranlasst
wird. Nur wenn die Nährlösung zu arm an Nährstoffen oder die
Temperatur zu niedrig ist, wird die milchige Trübung etwas ver-
zögert und tritt erst nach etwa 48 Stunden auf.
b. Bleibt eine Flüssigkeit, welehe mit einem von lebenden Bac-
terien erfüllten Tropfen (Baeterientropfen) versetzt ist, bei 30° dureh
alle Zeit klar, so beweist dies, dass entweder die für Ernährung
und Vermehrung von Bacterien nothwendigen Nährstoffe nicht voll-
ständig in der Flüssigkeit vorhanden sind, oder dass dieselbe Stoffe
enthält, welche die Vermehrung der Bacterien verhindern, dass die-
selbe für Bacterien sterilisirt ist.
Dieses Erkennungsmittel ist nun durchgängig in den folgenden
Untersuchungen angewendet worden, um die Einwirkung des eleectri-
schen Stromes auf die Entwickelung der Baeterien in Nährflüssig-
keiten zu prüfen. Da es bei derartigen Untersuchungen erforderlich
ist, auch in den Zersetzungsprozess, den der Strom in der Nähr-
lösung bewirkt, einen Einblick zu gewinnen, so wurden als Nähr-
flüssigkeit nicht die complex zusammengesetzten organischen Infu-
sionen, sondern unsere mineralische Nährlösung benutzt, welche auf
200 cem Wasser, 1 g phosphorsaures Kali (K,HPO,), 1 g schwefel-
saure Magnesia, 2 g neutrales weinsaures Ammoniak und 0,1 8
Chlorealeium enthält.
144
I. Versuchsreihe.
Einwirkung des constanten Stromes auf die Entwickelung der
Bacterien in einer mineralischen Nährlösung.
1. Die Versuche wurden zuerst so angestellt, dass Reagirgläschen
oder kleine Giaseylinder mit je 10—20 ecm der klaren Nährlösung
angefüllt und sodann vermittelst einer Pipette mit ein bis zwei Tropfen
einer von Bacterien reich erfüllten Flüssigkeit (Bacterientropfen)
infieirt wurden. Durch diese Nährlösung wurden galvanische Ströme
von verschiedener Stärke vermittelst zweier Platinstreifen, die bis
zum Boden der Glascylinder eintauchten und an die Poldrähte
der Elemente angelöthet waren, durchgeleitet. Die beiden Pla-
tinelectroden wurden durch einen dazwischen gesteckten Glasstab
auseinander gehalten. Als Controle wurde bei allen diesen Ver-
suchen gleichzeitig ein Glaseylinder mit der nämlichen Nährlösung
unter dieselben Bedingungen gebracht, ohne der Einwirkung des
Stromes ausgesetzt zu sein; er soll fernerhin kurz als Controleylin-
der bezeichnet werden.
Versuch 1. Ein Reagirgläschen von 15 mm Querdurchmesser
wurde mit ce. 10 cem Bacteriennährlösung gefüllt und mit einem
Bacterientropfen infieirt; durch die Flüssigkeit wurde ein Strom von
einem Daniellschen Elemente 24 St. bei 35° geleitet, Nach dieser Zeit
war die geprüfte Flüssigkeit und der Controleylinder,
auf denalso kein Strom gewirkt hatte, fast gleichmässig
trübe; unter dem Mikroskop zeigte sich in beiden Fällen die unge-
heure Vermehrung von Bacterien als Ursache der Trübung. Der
Strom von einem Daniellschen Elemente hatte keine
erkennbare Wirkung ausgeübt.
2. Die Daniellschen sogenannten constanten Elemente haben den
Nachtheil, dass die Stromstärke aus mehrfachen Ursachen nach
einigen Stunden bedeutend nachlässt; es wurden deshalb bei den
späteren Versuchen nur die Mari&e-Davyschen Flaschenelemente
benutzt. Dieselben bestehen aus 2 Kohlen- und 1 zwischen ihnen
angebrachten Zinkplatte, welche in eine Flüssigkeit von folgender
Zusammensetzung eintauchen: 250 g schwefelsaures Quecksilber-
oxyd, gelöst in 100 g englischer Schwefelsäure und verdünnt mit
1000 g Wasser. Diese Elemente zeichnen sich nicht allein durch ihre
bequeme Handhabung, sondern auch durch grosse Constanz der
Stromstärke aus. .Bei frischer Füllung zeigte sich, an einem
Siemensschen Tangenten-Galvanometer gemessen, nach 24 und selbst
43 stündiger ununterbrochener Thätigkeit keine bemerkbare Ver-
minderung der Stromstärke. Erst wenn der grösste Theil des
145
Quecksilbers aus der Lösung ausgefällt ist, beginnt die Leistung
dieser Elemente unsicher zu werden.
Versuch 2. Ein Reagirglas, wie bei Versuch I mit Nährlösung
gefüllt und mit einem Bacterientropfen infieirt, wurde 24 St. der
Stromwirkung eines Marie-Davyschen Elementes ausgesetzt. Nach
dieser Zeit war die Versuchsflüssigkeit getrübt, jedoch
auffallend weniger als die Flüssigkeit des gleichzeitig
in Gang gesetzten Controlversuches ohne Rlectrieität;
letztere war wie gewöhnlich milchig getrübt und mit einer grünen
Schleimschicht bedeckt.
3. Versuch 3. Um zu ermitteln, in wie fern sich die beiden Pole
verschieden verhalten, wurde ein Urohr von 14 em Länge, dessen
Schenkelröhren 15 mm Durchmesser hatten und 35 mm von einander
entfernt waren, zu ”/s der Höhe mit der Nährlösung gefüllt, beide
Schenkel mit je 1 Bacterientropfen infieirt und das Ganze an einem
Gestell vertikal hefestigt. Die Poldräthe eines Flaschenelementes
tauchten in die Schenkel bis nahe zum Boden ein. Nachdem nun
der Strom 24 St. bei 30° durch die Flüssigkeit im Urohr eireulirt
hatte, zeigte sich diese in beiden Schenkeln getrübt,
jedoch weniger stark als im Controleylinder.
Die obigen Versuche ergeben, dass die 24stündige Ein-
wirkung des Stromes von einem Daniellschen Elemente
gar keinen, die von einem Mari&-Davyschen Flaschen-
elemente einen retardirenden Einfluss auf die Ent-
wiekelung der Bacterien ausübt. Bei dem grossen Leitungs-
widerstande der Flüssigkeit schien die Stromstärke eines Flaschen-
elementes nicht hinreichend zu sein, um entscheidende Resultate zu
geben, es wurde deshalb bei den folgenden Versuchen stets eine
aus 2 Marie6-Davyschen Elementen zusammengesetzte Kette benutzt.
Dieselbe ergab bei frischer Füllung an dem Galvanometer einen
Ausschlag von 90°, der nach kurzer Benutzung auf 75° sank und
selbst nach 48stündigem ununterbrochenen Gebrauche sich fast gar
nicht mehr in der Stärke verminderte. Da nun die electrolytische
Wirkung der magnetischen proportional gesetzt werden kann, 80
kann man wohl bei den verschiedenen Versuchen auch auf eine
gleichmässige Wirkung der chemischen Zersetzung in der Nährlösung
schliessen.
4. Versuch 4 wurde ganz wie Versuch 3 angestellt, jedoch waren
hier die Platinelectroden mit den Poldräthen einer Batterie von
2 Flaschenelementen verbunden. Die Platindrähte wurden durch 2,
die Schenkel des Urohrs schliessende, durchbohrte Korke in ihrer
Cohn, Beiträge zur Biologie der Pflanzen. Band III. Heft I. 10
146
Lage festgehalten. Die mit dem Kohlepol verbundene Electrode ist
hier die positive, die mit dem Zinkpol verbundene die negative
Eleetrode. Von den Schenkeln des Urohrs wird fortan der die positive
Electrode enthaltende als C, der die negative Electrode enthaltende
als Zn bezeichnet werden. Nach 24stündiger Einwirkung des Stromes
bei 30° C. zeigte die Flüssigkeit im Zn Schenkel eine
geringe Trübung, in derselben fand eine starke Gasent-
wickelung statt, so dass die Oberfläche der Flüssigkeit
mit Schaum bedeckt war; eshattensich ferner Krystalle
von phosphorsaurer Ammoniakmagnesia ausgeschieden,
die Flüssigkeit reagirteganz schwach saueroderneutral,
während die unzersetzte Nährlösung deutlich sauer reagirte.
Im Cschenkel reagirte die Flüssigkeit sehr stark sauer
und war hier weder Gasentwickelung nach Krystallaus-
scheidung zu bemerken, die Flüssigkeit war vollkommen
klar 'geblieben. Der Controleylinder zeigte die Flüssigkeit milchig
getrübt und mit einer grünen Schleimschicht bedeckt.
5. Es hatte somit im Urohr bei Einwirkung eines Stromes von
2 Marie-Davyschen Flaschenelementen eine electrolytische Zersetzung
der Nährflüssigkeit stattgefunden, gleichzeitig war die Vermehrung
der Bacterien im Znschenkel, also an der negativen Blectrode sehr
stark vermindert, im Cschenkel, also an der positiven Blectrode so
vollkommen aufgehoben, dass sie wenigstens makroskopisch nicht
wahrnehmbar war. Dieses nämliche Resultat wurde jedesmal erlangt,
so oft auch der Versuch wiederholt wurde.
Zur genaueren Untersuchung der Flüssigkeiten in beiden Schenkeln
musste der Versuch derart abgeändert werden, dass nachträgliehe
Diffusion der Schenkelflüssigkeiten gegen einander nach dem Auf-
hören der Stromwirkung verhindert werden konnte. Es wurde des-
halb das Urohr in der Mitte der Biegung durehgeschnitten, die Hälften
durch ein, mittelst Alkohol desinfieirtes, kurzes Stück Kautschuck-
schlauch verbunden und an dieses ein Quetschhahn derart angelegt,
dass die beiden Schenkel unmittelbar vor Unterbrechung des Stromes
vollkommen abgeschlossen werden konnten.
Die in dieser Weise mittelst zweier Flaschenelemente angestellten
Versuche ergaben nach 24 Stunden, dass wie bisher die Flüssigkeit im
Znschenkel von Bacterien getrübt und mit abgeschiedenen Krystallen
von phosphorsaurer Ammoniakmagnesia bedeckt, die Reaction sehr
schwach sauer oder neutral war; die Flüssigkeit am Cpole reagirte
stark sauer und war vollkommen klar geblieben. Blieb nach Schliessung
des Quetschhahnes und Unterbrechung des Stromes der Apparat
147
noch weitere 24—48 Stunden bei 30° stehen, so nahm weder
die Trübung der Flüssigkeit im Zunschenkel merklich zu, noch
auch wurde die Klarheit der Flüssigkeit im Cschenkel im mindesten
getrübt, auch bei noch längerem Stehenbleiben trat hier niemals
eine Trübung ein. Während nun das Mikroskop im Znschenkel
als Ursache der Trübung zahlreiche Bacterien in lebhafter Schwärm-
bewegung nachwies, zeigten sich im Cschenkel nur ganz vereinzelte
anscheinend unbewegliche Bacterien; dagegen entwickelte sich meist
bei längerem Stehen an der Oberfläche der Flüssigkeit im C schenkel
eine Kahmhaut von sprossenden Hefezellen, in einzelnen Fällen kamen
auch schwimmende Mycelflöckchen zur Entwickelung. Die Bacterien
waren nach einiger Zeit verschwunden und nur Sprossenverbände
von Hefezellen vorhanden.
6. Um zu ermitteln, in welcher Zeit der eleetrische Strom im Stande
ist, die oben beschriebenen Wirkungen hervorzurufen, wurde der
Versuch 4 in der Weise abgeändert, dass der Strom 6, 12 und
48 St. durch die Flüssigkeit eireulirte.. Es ergab sich, dass eine
6stündige Einwirkung des Stromes nicht ausreicht, um im Cschenkel
die Entwickelung der Bacterien zu verhindern, indem beide Schenkel
24 Stunden nach Unterbrechung des Stromes getrübt waren. Dagegen
reichten 12 Stunden der Stromwirkung in der Regel aus, um den
Cschenkel zu sterilisiren, während der Znschenkel sich trübte. Eine
48stündige Einwirkung des Stroms zeigte nur die oben erwähnten
Erscheinungen: völlige Klarheit im Oschenkel, mässige Trübung im
Znschenkel, während im Controleylinder die reichlichste Bacterien-
entwickelung stattgefunden hatte.
Selbst wenn die Flüssigkeit am + Pol nachträglich auf’s Neue
mit 1--2 Bacterientropfen infieirt wurde, blieb eine Vermehrung der-
selben gänzlich aus, auch bei längerem Stehen entstand keine Trübung,
wohl aber bildete sich nach einiger Zeit eine Kahmhaut von Saccha-
romyces auf der Oberfläche.
Die Flüssigkeit im Cschenkei war demnach durch einen Strom
von 2 Elementen für Bacterien sterilisirt worden; gleichwohl
waren die in ihr vorhandenen Bacterienkeime nicht ge-
tödtet, wie folgender Versuch ergab: Zwei Reagenzgläschen mit
gekochter Nährlösung, die sich wochenlang nicht getrübt hatten, also
vollständig desinfieirt waren, wurden vermittelst ausgeglühter Pipette
mit je 1 bis 2 Tropfen von jener Flüssigkeit infieirt, die im
C schenkel 24 Stunden der Stromwirkuug von 2 Flaschenelementen ausge-
setzt gewesen war. Die Reagenzgläser wurden mit Watte verschlossen
und sodann 24 Stunden in einem Wärmkasten bei 30° stehen gelassen,
10*
148
sie waren am folgenden Tage mit Bacterien getrübt, während ein
gleichzeitig angestellter, nicht infieirter Controleylinder klar geblie-
ben war.
Dass die Flüssigkeit im Znschenkel während der Zeit des
Stromdurchganges eine weit geringere Trübung als die Flüssigkeit
im Controleylinder zeigt, ist bereits bemerkt worden; auch durch
Zusatz eines frischen Bacterientropfens -wird die Trübung im Zn schen-
kel nieht erheblich vermehrt; dagegen veranlasst ein Tropfen der
Flüssigkeit aus dem Znschenkel in frische gekochte Nährlösung
übertragen, nach 24 Stunden bei 30° ©. die gewöhnliche milchige
Trübung und Schleimbildung.
Hierdurch ist festgestellt:
1) Durch 24stündige Einwirkung eines constanten electrischen
Stromes von 2 Flaschenelementen wird eine Nährlösung am
Pol in Bezug auf Bacterien vollständig sterilisirt, da weder
die der Stromwirkung ausgesetzten, noch auch nachträglich zuge-
führte Bacterienkeime sich in ihr vermehren können.
2) Die Flüssigkeit am — Pol wird nicht vollständig sterilisirt, wohl
aber wird sie nur in beschränktem Maasse für Ernährung und
Vermehrung von Bacterien geeignet; die Schwärmbewegungen
derselben werden nicht aufgehoben.
3) Dagegen werden weder am —, noch selbst am +-Pole die
Bacterien durch die Stromwirkung getödtet, da dieselben in
frische Nährlösung übertragen, sich völlig normal vermehren,
4) Die für Bacterien sterilisirte Flüssigkeit am + Pol gestattet noch
reichliche Vermehrung von Kahmhefe und Mycelpilzen.
7. In den bisherigen Versuchen war die Zersetzung der Nähr-
flüssigkeit durch den electrischen Strom nur eine unvollkommene
gewesen, was sich am deutlichsten in der fast neutralen Reaction
der Flüssigkeit im Znschenkel zeigte, sie hätte offenbar alkalisch
reagiren müssen, wenn die Salze der Nährlösung ihre Basen voll-
ständig nach der negativen Electrode hätten hinüber wandern lassen.
Umgekehrt konnte in der Flüssigkeit im Cschenkel stets noch
die Anwesenheit von Ammoniakverbindungen nachgewiesen werden.
Es liess sich vermutheu, dass in dieser unvollkommenen Zersetzung
der Grund für die nur wenig gestörte Entwickelung der Bacterien
am Znschenkel zu suchen sei. Es musste deshalb festgestellt
werden, ob nicht durch einen stärkeren Strom gleichzeitig mit einer
vollständigeren Eleetrolyse der Nährlösung auch am Zn schenkel die
Entwickelung der Bacterien gänzlich verhindert werden könnte. Diese
Frage zu entscheiden wurden folgende Versuche angestellt.
149
Ein Urohr, in der oben angegebenen Weise zerlegbar, wurde
wie bisher zu zwei Drittel mit Nährlösung gefüllt und seine beiden
Schenkel mit je einem Bacterientropfen infieirt, alsdann durch das
Urohr mittelst zweier, bis auf den Boden der Schenkel tauchenden
Platineleetroden ein electrischer Strom von 5 kräftigen Elementen
(drei grossen Bunsenschen Zink-Kohle- und zwei Marie-Davyschen
Flaschenelementen) geleitet. Sofort beim Beginn des Versuches
stiegen im Znschenkel Gasblasen in reichlicher Menge auf, aber
auch im Cschenkel trat Gasentwickelung ein, wenn auch in sehr
geringem Maasse. Nach 24 Stunden, während deren der Apparat sich
in einer Temperatur von 30° befand, hatten sich jedoch die Gasbläs-
chen auch am Kohlepol beträchtlich vermehrt, ihre Menge blieb jetzt
nicht weit hinter der im Znschenkel aufsteigenden zurück. Am
Boden des Znschenkels hatte sich eine beträchtliche Menge eines
weissen, pulverigen, krystallinischen Niederschlags von phosphor-
saurer Ammoniakmagnesia angesammelt.
Der Strom wurde nach 24stündiger Einwirkung unterbrochen,
nachdem vorher die Schenkel des Urohres durch einen Quetschhahn
geschieden worden waren. Die Flüssigkeit im Controleylinder
war nach dieser Zeitmilchig getrübt und mit einer Schleimschicht bedeckt.
Die Flüssigkeitim Urohr war in beiden Schenkeln völlig
frei von Bacterien, im Cschenkel ganz klar und stark
sauer, im Znschenkel von den oben erwähnten Krystal-
len schwach getrübt und stark alkalisch. Auch nach Ver-
lauf von weiteren 24 Stunden trat keine Vermehrung von Bacterien ein.
8. Um zu beurtheilen, ob durch den Strom von 5 Elementen die
Bacterien auch vollständig getödtet worden waren oder nicht, wurden mit-
telst eines geglühten Glasstabes 4 Cylinder mit gekochter und bei Watte-
verschluss erkalteter Nährlösung infieirt, und zwar 2 Cylinder mit
je 3 Tropfen der Flüssigkeit vom Znschenkel, die beiden anderen
mit je 3 Tropfen vom Cschenkel. Nach 48stündigem Stehen
bei 30° war die Flüssigkeit in sämmtlichen 4 Cylindern voll-
kommen klar geblieben; auch nach mehrtägigem Stehen blieben die
Flüssigkeiten unverändert, mit Ausnahme eines Cylinders, der durch
den Wechsel des Watteverschlusses wahrscheinlich nachträglich
infieirt worden war. In den zur Infeetion benutzten Tropfen waren
demnach entwicklungsfähige Bacterienkeime nicht mehr vorhanden;
die vor Beginn des Versuches zugesetzten Bacterien
mussten demnach durch die Stromwirkung getödtet sein
Ausserdem war aber auch die Nährflüssigkeit selbst
sterilisirt, d. h. zur Ernährung und Vermehrung von
150
Bacterien unfähig gemacht worden. Denn wenn die Flüssig-
keit in beiden Schenkeln des Urohrs, welche 24 Stunden der Strom-
wirkung von 5 Elementen ausgesetzt gewesen, mit je einem Bacterien-
Tropfen versetzt und dann drei Tage bei ce. 30° sich selbst über-
lassen wurde, so zeigte sich nach dieser Zeit nicht die mindeste
Trübung der Flüssigkeit, die zugesetzten Bacterien hatten sich
also nicht vermehrt.
9. Wie schon bemerkt, reagirte unmittelbar nach der Unter-
brechung des electrischen Stromes von 5 Elementen die Flüssig-
keit im Znschenkel stark alkalisch, im Cschenkel stark sauer; als
aber 5 Tage später die Reaction derselben von neuem geprüft
wurde, zeigte sich zwar im Kohleschenkel wie früher eine saure
Reaction, die Flüssigkeit im Znschenkel aber reagirte jetzt neutral.
Demnach hatte die verschwundene Alkalieität der Flüssigkeit im
Znschenkel von einer flüchtigen Basis hergerührt.
Bei einer Wiederholung des Versuches, wo ein Strom von
5 Elementen durch eine Nährflüssigkeit im Urohr geleitet wurde, und
sowohl die vollständige Sterilisation der Flüssigkeit, wie die Tödtung
der zugefügten Bacterien in der oben beschriebenen Weise eintrat,
erwies sich drei Tage später die Flüssigkeit im Znschenkel noch
schwach alkalisch, allein es verschwand die Bräunung des zur
Prüfung der Reaction benutzten Curcumapapieresschon
beim schwachen Erwärmen. Offenbar war jene flüchtige Base
im Znschenkel Ammoniak gewesen.
Erwärmte man von den Kıystallen abfiltrirte Flüssigkeit aus dem
Znschenkel mit Kalilauge, so liess sich die Gegenwart von Ammoniak
sehr deutlich erkennen; dagegen zeigte die Flüssigkeit vom C schenkel
bei gleicher Behandlung nur Spuren von Ammoniak. Phosphorsäure
war in beiden Schenkeln nur in sehr geringer Menge vorhanden.
Die Resultate dieser Versuche lassen sich kurz in den folgenden
Sätzen zusammenfassen:
1) Der galvanische Strom einer Batterie von 5 kräftigen Elemen-
ten tödtet die in einer Nährflüssigkeit vertheilten Baecterien
vollständig, wenn er 24 Stunden durch die Flüssigkeit eireulirt;
ein Tropfen dieser Flüssigkeit in frische Nährlösung übertragen,
ruft keine Trübung hervor.
2) Die Nährflüssigkeit wird durch den Strom an beiden Polen voll-
kommen sterilisirt; auf’s Neue zugeführte Bacterien entwickeln
sich daher nicht in derselben.
3) Der Strom ertheilt der Flüssigkeit im Cschenkel (+ Pol) eine
stark saure, der im Znschenkel (— Pol) eine stark alkalische
151
Reaction, letztere verschwindet nach einiger Zeit, da sie von
einer flüchtigen Base, dem Ammoniak, herrührt.
4) Am —-Pol findet eine reichliche Ausscheidung von phosphor-
saurer Ammoniak-Magnesia, an beiden Polen eine Entwicklung
von Gasen statt.
10. Wir kommen nun zu der Cardinalfrage: Worauf beruhen die
von uns nachgewiesenen Wirkungen electrischer Ströme auf die
Vermehrung der Bacterien in mineralischen Nährflüssigkeiten ?
Zur Entscheidung dieser Frage müssen wir näher auf die
Wirkungsweise des Stromes eingehen. Nach den bekannten That-
sachen der Electrolyse werden am positiven Pole (hier in dem
Cschenkel) die Säuren und am negativen Pole (hier im Znschen-
kel) die Basen in Freiheit gesetzt. In welcher Reihenfolge und
Menge die in unserer Nährflüssigkeit vorhandenen Salze (H,O,
K,HPO,, MgSO,, CaCl,, C,0,H,2 (NH,)) zersetzt werden, hängt
von ihrer Leitungsfähigkeit für den electrischen Strom und von dem
molecularen Zusammenhange der Atome in jenen Verbindungen ab.
Es lag unserer Untersuchung fern, die Zwischenproducte dieser
Zersetzung zu verfolgen; für unseren Zweck wird es genügen, nur
die Endresultate derselben in’s Auge zu fassen.
a) Unter den obwaltenden Umständen wird, so lange in unserer
Nährlösung noch unzersetztes Ammoniaksalz vorhanden ist, am
negativen Pol stets nur Ammoniak, als schwächste und flüchtigste
Base, frei werden, welches Salz auch zuerst zersetzt werden mag.
Bei der grossen Menge des vorhandenen weinsauren Ammoniaks
wird selbst ein starker Strom längere Zeit circuliren müssen, um
eine vollständige Zersetzung desselben zu bewirken. Das am — Pole
frei werdende Ammoniak bewirkt aber die sofortige Bildung von
schwerlöslicher phosphorsaurer Ammoniak-Magnesia; daher tritt bei
unvollständiger Zersetzung durch relativ schwache Ströme am —Pol
keine alkalische Reaction ein. Nur bei sehr kräftiger Stromwirkung
bleibt ein Theil des Ammoniaks in der Flüssigkeit gelöst; vermuth-
lieh wird ein anderer Theil mit dem dort reichlich frei werdenden
Wasserstoffe in die Luft fortgerissen.
Bei der Einwirkung von nur 2 Elementen reagirte die Flüssigkeit
im Znschenkel fast neutral und war daher der Entwicklung von
Bacterien nicht hinderlich; dass jedoch die Vermehrung der Bacterien
eine weit beschränktere war, als in unzersetzter Nährlösung, erklärt
sich zur Genüge aus der Thatsache, dass die Flüssigkeit im
Zn schenkel eines grossen Theils ihrer Nährstoffe durch Ausscheidung
von phosphorsaurer Ammoniak-Magnesia beraubt war.
152
b) Die am positiven Pole gleichzeitig vor sich gehenden Zer-
setzungen endigen mit dem Freiwerden der Säuren, welche in den
Salzen der Nährlösungen enthalten sind, und zwar zunächst der
Weinsäure, als der schwächsten und in grösster Menge vorhandenen
Säure. Vermuthlich erleidet die Weinsäure jedoch theils durch den
Strom selbst, theils durch den am + Pol frei werdenden Sauerstoff
eine weiter gehende Zersetzung. Dass sich am —-Pol Sauerstoff-
bläschen bei schwächeren Strömen gar nicht, bei kräftigeren nur
in geringerem Maasse entbinden, ist sicherlich zum grössten
Theile dieser Oxydation zuzuschreiben. Gleichwohl genügt die durch
den Strom von 2 Elementen veranlasste Zersetzung der Flüssigkeit
im Cschenkel, um diese gänzlich zu sterilisiren, d. h. die Ver-
mehrung der in ihr vorhandenen Bacterien zu verhindern, nicht aber
um diese selbst zu tödten, da sie sich, in frische Nährlösung über-
tragen, in dieser weiter entwickeln.
Dagegen wird durch eine Batterie von 5 Eleınenten die Flüssig-
keit im Urohr nicht blos im Cschenkel sondern auch im Zn schenkel
vollständig sterilisirt, wobei die letztere stark alkalisch wird, und
die Bacterien werden in beiden Schenkeln getödtet.
ll. Es entsteht hierbei die Frage: sind diese Wirkungen der
Electrieität als physiologische oder als chemische aufzufassen? beruhen
sie auf specifischen Erregungen der Bacterien, oder auf der Electrolyse
der Nährflüssigkeit? oder treten beide Effecte vereint in Wirk-
samkeit?
Für die Thatsache, dass sich die Bacterien in einer durch den
Strom zersetzten Nährflüssigkeit nieht mehr entwickeln können,
scheint die Abwesenheit unentbehrlicher Nährstoffe eine aus-
reichende Erklärung abzugeben. Wir haben bereits nachgewiesen,
dass der Flüssigkeit im Cschenkel das Ammoniak, im
Zu schenkel die Phosphorsäure fehlt, Grund genug, um in
beiden Schenkeln eine Vermehrung der Bacterien unmöglich zu
machen. Dennoch muss gefragt werden, ob nicht durch die
Electrolyse auch Verbindungen gebildet werden, welche an sich auf
die Bacterien tödtlich wirken. Dies konnte durch das Experiment
entschieden werden.
Nachdem durch die Nährlösung in einem Urohr der Strom von
5 Elementen 24 Stunden hindurchgeleitet war, wurden beide Schenkel
mit je 2 Bacterientropfen versetzt und sodann der Apparat bei 30°
48 Stunden sich selbst überlassen. Alsdann wurde aus beiden
Schenkeln je 1 Tropfen in Cylinder mit gekochter Nährlösung über-
tragen; und zwar wurden 2 Cylinder aus dem Zuschenkel, 2 andere aus
153
dem C schenkel infieirt. Nach 24 Stunden war in denjenigen Cylindern,
welche vom Zonschenkel infieirt waren, eine reichliche Bacterienent-
wickelung eingetreten; die zwei anderen vom Üschenkel aus infieirten
Cylinder waren klar geblieben und veränderten sich nicht auch bei
weiterem 24stündigem Stehen.
Bei diesem Versuche waren die im Tropfen nachträglich zuge-
setzten Bacterien nur der Einwirkung der durch den electrischen
Strom veränderten Nährflüsssigkeit, nicht aber des Stromes selbst
ausgesetzt gewesen. Wenn die Electrolyten, nachdem sie mit neuen
Bacterienkeimen versetzt waren, gleichwohl die Fähigkeit verloren
hatten, eine frische Nährlösung mit Erfolg zu infieiren, wie das mit
der Flüssigkeit im Cschenkel der Fall war, so ist dadurch der Be-
weis geliefert, dass die in letztere übertragenen Bacterien nach
48stündiger Berührung mit derselben getödtet sind, d. h. ihre
stark saure Reaction bewirkt an sich das Absterben der
Bacterien.
Zweifelhaft ist dagegen, ob das freie Ammoniak ebenfalls tödt-
lich einwirkt auf die in den Znschenkel übertragenen Bacterien;
denn da dasselbe sich, wie wir oben gesehen, während der Dauer
des Versuchs verflüchtigte, so ist fraglich, ob die Trübung der vom
Zuschenkel aus infieirten Nährlösungen nicht davon herrührt, dass
die später übertragenen Bacterien der Einwirkung des Ammoniaks
nicht mehr ausgesetzt waren.
Unsere Versuche haben demnach ergeben, dass die Tödtung der
Bacterien durch 24 stündige Einwirkung eines Stromes von 5 Elementen
aus der chemischen Thätigkeit desselben sich vollständig erklärt;
für eine specifisch physiologische Wirkung der Electrieität dage-
gen haben sich keine sicheren Thatsachen ergeben. Wir haben
schon bemerkt, dass durch 24stündige Einwirkung einer Batterie
von 2 Elementen die Schwärmbewegungen der Bacterien zwar im
sterilisirtten ÜCschenkel, nicht aber in dem neutral gebliebenen
Znschenkel aufgehoben waren.
Die folgende Versuchsreihe bekräftigt dieses Ergebniss.
II. Versuchsreihe.
Einwirkung des Inductionsstromes auf die Entwickelung der
Bacterien in mineralischer Nährlösung.
12. Zur Entscheidung der Frage, ob die von uns beobachteten Wir-
kungen des electrischen Stromes auf die Bacterien als physiologische
oder als chemische aufzufassen seien, erscheint vor allem der In-
duetionsstrom geeignet, da von ihm bekannt ist, wie bedeutend
154
seine physiologische und wie gering seine chemische Wirkung ist.
Schiel hatte die Wirkung des Induetionsstromes auf die Bacterien als
eine dem constanten Strom ähnliche, jedoch weit schwächere bezeichnet.
Folgende Versuche wurden von uns mit dem Inductionsstrome
angestellt:
Zwei gleich grosse Reagirgläser wurden mit Nährlösung gefüllt
und mit je 1 Bacterientropfen infieirt. Das eine der Gläser diente
als Controleylinder, durch das andere wurde bei 35° 22 Stunden
lang ein Inductionsstrom mittelst zweier bis auf den Boden des
Cylinders eintauchender, von einander durch einen Glasstab geschie-
dener Platineleetroden geleitet.
Der Strom wurde von einem Flaschenelement vermittelst eines
Dubois’schen Schlittenapparats erzeugt, dessen Nebenrolle ganz über
die Hauptrolle geschoben war. Nach dieser Zeit waren beide Cylinder
gleichmässig milchig von Bacterien getrübt und zeigten die charak-
teristische Schleimschicht an der Oberfläche.
Ein zweiter Versuch, welcher ganz analog dem vorigen ange-
stellt wurde, bei dem jedoch 2 Flaschenelemente zur Stromerzeugung
benutzt waren, gab genau das nämliche Resultat.
Auch als der von 2 Flaschenelementen erzeugte Inductionsstrom
durch ein mit Nährlösung gefülltes und mit 1 Bacterientropfen in-
fieirtes Urohr geleitet wurde, war nach 24 Stunden die Flüssigkeit
in beiden Schenkeln des Urohres gleichmässig von Bacterien
milchig getrübt, ganz so wie in dem gleichzeitig infieirten Control-
eylinder.
Alle unsere Versuche mit dem Inductionsstrome haben, vhnge-
achtet seiner starken physiologischen Wirkung, keinerlei Einfluss
auf die Vermehrung der Bacterien ergeben; nicht einmal eine Ver-
zögerung in der Entwickelung derselben war nachweisbar. Hält
man hiergegen die geringe eleetrolytische Wirkung des Induetions-
stromes, so erhält dadurch die bereits aus unserer ersten Versuchs-
reihe gezogene Schlussfolgerung, dass die Beziehungen des constanten
galvanischen Stroms zur Vermehrung der Bacterien von seiner
chemischen Wirkung abhängen, eine gewichtige Bestätigung.
III. Versuchsreihe.
Einwirkung des constanten Stromes auf die Entwickelung des
Micrococeus prodigiosus.
13. Es schien uns wünschenswerth die Einwirkung des electrischen
Stromes auf die Vermehrung auch solcher Bacterien zu beobachten,
die sich nicht in Flüssigkeiten, sondern auf der Oberfläche von
155
festen Substraten entwickeln. Zu diesem Zwecke wurde Mecrococcus
prodigiosus als Versuchsobjekt gewählt, weil derselbe in seiner augen-
fälligen lebhaft rothen Färbung ein äusserst günstiges Erkennungs-
mittel darbietet und zugleich in seinem ganzen Verhalten die grösste
Analogie mit gewissen pathogenen Bacterien darbietet. Er wurde
in der schon oft geschilderten Weise auf gekochten Kartoffeln ge-
züchtet'). Ungeschälte Kartoffeln wurden in der Mitte glatt durchschnitten
und die Oberflächen beider Hälften mit geringen Mengen des Micro-
coccus bestrichen, so dass die Kartoffel kaum merklich rosa ange-
haucht erschien. In die Oberfläche der einen Hälfte wurden 2,
an den Poldrähten einer galvanischen Batterie angelöthete, 5 cm
lange und 8 mm breite Platinstreifen parallel neben einander mit
den Längskanten 5—6 mm tief eingesenkt.
Die zweite Kartoffelhälfte sollte zur Controle bei der Entwickelung
des Micrococcus dienen; sie wird als Control-Kartoffel bezeichnet
werden. Unter normalen Kulturbedingungen bedeckte sich ihre Ober-
fläche in bekannter Weise innerhalb 24 Stunden stets mit einer
scharlaächrothen Schleimschicht, aus der Vermehrung des Micro-
coceus entstanden.
Beide Hälften der Kartoffel wurden in gesonderte Bechergläser
in schräger Lage eingesenkt und die Gläser mit Deckel verschlossen.
Der eine Deckel war durchbohrt, um die Platindrähte der Electro-
den durchzulassen, welche mit der Batterie in Verbindung standen.
Die Stromstärke ist bekanntlich abhängig von dem Widerstande
im Schliessungsbogen, in unserem Falle von der Entfernung der
Platineleetroden von einander; die folgenden Versuche wurden des-
halb zum Theil bei einer Entfernung der Platinstreifen von 1 em,
zum Theil bei einem Abstande derselben von 2 cm angestellt.
A. Die Electroden sind Il cm von einander entfernt.
14. Durch eine in oben angegebener Weise präparirte Kartoffel,
deren Platinstreifen 1 cm von einander entfernt waren, wurde bei
30° ein Strom von einem Flaschenelement geleitet. Nach 24 Stunden
war der Raum zwischen beiden Electroden, ebenso wie der ausserhalb
derselben befindliche Theil der Kartoffeloberfläche gleichmässig mit
rothem Micrococeus überzogen.
Bei einem wiederholtem Versuch blieb zu beiden Seiten längs
der positiven Electrode (Kohlepol) eine schmale Zone in einem Ab-
stande von 2 mm von Micrococceus frei. Die Controlkartoffel war auf
der ganzen Oberfläche gleichmässig von rothem Micrococeus überzogen.
!) Vergl. den Aufsatz von Dr. Wernich in diesem Heft p. 105.
156
Da sich somit ein Flaschenelement zu schwach erwies, um ent-
scheidende Resultate zu erzielen, so wurde an seiner Stelle eine
Batterie von 2 Elementen in den folgenden Versuchen ange-
wendet. Liess man einen solchen Batteriestrom 48 Stunden bei 33°
auf eine Kartoffel wirken, so blieb nach dieser Zeit derganze Raum
zwischen den Electroden farblos, also vollkommen frei
vom Micrococcus prodigiosus, ebenso zeigte sich ausser-
halb der Electroden zu beiden Seiten ein 3—5 mm breiter
farbloser Streif. An den weiter abgelegenen Theilen der Kar-
toffeloberfläche hatte sich der rothe Micrococeusschleim entwickelt.
(Vergl. Fig. 1.)
Fig. 1. Zu beiden Seiten der Polplatten, ins-
c besondere aber auf ihren einander zuge-
Zn.
kehrten Innenseiten entstanden gewöhn-
lich keilförmige Furchen, deren Abstand
nach der Oberfläche hin sich vergrösserte
und in denen die Platinstreifen steckten;
es mächte den Eindruck, als ob durch
Austrocknen ein Schwinden des zwischen
den Electroden befindlichen Kartoffelge-
webes stattgefunden hätte; doch war an
ein wirkliches Austrocknen in dem ab-
geschlossenen Raume der Bechergläser
nicht zu denken; vielmehr ist die Ursache
Schematischer Querschnitt einer von A 4
einem galvanischen Strom durchflos- wohl in einer durch den Strom’ veran-
senen Kartoffel; Zu die negative, G die Jassten Wanderung der Flüssigkeiten zu
positive Electrode; die saure Hälfte ist
weiss belassen, die alkalische diagonal. guchen; in diesen Furchen entwickelte
die mit rothem Micrococcus überzoge-
nen Streifen horizontal schraffirt. Sieh kein rother Mierococeus.
15. Eine genauere Untersuchung zeigte die ganze Kartoffel in ihrem
Inneren auffallend verändert; es liessen sieh nunmehr an ihr
zwei scharf abgegrenzte Hälften von völlig abweichen-
dem Aussehen unterscheiden, deren Grenzen in der Mit-
tellinie zwischen den beiden Electroden verlief. Die
eine Hälfte, welche unter dem Einflusse der negativen Electrode
gestanden, erschien dunkler, bräunlich gefärbt, gallertartig durch-
scheinend und mit Flüssigkeit durchtränkt, sie reagirte deutlich
alkalisch; die andere, von der positiven Electrode beeinflusste
Hälfte, hatte ihr ursprüngliches Aussehen beibehalten, aber eine
stark saure Reaktion angenommen; sie besass anch stark sauren
Geschmack und war anscheinend trockener geworden, als sie Anfangs
gewesen. Diese scharfe Sonderung in eine alkalische, braune, durch-
ee,
SRNÜURÄNULÜNTTÜÄÄNUNÄZÄÄRRANINTRNR7—aTJ—J0Y—wI„ AAN
157
scheinende und eine saure gelbliche Hälfte liess sich beim Schnitte
parallel der Oberfläche bis in die Tiefe durch die ganze Masse
der Kartoffel verfolgen.
Die saure Hälfte hatte gleichzeitig vom Rande aus nach der Mitte
vordringend oft eine rothe Färbung angenommen, die jedoch nicht vom
Micrococcus prodigiosus, sondern von einem flüssigen Farbstoffe
(Erythrophyll) herrührte, der sich offenbar unterdemEin-
flusse der durch Electrolyse freigewordenen Säure
aus dem farblosen Zellsaft der Kartoffel entwickelt
hatte. In der alkalischen Hälfte hatte sich kein Erythrophyli gebildet.
Bei der Wiederholung dieser Versuche ergab sich, dass der farb-
lose Streifen an der Aussenseite der positiven Electrode in der Regel
erheblich, selbst um das Doppelte breiter war, als längs der
— Eleetrode. Manchmal hatte sich auch in der Mittellinie zwischen
den beiden Electroden an der Grenze der sauren und alkalischen
Kartoffelhälfte ein violett-rother Längsstreif des Micrococcus prodi-
giosus von sehr geringer Breite gebildet (Vergl. Fig. I); vermuthlich
war in diesen Fällen auch die Stromstärke durch den längeren Gebrauch
der Elemente vermindert, so dass in der schmalen Grenzlinie, wo die
saure und die alkalische Hälfte sich berührten und neutralisirten, die Ver-
mehrung des Micrococeus nicht gehindert war. Wurde der Abstand der
Electroden weiter genommen, so erschien der violette Mittelstreif ent-
sprechend breiter; auch lag er der —Electrode meist um 2 bis
3 mm näher.
B. Die Entfernung der Platineleetroden beträgt 2 cm.
16. Es wurde ein Strom von 2 Flaschenelementen 24 Stunden lang
bei 30° durch die Kartoffel geleitet. Nach dieser Zeit war das in
den Platinstreifen eingeschlossene, 2 em breite Stück der Kartoffel-
Fig. II. oberfläche in eine farblose und in eine
rothe Hälfte der Länge nach geschieden,
die zwischen den Polplatten mit scharfer
Grenze derart aufeinander stiessen, dass
der scharlachrothe Streif von dem farb-
losen durch einen violett-rothen ganz
schmalen Saum getrennt erschien. Der
rothe Streifen, von Meier. gebildet, ver-
lief längs der — Electrode, war jedoch
von dieser durch eine schmale farblose
Zone von 2—3 mm Breite abgegrenzt;
längs der anderen, äusseren Seite der
158
— Polplatte hatte sich der Micrococcus, jedoch ebenfalls erst in einem
Abstand von 2 mm, als rother Ueberzug entwickelt, dagegen blieb
längs der Anssenseite der 4 Electrode ein Strich von 1 cm Breite farb-
los, von da ab bis zum Rande der Kartoffel hatte sich scharf abgegrenzt
der Micrococcus wieder entwickelt. (Vergl. Fig. 2.) Es war also durch
die — Eleetrodezu beiden Seitenin einer Breite von lem die Entwicklung
des rothen Mierococcus unterdrückt worden, während derselbe sich
zu beiden Seiten der —+ Electrode mit Ausnahme eines Streifens
von 2—3 mm zu beiden Seiten normal entwickelt hatte. Das Innere
der Kartoffel war eben so verändert, wie in dem früheren Versuch.
Die Grenze zwischen der alkalischen und der sauren Hälfte im
Innern entsprach genau der Grenzlinie zwischen dem farblosen und
dem rotben Streifen an der Oberfläche. Gewöhnlich verlief die
Grenze zwischen farblosem und rothem Streifen nicht genau in der
Mitte, sondern lag der —+-Electrode erhehlich, selbst um mehr als
das Doppelte näher, als der negativen, so dass der farblose Streifen
5—6 mm, der rothe dagegen 12—13 mm breit war.
17. Es blieb nun noch übrig, durch das Experiment zu ermitteln, ob
nicht, entsprechend der Wirkung starker Ströme auf Bacterien in
Nährlösungen auch die Entwickelung des M. prodigiosus auf der
Oberfläche der Kartoffeln durch einen sehr kräftigen Strom gänzlich
verhindert werden könnte. Zu diesem Zwecke wurde durch eine
mit M. prodigiosus infieirte Kartoffelhälfte mittelst zweier Platin-
electroden, die 2 cm von einander, wie in dem vorigen Versuche
in dieselbe eingelassen waren, ein Strom von 3 Bunsenschen und
2 Marie-Davyschen Flaschenelementen 24 Stunden lang hindurch
geleitet; die vom Strome durchflossene Kartoffel hatte in dieser Zeit
die schon oben geschilderten Veränderungen in ausgeprägtestem
Maasse erlitten. Die von der negativen Electrode beeinflusste Hälfte
war sehr stark alkalisch geworden, die hierdurch veranlasste
Bräunung des Curcumapapieres wich auch beim Erwärmen desselben
nicht, rührte also von einer nicht flüchtigen Base her.
Die Kartoffelsubstanz in dieser Hälfte zeigte nicht nur das bräun-
liche, gallertartige, durchscheinende Aussehen, sondern sie war auch
sehr stark gequollen, wahrscheinlich in Folge der Einwirkung des
Alkali’s auf das Stärkemehl der Kartoffel, so dass sie mit scharf
abfallendem Rande sich an 3 mm über die angrenzende stark saure
Hälfte erhob. Letztere, welche unter dem Einfluss der + Electrode
gestanden, hatte ihr Aussehen wenig verändert, doch zeigte sie sich
anscheinend trocken im Gegensatz zu der ganz nassen glänzenden
alkalischen Hälfte. Die Grenzlinie zwischen saurer und alkalischer
159
Hälfte verlief zwischen den beiden Elec-
troden, doch näher der negativen; diese
steckten in tiefen breiten Furchen,
deren Ränder nach innen zu klafften,
so dass die Polplatten nur an den Aussen-
wänden der Furchen fest anlagen. Die
Furche, in der die + Electrode steckte,
war trocken, dagegen die der — Electrode
mit reichlicher, lebhaft schäumender
Flüssigkeit ausgefüllt. Der rothe Mi-
crococcus hatte sich gar nicht
Be. entwickelt (vergl. Fig. 3). Die der
kun a Kartoffel war also völlig farblos geblieben,
während die Controlkartoffel sieh vollständig mit dem rothen Ueberzug
bedeckt hatte. Wohl aber hatte sich, wie bei früheren Versuchen,
von der Schale aus nach innen hin in der sauren Hälfte der Kar-
toffel rothes Erythrophyll gebildet.
Diese Kartoffelhälfte wurde nun 24 Stunden bei 30° sich selbst
überlassen, allein es zeigte sich auch nach dieser Zeit das Aussehen
derselben nicht verändert, der Mierococeus war durch den kräftigen
Strom getödtet worden. Aber auch die Kartoffel selbst war, und
zwar in beiden Hälften, sterilisirt; denn auch eine neue Infection
konnte auf ihrer Oberfläche keine Vermehrung des rothen Miero-
cocceus bewirken, mit Ausnahme der neutralen Grenzlinie zwischen
alkalischer und saurer Hälfte, wo sich ein ganz schmaler rother Saum
entwickelte.
18. Die Resultate der dritten Versuchsreihe stimmen mit denen der
ersten überein. Der constante galvanische Strom bewirkt eine eleetro-
chemische Zersetzung der Flüssigkeiten in der gekochten Kartoffel,
in Folge deren sich dieselbe in eine scharf abgegrenzte saure Hälfte
an der + Electrode (entsprechend dem Cschenkel in Urohr), und in
eine alkalische Hälfte an der — Eleetrode (wie im Znschenkel) sondert.
Beide Eleetroden hemmen oder unterdrücken in ihrer Nähe und zwar auf
beiden Seiten die Entwicklung des Micrococeus, jedoch die positive
Electrode in bei weitem höherem Grade, als die negative.
In der sauren Hälfte wird die Entwickelung des Micrococeus schon
bei relativ schwächerem Strom (2 Elemente) durch die + Electrode
bis zu 1 cm Abstand zu beiden Seiten verhindert, während in der
alkalischen Hälfte der hemmende Einfluss der —Eleetrode sich
meistens nur bis zu 2—3 mm Abstand geltend macht. Letzteres
erklärt sich daraus, dass Micrococcus prodigiosus überhaupt sich nur
160
auf alkalisch reagirendem Substrat vermehrt; jede gekochte Kartoffel
reagirt alkalisch; der rothe Mierococeusschleim selbst zeigt stark
alkalische Reaktion; durch Säuren verändert der Micrococcus seine
Färbung und geht bald zu Grunde.
Ein kräftiger Strom von 5 Elementen tödtet die übertragenen
Mierococeuskeime ebensowohl auf der alkalischen wie auf der sauren
Hälfte, und macht dieselben dauernd zur Entwickelung dieses Orga-
nismus unfähig, auch an der —Electrode, da bei der Kar-
toffel an letzterer fixes Alkali, nicht wie bei den Nährlösungen flüch-
tiges Ammoniak, frei wird. Die Wirkungen des galvanischen Stromes
auf die Vermehrung des Mecrococcus prodigiosus lassen sich daher
auf seine chemischen Thätigkeiten zurückführen.
IV. Ergebnisse.
Die Ergebnisse dieser Untersuchungen lassen sich in folgenden
Sätzen zusammenfassen:
A. Einwirkung des galvanischen Stromes auf die Ver-
mehrung der Bacterien in mineralischer Nährlösung.
1. Ein Element lässt je nach der Stromstärke gar keine oder
nur eine retardirende Einwirkung auf die Vermehrung der Bacterien
erkennen.
2. Eine Batterie von 2 kräftigen Elementen sterilisirt innerhalb
12—24 Stunden am +-Pol die Nährlösung vollständig, so dass sich
in ihr weder die der Stromwirkung ausgesetzten, noch auch nach-
träglich zugeführte Bacterien vermehren.
3. Am — Pol wird die Nährflüssigkeit nicht vollständig sterilisirt,
aber sie wird nur in beschränktem Maasse für Ernährung und Ver-
mehrung der Baeterien geeignet; die Schwärmbewegungen dersel-
ben werden nicht aufgehoben.
4. Weder am +, noch am — Pole werden die Bacterien durch
die Stromwirkung zweier Elemente getödtet, denn in frische Nähr-
lösung übertragen, vermehren sie sich ip dieser völlig normal.
5. Die für Bacterien sterilisirte Nährflüssigkeit am + Pol gestattet
noch reichliche Vermehrung von Kahmhefe und Mycelpilzen.
6. Eine Batterie von 5 kräftigen Elementen tödtet die in der
Nährflüssigkeit vertheilten Baeterien innerhalb 24 Stunden vollständig,
ein Tropfen dieser Flüssigkeit in frische Nährlösung übertragen ruft
deshalb keine Trübung in dieser hervor.
7. Die Nährflüssigkeit wird durch einen solchen Strom an beiden
161
Polen sterilisirt; auf's Neue zugesetzte Bacterien vermehren sich
daher nicht in derselben.
8. Die Einwirkung des constanten Stromes auf die Bacterien
lässt sich durch die eleetrolytische Zersetzung der Nährflüssigkeit
ausreichend erklären, welche um so vollständiger ist, je kräftiger
und je länger der Strom auf die Flüssigkeit eingewirkt hat.
9. Bei möglichst vollständiger Zersetzung wird die Flüssigkeit
am +-Pol stark sauer, am — Pol stark alkalisch, bei schwächeren
Strömen an letzterem nur schwach sauer oder neutral. Die alkalische
Reaction verschwindet nach einiger Zeit, da sie von einer flüchtigen
Base (Ammoniak) herrührt.
10. Am — Pol findet reichliche Gasentwickelung statt, am + Pol
wird solche nur bei sehr kräftigen Strömen bemerklich.
1l. Am — Pol wird phosphorsaure Ammoniak-Magnesia ausge-
schieden; in Folge dessen enthält die Flüssigkeit nach längerer Ein-
wirkung sehr kräftiger Ströme am — Pol keine Phosphorsäure, am + Pol
kein Ammoniak in Lösung, besitzt also nicht mehr die zur Ernährung
und Vermehrung von Bacterien unentbehrlichen Nährstoffe vollstän-
dig; ausserdem scheint die freie Säure am —- Pol unmittelbar tödtlich
auf die Bacterien einzuwirken.
12. Eine specifische physiologische Einwirkung des constanten
galvanischen Stromes ist bei relativ schwächeren Strömen nicht vor-
handen, bei stärkeren wenigstens nicht nachweisbar. Die physio-
logisch so wirksamen Inductionsströme lassen auf die Vermehrung der
Bacterien in mineralischer Nährlösung keine Einwirkung erkennen.
B. Einwirkung des constanten galvanischen Stromes
auf die Entwickelung von Micrococcus prodigiosus an
der Oberfläche gekochter Kartoffeln.
13. Die Wirkungen werden bedingt einerseits durch die Stärke
des Stromes, andererseits durch die Leitungswiderstände in der
Kartoffel, welche mit der Entfernung der Electroden wachsen.
14. Die Flüssigkeiten in der Kartoffel vertheilen sich so, dass
durch die ganze Tiefe derselben die eine Hälfte am + Pol stark
sauer, die andere Hälfte am —Pel stark alkalisch wird, letzteres
durch fixes Alkali. Die beiden, gleich- oder ungleichgrossen Hälften
stossen in der Mittellinie der Kartoffel mit scharfer Grenzlinie an-
einander; die Grenzlinie ist neutral.
15. Beide Hälften unterscheiden sich durch ihre Färbung, sowie
dadurch, dass die saure Hälfte an Flüssigkeit verarmt, die alkalische
gallertartig quillt, durchscheinend bräunlich und feucht erscheint.
Cohn, Beiträge zur Biologie der Pflanzen. Band III. Heft I. 1l
162
16. Sowohl die +, als die —Eleetrode verhindern die Ver-
mehrung des Micrococcus prodigrosus in ihrer Umgebung und zwar
an beiden Seiten, jedoch die + in bei weitem stärkerem Maasse.
Bei schwächerer Stromwirkung erscheint daher zu beiden Seiten der
+ Electrode ein mehr oder minder breiter scharf abgegrenzter farb-
loser Streifen, während zu beiden Seiten der —Electrode die Ent-
wickelung des Micrococeus nur in einer ganz schmalen Zone unter-
bleibt, die übrige Fläche der alkalischen Hälfte aber sich mit dem
rothen Ueberzuge bedeckt.
17. Je kräftiger die Stromwirkung, desto breiter wird an beiden
Eleetroden die Zone, wo sich der Micrococeus nicht vermehren kann;
bei sehr kräftigen Strömen entwickelt sich der Micrococcus gar nicht,
die zugeführten Keime werden getödtet und beide Kartoffelhälften
mit Ausnahme der neutralen Grenzlinie für Micrococeus sterilisirt.
18. Die Einwirkungen des galvanischen Stromes auf die Ver-
mehrung des Micrococcus prodigiosus lassen sich auf die eleectro-
Iytischen Wirkungen des Stromes zurückführen.
Breslau, Pflanzenphysiologisches Institut der Universität Breslau.
Der. 1873:
Druck von Robert Nisclıkowsky in Breslau,
Dand MW IalT.
IE Cohn ‚beiträge zur Drelogie der Wlanzen.
del
Au Nat
T Hicischer
Lu
u
feld, Brest
i Lith u.Druck eo S.hılıer
Fur N
ij ‚Ar BALD
EROHIr g D
“ aan Ye
en Ma Te
Ban,
u.”
RE m en en. p we
a
Ftohn, beiträge zur Biologie der Pflanzen. band WI 1.
F—Z
FE
Fig. N)
— I ——n
N
L N ( ))
=, KK A JS
= — N EN /)
\ IK M N.
HhT
ZT Hoelscher ad nat del
Lük u. Druck 0 S Lilieni2ld; Breslau
Et ohn ‚Beiträge zur Biologie der Pflanzen. Band II. Tal. IT.
Ir Hitlscher ad ra2.d:
Pt. EN
B
% ’
Mi
% ar
‘ y
» Yu
r a
> i
> u,
5 Pre RT,
.
5 y
x ne?
ir ’
AR
“
{
f
R f
x‘
D
i
x
P)
P
r
'
m
er
(a >
‚4
’
K
x
7
1;
x
t Se a PERL ä
ML N Kt m
1 ts ’n i I ER Y
u k ü
i ‘ Wok’
a » « ur
eo, N
v )
’
,
N * h
. -
} N
Ro
{ u Be
DI h Fr
! un 3 N
h h 07 h
re) Lan
FEB RD] BR
A)
h y Dr h A MN
ER RN, IA INER
u a
F: Cohn ‚Beiträge zur Biologie der Pllanzen. Band HH. Taf-W.
sap —e
NEN To
A
l r I I EN Ile en
\ I ee
jatınaauNannsdünntanuVaKagktganat III
Bar Bw OR
RK SL
BZ,
OO Di OR ,
I ae.
>
@ Fa
SU NN
re \
& Benling au mat. del
Pr
un)
zu
nu
FCohn. beitrage zur biologie der Pflanzen. band II. Taf V.
c coll
Ftohn, beiträge zur Biologie der Pflunzen. band HTafV.
AN F
ENy’Y
”
ge
H
et
E27
hr
a
k
F
j®
&
| AR
"Cohn Beiträge zur Biologie der Pflanzen. Dand I. Taf IM,
© &
o
% E
© © ”
o 2
© a
v [2
8 o
o °
0 o
6)
©
©
o
o
B ®)
o Er
© © x
VLuod ° D
BD ©
7 ©
810%
o
[022
„go.
oo
wc
g
x je} g
Soc o 2
0 Q
© o
R 0) ©
.o 200,
© RK
= Q BOSO,
[e)
2
()
Re}
\ ©
RS PN
ee EAN
O0500 ZN
DR
c
SoR 5 39
OOo
NS
1)
% L
Dry
SRH6
(0%
je}
o
&r o.c0
Booso05c
o
oO
{e
Miflet ad nat. del
Lith u. Druck v S.Dilierfsld, Breslau
YA ohn Beilräge Zur Biologie der Pflanzen. Band HH Taf VM.
Me Fig. Ib. on ie > 3
al De
je
a |
v
N S
Miflet ad nat. del.
Lich u.Druck v.S. Lilienfeld ‚Breslau
nl
> Mn. a ri
VPE
ee
Niue
Beiträge
zur
Biologie der Pflanzen.
Herausgegeben
Dr. Ferdinand Cohn.
Dritter Band. Zweites Heft.
Mit sieben zum Theil farbigen Tafeln.
ER
Breslau 1880.
J. U. Kern’s Verlag
(Max Müller).
Ba JE
F
-
*
OART sell -
IT L 30 Ss
(IHM za) :
Inhalt von Band Ill. Heft Il.
Seite
Pinguicula alpina, als insektenfressende Pflanze und in anatomischer
Beziehung. Von Professor Julius Klein, Budapest. (Mit Tafel
BEE aa es en ele Sulehrsele derer 163
Untersuchungen über Bacterien. X. Studien über die blaue Milch. Von
Dr. F. Neelsen, Privatdocent und Assistent am pathologischen In-
Stats zus astockr (Mit -Tatell KT). 2 ee rer ae ar 157
Chemisch -botanische Studien über die in den Flechten vorkommenden
Flechtensäuren. Von Dr. Frank Schwarz in Graz.............. 249
Beitrag zur Kenntniss der Gymnoasceen. Von Dr. Eduard Eidam.
VORDERE RATE SU 1 Nee a era en 267
; iR ü
‚Lu bl
f}
- J
MET Luz? JR
‚zus ll
1 2 .
wortamg Hi takt £
a. rind
ter
Pinguieula alpina, als insektenfressende Pflanze
und in anatomischer beziehung.
Von
Professor Julius Klein,
Budapest. *"
Hierzu Tafel IX. und X.
Einleitung.
In Darwin’s epochemachendem Werke: „Insektenfressende Pflan-
zen“ ist unter den abgehandelten Pingwculaarten die P. alpina nicht
besprochen, desshalb benutzte ich die Gelegenheit, die sich mir im
Sommer 1873 im steyrischen Bade Neuhaus bot, — in dessen Nähe
die Ping. alpina reichlich vorkommt — um dieselbe mit Bezug auf
Insektenfang und insektenfressende Fähigkeit, als auch in anatomi-
scher Hinsicht näher zu untersuchen. Es war zwar von vorn-
herein zu erwarten, dass die P. alpina, die nach ihrem Habitus und
Vorkommen so sehr mit der P. vulgaris übereinstimmt, dass beide
nur als zwei zusammengehörende Varietäten angesehen werden könn-
ten, auch in ihrem physiologischen Verhalten mit der ihr so nahe
verwandten P. vulgaris übereinstimmen werde. Trotzdem fand ich
es für nicht ganz unlohnend, die P. alpina näher zu untersuchen,
um einerseits diese Uebereinstimmung wirklich zu constatiren und
andererseits die anatomischen Verhältnisse eingehender zu berück-
sichtigen, welehe von Darwin für /. vulgaris ohnehin nur kurz
erwähnt und nur so weit behandelt werden, als es seine physiologi-
schen Versuche für nöthig erscheinen liessen.
Die Pinguicula alpina kommt in der Nähe von Neuhaus, in
dem engen Thale unmittelbar hinter Gutenegg vor, wo sie die feuch-
ten, moosigen Kalkfelsen, welche an den Ufern des Neuhauser Baches
Cohn, Beiträge zur Biologie der Pflanzen, Band !Il. Heft I. 12
164
emporsteigen, in zahlreichen Exemplaren bedeckt!). Ich fand dort
zwei verschiedene Formen der Pinguicula alpina; während nämlich
die Blätter der meisten Exemplare eine gelblichgrüne Farbe zeigten,
fanden sich daneben auch solche, deren Blätter rothbraun aussahen
und an denen die grüne Färbung mehr oder weniger verdeckt war. Beide
Formen kamen auf demselben Felsen vor, oft in unmittelbarer Nähe
zu einander; doch schien es, als wenn die erste Form mit den gleich-
mässig lichtgrünen Blättern mehr an solchen Stellen vorkäme, die
reichlicher mit Erde bedeckt waren und auch eine üppiger ent-
wickelte Moosdecke besassen, während die rothblättrigen Formen
vorzüglich an steinigen Stellen auftraten, wo wenig oder gar kein
Humus und auch eine nur spärlich entwickelte Moosdecke anzutref-
fen war. Es scheint demnach, als wenn beide Formen nur Stand-
orts-Varietäten wären. Dies spricht sich auch darin aus, dass die
rothblättrige Form allgemein kleiner und weniger entwickelt war,
die grünblättrige dagegen meist in sehr üppigen Exemplaren auftrat.
Die rothe Färbung der Blätter rührt daher, dass die Oberhaut-
zellen einen rothen Saft enthalten, während selbe sonst mit einer
farblosen Flüssigkeit gefüllt sind. Im Uebrigen verhalten sich beide
Formen gleich, doch da diejenige mit den lichtgrünen Blättern die
häufigere war, stellte ich auch meine Untersuchungen vorzüglich an
dieser Form an.
I. Pinguicula alpina als insektenfressende Pflanze.
Die Pinguicula alpina hat, wie bekannt, ein kurzes unterirdisches
Stämmehen, an dem nach unten ein Büschel einfacher Wurzeln sich
entwickelt, welche in Zahl und Länge nach der Grösse und Ent-
wickelung der Pinguicula-Exemplare variiren; nach oben trägt das
Stämmchen eine Rosette von Blättern und die langgestielten Blüthen.
Die Zahl und Grösse der Blätter ist natürlich auch nach den Exem-
plaren sehr verschieden. So üppig entwickelte und so grosse Blät-
ter, wie bei den Neuhauser Pflanzen fand ich bis jetzt noch nie bei
Ping. alpina, und waren es im allgemeinen die lichtgrünen Exem-
plare, an denen die grössten Blätter zu finden waren. Während
nämlich gewöhnlich die Länge der Blätter 3—4 cm und die Breite
13— 2; cm beträgt, so waren unter den Neuhauser Pflanzen solche
Exemplare nicht selten, bei denen die Länge der Blätter 5—6 cm,
1) Die Mittheilung dieses Standortes verdanke ich der Freundlichkeit des
Herrn stud. med. Rich. Paltauf — dem Sohne des Neuhauser Bade-Arztes
und Direetors — der später auch die Güte hatte mir lebende Pflanzen von
Neuhaus zu senden, und dem ich dafür auch hier meinen Dank ausspreche.
165
die Breite aber 2—3 cm betrug. Diese üppige Entwickelung ist
Jedenfalls der geringen Seehöhe des Standortes und dem milden
Klima der Umgebung von Neuhaus zuzuschreiben, und ist es über-
haupt selten, dass die P. alpina so weit unten auftritt.
Bei den im Freien untersuchten Exemplaren waren die Ränder
der Blätter, ganz in der Art, wie es Darwin für Ping. vulgaris
angibt, mehr oder weniger nach einwärts gebogen, dabei fanden sich
unter den eingebogenen Rändern und sonst auf der Blattfläche theils
ganze kleine Insekten, theils Bruchstücke soleher, theils aber ver-
schiedene Pflanzentheile, besonders Blätter der Erica carnea.
Die Oberfläche der Blätter von Ping. alpina ist nämlich, wie
bei P. vulgaris, dicht mit zweierlei Drüsen bedeckt: gestielten und
ungestielten, von denen weiter unten ausführlicher die Rede sein soll.
Die Ersteren sind schon mit freien Augen sichtbar und erscheinen
als weissliche, schwach glänzende Pünktchen, welche besonders an
den rothblättrigen Formen deutlich hervortreten. Die Drüsen son-
dern reichlich eine klebrige Substanz aus, die durch Aufdrücken des
Fingers auf die Blattfläche und nachheriges langsames Emporheben
des Fingers in viele, lange Fäden ausgezogen werden kann. In
Folge dieser Beschaffenheit der Blattoberfläche werden also auch
bei Ping. alpina Insekten gefangen und darauf fallende Gegen-
stände festgehalten.
Zu erwähnen ist, dass die gefangenen Insekten gewöhnlich unter
dem eingebogenen Rande zu finden sind, während Blätter und der-
gleichen Theile meist auf der freien Blattfläche liegen. Das hat
wohl einestheils darin seinen Grund, dass, wie Darwin erwähnt,
die gefangenen Gegenstände von allen Theilen des Blattes durch
den Regen gegen die Ränder fortgewaschen werden; doch glaube
ich, dass bezüglich der Insekten auch noch ein anderer Umstand in
Betracht kommt. Die Ränder der Blätter sind nämlich schon anfangs,
noch bevor sie etwas gefangen, schwach nach einwärts gebogen
und etwas emporstehend; kommt nun ein kleines Insekt auf die
Mitte des Blattes, so trachtet es von dort fortzukommen, und da die
Insekten meist nach aufwärts kriechen, so kommt es auch an den
höher stehenden Rand des Blattes, den zu übersteigen ihm nicht
immer gelingt, so dass es meist dort verbleibt und später von dem
‚sich noch mehr einbiegenden Blattrande festgehalten wird. Mit Blatt-
läusen gemachte Versuche wenigstens zeigten, dass, während sie von
der Blattmitte leichter wegkamen, es ihnen doch nicht immer gelang
auch den Blattrand zu übersteigen.
Eine Anzahl von Pflanzen der Ping. alpina wurden nun nach
122
166
Neuhaus ins Zimmer gebracht, um daran einige Untersuchungeu
anzustellen. In physiologischer Beziehung machte ich nur wenige
Versuche, da ich ja ohnehin nicht hoffen durfte den erschöpfenden
Angaben Darwins etwas Neues hinzufügen zu können. Dagegen
unterzog ich die P. alpina in anatomischer Hinsicht einer eingehen-
den Untersuchung, die ich dann später an mitgebrachten und von
Neuhaus erhaltenen Pflanzen, so weit eben möglich, hier noch fort-
setzte. Die physiologischen Versuche wurden angestellt: mit klei-
nen Insekten, mit rohem Fleisch, hart gekochtem Eiweiss, mit Stück-
chen eines Pilzes (Peziza) und mit trockenen Semmelbröseln, die
mit Speichel angefeuchtet wurden.
Alle diese Gegenstände nahe an den Rand von gesunden Blät-
tern der Ping. alpina, die noch nichts gefangen hatten, gebracht,
bewirkten in nicht langer Zeit eine mehr weniger starke, aber immer
ganz deutlich wahrnehmbare Einkrümmung des betreffenden Blattran-
des. Längliche Stücke der erwähnten Gegenstände quer über den
Mittelnerv des Blattes gelegt, so dass Theile beider Blatthälften
berührt werden, verursachten eine Einbiegung beider gegenüberste-
hender Blattränder. Dies geschah besonders auffallend, wenn die
erwähnten Gegenstände nahe zur Spitze des Blattes, in erwähnter
Art, aufgelegt wurden. Kin mit Speichel angefeuchtetes, längliches
Semmelstückchen, nahe zur Spitze des Blattes quer über den Mittel-
nerv gelegt, bewirkte eine so starke Einbiegung beider Ränder, dass
selbe sich in der Mitte berührten und das Semmelstückchen fast
“ ganz verdeckten; da das verwendete Semmelstückchen in Folge von
Aufquellung ziemlich gross wurde, so dauerte in diesem Falle die
Einbiegung der Ränder auch längere Zeit als sonst, und war wohl
auch desshalb stärker, weil in Folge der Einbiegung die Ränder
selbst mit dem aufgelegten Semmelstückchen in Berührung traten
und so auch direct gereizt wurden.
Da nun bloss die Ränder des Blattes sich einwärts zu biegen im
Stande sind, so muss im zuletzt erwähnten Falle von der Mitte
des Blattes ein motorischer Reiz ausgehen, der beide Blattränder
zur Einbiegung veranlasst.
Alle genannten Gegenstände bewirkten auch eine stärkere Ab-
sonderung der Drüsen und war dieselbe besonders auffallend in dem
Falle, wo ein mit Speichel angefeuchtetes längliches Semmelstück-
chen nahe zur Blattspitze quer über den Mittelnerv des Blattes
gelegt wurde. Die beiderseits eingebogenen Ränder bildeten einen
Kanal, der ganz mit Flüssigkeit erfüllt war, die von der schnabel-
artigen Blattspitze in grossen Tropfen herabträufelte. — Die von
167
den Drüsen abgesonderte Flüssigkeit war bei Blättern, die noch nichts
gefangen hatten, fast gar nicht oder nur sehr schwach sauer, dagegen
von Blättern, deren Ränder eingebogen waren, stets deutlich sauer
und wurde Lakmus-Papier im letzteren Falle immer stark geröthet.
Die im Freien auf den Blättern vorgefundenen Insekten-Ueberreste
bestanden meistens nur aus den harten Körpertheilen derselben.
Die oben erwähnten, auf die Blätter aufgelegten Gegenstände wurden
auch mehr weniger verändert. Hellrothe frische Fleischfasern ver-
blassten bald, wurden dann durchscheinend, später schleimig und
verschwanden auch ganz. Hartgekochtes Eiweiss wurde bald gelb-
lich durchscheinend und theilweise auch aufgelöst. Semmelstückchen,
ob trocken oder angefeuchtet, quollen immer erst auf, wurden dann
etwas schleimig, verschwanden aber nie ganz, sondern liessen immer
einen Rückstand zurück.
Aus dem Mitgetheilten ist also, wie auch von vornherein zu
erwarten stand, ersichtlich, dass Ping. alpina ebenso wie die übri-
gen Pinguwiceula-Arten Insekten fängt, die Ränder ihrer Blätter über
diese, wie über andere Gegenstände einbiegt, dass in Folge davon
die Drüsen reichlicher absondern und die nun abgeschiedene Flüssig-
keit deutlich sauer wird, sowie, dass die gefangenen Gegenstände
mehr weniger verändert und theilweise oder ganz aufgelöst und auch
aufgesaugt werden. Die Ping. alpina ist also auch ein Insekten-
oder Fleischfresser und da ihre Blätter sich auch über Pilzstück-
chen, sowie über andere Pflanzentheile einbiegen, zum Theil auch
Pflanzenfresser.
II. Pinguicula alpina in anatomischer Beziehung.
1. Die Wurzeln. Die Wurzeln der P. alpina entspringen —
wie schon erwähnt — aus dem kurzen unterirdischen Stämmehen
und sind immer einfach, d. h. unverzweigt. Sie variiren in Zahl
und Länge, je nach der Grösse und Entwickelung der Exemplare.
Bei kräftig entwickelten Pflanzen findet man oft 10—15 Wurzeln
von 4—6 em Länge, bei einem Durchmesser von I—13 mm. Die
Wurzeln sind an der Stelle, wo sie hervorbrechen, d. h. an ihrer
Basis etwas eingeschnürt, also dünner als in ihrem späteren Ver-
lauf und verjüngen sich wieder allmählich gegen das in eine kleine
Spitze auslaufende Ende. Die Wurzelhaube ist klein und schwach
entwickelt. Die Oberhautzellen der Wurzeln bilden lange einzellige
Wurzelhaare, die jedoch früh herabfallen, und später ist die Ober-
fläche bedeckt von den abgestorbenen Oberhautzellen und in Folge
davon braun gefärbt.
168
Die Differenzirung der Gewebe tritt schon sehr nahe zum Vege-
tationspunkt ein und 50 sieht man auf Längsschnitten, dass die
ersten Tracheen im Sinne de Bary’s') bis in die unmittelbare
Nähe des Vegetationspunktes sich erstrecken; noch etwas weiter
reichen die deutlich erkennbaren Zellen der Strangscheide, so dass
letztere das erste Gewebe ist, das sich aus dem Urmeristem heraus
differenzirt. Querschnitte durch entwickeltere Partien der Wurzeln
zeigen, dass auf eine Rindenschicht von 10 und mehr Zellreihen
die Strangscheide folgt, deren Zellen radial etwas zusammengedrückt
erscheinen (Taf.X. Fig. 20.). Zwischen den Zellen der Strangscheide und
den angrenzenden Rindenzellen sind fast durchweg ziemlich grosse,
meist viereckige Interceilularräume vorhanden und finden sich solche
auch zwischen den meist viereckigen Zellen der ersten inneren drei
Zellreihen der Rinde, während sie zwischen den übrigen Rinden-
zellen fast ganz fehlen.
Die Zellen der Strangscheide sind meist bedeutend kleiner als
die angrenzenden Rindenzellen und zeigen in der Mitte ihrer radia-
len Scheidewände sehr deutlich den schwarzen Punkt, der für so
viele Strangscheiden charakteristisch ist (Taf. X. Fig. 20.). Die schwarzen
Punkte kommen auch hier, wie sonst, durch Wellung der Scheide-
wände zu Stande. Auf Längsschnitten erscheinen die Zellen der
Strangscheiden rechteckig und sind 4—6mal so lang als breit, auch
sieht man, dass die Wellung an den radial gestellten Wänden eine
scharf ausgeprägte ist; die Wände sind theils einfach, theils doppelt
gewellt und bieten überhaupt ein sehr zierliches Aussehen (IX, 1.).
Die Längenansicht der Rindenzellen ist auch eine rechteckige
und deren Länge allgemein grösser als deren Breite.
In der von der Strangscheide eingeschlossenen Gewebepartie
treten, wie schon erwähnt, die Tracheen sehr zeitig auf. Die Zahl
der Tracheengruppen ist nach den Wurzeln verschieden, in schwächeren
ist sie geringer, in stärker entwickelten grösser und variirt zwischen
3 und 7. Im grössten Theil der Wurzel bestehen die einzelnen
Tracheengruppen aus8ö—5 Tracheen, die gewöhnlich centripetalangeord-
net sind und nur seltener anfangs auch nebeneinander entstehen (X. 20.).
Im obersten Theil der Wurzel vermehrt sich die Zahl der Tracheen
und nahe der Basis und beim Uebergang der Wurzel in den Stamm
verschmelzen die einzelnen Tracheengruppen zu ein bis mehreren,
undeutlich gesonderten Gruppen, die bis in die Mitte der Wurzel
1) Hofmeister, Handb. d. phys. Bot. III. Bd. pag. 162.
169
reichen und meist die frühere Anordnung der Tracheen nicht mehr
deutlich erkennen lassen.
In den einzelnen Gruppen sind die äusseren Tracheen etwas enger,
als die nach innen nachfolgenden. Erstere sind schraubig verdickt,
mit sehr dicht gewundener Verdickungsfaser und bestehen aus lan-
gen Gliedern, die sich mit meist schief gestellten Querwänden berüh-
ren. Ob es wirkliche Gefässe oder Tracheiden sind, kann ich nicht
angeben. Die übrigen Tracheen sind schraubig-netzig verdickt mit
Uebergängen zu treppenförmiger Verdickung. Sie bestehen aus
kürzeren Gliedern mit meist nicht schiefgestellten Querwänden, auch
scheinen die letzteren wirklich durchbrochen zu sein, so dass wir
es hier mit wirklichen Gefässen zu thun hätten. Die Glieder aller
Tracheen werden in der Wurzelbasis viel kürzer und sind besonders
kurz an der Uebergangsstelle in den Stamm, wo sie mit den auf-
fallend kurzgliedrigen Gefässen des Stammes in Verbindung treten.
Alle Tracheen in den Wurzeln der P. alpina führen zu keiner Zeit
Luft; im jüngeren Zustande haben sie einen wässrigen Inhalt, spä-
ter werden sie von einer gelbbraunen Masse erfüllt, die besonders
in der Wurzelbasis stark auftritt und durch Kalilösung ein goldgel-
bes, glänzendes Aussehen erhält.
Zwischen den Tracheen-Gruppen finden wir die Phloömbündel, die
aus Gruppen von 2- mehr sehr kleinen, polyödrischen und nicht
verdickten Zellen bestehen (X. 20.), so dass der Bast nur als Weich-
bast vertreten ist, deren Zellen immer einen dichteren Inhalt zeigen,
als die übrigen innerhalb der Strangscheide befindlichen Zellen.
Zwischen den Tracheen- und Phlo@m-Gruppen einerseits und der
Strangscheide andererseits ist das Pericambium, das meist nur eine
einfache Zellreihe bildet (X. 20.). Das Auftreten des Pericambiums
ist jedenfalls bemerkenswerth, da, wie erwähnt, die Wurzeln der P.
alpina sich nie verzweigen. Das Gleiche gilt auch für Dionaea,
deren Wurzeln sich auch nicht verzweigen und doch, wie es Frau-
stadt abbildet, ein aus mehreren Zellreihen bestehendes Pericam-
bium aufweisen ').
Das Gewebe innerhalb der Tracheen- Gruppen besteht aus lang-
gestreckten Zellen, die sich mit graden Querwänden berühren und
in Querschnitt 4- mehreckig und isodiametrisch erscheinen. Diese
Zellen sind nur in einem kleinen Theile an der Basis der Wurzel
theilweise in Gefässe umgewandelt und bilden sonst gleichsam das
Mark. Der anatomische Bau der Wurzeln von P. alpina entspricht,
1) Fraustadt in Cohn’s Beiträgen II. Taf. III. Fig. 8.
170
— abgesehen von einem kurzen Theil an deren Basis — einem
unentwickelten, gleichsam jugendlichen Zustande, da, wie erwähnt,
die Tracheen-Gruppen im grössten Theil der Wurzel meist nur aus
2—5 Tracheen bestehen und die einzelnen Gruppen sich weder seit-
lich noch gegen die Mitte hin berühren.
In den Wurzel-Rindenzellen ruhender Pflanzen findet man oft
zahlreiche Stärkekörner; im Uebrigen sind fast alle Zellen eines
Wurzelquerschnittes mit einer blassgelblichen, nicht festen Substanz
erfüllt, die durch Kali stark eitronengelb wird; diese Färbung tritt
besonders in einzelnen Rindenzellen und in den Phloömbündeln auf-
fallend auf. Diese Substanz scheint dieselbe zu sein, die auch in
älteren Gefässen angetroffen wird, und von der früher die Rede war.
Die Färbung tritt bei diekeren Querschnitten sehr intensiv auf und
erscheinen dieselben dabei gleichmässig eitronengelb, die von so
behandelten Querschnitten abfliessende Flüssigkeit zeigt die gelbe
Färbung auch ganz deutlich.
2. Das Stämmchen. Das kurze, unterirdische Stämmchen von
Pinguicula alpina ist aussen bedeckt von theils lebenden, theils
abgestorbenen Wurzeln und Blattbasen, so dass an demselben eine
freie Aussenfläche kaum zu bemerken ist. Unten hat das Stämmchen
ein abgebissenes Aussehen, da es in dem Maasse als es oben lang-
sam weiter wächst, unten abstirbt. Seine anatomischen Verhältnisse
betreffend erwähne ich, dass die Mitte desselben ein stark entwickel-
tes Mark aufweist, dessen parenchymatische Zellen zahlreiche Inter-
cellularräume bilden und bei ruhenden Pflanzen mit zahlreichen klei-
nen, jedoch zusammengesetzten Stärkekörnern dicht erfüllt sind. Um
das Mark bildet das Fibrovasal-Gewebe einen Ring, von dem fast
auf jedem Querschnitte, die nach den Wurzeln und Blättern ausbie-
genden Stränge (4—5 und mehr) ausgehen. Der Xylem-Theil des
Fibrovasal-Gewebes besteht aus zahlreichen Gefässen, die theils ein-
zeln, theils gruppenweise auftreten und zwischen denen dünnwandige,
parenchymatische Zellen vorkommen. Die Gefässe sind auffallend
kurzgliedrig; die Glieder meist so lang als breit oder höchstens
zwei- bis dreimal so lang als breit (IX. 3.); die Querwände sind mit-
telst einer einzigen kreisförmigen Oeffnung durchbrochen, deren
Durchmesser auffallend kleiner ist, als der Breiten-Durchmesser des
Gefässes (IX. 2.). Die Verdickung ist eine netzig-schraubige (IX. 3.).
Diese Gefässe führen auch niemals Luft, sondern sind grösstentheils
mit einer gelbbraunen, harzig aussehenden Masse angefüllt, wie wir
sie auch in den Gefässen der Wurzel vorfinden, und wird dieser
Stoff auch hier durch Kalilösung intensiver gefärbt. Im übrigen
171
bewirkt Kali wie bei der Wurzel auch hier eine allgemeine gelbe
Färbung, die sich auch der Flüssigkeit, in der die Schnitte liegen,
mittheilt.
Nach aussen folgt auf den Xylemtheil das Cambium, das aus
mehreren viereckigen in unregelmässige, radiale Reihen gestellten
Zellen besteht. Das Cambium geht allmählig in den Basttheil über;
derselbe besteht aus kleinen Gruppen sehr kleiner, eckiger Zellen,
ähnlich denen im Phlo@m der Wurzel, und zwischen diesen Bündeln
sind dünnwandige, weitschichtigere parenchymatische Zellen anzutreffen.
An diese schliessen sich die Rindenzellen unmittelbar an, die nach
Aussen grösser werden, dabei Intercellularräume bilden und bei
ruhenden Pflanzen mit Stärkekörnern dicht erfüllt sind. Den äusser-
sten Theil des Stämmechens bilden die braungefärbten Ueberreste
abgestorbener Zellen.
Auf Längsschnitten durch das Stämmchen sieht man oft, dass
der Gefässstrang, der in ein Blatt abbiegt, nach seiner Aus-
zweigung, innerhalb der Rinde des Stämmehens einen Ast nach
unten abgiebt, der in eine Wurzel übergeht, und dass somit die
Wurzeln hier auch aus der Blattspur entspringen können, obwohl
meistens der Gefässstrang der Wurzel bis zur Gefässzone des
Stämmehens reicht. —
3. Die Blätter. Die Blätter sind länglich, elliptisch, meist mit
schnabelförmiger Spitze und seltener abgerundet, nach unten sich
langsam verschmälernd und stiellos an das unterirdische Stämmehen
befestigt. Die jungen Blätter sind’ auch hier wie bei P. vulgaris
anfangs nach oben gerichtet und zeigen stark einwärts gekrümmte
Ränder. Bei ihrer Ausbreitung legen sich später die Blätter nach
unten, dicht an den Boden, so eine aus 3—7 Blättern bestehende
Rosette bildend. Der Rand ganz entwickelter Blätter steht etwas
nach oben und ist nach einwärts gebogen, besonders an dem Theile
von der Mitte bis zur Spitze des Blattes, weniger auf der entgegen-
gesetzten Seite, wo sich der Blattrand gegen die Blattbasis hin all-
mählich verflacht. Der Umstand, dass der Blattrand der Pinguieula-
Blätter schon ursprünglich nach einwärts gebogen ist, kann als eine
vortheilhafte Einrichtung angesehen werden, da in Folge dessen,
wie schon früher erwähnt, das Fangen von Insekten erleichtert wird.
Dem entspricht, wie mir scheint, bei anderen insektenfressenden
Pflanzen, wie Dionaea und Aldrovanda, die Einrichtung, dass sich
die Blätter letztgenannter Pflanzen nicht ganz öffnen, was, wie schon
von anderer Seite hervorgehoben wurde, jedenfalls beim Insekten-
fang von Vortheil ist.
172
Epidermis. Die Zellen der Epidermis erscheinen im Querschnitt
meist quadratisch, ihre äussere Wand ist nur unbedeutend stärker
verdickt als die übrigen Wände und meist auch nur schwach nach
aussen gewölbt, dies besonders an der unteren Blattfläche über dem
Mittelnerv. Die Cuticula ist auch nur sehr schwach entwickelt,
was sowohl unmittelbar, als auch in Folge von Anwendung chemischer
Reagentien ersichtlich ist, wie weiter unten noch erwähnt werden
soll. In der Flächenansicht erscheinen die Epidermiszellen viereckig,
meist länger als breit, oder unregelmässig; dabei mit geraden oder
mehr weniger gewellten Wänden. Ueber dem Mittelnerv, so wie
besonders im ganzen unteren Theile des Blattes sind die Oberhaut-
Zellen nach der Längsrichtung orientirt, dabei schmal, d. h. vielmal
länger als breit, an den schmalen Seiten mit geraden oder mehr
weniger schief gestellten Wänden sich berührend. Nach oben zu nimmt
der Längendurchmesser ab und sind auch die schmalen Seitenwände
immer senkrecht zur Längsrichtuug gestellt. Im oberen Theile des
Blattes vom Mittelnerv gegen den Blattrand hin vorschreitend, nehmen
die Oberhaut-Zellen eine mehr unregelmässige Form an, ihre Wände
sind mehr weniger gewellt, besonders zierlich im Blattrande, und ist
auch ihre Längsrichtung meist gegen den Blattrand orientirt, Der
Blattrand selbst besteht aus einer Reihe von Oberhautzellen, deren
Längsrichtung mit dem Blattrande parallel ist; ihr äusserer Kontur
ist gerade und nur nach Innen schliessen diese Zellen mit gewell-
ten Wänden an die folgenden Oberhautzellen.
Bei den grünen Formen der’ P. alpina enthalten die Oberhaut-
zellen eine farblose Flüssigkeit, bei den rothen Formen, wie schon
erwähnt wurde, einen rosarothen Saft. — In allen Epidermis-Zellen
findet man ausserdem einen farblosen, mattglänzenden, eckigen Körper,
der auf Einwirkung von Jodlösung goldgelb, bis bräunlich wird und
etwas zusammenschrumpft, ohne dabei seine eckige Form zu verän-
dern, auf Zusatz von Kalilösung dagegen aufquillt. Es ist der Zell-
kern, dessen Substanz zum grössten Theil die Form von Kıystal-
loiden annimmt (IX. 4... In ganz jungen Epidermiszellen sind die
Zellkerne homogen und von rundlicher Form, später scheidet sich
die Hauptmasse ihrer Substanz in Krystalloiden aus und so findet
man denn statt der früheren Zellkerne in jeder Epidermiszelle ein bis
mehrere Krystalloide von einem sehr zarten Kontur umsäumt, der
wahrscheinlich der äussersten, etwas diehteren Schichte des ursprüng-
lichen Zellkernes entspricht. Die Form der Krystalloide ist die
von quadratischen oder rhombischen, sehr flachen Täfelchen, welche
eben deshalb auf der Flächenansicht matt erscheinen (IX. 4.). Sie
173
kommen seltener einzeln, meist zu mehreren in einem Zellkerne vor,
besonders zahlreich erscheinen sie in den Kernen aus Zellen nahe
der Basis älterer Blätter, wo sie oft in unregelmässigen Formen
haufenweise auftreten und von einem oft weit abstehenden Häutchen
umhüllt sind (IX. 4, a.), das sonst ihnen meist fest anliegt. Diese
Kıystalloide kommen nur in den Epidermiszellen und deren Gebil-
den, den später zu beschreibenden Drüsen, vor, fehlen dagegen den
Spaltöffnungs-Zellen und allen übrigen Theilen der Ping. alpina.
Die Krystalloide erinnern an die bei Lathraea von Radlkofer entdeckten.
Spaltöffnungen. Die Blätter haben sowohl auf der Unter- als
auf der Oberseite ziemlich viel Spaltöffnungen, die Zahl derselben
nimmt von der Mitte des Blattes gegen den Rand zu, um dann
wieder abzunehmen, nur einer verhältnissmässig schmalen Zone am
äussersten Rande des Blattes fehlen sie ganz. Die Vertheilung der
Spaltöffnungen steht also auch hier, wie bei Dionaea, einigermassen
in Beziehung zur Funktion der Blätter. Nach Fraustadt (l. ce.)
kommen auf der Oberseite des Blattes der Dronaes keine Spaltöff-
nungen vor; natürlich, weil hier die ganze Blattoberseite beim
Insektenfang betheiligt ist; ähnlich ist auch bei Pingwicula der äus-
serste Blattrand, als derjenige Theil, der hauptsächlich beim Fang
und bei der Verdauung der Insekten funktionirt, ohne Spaltöffnungen.
Der Umriss der Spaltöffnungen ist breit-elliptisch, oft beinahe
kreisrund; die beiden Schliesszellen haben nicht immer die gleiche
Grösse (IX. 5 beia.). Die Spaltöffnungen sind etwas über die Epidermis
emporgewölbt (IX. 8). Der Spalt zeigt einen doppelten Kontur, in
Folge dessen er von einem schmalen Saume umgeben erscheint
(IX. 5—7.). Dieser Saum kommt daher, dass der Spalt sich nach
innen etwas verengt, und da die Spaltöffnungszellen ohnehin nicht
sehr dick sind, so sieht man den äusseren weiteren und den inne-
ren engeren Kontur bei derselben Einstellung fast gleich gut. Der
erwähnte Saum ist in chemischer Beziehung etwas verschieden von
den übrigen äusseren Membrantheilen der Epidermis; behandelt man
nämlich Oberhaut-Theile mit Jod und Schwefelsäure, so werden die
äusseren Membranen kaum merkbar gelblich gefärbt, während der
erwähnte Saum eine deutliche braune Färbung annimmt.
Die Schliesszellen enthalten, wie schon erwähnt, keine Krystal-
loide, ihr Inhalt besteht aus einer farblosen Flüssigkeit und wenigen
kleinen Chlorophylikörnern. Unter jeder Spaltöffnung befindet sich
eine Athemhöhle, in welche die zahlreichen, im Mesophyll auftreten-
den Intercellularräume einmünden (IX. 3.).
Die Bildung der Spaltöffnungen entspricht am meisten dem Modus,
174
welchen Strassburger für Thymus angiebt '), jedoch mit Ueber-
gängen zu dem Modus von Phorbitis, Mercurialis und selbst von
Sedum. Die Mutterzelle der Schliesszellen entsteht durch eine ein-
bis dreimalige Theilung einer Epidermiszelle (IX. 9. u. 10.). Die Spalt-
öffnung wird dabei entweder von zwei oder drei Epidermiszellen
umgrenzt (IX. 5. u. 7.). Im ersten Falle nimmt sie meist die Mitte einer
Querwand zweier Epidermiszellen ein und ist ihr Spalt dabei gewöhn-
lich senkrecht zu dieser Querwand (IX. 7). Allgemein kommen die
Spaltöffnungen nur einzeln vor und sind ohngefähr gleichmässig
vertheilt; seltener findet man jedoch auch paarweise auftretende
Spaltöffnungen und zwar so, dass die Schliesszellen sich dabei innig
berühren (IX. 6),
Drüsen. Die Oberseite der Blätter trägt, wie schon erwähnt
wurde, zahlreiche Drüsen, dieselben sind von zweierlei Art, nämlich
gestielte und ungestielte, von denen die ersteren schon mit freiem
Auge, als weissliche Pünktchen, wahrgenommen werden. Der Bau
der gestielten Drüsen ist folgender: Die Epidermiszelle, welche eine
gestielte Drüse trägt, ist immer, oft sehr stark, über die Epidermis
emporgewölbt (IX. 14, a.); diese als Basaltheil zu bezeichnende Zelle
trägt einen mehr weniger langen Stiel, der ein- bis drei- und vier-
zellig sein kann, an der Spitze des Stieles befindet sich eine kleinere
nach oben in den Drüsenkörper emporgewölbte Zelle, welche ich als
Columella bezeichnen will (IX. 14, c.). Dieser Columella ist der
Drüsenkörper, nach Art einer Kappe, aufgesetzt (IX. 14, e.), so dass
die Columella fast ganz verdeckt erscheint?). — Die Basalzelle ist
immer grösser als die benachbarten Epidermiszellen und enthält,
wie diese, einen wässrigen Inhalt und einen Krystalloide enthaltenden
Kern. — Der Stiel ist bei Drüsen nahe dem Blattrande immer ein-
zellig und sieht oft flaschenförmig aus, indem er unten bauchig er-
weitert, nach oben aber verjüngt erscheint (IX. 11.), Gegen die
Blattmitte hin werden die Stiele 2—4zellig (IX. 12. 13.). Die Zellen
des Stieles enthalten immer einen glänzenden Kern, dessen Inneres
ein Krystalloid einnimmt, wie er auch in den Epidermiszellen zu
finden ist, nur ist er natürlich hier viel kleiner. Der Kern ist im
Plasma eingebettet, das als dünner Wandbeleg auftritt und ausser-
dem zahlreiche vom Kern ausgehende, sich verzweigende Fäden
I!) Siehe Pringsheim’s Jahrbücher, 5. Bd. Taf. 38. Fig. 60. 61.
2) Der Drüsenkörper sieht etwas schirmartig aus; die Drüsen der Pingui-
cula werden von de Bary (Hofmeister, Handb. d. phys. Bot. Ill. p. 67) unter
den Schuppen angeführt und dabei die Angaben von Schacht und Grönland
eitirt, deren Angaben aber mangelhaft und nicht ganz richtig sind.
175
aufweist, in denen, so wie im Wandbeleg zarte Körnchen in Bewegung
zu sehen sind. Die Bewegung ist hier wie in so vielen Zellen von
Haargebilden eine circulirende.. Das Ende des Stiels nimmt die
Columella ein, die mehr als halbkugelig erscheint und einen wässe-
rigen Inhalt hat.
Der kappen- oder schirmförmige Drüsenkörper ist von oben betrach-
tet kreisförmig und besteht aus einer Lage von Zellen, die strahlen-
förmig angeordnet sind, jedoch reicht nicht jede Zelle bis in die
Mitte (IX. 15, a.). Durch zwei sich in der Mitte kreuzende und etwas
stärker hervortretende Wände ist der Drüsenkörper in vier Qua-
dranten getheilt, welche durch weitere gegen die ersten Wände
schief gestellte Theilungswände in mehrere, verschieden breite und
ungleich lange Zellen zerfallen (IX. 15, a... Nur vier Zellen des
Drüsenkörpers reichen bis in die Mitte. Die Zahl der Zellen
variirt und steigt bis auf 20 und mehr. Der Inhalt der Drüsen-
zellen ist blassgelb und hat ein homogenes mattglänzendes, öliges
Aussehen. In der Mitte des Blattes sind die Drüsen verhältniss-
mässig klein und sitzen hier auf den längsten Stielen (IX. 13.), gegen
den Blattrand hin werden die Drüsen grösser, die Stiele aber
kürzer (IX. 12. 11.); doch sind die äussersten Drüsen nicht die
grössten. Die Stiele stehen gewöhnlich senkrecht zur Blattfläche,
nur die der äussersten Drüsen sind gegen den Blattrand gebogen
(IX. 17, b.). Diese Einrichtung kann, wie mir scheint, mit Bezug
auf den Insektenfang als eine vortheilhafte bezeichnet werden.
Die Entwickelung der gestielten Drüsen ist folgende: Gewisse
Epidermiszellen bilden einen kurzen Fortsatz (IX. 16, a.), welcher sich
später verlängert und in zwei Zellen theilt. Die Theilungswand
liegt oberhalb der Epidermis und führt zur Bildung der Basalzelle,
welche daher schon von Anfang her über die Epidermis hervorragt
(IX. 16, b.). Der obere Theil des Fortsatzes wächst weiter und theilt
sich nach einander in 3—6 Zellen; die Endzelle ist bei den Fort-
sätzen der Blattmitte mehr zugespitzt (IX. 16, a’. b‘.), an den übrigen
Stellen des Blattes aber noch vor Vollendung der letzten Theilun-
gen mehr weniger keulig oder kugelig erweitert (IX. 16, c.). Die nach
Abscheidung der Basalzelle folgenden Theilungen führen vorerst zur
Bildung der Stielzellen, dann folgt in der obersten, zu dieser Zeit
bereits kugelig erweiterten Zelle eine Theilungswand, durch die eine
sehr niedere, scheibenförmige Zelle entsteht (IX. 16, d.); diese wird
später zur-Columella und die Endzelle zum Drüsenkörper. Die obere
Wand der Columellazelle ist also anfangs gerade, erscheint aber
schon zu der Zeit, wo die zum Drüsenkörper werdende Endzelle
176
durch eine Längswand in zwei Zellen zerfällt, nach oben gewölbt;
an der Stelle einen Winkel bildend, wo die zuletzt erwähnte Längs-
wand sich an die Columella anlegt (IX. 16, e.). Mit der weiteren Ent-
wickelung des Drüsenkörpers wölbt sich die Columella immer mehr
empor und wird ihre Wölbung immer mehr kugelig. In der End-
zelle folgen auf die erste Längswand zwei dazu senkrechte, wodurch
die vier Quadranten des Drüsenkörpers entstehen, in denen dann
durch weitere radiale Theilungen, die aber, wie schon erwähnt, nicht
bis an die Mitte reichen, die übrigen Zellen des Drüsenkörpers
entstehen. Die Theilungen folgen dabei so, wie bei der Entwickelung
des Drüsenkörpers der ungestielten Drüsen, und wird davon weiter
unten die Rede sein. Die Zellen des Drüsenkörpers wachsen dann
sowohl in die Breite und Höhe, als auch nach abwärts, wodurch sie die
anfangsgutsichtbare Columella immer mehr verdecken (IX. 16, f. 13.14.).
Der Inhalt der Zellen besteht während der Entwickelung der gestiel-
ten Drüsen aus dichtem Plasma, das die Endzelle meist ganz erfüllt,
in den übrigen Zellen aber ein bis mehr Vacuolen aufweist (IX. 16, a—f.).
In allen Zellen ist ein Zellkern zu finden, der schon hier oft in sei-
nem Innern den eckigen Krystalloid enthält (IX. 16, e.). — Die unge-
stielten Drüsen sind im Wesentlichen ähnlich gebaut, wie die gestiel-
ten, nur fehlt ihnen der Stiel, doch ist ihr Bildungsplan derselbe.
Sie bestehen aus einer niederen Basalzelle, aus einer im Durchschnitt
dreieckigen Columella und einem Drüsenkörper, der meist nur zur
Hälfte über die Epidermis hervorragt (X. 19, d.d.); nur in seltenen
Fällen erhebt sich der Drüsenkörper und selbst die Basalzelle etwas
über die Epidermis, so wenn eine ungestielte Drüse in unmittel-
barster Nähe einer gestielten entsteht, wo sie dann durch die sich
stark emporwölbende Basalzelle der letzteren gleichsam emporgeho-
ben wird (IX. 14, d.). Der Drüsenkörper besteht aus zwei bis zehn
und mehr Zellen und ist von oben gesehen seltener kreisrund, son-
dern mehr elliptisch (X. 18... Die dem Blattrande nächsten Drüsen
sind selbst bei entwickelten Blättern nur 2—4zellig und nimmt die
Zahl ihrer Zellen gegen die Mitte zu, so dass man auf demselben
Blatte alle möglichen Entwickelungszustände antrifft. Die ungestiel-
ten Drüsen kommen selbst ganz nahe zum Blattrand vor und zwar
näher als die gestielten (IX. 17, d.d.). Sie entstehen schon an sehr
Jungen Blättern und früher, als die gestielten Drüsen und erreichen
auch früher ihre vollständige Entwickelung. Dieselbe ist kurz fol-
gende: eine sich kugelig etwas emporwölbende Epidermiszelle, die
auch durch ihren dichteren Inhalt sich von den benachbarten Epi-
dermiszellen unterscheidet, theilt sich zuerst durch eine Wand, die
rer
tiefer als die Aussenwände der benachbarten Oberhautzellen auftritt,
in zwei Zellen, deren untere zur Basalzelle wird, die obere theilt
sich bald darauf durch eine Wand, die der ersten sehr nahe liegt,
in eine untere sehr niedere Zelle, die später zur Columella wird, und
in eine obere, aus der der Drüsenkörper wird. Die Columella beginnt
sich auch hier, wie bei den gestielten Drüsen, erst dann emporzu-
wölben, wenn in der zum Drüsenkörper werdenden Zelle die erste
Längswand aufgetreten ist. Von oben gesehen erscheint in der
elliptischen Drüsenzelle die erste Wand senkrecht zur Längsachse der
Zelle (X. 18, a. b.), darauf folgen zwei zur ersten Wand senkrechte Thei-
lungen, die zur Bildung von 4 Quadranten führen (X. 18, c.); selte-
ner findet man dreizellige Zustände (X. 18, ce‘). In den Quadranten
treten nun nach einander gegen die Quadrantenwände schiefgestellte
Theilungen ein, durch welche verschieden breite und lange, jedoch
nicht bis in die Mitte reichende radiale Zellen entstehen (X. 18, d—f.),
ähnlich, wie es Rauter für die erste Entstehung der Scheibenhaare
von Hippuris beschreibt!). Die ungestielten Drüsen der Ping.
alpina ähneln nicht nur den ersten Entwickelungsstadien der Schei-
benhaare von Hrppuris, sondern finden ihr Analogon auch in den
zweizelligen Papillen, die an der Aussenseite der Schläuche von
Utricularia vulgaris auftreten.
Besonders zu erwähnen ist noch, dass ungestielte Drüsen bei
P. alpina (und ebenso auch bei P. vulgaris, die ich nach getrock-
neten Exemplaren untersuchte) auch auf der Unterseite der Blätter
vorkommen und zwar recht zahlreich, doch sind sie hier klein, mehr
oder weniger in die Epidermis eingesenkt (X. 24.). Ihr Drüsenkörper ist
schwach entwickelt, und besteht meist nur aus 2—4, seltener aus
6 Zellen, auch ragt er fast gar nicht oder nur unmerklich über die
Epidermis hervor. Leider kann ich nicht angeben, ob seine Zellen
auch absondern, doch ist ihr Inhalt dichter und von anderer Beschaf-
fenheit, als bei den Epidermiszellen. Das Auftreten dieser drüsen-
1) Siehe Weiss, Allg. Botanik. p.366.— Wenn ichhier die in den Drüsenkörper
hineinragende Zelle, welche der von Rauter bei Hippuris als Stielzelle bezeich-
neten Zelle ähnelt, Columella und nicht auch Stielzelle nenne, so geschieht
es, weil, wie wir gesehen haben, bei Pinguieula die gestielten und ungestielten
Drüsen dieselbe Entwickelung, denselben Bildungsgang zeigen, wenn ich also
bei den gestielten Drüsen die in den Drüsenkörper hineinragende Zelle als
Columella bezeichne, und anders konnte ich sie füglich nicht nennen, so
musste ich dies auch bei den ungestielten Drüsen thun, da in beiden Fällen
die als Columella bezeichneten Zellen, auf Grundlage der Entwickelung, als
aequivalent zu betrachten sind.
178
artigen Gebilde auf der Blattunterseite ist jedenfalls beachtenswerth;
ihre schwache Ausbildung kann, wie mir scheint, als die Folge des
Nichtgebrauches aufgefasst werden. Sonst aber können, glaube ich,
aus ihrem Auftreten folgende Folgerungen abgeleitet werden. Es
ist jedenfalls nieht wahrscheinlich, ja sogar unmöglich, dass die
insektenfressenden Pflanzen diese Eigenschaft von Anfang her beses-
sen hätten, sondern sie haben diese ihre Fähigkeit sich erst mit der
Zeit erworben. Von diesem Gesichtspunkte ausgehend gelangen wir
für Pinguicula zu der Annahme, dass die Voreltern der jetzigen
Pinguicula-Arten einstmals auf ihren Blättern und zwar auf der Ober-
wie auf der Unterseite, nur einerlei ungestielte Drüsen-Gebilde ent-
wickelten, vielleicht ähnlich denjenigen, wie sie jetzt nur auf der
Unterseite vorkommen, und dass denselben vorerst keine physiolo-
gische Aufgabe zufiel. Für diese Annahme spricht einigermassen das
Vorkommen analoger Drüsengebilde bei andern Pflanzen — so bei Hip-
puris — wo diese Gebilde scheinbar keinen physiologischen Zweck haben.
Später wurden nun bei den Voreltern der Pinguicula die Drüsen
der Blattoberseite durch darauffallende Gegenstände, oder durch
daraufkriechende Insekten affieirt, und dazu angeregt, dass sie theils
sich stärker entwickelten, theils aber mehr als ursprünglich abzu-
sondern begannen. Besass die Absonderung für gewisse Stoffe eine
lösende Kraft, so musste diese Eigenschaft vor allen denjenigen
Pinguicula-Pflanzen zu Gute kommen, die zufällig auf armen Boden
gelangten und bei denen die Wurzeln sich nur unvoilständig ent-
wickeln konnten, sodass dann diejenigen Individuen in der besten
Lage waren, deren Drüsen am stärksten entwickelt waren, denn
diese konnten natürlich mehr absondern und auch mehr auflösen.
Mit der Zeit entwickelten sich dann sogar aus den ungestielten
Drüsen die gestielten, die, wie oben beschrieben wurde, mit den
ersteren einen ganz analogen Bildungsgang zeigen.
Aehnlich wie für Pinguicula könnte man auch für Utrieularia
die Haargebilde im Innern der Schläuche von solchen Papillen, wie
sie auf der Aussenseite auftreten, ableiten. Noch leichter ist das für
Aldrovanda möglich, denn wenn man die Zeichnungen Caspary’s')
genau vergleicht, so findet man, dass in der Entwickelung der Tri-
chome der Blattunterseite und den Drüsen der Oberseite eine gewisse,
deutlich erkennbare Analogie besteht, die sich auch darin ausspricht,
dass bei beiden Gebilden ein zweizelliger Stiel vorkommt. Ja sogar
die wahrscheinlich reizbaren gegliederten Haare der Blattoberseite
1) Bot. Ztg. 1859. Taf. IV.
179
lassen sich, als aus der Umbildung solcher Triechome entstanden,
denken, wie sie noch jetzt auf der Blattunterseite vorkommen, und
spricht dafür, wie mir scheint, der Umstand, dass beide Gebilde in
der Mitte zwischen zwei Epidermiszellen befestigt sind. Schliesslich
wäre man selbst verleitet Aehnliches auch für Dionaea und Drosera
zu thun (vergleiche bei Fraustadt I. c. die Fig. 10, Taf. I. mit
Fig. 7dr, Taf. II., sowie bei Nitschke, Bot. Ztg. 1861. Taf. IX.).
Gefässbündel. Das aus dem Stämmchen in die Blätter austre-
tende Gefässbündel sendet schon an der Basis des Blattes Zweige
aus. Man findet nämlich auf Querschnitten durch die Blattbasis ein
mittleres stärkeres Gefässbündel, in dessen unmittelbarer Nähe rechts
und links je ein sehr dünnes, nur eine Trachee enthaltendes, gegen
den Blattrand hin aber je ein stärkeres Bündel. Das mittlere Gefäss-
bündel besteht in seinem nach der Blattoberseite gewendeten Theile
aus meist einzeln stehenden, sehr engen Tracheen, zwischen denen
im Querschnitt parenchymatisch aussehende, sonst aber langgestreckte
Zellen auftreten; nach der Blattunterseite hin werden die Tracheen
weiter und stehen zu mehreren beisammen, an dieselbe schliesst
sich unmittelbar der Basttheil an. Derselbe besteht aus mehreren
kleinen Gruppen sehr enger Zellen und dazwischen aus wei-
teren Zellen, ist daher nur als Weichbast entwickelt. Die engen
einzeln stehenden Tracheen sind ringförmig verdeckte Gefässe; die
Ringe stehen meist ziemlich entfernt von einander und sind oft mit-
telst schraubiger Verdickungsfasern verbunden; den Querwänden ent-
sprechende Stellen sind an ihnen nicht zu finden. Die weiteren Tra-
cheen sind theils Ringgefässe mit genäherten Ringen, theils eng-
schraubig verdickte Tracheiden mit schiefgestellten Querwänden und
an denselben meist etwas erweitert. An den Ringgefässen erkennt
man bei Querschnitten durch das Stämmchen leicht die für die Blät-
ter bestimmten Gefässbündel, da, wie erwähnt, solche Gefässe den
Wurzelsträngen nicht zukommen. -
Im weiteren Verlaufe verzweigen sich die Gefässbündel immer
mehr und werden dabei auch dünner. Die Gefässbündel-Verzweigung
ist eine netzadrige und besonders im oberen Theile des Blattes eine
eigenthümliche. Die vom Mittelnerv ausgehenden stärkeren Seiten-
nerven sind bogig mit einander verbunden; aus den Bogen gehen
gegen den Blattrand wieder schwächere Nerven aus, die ihrerseits
wieder bogig anastomosiren. Innerhalb dieser grösseren Maschen
finden sich schwächere Nerven, die sich verzweigend theils unter-
einander in Verbindung treten, theils im Mesophyll frei enden. Die
äussersten bogenförmigen Verbindungen der Nervenzweige bilden
Cohn, Beiträge zur Biologie der Pflanzen. Band Ill. HeftIl, 13
180
einen nahe dem Blattrande verlaufenden, sympodialen Strang, von
dem — besonders im oberen Theile des Blattes — zahlreiche meist
einfache, seltener verzweigte Aeste, verschieden weit gegen den
Blattrand vordringen (X. 21.).
Je weiter von der Blattbasis und dem Mittelnerv entfernt, desto
dünner werden die Zweige, auch hören damit die Ringgefässe auf
und finden sich dann nur mehr engschraubig verdickte Tracheiden,
begleitet von einigen sehr engen langgestreckten Cambiform-Zellen.
Anfangs weisen die Nerven noch mehrere Tracheiden nebeneinander
auf, die äusseren Zweige jedoch enthalten nur mehr eine einzige
Reihe. Mit der Verzweigung werden auch die Glieder der Trachei-
den immer kürzer und ihre Querwände weniger schief; die äusser-
sten Enden der Nervenzweige bestehen aus ganz kurzen meist etwas
erweiterten Zellen, die schraubig verdickt sind und deren Verdiekungs-
faser hie und da auch Verzweigungen aufweist (X. 22. 23.), wie
Achnliches Darwin auch für P. vulgaris erwähnt und wie es auch
in den Blättern anderer Pflanzen vorkommt'!). Diese Endverzwei-
gungen der Nerven dringen manchmal sehr nahe zum Blattrande vor,
so dass sie von der den hyalinen Blattrand bildenden Epidermis-
Zellreihe nur durch eine Zelle getrennt sind, die dann oft von den
übrigen chlorophylireichen Mesophyll-Zellen sich dadurch unterschei-
det, dass sie wenig oder gar kein Chlorophyll, sondern einen wäs-
serigen Inhalt enthält (X. 22, a, a.). Selten kommt es auch vor, dass
das Nervenende bis an den Blattrand reicht, so dass die letzte Tra-
cheide unmittelbar an die äussersten Epidermiszellen grenzt (X. 23.).
Gewöhnlich enden die Nerven weiter nach Innen vom Blattrande
und grenzt ihr Ende dann an chlorophylihaltige Mesophyll- Zellen
(X. 22.). Die Zellenzüge, aus denen später die Tracheiden - Reihen
der Blattnerven entstehen, sind schon zeitig im unentwickelten Blatte
zu erkennen und sah ich einigemale in ihnen auch strömende Bewe-
gung. Auch sonst führen die Gefässe und Tracheiden der Blattner-
ven nie Luft, sondern einen wässerigen Inhalt, und im älteren Zu-
stande enthalten sie manchmal eine gelblichbraune Masse, wie sie
ähnlich auch in den Tracheen des Stämmchens und der Wurzel zu
finden ist. Dieser Umstand, sowie die eigenthümliche Verzweigung
der Tracheen im Blatte spricht dafür, dass sie vielleicht dem Trans-
porte gewisser Stoffe dienen und zwar solcher Stoffe, die unmittel-
bar mit der Funktion der Blätter, mit dem Insektenfang und deren
Verdauung in Beziehung stehen. Ich folgere dies vor allem daraus,
!) Siehe Hofmeister, Handb. d. phys. Bot. III. von de Bary p. 386 u. w.
181
dass die Nervenverzweigung, besonders im Blattrande, eine starke
ist, und dass die Zahl der gegen den Blattrand senkrecht auslaufen-
den Zweige besonders in demjenigen Theile des Blattes gross ist,
der beim Fangen und Verdauen der Insekten sich am meisten bethei-
ligt, und wo die Einbiegung des Blattrandes am stärksten möglich
ist. Im unteren Theile des Blattes, der zur Einwärtskrümmung nicht
mehr befähigt ist, finden sich wohl Nerven nahe zum Rande, doch
dieselben senden hier keine senkrecht gegen den Blattrand gerich-
tete Zweige aus, weil dieselben hier wohl auch zwecklos wären.
Mesophyll. Ueber das Mesophyll der Blätter von P. alpina ist
nicht viel zu sagen; dasselbe besteht aus parenchymatischen Zellen,
die um den Mittelnerv und im Blattgrunde meist langgestreckt sind
und weniger Chlorophylikörner aufweisen, dabei auch zwischen sich
nur kleinere und weniger Intercellular-Räume bilden. Die übrigen
Mesophylil-Zellen sind mehr weniger isodiametrisch und abgerundet
oder unregelmässig sternförmig, so dass zwischen ihnen zahlreiche,
ziemlich grosse Interstitien entstehen, die mit Luft erfüllt sind und
in die unter jeder Spaltöffnung befindliche Athemhöhle münden.
Bei Pinguicula dienen überhaupt allgemein nur die Intercellular-
räume der Leitung von Luft. Sonst enthalten die meisten Zellen
des Mesophylis zahlreiche, mittelgrosse Chlorophylikörner, in denen
meist viele, mebr weniger entwickelte, kleine Stärkekörnchen ange-
troffen werden; auch findet sich in den Mesophyli-Zellen ein kleiner
rundlicher, meist schwer aufzufindender Zellkern mit glänzendem
Kernkörperchen, jedoch ohne Krystalloid,
Bei den Blättern bewirkt Kalilösung auch eine gelbe Färbung;
dieselbe tritt am meisten an jungen, noch unentwickelten Blättern
auf und werden dabei besonders die Drüsenkörper lebhaft gefärbt.
4. Die Blüthen. Die Blüthen konnte ich leider nur im unent-
wickelten Zustande untersuchen, da die /. alpina in Neuhaus zur
Zeit meines Dortseins schon verblüht war, hier aber die Blüthen
noch nicht zur völligen Entwickelung kamen. Soviel kann ich jedoch
mittheilen, dass die Blüthenstiele sowohl ungestielte, als auch gestielte
Drüsen tragen; die letzteren haben aber nur einen einzelligen Stiel
und ragt deren Basalzelle kaum über die Epidermis hervor. An
dem Kelche treten auch beiderlei Drüsen auf; an dessen Aussen-
seite sind die gestielten Drüsen gleichmässig vertheilt und auch am
Rande auftretend, jedoch nur spärlich vorhanden; ihr Stiel ist auch
nur einzellig. Die ungestielten Drüsen kommen nur in der Mitte
der Kelchzipfel vor. Die Innenseite des Kelches trägt nur einige
ungestielte Drüsen. — An gewissen Stellen der Blumenkrone scheinen
13%
182
auch Drüsen zu entstehen und zwar nur gestielte; wenigstens fand
ich an den jungen Blumenkronen bereits Trichome von verschiede-
ner Länge, aus 1—10 und mehr Zellen bestehend, deren Endzelle
bereits etwas kugelig erweitert war und Theilungen aufwies, wie
sie an den gestielten Drüsen der Blätter bei der Bildung der Colu-
mella-Zelle, sowie der Quadranten des Drüsenkörpers auftreten. —
Schliesslich kommen gestielte Drüsen selbst am Pistill und einzeln
selbst an den Staubgefässen vor. —
Schnitte durch den Blüthenstiel und die Blüthentheile färben sich
in Folge von Kalilösung auch intensiv eitronengelb, so dass diese
Eigenthümlichkeit allen Theilen der P. alpina zukommt.
Zum Schlusse fasse ich die Hauptresultate meiner Untersuchun-
gen in folgenden Punkten zusammen:
1. Pinguicula alpina tritt in zweierlei Formen auf; die eine
besitzt rein grüne, die andere mehr weniger rothbraun gefärbte
Blätter; doch scheinen diese Formen nur den Werth von Standorts-
Varietäten zu besitzen.
2. Pinguicula alpina ist, wie die übrigen Pinguicula-Arten, eine
insekten-, d. i. fleischfressende und theilweise auch pflanzenfres-
sende Pflanze.
3. Ihre Wurzeln sind einfach, d. h. verzweigen sich nicht und
besitzen nichtsdestoweniger ein Pericambium; die Zellen der Strang-
scheide haben zierlich, meist doppelt gewellte radiale Längswände
und sind das erste Gebilde, das sich aus dem Urmeristem der
Wurzelspitze herausdifferenzirt. Der grösste Theil der Wurzel
verharrt mit Bezug auf die Gewebe-Ausbildung in einem unent-
wickelten, gleichsam jugendlichen Zustande.
4. Das Stämmchen besitzt zwischen Mark und Rinde einen
Gefässbündel-Ring, der durch sehr kurzgliedrige Gefässe ausgezeich-
net ist; die Glieder sind an den Berührungsstellen eingeschnürt und
die Querwände mittelst einer einzigen kreisförmigen Oeffnung durch-
brochen. Die Gefässbündel der Wurzeln entspringen theils aus
dem Gefässkreis des Stämmchens, theils aus der Blattspur.
5. Die ursprüngliche Einwärtskrümmung der Blattränder kann
mit Bezug auf den Insektenfang als vortheilhafte Einrichtung auf-
gefasst werden, da Insekten den Blattrand nicht leicht übersteigen
können und daher auch gewöhnlich unter demselben anzutreffen sind.
6. Die Zellen der Blatt-Epidermis enthalten kein Chlorophyll,
sondern bei den grünblättrigen Formen einen farblosen, bei den
183
rothblättrigen einen röthlichen Saft; ausserdem besitzen sie je einen
Zellkern, in dem Krystalloide zu finden sind.
7, Der Blattrand ist durchscheinend und besteht aus einer ein-
zigen Reihe von Epidermis-Zellen.
8. Die Epidermis der Blätter enthält sowohl auf der Ober- als
auf der Unterseite ziemlich zahlreiche Spaltöffnungen, die nur am
äussersten Blattrand fehlen. Ihre Bildungsweise entspricht am meisten
der bei Thymus beobachteten, zeigt jedoch auch manche Abweichun-
gen. Der Spalt ist von einem schmalen Saum umgeben, der stärker
eutieularisirt ist, als die äusseren Wände der Epidermis-Zellen. Die
Spaltöffnungs-Zellen enthalten keine Krystalioide, sondern nur einige
sehr kleine Chlorophylikörner.
Die Epidermis der Blattoberseite entwickelt zweierlei Drüsen:
gestielte und ungestielte. Die gestielten Drüsen bestehen aus einer
über die Epidermis hervorragenden Basalzelle, aus einem 1—4 zelligen
Stiel, einer halbkugeligen Columella, der ein, aus einer Schichte radial
angeordneter Zellen bestehender Drüsenkörper kappenartig aufgesetzt
ist. Die ungestielten Drüsen sind ähnlich gebaut, nur mangelt ihnen
der Stiel, die Columella ist kegelförmig und der Drüsenkörper ragt
meist nicht mehr als bis zur Hälfte über die Epidermis hervor.
Der Entwickelungsgang beider Drüsen ist analog.
10. Ungestielte Drüsen kommen auch an der Blatt- Unterseite
vor, nur sind sie schwach entwickelt und ragt ihr Drüsenkörper
kaum über die Epidermis hervor. Aus ihrem Auftreten kann gefol-
gert werden, dass die Pingurcula-Arten einst nur einerlei ungestielte
Drüsen besassen, aus denen sich mit der Zeit auf der Blattober-
seite sowohl die stärker entwickelten ungestielten, als auch die
gestielten Drüsen entwickelten, womit gleichzeitig sich auch die
Fähigkeit der Blätter zum Fang und zur Verdauung der Insekten
ausbildete..e. Anschliessend daran kann Aehnliches auch für Utr:-
cularia und Aldrovanda, ja selbst für Dionaea und Drosera
gefolgert werden.
11. Die Gefässbündel der Blätter sind netzadrig verzweigt und
anastomosiren meist untereinander. Die Endverzweigungen ver-
einigen sich nahe zum Blattrande zu einem sympodialen Strang,
von dem zahlreiche, gegen den Blattrand gerichtete Zweige aus-
gehen, die mit erweiterten, schraubig verdiekten Zellen endigen,
die manchmai unmittelbar an die Epidermiszellen des Blattrandes
grenzen oder von ihnen durch eine bis mehrere Zellen getrennt sind.
12. Die Tracheen der Blätter, sowie auch die der übrigen Theile
von Pinguicula alpina führen nie Luft, sondern enthalten entweder
184
eine wässerige Flüssigkeit oder einen gelblichbraunen harzig aus-
sehenden Stoff. Dieser Umstand, sowie die eigenthümliche Verzweigung
der Tracheen, in dem besonders zum Insektenfang befähigten Blatt-
ande, scheinen dafür zu sprechen, dass die Tracheen zum Stofftrans-
port dienen, der mit der Funktion der Blätter vielleicht in unmittel-
barer Beziehung steht.
13. Die Mesophyll-Zellen bilden unter sich meist ziemlich grosse
mit Luft erfüllte Interstitien und enthalten gewöhnlich reichlich
Chlorophylikörner.
14. Stärke findet sich bei P. alpina in den Chlorophylikörnern
und ausserdem im Stämmehen und den Wurzeln ruhender Pflanzen,
wo sie in kleinen zusammengesetzten Körnchen erscheint.
15. Gestielte, sowie ungestielte Drüsen kommen sowohl an den
Blüthenstielen, als auch an den Blüthentheilen vor.
16. Kalilösung ruft in den Geweben der P. alpina eine intensive
gelbe Färbung hervor.
Budapest, März 1879.
Erklärung der Abbildungen.
Tafel IX.
Fig. 1. Eine Zelle der Strangscheide in Längsansicht.
Fig. 2. Gefässe aus dem Stämmehen in Queransicht.
Fig. 3. - - - - - Längsansicht.
Fig. 4. Krystalloide aus den Epidermiszellen; a. aus einem älteren Blatte.
Fig. 5—8. Spaltöffnungen; 6. eine Doppeltspaltöffnung; $. eine Spaltöffnung
im Querschnitt.
9 und 10. Entwiekelungszustände der Spaltöffnungen mit noch ungetheil-
ten Mutterzellen der Schliesszellen.
Fig. 11-14. Gestielte Drüsen; in 14 ist a. die Basalzelle, b. der Stiel, e. die
Columella, e. der Drüsenkörper im Durchschnitt, d. eine durch die
Basalzelle a. emporgehobene ungestielte Drüse.
Fig. 15. a. ein vom Stiel abgetrennter Drüsenkörper von oben, b. ein anderer
von unten gesehen, c. die Columella.
Fig. 16. Entwickelungsfolge der gestielten Drüsen.
Fig. 17. Querschnitt durch den eingebogenen Blattrand, b. die äusserste gestielte
Drüse, d.d.d. ungestielte Drüsen.
Tafel X.
Fig. 18. Entwickelung des Drüsenkörpers der ungestielten Drüsen, von der
Blatt-Oberseite.
Fig. 19. Partie aus der Blatt-Oberseite im Querschnitt, a. die Basalzelle einer
gestielten Drüse, d.d. ungestielte Drüsen im Durchschnitt.
Fig. 20. Aus dem Querschnitt einer stärkeren Wurzel.
Fig. 21. Die Verzweigung der Nerven im Blattrande.
Fig. 22. Nervenendigungen im Blattrande.
Fig. 235. Partie aus dem Blattrande, ein Nerven-Ende zeigend.
Fig. 24. Querschnitt dureh die Blattunterseite mit einer eingesenkten unge-
stielten Drüse.
Untersuchungen über Bacterien.
5.2
Studien über die plane Milch,
Dr. Foo: ie
Privatdoecent und Assistent am pathologischen Institut zu Rostock.
Hierzu Tafel XI.
Die mykologischen Untersuchungen des letzten Decenniums haben,
wenn auch nicht striet bewiesen, so doch in hohem Grade wahr-
scheinlich gemacht, dass eine Anzahl von Erscheinungen, welche
man bisher als einfache Lebensvorgänge des Säugethierkörpers auf-
fasste, Resultanten darstellen aus zwei mit einander combinirten Pro-
cessen, der Lebensäusserung von Bacterien und der reactiven Thä-
tigkeit der thierischen Gewebe. Nur wenige dieser Processe gehö-
ren in das Gebiet der „normalen Funetionen,“ (so z. B. die Ver-
dauung der Milch im Labmagen des Kalbes; Cohn, Beiträge I. 3,
pag. 194) bei weitem die Mehrzahl documentirt sich durch ihren
deletären Einfluss auf den höheren Organismus als „krankhaft“ und
es fällt also vor allen Dingen dem Pathologen die Aufgabe zu, die-
selben zu untersuchen und womöglich zu analysiren. Mit welchem
Eifer man sich der Lösung dieser Aufgabe zugewandt hat, beweist
die in wenigen Jahren zu fast unübersehbarer Mächtigkeit angewachsene
Litteratur über die Pilzkrankheiten.
Wenn trotzdem über das Wesen dieser Krankheiten mit wenigen
Ausnahmen noch tiefes Dunkel gebreitet ist, so liegt das wohl nicht
allein in der Schwierigkeit des Gegenstandes, sondern zum nicht
geringen Theil in dem Fehlen der nöthigen Vorkenntnisse. Die
Beurtheilung einer Resultante setzt die Kenntniss der Componenten
voraus; um die complieirten Processe der Infeetionskrankheiten wür-
digen zu können, bedürfen wir ausser der Kenntniss von den Func-
tionen der thierischen Gewebe auch einer Einsicht in das morpho-
logische und biologische Verhalten jener kleinsten Organismen unter
einfacheren Verhältnissen als im lebenden Thiere, und eine solche
ist uns trotz der zahlreichen Untersuchungen bisher nur in sehr
beschränktem Maasse zu Theil geworden. Es wird aus diesen Grün-
188
den wohl dem Pathologen nicht als unbefugter Uebergriff vorgewor-
fen werden, wenn er sich auf das zunächst nur dem Botaniker als
Fachmann zustehende Gebiet der Beobachtung von Bacterien, welche
nicht Krankheitserreger sind, hinauswagt, wie es der Verfasser in
den nachfolgenden Studien über die blaue Milch gethan hat. — Das
Thema schien insofern der Untersuchung günstige Chancen zu bie-
ten, als einmal der Process wegen der charakteristischen Pigment-
bildung leicht zu identifieiren und von anderen Zersetzungen zu unter-
scheiden ist, andrerseits die Form und die Beweglichkeit der bei
demselben auftretenden Organismen die mikroskopische Beobachtung
und Recognoseirung eher gestattet wie bei den ruhenden Kugelfor-
men der gewöhnlichen pigmentbildenden Bacterien. Trotz dieses Vor-
theils sehe ich mich zu dem Geständniss genöthigt, dass es mir nicht
gelungen ist ein lückenloses Bild, weder von der Morphologie noch
von der Biologie dieser Organismen zu erhalten, dass das Band zwi-
schen der grossen Zahl der einzeln beobachteten Thatsachen vielfach
nicht durch directe Beobachtung, sondern nur durch Vermuthung
geknüpft ist. Da mir zunächst die Verhältnisse eine weitere Ver-
folgung dieser Untersuchungen nicht gestatten, muss ich die Aus-
füllung dieser Lücken fremder Forschung überlassen und kann nur
den Wunsch aussprechen, dass meine Arbeit zu weiteren Untersu-
chungen über das in vieler Hinsicht nicht uninteressante Thema
den Anstoss geben möge.
Um die Uebersicht zu erleichtern, habe ich das im Folgenden zu
besprechende Material in einzelne Abschnitte eingetheilt, deren Ver-
zeichniss ich zunächst hier folgen lasse:
I. Das spontane Blauwerden der Milch.
Endemisches Auftreten. Geographische Verbreitung. Litteratur.
. Impfung der blauen Milch,
1. Substrat der Impfung. Impfmaterial. Bedingungen der Impffähig-
keit. Uebertragung des Contagiums durch die Luft.
2. Verschiedenheiten im Erfolg der Impfung. Abhängigkeit derselben
von der Beschaffenheit der Milch, vom Impfmateriai, von äusseren
Verhältnissen, von der Witterung.
1
u)
III. Process der Bläuung.
Allgemeiner Vorgang,Natur des Farbstoffes, chemische Processe dabei.
Anhang: Die supponirte Giftigkeit der blauen Milch.
IV. Mikroskopische Untersuchung.
Methode. Aeltere Beobachtungen.
2. Befund in der blauen Milch. Gonidienbildung.
ar - = Cohn’schen Lösung. Sporenbildung.
4. 5 : = blauen Nährlösung. Chroococeusform.
5. Zweifelhafte Form mit Kali nitricum.
Y. Schluss,
5
189
1. Das spontane Blauwerden der Milch.
Endemisches Auftreten, geographische Verbreitung. Litteratur.
Das spontane Blauwerden der Milch, d. h. die Form, unter wel-
cher der Process gewöhnlich auftritt ohne dass absichtliche Impfun-
gen stattgefunden haben, habe ich selbst bisher nicht beobachten
können. Meine Untersuchungen beschränken sich auf die durch
Impfung blau gewordene Milch und ich muss mich deshalb bezüg-
lich der ohne Kunsthilfe eintretenden Veränderung auf die Autorität
anderer Untersucher stützen. Ich wähle dazu die vortreflliche Be-
schreibung, welche Haubner in seiner unten erwähnten Abhand-
lung giebt; dieselbe bietet ein so klares und anschauliches Bild, dass
ich schwerlich im Stande wäre auf Grund eigener Beobachtungen
etwas besseres an die Stelle zu setzen. Haubner schreibt ]. ce,
p. 46 ff.:
„Unter den gewöhnlichen wirthschaftlichen Verhältnissen entsteht
die blaue Milch nur in der warmen Jahreszeit und dauert auch wäh-
rend dieser nur an; etwa vom Frühsommer bis zum Spätherbst. Im
Winter habe ich sie niemals entstehen sehen, auch nicht fortbestehen,
selbst wenn sie im ganzen Sommer und Herbst zugegen war. Sie
verschwand stets mit dem Eintritt der kalten Jahreszeit. — So, wie
gesagt, unter den „gewöhnlichen‘‘ Verhältnissen, d. i. bei Aufbe-
wahrung der Milch in Milchkammern, wo zuletzt die Milch nur noch
langsam und ungenügend säuert und gerinnt. — Anders in kleinen
Wirthschaften, bei Aufbewahrung der Milch in warmen Räumen
(Wohn- und Schlafstuben). Hier kann sie den ganzen Winter an-
dauern und Jahr ein Jahr aus bestehen. Steinhof erzählt einen
solchen Fall von 12jähriger ununterbrochener Dauer in einer Bauern-
wirthschaft,
„Dauer und Umsichgreifen der blauen Milch in einer Wirthschaft
ist sehr verschieden. Gemeinhin erscheint sie zuerst in schwachen
Anfängen als vereinzelte kleine Flecke und Punkte und in einzelnen Ge-
fässen. Dabei kann es bleiben und in wenigen Tagen Alles vorüber
sein; doch das ist selten. Gemeinhin greift das Uebel um sich. Es
werden immer mehr Gefässe blau und die blauen Flecke nehmen zu
an Zahl und Ausdehnung. So kann im hohen Grade nahezu die
ganze Milch im Gefässe blau werden; meistens bleibt es bei mehr
oder weniger ausgedehnten Flecken und grösseren blauen Stellen. —
Verschwindet das Blauwerden wieder, so geschieht es entweder unter
allmählichem Nachlassen, oder auch ganz plötzlich. Heute kann noch
alle Milch blau sein und morgen vielleicht kaum eine Spur davon.
190
„Während des Bestehens treibt das Blauwerden ein wahrhaft
neckendes Spiel. Heute ist die Milch in allen Gefässen blau, mor-
gen sind viele frei. In diesen Gefässen erstreckt sich das Blauwer-
den möglichst über die ganze Oberfläche und steigt tief hinab; in
jenen sind nur einzelne oberflächliche Punkte. Heute wurde die
Milch von dieser Kuh blau, von jener nicht; morgen kann es um-
gekehrt sein. Die Milch derselben Kuh und desselben Melkens
wird hier blau, dort nicht. Der Aufbewahrungsort der Milch wird
verändert, neue Gefässe angeschafft, ein Futterwechsel vorgenommen,
allerlei Mittel versucht und — in dem einen Ort hilft es gründlich,
im anderen vorübergehend oder gar nicht. Hier hat dieses, dort
jenes Mittel geholfen. Hier bleibt alles wirkungslos, das Uebel kehrt
Jährlich wieder, dort geschieht nichts und es verschwindet ebenso
unerwartet, als es kam.
„Wenn man unter solchen Umständen an den Einfluss dunkler
Mächte glaubt und jetzt noch seine Zuflucht nimmt zu einem Zauber-.
spruch und sympathetischen Mitteln, dann kann das in der That
kaum befremden. Man könnte zuletzt selbst daran glauben, wenn
man nirgends zu allen diesen räthselhaften Erscheinungen Grund
und Ursache aufinden kann.“
Man wird durch diese Schilderung von dem plötzlichen Erschei-
nen, der schnellen Ausbreitung auf grössere Quantitäten von Milch,
der Verschiedenartigkeit in dem äusseren Ansehen, dem plötzlichen
unmotivirten Verschwinden unwillkürlich an die Beschreibungen von
dem Auftreten des bekanntesten aller pigmentbildenden Microorga-
nismen, des Mecrococcus prodigiosus, erinnert, wie sie schon mehrfach
in älterer Zeit und neuerdings von Erdmann und Schröter gege-
ben wurden'), — Es existiren jedoch gewisse Verschiedenheiten
namentlich betreffs der örtlichen Ausbreitung, welche zum Theil schon
in der obigen Beschreibung angedeutet sind, zum Theil in der übri-
gen Litteratur über blaue Milch ihren Ausdruck finden.
Der Micrococcus prodigiosus entspricht in seinem Auftreten
gewissen Formen der sogen. epidemischen Infectionskrankheiten,
welche in ausgedehnten Wanderungen sich über die verschie-
densten Theile der Erdoberfläche ausbreiten, ohne in bestimm-
ten Gegenden sich bleibend niederzulassen. Das Blauwerden der
Milch dagegen zeigt eher gewisse* Analogien mit den sogenannten
endemischen Infectionskrankheiten, deren Hauptvertreter bei uns die
I) Der Aufsatz von Wernich (Cohn’s Beiträge, Bd, Ill. Heft 1.) war mir
zur Zeit der Abfassung des Manuscriptes nicht bekannt, konnte deshalb auch
in den folgenden Sätzen nicht berücksichtigt werden.
191
Malaria ist. Es erscheint an den Ort gebunden, tritt regelmässig
alljährlich in demselben Dorf, demselben Gehöft auf, während die
benachbarten Dörfer, ja die benachbarten Häuser desselben Dorfes
oft ganz vergchont bleiben oder doch nur ganz vorübergehend ein-
zelne sporadische Fälle darbieten. — Der Micrococous prodigiosus
ist beobachtet worden in Indien, Kleinasien, Afrika so gut wie in
den nördlichen Ländern Europas, in Russland so gut wie in Frank-
reich und Spanien. Das Blauwerden der Milch verhält sich auch in
dieser Beziehung anders. Ich möchte hier auf einen Umstand auf-
merksam machen, welcher bisher nicht beachtet worden ist. Eine
Durchsicht der Litteratur über blaue Milch mit Rücksicht auf den
Wohnort der Verfasser resp. den Ort, an welchem sie ihre Beobach-
tungen anstellten, scheint zu dem Resultat zu führen, dass die Er-
scheinung nicht überall in gleicher Häufigkeit vorkommt, vielmehr
hauptsächlich in dem Küstengebiet an der Östsee resp. in
der norddeutschen Tiefebene endemisch ist, sich also auf eine
nach den Grundsätzen der physikalischen Geographie recht bestimmt
abgrenzbare Zone beschränkt. Gleich die erste Veröffentlichung
über blaue Milch, die Abhandlung von Borowsky, beruht auf Be-
obachtungen in einem Ort der norddeutschen Ebene, Frauendorf bei
Frankfurt a. O.; Hermbstaedt gründete seine Theorie auf mehr-
jähriges Studium der blauen Milch an der landwirthschaftlichen
Muster-Anstalt in Pankow (bei Berlin); Steinhofs analoge Beob-
achtungen (einmal 12 Jahre lang dauerndes Auftreten in demselben
Gehöft) wurden im Amte Grabow speciell in dem Dorfe Techentin
(Mecklenburg) vorgenommen; Fuchs scheint seine Studien in Berlin
gemacht zu haben; Gielens Beobachtungen wurden in Mühlhau-
sen in Westpreussen, Wagenfelds in Königsberg angestellt.
Haubner hatte alljährlich während seines Aufenthaltes in Eldena
(bei Greifswald) Gelegenheit, blaue Milch zu untersuchen, ebenso wie
nach ihm Fürstenberg; desgleichen H. Hoffmann und Mosler
in Greifswald. Hier in Rostock und Umgegend herrscht das
Blauwerden der Milch gleichfalls endemisch und ist eine fast jeder
Hausfrau bekannte Erscheinung. Aus anderen Gegenden existiren
nur ganz vereinzelte Veröffentlichungen, so von Wiener aus Gies-
sen, Elten aus Prag und von einigen Franzosen; Schröter und
Cohn in Breslau haben die Erscheinung selbst nicht beobachtet,
sondern erwähnen sie nur referirend '). —
1) Blaue Milch ist seitdem in Schlesien von mir, sowie von Dr. Fried-
länder und Krocker in Proskau, jedoch nur in ganz vereinzelten Fällen
beobachtet worden. F. Cohn.
192
Die blaue Milch ist erst verhältnissmässig kurze Zeit der
wissenschaftlichen Forschung bekannt; es ist deshalb auch die
Menge der über dieselbe veröffentlichten Arbeiten eine beschränkte.
Um so auffälliger muss dabei die Zahl der verschiedenen über
Wesen und Ursachen des Processes aufgestellten Ansichten er-
scheinen, — man kann fast behaupten, dass jeder neue Beobachter
des Gegenstandes eine neue Theorie zu schaffen versucht habe. Die
schon oben erwähnte erste wissenschaftliche Beobachtung von
Borowsky datirt aus dem Jahre 1788"), derselbe nimmt an, dass
eine schlechte Weide und dementsprechend mangelhafte Gesundheit
des Vieh’s die Ursache der Bläuung sei, er statuirt also eigentlich
zwei Ursachen und die ihm folgenden Forscher bemühten sich, indem
sie bald nur die eine, bald nur die andere verantwortlich machten,
seine Ansicht zu verbessern. Zunächst wurden beide angezweifelt
in der 1800 erschienenen Arbeit von Parmentier und Deyeux”),
ohne dass jedoch von diesen Verfassern eine bestimmte neue Theorie
über das wahre Wesen des Processes aufgestellt worden wäre.
Dagegen wollten Chabert und Fromage?) nur eine Erkrankung
der Kühe als Ursache der Bläuung gelten lassen, ohne dem Futter
einen bestimmten Einfluss zuzuschreiben. — Die entgegengesetzte
Ansicht vertrat Hermbstädt®), welcher den Process nur auf die
Einwirkung des Futters zurückführte und eine dabei bestehende
Krankheit der Kühe leugnete. Seine Meinung ging dahin, dass
gewisse Pflanzen, welche einen dem Indigo ähnlichen Farbstoff ent-
hielten (Hedysarum, Onobrychis, Anchusa, Equisetum, Mercuria-
lis u. A.), diesen Farbstoff an die Milch abgäben. Diese Annahme
blieb auffallend lange in Ansehen und fand selbst in einer Zeit, als
schon besser motivirte Theorien aufgestellt waren, immer noch An-
hänger. Nur in Bezug auf die Natur des Farbstoffes wurde dieselbe
modifieirt. So in der Arbeit von Drouard und Leelerc?), welche
1) Pyl’s Magazin für gerichtliche Arzneikunde und med. Polizei. Bd. II.
2) Parmentier und Deyeux: Neueste Untersuchungen und Bemerkun-
gen über die verschiedenen Arten der Milch. — Aus dem Französischen von
Dr. Scheerer. Jena 1800.
3) D’une alteration du lait de vache, designee sous le nom du lait bleu,
par Chabert et ©. M. F. Fromage. Paris 1805.
*) Hermbstaedt, Ueber die blaue und rothe Milch. Leipzig 1833.
Separatabdruck aus Erdmann’s Journal für technische und öconomische
Chemie. Bd. XVII.
5) Drouard et Leclere. Recueil de medeeine veterinaire 1846. (Aus-
zug im Magazin f. d. gesammte Thierheilkunde XII. p. 77.)
193
glauben, dass sich aus den Eisensalzen des Futters blaues phosphor-
saures Eisenoxyduloxyd bilde. Dieselbe Ansicht war schon früher
in einer kurzen Mittheilung von Nadt') ausgesprochen worden. —
Ein wirklich entscheidender Fortschritt in Bezug auf die Kenntniss
des hier vorliegenden Prozesses wurde erst durch die Arbeit von
Steinhof”?) gemacht. $. kommt zu folgendem Resultat: „Es liegt
dem Blauwerden der Milch ein besonderes Agens, ein Ferment,
oder, wenn ich mich so ausdrücken darf, ein Ansteckungsstoff zu
Grunde, welcher ursprünglich durch einen besonderen Zersetzungs-
process in der Milch entsteht, sich in die Milchgeschirre und ihren
Aufbewahrungsort festsetzt und sich ähnlich wie das flüchtige Con-
tagium der Vieh- und Menschen-Pest, der Pocken, Masern u. s. w.
verschleppen lässt, sich anderer gesunder Milch mittheilt und diese
in eben den Zustand versetzt wie diejenige war, von welcher es
erzeugt worden.“ —
Es muss einen geradezu wunder nehmen, dass $., welcher also
eine Uebertragung analog dem Pockengift etc. annimmt, keinen Ver-
such zum Beweise dieser Annahme durch Impfung gemacht hat. In
Folge dieses Mangels fehlte seiner Theorie die wissenschaftliche Be-
gründung, und wirklich fruchtbringend wurde sie erst durch die
bahnbrechenden Untersuchungen von Fuchs°®), durch welche er,
gestützt auf zahlreiche Impfungen und mikroskopische
Untersuchungen in Gemeinschaft mit Ehrenberg zu dem Re-
sultat kommt, dass das Blauwerden bedingt sei durch die Entwick-
lung von Vibrionen, für welche er den Namen Vibrio cyanogenus
aufstellte. — Begreiflicherweise erregte diese Arbeit grosses Aufse-
hen und wurde von vielen Seiten ohne weiteres angenommen, (na-
mentlich auch in den meisten Lehrbüchern angeführt) und zur Grund-
lage weiterer Untersuchungen gemacht. So z. B. von Gielen‘?),
welcher, gestützt auf Fuchs’ Anschauung Desinfeetionsmittel zur Besei-
tigung der Erscheinung empfahl; ebenso in demselben Sinn von
Elten’) u. A. Jedoch wurden auch Stimmen gegen die Fuchs’sche
1) C. Nadt im Pharmaceutischen Centralblatt 1833.
2) Steinhof, Ueber das Blauwerden der Milch; Neue Annalen der Mecklen-
burgischen landwirthschaftlichen Gesellschaft. 1838. Heft 7 und 8.
3) C. J. Fuchs, Beiträge zur näheren Kenntniss der gesunden und fehler-
haften Milch der Hausthiere. — Gurlt und Hertwig’s Magazin für die
gesammte Thierheilkunde. Bd. VII. 2. p. 133.
*) Gielen, Kur der blauen Milch der Kühe. Magaz. f. ges. Thierheilk.
Ba. VI. 2. p. 234.
5) Elten, Centralblatt f. d. gesammte Landescultur in Böhmen. Prag
1864. No. 45.
194
Theorie laut, z. B. von Hering') und Wiener?). Die wichtigste
Arbeit, welche gegen die „Vibrionentheorie“ aufgestellt wurde, ist
die von Haubner’), auf welche ich noch häufig werde zurückkom-
men müssen. — Haubner hat durch fortgesetzte Impfungen unter
den verschiedensten Modificationen und durch eine lange Reihe der
mühsamsten und sorgfältigsten Untersuchungen ein höchst reichhal-
tiges Material gesammelt, welches die Grundlage zu den meisten
nach ihm angestellten Untersuchungen lieferte. Er glaubt aus seinen
Beobachtungen den Schluss ziehen zu müssen, dass die Vibrionen
nicht die Träger des Contagiums sind, dass die Ansteckung viel-
mehr vermittelt werde durch ein lebloses (chemisches) Ferment,
welches in dem sich zersetzenden Käsestoff enthalten sei.
Nach dieser Haubner’schen Arbeit ist nichts wesentlich neues
über blaue Milch veröffentlicht worden. Zu erwähnen wäre etwa
nur noch die weiter unten eingehender zu besprechende Arbeit von
Mosler*), welcher mit H. Hoffmann’) zusammen, wohl unter
dem Einfluss von Hallier’schen Anschauungen, den „Pilz der blauen
Milch“ mit dem der sauren Milch und dem gewöhnlichen Penzeillium
glaucum identifieirt und um die verschiedene Function dieses Pilzes
bei blauer und bei nicht blauer Milch zu erklären, auf die veraltete
Ansicht zurückgreift, dass Milch, um blau zu werden, eine fehlerhafte
Beschaffenheit in Folge von Krankheit der Kuh haben müsse.
II. Impfung der blauen Milch.
1. Substrat der Impfung. Impfmaterial. Bedingungen der Impf-
fähigkeit. Uebertragung des Contagiums durch die Luft.
Die hauptsächlichste und zugleich einfachste und nächstliegende
Beobachtung über den Process des Blauwerdens der Milch ist die,
dass dieser Process durch Impfung übertragbar ist, dass durch
Zusatz einer geringen Quantität blauer Milch zu normaler in dieser
die Bläuung sich hervorrufen lässt. Die Uebertragbarkeit durch
Impfung, also die Vermehrungsfähigkeit des Contagiums ist eine
unbegrenzte; durch ein einziges Tröpfehen blauer Milch kann
1) Hering, Repertorium der Tbierheilkunde. Jahrgang X. p. 242.
2) Wiener, Zeitschrift für Thierheilkunde und Viehzucht. Bd. IX. Heft 3.
p. 352. Giessen 1842.
3) Haubner, Wissenschaftliche und praktische Mittheilungen. — Magazin
für die gesammte Thierheilkunde. Bd. XVIII. 1852.
4) Mosler, Ueber blaue Milch und durch deren Genuss herbeigeführte
Krankheiten. Virchow’s Archiv. Bd. 43. 1568.
5) Vergl. auch Botanische Zeitung 1865. No. 13. p. 108.
195
man den Process der Bläuung auf eine unbegrenzte Quantität der-
jenigen Stoffe, welche überhaupt diesem Process anheimfallen können,
übertragen. Dieser Satz ist, insoweit überhaupt durch die inductive
Methode des Experimentes ein solcher Beweis geführt werden kann,
schon von Fuchs, Haubner, Erdmann u. A. bewiesen worden,
und ich kann denselben in vollem Umfange bestätigen. Ich habe
nur eine einzige Probe spontan blau gewordener Milch bekommen
und war im Stande von derselben ausgehend mehr als 200 Impfun-
gen zu machen, ohne eine Abnahme der Impfkraft zu bemerken.
An und für sich könnte das selbstverständlich erscheinen, voraus-
gesetzt, dass wir überhaupt ein Recht haben die Bläuung als myko-
tische Infection anzusehen. — Aber, auch diese Voraussetzung zu-
gestanden, so wäre die unbegrenzte Impffähigkeit doch nur dann
ein selbstverständliches Postulat, wenn man ohne weiteres annehmen
könnte, dass die inficirenden „Pilze“ den ganzen für sie möglichen
Lebensceyelus in der blauen Milch durchmachten, dass kein Gene-
rationswechsel bei ihnen stattfinde, — eine Annahme, welche sich
nach der Analogie mit anderen niederen Pflanzenformen keineswegs
a priori stellen lässt und die ich auch auf Grund meiner Unter-
suchungen widerlegen kann. Deshalb glaube ich die Thatsache der
unbegrenzten Impfbarkeit schon hier betonen zu sollen.
Jedoch muss ich, um einem naheliegenden Missverständniss vor-
zubeugen, gleich hier bemerken, dass der obige Satz „die Impfbar-
keit ist unbegrenzt“ nur so verstanden werden darf, dass man im
Stande ist, von einer minimalen Quantität blauer Milch aus nach-
einander durch wiederholte Impfungen (indem man jedesmal die
zuletzt als Substrat der Impfung benutzte Milch als Impfmaterial
für eine neue Quantität verwendet) ungemessene Mengen anderer
Körper, speciell anderer Milch zu infieiren. Dagegen ist die Menge
der Milch, welehe durch eine einmalige Impfung, etwa von einem
Tropfen blauer Milch zum Blauwerden gebracht werden kann,
beschränkt und zwar in sehr wechselndem Maasse. — Selbst bei
Anwendung verhältnissmässig kleiner Gefässe gelingt es selten die
ganze in ihnen enthaltene Quantität blau zu machen, meist verfällt
nur ein mehr oder weniger grosser Theil diesem Process, während
der Rest weiss bleibt. Auf die Details der hier obwaltenden Ver-
hältnisse werde ich später noch ausführlicher eingehen müssen. Vor-
läufig sei nur soviel bemerkt, dass diese Beobachtung keineswegs
als eine Widerlegung der obigen Behauptung aufzufassen ist, son-
dern durch den Umstand ihre Erklärung findet, dass Milch ausser-
halb des Euters nicht beliebig lange Zeit unverändert bleibt, viel-
Cohn, Beiträge zur Biologie der Pflanzen. Band III. Heft]I. 14
196
inehr Zersetzungen eingeht, welche den durch die Impfung ange-
regten Process zu paralysiren geeignet sind.
Die Blaufärbung durch Impfung lässt sich erzielen bei Milch
jeder Art. Es ist das schon von Haubner und Anderen in Bezug
auf die Kuhmilch nachgewiesen worden!) und insofern von prinei-
pieller Bedeutung, als es die veraltete, vor einigen Jahren vonMosler?)
wieder aufgenommene Hypothese, dass das Blauwerden auf einem
krankhaften Zustand der Milch beruhe, widerlegt. Die Fähigkeit blau
zu werden ist auch nicht auf Kuhmilch beschränkt, wohnt vielmehr
wahrscheinlich jeder Milch inne, einerlei von welchem Thiere die-
selbe stammt. Direct nachgewiesen ist es durch Fuchs°), dessen
Experimente ich z. Th. wiederholt habe und bestätigen kann, für
Schafs-, Ziegen-, Stuten-, Esels- und Hundemilch. Ich kann dieser
Reihe nach meinen Untersuchungen noch die Frauenmilch hinzufü-
gen. — Ausser in der Milch lässt sich nun aber das Blauwerden
noch in einer grossen Zahl anderer Körper hervorrufen, wenn auch
meist nicht in so intensiver Weise und nicht mit der gleichen Sicher-
heit. Zunächst bei allen darauf hin geprüften Substanzen, welche
pflanzliches Eiweiss enthalten. Es sind das Mandelmilch,
gekochte Kartoffeln, Reisbrei, Pflanzencasein aus Bohnen dargestellt
(jedoch nur als Niederschlag, nicht in Lösung), Arrowroot, die soge-
nannte „Kindermilch“ ete. Auffällig ist dem gegenüber die That-
sache, dass es bisher noch niemandem gelungen ist auf thieri-
schem Eiweiss (Hühnereier, Blutserum etc.) weder in gelöstem
noch in geronnenem Zustand Bläuung hervorzurufen. Auch che-
misch reines Casein vermochten weder Haubner*) noch ich
zur Blaufärbung zu bringen.
Die Analogie anderer „Pigmentgährungen“ der durch Miecrococ-
cus prodigiosus, cyaneus ete. bedingten Färbungen musste es, nach-
dem von Cohn?) nachgewiesen worden, dass dieselben, obwohl beim
spontanen Auftreten an das Vorhandensein von Eiweiss geknüpft,
doch auch in gewissen eiweissfreien Flüssigkeiten sich entwickeln
können, auch für die blaue Milch wahrscheinlich machen, dass man
eine eiweissfreie Lösung werde darstellen können, die in derselben
Weise wie Milch dieser Bläuung in Folge von Impfung ausgesetzt
wäre. Und es ist mir auch, freilich erst nach zahlreichen vergeb-
1) Haubner, l. c. p. 169. 2) Mosler, I. c. p. 168 u. 180.
3) Fuchs,il.e. p. 198. Haubnerl. c. p.’7.
5) Cohn, Beiträge zur Biologie der Pflanzen. Band I. Heft 2. p. 207.
Breslau 1372.
197
lichen Versuchen gelungen, eine solche Lösung zu finden. Dieselbe
besteht aus einer Mischung von neutralem milchsaurem Am-
moniak und der Cohn’schen Nährlösung für Bacterien '). Es wird
also auch hierdurch die nahe Verwandtschaft der blauen Milch mit
den übrigen durch Bacterien erzeugten Pigmenten bewiesen.
Von jedem auf diese Weise blau gewordenen Körper kann durch
Impfung auf Milch wieder Bläuung erzielt werden. Dieselben erleiden
also nicht nur eine analoge Zersetzung wie die Milch während des Blau-
werdens, sondern sie conserviren auch während dieses Processes
das Contagium in einem zu weiterer Impfung geeigneten Zustande.
Es sind das zwei Eigenschaften, die man zunächst für identisch hal-
ten könnte, die jedoch, wie eine weitere Reihe von Experimenten
ergiebt, nicht identisch sind. Es existirt nämlich eine grosse An-
zahl von Stoffen, welche ohne selbst blau zu werden, den
impffähigen Stoff conserviren, so dass man von ihnen aus wieder
blaue Milch erzeugen kann. Schon Fuchs erwähnt solche, und
Haubner sagt direct (l. c. p. 149): „Mit allen Stoffen, mit denen
ich es versuchte, ist es mir gelungen biaue Milch zu erzeugen, wenn
ich sie zuvor mit solcher infieirt hatte,* und führt als derartige
Stoffe speciell an: Althee-, Schwarzwurzel- und Quitten-Schleim, Salep,
Stärke, Mehl, Kartoffeln, Zuckerlösung, arabischen und Traganth-
Gummi, Hausenblase etc. Ich habe einige dieser Stoffe selbst wie-
der geprüft mit dem gleichen Resultat und bin überzeugt, dass es
1) Da das milchsaure Ammoniak, wie alle milchsauren Salze, sich schnell
zersetzt, ist es räthlich sich dasselbe erst jedesmal vor dem Gebrauch frisch
darzustellen. Ich habe mich dazu der folgenden Methode bedient: 71/5 Cem
cone. Milchsäure mit 15 Cem Aqua dest. vermischt, werden mit einer con-
centrirten Lösung von Ammonium carbonicum saturirt. (Beim Neutralisiren
der Milchsäure mit Ammon. caustic. erhielt ich stets negative Resultate, wohl
weil der nicht zu vermeidende geringe Ueberschuss von freiem Ammoniak
die Entwickelung des Processes hindert.) Von der so erhaltenen Lösung von
milchsaurem Ammoniak werden 30 Ccm zu 100 Cem der folgenden Nähr-
lösung gesetzt und mit derselben gekocht: Ag. dest. 100,0, Ammon. tartarie.
0,5, Kal. phosphor. 0,2 und einige Tropfen von Magnesia sulfur. und Calecar.
sulfurie. in Lösung. — Die von Cohn angegebenen Mischungen seiner Nähr-
lösung mit essigsauren Salzen erlitten keine Bläuung, ebenso die Mischungen
der Cohn’schen Flüssigkeit mit milchsaurem Kali oder Natron. — Ich glaube
jedoch, dass sich die von mir angegebene Nährlösung durch weiteres Fort-
setzen der Versuche und Modificationen der Concentration noch wesent-
lich wird verbessern lassen; denn so wie ich sie angewandt habe, ergiebt sie
nicht ganz sichere Erfolge, etwa auf je 4 Impfungen 3 mal Bläuung, einmal
nicht. Mir gebrach es an Zeit, den Gegenstand weiter zu verfolgen, und zur
Constatirung der Thatsache genügt ja auch das Vorstehende. —
14*
198
mir ein Leichtes gewesen wäre, durch weitere Experimente in dieser
Richtung die obige Reihe um dasDoppelte und Dreifache zu vermehren.
Damit wäre jedoch ohne genaue mikroskopische Untersuchung jedes
einzelnen dieser Körper, welehe wegen der dazu erforderlichen über-
mässig langen Zeit unthunlich erschien, für die Kenntniss des
uns hier beschäftigenden Processes so gut wie gar nichts gewonnen
gewesen. Ich habe mich deshalb auf die Prüfung einiger weniger
dieser Stoffe namentlich mit Berücksichtigung der mikroskopischen
Vorgänge in denselben beschränkt. — Von den früher angewandten
habe ich nur den Altheeschleim, destillirtes Wasser und Gummi- resp.
Zuckerlösung benutzt, ausserdem aber mit besonderer Sorgfalt und
in sehr zahlreichen Experimenten das Verhalten der gewöhnlichen
Cohn’schen Nährlösung, welche ohne blau zu werden eine sehr
reichliche und charakteristische Baeterien-Entwickelung liefert, unter-
sucht, und endlich das Glycerin. Auf die Einzelheiten dieser Expe-
rimente kann ich erst bei Besprechung der mikroskopischen Befunde
ausführlicher eingehen. — Hier will ich nur noch die Bemerkung
hinzufügen, dass es nicht gelingt von der blauen Milch aus irgend
einen anderen Farbstoff zur Entwicklung zu bringen als immer den-
selben blauen. Die die Bacterien enthaltenden Körper, welche nicht
die charakteristische Blaufärbung annehmen, bleiben ungefärbt.
Nachdem wir in obiger Aufzählung die zur Uebertragung und
Conservirung des Contagiums geeigneten Körper kennen gelernt haben,
drängt sich zunächst die Frage auf: unter welchen Verhältnissen
bleibt das Contagium wirksam, wie lange lässt es sich erhalten,
durch welche Einflüsse wird es zerstört?
Beginnen wir mit dem ursprünglichen Träger derselben, der blauen
Milch, so wäre hier zunächst zu erwähnen, dass das Contagium einer
einmal infieirten Milch schon zu weiterer Infeetion geeignet ist, ehe
die Blaufärbung begonnen hat. Die letztere pflegt erst 1, 2 oder
3 Tage nach der Infeetion aufzutreten, die Ansteckungsfähigkeit ist
meist schon nach 3 Tag vorhanden. In Bezug auf diesen Umstand
stimmen meine Untersuchungsresultate mit denen der früheren Beob-
achter vollkommen überein. In anderer Beziehung bin ich zu abwei-
chenden Ergebnissen gekommen. Nach Haubner sollten zwar alle
blau gewordenen Theile der Milch Träger des Contagiums sein, jedoch
nur für eine bestimmte Zeit, und ihre Ansteckungsfähigkeit sollte
erlöschen während die blaue Färbung noch andauert. Ich habe mich
von der Richtigkeit dieses Satzes nicht überzeugen können, war viel-
mehr stets im Stande, so lange noch eine Spur von blauer Farbe
vorhanden war, deu Process durch Impfung zu übertragen. Aller-
199
dings erreicht er, wenn in sehr späten Stadien abgeimpft wurde, bei
der neugeimpften Milch meist nur eine geringe Ausdehnung, weil in
diesen späten Stadien stets Oidium und oft auch der Bacillus der
Buttersäuregährung mit überimpft wird und die pigmentbildenden
Bacterien überwuchert. —
Das in der blauen Milch enthaltene Contagium erweist sich nach
den Versuchen von Fuchs und Haubner verhältnissmässig wider-
standsfähig gegen die Mineralsäuren, gegen viele Alkalien und Salze,
ja auch gegen einige Desinfeetionsmittel, namentlich Chlor. — Ich
kann diesen Angaben nach eigenen Beobachtungen nichts Neues hin-
zufügen. — Die Impffähigkeit bleibt ferner erhalten innerhalb ziem-
lieh beträchtlicher Temperaturdifferenzen. Während die Impfungen
am sichersten gelingen von blauer Milch, welche in einer Tempera-
tur von ca. 15° C. sich befindet, derselben Temperatur, unter wel-
cher auch der Process am besten sich entwickelt, wird doch auch
durch bedeutende Erniedrigung der Temperatur die Impfkraft nicht
vernichtet. Fuchs!) und Haubner?) haben blaue Milch gefrieren
lassen, und der letztere hat sie selbst 14 Tage lang in gefrorenem
Zustande erhalten ohne nach dem Aufthauen eine Verminderung der
Impfkraft zu bemerken. (Auffällig erscheint bei diesen Versuchen
namentlich die Widerstandsfähigkeit gegen lange dauernde Kälte. —
Die Fähigkeit kurz dauernde Abkühlungen selbst viel bedeutenderer
Art, bis —110° C. zu ertragen, scheint ja nach den Versuchen von
Frisch?) vielen, wenn, nicht allen Baeterien zuzukommen.) Weniger
resistent zeigte sich das Contagium (in der blauen Milch) gegen Tem-
peraturerhöhung. Kochen, ja schon eine Erhitzung auf 70—75° C. ver-
nichtet die Impffähigkeit. — Getrocknete blaue Milch, vorausgesetzt
dass sie durch Verdunstung, nicht durch Eindampfen getrocknet ist,
bewahrt ihre Impfkraft und zwar verhältnissmässig lange Zeit.
Fuchs hat von einem, auf einem Glasplättchen eingetrockneten
Tropfen blauer Milch nach 3 Wochen erfolgreich geimpft, Haubner
nach 6—8 Wochen. Ich selbst habe über Schwefelsäure getrocknete
blaue Milch seit ca. 3 Monaten aufgehoben und bisher keine Ab-
nahme der Impfkraft bemerkt.
Wenn demnach schon in der blauen Milch selbst das Contagium
eine bedeutende Lebenstenacität zeigt, so gilt das in noch höherem
Diilvesps 1932 Aleczp.J158.
3) Frisch, Ueber den Einfluss niederer Temperaturen auf die Lebens-
fähigkeit der Bacterien. Sitzungsber. d. K. K. Akad. d. Wissensch. in Wien.
Bd. 75 u. Bd. SO. (Mitgetheilt in d. medieinischen Jahrbüchern 1879. 11I. u. IV.)
200
Maasse von dem in anderen Stoffen conservirten, soweit in dieser
Richtung Untersuchungen angestellt wurden. Haubner hat getrock-
neten Altheeschleim noch nach 5 Jahren impfkräftig gefunden und
empfiehlt deshalb diese Substanz besonders zur Conservirung des
Impfmaterials. Ich bin überzeugt, dass man mit der gewöhnlichen
Cohn’schen Nährlösung ein gleiches Resultat erlangen könnte, jedoch
erstrecken sich meine Beobachtungen nicht über so lange Zeiträume.
Das gleiche gilt vom Glycerin. — Schon eine Verdünnung der blauen
Milch mit grösseren Mengen destillirten Wassers ermöglicht, während
die Blaufärbung schnell verschwindet, ein Conserviren der Impf-
kraft auf mehrere Monate. — Auch die Resistenz gegen erhöhte
Temperatur zeigt sich in bemerkenswerther Weise verstärkt.
Man kann Altheeschleim bei einer Temperatur von 100° C. trocknen,
ohne dass er seine Impfkraft einbüsst. Ebenso kann man getrock-
neten Altheeschleim in Wasser 4 bis 4 Stunde kochen und findet
ihn nachher ebenso geeignet zur Uebertragung wie vorher. Auch
die Baeterien in Cohn’scher Nährlösung vertragen wenigstens ein
kurz dauerndes Kochen sehr gut. — Die mikroskopische Unter-
suchung giebt für diese Verschiedenheiten in der Lebensfähigkeit
unserer Organismen genügende Erklärung. In der blauen Milch finden
wir nur durch Theilung sich fortpflanzende Generationen. In den
anderen Substanzen handelt es sich um Sporen. —
Ich habe bisher immer nur von der Uebertragung durch Impfung
gesprochen, und es kann wohl auch keinem Zweifel unterliegen,
dass diese Art der Fortpflanzung, also die directe Vermischung des
zu infieirenden Körpers mit einer gewissen Menge der infeetiösen
Substanz die gewöhnlich vorkommende ist, nicht nur wo dieselbe ab-
sichtlich eingeleitet wird, sondern auch in den Fällen, wo das Blau-
werden ohne und gegen den Willen des Milchbesitzers eintritt. —
Damit ist aber nicht gesagt, dass sie auch die einzig mögliche Form
der Uebertragung sei. Es scheint vielmehr in seltenen Fällen auch
eine Uebertragung durch die Luft vorzukommen. Steinhof
hielt diese Art der Infeetion sogar für die gewöhnliche; Fuchs
glaubte sie, nach der Entdeckung der „Vibrionen“ vollkommen
läugnen zu können, und Hering, welcher in dieser Hinsicht erfolg-
reiche Experimente anstellte'), stützt hauptsächlich darauf seinen
Widerspruch gegen die „Fuchs’sche Vibrionentbeorie“ und glaubt,
man müsse als Contagium ein flüchtiges Ferment annehmen. Haubner
hat gleichfalls Versuche angestellt und es ist ihm einmal gelungen
1) Herinn,l.'e. pP. 249
201
nach Zusammenstellung von 2 Gefässen mit gesunder und mit blauer
Milch unter einer Glasglocke eine Infieirung der gesunden Milch zu
beobachten. — Mir ist bei wiederholten Versuchen das Experiment
nie gelungen. — Trotzdem kann an der Thatsache einer bisweilen
vorkommenden Uebertragung durch die Luft wohl nicht gezweifelt
werden; und dieselbe erscheint ja auch keineswegs als im Wider-
spruch stehend mit der Annahme eines organischen Contagiums, son-
dern sehr wohl erklärlich. Da die Baecterien resp. deren Sporen
in trockenem Zustande impfkräftig bleiben, so ist es selbstverständ-
lich, dass in Räumen, in welchen lange Zeit blaue Milch in grösserer
Quantität aufbewahrt wurde, sich derartige getrocknete Bacterien-
massen den Staubtheilchen der Luft beimischen und mit denselben
auf die Oberfläche unbedeckt stehender Milch fallend, diese infieiren
können (nicht müssen'). Es lassen sich deshalb gegen die Richtig-
keit der Beobachtungen von Steinhof und Haubner, dass Milch,
welche in solchen Räumen steht, unter Umständen auch ohne vor-
gängige Impfung blau wird, begründete Zweifel nicht erheben.
Anders steht es in Bezug auf die mit frischer blauer Milch ange-
stellten Experimente von Hering und Haubner; hier könnte man
immer noch zweifelhaft sein, ob nicht in den wenigen erfolgreichen
Fällen doch eine unbeabsichtigte Impfung vorgeleger habe, und ich
möchte das wegen meiner eigenen erfolglosen Versuche annehmen.
2. Verschiedenheiten im Effeet der Impfung.
Abhängigkeit derselben von der Beschaffenheit der Milch, vom
Impfmaterial, von äusseren Verhältnissen, von der Witterung.
Betrachten wir als Zweites die Verschiedenheiten im Effeet der
Infeetion und die sie bedingenden Verhältnisse! Um nicht durch
übermässige Anhäufung von Material den Leser zu ermüden und
die Klarheit der Darstellung zu schädigen, will ich hier nur die
relativ einfachen Verhältnisse berücksichtigen, wie sie bei Impfung
auf Milch beobachtet werden. — Man findet hier 1. eine verschie-
!) Experimente von Cohn (Beitr. z. Biol. d. Pfl. I 3. p. 150) haben es
sehr wahrscheinlich gemacht, dass eine selbst an Bacterienkeimen reiche Luft
nur unter besonders günstigen Bedingungen auf eine Flüssigkeit infieirend
wirken kann, dann nämlich, wenn diese Keime schon mit Wasser durchtränkt
und gequollen sind, während sie sonst „als unendlich leichte und vermuthlich von
einer Gallerthülle umgebene Körperchen im Wasser nur mit besonderer
Schwierigkeit zurückgehalten, meist aber — — — wieder fortgerissen werden
ohne benetzt zu sein, ähnlich wie dies etwa mit den Sporen von Lycopodium
der Fall ist.“ — Vergleiche auch die Experimente v. Dowdeswell. (Quarterly
Journal of mieroscop. science. Bd. XVIII. 1872. p. 32.)
202
dene Ausdehnung der Bläuung. Es ist schon oben bemerkt
worden, dass es nur in seltenen Fällen gelingt, alle in einem Gefäss
enthaltene Milch gleichförmig blau zu machen, dass vielmehr mei-
stens nur ein Theil der Milch blau wird. In den geringsten Graden
bemerkt man auf dem Sahnehäutchen einzelne erbsen- bis linsengrosse
blaue Fleckchen und findet unterhalb desselben die geronnene Milch
höchstens wie mit einem bläulichen Anflug bedeckt. Ist der Process
besser ausgebildet, so wird auch die Oberfläche des geronnenen Milch-
kuchens blau, entweder fleckweise oder in ihrer ganzen Ausdehnung.
Dabei kann die Sahne gleichfalls vollständig blau werden, oder sie
bleibt zum grössten Theile weiss. — Das zwischen Sahne und Casein-
kuchen sich ansammelnde Serum bleibt oft farblos, oder färbt sich nur
sehr schwach; in anderen Fällen nimmt es auch die blaue Farbe an
und bisweilen so stark, dass es dunkler blau ist als die Milch selbst.
— Die Blaufärbung des geronnenen Käsestoffs beschränkt sich meist
auf die Oberfläche und dringt nur etwa 3—5 mm in die Tiefe; in
anderen Fällen kann er aber auch in seiner ganzen Masse, selbst
in einer mehr als 2 cm dicken Schicht blau werden. Er nimmt
dabei eine weichere, schmierigere Consistenz an und zerfliesst oft
fast vollständig. Aehnlich wie die Ausdehnung der Bläuung wech-
selt auch die Farbe; jedoch scheint die Intensität und Art der Farbe
nicht immer der Intensität des Processes zu entsprechen, vielmehr
auf andere Verhältnisse begründet zu sein, die mir nicht bekannt
sind. Die Farbe kann schwanken zwischen einem ganz blassen
Hellblau und dem dunkelsten Indigoblau, der Farbenton schwankt
zwischen Blauviolet, Himmelblau und Grünblau, geht sogar hin und
wieder, namentlich an den eintrocknenden Rändern in ein schönes
Meergrün über.
Weitere Verschiedenheiten liegen 2. in der Dauer der Inecu-
bationszeit (zwischen Impfung und dem Eintritt der Bläuung) und
in der Dauer der Bläuung. Durchschnittlich verstreichen etwa
60 Stunden bis die Bläuung in der geimpften Milch deutlich wird;
jedoch kann unter Umständen der Process auch viel früher eintre-
ten; ich habe mehrfach schon nach 20 Stunden deutliche Blaufär-
bung gesehen und Haubner giebt das gleiche an. Andererseits
kann der Eintritt sich bedeutend verzögern; eine Verzögerung bis
zum 3. resp. auch bis zum 4. Tag ist recht häufig, und unter Um-
ständen verstreichen bedeutend längere Zeiträume; so habe ich ver-
schiedentlich erst am 6. und 8. Tag die Bläuung eintreten sehen
und Haubner sogar erst nach 10 und 12 Tagen. — Die Dauer
der Bläuung schwankt zwischen 3—4 und 14 Tagen. Gemeiniglich
203
ist nach 5—6 Tagen der Process auf seinem Höhepunkt angelangt.
Es bilden sich dann auf der blauen Milch weisse Flecken (Oidium-
wucherungen), und je mehr diese sich ausbreiten, blasst die Farbe
_ ab, geht in ein Graublau, in reines Grau über und nach 2 oder 3
Tagen ist alles von Pilzen überwuchert. — In den Fällen, wo die
Pilze später auftreten, hält sich oft die blaue Farbe dementsprechend
länger, jedoch verschwindet sie bisweilen ebenso schnell und unter
dem gleichen Farbenwechsel, noch ehe Pilzwucherungen sich ausge-
bildet haben.
Diese in dem Vorhergehenden aufgezählten Verschiedenheiten
sind abhängig zunächst von der Beschaffenheit der als Sub-
strat der Impfung benutzten Milch. Jede Kuhmilch ist geeig-
net blau zu werden, jedoch ist die Disposition dazu eine verschie-
dene und zwar aus folgenden Gründen: Jede Milch geht nach ihrer
Entleerung aus dem Euter einen Zersetzungsprocess ein, welcher im
Lauf einiger Stunden oder Tage zur Säurebildung und Gerinnung
führt. Die Schnelligkeit, mit welcher dieser Process abläuft, ist bei
verschiedenen Milchsorten eine verschiedene und mit ihr hängt aufs
engste die Fähigkeit blau zu werden zusammen. Die Milch ist näm-
lich nur zu der Zeit vor der vollständigen Gerinnung zur
Aufnahme und Fortentwicklung des Contagiums geeignet. Impfungen,
welche nach vollständiger Gerinnung vorgenommen werden, bewirken
keine Bläuung, und auch bei Impfungen, die vor dem Eintritt der
Gerinnung stattfinden, tritt nur dann eine vollständige Entwicklung
der blauen Farbe ein, wenn nach der Impfung den Bacterien noch
genügend Zeit übrig bleibt, sich in der Milch zu verbreiten (und die
zur Pigmentbildung geeignete Generation zu entwickeln), ehe die voll-
ständige Gerinnung ihrer Wirksamkeit ein Ziel setzt. — Nach die-
sen Erörterungen lassen sich die Verhältnisse, welche die Disposi-
tion der Milch zum Blauwerden erhöhen und erniedrigen, leicht con-
struiren, und die experimentelle Untersuchung bestätigt die so theo-
retisch gewonnenen Sätze. Es ist nämlich die Disposition zum Blau-
werden bei einer Milch um so grösser, je langsamer sie gerinnt.
Eine solche wird einmal zur Aufnahme des Contagiums am längsten
geeignet bleiben, andererseits aber auch bei frühzeitiger Impfung
dem Contagium am meisten Zeit zur Ausbreitung und Vermehrung
lassen, also eine möglichst weite Ausdehnung des Processes erlauben.
Jede Milch wird deshalb am geeignetsten sein zur Impfung, wenn
sie frisch gemolken ist, und wird um so ungeeigneter werden, je länger
sie schon nach dem Melken gestanden hat. Es wird ferner von ver-
schiedenen Milchsorten diejenige am geeignetsten sein, welche bei
204
der Entleerung am stärksten alkalisch reagirt. Das ist unter
normalen Verhältnissen der Fall bei der Milch altmelkender Kühe,
ferner (nach Haubner) bei gewissen Futtersorten, und ausserdem
tritt die alkalische Reaction der Milch in erhöhtem Grade auf bei
den meisten Krankheiten des Euters, durch welche der Milch Eiter,
Blut ete. beigemischt werden. Natürlich wird eine in gleicher Weise
vermehrte Disposition auch vorhanden sein, wenn man durch künst-
liche Mittel, (abgesehen natürlich von desinfieirend wirkenden) das
Säuren der Milch verzögert; es ist hier namentlich als das einfach-
ste und zweckmässigste das Mittel zu erwähnen, welches die Haus-
frauen empirisch zur Erreichung dieses Zweckes anwenden, das ein-
malige Aufkochen der Milch; derartig aufgekochte Milch zeigt sich,
auch wenn man sie nicht frisch, sondern erst einige Stunden nach
dem Melken in die Hände bekommt, in hohem Grade empfänglich
und ich habe deshalb bei meinen Impfversuchen mit Ausnahme der
ersten, ausschliesslich aufgekochte Milch verwandt. — — Umgekehrt
wird die Disposition zum Blauwerden vermindert oder zerstört durch
alles was eine vorzeitige Gerinnung der Milch bedingt, sowie durch
alle Manipulationen, welche das Casein modifieiren, wie Zusatz von
Mineralsäuren, Alkohol ete. Namentlich muss ich hier auch das
lange Kochen erwähnen, welches ja gleichfalls eine Coagulation (und
chemische Veränderung?) des Casein bedingt. Eine 5 Stunde oder
länger gekochte Milch bleibt in der Regel gegen jede Impfung
immun. —
Der zweite Factor, welcher für die Ausbreitung und Schnellig-
keit des Processes wichtig ist, ist die Beschaffenheit des Iimpf-
materials. — Dass mit der zunehmenden Menge des Impfmate-
rials die Ausbreitung und Intensität des Processes proportional zu-
nimmt, ist so selbstverständlich, dass ich hier nicht näher darauf
einzugehen brauche. Das Nachfolgende bezieht sich natürlich nur
auf die Fälle, in denen gleiche, und zwar möglichst geringe Mengen
angewandt werden. Zunächst (und auch das ist eigentlich selbst-
verständlich) führt die Impfung um so schneller und sicherer zum
Resultat und der Process wird um so ausgedehnter, je gleichmässi-
ger und feiner das Impfmaterial vertheilt ist. Es wirkt deshalb
flüssige, oder mit Wasser angerührte blaue Milch schneller und aus-
gedehnter als ein Klümpehen der geronnenen Masse; ebenso getrock-
nete blaue Milch oder getrockneter Altheeschleim besser in Pulver-
form als in Stückchen. —
Was die einzelnen Formen des Impfmaterials anlangt, so sind
die Differenzen nicht so bedeutend, wie man erwarten könnte. Frische
205
blaue Milch wirkt immer am schnellsten. Nur die blaue Nähr-
lösung steht ihr in der Hinsicht gleich. Die übrigen Stoffe, Pasteur'sche
resp. Cohn’sche Flüssigkeit, Altheeschleim ete., sowie getrocknete
blaue Milch wirken etwas langsamer (Unterschiede meist von 12 Stun-
den, auch weniger), diese untereinander jedoch ziemlich gleich. — Was
den Verlauf des Processes anbelangt, so scheint derselbe nach Impfung
mit frischer Milch am schnellsten abzulaufen, resp. am leichtesten
durch äussere Einflüsse und Oidiumvegetationen gestört zu werden,
während die mit anderen Stoffen geimpfte Milch in den meisten Fällen
ihre Farbe länger behält. Jedoch ist dieses Verhalten nicht con-
stant, ich habe hin und wieder auch das Umgekehrte bemerkt,
Es wäre bier der Ort noch eine kurze Bemerkung einzuschalten
über den Einfluss fortgesetzter Impfungen auf die Impfkraft.
Bekanntlich ist zuerst von Coze und Feltz') die Behauptung auf-
gestellt worden, dass bestimmte pathogene Fermente, und zwar die
der „septischen“ Krankheiten durch fortgesetzte Impfung immer in-
feetiöser würden. Diese Behauptung wurde von einer grossen Anzahl
von Beobachtern auf Grund analoger Experimente, wie sie Coze
und Feltz angestellt hatten, bestätigt, so von Vulpian, Reynaud,
Davaine?), Sanderson°) u. A., allerdings immer nur bezüglich
der Sepsis und es gilt wohl jetzt noch bei der Majorität der Patho-
logen die Zunahme der Virulenz als feststehendes Gesetz. — Koch),
welcher bei seinen zahlreichen Uebertragungen der verschiedensten
Pilzkrankheiten auf Thiere nie ein ähnliches Verhalten beobachten
konnte, widerspricht dieser Anschauung, wie mir scheint mit
gutem Grunde, und glaubt, dass sie durch nnrichtig ausgeführte
Experimente entstanden sei. Insoweit es sich hier um durch Bacte-
rien angeregte Processe des Thierkörpers handelt, kann natürlich
meinen Beobachtungen an der blauen Milch gar keine Bedeutung
beigelegt werden, denn es wäre absurd die Bläuung der Milch und
die Infecetionskrankheit im Thierkörper bloss aus dem Grunde, weil
bei beiden Bacterien wirksam sind, als analog und ihrem Wesen
nach gleichartig hinstellen zu wollen. Man hat jedoch das „Davaine’sche
Gesetz“ zu verallgemeinern versucht, und daraus weitgehende Schlüsse
über Anpassung und Vererbung bei den niedersten Organismen ziehen
1) Diese und die folgenden Arbeiten finden sich auszugsweise referirt
in Virchow und Hirsch’s Jahresbericht für 1866.
2) Davaine, Sitzung d. Pariser Acad. de med. 17. Sept. 1872.
3) Sanderson, Medizin. Jahrbücher 1876. p. 417.
4) Koch, Untersuchungen über die Aetiologie d. Wundinfectionskrankheiten.
Leipzig 1878.
206
wollen, und aus diesem Grunde halte ich die Bemerkung nicht für
überflüssig, dass bei der blauen Milch sich eine Zunahme der In-
fectionskraft bei fortgesetzter Impfung nicht constatiren lässt. Ich
habe ausser anderen kürzeren, eine fortlaufende Reihe von 12 Impfun-
gen von Milch auf Milch angestellt, eine Zahl, bei weleher doch wohl
eine solche Zunahme der Virulenz, wenn sie überhaupt existirte,
hätte bemerkbar werden müssen.
Als dritter Factor endlich ist der Einfluss äusserer Verhält-
nisse auf den Process des Blauwerdens zu berücksichtigen. Wir
haben es hier im Grunde nicht mit einem einzelnen Factor, son-
dern mit einer Summe verschiedener wirksamer Kräfte zu thun,
nämlich dem Einfluss des Lichtes, des Sauerstoffs in der Luft, der
Temperatur etc. —
Das Licht, welches ja auf die höheren Pflanzen von so ent-
scheidendem Einfluss ist, und dessen auch viele der niedrigeren
chlorophyllosen pflanzlichen Organismen nicht entrathen können,
scheint auf die Bacterienvegetation in der blauen Milch gar keinen
Einfluss auszuüben. Die Milch bläut sich ebenso gut und ebenso
ausgedehnt im Dunkeln wie im Licht. Der Process der Bläuung
in der Nährlösung mit Ammon. lacticum wird durch das Licht insofern
gestört, als der Farbstoff sehr schnell abblasst; auf die Entwicklung
der Organismen hat die Beleuchtung aber auch hier keinen bemerk-
baren Einfluss, weder zu Gunsten, noch auch, wie man nach den
Untersuchungen von Downes und Blunt') betreffis anderer Bacte-
rienformen vermuthen könnte, zu Ungunsten derselben.
Dagegen ist der Sauerstoff der Luft für die Entwickelung
des Processes unentbehrlich. Bedeckt man Milch gleich nach
der Impfung mit Oel, so tritt gar keine Bläuung ein und damit auch
keine Weiterentwickelung der Bacterien. Schliesst man dagegen
eine Milch, welche schon eben anfängt blau zu werden durch Oel
von der Luft ab, so schreitet der Process noch etwas fort, die
Bläuung dehnt sich noch etwas aus, um dann, zum Stillstand gekom-
men, schnell abzublassen. Dieses zweite Experiment scheint mir
den Beweis zu liefern, dass die Bacterien der blauen Milch nicht
direct freien, sondern in der Flüssigkeit absorbirten Sauer-
stoff benutzen.
Die Temperatur übt keinen so auffälligen Einfluss aus, wie bei
!) Downes und Blunt, Proceedings ofthe royal society vol. XX VI, No, 184.
behaupten, dass das Licht die Entwickelung der Spaltpilze beeinträchtigt resp.
völlig hindert.
207
den meisten anderen durch Spaltpilze angeregten Processen, und
zwar aus dem Grunde, weil die der Bläuung hinderlichen und sie
theilweise compensirenden Processe der Säuerung und Gerinnung
ungefähr in gleichem Maasse wie diese selbst durch die Tempera-
turschwankungen gefördert oder gehemmt werden, so dass im Grunde
immer ein nahezu gleiches Resultat erfolgt. Schon Haubner hat
in dieser Hinsicht richtige Beobachtungen angegeben, und da ich
denselben nichts hinzuzufügen habe, führe ich hier seine eigenen
Worte an (p. 177): „Eine hohe Temperatur beschleunigte zwar das
Blauwerden, so dass es schon mit 20—24 Stunden eintrat; aber es
beschränkte seine Ausdehnung in Folge der frühzeitigen Gerinnung.
— Bei einer Temperatur von ca. 10—15° C. erfolgte das Blauwer-
den erst innerhalb 2—4 Tagen, aber es trat in möglichster Aus-
dehnung hervor. — Bei allen niedrigeren Temperaturgraden, bei
denen Säuerung und Gerinnung sich durch viele (6—3) Tage ver-
zögert, verzögert sich auch das Blauwerden und tritt nur unvoll-
ständig hervor.“
Gegenüber diesem relativ unbedeutenden Einfluss der Temperatur
erscheint die grosse Bedeutung der Witterung für den Process des
Blauwerdens und ihre unverkennbare Einwirkung auf denselben höchst
wunderbar. — Alle Beobachter der blauen Milch stimmen darin
überein, dass die Intensität des Processes oft ganz plötzlich mit der
Witterung wechsle, dass das Blauwerden bei einem Umschlag des
Wetters plötzlich verschwinde oder wieder auftrete und Wiener
sah sich durch diese Beobachtungen veranlasst, in der Witterung
eine der Hauptursachen der blauen Milch anzunehmen. Haubner
sagt über dieses Thema p. 175: „Eine feuchtwarme schwüle Witte-
rung begünstigt das Blauwerden, ebenso warmer Regen. Dagegen
wird es durch kühles Wetter gehemmt oder gänzlich unterdrückt. —
Einen grellen Wechsel im Blauwerden beobachtet man im Sommer
bei abwechselnder Trockenheit und Regen und im Herbst beim Ein-
tritt kalter Tage. Damit stimmen die Angaben von Wiener, dass
Süd- und Südwest-Winde und feuchte neblige Jahrgänge das Blau-
werden begünstigen.“ H. fügt diesen Angaben die Bemerkung hin-
zu: „dass diese Beobachtungen nicht befriedigen können, selbst wenn
sie alles erschöpfen. Man erkennt nämlich nicht die Art ihres Ein-
flusses, indem überall verschiedene Momente (Beschaffenheit der Luft,
Feuchtigkeit, eleetrisches Verhältniss ete.) mit einander verbunden
sind.“ — Auch ich habe mich vergeblich bemüht, einen befriedigen-
den Aufschluss über diese Verhältnisse und namentlich eine genügende
Erklärung derselben zu erlangen; die Angaben, welche ich in die-
208
ser Beziehung machen kann, können nur den Werth einer auf Wahr-
scheinlichkeit gegründeten Vermuthung haben '!).
Dass die wechselnde Temperatur der Luft, welche ja, wie
oben bemerkt, überhaupt keinen sehr grossen Einfluss ausübt, bei
der Frage nach der Einwirkung der Witterung fast bedeutungslos
ist, scheint mir schon daraus hervorzugehen, dass sich alle Beobach-
tungen auf Räumlichkeiten beziehen, in welchen eine nahezu gleich-
mässige nur in längeren Zeiträumen wechselnde Temperatur herrscht,
nämlich auf die Kellerräume, in welchen man die Milch zur Rahm-
und Buttergewinnung aufzubewahren pflegt. In meinem Fall waren
die Verhältnisse insofern ähnliche, als ich alle meine Experimente
in dem gleichmässig durch Reguliröfen auf ca. 16—18° Cels. erwärm-
ten Experimentirsaal des pathol. Institutes, dessen Temperatur auch
Nachts nur unbedeutend sinkt, angestellt habe.
Auch die Schwankungen des Barometerdruckes glaube ich
für irrelevant erklären zu können, da sie auch in den extremsten
Fällen nie die Höhe erreichen, bei welcher ein Einfluss auf die nie-
deren Organismen constatirt worden ist?).
Dagegen scheint mir der Feuchtigkeitsgehalt der Luft
von Bedeutung für den Ablauf und die Intensität des Processes zu
sein; wobei ich jedoch gleich bemerken muss, dass mir jede Er-
klärung dafür, wie die Feuchtigkeit der Luft auf die in der Milch
suspendirten Bacterien einwirken kann, mangelt. (Verdunstungs-Elec-
trieität?) Setzt man von 2 Proben mit dem gleichen Material geimpfter
!) Zum grossen Theil dürfte dieser Misserfolg darin begründet sein, dass
mir nicht das zu diesen Untersuchungen geeignete Beobachtungs-Material zu
Gebote stand. Ein solches würde nur zu erlangen gewesen sein durch eine
Monate lang fortgeführte Reihe täglicher Impfungen auf abgewogene Quan-
titäten von Milch mit abgewogenen Mengen gleichartigen Impfmaterials und
unter möglichst gleichen äusseren Verhältnissen, und zur Durchführung einer
solchen gebrach es mir an Zeit. Ich glaube jedoch, dass eine derartige Unter-
suchung bei dem theoretischen Interesse, welches sich an die Frage vom Ein-
fluss der Witterung knüpft, sich wohl der Mühe lohnen würde. Die nach-
folgenden Bemerkungen beziehen sich auf Beobachtungen von blauer Milch,
welche zunächst zu anderen Zwecken geimpft war.
2) Dass sehr bedeutende Veränderungen des Athmosphärendrucks nicht
ohne Einfluss sind, ist zweifellos. Haubner sah bei starker Luftverdünnung
das Blauwerden behindert, ohne dass jedoch die Fähigkeit blau zu werden
vollständig zerstört worden wäre. — Bezüglich der Luftverdichtung sind
mit der blauen Milch direet keine Versuche angestellt worden, jedoch ist der
deletäre Einfluss starker Luftverdichtung auf alle niederen Organismen durch
Bert (la pression barometrique. Paris 1878) und durch Cossar Ewarts
(Quart. Journ. of mier. se. Bd. 18 p. 161) erwiesen worden.
209
Milch die eine unter eine mit Wasser abgesperrte Glasglocke, die
andere unter eine mit Oel abgesperrte, in welcher durch conc.
Schwefelsäure die Luft völlig trocken gehalten wird, so bemerkt
man bei der zweiten Probe einen etwas verzögerten Eintritt und
eine geringere Ausbreitung, sowie ein schnelleres Abblassen der
blauen Farbe; um mich weiter über diese Verhältnisse zu orientiren,
habe ich die während der Monate October, November und Decem-
ber v. J. von mir beobachteten Impfresultate mit den meteorologischen
Beobachtungen über die Luftfeuchtigkeit!) während der betreffenden
Zeit verglichen. Es scheint hier allerdings ein Zusammenhang zu
existiren in der Weise, dass der Erfolg der Impfung ein besserer
ist bei grösserer Luftfeuchtigkeit, jedoch ist das Bild aus den oben
in der Anmerkung angegebenen Gründen kein klares, und ich muss
bis zur Beschaffung eines besseren Beobachtungsmaterials darauf
verzichten, weiter auf dies Thema einzugehen.
III. Process der Bläuung.
Allgemeiner Vorgang. Natur des Farbstoffes. Chemische
Processe bei der Bildung desselben.
Die Blaufärbung der Milch ist ein Symptom einer eigenthümlichen
Zersetzung. Dieselbe ist in ihrem Eintritt und Verlauf abhängig
von der Milchsäure-Bildung einerseits und dem Zustand des
Casein andererseits. — Sie tritt erst ein, nachdem ein gewisser
Säuerungsgrad erreicht ist, verhindert aber das Fortschreiten der
Säuerung, d. h. die Milch bleibt, so lange sie blau ist, schwach
sauer”). Sie setzt ferner das Vorhandensein von unverändertem
Casein voraus, eines Casein, welches zwar in Folge der Säuerung
aus seiner Lösung ausgefällt, aber noch nicht in den Zustand des
„eoagulirten Eiweiss“ übergegangen ist; das aus der Lösung gefällte
Casein wird während der Bläuung wieder verflüssigt, — Das
Fett der Milch wird nicht mit verändert, ist überhaupt zum Gelin-
gen des Processes nicht erforderlich?). Die Bläuung setzt die Ge-
genwart sauerstoffhaltiger Luft voraus, (in der Milch absorbirt), und
verläuft unter Bildung von Kohlensäure, welche, wenn der Pro-
cess stürmisch verläuft, in so grosser Menge abgeschieden wird, dass
'!) Für die Ueberlassung der betr. meteorologischen Daten bin ich Herrn
Dr. Wiese, Director der Navigationsschule in Rostock, zu grossem Dank
verpflichtet.
Su ef Haubner, resp. 55; .3)’Desel. 1 ep. 70.
210
sie das Sahnehäutchen in Blasen abhebt '. — Hand in Hand mit
dieser Zersetzung und proportional mit derselben geht die Entwick-
lung der weiter unten zu beschreibenden Bacterien. —
Bei der Frage nach dem Wesen, d. h. dem chemischen Ablauf
dieses Processes wird man naturgemäss zunächst das Endresultat,
den gebildeten Farbstoff, ins Auge fassen. Die älteren Ansichten
über denselben will ich nur beiläufig erwähnen, da sie alle auf Ver-
muthung, nicht auf Untersuchung beruhen. Hermbstaedt und seine
Anhänger glaubten, dass es sich um Indigo, welcher aus dem Futter
stamme, handle; Nadt und später Drouard und Leclere hielten
den Farbstoff für phosphorsaures Eisenoxydul-oxyd; Steinhof,
welcher in dem ganzen Process eine Art von Fäulniss, ein „Verder-
ben“ der Milch sah, glaubte, dass sich hier Berlinerblau bilde, durch
einen ähnlichen Process, wie er zur Darstellung des Blutlaugensalzes
aus dem Blut künstlich hervorgerufen werde. Fuchs lässt die Frage
unentschieden, und auch Haubner, obwohl er ziemlich genaue Unter-
suchungen angestellt hat, ist zweifelhaft, ob hier ein organischer
Farbstoff im Spiele sei, oder doch nur phosphorsaurer Eisenoxyd-oxydul.
Die erste Arbeit mit einem bestimmten Resultat stammt von
Erdmann?). Derselbe untersuchte ausser dem Farbstoff des
Micrococcus prodigiosus auch die blaue Milch und kam zu dem Schluss,
dass beide Anilinfarben seien, welche sich aus dem Eiweiss der zur
Cultur benutzten Nährstoffe bildeten. Die Erdmann’sche Angabe,
obwohl sie sich auf eine eigentlich mangelhafte Beweisführung stützt,
fand grossen Beifall und es wurde von verschiedenen Seiten der
Versuch gemacht, dieselbe zu bestätigen, und zwar zunächst betrefis
des rothen Farbstoffs. — Diese Bestätigung gelang aber nur unvoll-
kommen. Schon Schröter’), der im Jahre 1871 eine grössere
Reihe von durch Bacterien erzeugten Farbstoffe prüfte, kam zu dem
Resultat, dass dieselben zwar alle eine grosse Aehnlichkeit mit den
entsprechenden Anilinfarben darbieten, dass aber kein einziger von
ihnen mit einer der künstlich erzeugten Anilinfarben identisch ist.
Speeiell wies er dies für die rothe Farbe des Micrococeus prodi-
1) Ob noch andere Gase sich bilden, vermag ich nicht zu sagen. Die Kohlen-
säurebildung ist leicht durch Ueberleiten von kohlensäurefreier Luft über
blauwerdende Milch und nachheriges Waschen der Luft in Barytwasser nachzu-
weisen. — Schwefelwasserstoff bildet sich nieht. (Probe mit Bleipapier.)
2) Dr. O. Erdmann, Bildung von Anilinfarben aus Proteinkörpern. Jour-
nal f. prakt. Chemie. Bd. 99. H. 7 und 8. p. 385. — 1866.
3) J. Schröter, Ueber d. Bact. geb. Pigmente. Cohn’s Beitr. z. Biol,
0. Pl. 172. P.109
2ıl
giosus nach, welchen Erdmann für identisch mit Fuchsin erklärt
hatte. In ausführlicher Weise wurde dieselbe Frage später von Helm!)
untersucht mit dem gleichen Resultat, dass das von dem Micrococcus
gelieferte Roth mit keiner rothen Anilinfarbe übereinstimme.
Bezüglich des blauen Farbstoffes in der Milch kann ich dasselbe
behaupten. Erdmann bezeichnet denselben als Triphenyl-rosanilin,
und es ist nicht zu leugnen, dass einzelne der Reactionen bei beiden
Körpern fast gleich sind; jedoch bietet das Blau der Milch daneben
Eigenthümlichkeiten, die keinem der uns bekannten blauen Anilin-
farbstoffe zukommen. —
Der Farbstoff der blauen Milch ist nicht an die Bacterien gebun-
den, (wahrscheinlich sind dieselben überhaupt nicht gefärbt), sondern
in dem Serum der Milch gelöst. Er ist leicht löslich in säurehal-
tigem Wasser, fast gar nicht löslich in Alkohol, unlöslich in Aether,
Chloroform etc. Dagegen löst er sich ziemlich leicht in Glycerin.
Derselbe ist in hohem Grade unbeständig und es ist mir deshalb
ebensowenig wie den früheren Untersuchern gelungen, ihn zu isoliren.
In der wässrigen Lösung zersetzt er sich schon während des Filtri-
rens und auch in Glycerin verblasst er dem Licht ausgesetzt in
wenigen Stunden, im Dunkeln in 1—2 Tagen. Zusatz von Essig-
säure, Salzsäure, Phosphorsäure, verdünnter Schwefel- oder Salpeter-
säure verändern die blaue Farbe nicht. Ammoniak giebt ihr einen
etwas violetten Ton, während kohlensaures und kaustisches Kali und
Natron dieselbe sofort in ein schönes Rosenroth verwandeln, aber
den Farbstoff nicht ausfällen. (Aus dem gewöhnlichen Anilinblau
wird der Farbstoff durch Kalilauge in rothen Flocken ausgefällt.)
Setzt man der so gerötheten Lösung Säure zu, so wird die blaue
Farbe wieder hergestellt. Lässt man dagegen die mit Kal. caust.
' versetzte Lösung längere Zeit (12—24 Stunden) stehen, so verwan-
delt sich das Rosaroth in ein Ziegelroth mit undeutlicher Fluorescenz.
Dieser ziegelrothe Farbstoff wird durch Säuren nicht blau, vielmehr
zunächst gelbroth und nach einiger Zeit entfärbt. In der alkalischen
Lösung hält er sich längere Zeit unverändert, wird aber durch
Kochen zerstört. Die Farbe geht hierbei in Gelb oder Gelb-braun
über. Beim langsamen Verdunsten scheidet er sich zwischen den
Kalikrystallen als gelbrothes amorphes Pulver ab, welches in Alkohol
und Aether unlöslich ist, in alkalischem Wasser sich schwer löst.
Da diese chemischen Eigenschaften zwar die Unterschiede von den
gewöhnlichen Anilinfarben demonstriren, aber zur genaueren Kennt-
!) Otto Helm, Reichardt’s Archiv d. Pharmacie 1375, p. 19—24.
Cohn, Beiträge zur Biologie der Pflanzen. Band Ill, Heft Il 15
212
niss des Farbstoffs wenig beitragen, habe ich die Untersuchung des
speetroskopischen Verhaltens zum Zweck einer genaueren Charak-
terisirung des hier vorliegenden Körpers angewandt.
20 _ E _2ı
2 FE _ 33 E73 25 %
Kosin verdünnt. D E
Spectra der aus der blauen Milch dargestellten Farbstoffe und verschiedener Anilinfarben.
Bekanntlich ist das Spectroskop in nenerer Zeit häufig und mit gutem
Erfolg zur Bestimmung und Identifieirung von organischen Farbstoffen,
deren chemische Natur noch nicht genügend aufgeklärt ist, benutzt wor-
den. So zur Bestimmung der Farbstoffe niederer Seethiere, welche bei
der Challenger-Expedition gefunden waren von Moseley'), ferner
für Bacterienfarbstoffe von Schröter?), Lankester°), E. Klein?)
i) Moseley, On the colouring matters of various animals. Quart. Journ.
of mier. sc. Bd, XV p. 1.1877. DI ö
3) Lankester, On a peach-coloured Bacterium. Quart. Journ. of mier.
sc. Bd. XIII. p. 408. 1873. *) E. Klein, Note on a pink-coloured Spirillum.
Quart. Journ. of mier. sec. Bd. XV. 1875.
213
u. A., und ich durfte also hoffen auch für den Farbstoff der blauen
Milch ein charakteristisches Spectrum zu erhalten. Diese Hoffnung
hat sich auch erfüllt, wenigstens für den durch längere Behandlung
mit Kali caust. gewonnenen Körper. Vergl. den Holzschnitt auf 8. 212.
Den ursprünglichen blauen Farbstoff sowie den bei der Behand-
lung mit caustischen Alkalien zuerst entstehenden rosarothen konnte
ich wegen ihrer Zersetzlichkeit nur in sehr verdünnten Lösungen
untersuchen, welche nur schwache Absorptionsstreifen im Spectrum
geben. Jedoch habe ich trotzdem mich überzeugen können, dass
der blaue Farbstofl sich spectroskopisch sehr ähnlich verhält, wie
eine gleich stark verdünnte Lösung von Triphenyl-Rosanilin.
Beide geben einen Streifen im Gelb, die Anilinfarbe sehr verwischt,
der Farbstoff der blauen Milch ziemlich scharf. — Das concentrirte
Anilinblau, dessen Spectrum zum Vergleich daneben gezeichnet ist,
giebt eine ausgedehnte Verdunkelung sämmtlicher Farben zwischen
C. und F. — Dagegen zeigt der durch Kalilauge gewonnene rosa-
rothe Farbstoff durch sein spectroskopisches Verhalten klar, dass er
mit dem Rosanilin nicht identisch ist. Das letztere giebt ein schar-
fes Absorptionsband im Grün, der erstere eine Verdunkelung, welche
dicht hinter D. ziemlich scharf beginnt, und sich ohne deutliche
Grenze bis in die Nähe von F. erstreckt. Der ziegelrothe durch
längeres Behandeln mit Alkali erhaltene Farbstoff zeigt in seinem
chemischen Verhalten eine gewisse Aehnlichkeit mit Purpurin, dem
er auch in der Farbe gleicht. Dagegen weichen die Spectra bedeu-
tend von einander ab. — Bemerkenswerth erscheint mir die grosse
Aehnlichkeit des Spectrums von diesem Körper mit dem einer ver-
dünnten Eosinlösung, welches auf eine nahe Verwandtschaft dieser
beiden Stoffe hinzudeuten scheint. Wirklich identisch sind sie nicht,
denn das Eosin ist in Alkohol sehr leicht löslich, unser Farbstoff
gar nicht; im Uebrigen zeigen sie allerdings fast die gleichen Reae-
tionen. — Das Resultat der obigen Untersuchungen würde also sein,
dass wir es mit einem Farbstoff zu thun haben, welcher zwar mit
keiner der im Handel vorkommenden blauen Anilinfarben identisch
ist, jedoch denselben chemisch nahe verwandt zu sein scheint.
Wie haben wir uns nun aber die Entstehung dieses Farbstoffes
zu denken? — welche Stadien durchläuft die chemische Umsetzung
bis zu diesem Endresultat? — welche Bestandtheile der Milch lie-
fern das Material dazu? — Leider ist eine bestimmte, auf striete
Beweise gegründete Beantwortung dieser Fragen zur Zeit nicht mög-
lich, — Haubner zieht aus seinen Beobachtungen den Schluss,
dass das Casöin den blauen Farbstoff liefere, ohne sich jedoch auf
15*
214
eine Erörterung der chemischen Vorgänge hierbei einzulassen. —
Erdmann schliesst sich der Haubner’schen Ansicht an. — Darü-
ber, auf welche Weise und durch welche Veränderungen des Casäins
aus demselben Triphenyl-Rosanilin gebildet werde, spricht er sich
in sehr allgemein gehaltenen Sätzen aus wie folgt:
„Vergleicht man die procentische Zusammensetzung der Protein-
stoffe mit der der Anilinfarbstoffe:
Proteinstoffe. | Anilinfarbstoffe.
| Rosanilin. Triphenyl-Rosanilin.
C 52,7—54,5 pCt. 19,3 83,4
H. 6,9— 7,3 - 6,6 6,0
N 15,4—16,5 - 13,1 1:4
16) 20,8—23,5 = 5,0 2,9
S. 0,8— 0,16 = — =
„go braucht man sich nur der schon bekannten Producte der Fäul-
niss, der Kohlen-, Essig-, Milch-Säure, des Ammoniaks, Trimethyla-
mins zu erinnern, um durch Austritt derselben aus dem Atomen-
complex der Proteinstoffe die Bildung des Farbstoffes erklärlich zu
finden, ja durch eine Formel repräsentiren zu können.“ —
Ich halte diese Ansicht über die Entstehung des Farbstoffes für
unrichtig. Abgesehen davon, dass das Schicksal des Schwefels aus
den Eiweisskörpern dabei gar nicht berücksichtigt worden, ist nicht
einzusehen, warum das thierische Eiweiss und das reine Casein nicht
denselben Zersetzungsprocess sollten erleiden können, wie das in
der Milch befindliche. Hauptsächlich aber stützen sich meine Zweifel
auf meine oben erwähnten Experimente mit eiweissfreier Nährlösung.
Dieselben scheinen mich zu dem Schluss zu berechtigen, dass hier
analoge Vorgänge eintreten, wie die von Zöller') bezüglich des
Stoffwechsels von Schimmelpilzen in essigsauren Salzen beschriebenen;
und da der aus der blauen Nährlösung sich bildende Farbstoff in
seinem chemischen und spectroskopischen Verhalten sich als völlig
identisch mit dem der blauen Milch erweist, so glaube ich auch in
der Milch selbst den gleichen Process annehmen zu dürfen. —
Zöller fasst die Ergebnisse seiner Versuche in folgende Sätze
zusammen: 1. Die chlorophyllose Zelle (Pilzspore) hat die
Fähigkeit, aus organischen Säuren (Essigsäure) im Verein
mit den Aschenbestandtheilen und mit Ammoniak die höheren
1) Zöller, Ueber Ernährung und Stoffbildung der Pilze. Sitzg. d. Kaiser].
Acad. d. Wissensch. in Wien. 9. Juli 1874; vergl. auch Cohn, diese Beiträge
Bd. I. H. 2 p. 209.
215
Pflanzenstoffe: Eiweissstoffe, Fett, Kohlenhydrate zu bilden. 2. Bei
dieser Bildung verschwindet die Säure vollständig; ihr Kohlenstoff
findet sich zum Theil in organischer Form in der Pflanze, zum Theil
als Kohlensäure in der rückständigen Nährflüssigkeit — — —')
Ganz ähnlich verläuft der Process auch in der blau werdenden Nähr-
lösung, welche aus milchsaurem Ammoniak und Cohn’scher Flüssig-
keit besteht. Auch hier wird die organische Säure mehr und mehr
aufgezehrt und an ihre Stelle tritt unter Bildung von kohlensaurem
Alkali (welches durch Baryt nachweisbar ist), theils belebte organische
Materie in den wuchernden Bacterien, theils der blaue Farbstoff.
Deshalb glaube ich, dass auch in der Milch das eigentliche Material
zur Bildung des Farbstoffes die Milchsäure (also indireet der
Milchzucker) ist, und dass der zugleich durch die Bacterienwucherung
zersetzte Käsestoff nur insofern bei der Farbenbildung betheiligt ist,
als er bei seiner Zersetzung das nöthige Ammoniak liefert.
Die auch hier als Abfallsproduet gebildete Kohlensäure wird in der
Milch nicht, oder nur zum Theil an Alkali gebunden, sondern ent-
weicht, wie schon oben bemerkt, in die Luft. — Dass der von mir
angenommene Vorgang keineswegs complieirter, sondern eher ein-
facher ist, als die Bildung des Farbstoffes aus Eiweiss nach Erd-
mann’s Ansicht, wird bei einer Vergleichung der chemischen Con-
stitution des milchsauren Ammovniaks und des Anilins, sowie seiner
Derivate ohne weiteres klar. Die Aufstellung einer theoretischen
Formel für die hier eintretenden Umsetzungen muss natürlich unter-
bleiben, so lange uns die chemische Zusammensetzung des resul-
tirenden Stoffes unbekannt ist. —
Es sei mir gestattet hier noch eine kurze Bemerkung anzureihen
über die supponirte Giftigkeit der blauen Milch. Ich würde
dieses Thema trotz seines grossen praktischen Interesses als ausser-
halb des Rahmens dieser Abhandlung liegend nicht berührt haben,
wenn nicht die letzte grössere Veröffentlichung über blaue Milch und
zugleich die einzige aus medicinischer Feder, die von Mosler, sich
1) Der hauptsächlichste und wichtigste Unterschied der hier vertretenen
Anschauung von der Erdmann’schen liegt darin, dass E, einen analytischen
Process annimmt, während nach meiner Meinung ein synthetischer Vor-
gang vorliegt. — Nachdem Pasteur zuerst die Fähigkeit niederer Pflanzen,
Eiweisskörper aus niedrigeren Verbindungen synthetisch darzustellen, nachge-
wiesen hatte, (vergl. ausser seinen anderen Arbeiten „die Alkohol-Gährung,
deutsch von Vietor Griessmayer, Augsburg 1871“) sind analoge Beobachtungen
in grosser Zahl von verschiedenen Forschern gemacht worden. Ich habe hier
nur die Zöller’sche Arbeit erwähnt, weil sie im Detail den Verhältnissen
bei der blauen Milch am meisten entspricht.
216
hauptsächlich mit der Erörterung dieser Frage befasste und dabei
zu Schlussfolgerungen käme, denen ich wiedersprechen muss.
Die Ansicht, dass die blaue Milch giftig wirke, wurde wohl zuerst
von Steinhof aufgestellt, welcher sagt: „weniger verdorben erregt
sie bei Menschen und Schweinen Unruhe oder Beängstigung, Schwin-
del, Zuckungen und heftiges Erbrechen; und, wenn mehr verdorben
den Schweinen gegeben, sogar den Tod unmittelbar oder nach län-
gerem Siechthum.“ — Die Steinhof’schen Angaben scheinen bei
den praktischen Landwirthen und bei der Majorität der Thierärzte
nicht viel Glauben gefunden zu haben. — Ich habe in der mir zu-
gänglichen späteren Litteratur keine einzige Bemerkung gefunden,
welche die Giftigkeit der blauen Milch bestätigte, wohl aber wird
in verschiedenen Lehrbüchern der Thierarzeneikunde direct ausge-
sprochen, dass giftige Wirkungen von blauer Milch, so lange sie
nicht weiter zersetzt sei, nicht zu befürchten seien '). — Haubner
(l. e. p. 141) wirft Steinhof sogar vor, dass er die Giftigkeits-
theorie sich nur als Beweis für seine Ansicht, dass der Farbstoff
Berlinerblau sei, construirt habe; er sagt: „Man sieht, es ist eine
blosse Vermuthung, die Steinhof hier äussert und diese ist wenig
begründet. Eine Schädlichkeit der blauen Milch hat bis
jetzt noch niemand beobachtet, und wenn es der Fall wäre,
dann ist wieder das Berlinerblau nicht giftig.“
Mosler, welcher eine von ihm beobachtete fieberhafte Gastritis
mehrerer Glieder einer Familie auf den Genuss von blauer (dicker)
Milch zurückzuführen sucht, scheint von diesem allgemeinen Wider-
spruch gegen Steinhof’s Lehren nichts gewusst zu haben, er
erwähnt denselben nirgends, sondern führt nur St. an, der vor ihm
ähnliche Erscheinungen „beobachtet“ habe. — Darüber, was eigent-
lich das giftig wirksame Agens in der blauen Milch sei, scheint
Mosler mit sich selbst nicht einig geworden zu sein. Auf 8. 170
sagt er: „Gewiss ist die giftige Wirkung der blauen Milch um so
mehr anzunehmen, seitdem Erdmann den Farbstoff derselben für
Anilin erkannt hat“ und fährt, unter Berufung auf Schuchardt
und Sonnenkalb, fort: „— — — dass das Anilin zu den star-
ken Giften zu rechnen ist und zwar zu der Klasse derjenigen Gifte
gehört, welche ihre Wirkung in den Üentralorganen des Nerven-
systems, nämlich im Rückenmark äussern.“ — Ferner auf S. 171:
„Wenn auch die Menge von Anilin, welche in unseren oben mitge-
1) Vergl. Wagenfeld, Allgem. Vieharzneibuch. Königsberg 1836 und
A.Schmidt, Aufzucht, Wartung etc. d. Pferde, des Rindviehs ete. Berlin 153.
217
theilten Fällen mit der blauen Milch importirt war, wohl nur eine
geringe gewesen ist, so ist nach diesen Angaben doch anzunehmen,
dass das Anilin bei der Erzeugung der Gastritis eine Rolle gespielt
hat.“ — Auf derselben Seite im nächsten Absatz fährt er fort: „Wir
dürfen um so mehr annehmen, dass die oben erwähnte Krankheit
durch die blaue Milch herbeigeführt wurde, da schon mehrfach
beobachtet worden ist, dass durch Importation von Pilzen in den
tractus intestinalis krankhafte Symptome erzeugt worden sind.“
(Folgen Citate über Krankheiten nach dem Genuss von OLdium
lactis, Hefe, Schimmel.) — Endlich p. 174 ff. führt er aus, dass er
durch Fütterung mit blauer Milch bei Kaninchen Diarrhöe und
Enteritis erzeugt habe, und dass er später dieselben Erscheinungen
mit „den Pilzen der sauren Milch“ und mit Hefe erhalten habe. —
Was ist denn nun eigentlich die Ursache der Vergiftung? Das
Anilin, oder die „Pilze,“ oder beide, oder keines von beiden? —
Mir will es scheinen, als ob Steinhof und Mosler insofern
einen Beobachtungsfehler begangen haben, als sie nicht zwischen
pilzfreier und oidiumhaltiger blauer Milch unterschieden haben. —
Dass die letztere gerade so gut wie die nicht blaue mit Oidium
durchsetzte Milch schädlich wirken kann, wird niemand bestreiten;
der schädliche Einfluss des Oidium auf den thierischen Organismus
ist genugsam bekannt. — Anders verhält es sich mit der frischen
blauen Milch, welche zwar Bacterien und den blauen Farbstoff, aber
noch keine Schimmelpilze enthält. — Hier hat man zunächst schon
gar keinen theoretischen Grund eine schädliche Wirkung zu erwarten.
Dass Bacterien als solche vom Darmkanal aus nicht schädlich wirken
müssen, dass dieselben vielmehr mit wenigen Ausnahmen (Dacillus
anthracis) keine Symptome machen, zeigen uns ausser mannigfachen
directen Experimenten mit fauligen Substanzen etc. eine nicht geringe
Zahl unserer Nahrungsmittel, wie manche Käsesorten, Sauerkraut,
gewöhnliche dicke Milch, Gänsesauer etc., welche ohne Nachtheil
genossen werden können, obwohl sie zahlreiche Bacterien enthalten.
Aber der Farbstoff! Das Anilin! — Selbstverständlich muss es
zugegeben werden, dass das Anilin und die Anilinsalze starke Gifte
darstellen. Das gilt aber nicht in demselben Maasse von den sub-
stituirten Anilinen und ihren Salzen, die wir als Anilinfarben ken-
nen. Von diesen wissen wir, dass sie, sobald sie nicht mit Arsenik
verunreinigt sind, ohne Gefahr selbst in grösseren Dosen dem Körper
einverleibt werden können, sowohl vom Magen aus, wie bei direeter
Einspritzung ins Blut'). Bei der Verdünnung, in welcher der Farb-
1) Vergl. Chrzonszezewsky, Virch. Arch. XXXV. p. 157 u. A.
218
stoff in der blauen Milch sich findet, könnten wir wohl überhaupt
eine Einwirkung auf den Organismus nicht erwarten. Ich kann
übrigens als Beweis meiner Behauptung auch Experimente an Ka-
ninchen anführen. Freilich sind es nur zwei, aber da Mosler auch
nicht mehr angestellt hat, könnten sie vielleicht seinen beiden die
Waage halten. Ich habe zweimal mehrere Tage lang Kaninchen
ausschliesslich mit blauer Milch und trockenem Brod gefüttert und
beobachtet, dass sie das Futter gern frassen und gut dabei gediehen.
Eins dieser Thiere, welches einige Tage nach der Fütterung secirt
wurde, zeigte nicht die geringste Veränderung im Darmkanal.
Nehme ich zu diesen theoretischen und experimentellen Gründen
noch das gemeinsame Urtheil der thierärztlichen Schriftsteller, so
glaube ich zu der Behauptung berechtigt zu sein, dass die blaue
Milch, so lange sie keine Oidiumwucherung enthält, nicht giftig
ist, sondern von Thieren und wahrscheinlich auch vom Menschen
ohne Schaden genossen werden kann.
IV. Mikroskopische Untersuchung.
1. Methode der Untersuchung.
Ehe ich an die Beschreibung der bei der mikroskopischen Unter-
suchung gewonnenen Resultate gehe, muss ich einige Worte über
die bei derselben angewandte Methode einschalten. Die Untersuchung
von Bacterien gehört anerkannter Maassen zu den schwierigsten Auf-
gaben, die dem Mikroskopiker gestellt werden können. Die Schwie-
rigkeit liegt nicht bloss in der Kleinheit der Untersuchungsobjecte.
Allerdings handelt es sich hier um Gebilde, zu deren Darstel-
lung nur unsere stärksten Systeme eben ausreichen und es wird dem-
nach bei der Untersuchung derselben die Aufmerksamkeit und das
Accommodationsvermögen des Beobachters auf eine harte Probe gestellt;
jedoch es giebt auch auf anderen Gebieten Fragen, bei denen es
sich um die Analyse ähnlich kleiner Formen handelt, wie z. B. die
Krystall-, Glas- und Lufteinschlüsse der Gesteine, und diese sind
trotz der Kleinheit der Objeete gelöst worden. Auch das nur wenig
von den Nährflüssigkeiten unterschiedene Lichtbrechungsvermögen
der Bacterien, die geringen und nur bei besonders günstiger Beleuch-
tung erkennbaren Dichtigkeits-Unterschiede im Protoplasma der* ein-
zelnen Individuen sind nicht mehr für die mikroskopische Erkennt-
niss in so hohem Grade hinderlich, seitdem wir gelernt haben diese
Gebilde durch Färbung stärker hervorzuheben. Die Schwierigkeit
liegt überhaupt weniger in dem Sehen als in der Deutung des Ge-
sehenen, und zwar aus dem Grunde, weil hier die sonst in der Mor-
219
phologie gebräuchlichen Methoden gar nicht, oder doch nur theilweise
anwendbar sind. — Die Bestimmung und Identifieirung einer Bacterien-
art nach blossen Merkmalen der äusseren Form, wie sie das einzelne
Individuum darbietet, erscheint (mit Ausnahme vielleicht der Spiril-
len und Spirochaeten) absolut unmöglich, ebenso wie eine Bestimmung
nach der Lagerung der Individuen einzeln oder in Colonien, denn
wir finden in dieser Beziehung einerseits eine Monotonie, anderer-
seits eine Unbeständigkeit, welche jeden Versuch einer Orientirung
vergeblich erscheinen lässt. Finden wir doch schon bei viel höher
stehenden Pflanzen einzelne Entwicklungszustände, welche die For-
men anderer Gattungen so vollkommen nachahmen, dass man nur
durch Beobachtung ihrer weiteren Entwicklung entscheiden kann,
welcher Sorte sie angehören. Ich erinnere hier nur an die Hefe-
formen des Mucor racemosus und deren Aehnlichkeit mit Saccharo-
myces'). — Wir sind auch zur Bestimmung der Bacterien vor allen
Dingen auf das Studium ihrer Entwicklungsgeschichte angewiesen.
Hier sind jedoch die Schwierigkeiten erst recht bedeutend. Die
sicherste und die einzige über jeden Widerspruch erhabene Methode
der Untersuchung wäre natürlich die Beobachtung eines ganzen Ent-
wicklungseyelus an einem und demselben Individuum, von der Spore
ausgehend bis wieder zur Bildung neuer Sporen, in der Weise wie
sie von Du Bary und Brefeld zur Bestimmung der Schimmel-
pilze ausgeführt wurde. Eine solche Beobachtung dürfte jedoch bei
Bacterien in den meisten Fällen unmöglich sein”). Einmal wird
bei der Kleinheit der Gebilde die Isolirung des einzelnen Indivi-
duums und die Uebertragung desselben in eine geeignete Nährlösung
unter Vermeidung fremder Keime sehr schwierig sein, zweitens ist
mir nicht ersichtlich, wie man es anfangen sollte bei den beweg-
ten Formen ein einzelnes Individuum Tage lang zu beobachten, ohne
es bei dem beschränkten Gesichtsfeld, welches unsere starken Im-
mersionssysteme bieten, aus den Augen zu verlieren. Endlich aber
wäre selbst nach glücklicher Ueberwindung aller dieser Schwierig-
keiten noch nicht viel gewonnen; man würde zwar ein Bild des
Entwicklungseyelus haben, wie es in einem bestimmten, sich gleich
bleibenden Medium abläuft, aber dadurch keine Kenntniss erlangen
1) Vergl. die hierauf bezüglichen Arbeiten von Brefeld, Rees u. A.
2) Brefeld, Untersuchungen über Spaltpilze. I. Bacillus. (Sitzungsber.
der Gesellsch. naturforschender Freunde in Berlin v. 19. II. 1878) giebt an,
dass er für Baeillus eine solehe Methode gefunden habe. Die Arbeit, auf
welche er betreffs der Details verweist, ist jedoch meines Wissens noch nicht
erschienen.
220
von den Modificationen dieses Cyclus, respective den anderen For-
men des Wachsthums und der Fortpflanzung, wie sie in Medien von
anderer und wechselnder Zusammensetzung vorkommen. Dass der-
artige Modificationen bei jeder Bacterienart eintreten können, dürfte
kaum zweifelhaft sein.
In der grossen Mehrzahl der Fälle ist die einzige bis jetzt aus-
führbare Methode die Untersuchung von Massen-Culturen. Durch
diese an und für sich, ohne die Anwendung besonderer Cautelen
und Controlmassregeln, wird jedoch ein sicheres Resultat nie erreicht
werden können. — Denn so wenig man auch bei sorgfältigster Be-
wirthschaftung es verhindern kann, dass auf dem Weizenacker neben
dem Weizen auch Unkraut gedeiht, so wenig wird man im Stande
sein es sicher zu verhindern, dass neben den zur Untersuchung aus-
gesäeten Baeterien auch andere Formen, sei es gleich mit der Aus-
saat, sei es bei den zur Untersuchung nöthigen Manipulationen, wie
Oeffnen der Gefässe ete. mit eindringen und das Bild verwirren. —
Von den verschiedensten Forschern und in der mannigfaltigsten Weise
sind Versuche angestellt worden, um diese Fehlerquellen zu verrin-
gern. Es ist hier nicht der Ort diese Versuche zu besprechen, ich
will nur die ihnen zu Grunde liegenden Principien kurz erwähnen.
Man war zunächst bestrebt das von der Aussaat unabhängige Ein-
dringen von Keimen aus der Luft zu verhindern. Als Mittel hierzu
dienten der vollständige Verschluss der zur Zucht benutzten Gefässe
(durch Zuschmelzen ete.), ferner der Verschluss durch einfache (Watte,
Thonplatten, gebogene Glasrohre) oder complieirtere ') Luftfilter;
endlich die natürlich nur in gewissen Fällen anwendbaren Züchtun-
gen im lebenden Thierkörper?). Alle diese Versuche wenden sich
gegen den minder gefährlichen Feind der „Reineultur;“ denn es ist
durch zahlreiche Experimente erwiesen, dass ein einmal von einer
bestimmten Bacterienart überwucherter Nährboden für die Ansiede-
lung neuer, fremder Formen nur geringe Chancen bietet. Die bei
weitem gefährlichere Fehlerquelle liegt in der Vermengung der zur
Aussaat benutzten Keime mit fremden, welche also gleich mit diesen
in die Nährlösung gebracht werden; und diese Fehlerquelle ist zu-
1) Vergl. Klebs, Beiträge z. Kenntniss der pathogenen Schistomyceten.
Arch. für experim. Pathologie. IV. p. 125. 1875 und Lister, Bacteria and
the germ theory. — Quart. Journ. of mier. sc. Bd. XIII. p. 380. 1873.
2) Vergl. Koch, 1. c. p. 75. — Ferner die Arbeiten über Corneal-Impfun-
gen von Nassiloff, Virch. Arch. 50. 1870. Eberth, zur Kenntniss der
baeteritischen Mycosen. Frisch, Experimentelle Studien über die Verbrei-
tung der Fäulnissorganismen. Erlangen 1374,
221
gleich viel schwieriger zu überwinden. In manchen Fällen, wenn
nämlich die zu untersuchenden Keime eine bedeutende Lebenstena-
eität besitzen, gelingt es die Verunreinigungen durch chemische oder
physikalische Mittel zu zerstören, welche das Untersuchungsmaterial
selbst nicht angreifen'). Natürlich ist aber diese Methode keines-
wegs zu allgemeiner Anwendung geeignet. — Am empfehlens-
werthesten und wohl auch am meisten angewandt ist das von
Klebs?) aufgestellte Prineip der „fractionirten Cultur“ d. h. wie-
derholter Aussaaten (von A auf B, von B auf C, u. s. w.) in der
Erwartung, dass in jeder höhern Nummer die Verunreinigungen in
entsprechender Potenz verdünnt werden, so dass sie schliesslich
bedeutungslos sind. — Selbst bei Anwendung aller dieser Cautelen
wird jedoch die Masseneultur zur morphologischen Feststellung der
gezüchteten Art nur einen bedingten Werth haben, namentlich wenn
sie in einem anderen Medium stattfindet als das ist, welchem die gezüch-
teten Keime entnommen wurden, so lange es nicht gelingt, aus ihr
wieder die Formen, von welchen die Züchtung ausging, zu gewinnen
und also die Kreislinie bis zurück zu ihrem Ausgangspunkt zu ver-
folgen. Es werden demnach bei jeder Massencultur Controlversuche
in dieser Richtung nöthig sein, um die Identität der durch Züchtung
erhaltenen Formen mit der ursprünglichen zu erweisen. —
Ich habe mich bemüht, bei meinen Untersuchungen den oben
ausgesprochenen Anforderungen möglichst zu genügen. Zur Auf-
nahme der Nährflüssigkeiten benutzte ich theils gewöhnliche Reagenz-
gläschen, welche vorher durch Auskochen mit Säure und Waschen
mit Alkohol vollständig gereinigt wurden. Die Flüssigkeit (frisch
bereitete Cohn’sche Nährlösung) wurde in dem Gläschen gekocht
und gleich nach dem Kochen die Mündung desselben mit einem
Pfropf von entfetteter Verbandwatte geschlossen, welcher nur auf
Augenblicke bei der Impfung und bei Entnahme von Proben zur
Untersuchung gelüftet wurde. Für einen anderen Theil der Nähr-
flüssigkeiten, nämlich für Milch, die blauwerdende Nährlösung
(Cohn’sche Lösung und Ammon. lacticum) etc. benutzte ich flache
Glascylinder mit abgeschliffenem Rande von 8 cm Durchmesser und
6 cm Höhe. In dieselben, nachdem sie ebenso wie die Reagenz-
gläschen gereinigt waren, wurden je 50 Ccm der betreffenden Flüssig-
keit, nachdem dieselbe vorher bis zum Kochen erhitzt war, heiss
1) Vergl. die Arbeiten von Eidam und Cohn in Oohn’s Beitr. z. Biologie
der Pflanzen. Bd. I u. 2.
2) Klebs, Archiv f. experimentelle Pathologie u. Pharmakologie Bd. II. ff.
222
eingegossen und dann das Gefäss durch eine auf den geschliffenen
Rand passende Glasplatte geschlossen. Die so abgesperrte Luft-
menge (ca. 300 — 320 Ccm) ist, wie ich mich mehrfach überzeugt
habe, genügend gross, um den vollständigen Ablauf des Processes
zu gestatten, ohne dass durch Oeffnen des Verschlusses neue Luft
zugeführt zu werden brauchte. Jedoch wurden die meisten dieser
Gefässe auch mehrfach zur Entnahme von Proben geöffnet. Die
Anwendung besonderer Cautelen bei dem hierdurch bedingten kurz-
dauernden Zutritt von Luft halte ich auf Grund der auf p. 220 und
p. 201 Anmerkg. angeführten Thatsachen für überflüssig. Um eine
möglichst reine Aussaat zu erhalten, wandte ich ein Verfahren an,
welches im Prineip mit der Klebs’schen fractionirten Züchtung über-
einstimmt. Von der mir zuerst zugegangenen Probe blauer Milch
wurden zunächst 5 auf einander folgende Impfungen gemacht und
erst die so gewonnene sehr schön blaue, voraussichtlich von fremden
Bacterien ziemlich freie Flüssigkeit bildete den Ausgangspunkt sämmt-
licher weiterer zur mikroskopischen Untersuchung benutzter Impfun-
gen. Bei diesen war ich bemüht, durch möglichst zahlreiche Modi-
fieationen bezüglich der Zusammensetzung und der Aufeinanderfolge
der benutzten Nährlösungen das Impfmaterial fortgesetzt weiter zu
reinigen. Zu dem gleichen Zweck wurden die sporenhaltigen Mate-
rialien meist vor der Benutzung zu neuen Impfungen gekocht. Zu-
gleich bestrebte ich mich durch immer wiederholte Controlimpfungen
auf Milch von den untersuchten Nährlösungen aus, die Identität der
in ihnen befindlichen Bacterien mit denen der blauen Milch festzustellen.
Das hierbei stets erhaltene positive Resultat, sowie die constante,
Wiederkehr derselben Formen in der gleichen Nährlösung, einerlei
welche andere Lösung das Impfmaterial vorher passirt hatte, berech-
tigen mich zu der Hoffnung, dass es mir gelungen sei, Täuschungen
durch fremde Bacterien bei meinen Untersuchungen zu vermeiden.
Das nachfolgende Verzeichniss der vorgenommenen Impfungen
dürfte geeignet sein, das oben Gesagte zu illustriren. Es wurden Impfun-
gen vorgenommen mit dem gleichen mikroskopischen Befund und (in
der Milch und blauen Nährlösung) mit nachfolgendem Auftreten des
charakteristischen Farbstoffs:
1. Auf Milch.
Von frischer ‚blauer Milch \. u... rar. 0. 1.00 29 28,
getrockneter. blauer. Milch. „on zen 2 ee 3,
Vohn’scher Losungen au A DA EN 20,
“ „getrocknetem Altheeschleim rpm... er: 5,
(von diesen 4 nach vorhergehendem Kochen).
Man) Glycerin rn en A malehn aber 1%
-e mit Wasser verdünnter blauer Milch........... 4,
blauen NSbrlosunen ae ann dann: iR
Gummi- und Zuckerlösung je......ssseserser 0: 2.
2. Auf Cohn’sche Lösung,
IRISENer”DlaueraNliichtanr. sen ee es een 7,
Betrockneteräblauer” Milch. re INCL 4,
getrocknetem Altheeschleim .. 1.2... - se .lae« 4,
(davon 3 gekocht).
Eee Rn abs anne 3.
blaners N ahızlgsuner nenn ee ee e es ede> 6.
3. Auf Altheeschleim.
KIscher, DIAUERANIICHWE EN ERNERNEE 4,
Gohn’scherlLosngH.. N. IE EEE 1.
4. Auf blauwerdende Nährlösung (Cohn’sche Lösung und Ammon. lacticum).
NMonkteischerNilcha arte ke ee 16,
Coluischers Easung as ehhleptsei re Mefegeasheiatsie 4,
- Altheeschleim und getrockneter blauer Milch je. 2.
5. Impfungen aus blauer Milch.
DAELZUERERINRUNG® „un ee ae ee ee ee 3
SEIEN TOS UNTERE A EA 2;
sowie Vermischungen von blauer Milch mit Glycerin. 4.
Die Aufeinanderfolge dieser verschiedenen untersuchten Lösungen
wurde mannigfach variirt, so z. B.: Blaue Milch — Cohn’sche Nähr-
lösung — Altheeschleim — Blaue Milch; oder Blaue Milch — Althee-
schleim — Cohn’sche Nährlösung — Blaue Nährlösung — Blaue
Milch; oder Blaue Milch — Glycerin — Cohn’sche Lösung —
Blaue Milch; oder Blaue Milch — Blaue Nährlösung — Cohn’sche
Lösung — Blaue Milch und so weiter; — immer war der mikros-
kopische Befund in den gleichen Medien der gleiche, immer trat
am Schluss der Reihe wieder die ursprüngliche Form und mit ihr
der blaue Farbstoff auf.
Aus jeder Nährlösung wurden, so lange die Beobachtung der-
selben dauerte, durchschnittlich alle 12 Stunden Proben zur mikros-
kopischen Untersuchung entnommen und stets ein Theil des Materials
frisch angesehen, ein Theil zur Herstellung gefärbter Dauerpräparate
nach Koch’s') Methode verwandt. Zur Beobachtung benutzte ich
1) Koch, Verfahren zur Untersuchung, zum Conserviren und Photogra-
phiren der Baeterien. — Cohn’s Beiträge z. Biol. d. Pflanzen. Bd, 11. H. 3. p. 399.
224
ein Zeiss’sches Instrument mit Abb&’schem Beleuchtungsapparat,
und zwar für die meisten Untersuchungen das System E mit Ocul. 4.
Für die Erkennung feinerer Verhältnisse namentlich im ungefärbten
Zustande, sowie für’s Zeichnen entsprechend stärkere Vergrösserungen.
Die Zeichnungen wurden sämmtlich nach gefärbten Präparaten mit
Syst. L. Oc. 4. (Vergr. ea. 22°) angefertigt, sind jedoch auf Taf. XI.
in kleinerem Maassstabe etwa der Vergrösserung Syst. E. Oc. 4
(82) entsprechend ausgeführt.
Die mikroskopischen Resultate früherer Beobachter lassen sich
in wenige Worte zusammenfassen. Fuchs, der Entdecker der
„Vibrionen“ in der blauen Milch, bespricht zunächst den Befund
in der gewöhnlichen sauren Milch. Nach ihm sollten hier constant
2 Formen vorkommen, „eine sehr kleine Monade und ein grösseres
polygastrisches Infusor“ und diese sollten auch in der blauen Milch
sich finden, aber für die Blaufärbung nicht verantwortlich sein.
Aus der Beschreibung und den beigegebenen Abbildungen geht nur
soviel hervor, dass F. mit durchaus ungenügenden Vergrösserungen
gearbeitet hat, was er gesehen hat, ist nicht zu erkennen. Den Orga-
nismus, welchen er als eigentliche Ursache der Bläuung auffasst,
beschreibt er folgendermassen: „Es sind gegliederte Thierchen, in
der Regel mit 2 oder 3, oft aber auch mit mehr und nur selten
mit 7 Gliedern.“ Die beigegebene Abbildung zeigt je 2, 3 und
mehr in Torulaketten aneinanderliegende kugelige Gebilde, welche
man heutzutage als Microcoecen bezeichnen würde. — Vielleicht
hat Fuchs dasselbe gesehen, was ich als „Gonidien“ bezeichne.
Haubner, der die Organismen als Monas gliscens bezeichnet und
als eine Uebergangsform zwischen den Ehrenberg’schen Gattungen
Monas und Bacterium auffasst, giebt eine Beschreibung, die dem
gewöhnlichen Bild ziemlich gut entspricht: „Es sind 2gliedrige
Thierchen, die beiden Glieder in der Mitte durch einen seichten
Einsehnitt bezeichnet und an den Enden verschmälert'). Bisweilen
wurden auch eingliedrige oder richtiger doppelte Thierchen beobachtet,
die durch ein deutliches Verbindungsstück miteinander vereint
waren.“ — Die Bewegung war eine tummelnde, d. i. ein fortwähren-
des Durcheinandergleiten“ etc. In Bezug auf andere Nährlösungen
giebt er nur an, dass er das „Infusor“ im Altheeschleim stets grösser
gefunden habe (um die Hälfte und mehr) als in der Milch.
1) H. bezeichnet dieselben wegen ihrer Achnlichkeit mit dem bekannten
Gebäck kurz als „Scemmel- Monaden.“
[7
225
2. Befund in der blauen Milch. Gonidienbildung.
Untersucht man eine geimpfte Milch kurz ehe das Blauwerden
eintritt, resp. wenn eben erst ein bläulicher Schein sich bemerkbar
macht, aber noch keine Gerinnung stattgefunden hat und die Reaction
noch schwach sauer ist, so findet man constant in sehr grosser
Anzahl lebhaft bewegte Bacterien. Dieselben bieten in ihrer Form
nichts Charakteristisches, sie unterscheiden sich nicht von den in
der gewöhnlichen sauren Milch in geringer Zahl, in der gelben Milch
massenhaft auftretenden. Ihre Grösse wechselt bedeutend, sowohl
in derselben Milch als namentlich in verschiedenen Milchsorten.
Durchgängig erreichen sie eine Länge, die etwa dem halben Durchmesser
eines rothen Blutkörperehens vom Menschen entspricht, jedoch kommen
auch grössere vor und andererseits habe ich Formen gefunden, die
nur die Hälfte dieser Grösse erreichen. Länge der einzelnen Stäb-
chen 0,0025—35; Doppelstäbchen 0,0055—60. Ihre Form ist die
eines kurzen Stäbchens mit stumpf abgerundeten Enden (vergl.
Taf. XI. Fig. 1); jedoch sind sie keineswegs immer ganz gerade,
vielmehr nicht selten in verschiedener Weise schwach gekrümmt. —
In so frühen Stadien erscheinen sie meist einfach, oder nur zu zwei
aneinander gereiht. Ihre Bewegung ist eine sehr lebhafte und
wechseinde, bald hin- und herschiessend, wobei abwechselnd das
eine und das andere Ende vorangeht, bald kreiselnd oder auf einem
Ende sich drehend, bald um die Längsachse rotirend, wie man an
den etwas gekrümmten deutlich erkennen kann. Die ganze Art der
Bewegung macht den Eindruck als würde sie durch Geisseln bewirkt
und ich habe auch mehrfach geglaubt bei temporär ruhenden Stäb-
chen einen Strudel in der Flüssigkeit zu bemerken, wie er nur durch
eine Geissel erzeugt werden könnte; jedoch ist es mir nicht gelun-
gen, eine Geissel mit Sicherheit zu bemerken, weder an den leben-
den noch an den getrockneten und nach Koch’s Angabe gefärbten
Organismen. Ich muss also die Frage, ob hier eigene Bewegungs-
organe existiren, vorläufig offen lassen.
Wenn die Säuerung der Milch ausgebildet ist und dem entsprechend
die Bläuung eine grössere. Intensität erreicht, sieht man an den
Bacterien Theilungsvorgänge eintreten. Zuerst Zweitheilung eines
Jeden Stäbehens, so dass man an den blauen Stellen fast nur noch
solche zweigetheilte zu Gesicht bekommt (Haubner’s Semmelmo-
naden). Jedoch bleibt es nicht bei der einfachen Zweitheilung; die
so getheilten Bacterien theilen sich wieder, oft noch ehe sie sich
getrennt, so dass Reihen von 4 aneinanderhaftenden Stäbchen ent-
226
stehen. — Die Theilung findet in der ersten Zeit erst dann statt,
wenn das Stäbehen bedeutend, fast um das Doppelte seiner ursprüng-
lichen Länge gewachsen ist, so dass die entstehenden Theilstücke
dem früheren Mutterorganismus an Grösse nur wenig nachstehen.
Je weiter der Process fortschreitet, um so früher theilen sich diese
neugebildeten Stäbchen wieder, um so kleiner werden demnach die
resultirenden Theilstückchen. — Die Theilung erfolgt in der bei
Bacterien gewöhnlich beobachteten Weise, durch einfache Abschnürung.
Das Stäbehen verdünnt sich an einer Stelle ringförmig, ohne dass
jedoch das Protoplasma an dieser Stelle eine geringere Dichtigkeit
zeigte, wie in den übrigen Theilen des Körpers, und bricht endlich
hier durch, worauf die Theilstückchen noch eine zeitlang aneinander
liegen bleiben (durch die äussere Protoplasmaschicht, als Membran,
zusammengehalten?), um sich später zu trennen. — Mit dem Eintritt
der Theilung wird die Bewegung träger (Verlust der supponirten
Geisseln?), und zwar immer mehr mit jeder weiteren Theilung.
Damit hängt es wohl zusammen, dass die Producte der Theilung in
den ersten Generationen sich noch leicht von einander lösen, je
kleiner sie aber werden, um so fester aneinander haften und längere
Ketten bilden. — Als Endresultat dieser fortgesetzten Theilung ent-
stehen zuletzt wenig oder gar nicht bewegliche torulaähnliche Ketten.
Das einzelne Glied einer solchen Reihe ist nicht rund, sondern immer
noch länglich und zwar meist nicht einfach stäbchenförmig, sondern
mit einer geringen Einschnürung in der Mitte versehen, „bisquit-
förmig').“ (Längster Durchmesser 0,0014—12.) Vergl. Taf. XI. Fig. 3.
Mit der Bildung dieser Torulaketten ist der Entwicklungseyelus
der Pflanze in Milch abgeschlossen; das einzelne Glied einer
solchen Kette repräsentirt ein Gonidium, welches, wie es
scheint, in derselben Milch (da sie durch die vorhergehenden Pro-
cesse zersetzt ist) nicht wieder auskeimen kann, welches dagegen, in
ein neues Medium, z. B. in frische Milch versetzt, zum Ausgangs-
punkt einer neuen Entwickelungsreihe wird. — Es geschieht das in der
Weise, dass das in frische Milch übertragene Gonidium sich zu
einem Stäbchen verlängert und zugleich beweglich wird. Noch ehe
es eine bedeutendere Länge erreicht hat, theilt sich dieses Stäbchen
in zwei, welche dann schnell die Grösse der ursprünglichen Stäbchen
erreichen und, sobald genügend Milchsäure gebildet ist, unter Pro-
1) Cohn hat ähnliche Formen bei den Sporen von Crenothrix beobachtet,
Beitr. z. Biol. d. Pl. 1. 1. Vergl. auch die Arbeiten von Klebs (z. B. über
Monas pulmonalis ,„Bimonaden“, in d. Arch, f. exp. Pathologie) u. A.
227
duction von blauem Farbstoff durch fortgesetzte weitere Theilung
wieder neue Gonidien !) liefern.
Die Reihe der Generationen von dem einfachen schwärmenden
Stäbchen an bis zu den Gonidien wird in der blauen Milch unter
gewöhnlichen Verhältnissen in etwa 4—5 Tagen durchlaufen. Nach
dieser Zeit ist der grösste Theil der Bacterien in einzelne oder zu
Ketten verbundene Gonidien zerfallen; es hat damit die Bläuung
ihren Höhepunkt erreicht und die Milch blasst in den folgenden
Tagen ab, da der unbeständige Farbstoff durch das Licht, die Luft
und eventuell auch durch die Entwickelung anderer Organismen in
der Milch zerstört wird. Bis zu dieser Zeit ist man auch bei unreiner
Aussaat resp. wenn Verunreinigungen beim Oeffnen der Gefässe aus
der Luft eingedrungen sind, im Stande reine Zucht zu halten; sobald
jedoch die Gonidienbildung eintritt und damit die Weiterentwickelung
der chromogenen Bacterien ihr Ende erreicht, bemächtigen sich die
fremden Organismen des noch überschüssigen Nahrungsstoffes. —
Namentlich ist es das Ordium lactis (dessen Sporen auch bei reiner
Aussaat leicht durch die Luft übertragen werden können), welches
fast constant auftritt, aber immer erst nach Ablauf des Lebenspro-
cesses der pigmentbildenden Bacterien. Ueberträgt man absichtlich
Sporen desselben in eine noch von schwärmenden Bacterien erfüllte
Milch, so sieht man an ihnen in der Regel keine Keimung ein-
treten, so lange die Bacterienentwickelung dauert; ist dieselbe abge-
schlossen, so keimen die Sporen sehr rasch und bilden oft schon
in 1 Tage ein reichliches Mycel. — Umgekehrt kommen pigment-
bildende Bacterien in einer Milch, die wucherndes Oidium enthält,
nicht, oder nur unvollständig zur Entwickelung. — Andere Baeterien-
formen treten, falls die Aussaat rein war, auch nach Ablauf der
Bläuung selten auf; theils wohl aus dem Grunde, weil sie über-
haupt durch die Luft schwerer übertragbar sind, theils wegen der
sauren Reaction der Flüssigkeit, welche für die Entwiekelung der
meisten Bacterien hinderlich ist?). — Ich habe nur hin und wieder
1) Ich habe die Bezeichnung Gonidien gewählt, weil diese Gebilde den
unten zu beschreibenden Sporen nicht gleichwerthig sind, vielmehr ihrer Fune-
tion nach eine ähnliche Bedeutung zu haben scheinen, wie die einzelnen Glie-
der der Gonidienreihen bei den Wassermycelien mancher Schimmelpilze. (Mucor.)
2) Brefeld, Untersuchungen über Spaltpilze. I. Bacillus. — Sitzg. d.
Gesellsch. naturf. Freunde in Berlin 19. II. 1878. Derselbe, Landwirthschaft-
liche Jahrbücher IV. Jahrg. 2. Heft.
Naegeli, Die niederen Pilze in ihren Beziehungen zu den Infeetionskrank-
heiten. München 1377. — pag. 49.
Cohn, Beiträge zur Biologie der Pflanzen. Bandlll. HeftI. 16
228
Entwickelung von Dacıllus subtilis (Buttersäuregährung) und ausser-
dem das Auftreten eines sehr kleinen Micrococeus, welchen schon
Haubner') erwähnt, beobachtet. Der Letztere tritt meist in Form
kurzer Ketten, seltener in kleinen Zoogloeahaufen auf. — Dass diese
Gebilde zu den chromogenen Bacterien in keiner genetischen
Beziehung stehen, kann keinem Zweifel unterliegen; ich habe sie
hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt. —
Versetzt man die pigmentbildenden Bacterien unter ungünstige
Ernährungsverhältnisse, so bemerkt man ein ganz analoges Verhalten
wie das seit längerer Zeit bekannte und beschriebene der Schimmel-
pilze?), die Stäbchen wachsen nicht weiter, die Gonidienbildung
tritt verfrüht ein®). Ein Theil der Stäbchen (vielleicht die, welche
noch gar keine Theilung eingegangen sind) zerfällt unter solchen
Umständen körnig, die Mehrzahl wird bewegungslos und theilt
sich je nach der Länge in 2 oder 4 Gonidien (cf. Taf. XI. Fig. 4.).
Dieser Process tritt ein, einmal wenn man blaue Milch mit Oel
bedeckt, also den Bacterien die Luft entzieht. In den ersten Stun-
den schreitet, wie schon oben gesagt wurde, die Bläuung noch fort,
sobald aber die in der Milch absorbirte Luft verzehrt ist, steht sie
still und man findet dann neben einzelnen zerfallenen Stäbchen nur
noch Gonidien, meist einzeln oder nur zu wenigen aneinanderhängend,
aber keine langen Ketten bildend.. — Dass es sich hier um Go-
nidien und nicht etwa um einfache Zerfallsproducte handelt, wird durch
die Impfung auf frische Milch bewiesen, in welcher man unter ein-
tretender Bläuung dieselbe Generationsreihe sich wieder entwickeln
sieht, wie in der Milch, welche durch gewöhnliche blaue Milch
geimpft wurde.
Analoge Verhältnisse finden sich zweitens, wenn man die Bacterien
von der Milch auf gewisse andere Stoffe überträgt. Ich muss hier
etwas ausführlicher auf die im ersten Abschnitt nur kurz angedeuteten
Experimente zurückkommen. Schon Haubner scheidet die Körper,
welche, ohne selbst blau zu werden, das Contagium der blauen Milch
conserviren, in 2 Gruppen, Körper, in denen die Bacterien weiter
wuchern und Körper, in denen eine solche Vermehrung nicht statt-
findet. Als der ersteren Gruppe angehörig nennt er Altheeschleim
ete., zu der zweiten zählt er Gummilösung und Zuckerlösung, Er
1) Haubner, |. c. pag. 163.
2) Brefeld, Untersuchungen über die Schimmelpilze. Leipzig 1872.
3) Ein ähnlicher Vorgang, verfrühte Sporenbildung, wurde neuerdings auch
bei Bacillus anthraeis beobachtet. — Cossar Ewarts, On the life history
of Bacillus anthracis. Quart. Journ. of mier. seienee Bd. XVII. 1878 pag. 161.
229
giebt an, dass in diesen die Bacterien zwar mikroskopisch noch
nachweisbar seien, aber „abgestorben,“ und stützt hauptsächlich auf
die erfolgreichen Impfungen mit diesen Flüssigkeiten seine Annahme,
dass diese Organismen die Träger des Contagiums nicht sein könnten,
dass dasselbe vielmehr ein in Wasser und den angegebenen Flüssig-
keiten lösliches chemisches Ferment darstelle. — Bekanntlich sind
ähnliche Anschauungen mehrfach auch in Bezug auf pathogene
Bacterien geäussert worden; ich erinnere hier nur an die Arbeiten
von Panum') und Bergmann?), welche das wirksame Agens in
einem zwar durch die Bacterien gebildeten, aber von diesem isolir-
baren Ferment darzustellen suchten. — Ich musste zunächst an-
nehmen, dass hier ähnliche Verhältnisse vorlägen, und versuchte,
nachdem ich mich von der Richtigkeit der Haubner’schen Angaben
über die Impfkraft der Gummi- und Zuckerlösung überzeugt hatte,
das vermeintliche Ferment in einer haltbareren und zweifellos zur
Ernährung niederer Organismen untauglichen Lösung darzustellen.
Hierzu wählte ich, angeregt durch die Untersuchungen Hiller’s°),
das Glycerin. — Zunächst schien das Resultat den Erwartungen
entsprechend. — Wenn man blaue Milch mit Glycerin vermischt und
filtrirt, so erhält man eine zunächst schön blaue, nach einigen Tagen
gelblich werdende Lösung, welche zu anderer Milch hinzugefügt, sich
vollkommen impfkräftig erweist und in der normalen Weise, nach
vorhergegangenem Incubationsstadium die Bläuung hervorruft. —
Jedoch mussten schon a priori zwei Thatsachen in der Ansicht, dass
es sich um ein gelöstes Ferment handle, wankend machen; einmal
der Umstand, dass die Bläuung (auch in schon saurer Milch) nicht
sofort eintrat, sondern erst nach Ablauf der gewöhnlichen
Incubationszeit, andererseits, dass das Filtrat auch nach wieder-
holtem Filtriren sich nicht ganz klar erhalten liess und je mehr es
filtrirt wurde, um so weniger wirksam erschien.
Endlich überzeugte mich die mikroskopische Untersuchung, sowohl
bei Zucker- und Gummilösung, wie beim Glycerin, dass es sich in
allen drei Flüssigkeiten nicht um ein gelöstes Ferment
handelt, sondern dass sich in allen suspendirte Go-
nidien der Baceterien der blauen Milch vorfinden, und zwar
auch in den Fällen, wo man frische, noch gar keine oder nur spär-
1) Panum’s Aufsatz in Virchow’s Archiv. Bd. LX.
2) Bergmann, Ueber das schwefelsaure Sepsin. — Centralblatt f. d. medic,
Wissenschaften 1368. No. 32. pag. 497.
3) Hiller, Ueber extractförmiges, putrides und septieämisches Gift. —
Centralblatt für Chirurgie 1376. No. 10—15.
16*
230
liche Gonidienketten enthaltende Milch benutzt hatte — Es tritt
hier derselbe Process ein wie bei der mit Oel bedeckten Milch, wie
man sich mit einiger Aufmerksamkeit leicht überzeugen kann. —
Ueberträgt man lebhaft schwärmende Bacterien aus der blauen Milch
in Zucker-, Gummilösung oder Glycerin, so sieht man nach kurzer
Zeit dieselben bewegungslos (Haubner hielt dies für ein Zeichen
des Absterbens) und meist schon nach 12 Stunden findet man sie
alle in die oben beschriebenen Gonidien zerfallen. — Auch in der
getrockneten blauen Milch sind die Gonidien die Erzeuger neuer
Generationen. Weicht man etwas trockene Milch unter dem Deck-
gläschen mit Wasser auf, so sieht man in dem allmählich zerfliessen-
den Brei keines der früheren Stäbchen mehr erhalten, wohl aber in
grosser Zahl die Gonidien. —
Fassen wir die bisher beschriebenen Beobachtungen kurz zusam-
men, so kommen wir zu dem Resultat, dass die Bacterien in der
blauen Milch (analog der functionirenden Hefe) nur in Spross-
generationen durch einfache fortgesetzte Theilung sich
vermehren und als Endproducte dieser Theilung Go-
nidien bilden.
Diese Gonidien zeigen eine grössere Lebenstenacität als die
schwärmenden Stäbchen, aber keineswegs die „Unverwüstlichkeit*
wirklicher Sporen. Sie werden durch Kochen vernichtet, behalten
ihre Entwickelungsfähigkeit im trockenen Zustande und in Glycerin
etc. zwar einige (2-- 3) Monate, lassen sich jedoch nicht auf längere
Zeit conserviren.
Die bisher beschriebenen Formen cyanogener Bacterien in der
Milch zeigen alle eine ungemein dünne Gallerthülle, welche nur, wenn
2 Stäbchen oder Gonidien aneinander liegen, als weisse Linie zwischen
ihnen sichtbar wird. — In einzelnen Fällen wird jedoch in den oben
beschriebenen Entwicklungseyclus eine Generation eingeschaltet, welche
sich durch dicke Hüllen auszeichnet (Taf. XI. Fig. 2). Dieselbe tritt
auf vor der Bildung schwärmender Stäbehen. Die ausgesäeten Go-
nidien werden in diesen Fällen nicht wie gewöhnlich beweglich, son-
dern bleiben zunächst ruhend, bekommen dabei (6—8 Stunden nach
der Impfung) einen breiten homogenen Gallerthof. Die Schleimhüllen
der einzelnen fliessen nicht zusammen, sie bilden also keine Zoogloea ').
Im Innern der Hülle wächst das Gonidium zum Doppelstäbchen
t) Nur einmal beobachtete ich eigenthümliche Schläuche, welche nach der
unregelmässigen Lagerung der in ihnen enthaltenen Stäbchen nicht durch
vermehrtes Wachsthum eines Individuums, sondern durch Zusammenfliessen
mehrerer entstanden zu sein schienen.
231
aus, welches sich an der ursprünglichen Kinschnürungsstelle theilt.
Dann schwindet allmählich die Hülle; sie zerreisst nicht, wie bei
Billroth’s „Ascococeus'),* sondern scheint sich in der Flüssig-
keit aufzulösen. Das so frei gewordene Stäbchen beginnt zu schwär-
men (20—24 Stunden nach der Impfung) ‘und es kommt damit die
weitere Entwickelung in ihr gewöhnliches Geleise. — Dass dieser
Process wirklich so vor sich geht, dass die „Gliobacterien“ wirklich
als Glied in die Entwickelungsreihe hineingehören und in die gewöhn
liche schwärmende Form übergehen, davon habe ich mich mehrfach
durch Beobachtung in Koch’s feuchter Kammer”) überzeugt.
Leichter und in weniger mühevoller Weise kann man sich diese
Ueberzeugung verschaffen durch das von Billroth (welcher ähnliche
Formen beobachtete) empfohlene Mittel des Wasserzusatzes (l. c.
pag. 9). Dabei verschwindet der Gallerthof sehr schnell und die
Stäbchen beginnen schon nach 20—30 Minuten Bewegungen zu
machen.
Unter welchen Umständen diese „Gliobacterien-Generation* ein-
geschaltet wird, kann ich nicht genau sagen. Constant ist sie nicht;
man findet sie hin und wieder und zwar, wie ich gleich hier bemerken
will, nicht nur bei der Entwickelung der ceyanogenen Bacterien aus
den Gonidien, sondern auch bei den fast ebenso verlaufenden, aus
den weiter unten zu beschreibenden Sporen. Auf den Process der
Bläuung hat das Auftreten dieser Generation insofern einen störenden
Einfluss, als der Farbstoff, entsprechend der späteren Ausbildung
der schwärmenden Formen, auch erst spät gebildet wird. Im Uebrigen
glaube ich dieser Erscheinung keine weitere Bedeutung beilegen zu
dürfen, da die Dicke der Gallerthülle bekanntlich bei allen Bacterien-
formen und oft unter dem Einfluss ganz unbedeutender Aenderungen
in den Nährsubstanzen bedeutend schwankt —, und bemerke nur
noch, dass die mit starker Umhüllung versehenen Formen an und für
sich für das Bacterium der blauen Milch ebensowenig charakteristisch
sind, wie die Form der schwärmenden Stäbchen. Billroth?) sah
ähnliche Gebilde in Fleischwasser mit Zucker, und Lister*) hat
fast ganz gleiche in gewöhnlicher saurer Milch gesehen und abgebildet.
1) Billroth, Untersuchungen über die Vegetationsformen von Coccobac-
teria septica. Berlin 1374. pag. 12.
2) Koch’s Entwickelungsgeschichte v. Bacillus Anthracis. Cohn’s Beiträge
z. Biol. d. Pfl. II. 2. pag. 285.
3) Billroth, ]. c. Fig. 22.
4) Lister, Bacteria and the germ theorie. (uarterly journ. of the mierose.
science. Bd. XIU. Taf. 19.
232
3. Befund in der Gohn’scehen Lösung. Sporenbildung.
Einen von dem bisher beschriebenen völlig abweichenden Ent-
wieklungsprocess durchlaufen die Bacterien in denjenigen Stoffen,
welche Haubner als erste Gruppe der Infectionsträger hinstellt,
den Stoffen, welche selbst nicht blau werden, wohl aber das
Contagium conserviren und es sich vermehren lassen. Am besten der
Beobachtung zugänglich und am genauesten von mir studirt sind die
Vorgänge in Cohn’scher Nährlösung, jedoch habe ich mich über-
zeugt, dass sie in Altheeschleim und den anderen von mir flüchtiger
untersuchten Vehikeln im Wesentlichen gleich verlaufen. — Es tritt
hier ein Process ein, welchen ich im Gegensatz gegen die in der
Milch stattfindende Gonidienbildung als Sporenbildung bezeichnen
möchte; derselbe gestaltet sich in derselben Weise, sowohl wenn
man Gonidien, als wenn man schwärmende Stäbchen in die Nähr-
lösung überträgt. In beiden Fällen findet man nach ca. 12 Stun-
den die Oberfläche der Flüssigkeit bedeckt mit einer dieken weissen
Schicht, welche ausschliesslich aus sehr lebhaft bewegten langen
Stäbchen (etwa 13 bis 2 mal solang wie die in der blauen Milch)
besteht. Diese Stäbchen sind theils vereinzelt, theils zu zwei aneinan-
der hängend, also wohl in Theilung begriffen. Schon nach 24 Stun-
den (oft auch früher, bisweilen erst nach 36 Stunden) bemerkt man
an denselben eine eigenthümliche Veränderung. Das eine, in selte-
nen Fällen auch beide Enden, erscheinen, frisch betrachtet, etwas
angeschwollen und weniger stark lichtbrechend wie das übrige Stäb-
chen. Am gefärbten Präparat erkennt man mit aller Schärfe an die-
sem Ende eine blasige Vorbuchtung der (an dem Organismus sonst
nicht sichtbaren) Membran. (Vergl. Taf. XI. Fig. 5.) Diese Verän-
derung tritt bei fast allen Stäbchen ungefähr zur gleichen Zeit ein;
die Beweglichkeit ist dabei nicht verringert. — An welchem der bei-
den Enden diese Blase auftritt, scheint indifferent zu sein, soweit
man aus den Bildern von zwei aneinanderhängenden schliessen kann
(s. Taf. XI. Fig. 5 u. 6). Nach weiteren 6—12 Stunden bildet sich
an der Spitze der Blase ein Protoplasmaklümpchen wie eine Ver-
diekung der Membran (Fig. 6), welches allmählich wachsend endlich
zu einem ovalen Körperchen wird, das von dem ursprünglichen Stäb-
chen durch einen hellen Raum getrennt ist, aber durch die Membran
noch mit ihm zusammenhängt (Fig. 6). Dieses Gebilde stellt
die Spore dar. Durch Einreissen oder Einschmelzen der Membran
wird die Spore endlich von dem immer noch lebhaft bewegten Stäbchen
getrennt und bleibt dann bewegungslos liegen. Die Länge der sporen-
tragenden Stäbchen beträgt durchgängig 0,0040; der grösste Durch-
233
messer der ausgebildeten Spore 0,0010. — Die Lebensdauer
des Stäbchens ist, soweit ich mich habe überzeugen können, mit
der Sporenbildung nicht abgeschlossen, dasselbe schwärmt weiter
und scheint nach Ablauf einiger Zeit in derselben Weise wieder eine
Spore bilden zu können. — Die so gebildete Spore ist wenig stär-
ker lichtbrechend als das übrige Stäbchen und zeigt nicht die stark
glänzende ölähnliche Hülle, wie sie den Dauersporen der Bacillen
wohl ohne Ausnahme zukömmt'). Wenn 3—4 Tage nach der Impfung
verflossen sind, sieht man in der Cohn’schen Lösung neben zahlrei-
chen bewegten Stäbchen in verschiedenen Stadien der Sporenbildung
massenhafte abgelöste Sporen in dicht gedrängten Haufen (jedoch
nicht wie Zoogloea durch eine gemeinsame Gallerthülle zusammengehal-
ten) zusammenliegen. — Hat man eine genügende Menge von Nähr-
lösung angewandt und setzt die Beobachtung weiter fort, so bemerkt
man (nach etwa 5—6 Tagen) die Bildung einer zweiten Generation,
dadurch dass die Sporen von der ersten Generation keimen. Jedoch
wiederholt diese zweite Generation nicht genau die Formen der ersten.
Die Spore vergrössert sich zunächst in einer Richtung, ohne dass
dabei Differenzen in der Dichtigkeit ihres Protoplasma auftreten, sie
nimmt dadurch die Form eines kurzen gedrungenen Stäbchens, oder
da meist ein Ende schmäler ist wie das andere, die Form einer
kurzen Keule an. Zugleich wird sie beweglich und schwärmt ebenso
lebhaft umher wie die Stäbchen der ersten Generation, deren Länge
sie jedoch kaum zur Hälfte erreicht. (Vergl. Taf. XI. Fig. 7.) (Durch-
schnittl. Länge 0,0020— 25.) — Ein weiteres Längenwachsthum tritt auch
in der Folge nicht ein, sondern es entwickelt sich jetzt sofort an dem dicke-
ren Ende die blasige Vorbuchtung der Membran, und die Bildung einer
neuen Spore, welche jetzt dem Mutterorganismus an Grösse nur sehr
wenig nachsteht, erfolgt in derselben Weise wie in der ersten Genera-
tion. — Alle noch weiter folgenden Generationen gleichen, soweit meine
Beobachtungen reichen, in ihrer Form und Grösse der zweiten. —
Diese Art der Sporenbildung scheint mir für das Bac-
terium der blauen Milch charakteristisch zu sein. Die-
selbe weicht von den sonst beobachteten Formen der Sporenbildung
sowohl bei Bacillus wie bei Bacterien”?) wesentlich ab. Bei diesen
entsteht die Spore durch eine Verdichtung des Protoplasma in der
Mitte oder an einem Ende, vielleicht auch durch seitliche Sprossung?).
— Bei unsern Bacterien sehen wir als Einleitung der Sporenbildung
!) Vergl. die Beschreibungen von Cohn, Koch, Billroth, Cossar
Ewarts, Brefeld u. A. 2) Vergl. d. photographischen Abbildungen von
Koch. Cohn’s Beitr. Bd. 2. Taf. XV, 3) Ebds. Taf, XV. Fig. 4.
234
eine Vortreibung der Membran, an welcher das Protoplasma nicht
theilnimmt, welche vielmehr zunächst nur mit Flüssigkeit erfüllt zu
sein scheint. In dieser Blase bildet sich die Spore ohne Zusammen-
hang mit dem übrigen Protoplasma in einer Weise, die den Eindruck
macht als entstände sie durch eine eircumscripte Verdiekung der
vorgetriebenen Membran'). — Meines Wissens ist eine ähnliche
Form der Sporenbildung bisher bei keiner anderen Bacterien - Art:
beschrieben worden ?); Controlimpfungen mit verschiedenen anderen
baeterienhaltigen Flüssigkeiten auf die Cohn’sche Lösung ergaben
immer nur die Bildung der gewöhnlichen stark glänzenden Dauer-
sporen namentlich an dem einen Ende der Organismen (Billroth’s
Helobacterien), nie ähnliche Bilder wie bei den Bacterien der blauen
Milch. — Dagegen traten diese Formen constant auf sobald Bacte-
rien aus der blauen Milch auf Cohn’sche Lösung übertragen wur-
den, einerlei in welcher Form und aus welchem Nährboden. (Vergl.
d. Verzeichniss d. Impfungen pag. 222.) Einen weiteren Beweis für
die Identität der Organismen liefert der stets positive Erfolg der
Pigmentbildung bei Impfung aus der Cohn’schen Lösung auf Milch
(resp. auf blau werdende Nährlösung). Die Umwandlung der Spo-
ren, welche in ihrer Grösse mit den Gonidien ziemlich genau über-
einstimmen, jedoch nie die Einschnürung in der Mitte (die Bisquit-
form) darbieten, in die schwärmende und pigmentbildende Genera-
tion, erfolgt ganz in derselben Weise wie ich es oben bezüglich der
Gonidien beschrieben habe. Die Spore verlängert sich zu einem
Stäbchen (ob hier auch sofort eine Zweitheilung eintritt wie bei den
Gonidien, vermag ich nicht zu sagen), dieses beginnt zu schwärmen
und theilt sich dann unter Bildung von blauem Farbstoff successive
ganz wie nach der Impfung mit frischer blauer Milch. — Ich will
hier noch kurz eine Thatsache erwähnen, welche, wie mir scheint,
einiges theoretische Interesse bietet. Die sporenhaltige Cohn’sche
Lösung enthält, wie schon oben bemerkt wurde, neben den ausge-
bildeten Sporen immer noch zahlreiche schwärmende Stäbchen in
verschiedenen Stadien der Sporenbildung. Diese werden also bei
der Impfung auf Milch mit übertragen, vermögen sich aber hier nicht
!) Die sporenbildenden Formen der zweiten Generation bieten in ihrem
Aeusseren in den ersten Stadien der Sporenbildung gewisse Aehnlichkeiten
mit der Beschreibung, welche Brefeld (Untersuchungen über d. Spaltpilze
l. e.) von den auskeimenden Dauersporen von Bacillus giebt. — Dass es sich
hier nicht um eine Verwechselung handelt, beweisen die weiteren Stadien. F. 7.
2) Vielleicht hat Billroth ähnliche Formen gesehen, aber nur in ungefärbtem
Zustande, in welchem die Verhältnisse sehr schwer zu erkennen sind. Vergl.
seine Abbildung |. e. Taf. IV. Fig. 39.
235
weiter zu entwickeln, werden vielmehr nach kurzer Zeit bewegungs-
los und gehen durch körnigen Zerfall zu Grunde. Ebenso verhalten
sich die schon in Cohn’scher Lösung ausgekeimten Sporen'). Nur
die fertigen, aber noch nicht gekeimten Sporen sind im Stande bei
der Uebertragung aus Cohn’scher Lösung in Milch, die pigment-
bildende Generation zu erzeugen. — Diese Thatsache wirft ein eigen-
thümliches Licht auf die berühmte und von vielen Seiten als fast
unbegrenzt angesehene Anpassungsfähigkeit der Bacterien. Sie lie-
fert den Beweis, dass wenigstens für den gegebenen Fall dem in
dem einen Medium erwachsenen Individuum die Fähigkeit sein Leben
in dem anderen Medium fortzusetzen, also sich den veränderten Ver-
hältnissen zu adaptiren, abgeht. — Nur die Spore, der noch
nicht für eine bestimmte Lebensaction differenzirte
Keim, vermag jenach den äusseren Verhältnissen in ver-
schiedene Entwickelungs- und Thätigkeitsformen über-
zugehen. — Hat aber einmal die Entwicklung in der für ein
bestimmtes Medium geeigneten Weise begonnen, so ist ein Einlen-
ken auf andere Bahnen, bei eintretenden Veränderungen in den äusse-
ren Verhältnissen, nicht mehr möglich. —
Dass sich die beschriebenen sporentragenden Formen ausser in
Cohn’scher Lösung auch in Altheeschleim und den analogen Kör-
pern (Quittenschl. ete.) bilden, habe ich schon oben bemerkt. —
Ich möchte hier noch hinzufügen, dass man dieselben Formen auch
in der mit Wasser stark verdünnten blauen Milch auftreten sieht.
Die geringe Säuremenge in dieser Flüssigkeit wird schnell aufge-
zehrt, damit hört die weitere Bildung der Sprossvegetationen auf,
und indem die Flüssigkeit allmählich alkalisch wird, entwickeln sich
aus den Gonidien dieselben sporentragenden Stäbchen wie in Cohn’-
scher Lösung. — Dadurch wird die zunächst auffällige Beobachtung
Haubners erklärt, dass die gewöhnliche blaue Milch durch Kochen
impfunfähig werde, dagegen mit viel Wasser verdünnte blaue Milch
ihre Impfkraft durch Kochen nicht verliere. —
Bevor ich diesen Abschnitt schliesse, muss ich noch gewisse
eigenthümliche Formen erwähnen, welche mir nicht constant, aber
doch recht häufig unter den sporentragenden Stäbchen zu Gesicht
gekommen sind. Vergl. Fig. 8. Es sind das meist zu zweien an-
einander liegende kurze Stäbchen, bei denen nicht am Ende, sondern
!) In gefärbten Präparaten von blauer Milch, welche mit Cohn’scher
Lösung geimpft wurde, sieht man in der ersten Zeit nach der Impfung diese
abgestorbenen Formen noch deutlich erkennbar, aber durch ihre schwache
Färbung von den intensiv gefärbten lebenden scharf unterschieden.
236
an einer beliebigen Stelle im Verlauf das Protoplasma heller erscheint,
also ein vaeuolenähnlicher Raum bemerkbar ist. Derselbe liegt nicht,
wie die Vaeuolen in Pilzfäden in der Mitte, sondern an der Seite,
hat auch keine runde Form, erscheint vielmehr meist unregelmässig
3eekig. — Man könnte zunächst bei den gefärbten Präparaten anneh-
men, dass es sich um einen Präparationsfehler, etwa um unvollstän-
dig zerbrochene Stäbchen handle; jedoch ist das nicht der Fall, man
bemerkt die Veränderung bei guter Beleuchtung schon am ungefärb-
ten Präparat bei den lebenden, bewegten Organismen. — Bezüglich
der Deutung dieser Bilder bin ich in einiger Verlegenheit; ich möchte
sie für irgendwie in der Entwicklung gestörte Formen halten. Meine
bisberigen Versuche, die Veranlassung dieser Störung zu erkennen
und die Entwieklung der Veränderung zu beobachten, waren jedoch
vergeblich. —
4. Befund in der blauen Nährlösung. Chroococcusform.
Nachdem ich bei meinen mikroskopischen Untersuchungen bis zu
den bisher geschilderten Resultaten gelangt war, glaubte ich den
Lebenseyelus des in der blauen Milch vorkommenden Bacterium voll-
ständig zukennen. Mit der Entwicklung der pigmentbildenden Spross-
verbände einerseits, der sporentragenden Stäbchen andererseits, schien
die Zahl der für unsern Organismus möglichen Lebensphasen abge-
schlossen, und es schien diese Annahme um so mehr berechtigt, als
die beobachteten Entwicklungszustände sich denen, welche bei der
am besten gekannten Bacteriengattung, Baeillus, vorkommen, recht
wohl parallelisiren liessen. Ich wurde jedoch eines Besseren belehrt
dureh die mikroskopischen Befunde in der blau werdenden Nährlö-
sung, der Mischung aus Cohn’scher Flüssigkeit und milchsaurem
Ammoniak. Als mich viele vergebliche Versuche endlich zu der
Herstellung dieser Nährlösung geführt hatten, machte ich mich mit
grossen Erwartungen an die mikroskopische Untersuchung derselben,
in der Voraussicht, hier dieselben functionirenden Sprossgeneratio-
nen wiederzufinden, wie in der blauen Milch und in der Hoffnung
hier, unbehelligt durch die störenden körperlichen Bestandtheile der
Milch, ihre Entwicklung genauer studiren zu können. — Ich war
offen gestanden zunächst bestürzt, als ich ein von dem Erwarteten
ganz abweichendes Bild fand. — Die blaue Flüssigkeit zeigte auf
ihrer Oberfläche ein weisses schleimiges Häutehen, dessen mikrosko-
pische Untersuchung jedoch weder Stäbehen, noch Gonidienketten,
sondern nur zahllose glänzende runde Körperchen, sehr kleinen
Hefezellen ähnelnd, zeigt. Diese Kügelchen, von etwas wechseln-
237
der Grösse, ca. 0,0012 im Durchmesser haltend, besitzen ein
ziemlich starkes Brechungsvermögen und dem entsprechend leb-
hafteren Glanz wie gewöhnliche Bacterien. Frisch betrachtet
zeigen sie oft im Centrum eine hellere Stelle wie eine Vacuole
oder einen Kern, jedoch lässt die Färbung mit Methylviolett
einen Unterschied in der Imbibitionsfähigkeit des Protoplasma an
dieser Stelle nicht erkennen; sie färben sich ganz gleichmässig
und sehr intensiv. Vergl. Fig. 9. Theils erscheinen sie bewegungs-
los, theils in lebhaft tanzender und kreiselnder Bewegung (nicht
Molecularbewegung). Sowohl die bewegten, wie die ruhenden Kör-
perchen besitzen eine dünne Gallerthülle und finden sich selten einzeln,
oft zu zweien aneinandergelagert oder zu 8, 10 und mehr in Colo-
nien vereinigt. — Der nahe liegende Gedanke, dass es sich hier
um einen anderen Organismus, welcher mit dem Bacterium der
blauen Milch nur die Fähigkeit der Pigmentbildung gemein habe,
handle, wird widerlegt, einmal durch das constante Auftreten dieser
Form nach Impfungen aus den verschiedensten Substanzen, welche
entwickelungsfähige Generationen des Bacterium der blauen Milch
enthalten (vergl. p. 222), ferner durch die constant eintretende Bildung
der gewöhnlichen Sprossgenerationen und Gonidienketten, wenn man
aus blauer Nährlösung auf Milch impft, und drittens durch
die Bildung der oben beschriebenen sporentragenden Generation bei
Impfung der blauen Nährlösung auf Cohn’sche Flüssigkeit. — Die
Entwickelung der hefeähnlichen Zellen aus den Gonidien scheint
mir nach meinen Beobachtungen sich so zu gestalten. Etwa 6 Stun-
den nach Impfung von Gonidien auf blaue Nährlösung, sieht
man dieselben in der Weise angeschwollen, dass sie anstatt der
früheren Bisquitform die von 2 aneinanderliegenden, durch tiefen
‚ Einschnitt getrennten Kugeln darstellen. Zugleich sind sie beweg-
lich geworden. Im weiteren Verlauf theilen sie sich an der Ein-
schnürungsstelle und bilden dadurch je zwei der Hefe ähnliche
Zellen. — So lange die Bildung des blauen Farbstofis andauert, ver-
mehren sich diese Zellen durch Zweitheilung (nicht durch Sprossung,
wie die Hefe); das Kügelchen vergrössert sich in einer Richtung,
wird dadurch zu einem ovalen Gebilde, bekommt sehr bald in der
Mitte eine Einschnürung und theilt sich endlich an dieser Stelle in zwei
gleich grosse Kugeln, welche nicht kleiner sind als der Mutterorganismus.
Die einzelnen Theilstücke können sich von einander trennen,
scheinen aber meist zusammen zu bleiben und durch weitere Thei-
lung einen flachen (nicht kugeligen) Haufen von 8—10, durch wenig
Gallert getrennter Zellen zu bilden. — Hört die Bildung des blauen
238
Farbstoffs auf, was in der von mir benutzten Nährlösung unter Ein-
tritt alkalischer Reaction meist schon am zweiten oder dritten Tage
geschah, so geht eine weitere eigenthümliche Veränderung mit den
hefeähnlichen Kügelchen vor sich. Dieselben werden unbeweglich,
rücken durch Bildung dickerer Gallerthüllen weiter auseinander, ver-
grössern sich um das Doppelte bis Dreifache und nehmen dabei höchst
unregelmässige polygonale Formen an. Sie gewinnen dadurch ein
Ansehen, welches, wenn man von der fehlenden Färbung absieht,
täuschend einer Colonie von Ühroococcus') ähnelt
(vergl. Taf. XI. Fig. 10). Weiter als bis zur Bildung dieser Chroo-
coccwsähnlichen Colonien habe ich die Entwickelung in der blauen
Nährlösung nicht verfolgen können. — Während der nächsten 6—8
Tage scheinen weitere Veränderungen bedeutender Art nicht einzu-
treten. Zu bemerken wäre hier nur, dass eine Anzahl der Organismen,
namentlich die am Rande eines Zellenhaufen liegenden Individuen,
während dieser Zeit ihre polyedrische Gestalt verlieren und eine
mehr längliche Gestalt, ja in manchen Fällen direct die Form eines
kurzen Fadens von sehr wechselndem Kaliber annehmen. Ob diese
Formen Uebergänge zu der weiter unten zu besprechenden darstel-
len, wage ich nicht zu entscheiden. Auf längere Zeit ist es mir
trotz aller Vorsicht nie gelungen, die Entwickelung fremder Orga-
nismen in der benutzten Nährlösung (Oidium, Penieillium, verschie-
dene andere Bacterien, namentlich Spirillum tenue) zu verhindern.
Bei der Uebertragung der Hefeähnlichen Zellen, sowie der weiter
ausgebildeten ÜAroococcusähnlichen Formen auf Milch oder auf
Cohn’sche Lösung treten, wie schon gesagt, wieder die beschriebenen
Gonidien- oder Sporenbildenden Generationen auf. Die Hefeähnlichen
Zellen werden durch einfaches Längenwachsthum zu Stäbchen.
Die grösseren unregelmässigen Zellen der Algenähnlichen Form
scheinen zunächst je nach ihrer Grösse in eine unbestimmte Anzahl
kleinerer runder Zellen zu zerfallen, von denen dann erst die Ent-
wiekelung der Stäbchen ausgeht.
5. Zweifelhafte Form in Kali nitrieum. ZLeptothri«.
Ehe ich die Beschreibung der mikroskopischen Untersuchung
schliesse, muss ich kurz noch einer Form Erwähnung thun, deren
genetischer Zusammenhang mit dem Baeterium der blauen Milch mir
sehr wahrscheinlich ist, obwohl ich nicht im Stande war, aus dersel-
!) Vergl. Rabenhorst, Flora Europaea Algarum. Bd. II. Leipzig 1865.
Fig. 2. auf pag. 3 — Chroococcus virescens,
239
ben wieder das ursprüngliche pigmentbildende Bacterium zu erhalten.
Die Beobachtungen, welche ich über diese Form habe anstellen kön-
nen, sind allerdings nur unvollständige; zu einer vollständigen Unter-
suchung fehlte mir die Zeit und der Beruf, da eine solche mich
weiter auf das Gebiet rein botanischer Forschung verlockt hätte
als dem Pathologen zusteht. — Ich würde mir unter diesen Verhält-
nissen nicht gestattet haben das lückenhafte Material anders als in
einer beiläufigen Bemerkung zur Sprache zu bringen, wenn nicht
von anderer Seite auffallend übereinstimmende Beobachtungen ver-
öffentlicht wären. Billroth erwähnt, dass er bei Zusatz von Kali
nitricum zu bacterienhaltigen Flüssigkeiten nicht constant, aber in
einzelnen Fällen, eigenthümlich „gequollene“ Bacterienformen von sehr
wechselnder Gestalt erhalten habe (l. c. pag. 23 und Taf. IV Fig. 40.).
Ich habe ganz analoge Formen constant erhalten, wenn ich Co hnr’sche
Flüssigkeit, in welcher sich die sporentragende Generation unseres
Bacterium befand (ehe die Sporenbildung bedeutende Ausdehnung
erreichte, also etwa 12—24 Stunden nach der Impfung) mit etwa 3
ihres Volumens vorher gekochter concentrirter Lösung von Kali
nitricum versetzte. — Es bilden sich dann durch eine Verlängerung
des einzelnen Stäbchens (oder durch Copulation zweier?) längere
Fäden, welche eine gewisse Aehnlichkeit mit Leptothrix haben, sich
aber von der gewöhnlichen ZLeptothrie dadurch unterscheiden, dass
sie ein sehr wechselndes Kaliber darbieten, unregelmässige knotige
Anschwellungen besitzen. — Solche Fäden findet man am zweiten
bis dritten Tage sehr reichlich. Jedoch wandeln sich nie alle schwär-
menden Stäbchen in diese Form um, eine grosse Zahl bleibt unver-
ändert, scheint aber keine Sporen mehr zu bilden. — Die Fäden
sind an ihren Enden zugespitzt und hier oft deutlich gegliedert.
Ausserdem aber zeigen dieselben ausser den erwähnten unregel-
mässigen Verdickungen in ihrem Verlauf meist ein, bisweilen mehrere
kugelige Auftreibungen, die wohl als Gonidien zu deuten sind. Man
bemerkt in vielen dieser Gebilde ein oder mehrere bis 4 kugelige
Körperchen (Dauersporen?), und findet nach Ablauf von 4 bis
5 Tagen zahlreiche solcher Körperchen frei in der Flüssigkeit,
namentlich am Rande des Gefässes. — Impft man Flüssigkeit,
in welcher diese kugeligen Körper mit schwärmenden Stäbchen
untermischt sind, auf Milch, so tritt Biäuung ein; impft man nur
diese Körperchen (die man am Rande des Gefässes oft ganz frei
von allen Beimengungen erhält), so erfolgt keine Bläuung. Die
Körperchen vermehren sich in der Milch durch Sprossung wie
Hefe, bis sie durch andere Bacterienformen überwuchert werden.
240
Dass diese Gebilde trotzdem mit dem Bacterium der blauen Milch
zusammenhängen, glaube ich deshalb, weil ich sie ausnahmslos nach
der oben angegebenen Methode erhielt, dagegen nie bei Zusatz von
Kali nitricum zu anderer nicht, oder mit beliebigen anderen Bacte-
rien geimpfter Cohn’scher Lösung. — Die Entwickelung tritt nur
ein bei Zusatz zu Cohn’scher Lösung, welche schon schwärmende
Stäbehen enthält. Impft man Gonidien auf die Mischung von Kali
nitricum und Cohn’scher Lösung, so entwickeln sie sich nicht. —
Kali nitricum zu blauer Milch zugefügt, giebt keine ähnliche For.
men, sondern inhibirt den Process der Bläuung und führt ebenso wie
Glycerin zu vorzeitiger Gonidienkildung. Soweit erstrecken sich meine
Beobachtungen. —
Augenscheinlich ganz analoge Formen hat Cienkowsky') in fau-
ienden Vegetabilien, ohne Zusatz von Kali nitriecum auftreten sehen,
und steht nicht an, sie mit den beobachteten Bacterien in genetischen
Zusammenhang zu bringen. Er erklärt die Fäden für Leptothrix
(eine der 3 Mutterpflanzen, von denen nach seiner Ansicht alle Bac-
terien entstehen) und scheint die Auftreibungen als Gonidien anzu-
sehen. Genauere Untersuchungen über das weitere Schicksal der-
selben hat er nicht angestellt. — Sowohl Billroth wie Cienkowsky
haben die Formen nur zufällig erhalten; bei dem oben angegebenen
Verfahren treten sie constant auf; meine Beobachtung dürfte da-
nach wenigstens insofern einigen Werth haben, als sie eine Methode
zur sicheren Gewinnung dieser theoretisch so interessanten Gebilde
kennen lehrt. —
Schluss.
Aus der vorstehend beschriebenen Reihe von Untersuchungsresul-
taten über Lebensfuncetionen und Entwickelungsformen einer einzelnen
Bacterienart würde, selbst wenn die Beobachtung eine vollständige
und lückenlose wäre, ein Urtheil über die Bacterienfrage im Allgemei-
nen nicht abgeleitet werden können. Dieselbe wird sich vielmehr in
Bezug auf die allgemeinen Fragen nach der Natur und Wirksamkeit
der Bacterien nur in der Weise verwerthen lassen, dass man sie mit
den Ergebnissen anderer Untersuchungen vergleicht, die Ueberein-
stimmungen und Abweichungen constatirt. — Die grosse Zahl der
Untersucher über Bacterien hat sich in mehrere bedeutend von ein-
ander in der Deutung der gewonnenen Resultate abweichende Gruppen
!) Cienkowsky, Zur Morphologie der Bacterien. Memoires d. l’acad.
d. seiences ä St. Petersburg. VII. Serie. Bd. 25. 1877. Fig. 51—53.
241
getheilt. Diese Gruppen könnte man in eine Art fortlaufender Reihe
ordnen, in welcher die Endglieder mit diametral entgegengesetzten
Anschauungen durch eine Anzahl mehr vermittelnder Ansichten ver-
bunden erscheinen. Auf der einen Seite dieser Reihe würde Cohn
und die mit ihm übereinstimmenden Forscher ') stehen, welche die
Existenz einer sehr grossen Zahl von einander getrennter Bacterien-
Gattungen und -Species annehmen, deren Formen nicht in einander
übergehen können, vielmehr jede für sich eine besondere Stellung
im botanischen System beanspruchen können. — Den entgegenge-
setzten Standpunkt vertritt Naegeli (l. c. p. 20), welcher zu dem
Resultat kommt: „ich habe seit 10 Jahren wohl Tausende von ver-
schiedenen Spalthefeformen untersucht und ich könnte nicht behaupten,
dass auch nur zur Trennung in 2 specifische Formen Nöthigung
vorhanden sei.‘‘ — Der Naegeli’schen Anschauung sehr nahe steht
die von Lankester, welcher die verschiedenen roth gefärbten
Organismen in fauligen Substanzen alle als Morphen einer einzigen
Bacterienart auffasst und daraus den Schluss zieht, die Bacterien
seien „a Protean species,‘ welche regellos je nach-.dem Wechsel der
äusseren Umstände die verschiedensten Formen annehmen könnte,
ohne dass sich in diesen eine fortlaufende Entwickelungsreihe er-
kennen lasse (l. c. p. 412. The forms of a Protean species are a
series of adaptations; the forms exhibited in the development of a
species from its egg are a series of hereditary recapitula-
tions — — —). Er glaubt dementsprechend, dass eine morpho-
logische Eintheilung der Bacterien undurchführbar sei und nur als
künstliches System einen bedingten Werth habe, während man bei
dem natürlichen System sich auf gewisse charakteristische Merkmale,
vornehmlich functioneller Natur, stützen müsse. — Ihm schliesst sich
Warming?) nach seinen Untersuchungen rother Bacterien etc. aus
der Nordsee an. — Der Cobn’schen Auffassung schon näher steht
eine Anzahl weiterer Forscher, welche zwar auch die verschiedenen
Baeterienformen für Zustände eines einzigen Organismus halten, die-
selben jedoch nicht wie Lankester und Warming regellos je
nach den äusseren Verhältnissen sich bilden lassen, sondern die Glie-
der einer regelmässig fortlaufenden Entwickelungsreihe in ihnen
sehen. — Der Führer und Begründer dieser „Schule“ ist Billroth,
welcher zuerst sämmtliche Fäulnissorganismen als Vegetationsformen
I) Cohn, Schröter, Koch, Eidam u. A. (auch Brefeld?).
2) Warming Om nogle ved Danmark’s Kyster levende Bacterier. Videns-
kabelige Meddelelser fra den naturhistoriske Forening i. Kjöbenhavn. 1875.
p- 307--420.
242
einer Öscillarinee, der Coccobacteria septica auffasste. Namentlich
aus medicinischen Kreisen haben sich zahlreiche Beobachter dieser
Anschauung angeschlossen. — Analog ist auch die Ansicht Listers,
welcher die Bacterienformen nicht von einer Algenart, sondern von
einem Pilz (Dematium fuscisporum) ausgehen lässt. — Endlich
wären hier als von den Cohn’schen Auffassungen im Prineip nur
wenig abweichend diejenigen Untersucher zu nennen, welche nicht
alle Bacterien auf einen Organismus redueiren wollen, jedoch nur
eine beschränkte Zahl von Organismer als Ausgangspunkte der
mannigfach verschiedenen Formen gelten lassen. Namentlich Cien-
kowsky vertritt diesen Standpunkt; auch van Tieghem!) scheint
sich einer ähnlichen Auffassung zuzuneigen. — Klebs könnte, ob-
wohl er vorläufig nur 2 Gruppen von Bacterien anerkennt, die
Microsporinen und die Monadinen, und also das Cohn’sche System
als zu detaillirt verwirft, doch noch in gewisser Weise den mit
Cohn übereinstimmenden Forschern angereiht werden, da er inner-
halb seiner beiden Gruppen eine grössere Zahl scharf von einander
getrennter Species annimmt. —
Welcher dieser verschiedenen Anschauungen würden die Resultate
der vorstehenden Untersuchung sich anpassen lassen. — Wir haben
gesehen, dass der Organismus aus der blauen Milch in 3 resp. 4
verschiedenen Formen auftritt, theils als Bacterium mit Bildung von
Gonidienketten durch Theilung, theils als Bacillusähnliches Stäbchen
mit complieirterer Sporenbildung, ausserdem in Form einer dem O'hroo-
coccus sehr ähnlichen Alge, deren ruhende Zellen aus einer schwär-
menden Generation sich bilden, und endlich vielleicht noch in einer
Leptothrixähnlichen Form mit Bildung von Gonidien und Dauerspo-
ren. — Diese Thatsachen liefern zunächst den Beweis, dass die von
Cohn aufgestellten Species und Gattungen insofern zu eng begrenzt
sind, als ein Organismus in seinem Lebenseyelus verschiedene der
als getrennt hingestellten ormen vereinigen kann. Damit ist natür-
lich nicht gesagt, dass etwas Aehnliches bei allen in den Cohn’schen
Species eingeordneten Formen der Fall sein müsse. Der Uebergang
der Hefeform von Mucor racemosus in Pilzrasen ist ja auch noch kein
Beweis dafür, dass Saccharomyces eine ähnliche Umwandlung müsse
durchmachen können. Ferner liegt aber in der von mir beob-
achteten Multiplieität der Form keineswegs, wie es zunächst schei-
nen könnte, eine Stütze für Billroth’sche oder Lister’sche An-
!) Ph. van Tieghem. Sur le Bacillus Amplobacter. Bullet. de la soe.
bot. de France. Bd. 24. 1377.
243
schauungen. — Erstens ist von mir nie ein Uebergang aus einer
Form in die andere beobachtet worden, so lange der Organismus auf
dem gleichen Nährboden gezüchtet wurde; die Form blieb hier stets
die gleiche, während doch nach Billrvth allmählich höhere, d. h.
andere Formen hätten auftreten müssen; zweitens beruht die Verän-
derung der Form auch bei der Uebertragung in ein anderes Medium
nicht auf einer einfachen Umwandlung. — Jede einzelne Form
repräsentirt vielmehr einen in sich abgeschlossenen
Entwiekelungscyclus, der von dem Keim ausgeht und wie-
der zu ihm zurückführt. Die einzelne Form selbst geht
unter keinen Verhältnissen in die andere über, nur der
Keim, das noch nicht differenzirte Gebilde vermag sich
je nach den Verhältnissen in der einen oder anderen
Richtung zu entwickeln.
Viel eher würde für unseren Fall der Ausspruch Lankesters
zutreffend erscheinen, von dem Proteus-ähnlichen Organismus, dessen
einzelne Erscheinungsformen eine Serie von Adaptationen vorstellen.
Die Verhältnisse liegen in unserem Fall jedoch anders als Lankester
sie sich bei seinem peach-coloured Bacterium denkt, da bei unserem
Organismus die „Serie von Adaptationen“ nicht etwa die regeimäs-
sige Wiederholung ererbter mütterlicher Eigenschaften ausschliesst,
oder an die Stelle derselben tritt; die Adaptation äussert sich nicht
in der beliebigen Annahme einer bestimmten einzelnen Form, son-
dern in dem Eintritt des Keimes in einen bestimmten For-
mencyclus, welchen die einzelnen Individuen und deren
Nachkommen, so lange die äusseren Verhältnisse gleich bleiben,
mit derselben Regelmässigkeit wiederholen müssen, wie
wenn überhaupt nur diese eine Entwickelungsweise mög-
lich wäre. — Wir werden demnach nicht ohne weiteres daran ver.
zweifeln, unsern „Proteus“ in dem System unterzubringen; wir sind
vielmehr im Stande jeden einzelnen Entwickelungscyclus, in den er
eintritt, anderen, ähnlichen im System anzureihen und so vorläufig
der didactischen resp. mnemotechnischen Forderung der Uebersichtlich-
keit zu genügen, — vorbehaltlich der späteren Vereinigung der so
getrennten Formen in einem durch neue Erfahrungen weiter ausge-
bauten und verbesserten ähnlichen System. — — Freilich wird ein
solches, welches das Band zwischen den einzelnen Lebenscyclen zur
Anschauung bringt, erst eine genügende und vollständige Charakte-
ristik der betreffenden Arten geben können, denn es werden unter
den verschiedenen Erscheinungsformen wohl bei jedem zu den
Schizophyten gehörigen Organismus einige. sein, welche an und
Cohn, Beiträge zur Biologie der Pflanzen, Band II. Heft II. 17
244
für sich gar nichts morphologisch-charakteristisches darbieten, wie
z. B. in unserem Fall die Bacteriengeneration in der blauen
Milch. — Ich habe schon bei Beschreibung derselben darauf auf-
merksam gemacht, dass diese Generation in keinem einzigen Sta-
dium ihrer Entwickelung morphologisch unterschieden ist von anderen
in der Milch wuchernden Bacterienformen, und ich halte diese Thatsache
keineswegs für besonders wunderbar oder der Deutung unzugänglich. Bei
den, soweit wir wissen, ganz homogenen, organisationslosen Körpern der
Bacterien bildet die Form und die mit ihr wechselnde Be-
schaffenheit der Körper-Oberfläche das hauptsächlich
(wenn nicht allein) Variable, das Binzige, wodurch sie
ihren Stoffwechsel nach den äusseren Umständen regu-
liren können, da wir nach den Reactionen annehmen dürfen,
dass die chemische Beschaffenheit des Körpers bei
allen Generationen desselben Organismus nahezu die
gleiche ist. Es wird auch bei verschiedenen Organismen eine
grosse Aehnlichkeit der chemischen Beschaffenheit angenommen wer-
den dürfen, und unter dieser Voraussetzung erscheint es selbstver-
ständlich, dass die Generationen solcher verschiedenen Organismen
den gleichen äusseren Bedingungen durch Annahme gleicher For-
men sich adaptiren. Es scheint mir, dass hierdurch die auf-
fallende Aehnlichkeit verschiedener Bacterienformen (im weitesten
Sinn), so lange sie in denselben Medien verweilen, ihre ungezwun-
gene Erklärung findet.
Zum Schluss noch einige Bemerkungen betrefis der biologischen
Verhältnisse unseres Organismus. Es ist von verschiedenen Seiten
die Ansicht ausgesprochen worden, dass dieselbe Function durch ähn-
liche Formen verschiedener Organismen ausgeübt werden könne, dass
also eine und dieselbe Gährung durch Bacteriengenerationen sehr
verschiedener Abstammung bedingt sein könne, und umgekehrt,
dass derselbe Organismus in seinen verschiedenen Generationen
sehr verschiedene Gährungsprocesse einleiten könne. Gegen eine
solche Anschauung ist aus theoretischen Gründen nichts einzu-
wenden, es lässt sich vielmehr manches dafür anführen, wenngleich
ein sicherer Beweis für dieselbe bisher nicht erbracht ist. Aus den
Beobachtungen über das Bacterium der blauen Milch könnte man
den Schluss ziehen, dass hier noch ein anderer, bisher nicht für
wahrscheinlich angesehener Fali einträte, dass nämlich zwei verschiedene
Generationen desselben Organismus die gleichen Funetionen ausübten.
Wäre dieser Fall wirklich möglich, so würde dadurch natürlich eine fast
unüberwindliche Schwierigkeit für die morphologische Identifieirung des
245
betreffenden Organismus gegeben sein. ich glaube jedoch behaupten
zu können, dass die Ableitung eines solchen Schlusses aus den Be-
obachtungen in unserem Fall nicht berechtigt ist. Es wird allerdings
sowohl von der Algenähnlichen Generation wie von der Bacterien-
Generation aus der Milchsäure resp. aus Ammon. lacticum blaues
Pigment gebildet; trotzdem ist die Function der beiden Formen
nicht die gleiche, vielmehr bei der Bacterienform bei weitem
complicirter wie bei der ersteren. — Es ist wohl jetzt allgemein
anerkannt, dass die Säuerung der Milch auf der Fermentwirkung von
Mikroorganismen beruht, und zwar wahrscheinlich Organismen sehr
verschiedener Abstammung. (Vergl. Hoppe-Seyler Physiologische
Chemie I. p. 120.) In der blauen Milch sind, wie die Impfungen
auf andere Medien beweisen, keine anderen Organismen enthalten
als die pigmentbildenden; man wird also, da hier vor und mit der
Pigmentbildung Säurebildung eintritt, annehmen müssen, dass diese
Organismen selbst das dazu nöthige Ferment liefern '). In der Milch
würden also die Bacterien nicht nur den Farbstoff zu produeiren
haben, sondern die hierzu nöthigen Ingredienzien der Milchsäure und
des Ammoniak sich aus dem Milchzucker resp. dem Casein zu prä-
pariren haben. In der Nährlösung werden dem Organismus diese
Ingredienzien fertig geboten, er übt hier nur die einfachere Func-
tion der Umwandlung derselben in Farbstoff und belebte Materie ?).
Die Pflanze wird, falls unsere Untersuchungen richtig sind, diese dif-
ferenten Functionen gar nicht in einer gleichen Generationsform aus-
führen können, und die Beobachtung bestätigt diese theoretische Fol-
gerung. — In der Milch wächst das Gonidium resp. die Spore zu
der complieirteren Form des schwärmenden Stäbchens aus, in der
blauen Nährlösung quillt es nur zum einfachen Kügelchen auf. —
In beiden Fällen, wo die charakteristische Function geübt wird, haben
wir es mit einfachen Generationsformen unseres Organismus zu thun,
welche nur durch Abschnürung sich vermehren. Wo wir die durch com-
plieirtere Vermehrungserscheinungen charakterisirten und deshalb für
1) Ein Beweis für diese Annahme scheint mir auch in der Erfolglosigkeit
der Impfung von blauer Milch auf saure Milch gegeben zu sein. In der
sauren Milch haben eben schon andere Bacterienformen unserm Organismus
einen Theil seiner Functionen vorweggenommen, und den Nährboden so üver-
wuchert, dass er nicht gegen sie aufkommen kann.
2) Zugesetzter Milchzucker bleibt in der blauen Nährlösung unverändert.
Es findet hier also, auch wenn Material vorhanden ist, keine Milchsäurebildung
statt, weil die vorhandene Generationsform zur Ausübung dieser Function
neben der Pigmentbildung nicht befähigt ist.
17#
246
die morphologische Bestimmung wichtigeren Formen auftreten sehen, da
fehlt die charakteristische Fermentwirkung. Diese Thatsache ist aus
dem Grunde bemerkenswerth, weil sich in ihr ein wahrscheinlich für
die ganze Klasse der Dacteriaceen gültiges Gesetz ausspricht, welches
namentlich in Bezug auf die pathogenen Formen durch manche Be-
obachtungen schon bestätigt worden ist, und sich etwa so formuliren
liesse, dass diejenigen Entwickelungszustände, oder richtiger
Generationsreihen, welche uns durch eigenthümliche
fermentativeWirkungen auffälligwerden, morphologisch
am wenigsten charakteristisch sind,— dass die ihnen ent-
sprechenden morphologisch charakteristischen Gene-
rationsreihen sich nicht in demselben Medium und unter
denselben Verhältnissen entwickeln wie die fermentativ
wirksamen, sondern nurinanderen Medien und ohneFer-
mentwirkung. Wir werden demnach die morphologisch charak-
teristischen Formen der pathogenen Bacterien nicht im Thierkörper,
und am wenigsten im erkrankten Thierkörper suchen dürfen, sondern
nur in Züchtungen des dem kranken Thierkörper entnommenen
Materials in anderen Medien. —
Rostock, Februar 1880.
Kir. "1.
Fig. 2.
Fig. 3.
Fig. 4.
Fig. 5.
Bis. 7.
Fig. 8.
Km... 9.
Fig. 10.
Fig. 11.
Erklärung der Abbildungen.
Tafel XI.
Schwärmende Bacterien aus der blauen Milch. Vergl. p. 225.
Ruhende Bacterien mitstarker Gallerthülle aus blauer Milch. Vergl.p. 230.
Schwärmende Bacterien späterer Generation, Gonidienketten und
freie Gonidien aus blauer Milch. Vergl. p. 226.
Vorzeitige Gonidienbildung bei mangelnder Nahrung. Vergl. p. 228.
u. 6. Sporentragende Stäbchen aus Cohn’scher Nährlösung. Fig. 5.
erstes, Fig, 6. zweites Stadium und freie Sporen. Vergl. p. 232.
Auskeimende Sporen und zweite sporentragende Generation aus
Cohn’scher Lösung. Vergl. p. 233.
Gestörte Formen aus Cohn’scher Lösung. Vergl. p. 235.
Schwärmende kugelförmige Zellen aus blauer Nährlösung. Vergl.p. 237.
Chroococcusform aus blauer Nährlösung. Vergl. p. 238.
Formen in Cohn’scher Lösung und Kali nitrieum (Leptothrix mit
Gonidien?). Vergl. p. 239.
Sämmtliche Figuren sind von Herrn Professor Albert Thierfelder,
welchem ich für seine liebenswürdige Unterstützung zu grossem Dank ver-
pflichtet bin, nach gefärbten Präparaten gezeichnet. Die Vergrösserung
ist ca. 830,
1
s
.. zu RN ä
u
i +6
£ ’ | f an Ir Fre dh et EL
i FEN a
\ : i } ii% a ı DE Eu Kal] Eanile A j
” BIN 2
und
7 F * “ r De h, ur
h i h I
. N J u an: ea
ur . \ u
5» ’ ”
A we
j A , 2?!
l ' .
i ”i ii Pi
% 2, 17
Er: p6*
Ir? Ei
*
k
j j
BB |
f - artsh: ex
y *
F N R, wi ug IF
E Mar TE 7 Br re
„ Ye
Pr
=
zu u
Chemiseh- botanische Studien
über dieinden Flechten vorkommenden Fleehtensäuren.
Von
Dr. Frank Schwarz in Graz.
Wenn die Versuche Nylander’s, Leigthon’s, Th. Fries’ und
Anderer, zum Erkennen gewisser Flechtenspecies chemische Rea-
etionen heranzuziehen, bei den Lichenologen bisher nur eine sehr
getheilte Anerkennung gefunden haben, so erscheint dies nicht ganz
ungerechtfertigt. Jene Autoren beschränkten sich im wesentlichen
auf zwei Reagentien, nämlich Chlorkalklösung und Kalilauge, und
sie liessen sich an dem Roth- oder Gelbwerden der Flechten,
resp. an dem Nichteintreten dieser Reaktionen genügen, ohne auf
die Ursache derselben — die einzelnen Flechtensäuren — Rücksicht
zu nehmen. An welchen Theilen, ob in der Rinde oder dem Marke,
die fraglichen Säuren vorkommen, ist für die Speciesbestimmung
nahezu gleichgültig, während die Frage, welche Säure überhaupt
vorliegt, grössere Bedeutung in Anspruch nimmt. Nur in einzelnen
Fällen kann man die Säure «n loco, d. h. durch Aufsetzen eines
Tropfens Reagens auf die Flechte erkennen. Meistens wird man
genöthigt sein auf makrochemischem Wege nach der Säure zu suchen,
sie aus älteren wie aus jüngeren Theilen der Fiechte zu lösen und
darauf erst die Reagentien wirken zu lassen. Bei der nicht unbe-
trächtlichen Anzahl von mindestens 10 wohlcharakterisirten Flechten-
säuren ist der Nachweis durch nur zwei Reagentien begreiflicher
Weise ungenügend.
Es dürfte der Versuch, die Darstellung der Flechtensäuren, ihre
hauptsächlichsten Eigenschaften, endlich die charakteristischen Rea-
ctionen derselben zum Gebrauch der Botaniker zusammenzustellen,
250
nicht ganz ohne Werth sein. Die Form des Vorkommens, sowie die
physiologische Bedeutung der Säuren im Flechtenorganismus wird
hier nur kurz berührt und muss die weitere Ausführung (sowie der
Abschnitt über Vulpin und Cetrarsäure) einer späteren Fortsetzung
dieser Arbeit vorbehalten werden.
1. Chrysophansäure C,, H,, 9,')-
Diese Säure nimmt unter den übrigen Flechtensäuren eine eini-
germassen isolirte Stellung ein, nicht allein dadurch, dass sie der
Anthracenreihe angehört, während die anderen sich den Benzolde-
rivaten anschliessen, sondern auch dadurch, dass sie nicht bloss in
den Flechten, sondern auch in Theilen höher stehender Pflanzen, so
in der Wurzel von Aheum und nach Peckolt in der Rinde von
Cassia bijuga vorkommt. Die Hauptquelle derselben, aus der man
sie leicht verhältnissmässig rein darstellen kann, ist die bekannte
Physcia parietina.
Die älteren Methoden der Darstellung, das Ausziehen mit Aether
oder Schwefelkohlenstoff und das Verdampfen zur Krystallisation
oder die Behandlung mit mässiger oder schwach alkalischer Kali-
lösung und Fällung durch Säure bieten wesentliche Tnbequemlich-
keiten. Im ersteren Falle löst man mit der Säure Antheile von
Chlorophyll und Fettsubstanz; im zweiten Falle gehen durch das
Kali auch grosse Mengen von Protoplasmaschleim mit in Lösung
und werden gleichzeitig mit der Säure gefällt. In der Combination
beider Arten von Lösun&smitteln fand ich eine glückliche Behebung
der Schwierigkeit. Ich extrahirte die zerkleinerte Flechte wieder-
holt mit Benzol oder dem billigeren Ligroin (leichtem Petroleum-
äther) und schüttelte die erhaltene gelbe Lösung mit sehr verdünnter
Kalilauge, so lange diese sich roth färbte?). Die so erhaltene
wässerige Lösung von chrysophansaurem Kali wurde beim Sättigen
durch Salzsäure stark gelb gefällt, der Niederschlag (von Chryso-
phansäure) abfiltrirt, ausgewaschen und getrocknet und endlich aus
1) Carl Liebermann und Otto Fischer, Berichte der chem. Gesell-
schaft 1875 p. 1102, substituirten diese Formel der älteren C,4 Hg O4, wonach
die Säure eine Isomere des Alizarins bildete, während sie jetzt ein Methylde-
rivat derselben darstellt.
2) Das nach dem Schütteln mit Kali immer noch etwas gelbliche Benzol
setzt beim Abdestilliren und Stehenlassen des Restes wawellitartig gruppirte
farblose Nadeln ab, die sich auch in alkoholischem Kali unlöslich zeigen und
dasselbe nicht im mindesten färben. Die erhaltene minimale Menge verbot
eine eingehendere Untersuchung.
251
heissem Benzol oder heissem Alkohol umkrystallisirt. In erstem
Falle erscheint die reine Chrysophansäure in goldgelben Blättchen,
im anderen Falle in orangegelben Nädelchen. Beide Arten liessen
sich bei vorsichtigem Erhitzen unverändert sublimiren.
Die Chrysophansäure ist in reinem Wasser nur sehr unbedeutend
löslich, was sowohl dem Verhalten vieler Anthracenderivate, als
vor allem dem der Flechtensäuren entspricht. Sehr leicht ist sie da-
gegen in freien, schlechter in kohlensauren Alkalien und Aetzammoniak
löslich und zwar stets mit einer charakteristischen purpurrothenFärbung,
die bei keiner anderen Flechtensäure auftritt. Diese leichte Löslich-
keit der rothen Alkaliverbinduug verhindert indessen die mikrosko-
pische Nachweisung der einzelnen Säurekörnchen in Schnitten der
Flechte, indem sich um dieselben bei Anwendung von Alkali rothe Wol-
ken bilden oder auch dichtere Plasmaklümpchen davon roth tingirt werden.
Es ist ein glücklicher Umstand für mikroskopische Nachweisung, dass
die Verbindungen der Chrysophansäure mit alkalischen Erden, wie
Kalk, Baryt, Strontium, zwar ebenfalls rothgefärbt, aber unlöslich
sind. Vor allen anderen Reagentien haben daher Kalk und Baryt-
wasser den Vorzug. Lässt man Chrysophansäurekrystalle 1—2 Tage
in Kalk oder Barytwasser liegen, so nehmen sie eine intensiv pur-
purrothe Färbung an, ohne ihre Krystallform dabei einzubüssen, ja
selbst ohne ihre doppelte Brechung unter dem Polarisationsmikros-
kope zu verlieren. Unter dem Deckglas zerriebene Krystalle werden
fast momentan roth; eine Ausscheidung von Kalkcarbonat an der
Oberfläche findet nicht statt, wie dies ebenfalls das Mikroskop er-
kennen lässt. Kohlensaures Ammoniak lässt die Chrysophansäure
unverändert und wird sie sehr leicht von dem im Rhabarber neben
ihr vorkommenden Emodin (C,, H,, O0,) unterschieden, das sich
in Ammoniumcarbonat mit rother Farbe löst. Da nun bei dem Be-
handeln der Physcia selbst mit erwärmten Ammoniumearbonat nicht
die geringste Rothfärbung beobachtet wurde, ist wohl die Abwesen-
heit des Emodins constatirt.
Weniger wichtig und charakteristisch sind folgende Reaktionen
der Chrysophansäure, die ich daher nur kurz erwähnen will. Con-
centrirte Salpetersäure wirkt erst beim Kochen ein und verwandelt
die Säure in Trinitrochrysophansäure (C,, H, 4(NO,) O,), welche
beim Zusatz von Wasser als ein orangerothes Pulver herausfällt.
Durch vorsichtigen Zusatz von Aetzammon entsteht eine violette
Färbung. In concentrirter Schwefelsäure löst sich die Chrysophan-
säure mit rother Farbe, wird aber durch Wasser unverändert ge-
fällt. Salzsäure wirkt nicht ein. Eisenchlorid erzeugt in der alko-
252
holischen Lösung eine bräunliche Färbung; andere Metallchloride
zeigen keine charakteristische Reaktion. Durch Zutreten von Brom-
dämpfen verwandelt sich die Chrysophansäure in Tetrabromcehryso-
phansäure, die sich im Aussehen wenig von der unveränderten Säure
unterscheidet, indessen in Alkohol und concentrirter Essigsäure weni-
ger löslich ist. Lässt man daher zu einer mässig concentrirten
alkoholischen Lösung Bromdämpfe zutreten, so fällt ein gelber Nie-
derschlag, der aber bei Alkoholüberschuss erst durch Zusatz von
Wasser auftritt. Durch Alkali wird die bromirte Chrysophansäure
braun gefärbt, ohne sich indessen in grösserer Menge zu lösen. Wenn
ich endlich noch erwähne, dass schwach ammoniakalisches Silberni-
trat und mit Soda neutralisirte Goldehloridlösung durch die Chryso-
phansäure besonders bei gelindem Erwärmen reduzirt wird, so habe
ich damit die für den Botaniker wichtigen Reaktionen der Chryso-
phansäure nahezu erschöpft. Die Behandlung mit Kalkwasser ist
zur praktischen Erkennung am meisten maassgebend.
2. Lecanorsäure C,, H,, 0, und
3. Erythrinsäure C,, H,, O,0-
Diese beiden unter allen Flechtensäuren am vollständigsten unter-
suchten Säuren lassen sich am besten gemeinsam behandeln, da sie
sowohl chemisch mit einander verwandt sind, als auch viele Eigen-
schaften mit einander gemeinsam haben, und die letztere sich nur durch
das Eintreten eines den Alkoholen verwandten Körpers, des Erythrits,
von der ersteren unterscheidet, wie z. B. Querecitrin von Quercetin.
Constitutionsformeln, die Art der Zersetzung in Orsellinsäure, Orein
u. s. w. finden sich in jedem Lehrbuche der organischen Chemie
und können daher hier übergangen werden. Das Orecin, ein Bioxy-
toluol und damit ein Glied der Benzolreihe, das aus beiden Säuren
leicht entsteht, und für sich ebenso wie die beiden Säuren farblos
ist, giebt durch Ammoniak und Sauerstoff das intensiv roth gefärbte
Orcein und bildet dadurch den Ausgangspunkt für die aus Roccella,
Lecanora ete. im Grossen dargestellten Farbstoffe der Orseille, des
Lakmus u. s. w., die wenn auch beschränkt in der Färberei An-
wendung finden,
Von allen Methoden zur Gewinnung obengenannter Säuren ist das
Extrahiren mit dünner Kalkmilch am meisten zu empfehlen. Wenn
man die zerschnittenen Flechten mit Kalkmilch zusammenrührt, kurze
Zeit maceriren lässt, auspresst und die klare Lösung unmittelbar
in verdünnte Salzsäure fliessen lässt, wird man wenig von Zersetzungs-
produkten, Schleim- oder Chlorophylibeimengungen belästigt. Zur
253
weiteren Reinigung des weisslichen ziemlich voluminösen Niederschlages
wird derselbe abfiltrirt, ausgewaschen, getrocknet und in heissem
Alkohol umkrystallisirt. Ich habe es vortheilhafter gefunden, dem
Alkohol Holzgeist zu substituiren, weil die Bildung des Methyläthers
beim Holzgeist in viel geringerem Grade als die beim Kochen sonst
leicht eintretende Bildung des Aethyläthers zu fürchten ist. Da sich
die Erythrinsäure im Holzgeist leichter als die Lecanorsäure löst,
so kann man zu ihrer Gewinnung die Fiechte direkt mit Holzgeist
ausziehen, und kann ich diese Methode aufs beste empfehlen, während
die Anwendung des heissen Alkohols, des heissen Wassers oder
des Ammoniaks nur sehr ungenügende Resultate ergiebt.
In reinem Zustande stellen beide Säuren farblose, kurze feine
Nadeln dar, die häufig sternförmig verwachsen sind. Der direkte
Niederschlag aus der Kalklösung erscheint unter dem Mikroskop als
kleine runde Kügelchen. Im polarisirten Lichte zeigen die Krystalle
bei gekreuzten Nicols ein schönes Farbenspiel, sind daher doppel-
brechend.
Die bisher bekannteste Reaktion auf diese Säure war die mit
Chlorkalklösung, wodurch die Säuren (durch den freien Kalk) gelöst
und durch die unterchlorige Säure roth gefärbt werden. Diese Farbe
geht indessen binnen kurzem in braun und gelb über. Durch über-
schüssigen Chlorkalk tritt gänzliche Entfärbung ein. Bequemer fast
ist die Anwendung von unterchlorigsaurem Natron, das man in ziem-
lichem Ueberschuss zu einer Lösung der Säuren in wenig Alkali zu-
setzt. Unmittelbar auf der Flechte ist die Reaktion ungenau, da
andere Stoffe das Chlor binden können; besser ist es eine mit wenig
Kalkmilch erhaltene filtrirte Lösung mit Chlorkalk zu versetzen.
Selbst eine alkoholische Lösung zeigt, und zwar sehr schön die Roth-
färbung durch die unterchlorigsauren Salze. Eine weitere Reaktion
ist die Dunkelfärbung beider Säuren durch länger dauernde Einwir-
kung von Ammoniak (und Luft). An der Flechte selbst ist die
Reaktion unsicher, da auch andere, nicht zu den Flechtensäuren. ge-
hörigen Stoffe eine ähnliche Färbung hervorrufen können. Ein Ver-
such, die Säurekörnchen in loco ohne Formveränderung dadurch zu
färben, dass ich die Flechte in einem Reagensrohr über concentrir-
tem Aetzammoniak aufhing, misslang insofern, als die Körnchen
sich lösten und die umgebenden Membranen dunkel färbten. Wen-
dete ich trocknes Ammoniakgas an, so blieben freilich die Körnchen
erhalten, es trat aber auch nach längerer Zeit keine Färbung .ein.
Aeusserst charakteristisch und empfindlich ist eine Reaktion, die
ich der vor kurzem in den Berichten der deutschen chem. Gesellschaft
254
Band 13. Heft 3 erschienenen Arbeit meines Vaters, Dr. H. Schwarz,
„über einige neue Farbstoffe aus Orein“ entnehme. Dieselbe beruht
darauf, dass Orcin (und ebenso die Orein bei ihrer Zersetzung lie-
fernden Flechtensäuren) beim Erwärmen mit Chloroform und Aetz-
alkalien einen Farbstoff, das Homofluorescein ergiebt, dessen alka-
lische Lösung mit rothgelber Farbe durchsichtig ist, während im
auffallenden Lichte eine schöne gelb-grüne Fluorescenz auftritt, wenn
selbst nur sehr geringe Mengen des neuen Körpers vorhanden sind.
Um die Reaktion hervorzurufen, erwärmt man die abgeschiedenen
Flechtensäuren oder ein Stückchen der Flechte mit verdünnter Kali-
oder Natronlauge, bildet dadurch Orein, das nun bei Zusatz eines
Tropfens Chloroform und länger fortgesetztem Erwärmen im Was-
serbade den Farbstoff und damit die charakteristische Fluorescenz
ergiebt. Letztere tritt beim weiteren Verdünnen mit destillirtem
Wasser am deutlichsten hervor. Noch empfindlicher ist die Reak-
tion, wenn man zuerst die Flechte (einige Aestehen genügen) mit
Alkohol auszieht und diesen Auszug mit wenig Chloroform und Aetz-
alkali erwärmt.
Auch die Reaktion mit Eisenchlorid ist zu empfehlen. Fügt man
dem alkoholischen Auszug der Flechten einige Tropfen verdünnter
Eisenchloridlösung zu, so tritt eine braun-violette Färbung ein. Man
hüte sich vor einem Ueberschuss des Reagens, indem sonst die
Farbe ins Rothbraune umschlägt. Durch Wasserzusatz entsteht ein
violetter Niederschlag, wohl theilweise aus unveränderter Flechten-
säure bestehend, da diese in verdünntem Alkohol nur wenig lös-
lich ist.
Bis hierher zeigen sich Erythrin- und Lecanorsäure ziemlich
identisch. Ein Unterscheidungsmittel beider bietet das Verhalten
gegen Essigsäure. In dieser ist nur Erythrinsäure löslich, die Leca-
norsäure nicht. Treten daher die Reaktionen, welche eben angege-
ben, vor allem die mit Eisenchlorid in der essigsauren Lösung ein,
so sind wir berechtigt auf Erythrinsäure zu schliessen. Am besten
löst man in wenig Ammoniak, setzt einen Ueberschuss von Essig-
säure zu und kocht. Lecanorsäure bleibt ungelöst, Erythrinsäure
löst sich dagegen auf. Erstere ist auch unlöslich in kohlensaurem
Ammoniak, fällt daher heraus, wenn man die ammoniakalische Lösung
mit Kohlensäure übersättigt, während die Erythrinsäure gelöst bleibt
und erst nach dem Uebersättigen mit Salzsäure herausfällt. Heeren’s
Methode, die Säure in Barytwasser zu lösen und dann Kohlensäure
einzuleiten, wobei die Erythrinsäure mit dem kohlensauren Baryt
falle, während die Lecanorsäure aus dem Filtrat erst durch Salz-
255
säure ausgeschieden werde, fand ich ungenau. Auch die Lecanor-
säure findet sich in dem Niederschlage des Barytcarbonat’s. Man
kann sie davon trennen, entweder indem man den Niederschlag mit
Alkohol auszieht oder den kohlensauren Baryt mit verdünnter Salz-
säure löst. Wenn das Filtrat von kohlensaurem Baryt durch Salz-
säure noch eine geringe Trübung ergiebt, so rührt dies wahrschein-
lich von gebildeten Zersetzungsprodukten, z. B. Orsellinsäure her.
Einen ferneren Unterschied ergiebt die Behandlung der Säuren mit
einer Lösung von Brom in Barytwasser (unterbromigsaurer Baryt).
Bei Erythrinsäure wird die Flüssigkeit sogleich gelb, bei Lecanor-
säure wird sie wenigstens in der Kälte nicht gefärbt.
Ein Versuch, ob die Erythrinsäure durch den darin enthaltenen
Erythrit reduzirend auf alkalische Kupferoxydlösung wirke, gab ein
negatives Resultat.
Zur Erkennung beider Säuren in der Flechte genügt es zuerst
durch die Chloroform-Kali-Reaktion die Anwesenheit der Orein bil-
denden Flechtensäuren im Allgemeinen zu constatiren. Auch die
Chlorkalkreaktion ist maassgebend. Zur Unterscheidung derselben
digeriren wir die Flechte mit Ammoniak, filtriren und setzen Essig-
säure im Ueberschuss zu; bleibt dann der entstehende Niederschlag
auch beim Erwärmen ungelöst, so ist sicher Lecanorsäure, verschwindet
er, Erytlirinsäure vorhanden. Auch ein Kochen der Flechte mit
verdünntem Eisenchlorid bietet einen Anhalt, indem die Lösung bei
Gegenwart von nur Lecanorsäure rothgelb, bei Gegenwart von Ery-
thrinsäure braun erscheint !'). — Salpetersäure, Schwefelsäure, Salz-
säure und Brom geben keine unterscheidenden und nicht einmal
generelle Reaktionen. Die erstere löst bei eoncentrirtem Zustande
beide Flechtensäuren schon in der Kälte, während verdünnte Säure
Erwärmen fordert. Concentrirte Schwefelsäure löst sie und schwärzt
sie beim Erwärmen.
Eine weitere Gruppe untereinander verwandter Flechtensäuren
bilden die Usninsäure, Carbonusninsäure, Cladoninsäure (3 Usninsäure)
und Evernsäure. Von diesen sind nur Usninsäure nnd Evernsäure
vollständig beglaubigt; ich werde daher nur diese Säuren einer
näheren Besprechung unterziehen und die Frage in Beziehung auf
die übrigen vorläufig noch offen lassen.
1) Bei der Lösung der Säuren in Alkohol reagiren beide gleich auf Eisen-
chlorid, beim direkten Kochen der trockenen Säure dagegen mit letzterem
Reagens färbt sich die Flüssigkeit bei Erythrinsäure rasch dunkel, während
sie bei Lecanorsäure ihre Farbe nur wenig ändert.
256
4. Usninsäure C,, H,s 9;-
Die angegebene Formel konnte bisher noch nicht durch die Ana
Iyse der Salze und der Derivate über allen Zweifel festgestellt werden.
Die Angabe von Stenhouse, dass daraus durch Erwärmen mit Kali
B-Orein (Methylorein) entstehe, wurde vom Autor selbst zurückgenommen.
Salkowski!) will durch Schmelzen der Säure mit Kali eine Säure
von der Formel C, H,, 0, (Everninsänre?) erhalten haben, die sich
nach der Gleichung C,, H,, 0; + H,0 = 2 (C, H,, 0,) bilde.
Zur Darstellung der Säure in kleinerem Maassstabe genügt es
die zerkleinerte Flechte mit Alkohol auszukochen. Aus dem Filtrat
fällt beim Erkalten viel Usninsäure in schönen hellgelben Kryställchen
heraus, der Rest der Säure, den man durch Abdestillation des Alko-
hols oder durch Zusatz von Wasser erhält, ist unrein und schwer
zu reinigen. Bei der Darstellung grösserer Mengen kann man die
Säure auch der Flechte durch kalte Kalkmilch oder verdünntes
Natriumcarbonat entziehen, das Filtrat mit Salzsäure fällen und aus
dem getrockneten Niederschlage die reine Säure durch Ausziehen
mit warmen Aether gewinnen. Stenhouse behauptet, die Säure
bilde bei längerem Kochen mit Kalk eine in Wasser unlösliche Ver-
bindung, der die Usninsäure durch Aether entzogen werde. Käme
in einer Flechte neben der Usninsäure auch Evernsäure vor (wie
dies bei der Zvernia prunastri wirklich der Fall ist), so werde letz-
tere durch dieses Kochen mit Kalk zersetzt und so eliminirt.
Im reinen Zustande bildet die Usninsäure hellschwefelgelbe
Nadeln, die bei 200° C. schmelzen. Unter dem Polarisationsmikro-
skope zeigen sie ein schönes Farbenspiel. Von Wasser werden sie
nicht benetzt; in kaltem Alkohol sind sie sehr wenig, im "kochenden
immer noch schwierig löslich. Von Aether werden sie leicht aufge-
nommen, gar nicht aber von Benzol und Ligroin.
Die Kali-Chloroformreaktion tritt bei der Usninsäure in keinem
Falle ein, wenn man sie auch vorher mit Kali kocht oder sie sogar
damit zusammenschmilzt und durch Lösen der Schmelze in Wasser,
Uebersättigen mit Säure und Ausschütteln mit Aether das etwa ge-
bildete Orein zu concentriren sucht. Es wird hierdurch eine scharfe
Grenze zwischen der Usninsäure einerseits, der Lecanor- und Ery-
thrinsäure andererseits gezogen. Einen gleichen Fundamentalunter-
schied bietet die Chlorkalkreaktion. Die Usninsäure färbt sich
dadurch nicht roth, sondern gelb, was indessen wohl nur auf die
alkalische Reaktion des Chlorkalks zurückzuführen ist, ebenso wie
I) Bericht der deutschen chem, Gesellsch. 1875, p. 1460.
257
bei der Chrysophansäure, die nur durch den freien Kalk im Chlor-
kalk eine rothe Färbung annimmt. Eisenchlorid färbt eine alkoho-
lische Lösung roth, doch wenig intensiv und charakteristisch, was
wohl zum Theil auf die geringe Löslichkeit der Usninsäure in Alko-
hol zurückzuführen ist. Man thut am besten die Flechte mit Aether
auszuziehen, dem Filtrat starken Alkohol und dann erst Eisenchlorid
zuzusetzen.
Fälle ich die alkoholische roth gefärbte Lösung durch Wasser-
zusatz, so fällt die Säure als hellrother Niederschlag heraus.
In eoncentrirter Schwefelsäure löst sich die Usninsäure mit gelber
Farbe, wie es scheint unverändert. Durch Wasserzusatz fallen gelb-
lich weisse Flocken heraus, die sich beim Erwärmen zuzammenziehen
und dabei die ursprünglich lebhaft gelbe Farbe annehmen. Salpeter-
säure wirkt selbst beim Kochen nur wenig ein, zur Schwefelsäure-
lösung zugesetzt hellt sie dieselbe auf.
Eigenthümlich ist das Verhalten zu Ammoniak. Durch wenig Am-
moniak giebt die gelbe Säure ein farbloses saures Salz. Man er-
hält dasselbe, indem man die Säure mit Ammoniak räuchert, d. h.
über wässrigem Ammoniak unter einer Glocke auf einem Uhrgläschen
stehen lässt. Wenn man dieses farblose Salz mittelst verdünntem
Ammoniak oder Ammoniumcarbonatlösung darstellen will, so ist
wenigstens eine Erwärmung der Flüssigkeit zu vermeiden, da sich
die Säure sonst mit gelber Farbe löst. Das farblose Salz ist übrigens
ebenfalls in Wasser löslich.
Aus einer möglichst neutralen Lösung der Säure in wenig Alkali
wird durch Kupfersalze ein grüner, durch Nickelsalze ein gelbgrüner,
durch Kobaltsalze ein braunrother Niederschlag gefällt.
Die Lösungen der Säure in kaltem kaustischem und kochendem
kohlensauren Alkali sind stets gelb gefärbt, eine Eigenschaft, die
sie leider auch mit der Evernsäure, Cetrarsäure, Vulpinsäure (zum
Theil) gemeinsam hat, und die in gewissem Grade auch bei Leca-
nor- und Erythrinsäure eintritt, besonders wenn die alkalische Lö-
sung eine Zeitlang mit Luft in Berührung steht. Dass auch die
Carbonate der Alkalien auf die Usninsäure wirken, macht einen
freilich nicht allzu charakteristischen Unterschied zwischen ihr und
der Vulpinsäure aus, die in Alkalicarbonaten nicht löslich ist.
5. Evernsäure C,, H,, 0..
Dieses niedere, um CH, verschiedene Homologon der Usninsäure,
gleicht derselben in vielen Beziehungen, weshalb ich auch bei ihr
in vielen Punkten auf Reaktionen der Usninsäure verweisen kann.
258
Die angegebene Formel stützt sich auf die Zersetzung der Säure
durch Kochen mit Kalkmilch, wobei sie nach der Gleichung
C,H, 0; +H,0=0%,H,0, +0, H, 0, +00,
in Everninsäure, Orein und Kohlensäure zerfällt. Es ist zu dieser
Zersetzung ein längeres Kochen als bei Lecanor- und Erythrinsäure
erforderlich. Das früher behauptete weitere Zerfallen der Evernin-
säure, wobei sich Orsellinsäure C, H, O, resp. Orein bilde, ist
neuerdings widerrufen worden. Durch Wasseraufnahme musste
gleichzeitig CH,O Methylalkohol entstehen.
Zur Darstellung wird Zvernia prunastri mit heissem Alkohol
behandelt. Man erleichtert sich die Arbeit und vermehrt die Aus-
beute, wenn man durch Abreiben der Flechte auf einem groben Siebe
die äussersten Theile als Siebdurchfall gewinnt und nur diese in
Arbeit nimmt. Zum Umkrystallisiren der aus dem Alkohol gewon-
nenen grünweissen Masse ist Aether zu empfehlen, aus dem man
viel schönere Krystalle als aus dem Alkohol enthält. Wenn man
die Behandlung mit Kalkmilch wählt, kann die etwa vorhandene
Usninsäure mit in Lösung gehen. Der durch Salzsäure erhaltene
Niederschlag muss dann mit wenig kochendem Alkohol behandelt
werden, wodurch die leichter lösliche Evernsäure in’s Filtrat, die
Usninsäure in den Rückstand kommt. Ein direktes Ausziehen der
abgeriebenen Flechtentheile mit Aether ist weniger zu empfehlen,
indem dadurch zu viel Chlorophyll mit in Lösung geht. Im reinen
Zustande bildet die Evernsäure kurze scharfkantige Nadeln, die im
polarisirten Lichte schönes Farbenspiel zeigen. Die reine Säure
ist farblos, ein wichtiges Unterscheidungsmoment gegenüber der
Usninsäure. Da sich die Säure schon bei 130—140° C zu bräunen
beginnt, kann der bei 164° C gefundene Schmelzpunkt nur als an-
nähernd richtig betrachtet werden.
In Aetzalkalien, Aetzammon und den Alkalicarbonaten ist die
Säure mit gelber Farbe löslich; kohlensaures Ammon löst sie nur
beim Kochen und zwar ziemlich langsam. Durch Säure wird un-
veränderte Evernsäure gefällt. Auch in concentrirter Schwefelsäure
ist sie mit bräunlichgelber Farbe löslich. Durch Verdünnen oder
Neutralisiren wird sie unverändert gefällt, durch Ueberschuss von
Alkali natürlich wieder mit gelber Farbe gelöst. Auch in der
Reaktion gegen Eisenchlorid, sowie in der Art, wie die neutrale
Lösung des Ammonsalzes z. B. gegen Kupfer-, Nickel-, Kobaltsalze
sich verhält, nähert sie sich sehr der Usninsäure.
Sehr genau lässt sie sich aber von der Usninsäure unterscheiden,
wenn man sie vorher einem längeren (mindestens 15 Minuten) dauernden
259
Kochen mit Kalkmilch unterwirft. Hierdurch giebt sie nämlich nach
der oben angeführten Formel Orein, und dieses kann dann sowohl
durch die Kalichloroformreaktion als durch die Rothfärbung mit
Chlorkalk nachgewiesen werden. Sie schliesst sich dadurch an die
Lecanor- und Erythrinsäure an; Usninsäure, die als höheres Homolog
durch diese Kalkbehandlung kein Orein, sondern möglicherweise
Methylorein ergiebt, kann deshalb nicht das fluorescirende Homo-
fluorescein bilden.
Die Evernsäure wurde bisher nur in der Zvernia prunastri ge-
funden, mir gelang es sie auch in der Uladonia rangiferina nach-
zuweisen. Die aus dieser Flechte dargestellte Säure hatte sämmt-
liche Reaktionen, die wir an der Evernsäure wahrgenommen haben,
was mir umsomehr auffiel, als die einzelnen Autoren in der Oladonia
rangiferina Usninsäure oder B-Usninsäure gefunden hatten und von
Evernsäure nichts erwähnen. Die ß-Usninsäure erhielt, da sie von
der Usninsäure doch in mehreren Punkten, besonders auch im Aus-
sehen — sie war farblos — abwich, von Stenhouse den Namen
Cladoninsäure. Ich will nun die Frage mehr anregen als entscheiden:
waren die untersuchten Säuren nicht etwa Gemenge aus Usnin- und
Evernsäure?
Noch unsicherer als die Angaben über Cladoninsäure lauten
jene über Carbonusninsäure. Sie soll nach O. Hesse in Usnea-Arten
vorkommen, die auf Callisaya-Rinde gewachsen war. Abgesehen
davon, dass die Analyse dieser Carbonusninsäure einen höheren Ge-
halt an Kohlenstoff erwies, giebt Heeren als Hauptunterschied,
den Eigenschaften der Usninsäure gegenüber, die Verschiedenheit des
Schmelzpunktes an. Erstere Säure schmilzt bei 195,4° C., letztere
bei 200—203°C. Andere Autoren, z.B. Paterno, glauben an die Iden-
tität beider Säuren. Dem Botaniker ist übrigens mit der Unterschei-
dung wenig geholfen, deshalb übergehe ich diese doch sehr frag-
liche Substanz. z
Es bliebe mir nun noch übrig eine Anzahl seltener vorkommen-
der, weniger genau untersuchter Flechtensäuren, wie Vulpinsäure,
Cetrarsäure, Patellarsäure in gleicher Art in Beziehung auf Dar-
stellung, Eigenschaften und Reaktionen zu besprechen. Obwohl ich
auch in dieser Richtung einige Studien gemacht, muss ich doch das
Eingehen darauf für eine Fortzetzung dieser Arbeit vorbehalten, da
mich derzeit andere Studien in Anspruch nehmen. Ich will nur
noch einiges über eine in den Flechten vorkommende Säure anführen,
die trotzdem keine eigentliche Flechtensäure ist, ich meine
Cohn, Beiträge zur Biologie der Pflanzen. Band III, Heft II, 15
260
6. Die Roccellsäure C,, H,, O0,
Es ist dies, wie ihre Eigenschaften deutlich zeigen, eine
zu den Fettsäuren gehörige Säure. Man gewinnt sie aus der
Roccella fuciformis oder tinctoria, indem man die Flechte zuerst
einige Male mit Kalkmilch auszieht. Die vorhandene Erythrinsäure
wird dadurch als leicht lösliches Kalksalz eliminirt, die Roccellsäure
gibt dagegen, wie die Fettsäuren mit höheren Moleculargewicht über-
haupt, eine schwer lösliche Kalkverbindung, die in der Flechte zu-
rückbleibt. Behandelt man diese dann mit verdünnter Salzsäure, so
wird die Roccellsäure wieder frei gemacht und kann — nach genü-
gendem Auswaschen — durch verdünnte Kalilauge als lösliche Kali-
seife ausgezogen werden. Wird das Filtrat mit Salzsäure übersättigt,
so fällt Roccellsäure, daneben aber auch viel Plasmaschleim und humin-
artige Substanz. Der Niederschlag wird getrocknet und mit Aether
extrahirt, der beim Verdunsten ziemlich reine Roccellsäure hinterlässt.
Durch mehrmaliges Umkrystallisiren aus Aether erhält man sie in
Form kleiner weisser Täfelchen, aus Alkohol mehr als feine Nadeln.
Es ist eine Diearbonsäure mit 2 Carboxyl und gehört zu einer homo-
logen Reihe nach der Generalformel C, H,„_,z O,, zu der auch
Adipinsäure und Korksäure gerechnet werden.
Sie schmilzt bei 132° C. und erstarrt dann zu einem durchsich-
tigen Harz, ohne sich dabei wesentlich zu verändern. Auf Platin-
blech erhitzt, stösst sie Fettgeruch aus, und verbrennt mit leuchten-
der Flamme. Ihr Charakter als Fettsäure tritt besonders bei ihrer
Lösung in Kali hervor, die alle Eigenschaften einer wahren Seife
zeigt, d. h. in verdünnter Lösung beim Schütteln bleibenden Schaum
bildet, durch Zusatz von überschüssigem Kali und Kochsalz ausge-
schieden wird, aus Chlorcaleiumlösung unlöslichen roccellsauren Kalk
fällt u. s. w.
Die Roccellsäure bildet kein Orein oder Methylorein, mit Ammoniak
und Sauerstoff oder mit Eisenchlorid, Chlorkalk u. s. w. keinen
Farbstoff, kurz sie ist durchaus von den eigentlichen Flechtensäuren
verschieden. Sie färbt sich wie fast alle Fettsäuren durch Alkanna-
tinctur roth, und konnte hierdurch ihr Vorkommen als wesentlicher
Bestandtheil in den Gonidien nachgewiesen werden. Wenn man die
Roccellsäure denselben durch Aether, Petroleum, Sodalösung, phos-
phorsaures Natron etc. entzieht, bleibt die Rothfärbung aus. Ein
in den Gonidien vorkommender Körper ist kein Ausscheidungspro-
dukt, wie dies für die eigentlichen Flechtensäuren im nachfolgenden
botanischen Theile nachgewiesen wird; man ist daher gezwungen,
die Roccellsäure von diesen zu trennen.
261
Botanischer Theil.
Noch mehr als durch die ehemischen Beziehungen treten die
Flechtensäuren durch die Gleichartigkeit des Vorkommens und die
gleiche physiologische Rolle, die sie in den Flechten spielen, zu
einer Gruppe zusammen.
Die Literatur über das Vorkommen der Flechtensäuren in der
Pflanze ist wenig umfangreich. Es treten darin eigentlich nur zwei
Ansichten einander gegenüber. Schwendener') giebt für alle Laub-
und Strauchflechten an, die Säuren kämen allein in der Gestalt von
Körnchen vor, die sich, wie er ausdrücklich hervorhebt, niemals im
Lumen der Zellen, sondern immer an der Aussenfläche der Mem-
branen abgelagert fänden. Sei das Gewebe interstitienlos, so lägen
die Körnchen zwischen den sich berührenden Zellenwandungen. Dem
steht die Ansicht El. Borscow’s?) gegenüber, der ein solches Vor-
kommen nur für einige, nicht für alle Flechten gelten lassen will.
Er untersuchte in dieser Beziehung unsere gewöhnliche Wandflechte
(Physcia parietina) und fand, dass angeblich die Körnchen der
Chrysophansäure durchwegs Inhaltseinschlüsse der Hyphenzellen, keines-
wegs Ablagerungen oder Incrustationen der Aussenseite der Hyphen
bildeten. Es heisst wörtlich: „Bei Physcia parietina sind sämmtliche
Körnehen nichts anderes, als kleine von Chrysophansäure pigmen-
tirte Kliimpehen von diehtem Protoplasma, also Bildungen, welche
den Farbstoffkörpern ganz analog sind.“
Ich habe diese Frage sowohl bei der P’hyscia als auch bei zahl-
reichen anderen Flechten untersucht und muss mich durchaus der
Ansicht von Schwendener anschliessen. Borscow’s Irrthum ist
jedenfalls darauf zurückzuführen, dass er die Physcva nicht in frischem,
unveränderten Zustande untersuchte, sondern erst nach der Behand-
lung mit verdünntem Kali oder Ammoniak. Er rechtfertigt diese
Untersuchungsmethode mit der Behauptung, Chrysophansäure löse
sich erst bei allzu langer Behandlung, indem das Plasmagerüste
der Körnehen zerstört werde. Gerade diese Praemisse ist unrichtig.
Ich brachte unter dem Mikroskop sowohl Krystalle der reinen Säure,
als auch frische dünne Schnitte der Flechte mit höchst verdünntem
Kali zusammen und beobachtete in beiden Fällen die fast momen-
tane Lösung. Bei Borscow’s Versuchen, der die Flechte nach der
Behandlung mit Kali nur auf Fliesspapier abgetrocknet hatte, musste
das lösliche Kali oder Ammonsalz der Chrysophansäure durch Diffu-
1) In Naegeli’s Beiträgen zur wissenschaftlichen Botanik. Heft III. p. 142.
2) Bot. Ztg. 1874. p. 22 ff.
18°
262
sion in die Hyphen eindringen und die Plasmakörner durch Flächen-
anziehung tingiren.
Wenn man sich nicht mit der Beobachtung eines unveränderten
Schnittes begnügen will, (obwohl auch hier die gelben Körnchen
mit genügender Deutlichkeit ausserhalb der Membran liegend ge-
sehen werden können), so liefert die Behandlung mit Kalkwasser
den schlagenden Beweis, dass Borscow’s Behauptung unrichtig ist.
Der Inhalt der Hyphenzellen, sowie die Membran bleiben farblos,
die Körnchen dagegen färben sich roth, ohne sich zu lösen. Auch
bei anderen Flechten ist diese Ablagerung der Körnchen an der
Aussenseite evident. Bei Roccella tinctoria z. B. ermöglicht es die
Beschaffenheit der Rinde, welche aus parallelen, nicht verwachsenen
Fäden besteht, die Körnchen von Erythrinsäure durch Reiben unter
dem Deckglase von den Hyphen zu trennen.
Als Beweis gegen pigmentirte Plasmaklümpchen kann auch die
Thatsache angesehen werden, dass sämmtliche Körnchen krystallinisch
sind. Ein Mittel, undeutliche Krystalle von ähnlich aussehenden
amorphen Niederschlägen zu unterscheiden, bietet bekanntlich das
Polarisationsmikroskop, unter welchem krystallinische Körper bei
sekreuzten Nicols aufleuchten, während die amorphen dunkel bleiben.
Nun leuchten aber die Flechtensäurekörnchen sehr deutlich bei einem
Flechtenschnitt, während die übrigen Theile dunkel bleiben. Um
sich vor Täuschungen durch etwa vorhandene Krystalle von oxal-
saurem Kalk zu schützen, genügt es, den Schnitt vorher mit ver-
dünnter Salzsäure zu behandeln, in der die Flechtensäuren sich
nicht verändern. Das Polarisationsmikroskop weist dann am sichersten
den Weg, um die Flechtensäurekörnchen an einem Schnitte aufzufinden.
Zum Abschluss dieser Argumentation will ich noch erwähnen,
dass bei Behandlung der Schnitte mit Lösungsmitteln, die wie Alkohol,
Benzol, (bei Erythrinsäure auch Glycerin) wohl auf die Flechten-
säuren, nicht aber auf Plasma oder Cellulose lösend wirken, wohl die
Säurekörnchen verschwanden, niemals aber ein ungelöster Kern oder
sonstige Reste beobachtet werden konnte.
Was nun den Theil des Flechtenthallus anbelangt, an welchem
die Flechtensäure abgelagert wird, so finden wir sie niemals an den
Gonidien, sondern stets an den Hyphenzellen, doch sind diese nicht
immer gleichmässig mit den Körnchen bedeckt. In der Mehrzahl
der Fälle ist es ausschliesslich die Rinde, wo wir sie aufzusuchen
haben. Bei Flechten mit differenter Ober- und Unterseite, ist erstere
immer die an Säure reichere. Wenn auch sehr vereinzelte Körnchen
im Innern vorkommen können, so ist doch die Rinde als eigentlicher
263
Ablagerungsplatz zu betrachten. Weit seltener ist der Fall, dass
die Säure gleichmässig in der Flechte vertheilt erscheint. Wenn
dies z. B. bei Ochrolechia tartarea sich zeigt, so erscheint dies
naturgemäss, da bei dieser Krustenflechte keine eigentliche Rinde
zur Ausbildung gelangt.
Weiter finden wir die Säure regelmässig in bedeutender Menge
an fortwachsenden Spitzen und Rändern, ebenso an den Stellen, wo
Soredien aufbrechen und schliesslich an den Soredien selbst. Am
fortwachsenden Rande und den Spitzen fehlen die Säurekörnchen
nie. Anders verhält es sich an älteren Theilen, wo die Säure manch-
mal fehlt, eventuell weil sie abgeworfen wurde.
Betrachten wir z. B. die Wandflechte, so muss es uns auffallen,
dass die Oberfläche des Thallus nicht überall gleichmässig gelb ge-
färbt ist. Gelb ist immer der Rand und jene Stellen, wo ein junges
Apothecium in der Bildung begriffen ist. Aeltere vom Rande ent-
ferntere Theile, das Exeipulum der älteren Apothecien sind in trok-
kenem Zustande grau, beim Befeuchten lassen sie das Grün der Goni-
dien durchschimmern. Die Annahme, die früher vorhandene Säure
sei aus der Flechte entfernt worden, bestätigt sich, wenn wir einen
Radialschnitt der Rinde ins Auge fassen. Sie erscheint am Rande
vollkommen glatt und zahlreiche Körnchen der Säure sind auf der
Membran der Hyphenzellen abgelagert. Weiter nach innen zu be-
ginnen die äussersten Rindentheile sich abzulösen. Sie bleiben wohl
noch eine Zeitlang mit dem Thallus in Verbindung, werden aber
schliesslich gänzlich entfernt, wahrscheinlich indem sie durch den
Regen weggespült werden. Es ist eine ähnliche Ablösung der
äussersten Theile, wie wir sie z. B. an der Wurzelhaube finden.
An der Unterseite des Thallus werden die äusseren Theile mit der
Rinde, wohl durch die Reibung am Substrate, schon sehr zeitig ent-
fernt, woher die irrige Behauptung stammt, dass an der Unterseite
gar keine Säure abgelagert sei. Dem entgegen konnte ich bei einer
Physcia, die auf faulem Holze wuchs, wo die Reibung daher wenig
wirken konnte, auch auf der Unterseite die Anwesenheit der Chry-
sophansäure constatiren.
Wenn die vollständige Abwerfung der äussersten Rindenzellen
mit der Chrysophansäure manchmal unterbleibt, so ist dies eine
wenig in Betracht kommende Zufälligkeit.
Bei Ochrolechia tartarea starben die äussersten Rindentheile ab,
bleiben aber als strukturlose hyaline Schicht mit der Flechte in Ver-
bindung. Was dabei aus der Lecanorsäure geworden, blieb unauf-
geklärt. Es wäre leicht möglich, dass sie in Orcin und Kohlensäure
264
zerfallen ist. Versuche einen eventuellen Rückstand von Orecin nach-
zuweisen, gaben ein negatives Resultat, was nicht zu verwundern
ist, indem das leicht lösliche Orein durch den Regen weggewaschen
werden musste. Wenn Nylander behauptet, die von ihm ange-
gebenen Reaktionen mit Chlorkalk und Kali liessen sich an
Jüngeren Theilen besser als an älteren constatiren, so hängt das
wahrscheinlich auch mit diesem Abwerfen der Säure an älteren Thei-
len zusammen.
Es ist nach dem Angeführten ersichtlich, dass alle Flechtensäu-
ren eine gewisse Gleichartigkeit in der Art und dem Orte des Vor-
kommens besitzen, und dieselbe physiologische Rolle im Stoffwechsel
der Flechten spielen. Es sind eben Ausscheidungspredukte beim
Wachsthum der Flechte. Schon das Auftreten in krystallinischer
Form an der Aussenseite der Hyphen spricht dafür. Wären die
Säuren noch für das Pflanzenleben nützlich und verwendbar, so
würden sie nicht an den älteren Theilen abgeworfen werden, wie
wir es z. B. bei Physcia parietina gesehen. Ausserdem ist es schwer
denkbar, wie so schwerlösliche Körper von der Hyphenzelle wieder
aufgenommen werden sollten, was doch jedenfalls zum weiteren Ge-
brauche nöthig wäre. Wenn dies bei Lecanor-, Erythrinsäure am
Ende durch eine Umbildung in das lösliche Orcin möglich wäre, SO
lässt diese Erklärung uns doch bei Usninsäure oder Chrysophan-
säure im Stich, deren Derivate fast unlöslich im Wasser sind. Als
Nebenprodukt des Stoffwechsels speciell beim Wachsthum darf man
die Flechtensäuren wohl hinstellen, da sie an keinem fortwachsenden
Rande, in keiner Spitze fehlen. Wären sie blos ein Ausscheidungs-
produkt des Stoffwechsels, so müssten sie auch an allen nicht mehr
wachsenden Theilen ausgeschieden werden, was der Erfahrung wider-
spricht.
Vergessen wir nicht, dass mit Ausnahme der Chrysophansäure,
die ein Methylanthracenderivat, die Flechtensäuren zu der Benzolreihe
in mehr oder weniger innigem Zusammenhange stehen. Wir wissen,
dass solche Glieder der Benzolreihe auch bei der chemischen Zer-
setzung des Eiweisses und anderer Proteinstoffe, ebenso auch aus
der inkrustirenden Substanz des Holzes dargestellt worden sind.
Ferner zeigen die Flechtensäuren in der chemischen Zusammensetzung
wesentliche Aehnlichkeit mit Bestandtheilen, die in der Rinde der
Bäume vorkommen. Um dies zu erläutern, brauche ich nur auf die
Formel der Gallusgerbsäure nach Schiff hinzuweisen. Die Gerb-
säure ist nach ihm ein inneres Anhydrid der Gallussäure — eine Di-
gallussäure — die Lecanorsäure ein inneres Anhydrid der Orsellinsäure
265
— eine Diorsellinsäure; Gallussäure und Orsellinsäure, Pyrogallol
und Orein leiten sich aus Gerbsäure und Orsellinsäure, in ganz
gleicher Weise durch Wasseraufnahme resp. Kohlensäureabgabe ab.
Beide Reihen unterscheiden sich nur dadurch, dass in der Gerbsäure-
reihe ein Molekül OH (Hydroxyl) an der Stelle steht, wo bei der
Lecanorsäurereihe ein Molekül CH, (Methyl) sich vorfindet. Zum bes-
seren Verständnisse stelle ich die Formeln nebeneinander:
Gerbsäure. Leecanorsäure.
OH
ei C )2 OH
COOH €; E27 CH;
ER; De R COOH
272 COOH ' oH
GHLCH
COOH
Gallussäure. Orsellinsäure.
COOH C,H» { CH,
COOH
Pyrogallol. Orein.
C; Hz (OH); OEL (OH)z
CH,
Selbst für die Flechtenfarbstoffe findet sich eine Parallele in den
Phlobaphenen der Rinden.
Eine Frage wäre es noch, welchen Zweck die Flechtensäuren
erfüllen. Wirken sie vielleicht antiseptisch und wäre so vielleicht
die lange Lebensdauer der Flechten zu erklären? Wären sie vielleicht
in dieser Beziehung den zahlreichen Derivaten der Benzolreihe an-
zuschliessen, die wie Phenol, Cressol, Salieylsäure, Benzoesäure
eminent fäulnisswidrig wirken? Diese Vermuthung bestätigt sich
nicht. Eine wässrige Abkochung von Lecanora wimmelte schon
nach einigen Tagen (bei Sommertemperatur) von Bakterien.
Fernere Untersuchungen werden lehren, ob die Ausscheidung
gewisser Flechtensäuren an bestimmte Algen gebunden ist oder ob
man danach vielleicht verschiedene Pilzspecies aufstellen muss.
Graz, April 1880.
une nn
"ang, 1 Dr tanillapnh en neu
E7, dngung yrtagalık EG omulan Ak r
Re tu, aaa our
ab, ind 9. „ufata ollmgE. ab Aa (DR mibyE
L ‚od ir Asbafnasdoie (U al) «un.
Bir; obaastrgalam alone) ah
Pa IT PTR TE ET . Mi N “ P
tie ) j 7 ei) 2 Mar ya
Ei Be PLZ 27 5 \ r "11000. E
Bi Hoc br / be TE no)? |
N ! u, F } e-
’ gr ” it) h f A. j ‚RO ‚I u vr 5
0 |
i EL,
il) [ d
Mur
*
u
N x - R 2 : BL TREIH ORTE | | N urisankhahd I wi
auim; PIAELIIT” ron.
| | j { . N
u ed 00H I Ki R
ir. Er AIR M
ws y
HL NIDW ir)
ri . ! 1198 jraR Iinı ime Ada
U
\ e rs . Pop EN io RO
HIT Da KOT ED a FI a ds; WEHT
’ gan ainılukaadl ad. aerroll andar ihn. aD
\ 10nKsjorus. ;emRalvailer „Ioaserl) „ons Bier,
a
.dala Ialkisof sundtocenV naalll Kanılalı A: AO
r -
mio Sllantaiw. d Res. av Dan ld BY an,
| - “Al il 007. Musa umge jr i „Seh w Ti
ar DE mA, al’ do, a aaa u
jet tabuisdrg wsgid l a ap) Un, EAETE) Be
‚zo llahiue aui s9dssh] Spk obohloeunn, KT IT, 2
ol Ha.
j d L}
un "Ball
’ wo
ee 2. 22 €5) ar an Au Mi Ha
Beitrag zur Kenntniss der Gymnoasceen.
Von
Dr. Eduard Eidam.
Mit Tafel KII—XV.
Einleitung,
Auf dem Gebiete der Pilzkunde ist eine für Erforschung aller
lebenden Wesen sehr wichtige Frage gar vielfach wohl angebracht:
„Wird es jemals gelingen, die Lücken unserer heutigen Eintheilung
durch vermittelnde Organismen auszufüllen oder sind letztere, wenn
überhaupt einmal vorhanden gewesen, vielleicht schon verschwunden
und unserer Kenntniss für immer entzogen?“ Befinden wir uns
doch über die naturgemässe Stellung nicht nur zahlreicher Pilzarten,
sondern sogar ganzer Familien der Pilze, oft genug im Unklaren,
und speciell bei der grossen Ascomycetenreihe sind wir noch lange
nicht in der Lage, von den einfachsten bis zu den vollkommensten,
mit derben und complieirten Gehäusen, mit fleischigem Stroma und
vielfachen Reproductionsorganen ausgestatteten Formen eine völlig
zusammenhängende Kette aneinanderzufügen. Die Zeit ist noch nicht
lange vergangen, wo an den Anfang der Ascomyceten ganz isolirt und
ohne Anknüpfungspunkte allein nur die von de Bary'!) und Tu-
lasne?) genauer untersuchten Gattungen Exoascus und Taphrina
gestellt werden konnten, mit welchen dann weiterhin Reess°®) die
Saccharomycesarten nebst Endomyces verbunden hat. Erst 1872 ist
von Baranetzky*) ein Pilz — Gymnoascus Reessii' — entdeckt
worden, welcher an Exoascus und Taphrina sich anschliesst und
1) de Bary, Beitr. z. Morph. u. Physiol. d. Pilze. I. 1864.
2) L. R. Tulasne, Annal. d. sc. nat. Ser. V. T. V. 1866.
3) M. Reess, Bot. Unters. üb. d. Alkoholgährungspilze. Leipzig 1870.
4) J. Baranetzky, Bot. Ztg. 1872. No. 10.
268
als Uebergangsglied die Verbindung mit den übrigen Ascomyceten
enger zu knüpfen geeignet ist. Die Entdeckung des Gymnoascus
wurde für Baranetzky gleichzeitig Veranlassung, sowohl ihn als
Taphrina, Endomyces und Saccharomyces in eine gemeinsame Gruppe
unter dem Namen G@ymnoasci zusammenzufassen. Das Fehlen
oder nur mangelhafte Vorhandensein echter geschlossener Fruchtkörper,
sowie das ganz oder nahezu unverhüllte Entstehen der Asei, sei es
einzeln, in Gruppen oder auf einem dichteren Hymenium, gab den
gemeinsamen Charakter der neuen Familie, deren Aufstellung sich
späterhin als durchaus zweckmässig und natürlich bewährt hat.
Die von Baranetzky vereinigten Pilzgattungen waren jedoch
theilweise noch nicht abschliessend genug untersucht, um ihren Platz
bei den Gymnoasceen wirklich für alle mit Sicherheit rechtfertigen zu
können. Es gilt dies besonders von dem räthselhaften Endomyces '),
während Saccharomyces wohl ganz aus der Reihe auszuschalten ist
und bei den Phycomyceten in Nähe der Mucorineen untergebracht
wird. Die Gattung Protomyces müsste nach den Untersuchungen
de Bary’s?) eigentlich auch unter die Gymnoasceen aufgenommen
werden, doch ist es heute wahrscheinlicher, dass ihr eine ganz andere
Stelle, nämlich bei den Ohytridieen, zugehört. In die eigentlich
typischen Gattungen der Gymnoasceen haben dagegen die Unter-
suchungen von Magnus?) und van Tieghem*) besseren Einblick
verschafft, wobei zugleich der Formenkreis erweitert worden ist, so dass
sich gegenwärtig die Familie aus folgenden Gattungen zusammensetzt:
1. Parasitische Gymnoasceen im Gewebe von Blättern und
Früchten lebend:
a) Ascomyces; ohne Mycel, Ssporige Schläuche ;
b) Taphrina; rudimentäres Mycel, vielsporige Schläuche;
c) Exoascus; vielfach verzweigtes und septirtes Mycel; die Schläuche
entstehen nackt auf einem einfachen Hymenium.
II. Saprophytische Gymnoasceen mit grossen Mycelien.
d) Ascodesmis; dichtes Hymenium, auf dem Paraphysen und Schläu-
che erscheinen, Hülle vollständig fehlend;
e) Gymnoasceus; Schläuche in Mycelknäueln gebildet; das Mycel
überkleidet die Schläuche maschenartig mit einer lockeren und
lückenreichen Hülle.
ı) deBary, Bot. Ztg.1859.No. 46. Tulasne, Select. fung. carpol. T. III. S. 61.
2) ]. c. p. 32.
3) P.Magnus, Bot. Verein f. d. Prov. Brandenburg. Sitzung vom31.Juli 1874.
4) van Tieghem, Extr. du bull. de la soc. bot. de France T. XXI.
1876. p. 271. T. XXIV. 1877.'p..189.
269
Im Bau der G'ymnoasceen sind deutlich zwei divergirende Reihen
zu erkennen: a—d nähert sich dem Discomycetentypus, e besitzt
Anklang an die Familie der Pyrenomyceten.
Ich lasse nun die parasitische Abtheilung der G’ymnoasceen bei-
seite, um unmittelbar an die folgenden Untersuchungen anschliessend,
in Kürze das von den beiden Gattungen Ascodesmis v. Tiegh. und
Gymnoascus Bar. Bekannte vorzuführen.
Entwickelungsgeschichte der Gattung Ascodesmis.
Die Gattung Ascodesmis wurde von van Tieghem') auf Hunde-
und Schafexerementen und zwar in zwei Arten entdeckt, welche sich
durch Farbe und Grösse der Sporen unterscheiden, im Uebrigen aber
dieselbe Entwicklung besitzen. Sie bilden zarte und sehr kleine
auf einem weissen Luftmycel in Masse entstehende Pünktchen, her-
angereift bei A. nigricans von chocoladebrauner, bei A. aurea von
goldgelber Farbe. Unter dem Mikroskop bestehen diese Pünktchen
aus einer fleischigen Scheibe, nach oben in zahlreiche Büschel von
Paraphysen und Aseci auslaufend. Die Paraphysen sind im jungen
Zustand hakenartig eingerollt, durch die von unten nachwachsen-
den Sporenschläuche werden sie jedoch gerade gerichtet. Auf der-
selben Scheibe findet man die Asei in allen möglichen Reifezustän-
den; sie sind durchweg mit Paraphysen vermischt, doch werden sie
in Vertretung der fehlenden Hülle von einem ganzen Kranze dersel-
ben am Rande schützend umgeben. Die Sporen der Ascodesmis-
Arten sind mit hübschen Cutieularverdickungen auf dem Exosporium
versehen, sie keimen leicht in Nährlösungen und bilden ein reich-
liches z. Th. leiterartig anastomosirendes Mycel, auf dem schon vier
Tage nach erfolgter Aussaat die Fruchtanlagen erscheinen, welche
nach weiteren 3—4 Tagen ihre Reife erlangt haben. Die Entste-
hung der Fruchtscheiben geht nach van Tieghem so vor sich,
dass in der Mitte einer Mycelzelle ein kurzer Ast auswächst, sich
kommaartig krümmt und durch eine Wand abgrenzt. Auf der con-
vexen Seite der Krümmung entsteht ein zweiter Ast, ebenfalls kurz
bleibend und nach entgegengesetzter Richtung gekrümmt, so dass
eine Art T zu Stande kommt. Jeder Ast dichotomirt sich seiner-
seits ebenfalls und derselbe Vorgang wiederholt sich an allen neu
entstehenden jungen Aesten, aber so, dass jede Gabelung in einer
zur vorhergehenden senkrechten Ebene zu stehen kommt. Sämmt-
liche Aeste verflechten sich ohne Zwischenraum auf’s innigste mit-
einander, sie constituiren die fleischige Scheibe, auf deren Hyphen-
ı)].c,
270
polster als letzte Aussprossungen Paraphysen und Asei auftreten.
Conidien sind bei Ascodesmis nicht beobachtet worden.
Entwickelungsgeschichte des @ymnoascus Reessii Bar.
Ganz anders verläuft die Entwickelung der Gattung Gymnoascus,
welche zugleich die bisher vollkommenste Form unter unserer Familie
darstellt. Gymnoascus Reessü, von Baranetzky') auf altem Pferde-
und Schafmist gefunden, bildet kleine schneeweisse, später bräun-
liche Häufchen, welche selbst wieder aus einer Anzahl verflochtener
Knäuelchen zusammengesetzt sind, die insgesammt von lockerem
Hyphengeflecht überzogen werden. Baranetzky beschreibt die
Entstehung der Ascushäufchen folgendermassen:
Zwei einer Querwand im Mycelfaden zunächst und sich gegenüber-
liegende Hyphentheile schwellen beiderseits zu länglich keuligen
Blasen auf, welche einander morphologisch vollkommen gleichwerthig
sind und sich auf’s innigste in höchstens einer Windung umeinander-
schlingen. Die Funktionen der beiden Zellen, welchen Baranetzky
sexuelle Bedeutung beilegt, gehen jedoch von nun an auseinander:
die eine von ihnen theilt sich durch eine Querwand, so dass sie
zweizellig wird, worauf die entstandene untere Zelle späterhin Aus-
stülpungen in Gestalt dünner Schläuche hervortreibt, die auf der
Anlage unregelmässig herumkriechen. Die obere Zelle dagegen
schwillt zu einer ziemlich grossen Kugel — der sterilen Zelle — auf,
ohne dann weiter an der Ausbildung des Knäuels aktiven Antheil
zu nehmen. Während also die eine Primordialkeule keine Asei hervor-
bringt, ist dies um so mehr mit der anderen der Fall. Sie bildet
an ihrer Spitze einen dünneren Fortsatz, welcher sich ringförmig
und locker der sterilen Zelle in einem Umkreis anlegt. Nach
Baranetzky sollen nun die künftigen Ascusbüschel allein nur aus
diesem Fortsatz hervorgehen, er septirt sich und nur wenige, meist
nur zwei, der so entstandenen Zellen wölben sich nach aussen vor,
um äusserst dichte und kurze Haupt- und Nebenäste hervorsprossen
zu lassen, welche das junge Organ alsbald in einer Schieht über-
ziehen. Die immer erneute Production von Axen höherer Ordnung,
welche breit lappenförmig aufschwellen, liefert schliesslich in ihren
letzten Ausläufern kurzgestielte eiförmige Sporenschläuche, in denen
acht ziemlich fest an einander klebende rundliche braune Sporen
entstehen.
Gleichzeitig mit diesen Vorgängen wachsen von einer Anzahl
benachbarter Mycelhyphen zahlreiche Zweige hervor, anfangs farblos
17].56;
271
und plasmareich, später stark verdickt und stroh- bis orangegelb
gefärbt. Diese Hyphen verzweigen sich und sie legen sich in Form
eines gitterartigen Maschennetzes allseitig über die Sporenschläuche
zusammen, dieselben mit einer Art lückenreicher Hülle überkleidend.
Es ist das Charakteristische von Gymnoascus Leeessit, dass die End-
äste dieses Hüllennetzes in zahlreiche kurze, aber vollkommen gerade
und stachelartig zugespitzte Fortsätze auslaufen.
Im Jahre 1877 konnte ich bei Gelegenheit von ÜOulturen insec-
tentödtender Pilze auf einer Puppe der Sphinz Galii einen Gym-
noascus beobachten, dessen Mycel und Ascushäufchen von G'ymnoas-
cus Reessii nicht zu unterscheiden waren'). Sein Gespinnst hüllte
allmählich die Puppe fast völlig ein und verbreitete sich von ilr
aus auf benachbarte Moospflänzchen, streckenweise frei hängend, so
dass ich grosse schleierartige Mycelstücke ganz rein abnehmen und
durch Behandlung mit Alkohol und Ammoniak sehr brauchbare
Präparate erhalten konnte. Unter dem Mikroskop zeigten diese Prä-
parate die Sporenknäuel in allen Entwicklungsphasen und mit blos-
sem Auge betrachtet, erschienen dieselben in dem Mycelgeflecht als
äusserst zahlreiche punktförmige Körperchen dicht neben einander
eingestreut, anfangs klein und schneeweiss, später bräunlich in Folge
Färbung und Verdickung der stachelspitzigen Hülldecke.
An dem dargebotenen günstigen Material waren die ersten An-
lagen der Sporenknäuel in reichlicher Menge aufzufinden. Das Mycel
zeigte sich wie wohl bei allen G@ymnoascus-Arten an vielen Stellen kol-
ben- und flaschenartig aufgetrieben, zu meinem Erstaunen aber konnte
ich die von Baranetzky beschriebenen und abgebildeten morpholo-
gisch vollkommen gleichwerthigen in einer Windung schraubig um ein-
ander geschlungenen Keulenzellen nirgends wahrnehmen. Allerdings
fand auch ich stets zwei Hyphen an dem Primordium der Fruchtanlage
betheiligt, aber schon vom allerersten Anfang an erwiesen sich die-
selben verschieden gestaltet. Der Vorgang ist folgender:
Unterhalb der Scheidewand einer Mycelzelle bildet sich ein Sei-
tenast, Taf. XIII. Fig. 25a, welcher nicht vom Mycelfaden abwächst,
sondern die nächstliegende Zelle in zahlreichen gleich dieken Schrau-
benwindungen umfasst und ohne Zwischenraum aufs engste umwin-
det, Taf. XIII. Fig. 25b. Die umwindende Zelle sowohl als die um-
wundene erfüllt dichtes Protoplasma; letztere ist in ihrem Verlauf
nur selten von gleichmässigem Breitendurchmesser, sondern gewöhn-
lich eine der erwähnten kolbenartigen Auftreibungen. Nicht immer
1) Jahresber. d. bot. Sect. d. schles. Ges. f. vaterl. Cult. pro 1877. p. 117.
272
jedoch entsteht die Schraube als Seitenast des nämlichen Mycelfa-
dens, an welchem sich gleichfalls die umwundene Zelle befindet, son-
dern ich beobachtete, wie Myceläste auch benachbarte Hyphentheile
umwanden, um so die Anlage eines Ascushäufchens einzuleiten,
Taf. XIII. Fig. 26. (vgl. Fig.-Erklärung). Nachdem die Schraube
etwa 8—10 Windungen vollendet hat, septirt sie sich ihrem
ganzen Verlauf nach in kleinere Zellen, während die umwundene
Mycelzelle sich noch etwas streckt, so dass die umgebenden Schrau-
benwindungen durch sie öfters verzerrt und ein wenig auseinander
gerückt werden. Sie zerfällt hierauf in 2— 3 neue Zellen, deren
eine die bald erkennbare sterile Zelle bildet, die andern aber dünne
Auswüchse hervortreiben. Die langgestreckte Form des ganzen Ge-
bildes gleicht in diesem Zustand — man verzeihe den Ausdruck —
ganz auffallend einem mit breitem Band umgürteten Wickelkissen,
einigermassen an die auf Taf. XIII. Fig. 11 abgebildete Figur erinnernd.
So wenig wie bei der Anlage des Gymnoascus Reessii, so wenig
kann ich Baranetzky’s Beobachtung bestätigen, dass allein nur
von einem kurzen dünneren Fortsatz, welchen die eine Keule bilde
und welcher sich ringförmig und lose der sterilen Zelle in einem
Umkreis anlege, die gesammte Ascusbildung ausgehe. Es hängt ganz
von der Kraftfülle des Individuums ab, ob die Windungen der Schraube
alle oder nur theilweise auswachsen und bei den kräftigsten Anlagen,
welche ich untersuchte, zeigte sich vielmehr, dass die zahlreichen
Zellen der Schraube sämmtlich im Stande sind, kurze Aeste zu bil-
den, welche nur an den zwei oder drei untersten Windungen sich
mycelartig verlängern. Die übrigen Aeste dagegen verflechten sich
überaus dicht mit einander, sie verknäueln nach allen Richtungen,
um fortgesetzt junge zarte Sprosse zu bilden, deren letzte Ausläufer
endlich, entsprechend der Darstellung Baranetzky’s, die Asei
erzeugten.
Wenn nun auch in Betreff der Anlage, sowie in Betreff des Aus-
sprossens der ascogenen Hyphen meine Untersuchungen von denen
Baranetzky’s differiren, so bin ich doch weit entfernt davon, die
ausgezeichneten Beobachtungen dieses Forschers in Zweifel ziehen
zu wollen. Baranetzky erwähnt, dass der von ihm beschriebene
Bildungsgang des Gymnoascus Jeessii nur an ganz schmächtigen
Exemplaren gut zu beobachten sei. Nun giebt es aber ein Mittel,
um solche verkümmerte Fruchtknäuel- Anlagen absichtlich hervorzu-
rufen und ich habe ähnliche Bildungen bei andern Gymnoasceen
vielfach erhalten, worauf ich unten noch besonders zurückkommen
werde, Ich meine nämlich die Cultur und Sporenaussaat in künst-
273
liche Nährflüssigkeiten, welche nicht allen Bedürfnissen des Pilzes
Rechnung tragen. So nehme ich es als sehr wahrscheinlich an, dass
auch Baranetzky’s Schilderungen auf kümmerlich ernährte Culturen
sich beziehen, und dass die von ihm erwähnten keulig blasigen An-
lagen der Fruchtknäuel sowohl als die auf den kleinen ringförmigen
Fortsatz beschränkte Ascusbildung nur als eine Folge des Nahrungs-
mangels aufgetreten ist.
Leider habe ich es versäumt, mit den Sporen von Gymnoascus
Reessii weitere Culturversuche anzustellen, so dass ich nichts Sicheres
darüber aussagen kann, ob dieser Pilz auch Conidien besitzt, deren Vor-
handensein mir jedoch im höchsten Grade wahrscheinlich geworden ist.
Entwickelungsgeschichte des @ymnoascusruber v. Tiegh.
Bei Gymnoascus ruber, der letzten noch zu erwähnenden bekannten
Gymnoascusspecies, wird von dem Entdecker, van Tieghem!'), ein
Conidienapparat angegeben. Der Pilz wächst auf Ratten- und Hunde-
koth; van Tieghem hat ihn auf Pferdemistabkochung eultivirt und
erwähnt nur kurz, dass die Entstehung des „Peritheciums,“ wie er
die Ascusknäuel nennt, im Wesentlichen so erfolge, wie es Bara-
netzky beschrieben hat. Zwei Aeste, gewöhnlich von dem nämlichen
Mycelfaden entspringend, umringen sich spiralig, von deren Grund
sprossen wenige, bald im Wachsthum stillstehende Aeste empor und
benachbarte Mycelwucherung bildet rings um die Anlage eine ver-
flochtene Hülle, die sich bald ceutieularisirt und dann ziegelroth gefärbt
erscheint. Ueber die nähere Structur der Hülle wird nichts gesagt.
Die sterile Zelle betrachtet van Tieghem als eine Art von Stütz-
polster oder Placenta für den jungen Fruchtknäuel, welcher seine
Entwickelung mit zahlreichen gelben scheibenförmigen und am Rand
mit einer Leiste versehenen Ascosporen abschliesst.
Die Conidienträger des Gymnoascus ruber entstehen nach van
Tieghem sowohl auf dem Mycel als aus den Hyphen der ver-
flochtenen Hülle und sie sind aus einem septirten Hauptfaden zusam-
mengesetzt, der an den Scheidewänden meist einzellige Aeste trägt,
die gegen die Spitze hin wirtelförmig gruppirt sind. Sowohl der
Hauptfaden als die verschiedenen Seitenäste erzeugen Ketten ovaler
sehr bald abfallender Sporen. Die Conidienträger ähneln nach van
Tieghem einem Verticillium, sie stellen vielleicht Verticillium
lateritium (2) vor und ihre Farbe ist ziegelroth wie diejenige der
Ascosporenhülle.. Die Veröffentlichung van Tieghem’s besteht
leider nur in einer kurzen Mittheilung; jedenfalls verdient aber die Ent-
wicklungsgeschichte des @ymnoascus ruber noch genauere Untersuchung.
ı) le.
274
Wie aus Vorstehendem erhellt, bilden die saprophytischen @ym-
noasceen bis jetzt nur eine kleine und durchaus nicht homogene
Reihe und wir gewahren bei ihnen noch gar viele Lücken, deren
Ausfüllung durch neue Arten wünschenswerth sein würde. Ich bin
überzeugt, dass man auch bei genauerem Nachsehen noch manche
hierher gehörige Pilze entdecken wird, deren Vorkommen allerdings
sehr häufig an etwas ungewöhnlichen Nährboden geknüpft zu sein
scheint. Während der im abgelaufenen Sommersemester nach dieser
Richtung von mir angestellten Untersuchungen konnte ich den For-
menkreis durch zwei neue im pflanzenphysiologischen Institut zu
Breslau aufgefundene Gymnoasceen erweitern, deren eine der Gat-
tung Gymnoascus selbst angehört, während die andere so vielfache
Abweichungen nachweist, dass sie besser als Repräsentant einer
neuen Gattung, die ich Ütenomyces (6 reis, der Kamm) nenne,
betrachtet wird.
I. Gtenomyces serratus.
Vorkommen und Mycelentfaltung auf natürlichem
Substrat. Während des letzten Winters wurde dem Institut bei
Ohlau in einem Teiche gesammelte Schlammerde mit halb vermoder-
ten Blättern und Stengelresten eingeschickt, welche über und über
mit Makro- und Mikrosporen von Salvinia bedeckt waren und zur
Cultur von Salviniapflänzchen dienen sollten. In dieser Sendung
befand sich zufällig eine halb verrottete Feder von der in Taf. XII.
Fig. 1 abgebildeten Gestalt (3 nat. Grösse), an welcher ein sehr spär-
liches weisses Mycelgespinnst sich entwickelt hatte. Um zu sehen,
ob vielleicht beim Weiterwachsen dieses Mycel zur Fructification
gelangen würde, stellte ich die Feder aufrecht in eine Glasschaale
zwischen das Blätterwerk, so dass sie von allen Seiten mit genü-
gender Feuchtigkeit umgeben war. Das Mycel vergrösserte sich
darauf zusehends und es wuchs vom Grunde der Feder aus in vol-
ler Ueppigkeit an derselben empor. Wenn auch dasselbe zunächst
zwar an sich nichts Auffallendes darbot, so konnte ich doch unter
dem Mikroskop bemerken, dass es von einem höchst eigenthümlichen
und interessanten älteren Mycelzustand seinen Ursprung nahm.
Auf dem Kiele der Feder befanden sich nämlich an verschiede-
nen Stellen, aber in nicht sehr reichlicher Ausdehnung, Ansamm-
lungen von dicht selerotiumartig, doch nur in dünner Schichte durch-
einander geflochtenen hellbraunen Mycelfäden mit stark verdickten
Wandungen, Taf. XII. Fig. 2a, mit zahlreichen Aesten und Scheide-
wänden; die einzelnen Mycelzellenv zeigten in der Nähe der Scheide-
275
wände sehr häufig knotenartige Auftreibungen, Taf. XII. Fig. 2b.
Ein Theil dieses braunen Hyphengeflechtes war bereits, wohl in
Folge des Alters, der gallertigen Auflösung nahe, die meisten Hyphen
aber erwiesen sich noch als lebensfähig, indem aus ihnen, wie schon
erwähnt, an verschiedenen Stellen neue farblose Aeste hervorwuch-
sen. Das Merkwürdigste aber waren im ersten Augenblick ganz
fremdartig erscheinende kamm- oder hakenförmige Auswüchse, welche
sich zahlreich von dem Dauermycel erhoben, Taf. XII. Fig. 2e, Der
Bau dieser sonderbaren „Krallenhaken“ war ein ganz gleichmässi-
ger, am Grunde verschmälert, nach oben jedoch allmählich mehr
und mehr verbreitert. Gewöhnlich standen sie als Ausstülpungen
in der Mitte einer Mycelzelle, welch letztere gleichzeitig etwas in
die Höhe gehoben und gekrümmt wurde, so dass dann die Ansatz-
stelle des Krallenfadens entfernt das Aussehen eines Vogelfusses er-
langte, Taf. XII. Fig. 2d. Von der Tragzelle schied den Faden
meistens sogleich eine Scheidewand, doch war die Basalzelle noch
nicht von den übrigen Mycelzellen unterschieden. Alle übrigen Zellen
aber, meist an Zahl 8—10, besassen und zwar stets nur nach einer
Richtung hingewendet, an dem der nächsthöheren Scheidewand an-
stossenden Theil einen hakig spitzen Fortsatz, bei den untersten
kürzeren in seinem ganzen Verlaufe gekrümmt, die obersten längeren
nur an ihrer Spitze umgebogen, Taf. XII. Fig. 26. Wie am ganzen
Fadenverlauf war auch die Wand der Haken sehr stark cuticularisirt;
die einzelnen Zellen waren vollständig inhaltsleer und die Scheidewände
derselben in der Mitte verdünnt, ja meist daselbst mit einem sehr
deutlichen Tüpfel versehen. Ich traf jedoch auch einige jüngere
Krallenfäden mit wenig verdickter Membran und fast noch ganz farb-
los. Oefters sind die Haken an der Spitze schief gebogen, wie
dies die Taf. XII. Fig. 2f. von vorn gezeichnete Krallenhyphe erken-
nen lässt und das Ende der ganzen Hyphen zeigt sich nur selten
glatt abgeschlossen, sondern fast stets mit Membranfetzen besetzt,
so dass also offenbar die meisten in Wirklichkeit noch länger sind
als sie das Präparat zeigt und beim Herstellen desselben zerrissen
worden waren. Es deutet dies auch darauf hin, dass die Krallen-
haken ein Geflecht unter sich bilden, welches dem Mycelpolster
zumeist flach aufliegt, was ferner aus dem stets nur einseitigen kamm-
oder sägezähnartigen Hervorwachsen der Haken sich zu ergeben
scheint. Bei dem spärlichen Material, welches mir von diesen Bil-
dungen zu Gebote stand, konnte ich letztere Frage nicht zur Ent-
scheidung bringen, so viel aber ist gewiss, dass, so ungewöhnlich
und auffallend auch die Form der geschilderten Krallenhaken
Cohn, Beiträge zur Biologie der Pflanzen. BandIll, Heft II, 19
276
erscheint, dieselben doch nichts weiter sind als eine besondere Art
von Mycelbildung, zum Schutze und zur Verbreitung des Pilzes
durch Einhaken an fremde Körper vortrefilich ausgerüstet.
Aeusserer Habitus der Fructifiecationen von Üteno-
myces. Kehren wir nun zurück zu dem farblosen und zarten
Hyphengespinnst, welches dem Dauermycel als Neubildung entspros-
sen ist. Nachdem es eine gewisse Mächtigkeit erreicht hatte, begann
es in verschwenderischer Weise eine Fülle von Sporen zu entwickeln.
Am Federkiel kamen grössere, gruppenweise vereinigte und schnee-
weisse wie schaumartige Hyphenpolster zum Vorschein, von 2—8 mm
im Umfang, in deren lockeren Filz zahlreiche dichtere und kleine
Knäuelchen eingeflochten erschienen, Taf. XII. Fig. la. Es war dies,
wie die mikroskopische Untersuchung lehrte, die Conidienfructifica-
tion von Ütenomyces, die wochenlang ausschliesslich allein auf
der Feder anhieit und zwar so, dass der Pilz dabei vom Grunde
der letzteren aus immer höher und höher hinaufrückte. Einzelne
Knäuelchen rundeten sich selbständig ab, wölbten sich hervor und er-
schienen als kuglige Körper von 3—1% mm Durchmesser. Gegen
Ende März bemerkte ich zuerst, dass die weissen Knäuelchen, welche
in die am oberen Ende der Feder befindlichen Hyphenpolster einge-
lagert waren und sich im jungen Zustande von den soeben beschrie-
benen makroskopisch nicht unterscheiden liessen, späterhin sämmtlich
hellgelbe Farbe annahmen, Taf. XII. Fig. Ib, so dass offeubar der
Pilz damit eine neue Art von Fructification hervorgebracht hatte.
In der That war dies der Fall, denn die zuletzt genannten Knäuel
erwiesen sich als die Ascosporenform des Ütenomyces. Nach erfolg-
ter Reife isolirten sich diese Ascosporenknäuel von einander, indem das
umgebende Mycel verschwänd, jeder Knäuel war dann für sich abge-
schlossen und sie lagen sämmtlich in einem losen Häufchen über einan-
der, so dass sie einer Gruppe von Raupeneiern nicht unähnlich sahen.
Uebertragung des Ütenomyces auf andere Federn.
Die ganze Feder war nun von dem Pilze übersponnen, welcher so
lebhaft vegetirte, dass man unbeschadet junge Hyphenpolster ab-
nehmen und in allen Zuständen untersuchen konnte, denn schon
nach einigen Tagen war an der freien Stelle neue Mycelwucherung
eingetreten. Auch gelang es mir mit Leichtigkeit, den Pilz durch
Aussaat seiner Sporen auf verschiedene andere Federsorten zu
übertragen und zu vortrefillichem Wachsthum zu bringen. Am besten
eignen sich für solche Versuche, bereits längere Zeit im Freien
gelegene Federn, doch erreichte ich die Uebertragung auch auf ganz
frisch gerupfte Federn, wenn ich nur zuvor die unter der Glasglocke
277
anfangs besonders am Federkiel üppige Bacterienvegetation sich
hatte erschöpfen lassen. ist der Pilz aber einmal auf den Federn
eingenistet, so kann man ihn Monate lang erhalten und ich besitze
noch jetzt üppige Culturen desselben.
Ascosporenknäuel des Ctenomyces.
Reife Knäuel. Jedes nicht zu alte Häufchen der Ascosporen-
knäuel zeigt letztere in verschieden vorgeschrittenen Reife- und
Grössezuständen. Die ausgereiften sind oval oder kugelrund, von
3—13; mm Grösse, und unter der Lupe erscheint ihre Aussenseite
mit zottigem Haarfilz bekleidet, Taf. XUI. Fig. 3a. Isolirt man einen
reifenden Knäuel und zertheilt ihn unter dem Präparirmikroskop, so
erkennt man eine ungefärbte, sehr dichte und breite, allseitig ge-
schlossene Hülle von trocken fasriger Beschaffenheit, die sich be-
quem nach allen Seiten hin ausbreiten lässt und einen rundlichen
oder stumpf kegelförmigen ausgelappten, schleimigen und schön chrom-
bis orangegelb gefärbten grösseren oder kleineren Kern gleich einem
Eidotter umschlossen hält, Taf. XII, Fig. 3b. Bei völlig reifen
Knäueln verliert der Kern seine zäbschleimige Beschaffenheit, er
wird pulverig trocken von dem dann frei gewordenen Ascosporenhaufen.
Bei einiger Vorsicht und Mühe kann man die Knäuel in Quer-
lamellen zerlegen, welche ein überaus zierliches Bild darbieten,
Taf. XII. Fig. 4. Sogleich bemerkt man im Gegensatz zu Gymno-
ascus den weit vollkommneren und ausgeprägteren Bau des Üteno-
myces: während dort nur ein ganz dünner löcheriger Ueberwurf von
Mycelfäden die Asei auf allen Seiten seines weitmaschigen Netzes
unverhüllt hervorsehen lässt, ist hier eine ungleich complieirtere Hülle,
eine Fruchtwand, vorhanden, zwar nicht wie ein echtes Perithecium
aus Pseudoparenchym, sondern noch aus lose verflochtenen Hyphen
zusammengesetzt, stark lufthaltig aber vielschichtig und in Folge dessen
überall geschlossen, so dass ohne Auseinandernahme oder Entfernung der
Wand direct nichts Näheres über den innern Ascuskern zu ermitteln
ist. Letzterer schimmert an reifen Knäueln nur als undeutlich rund-
liche gelbe Masse durch die farblose Fruchtwand hindurch.
Die Hyphen der Fruchtwand besitzen eine ganz ungewöhnliche,
aber für den in Rede stehenden Pilz äusserst charakteristische Ge-
stalt und Zusammensetzung. Man kann lange Stücke mit allen ihren
zahlreichen Verzweigungen, mit ihren Spitzen und Zacken freiprä-
pariren, aber nur höchst selten findet man eine ganz kurze Strecke
im Faden mit geraden und parallelen Wänden versehen, Taf. XII.
Fig. 4. Alle diese Hyphen sind vielmehr bald torulös aus runden
198
278 _
oder rundlich plattgedrückten oder breitbauchigen oder Sartigen Ein-
zeltheilen wie zierlichste Drechslerarbeit geformt, bald sind sie aus-
schliesslich nur einseitig mit tiefen Buchten und mit hervorstehen-
den Kämmen und Sägezähnen ausgestattet. Die kürzeren Seiten-
zweige, welche massenhaft von den Haupthyphen abgehen und nach
aussen und innen die Fruchtwand begrenzen, enden gewöhnlich mit
dünneren Spitzen, so dass die einzelnen Ketten der Rosenkränze
oder die Kammfortsätze alsdann nach oben kleiner und kleiner wer-
den, um endlich mit einem winzigen Knöpfchen abzuschliessen. Sehr
häufig findet man aber das Ende des Astes in einen langen, dünnen
aber ganz parallelen Faden verlängert, welcher sich in den schön-
sten und verschiedenartigsten Spiralwindungen aufgerollt hat. Diese
Spiralen stehen nur auf der äusseren Seite der Fruchtwand, sie kom-
men hie und da auch aus Zwischenzellen der langen Hauptäste her-
vor, fallen übrigens beim Präpariren leicht ab und sind auf man-
chen Fruchtknäueln sehr häufig, auf andern aber mitunter gar nicht
vorhanden. Der Querschnitt in Taf. XII. Fig. 4 zeigt die grosse
Mannigfaltigkeit der Fruchtwandhyphen, Taf. XII. Fig. 5 giebt stär-
ker vergrössert ein Bild der häufigsten Vorkommnisse; bei a. befin-
det sich eine Zelle mit Doppelkamm, wie ich sie mehrmals beob-
achtet habe, b. zeigt, wie eine torulöse Hyphe in einzelnen ihrer
Zellen gleichzeitig in die Kammform übergehen kann. Alle die Frucht-
wand zusammensetzenden Hyphen sind gewöhnlich sehr kurz septirt,
so dass in der Regel nur ein oder zwei Kämme und Rosenkranz-
auftreibungen, seltener deren drei und mehr auf eine Zelle kommen.
An den langen feinen Spiralfortsätzen konnte ich dagegen in ihrer
ganzen Länge keine einzige Scheidewand bemerken. Hauptäste und
Verzweigungen der Hyphen verlaufen zum grössten Theil nicht
gerade, sondern in grossen Bogenlinien oder sie sind in Form von
Bischofstäben eingerollt, Taf. XII. Fig. 4 und Taf. XV. Fig. 38.
Für die Zeichnung auf Taf. XII. Fig. 4, habe ich wegen Raum-
mangel und der besseren Uebersicht halber einen Ascosporenknäuel
mit ziemlich schmaler und lockerer Hülle ausgewählt. Die Dieke der
ganzen Fruchtwand beträgt von 0,05 bis 0,08 mm, die Dicke einzelner
Hyphen derselben, welche die gewöhnlichen Mycelfäden in ihrem Durch-
messer etwas übertreffen, an den breitesten Stellen durchschnittlich
5—5,5 Mikr. und diejenige der feinen Spiralen 2—2,5 Mikr. Es ist wohl
möglich, dass die einseitige Ausbildung der Kämme und Sägezähne wie
bei den oben erwähnten Krallenhaken davon herrührt, dass die betref-
fenden Hyphen durch Druck an der glatten Seite verhindert wurden,
daselbst ebenfalls jene Hervorwölbungen zu bilden.
279
Die Fruchtwand umgiebt trotz vieler Lufthöhlen in geschlossenem Zu-
sammenhang dieäusserst zahlreichen und dicht gedrängten Ascusbüschel,
welche den Innenraum des Knäuels ausfüllen. Auf dem Querschnitt
in Taf. XII Fig. 4 sind die Asci durch die bereits reifen Sporen
gelb gefärbt und zwischen den Sporenschläuchen sind mehrfach
dünne hin- und hergebogene Fäden zu bemerken. Die Ascosporen
können nicht ohne Weiteres wie bei Gymnoascus in Freiheit gelan-
gen, da sie von der Fruchtwand zurückgehalten werden; erst nach
langsamer Zerstörung und Verwesung der letzteren findet ihr all-
mähliches Ausstreuen statt.
Nachdem wir die reifen Ascusknäuel von Ütenomyces kennen
gelernt haben, wende ich mich zur Entstehungsgeschichte derselben,
welche in allen Stadien durch geeignete Präparate verfolgt werden
konnte. |
Entwicklung der Ascosporenknäuel auf natürlichem
Boden. Die jungen Hyphenpolster, welche auf der Feder wachsen
und mit den allerersten Anlagen der Fruchtknäuel in Form klein
ster milchweisser Pünktchen, sowie mit deren weiter fortgeschritte-
nen Zuständen durchflochten sind, lassen sich leicht in grösserem
Umfang völlig rein abnehmen, durch Ausbreiten unter Alkohol von
allen anhängenden Luftbläschen befreien und dann durch Ammoniak
wieder auf ihren natürlichen Turgor zurückführen, so dass sie voll-
ständig frisch erscheinen und zur Untersuchung durchaus geeignet
sind. Es ergiebt sich als primärer Anlagezustand ein kurzer Ast,
welcher unmittelbar an der Scheidewand einer Mycelzelle, deren
Stellung im Verlaufe der Mutterhyphe jedoch ganz unbestimmt ist,
hervorwächst, sich aufrichtet, an der Spitze mässig anschwillt, dabei
aber mit seiner Mutterzelle zunächst noch in offener Communication
bleibt. Dieser Ast wird fast gleichzeitig von einer Hyphe umrankt,
welche entweder der nächsten Zelle desselben Fadens, Taf. XII.
Fig. 6—8, oder einem Nachbarfaden, Tafel XIII, Fig. 9, 10, 14,
ihren Ursprung verdankt. Beide Hyphen sind prall mit Protoplasma
angefüllt, wie überhaupt von jetzt an reichliche Nahrung der jungen
Anlage zuströmt. Also auch bei Ütenomyces sind beide Primordial-
hyphen schon im allerjüngsten Zustande verschieden gestaltet; wäh-
rend aber bei Gymnoascus Reessii eine schon vorhandene Mycel-
zelle direct in langem Verlaufe umschlungen wird, ist bei Ütenomy-
ces stets ein junger kurzer Ast vorhanden, um welchen sich die
Schraube herumwindet.
Beide Anlagehyphen fahren in ihrem Wachsthum fort, doch nimmt
bei weitem die grösste Intensität desselben die Schraube in Anspruch,
280
welche sich als das eigentlich fruchtbare Element, als das Ascogon
des künftigen Knäuels erweist, während der keulig aufschwellende
Innenfaden kurz und so ziemlich gerade bleibt, um vorderhand nur
eine nicht allzu bedeutende Streckung in Länge und Breite durch-
zumachen. Die Schraube dagegen vollendet rasch ihre Windungen,
von einem Umkreis steigt sie auf bis zu sechs- und achtmaliger
Umdrehung der Keule, deren Kopf anfangs frei bleibt, Taf. XI.
Fig. 6, 7, Taf. XIII. Fig. 9, 10, 12 oder schon im jüngsten Zustand
von dem Schraubenende überwachsen wird, Taf. XII. Fig. 8 (von
oben gesehen). Das ganze Gebilde erhält von unten an aufwärts-
steigend eine ziemliche Verbreiterung, indem die Windungen der
Schraube mit zunehmendem Durchmesser der Keule nach oben zu
natürlich weitläufiger werden müssen, Taf. XII. u. XIII. Fig. 6—14;
es entsteht so meist eine ganz regelmässige Gestalt, etwa wie ein
auf die Spitze gestellter Kegel, Taf. XII. u. XIII. Fig. 7 u. 10 oder
die Schraube wird durch die früh erfolgende Ausdehnung der Keule
schon von Anfang an verschoben und ihre Umdrehungen auseinan-
dergerüekt, Taf. XIII. Fig. 9 u. 11. Man erkennt daraus, dass die
Schraube verhältnissmässig nur locker der Keule ansitzt, wie man
denn auch den obersten Theil derselben, welcher den Keulen-
kopf überwachsen hat, mitunter nach Belieben durch Drücken auf
das Deckglas hin und herbewegen kann.
Während die Keule sehr bald nahezu das Ende ihrer Grössen-
ausdehnung erlangt, ist die Schraube dann erst recht in die lebhaf-
teste Wachsthumsperiode eingetreten. Ihre Windungen werden zahl-
reicher und die Keule wird jetzt auch kräftiger umfasst, ja mitun-
der stellenweise gedrückt und eingebogen, Taf. XIIL. Fig. 11. Bis
zu dem auf Taf. XIII. Fig. 10 dargestellten Zustand ist keine Spur
von Scheidewänden an der Schraube erkennbar, von nun an dage-
gen treten dieselben auf, Taf. XIII. Fig. 1laa, sind aber nur bei
schärfster Einstellung und guter Beleuchtung sichtbar, da der Zel-
leninhalt aufs dichteste mit körnigem gelblich glänzenden Protoplasma
erfüllt ist, in welchem besonders zahlreiche und sehr grosse Oel-
tropfen sich auszeichnen, Taf. XIII. Fig. 11—14, 16 u. 17. Jede
Zelle der Schraube dehnt sich nun ihrerseits stark in die Länge und
so erfolgt eine neue Verschiebung, indem ganze Windungen aus der
gemeinsamen Knäuelansammlung hervortreten und in grosse Entfer-
nungen und in weiten Bogenlinien frei abstehend, mitunter sogar
schneckenartig aufgerollt, Taf. XIII. Fig. 16a, sich verfolgen lassen,
Taf. XIII. Fig. 12, 13, 14, 17. In dem geschilderten Zustand konnte
ich auf dem Mycel an günstigen Objecten oft ganze Gruppen von
281
Jungen Knäuelanlagen dicht neben einander beobachten, Zunächst
schreitet die Septirung der Schraube in ausgiebigster Weise weiter
fort, besonders in Nähe der deutlich durchsehimmernden stets unver-
zweigten Keule, so dass ihr zunächst in Menge kleine rundlich
parenchymatische Zellen entstehen, während an den äussern Hyphen
oft noch langgestreckte Zellen sich vorfinden, Taf. XIII. Fig. 13—17.
Die einzelnen Zellen beginnen zahlreich und allenthalben auszuspros-
sen; sie treiben gleichdicke und kurze Aeste hervor, Taf. XIII.
Fig. 13, 14, 16, 17, welche wiederum sich verzweigen, verflechten
und die früheren Schraubenwindungen immer undentlicher, das
Hyphengewirre immer dichter und umfangreicher gestalten.
Nur die untersten Verzweigungen der Schraube wachsen in lange
mycelartige und schliesslich verästelte Fäden aus; sie dienen, so
weit es in dem Massengeflecht unterscheidbar ist, ähnlich wie die
als secundäres Mycel an der Stielbasis vieler Hymenomyceten vor-
handenen Rhizoiden, dem Knäuel als Stütz- und Anheftungspunkte
an den Boden, Taf. XIII. Fig. 13 und 14a, 17aaa. Der ganze
übrige Theil aller Schraubenwindungen ist dagegen bestimmt, die
Ascusbüschel hervorzubringen.
Was aber die im Centrum befindliche Keule betrifft, so hat auch
sie sich bereits längst vom Tragfaden durch eine Scheidewand ab-
getrennt, Taf. XIII. Fig. 11, 16, und an günstigen Objecten kann
man ersehen, dass sie zwei-, seltener dreizellig geworden ist. Die
oberste Zelle ist am umfangreichsten, bei älteren Anlagen schwillt
sie kuglig auf, sie erscheint ziemlich inhaltsleer und stellt die von
Baranetzky und van Tieghem für Gymnoascus angegebene
sterile Zelle dar. Ein Längsschnitt auf Taf. XIII. Fig. 15 zeigt
die Keule dreizellig, zu oberst die sterile Zelle, das Ganze um-
geben von pseudoparenchymatischen, aus der Theilung der Schraube
hervorgegangenen Hyphenzellen. An den unteren Zellen der Keule
konnte ich öfters wie bei Gymnoascus lappige Ausstülpungen und
die für jenen Pilz von genannten Forschern erwähnten Auswüchse
bemerken, Taf. XIII. Fig. 15, 16 bei b.
Die Untersuchung der weiter folgenden Zustände des Pilzes wird
von immer grösseren Schwierigkeiten begleitet, welche hauptsächlich
in der ausserordentlich zarten und empfindlichen Beschaffenheit des
jugendlichen Gebildes ihre Ursache haben. Ich kann rascher an
denselben vorübergehen. Schon die Einwirkung des Wassers zer-
stört und corrodirt die zarten Theile des Knäuels und auch Anwen-
dung von Eiweisslösung oder die von Baranetzky empfohlene
10% Kaliflüssigkeit brachte mir vor der Behandlung mit Alkohol
282
und Ammoniak keinen wesentlichen Vortheil.e. Der Knäuel ist eben
in diesem Zustande nur eine weiche plastische Protoplasmamasse
mit lebendigstem Bildungstrieb, die erst allmählich bei beginnender
Reife wieder Festigkeit und Widerstandsfähigkeit gegen fremde
Eingriffe erlangt. Um also über das weitere Verhalten der Anlagen
so viel wie möglich in’s Reine zu kommen, bleibt nichts übrig, als
unter dem Simplex dieselben mit der Nadel zu zertheilen und aus
solchen Bruchstücken, welche stellenweise ziemlich unverändert ge-
blieben sind, die Entwickelung zusammenzusetzen. So habe ich die
Fig. 18—21 auf Tafel XIll. hergestellt. Wie bei Gymnoascus findet
immer weiter gehende Verflechtung und Theilung im Knäuel statt,
Junge Aeste brechen nach allen Richtungen, oft diehotom und wirte-
lig, hervor, sie verwickeln sich mit einander auf’s innigste und die
letzten Endigungen dieser zahllosen Verzweigungen schwellen schliess-
lich breit lappenförmig auf, um dann unmittelbar in die Ascusbildung
einzutreten. Eine grössere Anzahl von Hyphen, überall in den
Knäuel eingestreut, bleibt jedoch stets an diesen Vorgängen unbe-
theiligt, Taf. XII. Fig. 4, Taf. XIII. Fig. 2la; vielleicht sind dies
die Reste der eigentlichen Asecusträger.
Die Asei entstehen in so grosser Menge und so dicht gedrängt
nebeneinander, dass sie sich gegenseitig poly@drisch plattdrücken,
Taf. XIII. Fig. 22; man kann sagen, dass mit Ausnahme der zuletzt
genannten übrig bleibenden Hyphen der ganze Innenraum des Knäuels
in diesem Zustand eine einzige Ascusmasse vorstellt. Bei COteno-
myces erfolgt jedoch mit grosser Regelmässigkeit die Reife sämmt-
licher Asci eines Knäuels stets vollkommen gleichzeitig und je mehr
dieselbe vorschreitet, desto mehr runden sie sich gegenseitig ab,
Es war mir völlig unmöglich, Stiele an den Sporenschläuchen zu ent-
decken; ich kann daher nur annehmen, dass die Stiele entweder
ganz ungewöhnlich dünn sind und bald sich auflösen, oder dass die
Aseci der Stiele gänzlich entbehren; in letzterem Falle müssten sie
dann, so lange sie der Nahrung bedürfen, den plasmazuführenden
Hyphen mit breiter Basis aufsitzen. Reifende Sporenschläuche trennen
sich übrigens beim Präpariren sehr leicht von einander, doch stets
80, dass eine Anzahl durch Schleim verbunden, zusammenbleibt; die
Sporenbildung geht dabei ziemlich rasch in den Asei vor sich und
es ist nicht gar leicht, Knäuel zu finden, in welchen dieselbe eben
ihren Anfang nimmt. In solchen Knäueln aber bilden die noch un-
reifen Sporenschläuche glänzend weisse, reichlich Plasma führende
Massen und da die einzelnen Asci sehr klein sind und einen Durch-
messer von 4—5 Mikr. und eine Länge von 5 Mikr., besitzen, also
283
so gut wie rund sind und mit dem Durchmesser der kammartigen und
torulösen Hyphen der Fruchtwand nahezu übereinstimmen, so könnte
man ohne Entwicklungsgeschichte leicht auf die falsche Vermuthung
kommen, dass sie nichts weiter seien, als die abgetrennten Glieder
dieser Fruchtwandfäden.
Noch bleibt mir, bevor ich auf die Ascosporen selbst zu sprechen
komme, ein sehr wiehtiger Bestandtheil der Knäuel — die Entstehung
der Fruchtwand — zu schildern übrig. Dieselbe wird sehr frühzeitig
angelegt; bereits in den Taf. XIII. Fig. 12—14 abgebildeten Zustän-
deu wird die junge Anlage von den allerersten Anfängen der Hülle
schützend überflochten. Zahlreiche Mycelfäden rings um die Anlage
beginnen eine ausserordentlich üppige Verzweigung, die Zweige sind
zuerst äusserst zart, erstarken jedoch mehr und mehr und sie unter-
scheiden sich durch ihre Form ganz wesentlich von dem übrigen
Mycelium. Taf. XIII. Fig. 23 stellt eine solche bereits grösser ge-
wordene Hüllhyphe noch in Verbindung mit dem Mutterfaden dar.
Es sind geweihartig verzweigte Mycelfäden, deren zugespitzte Seiten-
äste immer aufs Neue sich verzweigen; häufig ist der Hauptast ein-
gerollt und die Seitenzweige werden ohne bestimmte Ordnung ent-
wickelt, doch mit Vorliebe zunächst einseitig, so dass sie von der
Knäuelanlage nach allen Seiten gleich spitzen Palissaden abgerichtet
sind. In kurzer Zeit ist der ascogene Kern des Knäuels von diesen
Hyphen eingehüllt, welche fortgesetzt reichlicher und dichter werden
und unter sich selbst wieder nach allen Richtungen verflechten. Schon
an halberwachsenen Knäueln ist aber die anfangs spitze geweihartige
Verzweigung der Hüllfäden nicht mehr wahrzunehmen, denn letztere
besitzen bereits Breite und Dichte genug, um den innern Kern von der
Aussenwelt wohl geborgen abschliessen zu können. Die Hyphen
der Hülle haben ihr Aussehen total verändert, Taf. XIII. Fig. 24;
sie haben sich abgerundet, in kurze Glieder getheilt und die Bildung
der Kämme und Sägezähne sowie der torulösen Auftreibungen ist
bereits auf allen Seiten im Gange. Die vorher geraden Wände haben
wellige Contouren bekommen, einseitig zur Einleitung der Kamm-
bildung, Taf. XIII. Fig. 24a, beiderseits Fig. 24b, wenn an den
betreffenden Stellen die Rosenkranzketten entstehen sollen. Die
meisten Endäste der Hyphen bestehen aber noch aus langen und
dünnen, in unregelmässigen Korkzieher- oder Spiralwindungen locken-
artig gedrehten und durcheinander gewirrten Auswüchsen, Taf. XIII.
Fig. 24c, die aber sämmtlich weiterhin ebenfalls die bereits genann-
ten morphologischen Umwandlungen in die gewöhnlichen Hüllfäden
erfahren. Die eben erwähnten Spiraläste sind besonders an der
284
Spitze junger Knäuel zu finden und wenn man die Fruchtwand eines
solehen von oben angefangen vorsichtig auseinanderlöst, so gelingt
es, lange Stücke mit allen Verzweigungen frei zu bekommen, welch
letztere sämmtlich von einem Hauptaste aus, Taf. XIII. Fig. 24d,
hervorgewachsen sind. Man bemerkt, dass die endgültige Ausbildung
der Fruchtwand von der Basis zur Spitze vorschreitend erfolgt und
von dem in Taf. XIII. Fig. 24 gegebenen bis zu dem fertigen Zustand
in Taf. XII. Fig. 4 haben die Hüllhyphen nur noch eine kurze Strecke
zurückzulegen. Die Fruchtwand ist von Anfang an stets farblos und
nur bei völlig überreifen Knäueln erhält sie ganz schwach schmutzig
gelbe Verfärbung, während in der Mitte des Knäuels die Ascosporen
als dunkelgelbe Masse hervorschimmern. Niemals findet aber Bräu-
nung und Cutieularisirung der Fruchtwand statt, wie es umgekehrt
bei den Gymnoascus-Arten die Regel ist.
Bei Otenomyces wird ferner jede einzelne Knäuelanlage für sich
mit einer besonderen Fruchtwand übersponnen; doch begegnete mir
unter der grossen Zahl der untersuchten einmal ein Knäuel, welcher im
Innern fünf gesonderte Ascosporenkerne zeigte, so dass also in diesem
Ausnahmefall fünf Anlagen unter gemeinsamer Fruchtwand sich ver-
einigt hatten.
Was nun die definitive Entstehung der Ascosporen betrifft, so
tauchen vor dem Erscheinen derselben, dem gewöhnlichen Vorgang
bei den Ascomyceten entsprechend, dunklere Protoplasmaheerde von
helleren Zonen umgeben in den Sporenschläuchen auf, welche sich
durch Membranausscheidung bald schärfer begrenzen, um schliesslich
die reifen Sporen zu liefern. Gleichzeitig bekommt die ganze Ascus-
masse einen hellgelblichen Anflug und die gelbe Farbe steigert sich
mehr und mehr, bis sie endlich in das Chrom- bis Orangegelb der
reifen Sporen übergeht, Taf. XII. Fig. 4, Taf. XV. Fig. 55. Die
Ascosporen werden zu je 8 in einem Sporenschlauch angelegt; die
Membran des letzteren ist von Anfang an sehr dünn und zart, sie
verschleimt sehr bald und verschwindet, während die Sporen grössten-
theils mit einander zu einer kleinen Gruppe verklebt bleiben.
Die Ascosporen sind rundlich ceylindrisch mit äusserst zarter,
dünnwandiger Membran versehen, und ganz ausserordentlich klein;
unter den bei Ascomyceten bekannten besitzen sie vielleicht die
geringste Grösse. Sie lassen sich daher nicht mehr genau messen;
ihre Länge beträgt ungefähr 2 Mikr., ihre Breite 0,9— 1,1 Mikr.
In Wasser gebracht quellen sie äusserst rasch, schon nach wenigen
Minuten werden sie unter bedeutender Volumenzunahme oval und
alsbald runden sie sich völlig ab, wie Taf. XV. Fig. 36 zeigt; bei a.
285
befinden sich die bereits aufgequollenen Sporen noch im Ascus
vereinigt, dessen Membran sich in einen Schleimhof verwandelt hat,
bei b. haben sich die 8 Sporen bereits getrennt und die Quellung
ist weiter fortgeschritten. Auch jede einzelne Ascospore ist nun
mit einem zarten Schleimhof umgeben, der besonders deutlich auf
Zusatz verdünnter Anilinfarben hervortritt. Die gequollene Spore
erreicht sammt ihrem Schleimhof schliesslich nahezu die Grösse eines
noch ungequollenen reifen Sporenschlauches.
Cultur der Sporen von Ütenomyces in Mistabkochung.
Keimung und Mycelbildung. Die Keimung der Ascosporen
gelingt sehr leicht nach erfolgter Aussaat in Flüssigkeiten, so dass
sie schon innerhalb 24 Stunden fast sämmtlich auskeimen; als Nähr-
lösung für den Pilz erwies sich Pferdemistabkochung am zweckmäs-
sigsten. Die Keimung erfolgt in gewöhnlicher Weise: aus der
gequollenen Spore, an der ein Exosporium nicht zu unterscheiden
ist, tritt an einem Ende ein dünnerer Keimschlauch hervor; ebenso
häufig sind Fälle, wo zwei Keimschläuche gleichzeitig entwickelt
werden, Taf. X1V. Fig. 27a. und b. Der Keimschlauch verlängert
sich sehr rasch, septirt sich und verzweigt sich schon nach wenigen
Tagen zu einem grösseren Mycelium, welches vom Ausgangspunkt
der Sporen strahlig nach allen Richtungen hin im Nährtropfen sich
verbreitet, Taf. XIV. Fig. 23 u. 29.
An den älteren Theilen des erzogenen Myceliums tritt bald Bräu-
nung der Hyphen ein und die Aeste besitzen an vielen Stellen fla-
schenartige Auftreibungen. Nach Verlauf von etwa 6 Tagen ent-
wickeln sich zahlreiche dünne Aeste an allen Punkten, welche son-
derbar verkrümmt und hin und her gebogen sind, kurz bleiben und
meist senkrecht vom Mutterfaden abgehen. Diese Aeste wachsen an
zahlreichen Stellen auf die Nachbarhyphen zu und verschmelzen mit
ibnen, doch sind auch an den gewöhnlichen geraden Hyphen hie
und da Anastomosen wahrzunehmen. Im Ganzen gedeiht das Mycel
von Ütenomyces in dem Mistdecoct ganz gut, obwohl die baldige
Bräunung der Hyphen und die Bildung der eben erwähnten knorrig
verbogenen Aeste als Folge einer nicht für alle Bedürfnisse ausrei-
chenden Nahrung betrachtet werden müssen. Das Mycel besitzt
ganz besondere Neigung, an vielen Punkten aus dem Nährtropfen
sich zu erheben und auf demselben ein reichliches Luftmycel her-
vorzubringen. Bald sind es nur einzelne Hyphen, welche iangge-
streckt über den Spiegel der Flüssigkeit hinwachsen, bald entsteht
eine Localwucherung zahlreicher Fäden, so dass ganze Gruppen als
weisse Büschel vom untergetauchten Mycel frei in die Luft hinaus-
236
gesendet werden, die bei durchfallendem Lieht umgekehrt als un-
durchsichtig schwarze Knäuel erscheinen, Taf. XIV. Fig. 28a. End-
lich aber werden auch zahlreiche auf die Fortpflanzung des Pilzes
bezügliche Gebilde angelegt, deren Beschreibung ich unmittelbar
folgen lasse.
Knäuelanlagen auf künstlich erzogenem Mycel. Nie-
mals ist es mir gelungen, durch künstliche Cultur auf dem Object-
träger reife Ascusknäuel von Ütenomyces heranzuziehen. Aller-
dings habe ich den Versuch nicht gemacht, durch fortgesetzte Er-
neuerung des Nährtropfens für immer frische Nahrungszufuhr zu
sorgen und es ist wohl möglich, dass dieses etwas umständliche und
mühselige Hülfsmittel zum Ziele führen würde, Denn die Anlagen
von Knäueln entstehen in der Mistabkochung sehr zahlreich, aber ihr
Bildungsgang ist gänzlich verschieden von dem, wie ich ihn normal
auf dem natürlichen Boden, der Feder, beobachtet habe. |
Etwa 5—6 Tage nach erfolgter Sporenaussaat bemerkt man
schon bei schwächerer Vergrösserung auf vielen der herangewachse-
nen Mycelien, aber durchaus nicht auf allen, wie an zahlreichen
Stellen und stets innerhalb des Nährtropfens, eigenthümliche Ver-
flechtungen vor sich gehen, häufig an den Kreuzungspunkten zweier
Mycelfäden befindlich und einem mehrfach geknüpften Bindfaden
täuschend ähnlich gestaltet, Taf. XIV. Fig. 28b. Wenn auch die
Stellung an den Kreuzungspunkten nicht constant ist, so geht doch
daraus hervor, dass in vielen Fällen am Zustandekommen jener Kno-
ten zwei verschiedene Hyphen betheiligt sind. Mit stärkeren Syste-
men betrachtet, ergiebt sich nun Folgendes:
Die Knoten werden durch Auswüchse derselben oder benachbar-
ter Mycelfäden hervorgebracht, welche sich innig um einander her-
umschlingen, Taf. XIV. Fig. 30. Es betheiligen sich daran, wie es
schien, zwei Hyphen, deren eine zumeist keulig und kurz ist, die andere
aber mehr fadenförmig sich verlängert, um in mehreren Windungen
um erstere herumzulaufen, Taf. XIV. Fig. 30a. b.c. Mitunter aber
sind beide Hyphen gleich von Anfang an keulig aufgeschwollen,
Fig. 30d. Das am meisten Auffallende an diesen Bildungen sind die
kurzen lappigen Auswüchse, welche sowohl die Keule als die Spi-
rale auf allen Seiten unregelmässig hervortreiben und die welligen
Contouren der betheiligten Hyphenfäden, ein Umstand, durch den
die Deutung der Verknäuelungen ganz ungemein erschwert wird.
Anfangs sind sie vollkommen farblos, doch nehmen sie bald an der
Mycelbräunung Antheil; trotzdem erreichen einzelne der Knäuel
ziemlich beträchtliche Grösse und an der die Keule umschlingenden
287
Spiralhyphe wird dann Septirung erkennbar, Taf. XIV. Fig. 30c.
Nicht selten entstehen die Knäuel unmittelbar an den oben erwähn-
ten knorrig verbogenen Hyphenästen, Taf. XIV. Fig. 30e.
Es ist wohl kaum zweifelhaft, dass wir es hier mit den Anlagen
von Ascusknäueln zu thun haben. Ohne Kenntniss der wirklichen
Entstehungsgeschichte derselben möchte es freilich schwer sein, diese
Bildungen zu erklären. Die Elemente der Knäuel sind ja hier ganz
abnorm geworden, wie krankhaft aufgeschwollen und ihr Wachsthum
äussert sich nicht gleichmässig schnell wie bei den kräftigen und
gesunden Anlagen auf der Feder, sondern nur in einzelnen Anläufen,
indem die lappigen Auswüchse vorgetrieben werden; von Entstehung
einer Hüllenbildung aus den benachbarten Mycelfäden ist keine Rede
und nach erfolgter Bräunung stockt jede Weiterentwicklung. Dennoch
sind diese Gebilde ein lehrreiches Beispiel und zwar für den Satz,
dass die Pflanzen in künstlichen Nährflüssigkeiten nur bei genauer
Befriedigung ihrer Lebensbedingungen wirklich normal gedeihen
können. Die Nährflüssigkeiten sind ja für Beobachtung einer Menge
entwicklungsgeschichtlicher Einzelheiten, besonders bei Pilzen, ganz
unentbehrlich, aber bei unserer geringen Kenntniss über genannte
Faktoren könnte ohne gleichzeitige Untersuchung der Pflanze auf
natürlichem Substrat die künstliche Wassereultur gar oftmals zu Irr-
thümern Veranlassung geben.
Conidienfruetifieation des Ctenomyces.
Nachdem wir uns bisher nur mit den Ascusknäueln des Üteno-
myces beschäftigt haben, ist es Zeit, noch eine andere bei diesem
Pilz vorhandene Fortpflanzungsweise kennen zu lernen.
Er besitzt nämlich, wie ich bereits Anfangs erwähnt habe, Coni-
dien und wie Ütenomyces im Bau seiner Ascusknäuel am vollkom-
mensten unter allen Gymnoasceen dasteht, so ist dies auch der Fall
mit seiner Conidienfructification. Denn nicht bloss an freien Trägern
entsteht dieselbe, sondern die Conidien findet man auch eingeschlossen
in eine Hülle, in eine Fruchtwand, von der nämlichen Beschaffenheit
wie diejenige der Ascusknänel. Es sind also vollständige Conidien-
knäuel vorhanden und ich habe dieselben auf den Federn, aber
auch in künstlichen Culturen massenhaft erzogen. Die Art der Co-
nidienbildung bei Ütenomyces macht eine aufsteigende Skala durch:
einfache Hyphen, Ansammlungen derselben zu dichten Rasen und
endlich in die Conidienknäuel eingeschlossen. Betrachten wir der
Reihe nach diese verschiedenen Formbildungen,
288
Einfache Conidienhyphen. Wenn nach Aussaat von Spo-
ren, gleichviel ob es Ascosporen oder Conidien waren, im Nähr-
tropfen ein grösseres Mycel herangewachsen ist, so erscheinen auf
demselben mit der Zeit gewöhnlich alle drei der soeben genannten
Conidienfructificationen, Taf. XIV. Fig. 29a, b, c. Ich habe ange-
geben, dass bei solchen Culturen ein besonders reiches Luftmycel
über die Oberfläche der Flüssigkeit bervortritt und dieses Luftmycel
ist auch an der Conidienbildung ganz hervorragend betheiligt. Lange
vereinzelte und verzweigte Hyphen ranken sich weithin in unregel-
mässigen Linien nach allen Seiten, Taf. XIV. Fig. 29a, und sie sind
es, welche die einfachste Form der Conidienträger vorstellen, Taf. XIV.
Fig. 3la. Seitlich, rechts und links, auch an den Enden kurzer
Aeste, doch ohne erkennbare gesetzmässige Folge, bald einander
gegenüber bald abwechselnd am ganzen Faden entlang, werden von
diesen Hyphen stets in der Luft die Conidien hervorgebracht. Letz-
tere sind auf kurzen und meist senkrecht vom Tragfaden abstehen-
den Stielehen befestigt, sie sind länglich keulenförmig, einzellig, zart-
wandig, farblos, mit glänzendem Protoplasma angefüllt und durch
eine Scheidewand vom Stielehen abgetrennt, Taf. XIV. Fig. 31a.
Zum Zweck des Entstehens der Conidie schwillt das Stielchen einfach
an seiner Spitze an, das Plasma fliesst in die Anschwellung über und
dieselbe separirt sich nach entsprechender Vergrösserung als selbst-
ständiger Fortpflanzungskörper. Bei eingetretener Reife fallen die
Conidien sehr leicht ab und sind sogleich keimfähig, indem sie nach
erfolgter Quellung einen oder seltener zwei Keimschläuche hervor-
treiben, Taf. XIV. Fig. 32. An demselben Tragfaden befinden sich
die Conidien in verschiedenen Reifezuständen, Taf. XIV. Fig. 3la;
ausgereift beträgt ihre durchschnittliche Länge 5,5—6,5 Mikr., ihre
Breite 2—3 Mikr. Auf den Federn habe ich diese einfachen Conidien-
träger sehr häufig vorgefunden, auf diesem günstigeren Nährboden
sind jedoch die Conidien nicht selten etwas grösser und mitunter
sogar zweizellig. Dieselbe Conidienform des Ütenomyces ist mir auch
einmal spontan auf einem alten Filzstück begegnet.
Gruppenweise vereinigte Conidienstände. Die in weis-
sen Büschen gruppenförmig hervortretenden Luftmycelien sind gewöhn-
lich Anfänge der rasenartig zusammengedrängten Conidienstände, Taf.
XIV. Fig. 29b, Taf. XV. Fig. 37. Wenn schon die einfachen Conidien-
hyphen reichliche Verzweigung besitzen, so ist bei dieser zweiten Form
von Conidienfortpflanzung dasselbe um so mehr der Fall. Die Zweig-
bildung geht weit umfangreicher vor sich, dieselbe ist aber ganz
besonders noch dadurch ausgezeichnet, dass von den Hauptästen
289
fast immer im rechten Winkel die Seitenäste entspringen, auf diesen
stehen wieder senkrecht, oft gleichzeitig mehrere jüngere Aeste und
letztere verwandeln sich entweder bereits in der oben beschriebenen
Weise in die farblosen Conidien sammt deren Stielen oder die Ver-
zweigung wiederholt sich nochmals in der angegebenen Weise.
Taf. XIV. Fig. 31b, Taf. XV. Fig. 37. So schieben sich die spar-
rigen, mit Rücksicht auf ihre nächstjüngeren Aeste fast durchaus
senkrecht gerichteten Hyphen zahlreich in wirrem Gedränge durch-
einander und gliedern eine grosse Menge Conidien ab, von demsel-
ben Bau wie die oben erwähnten, nur etwas kleiner. Taf. XV. Fig.
37. Auch sind die Hyphen dieser gruppenartig vereinigten Coni-
dienstände oft von äusserst feiner, dünner und zarter Beschaffenheit.
An den bereits mehrere Wochen alten Culturen im Mistdecoct,
welche in allen Formen und Grössen, von der Vereinigung nur ein-
zelner bis äusserst zahlreicher Hyphenäste die Gruppen-Conidienträ-
ger beherbergten, entstanden sowohl frei als rings um die letzteren
vom Mycel aus in grosser Anzahl äusserst zierliche, in den elegan-
testen Bogenlinien, Spiralen und Bischofstäben gekrümmte lange
Hyphenfäden, Taf. XIV. Fig. 33 und Fig. 29. Diese schön geschwun-
genen nnd eingerollten Fäden waren sehr zart und dünn, blieben
stets farblos und waren fast immer nur ausserhalb des Nährtropfens
in die Luft erhoben zu finden. Taf. XV. Fig. 37 muss man sich
mit einem Kranze solcher Spiralbogen umzogen denken, denn die-
selben sind nur der Raumersparniss halber weggelassen worden.
Conidienknäuel. Zum Schluss bleibt noch die vollkommen-
ste Form von Conidienentstehung, der Conidienknäuel, übrig, auf
dessen Bau der Pilz wieder seinen ganzen Formenreichthum ver-
wendet. Zopf') beschrieb bei Zumago den Uebergang einfacher
Conidienstände in immer complieirtere Gebilde, zuletzt in förmliche
Pyeniden-Gehäuse; bei Ütenomyces kann man einen verwandten Fall
in allen seinen Zwischenstufen aufs schönste beobachten. Die Coni-
dienknäuel finden sich wie alle übrigen Conidienformen des Pilzes
auf der Feder und zwar waren sie darauf besonders üppig, ja eine
Zeitlang im ersten Beginn des Wachsthums von Ütenomyces, wie
schon Eingangs erwähnt, die alleinigen Reproductionsgebilde auf
diesem Substrat. An Grösse stehen sie den Ascosporenknäueln kaum
nach und makroskopisch von aussen betrachtet, sind sie zumal in
Jüngeren Zuständen durchaus nicht von denselben zu unterscheiden.
1) W. Zopf, Die Conidienfrüchte von Fumago. N. A.d. Leop. Ak. B. XL.
No. 7. Halle 1878.
290
Die Fruchtwandbildung zeigt sowohl bei den Conidien- als bei den Asco-
sporenknäueln völlig gleichartigen Bau und Ursprung. So wäre mir
der Widerspruch ohne Zuhülfenahme der Cultur des Pilzes in Nähr-
lösung wohl schwer lösbar geworden, wie sich diese beiden Knäuel-
arten mit ihrem so verschiedenwerthigen Inhalt zu einander verhal-
ten mögen. Auf dem Objectträger gelingt es aber leicht, die Ent-
wieklungsgeschichte der Conidienknäuel in allen ihren Zuständen
kennen zu lernen.
Die Conidienknäuel sind von allen Conidienformen des Ütenomy-
ces diejenigen, welche zu allerletzt, nach Verlauf einiger Wochen
erst von der Aussaat an, im Misttropfen zur Ausbildung kommen,
Fig. XIV. Fig. 29c., und zwar erscheinen ihrer gewöhnlich nur wenige
in derselben Cultur; dieselben sind dazu in diesem Fall nur von
geringer Grösse, höchstens 3 mm und bilden sich auf der Flüssig-
keitoberfläche, als winzige schneeweisse Knäulchen in die Luft ragend.
Taf. XV. Fig. 38 stellt den Querschnitt eines künstlich erzogenen
reifen Miniatur-Conidienknäuels von so geringem Umfange dar, dem
gegenüber die kräftigsten Exemplare auf der Feder bis 13 mm im
Durchmesser erlangen können. Die Hülle dieses Zwergknäuels ist
dünn und ärmlich im Vergleich zu dem üppigen Wachsthum der
grossen Formen; nur wenige der meist rund gebogenen Säge- und
Kammhyphen umhüllen den Conidienkern, aber man kann noch vor-
treflich den Ursprung der Hülle aus benachbarten Mycelfäden ablei-
ten. Dem Bau und der Entstehung der Hülle bei wohl ausgebilde-
ten Conidienknäueln, wo sie zur breiten und dichten Fruchtwand
gediehen ist, habe ich keine weitere Beschreibung hinzuzufügen,
denn Beides wird von den nämlichen Umständen und Formelemen-
ten begleitet, wie ich sie bei Schilderung des Ascusknäuels angegeben
habe. Einige Sägezähnfäden in Taf. XV. Fig. 38 bei a ähneln jun-
gen Zuständen der Eingangs beschriebenen Krallenhaken, welche
ich übrigens nur auf der ursprünglichen alten Feder, dagegen weder
auf neu mit dem Pilz infieirten Federn noch auch bei den künst-
lichen Culturen wieder angetroffen habe. Es scheint das Vorkommen
derselben eine sehr lange Entwicklungsperiode vorauszusetzen.
Im Innern junger Conidienknäuel findet man die Conidienträger
mit ihren charakteristischen Verzweigungen, wie ich sie oben bei
den dichten Conidienständen beschrieben habe, angehäuft; dieselben
schnüren massenhaft Conidien ab, in reifen Knäueln verschwinden
sie grösstentheils durch Verschleimung und dann sind die Conidien-
knäuel über und über mit den abgefallenen farblosen, leicht keim-
fähigen Sporen angefüllt.
291
Damit sind wir am Ende der Entwicklungsgeschichte dieses inter-
essanten Federpilzes angelangt, dem ich als einzig bekannter Species
der Gattung Ütenomyces den auf die charakteristische Form seiner
Hyphenbildungen am Mycel und an den Reproductionsorganen bezüg-
lichen Namen Ütenomyces serratus gegeben habe.
Ich will nur noch in Betreff der Wachsthumsverhältnisse des
Pilzes bemerken, dass mir auf dieselben die Gegenwart grösserer
oder kleinerer Mengen Feuchtigkeit von Einfluss zu sein schien.
Als ich die infieirte Feder anfangs in sehr feuchter Umgebung
hielt, wurden nur Conidien- und keine Ascusknäuel erzeugt, dagegen
begann die Entstehung der letzteren sehr bald und zwar aus-
schliesslich, als das überflüssige Wasser verdunstet war. Derselbe
Vorgang wiederholte sich bei erneuerter Befeuchtung, und auch
bei der nun zu beschreibenden G’ymnoascus-Species habe ich den
gleichen Einfluss der Feuchtigkeit auf Production der Aseushäufchen
zu bemerken geglaubt. Ganz ähnliche Erscheinungen, bestehend im
Ausbleiben der gewöhnlichen Sporenketten und der Fruchtkörper,
begegneten mir bei meinen Culturen von Sporendonema casei Desm.'),
dessen Mycel in sehr verdünnten Nährtropfen und bei starkem Wasser-
gehalt der umgebenden Luft ausschliesslich nur die schön rothen
Oidium-artig aneinandergereihten und in Haken, Schnecken oder
Spiralen aufgerollten Sporenketten ausbildete. Für die Samen zahl-
reicher Phanerogamen habe ich das Ausbleiben der Keimung in
Folge zu grosser Wassergegenwart und die Nothwendigkeit der Re-
gulirung des Feuchtigkeitsgrades beim Keimungsprocess vor längerer
Zeit nachgewiesen ?). Bei den Pilzen liegen aber wohl andere Ur-
sachen als wie bei dem zuletzt genannten Falle zu Grunde.
Die Aufstellung der neuen Gattung Ütenomyces dürfte sich hin-
reichend aus den angeführten grossen Unterschieden von Gymnoascus
rechtfertigen. Wie erwähnt, hat der beschriebene Pilz eine aus meh-
reren (5— 10) Hyphenlagen aufgebaute Hülle, welche ich wegen
ihrer Breite und ihres daraus resultirenden continuirlichen Zusam-
menschliessens rings um den Ascuskern als Fruchtwand bezeichnet
habe. Wenn aber Ütenomyces seinen Platz dennoch bei den Gym-
noasceen findet, so beruht dies, abgesehen von seiner sonstigen Ent-
wicklungsgeschiehte, in der stark lufthaltigen, äusserst lockeren und
1) Bot. Ztg. 1850 No. 31.
2) Jahresber. d. schles. Ges. f. vaterl. Cultur für das Jahr 1877. Bot.
Section S. 119.
Cohn, Beiträge zur Biologie der Pflanzen, Band III, HeftIl. 20
leicht zu zerfasernden Beschaffenheit dieser Fruchtwand, für welche
wir meines Wissens bei andern Ascomyceten kein Analogon vorfinden.
Der Gattungscharakter Ütenomyces wird demgemäss folgender-
massen lauten:
„Fruchtwand des Ascusknäuels nicht eutieularisirt, allseitig
geschlossen, farblos, höchstens schwach gelblich, aus fasrig ver-
webtem locker vielschichtigem kamm- oder rosenkranzförmigem
Hyphengeflecht zusammengesetzt, allerdings noch mit zahlrei-
chen Lufthöhlen durchzogen, aber dem Peritheeium der höheren
Ascomyceten unter allen Gymnoasceen am meisten genähert.
Anlage der Ascusknäuel durch zwei Hyphen, die eine als
kenliger Mycelast, die andere als umwindende ascogene
Schraube gestaltet; jede Anlage wird fast ausnahmslos mit
einer eigenen Fruchtwand umgeben. Asci und Ascosporen
sehr klein und zart, letztere sämmtlich gleichzeitig in dem-
selben Knäuel heranreifend.
Conidien auf einfachen Trägern, einzeln in Gruppen oder in
geschlossenen Conidienknäueln entstehend.“
II. Gymnoascus uneinatus.
Vorkommen und äusseres Ansehen. Durch Zufall bekam
ich im April dieses Jahres eine grössere Menge von Sperlingkoth,
welche ich sofort für Pilzeulturen in dem feuchten Raum einer Glas-
glocke auslegte. Die erste Vegetation war darauf bereits längst vorüber
und zerfallen, eine weisse Stysanusart allein noch wuchs unermüd-
lich weiter, da bemerkte ich zuerst Mitte Juni hier und dort schnee-
weisse zarte Flöckehen von sehr geringer Grösse über die ganze
Fläche des Kothes hin ausgestreut. Es ergab sich alsbald, dass ich
es mit einem Gymnoascus zu thun hatte, aber von ganz besonderer
Form und abweichend von den bisher beschriebenen Arten dieser
Gattung. Der Fund war mir um so willkommener, als ich gerade
vollauf mit Untersuchung des Ütenomyces serratus beschäftigt war
und nun bequem lebende Repräsentanten der beiden Gattungen mit
einander vergleichen konnte.
Die weissen Flöckchen zeigten an ihrer ganzen Oberfläche radial
abgerichtete Hyphen, sie standen bald einzeln bald zu mehreren
gesellig bei einander und sie hoben: sich ohne weiter erkennbares
Mycel scharf ab von dem dunklen Grunde ihres Nährbodens. Immer
neue entwickelten sich als winzige kaum mit der Lupe erkennbare
Pünktchen, während die älteren sich vergrösserten, 3—2 mm im
295
Umfang erreichten, erst hellgelb, dann dunkelgelb, endlich orange
sich färbten, um so nach Verlauf mehrerer Tage bereits in den Zu-
stand ihrer Reife einzutreten.
Mikroskopische Struetur der reifen Häufchen. Wenn
man ein ausgereiftes Häufchen dieses Gymnoascus bei schwacher
Vergrösserung betrachtet, so zeigt es unregelmässig rundliche Ge-
stalt, von seiner ganzen Peripherie gehen zahlreiche lange und zier-
liche Hakenbildungen ab, in seinem Innern erscheinen dichte oran-
gefarbene Gruppen angesammelt, Taf. XV. Fig. 39. Letztere erwei-
sen sich als die Sporenmassen, durch Resorption der Ascusmembra-
nen zwar bereits frei geworden, aber fast sämmtlich noch mittelst
Schleim in Klümpchen zu je acht zusammengehalten; die Haken
aber sind Bestandtheile des orangefarbenen äusserst lockeren und
dünnen Mycelnetzes, welches ringsum das Häufehen überkleidet.
Dieses Mycelnetz, in einfachem oder höchstens doppeltem Gitter
angeordnet, hat einen sehr interessanten und für unsern G’ymnoascus
sehr characteristischen Bau, Taf. XV. Fig. 40.
Seine Hyphen sind aufs reichste verästelt; die Hauptäste ver-
laufen in gebogenen Richtungen hin und her, allenthalben kürzere
Nebenäste ausschickend, die sich ihrerseits aufs Neue verzweigt
haben. Die Zweige stehen mehr oder weniger senkrecht vom Trag-
faden ab, sie bleiben ganz kurz und senden an ihren Enden oder
unmittelbar unterhalb derselben aufs Neue einseitig oder rechts und
links ebenfalls senkrechte Ausstülpungen hervor; es kann sich der
Process darauf aufs Neue wiederholen, so dass in typischen Fällen
Anfänge von unregelmässiger Schraubelbildung zu Stande kommen,
Taf. XV. Fig. 40a. Mancher Seitenast besitzt an seiner Spitze kral-
lenartige Einkrümmung, Taf. XV. Fig. 40b. Am meisten sind aber
an der Mycelhülle die oben erwähnten Hakenäste ausgezeichnet,
welche in besonders grosser Zahl vorhanden sind und die Form von
Bischofstäben nachahmen. Ihre Länge ist grösser als die der übri-
gen Myceläste, sie beträgt im Durchschnitt 0,14—0,17 mm. Der
Stiel bis zur Hakenkrümmung ist völlig gerade oder nur in ganz
schwach welligem Bogen verlaufend. Die Krümmung des Hakens ist bei
den einzelnen Exemplaren mehr oder minder bedeutend, das Ende
desselben läuft bei allen in eine verdünntere Spitze aus, Taf. XV.
Fig. 40e. d. e. Mitunter sieht man auf einen Bischofstab einen
zweiten kleineren aufgesetzt, Taf. XV. Fig. 40f; g. derselben Figur
zeigt einen Haken von vorne gesehen.
Die Hyphen der Mycelhülle sind, ausgenommen die Bischofstäbe, un-
gleich im Durchmesser, an vielenStellen aufgetrieben, anandern verschmä-
20*
294
lert, durchweg aber sindsie sehr stark und gleichmässig euticularisirt
und mit spärlichen Scheidewänden versehen, welche stets in der
Mitte einen kleinen Tüpfelraum erkennen lassen.
Anlage der Ascusknäuel auf natürlichem Nährboden.
Die ersten Anlagen der Ascushäufchen des Gymnoascus uncina-
tus waren auf dem Sperlingkoth zahlreich und in allen Stadien
aufzufinden. Hier ist wirklich im jüngsten Zustand die von Bara-
netzky für Gymnoascus .Reessii abgebildete und beschriebene
einander vollkommen gleichgestaltete Form der beiden constituiren-
den Hyphenzweige vorhanden; von einem keulig blasigen Anschwel-
len derselben konnte ich aber nichts bemerken. Die Anlagen präsen-
tirten sich sehr hübsch und klar und sie entstehen, indem an dem-
selben Taf. XIV. Fig. 34a oder an zwei nebeneinander parallel
laufenden oder sich kreuzenden Mycelfäden, Taf. XIV. Fig. 34b
zwei gleichdicke Ausstülpungen hervorgetrieben werden, welche sich an-
einanderschmiegen und unter entsprechender Verlängerung eng spi-
ralig in mehreren Umläufen umschlingen. Das Bild dieser Anlage
hat mit der von Brefeld') für Entstehung der Sclerotien von
Penieillium glaucum Link angegebenen Figur die meiste Aehnlich-
keit. Nach unten läuft die Anlage conisch verschmälert zu, nach
oben verbreitert sie sich; ihr weiteres Wachsthum erfolgt derart,
dass die eine Spiralhyphe kurz bleibt, am Ende keulig aufschwillt
und in ihrem oberen Theile die sterile Zelle abgrenzt; die andere
Spirale bildet dagegen noch einige Windungen um die sterile Zelle,
darauf theilt sie sich in kürzere Glieder, deren unterste sich mycel-
artig zu Rhizoiden verlängern, während die oberen zu den Anfängen
der Ascusbüschel sich verzweigen. Der weitere Vorgang stimmt
mit der Schilderung Baranetzky’s überein, nur dass auch hier
nicht nur ein kleiner oberster Fortsatz, sondern eine ganze Anzahl
der Schraubenwindungen an der Ascusbildung theilnimmt. Aehnliche
Bilder wie Baranetzky’s Figur 15 (bot. Ztg. 1872, T. 3), gleich-
sam ein Querschnitt des jugendlichen Knäuels, habe ich häufig
angetroffen.
Auch bei Gymnoascus uncinatus reifen wie bei @. Zeessir die
Asci ungleichmässig, so dass man an demselben Tragfaden kaum
sichtbare Anfänge derselben und fast ganz ausgereifte bunt durch-
einander findet.
Die oben beschriebene Mycelhülle überspinnt bereits in jungem
Zustand die Ascusanlagen und zwar erhält nicht jede Anlage wie
1) O. Brefeld, Bot. Unters. üb. Schimmelpilze. Il. Heft. Leipzig 1874.
295
bei Ütenomyces eine Hülle für sich, sondern es werden immer zahl-
reiche Anlagen von einer gemeinsamen Mycelhülle überflochten,; an
letzterer bilden sich schon früh die Bischofstäbe als starke, farblose,
anfangs gerade Seitenäste.e Mit dem Heranreifen der Ascusknäuel
hält auch gleichen Schritt die Gelbfärbung und Cutieularisirung der
Hülle, die übrigens ein sehr grobes Netz darstellt, so dass die Asei
an vielen Stellen so gut wie unbedeckt daliegen. Die Asci sind
ei- oder birnförmig, von 8,5—9 Mikr. Durchmesser im reifen Zustand,
sie sind an einem langen Stiele befestigt; die Sporen werden in
Achtzahl angelegt und gelangen späterhin nach erfolgter Auflösung
der Ascusmembran in’s Freie,
Keimung der Ascosporen. Mycelbildung in künst-
licher Nährlösung. Die Ascosporen des Gymnoascus uncinatus
haben kuglige oder schwach ovale Gestalt, ein deutliches ziemlich
diekes Exosporium und ein zartes Endosporium, sie sind orange-
farben und grösstentheils noch zu mehreren mit einander zusammen-
geklebt, Taf. XV. Fig. 4la. Ihre Grösse beträgt etwa 3,5 Mikr. nach
der Breite und bei den ovalen bis 4 Mikr. in der Länge.
Gleich nach dem ersten Auffinden der reifen Ascosporen begann
ich Keimversuche mit denselben anzustellen und ich benützte hiezu
wie bei Ütenomyces Pferdemistabkochung. Allein zu meinem Ver-
druss konnte ich trotz aller Mühe und Sorgfalt beim Herstellen der
Nährtropfen lange Zeit keine Spur einer Keimung erlangen. Da
wollte weder die Anwendung höherer Temperatur noch die Aussaat
in die verschiedenartigsten Nährlösungen und mit Sporenmaterial aus
den verschiedensten Knäueln etwas helfen; nach wie vor verwei-
gerten die Sporen hartnäckig jede Keimung. Schon hatte ich die
Hoffnung, zu einem günstigen Resultat zu gelangen, nahezu aufge-
geben, als ich auf ein ganz eigenthümliches aber sehr einfaches
Hülfsmittel verfiel, welches in der That von überraschendem Erfolge
begleitet war. Die Anwendung desselben dürfte vielleicht auch für
andere Fälle missglückter Keimversuche (z. B, bei den Sporen der
Gastromyceten) zu empfehlen sein.
Bekanntlich ist es ein altes Gärtnerverfahren, dem Quellwasser
schwer keimender Samen etwas Salzsäure zuzusetzen; es soll dadurch
eine Art Corrodirung und Erweichung der harten Samenschale erzielt
und das Eindringen des Quellwassers zum Embryo ermöglicht wer-
den. Wenn Letzteres gelungen ist, dann erfolgt die Keimung eines
gesunden Samens mit grösster Regelmässigkeit und da es sich also
hiebei nur um Lockerung des Verbandes der Zellen in der Samen-
schale handelt, so erreicht man auch die Keimung einfach durch
296
mechanische Lädirung der Schale mittelst Einschnittes oder Reibung;
die sogenannten harten Körmer der Papilionaceen, der Cuscuta-
ceen u. Ss. w. habe ich selbst versuchsweise in dieser Art oftmals
mit Sicherheit zur Keimung angeregt. Ich dachte mir nun, ob nicht
vielleicht ein ähnlicher Kunstgriff auch bei den Sporen des Gymno-
ascus uncinatus wohl angebracht wäre und nahm zu diesem Zweck
Aussaaten mit denselben derart vor, dass ich die eine Hälfte der
Nährtropfen mit etwas Ammoniak alkalisch, die andere aber mit
Hülfe von Essigsäure sauer machte. Bereits nach etwa 30 Stunden
ergab sich, dass in den alkalischen Tropfen der Erfolg ein nega-
tiver war, in den sauren hingegen allgemeine Auskei-
mung begonnen hatte.
Um mich zu überzeugen, ob auch wirklich nur der Ansäuerung
mit Essigsäure die Ursache der erfolgten Keimung zuzuschreiben
sei, machte ich darauf oft wiederholt den Versuch, dass ich eine
grössere Anzahl Tropfen von Mistdecoct gleichzeitig mit Sporen ver-
sah, aus dem nämlichen Knäuel entnommen, den einen Theil der Trop-
fen ohne irgend einen Zusatz liess, den andern dagegen mit einer
sehr geringen Quantität Essigsäure ansäuerte. Der Zusatz der Essig-
säure verursachte immer anfangs in der Flüssigkeit eine schwache
Fällung resp. Gerinnselbildung, die sich nach Kurzem vollkommen
wieder auflöste. Auch bei diesen Versuchen ergab sich nun stets
das Nämliche: es ist nur der Einfluss der Essigsäure, wel-
cher die Keimung hervorruft, denn in den ungesäuerten Tropfen
lagen alle Sporen auch nach Wochen noch völlig regungslos da, die
sauren waren schon nach 30 Stunden fast sämmtlich ausgekeimt und
gewährten mit ihren orangefarbenen Sporenhäuten einen sehr hübschen
Anblick. Offenbar wird also wie bei den Samen durch die zugesetzte
Säure die physikalische und wohl auch chemische Beschaffenheit des
harten Exosporiums verändert und der Aufnahme von Flüssigkeit
für den Sporeninhalt zugänglich gemacht. Die Keimung unterstützte
ich übrigens regelmässig durch Anwendung einer höheren Tempera-
tur im Wärmekasten (25° C.) nach dem nämlichen Verfahren, wie
ich es in meiner Arbeit über die Nedularieen') für die Keimung
der Sporen von Uyathus und Urucibulum angegeben habe. Es er-
folgt die Auskeimung nach Ansäuerung zwar auch bei gewöhnlicher
Temperatur, aber nur in einem viel langsameren Tempo.
Die Keimung der Sporen von Gymnoascus uncinatus ist in eini-
gen Punkten bemerkenswerth. Während Baranetzky für Gym-
1) Vgl. diese Beiträge B. II. H. 2. p. 223.
297
noascus Kteessii, dessen Sporen zudem sehr leicht keimen, das Her-
vordringen des Keimschlauchs durch die zersprengte Haut in Form
einer aufgeschwollenen Blase beschreibt, muss sich der Keimschlauch
bei Gymnoascus uncinatus umgekehrt durch das erweichte und
schwach gequollene Exosporium erst förmlich hindurchbohren, Taf. XV.
Fig. 41b. Er erscheint nämlich in Form eines zugespitzten dünnen
zarten Fädchens, welches erst mit zunehmender Verlängerung erstarkt
und an Breitendurchmesser gewinnt. Es sind ein oder zwei Keim-
schläuche, welche hervorkommen und sich oft unmittelbar schon nach
erfolgtem Austritt verzweigen, Taf. XV. Fig. 41b. Der junge Keim-
faden wächst kräftig weiter, nach allen Seiten hin sendet er seine
Aeste, die anhängende orangefarbene Sporenhaut in seinem Centrum
ist noch lange aufs deutlichste zu erkennen. Bereits nach 3 Tagen
von der Aussaat an hat man ein kräftiges Mycelium, welches nun
leicht in einen neuen Nährtropfen übertragen werden kann und darin
bei gewöhnlicher Temperatur sich mehr und mehr vergrössert. Es
bietet an sich wenig Bemerkenswerthes; stets blieb es farblos, zeigte
nicht selten Anastomosen, es sendete nur sehr spärlich einzelne
Hypben als Luftmycel über die Flüssigkeitsoberfläche und hie und
da besass es die für alle Gymnoascus-Arten characteristischen lang fla-
schenartigen Anschwellungen. Solche Anschwellungeu verbreiterten
sich öfters und standen dann plötzlich still; nach einiger Zeit began-
nen sie im Wachsthum fortzufahren und zwei oder drei dünnere
Zweige nach verschiedenen Richtungen hin radial auszusenden,
Taf. XV. Fig. 42d.
Verknäuelungen bei Cultur in Mistabkochung. So
wenig wie bei Ütenomyces serratus, so wenig gelang es mir bei
Gymnoascus uncinatus, reife Ascusknäuel in künstlichen Culturen
heranzuziehen. Aber ebenso wie dort entstanden auch hier an etwa
ein Drittel der in Arbeit genommenen Mycelien ganz eigenthümliche
und merkwürdige Verknäuelungen, deren Bau und Bedeutung nicht
leicht zu enträthseln ist, Taf. XV. Fig. 42 A. B. u. C. Was diese
Verknäuelungen gegenüber denen von Ütenomyces besonders aus-
zeichnet, ist ihr viel reichlicheres Auftreten an den damit versehe-
nen Mycelien, ihre viel bedeutendere Grössenzunahme, die Kleinheit
der Zellen, aus welchen sie bestehen, ihre Farblosigkeit und der
Umstand, dass an einem lang hin sich streckenden Hauptast des
Mycels gleichzeitig eine ganze Anzahl derselben, kleine und grosse,
in Gruppen entlang gebildet werden, Taf. XV. Fig. 42. Stets fin-
det man benachbarte Hyphen an diesen Knäueln fest anliegen und
mit ihnen verbunden und meist lassen sich auch in ihrem Verlauf
298
noch deutlich die vielfachen Windungen einer Schraube verfolgen.
Ich erkläre mir die Anlagen dieser Bildungen derart, dass Hyphen.
auf einen Hauptast zuwachsen und denselben mit ihren Spitzen in
anfangs nur wenigen und dünnen, Taf. XV. Fig. 42a, dann aber
immer zahreicheren und weiteren Spirallinien oft auf weite Strecken
hin eng umfassen, Taf. XV. Fig. 42b, ce. Es geschieht dies aber
nieht mit der gleichmässigen Regelmässigkeit, wie ich es für die
Anlagen bei G@ymnoascus Reessii angegeben habe, Taf. XIII. Fig.
25 und 26. Schon sehr früh findet in der Schraube lebhafte Theilung
in kleinere Zellen statt, ein Aussprossen derselben in kurze Aeste
und eine ziemliche Verschiebung der Schraubenlinie. Taf. XV. Fig. 42.
Neben reich getheilten Fadenstücken im Knäuel bemerkte ich häufig
ganze Streeken ohne Scheidewand, sowie vor den andern durch
bedeutendere Grösse ausgezeichnete Zellen; die Gegenwart einer
sterilen Zelle aber war nicht festzustellen. Die ganze Verknäuelung
grenzt sich als dichte Masse nach aussen ab, bald in rundlicher
Form, bald mehr oder minder in die Länge gestreckt. Was aus
der umwundenen Zelle wird, konnte ich nicht entscheiden.
Leider bleiben die Knäuel auf dem geschilderten Zustand im
Wachsthum stillstehen, so dass nicht auszumitteln ist, welche Bewandt-
niss es mit ihnen hat, ob wir hier nur abnorme Erscheinungen oder
bei günstigerer Nahrung lebens- und entwickelungsfähige Anlagen
von Ascusknäueln vor uns haben. Bemerkenswerth dürfte es sein,
dass die Gebilde ziemliche Aehnlichkeit mit den von mir aufgefundenen
Anfangszuständen der Fruchtkörper von Sporendonema casei Desm.
besitzen. Interessant wäre es jedenfalls, wenn die Knäuel wirk-
lich jüngste Ascusanlagen vorstellten, denn es wäre damit bewiesen,
dass letztere auf zweierlei verschiedene Weisen, durch spiraliges
sich Umwinden zweier kurzer Myceläste, sowie durch Umwinden
eines Mycelstückes durch eine hinzutretende Hyphe, bei Gymnoascus
uncinatus und vielleicht auch bei Gymnoascus Reessii entstehen
können und es würde sich damit der Widerspruch meiner und
Baranetzky’s Beobachtungen in Betreff der Anlage bei letzterem
Pilze leicht beseitigen lassen.
Conidienbildung. Noch bleibt mir im Entwicklungsgang des
Gymnoascus uncinatus eine einfache Vermehrungsweise desselben
vermittelst Conidien zu schildern übrig. Ich lernte diese Art der
Fructifieation ausschliesslich nur bei meinen Objectträgereulturen
kennen, wo sie stets in der Luft an den spärlich über das Niveau
des Tropfens hervorkommenden einfachen Hyphen stattfand. Diese
Hyphen stellen die Conidienträger vor, sie schwellen an ihrer Spitze
299
zu einer dickeren, oft zugespitzten ovalen Blase an, erfahren aber
auch in ihrem übrigen Verlauf unregelmässige Auftreibungen, Taf. XV.
Fig. 43A. u. B. Nachdem in Masse dichtes und gleichmässiges Proto-
plasma in diese Theile übergeflossen ist, separiren sich dieselben
von dem Reste der Hyphe durch Scheidewände; es entstehen so
endständig und im Verlaufe derselben mit glänzendem Inhalt erfüllte
kürzere und längere Stücke, die bei durchfallendem Lichte ganz
dunkel erscheinen.
Die Conidienträger sind aber auch im Stande, sich rechts und
links ohne bestimmte Ordnung zu verzweigen und ein Theil dieser
Zweige zerfällt gänzlich in Conidien, bildet wohl auch seinerseits
an einzelnen Stellen noch kleine Ausstülpungen, die sich ebenfalls
zu einer Conidie gestalten, während an anderen Zweigen die Coni-
dienbildung nur theilweise erfolgt und grössere Strecken im Faden-
verlauf, welche nicht daran theilnehmen, völlig inhaltsleer erscheinen,
Taf. XV. Fig. 43e. Denn sämmtlicher Protoplasmavorrath hat sich
in die scharf separirten Conidienstücke zurückgezogen. Man ersieht,
dass diese Bildungsweise bei Gymnoascus uncinatus ziemlich viel
Unregelmässigkeit und Unvollkommenheit besitzt; die Conidien ent-
stehen sämmtlich endogen im Faden, und ihr Verhalten ist ganz ähnlich
der Entwickelung von Gonidien, welche bei gewissen Pilzen an
untergetauchten Mycelstücken beobachtet worden sind (z. B. bei
Mucor); man müsste sie ebenfalls mit diesem Namen bezeichnen,
wenn sie nieht stets nur in der Luft zur Ausbildung gelangten.
Nach erfolgter Reife separiren sich die Conidien von ihren Trag-
fäden, einige bleiben wohl noch mechanisch an demselben festkle-
ben, die meisten aber fallen zu Boden, wo man sie in grösserer
Vereinigung angesammelt vorfindet. Ihre Gestalt ist, der Entstehung
entsprechend, sehr verschiedenartig. Bald sind es rundliche oder
ovale oder hantelförmige Körper, bald sind sie an einem Ende rund
oder citronenförmig in eine vorgezogene Spitze auslaufend, bald trifft
man sie mit breiterem Ansatz etwa wie Empusasporen, bald mit
langen Stielen nach einer oder nach beiden Seiten ihrer Axenver-
längerung, Taf. XV. Fig. 43d. Der mittlere Durchmesser an der
breitesten Stelle beträgt 4,5—5 Mikr.
Die Keimung dieser Conidien habe ich nieht beobachten können;
man darf aber wohl annehmen, dass der hiebei stattfindende Vor-
gang kaum wesentlich von dem gewöhnlichen und allgemein bekann-
ten sich entfernen wird.
300
Schluss.
Absichtlich habe ich es bisher vermieden, auf die Frage einzugehen,
ob man dem Hyphenpaar, welches die allererste Anlage der Ascusknäuel
bei den Gattungen G’ymnoascus und Ütenomyces einleitet, die Bedeutung
von Geschlechtszellen beilegensolle. Baranetzky hatdies bekanntlich
gethan, indem er gerade den Gymnoascus Reessii als eine der besten
Stützen für den Beweis der Geschlechtlichkeit bei den Pilzen betrach-
tet. Nach ihm ist in der ascogenen Zelle das weibliche, in der
andern dagegen, welche die sterile Zelle bildet, das männliche Organ
vertreten und der Befruchtungsvorgang soll sehr früh auf diosmo-
tischem Wege erfolgen.
Dem gegenüber steht in erster Linie van Tieghem, der, nach-
dem besonders die Entstehung der Fruchtkörper einiger Basidiomy-
ceten als gleichartige ungeschlechtliche Hyphensprossung nachgewie-
sen worden ist, auch für die Ascomyceten das Vorkommen der
Sexualität in Zweifel zieht.
Ich stelle mich auf Seite derjenigen, welehe nach wie vor an
der Geschlechtlichkeit der Pilze als Grundprineip festhalten. Zumal
auch bei den genannten Gymnoasceen ist das Ansehen und die weit-
gehende Differenzirung der Elemente des Primordialapparates so auf-
fallend, dass jeder Unbefangene ohne Weiteres dem Gedanken an eine
stattfindende Befruchtung Raum geben wird. Für die Sexualität der
Pilze können wir viele höchst merkwürdige Beispiele anführen, vor
Allem den anders kaum erklärbaren Vorgang bei Peziza confluens,
während jene Untersuchungen, welche die Fruchtkörper als blosse
Aussprossungen entstehen sahen, dem Einwand nicht zu entgehen
vermögen, dass nach einer Reihe ungeschlechtlicher Generationen
doch wieder eine geschlechtliche auftauchen kann. Jedenfalls aber
sind die Befruchtungsvorgänge bei den Pilzen sehr verschiedenartig
abgeändert und zum Theil ganz undeutlich geworden.
Nach der schönen Untersuchung Janezewski’s') über Ascobo-
lus furfuraceus müsste man eigentlich a priori vermuthen, dass bei
den Gymnoasceen die sterile Zelle an Stelle des Scolecits getreten
sei, so dass aus ihr die Asci aussprossen würden. Gerade auf die-
sen Punkt habe ich bei meinen Untersuchungen ein Hauptaugen-
merk gerichtet; niemals aber konnte ich das Auswachsen der steri-
len Zelle bemerken, sie wird vielmehr mit der Grössenzunahme des
1) Bot. Ztg. 1871. No. 17.
301
Knäuels stets verknittet und verzerrt, während nur die Schraube als
alleiniges ascogenes Organ nachgewiesen werden konnte.
Wenn ich noch schliesslich auf die Verwandtschaftsverhältnisse
der Gymnoasceen zu den übrigen Pilzen näher eingehe, so lassen
sich nach dieser Richtung einige interessante Beziehungen ausspre-
chen. Wie Eingangs erwähnt, zeigen die Gymnoasceen einestheils
mit den Discomyceten, andererseits mit den Pyrenomyceten Ueber-
einstimmung. Wenn nun aber schon unter diesen beiden grossen
Familien der Ascomyceten allmähliche Uebergänge und nur graduelle
Verschiedenheiten an den Grenzen stattfinden, so kann man in der
kleinen Familie der Gymnoasceen alle diese Uebergänge gleich-
zeitig vereinigt beobachten. Sämmtliche parasitische Gymnoas-
ceen zeigen den einfachsten aber ausgeprägten Discomyceten-Typus,
welcher dann in Ascodesmis zur höchsten Vollendung gelangt. An
Ascodesmis aber schliesst sich unmittelbar Gymnoascus an, denn
wenn auch hier als erste Andeutung eines Peritheciums die weit-
maschige gegitterte Hülle auftritt, so sind die Asei doch noch so
wenig verhüllt, dass auch Gymnoascus den Discomyceten viel näher
als den Pyrenomyceten zu stehen scheint. Erst die Aufindung der
Gattung Ütenomyces giebt die Kette ab, welche direct an die
Pyrenomyceten, speciell die Perisporiaceen, heranreicht. In der
That ist Otenomyces das erste Beispiel, dass auch bei den G@ym-
noasceen wirklich allseitig geschlossene Fruchtwände vorkommen,
welche mit dem Peritheeium von Erysiphe und Eurotium voll-
kommen physiologisch gleichwertbig sind und nur in Folge ihrer
lufthaltigen, lockeren und fädigen Beschaffenheit noch nicht mit
vollem Recht auf diesen Namen Anspruch machen können.
Breslau, den 38. August 1580.
= de 1}
ei Bar >
Vs... £ {
rn Rue e ei
A lit
“ u = " u
FE 8 in nnlanar ab
DSL TATEN Hrmve Mau a
rat, an te mare u | a = Hoc
riigahn is. nee ML At
Are a Bee Ai
non; ya el, are belle IRTST RT
13041) rare ie bad gar a
ee runter nalug sen ip ade
> Hands A varsalat] ke Inne MEET SITE DE de strike
nn ein 149 build or turbo Inidonai ker 5
-iD Ue >21 4 fi, wre eher sul; 4
i h 7 ! Mil; 30H ‚ch iyiniozar alt
| " razt j a7 In tdi tal nayias & FEnE 1
a $ af PB, werbevaht nf ara ale &
s Dr inair j er t BIT EERETT ET Ba en SE au
ö ie
s j; in I#,; Br! 14 s ir ‚ ad ib IR er
BR N (a Li m htm ankam ee
ar:
j\ a if
f} €
- “ ’ a en
Pr ® ’E . (iA ‚7 ser
ıM B
A .
, \ ae au
v
Li TA r i i y ’ , If a EPRIG -
TA ‚ % h
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
0)
os
Erklärung der Abbildungen.
Tafel XL.
Ctenomyces serratus.
Feder, von Ctenomyces serratus zum grössten Theil überzogen.
a. Hyphenpolster mit einfachen Conidien und Conidienknäueln, b. As-
eushäufchen in reifem Zustand. 2/3 nat. Grösse.
Dauermycel mit Krallenhaken. a. Dicht verwebtes Hyphenpolster,
b. an den Scheidewänden knotenartige Auftreibungen, c. Krallen-
haken, d. Vogelfuss-artige Basis derselben, f. Krallenhaken mit
schief gebogenen Sägezähnen, von vorn gesehen. Vergr. 400.
a. Häufchen von Ascusknäueln in verschiedenen Alterszuständen;
b. ein Ascusknäuel mit ausgebreiteter Fruchtwand, innen der fast
reife orangefarbene und noch zäh schleimige Ascuskern. Vergr.
yYomar — a, von b. =8:
Querschnitt durch einen reifen Ascusknäuel. Vergr. 200.
Verschiedene Formen der Kamm- und Sägezähnhyphen sowie der
torulös aufgeschwollenen, aus einem reifen Ascusknäuel. Vergr. 400.
Anlage des Ascusknäuels. Vergr. 400.
Weiter fortgeschrittener Zustand. Vergr. 400.
Die junge Anlage von oben gesehen. Vergr. 400.
Tafel XII.
Ctenomyces serratus.
Anlage von zwei Hyphen ausgehend.
Ebenso mit regelmässiger Schraube.
Schraubenwindungen zahlreicher geworden, bei a. mit Scheidewän-
den. Keule zerknittet.
Weiter fortgeschrittener Zustand.
Ebenso, bei a. Zweigbildung.
Die Anlage hat sich in viele Zellen getheilt, die sterile Zelle schim-
mert deutlich durch, bei a. Verzweigung.
Fig.
..16.
226:
304
Längsschnitt der jungen Anlage. Keule dreizellig, die unterste mit
schwach warzigen Vortreibungen, die sich später verzweigen. Die
Keule ist von Pseudoparenchym, durch Theilung der Schraube ent-
standen, überzogen.
Reichliche Verzweigung und Vergrösserung des Knäuels. Bei a.
schneckenartige Aufrollung eines Astes, b. Aussprossen der untersten
Zelle der Keule.
Ebenso, bei a. Beginn des Auswachsens der Rhizoiden.
Stück aus einem älteren Knäuel, um die reichliche Verzweigung
und Verflechtung der Hyphen darzustellen.
Beginnende Verzweigung zu Ascusbüscheln; reicher feinkörniger Pro-
toplasmainhalt.
Ascusbüschel in diehten Trauben und Rispen, überall aufgeschwollen.
Weiterer Zustand, bei a. gebogene Hyphe, die nicht an der Ascus-
bildung theilnimmt.
Asei, durch gegenseitigen Druck polyedrisch.
Verzweigung des Mycels zur Bildung der Fruchthülle.
Lange verzweigte Hyphe aus einem halberwachsenen Ascusknäuel
entnommen, a. liefert Sägezähn-, b. torulöse Hyphen. ce. Ausmün-
dung der Hyphe in lange Spiral- und Korkzieherfäden, d. Hauptast.
Gymnoaseus Reessii.
Anlage des Knäuels; bei a. Entstehung der Schraube als Ast des-
selben Fadens, b. umwundene Zelle.
Anlage, durch Hinzuwachsen einer benachbarten Hyphe a. und Um-
winden des Mycelstücks b. entstanden. Bei c. kurzer Ast des um-
wundenen Mycelstücks.
Sämmtliche Figuren dieser Tafel 400 mal, nur Fig. 22. 500 mal vergrössert.
. 21.
. 28.
20.
ig. 30.
Tafel XIV.
Ctenomyces serratus.
Keimung der Ascosporen, a. einfacher, b. doppelter Keimschlauch.
Vergr. 400.
Mycel im Mistdecoct erzogen, a. büschliges Luftmycel, b. Verknäuelun-
gen am Mycel. Vergr. 12,
Ebenso; a. einfache Conidienträger, b. büschelweise vereinigter Co-
nidienstand, ce. Conidienknäuel. Letztere beiden Formen mit vielen
Spiralhyphen überzogen. Vergr. 12.
Knäuelbildung am Mycel innerhalb der Nährlösung. Abnorme Auf-
schwellung der einzelnen Hypbentheile. Vergr. 400,
a. Einfache lang hinwachsende Conidienhyphe mit zahlreichen Sporen.
b. Art der Verzweigung der Conidienträger aus einem dichten Co-
nidienstand. Vergr. 400.
Keimung der Conidien. Vergr. 400.
Spiralhyphen, wie sie die Conidienstände umgeben. Vergr. 400.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
34.
39.
36.
a7.
38.
305
Gymnoascus uneinatus,
Erste Anlage des Ascusknäuels; bei a. aus einem, bei b. aus zwei
Mycelästen. Vergr. 400.
Tafel XV.
Ctenomyces serratus.
Reife Asci. Vergr. 450.
a. Ascus; seine Membran und sein Sporeninhalt gequollen, b. weiter
vorgeschrittene Quellung der freien Sporen, Schleimhof deutlich
sichtbar. Vergr. 450.
Dichter Conidienstand, ohne die Spiralhyphen in Taf. XIV. Fig. 33.
Die Art der Verzweigung ist deutlich zu sehen; viele Sporen sind
abgegliedert. Vergr. 150.
Conidienknäuel, Querschnitt; der Innenraum enthält fast ausschliess-
lich nur Conidien. Vergr. 300,
Gymnoaseus uneinatus.
Schwach vergrösserte Ascushäufchen. Vergr. 9.
Stück der Hülle von einem älteren Knäuel. Starke Verdickung,
bei a. beginnende Schraubelbildung, b. Hakenast, c. d. e. f. g. die
verschiedenen Formen der Bischofstäbe. Vergr. 400.
a. Reife Sporen, b. Keimung derselben. Vergr. 450.
A. B. C. Verschiedene Zustände der Knäuelbildungen an eultivirten
Mycelien, d. Mycelauftreibung. Vergr. 400.
A. und B. Conidienträger, c. Conidien, e. leere Stellen der Hyphe,
d. abgefallene Conidien. Vergr. 400.
De
STEIN Terhäp IA 77
u
RU,
ae nh
EN ar
’
Ya‘ Me RA
vr.NHeh
ap",
E Cohn, Bei träge zur Biologie der Pflanzen. e Band IM Tal‘ IX.
Fig. a Fig. 2 .ı200. Fig.3.c00, | AN . Fig. 4.130.
| | gez
=
Fig. T. 1260). Fig. & 1200)
Rlın adnae.del
Lith.u.Druck n. S.Lilierfeld Breslau.
ECohn ‚Bei Iräge zur Biologie der Pllanzen. Band HTaf.X.
a
arızıaan
ar
at iq. 22.7130)
Fig. 93.1130).
Veen
bee.
A }
Fig. 24. (130). Fig.19. (101.
Klein „ad nax.del.
Titk u Druck v. S. Lilnenfeld Breslau
Bo:
my!
u
Etohn, Beiträge zur Biologie der Fllanzen .
ee u >
> .0©;
NT
\&
DR
band MH. Taf.
Band II. Taf XI.
E’Cahn Beiträge zur Biologie der Pflanzen.
S Lilienfeld Breslar
Druck
Etohn, Beiträge zur ‚Biologie der Pflanzen. Band MH Tal IM.
F( ohn Beiträge zur brologie der Pflanzen. Dand IM. Taf AW.
E.Eidom ad. nat. dal
Zitk u Druck 8. Lilientold, Bresiau.
band IH. Tal XV.
[Cohn ‚Beiträge zur Biologie der Pflanzen.
Beiträge
zur
biologie der Pflanzen.
Herausgegeben
Dr. Ferdinand Cohn.
Dritter Band. Drittes Heft.
Mit acht Tafeln.
rn ER
Breslau 1883,
J., U, Kern’s Verlags
(Max Müller).
Inhalt des dritten Hettes.
Seite
Beiträge zur Kenntniss der Wurzelverwachsungen. Von Dr. Max Franke.
ED atel OLVE und REVEIe)n .ree a 307
Ueber das Längenwachsthum von Pflanzenorganen bei niederen Tempera-
turen. Von Dr. Oskar,Kirehner in Hohenheim... .......... 339
Endoelonium polymorphum. Von Dr. Max Franke, Assistent am bota-
nischen Institut der Universität Messina. (Mit Tafel XVIII.)...... 369
Zur Kenntniss der Entwicklung bei den Ascomyceten Von Dr. Eduard
Biaamıs (Mi HBaseeRIX RN) nei anne anne 377
j
P )
(4 j'
j
44 j NT Ze wi j E‘ ren, RUE I er en X iS
los \ = rn Be -
E; bt zoll ET a 2;
En - 1 ze Ehen Sen, Ger a ln CUV% deu. WW K , us!
u: wu. BER RR ACER ARE Tee ine el =
Dı. \ L% une Fa wa BROT en uk al, u) HET FENG
. ( > ass GÄRRTH Bel HR anheaa aaa url
Er: a MR Hr STE
ev
.
i
Ai?
«
u -
er
[2
1
2
]
a
>
». 2
1} 7
u -
Breit
52 .
Zu
Ai
2
Beiträge zur Kenntniss der Wurzelverwachsungen.
Von
Dr. Max Franke.
Hierzu Tafel XVI. und XVIL.
1. Erst in neuerer Zeit hat man begonnen der Verwachsung von
Pflanzentheilen wissenschaftliche Aufmerksamkeit zu schenken, wäh-
rend man früher sich begnügte derartige Vorkommnisse als Curiosa
zu beschreiben, ohne ihren entwicklungsgeschichtlichen Hergang zu
studiren.
Wie auf vielen anderen Gebieten war es auch hier Göppert,
welcher durch seine 1842 zu Bonn erschienene Abhandlung: „Ueber
das sogenannte Ueberwallen von Tannenstöcken“ der Forschung ein
neues, reiches Feld eröffnete. In dieser botanisch und forstwirth-
schaftlich gleich wichtigen Arbeit unterzog Göppert die 1835 von
Reum zuerst erkannte Verwachsung der Wurzeln im Walde einer
genaueren wissenschaftlichen Untersuchung. Seitdem hat er, wie
viele diesbezügliche Mittheilungen und Abhandlungen!) beweisen,
den Gegenstand nie aus den Augen verloren. Nach ihm veröffent-
lichten Andere, so z. B. Kehrer?), Nobbe°), Rossmässler®),
1) ef. Göppert: „Ueber die Ueberwallung von Tannenstöcken.“ Bot.
Ztg. 1846 p. 505—514.
Göppert: „Wachsen Rosen auf Eichen?“ 31. Jahr.-Ber. d. Schles,
Ges. f. vaterl. Gultur 1353. p. 327.
Göppert: „Skizzen zur Kenntniss der Urwälder Schlesiens und
Böhmens.“ Nova acta Caes. Leop. Carol. Vrat. Vol. XXXIV. Dres-
den 1868.
Göppert: „Ueber innere Vorgänge bei dem Veredeln der Bäume
und Sträucher.“ Cassel 1374.
2) cf. Ed. Kehrer: „Ein seltener Baum im Odenwalde.“ In „Die Natur‘
v. Dr. O. Ule u. Dr. K. Müller. Halle 1863 Bd. XII. p. 228.
3) cf. Döbener’s: „Lehrbuch der Forstbotanik“ bearb. v. Prof. Dr. Nobbe.
Berlin 1880.
%) cf. Rossmässler: „Aus der Heimath“ 1861 p. 26.
Cohn, Beiträge zur Biologie der Pflanzen. Band II. Heft II. 2
308
Schemler') und jüngst C. F. Seidel?) einschlagende Beobach-
tungen. In knapper und übersichtlicher Form findet man auch einige
interessante Verwachsungsvorkommnisse von Maxwell T. Masters
mitgetheilt °).
Die grosse Mehrzahl der bis jetzt über Verwachsungen ange-
stellten Untersuchungen waren makroskopische und bezogen sich auf
ältere Pflanzentheile, so dass es zeitgemäss erscheinen musste, auch
mikroskopische Untersuchungen anzustellen mit gleichzeitiger Be-
rücksichtigung junger Pflanzentheile.
Hierzu veranlasste mich mein hochverehrter Lehrer, Herr Prof.
Dr. F. Cohn, welchem ich für die vielfache Unterstützung bei die-
ser im pflanzenphysiologisehen Institut der Breslauer Universität ge-
machten Arbeit meinen aufrichtigen Dank sage.
Ich habe mich auf die Untersuchung von Wurzelverwachsungen
beschränkt, da mir hierfür reichlicheres Material zu Gebote stand.
Doch war es mir nicht möglich Verwachsungen jüngster Baumwurzeln
im Walde zu finden, trotz eifrigen Suchens besonders auch in dem
an interessanten Verwachsungen so reichen Forstreviere Zobten.
Dagegen boten die Luftwurzeln von Tecoma radicans, Hedera Helix,
Hoya carnosa treflliches Material für diese Untersuchungen.
2. Nach dem Alter der sich vereinigenden Pflanzentheile lassen
sich 3 Fälle unterscheiden:
I. dieVerwachsung von Pflanzentheilen bei ihrer Anlage, congeni-
tale Verwachsung,
II. die Verwachsung von Pflanzentheilen mit entwickelungsfähiger
Epidermis,
III. die Verwachsung von Pflanzentheilen, bei denen Borkenbildung
eingetreten ist.
Nur die unter Abschnitt III fallenden Verwachsungsvorkommnisse
sind bis jetzt genauer untersucht und beschrieben worden.
Ausser dem Alter der verwachsenden Theile ist zu berücksichti-
gen: wie und warum werden Verwachsungen verursacht? erleiden
1) cf. C. L. Schemler in: „Aus der Heimath“ 1861 p. 460.
2) cf. C. F. Seidel: „Ueber Verwachsungen von Stämmen und Zweigen
von Holzgewächsen und ihren Einfluss auf das Diekenwachsthum der betref-
fenden Theile.“ In Sitz. Ber. d. naturf. Ges. „Isis“ zu Dresden Jahrg. 1879.
Juli-December p. 161—168.
3) cf. Maxwell T. Masters: „Vegetable Teratology, an account of the
prineipal deviations from the usual construction of plants.“ London 1369
p- 32—57.
309
die betreffenden Theile Veränderungen in anatomischer wie physiolo-
gischer Hinsicht? zwischen welchen Pflanzen resp. Pflanzentheilen
können Verwachsungen vorkommen?
Im Folgenden soll die Beantwortung einiger dieser Fragen gestützt
auf frühere und eigene Untersuchungen versucht werden.
I. Congenitale Wurzelverwachsung. Tecoma radicans Juss.
3. Luftwurzelbüschel. Die Bildung der adventiven Luftwurzeln
ist bei Tecoma radicans streng localisirt und beschränkt sich auf
einen kleinen Theil eines jeden Internodiums. Der glatte kletternde
Stamm ist kreisrund; doch verbreitert er sich an den Stellen, wo
sich die unpaarig gefiederten, in decussirten Quirlen stehenden
Blätter auszweigen, so dass er im Querschnitte mehr oder weniger
oval erscheint. Hier treten bei genügender Beschattung in vier Längs-
büscheln, je zwei an der Vorder- und Hinterseite, die Luftwurzeln
hervor, welche von der Blattbasis abwärts an Zahl und Grösse ab-
nehmen. Normal ausgebildet besteht jedes dieser Längsbündel aus
vier Wurzelreihen (Taf. XVI. Fig. 1), die ursprünglich mit einander
verwachsen, sich trennen, bald nachdem sie die Epidermis des Mutter-
stammes durchbrochen haben. Auch die Würzelchen einer jeden
Längsreihe sind unter sich verschmolzen und lösen sich bedeutend
später von einander als die Wurzelreihen selbst; oft bleiben einige
während ihrer ganzen Vegetationszeit mit einander verbunden. Beide,
Wurzelreihen und Würzelchen, sind vor ihrer gänzlichen Trennung
noch auf eine kurze Strecke hin durch ein dichtes Gespinnst von
Wurzelhaaren lose vereinigt. Zwischen den beiden vorderen und
hinteren Wurzeleomplexen fehlt dem Stamm jegliche Fähigkeit der-
artige Sprosse zu treiben; auch zeigt er an diesen Stellen einen ab-
weichenden anatomischen Bau (Taf. XVI. Fig. 2).
Bei kräftiger Vegetation setzen sich die Wurzelbüschel auch über
die Anheftungsstelle des Blattes hinaus in das nächst höhere Interno-
dium, freilich nur auf eine kurze Strecke hin, fort. Ebenso bemerkt man
im Querschnitt zuweilen statt vier Wurzeln deren fünf, selten mehr,
was auf eine Art falscher Dichotomie einzelner Würzelchen zurück-
zuführen ist. Wenn derartige Verzweigungen sich bei einer Anzahl
unter einander stehenden Luftwurzeln nach derselben Richtung hin
wiederholen, so beobachtet man in einem Wurzelbündel statt vier
Wurzelreihen deren fünf oder mehr.
In anderen Fällen, bei schwächerer Wurzelbildung sind nicht alle
vier Wurzelcomplexe und in ihnen nicht alle vier Wurzelreihen ent-
wickelt. An den, dem Lichte ausgesetzten Stellen bleibt häufig die
217
310
Ausbildung, der Luftwurzeln zurück, oft so sehr, dass sie sich nicht
einmal als leichte Wülste an der Oberfläche des Stammes bemerklich
machen. Die Anlagen der Wurzeln aber lassen sich unter dem
Mikroskope in den meisten Fällen erkennen: sie heben sich als
dunklere Zellkomplexe von dem umgebenden Gewebe des Mutter-
stammes ab.
Die Länge der Wurzelreihen und damit die Anzahl der Adven-
tivwurzeln ist sehr verschieden; oft kann man gegen 40 in einer
einzigen Reihe zählen, andere Male hingegen nur wenige. Zumeist
sind die beiden inneren Reihen eines Büschels länger als die äusseren.
Wie die einzelnen Wurzelreihen, so sind auch die Wurzelbündel
stets ungleichmässig entwickelt. Diejenigen werden die kräftigsten,
welche am wenigsten dem Lichte ausgesetzt sind, in den meisten
Fällen also die, welche auf der der Mauer oder dem Substrate überhaupt
anliegenden Stammseite entspringen. Die der Mauer anliegenden Wur-
zeleomplexe breiten sich später auseinander; ihre einzelnen Würzel-
chen verlängern sich bedeutend und treiben lange Wurzelhaare, ver-
möge deren sie sich fest an das Substrat anschmiegen und den klettern-
den Stamm an die Unterlage anheften.
An frei wachsenden Aesten stehen die Vorder- und Hinterseite
eines Internodiums, welehe durch gänzliches Fehlen oder doch starkes.
Zurücktreten der Holzgefässe charakterisirt sind, in der Richtung
der Blätter des nächst höheren und des nächst niederen Internodiums,
Wenn sich dagegen der Stengel an das Substrat anschmiegt, dreht
sich das nächst jüngere Internodium um 90° so um seine Axe, dass
die zweiblättrigen, alternirenden Blattwirtel scheinbar superponirt sind.
4. Anatomie des Stammes. Im Querschnitt (Taf. XVI. Fig. 3)
zeigt sich der Stamm von 7. radıcans folgendermassen zusammen-
gesetzt. In die cuticularisirte, gebräunte Epidermis sind Spaltöff-
nungen und Köpfchendrüsen mehr oder weniger tief eingesenkt.
Diese sind trichterförmig, kurz gestielt und werden aus vier oder
einem Multiplum von vier Zellen gebildet. Von oben gesehen sind
die Drüsen kreisrund; die sie zusammensetzenden, keilförmigen Zel-
len sind an der Peripherie breiter und vereinigen sich, gegen das
Centrum schmaler werdend, zu einem kurzen röhrenförmigen Stiele.
Auf das unter der Epidermis lagernde zwei- bis dreireihige,
chlorophylihaltige Hypoderm folgt ein 6—10 Zellschichten mächti-
ges Rindenparenchym. Hieran schliesst sich das nach aussen scharf
abgegrenzte Fibrovasalbündelsystem, worin die gewöhnlichen Elemente
zu unterscheiden sind: nach aussen das Phloem mit einzelnen Hart-
bastbündeln, Siebröhren und Bastparenchym; nach innen das Xylem
3ll
mit Holzparenchym, Holzfaserzellen und Holzgefässen. Zwischen
Holz und Bast liegt das Cambium.
Der Hartbast besteht aus Bündeln stark sclerenchymatisch ver-
diekter Zellen und stösst in mehr oder weniger regelmässiger An-
ordnung an das Rindenparenchym. Die Holzgefässe sind ringförmig
oder spiralig verdickt; die Spiralen sind in einigen rechts-, in an-
deren linksgewunden, in noch anderen kommen doppelte Spiral-Fasern
vor. Der Xylemring ist an zwei Stellen, der Vorder- und Hinter-
seite des Stengels, entweder ganz unterbrochen, oder doch so schwach
entwickelt, dass sich hier der Markeylinder mehr oder weniger stark
ausbauscht; dieser sendet zwischen den Holzring hindurch bis in den
Bast ein- oder zweireihige Markstrahlen, welche das ganze Gefäss-
bündelsystem eines Internodiums der Länge nach durchsetzen.
5. Endogenes Gefässbündelsystem. An der Innenseite des
normalen Gefässbündelsystems entdeckte Sanio') das Auftreten
eines secundären Zuwachsringes. Dieser fehlt nur an den Stellen,
weiche durch den Mangel oder das Zurücktreten der Xylemgefässe
characterisirt sind und, wie gesagt, den Anheftungsstellen der Blätter
des nächst höheren Internodiums entsprechen. — An der Markseite
der Bündel des einfachen Gefässbündelringes, dessen Cambium nach
aussen Bast, nach innen Holz bildet, befinden sich enge, zartwandige,
verlängerte Phloem-Zellen. Sie werden von den Gefässbündeln ge-
trennt, indem die diesen am nächsten gelegenen Zellen sich periecli-
nisch theilen; es entstehen so zwischen dem inneren Phloembündel
und dem ursprünglichen Fibrovasalbündelsystem Cambiumpartien,
welche dadurch in Verbindung treten, dass die sie trennenden Pa-
renchymzellen des Markes sich ebenfalls periclinisch theilen. Hier-
durch kommt es zur Ausbildung einer inneren, secundären Cambium-
zone, welche, an jenen beiden Stellen unterbrochen, nach aussen
Xylem mit den gewöhnlichen Elementen, nach innen Phloem und
zwar vorzüglich Weichbast, Siebröhren und Bastparenchym, entwickelt.
6. Stärkeschicht. Gegen das Rindenparenchym hin wird das
Gefässbündelsystem deutlich abgegrenzt durch eine meistens ein-, zu-
weilen zweireihige Zellschicht. Ihre Zellen sind im Längsschnitt
(Taf. XVI. Fig. 4) kürzer und schmaler als die daran stossenden
Rindenzellen und erfüllt mit verhältnissmässig grossen Stärkekörnchen.
Diese „Stärkeschicht“ (Sachs) zieht sich wellenförmig, den Hartbast-
bündeln unmittelbar aufliegend, um das Fibrovasalbündelsystem
hin und dürfte als gemeinsame Gefässbündelscheide aufzufassen
1) cf. Sanio: „Endogene Gefässbündelbildung.“ Bot. Ztg. 164, p. 228.
312
sein!). Sie hat die Form der „äusseren Gesammtschutzscheide‘
(Pfitzer), wie sie im Stamme einiger Arten von Kguisetum vorkommt ?)
z. B. bei E. Telmateja, arvense ete., so dass der von der Stärke-
schicht umgebene innere Stammtheil von T. radicans einer mehr
oder weniger regelmässig cannellirten Säule gleicht. Ihren wellen-
förmigen Verlauf verdankt die Stärkeschicht den gegen das Rinden-
parenchym vorgeschobenen Hartbastbündeln, welche kreisförmig ge-
ordnet an der Aussenseite des Gefässbündelringes stehen. Die Zellen
der Stärkeschicht stossen ohne Intercellularräume sowohl an die
Zellen des Bastes als auch an die der Rinde. Ihre Zellwände sind
weder euticularisirt noch dunkler gefärbt als diejenigen der übrigen
Rindenzellen; auch zeigen sie keine Casparischen Punkte.
Die Stärkeschicht begleitet das Fibrovasalbündelsystem auch noch
eine Strecke in seine Auszweigungen in die Blätter, verschwindet aber
allmählich und kann nie in den Blattstielen beobachtet werden, ebenso-
wenig wie in den Luftwurzeln ; dagegen ist sie inallen Aesten vorhanden.
7. Entstehung und Anatomie der Luftwurzeln. Die Ad-
ventivwurzeln entstehen in vier theilungsfähigen Längsreihen des
Cambiums, und zwar scheinen die ersten Theilungen in den äusseren
Cambiumzellen stattzufinden, während erst später auch die inneren
sich am Aufbau der Luftwurzel betheiligen (Taf. XVI. Fig. 6). Jede
dieser vier Reihen wächst eine Zeit lang durch eine gemeinsame
Scheitelkante in ihrer ganzen Länge, indem ihre Zellen eine Zeit
lang sich ohne Ordnung nach allen Richtungen hin vermehren und
zwar an der Blattbasis stärker als weiter abwärts; so dass günsti-
genfalls man an einem Stammstücke die gesammte Entwickelung der
Luftwurzeln verfolgen kann. Später treten an dieser Scheitelkante
in basifugaler Richtung (von der Ansatzstelle der Blätter gerechnet)
gesonderte Vegetationspunkte auf, die sich zu Beiwurzeln selbststän-
dig weiter entwickeln. In frühen Stadien der Entwickelung einer
1) Sachs, welcher die Stärkeschicht im Pflanzenreiche zuerst entdeckte,
identificirte sie anfangs (cf. „Ueber das Auftreten der Stärke bei der Keimung
ölhaltiger Samen.“ Bot. Ztg. 1859 No. 20 u. 21 p. 188) mit der Schutz-
scheide. In einer späteren Abhandlung („Ueber die Stoffe, welche das Ma-
terial zum Wachsthum der Zellwände liefern.“ Jahrb. für wiss. Bot. hrgb. v.
Pringsheim B. Ill. p. 194) dagegen hält er die Identifieirung von Stärke-
schicht mit einer Gefässbündel- oder Schutzscheide nicht in allen Fällen als
zulässig, Auch Dr. F. Kamienski: „Vergleichende Anatomie der Primula-
ceen.“ Halle 1878, p. 78 fand in den Stengeln einiger Primulaceen eine der-
artige Stärkeschicht, die er ebenfalls für eine Gefässbündelscheide hält.
2) cf. Pfitzer: „Ueber die Schutzscheide der deutschen Equiseten.“ Jahrb.
f. wiss, Bot. hrgb. v. Pringsheim B. VI. p. 307.
315
solehen Wurzelreihe sieht man im Querschnitte durch dieselbe einen
in lebhafter Vermehrung begriffenen Zellceomplex, worin die einzelnen
Gewebe des Wurzelscheitels sich noch nicht differenzirt haben. Später
dagegen können wir Plerom, Periblem und Dermatogen besonders
deutlich an Wurzelreihen unterscheiden, welche in Folge starker Be-
leuchtung abortirt sind (Taf. XVI. Fig. 5). Für Plerom und Pe-
riblem konnte ich im Längsschnitt durch die Wurzel je 2 Initialen
constatiren, von denen die des Periblems bald Theilungen in peri-
cliner Richtung erleiden, so dass dieses am Wurzelscheitel mehrreihig,
meist dreireihig wird. Das Plerom grenzt sich deutlich gegen das übrige
Gewebeder jungen Luftwurzelnab, welche im Bau ihres Scheitels denen
von Hoya carnosa, nach Erikson'), ähnlich sind.
Im Querschnitte zeigen die Adventivwurzeln folgende Zusammen-
setzung (Taf. XVI. Fig. 8). Die Epidermis euticeularisirt und bräunt
sich später; viele ihrer Zellen wachsen zu langen einzelligen Haaren
aus, besonders wenn die Wurzeln dem Substrate anhaften. Unter
der Epidermis liegt ein einschichtiges Hypoderm, dessen Zellen,
grösser als die der Epidermis und der Rinde, in radialer Richtung
lang gestreckt sind. Ihre seitlichen Zellwände sind antielinisch ge-
stellt. Die innerste Zellreihe des acht- bis zehnreihigen Rindenpa-
renchyms ist deutlich als Endodermis ausgebildet. Die Zellen der-
selben sind länglich, die Zellwände eutieularisirt und dunkler gefärbt
als die der übrigen Rinde, doch sind keine Casparischen Punkte
zu bemerken. Den Centraleylinder umgiebt eine ununterbrochene
rhizogene Schicht, an welche unmittelbar die vier kreuzweise ste-
henden Xylemplatten stossen. Zwischen ihnen liegen vier, ebenfalls
kreuzförmig geordnete Phloembündel, deren vier bis sechs Zellen in
zwei Reihen liegen, und deren Zellmembranen stärker glänzen als
die der umgebenden Zellen des Centraleylinders. Den übrigen Raum
desselben zwischen Phloem und Xylem nimmt Prosenchymgewebe
ein, welches im Laufe der weiteren Entwickelung eine Veränderung
erleidet; die Zellen zwischen zwei gegenüberliegenden Holzstrahlen
verdicken ihre Membranen; diese den Centraleylinder durchsetzende
Verdiekungsleiste verbreitert sich in der Mitte und erreicht endlich
die beiden anderen Holzplatten. Es gleicht nunmehr der verdickte
Theil des Centralkörpers der Luftwurzel im Querschnitt einem an
zwei Ecken stärker zugespitzten Rhombus mit eingebogenen Seiten;
in diesen Einbuchtungen liegen die Phloembündel.
1) cf. Erikson: „Ueber das Urmeristem der Dicotylenwurzel.“ Jahrb.
f. wiss, Bot. hrgb. v. Pringsheim B. XI. p. 423 u. 428.
314
8. Verwachsung der Luftwurzeln. Wir fanden, dass eine
rhizogene Längszone des Cambiums eine Zeit lang durch eine gemein-
same Scheitelkante wächst, dass aber später selbstständige Vegeta-
tionspunkte für die einzelnen Wurzeln auftreten. Hierdurch wird
bedingt, dass die Würzelchen bei ihrer Anlage am Grunde mit
einander zu einem gemeinsamen Muttergewebe verwachsen sind.
Auch nachdem sich bereits die verschiedenen Wurzelscheitel diffe-
renzirt haben, wächst die rhizogene Längszone noch eine Zeit lang
weiter. Zugleich erzeugt das Meristem jeder Wurzelspitze neue
Gewebselemente, so dass die Wurzeln sich auch in die Breite aus-
dehnen. Die Periblemschichten der Luftwurzeln sind in Folge des-
sen zu einem gemeinsamen Parenchym vereinigt, in welchem die
Pleromeylinder serial geordnet liegen. Auch die Dermatogenschich-
ten der einzelnen Wurzeln sind mit einander verwachsen, so dass sich
über alle Wurzeln derselben Reihe eine gemeinsame Haube zieht
(Taf. XVI. Fig. 7). Legt man einen Querschnitt durch eine so ver-
wachsene Wurzelreihe, so sieht man bei schwacher Vergrösserung
die dunkleren Centraleylinder umgeben von einem gemeinsamen
gleichmässigen Rindenparenchym, einem gemeinsamen Hypoderm und
einer gemeinsamen Epidermis (Taf. XVI. Fig. 9).
Niemals ist eine Verwachsung zweier Centraleylinder, sobald sich
diese in den einzelnen Wurzeln deutlich herausgebildet haben, zu
constatiren. Zwar findet man nicht selten bei der Musterung eines Quer-
schnittes durch ein Wurzelbündel, dass zwei Plerome im Begriff sind
sich von einander zu trennen; doch beruht dieser Vorgang auf einer
Pseudo-Dichotomie. Neben dem Vegetationskegel einer Wurzel tritt in
dem theilungsfähigen Gewebe der Scheitelregion einsecundärer auf. Die-
ser entwickelt sich selbstständig weiter und empfängt von der benach-
barten Schwesterwurzel Gefässbündelelemente. Eine Verletzung des
primären Vegetationspunktes, wodurch häufig bei Wurzeln derartige
Endverzweigungen eintreten, habe ich nicht beobachten können.
Machen solche Dichotomieen sich an mehreren aufeinanderfolgenden
Wurzeln derselben Reihe geltend, wie es bei energischer Wurzel-
bildung vorkommt, so beobachtet man mehr als die vier normalen
Wurzelreihen. Die Wurzeln einer secundären Reihe brauchen jedoch
nicht immer Auszweigungen der Wurzeln derselben Reihe zu sein:
es können Wurzeln der einen Reihe sich nach links, Wurzeln der
benachbarten Reihe sich nach rechts verzweigen. Diese Auszweigun-
gen werden später durch den seitlichen Druck in eine Reihe gestellt.
Die Art der Verwachsung der Wurzeln derselben Reihe bei 7.
radicans ist nicht zu identifieiren mit der Entstehung der sogenann-
315
ten einblättrigen Blumenkronen. Hier werden in den meisten Fällen
nach der jetzt allgemein herrschenden Ansicht die Petalen und die
ihnen superponirten Stamina am Blüthenboden gesondert angelegt,
auch wenn sie später, mit vereinter Basis sich nachschiebend, am
Grunde verwachsen sind; die primären Anlagen der Blätter sind daher
gesondert. Bei 7. radıcans dagegen differenziren sich die einzelnen
Wurzelscheitel später aus dem ursprünglich gemeinsamen rhizogenen
Meristem. Ein Analogon dagegen findet die congenitale Wurzelverwach-
sung in der Entwickelung der Blätter der Equiseten; auch hier
wächst bekanntlich anfangs eine Ringzone gemeinsam, später treten
in ihr Vegetationspunkte auf, die sich zu Blattzähnen entwickeln').
Neben der congenitalen Verwachsung der Luftwurzeln derselben
Reihe beobachtet man bei T. radicans die von jener zu unterschei-
dende Vereinigung der Wurzeln benachbarter Reihen.
Zwischen je zwei dieser Reihen liegen in allen Fällen Hartbast-
bündel, welche ganz besonders zur Trennung der einzelnen Wurzel-
reihen beitragen. Bei dem energischen Wachsthum der rhizogenen
Schichten und später der einzelnen Wurzeln schieben sich die Wur-
zelreihen zwischen den Hartbastbündeln durch, diese in die Länge
ziehend (Taf. XVI. Fig. 10). Das Meristem des Wurzelscheitels
liefert neue Rinden- und Haubenschichten, welche die Hartbastbün-
del immer mehr zusammendrücken, so dass diese zerreissen und nun
der Vereinigung des Periblems und des Dermatogens der Wurzeln
der einen Reihe mit den entsprechenden Geweben der Wurzeln der
benachbarten Reihe keinen Widerstand mehr entgegensetzen. Wie
bei den Wurzeln derselben Reihe, so bilden auch hier die Hauben-
schichten in Folge späterer Vereinigung ein sich über alle Wurzeln
fortsetzendes, schützendes Gewebe. Auch die Rindenschichten sind
am Scheitel vereinigt, dagegen ist die Trennungslinie zwischen den
einzelnen Reihen schon früh an den langgezogenen Hartbastbündeln
zu erkennen.
Während die Wurzeln derselben Reihe von Anbeginn ihrer Ent-
stehung mit einander verwachsen sind, vereinigen sich die Wurzeln
benachbarter Reihen erst nachträglich, doch schon innerhalb des
Stammes. Die Verwachsung der Wurzeln derselben Reihe ist inni-
ger, d. h. erstreckt sich auf mehr Schichten der Rinde als die bei
Wurzeln verschiedener Reihen. In Folge dessen lösen sich denn
1) cf. auch Warming und Lad. Celakovsky: „Ueber die Blüthen-
wickel der Boragineen.“ Flora Jahrg. 63. 1830 No. 23, p. 564 u. 365.
Reinke: „Lehrbuch der allgemeinen Botanik.“ Berlin 1880 p. 144.
316
auch zuerst die einzelnen Reihen von einander, dann die Wurzeln
derselben Reihe.
Fehlt, wie es zuweilen vorkommt, zwischen zwei Wurzelreihen
das Hartbastbündel, so kann die Verwachsung jener schon sehr früh
eintreten und sehr innig werden, ich glaube sogar, dass in diesem
Falle congenitale Verwachsung solcher benachbarter Wurzelreihen
stattfinden kann. Auf einem Querschnitte durch den Tecomastamm
an der Stätte der Luftwurzelbildung beobachtet man zuweilen einen
in lebhafter Theilung begriffenen Zellcomplex, worin sich noch nicht
verschiedene Wurzelscheitel differenzirt haben, trotzdem sie später
auftreten, wie sich aus dem Vergleiche mit Querschnitten aus höhe-
ren Regionen deutlich ergiebt. — Jedenfalls sind innerhalb des
Mutterstammes und noch etwa bis auf 0,5 mm. ausserhalb desselben
sämmtliche Wurzeln eines Bündels mit einander verwachsen, theils
in Folge congenitaler, theils durch nachträgliche Vereinigung. Der
Querschnitt durch eine solche Region des Wurzelbüschels zeigt ein
gleichartiges Grundgewebe mit gemeinsamer Epidermis und gemein-
samem Hypoderm. Die Centraleylinder liegen zerstreut in dem
Grundgewebe, so dass das Bild einem Querschnitte durch einen
Monocotylenstamm vergleichbar wäre, wenn die Centraleylinder nicht
eine seriale Anordnung in vier Reihen erkennen liessen.
Ausser der Vereinigung der Beiwurzeln unter einander beobachtet
man bei ihrem Hervorsprossen die Verwachsung der adventiven Wur-
zeln mit dem theilungsfähigen Gewebe des Mutterstammes. Diese
Erscheinung ist jüngst durch H. Vonhöhm!) als bei derartigen
Vegetationsverhältnissen allgemein gültig gefunden und beschrieben
worden. Die Verschmelzung der jungen Wurzel mit dem Gewebe
des Mutterstammes kann eine so innige sein, dass in einer gewissen
Region eine deutliche Grenze zwischen beiden nicht zu erkennen ist.
Das zwischen zweien solcher Reihen liegende Cambium und Phloem
des Tecomastammes bildet, sich weiter theilend, ein interradieuläres,
die Vereinigung benachbarter Wurzelreihen begünstigendes Gewebe.
Dieses stammeigene Zwischenparenchym verbindet die Reihen am
Grunde und lässt hier keine Trennungslinie beobachten, welche, wie
eben gesagt, in einer höheren Region durch die langgezogenen
Hartbastbündel gekennzeichnet ist.
Wir hätten somit festgestellt, in welchem Alter und auf welche
Weise die Verwachsung der Luftwurzeln bei 7. radicans vor sich
1) ef. H. Vonhöhm: „Hervorbrechen endogener Organe aus dem Mutter-
körper.“ Flora Jahrg LXIII. 1880. No. 15—17.
317
geht. Die Wurzeln vereinigen sich in Folge von Mangel an Raum,
was wiederum bedingt wird durch ihre massenhafte, eng bei einander
erfolgende Entwickelung. Die Vereinigung ist eine unvollkommene
d. i. Rindenverwachsung, woraus sich die im Ganzen und Grossen
gleichartige Ausbildung der einzelnen Wurzeln erklärt.
Innerhalb des Stammes und etwa noch bis auf 0,5 mm. ausser-
halb desselben sind die Wurzeln eines Bündels sammt und sonders
mit einander verwachsen. Bald aber, nachdem sie die Rinde des Sten-
gels durchbrochen und im Freien genügenden Raum zur Entwickelung
erlangt haben, beginnen sie sich von einander zu trennen. Die ein-
zelnen Wurzeln, besonders die der Mauer anliegenden, wachsen dann
sehr in die Länge (sie werden 2 cm. lang, zuweilen noch län-
ger), wobei sie sich wieder nähern können und neben einander hin-
wachsen. Es ist mir jedoch nicht gelungen eine Verwachsung zweier
Wurzeln in diesem Alter zu beobachten, trotzdem sie keineswegs
unwahrscheinlich ist. Sie müsste sich in derselben Weise vollziehen,
wie die ausserhalb des Stammes stattfindende Vereinigung der Luft-
wurzeln von Hedera und Hoya (siehe unten).
9. Trennung der Luftwurzeln. Unter normalen Verhältnissen
beginnt die Trennung der Beiwurzeln mit der Trennung der einzel-
nen Reihen von einander. Wenn, wie es zuweilen geschieht, zwischen
den Wurzelreihen keine trennenden Hartbastbündel vorhanden sind,
die Verwachsung in Folge dessen eine innige ist, kann die Vereini-
gung von Wurzeln benachbarter Reihen länger dauern als die von
Wurzeln derselben Reihe. Ich beschränke mich jedoch auf die nor-
malen Fälle. Die Trennung der Wurzelreihen geschieht naturgemäss
von aussen nach innen: die beiden äusseren Wurzelreihen, indem
sie nach rechts und links auseinander weichen, trennen sich zuerst
von den beiden mittleren, welche längere Zeit mit einander ver-
einigt bleiben. In gleicher Direstion geht die Trennung der Wurzeln
derselben Reihe vor sich, von aussen nach innen d. i. von oben
und unten nach der Mitte zu. Im Vergleich zu der Loslösung der
einzelnen Reihen von einander ist hier der Vorgang ein verhältniss-
mässig langsamer wegen des geringeren Raumes zur Ausbreitung
und damit des stärkeren gegenseitigen Druckes, wodurch die Wurzeln
derselben Reihe länger vereinigt bleiben als die einzelnen Wurzel-
reihen. Oft sind sogar während ihrer ganzen Vegetationszeit, die
in unseren Gärten freilich nur auf ein Paar Monate beschränkt ist,
mehrere Wurzeln mit einander auch ausserhalb des Stammes ver-
wachsen.
Einen genaueren Einblick in diesen Vorgang erhalten wir durch
318
die mikroskopische Untersuchung (Taf. XVI. Fig. 11). Während an
der Spitze der einzelnen Wurzeln das Wachsthum durch Zellvermehrung
am Vegetationspunkte energisch fortschreitet, erlischt es nach der
Basis zu allmählich, um endlich ganz aufzuhören. Die nicht mehr
theilungsfähigen Zellpartien in der Nähe der Wurzelbasis erleiden
eine bedeutende Streckung in die Länge, während ihr Diekenwachsthum
verhältnissmässig zurückbleibt. Schliesslich entsteht zwischen je
zwei Wurzeln ein Riss durch das verbindende Rindengewebe. Auch
diese Risse schreiten von aussen nach innen vor. Die entblössten
Zellen sterben ab, ihre Membranen bräunen sich. Zugleich aber
machen sich in einigen darunter liegenden Zellschichten des Rinden-
parenchyms Theilungen in tangentialer Richtung geltend, wodurch
dem weiter fortschreitenden Absterben der äussersten Zellen ein
Ziel gesetzt wird. Eine Zellschicht an jeder Wurzel bildet sich
zur Epidermis aus, deren äussere Membranen cuticularisiren. Die
darunter liegende Schicht wird Hypoderm. Ihre Zellen strecken sich
in radialer Richtung und ihre seitlichen ‚Scheidewände stellen sich
anticlinisch. Einzelne Epidermiszellen endlich wachsen zu einzelligen
Wurzelhaaren aus, welche im Verein mit denen der benachbarten
Wurzeln ein die Wurzeln auch noch nach ihrer eigentlichen Trennung
verbindendes Geflecht bilden.
II. Verwachsung von Wurzeln mit entwickelungsfähiger
Epidermis. A. Hedera Helix Z.
10. Anatomie des Stammes. Was die anatomischen Verhält-
nisse des Stammes von Hedera Helix anbetrifit, so mögen hier
nur die beiden Systeme harzführender Intercellulargänge erwähnt
werden. Von aussen nach innen vorschreitend treffen wir zunächst
auf die im Rindenparenchym befindlichen Harzgänge, welche in regel-
mässiger Anordnung über dem Gefässbündelringe stehen. Die jeden
Gang umgrenzenden Zellen können sich in tangentialer Richtung thei-
len und so eine doppelte Epitelialschicht um jenen bilden'). Das
andere System von Intercellulargängen beobachtete Tr&cul?) im
Markparenchym. Die Zahl dieser Intercellulargänge ist geringer als
die der Saftgänge in der Rinde, doch ist ihre Anordnung ebenfalls
kreisförmig und zwar so, dass einem inneren Gange ein äusserer
ı) ct. Sachs: „Lehrbuch der Botanik.“ Leipzig 1874. Fig. 66 p. 79.
2) cf. M. A. Treeul: „Des vaissaux propres dans les Araliacdes.“ An.
d. sc. nat. Bot. Ser. V. T. VII, p. 60.
319
im Parenchym der Rinde gegenüberliegt. Holz- und Bastkörper zei-
gen die gewöhnlichen, characteristischen Elemente.
11. Entstehung und Anatomie der Luftwurzeln. Die Bei-
wurzeln entstehen, wie Regel') beobachtete und beschrieb, aus dem
Cambium an der Seite eines Fibrovasalstranges (Taf. XVII. Fig. 13).
Die Anatomie der Luftwurzeln wurde von van Tieghem?)
näher studirt (Taf. XVII. Fig. 12). Das Rindenparenchym der Luft-
wurzeln, deren Epidermiszellen häufig zu langen Haaren auswachsen,
besteht aus mehreren Zellreihen, deren Zellen bei stärkerer Ver-
grösserung fünf bis sechsseitige Intercellularräume zwischen sich
lassen. Ausserdem finden sich zerstreut kleinere cubische Zellen,
welche meist eine morgensternartige Druse von Krystallen oxalsau-
ren Kalkes einschliessen. Derartige Krystalldrusen kommen auch in
der Rinde und dem Bastparenchym des Muütterstammes vor. Die
innerste Schicht des Rindenparenchyms der Wurzel bildet die En-
dodermis, deren Zellmembranen stark ceutieularisirt und gebräunt sind.
Der Centraleylinder beginnt mit einer rhizogenen Schicht und ent-
hält die in die Ecken eines Pentagons gestellten fünf Xylemplatten und
zwischen diesen, in den Mitten der Pentagonseiten die fünf Phloem-
bündel. Erstere werden von drei bis vier engen, radial gestellten
Gefässen zusammengesetzt, letztere bilden eine runde Gruppe von
fünf bis sechs weiteren Zellen. Diese stehen in zwei Reihen, haben
dünnere, doch glänzendere Membranen als die umgebenden Zellen
und einen trüben Inhalt. Nach dem Centrum hin sind die Gefässe
verbunden durch ein Gewebe pentagonaler Zellen, welche im Laufe
der Zeit ihre Wände stark verdicken, so dass der Centraleylinder
einem fünfseitigen Prisma mit eingebogenen Seitenflächen und vor-
springenden Kanten, gebildet durch die Xylemplatten, gleicht. Auf
den Seiten des Pentagons wird die rhizogene Schicht aus einer Reihe
gewöhnlicher Zellen gebildet, doch an den Ecken, gegenüber den
Holzstrahlen, ist sie durchbrochen. An diesen Stellen befindet sich
je ein saftführender Gang, welcher von vier grösseren Zellen be-
grenzt wird.
Diese Beschreibung modifieirt sich für eine Anzahl Luftwurzeln
des Epheus. Die Zahl der Holzstrahlen sowohl als auch die der
Bastbündel und die der Oelgänge ist nicht so constant, wie van Tieg-
!) ef. Fr. Regel: „Die Vermehrung der Begoniaceen aus ihren Blättern
entwickelungsgeschichtlich verfolgt.“ Jen. Zeitschrift f. Med. u. Naturw. 1876.
B. X. p. 489.
2) ef. Ph. van Tieghem: Recherches sur la Symetrie de Structure des
Plantes vaseulaires.“ An. d. sc. nat. Bot. S. V. T. XIII. p. 231 u, 243.
320
hem beschreibt; man hat häufig Gelegenheit, auch vier, sechs, sogar
sieben Xylemstrahlen und entsprechend so viele Phloembündel und
Intercellulargänge zu beobachten. In einigen Fällen sind diese Gänge
nicht von vier, sondern von fünf Zellen umgrenzt. Die im Quer-
schnitte mehr oder weniger isodiametrischen Zellen des die Holz-
strahlen verbindenden Gewebes stellen sich im Längsschnitt als
prosenchymatischa an den Enden zugespitzte Faserzellen dar.
Sie verdiecken, wie die entsprechenden Zellen der Luftwurzeln von
Tecoma, ihre Wände sclerenchymatisch. Die Verdiekung ist tüpfel-
artig durchbrochen, so dass die Zellen dieses inneren Gewebes durch-
aus den Bastfasern gleichen und wohl als Aequivalent des Hartbastes
gelten können. Die Sclerenchymmassen in den Luftwurzeln des
Epheus bilden eine canellirte Säule mit vier bis sieben Riefen und
ebenso vielen Rillen. An die Riefen stossen unmittelbar die Xylem-
platten jene zuspitzend, in den Rillen liegen die primären Bastbündel.
Das Wachsthum der Wurzelspitze fällt unter den von Erikson!)
aufgestellten zweiten Typus, wonach am Vegetationskegel nur zwei
von einander deutlich geschiedene Gewebe zu erkennen sind: Plerom
und ein für Rinde und Haube gemeinsames Muttergewebe. Es sei
hier übrigens erwähnt, dass die von Erikson und früher von
v. Janezewski?) aufgestellten Typen für das Wachsthum der
Dicotylenwurzeln von Flahault?) verworfen und auf einen gemein-
samen, für alle Dieotylenwurzeln geltenden zurückgeführt werden.
Die adventiven Wurzeln entwickeln sich nur auf der vom Lichte
abgewendeten Stengelseite ohne Ordnung und Localisation und wer-
den erst in Folge mangelhafter Beleuchtung angelegt. Jede Sten-
gelseite ist unbeleuchtet befähigt, Beiwurzeln zu treiben, welche bis
4 cm. lang werden können.
12. Verwachsung der Luftwurzeln. Wenn im Laufe ihrer
Entwickelung Epheuluftwurzeln sich begegnen, so wachsen an den
einander genäherten Stellen viele Epidermiszellen derselben zu mehr
oder minder langen Papillen aus (Taf. XVII. Fig. 14). Diese tref-
fen später von entgegengesetzten Seiten zusammen, platten sich ab
und verwachsen mit einander, wobei ihre Zellmembranen durch eine
Art Intercellularsubstanz verkittet werden. Zugleich treten in bei-
den, in Verbindung getretenen Epidermiszellen mehr oder weniger
I) ef. Erikson |. c. p. 414.
2) cf. v. Janezewski: „Recherches sur l’accroissement terminal des ra-
cines dans les Phanerogames.“ An. d. sc. nat. Bot. S. V.T. XX.p. 162—201.
3) cf. Flahault: „Recherches sur laccroissement terminal des racines
chez les Phanerogames.“ An. d. sc. nat. Bot. S. VI. T. VI.
321
regelmässige tangentiale und radiale Scheidewände auf, woraus ein
verbindendes pseudoparenchymatisches Gewebe hervorgeht, welches
in den meisten Fällen nur wenige Schichten hat. Auch die an den
Berührungsstellen liegenden Zellen der Wurzelrinde erleiden Thei-
lungen vorzüglich durch Perielinen (Taf. XVII. Fig. 15). Die äus-
seren Zellreihen des verbindenden Scheinparenchyms_ differenziren
sich später zur Epidermis und treten mit den Epidermen der in Ver-
wachsung begriffenen Wurzeln in unmittelbare Verbindung, so dass
eine gemeinsame Oberhaut die vereinigten Theile umgiebt. Der hier
geschilderte Verwachsungsprocess ist ähnlich der Verschmelzung des
Sporogons von Anthoceros mit dem Thallus; hier wachsen die
oberflächlichen Zellen des Fusses in Papillen aus; dieser grösseren
oder geringeren Zahl von Papillen wächst in gleicher Weise das
Gewebe des Archegoniumbauches entgegen '!); die Papillen beider
stossen auf einander, platten sich ab und verwachsen zu einem
Scheinparenchym.
In feuchter Atmosphäre, wo sich der Epheu durch besonders
starke Luftwurzelentwickelung auszeichnet, verwachsen viele Bei-
wurzeln mit einander zu weissen, bartförmigen Massen. Im Quer-
schnitt bietet ein solcher Wurzelklumpen ein ähnliches Bild wie der
Querschnitt durch die Wurzelbündel von Zecoma, wenn die Trennung
der einzelnen Luftwurzeln in ihnen noch nicht eingetreten ist. Doch
mangelt bei Hedera dem Bilde die Regelmässigkeit der Anordnung
der Centraleylinder und die Gleichmässigkeit des gemeinsamen Rin-
dengewebes.
Die von den Verwachsungsflächen entfernteren Epidermiszellen
wachsen in lange, einzellige Wurzelhaare aus, welche sich vielfach
über die Schnittfläche des Präparates legen und die Deutlichkeit des-
selben häufig beeinträchtigen. Bei zahlreicher Entwickelung von
Luftwurzeln kann man zuweilen, doch nur selten, schon innerhalb
des Stammes die Vereinigung von Luftwurzeln mit ihrem Rinden-
parenchym beobachten. Zur Differenzirung eines gemeinsamen Der-
matogens und Periblems an den Wurzelscheiteln kommt es hingegen
nicht, ebenso konnte congenitale Verwachsung nicht constatirt werden:
Die Wurzelanlagen sind getrennt, die Vereinigung erfolgt erst ausser-
halb des Stammes und ist nur eine Rindenverwachsung.
Auch bei Hedera Helix verwächst die hervorbrechende Luftwurzel
mit dem umgebenden, theilungsfähigen Gewebe des Mutterstammes.
1) cf. Leitgeb: „Untersuchungen über die Lebermoose.“ V. Heft „Die
Anthoceroteen.“ Graz 1879. p. 23.
322
B. Hoya carnosa. R. Br.
13. Anatomie des Stammes. Im Querschnitte zeigt der
kletternde Stengel der Wachsblume folgende Zusammensetzung. Die
Zellen der Epidermis, deren Cuticula reichliche Wachseinlagerung
zeigt, sind verhältnissmässig klein und kurz. Auf die Epidermis
folgt das etwa zehnschichtige, chlorophylihaltige Rindenparenchym,
dessen Zellen Intercellularräume zwischen sich lassen. Einzelne Zel-
len der innersten Reihen sind durch Krystalle oder morgensternartige
Krystalldrusen von oxalsaurem Kalke ausgezeichnet. Das Leitsystem
wird umgeben von einer meist einreihigen, gemeinsamen Stärkeschicht
(Taf. XVII, Fig. 16), wie sie auch bei Tecoma beobachtet werden
konnte. Die Zellen dieser ebenfalls als eine gemeinsame Schutz-
scheide zu betrachtenden Schicht sind im Längsschnitt (Taf. XVII.
Fig. 18) nur wenig kürzer als die länglich parenchymatischen der
übrigen Rinde. Die anfangs dünnen Membranen ihrer Zellen erfah-
ren später eine starke Verdiekung, welche nur an wenigen Zellen
ausbleibt und durch zahlreiche Tüpfel durchbrochen ist. Mit Zu-
nehmen der Verdickung verringern sich die Stärkekörnchen in den
Zellen.
Unmittelbar unter der Schutzscheide folgt Bastparenchym, von
welchem einzelne Zellen Krystalldrusen von oxalsaurem Kalke ent-
halten. In dem Bastparenchym zerstreut liegen im Kreise gestellt
unter der Gefässbündelscheide die Hartbastbündel, welche aus ge-
tüpfelten Scelerenchymfasern zusammengesetzt sind. Der Weichbast
unmittelbar über dem Cambiumringe enthält dünne Siebröhren. Auf
das Cambium folgt der Holzring. Das Holz wird der Hauptsache
nach aus Holzparenchym und getüpfelten Tracheiden gebildet. Das
Holzparenchym macht den Eindruck, als ob es durch vielfache Quer-
scheidewände aus langen prosenchymatischen Zellen hervorgegangen
sei (Sanio’s Fächerzellen). Gefässe kommen in dem äusseren Theile
des Holzringes sehr vereinzelt vor, so dass man oft in einem gan-
zen Gesichtsfelde kein einziges antrifit. Dagegen finden sich regel-
mässig Spiralgefässe an der dem Marke zugekehrten Seite des Holz-
eylinders.
An der Innenseite des letzteren treten schwache, im Kreise ste-
hende Cambiumbündel auf, dessen nach aussen gebildetes Xylem
sich an das des äusseren Holzringes anlegt, während nach innen,
dem Marke zu, Weichbast erzeugt wird.
Der Markeylinder wird gebildet aus nahezu isodiametrischen Zel-
len. Gruppen dieser Zellen verdicken später ihre Membranen sehr
stark; die Verdiekungen sind durch zahlreiche Tüpfel unterbrochen.
323
Endlich sind die von David!) beschriebenen, zahlreichen ver-
zweigten Milchzellen zu erwähnen, deren Hauptstämme auch in das
Mark hinein bei den inneren Bastbündeln vorbei Auszweigungen
entsenden.
14. Entstehung und Anatomie der Luftwurzeln. Luftwur-
zeln können sich an jeder vom Lichte abgewendeten Seite des Stam-
mes ohne Ordnung entwickeln. Sie haben ihren Ursprung im Cam-
bium desselben und wurden zuerst von Fockens?) untersucht und
beschrieben. Unter der Epidermis (Taf. XVII. Fig. 17), deren Zel-
len häufig zu Wurzelhaaren auswachsen, folgt ein einreihiges Hypo-
derm. Die Zellen desselben sind verhältnissmässig gross, im Längs-
schnitt kurz und in radialer Richtung gestreckt. Ihre äusseren Membra-
nen zeigen eine stärkere Verdickung und dunklere Färbung. Dieses
von Fockens als „Rudiment einer Wurzelhülle“ bezeichnete Hypo-
derm umgiebt das acht- bis zehnschichtige Rindenparenchym, dessen
innerste Zellreihe deutlich zur Endodermis entwickelt ist. Einzelne
Rindenzellen enthalten Krystalldrusen von gleicher Zusammensetzung,
wie sie in der Rinde und dem Baste des Stengels vorkommen. Ausser-
dem befinden sich inmitten der Wurzelrinde Gruppen stark verdick-
ter Zellen, deren Lumen oft sehr klein ist, und deren Verdickungen
von wenigen Tüpfeln durchbrochen sind. Zuweilen liegen diese
mehr oder weniger runden Steinzellen auch vereinzelt. Die Endo-
dermis umgiebt den mit einer rhizogenen Schicht beginnenden Cen-
traleylinder. In diesem liegen zwei bis fünf (nicht wie Fockens
beschreibt stets drei) Xylemplatten, welche in eine Art von Stern
gestellt sind und Treppen-, Spiral- und Ringgefässe in der gewöhnlichen
Anordnung enthalten. Zwischen ihnen liegen die Weichbastbündel,
deren Zahl derjenigen der Xylemstrahlen entspricht. Das die Xylem-
platten verbindende Füllgewebe, welches aus prosenchymatischen
Zellen besteht, erleidet beim Aelterwerden der Wurzel ebenfalls eine
Strueturveränderung. Vom Xylem aus verdicken sich die Membranen
dieses Gewebes stark, so dass ein zwei- bis fünfkantiges, aus prosen-
chymatischen Scelerenchymfasern zusammengesetztes Prisma resultirt.
Später, indem die Verdickung der Zellen des Centraleylinders fort-
schreitet, geht die im Querschnitte mehr oder weniger deutliche
Sternform in eine länglich ovale über.
1) cf. David: „Ueber Milchzellen der Euphorbiaceen, Moreen, Apocineen,
Asclepiadeen.“ Breslau 1872.
2) Fockens: „Ueber die Luftwurzeln der Gewächse.“ In. Diss. m. 4 Taf.
Göttingen 1857 p. 63. 71.
Cohn, Beiträge zur Biologie der Pflanzen. Band IH. Heft II. 2)
324
Im Querschnitte sind die Holzgefässe wenig von den Sclerenchym-
fasern zu unterscheiden, dagegen tritt der Weichbast durch seine
stark glänzenden Zellmembranen deutlich hervor. Das Scheitel-
wachsthum der Luftwurzeln bildet nach Erikson') den Uebergang
von Typus I. zu II., da Rinde und Haube nur undeutlich von ein-
ander zu unterscheiden sind.
15. Verwachsung der Luftwurzeln. Die Verwachsung der
Luftwurzeln erfolgt in derselben Weise, wie oben bei denen des
Epheus beschrieben wurde (Taf. XVII. Fig. 19). Nähern sich zwei
Beiwurzeln, so wachsen ihre Epidermiszellen in Papillen aus, in den
meisten Fällen sehr regelmässig. Sie stossen endlich von entgegen-
gesetzten Seiten aus auf einander, platten sich eckig ab und ver-
wachsen mit einander. Das so entstandene, verbindende Scheinpa-
renchym wird aus radial gestreckten Zellen gebildet und besteht in
vielen Fällen nur aus den zwei Reihen mit einander verwachsener
Epidermiszellen, da nur sehr vereinzelt sich Theilungen durch Peri-
clinen und Anticlinen geltend machen. Die von der Berührungsstelle
entfernteren Epidermiszellen wachsen auch bei Hoya zu Wurzelhaa-
ren aus, doch sind diese meist kürzer und verwirren nicht den
Schnitt, wie es bei den Epheuwurzeln häufig der Fall ist.
Die Vereinigung der Adventivwurzeln der Wachsblume ist loser
als bei denen von Tecoma und Hedera; nie konnte ich an dem Ver-
bindungsgewebe die Differenzirung einer besonderen Epidermis beob-
achten wie bei den klumpenförmigen Verwachsungen der Epheuluft-
wurzeln.. Auch hier ist die Vereinigung der jungen Wurzel mit dem
umgebenden, theilungsfähigen Gewebe des Stammes stets zu consta-
tiren. Während die Wurzel hervorbricht, drängt sie die Hartbast-
bündel und die Rindenschichten zur Seite, vereinigt sich aber innig
mit dem Bastparenchym, so dass hier keine Grenze zwischen Stamm
und Wurzel zu erkennen ist.
Die Verwachsung der Luftwurzeln von Hedera und Hoya ist wie
die bei Tecoma nur eine Rindenverwachsung; eine eingreifende Ver-
änderung der betreffenden Theile ist daher auch hier nicht zu beob-
achten. Die Verwachsung wird meist dadurch veranlasst, dass die
Beiwurzeln zu geringen Raum zur selbstständigen Entwickelung
haben und dass an den Contactflächen durch den gegenseitigen Druck
ein Wachsthumsreiz auf beide Theile ausgeübt wird. Dieser ist
jedoch gering und führt nur zu einer sehr oberflächlichen Vereini-
gung durch ein schwaches Zwischengewebe ohne differenzirte Epider-
1) cf. Erikson |. ce. p. 423. Fig. 9.
325
mis (wie bei Hoya carnosa) oder zu einer innigen Verwachsung,
wobei das Verbindungsgewebe eine besondere Epidermis differenzi-
ren kann, welche sich mit der Epidermis der im Verwachsungspro-
cesse begriffenen Theile vereinigt (die bartförmigen Vereinigungs-
massen von Hedera Helix zeigen dies) oder endlich es sind die Luft-
wurzeln von Anfang an von einem gemeinsamen Dermatogen und
damit von einem gemeinsamen Rindenparenchym umgeben (wie bei
der Verwachsung der Luftwurzeln von Tecoma radicans).
III. Verwachsung von Wurzeln, bei denen Borkenbildung
eingetreten ist.
16. Zwei Hauptgründe, dass eine Vereinigung der Luftwurzeln
von Tecoma radicans, Hedera Helix und Hoya carnosa bis zum
Centraleylinder nicht eintritt, sind, glaube ich, die kurze Vegetations-
zeit und das geringe Dickenwachsthum der Beiwurzeln. Beide Be-
dingungen sind im Gegensatz zu den oben besprochenen Fällen bei
dem Zusammentreffen älterer Pflanzentheile gegeben, welche stärkeres
Dickenwachsthum besitzen,
Auch hier habe ich mich auf die Verwachsung von Wurzeln be-
schränkt; doch ist wohl anzunehmen, dass die Vereinigung von Stäm-
men oder Aesten in keiner von der der Wurzeln verschiedenen Art
vor sich geht. Meine Versuche, den fortschreitenden Hergang einer
Verwachsung direct zu verfolgen, schlugen fehl. Diesbezügliche Versuche
stellte ich an Zweigen von Frcus scandens in den Treibhäusern des
Herrn Obergärtner Schütz hierselbst an, welcher mir dabei vielfache
Hülfe leistete. Zweige, theils mit verletzter Rinde, theils bis auf
das Holz bloss gelegt, theils unversehrt wurden zusammengebunden;
doch nirgends und zu keiner Zeit, sogar nachdem sie an zwei Monate
vereinigt geblieben, war Callusbildung eingetreten: die blossgelegten
Gewebeschichten waren unter Austritt gummi- und harzartiger Stoffe
abgestorben.
Ich erwähnte bereits, dass es mir nicht gelungen sei, beginnende
Verwachsungen jüngster Wurzeln im Walde zu finden. Es scheint mir
nicht wahrscheinlich, dass junge Wurzeln mit noch entwickelungs-
fähiger Epidermis mit älteren Wurzeln, bei denen bereits Borken-
bildung eingetreten ist, verwachsen. Begegnen sich zwei Wurzeln
so verschiedenen Alters, so legt sich die junge Wurzel einfach an
die Borke der alten an, obne irgend welchen Einfluss auf die Ent-
wickelung dieser auszuüben, bis sie nach einer Anzahl von Jahren
durch Dickenwachsthum genügend erstarkt ist, um gegen die Ein-
wirkung der älteren Wurzel reagiren zu können, indem auch sie
22*
326
nun die Verdrängung der abgestorbenen Borke an der Berührungs-
stelle befördern hilft. Erst nachdem dieses geschehen, ist eine Ver-
wachsung beider möglich.
Die von mir angestellten Beobachtungen und Untersuchungen
ergaben in Bestätigung und theilweiser Ergänzung der früheren vor-
züglich durch Göppert und neuerdings auch durch Seidel festge-
stellten Ansichten, dass drei Umstände zusammenwirken müssen, um
eine Vereinigung von Pflanzentheilen zu ermöglichen: erstens gegen-
seitiger Druck'), zweitens die Natur der Pflanzen (nur Individuen
derselben Art können mit einander verwachsen) und drittens die Be-
schaffenheit der auf einander treffenden Gewebe. Keineswegs alle
Gewebe einer Pflanze haben die Fähigkeit zu verwachsen, sondern
nur diejenigen, deren Zellen theilungsfähig sind. So können Rin-
denparenchym, Weichbast und Cambium, nie aber Hartbast und Holz
sich vereinigen. Ebenso können junge, theilungsfähige Gewebe sich
nicht mit abgestorbenen oder theilungsunfähigen vereinigen.
17. Zur mikroskopischen Untersuchung von Verwachsungen wählte
ich die Wurzeln von Fagus sylvatica. Während die ersten Erschei-
nungen des Vereinigungsprocesses dieselben sind, wie sie Göppert an
Coniferenwurzeln beschrieb, modifieirt sich die Verwachsung der Holz-
körper, welche nicht ohne weiteres in Verbindung treten. Begegnen
sich zwei Buchenwurzeln, so üben sie in Folge ihres Diekenwachs-
thums einen gegenseitigen Druck auf einander aus. Hierdurch werden
Theile der Borke, Rinde und des Bastes nach aussen gedrückt, wobei
eine vorübergehende Vereinigung der Rindengewebe sehr wohl ein-
treten kann. Nicht alle Borken- und Rindenpartien jedoch werden
nach aussen gedrängt, ein Theil bleibt an der Contactfläche einge-
schlossen und trennt die innern Holzkörper von einander. Die Ver-
wachsung dieser wird durch das Markstrahleambium vermittelt;
denn die theilungsunfähigen älteren Holzgewebe selbst sind auch
nicht vereinigungsfähig. Während die an der Berührungsfläche ein-
geschlossenen Holzeambiumlagen ihre Thätigkeit bald einstellen, brei-
ten sich die Markstrahlen, welche vielfache Ablenkungen in ihrer
ursprünglichen Richtung erleiden, an den Contactflächen fächerförmig
aus und bilden ein intermediäres, theilungs- und verwachsungsfähiges
Gewebe. Dieses theilt sich nach allen Richtungen hin und drückt die
eingeschlossenen braunen, inselartige Partien bildenden Rinden- uud
Borkenstücke mehr und mehr zusammen. Stossen die Markstrahlge-
1) Gegenseitige Reibung ist wohl nur als ein vom Drucke bedingtes Moment
anzusehen, welches freilich fördernd in den Vereinigungsprocess eingreift.
webe beider Wurzeln aufeinander, so vereinigen sie sich und ver-
binden somit die Holzkörper der Wurzeln. Vielleicht übt das Mark-
strahlencambium einen auflösenden Einfluss auf die eingeschlossenen
Gewebe aus, so dass diese von jenem resorbirt werden, und der
trennende Zwischenraum im Innern der beiden in Verwachsung be-
griffenen Wurzeln endlich ganz von dem verbindenden, intermediären
Markstrahlengewebe ausgefüllt wird. Schliesslich stossen auch die
Cambiumringe an den Seiten auf einander und vereinigen sich zu
einem die beiden Wurzeln umhüllenden Cambiummantel; von nun
an legen sich daher die Jahresringe gemeinsam um die verwachse-
nen Holzkörper.
18. Der Vorgang der innern Verwachsung zweier sich vereinigen-
der Rothbuchenwurzeln erinnert vielfach an den Veredelungsprocess
von Bäumen und Sträuchern, wie ihn Göppert') beschrieben hat.
Hier wie dort erkennt man ein aus den Markstrahlen resultirendes,
intermediäres Zellgewebe, welches die völlige Vereinigung der be-
treffenden Theile herbeiführt. In beiden Fällen vollzieht sich die Ver-
einigung nicht in einem Jahre, beansprucht vielmehr zwei bis drei
Jahre. Von zwei untersuchten, mit einander verwachsenen Buchen-
wurzeln war die eine etwa vier, die andere elf Jahre alt, als sie sich
trafen. Sie entwickelten, gegen einander wachsend, den fünften resp.
zwölften Jahresring, welche sich jedoch nicht trafen, sondern blos an
der Contactfläche beider Wurzeln vielfache Einbuchtungen in Folge
gegenseitigen Druckes erlitten. Auch der sechste, resp. dreizehnte
Jahresring vereinigte sich noch nicht; sie waren vielmehr an der Be-
rührungsstelle getrennt durch das bereits in Thätigkeit getretene Mark-
strahlengewebe, in welches sie mehr oder minder deutlich übergingen.
Erst nach Verlauf dieser Zeit wurden Borke, Rinde und Bast so weit
verdrängt, dass die Cambiumringe aufeinander stossen und verwachsen
konnten, und von nun an sind der siebente, resp. vierzehnte und die
folgenden Jahresringe beiden Wurzeln gemeinsam. Die ersten dieser
gemeinsamen Jahresringe sind naturgemäss an den Seiten der Contact-
fläche eingebogen; doch gleichen sich allmählich die Einbuchtungen
aus. — Der Verwachsungsprocess unterscheidet sich aber von dem der
Veredelung dadurch, dass bei diesem eine deutliche Demarkationslinie
(Göppert) zu erkennen ist, welche dort fehlt. Die Vereinigungsstelle
zweier Rothbuchenwurzeln ist vielmehr gekennzeichnet durch die dunk-
lere Färbung des Holzes und die eng bei einander liegenden Markstrah-
len, welche stellenweise sehr verbreitert und dunkler gefärbt sind.
1) ef. Göppert: „Ueber innere Vorgänge bei dem Veredeln der Bäume
und Sträucher.“ Cassel 1874.
328
19. Mit der Verwachsung Hand in Hand geht eine Dislocation
der Jahresringe in Folge gegenseitigen Druckes, welchen die sich
vereinigenden Wurzeln auf einander ausüben. Auf diese durch
Druck veranlassten Veränderungen der Richtung der Gewebe hat zu-
erstSchwendener') aufmerksam gemacht. Die Jahresringe (Taf.XVil.
Fig. 20) werden an der Contactfläche der Wurzeln in ihrer normalen,
kreisförmigen Ausbildung gehindert, sie sind an dieser Stelle merklich
schwächer und concav nach innen gebogen, während sie an den
Seiten der Berührungsfläche stärker als sonst entwickelt sind.
Diese Ablenkung ist besonders stark bei den Jahresringen, weiche sich
während des Verwachsungsprocesses der Wurzeln bilden, macht sich
aber auch schon bei denjenigen geltend, welche sich von dem Zeit-
punkte des Aufeinandertreffens der Wurzeln entwickeln, doch so, dass die
concaven Einbiegungen nach dem Centrum zu schwächer werden, um
endlich ganz aufzuhören. Die schon vor der Berührung der Wurzeln
fertigen Jahresringe, die sich völlig normal, kreisförmig ausbilden
konnten, erleiden keine nachträgliche Aenderung, wie ich im Gegensatz
zu Schwendener annehmen möchte. Dagegen ändert sich die
Richtung der Markstrahlen, welche unter normalen, ungestörten
Vegetationsverhältnissen ein System orthogonaler. Trajectorien
(Sehwendener) zu den Jahresringen bilden. Sie wenden sich nach
aussen und stellen sich in Folge vielfach gestörter Wachsthums-
verhältnisse häufig schiefwinklig zu den Jahresringen. Innerhalb
dieser, auch der bereits vor der beginnenden Verwachsung der
Wurzeln gebildeten, sind sie häufig gebogen, nicht selten sogar
doppelt. Die schon vor dem Aufeinanderstossen der Wurzeln ferti-
gen Theile der Markstrahlen erfahren ebenfalls keine Ablenkung.
Der durch das Dickenwachsthum zweier in Verwachsung begriffe-
ner oder überhaupt in ihrem Wachsthum sich hindernder Pflanzen-
theile hervorgerufene Druck beeinflusst also die Structurverhältnisse
‘ der betreffenden Theile, indem er eine Ablenkung der Gewebe von
ihrer ursprünglichen Wachsthumsrichtung veranlasst.
20. Vollkommene d. h. Holzverwachsungen gestatten, worauf
schon Göppert und nach ihm Seidel hingewiesen haben, den ver-
wachsenen Theilen gegenseitige Ernährung. Es gelang mir einen,
wie ich meine, schlagenden Beweis für diese Ansicht zu finden (eben-
falls am Zobtenberge, Distriet 2), und ich stehe nicht an dieses
!) ef. Schwendener: „Ueber die durch Wachsthum bedingte Verschie-
bung kleinster Theilchen in trajectorischen Curven.“ Monatschrift d. Kgl. Ac.
d. Wiss, z. Berlin. April 1880 p. 424. Taf. II. Fig. 9.
329
Beweisstück den vielen anderen, besonders von Göppert gegebe-
nen, hinzuzufügen. Drei Rothbuchenstämme wachsen in geringer
Entfernung von einander. Je zwei von ihnen sind in einer Höhe
von etwa 10° durch einen wagerechten Ast innig mit einander ver-
wachsen. Auf eine nicht mehr festzustellende Weise wurde der eine
Stamm unterhalb der Verwachsungsstelle vernichtet, so dass jeglicher
Zusammenhang mit dem darunter stehenden Stumpfe verloren ging
und das Stammende unterhalb der Verwachsung durch den wage-
rechten Ast in langen Holzsplittern und Fetzen frei in die Luft ragt.
Trotzdem vegetirt der über der Vereinigung befindliche Stammwipfel
weiter. Festgehalten und ernährt vom benachbarten Stamme durch
Vermittelung des wagerechten Astes treibt er Zweige, Blätter und
Blüthen und steht den beiden andern Stämmen kaum an Ueppigkeit
nach, während auf dem etwa 1,5‘ hohen, längst verrotteten Stumpfe
Waldkräuter und junge Sträucher ihren Wohnsitz aufgeschlagen haben.
Rinden- und Holzverwachsungen kommen nur zwischen Indivi-
duen derselben Art vor (ausgenommen sind nach Göppert Tanne
und Fichte); nie aber findet eine Vereinigung verschiedener Arten statt.
Ich fand eine Eichenwurzel, welche von zwei mit einander ver-
wachsenen Fichtenwurzeln umwachsen und so fest zwischen diese
eingekeilt war, dass sie nur durch Zerstörung der Fichtenwurzeln
loszulösen war. Trotz gewaltigen Druckes, wie man aus den viel-
fachen Ablenkungen der Jahresringe und Markstrahlen insbesondere
bei der Eichenwurzel bemessen konnte, war keinerlei Vereinigung
von Eichen- und Fichtenwurzeln eingetreten. Besonders an einer
Stelle war die Grenze zwischen der helleren Eichenrinde und der
dunkleren Fichtenrinde deutlich zu erkennen. An den meisten Stellen
waren die Rinden- und Borkentheile verrottet, wozu sich seitens
der Fichtenwurzeln auch reichlicher Harzausfluss gesellte. Das
Original stammt ebenfalls aus dem Zobtener Reviere.
Hieraus ergiebt sich von selbst, dass Pflanzen verschiedener Art
sich nicht ernähren können.
21. Zusammenfassung der eigenen Untersuchung. Nach
der Beschaffenheit der verwachsenden Pflanzentheile unterscheiden
wir I. congenitale Verwachsung, Il. Verwachsung von Pflanzentheilen
mit entwickelungsfähiger Epidermis, III. Verwachsung von Pflanzen-
theilen mit peridermatischer Borkenbildung. Die beiden ersteren sind
immer nur unvollkommene d. i. Rindenverwachsungen, während bei der
letzten meist vollkommene d. i. Holzverwachsungen zu Stande kom-
men, welche eine gegenseitige Ernährung der verwachsenen Theile
ermöglichen.
330
Congenitale Wurzelverwachsung beobachtet man an den Luft-
wurzeln derselben Reihe bei Tecoma radicans. Die Adventivwurzeln
von Tecoma brechen in 4 Wurzelbündeln an bestimmten Stellen des
Stengels hervor, in deren Epidermis trichterförmige, kurzgestielte
Köpfchendrüsen eingesenkt sind und dessen Gefässbündelsystem von
einer als Schutzscheide auftretenden Stärkeschicht umgeben ist. Die
in normalen Fällen aus je 4 Wurzelreihen zusammengesetzten 4 Wur-
zelbüschel stehen, 2 an der Vorder-, 2 an der Hinterseite des Sten-
gels unterhalb der Blattbasis, von wo aus sie sich abwärts in basi-
fugaler Richtung entwickeln. Die Wurzeln einer Längsreihe haben
ihren Ursprung in einer gemeinsamen, theilungsfähigen, rhizogenen
Längszone des Cambiums, in welcher später Vegetationspunkte auf-
treten, die sich selbstständig zu Wurzeln weiter entwickeln. Ihre
Pleromeylinder bleiben stets getrennt und vereinigen sich niemals
mit einander; sie liegen serial geordnet in dem gemeinsamen Periblem,
welches von einem gemeinsamen Dermatogen begrenzt ist. Auch
die Wurzeln benachbarter, durch Hartbastbündel getrennter Reihen
verwachsen noch innerhalb des Stammes, oft sehr zeitig, so dass
sämmtliche Wurzeln eines Bündels im Stamme und noch etwa 0,5 mm.
ausserhalb desselben durch Rindenverwachsung verbunden sind. In
einem gemeinsamen Rindenparenchym, welches von einem gemein-
samen, einschichtigen Hypoderm und von einer gemeinsamen Epider-
mis umgeben ist, liegen in 4 Reihen serial angeordnet die Centraleylin-
der. Sobald die Luftwurzeln freieren Raum zur Entwickelung erlangt
haben, trennen sie sich von einander. Die Trennung erfolgt von
aussen nach innen; es trennen sich zuerst die Wurzelreihen von ein-
ander, dann die einzelnen Wurzeln derselben Reihe.
Die zweite Art der Verwachsung wurde bei den Luftwurzeln von
Hedera Helix und Hoya carnosa constatirt. Sie hat ein Analogon
in der Verwachsung des Sporogons von einigen Bryophyten (zZ. B.
Anthoceros) mit der Frons. Nähern sich zwei Luftwurzeln, so wachsen
an den einander genäherten Stellen die Epidermiszellen zu Papillen
aus, stossen von entgegengesetzten Seiten aufeinander, platten sich
ab und verwachsen, nachdem sie vorher durch die Substanz ihrer
vereinigungsfähigen Zellmembranen zusammenklebten. Mehr oder we-
niger auftretende, tangentiale und radiale Scheidewände erzeugen ein
die Wurzeln verbindendes Scheinparenchym, bei welchem es, wie bei
Hedera, zur Differenzirung einer besonderen Epidermis kommen
kann, welche mit den Oberhäuten der verwachsenden Wurzeln in Ver-
bindung tritt. Bei Hoya ist das die Wurzeln verbindende, intermediäre
Gewebe dünn, meist zweischichtig und auf die beiden verwachsenen
331
Epidermiszellreihen beschränkt. Die Differenzirung einer besonderen
Epidermis des Verbindungsgewebes konnte nicht beobachtet werden. —
Auch der Stamm von Foya carnosa zeigt eine als gemeinschaftliche
Schutzscheide zu deutende*Stärkeschicht, deren Zellen sich im Laufe der
Zeit stark verdicken. Verdickte getüpfelte Sclerenchymzellen kommen
gruppenweise im Marke des Stengels vor. Die Anzahl der Xylem-
platten und der Bastbündel in den Luftwurzeln schwankt bei Hedera
Helix zwischen 4 und 7, bei Hoya carnosa zwischen 2 und 5. Die
Zellen des die Xylemplatten verbindenden Füllgewebes sind bei den
Luftwurzeln aller drei betrachteten Pflanzen, bei Tecoma, Hedera und
Hoya, lang prosenchymatisch und verdicken sich im Laufe ihrer Ent-
wickelung sclerenchymartig.
Drei Bedingungen müssen erfüllt sein, um eine Vereinigung von
Pflanzentheilen zu ermöglichen: 1. die betreffenden Theile müssen
einen gegenseitigen Druck auf einander ausüben, 2. die Pflanzen
müssen derselben Art angehören; Verwachsung zwischen Individuen
verschiedener Species ist noch nicht beobachtet, mit Ausnahme von
Tanne und Fichte (Göppert), 3. die Gewebe, mit denen die be-
treffenden Pflanzentheile an den Contactflächen zusammentreffen, müssen
noch theilungsfähig sein, wobei vermuthlich durch eine verkittende
Substanz ihre Zellmembranen adhäriren. So sind Rindenparenchym,
Weichbast, Cambium, nicht aber Periderm, Hartbast und Holzgewebe
verwachsungsfähig; ebenso verwachsen junge theilungsfähige Gewebe
niemals mit theilungsunfähigen Geweben.
Bei den Dicotyledoneuwurzeln mit Cambiumeylinder, speciell bei
denen der Rothbuche, geht die vollkommene d. i. Holzverwachsung auf
eine doppelte Weise vor sich.
Die Borken- und Rindenschichten werden an der Berührungs-
fläche durch den Druck der verwachsenden Wurzeln theilweise nach
aussen gedrängt; ein anderer Theil der Borke, Rinde und des Bastes
wird zwischen den Wurzeln an der Contactfläche eingeschlossen, ver-
rottet und bildet braune, inselartige Partien zwischen den beiden
Holzkörpern. Das Holzcambium stellt an der Contactfläche seine
Thätigkeit ein; dagegen breiten sich die Markstrahlen fächerförmig
aus und bilden durch vielfache Theilungen nach allen Richtungen hin
ein intermediäres, verbindendes Meristemgewebe, welches die einge-
schlossenen, abgestorbenen Elemente verdrängt, vielleicht resorbirt
und sich mit dem gleichen Markstrahlengewebe der anderen Wurzel
vereinigt, so dass der Raum zwischen den Holzkörpern der beiden
Wurzeln schliesslich ganz von dem Verbindungsgewebe ausgefüllt
wird. Endlich stossen die Cambiumzonen seitlich auf einander, ver-
332
einigen sich und entwickeln gemeinsame Jahresringe. Dieser Verwach-
sungsprocess beansprucht wie der Veredelungsprocess mehrere Jahre.
In Folge des gegenseitigen Druckes, welchen das Diekenwachs-
thum sich vereinigender oder überhaupt im ihrer Entwickelung sich
beeinträchtigender Wurzeln veranlasst, erleiden Jahresringe und Mark-
strahlen mannigfache Richtungsveränderungen. Die Ablenkung der
Jahresringe und Markstrahlen tritt ein, sobald sich die beiden Wur-
zeln mit ihrer Rindenfläche berührten, und noch ehe die Verwach-
sung stattgefunden hat; sie schwächt sich jedoch nach dem Mark-
cylinder zu ab und ist an der Verwachsungsstelle am stärksten.
Die vor der Berührung fertigen Holzgewebe erleiden keine Verän-
derung. Die unter normalen Verhältnissen ein System orthogonaler
Trajeetorien (Schwendener) zu den Jahresringen bildenden Mark-
strahlen wenden sich nach der Seite des geringsten Druckes, nach
aussen, wobei sie durch ihren dichten Verlauf die Vereinigungsstelle
der Wurzeln bezeichnen und schneiden häufig unter spitzen Winkeln
die Jahresringe. Innerhalb dieser, auch der schon vor der Ver-
wachsung fertigen Jahresringe sind die Markstrahlen gebogen, oft
geschlängelt. Die Neubildungen in verwachsenden Wurzeln verhal-
ten sich demnach wie eine plastische Masse, deren Ausbildung durch
verschiedene Druck- und Zugkräfte bedingt ist.
Breslau, März 1881.
Eig.. 1.
Fig. :.2.
Fig. 3.
Fig. 4.
Fig. 5.
Fig. 6.
Big. 7
Fig. 8.
Fig. 9
Fig. 10
Bier 11,
Tecoma radicans Juss.
Stammstück mit den 4 Luftwurzelbüscheln.
Schematischer Querschnitt durch den Stamm dicht unterhalb der
Blattbasis. m. Markeylinder, h. Holzring, ce. Cambium, b. Bastring,
w. Luftwurzelbüschel, st. Stärkeschicht.
Querschnitt durch den Stamm. kd. Köpfechendrüse, ep. Epidermis, hy.
Hypoderm, r. Rindenparenchym, st. Stärkeschicht, hb. Hartbastbündel,
wb. Weichbast, c. Cambium, h, Holz, eg. endogenes Gefässbündel.
Stärkeschicht (st.) im Längsschnitt, r. Rindenparenchym, b. Bast.
2 junge am Scheitel durch das Dermatogen (d.) zusammenhängende,
durch ein Hartbastbündel (hb.) am Grunde getrennte Luftwurzeln,
pe. Periblem, pl. Plerom, ce. Cambium des Stammes.
Längsschnitt durch die in unregelmässiger Zellvermehrung begriffene
Scheitelkante (sk.) einer Wurzelreihe.
Längsschnitt durch eine Wurzelreihe; die Plerome (pl.) sind von
einander getrennt, Periblem (pe.) und Dermatogen (d.) sind sämmt-
lichen Wurzeln gemeinsam.
Querschnitt durch 2, bei x. noch zusammenhängende Luftwurzeln.
Der Centraleylinder mit Endodermis (e.), rhizogener Schicht (rh.),
den 4 Holzplatten (h.), 4 Bastbündeln (b.) und beginnender Ver-
dickungsleiste (vl.).
Querschnitt durch ein Luftwurzelbüschel; die 4 Luftwurzelreihen und
die Wurzeln sind in Trennung begriffen.
Theilweiser Längsschnitt durch 2 am Scheitel durch das Dermatogen
(d.) noch verbundene Luftwurzeln; das Hartbastbündel (hb.) ist durch-
brochen, ein Theil nach aussen gedrängt, der andere zwischen den
Wurzeln in die Länge gezogen.
Querschnitt von 3 sich trennenden Luftwurzeln, die punktirten Linien
deuten die zukünftigen Umrisse der Wurzeln an.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
12.
13.
14.
15.
16.
17.
18.
19.
20.
334
Tafel XVII.
Hedera Helix L.
Querschnitt durch eine Luftwurzel. e. Endodermis, rh. rhizogene
Schicht, b. Bastbündel, h. Holzplatten, i. Intercellulargang, kr. Kristall-
drusen.
Entstehung der Luftwurzel. d. Dermotogen, pe. Periblem, pl. Ple-
rom, c. Cambium.
Querschnitt durch 2 Luftwurzeln an der Stelle der Verwachsung,
die Epidermiszellen gegen einander wachsend.
Querschnitt durch das Verbindungsgewebe zweier Luftwurzeln, die
Zell-Theilungen durch Periclinen zeigend.
Hoya carnosa AR. Dr.
Querschnitt durch den Stengel mit hervorbrechender Luftwurzel (im
Längsschnitt), hb. Hartbastbündel, st. Stärkeschicht.
Querschnitt durch eine Luftwurzel. e. Endodermis, rh. rhizogene
Schicht, b. Bastbündel, h. Holzplatten, vl. Verdickungsleiste, kr.
Krystalldrusen, se. Sclerenchymzellen.
Stärkeschicht (st.) im Längsschnitt. r. Rindenparenchym, b. Bast.
Querschnitt durch die Verwachsungsstelle zweier Luftwurzeln.
Fagus silvatica Z.
Querschnitt durch 2 verwachsene Wurzeln, die durch den Druck
abgelenkten Markstrahlen und Jahresringe zeigend.
Ueber das Längenwachsthum von Pflanzenorganen
bei niederen Temperaturen.
Von
Professor Dr. Oskar Kirchner in Hohenheim.
I. Einleitung.
Unsere Kenntniss von den äusseren Erscheinungen, aus denen
sich das Längenwachsthum von Pflanzenorganen zusammensetzt, sowie
von der Einwirkung äusserer Agentien auf dieses Wachsthum beruht
in seiner jetzigen Gestalt in erster Linie auf den auch auf diesem
Gebiete der Pflanzenphysiologie grundlegenden Arbeiten von J. Sachs.
Ihm verdanken wir auch die bemerkenswerthesten Beobachtungen
über den Einfluss der Temperatur auf den Gang des Längenwachs-
thums'). Er lieferte zuerst an der Hand ausgedehnter Versuche den
Beweis, dass das Längenwachsthum der Organe höherer Pflanzen
in engere Temperaturgrenzen eingeschlossen ist, als diejenigen sind,
welche dem pflanzlichen Leben schlechthin Schranken setzen, insbe-
sondere, dass für jene Erscheinung obere und untere Grenztempe-
raturen vorhanden sind, welche für verschiedene Pflanzenarten und
für verschiedene Entwickelungsstadien derselben Pflanze in verschie-
dener Höhe liegen. Zwischen diesen beiden extremen Temperaturen
beobachtete Sachs eine dritte, bei welcher (dieselbe als constant
gedacht) das Längenwachsthum am intensivsten von statten geht,
um von ihr aus gerechnet nach beiden Grenzen hin an Intensität
zu verlieren. Diese drei für verschiedene Pflanzenarten verschieden
liegenden festen Punkte am Thermometer nannte Sachs Minimum,
Optimum und Maximum für das Längenwachsthum der betreffenden
Pflanzenart. Er schlug zur Feststellung dieser drei Cardinalpunkte
den Weg ein, Samen verschiedener Pflanzenarten möglichst lange
1) J. Sachs: Physiologische Untersuchungen über die Abhängigkeit der
Keimung von der Temperatur. (Jahrb. für wissensch. Bot. II. 5. 383.) —
Experimentalphysiologie $. 55. — Lehrbuch 4. S. 801.
336
Zeit constanten Temperaturen bei im Uebrigen gleichen, für die
Keimung günstigen Verhältnissen auszusetzen; er machte sodann
aus der Länge der Zeit, binnen welcher die Keimung eintrat, auf
die Art der Einwirkung der Temperatur einen Schluss. Unterblieb
bei gewissen, dem Nullpunkt nahe liegenden Temperaturen die
Keimung vollständig, so wurde geschlossen, dass diese Temperaturen
unterhalb des Minimum lagen; trat bei. verhältnissmässig hohen
(d.h. + 50° C. sich nähernden) Temperaturen Keimung nicht mehr
ein, so wurden diese als oberhalb des Maximum liegend angesehen.
Durch fortgesetzte Versuche in dieser Richtung liessen sich die drei
Cardinalpunkte, wenn auch nicht immer genau feststellen, so doch
in ziemlich enge Grenzen einschliessen. Die mit dieser Methode an
Keimwurzeln gewonnenen Resultate verallgemeinert Sachs mit Recht
und wendet sie auf das Längenwachsthum der Pflanzen überhaupt
an, da ein Wachsthum auf Kosten der im Samen aufgespeicherten
Reservestoffe aller Voraussicht nach nicht wesentlich von demjenigen
Wachsthum abweichen dürfte, welches unter Verwendung der von
der heranwachsenden Pflanze selbst bereiteten Baustoffe vor sich geht.
Spätere Untersuchungen von Sachs selbst'!), sowie von Ande-
ren”) bestimmten das Optimum und Maximum nicht nach der bis
zum Hervorbrechen der Keimwurzeln verstreichenden Zeit, sondern
durch Vergleichung der Wurzellängen, welche bei verschiedenen Tem-
peraturen in gleichen Zeiträumen erzielt wurden. Zur Feststellung
des Minimum liess diese Methode sich natürlich nicht verwenden,
daher ist man zur Vervollständigung der von Sachs angegebenen
Zahlen genöthigt, wiederum aus dem Eintreten oder Unterbleiben der
Keimung bei niederen Temperaturen Schlüsse zu ziehen. Derartige
Versuche wurden namentlich von A. de Candolle°), Uloth®) und
Fr. Haberlandt?) angestellt.
Vergleicht man nun die von diesen Forschern gewonnenen Re-
sultate bezüglich des Minimum bei denselben Pflanzenarten mitein-
ander, so findet man, dass bei einigen derselben die Lage dieses
Minimum am Thermometer um so niederer liegend constatirt wird,
Je vorsichtiger die betreffenden Beobachtungen angestellt werden.
So giebt z. B. Sachs als untere Temperaturgrenze für Triticum
vulgare + 5° C. an, wobei er allerdings bemerkt, sie liege nach
1) Lehrbuch 4. S. 803.
2) H. de Vries in Archives nderlandaises 1870. T. V. (nach Sachs). —
W. Röppen: Wärme und Pflanzenwachsthum. Moskau 1870. S. 79 ff.
8) s. Sachs, Lehrbuch 4. S. 801 Anm. 4) Flora 1571 No. 12. — 1875. S. 266.
5) Landwirthschaftl. Versuchsstationen, Bd. 17. S. 104. — Wissenschaftlich-
praktische Untersuchungen auf dem Gebiet des Pflanzenbaues, I, 8. 109—122.
337
neueren Beobachtungen eines seiner Schüler noch tiefer '); Haber-
landt, der bei seiner ersten Untersuchung nur mit einer Temperatur
von — 4,8° C. als niederster experimentirte, beobachtete, dass hierbei
Keimung der Weizenkörner nach 6 Tagen eintrat; später fand er,
dass bei Temperaturen zwischen 0 und + 1°C. der Weizen nicht
mehr keimte, während dagegen Uloth?) Weizenkörner, die immer
auf Eis lagen, also in einer sehr nahe bei + 0° liegenden Tem-
peratur, noch keimen sah.
Diese und andere ähnliche Differenzen in den Angaben verschie-
dener Beobachter legen den Gedanken nahe, dass in der Nähe der
unteren Temperaturgrenze die Streckung mit so geringer Energie
und Geschwindigkeit vor sich geht, dass sie erst nach längerer Zeit
für das unbewaffnete Auge bemerkbar und mit gröberen Instrumenten
messbar wird. Hieran knüpft sich die Erwägung, ob zur Fest-
stellung einer so langsam verlaufenden Streckung das Hervorbrechen
des Würzelchens aus einem keimenden Samen noch verwendbar ist.
Sachs selbst hebt schon in seiner ersten Publikation die Mängel
seiner Untersuchungsmethode gebührend hervor, die wesentlich in
der Schwierigkeit, längere Zeit constante niedere Temperaturen zu
erhalten, begründet sind; und in der That ist man, wenn man die
Resultate späterer Forschungen mit den seinigen vergleicht, berechtigt,
anzunehmen, dass er im ganzen mit zu kurzen Zeiträumen operirte.
So zieht er in vielen Fällen bereits aus dem Unterbleiben der
Keimung nach 8—19 Tagen den Schluss, dass die bei den betreffenden
Versuchen in Anwendung gekommene Temperatur unterhalb des
Minimum gelegen sei. Die längste Versuchsdauer beträgt bei ihm
34 Tage und bezieht sich auf Temperaturen, die wohl sicher unter
dem Minimum liegen. Dagegen ergiebt sich aus den Versuchen von
Haberlandt (vgl. besonders S. 119 und 120 a. a. O.) mit Sicher-
heit, dass die Keimung in der Nähe des Minimum mit ausserordentlicher
Langsamkeit vor sich geht.
Dieser Einwurf, die Versuche nicht hinreichend lange fort-
gesetzt zu haben, lässt sich Uloth und Haberlandt gegen-
über nicht erheben; wohl aber ist hier (und ebenso in Bezug
auf die Versuche von Sachs) die weitere Frage am Platze, ob
die Keimungsresultate ohne weiteres auf die Streckung über-
haupt übertragen werden dürfen. Denn wenn auch der Prozess
der Quellung der Samen bei Vorhandensein von tropfbar flüssigem
Wasser in jeder Temperatur von statten geht, so ist doch nicht
von vorn herein sicher, ob der Anstoss zu jener Reihe che-
1) Experimentalphysiologie S. 54. — Dennoch ist im Lehrbuch 4 S. 802
wieder obige Zahl angegeben. 2) Flora 1375. S. 266.
338
mischer Umsetzungen und Neubildungen, die dem Zellenwachs-
thum vorhergehen müssen, bei einer ebenso niederen Temperatur
erfolgen kann, welche später die einmal begonnene Streckung noch
zu unterhalten im Stande ist. Mit dem Ausdruck „Wachsthum“
wird bekanntlich eine Summe von Stoffumsetzungen und Volumen-
veränderungen zusammengefasst, deren jede einzelne, theils nachweis-
lich, theils sehr wahrscheinlich, an unter einander verschiedene untere
Grenztemperaturen gebundenist. Wenn einezur Anwendung kommende
Temperatur nur für einen einzigen das Wachsthum mit bedingenden
Factor unterhalb des Minimum liegt, wahrend alle anderen Factoren
bei eben dieser Temperatur in Wirksamkeit treten könnten, so muss
dennoch in diesem Falle der Eintritt der Gesammterscheinnng unter-
bleiben. Nun wissen wir durch Wiesner’s Untersuchungen, dass
ein für das Zustandekommen normalen Wachsthums grüner Gewächse
unumgänglich nothwendiger Factor, nämlich die Entstehung des
Chlorophylis, bei einer und derselben Pflanzenart an ein höher lie-
sendes Temperatur-Minimum gebunden ist, als der Eintritt der Streckung
der embryonalen Organe der Keimpflanze. So liegt z. B. nach seinen
Beobachtungen ') das Minimum für das Ergrünen von Gersten- und
Erbsenkeimlingen bei + 4—5°C., während die Keimung bei diesen
Pflanzen nach Uloth”?) schon bei ca. + 0°, allerdings sehr
langsam, vor sich geht. Für die Erbse bestätigt Haberlandt die
Angabe von Uloth, jedoch mit der Beschränkung, dass in 4 Monaten
bei 0 — 1° C. nur 62 der ausgelegten Erbsen keimten, und auch diese
schliesslich zu Grunde gingen; die Keimung der Gerste sah er bei
0— 1° C. auch in 4 Monaten noch nicht eintreten?). Ich selbst
machte bei Gelegenheit der später angeführten Untersuchungen die
Beobachtung, dass die zum Ergrünen nothwendigen Temperatur-
Minima für Erbse, Hanf und weissen Senf höher liegen, als die das
Längenwachsthum bei diesen Pflanzen begrenzenden Minima.
Allein auch wenn man bei dem einfacheren Fall des Wachsthums
auf Kosten bereits vorhandener Assimilationsprodukte stehen bleibt,
wie er sich bei der Keimung darbietet, so scheint auch hier die
Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass verschiedene, bei normaler
Keimung Hand in Hand mit einander verlaufende Vorgänge durch
verschiedene Temperatur-Minima bedingt sind. Es ist im Gegentheil
wahrscheinlich, dass beim Erwachen der Organe des Embryos aus
dem Ruhezustande sich Vorgänge abspielen, die nach einmal begon-
nenem Wachsthum nicht mehr eintreten; man wird in dieser Beziehung
!) J. Wiesner, Entstehung des Chlorophylis in der Pflanze. 1877. S. 95.
2) Flora 1875. 3) Wissensch.-prakt. Unters. I. S. 113.
339
namentlich an das Auftreten von Fermenten, die in keimenden Samen
beobachtet worden sind, zu denken haben. Würde nun irgend eine
dieser specifischen Keimungs-Umbildungen sich bezüglich des Bedürf-
nisses an Wärmezufuhr anders verhalten, als die das weitere Wachs-
thum bedingenden Factoren, so könnten aus diesem Grunde die an
keimenden Samen gewonnenen Resultate nicht verallgemeinert werden.
Ja, man kann sich sogar vorstellen, dass auch die geguollene und
durchfeuchtete Samenschale oder Fruchthülle für die bei sehr nie-
deren Temperaturen ausserordentlich langsam sich streckende Keim-
wurzel ein so grosses, lediglich mechanisches Hinderniss ist, dass
dieselbe nicht herausbrechen kann, und doch vielleicht innerhalb
dieser Hüllen ein nicht wahrnehmbares Wachsthum beginnt !).
II. Untersuchungsmethode.
Diese Erwägungen veranlassten mich, einige Versuche zur Fest-
stellung der unteren Temperaturgrenze für die Streckung nach einer
andern, als der bisher angewendeten Methode anzustellen.
Als Versuchspflanzen dienten Keimlinge verschiedener Art in verschie-
denen Stadien ihrer ersten Ausbildung; sie waren beim Beginn der Ver-
suche je nach der Pflanzenart in der Regel 3— 6 Tage alt, und waren in
einer Temperatur von 18—20° C. zur Entwickelung gebracht worden.
Vonihren Organen wurde die Verlängerung der Wurzel, des hypokotylen
Stengelgliedes, und bei Gräsern des ersten Scheidenblattes beobachtet.
Es ist von allen Beobachtern der Wachsthumsvorgänge bei niederen
Temperaturen darauf hingewiesen worden, von wie grosser Wichtig-
keit eine constante Temperatur des Raumes sei, in welchem die
wachsenden Pflanzen während der Dauer der Versuche aufbewahrt
werden. Denn da bei einer bestimmten niederen Temperatur ein
Wachsthum nicht mehr eintritt, ohne dass zunächst die weitere
Wachsthumsfähigkeit der Organe beeinträchtigt wird, so findet bei
späterer Erhöhung der Temperatur wieder Streckung statt, und man
kann deshalb bei schwankenden Temperaturen, während deren noch
Wachsthum beobachtet wurde, leicht in den Fall kommen, aus den
verschiedenen beobachteten Temperaturen ein Mittel zu berechnen,
1) Durch spätere Versuche überzeugte ich mich, dass die Samen verschie-
dener Pflanzen sich bezüglich des Widerstandes, welchen die Samenschale
dem auskeimenden Würzelchen entgegensetzt, verschieden verhalten. So liess
sich z. B. bei weissen Schminkbohnen nachweisen, dass unter sonst ganz
gleichen Verhältnissen die Streckung des Würzelchens von solchen keimenden
Samen, deren Samenschale nach der Quellung entfernt worden war, mit grösserer
Energie erfolgte, als bei unversehrten Samen; bei Erbsen dagegen war ein
solcher Unterschied nieht zu bemerken,
Cohn, Beiträge zur Biologie der Pllanzen. Band IN, Heft UL 23
340
das in Wirklichkeit bereits unter dem Minimum liegt. Es stand mir
nun zur Anstellung der Beobachtungen ein Raum zur Verfügung,
welcher innerhalb längerer Zeit, namentlich während der lange an-
haltenden Kälte des vergangenen Winters sehr constante Temperaturen
behielt: ein geräumiges, nie geheiztes Zimmer mit sehr dieken Mauern
im hiesigen Akademiegebäude, dessen beide an der Südwand be-
findlichen Fenster nach einem kleinen, von so hohen Gebäuden um-
schlossenen Hofe führen, dass sie im Winter nie von der Sonne
getroffen werden. Bei den Beobachtungen, die ich bei Temperaturen
oberhalb + 1° C. anstellte, wurden die Versuchspflanzen (Keimlinge)
in diesem Zimmer frei oder in Recipienten aufgestellt; es liess sich
durch passende Auswahi der Versuchszeit und durch eventuelles
Ausmerzen verunglückter Versuche die Benützung einer Temperatur
erreichen, die innerhalb mehrerer Tage nur um 0,5° C. schwankte.
In diesem Zimmer wurden die Versuchspflanzen 3 — 4 Stunden lang
belassen, ehe sie für den Versuch vorbereitet und demselben unter-
worfen wurden, sodass sie immer die Temperatur der umgebenden
Luft vollständig angenommen hatten. Auch zum Zweck der Messungen
wurden die Pflanzen aus diesem Zimmer nicht entfernt. Für Tem-
peraturen zwischen O0 und + 1° C. wurde ein Eiskasten benützt,
der in dem oben beschriebenen Zimmer aufgestellt wurde. Es war
seiner ursprünglichen Bestimmung nach ein Thermostat mit doppelter
Wandung und durch einen aufzulegenden Glasdeckel verschliessbar.
Der Raum zwischen den doppelten Wänden wurde mit Wasser
gefüllt, in das Innere des Kastens Glasschalen mit den Versuchs-
pflanzen und Thermometern gebracht, diese durch Glasdeckel ver-
schlossen, und der Raum um sie herum mit Eisstücken ausgefüllt,
über die etwas Wasser gegossen wurde, und die so langsam auf-
thauten, dass nur alle 5—6 Tage ein Nachlegen nothwendig wurde.
Die geräumigen Glasschalen wurden mit den Versuchspflanzen derart
beschickt, dass entweder der Boden der Gefässe mit nassem Fliess-
papier bedeckt wurde, auf welches man ohne weiteres die numerirten
Keimlinge brachte, oder es wurden kleine mit Wasser gefüllte Reagir-
gläschen, der Grösse des Keimlings angemessen, aufgestellt, und die
Keimlinge mit Hilfe von Baumwollenstopfen so in ihnen angebracht,
dass das Würzelchen sich im Wasser befand, der Same und die
Plumula von Luft umgeben waren. In dem Eiskasten betrug die
Temperatur lange Zeit hindurch 0—0,5° C. und konnte auch dann
nicht unter 0° sinken, wenn, was zwei Male vorkam, die Zimmer-
temperatur sich unter 0° abkühlte, weil das im Kasten befindliche
Wasser nie völlig gefror.
341
Vor Beginn der Versuche wurde der Eiskasten mit den Glas-
schalen, ebenso das zur Verwendung kommende destillirte Wasser
24 Stunden lang in dem kalten Zimmer sich selbst überlassen.
Für die Messung bediente ich mich eines anderen Verfahrens,
als Sachs, Köppen, H. de Vries u. a. es gewählt hatten. Ich
hatte mich nämlich durch Vorversuche davon überzeugt, dass in der
Nähe des Temperatur-Minimum das Wachsthum unmerklich langsam vor
sich geht, sodass dasselbe sich durch Anlegen grober Maassstäbe
durchaus nicht mit der nothwendigen Genauigkeit messen lässt; auch
ein sehr fein gearbeiteter, mit Nonius versehener Calibermassstab
reichte nicht hin, um die in etwa 24 Stunden zu Stande kommenden
sehr geringen Verlängerungen festzustellen. Ich nahm daher meine
Zuflucht zu mikroskopischen Messungen. Die zu messenden Organe
wurden zu diesem Zwecke mit feinen Marken von Asphaltlack in
so geringen Entfernungen (meist etwa 1} mm.) versehen, dass im
Gesichtsfelde des Mikroskopes bei schwachen Vergrösserungen minde-
stens 2 benachbarte Marken zugleich gesehen werden konnten. Die
Marken nahmen bei den Keimwurzeln von der Spitze an gerechnet
eine so lange Strecke nach aufwärts ein, dass ich sicher sein konnte,
die ganze der Streckung fähige Gewebspartie in Zonen zerlegt zu
haben; die spätere Beobachtung der Zuwachse innerhalb der einzelnen
Zonen bestätigte dies, da die oberen Zonen keine Streckung mehr
zeigten. Um die (übrigens bei dem geringen Zuwachs, um den es
sich in der Regel handelt, zu vernachlässigenden) Ungenauigkeiten
auszuschliessen, die sich hätten ergeben können, wenn die wachsenden
Organe sich in verschiedenen Stadien der grossen Periode befunden
hätten, wurden zu jeder Versuchsreihe immer gleich alte und mög-
lichst gleichmässig entwickelte Exemplare benützt, deren Wachsthum
sich immer im Anfange des aufsteigenden Astes der Streckungscurve
befand. Bei der Messung von hypokotylen Stengelgliedern oder
von Blättern der Plumula wurde die ganze ausserhalb des Samens
befindliche Partie durch Marken eingetheilt. Das Messen unter dem
Mikroskop, welches mit Hülfe eines verstellbaren Ocular-Mikrometers
bei einer 20fachen Vergrösserung vorgenommen wurde, bietet einige
Unzuträglichkeiten, deren Vernachlässigung leicht bedeutende Beobach-
tungsfehler herbeiführen kann. Wenn auch die Messung selbst jedes-
mal nur wenige Minuten in Anspruch nimmt, namentlich wenn das
Notiren der abgelesenen Zahlen von einem Gehilfen ausgeführt wird,
so muss man doch beim Operiren mit Wurzeln dafür sorgen, dass
auf dem Objeetträger sich ein Wassertropfen befindet, damit nicht
während der Beobachtung eine Verkürzung in Folge von Verdunstung
29°
342
eintritt. Von der grössten Wichtigkeit ist aber, dass man bei der
Messung auf eine vollkommen horizontale Lage der zu messenden
Strecke achtet, sonst werden Beobachtungsfehler veranlasst, die bei
der meist sehr geringfügigen Grösse der Zuwachse schwer ins Ge-
wicht fallen. Zwar wurde beim Beginn der Versuche immer dafür
Sorge getragen, nur möglichst grade gewachsene Wurzeln etc. zu
verwenden, allein später traten doch, namentlich an den horizontal
auf Fliesspapier gelegten, geotropische Krümmungen auf, welche das
Messen erschwerten. Indessen gelang es fast immer, durch Unter-
legen kleiner Korkstückchen jede Zone horizontal zu legen. Davon
dass dies gelungen ist, überzeugt man sich sehr leicht durch das
mikroskopische Bild selbst: es sind bei derselben Einstellung die
Contoure der die Zone einschliessenden Marken völlig scharf sicht-
bar. Bei einiger Uebung erlangt man in dieser Art des Messens
bald eine solche Geschicklichkeit dass die Beobachtungsfehler ausser-
ordentlich klein werden; ich überzeugte mich durch massenhafte
Messungen, dass diese Fehler nicht höher als auf einen halben
Theilstrich des Mikrometers (= 0,028 mm) zu veranschlagen sind.
Wollte es trotz aller Mühe nicht gelingen, die Zone in eine horizon-
tale Lage zu bringen, so wurde das Würzelchen vom Samen abge-
schnitten, in einigen wenigen Fällen dann noch durch scharfe Schnitte
in einzelne Partien getheilt, die sich dann in eine für die Messung
geeignete Lage bringen liessen. Die abgeschnittenen, aber nicht
weiter zerlegten Wurzeln konnten noch eine Zeit lang zum Ver-
suche verwendet werden, da ich gefunden hatte, dass sie, so lange
die in ihnen enthaltene Baustoffe zureichen, eine gleiche Streckung
zeigten, wie solche, die noch mit dem Samen in Verbindung standen').
Solche abgeschnittene Wurzeln sind bei den unten angeführten Ver-
suchsreihen durch * bezeichnet.
1) Z. B. eine ca. 20 mm lange Keimwurzel von Vicia Faba wurde vom
Samen abgeschnitten und ihr letztes 13,88 mm langes Stück in 7 Zonen
getheilt. Dieselben zeigten in einer Temperatur von + 18— 200. in 24 Stunden
(von oben nach unten gerechnet) folgende Zuwachse:
1. Zone, anfangs 1,70 mm lang, wuchs um 0 mm
DR- : 1582272 = - ...0
3% B - 1,347 = - - - 0,06 -
Dune Ds © IRMLRN SREBEG ne
BAR, El ga ev, ale N
6. = = DIN - - = 2 2,90 -
de ‚ 5 INarll) Fe - 5 ZUR WiSe
Summa: 6,91 mm.
343
Zur Untersuchung dienten im warmen Zimmer gewachsene Keim-
linge von: Sinapis alba, Vicia Faba, Pisum sativum, Phaseolus
vulgaris, Lupinus albus, Helianthus annuus, Qucurbita Pepo, Canna-
bis sativa, Triticum vulgare, Secale cereale, Zea Mays leucodon.
An allen diesen Speeies wurde das Wurzelwachsthum, an Sinapis
alba auch die Streckung des hypokotylen Stengelgliedes und an
Triticum und Secale die Streckung des ersten Scheidenblattes be-
obachtet.
Ill. Streekung von Keimwurzeln bei niederen Temperaturen.
Die in dieser Richtung angestellten Versuche ergaben sehr bald,
in Bestätigung zahlreicher bereits vorliegender Untersuchungen, dass
die Streckung der Keimwurzeln bei Temperaturen, die nicht weit
über + 0° liegen, bei verschiedenen Pflanzenspecies in verschiedener
Weise vor sich geht; doch findet bei allen untersuchten
Keimlingen selbst bei Temperaturen zwischen O0 und
+ 1° C. ein mehr oder weniger ausgiebiges Wachsthum
zunächst noch statt.
In Bezug auf die Zeitdauer desselben treten aber Unterschiede
hervor, welche gestatten, die untersuchten Pflanzen in zwei Kate-
gorien zu ordnen, von denen die eine bei Temperaturen von 0—1° C,
andauernde, in gleichen Zeiträumen ungefähr gleich ausgiebige
Streckung zeigt (Sinapis, Secale, Triticum); während bei der ande-
ren ein allmähliches Sinken der Zuwachse innerhalb gleicher Zeit-
räume zu beobachten ist, welches in manchen Fällen erst nach eini-
gen Wochen, in andern schon nach einem bis wenigen Tagen mit
völligem Wachsthums-Stillstande, resp. mit dem Turgorverlust der
Wurzel endigt.
1. Sinapis alba keimte nach F. Haberlandt') bei einer
constanten Temperatur von 0 — 1° C. und zeigte bei derselben an-
dauerndes Wachsthum. Uloth?) beobachtete die Keimung von
Senfkörner auf Eisplatten, und auch De Candolle?°) giebt als die
niederste für die Keimung des weissen Senfes erforderliche Tempe-
ratur — 0° an,
Ein mit den Keimwurzeln von 10 angekeimten Samen bei einer
Temperatur von + 2,75— 3°C. angestellter Vorversuch hatte bei
22stündiger Dauer folgendes Resultat:
1) Wissensch.-prakt. Unters. I. S. 113.
2) Flora 1375.
3) Citirt aus Sachs, Lehrb. 4, S. S03.
344
(Versuch 1; 7. Jan.)
Anfangslänge des Zuwachs in
gemessenen Stückes. 22 St.
Nosst® 5,46 mm 1,59 mm
2. erıy® 1
3- 5,40 - are)
4. 6,42 = 0,74
5. 4,55 - 0,34
6. Aa: 0,44
7. 5,40 - 1, ®
8. 6,87 > 0,57 >
9. SH se 0,63
10. 3,81 » 0,74
Durchschnitt: 0,93 mm.
Da hierbei noch eine verhältnissmässig beträchtliche Streckung
eingetreten war, so wurde ein Versuch bei niederer Temperatur
gemacht. Es wurden 5 Keimlinge nach den oben beschriebenen
Vorbereitungen in den Eiskasten gebracht, in welchem während der
15 Tage langen Dauer des Versuches eine constante Temperatur
von + 0,25—0,75°C herrschte; nur am 2. Tage stieg sie einmal
auf + 1°.
(Versuch 2; 16 Jan.)
Anfangslänge Zuwachse
des gemessenen in je:
Stückes. 24 St. 48 St. 72 St. AS St. TUNDAESE
Temperatur: + 0,750 + 0,10 + 0,750 + 0,750 + 0,750 + 0,250 C.
No. 1. 11,48 mm 0,46 mm 1,36 mm 2,05 mm 1,53 mm 3,81 mm
2. ee 0,28 - 0912-7 0\T422- Dinke- —
3 ON 0,237: 9,97% MN] HgETIUND 27 7 _
4. 8,25 = 0,2087 =,020/997E 370,834 = 0,80* - —
—— N Tr
5 SIONn = 0230-70 IT 1,67 mm 4,15 mm
Durchschnitt: 0,32 mm 1,04 mm 1,33 mm 1,15 mm 2,98 mm.
Nach dem 8. Tage mussten 2 Wurzeln zum Zwecke der Messung
abgeschnitten und dann entfernt werden.
Im Durchschnitt ergiebt sich aus diesem Versuch, auf je 24 Stunden
berechnet, folgende Reihe von Zuwachsen:
0,32. 0,52. 0,52. 0,44. 0,44. 0,44. 0,57. 0,57. 7 X 0,57.
Bei Abschluss des Versuches sahen die 3 noch übrigen Keimlinge
bezüglich der Gestalt völlig normal aus, die Wurzeln waren mit
einem weissen Filz von Wurzelhaaren überzogen, Chlorophyli hatte
sich aber weder in den Kotyledonen, noch in dem hypokotylen
Stengelgliede gebildet').
9) Bemerkenswerth erscheint, dass bei einem Keimling (No. 4) die nach
oben gekehrten Flächen der beiden Kotyledonen eine schön rothe Färbung
345
Abgesehen von einer Depression am ersten Tage und einer
geringeren vom 4.— 6. Tage, zeigte sich also eine ziemlich gleich-
mässig verlaufende langsame Streckung, die nach 3 Tagen durch-
schnittlich 3,93 mm, nach 15 Tagen 8,11 mm betrug.
Weitere Versuche wurden mit den Wurzeln des weissen Senf
nicht angestellt, da sich aus den bereits vorliegenden Beobachtungen
über die Keimungsminima, mit Hinzunahme des obigen Ergebnisses
der Schluss ziehen lässt, dass die Keimwurzeln von Sinapis alba
bei Anwesenheit genügender Mengen von Baustoffen noch in Tempe-
raturen bis gegen -+ 0° hin eine Streckung zeigen.
2. Secale cereale verhält sich ebenso wie Sinapis alba, nur
ist der Zuwachs im Ganzen etwas weniger ausgiebig.
Roggenkörner keimten nach der Beobachtung von F. Haberlandt
bei 0— 1°C. nur kümmerlich und ohne sich normal entwickeln zu
können, nach Uloth im Eise sehr langsam.
Drei Keimlinge, von denen jeder 2—3 Würzelchen entwickelt hatte,
wurden auf feuchtem Fliesspapier anfangs im kalten Zimmer, später
im Eiskasten, ausgesetzt, nachdem je eine ihrer Wurzeln mit Marken
versehen worden war. Die Temperatur betrug am ersten Tage
-+ 1,5°, schwankte aber im weiteren Verlauf nur noch zwischen 0
und + 0,75° bis zum 14. Tage, worauf wieder eine Erhöhung
eintrat.
(Versuch 3; 23. Jan.)
Anfangslänge Zuwachse
des gemessenen in je:
Stückes. 24St. 48St. 248t. 248t.24St. 48$t. 48St. 48St. 48St. 488t.96 St
Temp. +1,50. +1,50. +0,750.4-0,250. +09. 4+-09.4-0,50.+-0,250.4-0,50.+-0,750. +10. +49
No.1.4,58mm 0,40 057 0,11 0,11 0,60 abgestorben.
939450. 1° 1,34 0,05 0,4 0,20 0,63 0,48*
3.9,09 = 0,85 0,63 0,40 1,08 0,80 0,71 0,88 0,5 0,48 1,42 3,47.
Durchschnitt: 0,86 0,42 0,35 0,46 0,40 0,51 0,68 0,5 0,48 1,42 3,47.
Bei dem theilweisen Abschluss des Versuches nach 10 Tagen
sahen 2 von den gemessenen Wurzeln ganz gesund aus, und hatten
geotropische Krümmungen ausgeführt, welche das Messen so sehr
erschwerten, dass die eine abgeschnitten werden musste; die dritte
zeigten. Es geht daraus hervor, dass zur Ausbildung dieses rothen, am Lichte
sich bildenden Pigmentes eine niedrigere Temperatur ausreicht, als für die
Ausbildung des Chlorophylis erforderlich ist. Ein ähnliches Verhältniss hat
Batalin (Ueber die Einwirkung des Lichtes auf die Bildung des rothen
Pigmentes. Acta Horti Petrop. VI. II. S. 279 ff. Citirt aus dem Bot.
Centralblatt, 1. Jahrg. S. 966) bezüglich der Lichtintensität an keimenden
Samen des Buchweizens nachgewiesen.
346 °
Wurzel (No. 1) hatte ihren Turgor verloren und schien abgestorben.
Es stellen sich für diese zehn Tage, auf je 24 Stunden berechnet,
folgende Zuwachse heraus:
0,86. 0,21. 0,21. 0,35. 0,46. 0,40. 0,25. 0,26. 0,34. 0,34.
Die verhältnissmässig bedeutende Streckung am ersten Tage ist
jedenfalls durch die höhere Temperatur in dieser Zeit verursacht.
Der überlebende Keimling wurde noch weitere zehn Tage hin-
durch beobachtet, und wies in den ersten 4 Tagen bei einer Tem-
peratur von + 0,5—0,75° die Zuwachse: 0,32. 0,32. 0,24. 0,24.
auf. Dann trat eine Temperaturerhöhung auf 4 1°, und am letzten
Tage sogar auf + 4” ein, da das Nachlegen von Eis versäumt
worden war. Demgemäss betragen die Zuwachse in dieser Zeit:
0,71. 0,71. 4 X 0,87; ein Beweis, dass die Wurzel noch völlig lebens-
kräftig war und zu ausgiebigerem Wachsthum nur einer geringen
Temperaturerhöhung bedurfte.
3. Triticum vulgare. Die untere Temperaturgrenze für die
Keimung liegt nach Sachs bei + 5° C., nach den Untersuchungen
von Haberlandt zwischen + 1 und + 4,8° C.; dagegen fand
Uloth, dass Weizenkörner im Eise in derselben Weise keimten,
wie Roggenkörner.
Drei analoge Versuche sollten das Wachsthum der Keimwurzeln bei
niederen Temperaturen feststellen. Bei dem ersten wurde nur ein
Keimling verwendet, von dessen 3 etwa 2 cm. langen Würzelchen das
eine gemessen wurde. Die Temperatur betrug während des ersten Ver-
suchstages + 1,5° C., hielt sich später aber immer (mit Ausnahme des
letzten Tages) zwischen + 0 und 4 1°, und betrug im Mittel + 0,5° ©.
(Versuch 4; 23. Jan.)
Anfangslänge des gemessenen Stückes: 14,43 mm. Temperat. + 1,50 C.
Zuwachse in je: 24 St. 0,28 + 1,50
48 =, OT = + 0,750
ie: + 0,250
BENNNTAN + 00
1er Or + 0,50
AR 250,23 + 0,250
48 :*. 0,51 = + 0,50
a + 0,750
CHE: +10
96 1,36 +40
Innerhalb 16 Tagen ergaben u für | je 24 St. folgende Zu-
wachse: 0,28. 0,38. 0,39. 0,28. 0,14. 0,21, 0,21. 0,21. 0,11. 0,12.
0,25. 0,26. 0,27. 0,27. 0,30. 0,30 mm. Die Schwankungen der
täglichen Zuwachse gehen, wie man sielit, mit den Temperatur-
schwankungen parallel.
347
Nach weiteren 4 Tagen, an deren letztem eine Temperaturerhöhung
auf 4 4° C. eingetreten war, ergab sich ein Zuwachs von 1,36 mm,
der sich aber sicher nicht gleichmässig auf diese 4 Tage vertheilt.
Ein zweiter Versuch wurde mit den Wurzeln von 5 schwächlichen
Keimlingen ausgeführt, von denen jeder nur eine einzige Wurzel
besass; die Temperatur betrug + 0,25 —0,75° C.
(Versuch 5; 19. Jan.)
Anfangslänge Zuwachs
des gemessenen in je
Stückes. 24 St. 24St. 24St. 48St. 488t.72St. 72St. 48St.
Temp. +0,750° -++0,250 +0,250 40,750 40,750 +0,50 +00 +0,250 40,250C.
No.1. 10,54mm. 0 0,20 —0,03 0,058 0,11 —0,03 0,17 —0,08
3. 9,69 = 043 023 0,06 020 0,14 —0,03 0,20 —-0,03
3.0008» 040 .020..011 2017 01% 008,%,0 0
A TLIT » 0 040, OlTn O6 00 — zu >
5. 7,87 « 012 .020 008 017 023 0 011 —006
Durchschnitt: 0,19 0,24 005 0,16 6,16 —0,035 0,12 —0,04
Hierbei ergaben sich durchschnittlich sehr geringe tägliche Zu-
wachse, ein Umstand, den man mit Recht der anfänglichen Schwäch-
lichkeit der verwendeten Keimpflänzehen wird zuschreiben dürfen.
Aus diesem Grunde wurde der Versuch mit kräftigeren, mit meh-
reren Würzelchen versehenen Keimlingen wiederholt, von deren
Wurzeln je eine gemessen wurde. Die Temperatur schwankte wäh-
rend der ersten 6 Versuchstage zwischen + 0,25 und + 1° C.,
und betrug im Mittel + 0,85°; am letzten (7.) Tage stieg sie
auf 4° C.
(Versuch 6; 5. Febr.)
Anfangslänge Zuwachse Summa
des gemessenen in je: der
Stückes. 24 St. 24 St. 48 St. 72 St. Zuwachse:
Temperat. + 0,250 +0,70 +10 +0,750 +40C.
No. 1. 10,23 mm 0,40 0,08 0,31 1,65 2,44
2. 6,36 - 0,28 0,06 028 0,48 1,10
3. 6,90 = 0,37 034 1,53 1,82 4,06
Durchschnitt. 0,35 20,16% @11 0 132 09,83
Folgendes sind die täglichen Zuwachse: 0,35. 0,16. 0,35. 0,36.
0,44. 0,44. 0,44. Die vorletzten 2 Zahlen, die nieht direct beob-
achtet, sondern berechnet sind, dürften in Wirklichkeit etwas niederer,
die letzte dagegen höher gewesen sein. Im allgemeinen stimmen
diese Zuwachse mit den beim ersten Versuch erhaltenen überein,
und zeigen, abgesehen von einer Depression gegen Anfang der Reihe,
ziemlich constante Zahlen; hier, ebenso wie bei Sinapis und Secale
lässt sich kein allmähliches Sinken der Zuwachse bemerken.
348
Anders verhält es sich nun mit allen andern, im weiteren Ver-
lauf der Untersuchung beobachteten Pflanzen, insofern bei ihnen theils
ein langsames, theils ein rasches Herabsinken der auf einander fol-
senden Zuwachse bemerkt wurde.
4. Pisum sativum. Köppen fand die untere Temperatur-
grenze für die Keimung bei + 6,7° C., während nach Haberlandt
die ersten, allerdings geringfügigen Keimungserscheinungen bei einer
4 Monate lang constanten Temperatur von 0—1° C. sich zeigten,
und nach Uloth sogar langsame Keimung im Eise eintrat.
Es ergab sich zunächst bei einem mit 9 Hauptwurzeln in einer
constanten Temperatur von -- 4° C. angestellten Versuch, dass
innerhalb 24 Stunden noch ein nicht unbeträchtlicher durchschnittlicher
Zuwachs stattfand:
(Versuch 7; 9. Jan.)
Anfangslänge Zuwachse Temperatur
des gemessenen in +40C.
Stückes. 24 St.
No. | 4,60 mm DT
2 3,30 0,34
6) 4,77 1,05
1. 5,40 1,36
S* 3,64 0,40
6 5,62 0,57
7 4,98 0,68
8 9,50 0,77
9 4,49 0,91
Durchschnitt: 0,93
Es wurde demnach ein neuer länger andauernder Versuch bei
niederer Temperatur eingeleitet. Bei einer nur zwischen +0,5 und 1° C.
schwankenden Temperatur wurden 4 Keimwurzeln, von denen eine
(No. 4) vom Samen getrennt war, 10 Tage lang beobachtet:
(Versuch 8; 14. Jan.)
Anfangslänge Zuwachse Summe der
des gemessenen in je Zuwachse
Stückes. 94 St. 1724 St.01,72 St.40120186.JIsanl68St. in TAT.
Temperat. + 10 +0,90 +0,90 + 0,50 + 0,60 +0,50 C.
No. 1. 10,29 mm 0,74 0 0,54 0,26 0,26 2)
2 1119 0,28 0,20 0,57 0,34 0,71 2,10
3. 15,40 0,28 0,25 0,34 0,77* _ —_
4. 13,44* 0,57 0.14 0,14 0,06 0,08 0,99
Durchsehnitt: 0,47 0,15 0,40 0,36 0,35 113
Die täglichen Zuwachse stellen sich folgendermassen: 0,47. 0,15.
0,13. 0,13. 0,13. 5X 0,7. Da die eine Wurzel (No. 3) nach diesen
10 Tagen bei der Messung zerschnitten werden musste, so wurden
349
nur die übrigen nach Verlauf von 7 Tagen wieder gemessen, während-
dem die gleiche Temperatur herrschte. Sie zeigten nur einen
durchschnittlichen Zuwachs von 7 X 0,05 mm. — Bei Beendigung des
Versuches sahen sämmtliche Wurzeln normal aus und hatten geo-
tropische Krümmungen ausgeführt. Obwohl ein factischer Stillstand
nicht beobachtet worden ist, so schliesse ich doch aus den constant
fallenden Zuwachsgrössen, dass ein solcher bei längerer Andauer des
Versuches erfolgt wäre. Diese Annahme steht allerdings im Wider-
spruch mit der Beobachtung Uloths, indessen wird man vielleicht für
verschiedene Erbsenrassen ein ungleiches Verhalten annehmen dürfen.
5. Cannabis sativa keimte langsam und kümmerlich, wie die
Erbse, bei 0—1° C. nach Haberlandt, im Eise nach Uloth.
Zunächst wurde ein Versuch mit 10 Keimwurzeln bei einer
zwischen — 4,25 und 4,5° ©. schwankenden Temperatur angestellt:
(Versuch 9; 9. Jan.)
Anfangslänge des Zuwachse Temperatur.
gemessenen Stückes. in 24 St. + 4,25—4,50 C.
No. 1. 4,82 mn 1515
2. 4,94 0,97
3. 5,40 2,02
4. 3,12 1,75
56 12516 1,99
6. 4,66 1,25
BUNTE 0,91
RER: 1,37
er: 1,19
10. 5,80 1,53
Durchsehnitt: 1,41
Ein weiterer Versuch bei niedrigerer Temperatur ergab ein ähnliches
Zuwachsverhältniss, wie bei den Erbsenwurzeln. Verwendet wurden
5 Hauptwurzeln, von denen die eine (No. 5) vom Samen abgeschnitten
war; die Temperatur betrug während der ersten 10 Versuchstage
fast constant + 0,75° C., nur am dritten Tage stieg sie auf + 1°.
(Versuch 10; 14. Jan.)
Anfangslänge Zuwachse Summe der
des gemess. in je Zuwachse
Stückes. 24St. 24St. 24St. 488St. 72St. 48St. 1688t. in17T.
Temp. + 0,750 +0,750 40,750 410 40,750 + 0,750 40,750 4.0,250C.
No. 1. 10,74mm 0,40 0,28 —0,20 0,06 0,37 0,31 023 18
2514591 0,34 0,23 abgestorben.
3211542 0,45 —0,20 — oe 0,41 abgestorben.
4. 6,42 0,68 —0,03 1,28 1,39 0,65 3,97
5. 9,01* 1,31 0 0,61 0,28 0,17 2,54
Durchschnitt: 0,63 0,09 0,17207467220:407 0,29 0,35 23
350
Folgendes sind die Zuwachse für je 24 Stunden: 0,63. 0,09. 0,17,
0,23. 0,23. 0,13. 0,13. 0,18.. 0,14. 0,14.
Während dieser Zeit starben 2 Wurzeln ab, die 3 übrigen zeig-
ten nach Verlauf von 7 Tagen, während welcher die Temperatur
zwischen — 0,25 und 0,75° C. schwankte, einen durchschnittlichen
Zuwachs von 0,05 mm pro Tag. Sie waren bei Beendigung des
Versuches von normalem Aussehen.
6. Vicia Faba. Die Keimung erfolgt nach Haberlandt
noch bei einer Temperatur von + 4,8° C. innerhalb 7 Tagen.
Ein Versuch mit 3 Keimwurzeln zeigte, dass bei einer Temperatur
von + 3,25 — 3,750 C, in 48 Stunden noch ein Zuwachs von
2,43 mm im Durchschnitt erfolgte.
(Versuch 11; 11. Jan.)
Anfangsläinge Zuwachse Summe
des gemessenen in je: der
Stückes. 24 St. 24 St. Zuwachse.
Temp. + 3,750 + 3,250 +3,50C.
No.1. 12,37* mm 1,42 0,88 2,30
001013 0,63 0,74 163R
3. 11,59 N nenn. 3,61
Durchschnitt: 2,43
Ein zweiter Versuch wurde mit 4 Hauptwurzeln angestellt, welche
zur Erleichterung des grade bei diesen dicken Wurzeln schwierigen
Messens von den Samen abgeschnitten worden waren. Die Tempe-
ratur schwankte während 10 Tagen zwischen + 0,5 und + 1° C,
(Versuch 12; 14. Jan.)
Anfangslänge Zuwachse Summe der
des gemessenen in je Zuwachse in
Stückes. 24 St. 24 St. 48 St. 24St. 120St. 10 Tagen.
Temp. + 10 + 0,90 40,90 +10 +0,50 + 0,60
(No. 1. 16,82* mm 0,46 0,28 — 0,03 — 0,03 —)
DSHIEADZ 0,77 0,03 0,03 0,23 0,37 1,43
3.114965 0,82 0,14 0,37 0,03 1,36
en
4. 192,33* 1,31 0,34 0,26 1,91
Durchschnitt: 1,02 0,32 0,22 1,56
Da die eine Wurzel (No. 1.) sich als ungeeignet erwies, weil sie
bei fortdauerndem Wachsthum der jüngeren Zonen eine starke Ver-
kürzung der älteren zeigte, die den Zuwachs übertraf, so wurde sie
bei der Durchschnittsberechnung ausser Acht gelassen. Die Zuwachse
für je 24 Stunden stellen sich folgendermassen heraus: 0,51. 0,51.
0,11. 0,11. 0,11. 0,055 0,055. 0,055. 0,055.
Um dem Einwand zu begegnen, dass in diesem Falle das Wachs-
351
thum nur wegen des Fehlens der in den Kotyledonen abgelagerten
Reservestoffe dem Erlöschen nahe gewesen sei, wurde der Versuch
mit der Abänderung wiederholt, dass solche Wurzeln verwendet
wurden, die noch mit dem Samen im Zusammenhang standen. Die
Temperatur schwankte von + 0—0,6° C.
(Versuch 13; 19. Jan.)
Anfangslänge Zuwachse Summe der
des gemess. in je: Zuwachse:
Stückes; 24 St. 24St. 24 St. 48 St. 48 St. 72St. 48 St.
Temp. +0,50 +00 +00 40,250 +0,60 40,50 +00 +0,50
No. 1. 13,755 mm 0,54 0,43 —0,54 0,14 —0,06 0,51 (in 7T.)
2. 9,97 1,45 —0,03 20,03 "0,11 023 0,06 * ' 01,79 (-12 - )
3.7921 7,026. 40,515 04142, 0,11 1,58 (- 5 =)
Aa 20082051 0,17 0,28 0,06 abgestorben 3,09 (- 7 = )
Durchschnitt: 1,27 0,30 —0,04 0,16 0,08 0,06 0
Der Durchschnitt aus den Zuwachsen ergiebt folgende Zahlen für
je 24 Stunden: 1,27. 0,30. —0,04. 0,08 0,08. 0,04. 0,04. 0,02. 0,02.
0,02. 0. 0. Es zeigte sich also nur nach dem ersten Tage ein aus-
giebigerer Zuwachs, als bei dem vorhergehenden Versuche, sodann
aber, nach einer eigenthümlichen Depression am 3. Tage, ein immer-
währendes Sinken bis zu dem am 11. Tage eintretenden Stillstand.
Die 4 zu diesem Versuche verwendeten Keimlinge wichen in
ihrem Verhalten bedeutend unter einander ab. Die niedere Tempe-
ratur der ersten Versuchstage bewirkte bei zweien derselben (No. 1
und 2) schon nach 2 resp. 3 Tagen eine Verkürzung, d. j. ein Nach-
lassen des Turgors; als sich indessen die Temperatur nachher um
ein geringes hob, so zeigten diese beiden Wurzeln wieder einen
kleinen Zuwachs, der bei der einen (No. 2), die auch vorher eine
weit geringere Verkürzung gezeigt hatte, längere Zeit fortdauerte,
bei der andern dagegen schon nach 2 Tagen wiederum einem Rück-
gange Platz machte. Diese Wurzel (No. 1) wurde in ein warmes
Zimmer (von ca. + 18—20° C.) gebracht, zeigte nach 24 Stun-
den daselbst einen Zuwachs von 0,42 mm, und wuchs dann in 2 Tagen
um ca. 42 mm. Auch No. 2, welche noch bis zum 11 Tage Zuwachse
gezeigt hatte, wurde am 12. in eine Temperatur von ca. + 18 °C.
gebracht; die Hauptwurzel wuchs indessen nicht weiter, nach 5 Tagen
war sie völlig abgestorben und missfarbig, aus ihr hatten sich zahl-
reiche Nebenwurzeln entwickelt, und die Plumula war in kräftiger
Entfaltung begriffen.
Von den beiden letzten Keimwurzeln (No. 3 und 4), welche in
den ersten Tagen des Versuches keine Verkürzung erfahren hatten,
wurde die eine (No. 4) mit No. 1 zusammen nach 7 Tagen in das
352
warme Zimmer gebracht und erwies sich daselbst als abgestorben,
obwohl eine Verkürzung auch in den letzten Versuchstagen an ihr
nicht bemerkt werden konnte.
Derartige Unterschiede bestätigen die alte Erfahrung, dass bei
den Wachsthumserscheinungen in der Nähe der unteren Temperatur-
srenze individuelle Verschiedenheiten eine grosse Rolle spielen.
Von besonderem Interesse sind die Ergebnisse der Versuche mit
solchen Pflanzen, deren untere Temperaturgrenze für die Keimung
bestimmt um ein beträchtliches oberhalb + 0° liegt, nämlich mit
Keimlingen von Sonnenrose, Pferdezahnmais und Kürbis.
7. Helianthus annuus. Das Minimum für die Keimung liegt
nach Haberlandt zwischen + 4,8 und + 10,5° C.
Bei dem ersten Versuch, welcher mit 4 Keimlingen angestellt wurde,
herrschte während des ersten Tages eine Temperatur von -+ 1,5°,
später schwankte dieselbe zwischen — 0 und + 1° während 18
Tagen und stieg am letzten Tage auf + 4° C.
Anfangslänge Zuwachse (Versuch 14; 23. Jan.) Summe de
des gemess. in je Zuwachs
Stückes. 24St. 48St. 24St. 24St.24St. 24St. 72St. 48St. 48St. 48St. 96St. in20T.
Temp. +1,50 +1,50 0,750 40,250 +00 +00 ++0,750-40,250-40,50-+0,750 +10-+40C.
No, 1. 8:56 um 0,77 0:74 0,14 70,26 0,20 "0;0870,607. 028990237. 07170918 Aa
2. 9,32 0,65 0,60 0,34 0,37 0,11 0,06 043 023 ' 0 0,51: 0,26 3,56
3. 9,43 0,68. 0,28 0,17 0,14 0,11 0,14 026 040 © 0,85 .0,34* 3,37
4. 9,18 0,46. 0,14 0,20 0,51 0,34
Durchschnitt: 0,64 0,44 0,26 0,32 0,19 0,09 0,3 0,30 0,09 0,69 0,50 3,97
Hiernach sind die durchschnittlichen Tageszuwachse folgende:
0,64. 0,22. 0,22. 0,26. 0,32. 0,19. 0,09. 0,14. 0,14. 0,14, 0,15.
0,15. 0,045. 0,045. 0,34. 0,34. 4 X 0,125.
Da einige Male an zwei auf einander folgenden Tagen Temperatur-
schwankungen von 0,5 — 0,75° stattgefunden hatten, die gewiss auf
den Verlauf der Streckung Einfluss übten, so wurde der Versuch
bei einer Temperatur, die im Ganzen in 14 Tagen nur zwischen
+ 0,25 und 0,750 C. schwankte, mit 5 Keimlingen wiederholt.
Nur am letzten Tage stieg die Temperatur auf 4° C.
Anfangslänge Zuwachse (Versuch 15; 28. Jan.)
des gemess, in je
Stückes. 24 St. 24 St. 488t. 48 St. 48St. 96 St. 72St. Summe der
Temp. + 0,250 -+00 -+0,50 +0,250 +0,250 40,250 40,750 +49 C. Zuwachse,
No, 1. 7,41mm 0,34 0,26* 0,60 (in2T.)
2. 943 062 028 0,26 0,14 0 1,304- 8.)
.11,36 082 03 065 0 12226)
4. 6,76 0,91 0,31 —0,08 abgestorben 1,14 (-4 -)
5. 886 085 048 020 051 020 006 008 2,38 (-15-)
Durchschnitt: 0,71 0,33 0,08 0,22 0,10 0,06 0,08
355
Das Resultat ist folgende Zuwachsreihe pro Tag: 0,71. 0,33.
0,04. 0,04. 0,11. 0,11. 0,05. 0,05. 4 X 0,015.
Das Verhalten der einzelnen Keimwurzeln ist lehrreicher, als
die Durchschnittszahlen, da die einzelnen Exemplare sich bezüglich
der Zeitdauer der Streckung verschieden verhielten. Mit No. 1
musste der Versuch vorzeitig abgebrochen werden, bei No. 4 war
am 4., bei No. 3 am 6., bei No. 2 am 8. Tage Stillstand resp.
Verkürzung eingetreten; die Wurzeln waren leicht gebräunt und
turgorlos, ins warme Zimmer gebracht erwiesen sie sich als ab-
gestorben. Bei diesen 3 Nummern ist ein stetiges Sinken der Zu-
wachse bis zum Stillstand zu bemerken. Anders verhielt sich No. 5,
welche noch am 15. Tage lebensfähig war; zwar findet auch bei
ihr zunächst ein Sinken der Zuwachse bis zum 4. Tage statt, hierauf aber
kommt eine Beschleunigung der Streckung, und von dieser aus ein all-
mähliches stetiges Fallen. Ein ähnlicher Gang im Verlaufe der Strek-
kung konnte auch bei andern Pflanzen nicht selten beobachtet werden.
Für sämmtliche Keimlinge beider Versuchsreihen bleibt es auf-
fällig, dass bei einer weit unterhalb des Keimungs-Minimum liegenden
Temperatur noch eine mehr oder weniger lange andauernde Streckung
überhaupt stattfindet.
Ein analoges Resultat ergab:
8. Zea Mays lewcodon. Die untere Temperaturgrenze für
die Keimung wurde von Sachs als bei + 9,4° C. liegend bestimmt;
nach De Candolle liegt sie bei + 9°, nach Haberlandt
zwischen + 4,8 und + 10,5°C.
Eine Reihe von Versuchen wurde durch einen solchen eingeleitet, bei
dem 9 Keimlinge verwendet wurden; die Temperatur betrug + 4° C.
(Versuch 16; 9. Jan.)
Anfangslänge Zuwachse Temperatur
des gemessenen in je: +49.
Stückes: 24 St. 24 St.
No. 1. 5,17* mm 0,06 — 0,34
2. 4,26* 04 2 08
3. 10,73 0,11
4. 4,66 0 0,17
DT 0,06 — 0,23 abgestorben.
6. 3,35 0 0,11 dgl.
1... 3,85 0,06
S. 10,97 0,17
92.72.10 — 0,28 — 0,23 abgestorben.
Durchschnitt: 0,01 — 0,16
Der Versuch ergab schon nach den ersten 24 Stunden bei zwei
Nummern einen Stillstand, bei zwei anderen Verkürzung, während
354
die übrigen sehr geringe Zuwachse zeigten. Nach weiteren 24
Stunden wurden 6 von den 9 Nummern gemessen, und von diesen
zeigten fünf eine Verkürzung, eine einen geringen Zuwachs. Als
diese 6 Nummern darauf in ein warmes Zimmer gebracht wurden,
erwiesen sich nach 43} Stunden 3 als abgestorben (No. 5, 6, 9),
die 3 andern waren gewachsen, und zwar:
No. 1 um 0,68 mm.
2leud8T »
TC):
Bei den beiden ersten Nummern hatte also das vorherige Nachlassen
des Turgors die Lebensfähigkeit der Wurzel noch nicht aufgehoben.
Ein zweiter Versuch hatte den Zweck, festzustellen ob bei einer
noch niedrigeren Temperatur, nämlich + 0—0,5° C. der Stillstand
in der Streckung früher einträte.
(Versuch 17; 26. Jan.)
Anfangslänge Zuwachse
des gemessenen in je:
Stückes. 181), St. 41, St. 25 St. 24 St. 48 St.
Temp. + 0,50 = 00 0% =00 E00 0,50€:
No. 1. 12,90 mm 1,16 0,08 0,23 — 0,06 — 0,17
2. A,66 0,79 0. —011 — 0,11 — 0,23 ) abgestorben,
3. 19,87 0,40 0,083 0,03 0,14 — 0,06
Durchschnitt: 0,78 0,04 0,05 — 0,01 — 0,15
Es ergab sich, dass von den verwendeten drei Keimwurzeln die
eine (No. 2) nach 184 St., die zweite (No. 1) nach 48, die dritte
(No. 3) nach 72 Stunden aufgehört hatte, sich zu strecken. Am
Ende des 5tägigen Versuches zeigten alle 3 Wurzeln eine deutliche
Verkürzung, und waren, wie ein Versuch bei einer Temperatur von
- 18° C. ergab, abgestorben.
Ferner schien es von Interesse, zu untersuchen, wie sich das
Wachsthum bei einer beträchtlich höheren, aber noch unterhalb des
Keimungs-Minimum liegenden Temperatur gestalten würde. Zu diesem
Zweck wurden 4 Keimlinge bei einer zwischen -+ 7 und 10° C. schwan-
kenden Temperatur 14 Tage lang auf nassem Fliesspapier ausgelegt.
(Versuch 18; 20 Febr.)
Anfangslänge Zuwächse
des gem. in je:
Stückes: 48St. 48St. 48St. 72St. 24St. 24St. 24St. 48St.
Temp. +8,50 +90 48,750 +8,50 47,750 47,750 47,750 +8,50 49,500.
(No. 1. 10,20mm 1,28 0,31 026 080 —0,11 017 011 0,2)
2.171,00 oo as "re 031 0286 065 1,19
3.1028 ' 9,81 Bm Me 0,85 0,23 0,54 0,34
4, 11,70. |1402522 8,55 10 4,08. 102516 0 0 0,34 0,34
Durchschnitt; 2,43 3,10 1,69 1,66 0,39 0,16 0,51 0,63
355
Bei der Durchschnitts-Berechnung blieb No. 1 unberücksichtigt,
da sie zufällig so ungünstig zu liegen kam, dass die Wurzel mit
dem feuchten Fliesspapier nicht in Berührung stand. Während der
Dauer dieses Versuches wurde täglich einmal der Stand des Maximum-
und Minimum - Thermometers im Zimmer, die sich in nächster Nähe
der Versuchspflanzen befanden, aufgezeichnet:
Maximum. Minimum. Mittel.
21.12. + 8,50 g0 8,250C,
22.12 9 8,25 8,62
23.2. 9 8,75 8,87
24.]2. 9 8 8,5
25.2. 9 155 8,25
26./2. 8,5 7 TUE
27.2. 8 7 045
28.22. 8,25 7 7,62
29.2. 8 7 1,5
Br 108 7 7,37
2.8. 103 125 1,5
3./3. 35 7,5 S
4./B. 8,75 73 $,12
5.3: 10 9,25 9,62
Es ergaben sich durchschnittlich die folgenden Tageszuwachse:
1521271, 27291%6:0. 11,55,01,35: 1.35..0,55. 0,55..0,55. 0,39. 0,16. 0,51.
0,31. 0,31 mm. Es ist demnach auch bei dieser Temperatur noch
im allgemeinen ein constantes Fallen der Zuwachsgrössen ersichtlich,
welches bei hinreichend langer Dauer des Versuches gewiss zum
völligen Stillstand geführt haben würde. Die in den letzten Tagen
wieder bemerkbare Steigerung der Streckung geht parallel mit einer
Temperaturerhöhung.
Ganz ähnliche Resultate ergab
9. Cucurbita Pepo, für welche die untere Temperaturgrenze
für die Keimung noch höher liegt, als bei Zea Mays, nämlich nach
Sachsbei + 13,7°, nach Haberlandt zwischen + 15,6 und 18,5° C.
Es wurde eine Anzahl von Versuchen angestellt, um zu beobachten,
wie sich bei der Erhöhung der Temperaturen, die sich sämmtlich unter-
halb jenes Minimum bewegten, die Grösse der Zuwachse verhalten würde.
Zunächst wurde dies beieiner Temperatur von + 0—0,5° C. geprüft.
(Versuch 19; 26. Jan.)
Anfangslänge des Zuwachse in je:
gemessenen Stückes: 1823 St. 44, St. 24 St.
Temp. + 0,50 + 00 =>50% 32.088
No. 1, 10,51 mm 0,62 — 0,31 — 0,06
2. 12,58 0,79 0,06 0
Durchschnitt: 0,71 — 0,12 — 0,03
Cohn, Beiträge zur Biologie der Pflanzen. Band II, Heft II. 94
356
Von den beiden verwendeten Keimwurzeln zeigte die eine schon
nach 23 Stunden eine Verkürzung, die andere am zweiten Versuchs-
tage keinen Zuwachs mehr.
Ein zweiter, mit 5 Keimlingen bei nur wenig höherer Tempe-
ratur, die zwischen + 0,25 und 0,75° C. schwankte, angestellter
Versuch hatte ziemlich denselben Erfolg:
(Versuch 20; 19. Jan.)
Anfangslänge des Zuwachse in je:
gemessenen Stückes: 24 St. 24 St.
Temp. + 0,750 + 0,250 + 0,250 C.
Nor -11202mm 0,79 0,11
215500 0,57 0,31
279,48 0,77 — 0,23
4. 13,24 1,42 —- 0,26
a Allee 0,46 0
Durchschnitt: 0,80 — 001
Es fand durchschnittlich nur während der ersten 24 Stunden
Streekung statt; nur bei 2 Nummern zeigte sich auch innerhalb des
zweiten Tages noch ein Zuwachs.
Bei einer wiederum etwas höher liegenden Temperatur, nämlich von
+ 0,75—1° C, dauerte die Streckung auch innerhalb der zweiten
24 Stunden noch bei sämmtlichen 5 beobachteten Keimwurzeln an.
(Versuch 21; 14. Jan.)
Anfangslänge des Zuwachse in je: Summe der
gemessenen Stückes: 24 St. 94 St. 48 St. Zuwachse
Temp. w-+ 0,759 + 0,750 + 0,750 + 10C. in4 Tagen:
No. 1. 11,22 mm 0,23 0,03 — 0,11* 0,08
De las 0 0,09 are os
3. 8,27 0,08 0,11 — -0,03* 0,17
ST
4. 11522 0,34 — 0,08* 0,25
5 8,61 0,23 — 0,03 0,20
Durchschnitt: 0,12 (?) 0,10 (?) — 0,12 0,10
Nach 4tägiger Exposition war bei allen Keimlingen eine Ver-
kürzung eingetreten.
Bei einer Temperatur von + 3,25 —3,5° C. ergab sich folgendes:
(Versuch 22; 13. Jan.)
Anfangslänge des Zuwachse in je:
gemessenen Stückes: 24 St. 24 St.
Temp. + 3,250 + 3,250 + 3,50 C.
No. 1. 13,84 mm 1,65 0
22 9,12 1,60 0,51
au 9,50 0,11 0,17
4.0 GR 0,94 0,11
5. 13,07 0,85 0,25
6. 8/66 1,11 0,08
7..- 1093 1,19 0
S.. T76,36 0,97 0,14
Durchschnitt: 1,05 0,16
357
Von den verwendeten 8 Keimlingen zeigten 6 noch innerhalb des
zweiten Tages einen Zuwachs, die beiden anderen Stillstand.
Eine weitere Beobachtung wurde bei einer Temperatur von
+ 3,25 —4,5° C. gemacht.
(Versuch 23; 11 Jan.)
Anfängslänge
des gemessenen Zuwachse in je:
Stückes: 24 St. 24 St. 24 St. 24 St.
Temp. + 4,50 —+ 3,250 + 3,250 + 3,250 + 3,50 C.
No. 1. 8,18 mm 0,88 0,43 0,23 0,17
2. 9,37 0,99 0,99
Bei den beiden Keimlingen hatte auch nach 2%X 24 Stunden die
Streckung noch nicht aufgehört; bei No. 1 ist vier Tage lang ein
constantes Sinken der Zuwachse, aber noch kein völliger Stillstand
bemerkbar.
Endlich wurde noch ein Versuch bei einer zwischen + 7 und
9° C. schwankenden Temperatur ausgeführt. Die beim 18. Ver-
such (mit Mais) angegebenen Beobachtungen des Maximum und
Minimum der Lufttemperatur (s. 8. 355) haben auch für den vor-
liegenden Versuch Geltung.
(Versuch 24; 20. Febr.)
Anfangslänge Summe der
des gemessenen Zuwachse in je: Zuwachse
Stückes: 48 St. 48St. 48St. 72St. 24St. 24.St. inllT.:
Temp. + 8,50 +90 + 8,750 +8,50 47,750 47,750 + 7,750 C.
No. 1. 7,50 mm ara 0,85 0,26 —0,08 0,03 0 2,77
9. 6,02 1,50. 0,99 028, 0414 006 0.03 2,82
2 08 1A N Enar(U) ir damen 1) 7 ana 3, dr Me 0 2,36
Durchschnitt: 1,43 0,94 0,23 0,08 —0,01 —0,01
Wie sich erwarten liess, fand nun ein längeres Andauern der
Streckung statt; dieselbe war durchschnittlich erst nach 9 Tagen
erloschen. Es betrugen, auf je 24 Stunden berechnet, die aufein-
anderfolgenden Zuwachse: 0,71. 0,71. 0.47. 0,47. 0,11. 0,11. 0,03.
0.035, 0.02. 0,01- —0,01.
Hier hörte also bei gleichen Temperaturverhältnissen die Streckung
bedeutend eher auf als beim Mais, in Uebereinstimmung mit dem
tiefer liegenden Keimungs-Minimum des letzteren.
24*
358
IV. Streckung oberirdischer Organe bei niederen Temperaturen.
Die Beobachtuug von Sachs'), dass der Keimungsaet, in man-
chen Fällen sogar verschiedene Phasen desselben, und das weitere
Wachsthum derselben Pflanzen an verschiedene Temperatur - Minima
gebunden sind, liess es als wünschenswerth erscheinen, das Wachs-
thum oberirdischer Organe bei niederen Temperaturen mit demjenigen
der Keimwurzel derselben Pflanze zu vergleichen. Es ist zwar aus
der Darstellung von Sachs deutlich ersichtlich, dass er in jener
Arbeit den Begriff des Wachsthums noch nicht so scharf präeisirt
und in seine einzelnen Factoren zerlegt hat, wie in späteren Abhand-
lungen und in seinem Lehrbuch, und dass aus diesem Grunde seine
Beobachtung nur für die Gesammtentfaltung der Organe einer Pflanze,
nicht aber speciell für den Vorgang der Streekung von Bedeutung ist.
Insbesondere seit Wiesner”) gezeigt hat, dass die Ausbildung des
Chlorophylis gleichfalls an Temperatur-Minima gebunden ist, die in allen
von ihm angeführten Fällen oberhalb der Minima für die Keimung
derselben Pflanzen liegen, wird man berechtigt sein, anzunehmen,
dass für eine bestimmte Pflanzenart in verschiedener Höhe liegende
untere Temperaturgrenzen für einzelne das Gesammtwachsthum be-
stimmende Vorgänge vorhanden sind, z. B. für Wasseraufnahme,
Ergrünung, Umsetzung von Stärke in Cellulose, Flächenwachsthum
der Zellmembranen u. a.; nicht aber, dass etwa einer dieser Vor-
gänge, z. B. das Wachsthum der Zellmembranen, in verschiedenen
Entwickelungsphasen derselben Pflanze von verschiedenen Tem-
peraturgrenzen eingeschlossen sei. Ist diese Voraussetzung richtig,
so lässt sich z. B. der Wachsthums - Stillstand, den Sachs häufig
nach der Entfaltung aller im Embryo bereits angelegten Theile bei
nur wenig das Minimum überschreitenden Temperaturen beobachtete,
sehr leicht durch die Annahme erklären, dass jene Temperatur eben
noch unterhalb des für die Assimilation geltenden Minimum lag, oder
doch eine ausgiebige Production von plastischen Stoffen noch nicht
zu unterhalten im Stande war.
Meine auf derartige Erwägungen begründete Vermuthung, dass
die Streckung oberirdischer Organe bei niederen Temperaturen in
Uebereinstimmung mit der entsprechenden bei Keimwurzeln derselben
Pflanzen beobachteten verlaufen würde, liess sich für die in dieser
Richtung untersuchten Organe, hypokotyle Stengel des weissen Senfes
1) Abhängigkeit der Keimung ete. S. 365 ff.
2) J. Wiesner, die Entstehung des Chlorophylis in der Pflanze. S. 91 ff.
359
und Plumula-Theile von Roggen und Weizen, durch die folgenden
Versuche bestätigen.
1. Sinapis alba. Die hypokotylen Glieder (vom Wurzelhalse
bis zur Ansatzstelle der Kotyledonen) von 4 im warmen Zimmer
hinreichend herangewachsenen Keimlingen wurden 20 Tage lang bei
einer mittleren Temperatur von —- 0,75° C., die niemals + 1° C. über-
stieg, beobachtet.
(Versuch 25; 12. Febr.)
Anfangslänge
des gemessenen Zuwachse in je:
Stückes: 24 St. 24 St. 48 St. 48 St. 48 St. 488t. 488t. 48 St. 72St. 72St.
Temp. +10 +19 +10 +0,50 +0,750 +0,50 +0,80 4 0,50 0,50 +0,60 + 0,750C.
No. 1. #8,75mm 0,23 0,20 0,54 0,74 0,7167) 0,370 0,68. | 0,48: 11,16 0,26
2.293,60 0,14 0,34 0,34 0,17 0,12 0,60 Wurzel abgestorben.
3.11.33 © 20,08. 0,3: 0.62, 0,65 0,46, 0,65, 0,68, 0,37,.1,48., 0:62
4. 16,79 0,40 0,54 0,23 0,34 0,62 Wurzel abgestorben.
Durchschnitt: 0,21 0,35 0,43 0,47 0,49 0,54 0,8 0,42 1,32 0,44
Es ergaben sich hieraus folgende tägliche Zuwachse: 0,21. 0,35.
0,21.00,21%.0/23),0;23810,2440,24:10;27.5,0,27..,0,82:0, 32405210521.
0,44. 0,44. 0,44, 0,15. 0,15 mm. Wenn sich im Ganzen hier geringere
tägliche Zuwachse herausstellten, als bei den möglichst gleich be-
handelten Keimwurzeln (vgl. $. 344), so dürfte dies einmal von der
an sieh grösseren Wachsthumsintensität der Wurzeln, sodann aber
auch von dem weiter vorgeschrittenen Wachsthumsstadium der ver-
wendeten Stengel, und dem Uebelbefinden der Wurzeln, die bei den
Messungen litten, (2 starben ganz ab), herzuleiten sein.
Bei einem zweiten Versuche sollten die Zuwachse der Wurzeln
und hypokotylen Stengelglieder je an einer und derselben Pflanze
gemessen werden, indessen gelang dies nicht in der wünschenswerthen
Weise, weil in Folge des Fehlens des sonst zum Festhalten sehr
geeigneten Samens die der Beobachtung unterzogenen Organe selbst
beim Messen beeinträchtigt wurden.
(Versuch 26; 18. Febr.)
Anfangslänge Zuwachse in je:
der 48 St. 48 St. 48 St. 48 St.
Wurzel-+ deshypok. Gliedes Wurzel. Hyp.G. Wurzel. Hyp.&. Wurzel, Hyp.G. Wurzel. Hyp. 6.
Temp. -+ 0,750 + 0,50 -+ 0,750 —- 0,50 +0,50C.
No. 1. 24,35 +11,51imm 1254048 0821011 - 0,40+125 - 023-40,17
2. 16,73 + 14,94 1404046 0,14+-0,37 Wurzelabe. +1,11 — +-1,00
Durchschnitt: 1,32 +0,47 0,48 1-0,24 0,40 +1,18 0,23 + 0,58
Der Zuwachs an Wurzel und Stengel nach je 48 Stunden war
also sehr verschieden, bald überwog der an der Wurzel, bald um-
360
gekehrt. Die Summe der Zuwachse nach 8 Tagen betrug bei der
Wurzel 2,73 mm, bei dem hypokotylen Stengelglied 2,51 mm.
2. Secale cereale. Gemessen wurde das weisse Scheidenblatt
der Plumula von 3 im warmen Zimmer herangewachsenen, kräftigen,
mit mehreren Wurzeln versehenen Keimlingen. Die Temperatur
schwankte während der 14 Tage des Versuches zwischen O0 und + 1,5°C.
(Versuch 27; 26. Jan.)
Anfangslänge Summe der
des Zuwachse in je: Zuwachse
Scheidenblattes: 24St. 34St. 48St. 48St. 48St. 48St. 96St. inl4T.
Temp. +1,50 +1,250 +00 40,750 40,750 40,750 +10 -+1,250C.
No: 1.1953 10m! 0,40 | 023 051 "a5! 0,771 Mat 932 or
2. 13,91 1,31 0,91 0,74 1,08 0,94 0,74 3,07 8,79
3. 7,22 0,60. 0,17 .0,7%0 K11) ı 0,82). 10,9 5967 107,88
Durchschnitt: 0,77 0,43 0,67 al oe er 1,95
Auf je 24 Stunden berechnet ergeben sich durchschnittlieh die
folgenden Zuwachse: 0,77. 0,43. 0,33. 0,33. 0,60. 0,60. 0,42. 0,42.
0,50. 0,50. 4X 0,75. Dieselben übertreffen die an den Keimwurzeln
bei ungefähr gleichen Temperaturen beobachteten (vgl. S. 346).
Bei einem der verwandten Keimlinge (No. 1.) zeigte sich vom
8. Versuchstage an bei der jedesmaligen Revision an der Spitze des
Scheidenblattes ein ausgepresster Wassertropfen als Anzeichen nor-
maler Vegetation. Bei Abschluss des Versuches waren die von dem
Scheidenblatt eingeschlossenen ersten Laubblätter der Plumula sämmt-
licher 3 Keimpflänzchen entsprechend herangewachsen und lebhaft
grün, bei No. 1 und 2 an der Spitze röthlichbraun gefärbt.
3. Triticum vulgare, von welchem gleichfalls die Scheiden-
blätter dreier Keimlinge gemessen wurden, verhielt sich ganz ähnlich
wie Secale cereale, nur dass unter sonst ganz gleichen Verhältnissen
der Zuwachs im Ganzen etwas weniger ausgiebig war. Die Tempe-
ratur betrug auch hier während der l4tägigen Versuchsdauer 0—1,5°C.
(Versuch 28; 26. Jan.)
Anfangslänge Summe der
des Zuwachse in je: Zuwachse
Scheidenblattes: 24St. 24St. 48St. 48St. 48St. 48St. 96St. n1AT.
Temp. +1,50 1,250 +00 40,750 40,750 4 0,750 +10 + 1,250C.
No, 1. 8,95 mm 0,08 0,08 034 086 071 0862 210 4,54
2. 15,94 0.662 .0,41770591 0,2 7422033 8,39
3. 6,65 0,26 ,0,1 0,17 0,437 70,680710,43 2,44 4,52
Durchschnitt: 0,32 0,10 0,47 06100 ya 5,82
Folgendes ist demnach die Reihe der durchschnittlichen täglichen
Zuwachse: 0,32. 0,10. 0,23. 0,23. 0,30. 0,30. 0,47. 0,47. 0,35.
0,35. 4 X 0,47 mm.
361
Am Ende des Versuches zeigten die Keimlinge No. 1 und 2 an
der Spitze des Seheidenblattes ausgepresste Wassertropfen; die vom
Scheidenblatt noch eingeschlossenen Blätter waren bei No. 1 und 3
in der oberen Hälfte grün, in der unteren gelb gefärbt, bei No. 2
fast ganz grün, nur an der Basis mit einer gelben Zone.
Die erhaltenen Zahlen der Zuwachse stimmen recht gut mit den
bei den Wurzeln des Weizens aufgefundenen überein (vgl. 8. 347).
V. Allgemeine Ergebnisse.
1. Durch die mitgetheilten Versuche an bereits in Streckung
begriffenen Pflanzenorganen konnte zunächst festgestellt werden,
dass für eine Reihe einheimischer Pflanzen diejenige untere Grenz-
temperatur, welche als constant gedacht einen völligen Stillstand der
Streekung verursachen würde, tiefer liegt, als man früher, insbeson-
dere auf Grund der Untersuchungen von Sachs, annahm. Dieses
von im Wachsthum begriffenen Organen gewonnene Resultat bestätigt
und erweitert die von Haberlandt und Uloth an auskeimenden
Samen gemachten diesbezüglichen Untersuchungen.
2. Für einige der untersuchten Pflanzen (weisser Senf, Roggen,
Weizen) muss die untere Temperaturgrenze für die Streckung dicht
bei + 0°, für andere (Erbse, Hanf) wenig höher liegen, da die
letzteren bei Temperaturen zwischen -- 0,5 und + 1° C. noch lange
Zeit, 10—20 Tage lang, einen geringen Zuwachs erkennen liessen.
Dass jene Temperatur aber schon unterhalb der unteren Grenze liegt,
darf daraus geschlossen werden, dass die Zuwachse constant her-
absanken. .
Man wird kaum fehl gehen, wenn man das an den vorstehend
genannten Pflanzen gewonnene Resultat auf die grosse Masse der
bei uns einheimischen Gewächse überträgt. Dass jener langsame
Zuwachs in der Nähe des Nullpunktes, wenn er längere Zeit fort-
dauert, häufig ausgiebig genug ist, um ohne weiteres in die Augen
zu fallen, lehrt die alte Erfahrung der Landwirthe, dass z. B. Winter-
saaten, sobald der Boden nicht gefroren ist, unter einer dichten
Schneedecke, unter welcher eine Temperatur von etwa + 0° herr-
schen muss, weiter wachsen. Nicht nur Stengel und Blätter zeigen
unter derartigen Verhältnissen ein Wachsthum, sondern nach der
Beobachtung Kerners!) entwickeln Alpenpflanzen unter der Schnee-
decke bei einer Temperatur von — 0° sogar Blüthen, die häufig
1) Berichte des naturwissenschaftlich-medieinischen Vereines in Innsbruck.
15. Mai 1873. Bot. Zeitung S. 438.
362
von ihren sich streekenden Stielen durch Canäle im Eis, welche sie
sich selbst herausschmelzen, über die Schnee- oder Eisdecke empor-
gehoben werden. Ebenso wie die oberirdischen Organe werden bei
unsern einheimischen Pflanzen auch die Enden der Haupt- und Neben-
wurzeln ein langsames Längenwachsthum im Winter zeigen, so lange
der sie umgebende Erüboden nicht gefroren ist; und damit würde
wenigstens eine theilweise Bestätigung der uralten Behauptung vor-
liegen, „dass die Wurzeln der Bäume im Herbst und Winter wüch-
sen“'). Bezüglich der Fortdauer des Diekenwachsthums der Wur-
weln während des Winters liegen bereits Untersuchungen von
H. von Mohl und Th. Hartig vor. Ersterer”) stellte fest, dass
das Wurzelholz einiger unserer einheimischen Laubhölzer ‚während
des Winters keine Unterbrechung in seinem Wachsthum erleidet,
sondern dass dasselbe, wenn auch langsam, doch ununterbrochen die
Ausbildung des im Sommer begonnenen Jahresringes vollendet.“
Hieraus geht hervor, dass sowohl Flächen- und Dickenwachsthum
der Zellwände, wie auch die Zelltheilung bei den niederen den Win-
ter über im Erdboden bei uns herrschenden Temperaturen, welche
in der Tiefe von 1 Meter nur wenige Grade über 0° betragen,
noch von Statten geht. Die näheren Bedingungen dieses winterlichen
Dickenwachsthumes sind freilich noch unbekannt, allein Mohl selbst
schreibt die Verschiedenheit in der Zeit der Vollendung des Jahres-
ringes in den oberirdischen und unterirdischen Pflanzentheilen der
Verschiedenheit der in der Umgebung herrschenden Temperatur zu?).
Dass indessen dabei noch mehr Factoren in Rechnung gezogen wer-
den müssen, und dass nicht’ immer sämmtliche Bedingungen für das
Diekenwachsthum im Winter erfüllt sind, beweisen die Einwürfe
Th. Hartigs*) gegen die Mohl’schen Beobachtungen, welcher eine
Reihe von Beispielen dafür anführt, dass das Dickenwachsthum der
Wurzeln im Winter still steht.
3. Auch diejenigen Pflanzen, deren unterste Keimungs-Temperatur
bedeutend oberhalb des Nullpunktes liegt, zeigen bei wenig über
+ 0° liegenden Temperaturen noch ein geringes Längenwachsthum,
welches jedoch allmählich herabsinkt, um endlich stillzustehen.
4. Die auf einander folgenden Zuwachse zeigen ein um so rapi-
deres Herabsinken, je tiefer die Temperatur, die bei dem Versuche
I) Dies erwähnt schon Theophrast, caus. plant. I. 12, 1.
2) Bot. Zeitg. 1862. S. 313 ft.
31 Ne. VSZZLE
4) ]. c. 1863. S. 288.
363
verwendet wird, unterhalb des Keimungs-Minimum für die betref-
fende Pflanzenart liegt.
5. Das Fortdauern einer einmal begonnenen Streckung auch bei
solchen Temperaturen, welche unterhalb des Minimum für den Beginn
der Streckung (bei der Keimung) liegen, hat man als eine Nach-
wirkung der einmal eingeleiteten für das Wachsthum erforderlichen
Bewegungen aufzufassen. Es gelingt, sich von dem Grunde dieser
Nachwirkung eine Vorstellung zu machen, wenn man den Process
der Streckung in seine einzelnen Momente einigermassen zu zer-
legen versucht. Man kann so, gewissermassen als die letzten
Phasen jener Umänderungen, die in einer wachsenden Pflanzenzelle
vor sich gehen müssen, zwei Vorgänge von einander unterscheiden:
die Bildung der fertigen, zum Bau der Zellwandung sofort verwend-
baren Stoffe, und den rein physikalischen Process der Einlagerung
der Moleküle dieser im Protoplasma bereiteten Zellhaut-Substanz in
und zwischen die Micelle der ihre eigene Fläche vergrössernden
Membran, Es wird nun auf Grund der vorliegenden Beobachtungen
als sehr wahrscheinlich anzunehmen sein, dass die Einlagerung der
Moleküle selbst bei jeder Temperatur vor sich gehen kann, bei
welcher das Wasser noch nicht gefriert; dagegen ist der chemische
Process der Ausbildung der Zellhaut-Moleküle bei verschiedenen
Pflanzen an verschiedene Minimal-Temperaturen gebunden. Wird
ein in der Streckung begriffenes Pflanzenorgan in eine unterhalb des
Minimum für jenen chemischen Process liegende Temperatur ge-
bracht, so kann zunächst noch ein Flächenwachsthum der Membranen
unter Verwendung der bei der früher herrschenden günstigeren
Temperatur vorgebildeten Baustofie andauern; dasselbe erlischt erst,
wenn jene vorgebildeten Stoffe verbraucht sind.
Ob bei der Erklärung geotropischer und heliotropischer Nach-
wirkungen nicht ähnliche Gesichtspunkte massgebend sein dürften,
möchte ich vorläufig nur als Vermuthung aussprechen, da die Ursachen
des Geotropismus und Heliotropismus bei Weitem noch nicht genügend
aufgeklärt sind.
6. Das Flächenwachsthum der Zellmembranen unterhalb des
Keimungs-Minimum geht nicht gleichmässig langsam vor sich, sondern
sinkt: erstens bei andauernd gleicher Temperatur im Verlaufe des Ver-
suches; zweitens im Verhältniss zu der sinkenden Temperatur. Erstere
Erscheinung ist in dem fortschreitenden Verbrauche des Materials zum
Aufbau der Membranen bei mangelnder Neubildung desselben be-
gründet. Dass mit weiter sinkender Temperatur eine weitere Ver-
langsamung des Flächenwachsthums der Membranen eintritt, wird man
364
auf ein Nachlassen des Turgors in den einzelnen Zellen, der beim
Flächenwachsthum eine Hauptrolle spielt, mit um so grösserem Rechte
zurückführen dürfen, als im Verlaufe der oben angeführten Versuche
vor dem Tode der wachsenden Organe nicht selten eine direct messbare
Verkürzung in Folge von Turgor-Verlust beobachtet werden konnte.
7. Fasst man nur den Process der Streckung wachsender Organe
ins Auge, ohne die Vorgänge zu berücksichtigen, welche zur Ein-
leitung und Unterhaltung der Streckung unumgänglich nothwendig
sind, so lässt sich bezüglich der erforderlichen Temperatur -Minima
ein Unterschied in der Streckung oberirdischer und unterirdischer
Organe einer und derselben Pflanzenart nicht constatiren.
Hohenheim den 7. December 1880.
Endoelonium polymorphum.
Von
Dr. Max Franke,
Assistent am botanischen Institut der Universität Messina.
Mit Tafel XVII.
1. Im Januar 1882 sammelte ich aus dem Wasserreservoir
des hiesigen Militärhospitalgartens Lemna gebba L., um dieselbe auf
endophytische Algen hin zu untersuchen, da schon mit blossem
Auge besonders auf den absterbenden entfärbten Pflänzchen dunkel-
grüne Flecke von verschiedener Gestalt und Grösse sichtbar waren.
In der Erwartung ein Chlorochytrium anzutreffen sah ich mich jedoch
getäuscht; vielmehr ergab die mikroskopische Untersuchung, dass
es sich hier um eine neue, der Gattung Eindoclonium') (Szymanski)
beizurechnende Algs handelte, welche als Endoclonium poly-
morphum im Folgenden beschrieben werden möge.
2. Aeussere Beschreibung. Wir haben zwei Formen des
Lemnabewohners zu unterscheiden, welche, obschon zusammengehörig,
besser getrennt geschildert werden, nämlich:
a) die endophytische, protococeusartige Form und
b) die epiphytische Stigeoclonium-Form.
a) Die endophytische Form. Unmittelbar unter den Spalt-
öffnungen der Oberseite von Lemna gibba L. beobachtet man in den
grossen Lufträumen des weitmaschigen Parenchyms entweder ein-
zelne, grüne, völlig kugelige Zellen oder Gruppen derselben (Fig. 1.
ce und d). Nur sehr selten, und dann zufälligerweise durch gelegent-
liche Oeffnungen dorthin gelangt, findet sich der Endophyt entfernt
von den Stomata im Lemnagewebe oder auf der der Spaltöffnungen
völlig entbehrenden Unterseite oder in den Wurzeln des Wirthes.
Dieser Umstand, sowie die Structur der Zellen, die Zoosporenbildung
und -Entleerung erinnern an Chlorochytrium Knyanum ; doch zeigt
Endoclonium nicht die für diese Alge beschriebene Veränderlichkeit
der Zellform. Die Zellen unseres Endoclonium sind wie gesagt
kugelig und werden nur in den Gruppen durch gegenseitigen Druck
polyedrisch. Im Laufe ihres Wachsthums erreichen die Zellen eine
1) Conf. Szymanski: „Ueber einige parasitische Algen.“ Inaug. Dissertat.
Breslau 1878.
366
Grösse bis zu 0,027” mm im Durchmesser. Sie sind umgeben von
einer mässig dieken Membran, welche deutliche Cellulosereaction
zeigt. Der Inhalt ist bei jungen Zellen ein gleichmässiges, licht-
grünes Protoplasma, in welchem man ausser mehreren, sehr kleinen
Körnchen und Hämatochromtröpfehen einen grossen Amylumkern er-
kennt. In älteren Zellen, nicht aber in ihrem jüngsten Zustande,
konnte ich einen Zellkern nachweisen. An Stelle des einen Amylum-
kerns bemerkt man später mehrere: das Plasma erscheint grobkörnig.
Nun beginnt die Vacuolenbildung; das Protoplasma bildet schliesslich,
wie es auch für O’hlorochytrium beschrieben wurde, ein zartes, grünes,
die Zelle durchsetzendes Netzwerk, worin der Nucleus nebst Nucleo-
lus, Amylumkerne und Hämatochromtröpfehen eingebettet sind (Fig. 1
und Fig. 2). So erscheinen die Zellen des Endophyten vor der
Zoosporenbildung. Diese wird in der gewöhnlichen Weise eingeleitet:
die Vaeuolen verschwinden, das Plasma vertheilt sich gleichmässig,
erscheint grobkörnig und dunkelgrün. Diese Färbung nimmt mit
fortschreitender Zoosporenbildung einen gelblich-braunen Ton an.
Durch vegetative Vermehrung und zwar durch Zweitheilung können
die einzelnen Zellen von Eindoclonium Colonieen bilden, welche meist
klein bleiben und sich auf eine geringe, gewöhnlich gerade Anzahl
von Zellen beschränken. Indem aber in einer Tochterzelle die Zwei-
theilung auch ausbleiben kann, bestehen bisweilen solche Colonieen
aus einer ungeraden Zellenzahl. Im Allgemeinen jedoch sind die
Zellgruppen des Endophyten dadurch zu Stande gekommen, dass
zahlreiche Schwärmsporen nach und nach in denselben Luftraum
drangen, zu Zellen wurden, die sich vegetativ vermehrten und mit
den übrigen, bereits vorhandenen durch ihre Membranen verwuchsen.
Sie bilden schliesslich durch immer neuen Zuwachs grosse Zellcom-
plexe, welche das begrenzende Lemnagewebe stark zusammendrücken.
Findet in den benachbarten Lufträumen des Wirthes ein gleich üppiges
Wachsthum der Endophyten statt, so gehen die Gruppen scheinbar
in einander über und werden schon dem blossen Auge als verschie-
dengestaltige, grosse, grüne Flecke sichtbar. An den Berührungsstellen
platten sich die Zellmembranen ab und verwachsen miteinander. Die
Zahl der eine Endophytengruppe zusammensetzenden Zellen ist oft sehr
bedeutend (es gelang in einer keineswegs von den grösseren gegen 50
zu zählen), die Struetur ist die oben von einer einzelnen beschriebene.
b) Die epiphytische Form. Diese äusserst zierliche, gestal-
tenreiche Form findet sich auf allen Theilen der Oberfläche des
Wirths. Auf den Wurzeln zeigt sie ein diesen angepasstes vorwie-
gendes Längenwachsthum mit schwacher seitlicher Verzweigung; die
367
Wachsthumsrichtung ist gegen die Wasseroberfläche zu gekehrt.
Auf dem horizontal schwimmenden, thallusartigen Lemnatheile be-
obachtet man einen grossen Formenreichthum. Von kurzen, ein-
fachen, wenigzelligen zu weitläufig verzweigten, von einzelnen auf
der Epidermis zerstreuten Zellen zu kleineren und grösseren, scheiben-
oder schildförmig ausgebreiteten, parenchymatischen Colonieen mit
fädenförmig ausgezogenen Rändern finden sich alle möglichen Ueber-
gangsformen (Fig 16, Fig. 5).
Die Zellreihen folgen in ihrem Verlaufe häufig den Epidermis-
zellmembranen; sie, wie die Zellscheiben bilden gewöhnlich nur eine
Zelllage, welche der Epidermis des Wirths fest angedrückt ist. Sie
erinnern lebhaft an die von Reinke!) und Wille?) beschriebene
Endocladia, an Endoclonium chroolepiforme Szymanski°) und an
Stigeoclonium*). Die Zellen des Epiphyten sind durchschnittlich
0,004 mm breit, 0,0054 mm lang, von reetangulärer, rundlicher,
oder, wie in dem parenchymatischem inneren Theile der Zell-
scheiben, von polyedrischer Gestalt. Eine äusserst zarte Cellu-
losemembran, an welcher keine Vergallertung beobachtet wurde,
umgiebt das in jungen Zellen homogene, hellgrüne Protoplasma,
worin stets ein deutlicher Amylumkern, späterhin auch Haematochrom-
tröpfehen, wie andere Körnchen, nie aber ein Nucleus nachzuweisen
war. Auch in den Zellen der epiphytischen Form treten beim
Aelterwerden Vacuolen im Plasma auf, welches, indem jene in der
Mitte zusammenfliessen, randständig wird. In diesem Zustande erinnert
die Zellstructur von Endoclonium an die für Ulothrixarten bekannte
und abgebildete?). Vor der Zoosporenbildung verschwinden die Va-
cuolen, das gleichmässig sich vertheilende Protoplasma erscheint
dunkelgrün. Die epiphytischen Formen unserer Alge entstehen wie
die endophytischen entweder durch Wachsthum, Theilung und Ver-
zweigung einer einzigen Zelle, oder — und dieses ist auch hier
das gewöhnlichere — durch Vereinigung mehrerer in vegetativer
Vermehrung begriffener Zellen. Die Schwärmsporen, nachdem sie
zur Ruhe gekommen sind und eine Membran ausgeschieden haben,
wachsen in die Länge; durch Querscheidewände entstehen Zellfäden,
deren Zellen sich an einer beliebigen Stelle auszweigen können.
1) Cf. Reinke: „Zwei parasitische Algen.“ Bt. Ztg. 1879. No. 30.
2) Cf. Wille: „On en endophytik Alge.““ Algolog. Bidrag, Christiania 1880.
3) Dr.Szymanski: „Ueber einige parasitischeAlgen.‘“ Breslau 1878. Inaug.Diss.
4) Cf. Cienkowski: „Ueber Palmellazustände bei Stigeoclonium.“ Ref. im
Just’schen Bot. Jahresbericht, IV. Jahrg. 1876, Ref. 47. p. 42—44.
5) Cf. Dodel: „Die Krauthaar-Alge, Tlothrix zonata.“ Leipzig 1876.
368
wobei die Aeste ebenfalls an der Epidermis angedrückt bleiben und
sich nicht von ihr abheben, wie es bei Stigeoclonium und Endocla-
dia beobachtet wird. Begegnen sich zwei oder mehrere solcher
Zellfäden, so verwachsen sie an den Berührungsstellen, woraus sich
ein unendlicher Formenreichthum ergiebt. Dass die Verzweigungen
gern dem Verlaufe der Membranen der Epidermiszellen von Lemna
folgen, wurde bereits erwähnt. In anderen Fällen kommen die
Schwärmsporen haufenweise zu mehreren nebeneinander zur Ruhe.
Sie geben, sich vermehrend und mit einander verschmelzend, einer
pseudoparenchymatischen Colonie den Ursprung, deren peripherische
Zellen wieder zu längeren oder kürzeren Fäden auswachsen. Zwischen
den grünen lebenden Zellen des Epiphyten und zwar bei den Zell-
fäden unregelmässig zwischen den vegetirenden zerstreut, bei den
Zellscheiben dagegen in der Mitte trifft man ihres Inhaltes entleerte
Zellen: es sind dies die entleerten Zoosporangien (Fig. 5 und 6).
3. Zoosporenbildung und Zusammenhang beider For-
men. Neben der vegetativen Vermehrung beobachtet man bei beiden
Formen des Eindoclonium Fortpflanzung durch Schwärmsporen, deren
Bildung in beiden Fällen durch Zweitheilung erfolgt. Bei der endo-
phytischen Form zeigt sich, dass Alter und Grösse der Zellen keinen
wesentlichen Einfluss auf die Zoosporenbildung haben, welche durch
Veränderung der Lebensbedingungen sehr beschleunigt werden kann.
Mit dem Verschwinden der Vacuolen vertheilt sich das vorher die
Zelle netzartig durchsetzende Protoplasma gleichmässig. Der Zell-
inhalt erscheint dunkelgrün und grobkörnig. Durch fortgesetzte Zwei-
theilung entstehen die Zoosporen, wobei jedoch nicht beobachtet
werden konnte, ob der Zoosporenbildung eine Theilung oder Auf-
lösung des Nucleus vorangeht'). Die Grösse der Zoosporen schwankt
in engen Grenzen, je nachdem mehr oder weniger von ihnen
in einem Zoosporangium sich bildeten. Durchschnittlich sind sie
0,0035 mm breit, 0,0075 mm lang (ohne Cilien, mit ihnen doppelt
so lang). Ihre Form ist länglich, sie zeigen einen Amylumkern,
einen rothen Augenfleck und 2 Cilien am vorderen, zugespitzten
hyalinen Ende (Fig. 4). Die Zoosporen treten, nachdem sie schon
im Zoosporangium leise Bewegungen zeigten, durch Zerplatzen der
Sporangiumwand in einer gemeinsamen Hülle nach aussen (Fig. 3b).
Zuweilen zerreisst schon innerhalb des Sporangiums die gemeinsame
Membran, und dann treten die Zoosporen einzeln in’s Freie (Fig. 3a).
!) In einem Falle wurde beobachtet, dass bei der Schwärmsporenbildung
der Inhalt des Sporaugiums sofort in 4, in die Ecken eines Tetraeder gestellte
Theile zerlegt wurde.
369
Im Zoosporangium bleiben in diesem Falle Reste der Hülle zurück.
In Folge der lebhafteren Bewegung der Zoosporen reisst, indem sie
sich mehr und mehr erweitert, endlich die jene einschliessende Blase,
worauf sich die Zoosporen im Wasser vertheilen. Weder während
ihres Schwärmens innerhalb der gemeinsamen Hülle noch später konnte
eine Copulation der Zoosporen festgestellt werden. Sie bewegten
sich oft 14—2 Stunden lang mit allmählich abnehmender Geschwin-
digkeit, begegneten sich, verschlangen sich mit ihren Geisseln, lösten
sich aber sofort wieder los. Bei einem durch Zerreissen eines
Stückes Lemnagewebe und durch Druck isolirten und aus dem Wirthe
gelösten Sporangium wurde nun direct beobachtet, dass nach verhält-
nissmässig kurzem Schwärmen die ausgeschlüpften Zoosporen sich
auf der Epidermis von Lemna festsetzten. Einige kamen auf der
Grenze der Epidermiszellen zur Ruhe, andere gruppenweise neben-
einander. Sie umgaben sich mit einer Membran und nahmen jenes,
für junge Zellen der epiphytischen Form charakteristische Aussehen
an, wobei der Augenfleck noch lange Zeit sichtbar blieb. Durch
weiteres vegetatives Wachsthum erzeugen sie die andere Form. Auch
diese entwickelt Zoosporen, und zwar scheint hier die Bildung der-
selben in Beziehung zu dem Alter der Zellen zu stehen. In den
Zellscheiben nämlich nehmen die relativ älteren Zellen die Mitte
ein und man beobachtet, dass die Zoosporenbildung in centrifugaler
Richtung von innen nach aussen vorschreitet, so dass man die mitt-
leren Zellen einer solchen Colonie häufig nur aus den zurückge-
bliebenen Membransceletten der entleerten Zoosporangien gebildet
findet, während die peripherischen Zellen lebhaft weiter vegetiren
(Fig. 5). Bei den Zellfäden ist keine solche Regelmässigkeit zu
constatiren, welcher Umstand seine Erklärung darin findet, dass, wie
wir sahen, die Zellfäden und ihre Verzweigungen auf sehr verschie-
dene Weise, durch zufällige Verschmelzung oft sehr ungleichaltriger
Fäden zu Stande kommen. Die epiphytische Form von Eindoclondum
erzeugt zweierlei Arten von Zoosporen, welche als Micro- und Ma-
erozoosporen unterschieden sein mögen. Die Maerozoosporen, durch-
schnittlich 0,0108 mm breit, 0,0135 mm lang (stets ohne Cilien),
haben birnförmige Gestalt, einen Amylumkern, einen Augenfleck und
4 Cilien am zugespitzten, hyalinen Vorderende. Sie sind den bei
Ulothrie bekannten Macrozoospooren sehr ähnlich und entstehen
wie diese einzeln in einem Macrozoosporangium. Die Microzoosporen
gleichen in Gestalt und Grösse den Zoosporen der endophytischen
Form, sie haben wie diese nur zwei Cilien, einen Augenfleck und
einen Amylumkern. Sie entstehen darch successive Zweitheilung
370
in einem Microzoosporangium, gewöhnlich zu zweien, doch auch zu
vieren und mehr. Der Zweitheilung des gesammten Inhalts geht eine
Zweitheilung des Amylumkerns voraus. Beiderlei Zoosporen gelan-
gen durch ein in der Membran der Mutterzelle entstandenes Loch
nach aussen (ef. Fig. 6). Eine Verschiedenheit der Structur der
Micro- und Maerozoosporangien ist nicht zu bemerken: jede Zelle
scheint befähigt das eine oder das andere zu werden. Im Zoospo-
rangium bleibt nach dem Austritt der Zoosporen nichts zurück; zu-
weilen nur trifft man darin eine in Desorganisation begriffene Zoo-
spore, die neben den Schwestern nicht zur vollen Entwickelung kam.
Das weitere Schicksal der Zoosporen ist verschieden. Die verhält-
nissmässig selteneren, schwerfälligen Macrozoosporen kommen nach
längerem oder kürzerem Schwärmen zur Ruhe, setzen sich auf der
Epidermis von Lemna fest und wiederholen auskeimend die rami-
fieirte epiphytische Form. Dieser Entwiekelungsgang ist leicht zu
beobachten, auf grössere Schwierigkeiten stösst man bei dem Studium
der Microzoosporen. Es ergab sich, dass diese copuliren können. Die
Copulation wurde nur in einem einzigen Falle direct beobachtet, doch
wiesen Vorkommen von Zygozoosporen mit 2 Augenflecken, in denen noch
eine Art Zerklüftung in der Mitte sichtbar war, mit grosser Wahrschein-
lichkeit auf eine Verschmelzung hin. Der Ursprung der copulirenden
Schwärmsporen aus einer epiphytischen Form war ausser Zweifel. Die
Zygozoospore, welche die für diese Copulationsproduete characteris-
tische Bewegungen zeigt, ist etwa von der Gestalt und Grösse der Ma-
erozoosporen, hat 2 Augenflecke und 4 Cilien. Ihre weitere Entwicke-
lung ist mir nicht bekannt. Ich glaube jedoch nach Analogie der
copulirten Mierozoosporen von Ulothrixarten schliessen zu dürfen,
dass die Zygozoosporen in die Wirthspflanze eindringen und die Pro-
tococeusform erzeugen. In den meisten Fällen jedoch copuliren die
Mierozoosporen nicht, sondern dringen ohne weiteres durch die Spalt-
öffnungen der Oberhaut in die Lufträume von Lemna gibba ein, kommen
hier zur Ruhe, geben der endophytischen Form den Ursprung und be-
schliessen so den Eutwickelungskreis von Zndoclonium, wie er sich
durch directe Beobachtungen ergiebt (ef. Fig. 7).
4. Culturversuche. Die Culturversuche wurden unternommen
zum Zwecke, den nach den vorhergegangenen Beobachtungen klar-
gewordenen Zusammenhang beider Formen direct zu beweisen. Sie
ergaben jedoch auch noch andere Resultate, welche für die systema-
tische Stellung von Endoclonium bestimmend sind. Da es bei dem
gemeinsamen Auftreten beider Formen in resp. auf demselben Stück
der Wirthspflanze schwierig ist reine Culturen zu erhalten, glückte
371
es nur einige Male sichere Beweise zu erhalten. Stücke, auf denen
nach genauer mikroskopischer Untersuchung nur die epiphytische
Form vegetirte, wurden in einem hängenden Tropfen Wasser eultivirt.
Es zeigte sich, dass Zoosporen in das Lemnagewebe eingedrungen
waren. und sich zu der endophytischen Form weiter entwickelten.
Wiewohl es ferner leicht ist und man häufig Gelegenheit hat das
direete Eindringen und zur Ruhekommen der Microzoosporen zu
beobachten, gelang eine ununterbrochene Verfolgung des ganzen
Verlaufes ihrer Entwickelung nicht. Noch andere Thatsachen be-
weisen den Zusammenhang beider Formen. Werden durch Zerreissen
von Lemnagewebe junge, erst kürzlich eingedrungene und zur Ruhe
gekommene Microzocsporen isolirt, so zeigt sich, dass sie im freien
Medium zu Fäden anwachsen. Hierdurch wird zugleich ein Beweis
dafür beigebracht, dass die protococeusartige, endophytische Ent-
wickelung auf die veränderte Lebensweise, Beschränktheit des Raumes
zurückzuführen ist. Es wird diese Annahme um so wahrscheinlicher, als
zuweilen junge endophytische Colonieen freilich nur gering verlängerte
peripherische Zellen zeigen, welche aber bei dem Aelter- und Grösser-
werden der Colonie sich völlig abrunden und kugelig werden. Ent-
scheidend für die systematische Stellung der Alge waren Culturen
der epiphytischen Form in feuchter Luft, am Rande eines umgestülpten
Glases. Auf einem Wurzelstück von Lemna gibba, welches reich von
der epiphytischen Form besetzt war, vergrösserten sich die Colonieen
sehr bedeutend, so dass einzelne Zellen nach etwa l4tägiger Cultur
eine Grösse von 0,05 mm erreichten (Fig. 8). Zugleich vermehrten
sich die Colonien vegetativ, wie durch Zoosporen. Von diesen setz-
ten sich einige fest und erneuten die epiphytische Form, andere aber
gingenin einen Dauerzustand über, indem sie sich abrundeten und mit
einer verhältnissmässig starken Membran umgaben. Derartige Dauer-
zustände (Fig. 10) bilden auch die Macrozoosporen, und zwar grössere
Zellen, so dass man jene in sehr verschiedener Grösse antrifft. Sie
zeigen alle ein körniges, dunkelgrünes Plasma und einen Amylumkern.
In Wasser gebracht formen sie sich entweder direct zu Schwärmsporen
um oder bilden solche durch Theilung. Nie wurde beobachtet, dass
ihre Membran sich vergallerte oder mehrere in einer Gallertmasse
vereinigt waren. Die Zellen dieser sich stark vergrössernden und
vermehrenden Colonieen bilden durch Zweitheilung Zoosporen (Fig. 8).
Die peripherischen Zellen sowie die Fäden verlängern sich und ver-
zweigen sich eben so üppig, wobei sich die Zweige von dem
verhältnissmässig klein gewordenen Substrat: abheben. Die End-
zellen stellen das Scheitelwachsthum ein und verlängern sich zu
Cohn, Beiträge zur Biologie der Pflanzen. Band III. Heft II. 35
372
langen, chlorophylllosen Spitzen, wie sie für Stigeoclonium charak-
teristisch sind (Fig. 9). Auch die Zellen der Verzweigungen ver-
grössern sich stark und erreichen die doppelte Länge und Breite der
unter gewöhnlichen Verhältnissen vegetirenden Endocloniumzellen.
5. Der Generationswechsel ist bei Eindoclonium nicht be-
stimmt ausgeprägt. Eine Copulation der Microzoosporen scheint nicht
nothwendig, weshalb, ganz abgesehen von der Gleichheit der Struetur
der copulirenden Schwärmer, es sich von selbst verbietet die epiphy-
tische als geschlechtliche Schwärmsporen erzeugende von der endophy-
tischen als ungeschlechtlicher Generation zu unterscheiden. Ferner
ist eine gesetzmässige Aufeinanderfolge beider Entwickelungsstadien
nicht gesichert. Es scheint vielmehr die endophytische Form als
ein in Folge veränderter Lebensbedingungen in den Lufträumen der
Lemnapflanze diesen neuen Raumverhältnissen angepasster Zustand
angesehen werden zu müssen. Die Microzoosporen sterben keines-
wegs ab, wenn sie nicht Gelegenheit finden in die Wirthspflanze ein-
zudringen, sondern wiederholen wie die Macrozoosporen ihre epiphy-
tische, verzweigte Mutterform. Bei Culturversuchen zeigt sich diese
Erscheinung sehr häufig. Ebenso scheint mir das Zurückschlagen
der endophytischen Zoosporen in die erzeugende Form durchaus
wahrscheinlich, obschon keine direeten Beweise vorliegen. Die endo-
phytischen Zellgruppen nämlich verschliessen zuweilen die Spalt-
öffnungen von Lemna eng und damit den gebildeten Zoosporen den
Austritt aus den Lufträumen, dennoch vermehren sich die Zelleomplexe
und fahren ununterbrochen fort Schwärmsporen zu bilden, die nach
ihrem Austritt aus dem Sporangium genöthigt sind in dem Luftraume
sich weiterzuentwickeln. Hierdurch scheint auch die ausserordentliche
Anzahl der die endophytischen Algengruppen zusammensetzenden Zel-
len eine Erklärung zu finden.
6. Die Symbiose von Endoclonium bietet in sofern Interesse,
als die endophytische Form als ein in Folge geänderter Vegetations-
verhältnisse diesen angepasster Zustand erscheint. An einen eigent-
lichen Parasitismus kann nicht gedacht werden. Bei der epiphy-
tischen Stigeocloniumform ergiebt sich dies ohne weiteres, aber auch
die Symbiose der endophytischen Protococeusform kann höchstens
als Raumparasitismus (Klebs) gedeutet werden. Man findet, wie
oben erwähnt, die Alge zumeist und in üppigster Entwickelung in
den abgestorbenen Pflänzchen, die sie auch mit grösserer Vorliebe
aufzusuchen scheint, da das weicher und nachgiebiger gewordene
Gewebe des Wirths ihr neben genügendem Schutze auch freiere
Entwickelung gestattet, während die Zellen lebender Pflänzchen ihr
durch ihre Resistenz und Gegenwirkung hinderlich sein würden,
373
7. Die systematische Stellung von Zndoclonium ist nach
den ausgeführten Untersuchungen gesichert. Es gehört zunächst zu
den isogamen Confervoideen und unter diesen zu den Chaetophoreen
in unmittelbarer Nähe von Stigeoclonium. Mit Endocladia theilt
Endoclonium das Gemeinsame eines Raumparasitismus, doch vegetirt
Endocladia nach Reinke und Wille in der Zellmembran des Wirths,
während die Zellen der epiphytischen Form von Zndoclonium nie
von der Lemnamembran überzogen sind, sondern ihr dicht aufliegen.
Die Alge war demnach nicht als neue Species der Gattung Eindocladia
einzuordnen. Dr. Szymanski beschreibt in seiner, im botanischen
Institut des Prof. Dr. Ferd. Cohn verfassten Inauguraldissertation
„über einige parasitische Algen, Breslau 1878“ eine in abgestorbenen
Pflänzchen von Lemna minor, trisulca und polyrrhiza beobachtete
endophytische Alge unter dem Namen Zndoclonium chroolepiforme,
welche unsrem Eindoclontum sehr nahe zu stehen scheint. Cohn hatte
bereits in seinem Aufsatze „über parasitische Algen‘ Band I. Heft 2,
p. 106 dieser Beiträge auf diesen grünen Endophyten hingewiesen, wel-
cher in den Intercellularräumen der Lemna risulca netzartig verbundene
Gliederfäden bildet; Szymanski ermittelte die Entdeckungsgeschichte
in der Art, dass die Alge sich durch Maero- und Mierogonidien
fortpflanzt und theils in den Intercellulargängen der Zemna in rosen-
kranzförmig gegliederte, verzweigte und in Haarspitzen auslaufende
Fäden auswächst, theils an der Oberfläche in Stigeocloniumform
hervorsprosst. Szymanski beobachtete noch die pseudoparenchyma-
tische Verbindung der im Innern des Lemna gekeimten Zoosporen,
die Entstehung rother Dauerzellen im Herbst, und eine Vergallertung
in Palmellen- oder Protococeusartige Zustände, wodurch ihre Ver-
wandtschaft mit Ulothrix uud Stigeoclonium angezeigt wird; dagegen
erinnerte ihr Eindringen in das todte Lemnagewebe an das Hinein-
wachsen von Öhroolepus in das Rindengewebe der Bäume, worauf
nach den Untersuchungen von Frank die Bildung des hypoplöo-
dischen Thallus der Chroolepideen beruht, so dass Endoclonium
die biologischen und morphologischen Eigenthümlichkeiten von Stige-
oclonium und Ühroolepus in auffallender Weise verbindet. Obwohl
sich aus der Dissertation von Szymanski wegen der mangelnden
Abbildungen keine klare Vorstellung gewinnen lässt, scheint mir doch
wahrscheinlich, dass wir beide zwei Arten der 'nämlichen endo-
phytischen Algengattung beobachtet haben; doch muss ich die von
mir untersuchte Form wegen der beschriebenen abweichenden Ent-
wickelungsgeschichte für eine selbstständige Art ansehen.
Man könnte geneigt sein unsere Alge als ein Stigeoclonium anzu-
25*
ui
374
sehen. Auch für Strgeoclonium ist das Vorkommen vierwimpriger
ungeschlechtlicher Maerozoosporen neben zweiwimprigen Microzoo-
sporen bekannt, ferner bieten die zugespitzten Endzellen, die Ver-
zweigung der Fäden, die scheibenförmigen Colonieen, welche in glei-
cher Weise bei beiden zu stande kommen, Uebereinstimmendes. Das
Vorkommen zweier bestimmt in ihrem äusseren Habitus unterschie-
dener Formen, welche in einer Art freilich nur angedeuteten Gene-
rationswechsels stehen, bestimmte mich den Lemnabewohner von der
Gattung Stigeoclonium auszuschliessen. Die Uebereinstimmung in der
Structur der vegetativen Zellen der epiphytischen Form, sowie die der
Maero-, Miero- und der Zygozoosporen mit den entsprechenden Formen
bei Vlothrix nähern Endoclonium den Ulothricheen;; sie unterscheiden
sich nach der augenblicklich für diese Familie geltenden Diagnose
nur durch die Verzweigungsfähigkeit der Zellen und durch das Vor-
kommen spitz verlängerter, chlorophylifreier Endzellen. Es scheint
demnach Endoclonium polymorphum als eine die Ulotricheen mit
den ÜOhaetophoreen verbindende Zwischenform anzusehen zu sein.
8. Zusammenfassung. ZEndoclonium polymorphum, zunächst
nur auf Lemna gibba L. beobachtet, bewohnt diese Pflanze in zwei
Formen, endophytisch in den Lufträumen unter den Spaltöffnungen
der Oberseite und epiphytisch auf allen 'Theilen des Wirths. Beide
Formen sind durch unvollkommenen Generationswechsel verbunden,
neben welchem jedoch auch zahlreich Wiederholungen der erzeugen-
den Form beobachtet werden. Die Zoosporen der endophytischen
Protococcusform keimen auf der Oberfläche von Lemna, nachdem
sie in mannigfaltiger Anordnung zur Ruhe gekommen sind und geben
der epiphytischen Form den Ursprung. Diese erzeugt Macrozoo-
sporen mit 4 Cilien, welche stets die Mutterform erneuern und Miero-
zoosporen, welche ohne vorhergegangene Copulation entweder durch
die Spaltöffnungen in die Lufträume von Lemna eindringen und sich
zur endophytischen Form entwickeln oder aber auch, wenn es ihnen
nicht gelingt in das Gewebe des Wirths einzudringen, die ramificirte
Form wiederholen. Die Microzoosporen können jedoch auch copu-
liren: die Zygozoospore dringt wahrscheinlich ebenfalls in die Luft-
räume von Lemna und erzeugt die Protococeusform. In feuchter
Atmosphäre cultivirt, vergrössern und vermehren sich die Zellen der
epiphytischen Form stark und können in einen Dauerzustand über-
gehen, gleich den Miero- und Macrozoosporen, indem sie ihre Mem-
bran verdieken, ohne dass jedoch Gallertbildung eintritt. Die Schei-
telzellen der Fäden stellen nach einer Zeit ihr Längenwachsthum
ein und verlängern sich zu .chlorophylllosen langen Spitzen.
375
Alle Zoosporen zeigen einen rothen Augenfleck und entstehen
mit Ausnahme der einzeln im Sporangium gebildeten Macrozoosporen
durch fortgesetzte Zweitheilung. Die Grösse der Macrozoosporen
ist 0,0101 mm breit, 0,0135 mm lang, sie besitzen 4 Cilien, die
Grösse der nur mit 2 Cilien versehenen Mierozoosporen und Zoo-
sporen der endophytischen Form ist 0,0035 'mm breit, 0,0075 mm
lang (beide Male ohne Geisseln gerechnet). Die Symbiose von En-
doclontum polymorphum ist als Raumparasitismus anzusehen, die
endophytische Form als eine den veränderten Lebensverhältnissen
angepasste Entwickelung der epiphytischen.
Vorstehende Untersuchung wurde in dem botanischen Institute
der Königl. Universität Messina vorgenommen. Dem Director des-
selben, Herrn Prof. A. Borzi, sowie Herrn Prof. F. Cohn, fühle
ich mich für ihre liebenswürdige Unterstützung zu bestem Danke
verpflichtet.
Messina, bot. Inst. der Universität,
im Mai 1882. Dr. Max Franke.
Fig.
w
o»
Figuren -Erklärung.
(Vergrösserung überall 660 mal.)
Endoclonium polymorphum nov. spec.
Stück Lemnagewebe von Zindoclonium bewohnt, a. eindringende Zoo-
sporen, b. verzweigte Form, keimende Zoosporen, c. eine endophy-
tische Colonie mit Zellen in verschiedenen Entwickelungsstadien.
d. junge Zustände der endophytischen Form.
Querschnitt durch Zemna; im Luftraum unter der Spaltöffnung eine
einzelne Zelle der endophytischen Form.
a. und b. Ausschlüpfen der Zoosporen der endophytischen Form.
4. Zoosporen der endophytischen Form.
5. Eine epiphytische schildförmige Colonie.
6.
1%
S.
Bildung der Miero- und Maerozoosporen.
Miero-, Maero- und Zygozoosporen.
und 9. Epiphytische Colonien nach 14tägiger Cultur in feuchter Luft.
Fig. 10. Dauerzustände.
Zur
Kenntniss der Entwicklung bei den Ascomyceten.
Von
Dr. Eduard Bidam.
Mit Tafel XIX— XXI.
I.
Einleitung.
Allgemein historischer Ueberblick. Bei Durchsicht der
Literatur über die gegenwärtig entwicklungsgeschichtlich untersuchten
Ascomyceten finden wir sehr verschiedene Angaben darüber, wie die
Entstehung der Schlauchfrüchte bei diesen Pilzen vor sich geht.
Zuerst hat de Bary') bei Zurotium und Erysiphearten nachge-
wiesen, dass die Fruchtkörperanlagen im allerjüngsten Zustand bereits
sich deutlich vom Mycelium unterscheiden, derselbe entdeckte die
auffallenden Primordien der Becher von Peziza confluens, welche
auch Tulasne?) und jüngst Kihlman°) untersucht haben, Wo-
ronin*) fand bei Sphaeria Lemaneae, sowie bei Sordaria die An-
fänge der Perithecien besonders differenzirt und wies bei Arten der
Gattung Ascobolus und Peziza die eigenthümliche Gestaltung des
Primordiums der Becher nach. Zu ähnlichem Resultat gelangten
Baranetzki?) bei G@ymnoascus, Gilkenet°) bei Sordaria, Bre-
feld’) bei Penccillium, derselbe und Kihlman°) bei Melano-
1) Bot. Ztg. 1854. — Ueber die Fruchtentwicklung der Ascomyceten.
Leipzig 1863. — Beiträge zur Morphologie und Physiologie der Pilze von
de Bary und Woronin. Ill. Reihe. Frankfurt a./M. 1870.
2) Annal. des sciene. nat. Botanique. V. Ser. T. 6. 1866.
3) OÖ. Kihlman, Acta soc. seient. fenn. T. XIII. 1883.
#) de Bary und Woronin, Beitr. z. Morph. d. Pilze. II, u. III. Reihe.
5) Bot. Ztg. 1872. No, 10.
6) A. Gilkinet, Rech. morph. sur les Pyrenomyeetes. Bull. de l’Acad.
de Belgique. Avril 1874.
7) ©. Brefeld, Bot. Untersuch. über Schimmelpilze. U. Heft. 1874.
8) ]. c.
378
spora, van Tieghem!') bei Ohaetomium, bei Ascodesmis, Gymno-
ascus, Penicillium und verschiedenen Aspergillusarten. Diese Pilze
beginnen den Aufbau ihrer Fruchtkörper stets nur mit einer einzigen
oder mit zwei Hyphen, welche als besondere, vom Mycel durch ihre
Form speeifisch abweichende Auszweigungen entstehen und sehr
häufig schraubig eingerollt sind. Eine Hyphe verhält sich als Asco-
gon und sie wird in der Regel von der anderen gemeinsam mit
zahlreichen Hüllschläuchen umwachsen, wodurch die Anfänge der
Peritheciumwand, resp. der sterilen Theile an der Frucht gebildet
werden,
Hiervon weicht die Art der Entstehung ab, welche Bauke?) für
die Peritheeien von Pleospora herbarum angegeben hat, die wie
Pyeniden sich entwickeln durch Aufscehwellung einer oder weniger
benachbarter Zellen eines Mycelfadens und Theilung derselben ver-
mittelst Scheidewänden nach verschiedenen Richtungen hin. Es kommt
so zunächst ein parenchymatischer Körper als junge Peritheeium-
frucht zu Stande, die niemals aussen von Hyphen umwachsen wird.
Den Beobachtungen, dass die Ascusfrüchte nur von einer oder
von zwei besonders geformten Hyphen ihren Ursprung nehmen und
im letzteren Fall unmittelbar in Ascogon und Hüllschläuche sich
differenziren, stehen andere Untersuchungen gegenüber, welche als
Primordien lediglich nur ein Aussprossen völlig gleichartiger und
zahlreicher Mycelfäden ergeben haben, deren rein vegetative Hyphen-
elemente knäuelartig sich durcheinanderflechten. So ist nach van
Tieghem°) der Fruchtanfang bei Helvella- und Pezizaarten nur
eine dichte, homogene Verzweigung, bei Anlage der Sclerotien von
Peziza Sclerotiorum und beim Auswachsen der Becher aus densel-
ben konnte Brefeld*) nichts von besonderen einzelnen Initialhyphen
unterscheiden, ein ganzer Complex von solchen leitet vielmehr die
Bildung ein und die Asci der parasitisch auf Pflanzen lebenden
Gymnoasceen sind nur direkte Aussprossungen gewöhnlicher und
gleichartiger Mycelzellen. Zopf?) giebt in einer Monographie über
die Gattung Ohaetomium an, dass die Anlage der Peritheeien dieser
Pilze einen besonderen, bisher unbekannten Typus darstelle, der her-
!) van Tieghem, Annal. des sciene. nat. Botanique VI. Ser. T. 2.
1875. Bull. de la soc. bot, de France. T. 23. 1876, T. 24. 1877.
2) H. Bauke, Bot. Ztg. 1877 No. 20.
3) van Tieghem, Bull. de la soc, bot. de France. T. 23. 1876.
*) O. Brefeld, Bot. Unters. über Schimmelpilze. Heft IV. Leipz. 1881.
5) W. Zopf, Zur Entwicklungsgeschichte der Ascomyceten. Nova Acta
der Ksl. Leop. Carol. deutsch. Akad. d. Naturforscher. Band XLII. No, 5. 1881.
379
vorgehe aus „gleichartigen Adventivzweigen, die eine reiche, unregel-
mässige Verzweigung eingehen, sich unregelmässig durcheinander-
krümmen und zu einem rundlichen Gebilde verknäulen.“ Die frühe
Differenzirung bei Chaetomium in ein schraubiges Ascogon und in
Hüllhyphen, wie sie van Tieghem gefunden hat, stellt Zopf mit
vollster Entschiedenheit als irrthümlich in Abrede.
Es hat sich demnach, trotzdem unsere gegenwärtigen Kenntnisse
über die erste Entwicklungsstufe der Ascomycetenfrüchte verhält-
nissmässig nicht zahlreiche Pilzarten umfassen, bei diesem Vorgang
eine grosse Mannigfaltigkeit herausgestellt, die allerdings gar nicht
überraschen kann, wenn man die Formenfülle der ganzen Klasse sich
vor Augen hält. Es ist nicht möglich, auf Grund der heutigen
Forschungsergebnisse, welche theilweise sogar mit einander in Wider-
spruch stehen, ein allseitig organisch zusammenhängendes Bild über
den Gegenstand zu entwerfen.
Die Sexualitätbeiden Ascomyceten. Die Arbeiten, welche
von den jüngsten Zuständen der Schlauchpilze handeln, gingen bis
in die letzten Jahre von dem Fundamentalsatz aus, dass die Asco-
mycetenfrucht das Produkt eines geschlechtlichen Befruchtungspro-
zesses sei. Nach de Bary’s Vorgang wurde das Primordium in ein
weibliches Sexualorgan geschieden — Ascogon oder Carpogon ge-
nannt — und in ein männliches, das Pollinodium; man nahm an,
dass die Befruchtung auf diosmotischem Wege vor sich gehe, manch-
mal auch durch Copulation. Die Sexualität der Ascomyceten erhielt
eine weitere Stütze durch die Entdeckung von Stahl'), dass bei
den Collemaceen ein schraubig gewundenes Ascogon mit Trichogyne
vorhanden ist, welches in Folge seiner Verschmelzung mit Sperma-
tien befruchtet wird.
Als aber van Tieghem und Brefeld bei Untersuchung von
Anfangsstadien einiger Ascomyceten, wie oben erwähnt, nichts fan-
den als gleichmässige Hyphenaussprossung ohne jede erkennbare
Differenzirung in Geschlechtselemente, wurde die Sexualität der
Schlauchpilze überhaupt wieder in Frage gestellt.
Die Gegenwart eines Ascogons freilich kann bei jenen Ascomy-
cetenfrüchten, deren Anlage sich deutlich vom Mycelium unterschei-
det, nicht zweifelhaft sein. Auch ist der continuirliche Zusammen-
hang des Ascogons mit den Sporenschläuchen, das Herauswachsen
der letzteren aus dem Ascogon vielfach, zuerst von Janczewski?°)
1) E. Stahl, Beiträge zur Entwickl. der Flechten. Heft I. Leipz. 1877.
®) Bot. Ztg. Jahrg. 1871. No. 17 und 18.
380
bei Ascobolus furfuraceus, nachgewiesen worden. Der Nachweis
des Pollinodiums aber, des männlichen Befruchtungsorgans, zeigt
sicb stets mit weit grösseren Schwierigkeiten verknüpft. Bald haben
die Untersuchungen das gänzliche Fehlen desselben in der Frucht-
anlage herausgestellt, bald keine hinreichenden Unterschiede vom
Ascogon oder von den umgebenden oder die vegetativen Theile der
Fruchtkörper aufbauenden Mycelhyphen.
Und trotz alledem ist es im Hinblick auf schon bekannte That-
sachen wohl nicht zu umgehen, die Sexualität der Ascomyceten fest-
zuhalten'). Wenn sie auch, soweit wir wenigstens heute wissen,
bei einigen Gruppen der Schlauchpilze nur unvollkommen ausgebil-
det, bei andern gar nicht vorhanden zu sein scheint, so lassen doch
die Beobachtungen an Collema, die Erscheinungen bei Anlage vieler
Discomyceten, besonders der Peziza confluens, das Vorkommen ge-
schlechtlicher Einwirkung behufs Bildung der Früchte wenigstens
bei diesen Pilzen nicht von der Hand weisen und die folgenden
Untersuchungen werden einen neuen Fall einfachster Befruchtungs-
art den Ascomyceten hinzufügen.
Morphologische Variationen beim Aufbau der Frucht-
körperanlagen. Doch abgesehen von der dunklen Sexualitäts-
frage, kommt es mir in vorliegender Arbeit wesentlich an auf die
Formgestaltung im ersten Entwicklungsstadium der schlauchführenden
Pilze. Aus der Literatur ist ersichtlich, dass die Angaben über das
Aussehen der jüngsten Fruchtzustände bei ein- und der nämlichen
Pilzgattung nicht immer gleichartig lauten: die eine Peziza legt den
Grund zu ihrer Scheibe mit wohl ausgebildetem Scoleecit, die andere
mit Antheridium und Ascogonium nebst Befruchtungsschlauch und
die dritte mit nichts weiter als gleichmässiger Hyphenaussprossung.
Ebensolche Sprossung bedingt nach Zopf den Beginn des Perithe-
eiums von Ohaetomium, während van Tieghem dieser Gattung ein
sehr deutliches Carpogon zuschreibt. Bei Sordaria fand Woronin
als Primärzustand der Frucht zwei Hyphen, deren eine von blasiger
Gestalt, nach Gilkenet ist nur eine einzige von schraubiger Krüm-
mung dabei betheiligt. Diese Schwankungen sind auffallend und es
fragt sich doch, ob der Grund für solehe Widersprüche, wie es in
den beiden letzten Fällen ausgesprochen wurde, nur in blossen Be-
obachtungsfehlern von einer Seite zu suchen sei.
!) Vgl. A. Borzi, Studii sulla sessualitä degli Ascomyceti. Nuovo gior.
bot. ital. Vol. X. No. 1. 1878. Ferner die Arbeit von OÖ. Kihlman I. c. sowie
die Auseinandersetzungen von de Bary in seinen Beiträgen 4. Reihe 1881
und Brefeld in „Schimmelpilze‘“ 4. Heft 1881.
381
Ich habe mich bei einigen Ascomyceten davon überzeugt, dass
nicht einmal in der nämlichen Species der Fruchtanfang
immer constant dieselbe Gestaltung beibehält.
Zur Begründung dieses Satzes werde ich sogleich einige Beispiele
folgen lassen und verweise zuvördert auf das in meiner Arbeit:
„Beitrag zur Kenntniss der Gymnoasceen“ über Entstehung der
Fruchtanlagen von Gymnoascus Reessü') Gesagte. Die Selerotial-
anfänge der Peziza Fuckeliana fand ich auf zwei verschiedene Wei-
sen vor sich gehen); daraufhin wurden die Selerotien kurz als
„echte“ und „sterile“ von mir bezeichnet.
Ich wende mich nun zur Darstellung der Beobachtungen, welche
ich bei Chaetomium und zwar hauptsächlich bei Ohaetomium
Kunzianum über die jüngsten Perithecienanlagen gemacht habe.
Diese Beobachtungen reichen zum Theil noch in die Jahre 1875
und 1876 zurück und ich bespreche sie hier nur desshalb ausführ-
licher, weil sie zur Discussion der Frage über die Variabilität der
Formgestaltung bei den Fruchtanfängen einer Anzahl von Ascomy-
ceten mit beitragen dürften. Ausserdem konnte ich den von Zopf?)
als „besonderen Entwicklungstypus“ der Sprossung bezeichneten
Modus bei Anlage von Ühaetomiumfrüchten nicht in der vom Autor
angegebenen Weise bemerken, wohl aber die von van Tieghem*)
beschriebene ausgeprägte Differenzirung in Gestalt eines deutlichen
Carpogoniums. Bei Durchsicht der Zopf’schen Schrift erhält man
den Eindruck, das Carpogon van Tieghems bei ÜUhaetomium. sei
vollständig aus der Luft gegriffen; ich habe daher auf Tafel XX.
Fig. 2—6 die von mir gesehenen primordialen Entwicklungszustände
der Perithecien von O'haetomium Kunzeanum zur Abbildung gebracht.
Anlage des Perithecium von Chaetomium Kunzianum Zopf.
Die Cultur der Ascosporen des Pilzes begann ich durch Aus-
saat in Mist- und Pflaumenabkochung auf dem Objektträger; sie
wurde durch Anwendung einer etwas höheren Temperatur bis zu
25° C. im Wärmkasten beschleunigt. Die jungen Keimlinge vertheilte
ich mittelst Uebertragung in neue Nährtropfen und nach 6 Tagen
war das entstandene Mycel gross genug, um seine Fruktifikation zu
beginnen. Ich beobachtete die Ausbildung von zweierlei Elementen:
1) S. diese Beiträge Band 3. Heft 3. pag. 271.
2) Jahresbericht der schles. Ges. f. vaterl. Cultur pro 1877. Bot. Sektion
pag. 15l und 153.
sc) S)ak "ic.
382
der von Zopf auf seiner Tafel 1 dargestellten feinen verästelten und
relativ kurzen Hyphenaussprossungen und zweitens der Carpogo-
nien. Die letzteren pflegten schon an jungen Mycelien im Durch-
messer von kaum 1 Ctm. aufzutreten und zwar zuerst vollständig
isolirt, Taf. XX. Fig. 2; späterhin erschienen an zahlreichen Stellen
des Myceliums sowohl die feinen Hyphen als die Carpogonien zusammen
und auch letztere begannen an ihren Basaltheilen in dünne Hyphen
auszuwachsen, ‚Taf. XX. Fig. 3—5. Häufig sprossten aber auch obige
feine Hyphen wie anfangs die Carpogonien ganz allein für sich aus
dem Mycel hervor, mehr oder weniger reichlich, oft in dichtem Ge-
wirre und in vollster Gleichartigkeit, ohne dass in ihrer unmittelbaren
Nähe ein Carpogon sichtbar geworden wäre. Solche Zustände hat
Zopf zahlreich abgebildet.
Es ist nun sehr bemerkenswerth, dass die Carpogone Verände-
rungen in ihrer Gestalt annahmen, und zwar im Allgemeinen je nach-
dem ihr Entstehen früher oder später erfolgt war; die ersten zeigten
sich am vollkommensten ausgebildet und waren lang gestielt, Taf. XX.
Fig. 2 und 3, fig. 5a; am Stiel sass in gerader Richtung oder im
Winkel zu demselben eine dicht zusammengerollte Schraube mit 3
bis 4 Windungen, von Plasma strotzend und schon im sehr jungen
Zustand in Zellen getheilt, deren Scheidewände ganz deutlich sicht-
bar waren. Die Dimension des ebenfalls septirten Stiels gleicht der
des Mycelfadens, von welchem er entspringt oder übertrifft dieselbe,
Taf. XX. Fig. 2; die Form der Schraube ist je nach Zahl und
Weitläufigkeit ihrer Windungen bald kurz gedrängt und rundlich,
bald verlängert und conisch zulaufend, die letzten Windungen ver-
jJüngen sich etwas, sie sind, entgegen der Schraube bei Zurotium,
meist sehr unregelmässig durcheinandergeschoben, Taf. XX. Fig. 2.
Sämmtliche Theile der Schraube schliessen aber eng zusammen, sie
lassen einen Hohlraum im Innern nicht aufkommen.
Am Stiel der Carpogone sowie an den unteren Theilen der
Schraube selbst beginnt nun das Aussprossen feiner Hyphen, Taf. XX.,
Fig. 3—5, welche anfangs ohne bestimmte Richtung zumeist vom
Carpogon abwachsen; einige legen sich jedoch dicht an, kriechen
auf der Anlage herum und verzweigen sich auf deren Oberfläche;
diese Hyphen, welche zuerst von geringem Durchmesser sind, haben
jedenfalls die Bestimmung zur Herstellung der Peritheciumwand,
einige vielleicht zur Rhizoidenbildung. Bei kümmerlich ernährten
Perithecien unterbleibt aber wohl auch die seitliche Aussprossung
der Carpogone und die äussersten Zellen derselben constituiren dann
nur eine ganz rudimentäre Peritheeienwandung. Das Aussprossen
383
der Hyphen geht Hand in Hand mit der Vergrösserung des Carpo-
goniums, die Windungen desselben werden immer zahlreicher, schieben
sich ineinander und theilen sich in zahlreiche Zellen, doch kann man
noch immer deutlich auch an solchen grösseren Exemplaren den
ursprünglich schraubigen Verlauf der Anlage unterscheiden. Ein-
zelne oberflächliche Zellen des Gebildes fangen bereits an, in die
für die Gattung Ohaetomium charakteristischen Haare auszuwachsen,
Taf. XX. Fig. 6, und im Innern der jungen Peritheciumfrucht erfolgen
dann die von Zopf beschriebenen mit dem Heranreifen verknüpften
Umwandlungen. Bis zu dem Augenblick, wo die Carpogone durch
Auswachsen einzelner ihrer Basalzellen die Bildung der Perithecium-
wand einleiten, kann man die Vorgänge an den Anlagen ganz genau
übersehen, dann aber vergrössern sich letztere mit äusserster Schnellig-
keit und es wird schwierig, ihrem weiteren Verhalten zu folgen.
Solche rasche Vergrösserung kräftig ernährter jüngster Fruchtzu-
stände ist bei den Ascomyceten ganz allgemein; bei Ühaetomium
Jedoch treten noch einige die Untersuchung erschwerende Umstände
hinzu.
Rings um die Carpogone nämlich findet, wie schon oben erwähnt
wurde, ein ausserordentlich reichliches Aussprossen feinster Hyphen
statt, Taf. XX. Fig. 5; dieselben krümmen sich und theilen sich
nach allen Richtungen, sie anastomosiren später vielfach, um schliess-
lich ein förmliches compaktes Polster zu bilden, in dem die Carpo-
gone eingebettet liegen. Dieses Hyphenpolster dient offenbar dazu,
die Fruchtanfänge mit reichlicher Nahrung zu versehen, nebenbei
wohl auch, um eine schützende Hülle für die zarten Gebilde zu lie-
fern. Solche Hyphenpolster zeigen bald nur geringe, bald sehr
bedeutende Ausdehnung und wir finden in ihrem Bereich baid nur
wenige, bald zahlreiche Carpogone; zwischen die schon vorhandenen
werden bei hinreichender Nahrung noch fortwährend neue einge-
schoben, so dass sie schliesslich eng gedrängt eines neben dem
andern sich befinden.
Nur die zuerst am Mycel entstandenen Carpogone besitzen die
volle beschriebene Ausbildung, die späteren dagegen verkürzen meist
ihren Stiel und die letzten verlieren ihn endlich ganz, sie sind sitzend,
so wie sie van Tieghem gesehen hat, Taf. XX. Fig. 4 und5b. ce.
Dabei verringern sich die Windungen der Schraube, ihre Hyphen
werden endlich nicht selten dünn und verschoben, so dass man in
der That schliessen könnte, die undeutlich gewordene Anlage sei
nur eine unregelmässige Verknäuelung rein vegetativer Hyphensprosse.
Auf natürlichem Nährboden, wo sich Ühaetomium spontan ansiedelt,
384
scheint sich die Sache nicht anders zu verhalten: auch hier fand
ich auf verschiedenen Substraten junge Fruchtzustände, offenbar aus
gestielten vollkommenen Schrauben hervorgegangen und andere aus
kleinen Zellen zusammengesetzt, bei welchen ohne Zweifel obige
Formänderung Platz gegriffen hatte.
So machen also die Primordien der Ühaetomium-Perithecien eine
vollkommene Rückbildung und Vereinfachung durch: vom wohlaus-
gebildeten Carpogon in Form einer Schraube und mit vielleicht
sexueller Bedeutung bis zum dünnen unregelmässig zusammengeleg-
ten Faden, der vom Mycelium nicht mehr zu unterscheiden ist. Ob
die Ursache dieser Rückbildung nur in Nahrungsverhältnissen oder
in sonstigen unbekannten Bedingungen zu suchen ist, konnte ich
nicht ermitteln, ebensowenig, ob stets, wie es in meinen Culturen
der Fall war, nur allein die zuerst erwachsenen Peritheeien aus
gestielt-schraubigen Carpogonien hervorgehen. Das Wesentliche ist,
dass ich entgegen dem Zopf’schen Ausspruch die von van Tieg-
hem gemachten ziemlich ausführlichen Angaben über das Vorkom-
men von Carpogonien bei den Uhaetomiumarten als richtig bestäti-
gen kann, dass sie jedoch wie angegeben, nicht immer gleich deut-
lich auftreten.
Die einfachen Conidienbildungen, welche Zopf bei Chaetomium
beschrieben hat, sind, wie ich ebenfalls fand, eine Folge schlech-
ter Culturverhältnisse; sie kommen massenhaft zum Vorschein, wenn
man die ÖObjektträger mit den Nährtropfen in zu feuchtem Raum
aufstellt und dann gelangen auch die Mycelien gar nicht oder kaum
zu kümmerlicher Perithecienbildung. Dagegen sind mir in den oben
beschriebenen Culturen mit zahlreichen Fruchtkörperanlagen die Coni-
dien vollständig ausgeblieben.
Werfen wir schliesslich noch einen Blick auf die Zopf’schen
Tafeln, so hat derselbe auf Tafel 1. Fig. 6 und 7 offenbar verein-
fachte Carpogone abgebildet und das kleine Peritheeium auf Tafel 3.
Fig. 29 zeigt deutlich, dass es aus einem schraubigen Carpogonium
hervorgegangen ist. In Folge des Umstandes jedoch, dass Zopf
die Carpogonien bei Uhaetomium als nieht vorhanden bezeichnet, ist
er genöthigt, auf Tafel 1 in Fig. 18—22 bei seiner Darstellung von
der Fruchtanlage bis zum Peritheeinm grosse Sprünge zu machen,
so dass besonders in Fig. 20 das Hyphenpolster und in Fig. 21
und 22 das bereits fertige Peritheeium ganz ohne Vermittlung
dastehen.
385
Im Folgenden gehe ich über zur Beschreibung einiger Ascomy-
ceten, deren Entwicklungsgeschichte sehr interessante Einzelheiten
ergeben hat. Sie sind ein neues Beispiel für die unerschöpfliche
Gestaltungsfähigkeit, welche im Reich der Pilze vorherrscht und in
Rücksicht auf die Frage nach der Formenvariabilität an den Primor-
dialanlagen bei den Ascomyceten werden sie meine Vermuthung weiter
bestätigen, dass die Fruchtanlagen zwar bei vielen Arten aus der
Klasse sich als formbeständig erweisen dürften, dass sie jedoch bei
andern Arten unter besonderen Verhältnissen, wobei wohl die Er-
nährungsfrage eine Hauptrolle spielt, mehr oder weniger umgestalten-
den Modificationen unterworfen sind. Ich habe die nachstehend be-
schriebenen Pilze bei verschiedenen Gelegenheiten im Pflanzenphysio-
logischen Institut der Universität Breslau aufgefunden und daselbst mit
Hülfe zahlreicher künstlicher Züchtungen ihre Untersuchung ausgeführt.
od.
Eremascus albus nov. gen. et spec.
(Taf. XIX. Fig. 1 bis 25 und Taf. XX. Fig. 1.)
Vorkommen und Reinecultur. Im Dezbr. 1881 öffnete ich
1
eine kaum noch zu 5 gefüllte Flasche mit Malzextrakt, um mir
zum Zweck anderweitiger Pilzeulturen eine Nährlösung daraus her-
zustellen. Ich fand das Extrakt verdorben und die Oberfläche des-
selben mit einer dieken verschieden gefärbten Schimmelhaut über-
zogen. Letztere bestand hauptsächlich aus Conidienträgern und
Perithecien von Kurotium Aspergillus glaucus, dazwischen wucherte
auch Asperg. flavus, ein Dematium sprosste üppig und die Sporen
einiger anderer Schimmelpilze lagen zahlreich umher. Auf der ver-
schimmelten Fläche befanden sich jedoch mehrere verhältnissmässig
reinere und schneeweisse Stellen, deren mikroskopische Untersuchung
die Gegenwart eines sehr merkwürdigen Ascomyceten herausstellte.
Ich bemerkte nämlich in dem Präparat einige schön ausgebildete
kugelrunde Sporenschläuche, mit je acht derbwandigen Sporen ange-
füllt; jeden Sporenschlauch fand ich von zwei Hyphen getragen, die
in regelmässigen schraubigen Windungen sich umeinander drehten.
Sie standen selbst wieder mit einem septirten farblosen Mycel in
Verbindung, an welchem sich auch junge Anlagen des Pilzes be-
fanden. Von einem Perithecium oder von einer sonstigen Umhüllung
der Asci war keine Spur zu sehen, sie fanden sich vielmehr sämmt-
lich vollkommen nackt und nur mit ihren schraubigen Tragfäden direkt
dem Mycelium aufsitzend.
386
Es galt nun, diese Asci, deren Sporen durch Auflösung der
Ascusmembran bereits vielfach frei geworden waren, zu isoliren, um
wo möglich aus ihnen den Pilz rein auf dem Objektträger in durch-
sichtiger Nährlösung heranziehen zu können. Bei dem spärlichen
Material und bei der grossen Verunreinigung desselben war dies
gerade keine sehr leichte Aufgabe.
Als Nährflüssigkeit wählte ich filtrirte Pflaumenabkochung und
die Isolirung wurde dadurch erreicht, dass ich den Nährtropfen auf
eine sehr grosse Fläche dünn ausbreitete, so dass jedes eingesäte
kleine Partikelehen möglichst für sich zu liegen kam. Unter dem
Präparirmikroskop erkannte ich, dass die Aseci und Ascosporen beim
Einbringen in Wasser durch anhaftende Schleimtheilchen leicht an
einander klebten, so dass sie beim Uebertragen in neue Tropfen
nicht wohl mit andern Sporen zu verwechseln waren. Nach ein
bis zwei Tagen vom Beginn der Aussaat an begann die Keimung
der Ascosporen, worauf die jungen Keimlinge sofort wieder weiter
in neue Tropfen gebracht wurden. Durch öftere Uebertragung erhielt
ich nun die noch locker aneinander klebenden Keimlinge völlig rein
und frei von fremden Organismen und nachdem sie die richtige
Grösse erlangt hatten, konnte ich sie mit der Nadel ohne Beschädi-
gung von einander trennen. Nach einer letzten Uebertragung besass
ich hierauf zahlreiche Objektträgereulturen, deren jede nur einen
einzigen Keimling enthielt, welcher ungestört zum Auswachsen ge-
langen konnte. Die Entwickelung des Pilzes geschah in folgender
Weise.
Sporenkeimung und Mycelbildung. Die Sporen sind nahe-
zu kugelrund, glatt, farblos oder höchstens im reifen Zustand mit
einem ganz schwachen Stich ins Gelbliche, sie besitzen deutliche dop-
pelte Contouren, Taf. XIX. Fig. 20. Ihre Grösse beträgt 5,2—5,5 Mikr.
Vor der Keimung quellen sie nur sehr wenig und der Keimschlauch tritt
hervor, indem er die äussere Sporenhaut an einer oder an zwei Stellen
aus einander sprengt, Taf. XIX. Fig. la und b. Das weitere Ver-
halten des Keimschlauchs, seine Verzweigung, das Auftreten der
Scheidewände entspricht der gewöhnlichen Art bei Mycelentfaltung
von Ascomyceten, Taf. XIX. Fig. 2 und 3; das junge Mycel ist sehr
fein, seine Fäden überall von gleichem Durchmesser, es schwimmt
zunächst noch spinnwebeartig im Nährtropfen und es vergrössert
sich bei gewöhnlicher Zimmertemperatur zwar nur langsam aber
stetig. Anwendung höherer Temperaturgrade beschleunigte wohl die
Entwickelung des Pilzes, begünstigt jedoch sehr die Verunreinigung
der Nährlösung; ich verliess daher diese Art der Culturmethode.
387
Erst nach Ablauf von zwei Wochen erhielt ich Mycelflöückchen im
Durchmesser von nicht viel über 5 Ctm, die bei genügender Nahrung
rings an ihrer Peripherie immer weiter wuchsen, so dass sie nach
mehreren Wochen 1 Ctm. überschritten hatten und wahrscheinlich
noch fortgewachsen wären, wenn ich nur immer weitere Nährlösung
zugesetzt hätte. Mit dem Grösserwerden des Mycels treten einzelne
Hyphen desselben über die Oberfläche des Tropfens als Luftmyeel.
Die Mycelfäden verdicken zwar mit dem Alter ihre Membran, die-
selbe bleibt jedoch wie alle andern Theile des Pilzes stets farblos.
Sobald die Culturflüssigkeit an Nährstoffen ärmer zu werden beginnt,
steht das Längenwachsthum des Myceliums still, die Hyphen septiren
sich kurz hintereinander und die Mycelzellen erfahren an vielen
Stellen Aufschwellungen und Verbiegungen. Auf allen Seiten beginnt
die Entstehung der Fortpflanzungsorgane, Taf. XIX. Fig. 4, welche
aus der Flüssigkeit heraus an die Luft wachsen und bei schwacher
Vergrösserung von oben betrachtet, als unzählige schwarze Blasen,
Pünktchen und Fäden in mancherlei Gestalt und Grösse erscheinen
Taf. XX. Fig. 1. In Wirklichkeit sind’die Anlagen vollkommen
farblos; das schwarze Aussehen unter dem Mikrosköp bei durch-
fallendem Licht rührt von den zahlreichen Luft einschliessenden
Wassertröpfehen her, mit welchen die Gebilde sich beschlagen.
Entstehung der Primordien. Copulation. Durch eine
Scheidewand von einander abgegrenzte unmittelbar benachbarte Theile
zweier Mycelzellen treiben je einen Ast hervor, der beiderseits voll-
kommen gleichgestaltet ist; aber schon im jüngsten Zustand berühren
sich diese Aeste und schlingen sich aufs engste schraubig umeinander,
Taf. XIX. Fig. 5, 6, 7. Beide Hyphen wachsen der Regel nach
senkrecht vom Mycelium aus, sie besitzen beide nur ein gleichmässig -
begrenztes Längenwachsthum und nach Beendigung desselben lässt sich
die entstandene Doppelschraube von ein bis zu vier Umläufen erkennen,
Taf. XIX, Fig. 7 und 9. Die kürzeren dieser Anlagen sind in ihrem
jüngsten Zustand von den Primordien der Penzerllium-Selerotien ')
oder denen des Gymnoascus uncinatus”?) nieht zu unterscheiden. In
meinen künstlichen Culturen blieben die Anlagen stets viel kürzer
als auf dem ursprünglichen trockenen Boden der verschimmelten
Malzextraktoberfläche, welcher den natürlichen Lebensbedingungen
des Pilzes besser entsprechen dürfte.
Die Anlagen werden grossentheils vereinzelt am Mycel gebildet,
i) Brefeld, Schimmelpilze. Heft 2. Taf. 3. Fig. 10.
2) S. diese Beiträge Band 3. Heft 2. Taf. 14. Fig. 34.
Cohn, Beiträge zur Biologie der Pflanzen. Band III. Heft II. 96
388
nicht selten aber entwickeln sich zwei, drei und vier Anlagen gleich-
zeitig wirtelständig auf derselben oder nahezu derselben Höhe des
nämlichen Mycelastes, vgl. Taf. XIX. Fig. 9, 15, 16. Die oberen
Enden der Schrauben sind stumpf abgerundet und unmittelbar mit
einander in Berührung; unter den Anlagen auf dem Malzextrakt be-
fanden sich aber gar nicht selten sehr üppige Bildungen, Taf. XIX.
Fig. 9a, b und c, bei welchen der Endverlauf beider Schrauben aus-
einandertrat und dieselben zangenartig, nach oben verjüngt und ziem-
lich parallel neben einander hin verliefen.
Jede Anlage ist die Vorläuferin, das Primordium eines Ascus,
welcher stets nur am Ende der Schraubenhyphen erzeugt wird. Die
letzteren sind Anfangs nichts weiter als plasmareiche Ausstülpungen
einer Mycelzelle, welche mit derselben noch in offener Communication
stehen; ja dieselbe Mycelzelle kann an ihren beiden Enden je eine
oder bei wirtelständigen Anlagen mehrere solcher Ausstülpungen
hervortreiben, Taf. XIX. Fig. 9, ferner Fig. 15 und 16a. Bald aber,
nachdem das Längenwachsthum vollendet ist, erhält jede der Schrauben-
hyphen eine Scheidewand und zwar in einem Fall ganz nahe der
Basis, im andern verschieden hoch über derselben, Taf. XIX. Fig. 8,
10, 12a, 15a. Dadurch wird ein mehr oder minder langes Endstück
von jeder Schraubenhyphe als selbstständige Zelle abgegliedert und
zwar ist dieselbe an den beiden in gegenseitige Umrankung getretenen
Schrauben von annähernd gleicher Länge, obwohl auch ausnahmsweise
einmal die eine Zelle tiefer unten als die andere ihre Scheidewand
bekommen kann, Taf. XIX. Fig. 14a.
Mit Abgliederung dieser beiden Zellen ist ein sehr wesentlicher
Sehritt in der Entwicklung vorwärts gethan und jede Schraubenhyphe
in zwei physiologisch ungleichwerthige Elemente getrennt worden:
die unteren Theile derselben übernehmen bloss noch die bescheidene
Rolle von Trägern sowie die Plasmazufuhr, während die abgegliederten
oberen Zellen Geschlechtszellen sind und direkt in die Ascusbildung
eintreten.
Es geschieht dies durch den einfachsten Vorgang geschlechtlicher
Befruchtung: die Zellen berühren sich an ihren Enden, zuerst an
kleiner, dann immer breiterer Stelle und die trennenden Membranen
werden vollständig resorbirt. Das Ergebniss ist die unmittelbare
Vermischung des beiderseitigen Protoplasmainhalts,
mit einem Wort, die Copulation Taf. XIX. Fig. 11, 12, 15b.
Bildung des Ascus; Reifen desselben; Keimung der neu
erzeugten Ascosporen. Sofort wird der Erfolg dieser Copula-
tion bemerkbar, denn an der Copulationsstelle bildet sich eine kug-
389
lige Auftreibung, Taf. XIX. Fig. 13, 14, 15b, die grösser uud grösser
heranwächst unter fortwährender Aufnatme feinkörnigen Plasmas,
bis sie sich endlich als selbstständige Zelle, als junger Ascus, durch
je eine Scheidewand von dem schraubigen Theil der ursprünglichen
Anlage für sich abgliedert, Taf. XIX. Fig. 15, 16e, dessen Aufgabe
als Träger damit noch deutlicher hervortiitt. Die Scheidewände des
Ascus von seinen Trägern entstehen jedoch nicht immer so, dass
ersterer sofort rein kuglige Gestalt annimmt, sondern öfters entstehen
die Wände noch ein kleineres oder grösseres Stück unterhalb in den
Trägerzellen Taf. XIX. Fig. 16d, und der Ascus rundet sich dann
erst späterhin ab. Es ist natürlich, dass die Stellung der Asci am
Mycel, entsprechend der Stellung ihrer Primordien, meist einzeln ist
oder fast oder ganz wirtelständig zu zwei, drei oder höchstens vier
rings um die Axe des Mycelfadens herum. Sämmtliche Asci aber
sind morphologisch und physiologisch für sich isolirte Gebilde: jeder
einzelne verdankt einer Copulation seine Entstehung und jeder
besitzt für sich ein schraubig gedrehtes Trägerpaar, dessen dem Ascus
anstossende Zellen nicht selten ihren Durchmesser sehr vergrössern,
Taf. XIX., Fig. 15, 16e. Die oben erwähnten üppigen Anlagen auf
dem Malzextrakt, deren schraubige Hyphen nach oben zangenartig aus-
einanderweichen, Taf. XIX., Fig. 9a, b, c, copuliren ebenfalls, wie
ich mich überzeugte, in gewöhnlicher Weise durch Berührung an der
Spitze und darauf erfolgende Verschmelzung und Anschwellung zum
jungen Ascus.
Es dauert ziemlich lange Zeit, bis die Ascosporen innerhalb des
Ascus angelegt werden. Hierbei trennt sich das Plasma der Kugel
in acht trüb körnige durch lichtere Partien getrennte rundliche Por-
tionen, Taf. XIX., Fig. 17, die sich immer schärfer begrenzen und
vor der Reife acht Kugeln vorstellen mit stark glänzendem Kern
und hyalinem Hof, Taf. XIX., Fig. 18, aus welchem späterhin die
Membranen der Sporen gebildet werden, Taf. XIX., Fig. 19. Den
Ascis hängt bis zur Reife das schraubige Trägerpaar an, dessen Hyphen
ihren Inhalt verloren haben, während die Membran allmählich sich
auflöst, um endlich am vollkommen gereiften Aseus mit keimfähigen
Sporen völlig zu verschwinden, Taf. XIX., Fig. 20. Die Asci haben
eine dünne, zarte Membran und einen Durchmesser von 12,5—13 Mikr.,
die gebildeten Ascosporen sind sofort keimfähig und nach deren
Aussaat erfolgte der nämliche Entwicklungsgang, wie er eben be-
schrieben wurde. Der ganze Lebenslauf unseres Pilzes ist also ein
sehr einfacher; er beginnt mit Aseis und Ascosporen und schliesst
damit, ohne dass sich Conidien oder eine sonstige andere Fruktifi-
26*
390
cation dabei einschalte. Der Wachsthumsprocess geht zudem sehr
langsam vor sich, denn von erfolgter Sporenkeimung an bis zur
Vollendung neuer keimfähiger Sporen verläuft bei gewöhnlicher
Zimmertemperatur ein Zeitraum von vier bis fünf Wochen. Uebri-
gens ist es ganz erstaunlich, in welch’ ungeheurer Menge das aus
einer einzigen Spore hervorgegangene Mycelium Sporenschläuche
erzeugt.
Variationen in der Gestalt des Primordium. Abnor-
mitäten. Ausser der bisher beschriebenen normalen Art von Ascus-
und Sporenproduktion traten bei meinen Culturen in Nährlösung so-
wohl als auch auf dem natürlichen Nährboden zahlreiche Differenzen
und Abnormitäten auf. Zunächst erwies sich in der Cultur das
Primordium des Ascus nur wenig formbeständig: es erfuhr sehr häufige
Verminderungen in der Zahl seiner schraubigen Umläufe, wie dies aus
meinen Abbildungen sofort hervorgeht, ferner trat wohl auch das
gänzliche Unterbleiben des Sichumwindens der beiden Anlagehyphen
ein, Taf. XIX. Fig. 14, 15 f, 16; die letzteren wuchsen vielmehr
dann gerade oder wenig gekrümmt in verschiedener Länge neben
einander hin, um schliesslich aber doch in gewöhnlicher Weise die
Copulationszellen durch Scheidewände abzutrennen; es erfolgte hier-
auf ganz regelmässig die Berührung, Verschmelzung und als Resultat
der Copulation die Ausbildung eines typischen Sporenschlauches mit
acht Aseosporen, Taf. XIX. Fig. 18. Die Trägerzellen solcher Asei
zeigten sich stets bedeutend vergrössert.
Wieder in andern Fällen ereigneten sich jedoch plötzliche Still-
stände im Entwicklungsgang. Da geschah es, dass trotz Anlage der
Copulationszellen, trotz deren gegenseitiger Berührung die Resorption
der trennenden Wand unterblieb, Taf. XIX. Fig. 21, 23a, dass die
beiden Zellen dann abnorm sich vergrösserten, oder dass trotz ge-
schehener Copulation und Ausbildung der Ascuszelle von letzterer
die Sporenbildung versäumt wurde. Sie erfüllte sich vielmehr mit
wässrigem, vakuolenreichem Inhalt und schwoll zu einem grossen,
unförmlichen Sack auf, dessen Membran schliesslich durch Entstehen
von Rissen und Austreten der Flüssigkeit erheblich collabirte, Taf. XIX.
Fig. 22, 23b.
Bei der grossen Menge an einem Mycel gebildeter Sporenschläuche
liess es sich nicht ermitteln, ob die zuletzt beschriebenen Abnormi-
täten nur Nachzügler betrafen und auf Erschöpfung des Myceliums
zurückzuführen seien; sie müssen aber jedenfalls nur als Folgen ein-
getretener Störungen in den Ernährungsbedingungen angesehen werden.
Sehr interessant ist eine von mir wiederholt beobachtete aber
391
doch nur seltene und von der gewöhnlichen Entstehung ganz ab-
weichende Art von Ascus- und Ascosporenbildung, In diesem Falle
unterbleibt die Copulation völlig, die Asci sind nicht
geschlechtlichen, sondern parthenogenetischen Ursprungs.
Diese Entwicklung ist sehr einfach, Taf. XIX. Fig. 24. Man bemerkt
einen langen septirten Hyphenast, dessen Zellen nach oben an Durch-
messer zunehmen. Die Endzelle schwillt zu einer Kugel auf von
der Grösse eines gewöhnlichen Ascus; ihr reichlicher Plasmavorrath
erfährt die zur Ascosporenbildung nöthigen Umwandlungen; die Sporen
entstehen zu acht und nach erfolgter Reife sind sie von den auf
reguläre Weise gebildeten nicht zu unterscheiden, Taf. XIX. Fig. 24 sp.
Die Erfüllung meines Wunsches freilich, dieselben rein zu gewinnen,
um durch Aussaat festzustellen, in welcher Weise das aus ihnen
entstehende Mycel sich verhält und seine Asci anlegt, lag bei der
Kleinheit des Gegenstandes ausser dem Bereiche der Möglichkeit.
Auch bei dieser Art von Sporenbildung, wo der Ascus also nur
einem einzigen langen Tragfaden aufsitzt, tritt der abnorme Fall ein,
dass die offenbar zum Ascus bestimmte Endzelle, Taf. XIX. Fig. 25
ganz colossal aufschwillt; ihr Inhalt zeigt sich in wässrige Flüssig-
keit und sehr zahlreiche rundliche scharf contourirte Protoplasma-
körper gesondert; dieselben gestalten sich aber nicht zu den echten
Sporen, sie sind nur gleichsam ein Anlauf zur Sporenbildung.
Name, systematische Stellung und Verwandtschaft.
Der beschriebene Pilz stellt eine G’ymnoascee dar im vollsten Sinne
des Wortes; er repräsentirt eine neue Gattung, welcher ich wegen
der isolirten Lage und Stellung ihrer Asci den Namen Kremascus
(von Zpnwos einsam) gegeben habe. Die Art selbst bezeichne ich
wegen ihrer Farblosigkeit in allen vegetativen und reproductiven
Theilen als Zremascus albus.
Zum Studium der Vorgänge an den jüngsten Fruchtanlagen von
Schlauchpilzen bietet der Eremascus ein ausgezeichnetes Material dar.
Hier wird nicht, wie bei andern Ascomyceten durch Hyphenansamm-
lung verschiedener Art die Beobachtung erschwert, man kann vielmehr
alle Veränderungen ohne Schwierigkeit klar verfolgen. Die Analogie
der Formwandlungen an den Primordien von Zremascus mit jenen
von mir bei Ohaetomium beschriebenen ist unverkennbar, ebenso
muss die Aehnlichkeit sofort in die Augen fallen, welche der Copu-
lationsvorgang und die Stellung des Ascus auf Trägerzellen mit den
Entwicklungen darbietet, wie sie bei der Zygosporenbildung von
Piptocephalis Freseniana nach Brefeld'), von Syncephalis cornu
1) Schimmelpilze. I. Heft. Taf. 5 u, 6.
392
nach van Tieghem') vorkommen. Die parthenogenetisch erzeugten
Asei von Eremascus sind den bei Sporodinia grandis beobachteten
Azygosporen. vergleichbar. Zremascus albus stellt daher eine sehr
merkwürdige und zur Zeit einzig dastehende Vermittlung her zwischen
den Mucorineen und Ascomyceten; in ihm liegt zugleich der einfachste
Typus eines solchen Schlauchpilzes vor, dessen Sporenschlauch das
Produkt eines geschlechtlichen Vorgangs und zwar der Copulation -
ist. Der ganze Fruchtkörper zeigt sich aber hier auf einen einzigen nack-
ten Aseus redueirt, der auf zwei schraubigen Traghyphen sich befindet.
Demgemäss lautet der Gattungscharakter von Eremascus:
„Asei einzeln und nackt; jeder Ascus von zwei schraubigen
„Hyphen getragen. Andeutungen eines Peritheeiums oder einer
„Mycelhülle fehlen.
„Normale Anlage des Ascus durch zwei schraubig in mehreren
„Windungen umeinander gedrehte Hyphen, deren Enden als Co-
„pulationszellen abgegliedert werden. Nach der Copulation er-
„folgt endständig eine Anschwellung, welche zum Ascus sich
„entwickelt.
„Conidien oder andere Fortpflanzungsarten als durch Asei
„sind bei Zremascus nicht vorhanden.
rn
III.
Sterigmatocystis nidulans nov. spec.
(Taf XX. Fig. 7—17. Taf, XXL XXIL)
Zur Systematik der Aspergilleen. Bevor ich die Entwick-
lungsgeschichte des eben genannten Pilzes beginne, dürften einige
allgemeinere Bemerkungen über die Aspergilleen, das heisst über
die Gattungen Sterigmatocystis, Aspergillus und Eurotium, nicht wohl
zu umgehen sein.
Die Gattung Sterigmatocystis ist bekanntlich von Cramer?) auf-
gestellt worden. Den Hauptcharakter legte derselbe in die Ver-
zweigung, welche von Seite der dem Kopf des Conidienträgers
entspringenden Basidien ausgeht. Van Tieghem°), welcher zuletzt
in das Genus gehörige Pilze untersucht hat, nennt Sterigmatocystis
einen Aspergilus zweiten Grades, mit diekerem Kopf, mit stärkerem
1) Annal. des se, nat. Bot. VI, Ser. T. ı. Pl. 3.
2) C. Cramer, Ueber eine neue Fadenpilzgattung Sterigmatoeystis. Naturf.
Ges. in Zürich 1859 und 1860.
3) I. Bull. de la soc. bot. de France. T. 24. 1877. pag. 101. Il. ebendas.
pag. 206.
393
Träger und mit zwei Sterigmenlagen. Derselbe fügte den bereits
bekannten Arten noch eine Anzahl neuer hinzu, welche er haupt-
sächlich nach der Sporenfarbe, oder richtiger wohl nach der durch
die Sporen hervorgebrachten Farbe der Pilzrasen unterscheidet. Van
Tieghem giebt auch an, dass er bei Sterigmatocystis nigra und St.
purpurea nicht blos die Propagationsform der Conidienträger, sondern
auch die Bildung von Fruchtkörpern, welche zuerst Selerotien seien,
beobachtet habe. Aus der ersten Publikation dieses Forschers ist
nicht klar ersichtlich, ob seine Beschreibung über die Entstehung
der Selerotien sich auf beide Species gleichmässig bezieht oder nur
auf eine derselben, in der zweiten Arbeit wird berichtet, dass sich
die Angabe nur auf Sterigmatocystis purpurea zu beziehen habe.
Hier geht nach van Tieghem der anfangs selerotiumartige Frucht-
körper ähnlich wie das Peritheeium von Hurotium aus einem Carpogon
hervor, welches sich unmittelbar in eine Hülle, in ein markiges
Füllgewebe und in ascogene Zweige differenzirt; letztere entwickeln
nach einer Ruheperiode scheibenförmige Ascosporen. Die van
Tieghem’schen Mittheilungen bestehen leider im vorliegenden Fall
nur in kurzen, abgerissenen Berichten und lassen viele Lücken übrig;
sie gehen rasch über den näheren Entwicklungsgang der angeführten
Pilze hinweg.
Daher sind unsere gegenwärtigen Kenntnisse von dem Lebens-
lauf der sSterigmatocystisarten, besonders die Frage nach deren
Fruchtkörpern, noch durchaus mangelhaft und neuer Untersuchungen
bedürftig.
Wilhelm!) in seiner Dissertation legt auf das Cramer’sche
Merkmal von Sterigmatocystis, die Verzweigung der Basidien, weniger
Werth, insofern als er beide Gattungen Sterigmatocystis und Asper-
gilus wieder in die eine Aspergillus zusammenbringt, welche nach
ihm zwei Sektionen enthält: 1. Conidienträger mit einfachen Basidien,
2. solche mit verzweigten. Wilhelm bezeichnet übrigens die auf
dem Aspergillusköpfchen stehenden Basidien sammt deren Züspitzung,
welche unmittelbar die Spore trägt, zusammen als Sterigma und
schlägt für die Cramer’schen Basidien mit ihren Sterigmaten den
Namen „verzweigte Sterigmen“ vor. Ich werde mich dieser
Nomenclatur in der Folge anschliessen.
Die Wilhelm’sche Gattung Aspergillus unterscheidet sich von
der Gattung Zurotium hauptsächlich dadurch, dass die Arten der-
1) A. Wilhelm, Beitr, zur Kenntniss der Pilzgattung Aspergillus. In.
Diss. 1877,
394
selben Selerotienbildung eingehen, während Eurotium zarte Perithecien
erzeugt mit continuirlicher Entwieklungsweise. Freilich sind von
verschiedenen Aspergillusspecies Sclerotien bis jetzt noch unbekannt
geblieben, dagegen hat sie Wilhelm bei Aspergellus flavus, ferner
Aspergillus (resp. Sterigmatocystis) niger und ochraceus beobach-
tet. Bei letzterer Art beruht ihre Bildung „einzig und allein auf
der Verflechtung und nachträglichen Verwachsung morphologisch voll-
kommen gleichwerthiger Fadenelemente.“ Nach Brefeld') ist bei
Anlage der Sclerotien des Aspergillus (Sterigmatocystis) niger eine
Differenzirung von Initialfäden in Hüllschläuche und in ascogene
Sprosse nicht zu unterscheiden. Weder Wilhelm noch Brefeld
wollte es glücken, aus den Aspergillus-Selerotien Asci und Asco-
sporen heranzuziehen.
Meine eigenen an einer grossen Zahl von Aspergillus- und Ste-
rigmatocystis- Arten ausgeführten Untersuchungen veranlassen mich,
die Einfachheit des Sterigmas (das Wort im Wilhelm’schen Sinn
genommen) gegenüber der Verzweigung desselben, derart, dass das-
selbe endständig eine kleinere oder grössere Zahl secundärer Ste-
rigmen trägt, an den normalen ausgewachsenen Conidienträgern
vieler hierher gehöriger Pilze als constantes und gutes Unterschei-
dungsmerkmal anzunehmen, Niemals wird man z. B. bei Aspergül-
lus fumigatus Fres. die Sterigmen verzweigt finden, niemals wird
man an vollkommenen Conidienträgern der am längsten bekannten
Sterigmatocystisart, St. antacustica Cramer (syn. St. nigra van Tiegh.)
oder an der von mir unten zu beschreibenden St. nidulans die Ver-
zweigung der Sterigmen vermissen. In der Regel ist es leicht, ohne
besondere Präparation unter dem Mikroskop zu entscheiden, ob man
einen mit einfachen oder mit verzweigten Sterigmen versehenen Coni-
dienträger vor sich habe. Im letzteren Fall sieht man, wie es
Cramer in seiner Fig. 6 abbildet, um das centrale Köpfchen einen
Ring primärer, um diesen einen solchen von secundären Sterigmen,
die endlich allseitig von der Sporenmasse bedeckt sind. Die Ver-
zweigung am einzelnen Sterigma blosszulegen, ist bei üppigen
Exemplaren allerdings oft ziemlich schwierig; es gelingt aber voll-
kommen, wenn man durch Schnitte oder ganz einfach durch sanf-
tes Hin- und Herschieben des Deckgläschens die Sterigmen loslöst
und isolirt.
Die botanisch-medieinischen Untersuchungen der Neuzeit über
pathogene Wirkungen gewisser Schimmelpilze, deren Sporen, sobald
!) Schimmelpilze H. 4 pag. 154.
395
sie in die Blutbahn des thierischen Körpers gelängen, daselbst aus-
zuwachsen vermögen, haben das Interesse für Aspergellus und Ver-
wandte, um welche es sich dabei mit hauptsächlich handelt, ganz
besonders in den Vordergrund gerückt'). Soviel aber hat sich bei
der Cultur pathogener ‚Aspergilleen herausgestellt, dass eine grössere
Anzahl von Arten oder Varietäten zu existiren scheint, als es bisher
angenommen wurde. Dieselben weichen durch ihre Farbe, durch
die Form und Grösse der Sporen von einander ab, ebenso durch
den Bau ihrer Conidienträger, deren Sterigmen öfters verzweigt sind.
Ascusfrüchte oder andere Vermehrungsweisen kennt man bei diesen
Pilzen nicht, einige Sclerotien ausgenommen, deren Weiterentwicklung
aber nicht gelungen ist. Wo Asci vorkommen und später noch
entdeckt werden, da dürften sich wohl mancherlei Verschiedenheiten
besonders an den Fruchtkörpern herausstellen.
Ich halte es daher für zweckmässig, das alte Formgenus Sterig-
matocystis auch jetzt noch beizubehalten und stelle den Pilz, zu
dessen Beschreibung ich übergehe, in dasselbe; dessen Ascusfrucht
gleicht weder derjenigen von EKurotium noch den bei Aspergillus
bisher bekannt gewordenen Sclerotien und seine Conidienträger be-
sitzen ausgesprochen verzweigte Sterigmen.
Vorkommen. Cultur in künstlichen Nährflüssigkeiten,
Die Sterigmatocystis nidulans war Anfangs Mai auf Nestern von
Hummeln, welche ich im Breslauer botanischen Garten gesammelt
hatte, in sehr kräftiger Vegetation aufgetreten. Sie bildete zusam-
menhängende Rasen von zuerst chromgrüner, mit zunehmendem Alter
schmutzig grüner Farbe. Gegen den Herbst gelangten die Sporen
in einen mit ausgekochter Cohn’scher Bakteriennährlösung ?) halb
gefüllten grossen Glaskolben, woselbst sie drei zunächst farblose
Mycelflocken entwickelten, die an der Oberfläche der Flüssigkeit sich
festsetzten und daselbst massenhaft Conidienträger austrieben. Jede
Mycelflocke wuchs rasch heran und zeigte dann eine obere gewölbte
mit vielen rundlichen Erhabenheiten versehene, von den massenhaft
abgefallenen Sporen bedeckte und von ihnen grün gefärbte kreisrunde
Fläche mit concentrischem Wachsthum, welches an der Peripherie lang-
sam weiterschritt. Von dieser auf der Nährlösung schwimmenden Fläche
ragte das Mycel nach unten verjüngt in dichter farbloser und mit zahl-
t) Mittheilungen des Kaiserl. Gesundheits- Amtes. Bd. I. Berlin 1881.
R. Koch, Berl. klin. Wochenschrift. 1881. No. 52.
F. Siebenmann, die Fadenpilze Asp. flav. niger und fumig. und ihre
Beziehung zur Otomycosis aspergillina. Mit 3 Taf. Wiesbaden 1883.
2) Vgl. diese Beiträge Band I. Heft 3. pag. 210.
396
reich ausgeschiedenen Krystallen durchsetzter flottirender Masse schliess-
lich an sechs Centimeter tief hinein in die Flüssigkeit, bis es den
Grund des Kolbens erreicht hatte, Taf. XX. Fig. 7. Die oberflächliche
Ausbreitung betrug etwa 4 Centimeter und in diesem Zustande war
auch daselbst bereits reichliche Fruchtkörperbildung eingetreten.
Es wurden zahlreiche Neuculturen mit dem Pilze angestellt:
theils durch Aussaat der Sporen in Nährtropfen auf den Objektträger,
theils in grössere Mengen sterilisirter Flüssigkeit, welche sich in
Bechergläsern und Kolben befand. Sowohl für die Massen- als für
die Objektträgerenlturen dienten Mistdecoet und die Cohn’sche Bak-
teriennährlösung.
Keimung der Conidiensporen. Wachsthum des Pilzes
bei hohen Temperaturgraden. Die Conidien der Sterigmato-
cystis nidulans sind im Allgemeinen kugelrund, Taf. XX. Fig. 8a;
wo dieselben noch in Ketten zusammenhängen, platten sich die mitt-
leren vereinzelt wohl etwas ab, und die obersten in der Kette zeigen
sich öfters ein wenig verlängert; die Aussenhaut der Sporen ist
äusserst fein punktirt, bleibt aber bei künstlicher Cultur auch ganz
glatt; unter dem Mikroskop gesehen, zeigen sie sich schwach gelb-
lichgrün gefärbt. Ihr Durchmesser beträgt im Mittel 3 Mikr. Die
Keimung bietet nichts Auffallendes: das Exosporium wird nach
geringer Quellung gesprengt und der heraustretende Keimschlauch
verlängert, verzweigt und septirt sich zu einem farblosen Mycelium
Taf. XX. Fig. 8b, d. und Fig. 9. Das Mycel kann, wie schon
erwähnt, eine sehr beträchtliche Ausdehnung erreichen; erst im Alter
bräunen sich einzelne Hyphen, verschleimen und Anastomosen sind
dann keine Seltenheit.
Das Wachsthum des Pilzes findet sowohl bei gewöhnlicher Zimmer-
temperatur als bei hohen Wärmegraden statt; ja letztere sind seinem
Gedeihen äusserst förderlich und ich habe die Sporen, frisch gebildete
sowohl als bis 18 Monate alte getrocknete, bei 38—42° C. schon
nach 20—24 Stunden zur Mycelentfaltung und Bildung von Conidien-
trägern gebracht. Auch wächst und fruktifieirt bei 40° C. das Mycel
rasch und üppig weiter, so dass ich versuchsweise das Aufkochen
der Cohn’schen Nährlösung behufs Sterilisirung derselben vor der
Aussaat unterlassen konnte, weil dann Bacterium Termo, welches in
dieser Flüssigkeit fast stets vorhanden ist, nicht mehr dem Gedeihen
des Pilzes hinderlich wird, sondern in Wärmestarre verfällt. Ich
hatte also hier die nämliche Erscheinung, welche bei meinen Ver-
suchen über den Einfluss der Temperatur auf Dacterium Termo so
auffallend hervorgetreten war: wie damals blieb über 40° C. die
397
Flüssigkeit klar, aber an Stelle des Bakterium gedieh noch üppig
ein Schimmelpilz').
Die Untersuchungen von Koch und Gaffky im Kaiserl. Reichs-
gesundheitsamt sowie diejenigen von Professor Lichtheim haben
dargethan, dass verschiedene Mucor- und Aspergellusarten (resp.
auch Sterigmatocystisarten) die Eigenthümlichkeit besitzen, bei Tem-
peraturen von 40° C. und darüber ganz vortrefflich zu gedeihen.
Diese Schimmelarten erwiesen sich sämmtlich als pathogene und ihre
pathogene Wirkung beruht eben mit darauf, dass die Blutwärme deren
Vegetation zu Hülfe kommt. Nach dem von mir beschriebenen Ver-
halten der Sporen von Sterigmatocystis nidulans in der Wärme dürfte
mit grosser Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass dieser Pilz
die Reihe der bis jetzt bekannten pathogenen Schimmelpilze um eine
Art vermehren wird.
Versuche über die pathogene Wirkungsweise der Sterigmatocystis
nidulans.
Zur Zeit, als ich das Manuskript für vorliegende Arbeit bereits
abgeschlossen hatte, fehlten mir direkte Impfversuche mit den Sporen
des in Rede stehenden Pilzes. Da aber bis zur Vollendung der
Tafeln sich der Druck noch etwas hinauszog, beschloss ich durch
das Experiment die Lücke auszufüllen und das Ergebniss hier ein-
zuschalten. Herr Professor Neisser hatte die grosse Güte, in
meiner Gegenwart im Breslauer pathologischen Institut die nothwen-
digen Injektionen an Kaninchen vorzunehmen.
Herstellung der zur Injektion verwendeten Conidien-
sporen. Am 30. September 1883 füllte ich mehrere Glaskolben
1) Diese Beiträge Bd. I. Heft 3 p. 220.
Anmerkung. Ich bemerke an dieser Stelle, dass die Aspergillusart, welche
ich damals über 400 ©. in Nährlösung erhielt, nicht, wie irrthümlich angegeben,
Asp. flavus, sondern Asp. fumigatus gewesen ist, was übrigens aus der Be-
schreibung der Conidienträger und deren Sporen p. 215 von selbst hervorgeht.
Die Conidien tragenden Rasen von Aspergillus fumigatus Fres. sind, wie dies
wohl bei allen Aspergillusarten und auch bei Sterigmatoeystis nidulans der Fall
ist, je nach ihrem Alter von ganz verschiedener Farbe; die allerjüngsten des
Asp. fumigatus sind weiss, später schön himmelblau, dann grünlichgrau und
endlich nehmen sie die schmutzige Rauchfarbe an, welche dem Pilz seinen
Namen verschafft hat. Ich trocknete bei meinen Versuchen im Jahre 1873
einzelne der erhaltenen Rasen von Aspergillus fumigatus und bewahrte sie im
Herbarium auf; wenn ich heute diese 10 Jahre alten Sporen in frische Nährlösung
bei 40—420 0. aussäe, so sind sie mit voller Sicherheit schon Tags darauf ge-
keimt und das Mycel bereits zu neuer Fruktifikation gelangt. Gewiss ein interes-
santer Beitrag zur Frage über die Keimfähigkeitsdauer bei den Schimmelsporen!
398
zur Hälfte mit Cohn’scher Bakteriennährlösung, kochte dieselbe
auf und säete nach dem Erkalten eine sehr geringe Menge von
Conidien der Sterigmatocystis nidulans auf die Oberfläche der Flüssig-
keit. Diese Conidien befanden sich in getrocknetem Zustand und
waren nun bereits zwei Jahre alt. Die Kolben stellte ich in den
Wärmkasten, dessen Innenraum Tag und Nacht hindurch auf 40 bis
42° C. erhalten blieb. Bereits am folgenden Tag waren die Sporen
ausgekeimt, sowohl die an der Oberfläche schwimmenden als die
untergesunkenen; es waren Mycelien entstanden, deren Wachsthum
rasch fortschritt, die auch bereits neue Conidienträger im Centrum
zu bilden begannen!'). Nach 5 Tagen überdeckte das Mycel in
dichter Ansammlung die ganze Oberfläche der Flüssigkeit, es hatte
ausschliesslich nur Conidienträger gebildet und auf diesen wie auf
dem Mycel lagerte eine pulvrige Sporenschichte, welche dem Pilz-
rasen chromgrünes Aussehen verlieh. Diese neu erzeugten Conidien-
sporen gaben das Material ab zur Prüfung der Sterigmatocystis auf
ihre eventuell pathogenen Eigenschaften.
Ich entfernte die Nährlösung, zerrieb die Pilzmasse mit etwas
destillirtem Wasser, goss das trübe Gemenge durch ein reines Tuch
und beseitigte auf diese Weise alles Mycelium, so dass nur Sporen
in der Flüssigkeit vorhanden waren. Die letztere zeigte schmutzig
gelbgrüne Farbe, war undurchsichtig und ihre Menge betrug 15 Gramm.
Ich theilte sie in zwei Portionen, deren eine A 10 Gramm, die zweite
B nur 5 Gramm mass, und zum Zweck der Einspritzung sowie der
möglichst gleichmässigen Vertheilung der Sporen innerhalb des Thier-
körpers erfolgte darauf mittelst destillirten Wassers noch eine weitere
Verdünnung der beiden Theile auf je 30 Gramm Flüssigkeit. In
A waren demnach doppelt so viel Sporen wie in B enthalten.
Injektion mit den Sporen. Krankheitserscheinungen
an den Thieren. Tod derselben. Am 5. October Mittags
wurde A einem weissen, B einem schwarzen Kaninchen in die ven«a
jugularis vorsichtig eingespritzt.
Die Thiere befanden sich nach der Operation anscheinend ganz
wohl; sie frassen und erst am andern Tag hatten sie mit grosser
Athemnoth zu kämpfen, welche jedoch weiterbin geringer wurde; ja
am zweiten Tag waren beide Kaninchen vollständig munter und es
schien, als ob sie die Injektionen ohne Schaden überstehen würden.
!) Die innerhalb der Flüssigkeit schwimmenden Myecelflöckchen erreichen
zwar beträchtliche Grösse, fruktifieiren aber niemals; erst wenn sie sich auf
der Oberfläche festsetzen, fangen sie an, Conidien zu entwickeln,
399
Am 8. October Morgens befand sich aber das schwarze Kaninchen
in hochgradig verfallenem Zustand, es zeigte sich gänzlich entkräftet,
fiel um und gegen 11 Uhr war der Tod unter starken Krampfan-
fällen eingetreten. Das weisse Kaninchen schien an demselben Tag
Morgens noch ganz wohl zu sein, gegen Mittag jedoch erfolgte
rascher Nachlass der Kräfte, um 33 Uhr Nachmittags verendete es
unter lauten Klagetönen und unter krampfhaften Zuckungen.
Der letale Ausgang erfolgte also, vom Beginn der Injektion an
gerechnet, bei den zwei Thieren nach annähernd drei Tagen; das
schwarze Kaninchen, welches nur die Hälfte der dem weissen Thiere
beigebrachten Sporenmenge erhalten hatte, starb dennoch 45 Stunden
früher als letzteres, ein Umstand, der wohl auf die grössere Wider-
standsfähigkeit des weissen Kaninchens, weiches ein sehr kräftiges
Thier war, zurückzuführen sein dürfte.
Sektionsergebnisse. Die Kaninchen öffnete ich sofort nach
erfolgtem Tode. Beide zeigten sehr starke Affektionen der Lunge,
Emphysem und zahlreiche Infarkte daselbst; die Leber war mit
einzelnen weisslichen Pünktchen und Streifen durchsetzt, ebenso das
Peritonäum, welche aus spärlichen Pilzmycelien bestanden; in Milz,
Herz, Gehirn und dessen Häuten konnte ich kein Mycel auffinden,
ebensowenig am Magen und an den Därmen. Die Nieren dagegen
waren vergrössert und über und über mit weissen Heerden
bedeckt, welche auch auf dem Durchschnitt zahlreich hervortraten.
Diese weissen Stellen von verschiedener Grösse ertheilen den Nieren
ein sehr charakteristisch geflecktes Aussehen und unter dem Mikroskop
erwiesen sie sich als sämmtlich bestehend aus Pilzmycel: lange Hyphen
mit Scheidewänden und zahlreichen Verzweigungen, oft in dicke Büschel
durcheinander verflochten; die Enden der Hyphen meist knorrig hin
und hergebogen oder auch in verschiedenen Formen aufgetrieben.
Es konnte wohl kaum zweifelhaft sein, dass dieses Mycelium
den in die Blutbahn gebrachten Conidiensporen der Sterigmatocystis
nidulans zugehöre. Die Sporen waren demnach wirklich im Thier-
körper in Masse zur Keimung gelangt, sie hatten ein Mycel gebildet
und dieses hatte sich vor Allem in den Nieren festgesetzt, ein Resul-
tat, wie es ganz ähnlich bei den Versuchen von Koch und Gaffky
mit andern Aspergillusarten eingetreten war. So viel und schön
sich aber auch Mycelium in den Nieren entwickelt hatte, so zeigte
sich dasselbe doch stets nur steril, an keiner Stelle war die Bildung
von Conidienträgern innerhalb des Körpers vor sich gegangen.
Ich füge noch hinzu, dass ich auch den Urin des zuerst veren-
deten schwarzen Kaninchens auf etwaigen Eiweissgehalt untersuchte;
400
derselbe war ganz schwach gelblich gefärbt, vollkommen durchsichtig,
beim Erwärmen bis zur Kochhitze trübte er sich aber sehr be-
deutend und die entstandene weisse Fällung verschwand nicht auf
Zusatz von Essig- und Salpetersäure.
Cultur von Conidienträgern aus dem in den Nieren
befindlichen Mycelium. Um aber den endgültigen Beweis zu
liefern, dass die Mycelien auch wirklich diejenigen der Sterigmato-
cystis nidulans seien, mussten dieselben unbedingt zur Fruktifikation
gebracht werden. Ich schnitt zu diesem Zweck, dem Verfahren der
oben genannten Forscher folgend, die Nieren in kleinere Stücke,
legte dieselben auf Objektträger in sterilisirte Agar- Agar-Gallerte
und brachte sie auf Gestellen unter der Glasglocke in den Wärm-
kasten bei einer Temperatur von 40—42" C. Nach Verlauf von
12 Stunden wuchs aus jedem der Nierenstückehen das Mycel allent-
halben in Gestalt farbloser Fäden und Bündel heraus, nach 24 Stun-
den begann es überall zu fruktifieiren, nach zwei Tagen waren sämmt-
liche Stücke völlig verschimmelt, und allein nur bedeckt von den
Conidienträgern und von den zahllosen Sporen der Sterigmatocystis
nidulans in Form schmutzig chromgrüner staubiger Ueberzüge.
Die Zugehörigkeit des Mycels in den Nieren zum Pilze sowie
die Thatsache war damit festgestellt, dass die Sterigmatocystis nidu-
lans den pathogenen Schimmelarten sich anreiht, dass ihre Sporen
im Körper keimen und ein ziemlich grosses Mycel erzeugen können,
dessen verderbliche Wirkung auf den Organismus durchaus nichts
derjenigen des Asperg. fumigatus u. s. w. nachgiebt.
Ich gehe nun dazu über, die Conidienträger des Pilzes selbst
und deren Entwicklung einer näheren Besprechung zu unterziehen.
Conidienfruktifikation der Sterigmatoeystis nidulans.
Farbe der Conidien und der Conidienträger. Ent-
stehung und Bau der letzteren. Wie oben erwähnt, hat man
es an der Hand, mit Hülfe jener ungewöhnlich hohen Wärmegrade,
welche andere pflanzliche Organismen tödten würden, in weniger als
24 Stunden ein Mycel und neue Conidienträger aus den Sporen der
Sterigmatocystis nidulans hervorzubringen. Die ersten Conidienträger
mit ihren Sporen erscheinen dem blossen Auge von weisslich grauer
Farbe, welche aber bald in grün, resp. chromgrün (= Zinnobergrün)
übergeht. Diese Farbe herrscht eine Weile im Centrum des Mycel-
flöckehens, wird aber schliesslich unrein und weicht einem schmutzigen
Grün, während rings an der Peripherie noch junge zunächst weiss-
graue Conidienträger angelegt werden. Bei reichlicher Nahrung kann
401
es dann zur Bildung einer zweiten Conidienträgerschicht über der
ersten auf der ganzen Myceloberfläche kommen, so dass Farben-
schattirungen entstehen, und endlich habe ich an etwas älteren
Mycelien gesehen, dass deren Conidienmasse, besonders wenn sie bei
mangelhaftem Lichtzutritt erzogen wurde, von Grün ins Gelbliche
sich verfärbte. Gegen das Ende der Conidienträgerbildung wurden in
meinen Culturen die Pilzrasen sehr häufig von mehr oder minder
ausgedehnten schneeweissen, zarten und nur höchst spärlich frukti-
fieirenden Luftmycelien überzogen.
Die Anfänge der Conidienträger erheben sich als kräftige farblose
Ausstülpungen des Mycels senkrecht von demselben in die Höhe.
Nach Beendigung ihres Längenwachsthums schwellen sie an der
Spitze zu einer nicht grossen runden Blase auf, deren Durchmesser
denjenigen des übrigen Theils der Träger-Hyphe höchstens nur um
das Doppelte übertrifft. Auch die Länge des Conidienträgers, an
und für sich zwar sehr wechselnd, ist im Verhältniss zu andern ver-
wandten Sterigmatocystis und Aspergillusarten nur gering; der Sterig-
matocystis nigra oder sulphurea Fres. z. B. gegenüber sind die Coni-
dienträger unserer St. nıdılans als wahre Zwerge zu bezeichnen.
Weitaus die grössten erwuchsen auf dem ursprünglichen Fundort, dem
Hummelnest, sie massen bis zu 0,6—0,8 mm. in der Länge, S—10 Mikr.
in der Breite und zeigten sich durchweg gerade und steif aufgerichtet;
die Conidienträger in künstlichen Nährlösungen dagegen wurden ge-
wöhnlich nur halb oder ein Drittel so lang und waren fast immer mit
welligen Biegungen versehen, Taf. XX. Fig. 11, 12, Taf. XXI. Fig. 1
und Taf. XXII. Fig. 8. Auf dem flüssigen Nährboden entstanden auch
häufig Verzweigungen der Conidienträger, Taf. XX. Fig. 11.
Als Einleitung zur Sporenbildung bemerkt man an dem oberen
Theil des Köpfchens äusserst feine bläschenartige Hervortreibungen
auf sehr dünnen Stielchen aufsitzend, Taf. XX. Fig. 10b. Dieselben
verlängern und verbreitern sich darauf und werden kurze eylindrische
Schläuche oder mit andern Worten die Basalzellen der verzweigten
Sterigmen, Taf. XX. Fig. 10c, Taf. XXII. Fig. 7. Rings um den
oberen Theil des Köpfchens bilden sie einen ersten Kranz von Hyphen
und der zweite kommt alsbald ebenfalls zum Vorschein, indem auf
jeder einzelnen Basalzelle endständig in gleicher Höhe mehrere neue
Zellchen mit feiner Zuspitzung, dem unmittelbar sporentragenden
Theil, entwickelt werden. Damit ist die Bildung der sogenannt ver-
zweigten Sterigmen vollendet, Taf. XX. Fig. 10a, Fig. 11 u. 12.
Um diese Zeit sind die Conidienträger noch farblos, sie haben jedoch
ihre Wandung bereits stark verdickt und besitzen deutlich doppelte
402
Contouren. Ausserdem beginnen sie sich zu bräunen und zwar vom
Kopf angefangen nach abwärts, so dass der Basaltheil längere Zeit,
wohl auch immer, ungefärbt bleibt. Die Farbe dieser reifenden
Conidienträger ist jedoch kein reines Braun, sondern mit einer ganz
schwach röthlichen Beimischung; wenn ich Radde’s internationale
Farbenskala') zu Hülfe nehme, so würde das Braun auf Carton 11
No. 33 sub n hierher gehören. Das Köpfchen des Conidienträgers
ist jetzt nicht mehr kugelrund wie zu Anfang, seine obere Fläche
wird vielmehr besonders bei den kürzeren Conidienträgern der künst-
lichen Cultur durch die Last der Sterigmen herabgedrückt und es
nimmt in Folge dessen mehr oder weniger deutlich rundlich drei-
seitige Gestalt an, Taf. XX. Fig. 10a, Fig. 11, Taf. XXII, Fig. 8.
Die Sterigmen bleiben farblos, nur im Alter, wo sie nicht selten
unförmig blasig aufschwellen, bräunen sie sich mitunter ebenfalls.
Alle die zahlreichen Zweiglein der Sterigmen schreiten rasch zur
succedanen Sporenabschnürung, ein Vorgang, der nach dem bekannten
analogen bei Penicillium oder Aspergillus und nach meinen Abbil-
dungen einer näheren Erläuterung nicht bedürftig ist. Die Sporen-
bildung ist bei Sterigmatocystis nidulans, Dank der zahlreichen
Sterigmenzweige, äusserst ergiebig; jeder Zweig ist im Stande, eine
Kette von 30 und mehr Sporen hervorzubringen, Taf. XX. Fig. 10a.
Die kleinen in Nährlösungen künstlich gezüchteten Conidienträger
geben an Reichthum der Sporenproduktion den längeren natürlich
gewachsenen kaum etwas nach und gewähren nun einen sehr zier-
lichen Anblick. Sowohl die Sporen der einzelnen Ketten als die
Ketten unter einander haben die Eigenschaft, sehr fest zusammen-
zukleben und es ist ganz erstaunlich, wie es möglich sein kann, dass
die kleinen Conidienhyphen die Masse der verzweigten Sterigmen
sowohl wie das Gewicht der Sporen zu tragen im Stande sind; die
meisten allerdings werfen ihre Last bald ganz bald theilweise ab
oder fallen unter der grossen Bürde zusammen.
Die gesammten verkitteten Mengen der Sporenketten jedes Köpf-
chens besitzen eine für die Art sehr charakteristische Gestalt, Taf. XX.
Fig. 10a. Anfangs divergiren die erzeugten Sporen am Conidienträger,
Taf. XX. Fig. 10a, Fig. 11, später aber steigen sämmtliche Ketten
gerade oder schwach gebogen in die Höhe, so dass sie insgesammt
die Form eines mehr oder weniger schlanken Cylinders annehmen,
Taf. XX. Fig. 10a. Die Sporenmassen findet man so nach dem
Abwerfen von ihrem Träger als undurchsichtige dieke Würstchen
zahlreich auf dem Mycel umherliegen. Taf. XX. Fig. Se.
') Verlag der stenochromatischen Anstalt von Otto Radde, Hamburg.
-403
Unregelmässigkeiten an den Conidienträgern. Ausser
den bisher beschriebenen normalen Conidienträgern findet sich aber
bei der Cultur des Pilzes eine Menge von abnormen und zwerghaften
Bildungen ein, in ähnlicher Weise, wie sie de Bary bei Aspergillus
glaucus beobachtet hat, Taf. XX. Fig. 12—16. Hier wird die Zahl
der Sterigmen gewaltig redueirt und man kann bei unserer Sterig-
matocystis in Folge des lichten Standes die Verzweigung jedes ein-
zelnen derselben sehr gut unterscheiden. Oft verlängern sich solche
Sterigmen abnorm, öfters sieht man sie unter sich anastomosirt,
Taf. XX. Fig. 13, was übrigens in normalen Zuständen wohl auch
sonst vorkommen mag. In allen Fällen bleibt die Sporenerzeugung
solcher abnormer Conidienträger nur sehr geringfügig.
Bei der Cultur kommen ferner nicht selten Störungen in der Ent-
wieklung von Conidienträgern dadurch vor, dass dieselben umgeworfen
und in der Flüssigkeit untergetaucht werden; dann vermögen die
Sterigmen in sparrige gewöhnliche Mycelfäden auszuwachsen. Nicht
selten beobachtet man auf einem primären Köpfehen das Entstehen
seeundärer Conidienträger, welche es auch vereinzelt bis zur Sporen-
bildung bringen können. Taf. XX. Fig. 17 stellt eine solche aben-
teuerliche Bildung dar.
Die Fruchtkörper der Sterigmatoeystis nidulans.
Vorkommen der Fruchtkörper. Beschaffenheit der-
selben sowie ihrer Umhüllung im erwachsenen Zustand.
Wie erwähnt, zeigten die ausgewachsenen Mycelflocken in der Nähr-
lösung auf ihrer fruktifieirenden Oberfläche eine Menge kleiner oder
grösserer rundlicher Erhabenheiten; diese sind es, unter welchen die
Fruchtkörper nebst deren Anlagen verborgen stecken.
Anfangs findet man sie von einer locker verflochtenen Myceldecke
überwuchert, welche nach aussen in dichtem Gewühl von Conidien-
trägern besetzt ist, Taf. XXI. Fig. 1; mit dem Grösserwerden der
Fruchtkörper dagegen wird diese Decke auseinandergedrängt und
dafür kommt ein hell gelblich weisses rundliches Häufehen mehr
und mehr zum Vorschein.
Die Fruchtkörper der Sterigmatocystis nidulans befinden sich
nicht frei in oder auf dem Mycelium, sie sind vielmehr
selbst wieder nestartig in eine ganz eigenthümlich ge-
baute Umhüllung eingesenkt, Taf. XXI. Fig. 1 und 7.
Diese Hülle wird aus einer grossen Menge kurz und zahlreich
verästelter vom übrigen Mycel scharf differenzirter Hyphen herge-
stellt, deren sämmtliche Endverzweigungen die Form auffallend stark
Cohn, Beiträge zur Biologie der Pflanzen. Band III, Heft III. 37
404
verdickter Blasen annehmen, Taf. XXI. Fig. 6a—d. Bald ist die
Gestalt dieser Blasen kugelrund, bald oval, bald mehr in die Länge
gezogen; die Membranverdiekung derselben wächst mit dem Ausreifen
und lässt dann nicht selten Schichtenbildung erkennen. Stets bleibt
an demjenigen Theil der Blasen, wo dieselben ihrem Tragfaden an-
sitzen, die Verdiekung aus; dagegen befindet sich hier eine offene
mehr oder weniger breite Communikationsstelle, welche nur selten
durch eine zarte Membran tüpfelartig abgeschlossen wird. Die fer-
tigen Blasen besitzen einen Durchmesser von 16—19 Mikr. und die
Wandverdieckung kann bis 4 Mikr. stark sein. Während die Blasen,
sobald sie in Haufen beisammen liegen, gelblich gefärbt erscheinen,
ist jede einzelne derselben unter dem Mikroskop vollkommen farblos;
die verdickte Wand besitzt starken Glanz und zeigt auf ihrer dem
Zelllumen zugekehrten Seite unregelmässige Zacken und Vertiefungen,
Taf. XXI. Fig. 6b und d. Mit Salzsäure quillt sie bis zum Ver-
schwinden des inneren Zellraums, auf Zusatz von Chlorzinkjod erfolgt
ebenfalls Quellung, dabei Bräunung des Inhalts der Blase, aber Farb-
losbleiben der Membran derselben.
Im Centrum dieser seltsamen und sehr locker gehäuften Blasen-
masse von höchst charakteristischem Ansehen findet man den Frucht-
körper eingebettet und zwar in jeder Gruppe stets nur einen ein-
zigen. Wenn derselbe bereits gross geworden ist, kann man ihn
unter dem Präparirmikroskop leicht frei bekommen, einfacher noch,
sobald man durch Reiben zwischen Daumen und Zeigefinger die Hülle
mechanisch abreibt. Man erhält dann ein sehr kleines, kohlschwarzes,
rundliches Kügelchen, dessen Durchmesser im reifen Zustand 0,2 bis
höchstens 0,3 mm. beträgt.
In dem Kolben mit Cohn’scher Nährlösung befand sich während
des September und Oetober 1881 die Fruchtkörperbildung der Sterig-
matocystis nidulans in vollstem Gange: die centralen Theile der
Mycelfläche waren mit ausreifenden, die peripherischen mit jungen
und jüngsten Fruchtkörpern sowie mit den ersten Anlagen derselben
reichlich durchsetzt. Die letzteren zu isoliren, sie von den anhängen-
den fremden Bestandtheilen frei zu bekommen, erforderte allerdings
einen sehr grossen Aufwand an Geduld und Mühe; es wurden für
diesen Zweck zunächst unter dem Präparirmikroskop mit scharfer
Lupe diejenigen Stellen aus dem Mycelium losgelöst, welche die
Blasenzellen erkennen liessen; nach vorsichtigem Auseinanderbreiten
der letzteren ergab dann die Beobachtung mittelst starker Ver-
grösserung, ob der richtige Zustand getroffen war.
In erwähnter Herbstzeit gelang mir die Neuerzeugung von Frucht-
405
körpern wiederholt nach Aussaat der Conidiensporen in grössere
Mengen Nährflüssigkeit, so dass ich Material genug besass, um alle
wesentlichen Details der Entwicklung studiren zu können. Meine
späteren und neuerdings erst wiederholten Bemühungen zur Wieder-
gewinnung der Fruchtkörper blieben dagegen erfolglos; ich erhielt
nur Conidienträger des Pilzes trotz aller Variationen sowohl in Be-
zug auf Ernährung, auf die Consistenz des Nährbodens, als auf den
Zutritt oder Abschluss der Luft und dergleichen. Es scheint also, dass
die Sterigmatocystis nidulans gleich so vielen andern Schimmelpilzen
nur selten, durch unbekannte Umstände veranlasst, zur Erzeugung
ihrer Aseusfrüchte übergeht; hat sie es aber einmal gethan, so scheint
auch diese Vermehrungsweise einige Zeit hindurch ergiebig anzuhalten.
Ich gehe über zur Schilderung der Entwicklungsgeschichte des
ganzen Fruchtapparates.
Entstehung der Blasenhülle. Erste Bedingung für das Ins-
lebentreten der Fruchtkörper bleibt immer die Gegenwart der um-
hüllenden Blasenzellen, ohne welche ich jene niemals angetroffen
habe; sie stellen eine Art von schützendem Bett dar, in dessen
Innerem tief verborgen die winzige Anlage vor sich geht.
Die Blasenhülle kommt in folgender Weise zu Stande. An zahl-
reichen Stellen des älteren Mycels, welches bereits reichlich Conidien-
träger entwickelt hat, entstehen durch Neusprossung feine Hyphen,
die sich in Kürze vielfach verzweigen, sehr häufig miteinander und
mit den übrigen Mycelzellen anastomosiren, vollkommen farblos und
aufs reichlichste mit Protoplasma angefüllt sind. Die Hyphen, eine
Art secundären Mycels, kriechen nach allen Richtungen unter Ver-
ästelung über die älteren Mycelfäden hin und an den Stellen, wo sie
Anastomosen eingehen, beginnt eine sehr rasche und äusserst dichte
Aussprossung, Taf. XXI. Fig. 2a. Diese zuletzt ausgesprossten Hyphen
bleiben durchweg kurz, anastomosiren mit dickeren älteren Mycel-
fäden und ersetzen das fehlende Wachsthum in die Länge durch
ihre vielfachen Theilungen in Seitenäste, Taf. XXI. Fig. 3.
In kürzester Frist hat sich auf diese Weise ein dicht verwobener
rundlicher oder länglicher, lokal für sich abgegrenzter Hyphenknäuel
entwickelt, Taf. XXI. Fig. 4; die Endverzweigungen desselben nehmen
allseitig unter Aufschwellen Blasengestalt an, während sie anfangs
noch dünne zarte Membran besitzen und prall mit feirikörnigem Pro-
toplasma angefüllt sind, Taf. XXI. Fig. 5. Dieser Plasmavorrath
dient nun weiter zur Ausbildung der Membranverdiekung, welche
unter gleichzeitiger Vergrösserung der Blase snecessive nach Taf. XXI.
Fig. 6a—d angelegt wird. Die meisten Blasen in je einem Knäuel
N Ta
Eanebe, 2.
wachsen gleichzeitig heran, jedoch werden immer noch eine Zeit lang
junge in grösserer Anzahl nachgeschoben.
Die Primordialanlage der Fruchtkörper. Entwicklungs-
geschichte der letzteren. Mitten in jedem solchen blasigen
Hyphenknäuel, deren viele gleichzeitig auf dem Mycel entstehen,
geschieht nun, wie schon erwähnt, die Erzeugung je eines Frucht-
körpers. Dessen Anlage, von winziger Kleinheit und Feinheit, muss
aus ihrer umfangreichen Verpackung erst förmlich herausgeschält
und blossgelegt werden. Zum Glück färben sich die jüngsten Zu-
stände schon sehr bald schwach gelblich und unterscheiden sich sowohl
dadurch als durch ihre Formgestaltung von dem umkleidenden in
diesem Zustand völlig farblosen Geflecht der Blasenhüille.
Die Anlage des Fruchtkörpers beginnen zwei Hyphen eines zarten
Mycelfadens, deren eine gerade und kurz bleibt und endständig auf-
schwillt, während die andere sich jener anschmiegt, sie schraubig um-
wächst und an ihrer Spitze sich in Gestalt lappiger Aussackungen
über die Anschwellung verbreitet, Taf. XXI. Fig. 8 und 9. Die
ganze Anlage vergrössert sich hierauf etwas, streckt sich in die
Länge und zeigt dann ein kugliges Köpfchen und einen langen aus
den zopfartig verflochtenen Primordialbyphen bestehenden Stiel, TafXXI.
Fig. 9. Jene Hyphe, welche anfangs die andere umrankt hatte,
fährt fort, sich auf der Oberfläche letzterer zu verzweigen und zu
septiren, so dass diese sammt ihrer endständigen Aufschwellung, die,
wie mir vorkam, als besondere Zelle ‘abgegliedert wird, bald voll-
ständig von einer pseudoparenchymatischen Hülle, einer Rinde, einge-
schlossen ist, Taf. XXI. Fig. 10 im optischen Durchschniti, Fig. 12
bis 14. In diesem Zustand zeigt sich die Farbe der Anlage bereits
schwach hellgelblich und zwar wird diese Farbe nur durch die Rinde her-
vorgebracht. Die ganze Grösse des Gebildes ist so gering, dass sie noch
nicht einmal dem Durchmesser einer einzigen der ausgewachsenen ver-
diekten Blasenhüllzellen gleichkommt. Taf. XXI. Fig. 12. stellt eine An-
lage dar, die ausnahmsweise stiellos und sitzend geblieben ist, während
sonst an der nun bald eintretenden raschen Vergrösserung des jungen
kugelrunden Fruchtkörpers auch der Stiel theilnimmt, welcher einige
Zeit eben so lang oder länger erscheint wie jener selbst und in eine An-
zahl isodiametrischer Zellen getheilt wird, Taf. XXI. Fig. 14. Anälteren
Fruchtkörpern konnte ich dagegen vom Stiel nichts mehr bemerken.
Die pseudoparenchymatische Rinde färbt sich jetzt intensiver gelb,
dieselbe bleibt jedoch stets nur ein- oder zweischichtig, überzieht
allseitig den jungen Fruchtkörper und scheint sich nicht weiter
an den morphologischen Vorgängen im Innern desselben zu betheiligen.
407
Was diese betrifft, so ist die Untersuchung darüber mit äusserster
Schwierigkeit verknüpft. Bei richtiger Einstellung des Mikroskops
erkennt man, dass der Innenkern grösser und vielschichtiger geworden
ist, Taf. XXI. Fig. 11 (im Durchschnitt); es sieht nicht darnach aus, als
ob die aufgeschwollene Endzelle der ursprünglich umwundenen Hyphe
sich verzweige oder sonst beim Aufbau des Fruchtkörpers irgend welchen
Antheil nehme; sie dürfte sich vielmehr auflösen und ist daher sehr
bald spurlos verschwunden. Weit mehr spricht die Wahrscheinlich-
keit dafür, dass die unterhalb dieser Endzelle sich befindenden Zellen
der umwundenen Hyphe lebhaft aussprossen und dass so der Innen-
kern des Fruchtkörpers erzeugt resp. vergrössert wird.
Dieser Kern ist vollkommen farblos; bei Druck auf junge Frucht-
körper und vorsichtigem Zersprengen derselben tritt er heraus und
man bemerkt, dass er aus einem durchaus gleichartigen und sehr
zarten Geflecht verzweigter, stellenweise aufgetriebener, dann wieder
verengter Fäden besteht, an welchen das Erkennen von Scheidewän-
den durch das stark lichtbrechende Plasma verhindert wird, Taf. XXI.
Fig. 1. Dieser Kern füllt allein den ganzen Innenraum aus, er ist
ein Bestandtheil des Fruchtkörpers für sich ebenso wie die Rinde,
welche mit dem Wachsthum des Kerns gleichen Schritt einhält,
Deren Zellen theilen sich äusserst reichlich, sie werden mit der Ver-
grösserung allmählich wellig verbogen und ungleichartig verlängert;
ihre Membranen verdieken sich und erhalten dunklere Färbung. Auch
die Schutzhülle, die Masse der verdickten Blasenzellen, wird noch
ausgedehnt; sie erhält aber den Fruchtkörper stets völlig in sich
eingeschlossen; die ganze Anlage gewährt das Bild, wie ich es in
Taf. XXI. Fig. 1 und 7 aufgezeichnet habe.
Nicht blos morphologisch, auch chemisch nachweisbar erleiden
jetzt die Hyphenelemente des Fruchtkörpers Veränderungen, welche
weder an der Blasenhülle, noch an den gewöhnlichen Mycelfäden,
noch an den Conidienträgern der Sterigmatocystis nidulans stattfinden.
Eine sehr merkwürdige, bis jetzt meines Wissens einzig in ihrer Art
dastehende Reaktion kann nämlich von dem Zustande des Frucht-
körpers, in welchem er sich Taf. XXI. Fig. 1 befindet, bis zu seiner
Reife stets mit Sicherheit vorgenommen werden.
Der ganze farblose Innenkern des Fruchtkörpers sammt
der ihn überziehenden Rindenschicht färbt sich auf
blossen Zusatz von Ammoniak oder Kali in seiner ge-
sammten Masse prachtvoll himmelblau. Die blaue Farbe
wird durch Säurezusatz im Ueberschuss z, B. Essig- oder Salzsäure
in roth umgewandelt,
408
Der Stoff, welcher mit Alkalien die Blaufärbung annimmt, ist in
diesen sowohl als in Säuren löslich, denn es fliesst nach deren Hin-
zufügung ein blauer resp. rother Flüssigkeitsstreifen von dem Frucht-
körper aus. Welcher chemischen Gruppe mag aber wohl dieser
eigenthümliche Körper angehören? Bei der Kleinheit des Gegenstan-
des und der relativ geringen mir zur Verfügung stehenden Menge
konnte ich darüber zu keiner Entscheidung gelangen. Doch tritt
dieser anfangs sowohl in dem farblosen Geflecht des Innenkerns als
in der Rinde gleichmässig verbreitete und nur mit Hülfe von Reagen-
tien nachweisbare Stoff mit vorschreitender Ausbildung des Frucht-
körpers bald sichtbar hervor: er concentirt sich nämlich mehr und
mehr in der Wandung des Fruchtkörpers, welche schliesslich dunkel
purpurfarben, endlich fast schwarz wird, sowie später in den Sporen-
schläuchen, wo er sich zuletzt in den Ascosporen ansammelt, welche
nach erfolgter Reife schöne Purpurfarbe besitzen.
So schnell auch verhältnissmässig der Fruchtköper sich entwickelt,
so erfährt doch sein Wachsthum, wenn er den Durchmesser von
etwa 0,1 mm. überschritten hat, einen bemerkenswerthen Stillstand
oder wenigstens eine beträchtliche Verzögerung: er scheint eine Art
von kurzem Sclerotialzustand durchzumachen. Die Blasenhülle zeigt
sich nun dem blossen Auge mit gelblich weisser Farbe, sie beginnt
sich sehr zu lockern und zu vertrocknen, auch erhebt sie sich bis
an die Oberfläche des Pilzrasens und kann leicht völlig von dem
Fruchtkörper isolirt werden.
In diesem selbst beginnt allmählich die Ausbildung der Sporen-
schläuche und das Heranreifen der Ascosporen, beides jedoch nur
sehr langsam und ungleichmässig, so dass in dem nämlichen Frucht-
körper stets alle Zustände vom eben sich differenzirenden Ascus bis
zur bereits fertigen Spore neben einander zu finden sind. Auf dünnen
mit Hülfe von Paraffin oder besser von Glyceringallerte angefertigten
Querschnitten zeigen solehe Fruchtkörper, welche jetzt die Eigen-
schaft heranreifender Perithecien erlangt haben, die folgenden Be-
standtheile, Taf XXII. Fig. 2. Ringsum an der Peripherie befindet
sich die zwei-, an einzelnen Stellen dreischichtige und ziemlich stark
verdickte Peritheeiumwand von dunkel schwarz rother Farbe, davon
scharf abgegrenzt besteht der innere Theil aus dicht zusammenge-
drängten Elementen von sehr verschiedener Gestalt. Neben dünneren
Hyphen liegen eckige und rundliche, grössere und kleinere Zellen
und daneben sieht man heranreifende Sporenschläuche, endlich solche,
in welchen die acht Ascosporen bereits vollständig ausgebildet sind,
Taf. XXI. Fig. 2. Die reife Peritheciumwand des Pilzes, von oben
409
gesehen, besitzt in Folge des welligen Verlaufs ihrer Zellen und
deren ungleichmässiger Verdickung ein eigenthümliches Ansehen,
Taf. XXII. Fig. 3. Man sieht die Membranverdickungen nur strecken-
weise und öfters gegabelt verlaufen, dann hören sie plötzlich auf
und erst bei tieferer Einstellung gelingt es, ihnen weiter zu folgen.
Oeffnet man ein Peritheeium des Pilzes, in welchem bereits die
Ascosporenbildung ihren Anfang genommen hat, um über die nähere
Entwicklung derselben ins Klare zu kommen, so findet man das
Innengewebe, im Gegensatz zu den verhältnissmässig noch mehr
gleichmässigen Fäden in Taf. XXII. Fig 1 bedeutend angeschwollen
und sehr reichlich verzweigt, auf den Enden aller Zweige entstehen
zahlreiche kuglige Hervorwölbungen, welche direkt die Erzeugung
der Sporenschläuche einleiten, Taf. XXII. Fig. 4. Sämmtliche Ver-
zweigungen strecken sich schliesslich in Traghyphen, von welchen
kurze Seitenäste ohne erkennbare Ordnung ausgehen, die sich zu
Aseis differenziren. Die letzteren sind fast sitzend, eiförmig, im Durch-
messer von 10,5—11 Mikr.; sie befinden sich an demselben Trag-
faden in verschiedenen Zuständen der Ausreifung. Taf. XXII. Fig. 5
zeigt solche Asei, deren Entwieklung theilweise noch weit zurück
ist, während andere bereits zur Sporenbildung übergegangen sind,
die bei a schon vollendet wurde.
Es erfordert eine Zeitdauer von vielen Wochen, bis der Innen-
raum eines Peritheciums vollständig seine sämmtlichen Asei zur Reife
gebracht hat. Auch bleibt der Fruchtkörper dabei stets allseitig
geschlossen, so dass erst nach Zerstörung der Peritheeiumwand die
Ascosporen ihre Freiheit erlangen können.
Die Schlauchsporen der Sterigmatocystis nidulans.
Keimung derselben, Mycelbildung und Entstehung neuer
Conidienträger. Die reifen Schlauchsporen sind von schwach ovaler
Gestalt, glatt, mit starker purpurfarbener Aussenhaut versehen. In
der Länge messen sie 5, in der Breite 4 Mikr. Wenn man sie in
Nährlösung auf dem Objektträger aussät, ein Versuch, den ich zur
Beschleunigung des Resultats bei einer Temperatur von 20—25° C.
vorgenommen habe, so beginnen sie nach 24 Stunden ihre Keimung.
Eingeleitet wird dieselbe durch eine beträchtliche Quellung, wodurch
die purpurfarbene Aussenhaut, deren Farbe dabei allmählich mehr
in Violett übergeht, mitten durch in zwei Halbkugeln auseinander-
gesprengt wird, Taf. XXI. Fig. 6. Zwischen diesen dringt der
Keimschlauch heraus, der sich verlängert, verzweigt und zu einem
Mycelium entwickelt. Es ist ein günstiger Umstand, dass die beiden
violetten Halbkugeln der Sporenmenbran dem Mycel beiderseits fest
410
anhaften bleiben, Taf. XXI. Fig. 7a und 8a, so dass man stets mit
voller Sicherheit sich davon überzeugen kann, dass dieses Mycel
auch wirklich aus den Ascosporen hervorgegangen ist.
Schon sehr bald erscheinen neue Conidienträger, Taf. XXII. Fig. 7
und 8 in allen Entwicklungszuständen mit verzweigten Sterigmen auf
dem Mycel, in nichts verschieden von denen, welche oben ausführlich
beschrieben wurden. Damit aber ist der Entwicklungskreis der
Sterigmatocystis nidulans in erwünschter Weise abgeschlossen und
die Zugehörigkeit der Fruchtkörper in den Lebenslauf des Pilzes
mit voller Schärfe dargethan.
Rückblick. Systematisches. Formwandlungen am Pri-
mordium. Sowohl die erste Anlage wie die weitere Gestaltung
der Ascusfrucht hat sich also bei unserer Sterigmatocystis beträchtlich
verschieden gezeigt von den Angaben, welche über diese Vorgänge
bei anderen Sterigmatocystis- und Aspergillus- resp. Eurotium-Arten
bisher gemacht worden sind. Die Stierigmatocystis nidulans, welcher
ich ihren Namen auf Grund der Einbettung des Fruchtkörpers in die
Blasenhülle gegeben habe, stellt gleichsam ein Mittelglied dar zwischen
den genannten Pilzgattungen. Hier zeigt sich als Primordium der
Frucht weder die elegante, lange und lockere, aus einer einzigen
Hyphe bestehende Schraube der Zurotien, noch die Verflechtung und
nachträgliche Verwachsung morphologisch vollkommen gleichartiger
Fadenelemente, wie sie Wilhelm und Brefeld bei Bildung ihrer
Aspergillus-Selerotien beobachtet haben. Am Aufbau des Frucht-
körpers der Sterigmatocystis nidulans nehmen vielmehr von Anfang
an zwei Hyphen Theil, die sehr charakteristisch gestaltet sind. Auch
ist die Funktion beider streng gesondert, denn die eine erzeugt nur
die Rinde, die andere den ascogenen Kern, während ein Ausfüllungs-
gewebe wie bei Zurotium nicht gebildet wird. Entgegen der stets
zarten, rasch auswachsenden und alle Asci gleichzeitig hervorbringen-
den Eurotiumkugel, besitzt das Peritheeium der Sterigmatocystis
nidulans eine starke, verdiekte Wand und entwickelt nur sehr
allmählich und ungleichzeitig seine Sporenschläuche. Mit diesen
Eigenschaften nähert es sich den Selerotien, ohne dass es jedoch
wie diese einer gleich langen Ruheperiode mit Austroeknung be-
nöthigt ist.
Die Blasenhülle hat meiner Ansicht nach dieselben Aufgaben der
Ernährung und des Schutzes für den jungen Fruchtkörper zu erfüllen,
wie sie oben von mir dem Hyphenpolster von Ohaetomium zuge-
schrieben wurden; sie ist mit diesem als physiologisch gleichwerthig
zu erachten, Bei Sterigmatocystis nidulans zeigt sich dieses Gebilde
4ll
nur durch seine Gestaltung weit auffallender und viel mächtiger in
seiner Entwicklung.
In Bezug auf Formenwandlungen an den Primordialanlagen ist
begreiflicherweise die beschriebene Sterigmatocystisart kein günstiges
Objekt für Untersuchungen. Denn abgesehen von der Einpackung
ihrer Anlagen, aus welcher sie zu befreien schon keine leichte Auf-
gabe ist, so hat man es bei diesem Pilz nicht an der Hand, die
Entwicklung von Fruchtkörpern willkürlich anzuregen. Dennoch
konnte ich auch hier, wie angegeben, die Primordien in zweierlei
Formen, lang gestielt und in sitzendem Zustand, auftreten sehen.
Uebrigens bin ich der Meinung, dass sich die Anlagen der Ascus-
früchte bei vielen Arten der Aspergilleen in ihrer Form so ziemlich
constant zeigen dürften; bei dem häufigen Eurotium Aspergillus
glaucus wenigstens habe ich dabei nur geringe Veränderungen wahr-
genommen.
In der am Schluss zu beschreibenden dem Genus Aspergillus ver-
wandten Papulaspora freilich, welche aber auch nie zur Aseusbildung
gelangt, werden wir dagegen den höchsten Grad von Variationen
nach jener Richtung hin erreicht sehen.
IV.
Helicosporangium parasiticum Karsten.
(Taf. XXI. Fig. 1—6.)
Im Jahre 1877 untersuchte und beschrieb ich diese zierliche
Schimmelbildung'), welche Karsten?) zuerst auf einer feuchten
Mohrrübe gefunden und mit obigem Namen bezeichnet hat.
Entwicklungsgeschichte des Pilzes. Häufiges Vor-
kommen und Verwandtschaft desselben. Ich fand die Frukti-
fikation und sonstige Entwicklung des Helicosporangium in vieler
Hinsicht abweichend von der sehr unklaren Beschreibung Karsten’s;
die erstere geschieht, mit kurzen Worten zsammengefasst, derart,
dass auf lange Strecken des Mycels hin rechts und links zahlreiche
Ausstülpungen wie Aeste hervorgetrieben werden, deren obere Enden
uhrfederartig zu lockeren in einer Ebene liegenden Spiralen von
1—13 Windungen sich zusammenrollen. Auf dem Stiel der Spirale
kann eine zweite ähnliche entspringen und die anfangs noch nicht
ı) Jahresber. der schles. Gesellsch. für vaterl. Cultur pro 1377. Bot.
Sektion pag. 122.
2) H. Karsten, Bot. Untersuchungen a. d. phys. Laborat. in Berlin.
I. Heft. 1865.
412
sich berührenden Windungen derselben schmiegen sich demnächst
innig aneinander, worauf sie von Auswüchsen berindet werden, die
aus der Spirale hervorwachsen und sich über deren Oberfläche aus-
breiten. Es tritt gleichzeitig reichliche Septirung ein und eine Cen-
tralzelle wird abgetrennt, die sich vor allen übrigen vergrössert,
mit der Reife rothbraune Farbe erhält und dieht mit Protoplasma
angefüllt ist, während die umgebenden Rindenzellen alsdann ganz
oder so ziemlich inhaltsleer geworden und nur hellgelblich gefärbt
sind. Karsten giebt an, dass die Centralzelle ein Ascus sei, in
welchem, wie ihm vorkam, acht elliptische Sporen entstehen sollen.
Diese Angabe habe ich nicht bestätigen können; ich vermuthe, dass
es sich hier um einen Irrthum handelt, der auf die eigenthümlichen
Vorstellungen jenes Forschers über Entstehung der Zellen zurückzu-
führen sein dürfte.
Die beschriebenen Gebilde sind vielmehr eine Art von Sporen
und keimfähig, sie ähneln den Sporenknäueln der Urocystis occulta;
im reifen Zustande zeigen sie sich lang gestielt und sie besitzen
häufig am Scheitei einen nackten, dem Ring der Farnsporangien
vergleichbaren Theil, in welchen sich der oberste Spiralbogen um-
wandelt, Taf. XXIII. Fig. le. Das farblose, weithin ausgebreitete
Mycel des Pilzes erzeugt massenhaft diese Sporenknäuel, so dass es
makroskopisch von denselben ziegelrothe Färbung annimmt.
Zuerst ist mir das Helicosporangium parasiticum, bei dem ich
übrigens nie wie Karsten etwas von wirklichem Parasitismus be-
merken konnte, auf Brodstücken wuchernd begegnet, ich habe es
Jedoch seitdem, oft in grösster Ueppigkeit, auf den mannigfachsten
Substraten: gekochten Kartoffeln, keimenden Samen, auf Stengeln,
Wurzeln etc. der verschiedensten Pflanzen angetroffen. Meine früheren
Untersuchungen über diesen Pilz konnte ich daher durch neue
wesentlich vervollständigen und ich gebe denselben hier eine Stelle
wegen der auffallenden Aehnlichkeit bei Anlage der Sporenknäuel
des Helicosporangium mit jenen morphologischen Vorgängen, welche
die Entstehung der Fruchtkörper von Ascomyceten einleiten; auch
ist der Pilz mit Papulaspora, deren Beschreibung unten folgt, äusserst
nahe verwandt, dadurch aber trotz mangelnder Sporenschläuche den
Aspergilleen nahe gerückt.
Variationen bei Anlage und Ausbildung der Sporen-
knäuel. Ich fand, dass besonders die Art, wie die Berindung der
Spirale vor sich geht, von Modificationen begleitet wird. Der häufigste
Fall ist allerdings der, dass die Spitze der eng gerollten Hyphe,
da sie beim Weiterwachsen keinen Platz mehr in der Spiralebene
415
vorfindet, sich verbreitert und in zwei Lappen spaltet, Taf. XXIII.
Fig. 1a, die auf beiden Seiten hervortreten, und, von vorn gesehen, wie
Ohren herunterhängen, Taf. XXIII. Fig. 1d; öfters jedoch findet man
die ersten Ausstülpungen nicht aus dem obersten Ende der Spirale
hervorgegangen, sondern eine ganze Strecke weit hinter demselben,
Taf. XXIII. Fig. 1c. Wieder in andern Fällen können beide Vor-
gänge zugleich eintreten, Taf. XXIII. Fig. 1b, oder es kommt die
Ansstülpung statt auf beiden Seiten der Spirale nur endständig auf
einer einzigen zu Stande, so dass also damit die Spirale aus ihrer
Ebene herausrückt und zur Form der Schraube übergeht. Nur im
allerjüngsten noch unseptirten Zustand ist die Sache deutlicher zu
übersehen; mit eingetretener Scheidewandbildung wird der ursprüng-
liche Ausgangspunkt der Rindenzellen verwischt; sie verzweigen sich,
die rapid vergrösserte Oentralzelle überwachsend, Taf. XIIL Fig. le.
Letztere allein ist keimfähig, die Rindenzellen bilden nur eine
schützende Wand um dieselbe wie die Fruchtwand am Perithecium.
Taf. XXIII. Fig. 1f. zeigt eine berindete Spore des Helicosporangium
im Durchschnitt, g. im Zustand der Keimung, welche die Oentralzelle
durch Austreiben von drei Keimschläuchen begonnen hat.
Die angegebene Form der berindeten Sporen ist diejenige, welche
am häufigsten vorkommt und in gut wachsenden Culturen des Pilzes
nicht selten allein herrscht; sie erleidet jedoch verschiedene Ab-
weichungen, welche mir schon bei meiner ersten Untersuchung zum
Theil aufgefallen sind. Was die Grössenverhältnisse betrifft, so be-
sitzen die reifen Sporenknäuel von Helicosporangium gewöhnlich
einen Durchmesser von 25—30 Mikr.; es hängt jedoch ganz von
der Reichhaltigkeit des Nahrungsvorrathes ab, ob diese Dimensionen
durch Verkleinerung der Zellelemente oder durch Vergrösserung
und Vermehrung derselben verringert oder überschritten werden.
Die Rindenzellen fallen bei kümmerlichem Wachsthum mitunter fast
gänzlich weg, so dass dann die Spore nackt geworden ist und das
charakteristische Aussehen der Helicosporangium-Fruktifikation fast
eingebüsst hat. Andererseits jedoch trifft es sich, dass die Berindung
sehr vielzellig wird und dass dann nicht blos eine einzige Central-
zelle vorhanden ist, sondern zwei bis viele mehr oder weniger grosse,
mit beginnender Reife dunkler braun gefärbte Innenzellen gebildet
werden, Taf. XXIll. Fig. 2, 3a. und b., Fig. 4. Die Sporennatur
ist hier nahezu verwischt; man hat es mit ansehnlichen knollenartigen
Zellenkomplexen zu thun, bei welchen auch die Rindenzellen nicht
immer inhaltsleer, sondern öfters mit Protoplasma erfüllt sind. Die
grössten dieser Bildungen habe ich bis 80 Mikr. im Durchmesser
414
gefunden; sie ähneln Fruchtkörpern, unterscheiden sich aber von
solehen durch die kleine Zahl der Zellen des Innenkerns, durch
deren baldiges Stillstehen im Wachsthum, durch die starke Bräunung
sämmtlicher Zellmembranen derselben und durch ihre Keimfähigkeit.
Die verschiedenen Formen und Grössen der Sporenknäuel sind
oft an ein und dem nämlichen Mycel zusammen anzutreffen; die Be-
rindung erstreckt sich mitunter auch auf den Stiel, Taf. XXIII. Fig. 3a.,
so dass die gewöhnlich runde Gestalt des Knäuels verlängert, nicht
selten mit mancherlei unregelmässigen Auswüchsen bedeckt ist.
Endlich unterbleibt wohl auch bei Helicosporangium die Bildung
der Spirale; der hiezu eigentlich bestimmte Faden wächst dann ent-
weder ganz gerade oder krümmt sich nur wenig, Taf. XXI. Fig. 5
und 6, er theilt sich in zahlreiche Zellen, deren mittelste sich bräunen,
während in verschiedener Höhe Ausstülpungen hervortreten, die eine
mehr oder minder regelmässige und ergiebige Berindung einleiten.
Conidienbildung. Das Helicosporangium parasiticum besitzt
ausser der geschilderten Fortpflanzungsweise noch Conidien, welche
von zierlichen Sterigmen einzeln oder reihenweise abgeschnürt werden,
Taf. XXIII. Fig. 3e. Man trifft sie nicht regeimässig am Mycel:
in dem einen Fall findet man die Hyphen oft auf lange Strecken
hin von ihnen besetzt, im andern ist alles Suchen darnach vergebens.
Die Sterigmen sind entweder einzellig, von flaschenförmiger Gestalt,
oder sie verlängern sich stielartig und werden mehrzellig, oder
endlich sie werden auf voliständigen Conidienträgern gebildet, Taf.
XXlil. Fig. 3e und d. Im letzteren Fall erhebt sich eine längere
septirte Hyphe, welche in verschiedener Höhe ringsum Sterigmen-
wirtel trägt, und deren Spitze ebenfalls in ein Conidien abschnüren-
des Sterigma ausläuft.
Die Conidien sind farblos, kuglig oder oval, äusserst klein, sie
werden in grossen Mengen erzeugt, ihre Keimung aber wollte mir
bei meinen neueren Versuchen schlechterdings nicht gelingen. Sie
gehören derselben Kategorie von Bildungen an, welche verschiedene
Ascomyceten (z. B. Pezizaarten, O'haetomium u. s. w.) besitzen.
Vv
Papulaspora aspergilliformis nov. sp.
(Taf. XXI. Fig. 7—17.)
Die grossen vielzelligen Sporenknäuel sowie die Conidienträger
des Helicosporangium sind von ähnlichen Bildungen der Papulaspora
kaum oder gar nicht zu unterscheiden; bei letzterer werden aber
415
der Regel nach diese Fruktifikationen weit vollkommener, die Knäuel
verhieren vollständig den Charakter als berindete Sporen und ausser-
dem gesellt sich noch eine besondere Art von Chlamydosporen in
den Vermehrungseyklus.
Die Gattung Papulaspora stammt von Preuss'); derselbe giebt
einem auf halbfaulen zerschnittenen Aepfeln in Form dieker Schimmel-
überzüge gewachsenen Pilz den Namen Papulaspora sepedoniordes
und folgende Diagnose: „Lagerung verbreitet, rostfarben; Flocken
durchscheinend, weiss; Sporen irregulär, stielförmig eingesetzt, erst
weiss, dann rostfarben und in der Mitte dunkler.“
So kurz auch die Beschreibung von Preuss ist und so wenig
sie genügende Aufklärung darüber giebt, ob derselbe etwa Zlelico-
sporangium oder einen andern verwandten Pilz vor sich gehabt habe,
so erscheint doch trotz aller sonstiger Verschiedenheit die colorirte
Zeichnung dieses Forschers, besonders Fig. c., immer noch charak-
teristisch genug, um zur Vermeidung neuer Namenaufstellung den
von mir gefundenen Schimmel in die Gattung Papulaspora einzu-
reihen. Den Speciesnamen jedoch habe ich geändert, denn mit
Sepedonium hat meine Papulaspora nichts zu thun, sie besitzt viel-
mehr Conidienträger, deren Spitze äusserst elegante Aspergellus-
köpfehen darstellen. Die vielfachen Abweichungen vom Entwicklungs-
gang der bis jetzt bekannten Aspergellen haben mich veranlasst,
den Pilz als Papulaspora und nicht direkt als einen Aspergilus
zu bezeichnen.
Vorkommen des Pilzes. Fruktifikation desselben in
FormvonBulbillen. Beschaffenheit derletzteren, Keimung
und Abhängigkeit derselben in ihren Grössenverhält-
nissen von der Ernährung. Die Papulaspora aspergilliformis ist
durchaus keine Seltenheit und man muss sich nur wundern, dass sie
nicht früher schon die Aufmerksamkeit der Forscher hervorgerufen hat.
Wie viele Aspergillusarten, scheint auch dieser Pilz durch ver-
hältnissmässig etwas höhere Wärmegrade (bei und über 18—20 ° C.)
in seinem Wachsthum begünstigt zu werden und so kommt es, dass
er sich bei Keimungsversuchen mit Sämereien der verschiedensten
Art, die ich unter genannten Temperaturen vornehme, das ganze
Jahr hindurch besonders auf den verdorbenen keimungsunfähigen
Körnern sehr häufig einstellt. Ebenso fand ich diese Papulaspora
auf feucht gehaltenen Früchten, auf gekochten Kartoffelscheiben
!) Jakob Sturm, Deutschlands Flora, fortgesetzt von W. Sturm. III. Ab-
theil. D. Pilze Deutschl. 6. Band von G. Preuss. 1862 pag. 89 u. Taf. 45.
416
und vielen anderen Substraten und ich erhalte sie, natürlich mit
allen möglichen sonstigen zufälligen Pilzbildungen, fast mit Regel-
mässigkeit innerhalb weniger Tage, auch mitten im Winter, wenn
ich dürre krautige Gartenpflanzen ohne bestimmte Auswahl in grössere
Stücke zerschneide, dieselben locker mit ihren Stengeln in weite
Glasgefässe aufschichte, darauf Wasser über den Boden der Gefässe
giesse und dieselben zugedeckt bei Zimmertemperatur stehen lasse.
Dann erscheint die Papulaspora oft sehr rein und in grosser
Verbreitung zunächst als weisser zarter Mycelschleier, der sich
zwischen den Stengelstücken mehrere Centimeter weit ausspannt
oder als feines Geflecht an der Wandung der Glasgefässe empor-
kriecht. Das Mycel besteht aus dünnwandigen oftmals septirten,
im Durchmesser ziemlich dicken Hauptästen nebst reichlichen Ver-
zweigungen und man findet es bald mit zahllosen braunrothen
Pünktchen übersät, die sich unter dem Mikroskop als solide viel-
zellige Gebilde von sehr verschiedener Grösse erweisen,
Die kleineren derselben erinnern an die Sporenknäuel von Tubur-
cinia oder sie ähneln, wie schon erwähnt, denjenigen von Helico-
sporangium parasiticum; Fig. 4. Taf. XXIII. z. B. würde von einem
solchen kleinen Papulasporakörper nieht zu unterscheiden sein. Man
kann alle Zwischenstufen von verhältnissmässig nur wenigzelligen,
bis zu grossen sclerotiumartigen, aus Pseudoparenchym bestehenden
Complexen an dem nämlichen Mycel bei Papulaspora beobachten, Taf.
XXIII. Fig. 7a, Fig. 8, (Querschnitt) Fig. 9a und b. Von den
eigentlichen Sclerotien aber weichen diese Körper, welche ich im
Hinbliek auf physiologisch gleichwerthige Bildungen bei Algen, Moosen
und zahlreichen Phanerogamen mit dem Namen Bulbillen bezeichne,
in vieler Beziehung ab. Sowohl die Zellen der Oberfläche als die
im Innern der Bulbille befindlichen zeigen durchweg dieselbe braun-
gelbe oder braunrothe Membran, dieselbe geringe Verdiekung der
Zellwände und sämmtlich besitzen sie gleichmässigen Plasmainhalt,
so dass also keine Differenzirung in verschiedene Theile, in Rinde
oder anders gestalteten Innenkern bemerkbar ist, sondern die ganze
Knolle innen und aussen gleichförmigen Bau aufweist. Diese Bul-
billen sind ferner nicht im Stande, wie Scelerotien nach einer Ruhe-
pause Schlauchsporen oder sonstige besondere Fortpflanzungsorgane
zu entwickeln, dagegen sind sie wie Sporen keimfähig und bei Aus-
saat in Nährlösungen, von welchen die stickstoffreiche Mistabkochung
dem Pilz am meisten zusagt, treiben sie aus den äusseren und aus
den tiefer liegenden Zellen nach allen Seiten Keimschläuche hervor,
Taf. XXI. Fig. 9a. und b., welche rasch zu einem grossen Mycelium
417
heranwachsen. An diesem entstehen dann die Anlagen neuer Papu-
lasporabulbillen.
Die Grösse der Bulbillen ist ganz von der Reichhaltigkeit der
Nährlösung abhängig; die ansehnlichsten fand ich bis zu 0,2—0,4 mm.
im Durchmesser, sie bilden sich auf dem grössten und kräftigsten
Mycei und es ist dies dasjenige, welches den natürlichen Nährboden
überspinnt, Daselbst erscheinen sie zuerst, mit der Lupe betrachtet, wie
kleine farblose Perlen, im Beginn ihrer Färbung hellgelblich, dann
im Sonnenlieht sehön rubinroth durehschimmernd, um endlich durch-
weg undurchsichtig zu werden und dunkel rothbraune Farbe anzu-
nehmen. Die Gestalt der reifen Knöllchen wechselt von rund zu
länglich, viele besitzen an verschiedenen Punkten ihrer Oberfläche,
besonders am Stiel, kurz zellige Auswüchse, öfters sind zwei mit
einander zusammengewachsen. Auf dünnen Druchschnitten Taf. XXIII.
Fig. 8 zeigen die grösseren Bulbillen im Centrum oft eine kleine
leere Höhlung, auch findet man nicht selten dünne Hyphen in ihrem
Innern eingeschlossen. Das Gewebe der ganzen Knolle besteht aber
allein nur aus länglich parenchymatischen Zellen von verschiedener
Grösse mit gebräunten und ungleichmässig vediekten Wandungen.
Wird eine grössere Mycelflläche von den Stengeln aus in Nähr-
lösung auf den Objektträger übergeführt, so wächst das Mycel, wenn
auch nicht mit gleicher Ueppigkeit wie vorher weiter, es bildet neue
Bulbillenanlagen, welche anfangs noch ziemliche Grösse erreichen,
während die späteren immer kleiner werden und in die weniger-
zelligen Formen der künstlichen Cultur resp. der mangelhaften Er-
nährung übergehen.
Gestaltung der Bulbillenanlagen auf dem natürlichen
Nährboden. Es ist nun besonders interessant, dass die grösseren
und kräftigeren Knöllchen auf dem spontan gewachsenen weithin aus-
gebreiteten Mycel in anderer Weise angelegt werden, wie diejenigen,
welche sich an dem kleineren Mycel im Nährtropfen entwickeln.
Die ersteren entstehen selbst wieder unter sich verschiedenartig und
ihre Anlage erinnert in vielen Fällen an die Primordien von Asco-
mycetenfrüchten. Der gewöhnlichste Vorgang ist jedoch der, dass
kurze Hyphenäste sich an der Spitze spiralig einrollen, darauf im
Längenwachsthum stillstehen und in diesem Zustand der Anlage des
Helicosporangium-Sporenknäuels gleichen; durch etwas bedeutendere
Grösse und durch die schon im jüngsten Zustand eintretende Sep-
tirung sind sie vor diesen ausgezeichnet, Taf. XXIII., Fig. 10b.
und ce. An der Spirale kommen sehr bald Ausstülpungen in ver-
schiedener Höhe hervor, welche sich derselben anlegen, sich ver-
418
grössern, verzweigen und so durch reichliche Sprossung und Ver-
flechtung die Bulbille zu Stande bringen. In andern Fällen dagegen
wächst die Spirale an ihrer Spitze weiter, und gestaltet sich zu einer
in Form mehrerer Windungen aufgerollten Schraube, Taf. XXII.
Fig. 10d., die sich septirt, worauf ihre Zellen aussprossen und nun
erst diese Sprossen nebst den Zellen der Schraube zum pseudoparen-
chymatischen Knäuel sich zusammenlegen. Die Schraube habe ich
zudem bald länger gestielt bald sitzend gefunden, Taf. XXI. Fig.
10a und d; an ihrem Ende läuft sie nicht selten in eine kurze Zu-
spitzung aus. Diese Anlagen gleichen derjenigen von Zurotium,
sie sind jedoch so zu sagen plumper gebaut, auch tritt mit ihrer
Vergrösserung weder irgend welche Differenzirung oder gar Ascus-
bildung in den jungen Bulbillen ein, sondern dieselben bleiben stehen
auf ihrer niedrigen Entwicklungsstufe.
Anlage der kleineren Bulbillen in künstlicher Nähr-
lösung. Die Bulbillen sind schon nach wenigen Tagen ausgereift
und sofort keimfähig; bei Aussaat in Nährtropfen auf den Objekt-
träger entstehen jedoch am heranwachsenden Mycel nicht die grösseren
sondern nur kleinere Papulasporaknöllehen oft dieht an einander in
grosser Menge.
Bei Anlage der letzteren konnte ich nichts mehr von einer Spirale
oder Schraube bemerken, wohl aber traten aufs reichste mit Plasma
erfüllte Seitenäste auf, welche sich in allen möglichen Gestalten kurz
lappig verzweigten, septirten und ihre Zweige zu Bulbillen dureh-
einanderflochten. Letztere sind von der nämlichen Beschaffenheit wie
die ausgesäten, nur durchweg von geringerem bis höchstens 80 Mikr.
betragendem Durchmesser. Die lappigen Verzweigungen entstehen
an dem nämlichen Mycelfaden nicht selten eine an der andern, bald
indem sie sich mehr gestreckt hyphenartig gestalten, Taf. XXI,
Fig. 12, bald indem der Mycelfaden sich kurz gliedert, worauf die
einzelnen Zellen unregelmässig rundlich aufschwellen und zahlreiche
ebenfalls rundliche Auswüchse hervortreiben, Taf. XXIII. Fig. 11.
So variirt also die Anlage der Papulasporabulbille innerhalb
weiter Grenzen von einer deutlichen ebenen Spirale und Schraube bis
zum Undeutlichwerden derselben, endlich zur kurzlappigen Sprossung,
stets ist sie aber das Produkt nur eines einzigen Seitenastes. Die
Variationen in der Anlage sind hier mit Sicherheit auf den Einfluss
der Ernährung des Pilzes zurückzuführen. Denn nach Uebertragung
des kräftigen Mycels aus der Glasschale in die Nährtropfen ver-
dankten die ersten Bulbillen an den neu wachsenden Hyphen noch
vollkommenen Schrauben, die zuletzt an dem nämlichen Mycel ent-
419
wickelten von kleinerer Gestalt dagegen nur unregelmässigem Aus-
sprossen ihre Entstehung.
Conidienträger des Pilzes in Form eines Aspergillus.
Bau der normalen Conidienträger. Zur Frage der Keim-
fähigkeit kleinster Conidien bei Ascomyceten. Ausser den
Bulbillen besitzt Papulaspora aspergilliformis, wie bereits angedeutet,
noch andere Vermehruugsarten. Es gehören zu ihr äusserst zierliche
Conidienträger, welche vollständig den Typus eines Aspergülus mit
Stiel, Köpfchen und auf letzterem sitzenden unverzweigten Sterigmen
nachahmen, Taf. XXI. Fig. 7b. und d. Diese Conidienträger be-
kommen oftmals in der Entwicklung des Pilzes die Oberhand und
ich habe viele Culturen gehabt, wo die Bulbillenerzeugung ganz in
den Hintergrund trat, dagegen die Conidienträger um so reichlicher
am Luftmycelium sich entwickelten. Sie bedeckten dasselbe über
und über in Form gestielter grauweisslicher Pünktchen, welch letztere
Farbe makroskopisch den Köpfchen sammt deren Conidien zukommt.
Es ist leicht, die Zusammengehörigkeit dieser Conidienträger mit den
Bulbillen durch direkten Nachweis zu liefern, durch das Vorkommen
beider an dem nämlichen Mycelfaden, Taf. XXI. Fig. 7, Fig. 13.
‘ Ihre eigentliche Bildungsstätte ist das spontan gewachsene Luftmy-
celium, an welchem sich, wie es scheint, mitunter jeder Ast in einen
Conidienträger umwandeln kann; nach Aussaat der Bulbillen in Nähr-
lösung dagegen lieferte das aus letzteren entstandene Mycel fast
nur neue Bulbillenanlagen, sehr selten vereinzelte Conidienträger.
Die letzteren sind stets in allen ihren Theilen voll-
kommen farblos (in älteren mit Alkohol und Ammoniak behandel-
ten, in Glycerin conservirten Präparaten färben sie sich, wie auch
die farblosen Bulbillenanlagen schwach gelblich), sie sind überaus
zart und mit keiner einzigen der bis jetzt bekannten
Aspergillusarten zu identifieiren'). Während die Conidien-
träger der letzteren nach erfolgter Reife stark verdickte Membran
besitzen, inhaltsleer geworden sind, in ihrem ganzen Verlauf gleichen
Durchmesser, nur selten Verzweigungen und keine Scheidewände
zeigen, sind diejenigen der Papulaspora aspergiliformis sehr zart-
wandig, mit Plasma erfüllt, an der Basis gewöhnlich breiter als an
dem oberen in das Köpfchen übergehenden Theil; ferner sind sie
1) An eine Aehnlichkeit mit den derben, grossen Conidienträgern von
Aspergillus (Sterigmatocystis?) albus kann nicht im Entferntesten gedacht werden,
Ich habe hier speciell die Wilhelm’sche Species A. albus im Auge (l. e.
pag. 68), welcheich an deninRabenhorst, fung: europaei ausgegebenen Exem-
plaren verglich.
Cohn, Beiträge zur Biologie der Pflanzen, Band III, Heft IL 28
420
sehr häufig verzweigt und mit zahlreichen, nicht selten rasch auf
einander folgenden Scheidewänden versehen, Taf. XXIII. Fig. 7.
Ihre Länge ist sehr gering, höchstens 0,3—0,4 Mill.; die meisten
stehen aber weit unter dieser Grösse, besonders wenn sie, wie
unten noch auszuführen, mit Chlamydosporen zusammen vorkommen;
der Durchmesser der Traghyphe beträgt am Grunde im Mittel 10,
an der Spitze unterhalb des Köpfchens 6,5 Mikr.
Das Köpfchen ist bei normalen Conidienträgern stets kugelrund,
Taf. XXIII. Fig. 7b., im Durchmesser von 12—13 Mikr. Auf dem
Köpfchen sitzen am oberen und unteren Theil desselben ringsum
einfache Sterigmen mit diekerem Bauch und höchst feinem, fast strich-
förmigem oft sehr verlängertem Halstheil, Taf. XXIII. Fig. 7, Fig. 13e,
Fig. 14c und d. Auf dem letzteren werden die Conidien reihenweise
abgeschnürt; sie bedecken das Köpfchen dann in dichter Ansammlung,
fallen jedoch leicht zu Boden.
Die Conidien sind farblos, rund oder oval, glatt und von sper-
matienartiger Kleinheit; nach Schätzungen ist ihre Grösse von 1,5 bis
2 Mikr. anzunehmen. Ich machte eine sehr grosse Zahl von Ver-
suchen, um diese Conidien zur Keimung anzuregen; es ist mir trotz
aller Mühe niemals gelungen. In der Nährlösung blähten sich viele
derselben auf, wurden inhaltsleer und verschwanden durch Auflösung.
Andere lagen auch nach Wochen noch unverändert auf dem Objekt-
träger. Damit ist freilich, wie ich glaube, durchaus noch nicht ge-
sagt, dass sie überhaupt keimungsunfähig seien; es kommt mir doch
sehr unwahrscheinlich vor, dass diese auf typischen Trägern in so
ungeheuren Mengen abgeschnürten Zellchen ganz nutz- und zwecklos,
nur zur Erschöpfung des Mycels beitragend, erzeugt werden sollten.
Ich kann mich daher auch nicht der Theorie anschliessen, dass diese
und ähnliche Bildungen bei verschiedenen Ascomyceten ') „rudimentär
gewordene Organe“ seien, und vermuthe vielmehr, dass wir dort
wie hier nur noch nicht die richtigen Bedingungen für ihre Weiter-
entwicklung aufgefunden haben.
Variationen und Monstrositäten bei Ausbildung der
Conidienträger. Monströse Bildungsabweichungen von der ge-
wöhnlichen Form der beschriebenen Conidienträger kommen bei
Papulaspora aspergilliformis ausserordentlich häufig vor; an mannig-
faltiger Gestaltungsfähigkeit nach dieser Richtung hin wird der Pilz
gewiss von keinem einzigen Aspergillus übertroffen. Da verkürzt
sich der Conidienträger abnorm, das Köpfchen streckt sich bedeutend
!) Brefeld, Schimmelpilze. IV. Heft, Zopf, I, c. pag. 237.
421
in die Länge oder gabelt sich wohl auch, einzelne Sterigmen oder
deren Hälse verlängern sich auffallend oder rücken an dem Träger
herunter, aus dem sie rings vereinzelt hervorbrechen, Taf. XXI.
Fig. 7e und d.
Wieder andere Conidienträger bilden Verzweigungen und An-
schwellungen besonderer Art, an welchen die Sterigmen gleichsam
verkehrt, mit den Hälsen nach unten, aufsitzen und in seltenen
Fällen treibt ein Sterigma zwei Hälse aus, an deren jedem Conidien
abgeschnürt werden, Taf. XXIII. Fig 15. Weitere Vereinfachungen
bestehen darin, dass die Conidienträger bloss gerade aufgerichtete
Hyphen ohne Köpfchen darstellen, welche in verschiedener Höhe
Sterigmen tragen und deren Ende ebenfalls in ein Sterigma ausläuft.
Endlich kommen an gewöhnlichen Mycelfäden oft weithin vereinzelte
Sterigmen zur Entwicklung, so dass also vom ausgebildeten Aspergellus-
Conidienträger bis zum isolirten flaschenartig am Mycel festsitzenden
und Conidienketten abschnürenden Sterigma alle nur möglichen Ueber-
gänge zu finden sind. Die letzteren Bildungen verhalten sich conform
den schon bei Helicosporangium erwähnten; die Zeichnung Taf. XXI.
Fig. 3ce kann demnach für beide Pilzarten zugleich gelten.
Die Chlamydosporen. Ihr Vorkommen, Entstehen,
Aussehen und ihre Keimung. Wir gelangen zur letzten Ver-
mehrungsart im formenreichen Entwicklungsgang der Papulaspora: zur
Chlamydosporenbildung. Diese Fortpflanzungsweise scheint bei Pa-
pulaspora aspergiüliformis weitaus die gewöhnlichste und oft alleinige
zu sein: ich habe das Mycel des Pilzes nur mit Chlamydosporen
besetzt und ohne jede Spur von Bulbillen oder Conidienträgern,
ungemein häufig in meinen Culturen angetroffen.
Die Entstehung der Chlamyäosporen erfolgt auf büschelartig vom
Mycel emporsteigenden, verzweigten und septirten Trägern, deren
Enden in längere oder kürzere, unten erweiterte, nach oben scharf zuge-
spitzte, fast oder ganz gerade Basidien auslaufen, die farblos sind, im
Alter jedoch sich schwach bräunen und doppelte Contouren erhalten,
Taf. XXIII. Fig. 14b, Fig. 16. Sie sind unter sich derart inserirt,
dass immer die älteren, welche dem Tragfaden aufsitzen, selbst
wieder nach allen Seiten jüngere senkrecht oder im Winkel abge-
hende Basidien tragen; auf jedem von diesen stehen dann bei üppiger
Fruktifikation oft 5—6 neue immer eines unmittelbar auf dem andern,
wobei das jüngste Basidium häufig am kürzesten ausfällt.
Die Basidiumspitze ist der Ausgangspunkt für je eine Chlamydo-
spore: es kommt daselbst ein kleines farbloses Köpfchen zum Vor-
schein, Taf. XXIII. Fig. 14e, Fig. 13b, welches rasch anschwillt,
287
422
oval wird, sich gelblich färbt und endlich die definitive Grösse der
Chlamydospore erreicht, Taf. XXIII, Fig. 14a, Fig. 16.
Die reife Chlamydospore fällt sehr leicht von ihrem Basidium
ab, sie ist vollkommen oval, einzellig, von gelbbrauner Farbe, mit
doppelter derber Wandung versehen und mit feinkörnigem Plasma
erfüllt, in welchem sich eine diehtere Ansammlung, ein Zellkern,
befindet, Taf. XXIII. Fig. 14a. Die Chlamydosporen zeichnen sich
durch ihre ungewöhnliche Grösse aus; sie messen durchschnittlich
24—26 Mikr. in der Länge, 21—23 Mikr. in der Breite.
Sie sind leicht keimfähig; bei Aussaat in Nährlösung (Mistab-
kochung) zeigen sie nach 24 Stunden das Exosporium gesprengt und
durch den Riss ist eine farblose Blase als Anfang des Keimschlauches
hervorgetreten, Taf. XXIII. Fig. 17. Die Blase verlängert sich in
ein bis drei Aeste, die ihrerseits sich septiren und zum Mycel ver-
zweigen, auf welchem wiederum Chlamydosporen in reichlicher Menge
gebildet werden.
Zugehörigkeit der beschriebenen Fortpflanzungsarten
in einen einzigen Entwicklungskreis. Noch aber beweist
nichts in der bisherigen Schilderung, dass die beschriebenen Chlamy-
dosporen auch wirklich dem Entwicklungskreis der Papulaspora asper-
gilliformis angehören. Dieser Nachweis ist allein nur zu führen
durch Beobachtung des direkten Zusammenhangs dieser Sporen mit
den übrigen Fruktifikationen des Pilzes.
Hierfür bietet die Cultur in Nährlösungen kein günstiges Mittel
dar; es ist mir unter sehr zahlreichen Aussaaten von Chlamydosporen
nur höchst selten gelungen, am Mycel neben neuen Chlamydosporen
auch einzelne Conidienträger in Gestalt der charakteristischen Asper-
gülusform zu erhalten, Bulbillen entstanden dabei gar nicht, eben-
sowenig wie nach Aussaat der letzteren Chlamydosporen sich bildeten.
Dagegen habe ich bei den im Grossen von mir vorgenommenen Culturen
der Papulaspora nicht selten den unmittelbaren Zusammenhang ihrer
verschiedenen Fortpflanzungsorgane vor Augen bekommen. Besonders
schön zeigte sich dies bei Gelegenheit einer mit Hülfe von sechs
Blumentopfuntersätzen im Wärmkasten bei 20— 22° C. vorgenom-
menen Keimungsuntersuchung von alten Sojabohnen, welche statt zu
keimen, fast sämmtlich verschimmelten und ein ergiebiges Substrat
für Papulaspora aspergilliformis abgaben. Hier war der Zusammen-
hang der Chlamydosporen, der Bulbillen und der Conidienträger in
allen Formen und Entwicklungen an einem gemeinsamen Mycel
unzweifelhaft mit aller Klarheit zu übersehen. Wegen Mangel an
Raum habe ich zur Demonstration dieses Gegenstandes nur zwei
423
kleinere von meinen Zeichnungen ausgewählte Aus Taf. XXIII
Fig. 14 geht hervor, dass auf Chlamydosporenbasidien sitzende
Aeste, statt selbst in ein Basidium sich zu gestalten, in mehr oder
weniger lang gestielte zierliche Conidienträger mit Köpfchen, Sterig-
men und daran sich abschnürenden Conidien übergehen können und
Taf. XXIII. Fig. 13. zeigt auf langem, oftmals septirtem Tragfaden
gleichzeitig einen Conidienträger c, eine verkrüppelte Bulbille a und
endständig eine junge Chlamydospore b entwickelt.
Uebrigens fand ich die drei Fruktifikationen der Papulaspora
nur selten in solcher Weise nahe vereinigt vor, sondern meist räum-
lich etwas von einander entfernt, aber ebenfalls sämmtlich aus einem
gemeinsamen Mycelium hervorgegangen.
Zur Systematik des Pilzes. Die Papulaspora aspergili-
formis nimmt meinen Beobachtungen zufolge eine ganz besondere
Stellung ein im Pilzsystem. Ist sie auch aus Mangel an Sporen-
schläuchen kein richtig typischer Ascomycet, so muss sie doch als
unmittelbares Anhängsel dieser Klasse betrachtet werden. Für das
Fehlen der Asci hat die Papulaspora reichlichen Ersatz gefunden
in ihren Chlamydosporen sowie in der Keimfähigkeit ihrer eigent-
thümlichen Bulbillen, deren Anlagen morphologisch vollständig die
Primordien der Fruchtkörper vieler Ascomyceten nachahmen, jedoch
nicht bis zur Schlauchbildung gelangen. Die Bulbillen sind es jedenfalls,
welche bei dem Pilz die Stelle von Perithecien vertreten. Und wie
die Bulbillen als unvollkommene Fruchtkörper anzusehen sind, so ist
auch die Leistung der Conidienträger bei Papulaspora wie es scheint
nur mangelhaft. Trotzdem dieselben die ausgesprochenste und nied-
lichste Aspergellusform repräsentiren, welche ich kenne, bleiben sie
doch stets äusserst zart, mit grösster Vorliebe zu Vereinfachungen
und Monstrositäten übergehend; die auf den Köpfchen erzeugten
Conidien erscheinen wie verkümmert und sind entgegen den echten
Aspergillussporen unter bis jetzt bekannten Verhältnissen unfähig
zur Keimung.
So ist es wohl möglich, dass in der Papulaspora eine Sprosse
vorliegt auf der Stufenleiter von echten Ascosporen führenden Frucht-
körpern aus zu Pilzen mit einfacheren Sporenbildungen. In der
That gleicht die in ihrer Zellenzahl redueirte kleine Papulaspora-
bulbille bereits ganz den vollkommneren Sporenknäueln des Helico-
sporangium und von den einfachsten fast unberindeten Sporenknäueln
dieses Pilzes aus wäre es nicht schwierig, den Verbindungsfaden an
verschiedene einfachere und, soviel wir wissen, blos Conidien erzeu-
gende Hyphomyceten anzuknüpfen.
424
Schlussbemerkungen.
Ich habe der vorstehenden Arbeit nur wenig hinzuzufügen. Einige
Bemerkungen möchte ich mir gestatten über die von Brefeld!)
neuerdings befürwortete Degradirung des Ascus zum blossen Sporan-
gium, sowie über dessen Theorie von der rückschreitenden Meta-
morphose bei den Pilzen.
Ich muss gestehen, dass mir diese Ansichten nicht gerade auf
besonders kräftigen Stützen zu ruhen scheinen. Behufs Erzeugung
der Asci werden offenbar bei allen Pilzen ganz besonders eomplieirte
Vorrichtungen getroffen. Immer ist es ein auffallender am Mycel
entstehender Apparat, oftmals macht derselbe das Stattfinden eines
sexuellen Processes wahrscheinlich oder es finden ausserdem noch
reichliche Entwieklungen statt, wodurch Fruchtkörper u. s. w. zu
Stande kommen, in deren Innenraum sich die Sporenschläuche
eingeschlossen finden. Vielleieht machen die Asci von Ascomyces,
Taphrina und Exoascus eine Ausnahme und es entstünde dann
allerdings die Frage, ob diese Organe hier wirklich als Sporen-
schläuche zu bezeichnen sind. Jedenfalls bin ich mit Brefeld darin
einverstanden, den Ascus bei Saccharomyces fallen zu lassen. Bei
allen übrigen Ascomyceten aber finden meines Wissens die oben an-
gedeuteten Verhältnisse statt, während das Sporangium?) stets eine
nackte und ungeschlechtliche Propagationsform der Pilze darstellt.
Am besten zeigen dies die Mucorineen und Saprolegnieen selbst,
wo neben den Sporangien noch die unzweifelhaft sexuell entstandenen
Oosporen und Zygosporen gebildet werden.
Was aber die Sexualität der Pilze betrifft, so scheinen hier aller-
dings sehr abweichende Verhältnisse obzuwalten. Damit aber ist
noch lange nicht gesagt, dass die Pilze ihre Sexualität verloren haben
oder im Begriff stehen, sie zu verlieren. Ein soleher Vorgang würde
mit der übrigen Ordnung in der organischen Natur im Widerspruch
stehen, denn dieselbe ist ja, vom einzelnen Individuum natürlich
abgesehen, nicht im Rückschritt, im Verlust vollkommnerer Eigen-
schaften, sondern nur im stetigen Vorschreiten begriffen. Ich finde
es viel wahrscheinlicher, dass die Pilze weder ihre Sexualität ver-
loren haben, noch dass sie dieselbe erst bekommen sollen, sondern
dass sie sie mit Ausnahme einer unbekannten Zahl überhaupt schon
t) Schimmelpilze IV. Heft. 1881.
?) Die Pykniden und Spermogonien müssen überhaupt wohl von anderem
Standpunkt aus betrachtet werden.
425
haben und schon seit unbestimmbaren Zeiträumen gehabt haben.
Naturgemässer und unserer Erfahrung mehr entsprechend dürfte die
Annahme sein, dass ein Theil der Pilze ausgesprochen sexuell ist
und die Primordien ihrer vollkommensten Früchte morphologisch
constant sind, dass ein anderer Theil dagegen seltener in die Sexua-
lität eintritt, dieselbe auch in solchen Fällen nicht vollkommen sicher
nachzuweisen ist und dass hier die Formen der Primordien in mehr
oder minder erheblichem Grade variiren, wohl auch bei massenhafter
Entwicklung der Fruchtkörper auf den nämlichen Nährboden zuletzt
von deutlich morphologisch differenzirter Anlage aus successive in
eine Art von Sprossung übergehen. Bei den übrigen Pilzen endlich
finden sich überhaupt gar keine Anzeichen mehr, welche für deren
Sexualität sprächen.
Es ist einleuchtend, dass Spekulationen über diese Verhältnisse
sowie über Reduktion einzelner Organe und über die Zusammenge-
hörigkeit der Pilze im Allgemeinen stets zur weiteren Forschung an-
regen und zum Verständniss des Erforschten beitragen helfen. Da-
bei darf aber nicht vergessen werden, dass alle derartigen theore-
tischen Erörterungen allein nur von dem augenblicklichen Stand des
Wissens ausgehen können; dieses Wissen wird aber im Gegensatz
zu dem noch Unbekannten immer seine grossen Lücken haben und
demgemäss besitzt auch jede Theorie ihre Gebrechen. Viel wichtiger
erscheint es mir daher, neue Thatsachen ans Licht zu fördern; von
ihnen hauptsächlich ist der Fortschritt in aller Wissenschaft zu
gewärtigen.
Breslau, im October 1883.
KıDı 307°; ) 2 at
IH bis fi f
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Erklärung der Abbildungen.
Tafel XIX.
Eremascus albus.
Keimung der Ascosporen. a. Hervordringen des Keimschlauches an
einer, b, an zwei Seiten.
Verlängerung und Verzweigung der Keimschläuche.
Entstehung des Mycels.
Aufschwellungen und Verbiegungen der Mycelhyphen. Entwicklung
der Fortpflanzungsorgane,
5, 6 und 7. Primordialanlagen, von zwei benachbarten Hyphen gebildet,
die sich ein- oder mehrere male eng schraubig umwinden.
8 und 10. Abgliederung der beiden Copulationszellen am oberen Theil
11.
12.
13.
14.
der Schraubenhyphen. In Fig. 10 wird die eine Schraubenhyphe
von einem ganz kurz endenden Mycelast gebildet.
Sehr kräftig entwickelte Primordien, zu vieren in Wirtelstellung rings
um einen Mycelfaden entstanden, Auf dem ursprünglichen Fundort
des Pilzes, der Oberfläche verschimmelten Malzextraktes, gewachsen.
Die Enden der Schraubenhyphen in a, b und c verjüngen sich und
stehen sich zangenartig gegenüber.
Beginn der Copulation bei b; Verschmelzung des Protoplasma der
beiden Copulationszellen.
Copulation bei b; bei a Scheidewände der Copulationszellen.
Kuglige Aufschwellung an der Spitze der beiden copulirten Zellen.
Wie vorige Figur; die Copulation hat aber stattgefunden ohne
schraubige Umwindung der copulirenden Zellen; deren Scheidewände
a stehen in ungleicher Höhe,
428
Fig. 15 und 16. Je drei Ascusanlagen an einem Mycelfaden, nahe bei ein-
ander stehend und in verschiedenen Alterszuständen befindlich. Bei
einigen der Anlagen ist, wie in Fig. 14 die schraubige Umwindung
der Primordialhyphen unterblieben, bei den andern dagegen mehr
oder weniger deutlich ausgeprägt. Ein und die nämliche Mycelzelle
entwickelt öfters zwei und wohl auch mehr Schraubenhyphen (z. B.
auch in Fig. 9), welche für sich getrennten Anlagen zugehören. In
Fig. 15 bei b eben beginnende Anschwellung an der Spitze der copu-
lirten Zellen. Bei e in Fig. 15 und 16 hat sich die Anschwellung
bedeutend vergrössert und die Form einer Kugel angenommen. Da-
selbst erfolgte auch schon die Abtrennung der Kugel von ihren
Trägerzellen e und f als selbstständige Ascuszelle. Bei d in Fig. 16
entstehen die Scheidewände sehr tief und es wird in Folge dessen
noch ein Stück der beiden Trägerzellen mit in den Bereich des Ascus
aufgenommen. a ursprüngliche Scheidewände der beiden Copu-
lationszellen.
Fig. 17 und 18. Differenzirung des Protoplasma innerhalb des Ascus behufs
Ausbildung der acht Schlauchsporen. s
Fig. 19. Die Ascosporen sind herangereift; die Traghyphen des Ascus
beginnen sich aufzulösen. Fig. 18 ist in künstlicher Nährlösung ge-
wachsen, wobei die schraubige Umwindung der Anlagen resp. Trag-
hyphen oft nur mangelhaft vor sich geht oder ganz unterbleibt, ent-
gegen Fig. 17 und 19 vom natürlichen Nährboden.
Fig. 20. Reifer Ascus, dessen Träger bereits verschwunden sind und .dessen
Membran ebenfalls der allmählichen Auflösung anheimfällt,
Fig. 21—23. Verschiedene abnorme Zustände. Fig.:21 und 23 bei a gegen-
seitige Berührung der Copulationszellen, welche in Fig. 23 bedeutend
aufschwellen; die Copulation unterbleibt aber in beiden Fällen. In
Fig. 22 ist zwar die Copulation erfolgt, sowie die Abgliederung des
Ascus b, letzterer bringt es jedoch nicht bis zur Sporenbildung,
sondern er bleibt steril; in Fig. 23b ist er bedeutend aufgeschwollen.
Fig. 24. Ein einziger Hyphenast hat, ohne sich wie sonst mit einer zweiten
Hyphe schraubig zu umwinden und mit derselben zu copuliren, an
seiner Spitze parthenogenetisch einen Ascus mit acht normalen
Sporen hervorgebracht.
Fig. 25. Die Endzelle einer Hyphe ist unförmlich aufgeschwollen; sie enthält
entgegen der vorigen Figur statt Ascosporen nur eine Menge ver-
schieden grosser Protoplasmakugeln.
Vergrösserung von Fig. 3 und 4 = 300fach; Fig. 2 = 500 fach;
Fig. 5—25 = 900—1000 fach; Fig. 1 = 1200fach.
Fig. 1.
Fig. 2.
Fig. 3
Fig. 4
Kiga 35
Fig. 6
Fig. 7.
Fig. 8.
Fig. 9.
Fig. 10.
Fig. 11.
Fig. 12.
Fig. 13.
429
Tafel XX.
Eremaseus albus.
Mycelrasen des Pilzes, in Pflaumenabkochung auf dem Objektträger
erzogen; mit zahlreichen Fruktifieationen bedeckt. Vergr. 12 fach.
Chaetomium Kunzeanum Zopf.
Carpogonium, lang gestielt und oben dicht schraubig zusammengerollt;
die letzten Windungen der Schraube sind unregelmässig verschoben.
Vergr. 500 fach.
Carpogonium mit langem Stiel in weiter vorgerücktem Zustand.
Es beginnt an verschiedenen Stellen das Aussprossen von Hyphen-
ästen. Vergr. 500 fach.
Junges sitzendes Carpogonium; Beginn der Hyphenaussprossung,
Vergr. 500 fach.
Drei Carpogone a, bund c, das mittlere gestielt, die beiden seitlichen
sitzend, alle an dem nämlichen Mycelfaden; sehr reichliches Aus-
sprossen feiner Hyphen. Vergr. 500 fach.
Junges Peritheeium mit Stiel; einzelne Zellen der Peritheciumwand
beginnen in Haare auszuwachsen. Vergr. 500 fach.
Sterigmatocystis nidulans.
Fruktifieirender Rasen des Pilzes, auf Cohn’scher Bakteriennähr-
lösung schwimmend; das mit Krystallen durchsetzte Mycelium ragt
in Form spitz zulaufender farbloser Flocken tief hinein in die Flüssig-
keit. 1/, nat. Grösse.
a Conidiensporen der Sterigmatocystis; b dieselben im Beginn der
Keimung; d Keimschläuche verzweigt und septirt; e die abgeschnür-
ten Sporenketten bleiben mit einander verklebt und sind von den
Conidienträgern abgefallen in Form undurcehsichtiger eylindrischer
Würstchen. a, b und d Vergr. 300 fach; ce. Vergr. 50 fach.
Auf dem Objektträger cultivirtes Mycel, aus einer Conidienspore
hervorgegangen. Das Mycel hat bereits zahlreiche neue Conidien-
träger entwickelt. Vergr. 12 fach.
a die Spitze eines reifen kräftigen Conidienträgers mit Köpfchen,
verzweigten Sterigmen und zahlreichen langen Sporenketten. bund e
Entstehung der Sterigmen. Vergr. 500 fach.
Verzweigte Conidienträger der Sterigmatocystisnidulans. Vergr.500fach.
Zwei sehr kleine Conidienträger; die Verzweigung der Sterigmen
ist deutlich sichtbar. Vergr. 500 fach.
Ein Conidienträger, dessen Sterigmen vielfach unter sich anastomo-
siren. Vergr. 500 fach.
Fig. 14 u. 15. Kümmerliche Zwergbildungen von Conidienträgern. Vergr.500fach,
Fig. 16.
Fig. 17.
Wie vorige Figur. Die Conidienträger sind abnorm reducirt auf
einzelne isolirte unmittelbar dem Mycel aufsitzende Sterigmen,
Vergr. 500 fach.
Ein Conidienträger hat nach allen Seiten hin zahlreiche secundäre
zum Theil selbst wieder unregelmässig geformte Conidienträger aus-
getrieben. Vergr. 750 fach.
Fig.
Fig,
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
430
Tafel XX1.
Sterigmatocystis nidulans.
Von der fruktifieirenden Oberfläche des Rasens auf Taf. XX. Fig. 7
bei stärkerer Vergrösserung. Die Conidienträger entspringen massen-
haft vom Mycel; in demselben finden sich zwei Fruchtkörper einge-
bettet, welche durch ihr Wachsthum die Oberfläche wellig empor-
gewölbt haben. Die im Durchschnitt gezeichneten runden Frucht-
körper sind rings umgeben von der umfangreichen Schicht ihrer
Blasenhüllen. Vergr. 120 fach.
Entstehung der Blasenhülle. Von den dickeren älteren Mycelhyphen
wächst durch Neusprossung ein sehr zartes secundäres Mycel hervor,
dessen Fäden sich reichlich verzweigen und theils lang hinkriechen,
theils kurz bleiben, um an den Stellen a dichte Aussprossungen zu
entwickeln. Vergr. 120 fach.
Die secundär ausgesprossten feinen Hyphen von den Stellen a der
vorigen Figur bei stärkerer Vergrösserung. Anastomosen mit den
älteren Mycelfäden erkennbar. Vergr. 750 fach.
Die Verzweigung bei a der Fig. 2 ist weiter fortgeschritten, äusserst
dicht geworden und so ein rundlicher Knäuel zu Stande gekommen.
Vergr. 750 fach.
Die Hyphenenden des Knäuels schwellen auf zur Bildung der Blasen-
hülle. Vergr. 750 fach.
Bei a wird die Membranverdickung der blasig geschwollenen Hyphen-
zweige erkennbar und ist in b, ce und d vollendet. Blasen rund oder
länglich, Verdickung auf der Innenseite der Blase mit unregelmässigen
Zacken versehen. In b und d findet neben den bereits ausgewachsenen
die Neubildung junger Blasen statt durch Aufschwellen einzelner
Seitenäste. Vergr. 750 fach.
Junger Fruchtkörper, in den weiten Mantel seiner Blasenhülle central
eingelagert. Vergr. 300 fach.
Primordialanlage des Fruchtkörpers, welche inmitten der Blasenhülle
(über die Stellung des Fruchtkörpers vergl. Fig. 1 und 7 dieser
Tafel) von Seite zweier äusserst feiner Hyphen ausgeht. Vergr.
750 fach.
Fig. 9—14. Weiter vorgeschrittene Zustände der Fruchtkörperanlagen; Fig. 10
und 11 im optischen Durchschnitt gezeichnet. Bei Fig. 9, 13 und
14 sind die jungen Anlagen mit einem langen aus zopfartig ver-
flochtenen Hyphen bestehenden Stiel versehen, Fig. 12 dagegen zeigt
eine stiellose Anlage, unmittelbar den zwei Mycelhyphen, von welchen
sie ausgegangen ist, aufsitzend. Vergl. den Text pag. 406 und 407.
Vergr. 750 fach.
Fig. 1.
Fig. 2.
Fig. 3
Fig. 4
Fig. 5.
Fig. 6.
Fig. 8.
431
Tafel XXI.
Sterigmatoceystis nidulans.
Junger Fruchtkörper; die Peritheciumwand ist durch gelinden Druck
gesprengt und der Inhalt hervorgetreten. Letzterer besteht aus
langen, durchweg gleichartigen und streckenweise angeschwollenen,
farblosen und plasmareichen Hyphen, während die Rinde davon
getrennt, gelb gefärbt und aus Pseudoparenchym zusammengesetzt
ist. Rinde sowohl als Innenkern färben sich auf blossen Zusatz vou
Alkalien intensiv blau, auf Säurezusatz roth. Vergr. 750 fach.
Querschnitt durch einen erwachsenen Fruchtkörper, in welchem die
Bildung von Ascosporen bereits in vollem Gange ist. Ringsum an
der Peripherie befindet sich die im reifen Zustand dunkel schwarz-
rothe, stark verdickte meist zweischichtige Rinde; der Innenraum ist
mit dünneren und dickeren Hyphen sowie daran sitzenden jungen
und älteren Sporenschläuchen erfüllt. Das Ausreifen der Asei findet
ganz ungleichmässig statt: einige sind nahe daran, die acht Asco-
sporen zu entwickeln, während dieselben bei anderen bereits voll-
kommen ausgebildet sind und dann purpurfarben erscheinen. Alkalien
und Säuren färben die noch unreifen Theile des Fruchtkörpers ebenso,
wie es bei voriger Figur angegeben wurde. Vergr. 400 fach.
Die Rindenzellen des Perithecium resp. deren Verdickungen von oben
gesehen. Vergr. 400fach.
Eine Hyphe aus dem reifenden Perithecium, mit zahlreichen dick
aufgeschwollenen Aesten, welche späterhin sich in Sporenschläuche
umgestalten. Vergr. 750 fach,
Weiter vorgeschrittener Zustand. An der Hyphe sitzt oben ein sehr
junger Sporenschlauch, links zwei eben reifende und rechts einer a,
in welchem bereits die doppelwandigen, ovalen, purpurfarbenen
Ascosporen vollkommen ausgereift sind. Vergr. 750 fach.
Die Ascosporen im Zustand der Quellung und Keimung. Das Exo-
sporium wird in zwei Hälften gesprengt, zwischen welchen der
Keimschlauch hervordringt. Vergr. 1000 fach.
Junges Mycel, an welchem bereits zwei kleine Conidienträger ent-
standen sind. Bei a die beiderseits anhaftenden Hälften des purpurnen,
später violetten Exosporium der Schlauchspore. Vergr. 750 fach.
Das aus einer Ascospore von Sterigmatocystis midulans hervorge-
gangene Mycel ist vielfach verästelt und gross ausgewachsen; es
besitzt an dem gezeichneten Theil zwei vollkommen reife Conidien-
träger mit verzweigten Sterigmen. a wie in voriger Figur. Vergr.
750 fach.
Fig. 1
Fig. 2
Fig. 3.
Fig. 4
12
Tafel XXL.
Helicosporangium parasiticum Karsten.
a—d. Verschiedene Entstehungsarten der Sporenknäuel. a das Ende
der spiralig gerollten Hyphe spaltet sich unter Verbreiterung in
zwei Lappen, die seitlich hervortreten; d derselbe Vorgang, von
vorn gesehen; b es bilden sich gleichzeitig am Spiralende sowie
unterhalb desselben Ausstülpungen; e die erste Ausstülpung erfolgt
weit zurück, fast am Anfang der Spirale. In e haben die Rinden-
zellen schon nahezu die sichtbare stark vergrösserte Centralzelle
überwachsen; der oberste Spiralbogen bildet eine Art von Ring.
f eine sehr einfache berindete Spore des Helicosporangium, im Durch-
schnitt gezeichnet. g die Uentralzelle beginnt zu keimen und schickt
nach drei Richtungen Keimschläuche aus,
Ein grösserer reifer Sporenknäuel von Helicosporangium mit mehreren
keimfähigen Central- und zahlreichen Rindenzellen.
Ein Mycelstück mit Sporenknäueln und gleichzeitig mit den ver-
schiedenen Conidienformen des Pilzes. Die Sporenknäuel a und b
lassen unter der Rinde einige dunkler braun gefärbte Innenzellen
erkennen: die Berindung erstreckt sich bei a auch noch auf den
Stiel des Knäuels, welcher in b sehr kurz ist. Bei ce einfache Sterig-
men von flaschenförmiger Gestalt, bei d ein Conidienträger, dem
wirtel- und endständig die Sterigmen ansitzen. Letztere schnüren
Ketten sehr kleiner und farbloser Conidien ab.
Ein sehr zellenreicher, gleichmässig brauner Sporenknäuel von
Helicosporangium ; derseibe ist den kleineren Bulbillen der Papulaspora
aspergilliformis vollkommen gleichgestaltet.
Fig. 5 und 6. Abnorme Zustände der Sporenknäuel von Helicosporangium. Bei
Big: 1%;
Fig. 8.
Entstehung derselben ist die Bildung einer Spiralhyphe unterblieben,
so dass die Knäuel nur gekrümmt (Fig. 5) oder ganz gerade (Fig. 6)
ausgefallen sind. Jeder Knäuel enthält einige mittlere braune Zellen und
die Berindung von Seite farbloser Hyphen ist nur höchst unvollständig.
Papulaspora aspergilliformis.
Ein Mycelstück mit grossen, braunen, verschieden gestalteten Bul-
billen aa und gleichzeitig mit Aspergillus-Conidienträgern b und c.
Der Conidienträger b ist vollkommen normal, sehr zartwandig, plas-
mareich, farblos, septirt, unten breiter, mit kugelrundem Köpfchen,
an welchem einfache feine Sterigmen Ketten kleinster, farbloser
Conidien abschnüren. Der Conidienträger e ist verzweigt, die Sterig-
men sind von den Köpfchen aus weit herabgerückt, bei d hat sich
noch ein drittes, sehr kleines und kurzgestieltes Köpfchen entwickelt.
Querschnitt durch eine sehr kräftige Bulbille. Sämmtliche Innen-
und Aussenzellen derselben zeigen durchaus gleichartigen Bau; die
Zellmembranen sind schwach verdickt und braun gefärbt. Im Centrum
befindet sich ein kleiner Hohlraum und daselbst hat die Bulbille
mehrere Myceihyphen eingeschlossen.
Fig. 9.
Fig. 10.
433
Keimung kleinerer Bulbillen a und b; es werden gleichzeitig rings
herum sehr zahlreiche Keimschläuche ausgesendet.
Anlage der spontan auf dem natürlichen Nährboden gewachsenen
grösseren Bulbillen. b und ce Primordialzustand in Form reich sep-
tirter Hyphen, die sich am Ende spiralig einrollen und hierauf be-
rinden; a und d zeigt die Anlagen als sitzende und gestielte Schrauben,
die besonders in letzterem Fall mit der Zurotiumschraube Aechnlich-
keit haben.
Fig. 11 und 12. Anlagen der kleineren Bulbillen; in künstlicher Nährlösung auf
Fig. 15.
Fig. 16.
Fig. 17.
dem Objektträger erzogen. Es entstehen Fig. 11 auf lange Strecken des
Mycels hin neben einander unregelmässig rundliche Aufschwellungen,
die ihrerseits bei a zahlreiche ebenfalls rundliche Auswüchse her-
vortreiben, welche sich knäuelartig zusammenlegen, vergrössern und
schliesslich zur Bulbille gestalten. In Fig. 12 zeigen sich die An-
lagen nicht rundlich, sondern mehr gestreckt hyphenartig, mit lappigen
kurzen Verzweigungen, die schliesslich grössere oder kleinere Bul-
billen von rundlicher oder länglicher Gestalt a constituiren.
Zeigt unmittelbar neben einander und im direkten Zusammenhang
an dem nämlichen Mycelfaden eine verkrüppelte Bulbille a, einen
Conidienträger e und eine junge Chlamydospore b.
Aus geraden scharf zugespitzten Basidien entwickeln sich neben
Chlamydosporen gleichzeitig zierliche Aspergillus-Conidienträger e und
d, welche Reihen farbloser Conidien abschnüren d. Bei bbb die
spitzen leeren Basidialenden, bei e entsteht eben eine junge Chlamy-
dospore, bei aa sitzen zwei reife Chlamydosporen noch den Basidien
endständig auf.
Abnormer verzweigter Conidienträger der Papulaspora. (Vergl. den
Text pag. 421.)
Ein septirter und verzweigter Chlamydosporenträger mit jungen und
ausgereiften Chlamydosporen. Die Verzweigung des Trägers erscheint
nur gering den üppigen Bildungen gegenüber, welche man oft am
Papulasporamycel antrifft, wenn dasselbe ausschliesslich nur mit
Chlamydosporen besetzt ist.
Keimung der Chlamydosporen.
Vergrösserung von Fig. 7 und 9 = 120fach; Fig. 16 und 17 = 300 fach;
Fig. 1—6, Fig. 8, Fig. 10, Fig. 13—15 = 500 fach; Fig. 11 und 12 = 750fach.
Berichtigung.
Pag. 381 Zeile 13 und Zeile 28 von oben lies statt Kunzianum — Kunzeanum.
’
Ya j fr bi
u. ar FR TR Ar 2
N egalen glas ily
Druck von Robert Nischkowsky in Breslau.
Kohn, Beiträge zur Biologie der Pflanzen.
Band H.Tak\l.
Na eRee z
rY
4 uan
SEES LAN
Franke adnab.del
Lith Anst.v. CKisst, Leipzig.
Band U.Tal\M.
FF Cohn, Baträge zur Biologie der Pflanzen.
Ira
AR
5 R
5 20
Lüh Anstr@.Kırst, Leipzig
S
S
iR
S
8
Fra
E: Cohn, Beiträge zur Biologie der Pflanzen. band I.TafAll.
MErarıke a na. del: ; Lih Anst.v.C.Kirst, Leipzig.
IrthAnst.v. CKirst, Leipzig.
De EN -
Pay a Fu
DEREN j
Band U Tat XX.
F Cohn, Beiträge zur. biologie derFflanzen.
E.Bidam adı nab.del.
Lith Anstvr.l.Krst, Lepzig,
"RM
4 ei
CR
id wi
£Colm, Beiirage zur Biologie der Pflunzen . Band Taf X17.
Lih_Anst v[ Kırst, Leipzig.
a
Be
in
Be
En
‚band II. Taf XXH.
Ä
E Cohn, Beiträge zurBiologie der Mlanzen.
x N
> 7 7
= GENE @, AT
ERS \ Bileg En
URRSSS, IE SE
dor I ERBEN) NL 5°
ED, u Won OR KILO
ER TR
Tante zns@e ha SS“
I KeN
R =
Fr
as Den 2)
Nee ei 4
er Z
K7
er
(®)
(?
ER
SERIEN
BAR NEIEN
Lith Anst vr CKirst, Lapzig:
5 a a . =
Be Fr ee - j - 5 s B r jr fi
5 £ r = = n . Ka
5 z B A
r 1 « F \
- \ \ s J j > u . *
.- 3 — > . E
a ‚ - z “N ‘ = . “ s
5 v A ” etz i
R s B
& = > a E n
: ı 4 f s % €
B E . R
i ‘ = X > -
a . .
- ’
j .
? 5 = >
“ =
— -
r «
.
ECohn, Beiträge zur Biologie der Pflanzen. Band Il. Ia£IAI.
B.Bidam ad nat. Ael. Lith.Anst.v. C.Kirst, Zeip2ig.
ork Botanical Garden Li
INNIMANNIITNN
.; 5185 ‚00259 2051
F
Ya Ne g
ee
en Al None
\ IH H Di
K
“.
N
“
«
x o-
lassen,
a N Year, u 4
NT, la Nr
RRUUREH
= .
Ef N Herig Aid
Ä e
en
een
mn
Dee eh ann
in
Au
4
\
ie
AN nen
Be
BEise
er.
Rn
2
er
Mi
r
Be j ;
u BT
je